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Full text of "Geschichte des europäischen staatensystems von 1492-1559"

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UN  V»I4SITV  Of      I 
.       SAN  DI  1^00        \ 


HANDBUCH 


DER 


Mittelalterlichen  und 
Neueren  Geschichte 


HERAUSGEGEBEN  VON 

G.  V.  BELOW        UND        F.  Meinecke 

PRUFESSOR  AN  DER  UNIVERSITJCT  FREIBURG  I.B.  PROFESSOR  AN  DER  UNIVERSITÄT  BERLIN 


ABTEILUNG  n 

POLITISCHE  GESCHICHTE 


Eduard  fueter 

GESCHICHTE  DES  EUROPÄISCHEN  STAATENSYSTEMS 

VON  1492-1559 


MÜNCHEN  UND  BERLIN  1919 
DRUCK  UND  VERLAG  VON  R.  OLDENBOURG 


GESCHICHTE 


DBS 


EUROPÄISCHEN  STAATENSYSTEMS 
VON  1492-1559 


VON 

EDUARD  FUETBR 

ZÜRICH 


MÜNCHEN  UND  BERLIN  1919 
DRUCK  UND  VERLAG  VON  R.  OLDENBOURG 


Alle  Rechte,  auch  das  der  Übersetzung,  vorbehalten 
Copyright  1919  by  R.  Oldenbourg,   München  und  Berhn 


Bibliograpliische  Vorbemerkung. 


Da  die  hier  gewählte  Darstellungsform  es  mit  sich  bringt,  daß  mehrfach  ein 
und  dasselbe  Ereignis,  eine  und  dieselbe  Institution  in  verschiedenen  Ab- 
schnitten erwähnt  werden,  so  war  es  ausgeschlossen,  daß  zu  jedem  Paragraphen 
die  vollständige  Literatur  verzeichnet  wurde,  wie  z.  B.  in  musterhafter  Weise 
in  Georg Mentz'  »Deutscher  Geschichte«  (1913)  geschehen  ist.  Gewisse  Werke  all- 
gemeinen Inhaltes  hätten  bei  diesem  Verfahren  beinahe  zu  jedem  Paragraphen  zitiert 
werden  müssen.  Es  erschien  daher  richtiger,  der  Darstellung  eine  Übersicht  über 
die  wichtigsten  Nachschlagewerke  zur  politischen  Geschichte  Europas  in  der  hier  be- 
handelten Periode  vorauszuschicken.  Diese  Liste  soll  nicht  nur  die  sonst  unver- 
meidlichen Wiederholungen  von  Büchertiteln  verhindern,  sondern  zugleich  als  Er- 
satz dafür  dienen,  daß  wenigstens  die  ältere  Spezialliteratur  mit  Rücksicht  auf  den 
beschränkten  Raum  nur  unvollständig  aufgeführt  werden  konnte.  Es  sind  deshalb 
nur  Werke  neueren  Datums  (d.  h.  in  der  Regel  nur  die  neuesten  über  das  in  ihnen 
behandelte  Thema)  verzeichnet  worden  und  natürlich  auch  nur  Werke,  die  mit 
bibliographischen  Nachweisen  versehen  sind.  Der  Detailforscher  wird  sich  an 
Hand  der  dort  enthaltenen  Angaben  dann  ohne  große  Mühe  über  die  Spezialliteratur 
über  ein  bestimmtes,  im  Texte  des  vorliegenden  Buches  nur  kurz  gestreiften  Ereig- 
nisses informieren  können. 

I.  Allgemeines. 

A.  Bibliographien.  Der  universal-europäische  Charakter  beinahe  aller  inter- 
nationalen KonfHkte  während  der  hier  behandelten  Periode  gestaltet  auch  die 
Nachschlagewerke,  die  nur  der  Geschichte  eines  bestimmten  Landes  gewidmet  sind, 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  zu  bibliographischen  Übersichten  über  die  europäische 
politische  Geschichte  überhaupt.  Im  besonderen  gilt  dies  von  der  neuesten  Auf- 
lage von  Dahlmann-Waitz,  »Quellenkunde  der  deutschen  Geschichte«  (1912),  die 
nicht  nur  durch  ihre  spätere  Erscheinungszeit  sondern  auch  durch  ihre  größere 
Ausführhchkeit  selbst  dem  Forscher  in  europäischer  Geschichte  melir  bietet  als  die 
von  demselben  verdienstlichen  Herausgeber  (Paul  Herre)  bearbeitete  »Quellen- 
kunde zur  Weltgeschichte«  (1910).  In  direktem  Zusammenhang  mit  dem  in  dem 
vorhegenden  Buche  behandelten  Gegenstande  stehen  die  bibhographischen  Listen, 
die  den  zwei  dieselbe  Zeitperiode  darstellenden  Bänden  der  »Cambridge  Modern 
History«  mitgegeben  sind  (Band  I  und  II;  1902  und  1903);  diese  Verzeichnisse 
können  aber  nicht  in  jeder  Beziehung  befriedigen,  auch  Hegen  sie  nun  doch  schon 
etwas  weit  zurück.  Sehr  nützhch  ist  dagegen  die  bibhographische  Vornotiz,  die 
Edward  Armstrong  der  zweiten  Auflage  (1910)  seines  »Emperor  Charles  F«  vor- 
ausgeschickt hat ;  doch  kommt  sie  natürhch  nur  für  die  zweite  Hälfte  der  Periode 
in  Betracht.  Über  die  Quellen  (und  zwar  nicht  nur  die  französischen)  geben  die 
beste  Auskunft  die  außerordenthch  gut  gearbeiteten  »Sources  de  Vhistoire  de 
France,  XV I^  sieden,  von  denen  für  den  hier  behandelten  Gegenstand  die  beiden 
ersten  Bände  (1906  und  1909)  in  Betracht  fallen  (verfaßt  von  Henri  Hauser).  — 
Außerdem  etwa  noch  H.  Pirennes  i>  Bibliographie  de  Vhistoire  de  Belgiquea 
2.  Aufl.  1902. 


VI  Bibliographische  Vorbemerkung. 

B.  Qaellenwerke.  Die  Grundlage  der  Geschichte  des  europäischen  Staaten- 
systenis  wird,  soweit  die  Staatsverträge  in  Frage  kommen,  immer  noch  gebildet 
durch  das  alte  Werk  von  J.  Dumont,  »Corps  universel  diplomatique  du  droit  des 
gens«,  von  dem  Band  III— V  (1726—1728  mit  Supplement  1  und  II,  1  [1739])  in 
die  hier  behandelte  Periode  fallen.  Die  Sammlung  ist  freilich  keineswegs  voll- 
ständig. Viele  Nachträge  finden  sich  in  neueren  Aktenpubhkationen;  die  \Aich- 
tigste  Ergänzung  bieten  die  »Diarii«  des  Marino  Sanuto  (umfassend  die  Jahre 
1496  —  1533;  erschienen  Venedig  1879  —  1903),  in  denen  auch  viele  Verträge  im 
Originalwortlaut  abgedruckt  sind. 

II.  Literatur  über  die  (xeschiclite  einzelner  Länder 

(geordnet  nach  der  Reihenfolge  im  zweiten  Abschnitt  des  ersten  Teiles). 

Frankreich.  Henry  Lemonnier  im  fünften  Band  der  von  Ernest  Lavisse  heraus- 
gegebenen »Histoire  de  France«  (umfassend  die  Jahre  1492  —  1559;  erschienen  1911); 
G.  Jacqueton,  »La  politique  exterieure  de  Louise  de  Sdvoiea  1892;  F.  de  Crue, 
»Anne,  duc  de  Montmorency«  1885. 

Spanien.  Konrad  Häbler,  »Geschichte  Spaniens  unter  den  Habsburgern  I; 
Geschichte  Spaniens  unter  der  Regierung  Karls  I.  (V.)«  1907  (in  der  Heeren -Ukert- 
schen  Sammlung).  Für  die  von  Häbler  nicht  behandelte  Regierungszeit  der  katholi- 
schen Könige  sowie  über  die  neuesten  Erscheinungen  zur  Geschichte  Karls  gute 
Übersicht  in  dem  bibhographischen  Anhang,  den  R.  Altamira  y  Crevea  dem  vierten 
Bande  (1911)  seiner  leider  nicht  mit  Noten  versehenen  »Historia  de  Espana«  bei- 
gegeben hat. 

Die  Habsburger  und  Deutschland.  Heinrich  Ulmann,  »Kaiser  Maximilian  I.«, 
■J.  Bände,  1884  und  1891,  und  das  bereits  angeführte  Werk  von  Armstrong  über 
KarlV.  Georg  Mentz,  »Deutsche  Geschichte  1493  — 1648«  (1913),  und  Br.  Gebhardts 
»Handbuch  der  deutschen  Geschichte«  neu  herausgegeben  von  Ferdinand  Hirsch, 
2  Bände,  1913.  —  Für  die  Geschichte  einzelner  habsburgischer  Länder  die  drei 
in  der  Heeren-Ukertschen  Sammlung  erschienen  Werke:  Alfons  Huber,  »Geschichte 
Österreichs«  Illf.  (1888ff. ;  vgl.  im  übrigen  die  Nachweise  in  der  von  Dopsch  be- 
sorgten zweiten  Auflage  [1901]  der  »Österreichischen  Reichsgeschichte«  desselben 
Autors,  den  »Wegweiser  durch  die  Literatur  der  österreichischen  Geschichte« 
von  Richard  Charmatz,  1912  und  A.  Luschin  von  Ebergreuth,  »Österreichische 
Reichsgeschichte  des  Mittelalters«  2.  Aufl.  1914);  Henri  Pirenne,  »Geschichte 
Belgiens«  (1899ff.)  und  P.  Blök,  »Geschichte  der  Niederlande«  (1902ff.);  Lucien 
Febvre,  ^Philippe  II  et  la  Franche  -  Comte  1911  (behandelt  auch  die  erste 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts).  —  Ferner  S.  Riezler,  »Geschichte  Bayerns«  III  ff. 
(18S9ff.)  und  M.  Döberl,  »Entwicklungsgeschichte  Bayerns«  I   (3.  Auflage,   1915). 

Eine  moderne  wissenschafthche  Geschichte  Venedigs  fehlt  noch.  Charles 
Diehl,  »Venise«  (1915),  gibt  leider  keine  Bibliographie.  Vgl.  im  übrigen  unter  Italien. 

Türkei.  N.  Jorga,  »Geschichte  des  Osmanischen  Reiches«  II  und  III  (1909ff.); 
A.  H.  Lybyer,  »The  Governement  of  the  Ottoman  Empire  in  the  time  of  Suleiman  the 
Magnificent«  1913. 

England.  H.  A.  L.  Fisher,  V.  Band  der  »Political  History  of  England«,  heraus- 
gegeben von  Hunt  und  Poole  (behandelt  die  Jahre  1485  —  1547  und  A.  F.  Pollard 
im  VI.  Band  für  die  folgenden  Jahre  (beide  erschienen  1910);  Wilhelm  Busch, 
»England  unter  den  Tudors«  I  (=  König  Heinrich  VII.)  1892  (englische  Über- 
setzung 1895);  A.  F.  Pollard,  »England  under  Protector  Somerset«  1900  (von  dem- 
selben auch  eine  gute  Geschichte  Heinrichs  VIII.,  neue  Ausgabe  1905). 

Italienische  Staaten.  G.  de  Leva,  »Storia  documentata  di  Carlo  V  in  corre- 
lazione  alVItalia«  (bis  1552)  1863  —  1893;  F.  T.  Perrens,  »Histoire  de  Florence«  II 
und  III  (1889  f.)  Bibhographisch  besonders  reichhaltig  ist  Ludwig  Pastors  »Ge- 
schichte der  Päpste  seit  dem  Ausgang  des  Mittelalters«  (für  die  Geschichte  des  Kir- 
chenstaates); vgl.  die  Note  zu  §  92.  Keine  fortlaufenden  Anmerkungen  gibt  die  Ge- 
schichte Genuas  von  M.  G.  Canale,  »Nuova  Istoria  della  Repuhhlica  di  Genova« 
(1858 ff.)   und   «Storia  della  Repubblica  di  Genova  dal  1528  al  1550«  (1874). 


Bibliographische  Vorbemerkung.  yi[ 

Schweiz.  Joliannes  Dierauer,  »(ieschichte  der  schweizerischen  Eidgenossen- 
schaft« 11  (2.  Auflage,  1913)  und  III  (1907,  in  der  Heeren- ülcertschen  Sammlung); 
Karl  Dändliker,  »Geschichte  der  Schweiz«  II.  (1900).  Über  die  seither  erschienene 
Literatur  vollständiges  Verzeichnis  im  »Anzeiger  für  schweizerische  Geschiclite«. 
Über  die  Literatur  zur  ungarischen  Geschichte  sind  die  oben  zur  Geschichte 
Österreichs  angeführten  Werke  zu  vergleichen.  Für  die  Geschichte  Nordafrikas 
vgl.  die  Notiz  zu  §  99.  Besonders  gut  sind  wir  für  die  polnische  Geschichte  gestellt; 
der  1915  erschienene  erste  Band  der  »Neueren  Geschichte  Polens«  von  E.  Zivier 
(Heeren-Ukertsche  Sammlung),  der  die  gesamte  Literatur  verzeichnet  und  ver- 
arbeitet, behandelt  die  Geschichte  der  Jahre  1506  —  1572.  Schottland.  P.  Hume 
Brown,  »History  of  Scotland«  1  u.  II  (1899 — 1902);  Andrew  Lang,  idem  I  u.  II 
1900 ff.).  Skandinavien.  Paul  Barron  Watson,  »The  Swedish  Revolution  under 
Gustavus  Wasa«  1889  (mit  Bibhographie) ;  Dietrich  Schäfer,  »Geschichte  von  Däne- 
mark« IV  (1893,  bei  Heeren-Ukert).  Portugal.  Vgl.  die  Notiz  am  Sclüusse  der 
»Historia  de  Portugal«  von  OHveira  Martins  (7.  Auflage,  1908). 

Wenn  die  vorliegende  Übersicht  aus  leicht  verständHchen  Gründen  jedesmal 
nur  die  letzten  Arbeiten  zur  Geschichte  eines  bestimmten  Gegenstandes  auf- 
führt, so  sollte  damit  natürlich  kein  Urteil  über  die  historiographische  Bedeu- 
tung der  zitierten  Werke  gegeben  werden.  Große  Leistungen  der  Geschichts- 
schreibung behalten  bekanntlich  auch  dann  noch  für  die  Forschung  ihren  Wert, 
wenn  sie  dem  Benutzer,  der  sich  über  die  Resultate  der  neuesten  Pubhkationen 
und  Untersuchungen  informieren  will,  nicht  mehr  empfohlen  werden  können. 
In  besonderem  Maße  gilt  dies  von  den  in  ihrer  Art  unvergänglichen  Darstellun- 
gen, die  Leopold  Ranke  der  Geschichte  der  hier  behandelten  Periode  gewidmet 
hat.  Die  in  mehr  als  einer  Hinsicht  unreife  Jugendarbeit  über  die  »Geschichten 
der  romanischen  und  germanischen  Völker  von  1494  bis  1514«  (1824)  hat  freilich 
auch  in  der  fünfzig  Jahre  später  vorgenommenen  Umarbeitung  (1874)  nicht  auf 
die  Höhe  der  Meisterwerke  Rankischer  Geschichtschreibung  gebracht  werden 
können.  Die  »Deutsche  Geschichte  im  Zeitalter  der  Reformation«  wirkt  dagegen 
immer  noch  mit  derselben  anregenden  Kraft  wie  am  ersten  Tage  ihres  Erschei- 
nens und  die  der  auswärtigen  Politik  gewidmeten  Kapitel,  die  zusammengestellt 
beinahe  eine  vollständige  Geschichte  des  europäischen  Staatensystems  zur  Zeit 
Karls  V.  und  Franz'  I.  bilden  würden,  sind  in  ihrer  wahrhaft  universalhistorischen 
Anlage  von  keinem  neueren  Forscher  erreicht  worden.  Auch  die  übrige  ältere 
Literatur  wird  der  gewissenhafte  Historiker  nicht  unbeachtet  lassen;  wer  aber 
Rankes  Werk  nicht  auf  Schritt  und  Tritt  zu  Rate  zieht,  ignoriert  eines  der 
wichtigsten  Hilfsmittel  zur  geistigen  Durchdringung  des  Stoffes. 

III.  Die  wichtigsten  Sammluiigeu  von  Akten    und  diplomatisclien 

Korrespondenzen.) 

Aus  den  in  §  3  geschilderten  Gründen  ist  es  möglich,  für  die  hier  behandelte 
Periode  beinahe  gänzhch  von  der  zeitgenössischen  Historiographie  abzusehen.  Die 
Rapporte  der  diplomatischen  Agenten  bieten  in  Verbindung  mit  den  eigentlichen 
Akten  und  den  Berichten  militärischer  Stellen  vielfach  ein  beinahe  lückenloses 
Material  für  die  Rekonstruktion  des  Ganges  der  Ereignisse.  Kein  Historiker  wird 
zwar  deshalb  die  Darstellungen  der  zeitgenössischen  Geschichtschreiber  ganz  beiseite 
lassen;  wenigstens  die  größeren  unter  ihnen  sind  schon  deshalb  unentbehrhch, 
weil  sie  noch  deutlicher  als  die  diplomatischen  Berichte  die  Wirkung  der  Ereignisse 
auf  die  öffentliche  Meinung  erkennen  lassen.  Aber  zur  Feststellung  des  Tatsächhchen 
sind  sie  so  gut  wie  ganz  entbehrlich.  Man  kann  sagen,  daß  die  moderne  Forschung 
sie  mit  ihren  eigenen  Waffen  geschlagen  hat.  Wenn  die  guten  Geschichtschreiber 
der  hier  behandelten  Periode  im  Durchschnitt  an  Zuverlässigkeit  weit  über  denen 
irgendeiner  vorhergehenden  Epoche  stehen,  so  verdanken  sie  diesen  Vorzug  ihrer 
Benutzung  archivalischer  Quellen;  der  moderne  Historiker  ist  nun  aber  imstande 


YllI  Bibliographische  Vorbemerkung. 

ein  viel  reicheres  und  universaleres  diplomatisches  Material  heranzuziehen  als  jener 
die  in  der  Regel  nur  zu  den  Akten  eines  einzigen  Staates  Zutritt  hatten. 

Weniger  entbehrlich  sind  durch  die  neuesten  Pubhkationen  die  Relationeu 
gemacht  worden,  von  denen  die  wichtigsten  die  venezianischen  sind  (vgl.  darüber 
§  69).  Die  hauptsächliche  Sammlung  sind  die  »Relazioni  degli  ambasciatori  veneti 
al  senato«,  herausgegeben  von  Eugenio  Alböri,  1839—1863;  eine  neue  und  voll- 
ständigere Sammlung  hat  in  den  »Scrittori  d'Italia«  zu  erscheinen  begonnen;  weitere 
Angaben  siehe  unter  den  einzelnen  Ländern.  Wenn  der  Historiker  auch  nie  eine 
Angabe  der  Relationen  über  Dinge  benutzen  wird,  über  die  er  sich  aus  den  Original- 
akten informieren  kann,  so  bleiben  diese  Berichte  doch  unentbehrlich.  Über  manche 
in  den  Relationen  berührte  Gegenstände  stehen  direkte  Quellen  überhaupt  nicht 
zu  Gebote;  in  anderen  Fällen  handelt  es  sich  um  persönhche  Beobachtungen,  die 
durch  Rechnungsbücher  und  Steuerlisteu  ergänzt,  aber  nicht  ersetzt  werden  können. 
Es  drückt  sich  eben  auch  hierin  die  Zwitternatur  dieser  Relationen  aus,  die  halb 
diplomatische  Rapporte,  halb  statistische  Darstellungen  sind. 

Es  kann  sich  hier  nun  natürlich  nicht  darum  handeln,  die  zahlreichen  Publi- 
kationen von  Akten  und  Korrespondenzen  vollständig  zu  registrieren.  Im  besonderen 
muß  von  einer  Aufzählung  derjenigen  lokalgeschichtlichen  Veröffentlichungen  ab- 
gesehen werden,  in  denen  nur  gelegentlich  und  indirekt  der  Kampf  der  Großmächte 
und  die  Geschichte  des  europäischen  Staatensystems  berührt  wird.  Die  oben 
unter  I  A  angeführten  Werke  enthalten  außerdem  so  vollständige  Listen  der  in 
Betracht  fallenden  Quellenwerke,  daß  eine  nochmalige  Aufzählung  an  dieser  Stelle 
überflüssig  sein  dürfte. 

Die  wichtigste  diplomatische  Quelle  für  die  ganze  Periode  bildet  (neben 
den  bereits  erwähnten  Diarien  Sanutos,  die  aber  die  letzten  Jahrzehnte  nicht  mehr 
umfassen)  die  englischen  »Calendars  of  Leiters,  Dispatches  and  State  Papersi  und  die 
i>State  Papers*  oder  »Letters  and  Papers«.  Die  Sammlung  ist  noch  nicht  abgeschlossen 
und  wird  noch  fortgesetzt ;  über  sie  und  über  ergänzende  englische  Quellen  geben 
neben  Hauser  (s.  o.)  Auskunft  Fisher  und  PoUard  in  den  zitierten  Bänden  der 
iPolitical  History  of  England«.  Seither  sind  speziell  für  die  Zeit  Eduards  VL  und 
Marias  verschiedene  Bände  hinzugekommen:  »Calendar  of  Letters  .  .  .  relating  to  the 
Negotiations betiveen England  and Spainv.  vol.  IX— XI  =  1547  —  1553  (1913f.).  Dann 
eine  Publikation  zur  Geschichte  der  englisch-mailändischen  Beziehungen :  »Calendar 
of  State  Papers  and  Manuscripts  existing  in  the  Archives  and  Collections  of  Milan«. 
ed.  Allen  B.  Hinds,  Band  I  (1385  —  1618),  1912. 

Die  an  sich  noch  reichhaltigere  Korrespondenz  der  habsburgischen  Familien- 
angehörigen und  ihrer  Agenten  (vgl.  §  63)  ist  aus  begreiflichen  Gründen  weniger 
einheitlich  publiziert;  manche  Editionen  berücksichtigen  nur  die  Zeit  Maximihans  I. 
oder  nur  die  seiner  Enkel,  andere  geben  nur  das  Material,  das  sich  auf  ein  bestimmtes 
Herrschaftsgebiet  oder  auf  die  Tätigkeit  eines  einzelnen  Agenten  bezieht.  Voll- 
ständiger Pubükation  steht  außerdem  vielfach  der  große  Umfang  der  erhaltenen 
Schriftstücke  entgegen.  Die  universalste  und  brauchbarste  Sammlung  wird  ein- 
mal die  von  der  Kommission  für  neuere  Geschichte  Österreichs  in  die  Wege  geleitete 
Ausgabe  der  Korrespondenz  Ferdinands  I.  sein;  bisher  ist  aber  erst  als  erster  Band 
die  »Famihenkorrespondenz  bis  1526«  dieses  Herrschers  erschienen  (bearbeitet  von 
Wilhelm  Bauer,  1912).  —  Von  den  übrigen  Ausgaben  sind  die  wichtigsten  für  die 
Zeit  Maximilians  I.:  die  »Lettres  du  roi  Louis  XII«  (Brüssel  1712),  in  denen  trotz 
des  Titels  die  Schreiben  habsburgischer  Diplomaten  dominieren;  Le  Glay,  »Correspon- 
dance  de  VEmpereur  Maximilien  I^  et  de  Marguerite  d'Autriche  (1507—1519)«,  1839 
ergänzt  durch  Van  den  Bergh,  »Correspondance  de  Marguerite  d'Autriche  sur  les 
affaires  des  Pays-Bas  de  1506  ä  1528«  (1845  —  1847).  Die  spätere  Publikation  Le 
Glays,  »Negociations  diplomatiques  entre  la France  et  VAutriche  dans  les  trente  premieres 
annees  du  XVI^  siede«  (1845)  reicht  dagegen,  wie  schon  aus  dem  Titel  hervorgeht, 
über  die  Periode  Maximilians  hinaus,  enthält  außerdem  auch  Schreiben  von  französi- 
scher Seite.  »Briefe  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  Maximihans  I. «  ed.  Chmel  1845 
(Stuttg.  Literar.  Veroin) :  »Maximilians  T.  vertraulicher  Briefwechsel  mit  S.  Prüschken« 


Bibliographische  Vorbemerkung.  IX 

ed.  Kraus  1875.  —  Über  dio  Zeit  Karls  V.  (neben  der  bereits  erwähiiten  »Familien- 
korrespondenz Ferdinands  I. «)  die  verschiedenen  Publikationen  von  Karl  Lanz, 
»Korrespondenz  des  Kaisers  KarlV. «  (nur  Auswahl),  1844  —  1846;  »Staatspapiere 
zur  Geschichte  des  Kaisers  Karl  V.<s  1845  (Stuttgarter  Literarischer  Verein);  »Akten- 
stücke und  Briefe  zur  GeschichLe  Kaiser  Karls  V.«,  1853  (Monumenta  Habsburgica). 
Dann  die  vielleicht  wichtigste  Pubükation  zur  Poütik  des  Kaisers,  die  von  Ch.  Weiß 
herausgegebenen  »Papiers  cCEtatdu  cardinal  de  Granvelle«  (1841  ff.).  t>El  Eniperador 
Carlos  V  y  SU  corte  segün  las  cartas  de  D.  Martin  de  Saunas,  einbajador  del  Infame 
D.  Fernando  (1522—1539)*,  herausgegeben  von  A.  Rodriguez  Villa,  1903.  »Carlas 
al  Emperador  Carlos  V,  escritas  en  los  ahos  1530 — 1532  par  su  confesor  G.  de  Loaysa«, 
1848.  Die  Memoiren  des  Kaisers  sind  jetzt  immer  in  der  Ausgabe  mit  französischer 
Übersetzung  zu  benutzen,  die  A.  Morel-Fatio  davon  gegeben  hat  ( »Historiographie 
de  Charles-Quint,  premiere  pam>«,1913;  ttBibliotheque  de  VEcole  des  Hautes-Etudes«). 
—  Die  von  DöUinger  herausgegebenen  »Beiträge  zur  Geschichte  Karls  V.,  PhiUpps  IL 
und  ihrer  Zeit«  (1862)  beschlagen  nur  die  letzten  Jahre  des  hier  behandelten  Zeit- 
raumes, die  von  August  von  Druffel  bearbeiteten  »Briefe  und  Akten  zur  Geschichte 
des  16.  Jahrhunderts«  (1873 ff.)  teilen  nicht  nur  habsburgische,  sondern  auch  fran- 
zösische, päpsthche  usw.  Schriftstücke  mit.  In  der  Hauptsache  habsburgische 
Dokumente  enthalten  dagegen  die  von  R.  Häpke  edierten  »Niederländischen  Akten 
und  Urkunden  I«,  1913;  vgl.  die  Anmerkung  zu  §50. 

Die  in  den  zitierten  Werken  zur  deutschen  Geschichte  angeführten  Publikationen 
zur  deutschen  Reichsgeschichte  enthalten  über  die  europäische  PoUtik  der  Dynastie 
verhältnismäßig  wenig.  Viel  instruktiver  sind  für  diesen  Zweck  die  von  G.  Turba 
herausgegebenen  »Venetianischen  Depeschen  vom  Kaiserhofe«  (1889  ff.)  und  auch 
die  im  Auftrag  des  Preußischen  historischen  Instituts  in  Rom  edierten  »Nuntiatur- 
berichte  aus  Deutschland«,  1892ff.  (I.  Abteilung  beginnend  mit  dem  Jahre  1533); 
dazu  »Nuntiaturberichte  G.  Morones  vom  deutschen  Königshofe  I539f. «,  ed.  F.  Ditt- 
rich  1892. 

Von  den  deutscheu  Quellen  seien  daher  an  dieser  Stelle  nur  die  von  K.  Klüpiel 
edierte  Sammlung  von  »Urkunden  zur  Geschichte  des  Schwäbischen  Bundes«  (1846 
bis  1853,  Stuttgarter  Literarischer  Verein)  angeführt.  W.  Maurenbrecher,  »KarlV. 
und  die  deutschen  Protestanten«,  1865  (Anhang).  —  Dazu  dann  noch  H.  Uebers- 
berger,  »Österreich  und  Rußland  seit  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts«  I  (1906). 
Für  Frankreich  sind  wir  aus  den  in  §  31  ausgeführten  Gründen  viel  weniger 
gut  gestellt.  Die  bereits  zitierten  Sammlungen  der  »Lettres  de  Louis  XII«  und 
Le  Glays  enthalten  nur  einzelne  Schreiben  und  die  PubUkationen  Pelissiers  zur 
Geschichte  der  mailändischen  Beziehungen  (aufgezählt  in  dessen  »Louis  XII  et 
Ludovic  Sforza«  [1896],  VII  n.  1)  behandeln  nur  einen  Ausschnitt  der  französischen 
auswärtigen  Politik;  die  von  Abel  Desjardins  herausgegebenen  »Negociations  diplo- 
matiques  de  la  France  avec  la  Toscane«  (1859 ff.)  enthalten  so  gut  wie  ausschließlich 
florentinische,  nicht  französische  Berichte.  EineÄnderung  tritt  erst  mit  den  zwanziger 
Jahren  des  16.  Jahrhunderts  ein  (vgl.  §  123).  Hier  sind  zunächst  zu  nennen  die  von 
E.  Charriöre  publizierten  »Negociations  de  la  France  dans  le  Levant«,  1848 ff.  (Be- 
ziehungen zum  Osmanischen  Reich),  die  ergänzt  werden  durch  die  »Correspondance 
politique  de  Guillaume  Pellicier,  ambassadeur  de  France  ä  Venise  1540—1542«,  ed. 
A.  Tausserat-Radel,  1899.  Berichte  von  Gesandtschaften  in  England  geben  die 
»Premiere  Ambassade  de  Jean  du  Bellay  (1527—1529)«,  ed.  Bourrilly  und  Vaissidre 
(1905),  die  »Correspondance  politique  de  Castillon  et  Marillac  (1537—1542)«,  ed. 
Kaulek  (1885),  und  die  »Correspondance  politique  de  Odet  de  Selve  (1546—1549)«, 
ed.  Lefövre-Pontahs  (1888).  Dazu  noch  die  »Memoires  de  MM.  de  Noailles  (1553  ff.)* 
(1763)  und  die  von  AI.  Teulet  unter  dem  Titel  »Relations  politiques  de  la  France  et  de 
VEspagne  avec  VEcosse  au  XVI«  siede«  pubhzierten  Staatsschriften  (I.  Band,  1862). 
Allgemeineres  in  G.  Ribier,  »Lettres  et  memoires  d'ßtat«  (1666).  Über  die  Beziehungen 
zu  den  Habsburgern  vgl.  die  zitierte  Sammlung  von  Druffel  sowie  die  »Captivite 
du  roiFrangois  I^«,  ed.  Aime  ChampoUion-Figeac  (1847),  von  dem  auch  in  anderen 
Bänden   der    »Docvments  inedits«  manche  wichtige   Dokumente  aus  französischen 


X  Bibliographische  Vorbemerkung. 

Quellen  zur  Geschichte  der  hier  behandelten  Periode  pubhziert  worden  sind  (vgl. 
G.  Monod,  »Bibliographie  de  Vhistoire  de  Francea  [1888],  nr.  371  und  372).  Ähn- 
lich wie  bei  den  Habsburgern  treten  dann  als  Ergänzung  die  Nuntiaturberichte 
hinzu,  mit  deren  Pubhkation  1906  begonnen  wurde:  »Nonciatures  de  Clement  VII«, 
ed.  Fraikin  I.  —  »Correspondance  politique  de  Lanssac,  1548—1557«,  ed.  Ch.  Sauze 
(1904);  »Correspondance  du  marechal  de  Brissac  (1550—1557);  vgl.  darüber  und 
über  weitere  Pubhkationen  H.  Hauser  »Sources«  II  (1909),  nr.  1272ff.  —  Manches 
dann  auch  in  den  »Lettres  de  Charles  VIIl«,  ed.  P.  Pehcier,  Band  4  und  5  (1903 
bis  1905),  und  in  dem  von  der  Akademie  der  politischen  und  morahschen  Wissen- 
schaften publizierten  »Catalogue  des  actes  de  Frangois  ler«  (1887  ff.).  —  La  Pilorgerie, 
»Campagne  et  Bulletins  de  la  Grande  Armee  d'Italie,  commandee  par  Charles  VIII«, 
1886.  »Le  Journal  d'un  Bourgeois  de  Paris  (1515—1536)«,  ed.  Bourrilly,  1910,  ent- 
hält in  den  Anmerkungen  auch  Angaben  aus  unpubhzierten  Archivalien. 

Italienische  Staaten.  Für  Venedig  kommen  hauptsächlich  die  bereits  zitierten 
Diarien  Sanutos  so\Aie  die  Relationen  (s.  o.)  in  Betracht,  die  in  gelegenthchen  Be- 
merkungen auch  Streifhchter  auf  Ereignisse  im  Venezianischen  werfen.  Im  übrigen 
enthalten  die  venezianischen  Berichte,  wie  natürlich,  wenig  Angaben  über  dte 
Pohtik  des  eigenen  Landes;  sie  sind  daher  hier  unter  den  Staaten  eingereiht,  über 
die  sie  berichten.  Nur  wenige  willkürlich  herausgerissene  venezianische  Doku- 
mente finden  sich  gedruckt  bei  VI.  Lamansky,   »Secrets  d'Etat  de   Venise«,  1884. 

Kirchenstaat.  Die  Korrespondenz  der  päpsthchen  Diplomaten  ist,  besonders 
während  der  ersten  Jahrzehnte  der  hier  behandelten  Periode,  unbedeutend;  für 
die  spätere  Zeit  kommen  hauptsächhch  die  bereits  zitierten  Nuntiaturberichte  in 
Betracht.  Die  wichtigste  Quelle  für  die  ersten  Jahre  ist  deshalb  das  »Diarium« 
des  Burchardus  (bis  1506)  (erste  vollständige  Ausgabe  von  P.  Thuasne,  1883  —  1885, 
neue  Ausgabe  von  Enrico  Celani  in  der  neuen  Bearbeitung  des  Muratori  im  Er- 
scheinen begriffen).  Das  Diarium  seines  Amtsnachfolgers,  des  päpsthchen  Zere- 
monienmeisters Paris  de  Grassis,  ist  für  die  Zeit  Leos  X.  von  M.  ArmeUini  pubhziert 
worden  (1884).  Dazu  die  unvollendeten  »Regesten«  Leos  X.,  deren  Edition  1884 
von  Hergenröther  begonnen  wurde.  Die  wichtigste  Ergänzung  dazu  sind  die  von 
P.  Villari  herausgegebenen  Depeschen  des  venezianischen  Gesandten  Antonio 
Giustiniani  in  Rom  aus  den  Jahren  1502  —  1505  (1876).  Die  im  Auftrage  Papst 
Leos  X.  von  Bembo  verfaßten  Schreiben  sind,  wie  Pastor  in  seiner  »Geschichte 
der  Päpste«  IV,  2,  Anhang,  nachgewiesen  hat,  in  den  Ausgaben  des  16.  Jahrhunderts 
(zuerst  Venedig  1535 f.)  nicht  im  Originalwortlaut  reproduziert  worden  und  dürfen 
daher  vom  Historiker  nicht  ohne  weiteres  benutzt  werden. 

Ähnlichen  Charakter  tragen  Sadolets  »Epistolae  Leonis  X,  Clementis  VII, 
Pauli  III  nomine  scriptae«  (1759);  d.  h.  auch  diese  bilden  so  wenig  wie  die  Schreiben 
Bembos  eine  fortlaufende  Korrespondenz,  sondern  geben  nur  eine  Sammlung  un- 
zusammenhängender Schriftstücke  und  haben  häufig  nur  formelle  Bedeutung.  Etwas 
anders  steht  es  mit  den  »Lettere«  des  Grafen  Baidessar  Castiglione  (1769).  Die  im 
Namen  Klemens'  VII.  von  Sadolet  redigierten  Schreiben  von  1524—1528  gab  P.  Balan 
1885  heraus  (»Monumenta  saec.  XVI  historiam  illustrantia«  I).  Zu  den  päpsthchen 
Dokumenten  kann  man  schließhch  auch  noch  den  größten  Teil  der  pohtischen 
Korrespondenz  Francesco  Guicciardinis  rechnen,  die  in  dessen  »Opere  inedite«  (1857 
bis  1867)  pubhziert  ist. 

Im  übrigen  verfolgen  die  neueren  Publikationen  aus  den  päpstlichen  Archiven 
vor  allem  den  Zweck,  die  Geschichte  der  lutherischen  Reformation  aufzuhellen  und 
bieten  daher  für  den  hier  behandelten  Gegenstand  verhältnismäßig  wenig  (vgl.  z.  B. 
die  von  Lämmer  edierten  »Monumenta  vaticana«,  1861);  eine  Ausnahme  bilden  die 
Anmerkungen  zu  L.  Romiers,  »Origines  politiques  des  guerres  de  Religion«  (1913f.), 
in    denen   übrigens   auch    viele    andere   italienische  Archive   herangezogen    sind. 

Was  die  malländischen  Akten  betrifft,  so  müssen  als  die  wichtigsten  Publi- 
kationen die  Arbeiten  Pehssiers  gelten;  vgl.  über  diese  oben  und  Hauser,  »Sources«  1, 
Nr.  450  —  454.  Dazu  die  Dokumente  in  den  »Miscellanea  di  storia  italiana«,  XXXV 
(1898,  aus  den  Jahren  1498  und  1'j99),  und  die  von  G.  Müller  edierten  »Documenti* 


Bibliographische  Vorbemerkung.  XI 

über  G.  Morone  (ibid.  III  [1865]).  Mit  dem  Ende  der  Selbständigkeit  des  mailändi- 
-sdien  Staates  hört  dann  natürlich  auch  der  diplomatische  Dienst  des  Herzogtumsauf. 

Die  noreutinischen  Akten  bieten  etwas  mehr,  doch  verhältnismäßig  wenig 
Urientbehrhches,  da  die  florentinischen  Staatsmänner  sich  im  allgemeinen  mit  der 
Rolle  von  Beobachtern  begnügen  mußten  und  nur  ausnahmsweise  in  entscheidender 
Weise  in  den  Verlauf  der  diplomatischen  Aktionen  einzugreifen  vermochten.  Im 
übrigen  sind  auch  hier  die  ganze  Serien  umfassenden  Pubhkationen  selten  und 
eigentlich  nur  von  französischer  Seite  durchgeführt  worden  und  selbst  die  bereits 
zitierte  Sammlung  von  Desjardins  (s.  o.)  enthält  nur  eine  kleine  Auswahl  aus  den 
Dokumenten  (Romier,  »Les  Origines  politiques  des  guerres  de  Religion«  I  [1913], 
p.  VII,  n.  1).  Dazu  die  Depeschen  Francesco  Vettoris  von  seiner  Gesandtschaft 
zu  Maximilian  im  Jahre  1507,  die  Louis  Passy  im  zweiten  Bande  seines  »Vettori« 
(1914),  220 ff.,  in  französischer  Übersetzung  pubhziert  hat  (weiteres  Material  ist 
im  Texte  des  ersten  Bandes  verwertet).  Ergänzungen  bei  Oreste  Tommasini,  »La 
vita  e  gli  scritti  di  Niccold  Machiavelli«  II  (1912),  und  bei  Villari  in  dessen  Werk 
über  Machiavelli  (3.  Auflage,  1913),  sowie  in  den  Legationen  und  Korrespondenzen 
Machiavellis  selbst  (vgl.  besonders  dessen  Opere,  ed.  Passerini-Milanesi,  V  [1876]; 
die  »Scritti  inediti«,  ed.  Canestrini,  1857,  und  die  »Lettere  famigliariv.,  ed.  E.  Alvisi, 
1883  [vollständige  Ausgabe]).  Reichhaltiger  werden  dann  die  Pubhkationen 
TMT  Geschichte  des  Unterganges  des  florentinischen  Freistaates.  Vgl.  P.  G.  Falletti, 
»Assedio  di  Firenze«,  2  Bände,  1885,  und  »Francesco  Ferruccio  e  la  guerra  di  Firenze 
del  1529-1530«  (mit  Bibliographie),  1889. 

Von  den  übrigen  italienischen  Staaten  kommt  beinahe  nur  Savoyen  in  Be- 
tracht. Zitiert  sei  da  die  »Histoire  genealogique«  von  S.  Guichenon  wegen  ihrer 
»Preuves«  (1660),  die  von  A.  Segre  publizierten  »Documenti  di  storia  sabauda  dal 
1510  al  1536«  in  den  »Miscell.  di  storia  ital.«,  ser.  III  vol.  8,  die  »Extraits  de  la  corre- 
spoiidance  diplomatique  des  ambassadeurs  du  duc  de  Savoie  1546—1559«,  ed.  G.  Greppi 
(»Bulletin  de  la  comm.  royale  d'histoire«,  ser.  II,  12),  und  Adriani  in  den  »Miscellanea 
di  storia  italiana«  V  (1867).  Über  verschiedene  kleinere  Publikationen  aus  mantuani- 
schen,  monegassischen  usw.  Berichten  sei  auf  Hauser  verwiesen.  Angeführt  seien 
hier  nur  die  von  Pelissier  herausgegebenen  »Documents  pour  servir  ä  Vhistoire  de 
Vetablissement  de  la  domination  frangaise  ä  Genes,  1498—1500«  (1894). 

Schheßlich  sei  noch  bemerkt,  daß  die  unter  dem  Titel  »Lettere  di  Principii 
von  RusceUi  edierte  Sammlung  italienischer  diplomatischer  Schreiben  (gebräuch- 
lichste   Ausgabe,  Venedig  1581)  auch  jetzt  noch  unentbehrlich  ist. 

Spanien.  Für  den  hier  behandelten  Gegenstand  kommt  nur  die  Zeit  der  katholi- 
schen Könige  in  Betracht,  da  die  auswärtige  Politik  des  Landes  von  Karl  V.  an  von 
der  habsburgischen  Dynastie  geleitet  wird.  Vollständig  registrierende  Pubhkationen 
in  der  Art  der  enghschen  Calendars  fehlen  für  Spanien;  einen  gewissen  Ersatz  bieten 
die  bei  Zurita,  »Anales  de  la  Corona  de  Aragon«  (1562  —  1580)  vorliegenden  Auszüge 
ans  der  Korrespondenz  Ferdinands.  Einzelnes  (außer  dem  in  der  Anmerkung  zu 
§  39  angeführten  »Cedulario  del  Rey  Cat6lico«) :  Duque  de  Berwick  y  de  Alba,  »Corre- 
spondencia  de  Gutierre  Gömez  de  Fuensalida,  embajador  en  Alemania,  Flandes  e  Ingla- 
terra  (1490—1509)«,  1907;  »Cartas  del  cardenal  ...  Jimenez«,  ed.  Gayangos  und 
V.  de  la  Fuente  (1867),  und  »Cartas  de  los  secretarios  del  cardenal  Jimenez«,  ed.  V.  de 
la  Fuente  1885.  Dazu  außer  der  Pubhkation  über  die  Cortes  von  Kastilien  (4.  Teil, 
herausgegeben  von  M.  Colmeiro,  1882  —  1886;  5.  Band  von  M.  Danvilla,  1903) 
zahlreiche  in  den  Bänden  der  Documentos  ineditos  zerstreute  Dokumente,  über  die 
auf  die  Spezialliteratur  verwiesen  werden  muß;  angeführt  sei  hier  nur  die  in  Band  24 
dieser  Sammlung  herausgegebene  Korrespondenz  Hugo  de  Moncadas  aus  den  Jahren 
1509-1529. 

Schweiz.  Die  wichtigsten  Dokumente  über  die  Beziehungen  der  Eidgenossen- 
schaft zum  Auslande  finden  sich  in  der  »Amtlichen  Sammlung  der  älteren  eidgenössi- 
schen Abschiede«.  Vgl.  außerdem  etwa  noch  A.  Büchi,  »Aktenstücke  zur  Geschichte 
d<'s  Schwabenkriegs«  in  den  »Quellen  zur  Schweizer  Geschichte«  20  (1901;  weitere 


Xll  Bibliographische  Vorbemerkung. 

Aktenpublikationen  zu  diesem  Kriege  aufgezählt  in  Luginbühls  Ausgabe  von  Heinrich 
Brennwalds  Schweizerchronik«  II  [1910],  330  [Quellen  zur  Schweizer  Geschichte, 
neue  Folge,  Band  2]).  Mit  Vorsicht  zu  benutzen  sind  die  Aktenstücke,  die  Valerius 
Anshelm  in  seine  »Berner  Chronik«  (n.  A.  1884—1901)  eingelegt  hat. 

Ungarn.  Das  wichtigste  Quellenwerk  sind  die  »Monumenta  Hungariae  historica«, 
speziell  die  I.Abteilung  »Diplomatariaa  (1857 ff.).  Einen  ähnlichen  Dienst  leisten 
für  Polen  die  »Acta  Tomiciana«  (1876ff.).  Die  schottischen  Akten  bieten  verhältnis- 
mäßig wenig  Wichtiges  neben  den  englischen  und  französischen  Pubhkationen; 
vgl.  die  Angaben  in  der  »Cambridge  Modern  History«  II,  793 f.  Über  Skandinavien 
und  ebenso  über  Portugal  muß  auf  die  unten  angeführten  Bibliographien  verwiesen 
werden. 


Bemerkt  sei  schließlich  noch,  daß  die  Zitate  in  der  Regel  in  der  Orthographie 
modernisiert  worden  sind  und  daß  für  die  Form  der  geographischen  Namen  Ritters 
»Geographisch-statistisches  Lexikon«  (9.  Auflage,  1905)  maßgebend  gewesen  ist. 


InhaltsTerzeiclmis. 


Bibliographische  VorbemerJtung. 

Einleitung:  Disposition  und  Stoff     .     . 


XVII 


I.Teil:  Das  europäische  Staatensystem,  seine  Organisation  und  seine  (Hieder 
in  den  Jahren  zwischen  1492  und  1559   .     .     .     .     .     1 


I.    Abschnitt: 


B. 


C. 


Institutionen    und    Tendenzen    der    internationalen 
Politik  in  Europa. 


Seite 


Das  Zentralproblem   der  inter- 
nationalen Politik 

§  1.  Das  Problem 

§  2.  Die  Ursachen  des  Problems 
Die  politischen  Kampfmittel   . 
§  :3.  Die  neue  diplomatische  Or- 
ganisation  

§4.  Die  Publizistik 

Die  militärischen  Kampfmittel 

1.  Der  Krieg  zu  Lande     .    .    . 

a)  Die  Infanterie 

§5.  Die   neue    Infanterie- 
taktik   

§  6.  Veränderungen  im  An- 
werbewesen     .... 

b)  Die  Kavallerie 17 

§7.  Die  schwere   Reiterei     17 
§8.  Die  leichte  Reiterei  .     18 

e)  Die  Artillerie 20 

§  9.  Die  Artillerie  ....     20 
§10.    Artillerie   und   Ent- 
wicklung der  Technik     21 
§11.  Die  Verwendung  der 

Artillerie 22 

§  12.  Artillerie  und  Marine     23 

2.  Der  Krieg  zur  See    .... 
§  13.  Der  Staat  u.  die  Marine 
§  14.  Ruder-  und  Segelschiff- 
fahrt   ........ 

§  15.  Die  Bedeutungd.  Marine 


10 


D 


.Seite 


§17. 
§18. 


i4 


35 


Wirtschaftliche  Konfliktstoffe  u 

Kampfmittel 

§  16.    Handelspoh  tische     Kon- 
flikte   ;!4 

Die  Sicherung  der  Zufuhr 
von  Lebensmitteln  .  . 
Der  Einfluß  ökonomischer 
Betriebsformen  auf  die 
internationale  Stellung  d. 
Glieder  d.  Staatensystems     37 

1.  Ackerbau  u.  Viehzucht     37 

2.  Industrie  und  Söldner- 
wesen      38 

E.  Der  Einfluß  innerpolitischer  Ver 

hältnisse 39 

§19.  Der  Einfluß  ständischer 
Institutionen  auf  die  Fi- 
nanzpolitik  39 

Der  Einfluß  kirchenpohti- 

scher  Konflikte 42 

Der  Einfluß  geistiger  Tendenzen     44 

1.  Politische  Strömungen      .    ■     44 
§21.  Nationale  Gefühle    .         44 
§22.  Die    Gleichgewichts- 
theorie      45 

2.  Religiöse  Strömungen  .46 
§  23.  Das  christliche  Gemein- 
schaftsgefühl  'tß 

§  24.  Dogmatische  Neue- 
rungen 50 


§20. 


XIV 


Inhaltsverzeichnis. 


II.  Abschnitt:    Die  Glieder  des 

Seile 
§  25.  Disposition  des  zwei- 
ten Abschnittes  51 

A.  Die  Großstaaten 51 

1.  Die  am  Kampfe  um  Italien 
unmittelb.  beteiligten  Staaten     51 

a)  Frankreich 51 

§  26.  Das  Land  und  seine 

Bewoiiner 51 

§27.  Industrie  u.  Handel     55 
§  28.  Die    innerpolitische 

Organisation  .55 

§  29.  Die  Armee   ....     58 
§  30.  Die  Marine  ....     62 
§31.  Die  auswärtige  Poli- 
tik. 1 .  Die  Organisation 
d.  auswärtigen  Dienstes     65 
§  32.  Die  auswärtige  Poli- 
tik.    2.  Das  Verhältnis 

zu  Spanien 67 

§  33.  Die  auswärtige  Poh- 
tik.  3.  Das  Verhältnis 
zu  den  habsburgischen 

Ländern 69 

§  34.  Die  auswärtige  Poli- 
tik.   4.  Das  Verhältnis 

zu  England 71 

§  35.  Die  auswärtige  Poli- 
tik. 5.  Das  Verhältnis 
zu  den  benachbarten 
kleinen  Staaten  ...  73 
§  36.  Die  auswärtige  Poli- 
tik. 6.  Das  Verhältnis 
zu  den  übrigen  Staaten  75 
§  37.  Die  auswärtige  Poli- 
tik. 7.  Politische  Aspi- 
rationen   77 

b)  Spanien 79 

§  38.  Das  Land  und  seine 

Bewohner 79 

§  39.  Industrie  u.  Handel     86 
§  40.  Die    innerpolitische 

Organisation 88 

§41.  Die  Armer   ....     90 
§  42.  Die  Marine  ...     93 
§  43.  Die  auswärtige  Poh- 
tik.  1.  Die  Organisation 
d.  auswärtigen  Dienstes     95 
§  44.  Die  auswärtige  Poli- 
tik.   2.  Das  Verhältnis 
zu  Unteritalien     ...     96 
§  45.  Die  auswärtige  Poli- 
tik.   3.   Das  Verhältnis 
zu  Nordafrika    ....     98 


europäischen  Staatensystems. 

Seite 
§  46.  Die  auswärtige  Politik. 

4.  Das   Verhältnis    zu 
Frankreich     .....   100 

§  47.  Die  auswärtige  Politik. 

5.  Das    Verhältnis    zu 
den  übrigen  Staaten    •    101 

§  48.  Die  auswärtige  Politik. 

6.  Politische  Aspiratio- 
nen   lOS 

c)  Die  habsburgische  Macht  103 
§  49.  Allgemeines 103 

1.  Die  burgundischen  Erblande   104 
§50.  D.  Land  u.  s.  Bewohner  104 
§51.  Industrie   und  Handel  108 
§  52.  Innerpolitische  Organi- 
sation   109 

§53.  Die  Armee 112 

§54.  Die  Marine 113 

2.  Die  österreichischen  Erblande  114 
§  55.   Das    Land    und    seine 

Bewohner 114 

§  56.   Industrie   und  Handel  11& 
§57.  Innerpolitische  Organi- 
sation   117 

§  58.  Armee  und  Marine .    •   119 

3.  Deutschland 123 

§59.  Das    Lnnd    und    seine 

Bewohner 123 

§  60.  Handel   und  Industrie   125 
§  61.  Militärische  Verhältnisse  127 
§  62.  Innerpolitische  Organi- 
sation  132 

4.  Die  habsburgische  Macht  als 
Gesamtheit;    die  auswärtige 
PoUtik  der  Habsburger    .    .    138 
§  63.  Die    Organisation    des 

diplomatischen  Dienstes  138 
§  64.  Die  Ziele    der  auswär- 
tigen PoHtik 140 

d)  Venedig 154 

§65.  Allgemeines;     wirt- 
schaftliche Verhältnisse  154 
§  66.  Innerpolitische    Or- 
ganisation   159 

§67.  Die  Armee  ....  161 
§68.  Die  Marine  .  .  .  .163 
§  69.  Die  Organisation  d. 

diplomatischen  Dienstes  164 
§  70.  Die  auswärtige  Poli- 
tik Venedigs     ....    166 
§71.  Venedig  u.  d.  Türkei  168 
§72.  Venedigu.d.  übrigen 

italienischen  Staaten  .    170 
§  73.  Venedig  U.Österreich  174 


Inhaltsverzeichnis. 


XV 


Seite 
2.  Die  am  Kampfe  um  Italien 
nicht  unmittelbar  beteiligten 
Staaten 175 

a)  Das  Osmanische  Reich    .   175 
§  74.  Größe  und  Bevölke- 
rung     175 

§  75.  Industrie  u.  Handel  177 
§  76.  Innerpolitische    Or- 
ganisation   179 

§77.  Die  Armee  ...  182 
§78.  Die  Marine  .  .  .  .185 
§  79.  Die  Organisation  d. 

diplomatischen  Dienstes  187 
§  80.  Die  auswärtige  Poli- 
tik der  Türkei  ....    188 

b)  England 191 

§81.  Größe  und  Bevölke- 
rung    191 

§82.  WirtschaftHche  Ver- 
hältnisse      192 

§83.  Die    innerpolitische 

Organisation 195 

§84.  Die  auswärt.  PoHtik  198 
§85.  Die  Armee  ....  199 
§86.  Die  Marine  ....  200 
§  87.  Die  Organisation  d. 

auswärtigen  Dienstes  .   203 
§88.  Stellung  zu  Schottld.   204 


Seite 
§  89.   Stellung  zu  den  üb- 
rigen Staaten    ....  206 
B.   Die  kleineren  Staaten   ....  207 

1.  Die  am  Kampfe  um  Italien 
unmittelb.  beteiligt.  Staaten  207 

§90.  Mailan.I 207 

§91.  Florenz 211 

§92    Der  Kirchenstaat         .  215 

§93.  Neapel  und  Sizilien     .  221 

§94.  Genua 226 

§95.  Savoyen 230 

§  96.  Die  übrigen  kleinen  ita- 

henischen  Staaten    .    .    .  231 

§  97.  Die  Schweiz 233 

2.  Die  am  Kampfe  um  Itahen 
nicht  unmittelbar  beteiligten 

Staaten 240 

§98.  Ungarn 240 

§  99.  Der      nordafrikanische 

Korsarenstaat 243 

§  100.  Die    übrigen    Staaten  245 

Polen 245 

Schottland 245 

Skandinavien  ....  246 

Portugal 246 

Persien 247 

Navarra 247 


II.  Teil.  Die  Veränderungen  im  europäischen  Staatensystem  von  1492 — 1559. 
I.  Abschn^itt.    Gliederung  des  Stoffes  §  lOi     .    .    ...   24» 

II.  Abschnitt.    Die  Geschichte  des  europäischen  Staatensystems  bis 

zur  Schlacht  bei  Pavia. 


A.  Die  Eröffnung  des  Kampfes  um 
Italien.  Die  franz.  Expedition 
nach  Neapel  und  ihre  Folgen  250 
§102.  Vorbereitg.  d.  Expedition  250 
§103.  Das  Ziel  der  Expedition  252 
§  104.  Der  Zug  nach  Neapel  .  253 
§  105.  Die  Gegenkoalition  gegen 

Frankreich  infolge  der 
Expedition 254 

§  106.  Rückzug  der   Franzosen 

aus  Neapel 256 

§  107.  Neuordnung  der  Verhält- 
nisse in  den  italienischen 
Staaten 258 

B.  Der  Kampf  um  Mailand;  der 
österreichisch-französische  Kon- 
flikt (1497—1506) 259 

§  108.  Die  neue  französische  Po- 
litik; Vorbereitungen  des 
Zuges  nach  Mailand  .    .   259 


§  109.  Die  Eroberung  Mailands 

durch  Frankreich    .    .    .    262 
§110.  Die    Eroberung   Neapels 

durch  Spanien     ....    264 

§111.  Annäherung  Frankreichs 

an    die  Habsburger  und 

Spanien.  Vorbereitung  d. 

Liga  von  Cambrai  .    .    .   267 

G.  Die  KoaUtion  der  Großmächte 

gegen  Venedig  und  ihre  Folgen 

(1508—1516) 268 

§112.  Die  Liga  von  Cambrai  .   268 
§  113.  Der  Krieg  gegen  Venedig  270 
§  114.  Die  italienische  Politik  d. 
Papstes;  die  Verbindung 
des     Papstes     mit     den 

Schweizern 272 

§115.  Die  KoaUtion  gegen 
Frankr. ;  die  Vertreibung 
der  Franzosen  aus  Italien  274 


XVI 


1  nhaltsverzeichnis. 


Seite 
§116.  Die  Gegenaktion  Frank- 
reichs; die  Wiedererobe- 
ning  des  Mailändischen  277 
§117.  Die  Liquidation  des  ita- 
lienischen Konfliktes;  die 
Herstellung  eines  Gleich- 
gewichtes   280 

D,  Die  Vorbereitungen  der  habs- 
burgischen  Vormachtstellung 
(1516—1525) 282 


Seite 
§118.   Die  Änderung  in  den  in- 
ternationalen  Machtver- 
hältnissen  282 

§119.  Die  erste  Phase  des 
Kampfes  Frankreichs  ge- 
gen die  neue  habsburgi- 
sche  Macht  bis  zur  Ent- 
scheidung bei  Pavia  .    .    284 


IIL  Abschnitt.  Die  Geschichte   des  europäischen  Staatensystem  von 

der  Schlacht  bei  Pavia  bis  zur  Beendigung  des  Kampfes  um  Italien 

(die  habsburgische  Vormachtstellung;  1525 — 1559). 


A.  Herstellung  der  habsburgischen 
Vorherrschaft  über  Italien   .    .    291 
§  120.  Die  diplomatische  Situa- 
tion nach    der  Schlacht 

bei  Pavia 291 

§121.  Die  militärische  Entschei- 
dung in  Italien  und  der 
Anschluß  Genuas  an  die 

Habsburger 293 

§122.  Die  Regelung  des  italie- 
nischen Konfliktes  zu- 
gunsten der  Habsburger   297 

B.  Die  letzten  Kämpfe  um  Italien; 
das  Eingreifen  neuer  Mächte  im 
Südosten  und  Norden  Europas 

in  den  Konflikt  (1530—1559).    300 
§123.  Die      neue      Diplomatie 
Frankreichs;  das  Eingrei- 
fen der  Osmanen    .    .    .    300 
§124.  Der  neue  Krieg  zwischen 
Frankreich  u.  den  Habs- 


Namen-  und  Sachregister 


burgern;  die  Eroberung 
Piemonts  durch  Frank- 
reich (1536—1539)  ...    306 

§125.  Die  letzten  Kämpfe 
Franz'  I.;  der  englisch- 
französische Konflikt 
(1539—1544) :{09 

§  126.  Der  Ausgang  des  franzö- 
sisch-englischen Konflik- 
tes; weitere  Ausdehnung 
der  habsburgischen  Herr- 
schaft über  Italien  (1544 
bis  1550) 315 

§  [•>'.  Die  Niederlage  der  habs- 
burgischen Macht  in 
Deutschland;  die  Verbin- 
dung der  ständischen 
deutschen  Opposition  mit 
Frankreich   (1547—1555)  317 

§  128.  Der  Ausgang  d.  Kampfes 

um   Italien  (1555—1559)  324 

.   329 


Einleitung. 
Disposition  und  Stoff. 

Eine  Darstellung  der  Veränderungen,  die  sich  in  einem  Staaten- 
systeme innerhalb  eines  bestimmten  Zeitraumes  vollzogen  haben,  ist 
nur  dann  verständlich,  wenn  der  Leser  den  Wert  der  Größen  kennt, 
deren  gegenseitige  Beziehungen  geschildert  werden.  Es  ist  daher  im 
folgenden  ersten  Teile  der  Versuch  gemacht  worden,  die  politischen 
und  militärischen  Faktoren,  mit  denen  der  erzählende  zweite  Teil  zu 
arbeiten  hat,  so  präzis  wie  möglich  zu  definieren.  Der  Benutzer  soll 
mit  den  Stärkeverhältnissen  und  politischen  Aspirationen  der  einzelnen 
Staaten  vertraut  werden,  bevor  ihm  gezeigt  wird,  in  welcher  Weise  diese 
Kräfte  im  Verlauf  der  internationalen  politisch-militärischen  Konflikte 
kombiniert  worden  sind. 

Es  hat  sich  dabei  natürlich  nicht  vermeiden  lassen,  daß  manche 
Tatsachen,  die  erst  im  zweiten  Teil  berichtet  werden,  im  ersten  als  be- 
kannt vorausgesetzt  werden.  Aber  dieser  Nachteil  mußte  in  den  Kauf 
genommen  werden,  um  des  größeren  Vorteils  willen,  daß  durch  den 
ersten  Teil  für  die  darauf  folgende  Erzählung  eine  reale  Grundlage  ge- 
schaffen worden  ist.  Anderseits  darf  der  ausdrückliche  Hinweis  nicht 
unterlassen  werden,  daß  der  erste  Teil  nicht  mehr  sein  will  als  ein  Kom- 
mentar zum  zweiten.  Es  war  nicht  die  Absicht  des  Verfassers,  eine  voll- 
ständige Schilderung  der  politischen,  militärischen  und  wirtschaftlichen 
Zustände  Europas  in  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  zu  geben; 
er  wollte  vielmehr  nur  die  Dinge  schildern,  die  für  die  Modifika- 
tionen des  europäischen  Staatensystems  von  Bedeutung  waren.  Die 
Auswahl  des  Stoffes  ist  demnach  im  allgemeinen  und  im  einzelnen 
nach  diesem  speziellen  Gesichtspunkte  durchgeführt  worden  und  auf 
die  allgemeine  historische  Wichtigkeit  einer  Materie  ist  prinzipiell 
keine  Rücksicht  genommen  worden.  Staaten  und  Organisationen,  die 
auf  den  Ausgang  der  zentralen  internationalen  Konflikte  keinen  oder 
einen  geringen  Einfluß  ausübten,  sind  daher  hier  nur  ganz  kurz  er- 
wähnt worden,  und  ebenso  sind  bei  der  Schilderung  der  an  den  großen 
Kämpfen  direkt  beteiligten  Staaten  diejenigen  Erscheinungen  nur 
flüchtig  besprochen  worden,  die  nicht  in  politisch-militärische  Macht- 
mittel umgesetzt  wurden.  Deshalb  hat  z.  B.  das  politisch  ausgenutzte 
Problem   der   türkischen    Getreideausfuhr   nach   Venedig   ganz   anders 


XVIII  Einleitung. 

eingehend  behandelt  werden  müssen  als  der  Kornimport  nach  Genua, 
und  die  deutsche  Hanse  findet  knappere  Erwähnung  als  die  Verhält- 
nisse in  der  spanischen  Industrie,  die  für  die  Kriegsgeschichte  von  ka- 
pitaler Bedeutung  gewesen  sind.  Aus  demselben  Grunde  ist  dann  auch 
von  einem  Staatenwesen,  wie  dem  portugiesischen,  so  gut  wie  gar  nicht 
die  Rede.  Eine  analoge  Stellung  ist  gegenüber  geistigen  Bewegungen 
eingenommen  worden;  auch  für  deren  Besprechung  war  das  Kriterium 
maßgebend,  ob  sie  auf  die  internationale  Politik  eine  Wirkung  ausgeübt 
haben.  Die  allgemeine  historische  Bedeutung  einer  Begebenheit  fiel 
dabei  außer  Betracht. 

Der  Zweck,  dem  der  erste  Teil  dienen  soll,  hat  noch  in  einer  anderen 
Hinsicht  auf  die  Darstellung  einen  bestimmenden  Einfluß  ausgeübt. 
Der  Ausgang  internationaler  Konflikte  ist,  wie  bekannt,  weniger  von 
der  absoluten  Menge  an  Machtmitteln  abhängig,  über  die  ein  Staat 
oder  eine  Staatengruppe  verfügt,  als  von  der  Relation,  in  der  die  mili- 
tärische, diplomatische,  finanzielle  usw.  Leistungsfähigkeit  eines  Staates 
zu  der  seiner  Konkurrenten  steht.  Ich  habe  daher  in  der  folgenden  Dar- 
stellung vor  allem  gesucht,  die  relative  Bedeutung  der  besprochenen 
Erscheinungen  im  Vergleich  mit  den  analogen  Einrichtungen  rivali- 
sierender Staaten  festzustellen.  Die  charakterisierenden  Urteüe  gehen 
nicht  von  einem  abstrakten  Maßstabe  aus,  auch  nicht  von  den  Verhält- 
nissen der  Gegenwart,  sondern  von  einer  Vergleichung  mit  damaligen 
Zuständen.  Wenn  da  etwa  (in  Übereinstimmung  übrigens  mit  den  be- 
deutendsten Theoretikern  des  16..  Jahrhunderts)  gesagt  wurde,  daß  unter 
allen  christlichen  Fürsten  der  König  von  Frankreich  am  uneingeschränk- 
testen über  die  Finanzkraft  seiner  Untertanen  verfügte,  so  sollte  damit 
weder  behauptet  werden,  daß  eine  finanzielle  Omnipotenz  des  französi- 
schen Monarchen  bestand,  noch  daß  er  größere  oder  geringere  Gewalt 
über  das  Vermögen  der  Bevölkerung  besaß  als  moderne  Staatsregie- 
rungen. Es  sollte  nur  darauf  hingewiesen  werden,  daß  die  Könige  von 
Frankreich  bei  der  Aufbringung  der  Mittel,  die  zu  ihren  internationalen 
Operationen  nötig  waren,  mit  geringeren  Sch\NTierigkeiten  zu  kämpfen 
hatten  als  ihre  Rivalen,  die  habsburgischen  Herrscher  und  die  spani- 
schen Könige.  Eine  Folge  dieses  Verfahrens  war  allerdings,  daß  sich  in 
vielen  Fällen  die  Charakterisierung  durch  wenig  sagende  Adjektiva 
nicht  umgehen  ließ.  Selten  steht  ja  in  internationalen  Kämpfen  ein 
Nichts  einem  Etwas  gegenüber ;  die  Regel  ist  vielmehr,  daß  schwächere 
Organisationen  mit  stärkeren  ringen.  Wie  kann  man  solche  Verhält- 
nisse anders  formulieren  als  mit  Hilfe  unbestimmter  Ausdrücke,  die 
immerhin  wenigstens  das  Wesentliche,  nämlich  den  Vergleichsgrad, 
deutlich  erkennen  lassen  ?  Auch  fehlt  es,  wie  bekannt,  in  der  im  folgen- 
den behandelten  Zeit  vielfach  noch  so  sehr  an  zuverlässigen  statistischen 
Angaben,  daß  schon  nur  die  historische  Ehrlichkeit  von  apodiktischen 
Behauptungen  zurückhalten  sollte.  Soweit  sich  solche  trotzdem  finden 
möchten,  sollte  der  Benutzer  nicht  übersehen,  daß  sie  hauptsächlich 
in  dem  obengenannten  relativen  Sinne  gemeint  sind.    Geht  man  von 


Disposition  und  Stoff.  XIX 

diesem  Gesichtspunkte  aus,  so  wird  man  manche  Aussage  für  berechtigt 
halten  müssen,  die  der  Lokalhistoriker  nur  mit  starken  Einschränkungen 
gelten  lassen  könnte.  Sogar  viele,  allzu  scharf  zugespitzte  allgemeine 
Urteile  Machiavellis  sind  nicht  mehr  unrichtig,  wenn  man  in  ihnen 
nur  eine  Relation  ausgedrückt  sehen  will. 

Daß  dabei  in  den  früheren  Abschnitten  vielfach  Dinge  als  bekannt 
vorausgesetzt  wurden,  die  erst  in  den  späteren  behandelt  werden, 
war  eine  unvermeidliche  Folge  dieses  Systems.  Da  schon  die  Angaben 
über  die  einzelnen  Länder  nach  ihrem  relativen  Wert  ausgewählt  und 
formuliert  werden  mußten,  so  war  nicht  daran  zu  denken,  etwa  zuerst 
jeden  Staat  für  sich  zu  schildern  und  erst  am  Schluß  die  separaten  Re- 
sultate zu  vergleichen;  eine  solche  Disposition  hätte  (von  anderem  ab- 
gesehen) zu  den  lästigsten  Wiederholungen  geführt.  So  viel  wie  möglich 
ist  versucht  worden,  durch  Verweisungen  den  Übelstand  zu  mildern. 
Überall  hat  dies,  freilich  nicht  geschehen  können;  in  manchen  Fällen 
wurden  daher  in  den  ersten  Abschnitten  Ausführungen,  die  sich  erst 
später  an  ihrem  eigentlichen  Platz  finden,  wenigstens  in  den  Umrissen 
resümiert. 

Ähnliches  muß  auch  von  dem  gegenseitigen  Verhältnis  der  beiden 
Hauptabschnitte  des  ersten  Teiles  gesagt  werden.  Beide  stehen  unter- 
einander im  engsten  Zusammenhang,  und  aus  inneren  Gründen  dürfte 
kaum  zu  entscheiden  sein,  welchem  der  Vorrang  gebührt.  Der  zweite 
Abschnitt,  der  die  Teilnehmer  an  dem  wichtigsten  politisch-militärischen 
Kampfe  der  Periode  schildert,  ist  ohne  den  ersten  nicht  verständlich, 
der  die  Kampfmittel  zu  charakterisieren  sucht;  der  erste  anderseits 
ist  vielfach  nichts  anderes  als  eine  Zusammenfassung  der  im  zweiten 
ausgeführten  Einzelresultate.  Es  war  unter  diesen  Umständen  wohl 
das  zweckmäßigste,  sich  an  die  traditionelle  Anordnung  zu  halten, 
die  das  Allgemeine  dem  Einzelnen  vorangehen  läßt.  Immerhin  sind 
die  beiden  Abschnitte  so  gehalten,  daß  sie  sich  im  Notfalle  auch  in  der 
umgekehrten  Reihenfolge  lesen  lassen. 

In  dem  Charakter  der  dem  Verfasser  gestellten  Aufgabe  lag  schließ- 
lich auch  begründet,  daß  sowohl  in  dem  schildernden  wie  in  dem  er- 
zählenden Teil  nur  ausnahmsweise  von  einzelnen  Persönlichkeiten  die 
Rede  sein  kann.  Sowohl  sachliche  wie  methodische  Gründe  ließen  eine 
andere  Darstellungsweise  nicht  zu.  Vom  sachlichen  Standpunkte  aus 
müßte  gesagt  werden,  daß  eine  Geschichte  des  europäischen  Staaten- 
systems es  mit  Staaten  zu  tun  hat  und  nicht  Individuen,  mögen  diese 
auch  als  Fürsten,  Generale  und  Diplomaten  äußerlich  im  Vordergrunde 
stehen.  Stärker  ins  Gewicht  fällt  aber  noch  eine  methodische  Erwägung. 
Nur  in  den  allerseltensten  Fällen  läßt  sich  nachweisen,  welche  Persön- 
lichkeit und  ob  überhaupt  eine  für  eine  Unternehmung  und  deren  Ver- 
lauf verantwortlich  ist.  Die  meisten  Entschlüsse  sind  bekannthch  Kom- 
promisse aus  widerstreitenden  Meinungen  und  zwischen  Interessen- 
gruppen, die  innerhalb  der  leitenden  Kreise  bestehen,  und  kein  ehrlicher 
Arbeiter  wird  sich  vermessen  wollen,  den  Anteil  der  Einzelnen  an  dem 


XX  Einleitung. 

Resultat  auch  nur  mit  einiger  Sicherheit  festzustellen.  Der  kritische 
Historiker  wird  es  vielmehr  vorziehen,  die  Willensakte,  die  politisch- 
militärische Aktionen  zur  Folge  gehabt  haben,  auf  den  Kollektivbegriff 
»Regierung«  zurückzuführen;  es  steht  dabei  nichts  im  Wege,  den  Aus- 
druck so  aufzufassen,  daß  damit  nicht  nur  mit  offiziellen  Kompetenzen 
betraute,  sondern  auch  inoffiziell  wirkende  Persönlichkeiten  gemeint 
sind,  sobald  sie  nur  auf  die  Leitung  der  Staatsgeschäfte  einen  direkten 
Einfluß  ausgeübt  haben.  Auch  hier  ist  die  unbestimmte  Bezeichnung 
die  bessere,  denn  sie  täuscht  keine  falsche  Sicherheit  vor. 

Dazu  kommt  noch  eine  andere  Erwägung,  die  freilich  nur  von  neben- 
sächlicher Bedeutung  ist.  Zu  den  reizvollsten  Aufgaben  der  Geschicht- 
schreibung, wie  man  sie  bis  vor  kurzem  auffaßte,  gehörte  bekanntlich 
die  psychologische  Rekonstruktion  der  historisch  wirksamen  Persön- 
lichkeiten. Gegen  dieses,  für  künstlerische  Naturen  so  sehr  anziehende 
Spiel  lassen  sich  aber  schwere  wissenschaftliche  Bedenken  nicht  unter- 
drücken. Gibt  es  eine  historisch  brauchbare  wissenschaftliche  Psycho- 
logie, die  eine  solide  Basis  für  solche  Untersuchungen  bilden  würde, 
kann  es  selbst  der  mit  genialer  Intuition  begabte  historische  Psychologe 
über  geistreiche  Kombinationen  hinausbringen  ?  Aber  selbst  wenn  dies 
der  Fall  wäre,  so  wäre  damit  für  Arbeiten  wie  die  vorliegende  noch  wenig 
gewonnen.  Ein  feiner  Psychologe  mag  imstande  sein,  die  menschliche 
Persönlichkeit  eines  Staatsmannes  oder  Generals  mit  großer  Wahrschein- 
lichkeit, ja  beinahe  Sicherheit,  zu  rekonstruieren.  Aber  welcher  Nutzen 
ließe  sich  daraus  für  Darstellungen  wie  die  folgende  ziehen  ?  Historisch 
wirksame  Akte  auf  dem  politisch-militärischen  Gebiet  sind  doch  nur 
in  Ausnahmefällen  das  individuelle  Produkt  einer  einzelnen  Persönlich- 
keit, wie  man  es  z.  B.  von  großen  Kunstwerken  behaupten  könnte. 
Auch  angenommen  also,  daß  es  der  historischen  Forschung  möglich  wäre, 
(las  Wesen  einer  historischen  Figur  bis  in  alle  Einzelheiten  getreu  nach- 
zubilden (wozu  übrigens  nicht  nur  die  Kenntnis  der  geistigen  sondern 
auch  der  körperlichen  Eigentümlichkeiten  gehörte,  über  die  die  Zeug- 
nisse meistens  recht  unzuverlässig  sind),  so  bliebe  immer  noch  zu  unter- 
suchen, wie  weit  der  wirkliche  Verlauf  der  Ereignisse  durch  die  Be- 
sonderheiten dieser  Persönlichkeit  bestimmt  worden  ist.  Diese  Frage 
ist  aber,  wie  bereits  betont,  in  der  Regel  nicht  zu  beantworten,  und  da 
die  folgende  Darstellung  es  nicht  mit  den  persönlichen  Absichten  der 
an  den  öffentlichen  Geschäften  beteiligten  Individuen,  sondern  allein 
mit  den  tatsächlich  eingetretenen  Veränderungen  des  Staatensystems 
zu  tun  hat,  so  glaubte  ihr  Verfasser,  jene  Materie  ganz  beiseite  lassen 
zu  dürfen. 

Die  Schwierigkeiten  des  psychologischen  Verfahrens  mögen  nur  an 
einem  Beispiele  erläutert  werden.  Über  wenige  Persönlichkeiten  der 
damaligen  Zeit  liegen  so  viele  Zeugnisse  verschiedenartigsten  Charakters 
vor  wie  über  König  Heinrich  VIII.  von  England.  Es  ist  ferner  auch 
bekannt,  daß  persönliche  Affären  dieses  Monarchen  die  Stellung  seines 
Landes  in  der  internationalen  Politik  in  höherem  Grade  als  in  der  Regel 


Disposition  und  Stofl.  XXI 

der  P'all  zu  sein  pflegt,  in  Mitleidenschalt  gezogen  haben.  Trotzdem  aber 
weiß  jeder,  der  sich  mit  der  Geschichte  der  englischen  Politik  in  jener 
Zeit  befaßt  hat,  daß  es  durchaus  unrichtig  wäre,  wollte  man  diese  als 
einen  Ausfluß  der  Persönlichkeit  des  Königs  ansehen.  Mehrere  Jahre 
hindurch  wurde  die  auswärtige  Politik  Englands  vielmehr  so  gut  wie 
ganz  von  Wolsey  dirigiert,  und  zwar  nachgewiesenermaßen  in  einem 
Sinne,  der  den  Intentionen  des  Königs  wenig  entsprach.  Auf  der  anderen 
Seite  läßt  sich  aber  zeigen,  daß  auch  Wolsey  nicht  ganz  frei  war.  Er 
durfte  zwar  anders  vorgehen,  als  der  König  eigentlich  wünschte,  sich 
zu  den  Absichten  seines  Mandanten  aber  nicht  in  einen  offenen  Gegen- 
satz setzen.  Erscheint  es  nun  nicht  als  Spielerei,  feststellen  zu  wollen, 
wieweit  die  als  Resultat  dieses  Kompromisses  durchgeführte  Politik 
der  Persönlichkeit  des  Königs  entsprang  und  wieweit  sie  in  der  Seele 
des  ersten  Ministers  ihren  Ursprung  hatte  ?  Und  dabei  ist  dieser  Fall 
noch  einer  der  einfachsten  und  durchsichtigsten.  Die  natürlichste  Fol- 
gerung scheint  mir  zu  sein,  daß  der  Historiker  aus  den  Komponenten 
die  Resultante  zieht  und  nur  von  der  »auswärtigen  Politik  der  englischen 
Regierung«  spricht. 

Zu  demselben  Resultate  sind  neuerdings  auch  manche  Verfasser  von  Mono- 
graphien zur  politischen  Geschichte  des  im  folgenden  behandelten  Zeitraumes  ge- 
langt- Auch  sie  haben  vielfach  feststellen  müssen,  daß  es  unmöglich  ist,  den  Einfluß 
eines  Monarchen  auf  die  auswärtige  Politik  festzustellen.  »On  ne  peut  guere  distinguer, 
dans  les  documents,  ce  qui  appartient  au  Roi  de  ce  qui  appartient  aux  ministres«,  heißt 
es  über  König  Heinrich  II.  von  Frankreich  in  einer  der  solidesten  Arbeiten  zur 
diplomatischen  Geschichte  des  16.  Jahrhunderts,  in  Lucien  Romiers  rOrigines 
politiques  des  guerres  de  religion  I  (Henri  II  et  l'Italie)«  (p.  28,  am  Schluß  einer 
p.  23  beginnenden  Ausführung  zu  diesem  Thema).  Und  wenn  Romier  in  seiner  Dar- 
stellung dann  trotzdem  bisweilen  den  Versuch  macht,  die  Verantwortlichkeit  ein- 
zelner Persönlichkeiten  zu  erforschen,  so  sind  solche  Hypothesen  jedenfalls  nur 
in  einer  ins  Detail  gehenden  Erzählung  am  Platze;  die  folgenden  Ausführungen 
müssen  dem  Umfang  des  Handbuches  entsprechend  auf  Vermutungen  über  einzelne 
Personen  und  Ereignisse  verzichten,  denen  als  Kautel  eine  umständliche  Begründung 
beizugeben  wäre.  —  Eine  ähnHche  Polemik  findet  sich  bei  A.  Walther,  »Die 
Anfänge  Karls  V.«  (1911),  S.  If. 


Erster  Teil. 

Das  europäische  Staatensystem,  seine  Organisation 
und  seine  Glieder  in  den  Jahren  zwischen  1492 

und  1559. 


I.  Abschnitt. 

Institutionen  und  Tendenzen  der  internationalen  Politik 

in  Europa. 

Ä.  Das  Zentralproblem  der  internationalen  Politik. 

§  1.  Das  Problem.  Kaum  in  einer  anderen  Periode  des  europäischen 
Staatensystems  lassen  sich  die  Machtkämpfe  der  europäischen  Groß- 
staaten so  zwanglos  um  ein  einziges  Problem  gruppieren  wie  in  dem  hier 
zu  behandelnden  Zeitraum.  Ein  Ziel  stand  den  Staaten  und  Dynastien, 
die  sich  gegen  das  Ende  des  15.  Jahrhunderts  dank  äußerer  Ausdehnung 
und  innerer  Konsolidation  als  Großstaaten  von  der  Masse  der  Mittel- 
und  Kleinstaaten  abzuheben  begannen,  beinahe  ununterbrochen  als  die 
wichtigste  Aufgabe  ihrer  auswärtigen  Politik  vor  Augen:  die  Vorherr- 
schaft über  Italien,  Die  ersten  Jahre  der  Periode  verleihen  dem  Problem 
mit  der  französischen  Expedition  nach  Neapel  eine  akute  Gestalt; 
die  letzten  bringen  die  definitive  Entscheidung  zugunsten  der  Habs- 
burger. Wohl  ist  dieser  Kampf  mehrmals  durch  kürzere  Zeiträume  un- 
terbrochen worden,  in  denen  die  Auseinandersetzung  der  christlichen 
Staaten  mit  dem  gegen  Westen  vordringenden  Osmanischen  Reiche 
den  Vorrang  zu  haben  scheint.  Aber  selbst  dieser  Gegensatz  mußte 
schließlich,  soweit  die  internationale  Politik  in  Betracht  kam,  stets 
vor  dem  italienischen  Konflikte  zurücktreten.  Diese  Auffassung  hat 
die  auswärtige  Politik  der  damaligen  Großstaaten  beherrscht,  und  der 
Historiker  hat  keinen  Grund,  sich  zu  einer  anderen  Ansicht  zu  bekennen. 

Er  muß  so  verfahren,  obgleich  er  wohl  weiß,  daß  andere  Ereignisse 
der  Zeit  wenigstens  für  die  spätere  Geschichte  des  europäischen  Staaten- 
systems größere  Bedeutung  gehabt  haben  als  der  Kampf  um  die  Vor- 

Fueter,  Europ.  Staatensystem.  1 


2  Das  Zentralproblem  der  internationalen  Politik. 

herrschaft  über  Italien.  Die  Entdeckung  des  neuen  Seeweges  nach 
Ostasien,  die  spanischen  Eroberungen  in  Amerika,  ja  vielleicht  sogar 
die  neue  Handelspolitik  der  englischen  Regierung  haben  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  auf  die  schließliche  Entwicklung  der  europäischen 
Machtverhältnisse  einen  stärkeren  Einfluß  ausgeübt  als  die  Hegemonie 
der  habsburgischen  Dynastie  über  Italien.  Aber  es  dürfte  nicht  Aufgabe 
der  wissenschaftlichen  Geschichtschreibung  sein,  die  Darstellung  frü- 
herer Perioden  nach  den  schwankenden  Gesichtspunkten  zu  orientieren, 
die  von  späteren  Zeiten  oder  der  Gegenwart  geboten  werden.  Was 
auch  jener  Kampf  um  die  Vorherrschaft  über  Italien  jetzt,  vier  Jahr- 
hunderte später,  bedeuten  mag,  —  für  die  damalige  Politik  der  euro- 
päischen Großstaaten  war  dieser  Konflikt  das  Zentralproblem  und  dabei 
/  i  wird  es  auch  der  Histoi^er  bewenden  lassen  müssen. 

§  2.  Die  Ursachen  des  Problems.  Das  Problem  war  keine  Not- 
wendigkeit, —  auch  wenn  man  dabei  nur  an  die  beschränkte  Notwendig- 
keit denkt,  von  der  allein  in  der  Staatengeschichte  die  Rede  sein  kann. 

Es  wäre  falsch,  in  ihm  die  Resultante  der  politischen  Entwicklung 
des  15.  Jahrhunderts  zu  sehen.  Selbst  wenn  man  annehmen  wollte, 
die  französische  Ausdehnungspolitik  hätte  sich  nach  der  Beendigung  des 
Kampfes  mit  England  am  natürlichsten  gegen  Italien  gewendet,  so 
läge  dieser  Anschauung  eine  Voraussetzung  zugrunde,  die  durchaus  nicht 
eintreten  mußte :  wirklich  beendigt  wurde  der  Krieg  zwischen  England 
und  Frankreich  nur  dadurch,  daß  die  auswärtige  Politik  Englands 
sich  bewußt  neu  orientierte  und  ihre  traditionellen  Pläne  auf  Frankreich 
definitiv  fallen  ließ.  Niemand  aber  könnte  beweisen,  daß  das  Regiment 
der  Tudors,  das  diese  neue  Politik  einführte,  das  unvermeidliche  End- 
resultat der  Adelskämpfe  des  15.  Jahrhunderts  darstellte.  Und  doch 
wäre  ohne  diese  Wandlung  auch  die  französische  Politik  gegen  Italien, 
unmöglich  gewesen.  Daß  aber  auch  diese  nicht  als  eigentliche  poli- 
tische Notwendigkeit  bezeichnet  werden  kann,  wird  in  einem  späteren 
Abschnitte  näher  ausgeführt  werden  (s.  u.   §  37). 

Es  kann  sich  deshalb  hier  nur  darum  handeln,  die  Verhältnisse  aus- 
einanderzusetzen, die  den  Kampf  um  die  Vorherrschaft  über  Italien 
wenigstens  erklärlich,  wenn  auch  nicht  notwendig  machten. 

Zwei  Erwägungen  legten  es  den  Regierungen  der  Großstaaten 
vor  allem  nahe,  nach  der  Hegemonie  über  Italien  zu  streben:  die  eine 
bezog  sich  auf  den  Unterschied  in  den  Machtmitteln,  der  zwischen  den 
italienischen  Staaten  und  den  im  Laufe  des  15.  Jahrhunderts  konsoli- 
dierten Großstaaten  bestand;  die  andere  auf  die  (vor  allem  wirtschaft- 
lichen, deshalb  natürlich  aber  auch  militärischen)  Vorteile,  die  die  Be- 
herrschung Italiens  und  der  Ausschluß  der  rivalisierenden  Macht  von. 
diesem  mit  sich  brachte. 

Was  den  ersten  Punkt  —  die  Differenz  in  den  Machtmitteln  — 
betrifft,  so  wäre  es  durchaus  unrichtig,  wenn  man  diesen  Unterschied 
moralisch  fassen  wollte,  auch  etwa  nur  in  dem  Sinne,  daß  die  angrei- 
fenden   Großstaaten    die    politisch    höher   oder   zweckmäßiger    organi- 


§  2.     Die  Ursachen  des  Problems.  3 

sierten  Staatswesen  gewesen  wären.  Gewiß  gab  es  in  Italien  zu  Beginn 
der  Periode  wenigstens  einen  Staat,  der  in  seiner  Organisation  hinter 
den  neukonsolidierten  großen  Staaten  zurückgeblieben  war  (der  Kirchen- 
staat, dann  auchNeapel ;  vgl.  die  §§  92  u.  93).  Aber  Staaten  wie  Venedig, 
Mailand  und  Florenz  können  neben  Frankreich  und  Spanien  keineswegs 
als  politisch  rückständig  bezeichnet  werden,  und  selbst  wer  in  der  relativen 
nationalen  Geschlossenheit  des  französischen  und  englischen  Staates  ein 
Symptom  politischer  Superiorität  erkennen  wollte,  brauchte  nur  auf 
die  habsburgische  Großmacht  einen  Blick  zu  werfen,  um  einzusehen, 
daß  auch  dieses  Kriterium  unangebracht  wäre.  Die  Dinge  liegen  viel- 
mehr viel  einfacher.  Es  war  nichts  anderes  als  die  Größe,  die  den  neuen 
Großmächten  den  Vorrang  vor  den  italienischen  Mittelstaaten  gab; 
diese  waren  imstande,  wenigstens  zu  Lande,  stärkere  Armeen  aufzustellen. 
(Zur  See  lagen  die  Verhältnisse  anders;  dies  bewahrte  die  Republik 
Venedig  vor  dem  Schicksal  der  übrigen  italienischen  Staaten.)  Die  Groß- 
staaten,  die  um  die  Vorherrschaft  über  Italien  kämpften,  besaßen  un- 
zweifelhaft eine  wirksamere  politisch-militärische  Organisation  als  andere 
europäische  Länder,  die,  obwohl  an  sich  nicht  kleiner,  doch  durch  mangel- 
hafte Ausrüstung  an  einem  entscheidenden  Eingreifen  in  die  großen 
italienischen  Konflikte  verhindert  waren.  Aber  den  italienischen  Staaten 
gegenüber  wird  man  ihnen  keine  solche  Überlegenheit  zubilligen  können; 
hier  hat  das  bloße  geographische  Übergewicht  den  Ausschlag  gegeben. 
Was  den  wirtschaftlichen  Wert  der  Oberherrschaft  über  Italien 
betrifft,  so  kann  hier  nur  das  Allernötigste  gesagt  werden,  da  ausführ- 
lichere Angaben  besser  der  Besprechung  der  einzelnen  Staaten  vor- 
behalten bleiben. 

Man  kann  den  wirtschaftlichen  Ertrag  der  Hegemonie  über  Italien 
unter  drei  Punkte  resümieren:  den  direkten  finanziellen  Nutzen,  den 
die  Beherrschung  großer  Industrie-  oder  Handelszentren  nach  sich  zog, 
den  wirtschaftlichen  Vorteil,  den  der  Reichtum  einzelner  italienischer 
Gegenden  an  Bodenprodukten,  vor  allem  an  Getreide  dem  Besitzer  zu- 
brachte (zumal  sobald  er  selbst  an  solchen  Erzeugnissen  Mangel  litt) 
und  schließlich  den  über  das  rein  wirtschaftliche  Gebiet  hinausreichen- 
den Gewinn,  der  in  der  Verfügung  über  die  Seestreitkräfte  der  beiden 
größten  christlichen  Marinestaaten  des  Mittelmeeres  bestand. 

Die  verschiedenen  Teile  Italiens  waren  an  diesem  Ertrage  ungleich 
beteiligt:  der  Süden  und  ein  großer  Teil  des  Zentrums  kamen  nur  für  den 
an  zweiter  Stelle  genannten  Punkt  in  Betracht,  während  Oberitalien 
und  Toskana  vor  allem  wegen  ihres  Handels,  ihrer  Industrie  und  ihrer 
Flotten  von  Wert  waren.  Dabei  hingen  alle  diese  Objekte  aber  unter 
sich  zusammen.  Eigentümliche  politisch-militärische  Verhältnisse  hatten 
es  gefügt,  daß  die  Beherrschung  eines  der  wichtigsten  Industrieplätze 
des  Nordens  (Mailands)  zugleich  der  einzige  Weg  war,  um  sich  eines 
der  beiden  großen  Marinestaaten  (Genuas)  und  damit  zugleich  der  sicheren 
Verfügung  über  die  Getreideproduktion  Unteritaliens  zu  bemächtigen. 
Es  war  deshalb  den  Großstaaten  nicht  wohl  möglich,  Italien  zum  Zwecke 


4  Die  politischen  Kampfmittel. 

gemeinsamer  Ausnutzung  friedlich  in  Einflußsphären  aufzuteilen. 
Darin  liegt  das  Problem  Mailands  verborgen,  und  dies  erklärt,  warum 
der  Kampf  um  Italien  bald  in  der  Hauptsache  zu  einem  Kampf  um 
Mailand  wurde. 

B.  Die  politischen  Kampfmittel. 

§  3.  Die  ueue  diplomatische  Organisation.  Diese  Konzentration 
der  auswärtigen  Politik  der  Großstaaten  auf  ein  großes  Zentralproblem 
schuf  für  Europa  eine  ganz  neue  diplomatische  Lage.  An  internationalen 
Koalitionen  zu  Offensiv-  und  Defensivzwecken  hatte  es  schon  früher 
nicht  gefehlt ;  aber  derartige  Kombinationen  wurden  nun  systematischer 
betrieben  und  bewußter  aufrecht  erhalten  als  in  den  vorhergehenden 
Jahrhunderten,  sie  setzten  sich  auch  viel  bestimmter  als  bisher  Ziele, 
die  das  ganze  europäische  Staatensystem  und  nicht  bloß  das  Verhältnis 
zwischen  zwei  Staaten  betrafen.  Viel  stärker  als  früher  wirkten  nun 
Veränderungen  innerhalb  eines  Staates  oder  innerhalb  des  Verhält- 
nisses zwischen  zwei  Staaten  auf  die  gesamte  internationale  Situation 
zurück,  und  daraus  entsprang  dann  die  vorher  in  dieser  ausgeprägten 
Form  nicht  nachweisbare  Erscheinung,  daß  während  gewisser  Zeit- 
räume alle  Staaten  Europas,  auch  die  kleinsten  und  entlegensten,  in 
die  Gegensätze  der  Großstaaten  hineingerissen  und  mit  einer  der  rivali- 
sierenden Gruppen  in  Verbindung  gebracht  wurden.  Um  den  Kon- 
trast mit  der  unmittelbar  vorangehenden  Zeit  zu  erfassen,  denke  man 
nur  daran,  wie  begrenzt  noch  der  politische  Horizont  eines  so  klugen 
Vertreters  der  älteren  Generation  wie  Gommines  war.  Man  beachte, 
wie  sich  die  politische  Spekulation  des  Vertrauten  König  Ludwigs  XL 
kaum  je  mit  verhältnismäßig  doch  gar  nicht  so  abgelegenen  Ländern 
wie  den  spanischen  Reichen  und  der  Türkei  beschäftigt,  und  vergleiche 
damit  die  Bedeutung,  die  Spanien  und  die  Osmanen  für  Frankreich 
während  der  hier  behandelten  Periode  gewannen. 

Diese  neue  Politik  hat  natürlich  nicht  mit  einem  Schlage  Platz 
gegriffen.  Sie  hat  erst  allmählich  alle  Glieder  des  europäischen  Staaten- 
systems in  ihren  Bann  gezogen,  und  in  voller  Wirksamkeit  steht  sie  erst 
in  der  zweiten  Hälfte  der  Periode.  Man  kann  die  ersten  zwei  bis  drei 
Jahrzehnte  noch  als  eine  Zeit  des  Tastens,  der  Anpassungsversuche 
an  die  neuen  Verhältnisse  bezeichnen.  Es  sind  dies  auch  die  Jahre, 
in  denen  internationale  Allianzverhältnisse  besonders  rasch  gewechselt 
und  in  neue  Kombinationen  verwandelt,  wenn  nicht  gar  in  ihr  Gegenteil 
verkehrt  wurden.  Es  ist  zwar  töricht,  den  Vorwurf  des  Machiavellismus 
in  dem  Sinne,  wie  man  den  Ausdruck  gewöhnlich  versteht,  gerade  gegen 
die  hier  dargestellte  Periode  zu  richten;  aber  wenn  man  damit  nur  sagen 
will,  daß  selten  so  leichtfertig  und  unablässig  Allianzen  geschlossen 
und  aufgelöst  wurden  wie  in  der  Zeit,  die  den  florentinischen  Staats- 
sekretär zu  seinen  Betrachtungen  inspirierte,  so  würde  man  diese  An- 
sicht nicht  als  durchaus  unrichtig  bezeichnen  können.  Die  Regierungen 
fanden  sich  einer  ganz  neuen  Situation  gegenüber.     Sie  mußten  mit 


§  3.     Die  neue  diplomatische  Organisation.  5 

Kräften  rechnen,  deren  militärisch-politische  Bedeutung  sie  nur  unvoll- 
kommen kannten;  sie  mußten  Staaten  in  den  Kreis  ihrer  Spekulation 
einbeziehen,  über  die  sie  nur  ungenügend  informiert  waren.  Dies  alles 
war  die  natürliche  Folge  der  neuen  Lage,  für  die  die  bisherige  Erfahrung 
versagte.  Es  begann  daher  eine  Zeit  wirren  Versuchens  und  diese  dauerte 
so  lange  an,  als  die  Praxis  nicht  über  die  Proportion  der  Kräfte  in  den 
neuen  internationalen  Konflikten  Aufklärung  gebracht  hatte.  Nachdem 
diese  Aufklärung  einmal  eingetreten,  wurden  die  Allianzverhältnisse 
stabiler,  obwohl  die  internationale  Politik  im  übrigen  ihren  gewalt- 
tätigen Charakter  nicht  veränderte.  Man  denke  z.  B.  an  das  Bündnis 
Frankreichs  mit  der  Türkei;  eine  ähnlich  dauerhafte  und  relativ  unge- 
trübte Verbindung  zwischen  zwei  Großstaaten  ist  in  der  ersten  Hälfte 
der  Periode  nicht  nachzuweisen. 

Daß  sich  damals  wirklich  ein  neuer  Zustand  bildete,  wird  am  besten 
dadurch  dargetan,  daß  sich  die  Notwendigkeit  einer  neuen  diplomati- 
schen Organisation  herausstellte.  Die  Quellen,  aus  denen  die  Regierungen 
bisher  ihre  Kenntnisse  über  die  Veränderungen  der  auswärtigen  Politik 
geschöpft  hatten,  genügten  nicht  mehr  zur  Befriedigung  des  neuen  Be- 
dürfnisses nach  internationaler  Information.  Besonders  die  militärisch 
schwächeren  Mittelstaaten,  die  nur  durch  Verbindung  mit  anderen 
Mächten  ihre  Unabhängigkeit  von  den  Großstaaten  bewahren  konnten, 
waren  darauf  angewiesen,  über  bevorstehende  politisch-militärische 
Projekte  aufs  genaueste  unterrichtet  zu  werden.  Aber  auch  die  Groß- 
staaten sahen  sich  genötigt,  in  einer  Zeit,  da  selbst  mächtige  Staaten 
feindlichen  Koalitionen  nur  mit  Unterstützung  kleinerer  Gemeinwesen 
zu  widerstehen  vermochten,  rechtzeitig  über  die  Pläne  der  Rivalen 
informiert  zu  werden,  um  daraufhin  eventuell  eine  Gegenkoalition  ins 
Leben  zu  rufen.  Aus  diesem  Bedürfnis  heraus  entstand  die  Errichtung 
ständiger  Gesandtschaften  in  den  wichtigsten  europäischen  Staaten,  i) 

Die  Unterhaltung  ständiger  Gesandtschaften  war  im  Prinzip  nichts 
Neues;  aber  die  Einrichtung  war  bisher  nur  innerhalb  eines  einzigen 
Landes  üblich  gewesen.  —  In  Italien  hatte  seit  etwa  einem  halben  Jahr- 
hundert ein  ähnlicher  Zustand  geherrscht,  wie  er  jetzt  für  ganz  Europa 
geschaffen  wurde.  Verschiedene  Staaten  kämpften  um  Ausdehnung, 
meist  auf  Kosten  der  Rivalen,  und  wenn  schon  die  Konkurrenten  mili- 
tärisch und  finanziell  über  ungleiche  Kräfte  verfügten,  so  war  doch  keiner 
so  stark,  daß  er  einer  gegen  ihn  gerichteten  Koalition  zweier  anderer 
ohne  Bedenken  hätte  entgegensehen  können.  Die  Notwendigkeit  stän- 
diger diplomatischer  Information  stellte  sich  daher  dort  früher  ein  als 


1)  Die  einzige  Ausnahme,  die  bestand,  bestätigt  in  diesem  Fall  die  Regel. 
Das  Osmanische  Reich  unterhielt  allerdings  keine  ständigen  Gesandtschaften  (§80); 
aber  die  Türkei  war  auch  der  einzige  unter  den  großen  MiHtärstaaten,  der  so  stark 
war,  daß  er  sogar  eine  Offensivallianz  aller  anderen  Staaten  nicht  eigenthch  zu 
fürchten  hatte.  Wenn  sie  sich  dem  Beispiel  der  anderen  Regierungen  nicht  anschloß, 
so  beweist  dies  bloß,  daß  die  neue  Institution  nur  unter  ganz  ungewöhnlichen  Ver- 
hältnissen als  entbehrhch  angesehen  werden  konnte. 


6  Die  politischen  Kampfmittel. 

im  übrigen  Europa.  Der  erste  naciiweisbare  Fall  rührt  aus  der  Mitte 
des  15.  Jahrhunderts  (1448)  her  und  bezieht  sich  auf  eine  ständige 
Verbindung  zwischen  Mailand  und  Florenz,  zwischen  den  beiden  Staaten 
also,  die  durch  die  Ausdelmungspolitik  des  mächtigsten  italienischen 
Staates,  der  Republik  Venedig,  am  meisten  bedroht  waren.  Später  folgten 
verschiedene  andere  Gründungen,  und  bald  wandten  die  italienischen 
Regierungen  das  neue  System  auch  außerhalb  der  appeninischen  Halbinsel 
an.  Auch  hierbei  war  zunächst  die  Erwägung  ausschlaggebend,  daß 
vor  allem  dem  Schwächeren  die  Pflicht  obliege,  sich  durch  rechtzeitige 
Information  gegen  Angriffsversuche  des  Stärkeren  zu  schützen.  Daraus 
erklärt  sich  erstens,  daß  diese  Gesandtschaften  in  der  Hauptsache 
nur  bei  der  französischen  Regierung  unterhalten  wurden,  von  der  damals 
fast  allein  eine  Offensive  gegen  Italien  befürchtet  werden  mußte,  nicht 
aber  in  England  usw.,  und  dann,  daß  der  erste  Staat,  der  eine  ständige 
Gesandtschaft  in  Frankreich  einrichtete,  derjenige  war,  den  ein  französi- 
scher Einfall  zuerst  getroffen  hätte,  nämlich  Mailand.  Dies  erklärt  des 
weiteren  aber  auch,  warum  diese  diplomatischen  Vertretungen  damals 
noch  durchweg  einseitig  waren;  die  Gründe,  die  Mailand  und  Florenz 
zur  Errichtung  ständiger  Gesandtschaften  in  Frankreich  bewogen, 
waren  ja  für  die  französische  Regierung  nicht  vorhanden,  die  von  den 
italienischen  Mittelstaaten  nichts  zu  befürchten  hatte.  Schließlich  ist 
es  nach  dem  eben  Gesagten  durchaus  verständlich,  wenn  zu  Beginn 
der  im  folgenden  behandelten  Periode  die  Abordnung  ständiger  Gesandt- 
schaften verschiedentlich  noch  als  Anzeichen  politischer  Schwäche  auf- 
gefaßt wurde.  Der  kleinere  Staat  war  allerdings  unbedingt  darauf  ange- 
wiesen, über  die  Projekte  des  größeren  unterrichtet  zu  werden;  für  den 
Großstaat  lag  dagegen  eine  solche  Notwendigkeit  nicht  vor.  Nicht  ohne 
Grund  zählt  daher  Sanuto  (»Diarien«  I,  739)  »zum  Ruhme  Venedigs« 
auf,  wie  viele  italienische  Oratori  sich  in  der  Stadt  aufhielten  (1497), 
und  aus  einer  ähnlichen  Erwägung  heraus  hielten  gerade  Staaten, 
die  befürchten  mußten,  daß  man  zwischen  ihnen  und  den  eigent- 
lichen Großstaaten  einen  Unterschied  mache,  darauf,  daß  in  dieser 
Beziehung  zwischen  ihnen  und  den  mächtigeren  Staaten  Reziprozität 
herrschte.  Gerade  weil  die  englische  Regierung  es  an  militärischer  Be- 
deutung mit  der  kaiserlichen  nicht  aufnehmen  konnte,  legte  sie  Wert 
darauf,  daß  Kaiser  Karl  V.  ebenso  bei  ihr  einen  Gesandten  unterhielt; 
wie  sie  selbst  einen  am  kaiserlichen  Hofe  hatte  (1529;  Lanz,  »Korrespon- 
denz des  Kaisers  KarlV.«  I,  314)  und  wenn  1520  zwischen  Karl  V. 
und  König  Heinrich  VIII.  abgemacht  wurde,  daß  beide  Monarchen 
beieinander  ständige  Gesandte  haben  sollten  (»Monumenta  Habs- 
burgica«  II,  1,  180),  so  war  dabei  auf  englischer  Seite  wohl  ebenfalls 
der  Wunsch  maßgebend,  die  Gleichstellung  des  englischen  Königs 
mit  dem  Kaiser  von  der  Gegenseite  öffentlich  anerkannt  zu  sehen. 

Über  diesen  Punkt  hinaus  dehnte  sich  während  dieser  Periode 
die  Einrichtung  ständiger  Gesandtschaften  nicht  mehr  aus.  Den  An- 
fang hatten  die  italienischen  Mittelstaaten  gemacht,  ihnen  folgten  die 


§  4.     Die  Publizistik.  7 

Großstaaten,  die  um  die  Vorherrschaft  über  Itahen  kämpften  oder  an 
•diesem  Kampfe  interessiert  waren,  mit  Ausnahme  der  Türkei;  die  klei- 
neren und  die  weiter  abgelegenen  Staaten  außerhalb  Italiens,  zumal 
die  politisch  weniger  entwickelten,  verharrten  dagegen  bei  dem  alten 
System  der  gelegentlichen  Gesandtschaften.  Daher  treffen  wir  die 
Institution  weder  in  Portugal  noch  in  Schottland  noch  in  Polen  oder 
Ungarn  noch  in  Skandinavien  noch  in  der  Eidgenossenschaft,  von  den 
deutschen  Territorialherrschaften  ganz  abgesehen,  bei  denen  der  Ent- 
sendung von  Gesandtschaften  dazu  noch  staatsrechtliche  Hemmungen 
entgegenstanden  (vgl.  §  62).  Bei  Staaten  wie  Portugal,  die  sich  in  der 
Hauptsache  außerhalb  der  europäischen  Politik,  d.  h.  des  sich  um  Italien 
und  die  Türkengefahr  bewegenden  Allianzensystems  befanden,  scheint 
dieser  Mangel  so  gut  wie  keine  nachteiligen  Folgen  nach  sich  gezogen 
zu  haben ;  anders  dürfte  es  sich  mit  Ungarn  und  Polen  verhalten  haben, 
die  es  als  Gegner  mit  einem  der  diplomatisch  am  wirksamsten  organi- 
sierten Staaten,  nämlich  dem  Hause  Österreich,  zu  tun  hatten  (§63). 

Literatur.  Die  wichtigste  Arbeit  über  diesen  Gegenstand  ist  die  Abhand- 
lung von  Adolf  Schaube,  »Zur  Entstehungsgeschichte  der  ständigen  Gesandtschaften« 
in  den  »Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische  Geschichtsforschung«  X 
(1889),  501  —  552,  die  die  für  diese  Zeit  durchaus  unzulänghche  BerHner  Disser- 
tation von  Otto  Krauske,  »Beiträge  zur  Geschichte  der  ständigen  Diplomatie«  (1884) 
(erster  Teil  der  Abhandlung  »Die  Entwicklung  der  ständigen  Diplomatie  vom  15.  Jahr- 
hundert bis  1818«,  1884)  so  gut  wie  ganz  entbehrlich  gemacht  hat.  Seine  Darlegungen 
liegen  auch  dem  betreffenden  Abschnitt  bei  David  Jayne  Hill,  »A  History  of  Diplo- 
macy  in  the  international  Development  of  Europe«  II  (=  1313  —  1648),  1906,  zugrunde. 
Über  die  Technik  der  diplomatischen  Arbeit  findet  man  das  Material  am  reich- 
haltigsten bei  M.  de  Maulde-la  Claviöre,  »JL«  Diplomatie  au  temps  de  Machiavel«, 
3  Bände,  1892  f. 

Die  Errichtung  ständiger  Gesandtschaften  bildet  bekannthcli  auch  für  die 
Geschichtschreibung  eine  Epoche.  Weil  die  ständigen  Gesandten  zu  einer  fort- 
laufenden Berichtersattung  verpflichtet  waren  und  ihre  Rapporte  aufbewahrt 
-vvurden,  liegt  von  jener  Zeit  an  eine  Fülle  diplomatischen  Materials  vor,  der  frühere 
Perioden  nichts  an  die  Seite  zu  stellen  haben.  Erst  von  diesem  Zeitpunkt  an  ist 
■es  möglich,  diplomatische  Verhandlungen  mit  einiger  Sicherheit  zu  rekonstruieren. 

§  4.  Die  Publizistik.  Die  Erweiterung  der  diplomatischen  Aktion 
wirkte  auch  auf  die  für  das  internationale  Pubhkum  bestimmte  Publi- 
zistik ein.  Seitdem  sich  ein  eigentliches  europäisches  Staatensy^tem 
gebildet  hatte,  legten  die  Regierungen  Wert  darauf,  die  öffentliche  Mei- 
nung innerhalb  eines  größeren  geographischen  Umkreises  als  bisher  zu 
bearbeiten.  Hatten  sie  in  ihren  offiziösen  Darlegungen  bisher  in  der 
Regel  neben  dem  einheimischen  Publikum  nur  an  einen  oder  mehrere 
Nachbarn  und  unmittelbar  beteihgte  ausländische  Staaten  appelliert, 
so  konnten  sie  es  nun  nicht  mehr  vermeiden,  sich  an  Leser  in  weiter  ab- 
gelegenen Ländern  zu  wenden.  Die  internationale  Publizistik,  die  Schrift- 
stellerei  in  der  allgemein  europäischen  Sprache,  dem  Lateinischen,  und 
die  Verwendung  von  Argumenten,  die  auf  allgemeine  Interetsen,  den 
Schutz  der  Christenheit  z.  B.,  den  Hauptakzent  legten,  erfuhr  eine 
■eifrigere  Pflege. 


g  Die  politischen  Kampfmittel. 

Natürlich  läßt  sich  hier  keine  so  scharfe  Grenzlinie  ziehen,  wie  es 
bei  der  Besprechung  der  neuen  diplomatischen  Organisation  möglich 
war.  Auch  wenn  man,  wie  selbstverständlich,  von  der  kirchenpoliti- 
schen und  kurialen  Publizistik  der  früheren  Zeit  gänzlich  absieht,  die 
stets  einen  internationalen  Charakter  hatte  bewahren  müssen,  so  wird 
man  nicht  erwarten,  ein  so  deutliches  Unterscheidungsmerkmal  zu 
finden,  wie  es  die  Errichtung  ständiger  Gesandtschaften  eines  ist. 
Trotzdem  aber  wird  man  wohl  behaupten  dürfen,  daß  der  publizistische 
Betrieb  ähnlich  umgewandelt  und  erweitert  wurde  wie  der  diplomatische. 

Als  Symptom  für  die  veränderten  Umstände  dürfte  vor  allem  das 
Interesse  betrachtet  werden,  das  in  dieser  Zeit  die  Regierungen  außer- 
halb Italiens  an  der  humanistischen  Bewegung  zu  nehmen  begannen. 
Wer  das  internationale  Publikum,  die  gebildeten  Leser  ganz  Europas 
zu  bearbeiten  wünschte,  mußte  über  Autoren  verfügen,  die  die  lateinische 
Sprache  und  den  modischen  Stil  oder  doch  wenigstens  eines  von  beiden 
beherrschten.  In  Italien,  das  auch  hier  als  Vorbild  diente,  hatten  dies 
die  Regierungen  schon  seit  längerer  Zeit  eingesehen,  und  in  manchen 
Staaten  hatten  es  deshalb  humanistisch  geschulte  Männer  zu  leitenden 
Stellungen  gebracht.  Seitdem  nun  die  Machtkämpfe  der  außeritalieni- 
schen Staaten  einen  allgemein  europäischen  Charakter  angenommen 
hatten  und  dabei  gerade  auch  der  Wert  der  öffentlichen  Meinung  Italiens 
höher  geschätzt  wurde  als  früher,  waren  auch  die  Großmächte  außer- 
halb der  appeninischen  Halbinsel  genötigt,  sich  dieses  Kriegsmittels  zu 
bedienen. 

Die  offizielle  und  die  offiziöse  Publizistik  nahm  infolgedessen  einen 
ungeheuren  Aufschwung,  sowohl  der  Masse  wie  der  Qualität  nach. 
Eine  Flut  polemischer  Literatur  begleitete  die  militärischen  und  diplo- 
matischen Vorgänge.  Und  zwar  öffentlicher  Polemik:  die  Regierungen 
arbeiteten  nicht  nur  mit  halb  vertraulichen  Schriftstücken  wie  etwa 
Kaiser  Maximilian  mit  einzelnen  Kundgebungen  »für  das  offizielle 
Deutschland«  (H.  Ulmann,  »Kaiser  Maximilian«  II  [1891],  374),  sondern 
sie  bekämpften  sich  vielfach  in  voller  Öffentlichkeit.  Als  König  Lud- 
wig XII.  von  Frankreich  im  Jahre  1498  einen  Bericht  über  sein  Ver- 
hältnis zu  dem  österreichischen  Herrscher  in  Italien  verbreiten  ließ, 
verfaßte  der  Gesandte  des  mit  Maximilian  verbündeten  Mailands,  der 
sich  am  kaiserlichen  Hofe  aufhielt,  nicht  nur  eine  Gegenschrift,  die  an 
die  italienischen  Kanzleien  weitergegeben  wurde,  sondern  Kaiser  Ma- 
ximilian selbst  ließ  eine  offizielle  Relation  ausarbeiten,  einen  »Brief« 
an  Lodovico  Moro,  der  dann  »durch  die  ganze  Christenheit  vertrieben« 
werden  sollte  (L.  Pelissier  in  den  »Miscellanea  di  storia  italiana«  XXXV 
[1898],  373  und  484). 

Nicht  immer  konnte  dabei  allerdings  die  Forderung  erfüllt  werden, 
daß  die  offizielle  Diatribe  sowohl  lateinisch  wie  im  humanistischen  Stile 
abgefaßt  wurde.  Bisweilen  konnte  nur  eine  der  beiden  Bedingungen  inne- 
gehalten werden ;  so  ist  z.  B.  Juan  de  Valdes'  Dialog  »Merkur  und  Charon  «, 


Die  Infanterie.  —  §  5.  Die  neue  Infanterietaktik.  9 

der  eine  offiziöse  Apologie  der  Politik  Kaiser  Karls  V.  enthält,  zwar  im 
Stil  durch  und  durch  humanistisch,  jedoch  in  spanischer  Sprache  ge- 
schrieben. In  anderen  Fällen  begnügten  sich  die  Mandanten  mit  einer 
lateinischen  Redaktion,  die  des  Schmuckes  humanistischer  Rede  ent- 
behrte. Aber  im  Prinzip  hielten  die  Regierungen  darauf,  daß  ihre 
Beauftragten  sowohl  lateinisch  wie  nach  den  humanistischen  Geschmacks- 
regeln schrieben.  Dies  wird  erwiesen  einerseits  durch  das  außergewöhn- 
liche Ansehen,  dessen  sich  Stilkünstler  unter  den  Publizisten,  wie  der 
Italiener  Jovius,  erfreuten,  und  anderseits  durch  einen  Fall  wie  den 
des  Kaisers  Maximilian,  der,  obwohl  seiner  Bildung  nach  durchaus 
dem  Mittelalter  angehörig,  doch  die  offiziöse  Publizistik  in  lateinischer 
Sprache  aufs  eifrigste  förderte.  —  Keine  Ausnahme  von  dieser  Regel 
bilden  dagegen  natürlich  die  häufigen  Fälle,  da  eine  Regierung  sich  in 
offiziösen  Darlegungen  an  das  eigene  Land  wandte.  Daß  ihre  Mandatare 
sich  dabei  vielfach  der  Landessprache  und  eventuell  auch  eines  populären, 
d.  h.  nicht  humanistischen  Stiles  bedienten,  ist  ohne  weiteres  ver- 
ständlich. 

In  das  gleiche  Kapitel  gehört  schließlich,  daß  die  Publizierung  von 
internationalen  Verträgen,  Reden  von  Fürsten  usw.  damals  beinahe 
schon  zur  Regel  wurde.  Dabei  ist  diese  Tatsache  selbst  ebenso  bemerkens- 
wert wie  der  Umstand,  daß  zu  Zwecken  der  Propaganda  der  Wortlaut 
der  Aktenstücke  und  Reden  öfter  verstümmelt  oder  gar  verfälscht 
wurde.  So  enthielt  der  veröffentlichte  Text  des  französisch-spanischen 
Vertrages  vom  Jahre  1505  absichtlich  unrichtige  Zahlen  über  die  Höhe 
der  gegenseitigen  militärischen  Leistungen  (De  Maulde-La  Claviere 
[o.  S.  7],  III,  217  und  238 ff.),  und  von  der  Rede,  die  Kaiser  KarlV. 
im  Jahre  1536  in  Rom  hielt,  wurde  für  den  Druck  ein  Exemplar  her- 
gestellt, das  eine  der  bezeichnendsten  Auslassungen  des  Monarchen 
unterdrückte  (Schreiben  von  M.  de  Salinas  bei  A.  Rodriguez  Villa, 
ifEl  Emperador  Carlos  V«  [1903],  p.  713). 

Literatur.  Eine  Monographie  über  die  offizielle  Publizistik  der  Periode  fehlt 
noch.  Manches  bei  Wilhelm  Bauer,  »Die  öffentliche  Meinung  und  ihre  geschicht- 
lichen Grundlagen«,  1914.  Unergiebig  für  das  im  Text  behandelte  Thema  ist  Paul 
Roth,  »Die  neuen  Zeitungen  in  Deutschland  im  15.  und  16.  Jahrhundert«,  1914 
(in  den  Jablonowskischen  Preisschriften).  —  Die  offizielle  Propaganda  bediente 
sich  verschiedentUch  der  Form  historischer  Abhandlungen  oder  Darstellungen; 
darüber  einiges  in  meiner  »Geschichte  der  neueren  Historiographie«  (1911). 

C.  Die  militärischen  KampfmitteL 
1.  Der  Krieg  zu  Lande. 

a)  Die  Infanterie. 

§  5.  Die  neue  Infanterietaktik.  Die  militärischen  Aktionen  der 
im  folgenden  behandelten  Periode  sind  von  den  Kriegsoperationen, 
wie  sie  noch  um  die  Mitte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  üblich  waren, 
prinzipiell  stark  verschieden.    Die  Veränderung  besteht  weniger  darin, 


10  Die  Infanterie. 

daß  die  Infanterie  gegenüber  den  anderen  Waffengattungen  in  unge- 
wöhnlichem Maße  an  Bedeutung  gewonnen  hätte,  als  darin,  daß  inner- 
halb der  Infanterie  selbst  eine  neue  Taktik  aufgekommen  war,  die 
starke  Qualitätsunterschiede  unter  den  Söldnern  zur  Folge  hatte  und 
wenigstens  in  den  ersten  Jahrzehnten  den  Infanteristen  eines  bestimmten 
Landes  (der  Eidgenossenschaft)  beinahe  eine  Monopolstellung  ver- 
schaffte. 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  auf  die  technischen  Details  einzugehen, 
die  der  neuen  »schweizerischen  Taktik«  ihr  Gepräge  gaben;  es  kann  dies 
um  so  weniger  geschehen,  als  deren  Ursprung  in  eine  viel  frühere  als  die 
hier  besprochene  Periode  fällt.  Es  muß  genügen  zu  bemerken,  daß  zwei 
Eigentümlichkeiten  vor  allem  die  schweizerischen  Söldner  auszeichneten: 
die  einheitliche  Ausbildung,  die  ihnen  erlaubte  aus  dem  Fußvolk  einen 
disziplinierten  taktischen  Körper  zu  formieren,  und  dann  der  Gebrauch 
des  langen  Spießes,  der  eben  auf  dieser  einheitlichen  Schulung  beruhte. 
Diese  »schweizerische  Ordnung«  hatte  dann  speziell  in  den  Burgunder- 
kriegen (1476)  ihre  Superiorität  über  die  alte  Taktik  so  deutlich  er- 
wdesen,  daß  an  ihrem  militärischen  Wert  kein  Zweifel  mehr  möglich  wäre 
hält  man  damit  zusammen,  daß  die  Bedeutung  der  Infanterie  für  di///'^ 
Feldschlachten  sowieso  seit  langem  im  Zunehmen  begriffen  war,  so 
ist  ohne  weiteres  verständlich,  daß  infolgedessen  diejenigen  Infanterie- 
söldner, die  die  neue  Ausbildung  durchgemacht  hatten,  auf  dem  inter- 
nationalen Werbemarkt  eine  privilegierte  Stellung  einnahmen. 

Es  wird  später  bei  der  Besprechung  der  einzelnen  Länder  gezeigt 
werden,  daß  das  Monopol,  das  die  Schweizer  ursprünglich  besaßen, 
im  Laufe  der  Periode  allerdings  immer  mehr  durchbrochen  wurde. 
Die  Großstaaten,  die  annexionistische  Ziele  verfolgten,  mußten  be- 
greiflicherweise danach  streben,  die  neue  Waffe  in  der  eigenen  Armee 
einzuführen  und,  wenn  es  nicht  möglich  war,  schweizerische  Söldner 
in  Dienst  zu  nehmen,  wenigstens  die  schweizerische  Taktik  bei  den 
eigenen  Truppen  kopieren  zu  lassen.  Daß  dies  zunächst  besonders  in 
den  österreichischen  Landen  geschah,  erklärt  sich  schon  aus  dem  Um- 
stände, daß  der  gefährlichste  Gegner  der  Habsburger,  die  Krone  Frank- 
reich, als  die  finanziell  überlegene  INIacht,  sich  einen  Teil  der  schwei- 
zerischen Söldner  vertraglich  gesichert  hatte.  Aber  dieser  Fall  von 
Imitation,  der  bekanntlich  zur  Entstehung  der  Landsknechte  führte, 
steht  keineswegs  vereinzelt  da,  und  für  die  historisch-politische  Ent- 
wicklung hat  sich  schließlich  vielleicht  sogar  noch  als  wichtiger  erNsie- 
sen,  daß  später  (nach  dem  ersten  Zusammentreffen  mit  Schweizern) 
die  spanische  Regierung  die  neue  Taktik  unter  ihren  Fußtruppen  ein- 
führte (§41). 

§  6.  Veränderungen  im  Anwerbewesen.  Welche  Folgen  aus  dieser 
Umgestaltung  der  Taktik  entsprangen  und  inwiefern  speziell  die  aus- 
wärtige Politik  Frankreichs  und  der  Eidgenossenschaft  dadurch  be- 
rührt wurde,  wird  später  bei  der  Besprechung  der  einzelnen  Länder 
zur  Behandlung  kommen.    An  dieser  Stelle  soll  nur  erörtert  werden, 


§  6.    Veränderungen  im  Anvverbewesen.  11 

welche  Nachwirkungen  diese  Neuerung  für  das  Verfahren  der  An- 
werbung von  Söldnern  im  allgemeinen  hatte. 

Schon  lange  war  es  üblich  gewesen,  daß  die  Regierungen  ihre 
Armeen  aus  fremden  oder  einheimischen  Söldnern  bildeten,  die  sie  in 
der  Regel  schon  fertig  formiert  von  Unternehmern  (Kondottieren)  be- 
zogen. Erhebliche  Qualitätsunterschiede  scheinen  dabei,  speziell  was 
die  Infanterie  betrifft,  nicht  bestanden  zu  haben.  Das  Soldatenmaterial 
war  zwar  seiner  physischen  Leistungsfähigkeit  nach  nicht  ganz  gleich- 
artig und  in  seinem  Wert  zum  Teil  durch  die  Bodenbeschaffenheit  und 
die  klimatischen  Verhältnisse  des  Herkunftsortes  bestimmt;  auch  er- 
gab sich  ohne  weiteres,  daß  »arme«  Gegenden,  d.  h.  Landschaften,  deren 
Boden  sich  nur  wenig  zum  Ackerbau  eignete  und  die  der  Verkehrs- 
verhältnisse usw.  wegen  keine  Industrie  entwickeln  konnten,  eher  in 
der  Lage  waren,  überschüssige  Menschenkraft  in  der  Form  von  Söldnern 
abzugeben  als  Länder,  die  ihrer  Bevölkerung  genügendes  Auskommen 
in  friedlicher  Beschäftigung  boten.  Aber  wenn  schon  deshalb,  was  die 
»Produktion«  von  Söldnern  betraf,  unter  den  einzelnen  Landschaften 
beträchtliche  quantitative  Unterschiede  bestehen  mochten,  so  war 
doch  qualitativ  (für  die   Infanterie)  die  Differenz  ganz  unbedeutend. 

Mit  dem  Aufkommen  der  schweizerischen  Taktik  änderten  sich  die 
Verhältnisse  vollständig.  Brauchbar  war  nun  nur  noch  das  Soldaten- 
material, das  nach  der  neuen  Ordnung  geschult  war,  wenigstens  so- 
weit es  sich  um  die  großen  Kriege  handelte,  in  denen  von  einer  Partei 
regelmäßig  schweizerische  oder  schw^eizerisch  ausgebildete  Söldner 
verwendet  wurden.  Dadurch  erhielten  nun  die  Länder,  die  solche 
Infanteristen  zu  liefern  imstande  waren,  eine  Monopolstellung. 

Damit  gewann  nun  auch  das  Anwerberecht  eine  bisher  unbekannte 
Bedeutung.  Es  hatte  wohl  immer  zu  den  Befugnissen  der  Regierungen 
gehört,  daß  sie  ausländischen  Behörden  das  Anwerben  von  Söldnern 
innerhalb  ihres  Hoheitsgebietes  erlauben  oder  verbieten  konnten.  Es 
war  auch  wühl  immer  als  unfreundlicher  Akt  aufgefaßt  worden,  wenn 
eine  Regierung  Werbungen  duldete,  die  gegen  einen  Staat  gerichtet 
waren,  mit  dem  sie  offiziell  gute  Beziehungen  unterhielt.  Aber  wenn 
schon  an  diesen  Verhältnissen  prinzipiell  nichts  geändert  wurde,  so 
erhöhte  sich  doch  der  Wert  dieser  amtlichen  Werbelizenzen  in  der  im 
folgenden  behandelten  Periode  in  ungeahntem  Maße. 

Zunächst  wirkte  auch  hier  die  neue  diplomatische  Lage  (§3)  ein. 
Seitdem  auch  die  entlegensten  und  kleinsten  Staaten  in  das  System 
der  großen  internationalen  Allianzen  und  Gegenallianzen  hineingezogen 
worden  waren,  nahm  die  Zahl  der  Regierungen  immer  mehr  ab,  die 
durch  kriegerische  Konflikte  fremder  Länder  nicht  irgendwie  berührt 
wurden:  es  kam  daher  seltener  vor,  daß  eine  Werbelizenz  einen  politisch 
indifferenten  Akt  darstellte,  die  Regel  w^ar  vielmehr,  daß  jede  Regierung 
die  Erteilung  einer  solchen  Erlaubnis  von  ihrer  gegenwärtigen  oder 
künftigen  Stellung  zu  den  kriegführenden  Parteien  abhängig  machen 
mußte.  Wichtiger  war  freilich  ein  anderer  Umstand.  Der  starke  Unter- 


12  Die  Infanterie. 

schied  in  der  Qualität  des  Söldnermaterials  verschaffte  dem  Besitzer 
des  gesuchten  Artikels,  d.  h.  den  Regierungen  der  Länder  aus  denen 
modern  geschulte  Infanteristen  bezogen  werden  konnten,  eine  politisch 
und  finanziell  privilegierte  Stellung;  damit  war  natürlich  auch  die 
Verfügung  über  die  Wehrkraft  des  Landes  zu  einem  ganz  anders  als 
früher  wertvollen  Objekte  geworden. 

Es  wird  später  im  einzelnen  gezeigt  werden,  welche  politischen 
Folgen  diese  Veränderung  nach  sich  zog  und  wie  im  besonderen  die 
innere  Politik  der  schweizerischen  Kantone  und  die  Beziehungen  der 
habsburgischen  Kaiser  zu  den  Ständen  des  Deutschen  Reiches  dadurch 
zu  einem  wesentlichen  Teile  bestimmt  wurden.  Hier  soll  nur  noch  er- 
wähnt werden,  daß  die  Ausnutzung  der  einheimischen  Söldnerbestände 
auf  zweierlei  Weise  vorgenommen  wurde. 

Die  primitivere  Art,  die  vorzugsweise  in  Ländern  angewandt  wurde, 
in  denen  die  technische  Ausbildung  der  Söldner  mittelmäßig  oder 
schlecht  war,  bestand  in  der  Fortsetzung  des  alten  Verfahrens,  fremde 
Anwerbungen  von  Fall  zu  Fall  entweder  zu  gestatten  oder  zu  ver- 
bieten, ohne  daß  die  Untertanen,  die  sich  in  fremde  Dienste  anwerben 
ließen,  dies  nur  mit  Zustimmung  ihrer  Regierung  tun  durften.  Die 
andere,  neue  Methode,  die  sich  natürlich  nur  da  anwenden  ließ,  wo  es 
sich  um  die  Anwerbung  von  Qualitätssöldnern  handelte,  war  die  zuerst 
von  der  Schweiz  durchgeführte  Lizenzenpolitik.  In  diesem  Falle  machte 
die  Regierung  nicht  nur  Anwerbungen  fremder  Staaten  auf  ihrem 
Territorium  von  ihrer  Erlaubnis  abhängig,  sondern  sie  verbot  auch 
ihren  Untertanen,  sich  ohne  ihre  ausdrückliche  Einwilligung  anwerben 
zu  lassen,  behielt  sich  das  Rückberufungsrecht  ihrer  Söldner  vor  und 
betrachtete  schon  den  Versuch  eines  anderen  Staates,  Landeskinder 
gegen  ihren  Willen  in  seinem  Dienste  zu  behalten  (nicht  nur  die  An- 
werbung innerhalb  des  eigenen  Gebietes),  als  unfreundliche  Haltung. 
Hand  in  Hand  damit  gingen  in  der  Regel  vertragliche  Abmachungen 
über  die  Gegenleistungen,  die  die  anwerbende  Partei  für  die  Erlaubnis, 
einheimische  Söldner  einstellen  zu  dürfen,  zu  konzedieren  hatte.  Der 
Vertrieb  von  Söldnern  war  dabei  gewissermaßen  in  den  Händen  der 
Regierung  monopolisiert;  von  einem  wirklichen  Monopol  unterscheidet 
sich  das  Verfahren  nur  dadurch,  daß  die  Lieferung  der  Söldner  nie 
durch  die  Behörden  selbst  besorgt  wurde,  diese  vielmehr  nie  weiter 
gingen  als  Werbungen  zu  erlauben  und  deshalb  ihre  Untertanen  auch 
nicht  zum  Eintritt  in  fremde  Dienste  nötigten.  Deutlich  monopolartigen 
Charakter  trugen  dagegen  die  strafrechtlichen  Maßregeln,  die  die  Re- 
gierungen der  zweiten  Kategorie  gegen  diejenigen  ihrer  Untertanen 
einführten,  die  trotz  offiziellen  Verbotes  einem  nichtkonzessionierten 
fremden  Werber  gefolgt  waren  (gegen  die  »Reisläufer«  oder  »freien 
Knechte«,  wie  die  technischen  Ausdrücke  in  der  Schweiz  lauteten).  Es 
sind  vor  allem  diese  Vorkehrungen,  die  das  neue  System  von  dem  alten 
scharf  unterscheiden.  Nach  dem  alten  Verfahren  nahm  eine  Regierung 
wohl  das  Recht  in  Anspruch,  fremde  Werbungen  auf  ihrem  Gebiete  zu 


§  6.    Veränderungen  im  Anwerbewesen.  13 

verbieten;  dem  Untertan  war  aber  damit  niclit  die  Freiheit  genom- 
men, seine  Dienste,  wo  er  wollte,  anzubieten. 

In  den  Staaten,  die  nicht  oder  noch  nicht  in  der  Lage  waren,  gut 
qualifiziertes  Söldnermaterial  zu  liefern,  wurde  diese  Freiheit  denn 
auch  in  der  hier  behandelten  Periode  nie  aufgehoben.  Es  ist  mir  nicht 
bekannt,  daß  z.  B.  jemals  in  Frankreich  und  England,  die  beide  keine 
modern  ausgebildete,  einheimische  Infanterie  besaßen,  den  Unter- 
tanen verboten  worden  wäre,  sich  ohne  Einwilligung  der  Regierung 
auswärts  anwerben  zu  lassen.  Und  selbst  Kaiser  Maximilian  I.,  der 
doch  für  die  Gebiete,  aus  denen  die  Landsknechte  vorzugsweise  stammten, 
.das  schweizerische  System  so  gut  es  ging  auch  in  dieser  Hinsicht  zu 
kopieren  strebte,  bemerkt  1513  in  einem  Schreiben  an  seine  Tochter 
Margarete,  Statthalterin  der  Niederlande,  daß  »les  personnes  de  nos 
pays  ont  ete  toujours  tenus  [sie]  en  leiir  liberte  de  s'exerciter  et  aller 
servir  en  giierre  ä  leur  plaisir«  (wobei  er  unter  »pays«  allerdings  wohl 
sicher  nur  die  Niederlande  meint,  deren  Söldner  allgemein  als  den 
oberdeutschen  Knechten  bei  weitem  nicht  gewachsen  betrachtet  wur- 
den; vgl.  §61)1). 

Es  fehlt  der  Raum,  um  die  Ausbreitung  des  schweizerischen  Lizen- 
zensystems über  die  übrigen  Militärstaaten  Europas  im  einzelnen  zu 
schildern.  Es  können  an  dieser  Stelle  nur  einige  Andeutungen  gegeben 
werden,  die  als  notdürftiger  Ersatz  für  die  beinahe  gänzlich  ver- 
sagende Literatur  dienen  müssen. 

In  voller  Strenge  wurde  die  schweizerische  Monopolpolitik  wohl 
nur  in  Ländern  durchgeführt,  die  ähnlich  wie  die  Eidgenossenschaft 
die  wirtschaftliche  Existenz  des  Staatswesens  ganz  oder  zum  Teile  auf 
den  Ertrag  des  Söldnerwesens  begründeten.  Dies  traf  vor  allem  auf 
einzelne  italienische  Kondottierenstaaten  zu  und  hier  wissen  wir  denn 
auch  von  Urbino,  daß  der  Herzog,  der  eine  wrdinanza«  eingerichtet 
hatte,  1534  seinen  Untertanen  unter  strengen  Strafen  jeden  fremden 
Solddienst  verbot  (F.  Ugolini,  »Storia  dei  Conti  e  Duchi  d' Urbino« 
[1859],  II,  262);  daß  der  Herzog  anderseits  durchaus  auf  den  Verdienst 
aus  den  (durch  ihn  vermittelten)  ausländischen  Solddiensten  angewiesen 
war,  erfahren  wir  aus  venezianischen  Berichten  (Relation  von  F.  Badoer 
vom  Jahre  1547  in  »Relazioni  degli  ambasciatori  veneti«,  ed.  A.  Segarizzi 
II  [1913],  173 f.).  —  Anders  lagen  die  Verhältnisse  in  Florenz:  dort 
bildete  es  nur  einen  Teil  der  von  Machiavelli  angeregten  Übernahme 
des  schweizerischen  Systems  überhaupt,  daß  einmal  (1507)  allen  An- 
gehörigen der  »Miliz  «  die  fremden  Dienste  verboten  wurden  (M.  Hobohm, 
»Machiavellis  Renaissance  der  Kriegskunst«  I  [1913],  145). 

In  Florenz  hatte  Machiavellis  Milizsystem  bekanntlich  keinen 
Erfolg;  in  anderen  kleineren  Staaten  aber,  und  vor  allem  in  der  Eid- 
genossenschaft selbst  (§97),  war  die  Wirkung  die,  daß  die  Regierungen, 


1)   Correspondance  de  VEmpereiir  Maximilien  /«'"  et  de  Marguerite  d'Äutriche, 
ed.  Leglay  II  (1839),  136. 


14  Die  Infanterie. 

die  über  ein  modern  geschultes,  stets  lieferbares  Fußvolk  verfügten^ 
in  der  internationalen  Politik  eine  Stellung  einnahmen,  die  mit  dem 
kleinen  Areal  und  der  wirtschaftliehen  Leistungsfähigkeit  ihres  Ge- 
bietes außer  Verhältnis  stand.  Je  nach  der  Konjunktur  besaßen  sie 
entweder  beiden  kriegführenden  Parteien  oder  doch  wenigstens  einer 
Gruppe  gegenüber  ein  Monopol  auf  die  Abgabe  von  brauchbaren  Söldnern 
und  infolge  davon  wurden  ihre  Werbelizenzen  ein  vielbegehrtes  Wert- 
objekt auch  für  Großstaaten,  die  an  sich  über  viel  größere  Machtmittel 
verfügten  als  die  Söldnerländer.  Ja  nicht  einmal  die  Großstaaten, 
die  nicht  auf  fremdes  Fußvolk  angewiesen  waren,  konnten  sich  dem 
Wettlauf  um  die  Gunst  der  lizenzberechtigten  Regierungen  entziehen; 
denn  es  war  für  sie  vielfach  ebenso  wichtig,  daß  der  Gegner  die  Werbe- 
erlaubnis nicht  erhielt,  als  daß  sie  selbst  die  gesuchten  »Knechte«  in 
ihre  Dienste  nehmen  durften.  Dieses  Bemühen  tritt  besonders  deut- 
lich in  den  Verhandlungen  der  Habsburger  mit  den  Eidgenossen  zutage, 
ist  aber  nicht  auf  dieses  Verhältnis  beschränkt. 

Doch  übernahmen  auch  die  Großmächte  selbst  zum  Teil  die  schweize- 
rische Lizenzenpolitik.  Die  spanischen  Herrscher  haben  zwar,  wie  es 
scheint,  das  schweizerische  Vorbild  in  dieser  Beziehung  nie  nachge- 
ahmt, obwohl  sie  in  der  zweiten  Hälfte  der  Periode  wohl  über  das  beste 
Fußvolk  der  Zeit  verfügten  (§123  u.  öfter);  vielleicht  wurde  ihre  Hal- 
tung dadurch  erleichtert,  daß  das  starke  Nationalgefühl  der  spanischen. 
Söldner  fremden  Werbungen  sowieso  im  Wege  stand,  wie  denn  auch 
Spanier  verhältnismäßig  selten  in  ausländischem  Dienste  nachgewiesen 
werden  können  (§41).  Anders  stand  es  dagegen  mit  den  Untertanen 
der  Habsburger,  und  zwar  speziell  mit  den  deutschen  Söldnern,  die 
nicht  den  österreichischen  Erbländern  angehörten.  Diese  fühlten  sich 
weder  dem  Reiche  so  unmittelbar  verbunden  noch  so  von  der  Reichs- 
gewalt abhängig,  daß  ihnen  gegenüber  die  Kaiser  eine  Lizenzenpolitik 
auch  nur  mit  dem  relativen  Erfolge  wie  in  der  Eidgenossenschaft  hätten 
durchführen  können.  Nur  einmal  schien  sich  Gelegenheit  dazu  zu 
bieten:  das  war  im  Jahre  1547,  als  Kaiser  Karl  V.  seinen  Sieg  über  den 
Schmalkaldischen  Bund  erfochten  hatte  (§127).  Damals  wurde  aller- 
dings auf  dem  Augsburger  Reichstage  verfügt,  daß,  ganz  wie  in  der 
Schweiz,  kein  Deutscher  ohne  Genehmigung  der  Reichsregierung  fremde 
Kriegsdienste  nehmen  dürfe.  Aber  dieses  Dekret  blieb  nur  so  lange  in 
Kraft  als  die  außergewöhnlich  günstige  Situation  bestand,  die  der 
kaiserlichen  Exekutive  die  militärischen  Erfolge  im  Schmalkaldischen 
Kriege  geschaffen  hatten;  in  normalen  Zeiten  mußten  die  Habsburger 
mit  anderen  Verhältnissen  rechnen.  Dabei  war  dieses  Problem  für 
sie,  wenigstens  in  den  ersten  Jahrzehnten,  von  der  größten  Bedeutung. 
Die  von  ihnen  ausgebildeten  Landsknechte  waren,  so  lange  die  Spanier 
die  moderne  Schulung  noch  nicht  durchgemacht  hatten,  die  einzige 
Infanterie,  die  man  den  von  den  Franzosen  verwendeten  Schweizern 
entgegensetzen  konnte,  und  selbst  als  die  Spanier  anfingen,  brauchbarer 
zu  werden,  standen  sie,  so  lange  Spanien  noch  nicht  mit  Deutschland 


§  6.    Veränderungen  im  Anwerbewesen.  15' 

vereinigt  war,  den  habsburgischen  Herrschern  noch  nicht  unbedingt 
zur  Verfügung.  Da  aber  anderseits  ein  vollständiges  staatliches  Lizenzen- 
system wie  in  der  Eidgenossenschaft  außerhalb  der  Erblande  undurch- 
führbar war,  so  half  sich  die  habsburgische  Regierung  mit  verschiedenen 
Kompromissen :  Es  wurde  etwa  verboten,  daß  Deutsche  gegen  den  Kaiser 
oder  das  Reich  dienen  dürften  (Zirkularschreiben  des  Kaisers  vom 
14.  August  1507  bei  Janßen,  »Frankfurts  Reichskorrespondenz«  II,  2, 
741;  vgl.  auch  S.  738)  oder  der  Kaiser  rief  wenigstens  Landsknechte, 
die  dem  Feinde  dienten,  offiziell  zurück  (1512;  vgl.  Ulmann,  »Kaiser 
Maximilian«  11,  448). 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  auszuführen,  inwieweit  diese  beschränkte 
Lizenzenpolitik  der  habsburgischen  Kaiser  Erfolg  gehabt  und  auf  die 
militärischen  Ereignisse  Einfluß  ausgeübt  hat.  Es  kann  in  diesem 
Zusammenhange  nur  darauf  ankommen,  die  prinzipielle  Stellung  der 
Regierungen  zu  der  Anwerbung  von  Untertanen  zu  charakterisieren. 
Das  Vorgehen  der  Habsburger  steht  in  dieser  Beziehung  nicht  ver- 
einzelt da.  Speziell  das  Zurückrufen  von  Landeskindern,  die  unter 
feindlichen  Fahnen  dienten,  war  wohl  in  allen  Staaten  Regel,  die  über- 
haupt Söldner  an  das  Ausland  abgaben,  selbst  wenn  diese  keine  Qualitäts- 
truppe bildeten.  So  hat  z.  B.  Venedig  1499  seine  Stradioten  aus  dem 
mailändischen  Dienste  zurückbeordert,  als  es  sich  zum  Kriege  gegen 
den  Nachbarstaat  rüstete  (Sanuto,  »Diarien«  II,  652)  und  ebenso  rief 
im  Jahre  1509  die  mailändische  Regierung  ihre  Untertanen  zurück, 
die  sich  in  venezianischen  Diensten  befanden  (L.-G.  Pelissier,  »Docu- 
ments  pour  Vhistoire  de  la  domination  jranQaise  dans  le  Milanais%  1891,. 
p.  197 f.).  Dabei  ist  freilich  zu  beachten,  daß  solche  Fälle  nur  zum  Teil 
die  Infanteriesöldner  betreffen  und  sich  eher  die  Schwächung  der  feind- 
lichen Wehrkraft  überhaupt  zum  Ziele  setzen. 

Falsch  wäre  es,  w^enn  man  aus  dem  Umstände,  daß  solche  Anwerbe- 
verbote sich  immer  nur  zum  Teil  durchführen  ließen,  den  Schluß  ziehen 
wollte,  daß  sie  unwirksam  gewesen  wären.  Die  Akten  der  von  Söldner- 
sperren betroffenen  Mächte  zeigen  nämlich  gerade  das  Gegenteil.  Richtig 
ist  allerdings,  daß  auch  die  strengsten  Strafbestimmungen  nicht  alle 
Söldner  verhinderten,  beim  Feinde  ihres  Landesherrn  Dienste  zu 
nehmen,  wenn  diese  ausreichend  bezahlt  wurden.  Aber  nicht  nur  gelang 
es  den  Regierungen  in  der  Regel,  wenigstens  einen  Teil  ihrer  Unter- 
tanen zurückzuhalten,  sondern  es  waren  auch  beinahe  immer  die  ge- 
ringeren und  schlechter  ausgerüsteten  Leute,  die  Elemente,  die  nichts 
mehr  zu  verlieren  hatten,  die  das  Risiko  der  späteren  Bestrafung  durch 
die  Regierung  auf  sich  nahmen.  Man  beachte  etw^a  die  Stellen  aus 
zeitgenössischen  Schreiben,  die  Gagliardi  im  »Jahrbuch  für  schweizerische 
Geschichte«  39  [1914],  S.  41*  (zum  Jahre  1495)  über  die  geringe  Qualität 
der  schweizerischen  »freien  Knechte«  im  Gegensatz  zu  den  legal  ange- 
worbenen Söldnern  zitiert,  und  bedenke,  daß  es  mit  den  Landsknechten, 
nicht  anders  stand.  Der  venezianische  Gesandte  Marino  Giustiniani 
betont  1535  die  Gefahr,  die  für  Frankreich  in  einer  Einigung  zwischen 


16  Die  Infanterie. 

dem  Kaiser  und  den  deutschen  Fürsten  liege:  in  diesem  Falle  könnte 
die  französische  Regierung  nur  noch  wenturieri«  {=  aventuriers,  die 
französische  Bezeichnung  für  die  »freien  Knechte«  oder  Reisläufer) 
erhalten,  keine  »janterie  huone  germanea  mehr  (N.  Tommaseo,  )>Re- 
lations  des  Ambassadeurs  venitiens«  I  [1838],  54).  Noch  wichtiger  war 
vielleicht,  daß  im  Falle  eines  Verbotes,  selbst  wenn  genügend  Söldner 
»zuliefen«,  das  Anwerben  von  Hauptleuten  außerordentlich  erschwert 
zu  sein  pflegte.  Nicht  nur  war  die  Sperre  gegen  die  Unternehmer  leichter 
durchzuführen  und  legten  die  Regierungen  auf  deren  Zurückhaltung 
größeres  Gewicht,  sondern  das  Ausbleiben  guter  Führer  hatte  mili- 
tärisch natürlich  viel  bedenklichere  Folgen  als  ein  Mangel  an  tüchtigen 
und  gut  bewehrten  Söldnern.  Es  kam  daher  häufig  vor,  daß  wenn  ein 
Anwerbeverbot  übertreten  wurde,  nur  die  Hauptleute  oder  diese  doch 
besonders  streng  bestraft  wurden;  auch  die  Grenzsperre  scheint  mehr- 
fach gegen  die  Hauptleute  strenger  durchgeführt  worden  zu  sein  als 
gegen  die  gemeinen  Soldaten  (vgl.  Sanuto,  »Diarien«  II,  68;  1498). 
Die  finanziell  stark  engagierten  Hauptleute  anderseits  setzten  viel  mehr 
aufs  Spiel  als  die  Söldner,  die  vielfach  als  einziges  Kapital  über  eine 
Rüstung  verfügten,  wenn   sie  dem  Verbote  ihrer   Regierung  trotzten. 

Literatur  und  einzelne  Belege.  Zu  §  5  (die  neue  Infanterietaktik): 
Das  wichtigste  \'\erk  ist  Martin  Neil,  »Die  Landsknechte.  Entstehung  der  ersten 
deutschen  Infanterie«,  1914,  auf  das  als  auf  das  neueste  zugleich  auch  für  die  ge- 
samte weitere  Literatur  verwiesen  sei.  Aus  dieser  sei  hier  wegen  seines  reichen 
Materials  nur  das  ebenfalls  aus  der  Schule  Delbrücks  hervorgegangene  zweibändige 
Werk  von  Martin  Hobohm  »Machiavellis  Renaissance  der  Kriegskunst«,  1913, 
genannt,  dessen  einzelne  Angaben  freihch  sorgfältig  nachgeprüft  werden  müssen. 

Was  die  Belege  für  die  im  Text  geäußerten  Ansichten  betrifft,  so  kann  es 
sich  hier  wie  anderwärts  nur  um  Proben  handeln.  Eine  Aufzählung  auch  nur  der 
wichtigsten  Beweisstellen  würde  den  Umfang  des  Handbuches  weit  überschreiten, 
zumal  da  den  meisten  Zitaten  ein  Kommentar  beigegeben  werden  müßte.  Auch  ist 
in  manchen  Fällen  das  Schweigen  der  Texte  ebenso  beredt  wie  eine  direkte  Angabe 
und  solche  Stellen  anzuführen  würde  den  Raum  erst  recht  ungebührlich  in  Anspruch 
nehmen.  Dies  Verfahren  mußte  auch  in  den  Abschnitten  angewandt  werden,  wo 
eine  Spezialliteratur  fehlt  und  dem  Verfasser  daher  eigentlich  die  Pflicht  einer 
eingehenden  Beweisführung  obgelegen  hätte. 

Auf  den  in  §  5  behandelten  Gegenstand  trifft  das  zuletzt  Gesagte  übrigens  nur 
zum  kleinsten  Teile  zu,  wie  aus  den  Literaturverzeichnissen  der  beiden  genannten 
Darstellungen  hervorgeht.  Zu  dem,  was  in  den  Abschnitten  über  die  einzelnen 
Länder  (Spanien,  die  Eidgenossenschaft  usw.)  über  die  Bedeutung  der  neuen  In- 
fanterietaktik bemerkt  werden  ^vird,  sei  daher  nur  hinzugefügt,  daß  noch  weit  über 
die  beiden  ersten  Jahrzehnte  der  Periode  hinaus  in  dem  militärischen  Kalkül  ein 
scharfer  Unterschied  z^vischen  den  modern  ausgebildeten  Infanterietruppen  und 
den  Söldnern  der  alten  Schule  gemacht  wurde.  In  dem  Projekte,  das  1517  von 
der  päpstlichen  Regierung  zum  Zwecke  einer  gemeinsamen  Bekämpfung  der  Türken 
durch  die  christlichen  Staaten  ausgearbeitet  wurde,  heißt  es  z.  B.  ausdrückUch, 
die  Infanteristen  dürften  nur  aus  Nationen  genommen  werden,  »quae  maxime  huic 
militiae  pedestri  et  ordinibus  servandis  Student«,  nämlich  den  Schweizern,  Deutschen, 
Spaniern  und  Böhmen  (Charriere,  »Aegociations  de  la  France  dans  le  Levant«.  I  [1840], 
36).  Und  Varchi  erzählt  in  seiner  »Storia  fiorentina«  II,  18,  zum  Jahre  1526,  Giovanni 
de'Medici  habe  beim  Herannahen  Frundsbergs  darauf  hinge"\viesen,  die  italienischen 
Söldner  (f anter ie)  seien  den  Landsknechten  nicht  gewachsen,   »per  lo  non  essere 


§  7.    Die  schwere  Reiterei.  17 

esse  disciplinate  ne  use  a  servare  gli  ordini«,  eine  Stelle,  bei  der  es  nicht  darauf  an- 
kommt, ob  sie  wirkhch  auf  Giovanni  de'Medici  zurückgeht  oder  erst  von  Varchi 
formuliert  worden  ist. 

Zu  §  6  (Veränderungen  im  Anwerbewesen):  An  Literatur  über  diesen 
Gegenstand  fehlt  es  so  gut  wie  ganz.  Sogar  die  Arbeiten  zur  Geschichte  der  Schweiz 
widmen  ihm  nur  ungenügend  Aufmerksamkeit.  Trotzdem  muß  aus  den  angegebenen 
Gründen  hier  auf  eine  detaillierte  Begründung  verzichtet  werden;  für  manche 
Einzelheiten  kann  allerdings  auf  die  Abschnitte  über  die  Eidgenossenschaft  und  die 
Habsburger  verwiesen  werden.    Einiges  ist  übrigens  bereits  im  Texte  angeführt. 

Für  den  außergewöhnlichen  Charakter  des  schweizerischen  Lizenzensystems 
ist  charakteristisch,  daß  es  noch  im  Jahre  1558  ein  Venezianer  in  einer  Relation 
aus  Frankreich  ausführlich  glaubt  darstellen  zu  müssen  (Alberi,  »Relazioni«  I,  2,  416). 
In  dem  dann  schheßhch  von  der  französischen  Regierung  nicht  ratifizierten  Frieden 
von  Dijon  (1513)  wurde  dem  König  von  Frankreich  die  Verpflichtung  auferlegt, 
keine  eidgenössischen  »Knechte«  ohne  Wissen  und  Wilhm  der  .schweizerischen 
Orte  oder  deren  Mehrheit  in  Sold  zu  nehmen  (»Eidgenössische  Abschiede«  III,  2 
[1869],  1360). 

Über  die  relative  Wirksamkeit  der  Anwerbeverbote  sogar  in  Deutschland 
(wo  die  Reichsexekutive  in  dieser  Beziehung  doch  noch  weniger  leistete  als  die 
ausführende  Gewalt  der  schweizerischen  Regierungen)  vgl.  etwa  wie  ein  guter  italieni- 
scher Kenner,  nämUch  Vettori,  im  Jahre  1513  die  Folgen  des  kaiserlichen  Verbotes 
nicht  gering  anschlug  ( Schreiben  an  Machiavelli,  »Lettere  familiari  di  N.  Machiavelli«, 
ed.  Alvisi  [1883],  p.  286).  Auch  als  Kaiser  Karl  V.  1547  das  im  Texte  erwähnte 
Dekret  gegen  die  freie  Anwei-bung  im  Auslande  erließ,  glaubte  zwai-  der  englisoJie 
Gesandte  in  Paris  nicht  an  eine  große  Wirkung  {»Calendar  of  State  Papers,  Foreign 
Series,  of  the  reign  of  Edward  VI«,  ed.  Turnbull  [1861],  nr.  70,  p.  15,  1548);  aber  die 
französischen  Gesandten  äußerten  doch  lebhafte  Befürchtungen  für  den  Fall,  daß 
der  Kaiser  den  Durchzug  für  Söldner  durch  die  Reiclisstädte  im  Elsaß  sperren  sollte 
(P.  de  Vaissiere,  ^•»Charles  de  Marillac«,  1896,  p.  75),  und  als  die  enghsche  Regierung 
damals  deutsche  Söldner  begehrte,  hielt  sie  es  doch  für  besser,  sich  an  den  Kaiser 
um  Erlaubnis  zu  wenden  [Calendnr,  ibid.  nr.  100  und  118;  1548/49).  Die  Folge  des 
neu  in  Deutschland  eingeführten  Lizenzensystems  war  dann  natürlich,  daß  Frank- 
reich die  kaiserhche  Regierung  für  die  engUschen  Werbungen  haftbar  machte  (Vais- 
siere, ibid.  p.  91).  —  Zwischen  der  Weigerung,  Werbungen  für  einen  auswärtigen 
Staat  zu  gestatten,  und  dem  Verbot  an  die  Untertanen  sich  anwerben  zu  lassen, 
wurde  noch  lange  ein  deutlicher  Unterschied  gemacht,  und  zwar  wurde  dabei  etwa 
die  bloße  Weigerung  als  eine  praktisch  unwirksame  Maßregel  bezeichnet.  Noch 
1604  lehnte  es  König  Jakob  I.  von  England  ab,  seinen  Untertanen  den  Dienst  in 
einer  feindhchen  Armee  zu  verbieten;  er  versprach  der  spanischen  Regierung  nur, 
die  Anwerbung  von  Truppen  in  seinem  Gebiete  nicht  zu  dulden,  »//ts  Majestyn, 
schrieb  bei  diesem  Anlaß  sein  Staatssekretär  Cecil  an  den  enghschen  Ge.sandten  in 
Brüssel,  »proniised  neither  to  punish  nor  to  stay,  but  only  that  he  will  not  consent  — 
a  Word  of  whicli  you  know  the  latiiude  as  well  as  I«  (zitiert  bei  S.  R.  Gardiner,  )'>History 
of  England  from  the  Accession  of  James  I«,  I,  210   =   eh.  V). 

b)   Die  Kavallerie. 

§  ?.  Die  schwere  Reiterei.  Die  moderii  geschulte  Infanterie,  die 
»schweizerische  Ordnung«,  hatte  vor  dem  Fußvolk  der  älteren  Zeit 
vor  allem  den  Vorzug  voraus,  daß  sie,  wenn  in  geschlossener  Formation, 
angreifender  schwerer  Reiterei  standzuhalten  vermochte.  Noch  bestand 
die  Möglichkeit,  daß  der  Ausgang  einer  Feldschlacht  durch  die  Inter- 
vention bepanzerter  Reiterscharen  in  bestimmten  Momenten  modifiziert 
werden  konnte;  die  letzte  Entscheidung  lag  aber  nicht  mehr  bei  ihr. 

Fueter,  Europ.  Staatensystem.  2 


^3  Die  Kavallerie. 

Daraus  ergibt  sieh  ohne  weiteres,  daß  die  Länder  und  Armeen^ 
deren  Stärke  in  der  Hauptsache  auf  den  Reisigen  [gens  d'armes]  be- 
ruhte, in  den  internationalen  KonfUkten  soweit  in  Nachteil  gerieten 
als  Feldzüge  überhaupt  durch  den  Ausgang  der  Schlachten  (und  nicht 
durch  den  Verlauf  von  Belagerungen,  Marineaktionen,  wirtschaftliche 
Machtverhältnisse  usw.)  entschieden  wurden,  oder,  insofern  es  ihnen 
nicht  gelang,  den  Mangel  an  leistungsfähigen  einheimischen  Infanteristen 
durch  Anwerbung  fremder  Söldner  auszugleichen.  Solche  Staaten  er- 
litten daher,  wenn  sie  nicht  über  ein  modern  ausgebildetes  Fußvolk 
verfügten,  in  doppelter  Beziehung  Schaden:  nicht  nur  war  ihre  In- 
fanterie der  betreffenden  feindlichen  Waffe  nicht  gewachsen,  sondern 
sie  konnten  ihr  ehemals  wirksamstes  Kampfmittel  nicht  so  zur  Geltung 
bringen  wie  es  in  der  Periode  vor  dem  Aufkommen  der  schweizerischen 
Taktik  möglich  gewesen  war. 

Diese  Wandlung  hatte  sich  übrigens  bereits  vor  dem  im  folgenden 
behandelten  Zeitraum  vollzogen.  Die  ausschlaggebende  Bedeutung  der 
neuen  Infanterie  und  ihre  Überlegenheit  über  die  Reisigen  stand  seit 
den  siebziger  Jahren  des  15.  Jahrhunderts  wohl  schon  allgemein  fest 
und  diese  Erkenntnis  ist  in  den  darauffolgenden  Jahrzehnten  den 
militärischen  Fachleuten  zwar  vielleicht  immer  deutlicher  bewußt  ge- 
worden; in  der  Hauptsache  aber  bestand  kein  Zweifel  mehr  und  bereits 
die  französische  Expedition  im  Jahre  1494,  die  die  Kriegsgeschichte 
der  Periode  eröffnet,  ist  auf  der  Verwendung  schweizerischer  Söldner 
aufgebaut  worden.  Man  kann  nicht  einmal  behaupten,  daß  in  der  rela- 
tiven Schätzung  der  schweren  Reiterei  eine  Änderung  eingetreten  wäre. 
Die  Reisigen  verloren  zwar  vor  und  zu  Beginn  der  Periode  definitiv 
ihre  einstige  präponderierende  Stellung  und  Infanterie,  leichte  Reiterei 
und  Artillerie  gewannen  dafür  an  Bedeutung;  aber  den  Platz,  den  sie 
damals  einnahm,  behauptete  sie  ungeschmälert  bis  zum  Ende  des 
Zeitraums.  Einen  Feldzug  wenigstens  unter  den  Armeen  der  Groß- 
staaten ohne  Reisige  anszuf echten,  wäre  undenkbar  gewesen  und  es 
scheint  nicht  einmal,  daß  das  Zahlenverhältnis  unter  den  Waffengattun- 
gen während  der  Periode  weiter  zuungunsten  der  schweren  Reiterei 
verändert  worden  wäre. 

Obwohl  im  einzelnen  nicht  nachweisbar,  dürfte  dabei  außer  Zweifel 
stehen,  daß  diese  Verschiebung  in  der  Bedeutung  der  Waffengattungen 
auch  auf  die  innere  politische  Organisation  der  europäischen  Staaten 
einen  Einfluß  ausgeübt  hat.  Wenn  damals  in  all  den  Staaten,  die 
überhaupt  an  den  großen  internationalen  Kriegen  teilzunehmen  ver- 
mochten, die  Regierungen  die  politische  Macht  des  hohen  Adels  schwäch- 
ten und  auf  die  Interessen  des  Bürgertums  in  höherem  Maße  Rücksicht 
nahmen  als  früher,  so  ist  diese  Haltung  wohl  sicher  dadurch  erleichtert 
worden,  daß  in  den  Schlachten  nicht  mehr  die  aus  dem  Adel  zu  rekrutie- 
renden Reisigenscharen  sondern  die  jedem  finanzkräftigen  Herrscher 
zur  Verfügung  stehenden  Infanteristensöldner  die  letzte  Entscheidung 
hatten.    Eine  zuverlässige  einheimische  schwere   Reiterei  stellte   zwar 


§  8.    Die  leichte  Reiterei.  1<) 

immer  noch  ein  wertvolles  militärisches  Objekt  dar;  aber  ihr  Besitz  war 
nicht  mehr  unentbehrlich.  Völker,  wie  die  Schweizer,  waren  dmxli 
ihren  Mangel  an  schwerer  Reiterei  in  ihren  militärischen  Operationen 
wohl  geniert  aber  immerhin  nicht  ganz  lahmgelegt;  mit  Reisigen  allein 
war  dagegen  überhaupt  nichts  auszurichten. 

Literatur.  Vgl.  M.  Ilobohm,  »Machiavellis  Renaissance  dci'  Kriegskunst«  11 
(1913),  475 ff.,  und  daneben  die  im  zweiten  Teile  angeführten  Monographien  anderer 
Schüler  H.  Delbrücks  über  einzelne  Schlachten  der  Periode. 

§  8.  Die  leichte  Reiterei.  Auch  in  der  Bedeutung  der  leichten  Reiterei 
hat  sich  während  der  hier  behandelten  Periode  nichts  geändert;  wohl 
aber  trat  auch  für  sie  in  den  ersten  Jahren  eine  Wandlung  ein,  die  im 
Vergleich  zu  früheren  Zeiten  eine  neue  Epoche  schuf. 

Zwei  Umstände  scheinen  hauptsächlich  den  Werl  (\i'v  hichtcn 
Kavallerie  erhöht  zu  haben. 

Der  eine  besteht  in  dem  veränderten  Charakter  der  Feldzüge. 
Die  neuen  Kriege  unter  den  Großstaaten  und  der  Kampf  um  Italien 
hatten  den  Schauplatz  der  Operationen,  der  Märsche  und  Gegenmärsche 
außerordentlich  vergrößert;  damit  hatte  die  eigentliche  Funktion  der 
leichten  Reiterei,  das  Four agieren,  die  Störung  feindlicher  Truppen- 
bewegungen, die  Aufklärung  usw.  wohl  wesentlich  an  Bedeutung  ge- 
wonnen. Auch  die  stärkere  Ausnutzung  der  Artillerie  in  den  Feld- 
schlachten scheint  die  ^Vichtigkeit  der  leichten  Reiterei  erhöht  zu 
haben:  während  leichte  Reiter  in  der  Schlacht  kaum  gegen  schwere 
Kavallerie  oder  modern  geschultes  Fußvolk  aufkam,  waren  sie  die 
gegebene  Waffe,  um  das  Geschütz  während  der  Schlacht  zu  über- 
rennen oder  zu  decken. 

Klarer  liegt  der  Kausalzusammenhang  bei  dem  zweiten  Umstände. 
Bei  diesem  läßt  sich  deutlich  nachweisen,  daß  die  veränderten  allgemeinen 
Verhältnisse  auch  die  Stellung  der  leichton  Reiterei  gehoben  haben. 
Der  europäische  Kampf  um  Italien  brachte  nämlich  Spezialtruppen, 
die  bisher  nur  innerhalb  eines  beschränkten  Gebietes  verwendet  worden 
waren,  mit  den  Armeen  aller  Staaten  in  Berührung.  Der  Vorgang  hat 
genaue  Analogien  mit  der  Ausbreitung  der  schweizerischen  Taktik  über 
Europa.  Wie  erst  die  italienischen  Kriege  die  spanische  Regierung  dazu 
nötigten,  die  schweizerische  Methode  systematisch  bei  ihren  Söldnern 
einzuführen,  so  haben  auch  erst  die  Kämpfe  in  Italien  dazu  den  Anstoß 
gegeben,  daß  die  venezianisch-albanesischen  Stradioten  und  die  spani- 
schen »Ginetes«  Großstaaten  außerhalb  Italiens  und  Spaniens  wie 
Frankreich  zur  Einstellung  einer  ähnlichen  Truppengattung  anregten. 

Beide  Truppengattungen  w^aren  durch  den  Kampf  christlicher  mit 
mohammedanischen  Staaten  hervorgerufen  worden.  Sowohl  die  Türken 
wie  die  Araber  von  Granada  zeichneten  sich  durch  eine  leistungsfähige 
leichte  Reiterei  aus,  und  die  Venezianer  und  Spanier  waren  daher  ge- 
zwungen, etwas  Ähnliches  zu  schaffen.  Dies  war  denn  auch  erfolgt ; 
die  venezianische  Regierung  hatte  ihre  Stradioten,  die  spanische  ihre 
»ginetes«  gebildet. 


20  Artilleriewesen. 

Die  Truppen  erwiesen  sich  aber  auch  in  den  Kämpfen  mit  den 
Armeen  christUcher  Staaten  als  wertvoll.  Schon  der  Verlauf  der  ersten 
französischen  Expedition  nach  Italien  zeigte  dies  deutlich  und  von 
damals  an  fand  die  neue  leichte  Reiterei  in  die  Armeen  aller  großen 
Militärstaaten  Einlaß.  Direkt  übernommen  wurden  dabei  allerdings 
wohl  nur  Stradioten  und  kaum  je  Ginetes.  Doch  rührte  dies  wohl 
kaum  von  einem  Unterschiede  in  dei'  Qualität  her,  sondern  beruhte  nur 
darauf,  daß  die  spanischen  Soldaten  überhaupt  nur  selten  im  Auslande 
Dienste  nahmen,  während  die  griechisch-albanesischen  Söldner,  aus 
denen  die  Stradiotentruppen  gebildet  wurden,  jeder  Regierung  zur 
Verfügung  standen.  Es  dürfte  hiebei  ein  ähnliches  Verhältnis  bestanden 
haben  wie  bei  der  Anwerbung  von  Schweizern  und  Spaniern:  obwohl 
die  spanischen  Söldner  wenigstens  in  der  späteren  Zeit  den  schweize- 
rischen unzweifelhaft  gleichwertig  waren,  traten  sie  auf  dem  internatio- 
nalen Werbemarkt  doch  stark  zurück,  weil  sie  sich  weniger  leicht  für 
fremde  Dienste  gewinnen  ließen  als  die  Eidgenossen. 

Über  diesen  Analogien  darf  freilich  der  fundamentale  Wertunter- 
schied nicht  übersehen  werden,  der  zwischen  den  beiden  Waffengattungen 
bestand.  Die  leichte  Kavallerie  gewann  zwar  relativ  an  Bedeutung, 
aber  die  Stellung  der  Infanterie  als  der  ausschlaggebenden  Waffe  wurde 
dadurch  nicht  erschüttert.  Daher  fiel  es  für  den  Ausgang  der  inter- 
nationalen Kämpfe  auch  nicht  sosehr  ins  Gewicht,  daß  einzelne  Staaten 
in  größerem  Umfange  über  die  neue  Truppengattung  verfügten  als  andere. 
Aus  diesem  Grunde  kann  auch  hier,  wo  keine  Geschichte  der  militärischen 
Technik  gegeben  werden  soll,  das  Thema  nicht  weiter  behandelt  werden. 

Literatur.     Vgl.  zu  §7. 

c)  Artillerie    und    Befestiguugswesen. 

§  9.  Die  Schießwaffen.  Aus  einem  ähnlichen  Grunde  kann  das 
vorliegende  Werk  auch  nicht  auf  die  Geschichte  des  Schießwesens  ein- 
treten, soweit  die  Handfeuerwaffen  und  das  Bogenschießen  in  Betracht 
kommen.  Denn  unter  den  Großstaaten  bestanden  in  dieser  Beziehung 
keine  prinzipiellen  Unterschiede  und  sogar  die  Türkei,  die  im  Ge- 
brauch der  Feuerwaffen  anfänglich  hinter  anderen  Großmächten  zu- 
rückstand (§  77),  hat  deshalb  in  ihren  Kriegen  keinen  Schaden  gelitten. 
Ähnliches  gilt  von  England,  da  dieses  Land  nicht  direkt  in  den  Kampf 
um  Italien  eingriff. 

Es  kann  daher  hier  nur  kurz  in  Erinnerung  gerufen  werden,  daß 
in  der  im  folgenden  behandelten  Periode  die  Handfeuerwaffen  im  Gefecht 
nur  eine  untergeordnete  Rolle  spielten  und  nicht  einmal  die  alten  Fern- 
waffen (Armbrust  und  Bogen)  ganz  zu  verdrängen  vermochten.  Es  tritt 
dies  schon  aus  der  einen  Tatsache  hervor,  daß  die  Schweizer  als  die 
besten  Infanteristen  der  Zeit  galten,  obwohl  sie  sich  im  Gebrauch  der 
Handbüchsen  keineswegs  auszeichneten. 


§  10.    Artillerie  und  Technik.  21 

§  10.  Artillerie  und  Entwicklung  der  Technik.  Bevor  über  die 
Bedeutung  der  großen  Geschütze  gesprochen  wird,  muß  ein  Gegenstand 
erwähnt  w^erden,  der  für  unser  Thema  von  besonderer  Wichtigkeit  ist, 
nämlich  der  Zusammenhang,  der  zwischen  der  Qualität  der  Artillerie 
und  der  allgemeinen  Entwicklung  der  Technik  in  den  einzelnen  Ländern 
bestand. 

Es  ist  selbstverständlich,  daß  die  Leistungsfähigkeit  der  Waffen- 
fabrikation überall  vom  Stand  der  Handwerkstechnik  und  etwa  noch 
von  der  Existenz  von  Rohmaterialien  abhing  und  daß  Staaten,  die 
in  diesen  beiden  Punkten  hinter  anderen  zurückstanden,  entweder 
militärisch  ins  Hintertreffen  gerieten  oder  auf  unsicheren  Import  aus 
dem  Auslande  (sei  es  von  fertigen  Waffen  oder  von  geschulten  Arbeitern) 
angewiesen  waren.  So  verhielt  es  sich  mit  allen  Waffen  und  zwischen 
der  Herstellung  von  Kanonen  und  der  von  Bogen  oder  Panzern  bestand 
in  dieser  Beziehung  kein  prinzipieller  Unterschied.  Aber  der  praktische 
Unterschied  war  ungeheuer.  Bei  keiner  anderen  Waffe  erzeugte  eine 
auch  nur  geringe  technische  Inferiorität  so  unmittelbare  schlimme  Folgen 
wie  bei  den  großen  Geschützen.  Wenn  gut  geschulte  Infanteristen, 
dank  ihrer  besseren  Ausbildung,  eine  stärker  bewaffnete  gegnerische 
Truppe  nicht  unter  allen  Umständen  zu  fürchten  hatten,  so  entschied 
dagegen,  zumal  bei  der  schweren  Artillerie,  allein  die  Qualität  des 
Geschützes  und  etwa  noch  die  technische  Ausbildung  des  Bedienungs- 
personals. Die  Regierungen,  die  über  eine  überlegene  Artillerie  ver- 
fügten, hatten  daher  vor  anderen,  die  in  dieser  Beziehung  weniger  gut 
ausgerüstet  waren,  einen  Vorteil  voraus,  der  wenigstens  innerhalb  der 
eigentlichen  Domäne  der  schweren  Geschütze,  nämlich  des  Belagerungs- 
krieges {§  11)  durch  keine  technische  Superiorität  auf  anderen  Gebieten 
aufgehoben  werden  konnte. 

Die  Fabrikation  dieser  neuen  schweren  Geschütze  war  nun  aber 
nicht  nur  in  ganz  anderer  Art  als  die  der  alten  an  eine  bestimmte  Stufe 
der  technischen  Entwicklung  gebunden,  sondern  sie  bildete  auch  in 
technisch  hochstehenden  Ländern  immer  noch  eine  Spezialität.  Kanonen 
waren  kein  Artikel,  der  sich  wie  Panzer  und  Spieße  zur  handwerks- 
mäßigen Massenfabrikation  für  den  Lokalgebrauch  eignete,  und  nur  an 
wenigen  Orten  fanden  Büchsenmeister  regelmäßige  Beschäftigung. 
Dazu  waren  sie  in  ihrer  Tätigkeit  durchaus  von  den  Bestellungen  der 
Regierungen  abhängig.  Während  sonst  der  einzelne  Soldat  für  seine 
Waffen  zu  sorgen  hatte,  fiel  die  Bestellung  der  Geschütze  dem  Staate  zu. 

Daraus  ergibt  sich  auf  der  einen  Seite,  daß  die  Einwirkung  einer 
militärisch  starken  und  eine  bewußte  Kriegspolitik  treibenden  Regierung 
sich  auf  keinem  Gebiete  so  unmittelbar  zeigt  wie  auf  dem  des  Geschütz- 
wesens und  auf  der  anderen  Seite,  daß  doch  auch  eine  solche  Regierung 
sich  nicht  ganz  von  den  Bedingungen  der  einheimischen  Technik  zu 
emanzipieren  vermochte;  denn  wenn  sie  schon  taugliche  Arbeiter  aus 
dem  Ausland  heranziehen  konnte,  so  ersetzte  dies  Surrogat  doch  in  der 
Regel  den  eventuellen  Mangel  an  brauchbaren  einheimischen  Arbeits- 


22  Artilleriewesen. 

kräften  nicht  und  vor  allem  fehlten  dann  meistens  auch  J)ei  den  Mit- 
gliedern der  Regierung  die  technischen  Kenntnisse,  um  die  fremden 
Handwerker  richtig  auszulesen  und  zu  verwenden.  Es  ist  dies  in  der 
hier  behandelten  Periode  vor  allem  in  der  Türkei  deutlich  in  die  Er- 
scheinung getreten  (§77). 

Es  ist  daher  auch  den  rivalisierenden  Staaten  nie  möglich  gewesen, 
der  Artillerie  und  dem  Befestigungswesen  des  Landes,  das  zu  Beginn 
der  Periode  die  Überlegenheit  in  dieser  Waffe  hatte  (Frankreich;  vgl. 
§  29),  etwas  ganz  Gleichwertiges  entgegenzusetzen.  Es  sind  zwar  viel- 
fach Bemühungen  dieser  Art  angestellt  worden  (vor  allem  von  dem 
wichtigsten  Konkurrenten  der  französischen  Macht,  der  habsburgischen 
Regierung);  aber  ganz  ist  das  Vorbild  nie  erreicht  worden.  Für  die 
Feldzüge  der  letzten  Jahre  gilt  nicht  weniger  als  für  die  der  ersten, 
daß  etwaige  andere  Mängel  in  der  Ausrüstung  und  Zusammensetzung 
der  französischen  Armeen  durch  die  Superiorität  der  französischen 
Geschütze  wenigstens  zum  Teil  wettgemacht  wurden. 

§  11.  Die  Verwendung  der  Artillerie.  Für  den  Ausgang  der  Feld- 
schlachten fiel  dieser  Qualitätsunterschied  allerdings  kaum  in  Betracht. 
Kanonen  wurden  zwar  in  den  Schlachten  bereits  regelmäßig  verwendet; 
aber  ihre  Bedeutung  war,  verglichen  mit  der  anderer  Waffen,  nur  gering 
und  jedenfalls  nicht  so  groß,  daß  eine  bessere  Schußwirkung  eine  etwaige 
Inferiorität  anderer  Waffen  hätte  aufwiegen  können.  Auch  die  besten 
Geschütze  arbeiteten  noch  viel  zu  langsam,  als  daß  sie  in  den  Ver- 
lauf einer  Schlacht  hätten  in  entscheidender  Weise  eingreifen  können. 

Ganz  anders  lagen  die  Verhältnisse  im  Festungskrieg.  Auch  dort  war 
zwar  der  Nutzen  nicht  für  beide  Parteien  gleich  groß;  der  Angreifer  zog 
aus  einer  überlegenen  Artillerie  einen  viel  beträchtlicheren  Vorteil  als 
der  Verteidiger.  Machiavelli  hat  in  militärischen  Dingen  manches  Urteil 
gewagt,  das  nur  halb  oder  auch  gar  nicht  richtig  ist :  aber  wenn  er  in 
der  »Arte  della  guerra«  (1.  III)  behauptet,  daß  die  Geschütze  in  einer 
großen  Festung  dem  Belagernden  nützlicher  seien  als  der  Besatzung, 
so  steht  dies  nicht  nur  mit  der  damaligen  Entwicklungsstufe  der  artille- 
ristischen Technik  im  Einklang,  sondern  auch  mit  der  Kriegsgeschichte. 
Überlegene  Artillerie  erlaubte  hauptsächlich  die  rasche  Durchführung 
von  Feldzügen  über  weite  Strecken,  weil  die  feindlichen  Städte  oder 
Festungen,  die  ein  Hindernis  des  Vormarsches  bildeten,  schneller  ein- 
genommen werden  konnten,  als  es  dem  Gegner  im  umgekehrten  Falle 
möglich  gewesen  wäre,  vermochte  dagegen  die  Defensivkraft  einer  be- 
lagerten Stadt  nicht  in  demselben  Maße  zu  erhöhen.  Dabei  darf  freilich 
von  dem  Standpunkte  dieses  Werkes  aus,  der  nicht  der  Machivellis  ist, 
nicht  übersehen  werden,  daß  der  Staat,  der  über  eine  überlegene  Artillerie 
verfügte,  trotzdem  sich  auch  im  Falle  einer  Defensive  insofern  in  einer 
günstigeren  Position  befand,  als  die  geringere  Qualität  der  feindlichen 
Geschütze  den  Gegner  nötigte,  auf  Belagerungen  einen  unverhältnis- 
mäßig langen  Zeitraum  zu  verwenden.  Außerdem  liegt  die  Annahme 
nahe  und  ist  auch  gerade  in  der  hier  behandelten  Periode  von  Frank- 


§  12.    Artillerie  und  Marine.  2;} 

reich  bestätigt  worden,  daß  die  Regierung,  die  dem  Geschützwesen 
besondere  Aufmerksamkeit  zuwendet,  nicht  minder  auch  für  die  stete 
Modernisierung  der  Befestigungsanlagen  Sorge  trägt.  Geschah  dies,  so 
hatte  das  Land,  das  im  Fortifikationswesen  die  letzten  Fortschritte 
ausnutzte,  trotz  des  von  Machiavelli  formulierten  Unterschiedes  in  der 
Wirkung  der  Geschütze,  immerhin  den  Vorteil,  daß  die  an  sich  schon 
weniger  leistungsfähige  Artillerie  des  Gegners  es  noch  dazu  mit  besonders 
starken  Verteidigungswerken  zu  tun  hatte. 

Wenn  Artillerie  und  Befestigungswesen  in  einigen  Staaten  technisch 
besser  ausgebildet  waren  als  in  anderen,  so  hing  dies  übrigens  nicht  nur 
von  dem  Willen  der  Regierimg  und  der  Geschicklichkeit  der  Arbeiter  ab, 
sondern  auch  von  den  inneren  politischen  Zuständen.  Da  Kanonen  und 
Fortifikationsanlagen  natürlich  nur  in  den  Städten  stets  den  neuesten 
Anforderungen  entsprechen  mußten,  die  von  feindlichen  Angriffen  be- 
droht waren,  so  konnten  Regierungen,  die  über  gänzlich  pazifizierte 
Länder  herrschten,  ihre  Befestigungsarbeiten  ganz  anders  auf  einige 
wenige,  militärisch  wichtige  Grenzorte  konzentrieren  als  die  Beherrscher 
zurückgebliebener  Länderstriche,  in  denen  es  keine  öffentliche  Sicher- 
heit gab,  jedes  Territorium  und  jede  Stadt  vielmehr  noch  zur  Ab- 
wehrgegen  einen  inneren  Feind  gerüstet  sein  mußte,  in  solchen  war 
die  Summe  der  Defensivkraft  vielleicht  größer  als  in  absoluten 
Monarchien  (vgl.  das  in  §  61  über  Deutschland  Gesagte) ;  aber  sie  war 
verzettelt  und  erreichte  deshalb  im  einzelnen  in  der  Regel  auch  nicht  die 
technische  Vollkommenheit,  die  bei  der  Beschränkung  auf  wenige  Orte 
leichter  zu  erreichen  war.  Das  beste  Beispiel  dafür  liefert  die  Türkei 
(§77).  Obwohl  die  Osmanen  ihre  technische  Rückständigkeit  nie  ganz 
ausgleichen  konnten,  haben  sie  doch  dadurch,  daß  sie,  dank  der  abso- 
luten Sicherheit  im  Innern,  alle  ihre  artilleristischen  und  fortifikatorischen 
Arbeiten  zur  Verteidigung  und  Ausdehnung  der  Landesgrenzen  ver- 
Avandten,  auch  im.  Belagerungskrieg  schließlich  nicht  unbeträchtliche 
Resultate  erzielt. 

Benachteiligt  waren  dagegen  wieder  Staaten,  die  zwar  Sicherheit 
und  Ordnung  im  Innern  hergestellt  hatten,  aber  nur  über  ein  kleines  Areal 
verfügten.  Die  zu  schützende  Grenzzone  war  dort  im  Verhältnis  zum 
ganzen  Gebiet  unverhältnismäßig  groß  und  fiel  bisweilen  mit  dem  Um- 
fang des  Landes  überhaupt  zusammen.  Daher  waren  auch  die  Aus- 
gaben für  das  Befestigungswesen  proportional  viel  höher  als  in  den  i 
Großstaaten.  Es  erklärt  dies  vielleicht,  warum  wenigstens  zu  Beginn 
der  Periode  italienische  Staaten,  wie  Venedig  und  Mailand,  die  im 
übrigen  ihrem  Militärwesen  große  Aufmerksamkeit  zuwandten,  in 
Artillerie    und    Fortifikationen  hinter  Frankreich  zurückstanden. 

§  12.  Artillerie  und  Mariiie.  In  diesem  Zusammenhange  wird  am 
natürlichsten  auch  der  Einfluß  besprochen,  den  die  nach  den  einzelnen 
Ländern  verschiedene  Leistungsfähigkeit  der  Artillerie  auf  die  See- 
macht gehabt  hat. 


24  Marinewesen. 

Der  Gegenstand  steht  zunächst  schon  dadurch  mit  dem  in  den 
beiden  vorangehenden  Paragraphen  behandelten  in  enger  Verbindung, 
als  zwischen  Schiffsgeschützen  und  den  zur  Verteidigung  von  Städten 
verwendeten  Kanonen  noch  kein  Unterschied  gemacht  wurde.  War 
ein  Staat  genötigt,  Handelsschiffe  zu  bewaffnen,  so  pflegten  die  Ge- 
schütze der  festen  Plätze  auf  dem  Lande  requiriert  zu  werden  (vgl. 
E.  Gaullieur,  »LesGascons  et  V artülerie  bordelaise  au  siege  de Fontarabie« 
[1875],  p.  18  ff.).  Das  Land,  das  über  eine  besonders  leistungsfähige 
Artillerie  zu  Lande  verfügte,  war  also,  was  das  Schießwesen  betrifft, 
ohne  weiteres  auch  zur  See  im  Vorteil. 

Die  Ähnlichkeit  zwischen  beiden  Gegenständen  erstreckt  sich  aber 
noch  weiter.  Wie  im  Belagerungskrieg,  so  hatte  auch  im  Seekrieg  eine 
bessere  Qualität  der  artilleristischen  Ausrüstung  einen  so  großen  Ein- 
fluß auf  die  Operationen,  daß  überlegene  Geschütze  Mängel  und  Rück- 
ständigkeiten auf  anderen  Gebieten  ausgleichen  oder  wenigstens  in 
ihrer  Wirkung  abschwächen  konnten.  Auch  waren  Staaten,  die  ihre 
Schiffe  mit  besseren  Kanonen  zu  bewaffnen  vermochten,  in  der  Lage,, 
ihre  Hafenanlagen  stärker  zu  befestigen.  Für  dieses  Verhältnis  ist  z.  B. 
der  Fall  Englands  charakteristisch,  das  die  Verteidigungswerke  seiner 
Hafenstädte  ebenso  vernachlässigte  wie  die  moderne  Artillerie  überhaupt. 

Literatur  zu  den  §§9  —  12.  Die  Literatur  versagt  hier  ganz.  Es  gibt 
zwar  Abhandlungen  über  die  Bedeutung  der  Artillerie  im  allgemeinen  (vgl. 
M.  Hobohm,  »Machiavellis  Renaissance  der  Kriegskunst«  II  [1913],  504  ff.  und  die 
dort  zitierte  weitere  Literatur).  Aber  über  die  Qualitätsunterschiede,  die  zwischen 
den  einzelnen  Ländern  bestanden,  ist  meines  Wissens  nie  gehandelt  worden,  ob- 
wohl schon  die  erzählenden  Quellen  wie  Gommines.  Guicciardini  und  zeitgenössische 
Theoretiker  wie  Machiavelli  {»Arte  della  Guerra«,  1.  VIT)  dieses  Thema  oft  genug 
erwähnen,  von  den  diplomatischen  Dokumenten  und  den  Akten  ganz  zu  schweigen. 
Da  eine  Aufzählung  der  vielen  zu  der  obigen  Skizze  benutzten  Belegstellen  nicht 
möglich  ist,  kann  imr  im  allgemeinen  auf  die  Quellenhteratur  verwiesen  werden; 
besonders  reiclüialtig  sind  die  vielseitigen  Diarien  des  Marino  Sanuto.  Manches 
daraus  ist  in  den  folgenden  Abschnitten  angeführt,  wo  über  die  artilleristische 
Ausrüstung  der  einzelnen  Länder  gehandelt  ist. 

2.  Der  Krieg;  zur  See. 

§  13.  Der  Staat  und  die  Marine.  Nur  ganz  selten  ist  außerhalb 
der  Spezialliteratur  dargestellt  worden,  welch  großen  Einfluß  die  Stärke- 
verhältnisse in  der  Marine  auf  den  Ausgang  des  Kampfes  um  Italien 
ausgeübt  haben.  Obwohl  viele  Dokumente  der  Zeit  in  dieser  Beziehung 
eine  deutliche  Sprache  reden,  so  steht  es  doch  immer  noch  so,  daß  die 
historische  Forschung  die  damaligen  militärischen  Vorgänge  mit  den 
Augen  des  gi-oßen  florentinischen  Theoretikers  betrachtete,  der  als 
Angehöriger  eines  keine  Seefahrt  treibenden  Staates  die  Probleme  der 
maritimen  Kriegführung  ausdrücklich  vom  Kreise  seiner  Spekulationen 
ausschloß  (vgl.  seine  '»Arte  della  guerra«  am  Schlüsse).  Machiavellis  durch 
praktische  Bedenken  hervorgerufenes  Schweigen  steht  aber  mit  den 
wirklichen  Verhältnissen  in  keinem  Zusammenhang,   ebensowenig  wie 


§  13.    Der  Staat  und  die  Marine.  25 

die  kriegsgeschichtlichen  Arbeiten  der  preußischen  historischen  Schule, 
die  aus  einer  ähnlichen  Lage  heraus  ebenfalls  starke  Neigung  zeigt, 
die  militärische  Bedeutung  der  Marine  zu  unterschätzen. 

Ein  Milderungsgrund  kann  freilich  für  die  bisher  dominierende 
Betrachtungsweise  angeführt  werden.  Noch  war  in  der  hier  behandelten 
Periode  die  Zeit  nicht  gekommen,  in  der  es  die  an  die  See  grenzenden 
Militärstaaten  ebenso  für  ihre  Pflicht  ansahen,  eine  (Kriegs-)  Flotte 
zu  bauen  und  zu  unterhalten  wie  ein  Landheer.  Noch  war  die  Kriegs- 
marine zu  einem  guten  Teil  nicht  mehr  als  ein  Anhängsel  oder  ein  Teil 
der  privaten  Handelsschiffahrt  und  stand  vielfach  zu  der  Staatsgewalt 
in  einem  lockeren  Verhältnis.  Wenn  je  das  viel  mißbrauchte  Wort  vom 
»Übergangsstadium«  angewendet  werden  muß,  so  ist  es  hier  der*  Fall. 
Die  Voraussetzung  für  eine  starke  Kriegsflotte  ist  noch  die  alte:  d  e 
Existenz  einer  großen  eigenen  Handelsmarine.  Aber  in  immer  weiterem 
Umfange  beginnen  daneben  die  Staaten,  die  keinen  bedeutenden  See- 
verkehr auf  eigenen  Schiffen  haben,  sich  um  die  Gründung  einer  natio- 
nalen Flotte  zu  bemühen,  einer  Flotte,  die  sich  rein  militärische  Ziele 
setzt  und  nicht  mehr  mit  der  Beschützung  der  Handelsschiffahrt  be- 
gnügen soll.  —  Diese  nebeneinander  herlaufenden  Tendenzen  und  das 
unklare  Verhältnis,  in  dem  die  Flottenstärke  eines  Landes  zu  dessen 
staatlicher  Wehrkraft  stand,  erschweren  nun  aber  die  Aufgabe  des 
Forschers,  der  die  pulitisch-militärische  Bedeutung  der  Marine  zur 
damaligen  Zeit  genau  feststellen  will,  außerordentlich,  und  es  ist  daher 
vielleicht  entschuldbar,  wenn  moderne  universalhistorische  Darstel- 
lungen das  Problem  des  Einflusses  der  Marinestreitkräfte  nur  flüchtig 
berühren. 

Bevor  dieses  Problem  aber  besprochen  wird,  soll  versucht  werden, 
das  damalige  Verhältnis  zwischen  Staat  und  Marine  nach  seiner  prinzi- 
piellen Natur  klarzulegen. 

Auszugehen  ist  dabei  von  der  Tatsache,  daß  zwischen  eigentlichen 
Kriegsschiffen  und  Handelsschiffen,  was  die  militärische  Verwendungs- 
möglichkeit betraf,  kaum  ein  Unterschied  bestand.  Der  Staat,  der 
eine  große  Handelsflotte  sein  eigen  nannte,  verfügte  zugleich  auch 
über  die  wichtigste  Voraussetzung  für  eine  Kriegsflotte.  Ein  reger 
Schiffsverkehr  führte  aber  anderseits  auch  von  selbst  zur  Errichtung 
einer  Marine;  denn  die  Sicherheit  der  Handelsschiffahrt  war  nur  durch 
eine  gute  Seepolizei  und  die  eventuelle  Konvoyierung  der  Handels- 
flotte zu  erreichen.  Solche  Vorkehrungen  wurden  nun  wohl  natürlicher- 
weise zu  einem  guten  Teile  unter  Mitwirkung  und  Kontrolle  des  Staates 
durchgeführt ;  aber  sie  gehörten  nicht  eigentlich  in  das  Gebiet  militärischer 
Maßregeln.  Denn  die  zum  Schutze  der  Handelsschiffahrt  gegen  die 
Korsaren  unterhaltene  Marine  hatte  sich  keine  direkt  militärische 
Aufgabe  gestellt;  wenn  ihre  Förderung  durch  den  Staat  überhaupt 
unter  dem  Gesichtspunkt  der  Hebung  der  militärischen  Machtmittel 
aufgefaßt  werden  sollte,  so  könnte  dies  nur  insofern  geschehen,  als  der 
finanzielle   Ertrag,   den   ein   durch    Kriegsschiffe   geschützter    Handels- 


26  Marinewesen. 

"verkehr  abwarf,  von  der  Regierung  zur  Gründung  einer  starken  Wehr- 
macht ausgenutzt  werden  konnte.  Direkte  kriegerische  Ziele  brauchten 
die  Behörden  aber  bei  dieser  Unterstützung  der  Marine  nicht  zu  ver- 
folgen und  am  wenigsten  brauchten  sie  dabei  von  der  Absicht  geleitet 
zu  sein,  sich  an  den  Kriegen  der  europäischen  Großstaaten  mit  ihren 
Streitkräften  zur  See  zu  beteiligen.  Die  Ausbreitung  des  nationalen 
Handelsverkehrs  außerhalb  Europas  und  die  Bemühung  zur  Gewinnung 
von  Stützpunkten  für  den  Handel  in  Asien,  Afrika  ließ  sich  an  sich 
allerdings  kaum  ohne  kriegerische  Aktionen  durchführen;  allein  abge- 
sehen davon,  daß  diese  Ereignisse  nicht  mehr  in  den  Rahmen  des  hier 
behandelten  Gegenstandes  fallen,  so  sind  doch  diese  Konflikte  wesent- 
lich anderer  Art  als  die  Kämpfe  der  Grußstaaten  in  Europa.  Man  braucht 
nur  die  Politik  des  Staates,  der  für  diesen  »unkriegerischen«  Charakter 
der  allermeisten  damaligen  Marinestaaten  typisch  ist,  mit  dem  Vorgehen 
der  Großmächte  zu  vergleichen,  die  den  Streit  um  die  Hegemonie  über 
Italien  ausfochten.  Diese  Seestaaten,  zu  denen  neben  Portugal  vor 
allem  Genua  gehört,  enthielten  wohl  die  Grundlage  für  eine  Marine- 
politik großen  Stils,  und  ihre  Seestreitkräfte  waren  derart,  daß  ihr 
Besitz  zu  einem  guten  Teile  den  Ausgang  der  Rivalitätskämpfe  der 
Großstaaten  bestimmen  konnte.  Aber  ihre  Kriegsflotten  waren  nicht  zu 
diesem  Zwecke  errichtet  worden,  und  diese  Staaten  wären  auch  gar  nicht 
imstande   gewesen,    eine    solche   entscheidende  Rolle    zu    übernehmen. 

Ähnlich  steht  es  mit  den  kleinen  Flotten,  die  zumal  im  Mittel- 
ländischen Meere  auch  von  Staaten,  deren  eigener  Schiffsverkehr  kaum 
nennenswert  war,  zum  Schutze  ihrer  Küsten  gegen  verwüstende  Ein- 
fälle von  der  See  her  unterhalten  wurden.  Auch  diese  Rudimente  einer 
Marine  waren  an  sich  militärisch  sehr  wohl  brauchbar;  aber  ihre  Grün- 
dung erfolgte  nicht  in  der  Absicht  in  militärischen  Operationen  größeren 
Umfanges  sie  verwenden  zu  lassen,  und  außerdem  verbot  schon  ihr 
eigentlicher  Zweck  vielfach  eine  langandauernde  Entfernung  von  ihren 
Stationen.  Natürlich  brauchten  sich  solche  Schiffe  nicht  notwendiger- 
weise rein  defensiv  zu  verhalten;  es  lag  vielmehr  nahe,  daß  sie  auf 
Raids  gegen  das  von  ihnen  zu  schützende  Land  mit  Gegenraids  in  das 
Gebiet  des  Korsaren  antworteten.  Aber  zu  den  Kampfmitteln,  die 
Veränderungen  im  europäischen  Staatensystem  hervorzubringen  ver- 
mochten, können  sie  deswegen  noch  nicht  gerechnet  werden. 

Nun  zeigte  es  sich  aber,  und  zwar,  wie  es  scheint,  vor  allem  im 
Kampfe  um  Italien  und  im  Zusammenhange  mit  den  großen  Entfernungen 
über  die  während  der  allgemein  europäischen  Kriege  Truppen,  Kriegs- 
material und  Lebensmittel  befördert  werden  mußten,  daß  der  Besitz 
einer  Flotte  auch  aus  rein  militärischen  Gründen  große  Wichtigkeit 
besaß.  Die  großen  Militärstaaten,  die  bisher  der  Marine  keine  oder  nur 
geringe  Aufmerksamkeit  zugewandt  hatten,  und  denen  doch  auch  nicht 
eine  prosperierende  nationale  Schiffahrt  das  Mittel  bot,  diese  Lücke 
auszufüllen,  sahen  sich  nun  vor  die  Frage  gestellt,  wie  sie  diesem  Mangel 
abhelfen  wollten. 


§  13.    Der  Staat  und  die  Marine.  27 

Zwei  Wege  standen  offen.  Der  eine  bestand  in  der  direkten  offi- 
ziellen Begünstigung  des  nationalen  Schiffbaus  und  Schi  ff  Verkehrs, 
der  andere,  der  genau  analog  ist  den  Bemühungen  zur  Anwerbung 
ausländischer  Qualitätssöldner,  vor  allem  der  Schweizer  (§6),  lief 
darauf  hinaus,  über  militärisch  schwache  Handelsstaaten,  die  übei- 
eine  hochentwickelte  Marine  verfügten,  die  Oberhand  zu  erhalten  und 
deren  Flotte  in  den  Dienst  eigener  militärischer  Interessen  zu  pressen. 

Beide  Wege  wurden  in  jener  Zeit  eingeschlagen.  Allerdings  in  un- 
gleichem Maße.  Aus  leicht  begreiflichen  Gründen  wurde  nämlich  der 
zweiten  Methode  vor  der  ersten  meistens  der  Vorzug  gegeben.  Die 
Regierungen  verschlossen  sich  allerdings  den  Erwägungen  keineswegs, 
die  für  die  Errichtung  einer  eigenen  Marino  sprachen.  Sie  waren  sich 
dessen  wohl  bewußt,  daß  als  absolut  zuverlässig  nui'  eine  von  ihnen 
selbst  geschaffene  und  unterhaltene  Flotte  gelten  konnte,  und  daß  auch 
ein  stark  fundiertes  Protektoratsverhältnis  niemals  den  festen  Zusam- 
menhang ersetzen  würde,  der  in  Staaten  mit  eigener  Marine,  wie  Venedig, 
zwischen  Regierung  und  Flotte  bestand.  Man  bedenke  nur,  wie  sehr 
noch  Kaiser  Karl  V.  im  Jahre  1548  in  seinem  politischen  Testamente  den 
Thronfolger  glaubte  ermahnen  zu  müssen,  die  Gunst  der  genuesischen 
Republik  nicht  zu  verscherzen  {»Papiers  d'etat  de  Granvelle«  III,  283) 
obwohl  Genua  damals  doch  schon  längst  als  von  Spanien  abhängig  be- 
trachtet werden  mußte.  Und  noch  bezeichnender  ist,  daß  sogar  die 
Staaten,  die  den  zweiten  Weg  einschlugen,  deshalb  durchaus  noch  nicht 
auf  die  Gründung  einer  eigenen  Marine  verzichteten,  sich  also  auf  die 
fremde  angeworbene  Flotte  doch  nicht  ausschließlich  verlassen  wollten, 
ganz  ähnlich  wie  Länder,  die  gleich  Frankreich  ihre  Infanterie  zur 
Hauptsache  aus  dem  Auslande  bezogen,  deshalb  Projekte  zur  Errich- 
tung einer  einheimischen  Miliz  doch  nicht  fahren  ließen. 

Aber  trotz  aller  dieser  Bedenken  konnte  doch  keiner  der  um  Italien 
kämpfenden  Großstaaten  ohne  die  zweite  Methode  auskommen.  Die 
praktischen  Schwierigkeiten,  die  sich  dem  Bau  einer  Flotte  in  einem 
hierfür  nicht  vorgebildeten  Lande  entgegenstellten,  hätten  sich  schließ- 
lich wenigstens  bis  zu  einem  gewissen  Grade  überwinden  lassen,  wie  das 
Beispiel  der  Türkei  zeigt,  die  ihre  Marine  aus  dem  Nichts  schaffen 
mußte  (§78).  Aber  dagegen  fiel  entscheidend  ins  Gewicht,  daß  die 
Ausrüstung  einer  großen  leistungsfähigen  Kriegsflotte  mehr  Zeit  in 
Anspruch  genommen  hätte,  als  sich  mit  den  dringlichen  Forderungen 
der  Kriegführung  vertrug.  In  gut  eingerichteten  Werften,  wie  z.  B. 
in  Genua,  scheinen  zwar  Kriegsschiffe  in  sehr  kurzer  Zeit  gebaut  worden 
zu  sein  (nach  einer  Stelle  bei  M.  Salinas,  »Carlas a  [1903],  p.  479,  von 
1530  scheint  dafür  ein  Monat  genügt  zu  haben).  Aber  erstens  ver- 
fügte ein  Schiffahrtszentrum  wie  Genua  natürlich  über  Einrichtungen, 
die  an  anderen  Orten  erst  hätten  geschaffen  werden  müssen,  und  dann 
war  es  mit  dem  Bau  von  Schiffen  selbstverständlich  nicht  getan,  am 
wenigsten  im  Mittelländischen  Meere,  wo  die  Ruderschiffahrt  domi- 
nierte (§14).    Ohne  ausgebildete  Mannschaft  und  Offiziere  war  nichts 


28  Marinewesen. 

zu  machen,  und  wie  hätte  ein  Staat  solche  Leute  in  größerer  Anzahl 
unter  seinen  Landeskindern  auftreiben  können,  wenn  er  nicht  aus  der 
Reserve  einer  eigenen  Handelsschiffahrt  zu  schöpfen  vermochte  ?  Dazu 
kam,  auch  hier  genau  analog  dem  Verhältnis,  das  zwischen  der  Schweiz 
und  den  umliegenden  Großstaaten  bestand,  die  Erwägung,  daß  die  Re- 
gierung, die  auf  die  Ausnutzung  einer  unschwer  zu  erlangenden  aus- 
ländischen Flottenmacht  verzichtete,  diese  dadurch  ohne  weiteres  dem 
Gegner  auslieferte. 

Ein  Staat  wie  England,  der  von  den  großen  Kämpfen  abseits  stand 
und  sich  zumal  an  der  Mittelmeerpolitik  der  Großmächte  kaum  be- 
teiligte (§84  und  86),  hat  deshalb  wohl  an  dem  zuerst  genannten  Ver- 
fahren festhalten  und  aus  öffentlichen  Mitteln  eine  eigene  Flotte  er- 
richten können;  für  die  Länder,  die  um  die  Hegemonie  über  Italien  strit- 
ten, war  mit  dieser  Methode  allein  nicht  auszukommen.  Sogar  Staaten, 
die  sich  längere  Zeit  gegen  diese  Notwendigkeit  sperrten,  wie  die  Türkei, 
haben  sich  schließlich  doch  dazu  verstehen  müssen,  Kapitulationen 
mit  einer  fremden  Seemacht  abzuschließen  (§§78  und  99). 

§  14.  Ruder-  und  Segelscliiffahrt.  In  vollem  Umfange  treffen  diese 
Bemerkungen  freilich  nur  für  das  Gebiet  des  Mittelländischen  Meeres 
zu;  wenn  sie  trotzdem  ohne  Einschränkung  formuliert  worden  sind, 
so  ist  dies  nur  deshalb  geschehen,  weil  sich  die  großen  Seeaktionen  der 
rivalisierenden  Mächtegruppen  damals  in  der  Hauptsache  im  Mittel- 
meer zutrugen. 

Der  Grund  aber,  warum  diese  Ausführungen  nur  für  das  Mittel- 
meer eigentlich  gelten  können,  ist  ein  Unterschied  technischer  Natur, 
der  zwischen  der  Schiffahrt  in  den  Meeren  des  Nordens  und  der  im  Mittel- 
meerbecken bestand.  Im  Norden  herrschte  durchaus  die  Segelschiffahrt 
vor;  im  Mittelmeer  wurden  die  Schlachten  zur  See  noch  durch  Ruder- 
galeeren entschieden. 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  die  Gründe  zu  erörtern,  die  diese  Ver- 
schiedenheit herbeigeführt  hatten.  Es  kann  hier  nur  bemerkt  werden, 
daß  hauptsächlich  zwei  Hindernisse  der  Verwendung  von  großen  Ruder- 
kriegsschiffen in  der  Nordsee  und  dem  Atlantischen  Ozean  scheinen 
entgegengestanden  zu  haben :  zunächst  ungünstigere  Wind-  und  Wasser- 
verhältnisse, die  das  Manövrieren  erschwerten,  und  dann  die  größeren 
Distanzen,  mit  denen  die  Schiffe  im  Norden  rechnen  mußten.  Der 
zweite  Punkt  ist  ohne  weiteres  verständlich:  da  Ruderschiffe  viel  stärker 
bemannt  waren  als  Segelschiffe,  so  war  es  ausgeschlossen,  sie  für  so  lange 
Zeit  mit  Lebensmitteln  für  die  Mannschaft  zu  versehen  wie  jene,  wie 
denn  ja  auch  die  Unmöglichkeit,  Ruderschiffe  für  die  Fahrt  nach  Amerika 
zu  verproviantieren,  mehr  als  irgendein  anderer  Umstand  scheint  der 
präponderierenden  militärischen  Bedeutung  der  Rudergaleeren  den 
Todesstoß  versetzt  zu  haben.  Der  andere  Punkt  ist  weniger  klar;  Tat- 
sache aber  ist,  daß  die  Ruderschiffahrt  im  Norden  sogar  bei  den  großen 
Militärstaaten  nie  über  vereinzelte  Versuche  herausgekommen  ist,  daß 
große  Marineverbände  wie  die  deutsche  Hanse  sich  ausschließlich  der 


§  14.    Ruder-  und  Segelschiffahrt.  29 

Sogelschil't'alirt  bedienten,  und  daß  ein  Monarch  wie  Heinrich  VIII. 
unbedenklich  einem  französischen  Diplomaten  gegenüber  auf  die  Un- 
brauchbarkeit  der  französischen  Mittelmeergaleeren  im  Norden  hin- 
weisen durfte,  und  zwar  mit  der  Motivierung,  daß  die  rauhere  See  und 
die  plötzlich  auftretenden  Stürme  Galeeren,  die  sich  nicht  in  der  Nähe 
eines  Hafens  befänden,  in  einem  Kriege  mit  England  dem  sicheren 
Untergang  ausliefern  würden  (1546;  Odet  de  Selve,  )>Correspondance 
politique«  [1888],  p.  11 ;  vgl.  auch  die  Aussage  des  Venezianers  G.  Soranzo 
bei  Alberi,   »Relazioni«  I,  2,  419). 

Sei  dem  wie  ihm  wolle,  so  ist  jedenfalls  unbestritten,  daß  zwischen 
der  Kriegsmarine  im  Mittelmeer  und  der  im  Norden  ein  prinzipieller 
Unterschied  bestand,  der  verhinderte,  daß  Flotten  von  einem  Gebiet 
auf  das  andere  ausgewechselt  oder  zur  Ergänzung  lierangezogen  werden 
konnten.  Es  war  zwar  nicht  so,  als  wenn  Segel  auf  den  Kriegsschiffen 
des  Mittelmeeres  nicht  verwendet  worden  wären;  die  Kriegsflotten 
waren  immer  auch  von  Segelschiffen  begleitet  und  auch  die  Ruder- 
galeeren selbst  bedienten  sich  zu  ihren  Fahrten,  soweit  es  der  Wind 
erlaubte,  der  Segel.  Aber  ihre  eigentliche  Stärke,  das  Rammen  feind- 
licher Schiffe,  hing  doch  durchaus  von  der  Rudertechnik  ab  und  so  lange 
diese  Taktik  möglich  war,  waren  sie  ohne  weiteres  den  Segelschiffen 
überlegen,  die  sich  bei  Windstille  einem  solchen  Angriffe  ja  überhaupt 
nicht  hätten  entziehen  können.  Und  ebenso  fehlte  es  unter  den  Schiffen, 
die  in  den  Seekriegen  des  Nordens  verwendet  wurden,  nicht  an  Ruder- 
booten. Aber  diese  hatten  dort  nur  untergeordnete  Bedeutung;  sie 
traten  erst  während  der  Schlacht  in  Aktion  und  man  hat  sie  etwa  mit 
den  modernen  Torpedobooten  verglichen.  Die  Entscheidung  lag  nicht 
bei  ihnen  sondern  bei  den   Geschützen  der   Segelschiffe. 

Daraus  ergaben  sich  nun  für  die  Kriegführung  der  Großstaaten 
zwei  wichtige  Folgen.  Die  erste  ist  bereits  erwähnt  worden  und  ist 
ohne  weiteres  ersichtlich :  sie  bestand  darin,  daß  eine  eventuelle  Schwäche 
auf  dem  einen  Marinekampfgebiet  nicht  durch  Flottenstreitkräfte  aus 
dem  anderen  ausgeglichen  werden  konnte.  Da  mehrere  Großstaaten, 
wie  Frankreich  und  die  habsburgische  Länderunion,  sowohl  am  Mittel- 
ländischen Meere  wie  im  Norden  Küstenstriche  besaßen,  so  war  dieser 
Umstand  von  großer  Bedeutung:  Frankreich  hat  z.  B.  weder  seine 
atlantischen  Schiffe  noch  die  Habsburger  ihre  niederländische  Flotte 
im  Mittelmeer  zu  Kriegszwecken  verwenden  können.  Weniger  deutlich 
ist  die  andere  Konsequenz,  obwohl  sie  noch  mehr  als  die  erste  die  Politik 
der  Großmächte  gegenüber  den  Seestaaten  ( §  13)  letzten  Endes  be- 
stimmt hat.  Diese  bestand  darin,  daß  die  Ruderschiffahrt  in  ganz 
anderer  Weise  als  die  Segelschiffahrt  von  einer  speziell  für  die  See- 
kriegsführung eingeübten  Mannschaft  abhängig  war.  Natürlich  war 
auch  die  Segelschiffahrt  ohne  geübtes  Personal  nicht  zu  treiben;  aber 
es  brauchte  hiezu  keine  anderen  Kenntnisse  als  zur  Handelsschiffahrt 
und  die  Matrosen  jedes  Kauffahrteischiffes  waren  ohne  weiteres  ver- 
wendbar (die   Geschütze  und  ihre  Bedienung  waren  vom  Landkriege 


30  Marinevvesen. 

nicht  verschieden:  §12).  Bei  den  Rudergaieeren  dagegen  lagen  die 
Verhältnisse  ganz  anders.  Die  mit  Segeln  betriebene  Handelsschiffahrt 
zog  kein  Personal  heran,  das  man  im  Kriegsfalle  sofort  als  Ruderer 
einstellen  konnte.  Hier  war  ohne  freiwillige  oder  gezwungene  Ausbildung 
durch  die  Behörden  nicht  auszukommen  und  daher  hatten  die  Staaten, 
die  nicht  nur  über  Schiffe,  sondern  auch  über  eine  geschulte  Mannschaft 
verfügten,  eine  beinahe  monopolartige  Stellung,  die  sich  mit  der  Position 
der  nordischen  Seestaaten  keineswegs  vergleichen  läßt.  Im  Norden 
konnte  ein  Staat  daran  denken,  sich  in  Kriegsfällen  durch  Konfiskation 
der  in  den  einheimischen  Häfen  liegenden  fremden  Schiffe  und  durch 
Anwerbung  beschäftigungsloser  Schiffer  eine  Flotte  zu  bilden  (wie 
damals  die  regelmäßige  Praxis  war);  im  Mittelmeer  reichte  dieses  Ver- 
fahren nicht  aus.  Es  verhielt  sich  nicht  einmal  so,  daß  eine  in  der  Segel- 
schiffahrt erprobte  Mannschaft  besonders  leicht  zum  Dienst  auf  den 
Rudergaleeren  hätte  verwendet  werden  können.  Der  Venezianer 
N.  Tiepolo,  der  wie  alle  seine  Landsleute  sich  in  seinen  Relationen 
niemals  so  präzis  und  sachkundig  ausdrückt  als  wenn  er  von  Dingen  der 
Marine  redet,  hebt  sicherlich  mit  Recht  hervor,  daß  die  gefeierten 
biskaischen  Schiffer  für  die  Galeeren  Kaiser  Karls  V.  trotz  ihrer  Tüchtig- 
keit kaum  in  Betracht  kämen,  weil  sie  »gente  non  molto  alla  cd  governo 
di  tai  legni«  seien  (Alberi,   »Relazioni«  I,  49;  1532). 

Nun  ist  allerdings  bekannt,  daß  gerade  in  der  hier  behandelten 
Periode  auch  die  Großstaaten,  die  bisher  die  Marine  im  Mittelmeer 
vernachlässigt  hatten,  Anstrengungen  machten  um  das  Monopol  der 
Seestaaten  zu  brechen.  So  weiß  man,  daß  vor  allem  Frankreich  im 
Zusammenhange  mit  den  Kriegen  um  Italien  zu  jener  Zeit  damit  begann. 
Galeeren  zu  bauen  und  mit  eigenen  Sträflingen  zu  bemannen  (vgl. 
unten  §30).  Aber  es  scheint,  daß  solche  Sträflinge  frei  angeworbenen 
Ruderern  in  ihrer  Qualität  immer  nachstanden.  In  den  beiden  großen 
Seerepubliken  Italiens  scheinen  zwar  auf  den  Galeeren  neben  Freien 
auch  Sklaven  und  Sträflinge  verwendet  worden  zu  sein;  was  Heyck, 
»Genua  und  seine  Marine«  (1886),  p.  125 f.,  über  die  genuesische  Praxis 
im  13.  Jahrhundert  bemerkt,  gilt  für  das  16.  offenbar  nur  mehr  zum  Teil 
und  auch  in  Venedig  dienten  gelegentlich  Sklaven  auf  Galeeren.  Aber 
sie  bildeten  doch  immerhin  nicht  den  Kern  der  Mannschaft,  so  wenig  in 
Genua  wie  in  Venedig,  und  wenn  Charles  Diehl  »Venise«  (1915),  p.  31, 
meint,  bis  zur  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  hätten  nur  freie  Bürger  auf 
den  Galeeren  des  hl.  Markus  gedient,  so  ist  dies  zwar  nicht  ganz  richtig, 
dürfte  in  der  Hauptsache  aber  trotzdem  zutreffen.  Wenn  dem  aber  so 
war,  so  ergibt  sich  daraus  auch  ohne  weiteres  die  größere  Leistungs- 
fähigkeit der  mit  Freien  bemannten  Galeeren;  denn  die  venezianischen 
und  genuesischen  Kriegsschiffe  waren  den  mit  Sträflingen  oder  Sklaven 
betriebenen  Fahrzeugen  anderer  Staaten  unzweifelhaft  überlegen.  Da- 
mit steht  auch  im  Einklang,  daß  nicht  nur  die  Venezianer  an  ihrem 
System  der  Beschäftigung  Freier  festhielten,  sondern  daß  auch  z.  B. 
Kaiser  Karl,  wenn  immer  möglich,  genuesische  Galeeren  neben  seinen 


§  15.    Bedeutung  Her  Marine.  31 

spaniscliou  einzusLeJlen  suchte,  obwohl  die  Kosten  lui'  ScijJlTe  mit 
freien  Ruderern  höher  waren  als  für  Sträflingsschiffe  (vgl.  den  eben 
zitierten    N.  Tiepolo   bei  Alberi,    ))Relazioni«  I,   44   und   36). 

Wie  viel  dieser,  übrigens  leicht  verständliche  Qualitätsunterschied 
zwischen  freien  und  gezwungenen  Ruderern  in  militärischer  Beziehung 
ausmachte,  ist  nun  freilich  schwer  zu  sagen.  Die  Seeslaaten,  die  ihre 
Galeeren  zu  einem  guten  Teile  mit  Freien  bemannten,  waren  ja  zu- 
gleich auch  diejenigen,  die  überhaupt  über  einen  größeren  Fonds  an 
geübter  Mannschaft  und  übei'  größere  Erfahrung  im  Seekrieg  verfügten. 
Die  Marine  der  Mächte,  die  erst  durch  die  neue  Kriegslage  dazu  genötigt 
wurden,  ihrer  Mittelmeerflotte  ernsthafte  Fürsorge  zuzuwenden,  verlor 
bis  zidetzt  nie  ganz  den  Charakter  der  Improvisation;  ihre  Reserven, 
besonders  an  dem  wichtigsten,  an  geübter  Mannschaft,  waren  immer 
knapp  und  rasch  erschöpft.  Es  trifft  nicht  nur  für  Spanien  zu,  wenn 
Martin  de  Salinas,  der  am  kaiserlichen  Hofe  als  Vertreter  König  Ferdi- 
nands weilte,  im  Jahre  1537  schrieb,  der  Schiffbruch  von  sechs  spanischen 
Galeeren  an  der  Küste  von  Valencia  sei  für  den  Kaiser  ein  sehr  schwerer 
Verlust.  Denn  an  fertigen  Galeeren  {galer as  hechas)  mangle  es  zwar 
nicht;  aber  üo  principal  y  el  todo  es  la  chusma«  (die  Mannschaft)  {»Car- 
las«, 1903,  p.  795;  vgl.  auch  Tiepolo  bei  Albeii  I,  135,  wo  davon  die 
Rede  ist,  daß  der  Kaiser  aus  eigenen  Kräften  weitere  Galeeren  nicht 
bemannen  kann  und  sich  deshalb  an  Genua  wendet).  Daher  hat  keiner 
der  Großstaaten,  die  überhaupt  eine  Marinepolitik  im  Mittelmeer 
trieben,  damals  auf  die  Verwendung  einer  fremden  Seemacht  verzichten 
können,  die  Türkei  ebensowenig  wie   Spanien  odei"  Frankreich. 

§  15.  Die  Bedeutung-  der  Marine.  So  groß  auch  zweifellos  der 
Einfluß  gewesen  ist,  den  die  Marineverhältnisse  auf  die  Geschichte 
des  europäischen  Staatensystems  in  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahr- 
hunderts ausgeübt  haben,  so  schwer  ist  es  doch  genau  festzustellen, 
wie  weit  dieser  Einfluß  sich  im  einzelnen  bemerkbar  gemacht  hat. 

Diese  methodische  Schwierigkeit  läßt  sich  auf  drei  Gründe  zurück- 
führen. Der  erste  und  wichtigste  besteht  darin,  daß  nicht  die  großen 
Aktionen,  die  Seeschlachten  und  selbständigen  Flottenoperationen  den 
Wert  der  Marine  ausmachten,  sondern  daß  deren  Bedeutung  haupt- 
sächlich auf  der  Unterstützung  beruhte,  die  sie  den  Unternehmungen 
zu  Lande  brachte.  Sie  leistete  vor  allem  dadurch  Dienste,  daß  sie  die 
Verbindung  zwischen  weit  entlegenen  oder  zeitenweise  nur  durch  die  See 
verbundenen  Kriegsschauplätzen  herstellte  und  Truppen-,  Munitions- 
und Lebensmitteltransporte  durchführte.  Größere  selbständige  Unter- 
nehmungen, wie  Einfälle  in  feindliches  Gebiet  mit  Truppenlandungen 
nur  mit  Hilfe  einer  Flotte  und  ohne  Mitwirkung  einer  gleichzeitig  zu 
Lande  heranrückenden  Armee  waren  dagegen  ausgeschlossen;  w'as  in 
dieser  Art  versucht  wurde,  erhob  sich  nicht  über  bloße  Raids  ohne  weitere 
militärische  Folgen  oder  höchstens  auf  streng  abgegrenzte  Vorstöße 
gegen  einzelne  Inseln.  Solche  selbständige  Operationen  hätten  wohl 
schon  an  dem  beschränkten  Laderaum  der  damaligen  Schiffe  ein  un- 


32  Marinewesen. 

überwindliches  Hindernis  gefunden.  Der  Venezianer  Mocenigo  rechnet 
im  Jahre  1540,  daß  eine  Galeere  etwa  120  Infanteristen  transportieren 
könnte  (»Venezianische  Depeschen  vom  Kaiserhofe«  I  [1889],  386) 
und  Sahnas  meinte  1536,  der  kaiserUche  Hof  brauche  zur  Rückfahrt 
von  Frankreich  nach  Spanien  mindestens  50  Galeeren  {»Carlas«,  p.  760). 
Bedenkt  man,  daß  es  sich  dabei  in  dem  ersteren  Falle  nur  um  einen 
Teil  der  für  einen  Feldzug  nötigen  Streitkräfte  handelt,  so  wird  man 
leicht  einsehen,  daß  große  selbständige  Unternehmungen  mit  solchen 
Mitteln  nicht  zu  wagen  waren.  Tatsächlich  sind  denn  auch  derartige 
Expeditionen  in  unserer  Zeit  zwar  mehrfach  geplant  worden,  aber  nie 
über  das  Stadium  von  Projekten  hinausgekommen. 

Zum  Teil  hing  dies  allerdings  mit  dem  zweiten  Punkte  zusammen, 
der  das  Problem  erschwert.  Wie  bereits  erwähnt,  waren  gerade  die 
Staaten,  die  als  Herren  über  starke  Flotten  vielleicht  ein  solches  Unter- 
nehmen hätten  versuchen  können,  aus  anderen  Gründen  nicht  in  der 
Lage,  eine  derartige  Operation  in  die  Wege  zu  leiten.  Sie  besaßen  ent- 
weder überhaupt  keine  nennenswerte  Landarmee  wie  Genua  oder  der 
algerische  Seeräuberstaat,  oder  es  waren  ihnen  aus  wirtschaftlichen 
Gründen  die  Hände  gebunden  wie  Venedig  (§§65  und  71).  Daher 
haben  auch  die  mächtigen  Flotten  der  Seestaaten  in  der  Regel  nur  in 
Verbindung  mit  den  Armeen  kontinentaler  Militärstaaten  große  Aktionen 
ausführen  können,  was  natürlich  das  Urteil  über  die  eigentliche  Be- 
deutung der  Marine  erschwert. 

Ähnlicher  Art  ist  der  dritte  Grund.  Er  besteht  darin,  daß  die 
Großstaaten,  die  den  Kampf  um  die  Hegemonie  über  Italien  ausfochten, 
für  die  Kriegführung  zur  See  mangelhaft  ausgerüstet  waren  (§13), 
und  deshalb  ihre  Marinestreitkräfte  nur  zur  Unterstützung  der  Opera- 
tionen zu  Lande  auszunutzen  geneigt  waren.  In  dieser  Beziehung 
scheinen  dann  die  Leistungen  der  Flotte  vielfach  in  eine  Reihe  gestellt 
werden  zu  müssen  mit  der  finanziellen  Vorbereitung  der  Feldzüge, 
den  innerpolitischen  Kompetenzen  der  Regierungen  usw.,  lauter  Dingen, 
die  für  den  Ausgang  von  Feldzügen  von  großer  Bedeutung,  in  ihrer 
Wirksamkeit  aber  schwer  abzuschätzen  sind,  da  sie  nur  selten  als 
eigentlich  unentbehrlich  nachgewiesen  werden   können. 

Trotzdem  aber  darf  man  bei  der  Besprechung  des  Einflusses,  der 
zur  damaligen  Zeit  der  Marine  zukam,  einige  positive  Bemerkungen 
wagen. 

Wenn  die  Unternehmungen  einer  Flotte  allein  in  der  Regel  nicht 
mehr  als  Verwüstungsraids  zur  Folge  hatten  und  keine  Marine  so  stark 
war,  daß  man  mit  ihrer  Hilfe  Staaten,  die  durch  das  Meer  geschützt 
waren,  wie  England  oder  Venedig,  hätte  zu  Leibe  rücken  können,  so 
war  doch  ihre  Tätigkeit  in  Verbindung  mit  einer  Landarmee  gerade  auf 
dem  italienischen  Kriegsschauplatz  öfter  von  ausschlaggebender  Be- 
deutung. Zumal  der  Kampf  um  Neapel,  das  von  Frankreich  oft  nur 
mit  Schwierigkeiten  und  von  Spanien  vielfach  überhaupt  nicht  zu  Lande 
erreicht  werden  konnte,  wurde  zu  einem  guten  Teile  dadurch  bestimmt, 


§  15.    Bedeutung  der  Marine.  3;-j 

welcher  Kriegspartei  der  Weg  zur  See  für  Truppen-  und  Munitions- 
nachschübe und  vor  allem  für  die  Verproviantierung  von  belagerten 
Plätzen  offenstand.  Ähnlich  verhielt  es  sich  mit  Schottland:  obwohl 
das  mehrfach  erörterte  Projekt  eines  Flottenangriffes  auf  England 
aus  den  angeführten  Gründen  nie  ausgeführt  wurde,  so  war  es  doch 
außerordentlich  wichtig,  daß  Frankreich,  dank  seiner  relativ  starken 
Marine  im  Norden,  die  schottischen  Truppen  mit  seinen  Geschützen 
ausrüsten  konnte  (§100).  Dies  sind  natürlich  an  sich  banale  Bemer- 
kungen; aber  sie  mußten  trotzdem  hier  gesagt  werden,  weil  erst  die 
neue,  eigentlich  europäische  Politik  der  Großmächte  (§§1 — 3)  diesem 
Kommunikationsmittel  für  die  Geschichte  des  europäischen  Staaten- 
systems praktische  militärische  Bedeutung  verlieh.  Und  noch  größere 
Wichtigkeit  gewann  die  Marine,  als  das  von  den  Habsburgern  beherrschte 
Länderkonglomerat  sich  unter  Kaiser  Karl  V.  noch  um  Spanien  ver- 
mehrte und  so  ein  Reich  entstand,  das  unter  seinen  Bestandteilen  über- 
haupt nur  zur  See  sicher  verkehren  konnte.  Der  Venezianer  Navagero 
meint  einmal  geradezu,  Kaiser  Karl  hätte  vielleicht  nur  deshalb  seine 
Staaten  in  seinem  Besitz  behalten  können,  w^il  Andrea  Doria  ihm  mit 
seiner  genuesischen  Flotte  die  Verbindung  zwischen  Italien  und  Spanien 
garantiert  hätte  (Alberi,  )>Relazioni«  I,  305;  vgl.  ibid.,  p.  320f. ;  1546). 
In  dieser  Beziehung  war  der  rivalisierende  französische  Groß- 
staat freilich  besser  gestellt.  Doch  war  dies  nicht  der  einzige  Umstand, 
der  die  französische  Regierung  unabhängiger  von  der  Marine  machte 
als  die  habsburgisch-spanische  und  vielleicht  auch  die  mangelhafte 
Fürsorge  der  französischen  Monarchie  für  die  Flotte  erklärt  (§  30). 
Frankreich  gehörte  nämlich  nicht  zu  den  Ländern,  deren  Bodenproduk- 
tion zur  Ernährung  der  Bevölkerung  nicht  mehr  ausreichte  und  durch 
Zufuhr  über  die  See  ergänzt  werden  mußte,  wie  es  in  Spanien  der  Fall 
war  (§  26).  Diese  Abhängigkeit  von  überseeischem  Lebensmittel-  (speziell 
Getreide-)  Import  konnte  natürlich  auch  militärisch  von  großer  Bedeutung 
sein,  insofern  ein  auf  diese  Weise  übervölkertes  Land  durch  eine  über- 
legene feindliche  Flotte,  die  die  Seetransporte  abschnitt,  hätte  aus- 
gehungert werden  können.  Dieser  Fall  konnte  für  Frankreich  nicht 
eintreten. 

Literatur  zu  den  §§  13  —  15.  Es  muß  hier  im  allgemeinen  dieselbe  Be- 
merkung gelten  wie  zu  §  12.  Die  wichtigste  Literatur  bilden  die  Werke  über 
die  Marinegeschichte  einzelner  Länder;  da  diese  weiter  unten  bei  den  Paragraphen 
über  die  betreffenden  Staaten  angeführt  ist,  so  kann  hier  auf  eine  Wiederholung 
verzichtet  werden.  Es  mag  hier  nur  erwähnt  werden,  daß  mit  Rücksicht  auf  die 
präponderierende  Stellung  des  Mittelmeeres  für  unser  Thema  vor  allem  die  Ab- 
handlungen zur  Geschichte  der  Flotten  Venedigs,  Genuas,  der  Türkei,  Spaniens 
und  Frankreichs  in  Betracht  kommen.  Die  deutsche  Spezialliteratur,  die  sich  be- 
greiflicherweise hauptsächlich  mit  der  Schiffahrt  in  den  nördlichen  Meeren  befaßt, 
fällt  deshalb  hier  fast  ganz  außer  Betracht;  es  sei  dies  deshalb  ausdrücklich  bemerkt, 
weil  von  deutscher  Seite  eine  der  wenigen  Abhandlungen  vorliegt,  die  die  Marine- 
stärke verschiedener  Nationen  zu  vergleichen  sucht:  Walter  Vogel,  »Zur  Größe 
der  europäischen  Handelsflotten  im  15.,  16.  und  17.  Jahrhundert«  in  den  »For- 
schungen und  Versuchen  zur  Geschichte  des  Mittelalters  und  der  Neuzeit.  Fest- 
Fueter,  Europ.  Staatensystem.  3 


34  Marinewesen. 

Schrift  für  D.  Schäfer«,  1915,  268 ff.,  auch  hier  werden  nämhch  die  Mittelmeer- 
seestaaten nicht  erwähnt.  Die  beste  resümierende  Darstellung  des  Unterschiedes, 
der  zwischen  dem  Mittelländischen  Meer  und  dem  Norden  damals  bestand,  bei 
Julian  S.  Corbett,  »Drake  and  the  Tudor  Navijv  (1898),  I,  1  —  56  {>^Introduction\ 
the  Naval  Art  in  the  middle  of  the  sixteenth  Century«),  Vgl.  ferner  d'Albertis,  »Le 
Costruzioni  navaii  e  Varte  della  navigazione  al  tempo  di  Crist.  Colonibo«,  1893.  — 
Rudolf  Häpke  »Die  Regierung  Karls  V.  und  der  europäische  Norden«  (1914)  gibt 
p.  78  ff.  die  beste  Übersicht  über  das  Seekriegswesen  in  den  nordischen  Meeren. 

Von  den  Quellen  sind,  wie  bereits  im  Texte  bemerkt,  vor  allem  die  veneziani- 
schen aufschlußreich;  Genua  bietet  sehr  wenig,  da  seine  diplomatische  Hinterlassen- 
schaft neben  der  Venedigs  kaum  in  Betracht  fällt.  Ebenso  wichtig  sind  dabei  die 
fortlaufenden  diplomatischen  Rapporte  (vgl.  die  )A'enezianischen  Depeschen  vom 
Kaiserhof«,  1889 ff.)  wie  die  Relationen.  Die  florentinischen  Abhandlungen  und 
Berichte  versagen  im  allgemeinen  ganz;  eine  Ausnahme  bildet  fast  nur  Guicciardinis 
»Modo  del  governo  veneziano«  (>>Opere  inedite«  X,   402). 

Bei  der  Benutzung  der  Dokumente  darf  nie  vergessen  werden,  daß  der  tech- 
nische Name  für  »bemannen«  »armare«  (lateinisch  oder  italienisch-spanisch)  ist. 
»Ausrüsten«  wurde  mit  »parare«  oder  ähnlich  bezeichnet.  Dieser  Gebrauch,  der 
bereits  im  13.  Jahrhundert  bestand  (Heyck,  »Genua  und  seine  Marine«  [1886], 
S.  129  — 132),  herrschte  auch  noch  im  16.  Jahrhundert  ausschheßlich  vor,  und  obwohl 
die  Feuerwaffen  auch  für  die  Kriegsschiffahrt  immer  größere  Bedeutung  gewannen 
und  während  der  im  folgenden  behandelten  Periode  auf  den  Schiffen  die  alten 
Fernwaffen  immer  mehr  zurückdrängten  (vgl.  z.  B.  M.  Sanuto,  »Diarien«  LVIII,  90; 
1533),  so  verstand  man  doch  unter  der  »Armierung«  einer  Galeere  nie  die  Ausrüstung 
mit  Geschütz.  Reserven  an  Mannschaft  hatten  aber  nur  die  großen  Seestädte; 
als  1539  der  Papst  Schiffe  stellen  mußte,  wandte  er  sich  abwechselnd  an  Genua 
und  Venedig,  um  seine  Fahrzeuge  »bemannen«  (»armare«)  zu  lassen  (»Venezianische 
Depeschen  vom  Kaiserhofe«  I,  296  und  299).  Daher  spricht  der  Venezianer  Con- 
tarini  ausdrücklich  von  dem  Nutzen,  den  die  »galere  arniate«  der  Genuesen  dem 
Kaiser  gegenüber  Frankreich  gebracht  hätten  (1536;  »Fontes  Herum  Ausfriacarum«, 
1870,  p.  9).  1540  meinte  König  Ferdinand,  »per  difetto  de'homini  da  remo«  könnte 
im  laufenden  Jahre  keine  starke  Flotte  gegen  die  Türken  abgeschickt  werden  (»Ve- 
nezianische   Depeschen«  I,  402). 

Was  die  Bauzeit  von  Schiffen  anbetrifft,  so  sei  darauf  verwiesen,  daß  zwei 
Jahre  als  sehr  lang  galten  (vgl.  »Correspondance  politique  de  Castillon  et  Marillac«. 
[1885],  p.  227;  es  handelt  sich  hierbei  übrigens  um  den  Bau  von  Segelschiffen).  Die 
Quellen  enthalten  selten  genaue  Angaben;  sie  erwecken  aber  durchweg  den  Ein- 
druck, daß  wenige  Monate,  wenn  nicht  noch  kürzere  Zeit,  zum  Bau  eines  Schiffes 
genügten. 

D.  Wirtschaftliche  Konfliktstoffe  und  Kampfmittel. 

§  16.  Handelspolitische  Konflikte.  Die  Geschichte  des  europäischen 
Staatensystems  in  der  liier  behandelten  Periode  könnte  für  die  These, 
daß  internationale  Konflikte  in  der  Regel  auf  wirtschaftliche  Ursachen 
zurückzuführen   seien,   nicht   als   Beweis   zitiert  werden. 

Gewiß  standen  Fragen  der  Handelspolitik  im  diplomatischen  Ver- 
kehr einzelner  Staaten  im  Vordergrund  der  Interessen  und  waren  die 
auswärtigen  Beziehungen  verschiedener  Staaten,  z.  B.  der  Niederlande, 
Englands,  Florenz'  zu  einem  guten  Teile  von  kommerziellen  Rücksichten 
bestimmt.  Aber  die  großen  Staaten,  die  im  Kampfe  um  Italien  die 
Führung  hatten,  blieben,  wenigstens  soweit  dieser  Kampf  in  Betracht 
kam,  von  handelspolitischen  Erwägungen  so  gut  wie  ganz  unberührt. 
Solche  Tendenzen  wogen  nur  bei  einem  Teile  der  kleineren  Staaten  vor. 


§  U^.    Handelspolitische  Konflikte.  35 

die,  gezwungen  oder  freiwillig,  keine  imperialistische  oder  Ausdehnungs- 
politik trieben. 

Wenn  das  vorliegende  Buch  daher  darauf  verzichtet,  die  allgemeinen 
Handelsverhältnisse  des  damaligen  Europas  zu  schildern  und  diesem 
Gegenstand  nur  so  weit  Aufmerksamkeit  zuwendet,  als  sich  bei  der 
Charakterisierung  der  Politik  der  einzelnen  Staaten  dazu  die  Notwendig- 
keit ergibt,  so  liegt  dies  in  der  Aufgabe  der  Darstellung  begründet.  Es 
könnte  nun  freilich  eingewendet  werden,  daß  diese  Auffassung  so  eminent 
handelspolitische  Vorgänge  wie  die  Entdeckungsfahrten  nach  Indien 
und  Amerika  außer  Betracht  lasse;  an  diesen  Unternehmungen  sei 
doch  mindestens  einer  der  um  die  Vorherrschaft  über  Italien  kämpfenden 
Großstaaten  direkt  beteiligt  gewesen,  und  ein  anderer  (die  Türkei) 
sei  wenigstens  indirekt  durch  die  neuen  Handelswege  stark  in  Mitleiden- 
schaft gezogen  worden.  Aber  wenn  dies  schon  richtig  ist,  so  hat  dies 
doch  auf  den  Streit  um  Italien  so  gut  wie  keinen  Einfluß  ausgeübt. 
Sowohl  Spanien  wie  die  Türkei  standen  ja  zunächst  nur  in  Gefahr, 
wegen  der  neuen  Handelswege  mit  Portugal  in  einen  kriegerischen 
Konflikt  zu  geraten;  das  portugiesische  Königreich  gehörte  aber  kaum 
mehr  dem  europäischen  politischen  System  an  (§100).  Später  kam  es 
allerdings  wegen  Amerikas  zu  Zusammenstößen  zwischen  Spaniern 
und  Franzosen ;  aber  es  ist  ganz  unwahrscheinlich,  daß  der  Ausgang  des 
italienischen  Krieges  durch  diese  Ereignisse  irgendwie  bestimmt  worden 
wäre.  Auch  im  weiteren  Sinne  kann  aber  nicht  von  einer  Einwirkung 
der  Entdeckungsfahrten  auf  die  europäische  Politik  in  jener  Zeit  ge- 
sprochen werden.  So  gewiß  auch  die  neuen  Handelswege  zur  finanziellen 
Schwächung  der  Türkei  und  Venedigs  beigetragen  haben  und  so  sehr 
sie  dadurch  und  durch  weitere  Folgen  eine  Verschiebung  der  Macht- 
verhältnisse nach  sich  zogen,  so  wenig  kann  doch  bereits  für  die  hier 
behandelte  Periode  von  einer  solchen  Nachwirkung  die  Rede  sein  (vgl. 
§  65).  Eher  wäre  noch  der  Aufschwung  Antwerpens  zu  nennen,  der 
bekanntlich  auf  der  Entdeckung  des  Seeweges  um  Afrika  durch  die 
Portugiesen  beruhte.  Aber  die  Niederlande  waren  schon  vorher  eine  so 
ergiebige  Geldquelle  für  die  Habsburger,  daß  deren  Position  in  der 
internationalen  Politik  durch  dieses  Ereignis  nicht  wesentlich  ver- 
ändert wurde. 

§  17.  Die  Sicherung  der  Zufuhr  von  Lebensmitteln.  Viel  größeren 
Einfluß  als  handelspolitische  Ziele  übte  auf  den  Kampf  um  Italien 
das  Problem  der  sicheren  Versorgung  mit  den  notwendigen  Lebens- 
mitteln aus.  Mehrere  der  an  dem  Konflikt  beteiligten  Staaten  w^aren 
auf  Zufuhr  von  auswärts  angewiesen,  sei  es  aus  Gebieten,  deren  Besitz 
von  der  rivalisierenden  Gruppe  bedroht  wurde  (Spanien  und  Sizilien!), 
sei  es  aus  (feindlichen)  Großstaaten  selbst  (wie  Venedig  auf  die  Türkei 
§  71).  Von  den  Großstaaten  befand  sich  eigentlich  nur  Frankreich  in 
der  günstigen  Lage,  daß  es  für  den  Bezug  der  notwendigsten  Lebens- 
bedürfnisse gänzlich  vom  Auslande  unabhängig  war ;  die  übrigen  waren 
alle,  wenigstens  für  einen  Teil  ihres  Gebietes  (wie  die  habsburgischen 

3* 


36  Handelspolitik. 

Territorien  für  die  Niederlande)  genötigt,  ihre  Bevölkerung,  durch  Zu- 
fuhr aus  dem  Auslande  zu  erhalten,   weil  diese,   sei  es  wegen  zu  ge- 
ringer Ertrags fähigkeit  des  Bodens,  sei  es  wegen  Menschenanhäufungen 
in  industriellen  Betrieben,  aus  der  Produktion  des  eigenen  Landes  nicht 
mehr   ernährt   werden   konnte.      Am   wichtigsten    war  dabei  die  Ver- 
sorgung mit  Getreide  und  den  damaligen  Verkehrsmitteln  entsprechend 
kam   als  Kommunikation   fast    nur   der   Wasserweg   (die  See    und  die 
Flußläufe)  in  Betracht.    Nun  genügte  es  aber  keineswegs,  wenn  ein  Staat 
durch  eine  starke  Flotte  die  sichere  Verbindung  zur  See  garantierte. 
Ebenso  unentbehrlich  war  es,  Gewähr  dafür  zu  haben,  daß  die  Regie- 
rung des  Getreide  im  Überfluß  produzierenden  Landes  die  Lizenz  zur 
Ausfuhr  erteilte.    In  dieser  Beziehung  bestand  nun  aber  so  lange  keine 
Sicherheit,  als  das  kornreiche  Land  nicht  der  unbedingten  Herrschaft 
des  getreidearmen  unterworfen  w^ar.    Denn  die  Erlaubnis  zum  Export 
wurde  durchaus  nicht  nur  auf  Grund  finanzieller  Erw^ägungen  erteilt, 
in  der  Weise  etwa,  daß  ein  kapitalkräftiger  Staat  unbedingt  auf  eine 
Ausfuhrbewilligung   hätte   rechnen    können,   wenn   er   nur   bereit    war, 
in  eventuellen  Mißjahren  exorbitante  Forderungen  der  Verkäufer  anzu- 
nehmen.    Vielmehr   w^urde   die    Erteilung   solcher   Lizenzen   von   allen 
Staaten,  die  überhaupt  an  der  großen  europäischen  Politik  teilnahmen, 
als   politisch-militärisches   Druckmittel   ausgenutzt   und   von   politisch- 
militärischen  Gegenleistungen    abhängig   gemacht.     Die    Kriegführung 
mancher    Großstaaten   ist    dadurch   aufs   stärkste   modifiziert   worden. 
Es  wird  im  zweiten  Abschnitte  im  einzelnen  gezeigt  w^erden,  in  welcher 
Weise  solche  ökonomische  Abhängigkeitsverhältnisse,  in  denen  sich  vor 
allem   Venedig  und   ein   Teil   der   nordafrikanischen    Küste   befanden, 
von  den   Besitzern  getreidereicher  Gegenden  ausgenutzt  w'urden  (vgl. 
speziell  die  §§44  und  71).    Aber  die  diplomatische  Überlegenheit,  die 
die  Kornfelder  des  Balkans,   Südrußlands,   Siziliens  und  des   Kirchen- 
staates den  über  ihren  Überschuß  verfügenden  Regierungen  gegenüber 
einem    Staate   wie   Venedig  verschafften,    war   kein   vereinzelter   Fall. 
AndersW'O  waren  die  Verhältnisse  nicht  so  zugespitzt;  aber  prinzipiell 
stand  es  mit  der  politischen  Verwertung  von  Lizenzen  zur   Getreide- 
ausfuhr nicht  anders.    Es  ist  um  so  mehr  nötig,  auf  diesen  Umstand 
hinzuweisen,  als  auch  die  Wirtschaftsgeschichte  bisher  die  internationale 
staatliche    Getreidepolitik   zugunsten   der   Handelspolitik   ungebührlich 
vernachlässigt  hat.    Wenn  sich  bei  Organisationen  wie  der  deutschen 
Hanse  und  den  Ostseeländern  so  gut  wie  keine  Spuren  einer  solchen 
Lizenzenpolitik  finden,  so  ist  dies  nur  ein  weiteres  Symptom  für  die 
gegenüber   anderen    Staaten   zurückgebliebene    politische    Organisation 
im  Norden  und  Osten  Europas  (vgl.   §100);  es  darf  aber  daraus  nicht 
geschlossen  werden,  daß  die  politisch  führenden  Staaten  und  speziell 
die  um   Italien  kämpfenden   Großmächte  ebenso  vorgingen. 

Das  Getreide  war  nicht  der  einzige  zum  Leben  nötige  Artikel, 
der  auf  diese  Weise  politisch  nutzbar  gemacht  w^urde,  aber  bei  weitem 
der  wichtigste.    Die  Gründe  leuchten  ohne  weiteres  ein;  besonders  zu 


§  18.    Der  Einfluß  von  Betriebsformen.  37 

beachten  ist  die  Scliwierigkeit,  ausreithendo  Mengen  Korns  für  ein 
großes  Land  für  längere  Zeit  aufzuspeichern.  In  dieser  Beziehung  stand 
es  mit  dem  Salz  besser,  obwohl  auch  die  Lieferung  dieses  Produktes 
häufig  genug  in  diplomatischen  Verhandlungen  als  Kompensationsobjekt 
verwendet  wurde.  So  gut  wie  nie  wurde  dagegen  die  Zufuhr  (unentbehr- 
licher) Rohstoffe  aus  politisch-militärischen  Gründen  gesperrt,  eben- 
sowenig wie  die  von  Armeepferden  und  ähnlichem  Kriegsmaterial. 

Resümierend  läßt  sich  sagen,  daß  die  Getreidelizenzenpolitik  in 
zweifacher  Hinsicht  auf  den  Gang  der  militärischen  Aktionen  eingewirkt 
hat:  sie  hat  die  von  ausländischer  Kornzufuhr  abhängigen  Staaten 
entweder  genötigt,  mit  den  exportierenden  Ländern  so  weit  wie  möglich 
gute  Beziehungen  zu  unterhalten,  selbst  um  den  Preis  schwerer  Opfer, 
oder  sie  hat  sie  zur  Eroberung  getreidereicher  Gegenden  veranlaßt, 
d.  h.  unter  Umständen  zur  Expansion  in  einer  Richtung,  die  nicht  inner- 
halb der  normalen  Vergrößerungszone  lag.  Das  klassische  Beispiel  für 
den  ersten  Fall  ist  Venedig  in  seinem  Verhältnis  zur  Türkei,  das  für  den 
zweiten  Spanien  in  seinem  Verhältnis  zu   Sizilien. 

Literatur.  Die  Literatur  läßt  aucli  liier  beinahe  ganz  im  Stich  und  es  kann 
daher  hier  nur  auf  die  im  zweiten  Abschnitt  gegebenen  Ausführungen  über  die 
Wirtschaftsverhältnisse  der  einzelnen  Länder,  speziell  Venedigs,  der  Türkei,  Spaniens, 
der  Niederlande,  Frankreichs  usw.  verwiesen  werden.  Das  Buch  von  W.  Naude, 
»Die  Getreidehandelspolitik  der  europäischen  Staaten  vom  13.  — 18.  .Jahrhundert«, 
1896  (in  den  »Acta  Borussiccm),  versagt  für  die  Mittelmeerländer  in  der  hier  behandel- 
ten Zeit  so  gut  wie  vollständig,  wie  es  überhaupt  fast  nur  da  brauchbar  ist,  wo  es 
fremde  Forschung  resümiert. 

§  18.  Der  Einfluß  ökonomischer  Betriebsformen  auf  die  internatio- 
nale Stellung  der  (ilicder  des  Staatensystems.  1.  Ackerbau  und  Vieh- 
zucht. Seitdem  die  Entscheidung  im  Landkriege  in  immer  größerem 
Umfange  von  der  Infanterie  abhing  (§5),  war  es  für  die  internationale 
Stellung  eines  Staates  von  großer  Bedeutung,  ob  bei  der  landwirt- 
schaftlichen Tätigkeit  der  Bewohner  der  Ackerbau  oder  die  Viehzucht 
dominierte  oder  (anders  ausgedrückt),  welche  von  beiden  Bewirtschaf- 
tungsformen nach  Büdenbeschaffenheit  und  Klima  den  größeren  Er- 
trag versprach. 

Physiologische  und  populationistische  Momente  fielen  dabei  in 
Betracht.  Die  ersteren  bestanden  darin,  daß  die  Viehzucht  als  die 
gesündere  und  vielseitigere  Tätigkeit  die  Fähigkeit  zum  Gebrauch  der 
damaligen  Waffen  (unter  denen  die  Handfeuerwaffen  ja  noch  stark 
zurücktraten)  sehr  viel  mehr  förderte  als  der  körperlich  leicht  defor- 
mierende Ackerbau.  Völker,  die  in  großem  Umfange  Viehzucht  trieben 
und  in  größeren  Teilen  ihres  Gebietes  den  Ackerbau  überhaupt  ver- 
nachlässigten wie  die  Spanier  und  Schweizer,  lieferten  ein  besonders 
gutes  Soldatenmaterial;  ihre  Tj'uppen  waren  leichter  auszubilden  und 
leistungsfähiger. 

Dazu  kam  noch  der  bevölkerungstechnische  Grund.  Di(^  Viehzucht 
braucht    bekanntlich    für    ein    gleichgroßes    Stück   Land    viel   weniger 


38  Handelspolitik. 

Arme  zur  Bewirtschaftung  als  der  Ackerbau.  Länder,  die  sie  vorzugs- 
weise betrieben,  konnten  demnach  eine  größere  Anzahl  Söldner  ab- 
geben als  die  ackerbautreibenden  Staaten,  und  dazu  noch  in  besserer 
Qualität,  da  ein  viel  größerer  Teil  der  Bevölkerung  genötigt  war,  seinen 
Lebensunterhalt  im  Kriegsdienst  zu  suchen,  folglich  sich  auch  tüchtigere 
Elemente  anwerben  ließen  als  in  einem  ackerbautreibenden  Lande. 
Da  nun  damals  die  militärische  Stärke  eines  Staates  zu  der  Be- 
völkerungszahl nicht  in  direktem  Verhältnis  stand,  vielmehr  durch 
die  Menge  der  Söldner  bestimmt  wurde,  die  er  aufstellen  oder  anwerben 
konnte,  so  waren  die  viehzuchttreibenden  Staaten  soweit  in  einer 
besseren  Lage  als  die  anderen:  sie  konnten  entweder  auf  die  Anwerbung 
fremder,  nie  ganz  zuverlässiger  Söldner  überhaupt  verzichten  oder  die 
Abgabe  ihrer  überschüssigen  Söldner  ins  Ausland  zur  Verstärkung  ihrer 
internationalen  Position  ausnutzen.  —  Den  Nachteil  mußten  sie  aller- 
dings dafür  in  den  Kauf  nehmen,  daß  sie  für  die  Ernährung  ihrer  Be- 
völkerung zu   einem   guten  Teile  auf  das  Ausland   angewiesen  waren 

(vgl.   §17). 

2.  Industrie  und  Söldner wesen.  Nur  selten  entsprach  frei- 
lich die  Wirklichkeit  vollständig  dieser  Formel.  Die  Alternative:  ent- 
weder Ackerbau  oder  Viehzucht  und  Söldnerdienst  stellte  sich  in  dieser 
einfachen  Weise  wohl  nur  in  der  Schweiz  und  in  großen  Teilen  Spaniens. 
Für  andere  ebenso  vorzugsweise  viehzuchttreibende  Länder  wie  Holland 
trifft  sie  dagegen  nicht  zu.  Dort  bot  sich,  obwohl  sich  der  Boden  für 
Getreidebau  ebenfalls  wenig  eignet,  eine  andere  Gelegenheit  zum  Er- 
werb nämlich  die  Schiffahrt,  die  zugleich  dann  auch  die  Versorgung  der 
Bevölkerung  mit  den  zu  einem  wesentlichen  Teile  von  auswärts  zu  be- 
ziehenden Lebensmitteln  übernahm.  Daher  war  dort  der  überschüssige 
(d.  h.  aus  der  einheimischen  Produktion  nicht  mehr  zu  ernährende) 
Teil  der  Bevölkerung  nicht  genötigt,  im  Söldnerdienst  Unterkunft  zu 
suchen,  und  es  ist  deshalb  kein  Wunder,  wenn  die  niederdeutschen  Söld- 
ner allgemein  als  weniger  leistungsfähig  galten  denn  die  oberdeutschen. 
Aber  auch  in  Holland  wußte  man,  daß  im  Falle  daß  die  Schiffahrt 
unterbrochen  würde,  sofort  die  Bewohner  sich  in  großer  Anzahl  in  fremde 
Dienste  begeben  müßten;  denn  nur  die  Schiffahrt  helfe  den  schlimmen 
Folgen  der  Übervölkerung  ab  (vgl.  Rudolf  Häpke,  »Niederländische 
Akten  und  Urkunden  zur  Geschichte  der  Hanse«  I  [1913],  35;  Instruk- 
tion Hollands  an  die  Regentin  aus  dem  Jahre  1532).  —  Ähnlich  stand 
es  mit  den  Ländern,  in  denen  ein  ertragreicher  Bergbau  betrieben  wurde. 

Noch  etwas  anders  lagen  die  Verhältnisse  in  dem  Falle,  wo  auch 
Übervölkerung  bestand,  diese  aber  deshalb  nicht  zu  zahlreichem  Ein- 
tritt in  fremde  Dienste  führte,  weil  die  Industrie  (damals  fast  ausnahms- 
los die  Textilfabrikation)  dem  überschüssigen  Volksteile  eine  Erwerbs- 
möglichkeit gewährte.  Denn  in  solchen  Fällen  (für  die  das  übervölkerte 
Flandern  das  Musterbeispiel  bietet)  kann  nicht  einfach  davon  gesprochen 
werden,  daß  der  mangelnde  Bodenertrag  einen  Teil  der  Bevölkerung 
auf  andere  Tätigkeitsgebiete  als  die  Bewirtschaftung  des  Landes  drängte, 


§  18.    Der  Einfluß  von  Betriebsformen.  39 

sondern  es  muß  auch  mit  der  Möglichkeit  gerechnet  werden,  daß  über- 
haupt erst  die  Industrie  eine  übergroße  Menschenansammlung  zur 
Folge  hatte  und  beisammen  erhielt.  Immerhin  war  die  Wirkung  von 
der  eben  geschilderten  nicht  verschieden:  auch  Industriegegenden  waren 
der  Zahl  und  der  Qualität  nach  ein  ungünstiger  Boden  für  Söldner- 
anwerbungen; ihr  Besitz  war  militärisch  wohl  von  großem  \\'ert,  weil 
die  Industrie  die  Mittel  zu  liefern  vermochte  um  fremde  Qualitäts- 
söldner anzuwerben,  eigene  ausgezeichnete  Truppen  wurden  durch 
solche  Gegenden  dagegen  nicht  aufgebracht.  Schließlich  ist  noch  die 
Eventualität  zu  erwähnen,  daß  auch  ein  ackerbautreibendes  Land  in- 
folge starker  Bevölkerungsvermehrung  genötigt  wurde,  überschüssige 
Volkskraft  an  den  Waffendienst  abzugeben.  Dieser  Fall  war  aber 
damals  außerordentlich  selten  und  seine  Möglichkeit  könnte  höchstens 
für  Süddeutschland  angenommen  werden. 

Eine  vollständige  Darstellung  hätte  an  dieser  Stelle  auch  noch  die 
Frage  zu  erörtern,  inwiefern  »Armut«  und  »Unfruchtbarkeit«  eines 
Landes  zu  militärischer  Machtstellung  beitragen  konnten,  indem  ein 
solches  Land  genötigt  worden  wäre,  eine  Industrie  und  damit  die  Mittel 
zur  Finanzierung  von  Kriegen  zu  schaffen.  Aber  eine  solche  Unter- 
suchung würde  über  den  Rahmen  des  Handbuches  hinausgehen  und 
überdies  auch  allzuviele  Ereignisse  berühren,  die  schon  nur  chronologisch 
nicht  mehr  der  hier  behandelten  Periode  angehören.  So  muß  man  es 
denn  hier  mit  dieser  Andeutung  bewenden  lassen. 

Literatur.  Vgl.  die  Anmerkung  zu  §17.  Die  militärische  Bedeutung  des 
Gegensatzes  von  Ackerbau  und  Viehzucht  behandelt  im  allgemeinen  A.  R.  Cowan, 
»Master-Clues  in  World  Historyv,  1914.  —  Das  Problem,  ob  sich  die  tatsächliche 
Bevölkerungsvermehrung  überall  in  ähnlichem  Umfange  vollzog,  d.  h.  ob  eine 
auf  mangelhaften  Bodenertrag  zurückzuführende  ungenügende  Lebenshaltung  nicht 
eine  größere  Sterblichkeit  nach  sich  zog,  kann  nicht  berücksichtigt  werden,  da  für 
jene  Zeit  darüber  keine  statistischen  Daten  vorliegen.  Sicher  steht  nur,  daß  damals 
innerhalb  der  Bevölkerung,  d.  h.  außerhalb  fürstlicher  Familien,  eine  künstliche 
Beschränkung  der  Geburtenzahl  nirgends  nachweisbar  ist. 

Was  hier  und  später  über  die  ver.schiedene  militärische  Brauchbarkeit  ein- 
zelner Nationen  gesagt  wird,  ist  nicht  bloß  ein  Rückschluß  aus  den  Ereignissen, 
sondern  beruht  auf  den  Beobachtungen  zeitgenössischer  Staatsmänner  (vor  allem 
italienischer),  die  zum  Teil  schon  zu  Beginn  der  Periode  gemacht  wurden.  Einzelne 
Nachweise  finden  sich  in  den  betreffenden  Paragraphen  des  zweiten  Abschnittes. 

E.  Der  Einfluß  innerpolitischer  Verhältnisse. 

§  19.    Der  Einfluß  ständischer  Institutionen  auf  die  Finanzpolitik. 

Reichtum  an  Land,  Geld,  Soldaten  und  Schiffen  und  eine  gut 
organisierte  Diplomatie  konnten  ihren  Einfluß  auf  die  Stellung  eines 
Staates  in  der  auswärtigen  Politik  erst  dann  entfalten,  wenn  die  Re- 
gierung über  diese  Hilfsquellen  frei  verfügte.  Die  Frage,  wieweit  eine 
Regierung  die  Mittel  ihres  Landes  für  auswärtige  Politik  auszunutzen 
vermochte,  ist  deshalb  auch  für  die  hier  versuchte  Darstellung  von  großer 
Wichtigkeit.    Ja  sie  ist  für  unser  Thema  sogar  in  besonderem  Maße  be- 


40  Innerpolitische  Verhältnisse. 

deutungsvüll.  Denn  die  führenden  Staaten  jener  Zeit  trieben  allesamt 
eine  Ausdehnungspolitik,  die  keineswegs  als  unvermeidlich  gelten  konnte; 
es  handelte  sich  nicht  darum,  die  Zustimmung  der  Stände  zu  Maß- 
regeln zu  erhalten,  die  offenkundig  nur  die  Verteidigung  der  eigenen 
Existenz  zum  Ziele  hatten,  sondern  es  mußte  die  Bewilligung  von  Steuern 
erlangt  werden,  die  zur  Deckung  der  Kosten  einer  frei  gewählten  und 
mit  den  partikularen  Interessen  der  betreffenden  Provinzen  vielleicht 
durchaus  nicht  harmonierenden  imperialistischen  Politik  dienten.  Es 
kommt  also  nicht  nur  der  augenfällige  Gegensatz  in  Betracht  zwischen 
Staaten,  die  in  ihrer  Organisation  soweit  zurückgeblieben  waren,  daß 
sie  dank  mächtigen  Ständen  und  einer  schwachen  Exekutive  überhaupt 
militärisch  ungenügend  leistungsfähig  waren  (Ungarn,  Polen,  in  gewissem 
Sinne  auch  Deutschland),  und  anderen,  die  eine  von  einer  Stelle  aus 
geleitete  und  wirksame  Verwaltungsmaschinerie  eingerichtet  hatten. 
Sondern  unter  den  letzteren  selbst  bestand  wieder  ein  Unterschied,  daß 
einige  Regierungen  zwar  in  friedlichen  Zeiten  und  solange  ihre  auswärtige 
Politik  nur  defensive  Ziele  verfolgte  und  Angriffe  nur  zum  direkten 
Schutze  des  Landes  (z.  B.  gegen  Korsaren)  unternahm,  als  autokratisch 
gelten  konnten,  die  Mittel  zu  einer  offensiven  Kriegspolitik  dagegen 
erst  von  ihren  Ständen  zugestanden  erhalten  mußten,  während  andere 
in  allen  Fällen  über  die  Hilfsquellen  ihres  Landes  unbeschränkt  dispo- 
nieren konnten. 

Es  braucht  keine  weitere  Ausführung,  um  darzulegen,  daß  die  zuletzt 
genannten  »absolutistischen«  Regierungen,  was  auswärtige  Politik  und 
Kriegführung  betraf,  besser  gestellt  waren  als  die  ständisch  beschränkten. 
Viel  schwieriger  aber  ist  es,  genau  anzugeben,  wieweit  bei  den  letzteren 
im  einzelnen  der  hemmende  Einfluß  der  Stände  reichte.  Denn  dieser 
Einfluß  ist  im  einzelnen  kaum  erkennbar.  Die  Großmacht,  bei  der 
man  am  ehesten  eine  störende  Einwirkung  ständischen  Widerstandes 
nachweisen  könnte,  wäre  zweifellos  das  habsburgische  Reich.  Das  Haus 
Osterreich  besaß  nicht  nur  in  den  meisten  seiner  Besitzungen  (den 
österreichischen  Erblanden,  den  Niederlanden  und  später  noch  den 
spanischen  Reichen)  fest  fundierte  und  regelmäßig  funktionierende 
Ständeversammlungen,  sondern  diese  Stände  vertraten  dazu  ausnahms- 
los nur  einen  ganz  kleinen  Teil  des  habsburgischen  Gebietes,  waren  also 
so  ungünstig  konstituiert  als  möglich,  wenn  es  sich  darum  handelte, 
die  Gesamtinteressen  der  Dynastie  ins  Auge  zu  fassen.  Aus  der  großen 
Korrespondenz  der  habsburgischen  Regenten  wissen  wir  ferner,  daß 
die  finanziellen  Forderungen  der  Dynastie  oft  auf  große  Opposition  bei 
den  Ständen  stießen  und  daß  es  mehrfach  langer  Verhandlungen  be- 
durfte, bis  die  von  der  Regierung  verlangten  Summen  ganz  oder  zum 
Teile  bewilligt  wurden.  Trotzdem  aber  läßt  sich  nicht  nachweisen, 
daß  die  Politik  der  Habsburger  durch  die  Ständegewalt  irgendwie 
wesentlich  modifiziert  worden  wäre.  Obwohl  bei  den  Habsburgern 
so  wenig  wie  bei  einer  anderen  christlichen  Regierung  die  ordentlichen 
Staatseinnahmen  zur  Führung  von  Kriegen  ausreichten  und  sie  daher 


§  19.    Stände  und  Finanzpolitik.  41 

theoretisch  in  ihrer  auswärtigen  Pohtik  von  ihren  Ständen  abhängig 
waren,  gab  es  doch  immer  noch  Finanzquellen  genug,  um  sich,  wenn 
nötig,  die  Mittel  auf  anderem  Wege  zu  verschaffen.  Und  dabei  ist  dies, 
wie  gesagt,  noch  der  extremste  Fall.  In  Ländern  wie  England,  die 
zwar  an  der  großen  Politik  teilnahmen  aber  keine  eigentliche  Ausdeh- 
nungspolitik trieben,  existierte  erst  recht  kein  Einfluß  des  Parlamentes 
auf  die  auswärtige  Politik,  obwohl  auch  dort  an  den  formellen  Kompe- 
tenzen der  Stände  nichts  geändert  worden  war.  Es  braucht  beinahe 
das  Zeugnis  gut  informierter  Zeitgenossen,  die  immer  wieder  betonen, 
welchen  Vorsprung  die  beiden  typischen  Vertreter  des  Großmacht- 
Absolutismus,  nämlich  der  türkische  Sultan  und  der  König  von  Frank- 
reich, vor  ihren  Rivalen  besessen  hätten,  um  überhaupt  an  einen  Unter- 
schied zwischen  den  »tyrannischen«  und  den  ständisch  beschränkten 
Staaten  zu  glauben,  was  die  auswärtige  Politik  und  die  Kriegführung 
betrifft!  Es  haben  sich  denn  auch  in  den  Ausführungen  des  zweiten 
Abschnittes,  wo  von  der  Stellung  der  Stände  in  den  einzelnen  Staaten 
gesprochen  wird,  öfter  unbestimmte  Ausdrücke  nicht  vermeiden  lassen. 
Denn  präzise  Formeln  hätten  den  wirklichen  Verhältnissen  und  vielleicht 
noch  mehr  unserer  historischen  Kenntnis  in  keiner  Weise  entsprochen. 
Das  einzige,  was  man  sagen  kann,  ist  dies,  daß  in  all  den  Ländern,  in 
denen  eine  von  der  Regierung  abhängige  und  leistungsfähige  Exekutive 
überhaupt  existierte,  die  Stände  auf  diese  keinen  Einfluß  hatten  und 
daß  sie  daher  auch  versteckten  Steuererhebungen,  die  auf  dem  Wege 
von  Verwaltungsmaßregeln  vor  sich  gingen,  keine  wirksame  Opposition 
zu  machen  vermochten. 

Zu  beachten  ist  dabei  ferner,  daß  die  Regierungen  in  ihrem  Kampfe 
gegen  die  Stände  sich  vielfach  auf  populäre  Strömungen  stützen  konnten. 
Die  Interessen  des  Mittelstandes,  der  in  finanzieller  und  auch  militäri- 
scher Beziehung  für  die  internationale  Stellung  eines  Staates  eine 
größere  Bedeutung  gewonnen  hatte  als  früher  der  Fall  war  (vgl.  §  7), 
wurden  manchmal  durch  die  Regierung  besser  vertreten  als  durch 
Stände,  in  denen  feudale  Gewalten  und  privilegierte  städtische  Korpo- 
rationen mehrfach  das  Übergewicht  hatten.  Auch  entsprach  schon  die 
Existenz  einer  starken  Zentralgewalt  durchaus  den  Absichten  der  in  den 
Ständen  gar  nicht  oder  nur  ungenügend  repräsentierten  Volksklassen 
und  rücksichtsloses  Vorgehen  gegen  ständische  Ansprüche  brauchte  der 
Beliebtheit  eines  Herrschers  keinen  Abbruch  zu  tun. 

Sicher  ist  ferner  folgendes:  Das  Bestehen  von  Ständen,  die  ein 
Steuerbewilligungsrecht  besaßen,  mochte  gelegentlich  die  Aktions- 
freiheit der  Regierungen  in  der  auswärtigen  Politik  etwas  einschränken; 
daß  sich  aber  Konflikte  zwischen  Ständen  und  Regierung  so  weit  ver- 
schärft hätten,  daß  das  feindliche  Ausland  Gelegenheit  zur  Einmischung 
erhalten  hätte,  kam  in  den  modern  organisierten  Staaten  nicht  vor  und 
insofern  waren  die  Ständestaaten  unter  den  Großmächten  nicht  schlechter 
gestellt  als  die  absolutistischen  Staatswesen.  Überall,  wo  es  zu  Ver- 
bindungen  zwischen   aufrührerischen    Ständen   und   ausländischen    Re- 


42  Innerpolitische  Verhältnisse. 

gierungen  kam  wie  in  Neapel,  Ungarn,  Deutschland  usw.  handelte  es 
sich  um  Gemeinwesen,  in  denen  sich  überhaupt  noch  keine  feste  Zentral- 
gewalt konstituiert  hatte.  Für  die  übrigen  Länder  gilt  unzweifelhaft, 
daß  die  Stände  zwar  einer  Offensivaktion  ihrer  Regierung  Widerstand 
entgegensetzen  konnten,  dagegen  mit  dieser  durchaus  Hand  in  Hand 
gingen,  wenn  das  Land  sich  in  der  Defensive  befand. 

Ein  etwas  anderes  Problem  stellen  die  republikanischen  Staaten, 
insofern  bei  ihnen  der  Gegensatz  zwischen  Ständen  und  Regierung 
nicht  existierte,  dafür  aber  Konflikte  zwischen  dem  herrschenden  Staat 
und  dem  Untertanengebiet  sowie  zwischen  den  Parteien  innerhalb  des 
herrschenden  Staates  selbst  eintreten  konnten.  Doch  kann  dieser 
Gegenstand  hier  nur  gestreift  werden,  da  von  den  damaligen  Repu- 
bliken nur  Venedig  zu  den  Großmächten  gerechnet  werden  kann  und 
solche  Zwistigkeiten  gerade  dort  nie  akut  geworden  sind.  Was  sich  aber 
in  anderen  italienischen  Republiken  (besonders  in  Genua  und  Florenz) 
in  dieser  Beziehung  zutrug,  ist  allerdings  im  Kampf  um  Italien  von  den 
Großmächten  nach  Kräften  für  ihre  Zwecke  ausgenutzt  worden;  diese 
inneren  Wirren  haben  aber  doch  nur  Werkzeuge,  nicht  Akteure  der 
internationalen  Politik  zur  Schwäche  verurteilt. 

§  20.  Der  Einfluß  kirchenpolitischer  Konflikte.  Die  spätmittel- 
alterliche Kirchenpolitik  der  europäischen  Staaten,  d.  h.  die  Bestre- 
bungen zur  Gründung  von  Nationalkirchen,  die  in  allen  nicht  dogmati- 
schen Angelegenheiten  die  ausschließliche  Herrschaft  der  politischen 
Gewalten  herstellen  sollten,  erfuhr  während  der  hier  behandelten  Periode 
zunächst  keine  prinzipielle  Änderung.  Die  Tendenzen  blieben  auf  beiden 
Seiten  die  nämlichen.  Nur  auf  die  Kampfmittel  und  Methoden  hat 
auch  hier  die  neue  internationale  Situation  eingewirkt. 

Der  Kampf  um  Italien  stellte  nämlich  die  Beziehungen  zwischen 
der  Kurie  und  den  Großstaaten  auf  eine  ganz  neue  Basis.  Der  Papst 
wurde  als  Herr  des  Kirchenstaates  unmittelbar  in  den  Konfhkt  hinein- 
gezogen und  damit  war  nicht  nur  Gelegenheit  zu  militärischen  Pressions- 
versuchen von  Seiten  der  Großmächte  gegeben,  sondern  der  Heilige 
Stuhl  konnte  auch  seinerseits  die  militärische  oder  wirtschaftliche 
Beihilfe,  die  der  Kirchenstaat  während  der  italienischen  Kriege  zu 
leisten  imstande  war,  von  Konzessionen  auf  kirchenpolitischem  Gebiete 
abhängig  machen.  Solche  Fälle  sind  denn  auch  oft  genug  eingetreten 
und  die  Periode  ist  deshalb  erfüllt  von  kirchenpolitischen  Konflikten, 
die  an  die  Zeit  der  Reformkonzilien  erinnern;  sogar  zur  Einberufung 
eines  antipäpstlichen  Gegenkonzils  ist  es  einmal  gekommen  (§115). 
Aber  es  standen  sich  dabei  nicht  mehr  die  großen  Gegensätze  gegen- 
über wie  ehemals.  An  ihre  Stelle  waren  kirchenpolitisch  maskierte 
militärisch-politische  Differenzen  getreten,  die  zudem  in  der  Regel 
nur  der  momentanen  internationalen  Situation  ihr  Dasein  verdankten. 
Daher  hinterließen  diese  Kämpfe  weder  in  der  öffentlichen  Meinung 
noch  in  der  tatsächlichen  Gestaltung  der  Beziehungen  zwischen  Kirche 


§  20.    Kirchenpolitische  Konflikte.  43 

und  Staat  so  tiefe  Spuren  wie  einst  der  Fall  gewesen;  auch  das  franzö- 
sische Konkordat  des  Jahres  1516,  das  von  allen  kirchenrechtlichen 
Abkommen  der  Zeit  wohl  am  stärksten  die  Einwirkungen  des  Kampfes 
um  Italien  zeigt,  kann  nicht  als  Gegenargument  angeführt  werden. 

Anders  wurde  es  freilich,  als  in  der  zweiten  Hälfte  der  Periode 
infolge  der  lutherischen  Reformation  zu  den  kirchenpolitischen  Sepa- 
rationsbestrebungen sich  noch  dogmatische  Trennungsversuche  ge- 
sellten und  einzelne  Regierungen  sich  nicht  mehr  mit  der  faktischen 
Herrschaft  über  die  Kirche  ihres  Landes  begnügten,  sondern  bis  zum 
Schisma  (mit  oder  ohne  Neuerungen  in  der  Glaubenslehre)  gingen. 
Dadurch  wurden  natürlich  auch  in  kirchenpolitischer  Beziehung  neue 
Probleme  aufgeworfen,  und  zwar  Probleme,  die  sogar  die  Kämpfe  des 
15.  Jahrhunderts  an  Wichtigkeit  übertrafen. 

Gerade  weil  dem  so  ist,  muß  sich  der  Forscher  hüten,  die  politisch- 
militärische Bedeutung  dieser  Wandlung,  soweit  die  Zeit  bis  1559  in  Be- 
tracht fällt,  zu  überschätzen.  Auf  zwei  Länder  war  der  Einfluß  der 
Reformationsbewegung  allerdings  ungeheuer  groß:  auf  die  schweizerische 
Eidgenossenschaft  und  auf  Deutschland.  Die  Schweiz  schied  infolge 
der  konfessionellen  Spaltung  aus  der  internationalen  Politik  in  der 
Hauptsache  aus  (§97)  und  in  Deutschland  verhinderte  der  Protestantis- 
mus zu  einem  guten  Teile  die  Errichtung  eines  stark  organisierten 
Staatswesens  unter  habsburgischer  Führung  (§62).  Aber  wennschon 
dieses  Ereignis  eine  der  Großmächte,  die  um  die  Hegemonie  über  Italien 
kämpften,  in  empfindlicher  Weise  traf,  so  blieb  es  doch  auf  den  Aus- 
gang des  Konfliktes  schließlich  ohne  ausschlaggebenden  Einfluß.  Von 
den  Großstaaten  selbst  schloß  sich  aber  keiner  in  jener  Zeit  ganz  der 
Reformation  an.  Auch  England  bildet  keine  Ausnahme;  zuerst  erfolgte 
bekanntlich  nur  ein  politischer  Bruch,  kein  dogmatischer,  und  als  dann 
auf  dieses  Schisma  der  Übergang  zur  protestantischen  Lehre  folgte, 
so  war  diese  Wandlung  zunächst  nicht  von  langer  Dauer,  sondern  es 
kam  zunächst  wieder  eine  Restauration  des  Katholizismus,  die  definitive 
Einführung  des  Protestantismus  fällt  erst  in  die  Zeit  nach  der  hier 
behandelten  Periode.  Die  skandinavischen  Königreiche  fielen  ander- 
seits für  die  europäische  Politik  kaum  in  Betracht.  Von  einer  konfessio- 
nellen Gruppierung  der  Staaten,  in  dem  Umfange  wie  sie  zur  Zeit  der 
Gegenreformation  bestand,  kann  deshalb  für  die  Zeit  vor  1559  noch 
keine  Rede  sein.  Mit  Ausnahme  der  beiden  bereits  erwähnten  Fälle 
werden  denn  auch  konfessionelle  Motive  in  den  diplomatischen  Ver- 
handlungen eigentlich  nur  in  bezug  auf  die  Verhältnisse  in  England 
berührt  und  auch  da  treten  sie  in  der  Regel  zurück.  Wenn  ein  französi- 
scher Gesandter  im  Jahre  1548  den  Kaiser  von  einer  Verbindung  mit 
dem  protestantischen  England  gegen  Schottland  abzuhalten  versuchte 
und  dabei  die  religiöse  Seite  der  englischen  Pläne  auf  Schottland  er- 
wähnte, so  geschah  dies  doch  nur  nebenbei;  die  entscheidenden  Argu- 
mente waren  politisch-wirtschaftlicher  Natur  (P.  de  Vaissiere,  »Charles 
de  Marillaci^  [1896],  p.  93f.). 


44  Politische  Strömungen. 

F.  Der  Einnuß  geistiger  Tendenzen. 
1.  Politische  Tendenzen. 

§  21.  Nationale  Strömiiiigeii.  Sucht  man  sich  darüber  Rechen- 
schaft zu  geben,  ob  in  einer  Darstellung  des  damaligen  europäischen 
Staatensystems  das  Nationalgefühl  als  politischer  wirksamer  Faktor 
in  Betracht  gezogen  werden  muß,  so  ist  zunächst  klar,  daß  man  nur  von 
den  Fällen  reden  kann,  in  denen  nationale  Tendenzen  im  Gegensatz 
zu  partikularen  oder  nationalen  Staatsorganisationen  oder  wenigstens 
unabhängig  von  diesen  auftraten.  Nur  über  das  Nationalgefühl  in  sozu- 
sagen reiner  Gestalt  kann  hier  gehandelt  werden;  das  Nationalgefühl, 
das  sich  z.  B.  im  damaligen  Frankreich  oder  England  nachweisen  läßt, 
ist  mit  Patriotismus  so  eng  verwandt,  daß  es  nicht  separat  besprochen 
werden  kann. 

Anders  steht  es  mit  Ländern,  in  denen  das  Gefühl  nationaler  Zu- 
sammengehörigkeit zwar  existierte,  sich  aber  nicht  mit  der  Anhänglich- 
keit an  eine  bestimmte  politische  Organisation  identifizieren  ließ. 
In  einem  solchen  Falle  war  denkbar,  daß  Nationalgefühl  und  Staats- 
interessen auseinander  gingen,  und  daß  eine  Regierung  auf  einen  partiku- 
laren Vorteil  zugunsten  nationaler  Interessen  verzichtet  hätte.  Natio- 
nale Tendenzen  hätten  somit  auf  den  Verlauf  politischer  Aktionen 
einen   praktisch  bedeutungsvollen   Einfluß   ausüben   können. 

Das  Problem  ist  für  unsere  Periode  von  mehr  als  theoretischer 
Wichtigkeit.  In  einem  Falle  wenigstens  kam  bereits  den  Zeitgenossen 
der  Widerspruch  zwischen  partikularen  und  nationalen  Interessen  zum 
Bewußtsein  und  fand  in  der  offiziellen  und  privaten  Publizistik  eifrige 
Erörterung.  Es  betraf  dies  das  Verhältnis,  in  das  die  meisten  italienischen 
Staaten  infolge  der  französischen  Invasion  des  Jahres  1494  zu  den  aus- 
ländischen  Großmächten  geraten  waren. 

Dieses  Ereignis,  das  aus  verschiedenen  bisher  unabhängigen  Staaten 
kaum  mehr  als  bloße  Trabanten  von  ausländischen  Mächtegruppen 
machte,  traf  nun  nicht  nur  mehrere  Mittelstaaten  gleichzeitig,  denen 
dadurch  der  Gedanke  eines  Zusammenschlusses  von  selbst  nahegelegt 
wurde,  sondern  es  berührte  auch  eine  Nation,  die  sich  nicht  mit  Unrecht 
ihrer  Kultur  nach  als  eine  Einheit  fühlte  und  im  gebildeten  Europa 
überall  als  das  geistig  und  künstlerisch  führende  Volk  anerkannt  wurde. 
Es  dauerte  denn  auch  nicht  lange  bis  das  Schlagwort  von  dem  Kampfe 
geprägt  wurde,  den  alle  Italiener  gegen  die  »Barbaren«  (wie  die  aus- 
ländischen Staaten  regelmäßig  genannt  wurden)  zu  führen  hätten.  Mit 
Vorliebe  wurde  es  natürlich  von  dem  italienischen  Staate  gebraucht, 
der  durch  seine  ehemalige  Ausdehnungstendenzen  am  meisten  zu  der 
Politik  des  Mißtrauens  unter  den  kleineren  italienischen  Gemeinwesen 
beigetragen  hatte,  und  die  Republik  Venedig  proklamierte  sich  nun 
offiziell  als  die  Verteidigerin  der  Freiheit  Italiens.  Aber  auch  in  an- 
deren Staaten  fand  der  Kampfruf  Eingang  und  jedermann  ist  b<^kannt. 


§  21.    Nationale  Tendenzen.  45 

daß  sowohl  ein  Papst,  wie  ein  florentinischer  Staatsmann  daraus  zeiten- 
weise ein  eigentliclies  politisches  Programm  gemacht  haben. 

Aber  praktische  Folgen  haben  alle  diese  Anstrengungen  nicht  ge- 
habt. Vergebens  stellte  sich  der  größte  politische  Schriftsteller  des 
damaligen  Italiens  mit  dem  ganzen  Feuer  seines  patriotischen  Tempera- 
mentes in  den  Dienst  der  nationalen  Sache;  vergebens  wollte  er  sogar 
auf  die  Freiheit  seiner  Vaterstadt  verzichten,  wenn  nur  Italien  nicht  die 
Beute  der  Barbaren  bliebe.  Über  offizielle  Proklamationen  und  publi- 
zistische Propaganda  gedieh  die  Bewegung  nie  hinaus.  Die  militärische 
Superiorität  der  ausländischen  Mächte  war  viel  zu  groß  als  daß  die 
italienischen  Staaten  imstande  gewesen  wären,  den  beiden  grt»ßen 
rivalisierenden  Gruppen  der  ausländischen  Großstaaten  gegenüber  die 
Unabhängigkeit  Italiens  zu  behaupten.  Sie  konnten  im  günstigsten 
Falle  eine  Partei   gegen   die   andere  ausspielen. 

Dabei  muß  dahingestellt  bleiben,  wie  weit  die  nationale  Tendenz 
überhaupt  von  den  Regierungen  der  italienischen  Staaten  ernst  ge- 
nommen wurde.  Ein  sicheres  Urteil  darüber  abzugeben  ist  aus  bekannten 
Gründen  natürlich  unmöglich;  immerhin  darf  gesagt  werden,  daß  sich 
so  gut  wie  nie  Maßregeln  nachweisen  lassen,  die  sich  als  eigentlich 
nationale  charakterisieren  ließen,  d.  h.  bei  denen  partikulare  Interessen 
zugunsten  allgemein  italienischer  geopfert  worden  wären.  Dabei  ist 
nicht  einmal  an  die  eigentlichen  Kleinstaaten  wie  Lucca  gedacht,  die 
in  der  Herrschaft  des  Auslandes  geradezu  eine  Garantie  ihrer  Selbständig- 
keit erblicken  mochten,  weil  dieses  allein  sie  gegen  die  Ausdehnungs- 
politik der  Mittelstaaten  schützen  konnte.  Ebenso  muß  unerörtert 
bleiben,  ob  diese  passive  Haltung  durch  partikularistische  Interessen- 
politik oder  durch  Einsicht  in  die  Hoffnungslosigkeit  der  nationalen 
Bewegung  bestimmt  wurde. 

In  anderen  Ländern  übten  begreiflicherweise  nationale  Tendenzen 
einen  noch  geringeren  Einfluß  aus.  Auch  in  Deutschland  stand  die 
nationale  Bewegung  zu  der  politischen  Organisation  in  einem  Gegen- 
satz; sie  verlangte  eine  wirksamere  Exekutive  und  kräftigere  Reichs- 
politik als  sich  mit  der  Verfassung  und  den  partikularen  Interessen  der 
Territorialstaaten  vertrug.  Aber  diese  Strömung,  deren  Stärke  sich 
nur  schwer  schätzen  läßt,  blieb  praktisch  ebenso  wirkungslos  wie  die 
italienische  Kampagne.  Ihre  tatsächliche  Bedeutung  war  übrigens  viel 
geringer.  Deutschland  war  weder  ausländischer  Oberherrschaft  unter- 
worfen noch  hatte  es  einen  Angriff  vom  Ausland  zu  fürchten  wie  Italien 
( §  61).  Auch  handelte  es  sich  nicht  um  die  Schaffung  eines  neuen  Staates, 
sondern  nur  um  die  Modernisierung  einer  bereits  bestehenden  Organi- 
sation. 

§  22.  Die  Gleichgewichtstheorie.  In  der  politischen  Praxis  zumal 
der  italienischen  Staaten  dominierte  anstatt  des  Prinzips  der  nationalen 
Interessen  das  des  Gleichgewichts.  Der  Zusammenschluß  aller  italieni- 
schen Staaten  gegen  die  Barbaren  war  eine  Phantasie;  ausführbar  er- 


46  Politische  Strömungen. 

schien  dagegen  der  Plan,  keine  der  um  die  Oberherrschaft  über  Itahen 
konkurrierenden  Staatengruppen  so  mächtig  werden  zu  lassen,  daß  die 
Italiener  zwischen  beiden  Rivalen  nicht  wenigstens  eine  halbe  Un- 
abhängigkeit bewahren  könnten.  Die  Politik  der  italienischen  Mittel- 
-  Staaten  bestand  daher  vielfach  darin,  auf  die  Seite  der  schwächeren 
Großmacht  zu  treten,  um  mit  dieser  vereint  der  stärkeren  die  Balance 
zu  halten  und  den  überlegenen  Staat  an  der  Gründung  einer  »Welt- 
hegemonie«  zu  hindern.  Die  itahenischen  Mittelstaaten  wandten  dabei 
übrigens  nur  die  Methode  auf  den  Kampf  der  Großmächte  um  Italien 
an,  die  sie  früher  für  die  Regelung  der  Verhältnisse  in  Italien  selbst 
befolgt  hatten  (vgl.    §  3). 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  die  Wandlungen  dieser  Pohtik  zu  schildern; 
die  große  Veränderung,  die  sich  infolge  der  Schlacht  bei  Pavia  vollzog, 
wird  besser  erst  im  erzählenden  Teile  besprochen  werden,  dort  wird 
dann  auch  erörtert  werden,  warum  in  den  ersten  Jahrzehnten  die  italieni- 
schen Staatsmänner  vor  allem  von  Frankreich  eine  Bedrohung  ihrer 
Unabhängigkeit  fürchteten  und  inwiefern  sie  darüber  die  Stärke  der 
neuen  spanisch-habsburgischen  Macht  lange  Zeit  scheinen  unterschätzt 
zu  haben  (vgl.  die  §§  118 — 122).  Hier  muß  nur  noch  bemerkt  werden, 
daß  diese  Politik  des  Gleichgewichtes  nicht  nur  von  den  Regierungen 
der  italienischen  Mittelstaaten  befolgt  wurde,  wennschon  diese,  als  die 
durch  die  Großmächte  am  meisten  gefährdeten,  sie  vorzugsweise  pflegten. 
Auch  andere  Staaten  nahmen  wenigstens  zeitenweise  eine  Haltung  an, 
die  mit  den  italienischen  Gleichgewichtstendenzen  in  Parallele  gesetzt 
werden  kann  (z.  B.  England),  und  vor  allem  war  das  Schlagwort  des 
gemeinsamen  Kampfes  aller  schwächeren  gegen  eine,  die  Hegemonie 
über  Europa  (die  »Weltmonarchie«)  anstrebende  Großmacht  der  natür- 
■  liehe  Kampfruf  der  Großmächte  selbst,  wenn  sie  sich  des  stärkeren 
Rivalen  nur  durch  eine  Verbindung  mit  der  Masse  der  kleineren  Staaten 
glaubten  erwehren  zu  können.  Am  häufigsten  ist  dieses  diplomatische 
Kampfmittel  wohl  von  Frankreich  gegenüber  Kaiser  Karl  V.  ange- 
wandt worden. 

Literatur.     E.  Käber,    »Die  Idee   des   europäischen    Gleichgewichts  in   der 

pubHzistischen  Literatur  vom  16.  bis  zur  Mitte  des  18.  Jahrhunderts«,  1907.   Wenig 

ergiebig   für   die   hier    behandelte  Zeit  sind  die    »vorläufigen  Bemerkungen«    von 

Karl  Jacob,  »Die  Chimäre  des  Gleichgewichts«  im  »Archiv  für  Urkundenforschung« 

'  VI  (1918),  341-J-364,  wo  noch  weitere  Literatur  verzeichnet  ist. 

3.  Religiöse  Strömungen. 

§  23.  Das  christliche  Gemeinschaftsgefühl.  Es  muß  der  Geistes- 
geschichte überlassen  werden,  zu  untersuchen,  inwieweit  etwa  von 
einer  Abnahme  des  christlichen  Gemeinschaftsgefühles  in  der  hier  be- 
handelten Periode,  vielleicht  infolge  der  humanistischen  Bewegung, 
gesprochen  werden  könnte.  Hier  ist  nur  darüber  zu  handeln,  ob  dieses 
im  großen  und  ganzen  unzweifelhaft  noch  vorhandene  Gefühl  auf  die 


§  2'.',.    Das  christliche  Gemeinschaftsgefühl.  47 

auswärtige  Politik  der  christlichen  Staaten  einen  nachweisbaren  Einfluß 
ausgeübt  hat. 

Daß  die  Frage  von  beträchtlicher  praktischer  Bedeutung  war,  ist 
ohne  weiteres  klar.  Die  christlichen  Staaten  befanden  sich  zwar  der 
durch  die  Türken  repräsentierten  Offensive  des  Islam  gegenüber  keines- 
wegs in  der  nämlichen  ungünstigen  Situation  wie  die  italienischen 
Staaten  gegenüber  den  fremden  Großmächten.  Schon  nur  eine  Koalition 
der  direkt  betroffenen  Länder  reichte  zur  dringendsten  Abwehr  aus 
und  von  einer  Gefahr  für  ganz  Europa  konnte  im  Ernst  nie  die  Rede 
sein.  Trotzdem  lagen  die  Verhältnisse  so,  daß  die  Vormacht  des  Islam 
beständig  auf  Kosten  christlicher  Staaten  Boden  gewann,  und  daß  die 
vollständige  Behauptung  des  christlichen  Besitzstandes  nur  erhofft 
werden  konnte,  wenn  sich  alle  christliehen  Staaten  zu  einer  Aktion 
gegen  die  Türken  zusammenschlössen. 

Welchen  Einfluß  hatten  nun  solche  Ansichten  auf  die  politische 
Praxis  ?  Daß  die  Überzeugung  von  der  Notwendigkeit  eines  allge- 
meinen christlichen  Vorgehens  gegen  die  Türkengefahr  weit  verbreitet 
war  und  den  Staatsmännern  aller  Länder  derartige  Gedanken  bekannt 
waren,  steht  außer  Zweifel ;  unzählige  Male  ist  damals  in  offiziellen 
Proklamationen  und  Reden  das  Motiv  variiert  worden,  daß  die  Christen- 
heit die  inneren  Streitigkeiten  vergessen  und  den  Kampf  mit  dem  Erb- 
feind des  Glaubens  aufnehmen  solle.  Auch  hat  es  nicht  an  detaillierten 
Projekten  gefehlt,  wie  eine  solche  christliche  Aktion  am  besten  orga- 
nisiert werden  könnte,  und  besonders  infolge  von  Bemühungen  der 
Kurie  ist  es  sogar  zu  offiziellen  Verhandlungen  unter  den  Regierungen 
der  Großmächte  gekommen.  Welchen  praktischen  Erfolg  haben  aber 
alle  diese  Versuche  gezeitigt  ? 

Betrachtet  man  die  Ereignisse  der  Zeit  nur  oberflächlich,  so  muß 
man,  scheint  es,  zu  einer  rein  negativen  Antwort  kommen.  In  diese 
Periode  fällt  ja  das  Bündnis  des  allerchristlichsten  Königs  von  Frank- 
reich mit  dem  Sultan  von  Konstantinopel  gegen  den  Schirmherrn  der 
Christenheit,  den  Kaiser  (§  123).  Gibt  es  ein  besseres  Zeugnis  für  die 
vollständige  Wandlung  der  Anschauungen,  für  den  neuen  »Renaissance- 
geist«, der  zu  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  in  der  Politik  der  europä- 
ischen Staaten  Platz  griff  ? 

Aber  wenn  man  näher  zusieht,  beweist  gerade  dieser  Fall  eher 
das  Gegenteil.  Zunächst  ist  zu  sagen,  daß  diese  Waffenbruderschaft 
eines  christlichen  Fürsten  mit  dem  Herrscher  der  Ungläubigen  von 
der  öffentlichen  Meinung  damals  nicht  im  geringsten  gebilligt  oder 
auch  nur  verstanden  wurde,  und  daß  nicht  nur  bei  den  Gegnern  Frank- 
reichs, sondern  auch  bei  den  Neutralen  und  im  eigenen  Lande  gegen 
diesen  Verrat  an  der  christlichen  Sache  die  schwersten  Vorwürfe  er- 
hoben wurden. 

Von  einer  Abstumpfung  des  christlichen  Gemeinschaftsgefühles 
kann  also  jedenfalls  keine  Rede  sein.    Wichtiger  aber  für  das  hier  be- 


48  Religiöse  Strömungen. 

handelte  Problem  ist,  daß  auch  dieses  Bündnis  erst  unter  dem 
Drucke  der  Not  geschlossen  wurde.  Die  Dinge  lagen  nicht  so,  daß 
Frankreich  oder  ein  anderer  Großstaat  sich  unbekümmert  um  die 
gemeinsamen  christlichen  Interessen  je  nach  der  politischen  Opportunität 
bald  mit  einer  christlichen,  bald  mit  einer  mohammedanischen  Macht 
verbunden  hätte.  Es  brauchte  vielmehr  die  verzweifelte  Lage,  in  der 
sich  Frankreich  nach  der  Schlacht  bei  Pavia  und  dem  Abfall  Dorias 
befand,  damit  die  französische  Regierung  sich  entschloß,  das  Odium 
einer  türkischen  Allianz  auf  sich  zu  nehmen;  vorher  hatte  Frankreich 
nicht  nur  offiziell  immer  an  seinem  überlieferten  Kreuzzugsprogramm 
festgehalten,  sondern  es  hatte  auch  in  der  Praxis  nie  ernstlich  daran 
gedacht,  zur  Bekämpfung  der  habsburgischen  Macht  das  naheliegende 
Projekt  eines  Bündnisses  mit  den  Osmanen  aufzunehmen.  In  Tat  und 
Wahrheit  bildete  das  christliche  Gemeinschaftsgefühl  in  der  prak- 
tischen Politik  damals  allerdings  kein  unüberwindliches  Hindernis  einei- 
Verbindung  mit  islamitischen  Staaten,  aber  wenigstens  ein  nicht  un- 
bedeutendes retardierendes  Moment.  Wenn  eine  Allianz  im  großen 
zustande  kam  wie  die  zwischen  Frankreich  und  der  Türkei,  der  sich  in 
den  zahlreichen  mittelalterlichen  Bündnissen  zwischen  christlichen  und 
mohammedanischen  Fürsten  wohl  Analogien,  aber  keine  genauen  Pa- 
rallelen zur  Seite  stellen  lassen,  so  hängt  dies  nicht  mit  einer  Ver- 
änderung der  Gesinnung  zusammen,  sondern  allein  mit  den  größeren 
Verhältnissen,  in  die  die  europäische  Politik  überhaupt  zu  Ende  des 
15.  Jahrhunderts  eintrat  (vgl.    §  3). 

Damit  stimmt  denn  auch  überein,  daß  von  allen  Beschuldigungen, 
die  von  den  Staaten  gegenseitig  gegeneinander  erhoben  wurden,  sich 
keine  einer  größeren  Beliebtheit  erfreute  als  die,  daß  die  feindliche 
Regierung  in  geheimen  Abmachungen  mit  den  Türken  stehe  oder  min- 
destens durch  ihr  Verhalten  die  osmanische  Gefahr  verstärke.  Dies 
warfen  sich  nicht  nur  die  italienischen  Staaten  vielfach  vor,  sondern  es 
kehrt  dies  auch  in  den  österreichischen  Anklagen  gegen  Venedig  ständig 
wieder.  Man  darf  vielleicht  geradezu  behaupten,  daß  die  öffentliche 
Meinung  in  dieser  Beziehung  damals  viel  empfindlicher  war  als  im 
Mittelalter. 

In  einer  anderen  Hinsicht  ist  allerdings  die  erwähnte  Behauptung 
nicht  ganz  unrichtig.  So  sicher  es  auch  sein  dürfte,  daß  das  Gefühl 
der  gemeinsamen  christlichen  Interessen  den  Abschluß  politisch-mili- 
tärischer Verbindungen  mit  islamitischen  Staaten  wesentlich  erschwert 
hat,  so  hat  doch  diesselbe  Gefühl  sich  nicht  als  stark  genug  erwiesen, 
um  eine  Abwehrorganisation  zustande  zu  bringen.  Ja,  es  hat  nicht  ein- 
mal ausgereicht,  um  die  Staaten,  die  gewissermaßen  als  Außenwerke 
gegen  den  türkischen  Ansturm  angesehen  werden  konnten,  einer  größeren 
Schonung  teilhaftig  werden  zu  lassen.  Besonders  im  Falle  Venedigs 
hat  sich  dies  sehr  deutlich  gezeigt ;  seine  christlichen  Gegner  haben  nie 
darauf  Rücksicht  genommen,  daß  eine  der  wichtigsten  Bedingungen 
für  eine  erfolgreiche  Verteidigung  der  Christenheit  gegen  die  Osmanen 


§  23.    Das  christliche  Gemeinschaftsgefühl.  49 

ein  starkes  Venedig  war.  Aber  auch  wenn  man  insofern  das  christliche 
Gemeinschaftsgefühl  als  wirkungslos  bezeichnen  kann,  so  darf  man 
nicht  vergessen,  daß  diese  Erscheinung  nicht  neu  oder  der  hier  be- 
handelten Periode  eigentümlich  war.  Die  Dinge  hatten  seinerzeit  kaum 
anders  gelegen,  als  es  sich  darum  gehandelt  hatte,  das  byzantinische 
Kaisertum  zu  retten;  als  neu  kann  höchstens  hervorgehoben  werden, 
daß  nicht  einmal  der  Umstand,  daß  die  türkische  Gefahr  für  mehrere 
christliche  Staaten  Europas  früher  unbekannte  Proportionen  angenom- 
men hatte,  die  Pläne  einer  gemeinschaftlichen  Defensivaktion  über 
das  Stadium  von  Projekten  und  mangelhaft  durchgeführten  gelegent- 
lichen Versuchen  hat  hinausgelangen  lassen. 

Literatur.  Eine  selbständige  zusammenfa.ssende  Arbeit  über  die  interessante 
Frage,  wie  sich  die  öffentliche  Meinung  in  Europa  im  16.  Jahrhundert  zu  den  Türken 
stellte,  fehlt  noch.  Vieles  einzelne  findet  sich  in  den  allgemeinen  Werken  zur  da- 
maligen Geschichte;  selbstverständlich  ist  dort  auch  das  Bündnis  zwischen  Frank- 
reich und  der  Türkei  vielfach  besprochen  worden.  Die  wichtigste  Materialsammlung 
ist  immer  noch  E.  Charriere,  »Negociations  de  la  France  dans  le  Levant«  I  (1848; 
in  den  »Documents  inedits«).  Dort  (S.  31  ff.)  findet  sich  auch  das  Projekt,  das  Leo  X. 
1517  über  die  Organisation  einer  allgemein  europäischen  Aktion  gegen  die  Türken 
ausarbeiten  ließ.  Daß  sich  Frankreich  erst  infolge  der  Schlacht  bei  Pavia  an  die 
Osmanen  anschloß,  wird  bereits  von  Charriere  betont  (S.  112).  Es  liefen  natürhch 
schon  vorher  Gerüchte  um  um  eine  angebliche  Verbindung  dieser  Art  (vgl.  z.  B. 
Planitz,  »Berichte  aus  dem  Reichsregiment«,  ed.  Virck  [1899],  S.  529,  aus  dem 
Jahre  1523),  und  die  Gegner  Frankreichs  erhoben  auch  etwa  dahinlautende  Beschuldi- 
gungen (s.  z.B.  König  Ferdinand  am  14.  März  1525;  »Die  Korrespondenz  Ferdi- 
nands I.«,  ed.  W.  Bauer  I  [1912],  275);  aber  es  handelte  sich  immer  nur  um  unbe- 
wiesene Vermutungen. 

Alle  Zeugnisse  stimmen  darüber  überein,  daß  das  türkisch-französische  Bündnis 
allgemeine  Mißbilligung  gefunden  habe.  Nach  einem  Berichte  Capponis  vom  31.  Au- 
gust 1551  bei  A.  Desjardins,  »Negociations  diplomatiques  de  la  France  avec  la  Toscane« 
(Documents  inedits)  III,  287  war  auch  in  Frankreich  die  Entrüstung  allgemein.  Über 
den  Eindruck  in  Italien  vgl.  B.  Segni,  »Istorie  fiorentine«,  ed.  Gargani  (1857),  p.  263, 
und  L.  Romier,  »Les  Origines  politiques  des  Guerres  de  Religion«  I  (1913),  265.  Über 
die  gegenseitigen  Vorwürfe  italienischer  Staaten,  die  Türken  würden  zu  einem 
Angriff  gegen  Italien  aufgehetzt,  vgl.  z.  B.  M.  Sanuto,  »Diarii«  I,  846  (1497)  und 
II,  124;  M.  Brosch,  »Papst  Julius  II.«  (1878),  S.  59f.  und  Anmerkungen.  Bei 
Brosch  (S.  197 f.  und  347)  auch  über  Versuche  Kaiser  Maximilians,  die  Türken  gegen 
Venedig  aufzubringen.  Über  die  von  Österreich  in  diesem  Sinne  gegen  Venedig 
erhobenen  Vorwürfe  vgl.   §71. 

Anderer  Art  sind  natürlich  die  Versuche,  die  verschiedentlich  von  den  Habs- 
burgern  gemacht  wurden,  sich  mit  mohammedanischen  Reichen  gegen  die  Türkei 
zu  verbinden,  so  besonders  mit  den  Persern  (vgl.  Lanz,  »Korrespondenz  Karls  V.« 
I,  292,  329,  355,  379  und  385  [1529/30];  bereits  Maximilian  hatte  übrigens  einmal  an 
eine  solche  Verbindung  gedacht:  Ulmann  II,  559).  Karl  V.  unterstützte  dann  auch 
die  Perser  militärisch  gegen  die  Türken  (so  berichtet  wenigstens  N.  Jorga,  »Ge- 
schichte des  osmanischen  Reiches«  II  [1909],  362).  Selbst  auf  dem  deutschen 
Reichstage  wurde  einmal  der  Gedanke  einer  Gesandtschaft  nach  Persien  zur  Sprache 
gebracht  (»Deutsche  Reichstagsakten,  jüngere  Reihe«  IV  [1905],  440).  —  Ein  Ge- 
genstück zu  dem  Bündnis  Frankreichs  mit  der  Türkei  könnte  man  höchstens  in 
den  Verhandlungen  erblicken,  die  Kaiser  Karl  V.  im  Jahre  1540  mit  dem  algeri- 
schen Korsarenfürst-en  Barbarossa  führte  (vgl.  »Venezianische  Depeschen  vom  Kaiser- 
hofe« I,  418  und  428).  Doch  ist  es  nicht  ausgemacht,  ob  die  Vorschläge  des  Kaisers 
ernst  gemeint  waren,  und  jedenfalls  haben  sie  kein  praktisches  Resultat  gehabt. 
Fueter,  Europ.  Staatensystem.  ^ 


50  Religiöse  Strömungen. 

(Vgl.    darüber    auch    E.Armstrong,    »TÄe    Emperor  Charles  V«   II  [19101,  4ff.)    — 
Richard  Ebermann,  »Die  Türkenfurcht«,  Halle  1904  (Diss.). 

§  24.  Dogmatische  Neuerungen.  \A'esentlich  kürzer  kann  die 
Frage  besprochen  werden,  ob  die  neuen  religiösen  Ideen,  die  der  luthe- 
rischen Reformationsbewegung  zugrundelagen,  auf  die  Entwicklung 
des  europäischen  Staatensystems  von  Einfluß  gewesen  sind. 

Daß  die  kirchenpolitischen  Folgen,  die  sich  an  die  Errichtung 
protestantischer  Landeskirclien  in  verschiedenen  Staaten  anschlössen, 
auf  die  internationale  Politik  eine  bestimmte,  wenn  auch  nicht  allzu- 
große Wirkung  ausübten,  ist  bereits  in  §  20  erwähnt  worden.  Es  ließe 
sich  aber  darüber  hinaus  noch  die  Möglichkeit  in  Betracht  ziehen, 
daß  das  Luthertum  neue  Prinzipien  erzeugt  hätte,  die  auch  die  Re- 
gelung der  gegenseitigen  Beziehungen  unter  den  Staaten  nicht  un- 
berührt gelassen  hätten. 

So  weit  sich  sehen  läßt,  ist  dies  nicht  der  Fall  gewesen.  Die  poli- 
tischen Ansichten  der  deutschen  lutherischen  Theologen  scheinen  zwar 
auf  die  Handlungsweise  einzelner  deutscher  Fürsten  nicht  unbeträcht- 
lich eingewirkt  zu  haben;  aber  w'enn  schon  dadurch  die  Kraft  der  stän- 
dischen Erhebung  gegen  den  Kaiser  geschwächt  worden  sein  dürfte, 
so  ist  doch  bereits  in  §  20  darauf  hingewiesen  worden,  daß  der  Sieg  der 
Habsburger  über  die  rivalisierende  Großmacht  Frankreich  nicht  an  den 
Erfolg  im  Schmalkaldischen  Krieg  gebunden  war,  wie  er  denn  auch 
durch  den  späteren  Umschlag  in  den  deutschen  Verhältnissen  nicht 
aufgehalten  w'orden  ist.  Außerhalb  Deutschlands  käme  nur  die  Eid- 
genossenschaft in  Betracht.  Hier  hätte  allerdings  die  von  den  refor- 
mierten Theologen  beförderte  Bewegung  gegen  die  Söldnerdienste, 
wenn  sie  hätte  vollständig  durchgeführt  werden  können,  für  die  aus- 
wärtige Politik  auch  der  Großstaaten  bedeutsame  Konsequenzen  nach 
sich  ziehen  können.  Aber  erstens  war  diesen  Bestrebungen  nur  ein 
ganz  partieller  Erfolg  beschieden  und  dann  hatte  die  konfessionelle 
Spaltung  so  sehr  die  Einheitlichkeit  der  schweizerischen  auswärtigen 
Politik  erschüttert,  daß  die  von  den  protestantischen  Moralisten  erreichte 
lokale  Beseitigung  des  offiziellen  Lizenzensystems  (vgl.  §  6)  von  unter- 
geordneter Bedeutung  war.  In  den  übrigen  Staaten  (England,  Skan- 
dinavien) kann  aber  von  einem  Einflüsse  der  neuen  Theologie  auf  die 
auswärtige  Politik  vollends  keine  Rede  sein  —  auch  abgesehen  davon, 
daß  eine  solche  Einwirkung  nur  für  einen  kurzen  Zeitraum  hätte  in 
Betracht  fallen  können. 


II.  Abschnitt. 
Die  Glieder  des  eiiropäisclieii  Staateusystems. 

§  35.  Disposition  des  zweiten  Abschnittes.  Da  hier  nicht  eine 
Geschichte  Europas,  sondern  eine  Geschiclite  des  europäischen  Staaten- 
systems gegeben  werden  soll,  das  damals  von  einem  zentralen  Probleme 
beherrscht  wurde  (§  1),  so  ist  ohne  weiteres  klar,  daß  die  Reihenfolge, 
in  der  die  einzelnen  Länder  besprochen  werden,  durch  das  Verhältnis 
bestimmt  werden  muß,  in  dem  die  Staaten  zu  dieser  dominierenden 
Streitfrage  standen.  Es  ergab  sich  daraus  von  selbst,  daß  zunächst 
die  Großstaaten  behandelt  werden,  zwischen  denen  der  Kampf  um 
Italien  eigentlich  ausgefochten  wurde;  daran  schließt  sich  eine  Schil-^ 
derung  der  an  diesem  Konflikte  nur  indirekt  beteiligten  Großstaaten. 
Dieselbe  Anordnung  ist  dann  auch  für  die  kleineren  Staaten  befolgt 
worden.  Es  finden  sich  dabei  allerdings  Staaten  zusammengestellt, 
die  eine  Geschichte  Europas  in  verschiedene  Rubriken  einreihen  müßte, 
und  umgekehrt  werden  etwa  einzelne  Staatengruppen,  wie  z.  B.  die 
italienischen  Staaten,  auseinandergerissen.  Aber  ein  klarer  Einblick 
in  die  internationalen  Machtverhältnisse  jener  Zeit  dürfte  auf  keinem 
anderen  Wege  zu  erreichen  gewesen  sein  als  dadurch,  daß  die  Aufgabe, 
die  eine  Geschichte  des  europäischen  Staatensystems  stellt,  konsequent 
und  ohne  Rücksicht  auf  universalhistorisch  berechtigte  Forderungen 
durchgeführt  wurde.  Nur  so  befindet  sich  die  Anordnung  auch  in  tjber- 
einstimmung  mit  der  Darstellung,  die  nach  den  in  der  Einleitung  nieder- 
gelegten Grundsätzen  ebenfalls  durchaus  den  Desideraten  einer  solchen 
europäischen  Staatengeschichte  angepaßt  ist. 

Ä.  Die  Großstaaten. 
1.  Die  am  Kampfe  um  Italien  unmittelbar  beteiligten  Großstaaten. 

a)  Frankreich. 

§  26.  Das  Land  und  seine  Bewohner.  Den  Anstoß  zu  der  zu  Be- 
ginn der  Periode  einsetzenden  Umgestaltung  des  europäischen  Staaten- 
systems gab  der  Versuch  Frankreichs,  Herrschaftsgebiete  in  Italien  zu 
erwerben.  Es  ist  daher  billig,  daß  die  Darstellung  mit  einer  Schilde- 
rung des  französischen  Königreichs  ihren  Anfang  nimmt. 


52  Frankreich. 

Frankreich  war  weder  der  nach  seiner  Gebietsausdehnung  größte, 
noch  der  volksreichste  Staat  der  damahgen  Christenheit;  aber  es  war 
dasjenige  Land,  in  dem  das  Ziel  der  spätmittehilterlichen  Staatskunst 
in  West-  und  Mitteleuropa,  die  »Konsolidierung«  d.  h.  die  Zusammen- 
fassung der  militärischen,  politischen  und  finanziellen  Machtmittel 
in  der  Hand  der  Zentralregierung  verhältnismäßig  am  meisten  durch- 
geführt worden  war,  und  unter  den  Staaten,  die  sich  in  dieser  ^^'eise 
organisiert  hatten,  war  es  der  größte.  Von  den  Mitgliedern  des  euro- 
päischen Staatensystems  überhaupt  war  ihm  in  dieser  Beziehung  nur 
das  osmanische  Reich  überlegen. 

Frankreich  hatte  damals  eine  Bevölkerung  von  ungefähr  16  Millionen 
Seelen.  Es  stand  zwar  damit  hinter  Deutschland  zurück,  dessen  Be- 
völkerung für  die  erste  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  auf  20  Millionen 
geschätzt  wird;  aber  es  überragte  die  Macht,  die  im  Kampfe  um  Itahen 
den  gefährlichsten  Rivalen  darstellte,  nämlich  Spanien,  ungefähr  um 
das  Doppelte  (die  Einwohnerzahl  von  Kastilien  und  Aragon  wird  auf 
7  Millionen  geschätzt),  und  die  übrigen  Nachbarstaaten  wiesen  im 
Vergleich  eine  so  kleine  Seelenzahl  auf,  daß  sie  überhaupt  nicht  in 
Parallele  gesetzt  werden  können,  der  größte  unter  ihnen,  nämlich 
England,  war  von  höchstens  4  Millionen  Menschen  bewohnt.  Dazu 
kam,  daß  der  fruchtbare  und  für  Getreide-  und  Weinbau  vortrefflich 
geeignete  Boden,  dank  der  vollständigen  inneren  Pazifizierung,  gut  aus- 
genutzt wurde,  und  daß  in  Notjahren,  dank  der  Vereinigung  unter  einem 
Herrscher  und  den  ausgezeichneten  Flußverbindungen,  ein  Ausgleichs- 
verkehr  zwischen  den  verschiedenen  Provinzen  in  Getreide  vorge- 
nommen werden  konnte.  Der  natürliche  Ertrag  des  Landes  war  zu 
Beginn  der  Periode,  als  die  durch  den  Hundertjährigen  Krieg  gerissenen 
Lücken  in  der  Bevölkerung  noch  nicht  ausgefüllt  waren,  sogar  noch 
stärker  als  der  Bevölkerungszahl  entsprach,  d.h.  es  blieb  noch  zu  weite- 
rer Bevölkerungsvermehrung  Raum,  ohne  daß  es  zu  Übervölkerung, 
d.  h.  zu  periodischer  Hungersnot  oder  zu  der  Notwendigkeit  regelmäßi- 
ger Korneinfuhr  aus  dem  Auslande  hätte  kommen  müssen.  Denn  selbst 
als  Frankreich  zu  Ende  der  Periode  ungefähr  doppelt  so  dicht  be- 
völkert war  als  Kastilien,  nämlich  34  Seelen  auf  den  Quadratkilometer 
(gegenüber  16  dort),  war  es  doch  immer  noch,  was  seine  Versorgung  mit 
Lebensmitteln  anbetraf,  vom  Auslande  in  ganz  anderer  Weise  unab- 
hängig als  jenes  Land.  Die  Lebenshaltung  der  französischen  Bauern 
wird  zwar  von  zeitgenössischen  Beobachtern  allgemein  als  dürftig 
bezeichnet  (vgl.  Fortescue,  »Governance  of  England«  ed.  Plummer  1885, 
p.  115;  Relation  von  Giustiniani  bei  Tommaseo  I,  96);  aber  offenbar 
herrschte  doch  kaum  je  eigentlicher  Mangel,  wie  denn  auch  Epidemien 
seltener  als  in  irgendeinem  anderen  Lande  gewesen  zu  sein  scheinen. 
Erleichtert  wurde  die  Versorgung  aus  eigenen  Kräften  ferner  durch  die 
geringe  Entwicklung  der  Industrie  (vgl.  §  18);  es  gab  keine  ausgedehn- 
ten übervölkerten  Gebietsstücke,  die  aus  schwach  besiedelten  Landes- 
teilen  oder   durch  Zufuhr   aus   dem  Ausland   ernährt  werden  mußten. 


§  26.    Land  und  Bewohner.  öH 

Daraus  ergeben  sieli  für  das  hier  behandelte  Tliema  verschiedene 
wichtige  Folgen.  Zunäi-hst  die:  Frankreich  war  ein  reiches  Land  und 
konnte  seinen  Reichtum  vermehren,  ohne  daß  es  zur  Förderung  seines 
Wohlstandes  Mittel  der  auswärtigen  Politik  (Handelskriege,  Erw^er- 
bung  von  Kolonien,  Eroberungen)  anzuwenden  brauchte.  Denn  es 
mußte,  um  zu  prosperieren,  weder  seinem  Import  noch  seinem  Export 
offizielle  militärische  Hilfe  angedeihen  lassen.  Einerseits  hatte  die 
Bevölkerung  es  sozusagen  gar  nicht  nötig,  Handel  oder  Industrie  zu 
treiben,  da  kein  Manko  an  Naturprodukten  bestand,  das  nur  durch 
hnport  hätte  gedeckt  werden  können,  der  dann  mit  Fabrikation  oder 
Handelsgütern  hätte  bezahlt  werden  müssen:  zur  Aufsuchung  neuer 
Handelswege  z.  B.  lag  also  kein  zwingender  Grund  vor.  Anderseits 
setzte  sich  der  Überschuß  an  Naturprodukten  (Wein,  Salz  und  Ge- 
treide), den  Frankreich  hervorbrachte,  aus  so  notwendigen  Gegen- 
ständen zusammen,  daß  ihr  Absatz  sicher  war  und  Sperremaßregeln 
des  Auslandes  nicht  befürchtet  werden  mußten.  Besonders  in  Wein 
und  Salz  hatte  Frankreich  für  große  Teile  des  Nordens  geradezu  eine 
Art  Monopol  (die  nicht  französischen  Weine  konnten  die  speziellen 
Bedürfnisse  nicht  befriedigen,  denen  die  französischen  dienten).  Warum 
hätte  sich  da  nicht  der  größte  Teil  der  Bevölkerung  auf  Acker-  und 
Weinbau  konzentrieren  sollen,  solange  damit  nicht  nur  die  Ernährung 
gedeckt,  sondern  außerdem  noch  ein  gewinnbringender  Exporthandel 
erzielt  werden  konnte  ?  Um  das  Wenige,  was  aus  dem  Auslande  be- 
zogen werden  mußte,  nämlich  eine  Anzahl  Metalle,  zu  bezahlen,  ge- 
nügte der  Überschuß  dieser  Produktion  vollständig,  vermochte  er  doch 
sogar  die  Mittel  zum  Ankauf  fremder  Luxusfabrikatc  (hauptsächlich 
italienischer  Textilwaren)  zu  liefern.  —  Dies  war  mindestens  in  den 
ersten  Jahrzehnten  der  Fall,  als  die  starke  Bevölkerungsvermehrung, 
die  wegen  der  regelmäßigen  Ernährung  und  des  Fehlens  innerer  Un- 
ruhen nicht  von  einer  Zunahme  der  Mortalität  begleitet  w-ar^  noch 
nicht  begonnen  hatte,  das  Verhältnis  zwischen  Produktion  und  Kon- 
sumentenzahl ungünstiger  zu  gestalten  (vgl.  darüber  G.  d'Avenel, 
»Paysans  et  oiwriers  depuis  sept  cents  ans«  [1899],  passwi,  speziell 
p.  158  f.).  Man  kann  danach  sagen,  daß  eine  imperialistische  Aus- 
dehnungspolitik für  Frankreich  vom  wirtschaftlichen  Standpunkte  aus 
sozusagen  ein  Luxus  war,  daß  das  Land  aber  anderseits  in  der  Defen- 
sive, wirtschaftlich  betrachtet,  unüberwindlich  war.  Es  wird  sich  aus 
der  folgenden  Darstellung  ergeben,  daß  dieser  Umstand  denn  auch 
wirklich  der  auswärtigen  Politik  des  Königreiches  seine  Signatur  ge- 
geben hat,  obwohl  er  diese  keineswegs  bestimmt  hat. 

Eine  fernere  Folge  dieses  Zustandes  in  militärisch-politischer  Be- 
ziehung war,  daß  die  land-  und  weinbautreibende  Bevölkerung,  d.  h. 
der  allergrößte  Teil  des  französischen  Volkes  nicht  gezwungen  war, 
einen  Teil  der  männlichen  Nachkommenschaft  in  den  Kriegsdienst 
abzugeben.  Der  freiwillige  Söldnerdienst  w^ar  in  dem  größten  Teile 
Frankreichs  als  regulärer  Lebenserwerb  unbekannt.    Anders  stand  es 


54  Frankreich. 

allerdings  mit  dem  Adel ;  da  das  Land  allem  Anschein  nach  nicht  mehr 
zur  Bildung  neuer  Grundherrschaften  ausreichte,  so  mußten  die  jüngeren 
Söhne,  um  das  väterliche  Gut  nicht  zu  zerstückeln,  in  der  Armee  oder 
der  Kirche  Unterkunft  suchen.  Aber  da  der  Adel  zunächst  noch  aus- 
schließlich bei  den  Truppen  der  Reisigen  kämpfte,  so  erhielt  damit  nur 
diese  AYaffe  einen  nationalen  Charakter  und  qualifizierte  Vertreter;  eine 
nationale  (Infanterie-)  Miliz  konnte  dagegen  nur  künstlich  von  der  Regie- 
rung ins  Leben  gerufen  werden.  Welche  Folgen  dies  in  den  internatio- 
nalen Machtkämpfen  nach  sich  zog,  wird  später  (§  29)  erörtert  werden. 

Literatur.  Die  eigentliche  Quelle  der  vorstehenden  Ausführung  bilden 
natürlich  die  geographischen  Verhältnisse,  die  an  dieser  Stelle  nicht  geschildert 
werden  konnten.  Die  historische  Literatur  ist  nur  insofern  von  Bedeutung,  als  ihr 
zu  entnehmen  ist,  wieweit  die  unveränderlichen  natürlichen  Vorbedingungen  aus- 
genutzt wurden.  In  dieser  Beziehung  bieten  das  meiste  die  venezianischen  Re- 
lationen, die  wohl  kein  Land,  mit  Ausnahme  der  Türkei,  so  eingehend  und  sach- 
kundig besprechen  wie  Frankreich.  Ein  Teil  davon  ist  1838  von  N.  Tommaseo 
publiziert  worden  als  »Relations  des  Ainbassaeleurs  venitiens  sitr  les  affaires  de  France 
au  XV I^  siede«;  weitere,  zum  Teil  ebenso  wichtige  Relationen  bei  Alberi.  Über  den 
L'berfluß  an  allen  Lebensnotwendigkeiten  z.  B.  Soranzo  1558  bei  Alberi  I,  2,  405; 
ähnlich  Cavalli  1546  (Tommaseo  I,  252).  Den  Nutzen  des  schiffbaren  Flußsystems 
rühmt  z.  B.  M.  Giustiniani  1535  (Tommaseo  I,  42f.);  ebenso  Soranzo  bei  Alberi  I,  2. 
406.  Die  dichte  Bevölkerung  Frankreichs  fiel  schon  Zeitgenossen  auf  (vgl.  z.  B.  Michel 
1561,  der  Frankreich  »mbitatissimo«  nennt  [Tommaseo  I,  396],  und  Fr.  Guicciar- 
dini  im  dritten  seiner  »Discorsi  politici«:  »Opere  inedite«  I  [1857,  2.  Aufl.],  218).  — 
Was  die  Zahlen  betrifft,  so  stütze  ich  mich  hier  wie  bei  den  anderen  Ländern  vor 
allem  auf  die  Berechnungen  von  Julius  Beloch,  »Die  Bevölkerung  Europas  zur  Zeit 
der  Renaissance«  in  der  »Zeitschrift  für  Sozialwissenschaft«  III  (1900),  765  —  786, 
die  sich  einerseits  vor  extremen  Behauptungen  hüten  und  anderseits  auch  nicht 
größere  Präzision  vortäuschen,  als  sich  mit  dem  mangelhaften  Material  verträgt. 
Für  Frankreich  bieten  daneben  das  Wichtigste  die  verschiedenen  Werke,  in  denen 
G.  d'Avenel  das  in  seiner  »Histoire  economique  de  la  propriete,  des  salaires,  des  denrees 
et  de  tous  les  prix  en  general  depuis  l'an  1200  jusqu'ä  Van  1800«  enthaltene  Material 
verarbeitet  hat :  »UArgent.  La  Terre«  (1895),  »Pai/sans  et  Ouvriers  depuis  sept  cents 
ans«  (1899)  und  »Decouverles  dliistoire  sociale  1200—1910«  (1910;  in  diesem  Buche 
handelt  er  S.  97  noch  einmal  über  die  Bevölkerungsvermehrung  in  der  hier  behan- 
delten Periode  und  ihre  ökonomischen  Folgen). 

Über  den  Getreidehandel  und  den  Ausgleich  in  bezug  auf  die  Kornversorgung 
zwischen  den  einzelnen  Provinzen  vgl.  A.  P.  Usher,  »The  History  of  the  Grain  Trade 
in  France,  1400  —  1710«,  1913  (Harvard  University  Press);  Araskhaniantz  »Die 
französische  Getreidehandelspolitik  bis  zum  Jahre  1789  in  ihrem  Zusammenhange 
mit  der  Land-,  ^'olks-  und  Finanzwirtschaft  Frankreichs«  1883  (Staatswissenschaft- 
liche Forschungen,  ed.  Schmoller  IV,  2 ;  resümiert  bei  Xaude,  »Getreidehandels- 
politik« 1896,  S.  23ff.).  Das  ausschließliche  Recht  der  Krone,  die  Kornausfuhr 
und  den  Verkehr  zwischen  den  Provinzen  zu  regeln,  ist  erst  während  der  hier  be- 
handelten Periode  offiziell  festgestellt  worden  (auf  die  Einzelheiten  einzugehen 
mangelt  der  Raum).  Diese  Verfügungen,  von  denen  nur  das  im  Jahre  1539  erlassene 
Verbot  der  unautorisierten  Getreideausfuhr  ins  Ausland  erwähnt  sei,  scheinen  zu 
bestätigen,  daß  infolge  der  Bevölkerungsvermehrung  die  Ernährung  des  Volkes 
größeren  Schwierigkeiten  begegnete  (vgl.  auch  G.  d'Avenel,  *>Paysans  et  Ouvriers«, 
p.  147 ff.,  speziell  p.  154).  Übrigens  wurde  auch  das  Verbot  von  1539  nicht  lange 
aufrechterhalten.  Daß  dieser  Ausgleich  unter  den  Provinzen  stets  zur  Versorgung 
des  Landes  genügte,  hebt  der  Venezianer  Michiel  1561  ausdrücklich  hervor  (Tom- 
maseo I,  390ff.). 


§§  27  u.  28.     Handel   und   politische   Organisation.  55 

Manche  nützliche  Angaben  über  Frankreich  auch  in  der  Reisebeschreibung 
des  Don  Antonio  de  Beatis  aus  den  Jahren  1517/18  (vollständige  Ausgabe  in  franzö- 
sischer Übersetzung  als  »Voyage  du  cardinal  d' Aragon  en  Allemagne,  Hollande, 
Belgique,  France  et  Italic«  par  M.  Havard  de  la  Montagne,  1913),  besonders  da  die 
venezianischen  Relationen  in  der  Hauptsache  erst  in  die  späteren  Jahrzehnte  fallen. 
Das  »Journal  d' an  boiirgeois  de  Paris«  (ed.  Bourrilly,  1910)  bringt  zu  den  ausländischen 
Berichten  kaum  etwas  Neues  bei. 

§  27.  Industrie  und  Handel.  Was  im  letzten  Paragraphen  nur  als 
Möglichkeit  hingestellt  wurde,  trat  in  Wirklichkeit  ein:  der  reiche  Er- 
trag, den  der  Überfluß  an  Naturprodukten  bot,  hatte  tatsächlich  zur 
Folge,  daß  die  französische  Bevölkerung  auf  den  Gewinn,  der  aus  einer 
intensiven  Beschäftigung  mit  Handel  und  Industrie  hätte  entspringen 
können,  Verzicht  leistete.  Der  Anteil  der  Franzosen  an  dem  Gewürz- 
handel, der  im  internationalen  Verkehr  noch  immer  seine  dominierende 
Stellung  behauptete,  war  ganz  unbedeutend,  und  auch  die  Einfuhr 
fremder  (besonders  italienischer)  Luxuswaren  wurde  in  der  Haupt- 
sache durch  ausländische  Kaufleute  besorgt.  In  der  Industrie  stand 
es  zwar  etwas  besser;  aber  der  Unterschied  war  nicht  groß.  Das  Textil- 
gewerbe  arbeitete  allerdings  auch  für  den  Export;  aber  seine  Produkte 
konnten  die  Konkurrenz  mit  den  besseren  Fabrikaten  Italiens  und 
der  Niederlande  nicht  aufnehmen  und  fanden  hauptsächlich  in  Län- 
dern wie  England  Absatz,  deren  Gewerbe  noch  rückständiger  war  als 
das  französische  (vgl.  §  82).  So  war  die  französische  Gesellschaft,  für 
die  von  ihr  in  großem  Umfange  konsumierten  feineren  Artikel  (Seiden- 
waren, Brokat,  Glaswaren,  Bijouterie  usw.)  ganz  auf  das  Ausland 
angewiesen,  und  ein  Export  aus  Frankreich  existierte  in  solchen  Waren 
so  gut  wie  gar  nicht.  Erst  in  den  späteren  Jahrzehnten  wurden  Ver- 
suche gemacht,  die  Fabrikation  der  bisher  aus  dem  Auslande  einge- 
führten Luxuswaren  (speziell  der  Seidengewebe)  auch  in  Frankreich 
einzubürgern.  Aber  selbst  wenn  diesen  Anstrengungen  ein  beträcht- 
licher Erfolg  beschieden  gewesen  wäre,  hätten  sie  auf  die  finanzielle 
Leistungsfähigkeit  Frankreichs  vor  1559  keinen  merkbaren  Einfluß 
ausüben  können. 

Literatur.  Vgl.  im  allgemeinen  das  zum  vorhergehenden  Paragraphen  Be- 
merkte. Die  venezianischen  Relationen  enthalten  speziell  über  die  Handelsbezie- 
hungen zwischen  Ualien  und  Frankreich  sachkundige  Angaben.  Auch  H.  Pigeonneau, 
»Histoire  du  Commerce  de  la  France«  II  (1889),  die  beste  zusammenfassende  Dar- 
stellung, stützt  sich  deshalb  zu  einem  guten  Teile  auf  diese.  —  Henri  Mouzot,  »Le 
Metier  de  la  soie  en  France«,  s.  d.   (1914). 

Einen  besonders  interessanten  Einblick  in  diese  Verhältnisse  bieten  die  Ver- 
handlungen, die  1517  zwischen  der  Regierung  und  den  »bonnes  villes«  geführt  wurden 
(in  dem  »Jour?ial  de  Jean  Barrillon«  [Soc.  de  l'Hist.  de  France]  I,  [1897],  282ff.).  Der 
Kanzler,  der  übrigens  ausdrücklich  die  wirtschaftliche  Unabhängigkeit  Frankreichs 
mit  der  ökonomischen  Abhängigkeit  der  anderen  Länder  in  Kontrast  setzte,  schlug 
vor,  die  Einfuhr  von  Luxuswaren  unmöglich  zu  machen  und  zwar  mit  Hilfe  einer 
Navigationsakte.  Der  allergrößte  Teil  der  Städte  erklärte  sich  aber  gegen  das  Projekt. 

§  28.  Die  innerpolitische  Organisation.  Die  hier  nur  in  dürftigen 
Umrissen    skizzierte    günstige    ökonomische    Lage    Frankreichs    erhielt 


56  Frankreich, 

nun  dadurch  für  die  Geschichte  des  europäischen  Staatensystems  Be- 
deutung, daß  die  Regierung  über  den  dabei  erzielten  Gewinn  so  un- 
beschränkt verfügen  konnte  wie  keine  andere,  mit  Ausnahme  der 
türkischen.  Wohl  bestand  in  der  Theorie  kein  Steuerabsolutismus  der 
Krone;  die  Reichsstände  waren  nie  abgeschafft  worden  und  in  manchen 
Provinzen  fanden  noch  regelmäßig  Ständeversammlungen  statt.  Aber 
faktisch  hatten  die  Reichsstände  zu  existieren  aufgehört  und  was 
vollends  das  Recht  zur  Bewilligung  von  Steuern  betraf,  so  war  der 
Engländer  Fortescue  sicherlich  im  Rechte,  wenn  er  dieses  als  in  Frank- 
reich nicht  mehr  vorhanden  betrachtete  {))Governance  of  England«, 
eh.  III,  p.  114).  Die  italienischen  Beobachter  betonen  einstimmig  und 
zweifellos  mit  Recht  die  finanzielle  Unumschränktheit  des  französischen 
Königs,  besonders  wenn  es  sich  um  eine  Angelegenheit  der  auswärtigen 
Politik  handelte.  »Bricht  ein  Krieg  aus,  so  liefert  die  französische 
Bevölkerung  unbedenklich  (volentieri)  so  viel  Geld,  als  die  Krone 
wünscht«,  meint  der  Venezianer  Cappello  im  Jahre  1554  (Alberi,  »Re- 
lazioni«  I,  2,  277).  So  gefügig  auch  z.  B.  das  englische  Parlament  unter 
den  Tudors  war,  und  so  viele  Mittel  auch  die  englische  Regierung  hatte, 
um  ihre  Finanzbedürfnisse  ohne  Mitwirkung  der  Stände  zu  befriedigen, 
so  bestand  doch  zwischen  ihrer  Machtvollkommenheit  und  der  des 
französischen  Königs  in  dieser  Beziehung  ein  beträchtlicher  Unter- 
schied, von  den  oft  recht  widerspenstigen  Ständen  der  spanischen 
Reiche,  der  österreichischen  Lande  usw.  gar  nicht  zu  reden  (vgl.  dazu 
freilich  §  19). 

Diese  Bedeutungslosigkeit  der  französischen  Stände  war  freilich 
mehr  ein  Symptom  als  die  Ursache  der  starken  Stellung  der  Krone. 
In  keinem  Lande  fehlten  die  Voraussetzungen  zu  einem  erfolgreichen 
Widerstände  gegen  die  Regierung  so  sehr  wie  in  Frankreich.  Das  ge- 
fährlichste Hindernis  der  königlichen  Machtvollkommenheit,  ein  Adel, 
der  es  an  Reichtum  und  politischem  Einfluß  hätte  mit  dem  Monarchen 
aufnehmen  können,  existierte  so  gut  wie  nicht  mehr.  Der  Venezianer 
Cavalli  war  nicht  im  Unrecht,  wenn  er  1546  betonte,  die  »principi« 
Frankreichs  seien  mit  einer  Ausnahme  viel  zu  arm,  als  daß  sie  etwas 
gegen  den  König  unternehmen  könnten  (Tommaseo  I,  274  f.).  Man 
bedenke,  wie  die  englische  Krone  selbst  noch  unter  dem  zweiten  Herr- 
scher aus  dem  Geschlechte  der  Tudors  ernsthafte  Befürchtungen  vor 
einer  Wiederkehr  der  ehemaligen  Herrschaft  der  Barone  glaubte  hegen 
zu  müssen  und  ermesse  daraus,  was  diese  ökonomisch-politische  Mo- 
nopolstellung des  französischen  Königs  bedeutete.  Dazu  kam,  daß 
dieser  Adel  nicht  nur  nicht  die  Mittel  zur  Auflehnung  gegen  die  Krone 
besaß,  sondern  ökonomisch  zu  einem  guten  Teile  geradezu  von  dieser 
abhängig  war.  Der  Adel  war  aus  wirtschaftlichen  Gründen  genötigt, 
den  Teil  der  Nachkommenschaft,  für  den  der  Ertrag  der  Güter  nicht 
ausreichte  (§26),  in  der  Armee  oder  der  Kirche  unterzubringen;  um 
hier  nun  Einlaß  zu  finden,  gab  es  kaum  einen  anderen  Weg  als  über 
die    königliche    Regierung.     Der    dritte    Stand    war    aus    begreiflichen 


§  28.     Innerpolitische  Organisation.  57 

Gründen  überall  einer  starken  Monarchie  Ireundlich  gesinnt;  in  Frank- 
reich war  aber  auch  die  wirtschaftliche  Existenz  des  Adels  sozusagen 
an  die  Beschützung  durch  das  Königtum  geknüpft.  Denn  es  gab  weder 
Handel  noch  Industrie,  die  den  Jüngern  Söhnen  des  Adels  eine  selb- 
ständige Existenz  hätten  gewähren  können  (§  27).  Auch  das  Kriegs- 
handwerk bestand  nicht  als  eigentlich  freier  Beruf;  die  Besetzung  der 
Stellen  in  den  Kompagnien  der  Reisigen  erfolgte  durch  die  Regierung. 
Nicht  anders  verhielt  es  sich  mit  den  hohen  kirchlichen  Würden;  das 
Konkordat  des  Jahres  1516  hatte  die  Verfügung  über  die  kirchlichen 
Pfründen  definitiv  in  die  Hände  der  königlichen  Regierung  gelegt 
(vgl.  darüber  von  Zeitgenossen  z.  B.  M.  Giustiniani  1535  bei  Tommaseo 
I,  50  f.).  Infolge  davon  hingen  auch  zahlreiche  Laien,  die  geistliche 
Benefizien  erhofften,  von  der  Krone  ab,  wie  anderseits  königliche 
Beamte  in  uneingeschränktem  Umfange  mit  einträglichen  kirchlichen 
Stellen  bezahlt  werden  konnten  (vgl.  z.  B.  die  Fälle  der  beiden  Diplo- 
maten Claude  Seyssel:  E.  Picot,  »Les  Francais  italianisants«  I  [1906] 
1  ff.  und  Marillac:  P.  de  Vaissiere,  »Charles  de  M.«  1896).  In  dieser 
Beziehung  nahm  die  französische  Krone  allerdings  keine  Ausnahme- 
stellung ein ;  aber  es  ist  immerhin  festzuhalten,  daß  sie  auch  in  diesem 
Punkte  mindestens  so  günstig  gestellt  war  wie  irgendeine  andere 
Regierung  (vgl.  auch  noch  §  62  das  über  die  Kaiser  und  Deutschland 
Gesagte). 

Ebensowenig  standen  der  Aktionsfreiheit  der  französischen  Kö- 
nige' weitreichende  Sonderprivilegien  im  Wege,  wie  etwa  die  Rechte 
der  aragonesischen  Länder  den  spanischen  Herrschern  oder  Rück- 
sichten auf  separatistische  Strömungen  in  Untertanengebieten,  wie  sie 
z.  B.  sogar  in  dem  Verhältnis  zwischen  Venedig  und  den  Besitzungen 
der  terra  ferma  nicht  außer  acht  gelassen  werden  durften  (§66). 

Es  war  daher  kaum  übertrieben,  wenn  ein  Venezianer  (Cavalli  bei 
Tommaseo  I,  272)  meinte,  die  Könige  von  Frankreich  könnten  sich 
weges  servorum«  nennen.  Unzweifelhaft  kam  den  französischen  Mon- 
archen kein  anderer  Fürst  an  Machtvollkommenheit  gleich.  Nicht 
einmal  der  osmanische  Kaiser  konnte  ihm  in  dieser  Beziehung  an  die 
Seite  gestellt  werden.  Denn  die  Herrschaft  der  französischen  Krone 
beruhte  nicht  auf  einer  Garde  gleich  dem  Janitscharenkorps,  das  für 
die  Unabhängigkeit  der  Regierung  eine  ständige  Gefahr  bildete  (§  77). 
Sie  lag  in  der  Interessengemeinschaft  begründet,  die  alle  Stände  mit 
der  Regierung  verband.  Nur  einmal  hat  ein  Mitglied  des  hohen  Adels, 
der  Connetable  von  Bourbon,  versucht,  sich  gegen  die  Krone  zu  er- 
heben (§  119);  der  klägliche  Ausgang  seines  Unternehmens  hat  dann 
aber  gezeigt,  daß  zum  Erfolge  solcher  Bestrebungen  alle  Voraus- 
setzungen fehlten. 

Unabhängig  von  dieser  Feststellung  ist  die  Frage,  wieweit  die 
französische  Regierung  ihre  günstige  Position  in  der  Führung  der  aus- 
wärtigen Politik  ausgenutzt  hat.  Darüber  werden  in  §  31  einige  Be- 
merkungen folgen. 


58  Frankreich. 

Literatur.      \  gl.    die   Anmerkungen   zu   den   vorhergehenden  Paragraphen. 
—  R.  Holtzmann,  »Französi.sche  Verfassung-sgeschichte«,  1910;  P.  Viollet,  »Histoire 
\      des  Institutions  politiques  et  administratives  de  la  France«,  1898,  und   »Le  Roi  et  ses 
Ministres«.  1912;  alle  drei  mit  Literaturangaben. 

§  29.  Die  Armee.  Die  eben  geschilderten  ökonomischen  und 
pohtischen  Verhältnisse  haben  auch  den  Charakter  des  französischen 
Heerwesens  bestimmt. 

Die  Söhne  des  Adels,  die  auf  dem  väterlichen  Gute  kein  Aus- 
kommen fanden,  stellten  die  Mannschaft  zu  den  Kompagnien  der 
Reisigen  oder  gens  d' armes;  kein  Wunder,  daß  die  Regierung  hier 
über  eine  Waffe  verfügte,  der  an  Qualität  und  Loyalität  die  schwere 
Kavallerie  keines  anderen  Staates  gleichkam.  Wenn  die  Kriege  noch 
wie  in  früheren  Jahrhunderten  in  der  Hauptsache  durch  diese  Waffe 
entschieden  worden  wären  (vgl.  §  7),  so  hätte  Frankreich  unzweifelhaft 
die  militärische  Superiorität  besessen.  Besonders  dem  zunächst  gefähr- 
lichsten Rivalen  Spanien  gegenüber  war  die  Überlegenheit  der  franzö- 
sischen schweren  Reiterei  offenkundig:  die  Hochebenen  Kastiliens 
und  Aragons  gewährten  ja  auch  den  spanischen  Adligen  weniger  Ge- 
legenheit zu  dieser  Art  kavalleristischer  Ausbildung  als  die  französische 
Landschaft, 

Die  leichte  Reiterei  war  ganz  unbedeutend.  In  Italien  konnte 
sie  allerdings  nicht  entbehrt  werden,  schon  nur  der  Konkurrenz  der 
Stradioten  und  Ginetes  wegen  (vgl.  §  8).  Das  Königreich  selbst  war 
aber  nicht  imstande,  diese  Truppe  zu  stellen;  die  leichte  Reiterei  der 
Franzosen  bestand  deshalb  in  der  hier  behandelten  Zeit  so  gut  wie  aus- 
schließlich aus  »Albanesen«  (das  war  die  in  Frankreich  eigentlich  so- 
genannte »C aValerie «^  die  man  von  der  ))ge}idarmerie«  unterschied. 
Vgl.  P.  Viollet,  »Le  Roi  et  ses  Ministres«  1912,  p.  349  f.).  Die  fran- 
zösische Regierung  befand  sich  also  der  leichten  Reiterei  gegenüber 
in  einem  ähnlichen  Verhältnisse  wie  gegenüber  der  Infanterie:  wollte 
sie  leistungsfähige  Truppen  verwenden,  so  mußte  sie  sie  im  Auslande 
anwerben. 

Nur  daß  diese  Abhängigkeit  von  fremden  Söldnern  für  die  In- 
fanterie schwerere  Folgen  nach  sich  zog.  Eine  französische  Armee 
konnte  sich  schließlich  auch  ohne  eigene  leichte  Reiterei  behelfen  (vgl. 
z.  B.  die  Zusammensetzung  des  französischen  Heeres  in  der  Schlacht 
bei  Ravenna  1512:  E.  Siedersieben,  »Die  Schlacht  bei  Ravenna«  1907, 
S.  28  und  50);  ohne  eine  nach  schweizerischer  Methode  geschulte  In- 
fanterie war  dagegen  nicht  auszukommen  (§  5).  Zu  einer  solchen  fehlten 
nun  in  Frankreich  die  Voraussetzungen.  Der  Adel  war  dem  Dienst 
bei  der  für  niedrig  gehaltenen  Waffe  abgeneigt,  und  die  Bauernbevöl- 
kerung wurde  durch  keine  ökonomische  Notlage  zum  Kriegshandwerk 
hingetrieben.  Es  blieb  also  nur  der  Ausweg,  sich  an  das  Ausland  zu 
wenden.  — 

Dies  ist  denn  auch  geschehen,  und  die  Infanterieregimenter  der 
französischen    Armee    bestanden    zum    größten    Teile    aus    Fremden 


§  29.    Die   Armee.  59 

(Schweizern  oder  deutschen  Landsknechten).  Nur  aus  der  Gascogne 
konnte  brauchbare  einheimische  Infantei'ie  in  größerer  Anzahl  bezogen 
Averden;  es  scheint,  daß  die  Pyrenäengegenden  in  dieser  Beziehung 
ähnhch  günstige  Bedingungen  aufwiesen  wie  die  kastihsche  Landschaft 
(Machiavelli  konstatiert  ausdrückhch  eine  Ähnlichkeit  zwischen  Gas- 
cognern  und  Spaniern,  was  die  infanteristische  Tauglichkeit  betrifft  ; 
vgl.  seine   »Ritratti  di  Franciaa). 

Man  kann  nicht  sagen,  daß  die  französische  Regierung  vor  den 
bedenklichen  Folgen  dieser  Abhängigkeit  vom  Auslande,  die  gerade 
die  wichtigste  Waffe  betraf,  ihre  Augen  verschlossen  hätte.  Sie  hat 
vielmehr  verschiedene  Versuche  gemacht,  diesem  unbefriedigenden 
Zustande  abzuhelfen.  Zwei  Mittel  boten  sich  dar:  entweder  den  Adel 
zu  nötigen,  wenigstens  zum  Teil  bei  der  Infanterie  zu  dienen  oder  aus 
den  französischen  Bauern  zwangsweise  eine  nationale  Miliz  zu  bilden. 
Beide  Wege  sind  dann  auch  begangen  werden.  Aber  beide  erwiesen 
sich  nicht  als  ausreichend.  Wohl  ließen  sich  etwa  Edelleute  unter  die 
Gascogner  einreihen  (vgl.  Fischer,  »Die  Schlacht  bei  Novara«,  1908, 
S.  109  und  K.  Stallwitz,  »Die  Schlacht  bei  Ceresole«,  1911,  S.  75  f.), 
andere  nahmen  wenigstens  Offiziersstellen  bei  der  Infanterie  an  (wie 
Monluc,  »Cojnmentaires«  ed.  Courteault  I,  44,  63,  72,  75  und  Bayart, 
y>Le  Loyal  Serüiteur«  ed.  Soc.  deVHist.  de  France  ]).  139  f.  und  430  ff.); 
aber  es  waren  ihrer  zu  wenige,  als  daß  sich  aus  ihnen  hätten  ganze 
Kompagnien  bilden  lassen.  Und  die  Versuche,  die  die  Regierung  1509 
und  1534  (die  »Legionen«  Franz'  I.)  zur  Bildung  einer  nationalen  Miliz 
machte,  hatten  ein  durchaus  unbefriedigendes  Resultat.  Zu  dem  Feld- 
zug des  Jahres  1544,  der  durch  die  Schlacht  bei  Ceresole  bezeichnet  ist, 
wurden  daher  wohl  Gascogner,  aber  keine  »Legionäre«  verwendet 
(Stallwitz  in  der  zitierten  Schrift  S.  75). 

So  blieb  es  denn  dabei,  daß  Frankreich  für  seine  wichtigste  Waffe 
auf  das  Ausland  (anfänglich  so  gut  wie  ausschließlich  auf  die  Schweizer, 
später  daneben  auch  auf  die  Werbungen  in  Deutschland)  angewiesen 
war.  Die  Regierung  besaß  daher  keine  Garantien  dafür,  daß  sie  jeder- 
zeit über  eine  genügende  Anzahl  leistungsfähiger  Infanteristen  ver- 
fügen konnte.  Und  in  ihrer  auswärtigen  Politik  war  sie  mindestens  zwei 
Staaten  gegenüber  stark  eingeschränkt.  Die  Anwerbelizenzen  der  eid- 
genössischen Orte  ließen  sich  nur  mit  Konzessionen  erkaufen,  die  neben 
finanziellen  auch  politische  Opfer  erforderten,  und  der  Bezug  von 
deutschen  Landsknechten  hing  teils  von  dem  guten  Willen  der  deutschen 
Stände,  hauptsächlich  aber  davon  ab,  ob  die  kaiserliche  INIacht  (gegen 
die  sich  die  Werbungen  vielfach  richteten)  imstande  war,  die  Grenzen 
zu  sperren.  Die  Folge  mußte  hier  zum  mindesten  eine  konziliante 
Politik  gegenüber  den  Ständen  sein,  was  wohl  neben  anderen  Gründen 
(vgl.  §  61)  nicht  zum  wenigsten  die  französische  Regierung  nie  an 
eine  aggressive  Politik  gegen  Deutschland  hat  denken  lassen,  — 
außer  natürlich  in  eventueller  Verbindung  mit  deutschen  Ständen 
selbst. 


60  Frankreich. 

Dabei  fiel  zuungunsten  Frankreichs  noch  besonders  in  Betracht, 
daß  es  in  dieser  Beziehung  gerade  mit  seinen  beiden  gefährlichsten 
Rivalen  besser  bestellt  war,  Spanien  sowohl  wie  auch  die  habsbur- 
gischen  Herrscher  konnten  ihre  Infanterie  aus  Landeskindern  bilden, 
und  wenn  diese  Truppen  deshalb  auch  noch  nicht  unbedingt  zuverlässig 
waren,  so  hing  ihre  Verwendung  doch  wenigstens  nicht  vom  guten 
Willen  einer  ausländischen  Macht  ab.  Dieser  Nachteil  konnte  nur  da- 
durch zum  Teil  ausgeglichen  werden,  daß  die  französische  Regierung, 
dank  ihrer  uneingeschränkten  Verfügung  über  den  Reichtum  des 
Landes  (§  28),  wenigstens  nie  der  Mittel  ermangelte,  um  auf  dem  Söldner- 
markte die  höchsten  Preise  zu  offerieren. 

Die  unbedingte  Superiorität  hatte  dagegen  Frankreich  auf  dem 
Gebiet  der  Artillerie  und  des  Befestigungswesens.  Welche  Ur- 
sachen den  Franzosen  diesen  Vorsprung  verschafften,  ist  noch  kaum 
je  ernsthaft  untersucht  worden,  obwohl  die  Tatsache  selbst  durchaus 
nicht  ohne  weiteres  verständlich  ist,  stand  doch  sonst  das  französische 
Handwerk  technisch  hinter  den  führenden  Industriestaaten  unzweifel- 
haft zurück  (§27);  als  wahrscheinlichste  Erklärung  muß  vorerst  die 
Vermutung  gelten,  daß  die  langwierigen  Belagerungsoperationen,  die 
den  Hundertjährigen  Krieg  schließlich  zugunsten  Frankreichs  ent- 
schieden hatten,  auf  die  Entwicklung  der  artilleristischen  Waffe  in 
besonderem  Maße  fördernd  einwirkten.  Aber  wie  es  sich  damit  nun 
auch  verhalten  haben  mag,  die  Überlegenheit  der  französischen  Ar- 
tillerie während  der  ganzen  hier  behandelten  Periode  steht  fest,  und 
es  gibt  wohl  keine  einzige  Feststellung  dieser  Art,  die  durch  eine  solche 
Fülle  von  Zeugnissen  gestützt  werden  könnte  wie  diese,  und  zwar 
ergeben  die  Rückschlüsse,  die  die  Forschung  aus  dem  Verlauf  von 
Belagerungen  und  Schlachten  ziehen  kann,  ein  ebenso  klares  Resultat 
W'ie  die  zahlreichen  direkten  Aussagen  in  Relationen  und  Akten. 

Wenn  das  metallarme  und  technisch  vielfach  rückständige  Frank- 
reich für  die  Entwicklung  des  Artilleriewesens  wenig  günstige  Be- 
dingungen aufwies,  so  wurde  dieser  Übelstand  nämlich  dadurch  voll- 
ständig wettgemacht,  daß  die  französische  Regierung  dem  Bau  von 
Geschützen  und  Befestigungsanlagen  eine  so  systematische  Pflege 
zuwandte  wie  kein  anderer  Staat  der  damaligen  Zeit.  Der  Mangel  an 
einheimischen  Ingenieuren  wurde  durch  die  häufige  Verwendung  aus- 
ländischer (hauptsächlich  italienischer)  Spezialisten  ausgeglichen.  Das 
Metall  mußte  zwar  importiert  werden;  aber  die  Regierung  wußte  es 
trotzdem  einzurichten,  daß  sogar  ein  besseres  Material  verwendet 
wurde  als  im  Venezianischen  (vgl.  Giustiniani  bei  Tommaseo  I,  94). 
Die  Hauptsache  aber  war,  daß  ganz  im  Gegensatze  zu  anderen  Zweigen 
der  französischen  Staatsverwaltung  für  diesen  Teil  der  Rüstungen  der 
Eifer  der  Behörden  nie  nachließ.  Selbst  wenn  die  Angaben  der  vene- 
zianischen Gesandten  über  die  unverhältnismäßig  hohen  Kosten,  die 
die  französische  Regierung  für  ihre  Befestigungen  aufbrachte,  und  über 
die    stete    Modernisierung,    der   die    Fortifikationsanlagen   unterworfen 


§  29.    Die  Armee.  61 

wurden  (vgl.  besonders  Dandolo  1547  bei  Alberi,  »Relazioni«  I,  2,  183 ff.), 
im  einzelnen  nicht  immer  zuverlässig  wären,  so  würde  doch  schon  der 
Ton  der  Be-  und  Verwunderung,  mit  dem  diese  Vertreter  eines  nichts 
weniger  als  schlecht  gerüsteten  Staatsw^esens  von  den  französischen 
Leistungen  sprechen,  dafür  Zeugnis  ablegen,  daß  die  französische  Ver- 
waltung dem  Geschützwesen  eine  ganz  außergewöhnliche  Sorgfalt  zu- 
teil werden  ließ.  Es  ist  allerdings  richtig,  daß  äußere  Umstände  der 
französischen  Regierung  dabei  zuhilfe  kamen:  ein  großer  Teil  der  West- 
grenze brauchte  kaum  geschützt  zu  werden,  und  vor  allem  war  im 
Innern  so  vollständige  Ordnung  hergestellt  (§  28),  daß  die  von  den 
Grenzen  weiter  entfernt  liegenden  Plätze,  wie  z.  B.  Paris  (vgl.  u.  a. 
Cavalli  bei  Tommaseo  I,  260),  vernachlässigt  und  alle  Aufmerksamkeit 
auf  die  nahe  bei  den  Grenzen  befindlichen  Festungen  konzentriert 
werden  konnte  (vgl.  §  11).  Allein  daraus  hätte  ja  noch  nicht  zu  folgen 
brauchen,  daß  die  Regierung  diese  günstige  Gelegenheit  nun  auch 
ausgenutzt  hätte,  wie  geschehen  ist,  und  vor  allem  wäre  damit  auch 
nicht  die  ausgezeichnete   Qualität  der  Artillerie  zu  erklären. 

Die  Superiorität  der  französischen  Artillerie  ist  den  übrigen  euro- 
päischen Staaten  zum  ersten  Male  bei  der  italienischen  Expedition 
des  Jahres  1494  zum  Bewußtsein  gekommen.  Sie  hat  nicht  nur  in 
Italien  beinahe  eine  Revolution  im  Geschützwesen  hervorgerufen  und 
zu  zahlreichen  Nachahmungen  angeregt  (vor  allem,  wie  es  scheint,  in 
Venedig),  sondern  auch  bei  den  übrigen  Großstaaten  (besonders  bei 
den  Habsburgern)  die  Regierungen  zu  Anstrengungen  bewogen,  um 
den  Vorsprung  der  französischen  Geschützfabrikation  einzuholen.  Aber 
der  Erfolg  aller  dieser  Versuche  war  doch  nur  relativ.  Es  gelang  aller- 
dings einzelnen  ausländischen  Staaten,  den  Unterschied,  der  zu  Beginn 
der  Periode  zwischen  ihrer  Artillerie  und  der  französischen  bestand, 
beträchtlich  zu  verkleinern;  aber  ganz  haben  sie  ihr  Vorbild  doch  nie 
erreicht.  Die  letzten  Feldzüge  weisen  in  dieser  Beziehung  kaum  einen 
anderen  Charakter  auf  als  die  ersten:  den  französischen  Armeen  gelingt 
es  meist,  in  kurzer  Zeit  feindliche  Festungen  zu  nehmen,  feindliche 
Armeen  aber  können  kaum  je  französische  feste  Plätze  bezwingen. 
Was  Macliiavelli  im  siebenten  Buch  seiner  »Kriegskunst«  (1521)  über 
die  trotz  aller  italienischen  Bemühungen  immer  noch  existierende 
Überlegenheit  der  französischen  Befestigungsanlagen  und  der  fran- 
zösischen Artillerie  bemerkt,  gilt  im  großen  und  ganzen  bis  zum  Schluß 
des  Zeitraums  und  nicht  nur  für  Italien. 

Wie  sehr  sich  die  französische  Waffenfabrikation  auf  die  Artillerie 
konzentrierte,  wird  ferner  auch  durch  die  Tatsache  illustriert,  daß 
das  Land,  das  die  besten  Kanonen  goß,  seine  Schutzwaffen  (Rüstun- 
gen) in  der  Hauptsache  aus  dem  Ausland  (vor  allem  aus  Oberitalien) 
beziehen  mußte  (vgl.  Soranzos  Relation  von  1558  bei  Alberi  I  2,, 
S.  405),  —  ein  Schicksal,  das  es  allerdings  mit  den  meisten  anderen 
Ländern  teilte. 


62  Frankreich. 

Literatur.  Vgl.  die  Angaben  zu  den  §§5—10,  sowie  die  Bemerkungen  zu 
den  vorliergehenden  Paragraphen  unter  Frankreich.  In  M.  Hobohms  »Machiavellis 
Renaissance  der  Kriegskunst«  ist  das  Kapitel  11,  312 ff.  speziell  Frankreich  gewidmet. 
Die  wichtigste  Quelle  ist  auch  hier  die  Kriegsgeschichte  selbst,  mit  der  sich  übrigens 
die  Urteile  der  Relationen  und  zeitgenössischen  ernsthaften  Historiker  durchaus  im 
Einklang  befinden. 

Die  Überlegenheit  der  französischen  Artillerie  und  des  Befestigungswesens 
wird  bekanntlich  bereits  von  Commines  betont  (ed.  Mandrot  II,  149,  211  f.).  Dann 
folgt  eine  ununterbrochene  Reihe  von  Zeugnissen.  Jovius  meint  denn  auch 
geradezu,  die  Franzosen  hätten  sich  hauptsächlich  auf  ihre  Geschütze  verlassen 
{Uormenta  .  .  .,  in  quibus  Galli  semper  plus  fiduciae  quam  in  dextris  atque  virtute 
Omnibus  bellis  posuissent«  .  .  .  »Historiae  sui  temporis«,  1.  XI),  wobei  er  allerdings 
wohl  die  Hoffnungen,  die  auf  die  schwere  Reiterei  gesetzt  wurden,  zu  gering  anschlägt. 
Doch  urteilt  ganz  wie  er  auch  ein  florentinischer  Diplomat  im  Jahre  1494  (Des- 
jardins,  »Negociations  diplomatiques  de  la  France  avec  la  Toscanev.  I  [1859],  409. 
(Documents  inedits.) 

Charakteristischer  ist  aber  vielleicht  noch,  wie  in  Koalitionsfeldzügen  die 
Franzosen  so  gut  wie  regelmäßig  die  artilleristische  Ausrüstung  für  ihre  Bundes- 
genossen ganz  oder  zum  Teil  übernehmen  mußten.  So  bei  der  gemeinsamen  Ex- 
pedition Cesare  Borgias  und  der  Franzosen  im  Jahre  1499  (W.  H.  Woodward,  »Cesare 
Borgia«  1913,  p.  157).  Die  schottischen  Festungen  wurden  in  Allianzkriegen  mit 
französischen  Soldaten  besetzt  (Soranzo  bei  Alberi,  »Relazioni«  I.  2,  p.  411;  15581. 
Xgl.  auch  G.  Fischer,  »Die  Schlacht  bei  Novara«  1908  (Berliner  Diss.),  S.  105. 
Französische  Kanonen  in  Mantua:  M.  de  Salinas,   »Carlas«,  p.  485  (1530). 

Über  die  Umgestaltung,  die  \  cnedig  an  seinem  Geschützwesen  unter  dem 
Eindruck  der  französischen  Erfolge  seit  1494  vornahm,  viele  Notizen  bei  Sanuto. 
1496  werden  hundert  Stück  »Bombarden«  hergestellt,  i>al  costume  et  modo  usano 
Francesi«  (»Diarien«  I,  146),  also  wohl  ein  guter  Teil  des  gesamten  Artillerieparks. 
Angefertigt  wurden  diese  Kanonen  von  einem  früheren  Geschützgießer  des  französi- 
schen Königs  (ibid.  p.  375).  Vgl.  auch  p.  211,  512,  516  (Notiz  über  einen  Ort,  den 
die  Franzosen  dank  ihrer  Artillerie  ohne  Kampf  einnehmen)  usw.  Über  italienische 
Ingenieure,  die  in  Frankreich  verwendet  wurden,  vgl.  z.  B.  Monluc,  »Co?nmenia.ires«, 
1.  I,  ed.  Courteault  I,  129;  Dandolo  bei  Alberi  I,  2  (1840),  183ff.  Bezeichnend  ist 
dabei,  daß  sogar  die  Gießer,  die  italienische  Regierungen  aus  Frankreich  kommen 
ließen,  ursprünglich  Italiener  waren,  wie  der  Vizentiner,  der  in  Venedig  die  100 
eben  erwähnten  Bombarden  anfertigte  (Sanuto  I,  146).  Die  technische  Vorbildung 
war  in  Italien  eher  als  in  Frankreich  zu  finden;  die  französische  Regierung  wendete 
dem  Artilleriewesen  aber  größere  Aufmerksamkeit  zu. 

Über  den  Ursprung  dieser  Superiorität  und  den  Einfluß  des  Hundertjährigen 
Krieges  vgl.  Alfred  Spont,  »La  Milice  des  francs-arches«  in  der  »Revue  des  Questions 
historiques«  61  (1897),  442 f.,  der  auch  vieles  über  die  Bedeutung  der  schweizerischen 
Söldner  für  Frankreich  beibringt. 

§  30.  Die  Marine.  Die  militärische  Bilanz  lautet  für  Frankreich, 
was  die  Landstreitkräfte  anbetrifft,  nicht  ungünstig.  Kam  auch  die 
einheimische  Infanterie  kaum  in  Betracht,  hatte  auch  die  vortreffUche 
schwere  Reiterei  erheblich  an  Bedeutung  verloren,  fehlte  auch  die  leichte 
Reiterei  so  gut  wie  ganz,  so  stand  diesen  Passiven  doch  das  Aktivum 
gegenüber,  daß  die  Regierung  mit  ziemlicher  Sicherheit  auf  die  An- 
werbung ausländischer  hervorragender  Infanteriesöldner  rechnen  konnte, 
und  daß  die  einheimische  Artillerie  die  erste  Europas  war. 

Ganz  anders  stand  es  mit  der  Flotte.  Hier  waren  die  eigenen 
Streitkräfte,  besonders  was  das  eigentliche  Kampfgebiet,  nämlich  das 
Mittelländische  Meer  betraf,  in  jeder  Beziehling  ungenügend,  und  der 


§  30.    Die  Marine.  63 

Ersatz,  der  aus  dem  Ausland  bezogen  werden  mußte,  war  durchaus 
unsicher. 

Eine  französische  Handelsschifi'alirt  von  einiger  Bedeutung  exi- 
stierte nur  an  der  Küste  des  Atlantischen  Ozeans.  Man  könnte  die 
dortige  Handelsmarine  sogar  als  für  die  militärischen  Verhältnisse  der 
nördlichen  Meere  völlig  ausreichend  bezeichnen ;  denn  obwohl  der 
Zahl  nach  hinter  den  Flotten  der  Hanse  und  der  Niederländer  zurück- 
stehend, so  genügten  doch  die  französischen  Schiffe,  die  ja  zugleich 
auch  die  Grundlage  der  Kriegsmarine  bildeten  (§  13),  um  der  ebenfalls 
kleinen  Seemacht  des  einzigen  Staates,  der  als  Kriegsgegner  zur  See 
in  Betracht  kam,  nämlich  Englands,  die  Stange  zu  halten.  Aber  im 
Mittelmeer,  in  dem  vom  »Ponant«  durchaus  geschiedenen  »Levant«, 
lagen  die  Verhältnisse  ganz  anders.  Zu  einer  eigenen  französischen 
Handelsschiffahrt  waren  dort  kaum  Rudimente  vorhanden;  der 
Handelsverkehr,  der  im  Mittelländischen  Meere  betrieben  wurde, 
befand  sich  ja  fast  ganz  in  den  Händen  von  Fremden  (§  27),  wie  denn 
auch  Lyon  als  in  der  Mehrzahl  von  Ausländern  (Italienern)  bewohnt 
bezeichnet  wurde  (Navagero  1528  bei  Tommaseo  I,  34  ff.).  Dazu  kam, 
daß  wegen  der  besonderen  Verhältnisse  der  Seekriegführung  im  Mittel- 
meer auch  eine  stärkere  Entwicklung  der  französischen  Handelsschiff- 
fahrt noch  nicht  ohne  weiteres  das  Material  für  eine  Kriegsflotte  ge- 
liefert hätte,  und  daß  aus  demselben  Grunde  auch  die  französischen 
Schiffe  des  »PonanHi  nicht  zum  Ersätze  herangezogen  werden  konnten 
(vgl.  §  14). 

Man  kann  auch  hier  nicht  sagen,  daß  die  Regierung  diesem  un- 
befriedigenden Zustand  mit  Gleichgültigkeit  zugesehen  hätte.  Be- 
sonders seitdem  die  Provence  dem  direkten  Herrschaftsgebiet  der  fran- 
zösischen Krone  einverleibt  worden  war  (1481),  hatte  es  nicht  an  Ver- 
suchen gefehlt,  die  Grundlagen  einer  französischen  Seemacht  im  Mittel- 
meer zu  schaffen  (vgl.  vor  allem  A.  Spont  in  der  »Revue  des  Questions 
historiques«  55  [1894],  435  ff.).  Schon  Ludwig  XL  arbeitete  in  dieser 
Richtung,  und  als  die  Expedition  des  Jahres  1494  dann  die  Schwäche 
der  französischen  Marine  offen  dargelegt  hatte,  leitete  die  Regierung 
1496  den  Bau  einer  mit  Sträflingen  bemannten  Galeerenflotte  ein 
(Spont  ibid.  p.  393).  Und  auch  später  wurden  mehrfach  noch  groß- 
artige Projekte  aufgestellt,  um  die  französische  Marine  zum  Rang  einer 
leistungsfähigen  Waffe  zu  erheben;  es  sei  nur  an  die  bei  La  Ronciere, 
»Histoire  de  la  Marine  frangaise«  III  (1906),  453 — 479  resümierten 
Pläne  der  Regierung  Heinrichs  IL  erinnert. 

Aber  all  diesen  Bestrebungen  war  kaum  ein  größerer  Erfolg  be- 
schieden als  den  Versuchen,  eine  brauchbare  einheimische  Infanterie 
zu  schaffen.  Die  französische  Flotte  im  Mittelmeer  blieb  klein  und 
offenbar  auch  wenig  leistungsfähig;  soweit  sie  Erfolge  hatte,  war  dies 
nur  darauf  zurückzuführen,  daß  die  überlegene  Artillerie  auch  hier 
Mängel  der  übrigen  Ausrüstung  auszugleichen  vermochte  (vgl.  §  12). 
Jedenfalls  konnte  nie  davon  die  Rede  sein,  daß  die  französische  Marine 


64  Frankreich. 

den  Kampf  mit  einem  der  großen  Seestaaten  des  Mittelländischen 
Meeres  hätte  aufnehmen  können. 

Es  blieb  der  französischen  Regierung  daher,  wollte  sie  nicht  über- 
haupt auf  ihre  italienische  Politik  verzichten,  kein  Ausweg  übrig,  als 
eine  ausländische  Flotte  in  ihre  Dienste  zu  nehmen,  und  zwar  kam 
dafür  nur  die  genuesische  in  Betracht.  Aber  einer  festen  Verbindung, 
die  erlaubt  hätte,  daß  die  Franzosen  unter  allen  Umständen  auf  die 
Unterstützung  der  genuesischen  Marine  hätten  rechnen  können,  standen 
noch  viel  größere  Schwierigkeiten  entgegen  als  einer  befriedigenden 
Regelung  der  Beziehungen  zu  den  Schweizern  oder  den  deutschen 
Söldnerhauptleuten.  Die  Republik  Genua  war  nur  scheinbar  ein  freier 
Staat;  in  Wirklichkeit  hing  sie.  die  sich  aus  eigenen  Kräften  zu  Lande 
nicht  verteidigen  konnte,  von  der  Militärmacht  ab,  die  das  Mailändische 
beherrschte,  und  selbst  ein  sich  einem  Protektorat  näherndes  Abkommen 
mit  Genua  war  so  lange  von  prekärem  Wert,  als  die  französische  Re- 
gierung nicht  zugleich  das  Herzogtum  Mailand  in  ihrer  Gewalt  hatte. 
Nun  war  aber  auch  dieses  Gebiet  nur  mit  Mühe  und  mit  Hilfe  fremder 
Söldner  zu  behaupten;  die  französische  Regierung  mußte  es  demnach 
beinahe  wie  einen  Zufall  betrachten,  wenn  in  ihren  Feldzügen  die 
genuesische  Flotte  auf  ihrer  Seite  focht. 

Die  historische  Forschung  darf  in  ihren  Feststellungen  vielleicht 
sogar  noch  etwas  weiter  gehen,  als  in  den  vorhergehenden  Bemerkungen 
geschehen  ist.  Es  ist  bereits  darauf  hingewiesen,  daß  die  französische 
Regierung  gegen  die  Mängel  ihrer  Rüstung  zur  See  keineswegs  blind  war. 
Aber  es  muß  doch  auch  gesagt  werden,  daß  sie  auch  hier  kaum  alles 
getan  hat,  was  in  ihren  Kräften  lag,  um  diesem  Übelstande  abzuhelfen, 
und  vor  allem,  daß  sie  nicht  immer  in  der  Führung  ihrer  auswärtigen 
Politik  diese  Schwäche  gebührend  in  Rechnung  gesetzt  hat.  So  war 
ihre  italienische  Politik  zwar  im  allgemeinen  von  der  Überzeugung 
beherrscht,  daß  jede  Ausdehnung  nach  dieser  Seite  hin  den  Besitz  Mai- 
lands, d.  h.  die  Verfügung  über  die  genuesische  Marine  zur  Voraus- 
setzung haben  müsse;  aber  im  einzelnen  finden  sich  doch  manche  Ab- 
weichungen von  diesem  Prinzip,  und  schon  die  Expedition  nach  Neapel 
im  Jahre  1494  gehört  in  gewisser  Beziehung  in  diese  Rubrik. 
Bei  den  großen  Reformprojekten  mangelte  es  dann  öfter  an  Konsequenz 
in  der  Durchführung,  wenn  diese  überhaupt  in  Angriff  genommen  wurde. 
Vielleicht  müssen  sogar  die  Versuche,  die  nur  im  Mittelmeere  eigentlich 
brauchbare  Galeerenschiffahrt  nach  nördlichen  Meeren  zu  verpflanzen 
(meistens  natürlich  unter  Leitung  italienischer  Fachmänner),  nicht  als 
ein  Zeichen  planmäßiger  Sorge  für  die  Flotte,  vielmehr  eher  als  Symptom 
dilettantischen  Eifers  aufgefaßt  werden  (solche  Fälle  erwähnt  z.  B.  in 
»Leiters  and  Papers  relating  to  the  War  with  France  1512J13«  ed.  A.  Spont 
1891  p.  71  f.  [Navy  Records  Soc.]:  Dandolo  bei  Alberi,  »Relazioni«  I, 
2,  177).  Die  schheßliche  Folge  dieser  Politik  war  jedenfalls,  daß  Frank- 
reich, nachdem  einmal  (Mailand  und)  Genua  definitiv  an  den  Gegner 
verloren  war,  sich  zu  der  unpopulären  Allianz  mit  der  Türkei  (vgl.  §  23) 


§  31.     Auswärtige   Politik.  65 

verstehen  mußte,   um   nicht  ganz   vom  Mittelländischen   Meere  ausge- 
schlossen zu  sein. 

Literatur.  Der  dritte,  19ü(j  erschienene,  Band  der  »Histnire  de  la  Marine 
francaise«  von  Charles  de  la  Ronciere,  der  den  Spezialtitel  »Guerres  d" Italie.  Liberte 
des  Mers«  führt,  ist  zwar  in  der  Benutzung  der  Quellen  nicht  immer  kritiscli  genug, 
enthält  aber  gute  Gesichtspunkte  und  verzeichnet  vor  allem  die  Literatur  so  voll- 
ständig, daß  eine  nochmalige  Aufzählung  an  dieser  Stelle  unnötig  ist,  um  so  mehr 
da  seither  über  dieses  Thema  kaum  etwas  Wichtigeres  publiziert  worden  ist.  Es 
seien  daher  aus  der  Spezialliteratur  nur  zitiert  die  beiden  Aufsätze  von  Alfred  Spont, 
»La  Marine  frangaise  soiis  le  regne  de  Charles  VIII«  in  der  »Revue  des  Questions 
historiques«  55  (1894),  387  —  454,  und  »Les  Galeres  royales  dans  la  Mediterranee  de 
1496  ä  1516«,  ibid.  58   (1895),  391-429. 

Die  kardinale  Bedeutung  von  Genua  für  die  Hegemonie  über  Italien  wird  in 
zahlreichen  zeitgenössischen  Zeugnissen  hervorgehoben.  Ebenso  daß  der  Besitz 
der  Stadt  an  die  Herrschaft  über  Mailand  geknüpft  war.  So  schreiben  die  veneziani- 
schen Gesandten  aus  Gent,  Kaiser  Karl  wolle  deshalb  nicht  in  eine  Abtretung  Mai- 
lands an  Frankreich  einwilligen,  da  Frankreicli  dann  »dovesse  etiam  havere  Genova 
a  sua  deootione«  { »Venezianische  Depeschen  vom  Kaiserhofe«  I,  414) ;  vgl.  im  übrigen 
La  Ronciere,  p.  27,  35,  37,  61  f.  usw.  König  Franz  I.  selbst  drückte  sich  Karl  gegen- 
über geringschätzig  über  seine  Flotte  aus  (mit  Ausnahme  der  von  Genua  in  Sold 
genommenen  Schiffe):  »Captiviie  du  roi  Frangois  Z^*"«  (1847),  p.  2'iß  ( Doc.  inedits). 
Die  Marinestreitkräfte  Frankreichs  im  Mittelmeer  genügten  nicht  einmal  zur  Ver- 
teidigung der  Küste  gegen  die  nordafrikanischen  Piraten  (vgl.  das  Schreiben  Franz'  1. 
bei  Charriere,   »Negociations«  I,  191). 

t  ber  die  Allianz  mit  den  Türken  und  die  Möglichkeit,  eine  Flotte  aus  eigenen 
Kräften  zu  unterhalten,  urteilt  kaum  anders  als  im  Text  geschehen  ist,  der  \'enezianer 
Cappello  bei  Tommaseo  1,  380  (1554).  Über  die  Wichtigkeit  der  türkischen  Flotte 
für  Frankreich  in  den  Kriegen  mit  Spanien  auch  Soranzo  bei  Alberi  1,2,  469.  Ohne 
die  türkische  »Armata«  hätten  die  Franzosen  Korsika  nicht  genommen,  meint  auch 
1560  der  \'enezianer  Cavalli  (Alberi,    »Relazioni«  III,  1,  282). 

§31.  Die  auswärtige  Politik.  1.  Die  Organisation  des  diploma- 
tischen Dienstes.  Die  Schilderung  der  französischen  Marine  stellt  einen 
Fall  dar.  in  dem  die  Energie  der  Regierung  nicht  ausreichte,  um  einen 
offen  erkannten  gefährlichen  Mißstand  im  Rüstungswesen  des  König- 
reiches zu  reformieren.  Bei  der  diplomatischen  Organisation  der  fran- 
zösischen Monarchie  liegen  die  Verhältnisse  anders.  Wenn  Frankreich, 
zunächst  wenigstens,  in  dieser  Beziehung  geringere  Leistungen  aufzu- 
weisen hatte  als  andere  Großstaaten,  so  rührte  dies  nicht  daher,  daß  die 
Regierung  einer  schwachen  Stelle  ihrer  Ausrüstung  ungenügende  Sorg- 
falt zuwandte,  sondern  daher,  daß  die  günstige  Lage  des  Landes  An- 
strengungen unnötig  machte,  denen  sich  weniger  privih^gierte  Staaten 
nicht  entziehen  konnten. 

Es  ist  bereits  in  einem  früheren  Paragraphen  (§  3)  gezeigt  worden, 
daß  die  Unterhaltung  eines  regelmäßigen  diplomatischen  Informations- 
dienstes nur  für  kleine  und  schwächere  Staaten  eine  Notwendigkeit 
war;  es  ist  auch  darauf  hingewiesen  worden,  daß  der  stärkste  Staat 
der  Zeit,  nämlich  das  osmanische  Reich,  aus  diesem  Grunde  bis  zum 
Schlüsse  der  Periode  auf  diese  Institution  verzichtete.  Frankreich 
befand  sich  nun  in  den  ersten  Jahrzehnten,  wenn  auch  nicht  in  der- 
selben Lage,   so  doch  immerhin  in  einer   solchen,   die  der  der  Türkei 

Fueter,  Europ.  Staatensystem.  5 


66  Frankreich. 

nicht  ganz  unähnlich  war.  Frankreich  war  zwar  durchaus  nicht  so  un- 
angreifbar wie  die  Türkei ;  aber  es  war  immerhin  so  stark,  daß  es  eine 
wirkliche  Gefahr  sogar  dann  nicht  zu  fürchten  hatte,  wenn  sich  alle 
seine  Nachbarn  zu  einer  Koalition  gegen  seine  Großmachtstellung  zu- 
sammenschlössen. Noch  im  Jahre  1546  meint  der  Venezianer  Cavalli, 
Frankreich  hätte  sich,  wenn  es  nicht  auf  einen  Gegner  wie  Kaiser 
Karl  V.  gestoßen  wäre,  unbedingt  zum  Herrn  der  Christenheit  erhoben 
(Tommaseo  I,  276),  und  wer  die  vorhergehenden  Paragraphen  gelesen 
hat  und  sie  mit  der  Schilderung  der  übrigen  Staaten  vergleicht,  wird 
sein  Urteil  zwar  vielleicht  weniger  apodiktisch  fassen,  aber  zugeben 
müssen,  daß  die  Ansicht  des  Venezianers  auf  einer  richtigen  Beobach- 
tung beruht.  Frankreich  war  wenigstens  in  der  Defensive  unüber- 
windlich vor  der  Zeit,  da  die  Habsburger  Spanien  mit  ihren  österreichisch- 
burgundischen  Besitzungen  vereinigt  hatten. 

Die  französische  Regierung  glaubte  daher  zunächst  auf  den  neu- 
aufkommenden ständigen  diplomatischen  Informationsdienst  verzichten 
zu  können.  In  absolutem  Gegensatze  nicht  nur  zu  Venedig  und  anderen 
italienischen  Staaten,  sondern  auch  zu  Spanien,  den  Habsburgern 
und  England  nahm  sie  wohl  bei  sich  fremde  Gesandtschaften  auf, 
entsandte  aber  selbst  keine  ständigen  Vertreter  an  die  auswärtigen  Höfe. 
Hand  in  Hand  damit  ging  eine  Vernachlässigung  der  diplomatischen 
Beziehungen  zu  den  kleineren  und  weiter  abgelegenen  Staaten,  bei 
denen  zwar  auch  andere  Großstaaten  keine  ständigen  Gesandtschaften 
unterhielten,  die  von  jenen  aber  doch  häufiger  in  den  Kreis  ihrer 
Bündnispolitik  hereingezogen  wurden. 

Es  wäre  natürlich  eine  müßige  Spielerei,  wenn  die  historische 
Forschung  untersuchen  wollte,  inwiefern  und  ob  überhaupt  Frank- 
reich aus  dieser  Untätigkeit  praktischer  Schaden  erwachsen  ist.  Aber 
die  Tatsache  steht  fest,  daß  die  französische  Regierung  diesem  neuen 
Kampfmittel  geringere  Aufmerksamkeit  zugewandt  hat  als  andere 
Staaten,  und  daß  es  damit  erst  anders  wurde,  als  die  internationalen 
Kräfteverhältnisse  sich  infolge  der  Personalunion  zwischen  Spanien 
und  Österreich-Burgund  zuungunsten  Frankreichs  verschoben  hatten. 
Und  zwar  scheint  auch  in  dieser  Beziehung  eine  eigentliche  Wand- 
lung erst  eingetreten  zu  sein,  als  der  unglückliche  Ausgang  der  Schlacht 
bei  Pavia  (1525)  die  schwächere  Position  Frankreichs  deutlich  erwiesen 
hatte.  Es  lassen  sich  wenigstens  nach  meiner  Kenntnis  erst  nach  diesem 
Zeitpunkte  ständige  französische  Gesandtschaften  feststellen.  Dabei 
erfolgte  übrigens  auch  diese  Neuerung  nicht  auf  einen  Schlag;  viel- 
mehr hat  die  französische  Regierung  nur  nach  und  nach  nachgeholt, 
was  ihre  Rivalen  schon  längst  geschaffen  hatten.  Erst  von  der  Mitte 
der  dreißiger  Jahre  an  kann  man  von  einer  Reziprozität  zwischen 
Frankreich  und  den  übrigen  christlichen  Großstaaten  sprechen,  was 
die  Unterhaltung  ständiger  Gesandtschaften  betrifft. 

Ein  ähnlicher  Wechsel  vollzog  sich  in  den  Beziehungen  Frank- 
reichs zu  den  kleineren  Staaten,  die  an  dem  Kampfe  um  Italien  nicht 


§  32.     Das  Verhältnis   zu   Spanien.  67 

unmittelhar  beteiligt  waren.  Vorher  nur  intermittierend  und  ohne 
ernsthafte  konkrete  Absichten  bearbeitet,  wurden  nun  nach  Pavia 
auch  diese  Mächte  als  wichtige  Bundesgenossen  in  dem  Abwehrkampfe 
gegen  die  habsburgische  Übermacht  erkannt,  und  die  französische 
Diplomatie  modernisierte  nicht  nur  ihre  Organisation,  sondern  sie 
dehnte  auch  ihre  Wirksamkeit  über  die  bisherigen  Grenzen  aus  (vgl. 
§  123). 

Mit  dieser  Haltung  der  französischen  Regierung  stimmt  dann  auch 
überein,  daß  der  publizistischen  Bearbeitung  des  Auslandes  zumal  in 
den  ersten  Jahrzehnten  nur  geringe  Aufmerksamkeit  geschenkt  wurde. 
Der  Unterschied  zwischen  ihrer  Praxis  und  der  der  Gegner  war  zwar 
auf  diesem  Gebiete  nicht  so  groß  wie  auf  dem  der  Diplomatie;  trotz- 
dem aber  wird  nicht  bestritten  werden  können,  daß  Frankreich  die 
offiziöse  schriftstellerische  Produktion  für  das  Ausland,  d.  h.  die  huma- 
nistische Publizistik  weniger  gefördert  hat  als  Kaiser  Maximilian  oder 
auch  nur  die  Regierung  der  katholischen  Könige. 

Literatur.  Der  hier  kurz  besprochene  Gegenstand  ist  noch  nie  ex  officio 
behandelt  worden.  Einige  Notizen  bei  Jean  Zeller,  »La  Diplomatie  frangaise  vers 
le  milieu  du  XVI^  siede  d' apres  la  conespondance  de  Guillaume  Pellicier«  (1881), 
p.  1  ff.  Vgl.  ferner  Charriere,  »Xegociations«  I,  147.  —  Auch  das  damalige  französische 
»Departement  des  Auswärtigen«  war  noch  recht  rudimentär  organisiert  und  erst 
in  den  letzten  Jahrzehnten  der  hier  behandelten  Periode  wurden  einige  Verbesse- 
rungen vorgenommen;  vgl.  Paul  Viollet,  »Le  Roi  et  ses  ministres«  (1912),  p.  242 ff., 
und  die  dort  angeführte  Literatur. 

§  32.  Die  ausAviirtig;e  Politik.  2.  Das  Verhältnis  zu  Spanien. 
Schon  nur  die  Tatsache,  daß  diese  Übersicht  über  die  Beziehungen  Frank- 
reichs zu  den  übrigen  europäischen  Staaten  mit  einer  Schilderung  des 
Verhältnisses  zu  Spanien  beginnen  muß,  ist  für  die  neue  Lage  charak- 
teristisch. Es  heißt  dies,  daß  der  Jahrhunderte  alte  Gegensatz  zu 
England  die  ausw^ärtige  Politik  Frankreichs  nicht  mehr  bestimmte; 
die  imperialistischen  Aspirationen  der  französischen  Regierung  wen- 
deten sich  nach  einer  anderen  Richtung,  und  damit  gibt  auch  nicht 
mehr  das  Kräfteverhältnis  zu  England  den  Ausschlag,  sondern  das  zu 
anderen  Staaten.  Unter  diesen  aber  kommt  infolge  des  neuen  italie- 
nischen Programms  der  französischen  Regierung  in  erster  Linie  Spanien^) 
in  Betracht. 

Wenn  man  verwickelte  internationale  Verhältnisse  mit  einer  kurzen 
Formel  ausdrücken  müßte,  so  könnte  man  sagen,  das  Ereignis,  das 
der  auswärtigen  Politik  der  Periode  ihre  neue  Gestalt  verlieh,  sei  der 
plötzlich  auftretende  Gegensatz  zwischen  Frankreich  und  Spanien 
gewesen.    Aus  den  verschiedensten  Gründen  hatten  bisher  die  Voraus- 


1)  Ich  habe  geglaubt,  den  Ausdruck  »Spanien«  hier  und  im  folgenden  unbe- 
denklich anwenden  zu  können,  nicht  nur  weil  er  bereits  in  den  zeitgenössischen 
Berichten  dominiert  und  die  bequemste  Bezeichnung  für  die  vereinigten  spanischen 
Reiche  ist,  sondern  auch  weil  Kastilien  und  Aragon  zunächst  zwar  nur  durch  das 
Ehebündnis  ihrer  Herrscher  vereinigt  waren,  dem  Auslande  gegenüber  aber  eine 
einheitliche  »spanische«  Politik  befolgten. 


QS  Frankreich. 

Setzungen  zu  derartig  feindseligen  Beziehungen  gefehlt.  Zunächst 
hatte  es  bis  vor  kurzem  überhaupt  keine  einheitliche  spanische  Macht 
gegeben;  wenn  die  Könige  von  Frankreich  sich  in  die  Verhältnisse  der 
iberischen  Halbinsel  überhaupt  einmischten,  so  konnten  sie  ihre  Pläne 
auf  der  Allianz  mit  einem  der  spanischen  Reiche  selbst  aufbauen.  Wich- 
tiger aber  war  noch,  daß  Frankreich,  auch  nachdem  es  durch  die  Be- 
endigung des  Hundertjährigen  Krieges  in  seiner  auswärtigen  Politik 
freie  Hand  erhalten  hatte,  in  einen  fundamentalen  Gegensatz  zu  Aragon 
erst  geraten  konnte,  als  es  durch  die  Erwerbung  der  Provence  zu  einer 
wirklichen  Mittelmeermacht  geworden  war.  Denn  akut  wurde  der 
Konflikt  doch  erst,  nachdem  Frankreich  auf  Grund  seiner  neuen  Be- 
sitzung an  der  Küste  des  Mittelländischen  Meeres  und  vielleicht 
auch  wegen  der  damit  verbundenen  Ansprüche  auf  Neapel  seine  Aus- 
dehnungspolitik auf  ein  Gebiet  erstreckte,  das  der  aragonesischen 
Herrschaftsdomäne  angehörte.  Selbst  was  von  sonstigen  Kampf- 
stoffen vorhanden  war,  erhielt  seine  Bedeutung  doch  nur  dadurch, 
daß  es  in  den  Streit  über  Süditalien  hereingezogen  wurde.  Die  Hege- 
monie über  das  kleine  und  von  Glanfehden  zerrissene  Königreich  Na- 
varra  zu  erlangen,  lag  allerdings  schon  an  sich  den  Regierungen  beider 
Länder  nahe,  und  dieses  Bestreben  konnte  auch  ohne  den  Kampf  um 
Italien  zu  dauernden  Zerwürfnissen  zwischen  Frankreich  und  Spanien 
führen.  Aber  wäre  die  italienische  Politik  der  französischen  Regierung 
nicht  gewesen,  so  hätte  dieser  Konflikt  nicht  größere  Wichtigkeit  zu 
erlangen  brauchen  als  der  Gegensatz,  der  zwischen  England  und  Frank- 
reich wegen  Calais  bestand.  In  diesem  Falle  hätte  ja  auch  die  strate- 
gische Bedeutung  des  navarresischen  Gebietes  für  die  praktische 
Politik  nur  wenig  zu  sagen  gehabt.  Ist  es  nicht  charakteristisch,  daß 
ein  Staatsmann,  der  noch  durchaus  in  den  Verhältnissen  der  Zeit  vor 
1494  aufgewachsen  w^ar,  wie  Commines,  über  Spanien  und  eine  fran- 
zösische Politik  gegenüber  Spanien  sich  so  gut  wie  gar  nicht  äußert  ? 
(Vgl.  übrigens  auch  seine  Worte  über  den  Zusammenhang  der  Erwerbung 
der  Provence  mit  den  neapolitanischen  Projekten  II,  101  ff.  =  1.  VII, 
eh.   1.) 

Militärisch  war  Frankreich  zwar  Spanien  nicht  in  jeder  Beziehung 
überlegen;  aber  es  repräsentierte  sicherlich  die  stärkere  Macht.  Dies 
traf  besonders  in  den  ersten  Jahren  zu,  als  die  spanischen  Herrscher 
den  von  dem  größeren  und  reicheren  Frankreich  in  den  Dienst  genom- 
menen schweizerischen  Söldnern  nichts  Gleichwertiges  entgegenzu- 
setzen hatten.  Später  schuf  die  spanische  Regierung  allerdings  eine 
einheimische  Infanterie,  die  der  Qualität  nach  den  Schweizern  w^ohl 
ebenbürtig,  dazu  noch  den  Vorteil  des  nationalen  Zusammenhanges 
hatte.  Daß  Spanien  in  der  leichten  Reiterei  die  unbedingte  Superiorität 
über  Frankreich  besaß,  hatte  wenig  zu  sagen,  da  die  Waffe  der  schweren 
Reiterei  dafür  in  Spanien  so  gut  wie  ganz  fehlte.  Artilleristisch  waren 
die  spanischen  Heere  den  französischen  nicht  gewachsen.  Dagegen 
blieben  die   Spanier  auf  dem   Gebiete   der  Marine  trotz  ihrer  relativ 


§  33.     \'orhältnis   zu   den   Hahsburgoni.  61) 

kloinon  Flotte  stets  die  stärkeren;  gerade  für  die  Kämpfe  um  Neapel 
waren  die  Franzosen  daher  von  Anfang  an  auf  Genua  angewiesen. 
Schließlich  darf  auch  nicht  übersehen  w-erden,  daß  Frankreich  zwar 
reicher  und  wirtschafHich  unabhängiger  w^ar  als  Spiini(>n,  daß  aber 
Spanien  für  seine  Versorgung  nicht  eigentlich  auf  das  nord liehe  König- 
reich angewiesen  war.  Es  wurde  zw^ar  Getreide  aus  Frankreich  nach 
Spanien  eingeführt,  und  der  Venezianer  Giustiniani  bemerkt  ausdrück- 
lich im  .lahre  1535,  daß  der  Überschuß  der  südfranzösischen  Korn- 
produktion, solange  gute  Beziehungen  zwischen  den  beiden  Ländern 
beständen,  nach  Spanien  exportiert  würde  (Tommaseo  1,  46  n.);  aber 
wenn  diese  Zufuhr  ausblieb,  so  verfügte  Spanien  immer  noch  über 
den  Überschuß  von  Sizilien,  dem  sowieso  die  Aufgabe  oblag,  das  spa- 
nische Manko  an  Getreide  zu  decken  (§  44). 

So  war  denn  Spanien  w'ohl  schwächer  als  Frankreich;  aber  es  bildete 
einen  Gegner,  der  auch  schon  nur  rein  militärisch  von  Frankreich  nicht 
leicht  zu  überwinden  war.  Dazu  kam  noch,  daß  Spanien,  gerade  weil 
es  nicht  über  die  militärischen  und  finanziellen  Machtmittel  des  fran- 
zösischen Königreiches  verfügte,  viel  eifriger  als  jenes  seine  diplo- 
matische Organisation  ausbaute  und  Koalitionen  gegen  den  über- 
starken Rivalen  in  die  Wege  zu  leiten  versuchte.  Über  die  Einzelheiten 
dieser  Verbindungen  wird  in  einem  anderen  Zusammenhange  zu  reden 
sein;  hier  mag  nur  erwähnt  werden,  wie  infolge  der  unerwarteten  Per- 
sonalunion zwischen  Spanien  und  Habsburg-Burgund,  die  sich  aus 
(^iner  dieser  Allianzen  (>rgab,  in  den  späteren  Jahrzehnten  der  spanisch- 
französische Gegensatz  dann  in  den  habsburgisch-franz(")sischen  aufging. 

Literatur.  Die  N'orgeschiclite  des  französisch-spaniselien  Koiifliii^tes  ist  von 
Emil  Dürr  in  zwei  Aufsätzen  behandelt  worden:  »Karl  der  Kühne  und  der  Ursprung 
des  habsburgisch-spanischen  Imperiums  ( »Historische  Zeitschrift«  1 13  [1914J,  22  —  55) 
und  (besonders)  »Ludwig  XL,  die  aragonesisch-kastilianische  Heirat  und  Karl 
der  Kühne«  (»Mitteilungen  des  Instituts  für  österr.  Geschichtsforschung«  35  [1914], 
297  —  332).  D.  scheint  mir  freilich  den  Einfluß  der  Verbindung  mit  Burgund  auf 
die  Politik  Spaniens  vor     1494  zu  überschätzen. 

§  33.  Die  aiiswürtig'c  Politik.  3.  Das  Verhältnis  zu  den  habs- 
burgischen  Ländern.  In  einem  ganz  anderen  Verhältnis  stand 
Frankreich  zu  dem  habsburgischen  Reich  (Osterreich,  Vor(ler()sterreich, 
die  Freigrafschaft  und  der  der  burgundischen  Erbschaft  angeliörige  Teil 
der  Niederlande,  sowie  auch  Deutschland ;  vgl.  §  49).  ^Yar  der  Konflikt 
mit  Spanien  darauf  zurückzuführen,  daß  die  französische  Regierung 
ihrer  Ausdehnungspolitik  die  an  sich  nicht  »notwendige«  Richtung 
nach  Italien  gab,  so  lagen  zwischen  Frankreich  und  den  Habsburgern 
natürliche  Gegensätze  vor,  die  den  Ausbruch  von  Feindseligkeiten 
beinahe  unvermeidlich  machten.  Wenn  dieser  Umstand  auf  die  Ge- 
staltung des  europäischen  Staatensystems  weniger  stark  eingewirkt  hat 
als  der  spanisch-französische  Streit,  so  lag  dies  nur  daran,  daß  auch 
hier  die  neue  italienische  Politik  der  französischen  Regierung  die  herge- 
brachten diplomatisch-militärischen  Beziehungen  wesentlich  veränderte. 


70  Frankreich. 

Die  Liquidation  der  burgundisehen  Erbschaft  hatte  einen  Zustand 
geschaffen,  der  keine  der  beiden  Mächte  eigenthch  befriedigen  konnte. 
Die  Habsburger  waren  dadurch  zu  natürlichen  Gegnern  Frankreichs 
geworden.  Nicht  nur  war  an  eine  \'ereinigung  ihrer  zerstreuten  Gebiete 
nicht  ohne  eine  Schädigung  Frankreichs  zu  denken,  sondern  ein  starkes 
Frankreich  bedeutete  der  schwächeren  habsbuigischen  Macht  gegen- 
über eine  stete  Bedrohung  der  den  österreichischen  Herrschern  aus  der 
burgundisehen  Erbmasse  zugefallenen  Gebietsteile.  Ein  »natürlicher« 
Ausgangspunkt  zu  weiteren  Kriegen  lag  also  vor  und  ebenso  natürlich 
war,  daß  die  habsburgische  Regierung  solche  Kämpfe  nur  mit  Hilfe 
von  Militärallianzen  führen  konnte. 

Aber  dieses  einfache  Verhältnis,  das  in  den  Jahren  vor  unserer 
Periode  ebenso  wie  später  im  17.  Jahrhundert  die  auswärtige  Politik 
Frankreichs  allerdings  zu  einem  guten  Teil  bestimmt  hat,  wurde  seit 
1492  durch  zwei  Umstände  kompliziert  und  seiner  fundamentalen  Be- 
deutung beraubt.  Zunächst  und  hauptsächlich  durch  die  italienische 
Politik  der  französischen  Krone.  Der  Vorstoß  zur  Eroberung,  sei  es 
nun  Neapels  oder  Mailands,  absorbierte  nicht  nur  militärische  und 
finanzielle  Kräfte,  die  Frankreich  zur  Ausdehnung  seines  Herrschafts- 
gebietes gegen  Nordosten  hätte  verwenden  können,  sondern  er  schuf 
auch  eine  partielle  Interessengemeinschaft  mit  Österreich.  Wer  Neapel 
und  noch  mehr  Mailand  besaß,  wurde  beinahe  von  selbst  auch  zum 
Gegner  Venedigs  d.  h.  des  Staates,  den  auch  Österreich  als  seinen  eigent- 
lichen Feind  betrachtete  (§  64).  Dadurch  erhielten  d/  französisch- 
habsburgischen  Beziehungen  einen  widerspruchsvollen  und  schwan- 
kenden Charakter,  den  die  Forschung  häufig  auf  die  Persönlichkeit 
des  damaligen  habsburgischen  Herrschers  zurückgeführt  hat,  der  in 
Wirklichkeit  aber  schon  aus  den  abweichenden  Interessen  der  ein- 
zelnen österreichischen  Besitzungen  hergeleitet  werden  kann. 

Die  zweite  Komplikation  rührte  von  dem  unklaren  Verhältnis  her, 
in  dem  sich  Deutschland  zu  dem  habsburgisch-französischen  Konflikte 
befand.  Das  Reich  war  als  solches  an  dem  Streit  nur  soweit  beteiligt, 
als  die  Leiter  seiner  auswärtigen  Politik,  nämlich  die  Kaiser,  dem 
habsburgischen  Hause  entstammten  und  für  ihre  burgundische  Politik 
daher  auch  an  das  Reich  appellieren  konnten.  Deutschland  als  solches 
hatte  einen  französischen  Angriffskrieg  nicht  zu  fürchten  (vgl.  §  61), 
und  Frankreich  hatte  das  größte  Interesse  daran,  mit  den  deutschen 
Ständen  gute  Beziehungen  zu  unterhalten,  da  es  bei  dem  Mangel  an 
einer  einheimischen  leistungsfähigen  Infanterie  auf  deutsche  Söldner 
angewiesen  war,  wollte  es  sich  nicht  ganz  und  gar  den  Eidgenossen 
ausliefern  (§29);  der  freie  Zuzug  solcher  Landsknechte  hing  aber  zu 
einem  guten  Teile  von  dem  Belieben  der  Reichsstände  ab.  Anderseits 
hatten  auch  die  deutschen  Territorialherren  einen  wirtschaftlichen 
Vorteil  von  den  französischen  Sold  vertragen,  und  es  bestand  somit 
in  mancher  Beziehung  eine  direkte  Interessengemeinschaft  zwischen 
den  Reichsständen  und  Frankreich.    Aber  diese  Interessengemeinschaft 


§  34.     Verhältnis   zu  England.  71 

konnte  nicht  nur  der  kaiserlichen  Gewalt  und  Prärogative  wegen  nie- 
mals vollständig  ausgenutzt  werden,  sondern  sie  war  aucli  dadurch 
an  ihrer  Wirkung  gehemmt,  daß  die  französische  Krone  von  den  deut- 
schen Ständen  wohl  ein  passives  Verhalten  gegenüber  burgundischen 
Kriegsplänen,  keineswegs  aber  ein  gemeinsames  aggressives  \'orgehen 
gegen  die  Habsburger  erhoffen  konnte  (die  einzige  Ausnahme  ist  durch 
ganz  außergewöhnliche  Verhältnisse  zu  erklären;  vgl.  §  127).  Beide 
Parteien  befanden  sich  somit  in  der  Lage,  daß  sie  ihren  Kampf  um  das 
burgundische  Erbe  nicht  wohl  ohne  Assistenz  der  deutschen  Stände 
endgültig  ausfechten  konnten;  beide  mußten  aber  mit  einer  passiven 
Resistenz  der  deutschen  Territorialfürsten  rechnen,  sobald  sie  einen 
Eroberungskrieg  einleiten  würden.  Auch  aus  diesem  Grunde  hat  daher 
der  französisch-habsburgische  Konflikt  an  internationaler  Bedeutung 
hinter  dem  italienischen  zurücktreten  müssen. 

Die  Vergleichung  der  beiderseitigen  Machtmittel  muß  sich  schon 
deshalb  auf  das  Wichtigste  beschränken,  weil  die  Habsburger  vor  der 
Vereinigung  ihrer  Erblande  mit  Spanien  kaum  je  als  einzelne  Groß- 
macht mit  Frankreich  Krieg  geführt  haben.  Am  stärksten  überlegen 
war  Frankreich  wohl  auf  dem  Gebiet  der  Finanzen;  das  Land  war  an 
sich  reicher  und  stellte  dazu  seine  Mittel  der  Regierung  unbeschränkter 
zur  Verfügung.  Militärisch  war  dagegen  das  Verhältnis  nicht  ungünstig 
für  die  österreichischen  Herrscher:  konnten  sie  auch  dfe  Superiorität 
der  französischen  Artillerie  nie  ganz  einholen,  so  vermochten  sie  dafür 
den  von  Frankreich  in  Sold  genommenen  Schweizern  eine  bald  ebenso 
leistungsfähige  einheimische  und  deshalb  zuverlässigere  Infanterie 
entgegenzustellen.  Zur  See  waren  Machtmittel  der  Habsburger  im  Mittel- 
meer allerdings  überhaupt  nicht  vorhanden  und  in  den  Niederlanden 
verhältnismäßig  wenig  bedeutend;  aber  in  dieser  Beziehung  war  ja  auch 
Frankreich  schlecht  gerüstet,  es  hatte  nur  den  Vorteil,  daß  es  wenigstens 
freien  Zugang  zum  Mittelländischen  Meere  besaß.  Ein  Nachteil  für 
Österreich,  dem  in  Frankreich  nichts  zur  Seite  gestellt  werden  konnte, 
war  schließlich  die  gefährliche  Nachbarschaft  der  Türkei,  die  von  vorn- 
herein eine  Konzentration  der  habsburgischen  Machtmittel  gegen 
Frankreich  ausschloß.  Als  einziges  unbedingtes  Aktivum  zugunsten 
Österreichs  bleibt  deshalb  die  weit  überlegene  diplomatische  Organi- 
sation der  Habsburger  (§63). 

§  34.  Die  auswärtige  Politik.  4.  Das  Verhältnis  zu  England. 
Man  kann  darüber  streiten,  ob  die  französische  Regierung  nicht  besser 
daran  getan  hätte,  ihre  Kräfte  gegen  die  Habsburger  zu  konzentrieren 
anstatt  den  Kampf  um  Italien  aufzunehmen.  Unzweifelhaft  aber  ist, 
daß  auch  nur  die  Möglichkeit  ihrer  italienischen  Politik  erst  geschaffen 
wurde  durch  das  neue  Verhältnis  zu  England.  Erst  seitdem  die  eng- 
lische Regierung  ihren  Ansprüchen  auf  Landbesitz  auf  dem  Kontinent 
definitiv  entsagt  hatte  und  den  kleinen,  ihr  noch  übrig  gebliebenen 
Rest  ihrer  ehemaligen  Besitzungen  nicht  mehr  als  Kern  künftiger 
Gebietserweiterungen  betrachtete,  konnte  die  auswärtige  Politik  Frank- 


72  Frankreich. 

reichs  sich  gegen  Süden  gerichteten  imperialistischen  Projekten  hin- 
geben. 

Gerade  deshalb  kann  aber  an  dieser  Stelle  von  dem  neuen  Ver- 
hältnis zwischen  beiden  Ländern  nur  ganz  kurz  die  Rede  sein.  Denn  der 
Anstoß  dazu  kam  mehr  von  englischer  als  von  französischer  Seite  und 
ist  in  der  Hauptsache  zu  erklären  aus  den  veränderten  Zuständen  in 
England,  die  bei  der  Besprechung  dieses  Landes  skizziert  werden  sollen. 
Frankreich  hatte  allerdings  durch  seine  erfolgreiche  Kriegführung  die 
Voraussetzung  zu  der  Wandlung  der  englischen  Politik  geschaffen;  daß 
die  englische  Regierung  aber  aus  der  neugestalteten  Lage  die  Konse- 
quenzen zog,  hing  mit  dem  politischen  Wechsel  zusammen,  der  kurz 
vor  dem  Beginn  der  hier  besprochenen  Periode  in  England  selbst 
eingetreten  war  (vgl.  die  §§  83  und  84). 

In  militärischer  Beziehung  befand  sich  Frankreich  England  gegen- 
über in  so  starker  Überlegenheit  wie  gegenüber  keinem  anderen  Lande. 
Die  englische  Wehrmacht  teilte  alle  Mängel  der  französischen  Militär- 
organisation, ohne  deren  Vorzüge  zu  besitzen.  Eine  einheimische,  nach 
schweizerischem  Vorbilde  geschulte  Infanterie  ging  ihr  noch  vollständiger 
ab  als  jener.  Der  französischen  schweren  Reiterei  und  Artillerie  hatte 
England  nichts  Ähnliches  entgegenzusetzen.  Die  englischen  Bogen- 
schützen, die  infolge  der  technischen  Rückständigkeit  des  einheimischen 
Handwerks  immer  noch  verwandt  wurden,  bewahrten  zwar  bis  zum 
Schlüsse  des  Zeitraumes  ihren  guten  Ruf  (vgl.  z.  B.  D.  Barbaro  1551 
bei  Alberi,  »Relazioni«  I,  2,  251);  aber  für  die  militärische  Entscheidung 
kam  dieser  Waffe  keine  große  Bedeutung  mehr  zu.  Dazu  kam,  daß  das 
viel  ausgedehntere  und  der  Bevölkerung  nach  ungefähr  viermal  so  starke 
französische  Königreich  zur  Kriegführung  und  vor  allem  zur  Anwerbung 
ausländischer  Söldner  ganz  anders  beträchtliche  Mittel  aufwenden 
konnte  als  England. 

Wenn  sich  diese  militärische  Inferiorität  Englands  in  der  Entwick- 
lung des  europäischen  Staatensystems  trotzdem  so  gut  wie  gar  nicht 
bemerkbar  gemacht  hat,  so  war  dies  vor  allem  zwei  Umständen  zu  ver- 
danken. Zunächst  fehlte  der  französischen  auswärtigen  Politik  jede 
aggressive  Zuspitzung  gegen  England.  Neben  dem  Kampfe  um  Italien 
hatte  vielleicht  noch  das  Projekt  der  Arrondierung  gegen  Nordosten 
Platz,  nicht  aber  der  Gedanke  der  Eroberung  englischen  Besitzes,  ab- 
gesehen von  Calais.  Bestärkt  wurde  diese  Haltung  durch  das  zweite 
Moment,  die  insulare  Lage  Englands,  die  erst  jetzt  eigentlich  nutzbar 
gemacht  werden  konnte.  Die  französische  Flotte  des  »Ponant«  war  der 
englischen  zu  Beginn  der  Periode  zwar  unzweifelhaft  überlegen.  Aber 
erstens  verminderte  sich  dieser  Unterschied  unablässig,  da  die  englische 
Regierung  der  Marine  als  einzigem  Zweige  des  Rüstungswesens  große 
Aufmerksamkeit  zuwandte  (§86)  und  anderseits  wäre  wohl  auch  schon 
in  den  ersten  Jahren  die  französische  Flotte  noch  nicht  stark  genug  ge- 
wesen, um  eine  Invasion  in  England  durchzuführen.  Daher  befürchteten 
wohl  bis  zu  den  letzten  Jahren  des  Zeitraumes  englische  Staatsmänner 


§  35.    Verhältnis  zu  kleinen  Nachbarstaaten.  73 

einen  Angriff  französischer  Streitkräfte  gegen  England;  aber  in  Wirk- 
lichkeit ist  es  nie  zu  einer  solchen  Expedition  gekommen.  Auch  die 
zeitweilige  Verbindung  mit  dem  schlecht  bewehrten  Schottland  hat  die 
Position  Frankreichs  gegenüber  England  dann  nur  unbedeutend  ver- 
stärken können  (§  100). 

Zu  erwähnen  ist  schließlich  noch,  daß  zwischen  den  beiden  Ländern 
keine  ökonomischen  oder  handelspolitischen  Gegensätze  bestanden. 
Beide  Staaten  waren  zwar  in  einzelnen  Artikeln  wirtschaftlich  auf- 
einander angewiesen  (Frankreich  auf  Metalle  und  Wolle  aus  England, 
England  z.  B.  auf  das  französische  Segeltuch,  auch  auf  den  französischen 
Wein);  aber  es  existierte  keine  rivalisierende  Exportindustrie  und  auch 
was  die  Versorgung  mit  Lebensmitteln  betraf,  so  waren  die  beiden  Länder 
in  normalen  Jahren,  d.  h.  wenn  in  England  nicht  Mißwachs  herrschte, 
voneinander  unabhängig.  Wirtschaftliche  Konfliktstoffe  waren  also 
ebensowenig  vorhanden,  als  in  Kriegen  erfolgreiche  wirtschaftliche 
Druckmittel  hätten  angewendet  werden  können. 

§  35.  Die  auswärtige  Politik.  5.  Das  Verhältnis  zu  den  be- 
nachbarten kleinen  Staaten.  Von  den  Nachbarstaaten  Frank- 
reichs sind  drei,  die  Eidgenossenschaft,  Savoyen  und  Navarra  noch  nicht 
in  ihrem  Verhältnis  zur  französischen  auswärtigen  Politik  besprochen 
worden;  es  soll  hier  noch  kurz  das  Nötigste  bemerkt  werden. 

Die  Eidgenossenschaft.  Sieht  man  von  dem  ungeheuren  Unter- 
schied ab,  der,  was  Ausdehnung  des  Areals,  Bevölkerungszahl  und  wirt- 
schaftliche Leistungsfähigkeit  betrifft,  zwischen  der  Schweiz  und  anderen 
Staaten  bestand,  so  wäre  man  versucht  zu  sagen,  daß  die  französische 
Krone  keinen  gefährlicheren  Nachbar  hatte  als  die  Eidgenossenschaft. 
Nach  keiner  Seite  hin,  könnte  man  behaupten,  sah  sich  Frankreich 
so  vollständig  in  die  Defensive  gedrängt  wie  nach  der  Schweiz  hin. 

An  eine  eigentliche  Bedrohung  des  französischen  Staates  war 
natürlich  nicht  zu  denken.  Schon  die  ganz  einseitige  militärische  Rüstung 
der  Eidgenossen  (§97)  hätte  dem  artilleristisch  stark  bewehrten  Frank- 
reich gegenüber  eine  wirkliche  Gefahr  ausgeschlossen,  selbst  wenn  der 
locker  gefügte  Bund  der  schweizerischen  Orte  überhaupt  für  eine  Er- 
oberungspolitik im  großen  Stile  organisiert  gewesen  wäre.  Außerdem 
stieß  das  Gebiet  der  Eidgenossenschaft  nicht  unmittelbar  an  Frankreich, 
sondern  nur  entweder  an  von  Frankreich  temporär  annektierte  Terri- 
torien (Mailand,  Savoyen)  oder  an  Besitzungen,  auf  die  die  französische 
Politik  Ansprüche  erhob  (die  Freigrafschaft).  Aber  mit  alledem  blieb 
die  Tatsache  doch  bestehen,  daß  Frankreich  für  seine  Kriegführung  zu 
einem  guten  Teile  auf  die  schweizerischen  Söldner  angewiesen  war 
(§29),  und  daß  infolge  des  schweizerischen  Lizenzensystems  die  Liefe- 
rung dieser  Söldner  in  der  Hauptsache  von  der  Aufrechterhaltung  guter 
Beziehungen  zu  den  Regierungen  der  schweizerischen  Kantone  abhing. 
Auch  war  das  Abhängigkeitsverhältnis  auf  der  Gegenseite  viel  weniger 
stark.    Wohl  war  die  Eidgenossenschaft  wirtschaftlich  auf  den  Ertrag 


74  Frankreich. 

des  Söldnerdienstes  angewiesen  (§  97);  aber  wenn  Frankreich  der  ein- 
träglichste und  wertvollste  Abnehmer  war,  so  war  es  doch  nicht  der 
einzige.  Die  französische  Regierung  konnte  daher  bei  den  Eidgenossen 
nur  mit  Leistungen  finanzieller  Natur  (handelspolitischen  Konzessionen, 
Pensionen)  ihre  Absichten  zu  erreichen  hoffen,  nicht  aber  mit  Druck- 
mitteln wirtschaftlicher  oder  gar  militärischer  Art.  Ihre  auswärtige 
Politik  durfte  sich  ferner  zu  den  Interessen  der  eidgenössischen  Re- 
gierungen nie  in  direkten  Gegensatz  setzen.  Das  zeigte  sich  nicht  nur 
in  der  Rücksicht,  die  die  französische  Okkupationsregierung  in  Ober- 
italien auf  die  Forderungen  der  Schweizer  nahm,  sondern  vielleicht  noch 
mehr  in  dem  Bestreben  der  französischen  Krone,  offiziell  unerlaubte 
Anwerbungen  von  schweizerischen  Söldnern  so  viel  wie  möglich  zu 
vermeiden. 

In  vollem  Umfange  gilt  das  eben  Gesagte  freilich  nur  für  die  ersten 
Jahrzehnte  der  hier  behandelten  Periode.  Nachdem  die  Reformation 
die  Ansätze  zu  einer  einheitlichen  auswärtigen  Politik  der  Eidgenossen- 
schaft vernichtet  hatte,  wurde  auch  Frankreich  gegenüber  den  Schweizern 
freier.  Noch  waren  die  schweizerischen  Söldner  zwar  nicht  entbehr- 
lich geworden  und  noch  konnte  die  französische  Regierung  nicht  daran 
denken,  ihnen  die  einst  zugestandenen  Vorteile  direkt  streitig  zu  machen ; 
aber  neue  Konzessionen  wurden  nicht  mehr  gemacht  und  die  schweize- 
rische Regierung  mußte  von  da  an  mehr  auf  der  Wahrung  ihrer  alten 
Rechte  als  auf  der  Erringung  neuer  bedacht  sein. 

Savoyen.  Für  diesen  Wandel  ist  auch  der  Wechsel  in  den  Be- 
ziehungen Frankreichs  zu  Savoyen  ein  gutes  Beispiel. 

Nachdem  sich  Frankreich  einmal  zur  Eroberung  Mailands  (und 
Genuas)  entschlossen  hatte,  hätte  der  erste  Schritt,  sollte  man  denken, 
die  Besetzung  Savoyens  und  die  Sicherung  der  Alpenpässe  sein  müssen. 
Eine  solche  Unternehmung  wäre  dazu  auf  keine  großen  militärischen 
Hindernisse  gestoßen,  da  der  Widerstand  des  kleinen  Herzogtums 
praktisch  kaum  in  Betracht  gefallen  wäre.  Tatsächlich  dürfte  die 
französische  Regierung  denn  auch  diese  Überlegung  angestellt  haben, 
wie  aus  den  Ereignissen  der  späteren  Jahrzehnte  hervorgeht.  Wenn 
sie  trotzdem  zunächst  auf  die  Annexion  des  Landes  verzichtete,  so 
kann  nur  Rücksicht  auf  die  Eidgenossen  schuld  gewesen  sein.  Wenn 
Giustiniani  1537  bemerkt  (Tommaseo  I,  184),  die  französische  Regierung 
ziehe  vor  allem  der  Schweizer  wegen  den  Verzicht  auf  Savoyen  in  Be- 
tracht, so  gilt  Ähnliches  auch  für  frühere  Zeiten.  Das  savoyische  Gebiet 
war  nämlich  die  eigentliche  Einfluß-  und  Ausdehnungssphäre  der 
Eidgenossen,  vor  allem  in  den  Augen  des  Ortes  Bern,  den  Frankreich 
besonders  zu  schonen  Grund  hatte.  Seit  1512  war  dazu  Savoyen  durch 
einen  Bund  mit  den  Eidgenossen  verbunden  und  Arturo  Segre  ist  wohl 
sicherlich  im  Recht,  wenn  er  es  nur  der  Intervention  der  Schweizer 
zuschreibt,  wenn  das  Herzogtum  nicht  bereits  in  den  folgenden  Jahren 
annektiert  wurde  (»La  Politica  sabaiida  con  Francia  e  Spagna  dal  1515 
al  1533«  in  den   »Memorie  della  R.  Accademia  delle  scienze  di  Torino«, 


§  36.    Verhältnis  zu  entfernten  kleinen   Staaten.  75 

ser.  II,  50  [1900],  257).  —  Als  aber  die  Eidgenossenschaft  durch  die 
konfessionelle  Spaltung  geschwächt  war,  wagte  es  Frankreich  zur  Be- 
setzung des  Landes  zu  schreiten:  es  hatte  von  den  Schweizern  weniger 
zu  befürchten. 

Im  übrigen  kann  von  eigentlich  politischen  Zielen  der  französischen 
Politik  gegenüber  Savoyen  nicht  die  Rede  sein.  Die  Beherrschung  des 
Herzogtums  war  für  Frankreich  wichtig,  weil  dadurch  die  Verbindung 
mit  Mailand  gesichert  wurde;  wirtschaftliche  oder  militärische  Vor- 
teile (z.  B.  in  der  Form  von  Söldnerlieferungen)  waren  von  dem  Lande 
nicht  zu  erwarten. 

Navarra.  Aus  einem  ähnlichen  Grunde  kann  man  auch  kaum 
von  einer  Politik  Frankreichs  gegen  Navarra  sprechen.  Denn  so  große 
Bedeutung  auch  der  Besitz  des  navarresischen  Königreiches  für  die 
militärischen  Operationen  zwischen  den  spanischen  Reichen  und  Frank- 
reich hatte,  so  wenig  hing  die  Entscheidung  darüber,  wem  die  Ober- 
herrschaft über  das  Land  zufallen  sollte,  von  der  Haltung  der  einheimi- 
schen Regierung  ab.  Die  Verhältnisse  waren  dort  sogar  noch  schärfer 
ausgeprägt  als  in  Savoyen:  während  das  oberitalienische  Herzogtum 
zwar  seiner  Kleinheit  wegen  von  der  Haltung  der  rivalisierenden  Groß- 
mächte abhing,  an  sich  aber  eine  fest  konstituierte  Regierung  besaß,  so 
war  das  durch  Clanfehden  zerrissene  navarresische  Königreich  überhaupt 
kaum  monarchisch  organisiert  und  von  einem  selbständigen  Eingreifen 
der  Dynastie  in  die  militärischen  Streitigkeiten  konnte  kaum  die  Rede 
sein.  Der  Kampf  um  Navarra  bildete  zwar,  für  Spanien  noch  mehr  als 
für  Frankreich,  ein  wichtiges  Glied  in  dem  Streit  um  Italien;  aber  er 
war  durchaus  diesem  allgemeinen  Gegensatze  untergeordnet  und  Navarra 
selbst  nahm  nicht  einmal  in  der  Art  als  selbständige  Macht  an  dem 
Konflikte  teil,  wie  es  bei   Savoyen  der  Fall  war. 

Literatur.  Vgl.  hier  wie  sonst  die  Literatur  zu  den  Abschnitten  über  die 
Länder,  deren  Verhältnis  zu  Frankreich  hier  besprochen  ist.  —  Welchen  Wert  die 
Regierungen  Savoyen  mit  Rücksicht  auf  die  Verbindung  Frankreichs  mit  Mailand 
beilegten,  geht  u.  a.  deutlich  aus  den  Verhandlungen  der  letzten  Jahre  der  Periode 
über  den  Verzicht  Frankreichs  auf  die  Besetzung  des  Landes  hervor;  vgl.  darüber 
vor  allem  Lucien  Romier,  ))Les  Origines  politiques  des  Guerres  de  Religion«  I,  (1913), 
4.  und  5.  Buch.  Daher  kam  denn  auch  praktisch  nur  die  Unabhängigkeit  Piemonts 
( »il  stato  del  duca  diqua  da  nionti«)  in  Betracht  (vgl.  das  Zitat  bei  Romier  S.  486,  n.  1, 
und  Mocenigo,   »Fontes  Rerum  Austriaca  II,  57). 

Über  die  Rücksichten,  die  die  französische  Regierung  auf  die  Schweizer  nehmen 
mußte,  finden  sich  u.  a.  viele  Angaben  in  den  venezianischen  Relationen.  Hinge- 
wiesen sei  hier  nur  auf  die  Stelle  aus  der  Relation  Giustinianis  bei  Tommaseo  I,  86, 
weil  daraus  hervorgeht,  daß  sogar  noch  im  Jahre  1535  für  den  Fall  eines  Bruches 
Vorstöße  der  Schweizer  gegen  französisches  Gebiet  befürchtet  wurden.  —  Wie 
sehr  die  französische  Regierung  darauf  bedacht  war,  den  eidgenössischen  Regierungen 
zu  beweisen,  daß  sie  ihr  Söldnermonopol  nicht  zu  brechen  beabsichtige,  dafür  zeugt 
u.  a.  das  Entschuldigungsschreiben,  das  Karl  Vlll.  am  23.  Juli  1494  an  Bern  wegen 
des  Anwerbens  »freier  Knechte«  richtete  {»Letires  des  Charles  VIII«  V  [1905],  255 f. 
[Soc.  de  VHist.  de  France]). 

§36.  Die  auswärtige  Politik.  6.  DasVerhältniszudenübrigen 
Staaten.    Wer  die  Beziehungen  Frankreichs  zu  den  übrigen  Staaten 


76  Frankreich. 

besprechen  will,  kann  sich  sehr  kurz  halten,  wenigstens  soweit  er  nur  die 
ersten  Jahrzehnte  der  Periode  in  Betracht  zieht.  Denn  in  der  Haupt- 
sache wird  er  zu  keinem  anderen  Resultate  kommen  können,  als  daß 
die  französische  Regierung  eigentliche  politische  Ziele  gegenüber  den 
weiter  abliegenden  Gliedern  des  europäischen  Staatensyslems  über- 
haupt nicht  befolgt  hat.  Die  Gründe  hierfür  sind  bereits  in  §31  aus- 
einandergesetzt worden;    es   muß   genügen,    hier   darauf   zu  verweisen. 

Im  besonderen  Maße  gilt  dies  von  den  Beziehungen  zu  den  Mächten 
des  Ostens  und  Nordens.  Die  Politik  gegenüber  der  Türkei  beschränkte 
sich  auf  gelegentliche  Expeditionen  im  Mittelländischen  Meere  (Allianz 
mit  Venedig  gegen  die  Türken  1499 ff. ;  La  Ronciere,  »Marine  francaise« 
III,  37 ff.)  und  im  Kreuzzugstil  gehaltene  Proklamationen.  Im  Verkehr 
mit  Polen,  Ungarn  und  Dänemark  gelangte  die  französische  Regierung 
nicht  über  nichtssagende  Abmachungen  hinaus  (1498  mit  Dänemark, 
1500  mit  Polen-Ungarn);  wenn  die  Habsburger  Schlimmeres  von  ihnen 
befürchteten,  so  war  dies  mehr  ein  Rückschluß  aus  ihrer  eigenen  diplo- 
matischen Praxis  als  direkte  Beobachtung.  Und  w^enn  man  sehen 
will,  wie  wenig  Gewicht  die  französische  Regierung  damals  noch  sogar 
der  Verbindung  mit  Schottland  beilegte,  so  lese  man  nur  die  bei  Jean 
Barrillon  (»Journal«  I  [1897],  315)  enthaltenen  Notizen  übei'  die  Ver- 
handlungen mit  schottischen  Gesandten  im   Jahre  1517. 

Etwas  anders  verhielt  es  sich  allerdings  mit  den  Beziehungen  zu 
den  italienischen  Staaten. 

Zw'ar  waren  auch  diese  in  der  Hauptsache  bloß  Objekte  und  nicht 
Subjekte  der  Politik  der  Großstaaten  im  allgemeinen  und  Frankreichs 
im  besonderen.  Die  Stellung  Frankreichs  zu  ihnen  hing  von  der  italieni- 
schen Politik  ab,  die  die  französische  Krone  befolgte,  und  da  die  franzö- 
sische Regierung  wenigstens  einzelnen  dieser  Staaten  gegenüber  nicht 
nur  auf  Schmälerung  cles  Gebietes,  sondern  auf  vollständige  Unter- 
werfung ausging  (Mailand,  zeitenweise  auch  Genua  und  Neapel),  so 
kann  von  einem  regulären  politischen  Verhältnis,  wie  es  etwa  zu  der 
Eidgenossenschaft  bestand,  nicht  die   Rede  sein. 

Aber  ein  Unterschied  bestand  doch  darin,  daß  die  italienischen 
Staaten,  dank  ihren  relativ  großen  Machtmitteln  und  ihrer  geographi- 
schen Lage,  auf  die  Kriegführung  der  Franzosen  in  Italien  ganz  anders 
einzuwirken  vermochten  als  die  Staaten  des  Ostens  und  des  Nordens 
oder  auch  als  die  Türkei.  Dazu  kam  noch,  daß,  obwohl  keiner  dieser 
Staaten  Frankreich  hätte  militärisch  bedrohen  können,  doch  einige 
von  ihnen,  vor  allem  das  seemächtige  Venedig  und  in  gewisser  Beziehung 
auch  Sizilien  von  dem  marineschwachen  Frankreich  nicht  eigentlich 
in  ihrer  Existenz  getroffen  werden  konnten.  Die  französische  aus- 
wärtige Politik  konnte  daher  bereits  in  den  ersten  Jahrzehnten  diese 
italienischen  Mittelstaaten  weder  diplomatisch  so  vernachlässigen  wie 
die  übrigen  nicht  angrenzenden  Länder  noch  so  durchaus  nur  als  Fi- 
guranten  behandeln  wie  Navarra  und   Savoyen. 


§  37.    Aspirationen  der  auswärtigen  Politik.  77 

Ein  völliger  Wandel  in  den  Beziehungen  zu  den  entfernter  gelegenen 
Staaten  erfolgte  dann  nach  der  Schlacht  bei  Pavia  (vgl.  §  31).  Frankreich 
war  in  die  Defensive  gedrängt  und  seine  Regierung  suchte  nun  auch  im 
Norden  und  Osten  diplomatische  Verbindungen  gegen  die  habsburgische 
Übermacht  anzuknüpfen.  Auch  für  die  Selbständigkeit  italienischer 
Staaten,  die  unter  die  habsburgische  Oberherrschaft  zu  fallen  drohten, 
trat  nun  Frankreich  ein  (Siena;  1552 — 1555).  An  dieser  Stelle,  wo  vor 
allem  die  Machtmittel  der  Staaten  verglichen  werden  sollen,  ist  dabei 
hauptsächlich  die  Allianz  mit  der  Türkei  zu  erwähnen,  die  den  Zweck 
verfolgte,  Frankreich  eine  Flotte  im  Mittelmeer  zur  Verfügung  zu  stellen: 
Standen  früher  Mailand  und  Genua  der  französischen  Armeeleitung 
nicht  zu  Gebote,  so  vermochte  dies  im  schlimmsten  Falle  nur  eine 
französische  Angriffsaktion  lahmzulegen;  nun  aber  war  Frankreich 
durch  den  Mangel  einer  Flotte  in  seiner  eigenen   Sicherheit  bedroht. 

Literatur.  .1.  Ursu,  »La  Politique  Orientale  de  Frangois  I^r  (1515—1547)«,  1908. 
Dann  L.  Bourrilly,  »Antonio  Rincon  et  la  politique  Orientale  de  Frangois  Z^''  (1522 
ä  1541)«  in  der  »Revue  historiqne«  113  (1913),  64ff.  und  260ff.,  der  wohl  die  Bedeu- 
tung der  diplomatischen  Verhandlungen   mit   Polen   vor  1525   überschätzt. 

§    37.    Die  auswärtige  Politik.    7.   Politische  Aspirationen. 

Kein  politischer  Akt  der  damaligen  Zeit  ist  wohl  so  sehr  auf  den  freien 
Willen  regierender  Persönlichkeiten  zurückzuführen,  so  wenig  durch 
militärische  oder  wirtschaftliche  Notwendigkeiten  bestimmt  wie  der 
Entschluß  der  französischen  Regierung,  ihr  Herrschaftsgebiet  nach 
Italien  hin  (Neapel,  später  Mailand)  auszudehnen,  der  dann  über  ein 
halbes  Jahrhundert  die  Geschichte  des  europäischen  Staatensystems 
beherrscht  hat  (§1).  Es  muß  daher  gestattet  sein,  auf  die  Gründe, 
die  für  diese  neue  Orientierung  der  französischen  auswärtigen  Politik 
angeführt  werden  könnten,  kurz  einzugehen.  Es  ist  zwar  nicht  Sache 
der  wissenschaftlichen  Forschung,  Zensuren  auszuteilen;  aber  bei  einem 
Unternehmen,  das  so  stark  nicht  nur  mit  der  früheren,  sondern  auch 
mit  der  späteren  Politik  Frankreichs  im  W'iderspruche  steht  und  von 
Anfang  an  mit  einer  scharfen  Opposition  innerhalb  der  französischen 
Regierung  selbst  zu  kämpfen  hatte,  darf  doch  die  Frage  erörtert  werden, 
ob  für  diesen  Bruch  der  politischen  Tradition  stichhaltige  Argumente 
vorgebracht  werden  können. 

Dabei  muß  es  der  Untersuchende  allerdings  von  vornherein  ablehnen, 
ex  eventii  zu  urteilen.  Das  Vorgehen  der  Franzosen  gegen  Neapel  rief 
allerdings  bei  den  schwächeren  Staaten  überall  Befürchtungen  vor  einer 
französischen  »Weltherrschaft«  hervor  und  schuf  somit  die  Basis  zu 
der  Koalition,  der  die  französische  Macht  dann  in  der  zweiten  Hälfte 
der  Periode  erlegen  ist.  Aber  die  wichtigste  und  vermutlich  die  ent- 
scheidende Vorbedingung  für  den  Sieg  dieser  Koalition,  nämlich  die 
Personalunion  zwischen  den  habsburgischen  Landen  und  den  spanischen 
Reichen,  die  unter  Kaiser  Karl  V.  eintrat,  hat  zu  Beginn  der  Periode 
niemand  voraussagen  können,  und  der  Forscher  darf  nie  übersehen, 
daß  erst  nachdem  dieses  Ereignis  eingetreten  war,  die  Bilanz  des  itaüeni- 


78  Frankreich. 

sehen  Unternehmens  mit  einem  Passivum  zuungunsten  Frankreichs 
abschloß.  Der  »normale«  Ausgang  der  italienischen  Kriege  wäre  der 
Zustand  gewesen,  wie  er  etwa  im  Jahre  1520  bestand:  Frankreich  im 
Besitze  Mailands,  Spanien  in  dem  Neapels  und  Siziliens  (§  117). 

Der  Hauptgrund,  den  die  Verteidiger  der  französischen  Politik 
gegen  Italien  wohl  vorbringen  könnten,  w^äre  folgender:  hätte  Frank- 
reich nicht  in  Italien  eingegriffen,  so  hätte  sich  dort  die  spanische  Macht 
widerstandslos  festsetzen  und  ausbreiten  können.  Frankreich  wäre 
dadurch  gegenüber  Spanien  ins  Hintertreffen  geraten;  es  hätte  hinter 
dem  Rivalen  nicht  nur  an  Ausdehnung  des  Herrschaftsgebietes  und 
Finanzkraft  zurückgestanden,  sondern  es  hätte  auch  alle  Aussicht  ver- 
loren, ihm  als  Seemacht  auf  dem  Mittelmeere  entgegenzutreten;  denn 
eine  Marine  konnte  sich  Frankreich  dort  nur  durch  die  Erwerbung 
Mailands- Genuas  schaffen  (§30).  Gegen  eine  solche  Eventualität  gab 
es  kein  anderes  Mittel  als  einen  Präventivkrieg;  daß  dabei  als  wahr- 
scheinliches Resultat  auch  im  ungünstigsten  Falle  wenigstens  die  Her- 
stellung eines  Gleichgewichtes  zwischen  spanischen  und  französischen 
Besitzungen  auf  der  Appeninenhalbinsel  zu  erwarten  war,  ist  durch  die 
Ereignisse  erwiesen  worden. 

Aber  eine  solche  Argumentation  würde,  scheint  mir,  bereits  den 
Zustand  voraussetzen,  der  doch  erst  durch  die  italienische  Politik  der 
französischen  Regierung  geschaffen  wurde.  Frankreich  hatte  einen 
natürlichen  Gegner,  das  waren  die  Habsburger,  die  sich  mit  der  vor- 
läufigen Liquidation  der  Frage  der  burgundischen  Erbschaft  nie  zu- 
frieden gaben,  auch  dann  nicht  als  Frankreich  mit  Rücksicht  auf  sein 
italienisches  Unternehmen  auf  ein  so  wichtiges  Gebiet  wie  die  Frei- 
grafschaft verzichtete  (1493;  §  102).  Mit  Spanien  dagegen  bestand  kein 
prinzipieller  Gegensatz  (§32),  seine  natürliche  Ausdehnungssphäre  lag 
eher  gegen  Afrika  als  gegen  Italien  zu  (§45);  war  es  da  nicht  in  hohem 
Maße  fehlerhaft,  diesen  Staat,  der  gar  nicht  zu  den  Feinden  Frankreichs 
gehören  mußte,  durch  die  italienische  Expedition  geradezu  zur  Ver- 
bindung mit  dem  unversöhnlichen  habsburgischen  Gegner  zu  treiben  ? 
Wurde  Frankreich  dadurch  nicht  mindestens  in  seinen  Handlungen  so 
eingeengt,  daß  es  Eroberungen  in  Italien  nur  mit  bedenklichen  Kon- 
zessionen an  seinen  Grenzen  zugunsten  der  Habsburger  und  Spaniens 
erkaufen  mußte  ?  War  dabei  nicht  der  Verlust  größer  als  der  Ge- 
winn ?  War  dies  vor  allem  nicht  eine  ganz  ungenügende  Ausnutzung 
der  finanziellen  und  auch  militärischen  Superiorität,  die  Frankreich 
jedem  einzelnen  seiner  Nachbarn  gegenüber  besaß  ? 

Auch  der  Historiker  wird  wohl  kaum  vermeiden  können,  der  Hypo- 
these Ausdruck  zu  verleihen,  daß  die  italienische  Politik  der  französi- 
schen Regierung  kaum  anders  zu  erklären  ist  als  durch  den  Mangel  an 
Einsicht  in  das  Erreichbare,  wie  er  gerade  bei  übermächtigen  Herrschern 
nicht  selten  beobachtet  wird.  Es  W'ürde  hier  also  dieselbe  Geistesver- 
fassung zur  Erklärung  herangezogen  werden,  die  z.  B.  auch  auf  Grund 


§  38.     Spanien.  79 

der   mangelhaften    Organisation    des    diplomatischen    Dienstes    voraus- 
gesetzt werden  mußte  (§31). 

Literatur.  Vgl.  dazu  die  Ausführungen  Henri  Lemonniers  in  dem  im  übrigen 
nicht  in  jeder  Hinsicht  befriedigenden  5.  Bande  der  von  E.  Lavisse  edierten  »Histoire 
de  Fiance<i  I  (1911),  13  ff.  Dort  finden  sich  auch  die  wichtigsten  französischen  Werice 
aufgeführt,  die  sich  die  Apologie  der  damaligen  französischen  Politik  zum  Ziele 
.setzen. 

b)  Spanien. 

§  38.  Das  Land  und  seine  Bewohner.  Die  spanischen  Reiche  bildeten 
staatsrechtlich  keine  Einheit  wie  Frankreich,  besonders  in  der  Zeit  vor 
1516  nicht.  In  einem  späteren  Paragraphen  (§40)  ist  denn  auch  nicht 
unterlassen,  über  das  eigentümliche  Unionsverhältnis,  in  dem  die  spani- 
schen Länder  untereinander  standen,  das  Nötigste  beizubringen.  Zu- 
nächst aber  muß  erlaubt  sein,  dem  Zweck  der  vorliegenden  Darstellung 
entsprechend  von  Spanien  als  einer  einheitlichen  Größe  zu  sprechen. 
Es  ist  dies  nicht  nur  dadurch  geboten,  daß  die  auswärtige  Politik  Spaniens 
damals  von  einer  Stelle  aus  geleitet  wurde,  sondern  auch  dadurch, 
daß  nur  auf  diese  Weise  die  Möglichkeit  einer  Vergleichung  mit  Frank- 
reich geschaffen  wird. 

Geht  man  nur  von  der  Seelenzahl  aus,  so  stand  Spanien  an  Macht- 
mitteln weit  hinter  Frankreich  zurück.  Dem  Areal  nach  waren  die 
spanischen  Reiche  zwar  beinahe  ebenso  groß;  aber  die  Bevölkerungs- 
dichte war  des  viel  weniger  fruchtbaren  Bodens  und  der  schlechten 
Flußverbindungen  wegen  so  viel  geringer  (in  Kastilien  15,  in  den  übrigen 
Ländern  12  auf  den  Quadratkilometer  gegen  34  in  Frankreich),  daß 
die  Zahl  der  Einwohner  nicht  einmal  halb  so  groß  war  wie  in  Frank- 
reich (ungefähr  7  Millionen  Seelen  gegen  15 — 16  in  Frankreich;  davon 
entfielen  ungefähr  5^/4  Millionen  auf  Kastilien,  1  Million  auf  Aragon 
und  Navarra,  ^/4  Million  auf  die  baskischen  Provinzen).  Auch  fehlten 
die  Voraussetzungen  für  eine  starke  Bevölkerungszunahme  in  kurzer 
Zeit,  wie  sie  in  Frankreich  infolge  der  inneren  Pazifizierung  voraus- 
gesetzt werden  konnten.  Es  lag  dies  an  den  geographischen  Bedingun- 
gen. Ein  großer  Teil  Spaniens  und  besonders  die  kastilische  Hoch- 
ebene ist  für  Getreidebau  wenig  geeignet,  und  da  es  an  schiffbaren 
Flüssen  mangelt,  die  eine  brauchbare  Verbindung  mit  der  See  her- 
gestellt hätten,  so  war  die  Bevölkerung  zu  einem  guten  Teile  auf  die 
verhältnismäßig  unbedeutende  einheimische  Produktion  angewiesen. 
Für  eine  Rivalität  mit  Frankreich  fehlte  somit  zunächst  die  wichtigste 
Voraussetzung. 

Aber  eben  diese  Bevölkerungsverhältnisse  verschafften  anderseits 
Spanien,  seitdem  die  letzte  Entscheidung  in  den  Schlachten  immer  mehr 
der  Infanterie  zufiel  (§5),  in  militärischer  Beziehung  eine  viel  stärkere 
Position  als  Frankreich.  Die  verschiedenartigsten  Umstände  vereinigten 
sich,  um  der  spanischen  Regierung  einen  Stock  leistungsfähiger  ein- 
heimischer Infanteriesöldner  zur  Disposition  zu  stellen.  Schon  die 
geringe  Fruchtbarkeit  des  Bodens  nötigte  viele  kräftige  und  tüchtige 


80  Spanien. 

Männer,  im  Kriegshandwerk  ihr  Unterkommen  zu  suchen.    Die  im  Zu- 
sammenhang mit  derselben  Grundursache  stehende  starke  Ausbreitung 
der  Viehzucht,  der  auch  einer  der  wichtigsten  Exportartikel  des  Landes, 
nämlich  die  spanische  Wolle,  zu  verdanken  war,  förderte  diese  Bewegung 
noch   mehr,   indem   sie   nicht   nur   eine   größere   Anzahl   Arbeitskräfte 
freigab  als  der  Ackerbau,  sondern  auch  die  in  ihr  tätigen,  für  ihre  militäri- 
schen Aufgaben  physisch  besonders  gut  ausrüstete  (§  18).    Diese  Ver- 
schiebung in  den  Erwerbsverhältnissen  dürfte  außerdem  im  Verlaufe 
der  hier  behandelten   Periode  immer  größeren   Umfang  angenommen 
haben.     Es   ist   nämlich   wahischeinlich,    wenn   auch   statistisch   nicht 
nachweisbar,  daß  im  Zusammenhange  mit  der  Ausdehnung  der  spani- 
schen  Machtsphäre  auch  die  Zufuhr  ausländischen   Getreides  (das  in 
der  Hauptsache  aus  Sizilien  und  den  Niederlanden  einlief)   mehr   und 
mehr   sichergestellt   wurde   und   in   wachsenden    Quantitäten   erfolgte. 
War  dies  nun  aber  der  Fall,  so  ließe  sich  annehmen,  daß  wenigstens  in 
den  vom  Meer  aus  leicht  zu  versorgenden  Gegenden  der  weniger  lohnende 
Ackerbau  noch   mehr  als   vorher  durch   die   Weidwärtschaft  zurückge- 
drängt worden  wäre,  was  dann  wiederum  die  Zahl  der  für  den  Kriegs- 
dienst freiwerdenden  Arbeitskräfte  vermehrt  hätte.    Dazu  kamen  dann 
noch  die  in  späteren  Paragraphen  noch  eingehender  zu  besprechende 
»Militarisierung«  des  spanischen  Lebens,  die  aus  Abneigung  gegen  die 
ackerbautreibende  maurische  Bevölkerung  dem  W^affenhandwTrk  auch 
in  Form  des  Infanteriedienstes  im  Gegensatz  zu  anderen  körperlichen 
Betätigungen   eine  besondere  W'ürde  verlieh,   und  schließlich  die   Be- 
mühungen der  Regierung,  ihr  Soldatenmaterial  dadurch  international 
konkurrenzfähig  zu  machen,  daß  sie  es  nach  schweizerischer  Methode 
ausbilden   ließ   (§41). 

In  vollem  Umfange  dürften  allerdings  diese  Umstände  nur  in  den 
ersten  Jahrzehnten  dem  Zudrang  zum  Söldnerdienste  in  Europa  zu- 
gute gekommen  sein.  Der  überschüssige  Teil  der  Bevölkerung  Spaniens 
erhielt  später  in  Amerika  Gelegenheit,  seinen  Lebensunterhalt  mindestens 
ebenso  leicht,  wenn  nicht  noch  leichter  zu  finden  als  in  der  Alten  W'elt. 
Besonders  die  Eroberung  Perus  scheint  nach  zeitgenössischen  Berichten 
in  dieser  Beziehung  stark  eingewirkt  zu  haben;  hier  bot  sich  ja  freilich 
die  Möglichkeit  nicht  nur  gewinnbringender  Soldatenarbeit  wie  bisher 
in  Amerika  und  Europa,  sondern  friedlicher  Ansiedlung.  Ein  Venezianer 
behauptet  denn  auch  1546  geradezu  (Navagero  bei  Alberi  I,  316),  Kaiser 
Karl  ständen  spanische  Söldner  nur  mehr  in  beschränkter  Anzahl  zu 
Gebote.  »Die  Bevölkerungselemente,  die  einst  den  Soldatenberuf  er- 
griffen, weil  sie  kein  anderes  Mittel  besaßen,  um  ihr  Leben  zu  fristen, 
ziehen  es  nun  durchaus  vor,  nach  Amerika  überzusiedeln.«  Aber  wenn 
die  Tatsache,  daß  eine  starke  Auswanderung  stattfand,  auch  nicht  be- 
stritten werden  kann,  so  liegt  im  übrigen  doch  kein  Anzeichen  dafür  vor, 
daß  die  spanische  Regierung  damals  in  ihren  militärischen  Operationen 
etwa  durch  den  Mangel  an  einheimischer  Mannschaft  geniert  worden  wäre. 
Ein  anderer  Venezianer  (Mocenigo  in  den  »Fontes  Reriim  Aastriacariim« 


§  38.    Land  und   Volk.  81 

II,  30  [1870],  33 f.)  betont  zwei  Jahre  später  (1548)  allerdings  stark  die 
Getreidearmut  Spaniens,  die  er  hauptsächlich  auf  die  dünne  Bevölke- 
rung und  den  daher  rührenden  Mangel  an  Ackerbauern  zurückführt. 
Aber  dafür,  daß  Spanien  )>mal  abitata«  war,  macht  er  ebensosehr  den 
Söldnerdienst  wie  die  Auswanderung  nach  Peru  verantwortlich;  er  hat 
also  nichts  von  einer  Abnahme  der  Anmeldungen  zum  Soldatenberuf 
bemerkt,  für  die  übrigens  auch  aus  den  Korrespondenzen  der  Regierung 
kein  Beleg  aufzutreiben  wäre  (die  starke  Auswanderung  nach  Peru 
betont  bereits  1536  Gontarini:  ibid.  Fontes,  p.  8). 

Schließlich  darf  wohl  auch  noch  auf  ein  anthropologisches  Moment 
hingewiesen  werden,  das  sich  zwar,  wie  natürlich,  nicht  auf  wissenschaft- 
lich-medizinische Untersuchungen  stützen  läßt,  das  aber  sich  einer- 
seits aus  den  klimatischen  Verhältnissen  Spaniens  oder  wenigstens 
Kastiliens  und  anderseits  aus  den  damit  durchaus  übereinstimmenden 
Erfahrungen  und  Beobachtungen  der  Zeitgenossen  begründen  läßt, 
nämlich  auf  die  ganz  außergewöhnliche  physische  Widerstands-  und 
Leistungsfähigkeit  der  spanischen  Infanteristen.  Guicciardini  befand 
sich  sicherlich  nicht  im  Irrtum,  wenn  er  in  seiner  ausgezeichneten 
Schilderung  Spaniens  aus  den  Jahren  1512/13  die  natürliche  Eignung 
der  Spanier  zum  Waffendienst  hervorhob  und  sie  als  Hutti  pazientissimi 
di  ogni  disagio«  und  als  Soldaten,  die  »sanno  vivere  di  poco  qiianto  bisogna« 
hinstellte  {»Opere  inedite«  VI  [1864],  290  und  274).  Denn  damit  stimmen 
nicht  nur  die  Bemerkungen  aller  anderen  Beobachter  (vgl.  z.  B.  Gontarini 
1525  bei  Alberi  I,  2  [1840],  44;  Navagero  1546,  ibid.  I,  1  [1839],  316) 
überein,  sondern  vor  allem  die  tatsächlichen  Leistungen  der  spanischen 
Soldaten  selbst.  Es  kann  hier  genügen,  an  den  Zug  Pizarros  über  die 
Anden  zu  erinnern.  Aus  Europa  ließen  sich  ähnliche,  wenn  natürlich 
auch  nicht  so  schlagende  Beispiele  anführen.  Immerhin  ist  bemerkens- 
wert, daß  die  spanischen  Söldner  die  Beschwerlichkeiten  des  Schmalkaldi- 
schen  Winterfeldzuges  besser  aushielten  als  die  deutschen  Krieger 
(P.  Schweizer  in  den  »Mitteilungen  des  Instituts  für  österr.  Geschichts- 
forschung« 29,  147). 

Der  eben  genannte  Historiker  nennt  diese  Erscheinung  »unglaub- 
lich«. Sie  ist  es  aber  keineswegs,  wenn  man  die  klimatischen  Verhält- 
nisse Spaniens,  d.  h.  der  kastilischen  Hochebene,  die  die  Hauptmasse 
der  Truppen  stellte,  in  Betracht  zieht.  Diese  steppenartige  Gegend  ist 
bekanntlich  durch  extreme  Temperaturgegensätze  ausgezeichnet.  Im 
Inneren,  das  dem  Einfluß  des  Ozeans  wenig  zugänglich  ist,  sind  starke 
Fröste  und  Schneefälle  im  Winter  nicht  selten  und  auch  im  Sommer 
wechseln  im  Hochland,  das  der  Mittelpunkt  eines  eigenen  Systems 
atmosphärischer  Strömungen  ist,  kalte  Winde  abrupt  mit  tropischer 
Hitze.  Diese  klimatischen  Umstände  haben  in  Verbindung  mit  der 
geringen  Fruchtbarkeit  des  Bodens  und  der  daher  rührenden  häufigen 
Unterernährung  eine  starke  Sterblichkeit  zur  Folge;  auf  der  anderen 
Seite  ist  aber  klar,  daß  der  Teil  der  Bevölkerung,  der  diese  ungünstigen 
Bedingungen  übersteht,  gegen  Entbehrungen  und  gesundheitsschädliche 

Fueter.  Europ.  Staatensystem.  6 


82  Spanien. 

Einflüsse  ganz  besonders  widerstandsfähig  ist.  Die  spanische  Regierung 
besaß  somit  den  Vorteil,  daß  sie  nicht  nur  einheimische  Soldaten  in 
sozusagen  beliebiger  Zahl  anwerben  konnte,  sondern  daß  diese  Soldaten 
sich  dazu  noch  nötigenfalls  mit  einem  niedrigeren  Solde  begnügten 
und  trotzdem  noch  für  militärische  Aufgaben,  die  an  die  physische 
Leistungsfähigkeit  besondere  Anforderungen  stellten,  brauchbarer  waren 
als  andere,  vielleicht  höher  bezahlte. 

Wie  sehr  dabei  physiologische  Umstände  ins  Gewicht  fielen,  dürfte 
auch  durch  die  Bemerkung  Guicciardinis  gestützt  werden,  der  seinem 
Lobe  der  spanischen  Truppen  beifügt  (S.  279),  sie  seien  wohl  bessere 
Soldaten  als  Offiziere.  Es  mag  dahingestellt  bleiben,  wieweit  dies  Urteil 
zumal  für  die  späteren  Jahre  (Guicciardini  schreibt  1512)  auf  Richtigkeit 
Anspruch  erheben  darf;  doch  liegt  ihm  wohl  die  richtige  Ansicht  zu- 
grunde, daß  die  besonderen  Vorzüge  der  spanischen  Soldaten  vor  allem 
in  ihren  körperlichen  Eigenschaften  lagen. 

Noch  in  einer  anderen  Beziehung  bestand  ein  fundamentaler  Unter- 
schied zwischen  der  Bevölkerung  Spaniens  und  der  Frankreichs.  Das 
französische  Volk  war  nach  Religion  und  Abstammung  einheitlich 
zusammengesetzt  und  wenn  auch  unter  den  Angehörigen  der  einzelnen 
Landesteile  Ungleichartigkeiten  existieren  mochten,  so  waren  diese, 
übrigens  nirgends  tiefgehenden  Verschiedenheiten  lokal  begrenzt  und 
fielen  nicht  mit  der  Zugehörigkeit  zu  einer  bestimmten  Volksklasse 
zusammen.  In  Spanien  lagen  die  Verhältnisse  gerade  umgekehrt,  und 
da  dieser  Zustand  auf  die  wirtschaftliche  Leistungsfähigkeit  des  Landes 
einen  außerordentlich  starken  Einfluß  ausgeübt  hat,  so  muß  auch  an 
dieser  Stelle  das  Nötigste  darüber  bemerkt  werden. 

Die  spanische  Bevölkerung  setzte  sich,  wenigstens  in  den  Städten 
und  in  dem  fruchtbaren  Süden  (Andalusien),  aus  drei  Bestandteilen 
zusammen:  aus  dem  altchristlich-spanischen  Element,  dem  maurischen 
und  dem  jüdischen.  In  dreifacher  Hinsicht  unterschieden  sich  dabei 
die  spanischen  Zustände  von  denen  anderer  christlicher  Länder: 
1.  Waren  die  nichtchristlichen  Elemente  im  Verhältnis  zu  den  christ- 
lichen numerisch  viel  stärker  als  anderswo  und  außer  der  jüdischen  war 
auch  noch  eine  starke  islamitische  Bevölkerung  vorhanden.  2.  Dieser 
nicht  christliche  Bevölkerungsteil  hatte  auf  gewisse  Erwerbsarten,  vor 
allem  auf  das  Gewerbe  in  den  Städten  und  die  landwirtschaftlichen 
Arbeiten  auf  den  Latifundien  sozusagen  ein  Monopol,  insofern  er,  sei 
es  durch  größere  Bedürfnislosigkeit,  sei  es  durch  größere  Arbeitsamkeit 
und  Geschicklichkeit,  die  Konkurrenz  der  Christen  unmöglich  machte. 
3.  Daraus  ergab  sich,  daß  für  die  durch  diese  wirtschaftliche  Überlegen- 
heit bedrängten  Stände  die  bloße  Bekehrung  der  Fremden  zum  Christen- 
tum keine  Abhilfe  schaffen  konnte,  sofern  nicht  auch  die  Lebensgewohn- 
heiten der  Konkurrenten  geändert  wurden.  Daher  lief  das  Bestreben  des 
Mittelstandes,  der  als  einzige  Klasse  unter  diesen  Zuständen  zu  leiden 
hatte,  darauf  hinaus,  entweder  die  Fremden  auch  in  ihrer  Lebensart 
und  Arbeitspraxis  völlig  zu  christianisieren  oder  dann  aus  dem  Lande  zu 


§  38.     Land   und   Volk.  88 

vertreiben.  Da  der  Mittelstand  dabei  in  stärkerem  Maße  unter  der 
Konkurrenz  der  Juden  litt,  die  in  den  Städten  das  Handwerk  zu  einem 
guten  Teile  monopolisiert  hatten,  als  unter  der  Betätigung  der  Mauren, 
die  in  großer  Zahl  Landwirtschaft  trieben,  so  richteten  sich  die  Be- 
strebungen des  Mittelstandes  mehr  gegen  die  Israeliten  als  gegen  die 
Moriscos.  In  beiden  Fällen  machte  die  wirtschaftlich  Bedrängten 
dabei  aber  keinen  Unterschied,  ob  die  Fremden  noch  Juden  oder  Moham- 
medaner geblieben  oder  ob  sie  getauft  worden  waren ^). 

Behält  man  diese  Tatsachen  im  Auge,  so  ist  es  nicht  schwer,  die 
wirtschaftlich-religiöse  Politik  des  spanischen  Mittelstandes  und  der 
von  diesem  abhängigen  Regierung  richtig  aufzufassen.  Der  Forscher 
versteht  dann  auch,  warum  in  den  letzten  Jahrzehnten  des  15.  Jahr- 
hunderts die  Haltung  der  spanischen  Regierung  gegenüber  den  an- 
sässigen Ungläubigen  plötzlich  vollständig  wechselte.  Spanien  gilt  zwar 
herkömmlicherweise  als  das  Land  des  Glaubensfanatismus  und  ebenso 
herkömmlich  ist  die  Motivierung  dieses  Glaubenshasses  mit  den  Mauren- 
kriegen. Aber  diese  Ansicht  ist  mit  der  wirklichen  spanischen  Geschichte 
im  Mittelalter  auf  keine  Weise  zu  vereinigen.  Weder  war  die  Politik  der 
christlichen  spanischen  Reiche  im  Mittelalter  von  Kreuzzugsideen 
beherrscht,  noch  waren  die  herrschenden  Klassen  von  Abneigung  gegen 
den  Islam  erfüllt.  Die  Gleichgültigkeit  gegen  die  Form  des  Glaubens- 
bekenntnisses war  wohl  im  Mittelalter  nirgends  relativ  so  stark  aus- 
geprägt wie   bei  den  Angehörigen  des  regierenden   spanischen  Adels. 

Ganz  anders  aber  stand  es  beim  Mittelstande,  der  aus  den  angegebe- 
nen Gründen  unter  der  Konkurrenz  der  Andersgläubigen  schwer  litt. 
Während  der  grundbesitzende  Adel  aus  der  Arbeit  der  Mauren  reichen 
Ertrag  schöpfte  und  durch  die  jüdischen  Handwerker  wenigstens  nicht 
geschädigt  wurde,  erblickte  der  städtische  Bürger  zumal  in  dem  Juden 
den  Zerstörer  seines  geschäftlichen  Gedeihens.  Und  als  die  Regierung 
sich  von  den  Adelsfaktionen  freigemacht  hatte,  war  es  das  erste,  daß 
er  die  Beseitigung  dieser   Konkurrenz  verlangte. 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  auf  die  Ereignisse,  die  dieses  Verlangen 
in  die  Tat  umsetzten,  im  einzelnen  einzugehen;  der  bezeichnendste 
Akt  ist  bekanntlich  die  Vertreibung  der  Juden,  die  zu  Beginn  der  Periode 
stattfand.  Hinzuweisen  wäre  aber  außerdem  hauptsächlich  noch  auf 
die  Einführung  der  Inquisition,  die,  wie  man  weiß,  vor  allem  der  Be- 
seitigung aller  Überreste  unchristlichen  Glaubens  und  Lebens  bei  den 
Neugläubigen,  eventuell  der  vollständigen  Vernichtung  der  Unbot- 
jnäßigen  zu  dienen  hatte.    Sie  war  so  organisiert,  daß  an  die  Stelle  der 

1)  Für  die  getauften  Juden  und  Moslim  und  itire  Nachkommen  bürgerte  sich 
damals  im  Ausland,  speziell  in  Italien,  die  Bezeichnung  »Marranen«  ein,  die  dann 
dort  bald  die  allgemeinere  Bedeutung  »religiös  ungläubig«  annahm.  In  Spanien 
selbst  ist  das  Wort  meines  Wissens  nie  als  technischer  Ausdruck  verwendet  worden 
und  findet  sich  sogar  als  Schimpfwort  für  Neugläubige  nur  sehr  selten  (vgl.  Guevara, 
»Epistolario«  [Antwerpen  1633]  II,  323 f.,  in  einem  Brief  aus  dem  Jahre  1524). 
Immerhin  mag  es  erlaubt  sein,  den  bequemen  Ausdruck  auch  in  einer  historischen 
Darstellung  zu  gebrauchen. 

6* 


84  Spanien. 

vom  Adel  abhängigen  oder  gegen  den  Adel  machtlosen  bischöflichen 
Gerichte  königliche  Tribunale  traten,  die  gegen  die  Xeugläubigen  und 
ihre  Beschützer  ohne  Rücksicht  auf  die  Interessen  der  Edelleute  vorzu- 
gehen vermochten.  Daher  war  denn  auch  die  Inquisition  beim  »Volk«, 
d.  h.  bei  den  Angehörigen  des  Mittelstandes  ebenso  populär  wie  sie  von 
dem  Adel  bekämpft  wurde;  je  größer  die  Macht  der  großen  Grund- 
besitzer gegenüber  der  Krone  war,  um  so  heftiger  war  anderseits  der 
Widerstand  gegen  die  Einführung  der  Inquisition,  daher  am  stärksten 
in  Aragon. 

Aber  die  Krone  verfügte  in  Spanien  über  zu  gewaltige  Machtmittel 
(§40),  als  daß  die  Opposition  des  Adels  gegen  die  ihre  wirtschaftlichen 
Interessen  schädigenden  Maßregeln  der  Inquisition  auf  die  im  Ein- 
verständnis mit  dem  Mittelstand  erfolgte  Politik  mehr  als  eine  sus- 
pendierende Wirkung  hätten  ausüben  können.  Allerdings  ist  während 
der  im  folgenden  behandelten  Periode  das  »antisemitische«  Programm 
der  christlichen  Bevölkerung  (dieser  Ausdruck  ist  hier  am  Platze,  da 
die  Bewegung  nicht  aus  rein  religiösen  Motiven  erklärt  werden  kann) 
noch  nicht  in  seinem  vollen  Umfange  zur  Ausführung  gekommen,  und 
die  wirtschaftlichen  Folgen  der  Aktion  haben  sich  daher  erst  zum  Teil 
bemerkbar  machen  können.  Aber  trotzdem  ist  doch  schon  in  der  Zeit 
vor  1559  die  ökonomische  Struktur  Spaniens  durch  die  neue  antise- 
mitische Politik  nicht   unberührt    geblieben. 

In  zwei  Beziehungen  dürfte  die  neue  Lage  damals  schon  haupt- 
sächlich wirtschaftliche  Folgen  nach  sich  gezogen  haben.  Erstens 
in  der  »Militarisierung«  des  gesamten  Volkslebens,  d.  h.  in  der  An- 
schauung, daß  auch  für  den  Nichtadligen  die  einzig  oder  vorzugsweise 
ehrenhafte  Tätigkeit  neben  der  kirchlichen  oder  Beamten-Karriere  der 
Dienst  als  Soldat  sei.  Daß  diese  Ansicht  damals  in  Spanien  dominierte, 
wird  von  mehreren  Beobachtern  bezeugt-.  Fr.  Guicciardini  nennt  die 
Spanier  1513  eine  mazione  annigeraa  und  sagt  von  ihnen:  »neue  armi 
stimano  molto  Vonore«  {))Opere  inedite«  VI,  279  und  274).  Ebenso  meint 
Contarini  1525,  die  Ehre  bestehe  bei  den  Spaniern  hauptsächlich  »neue 
ormi«  (Alberi  I,  2  p.  44).  Der  Umstand,  daß  das  Handwerk  in  der 
Hauptsache  eine  Domäne  der  Andersgläubigen  geworden  war,  legte 
gewerblicher  Tätigkeit  einen  Makel  auf.  Nimmt  man  nun  hinzu,  daß  die 
neuen  Verhältnisse,  wie  eben  gezeigt,  den  Waffendienst,  sei  es  in  Europa 
oder  in  Amerika,  zu  einem  einträglichen  Berufe  machten,  so  ist  leicht 
einzusehen,  daß  die  spanische  Bevölkerung  geringe  Lust  verspürte, 
in  die  durch  die  Vertreibung  der  Fremden  gerissene  Lücke  in  der  in- 
dustriellen Betätigung  einzutreten. 

Aber  selbst  wenn  diese  Verachtung  des  Handwerkes  nicht  so  stark 
gewesen  wäre,  so  hätte  doch  schon  nur  die  Tatsache,  daß  diejenigen 
Elemente,  die  das  Gewerbe  vor  allem  alimentiert  hatten,  zum  Verlassen 
des  Landes  genötigt  wurden,  einen  Verlust  geübter  Arbeitskräfte  zur 
Folge  gehabt,  der  nicht  ohne  weiteres  zu  ersetzen  war.  Der  Chronist 
Bernäldez    bemerkt    ausdrücklich    {»Historia    de    los    Heyes    Catölicos« 


§  38.    Land  und  Volk.  85 

e.  112  =  ))Cröiiicas  de  los  Heyes  de  Castüla«  111  [1878],  653),  daß  die 
im  Jahre  1492  vertriebenen  Juden  ausschließlich  Händler,  Steuer- 
pächter oder  Handwerker,  und  zwar  mit  Ausschluß  der  Beschäftigungen, 
die  schwere  Körperarbeit  (Maurer,  Zimmerleute  usw.)  erforderten, 
gewesen  seien,  und  seine  Angabe  dürfte  um  so  mehr  zutreffen,  als  die 
damals  aus  Spanien  ausgewanderten  Juden  noch  heutzutage  in  Marokko 
ganz  dieselben  Gewerbsarten  betreiben  wie  die  von  Bernäldez  ange- 
führten. Anderseits  ist  aber  auch  die  moderne  Forschung  darüber 
einig,  daß  in  diesen  von  den  Juden  ausgeübten  Gewerbszweigen  (vor 
allem  der  Textilindustrie  und  der  Goldschmiedkunst)  die  Juden  in 
Spanien  vor  1492  dominierten,  und  daß  neben  ihnen  höchstens  noch 
etwa  die  Moriscos  aufkommen  konnten  (vgl.  K.  Häbler,  »Die  wirt- 
schaftliche Blüte  Spaniens  im  16.  Jahrhundert <(,  1888,  S.  164 f.). 

Die  Bevölkerung  der  spanischen  Reiche  bot  somit  am  Ausgang  der 
Periode  weniger  günstige  Vorbedingungen  für  die  Entwicklung  von 
Industrie  und  Handel  als  in  den  ersten  Jahren.  Handel  und  Gewerbe 
waren  ihren  natürlichen  Inhabern  entrissen  worden  und  waren  in  den 
Augen  der  Spanier  gleichsam  geächtet;  die  Fremden,  die  an  die  Stelle 
der  Vertriebenen  traten  (Franzosen  im  Handwerk,  Genuesen  im  Handel), 
konnten  jene  in  nationalwirtschaftlicher  Beziehung  nicht  ersetzen. 
Die  Landwirtschaft  war  zwar  besser  gestellt,  insofern  den  andersgläubigen 
Elementen  die  Weiterarbeit  gestattet  wurde;  aber  auch  hier  ließen  sich 
bereits  Einschränkungen  bemerken.  Der  mit  diesen  Veränderungen 
im  Zusammenhange  stehende  starke  Andrang  zu  dem  Soldatendienst 
kompensierte  diesen  Verlust  allerdings  zum  Teil,  da  die  dadurch  ge- 
bildeten einheimischen  Truppen  den  Anschluß  wirtschaftlich  einträg- 
licher Gebiete  (Siziliens,  später  auch  der  Niederlande)  sichern  halfen; 
aber  voller  Ersatz  wurde  damit  kaum  geschaffen. 

Ein  bestimmteres  Urteil  darf  die  Forschung  wohl  kaum  formu- 
lieren. Selbst  wenn  er  über  den  Mangel  an  zuverlässigen  Daten  hinweg- 
sehen wollte,  so  darf  der  Historiker  nicht  vergessen,  daß  Spanien  infolge 
der  Personalunion  mit  den  habsburgischen  Ländern  auch  in  ein  neues 
Wirtschaftssystem  eintrat;  niemand  kann  sagen,  wohin  die  neue  Politik 
gegen  die  Marranen  das  Land  bereits  in  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahr- 
hunderts geführt  hätte,  wenn  es  schon  damals  der  Finanzkraft  der 
Niederlande  hätte  entraten  müssen. 

Literatur.  Vgl.  die  allgemeine  Bemerkung  zu  §  26.  —  Zu  den  venezianischen 
Relationen  und  zu  der  im  Texte  angeführten  Relation  F.  üuicciardinis  treten  noch 
die  in  den  »Fotites  Rerum  ÄKstriacarum«,  2.  Serie,  Band  30  (1870),  publizierten 
venezianischen  Berichte.  —  Die  Abhandlung  K.  Häblers,  »Die  wirtschaftliche 
Blüte  Spaniens  im  16.  Jahrhundert  und  ihr  Verfall«  (»Historische  Untersuchungen«, 
ed.  Jastrow  9;  1883),  die,  wie  alle  Arbeiten  des  Verfassers  für  die  habsburgische 
Herrschaft  apologetisch  gehalten  ist,  darf  nie  ohne  die  in  den  meisten  Punkten 
berechtigte  Kritik  benutzt  werden,  die  J.  Bernays  an  ihr  geübt  hat  (»Zur  inneren 
Entwicklung  Kastiliens  unter  Karl  V.«  in  der  »Deutschen  Zeitschrift  für  Geschichts- 
wissenschaft« I   [1889],  381  —  428). 

Über  die  Frage  der  Marranen  findet  man   das  Material  am  besten  und  zuver- 
lässigsten   bei   Henry   Charles   Lea,    »The  Moriscos  of  Spain:   their  Conoersion   and 


86  Spanien. 

E.rpulsionif  1901;  aucli  in  seiner  Beurteilung  erhebt  sich  das  Buch  weit  über  die 
übhchen,  mit  Schlagworten  arbeitenden  historischen  Darstellungen.  Neben  ihm 
wäre  nur  etwa  noch  Gothein,  »Ignatius  von  Loyola«  (1895),  Buch  J,  Kapitell, 
zu  nennen. 

Auch  der  Venezianer  Quirino  sagt  1506  (Alberi  I,  29),  man  schätze  in  Kastilien, 
daß  ein  Drittel  der  Kaufleute  ( »citladini  e  mercanti«)  Marranen  seien,  (worunter  er 
nach  S.  28  nur  Abkömmlinge  von  Juden  versteht),  und  auch  er  hält  wegen  dieser 
großen   Anzahl  die   Inquisition  für  nötig. 

Als  Analogie  und  zugleich  als  indirekte  Bestätigung  der  im  Texte  nieder- 
gelegten Ansichten  über  den  Ursprung  und  die  Bedeutung  des  spanischen  Anti- 
semitismus sei  auf  den  Aufsatz  von  Felix  Priebatsch,  »Die  Judenpolitik  des  fürst- 
lichen Absolutismus  im  17.  und  18.  Jahrhundert«  verwiesen  (»Forschungen  und 
Versuche«  [Festschrift  für  Dietrich  Schäfer,  1915],  S.  564-651).  Daraus  ergibt 
sich,  daß  damals  auch  in  Deutschland  die  Krämer  und  Handwerker,  das  was  wir 
jetzt  den  Mittelstand  nennen,  geschworene  Feinde  der  Juden  waren  (S.  565).  und  daß 
die  Juden  gerade  aus  den  Reichsstädten  vertrieben  wurden,  in  denen  diese  Stände 
den  maßgebenden  Einfluß  besaßen.  Die  Fürsten  und  die  Reichsritter  und  noch  mehr 
die  kleinen  Territorialherren  nahmen  dagegen  die  Juden  gerne  auf  (S.  569ff.),  und 
die  Beschwerden,  die  die  Städte  dagegen  bei  Kaiser  und  Reich  erhoben,  blieben 
ohne  Erfolg.  Nicht  anders  stand  es  in  Polen  und  Böhmen  (S.  567).  Auch  in  Florenz 
war  der  »popolo  minuto«  gegen  die  Juden  und  trat  für  ihre  Vertreibung  ein,  während 
die  regierenden  Familien  (i  principali)  sie  schützten  (Zeugnis  von  Parenti,  ange- 
führt bei  P.  Villari,  »Savonarola«  I  [2.  Auflage],  331).  —  In  Spanien  hatte  aber 
dieser  judenfeindliche  Mittelstand  seit  der  Vernichtung  des  Adels  einen  viel  stärkeren 
Einfluß  auf  die  Regierung  als  in  Deutschland;  außerdem  war  allerdings  die  ökono- 
mische Gefahr  wohl  auch  größer.  Die  Monarchen  und  die  Angehörigen  der  Adels- 
familien dürften  dagegen,  wie  sich  aus  allen  Zeugnissen  ergibt,  auch  damals  in  Spanien 
kaum  anders  gedacht  haben  als  ihre  Standesgenossen  in  anderen  Ländern.  Vgl. 
darüber  z.  B.  die  Angaben  bei  Prescott,  ^Ferdinand  and  Isabella«,  p.  I,  eh.  12,  über 
die  Verheerungen,  die  die  Inquisition  gerade  unter  den  adhgen  Familien  Aragons 
anrichtete.  Auch  Sandoval  beklagt  sich  darüber,  daß  die  »Ritter«  in  Valencia  die 
Mauren  verteidigten  »Vida  .  .  .  de  Carlos  F.«,  I.  13,  §  28  =  I,  505  der  Ausgabe  Ant- 
werpen 1681  zum  Jahre  1525.  Interessant  ist  auch  die  Debatte  im  kaiserlichen 
Staatsrat  über  diese  Frage  im  Jahre  1523/24  (ed.  Gossart  in  den  »MemoiVcs-«  der 
Brüsseler  Akad.  55  [1897],  S.  101).  In  seiner  Aufnahmerede  in  die  historische  Aka- 
demie bestreitet  Antonio  Bläsquez,  daß  die  Politik  der  kaiserlichen  Regierung  die 
erwähnten  verderblichen  Folgen  gehabt  habe;  schuld  am  Rückgang  der  Industrie 
sei  nur  der  Zudrang  zum  Waffenhandwerk  und  die  Auswanderung  nach  Amerika 
gewesen.  Er  unterläßt  aber  zu  erklären,  warum  der  Soldatenberuf  so  starke  Nach- 
frage fand  (»Lff  Geograjia  de  Espana  en  el  siglo  A'T'/«;  vgl.  »Revista  de  Archivos« 
1909,  September,  p.  364f.).  Bläsquez  berechnet  übrigens  die  Bevölkerungsdichte 
für  Kastilien  etwas  höher,  für  die  aragonesischen  Reiche  etwas  niedriger  als  Beloch. 

§  39.  Industrie  und  Handel.  Von  den  soeben  geschilderten  Ver- 
hältnissen hing  nun  auch  die  ökonomische  Konstitution  der  spanischen 
Bevölkerung  ab. 

Spanien  befand  sich  in  wirtschaftlicher  Beziehung  nicht  in  einer 
prinzipiell  anderen  Lage  als  Frankreich.  Auch  in  den  spanischen  Reichen 
waren  Exportindustrie  und  Handel  nur  wenig  entwickelt  und  beschränkte 
sich  die  Ausfuhr  beinahe  ganz  auf  Rohprodukte  (hauptsächlich  Schaf- 
wolle und  Mineralien,  wie  Kupfer  und  Erz).  Aber  ein  gewaltiger  Unter- 
schied bestand  daneben:  Frankreich  produzierte  seine  Nahrungsmittel 
in  überreicher  Fülle,  während  Spanien  für  diese,  speziell  für  die  Brot- 
frucht,  auf  das  Ausland  angewiesen  war. 


§  39.     Industrie   und   Handel.  87 

In  Frankreich  konnte  man  es  daher  als  natürlich  bezeichnen  und 
es  war  jedenfalls  finanziell  nicht  schädlich,  wenn  Industrie  und  Handel 
von  der  einheimischen  Bevölkerung  vernachlässigt  wurden.  In  Spanien 
dagegen  wäre  es  normal  gewesen,  wenn  die  Bevölkerung  die  Kosten  für 
die  unentbehrliche  Einfuhr  von  Lebensmitteln,  die  durch  die  exportierten 
Rohstoffe  offenbar  nicht  gedeckt  wurden,  durch  Tätigkeit  in  Industrie 
und  Handel  aufgebracht  hätte.  Spanien  hätte  dann  etwa  die  Ent- 
wicklung genommen,  die  früher  bereits  von  Venedig  oder  den  Nieder- 
landen eingeschlagen  worden  war.  Der  vorhergehende  Paragraph  hat 
auf  die  Gründe  hingewiesen,  die  allem  Anschein  nach  die  spanische 
Bevölkerung  verhindert  haben,  sich  den  genannten  Erwerbszweigen 
hinzugeben. 

Erleichtert  wurde  diese  Haltung  freilich  dadurch,  daß  gerade  die 
politische  Machtstellung  Spaniens  die  Versorgung  Spaniens  aus  dem 
Auslande  garantierte.  Sizilien,  das  Kornmagazin  des  Landes,  befand 
sich  fest  in  spanischen  Händen  und  der  zweite  wichtige  Lieferant,  der 
niederländisch -deutsche  Zwischenhandel,  war  den  Einflüssen  rivalisie- 
render Großmächte  entrückt  und  in  den  späteren  Jahren  sogar  dem 
Herrscher  des   eigenen  Landes  unterstellt. 

Das  Ergebnis  dieses  Wandels  war  jedenfalls,  daß  der  sowieso  für 
die  Versorgung  des  Landes  unzureichende  Ackerbau  noch  mehr  zurück- 
ging. Die  Viehzucht,  die  zwar  hauptsächlich  der  Wollproduktion  diente, 
daneben  aber  auch  die  Milchwirtschaft  pflegte  (es  ist  bezeichnend, 
daß  von  allen  Lebensmitteln  allein  der  Käse  während  des  Jahrhunderts 
nicht  im  Preise  stieg:  Bernays,  I.e.,  S.  425),  dehnte  sich  weiter  aus; 
aber  die  Wolle  mußte  zur  Verarbeitung  in  immer  größerem  Umfange 
ins  Ausland  gesandt  werden  und  nicht  anders  stand  es  mit  der  Seide. 
Während  in  Frankreich  die  Industrie  auch  wenig  für  den  Export  arbeitete, 
aber  doch  wenigstens  den  normalen  Bedürfnissen  des  einlieimischen 
Konsums  zu  genügen  vermochte,  mußten  in  Spanien  sogar  die  ge- 
wöhnlichsten Tuchsorten  eingeführt  werden.  Sogar  der  Schiffsbau  in 
Katalonien  geriet  in  Verfall,  weil  diese  Arbeit  hauptsächlich  von  Morisken 
ausgeübt  wurde  (Lea,  »Moriscos«,  p.  6)  und  diese  ihr  Gewerbe  nicht  mehr 
betreiben  durften.  Der  Handel  in  diesen  Produkten  lag  fast  ganz  in 
den  Händen  der  Fremden,  vor  allem  der  Genuesen,  die  auch,  wie  es 
scheint,  das  Bankgeschäft  des  Landes  fast  ausschließlich  beherrschten. 
Eine  Ausnahme  bildete  nur  die  Seidenindustrie,  die  sich  noch  in  Über- 
resten erhielt  und  dann  in  Guipuzcoa  die  bedeutende  Schiffahrt,  mit 
deren  Hilfe  die  Ausfuhr  (hauptsächlich  von  Wolle  und  Alaun)  nach  den 
Niederlanden  auf  eigenen  Fahrzeugen  besorgt  werden  konnte.  Es  darf 
schließlich  auch  auf  den  charakteristischen  Umstand  hingewiesen  wer- 
den, daß  sogar  die  Entdeckung  Amerikas,  die  dem  Genuesen  Kolumbus 
bekanntlich  bei  der  Suche  nach  einem  neuen  Handelsweg  nach  Ost- 
asien zufiel,  nicht  eigentlich  dem  spanischen  Handel  zugutekam,  die 
Neue  Welt  vielmehr  von  der  spanischen  Bevölkerung  vor  allem  als 
Kolonialland  ausgenutzt  wurde. 


88  Spanien. 

Literatur.  Vgl.  die  Bemerkung  zu  dem  vorhergehenden  Paragraphen.  — 
Über  Schiffahrt  und  Handel  von  Biscaya  vgl.  das  Buch  des  Marques  de  Seoana, 
»Navegantes  Guipuzcoanos«  (1909)  und  das  außerordentlich  viele  hierhergehörige 
Notizen  enthaltende  »Cedulario  del  Hey  Catölico  (löOS/OG)«,  das  Rodriguez  Villa 
im  »Boletin  de  la  R.  Äcademia  de  la  Historia«  54  (1909)  u.  ff.  veröffentlicht  hat. 
—  Nicht  unmöglich  wäre,  daß  die  Schafzucht  in  Spanien  auch  deshalb  stärker 
gepflegt  wurde,  weil  die  englische  Wolle,  die  im  Heimatlande  verarbeitet  zu  werden 
begann  (§82),  auf  dem  niederländischen  Markte  seltener  wurde  und  sich  daher 
größere  Nachfrage  nach  spanischer  Wolle  einstellte.  Vgl.  darüber  A.  Walther,  »Die 
Anfänge  Karls  \'.«  (1911),  S.  58.  (brigens  ging  nur  ein  Teil  der  spanischen  Wolle 
nach  den  Niederlanden;  die  feinere  Qualität  wurde  nach  Italien  exportiert  (Mocenigo 
1548  in  den    »Fontes  Reruin  Austr.«  II.  Abt.,  30.  Band  [1870],  33). 

Mit  den  Ausführungen  des  Textes  steht  nicht  im  Widerspruch,  daß  aus  den 
südlichen  Teilen  Spaniens  gelegentlich  Getreide  ausgeführt  wurde;  denn  aus  den 
angegebenen  Gründen  war  es  nicht  möglich,  mit  diesem  übrigens  recht  beschränkten 
Überschuß  die  übrigen  Provinzen  zu  versorgen. 

§  40.  Die  iiinerpolitische  Organisation.  Die  spanischen  Reiche 
waren  nach  Regierung  und  Verwaltung  bekanntlich  lange  nicht  so 
zentralisiert  wie  das  französische  Königreich.  Kastilien  und  Aragon 
bildeten  im  Grunde  nur  dem  Auslande  gegenüber  eine  Einheit  und  be- 
saßen nicht  einmal  gemeinsame  Reichsstände;  dazu  zerfiel  der  aragoni- 
schen Teil  selbst  wieder  in  einzelne  Staaten  mit  besonderen  Ständen 
und  Privilegien. 

Trotzdem  hat  die  spanische  Regierung  ihre  auswärtige  Politik  kaum 
weniger  einheitlich  und  frei  durchführen  können  als  die  französische. 
Es  lag  dies  weniger  daran,  daß  die  Interessen  des  Mittelstandes  (des 
niederen  Adels  und  der  städtischen  Bourgeoisie),  die  sie  vor  allem 
vertrat,  in  den  verschiedenen  Reichen  so  ziemlich  dieselben  waren, 
sondern  vor  allem  darin,  daß  das  größere  und  mächtigere  Reich  so  durch- 
aus dominierte,  daß  eine  Regierung,  die  sich  auf  Kastilien  stützen 
konnte,  eine  eventuelle  divergierende  Haltung  der  übrigen  Reiche  kaum 
mehr  in  Betracht  zu  ziehen  brauchte.  Kastilien  lieferte  die  Hauptmasse 
der  Soldaten  und  der  Abgaben  (vgl.  z.  B.  Guicciardini  in  der  mehrfach 
erwähnten  Relation,  »Opere  inedite«  VI,  288  und  die  Zahlenangaben 
bei  Häbler,  S.  113,  n.  6),  und  zwar,  wie  es  scheint,  noch  in  größerer 
Proportion,  als  dem  Unterschiede  des  Areals  und  der  Bevölkerung  ent- 
sprach —  vielleicht  zum  Teil  allerdings  gerade  auch  deshalb,  weil  die 
Privilegien  der  aragonesischen  Staaten  die  Möglichkeit  der  Besteuerung 
stärker  einschränkten  als  in  Kastilien.  In  Wirklichkeit  hatte  es  daher 
die  Regierung  nur  mit  den  Ständen  eines  Reiches  zu  tun  und  sie  be- 
fand sich  in  Tat  und  Wahrheit  kaum  in  einer  ungünstigeren  Position 
als  etwa  das  englische  Königtum. 

In  Kastilien  waren  aber  alle  selbständigen  Gewalten  mit  Ausnahme 
der  Stände  vernichtet  worden.  Über  die  Stellen  in  Armee  und  Kirche 
verfügte  die  Krone  ebenso  vollständig  wie  der  französische  König. 
Dadurch  wurde  auch  der  vor  kurzem  noch  so  unbotmäßige  hohe  und 
niedere  Adel  gänzlich  von  dem  König  abhängig.  Auch  in  Spanien 
waren  die  jüngeren  Söhne  des  Adels,  zu  deren  Unterhalt  das  väterliche 


§  40.     Innerpolitische  Organisation.  89 

Besitztum  nicht  ausreichte,  für  ihre  geistliche  Karriere  auf  die  Gunst  des 
Monarchen  angewiesen ;  dabei  fiel  besonders  in  Betracht,  daß  seit  den 
katholischen  Königen  sogar  die  drei  Bitterorden  der  Krone  inkorporiert 
worden  waren,  also  auch  die  Verfügung  über  die  zahlreichen  damit 
verbundenen  Sinekuren  allein  dem  Könige  zustand  (dies  besonders 
betont  z.  B.  von  Mocenigo,  »Fontes  Reriim  Aiistriacarum«  II,  30  [1870], 
30f.).  Das  Konkordat  des  Jahres  1482  hatte  ja  dem  König  von  Kastilien 
dieselben   Bechte  gewährt,   wie  sie  der   König  von   Frankreich  besaß. 

Die  Stände  selbst  aber  waren  auch  in  Kastilien  keine  Macht,  die 
eigentlich  hindernd  in  die  Politik  der  Begierung  hätte  eingreifen  können 
(vgl.  §  19).  Ihr  Becht  zur  Bewilligung  von  Steuern  ist  allerdings  nie 
bestritten  worden,  und  da  die  Krone  aus  ihren  ordentlichen  Einnahmen 
Kriege  nicht  zu  führen  vermochte,  so  war  an  sich  nicht  ausgeschlossen, 
daß  die  Stände  auf  die  auswärtige  Politik  Einfluß  ausübten.  Es  scheint 
auch,  daß  diese  Möglichkeit  bisweilen  Wirklichkeit  wurde:  wenn  Kaiser 
Karl  V.  sich  schließlich  zu  seiner  Expedition  gegen  die  algerischen 
Piraten  (§  125)  bewegen  ließ,  so  dürfte  daran  nicht  nur  die  Bücksicht  auf 
die  Unzufriedenheit  der  Granden  im  allgemeinen  (vgl.  »Venezianische 
Depeschen  vom  Kaiserhof«  I  [1889],  216,  246 f.,  310  [1538/39]),  sondern 
auch  die  Überlegung  maßgebend  gewesen  sein,  daß  die  Kortes,  die 
kaiserlichen  Finanzforderungen  hartnäckigen  und  langwierigen  Wider- 
stand entgegenzusetzen  pflegten  (vgl.  z.B.  Salinas,  »Carlas«,  p,  897f., 
1539  und  vor  allem  »Venez.  Depeschen«  I,  279  und  283 f.),  infolge  dieser 
Konzession  größere  Nachgiebigkeit  zeigen  würden.  Aber  wennschon 
die  Begierung  etwa  ihre  auswärtige  Politik  hat  modifizieren  müssen, 
so  kann  von  einem  bestimmenden  Einflüsse  der  Stände  doch  keine 
Bede  sein. 

Denn  tatsächlich  besaß  die  Begierung  Mittel  genug,  um  Geld  unab- 
hängig von  den  Ständen  aufzubringen.  Wie  andere  Begierungen,  half 
sie  sich  mit  Verpfändungen  künftiger  (hauptsächlich  indirekter)  Ab- 
gaben. Ungünstiger  als  ihre  Konkurrenzen  war  sie  dabei  nur  insofern 
gestellt,  als  das  arme  und  spärlich  Industrie  und  Handel  treibende 
Land  nicht  die  Hilfsquellen  besaß,  die  z.  B.  in  Frankreich  die  (wenig- 
stens partielle)  Zurückzahlung  solcher  Schulden  erlaubten.  Außerdem 
scheint  es,  als  wenn  die  mit  der  wirtschaftlichen  Leistungsfähigkeit 
des  Landes  nicht  im  Einklang  stehende  Erhöhung  der  indirekten  Ab- 
gaben schließlich  die  Lebenshaltung  in  Spanien  so  verteuert  hätte,  daß 
der  Industrie  erst  recht  der  Konkurrenzkampf  mit  auswärtigen  Fabriken 
unmöglich  gemacht  wurde.  Dadurch  wurde  aber  die  Steuerkraft  der 
Bevölkerung  weiter  geschwächt. 

Besümierend  kann  man  sagen:  Die  Begierung  war  durch  kein 
äußeres  Hindernis  an  einer  Großmachtpolitik,  d.  h.  an  einer  Bivalitäts- 
politik  mit  Frankreich  gehindert.  Sie  vermochte  die  dazu  nötigen 
Mittel  zunächst  ohne  weiteres  flüssig  zu  machen.  Aber  sie  mußte  dabei 
von  vornherein  mit  Antizipationen  arbeiten  und  dieses  System  führte 
unvermeidlich  zur  finanziellen   Katastrophe;  wenn  diese  dann  erst  in 


90  Spanien. 

den  letzten  Jahren  der  hier  behandelten  Periode  eingetreten  ist,  so  ist 
dies  nur  auf  den  Umstand  zurückzuführen,  daß  der  Nachfolger  der 
katholischen  Könige  nicht  allein  auf  die  Steuerkraft  Spaniens  ange- 
wiesen war.  Land  und  Bevölkerung  boten  —  sei  es  infolge  natürlicher 
Verhältnisse,  sei  es  infolge  eines  mangelhaften  Wirtschaftssystems  — 
nun  einmal  nicht  die  Mittel  zu  einer  solchen  Politik. 

Die  Verhältnisse  in  den  aragonesischen  Reichen  lagen  an  sich 
für  die  Regierung  weniger  günstig.  Die  Privilegien  der  Stände  waren 
größer  und  die  bewilligten  Gelder  standen  der  Regierung  weniger  un- 
beschränkt zur  Verfügung;  auch  gelang  es  der  Krone  noch  nicht,  die 
Verfügung  über  die  Pfründen  des  aragonesischen  Ritterordens  {Montesa) 
in  ihre  Hände  zu  bringen  (vgl.  Mocenigo,  »Fontes  Rer.  Aiistr.«,  1870, 
p.  32).  Aber  es  ist  bereits  darauf  hingewiesen  worden,  daß  die  Leistungs- 
fähigkeit Aragons  verglichen  mit  der  Kastiliens  beschränkt  war.  Wenn 
daher  die  finanziellen  Forderungen  der  Regierung  bei  den  Ständen 
von  Aragon  mehrfach  mit  einer  Niederlage  der  Krone  endigten  (vgl. 
z.  B.  Salinas,  »Carlas %  p.  557  =  1533),  so  hatte  dies  nicht  viel  zu  bedeuten. 
Ebenso  fiel  auch  kaum  ins  Gewicht,  daß,  wie  es  allen  Anschein  hat, 
der  Widerstand  der  aragonesischen  Kortes  im  Laufe  der  Jahre  zunahm, 
d.  h.  unter  Karl  V.  stärker  war  als  unter  Ferdinand  dem  Katholischen. 
Wenn  Ferdinand  in  einem  Schreiben  an  den  »Gran  Capitäna  Gonzalo 
de  Cördoba  noch  lobend  die  Gefügigkeit  seiner  Stände  hervorhob 
{»Revista  de  Archivosn  3  ep.,  ano  14  [1910]  I,  120  =  1502),  die  kaiser- 
liche Regierung  dagegen  auf  hartnäckigen  Widerstand  stieß,  so  kamen 
dafür  für  ihr  Budget  die  Beiträge  der  aragonesischen  Länder  weniger 
in  Betracht.  Begreiflich  aber  war,  daß  mit  Rücksicht  auf  diese  beschei- 
denen Leistungen  dann  unter  Karl  V.  die  Verwaltung  Aragons,  soweit 
sie  überhaupt  von  Spaniern  ausgeübt  wurde,  beinahe  ganz  in  die  Hände 
von  Kastiliern  gelegt  wurde.  Der  aragonesische  Adel  wenigstens  war 
von  Anfang  an  am  Hofe  des  Kaisers  so  gut  wie  gar  nicht  vertreten 
(A.  Walther,   »Anfänge  Karls  V.«,  S.  43). 

Literatur.  Rafael  Fuentes  Arias,  Ȁlfonso  deQuintanilla,  Contador  Mayor  de 
los  Reyes  Calölicos«,  2  Bände,  1909 ;  Laiglesia,  ^>Las  Cortes  en  el  Reynado  de  Carlos  F«, 
1909  (Akademierede).  Derselbe,  »Las  rentas  del  Imperio  en  Espana«,  1907  (gegen 
ihn  Cristöbal  Espejo,  »Sohre  la  organizacion  de  la  Hacienda  espanola  en  elsiglo  XVJ«, 
1907).  Auf  die  Wirtschaftspolitik  gegenüber  den  amerikanischen  Besitzungen  kann 
hier  nicht  eingegangen  werden,  da  deren  praktische  Folgen  vor  1559  kaum  ins  Gewicht 
fielen.  Das  neueste  Werk  darüber  ist  Gl.  H.  Haring,  »Trade  and  Navigation  between 
Spain  and  the  Indies  in  the  time  of  the  Hapsburgs«,  1918  (Harvard  Economic  Studies), 

§  41.  Die  Armee.  Wie  bereits  hervorgehoben,  stellten  dieselben 
Umstände,  die  einer  ökonomischen  Prosperität  hinderlich  waren,  der 
spanischen  Regierung  auch  anderseits  eine  Infanterie  zur  Verfügung, 
wie  sie  zuverlässiger,  wohlfeiler  und  in  größerer  Anzahl  in  keinem  Lande 
mit  Ausnahme  der  Türkei  zu  finden  war. 

Alles  vereinigte  sich,  um  günstige  Vorbedingungen  für  die  Bildung 
starker  spanischer  Armeen  zu  schaffen.    Wenn  die  gebirgige  Formation 


§  41.     Die  Armee.  91 

zumal  dtT  kastilischen  Hochel)ene  der  Pferdoziiclit  hinderlieh  war  und 
deshalb  das  Halten  von  Pferden  bereits  mit  Hilfe  offizieller  Maßregeln 
erzwungen  werden  mußte,  so  war  dies  in  einer  Periode,  wo  die  Infanterie 
den  Ausschlag  gab  (§5),  eher  ein  Vorzug  als  ein  Nachteil.  Die  Armut 
des  Landes,  die  dürftige  Lebenshaltung  und  die  Verachtung  erw^erbender 
Berufsarten  schufen  ein  Soldatenmaterial,  das  geringeren  Sold  und 
bescheidenere  Verpflegung  verlangte  als  Truppen  anderer  Länder,  und 
trotzdem  in  sozusagen  unbeschränkter  Anzahl  anzuwerben  war.  Diese 
Söldner  konnten  außerdem  in  viel  höherem  Grade  als  national  zuver- 
lässig gelten  als  die  angeworbenen  Krieger  irgendeines  anderen  Landes. 
Wohl  fehlte  es  im  Falle  unregelmäßiger  Bezahlung  und  ungenügender 
Versorgung  auch  unter  den  spanischen  Truppen  niclit  an  Meutereien. 
Aber  es  bestand  doch  in  ganz  anderem  Maße  ein  Zusammenhang  zwischen 
Heer  und  Regierung  als  selbst  in  Deutschland,  wo  die  Landsknechte 
der  nichthabsburgischen  Erblande  mit  cUm  Kaiser  nur  durch  ganz 
lockere  Bande  verknüpft  waren,  von  den  Verhältnissen  in  Frankreich, 
England  und  den  italienischen  Staaten  erst  recht  zu  schweigen.  Es  ist 
auch  wohl  nicht  ohne  Bedeutung,  daß  spanische  Söldner  nur  selten 
im  Dienste  nichtspanischer  Herrscher  nachweisbar  sind. 

Die  spanische  Regierung  hat  diese  günstige  Position  allerdings  erst 
nach  und  nach  im  Laufe  der  hier  behandelten  Periode  ausnutzen  können. 
Das  Material  war  wohl  von  Anfang  an  da;  aber  es  fehlte  die  moderne 
Schulung,  die  »schweizerische  Methode«  (§5).  Wie  hätte  sich  auch  das 
Bedürfnis  nach  dieser  Neuerung  geltend  machen  sollen,  solange  spanische 
Soldaten  weder  in  ihrem  Lande  selbst  noch  in  Afrika  oder  Italien  mit 
schweizerischen  Söldnern  zusammenstießen  ?  Daß  die  spanische  Armee 
in  dieser  Beziehung  hinter  anderen  Nationen  und  speziell  hinter  dem 
Rivalen  Frankreich  zurückgeblieben  war,  zeigte  sich  erst,  als  die  franzö- 
sische Expedition  nach  Neapel  einen  Kampfplatz  geschaffen  hatten, 
auf  dem  sich  Truppen  aller  europäischer  Staaten  auf  gemeinsamem 
Boden  messen  mußten.  Damals  erwies  sich  die  spanische  Infanterie 
allerdings  bald  als  der  neuen  Taktik  nicht  gewachsen.  Doch  wau'de  die 
Reorganisation  der  Armee  auch  dann  nicht  mit  einem  Schlage  durch- 
geführt. Die  Regierung  behalf  sich  zuerst  mit  Kompromissen:  sie  nahm 
zu  ihren  eigenen  Truppen  schweizerische  oder  deutsche  Söldner  in  ihren 
Dienst  und  reservierte  zunächst,  wie  es  scheint,  die  Fremden  für  die 
schwierigen  Aufgaben.  Zugleich  aber  sorgte  sie  auch  schon  dafür,  daß 
wenigstens  ein  Teil  der  eigenen  Mannschaft  nach  der  neuen  Methode 
ausgebildet  wurde  (so  noch  im  Jahre  1513;  vgl.  den  vierten  der  »Dis- 
corsi  politici<(  Fr.  Guicciardinis,  geschrieben  in  Spanien,  »Opere  ineditec  I 
[2.  Aufl.,  1857],  241  f.). 

Etwa  von  1520  an  waren  dann  aber  die  spanischen  Söldner  so  weit 
gekommen,  daß  sie  an  militärischer  Brauchbarkeit  hinter  ihren  schweize- 
rischen und  deutschen  Mustern  nicht  mehr  zurückstanden.  Bis  zu  den 
letzten  Jahren  der  Periode  wird  zwar  etwa  von  fremden  Beobachtern 
hervorgehoben,  daß  die  spanischen  Soldaten  von  Haus  aus  nicht  so  gut 


92  Spanien. 

vorgebildet  seien  wie  die  deutschen  (Navagero  1548  bei  Alberi  I  [1839], 
316,  und  Mocenigo  in  demselben  Jahre,  »Fontes  Her.  Aiistr.«  1870, 
p.  124;  vgl.  ferner  Ludovisi  1534  bei  Alberi  III,  1  [1840],  10).  Aber 
sogar  die  Kritiker  mußten  zugeben,  daß  die  Spanier  das  Fehlende 
rasch  nachholten,  viele  unter  ihnen  waren  ja  auch  alte  Berufskrieger, 
und  in  dem  1517  von  der  päpstlichen  Regierung  ausgearbeiteten  Gut- 
achten über  eine  Offensivallianz  der  europäischen  Staaten  gegen  die 
Türkei  werden  die  Spanier  neben  den  Schweizern,  Deutschen  und 
Böhmen  ausdrücklich  als  diejenigen  genannt,  die  eine  modern  geschulte 
Infanterie  stellen  könnten  (Charriere,  »Negociations«  I,  36).  Auch  aus 
dem  Verlauf  der  damaligen  Feldzüge  dürfte  mit  nichten  eine  Minder- 
wertigkeit der  spanischen  Söldner  zu  erweisen  sein.  Nimmt  man  dann 
aber  noch  hinzu,  daß  die  Spanier  mit  der  ebenso  guten  Schulung  Vorzüge 
verbanden,  die  bei  den  deutschen  »Knechten«  nicht  vorhanden  waren, 
so  wird  die  spanische  Infanterie  gegen  das  Ende  der  Periode  wohl  als 
die  leistungsfähigste  betrachtet  werden  müssen. 

Die  spanischen  Infanteristen  waren  außerdem  weniger  einseitig 
ausgebildet  als  mindestens  die  schweizerischen  Söldner.  Auch  als  Sturm- 
truppen bei  Belagerungen  vermochten  sie  bedeutendes  zu  leisten  und 
Mocenigo  meint  1548  geradezu  {»Fontes  Rer.  Austr.«  1870,  p.  109),  daß 
von  den  Kontingenten,  aus  denen  sich  das  kaiserliche  Heer  gegen  die 
Schmalkaldner  zusammensetzte,  nur  die  spanischen  für  einen  Angriff 
auf  die  stark  befestigte  Stadt  Wittenberg  in  Betracht  gekommen  wären. 

Die  spanischen  Soldaten  durften  auf  diesen  Ruhm  Anspruch  er- 
heben, obwohl  ihre  Leistungen  im  Artillerie-  und  Befestigungswesen 
nie  das  Maß  des  Mittelmäßigen  überschritten  haben.  Nie  sind  ihre 
Geschütze  und  Fortifikationsanlagen  den  französischen  gleichgekommen, 
obwohl  auch  sie  dem  Mangel  an  einheimischen  Technikern  durch  die 
Verwendung  ausländischer  (italienischer)  Ingenieure  abzuhelfen  ver- 
suchten (vgl.  z.  B.  Quirino,  »Archiv  für  österr.  Geschichte«  66  [1885], 
246;  1506).  Es  könnte  zwar  dagegen  angeführt  werden,  daß  ein  zur  Zeit 
der  katholischen  Könige  lebender  spanischer  Seeräuber  und  Techniker 
namens  Pedro  Navarra  herkömmlicherweise  als  Erfinder  der  Minen 
gerühmt  wird;  Lucas  de  Torre  hat  aber  {»Revista  de  Archiuos«  1910, 
I,  198 ff.)  diese  Legende  zerstört  und  nachgewiesen,  daß  Navarro, 
der  übrigens  unter  Franz  I.  auch  in  französischen  Diensten  arbeitete, 
seine  Kunst  von  einem  neapolitanischen  Geschützmeister  namens 
Antonelli  gelernt  hatte  und  dazu  noch  nach  einem  veralteten  Ver- 
fahren operierte.  —  Sogar  für  den  Bezug  von  Schutzwaffen  waren 
die  Spanier  auf  das  Ausland  (Mailand)  hingewiesen,  wenn  Qualitäts- 
arbeit verlangt  wurde  (vgl.  z.  B.  »Cediilario«  in  »Boletin«  55  [1909], 
178  [1508]  und  Salinas,   »Cartas«   S.  632  [1535]). 

Die  Kavallerie  stand  hinter  der  Infanterie  und  sogar  hinter  der 
Artillerie  weit  zurück.  Die  spanischen  leichten  Reiter,  die  ginetes, 
fanden  zwar  bei  ihrem  ersten  Auftreten  in  Italien  kaum  ihresgleichen 
(vgl.   §8);  aber  es  scheint,  daß  diese  Truppe,  die  den  Maurenkriegen 


§  42.     Die  Marine.  93 

ihre  Entstehung  verdankte,  nach  dem  Untergang  des  Königreiches 
Granada  nach  und  nach  einging,  jedenfalls  treten  in  den  späteren  Jahr- 
zehnten der  Periode  spanische  leichte  Reiter  nur  selten  mehr  auf.  Die 
spanischen  Heere  hatten  so  schließlich  überhaupt  kaum  mehr  eine 
Kavallerie.  Denn  an  Reisigen  hatte  es  in  Spanien  von  jeher  so  gut  wie 
ganz  gefehlt.  Mangelte  es  doch  schon  an  der  ersten  Voraussetzung  dazu, 
an  guten  und  zahlreichen  Pferden.  Schon  Guicciardini  betont  dies  im 
vierten  seiner  »Discorsi  politici«  (geschrieben  1513;  »Opere  inedite«  I, 
2.  Aufl.,  p.  240)  und  Äußerungen  wie  die  Salinas',  aus  dem  Jahre  1529 
{»Carlas«,  p.  426)  beweisen,  daß  in  dieser  Beziehung  schließlich  eine 
eigentliche  Kalamität  bestand.  Es  ist  deshalb  durchaus  begreiflich,  wenn 
die  auf  ihre  Reisigen  stolzen  Franzosen  die  Spanier  als  bloße  Infanteristen 
verspotteten  und  sie  einmal  zu  einem  Schaugefecht  herausforderten,  weil 
dos  Espanoles  no  eran  hombres  de  d  caballo,  sino  de  ä  pie«  (1502  bei 
Trani;  vgl.  z.  B.  Gömara,  »Annais  of  the  Emperor  Charles  F«  ed. 
Merriman  1912,  p.  167f.  und  11).  Die  Spanier  nahmen  die  Heraus- 
forderung wohl  an,  konnten  die  Tatsache  selbst  aber  kaum  bestreiten. 
Hire  Kriegführung  fuhr  jedoch  dabei  nicht  schlecht,  da  die  Infanterie 
nun  einmal  die  entscheidende  Waffe  geworden  war  und  deshalb  wohl 
hat  die  spanische  Regierung  zwar  das  vollständige  Verschwinden  der 
Kavallerie  verhindern  wollen,  zu  der  Schaffung  eines  Reisigenkorps 
nach  französischem  Muster  dagegen  nie  Anstrengungen  gemacht. 

Literatur.  Für  die  gesamte  ältere  Literatur  sei  aucii  hier  wieder  auf  den 
zweiten  Band  des  Buches  von  M.  Hobohm  verwiesen  »Machiavellis  Renaissance  der 
Kriegskunst«,  1913.  Dort  noch  nicht  benutzt  ist  die  außerordentlich  aufschluß- 
reiche Korrespondenz  der  katholischen  Könige  mit  dem  »Gran  Capitän«  aus  den 
Jahren  1495ff.,  die  in  der  »Revista  de  Archivos«,  3  epoca,  ano  13  (1909,  I)  und  folgende 
Bände  von  L.  L  Serrano  y  Pineda  publiziert  worden  ist.  Die  ;iach  der  neuen  Taktik 
ausgebildeten  Truppen  hießen  direkt  »gente  armada  y  ordenada  ä  la  suiza«  (z.  B. 
Schreiben  vom  30.  April  1504,  ano  15  [1911],  p.  427).  Auch  ihre  Bewaffnung  hieß 
mrmadura  siiizac  (1000  Stück  für  die  Truppen  in  Neapel  erwähnt  ib.  nr.  490,  p.  259, 
Schreiben  vom  21.  März  1509).  1502  (9.  Nov.)  schreibt  König  Ferdinand,  er  habe 
den  Krieg  mit  Frankreich  hinausgezogen,  u.  a.  weil  nötig  sei,  mrniar  la  gente  que 
para  alli  es  menester,  toda  ä  la  suiza  6  la  mayor  parte«  (»Revista«,  1910,  I,  p.  120). 
Ein  Aufsatz  von  L.  de  Torre  in  derselben  Zeitschrift  ano  15  (1911)  stellt  die  wich- 
tigsten Angaben  über  Meutereien  spanischer  Söldnertruppen  zusammen  (»Los 
Motines  militares  en  Flandes«).  Vgl.  ferner  noch  die  Biographie  des  unter  Gon- 
zalo  wirkenden  Artilleristen  Diego  de  Vera  von  Luca  de  Torre,  »Revista  de  Ar- 
chivos«, März  1912,  p.  289ff. 

Nichts  neues  bringt  die  Schrift  von  Henning  von  Koos,  »Die  Schlachten  bei 
St.  Quentin  und  Gravelingen  nebst  einem  Beitrag  zur  Kenntnis  der  spanischen 
Infanterie  im   16.  Jahrhundert«,  1914. 

§  42.  Die  Marine.  Entschieden  stärker  als  Frankreich  war  Spanien 
dagegen  zur  See,  besonders  wenn  man  die  für  den  Kampf  um  Italien 
entscheidenden  Verhältnisse  im  Mittelländischen  Meere  in  Betracht  zieht. 

Es  hing  dies  mit  zwei  Umständen  zusammen:  erstens  mit  der  Not- 
wendigkeit, die  Küsten  gegen  räuberische  Angriffe  zu  schützen,  die 
in  Frankreich  in  diesem  Maße  keineswegs  bestand  und  dann  darin, 
daß   Spanien    noch   Reste    einer    einst    bedeutenden   Handelsschiffahrt 


94  Spanien. 

bewahrt  hatte,  denen  das  südliche  Frankreich  nichts  ÄhnHehes  an  die 
Seite  zu  stellen  hatte.  Praktisch  von  untergeordneter  Wichtigkeit 
scheint  dagegen  gewesen  zu  sein,  daß  die  unentbehrliche  Verbindung 
mit  Sizilien  nur  durch  eine  Flotte  garantiert  werden  konnte;  es  wäre 
wenigstens  schwer  nachzuweisen,  daß  dieser  Umstand  auf  die  Marine- 
politik der  Regierung  einen  Einfluß  ausgeübt  hätte. 

Mit  all  dem  wurde  freilich  nur  erreicht,  daß  Spanien  im  Mittelmeer 
nicht  gänzlich  der  Marinekampfmittel  entbehrte,  nicht  aber,  daß  es 
zu  einer  wirklichen  Seemacht  wurde.  Denn  die  wenigen  ständig  unter- 
haltenen Galeeren  genügten  kaum  zum  Schutze  der  Küsten;  aus  ihnen 
ließ  sich  weder  eine  starke  Flotte  formieren,  noch  hätte  die  Regierung 
sie,  ohne  ihr  Land  zu  entblößen,  auf  längere  Zeit  von  ihren  Stationen 
entfernen  können.  Zu  einer  Ergänzung  durch  »armierte«  Handels- 
schiffe (§  14)  fehlten  aber  die  Voraussetzungen.  Die  spanischen  Hafen- 
plätze verfügten  weder  über  so  leistungsfähige  Werften  noch  über 
einen  so  starken  Stock  an  Mannschaft  wie  die  italienischen  Seestaaten, 
wie  denn  auch  die  Galeeren  der  Regierung  mit  Sträflingen  bemannt 
waren.  In  Biskaya  war  die  Schiffahrt  wohl  sehr  entwickelt,  und  die 
dortigen  Seeleute  galten,  wohl  mit  Recht,  als  sehr  tüchtig  {ygi.  Pulgar 
II,  99,  in  den  »Crdnacas  de  los  Heyes  de  Castüla«  III,  358);  aber  aus  den 
in  §  14  geschilderten  Gründen  war  daraus  für  Kämpfe  im  Mittelmeer 
nur  geringer  Vorteil  zu  ziehen.  Dazu  kam,  daß  die  Regierung,  wie  es 
scheint,  schon  unter  den  katholischen  Königen,  aber  noch  mehr  unter 
den  Habsburgern  der  Marine  wenig  Aufmerksamkeit  zuwandte;  es 
ist  wohl  mehr  als  ein  Zufall  und  hängt  nicht  nur  mit  der  florentinischen 
Herkunft  des  Autors  zusammen  (vgl.  §  13),  wenn  Francesco  Guicciardini 
in  seiner  Relation  über  Kastilien  der  Marine  überhaupt  keine  Erwäh- 
nung tut. 

Freilich  darf  der  Forscher  dabei  folgendes  nicht  übersehen:  daß  die 
spanischen  Streitkräfte  zur  See  es  nicht  über  bescheidene  Dimensionen 
hinausbrachten,  zog  erst  von  dem  Augenblicke  gefährlichere  Folgen  nach 
sich,  als  einerseits  der  Kampf  um  Italien  das  Land  in  einen  Gegensatz 
zu  Frankreich  brachte,  das  dabei  öfter  über  die  genuesische  Flotte 
verfügen  konnte,  und  anderseits  die  Korsarenschiffe  Nordafrikas  unter 
einer  einheitlichen  Leitung  zusammengefaßt  wurden  und  sich  dazu  noch 
mit  der  Türkei  verbanden  (vgl.  §  99).  Erst  von  da  an  kann  von  einer 
eigentlichen  Inferiorität  der  spanischen  Flotte,  d.  h.  von  einer  Ab- 
hängigkeit von  Genua  gesprochen  werden.  Es  war  vielleicht  nicht  un- 
verzeihlich, wenn  die  spanische  Regierung  in  den  Jahren  vor  diesen  Er- 
eignissen glaubte,  zur  See  den  Franzosen  gewachsen  zu  sein  und  deshalb 
für  den  Ausbau  der  Marine  wenig  leistete,  zumal  da  sie  in  der  Regel 
auch  noch  über  die  Seestreitkräfte  Unteritaliens  verfügte. 

Dabei  fällt  besonders  in  Betracht,  daß  die  spanische  Regierung 
damals  jedenfalls  imstande  war,  die  Verbindungen  zur  See,  sei  es  mit 
Unteritalien,  sei  es  zwischen  Andalusien  und  Navarra  z.  B.  ohne  wesent- 
liche   Störung   durch   die    Franzosen   aufrechtzuerhalten    (vgl.  zu   dem 


§  43.    Organisation  des  auswärtigen  Dienstes.  95 

zuletzt  gPiianiUeu  Punkte  z.B.   Guieeiaidini  in  dem  diiltcn  der  ))Dis- 
corsi  politici«:    ^>Opere  inedite«  I,  2.  Aufl.,  p.  224). 

Literatur.  C.  Fernändcz  Duro,  i>Ärm.ada  espailola«,  1895—  1903  ;  A.  Navarrete, 
i>Historia  maritima  militar  de  Espana«  I,  1901  :  F.  de  Laiglesia,  »Estudios  histöricos«, 
(1908),  p.  101  f.  und  485. 

§  43.  Die  auswärtige  Politik.  1.  Die  Organisation  des  aus- 
wärtigen Dienstes. 

Aus  dem  Vorhergehenden  ergibt  sich,  daß  Spanien,  wenn  es  schon 
seiner  mihtärischen  Ausrüstung  nach  Frankreich  in  mancher  Beziehung 
überlegen  war,  im  allgemeinen  doch  dem  nördlichen  Nachbarreich  gegen- 
über durchaus  als  die  schwächere  Macht  gelten  mußte.  Daß  die  spanische 
Regierung  selbst  dieser  Ansicht  war,  wird  durch  nichts  besser  bewiesen 
als  durch  die  Sorgfalt,  die  sie  ihrem  auswärtigen  Dienst  zuwandte 
(vgl.  §3). 

Es  mußte  das  natürliche  Bestreben  der  spanischen  Regierung  sein, 
sich  gegen  die  französische  Übermacht  mit  anderen  Großstaaten  zu 
Koalitionen  zusammenzuschließen  und  die  Folge  war,  daß  vom  Anfang 
der  hier  behandelten  Periode  an  der  diplomatische  Verkehr  besonders 
mit  den  übrigen,  dem  französischen  Reiche  benachbarten  Mächten 
systematisch  gepflegt  wurde.  Zu  einer  Zeit,  da  die  französische  Re- 
gierung noch  nirgends  durch  ständige  Gesandte  vertreten  war,  unter- 
hielt die  spanische  bereits  reguläre  Repräsentanten  am  englischen  und 
am  habsburgischen  Kaiserhofe  wie  auch  in  Rom  und  in  Venedig.  Die 
Korrespondenz  mit  den  Gesandten  wurde  sorgfältig  aufbewahrt;  zum 
erstenmal  wurden  damals  im  spanischen  diplotnatischen  Dienst  Chiffren 
(und  zwar  sehr  komplizierter  Natur)  verwendet  (Bergenroth  in  der  Ein- 
leitung zu  den  »Calendars,  Spanish  Papers«  I;  auch  in  der  Biographie 
Bergenroths  von  W.  C.  Gartwright  [1870],  S.  206).  Die  spanische  Re- 
gierung stand  demnach  in  dieser  Beziehung  viel  besser  gerüstet  da  als 
die  französische. 

Das  gleiche  gilt  auch  von  der  Art.  wie  die  öffentliche  Meinung 
publizistisch  bearbeitet  wurde.  Guicciardini  rühmt  in  seinen  »Ricordi« 
aus  eigener  Erinnerung  die  geradezu  musterhafte  Geschicklichkeit,  mit 
der  König  Ferdinand  von  Aragonien  die  Mitwelt  auf  seine  Akte  vor- 
bereitete (Ricordi  nr.  273  =  »Opere  inedite«  I,  2.  Aufl.,  163),  und  auch 
für  die  moderne  Forschung  ist  noch  erkennbar,  daß  von  allen  außer- 
italienischen Regierungen  die  spanische  der  offiziellen  Historiographie, 
und  zwar  der  zeitgeschichtlichen,  also  unmittelbar  publizistisch  ver- 
wendbaren, die  größte  Aufmerksamkeit  zuwandte;  es  sei  nur  an  das 
Engagement  des  für  Spanien  schreibenden  Chronisten  Pulgar  und  der 
für  das  Ausland  arbeitenden  lateinischen  Historiographen  Lebrija  und 
Petrus  Martyr  hingewiesen  (vgl.  darüber  z.  B.  in  dem  mehrfach  ange- 
führten »Cedulario  del  rey  catölicon  im  »Boletin«  der  spanischen  histori- 
schen Akademie  54  [1909]  u.  ff.  nr.  .530.  29  und  529  [1508/09]). 

Die  spanische  auswärtige  Politik  war  dabei  neben  der  habsburgi- 
schen die  vielseitigste.     In  der   Kunst,   künftige   Gebietserweiterungen 


96  Spanien. 

durch  dynastische  Eheverbindungen  vorzubereiten,  fanden  die  katho- 
lischen Könige  nur  am  Hause  Österreich  ihresgleichen  und  dazu  kam 
eine  politische  Ausnutzung  wirtschaftlicher  Vorzugsstellungen  (der 
Verfügung  über  den  Getreideüberschuß  Siziliens),  wie  sie  sonst  in  diesem 
Umfange  wohl  nicht  einmal  in  der  Türkei  ausgeübt  wurde.  Der  Zufall 
(hier  kann  wirklich  ein  anderer  Ausdruck  nicht  angewendet  werden) 
wollte  es  dann  freilich  so,  daß  die  Heiratspolitik  der  spanischen  Re- 
gierung nicht  ihr  natürliches  Resultat,  nämlich  die  Vereinigung  der 
seinerzeit  nach  derselben  Methode  zusammengefügten  Reiche  von  Kasti- 
lien  und  Aragon  mit  Portugal  erreichte,  sondern  die  unerwartete  Personal- 
union der  spanischen  Länder  mit  den  habsburgischen  herbeiführte. 
Für  die  Absichten  der  spanischen  Regierung  kann  dieser  Ausgang 
aber  nichts  beweisen. 

Literatur.  G.  Sela,  »Politica  internacional  de  los  Heyes  Catölicos«,  1905; 
J.  Perez  de  Guzman,  »Dogmas  politicos  de  Fernando  V«,  1906.  —  Für  die  Art,  wie  die 
Regierung  ihre  Verfügung  über  den  Getreideexport  aus  Sizilien  ausnutzte,  bietet 
besonders  die  zu  §  39  zitierte  Korrespondenz  mit  dem  »Gran  Capotän«  zahlreiche 
Belege.  Unter  den  Habsburgern  wurde  dies  natürlich  nicht  anders;  noch  im  Jahre 
1546  bemerkt  B.  Navagero  (Alberi,  »Relazioni«  I,  338).  wer  über  Sizilien  und  Apulien 
gebiete,  leide  nicht  nur  nie  Mangel  an  Lebensmitteln,  »anzi  a  lui  sta  ü  darne  agli 
atnici  e  tarne  agVinimici  e  trarne  come  egli  (KarlV.)  ne  trae  grande  utilitä«. 

§44.  Die  auswärtige  Politik.  2.  Das  Verhältnis  zu  Unter- 
italien. Der  Historiker  mag  es  unklug  nennen,  daß  die  damalige 
spanische  Regierung  ihre  auswärtige  Politik  nach  dem  Gesichtspunkt 
orientierte,  daß  ihr  vor  allem  der  Besitz  Unteritaliens  (Neapels  und 
Siziliens)  zufiel  oder  gewahrt  blieb.  Aber  er  wird  die  Tatsache,  daß 
dem  so  w'ar,  nicht  bestreiten  können,  und  es  muß  daher  die  Übersicht 
über  die  Länder,  mit  denen  sich  die  spanische  Politik  hauptsächlich 
beschäftigte,  mit  einer  Skizze  des  Verhältnisses  zum  Königreich  beider 
Sizilien  beginnen. 

Zu  Beginn  der  hier  behandelten  Periode  gehörte  der  wichtigste 
Teil  dieses  Königreiches,  nämlich  die  Insel  Sizilien,  bereits  zu  Aragon, 
der  übrige  Teil  (das  Königreich  Neapel)  unterstand  wenigstens  der 
Herrschaft  einer  aragonesischen  Seitenlinie  und  die  Annahme  lag  nahe, 
daß  König  Ferdinand  nicht  nur  nie  auf  seine  Ansprüche  auf  dieses  Ge- 
biet verzichtet  hätte,  sondern  daß  er  vor  allem  niemals  dulden  würde, 
daß  eine  andere  Großmacht  sich  festsetzen  würde,  am  wenigsten  nach- 
dem die  glückliche  Beendigung  des  Krieges  mit  Granada  die  Konsoli- 
dierung Spaniens  zum  Abschluß  gebracht  hatte.  Dies  war  denn  auch 
der  Fall.  Aus  welchen  Gründen  legte  nun  die  spanische  Regierung 
auf  den  Besitz  Siziliens  besonderen  Wert  ? 

Die  Antwort  ist  nicht  schwer  zu  geben.  Für  ein  getreidearmes 
Land  wie  Spanien  war  die  Verfügung  über  den  reichen  Kornüberschuß, 
den  Sizilien  produzierte,  beinahe  eine  Lebensnotw^endigkeit.  Wohl 
waren  die  spanischen  Reiche  nicht  gänzlich  für  ihre  Getreideversorgung 
auf  die  genannte  Insel  angewiesen.    Von  dem  Getreide,  das  aus  Nord- 


§  44.    Verhältnis  zu  Unteritalien.  97 

deutschland  und  Polen  nach  den  Niederlanden  verschifft  wurde,  ge- 
langten Ladungen  nicht  nur  in  die  gegen  den  Golf  von  Biskaya  zu  ge- 
legenen Landstriche,  sondern  bis  Andalusien;  außerdem  bestand  die 
Möglichkeit,  Korn  aus  Frankreich  zu  importieren  oder  über  Genua  zu 
beziehen.  Aber  es  ist  ohne  weiteres  klar,  daß  diese  Transportwege 
für  Spanien  nicht  denselben  Wert  hatten  wie  die  offizielle  Kontrolle 
über  die  sizilianische  Produktion.  Was  an  Getreide  aus  Sizilien  nach 
den  Mittelmeerküsten  Spaniens  verfrachtet  wurde,  kam  nicht  nur  wohl- 
feiler als  was  aus  der  Ostsee  oder  durch  die  Dardanellen  hergeschafft 
werden  mußte,  sondern  es  konnte  auch  im  Notfalle  auf  ein  viel  höheres 
Quantum  gesteigert  werden  als  die  Getreidesendungen  aus  Gegenden, 
wo  die  Spanier  vielleicht  mit  einem  bloßen  Rest  vorlieb  nehmen  mußten; 
auch  waren  Beschränkungen  aus  politischen  Gründen  nicht  zu  befürch- 
ten, wie  sie  etwa  von  der  französischen  Regierung  ausgeübt  wurden 
(§  32).  Daß  Sizilien  zu  einer  solchen  Aushilfe  imstande  war,  wird  schon 
allein  dadurch  bewiesen,  daß  in  normalen  Jahren,  d.  h.  in  Jahren, 
da  in  Spanien  kein  Mißwachs  herrschte,  Getreide  aus  der  Insel  in  großem 
Umfange  ins  nichtspanische  Ausland  ausgeführt  wurde  und  dieser 
von  der  Regierung  überwachte  Export  als  politisches  Druckmittel 
gegenüber  fremden  Staaten  Verwendung  fand  (vgl.  u.  und  §  43).  Daraus 
ergibt  sich  ohne  weiteres,  daß  im  Falle  einer  schlechten  Ernte  in  Spanien 
die  Regierung  es  in  der  Hand  hatte,  das  Manko  der  einheimischen  Pro- 
duktion so  gut  wie  vollständig  aus  dem  (sonst  ins  Ausland  abgegebenen) 
Getreideüberschuß  Siziliens  zu  decken.  Die  Versorgung  Spaniens  mit 
sizilianischem  Korn  in  Jahren  des  Mißwachses  wurde  denn  auch  beinahe 
sprichwörtlich  als  eine  ganz  gewöhnliche  Sache  der  Einfuhr  seltenerer 
Artikel  aus  Italien  gegenübergestellt.  »Boscän  war  der  erste,  der  das 
italienische  Sonett  nach  Spanien  verpflanzte«,  heißt  es  in  einer  Salazar 
zugeschriebenen  Erklärung,  die  nach  1547  verfaßt  wurde.  ))Otro  fue 
por  Dios  esto  giie  no  llevar  mucho  trigo  de  Sicilia  en  Espaha  en  tiempo 
de  carestiai'i  {»Revista  de  Archivos«,  Mai  1913,  p.  357). 

Aber  selbst  in  den  Jahren,  in  denen  Spanien  nicht  unbedingt  auf 
die  Getreidezufuhr  aus  Sizilien  angewiesen  war,  erwies  sich  die  Kompe- 
tenz der  Regierung,  durch  ihre  Lizenzen  den  Export  des  sizilianischen 
Getreides  zu  regeln  als  ein  wertvolles  Kampfmittel.  Nicht  nur  kam  es 
vor,  daß  sogar  das  Königreich  Neapel  sich  zu  seiner  Versorgung  an 
SiziUen  wenden  mußte  (vgl.  z.  B.  »Revista  de  Archivosa  1913,  Juli, 
p.  124  =  1503)  und  hat  König  Ferdinand  durch  seine  Getreidelieferungen 
mehrfach  in  gewichtiger  Weise  in  die  Kämpfe  in  Italien  eingreifen 
können,  sondern  die  Möglichkeit,  die  Getreideausfuhr  aus  Sizilien  zu 
sperren,  war,  wie  es  scheint,  eines  der  wirkungsvollsten  Druckmittel  den 
Herrschern  von  Tunis  und  Tripolis  gegenüber,  denen  die  spanische 
Macht  sonst  schwer  beikommen  konnte.  Es  war  für  die  spanische 
Regierung  von  großer  Bedeutung,  ihren  Einfluß  unter  den  Herrschern 
der  nordafrikanischen  Küste  auszudehnen,  schon  nur  der  Korsarengefahr 
wegen  (§45);  konnte  sie  dieses  Ziel  auf  bequemere  Weise  erreichen,  als 

Fueter,   Europ.  Staatensystem.  7 


98  Spanien. 

wenn  sie  jenen  kornarmen  Küstengegenden  mit  einer  Sperre  der  Ge- 
treidezufuhr drohte  ?  Gerade  weil  sie  zunächst  noch  nicht  an  system- 
atische Eroberungen  in  den  weiter  östhch  gelegenen  Teilen  der  Küste 
dachte,  lag  ihr  um  so  mehr  daran,  ihre  dortigen  Anhänger  wenigstens 
durch  die  Lieferung  von  Getreide  zu  unterstützen  (vgl.  darüber  speziell 
die  Schreiben  König  Ferdinands  1496  und  1500  in  der  »Revista  de 
Archivos«,  p.  346 ff.,  p,  415,  im  allgemeinen  dann  auch  die  Notiz  bei 
Sanuto,   »Diarii«  I,  459  [1497]). 

In  derselben  Sache  war  außerdem  der  Besitz  Siziliens  für  die  spa- 
nische Regierung  noch  insofern  von  Wert,  als  die  Insel  (wie  übrigens 
auch  das  Königreich  Neapel)  zur  Abwehr  gegen  die  Raids  der  afrikani- 
schen Korsaren  eine  Flotte  unterhalten  mußte.  Es  ist  klar,  daß  es  für 
Spanien,  das  von  derselben  Gefahr  bedroht  war,  vorteilhaft  war,  wenn 
seine  zum  Schutze  der  Küsten  patrouillierenden  Galeeren  mit  den  si- 
zilianischen  und  neapolitanischen  Schiffen  zusammen  operieren  konnten. 

Der  Besitz  Neapels  hatte  für  Spanien  bei  weitem  nicht  dieselbe 
Bedeutung  wie  die  Verfügung  über  Sizilien.  Wer  das  verschiedene 
Verhältnis,  in  dem  Spanien  zu  den  beiden  Reichen  stand,  auf  eine 
kurze  und  deshalb  übertreibende  Formel  bringen  wollte,  könnte  sagen: 
Neapel  hatte  für  Spanien  überhaupt  nur  insofern  Wert,  als  ohne  das 
»Königreich«  auch  die  Insel  Sizilien  nicht  als  sicherer  Besitz  zu  gelten 
vermochte.  Jedenfalls  hielt  Spanien  hauptsächlich  aus  diesem  Grunde 
an  Neapel  fest,  wenn  es  schon  dessen  Beherrschung  nie  dieselbe  Wichtig- 
keit beilegte  wie  der  Abhängigkeit  Siziliens.  Der  Venezianer  Contarini 
behauptet  im  Jahre  1525,  die  Einnahmen,  die  der  spanischen  Krone 
aus  Neapel  zugingen,  würden  gänzlich  durch  die  Ausgaben  aufgezehrt 
(Alberi,  »Relazionin  I,  2  [1840],  32).  Diese  Ansicht  mochte  zutreffend 
sein  ;   aber  für   Spanien  war   Neapel   deshalb  nicht  weniger  wertvoll. 

Für  die  Ausnutzung  der  sizilianischen  Getreideproduktion  im  Interesse  der 
Versorgung  Spaniens  sind  besonders  bezeichnend  Schreiben  wie  das  vom  4.  Ok- 
tober 1504  an  den  Präsidenten  der  »Justicia«  in  Neapel,  in  dem  König  Ferdinand 
erklärt,  er  habe  wegen  des  Getreidemangels  ( necessidad  de  pari)  in  Aragon  und  anderen 
Teilen  Spaniens  die  Getreideausfuhr  aus  Sizilien  allgemein  außer  nach  Neapel  und 
Spanien  sperren  lassen  (»he  mandado  cerrar  la  saca  de  pan  de  Sicilia  para  todas  partes, 
excepto  para  esse  reyno  y  para  mis  reynns  d" Espaiia«) :  »Revista  de  Archivos«  p.  379, 
p.  308  und  das  Schreiben  vom  9.  Oktober  (ibid.  p.  311),  das  das  Verbot  wiederholt 
und  Vorsichtsmaßregeln  gegen  Umgehungsversuche  von  Getreidehändlern  anordnet 

§45.  Die  auswärtige  Politik.  3.  Die  Beziehungen  zu  Nord- 
afrika. Die  Sorge  um  die  unteritalienischen  Besitzungen  bildete  das 
Zentralproblem  der  spanischen  Politik  in  der  hier  behandelten  Periode, 
weil  Spanien  dadurch  in  Gegensatz  zu  den  französischen  Ansprüchen 
auf  Italien  geriet  und  somit  in  einer  Weise  in  den  allgemeinen  Kampf 
der  Großmächte  hineingezogen  wurde,  wie  es  bloß  Navarras  und  Roussil- 
lons  wegen  nie  geschehen  wäre.  Ihrer  inneren  Bedeutung  nach  wurde  diese 
Angelegenheit  aber  von  der  afrikanischen  Frage  weit  überragt.  Es  war 
für  die  Zukunft  des  Landes  von  entscheidender  Wichtigkeit,  wie  sich 
die   Regierung,  nachdem  sie  den  letzten  Maurenstaat  innerhalb  ihres 


§  45.    Beziehungen  zu  Nordafrika.  99 

Gebietes  vernichtet  liatte,  zu  den  mohammedanischen  Staaten  an  der 
nordafrikanischen   Küste  stellen  würde. 

Der  Besitz  Siziliens  war  gewiß,  wie  gezeigt  worden  ist.  sehr  ein- 
träglich. Er  brachte  momentan  größeren  Nutzen  als  die  Angriffe  der 
afrikanischen  Piraten  und  Stammesfürsten  Schaden  anrichten  konnten. 
Aber  eine  solche  Rechnung  wäre  doch  nur  halb  richtig  gewesen.  Das 
sizilianische  Getreide  wäre  auch  in  fremden  Händen  Spanien  nicht 
ganz  verloren  gewesen,  es  hätte  dies  nur  die  Ernährung  der  spanischen 
Bevölkerung  unsicher  gestaltet;  von  der  nordafrikanischen  Küste  aus 
ließ  sich  jedoch  Spanien  direkt  bedrohen  und  schädigen.  Dabei  waren 
die  Raubzüge  der  dortigen  Piraten  vielleicht  noch  nicht  einmal  das 
Schlimmste.  Die  Angriffe  der  nordafrikanischen  Korsaren  haben  auch 
nicht  wenig  zu  der  Vertreibung  der  Mauren  aus  Spanien  beigetragen. 
Es  war  zwar  wohl  nicht  mehr  als  leere  Spionenfurcht,  wenn  Bevölke- 
rung und  Cortes  behaupteten,  die  einheimischen  Mauren  ständen  mit 
ihren  Glaubensbrüdern  in  Afrika  in  hochverräterischer  Verbindung  und 
gewährten  deren  Raids  geheime  Unterstützung  (Lea,  »The  Moriscos% 
p.  273 ff.).  Aber  es  scheint  doch,  als  w^nn  diese  Furcht  schließlich  das 
entscheidende  Moment  gewesen  wäre,  um  den  Widerstand  der  spani- 
schen Regierung  gegen  die  Ausweisung  der  nützlichen  maurischen 
Arbeitskräfte   zu   brechen. 

Regierung  und  Volk  in  Spanien  waren  sich  der  afrikanischen  Gefahr 
denn  auch  wohl  bewußt.  Sie  sahen  auch  ein,  daß  nur  eine  militärische 
Okkupation  der  gesamten  Nordküste  Afrikas  (die  Westküste  gehörte  zur 
portugiesischen  Einflußsphäre)  oder  wenigstens  aller  dortigen  Hafen - 
platze  dauernde  Abhilfe  bringen  konnte.  Und  unter  den  katholischen 
Königen  wurden  wenigstens  Anfänge  zur  Ausführung  dieses  Programms 
gemacht:  die  wichtigsten  Hafenplätze  wurden  okkupiert  und  eine  An- 
zahl einheimischer  Stammesfürsten  zur  Anerkennung  spanischer  Ober- 
hoheit gezwungen.  Aber  wie  sehr  König  Ferdinand  auch  betonte,  daß 
sein  größter  Wunsch  stets  gewesen  sei,  seine  Kräfte  dem  Kampfe  gegen 
die  Ungläubigen  zu  widmen  (vgl.  z.  B.  sein  Schreiben  an  den  »Gran  Capi- 
tän«  vom  29.  Juni  1505  in  der  »Revista  de  Ärchiuos«  1913,  I,  382),  so 
ließ  er  es  doch  bei  gelegentlichen  Unternehmungen  bewenden. 

Diese  ungenügende  Sorgfalt  rächte  sich  bald.  W'eil  die  Spanier 
nur  einige  isolierte  Plätze  okkupiert  hatten,  vermochten  die  mytileni- 
schen  Seeräuberfürsten,  die  die  Barbarossas  genannt  wurden,  an  der 
afrikanischen  Küste  ihr  Reich  zu  gründen  und  Algier  zu  besetzen  (§99). 
Die  katholischen  Könige  hatten  das  Land  nicht  so  unterworfen,  als  daß 
es  nicht  die  Basis  zur  Bildung  eines  neuen,  gegen  sie  gerichteten  Reiches 
hätte  abgeben  können.  Und  die  Forschung  darf  doch  wohl  annehmen, 
daß  sie  daran  nicht  in  der  Sache  selbst  liegende  unüberwindliche  Schwie- 
rigkeiten gehindert  haben,  sondern  nur  der  Umstand,  daß  der  Kampf 
um   Italien  den  größten   Teil  ihrer   Kräfte   absorbierte. 

Zu  einer  eigentlichen  Kalamität  wurde  dann  aber  die  afrikanische 
Gefahr,  als  die  Seeräuberdynastie  sich  erst  noch  unter  türkische  Ober- 

7* 


100  Spanien. 

hoheit  stellte  und  später  infolge  der  türkisch-französischen  Allianz 
auch  noch  der  Unterstützung  Frankreichs  genoß  (§  125).  Nun  wurde  es 
für  die  spanische  Regierung  ganz  und  gar  unmöglich,  das  früher  Ver- 
säumte nachzuholen,  sie  hätte  denn  alle  ihre  militärischen  Mittel  auf  diese 
Unternehmung  konzentrieren  müssen,  und  dazu  bestand  unter  den 
Habsburgern  noch  viel  geringere  Neigung  als  unter  den  katholischen 
Königen.  Die  spanische  Bevölkerung  war  allerdings  damit  nichts  weniger 
als  zufrieden.  Als  Karl  V.  im  Jahre  1538  den  kastilischen  Granden 
erklärte,  er  müsse  in  eigener  Person  den  Feldzug  gegen  die  Türken  leiten, 
wandten  sie  »iino  oren  ein,  nach  ihrer  Ansicht  sollte  der  Kaiser  in  Spanien 
bleiben  und,  wenn  überhaupt,  eine  Expedition,  zuerst  die  nach  Algier 
unternehmen,  sowohl  mit  Rücksicht  auf  die  starke  Position  der  Stadt 
wie  auf  die  außerordentlich  hohe  Zahl  der  Moresken  in  Spanien  (»Ve- 
nezianische Depeschen  vom  Kaiserhofe«  I  [1889],  216  und  247);  die 
Mißstimmung  war  damals  in  Spanien  so  heftig,  daß  man  geradezu  von 
einer  Absetzung  Karls  zugunsten  Philipps  sprach,  falls  der  Kaiser  das 
Land  verlassen  sollte  und  Karl  selbst  eine  Revolte  der  Magnaten  be- 
fürchtet haben  soll  (ibidem  S.  285  und  357;  1539).  Aber  diese  ganze 
Agitation  führte  schließlich,  wie  bekannt,  nur  zu  einigen  zusammen- 
hangslosen und  zum  Teil  dazu  noch  schlecht  organisierten  Expeditionen. 
Die  festen  Plätze  der  nordafrikanischen  Küste  blieben  so  gut  wie  das 
Hinterland  den  Spaniern  in  der  Hauptsache  verloren. 

Literatur.  Die  wichtigere  Spezialliteratur  ist  verzeichnet  bei  Paul  Darm- 
städter, »Geschichte  der  Aufteihmg  und  Kolonisation  Afrikas  seit  dem  Zeitalter 
der  Entdeckungen«  I  (1913).  Dazu  noch  Federico  Obanos  Alcalä  del  Olmo,  »Orän 
y  Mazalquivir«,  1912  (mit  etwa  hundert  Dokumenten  von  1509  an). 

§46.  Die  auswärtige  Politik.  4.  Das  Verhältnis  zu  Frank- 
reich. Über  die  neue  politische  Lage,  die  sich  zwischen  Spanien  und 
Frankreich  bildete,  und  das  gegenseitige  Kräfteverhältnis  ist  das  Wich- 
tigste bereits  in  dem  Abschnitte  über  die  auswärtige  Politik  Frankreichs 
gesagt  worden  (vgl.  §  32).  Es  kann  sieh  hier  nur  darum  handeln,  über  die 
speziellen  Folgen,  die  die  veränderte  Situation  für  Spanien  nach  sich 
zog,  einiges  nachzutragen. 

Von  den  beiden  Mächten  war  Spanien  die  schwächere  und  es  hat 
daher  nichts  Auffallendes,  daß  die  spanische  Politik  gegenüber  Frank- 
reich ganz  anders  feindselig  orientiert  und  von  mißtrauischer  Furcht 
geleitet  war  als  umgekehrt.  Ein  französischer  Angriff  konnte  das 
spanische  Reich  und  zumal  dessen  wichtige  Besitzungen  in  Unter- 
italien gefährden;  ein  spanischer  Vorstoß  gegen  Frankreich  rührte  nicht 
an  die  Existenz  des  französischen  Staates.  Daher  arbeitete  die  spanische 
Regierung  nicht  nur  diplomatisch  nach  Kräften  gegen  Frankreich, 
sondern  ging  auch  in  dem  Grenzgebiet  zur  Sicherung  gegen  französische 
Einfälle  so  aggressiv  vor,  wie  von  der  anderen  Seite  nie  geschah.  Der 
Kampf  um  Navarra  (1512)  —  und  zwar  nicht  nur  der  zur  Eroberung 
und  Befestigung  des  südlich  von  den  Pyrenäen  gelegenen  »Hoch- 
navarra«,   sondern   auch   der  zur  Gewinnung  des  kleineren  nördlichen 


§  47.  Verhältnis  zu  Portugal,   den  Niederlanden  und  England.  101 

Teiles  —  beruhte  durchaus  auf  der  Initiative  Spaniens  und  wurde  von 
Frankreich  wenig  energisch  dui'chgeführt  (erst  1539,  naclidem  die 
spanische  Politik  zu  einem  Teile  der  habsburgischen  geworden  war, 
wurde  Niedernavarra  wieder  an  Frankreich  abgetreten:  P.  Boissonade, 
»Histoire  de  la  Reunion  de  la  Navarre  ä  la  Castüle«  1893,  p.  409).  Ebenso 
behielten  die  Spanier  die  ihnen  1493  zurückgegebenen,  geographisch 
zu  Frankreich  gehörenden  Landschaften  Cerdagne  und  Roussillon  fest 
in  ihrer  Hand.  Sie  beherrschten  damit  den  Übergang  über  die  Pyrenäen 
im  Osten  und  Westen.  Eine  offene  Pforte  bestand  nur  noch  im  äußersten 
Westen  an  der  See;  die  dort  errichtete  Festung  Fuenterrabia  war  denn 
auch  der  regelmäßige  Treffpunkt  der  französisch -spanischen   Kämpfe. 

Ähnlich  stand  es  mit  dem  Kampf  um  Unteritalien.  Wie  geringe 
Interessen  lagen  dort  für  Frankreich  vor  im  Vergleich  mit  der  Wichtig- 
keit ,  die  die  Beherrschung  Siziliens  für  Spanien  besaß!  Auch  hier 
ist  deshalb  die  spanische  Politik  ganz  anders  kräftig  zu  Werke  gegangen 
als  die  französische. 

Anders  aber  verhält  es  sich  mit  Oberitalien.  Es  war  gewiß  auch 
für  Spanien  von  Bedeutung,  daß  Frankreich  das  Herzogtum  Mailand, 
worin  die  Hegemonie  über  Genua  inbegriffen  war,  nicht  von  sich  ab- 
hängig machte.  Aber  entscheidend  berührte  diese  Angelegenheit  seine 
Machtverhältnisse  nicht,  und  es  darf  wohl  vermutet  werden,  daß  vom 
rein  spanischen  Standpunkt  aus  eine  Teilung  Italiens  in  eine  französische 
und  eine  spanische  Einflußsphäre  die  beste  Lösung  dargestellt  hätte. 
Ein  solcher  friedlicher  Ausgang  hätte  es  Spanien  dann  auch  möglich 
gemacht,  alle  seine  Kräfte  auf  die  Eroberung  der  nordafrikanischen 
Küste  zu  konzentrieren.  Jedenfalls  scheint  es,  als  wenn  die  spanische 
Regierung  im  Jahre  1515  nicht  abgeneigt  gewesen  wäre,  sich  mit  den 
neuen  Zuständen  abzufinden,  obwohl  damals  Mailand  von  neuem 
französisch  geworden  war  (vgl.  §  117).  Da  Spanien  aber  kurz  darauf 
seine  Selbständigkeit  in  der  auswärtigen  Politik  verlor,  so  ist  ein  sicheres 
Urteil  darüber  natürlich  nicht  mehr  möglich. 

§  47.  Die  auswärtige  Politik.  5.  D  a s  V  e  r h  ä  1 1  n  i  s  z  u  d  e  n  ü  b  r i g e  n 
Staaten.  Portugal.  Wäre  Spanien  ein  Handel  und  Schiffahrt  treiben- 
der Staat  gewesen,  so  hätten  sich  schwere  Konflikte,  ja  ein  dauernd 
feindseliges  Verhältnis  zu  dem  kleineren  Nachbarstaate  im  ^^'esten  kaum 
vermeiden  lassen.  Aber  Spanien  besaß  so  geringe  kommerzielle  Inter- 
essen (§39),  daß  es  wohl  zu  Reibungen  (besonders  wegen  der  durch 
Magelhaens  für  Spanien  entdeckten  Molukken,  1522 — 1529)  kam,  nie 
aber  zu  einem  Kriege.  Spanien  gab,  obwohl  die  stärkere  Macht,  in  der 
Regel  nach,  weil  der  Gewürzhandel  als  Erwerbsquelle  für  die  spanische 
Bevölkerung  nur  untergeordnete  Bedeutung  hatte.  Damit  fiel  die 
Eventualität  eines  Angriffes  von  A\'esten  her  weg.  Portugal  allein  hätte 
zwar  an  einen  Vorstoß  gegen  Spanien  nicht  denken  können,  aber  krie- 
gerische Absichten  der  spanischen  Regierung  hätten  das  lusitanische 
Königreich  sozusagen  von  selbst  zu  einer  Verbindung  mit  Frankreich 


102  Spanien.  —   Die  habsburgische  Macht. 

und  somit  zu  einer  gefährlichen  Allianzpolitik  geführt.  Man  lese,  was 
1522  am  spanischen  Hofe  über  diesen  Gegenstand  gesprochen  wurde 
(Salinas  ,,Cartas",  p.  90f.);  wenn  damals  einige  Spanier  meinten,  es 
könnte  Portugal  schließlich  so  ergehen  wie  Navarra,  so  war  doch  auch 
ein  anderer  Ausgang  denkbar. 

Dazu  kam,  daß  die  spanischen  Herrscher  wohl,  wie  es  scheint, 
die  Angliederung  Portugals  an  Kastilien  und  Aragon  immer  fest  im 
Auge  behalten  haben,  diese  aber  nicht  durch  kriegerische  Eroberung, 
sondern  ebenfalls  durch  Familienverbindungen  herbeizuführen  hofften. 
Um  dies  zu  erreichen,  wären  nun  feindselige  Akte  nicht  zweckmäßig 
gewesen.  Schließlich  besaßen  beide  Reiche  in  Nordafrika,  wo  sie  ihre 
gegenseitigen  Interessensphären  friedlich  abgegrenzt  hatten,  gemein- 
same Interessen  in  der  Bekämpfung  der  Korsarenfürsten. 

Niederlande.  Bestand  mit  Portugal  kein  Gegensatz,  so  war 
Spanien  mit  den  Niederlanden  geradezu  durch  eine  Harmonie  der 
Interessen  verbunden.  Flandern  war  nicht  nur  das  nächste,  sondern 
auch  das  einträglichste  Abnehmerland  für  die  Wolle  und  zum  Teil 
auch  für  die  Bodenschätze  Spaniens,  und  das  Getreide  und  die  Fabrikate, 
die  aus  oder  über  die  Niederlande  geliefert  wurden,  waren  für  Spanien 
ebenso  unentbehrlich ;  außerdem  hielt  dieser  Verkehr  die  einzige  Schiff- 
fahrt Spaniens,  die  seit  dem  Rückgang  der  kat aionischen  noch  in 
nennenswertem  Umfange  bestand,  nämlich  die  von  Guipozcoa,  auf- 
recht. Wenn  es  auch  falsch  wäre,  in  dieser  ökonomischen  Interessen- 
gemeinschaft eine  Ursache  der  späteren  Personalunion  zwischen  den 
niederländischen  Provinzen  und  Spanien  zu  sehen,  so  ist  doch  immerhin 
bemerkenswert,  daß  einer  solchen  Vereinigung  keine  wirtschaftlichen 
Differenzen  entgegenstanden.  In  diplomatischer  Beziehung  herrschte 
insofern  Übereinstimmung,  als  die  Niederlande  unter  den  Habsburgern 
mindestens  ebensosehr  einer  antifranzösischen  Politik  zuneigten  als 
die  spanischen  Reiche. 

England.  Ähnliches  ist  über  die  Beziehungen  zu  England  zu 
sagen,  nur  daß  dort  die  militärisch-politischen  Treffpunkte  stärker 
überwogen  als  in  dem  Verhältnis  zu  den  Niederlanden.  Zwischen  Spa- 
nien und  England  existierte  zwar  ein  reger  Schiffahrtsverkehr;  aber 
der  Warenaustausch  hatte  für  beide  Länder  nicht  so  fundamentale 
Bedeutung  wie  in  dem  eben  genannten  Falle,  und  die  militärische 
Unterstützung,  die  England  in  einem  Konfhkte  mit  Frankreich  leisten 
konnte,  war  wohl  auch  größer  als  die  Hilfe,  die  von  den  Niederlanden 
zu  erwarten  war.  Die  spanische  Regierung  hat  denn  auch  mit  kaum 
einem  anderen  Lande  so  eifrige  diplomatische  Beziehungen  unterhalten 
wie  mit  England;  auch  der  Anknüpfung  dynastischer  Ehebande  wurde 
besondere  Sorgfalt  geschenkt.  Sosehr  die  englische  Politik  seit  den 
Tudors  auch  nur  noch  insulare  Ziele  verfolgte  (§84),  so' gehörte  doch 
England  für  Spanien  zu  denjenigen  Staaten,  die  zu  allererst  als  Teil- 
haber an  den  gegen  Frankreich  gerichteten  Koalitionen  gewonnen  werden 
mußten. 


§  48.    Aspirationen  der  spanischen  Politik.  103 

Übrige  Staaten.  Den  übrigen  Staaten  gegenüber  kann  von 
einer  bestimmten  politischen  Haltung  Spaniens  nicht  gesprochen  werden. 
Die  Beziehungen  zu  den  Habsburgern  fallen  mit  denen  zu  den  Nieder- 
landen zusammen,  die  zu  den  italienischen  Staaten  beruhen  teils  auf 
dem  Gegensatze  zu  Frankreich,  teils  auf  den  besonderen  Interessen 
Neapels  und  Siziliens,  das  Verhältnis  zur  Türkei  erhielt  erst  dann 
Wichtigkeit,  als  die  osmanische  Herrschaft  sich  über  die  gesamte  nord- 
afrikanische Küste  ausdehnte;  was  vorher  an  Kämpfen  vorfiel,  betraf 
die  spanischen  Könige  nur  als  Oberherren  Neapels. 

§  48.  Die  auswärtige  Politik.  6.  Politische  Aspirationen.  Eine  zu- 
sammenfassende Charakteristik  der  auswärtigen  Politik  Spaniens  hat 
zu  dem  bisher  Ausgeführten  kaum  etwas  Neues  beizutragen.  Der  Histo- 
riker könnte  ähnlich  wie  bei  Frankreich  zwar  das  Problem  aufwerfen, 
ob  die  spanische  Regierung  richtig  handelte,  als  sie  ihre  Kräfte  haupt- 
sächlich in  Italien  engagierte,  statt  vor  allem  nach  der  Sicherung  der 
afrikanischen  Küste  zu  streben.  Allein  die  vorhergehenden  Abschnitte 
haben  gezeigt,  daß  die  Frage  weniger  leicht  zu  beantworten  ist,  als  es 
im  Falle  Frankreichs  möglich  war.  Mindestens  Süditalien  bildete  für 
Spanien  ein  ganz  anders  wertvolles  Besitzobjekt  als  für  Frankreich, 
und  es  kam  hinzu,  daß  die  spanische  Regierung  über  diesem  Ziele  durch- 
aus nicht  den  Gedanken  an  eine  Ausdehnung  in  Afrika  aus  dem  Ge- 
sicht verlor,  wie  es  bei  den  französischen  Plänen  auf  Flandern  geschah. 
Dagegen  war  es  für  Spanien  wohl  zweifellos  nicht  von  Vorteil,  daß  es 
in  der  Mitte  der  Periode  aus  einem  selbständigen  Staatswesen  zum  Teil- 
stück eines  Weltreiches  wurde;  was  das  Land  finanziell  durch  die  Ver- 
bindung mit  den  Niederlanden  gewann,  verlor  es  durch  die  neue  Orien- 
tierung seiner  auswärtigen  Politik  nach  habsburgischen  Interessen,  die 
weder  in  Oberitalien  noch  bei  der  Bekämpfung  der  Türken  mit  den 
eigenen  übereinstimmten.  Aber  selbst  wenn  dem  nicht  so  sein  sollte, 
so  darf  der  Forscher  darüber  keinen  Zweifel  lassen,  daß  es  nach  1516 
keine  spanische  auswärtige  Politik  mehr  gegeben  hat. 

c)  Die  habsb  urgische  Macht. 

§  49.  Allgemeines.  Der  Abschnitt,  der  der  Stellung  des  Hauses 
Österreich  innerhalb  des  europäischen  Staatensystems  gewidmet  ist, 
läßt  sich  nicht  nach  so  einfachen  Prinzipien  gliedern,  wie  bisher  der 
Fall  war.  Die  eigentümliche  Zusammensetzung  des  habsburgischen 
Herrschaftsgebietes  kann  nicht  anders  als  auch  in  der  Disposition  zum 
Ausdruck  kommen.  Es  ist  nicht  möglich,  beim  Ganzen  zu  beginnen; 
zuerst  müssen  die  Teile  und  ihre  oft  widerspruchsvollen  Interessen 
geschildert  werden,  bevor  die  Grundzüge  der  auswärtigen  Politik  der 
habsburgischen  Regierung  behandelt  werden  können.  Ob  die  Reihen- 
folge dabei  besser  mit  den  burgundischen  oder  den  österreichischen 
Gebieten  beginnt,  ist  mit  schlüssigen  Gründen  nicht  zu  entscheiden; 
weil  aber  doch  eine  Wahl  getroffen  werden  muß,  so  sind  im  folgenden 


104  Die  Habsburgische  Macht  (die  Niederlande). 

die  Bemerkungen  über  die  burgundischen  Territorien  vorausgestellt 
worden,  weil  ihre  Interessen  die  habsburgische  Politik  doch  im  all- 
gemeinen stärker  bestimmt  haben  dürften  als  die  Rücksicht  auf  die 
österreichischen  Erblande.  Selbstverständlich  war  aber  dann,  daß 
Deutschland  erst  an  dritter  Stelle  behandelt  werden  konnte,  nicht  nur 
des  lockereren  Zusammenhanges  wegen,  in  dem  das  Reich  zu  den 
Habsburgern  stand,  sondern  auch  weil  für  die  habsburgische  Politik 
die  Sorge  für  Deutschland  durchaus  hinter  der  für  die  Erblande 
zurücktrat. 

Natürlich  handelt  es  sich  dabei  immer  nur  um  das  habsburgische 
Reich,  wie  es  vor  der  Vereinigung  mit  Spanien  (1516)  bestand.  Die 
Folgen  dieser  gewaltigen  Machterweiterung  sollen  dann  erst  am  Schlüsse 
in  der  zusammenfassenden  Charakteiistik  (§  64)  gestreift  werden, 

1.  Die  burgundischen  Erblaude  (die  Niederlande  und  die 
Freigrafschaft). 

§  50.  Das  Land  und  seine  Bewohner.  Die  Schwierigkeiten,  die 
sich  einer  zusammenfassenden  Besprechung  des  gesamten  habsbur- 
gischen  Machtgebietes  entgegenstellen,  wiederholen  sich,  wenn  die 
einzelnen  Teile  charakterisiert  werden  sollen.  Auch  die  Stücke,  aus 
denen  sich  das  habsburgische  Reich  zusammensetzte,  waren  in  sich 
nichts  weniger  als  einheitliche  oder  auch  nur  geographisch  geschlossene 
Gebilde  und  wurden  von  Veränderungen  des  europäischen  Staaten- 
systems durchaus  nicht  gleichmäßig  affiziert.  Dazu  kommt  noch  die  wei- 
tere Schwierigkeit,  daß  keine  Dynastie  der  damaligen  Zeit  wähi^end  der 
hier  behandelten  Periode  ihre  Hausmacht  sosehr  verändert,  d.  h.  in 
der  Hauptsache  vermehrt  hat  wie  die  habsburgische,  —  selbst  wenn 
man  von  den  ganz  neuen  Erwerbungen  in  Italien  und  Spanien  absieht. 
Eine  historische  Darstellung,  die  sich  zum  Ziele  setzte,  stets  exakt 
über  die  realen  Grundlagen  der  habsburgischen  Macht  den  Leser  in- 
formiert zu  halten,  müßte  eigentlich  beinahe  jedem  Jahr  eine  besondere 
Zusammenstellung  der  dem  Hause  Österreich  unterworfenen  Terri- 
torien vorausschicken.  Da  dies  hier  aus  verschiedenen  Gründen  nicht 
angeht,  so  bleibt  keine  andere  Möglichkeit,  als  einen  Durchschnitt 
zugrundezulegen,  d.  h.  von  den  Verhältnissen  auszugehen,  wie  sie 
während  des  größten  Teiles  des  hier  behandelten  Zeitraumes  bestanden 
haben. 

Auf  die  Niederlande  trifft  diese  Bemerkung  nicht  weniger  zu  als 
auf  die  österreichischen  Erblande. 

Die  Niederlande.  Von  den  burgundischen  Erblanden  muß  zu- 
erst der  größere  und  wichtigere  Teil,  die  Niederlande,  beschrieben 
werden.  Der  Bequemlichkeit  wegen  werden  dabei  die  südlichen  Pro- 
vinzen schlechtweg  als  die  »flandrischen«,  die  nördlichen  als  die  »hol- 
ländischen« bezeichnet. 

Zunächst  eine  Bemerkung  über  die  Veränderungen  des  äußeren 
Umfanges,  die  sich  während  der  Periode  vollzogen.  —  Als  die  Habs- 


§50.    Land  und  Volk.  105 

burgcr  den  burgundischen  Besitz  in  den  Niederlanden  erbten,  fielen 
zwar  die  einträglichen  und  wichtigen  Provinzen  alle  in  ihre  Hand,  d.  h. 
sowohl  die  Industriebezirke  Flanderns  und  Brabants  wie  das  seefahrt- 
treibende Holland.  Aber  noch  fehlten  alle  anderen  Provinzen  des 
Nordens  wie  Friesland,  Drenthe,  Overyssel  und  das  Bistum  Utrecht; 
besonders  aber  fehlte  das  Herzogtum  Geldern,  das  in  lästiger  Weise 
die  Verbindung  zwischen  Holland  und  den  noch  zu  gewinnenden  nörd- 
lichen Provinzen  unterbrach,  und  das  Bistum  Lüttich,  das  ebenso  die 
freie  Kommunikation  zwischen  den  flandrischen  Provinzen  und  dem 
gröiSten  Teile  des  Herzogtums  Luxemburg  sperrte.  Das  gefährlichere 
dieser  beiden  Staatswesen  war  das  Herzogtum  Geldern,  dessen  Herr- 
scherhaus durchaus  keine  Lust  zeigte,  freiwillig  in  den  habsburgischen 
Niederlanden  aufzugehen  und  sich  gegen  diese  Eventualität  sogar  durch 
Allianzen  mit  Frankreich  zu  schützen  versuchte.  Da  Geldern  außerdem 
über  verhältnismäßig  bedeutende  Machtmittel  verfügte,  so  gelang  es 
den  Habsburgern  dann  erst  im  Jahre  1543,  sich  des  Landes  zu  be- 
mächtigen, erst  zu  einer  Zeit  also,  wo  die  Superiorität  der  habsbur- 
gischen Macht  über  die  französische  so  deutlich  feststand,  daß  fran- 
zösische Unterstützung  für  Geldern  nicht  mehr  zu  erwarten  war  (§  125). 

Im  Vergleich  zu  seinem  kleinen  Umfange  war  damals  wohl  kein 
Land  in  der  Lage,  seiner  Regierung  sosehr  als  einträgliche  Geldquelle 
zu  dienen  wie  die  flandrischen  und  holländischen  Herrschaftsgebiete. 
Die  Provinzen  wiesen  zwar  nicht  nur  die  vorteilhaften,  sondern  auch 
die  bedenklichen  Eigentümlichkeiten  von  Industriestaaten  auf.  Sie 
waren  vor  allem  stark  übervölkert  und  für  ihre  Nahrung  auf  das  Aus- 
land angewiesen.  Es  wird  berechnet,  daß  in  Flandern,  dem  größten 
Industriegebiet  der  Zeit,  nicht  weniger  als  50  Seelen  auf  den  Quadrat- 
kilometer kamen,  in  Brabant  (von  dem  ähnliches  gilt,  das  aber,  nach- 
dem der  von  den  Portugiesen  entdeckte  Seeweg  Antwerpen  zu  einem 
der  wichtigsten  Handelsemporien  gemacht  hatte,  dazu  noch  ein  kom- 
merzielles Zentrum  bildete)  45  Seelen,  in  Holland,  dessen  Bevölkerung 
zwar  kaum  Industrie  trieb,  sich  aber  dafür  einseitig  durch  Viehzucht, 
Schiffahrt  und  Handel  zu  ernähren  genötigt  war,  37  Einwohner,  also 
immer  noch  mehr  als  Frankreich  (34).  Trotz  dem  einheimischen  Korn- 
bau genügte  deshalb  die  eigene  Getreideproduktion  zur  Ernährung  der 
Bevölkerung  in  Flandern  nicht;  wie  hätte  es  auch  in  einem  Lande, 
in  dem,  wie  man  berechnet  hat,  ungefähr  ein  Drittel  der  Bewohner 
in  Städten  lebte,  anders  sein  können!  In  den  holländischen  Provinzen 
stand  anderseits  der  Selbstversorgung  der  Bevölkerung  entgegen,  daß 
der  Boden  sich  wohl  trefflich  für  die  Viehzucht,  wenig  aber  für  den 
Ackerbau  eignet.  Die  drei  Millionen  Seelen,  auf  die  man  die  Einwohner- 
zahl der  Niederlande  schätzt,  mußten  also  zu  einem  guten  Teile  aus 
importiertem  Getreide  ernährt  werden. 

Aber  dieses  Abhängigkeitsverhältnis  zog  in  politisch-militärischer 
Hinsicht  nur  ganz  selten  gefährliche  Folgen  nach  sich.  Die  Nieder- 
lande  befanden    sich    in   einer   günstigeren   Lage    als    Venedig,    dessen 


106  Die  habsburgische  Macht  (die  Niederlande). 

zwei  wichtigste  Kornkammern  sieh  in  den  Händen  von  oft  feindhch 
gesinnten  Großmächten  (der  Türkei  und  Spanien)  befanden  (§  65). 
Die  Ostseestaaten,  die  den  Niederlanden  das  Getreide  Heferten, 
waren  politisch  entweder  uninteressiert  oder  befanden  sich  jeden- 
falls zu  den  Zielen,  die  von  den  Beherrschern  der  niederländischen 
Provinzen  verfolgt  wurden,  in  keinem  Gegensatze.  Eine  Ausnahme 
bildete  nur  Dänemark,  das  denn  auch,  wenn  es  mit  dem  habs- 
burgischen  Kaiser  in  Konflikt  geriet,  den  Sund  und  den  Belt  sperren 
konnte.  Aber  diese  Voraussetzung  traf  zumal  in  den  ersten  Jahrzehn- 
ten der  Periode  kaum  je  zu,  und  auch  in  diesem  Falle  bot  der  ver- 
hältnismäßig billige  Landweg  zwischen  Lübeck  und  Hamburg  immer 
noch  die  Möglichkeit,  die  Folgen  einer  Schließung  des  Sundes  wenig- 
stens zu  mildern. 

Unter  normalen  Verhältnissen  war  somit  die  Versorgung  des 
Landes  durchaus  sichergestellt.  Sowohl  die  einheimische  (holländische) 
wie  die  hansische  Schiffahrt  (die  als  einen  ihrer  wichtigsten,  wenn 
nicht  als  den  wichtigsten  Artikel  Getreide  aus  den  Ostseehäfen  nach 
den  Niederlanden  transportierte)  versahen  das  dafür  günstig  gelegene 
Land  reichlich  und  regelmäßig  mit  Korn.  Ähnlich  stand  es  dann  auch 
mit  anderen  Rohprodukten,  die  die  Provinzen  nicht  oder  nur  in  un- 
genügenden Quantitäten  erzeugten  wie  Wachs,  Häute,  Holz,  Salz, 
Teer  usw.  Auch  diese  kamen  (mit  Ausnahme  des  französischen  Salzes, 
dessen  Ausfuhr  aber  ebenfalls  nie  scheint  gehindert  worden  zu  sein) 
aus  Gebieten,  die  keinen  Anlaß  hatten,  ihren  Export  aus  politischen 
Gründen  zu  verbieten;  es  waren  ja  in  der  Hauptsache  auch  dieselben 
Landschaften  wie  die,  aus  denen  die  Niederlande  ihr  Getreide  bezogen. 
Einen  dunkeln  Punkt  bildete  nur  die  Einfuhr  der  Wolle.  Die  Textil- 
industrie, von  der  die  flandrischen  Provinzen  fast  ausschließlich  lebten, 
konnte,  wollte  sie  ihre  Vorzugsstellung  bewahren,  der  englischen  Wolle 
kaum  entraten,  und  hier  befanden  sich  die  Niederlande  nun  einem 
auswärtigen  Staate  gegenüber,  der  nicht  nur  eine  eigene  Politik  trieb 
und  eventuelle  Konflikte  mit  ihrem  Herrscherhaus  zu  einer  Schädigung 
ihrer  wirtschaftlichen  Interessen  ausnutzen  konnte,  sondern  der  vor  allem 
daran  ging,  die  bisher  ins  Ausland  exportierte  Wolle  im  eigenen  Lande 
verarbeiten  zu  lassen  (§  82).  Hier  noch  mehr  als  in  dem  Verhältnis 
zu  Dänemark  lag  die  Stelle,  an  der  die  wirtschaftlichen  Interessen  der 
Niederlande  mit  der  internationalen  Politik  der  Habsburger  in  Wider- 
spruch geraten  konnten;  von  ähnlicher  Bedeutung  war  wohl  nicht 
einmal  die  Aufrechterhaltung  friedlicher  Beziehungen  zu  Frankreich, 
obwohl  ein  Krieg  mit  dem  französischen  Königreich  die  flandrische 
Industrie  eines  ihrer  besten  Absatzgebiete  oder  wenigstens  Verkaufs- 
plätze beraubte;  Machiavelli  (Ritratti  di  Francia)  behauptet  wenigstens 
in  seiner  übertreibenden  Art  geradezu,  ohne  die  Lyoner  und  Pariser 
Messen  könnten  die  Flamänder  ihre  Waren  überhaupt  nicht  absetzen: 
»ogni  volta  che  mancassero  del  commercio  co'  Francesi,  non  arieno  dove 
smaltire  le  mercanzie.« 


§  50.     Land   und   Bevölkerung.  107 

Die  Freigraf.schaft.  Die  Freigrafsehall  Biirgund  (die  seil  1493 
den  Habsburgern  gehörte)  kann  kürzer  behandelt  werden.  Von  etwa 
300000  Seelen  bewohnt  und  ohne  Industrie,  konnte  sie  naeh  ihren 
finanziellen  Leistungen  in  keiner  Weise  mit  den  niederländischen  Pro- 
vinzen konkurrieren.  Dagegen  war  in  strategischer  Beziehung  ihr 
Besitz  von  größter  Bedeutung,  da  sie  den  natürlichen  Ausgangspunkt 
für  Offensivoperationen  gegen  Frankreich  bildete.  Zu  beachten  ist 
ferner,  daß  die  Freigrafschaft  nur  durch  die  Grafschaft  Mömpel- 
gard  vom  österreichischen  Sundgau  getrennt  wurde,  die  Herrschaft 
über  das  Land  also  beinahe  von  selbst  einen  Antagonismus  zwischen 
den  Habsburgern  und  den  Herzogen  von  Württemberg,  den  Besitzern 
Mömpelgards,  hervorrief. 

Ein  neuerer  Forscher  hat  dann  darauf  hingewiesen,  daß  die  Frei- 
grafschaft den  habsburgischen  Herrschern  eine  unverhältnismäßig  große 
Zahl  leitender  Männer,  vor  allem  führender  Juristen,  geliefert  hat 
(Andreas  Walther,  »Die  Anfänge  Karls  V.«  1911,  S.  27  f.).  Es  kann 
nun  wohl  kein  Zweifel  darüber  herrschen,  daß  gerade  die  Armut  und 
Kleinheit  des  Landes  zu  dieser  Erscheinung  beigetragen  hat.  Zu  ihrer 
weder  österreichischen  noch  niederländischen,  sondern  dynastischen 
Politik  fanden  die  Habsburger  wohl  nirgends  leichter  geeignete  Per- 
sönlichkeiten als  in  der  Freigrafschaft,  die  keine  partikularen,  mit  den 
internationalen  Zielen  des  Hauses  im  Widerspruch  stehenden  Interessen 
besaß,  und  überhaupt  nur  durch  ihre  Verbindung  mit  der  habsbur- 
gischen Macht  ihre  Unabhängigkeit  von  Frankreich  zu  behaupten  ver- 
mochte und  dazu  noch  innerhalb  ihrer  engen  Grenzen  strebsamen  Naturen 
keinen  Raum  zu  selbständiger  politischer  Tätigkeit  gewährte.  Die  kaiser- 
lichen Räte  aus  der  Freigrafschaft,  die  noch  am  Hofe  KarlsV.  dominierten, 
waren  daher  auch  die  geborenen  Vollstrecker  der  habsburgischen  Politik. 

Literatur.  Das  wichtigste  Quellenwerk  sind  wohl  die  »Niederländischen 
Akten  und  Urkunden  zur  Geschichte  der  Hanse  und  zur  deutschen  Seegeschichte, 
bearbeitet  von  Rudolf  Häpke«,  1.  Band  (1531  -  1.557),  1913.  Daß  der  Einfuhrverkehr 
aus  der  Ostsee  hauptsächlich  Getreide  umfaßte,  d.  h.  daß  Korn  der  unentbehrlichste 
Artikel  war,  wird  hier  vielfach  bezeugt.  Vgl.  z.B.  S.  17,  nr.  22  (1531);  Klagen 
Amsterdams  u.  a.  über  die  Bedrohung  der  Sundfahrt;  sie  wollen  aus  »Osterland« 
»hles,  grains  et  autres  ?narchandises«  importieren;  die  Regentin  empfiehlt  dieser 
Beschwerde  nachzukommen,  »tant  pour  eviter  la  cherte  des  bles  qui  y  a  si  longuement 
ete(e)  que  plusieurs  autres  inconvenients«  (p.  13).  Von  Holland  aus  wurde  dann 
auch  Flandern  versorgt  (z.  B.  S.  31  ff.).  Brügge  wandte  sich  1532  einmal  an  Lübeck 
mit  dem  Gesuch,  wegen  der  Getreideteuerung  die  Durchfahrt  von  drei  bis  vier 
Kornschiffen  von  Dänemark  zu  erwirken  (S.  34,  nr.  43).  Daß  Holland  nicht  genügend 
Getreide  produzierte,  wird  z.  B.  nr.  49  und  56,  §  6,  betont.  Die  allerdings  sehr  aus- 
gedehnte Fischerei  (der  Heringsfang)  konnte  diesen  Mangel  natürlich  nicht  aus- 
gleichen. —  Von  zeitgenössischen  Schilderungen  hauptsächlich  die  Relation  von 
V.  Quirino   aus  dem  Jahre  1506  (Alberi  I,  Iff.). 

Für  weitere  Literatur  sei  vor  allem  auf  Felix  Rachfahl,  »Wilhelm  von  Oranien 
und  der  niederländische  Aufstand«  I  (1906),  III.  Buch  (S.  238ff.)  verwiesen.  — 
tjber  die  Bevölkerungsverhältnisse  vgl.  noch  J.  Cuvelier,  )>Les  denombrements  de 
foi/ers  en  Brabant  (XIV^-XVI^  siecles),  1912  (belgische  Akademie).  Außerdem 
ist  natürlich  auch  die  Literatur  zur  Geschichte  der  Hanse  (vgl.  §  60)  heranzuziehen. 


108  Die  habsburgische  Macht  (die  Niederlande). 

§  51.  Industrie  und  Handel.  In  keinem  Lande  Europas  waren 
damals  Handel  und  Industrie  so  gleichmäßig  stark  entwickelt  wie  in 
den  Niederlanden.  Flandern  war  allerdings,  soweit  die  einheimische 
Bevölkerung  in  Betracht  kam,  so  gut  wie  ausschließlich  industriell 
tätig;  die  Textilmanufaktur  dominierte  sosehr,  daß  der  Handel  zum 
guten  Teile  in  fremden  Händen  (hauptsächlich  italienischen  und  deut- 
schen) lag.  Aber  in  Holland  war  der  Handel  nicht  weniger  als  die 
Industrie  Sache  der  Inländer;  sowohl  der  außerordentlich  ausgedehnte 
Zwischenhandel  (hauptsächlich  zw^ischen  der  Ostsee  und  Spanien, 
Schottland,  Skandinavien),  als  die  Ausfuhr  der  eigenen  Erzeugnisse, 
der  Molkereiprodukte,  des  Fischfanges  und  der  (im  Vergleich  zu  Flan- 
dern allerdings  weniger  bedeutenden)  Industrieprodukte  (der  Leine- 
weberei) geschah  auf  eigenen  Schiffen  und  mit  eigenen  Leuten.  Dem- 
entsprechend wurde  auch  der  Import  der  vielen  unentbehrlichen  Ar- 
tikel, die  Holland  über  die  See  bezog,  wie  der  englischen  Metalle,  des 
skandinavischen  Holzes,  des  französischen  Salzes  usw.  auf  einhei- 
mischen Schiffen  besorgt. 

Für  die  Finanzierung  ihrer  militärisch  -  politischen  Operationen 
hätten  die  Habsburger  daher  an  sich  kein  günstigeres  Land  finden  können. 
Dazu  kam  noch,  daß  selbst  der  mit  dem  Aufschwung  der  englischen 
Tuchfabrikation  zusammenhängende  Niedergang  der  flandrischen  Textil- 
industrie die  Finanzkraft  des  Landes  kaum  schwächte.  Die  Tuch- 
weberei ging  allerdings  zurück,  da  die  in  immer  größeren  Quantitäten 
verwendete  spanische  Wolle  die  englische  nicht  zu  ersetzen  vermochte; 
aber  ein  zufälliges  zeitliches  Zusammentreffen  schuf  gewissermaßen 
Entschädigung.  Die  Änderung  der  Seewege  machte  Antwerpen  zu 
einem  Zentrum  des  Gewürzhandels.  Seitdem  die  Produkte  Ostindiens 
und  Chinas  über  Portugal  nach  Europa  gelangten,  wurde  die  Scheide- 
stadt zum  großen  Umschlagplatz  für  diese  Artikel.  Antw^erpen,  dessen 
Bevölkerung  schon  im  Jahre  1526  auf  50000  Seelen  geschätzt  wird, 
hatte  40  Jahre  später  seine  Einwohnerzahl  verdoppelt;  rechnet  man 
noch  die  Vorstädte  hinzu,  die  von  ungefähr  50000  Seelen  bewohnt 
wurden,  so  betrug  die  Einwohnerzahl  der  Stadt  am  Ende  der  Periode 
ungefähr  ein  Zwanzigstel  der  Bevölkerung  der  gesamten  Niederlande 
überhaupt.  Waren  auch  an  dieser  Vermehrung  die  eigentlichen  Fla- 
mänder  nur  in  untergeordnetem  Maße  beteiligt,  so  war  für  die  Re- 
gierung doch  damit  von  neuem  im  Lande  eine  Stelle  geschaffen,  die 
ihr  in  finanziellen  Verlegenheiten  aushelfen  konnte  und  in  dieser  Be- 
ziehung das  mehr  und  mehr  verödende  Brügge  ersetzte. 

Dazu  ist  schließlich  noch  in  Erwägung  zu  ziehen,  daß  die  gleiche 
Zeit  die  Ausdehnung  und  den  Ertrag  der  holländischen  Handels- 
schiffahrt weiter  steigerte.  Die  drei  ersten  Jahrzehnte  des  16.  Jahr- 
hunderts bezeichnen  bekanntlich  die  Periode,  in  der  die  deutsche  Hanse 
die  Grundlagen  ihrer  merkantilen  Hegemonie  in  Nordwest-  und  Nord- 
osteuropa verlor.  Dieser  Rückgang  des  Konkurrenten,  der  sich  in  der 
Emanzipierung  der  skandinavischen   Staaten  und  auch  Englands  von 


§  52.     Innerpolitische  Organisation.  109 

dem  deutschen  Bunde  ausdrückte,  wurde  nun  vor  allem  von  den  Hol- 
ländern ausgenutzt;  unterstützt  wurden  die  Niederlande  dabei  durch 
den  Umstand,  daß  bei  eventuellen  Konfhkten  ihre  Oberherren  in  der 
Regel  für  sie  und  gegen  die  Interessen  der  deutschen  Hansestädte  Partei 
nahmen.  Amsterdam  wurde  nun  zum  wichtigsten  Umschlageplatz  für 
den  Getreidehandel. 

Die  Freigrafschaft  ist  in  diesem  Zusammenhange  kaum  zu 
erwähnen,  so  unbedeutend  war  ihr  finanzieller  Ertrag.  Eine  Einnahme 
lieferten  der  Krone  eigentlich  nur  die  Salzschätze  des  Landes  (vgl. 
z.  B.  die  Relation  Mocenigos  in  den  »Fontes  Rerum  Austriacariurm 
1870,  p.  25). 

Literatur.  Vgl.  die  Anmerkung  zu  dem  vorhergehenden  Paragraphen.  — 
Über  die  Schiffahrtsverhältnisse  ist  besonders  instruktiv  Walter  Vogel,  »Zur  Größe 
der  europäischen  Handelsflotten  im  15.,  16.  und  17.  Jahrhundert.  Ein  historisch- 
statistischer Versuch«  (in  den  »Forschungen  und  Versuchen  zur  Geschichte  des 
Mittelalters  und  der  Neuzeit.  Festschrift  für  Dietrich  Schäfer«,  1915,  S.  268  —  333) 
Vieles  außerdem  bei  Rudolf  Häpke,  »Die  Regierung  Karls  V.  und  der  europäische 
Norden«  1914.  —  Beatis  meint  schon  im  Jahre  1517,  in  der  zu  §26  zitierten 
Reisebeschreibung,  die  Antwerpener  Messe  sei  die  erste  der  Welt  (S.  88).  Vgl.  da- 
gegen  seine    Bemerkung   über   Brügge   (S.  110). 

Die  bereits  unter  Maximilian  zu  beobachtende  Intervention  der  habsburgischen 
Fürsten  für  die  Holländer  gegen  die  Hanse  trat  unter  Karl  V.  noch  stärker  hervor. 
Vgl.  z.  B.  Stücke  wie  nr.  57  der  von  Häpke  publizierten  Akten  (§51). 

Jules  Finots  »Etüde  historique  sur  les  Relatioris  cominerciales  entre  la  Flattdre 
et  VEspagne  au  moyen  äge«,  1899,  und  »Etüde  historique  sur  les  Relations  cornmer- 
ciales  entre  la  Flandre  et  la  Republique  de  Genes  au  moyen  äge<i.  (1906)  behandeln  auch 
noch  die  ersten  Jahre  des  16.  Jahrhunderts.  Jervis  Wegg,  »Antwerp  1447—1559«, 
1916. 

§  52.  Innerpolitische  Organisation.  Dieses  durch  Industrie  und 
Handel  erworbene  Kapital  stand  nun  freilich  der  Regierung  durchaus 
nicht  in  dem  Umfange  zur  Verfügung  wie  die  Finanzkraft  der  Unter- 
tanen in  Frankreich  und  der  Türkei.  Der  größere  Teil  der  Einnahmen 
kam  der  Krone  nur  in  der  Form  von  »Hilfen«  (aides)  zu,  und  diese 
mußten  zuerst  von  den  Ständen  bewilligt  werden,  die  deshalb  sogar 
das  faktische  Anrecht  auf  regelmäßige  Einberufung  hatten.  Wenn  die 
Zustimmung  der  Stände  auch  meist  nicht  eben  schwer  zu  erhalten  war 
und  wenn  der  Regierung  eher  durch  die  schwerfällige  Art  der  Beschluß- 
fassung als  durch  prinzipiellen  Widerstand  Hindernisse  erwuchsen 
(in  der  Regel  tagten  die  Stände  der  einzelnen  Provinzen  getrennt  und 
sogar  innerhalb  der  Provinzialstände  waren  manche  Voten  nur  mit 
Mühe  zustandezubringen;  Generalstände  wurden  nur  ausnahmsweise 
berufen  und  waren  bei  der  Regierung  im  allgemeinen  wenig  beliebt 
[vgl.  »Papiers  d'Etat  de  Granvelle«  V,  599  f.]),  —  wenn  die  Stände  auch 
in  der  Regel  das  von  der  Regierung  Geforderte  schließlich  bewilligten, 
so  daß  diese  auf  die  »aides <i  wie  auf  eine  regelmäßige  Einnahme  zählen 
konnte,  so  bestand  doch  offenbar  praktisch  eine  obere  Grenze  für  die 
finanziellen  Leistungen  der  niederländischen  Provinzen.  Im  übrigen 
war  auch  so  das  Resultat  für  die  Krone  sehr  beträchtlich.    Der  Kapital- 


110  Die  habsburgische  Macht  (die  Niederlande). 

reichtum  des  Landes  erlaubte,  der  Regierung  bedeutende  Mittel  zur 
Disposition  zu  stellen,  ohne  daß  die  Bevölkerung  in  einer  für  ihre  wirt- 
schaftliche Tätigkeit  schädlichen  Weise  belastet  worden  wäre.  Es  ist 
kein  Widerspruch,  wenn  der  Historiker  einerseits  den  Ausspruch  Na- 
vageros  (1546;  Alberi,  »Relazioni«  I,  297),  die  Niederländer  seien  »poco 
aggravati  ordinär iamente%  für  richtig  hält,  und  anderseits  doch  in  der 
Finanzkraft  dieses  Landes  eine  der  wichtigsten  Stützen  der  auswärtigen 
Politik  der  Habsburger  sieht  (vgl.  A.  Walther,  »Die  burgundischen 
Zentralbehörden  unter  Maximilian  I.  und  Karl  V.«  1909,  S.  6;  K.  Häbler, 
»Geschichte  Spaniens«  I  [1907],  278;  Rachfahl,  »Wilhelm  von  Oranien« 
1,  437).  Die  Verhältnisse  lagen  hier  eben  viel  günstiger  als  in  Spanien; 
die  Industrie  der  Provinz  Flandern,  die  um  die  Mitte  des  16.  Jahr- 
hunderts ein  Drittel  der  gesamten  Steuersumme  aufbrachte  (Rach- 
fahl S.  547),  wurde  durch  diese  Belastung  in  ihrer  Konkurrenzfähigkeit 
nicht  gehemmt. 

Aber  aus  diesem  Zustand  ergaben  sich  doch  für  die  Regierung 
besondere  Schwierigkeiten.  Gerade  weil  der  W^ohlstand  des  Landes 
ausschließlich  von  Handel  und  Industrie  abhing,  griff  die  auswärtige 
Politik  außerordentlich  stark  in  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  ein. 
Die  Frage  »Krieg  oder  Frieden«  war  gleichbedeutend  mit  der  anderen, 
ob  die  Niederlande  ihre  guten  Beziehungen  zu  ihren  Absatz-  und  Lie- 
ferungsgebieten im  Ausland  aufrechterhalten  konnten.  Wenn  die 
Stände  der  niederländischen  Provinzen  daher  weniger  als  andere  ärmere 
Territorien  darauf  ausgingen,  von  der  Regierung  eine  Ermäßigung  der 
Abgaben  zu  erzwingen,  so  brachten  sie  dafür  um  so  bestimmtere 
Wünsche  in  bezug  auf  die  auswärtige  Politik  vor.  Und  da  außerordent- 
liche Steuern  ohne  ihre  regelmäßige  (beinahe  jährliche)  Bewilligung 
nicht  erhoben  werden  durften,  so  lief  die  Regierung  wohl  in  keinem 
einzigen  anderen  Staate  so  sehr  Gefahr,  ihre  diplomatische  Aktion  den 
Forderungen  der  Untertanen  anpassen  zu  müssen  wie  in  den  Nieder- 
landen. 

Besonders  da  ihre  politischen  Ziele  mit  den  \\'ünschen  der  Stände 
nichts  weniger  als  harmonierten.  Die  habsburgische  Politik  war  scharf 
gegen  Frankreich  gerichtet  (§  64),  und  als  natürlicher  Bundesgenosse 
bot  sich  dabei  England  dar;  die  Niederlande  wollten  aber  vor  allem 
einen  Krieg  mit  Frankreich  vermeiden  und  hatten  kein  Interesse  an 
einer  Militärallianz  ihrer  Herrscher  mit  dem  englischen  Königreich, 
der  eventuell  die  Bedürfnisse  ihrer  durch  die  englische  Handelspolitik  be- 
drohten Textilindustrie  (§51)  geopfert  werden  mußten.  Erst  recht 
waren  dann  die  Niederlande  nicht  geneigt,  ihr  Geld  für  Unternehmungen, 
die  andere  habsburgische  Erblande  wie  Österreich  (und  später  Spanien) 
betrafen,  zur  Verfügung  zu  stellen. 

Trotzdem  wäre  es  nun  aber  nicht  richtig,  wenn  man  folgern  wollte, 
die  niederländischen  Stände  hätten  auf  die  auswärtige  Politik  der  Habs- 
burger einen  bestimmenden  Einfluß  ausgeübt.  Da  sie  die  Verfügung 
über  einen  großen  Teil  der  Mittel  in  der  Hand  hielten,  konnten  sie  wohl 


§  52.    Innerpolitische  Organisation.  111 

gelegentlich  die  Regierung  zu  Konzessionen  nötigen,  aber  zu  einem 
Abhängigkeitsverhältnis  kam  es  nie.  \\  irklich  durchsetzen  konnte  sich 
die  Auffassung  der  niederländischen  Notablen  allein  in  der  Zeit,  da 
sie  unter  Philipp  dem  Schönen  sozusagen  eine  autonome  Regierung 
hatten;  damals  ist  ihre  auf  die  Aufrechterhaltung  friedlicher  Beziehungen 
zu  Frankreich  gerichtete  Politik  allerdings  in  direkte  Opposition  zu 
der  allgemeinen  Orientierung  der  habsburgischen  Dynastie  getreten. 
Aber  dies  war  ein  Ausnahmefall;  die  Mitglieder  des  Herrscherhauses, 
die  als  Statthalter  in  den  Niederlanden  amteten,  fühlten  sich  im  übrigen 
vor  allem  als  Mandatare  der  Dynastie.  Auch  dominierten  unter  ihren 
Räten  meist  die  aus  der  Freigrafschaft  stammenden  Staatsmänner, 
die  die  Führer  der  antifranzösischen  Politik  der  Habsburger  waren 
und  diese  Haltung  sogar  unter  Philipp  dem  Schönen  beibehielten  (vgl. 
Quirino  im  Jahre  1505  im  »Archiv  für  österr.  Geschichte«  66  [1885], 
S.  98). 

Es  fiel  dies  um  so  mehr  ins  Gewicht,  als  die  übrige  Verwaltung 
sich  durchaus  in  den  Händen  der  Krone  befand.  Die  Stände  hatten 
wohl  das  Recht  der  Steuerbewilligung,  aber  w-eder  die  Kompetenz, 
sich  ohne  Einberufung  durch  die  Regierung  zu  versammeln  (wenigstens 
nicht  mehr  vom  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  an),  noch  das  Recht, 
die  Verw'endung  der  Steuern  zu  kontrollieren.  Sie  waren  wohl  befugt, 
darüber  Klage  zu  erheben,  daß  die  von  ihnen  bewilligten  Subsidien 
zu  anderen  Zwecken  als  von  ihnen  bestimmt  ausgegeben  würden;  aber 
sie  hatten  kein  Mittel,  um  diesen  Klagen  Nachachtung  zu  verschaffen. 
Es  ist  zwar  eine  Übertreibung,  wenn  der  Venezianer  Tiepolo  im  Jahre 
1532  behauptet,  der  Kaiser  verfüge  ebenso  unbeschränkt  über  die 
Niederlande  wie  der  König  von  Frankreich  über  sein  Land;  aber  wenn 
er  hinzusetzt  (Alberi,  »Relazionin  I,  53  f.),  die  aus  dem  Gelde  der  bur- 
gundischen  Erblande  bezahlten  Soldaten  würden  zum  Teil  in  Italien 
verwendet,  und  die  Subsidien  der  Provinzen  dienten  auch  sonst  der 
habsburgischen  Politik  in  anderen  Ländern,  so  wird  der  Historiker 
diese  Bemerkung  nicht  als  unrichtig  bezeichnen  können.  Die  wirkliche 
Macht  ruhte  eben  durchaus  bei  der  Regierung,  auch  schon  nur,  weil 
sie  den  nur  einzelne  Provinzen  vertretenden  Ständen  gegenüber  das 
gesamte  Land  in  ihrer  Gewalt  hatte. 

Was  die  Stände  der  Freigrafschaft  anbelangt,  so  war  ihr  Steuer- 
bewilligungsrecht von  geringer  Bedeutung,  da  die  arme  Landschaft 
sowieso  nur  wenig  aufbringen  konnte.  Ihr  Recht  zur  Verweigerung 
einer  »Hilfe«  dürfte  übrigens  in  der  Hauptsache  nur  formell  bestanden 
haben;  darauf  läßt  wenigstens  der  Ton  des  Schreibens  schließen,  in 
dem  Kaiser  Maximilian  I.  im  Jahre  1513  das  Arrangement  einer  Stände- 
versammlung in  Salins  anordnet  {»Correspondance  de  Maximilien  P^ 
et  de  Marguerite«  ed.  Le  Glay  II,  168  ff.;  vgl.  auch  die  Antwort  der 
Tochter,  ibid.  p.  216  f.).  Anderseits  bestand  eine  Pflicht  zur  Schonung 
der  Landschaft,  da  sonst  ein  Abfall  an  die  Eidgenossen  hätte  befürchtet 
werden  müssen,  die  die  salzreiche  Gegend  wohl  nicht  ungern  zu  ihrem 


112  Die  habsburgische  Macht   (die  Niederlande). 

salzarmen  Territorium  hinzugefügt  hätten  (vgl.  die  Ermahnungen 
Kaiser  Karls  V.  in  seinem  politischen  Testamente  in  den  »Papiers 
d'Etat  de  Granvelle«  III,  294).  Daß  die  Stadt  Besancon  1518  mit  drei 
eidgenössischen  Orten  ein  Burgrecht  schloß,  war  dabei  keineswegs  ge- 
eignet, die  Besorgnisse  der  Habsburger  zu  zerstreuen  (vgl.  darüber 
auch  »Archiv  für  österr.  Geschichte«  96  [1907],  289  f.). 

Literatur.  Vgl.  die  Anmerkungen  zu  den  vorhergehenden  Paragraphen.  — 
Zu  dem  häufig  benutzten  Briefwechsel  zwischen  Maximilian  und  seiner  Tochter 
Margarete  sind  die  »Untersuchungen*  von  Hubert  Kreiten  im  »Archiv  für  österr. 
Geschichte«  96  (1907),  191  —  318,  zu  vergleichen,  die  auch  zahlreiche  Nachträge 
enthalten.  —  Der  zitierte  Paragraph  in  dem  Testament  Karls  V.  zeigt  übrigens, 
daß  die  Subsidien  der  Freigrafschaft  gerade  nur  zum  Unterhalt  der  mihtärischen 
Anlagen  ausreichten. 

§  53.  Die  Armee.  Die  Niederlande  schufen  ihres  Geldreichtums 
wegen  für  die  Kriegsunternehmungen  der  Habsburger  die  finanzielle 
Basis;  ihre  direkten  militärischen  Leistungen  waren  dagegen  nicht 
bedeutend.  Das  Land  besaß  keine  stehende  Infanterie,  und  die  ein- 
heimischen Söldner  waren  weder  sehr  zahlreich  noch  kamen  sie  ihrer 
Qualität  nach  den  oberdeutschen  oder  spanischen  Kriegsknechten 
gleich.  \\'enn  Navagero  1546  von  den  Flamändern  bemerkt,  sie  seien 
schlechte  Soldaten  und  für  gewöhnlich  nicht  ausgebildet  (Alberi, 
»Relazioni«  I,  314  f.),  so  steht  dies  mit  den  geschichtlichen  Ereignissen 
durchaus  im  Einklang,  und  es  war  kein  Zufall,  daß  die  niederländischen 
Herrscher  als  Fußknechte  lieber  Deutsche  oder  Spanier  verwendeten. 
Auch  ist  diese  Inferiorität  der  einheimischen  Infanterie  nicht  schwer 
zu  erklären.  Die  Industrie  im  Süden  und  die  Schiffahrt  im  Norden 
beschäftigten  bei  nur  einigermaßen  normalem  Geschäftsgang  so 
zahlreiche  Arbeitskräfte,  daß  die  Bevölkerung  nur  in  geringem  Um- 
fange auf  den  Kriegsdienst  als  Lebensunterhalt  angewiesen  war  und 
eine  regelmäßige  Anwerbung  zumal  der  tüchtigeren  Elemente  nicht 
stattfand. 

Besser  stand  es  mit  der  Kavallerie.  Aus  der  französisch-burgun- 
dischen  Zeit  hatten  sich  noch  die  Ordonnanzkompagnien  erhalten,  in 
denen  nur  der  einheimische  Adel  dienen  durfte,  und  diese  schwere 
Reiterei  soll  ebenso  leistungsfähig  gewesen  sein  wie  die  französische. 
Auch  war  das  Pferdematerial  in  den  Niederlanden,  die  u.  a.  Pferde 
nach  Frankreich  exportierten,  von  vortrefflicher  Qualität.  Aber  diese 
Truppe  w^ar  entsprechend  der  relativ  unabhängigen  Stellung  des  nieder- 
ländischen Adels  ein  weniger  gefügiges  Instrument  in  der  Hand  der 
Regierung  als  die  französische  Gendarmerie,  und  aus  der  Kriegs- 
geschichte läßt  sich  denn  auch  nicht  nachweisen,  daß  die  niederländische 
schwere  Reiterei  ähnlich  bedeutungsvolle  Leistungen  vollbracht  hätte 
wie  die  französische. 

Die  Artillerie  und  die  Festungsanlagen  der  Niederlande  waren 
mittelmäßig.  Die  niederländische  Industrie  war,  wie  bekannt,  im  allge- 
meinen auf  die  Textilmanufaktur  beschränkt  und  bot   Ingenieuren  in 


§54.    Die  Marine.  118 

der  Regel  keine  Gelegenheit  zur  Ausbildung  im  Geschützwesen;  wohl 
nur  Mecheln,  wo  sich  auch  das  größte  Zeughaus  befand,  hatte  in  der 
Waffenfabrikation  Leistungen  aufzuweisen,  die  mehr  waren  als  Hand- 
werksprodukte für  den  Lokalgebrauch.  Die  offene  Grenze  gegen  das 
französische  und  das  englische  Gebiet  (bei  Calais)  war  zwar  durch 
zahlreiclie  Festungen  geschützt ;  doch  waren  diese,  wenn  schon  wider- 
standsfähig, doch  keineswegs  so  stark  und  so  bewehrt  wie  im  allgemeinen 
die  festen  Plätze,  die  Frankreich  vor  einer  Invasion  von  den  Nieder- 
landen aus  bewahren  sollten.  Für  die  einseitige  Richtung  der  flan- 
drischen Industrie  ist  dabei  bezeichnend,  daß  Kaiser  Karl  V.  nicht 
anders  als  der  König  des  industriearmen  Frankreichs  den  Bau  seiner 
drei  großen  Festungen  in  den  Niederlanden  von  einem  italienischen 
Ingenieur  besorgen  lassen  mußte  (Navagero  bei  Alberi  I,  336  f.). 

Ähnliches  gilt  von  den  Festungsanlagen  der  Freigrafschaft. 

§  54.  Die  Marine.  Als  Marinemacht  kam  von  den  niederländischen 
Provinzen  nur  der  nördliche  oder  holländische  Landesteil  in  Betracht. 
Der  Süden  unterhielt  zwar  eine  gewaltige  Exportindustrie  und  zählte 
einen  der  größten  Handelsplätze  in  seiner  Mitte;  aber  die  Schiffahrt 
lag  in  auswärtigen  Händen  (§51),  und  eine  einheimische  Marine  bildete 
sich  dort  ebensowenig  wie  unter  ähnlichen  Verhältnissen  in  Florenz 
(vgl.  §91).  Ganz  anders  stand  es,  wie  bereits  ausgeführt,  im  Norden, 
und  die  holländischen  Provinzen  nannten  eine  Flotte  ihr  eigen,  mit 
der  es  in  den  nördlichen  Meeren  nur  die  allerdings  noch  etwas  größere 
der  deutschen  Hanse  aufnehmen  konnte.  Diese  Schiffe  waren  nun 
ohne  weiteres  auch  als  Kriegsschiffe  zu  benutzen,  sobald  sie  mit 
Artillerie  bestückt  waren,  die  die  Regierung  den  Befestigungen  der 
Städte  entnehmen  konnte  (vgl.  §  13).  Damit  verfügten  die  Herrscher 
der  Niederlande  auch  über  die  stärkste  staatliche  Kriegsmarine  im 
Norden.  Denn  die  Hanse  war  kein  geschlossenes  Staatswesen,  das  man 
mit  Frankreich  oder  England  hätte  vergleichen  können,  und  sowohl 
die  französische  wie  die  englische  Marine  waren  der  niederländischen 
nicht  gewachsen  und  noch  weniger  hatten  die  dänische  und  die  über- 
haupt erst  im  Entstehen  begriffene  schwedische  Schiffahrt  zu  bedeuten. 
Es  ist  zwar  wohl  kaum  wörtlich  zu  nehmen,  wenn  einmal  von  nieder- 
ländischer Seite  behauptet  wurde,  die  französischen  Schiffe  seien 
meistens  kleiner  als  die  holländischen  und  wagten  einen  Angriff  nur, 
wenn  sie  in  drei-  bis  vierfacher  Mehrzahl  seien  (Häpke,  »Akten«,  S.  514, 
Nr,  620,  1552).  Aber  im  allgemeinen  wird  diese  Bemerkung  sicherlich 
zugetroffen  haben;  auch  war  die  holländische  Flotte  schon  der  Zahl 
der  Schiffe  nach  stärker  als  die  französische  und  in  größerem  Um- 
fange für  längere  Seefahrten  eingerichtet.  Gerade  also  dem  Staate 
gegenüber,  der  in  den  internationalen  Konflikten  am  ehesten  als  poli- 
tischer Gegner  der  Dynastie  auftreten  konnte,  war  die  maritime  Su- 
periorität  der  Habsburger  unzweifelhaft. 

Wer  aber  daraus  schließen  wollte,  daß  aus  dieser  ihrer  latenten 
Überlegenheit    die    Habsburger   in    der    politischen    Praxis    einen    ent- 

Fueter,  Europ.  Staatensystem.  8 


114  Die  habsburgische  Macht  (die  österreichischen  Lande). 

sprechenden  Nutzen  gezogen  hätten,  würde  sich  täuschen.  Zunächst 
verfügten  sie  durchaus  nicht  frei  über  die  holländische  Marine,  und 
dieser  Umstand  fiel  für  ihre  auswärtige  Politik  um  so  mehr  ins  Ge- 
wicht, als  die  Holländer  durchaus  keinen  Grund  hatten,  einem  eventuel- 
len habsburgischen  Kriege  gegen  Frankreich  zuzustimmen;  denn  sie 
hatten  wohl  ein  Interesse  daran,  sich,  wenn  nötig,  in  einen  Krieg  mit 
der  deutschen  Hanse  einzulassen,  um  sich  die  Freiheit  der  Durchfahrt 
durch  den  Sund  zu  sichern,  nicht  aber  die  friedlichen  Beziehungen 
zu  Frankreich  zu  stören.  Wichtiger  aber  war  der  andere  Grund.  Selbst 
wenn  die  holländische  Flotte  den  Habsburgern  uneingeschränkt  zur 
Disposition  gestanden  hätte,  so  hätte  die  Dynastie  daraus  für  den 
zentralen  Konflikt  der  Periode,  für  den  Kampf  um  Italien  keinen 
Vorteil  schöpfen  können.  Denn  die  holländischen  Schiffe  waren,  wenn 
schon  im  Nahkampf  gelegentlich  Ruderbarken  verwendet  wurden, 
ausschließlich  Segelschiffe  und  waren  deshalb  gegen  die  Rudergaleeren 
des  Mittelländischen  Meeres  nicht  zu  gebrauchen  (§  14).  Auch  wenn- 
die  aus  der  Distanz  entspringenden  Schwierigkeiten  weggefallen  wären 
(die  holländische  Schiffahrt  drang  damals  kaum  je  weiter  südlich  vor 
als  bis  nach  Portugal),  so  hätte  die  niederländische  Marine  die  genue- 
sische Flotte  nicht  ersetzen  können.  Es  ist  daher  wohl  verständlich, 
daß  wenn  Kaiser  Karl  V.  sich  in  seinem  im  Jahre  1548  abgefaßten 
politischen  Testament  als  stärker  zur  See  denn  Frankreich  bezeichnet 
{»Papiers  d'Ltat  de  Granvelle«  III,  288  ff.),  er  dabei  offenbar  nur  seine 
Streitkräfte  im  Mittelmeer  in  Betracht  zieht. 

2.  Die  österreichischen  Erblande. 

§  55.  Das  Land  und  seine  Bewohner.  Der  Schilderung  der  öster- 
reichischen Erblande,  d.  h.  der  habsburgischen  Besitzungen  im  Osten, 
stellen  sich  dieselben  Schwierigkeiten  entgegen  wie  der  Darstellung 
der  burgundischen  Territorien.  Selbst  wenn  der  Forscher  von  Ungarn, 
Württemberg  und  den  kleineren  Gebietsveränderungen  gegen  Venedig 
zu  absieht,  so  bliebe  immer  noch  die  gewaltige  Vergrößerung,  die  1526 
durch  die  Ei  Werbung  Böhmens,  Mährens  und  Schlesiens  erfolgte,  zu 
beachten.  Auch  hier  müßte,  streng  genommen,  der  Umfang  des  öster- 
reichischen Länderbesitzes  vor  jedem  Abschnitt  der  Erzählung  neu 
beschrieben  werden. 

Dabei  darf  man  freilich  auch  nicht  übersehen,  daß  zwar  alle  hier 
folgenden  Angaben  nur  mit  zeitlicher  Einschränkung  gültig  sind,  daß 
aber  anderseits  die  territorialen  Veränderungen,  die  innerhalb  der 
österreichischen  Besitzungen  während  der  hier  behandelten  Periode 
eintraten,  auf  die  internationale  Stellung  des  Hauses  einen  verhältnis- 
mäßig geringen  Einfluß  ausgeübt  haben,  einen  geringeren  jedenfalls 
als  die  Vereinigung  der  burgundisch-österreichischen  Erblande  mit 
dem  spanischen  Königreiche.  Auch  wurde  die  Struktur  des  öster- 
reichischen Staates  durch  die  neuen  Er\verbungen  nicht  so  stark  modi- 


§  55.    Land   und  Bevölkerung.  115 

tiziert,  daß  seine   Stellung  im  europäischen   Staatensystem  wesentlich 
anders  geworden  wäre. 

Die  österreichischen  Lande  standen  am  Schlüsse  der  Periode  an 
Größe  der  Bevölkerung  nicht  stark  hinter  Spanien  zurück.  Die  alten 
österreichischen  Besitzungen  hatten  mindestens  2  Millionen  Einwohner; 
dazu  kamen  Böhmen,  Mähren  und  Schlesien,  deren  Einwohnerschaft 
auf  3^/2  Millionen  geschätzt  werden  muß.  Es  bestand  also  nur  ein 
Unterschied  von  etwa  anderthalb  Millionen,  und  in  dem  größten  der 
europäischen  Staaten,  die  im  Vergleich  zu  Frankreich  als  »Mächte 
zweiter  Ordnung«  bezeichnet  werden  können,  nämlich  in  England, 
blieb  die  Volkszahl  (4  Millionen  Seelen)  sogar  noch  beträchtlich  hinter 
Österreich  zurück. 

Dabei  war  Österreich  für  die  Versorgung  seiner  Bevölkerung  viel 
besser  gestellt  als  Spanien.  Mit  Ausnahme  von  Oberösterreich  pro- 
duzierten sozusagen  alle  Provinzen  Getreide,  vielfach  auch  Wein,  im 
Überfluß,  und  wenn  auch  die  Zahl  der  schiffbaren  Flüsse  nicht  eben 
groß  war,  so  gehörten  doch  einige  zu  den  wichtigsten  Verkehrswegen, 
so  daß  ärmere  Gegenden  von  reicheren  mit  Korn  versorgt  werden 
konnten  (z.  B.  Linz  aus  Niederösterreich;  Alberi,  »Relazioni«  I,  377). 
Dazu  traten  Bodenschätze  in  großem  Umfange:  die  Salz-  und  Metall- 
bergwerke in  Tirol  und  später  die  reichen  Minen  in  Böhmen.  Die 
Bevölkerung  war  für  ihre  Ernährung  also  nicht  nur  vom  Auslande 
unabhängig,  sondern  es  war  auch  noch  Raum  zur  weiteren  Vermehrung 
da,  ohne  daß  zu  befürchten  war,  daß  es,  wie  sogar  in  Frankreich  (um 
von  Süddeutschland  gar  nicht  zu  reden)  geschah,  zu  einer  Übervöl- 
kerung kommen  könnte. 

Österreich  unterschied  sich  stark  von  den  Weststaaten  durch  den 
gleichsam  provisorischen  Charakter  seines  Gebietsumfanges.  Frank- 
reich, England  und  Spanien  hatten  einen  Zustand  der  Konsolidierung 
erreicht,  der  zwar  Modifikationen  in  den  Grenzdistrikten  keineswegs 
ausschloß,  die  erreichte  Ausdehnung  des  Staatsareals  aber  doch  in  der 
Hauptsache  zu  einer  unveränderlichen  Größe  machte.  Österreich  be- 
fand sich  im  Vergleich  zu  diesen  Mächten  noch  im  Werden.  W^enn 
schon  von  den  burgundischen  Erblanden  bemerkt  werden  kann,  daß 
ihr  »unfertiger«  Charakter,  d.  h.  die  Existenz  fremder  Gebiete,  die  die 
Verbindung  zwischen  den  einzelnen  Besitzungen  unterbrachen  (Geldern, 
Lüttich,  die  Bourgogne  us\v.)  zu  einer  aggressiven  Arrondierungspolitik 
anregen  konnte,  so  gilt  etwas  Ähnliches,  und  zwar  noch  in  viel  höherem 
Maße  von  den  österreichischen  Landen.  Nicht  nur  fehlte  es  an  einer 
Verbindung  mit  den  Vorlanden,  die  am  besten  durch  eine  Annexion 
Württembergs  zu  erreichen  war,  sondern  auch  die  österreichischen 
Lande  selbst,  die  trotz  des  Erzbistums  Salzburg  eine  zusammenhängende 
Masse  bildeten,  wurden  von  der  habsburgischen  Regierung  nur  als 
Kern  eines  viel  größeren  Reiches  betrachtet,  das  sich  nach  allen  Seiten 
ausdehnen  sollte.  Während  andere  Großstaaten  und  zumal  Spanien 
und    Frankreich    nach .  Erwerbungen    kolonialen    Charakters    in    geo- 

8* 


116  Die  habsburgische  Macht  (die  österreichischen  Lande). 

graphisch  fremden  Gebieten  strebten,  trachtete  die  österreichische  Re- 
gierung nach  Anghederungen  in  den  an  ihre  Provinzen  direkt  an- 
stoßenden Distrikten. 

Ein  solcher  Staat  nahm  daher  auch  an  dem  Kampfe  um  Itahen 
in  anderer  Weise  teil  als  die  Mächte,  die  ihre  territoriale  Entwicklung 
in  gewissem  Sinne  bereits  abgeschlossen  hatten.  Nur  weil  eine  Seite 
der  österreichischen  Ausdehnungspolitik,  nämlich  der  Kampf  mit 
Venedig,  Österreich  in  unmittelbare  Berührung  mit  dem  italienischen 
Konflikte  brachte,  wurde  das  Land  als  solches  von  Anfang  an  von  dem 
zentralen  Problem  der  Periode  affiziert. 

Literatur.  Die  wichtigste  Quelle  sind  auch  hier  die  venezianischen  Relationen 
bei  Alberi,  »Belazio?ii «  L  1  —  3,  und  in  den  »Fontes  Reruin  Ausiriacaruni«  IL  Für  die 
Stellung  Österreichs  in  der  internationalen  Politik  ist  dabei  bezeichnend,  daß  ein- 
gehendere Berichte  über  das  Land  erst  nach  der  Vereinigung  mit  Spanien  vorliegen, 

§  56.  Industrie  und  HaiideL  Die  Zustände  in  Handel  und  Industrie 
entsprachen  den  soeben  dargelegten  ^'erhältnissen.  Es  gab  keine  Ex- 
portindustrie in  Österreich;  aber  ähnlich  wie  in  Frankreich  genügte 
der  Ertrag,  der  sich  aus  der  Ausfuhr  von  Rohstoffen  ergab,  um  die 
Mittel  zur  Bezahlung  ausländischer  Qualitäts-  und  Luxuswaren  auf- 
zubringen. Eine  Ausnahme  bildete  beinahe  einzig  die  vermutlich  nach 
französischem  Vorgange  offiziell  geförderte  Waffenfabrikation.  Wenn 
auch  die  Produkte  vor  allem  der  Innsbrucker  Geschützgießereien  nicht 
ganz  an  das  französische  Vorbild  heranreichten,  so  hatten  sie  doch 
anderswo  kaum  ihre  Rivalen;  der  Verlauf  der  damaligen  militärischen 
Operationen  bestätigt  durchaus  die  Bemerkung  des  Antonio  de  Beatis 
aus  dem  Jahre  1517,  sogar  die  nürnbergische  Artillerie  komme  der 
von  Trient  und  Innsbruck  nicht  gleich  {»Voyage  du  cardinal  d' Aragon« 
[1913],  p.  46;  vgl.  ibid.  pp.  29  u.  32).  Auch  der  Quantität  nach  war 
die  österreichische  Munitionsindustrie  übrigens  der  deutschen  überlegen, 
wie  sich  u.  a.  aus  den  Vorbereitungen  zum  Schmalkaldischen  Feldzuge 
ergibt:  es  war  die  natürliche  Folge  der  unter  Maximilian  inaugurierten 
Wirtschaftspolitik,  wenn  Kaiser  Karl  V.  im  Jahre  15'46  seine  Armee 
vorzugsweise  aus  den  Ländern  des  österreichischen  Königs  (Innsbruck) 
mit  Artillerie  versorgte,  nl  quäle  (Ferdinand  I.)  si  dice  haverne  assai« 
(»Venezianische  Depeschen  vom  Kaiserhofe«  I  [1889],  S.  533),  Eben- 
sowenig war  es  von  schlimmen  ökonomischen  Folgen  begleitet,  daß 
die  österreichische  Kaufmannschaft  an  dem  einträglichen  Gewürz- 
handel nur  in  bescheidenem  Maße,  jedenfalls  in  viel  geringerem  Um- 
fange als  die  großen  süddeutschen  Städte  beteiligt  war,  obwohl  die 
wichtige  Handelsstraße  von  Venedig  durch  österreichisches  Gebiet 
führte.  Die  Österreicher  waren  wie  die  Franzosen  nicht  auf  dieses 
Erwerbsmittel  angewiesen.  Infolge  davon  blieb  es  auch  ohne  schäd- 
liche wirtschaftliche  Folgen,  daß  das  Adriatische  Meer  der  nichtvene- 
zianischen Schiffahrt  so  gut  wie  verschlossen  war  und  sich  in  den 
österreichischen  Landstrichen  nur  eine  Küstenschiffahrt  von  unter- 
geordneter Bedeutung  zu  entwickeln  vermochte  (vgl.  §  58). 


§  57.    Innerpolitische  Organisation.  117 

Vgl.  die  Bemerkung  zum  vorhergellenden  Paragraphen,  besonders  die  Relation 
von  (^avalli  aus  dem  Jahre  1543  bei  Alberi  1,  3,  102  f.  Mit  dem,  was  dort  über  die 
Einfuhr  nach  Österreich  gesagt  wird,  stimmen  durchaus  überein  die  Angaben  über 
Import-  und  Exportverhältnisse  zwischen  Venedig  und  österreichischen  Landschaften 
bei  H.  Simonsfeld,  »Der  Fondaco  dei  Tedeschi  in  Venedig«  II  (1887),  104 f.  Cha- 
rakteristisch für  den  Stand  der  österreichischen  Industrie  ist,  daß  nicht  einmal  die 
böhmische  Glasfabrikation  die  Konkurrenz  mit  den  feineren  venezianischen  Fabri- 
katen aushalten  konnte  (Cavalli  S.  104;  vgl.  auch  S.  102).  —  Der  Ausschußlandtag 
der  österreichischen  Stände,  der  1518  zu  Innsbruck  tagte,  spricht  in  seinen  Be- 
schwerden über  die  »Monopolien«  nur  von  den  »großen  Gesellschaften«,  die  außer- 
halb des  Landes  ihren  Sitz  haben  (»Archiv  für  Kunde  österr.  Geschichtsquellen« 
XIII  [1854],  239);  dort  übrigens  S.  244  auch  Wünsche  der  Stände  nach  Einführung 
einer  Textil-  und  Seidenindustrie  in  Österreich.  —  Theophil  Mayer,  »Der  auswärtige 
Handel  des  Herzogtums  Österreich  im  Mittelalter«,  1909  ( »Forschungen«,  ed.  Dopsch, 
6.  Heft). 

§  57.  Die  inneipolitische  Organisation.  Die  finanzielle  Leistungs- 
fähigkeit der  österreichisehen  Lande  war  deshalb,  besonders  nachdem 
sie  um  Böhmen,  Mähren  und  Schlesien  vergrößert  worden  waren,  nicht 
unbeträchtlich.  Reichten  die  Mittel,  die  sie  der  Regierung  zur  Ver- 
fügung zu  stellen  vermochten,  auch  nicht  zu  einer  Großmachtpolitik 
im  französischen  Stile  aus,  so  hätte  sich  aus  ihnen,  zumal  in  Verbin- 
dung mit  den  Einkünften  der  Niederlande  und  später  auch  noch  Spa- 
niens und  der  italienischen  Besitzungen  doch  ein  recht  bedeutender 
Kriegsfonds  bilden  lassen.  Aber  die  Regierung  stieß,  wenn  sie  das 
Kapital  ihrer  Untertanen  ausnutzen  wollte,  auf  größere  Hindernisse 
als  der  König  von  Frankreich.  Für  außerordentliche  Abgaben,  ohne 
die  Kriege  nicht  eigentlich  zu  finanzieren  waren,  war  sie  auch  in  den 
österreichischen  Landschaften  überall  an  die  Zustimmung  der  Stände 
gebunden,  und  die  Bewilligung  neuer  Steuern  dürfte  hier  nicht  leichter, 
sondern  schwerer  zu  erlangen  gewesen  sein  als  in  den  Niederlanden. 
Dazu  waren  diese  Stände  besser  organisiert  als  die  niederländischen; 
auch  der  Umstand,  daß  es  gelegentlich  (1518,  1525)  sogar  zu  Ausschuß- 
landtagen der  gesamten  österreichischen  Erblande  (mit  den  Vorlanden) 
kam,  brachte  zwar  für  die  Regierung  manche  Bequemlichkeit  mit  sich, 
verstärkte  anderseits  aber  auch  die  Stellung  der  Stände,  wie  sich  schon 
aus  der  Haltung  ergibt,  die  die  Regierung  gegenüber  analogen  Be- 
strebungen in  den  niederländischen  Provinzen  einnahm  (§  52).  Aus 
den  böhmischen  Kronländern,  in  denen  König  Ferdinand  I.  gern  einen 
gemeinsamen  Ausschußlandtag  geschaffen  hätte,  war  dabei  noch  weniger 
zu  erhalten  als  aus  den  altösterreichischen  Erblanden. 

Sosehr  dieser  Zustand  den  militärischen  Unternehmungen  der 
österreichischen  Regierung  aber  auch  hinderlich  war,  und  sosehr  er 
auch  dazu  verleitete,  künftige  Einnahmen  vorwegzunehmen  (durch 
Verpfändung  der  Bergwerkserträge  z.  B.),  so  konnte  die  Dynastie 
auf  der  andern  Seite  als  Aktivum  in  ihr  Konto  einsetzen,  daß  ihre 
auswärtige  Politik  in  ganz  anderer  Weise  mit  den  Interessen  der 
Stände  oder,  wenn  man  lieber  will,  der  österreichischen  Landschaf- 
ten   und    nicht    bloß    des    Gesamthauses   im   Einklang  stand,   als  dies 


118  Die  habsburgische  Macht   (die  österreichischen  Lande). 

in  den  Niederlanden  der  Fall  war.  Von  den  vier  Zielpunkten,  die  man 
als  den  Kern  der  habsburgischen  Politik  bezeichnen  darf,  der  Er- 
oberung der  Bourgogne,  dem  Vorstoß  gegen  die  venezianische  Be- 
herrschung der  adriatischen  Küstenstriche,  der  Ausdehnung  der  habs- 
burgischen Hegemonie  über  Süddeutschland  und  der  Abwehr  des 
osmanischen  Angriffes,  konnten  wenigstens  die  drei  zuletzt  genannten 
auch  vom  Standpunkt  einer  rein  österreichischen  Politik  gerechtfertigt 
werden,  und  der  letzte  betraf  sogar  eine  direkt  fühlbare  und  unmittelbar 
verständliche  Landesgefahr.  Wenn  die  Regierung  von  den  Ständen 
deshalb  finanzielle  Mittel  zur  Bekämpfung  der  türkischen  Macht  ver- 
langte, so  durfte  sie  in  ganz  anderem  Maße  auf  Entgegenkommen 
rechnen  als  bei  ihren  Steuerforderungen  an  die  niederländischen  Stände, 
besonders  soweit  es  sich  um  die  unmittelbarer  bedrohten  österreichischen 
Erblande  handelte.  Wenn  der  venezianische  Gesandte  Cavalli  im  Jahre 
1543  bemerkte,  man  könne  die  Macht  König  Ferdinands  über  die  öster- 
reichischen Erblande  nach  Belieben  als  sehr  groß  oder  als  sehr  klein 
taxieren,  denn  ohne  die  Türkengefahr  erhalte  er  nichts  über  das 
Normale  hinaus  (Alberi  I,  3,  96),  so  kann  man  den  Satz  auch  um- 
kehren und  sagen,  daß  dank  der  Türkengefahr  die  österreichische 
Regierung  auf  unverhältnismäßig  hohe  Subsidien  ihrer  österreichischen 
Stände  zählen  konnte.  Daher  mußte  dieses  Argument  auch  seinen 
Dienst  bereits  zu  einer  Zeit  tun,  als  von  einer  direkten  Gefährdung  der 
österreichischen  Besitzungen  durch  die  Osmanen  noch  nicht  wohl 
gesprochen  werden  konnte:  schon  1518  verlangte  die  Regierung  von 
dem  Ausschußlandtag  Geldmittel,  um  (u.  a.)  die  in  Nordafrika  an  den 
Piraten  Barbarossa  verloren  gegangenen  Gebiete  wieder  zu  erobern 
(»Archiv   für   Kunde   österr.    Geschichtsquellen«   XIII    [1854],   207  ff.). 

Diese  »unverhältnismäßig  hohen  Subsidien«  blieben  dabei  übrigens 
offenbar  immer  noch  weit  hinter  dem  zurück,  was  die  Stände  hätten 
leisten  können,  wenn  die  Regierung  über  das  Vermögen  der  Untertanen 
uneingeschränkt  verfügt  hätte.  Zunächst  pflegte  die  Bewilligung  von 
Steuern  an  lästige  Bedingungen  geknüpft  zu  werden,  und  dann  ent- 
sprach die  bewilligte  Summe  nicht  den  Forderungen  der  Regierung. 
Wenn  Ferdinand  I.  in  einem  kurz  nach  der  Katastrophe  von  Mo- 
hacs  geschriebenen  Briefe  an  seinen  Bruder  nur  in  resigniertem  Tone 
von  der  Unterstützung  sprach,  die  er  von  dem  Landtage  zu  Linz  er- 
wartete (»Korrespondenz  Ferdinands  I.«  ed.  Bauer  I  [1912],  465),  so 
war  er  wohl  vollkommen  im  Rechte,  auch  abgesehen  davon,  daß  er  kurz 
vorher  von  den  Ständen  unter  der  Enns  unbefriedigenden  Bescheid 
erhalten  hatte  (»Archiv«  1.  c.  S.  340  f.).  Jedenfalls  enthoben  die  Lei- 
stungen der  österreichischen  Stände  die  Regierung  nie  der  Notwendig- 
keit, sich  auch  bei  den  deutschen  Ständen  um  Beihilfe  gegen  die  tür- 
kische Gefahr  zu  bemühen. 

Dazu  kam  schließlich,  daß  die  Regierung  in  Österreich  lange  nicht 
so  fest  konstituiert  war  wie  in  den  Niederlanden.  Wohl  begann  König 
Maximilian  auch  in  den  österreichischen  Erblanden  mit  der  Errichtung 


§^58.    Armee  und  Marine.  II') 

ständiger  Beamlenkollegien,  mit  der  Schaffung  von  Grundlagen  zu 
einem  Beamtenstaat.  Aber  der  grundbesitzende  Adel,  der  noch  durch- 
aus im  Lande  dominierte  und  noch  den  größten  Teil  der  geistlichen 
Stellen  für  sich  reservieren  konnte  und  neben  dem,  den  Verhältnissen 
in  Handel  und  Industrie  entsprechend,  kein  starker  Mittelstand  exi- 
stierte, war  noch  viel  zu  mächtig,  als  daß  er  sich  wie  in  Frankreich  oder 
auch  nur  in  den  Niederlanden  in  den  leitenden  Stellen  durch  Regierungs- 
beamte hätte  ganz  verdrängen  lassen.  In  die  neugebildeten  »Regimente« 
mußten  Vertreter  der  Stände  aufgenommen  werden,  und  die  Regierung 
mußte  zustimmende  Voten  des  Adels,  die  dann  auch  die  anderen 
Stände  zur  Bewilligung  neuer  Steuern  nötigten,  durch  Konzessionen 
in  der  Form  von  Versorgung  in  Hofämtern  oder  geistlichen  Würden 
erkaufen  (was  dadurch  erleichtert  wurde,  daß  die  Regierung  die  letzte 
Entscheidung  über  die  Besetzung  der  kirchlichen  Stellen  in  ihrer  Hand 
hatte). 

Literatur.  Für  die  Geschichte  der  österreichischen  Landtage  sind  die  wicli- 
tigste  Quelle  die  von  H.  J.  Zeibig  im  13.  Bande  des  »Archivs  für  Kunde  österreichi- 
scher Geschichtsquellen«  publizierten  Akten;  dazu  »Monumcnta  Hungarica  Historica« 
XXXL  Wertvolle  Ergänzungen  dazu  hauptsächlich  in  den  venezianischen  Rela- 
tionen; daß  finanzielle  Forderungen  der  Regierung  in  den  böhmischen  Kronländern 
auf  größere  Schwierigkeiten  stießen  als  in  den  österreichischen  Erblanden,  betont 
Tiepolo  1532  ausdrücklich  (Alberi  I,  93).  —  Über  die  Bedenken,  die  die  Regierung 
gegen  die  Abhaltung  von  Generallandtagen  hegte,  vgl.  z.  B.  »Korrespondenz  Ferdi- 
nands I.«  1,  334  (zum  Jahre  1525).  —  F.  Hirn,  »Zur  Geschichte  der  Tiroler  Land- 
tage von  1518  —  1525«,  1905  (Erläuterungen  und  Ergänzungen  zu  Janssen  IV,  5); 
Fr.  Tezner,  »Die  landesfürstliche  Verwaltungspflege  in  Österreich  vom  Ausgange  des 
15.  bis  zum  Ausgange  des  18.  Jahrhunderts«  1898;  Loserth,  »Ständische  Bezieh- 
ungen zwischen  Böhmen  und  Innerösterreich  im  Zeitalter  Ferdinands  I.«  in  den 
»Mitteilungen  des  Vereins  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen«  50  (1912), 
1  ff.  Weitere  Literatur  s.  in  dem  bibliographischen  Verzeichnis  am  Schlüsse  von 
H.  Spangenbergs   »Vom  Lehenstaat  zum  Ständestaat«   (1912). 

Über  die  Kontroverse,  ob  der  burgundischen  oder  der  österreichischen  Be- 
amtenorganisation die  Priorität  zukomme,  vgl.  den  Aufsatz  von  F.  Rachfahl  in 
der  »Historischen  Zeitschrift«  HO  (1913),  1  ff.  und  die  dort  besprochene  Literatur 
sowie  die  Replik  Andreas  Walthers,  »Die  Ursprünge  der  deutschen  Behörden- 
organisation im  Zeitalter  Maximilians  I.«  (1913).  —  A.  Bachmann,  »Die  Behörden- 
organisation Kaiser  Maximilians  1.«  in  den  »Neuen  Jahrbüchern  für  das  klassische 
Altertum«  V  (1900),  362 ff. ;  Alfons  Huber,  »Studien  über  die  finanziellen  Verhält- 
nisse Österreichs  unter  Ferdinand  I.«  in  den  »Mitteilungen  des  Instituts  für  österr. 
Geschichtsforschung«,  Ergänzungsband  IV;  Loserth,  »Das  Kirchengut  in  Steier- 
mark im  16.  und  17.  Jahrhundert«    1912. 

§  58.  Armee  und  Marine.  Es  ist  in  dem  vorhergehenden  Para- 
graphen bereits  auf  manche  Ähnlichkeiten  hingewiesen  worden,  die 
zwischen  der  sozialwirtschaftlichen  Verfassung  Frankreichs  und  der 
Österreichs  bestanden.  Auch  die  militärischen  Verhältnisse  weisen, 
vielleicht  weil  sie  auf  verwandte  Ursachen  zurückgehen,  mehrfache 
Analogien  auf. 

Auch  in  den  österreichischen  Landschaften  fehlte  die  natürliche 
Voraussetzung  für  die  Bildung  einer  tüchtigen  einheimischen  Infanterie 
(in  beiden  Fällen  mit  Ausnahme  einiger  Gebirgsgegenden).    Das  frucht- 


120  Die  habsburgische  Macht  (die  österreichischen  Lande). 

bare  Land  bot  der  Bevölkerung  genügendes  Auskommen  und  der 
Zwang  zum  Militärdienst  fehlte.  Wenn  die  Regierung,  um  den  schwei- 
zerischen Söldnern  etwas  Gleichwertiges  entgegenzusetzen,  die  Insti- 
tution der  Landsknechte  schuf,  so  konnte  sie  das  Material  dazu  nur 
zum  geringsten  Teile  ihren  österreichischen  Erblanden  entnehmen 
(die  Vorlande  bleiben  hier  wie  üblich  außer  Betracht).  Sie  war  nur 
insofern  besser  gestellt,  als  der  französische  Rivale,  als  sie,  die  zugleich 
die  Kaiserwürde  innehatte,  bei  ihrem  Appell  an  die  oberdeutsche  Söldner- 
mannschaft nicht  eigentlich  Fremde  in  ihren  Dienst  nehmen  mußte; 
aber  was  die  Leistungen  ihrer  Erblande  und  auch  der  böhmischen  Kron- 
länder betraf,  so  war  diesen  an  brauchbaren  Infanteristen  kaum  mehr 
zu  entnehmen  als  dem  Lande  des  französischen  Königs.  Die  Quellen 
pflegen  zwar  vielfach  als  (die  häufigste)  Heimat  der  Landsknechte 
nur  die  »oberen  deutschen  Lande«  anzugeben,  und  unter  dieser  un- 
deutlichen Bezeichnung  könnten  auch  die  österreichischen  Erblande 
verstanden  sein.  Aber  von  denselben  Truppen  heißt  es  andere  Male, 
daß  sie  aus  Schwaben  oder  aus  Schwaben  und  dem  Hegau  stammten, 
und  nachweisbar  waren  sie  zum  großen  Teile  auch  schwäbischer,  elsäs- 
sischer  und  bayerischer  Herkunft  (vgl.  M.  Neil,  »Die  Landsknechte«, 
1914,  S.  199  u.  256 — 259).  Hält  man  damit  noch  zusammen,  daß  nach 
einer  ausdrücklichen  venezianischen  Bemerkung  die  Bevölkerung  Xieder- 
österreichs  als  ungeeignet  zum  Infanteriedienst  galt  und  deshalb  von 
der  Regierung  in  dieser  Eigenschaft  auch  nicht  verwendet  wurde 
(Alberi  I,  382),  und  daß  die  böhmische  Infanterie  allerdings  gebraucht 
wurde,  aber  weil  der  »ordinanza«  ermangelnd,  mit  geringem  Erfolg 
(ibid.  S.  390),  so  läßt  sich  kein  anderer  Schluß  ziehen,  als  eben  ge- 
schehen ist;  es  ist  dies  auch  der  Schluß,  der  mit  den  geographischen 
Verhältnissen  am  besten  harmoniert  (nur  das  Tirol  scheint  Krieger  in 
größerer  Anzahl  geliefert  zu  haben).  Damit  stimmt  dann  auch,  daß 
König  Ferdinand  nach  einer  weiteren  venezianischen  Bemerkung  von 
dem  böhmischen  Landtage  lieber  Geld  als  Mannschaft  bewilligt  erhalten 
wollte,  weil  die  böhmischen  Kriegsleute  sowieso  nicht  viel  taugten 
(Alberi  I,  3,  100). 

Was  die  Kavallerie  anbetraf,  so  war  weder  der  österreichische  Adel 
der  Krone  so  ergeben,  daß  sich  aus  ihm  ein  so  loyales  Reisigenkorps 
wie  in  Frankreich  hätte  bilden  lassen,  noch  kam  die  österreichische 
schwere  Reiterei  ihrer  Ausbildung  nach  der  französischen  gleich.  An 
einheimischer  leichter  Reiterei  fehlte  es  beinahe  vollständig;  von  dem 
Geld,  das  einmal  der  tirolische  Landtag  für  Infanterie  zu  einem  Kriegs- 
zug gegen  Ungarn  bewilligte,  gedachte  die  Regierung  die  Hälfte  zur 
Anwerbung  italienischer  leichter  Reiter  zu  verwenden  (Alberi  I, 
1,  93),  und  im  Jahre  1549  suchte  die  Regierung  den  niederösterreichi- 
schen Ständen  den  Vorteil  eines  Krieges  gegen  Ungarn  hauptsächlich 
damit  plausibel  zu  machen,  daß  sie  ausführte,  den  Türken  würden, 
falls  die  Operationen  günstig  abliefen,  größere  Bestände  leichter  Rei- 
terei    »abgestrickt«    werden    (»Archiv    für   österr.     Geschichtsquellen« 


§  58.    Armee  und  Marine.  121 

XI 11,  359).    Es  ist  denn  auch  nirgends  die   Rede  davon,   daß  öster- 
reichische Kavallerie  in  eine  Schlacht  entscheidend  eingegriffen  hätte. 

Im  Artilleriewesen  schloß  sich  die  österreichische  Regierung,  und 
zwar  unter  den  Nachfolgern  Maximilians  I.  nicht  weniger  als  unter 
diesen  selbst  durchaus  dem  französischen  Vorbilde  an.  Sie  hatte  dabei 
ähnliche  Hindernisse  zu  überwinden  wie  jene;  schließlich  kamen  aber 
ihre  Fabrikate  den  französischen  beinahe  gleich.  Wenn  von  dem  Be- 
festigungswesen dies  nicht  in  derselben  Weise  gilt,  d.  h.  wenn  die  Be- 
festigungen österreichischer  Städte  häufig  mangelhaft  unterhalten 
wurden,  so  lag  dies  in  der  Hauptsache  nur  daran,  daß  in  den  ersten 
Jahrzehnten  der  hier  behandelten  Periode,  also  vor  der  Eroberung 
Ungarns  durch  die  Türken,  die  Gefahr  feindlicher  Invasionsversuche 
nicht  eigentlich  aktuell  war;  auch  die  französische  Regierung  wendete 
ja  der  Befestigung  der  im  Innern  des  Landes  gelegenen  Städte  keine 
Aufmerksamkeit  zu  (vgl.  auch  §  11).  Allerdings  scheint  es,  als  wenn 
die  österreichische  Verwaltung  auch  später,  d.  h.  nachdem  der  Vor- 
stoß der  Osmanen  die  Notwendigkeit  einer  stärkeren  Befestigung 
wenigstens  der  Grenzorte  erwiesen  hatte,  dieser  Pflicht  nur  ungenügend 
nachgekommen  wäre.  Sie  verlangte  zwar  gleich  nach  Mohacs  (1526; 
§  123)  von  den  Ständen  Geldbewilligungen  zu  Fortifikationsarbeiten 
gegen  die  Türken  (»Archiv  für  österr.  Geschichtsquellen«  XIII,  335); 
aber  die  Ausführung  dieser  Pläne  scheint  nachlässig  besorgt  worden 
zu  sein.  Der  Historiker  hat  wenigstens  keinen  Grund,  an  den  wieder- 
holten Versicherungen  der  venezianischen  Gesandten  zu  zweifeln,  daß 
nicht  einmal  Wien  so  stark  befestigt  war,  wie  es  nötig  gewesen  und 
wie  leicht  zu  erreichen  gewesen  wäre,  von  anderen  Städten  wie  Graz 
ganz  zu  schweigen.  Einer  der  Gesandten  der  Markusrepublik  bemerkte 
bei  diesem  Anlaß  geradezu:  'i>per  l'ordinario  li  ministri  di  S.  M.  usano 
molta  negligenza  in  simili  cose«  (Alberi  I,  1,  376;  andere  Stellen  ibid. 
S.  383  f.,  393;  Cavalli  betont  I,  3,  120  die  schlechte  Verwaltung  des 
Arsenals  zu  Wien).  Welcher  Unterschied  zu  der  Förderung  der  Ge- 
schützgießerei, für  deren  Lafettierung  sogar  (bestimmtes)  Holz  an- 
gepflanzt werden  mußte  (»Archiv«  1.  c.  XIII,  305)!  In  jenem  Rüstungs- 
zweige hatte  man  der  Regierung  höchstens  vorwerfen  können,  daß  sie 
sich  allzusehr  auf  das  Anfertigen  der  Geschütze  spezialisierte;  es  ist 
jedenfalls  bemerkenswert,  daß  Kaiser  Karl  V.  zum  Zuge  gegen  die 
Schmalkaldner  zwar  seine  Artillerie  aus  Wien  kommen  ließ,  für  die 
Lieferung  von  Pulver  und  Munition  dagegen,  wie  es  scheint,  auf  Lie- 
ferungen aus  Nürnberg  angewiesen  war  (vgl.  Alberi  I,  1,  419  u.  426). 
Rüstungen  (Harnische,  Blechhandschuhe  usw.)  besorgte  sich  die  Re- 
gierung etwa  in  Oberitalien  (Brescia;  vgl.  M.  v.  Wolff,  »Die  Beziehungen 
K.  Maximilians  I.  zu  Italien«  1909,  S.  90);  doch  war  die  dortige  In- 
dustrie überhaupt  den  meisten  Ländern  unentbehrlich  (vgl.  die  §§  41 
und  90). 

Zu  erwähnen  wäre  schließlich  noch,  daß  mindestens  seit  der  Er- 
werbung Böhmens  die   Habsburger  die  böhmischen   Pioniere  zu  ihren 


122  Die  habsburgische  Macht. 

Untertanen  zählten,  die  als  die  besten  der  Welt  galten  (Avila  in  »Histo- 
riadores  de  Sucesos  particulares«  I  [1852],  419);  schon  vorher  hätte 
übrigens  das  Tirol,  das  ebenfalls  zahlreiche  Bergwerke  besaß,  vielleicht 
eine  ähnlich  vorgebildete  Mannschaft  stellen  können  (vgl.  Contarini  bei 
Alberi  I,  1,  386  f.),  doch  liegen  darüber  keine  bestimmten  Zeugnisse  vor. 

Am  schwächsten  stand  Österreich  auf  dem  Gebiet  des  Seekriegs- 
wesens da.  Es  besaß  keine  Marine,  die  auch  nur  zu  Truppentrans- 
porten hätte  verwendet  werden  können.  Obwohl  Triest  (und  Fiume) 
mit  Ausnahme  einer  ganz  kurzen  Unterbrechung  während  der  ganzen 
Periode  im  österreichischen  Besitze  waren,  fehlte  es  so  vollständig  an 
größeren  Schiffen,  daß  die  Regierung  sogar  für  Truppensendungen 
vom  Triestiner  Hafen  aus  auf  spanische  Schiffe  angewiesen  war  (vgl. 
z.  B.  Ulmann,  »Kaiser  Maximilian«  II,  290).  Und  auch  während  der 
Zeit,  da  der  damals  viel  wichtigere  Hafenplatz  Marano  sich  in  öster- 
reichischen Händen  befand  (1513 — 1542),  stand  es  damit  nicht  anders. 
Es  wurde  im  nördlichen  Busen  des  Adriatischen  Meeres  wohl  von  öster- 
reichischen Untertanen  eine  ziemlich  lebhafte  Küstenschiffahrt  be- 
trieben; aber  zu  einer  großen  Handelsschiffahrt  und  zum  Unterhalt 
von  Galeeren  mangelte  es,  selbst  während  die  direkt  mit  der  Levante 
verkehrende  Stadt  Marano  österreichisch  war,  an  allen  Voraussetzungen. 

Der  Grund  davon  ist  leicht  zu  erkennen.  Erst  unter  Maximilian  I. 
wurde  Österreich  durch  die  Erwerbung  der  Grafschaft  Görz  ein  eigent- 
licher Küstenstaat,  und  selbst  dann  hatte  es  noch  die  größte  Mühe, 
auch  nur  seine  Küstenbesitzungen  an  der  Adria  zu  Lande  gegen  Ve- 
nedig zu  behaupten,  geschweige  denn  daß  es  bereits  die  Kraft  gehabt 
hätte,  auch  zur  See  sich  gegen  das  Schiffahrtsmonopol  zur  Wehr  zu 
setzen,  das  die  Markusrepublik  zwischen  Ravenna  und  Fiume  für  sich 
in  Anspruch  nahm.  Denn  zu  einem  solchen  Unternehmen  hätte  es 
gerade  der  IMarinestrcitkräfte  bedurft,  die  Österreich  unter  dem  Druck 
des  venezianischen  Ausschließungssystems  bei  sich  nicht  schaffen 
konnte.  Kaiser  Maximilian  hat  denn  auch  in  der  Zeit,  da  er  den  Staat, 
den  er  unter  allen  wohl  am  stärksten  haßte,  vernichten  wollte,  wohl 
einmal  einen  Angriff  auf  die  Stadt  Venedig  selbst  ins  Auge  gefaßt  (1509); 
aber  sogar  diesem  utopischen  Plane  konnte  er  nur  eine  kombinierte 
Aktion  der  französischen  und  spanischen  Flotte  zugrundelegen,  an 
die  Mitwirkung  österreichischer  Schiffe  war  nicht  zu  denken  (vgl. 
Ulmann,  »Maximilian  I.«  II,  384).  Und  nicht  anders  stand  es,  als 
König  Ferdinand  1542  Marano  wieder  von  den  Venezianern  zurück- 
erobern wollte  (Cavalli  bei  Alberi  I,  3,  119). 

Die  österreichische  Regierung  hat  sich  denn  auch  der  Einsicht 
nicht  verschlossen,  daß  in  dem  Punkte  der  Schiffahrt  gegen  Venedig 
nicht  aufzukommen  war.  So  zähe  sie  auch  gegen  venezianische  Aspi- 
rationen an  ihrem  Landbesitz  an  der  Adria  festhielt,  so  wenig  ver- 
suchte sie  ernstlich  das  venezianische  Schiffahrtsmonopol  zu  brechen; 
nicht  einmal  die  Wiedereroberung  Maranos  wurde  mit  nachhaltigem 
Eifer  angestrebt.    Als  sich  ISotabeln  aus  der  friaulischen  Gegend  da- 


§  59.    Deutschland.  123 

mals  bei  König  Ferdinand  über  das  venezianische  Schiffahrtsverbot 
beklagten,  ließ  es  der  Monarch  bei  diplomatischen  Vorstellungen  ohne 
weitere  Folgen  bewenden  (Alberi  I,  1,  464  ff.);  ja,  er  scheute  sich  nicht 
einmal,  den  Venezianern  als  Kompensationsobjekt  die  Abtretung  von 
Triest  und  auch  Marano  (solange  dies  noch  österreichisch  war)  anzu- 
bieten {»Correspondance  politiqiie  de  G.  Pellicier<(  ed.  Tausserat-Radel 
1899,  S.  84,  436,  499,  n.  1). 

Über  die  Angelegenheit  der  Stadt  Marano  in  Friaul  und  die  Bedeutung  des 
Ortes  das  beste  Material  in  der  zitierten  Korrespondenz  von  Pellicier;  vgl.  speziell 
S.  499.  —  Bezeichnend  für  die  am  Schlüsse  geäußerte  Ansicht  ist  auch,  welch  ge- 
ringes Gewicht  König  Ferdinand  im  Jahre  1525  auf  Beschwerden  über  Belästigungen 
österreichischer  Schiffer  durch  die  Venezianer  legt  (»Korrespondenz«,  ed.  Bauer  I, 
288);  die  dort  angeführten  Wormser  Abmachungen  (Sanuto  XXX,  453  ff.)  enthalten 
übrigens  keine  Zusagen  zugunsten  eventueller  Schiffahrtsrechte  österreichischer 
Untertanen.  —  Daß  in  Triest  »barques  armees«  aufzutreiben  waren  (Pellicier  S.  502; 
vgl.  auch  S.  524),  beweist  nichts  für  die  Existenz  einer  Kriegsflotte  in  Triest,  be- 
sonders dem  deutlichen  Zeugnis  Cavallis  gegenüber.  Vgl.  auch  W.  Bauer,  »Die  An- 
fänge Ferdinands  1.«  (1907),  S.  126,  n.  1. 

Natürlich  besaß  Österreich  deshalb  auch  keine  Werften  für  Kriegsschiffe. 
Als  sich  Maximilian  1.  1497  mit  dem  Plan  einer  Offensivaktion  gegen  Frankreich 
zur  See  trug,  war  projektiert,  die  Flotte  in  Genua  bauen  zu  lassen  (Sanuto,  »Diarien« 
I,  489). 

Noch  1548  hebt  (lontarini  hervor,  daß  König  Ferdinand  sich  besonders  mit 
dem  Studium  der  Artillerie  abgebe  (Alberi,   »Relazioni«  I,   1,  456). 

3.  Deutschland. 

§  59.  Das  Land  und  seine  Bewohner.  Das  römische  Reich  deut- 
scher Nation  gehörte  staatsrechtlich  nicht  zum  Herrschaftsgebiet  der 
Habsburger.  Seit  einigen  Generationen  pflegten  zwar  die  Kaiser  aus 
dem  Hause  Österreich  genommen  zu  werden;  aber  einen  Anspruch 
auf  die  Kaiserwürde  besaß  die  habsburgische  Dynastie  nicht,  und 
gerade  während  des  hier  behandelten  Zeitraumes  ist  es  um  die  Be- 
setzung dieses  Amtes  einmal  zu  einem  Wahlkampfe  gekommen.  Aber 
in  einer  Darstellung  wie  der  hier  vorliegenden  muß  Deutschland  trotz- 
dem als  Teil  des  habsburgischen  Reiches  behandelt  werden.  Denn  das 
Reich  war  dem  Auslande  gegenüber  (mochten  im  Innern  die  partiku- 
lären Gewalten  noch  so  große  Machtbefugnisse  an  sich  gerissen  haben) 
nur  durch  den  Kaiser  vertreten  (§  62),  und  diese  kaiserliche  Gewalt 
ruhte  damals  mit  Ausnahme  des  kurzen  Interregnums  im  Jahre  1519 
ununterbrochen  in  den  Händen  des  Oberhauptes  der  habsburgischen 
Dynastie.  Unter  normalen  Verhältnissen  also,  d.  h.  solange  sich  die 
deutschen  Stände  nicht  zu  einem  revolutionären  Vorstoß  gegen  ihren 
Oberherrn  zusammenschlössen,  war  Deutschland  nur  als  Teil  der  habs- 
burgischen Ländervereinigung  dem  europäischen  Staatensysteme  ein- 
geordnet. 

Von  allen  christlichen  Staaten  der  damaligen  Zeit  war  Deutschland 
nicht  nur  der  größte  und  volkreichste,  sondern  an  seinen  latenten 
Machtmitteln   gemessen   auch    der   stärkste.    Ähnlich   günstige   natür- 


124  Die  habsburgische  Macht  (Deutschland). 

liehe  Vorbedingungen  zur  Herstellung  einer  politischen  Hegemonie 
über  Europa  lagen  höchstens  noch  bei  der  Türkei  vor;  aber  selbst  das 
osmanische  Reich  enthielt  bei  weitem  nicht  die  natürlichen  Hilfskräfte, 
über  die  Deutschland  verfügte. 

Deutschland  zählte  damals  etwas  über  20  Millionen  Seelen.  Es 
übertraf  damit  Frankreich,  den  volkreichsten  christlichen  Staat  der 
Zeit,  um  ungefähr  ein  Viertel.  Dazu  war  die  Bevölkerung  in  einer  für 
die  Macht  und  den  Wohlstand  des  Landes  vorteilhaften  Weise  verteilt. 
Der  gesamte  Norden  war  mit  Ausnahme  der  westlichen,  gegen  den  Rhein 
zu  gelegenen  Gebiete  noch  so  dünn  besiedelt,  daß  von  dort  eine  be- 
trächtliche Ausfuhr  von  Rohprodukten  möglich  war.  Im  Süden  und  auch 
im  Nordwesten  war  zwar  die  Bevölkerung  vielfach  schon  zu  dicht,  um 
aus  den  Produkten  des  Bodens  leben  zu  können,  aber  doch  noch  nicht 
so  stark,  als  daß  nicht  ihr  Überschuß  in  der  Industrie  und  besonders 
im  Kriegshandwerk  hätte  ein  einträgliches  Einkommen  finden  können, 
und  auf  Einfuhr  aus  dem  Ausland  waren  auch  diese  Gebiete,  deren 
Bevölkerungsdichte  den  Durchschnitt  für  Deutschland  (30  Seelen  auf 
den  Quadratkilometer)  überstieg,  noch  nicht  angewiesen.  Deutschland 
teilte  also  den  Vorzug  der  handelspolitischen  Unabhängigkeit  vom  Aus- 
lande mit  Frankreich,  hatte  aber  vor  diesem  voraus,  daß  es  daneben 
noch  über  genügend  Einwohner,  die  nicht  durch  die  Urproduktion  in 
Anspruch  genommen  waren,  verfügte,  um  Kriegswesen,  Handel  und 
teilweise  auch  die  Industrie  durch  einheimische  Kräfte  besorgen  zu 
lassen.  Dazu  kamen  die  Metallgruben,  denen  Frankreich  nichts  Ähn- 
liches an  die  Seite  zu  stellen  hatte,  und  schließlich  die  guten  Fluß- 
verbindungen. Das  Flußsystem  Deutschlands  war  allerdings  weniger 
günstig  als  das  französische.  Hauptsächlich  dank  ihm  war  Ober- 
deutschland von  den  niederdeutschen  Gebieten  mit  Ausnahme  der 
Rheinprovinzen  handelspolitisch  beinahe  vollständig  getrennt,  was  dann 
den  politischen  Zusammenhang  zwischen  Süden  und  Norden  überhaupt 
lockerte.  Aber  man  braucht  nur  einen  Blick  auf  Spanien  zu  werfen, 
um  zu  sehen,  was  die  vielen  guten  Zufahrtsstraßen  zum  Meere  auch 
so  noch  für  Deutschland  bedeuteten. 

Literatur.  Die  zeitgenössischen  Beobachter  sind  darin  einig,  Deutschland 
als  stark  bevölkertes  und  fruchtbares  Land  zu  bezeichnen.  Vgl.  z.  B.  X.  Tiepolo 
bei  Alberi  I,  1,  110  (1532)  und  Mocenigo  in  den  '>Fontes  Rer.  Austr.«  II,  30,  72  (1548). 
Die  Unabhängigkeit  Deutschlands  von  Getreideeinfuhr  aus  dem  Ausland  betont 
ausdrücklich  z.  B.  Contarini  (Alberi  I,  402;  1548).  Aus  den  Dokumenten  ergibt  sich 
dasselbe  Resultat:  mehrfach  wird  interner  Ausgleich  nötig,  aber  kein  Import  von 
außen.  Contarini  meint,  daß  wenn  die  Deutschen  mäßigere  Trinker  wären  (jeder 
trinke  wenigstens  soviel  wie  vier  Italiener),  so  würde  auch  Süddeutschland  Über- 
schuß an  Getreide  haben  (S.  403  und  408).  Am  dichtesten  scheint  in  Oberdeutsch- 
land Württemberg  besiedelt  gewesen  zu  sein  (vgl.  z.  B.  Contarini,  ibid.,  S.  445). 
Dies  nimmt  auch  Moritz  Ritter  an  (»Deutsche  Geschichte«  I  [1889],  5),  der  wohl 
die  beste  Schilderung  Deutschlands  gibt.  Von  weiteren  Relationen  sind  hauptsäch- 
lich noch  die  von  Badoer  bei  Alberi  I,  3,  175 ff.,  zu  erwähnen  (1557).  —  Hans  Lieb- 
mann, »Deutsches  Land  und  Volk  nach  italienischen  Berichterstattern  der  Re- 
formationszeit«, 1910.    Vgl.  zu  diesem  und  den  folgenden  Paragraphen  ferner  das 


§  60.    Handel  und   Industrie.  125 

von  J.  V.  Pflugk-Harttung  1912  herausgegebene  Sammelwerk  »Im  Morgenrot  der 
Reformation«,  speziell  die  Beiträge  von  J.  Haller  (»Auswärtige  Politik  und  Krieg«) 
und   G.  V.  Below  (»Die  Reichsreform«). 

§  60.  Handel  und  Industrie.  Es  ist  bereits  im  vorhergehenden 
Paragraphen  angedeutet  worden,  warum  der  Historiker  bei  der  Dar- 
.stellung  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  eigentlich  von  »zwei  Deutsch- 
land« sprechen  sollte.  Ökonomisch  hatten  der  Süden  und  die  Rhein- 
lande einerseits  und  der  Norden  anderseits  kaum  etwas  miteinander 
zu  tun,  jedenfalls  viel  weniger  als  mit  großen  Teilen  des  Auslandes. 
Die  beiden  Wirtschaftsgebiete  müssen  daher  auch  an  dieser  Stelle 
getrennt  behandelt  werden. 

Der  Süden  (worunter  hier  also  immer  auch  die  Rheingegend  mit 
Köln  verstanden  wird)  befand  sich  bereits  zu  Beginn  des  hier  behan- 
delten Zeitraumes  nicht  mehr  in  der  befriedigenden  ökonomischen  Lage, 
die  etwa  noch  in  der  Mitte  des  15.  Jahrhundeits  bestanden  hatte. 
Noch  existierte  zwar  dank  der  starken  Nachfrage  nach  deutschen 
Söldnern  ein  Gleichgewicht  zwischen  Bevölkerungszahl  und  Erwerbs- 
möglichkeit. Noch  konnte  auch  ein  anderer  Teil  der  überschüssigen 
Bevölkeiung  in  Handel  und  Industrie  Beschäftigung  finden.  Aber 
bereits  fing  das  Angebot  an  Arbeitskräften  überall  an,  die  Nachfrage 
zu   übersteigen   und    ein   ökonomischer    Niedergang   kündigte   sich   an. 

Vor  1559  machte  sich  diese  Veränderung  allerdings  noch  nicht 
so  bemerkbar,  daß  sich  bereits  daraus  politisch-militärische  Folgen 
ergeben  hätten.  Der  Forscher  kann  ähnlich  wie  für  Venedig  für  jene 
Zeit  wohl  einen  wirtschaftlichen  Stillstand,  aber  noch  nicht  einen 
Niedergang  konstatieren.  Aber  trotzdem  war  auch  schon  diese  Er- 
scheinung bedeutungsvoll  genug,  um  wenigstens  ganz  kurz  erläutert 
zu  werden. 

Die  Verlegung  der  Handelswege  steht  dabei  erst  in  zweiter  Linie. 
Denn  auf  der  einen  Seite  wurde  der  Verkehr  mit  Venedig,  der  die  ober- 
deutschen Kaufleute  früher  hauptsächlich  bereichert  hatte,  weder  auf 
einen  Schlag  unterbrochen,  noch  bezog  sich  dieser  Verkehr  nur  auf 
die  Vermittelung  asiatischer  Gewürzwaren.  Auf  der  andern  Seite 
wurde  der  Handelsverkehr  mit  den  Niederlanden  erst  recht  lebhaft, 
nachdem  Antwerpen  einmal  zum  Entrepot  des  Gewürzhandels  ge- 
worden war;  dazu  verband  sich  auch  hier  mit  dem  Transporte  asiatischer 
Artikel  Einfuhr  von  Produkten  europäischer  (hauptsächlich  englischer) 
Industrie  (vgl.  Häpke,  »Akten«,  S.  394,  n.  1).  Es  galt  denn  auch  noch 
in  den  vierziger  Jahren  des  16.  Jahrhunderts  als  ausgemacht,  daß  die 
deutschen  Handelsstädte  nicht  gegen  den  Kaiser  kriegen  würden,  weil 
sie  große  Kapitalien  in  den  Niederlanden  angelegt  hätten  (Mocenigo 
in  den  »Fontes  Her.  Austr.«  II,  30,  86  und  153),  ■ —  doch  wohl  vor  allem 
zum  Zwecke  ihres   Handels,  nicht  in  der  dortigen  Industrie. 

Der  eigentlich  entscheidende  Schlag  fiel  auf  einem  anderen  Ge- 
biete. Er  bestand  darin,  daß  die  deutsche  Textilindustrie  nicht  einmal 
mehr  im  eigenen  Lande  die  Konkurrenz  des  Auslandes  aushalten  konnte. 


126  Die  habsburgische  Macht  (Deutschland). 

Während  die  Metallindustrie  immer  noch  tüchtige  Arbeit  leistete, 
versagte  das  oberdeutsche  Gewerbe,  wo  es  sich  um  Qualitätsarbeit 
in  der  Bekleidungsindustrie  handelte,  und  die  Käufer,  die  sich  mit  den 
groben  einheimischen  Produkten  nicht  begnügen  wollten,  waren  auf 
die  Fabrikate  Flanderns,  Englands  oder  Italiens  angewiesen.  Es  ist 
hier  nicht  der  Ort,  zu  untersuchen,  wie  weit  dieser  Zustand  damit 
zusammenhing,  daß  die  Rohstoffe  (Seide,  Baumwolle,  auch  Wolle: 
Badoer  bei  Alberi  I,  3,  180)  schwerer  zu  beschaffen  und  deshalb  kost- 
spieliger waren  als  in  den  ebengenannten  Ländern ;  die  befriedigenderen 
Verhältnisse  in  der  Eisenindustrie,  wo  die  Versorgungsbedingungen  für 
Deutschland  günstiger  lagen,  würden  an  sich  eine  solche  Erklärung 
nahelegen.  Aber  sei  dem  wie  ihm  wolle,  Tatsache  ist,  wie  von  den 
fremden  Beobachtern  übereinstimmend  betont  wird,  daß  die  Deutschen 
grob  und  dürftig  gekleidet  gingen,  daß  sie  feinere  Tuche  nicht  zu  pro- 
duzieren verstanden,  und  daß  alle  Textilwaren,  die  nur  einigermaßen 
höheren  Ansprüchen  genügten,  aus  dem  Auslande  eingeführt  werden 
mußten;  ein  venezianischer  Gesandter  fügt  noch  hinzu,  daß  die  Deut- 
schen (deshalb)  auch  für  ausländische  Qualitätsware  kein  Verständnis 
hätten  und  die  billigeren,  wennschon  schlechteren  Artikel  den  feineren 
vorzögen  (Cavalli  bei  Alberi  I,  3,  102.  Die  anderen  Stellen:  Beatis, 
»Voyage  du  cardinal  d'Aragoti«  [1913],  p.  70f. ;  Contarini  bei  Alberi 
I,  1,  409;  Badoer  ibid.  I,  3,  181  u.  184).  —  Man  könnte  nun  freilich 
bemerken,  daß  es  in  Frankreich  damals  kaum  anders  stand  (vgl.  §  27). 
Aber  dem  wäre  entgegenzuhalten,  daß  das  französische  Königreich  die 
Einfuhr  ausländischer  Industrieprodukte  durch  einen  bedeutenden 
Export  von  Getreide,  Salz  und  Wein  zu  kompensieren  vermochte, 
während  die  Ausfuhr  aus  Oberdeutschland,  sei  es  in  Rohprodukten, 
sei  es  an  Fabrikaten,  lange  nicht  so  beträchtlich  war.  Die  pessimisti- 
schen Betrachtungen  Contarinis  über  die  zu  erwartende  Verarmung 
(Ober-)Deutschlands  waren  deshalb  sicherlich  nicht  ganz  unbegründet 
(Alberi  I,  1,  409). 

Mit  dieser  Auffassung  stimmt  auch  die  Bemerkung  des  Beicht- 
vaters Karls  V.,  daß  die  Reichsstädte  nur  vom  Warenhandel  lebten, 
durchaus  überein,  insofern  darin  ausgedrückt  ist,  daß  die  Städte,  wenn 
ihnen  der  Handelsverkehr  abgeschnitten  würde,  sich  nicht  an  dem  Er- 
trage ihrer  Industrie  erholen  könnten  (bei  W.  Maurenbrecher,  »Karl  V. 
und  die  deutschen  Protestanten«,  I  [1865],  Anhang  S.  29;  vgl.  die  ähn- 
liche Bemerkung  des  Kaisers  selbst  S.  48).  Und  zwar  speziell  die  ober- 
deutschen Städte;  denn  bekanntlich  befanden  sich  von  den  66  Reichs- 
städten 55  in  Oberdeutschland. 

In  Niederdeutschland,  das,  was  die  finanzielle  Leistungs- 
fähigkeit betraf,  für  die  kaiserliche  Macht  und  noch  mehr  die  Habs- 
burger weniger  in  Betracht  fiel  als  das  oberdeutsche  Wirtschaftsgebiet, 
lagen  die  Verhältnisse  günstiger.  Die  Industrie  war  zwar  dort  mit 
Ausnahme  des  Schiffbaus,  des  Braugewerbes  und  einiger  Leinewebereien 
noch   viel    unbedeutender   als   in    Oberdeutschland;    andere    Fabrikate 


§  60.    Handel   und   Industrie.  127 

wurden  nicht  einmaJ  in  dem  beschränkten  Umfange  exportiert,  wie 
dies  in  Oberdeutschland  der  Fall  war.  Aber  dafür  wurden  einheimische 
Rohprodukte  (vor  allem  Getreide)  in  gewaltigen  Quantitäten  aus- 
geführt, und  dieser  Verkehr  lag  ebenso  wie  die  Einfuhr  fremder  Roh- 
stoffe und  Fabrikate,  sowie  die  Ausfuhr  der  Rohstoffe  aus  den  nicht- 
deutschen Gegenden  im  Osten  und  Norden  in  der  Hauptsache  in 
deutschen  Händen,  d.  h.  War  von  den  Städten  der  Hanse  monopolisiert 
W'Orden.  Wohl  erlitt  gerade  während  der  hier  behandelten  Zeit  dieses 
Monopol  einige  Einschränkungen,  vor  allem  von  selten  der  holländischen 
Schiffahrt,  später  auch  von  England  und  den  skandinavischen  Staaten. 
Aber  die  Kapitalkraft  der  niederdeutschen  Städte  wurde  dadurch 
zunächst  noch  viel  weniger  geschwächt,  als  die  finanzielle  Bedeutung 
der  oberdeutschen  Städte  vor  1559  durch  die  Verlegung  der  Handels- 
wege. Mindestens  Niederdeutschland  selbst,  das  durch  treffliche  Wasser- 
wege mit  der  See  verbunden  war,  blieb  der  Hanse  zu  einem  guten  Teil 
reserviert,  und  nicht  einmal  der  Mangel  an  öffentlicher  Sicherheit,  mit 
der  es  in  Deutschland  bekanntlich  viel  schlimmer  bestellt  war  als  in 
Frankreich,  den  Niederlanden,  England  oder  Oberitalien,  und  der 
schlechte  Zustand  der  Straßen  konnte  ihrer  internationalen  Konkur- 
renzfähigkeit Schaden  bringen.  Denn  der  Verkehr  wickelte  sich  auch 
außerhalb  der  großen  Flußläufe  in  der  Hauptsache  zu  Wasser  ab;  auch 
die  kleinsten  Flüsse  wurden  dabei  ausgenutzt  und  Lücken  durch  Kanäle 
und  Schleusen  ergänzt. 

Für  das  Reich  fiel  dabei  freilich  wenig  ab.  Die  Hanse  stand  tat- 
sächlich außerhalb  des  Reichsverbandes,  und  viele  ihrer  Städte  waren 
nicht  einmal  reichsunmittelbar;  der  Ertrag  ihres  Handels  kam  also 
zunächst  nicht  dem  Reiche  sondern  dem  Territorialherrn  zugute. 

Literatur.  An  einer  allgemeinen  Wirtschaftsgeschichte  Deutschlands  im 
16.  Jahrhundert  fehlt  es  noch.  Es  gibt  nur  Werke  über  einzelne  Gegenstände  wie 
R.  Ehrenbergs  »Zeitalter  der  Fugger«  (1896)  und  E.  Gotheins  »Wirtschaftsgeschichte 
des  Schwarzwaldes«!  (1891);  Walter  Möllenberg,  »Die  Eroberung  des  Weltmarkts 
durch  das  mansfeldische  Kupfer«  (1911).  Besser  steht  es  mit  Niederdeutschland,  weil 
die  eifrige  x\rbeit  zur  Geschichte  der  Hanse  zugleich  auch  die  Grundlagen  zu  einer 
Darstellung  der  wirtschaftlichen  Zustände  überhaupt  gelegt  hat.  Es  sei  hier  speziell 
verwiesen  auf  E.  Dänell,  »Die  Blütezeit  der  deutschen  Hanse«  II  (1906),  429ff. 
Dafür,  daß  während  der  hier  besprochenen  Zeit  die  Stellung  des  hansischen  Handels 
im  wesentlichen  noch  unerschüttert  war,  vgl.  z.  B.  die  Schrift  von  Friedrich  Schultz, 
»Die  Hanse  und  England  von  Eduards  III.  bis  auf  Heinrichs  VIII.  Zeit«,  1911 
(»Abhandlungen  zur  Verkehrs-  und  Seegeschichte«,  ed.  D.  Schäfer  5),  speziell  S.  163 
und  193.  Über  die  Beziehungen  zu  den  skandinavischen  Staaten  und  den  Nieder- 
landen vgl.  R.  Häpke,  »Die  Regierung  Karls  V.  und  der  europäische  Norden« 
(1914).  Auch  Karl  Brinkmann,  »Der  Beginn  der  neueren  Handelsgeschichte  und 
das  Aufkommen  der  Seemächte«  (»Historische  Zeitschrift«  112  [1914],  264ff.)  zeigt 
bessere  Kenntnis  von  den  Verhältnissen  in  Nieder-  als  in  Oberdeutschland.  — 
Eine  vollständige  Bibliographie  zur  Geschichte  der  Hanse  und  des  nordischen  See- 
verkehrs bei  Walter  Vogel,  »Geschichte  der  deutschen  Seeschiffahrt«  I  (bis  zum 
Ende  des  15.  .lahrhunderts),  1915. 

§  61.  Militärische  Verhältnisse.  Es  ist  gezeigt  worden,  daß  die 
ökonomischen   Verhältnisse   in    Deutschland   eine   unbefriedigende    Ge- 


128  Die  habsburgische  Macht  (Deutschland). 

stalt  anzunehmen  begannen.  Zumal  im  oberdeutsch-westdeutschen 
Wirtschaftsgebiet  genügte  der  Ertrag  aus  Handel  und  Gewerbe  nicht 
mehr  zur  Ernährung  der  zu  stark  angewachsenen  Bevölkerung;  nur 
in  Niederdeutschland,  wo  die  Bevölkerung  weniger  dicht  und  der  öko- 
nomische Rückgang  weniger  bedeutend  war,  bestanden  noch  keine 
wirtschaftlichen  Schwierigkeiten.  So  unerfreulich  dieser  Zustand  nun 
auch  sein  mochte,  so  hatte  er  doch  die  günstige  Folge,  daß  dadurch 
die  Vorbedingungen  zu  einer  zahlreichen  und  leistungsfähigen  Wehr- 
kraft geschaffen  wurden. 

Man  kann  sagen,  daß  Deutschland  in  dieser  Beziehung  die  Vorzüge 
Spaniens  und  Frankreichs  vereinigte.  Mit  den  spanischen  Reichen 
hatte  es  gemein,  daß,  nachdem  einmal  die  »schweizerische«  Ordnung 
eingeführt  worden  war  (speziell  in  Oberdeutschland),  mit  leichter  Mühe 
große  und  trefflich  ausgebildete  Infanterietruppen  formiert  werden 
konnten,  die  aus  den  tüchtigsten  Elementen  der  Bevölkerung  Zulauf 
fanden.  Mit  Frankreich  bestand  die  Analogie,  daß  ein  zum  Reiter- 
dienst fähiger  und  auch  zu  Hauptmannsstellen  verwendbarer  Adel 
vorhanden  war,  der  dazu  noch  in  einem  erheblich  größeren  Maße  als 
dort  darauf  angewiesen  war,  seinen  Lebensunterhalt  im  Waffendienste 
zu  suchen.  Denn  obwohl  die  geistlichen  Stifter  strenger  als  in  Frank- 
reich der  zu  Hause  nicht  mehr  zu  ernährenden  Nachkommenschaft 
des  Adels  vorbehalten  waren,  so  bewirkte  doch  die  geringere  Frucht- 
barkeit des  Bodens,  daß  der  Landadel  weniger  leicht  als  dort  von  dem 
Ertrage  seiner  Güter  leben  konnte;  möglicherweise  war  auch  der  Betrieb 
schon  nur  der  Befestigungsanlagen  wegen,  die  mit  Rücksicht  auf  die 
allgemeine  Unsicherheit  besser  unterhalten  werden  mußten,  kostspieliger 
als  in  Frankreich.  Die  farbigen  Schilderungen  der  Zimmerischen  Chronik 
sprechen  in  dieser  Beziehung  keine  andere  Sprache  als  die  Berichte 
der  venezianischen  Gesandten,  die  über  die  Armut  und  die  Unkultur 
(d.  h.  das  hauptsächlich  kriegerischer  Beschäftigung  gewidmete  Leben) 
der  deutschen  Adligen  nicht  Worte  genug  finden  können. 

Es  standen  hier  also  militärische  Kräfte  zur  Verfügung,  die  es  an 
Tüchtigkeit  mit  denen  mancher  anderer  Staaten  aufnehmen  konnten, 
an  Vielseitigkeit  aber  alle  übertrafen.  Aber  dieser  Vorteil  konnte  von 
der  Regierung  nur  ganz  ungenügend  ausgenutzt  werden,  da  diese  in 
ihrer  Art  unerreichte  Wehrkraft  ihr  nur  in  sehr  beschränktem  Maße 
zur  Verfügung  stand.  In  der  Defensive  war  das  Reich  allerdings  un- 
überwindlich. Es  war  allgemein  bekannt,  daß  jeder  Angriff  auf  Deutsch- 
land, der  das  Reich  in  seinem  Besitzstand  gefährden  könnte,  von  vorn- 
herein zum  Scheitern  verurteilt  war,  und  die  wenigen  Pläne  eines 
Offensivkrieges  gegen  Deutschland,  die  überhaupt  erwogen  wurden, 
wurden  stets  unter  der  Voraussetzung  entworfen,  daß  ein  Teil  der 
deutschen  Stände  mit  dem  Angreifer  gemeinsame  Sache  machen  würde. 
Aber  ganz  anders  lagen  die  Verhältnisse,  wenn  die  Regierung  und  wenn, 
speziell  die  Habsburger  diese  Kräfte  nun  zum  Angriff  und  gar  noch 
etwa  im  Interesse  ihres  Hauses  aufbieten  wollten.   Wohl  wäre  es  falsch, 


§  61.    Militärwesen.  129 

wenn  der  Historiker  den  Einfluß  nationalen  Empfindens  wenigstens 
bei  den  Infanteriesöldnern  (den  Landsknechten)  als  vollkommen  un- 
wirksam betrachten  wollte  (bei  dem  Adel  waren  solche  Gefühle  aller- 
dings ohne  jede  praktische  Bedeutung).  Der  moralische  Zusammenhang 
zwischen  Kaiser  und  Volk  hat  sich  mehrfach  stärker  erwiesen  als  die 
Verpflichtungen  der  Soldverträge  mit  fremden  Regierungen.  Aber 
immer  handelte  es  sich  dabei  nur  um  ein  sozusagen  retardierendes 
Moment:  an  sich  bot  der  deutsche  Söldner  ohne  Rücksicht  auf  das 
Interesse  des  Reiches  oder  den  Befehl  der  kaiserlichen  Regierung  seine 
Dienste  jedem  an,  der  ihn  dafür  bezahlte,  und  dem  Kaiser  fehlte  der 
durchaus  unzureichenden  Reichsoxekutive  wegen  (§  62)  in  der  Regel 
die  Macht,  auch  nur  die  Anwerbung  im  Solde  seiner  direkten  Gegner 
zu  verhindern.  Die  Gewaltmittel  der  habsburgischen  Kaiser  reichten 
nicht  einmal  aus,  die  Grenze  zu  sperren  (soweit  nichthabsburgisches 
Gebiet  in  Betracht  kam),  geschweige  daß  sie  die  Ansammlung  von 
Truppen  innerhalb  des  Reichsterritoriums  hätte  hemmen  können. 
Und  nicht  einmal  theoretisch  wurde  ihr  Recht  zur  ausschließlichen 
Verfügung  über  die  einheimischen  Söldner  von  der  öffentlichen  Meinung 
anerkannt.  Als  Kaiser  Karl  V.  im  Jahre  1548  auf  dem  Höhepunkt 
seiner  Macht  über  Deutschland  deutsche  Hauptleute,  die  ohne  seine 
Erlaubnis  bei  dem  französischen  Könige  Dienste  genommen  hatten, 
hinrichten  ließ,  da  wurde  sein  Vorgehen  beinahe  wie  ein  Justizmord 
betrachtet,  und  die  Zeitgenossen  sind  einstimmig  darin,  ihrer  Ver- 
wunderung oder  Entiüstung  Ausdruck  zu  verleihen  (vgl.  z.  B.  Mocenigo, 
»Fontes  Rer.  Aiistr.n  II,  30  [1870],  165).  In  Frankreich  sprach  man 
damals  sogar  davon,  an  deutschen  Untertanen  in  Frankreich,  wenn 
nicht  an  dem  kaiserlichen  Gesandten  selbst,  Repressalien  zu  üben 
(Druffel,  »Briefe  und  Akten«  I,  106).  Welcher  Unterschied  zu  den 
Zuständen  auch  nur  in  der  schweizerischen  Eidgenossenschaft,  wo  sich 
die  Söldner  zwar  oft  genug  gegen  die  Werbeverbote  ihrer  Regierungen 
vergingen,  wo  aber  die  Bestimmung,  daß  der  Eintritt  in  fremde  Dienste 
nur  mit  offizieller  Bewilligung  erlaubt  war,  im  In-  und  Ausland  an 
sich  nie  in  Zweifel  gezogen  w^urde  (§  97)! 

Der  Kaiser  oder,  genauer  gesagt,  die  habsburgische  Regierung 
befand  sich  daher  den  deutschen  Söldnern  und  Hauptleuten  gegenüber 
kaum  in  einer  anderen  Lage  als  gegenüber  den  Eidgenossen  (§  64). 
Wie  die  österreichischen  Dokumente  immer  wieder  betonen,  man 
müsse  die  Schweizer,  auch  wenn  man  sie  nicht  nötig  habe,  zuvorkom- 
mend behandeln,  weil  sie  sonst  dem  französischen  Erbfeinde  zur  Ver- 
fügung ständen,  so  empfahlen  die  habsburgischen  Regenten  Kon- 
zessionen an  die  deutschen  Stände,  um  der  Wehrkraft  des  Reiches 
nicht  verlustig  zu  gehen.  »Wenn  es  infolge  der  Machinationen  des  Land- 
grafen von  Hessen  zu  einem  Kriege  in  Deutschland  kommen  sollte 
(heißt  es  in  einer  1534  abgefaßten  Instruktion  König  Ferdinands  an 
den  Kaiser),  so  hat  der  Kaiser  keine  Möglichkeit  mehr,  Soldaten  aus 
Deutschland  zu  erhalten,  und  wenn  dies  doch  der  Fall  sein  sollte,  nur 

Fueter,  Europ.  Staatensystem.  9 


130  Die  habsburgische  Macht  (Deutschland). 

wenige  und  schlechte«  (Döllinger,  »Beiträge  zur  politischen,  kirch- 
lichen und  Kulturgeschichte«  I  (1862],  11  f.). 

Tatsächlich  ist  diese  Politik  denn  auch  von  der  habsburgischen 
Regierung,  soweit  es  ihr  möglich  war,  befolgt  worden,  und  wenn  es  ihr 
nicht  gelang,  den  Kriegsdienst  der  Adligen  und  der  Landsknechte 
so  für  sich  zu  monopolisieren,  wie  es  das  französische  Königtum  bei 
seinen  Edelleuten  erreicht  hatte,  so  waren  daran  nicht  mangelnder 
Eifer,  sondern  wohl  nur  das  Fehlen  ausreichender  Geldmittel  und  (in 
späteren  Jahrzehnten)  partikularistische  Befürchtungen  mancher  Ter- 
ritorialherren schuld.  Deutschland  enthielt  eben  einerseits  eine  so 
zahlreiche,  auf  den  Kriegsdienst  angewiesene  und  zu  diesem  befähigte 
Mannschaft,  daß  selbst  beträchtlichere  Finanzquellen,  als  sie  den  Habs- 
burgern  zur  Verfügung  standen,  nicht  genügt  hätten,  um  sie  beständig 
zu  beschäftigen;  anderseits  entzog  die  ständische  Opposition,  nachdem 
sie  sich  einmal  mit  dem  religiösen  Gegensatz  verbunden  hatte,  dem 
Kaiser  direkt  durch  ihre  Kriege  und  indirekt  durch  Erschwerung  der 
Anwerbung  einen  guten  Teil  der  Truppen,  die  sonst  in  habsburgische 
Dienste  getreten  wären;  es  tritt  dies  besonders  hervor,  wenn  man  be- 
denkt, daß  die  Zeit  Maximilians  in  dieser  Beziehung  die  Stellung  des 
Kaisers  gegenüber  früheren  Perioden  zweifellos  verbessert  hatte.  Denn 
wennschon  die  kleinen  reichsunmittelbaren  Herren  das  natürlichste 
Kontingent  stellten  und  diese  den  Tendenzen  der  oppositionellen  Stände 
im  allgemeinen  indifferent  gegenüberstanden,  so  waren  diese  Reichs- 
freien doch  durchaus  nicht  die  einzigen,  die  als  Hauptleute  in  Betracht 
kamen,  und  ohne  wenigstens  stillschweigende  Einwilligung  auch  der 
größeren  Territorialfürsten,  ja  sogar  einzelner  als  Sammlungsplätze 
dienender  Reichsstädte,  war  an  eine  Anwerbung  im  großen  kaum  zu 
denken.  Gerade  an  diesem  Punkte  versagte  nun  aber  die  kaiserliche  Macht. 
Um  wider  den  Willen  der  Stände  Soldaten  zu  erhalten,  mußte  der  Kaiser 
zunächst  selbst  zum  Schwerte  greifen,  und  der  einzige  gelungene  Versuch 
dieser  Art,  der  übrigens  nur  dank  der  Personalunion  mit  Spanien  glück- 
lich durchgeführte  Schmalkaldische  Krieg,  zeigt,  daß  selbst  unter  den 
günstigsten  Bedingungen  ein  nachhaltiger  Erfolg  nicht  zu  erzielen  war. 

An  sich  aber  war,  nachdem  einmal  die  schweizerische  Taktik  und 
Schulung  übernommen  worden  waren,  das  Material  von  vorzüglicher 
Qualität.  Die  Landsknechte  hatten  die  Vorzüge  der  Schweizer,  vor 
allem  den  Korpsgeist,  ohne  deren  technische  Einseitigkeit;  denn  wenn 
sie  auch  als  Belagerer  den  Spaniern  nicht  gleichkamen  und  in  der  Hand- 
habung der  Feuerwaffen  (die  sie  gleich  den  Eidgenossen  nur  in  ver- 
hältnismäßig geringer  Anzahl  verwandten)  hinter  anderen  Nationen 
zurückstanden,  so  hielten  sie  im  ganzen  doch  den  Vergleich  mit  den 
Truppen  aller  anderen  Völker  vollständig  aus,  und  besonders  in  den 
späteren  Jahrzehnten  der  Periode  konnten  ihnen  für  gewisse  Opera- 
tionen wohl  nur  noch  die  Spanier  vorgezogen  werden. 

Dazu  kam,  daß  die  vielleicht  nicht  ganz  an  die  Vielseitigkeit  der 
Spanier  heranreichende  beschränkte   Brauchbarkeit   der  Landsknechte 


§  61.    Militärwesen.  131 

durch  die  Leistungen  Deutschlands  in  anderen  Waffen  mehr  als  aus- 
geglichen wurde.  Die  deutsche  Reiterei  konnte  sich  zwar  weder  mit 
der  französischen  Gendarmerie  noch  mit  der  italienischen  leichten 
Kavallerie  messen;  aber  sie  bewahrte  ein  anständiges  Durchschnittsmaß 
und  ganz  ähnlich  verhielt  es  sich  mit  der  Artillerie  (speziell  in  den 
Gebieten  außerhalb  der  österreichischen  Erblande).  Freilich  standen 
anderseits  diese  Waffen  der  kaiserlichen  Regierung  nicht  einmal  in 
dem  Umfange  zu  Gebote  wie  die  Landsknechte.  Denn  der  Adel,  aus 
dem  sich  die  Kavallerie  bildete,  trug  kaum  je  Bedenken,  seinen  Arm 
den  ausländischen  Fürsten  zur  Verfügung  zu  stellen,  wenn  ihm  von 
jener  Seite  günstigere  Bedingungen  geboten  wurden,  und  die  Reichs- 
städte, die  aus  begreiflichen  Gründen  das  Artillerieweseri  besonders 
pflegen  mußten,  konnten  unter  normalen  Umständen  nicht  gezwungen 
werden,  dem  Kaiser  ihr  Geschützmaterial  zur  Verfügung  zu  stellen; 
als  sie  sich  dann  später,  z.  T.  unter  dem  Einfluß  der  protestantischen 
Bewegung  der  ständischen  Opposition  angeschlossen  und  auch  der 
Erneuerung  des  schwäbischen  Bundes  abgeneigt  gezeigt  hatten  (§  62), 
konnte  die  Reichsregierung  diese  artilleristische  Hilfeleistung  für  ge- 
wöhnlich überhaupt  nicht  mehr  in  Anschlag  bringen.  Als  Aktivum 
blieb  ihr  in  der  Hauptsache  auch  hier  nur,  daß  auch  soweit  diese  beiden 
Waffengattungen  in  Betracht  kamen,  das  Reich  über  eine  unüber- 
windliche Defensivkraft  verfügte  und  sie  deshalb  wohl  eine  kriegerische 
Auflehnung  der  Stände,  nicht  aber  einen  selbständigen  Angriff  des 
Auslandes  befürchten  mußte. 

Das  deutsche  Marinewesen  muß  sich  an  dieser  Stelle  mit  einer 
kurzen  Erwähnung  begnügen.  Und  zwar  nicht  deshalb,  weil  das  Reich 
als  solches  keine  Flotte  besaß,  sondern  weil  die  Seemacht,  über  die 
Reichsangehörige  verfügten,  auf  das  Zentralproblem  der  Periode,  näm- 
lich auf  die  Gestaltung  der  Lage  in  den  Mittelmeerländern,  keinen  Ein- 
fluß auszuüben  vermochte  (vgl.  §  14).  Das  kaiserliche  Herrschafts- 
gebiet berührte  das  Mittelländische  Meer  ja  nur  an  einzelnen  Punkten 
der  nördlichen  Adria  und  über  den  Zustand  der  österreichischen  Schiff- 
fahrt ist  bereits  gehandelt  worden  (§  58). 

Soweit  aber  die  deutsche  Marineausrüstung  überhaupt  als  Faktor 
der  internationalen  Politik  in  Betracht  kam,  d.  h.  soweit  die  Verhältnisse 
in  der  Nord-  und  Ostsee  und  den  dortigen  Küstenstaaten  berührt  wur- 
den, kann  die  Lage  ungefähr  mit  denselben  Worten  charakterisiert 
werden  wie  mit  den  Beziehungen  des  Reichs  zu  seinen  Nachbarn  auf 
dem  Festlande  geschah.  Zu  Offensivaktionen  sehr  mangelhaft  aus- 
gerüstet, waren  die  Seestreitkräfte,  über  die  die  deutsche  Hanse  ver- 
fügte, doch  so  stark,  daß  sie  nicht  nur  den  Seestaaten  in  der  Defensive 
gewachsen  waren,  sondern  die  in  ihrer  maritimen  Organisation  noch 
zurückgebliebenen  Länder  wenigstens  zu  Beginn  der  hier  behandelten 
Periode  noch  in  einer  eigentlichen  Abhängigkeit  behalten  konnten. 
Kombinationen  kleinerer  Mächte  im  W^esten  vermochten  zwar  die 
handelspolitische    Stellung   des    Bundes   ungünstiger   zu   gestalten;    an 


132  Die  habsburgische  Macht  (Deutschland). 

einen  erfolgreichen  militärischen  Angriff  gegen  die  Hanse  innerhalb 
deren  eigenen  Gebietes  war  aber  im  Ernste  nicht  zu  denken.  Vor  allem 
die  skandinavischen  Staaten  mußten  zufrieden  sein,  wenn  sie  als  äußerstes 
Ziel  eine  bescheidene  Selbständigkeit  zur  See  erlangen  konnten. 

Aber  die  Reichsregierung  hätte  anderseits  für  aggressive  Pläne 
ebensowenig,  ja  noch  weniger  über  die  Streitkräfte  der  Hanse  ver- 
fügen können,  als  über  die  Landtruppen  der  Reichsstände.  Es  ist  un- 
bestritten, daß  die  Hanse  sich  ebensowenig  um  das  Reich  kümmerte, 
als  dieses  sich  um  sie.  Und  wenn  das  Kaisertum  nie  auf  eine  Unter- 
stützung von  ihrer  Seite  hatte  rechnen  können,  so  war  dies  vollends 
nicht  der  Fall,  seitdem  die  habsburgischen  Inhaber  des  Kaiserthrones 
als  Herren  der  Niederlande  die  Interessen  der  gefährlichsten  Konkur- 
renten der  Hanse  zu  wahren  hatten.  Ordneten  die  Habsburger  sowieso 
durchweg  den  Vorteil  des  Reiches  der  Fürsorge  für  die  Dynastie  und 
die  Erblande  unter,  so  führten  sie  diese  Politik  aus  begreiflichen  Grün- 
den da  besonders  strikt  durch,  wo  der  geschädigte  Teil  nicht  einmal 
den  Anspruch  erheben  konnte,  den  Nutzen  des  Reiches  im  Auge  zu 
haben.  Sowohl  unter  Maximilian  I.  wie  unter  Karl  V.  hat  die  habs- 
burgische Regierung  daher  soweit  immer  möglich  in  den  Konflikten 
zwischen  Holländern  und  Hansen  gegen  den  niederdeutschen  Seebund 
Partei  genommen;  man  nahm  in  ihren  Kreisen  auch  kein  Bedenken, 
etwa  den  Ruin  Hamburgs  und  Bremens  zum  Vorteil  der  Niederlande 
in  Betracht  zu  ziehen,  —  seien  doch  die  Bremer  eher  als  Hansen  denn 
als  kaiserliche  Untertanen  zu  betrachten  (vgl.  Häpke,  »Akten  und  Ur- 
kunden« S.  451  f.;  1547).  Daß  aber  damit  auch  die  kaiserliche  Politik 
auf  eine  Verwendung  der  hansischen  Seemacht  im  Interesse  ihrer  oder 
der  Reichsinteressen  verzichtete,  ergibt  sich  ohne  weiteres. 

Literatur.  Über  die  Landsknechte  Martin  Neil,  »Die  Landsknechte«,  1914, 
der  aber  freilich  über  die  politische  Seite  des  Anwerbewesens  so  gut  wie  nichts  bei- 
bringt, übrigens  auch  mit  seiner  Darstellung  bereits  vor  der  hier  behandelten  Periode 
abbricht.  tJber  die  übrigen  Waffengattungen  fehlt  es  noch  an  einer  zusammen- 
fassenden Darstellung;  von  den  erzählenden  Werken  ist  für  die  politischen  Zusammen- 
hänge wohl  dem  Buche  von  H.  Ulmann  über  »Kaiser  Maximilian  I.«  (1884  —  1891) 
das  meiste  zu  entnehmen.  —  t)ber  die  Marine  außer  den  Darstellungen  und  Akten- 
publikationen zur  Geschichte  der  Hanse  und  auch  Häpke  (§  60)  Walther  Vogel, 
»Geschichte  der  deutschen  Seeschiffahrt«  I  (1915). 

§  62.  Innerpolitische  Organisation.  Auch  in  den  Niederlanden 
und  in  Österreich  hatte  die  habsburgische  Dynastie,  wie  gezeigt  worden 
ist,  mannigfache  Hindernisse  zu  überwinden,  wenn  sie  die  im  Lande 
vorhandenen  Machtmittel  finanzieller  und  militärischer  Natur  in  vollem 
Umfange  für  ihre  Zwecke  ausnutzen  wollte.  Aber  die  Schwierigkeiten, 
die  sich  ihrer  dort  entgegenstellten,  standen  weit  hinter  denen  zurück, 
mit  denen  sie  zu  kämpfen  hatte,  sobald  sie  die  latenten  Kräfte  des 
Reiches  zu  verwerten  versuchte. 

Überall  sonst  vermochte  sie  sich,  mochten  die  Privilegien  der 
Stände  noch  so  ausgedehnt  sein,  auf  eine  ihr  untertänige  Beamtenschaft 
und  auf  eine  in  der   Hauptsache  mit  ihren  Anhängern  besetzte  Prä- 


§  62.     Innerpolitische  Organisation.  133 

latur  zu  stützen.  Im  Reiclie  war  nichts  Ähnliches  der  Fall.  Wohl  waren 
einige  Reichsorgane  von  der  kaiserlichen  Gewalt  abhängig:  so  lagen 
vor  allem  (trotz  gelegentlicher  schüchterner  Versuche  der  Stände, 
dies  Monopol  zu  brechen)  der  diplomatische  Dienst  und  die  diplo- 
matische Vertretung  des  Reiches  ganz  in  den  Händen  des  Kaisers, 
ebenso  standen  ihm  Vorrechte  bei  der  Besetzung  des  obersten  Reichs- 
gerichtes (des  Kammergerichtes)  zu.  Aber  selbst  wenn  die  Kompe- 
tenzen des  Kaisers  in  dieser  Hinsicht  noch  größer  gewesen  wären,  so 
wäre  damit  der  Mangel  nicht  beseitigt  worden,  daß  es  den  leitenden 
Persönlichkeiten  der  Reichsverwaltung  (mochten  sie  nun  vom  Kaiser 
oder  den  Ständen  bestellt  sein)  an  den  Machtmitteln,  an  starken,  von 
den  einzelnen  Ständen  unabhängigen  ausführenden  Organen  fehlte, 
um  ihre  Beschlüsse  in  die  Tat  umzusetzen.  Es  war  z.  B.  nicht  nur  nicht 
möglich,  Geld  auf  extralegalem  Wege  mit  Umgehung  der  Stände  zu 
erheben,  sondern  selbst  die  von  den  Ständen  bewilligten  Steuerbeträge 
liefen  nur  soweit  ein,  als  es  den  einzelnen  Steuerzahlern  gefiel.  Nimmt 
man  noch  hinzu,  daß  außerdem  die  Stellen,  die  in  anderen  Ländern, 
und  zwar  gerade  in  den  einer  leistungsfähigen  Bureaukratie  ermangeln- 
den, wie  z.  B.  Schottland,  die  festesten  Stützen  der  königlichen  Gewalt 
bildeten,  nämlich  die  hohen  geistlichen  Würden,  speziell  die  Bistümer, 
im  Reiche  nicht  vom  Kaiser  besetzt  werden  konnten,  so  sieht  man 
ohne  weiteres,  daß  die  Kaiser  das  Vermögen  ihrer  Untertanen  in  viel 
beschränkterem  Umfange  ausnutzen  konnten  als  die  Herrscher  der 
Weststaaten,  ja  auch  nur  als  die  deutschen  Territorialregierungen 
innerhalb  ihrer  eigenen  Gebiete,  und  daß  ihre  tatsächlichen  Macht- 
mittel kaum  größer  waren  als  die  der  Könige  Ungarns  oder  Polens, 
Aber  der  Historiker,  der  sich  seine  Anschauung  über  die  Bedeutung 
des  Kaisertums  in  der  damaligen  Zeit  nur  auf  Grund  der  Organisation 
der  offiziellen  Reichsverwaltung  bilden  wollte,  würde  den  wirklichen 
Machtverhältnissen  nicht  gerecht.  Mochten  auch  die  großen  Terri- 
torien an  einer  Stärkung  der  kaiserlichen  Exekutive  kein  Interesse 
haben,  mochten  auch  speziell  die  von  der  habsburgischen  Hausmacht 
bedrohten  Fürsten  in  einer  Ausdehnung  der  kaiserlichen  Befugnisse 
geradezu  eine  Bedrohung  ihrer  Selbständigkeit  erblicken,  so  gab  es 
doch  daneben  zahlreiche  weniger  starke  Stände,  die  aus  Gründen  der 
eigenen  Sicherheit  auf  eine  Erweiterung  der  Machtmittel  des  Reiches 
bedacht  sein  mußten.  Die  wichtigsten  unter  diesen  waren  ihrer  finan- 
ziellen Leistungsfähigkeit  wegen  die  Reichsstädte,  und  es  wird  denn 
auch  in  den  Quellen,  und  zwar  vor  allem  in  Gutachten  der  kaiserlichen 
Agenten  selbst,  immer  wieder  betont,  daß  die  Städte  die  zuverlässigste 
Stütze  der  kaiserlichen  Gewalt  bildeten.  Diese  waren  nun  im  Zusam- 
menhang mit  anderen  Fürsten,  besonders  aber  im  Zusammenarbeiten 
mit  der  österreichischen  Regierung  daran  gegangen,  wenigstens  für 
das  den  Reichsstädten  wichtigste  Gebiet,  nämlich  für  Süddeutschland, 
ein  Surrogat  für  die  fehlende  Reichsexekutive  zu  schaffen  und  hatten 
dies  Ziel  in  der  Hauptsache  auch  durch  die   Gründung   des   Schwä- 


134  Die  habsburgische  Macht  (Deutschland). 

bischen  Bundes  erreicht.  Diese  Ständeliga  erfüllte  nicht  nur  für 
ihr  Gebiet  im  groiJen  und  ganzen  die  Aufgaben,  die  von  Rechts  wegen 
der  Reichsverwaltung  obgelegen  hätten,  sondern  sie  stellte  haupt- 
sächlich der  Dynastie,  die  die  Kaiserwürde  innehatte,  die  ausführenden 
Organe  zur  Verfügung,  die  der  kaiserlichen  Verwaltung  als  solcher 
abgingen.  Dank  diesem  stark  österreichischen  Interessen  dienenden 
Bund  besaßen  die  Habsburger  im  Reich  eine  Machtstellung,  die  den 
Ansprüchen  der  Dynastie  die  reale  Grundlage  verlieh,  haben  sie  doch 
selbst  ihre  gefährlichsten  Konkurrenten  in  Süddeutschland,  nämlich 
die  Herzoge  von  Bayern,  zur  Beteiligung  an  dem  habsburgischen  Aspi- 
rationen gehorchenden  Bunde  bewegen  können!  Nie  hätten  sie  wohl 
ohne  den  Schwäbischen  Bund  das  Herzogtum  Württemberg,  das  Ziel 
ihrer  Arrondierungspolitik  in  Süddeutschland  (das  sich  vergeblich 
gegen  die  habsburgischen  Annexionsprojekte  im  Jahre  1512  durch 
einen  »Kontrabund«  mit  anderen  bedrohten  oberdeutschen  Fürsten 
zusammentat)  für  einige    Jahrzehnte  in  ihre   Gewalt  bringen  können. 

Nirgends  sonst  hat  denn  auch  die  Reformationsbewegung  der 
Ausdehnungspolitik  der  Habsburger  so  schweren  Abbruch  getan  wie 
hier.  Als  die  süddeutschen  Reichsstädte  sich  der  lutherischen  Lehre 
angeschlossen  hatten,  waren  sie  für  den  Schwäbischen  Bund  verloren 
und  damit  brach  dieser  faktisch  zusammen;  er  wurde  bereits  im  Jahre 
1533  nicht  mehr  erneuert,  und  vergebens  versuchten  die  österreichischen 
Herrscher  später  (1547,  1551)  den  Bund  neu  zu  bilden  oder  durch  eine 
ähnliche  neue  Allianz  zu  ersetzen.  Nicht  einmal  Württemberg  konnten 
sie  behalten  oder  zurückgewinnen,  nachdem  sie  dieses  wichtige  Ver- 
bindungsstück zwischen  den  österreichischen  Erblanden  im  Osten  und 
Westen  einmal  infolge  der  Auflösung  des  Bundes  verloren  hatten. 

Die  Reformationsbewegung  (vgl.  §  24)  gewann  während  der  hier 
behandelten  Periode  im  Gegensatze  zu  späteren  Zeiten  für  die  Ge- 
schichte des  europäischen  Staatensystems  in  der  Hauptsache  nur  in- 
sofern Bedeutung,  als  sie  die  antiösterreichische  Opposition  der  in  ihrer 
Selbständigkeit  bedrohten  größeren  Reichsstände  verstärkte  und  ver- 
schärfte und  dadurch  die  habsburgische  Regierung  nötigte,  einen 
größeren  Teil  ihrer  Machtmittel  als  bisher  erforderlich  gewesen  war, 
auf  den  Kampf  gegen  die  rebellierenden  Stände  zu  verwenden.  Daß 
das  Haus  Österreich  auch  hier  seine  Kräfte  nicht  konzentrieren  konnte, 
vielmehr  seine  deutschen  Pläne  ähnlich  wie  die  Bedürfnisse  der  span- 
ischen Politik  (vgl.  §  48)  dem  aus  burgundischer  Wurzel  entsprossenen 
Konflikte  mit  Frankreich  unterordnete,  war  dann  bekanntlich  ander- 
seits ein  Hauptgrund,  warum  die  Ausbreitung  der  kirchlichen  Abfalls- 
bewegung in  den  ersten  Jahren  von  der  kaiserlichen  Gewalt  nur  wenig 
gestört  wurde. 

Auf  der  anderen  Seite  hat  freilich  auch  die  Verschärfung  des  Macht - 
Streites  zwischen  Territorialfürsten  und  habsburgischem  Kaisertum 
die  Defensivkraft  des  Reiches  nicht  geschwächt,  sobald  es  sich  um 
unzweideutige    Bedrohung    von    Reichsgebiet    handelte.     Die    Reichs- 


§  62.     Innerpolitische  Organisation.  135 

fürst(Mi  hielten  zwar  mit  ihrer  Unterstützung  zurück,  als  sie  zur  Hilfe- 
leistung für  die  Eroberung  Ungarns  zugunsten  Österreichs  ausgenutzt 
werden  sollten;  sobald  die  Türken  aber  Teile  des  Reiches  selbst  an- 
griffen, versagten  sie  ihren  Beistand  nicht.  Der  einzige  Fall,  der  gegen 
diese  Ansicht  angeführt  werden  könnte,  nämlich  das  Abkommen  der 
Schmalkaldner  mit  Frankreich,  das  den  Verlust  von  Reichsgebiet  zur 
Folge  hatte,  spricht,  genauer  betrachtet,  nicht  gegen  sondern  für  die 
hier  vertretene  These:  dies  Vorgehen  beweist  nämlich,  daß  es  so  außer- 
gewöhnlicher Ereignisse  wie  der  Katastrophe  des  Jahres  1547  (§  127) 
bedurfte,  damit  die  deutschen  Stände  kampflos  in  eine  Verkleinerung 
des  Reichsumfanges  einwilligten.  Erst  als  die  Stände  sich  so  sehr 
geschwächt  sahen,  daß  sie  ohne  Unterstützung  einer  fremden  Groß- 
macht ihre  Libertät  vor  dem  kaiserlichen  Absolutismus  nicht  mehr 
glaubten  schützen  zu  können,  schritten  sie  zu  diesem  verzweifelten 
Mittel;  vorher  hatten  weder  sie  noch  gar  die  Franzosen  jemals  die 
Möglichkeit  einer  solchen  Abmachung,  d.  h.  territorialer  Abtretungen 
als  Gegenleistung  für  französische  Beihilfe  in  Betracht  gezogen. 

Dabei  sei  übrigens  noch  ausdrücklich  darauf  hingewiesen,  daß  die 
Reformation  zwar  den  Widerstand  der  Stände  gegen  die  Aufrichtung 
einer  wirksamen  Zentralverwaltung  erheblich  gestärkt,  aber  keines- 
wegs hervorgerufen  oder  auch  nur  ausschließlich  bestimmt  hat.  Viel- 
mehr verbanden  sich  dabei  partikularistische  und  kirchenpolitische 
Tendenzen  in  einem  sehr  verschiedenen  Mischungsgrad;  der  beste 
Beweis  dafür  liegt  vor  allem  in  dem  Umstände,  daß  sogar  durch  und 
durch  altgläubige  Territorialstaaten,  wie  Bayern,  den  gegen  den  prote- 
stantischen Sonderbund  gerichteten  Bestrebungen  des  Kaisers  recht 
kühl  gegenüberstanden. 

Schließlich  muß  der  Forscher  auch  noch  bemerken,  daß  gerade 
die  mangelhafte  Organisation  der  Exekutive  die  militärische  Defensiv- 
kraft des  Reiches  auch  wieder  gestärkt  hat.  Die  Notwendigkeit,  sich 
beständig  zur  Verteidigung  der  eigenen  Existenz  gegen  den  Nachbarn 
gerüstet  zu  halten  (eine  Notwendigkeit,  die  z.  B.  wohl  für  die  Reichs- 
städte bestand,  nicht  aber  für  die  Städte  in  Frankreich,  Spanien,  der 
Türkei  usw.),  führte  allerdings  zu  einer  Verzettelung  der  militärischen 
Leistungen,  die  für  die  Ausdehnungsprojekte  der  habsburgischen  Po- 
litik außerordentlich  nachteilig  war;  sie  hatte  aber  auch  Verteidigungs- 
anstalten zur  Folge,  die  jeden  Angriff  von  außen  von  vornherein  als 
aussichtslos  erscheinen  ließen  und  sogar  die  türkische  Regierung  schließ- 
lich zum  Verzicht  auf  weitere  Vorstöße  bewogen. 

Ohne  Bedeutung  für  die  Gestaltung  der  internationalen  Verhält- 
nisse waren  die  Versuche,  die  verschiedentlich  von  den  Ständen  zur 
Errichtung  einer  von  den  Habsburgern  unabhängigen  Zentralgewalt 
(eines  »Reichsregiments«)  gemacht  wurden.  Sie  müssen  an  dieser  Stelle 
daher  unbeachtet  bleiben,  ebenso  wie  die  politischen  und  administra- 
tiven Zustände  der  Ständeterritorien  selbst,  da  während  des  hier  be- 
handelten Zeitraumes  ein  direkter  Einfluß  dieser  Verhältnisse  auf  die 


136  Die  habsburgische  Macht  (Deutschland). 

Geschichte  des  europäischen  Staatensystems  nicht  nachgewiesen  weiden 
könnte. 

Die  beste  Illustration  für  die  präponderierende  Stellung,  die  der 
habsburgischen  Macht  trotz  der  beschränkten  Kompetenzen  der  kaiser- 
lichen Gewalt  im  Reiche  zukam,  ist  der  Umstand,  daß  niemals  ein 
anderes  Fürstenhaus  (vor  allem  das  kursächsische  als  das  mächtigste 
nach  dem  österreichischen)  ernsthaft  gewagt  hat,  seine  Kandidatur 
für  die  Kaiserwürde  aufzustellen.  Als  im  Jahre  1519  der  Kaiserthron 
erledigt  war,  konnte  wohl  der  Herrscher  eines  außerdeutschen  Groß- 
staates daran  denken,  sich  um  die  höchste  Stelle  im  Reiche  zu  be- 
warben, nicht  aber  einer  der  mit  den  Habsburgern  konkurrierenden 
Territorialfürsten.  Denn  die  Hausmacht,  über  die  die  Habsburger 
verfügten,  war  viel  zu  bedeutend,  als  daß  ein  anderer  Fürst  gegen  sie 
hätte  regieren  können.  Umgekehrt  verlieh  diese  Hausmacht  den  kaiser- 
lichen Rechtsansprüchen  eine  ganz  andere  Wichtigkeit,  als  wenn  diese  von 
einem   kleinen   Territorialherrscher  hätten  verfochten  werden  müssen. 

Literatur.  Der  wichtigste  innerpolitische  Vorgang  in  Deutschland  (wichtiger 
als  die  mit  der  Reichsreform  und  dem  Reichsregiment  zusammenhängenden  Er- 
eignisse) war,  wie  im  Texte  bemerkt,  daß  die  Reformation  dem  von  den  Habsburgern 
geleiteten  Schwäbischen  Bund  ein  Ende  bereitete.  Vgl.  darüber  O.  A.  Hecker, 
»Karls  V.  Plan  zur  Gründung  eines  Reichsbundes«  (Leipziger  Diss.  1906),  daneben 
hauptsächlich  Fritz  Härtung,  »Karl  V.  und  die  deutschen  Reichsstände  von  1546 
bis  1555«  (1910),  worauf  auch  für  die  weitere  Literatur  verwiesen  sei.  —  Für  die 
Verhältnisse  unter  Maximilian  ist  neben  den  allgemeineren  Werken  und  den  Akten- 
publikationen wohl  am  aufschlußreichsten  Viktor  von  Kraus,  »Das  Nürnberger 
Reichsregiment,  Gründung  und  Verfall  1500  —  1502«  (1883).  —  Von  der  PoHtik  der 
Kaiser  gegenüber  den  Reichsstädten  waren  die  Beziehungen  zu  einzelnen  reichs- 
städtischen Finanzleuten  in  der  Hauptsache  unabhängig;  vgl.  über  diese  Verhält- 
nisse H.  J.  Kirsch,  »Die  Fugger  und  der  Schmalkaldische  Krieg«  (1915),  wo  auch 
die  weitere  Literatur  über  die  Fugger  verzeichnet  ist. 

Über  das  Monopol,  das  die  kaiserlicheRegierung  auf  den  diplomatischen  Dienst 
besaß,  vgl.  außer  dem  zitierten  Werk  von  Kraus  Stellen  wie  das  Schreiben  Ferdinands 
an  seinen  Bruder  Karl  V.  vom  Jahre  1524  (»Familienkorrespondenz«  1  [1912]. 
134  —  136);  »Venezianische  Depeschen  vom  Kaiserhofe«  I  (1889),  537.  —  Dabei  ist 
zu  beachten,  daß  selbst  bei  den  ^'ersuchen,  dies  Monopol  zu  durchbrechen,  die 
Stände  doch  nie  an  die  Errichtung  ständiger  Gesandtschaften  gedacht  haben. 
Sie  unterhielten  ständige  diplomatische  Vertreter  nicht  einmal  am  Kaiserhofe 
(vgl.  »Hist.  Zeitschr.«  113  [1914],  507).  —  F.  v.  Bezold,  »Das  Bündnisrecht  der 
deutschen  Reichsstände«  1904. 

Über  die  Bedeutung,  die  die  kaiserliche  Regierung  der  Unterstützung  durch 
die  Reichsstädte  beilegte,  enthalten  die  Dokumente  zahlreiche  Stellen.  Vgl.  etwa 
»Deutsche  Reichstagsakten,  jüngere  Reihe«  II,  74,  n.2;  Lanz,  »Korrespondenz 
Karls  V.«  II,  167  und  174.  Die  Fürsten  machten  es  auch  etwa  dem  Kaiser  zum 
Vorwurf,  daß  er  die  Städte  zu  .sehr  gegen  sie  begünstige  (Relation  Badoers  bei  Alberi  I, 
3,  220).  Daß  die  kaiserüchen  Beamten  die  Städtemitglieder  als  den  eigentlichen 
Kern  des  Schwäbischen  Bundes  ansahen,  wird  durch  Stellen  wie  die  Äußerung 
des  J.  de  Xaves  bei  Lanz  »Korrespondenz«  II,  329,  belegt  (vgl.  auch  ibid.  S.  333); 
der  1512  von  sezedierenden  Mitgliedern  geschlossene  (antiösterreichische)  »Kontra- 
bund« umfaßte  daher  nur  Fürsten,  keine  Städte  (Ulmann,  »Maximihan  1.«  II,  574). 
Um  so  charakteristischer  ist,  daß  doch  wohl  aus  konfessionellen  Bedenken  die  kaiser- 
Hche  Regierung  im  Jahre  1547  bei  den  Versuchen,  den  Bund  zu  erneuern,  zunächst 
von  der  Berufung  der  Städte  absah  (Hecker  in  der  zitierten  Schrift  S.  28  ff.).   Ander- 


§62.     Innerpolitisehe  Organisation.  137 

soits  ließen  sich  die  l<atholisclien  Fürsten  trotzdem  nielit  für  einen  Anschluß  an  den 
habsburgisch-zentrahstischen  Bund  gewinnen;  vgl.  etwa  ebenda  über  die  Haltung 
Bayerns  und  die  Bemerkungen  von  Ludwig  Cardauns  »Zur  Geschichte  Karls  Y. 
in  den  Jahren  1536  —  1538«  in  den  »Quellen  und  Forschungen  aus  italienischen 
Archiven«  XII  (1909),  210 f. 

Über  die  Abneigung'  der  deutschen  Fürsten  gegen  eine  Eroberung  Ungarns 
für  Österreich,  das  sowieso  schon  zu  viel  besitze  (1542),  Cavalli  in  seiner  Relation 
bei  Alberi  I,  3,  S.  11«;  Ludovisi  bei  Alberi  III.  1,  23  und  26. 

Für  die  Haltung  Frankreichs  gegenüber  Deutschland  ist  die  Denkschrift 
besonders  bezeichnend,  die  Marillac  im  Jahre  1559  nach  seiner  Rückkehr  aus  dem 
Reiche  aufsetzte  (P.  de  Vaissiere,  »Charles  de  Marillac^  1896,  S.  377  ff.).  Der  französi- 
sche Diplomat  rät  zwar  der  französischen  Krone  an,  die  deutschen  Fürsten  (auch 
er  spricht  nicht  von  den  Städten)  gegen  die  absolutistischen  Tendenzen  des  Kaisers 
aufzureizen;  aber  er  will  damit  nur  erreichen,  daß  das  Reich  keinen  Angriff  auf 
lYankreich  unternehme,  nicht  daß  Frankreich  Reichsgebiete  erlange.  Die  französische 
Regierung  wurde  bei  ihrer  Unterstützung  der  ständischen  Opposition  in  Deutsch- 
land für  gewöhnlich  nur  von  der  Absicht  geleitet,  einerseits  den  habsburgischen 
Kaiser  der  Hilfe,  die  ihm  das  Reich  bieten  konnte,  zu  berauben  und  anderseits  einer 
Sperre  des  deutschen  Söldnermarktes  vorzubeugen  (vgl.  darüber  z.  B.  »Venezianische 
Depeschen  vom  Kaiserhofe«  I,  611  [vom  Jahre  1546]);  wie  erwähnt,  benutzten  die 
Kaiser  eine  Stärkung  ihrer  Macht  vor  allem,  um  die  Anwerbung  von  deutschen 
Söldnern  in  den  ständischen  Territorien  zu  verhindern  (vgl.  z.  B.  Druffel,  »Beiträge 
zur  Reichsgeschichte«  I  [1873],  76,  nr.  119).  Daß  Frankreich  nie  an  einen  Angriff 
auf  das  Reich  aus  eigenen  Mitteln,  d.  h.  ohne  die  für  gewöhnlich  nicht  in  Betracht 
kommende  Beihilfe  deutscher  Stände  dachte,  ergibt  sich  aus  den  Akten  nicht  minder 
als  aus  den  Ereignissen  selbst  mit  Sicherheit;  auch  die  ausländischen  Diplomaten 
waren,  soweit  mir  bekannt,  alle  dieser  Ansicht  (vgl.  den  Ausspruch  des  mailändischen 
Diplomaten  Erasmo  Brasca  aus  dem  Jahre  1498  in  den  »Miscellanea  di  Storia  italianao 
XXXV  [1898],  483).  Maximilian  1.  war  denn  auch  nicht  imstande,  vor  den  Ständen 
auch  nur  den  Beweis  französischer  Offensivabsichten  gegen  die  österreichischen 
Erblande  zu  erbringen  und  mußte  zu  gefälschten  Proklamationen  der  französischen 
Regierung  seine  Zuflucht  nehmen  (Kraus,  »Reichsregiment«  S.  14  und  53)  —  Vgl. 
über  die  Beziehungen  der  Reichsstände  zu  Frankreich  auch  noch  den  Aufsatz  von 
W.  Platzhoff  in  der  »Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Oberrheins«,  N.  F.  XXIX, 
Heft  3. 

Der  große  Reichtum  der  Reichsstädte  an  Geschützen  ist  bekannt  und  bekannt 
ist  auch,  daß  Kaiser  Karl  V.  nach  dem  siegreichen  Ausgang  des  Schmalkaldischen 
Krieges  eine  beträchtliche  Anzahl  Kanonen  aus  den  unterworfenen  Städten  nach 
seinen  spanischen  und  süditalienischen  Besitzungen  schicken  konnte.  Trotzdem  sei 
noch  ausdrücklich  darauf  hingewiesen,  daß  nach  einer  Bemerkung  des  Venezianers 
Badoer  in  keinem  Lande  die  Städte  so  bedeutende  Munitionsvorräte  hatten  wie 
in  Deutschland  (Alberi,  »Relazionic  ser.  I,  vol.  3,  p.  187).  Darin  lag  aber  keines  der 
geringsten  Momente,  die  die  militärische  Stärke  Deutschlands  ausmachten,  was 
den  Venezianer  Tiepolo  im  Jahre  1532  sagen  Heß,  Deutschland  sei  bei  seinen  Nach- 
barn und  den  weiter  entfernten  stets  »di  stima  e  di  terrore«  gewesen;  seine  »forze«. 
seien  »grandissime«  und,  wenn  geeinigt,  »formidabilin  (Alberi,  »Relazioni«  I,  1,  35 
und  110).     Dieselbe  Ansicht  vertritt  sein  Landsmann  Ludovisi,  Alberi  III,  1,  25f. 

Zu  den  bisher  angeführten  Werken  kommen  dann  noch  die  Arbeiten,  die 
sich  mit  der  Geschichte  der  Reichsverfassung  beschäftigen.  Vgl.  Johannes  Sieber, 
»Geschichte  des  deutschen  Reichsmatrikelwesens  im  ausgehenden  Mittelalter  (1422 
bis  1521)«,  1910  (»Leipziger  Historische  Abhandlungen«,  24.  Heft);  F.  Härtung, 
»Geschichte  des  fränkischen  Kreises  von  1521  —  1559«,  1910;  derselbe  über  die 
Reichsreform  von  1485  bis  1495  in  der  »Historischen  Vierteljahrsschrift«  XVI 
(1913),  24ff.  und  181  ff. ;  Rudolf  Smend,  »Das  Reichskammergericht«  I  (1911); 
Hans  von  Schubert,  »Reich  und  Reformation«  1911;  J.  Heidrich,  »Karl  V.  und  die 
deutschen  Protestanten«  I   und   II   (1912). 


138  Die  habsburgische  Macht. 

4.  Die  habsburgische  Macht  als  Gesamtheit;  die  auswärtige  Politik 

der  Habsburger. 

§  63.  Die  Organisation  des  diplomatischen  Dienstes.  Die  Zu- 
sammensetzung des  habsburgischen  Länderbesitzes  aus  geographiscli 
getrennten  und  in  ihren  politischen  Interessen  untereinander  diffe- 
rierenden Gebieten  erschwerte  die  diplomatische  Aktion  der  Dynastie 
und  hatte  in  militärischer  Beziehung  mannigfache  Unzuträglichkeiten 
zur  Folge.  Auf  die  diplomatische  Organisation  aber  übte  dieser  Zu- 
stand einen  außerordentlich  günstigen  Einfluß  aus.  Wenn  der  Historiker 
auch  nicht  behaupten  kann,  daß  der  vortreffliche  Informationsdienst 
der  Habsburger  ein  notwendiges  Produkt  der  eben  erwähnten  Ver- 
hältnisse gewesen  ist  (denn  auch  die  übrigen  mit  Frankreich  rivali- 
sierenden großen  Staaten  haben  trotz  ihrer  territorialen  Geschlossen- 
heit das,  was  ihnen  an  militärischer  und  finanzieller  Konkurrenz- 
fähigkeit gegenüber  der  französischen  Krone  abging,  durch  diploma- 
tische Arbeit  zu  ersetzen  gesucht),  so  war  doch  das  eigentümliche 
habsburgische  Ländersystem  in  ganz  besonderem  Maße  geeignet,  dieses 
neue  Kampfmittel  (§  3)  zur  Ausbildung  zu  bringen.  In  welchem  Staate 
lag  die  Zweckmäßigkeit  des  modernen  ständigen  Nachrichtendienstes 
deutlicher  zutage  als  in  dem  habsburgischen,  der  sozusagen  durch  jede 
militärische  oder  diplomatische  Aktion  in  Europa  direkt  in  seinen 
Interessen  tangiert  wurde  ?  Welche  andere  Regierung  hatte  auch  nur 
innerhalb  ihres  eigenen  Gebietes  auf  so  verschiedenartige  und  oft  wider- 
spruchsvolle Forderungen  Rücksicht  zu  nehmen,  die  nur  auf  dem 
W'ege  ständiger  Berichterstattung  bei  der  zentralen  leitenden  Stelle 
richtig  zur  Geltung  gebracht  werden  konnten  ? 

Dazu  kam  noch  ein  anderer  Umstand.  —  Es  scheint  bei  den  Habs- 
burgern  Prinzip  gewesen  zu  sein,  wichtigere  Statthalterposten,  vor 
allem  die  Gouverneursstelle  in  den  Niederlanden,  mit  Angehörigen  der 
Dynastie  zu  besetzen,  und  zwar  womöglich  mit  ganz  nahen  Angehörigen 
des  regierenden  Herrschers,  wobei  auch  in  ganz  ungewöhnlichem  Um- 
fange weibliche  Verwandte  herangezogen  wurden.  Dies  kam  zunächst 
der  Qualität  der  Berichte  zugute:  es  ist  ohne  weiteres  klar,  daß  nahe 
Blutsverwandte  in  manchen  Fällen  offener  politisch  delikate  Ange- 
legenheiten besprechen  konnten  als  abhängige  Delegierte.  Daneben 
aber  fiel  noch  in  Betracht,  daß  diese  Korrespondenz  zugleich  dem 
Bedürfnis  nach  Information  über  das  persönliche  Ergehen  der  Schrei- 
benden diente,  was  den  Antrieb  zu  einer  raschen  und  ununterbrochenen 
Berichterstattung  wohl  verstärkte.  Daraus  ist  die  zum  größten  Teile 
noch  erhaltene  »Familienkorrespondenz « der  Habsburger  hervorgegangen, 
die  nun  freilich  trotz  ihres  Namens  die  privaten  Angelegenheiten  und 
die  verwandtschaftlichen  Gefühle  durchaus  zurücktreten  läßt  vor  der 
Erörterung  der  politischen  Angelegenheiten,  sei  es  der  Gesamtinteressen 
der  Dynastie,  sei  es  der  unter  einander  bisweilen  sehr  differierenden 
Wünsche  einzelner  Angehöriger.    Dies  alles  aber  bildete  einen  Informa- 


§  63.    Organisation  des  diplomatischen  Dienstes.  139 

tionsapparat,  dem  vielleicht  Staaten  des  Westens  und  Südens  ähnliches 
an  die  Seite  stellen  konnten,  den  aber  kein  Rivale  zu  überbieten  ver- 
mochte. Ganz  und  gar  überlegen  zeigte  sich  die  habsburgische  Macht 
aber  in  dieser  Beziehung  den  Staaten  des  Ostens  und  Nordens,  die 
wie  Ungarn  und  Polen  und  auch  die  deutschen  Stände,  überhaupt  keinen 
organisierten  diplomatischen  Dienst  hatten;  nur  der  Türkei  gegenüber 
war  diese  Superiorität  von  nebensächlicher  Bedeutung,  w-eil  das  os- 
manische  Reich  den  Mangel  ständiger  Informationen  durch  seine  mili- 
tärische Stärke  ausgleichen  konnte. 

Ähnliches  wie  von  dem  diplomatischen  Informationsdienst  läßt 
sich  von  der  offiziellen  und  offiziösen  Propagandatätigkeit  der  Habs- 
burger sagen.  Die  österreichische  Regierung  war  zwar  nicht  die  einzige, 
die  der  inspirierten  Publizistik  Sorgfalt  zuwandte ;  aber  was  andere 
Staaten,  wie  z.  B.  Spanien,  in  dieser  Hinsicht  vollbrachten,  kam  höch- 
stens dem  gleich,  was  von  habsburgischer  Seite  geschah,  übertraf  es 
aber  niemals,  und  manche  Staaten  (auch  Frankreich  in  der  ersten 
Zeit)  hatten  überhaupt  keine  analogen  Leistungen  aufzuweisen.  Wie 
damals  üblich,  richteten  sich  diese  Versuche,  die  öffentliche  Meinung 
für  die  eigene  Politik  günstig  zu  stimmen,  w^eniger  an  die  Untertanen 
als  an  das  Ausland  oder  wenigstens  an  die  Gebiete,  denen  gegenüber 
die  Habsburger  über  keine  wirksamen  Machtmittel  verfügten,  also 
neben  Italien,  Ungarn  usw.,  vor  allem  an  die  Stände  und  die  Bevöl- 
kerung des  Reiches.  Hier  aber  hat  nun  von  Beginn  der  hier  behan- 
delten Periode  an  die  habsburgische  Dynastie  eine  außerordentlich 
ausgedehnte  Propaganda  für  ihre  Politik  ins  Werk  gesetzt.  Besonders 
zu  den  Zeiten  Kaiser  Maximilians  I.  entfaltete  die  österreichische  Re- 
gierung gegen  die  deutschen  Stände,  die  sich  weigerten,  die  Kräfte  des 
Reiches  der  habsburgischen  Hauspolitik  gegen  Venedig  und  Frank- 
reich dienen  zu  lassen,  eine  Agitation,  zu  der  damals  wohl  in  keinem 
anderen  Lande  eine  Parallele  gefunden  werden  könnte.  Wie  eifrig 
dieses  Mittel  im  Dienste  der  habsburgischen  Ausdehnungspolitik  ge- 
braucht w^urde,  wird  besonders  deutlich  durch  den  Umstand  belegt, 
daß  die  Regierung  bereits  damals  den  neuen  Stil  der  humanistischen 
Publizistik  zur  Verwendung  heranzog.  Man  weiß,  daß  Kaiser  Maxi- 
milian seinem  literarischen  Geschmacke  nach  noch  durchaus  der  mittel- 
alterlichen Stoffwelt  und  den  spätmittelalterlichen  Kunstformen  zu- 
geneigt war;  es  ist  auch  bekannt,  daß  sein  Latein  noch  so  »barbarisch« 
war,  daß  Ludovico  Moro  einen  Brief  aus  seiner  Feder  erst  nach  zwei- 
bis  dreimaligem  Lesen  verstand  {»Miscellanea  di  Storia  italianan  XXXVI 
[1898],  357,  nr.  4).  Aber  der  Kaiser  hat  sich  dadurch  nicht  abhalten 
lassen,  die  für  die  internationale  Publizistik  unentbehrlich  w'erdende 
humanistische  Ausdrucksform  zur  Bearbeitung  der  öffentlichen  Mei- 
nung auszunutzen.  Er  verschmähte  es  nicht,  Humanisten  wie  Cuspinian 
und  Wimpfeling  in  seine  Dienste  zu  nehmen  und  auch  Hütten  glaubte 
sich,  als  er  im  Jahre  1511  zum  ersten  Male  AA'ien  besuchte,  durch  nichts 
anderes    bei    der    österreichischen    Regierung    besser    in    Empfehlung 


140  Die  habsburgische  Macht. 

bringen    zu    können    als    durch    eine    humanistische    Invektive    gegen 
Venedig. 

Literatur.  Die  beste  Quelle  für  die  hier  dargelegten  Verhältnisse  sind 
natürlich  die  zahlreichen  Schreiben  der  habsburgischen  Familienmitglieder  selbst. 
Speciell  der  »Famihenkorrespondenz«  gewidmet  sind  Sammlungen  wie  die  »Corres- 
pondance  de  V Empereur  Maximilien  1^^  et  de  Marguerite  d'Autriche,  sa  fille«  {ISo'J} 
und  die  »Familienkorrespondenz  Ferdinands  I.«,  mit  deren  Pubhkation  Wilhelm 
Bauer  1912  begonnen  hat  (der  bisher  einzig  vorliegende  erste  Band  enthält  auch 
einige  Bemerkungen  über  den  Charakter  des  Briefwechsels). 

Die  publizistische  Tätigkeit  der  habsburgischen  Regierung  ist  noch  nirgends 
im  Zusammenhange  behandelt  worden.  Verschiedentlich  hat  sich  die  Forschung  dabei 
übrigens  des  Fehlers  schuldig  gemacht,  die  von  offiziellen  Stellen  inspirierten  Schriften 
als  Ausdruck  volkstümlicher  Stimmungen  zu  betrachten,  wodurch  natürlich  z.  B. 
über  die  Popularität  der  Politik  Maximilians  im  Deutschen  Reiche  ganz  falsche 
Ansichten  entstehen  müssen;  noch  unkritischer  ist  es,  wenn  man  aus  ihnen  be- 
weisen will,  daß  einzelne  Behauptungen  Maximilians  nicht  nur  in  der  Phantasie 
des  Kaisers  existierten,  wie  es  z.  B.  Kurt  Käser  tut  ( »Deutsche  Geschichte  im  Aus- 
gange des  Mittelalters«  II  [1912],  50).  Zu  der  damaligen  Propagandatätigkeit  der 
habsburgischen  Regierung  gehörten  übrigens  auch  die  zahlreichen  Reden  und 
Schreiben,  die  der  Kaiser  an  einzelne  oder  mehrere  deutsche  Stände  richtete,  und 
denen  mindestens  eine  »halbe  Öffentlichkeit«  (vgl.  Ulman,  »Maximilian  I.«  11,373) 
zukam.  —  Vgl.  auch  Wilhelm  Bauer,  »Die  öffentliche  Meinung  und  ihre  geschicht- 
lichen Grundlagen«  (1914),  S.  217. 

§  64.  Die  Ziele  der  auswärtigen  Politik.  Die  habsburgische 
Macht  im  Vergleich  mit  anderen  Großstaaten.  Es  ist  bereits 
in  den  vorhergehenden  Abschnitten  mehrfach  darauf  hingewiesen  worden, 
daß  es  unmöglich  ist,  die  habsburgische  Macht  so  zu  beschreiben,  daß  die 
dabei  mitgeteilten  Daten  einer  Vergleichung  mit  anderen  Staaten  als 
Grundlage  dienen  könnten.  Der  Umfang  keiner  anderen  Großmacht 
(mit  Ausnahme  der  osmanischen)  hat  sich  während  der  hier  behandelten 
Periode  so  beständig  gewandelt,  d.  h.  vergrößert  wie  das  Areal  des 
habsburgischen  Gebietes,  und  selbst  wenn  man  von  der  Erwerbung 
Spaniens  absehen  wollte,  die  vom  Jahre  1516  an  die  Politik  der  Dynastie 
auf  eine  ganz  neue  Basis  stellte,  so  könnte  jede  statistische  Aufstellung 
nur  für  eine  kurze  Zeitspanne  Geltung  in  Anspruch  nehmen.  Dazu 
kommt  noch,  daß  die  in  §  62  geschilderten  Zustände  in  Deutschland 
weder  erlauben,  daß  die  Hilfsmittel  des  Reiches  vollständig  in  Rech- 
nung gesetzt  werden,  noch  auch,  daß  sie  ganz  außer  Betracht  fallen. 

Ohne  Deutschland  zählten  die  habsburgischen  Besitzungen  zu 
Beginn  der  Periode  (also  noch  ohne  die  späteren  Erwerbungen  in  den 
Niederlanden,  Böhmen,  Ungarn  usw.)  kaum  über  3  Millionen  Seelen; 
ihre  Bevölkerungszahl  reichte  demnach  nicht  einmal  ganz  an  die  Eng- 
lands heran  und  konnte  mit  Frankreich  überhaupt  nicht  in  Parallele 
gesetzt  w^erden.  Günstiger  lagen  die  Verhältnisse,  was  die  übrigen 
materiellen  Grundlagen  einer  Großmachtpolitik  betraf.  Die  Infanterie- 
söldner, die  aus  den  habsburgischen  Erblanden  geliefert  wurden,  standen 
zwar  der  Qualität  und  der  Zahl  nach  sowohl  den  deutschen  wie  den 
schweizerischen  und  später  den  spanischen  Kriegsknechten  nach;  aber 
sie  bildeten  immerhin  ein  einheimisches  Soldatenmaterial,  dem  weder 


§  64.    Charakter  der  auswärtigen   Politik.  141 

Frankreich  noch  England  noch  Ungarn,  noch  auch  Venedig  aus  eigenen 
Kräften  ähnhches  entgegenstellen  konnten.  Wichtiger  war  noch,  daß 
die  Industrie  und  später  auch  der  Handel  der  Niederlande  Geldmittel 
zur  Kriegführung  aufzubringen  vermochten,  die  mit  dem  kleinen 
Gebietsumfange  des  Territoriums  außer  Verhältnis  standen.  Konnte 
auch  nicht  die  Rede  davon  sein,  daß  die  Habsburger  damit  über  dieselbe 
Finanzkraft  verfügten  wie  Frankreich,  so  waren  sie  doch,  dank  den 
Subsidien  der  burgundischen  Erblande,  finanziell  besser  ausgerüstet 
als  alle  ihre  sonstigen  Nachbarn  mit  Ausnahme  Venedigs. 

Charakter  der  habsburgischen  Politik.  Zu  einer  Großmacht- 
politik, die  sich  vor  allem  die  Bekriegung  Frankreichs  und  die  Zurück- 
drängung Venedigs  zum  Ziele  gesetzt  hatte,  reichten  freilich  diese  Mittel 
nicht  aus;  nur  in  den  Konflikten  mit  kleineren  Staaten  oder  in  Ver- 
bindung mit  einer  der  sonst  bekämpften  Großmächte  pflegten  die 
Habsburger  (vor  der  Vereinigung  mit  Spanien)  den  Sieg  auf  ihrer  Seite 
zu  haben. 

Behält  man  diesen  Umstand  im  Auge  und  zugleich  den  »unfertigen« 
Zustand  nicht  nur  der  einzelnen  erbländischen  Besitzungen,  sondern 
des  gesamten  habsburgischen  Länderkonglomerates  überhaupt,  so  er- 
scheint der  damalige  Charakter  der  habsburgischen  auswärtigen  Politik 
durchaus  natürlich.  Die  mangelhafte  finanzielle  Ausrüstung  verhinderte 
(mindestens  vor  dem  Jahre  1516)  eine  wirksame  Aktion,  während  die 
eigentümliche  Gestalt  der  einzelnen  Herrschaftsgebiete,  wie  vor  allem 
die  Notwendigkeit,  sich  zu  deren  Erhaltung  in  einen  Kampf  mit  Groß- 
staaten einzulassen,  der  Dynastie  doch  nicht  erlaubten,  sich  von  den 
Kämpfen  der  Großmächte  fernzuhalten.  Schon  die  Zeitgenossen  haben 
über  die  zerfahrene  Politik  Maximilians  I.  gespottet,  der  phantastischen 
Zielen  mit  unzureichenden  Mitteln  nachjage.  Diese  Vorwürfe  waren 
in  der  Hauptsache  durchaus  berechtigt;  aber  der  Forscher  muß  darauf 
hinweisen,  daß  schwer  zu  entscheiden  wäre,  wieweit  der  Persönlichkeit 
des  Kaisers  eine  Schuld  beizumessen  wäre.  Es  wäre  keine  Paradoxie, 
wenn  man  ihn  und  seine  Politik  als  den  bloßen  Exponenten  der  eigen- 
tümlichen Situation  bezeichnen  wollte,  in  der  sich  das  Haus  Öster- 
reich damals  befand. 

Eine  besondere  Schwierigkeit  erwuchs  der  habsburgischen  Politik 
dadurch,  daß  die  internationalen  Interessen  ihrer  einzelnen  Erblande 
sich  zum  Teil  direkt  widersprachen.  Da  die  Habsburger  weder  der 
Unterstützung  durch  eine  auswärtige  Großmacht  entraten  konnten, 
noch  auch  dem  Vorteile  eines  dominierenden  Zentralgebietes  die  Rück- 
sicht auf  die  übrigen  Besitzungen  unterordnen  durften,  so  ließ  sich 
nicht  vermeiden,  daß  die  Koalitionen,  zu  denen  sie  griffen,  irgendeinen 
Teil  ihrer  Erblande  in  Nachteil  setzten.  So  hatten  die  österreichischen 
Lande  keinen  Gewinn  von  einem  feindsehgen  Verhältnisse  zu  Frank- 
reich zu  erwarten;  die  gegen  Venedig  gerichtete  österreichische  Adria- 
politik  verlangte  im   Gegenteile,   daß   zu  der  französischen    Krone  als 


142  Die  habsburgische  Macht. 

der  (zeitweiligen)  Herrscherin  über  Mailand  gute  Beziehungen  unter- 
halten würden.  Für  einzelne  Stücke  der  burgundischen  Erbschaft  war 
dagegen  eine  Unterstützung  und  Stärkung  der  französischen  Position 
wenig  wünschenswert.  Noch  stärker  w^urden  diese  Widersprüche,  als 
Zufälligkeiten  der  Erbfolge  auch  noch  Spanien  dem  habsburgischen 
Herrschaftsbereiche  hinzufügten.  Es  war  nun  gar  nicht  mehr  anders 
möglich,  als  daß  jede  politische  Aktion  des  Hauses  das  Wohl  irgend- 
eines Erblandes  verletzen  mußte.  Denn  die  Gesamtinteressen  der 
Dynastie  fielen  nirgends  mit  denen  eines  Gebietsteiles  vollständig  zu- 
sammen. —  Wenn  dann  in  den  Zeiten  Kaiser  Karls  V.  die  auswärtige 
Politik  der  Habsburger  konsequenter  und  reiflicher  überlegt  erscheint, 
so  liegt  das  nicht  an  einer  prinzipiellen  Wandelung  der  Handlungs- 
weise, die  seit  der  Periode  Maximilians  I.  eingetreten  wäre,  sondern 
allein  an  den  größeren  Machtmitteln,  über  die  der  Enkel  verfügte, 
Machtmitteln,  die  ihn  von  der  prekären  Beihilfe  des  Auslandes  in  einem 
früher  unbekannten  Umfange  unabhängig  stellten.  Und  auch  dieser 
Kräftezuwachs  wurde  zu  einem  guten  Teile  dadurch  ausgeglichen,  daß 
wenigstens  einer  der  Gegner  eine  viel  gefährlichere  Gestalt  angenommen 
hatte:  während  zur  Zeit  Maximilians  weder  Venedig  noch  Ungarn, 
noch  Bayern,  noch  die  Türkei  die  Ausdehnungspolitik  Österreichs 
ernsthaft  bedrohen  konnten,  war  nun  ein  beträchtliches  Stück  der 
österreichischen  Interessensphäre  im  Osten  von  den  bisweilen  bis  gegen 
Österreich  selbst  vorstürmenden  Osmanen  mit  Beschlag  belegt  w^orden. 
Mit  den  Bedürfnissen  Österreichs  und  Spaniens  hätte  sich  damals  nur 
eine  Politik  vertragen,  die  ohne  Rücksicht  auf  den  französischen  Gegen- 
satz alle  Kräfte  auf  den  Kampf  mit  der  Türkei  konzentriert  hätte. 
Aber  die  habsburgische  Regierung  hätte  sich  durch  eine  solche  Haltung 
in  Widerspruch  gesetzt  mit  ihren  Sicherungs-  und  Arrondierungsplänen 
in  Oberitalien  und  Burgund.  und  weil  sie  dieses  Opfer  nicht  bringen 
wollte,  wurden  in  Österreich  und  Spanien  nicht  einmal  genügende 
Defensivmaßregeln  gegen  die  osmanischen  Angriffe  getroffen  (§§  45 
und  58). 

Es  ist  daher  nicht  verwunderlich,  wenn  die  habsburgische  Herr- 
schaft im  allgemeinen  wenig  populär  war  und  speziell  zur  Zeit  Karls  V. 
in  Deutschland  und  Spanien  das  Gefühl  aufkam,  die  Regierungspolitik 
w^erde  durch  ausländische  Interessen  bestimmt.  Die  Dynastie  stellte 
wirklich  ihren  eigenen  oder  wenn  man  lieber  will,  den  allgemeinen 
Vorteil  der  von  ihr  beherrschten  Länder  über  den  Nutzen  der  einzelnen 
Gebiete  und  sie  verwendete  dabei  begreiflicherweise  mit  Vorliebe 
Beamte,  die  wie  der  heimatlose  (ursprünglich  piemontesische)  Mer- 
curino  di  Gattinara,  Großkanzler  Karls  V.  in  dessen  ersten  Jahren, 
entweder  überhaupt  mit  keinem  der  habsburgischen  Erblande  durch 
ihre  Herkunft  verbunden  waren  oder  wie  der  aus  Burgos  stammende 
Salamanca,  der  Schatzmeister  und  einflußreichste  Rat  König  Fer- 
dinands in  dessen  erster  Zeit,  wenigstens  nicht  demjenigen  Teile  der 
Erblande    entstammten,    an    dessen    Regierung    sie    mitw^irkten.     Ver- 


§  64.    Verhältnis  zu  Frankreich.  143 

ständlich  ist  dann  auch,  warum  gerade  die  Freigrafschaft  passende 
Diener  dieser  habsburgischen  Politik  hervorbrachte  (§  50):  die  Existenz 
keiner  anderen  habsburgischen  Besitzung  war  so  eng  mit  dem  Bestände 
der  Dynastie  verknüpft  als  die  der  Franchecomte,  die  aus  eigenen 
Kräften  sich  weder  der  Franzosen  noch  auch  nur  der  Eidgenossen 
hätte  erwehren  können.  Der  antifranzösische  Zug  der  habsburgischen 
Politik  wurde  dadurch  freilich  vielleicht  noch  mehr  verstärkt;  auf  der 
anderen  Seite  bestand  dafür  wohl  nirgends  sonst  so  wenig  das  Gefühl 
einer  Fremdherrschaft  wie  in  den  burgundisch-niederländischen  Ter- 
ritorien. 

Literatur.  Die  Hauptquelle  sind  natürlich  die  in  überreicher  Fülle  vorhande- 
nen Korrespondenzen  und  Akten  der  habsburgischen  Regenten.  Vgl.  daneben 
noch  die  biographischen  Notizen  über  Gattinara  von  Gaudenzio  Glaretta  in  den 
»Memorie  della  R.  Accadeniia  delle  Scienze  di  Torino«  Sc.  Mor.  Ser.  II,  t.  47  (1897), 
p.  67  ff.,  und  Gattinaras  lateinische  Autobiographie,  ed.  (^.arlo  Bornato  in  den  »Mi- 
scellanea  della  Deputazione  storica  piemontese«,  serie  III,  t.  16  (1915).  In  den  Ge- 
dankenkreis Salamancas  führen  einigermaßen  die  zu  einem  guten  Teil  an  diesen 
gerichteten  Briefe  Salinas  ein  (A.  Rodriguez  Villa,  »El  Emperador  Carlos  V  y  su 
carte«  1903).  —  Beauvois,  »Un  agent  politique  de  Charles-Quint,  le  Bourguignon  Claude 
Bouton«  1882;  Le  marquis  d'Alcedo,  »Le  cardinal  de  Quinones  et  la  Sainte-Ligue« 
1910.  (Der  Franziskanergeneral  Quinones  [148.5  —  1540]  wurde  auch  zu  diplomatischen 
Missionen  verwendet.) 

Verhältnis  zu  anderen  Staaten:  Frankreich.  Mit  den  Ein- 
schränkungen, die  sich  aus  den  Ausführimgen  des  letzten  Abschnittes 
ergeben,  darf  gesagt  werden,  daß  der  auswärtige  Staat,  dessen  Be- 
kämpfung sich  die  Habsburger  vor  allem  anderen  zum  Ziele  gesetzt 
hatten,  Frankreich  war. 

Die  Verhältnisse  lagen  nicht  so,  daß  die  Ausdehnungsprojekte  der 
Dynastie  sich  besonders  gegen  Frankreich  gerichtet  hätten  oder  be- 
sonders von  diesem  bedroht  worden  wären,  ^^'enn  der  burgundische 
Besitz  des  Hauses,  wie  es  schien,  nur  auf  Kosten  der  französischen 
Krone  behauptet  und  erweitert  werden  konnte,  so  war  doch  dies  Ziel 
an  sich  keineswegs  wichtiger  als  die  Ausdehnungspläne,  die  sich  gegen 
die  Aspirationen  Venedigs,  Bayerns  oder  Ungarns  wendeten.  Der 
Unterschied  bestand  nur  darin,  daß  bei  Frankreich  den  habsburgischen 
Absichten  eine  starke  Großmacht  entgegenstand,  gegen  die  eine  ganz 
anders  intensive  diplomatische  Gegenarbeit  vonnöten  war  als  gegen 
die  anderen  Rivalen. 

An  sich  kann  nun  kein  Zweifel  darüber  herrschen  und  wird  auch 
durch  die  Ereignisse  vor  der  Vereinigung  mit  Spanien  bestätigt,  daß 
die  Habsburger  in  diesem  Konflikte,  selbst  wenn  sie  alle  ihre  Kräfte 
auf  diesen  einen  Punkt  hätten  konzentrieren  können,  die  schwächere 
Macht  waren.  Sie  wären  auch  dann  dem  französischen  Königtume 
finanziell  nicht  gewachsen  gewesen,  wenn  die  niederländischen  Stände, 
deren  Interessen  einem  Kriege  mit  Frankreich  entgegengesetzt  waren 
(§  51),  in  größerem  Umfange  Subsidien  bewilligt  hätten.  Auch  den 
französischen    Reisigen    und    selbst    der    französischen    Artillerie    ver- 


144  Die  habsburgische  Macht. 

mochten  die  Habsburger  trotz  aller  Anstrengungen  (§  58)  nichts 
Gleichwertiges  entgegenzusetzen.  Was  die  modern  geschulte  Infanterie 
betraf,  so  hätten  allerdings  die  Habsburger,  wenn  sie  die  oberdeutschen 
Söldner  für  ihre  Zwecke  hätten  monopolisieren  können,  in  dieser  Be- 
ziehung über  eine  sicherere  Waffe  verfügt  als  der  Gegner,  da  die  Fran- 
zosen auf  Anwerbungen  im  Ausland,  d.  h.  in  der  Schweiz,  angewiesen 
waren  (§  29).  Aber  sosehr  die  habsburgische  Regierung  auch  nach 
dieser  Richtung  arbeitete,  —  es  gelang  ihr  weder,  den  Franzosen  die 
deutschen  Söldner  zu  sperren,  noch  (ein  ebenso  wirksames  Mittel) 
das  System  der  Werbeverträge  zwischen  Frankreich  und  der  Eid- 
genossenschaft definitiv  oder  auch  nur  für  lange  Perioden  lahmzulegen. 

Es  blieb  somit  nur  der  Ausweg  übrig,  mit  anderen  schwächeren 
Staaten  zusammen  Koalitionen  gegen  Frankreich  zu  bilden.  Und 
dies  war  denn  auch  das  Mittel,  zu  dem  die  habsburgische  Regierung 
griff,  und  dieses  Ziel  kann  man  eigentlich  als  das  Leitmotiv  ihrer  diplo- 
matischen Arbeit  bezeichnen.  Und  zwar  suchte  sie  nicht  nur  die  Frank- 
reich benachbarten  Staaten  wie  Spanien  und  England  und  auch  Mai- 
land in  den  Kreis  ihrer  Allianzpolitik  zu  ziehen,  sondern  ebensosehr 
auch  die  Reichsstände.  Denn  da  die  kaiserliche  Gewalt  nicht  ausreichte, 
um  die  Reichsfürsten  zur  Teilnahme  an  den  kriegerischen  Konflikten 
der  Dynastie  mit  Frankreich  zu  zwingen,  so  mußten  auch  hier  nicht 
viel  anders  als  im  Auslande  Mittel  diplomatischer  Bearbeitung  an- 
gewandt werden.  Aussichten  auf  eigenen  Gewinn  konnten  den  Stän- 
den freilich  nicht  gemacht  werden;  die  habsburgische  Regierung  suchte 
daher  mit  Behauptungen  über  französische  aggressive  Pläne  zu  wirken. 

Der  beste  Bundesgenosse  der  habsburgischen  Politik  war  freilich 
das  französische  Königtum  selbst.  Seitdem  die  französischen  Aspi- 
rationen sich  einseitig  nach  Italien  orientiert  hatten  (§37),  war  die  fran- 
zösische Krone  nicht  mehr  in  der  Lage,  ihre  gesamten  Machtmittel 
gegen  die  habsburgischen  Teile  des  burgundischen  Erbes  einzusetzen. 
Schon  der  Beginn  der  hier  behandelten  Periode  zeigt  die  Erscheinung, 
daß  ein  Stück  der  Erblande,  nämlich  die  Freigrafschaft,  mit  Rück- 
sicht auf  die  italienische  Unternehmung  den  Habsburgern  ausgeliefert 
wurde  (1493,  §  102).  Solange  die  Franzosen  an  ihrer  mailändischen 
Politik  festhielten,  blieb  ihnen  ein  Zuwachs  auf  Kosten  habsburgisch- 
burgundischen  Gebietes  versagt. 

Allerdings  verschoben  sich  in  den  späteren  Jahrzehnten  die  Kräfte- 
verhältnisse außerdem  noch  durch  die  Vereinigung  Spaniens  mit  der 
habsburgischen  Macht  weiter  zuungunsten  Frankreichs,  das  dann 
durch  sein  Bündnis  mit  der  Türkei  die  habsburgische  Position  wieder 
in  anderer  Weise  schwächte.  Doch  haben  alle  diese  nachträglichen 
Allianzversuche  der  französischen  Krone  zwar  deren  Stellung  gegenüber 
den  Habsburgern  verbessert,  ihr  aber  nicht  die  Superiorität  gesichert. 

Verhältnis  zu  England.  Wie  die  Politik  gegenüber  Frankreich, 
so  wurden  auch  die  Beziehungen  zu  England  durch  die  burgundischen 


§  64.    Verhältnis  zu  England.  145 

Inlerosson  der   Habsburger  bestimmt.    Die   Behandlung  dieses   Gegen- 
standes schließt  sich  daher  hier  am  natürlichsten  an. 

Für  die  Suprematie  antil'ranzösischer  Tendenzen  in  der  habs- 
burgischen  Politik  ist  das  Verhältnis  zu  England  besonders  bezeichnend. 
Es  entsprach,  wie  später  in  dem  Abschnitt  über  England  (§  84)  näher 
ausgeführt  ist,  sowohl  dem  neuen  mittelständischen  Charakter  der 
damaligen  englischen  Regierung  wie  der  anfänglichen  unsicheren  Po- 
sition des  Tudorregimentes,  wenn  die  Vertreter  der  neuen  Dynastie 
Eroberungskriegen  in  Frankreich  abgeneigt  waren ;  es  entsprach  ander- 
seits den  handelspolitischen  Interessen  der  Niederlande,  daß  das  neue 
englische  Regierungssystem,  das  durch  seine  Maßregeln  zugunsten  der 
englischen  Tuchweberei  die  flandrische  Textilindustrie  zu  ruinieren 
drohte,  bei  ihren  Regenten  keine  Unterstützung  gefunden  hätte.  An 
sich  hätte  also  ein  feindseliges  oder  mindestens  ein  kühles  Verhältnis 
zwischen  den  Habsburgern  und  Tudors  normal  erscheinen  können. 
Aber  bei  dem  Hause  Österreich  galt  die  Bekämpfung  Frankreichs  so- 
sehr als  Voraussetzung  für  den  Besitz  des  burgundischen  Erbes,  daß 
die  Beziehungen  zu  England  in  erster  Linie  im  Lichte  einer  Offensiv- 
alHanz  gegen  Frankreich  betrachtet  wurden.  Natürlich  war  die  Pro- 
sperität der  flandrischen  Tuchfabrikation  für  die  habsburgische  Politik 
von  viel  zu  großer  Bedeutung,  als  daß  sich  die  Dynastie  dieser  Interessen 
in  ihren  Verhandlungen  mit  England  nicht  angenommen  hätte.  Aber 
das  Übergewicht  lag  doch  immer  bei  den  Tendenzen,  die  darauf  hinaus- 
liefen, England  zu  militärischem  Vorgehen  gegen  Frankreich  zu  bewegen. 

Die  Habsburger  mußten  dabei  um  so  vorsichtiger  operieren,  als 
die  englische  Regierung  so  gut  wie  gar  keine  Interessen  an  einem 
Kriege  mit  Frankreich  hatte.  Der  Besitz  von  Calais  war  allerdings, 
solange  die  englische  Wollausfuhr  noch  in  großen  Dimensionen  erfolgte, 
für  England  von  Wichtigkeit;  aber  es  besteht  kein  Anzeichen  dafür, 
daß  wenigstens  in  den  ersten  Jahrzehnten  der  hier  behandelten  Periode 
französische  Absichten  auf  Eroberung  der  Stadt  bestanden  hätten. 
Es  bedurfte  daher  besonderer  Anstrengungen,  damit  die  englische 
Regierung  trotzdem  zu  einer  Intervention  in  die  habsburgischen  Kriege 
gegen  Frankreich  gewonnen  wurde,  und  es  waren  auch  in  der  Haupt- 
sache persönliche  und  vorübergehende  Gründe,  wenn  die  Bemühungen 
der  österreichischen  Diplomaten  bisweilen  von  Erfolg  begleitet  waren 
(vgl.   §  115). 

Etwas  anders  gestalteten  sich  die  Beziehungen  in  der  zweiten 
Hälfte  .der  Periode,  nachdem  die  habsburgische  Macht  als  die  ohnehin 
Frankreich  überlegene  der  englischen  Unterstützung  weniger  bedurfte 
und  England  gelegentlich  Velleitäten  verspürte,  sich  gegenüber  der 
Gefahr  einer  habsburgischen  Hegemonie  über  Europa  an  Frankreich 
anzuschließen.  Doch  kann  auch  auf  diese  Verhältnisse  hier  nur  ganz 
kurz  hingewiesen  werden. 

Im  übrigen  war  die  Hilfe,  die  England  den  Habsburgern  bieten 
konnte,   nur   von   nebensächlicher   Bedeutung.     Bei   der    Rückständig- 

Fueter,  Europ.  Staateosystem.  10 


146  Die  habsburgische  Macht. 

keit  der  englischen  Ausrüstung  (§  85)  konnte  es  sich  von  vornherein 
nicht  darum  handeln,  sclivvache  Stellen  der  habsburgischen  Armee- 
einrichtung auszugleichen  (was  z.  B.  Oberdeutschland  und  die  Schweiz 
durch  die  Lieferung  von  Söldnern  zu  leisten  vermochten);  es  konnte 
vielmehr  nur  finanzielle  Unterstützung  in  Betracht  fallen.  Zu  einer 
solchen  war  die  englische  Regierung  nun  wohl  in  relativ  hohem  Betrage 
imstande;  aber  sie  hätte  ganz  anders  an  der  Bekämpfung  Frankreichs 
interessiert  sein  müssen,  als  dies  der  Fall  war,  damit  die  mit  ihrem 
Geld  angeworbenen  Truppen  einen  bestimmenden  Einfluß  auf  den 
Gang  der  Operationen  hätten  ausüben  können. 

Verhältnis  zu  Spanien.  Das  Verhältnis  der  Habsburger  zu 
Spanien  war  prinzipiell  von  dem  zu  England  nicht  verschieden.  Es 
wich  nur  dadurch  von  jenem  ab,  daß  das  Bedürfnis,  die  schwächeren 
Staaten  zu  einer  antifranzösischen  Koalition  zusammenzuschließen, 
hier  auf  günstigere  Vorbedingungen  stieß.  Die  spanische  Politik  be- 
fand sich,  wenigstens  soweit  die  französische  Krone  Ansprüche  auf 
Neapel  erhob,  bereits  im  Gegensatze  zu  Frankreich,  und  die  Hilfsmittel, 
die  Spanien  den  Habsburgern  zur  Verfügung  stellen  konnte,  waren  be- 
trächtlicher als  die  Beitragsleistungen  Englands. 

Es  kam  dabei  vor  allem  die  Möglichkeit  einer  Unterstützung  zur 
See  in  Betracht.  Da  Österreich  über  keine  Flotte  verfügte,  so  standen 
ihm  nicht  einmal  zu  Truppentransporten  Schiffe  aus  eigenen  Mitteln 
zur  Verfügung,  und  in  all  den  Fällen,  wo  eine  Bundesgenossenschaft 
mit  Mailand,  d.  h.  die  Verwendung  der  genuesischen  Flotte,  nicht 
möglich  war,  vermochte  nur  die  spanische  Marine  in  den  Riß  zu  treten. 
Als  Kaiser  Maximilian  I.  im  Jahre  1506  daran  dachte,  den  Kirchen- 
staat durch  eine  Invasion  von  Triest  her  anzugreifen,  scheiterte  dieser 
Plan  schon  daran,  daß  die  spanische  Regierung  ihm  ihre  Flotte  ver- 
sagte (Ulmann,   »Maximilian  I.«  II,  290  f.). 

Verhältnis  zu  Venedig  und  den  italienischen  Staaten. 
Die  Beziehungen  zu  den  bisher  genannten  Staaten  wurden  durch  die 
Interessen  der  burgundischen  und  auch  der  vorderösterreichischen 
Lande  bestimmt.  Es  mag  nun  noch  die  Haltung  zu  den  Staaten  be- 
sprochen werden,  die  es  mit  den  Habsburgern  als  Herrschern  Öster- 
reichs zu  tun  hatten. 

Die  Beziehungen  zu  den  italienischen  Mächten  seien  dabei  vor- 
angestellt. Sie  waren  an  sich  zwar  nicht  wichtiger  als  die  Pläne,  die  sich 
auf  eine  Ausdehnung  des  Hausbesitzes  nach  anderen  Richtungen  be- 
zogen; aber  sie  stehen  mehr  als  jene  mit  dem  Zentralproblem  der  da- 
maligen internationalen  Politik  in  unmittelbarem  Zusammenhang. 

Unter  den  italienischen  Staaten  kam  keiner  an  Bedeutung  für 
die  österreichische  Politik  der  Republik  Venedig  gleich.  Während 
Mailand  für  die  spezifisch  österreichischen  Interessen  nur  so  weit  in 
Betracht  fiel,  als  eine  Angliederung  des  Herzogtums  an  Frankreich 
eine  Stärkung  des  wegen  Burgund  zu  fürchtenden  französischen  Geg- 


§  64.    Verhältnis  zu   Venedig.  147 

neis  zur  Folge  haben  konnte,  berührte  der  Gegensatz  zu  Venedig  direkt 
die  österreichische  Politik  der  Dynastie,  die  Politik,  die  auf  die 
Schaffung  eines  starken  österreichischen  Staates  hinzielte,  der  auch 
ohne  die  Verbindung  mit  Burgund  als  Großmacht  gelten  konnte. 

Zu  diesem  Programm  gehörte  nun,  soweit  die  Ausdehnung  nach 
Süden  in  Betracht  kam,  vor  allem  eine  feste  Basis  am  Adriatischen 
Meer.  Es  läßt  sich  zwar  darüber  streiten,  wieweit  die  österreichische 
Regierung  dabei  bewußt  einen  Zugang  zur  See  erlangen  wollte.  Denn 
es  ist  bereits  darauf  hingewiesen  worden  (§  58),  daß  Ost  erreich,  auch 
wenn  es  einen  noch  so  großen  Küstenstrich  besessen  hätte,  an  die  Er- 
richtung einer  Flotte  nicht  denken  konnte,  solange  Venedig  die  Scliiff- 
fahrt  in  der  Adria  kontrollierte,  und  wenn  man  einwenden  wollte,  daß 
schon  nur  Rücksichten  auf  die  Sicherung  des  seit  langem  österreichischen 
Triest  eine  Ausdehnung  der  österreichischen  Okkupation  an  der  Adria 
notwendig  machten,  so  wäre  darauf  zu  antworten,  daß  die  öster- 
reichische Regierung  dem  Besitze  Triests  und  den  Interessen  ihrer 
schiffahrttreibenden  Untertanen  nur  ganz  geringes  Interesse  zuwandte. 
Das  bestimmende  Motiv  scheint  vielmehr  gewesen  zu  sein,  daß  die 
österreichische  Regierung  sich  gegen  die  ihre  Besitzungen  im  Innern 
gefährdende  Ausdehnungspolitik  Venedigs  gewissermaßen  schon  durch 
Besetzung  der  Vorposten  schützen  wollte. 

Wie  dem  nun  auch  sei,  jedenfalls  standen  sich  diese  österreichischen 
Ziele  und  die  auf  Abrundung  des  adriatischen  Küstenbesitzes  gerich- 
teten Pläne  der  venezianischen  Republik  schroff  gegenüber,  und  zu- 
mal in  den  ersten  Jahrzehnten  der  Periode  war  ein  ständiger,  teils 
offener,  teils  latenter  Feindschaftszustand  die  Folge. 

Zeitgenössische  Autoren  berichten  mehrfach,  daß  sich  mindestens 
bei  Kaiser  Maximilian  I.  dieser  politische  Gegensatz  mit  einer  starken 
persönlichen  Abneigung,  ja  mit  einem  eigentlichen  Haß  wider  den 
Gegner  verbunden  hätte.  Wenn  dem  so  war,  woran  zu  zweifeln  kein 
Grund  vorliegt,  so  hing  dies  mit  Umständen  zusammen,  die  über  das 
individuelle  Gebiet  hinausreichen.  Venedig  war  zwar  nichts  weniger 
als  der  gefährlichste  Gegner  der  Habsburger.  Die  Söldnerarmeen,  die 
es  aus  seinen  Mitteln  aufzubringen  vermochte,  erwiesen  sich  wohl 
mehrfach  als  den  österreichischen  Heeren  ebenbürtig;  eine  Bedrohung 
der  österreichischen  Hausmacht  stellten  sie  jedoch  nicht  dar.  Aber 
noch  viel  weniger  waren  die  österreichischen  Streitkräfte  imstande, 
den  Gegner  ins  Herz  zu  treffen.  Kein  Staat  war  weniger  als  Österreich 
in  der  Lage,  zur  See  gegen  die  Lagunenrepublik  vorzugehen,  was  doch 
die  einzig  wirksame  Waffe  gewesen  wäre.  Es  ließe  sich  .  daher  wohl 
begreifen,  wenn  bei  ihren  Leitern  ein  Gefühl  ohnmächtiger  Wut  vor- 
geherrscht hätte. 

Um  so  größer  war  dann  bei  der  österreichischen  Regierung  der 
Anreiz,  sich  gegen  diese  zur  See  unangreifbare  Macht  wenigstens  mit 
anderen  Mächten  zu  einem  Angriff  auf  dem  Lande  zu  verbinden.  Man 
kann  sagen,  daß  die  italienische  Politik  der  Habsburger,  ja  anfänglich 

10* 


148  Die  habsburgische  Macht. 

sogar  die  Beziehungen  zu  den  Osmanen  durch  diesen  Antagonismus 
mit  Venedig  bestimmt  wurden.  Wohl  nicht  mit  Unrecht  hebt  der  Bio- 
graph Maximihans  I.  hervor,  daß  der  Kaiser  nur  deshalb  der  fran- 
zösischen Expedition  nach  Neapel  im  Jahre  1494  kein  Hindernis  in 
den  Weg  legte,  weil  Frankreich  ihm  auf  Unterstützung  zur  Eroberung 
venezianischen  Gebietes  Aussicht  machte  (Ulmann  I,  271  u.  275). 
Und  im  Jahre  1510  scheint  Maximilian  die  Türken  geradezu  zu  einem 
Angriff  auf  die  dalmatinischen  Besitzungen  der  Republik  animiert  zu 
haben  (M.  Brosch,  »Juhus  II.«  [1878],  S.  197  f.,  293  f.,  347). 

Nach  der  Vereinigung  Spaniens  mit  den  burgundisch-österreichi- 
schen  Territorien  traten  diese  Tendenzen  allerdings  zurück.  Einerseits 
verloren  die  spezifisch  österreichischen  Interessen  dadurch  für  die 
Dynastie  relativ  an  Bedeutung,  anderseits  gewannen  für  Österreich 
selbst  die  Probleme  der  Abwehrmaßregeln  gegen  die  Türken  und  der 
Ausdehnung  gegen  Norden  und  Westen  größere  W'ichtigkeit  als  die 
Befestigung  der  Südgrenze.  Die  Habsburger  haben  es  deshalb  damals 
sogar  geschehen  lassen,  daß  die  Republik  den  ihr  1513  entrissenen 
wertvollen  Adriahafen  Marano  im  Jahre  1542  wieder  eroberte  (§  58). 
Immerhin  dauerte  im  eigentlichen  Österreich  die  ehemalige  Animosität 
gegen  Venedig  fort,  und  die  venezianische  Regierung  war  wohl  kaum 
im  Unrecht,  wenn  sie  sich  von  König  Ferdinand  I.  schlimmerer  Ab- 
sichten versah  als  von  Kaiser  Karl  V.  (vgl.  Carlo  Cipolla,  i>Una  congiura 
contro  la  Repubblica  di  Venezia«  in  den  »Memorie  der  Turiner  Akademie 
Scienze  morali«  vol.  VI  ser.  4,  p.  I,  p.  34). 

Solange  diese  österreichischen  Wünsche  sich  bei  der  obersten 
Leitung  der  habsburgischen  Politik  Gehör  verschaffen  konnten,  be- 
stimmten sie  auch  durchaus  das  Verhältnis  der  Dynastie  zu  Mailand. 
Das  Herzogtum  war  der  natürliche  Bundesgenosse  der  österreichischen 
Regierung  im  Kampfe  gegen  Venedig,  und  es  behielt  diesen  seinen 
Charakter  auch  dann  bei,  wenn  es  unter  französischer  Oberherrschaft 
stand.  So  sehr  Österreich  auch  ein  selbständiges  Mailand  der  Fest- 
setzung der  Franzosen  in  Oberitalien  vorzog,  so  stellte  es  doch  diesen 
Wunsch  vor  dem  andern  zurück,  daß  ihm  der  Besitzer  des  Herzogtums 
gegen  Venedig  Sukkurs  leiste.  —  Auch  hier  nahmen  die  Verhältnisse 
freilich  eine  andere  Gestalt  an,  als  die  Vereinigung  mit  Spanien  den 
Habsburgern  die  Mittel  gab,  Mailand  selbst  zu  annektieren.  Die  direkte 
Erwerbung  des  Herzogtums  war  nun  möglich  und  damit  fiel  auch 
die  Notwendigkeit  weg,  sich  mit  den  Regenten  des  Landes  zu  einer 
Offensivallianz  gegen  die  Lagunenrepublik  zusammenzuschließen.  Mai- 
land wurde,  damit  zwar  erst  recht  zum  Streitobjekte  der  internationalen 
Politik;  aber  eine  selbständige  Politik  gegenüber  dessen  Herrscher- 
haus  gab  es  nicht  mehr. 

Ähnliches  läßt  sich  von  den  Beziehungen  der  Habsburger  zum 
Kirchenstaat  sagen,  abgesehen  natürlich  von  dem  an  dem  gehörigen 
Orte  (§  92)  noch  zu  erörternden  Umstände,  daß  die  Großmächte  nicht 
daran  denken  konnten,  den  Kirchenstaat  gleich  Mailand  oder  Neapel 


§  64.    Verhältnis  zu  den  deutschen  Territorialstaaten.  149 

zu  annektieren.  Vor  der  Angliederung  Spaniens  an  Österreieh  waren 
die  Päpste  als  Territorialherren  vor  allem  die  natürlichen  Bundes- 
genossen Österreichs  im  Kampfe  gegen  Venedig;  nachher  bestimnite  sich 
die  Haltung  zu  ihnen  durch  die  Stellung,  die  sie  gegenüber  dem  Streit  mit 
Frankreich  um  Mailand  einnahmen.  Die  Unterstützung,  die  der  Kirchen- 
staat den  Habsburgern  leisten  konnte,  war  übrigens  weder  militärisch 
noch  finanziell  von  größerer  Bedeutung.  —  Savoyen  gew^ann  für  die 
Habsburger  erst  seit  der  Zeit  Kaiser  Karls  V.  wirklichen  Wert.  Zur  Siche- 
rung Mailands  gegen  französische  Angriffe  war  allerdings  die  Herrschaft 
über  das  kleine  Herzogtum  beinahe  unentbehrlich ;  aber  vor  der  Vereinigung 
mit  Spanien  war  die  italienische  Politik  des  Hauses  Österreich  in  höherem 
Grade  durch  den  Konflikt  mit  Venedig  als  durch  den  Kampf  um  Mai- 
land bestimmt,  und  außerdem  hätten  damals  die  Mittel  durchaus  ge- 
fehlt, um  Savoyen  zu  schützen.  —  Auch  die  Haltung  zu  den  übrigen 
italienischen  Staaten  nahm  erst  dann  präzisere  Gestalt  an,  als  der 
Kampf  mit  Frankreich  auch  die  italienische  Politik  der  Dynastie  voll- 
ständig beherrschte.  Am  wichtigsten  waren  die  Beziehungen  zu 
Florenz;  denn  die  an  sich  wichtigere  Frage,  wem  die  Kontrolle  der 
genuesischen  Marine  zufallen  solle,  konnte  nicht  durch  eine  selb- 
ständige Aktion  entschieden  werden,  fiel  vielmehr  mit  dem  Kampf 
um  Mailand  zusammen  (§94).  In  Unteritalien  schließlich  übernahm 
die   Dynastie  bloß  die  Aspirationen  der  spanischen   Regierung  (§  44). 

Die  auswärtige  Politik  der  Habsburger  in  ihrem  Ver- 
hältnis zu  deutschen  Staaten.  Auch  die  Politik  der  Habsburger 
gegenüber  den  deutschen  Staaten  ist  zwiespältiger  Natur.  Sie  ver- 
tritt zunächst  rein  österreichische  Interessen  und  strebt  nach  einer 
Ausdehnung  der  österreichischen  Hausmacht  auf  Kosten  anderer 
deutscher  Staaten  oder  wenigstens  im  Gegensatz  zu  deren  Aspirationen ; 
daneben  aber  vertritt  sie  aucii  burgundische  Interessen  und  versucht, 
sei  es  das  Reich  gegen  Frankreich  mobil  zu  machen,  sei  es  durch  die 
Schaffung  einer  wirksamen  Exekutive  die  Kräfte  des  Reiches  der 
kaiserlichen  Gewalt  zum  Kampfe  gegen  Frankreich  zur  Verfügung 
zu  stellen. 

Es  ist  nicht  auffallend,  daß  beide  Ziele  sich  in  der  Praxis  mehr- 
fach im  Wege  standen.  —  Vor  allem  im  Verhältnis  zu  Bayern  trat  dies 
zutage.  Es  war  wohl  unvermeidlich,  daß  die  deutschen  Stände,  die 
durch  die  österreichischen  Ausdehnungspläne  bedroht  wurden,  nicht 
gewillt  waren,  die  Macht  des  Kaisertums,  die  schließlich  mit  der  Macht 
des  Hauses  Österreich  identisch  war,  zu  stärken.  Neben  Württemberg 
wurde  durch  diese  Pläne  nun  aber  vor  allem  Bayern  betroffen.  Es 
war  zwar  weniger  in  seiner  Existenz  bedroht  als  das  eben  genannte 
schwächere  Herzogtum.  Aber  Bayern  war  ebensowenig  wie  Öster- 
reich gesinnt,  sich  mit  seinen  bisherigen  Grenzen  zufrieden  zu  geben. 
Es  strebte  nicht  weniger  als  jenes  Land  nach  der  Errichtung  eines 
geschlossenen  großen  Territorialstaates,  und  es  war  begreiflich,  daß 
die    Interessensphären   der  beiden   Länder  sich   zu   einem   guten   Teile 


150  Die  habsburgische  Macht. 

deckten.     Dies   war   in    Böhmen    nicht    minder   der    Fall    als   in    Süd- 
deutschland. 

Die  österreichische  Macht  war  nun  freilich  der  bayerischen  be- 
trächtlich überlegen.  Wurde  die  finanzielle  Superiorität,  die  den  Habs- 
burgern  infolge  ihrer  Beherrschung  der  Niederlande  zugefallen  war, 
auch  dadurch  aufgewogen,  daß  die  Dynastie  nur  einen  Teil  ihrer  Macht- 
mittel auf  ihre  spezifisch  österreichische  Hauspolitik  verwenden  konnte, 
so  kam  ihr  dafür  die  vortreffliche  Organisation  ihres  diplomatischen 
Nachrichtendienstes  zugute.  In  dieser  Beziehung  hatte  die  bayerische 
Regierung  den  Habsburgern  so  gut  wie  nichts  entgegenzusetzen.  Wenn 
trotzdem  die  habsburgischen  Pläne  nur  zum  Teil  zur  Ausführung  ge- 
langten, Böhmen,  Mähren  und  Schlesien  allerdings  in  den  Besitz  des 
Hauses  übergingen,  Württemberg,  dessen  Besitz  zur  Konsolidierung 
der  vorderösterreichischen  Lande  beinahe  unentbehrlich  war,  dagegen 
nicht  dauernd  behauptet  werden  konnte,  so  w^ar  daran,  wie  bereits 
erwähnt  (§  62),  nicht  die  Macht  Bayerns,  sondern  die  konfessionelle 
Opposition  und  die  damit  zusammenhängende  Auflösung  des  Schwä- 
bischen Bundes  schuld.  Aber  gerade  weil  es  der  habsburgischen  Re- 
gierung nicht  gelang,  Bayern  durch  eine  Einschließung  von  Ost  und 
West  zu  schwächen,  blieb  dieses  Land  die  eigentliche  Stütze  des  stän- 
dischen Widerstandes  in  Oberdeutschland,  und  sogar  gemeinsame 
konfessionelle  Interessen  vermochten  die  Herzoge  nicht  dazu  zu  be- 
wegen, der  Zentralisierungspolitik  der  Habsburger  wirksam  Beihilfe 
zu  leisten.  Gerade  hier  erwies  sich  also  die  partikularistisch  österrei- 
chische Ausdehnungspolitik  als  ein  Hindernis  für  die  antifranzösischen 
Ziele  der  Gesamtdynastie. 

Verhältnis  zu  den  übrigen  deutschen  Territorialstaaten. 
W'as  die  Beziehungen  zu  den  übrigen  größeren  deutschen  Staaten 
betrifft,  so  kann  (abgesehen  von  den  Kämpfen  um  die  Reichsrefornr ; 
vgl.  §  62)  von  einer  eigentlichen  Politik  des  Hauses  Österreich  kaum 
die  Rede  sein.  Die  Aspirationen  der  österTeichischen  erbländischen 
Regierung  bezogen  sich  so  gut  wie  gar  nicht  auf  Norddeutschland, 
und  die  größeren  niederdeutschen  Territoi^ien  kamen  somit  für  die 
allgemeine  politische  Haltung  der  Habsburger  nur  so  weit  in  Betracht, 
als  ihre  Interessen  mit  den  außerdeutschen  Zielen  der  Dynastie  zu- 
sammenstießen. Die  habsburgische  Regierung  stellte -in  solchen  Fällen 
unverrückbar  den  eigenen  Vorteil  über  den  des  Reiches  oder  der  Reichs- 
glieder. Wie  das  Reich  ihr  nur  geringe  Unterstützung  gewährte,  so 
vergaß  sie  auch  nie,  daß  ihre  Interessen  nicht  mit  denen  des  Reiches 
zusammenfielen.  Wenn  die  Hanse  für  das  Reich  nichts  leistete,  so 
nahmen  die  Habsburger  auch  für  ihre  holländischen  Untertanen  gegen 
den  Bund  Partei,  und  wenn  die  norddeutschen  Territorien  den  Reichs- 
interessen kühl  gegenüberstanden,  so  ließen  sich  die  Habsburger  in 
ihrer  Politik  gegenüber  Polen  nur  von  Rücksichten  auf  die  öster-reichische 
Hausmacht,  nicht  auf  das  Wohl  des   Reiches  leiten.     Dies  war  z.   B. 


§  64.    Vorliältnis  zu  der  Eidgenossenschaft.  151 

bei  den  Konzossiüncii  Kaiser  Maximilians  an  P()I(mi  in  Saehen  des 
Deutschen  Ordens  der  Fall  (vgl.  Ulmann  II,  5o5). 

Verhältnis  zu  den  Eidgenossen.  Von  einem  ähnlichen  Ge- 
sichtspunkte aus  muß  das  Verhältnis  der  Habshmgei-  zur  Eid- 
genossenschaft betracjitet  werden.  Auch  den  Eidgenossen  gegenüber 
machten  sie  ihre  Politik  nicht  von  den  Interessen  eines  einzelnen  Herr- 
schaftsgebietes (des  Reiches)  abhängig,  sondern  ließen  sich  von  dyna- 
stischen Tendenzen  leiten.  Diese  aber  erlaubten  nur  eine  Haltung: 
wenn  das  Haus  Österreich  um  seiner  burgundischen  Besitzungen  willen 
Frankreich  schwächen  wollte,  so  mußte  es  vor  allem  versuchen,  ob  es 
nicht  der  französischen  Regierung  die  ihr  (wenigstens  in  den  ersten  Jahr- 
zehnten) beinahe  unentbehrlichen  schweizerischen  Söldner  (§  29)  sperren 
könnte.  Dieses  Bemühen  hat  denn  auch  die  diplomatischen  Beziehungen 
der  Habsburger  zu  den  schweizerischen  Kantonen  ausschließlich  be- 
herrscht. Freilich  hat  auch  nirgends  mehr  als  hier  die  Inferiorität  der 
den  Habsburgern  zur  Verfügung  stehenden  finanziellen  Mittel  gegen- 
über denen  Frankreichs  ihre  diplomatische  Aktion  erschwert;  da  die 
eidgenössischen  Regierungen  genötigt  waren,  einen  Teil  ihrer  Be- 
völkerung im  auswärtigen  Kriegsdienst  zu  verwenden  (§  97),  so  hätte 
die  österreichische  Diplomatie  ihre  Absichten  nur  dann  in  vollem  Um- 
fange durchführen  können,  wenn  sie  den  französischen  Offerten  Gegen- 
offerten von  gleichem  Werte  hätte  entgegensetzen  können.  Da  ihr 
dies  nicht  möglich  war,  so  vermochte  sie  allerdings  nur  temporäre 
Erfolge  zu  erzielen;  immerhin  muß  der  Historiker  konstatieren,  daß 
auch  in  diesem  Falle  die  habsburgische  Diplomatie  ihre  Überlegenheit 
über  die  französische  erwiesen  hat:  sie  hat,  wenn  man  die  schwierigen 
Verhältnisse  in  Betracht  zieht,  in  ganz  erstaunlichem  Umfange  ihre 
Absichten  verwirklicht.  Die  Habsburger  haben  dadurch,  daß  sie  die 
Schweiz  nach  Kräften  zu  feindseligen  Akten  gegen  Frankreich,  sei  es 
direkt,  sei  es  in  Oberitalien  antrieben,  nicht  nur  erreicht,  daß  die  fran- 
zösische Regierung  mehrfach  auf  die  Zuziehung  schweizerischer  Söldner 
verzichten  mußte,  sondern  sie  haben  auch  die  Expansionspolitik  der  Eid- 
genossen von  ihrer  natürlichsten  Ausdehnungssphäre,  nämlich  den  vorder- 
Österreichischen  Gebieten  südlich  und  nördlich  des  Rheines,  abgelenkt. 

Dieser  Erfolg  war  um  so  bedeutungsvoller,  als  mit  militärischen 
Mitteln  die  Habsburger  gegen  die  Eidgenossen  nichts  auszurichten 
vermochten.  So  einseitig  auch  die  Ausrüstung  der  schweizerischen 
Orte  war,  so  war  doch  gerade  Frankreich,  das  gegen  das  Haus  Oster- 
reich der  natürliche  Bundesgenosse  der  Eidgenossen  war,  imstande, 
diesen  Mangel  auszugleichen;  es  stellte  den  Schweizern  ebensogut  seine 
Geschütze  zur  Verfügung,  wie  dies  im  umgekehrten  Falle  die  Habs- 
burger zu  tun  pflegten.  Was  die  Infanterie  aber  anbetraf,  so  erwies 
sich  mindestens,  falls  es  sich  um  einen  Angriffskrieg  gegen  die  Eid- 
genossenschaft handelte,  die  vtui  den  Hal)sburgern  neu  geschaffene 
Konkurrenzwaffe  der  Landsknechte  ihrem  Vorbilde  nicht  als  gewachsen 
(der  Schwaben-  oder  Schweizerkrieg  des   Jahres  1499,  §  110). 


152  Die  habsburgische  Macht. 

Verhältnis  zu  Ungarn  und  Polen.  Sieht  man  von  der  osma- 
nischen  Gefahr  ab,  so  bestanden  für  die  imperialistischen  Pläne  des 
habsburgischen  Hauses  sicherlich  die  günstigsten  Aspekten  im  Osten 
und  Nordosten.  Nirgends  sonst  hatte  sich  die  Proportion  der  Kräfte 
für  das  Haus  Österreich  so  günstig  gestaltet.  Alle  die  Staaten,  die  bisher 
erwähnt  wurden,  hatten,  mit  Ausnahme  vielleicht  ^^'ürttembergs,  den 
Habsburgern  beträchtliche  militärische  Machtmittel  entgegenzusetzen 
und  waren  ihnen  mindestens  in  einzelnen  Waffen  gewachsen.  Bei  Un- 
garn und  Polen  war  dies  nicht  der  Fall.  Beide  Länder  (die  hier  zu- 
sammengenommen werden,  da  die  habsburgische  Politik  sie  stets  im 
Zusammenhange  behandelte)  besaßen  weder  eine  von  der  Zentral- 
gewalt abhängige  leistungsfähige  Bureaukratie  noch  einen  auf  stän- 
digen Vertretern  beruhenden  diplomatischen  Dienst  noch  eine  modern 
geschulte  Infanterie  oder  ein  brauchbares  Geschützwesen.  Sie  waren 
höchstens,  was  dieleichte  Reiterei  betraf,  den  Habsburgern  gewachsen; 
in  jeder  andern  Beziehung  war  ihre  militärisch-politische  Inferiorität 
evident. 

Dieser  Vorteil  wurde  nur  dadurch  zum  Teil  wenigstens  aufgehoben, 
daß  gerade  die  halb  feudale  Organisation,  die  die  beiden  Länder  an 
Macht  hinter  den  neuen  Großmächten  zurückstehen  ließ,  eine  Fest- 
setzung der  Habsburger  erschwerte.  Eine  Eroberung  durch  Österreich 
bedeutete  für  die  Magnaten,  die  unter  ihren  eigenen  Königen  in  der 
Hauptsache  freie  Herren  geblieben  waren,  zugleich  auch  die  Einführung 
einer  von  ihrem  Willen  unabhängigen  Verwaltung.  Es  genügte  des- 
halb nicht,  das  Land  äußerlich  zu  erobern  und  die  einheimische  Dynastie 
zu  beseitigen;  nur  eine  ständige  militärische  Okkupation  konnte  wirk- 
lich eine  Fruktifizierung  des  Landes  für  die  habsburgische  Politik  in 
die  Wege  leiten. 

Des  weiteren  kam  hinzu,  daß  die  österreichische  Politik  durch 
dringendere  Probleme,  wie  das  venezianische,  das  bayerische  usw.  ab- 
gehalten wurde,  die  Überlegenheit  ihrer  Machtmittel  in  vollem  Um- 
fange gegen  Ungarn  zur  Anwendung  zu  bringen.  So  haben  denn  die 
Habsburger,  so  sehr  sie  im  übrigen  auch  auf  die  Angliederung  Ungarns 
hinarbeiteten,  eine  gewaltsame  Eroberung  doch  erst  nach  dem  Aus- 
sterben des  ungarischen  Königshauses  versucht.  Die  Schwierigkeiten, 
auf  die  sie  auch  dann  noch  stießen,  der  Umstand,  daß  ein  großer  Teil 
des  ungarischen  Adels  nicht  einmal  dann  ihre  Opposition  gegen  eine 
Besitzergreifung  durch  die  Habsburger  aufgab,  als  ihm  nur  noch 
die  Alternative  einer  Unterwerfung  unter  türkische  Herrschaft  blieb 
(§  123),  bewiesen,  wie  sehr  die  österreichische  Regierung  recht  gehabt 
hatte,  als  sie  früher  von  militärischen  Aktionen  gegen  Ungarn  ab- 
gesehen hatte. 

Die  Haltung  zu  Polen  hing  durchaus  von  den  Beziehungen  zu 
Ungarn  ab.  An  sich  war  das  Kräfteverhältnis  ähnlich,  und  zu  dem 
politischen  Programm  der  Habsburger  mag  auch  die  Angliederung 
Polens  gehört  haben.    Aber  es  war  ohne  weiteres  klar,  daß  diese  Auf- 


§  64.    Verhältnis  zur  Türkei,  153 

gäbe  erst  an  die  Hand  genommen  werden  konnte,  wenn  Ungarn  einmal 
der  österreichischen  Herrschaft  unterworfen  war,  und  dieses  näher- 
liegende Ziel  schloß  in  der  Regel  eine  offen  aggressive  Politik  gegen 
Polen  aus.  —  In  den  späteren  Jahrzehnten  brachte  die  osmanische 
Gefahr  dann  sogar  eine  gewisse  Annäherung  zwischen  den  Habsburgern 
und  dem  polnischen  Königshause  zuwege. 

Verhältnis  zur  Türkei.  Viel  ungünstiger  war  das  Kräftever- 
hältnis zum  osmanischen  Reiche. 

Es  w^äre  zw-ar  unrichtig,  wenn  man  auf  Grund  populärer  Ansichten, 
die  sich  bereits  bei  Zeitgenossen  der  Ereignisse  finden,  eine  absolute 
Superiorität  der  türkischen  Militärmacht  annehmen  wollte.  Wer  die 
in  §  58  und  §  77  enthaltenen  Schilderungen  miteinander  vergleicht, 
wird  konstatieren  müssen,  daß  die  Habsburger  in  dem  wichtigsten  Teil 
ihrer  Rüstungen,  in  der  (oberdeutschen)  Infanterie  und  dem  Geschütz- 
wesen den  Osmanen  überlegen  waren  und  daß  der  einzige  unbedingte 
Vorzug  der  Türken  in  ihrem  geordneten  Finanzwesen  und  der  damit 
zusammenhängenden  Schlagfertigkeit  ihrer  Armeen  lag.  Auch  diplo- 
matisch waren  die  Habsburger  viel  besser  gerüstet  als  ihr  Gegner; 
wenn  es  auch  praktisch  von  untergeordneter  Bedeutung  gewesen  sein 
dürfte,  daß  die  Türkei  aus  dem  Gefühl  ihrer  militärischen  Stärke 
heraus  auf  die  Errichtung  eines  Informationsdienstes  verzichtete, 
so  ist  immerhin  doch  anzumerken,  daß  sie  damit  den  Habsburgern 
zur  Vorbereitung  von  Gegenkoalitionen  vollständig  freie  Bahn  ließ. 
Die  Türkei  war  also  ein  Gegner,  mit  dem  die  Habsburger  ernsthaft 
rechnen  mußten;  eine  wirkliche  Gefahr  bedeutete  sie  nicht. 

Die  Politik  der  Habsburger  den  Osmanen  gegenüber  war  denn 
auch  durchaus  so,  wie  man  auf  Grund  dieser  Situation  voraussetzen 
darf.  So  häufig  auch  in  ihren  offiziellen  und  offiziösen  Proklamationen 
von  der  Türkengefahr  die  Rede  ist  und  mit  so  grellen  Farben  diese 
auch  geschildert  wurde,  so  wurden  doch  in  der  Wirklichkeit  die  diplo- 
matisch militärischen  Entschlüsse  der  österreichischen  Regierung  durch- 
aus nicht  von  der  Vorstellung  bestimmt,  daß  die  türkische  Macht  das 
habsburgische  Reich  eigentlich  bedrohen  könnte.  Nicht  nur  wurden 
manche  Verteidigungsmaßregeln  nur  nachlässig  ausgeführt  (§  58). 
Nicht  nur  dachte  die  österreichische  Regierung  keineswegs  daran,  ihre 
Interessen  im  Konflikte  mit  Venedig  zu  opfern,  um  dieser  Vormacht 
der  Christenheit  in  ihrem  Kampfe  gegen  die  Osmanen  freie  Bahn  zu 
lassen.  Sondern  sie  konnte  sich  vor  allem  nie  dazu  entschließen,  ihre 
gesamten  Machtmittel  auf  die  Abwehr  des  türkischen  Vorstoßes  zu 
konzentrieren,  wie  sie  es  doch  hätte  tun  müssen,  wenn  sie  an  die  Mög- 
lichkeit einer  Katastrophe  geglaubt  hätte.  Sie  kannte  die  Grenzen 
der  türkischen  Macht  zu  genau,  als  daß  sie  die  panikartigen  Ansichten 
weiter  Volkskreise  geteilt  hätte,  und  die  deutschen  Fürsten  waren 
wohl  nicht  ganz  im  Unrecht,  wenn  sie  die  Hilfsgesuche  gegen  die  Türken, 
die   die    Habsburger   an   das    Reich   richteten,   auf  österreichische   Er- 


154  Venedig. 

oberungspläne  in  Ungarn  zurückführten.  Und  zwar  gilt  dies  von  der 
ganzen  hier  behandelten  Periode.  Auch  als  die  Türken  durch  die  Unter- 
werfung des  größten  Teiles  von  Ungarn  Nachbarn  der  Habsburger  ge- 
worden waren,  veränderte  sich  die  Haltung  der  österreichischen  Re- 
gierung nicht  wesentlich;  noch  viel  weniger  kann  natürlich  die  Rede 
davon  sein,  daß  den  Habsburgern  in  früheren  Jahren  die  Bekämpfung 
der  Osmanen  als  das  Zentrum  ihrer  politischen  Bestrebungen  erschienen 
wäre. 

Literatur.  Da  die  moderne  politisclie  Historiographie  im  allgemeinen  ihren 
Stoff  nach  nationalen  Grenzen  abgrenzt,  so  ist  die  habsburgische  Politik  in  ihrer 
Gesamtheit  verhältnismäßig  selten  behandelt  worden.  Das  Beste  bieten  bio- 
graphische Werke,  die  der  Person  eines  habsburgischen  Herrschers  gewidmet  sind; 
genannt  sei  an  hier  nur  Heinrich  Ulmann,  »Kaiser  Maximilian  I.«  (1884  —  1891); 
ergänzt  und  gegen  neuere  Darstellung  verteidigt  in  dem  Aufsatz  desselben  Autors 
»Deutsche  Grenzsicherheit  und  Maximilians  I.  Kriege  gegen  Frankreich«  in  der 
»Historischen  Zeitschrift«  107  (1911),  473 ff.,  und  Edward  Armstrong  ))The  Emperor 
Charles  F«  (2.  Auflage,  1910).  Wenig  förderlich  sind  die  beiden  Arbeiten  Max  Freiherrn 
von  Wolffs,  die  »Untersuchungen  zur  Venezianer  ( !)  Politik  Kaiser  Maximilian  (!)  I. 
während  der  Liga  von  Cambray«  (1905)  und  »Die  Beziehungen  Kaiser  Maximilian  ( !)L 
zu  Hallen  1495  —  1508«  (1909).  Vgl.  ferner  Wilhelm  Bauer,  »Die  Anfänge  Ferdi- 
nands L«  (1907);  Pribram,  »Österreichische  Staatsverträge  (England)«  I  (1906); 
K.  Lanz,  Einleitung  zu  den    »Monumenta  Habsburgica«  II,  1    (1857). 

d)  Venedig. 

§  65.  Allgemeines;  wirtschaftliche  Verhältnisse.  In  dem  Kampf 
um  die  Vorherrschaft  über  Italien  kann  Venedig  neben  den  bisher 
geschilderten  Großmächten  nicht  als  ebenbürtiger  Partner  angesehen 
werden.  Zumal  nachdem  sich  die  spanische  und  die  habsburgische 
Macht  durch  Personalunion  zu  einer  politisch-militärischen  Einheit  zu- 
sammengeschlossen hatten,  vermochte  die  venezianische  Republik  nicht 
mehr  als  gleichwertige  Potenz  neben  den  beiden  Großstaaten  in  den 
Streit  einzugreifen.  Aber  dem  venezianischen  Staatswesen  gebührt  doch 
an  dieser  Stelle  eine  Besprechung.  Die  Markusrepublik  blieb  nicht 
nur  bis  zum  Ende  der  Periode  so  stark,  daß  sie  sogar  ein  vereinigter 
Angriff  mehrerer  Großstaaten  nicht  ihrer  Selbständigkeit  berauben 
konnte,  sondern  sie  hat  auch  nach  der  fremden  Invasion  ihre  Be- 
mühungen zur  Ausbreitung  ihrer  Herrschaft  über  Italien  nicht  sofort 
eingestellt  und  sich  damit  gleichsam  als  Rivale  der  Großmächte  be- 
kannt, deren  italienische  Aspirationen  in  den  vorhergehenden  Ab- 
schnitten besprochen  wurden.  Sie  muß  deshalb  auch  vor  dem  türki- 
schen Reiche  behandelt  werden,  so  sehr  dieses  sie  auch  an  Machtmitteln 
übertraf;  denn  die  auswärtige  Politik  der  Osmanen  bezog  sich  nur  zum 
kleineren  Teile  auf  Europa  und  hier  wieder  so  gut  wie  gar  nicht  auf 
Italien. 

Auch  Venedig  konnte  freilich  seiner  wirtschaftspolitischen  Stellung 
nach  kaum  ein  rein  italienischer  Staat  genannt  werden;  seine  eigent- 
liche Interessensphäre  lag  in  Südosteuropa.  Aber  die  Politik  der  Re- 
publik war  doch  nicht  mehr  so  vorherrschend  nach  dem  Osten  orientiert 


§  65.    Land   und  Volk.  155 

wie  in  früheren  Zeiten.  Gerade  in  dem  der  hier  behandelten  Periode 
unmittelbar  vorangehenden  Jahrhundert  hatte  sich  die  venezianische 
Regierung  außerordentlich  intensiv  mit  der  Erweiterung  ihres  Besitzes 
auf  dem  italienischen  Festland  beschäftigt,  und  diese  Pläne  hatten 
mehr  als  irgend  etwas  anderes  die  politische  Lage  in  Italien  geschaffen, 
die  die  ausländischen  Großstaaten  gleichsam  zum  Eingreifen  reizte. 
Die  Kenntnis  der  venezianischen  Politik  ist  daher  die  wichtigste  Er- 
gänzung zu  den  Abschnitten  über  Frankreich,  Spanien  und  das  Haus 
Österreich,  wenigstens  soweit  es  sich  um  das  Zentralproblem  der  Periode, 
um  die  Hegemonie  über  Italien,  handelt. 

Die  Republik  Venedig  war  nach  Areal  und  Bevölkerung  die  kleinste 
unter  den  Großmächten,  die  am  Kampfe  um  Italien  direkt  beteiligt 
waren.  Ihr  italienisches  Gebiet  zählte  etwa  1700000  Seelen;  die  Be- 
völkerung der  Besitzungen  in  Dalmatien,  Albanien  und  auf  den  grie- 
chischen Inseln  (worunter  Cypern  die  größte)  läßt  sich  nicht  einmal 
schätzen,  war  aber  jedenfalls  nicht  sehr  bedeutend,  überdies  war  der 
Umfang  dieser  Gebietsteile  beträchtlichen  Schwankungen  unterworfen. 
Die  Republik  hatte  demnach  kaum  etwas  mehr  als  halb  soviel  Einwohner 
als  England  und  stand  hinter  diesem  Staate,  der  schon  kaum  eigentlich 
zu  den  Großmächten  gerechnet  werden  konnte,  erst  noch  an  Ausdehnung 
des  Territoriums  zurück. 

Die  Republik  mußte  auch  noch  anderer  Vorzüge  entbehren.  Die 
Hauptstadt  lag  in  den  Lagunen,  die  wohl  Salz,  aber  kein  Getreide 
lieferten,  und  die  Kornproduktion  des  festländischen  Besitzes  war 
in  der  Regel  nicht  imstande,  diesen  Mangel,  sei  es  für  die  Hauptstadt 
selbst,  sei  es  für  die  übrigen  Seestädte  an  der  Adria  auszugleichen. 
Venedig  war  also,  obwohl  bei  weitem  nicht  so  übervölkert  wie  die  flan- 
drischen Industriebezirke,  für  die  Ernährung  seiner  Bevölkerung  auf 
das  Ausland  angewiesen.  Die  Republik  besaß  dabei  nicht  einmal  ein 
Monopol  in  gewissen  Rohstoffen,  wie  z.  B.  England  mit  seiner  Wolle, 
um  auf  fremde  Staaten  seinerseits  einen  Druck  auszuüben;  denn  sogar 
was  das  Salz  betraf,  so  waren  die  benachbarten  Landschaften  nicht 
durchaus  von  seinen  Lieferungen  abhängig. 

Wenn  Venedig  trotz  diesen  ungünstigen  Umständen  den  Rang 
einer  Großmacht  einnahm,  so  verdankte  es  dies  nur  seiner  maritimen 
Ausrüstung,  der  insularen  Lage  der  Hauptstadt,  die  freilich  nur  dank 
der  starken  Marine  das  unangreifbare  Bollwerk  wurde,  das  sie  damals 
war,  und  schließlich  der  festen  politischen  Organisation  und  klugen 
Verwaltung.  Der  Reichtum  der  Stadt  ist  dabei  noch  nicht  genannt; 
denn  so  sicher  auch  die  Großmachtpolitik  Venedigs  sich  ohne  die  der 
Regierung  zur  Verfügung  stehenden  bedeutenden  Geldmittel  nicht 
hätte  durchführen  lassen,  so  beruhte  doch  auch  der  Handel,  der  fast 
ausschließlich  diese  Mittel  schuf,  letzten  Endes  auf  den  Marinerüstungen 
der  Republik,  wennschon  auch  hier,  wie  natürlich,  eine  Wechselwirkung 
bestand  und  der  Handelsverkehr  dann  wieder  Beiträge  zum  weiteren 
Ausbau  der  Flotte  gab. 


156  Venedig. 

All  dies  hat  jedoch  die  ungünstigen  Folgen  der  ungenügenden 
Nahrungsmittelproduktion  nur  vermindern,  aber  nicht  beseitigen  können, 
und  es  wird  im  Verlaufe  dieser  Ausführungen  noch  gezeigt  werden,  in 
welcher  Weise  die  Versorgungsschwierigkeiten  auf  die  Politik  des 
Staates  eingewirkt  haben.  Die  Regierung  der  Republik  tat  zwar  alles, 
was  möglich  war,  um  die  Voraussetzung  ihrer  Existenz,  den  Handels- 
und Transportverkehr  zur  See,  aufrechtzuerhalten.  In  keinem  anderen 
Staate  mit  Ausnahme  vielleicht  von  Portugal  wandten  die  Behörden 
der  Marine  eine  so  systematische  Pflege  zu.  Dem  Schiffbau  wurde  die 
größte  Aufmerksamkeit  geschenkt ;  die  Werften,  auf  denen  (zum  Unter- 
schied von  Genua)  offenbar  nur  für  venezianische  Rechnung  gearbeitet 
werden  durfte,  waren  imstande,  alle  Ansprüche  an  Qualität  und  Quan- 
tität zu  befriedigen.  Und  mit  dem  mindestens  ebenso  wichtigen  (§  14) 
Rudererpersonal  stand  es  nicht  anders.  Denn  wenn  in  einer  Relation 
vom  Jahre  1560  gesagt  wird,  die  Republik  könne  bequem  hundert 
Galeeren  neben  anderen  Schiffen  ausrüsten,  die  gesamte  übrige  Christen- 
heit kaum  ebensoviel  (Gavalli  bei  Alberi,  »Relazioni«  III,  1  [1840],  285), 
so  setzt  diese  Bemerkung  voraus,  daß  (wie  es  von  Genua  bezeugt  wird) 
große  Reserven  an  Ruderermannschaft  vorhanden  waren,  unter  denen 
die  qualitativ  minderwertigen  Sklaven  übrigens  recht  spärlich  ver- 
treten waren;  es  hatte  deshalb  auch  wenig  zu  bedeuten,  daß  die  ständig 
im  Betrieb  unterhaltenen  Kriegsschiffe  der  Republik  verhältnismäßig 
wenig  zahlreich  waren  (nach  F.  Guicciardini  »Opere  inedite«  X,  402 
waren  es  nur  10  bis  12).  Die  Befehlshaber  der  Schiffe  bestanden  aus- 
schließlich aus  Mitgliedern  des  regierenden-  Patriziates,  waren  also  viel 
zuverlässiger  als  die  genuesischen  Admirale,  die  von  Frankreich  oder 
Spanien  in  Dienst  genommen  wurden.  Auch  die  Handelsexpeditionen 
wurden  unter  staatlicher  Kontrolle  organisiert.  Was  mit  alledem 
erreicht  wurde,  wird  durch  nichts  besser  illustriert  als  durch  die  Tat- 
sache, daß  ein  Angriff  auf  die  Stadt  Venedig  während  der  ganzen  hier 
behandelten  Periode  überhaupt  nie  ernsthaft  in  Erwägung  gezogen 
worden  ist.  Selbst  Flotten  wie  die  türkische,  die  der  Zahl  der  Schiffe 
nach  es  zeitenweise  mit  der  venezianischen  hätten  aufnehmen  können, 
standen  doch  an  Ausrüstung  so  weit  hinter  jener  zurück,  daß  eine 
solche  Offensivaktion  von  ihnen  nie  ins  Auge  gefaßt  wurde. 

Aber  der  direkte  militärische  Nutzen  dieser  Marinerüstungen  trat 
zurück  neben  der  Bedeutung,  die  die  Flotte  für  den  Handel  der  Stadt, 
d.  h.  für  den  beinahe  einzig  in  Betracht  fallenden  nationalen  Erwerbs- 
zweig, hatte. 

Venedig  besaß  für  einen  großen  Teil  des  Warenverkehrs  zwischen 
Orient  und  Nordeuropa  beinahe  ein  Monopol.  Die  Regierung  der  Re- 
publik tat,  was  in  ihren  Kräften  stand,  um  diesen  Zustand  weiter  auf- 
rechtzuerhalten. Sie  gewährte  ausländischen  Kaufleuten  Privilegien 
sogar  in  religiöser  Beziehung  und  eine  unparteiische  Justiz,  wie  sie 
in  dieser  Art  kein  anderer  Handelsplatz,  nicht  einmal  die  türkischen 
Städte,  aufwiesen.    Die  nördliche  Adria,  wenn  nicht  das  ganze  adria- 


§  65.    Land  und  Volk.  157 

tische  Meer,  wurde  für  jeden  anderen  Großscliilfahrtsverkehr  außer 
dem  venezianischen  gesperrt,  sowohl  durch  direkte  Verkehrsverbote 
wie  durch  die  Besetzung  der  Küstenstriche  in  Dalmatien  und  zeiten- 
weise auch  auf  der  neapolitanischen  Seite.  War  dadurch  auch  der 
Verkehr  zwischen  Europa  und  den  orientalischen  (ägyptischen)  Hafen- 
städten, in  denen  Gewürze  und  Seide  des  Ostens  verladen  wurden,  an 
sich  noch  keineswegs  den  venezianischen  Schiffern  reserviert,  ebenso- 
wenig die  ebenfalls  zum  guten  Teile  von  Venedig  aus  betriebene  Aus- 
fuhr von  europäischen  (Textil)waren  nach  dem  Orient,  und  blieb  auch 
der  Landweg  von  und  nach  Venedig  fremden  Kaufleuten  stets  offen, 
so  ergab  sich  doch  der  große  Vorteil,  daß  alle  Waren,  die  zur  See  nach 
dem  vielfach  unersetzlichen  Marktzentrum  Venedig  gebracht  werden 
mußten,  nur  auf  venezianischen  Schiffen  dorthin  befördert  werden 
konnten.  Die  Stadt  war  denn  auch,  wie  bekannt,  zum  Ausgangspunkt 
der  wichtigsten  Handelsstraßen  geworden,  vor  allem  der  Straßen,  die 
über  Österreich  und  Oberdeutschland  nach  Nordeuropa  führten. 

Es  ist  nun  freilich  auch  bekannt,  daß  gerade  dieses  Monopol  den 
Anstoß  zur  Aufsuchung  neuer  Seewege  nach  Indien  gab  und  daß  bereits 
in  den  ersten  Jahren  der  hier  behandelten  Periode  diese  Bemühungen 
auch  zum  Ziele  führten  mit  dem  Erfolge,  daß  Lissabon  und  noch  mehr 
Antwerpen  die  Zentren  des  internationalen  Gewürzhandels  wurden. 
Aber  es  wäre  unrichtig,  wenn  man  annehmen  wollte,  daß  die  Folgen 
dieses  Ereignisses  sich  bereits  vor  1559  in  einer  Schwächung  der  Finanz- 
kraft des  venezianischen  Staates  und  damit  auch  einer  Schwächung 
der  militärisch-politischen  Position  der  Stadt  bemerkbar  gemacht 
hätten.  Die  kommerzielle  Stellung  Venedigs  beruhte  ja  nicht  aus- 
schließlich auf  der  Einfuhr  asiatischer  Gewürze  und  Spezereien.  Der 
Handelsverkehr  in  anderen  Artikeln  wurde  durch  die  Auffindung  des 
Seeweges  um  Afrika  nicht  getroffen;  manche  wichtige  Waren,  z.  B.  die 
aus  venezianischen  Besitzungen  im  griechischen  Archipel  (Kreta)  ex- 
portierten Südweine  wurden  durch  die  Veränderung  der  Handelswege 
überhaupt  nicht  berührt.  Auf  die  Länge  übte  die  Entdeckung  der 
neuen  Verbindung  mit  Indien  zweifellos  einen  außerordentlich  schäd- 
lichen Einfluß  auf  die  internationale  Bedeutung  des  Handelsplatzes 
Venedig  aus;  in  den  ersten  Jahrzehnten  lassen  sich  aber  direkte  Folgen 
für  die  Stellung  des  Staates  in  der  europäischen  Politik  nicht  nachweisen. 

Noch  weniger  kann  davon  die  Rede  sein,  daß  der  venezianische 
Handel  durch  die  sich  damals  vollziehende  Ausdehnung  des  türkischen 
Reiches  geschädigt  worden  wäre.  Es  ist  allerdings  richtig,  daß  die 
Osmanen  damals  auch  Ägypten  und  Syrien  ihrer  Herrschaft  unterwarfen 
und  somit  alle  Endpunkte  des  Karawanenverkehrs  in  ihre  Hand  er- 
hielten. Aber  daraus  ergab  sich  mit  nichten  eine  Einbuße  für  den 
venezianischen  Handel;  man  könnte  im  Gegenteil  behaupten,  daß  die 
türkische  Okkupation  für  Venedig  von  Vorteil  gewesen  sei,  insofern 
sie  die  öffentliche  Sicherheit  erhöhte  und  damit  die  Spesen  des  Kara- 
wanentransportes verminderte  (vgl.  §  76). 


158  Venedig. 

Die  venezianische  Industrie  stand,  was  den  Ertrag  betrifft,  hinter 
dem  Handel  weit  zurück.  Die  Luxusindustrie  der  Stadt  und  des  Terri- 
toriums (Seidengewebe,  Goldschmiedarbeiten,  Glas)  stand  zwar  in 
mancher  Beziehung  ohne  Konkurrenz  da,  und  die  venezianischen  Gold- 
brokatgewebe fanden  in  den  reichen  Klassen  der  Weststaaten  guten 
Absatz,  wie  auch  die  Waffenfabrikation  von  Brescia  ihre  Produkte 
über  die  Grenze  hinaus  exportierte  (vgl.  §  58).  Aber  obwohl  statistische 
Angaben  fehlen,  kann  doch  kaum  ein  Zweifel  darüber  herrschen, 
daß  der  Gewinn,  der  aus  diesen  Erwerbszweigen  einging,  absolut  ge- 
nommen gering  war;  auf  diesem  Wege  hätte  sich  ein  Manko  des  Handels 
geschäftes  nicht  ausgleichen  lassen. 

Die  schwache  Stelle  des  venezianischen  Wirtschaftssystemes  lag 
nicht  hier,  sondern,  wie  bereits  erwähnt,  in  der  ungenügenden  Lebens- 
mittelproduktion des  eigenen  Gebietes,  sowohl  was  Getreide  wie  auch 
Fleisch  betraf.  Weder  die  Hauptstadt  noch  die  dalmatinischen  Be- 
sitzungen noch  auch  in  den  allermeisten  Jahren  die  Herrschaftsgebiete 
der  Terraferma  konnten  aus  eigenen  Mitteln  ernährt  werden.  Ersatz 
war  zwar,  wenn  das  Problem  rein  ökonomischer  Art  gewesen  wäre, 
leicht  zu  finden.  Venedig  war  gerade  für  den  Seetransport,  den  für 
die  Getreidezufuhr  wichtigsten  Verkehrsweg,  vortrefflich  gelegen  und 
ausgerüstet,  und  es  bestand  kein  technisches  Hindernis  gegen  einen 
regelmäßigen  Import  der  großen  Getreideüberschüsse  des  Balkans 
(inkl.  des  heutigen  Südrußlands)  und  Siziliens.  Dazu  kam  dann  noch 
die  Möglichkeit  der  Versorgung  aus  den  benachbarten  nördlichen 
Distrikten  des  Kirchenstaates  (der  Gegend  um  Senigallia)  und  wenn 
diese  Quellen  im  Stiche  ließen,  so  konnte  die  Regierung  Zufuhren 
aus  Ungarn,  ja  sogar  aus  Süddeutschland  in  die  Wege  leiten.  Auch  an 
Geldmitteln,  um  die  Kosten  dieses  Importes  aufzubringen,  fehlte  es 
nicht;  der  Gewinn  des  Handelsverkehres  hätte  noch  viel  größere  Aus- 
gaben gedeckt. 

Aber  einer  solchen  glatten  Lösung  der  Probleme  stellten  sich 
politische  Hemmungen  entgegen.  Der  allergrößte  Teil  des  von  außen 
herzuschaffenden  Getreides  (so  gut  wie  alles  Korn  mit  Ausnahme  des 
auf  der  venezianischen  Insel  Cypern  gebauten)  stammte  aus  Gebieten, 
deren  Regenten  kein  Interesse  daran  hatten,  die  Wohlfahrt  der  vene- 
zianischen Republik  zu  fördern.  Die  Verfügung  über  die  Getreide- 
produktion des  Balkans  lag  seit  der  Eroberung  Konstantinopels  in  den 
Händen  der  osmanischen  Regierung,  die  in  den  Venezianern  ihren 
gefährlichsten  Gegner,  mindestens  zu  See,  erblicken  mußte  (§  78); 
Bewilligungen  für  die  Ausfuhr  von  sizilianischem  Korn  waren  von  der 
spanischen  Regierung  verhältnismäßig  noch  leicht  zu  erhalten,  mußten 
aber  später  ebenso  wie  die  Lizenzen  zum  Export  österreichischen  und 
ungarischen  Getreides  bei  der  habsburgischen  Regierung  nachgesucht 
werden,  deren  Bestrebungen  mit  den  Aspirationen  der  Republik  viel- 
fach in  geradem  Gegensatz  standen  (§  64),  und  ganz  ebenso  verhielt 
es  sich  mit  der  Einfuhr  aus  dem  Kirchenstaate  (und  Urbino).    Wohl 


§  66.    Innerpolitische  Organisation.  159 

köiinto  man  einwenden,  daß  die  Venezianer,  die  auch  einen  beträcht- 
lichen Teil  des  Hinterlandes  in  Oberitalien  mit  ihren  Getreideschiffen 
versorgten,  als  Kornkäufer  zu  den  besten  Kunden  gehörten  und  daß 
es  den  Produzenten  nicht  immer  leicht  gewesen  wäre,  bei  anderen  als 
bei  den  Venezianern  für  ihren  Getreideüberschuß  Abnehmer  zu  finden. 
Aber  tatsächlich  haben  doch  häufig  genug  politisch-militärische  Er- 
wägungen in  der  Politik  der  exportierenden  Staaten  über  ökonomische 
den  Sieg  davon  getragen;  es  gilt  dies  besonders  für  die  beiden  Groß- 
staaten, die  Türkei  und  das  habsburgische  Reich. 

Jedenfalls  rechnete  die  venezianische  Regierung  nicht  damit,  daß 
ihre  Rivalen  ihr  aus  solchen  Berechnungen  heraus  Entgegenkommen 
zeigen  würden.  Vielmehr  ging  ihre  gesamte  Politik  von  der  Anschauung 
aus,  daß  nur  politisch-militärische  Konzessionen  von  ihrer  Seite,  nicht 
finanzielle  Opfer  oder  Bedenken  die  Versorgung  des  Landes  mit  Ge- 
treide sichern  könnten.  Die  Republik  befand  sich  eben,  wenn  ihr  die 
feindlichen  Großmächte  die  Kornzufuhr  sperrten,  in  einer  Notlage,  die 
mit  dem  Schaden,  der  einzelnen  feindlichen  Untertanen  aus  dem  Verbot 
des  Verkaufes  an  die  Venezianer  entstand,  nicht  in  Parallele  gesetzt  werden 
konnte.  Wieviel  ungünstiger  war  die  Republik  in  dieser  Beziehung  ge- 
stellt als  die  an  sich  stärker  übervölkerten  flandrischen  Lande  (§50)! 

Venedig  bezog  daneben  auch  sein  Pökelfleisch  (salume)  zu  einem 
gute  Teile,  wie  es  scheint,  aus  einem  feindlichen  Lande,  nämlich  der 
Türkei.  Doch  war  dieser  Umstand  politisch  ohne  Bedeutung,  da  die 
osmanische  Regierung  die  Ausfuhr  dieses  Artikels,  soviel  mir  bekannt 
ist,  nie  mit  einer  Sperre  belegt  hat. 

Bemerkt  sei  schließlich  noch,  daß  diese  Abhängigkeit  von  der 
ausländischen  Kornzufuhr  für  Venedig  in  militärisch-politischer  Be- 
ziehung besonders  schlimme  Konsequenzen  hervorzurufen  vermochte. 
Wurde  das  Getreide  gesperrt,  so  war  nicht  nur  die  Ernährung  der  Be- 
völkerung in  Frage  gestellt  (die  Maiskultur  war  damals  in  Europa  be- 
kanntlich noch  unbekannt),  sondern  es  konnte  damit  auch  direkt  die 
Leistungsfähigkeit  der  Flotte  und  die  Kolonialpolitik  der  Republik 
getroffen  werden.  Denn  die  venezianische  Regierung  brauchte  das 
importierte  Korn  nicht  zum  mindesten  zur  Herstellung  des  Schiffs- 
zwiebacks und  ferner  auch  zur  Versorgung  ihrer  levantinischen  Be- 
sitzungen, von  denen  manche,  wie  im  besonderen  die  Insel  Kreta, 
ebenfalls  auf  die  Getreidezufuhr  aus  dem  Ausland  auf  venezianischen 
Schiffen  angewiesen  waren  (vgl.  z.  B.  »Venezianische  Depeschen  vom 
Kaiserhofe«  I,  238,  366  f.  usw.;  Alberi,   »Relazioni«  III,  3,  p.  144). 

§  66.  Innerpolitische  Organisation.  \^'enn  Venedig,  was  die  Ver- 
sorgung der  Bevölkerung  mit  Lebensmitteln  betraf,  schlechter  gestellt 
war  als  die  flandrischen  Industriebezirke,  so  hatte  seine  Regierung 
dafür  den  Vorzug,  daß  sie  freier  als  die  Herrscher  der  Niederlande  über 
das  Steuerkapital  der  Einwohnerschaft  verfügen  konnte.  Es  gab  in 
Venedig  keine    Interessenkonflikte   zwischen    Ständen   und    Regierung, 


160  Venedig. 

Die  Klasse  der  handeltreibenden  Kaufleute,  die  von  den  Steuern  vor 
allem  getroffen  wurde,  war  dieselbe,  die  auch  den  Staat  leitete  und  an 
dessen  Prosperität  Anteil  hatte.  Der  Ertrag  des  Handels  war  dazu 
so  groß,  daß  die  Regierung  eine  Großmachtpolitik  treiben  konnte, 
ohne  ihre  Untertanen  auszusaugen. 

Dies  trifft  besonders  auf  die  Beziehungen  der  herrschenden  Stadt 
zu  den  Untertanengebieten  auf  dem  Festlande  zu.  So  rigoros  die  Re- 
gierung auch  gegen  Handelskonkurrenten  vorging,  so  wenig  dachte  sie 
daran,  von  den  Bewohnern  der  Terraferma  direkte  große  finanzielle 
Leistungen  zu  verlangen.  Auch  einem  ökonomischen  Aufschwung  legte 
sie  kein  Hindernis  in  den  Weg,  sobald  keine  Rivalität  mit  einem  Erwerbs- 
zweige der  Hauptstadt  bestand.  Da  die  Stadt  Venedig  keine  private 
Metallindustrie  besaß,  so  gewährte  sie  z.  B.  der  Waffenfabrikation  und 
Geschützgießerei  in  Brescia  freie  Entwicklung;  Brescia  wurde  nach 
Guicciardinis  wohl  zutreffender  Bemerkung  {»Istoria  d'Italia«  lib.  X) 
die  nach  Mailand  reichste  Stadt  der  Lombardei.  Aber  selbst  davon 
abgesehen,  erwies  sich  die  venezianische  Herrschaft  als  ökonomisch 
vorteilhaft.  Die  Verwaltung  der  Republik  schuf  für  die  Masse  der  Be- 
völkerung dieselben  günstigen  Verhältnisse  wie  etwa  das  gleichzeitige 
Regiment  der  Tudors  in  England  (§83):  sie  begründete  eine  starke 
Zentralgewalt  und  schützte  damit  Bürgertum  und  Kleinadel  vor  der 
Ausnutzung  durch  die  kleinen  Despoten  und  die  Lokalmagnaten.  Daher 
war  ihre  Herrschaft  wohl  bei  den  Abkömmlingen  der  ehemals  regieren- 
den Geschlechter  unbeliebt,  bei  den  übrigen  Volksklassen  aber  aus 
demselben  Grunde  außerordentlich  populär.  Es  war  dies  auch  für  die 
auswärtige  Politik  keineswegs  gleichgültig.  Der  Verlauf  des  Feldzuges 
der  Liga  von  Cambrai  (§  113)  ist  das  eine  Beispiel  für  die  praktische 
Bedeutung,  die  die  Anhänglichkeit  der  Untertanengebiete  an  die  re- 
gierende Stadt  in  kritischen  Zeitläuften  hatte;  das  andere  besteht  in 
dem  geringen  Erfolge,  den  die  von  Angehörigen  früherer  Tyrannen- 
geschlechter etwa  versuchten  Losreißungsversuche  erzielten.  Wenn 
ein  venezianischer  Gesandter  einmal  auf  Ungarn  als  abschreckendes 
Beispiel  hinwies  und  empfahl,  die  Republik  solle  im  Gegensatz  zu  dem 
blutsaugerischen  Systeme  der  ungarischen  Barone  dafür  sorgen,  daß 
die  Untertanen  »sieno  sicuri  dalle  violenze  de'  Graiidi«  (Cavalli  bei  Alberi, 
»Relazionin  I,  3,  131  f.),  so  war  diese  Mahnung  wohl  kaum  eigentlich 
nötig.  Mochten  auch  die  »cittadini«  und  »gentiluomini«.  einer  Stadt 
wie  Verona  der  venezianischen  Herrschaft,  die  sie  z.  B.  von  allen  kom- 
mandierenden Stellen  in  der  Mihz  ausschloß,  keine  Sympathien  ent- 
gegenbringen, die  )>Popolani«  waren  dem  Patriziat  der  Republik  um 
so  mehr  ergeben  (vgl.  Machiavelli,  »Legazione  XXXn:  ))Opere«  ed. 
Passerini-Milanesi  VII,  p.  440  ff.  und  Carlo  Cipolla,  »Una  Congiura 
contro  la  Repubblica  di  Venezia«  in  den  »Memorie  deW Accademia  di  Torino 
Classe  di  Sc.  mor.«  vol.  VI,  ser.  4,  parte  1,  p.  62). 

Es  kam  hinzu,  daß  die  Regierung  ihre  Untertanengebiete  zu  einem 
guten  Teile  auch  ökonomisch  in  der  Hand  hatte.    Ohne  die  Getreide- 


§  67.    Die  Armee.  161 

mengen,  die  von  dem  Adriatisehen  Meere  her  auf  den  Flußläufen  ein- 
geführt wurden,  war  eine  regelmäßige  Versorgung  der  festländischen 
Besitzungen  nicht  durchzuführen,  und  bei  dem  Schiffahrtsmonopol^ 
das  Venedig  in  der  nördlichen  Adria  besaß,  war  ein  Import  auf  anderen 
als  auf  venezianischen  Schiffen  ausgeschlossen. 

Auch  über  die  Geistlichkeit  und  die  kirchlichen  Würden  ihres 
Gebietes  verfügte  die  venezianische  Regierung  so  uneingeschränkt  wie 
irgendein  anderer  Staat.  Dank  ihrem  geschlossenen  Geschlechter- 
regiment hatte  sie  sogar  den  besonderen  Vorteil,  daß  sie  hohe  geistliche 
Stellen,  vor  allem  die  Bistümer,  lächt  nur  mit  Anhängern,  sondern  mit 
Angehörigen  des  regierenden  Patriziates  besetzen  konnte;  dieser  Vorteil 
ist  denn  auch,  wie  man  weiß,  in  reichem  Maße  ausgenützt  worden. 
Die  Kirche  war  vielleicht  in  keinem  anderen  Lande,  nicht  einmal  in 
Frankreich  oder  England,  so  sehr  »nationalisiert«  wie  in  Venedig.  Die 
Bischöfe  wurden  im  Senate  gewählt,  und  ein  Gesetz  des  Jahres  1488 
erklärte  alle  Fremden  ausdrücklich  als  nicht  wählbar.  Der  Patriarch 
von  Venedig  war  immer  ein  venezianischer  Patrizier. 

§  67.  Die  Armee.  Machiavelli  (»Discorsi  über  Livius«  II,  30)  und 
im  Anschluß  an  ihn  auch  andere  Florentiner  (Varchi,  »Storia  jiorentinaa 
IV,  28)  haben  häufig  mit  den  Venezianern  exemplifiziert,  um  die 
schlimmen  Folgen  des  Condottieresystems  ins  Licht  zu  setzen.  Diese 
Argumentation  ist  irreführend.  Die  Verwendung  von  Söldnertruppen 
war  keine  Eigentümlichkeit  der  venezianischen  Republik,  und  wenn 
diese  dabei  im  allgemeinen  schlechte  Erfahrungen  machte,  so  war  dies 
nicht  auf  das  System  zurückzuführen,  das  sie  mit  allen  anderen  Groß- 
staaten mit  Ausnahme  der  Türkei  teilte,  noch  auch  auf  die  ungenügende 
Organisation;  man  könnte  im  Gegenteil  behaupten,  daß  kein  anderer 
Staat  so  zweckmäßige  und  vorsichtige  Maßregeln  zur  Sicherung  seiner 
Soldatenlieferungen  traf.  Der  Fehler  lag  anderswo.  Er  bestand  darin, 
daß  die  venezianische  Regierung  sich  wohl  auf  Kämpfe  mit  den  be- 
nachbarten italienischen  Staaten  eingerichtet  hatte,  nicht  aber  auf 
Konflikte  mit  den  außeritalienischen  Mächten,  die  die  neue  schwei- 
zerische Taktik  (§  5)  und  die  neue  Geschütztechnik  bei  sich  eingeführt 
hatten.  Bei  Beginn  der  hier  behandelten  Periode  war  das  venezianische 
Militärwesen  immer  noch  so  organisiert,  als  wenn  es  keine  Burgunder- 
kriege gegeben  hätte.  An  sich  war  für  die  Bedürfnisse  des  Krieges 
trefflich  vorgesorgt.  Die  Republik  besaß  für  einen  beträchtlichen  Teil 
des  benachbarten  Italiens  gleichsam  das  Monopol  auf  Söldnerlieferung. 
Sie  konnte  nicht  nur  aus  ihrem  eigenen  Gebiete  Truppen  anwerben, 
sondern  verschiedene  kleine  Fürsten  Oberitaliens  (vor  allem  die  Her- 
zoge von  Mantua,  dann  aber  auch  die  Herzoge  von  Urbino  usw.)  waren 
darauf  angewiesen,  die  Kosten  ihrer  Regierung  aus  Condotteverträgen 
mit  Venedig  zu  decken,  und  an  Mitteln,  solche  Verträge  abzuschließen, 
fehlte  es  der  Republik  nie.  Dazu  kam  noch,  daß  die  Republik  die  Ope- 
rationen ihrer  Armeen  durch  Regierungskommissäre  {Provveditori)  aus 
den  Reihen  der  Patrizier  zu  überwachen  vermochte. 

Fueteri  Europ.  Staatensystem.  H 


162  Venedig. 

Aber  alle  diese  Vorkehrungen  zeigten  sich  unwirksam,  als  die 
französische  Invasion  des  Jahres  1494  die  venezianischen  Streitkräfte 
in  Berührung  mit  modern  geschulten  Truppen  brachte.  Nicht  nur 
war  es  nun  mit  der  Monopolstellung  der  Republik  vorbei :  wenn  die 
französische  Regierung  die  venezianischen  Offerten  an  die  italienischen 
Condottierefürsten  auch  nicht  unbedingt  zu  überbieten  vermochte,  so 
hatte  sie  dafür  den  Vorteil,  daß  einer  Anwerbung  durch  Frankreich 
keine  politischen  Bedenken  entgegenstanden,  und  wenn  die  französische 
Krone  vielleicht  weniger  Geld  in  Aussicht  stellte,  so  bestand  dafür  bei 
ihr  nicht  die  Gefahr  einer  Absorption,  wie  sie  die  Herrscher  der  kleinen 
italienischen  Staaten  stets  von  Venedig  befürchteten.  Bedeutungs- 
voller aber  war  ein  anderes  Moment.  Venedig  hatte  sich  immer  von 
dem  guten  Willen  auswärtiger  Mächte  unabhängig  zu  stellen  gesucht 
und  in  der  Hauptsache  nur  italienische  Truppen  angeworben.  Dieses 
System  war  nun  an  sich  nicht  schlecht;  aber  es  zog,  so  wie  die  Dinge 
damals  lagen,  den  Nachteil  nach  sich,  daß  die  Republik,  wenigstens 
was  die  Infanterie  betraf,  nur  minderwertiges  Soldatenmaterial  in  ihren 
Diensten  hatte.  Während  Frankreich  sich  schweizerische  Knechte  ge- 
sichert hatte,  Österreich  die  schweizerische  Taktik  bei  den  deutschen 
Söldnern  einzuführen  bestrebt  war  und  bald  darauf  auch  Spanien  zur 
Ausbildung  seiner  Truppen  nach  schweizerischer  Methode  schritt,  hielt 
sich  Venedig  von  dieser  Neuerung  fern.  Die  Republik  setzte  weder 
eine  Schulung  ihrer  einheimischen  Truppen  nach  der  neuen  Taktik 
durch,  noch  versuchte  sie  mit  ausländischen  Staaten  Verträge  über 
regelmäßige  Werbelizenzen  abzuschließen,  wie  es  Frankreich  mit  der 
Eidgenossenschaft  und  mit  deutschen  Territorien  unternahm. 

Auch  so  war  Venedig  natürlich  keine  verächtliche  Macht,  auch 
nur  was  die  Infanterie  betraf.  Ein  Staat,  der  über  die  Finanzkraft  der 
Lagunenrepublik  verfügte,  konnte  so  zahlreiche  Söldner  in  seine  Dienste 
nehmen,  daß,  selbst  wenn  die  Qualität  zu  wünschen  ließ,  seine  Armeen 
nicht  ignoriert  werden  durften.  Aber  an  eine  Gleichstellung  mit  den 
anderen  Großmächten  war  nicht  zu  denken.  Die  Klagen  über  die 
Minderwertigkeit  der  italienischen  Infanterie  —  und  zwar  Klagen  aus 
italienischem  Munde  — ,  die  sich  durch  die  ganze  Periode  hindurch 
wiederholen,  sind  dafür  ein  beredtes  Zeugnis,  und  noch  in  der  Mitte 
des  16.  Jahrhunderts  erzählt  ein  gebildeter  italienischer  Historiker, 
Giovanni  de'  Medici  sei  im  Jahre  1526  einer  Schlacht  mit  den  Lands- 
knechten Frundsbergs  ausgewichen;  die  italienischen  fanterie  seien 
jenen  nicht  gewachsen,  »per  lo  non  essere  esse  disciplinate,  ne  use  a 
servare  gli  ordini«  (Varchi,   »Storia  fiorentina«  II,  18). 

Besser  stand  es  mit  der  Kavallerie  der  Republik.  Die  venezianischen 
Patrizier  waren  allerdings  aus  natürlichen  Gründen  für  den  Dienst 
als  Reisige  wenig  geeignet;  die  Aristokratie  der  Terraferma  war  poli- 
tisch unzuverlässig,  und  die  schwere  Reiterei,  die  mit  den  Condottieren 
angeworben  wurde,  konnte  im  Vergleich  mit  der  französischen  nur  als 
von  mittelmäßigem  Wert  gelten.   Aber  sie  besaßen  dafür  in  der  leichten 


§  68.    Die  Marine.  163 

Reiterei,  die  sie  aus  ihi'en  Besitzungen  in  AU^anien  und  Grieelienland 
bezogen,  ein  Instrument,  wie  es  im  übrigen  Europa  außeilialb  Spaniens 
unbekannt  war.  Die  kämpf gew^ohnten  Stämme  der  unwirtlichen  Gegen- 
den, in  denen  ein  großer  Teil  der  männlichen  Jugend  auf  den  Kriegs- 
dienst im  Ausland  als  Lebenserwerb  angewiesen  wai",  stellten  dem 
venezianischen  Regimente  ein  Material  zur  Verfügung,  wie  es  günstiger 
kaum  gedacht  werden  konnte.  Das  Manko  der  Infanterie  konnte  damit 
freilich  nicht  w^ettgemacht  werden.  Die  militärische  Bedeutung  der 
leichten  Reiterei  war  beschränkt  (§  8),  und  so  wertvolle  Dienste  den 
Venezianern  auch  ihre  »Stradioten«  leisteten,  so  wurde  ihre  militärische 
Position  durch  sie  doch  nicht  wesentlich  verstärkt. 

Wieder  etwas  anders  lagen  die  Verhältnisse  im  Geschützwesen. 
Als  die  Franzosen  in  Italien  einbrachen,  w^aren  im  Vergleich  mit  ihren 
Rüstungen  Artillerie-  und  Befestigungsw^esen  in  Venedig  nicht  weniger 
zurückgeblieben  als  die  Ausbildung  der  Infanterie.  Aber  es  war  der 
venezianischen  Regierung  leichter  als  auf  jenem  Gebiete,  den  Vor- 
sprung Frankreichs  einzuholen.  Sobald  sie  von  der  Überlegenheit  der 
französischen  Geschütze  Kenntnis  erhalten  hatte,  ließ  sie,  zum  Teil 
durch  dieselben  ursprünglich  venezianischen  Büchsenmeister,  die  die 
französischen  Kanonen  gegossen,  »«/  costume  e  modo  usano  Francesi« 
))Bombarde  grosse«  anfertigen  (Sanuto,  »Diarien«  I,  146;  vgl.  ibid.  375, 
1496).  Die  Befestigungen  der  Städte  wurden  zunächst  allerdings 
nur  in  ungenügendem  Maße  modernisiert;  aber  nachdem  der  Krieg 
der  Liga  von  Cambrai  (§  113)  die  gefährdete  Lage  der  Städte  der  Terra- 
ferma  erwiesen  hatte,  holte  auch  hier  die  Regierung  das  Erforderliche 
nach,  und  von  dieser  Zeit  an  galten  die  venezianischen  Städte  wohl 
mit  Recht  als  ausreichend  befestigt  (vgl.  G.  Venturi,  »Compeudio  della 
storia  di  Verona«  II,  158  f.  und  allgemein  Giustiniani  bei  Tommaseo 
I,  72). 

Literatur.  M.  Ilobohm,  »Machiavelli«  II,  303ff.  —  Ein  Ablvomnien  mit 
den  Schweizern  empfahl  z.  B.  Mocenigo  seiner  Regierung  {»Fontes  Renan  Austria- 
carumv  II,  132);  die  Gründung  einer  eigenen  »Mihz«  schlug  Cavalli  vor  (Tommaseo  I, 
306);  beide  stellen  einen  Beweis  dafür,  daß  bereits  zeitgenössische  venezianische 
Staatsmänner  das  überheferte  System  der  Anwerbung  als  unbefriedigend  empfanden. 
Daß  die  itahenischen  Gondottieren  sich  um  den  Eintritt  in  den  venezianischen 
Dienst  rissen,  weil  die  Republik  gut  bezahlte:  Sanuto  I,  1H2. 

§  68.  Die  Marine.  Die  venezianische  Marine  war  für  die  Existenz 
des  ganzen  Staates  von  so  kardinaler  Bedeutung,  daß  das  Wichtigste 
über  sie  bereits  in  dem  Abschnitte  über  die  allgemeinen  wirtschaft- 
lichen Verhältnisse  der  Republik  (§  65)  hat  gesagt  werden  müssen.  Es 
kann  sich  daher  an  dieser  Stelle  nur  noch  um  einige  ergänzende  An- 
gaben handeln. 

Die  Markusrepublik  rüstete  ihre  Marine  im  Prinzip  nach  derselben 
Methode  aus  wie  ihre  Landarmeen;  der  Unterschied  lag  nur  darin, 
daß  die  Verhältnisse  für  die  Flotte  viel  günstiger  lagen.  Ihr  Vorhaben, 
nur  einheimische  und  abhängige  Mannschaft  zu  verwenden,  konnte  sie 

11* 


164  Venedig. 

hier  vollständig  zur  Ausführung  bringen:  die  Besatzung  ihrer  Schiffe 
bestand  ausschließlich  aus  Venezianern  oder  aus  Griechen  aus  dem 
Kolonialgebiet;  das  oberste  Kommando  lag  immer  in  den  Händen  eines 
venezianischen  Nobile.  Dazu  war  dies  zugleich  die  beste  Mannschaft, 
die  überhaupt  zu  erhalten  war;  es  ist  charakteristisch,  daß  die  türkische 
Regierung  griechische  und  venezianische  Galeerenruderer,  die  im  vene- 
zianischen Dienste  standen,  durch  höheren  Sold,  als  ihn  die  Republik 
zahlte,  auf  ihre  Flotte  zu  locken  pflegte,  nach  venezianischer  Auffassung 
hätten  die  Türken  ohne  diese  Überläufer  nicht  einmal  über  mittelmäßig 
bestellte  Schiffe  verfügt  (Trevisano  bei  Alberi  III,  1,  147).  Auch  die 
Schiffsgeschütze  scheinen  kaum  wesentlich  hinter  den  französischen 
zurückgestanden  zu  haben ;  wenn  die  venezianische  Regierung,  wie 
bereits  erwähnt  (§  67),  dem  Geschützwesen  größere  Sorgfalt  zuwandte 
als  dem  Befest igungswesen,  so  mag  dabei  übrigens  in  der  ersten  Zeit 
der  Umstand  mitgewirkt  haben,  daß  die  Verwendung  veralteter  Ge- 
schützmodelle die  Flotte  ebenso  in  Mitleidenschaft  zog  wie  die  Be- 
lagerungsarmeen (vgl.   §  12). 

Was  die  weitere  Ausrüstung  der  Schiffe  betraf,  so  war  allerdings 
Venedig  nicht  so  ganz  vom  Auslande  unabhängig.  Wenn  das  Holz 
zum  Schiffbau  in  der  Regel  aus  den  dalmatinischen  Besitzungen  er- 
halten werden  konnte,  so  mußte  der  Hanf  dagegen,  wie  es  scheint, 
zum  Teil  aus  der  Fremde  bezogen  werden.  Immerhin  führte  dies  in 
der  Praxis  zu  keinen  Schwierigkeiten,  wenn  schon  sich  etwa  venezia- 
nische Gesandte  bei  der  österreichischen  Regierung  neben  Eisen  auch 
um  Lizenzen  für  Holz  bemühten  (Alberi,  »Relazioni«  I,  2,  p.  156). 
Eine  Einschränkung  der  politisch-militärischen  Aktionsfreiheit  be- 
deutete dagegen,  daß  das  getreidearme  Land,  wie  bereits  erwähnt 
(§  65),  das  Schiffszwieback  für  die  bekanntlich  unverhältnismäßig  starke 
Mannschaft  der  Galeeren  nicht  aufbringen  konnte.  Wohl  wurde  Gypern 
nach  Möglichkeit  dafür  herangezogen  (vgl.  z.  B.  Sanuto,  »Diarien  (( 
II,  224);  aber  sogar  die  Produktion  dieser  kornreichen  Insel  reichte  in 
der  Regel  nicht  aus.  Die  Venezianer  waren  also  auch  in  dieser  Beziehung 
auf  das  Getreide  Siziliens  angewiesen,  wenn  sie  nicht  von  ihrem  Gegner 
selbst,  gegen  den  sich  doch  die  Aktion  ihrer  Flotte  vor  allem  richtete, 
nämlich  von  der  osmanischen  Regierung  Korn  zur  Ausrüstung  ihrer 
Schiffe  erhalten  wollten  (vgl.  z.  B.  Sanuto,  ibid.  I,  459). 

§  69.  Die  Organisation  des  diplomatischen  Dienstes.  Es  ist  üblich 
geworden,  die  diplomatische  Organisation  der  venezianischen  Republik 
als  außergewöhnlich  leistungsfähig  hinzustellen.  Wenn  die  Intellek- 
tuellen des  16.  Jahrhunderts  wohl  allgemein  in  Venedig  einen  Muster- 
staat erblickten,  so  scheint  dieses  Lob  noch  bis  auf  die  Gegenwart 
nachzuwirken  und  auch  die  Auffassung  der  venezianischen  diploma- 
tischen Kunst  zu  beherrschen.  Der  Historiker  kann  diesem  Urteile 
nicht  ohne  weiteres  beistimmen.  Es  wäre  wohl  schwer  nachzuweisen, 
daß  der  auswärtige  Dienst  der  Markusrepublik  Vorzüge  besessen  hätte, 


§  69.    Die  Organisation  des  diplomatischen  Dienstes.  165 

die  man  bei  der  Diplomatie  der  Habsburger,  der  spanischen  und  eng- 
lischen Regierung  nicht  in  demselben  Maße  angetroffen  hätte.  Ohne 
Einschränkung  ist  dagegen  zuzugeben,  daß  die  Republik  es  ausgezeichnet 
verstanden  hat,  trotz  der  ungünstigen  Vorbedingungen,  die  in  ihrer. 
Verfassung  begründet  lagen,  einen  brauchbaren  diplomatischen  Infor- 
mationsdienst und  eine  in  der  Hauptsache  stabile  auswärtige  Politik 
zu  schaffen. 

Dabei  muiJ  von  vornherein  bemerkt  werden,  daß  es  falsch  wäre, 
wenn  man  aus  der  zeitlichen  Priorität  eine  Überlegenheit  der  venezia- 
nischen Diplomatie  ableiten  wollte.  Es  ist  allerdings  richtig,  daß  Ve- 
nedig wie  die  übrigen  größeren  italienischen  Staaten  bereits  zu  einer 
Zeit  die  Institution  ständiger  Gesandten  kannte,  wo  diese  Einrichtung 
außerhalb  Italiens  noch  nicht  üblich  war  (§  3).  Aber  dieser  Vorsprung 
wurde  lasch  eingeholt  und  blieb  ohne  praktische  Folgen.  Auch  hat 
Venedig  selbst  anderseits  erst  während  der  hier  behandelten  Periode 
seinen  diplomatischen  Dienst  auf  alle  größeren  Staaten  Europas  aus- 
gedehnt; erwähnt  sei  hier  davon  nur  die  erste  Errichtung  eines  stän- 
digen Gesandtschaftspostens  in  England  und  der  Ausbau  der  früher 
recht  dürftigen  Konsularvertretung  in  Konstantinopel. 

Die  republikanische  Verfassung  Venedigs  bot  für  eine  zweckmäßige 
Führung  der  auswärtigen  Politik  um  so  schwierigere  Verhältnisse,  als 
das  Patriziat  in  seiner  Gesamtheit  keineswegs  gewillt  war,  sich  die 
Kontrolle  der  auswärtigen  Angelegenheiten  aus  der  Hand  nehmen  zu 
lassen,  ^^'ährend  die  Habsburger,  die  Tudors  usw.  über  unabsetzbare 
Leiter  der  auswärtigen  Politik  und  vor  allem  über  ein  Gesandtschafts- 
personal von  Berufsdiplomaten  (soweit  damals  bereits  dieser  Ausdruck 
angewendet  werden  kann)  verfügten,  war  in  Venedig  nichts  Ähnliches 
zu  finden.  Nicht  nur  wechselten  die  Inhaber  des  sog.  Collegio  und  des 
Rates  der  Zehn,  die  man  als  Exekutivorgane  bezeichnen  könnte,  sondern 
der  letzte  Entscheid  auch  in  Fragen  der  auswärtigen  Politik  war  einer 
parlamentarischen  Versammlung,  den  Pregadi  (dem  sog.  Senat)  vor- 
behalten. Zu  Gesandten  wurden  nur  Patrizier  gewählt,  die  vielfach 
nur  eine  bestimmte  Anzahl  von  Jahren  im  diplomatischen  Dienste 
blieben. 

Aber  das  venezianische  Patriziat  hat  diese  Nachteile,  so  gut  es 
ging,  auszugleichen  versucht.  Was  zunächst  die  Leitung  der  auswärtigen 
Politik  betraf,  so  wurde,  besonders  nachdem  der  unglückliche  Ausgang 
des  Krieges  der  Liga  von  Cambrai  (§  113)  die  Mängel  des  alten  Systems 
an  den  Tag  gelegt  hatte,  die  wirkliche  Leitung  der  Geschäfte  beinahe 
ganz  in  den  Händen  des  Rates  der  Zehn  konzentriert;  es  kam  vor, 
daß  wichtige  Depeschen  den  Pregadi  nur  verstümmelt  oder  überhaupt 
nicht  vorgelegt  wurden.  Dadurch  wurde  die  auswärtige  Politik  zwar 
noch  nicht  einer  ständigen  Behörde,  aber  doch  wenigstens  einem  kleinen 
Kollegium  zugewiesen,  das  leichter  als  der  Senat  bestimmte  Richt- 
linien aufstellen  und  von  einer  Amtsdauer  zur  andern  überliefern  konnte, 
besonders  da  ihm  auch  ständige  Mitglieder,  wie  z.  B.  der  Doge,  ange- 


166  Venedig. 

hörten.  Dem  Senate  gehörten  ferner  die  Patrizier  sozusagen  ex  officio 
an,  die  wichtigere  Gesandtschaftsposten  bekleidet  hatten. 

Was  die  Ausbildung  der  Diplomaten  betraf,  so  diente  dazu  die 
Einsicht  in  die  Praxis,  die  die  Verhandlungen  im  Senate  gewährten; 
besonders  bedeutungsvoll  waren  in  dieser  Hinsicht  die  Relationen,  die 
die  zurückkehrenden  Gesandten  in  dieser  Versammlung  über  ihre 
Erfahrungen  vorzutragen  hatten.  Daneben  wurde  sowohl  bei  der 
Zentrale  wie  bei  den  einzelnen  Gesandtschaften  durch  ständige  Sekretäre 
nicht  patrizischer  Herkunft,  (die  also  wohl  in  der  Regel  juristische 
Schulung  hatten)  dafür  gesorgt,  daß  etwa  mangelnde  Fachkenntnisse 
des  patrizischen  Diplomaten  zu  keinen  schlimmen  Folgen  führten;  es 
war  deshalb  üblich,  daß  die  venezianischen  Gesandten  im  Gegensatz 
zu  den  Diplomaten  anderer  Mächte  ihre  Sekretäre  bei  den  Verhand- 
lungen ständig  bei  sich  hatten  (Dandolo  bei  Alberi  II,  3,  337;  vgl.  zum 
übrigen  Cavalli  bei  Tommaseo  I,  332). 

Auch  vermochten  anderseits,  wie  man  annehmen  darf,  die  vene- 
zianischen Gesandten  aus  ihrer  außerhalb  der  diplomatischen  Praxis 
erworbenen  Erfahrung  besonderen  Nutzen  zu  ziehen.  Ihre  Berichte 
zeigen,  wie  häufig  ihre  Dienste  für  handelspolitische  Verhandlungen 
in  Anspruch  genommen  wurden;  es  ließe  sich  wohl  denken,  daß  sie 
für  solche  Geschäfte  besser  geschult  gewesen  wären  als  die  Berufsdiplo- 
maten der  anderen  Staaten.  Auch  verfügten  sie  aus  ähnlichen  Gründen 
regelmäßig  über  präzisere  marinetechnische  Kenntnisse  als  ihre  Kol- 
legen aus  anderen  Staaten  und  bisweilen  wohl  auch  über  bessere  mili- 
tärische Kenntnisse  überhaupt. 

Literatur.  Auch  über  die  Organisation  der  venzianischen  Diplomatie  fehlt 
es  noch  an  einer  Spezialarbeit.  Einiges  bei  Jean  Zeller,  »La  Diplomatie  frangaise 
vers  le  milieii  du  A'VI^  siede«  (1881),  p.  46f.,  und  die  dort  angeführte  ältere  Lite- 
ratur. Vgl.  auch  W.  Andreas,  »Die  venetianischen  Relationen«  1908.  —  Zu  der 
Verstümmelung  von  Depeschen,  die  im  Senat  verlesen  werden  sollte,  vgl.  z.  B. 
V.  Lamansky,   »Secrets  d'Etat  de   Venisen  (1884),  p.  66. 

§  70.  Die  auswärtige  Politik  Venedigs.  Die  Grundzüge  der  aus- 
wärtigen Politik  Venedigs  sind  aus  dem  bisher  Ausgeführten  ohne  große 
Mühe  zu  erschließen.  Zwei  JNIomente  beherrschen  die  Entscheidungen 
der  Republik:  das  eine  ein  wirtschaftliches,  die  Sorge  um  die  Versorgung 
des  Landes  mit  Getreide  und  Rohstoffen  für  Land  und  Flotte,  das  zweite 
ein  militärisch-politisches:  das  Bestreben,  wenn  immer  möglich  Krieg 
mit  außeritalienischen  Großmächten,  vor  allem  Frankreich  und  Spanien 
(Habsburg),  zu  vermeiden,  da  die  Landstreitkräfte  der  Republik  den 
Armeen  jener  Staaten  nicht  gewachsen  waren.  Die  Handelsinteressen, 
von  denen  in  neueren  Darstellungen  manclimal  in  unbestimmter  Weise 
gesprochen  wird,  traten  daneben  durchaus  zurück.  Nicht  als  wenn  der 
Handelsverkehr  nicht  die  eigentliche  Basis  der  venezianischen  Groß- 
machtstellung gebildet  hätte.  Aber  die  Stellung  Venedigs  im  inter- 
nationalen Handel  war  so  fest,  vielfach  beinahe  monopolartig,  begründet 
und  gewährte  auch  den  Kunden  so  große  Vorteile,  daß  er  durch  poli- 


§  70.    Auswärtige  Politik.  167 

tische  Zerwürfnisse  nur  in  geringem  Umfange  in  Mitleidenschaft  ge- 
zogen wurde,  in  direktem  Gegensatze  zu  den  Verhältnissen,  die  bei  dem 
Importe  des  Getreides  herrsehten.  Wenn  der  venezianische  Handel 
während  des  hier  behandelten  Zeitraumes,  wie  bereits  erwähnt  (§  65), 
schwere  Einbuße  erlitt,  so  stand  dieser  Wandel  mit  der  auswärtigen 
Politik  der  Republik  in  keinem  Zusammenhang;  ihr  gefährlichster 
Gegner,  das  osmanische  Reieli,  vertrat  im  Gegenteil  in  der  Angelegen- 
heit des  neuen  Handelsweges  nach  Indien  Interessen,  die  sich  mit  denen 
Venedigs  durchaus  deckten.  Hier  hatte  sich  eben  ein  Wechsel  voll- 
zogen, dem  mit  militärisch-diplomatischen  Mittehi  nicht  beizukom- 
men war. 

Den  christlichen  Staaten  gegenüber  stand  das  Moment  militärischer 
Natur  im  Vordergrund.  Der  Kampf,  den  die  Großmächte  um  Italien 
begannen,  erschütterte  die  auswärtige  Politik  Venedigs  in  ihren  Grund- 
lagen. Die  imperialistischen  Bestrebungen,  die  auf  Vergrößerung  des 
Besitzes  auf  der  Terraferma  hinausliefen,  beruhten  auf  der  Voraus- 
setzung, daß  die  Republik  es  nur  mit  den  italienischen  Staaten  zu  tun 
haben  werde;  diese  mochten  wohl,  wie  der  Fall  war,  gegen  den  Vor- 
stoß der  venezianischen  Macht  die  stärkste  Abneigung  empfinden, 
aber  sie  waren  außerstande,  zum  Gegenschlage  auszuholen.  Auswärtigen, 
modern  gerüsteten  Staaten  gegenüber  befand  sich  Venedig  in  einer 
viel  ungünstigeren  Lage.  Die  Republik  war  gerade  noch  stark  genug, 
sich  gegen  einen  Angriff  von  dieser  Seite  in  der  Defensive  zu  behaupten. 
Daraus  entsprang  beinahe  von  selbst  die  Neutralitätspolitik,  an  der 
Venedig  wenn  immer  möglich  festhielt,  die  Politik  der  »büancian  zwischen 
Frankreich  und  Habsburg-Spanien,  wie  sie  einer  ihrer  Oratoren  selbst 
definiert  hat  (Soranzo  bei  Alberi,  »Relazioni«  I,  2,  463  f.).  Man  kann 
sagen,  daß  besonders  seit  der  Liga  von  Cambrai  diese  Haltung  oberster 
Grundsatz  wurde;  seit  dem  unglücklichen  Ausgange  dieses  Feldzuges 
suchte  die  Republik  vor  allen  Dingen  zu  verhüten,  daß  sich  von  neuem 
eine  Koalition  der  Großmächte  gegen  sie  bildete. 

Bei  der  Durchführung  dieser  Richtlinien  kam  der  Republik  ein 
Vorteil  zustatten,  der  ihr  in  ganz  besonderem  Maße  eigen  war,  nämlich 
die  innere  Geschlossenheit  dem  Auslande  gegenüber.  Es  ist  bekannt, 
wie  sehr  andere  Republiken  der  Zeit,  vor  allem  Genua,  aber  auch 
Florenz,  infolge  ihrer  Parteifehden  in  ihrer  auswärtigen  Politik  ge- 
schwächt waren.  Aber  auch  in  Monarchien,  wie  z.  B.  in  Frankreich, 
litt  die  Kontinuität  der  Politik  mehrfach  unter  dem  Kampf  der  Ko- 
terien.  In  Venedig  gab  es  nichts  Derartiges.  Es  gab  keine  Parteien, 
die  von  fremden  Mächten  gegeneinander  ausgespielt  werden  konnten; 
es  gab  auch  keine  Minister,  die  man  durch  Gefälligkeiten  und  Pen- 
sionen umstimmen  konnte.  Man  hat  bisweilen  das  Mißtrauen,  mit 
dem  in  Venedig  jeder  Verkehr  zwischen  ausländischen  diplomatischen 
Agenten  und  Patriziern  überwacht  wurde,  übertrieben  gescholten; 
man  darf  darüber  nicht  vergessen,  daß  die  Republik  dank  diesem 
Kontrollsystem  ihre  Politik  von  ausländischen  Einflüssen  so  frei  gehalten 


168  Venedig. 

hat  wie  kaum  eine  andere  Regierung  der  damaligen  Zeit,  nicht  einmal 
die  habsburgische. 

Resümierend  kann  man  sagen,  daß  die  Verhältnisse  nach  und  nach 
Venedig  zu  einer  defensiven  Haltung  nötigten.  Die  ökonomische  Ab- 
hängigkeit von  der  Türkei  und  die  militärische  Superiorität  der  übrigen 
Großmächte  bereiteten  der  ehemaligen  expansionistischen  Politik  nach 
und  nach  ein  Ende.  Wer  über  die  Staatskunst  Venedigs  urteilen  will, 
darf  nicht  vergessen,  daß  die  Republik  auch  im  günstigsten  Falle  nicht 
mehr  erreichen  konnte,  als  das  früher  Gewonnene  zu  bewahren. 

§  <].  A'enedig  und  die  Türkei.  Die  Beziehungen  zwischen  Venedig 
und  der  Türkei  können  an  dieser  Stelle  nur  kurz  besprochen  werden, 
da  sie  das  Zentralproblem  der  damaligen  internationalen  Politik  nicht 
unmittelbar  berühren.  Aber  sie  dürfen  doch  auch  nicht  ganz  uner- 
wähnt bleiben,  da  die  politische  Haltung  der  Markusrepublik  letzten 
Endes  doch  stets  durch  das  Verhältnis  zu  der  osmanischen  Regierung 
bestimmt  wurde. 

Zieht  man  nur  die  militärischen  Machtmittel  in  Betracht,  so  muß 
man  sagen,  daß  sich  in  Venedig  und  der  Türkei  keine  durchaus  un- 
gleichen Gegner  gegenüberstanden.  Die  osmanische  Regierung  ver- 
fügte über  eine  größere  und  zuverlässigere  Landarmee;  aber  zur  See 
waren  ihre  Streitkräfte  viel  schwächer,  besonders  bevor  sich  die  Bar- 
bareskenfürsten  in  ihre  Dienste  gestellt  hatten,  und  bei  der  Natur 
des  Kampfes,  der  sich  zu  einem  guten  Teile  um  Inseln  oder  von  der 
See  leicht  zugängliche  Gebiete  drehte,  war  diese  Superiorität  der  vene- 
zianischen Marine  von  ganz  besonderer  Bedeutung.  Dazu  kam  noch, 
daß  auch  im  Geschützwesen  die  venezianischen  Truppen  den  türkischen 
überlegen  waren.  Als  eigentlich  bedroht  konnten  von  dem  veneziani- 
schen Besitze  somit  nur  die  Eroberungen  in  Dalmatien  und  Albanien 
gelten,  die  vom  Lande  her  angegriffen  werden  konnten. 

Hatte  schon  dies  Kräfteverhältnis  zur  Folge,  daß  häufig  zwischen 
der  Pforte  und  der  Markusrepublik  friedliche  Beziehungen  herrschten, 
so  fiel  ferner  noch  in  Betracht,  daß  die  venezianischen  Besitzungen 
im  Osten  zwar  innerhalb  der  türkischen  Ausdehnungssphäre  lagen,  die 
auf  ihren  Eiwerb  gerichteten  Pläne  der  osmanischen  Regierung  aber 
zunächst  wenigstens  durchaus  zurücktraten  hinter  den  umfassenden 
Eroberungsprojekten,  die  sich  auf  Asien  und  Nordafrika  bezogen. 
Ein  latenter  Konflikszustand  war  also  wohl  vorhanden;  aber  die  Ver- 
hältnisse lagen  für  ein  aggressives  kriegerisches  Vorgehen  auf  keiner 
Seite  verlockend. 

Aber  nirgends  wäre  es  weniger  angebracht  als  hier,  die  Lage  nur 
vom  militärischen  Standpunkte  aus  zu  betrachten.  In  militärischer 
Hinsicht  existierte  vielleicht  ein  ge\\'isser  Gleichgewichtszustand;  in 
ökonomischer  Beziehung  waren  die  Kampfmittel  dagegen  verschieden 
stark,  und  zwar  lag  hier  der  Vorteil  durchaus  auf  der  Seite  der  Türkei. 
Wohl  war  es  auch  für  das  Osmanische  Reich  ökonomisch  nicht  gleich- 


§  71.    Verhältnis  zur  Türkei.  169 

gültig,  ob  die  wirtschaftliehen  Beziehungen  zu  Venedig  ungestört 
blieben  oder  nicht:  der  Türkei  erwuchs  aus  den  Zöllen,  die  von  dem 
venezianischen  Handel  erhoben  wurden,  namhafter  Gewinn,  der  aus 
dem  Verkehr  mit  anderen  Nationen  nicht  hätte  ersetzt  werden  können 
(Alberi  III,  1,  160,  283  f.;  III,  3,  141)  und  auch  für  den  Teil  des  Ge- 
treideüberschusses, den  die  Venezianer  zu  kaufen  pflegten,  hätten  sich 
nicht  leicht  andere  Abnehmer  finden  lassen.  Aber  was  hatte  dies  zu 
bedeuten  im  Vergleich  mit  der  Abhängigkeit,  in  der  sich  die  Getreide- 
versorgung der  Markusrepublik  von  dem  guten  Willen  der  türkischen 
Regierung  befand!  Der  Schade,  der  dem  Osmanischen  Reiche  aus  einer 
Unterbrechung  des  venezianischen  Handels  entstand,  war  für  dessen 
militärisch-politische  Operationen  von  untergeordneter  Bedeutung;  für 
Venedig  rührte  eine  längere  Sperre  der  Getreidezufuhr  aus  dem  Balkan 
und  Südrußland  (auch  aus  Syrien)  an  die  Grundlagen  der  Existenz.  Die 
venezianischen  Berichte  der  Zeit  sind  einig  darüber,  daß  es  unmöglich 
war,  in  dem  Kirchenstaat  und  in  Sizilien  vollen  Ersatz  für  das  etwa 
ausbleibende  Getreide  des  Balkans  und  Südrußlands  zu  finden,  d.  h. 
sie  gehen  sämtlich  von  der  Voraussetzung  aus,  daß  die  Türkei  in  der 
Kontrolle  über  das  nur  mit  ihrer  Einwilligung  zu  liefernde  Getreide 
ein  Druckmittel  besaß,  gegen  das  die  Republik  machtlos  war.  »Wollte 
Gott,  daß  unser  Land  für  die  Hauptstadt  und  die  übrigen  Städte  das 
Getreide  selbst  aufbringen  könnte!  Könnten  wir  es  nur  zwei  Jahre 
ohne  den  türkischen  Import  aushalten,  so  würden  uns  die  Türken 
selbst  ersuchen,  ihr  Korn  ihnen  abzunehmen;  sie  wären  dann  nicht 
mehr  des  Glaubens,  daß  man  auf  sie  angewiesen  sei  {che  non  si  possa 
far  senza  loro)%  heißt  es  in  der  Relation  Navageros  (Alberi  III,  1,  84), 
und  diese  Klage  wiederholt  sich  in  den  meisten  venezianischen  Rap- 
porten aus  Konstantinopel  (Trevisano,  ibid.  p.  183  f. ;  Gavalli,  ibid. 
p.  290;  Trizzo,  ibid.  III,  3,  144).  Als  der  Halbvenezianer  Gritti  unter 
Suleiman  II.  eine  einflußreiche  Stellung  in  Konstantinopel  erlangte, 
hoffte  die  Republik  von  ihm  als  Begünstigung  vor  allem  Ausfuhrlizenzen 
für  Getreide  {Uralte  di  jrumentir,  Alberi  III,  1,  30).  Gesandte,  die  aus 
der  Türkei  zurückkehrten,  rühmten  ewa  in  erster  Linie  unter  ihren 
Verdiensten,  daß  sie  durch  Kornlieferungen  viele  venezianische  Unter- 
tanen vor  dem  Hunger  gerettet  hätten  {\^\.  Alberi  III,  1,  107). 

Um  solche  Ausfuhrlizenzen  zu  erhalten,  gab  es  nun  aber  für 
Venedig  kein  anderes  Mittel,  als  Konflikten  mit  der  Türkei  so  viel  wie 
möglich  aus  dem  Wege  zu  gehen.  Denn  keine  Regierung  der  damaligen 
Zeit  führte  den  Grundsatz,  die  Erlaubnis  zum  Getreideexport  von 
politischen  Konzessionen  abhängig  zu  machen,  so  strikte  durch  wie 
die  türkische;  nicht  einmal  die  spanische  hielt  es  mit  dem  sizilianischen 
Korn  so  genau  (vgl.  §  44).  Es  war  nicht  einmal  möglich,  auf  die  private 
Habsucht  der  Regierungsmitglieder  zu  spekulieren,  um  einen  Bruch 
des  Verbotes  herbeizuführen,  obwohl  die  Wesire  öfter  an  dem  Ver- 
kauf des  Getreides  persönlich  interessiert  waren  (vgl.  Navagero  bei 
Alberi    III,    1,   84  f.).     Die   Ausfuhrlizenzen   waren    eine   zu    wirksame 


170  Venedig. 

Waffe,  als  daß  die  osmanischen  Regenten  mit  dieser  Waffe  leichtfertig 
umgegangen  wären;  man  muß  bedenken,  daß  das  Getreide,  das  durch 
die  Dardanellen  oder  aus  den  asiatischen  Gebieten  der  Türkei  aus- 
geführt wurde,  ja  auch  zur  Versorgung  der  venezianischen  Flotte  so- 
zusagen unentbehrlich  war  und  ferner  zum  Lebensunterhalt  verschie- 
dener Inseln  im  ägäischen  Meere  (vor  allem  Kretas)  diente  (vgl.  Sanuto, 
»Diarien«  II,  478).  Den  besten  Beweis  dafür,  daß  es  sich  so  verhielt, 
geben  wiederum  die  venezianischen  Relationen:  die  Gesandten,  die 
aus  Konstantinopel  zurückkehren,  nennen  als  Mittel,  um  ein  Ausfuhr- 
verbot zu  verhüten,  nur  politische  Konzessionen,  nicht  die  Bearbeitung 
einzelner  Würdenträger. 

Venedig  hat  sich  denn  auch  in  das  Unvermeidliche  gefügt  und  mit 
dem  Türkischen  Reiche  so  gut  es  ging  Frieden  zu  halten  versucht. 
Es  war  dies  die  Politik,  die  dann  vielfach  die  Venedig  feindlich  ge- 
sinnten Regierungen  zu  der  Behauptung,  ja  vielleicht  sogar  zu  dem 
Glauben  verleitete,  daß  die  Markusrepublik  mit  der  Türkei  in  einem 
geheimen  Bundesverhältnis  stehe.  Am  weitesten  ging  in  dieser  Beziehung 
die  habsburgische  Dynastie,  die  geradezu  verkündete,  die  Venezianer 
animierten  die  Türken  zu  Angriffen  auf  österreichisches  Gebiet;  aber 
auch  der  französischen  Diplomatie  waren  solche  Vermutungen  nicht 
fremd  (vgl.  bei  Charriere,  »Negociations«  I,  266  f.).  In  Wirklichkeit 
hat  nie  ein  Beweis  für  solche  verräterische  Abmachungen  gegen  die 
Sache  der  Christenheit  geführt  werden  können;  richtig  ist  nur,  daß 
die  Venezianer  sich  mit  Rücksicht  auf  ihre  wirtschaftliche  Notlage 
von  den  Kriegen  anderer  christlicher  Staaten  gegen  die  Osmanen  fern- 
hielten. Sogar  gegen  ein  Abkommen  mit  dem  Großmeister  von  Rhodus 
konnte  etwa  im  Senate  geltend  gemacht  werden,  daß  ein  solcher  Schritt 
die  Türken  gegen  die  Republik  aufreizen  würde  (Sanuto,  »Diarien« 
II,  123).  Im  übrigen  waren  die  übrigen  Großstaaten  so  wenig  geneigt, 
den  venezianischen  Staat  wegen  der  Türkengefahr  zu  schonen,  daß 
nicht  recht  einzusehen  ist,  aus  welchen  Gründen  man  von  der  Republik 
eine  andere  Politik  als  die  von  ihr  befolgte  hätte  erwarten  sollen. 

Literatur.  Die  venezianischen  Quellen  fließen  kaum  für  einen  anderen 
Gegenstand  so  reichlich  als  für  die  Geschichte  der  von  der  modernen  Historiographie 
beinahe  gänzlich  ignorierten  wirtschaftlichen  Abhängigkeit  Venedigs  von  der  Ge- 
treideproduktion des  Türkischen  Reiches  (und  der  Gebiete  des  Schwarzen  Meeres). 
Zu  den  Relationen  sind  noch  die  zahlreichen  Notizen  über  Getreideimport  hinzuzu- 
fügen, die  sich  durch  die  Diarien  Sanutos  hindurch  zerstreut  finden.  Den  anderen 
Regierungen  war  dieser  Umstand  übrigens  wohl  bekannt;  denn  die  venezianischen 
Diplomaten  machten  aus  dieser  ihrer  Notlage  kein  Hehl  (vgl.  z.  B.  »Venezianische 
Depeschen  vom  Kaiserhofe«  I,  366,  375),  vielleicht  um  so  eher  als  die  ausländischen 
Diplomaten  Neigung  zeigten,  die  venezianischen  Klagen  für  übertrieben  zu  halten. 
~  Über  die  angeblichen  geheimen  Abmachungen  zwischen  Türken  und  Venezianern 
vgl.  vor  allem  den  Aufsatz  von  Heinrich  Kretschmayer,  »Lodovico  Gritti«  im  »Archiv 
für  österr.  Geschichte«  83  (1896),  1  —  106.   Siehe  auch  Salinas,  »Carlas«  402,  413,  442. 

§  72.  Venedig  und  die  übrigen  italienischen  Staaten.  Nach  dem 
Abschnitt  über  die  Beziehungen  zur  Türkei  muß  zuerst  das  Verhältnis 
zu  den  benachbarten  italienischen  Staaten  behandelt  werden. 


§72.    Verhältnis  zu  Mailand.  171 

Venedig  war  zu  Beginn  der  hier  behandelten  Periode  der  stärkste 
unter  den  itahenischen  Staaten  und  deshalb  auch  der  gefürchtetste. 
Die  Besorgnis,  die  Markusrepublik  könnte  mit  der  Zeit  ihre  Oberherr- 
schaft über  ganz  Italien  ausdehnen,  bestimmte,  kann  man  sagen,  die 
gesamte  auswärtige  Politik  der  italienischen  Territorialregierungen. 
Nichts  hat  wohl  die  Intervention  der  fremden  Großmächte  so  sehr 
erleichtert  und  eine  Einigung  der  italienischen  Staaten  verhindert  wie 
dieses  Mißtrauen  gegen  die  venezianischen  Eroberungspläne.  Und 
selbst  als  die  Ereignisse  gezeigt  hatten,  daß  die  schwächeren  italienischen 
Gemeinwesen  ihre  Unabhängigkeit  von  Venedig  nur  behaupten  konnten, 
wenn  sie  ihre  Freiheit  einer  ausländischen  Macht  auslieferten,  wurde 
es  damit  nicht  anders.  Vergebens  nahm  die  venezianische  Regierung 
nun  in  ihre  offiziellen  Proklamationen  und  diplomatischen  Schreiben 
das  Schlagwort  auf,  daß  sie  für  die  italienische  Sache  kämpfe  und  daß 
es  Pflicht  aller  italienischen  Patrioten  sei,  sie  im  Kampfe  gegen  die 
»Barbaren«  zu  unterstützen;  die  alte  Abneigung  blieb  bestehen,  und 
die  übrigen  Staaten  lehnten  es  ab,  zum  Besten  der  italienischen  Nation 
ihre  feindselige  Haltung  gegen  Venedig  aufzugeben. 

Diese  Bemerkung  bezieht  sich  auf  alle  größeren  Staaten  in  Italien; 
selbstverständlich  zog  der  Kampf  gegen  die  imperialistische  Politik 
der  Lagunenrepublik  aber  vor  allem  die  Länder  in  Mitleidenschaft, 
die  infolge  ihrer  geographischen  Lage  am  unmittelbarsten  von  Venedig 
bedroht  wurden.  Für  die  Geschichte  des  europäischen  Staatensystems 
haben  daher  die  Beziehungen  der  Republik  zu  Mailand  und  dem  Kirchen- 
staat besondere  Bedeutung. 

Das  feindselige  Verhältnis  Venedigs  zu  Mailand  hat  sich  in  seinen 
Folgen  in  der  internationalen  Politik  früher  geltend  gemacht  als  das 
zum  Kirchenstaat;  aber  es  war  an  sich  von  geringerer  Wichtigkeit  als 
der  Konflikt  mit  dem  Kirchenstaat.  Das  Herzogtum  Mailand  hatte 
gegenüber  dem  Kirchenstaat  zu  Beginn  der  Periode  den  Vorteil,  daß 
es  damals  bereits  über  eine  starke  Exekutive  verfügte;  aber  dieser 
Vorsprung  wurde  dann  bald  eingeholt  (§  92),  und  als  dies  einmal  ge- 
schehen war,  trat  es  an  Gefährlichkeit  für  Venedig  rasch  hinter  den 
Kirchenstaat  zurück.  Dazu  kam  noch,  daß  Mailand  in  viel  stärkerem 
Maße  als  die  beiden  anderen  Staaten  infolge  der  Intervention  der  Groß- 
mächte an  militärischer  Bedeutung  verlor:  wenn  seine  Infanterie  die 
Konkurrenz  mit  den  schweizerischen  Söldnern  nicht  auszuhalten  ver- 
mochte, so  konnte  es  nicht  durch  Vorzüge  auf  anderen  Gebieten  diesen 
Mangel  ausgleichen.  Übrigens  verlor  das  Herzogtum  so  bald  seine 
Selbständigkeit,  daß  an  dieser  Stelle  diese  kurze  Bemerkung  genügen 
muß;  es  wäre  nur  noch  hinzuzufügen,  daß  die  Festsetzung  einer  aus- 
ländischen Großmacht  in  Mailand  weitere  Ausdehnungsprojekte  Vene- 
digs nach  Westen  liin  unmöglich  gemacht  hat. 

Beim  Kirchenstaat  nahmen  die  Ereignisse  beinahe  den  ent- 
gegengesetzten Verlauf.  Er  hatte  vor  Mailand  und  den  übrigen  ita- 
lienischen Mittelstaaten  den  Vorzug  voraus,  daß  er  dank  seinem  eigen- 


172  Venedig. 

tümlichen,  halb  kirchliehen  Charakter  von  den  Großmächten  nicht 
offen  seiner  politischen  Unabhängigkeit  beraubt  werden  konnte  (§  92). 
Die  Päpste  waren  deshalb  auch  nach  dem  Eingreifen  der  Fremden 
noch  in  der  Lage,  ihre  partikularistische  Aktion  gegen  Venedig  fort- 
zusetzen. Sie  waren  dazu  gerade  dank  der  Intervention  der  auslän- 
dischen Großmächte  viel  gefährlichere  Gegner  geworden.  Sie  hatten 
nicht  nur  ihrem  Gebiete  Konsistenz  verliehen,  sondern  sie  waren  nun 
befähigt,  mit  den  nach  Eroberungen  in  Italien  strebenden  Staaten 
Koalitionen  gegen  Venedig  einzugehen.  Es  ist  dies  denn  bekanntlich 
auch  erfolgt  (§  112),  und  es  entstand  daraus  eine  Situation,  wie  sie 
für  Venedig  kaum  bedrohlicher  sein  konnte.  Aber  nachdem  dieser 
Krieg  mit  einem  ansehnlichen  Gewinn  für  den  Papst  abgeschlossen 
hatte  und  dadurch  auch  Garantie  geschaffen  war,  daß  Venedig  dem 
Kirchenstaat  gegenüber  auf  seine  Ausdehnungspolitik  verzichten  würde, 
hörte  der  Zustand  latenter  Feindschaft  zwischen  beiden  Staaten  auf: 
weder  hatte  das  Papsttum  ein  Interesse  an  einer  Vernichtung  der 
venezianischen  Republik  noch  ließ  sich  so  leicht  eine  Wiederholung 
der  Mächtekoalition  erwarten,  die  Frankreich  und  die  Habsburger  im 
Kampfe  gegen  Venedig  vereint  hatte.  In  der  internationalen  großen 
Politik  hatte  somit  auch  der  Gegensatz  zwischen  Venedig  und  dem 
Kirchenstaat  während  der  späteren  Jahrzehnte  der  hier  behandelten 
Periode  keine  Bedeutung  mehr. 

Auch  die  wirtschaftliche  Überlegenheit  des  Kirchenstaates  wurde 
daher  politisch  nicht  ausgenutzt.  Venedig  bezog  allerdings  aus  der 
fruchtbaren  Romagna  regelmäßig  Getreide,  und  besonders  in  den 
Zeiten,  da  Friktionen  mit  der  Türkei  bestanden,  hätte  die  päpstliche 
Regierung  eine  Sperre  als  wirksame  Waffe  verwenden  können.  Aber 
die  Kurie  scheint  dieses  Kampfmittel  nie  gebraucht  zu  haben ;  es  wäre 
freilich  auch  schwierig  gewesen,  die  Getreideproduktion  jener  Gegend 
anderswo  in  vollem  Umfange  abzusetzen  als  in  Venedig,  zumal  da  die 
Schiffahrt  in  der  nördlichen  Adria  fast  ausschließlich  in  venezianischen 
Händen  war. 

Ähnlich  läßt  sich  schließlich  das  Verhältnis  Venedigs  zu  Neapel 
und  Sizilien  charakterisieren.  Obwohl  die  beiden  Länder  nicht  un- 
mittelbar zusammenstießen,  war  doch  auch  Neapel  durch  die  Aus- 
dehnungspolitik der  Markusrepublik  bedroht;  denn  verschiedene  Fest- 
setzungen an  der  Ostküste  zeigten,  daß  die  Venezianer  gerne  am  neapo- 
litanischen Ufer  des  adriatischen  Meeres  Fuß  gefaßt  hätten,  um  auch 
im  südhchen  Teil  des  Golfes  auf  beiden  Seiten  territoriale  Stützpunkte 
zu  besitzen^).  Aber  es  ging  hier  nicht  anders  als  im  Norden:  das  Ein- 
greifen der  mit  größeren  Machtmitteln  ausgestatteten  ausländischen 
Mächte  machten  allen  diesen  Plänen  der  Lagunenrepublik  ein  Ende, 
und  die  Venezianer  konnten  nicht  einmal  das  behaupten,  was  sie  bereits 
okkupiert  hatten. 


1)  Vgl.  Commines  1.  VIII  eh.  21    (ed.  Mandrot   II,  347] 


§  72.    Beziehungen  zu  Unteritalien.  173 

Die  spanische  Regierung  besaß  außerdem  in  der  Kontrolle  der 
Getreideausfuhr  aus  Sizilien  eine  wirtschaftliche  Waffe,  die  von  ihr 
im  Gegensatz  zu  dem  Verhalten  des  Kirchenstaates  keineswegs  un- 
genutzt gelassen  wurde.  Der  Getreideimport  aus  Sizilien  war  zwar 
für  Venedig  immer  nur  ein  Notbehelf  neben  den  Kornzufuhren  aus 
der  Türkei  (es  ist  bezeichnend,  daß  die  Getreidepreise  in  Messina  1541 
auf  den  tiefsten  Punkt  fielen,  als  Meldungen  von  einem  Friedensschluß 
zwischen  Venedig  und  der  Türkei  einliefen,  gleich  darauf  aber,  als 
Nachrichten  von  einem  türkischen  Ausfuhrverbote  anlangten,  den 
höchsten  überhaupt  bisher  vorgekommenen  Stand  erreichten:  »Cor- 
respondance  politiqiie  de  G.  Pellicier«  ed.  A.  Tausserat-Radel  [1899], 
p.  253);  aber  um  so  wichtiger  war  für  Venedig,  daß  wenigstens  dann, 
wenn  die  Türkei  kein  Getreide  frei  ließ,  nicht  auch  noch  die  Zufuhr 
von  sizilianischem  Korn  verhindert  wurde.  In  den  Diarien  Sanutos 
wird  einmal  (I,  459)  ausdrücklich  vermerkt,  daß  im  Jahre  1497  über- 
haupt nur  dank  Sizilien  kein  aboluter  Getreidemangel  eintrat,  da  der 
Verkehr  mit  der  Türkei  damals  gesperrt  war.  Auch  hier  hing  nun 
aber  die  Versorgung  Venedigs  von  dem  guten  Willen  eines  fremden 
Fürsten  ab,  gegen  den  die  Republik  keine  wirtschaftspolitischen  Re- 
pressahen  ergreifen  konnte.  Freilich  bestanden  dafür  zwischen  Spanien 
und  Venedig  nicht  so  starke  Gegensätze  wie  zwischen  Venedig  und 
der  Türkei;  um  so  schlimmer  wurde  die  Lage  allerdings  dann  für  die 
Republik,  als  die  Verfügung  über  das  sizilianische  Getreide  in  die  Hände 
der  habsburgischen  Regierung  überging.  Die  Depeschen  der  venezia- 
nischen Gesandten  am  Kaiserhofe  zeigen  deutlich,  wie  mühsamer 
Verhandlungen  es  bedurfte,  um  auch  nur  Ausfuhrlizenzen  zum  ZSvecke 
der  Ausrüstung  gemeinsamer  Flottenexpeditionen  gegen  die  Osmanen 
zu  erhalten. 

Die  Beziehungen  zu  den  benachbarten  Condottierefürsten 
(Mantua,  Urbino,  Ferrara)  sind  bereits  in  dem  Abschnitt  über  das 
Militärwesen  der  Republik  (§  67)  besprochen  worden.  Es  ist  an  jener 
Stelle  auch  bereits  darauf  hingewiesen  worden,  welchen  Verlust  Venedig 
erlitt,  als  die  Stadt  den  Dienst  dieser  Herrscher  infolge  der  Konkurrenz 
der  Großstaaten  nicht  mehr  für  sich  monopolisieren  konnte.  Die  Mög- 
lichkeit einer  Ausdehnung  wurde  ihm  nun  auch  nach  dieser  Seite  hin 
abgeschnitten.  Dazu  kam  auch  hier  das  Erstarken  des  Kirchenstaates. 
Denn  dieser  Vorgang  wirkte  auch  auf  die  Stellung  der  nominellen 
päpstlichen  Vasallen  in  Ferrara  und  Urbino  zurück,  und  sogar  die 
wirtschaftspolitischen  Waffen,  über  die  Venedig  durch  seine  Salzliefe- 
rung und  seinen  Getreidetransport,  z.  B.  gegen  Ferrara,  verfügte, 
blieben  schließlich  ohne  entscheidenden  Einfluß. 

Das  Verhältnis  zu  den  übrigen  italienischen  Staaten  kann  hier  nur 
gestreift  werden.  Für  die  internationale  Politik  war  bloß  von  Bedeutung, 
daß  Venedig  als  der  natürliche  Gegner  der  italienischen  Mittelstaaten 
leicht  in  die  Lage  kam,  sich  der  kleinen  Staaten  anzunehmen,  die  von 
den  größeren  annektiert  zu  werden  fürchteten;  praktisch  trat  dies  be- 


174  Venedig. 

sonders  in  der  Unterstützung  hervor,  die  die  Republik  dem  aufstän- 
dischen Pisa  gegen  Florenz  zuteil  werden  ließ.  Es  verdient  ferner  noch 
Erwähnung,  daß  von  einer  politischen  Rivalität  mit  Genua  während 
der  hier  behandelten  Periode  nicht  mehr  die  Rede  war. 

§  73.  Venedig  und  Österreich.  Der  Konflikt  zwischen  Venedig 
und  Österreich,  der  von  dem  Kampf  um  die  Küstengebiete  an  der 
nördlichen  Adria  seinen  Ausgang  nahm,  ist  bereits  in  einem  früheren 
Abschnitte  (§  64)  geschildert  worden.  Es  ist  hier  nur  hinzuzufügen, 
daß  der  Streit  um  diese  Landstriche  für  Venedig  vor  allem  durch  die 
allgemeinen  politischen  Folgen  wichtig  war,  die  er  nach  sich  zog.  Daß 
es  der  Republik  nicht  gelang,  das  gesamte  Küstenland  zwischen  Istrien 
und  dem  Venezianischen  in  ihren  Besitz  zu  bringen,  hatte  wenig  zu 
sagen,  da  ihre  Seeherrschaft  in  den  dortigen  Gewässern  trotzdem  un- 
angefochten blieb.  Aber  dieser  Gegensatz  verhinderte  ein  Zusammen- 
gehen der  beiden  Staaten  zur  Abwehr  des  türkischen  Vorstoßes,  und 
zwar  gerade  zu  der  Zeit,  als  die  Unterstützung  einer  Landmacht  den 
Venezianern  zur  Sicherung  ihrer  albanischen  Besitzungen  hätte  wert- 
volle Dienste  leisten  können.  Auch  später,  nachdem  der  venezianisch- 
österreichische Konflikt  vor  wichtigeren  Aufgaben  des  habsburgischen 
Hauses  zurückgetreten  war,  bildete  der  alte  Gegensatz  ein  Hindernis 
bei  den  Versuchen,  eine  Allianz  gegen  die  Osmanen  zustande  zu  bringen. 
Obwohl  die  Habsburger  bei  kriegerischen  Unternehmungen  kaum 
weniger  auf  die  venezianische  Marine  angewiesen  waren,  als  die  Vene- 
zianer auf  die  spanischen  und  deutschen  Truppen.  Es  kam  zwar  einmal 
(1538;  vgl.  §  125)  zu  einer  gemeinsamen  Kampagne;  aber  wie  sehr  hat 
diese  dann  unter  dem  gegenseitigen  Mißtrauen  gelitten! 

Auch  Osterreich  besaß  gegenüber  Venedig  die  Waffe  der  Getreide- 
sperre. Denn  das  Korn,  das  die  Republik  »aus  Deutschland«  bezog, 
stammte  allem  Anschein  nach  zum  allergrößten  Teil  aus  Osterreich 
oder  mußte  wenigstens  österreichisches  Gebiet  passieren,  und  es  gehörte 
denn  auch  zu  den  Aufgaben  der  venezianischen  Gesandten  in  Wien, 
von  der  Regierung  Ausfuhrlizenzen  zu  erlangen,  zumal  als  auch  noch 
ein  Teil  Ungarns  in  österreichische  Hände  gefallen  war  (vgl.  z.  B. 
Alberi,  »Relazioni«  I,  2,  156  ff.).  Doch  gewann  diese  Angelegenheit  in 
den  politischen  Verhandlungen  keine  eigentliche  Bedeutung;  dem 
Kornimport  aus  den  österreichischen  Häfen  kam  bei  weitem  nicht  die 
Wichtigkeit  zu  wie  dem  aus  den  türkischen.  Wenn  die  Republik  auf 
die  Einfuhr  von  dort  (und  auch  etwa  aus  Süddeutschland  und  anderen 
Gegenden)  in  Notfällen  Prämien  setzte  (vgl.  z.  B.  Sanuto,  »Diarien« 
LVIII,  394;  über  frühere  Zeiten  vgl.  H.  Simonsfeld,  »Der  Fondaco 
dei  Tedeschi«  II  [1887],  104  f.),  so  geschah  dies  offenbar,  um  nicht 
gänzlich  von  der  Produktion  des  Balkans  und  Siziliens  abhängig  zu 
sein;  ersetzen  konnte  die  Republik  jenes  Getreide  damit  aber  nicht. 
Ferner  gingen  auch  die  eben  aus  Sanuto  zitierten  Maßregeln  des  Jahres 
1533  doch  nur  neben  Bemühungen,  sich  in  Sizilien  zu  versorgen,  neben- 


§74.    Die  Türkei.  175 

her  und  wurden  letzten  Endes  davon  abhängig  gemacht,  ob  nicht  doch 
aus  Konstantinopel  Getreide  erhältlich  wäre  (Sanuto,  ibid.  LVIII, 
414  f.). 

Die  Beziehungen  der  Republik  zu  den  übrigen  Staaten  müssen 
hier  unbesprochen  bleiben,  da  ihr  Einfluß  auf  die  Geschichte  des  euro- 
päischen Staatensystems  nur  unbedeutend  war.  Frankreich  und  Spa- 
nien gerieten  wohl  verschiedenthch  mit  Venedig  in  Konflikt ;  aber  diese 
Streitigkeiten  nahmen  ihren  Ausgang  nicht  von  eigenen  territorialen 
Interessen  der  beiden  Länder  aus,  sondern  nur  von  ihren  Besitzungen 
in  Italien.  Ihre  Politik  war  nur  eine  Fortsetzung  der  ehemaligen  Politik 
Mailands  oder  Neapels  und  ist  deshalb  bereits  in  dem  Abschnitt  über 
die  Stellung  der  Markusrepublik  zu  den  übrigen  italienischen  Staaten 
mit  behandelt  worden. 

2.  Die  am  Kampfe  um  Italien  nicht  unmittelbar  beteiligten  Staaten. 

a)  Das  Osmanische  Reich. 

§  74.  Größe  und  Bevölkerung.  Bei  der  Besprechung  der  habs- 
burgischen  Macht  hat  darauf  hingewiesen  werden  müssen,  daß  statistische 
Daten  zum  Vergleich  mit  anderen  Staaten  nicht  wohl  gegeben  werden 
können,  weil  der  Besitz  des  Hauses  sich  sozusagen  von  Jahr  zu  Jahr 
vergrößerte.  Bei  der  Türkei  trifft  diese  Bemerkung  noch  in  größerem 
Umfange  zu.  Durch  die  Eroberung  und  Angliederung  von  Syrien, 
Mesopotamien,  Ägypten,  Ungarn  (zum  größten  Teil)  und  der  nord- 
afrikanischen Küste  bis  Algier  —  um  nur  die  wichtigsten  neu- 
gewonnenen Gebiete  zu  nennen  —  wurde  das  Areal  des  türkischen 
Herrschaftsbereiches  im  Verlaufe  der  hier  behandelten  Periode  un- 
gefähr auf  das  Dreifache  erhöht;  die  Bevölkerung  nahm  vielleicht 
noch  stärker  zu,  da  man  annehmen  darf,  daß  in  dem  durch  die  osmanische 
Verwaltung  pazifierten  Lande  das  Aufhören  innerer  Kriege  und  die 
größere  Sicherheit  des  Transportwesens  die  Sterblichkeit  verminderten. 
Vergleichende  Zahlangaben  hätten  deshalb  keinen  Wert;  für  die  Be- 
rechnung der  Bevölkerungsgröße  fehlt  uns  übrigens  sowieso  jede 
Grundlage. 

Trotzdem  liegt  der  Fall  einfacher  als  bei  dem  habsburgischen 
Reiche.  Selbst  wenn  uns  zuverlässige  geographisch-statistische  Notizen 
zur  Verfügung  stünden,  hätten  detaillierte  Angaben  über  das  Wachstum 
der  türkischen  Macht  nur  geringe  Bedeutung,  weil  die  Stellung  des 
Reiches  innerhalb  des  europäischen  Staatensystems  dadurch  so  gut 
wie  gar  nicht  berührt  wurde.  Die  Umstände,  auf  denen  die  partielle 
Überlegenheit  der  türkischen  Militärorganisation  über  die  Armeen  der 
christlichen  Staaten  beruhte,  konnten  schon  in  vollem  Umfange  zur 
Geltung  gebracht  werden,  als  die  Türkei  erst  über  das  im  Jahre  1492 
beherrschte  Gebiet  verfügte;  auch  mußte  das  Osmanische  Reich  bereits 
damals  seinem  Areal  nach  neben  Frankreich  und  Spanien  als  Groß- 
macht  gelten,  was   von  den   Besitzungen   der   Habsburger  nicht  ohne 


176  Das  osmanische  Reich. 

weiteres  gesagt  werden  könnte.  Als  Ausnahme  könnte  nur  die  Ver- 
änderung angeführt  werden,  die  sich  infolge  der  Angliederung  der 
nordafrikanischen  Staaten  in  der  militärischen  Position  der  Türkei 
ergab;  es  wird  dann  später  (§78)  zu  erörtern  sein,  welchen  Vorteil 
die  türkische  Marine  aus  dem  Anschluß  der  algerischen  Piratenfürsten  zog. 

Es  kann  deshalb  hier  nur  gesagt  werden,  daß  die  Türkei  während 
der  hier  behandelten  Periode  an  Größe  durchschnittlich  die  anderen 
Großstaaten  übertraf,  an  Bevölkerungszahl  sicherlich  keinem  nach- 
stand und  daß  sie  dabei  an  Rohstoffen  (Getreide,  Holz,  Salz,  Metalle) 
alles  zum  Lebensunterhalt  nötige  produzierte  und  (abgesehen  von 
Fabrikaten)  nur  für  Gewürze  (Zucker  usw.)  auf  Einfuhr  aus  dem  Aus- 
lande angewiesen  war.  Die  Türkei  war  also  noch  besser  gestellt  als 
Frankreich,  insofern  dieses  wichtige  Metalle  von  auswärts  beziehen 
mußte. 

Man  sieht,  die  Voraussetzungen  für  eine  Großmacht-  und  Er- 
oberungspolitik waren  vorhanden.  Die  Art,  wie  diese  günstigen  Ver- 
hältnisse ausgenutzt  wurden,  und  die  Schranken,  die  dieser  Politik 
gesetzt  waren,  wurden  jedoch  durch  die  eigentümliche  militärische 
Organisation  des  Staates  bestimmt.  Da  diese  aber  wieder  von  der 
ganz  besonderen  Zusammensetzung  der  Bevölkerung  sowie  von  den 
Zuständen  in  Industrie  und  Handel  abhing,  so  seien  zunächst  diesem 
Gegenstande  einige  Bemerkungen  gewidmet. 

Die  Türkei  war  der  einzige  Staat  in  Europa,  in  dem  zwar  nicht 
verschiedene  Klassen  mit  abweichenden  Rechtsansprüchen  existierten, 
wohl  aber  ein  Herrschervolk  über  ein  Untertanenvolk  regierte.  Zwischen 
beiden  bestand  allerdings  keine  unüberschreitbare  Grenze.  Die  Zu- 
gehörigkeit zu  einer  der  beiden  Gruppen  bestimmte  sich  nicht  nach 
der  schwer  veränderlichen  Nationalität,  sondern  nur  nach  der  Religion 
des  Staatsangehörigen;  da  nun  der  Übertritt  mindestens  zur  Religion 
des  Herrschervolkes  den  Angehörigen  des  Untertanenvolkes  unbe- 
schränkt offen  stand,  so  gab  es  an  sich  kein  Hindernis  gegen  den  Über- 
gang von  der  einen  zur  anderen  Klasse :  es  war  leichter  in  der  Türkei 
in  die  Kreise  der  Regierenden  zu  gelangen  als  in  den  christlichen  Staaten, 
wo  vielfach  Standesprivilegien  zu  überwinden  waren.  Und  was  die 
Zulassung  von  Ausländern  betraf,  so  war  die  Türkei  in  dieser  Beziehung 
ebenfalls  viel  freier  als  die  übrigen  Staaten:  es  gab  keine  Bestimmung, 
die  die  Verwendung  von  Fremden  in  Staatsstellen  irgendwie  beschränkt 
hätte.  Wenn  nationale  Ausschließungstendenzen  im  Sinne  des  19.  Jahr- 
hunderts damals  überall  nur  untergeordnete  Bedeutung  besaßen,  so 
waren  in  der  Türkei  überhaupt  keine  solchen  vorhanden. 

Für  die  politisch-militärische  Organisation  des  Staates  war  dabei 
praktisch  von  der  größten  Wichtigkeit,  daß  in  dem  ökonomisch  und 
durch  seine  strategische  Lage  wertvollsten  Teile  des  Reiches,  nämlich 
auf  dem  Balkan  und  in  der  Küstengegend  Kleinasiens  die  Bevölkerung 
in  ganz  ungleichem  Umfange  auf  die  beiden  Klassen  verteilt  war. 
Obwohl  Zahlen  fehlen,  kann  man  doch  mit  Sicherheit  behaupten,  daß 


§  75.    Handel  und   Industrie.  177 

in  jenen  Gegenden  zumal  zu  Beginn  der  Periode  das  Herrschervolk 
nur  einen  geringen  Teil  der  Bevölkerung  umfaßte,  der  größte  Teil  der 
Bewohner  also  dem  politisch  rechtlosen  Untertanenvolk  angehörte. 
(Cavalli  schätzt  1560  den  nicht  türkischen  Teil  der  Bevölkerung  im 
ganzen  Reich  auf  zwei  Drittel;  Alberi  III,  1,  277.)  Es  wird  in  §  77 
gezeigt  werden,  welche  Folgen  sich  daraus  vor  allem  für  das  Militär- 
wesen des  Osmanischen  Reiches  ergaben. 

§  75.  Industrie  und  Handel.  Es  ist  keine  Übertreibung,  wenn 
man  sagt,  daß  es  in  der  Türkei  keine  Industrie  irgendwelcher  Art  gab. 
Das  Reich  zog  aus  der  Ausfuhr  seiner  Rohprodukte,  vor  allem  des 
Getreides,  so  reichen  Gewinn,  daß  nicht  einmal  das  Bedürfnis  bestand, 
die  für  den  gewöhnlichen  Konsum  bestimmten  Textilwaren  im  Lande 
herzustellen,  geschweige  denn,  daß  sich  eine  Exportindustrie  entwickelt 
hätte.  Einfache  Kleidungsstoffe  waren  denn  auch  wohl  der  wichtigste 
Artikel,  den  die  fremden  Händler  (vor  allem  die  Venezianer)  als  Gegen- 
leistung für  die  genannten  türkischen  Exportartikel  einführten.  Von 
dem  einst  in  Europa  dominierenden  byzantinischen  Kunstgewerbe 
scheint  sich  auch  bei  den  griechischen  Untertanen  nichts  mehr  erhalten 
zu  haben. 

Da  die  türkischen  Krieger  weniger  als  jemand  sonst  in  der  Lage 
waren,  diesen  Mangel  auszugleichen,  so  ergab  sich  als  Folge,  daß  es 
sogar  für  die  Herstellung  militärischer  Ausrüstungsgegenstände  an 
leistungsfähigen  einheimischen  Kräften  fehlte.  Obwohl  es  Griechen 
gab,  die  für  den  Schiffsbau  verwendet  werden  konnten,  war  doch  in 
der  Regel  die  Beihilfe  ausländischer  oder  wenigstens  im  Ausland  ge- 
schulter Techniker  notwendig,  und  in  noch  höherem  Maße  war  dies 
in  der  Belagerungskunst  und  besonders  bei  der  Fabrikation  der  Ge- 
schütze der  Fall;  die  Kanonen  der  türkischen  Armee  scheinen  so  gut 
wie  ausschließlich  von  fremden  Büchsenmeistern  gegossen  worden  zu 
sein.  Nur  die  finanzielle  Stärke  des  türkischen  Regimentes  (§  76)  ver- 
hinderte, daß  diese  technische  Rückständigkeit  des  Volkes  eine  mili- 
tärische Katastrophe  zur  Folge  hatte,  insofern  es  immer  möglich  war, 
ausländische  Fachleute  dank  der  hohen  Bezahlung  in  türkische  Dienste 
zu  ziehen.  Freilich  ließ  sich  auch  so  kein  Kriegsmaterial  aufbringen, 
das  dem  der  fortgeschrittensten  christlichen  Staaten  ebenbürtig  ge- 
wesen wäre;  nur  im  Kampfe  mit  anderen  orientalischen  Staaten  oder 
mit  technisch  ganz  zurückgebliebenen  europäischen  Armeen,  wie  der 
ungarischen,  erwjes  sich  die  türkische  Bewaffnung  als  überlegen. 

Etwas  günstiger  lagen  die  Verhältnisse  im  Handel.  Zur  See  domi- 
nierten allerdings  noch  durchaus  die  Fremden,  vor  allem  die  Vene- 
zianer; die  einheimischen  Fahrzeuge  scheinen  es  damals  nicht  über 
die  Küstenschiffahrt  hinausgebracht  zu  haben  (vgl.  Alberi  III,  3,  153). 
Aber  im  Handelsverkehr  in  den  Städten  zeigten  sich  deutlich  die  Folgen 
des  neuen  Regimentes,  das  der  Stellung  der  italienischen  Kaufleute 
ein  Ende  bereitet  hatte,  und  zugleich  auch  die  Folgen  der  Toleranz, 

Fiie  ter!,"^Europ.lStaatensy8tem.  12 


178  >  Das  osmanische  Reich.J 

die  die  türkischen  Behörden  andersgläubigen  Untertanen,  vor  allem 
den  aus  anderen  Mittelmeerstaaten  vertriebenen  Juden  (vgl.  §  38  f.) 
zu  teil  werden  lassen.  Die  Venezianer  klagen  in  ihren  Relationen  häufig 
darüber,  daß  ihr  Handel  zugunsten  der  Juden  zurückgehe,  die  von  ihnen 
vielfach  als  Agenten  und  Teilhaber  beschäftigt  werden  mußten  (vgl.  Ca- 
valli  bei  Alberi  III,  1,  274  f.;  Navagero  ibid.  p.  101  f.;  Sanuto,  »Dia- 
rien« LVII,  435).  Dazu  kam,  daß  die  osmanische  Regierung  als  Gegen- 
leistung für  die  Freiheiten,  die  sie  auswärtigen  Händlern  gewährte, 
ebensolche  Handelsfreiheit  für  ihre  (jüdischen  und  griechischen)  Unter- 
tanen in  christlichen  Mittelmeerstaaten  durchsetzte  (vgl.  Romanin, 
))Storia  documentata  di  Venezian  IV,  262;  Zinkeisen,  »Geschichte  des 
Osmanischen  Reiches«  III,  372;  Gömara,  )> Annais  of  the  Emperor 
Charles  F«  ed.  Merriman  [1912],  p.  199). 

Der  türkische  Staat  ging  überhaupt,  im  Gegensatz  zu  einer  in 
modernen  Zeiten  verbreiteten  Legende,  mindestens  während  der  hier 
behandelten  Periode  durchaus  darauf  aus,  den  Handelsverkehr  in 
seinem  Gebiete  zu  fördern.  Als  die  Portugiesen  dank  dem  neu  ent- 
deckten Seewege  um  Afrika  dem  Karawanentransport  der  »Spezereien« 
durch  die  Türkei  Abbruch  zu  tun  begannen,  nahmen  die  osmanischen 
Herrscher  die  deshalb  zu  erwartende  Schädigung  keineswegs  gleich- 
mütig auf;  es  kam  deshalb  sogar  einmal  zu  einem  Krieg  mit  den  Por- 
tugiesen (vgl.  die  zutreffenden  Ausführungen  von  A.  H.  Lybyer,  ^)T}ie 
Ottoman  Turks  and  the  Route  of  Oriental  Trade«  in  der  »English  Histo- 
rical  Review«  XXX  [1915],  577  ff. ;  ähnlich  hatte  der  Sultan  von 
Ägypten,  als  sein  Land  noch  selbständig  war,  dem  Papst  Repressalien 
gegen  die  heiligen  Stätten  der  Christen  in  Palästina  angedroht,  wenn 
die  Portugiesen  fortfahren  sollten,  den  Gewürzhandel  von  seinem 
Gebiete  abzulenken:  »Dispacci  di  A.  Giustiniani«  ed.  Villari  III  [1876], 
205).  Wäre  es  nicht  zu  dieser  Veränderung  der  Handelswege  gekommen, 
so  hätte  vermutlich  schon  nur  die  größere  Sicherheit,  die  die  türkische 
Herrschaft  dem  Transportw'esen  zu  Lande  schuf,  geradezu  einen  Auf- 
schwung des  Karawanenverkehrs  nach  sich  gezogen.  Es  war  nicht  die 
Schuld  der  türkischen  Regierung,  w-enn  alle  ihre  Bemühungen  die 
Vorteile,  die  der  wohlfeilere  Seeweg  um  Afrika  bot,  nicht  auszugleichen 
vermochten.  Auch  wenn  wirklich  die  erzwungene  Verpflanzung  von 
reichen  Kaufleuten  aus  Ägypten  nach  Konstantinopel,  die  die  Haupt- 
stadt zum  großen  Umschlaghafen  für  den  Gewürzhandel  machen  sollte, 
und  der  ähnliche  Versuch,  den  Handel  in  Seide  von  Syrien  nach  dem 
Bosporus  abzulenken  (Alberi  III,  3,  62),  wirtschaftspolitische  Fehler 
gewesen  wären,  so  hätte  die  Wirkung  solcher  Maßregeln  im  Vergleich 
zu  der  portugiesischen  Unternehmung  nur  eine  untergeordnete  Be- 
deutung besessen. 

Damit  steht  auch  die  Haltung  der  türkischen  Regierung  gegen  die 
Korsaren  im  Einklang.  Wenn  sie  genötigt  war,  häufig  Piraten  in  ihre 
Dienste  zu  nehmen,  ja  schließlich  sogar  mit  den  algerischen  Seeräuber- 
fürsten eine   offizielle  Verbindung  einzugehen,  so  war  daran  nur  die 


§  76.    Innerpolitische  Organisation.  179 

Schwäche  ilirer  Marine  (§  78)  seluild,  nicht  mangehide  Fürsorge  für 
den  Handelsverkehr.  Soweit  es  möglich  war,  gingen  ihre  Vertreter 
sogar  gegen  einheimische  Korsaren  vor  (vgl.  Sanuto,  »Diarien«  1,  135 f.); 
prinzipiell  bestand  in  dieser  Beziehung  also  kein  Unterschied  zwischen 
ihrer  Politik  mid  dem  Vorgehen  eigentlicher  Handelsstaaten. 

§  76.  Iimerpolitische  Organisation.  Es  ist  gezeigt  worden,  in 
welch  günstiger  wirtschaitlicher  Verfassung  sich  das  Türkische  Reich 
befand.  Wenn  der  Umstand,  daß  es  keine  Industrie  gab  und  daß  Fremde 
einen  beträchtlichen  Teil  des  Handelsverkehrs  akkapariert  hatten, 
finanziell  von  Nachteil  w-ar,  so  wurde  dieser  Verlust  mehr  als  ausge- 
glichen durch  den  reichen  Ertrag  der  Ausfuhr  von  Rohstoffen,  vor 
allem  von  Getreide.  Politisch  wichtig  war  nun,  daß  das  dadurch  an- 
gesammelte Kapital  der  Regierung  in  so  uneingeschränktem  Maße 
zur  Verfügung  stand  wie  in  keinem  anderen  Staate.  Bei  der  Erhebung 
und  Verwendung  der  Abgaben  war  der  Padischah  in  keiner  Weise  an 
die  Zustimmung  von  Ständen  gebunden,  die  es  in  seinem  Reiche  über- 
haupt nicht  gab.  Keine  andere  Regierung  der  damaligen  Zeit  dispo- 
nierte für  militärisch-politische  Zwecke  über  eine  so  regelmäßig  laufende 
und  reichliche  Geldquelle  wie  die  türkische.  Keine  andere  war  daher 
auch  imstande,  ihre  militärische  Organisation  und  ihre  kriegerischen 
Operationen  so  planmäßig  und  rationell  in  die  Wege  zu  leiten  wie  die 
osmanische. 

Dazu  kam,  daß  die  Untertanen  nicht  einmal  in  außergewöhnlichem 
Maße  mit  direkten  und  indirekteri  Steuern  belastet  werden  mußten. 
Die  Bewohner  der  Türkei  genossen  die  Vorteile  eines  mächtigen,  ja 
unangreifbaren  Großstaates  in  vollem  Umfange.  Die  Ausgaben  für 
das  Militärwesen  waren,  da  Befestigungsarbeiten  im  Innern  des  Reiches 
beinahe  gänzlich  unterlassen  werden  konnten  und  auch  die  reguläre 
Armee  mit  einem  relativ  kleinen  Bestände  auskam,  im  Verhältnis  zur 
Größe  des  Staates  gering  und  nahmen  dazu  im  Verlauf  der  Periode 
noch  proportional  ab,  da  der  gewaltigen  Ausdehnung  des  Reiches  keine 
entsprechende  Vergrößerung  der  Armee  zur  Seite  zu  gehen  brauchte. 
Dank  der  stets  kampfbereiten  stehenden  Armee  konnten  nämhch  die 
neu  gewonnenen  Gebiete  mit  verhältnismäßig  geringen  Besatzungen  in 
Unterwürfigkeit  gehalten  werden.  Außerdem  hatte  die  militärische 
Vormachtstellung  des  Reiches  zur  Folge,  daß. auch  auswärtige  und  noch 
unabhängige  Staaten  schon  nur  unter  dem  Druck  einer  Kriegsdrohung 
zu  Zahlungen  bewogen  werden  konnten.  Nicht  nur  Tributärstaaten, 
wie  die  Moldau  und  die  Wallachei,  sondern  auch  Großstaaten,  wie 
Österreich  und  Venedig,  verstanden  sich  zu  regelmäßigen  Kontribu- 
tionen, um  Angriffe  der  Osmanen  von  ihren  Territorien  fernzuhalten. 
Die  Folge  dieser  günstigen  Position  war,  daß  die  Türkei  trotz  beinahe 
unaufhörlicher  kriegerischer  Unternehmungen  als  einziger  Staat  der 
damaligen  Zeit  in  ihrem  Staatsschatz  Überschüsse  aufwies.  Man  kann 
sagen,  daß  die  türkische  Politik  alle  Ziele  erreichte,  die  mit  Geld  ge- 

12* 


180  Das  osmanische  Reich. 

Wonnen  werden  konnten;  wenn  ihre  Ausrüstung  in  mancher  Hinsicht 
mangelhaft  war  (§  77),  so  war  daran  nicht  Mangel  an  finanziellen  Mitteln, 
auch  nicht  ein  unrationelles  Verwaltungssystem  schuld.  Hier  lag  der 
Fehler  an  Eigenschaften,  die  nicht  gekauft  werden  konnten. 

Denn  all  das  Geld,  das  dem  Sultan  zur  Disposition  stand,  konnte 
die  Tatsache  nicht  aus  der  Welt  schaffen,  daß  das  Kriegervolk  der 
Osmanen  sich  auf  einer  zu  niedrigen  Kulturstufe  befand,  als  daß  es 
mit  den  technisch  fortgeschrittenen  Großstaaten  der  Christenheit  hätte 
Schritt  halten  können.  Allerdings  waren  die  türkischen  Herrscher  in 
dieser  Beziehung  nicht  nur  auf  ihre  eigenen  Fertigkeiten  angewiesen. 
Als  sie  sich  an  die  Stelle  der  oströmischen  Kaiser  setzten,  übernahmen 
sie  einen  Verwaltungsapparat  und  auch  eine  Untertanenbevölkerung, 
die  verhältnismäßig  bereits  einen  hohen  Grad  der  Ausbildung  erreicht 
hatten.  Sie  konnten  dank  diesem  Umstände  auch  manche  Lücke  ihrer 
technischen  und  geistigen  Schulung  ausgleichen;  auch  waren  z.  B. 
noch  während  der  hier  behandelten  Periode  sämtliche  Kanzlisten  und 
Schiffbauer  in  der  Türkei  Griechen  (Alberi  III,  1,  118;  Zinkeisen  III, 
292).  Auch  nahm  die  osmanische  Regierung  häufig  genug  christliche 
Techniker,  sogar  aus  feindlichen  Staaten,  in  ihre  Dienste.  Aber  wenn 
schon  die  Türkei  dank  dieser  Ausnutzung  europäischer  (auch  spanisch- 
jüdischer; vgl.  Ramberti  bei  Lybyer,  »Government«  p.  241)  Handwerker 
und  Ingenieure  gegenüber  anderen  orientalischen  Staaten  (Ägypten, 
Persien  usw.)  eine  außerordentlich  wertvolle  und  militärisch  sehr 
fruchtbare  Superiorität  erlangte,  so  vermochte  sie  doch  den  Vorsprung 
der  großen  christlichen  Rivalen  nicht  einzuholen.  Dazu  waren  dem 
Griechentum  in  den  letzten  zwei  Jahrhunderten  des  byzantinischen 
Reiches  doch  zu  schwere  Schädigungen  zugefügt  worden;  vielleicht 
reichte  auch  die  Bildung  der  regierenden  Kreise  nicht  aus,  um  unter 
den  ausländischen  Technikern  die  richtige  Auswahl  zu  treffen. 

Die  Gewohnheit,  die  Staatsstellen  mit  Ausnahme  der  Richterposten 
vorzugsweise,  wenn  nicht  ausschließlich,  mit  Angehörigen  der  unter- 
worfenen Volksstämme  (hauptsächlich  Slawen  und  Griechen,  daneben 
aber  auch  Albanesen,  ja  selbst  christlichen  Ausländern  wie  dem  Halb- 
venezianer Gritti)  zu  besetzen,  hatte  außerdem  noch  zwei  besondere 
Vorzüge.  Der  wichtigere  bestand  darin,  daß  diese  Beamten  vollständig 
von  der  Gnade  des  Herrschers  abhängig  waren.  Auch  die  vielen  Wesiere 
slawischer  Herkunft,  die  nach  zeitgenössischen  Berichten  zeitenweise 
größeren  Einfluß  auf  die  Regierung  ausübten  als  der  Sultan  selbst 
(vgl.  z.  B.  Navagero  bei  Alberi  III,  1,  73  f.;  der  dort  genannte  Rustan 
war  ein  Serbe  aus  Bosnien,  p.  88),  gründeten  ihre  Macht  letzten  Endes 
ausschließlich  auf  den  freien  Entschluß  ihres  Gebieters ;  weder  die  Zu- 
gehörigkeit zu  einer  vornehmen  Familie  noch  die  Unterstützung  einer 
Partei  noch  persönlicher  Reichtum  schützten  sie  gegen  Entfernung 
von  ihrem  Posten.  Die  türkischen  Herrscher  waren  in  dieser  Hinsicht 
also  sogar  noch  besser  gestellt  als  die  zahlreichen  zeitgenössischen  Regen- 
ten, die,  wie  z.  B.  die  Tudors,  mit  Vorliebe  Angehörige  des  Mittelstandes 


§  76.     Tnnerpolitische  Organisation.  181 

zu  Inhabern  politisch  führender  Ämter  erhoben;  die  Renegaten,  die 
von  ihnen  besonders  gern  verwendet  wurden,  waren  von  aller  Verbindung 
mit  ihren  Volksgenossen  gelöst,  und  der  faktische  Ausschluß  der  Nach- 
kommen ehemaliger  hoher  Beamter  von  den  Regierungsstellen  verhin- 
derte dazu  noch  das  Aufkommen  eines  Beamtenadels.  Nicht  ganz  ohne 
Bedeutung  war  aber  auch  noch  eine  andere  Folge  dieses  Systems.  Weil 
das  türkische  Prinzip  der  unbeschränkten  Zulassung  zu  allen  Ämtern,  die 
»münzerische «  Ordnung,  wie  sie  Luther  aus  den  Anschauungen  des 
deutschen  Ständestaates  heraus  schalt  (Werke,  Erlanger  Ausgabe, 
XXXI,  56),  den  in  ausländischen  Staaten  vom  Anteil  an  der  Regierung 
ausgeschlossenen  Klassen  verlockende  Perspektiven  öffnete,  kam  es 
dazu,  daß  in  christlichen  Ländern  das  »Volk«  eine  eventuelle  türkische 
Okkupation  nicht  ohne  eine  gewisse  Sympathie  betrachtete.  Nicht  nur 
Luther  wußte  von  Leuten  in  Deutschland  zu  reden,  die  lieber  unter 
den  Türken  als  unter  dem  Kaiser  und  Fürsten  sein  wollten  (ibid.  p.  67), 
sondern  auch  ein  aus  Konstantinopel  zurückkehrender  venezianischer 
Gesandter  empfahl  einmal  das  Vorgehen  der  Türken  zur  Nachahmung 
und  meinte,  die  Republik  sollte  ebenso  wie  der  Sultan  Sklaven  in  den 
unterworfenen  Gebieten  zu  den  obersten  Stellen  erheben  (Alberi  III, 
1,  283). 

Dabei  hatte  die  türkische  Regierung  den  weiteren  Vorteil,  daß 
wenigstens  innerhalb  des  einst  zum  byzantinischen  Reiche  gehörigen 
Gebietes  nicht  einmal  die  Sympathien  der  christlichen  Bevölkerung 
den  Feinden  des  Staates  gehörten.  Die  Sultane  waren  bekanntlich 
den  oströmischen  Kaisern  auch  als  Schutzherren  der  griechischen  Kirche 
nachgefolgt;  sie  füllten  nicht  nur  die  damit  verbundenen  Verpflich- 
tungen getreulich  aus,  sondern  für  die  unterworfenen  Nationen  bildete 
ihre  Herrschaft  zugleich  die  beste  Garantie  gegen  eine  Bedrückung 
durch  die  verhaßte  katholische  Kirche.  Außerdem  verfügte  die  os- 
manische  Regierung  mindestens  so  frei  über  die  obersten  kirchlichen 
Würden  der  griechischen  Kirche  (speziell  das  Patriarchat  von  Kon- 
stantinopel) wie  die  christlichen  Herrscher  über  ihre  Landeskirchen; 
sie  besaßen  also  die  kirchenpolitische  Oberhoheit  gewissermaßen  eben- 
sowohl über  ihre  mohammedanischen  wie  über  ihre  christlichen  Unter- 
tanen. 

Literatur.  Das  Regierungssystem  des  Osmanischen  Reiches  während  der 
hier  behandelten  Periode  ist  am  vollständigsten  dargestellt  von  A.  H.  Lybyer, 
s>The  Government  of  the  Ottonian  Empire  in  the  time  of  Suleiman  the  Magnificent« 
1913  (Harvard  Historical  Studies  18).  Das  Werk  enthält  auch  eine  Bibliographie, 
auf  die  für  alles  weitere  verwiesen  sei.  Dazu  etwa  noch  »Das  Asafnäme  des 
Lutfi  Pascha«  ed.  R.  Tschudi,  1910. 

Angeblich  konnten  sich  die  Sultane  seit  der  1517  erfolgten  Eroberung 
Ägyptens  auch  als  mohammedanische  Kalifen  betrachten.  In  den  zeitgenössischen 
Dokumenten  ist  von  diesem  neuen  Titel  aber  niemals  die  Rede;  auch  deutet 
nichts  darauf  hin,  daß  die  türkischen  Herrscher  nach  jenem  Zeitpunkte  irgend- 
wie eine  größere  Machtfülle  besessen  hätten  als  vorher.  Vgl.  über  diese  Frage  / 
G.  A.  Nalhno,  »Appunti  sulla  natura  del  i)Ca.lifato(«.  in  genere  e  sul  presunto  i>Cali-  ' 
fato  Ottomanoa   1917. 


182  Das  osmanische  Reich. 

§  77.  Die  Armee.  Die  Infanterie.  Es  ist  bereits  erwähnt  worden, 
daß  ihre  günstige  finanzielle  Position  die  türkische  Regierung  in  den 
Stand  setzte,  technische  Rückständigkeiten  in  ihrem  Rüstimgswesen 
auszugleichen.  Dies  allein  erklärt  aber  noch  nicht  ihre  militärische 
Leistungsfähigkeit.  Damit  die  damals  wichtigste  Waffe,  die  Infanterie, 
den  christlichen  Staaten  gewachsen  war,  mußte  der  Reichtum  des 
Landes  und  die  eigentümliche  Zusammensetzung  der  Bevölkerung  auf 
eine  ganz  besondere  Art  ausgenutzt  werden. 

Seitdem  die  osmanischen  Heerführer  die  Herrschaft  über  große 
Gebiete  auf  dem  Balkan  angetreten  hatten,  waren  sie,  was  die  Orga- 
nisation des  Militärwesens  betraf,  vor  ein  schwieriges  Problem  gestellt. 
Weiter  aus  eigenen  Kräften  Kriegsdienst  zu  tun,  entsprach  weder  ihrer 
Neigung  noch  hätten  die  türkischen  Scharen  dazu  der  Zahl  nach  aus- 
gereicht; fremde  Söldner  aber  einzustellen,  wäre  nichts  anderes  als 
eine  Wiederholung  des  abschreckenden  Beispieles  der  byzantinischen 
Kaiser  gewesen,  die  schließlich  ja  hauptsächlich  infolge  des  Engage- 
ments türkischer  Söldnerarmeen  ihren  Thron  verloren  hatten.  Die 
christlichen  Untertanen  aber  zu  bewaffnen,  hätte  die  Grundlagen  ihrer 
Herrschaft  untergraben.  Sie  griffen  daher  zu  dem  Auskunftsmittel, 
das  unter  analogen  Verhältnissen  bereits  arabische  Regenten  in  Bagdad 
und  später  ähnlich  in  Ägypten  angewandt  hatten:  sie  bildeten  aus 
ursprünglich  andersgläubigen  Elementen  eine  ständige  Armee,  die 
mit  ihrer  ganzen  Existenz  an  die  Regierung  geknüpft  war  und  weder 
vom  Auslande  in  Dienst  genommen  werden  konnte  noch  mit  der 
Bevölkerung  durch  irgendwelche  Bande  verknüpft  war. 

Wenn  die  türkische  Regierung  aus  solchen  Erwägungen  heraus 
ihr  Korps  der  Janitscharen  oder  »neuen  Krieger«  schuf,  so  waren  ihr 
dabei  übrigens  die  Umstände  günstiger  als  den  Gründern  der  Mame- 
lukentruppen. Wenn  man  in  moderner  Zeit  öfter  von  einer  besonderen 
Qualifikation  der  türkischen  Rasse  zum  Soldatenberuf  gesprochen  hat, 
so  steht  diese  Ansicht  zu  der  historischen  Wirklichkeit,  mindestens 
im  16.  Jahrhundert,  vollständig  im  Widerspruch.  Die  Kerntruppe  der 
türkischen  Armeen,  die  8000,  später  12000  Mann  starken  Janitscharen, 
bestanden  beinahe  ausschließlich  aus  Söhnen  der  südslawischen  und 
albanesischen  Bauernbevölkerung  des  Balkans,  die  von  der  Regierung 
zwangsweise  ihren  Familien  entrissen  und  durch  systematische  Er- 
ziehung nach  Sprache  und  Religion  zu  Türken  gemacht  worden  waren; 
die  Bewohner  Anatoliens  wurden  zu  diesem  Korps  nur  spärlich  heran- 
gezogen und  lieferten  nach  zeitgenössischen  Berichten  wenig  brauch- 
bare Soldaten.  Wenn  die  Janitscharen  während  der  hier  behandelten 
Periode  das  Reich  der  Mameluken  in  Ägypten  zerstörten,  so  siegte  also 
eine  Truppe  rein  europäischer  Abstammung  über  eine  Armee,  die  in 
der  Hauptsache  türkisch-tatarischer  Herkunft  war! 

Wichtiger  als  dieser  Umstand  war,  daß  die  neue  Truppe  durchaus 
aus  Infanteristen  bestand  und  die  Türkei  sonach  mit  der  in  Europa 
eingetretenen  Wendung  in  der  Geltung  der  Waffen  Schritt  hielt.    Dar- 


§|77.     Die  Armee.  183 

über  hinaus  vermochte  die  osmanische  Infanterie  freihch  der  Entwick- 
lung der  mihtärischen  Technik  nicht  zu  folgen.  Die  »schweizerische« 
Ausbildung  wurde  bei  ihr  nie  eingeführt,  und  taktisch  waren  ihre 
Janitscharen  den  Qualitätssöldnern  der  christlichen  Staaten  nicht 
gewachsen.  Wenn  dies  der  türkischen  Sache  scheinbar  nur  geringen 
Schaden  zufügte,  so  lag  dies  nur  daran,  daß  die  militärisch-technische 
Rückständigkeit  durch  Vorzüge  anderer  Art  ausgeglichen  wurde.  Dazu 
gehörte  vor  allem  die  auf  dem  leistungsfähigen  Finanzsystem  (§  76) 
aufgebaute  unbedingte  materielle  Abhängigkeit  der  Janitscharen  von 
der  Regierung.  Sie  bildeten  die  einzige  ständig  unterhaltene  Armee 
der  Zeit.  Der  Janitschare,  der  keine  andere  Heimat  als  seine  Kaserne 
kannte,  in  der  Regel  unverheiratet  bleiben  mußte  und  nur  den  Sultan 
als  seinen  Herrn  anerkannte,  konnte  weder  aus  seinem  Beruf  in  das 
Zivilleben  zurückkehren  noch  in  den  Dienst  einer  anderen  Macht 
übertreten,  wie  bei  den  Söldnern  christlicher  Staaten  zu  fürchten  war. 
Dazu  kam,  daß  die  türkische  Regierung  ihm  größere  Vorteile  zu  bieten 
vermochte  als  andere  Fürsten.  Die  Janitscharen  waren  in  mannigfacher 
Hinsicht  privilegiert.  Wohl  noch  wichtiger  war  aber,  daß  im  geraden 
Gegensatz  zu  den  Gebräuchen  christlicher  Staaten  Sold  und  Verpflegung 
regelmäßig  ausgerichtet  wurden.  Der  Venezianer  Ludovisi  (Alberi 
III,  1,  9)  war  sicherlich  im  Recht,  wenn  er  in  diesen  Umständen  den 
eigentümlichen  Wert  der  Janitscharen  erblickte;  er  fügte  als  weitere 
Vorzüge  hinzu,  daß  Mannschaft  und  Führer  sich  (im  Gegensatz  zu  den 
zusammengewürfelten  Condottiereheeren)  kannten,  (im  Gegensatz  zu 
den  sonst  üblichen  Reibereien  unter  den  Nationalitäten)  alle  dieselbe 
Sprache  sprachen  und  daß  schließlich  der  Sultan  (im  Gegensatz  zu  der 
sonst  in  allen  Armeen  herrschenden  Praxis)  nicht  mehr  Leute  bezahlen 
mußte,  als  eingestellt  waren. 

Trotzdem  hat  es  übrigens  den  Anschein,  daß  die  Türkei  mit  alle- 
dem die  taktische  Superiorität  der  nach  schweizerischer  Manier  aus- 
gebildeten christlichen  Heere  nicht  hätte  kompensieren  können.  Ihr 
siegreiches  Fortschreiten  in  Europa  reichte  gerade  nur  so  weit,  als  sie 
es  mit  Truppen  militärisch  zurückgebliebener  Staaten  wie  Ungarn  zu 
tun  hatte,  und  vielleicht  war  es  nicht  nur  ihre  mangelhafte  Artillerie 
(s.  u.)  sondern  auch  die  Inferiorität  ihrer  Infanterie,  die  ihre  Herrscher 
von  weiteren  Angriffen  auf  Österreich  absehen  ließ. 

Die  Existenz  dieses  großen,  in  sich  geschlossenen  Korps  hatte 
freilich  für  die  Unabhängigkeit  der  Regierung  die  natürlichen  schlimmen 
Folgen.  Die  Gefahr  eines  Überganges  zum  Feinde  oder  einer  Vereinigung 
mit  unzufriedenen  unterdrückten  Volksstämmen  bestand  allerdings 
nicht;  wohl  aber  war  Widerstand  der  allerbedenklichsten  Art  zu  be- 
fürchten, sobald  die  Politik  des  Sultans  mit  den  Interessen  der  mäch- 
tigen Garde  nicht  harmonierte.  Es  hat  denn  auch,  wie  bekannt,  an 
Aufständen  der  Janitscharen  während  der  hier  behandelten  Periode 
nicht  gefehlt;  für  die  Geschichte  des  europäischen  Staatensystems  ist 
dabei  nur  von  Bedeutung,  daß  ein  Mittel,  die  Gunst  der  Janitscharen 


184  Das  osmanische  Reich. 

zu  erhalten,  in  der  Ausführung  neuer  erträglicher  Kriegszüge  bestand 
(Navagero  bei  Alberi  III,  1,  56).  Die  übrigen  Streitpunkte  waren  für 
die  auswärtige  Politik  der  Türkei  ohne  Bedeutung;  übrigens  darf  man 
auch  den  eben  angeführten  Umstand  nicht  in  der  Weise  übertreiben, 
daß  man  nun  glaubte,  die  damalige  Ausdehnungspolitik  der  Türkei 
sei  im  Grunde  überhaupt  nur  aus  Aspirationen  der  Janitscharen  her- 
zuleiten. 

Kavallerie.  Die  Janitscharen  bildeten  die  Infanterie  (vgl.  z.  B. 
Barbarigo,  Alberi  111,3,  150),  aber  nicht  die  ganze  Armee  der  türkischen 
Herrscher,  wenn  schon  sie  öfter  von  kundigen  Zeitgenossen  der  »Nerv« 
des  Großtürken  genannt  wurden  (z.  B.  Alberi  III,  1,  55).  Ihr 
zur  Seite  stand  eine  verhältnismäßig  recht  zahlreiche  Kavallerie.  An 
Reisigen,  die  es  mit  der  schweren  Reiterei  christlicher  Staaten  hätten 
aufnehmen  können,  fehlte  es  allerdings  so  gut  wie  ganz;  aber  die  leichte 
Kavallerie  war  sehr  leistungsfähig  und  im  allgemeinen,  d.  h.  soweit 
nicht  auch  den  christlichen  Staaten  Spezialtrupps  zur  Verfügung 
standen,  der  der  europäischen  Gegner  überlegen.  Doch  stand  diese 
Waffe  an  Bedeutung  hinter  der  Infanterie  zurück. 

Geschützwesen.  Folgenreicher  war  für  die  türkische  Krieg- 
führung, daß  die  Artillerie  der  Osmanen  es  wenigstens  mit  dem  Ge- 
schützwesen der  nach  den  modernen  Forderungen  ausgerüsteten  christ- 
lichen Großstaaten  nicht  aufnehmen  konnte.  —  Es  war  begreiflich, 
daß  die  technische  Rückständigkeit  der  Bevölkerung  die  Herstellung 
und  Verwendung  der  Feuerwaffen  erschwerte.  Auch  bei  den  Janit- 
scharen wurden  die  Handfeuerwaffen  später  und  in  geringerem  Um- 
fange eingeführt  als  bei  den  guten  christlichen  Söldnern  (wenn  sie  trotz- 
dem dem  Gebrauche  dieses  neuen  Kampfmittels  einen  großen  Teil 
ihrer  damaligen  militärischen  Erfolge  verdankten,  so  geschah  dies  nur, 
weil  die  Mameluken  und  [in  den  ersten  Jahrzehnten]  die  Perser  diese 
Waffe  überhaupt  nicht  kannten);  im  Kampfe  mit  Truppen  euro- 
päischer Großstaaten  vermochten  sie  diesen  wie  andere  Mängel  nur 
durch  ihre  unbedingte  Zuverlässigkeit  auszugleichen.  Aber  im  Be- 
lagerungskrieg lagen  die  Verhältnisse  ungünstiger.  So  große  Sorgfalt 
auch  die  Regierung  auf  das  Geschützwesen  verwandte  und  so  sehr  sie 
auch  darauf  bedacht  war,  tüchtige  ausländische  Büchsenmeister  und 
Minierer  in  ihre  Dienste  zu  ziehen,  so  blieben  ihre  Leistungen  doch 
immer  hinter  denen  ihrer  wichtigsten  Gegner  zurück;  nur  gegen  mili- 
tärisch verwahrloste  Staaten  wie  Ungarn  erwies  sich  ihre  Artillerie  als 
überlegen.  Als  Andrea  Doria  im  Jahre  1532  Patras  einnahm,  wies  er 
sofort  darauf  hin,  daß  ein  Teil  der  erbeuteten  türkischen  Geschütze, 
weil  veraltet,  modernisiert  werden  müsse  {»faiidroit  refaire  ä  la  mode 
moderne«;  Lanz,  »Korrespondenz  Karls  V.«,  II,  17).  Allerdings  hat 
auch  hier  die  gute  Ordnung  und  Disziplin,  die  das  türkische  Armee- 
wesen auszeichnete,  einen  gewissen  Ersatz  geboten.  Die  Heerführer 
kamen  nicht  in  die  bei  ihren  christlichen   Kollegen  so  häufige  Lage^ 


§  78.     Die  Marine.  [185 

daß  sie  wegen  Geldmangels  oder  Meutereien  der  Truppen  eine  Be- 
lagerung vorzeitig  abbrechen  mußten.  Wenn  Entsatz  l'erngehalten  wer- 
den konnte,  so  gelang  es  ihnen  verschiedentlich,  mit  Hilfe  der  Zeit 
Festungen  zu  bezwingen,  die  sie  nur  mit  ihren  artilleristischen  Mitteln 
nicht  hätten  nehmen  können.  Aber  es  ist  ohne  weiteres  ersichtlich, 
daß  dieser  Notbehelf  nur  bis  zu  einem  bestimmten  Grade  anwendbar 
war.  Rhodus  mochten  die  Türken  auf  diese  Weise  erobern;  an  Wien 
aber  brachen  sich  ihre  Angriffe  und  damit  ihr  Vorstoß  gegen  die 
Christenheit  überhaupt. 

Praktisch  von  viel  geringerer  Bedeutung  war,  daß  auch  die  De- 
fensivanlagen der  Osmanen  im  allgemeinen  schwächer  waren  als  die 
der  Christen.  Denn  die  gefürchtete  türkische  Militärmacht  kam  dank 
ihrer  offensiven  Politik  seltener  in  den  Fall,  eigene  Positionen  zu  ver- 
teidigen, als  fremde  anzugreifen.  Außerdem  befand  sich  die  osmanische 
Regierung  in  der  vorteilhaften  Lage,  daß  sie  verhältnismäßig  wenige 
Plätze  zu  befestigen  hatte.  Sowohl  die  Sicherheit,  die  im  Innern 
herrschte,  wie  die  Gewißheit,  daß  feindliche  Angriffe  nicht  weit  ins 
Innere  des  Landes  vordringen  könnten,  wie  schließlich  wohl  auch  Miß- 
trauen gegen  die  unterworfene  Bevölkerung,  der  die  Regierung  keine 
militärischen  Stützpunkte  anzuvertrauen  wagte,  führten  dazu,  daß 
die  Mauern  der  nicht  in  der  Nähe  der  Grenze  gelegenen  Städte  ver- 
nachlässigt, wenn  nicht  geradezu  entfernt  wurden;  selbst  die  Haupt- 
stadt war  ganz  unbefestigt.  Nur  die  Zitadellen  blieben  erhalten,  ein 
Zustand,  der  noch  heute  in  baulicher  Beziehung  deutliche  Spuren 
hinterlassen  hat  (vgl.  A.  Philippson,  »Das  Mittelmeergebiet«,  3.  Aufl. 
[1914],  S.  209;  Alberi  1,  2,  p.  102  u.  111). 

Literatur.  Vgl.  die  Anmerkung  zu  dem  vorhergehenden  Paragraphen.  Es  sei 
nur  hinzugefügt,  daß  die  venezianischen  Relationen  für  die  Kenntnis  des  türkischen 
Kriegswesens  eine  besonders  wertvolle  Quelle  sind;  über  keinen  anderen  Gegen- 
stand berichten  die  Gesandten  der  Republik  so  eingehend  und  sachkundig  wie 
über  die  Armee  und  Marine  der  Osmanen.  —  Über  die  leichte  Kavallerie  der  Türken 
vgl.  z.  B.  »Nuntiaturberichte  aus  Deutschland  1533  —  1559«  II  (1892),  261.  —  Über 
die  frühere  Geschichte  des  türkischen  Militärwesens  jetzt  das  beste  bei  H.  A.  Gibbons, 
»The   Foundation    of   the  Ottoman   Empires    1916. 

§  78.  Die  Marine.  Die  Verhältnisse  lagen  im  Marinewesen  prin- 
zipiell nicht  anders  als  im  Artillerie-  und  Befestigungswesen.  Nur 
daß  die  technische  Rückständigkeit  der  osmanischen  Ausrüstung  zur 
See  vielleicht  auf  die  Entwicklung  des  europäischen  Staatensystems 
noch  stärker  eingewirkt  hat  als  die  Mängel  des  Geschützwesens. 

Die  türkische  Regierung  hat  ihre  Augen  der  Bedeutung  der  Marine 
nie  verschlossen,  es  auch  nie  an  Sorgfalt  für  diese  Waffe  fehlen  lassen; 
aber  sie  sah  sich  dabei  vor  eine  schwierige  Situation  gestellt.  Es  man- 
gelte sozusagen  an  allen  Voraussetzungen  für  die  Errichtung  einer 
großen  leistungsfähigen  Flotte.  Weder  bei  den  Türken  selbst  noch  bei 
ihren  Vorgängern  in  der  Herrschaft  über  Konstantinopel  waren  die 
Elemente  dazu   zu  finden.    Die  Osmanen  besaßen  vor  der  Einnahme 


186^  Das  osmanische  Reich. 

der  Hauptstadt  keine  eigene  Galeerenflotte,  und  kaum  besser  hatte 
es  mit  dem  byzantinischen  Reiche  gestanden,  in  dem  seit  der  Kom- 
nenendynastie  die  Marine  mit  ganz  wenigen  Ausnahmen  durchaus 
vernachlässigt  worden  war,  so  daß  die  Italiener  das  Griechische  und 
das  Schwarze  Meer  vollständig  beherrschten  (vgl.  Geizer  bei  Krum- 
bacher, »Geschichte  der  byzantinischen  Literatur«,  2.  Aufl.  [1897], 
S.  1021,  1056,  und  denselben,  »Byzantinische  Kulturgeschichte«  [1909], 
S.  16;  schon  im  13.  Jahrhundert  stellte  Venedig  die  Mannschaft  für 
die  kaiserlichen  Schiffe  [Ch.  Diehl,  )>Venisen  1915,  S.  39  f]).  Unter  dem 
Druck  der  italienischen  Seestaaten  war  dann  auch  die  griechische 
Handelsschiffahrt  zugrunde  gegangen,  womit  die  wichtigste  Voraus- 
setzung für  eine  starke  Kriegsflotte  (§  13)  geschwunden  war.  Es  war 
ein  ungenügender  Ersatz,  wenn  (wie  in  allen  Ländern,  die  keine  eigene 
große  Handelsmarine  besaßen)  das  Gewerbe  der  Korsaren  sich  dafür 
beträchtlich  entwickelt  hatte;  denn  wenn  schon  damit  den  Türken 
wenigstens  eine  gewisse  Anzahl  brauchbarer  Schiffe  und  geübter  See- 
leute zur  Verfügung  stand  (vgl.  Trevisano  bei  Alberi  III,  1,  141),  so 
genügte  doch  diese  Beihilfe  nicht,  um  eine  Flotte  zu  schaffen,  die  der 
Marine  Venedigs  oder  Genuas  gleichwertig  gewesen  wäre.  Die  tür- 
kischen Schiffe  blieben  mit  Fehlern  in  der  Konstruktion  behaftet, 
wurden  mangelhaft  unterhalten,  und  die  Mannschaft  entbehrte  zu 
einem  guten  Teile  der  fachmännischen  Kenntnisse.  Die  Zahl  der 
Schiffe  war  wohl  sehr  groß;  aber  die  Leistungsfähigkeit  stand  damit 
nicht  in  Einklang.  Wohl  vermochte  auch  hier  die  gute  Finanzver- 
waltung und  die  Ordnung,  die  das  türkische  Regime  vor  dem  anderer 
Länder  auszeichneten,  Defekte  der  Ausrüstung  teilweise  zu  kom- 
pensieren. Wie  bei  den  Armeen,  so  war  auch  auf  den  Schiffen  der 
Türken  Spiel  und  Weingenuß  verboten;  die  Bezahlung  war  pünktlich 
und  hoch,  so  daß  häufig  ausländische  (venezianische)  Freiwillige  in 
den  Dienst  der  türkischen  Marine  traten  (Alberi  III,  1,  147  f.;  Jorga, 
»Geschichte  des  Osmanischen  Reiches «1,482,  vgl.  §68).  Die  eigentlichen 
Schiffstruppen  konnten  aus  Janitscharen  gebildet  werden,  so  daß 
wenigstens  ein  Teil  der  Besatzung  aus  unbedingt  zuverlässigen  Leuten 
bestand.  Aber  mit  alledem  ließ  sich  der  Vorsprung  der  großen  ita- 
lienischen Seestaaten  nicht  einholen.  Die  sachkundigen  Berichte  der 
Venezianer  lassen  darüber  keinen  Zweifel. 

Freilich  hat  die  türkische  Regierung  auch  in  diesem  Falle  ihre 
Kriegführung  in  außerordentlich  geschickter  Weise  ihren  militärischen 
Kräften  angepaßt.  Ihre  Raids  zur  See  richteten  sich  nur  gegen  Staaten, 
die  wie  Neapel  oder  der  Kirchenstaat  über  kleine  und  in  der  Ausrüstung 
nicht  bessere  Flotten  verfügten;  Angriffen  auf  venezianische  Schiffe 
gingen  ihre  Fahrzeuge  dagegen  w^enn  immer  möglich  aus  dem  Wege, 
und  es  ist  wohl  glaublich,  daß  sogar  der  Korsarenfürst  Barbarossa 
sich  mit  einer  feindlichen  Armada  nur  in  einen  Kampf  einlassen  sollte, 
wenn  er  über  doppelt  so  viel  Schiffe  disponierte  als  sein  Gegner  (Ludovisi 
bei  Alberi  1 1 1 , 1 ,  20 ;  vgl.  auch  J orga,  »Geschichte  des  Osmanischen  Reiches  « 


§  79.    Organisation  des  diplomatischen  Dienstes.  187 

II,  230).  Es  hing  auch  wohl  mit  dieser  Selbsterkenntnis  der  osmani- 
schen  Regierung  zusammen,  wenn  es  nie  zu  einem  Eroberungszug 
und  zu  dauernder  Festsetzung  in  Italien  kam.  Die  Regierungen  der 
christlichen  Länder,  zumal  diejenigen,  die  vom  Seewesen  nur  wenig 
verstanden,  äußerten  zwar  oft  Befürchtungen,  daß  ein  Teil  der  ita- 
lienischen Küstengegend  oder  der  Inseln  im  Mittelmeer,  wie  die  Ba- 
learen,  türkisch  werden  könnte;  tatsächlich  haben  aber  die  Türken 
sich  nie  an  ein  solches  Unternehmen  gewagt.  Sie  waren  über  die  Grenzen 
ihrer  Leistungsfähigkeit  besser  unterrichtet  als  die  Mehrzahl  ihrer 
Gegner.  Den  besten  Beweis  bietet  das  Engagement  der  algerischen 
Piratenfürsten;  diese  Verbindung,  die  einem  halb  unabhängigen  Herr- 
scher das  Oberkommando  über  die  türkische  Flotte  überlieferte,  wäre 
der  Sultan  wohl  nicht  eingegangen,  wenn  er  aus  den  Kräften  seiner 
eigenen  Besitzungen  eine  starke  Flotte  hätte  schaffen  können.  Es  ist 
daher  auch  unrichtig,  wenn  Cervantes  an  einer  autobiographischen 
Stelle  seines  »Don  Quijote«  (p.  I  c.  39)  sagt,  vor  der  Schlacht  bei  Le- 
panto  hätte  man  allgemein  in  der  Christenheit  die  Türken  zu  See  für 
imbesiegbar  gehalten;  Fachleute,  wie  die  venezianischen  Gesandten, 
haben  schon  vorher  die  Mängel  des  türkischen  Marinewesens  klar 
genug  erkannt. 

Als  Resultat  der  vorhergehenden  Ausführungen  ließ  sich  etwa 
folgendes  sagen:  die  türkische  Marine  war  wenigstens  seit  ihrer  Ver- 
einigung mit  den  Flotten  der  Barbareskenfürsten  die  größte  des  Mittel- 
meeres und  für  Staaten  mit  kleiner  Marine,  wie  Frankreich  und  Spanien, 
ein  gefährlicher  Gegner  oder  wertvoller  Bundesgenosse.  Dagegen 
stand  sie  technisch  so  sehr  hinter  den  Flotten  der  großen  italienischen 
Seestaaten  zurück,  daß  nur  die  Uneinigkeit  unter  diesen  sowie  das 
kluge  Vermeiden  entscheidender  Aktionen  von  Seiten  der  Türken 
eine  Katastrophe  verhindern  konnte,  wie  sie  nicht  lange  nach  der  hier 
behandelten  Periode  bei  Lepanto  eintrat. 

Literatur.  Die  venezianischen  Relationen  berichten  nicht  nur  eingehend 
über  die  Zustände  in  der  türkischen  Marine,  sondern  heben  häufig  genug  auch 
hervor,  wie  sehr  die  osmanische  Regierung  bei  ihrem  politischen  Kalkül  die  relative 
Flottenstärke  der  Mittelmeerstaaten  in  Berechnung  zog.  Vgl.  z.  B.  in  der  Relation 
Barbarigos  vom  Jahre  1558  (Alberi  III,  3,  158f.)  die  Stellen,  an  denen  einerseits 
die  Ignorierung  des  Papstes  durch  die  Türken  betont  wird  •^per  non  avere  Sua  Santitä 
ar?nata«  und  anderseits  deren  Respekt  vor  Venedig,  y>perche  sanno  che  non  vi  e  principe 
alcuno  che  se  li  possa  opporre  con  annata  se  non  noi<^. 

§  79.  Die  Organisation  des  diplomatischen  Dienstes.  Die  Macht- 
stellung des  türkischen  Staates  trat  nirgends  augenfälliger  in  die  Er- 
scheinung als  in  dem  Umstände,  daß  seine  Regierung  eines  diploma- 
tischen Informationsdienstes  entraten  konnte  (vgl.  §  3).  Wie  hätte 
ein  Reich,  das  sogar  in  dem  unwahrscheinlichen  Falle,  daß  sich  alle 
seine  Gegner  zu  einem  aggressiven  Bündnisse  zusammenschließen 
würden,  seine  Position  noch  hätte  behaupten  können,  — ■  wie  hätte 
ein  solches  Reich  Wert  darauf  legen  sollen,  über  Koalitions-  oder  An- 
griffsversuche in  fremden  Ländern  unterrichtet  zu  werden!    Die  Türkei 


188  Das  osmanische   Reich. 

hat  daher  als  einziger  Großstaat  keine  ständigen  Gesandtschaften  in 
ausländischen  Staaten  unterhalten.  Ja,  sie  erlaubte  sogar  nur  mit 
Mühe,  daß  auswärtige  Regierungen  sich  bei  ihr  durch  ständige  Ab- 
geordnete vertreten  ließen.  Im  Anfang  hatten  überhaupt  nur  die 
Venezianer  das  Recht,  einen  ständigen  Gesandten  in  Konstantinopel 
zu  unterhalten,  und  auch  diesen  ihren  Bailo  (der  übrigens  zugleich 
die  konsularische  Gerichtsbarkeit  über  die  venezianischen  Untertanen 
ausübte)  sahen  die  Sultane  ungern,  so  daß  sie  sogar  dessen  Entfernung 
als  eines  Spions  in  Erwägung  zogen  (vgl.  Sanuto  I,  323,  399,  644), 
Auch  wurden  selbst  in  späterer  Zeit  noch  den  ausländischen  Gesandten 
Beschränkungen  auferlegt,  die  deutlich  erweisen,  daß  die  Türkei  den 
diplomatischen  Verkehr  nicht  als  ein  im  gegenseitigen  Interesse  liegendes 
Geschäft,  sondern  als  eine  Gefälligkeit  von  ihrer  Seite  betrachtete. 
Nicht  nur  bekamen  die  Gesandten  außer  bei  der  feierlichen  Empfangs- 
und Abschiedsaudienz  den  Sultan  nicht  persönlich  zu  sehen  (Trevi- 
sano  bei  Alberi  III,  1,  157  f.;  vgl.  auch  ibid.  p.  163),  was  schließlich 
noch  als  eine  nationale  Eigentümlichkeit  ohne  politische  Bedeutung 
aufgefaßt  werden  konnte,  sondern  die  osmanische  Regierung  konnte 
sich  Übergriffe  gegen  diplomatische  Vertreter  gestatten,  die  durchaus 
an  Praktiken  der  byzantinischen  Kaiser  zur  Zeit  der  Großmachtstellung 
Ostroms  erinnerten  (Gefangensetzung  des  österreichischen  Gesandten 
Laski  im  Jahre  1541).  Trotzdem  kamen  die  fremden  Regierungen  den 
Türken  stets  soweit  immer  möglich  entgegen.  Man  w-eiß,  daß  damals 
gerade  in  Frankreich  mit  Vorliebe  Prälaten  zu  diplomatischen  Missionen 
verwendet  wurden;  weil  man  nun  aber  annahm,  daß  die  Osmanen 
christliche  Geistliche  nicht  gern  sahen,  ordnete  die  französische  Re- 
gierung, wenn  möglich,  Laiengesandte  nach  Konstantinopel  ab  (vgl. 
das  Schreiben  in  der  »Revue  d'Histoire  liiteraire  de  la  France  a  XV  [1908], 
672). 

Damit  befindet  sich  auch  im  Einklang,  daß  sogar  diplomatische 
Spezialmissionen  von  der  Türkei  nur  verhältnismäßig  selten  abgesandt 
wurden.  Es  fehlt  zwar  nicht  an  einzelnen  Gesandtschaften  an  aus- 
ländische Regierungen;  aber  ihre  Zahl  steht  in  keinem  Verhältnis  zu 
den  Deputationen,  die  in  Konstantinopel  eintrafen. 

Literatur.  Über  die  französischen  Diplomaten  in  Konstantinopel  Bourrilly 
in  der  »Revue  historique«  76  (1901),  297ff.  und  113  (1913),  64ff.  und  268 ff. 

§  80.  Die  auswärtige  Politik  der  Türkei.  Dem  Zwecke  dieses 
Buches  entsprechend  kann  an  dieser  Stelle  nur  eine  ganz  unvollständige 
Charakteristik  der  auswärtigen  Politik  des  Osmanischen  Reiches  ge- 
geben werden.  Wer  die  Beziehungen  der  Türkei  zu  dem  europäischen 
Staatensystem  schildern  will,  muß  in  der  Hauptsache  negativ  vorgehen. 
Denn  er  muß  vor  allem  die  Aufmerksamkeit  darauf  lenken,  daß  in  dem 
Denken  und  Handeln  der  türkischen  Regenten  die  Konflikte  ihres 
Reiches  mit  den  christlichen  Staaten  Europas  an  Wichtigkeit  durch- 
aus zurückstanden  hinter  den  großen  Plänen,  die  sich  die  Ausdehnung 


§  80.     Die  auswärtige  Politik.  189 

der  Landesgrenzen  über  die  mohammedanischen  Gebiete  in  Asien  und 
Afrika  zum  Ziele  gesetzt  hatten. 

Praktisch  militärische  Erwägungen  und  geistig  religiöse  Gefühle 
wirkten  vereint  in  diesem  Sinne.  Wenn  die  Türkei  sich  die  technischen 
Fortschritte  der  europäischen  Großstaaten  nur  in  unvollkommener 
Weise  aneignen  konnte,  so  vermochte  sie  doch  immerhin  so  viel  zu 
übernehmen,  daß  sie  den  benachbarten  muselmännischen  Reichen 
militärisch  beträchtlich  überlegen  war.  Es  gilt  dies  vor  allem  von  der 
Verwendung  der  Feuerwaffen,  die  in  Ägypten  überhaupt  nicht,  in 
Persien  erst  in  den  letzten  Dezennien  der  hier  behandelten  Periode 
Eingang  fanden;  aber  von  der  Marine  wäre  Ähnliches  zu  bemerken, 
soweit  wenigstens  das  Reich  der  Mameluken  in  Betracht  fiel.  Religiöse 
Impulse  trieben  dann  ebenfalls  wenigstens  zum  Kampfe  gegen  Persien, 
denn  der  Krieg  gegen  den  Schah  war  zugleich  ein  Glaubenskrieg  gegen 
die  schiitischen  Schismatiker.  Es  klingt  durchaus  glaublich,  wenn  in 
den  venezianischen  Relationen  versichert  wird,  nicht  die  Kämpfe  mit 
den  Christen,  sondern  die  mit  den  Persern  seien  bei  den  Türken  po- 
pulär gewesen;  denn  der  Ketzer  wird  ja  allgemein  mehr  gehaßt  als 
der  Ungläubige. 

Jedenfalls  war  die  imperialistische  Politik  der  Osmanen  viel  mehr 
nach  Osten  und  Süden  als  nach  W'esten  gerichtet.  Man  braucht  nur 
einen  Blick  auf  das  damals  neu  erworbene  Areal  zu  werfen,  um  zu 
erkennen,  daß  trotz  des  Vorstoßes  nach  Ungarn  die  in  Asien  und  Nord- 
afrika eroberten  Gebiete  die  Annexionen  in  Europa  an  Umfang  weit 
übertreffen.  Dabei  kann  man  von  dem  unsicheren  Besitz  im  Jemen 
noch  ganz  absehen,  wo  der  Sultan  nach  dem  Worte  eines  gleichzeitigen 
Italieners  ungefähr  ebensoviel  Gehorsam  fand  wie  in  —  Albanien 
(Ramberti  bei  Lybyer  p.  258). 

Es  ist  nun  aber  klar,  daß  diese  Ereignisse  in  einer  Geschichte  des 
europäischen  Staatensystems  nicht  wohl  besprochen  werden  können. 
Der  Historiker  muß  nur  ein  für  allemal  auf  diesen  Charakter  der  os- 
manischen  Politik  hinweisen,  weil  nicht  nur  damals,  und  zwar  auch 
bei  aktiven  Staatsmännern,  sondern  auch  in  der  Gegenwart  vielfach 
die  Meinung  verbreitet  ist,  das  Türkische  Reich  habe  im  16.  Jahrhundert 
vorzugsweise  gegen  das  christliche  Europa  eine  aggressive  Haltung 
eingenommen. 

Die  Stellung  zu  den  christlichen  Staaten  Europas  selbst  wurde 
vor  allem  durch  die  bereits  geschilderten  militärischen  Verhältnisse 
bestimmt.  Der  türkische  Vorstoß  richtete  sich  hauptsächlich  gegen  die 
Länder,  die  den  locus  minoris  resistentiae  des  europäischen  Staaten- 
systems bildeten,  nicht  gegen  die  Reiche,  denen  gegenüber  natürliche 
Konfliktsstoffe  vorhanden  waren.  Einen  »natürlichen«  Gegner  hätte 
man  an  sich  hauptsächlich  Venedig  nennen  können.  Denn  die  Markus- 
republik besaß  in  Morea,  dem  griechischen  Archipel  und  besonders  in 
Albanien  Gebiete,  die  zur  türkischen  Ausdehnungssphäre  gehörten. 
Aber  obwohl  es  deshalb  mehrfach  zu  Kriegen  gekommen  ist  (1498  bis 


190  Das  osmanische  Reich. 

1503  und  1537  ff.),  so  hat  doch  sowohl  die  Schwäche  der  Türkei  zur 
See  (§  78)  wie  die  Abhängigkeit  Venedigs  von  dem  türkischen  Getreide 
(§  65  ff.)  dazu  geführt,  daß  einen  großen  Teil  der  hier  behandelten 
Periode  hindurch  zwischen  beiden  Staaten  ein  fauler  Friede  herrschte. 
Ähnlich  verhielt  es  sich  mit  den  Beziehungen  der  Türkei  zum  Kaiser. 
Es  wird  allerdings  glaubhaft  versichert,  daß  die  Sultane  schon  nur  als 
Nachfolger  der  oströmischen  Monarchen  gegen  den  Usurpator  auf 
dem  christlichen  Kaiserthrone  einen  starken  Haß  empfunden  hätten, 
wie  auch  berichtet  wird  (Hammer,  »Geschichte  des  Osmanischen 
Reiches«  III,  475;  vgl.  auch  Bragadin  bei  Alberi  III,  3,  Hl),  daß  den 
Janitscharen  bei  feierlichen  Anlässen  die  Eroberung  Roms  als  der 
Hauptstadt  der  Christenheit  in  Aussicht  gestellt  worden  sei.  Aber 
solche  gefühlsmäßigen  Antipathien  traten  bei  der  türkischen  Regierung 
hinter  Erwägungen  zurück,  die  sich  auf  verstandesmäßiges  Abwägen 
der  relativen  Machtverhältnisse  stützten.  Es  war  nicht  Sache  der 
osmanischen  Herrscher  und  auch  nicht  der  Janitscharen,  sich  gleich 
der  französischen  Krone  auf  militärische  Unternehmungen  einzulassen, 
die  große  Aufwendungen  erforderten  und  nur  unsichere  geringfügige 
Gewinnchancen  versprachen.  Nun  lagen  die  Verhältnisse  aber  so, 
daß  der  Kaiser  wenigstens  seit  der  Verbindung  mit  Genua  (und  erst 
unter  Karl  V.  nahm  der  Konflikt  zwischen  Sultan  und  Kaiser  ja  eine 
akute  Form  an)  über  eine  beträchtliche  Macht  zur  See  verfügte,  der, 
zumal  da  auch  eine  Verbindung  des  Gegners  mit  der  venezianischen 
Marine  nicht  ausgeschlossen  war,  die  Türkei  nicht  unbedingt  über- 
legene Streitkräfte  entgegensetzen  konnte  (vgl.  z.  B.  die  Bemerkungen 
Trevisanos  bei  Alberi  III,  1,  162  f.;  Navageros  ibid.  81  u.  84).  Daher 
besaß  der  Haß  des  Sultans  gegen  den  Kaiser  für  die  praktische  Politik 
nur  geringe  Bedeutung.  Und  aus  analogen  Gründen  ist  es  auch  nicht 
zu  einem  Eroberungskriege  gegen  Rom  gekommen.  Die  türkische  Re- 
gierung zog  in  Fällen  wie  dem  Antagonismus  mit  Österreich  die  sichere 
Tributzahlung  einem  beschwerlichen  Kriege  vor. 

Venedig,  die  Habsburger  und  vielleicht  noch  Polen-Ungarn  waren 
die  einzigen  europäischen  Staaten,  denen  gegenüber  man  von  einer 
eigentlichen  Politik  der  Türkei  reden  kann.  Soweit  die  osmanische 
Regierung  zu  anderen  christlichen  Ländern  in  Beziehungen  trat,  war 
ihre  Haltung  ausschließlich  durch  die  Erwägung  bestimmt,  welche 
Rückwirkung  dieses  ihr  Vorgehen  auf  ihr  Verhältnis  zu  den  beiden 
genannten  Großstaaten  haben  würde.  Dies  gilt  insbesondere  von  der 
wichtigsten  Verbindung  dieser  Art,  von  der  Allianz  mit  Frankreich. 
Die  venezianischen  Gesandten  waren  wohl  sicherlich  im  Recht,  wenn 
sie  diese  freundschaftliche  Annäherung  ausschließlich  aus  dem  latenten 
Kriegszustand  entspringen  ließen,  der  zwischen  der  Türkei  und  dem 
habsburgischen  Kaiser  herrschte:  die  Osmanen  hielten,  wie  Trevisano 
bemerkt  (Alberi  III,  1,163),  mit  dem  französischen  König  gute  Bezieh- 
ungen aufrecht,  hauptsächlich  um  den  Kaiser  anderwärts  in  Kriegen  zu 
beschäftigen.    An  sich  bestanden  ja  zwischen  der  Türkei  und  Frankreich 


§  81.    England   (Größe  und  Bevölkerung).  191 

weder  Interessengegensätze  noch  eine  Interessengemeinschaft.  Wenn 
sich  die  Franzosen,  die  damals  ja  die  stärkste  Militäi  macht  waren,  in 
den  ersten  Jahrzehnten  der  Periode  hätten  dauernd  in  Neapel  fest- 
setzen können,  so  hätte  sich  allerdings  ein  bleibender  Konflikt  aus 
ihren  gelegentliehen  Kriegen  mit  den  Türken  entwickeln  können;  da 
dies  den  französischen  Königen  aber  nicht  gelang,  so  war  schon  vor 
Pavia  (1525)  keine  direkte  Streitursache  mehr  vorhanden.  Wenn  man 
zu  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  nach  einem  venezianischen  Bericht  in 
Konstantinopel  die  Kreuzzugsproklamationen  der  französischen  Re- 
gierung ernst  genommen  und  gegen  den  König  von  Frankreich  einen 
besonderen  Haß  empfunden  zu  haben  scheint  (Gritti  im  Jahre  1503 
bei  Alberi  III,  3,  26),  so  nahmen  die  Ereignisse  den  Franzosen  bald  die 
Möglichkeit,  auch  nur  theoretisch  Eroberungspläne  gegen  die  Türken 
von  Italien  aus  in  Erwägung  zu  ziehen. 

b)  England. 

§  81.  Größe  und  Bevölkerung.  Wenn  die  Türkei  an  dem  Kampfe 
in  Italien  nur  indirekt  beteiligt  war,  weil  ihre  politischen  Aspirationen 
mehr  nach  Osten  und  Süden  als  nach  Westen  gerichtet  waren,  so  stand 
England  nicht  nur  aus  geographischen,  sondern  auch  aus  machtpoli- 
tischen Gründen  außerhalb  des  Konfliktes.  Das  Land  konnte  weder 
seinem  Flächenumfange  noch  seiner  Bevölkerungszahl  nach  mit  Groß- 
staaten wie  Frankreich  oder  dem  habsburgischen  Reiche  rivalisieren, 
und  wenn  schon  seine  insulare  Lage  die  ungünstigen  Folgen  dieses  Miß- 
verhältnisses einschränkte,  so  war  damit  doch  nur  die  defensive  Po- 
sition des  Landes  gestärkt,  keineswegs  aber  die  Voraussetzung  für 
eine  militärische  Offensivaktion  im  Stile  der  Festlandsgroßstaaten 
geschaffen. 

Diese  Bemerkungen  müssen  freilich  durch  zwei  präzisierende 
aA.usführungen  ergänzt  werden. 

Zunächst:  England  war  im  strengen  Sinne  des  Wortes  keine  Insel. 
Der  nördliche  Teil  Großbritanniens  bildete  damals  bekanntlich  noch 
einen  selbständigen  Staat,  mit  dem  die  Beziehungen  vielfach  um  so 
weniger  freundschaftlich  waren,  als  die  englische  Monarchie  Aspira- 
tionen auf  eine  Ausdehnung  ihres  Herrschaftsbereiches  über  die  ganze 
Insel  hegte.  Aber  in  politisch-militärischer  Hinsicht  kann  England 
trotzdem  bereits  im  16.  Jahrhundert  als  ein  Inselstaat  bezeichnet 
werden.  Schottland  war  militärisch  und  politisch  so  schlecht  organi- 
siert, daß  es  sogar  in  Verbindung  mit  einem  kontinentalen  Großstaat 
keine  Gefahr  für  England  bedeutete  (§  100),  und  bereits  englische 
Publizisten  des  15.  Jahrhunderts  konnten  ihr  Land  deshalb  einen 
»Inselstaat«  nennen  (Fortescue,  t>The  Governance  of  England«  ed.  Plum- 
mer 1885,  p.  138;  vgl.  ferner  König  Heinrich  VIII.  bei  R.  B.  Merriman, 
»Li/e  and  Letters  of  Thomas  Cromwell«  [1902],  II,  279). 

Die  zweite  Bemerkung  bezieht  sich  auf  die  Frage,  wieweit  man 
Irland  in  die  Berechnung  einsetzen  darf.    Darauf  ist  wohl  keine  andere 


192  England. 

Antwort  möglich,  als  daß  für  eine  Vergleichung,  wie  sie  dem  Zwecke 
der  vorliegenden  Darstellung  entspricht,  Irland  außer  Betracht  fallen 
muß.  Nicht  nur  unterstand,  zumal  in  den  ersten  Jahrzehnten  der  hier 
behandelten  Periode,  nur  ein  verhältnismäßig  kleiner  Teil  der  irischen 
Insel  tatsächlich  der  englischen  Herrschaft  (Näheres  z.  B.  bei  M.  J.  Bonn, 
»Die  englische  Kolonisation  in  Irland«  I  [1906],  173  ff.),  sondern  dieser 
Besitz  brachte  dazu  der  englischen  Regierung  mindestens  so  viel  Aus- 
gaben wie  Einnahmen;  für  die  auswärtige  Politik  resultierte  hieraus 
also  kein  Machtzuwachs,  wie  denn  auch  die  venezianische  Relation  aus 
dem  Jahre  1500  (ed.  Sneyd;  »Camden  Society«  1847)  überhaupt  nicht 
von  Irland  spricht.  Für  den  hier  besprochenen  Gegenstand  kommt 
also  Irland  sozusagen  nur  in  negativer  Beziehung  in  Betracht:  für  die 
auswärtige  Politik  Englands  war  durch  den  Besitz  des  Landes  wenigstens 
so  viel  gewonnen,  daß  ein  Angriff  von  der  westlichen  Insel  her  aus- 
geschlossen war  und  daß  deshalb  keine  Abwehrmaßregeln  gegen  diese 
Seite  zu  getroffen  werden   mußten. 

England  war  zumal  zu  Beginn  der  hier  behandelten  Periode,  d.  h. 
als  die  Tuchindustrie  noch  in  den  Anfängen  stand,  nur  schwach  be- 
völkert. Dies  fiel  schon  Zeitgenossen  auf  (vgl.  die  zitierte  Relation 
S.  31)  und  wird  durch  Berechnungen  aus  englischen  Quellen  bestätigt; 
man  darf  danach  annehmen,  daß  die  Bevölkerung  zwischen  drei  und 
dreieinhalb  Millionen  Seelen  betrug  oder  etwa  22  auf  den  Quadrat- 
kilometer. England  besaß  also  nur  etwa  ein  Fünftel  so  viel  Einwohner 
wie  Frankreich  und  ungefähr  halb  so  viel  wie  Spanien.  Seine  Bevöl- 
kerung scheint  sich  allerdings  gerade  während  der  hier  behandelten 
Periode  stark  vermehrt  zu  haben  (gemessen  an  dem  Durchschnitt 
früherer  Jahrhunderte);  aber  diese  Zunahme  hat  sich  vor  1559  in  der 
internationalen  Politik  noch  nicht  fühlbar  gemacht  und  wurde  auch 
von  der  damaligen  politischen  Spekulation  nicht  in  Rechnung  gezogen. 

§  82.  Wirtschaftliche  Verhältnisse.  Wenn  England  trotzdem  in 
der  internationalen  Politik  beinahe  die  Stellung  einer  Großmacht 
einnahm,  so  verdankte  es  dies  ausschließlich  seiner  außergewöhnlich 
günstigen  wirtschaftlichen  Position. 

Was  die  Versorgung  des  Landes  mit  Getreide  betraf,  so  lagen  die 
Verhältnisse  zwar  nicht  ganz  so  vorteilhaft  wie  bei  Frankreich.  Teils 
weil  die  Schafzucht  größeren  Ertrag  lieferte  als  der  Ackerbau,  teils 
weil  die  Einfuhr  von  Getreide  aus  den  Ostseeländern  ohne  Schwierig- 
keiten und  große  Kosten  möglich  war,  wurde  der  für  Getreidebau 
geeignete  Boden  nur  ungenügend  ausgenutzt  (dies  wird  direkt  betont 
in  der  italienischen  Relation  S.  10),  und  in  Mißerntejahren  war  das 
Land  auf  Zufuhr  aus  dem  Auslande  angewiesen.  Aber  dies  war  ein 
Ausnahmefall,  auch  handelte  sich  dabei  es  nur  um  kleine  Quantitäten. 
Außerdem  bestand  noch  die  Möglichkeit,  durch  intensiveren  Getreide- 
bau diesem  Mangel  abzuhelfen,  und  daß  diese  Möglichkeit  (wohl  im 
Zusammenhange  mit  der  dichteren  Besiedlung  des  Landes)  ausgenutzt 


§82.    Wirtschaftliche  Verhältnisse.  193 

wurde,  geht  schon  aus  der  Tatsache  hervor,  daß  der  vor  1470  ganz  un- 
bedeutende Kornexport  sich  in  den  Jahren  1500  bis  1534  verdoppelte 
(um  dann  bis  1554  wieder  zu  fallen),  obwohl  damals  doch  auch  die 
Schafzucht  größere  Ausdehnung  gewann  (vgl.  N.  S.  B.  Gras,  »The 
Evolution  of  the  English  Com  Market«  1915,  p.  220  [»Harvard  Economic 
Studies«  XIII]). 

Dies  war  aber  auch  der  einzige  Fall,  in  dem  England  für  den  Bezug 
unentbehrlicher  Rohmaterialien  auf  das  Ausland  angewiesen  war. 
Beinahe  alle  anderen  Rohstoffe  wurden  im  Lande  selbst,  und  zwar 
in  der  Regel  im  Überfluß  produziert  —  man  müßte  denn  auch  den 
Wein  zu  den  unersetzlichen  Versorgungsmitteln  rechnen;  gerade  für 
England  würde  dies  aber  weniger  zutreffen  als  für  andere  Länder,  da 
im  Zusammenhang  mit  dem  überhaupt  rückständigen  Befestigungs- 
wesen (§  85)  auch  die  Ausrüstung  fester  Plätze  mit  Wein  nur  unter- 
geordnete Bedeutung  besaß  (an  sich  zählte  der  Wein  allerdings  zu  den 
wichtigsten  Importartikeln).  Am  reichsten  war  die  Produktion  natür- 
lich in  den  Branchen,  die  mit  der  Schafzucht  zusammenhingen;  neben 
der  Wolle,  gegen  deren  Qualität  kein  anderes  Land  aufkam,  wurden 
auch  Felle  in  großem  Umfange  exportiert.  Daneben  aber  hatte  Eng- 
land vor  Frankreich  nach  den  großen  Vorzug  voraus,  daß  es  auch  über 
einträgliche  Bodenschätze  verfügte ;  besonders  wichtig  war  die  Ausfuhr 
von  Zinn,  doch  wurde  auch  Blei  in  größeren  Quantitäten  exportiert. 
England  gehörte  also  zu  den  Staaten,  die  wirtschaftspolitische  Repres- 
salien nur  wenig  zu  fürchten  hatten. 

Dieser  Umstand  gew^ann  gerade  w^ährend  der  hier  behandelten 
Periode  große  praktische  Bedeutung.  Als  die  Tudors  zur  Herrschaft 
gelangten  und  mit  ihnen  die  Interessen  des  Mittelstandes  (vor  allem 
des  niederen  Adels)  in  der  Politik  des  Landes  zu  dominieren  begannen, 
wurden  die  Pläne  auf  staatliche  Förderung  der  einheimischen  Tuch- 
industrie d.  h.  auf  Verarbeitung  der  bisher  in  der  Hauptsache  nach 
den  Niederlanden  gelieferten  Wolle  durch  einheimische  Kräfte  energisch 
an  die  Hand  genommen  und,  was  unter  den  letzten  Herrschern  der 
gestürzten  Dynastie  nur  unvollkommen  hatte  zur  Ausführung  gebracht 
werden  können,  nun  von  der  Regierung  systematisch  betrieben.  Wohl 
erlaubte  der  unentwickelte  Stand  des  englischen  Tuchgewerbes  noch 
nicht,  die  Ausfuhr  von  Wolle  ganz  zu  sperren,  d.  h.  die  Verarbeitung 
der  englischen  Wolle  für  die  einheimischen  Tuchmacher  zu  monopo- 
lisieren; aber  der  Export  der  Wolle  sowohl  wie  der  Halbfabrikate  (der 
ungerauhten,  ungeschorenen  und  ungewalkten  Tücher)  wurde  außer- 
ordentlich erschwert  und  zugleich  die  Zulassung  englischer  Tücher 
zum  Verkauf  in  den  Niederlanden  erzwungen. 

Dem  Staate,  der  durch  diese  Wandlung  am  empfindlichsten  ge- 
troffen wurde,  nämlich  den  Niederlanden,  stand  nun  keine  Möglichkeit 
zu  wirksamen  Repressalien  zu  Gebote.  Von  Frankreich  z.  B.  war 
England  trotz  seiner  vielseitigen  Produktion  ökonomisch  nicht  durch- 
aus unabhängig.    Das  französische   Königreich  lieferte  England  außer 

Fueter,  Europ.  Staatensystem.  13 


194  England. 

Wein  Salz  und  Hanf  und  hätte  nach  französischer  Auffassung  durch 
eine  Sperre  dieser  Artikel  auf  die  englische  Regierung  einen  Druck  aus- 
üben können  {»Correspondance  politique  de  Odet  de  Sehe«  ed.  G.  Lefevre- 
Pontalis  [1888],  p.  454,  1548);  die  Niederlande  besaßen  keine  ähnliche 
Waffe.  Es  ist  daher  denn  auch  kein  Wunder,  daß  Flandern  in  dem 
Handelskriege  mit  England  schließlich  den  kürzern  zog  und  seine  Tuch- 
industrie durch  die  englische  Konkurrenz  beinahe  ruinieren  lassen  mußte. 

Die  englische  Regierung,  die  übrigens  sowohl  an  dem  Metall-  wie 
an  dem  Wollexport  direkt  interessiert  war,  vermochte  ihr  Finanzsystem 
daher  auf  einer  breiteren  Basis  aufzubauen  als  irgendeine  andere  Re- 
gierung der  damaligen  Zeit.  Der  ausnutzbare  Kapitalreichtum  ihrer 
Untertanen  beruhte  sowohl  auf  der  Ausfuhr  von  Rohprodukten  wie 
von  Industrieerzeugnissen  und  stellte  eine  beinahe  unveränderliche 
Größe  dar.  Der  Ertrag  dieser  Erwerbszweige  war  außerdem,  je  mehr 
sich  Schafzucht  und  Tuchindustrie  unter  dem  Schutze  der  neuen  Re- 
gimes ausbreiteten,  in  starkem  Zunehmen  begriffen;  dementsprechend 
wuchs  auch  die  Macht  des  englischen  Staates  während  des  hier  be- 
handelten Zeitraums  ständig  an,  obwohl  diese  Tatsache  sich  eigentlich 
erst  in  dem  darauffolgenden  halben  Jahrhundert  in  der  internationalen 
Politik  deutlich  fühlbar  machte  und  vor  1559  selbst  so  erfahrene  Staats- 
männer wie  Kaiser  Karl  V.  von  dieser  Veränderung  nichts  bemerkt 
haben  (in  seinen  politischen  Testamenten  widmet  er  England  nur  wenige 
Worte).  Freilich  darf  man  dabei  nicht  übersehen,  daß  eine  finanziell 
sichere  Position  schließlich  nur  eines  und  nicht  immer  das  wichtigste 
Kampfmittel  im  Streite  der  Staaten  ist  und  daß  der  Reichtum  Eng- 
lands durch  seine  mangelhafte  militärische  Rüstung  (§  85)  und  seine 
geringe  Bevölkerungszahl  als  mehr  denn  kompensiert  betrachtet  werden 
konnte. 

Sicher  ist  nur,  daß  wenigstens  auf  dem  finanziellen  Gebiete  alle 
die  Mängel,  die  dem  englischen  Wirtschaftsleben  im  übrigen  anhafteten, 
durch  diesen  Aufschwung  des  Tuchgewerbes  wettgemacht  wurden. 
So  zog  die  geringe  Entwicklung  des  englischen  Handwerkes,  die  tech- 
nische Rückständigkeit  aller  Gewerbebetriebe  mit  Ausnahme  der  Tuch- 
fabrikation keine  ökonomisch  schädigenden  Folgen  nach  sich.  Von 
Fabrikaten  wurden  aus  England  allerdings  nur  Produkte  der  Textil- 
branche  exportiert  (vgl.  z.  B.  die  Angabe  bei  Gras,  »Com  Market«, 
p.  203,  1549);  aber  genügten  diese  neben  den  Rohstoffen  nicht,  um 
eine  günstige  Handelsbilanz  zu  schaffen  ?  Ebensowenig  waren  die 
sozialpolitischen  Störungen,  die  sich  an  die  Umwandlung  ehemaliger 
Ackerbauflächen  in  Schafweiden  (die  sog.  »inclosures «)  anschlössen, 
von  bedenklichen  Folgen  begleitet.  Die  »Utopia«  Thomas  Morus'  und 
viele  andere  publizistische  Schriften  der  Zeit  führen  allerdings  in  ebenso 
beweglichen  wie  unverständigen  Worten  über  die  angebliche  Verelendung 
Englands  Klage,  die  durch  die  mit  der  neuen  Weidwirtschaft  zusammen- 
hängende Vertreibung  von  Ackerbauern  von  ihrem  Lande  hervor- 
gerufen werde.    Aber  es  handelte  sich  dabei  nur  um  eine  Übergangs- 


§   83.    Inneipoli tische  Organisation.  195 

Erscheinung:  binnen  kurzem  fanden  die  Volksklassen,  die  infolge  der 
Ausdehnung  der  Schafzucht  ihre  frühere  Tätigkeit  hatten  aufgehen 
müssen,  in  der  sich  immer  mehr  ausbreitenden  Tuchindustrie  Arbeits- 
gelegenheit. Wie  wenig  von  Arbeitslosigkeit  gesprochen  werden  konnte, 
wird  schon  allein  durch  die  Tatsache  belegt,  daß  England  noch  viel 
weniger  als  Frankreich  Söldner  für  den  Kriegsdienst  abzugeben  in  der 
Lage  war.  Englische  Söldner,  die  im  Auslande  Dienst  genommen 
hätten,  sind  so  gut  wie  gar  nicht  nachzuweisen.  Es  scheint  sogar,  daß 
dieser  Fall  damals  noch  viel  weniger  vorkam  als  in  der  vorhergehenden 
Zeit,  wozu  allerdings  wohl  nicht  nur  die  größere  Verdienstmöglichkeit, 
sondern  auch  die  mangelnde  Ausbildung  in  der  neuen  schweizerischen 
Taktik  beitrug.  Aber  auch  dieser  Umstand  läßt  sich  nur  in  dem  Sinne 
deuten,  daß  kein  Bedürfnis  zur  militärischen  Verwendung  eines  Men- 
schenüberschusses bestand.  Hätte  England  damals  mehr  junge  Männer 
besessen,  als  es  hätte  ernähren  können,  so  hätte  sich  dort  die  neue 
Infanterietaktik  ebenso  leicht  einführen  lassen  wie  z.  B.  in  Spanien. 
Tatsächlich  aber  führte  die  englische  Regierung  sogar  ihre  eigenen 
Kriege  zum  größten  Teile  mit  ausländischen  Kriegsknechten. 

Literatur.  Reiches  Material  bietet  das  Buch  von  Georg  Schanz  »Englische 
Handelspolitik  gegen  Ende  des  Mittelalters«,  2  Bände,  1881,  dessen  darstellende 
Partien  sich  allerdings  recht  an  der  Oberfläche  halten.  Von  den  Quellen  haben  die 
venezianischen  Relationen  für  England  nicht  dieselbe  dominierende  Bedeutung  wie 
für  andere  Länder,  da  die  große  englische  Publikation  der  »Calendars  of  State  Papers«, 
die  immer  noch  fortgesetzt  wird,  auch  zur  Wirtschaftsgeschichte  eine  Fülle  zuver- 
lässigen Materials  zutage  gefördert  hat;  ergänzt  wird  diese  Regestensamnilung 
durch  die  Veröffentlichungen  französischer  Gesandtschaftsrapporte  wie  der  »Am- 
bassades  en  Angleterre  de  Jean  du  Bellayn  (ed.  Bourrilly  und  Vaissiere  1905),  die 
•')Correspondance  politique  de  Castillon  et  Marillac«  (ed.  Kaulek,  1885)  und  die  »Cor- 
respondance  politique  de  Odet  de  Selve«  (ed.  Lefevre-Pontahs,  1888).  Vgl.  ferner  das 
zitierte  Buch  von  Gras  über  die  Entwicklung  des  englischen  Getreidemarktes  (1915) 
und  L.  F.  Salzmann,  »English  Industries  of  the  Middle  Ages«  (1913).  Friedrich 
Schultz,  »Die  Hanse  und  England«,  1911  (»Abhandlungen  zur  Verkehrs-  und  See- 
geschichte«, ed.  Schäfer  V).  —  Wenig  ergiebig,  mindestens  für  die  hier  behandelten 
Probleme  ist  die  »Englische  Wirtschaftsgeschichte«  von  Georg  Brodnitz,  von  der 
ein  erster,  bis  ungefähr  1500  reichender  Band  1918  erschienen  ist. 

§  83.  Die  innerpolitische  Organisation.  Die  Kapitalien,  die  sich 
infolge  dieser  günstigen  wirtschaftlichen  Verhältnisse  in  England  an- 
sammelten, standen  der  Regierung  für  ihre  auswärtige  Politik  in  bei- 
nahe unbeschränktem  Maße  zur  Verfügung. 

Der  Form  nach  disponierte  der  englische  König  allerdings  nicht 
so  frei  über  das  Vermögen  seiner  Untertanen  wie  der  König  von  Frank- 
reich oder  der  Sultan  von  Konstantinopel.  Auch  reichten  die  ihm  ohne 
weiteres  zu  Gebote  stehenden  Einnahmen  aus  Zöllen  und  lehenrecht- 
lichen Abgaben,  so  beträchtlich  sie  auch  waren,  nur  für  die  staatlichen 
Bedürfnisse  in  Friedenszeiten  aus;  um  die  Mittel  zu  erhalten,  die  zur 
Führung  eines  Krieges  notwendig  waren,  mußte  die  Bewilligung  der 
Stände  eingeholt  werden.  Aber  die  Zeitgenossen  sind  nicht  weniger 
als  die  modernen  Rechtshistoriker  darin  einig,  daß  das  Recht  des  Par- 
is* 


196  England. 

lamentes,  Subsidien  zu  bewilligen,  nur  theoretische  Bedeutung  hatte. 
»Die  alte  Macht  des  Parlamentes  besteht  nur  noch  der  Form  nach«, 
bemerkte  der  Venezianer  Micheli  im  Jahre  1557.  »Niemand  wagt  dort 
gegen  den  Willen  des  Königs  auch  nur  zu  mucksen  {fare  lui  minimo 
cenno),  er  wollte  sich  denn  offenem  Verderben  aussetzen.«  Die  Könige 
machen  von  den  Ständen  nur  noch  Gebrauch,  um  für  ihre  eigenen 
Wünsche  Deckung  zu  suchen«  (Alberi  I,  2,  318  f.;  vgl.  auch  die  vene- 
zianische Relation  von  1500,  S.  52  usw.).  Und  nicht  anders  drückt 
sich  Maitland  aus   { »Constitution al  History  of  Englands  1913,  p.  251). 

Diese  Gefügigkeit  der  Stände  hatte  verschiedene  Ursachen.  Die 
wichtigste  war  wohl,  daß  das  Königtum  die  einzige  wirkliche  Macht 
im  Staate  darstellte.  Seitdem  die  Barone  ihre  Privatarmeen  verloren 
hatten  und  der  König  infolge  zahlreicher  Konfiskationen  zum  reichsten 
Grundbesitzer  im  Lande  geworden  war,  es  außerdem  auch  keine  Pro- 
vinzen mit  militärischen  Sonderrechten  und  keine  starkbefestigten 
großen  Städte  gab,  fehlte  es  an  mächtigen  Persönlichkeiten  und  Zentren, 
auf  die  sich  eine  Opposition  hätte  mit  Erfolg  stützen  können.  Die  früher 
allein  herrschenden  Magnaten  hatten  sich  allerdings  mit  der  neuen 
Monarchie  noch  keineswegs  abgefunden.  Mehrfach  kam  es  zu  Auf- 
standsversuchen, speziell  von  den  nördlichen  Grafschaften  aus,  wo 
das  ehemalige  Regiment  der  Barone  weniger  durchgreifend  gebrochen 
war  als  im  Süden.  Aber  das  Mißlingen  aller  dieser  Unternehmungen 
beweist  zur  Genüge,  daß  die  Alleingewalt  der  Krone  durch  keine  An- 
griffe des  hohen  Adels  mehr  erschüttert  werden  konnte ;  obwohl  das 
Königtum  militärisch  gegen  Revolten  dürftig  ausgerüstet  war  und 
seine  Abwehraktion  in  der  Regel  langsam  und  mangelhaft  einsetzte, 
trug  es  doch  schließlich  stets  den  Sieg  davon. 

Dabei  war  anderseits  gerade  der  Umstand,  daß  eine  Wiederkehr 
der  ehemaligen  Adelsanarchie  nicht  ausgeschlossen  schien,  eine  der 
mächtigsten,  wenn  nicht  die  mächtigste  Stütze  der  Monarchie.  Alle 
die  Klassen,  die  unter  dem  früheren  Zustand  gelitten  hatten,  standen 
in  diesem  Kampfe  auf  der  Seite  der  Krone,  und  da  sie,  d.  h.  der  Mittel- 
stand auf  dem  Lande  und  in  den  Städten  auch  im  Unterhause  domi- 
nierte, so  konnte  die  Regierung  dor^  nicht  nur  auf  äußerlichen  Ge- 
horsam, sondern  auf  innerlich  zustimmende  Beihilfe  zählen.  Wie 
hätte  die  Gentry  auch  nicht  zu  einem  Regimente  halten  sollen,  das 
handelspolitisch  sowohl  durch  die  Begünstigung  der  Wollindustrie 
wie  durch  den  beinahe  vollständig  durchgeführten  Verzicht  auf  kost- 
spielige Eroberungskriege  auf  dem  Festlande  ihren  Interessen  ent- 
gegenkam, in  Verwaltung  (im  königlichen  Rat  z.  B.)  und  Diplomatie 
soweit  möglich  Angehörige  des  Mittelstandes  verwandte  und  Mitglieder 
der  ehemals  regierenden  Familien  in  der  Hauptsache  von  der  Regierung 
ausschloß  und  das  Gerichtswesen  dem  Einfluß  der  Magnaten  nach 
Kräften  zu  entziehen  bemüht  war!  Wie  hätte  eine  Monarchie  in  diesen 
Schichten  nicht  populär  sein  sollen,  deren  typische  Vertreter  Minister 
wie  Wolsey  und  Cromwell  waren,  von  denen  der  zuletzt  genannte  dann 


§  83.     Innerpolitische  Organisation.  197 

u.  a.  auch  die  zunächst  noch  geschonte  Machtstellung  des  hohen  Adels 
in'  den  nördlichen  Gral'scliai'ten  brach,  indem  er  nach  der  iNiederwerfung 
der  sog.  »Pilgrimagc  oj  Grace«  im  Jahre  1537  es  durchsetzte,  daß  das 
»Council  of  the  North«  mit  Niedriggeborenen  besetzt  wurde  {i>Life  and 
Letters«  ed.  B.  Merriman  1  [1902],  198  ff. ;  die  Aufständischen  hatten 
im  Gegenteil  die  Entfernvmg  alles  willain  blood«  aus  dem  Geheimen 
Rate  verlangt:  Fronde,   »Henry  VIII«,  eh.  13)! 

Dazu  kam  dann  noch  die  direkte  Abhängigkeit  eines  Teils  der 
Parlamentsmitglieder  vom  Könige.  Im  Oberhause  konnten  alle  Bi- 
schöfe als  loyale  Helfer  der  Krone  betrachtet  werden,  da  die  Besetzung 
der  hohen  geistlichen  Würden  in  England  vor  und  nach  der  Refor- 
mation beinahe  uneingeschränkt  in  den  Händen  der  Regierung  lag. 
Außerdem  konnte  der  König  Laienpeers  nach  Belieben  ernennen.  Im 
Unterhause  verfügte  er  über  eine  Anzahl  ganz  von  ihm  abhängiger 
Wahlflecken  {boroughs)  und  besaß  daneben  das  Recht,  ergebenen  Ge- 
meinden das  Recht  zur  Delegation  von  Parlamentsmitgliedern  zu 
erteilen.  Und  wenn  sogar  diese  Versammlung  sich  nicht  willfährig 
erwies,  so  blieb  immer  noch  der  Ausweg  der  benevolences  genannten 
Zwangsanleihen,  für  die  dann  leicht  nachträglich  vom  Parlamente 
Amnestie  zu  erhalten  war.  Auch  trafen  die  Steuern  gerade  den  Mittel- 
stand nicht  schwer. 

All  dies  zusammen  verlieh  der  englischen  Krone  eine  solche  Macht- 
stellung, daß  das  Königtum  es  nicht  einmal  für  nötig  hielt,  ihre  Herr- 
schaft mit  der  Gewalt  der  Waffen  zu  stützen.  Denn  für  gewöhnlich 
verfügte  die  Regierung  nur  über  schwache  militärische  Kräfte.  Eine 
kleine  Leibgarde  und  einige  ausländische  Söldner  machten  beinahe  den 
ganzen  Bestand  der  stehenden  Armee  aus,  und  ebensowenig  gab  es  feste 
Plätze,  über  die  der  König  im  Falle  eines  Aufstandes  hätte  unbedingt 
verfügen  können.  Eine  Ausnahme  bildete  nur  der  Londoner  Tower; 
aber  auch  dort  ließ  die  Ausrüstung  technisch  vieles  zu  wünschen  übrig. 
Es  traf  vollständig  zu,  wenn  der  Venezianer  Micheli  im  Jahre  1557 
bemerkte,  daß  England  gegen  den  inneren  Feind  so  wenig  wie  gegen 
den  äußeren  Festungen  besitze  (Alberi,  »Relazioni«  I,  2,  303  f.).  Ebenso 
blieb  es  ohne  gefährliche  Folgen,  daß  zwar  an  die  Spitze  der  Verwal- 
tung von  der  Krone  abhängige  Angehörige  neuer  und  machtloser  Fa- 
milien gesetzt  wurden,  daneben  aber  keine  ausgebildete  königliche  Bureau- 
kratie  nach  dem  Muster  der  kontinentalen  Staaten  geschaffen  wurde. 

Bemerkt  sei  schließlich  noch,  daß  dieses  Regiment  unter  Hein- 
rich VII.  bereits  so  fest  fundiert  wurde,  daß  die  unter  Heinrich  VIII. 
durchgeführte  vollständige  Nationalisierung  der  Kirche,  soweit  es  sich 
um  die  unbeschränkte  Herrschaftsgewalt  der  Krone  und  die  auswärtige 
Politik  handelte,  keine  nennenswerte  Veränderung  mehr  nach  sich  zog. 
Im  allgemeinen  nahm  allerdings  die  Macht  des  Königtums  während 
der  hier  behandelten  Periode  zu;  aber  dies  hing  in  der  Hauptsache  nur 
mit  dem  Umstände  zusammen,  daß  die  anfänglich  recht  prekäre  Stel- 
lung der  Tudors  infolge  der  Reorganisationsarbeiten  der  neuen  Dynastie 


198  England. 

besser  konsolidiert  wurde  und  die  späteren  Herrscher  daher  auf  oppo- 
sitionelle Bewegungen  weniger  Rücksichten  zu  nehmen  brauchten,  als 
es  Heinrich  VII.  noch  hatte  tun  müssen. 

Literatur.  Neben  den  im  Texte  bereits  genannten  Werken  und  den  all- 
gemein verfassungsgeschichtlichen  Arbeiten  bietet  eine  gute  Einführung  in  die 
Organisation  der  damaligen  englischen  Regierung  die  vortreffliche  Biographie,  die 
M.  Creighton  Wolsey  in  der  Serie  »Twelve  Engtish  Statesmen«  gewidmet  hat  (erste 
Auflage  1888).  Dann  die  verschiedenen  Werke  von  A.  F.  Pollard;  vor  allem  sein 
»Heinrich  VIII.«  (zuerst  1902,  mit  Anmerkungen  1905)  und  sein  »England  under 
Protector  Somerset«  (1900).  —  Von  monographischen  Abhandlungen  seien  hier  nur 
genannt:  M.  H.  Dodds  und  R.  Dodds,  »The  Pilgrimage  of  Grace«,  1915;  J.  Glayton, 
»Robert  Kelt  and  the  Norfolk  Rising  (1549)«,  1912;  A.P.Newton,  »The  King's 
Chamber  under  the  Early   Tudors«  in  der   »English  Historical  Review«,   Juli  1917. 

§  84.  Die  auswärtige  Politik.  In  anderen  Abschnitten  ist  die  Or- 
ganisation des  Wehrwesens  im  Zusammenhang  mit  der  inneren  Politik 
der  Regierung  besprochen  worden.  Bei  einer  Beschreibung  des  eng- 
lischen Armeewesens  wäre  diese  Anordnung  des  Stoffes  unzweckmäßig. 
Entscheidende  Voraussetzungen  der  englischen  auswärtigen  Politik 
waren  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  des  Landes  und  die  finanziell 
unabhängige  Position  der  Krone;  die  Zustände  im  englischen  Wehr- 
wesen dagegen  waren  eine  Folge  und  nicht  eine  Ursache  des  neuen 
außenpolitischen  Kurses.  Natürlich  hat  dann  die  militärische  Orga- 
nisation des  Landes  auf  die  auswärtige  Politik  auch  wieder  eine  Rück- 
wirkung ausgeübt.  Aber  das  primäre  Moment  war  nicht  die  Qualität 
der  militärischen  Machtmittel,  sondern  der  bewußte  Entschluß  der 
englischen  Regierung,  mit  den  Zielen  der  früheren  auswärtigen  Politik 
zu  brechen.  Es  muß  daher  zuerst  über  diesen  Gegenstand  gehandelt 
werden. 

Die  Tudormonarchie  bezeichnet  bekanntlich  vor  allem  deshalb 
einen  Abschnitt  in  der  englischen  Geschichte,  weil  von  ihr  an  alle  eng- 
lischen Regierungen  bewußt  und  systematisch  von  Eroberungskriegen 
auf  dem  europäischen  Festlande  absahen,  die  Aspirationen  also  auf- 
gaben, die  in  den  unmittelbar  vorhergehenden  Jahrhunderten  die  aus- 
wärtige Politik  des  Landes  beherrscht  hatten.  Der  Staat  verzichtete 
nicht  auf  seine  Erweiterungspläne;  aber  er  bezog  Frankreich  nicht 
mehr  in  diese  ein.  Der  Mittelstand,  der  mit  der  neuen  Dynastie  an  die 
Regierung  gelangt  war,  mochte  des  Handelsverkehrs  mit  den  Nieder- 
landen wegen  noch  an  Calais  festhalten;  die  Eroberung  festländischen 
Bodens  zu  politischer  oder  ökonomischer  Ausnutzung  wurde  nicht 
mehr  in  Betracht  gezogen. 

Es  ist  ohne  weiteres  ersichtlich,  daß  dieser  Umschwung  auf  die- 
Verfassung  des  englischen  Wehrwesens  einen  entscheidenden  Einfluß 
ausüben  mußte.  Die  englische  Regierung  hatte  nun  keinen  Grund  mehr, 
ihre  Landarmeen  und  ihre  Artillerie  nach  den  letzten  Anforderungen 
der  Technik  umzugestalten;  es  genügte,  wenn  ihre  Ausrüstung  den 
mangelhaften  Kampfmitteln  angepaßt  war,  die  Schottland  und  etwa 
noch  irische  Clanhäuptlinge  gegen  sie  aufbieten  konnten. 


§  85.    Die  Armee.  199 

Daß  die  englische  Monarchie  diese  Wandlung  durchführen  konnte, 
war  an  sich  allerdings  nicht  ihr  Verdienst.  Ohne  die  insulare  Lage  des 
Landes,  zu  der  sich  noch  die  relative  Schwäche  Frankreichs  zur  See, 
die  neue  italienische  Politik  der  französischen  Krone  und  die  zurück- 
gebliebene militärisch-politische  Organisation  Schottlands  gesellten, 
hätte  sie  die  Modernisierung  ihres  Wehrwesens  nicht  so  ungestraft 
unterlassen  dürfen,  wie  dies  der  Fall  gewesen  ist.  Aber  trotzdem  bleibt 
die  Tatsache  bestehen,  daß  der  Entschluß,  diese  insulare  Lage  auszu- 
nutzen, auf  einen  Willensakt  der  englischen  Regierung  zurückzuführen 
ist;  die  Verhältnisse  haben  diesen  neuen  Kurs  wohl  ermöglicht,  aber 
nicht  erzwungen. 

§  85.  Die  Armee.  Die  englische  Armee  kann  daher  ganz  kurz 
besprochen  werden.  Ihre  Organisation  wurde  (abgesehen  von  der 
Friedenspolitik  der  Regierung)  hauptsächlich  bestimmt  durch  die 
technische  Rückständigkeit  des  englischen  Handwerkes  und  die  dünne 
Besiedelung  des  Landes.  Ökonomische  Not  trieb  die  Bewohner  Eng- 
lands nicht  zum  Soldatenberuf,  und  keine  hochentwickelte  Technik 
stellte  dem  Staate  Waffen  zur  Verfügung,  die  den  modernen  Anfor- 
derungen entsprachen. 

Es  fehlte  daher  gänzlich  an  einer  modern  geschulten  Infanterie, 
Nicht  nur  wurde  die  schweizerische  Taktik  nicht  eingeführt,  sondern 
England  hielt  nicht  einmal  mit  den  Neuerungen  der  Schießtechnik 
Schritt.  Da  das  englische  Gewerbe  im  allgemeinen  nicht  einmal  die 
Pulverfabrikation  zu  übernehmen  vermochte,  geschweige  denn  daß 
komplizierte  Geschütze  hätten  hergestellt  werden  können  (doch  vgl. 
§  86),  so  hielt  die  englische  Regierung  an  der  Verwendung  von  Bogen- 
schützen fest.  Nun  waren  allerdings  dafür  die  englischen  Truppen 
in  dieser  Waffe  wirklich  geübt,  und  zumal  in  den  ersten  Jahrzehnten 
der  hier  behandelten  Periode  stand  der  Bogen  an  militärischer  Wirkung 
den  Handfeuerwaffen  noch  nicht  unbedingt  nach ,  die  mangelhafte 
Schulung  im  Gebrauch  der  Handbüchsen  und  die  Abhängigkeit  vom 
Ausland  für  den  Bezug  dieser  Waffen  zogen  also  nicht  so  gefährliche 
Folgen  nach  sich,  wie  man  an  sich  hätte  annehmen  können;  aber  nach- 
teilig blieb  diese  Rückständigkeit  doch.  Noch  schlimmer  stand  es  mit 
der  Reiterei,  die  in  England  überhaupt  fehlte;  der  Staat  verfügte  weder 
über  Reisige  noch  über  leichte  Kavallerie. 

Im  Fortifikationswesen  stand  es  im  Prinzip  nicht  anders.  Aber 
hier  läßt  sich  ein  bedeutungsvoller  Unterschied  konstatieren,  der  zur 
Evidenz  beweist,  daß  die  englische  Regierung  nur  dank  der  insularen 
Lage  des  Landes  das  Wehrwesen  vernachlässigen  durfte.  Die  Festungen 
in  England  selbst,  auch  die  Hafenplätze,  wo  man  doch  immerhin  mit 
der  Möglichkeit  französischer  Angriffe  rechnen  mußte,  sowie  die  Be- 
festigungsanlagen an  der  schottischen  Grenze  wurden  sehr  mangelhaft 
unterhalten.  Aber  mit  den  Besitzungen  auf  dem  Festlande  verhielt  es 
sich  ganz  anders.  Auf  die  Befestigung  von  Galais  und  der  übrigen  Plätze 


200  England. 

in  Frankreich,  die  der  hochentwickelten  französischen  Artillerie  (§  29) 
widerstehen  mußten,  verwandte  die  englische  Krone  große  Sorgfalt, 
und  es  scheint  denn  auch,  daß  sie  ihr  Ziel  erreichte:  die  englischen 
Anlagen  in  Calais  vermochten  bis  zum  Ausgang  der  Periode  den  fran- 
zösischen Angriffen  relativ  erfolgreich  Widerstand  zu  leisten.  Ähn- 
liches läßt  sich  von  der  Schiffsartillerie  bemerken,  —  die  Gründung 
einer  Kriegsmarine  wurde  eben  gleichfalls  von  der  Regieiung  als  poli- 
tische Notwendigkeit  empfunden.  Aber  auch  hier  wurde  nur  das  Un- 
entbehrliche getan. 

Den  fremden  Regierungen  war  diese  militärische  Schwäche  Eng- 
lands natürlich  wohl  bekannt.  Wenn  der  englische  Großsiegelbewahrer 
bei  der  Eröffnung  des  Parlamentes  im  Jahre  1559  darauf  hinwies,  daß 
das  Land  nicht  einmal  mit  den  einfachsten  Verteidigungsmitteln  aus- 
gerüstet war  (Froude,  »Elizabeth«,  eh.  1),  so  waren  dies  beinahe  die- 
selben Worte,  mit  denen  gleichzeitig  der  spanische  Gesandte  den  Ver- 
treter der  Königin  auf  die  Gefahr  eines  französischen  Angriffes  auf- 
merksam machte,  »you  (die  Engländer)  being  without  money,  men. 
armour,  fortresses,  practise  in  war,  or  good  captains«  (Thomas  Wright, 
»Queen  Elizabeth«  I  [1838],  7);  aus  früheren  Jahren  hatten  italienische 
Diplomaten  Ähnliches  berichtet.  Speziell  den  Spaniern  konnten  diese 
Zustände  schon  deshalb  nicht  verborgen  bleiben,  weil  die  Niederlande 
seit  langem  das  Defizit  der  englischen  Ausrüstung  an  Pulver,  Feuer- 
waffen und  Pferden  ausgleichen  mußten;  die  Ausfuhrbewilligungen 
für  diese  Artikel  gingen  natürlich  durch  die  Hand  der  niederländischen 
Regierung  (vgl.  z.  B.  Wright,  ibid.  p.  9  und  11). 

Literatur.  .J.  W.  Fortescue,  t>History  of  the  British  Army«  I  (1910).  —  Neben 
den  Angaben  der  englischen  Akten,  die  auch  für  diesen  Gegenstand  sehr  reichhaltig 
sind,  bieten  auch  die  venezianischen  Relationen  manches.  Den  Mangel  an  Ein- 
übung bei  den  englischen  Truppen  betonen  z.  B.  Barbaro  und  Micheli  (Alberi  I,  2, 
252,  254,  299).  Barbaro  hebt  p.  257  f.  auch  ausdrücklich  hervor,  daß  es  in  Calais 
ausnahmsweise  nicht  an  geschulter  Bedienungsmannschaft  für  die  Geschütze  fehlte. 
Daß  die  Engländer  keine  Kavallerie  besaßen,  wird  besonders  von  F.  Guicciardini 
hervorgehoben  {»Discorsi  politici«  III  und  IV;  t)Opere  inedite«  I  [2.  Aufl.),  221  und 
233).  Über  die  Festungen  ebenfalls  zahlreiche  Angaben  bei  den  Venezianern;  cha- 
rakteristisch ist  übrigens  auch,  daß  als  König  Heinrich  VIII.  Dover  befestigen  lassen 
wollte,  er  Ingenieure  aus  Spanien  kommen  lassen  mußte  (Froude,  »Henry  VIII«. 
eh.  14).  Über  die  Vernachlässigung  der  Zucht  von  Militärpferden  (die  in  England 
gehaltenen  Pferde  waren  für  den  Kriegsdienst  nicht  zu  gebrauchen)  auch  Micheli 
bei  Alberi  I,  2,  301  f.  Dieser  weist  übrigens  auch  darauf  hin  (p.  300f.),  daß  (ent- 
sprechend dem  zurückgebliebenen  Handwerksbetriebe  in  England)  auch  die  Schutz- 
waffen von  geringer  Qualität  waren.  Als  1539  England  in  Deutschland  Geschütz 
bestellte,  ersuchte  es  zugleich  auch  um  geschulte  Bedienungsmannschaft  (Crom- 
well,   »Life  and  Letters«  II,  189). 

Vgl.  ferner  Ernest  Law,  »Englands  First  Great  War  Minister«  1916  (über 
die  Organisierung  der  Expedition  des  Jahres  1513  durch  Wolsey) ;  Traill,  »Social 
England«\\   (ill.  Edition  1902). 

§  86.  Die  Marine.  Ganz  anders  verhielt  es  sich  mit  der  Marine. 
Die  Verhältnisse  lagen  an  sich  für  die  Schaffung  einer  Kriegsflotte 
kaum  günstiger  als   für  die   Bildung  einer  leistungsfähigen   Infanterie 


§  86.     Die   Marine.  201 

und  einer  modernen  Anforderungen  entsprechenden  Artillerie.  Aber 
während  die  Regierung  zu  Lande  so  gut  wie  alles  unterließ,  um  diesem 
Mangel  abzuhelfen,  wandte  sie  der  Rüstung  zur  See  große,  wenn  schon 
nicht  kontinuierliche  Sorgfalt  zu. 

In  England  hatte  bisher  beinahe  jeder  Impuls  zur  Gründung  einer 
Kriegsmarine  gefehlt.  Zunächst  war  die  eigene  Handelsschiffahrt  ganz 
unbedeutend,  und  da  auch  in  den  Meeren  des  iNordens  Kriegsschiffe 
hauptsächlich  zur  Abwehr  gegen  die  Korsaren  gehalten  wurden  (vgl. 
§  13),  so  fiel  für  die  englische  Krone  das  wichtigste  Moment  für  den 
Unterhalt  von  Schiffen  weg.  Dazu  kamen  aber  militärische  Erwägungen. 
Der  Krieg  mit  Frankreich  wurde  zu  Lande  ausgefochten,  und  die  Ver- 
bindung zwischen  England  und  dem  Festland  wurde  durch  die  relativ 
unbedeutende  französische  Flotte  kaum  bedroht;  auch  in  dieser  Be- 
ziehung lag  somit  kein  Anlaß  zur  offiziellen  Förderung  der  Marine  vor. 
Das  englische  Gewerbe  an  sich  besaß  aber  w-eder  Neigung  noch  wohl 
auch  das  Geschick,  sich  dem  Bau  von  militärisch  verwendbaren  Schiffen 
zu  widmen.  In  Notfällen  gewährten  außerdem  die  wegen  der  unent- 
behrlichen englischen  Rohstoffartikel  stets  zahlreich  in  den  Häfen 
liegenden  fremden  Schiffe  (die  nach  damaligen  Rechtsbegriffen  bei 
Ausbruch  eines  Krieges  requiriert  werden  konnten)  einen  genügenden 
Grundstock  zur  Bildung  einer  Flotte. 

Ansätze  zu  einer  Änderung  dieses  Systems  sind  vereinzelt  schon 
früher  nachweisbar;  aber  eine  eigentliche  Wandlung  hat  auch  hier 
erst  mit  dem  Regimente  der  Tudors  eingesetzt.  Die  Verhältnisse  modi- 
fizierten sich  in  zwiefacher  Hinsicht.  Zunächst  wurde  England,  seit- 
dem der  Mittelstand  mit  der  neuen  Dynastie  zur  Herrschaft  gelangt 
war,  aus  einem  rohstoffproduzierenden  Land  zu  einem  selbst  fabri- 
zierenden und  selbst  seine  Fabrikate  ausführenden  Staate.  Dieser 
Wandel  vollzog  sich  natürlich  nur  allmählich,  und  die  ganze  hier  be- 
handelte Periode  wird  noch  der  Zeit  des  Übergangs  vom  alten  Wirt- 
schaftszustand zum  neuen  zugerechnet  werden  müssen.  Aber  ein 
Anfang  wurde  doch  schon  damals  gemacht,  und  die  Regierung  griff 
bereits  unter  dem  ersten  Tudor  in  bestimmter  Weise  ein:  englische 
Fahrzeuge  wurden  vor  fremden  bei  der  Einfuhr  begünstigt  durch  De- 
krete, in  denen  man  Vorläufer  der  Navigationsakte  erblicken  kann 
(vgl.  Schanz,  »Handelspolitik«  I,  302  und  II,  532)  und  für  den  Bau 
von  Schiffen  wurden  vorbereitende  Anstalten  getroffen;  wenn  die 
Zahl  der  unter  der  Regierung  König  Heinrichs  VII.  gebauten  Schiffe 
auch  nicht  beträchtlich  ist,  so  wurde  unter  ihm  doch  das  erste  Trocken- 
dock in  England  errichtet  {»Naval  Accounts  and  Inventories«  ed.  M.  Op- 
penheim 1896,  p.  XXXIV  u.  XXVII),  und  unter  seinem  Nachfolger 
entfaltete  die  Regierung  dann  auch  eine  eifrige  Tätigkeit  im  Bau  von 
Schiffen,  damals  wurde  auch  zum  ersten  Male  ein  »Marineministerium« 
(Navy  Board)  in  England  geschaffen  (ibid.  p.  XIII  f.).  Bereits  unter 
Heinrich  VII.  wurden  auch  Prämien  für  Schiffsbauer  ausgesetzt  (ibid. 
p.  XXIX). 


202  England. 

Die  andere  Veränderung  bestand  in  der  neuen  militärischen  Lage. 
England  verzichtete  seit  den  Tudors  im  allgemeinen  auf  große  mili- 
tärische Expeditionen  auf  dem  Festland; "dadurch  gewann  die  Flotte 
eine  größere  Bedeutung,  es  lag  ihr  nun  sowohl  die  Verteidigung  des 
eigenen  Landes  gegen  feindliche  Einfälle  wie  die  Ausführung  von  Raids 
gegen  feindliche  (französische)  Küstenstriche  ob,  und  je  mehr  die 
Regierung  das  Armeewesen  vernachlässigte,  um  so  wichtiger  wurde 
die  Aufrechterhaltung  einer  leistungsfähigen  Marine.  Auch  dieser 
Aufgabe  hat  sich  die  englische  Regierung  nicht  entzogen,  und  wenn 
schon  in  den  späteren  Jahren  Heinrichs  VIII.  und  auch  unter  dessen 
Nachfolgern  der  Flotte  geringere  Aufmerksamkeit  zugewendet  wurde, 
als  in  den  ersten  Jahrzehnten,  so  blieb  doch  der  Zustand  des  Gleich- 
gewichtes mindestens  mit  der  französischen  Flotte  stets  gewahrt.  Es 
geht  dies  schon  daraus  hervor,  daß  die  Franzosen  nie  einen  Angriff 
mit  Landung  in  England  versucht  haben,  so  oft  auch  die  englischen 
Staatsmänner  eine  solche  Operation  befürchteten. 

Die  englische  Regierung  scheint  dabei  auch  erreicht  zu  haben, 
daß  das  einheimische  Handwerk  wenigstens  einen  Teil  der  Ausrüstung 
übernehmen  konnte.  Das  Material  zum  Tauwerk  mußte  zwar  aus  dem 
Auslande  bezogen  werden;  aber  die  Verarbeitung  geschah  in  der  Haupt- 
sache in  England.  Ähnliches  gilt  für  die  Schiffsartillerie.  Wenn  auch 
die  Geschütze  zum  größten  Teil  aus  dem  Auslande  importiert  werden 
mußten,  so  wurde  wenigstens  das  Pulver  in  England  hergestellt,  und 
nach  und  nach  gelang  es,  wenigstens  einen  Teil  der  gegossenen  Kanonen 
in  England  zu  fabrizieren  (vgl.  Oppenheim  ibid.  p.  XXXII  f.).  Außer- 
dem sorgte  die  Regierung,  solange  der  Schiffbau  noch  unentwickelt  war, 
durch  Kauf  oder  Konfiszierung  fremder  (spanischer)  Schiffe  für  vor- 
läufiges Ausfüllen  der  Lücken  (p.  XXX  f.).  Es  ging  dies  um  so  eher 
an,  als  die  englische  Regierung  nicht  dieselben  Schwierigkeiten  in  der 
Bemannung  ihrer  Fahrzeuge  zu  überwinden  hatte  wie  die  Mittelmeer- 
staaten. Da  sie  keine  Galeeren  verwandte  oder  verwenden  konnte 
(§  14),  fiel  die  Sorge  um  die  Beschaffung  eines  eingeübten  Ruderer- 
personals weg  (vgl.  darüber  vor  allem  A.  F.  Pollard,  »England  under 
Protector  Somerset«  [1900],  p.  63,  n.  2). 

Literatur.  Die  wichtigsten  Werke  über  die  englische  Marine  der  Zeit  sind 
die  beiden  in  den  Publikationen  der  »Navy  Records  Society a  erschienenen  Bände: 
»Naval  Accounis  and  Inventories  of  the  Reign  of  Henry  VII a,  ed.  M.  Oppenheim 
(1896)  und  »Letters  and  Papers  relatingto  theWarwith  France  1512— 1513«,  ed.  A.Spont 
(1897).  Von  dem  Herausgeber  des  zuerst  genannten  Bandes  Michael  Oppenheim 
gibt  es  außerdem  eine  »History  of  the  Administration  of  the  Royal  Navy,  1509—1660« 
(1896).  —  J.  A.  Wilhamson,  Maritime  Enterprise,  1485—1558«,  1914;  Julian  S.  Cor- 
bett,  »Brake  and  the  Tudor  Navy«,  1898  (die  Einleitung  I,  1—56);  Walter  Vogel, 
in  der  Festschrift  für  Dietrich  Schäfer,  »Forschungen  und  Versuche«  (1915),  p.  320ff. 

Über  die  Dekadenz  der  englischen  Marine  in  den  späteren  Jahren  der  Re- 
gierung Heinrichs  VIII.  vgl.  z.  B.  La  Ronciere,  »Histoire  de  la  Marine  frangaise«  III 
(1906),  411.  Über  die  Befürchtungen  eines  französischen  Angriffs  auf  England 
vgl.  z.  B.  »Life  and  Letters  of  Th.  Cromwell«  I,  214;  Fronde,  »Elizabeth«,  eh.  I  (1559). 
Für  die   relative  Stärke  gegenüber  Frankreich  ist   neben  den  Ereignissen  selbst 


§  87.    Organisation  des  diplomatischen  Dienstes.  203 

vielleicht  auch  das  Urteil  Monlucs  bezeichnend,  der  die  Engländer  ausdrücklich 
tüchtiger  zur  See  als  zu  Land  nennt  {Commentaires,  ed.  Courteault  1  [1911],  300  =  1. 
II  ad  1545);  noch  bestimmter  drückt  sich  MicheH  aus  (Alberi,  »Relazioni«  I,  2, 
347).  Vgl.  auch  das  Schreiben  König  Heinrichs  II.  von  Frankreich  aus  dem  Jahre 
1549  bei  Champollion-Figeac,  »Melanges  historiques«Ul  (1847),  599f.  (in  den  Docu- 
ments  inedits).  —  Kleinere  Ruderschiffe  wurden  natürUch  auch  in  England  verwandt; 
vgl.  die  zitierte  Pubhkation  von  Spont,  p.  151  und  143,  und  auch  Corbett,  »Drake« 
p.  24,  31,  56;  Soranzo  bei  Alberi  I,  3,     59. 

König  Heinrich  VIII.  ließ  noch  im  Jahre  1548  itaUenische  Schiffbauer  kommen 
(Zitat  bei  Gorbett  I,  36).  Der  französische  Gesandte  Marillac  kritisiert  noch  im 
Jahre  1540  die  Mannschaft  auf  den  enghschen  Schiffen,  die  schlechter  sei  als  die 
Geschütze ;  übrigens  bestand  sie  zu  einem  guten  Teile  aus  Ausländern  ( »Correspon- 
dance«,  ed.  Kaülek,  1885,  p.  226f.);  auch  brauchten  die  Engländer  zwei  Jahre,  um 
ein  Schiff  segelfertig  zu  machen. 

§  87.  Die  Orgauisation  des  auswärtigen  Dienstes.  Es  ist  gezeigt 
worden,  wie  die  nur  in  Ausnahmefällen  überwundene  Abneigung  der 
englischen  Regierung  gegen  eine  militärische  Intervention  in  die  großen 
Machtkämpfe  der  Festlandstaaten  zu  einer  Vernachlässigung  des 
Rüstungswesens  führte.  Nicht  dieselben  Folgen  traten  in  der  Organi- 
sation des  auswärtigen  Dienstes  auf.  Man  könnte  im  Gegenteil  behaup- 
ten, daß  die  englische  Krone  um  so  eifriger  ihre  diplomatischen  Kampf- 
mittel pflegte,  je  geringere  Aufmerksamkeit  sie  ihren  militärischen  zu- 
wandte. England  gehörte  zu  den  Mittelstaaten,  die  ihren  diplomati- 
schen Informationsdienst  am  systematischsten  einrichteten. 

Es  ist  nicht  leicht  zu  entscheiden,  welche  Gründe  dabei  für  die 
englische  Regierung  hauptsächlich  bestimmend  waren.  Man  kann 
nur  annehmen,  daß  ursprünglich  wohl  vor  allem  das  Bedürfnis  nach 
Sicherung  des  damals  noch  recht  prekären  neuen  Regimentes  den 
Anstoß  hab:  die  Diplomatie  mußte  sowohl  dazu  dienen,  die  Usur- 
patorendynastie der  Tudors  durch  Verschwägerung  mit  anderen  Königs- 
häusern auf  eine  festere  Grundlage  zu  stellen,  wie  über  Komplotte  zu 
informieren,  die  im  Auslande  von  ihren  Gegnern  angezettelt  wurden. 
Später  scheint  hauptsächlich  das  Bestreben  maßgebend  gewesen  zu 
sein,  das  Defizit  an  militärischen  Machtmitteln  durch  diplomatische 
Arbeit  auszugleichen  oder  wenigstens  daraus  keine  gefährlichen  Kon- 
sequenzen erwachsen  zu  lassen.  Die  englische  Regierung  konnte  um 
so  eher  hoffen,  auf  diesem  Wege  etwas  zu  erreichen,  als  sie  dank  ihrer 
günstigen  finanziellen  Position  (§  83)  anderen  Staaten,  zumal  den  für 
gewöhnlich  über  ungenügende  Geldmittel  verfügenden  Habsburgern 
Leistungen  zu  offerieren  vermochte,  die  kaum  minder  wertvoll  waren 
als  direkte  militärische  Unterstützung. 

Es  gab  sogar  eine  Periode,  da  die  englische  Regierung  infolge  des 
scheinbaren  Gleichgewichts,  das  zwischen  den  beiden  um  Italien  kämp- 
fenden Mächtegruppen  bestand,  sich  einbilden  konnte,  sie  halte  trotz 
ihrer  unbedeutenden  militärischen  Ausrüstung  die  letzte  Entscheidung 
in  der  Hand.  Es  war  dies  die  Zeit  vor  der  Schlacht  bei  Pavia;  damals 
hat  der  leitende  Staatsmann  Englands,  Kardinal  Wolsey,  eine  beinahe 
schiedsrichterliche   Rolle  zwischen  Frankreich  und  dem   Hause  Oster- 


204  England. 

reich  zu  spielen  versucht.  Aber  dieser  Politik  fehlte  trotz  der  unge- 
brochenen finanziellen  Stärke  Englands  zu  sehr  die  reale  militärische 
Basis,  als  daß  sie  sich  lange  hätte  halten  können:  als  Pavia  und  die 
daran  anschließenden  militärischen  Operationen  gezeigt  hatten,  daß 
die  Superiorität  der  Waffen  definitiv  bei  den  Habsburgern  ruhte,  war 
es  auch  mit  der  einflußreichen  diplomatischen  Stellung  der  englischen 
Regierung  vorbei.  Hatte  doch  schon  im  Jahre  1521  der  päpstliche 
Nuntius  einmal  bemerkt,  der  englische  König  besitze  nicht  die  Macht, 
einer  gegebenen  Tatsache  gegenüber  Krieg  oder  Frieden  durchzusetzen 
(vgl.  W.  Busch,   »Drei   Jahre«,  S.  122). 

Die  Organisation  des  Gesandtschaftswesens  selbst  stand  mit  der 
allgemeinen  Konstitution  des  Tudorregimentes  im  Einklang.  Zu  diplo- 
matischen Vertretern  wurden  so  gut  wie  ausschließlich  Männer  gewählt, 
die  von  der  Regierung  abhängig  waren;  Angehörige  der  Magnaten- 
geschlechter hatten  keinen  Zutritt.  Die  Krone  erreichte  damit  nicht 
nur,  daß  ihre  Diplomaten  ihre  gefügigen  Werkzeuge  waren,  sondern 
auch,  daß  ihre  Gesandten  ihrer  neutralen  Politik  keine  Opposition 
machten.  Denn  bei  den  ehemals  herrschenden  alten  Familien  war  die 
neue  Versöhnungspolitik  gegenüber  Frankreich  nichts  weniger  als 
populär,  und  wenn  die  Regierung  ihre  mit  den  Interessen  des  Mittel- 
standes übereinstimmenden  Tendenzen  zur  Ausführung  bringen  wollte, 
so  mußte  sie  die  Barone  nach  Möglichkeit  von  der  auswärtigen  Politik 
fernhalten. 

Literatur.  Neben  den  Akten  selbst  ( die  vor  allem  in  den  »Calendars «  resümiert 
sind)  führen  in  die  auswärtige  Politik  Englands  gut  ein  die  beiden  Schriften  von 
Wilhelm  Busch,  »Drei  Jahre  englischer  Vermittlungspolitik,  1518  —  1521«  (1884), 
und  »Kardinal  Wolsey  und  die  englisch-kaiserliche  Allianz  1522  —  1525«  (1886). 
Gute  Bemerkungen  in  ähnlichem  Sinne  auch  bei  Pollard,  »Factors  in  Modern  History« 
(1907).  —  Arnold  Oskar  Meyer,  »Die  englische  Diplomatie  in  Deutschland  zur  Zeit 
Eduards  VI.  und  Marias«  1900  (Breslauer  Diss.). 

Daß  auch  für  England  die  Errichtung  ständiger  Gesandtschaften  etwas  voll- 
ständig Neues  war,  wird  negativ  gut  belegt  durch  die  Bemerkung  Fortescues  in  der 
»Governance  of  England«  (ed.  Plummer  1885,  p.  124  und  241  f.).  Diese  Schrift  gibt 
überhaupt  wohl  die  beste  zeitgenössische  Schilderung  des  politischen  Systems, 
wie  es  in  England  vor  den  Tudors  existierte;  es  sei  hier  auch  darauf  hingewiesen, 
wie  er  dafür  plädiert,  daß  der  König  nur  Männer  zu  Beamten  ernenne,  die  ganz  von 
ihm  abhingen  (p.  150f.),  obwohl  dabei  von  der  Wahl  der  (noch  nicht  bestehenden) 
ständigen  Gesandten  natürlich  nicht  die  Rede  ist. 

§  88.  Stellung  zu  Schottland.  Die  in  §  84  skizzierten  Verhältnisse 
lassen  es  unnötig  erscheinen,  die  Beziehungen  Englands  zu  den  übrigen 
Staaten  im  einzelnen  eingehend  darzustellen.  Nur  der  Stellung  zu 
Schottland  sei  ein  besonderer  Abschnitt  gewidmet. 

Es  ist  nicht  ganz  einfach,  das  Verhältnis  Englands  zu  Schottland 
zu  definieren.  Der  neue  Kurs,  den  die  englische  Regierung  nach  außen 
hin  eingeschlagen  hatte,  führte  sozusagen  von  selbst  dazu,  daß  die 
Angliederung  des  schottischen  Königreiches  an  das  englische  nun  das 
vornehmlichste  Ziel  der  auswärtigen  Politik  des  Landes  wurde,  schon 
nur  weil  sich  nur  auf  diesem  Wege  die   Sicherheit  gegen  militärische 


§  88.    Stellung  zu  Schottland.  205 

Angriffe  schaffen  ließ,  die  die  Voraussetzung  der  pazifisliselien  Ver- 
nachlässigung des  Rüstungswesens  war.  »Wenn  wir  heide  uns  in  Freund- 
schaft einen,  sind  wir  durchaus  imstande,  uns  gegen  alle  Völker  zu 
verteidigen;  haben  wir  die  See  als  unsere  Mauer,  gegenseitige  Zu- 
neigung als  unsere  Besatzung  und  Gott  zu  unserer  Verteidigung,  so 
brauchen  wir  uns  weder  im  Frieden  vor  irgendeiner  feindlichen  Macht 
zu  schämen  noch  im  Krieg  zu  ängstigen,«  schrieb  der  Protektor  Eng- 
lands im  Jahre  1548  an  das  schottische  Volk  (vgl.  Pollard,  '>>England 
linder  Protector  Somerset ((^  p.  163  f.).  Aber  weder  der  Adel  noch  gar  die 
Krone  zeigten  sich  in  Schottland  diesem  Projekt  einer  friedlichen  Ab- 
sorption freundlich  gesinnt,  und  es  blieb  also  nur  der  Weg  einer  gewalt- 
samen Unterwerfung  übrig.  Um  diese  Methode  mit  Erfolg  anwenden 
zu  können,  war  aber  eben  England  nicht  genügend  militärisch  gerüstet. 
An  Bevölkerungszahl  und  Finanzkraft  dem  nördlichen  Königreiche 
unendlich  überlegen,  in  der  offenen  Feldschlacht  auch  stets  siegreich, 
hatte  England  doch  sein  Militärwesen  viel  zu  wenig  systematisch  ge- 
pflegt (§  85),  als  daß  es  sich  an  einer  Annexion  des  Nachbarstaates 
hätte  versuchen  können. 

Dazu  kam  noch,  daß  die  militärische  Situation  sich  gerade  im 
Zusammenhange  mit  der  neuen  Orientierung  der  auswärtigen  Politik 
für  England  verschlechterte.  Seitdem  Frankreich  auf  dem  Festlande 
keine  ernsthaften  englischen  Angriffe  mehr  zu  fürchten  hatte,  lag  die 
Gefahr  vor,  daß  es  sich  im  Falle  eines  diplomatischen  Konfliktes  mit 
den  Schotten  gegen  England  zur  Offensive  verband,  und  diese  Even- 
tualität erschien  um  so  bedenklicher,  als  französischer  Sukkurs  die 
Schotten  gerade  in  der  Waffe  zu  verstärken  vermochte,  die  von  der 
englischen  Regierung  mangelhaft  gepflegt  worden  war,  nämlich  im 
Artillerie-  und  Fortifikationswesen.  Tatsächlich  ist  dieser  Fall  denn 
auch  verschiedentlich  eingetreten,  und  wenn  die  Franzosen  Söldner 
nur  in  geringer  Anzahl  nach  Schottland  abordneten,  so  pflegten  sie 
dafür  Geschütze,  Munition  und  Befestigungstechniker  in  reichem  Maße 
zu  entsenden,  und  die  englische  Flotte  war  nicht  imstande,  solche 
Transporte  zu  verhindern.  Dadurch  wurde  Schottland  ein  militärisch 
viel  gefährlicherer  Gegner  als  früher,  und  zugleich  wurde  seine  Unter- 
werfung die  direkte  Voraussetzung  diplomatischer  Handlungsfreiheit 
auf  dem  Kontinent.  Nicht  nur  um  unmittelbar  defensiver  Ziele  willen 
verlangten  nun  einzelne  englische  Staatsmänner  die  Angliederung 
Schottlands,  sondern  auch  um  gegen  Frankreich  nötigenfalls  aggressiv 
vorgehen  zu  können.  In  diesem  Sinne  sprach  sich  wenigstens  —  aller- 
dings noch  vor  Pavia  —  der  spätere  Minister  Thomas  Cromwell  (allem 
Anschein  nach)  im  Parlamente  im  Jahre  1523  aus  {»Life  and  Letters« 
1,  30ff. ;    vgl.    auch   Giustiniani   bei   Tommaseo,    »Relations«   I,    180). 

Wenn  die  französisch-schottische  Allianz  für  England  trotzdem 
keine  schlimmen  Folgen  gehabt  hat,  so  waren  daran  nur  die  inneren 
Zustände  in  Schottland  und  vor  allem  das  Eindringen  der  protestan- 
tischen Bewegung  schuld.    Kirchenpolitische  und  religiöse  Aspirationen 


206  England  —  Mailand. 

ließen  in  Schottland  die  nationale  Abneigung  gegen  eine  Verbindung 
mit  England  zurücktreten,  und  die  englische  Regierung  konnte  sich 
auf  der  Basis  dieser  gemeinsamen  Interessen  mit  der  schottischen 
Opposition  gegen  das  Königtum  vereinigen.  Dadurch  wurde  die  schot- 
tische Regierung  eines  guten  Teiles  ihrer  Mittel  im  Kampfe  gegen 
England  beraubt,  und  das  Bündnis  mit  Frankreich  vermochte  nicht 
eigentlich  Früchte  zu  tragen.  Es  liegt  hier  einer  der  wenig  zahlreichen 
Fälle  vor,  da  schon  damals  die  lutherische  Reformation  einen  Einfluß 
auf  die  auswärtige  Politik  ausübte.  Der  französische  Gesandte  am 
Kaiserhofe  konnte  bereits  im  Jahre  1548  versuchen,  Karl  V.  dadurch 
von  einer  Unterstützung  der  englischen  Regierung  abzuhalten,  daß  er 
den  Kaiser  darauf  hinwies,  eine  solche  Hilfeleistung  befördere  die  Ein- 
führung der  protestantischen  Religion  in  Schottland  (P.  de  Vaissiere, 
»Charles  de  Marillac«  [1896],  p.  93  f.). 

§  89.  Stellung  zu  den  übrigen  Staaten.  Die  Schilderung  der  Be- 
ziehungen, die  England  zu  den  übrigen  Staaten  unterhielt,  kann  kurz 
gehalten  werden;  diese  Verhältnisse  hatten  teils  überhaupt  nur  geringe 
Bedeutung,  teils  übten  sie  wenigstens  auf  das  damalige  zentrale  Problem 
der  europäischen  Politik  keinen  Einfluß  aus. 

Seitdem  die  englische  Regierung  mit  den  früheren  Zielen  ihrer 
auswärtigen  Politik  gebrochen  hatte,  folgte  auf  die  Gegnerschaft  zu 
Frankreich  zwar  nicht  sofort  freundschaftliches  Einvernehmen.  Ein 
latenter  Gegensatz  blieb  weiter  bestehen,  und  England  nahm,  sobald 
es  sich  überhaupt  in  die  kontinentalen  Händel  einmischte,  gleichsam 
von  selbst  seine  Position  bei  den  Feinden  Frankreichs,  zumal  solange 
das  französische  Königreich  als  die  militärisch  stärkste  Macht  die  Selb- 
ständigkeit der  Mittelstaaten  zu  bedrohen  schien.  Aber  ein  eigentlicher 
Konfliktsstoff  bestand  nicht  mehr.  Allerdings  hatten  die  Engländer 
als  letzten  Rest  ihrer  französischen  Eroberungen  das  Gebiet  von  Calais 
(mit  Guines,  Ardres  usw.)  behalten  und  waren  zunächst  um  so  mehr 
entschlossen,  an  diesem  Besitze  festzuhalten,  als  die  Beherrschung 
eines  festländischen  Stapelplatzes  wie  Galais  in  gleicher  Weise  den 
englischen  Handelsinteressen,  wie  den  finanziellen  Interessen  der  Krone 
förderlich  war  (vgl.  G.  Schanz,  »Handelspolitik«  I,  66).  Aber  wenn 
die  englische  Regierung  die  kommerzielle  Stellung  der  Stadt  zu  heben 
versuchte,  so  richteten  sich  ihre  Bestrebungen  gegen  die  Niederlande, 
nicht  gegen  das  nur  wenig  Handel  treibende  Frankreich  (vgl.  §27); 
als  Ausgangspunkt  für  militärische  Unternehmungen  bedeutete  der 
Ort  aber  keine  ernste  Gefahr,  da  die  Engländer  militärisch  wenig  leistungs- 
fähig waren  und  große  Mühe  hatten,  auch  nur  die  defensiven  ^^'erke  Calais 
gegen  die  Franzosen  in  genügendem  Stand  zu  erhalten.  So  vollzog  sich 
denn  auch,  als  am  Ende  der  Periode  England  auf  Calais  verzichtete,  in 
dem  gegenseitigen  Verhältnis  der  beiden  Staaten   keine  Veränderung. 

Anlaß  zu  Konflikten  hätte  eher  in  dem  Verhältnis  zu  den  Nieder- 
landen   vorliegen    können.     Aber   die    Position    Englands    als   des   den 


§  90.    Mailand.  207 

Rohstüif,  die  Wolle  für  die  flandrische  Industrie  liefernden  Landes  war 
so  viel  stärker  als  die  des  Gegners,  daß  die  häufigen  handelspolitischen 
Zwistigkeiten  ohne  Waffengewalt  in  der  Hauptsache  zugunsten  Eng- 
lands entschieden  werden  konnten.  —  Mit  der  Hanse  bahnten  sich 
Konflikte  damals  erst  an,  da  die  englische  Flotte  noch  zu  klein  war, 
als  daß  sie  die  Konkurrenz  mit  der  Schiffahrt  der  norddeutschen  Städte 
hätte  aufnehmen  können.  Immerhin  unterließ  die  enghsche  Regierung 
nicht,  mit  den  nordischen  Staaten,  besonders  Dänemark,  in  direkte 
Beziehungen  einzutreten,  um  die  dortige  Monopolstellung  der  Hanse 
für  den  englischen  Handel  nicht  zu  drückend  werden  zu  lassen.  Doch 
hatte  dies,  da  zwischen  der  Politik  der  Hansestädte  und  der  des  Kaiser- 
hauses kein  innerer  Zusammenhang  bestand,  für  die  Haltung  Englands 
in  den  großen  europäischen  Streitfragen  keine  Folgen.  Ähnliches  gilt 
von  den  handelspolitischen  Streitigkeiten  mit  Venedig. 

Solange  Frankreich  der  englischen  Regierung  noch  gefährlich 
schien,  d.  h.  vor  Pavia,  gehörte  neben  den  Habsburgern  auch  Spanien 
zu  den  Staaten,  mit  denen  das  Land  soweit  wde  möglich  gute  Beziehungen 
unterhielt.  Wichtige  Nachwirkungen  hat  aber  auch  dies  Verhältnis 
nicht  hinterlassen,  obwohl  die  wirtschaftlichen  Beziehungen  zu  Spanien 
nicht  unbedeutend  waren, 

B.  Die  kleineren  Staaten. 
1.  Die  am  Kampfe  um  Italien  unmittelbar  beteiligten  Staaten. 

§  90.  Mailand.  Mit  Mailand  beginnt  die  Reihe  der  Staaten,  die 
der  Historiker  nicht  mehr  als  Mitglieder  des  »Europäischen  Konzertes« 
(um  einen  Begriff  des  19.  Jahrhunderts  in  das  16.  zu  übertragen)  be- 
zeichnen kann.  Das  Herzogtum  gehörte  zu  den  Ländern,  die  sich  nur 
im  Gefolge  einer  oder  mehrerer  Großmächte  an  dem  entscheidenden 
internationalen  Konflikte  beteiligen  konnten;  an  dieser  Stelle  muß 
daher  eine  kurze  Notiz  genügen. 

Außerdem  ist  noch  in  Betracht  zu  ziehen,  daß  von  den  Klein- 
und  Mittelstaaten  der  eben  genannten  Kategorie  Mailand  am  raschesten 
seine  Selbständigkeit  verlor.  Das  Herzogtum  war  zwar  von  den  Staaten, 
die  unter  die  Hegemonie  der  Großmächte  fielen,  weder  der  kleinste 
noch  der  am  mangelhaftesten  organisierte;  aber  seine  geographisch- 
strategische Lage  war  die  ungünstigste,  und  seine  Eroberung  versprach 
größere  Vorteile  als  die  Beherrschung  eines  anderen  kleineren  Landes. 

An  sich  war  Mailand  eher  als  manche  andere  Staaten  befähigt, 
seine  Unabhängigkeit  zu  behaupten.  An  Bevölkerungszahl  (ungefähr 
1125000  Seelen)  stand  das  Herzogtum  in  Italien  nur  hinter  Neapel, 
Venedig  und  dem  Kirchenstaat  zurück,  an  Reichtum  nur  hinter  Venedig. 
Seine  Qualitätsindustrie  (Textilindustrie  in  Seide  und  Wolle,  Gold- 
brokat, Samt,  Waffenfabrikation)  hatte,  besonders  was  die  zuletzt 
genannte    Branche    betraf,    auf    dem    Weltmarkte    beinahe    Monopol- 


208  Kleinere  italienische  Staaten. 

Stellung  (sogar  die  gerühmten  Produkte  der  süddeutschen  Waffen- 
schmiede standen  hinter  den  in  Mailand  angefertigten  Schutzwaffen 
zurück),  und  als  Schnittpunkt  der  Handelsstraßen,  die  nach  dem  Gott- 
hard  zu  strebten,  war  Mailand  außerdem  ein  ansehnlicher,  wenn  schon 
an  Bedeutung  hinter  Venedig  zurückstehender  Handelsplatz.  Als  Folge 
dieser  prosperierenden  Exportindustrie  war  das  Herzogtum  allerdings 
dicht  bevölkert  (ca.  57  Einwohner  auf  den  Quadratkilometer),  und 
Commines  war  nicht  im  Unrecht,  wenn  er  (II,  260)  die  Lombardei  zu 
den  am  stärksten  besiedelten  Gegenden  seiner  Zeit  rechnet.  Aber  dieser 
Umstand  zog  hier  weniger  gefährliche  Folgen  nach  sich  als  in  anderen 
Industrie-  oder  Handelsstaaten,  vor  allem  als  in  Venedig.  Obwohl  die 
Kultur  des  Reises  sich  erst  auszubreiten  begann,  lieferte  sie  doch  schon 
ansehnliche  Beträge,  und  in  der  Regel  reichte  der  einheimische  Ge- 
treidebau noch  zur  Ernährung  aus;  ein  venezianischer  Gesandter  hebt 
denn  auch  einmal  ausdrücklich  die  außerordentliche  Fruchtbarkeit 
des  Mailändischen  hervor,  das  jede  Art  Lebensmittel  hervorbringe 
{»Relazioni«  ed.  Segarizzi  II  [1913],  63  [in  den  »Scrittori  d'Italia«]). 
Mailand  war,  was  den  Bezug  von  Lebensmitteln  betraf,  nur  für  das 
Salz  auf  das  Ausland  angewiesen. 

Aber  verlockte  schon  dieser  Reichtum  eher  zu  Angriffen  der  Groß- 
mächte, als  daß  er  einen  Schutz  dagegen  geboten  hätte,  so  kam  noch 
hinzu,  daß  dank  der  eigentümlichen  Entwicklung  der  Marineverhält- 
nisse im  Mittelländischen  Meer  die  Beherrschung  Mailands  der  eigent- 
liche Schlüssel  zur  Hegemonie  über  Italien,  zu  dem  Hauptziele  der 
damaligen  internationalen  Politik  also,  war.  Wer  Mailand  besaß,  ver- 
fügte auch  über  die  wichtigste  Voraussetzung,  um  Genua  abhängig 
zu  machen,  und  das  hieß,  daß  dem  Herrn  des  Herzogtums  die  einzige 
große  Marine  zu  Gebote  stand,  die  im  Mittelmeer  überhaupt  von  den 
Großmächten  unbeschränkt,  d.  h.  ohne  lästige  Allianzverpflichtungen 
in  Dienst  genommen  werden  konnte.  Mailand  war  also,  seitdem  ein- 
mal der  Kampf  um  Italien  ausgebrochen  war,  militärisch  so  wertvoll 
geworden,  daß  die  Großmächte  seine  Selbständigkeit,  genauer  gesagt 
die  Möglichkeit,  daß  es  von  der  rivalisierenden  Gruppe  okkupiert  werden 
könnte,  als  eine  Gefahr  empfanden. 

Wie  hätte  sich  das  Herzogtum  gegenüber  solchen  Aspirationen 
verteidigen  können!  Dem  Nachteil  seiner  offenen  Grenzen  suchte  die 
Regierung  zwar  durch  Festungsbauten  abzuhelfen,  von  denen  min- 
destens zwei  (die  Zitadelle  von  Mailand  und  Gremona)  zu  den  stärksten 
Fortifikationsanlagen  wenigstens  Italiens  gehörten.  Aber  so  wertvoll 
sich  diese  Befestigungen  auch  erwiesen,  so  war  damit  kein  unangreif- 
bares Bollwerk  geschaffen,  wie  es  Venedig  in  seiner  Hauptstadt  besaß. 
Auch  konnte  damit  die  Eroberung  des  Landes  nur  aufgehalten,  aber 
nicht  verhindert  werden.  Dazu  kam  noch,  daß  es  in  anderen  Waffen- 
gattungen bei  weitem  schlechter  stand.  An  leistungsfähigen  Reisigen 
fehlte  es  so  gut  wie  ganz,  und  leichte  Kavallerie  war  noch  weniger  zu 
erhalten,  so  daß  sich  die   Regierung  gelegentlich  zur  Anwerbung  von 


§  90.    Mailand.  209 

Stradioten  bis  nach  Triest  wenden  mußte  (L.  G.  Pelissier,  »Louis  XII 
et  Ludoüic  Sforza«  I  [1896],  434).  Die  Geschütze  mußten  aus  dem 
Auslande  (Venedig)  bezogen  werden,  da  die  mailändische  Industrie 
offenbar  für  die  Herstellung  von  Feuerwaffen  nicht  eingerichtet  war. 
Nicht  einmal  über  eine  nach  modernen  Prinzipien  geschulte  Infanterie 
verfügte  die  mailändische  Regierung  unbedingt.  Der  Staat  war  zwar 
finanzkräftig  genug,  um  die  mangelhaften  einheimischen  Truppen  durch 
bessere  fremde  Söldner  zu  ergänzen  oder  zu  ersetzen.  Aber  einer  rich- 
tigen Ausnutzung  dieser  günstigen  Lage  stellten  sich  politische  Schwierig- 
keiten entgegen.  Am  natürlichsten  wäre  es  gewesen,  wenn  die  mai- 
ländischen  Herzoge  brauchbare  Infanteriesöldner  aus  dem  Ursprungs- 
lande der  neuen  Taktik,  den  schweizerischen  Kantonen,  bezogen  hätten. 
Sie  strebten  auch  dahin,  und  da  sie  außerdem  noch  mit  Hilfe  einer  even^ 
tuellen  Kornsperre  auf  die  getreidearmen  Gebirgskantone  eine  ökonom- 
ische Pression  ausüben  konnten,  so  schienen  sie  auf  den  Zuzug  schweizer- 
ischer »Knechte«  rechnen  zu  können.  Aber  die  Eidgenossen  nahmen 
Mailand  gegenüber  eine  andere  Stellung  ein  als  gegenüber  Frankreich.  Mit 
diesem  bestanden  keine  Konfliktsstoffe;  das  Herzogtum  Mailand  lag 
dagegen,  zumal  für  die  Urkantone,  die  aus  verschiedenen  Gründen 
am  ehesten  in  der  Lage  waren,  Söldner  abzugeben,  innerhalb  der  Aus- 
dehnungssphäre,  auf  die  sie  schon  lange  ihren  Blick  gelenkt  hatten. 
Es  widersprach  daher  den  schweizerischen  Interessen,  Mailand  zu 
stärken;  denn  die  Aspirationen  der  Eidgenossen  auf  die  Gebiete  süd- 
lich der  Alpen  ließen  sich  nur  erfüllen,  wenn  das  Herzogtum  schwach 
war  und  sich  um  sich  ihre  Hilfe  zu  erkaufen,  zu  territorialen  Kon- 
zessionen verstehen  mußte.  Noch  im  Jahre  1520  (d.  h.  kurz  bevor  die 
Reformation  die  Expansionspolitik  der  Schweizer  lahmlegte)  meinte 
ein  venezianischer  Gesandter,  Mailand  würde  nächstens  ein  schwei- 
zerischer Kanton  werden,  und  besonders  Como  werde  nächstens  in 
eidgenössische  Gewalt  fallen  {»Relazionin  ed.  Segarizzi  II,  29).  Es  ist 
daher  verschiedentlich  vorgekommen,  daß  Gesuche  der  mailändischen 
Regierung  um  den  Abschluß  einer  »Kapitulation«  von  den  Eidgenossen 
abgelehnt  wurden  (vgl.  z.  B.  Gagliardi  im  »Jahrbuch  für  schweizerische 
Geschichte«  XXXIX  [1914],  151*  f.).  Wohl  versuchte  Mailand,  Surro- 
gate zu  finden,  etwa  Walliser  Söldner  oder  Landsknechte  anzuwerben. 
Aber  ein  gleichwertiger  Ersatz  für  die  schweizerischen  Infanteristen 
war  damit  nicht  geschaffen.  Dazu  kamen  noch  Schwierigkeiten  anderer 
Art.  Das  mailändische  Regiment  war  lange  nicht  so  populär  wie  die 
milde  venezianische  Herrschaft,  die  die  Untertanenstädte  nur  wenig  zu 
den  Kosten  der  Regierung  heranzog,  und  die  Herzoge  konnten  in  Kriegs- 
zeiten von  der  Loyalität  der  Städte  wenig  erwarten.  Die  kleinen  ita- 
lienischen Gondottierefürsten  zogen,  wie  es  scheint,  den  Dienst  bei 
Venedig  dem  bei  Mailand  vor  und  waren  vielfach  für  die  Herzoge  erst 
erhältlich,  nachdem  sie  Venedig  entlassen  hatte;  man  darf  annehmen, 
daß  die  Markusrepublik  nicht  nur  besser  bezahlte  als  das  mailändische 
Herzogtum,  sondern  für  langfristige  Verträge  auch  größere  Garantien  bot. 

Fuet  er],  Europ.^Staatensystem.  14 


210  Kleinere  italienische  Staaten. 

Aber  selbst  wenn  die  Herzoge  von  Mailand  über  eine  stärkere 
Armee  verfügt  hätten,  so  wäre  es  aus  den  zu  Beginn  dieses  Paragraphen 
angeführten  Gründen  nicht  wahrscheinlich  gewesen,  daß  der  Staat 
seine  Selbständigkeit  hätte  behaupten  können.  Mailand  war  nun 
einmal  nach  Areal  und  Bevölkerungszahl  nicht  imstande,  den  Kampf 
mit  einer  Großmacht  aufzunehmen,  und  moralische  Bedenken  wie 
diejenigen,  die  den  Kirchenstaat  vor  der  Annexion  schützten  (§  92), 
bestanden  zu  seinen  Gunsten  keine. 

Außerdem  stieg  der  Wert  seines  Besitzes  noch  während  der  hier 
behandelten  Periode  in  bedeutendem  Maße.  Seitdem  die  habsburgische 
Personalunion  zwischen  Österreich,  den  Niederlanden  und  Spanien 
erfolgt  war,  gewann  nicht  nur  die  Verfügung  über  die  genuesische 
Marine  noch  größere  Wichtigkeit  als  vorher,  sondern  die  Beherrschung 
des  Landes  garantierte  der  habsburgischen  Regierung  auch  allein  eine 
rasche  Verbindung  zwischen  Spanien  und  Österreich. 

Literatur.  Fr.  Malaguzzi-Valeri,  )>La  Corte  di  Lodovico  il  Moro«,  1913.  Vieles 
Hierhergehörige  bieten  ferner  die  Arbeiten  Pelissiers  über  die  französische  Herr- 
schaft in  Mailand:  »Louis  XII  et Ludovic  Sforza«  2  vol.  1896;  »Documents  pour  rhis- 
toire  de  la  Domination  frangaise  dans  le  Milanais«,  1891,  und  die  Diarien  Sanutos; 
die  Venezianer  Heßen  sich  begreiflicherweise  aus  Mailand  besonders  regelmäßig 
und  eingehend  berichten. 

Mailand  und  Genua  heißen  die  Schlüssel  zur  Herrschaft  über  Italien  in  dem 
Gutachten  Gattinaras  an  den  Kaiser  aus  dem  Jahre  1523/24  bei  Ernest  Gossart, 
»Notes  pour  servir  ä  Vhistoire  du  regne  de  Charles-Quint«  in  den  Denkschriften  der 
belgischen  Akademie  55  (1897),  p.  112;  vgl.  ferner  ibid.  p.  70f.  Mailand  war  dank 
seiner  Beherrschung  Genuas  zu  Beginn  der  hier  behandelten  Periode  in  der  Lage, 
seinen  Bundesgenossen  »armierte«  Schiffe  (vergl.  §  14)  anzubieten:  »Lettres  de 
Charles  VIII«  V  (1905),  48  ff.  und  64  f. 

Über  die  wirtschaftlichen  Beziehungen  zwischen  den  Schweizern  und  Mailand 
vieles  in  der  im  Text  zitierten  Abhandlung  von  E.  Gagliardi  im  »Jahrbuch  für 
schweizerische  Geschichte«  39  und  40.  Wie  groß  die  Vorteile  waren,  die  die  Herzoge 
den  Eidgenossen  als  Kompensation  für  Werbelizenzen  neben  der  freien  Einfuhr 
von  Getreide  und  Salz  gewährten,  geht  schon  daraus  hervor,  daß  deutsche  Kauf- 
leute versuchten,  ihre  Ware  als  schweizerische  Fabrikate  einzuschmuggeln,  um  die 
Privilegien  der  Schweizer  auszunutzen  (Schreiben  der  mailändischen  Zöllner  aus 
dem  Jahre  1498  bei  A.  Schulte,  »Mittelalterlicher  Handel«  II  [1900],  97 f.). 

Durch  eine  Getreideausfuhrsperre  einen  Druck  auf  die  Eidgenossen  auszu- 
üben, schlug  bereits  im  Jahre  1475  der  Sindaco  von  Biasca  dem  Herzog  vor:  »De- 
peches  des  Ambassadeurs  milanais«  I   (1858),  256. 

Charakteristisch  ist,  daß  1499  als  Waffen,  die  von  Mailand  an  Kaiser  Maxi- 
milian geliefert  werden,  Lanzen  und  Brustharnische,  aber  keine  Feuerwaffen  genannt 
werden  (Gagliardi  im  »Jahrbuch«  40,84*).  Ludovico  Sforza  mußte  damals  seine  Ge- 
schütze aus  Brescia  kommen  lassen  (Pelissier,  »Louis  XII«  I,  437  und  443),  wo 
Kanonen  sogar  nach  französischen  Modellen  verfertigt  wurden  (W.  H.  Woodward, 
»Cesare  Borgia«,  1913,  p.  254).  Damit  steht  auch  im  Einklang,  daß  die  Befestigungs- 
anlagen mancher  mailändischen  Städte  als  der  französischen  Artillerie  in  keiner 
Weise  gewachsen  galten  (Pelissier  1.  c.  I,  464).  Wenn  also  einmal  ein  venezianischer 
Gesandter  meint,  die  Mailänder  seien  so  sehr  an  der  Waffenfabrikation  interessiert, 
daß  sie  gern  immerfort  Krieg  hätten  {Relazioni,  ed.  Segarizzi  II  [1913],  18),  so 
bezieht  sich  dies  nicht  auf  die  Herstellung  von  Feuerwaffen. 

Zur  Organisation  des  diplomatischen  Dienstes  in  Mailand  vgl.  die  Bemer- 
kung in  §  3. 


§  91.    Florenz.  211 

§  91.  Florenz.  Die  Republik  (später  Herzogtum)  Florenz  vermochte 
im  Gegensatz  zu  Mailand  ihre  nominelle  Selbständigkeit  zu  behaupten 
und  gegen  Ende  der  Periode  sogar  ihr  Gebiet  um  das  Areal  der  Nach- 
barrepublik Siena  zu  erweitern.  Aber  es  wäre  unrichtig,  wenn  man 
daraus  schließen  wollte,  daß  der  Staat  eine  stärkere  Potenz  innerhalb 
des  europäischen  Staatensystems  gebildet  hätte.  In  Wirklichkeit  wurde 
Florenz  vielmehr  wie  andere  kleine  Gemeinwesen  in  Italien  nur  durch 
seine  Schwäche  vor  völligem  Untergang  gerettet.  Seine  geringe  mili- 
tärische Leistungsfähigkeit,  noch  mehr  aber  die  Gegensätze  innerhalb 
der  Bürgerschaft  der  Hauptstadt,  die  dazu  führten,  daß  eine  stabile 
Regierung  nur  mit  Hilfe  einer  ausländischen  Militärmacht  geschaffen 
werden  konnte,  hatten  zur  Folge,  daß  die  Großstaaten  das  Land  in 
Form  eines  Protektorates  von  sich  abhängig  zu  machen  vermochten, 
ohne  zur  Annexion  zu  schreiten  wie  im  Falle  Mailands.  Dazu  kam 
allerdings  noch,  daß  der  Besitz  des  florentinischen  Gebietes  vom  mili- 
tärischen Standpunkte  und  vor  allem  für  die  Seeherrschaft  bei  weitem 
nicht  die  Bedeutung  hatte  wie  die  Herrschaft  über  Mailand;  das  Land 
repräsentierte  somit  für  die  Großmächte  einen  geringeren  Wert.  Wie 
sehr  dies  in  Betracht  fiel,  d.  h.  wie  sehr  gerade  dieser  Umstand  von 
einer  direkten  Okkupation  absehen  ließ,  wird  wohl  durch  nichts  deut- 
licher belegt  als  durch  die  Tatsache,  daß  der  Punkt  der  toskanischen 
Küste,  der  für  die  Schiffahrt  die  größte  Wichtigkeit  hatte,  nämlich 
Piombino,  von  den  Habsburgern  der  florentinischen  Regierung  nie 
bleibend  überlassen  wurde  (vgl.  über  die  Bedeutung  des  Fürstentums 
für  den  Kaiser  z.  B.  Mendozas  Schreiben  aus  dem  Jahre  1548  bei  Döl- 
linger,  »Beiträge  zur  politischen  usw.  Geschichte«  I  [1862],  147  f.). 
Von  dem  Besitze  Piombinos  hing  eben  für  die  über  Italien  herrschende 
Macht  zu  viel  ab,  als  daß  man  diesen  Küstenstrich  sogar  in  den  Händen 
eines  so  loyalen  Gefolgsmannes  wie  des  Herzogs  Cosimo  hätte  lassen 
mögen;  was  das  übrige  florentinische  Gebiet  betraf,  so  war  die  Gefahr 
eines  eventuellen  Abfalles  weniger  bedenklich. 

Florenz  (das  hier  natürlich  überall  ohne  den  erst  gegen  Ausgang 
der  Periode  erfolgten  Zuwachs  des  Gebietes  von  Siena  betrachtet  wird) 
stand  sowohl  an  Ausdehnung  des  Areals  wie  an  Bevölkerungszahl 
hinter  den  übrigen  italienischen  Mittelstaaten  zurück:  sein  Territorium 
war  sogar  noch  kleiner  als  das  mailändische,  und  der  Bevölkerung 
(750000  bis  800000  Seelen)  nach  war  der  Abstand  noch  größer.  Die 
Republik  hatte  vor  Mailand  nur  voraus,  daß  ihr  Gebiet  ans  Meer  grenzte ; 
aber  da  sie  keine  Flotte  besaß  und  von  den  Küstenstädten  mindestens 
Pisa  gerade  während  des  damaligen  Zeitraumes  sich  als  unzuverlässiger 
Besitz  erwies,  so  war  dieser  Vorzug  von  geringem  Werte  und  kam 
vielleicht  nicht  einmal  dem  Nutzen  gleich,  der  für  Mailand  aus  der 
natürlichen  Beherrschung  Genuas  entsprang. 

Dazu  kam  noch,  daß  in  keinem  anderen  Staate  des  damaligen  Ita- 
liens der  Ertrag  der  kapitalproduzierenden  Arbeit  relativ  so  stark 
abgenommen  hatte  wie  in  Florenz.    Die  Industrie  Mailands  wies  keinen 

14* 


212  Kleinere  italienische   Staaten. 

Rückgang  auf,  ebensowenig  zunächst  der  Handel  Venedigs,  und  die 
süditalienischen  Gegenden  sahen  keine  Verminderung  ihres  Exportes 
an  Getreide  und  anderen  Rohstoffen.  Die  Woll-  und  Seidenindustrie 
von  Florenz  war  dagegen  seit  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  nach  der 
Zahl  der  Betriebe  wie  der  Fabrikate  beständig  zurückgegangen,  und 
dieser  Prozeß  setzte  sich  während  der  hier  behandelten  Periode  noch 
weiter  fort.  Ursprünglich  wurde  davon,  wie  es  scheint,  hauptsächlich 
im  Zusammenhange  mit  dem  neuen  handelspolitischen  Kurs  der  eng- 
lischen Regierung  vornehmlich  die  Wollemanufaktur  betroffen;  aber 
in  den  späteren  Jahrzehnten  ging  auch  die  Seidenindustrie,  die  übrigens 
immer  nur  als  »secondo  membroa  galt  (Varchi,  »Storia  jiorentina«  IX,  44), 
den  Weg  des  Verfalls:  sie  war  weniger  als  die  venezianische  oder  mai- 
ländische  Luxusindustrie  imstande,  sich  den  auf  Förderung  der  ein- 
heimischen Seidenindustrie  gerichteten  Bestrebungen  der  französischen 
Regierung  gegenüber  zu  behaupten.  Ersatz  wurde  vor  1559  dafür 
noch  nicht  geschaffen:  die  toskanische  Strohindustrie  fand  erst  später 
Eingang,  und  im  Bankgewerbe  hatte  Florenz  schon  seit  längerem 
hinter  kleineren  Städten  wie  Lucca  und  Siena  zurücktreten  müssen. 
Noch  gehörte  Florenz  zwar  zu  den  reichen  Städten,  und  noch  ermög- 
lichten die  aus  früheren  Perioden  vorhandenen  Kapitalien  der  Stadt 
eine  aktive  Teilnahme  an  der  internationalen  Politik.  Aber  die  Basis 
war  prekär  und  nahm  von  Jahr  zu  Jahr  an  Tragfähigkeit  ab. 

Der  neu  eröffnete  Kampf  der  Großmächte  um  Italien  traf  außer- 
dem die  Finanzen  von  Florenz  in  besonders  empfindlicher  Weise.  Da 
die  Stadt  keine  eigene  Flotte  besaß,  so  war  sie  für  den  Vertrieb  ihrer 
Produkte  durchaus  auf  die  Gefälligkeit  fremder  Staaten  angewiesen; 
Handel  und  Produktion  in  Florenz  hingen  davon  ab,  ob  ausländische 
Mächte  Schiffe  stellten  oder  den  Transit  durch  ihr  Landgebiet  erlaubten. 
Der  wichtigste  Landweg  führte  nun  durch  das  Territorium  eines  der 
hauptsächlichsten  Konkurrenten,  nämlich  Venedigs,  und  wenn  schon 
die  Florentiner  venezianischen  Transitsperren  gegenüber  einmal  daran 
dachten,  ihre  Waren  über  Ancona  nach  Triest  zu  versenden  (Suriano 
bei  Alberi  II,  5,  421  f.),  so  war  dies  doch  offenbar  nur  ein  Notbehelf. 
Noch  schlimmer  war  aber,  daß  durch  die  Abhängigkeit  Genuas  von 
den  Habsburgern  die  Ausfuhr  florentinischer  Fabrikate  nach  dem 
bedeutendsten  Markte,  nämlich  Lyon  über  Genua  (und  auf  genuesi- 
schen Schiffen),  zeitenweise  unmöglich  gemacht  worden  war,  ferner 
die  Abhängigkeit  von  Frankreich,  in  der  sich  Florenz  infolge  der  expo- 
nierten Lage  des  Lyoner  Platzes  befand.  Auch  wenn  die  Wirkung 
solcher  Sperren  durch  einen  ausgebreiteten  Schmuggeldienst  abge- 
schwächt wurde,  so  wurden  doch  damit  zugleich  auch  die  Spesen  pro- 
portional erhöht,  und  eine  Industrie  wie  die  florentinische,  die  so  wenig 
nach  Technik  oder  Qualität  monopolartigen  Charakter  hatte,  litt  dar- 
unter ganz  besonders  in  ihrer  Konkurrenzfähigkeit.  Möglicherweise 
erschwerte  dieser  Umstand  sogar  die  Einfuhr  unentbehrlicher  Roh- 
stoffe.   Denn  wenn  Florenz  ebensowenig  wie  Flandern  die  Wolle,  die 


§  91.   Florenz.  213 

zu  feinen  Tuchen  nötig  war,  selbst  produzierte,  so  war  es  dazu  nicht 
einmal  imstande,  die  Versorgung  mit  Hilfe  eigener  Schiffe,  durchzu- 
führen. Ähnlich  stand  es  mit  der  Getreidezufuhr:  Florenz  produzierte, 
wie  es  seiner  industriellen  Entwicklung  entsprach,  für  gewöhnlich 
nicht  mehr  ausreichend  Korn  zur  Ernährung  seiner  Bewohner  und 
war  auch  in  dieser  Beziehung  in  der  Regel  auf  Zufuhr  aus  dem  Aus- 
lande angewiesen.  Aber  politisch-militärisch  fiel  dieser  Umstand  nicht 
ins  Gewicht;  diese  Abhängigkeit  des  Staates  scheint  vom  Auslande 
nie  ausgenutzt  worden  zu  sein,  eine  Getreidesperre  hätte  die  Stadt 
auch  lange  nicht  so  scharf  getroffen  wie  die  Unterbindung  ihres  Handels- 
verkehrs. 

Und  doch  war  der  Kapitalreichtum,  der  der  Stadt  immer  noch 
zur  Verfügung  stand,  ihr  wertvollster  Besitz,  die  wichtigste  Unter- 
stützung, die  sie  den  kriegführenden  Großstaaten  als  Bundesgenosse 
zu  bieten  vermochte.  Denn  mit  den  eigentlich  kriegerischen  Macht- 
mitteln war  es  schlimm  bestellt.  An  sich  waren  die  Söldnerheere,  die 
der  Staat  in  seine  Dienste  nahm,  nicht  schlechter  als  die  anderer  ita- 
lienischer Gemeinwesen,  was  freilich  den  großen  Militärstaaten  des 
Auslandes  gegenüber  nicht  viel  heißen  wollte.  Aber  es  bestand  der 
Nachteil,  daß  Florenz  so  wenig  wie  Mailand  ein  unzerstörbares  Zentrum 
besaß,  von  dem  aus  sich  der  Widerstand  gegen  das  Ausland  immer 
wieder  organisieren  ließ.  Florenz  hatte  keinen  unangreifbaren  Kern, 
der  stets  einen  Rest  von  Selbständigkeit  garantierte,  und  wenn  schon 
das  Gebiet  der  Republik  für  militärische  Angriffe  weniger  ungünstiger 
lag  als  das  Mailands  und  ihr  Territorium  daher  etwas  weniger  häufig 
von  den  internationalen  Kriegsoperationen  in  Mitleidenschaft  gezogen 
wurde  als  jenes,  so  war  damit  für  die  Unabhängigkeit  des  Staates  wenig 
gewonnen.  Die  florentinische  Regierung  hat  es  zwar  nicht  an  Ver- 
suchen fehlen  lassen,  diesem  unbefriedigenden  Zustande  abzuhelfen, 
und  wie  andere  italienische  Staaten  der  Zeit,  wie  vor  allem  Cesare 
Borgia  in  der  Romagna,  unternahm  sie  es,  die  angeworbene  Infanterie 
durch  eine  Miliz  nach  schweizerischer  Art  zu  ersetzen;  aber  sowohl 
politische  wie  militärisch-technische  Gründe  verhinderten,  daß  diese 
Experimente,  die  dank  der  bestimmenden  Mitwirkung  Machiavellis 
allgemein  bekannt  geworden  sind,  einen  praktischen  Erfolg  zeitigten. 

Diese  politischen  Gründe  hingen  nicht  zum  mindesten  mit  der 
ungenügend  fundierten  Herrschaft  der  Stadt  über  ihr  Gebiet,  vor 
allem  über  die  größeren  Untertanenstädte,  zusammen.  Das  florenti- 
nische Regiment  konnte  sich  nicht  wie  das  venezianische  auf  die  mo- 
ralische Zustimmung  der  Untertanen  stützen,  und  um  die  ehemals 
selbständigen  Städte  wider  ihren  Willen  festzuhalten,  wenn  diese 
das  Ausland  zu  ihrer  Unterstützung  anriefen,  reichten  die  Macht- 
mittel der  Republik  nicht  aus.  Es  war  eben  nicht  zu  vermeiden,  daß 
die  privilegierte  Stellung  der  hauptstädtischen  Bürgerschaft  bei  den 
Bewohnern  der  anderen  Städte,  besonders  der  größeren,  das  Gefühl 
des    Zurückgesetztseins    nicht    aussterben    heß;    erst    das    Regierungs- 


214  Kleinere  ilalienische  Staaten. 

System  der  Großherzoge,  das  mit  den  Vorrechten  der  Hauptstadt 
brach  und  z.  B.  das  florentinische  Bürgerrecht  auf  den  ganzen  Staat, 
d.  h.  auf  alle  Städte  und  terre  nobili  ausdehnte  (1555),  hat  dann  diesem 
Zustande  ein  Ende  bereitet.  Die  Behauptung  und  Erweiterung  des 
Territoriums  konnte  so  nur  auf  rein  militärischem  Wege  durchgeführt 
werden;  wenn  es  der  Stadt  schließlich  auch  gelang,  das  abgefallene 
Pisa  wieder  zurückzuerobern,  so  verlangte  diese  Operation  doch  un- 
verhältnismäßig große  Kraftaufwendungen  und  reduzierte  dadurch 
in  entsprechendem  Maße  die  Mittel,  die  dem  Staate  im  Kampfe  gegen 
die  Großmächte  zur  Verfügung  standen. 

Dabei  waren  die  Söldnerarmeen,  die  die  Stadt  anwarb,  noch  die 
einzige  Waffe,  auf  die  sich  Florenz  zu  stützen  vermochte.  Eine  Kriegs- 
marine besaß  der  Staat,  der  ja  auch  so  gut  wie  keine  Handelsmarine 
unterhielt,  nicht  einmal  in  den  ersten  Anfängen.  Pisa  hatte  als  Hafen 
kaum  mehr  irgendwelche  Bedeutung,  und  der  Ausbau  Livornos  fällt 
erst  in  die  Zeit  der  Großherzoge.  Dazu  scheinen  selbst  die  Anlagen 
zur  Verteidigung  der  Küste  mangelhaft  unterhalten  worden  zu  sein. 
Florenz  blieb  daher  von  vornherein  von  einer  entscheidenden  Mit- 
wirkung in  all  den  Kriegen  ausgeschlossen,  deren  Ausgang  durch  die 
Machtverhältnisse  zur  See  mitbestimmt  wurde,  d.  h.  von  den  aller- 
meisten Kriegen  jener  Periode  überhaupt.  Daß  der  Staat  infolge  davon 
wie  bereits  erwähnt,  in  den  Augen  der  rivalisierenden  Großmächte 
auch  ein  geringeres  Wertobjekt  darstellte  als  z.  B.  das  über  Genua 
verfügende  Herzogtum  Mailand,  gereichte  der  nominellen  politischen 
Selbständigkeit  des  Landes  allerdings  zum  Vorteil,  war  aber  doch 
anderseits  ein  bedenkliches  Symptom  für  die  untergeordnete  Bedeutung 
der  florentinischen  W^ehrmacht. 

War  Florenz  schon  aus  diesen  Gründen  dazu  genötigt,  als  Mittel- 
staat den  Konflikten  der  Großmächte  gegenüber  Reserve  zu  bewahren, 
so  kam  noch  hinzu,  daß  die  immerhin  nicht  unbeträchtlichen  finan- 
ziellen Mittel,  über  die  die  Stadt  auch  damals  noch  disponierte,  im 
Kampfe  mit  den  ausländischen  Mächten  nur  ungenügend  ausgenutzt 
werden  konnten.  Es  fehlte  an  einer  stabilen  Regierung,  die  ihre  ge- 
samte Kraft  hätte  auf  die  Abwehr  nach  außen  —  sowohl  dem  Terri- 
torium wie  den  anderen  Staaten  gegenüber  —  hätte  konzentrieren 
können.  Schon  die  ersten  Jahre  des  hier  behandelten  Zeitraumes 
sahen  den  Zusammenbruch  des  bisher,  wenn  auch  nicht  formell,  so 
doch  faktisch  bestehenden  mediceischen  Regimentes,  und  von  da  an 
herrschten  beinahe  bis  zum  Ausgang  der  Periode  revolutionäre  Zustände, 
insofern  keine  Regierung  mehr  über  eine  sichere  unangefochtene  Basis 
innerhalb  der  hauptstädtischen  Bürgerschaft  verfügte.  Es  lag  nahe, 
daß  die  vertriebene  Partei  dabei  die  Intervention  des  Auslandes  anrief, 
und  da  der  Zufall  es  fügte,  daß  zweimal  (unter  Leo  X.  und  Klemens  VIL) 
ein  Mitghed  des  Geschlechtes  Medici  den  Stuhl  Petri  bestieg,  so  ver- 
knüpfte sich  das  Schicksal  der  florentinischen  Verfassung  auch  noch 
mit   den   Beziehungen   des    Kirchenstaates    zu   den    Großmächten.     So 


.     §  92.    Der   Kirchenstaat.  215 

trat  denn  ein  Zustand  ein,  wie  er  in  schlimmerer  Gestalt  nur  noch  in 
Genua  existierte.  Die  um  die  oberste  Gewalt  im  Staate  kämpfenden 
Parteien  waren  genötigt,  sich  an  eine  ausländische  Großmacht  anzu- 
lehnen, und  der  Sieg  der  Medici  hat  schließlich  nur  darauf  beruht, 
daß  sie  sich  an  die  stärkere  Macht  wandten  als  die  Republikaner.  Die 
Verteidigung  eigentlich  florentinischer  Interessen  mußte  vor  diesem 
Konflikte  zurücktreten.  Wenn  die  Stadt  gegenüber  Ständestaaten  da- 
durch einen  gewissen  Vorsprung  hatte,  daß  die  reichsten  Bürger  in 
der  Hauptsache  auch  die  Regierung  führten  und  es  daher  zur  Auf- 
bringung der  finanziellen  Mittel  keiner  Verhandlungen  mit  Körper- 
schaften bedurfte,  die  andere  Ziele  verfolgten  als  die  Regierung,  so 
wurde  dieser  Vorteil  durch  die  Machtkämpfe  innerhalb  der  regierenden 
Bürgerschaft  mehr  als  aufgehoben. 

Literatur,  t'ber  die  florentinische  Miliz  vgl.  das  schon  mehrfach  angeführte 
Werk  von  M.  Hobohrn  (§5).  Zur  Wirtschaftsgeschichte  ist  vor  allem  der  zweite 
Band  von  Georges  Renards  »Histoire  du  Travail  ä  Florence«  (1914)  heranzuziehen, 
obwohl  darin  das  16.  Jahrhundert  nur  summarisch  und  flüchtiger  als  frühere  Perioden 
behandelt  ist.  Ferner  Pöhlmann,  »Die  Wirtschaftspolitik  der  Florentiner  Renaissance« 
1878  und  A.  Doren,  »Studien  aus  der  Florentiner  Wirtschaftsgeschichte«,  1901—08. 
Dann  die  venezianischen  Relationen  (bei  Alberi  II,  5).  Der  eingehende,  beschreibende 
Abschnitt  im  neunten  Buch  von  Varchis  »Florentinischer  Geschichte«  handelt  fast 
nur  von  der  Hauptstadt. 

Die  geringe  Bedeutung,  die  Florenz  von  der  Diplomatie  zugemessen  wurde, 
wird  auch  dadurch  illustriert,  daß  der  Herzog  Cosimo  zwar  in  Venedig  Gesandte 
unterhielt,  die  Markusrepublik  sich  aber  nicht  zur  Reziprozität  verstehen  wollte 
(vgl.  §3).  Venedig  stellte  in  seiner  ablehnenden  Antwort  Florenz  auf  eine  Linie 
mit  Mantua  und  Ferrara  (Mocenigo  in  den  »Fontes  Rerum  Austriacarum«  II,  30). 
Über  die  Organisation  des  auswärtigen  Dienstes  einige  Notizen  bei  A.  Renaudet, 
»Les  Sources  de  Vhistoire  de  France  aiix  archiocs  d'Etat  de  Florence<i  (1910)  (mit  weiteren 
Literaturangaben).  —  Manfroni,    »Marina  da  guerra  del  granducato  Mediceo«  1895  f. 

§  92.  Der  Kirchenstaat.  Auch  bei  der  Schilderung  des  Kirchen- 
.staates  ist  es  schwer,  genaue  und  für  die  ganze  Periode  zutreffende 
statistische  Daten  zu  geben,  und  noch  schwerer  ist  es,  diese  Daten  auf 
ihre  politisch-militärische  Bedeutung  hin  richtig  einzuschätzen.  Denn 
das  Gebiet  des  päpstlichen  Staates  veränderte  sich  nicht  nur  während 
des  hier  behandelten  Zeitraumes  dem  äußeren  Umfange  nach,  zumal 
was  die  Ausdehnung  der  Gewalt  der  Zentralregierung  über  ihr  nur 
noch  nominell  gehorchende  Lehensstaaten  betraf,  sondern  auch  inner- 
halb der  stets  zum  Kirchenstaate  im  engeren  Sinne  gehörenden  Land- 
striche wurden  damals  die  Machtbefugnisse  der  obersten  Behörden  so 
sehr  erweitert,  daß  es  unmöglich  ist,  eine  Beschreibung  zu  geben,  die 
für  die  gesamte  Zeitspanne  auch  nur  als  ungefähr  zutreffend  gelten 
könnte. 

Geht  man  von  dem  Gebietsumfange  aus,  der  während  des  größeren 
Teils  der  Periode  bestand,  so  ergibt  sich  ein  Areal,  das  etwas  ausge- 
dehnter war  als  das  Venedigs,  entsprechend  der  geringeren  Bevölke- 
rungsdichte Mittelitaliens  dagegen  kaum  mehr  Bewohner  aufwies. 
Der  Kirchenstaat  übertraf  also  an  Bevölkerung  und  Ausdehnung  zu- 


216  Kleinere  italienische   Staaten. 

sammen  alle  oberitalienischen  Staaten  und  stand  in  dieser  Beziehung 
nur  hinter  Neapel  zurück. 

Der  Kirchenstaat  war  noch  in  einer  anderen  Hinsicht  vor  den 
Staaten  des  Nordens  begünstigt.  Die  Getreideproduktion  war  besonders 
in  den  Marken  so  ergiebig,  daß  in  der  Regel  große  Überschüsse  ins 
Ausland  (vor  allem  nach  Venedig)  abgegeben  werden  konnten;  dazu 
kamen  noch  beträchtliche  Einnahmen  aus  dem  Salzbetrieb  und  den 
Alaungruben.  Der  Kirchenstaat  war  somit  für  seine  Ernährung  nicht 
nur  nicht  vom  Auslande  abhängig,  sondern  konnte  allein  schon  aus 
dem  Exporte  seiner  Rohprodukte,  ohne  eigenen  Betrieb  von  Handel 
und  Industrie,  einen  bedeutenden  Gewinn  ziehen. 

Auch  in  militärischer  Hinsicht  lagen  die  wirtschaftlichen  Verhält- 
nisse nicht  ungünstig.  Da  einerseits  Industrie  und  Handel  so  gut  wie 
ganz  fehlten,  d.  h.  soweit  überhaupt  vorhanden  von  Fremden  betrieben 
wurden,  die  dichte  Besiedelung  aber,  die  größer  war  als  z.  B.  in  Frank- 
reich (43  auf  den  Quadratkilometer),  zumal  in  den  gebirgigeren  Gegenden, 
durch  den  Ackerbau  nicht  voll  beschäftigt  werden  konnte,  so  blieb 
ein  beträchtlicher  Teil  der  Bevölkerung  für  den  Kriegsdienst  disponibel ; 
es  gab  keine  Hausindustrie  auf  dem  Lande,  die  wie  im  florentinischen 
Gebiete  Erwerbskräfte  aufnahm,  die  in  der  Naturalwirtschaft  nicht 
untergebracht  werden  konnten.  Auch  stand  es,  wie  das  Experiment 
der  Fürsten  von  Urbino  erwies,  mit  der  physischen  Qualifikation  der 
Bewohner  zum  Militärdienst  nicht  schlecht,  und  es  lag  nur  an  dem 
Mangel  einer  taktischen  Schulung  nach  der  modernen  Methode,  wenn 
die  Oberherren  des  Kirchenstaates  gleich  anderen  italienischen  Poten- 
taten häufig  genötigt  waren,  fremde  Infanteriesöldner  (vor  allem 
Schweizer)  in  ihre  Dienste  zu  nehmen. 

Doch  konnten  alle  diese  Vorteile  zumal  in  den  ersten  Jahren  des 
hier  behandelten  Zeitraumes  von  der  Regierung  nur  ungenügend  aus- 
genutzt werden.  Zu  Beginn  der  Periode  fehlte  es  noch  durchaus  an 
einer  leistungsfähigen  Exekutive,  die  die  Befehle  der  Zentralgewalt 
überall  hätte  zur  Ausführung  bringen  können.  Der  neueste  Biograph 
Cesare  Borgias  hat  den  Kirchenstaat  »das  letzte  Bollwerk  des  Feudal- 
despotismus in  Italien«  genannt  (W.  H.  Woodward,  »Cesare  Borgia« 
1913,  p.  96),  und  das  Urteil  ist  nicht  unbegründet.  So  machtlos  war 
nicht  einmal  in  Neapel  die  Regierung,  so  unumschränkt  herrschten 
nicht  einmal  dort  die  rivalisierenden  und  in  Privatfehden  verstrickten 
Magnatengeschlechter  über  das  offene  Land.  Selbst  die  Hauptstadt 
war  gegen  Einfälle  der  großen  Barone  nichts  weniger  als  gefeit.  Es 
war  die  Aufgabe  der  Päpste  jener  Zeit,  hier  das  nachzuholen,  was  die 
anderen  italienischen  Staaten  früher  geleistet,  und  es  ist  dann  bekannt- 
lich vor  allem  Cesare  Borgia  gewesen,  der  unter  dem  Regimente  seines 
Vaters  Alexanders  VI.  diese  gewaltige  Arbeit  in  der  Hauptsache  durch- 
geführt hat.  Für  die  Stellung  des  Kirchenstaates  in  der  internationalen 
Politik  ergibt  sich  daraus  freilich,  daß  die  Päpste,  solange  sie  noch 
mit  dieser  innerpolitischen  Tätigkeit  belastet  waren,  die  Machtmittel, 


§  92.    Der  Kirchenstaat.  217 

die  ihnen  ilir  Territorium  bot,  nur  ungenügend  zur  Geltung  bringen 
konnten. 

Aber  auch,  als  das  eben  genannte  Ziel  in  der  Hauptsache  erreicht 
war,  war  die  internationale  Position  des  Kirchenstaates  zunächst  nur 
wenig  verändert.  Hatten  die  Päpste  vorher  an  den  militärischen  Ope- 
rationen der  Großmächte  nicht  eigentlich  aktiv  teilnehmen  können, 
weil  sie  sich  zuerst  im  Innern  ihres  Landes  eine  Basis  schaffen  mußten, 
so  trat  nun  die  Aufgabe  an  sie  heran,  ihrem  Territorium  wieder  die 
Gebiete  zurückzugewinnen,  die  in  der  Zeit  der  Anarchie  an  die  Nachbar- 
staaten, vor  allem  an  Venedig,  verloren  gegangen  waren,  und  dieses 
Bestreben  brachte  sie,  die  aus  eigenen  Machtmitteln  ihre  Absicht  nicht 
zu  verwirklichen  vermochten,  erst  recht  in  die  Abhängigkeit  von  den 
ausländischen  Militärstaaten.  Erst  von  dem  Zeitpunkte  an,  da  auch 
dieses  Projekt  in  die  Tat  umgesetzt  war,  also  ungefähr  von  den  letzten 
Jahren  der  Regierung  Julius'  II.  an,  darf  man  daher  von  einer  selb- 
ständigen, d.  h.  nicht  im  Dienste  innerpolitischer  Aufgaben  stehenden 
auswärtigen  Politik  des  Kirchenstaates  reden. 

Dieser  Zeitpunkt  fällt  aber  beinahe  mit  dem  Augenblicke  zusammen, 
da  infolge  des  gewaltigen  Anwachsens  der  habsburgischen  Macht  (§  118) 
die  Bewegungsfreiheit  der  italienischen  Staaten  fast  gänzlich  auf- 
gehoben wurde.  Von  einer  unabhängigen  päpstlichen  Territorialpolitik 
könnte  daher  nur  in  dem  kurzen  Zeiträume  die  Rede  sein,  der  durch 
den  Namen  Leos  X.  bezeichnet  wird  und  wohl  nicht  umsonst  der  Nach- 
welt als  glänzendste  Periode  des  Papsttums  in  der  Erinnerung  ge- 
blieben ist;  ihren  sichtbaren  Schluß  bildet  die  Katastrophe  des  Sacco 
di  Roma  (1527).  Es  ist  deshalb  auch  begreiflich,  daß  eine  resümierende 
Darstellung  wie  die  vorliegende  auf  eine  Charakteristik  der  damaligen 
päpstlichen  Politik  verzichten  muß. 

Nur  ein  Umstand  muß  hervorgehoben  werden,  der  die  Stellung 
des  Kirchenstaates  innerhalb  des  europäischen  Staatensystems  scharf 
von  der  anderer  italienischer  Staaten  unterscheidet.  Das  Land  besaß 
dank  der  Personalunion  zwischen  seinem  Regenten  und  dem  Inhaber 
der  höchsten  geistlichen  Würde  in  der  Christenheit  sozusagen  einen 
unzerstörbaren  Kern,  der  nur  mit  der  unangreifbaren  Lage  der  Haupt- 
stadt des  venezianischen  Gebietes  verghchen  werden  kann.  Auswärtige 
Regierungen  konnten  an  Kriege  mit  dem  Kirchenstaate,  auch  an  Ver- 
kleinerung seines  Umfanges  denken;  die  völlige  Aufhebung,  die  Ein- 
setzung einer  abhängigen  Dynastie  usw.  fiel  aber  außer  Betracht. 
Die  Gefahr  war  also  beseitigt,  daß  der  Kirchenstaat  gleich  anderen 
italienischen  Staaten  annektiert  wurde.  Im  Publikum  wurde  aller- 
dings, besonders  zur  Zeit  des  Sacco  di  Roma,  etwa  davon  gesprochen, 
daß  es  angebracht  wäre,  den  Heiligen  Vater  wieder  auf  seine  geistlichen 
Funktionen  zu  beschränken,  d.  h.  den  Kirchenstaat  zu  säkularisieren 
(dies  berichtet  z.  B.  Varchi,  »Storia  Fiorentina«  1.  V,  c.  15);  aber  es 
fehlt  an  Beweisen,  daß  die  leitenden  Staatsmänner  der  Großstaaten 
jemals  solche  Gedanken  ernsthaft  erwogen  hätten.    Mir  ist  aus  solchen 


218  Kleinere  italienische   Staaten. 

Kreisen  nur  das  Schreiben  des  kaiserlichen  Agenten  Lope  de  Soria  an 
Karl  V.  (vom  25.  Mai  1527)  als  Zeugnis  für  eine  solche  Anschauungs- 
weise bekannt;  aber  sogar  dieser  vereinzelte  Beleg  beweist  durch  seine 
vorsichtige  Redeweise,  wie  fern  an  sich  der  kaiserlichen  Regierung  jenes 
Ziel  lag  (vgl.  den  Wortlaut  bei  Rodriguez  Villa,  »Memorias  para  la 
Historia  del  Saqueo  de  Roma«  1874,  p.  166  f.),  dazu  kommt  dann  noch 
das  Schweigen  maßgebender  Denkschriften  wie  der  politischen  Testa- 
mente Karls  V. 

Auf  der  andern  Seite  zog  dann  freilich  der  geistliche  Charakter 
des  Staates,  d.  h.  das  Fehlen  einer  Dynastie,  beträchtliche  politische 
Nachteile  nach  sich.  Das  schlimmste  war  noch  nicht,  daß  in  der  aus- 
wärtigen Politik  und  auch  in  der  inneren  Verwaltung  nicht  dieselbe 
Kontinuität  vorhanden  war  wie  in  Erbmonarchien  oder  aristokra- 
tischen Republiken.  Schädlicher  wirkte  vielmehr,  daß  eine  ganze 
Anzahl  Päpste  ein  Surrogat  für  die  mangelnde  Erblichkeit  durch  die 
Bildung  von  dynastischen  Herrschaftsgebieten  innerhalb  des  Kirchen- 
staates für  Angehörige  ihrer  Familien  zu  schaffen  versuchten.  Diese 
Bestrebungen  liefen  nicht  nur  den  Aspirationen  auf  direkte  Unterwerfung 
des  gesamten  Staatsgebietes  unter  die  Zentralgewalt  entgegen,  sondern 
diese  Familienpolitik  der  Päpste  bedurfte  zu  ihrem  Erfolg  dazu  noch 
mindestens  der  Konnivenz  der  Großmächte  und  war  deshalb  geeignet, 
die   internationale    Position    des    Kirchenstaates   weiter    zu  schwächen. 

Nur  andeutungsweise  kann  an  dieser  Stelle  die  Frage  gestreift 
werden,  inwiefern  die  geistliche  Würde  des  Oberhauptes  des  Kirchen- 
staates die  Stellung  der  Päpste  als  Territorialfürsten  modifizierte. 
Ein  Punkt  —  die  Garantie  gegen  eine  vollständige  Mediatisierung  — 
ist  bereits  erwähnt  wurden.  Es  kamen  aber  noch  andere  hinzu.  Dazu 
zählt  vor  allem  der  finanzielle  Ertrag  der  kirchlichen  Steuern  sowie 
auch  der  moralische  W'ert  der  kirchlichen  Strafmittel,  die  nicht  nur 
in  den  Dienst  militärisch-politischer,  sondern  auch  finanzpolitischer 
Aktionen  der  Regierung  gestellt  wurden  (ein  besonders  bezeichnendes 
Beispiel  für  die  an  zweiter  Stelle  genannte  Verquickung  kirchlicher 
Maßregeln  mit  finanziellen  Partikularinteressen  des  Kirchenstaates 
bildet  der  Konflikt  mit  Flandern  in  Sachen  des  Alaunexportes  aus 
Tolfa  unter  Julius  IL:  Jules  Finot,  »Etüde  historique  siir  les  relations 
commerciales  entre  la  Flandre  et  la  Republiqiie  de  Genes«  1906,  p.  236  ff.). 
Diesem  Vorteil  stand  übrigens  der  Nachteil  gegenüber,  daß  die  aus- 
ländischen Regierungen  durch  eine  Sperre  der  nach  Rom  bestimmten 
Abgaben  aus  ihren  Ländern,  durch  Drohungen  mit  einem  Schisma 
und  der  Errichtung  von  Landeskirchen  ihrerseits  wieder  einen  Druck 
auf  die  Regierung  des  Kirchenstaates  ausüben  konnten,  der  nicht  nur 
das  Papsttum  als  solches,  sondern  auch  die  Politik  des  Kirchenstaates 
zu  treffen  vermochte.  Besonders  von  Frankreich,  das  sogar  einmal 
ein  Gegenkonzil  einberief,  ist  diese  Abhängigkeit  oft  genug  ausgenutzt 
worden ;  in  ähnlicher  Weise  haben  dann  später  vor  allem  Kaiser  Karl  V, 
und   König  Heinrich  VI  IL  von  England  gehandelt. 


§  92.    Der   Kirchenstaat.  219 

Es  vollzog  sich  in  dieser  Beziehung  mit  dem  Kirchenstaat  infolge 
der  neuen  poHtischen  Lage  (§§3  und  107)  dieselbe  Wandlung  wie  mit 
den  übrigen  italienischen  Staaten.  Hatte  das  päpstliche  Territorium 
bisher  seine  Interessen  nur  im  Kampfe  mit  anderen,  ihm  nicht  ohne 
weiteres  überlegenen  Staaten  der  apenninischen  Halbinsel  ausfechten 
müssen,  so  stieß  es  nun  mit  den  Besitzungen  von  Großstaaten  (vor 
allem  mit  dem  spanischen  Neapel,  in  gewisser  Beziehung  aber  auch 
mit  Mailand)  zusammen;  dadurch  konnten  einerseits  die  bisher  haupt- 
sächlich in  kirchenpolitischen  Konflikten  angewendeten  Sperremaß- 
regeln der  Großstaaten  auch  in  den  Kämpfen,  die  die  territoriale  Gestalt 
des  Kirchenstaates  berührten,  benutzt  werden,  anderseits  sank  der 
Kirchenstaat  zu  einer  Macht  zweiten  Ranges  herab.  Beide  Umstände 
bezeichnen  denn  auch  den  eigentümlichen  Charakter  der  damaligen 
päpstlichen  Politik;  von  ihnen  muß  auch  ausgehen,  wer  die  These  er- 
weisen will,  daß  die  politische  Aktion  der  Kurie  im  Zeitalter  der  Re- 
naissance in  besonderem  Maße  von  weltlichen  Motiven  geleitet  worden  sei. 

Die  Mängel  des  päpstlichen  Finanzsystems  machten  sich  vor  allem 
auch  im  Militärwesen  fühlbar.  Die  Verwaltung  erwies  sich  nur  unter 
besonders  kräftigen  Regenten  fähig,  die  Mittel  aufzubringen,  um  die 
Konkurrenz  in  der  Anwerbung  von  modern  geschulten  Infanteristen 
(Schweizern)  mit  besser  zahlenden  Staaten  (Frankreich,  Venedig)  aus- 
zuhalten. Auch  die  Versuche,  eine  einheimische  Miliz  zu  bilden,  wofür 
die  Verhältnisse  nicht  ungünstig  lagen,  wurden  nicht  mit  der  Kon- 
sequenz durchgeführt,  die  stabiler  konstituierte  Verwaltungssysteme 
wie  das  spanische  oder  das  habsburgische  an  den  Tag  legten.  Die 
päpstlichen  Armeen  standen  daher  in  der  Regel  noch  hinter  denen  der 
Markusrepublik  zurück,  und  nicht  günstiger  lagen  die  Verhältnisse  in 
der  Marine.  Daß  in  der  Adria  nichts  geleistet  wurde,  war  zwar  natür- 
lich; denn  dort  ließ  das  venezianische  Schiffahrtsmonopol  keine  größere 
fremde  Flotte  aufkommen.  Aber  auch  im  Tyrrhenischen  Meer  begnügte 
sich  die  päpstliede  Regierung  mit  bescheidenen  Ansätzen.  Die  Flotte 
des  Kirchenstaates  war  klein  und  wenig  leistungsfähig;  es  fehlte  an 
Werften  (die  Schiffe  mußten  in  Genua  gebaut  w^erden)  und  an  ein- 
geübter Rudermannschaft.  Wohl  läßt  sich  in  dieser  Beziehung  eine 
leichte  Verbesserung  konstatieren:  während  anfänglich  eine  Marine 
entbehrlich  schien,  weil  die  einheimische  Bevölkerung  keinen  Handels- 
verkehr trieb,  erwies  sich  später  der  Unterhalt  einer  Flotte  zum  Schutze 
der  Küste  gegen  die  Angriffe  der  türkisch-nordafrikanischen  Korsaren 
als  notwendig.  Aber  trotzdem  waren  bis  zuletzt  die  Seestreitkräfte 
des  Kirchenstaates  unbedeutend  und  wohl  nicht  einmal  mit  denen 
Neapels  in  Parallele  zu  setzen. 

Es  wäre  unrichtig,  wenn  man  annehmen  wollte,  daß  diese  Mängel 
der  Wehrkraft  durch  eine  besonders  wirkungsvoll  ausgebildete  diplo- 
matische Organisation  kompensiert  worden  wären.  Die  päpstliche 
Diplomatie  weist  im  Gegenteil  zu  einem  guten  Teil  dieselben  Gebrechen 
auf  wie  die  übrigen  Zweige  der  päpstlichen  Verwaltung.    Daß  die  Kurie 


220  Kleinere  italienische  Staaten. 

im  15.  Jahrhundert  nicht  gleich  anderen  italienischen  Staaten  ständige 
Gesandtschaften  errichtete,  mag  man  mit  Gründen  des  Prestiges  ent- 
schuldigen: es  wurde  dadurch  die  überragende  Stellung  des  päpstlichen 
Stuhles  bezeichnet  (vgl.  §  3).  Aber  daß  das  Papsttum  auch  dann,  als 
sich  alle  Großmächte  mit  Ausnahme  Frankreichs  zur  Übernahme  der 
neuen  Institution  entschlossen,  damit  noch  zurückhielt,  so  daß  erst 
unter  Julius  II.  bestimmtere  Ansätze  nachgewiesen  werden  können 
und  erst  gegen  1520  hin  von  einer  regelmäßigen  Abordnung  ständiger 
diplomatischer  Agenten  (Nuntien)  gesprochen  werden  kann,  muß 
wohl  als  Rückständigkeit  in  der  diplomatischen  Ausrüstung  bezeichnet 
werden.  Es  ist  wohl  richtig,  daß  die  Päpste  sowieso  in  einer  der 
großen  Informationszentralen  residierten  und  die  Aufrechterhaltung 
eines  eigenen  diplomatischen  Dienstes  für  sie  vielleicht  weniger  nötig 
war  als  für  andere  Herrscher;  auch  war  der  außerordentliche  Verkehr 
mit  anderen  Ländern  auf  dem  Wege  kirchlicher  Spezialgesandtschaften 
stets  sehr  lebhaft,  und  es  kam  schon  im  15.  Jahrhundert  vor,  daß 
einzelne  Legaten  auf  längere  Zeit  abgeordnet  wurden.  Bedenkt  man 
aber,  welchen  Schaden  selbst  eine  Großmacht  wie  Frankreich  durch 
ihre  Vernachlässigung  des  Gesandtschaftswesens  erlitt  (§  31),  so  wird 
man  doch  kaum  bestreiten  können,  daß  auch  die  Kurie  infolge  ihres 
ähnlichen  Verhaltens  gegenüber  moderner  organisierten  Staaten  in 
Nachteil  gesetzt  wurde. 

Literatur.  Der  Forscher  ist  bibhographisch  für  keinen  Abschnitt  der  da- 
maligen Ereignisse  so  gut  gestellt  wie  für  die  Geschichte  des  Kirchenstaates  und 
der  Päpste;  denn  die  »Geschichte  der  Päpste  seit  dem  Ausgang  des  Mittelalters« 
von  Ludwig  Pastor,  die  für  das  hier  behandelte  Thema  vom  dritten  Bande  an  in 
Betracht  kommt,  zählt  in  ihren  immer  wieder  neu  erscheinenden  Auflagen  die 
Literatur  mit  musterhafter  Vollständigkeit  und  Genauigkeit  auf.  —  Für  die  in  der 
Textskizze  berührten  Fragen  sind  besonders  wichtig  die  Arbeiten  zur  inneren  Ge- 
schichte des  Kirchenstaates  unter  Alexander  VI.  (also  vor  allem  die  Werke  über 
Cesare  Borgia;  vollständige  Bibliographie  in  dem  zitierten  Buche  von  Woodward) 
und  die  Literatur  zur  Geschichte  Julius  II.  und  zur  auswärtigen  Politik  Leos  X. 
(vgl.  besonders  Francesco  Nitti,  rtLeone  X.  e  la  sua  Politica«  1892).  Über  die  spätere 
Zeit  G.  Capasso,  »La  Politica  di  Paolo  III.  e  ritalia«,  1901.  Vgl.  auch  Emiho  Calvi, 
»Bibliografia  di  Roma  nel  Cinquecento«,  1900 ff. 

Für  die  zeitgenössischen  Anschauungen  über  die  Familienpolitik  der  Päpste 
ist  bezeichnend,  daß  nach  einem  Briefe  Vettoris  an  Machivalli  aus  dem  Jahre  1513 
die  Verwandten  des  Papstes  Leos  X.  die  Errichtung  eines  medicäischen  Fürsten- 
tums in  Urbino  mit  der  Unterwerfung  von  Florenz  unter  die  Herrschaft  des  Ge- 
schlechtes gleichsetzten,  ja  dem  zuerst  genannten  Projekte  noch  den  Vorzug  gaben, 
weil  es  ein  sichereres  Resultat  verspreche  als  das  andere  ( »Lettere  Jamiliari  di  N.  Ma- 
chiavelli«,  ed.  Alvisi  1883,  p.  252).    Vgl.  auch  Alberi  II,  3  (1846),  11  und  375. 

Was  aus  dem  Kirchenstaate  mit  konsequenter  Arbeit  und  geordneten  Finanzen 
mihtärisch  hätte  herausgeholt  werden  können,  zeigt  nicht  nur  das  Beispiel  des  Herzogs 
von  Urbino  Francesco  Maria  I.  (das  beste  darüber  in  der  Relation  F.  Badoers  in  den 
»Belazioni«,  ed.  Segarizzi  II  [1913],  159ff. ;  die  »Storia  dei  conti  e  duchi  d^Urbino« 
von  Filippo  Ugolino  1859  bringt  dazu  kaum  etwas  Neues),  sondern  auch  Urteile 
von  zeitgenössischen  Staatsmännern.  So  die  Instruktion  Mendozas  an  Kaiser 
KarlV.  aus  dem  Jahre  1552  (bei  Döllinger,  »Beiträge  zur  politischen  etc.  Geschichte« 
[1862],  195),  wo  von  dem  Volksreichtum  des  Kirchenstaates  die  Rede  ist:   »quien 


§  93.    Neapel  und   Sizilien.  221 

tiene  dinero  la  (seil,  la  gente)  halla«,  deshalb  seien  auch  leicht  Hauptleute  aufzutrei- 
ben usw.  Ähnlich  Navagero  in  dem  zitierten  Bande  der  Relationen  Alberis,  p.  375. 
Über  die  Marine  die  Werke  von  Alberto  Gughelmotti,  »La  guerra  dei  pirati  e 
la  marina  pontificia  dal  1500  al  1560«  1876  und  »Sioria  delle  Fortificazioni  nella 
spiaggia  romana«,  1880.  Vgl.  ferner  die  Notizen  bei  PastorV  (1909)  über  die  Schwie- 
rigkeiten, die  sich  im  Jahre  1535  der  Ausrüstung  einer  päpstlichen  Flotte  entgegen- 
stellten; es  mußten  Verbrecher  zu  Galeeren  verurteilt  werden,  da  sich  sonst  keine 
Ruderer  auftreiben  ließen.  Daß  der  Papst  nicht  imstande  sei,  seine  Schiffe  auszu- 
rüsten^  wird  auch  »Venezianische  Depeschen  vom  Kaiserhofe«  I,  290  n.  (1539)  be- 
merkt. Ähnliches  geht  aus  dem  Berichte  aus  dem  Jahrel548  bei  Druffel,  »Beiträge  zur 
Reichsgeschichte«!  (1873),  lOOf.,  hervor.  In  früheren  Zeiten  hatten  die  Päpste  denn 
auch  Korsaren  in  ihre  Dienste  genommen  (Sanuto,  »Diarii«  I,  852;  1498).  Die  analoge 
Vernachlässigung  des  Fortifikationswesens  wird  von  Navagero  (1558)  hervorgehoben; 
Alberi,  »Relazioni«  II,  3,  375.  Bereits  zu  §78  ist  hervorgehoben  worden,  daß  die 
Türken  die  Päpste  wegen  deren  Schwäche  zur  See  verachteten.  Rom  galt  denn  auch 
als  den  x\ngriffen  der  Türken  leicht  zugänglich  (Charriöre,  »Negociations«  I,  197 
[1532]).  —  Der  Konfhkt  zwischen  dem  Papsttum  und  Venedig  wegen  der  freien 
Schiffahrt  im  Adriatischen  Meer  trat  besonders  in  den  Diskussionen  des  Jahres  1509 
zutage.    Vgl.   darüber  M.  Brosch,    »Julius  IL«,  p.  177,  187f.   und  345f. 

Über  die  diplomatische  Organisation  A.  Pieper,  »Zur  Entstehungsgeschichte 
der  ständigen  Nuntiaturen«,  1894 ;  Ch.  Samaran  in  der  »Revue  d'histoire  diplomatique«, 
1909,  p.  64ff. ;  J.Richard  in  der  »Revoue  des  questions  historiques«  N.  S.  34  (1905), 
103  ff.  über  die  Anfänge  der  französischen  Nuntiatur  und  Rene  Ancel  ibid.  35  (1906). 

Der  venezianische  Gesandte  Navagero  meinte  einmal,  in  Kriegen  mit  dem 
Papste  gehe  man  schonungsvoller  vor  als  im  Kriege  mit  anderen  (Alberi  1.  c,  p.  407). 

§  93.  Neapel  und  Sizilien.  Wer  eine  allgemeine  Schilderung  Europas 
im  16.  Jahrhundert  geben  wollte,  dürfte  Neapel  und  Sizihen  ebenso- 
wenig zusammen  behandeln,  als  er  etwa  Deutschland  nur  als  Teil  des 
habsburgischen  Reiches  würdigen  dürfte.  Weder  politisch  noch  wirt- 
schaftlich bildeten  die  beiden  durch  den  Faro  geschiedenen  Teile  des 
»Königreiches  beider  Sizilien«  eine  Einheit;  zu  Beginn  der  hier  be- 
handelten Periode  befanden  sie  sich  nicht  einmal  in  derselben  Hand. 
Trotzdem  muß  die  folgende  Darstellung  aus  äußeren  und  inneren 
Gründen  von  einer  Trennung  absehen.  Eine  separate  Behandlung 
würde  den  Raum  ungebührlich  in  Anspruch  nehmen,  und  innerhalb 
des  europäischen  Staatensystems  bildeten  beide  Gebiete  doch  in  der 
Regel  wenigstens  in  der  zweiten  Hälfte  der  Periode  ein  einheitliches 
Objekt,  und  das  Schicksal  Neapels  ist  zu  einem  guten  Teile  dadurch 
bestimmt  worden,  daß  von  seinem  Besitz  auch  die  Herrschaft  über 
Sizilien  abzuhängen  schien. 

Von  den  beiden  Teilen  war  trotz  der  geringeren  Ausdehnung  und 
der  kleineren  Bevölkerungszahl  Sizilien  bei  weitem  der  wichtigere. 
Gerade  die  dünne  Bevölkerung  (ungefähr  700000  Seelen,  d.  h.  etwa 
ein  Fünftel  der  gegenwärtigen  Einwohnerzahl)  machte  die  Insel  für  die 
Regierung  besonders  wertvoll;  denn  sie  erlaubte,  daß  die  in  gewaltiger 
Fülle  (in  guten  Jahren  nach  der  Angabe  Mocenigos  bis  hundertfältig) 
produzierte  Brotfrucht  in  enormen  Quantitäten  zur  Ausfuhr  frei- 
gegeben werden  und  dabei  noch  so  wohlfeil  gehalten  werden  konnte, 
daß  der  Exportzoll  bisweilen  mehr  betrug  als  der  Wert  des  Getreides. 


222  Kleinere  italienische   Staaten. 

Aus  dieser  Ausfuhr  floß  der  Regierung  ein  zwar  nach  dem  Resultate 
der  Ernte  wechselnder,  aber  der  Erhebung  nach  ganz  sicherer  Ertrag 
zu.  Wohl  gab  es  ein  Parlament  auf  der  Insel  mit  verhältnismäßig  aus- 
gedehnten Befugnissen,  und  ein  ständiger  Ausschuß,  die  sog.  Depii- 
tazione  del  Regno,  besaß  sogar  das  Recht,  die  Ausführung  der  Stände- 
beschlüsse zu  überwachen.  Aber  die  Finanzverwaltung  und  speziell 
die  Erhebung  und  Ansetzung  der  Exportzölle  war  in  Wirklichkeit  von 
dem  Willen  der  Stände  unabhängig,  und  die  Krone  zog  nicht  nur  aus 
dieser  Auflage  einen  Gewinn,  der  die  Kosten  der  Regierung  bei  weitem 
überstieg,  sondern  sie  hatte  in  der  Möglichkeit  von  Ausfuhrsperren 
zugleich  ein  starkes  Druckmittel,  besonders  gegenüber  den  überita- 
lienischen und  nordafrikanischen  Staaten  in  der  Hand.  Genua  war 
sowohl  für  die  Ernährung  seiner  Bevölkerung  wie  auch  für  die  Ver- 
sorgung seiner  Flottenmannschaft  zu  einem  guten  Teile  auf  das  sizi- 
lianische  Getreide  angewiesen.  Die  Stadt  konnte,  wie  es  scheint,  nur 
aus  Frankreich  Getreide  beziehen,  wenn  ihr  die  Zufuhr  aus  Sizilien 
verwehrt  wurde,  dieses  Auskunftsmittel  war  aber  politisch  kaum  minder 
bedenklich  als  der  Import  türkischer  Brotfrucht  nach  Venedig  (vgl. 
Pellicier,  Corresp.  polit.  p.  405  u.  424).  Mit  Venedig  stand  es  kaum 
besser,  soweit  nicht  türkisches  Korn  in  die  Lücke  trat.  In  der  größten 
Stadt  der  Insel  und  der  einzigen  Handelsstadt  von  Bedeutung,  näm- 
lich in  Messina,  richtete  sich  der  Getreidepreis  nach  der  Absatzmög- 
lichkeit in  Venedig;  er  fiel  auf  den  tiefsten  Punkt,  als  der  Abschluß 
eines  Friedens  zwischen  der  Markusrepublik  und  der  Türkei  gemeldet 
wurde,  um  dann  sofort  wieder  zu  steigen,  als  man  erfuhr,  daß  der 
Sultan  die  Ausfuhr  verboten  habe  (1541;  Pellicier,  »Correspondance 
politiqiie«.  1899,  p.  253;  vgl.  §  71). 

Dazu  kam,  daß  auch  politisch  die  Insel  ein  sicherer  Besitz  war 
als  das  Königreich  Neapel.  Mochten  auch  die  schlecht  zugänglichen 
gebirgigeren  Gegenden  im  Innern  der  Regierung  nur  nominell  unter- 
worfen sein,  so  fehlten  doch  die  mächtigen  Adelsfaktionen,  die  großen 
Barone,  die  als  Condottierefürsten  eine  beinahe  unabhängige  Existenz 
führten  und  die  Herrschaftsgewalt  der  Könige  in  Neapel  so  sehr  ein- 
schränkten. Die  Geschichte  der  Insel  verzeichnet  keinen  Aufstand  in 
jener  Zeit,  keinen  Abfall  an  einen  fremden  Herrscher. 

Die  Kosten  der  Verwaltung  waren  dazu  verhältnismäßig  niedrig. 
Die  insulare  Lage,  die  eine  Eroberung  durch  einen  Staat,  der  nicht 
über  eine  große  Seemacht  verfügte,  ausschloß,  enthob  die  Regierung 
der  Pflicht,  das  Land  gegen  die  rivalisierende  Großmacht  Frankreich 
in  Verteidigungszustand  zu  setzen.  Für  Fortifikationsanlagen  scheint 
auch  so  gut  wie  nichts  geschehen  zu  sein,  wenigstens  von  seiten 
der  Regierung  nicht;  die  wichtigsten  Städte  Messina  und  Palermo 
waren  allerdings  aus  eigenen  Kräften  tüchtig  befestigt.  Auch  Truppen 
wurden  für  auswärts  nicht  ausgehoben;  doch  wäre  eine  solche  Maß- 
regel wahrscheinlich  schon  wegen  der  dünnen  Bevölkerung  der  Insel 
nicht  zweckmäßig  gewesen. 


§  93.    Das   Königreich  beider  Sizilien.  223 

Dieser  Zustand  blieb  übrigens  nicht  oline  Gefahren.  Wenn  die 
insulare  Lage  Sizilien  vor  fremden  Eroberungsabsiehten  schützte,  so 
setzte  sie  das  Land  doch  zugleich  auch  den  im  Zusammenhang  mit 
der  Ausbreitung  der  türkischen  Herrschaft  stets  zunehmenden  Kor- 
sarenraids  aus.  Es  läßt  sich  nun  nicht  leugnen,  daß  die  Regierung  auch 
dagegen  nur  ungenügende  Maßregel  ergriffen  hat.  Das  Parlament 
bewilligte  bereits  im  Jahre  1531  eine  bedeutende  Summe  für  die  Be- 
festigung verschiedener  Städte;  aber  die  Statthalter  (Vizekönige) 
Kaiser  Karls  V.  schritten  erst  nach  und  nach  energischer  ein:  erst  in 
die  letzten  Jahrzehnte  der  kaiserlichen  Herrschaft  fällt  die  Errichtung 
von  Wachttürmen  gegen  die  Piraten.  Charakteristisch  ist  auch,  daß 
das  Parlament  verschiedentlich  darum  ersuchen  mußte,  die  Galeeren 
der  Insel  nicht  ihrem  eigentlichen  Zwecke  zu  entziehen  und  ausschließ- 
lich zu  deren  Schutze  zu  verwenden  (1518  und  1525).  Für  die  Re- 
gierung stellte  sich  eben  die  Lage  so  dar,  daß  der  Gewinn,  den  sie  aus 
dem  Besitz  der  Insel  zog,  nämlich  der  finanzielle  Ertrag  der  Ausfuhr- 
lizenzen für  Getreide  und  die  Versorgung  Spaniens  mit  Korn  aus 
•  Sizilien  erreicht  wurde,  auch  wenn  die  Küstenbewohner  der  Insel 
räuberischen  Überfällen  mohammedanischer  Piraten  ausgesetzt  waren. 

Das  ungefähr  dreimal  so  große  Königreich  Neapel  war  ein  viel 
weniger  einträglicher  und  sicherer  Besitz.  Die  wirtschaftliche  Struktur 
war  zwar  ähnlich.  Wie  in  Sizilien  war  die  einheimische  Industrie  ganz 
unbedeutend ;  der  Handel  lag  fast  ausschließlich  in  ausländischen 
Händen,  und  der  unentbehrliche  Import  fremder  Fabrikate  konnte  nur 
durch  den  Überschuß  der  Urproduktion  bezahlt  werden.  Daß  dabei 
im  Gegensatz  zu  Sizilien  die  Ausfuhr  von  Getreide  verhältnismäßig 
zurücktrat  und  der  Export  von  Ol  wohl  ebenso  wichtig  war,  bedeutete 
keinen  prinzipiellen  LInterschied.  Dieser  lag  vielmehr  in  der  politischen 
Organisation  des  Landes. 

Sieht  man  von  der  Hauptstadt  ab,  der  Handelsmetropole  des  Landes, 
die  vielleicht  nicht  mit  Unrecht  als  relativ  zu  stark  bevölkert  galt  (sie 
soll  200000  Seelen  gezählt  haben,  d.  h.  ein  Zehntel  so  viel  wie  das 
ganze  Königreich  ohne  die  Capitale),  so  stand  das  gesamte  Gebiet 
unter  der  Herrschaft  der  großen  Grundbesitzer,  der  Barone,  die  gleich 
kleinen  Fürsten  mit  eigener  Armee,  eigenen  Festungen  und  sogar  eigener 
Handelspolitik  der  Krone  vielfach  nur  nominell  unterworfen  waren. 
Die  Gebirgsgegend  der  Abruzzen  lieferte  ein  brauchbares  Soldaten- 
material, das  die  Magnaten  nicht  nur  militärisch  unabhängig  stellte, 
sondern  sie  auch  befähigte,  kaum  anders  als  ein  Herzog  von  Ferrara 
oder  Urbino  den  Beruf  eines  selbständigen  Condottierefürsten  auszu- 
üben. 

Diesen  Baronen  gegenüber  konnte  die  Regierung  ihren  Willen  nur 
durchsetzen,  soweit  sie  sich  auf  überlegene  militärische  Macht  stützen 
konnte.  Daß  sie  ihre  Beamten  fast  sämtlich  der  vornehmen  Bour- 
geoisie der  Hauptstadt,  den  sog.  Sedilen  oder  »Seggi<(,  entnahm,  ge- 
nügte nicht;  denn  wenn  schon  die  Bureaukratie  infolgedessen  nicht  die 


224  Kleinere  italienische  Staaten. 

Interessen  der  Barone  verfolgte,  so  war  für  die  wirksame  Durchführung 
der  königlichen  Beschlüsse  noch  wenig  gewonnen.  Nun  zogen  aber 
alle  Versuche,  die  Magnaten  mit  Gewalt  der  Krone  zu  unterwerfen, 
besonders  seitdem  die  Großstaaten  den  Kampf  um  Italien  aufgenommen 
hatten,  für  die  Regierung  schwere  Gefahren  in  sich.  Die  Möglichkeit 
lag  vor,  daß  die  Barone  zur  Aufrechterhaltung  ihrer  feudalen  Freiheit 
sich  mit  einer  auswärtigen  Macht  verbinden  würden,  und  da  sie  un- 
gleich anderen  Aufständischen  dem  Auslande  nicht  nur  platonischen 
Beistand,  sondern  reale  militärische  Unterstützung  zu  gewähren  ver- 
mochten, so  war  die  Lage  in  solchen  Fällen  für  das  Königtum  recht 
bedenklich. 

Dieser  Fall  ist  dann  bekanntlich  auch  eingetreten;  ja  der  Anstoß 
zu  der  Expedition  König  Karls  VIII.,  die  den  Streit  der  Großmächte 
um  Italien  eröffnete,  ist  von  einem  solchen  Konflikte  zwischen  den 
neapolitanischen  Baronen  und  der  Krone  ausgegangen. 

Die  natürliche  Folge  war,  daß  sich  schließlich  als  die  oberste  Ge- 
walt im  Lande  überhaupt  nur  Vertreter  von  Großstaaten  behaupten 
konnten,  die  von  den  Leistungen  des  Königreiches  unabhängig  waren 
und  mit  Machtmitteln  auswärtiger  Regierungen  die  Barone  in  Gehorsam 
erhalten  konnten.  Denn  den  modern  ausgerüsteten  Armeen  Frank- 
reichs und  Spaniens  vermochten  die  neapolitanischen  Magnaten  nicht 
standzuhalten.  Vor  allem  nicht  ihre  der  schweizerischen  Taktik  ent- 
behrende Infanterie;  aber  auch  ihre  zahlreichen  Burgen  waren,  obwohl 
bei  allen  Invasionen  ein  gewichtiges  retardierendes  Element,  der  fran- 
zösischen Artillerie  nicht  gewachsen. 

Auch  wenn  aber  ein  Umsturz  nicht  zu  befürchten  war,  blieb  Neapel 
ein  wenig  einträghcher  Besitz.  Schon  der  unabhängige  König  von 
Neapel  galt  als  so  arm,  daß  Kaiser  Maximilian  es  begreiflich  fand, 
wenn  er  ihm  gegen  Frankreich  nur  so  gut  wie  keine  Unterstützung  ge- 
währte (1498;  »Miscellanea  di  Storia  Italiana«  35  [1898],  445);  nicht 
anders  betonten  unter  Karl  V.  venezianische  Gesandte,  daß  die  Ein- 
nahme aus  Neapel  durch  die  Ausgaben  aufgezehrt  würden  (Contarini 
1525  bei  Alberi  I,  2,  32;  id.  1536  »Fontes  Rer.  Austr.«  1870,  p.  8;  Tie- 
polo  glaubte  1532  sogar,  der  Kaiser  müsse  noch  zulegen:  Alberi  I,  1,  37), 
und  die  kaiserlichen  Staatsmänner  urteilten  ebenso ;  von  Gattinara 
liegt  aus  dem  Jahre  1521  ein  ausführliches  Gutachten  über  die  »fautea 
der  kaiserlichen  »finances  de  Naples«  vor  {»Monumenta  Habsburgica« 
II,  1  [1853],  401  ff.;  andere  Stellen  vgl.  W.  Busch,  »Drei  Jahre  eng- 
lischer Vermittelungspolitik«  1884,  S.  86).  Wenn  dem  Besitze  des 
Landes  trotzdem  von  den  Großmächten  große  Bedeutung  beigelegt 
wurde,  so  dürfte  dies  vor  allem  darauf  beruhen,  daß  die  spanische 
Herrschaft  über  Sizilien  gefährdet  schien,  solange  sich  Neapel  in  den 
Händen  einer  anderen  Großmacht  befand. 

Die  militärische  Ausrüstung  des  Königreiches  war  kaum  mittel- 
mäßig zu  nennen.  Daß  die  einheimische  Infanterie  modern  geschulten 
Truppen  nicht  gewachsen  war,  wurde  bereits  erwähnt;  ihre  finanzielle 


§  93.    Das   Königreich  beider  Sizilien.  225 

Schwäche  hinderte  die  Regierung,  diesen  Mangel,  wie  es  in  Frankreich 
geschah,  durch  Anwendung  leistungsfähigerer  Söldner  auszugleichen. 
Auch  die  Kavallerie  scheint  keine  hervorragenden  Qualitäten  besessen 
zu  haben.  Am  stärksten  war,  wohl  im  Zusammenhang  mit  den  un- 
sicheren Zuständen  im  Innern  (ähnlich  wie  in  Deutschland)  das  Be- 
festigungswesen entwickelt.  Der  Marine  wurde  dagegen  nur  ungenügend 
Aufmerksamkeit  geschenkt.  Da  sich  der  Großhandel  in  der  Haupt- 
sache in  fremden  Händen  befand,  so  gab  es  auch  keine  konsequente 
Pflege  der  Handelsschiffahrt,  und  damit  fiel  auch  der  wichtigste  Grund 
zum  Bau  einer  Kriegsflotte  hinweg.  Dazu  kam  noch  die  besondere 
Schwierigkeit,  daß  an  der  adriatischen  Küste  das  Aufkommen  einer 
Schiffahrt  größeren  Umfanges  durch  die  monopolistischen  Bestrebungen 
der  Venezianer  beträchtlich  erschwert  gewesen  wäre.  Wie  in  Spanien 
und  auch  in  Sizihen  beschränkte  sich  die  Aufgabe  der  vom  Staate 
unterhaltenen  Schiffe  auf  den  Schutz  der  Küsten  gegen  die  Angriffe 
der  (nordafrikanischen  und  türkischen)  Korsaren.  Die  Zahl  dieser  mit 
Sträflingen  bemannten  Galeeren  war  nie  bedeutend  (gewöhnlich  5); 
sie  wurde  noch  vermindert,  nachdem  die  Insel  Sizilien  definitiv  mit 
Neapel  unter  einer  Oberherrschaft  mit  Neapel  stand,  die  sizilianischen 
Wachtschiffe  übernahmen  damals  den  gemeinsamen  Schutz  der  Küsten- 
striche (vgl.  Tiepolo  bei  Alberi  I,  1,  36 — 38).  Auch  diese  Waffe  wies 
im  besten  Falle  mittelmäßige  Leistungen  auf,  und  die  neapolitanischen 
Fahrzeuge  mußten  öfter  durch  Galeeren  aus  dem  genuesischen  Gebiete 
ergänzt  werden.  Mocenigo  berichtet  1548  von  13  Galeeren,  die  in 
Neapel  gehalten  würden;  davon  waren  aber  nicht  weniger  als  sechs 
von  Doria  gestellt,  und  von  den  neapolitanischen  Fahrzeugen  erachtete 
er  nur  vier  bis  fünf  als  groß  genug,  um  militärisch  verwendet  zu  werden 
{»Fontes  Rer.  Austr.«  II,  30  [1870],  43  f.). 

Bemerkt  sei  schließlich  noch,  daß,  soweit  überhaupt  von  einer 
selbständigen  auswärtigen  Politik  des  Königreiches  Neapel  geredet 
werden  konnte,  diese  hauptsächlich  auf  dem  Gegensatz  gegen  Venedig 
aufgebaut  war.  Es  gehörte  zu  den  Plänen  der  Markusrepublik,  zur 
ausschließlichen  Herrschaft  über  die  Adria,  vielleicht  auch  zur 
Sicherung  ihrer  dalmatinischen  und  griechischen  Besitzungen,  an 
der  Ostküste  des  neapolitanischen  Gebietes  Stützpunkte  zu  er- 
werben. Neapel  befand  sich  also  im  Prinzip  in  derselben  Stellung 
zu  Venedig  wie  die  anderen  italienischen  Mittelstaaten.  Ebenso 
vollzog  sich  freilich  später,  als  die  Großmächte  in  das  Schicksal 
Italiens  eingriffen,  dort  derselbe  Wandel  wie  anderswo:  die  venezian- 
ische Gefahr  verlor  an  Bedeutung,  und  Neapel  hörte  auf,  eine  selb- 
ständige Potenz  in  der  internationalen  europäischen  Politik  zu  seih. 
Ähnlich  stand  es  mit  dem  Lehensverhältnis  Neapels  zum  heiligen 
Stuhle.  Auch  dieser  Rechtsanspruch  verlor  an  Bedeutung,  nach- 
dem das  Königreich  das  Eroberungsziel  von  Großstaaten  geworden 
war,  denen  der  Kirchenstaat  mit  seinen  beschränkten  Machtmitteln 
nicht  mehr  gewachsen  war. 

Fueter,  Europ.  Staatensystem.  15 


226  Kleinere  italienische   Staaten. 

Literatur.  Über  die  Zustände  auf  der  Insel  Sizilien  ist  verliältnismäßig: 
wenig  publiziert  worden.  Die  beste  Zusammenstellung  findet  sich  in  dem  älteren 
Werke  von  Isidoro  La  Lumia,  fiLa  Sicilia  sotto  Carlo  V.  Imperatoren  (1862),  das 
auch  über  die  früheren  Jahrzehnte  der  im  Text  berücksichtigten  Periode  handelt. 
Über  die  Verwaltung  des  Vizekönigs  von  Sizilien,  Ferrante  Gonzaga  (1535  —  1543) 
handelt  G.  Capasso  im  »Archivio  stör.  siciL«,  N.  S.  30  ff.  (1905).  Vgl.  ferner  Arena- 
primo,  »II  governo  spagnuolo  in  Sicilia  nei  sec.  XVI  e  XV IIa  in  »El  Archivo 
Revista  de  Ciencias  histöricas«  V  (1891)  und  V.  Vitale,  »Trapani  neue  guerre  di 
Carlo  V  in  Africa«  im  «Archivio  stör,  siciln  N.  S.  29  (1904),  255  ff.  Über  Neapel 
findet  auch  die  politisch-militärische  Forschung  vieles  bei  E.  Gothein,  »Die  Kultur- 
entwicklung Süditaliens«  (1886);  man  benutzt  dieses  Werk  jetzt  am  besten  in  der 
italienischen  Übersetzung  von  Tommaso  Persico  ( »II  Rinascimento  nelV  Italia  meri- 
dionale«,    1915),   in   der  auch   die   zahlreichen   unrichtigen  Zitate  korrigiert  sind. 

Die  venetianischen  Relationen  enthalten  nur  dürftige  Angaben;  die  Gesandten 
erachteten  es  nicht  für  nötig,  auf  den  in  Venedig  durch  direkte  Beziehungen  bereits 
bekannten  Staat  einläßhch  einzugehen  (vgl.  Alberi  1,  1,  36).  Wenn  sie  den  Gegen- 
stand überhaupt  behandelten,  so  geschah  es  bei  Besprechung  der  Machtmittel  der 
Habsburger;  man  wird  also  vor  allem  die  Relationen  und  Depeschen  vom  Kaiser- 
hofe heranziehen  müssen.  Für  die  aragonesische  Zeit  bietet  die  zu  §  41  angeführte 
Korrespondenz  König  Ferdinands  mit  Gonsalvo  de  Cordoba  wertvolle  Angaben. 
J.  Calmette,  »La  Politique  espagnole  dans  Vaf faire  des  barons  napolitains  (1485—1492)  << 
in  der   »Revue  historique«  110  (1912),  225  ff. 

In  Neapel  wurden  schon  von  den  ersten  Jahren  der  Periode  an  genuesische 
Schiffe  in  Sold  genommen;  vgl.  Desjardins,  »Negociations«!,  465 f.;  Sanuto  I,  206, 
325.  Wolsey  bezeichnete  dann  die  genuesische  Flotte  gerade  als  den  Schutz  Neapels 
gegen  Angriffe  von  der  See  her:  Brewer,  »Letters  and  Papersv  IV,  1,  nr.  510.  Die 
Venezianer  versuchten  noch  in  dem  letzten  Kriege,  den  die  italienischen  Mittel- 
staaten gegen  spanisch-habsburgische  Macht  riskierten,  die  Küstenstädte  an  der 
Adria  in  Neapel  in  ihre  Gewalt  zu  bringen.  Vgl.  über  diese  ihre  Operationen  in  den 
Jahren  1528/29  die  Arbeit  von  Vito  Vitale  in  »Nuovo  Archivio  Veneto«,  N.  S.  XIII,  2, 
und   XIV,  1   und  2. 

§  94.  Genua.  Die  Republik  Genua  ist  in  den  vorhergehenden 
Abschnitten  bereits  so  häufig  erv^'ähnt  worden,  daß  an  dieser  Stelle 
eine  kurze  Notiz  genügen  muß.  Es  entspricht  dies  auch  der  Bedeutung, 
die  der  Stadt  in  der  internationalen  Politik  zukam.  Der  Ausgang  der 
Kämpfe  um  Italien  wurde  zwar  nicht  zum  mindesten  dadurch  bestimmt, 
welche  Gruppe  der  rivalisierenden  Großstaaten  den  Sukkurs  Genuas 
auf  ihrer  Seite  hatte;  aber  der  Entscheid  in  dieser  Frage  hing  nur  zu 
einem  kleinen  Teil  von  dem  Willen  und  Charakter  der  genuesischen 
Regierung  ab. 

Daß  dem  so  war,  ging  hauptsächlich  auf  zwei  Ursachen  zurück. 

Die  eine  lag  in  der  ungünstigen  Lage  der  Hauptstadt  begründet. 
Die  Republik  besaß  kein  unangreifbares  Zentrum  wie  ihre  einstige 
Rivalin  Venedig,  und  das  an  sich  stark  bevölkerte  Gebiet  (gegen  eine 
halbe  Million  Seelen)  war  nicht  groß  genug,  als  daß  eine  Landmacht 
auch  nur  in  dem  in  der  Markusrepublik  üblichen  Umfange  hätte  unter- 
halten werden  können.  Dadurch  war  der  Staat  ohne  weiteres  der 
Gnade  der  angrenzenden,  über  größere  Armeen  verfügenden  Regierungen 
ausgeliefert,  unter  normalen  Umständen  natürlich  vor  allem  der  Will- 
kür Mailands. 


Ü  94.    Genua.  227 

Die  zweite  Ursache  bestand  in  der  labilen  politischen  Konstitution. 
Weder  die  Verfassungen,  die  gerade  eingeführt  waren,  noch  die  Fak- 
tionen, die  sich  gerade  am  Ruder  befanden,  vermochten  auswärtigen 
Regierungen  Garantien  zu  bieten,  und  noch  häufiger  wohl  als  in  Neapel 
und  Florenz  trat  der  Fall  ein,  daß  eine  fremde  Macht  bei  ihrer  Inter- 
vention sich  auf  eine  einheimische  Oppositionspartei  stützen  konnte. 
Brachte  der  zuerst  genannte  Umstand  die  Stadt  in  eine  natürliche 
Abhängigkeit  von  ausländischen  Militärstaaten,  so  schuf  der  zweite 
die  Möglichkeit,  auf  dem  Wege  der  Verbindung  mit  einer  Faktion  eine 
Herrschaft  über  die  Republik  auszuüben,  ohne  deren  Selbständigkeit 
offiziell  aufzuheben. 

Daß  dies  nun  aber  so  häufig  und  schon  vor  der  hier  behandelten 
Periode  mehrfach  geschah,  beruhte  darauf,  daß  die  Republik  ein  Aus- 
nutzungsobjekt von  ganz  einzigartigem  Werte  war. 

Genua  als  die  größte  Seemacht  des  Mittelmeeres  nach  Venedig 
besaß  nämlich  sozusagen  das  Monopol  für  die  Lieferung  größerer  Kriegs- 
flotten. Venedig  war  wohl,  was  Anstalten  zur  Schiffsausrüstung  betraf, 
besser  und  jedenfalls  für  größere  Verhältnisse  eingerichtet;  auch  die 
Zahl  seiner  Schiffe  war  beträchtlicher.  Aber  in  der  Lagunenrepubhk 
stand  dies  alles  im  Dienste  einer  eigenen  Großmachtspolitik:  Venedig 
stellte  sein  Arsenal  ebensowenig  fremden  Regierungen  zur  Verfügung, 
als  seine  Patrizier  gleich  den  genuesischen  ihre  Privatkapitalien  aus- 
ländischen Potentaten  zu  politisch-militärischen  Zwecken  überließen. 
In  Genua  hing  nun  allerdings  die  Verwendung  der  Seemacht  und  die 
Möglichkeit,  auf  genuesischen  Werften  Schiffe  zu  bauen  und  zu  be- 
mannen, ebenfalls  von  der  Erlaubnis  der  Regierung  ab.  Aber  diese 
Regierung  war  ihrerseits  wieder  von  der  auswärtigen  Militärmacht 
abhängig,  die  die  Stadt  faktisch  beherrschte;  der  letzte  Entscheid  lag 
also  bei  dieser.  Genua  war  also  noch  ungünstiger  gestellt  als  z.  B.  die 
Eidgenossenschaft.  Die  schweizerischen  Regierungen  vermochten  wenig- 
stens über  ihre  Söldner  frei  zu  verfügen ;  Genua  aber  konnte  weder  seine 
Marinemacht  eigentlich  in  den  Dienst  einer  eigenen  Politik  stellen 
noch  sie  auch  nur  fremden  Staaten  sperren  und  dadurch  einen  Druck 
ausüben.  Man  beachte,  daß  schon  der  Vertrag,  den  König  Karl  VIII. 
im  Jahre  1495  einging,  um  sich  die  Ausrüstung  einer  Flotte  in  Genua 
zu  sichern,  bloß  zwischen  dem  Herzog  von  Mailand  und  dem  König 
\^on  Frankreich  abgeschlossen  wurde  (vgl.  den  Passus  bei  Godefroy, 
»Histoire  de  Charles  VIII«  [1684],  p.  723). 

Dazu  kam,  daß  die  Stadt  sogar  für  ihre  wichtigste  und  beinahe 
einzige  Industrie,  nämlich  den  Schiffbau  (inklusive  der  Fabrikation 
von  Schiffsgeschützen)  auf  den  guten  Willen  des  Auslandes  angewiesen 
war.  Noch  in  viel  größerem  Umfange  als  in  Venedig  mußte  das  Holz 
aus  dem  Auslande  (hauptsächlich  Frankreich  und  Savoyen;  vgl.  »Lettres 
de  Charles  VIII«  V  [1905],  75)  importiert  werden,  und  eine  Sperre  dieser 
Zufuhr  konnte  die  Stadt  in  große  Verlegenheit  bringen.  Weniger  fiel 
die  Abhängigkeit  von  ausländischem   Getreide  (auch   für  den  Schiffs- 

15* 


228  Kleinere  italienische  Staaten. 

Zwieback)  in  Betracht:  in  dieser  Beziehung  war  es  wenigstens  möghch, 
Frankreich  gegen  Spanien  (Sizihen)  auszuspielen  (vgl.  §  93).  Aber  die 
Dinge  lagen  eben  doch  so,  daß  Genua  nur  einen  Teil  der  Ausrüstung, 
allerdings  wohl  den  wichtigsten  (§  14)  gänzlich  aus  eigenen  Kräften 
zu  liefern  vermochte,  nämlich  die  (eingeübte)  Mannschaft,  sei  es  auf 
Schiffen,  die  auswärtige  Mächte  mit  Inbegriff  der  Besatzung  mieteten, 
sei  es  zu  Fahrzeugen,  die  erst  gebaut  werden  sollten.  —  Zu  beachten 
ist  ferner  noch,  daß  die  Republik  als  Besitzerin  der  Insel  Korsika  den 
wichtigsten  Flottenstützpunkt  im  Tyrrhenischen  Meer  ihr  eigen  nannte. 
Denn  wenn  die  Insel  auch  nominell  nicht  der  Stadt,  sondern  der  St.  Ge- 
orgs-Gesellschaft gehörte,  so  machte  das  doch  in  der  Praxis  keinen  Unter- 
schied aus;  schon  zeitgenössische  Zeugnisse  setzen  die  Gesellschaft 
mit  der  Republik  gleich  (von  einer  anderen  Besitzung  heißt  es  in  einem 
venezianischen  Bericht  bei  Sanuto  I,  500:  »el  quäl  liiogo  e  di  la  comunitä 
di  Zenoa,  zoe  di  San  Zorzin). 

Schließlich  darf  auch  an  dieser  Stelle  ein  persönliches  Moment 
nicht  außer  acht  gelassen  werden.  Zu  den  bereits  genannten  Vorzügen 
der  Stadt  kam  wenigstens  in  der  zweiten  Hälfte  der  Periode  noch  hinzu, 
daß  die  Flotte  der  Republik  unter  dem  unzweifelhaft  größten  Seehelden 
der  Zeit,  dem  Genuesen  Andrea  Doria,  stand.  Der  Staat,  der  damals 
über  die  genuesische  Marine  verfügte,  hatte  also  zugleich  den  erfolg- 
reichsten Admiral  des  Mittelmeeres  in  seinen  Diensten. 

Der  Kampf  der  Großmächte  hat  sich  daher  von  Anfang  an  auf  den 
Kampf  um  Genua  zugespitzt  und,  wie  bereits  bemerkt  (§  90),  beruhte 
die  Bedeutung  Mailands  zu  einem  guten  Teile  darauf,  daß  sein  Besitz 
zugleich  die  Herrschaft  über  die  genuesische  Flotte  garantierte.  An 
dieser  Stelle  kann  nur  hinzugefügt  werden,  daß  von  einer  Freiheit  der 
auswärtigen  Politik  der  Republik  nur  so  weit  die  Rede  sein  konnte, 
als  ihr  zeitenweise  innerhalb  gewisser  Schranken  die  Wahl  zwischen 
dem  Anschluß  an  die  französische  oder  die  spanisch-habsburgische 
Macht  gelassen  war.  Die  habsburgische  Regierung  hatte  dabei  insofern 
eine  günstigere  Situation,  als  sie,  nachdem  einmal  Mailand  definitiv 
in  ihre  Hand  gefallen  war,  die  nominelle  Unabhängigkeit  der  Stadt 
nicht  anzutasten  brauchte,  was  Frankreich  in  früheren  Zeiten  nicht 
vermieden  hatte  und  damals  nicht  hätte  vermeiden  können.  In  ver- 
traulichen Schriftstücken  der  habsburgischen  Staatsmänner  wird  des- 
halb Genua  zwar  unzweideutig  als  kaiserliches  Eigentum  bezeichnet 
(so  schreibt  Kaiser  Karl  V.  an  seinen  Gesandten  in  Genua  im  Jahre  1547: 
» .  .  .  al  cabo  ha  de  venir  (seil.  Genua)  ä  ser  del  rey  de  Francia  o  nuestra« 
[Maurenbrecher,  »Karl  V.  und  die  deutschen  Protestanten«  S.  83*J; 
ausführlicher  darüber  derselbe  in  seinem  politischen  Testament  aus 
dem  Jahre  1548  bei  Weiß,  »Papiers  d'Etat  de  Granvelle«  III,  292);  aber 
sie  waren  nicht  genötigt,  die    »Freiheit«  der  Stadt  direkt  aufzuheben. 

Die  Politik  der  Stadt  war  unter  diesen  Umständen  viel  ausschließ- 
licher als  in  Venedig  durch  Erwägungen  kommerzieller  Natur  bestimmt. 
Die  Ausdehnung  des  Handelsverkehrs,  vor  allem  des  Seehandels  nach 


§  94.    Genua.  229 

den  Niederlanden,  Unleritalien,  Florenz,  der  Levante,  Nordafrika, 
Spanien,  war,  kann  man  sagen,  das  einzige  Ziel  der  genuesischen  Re- 
gierung; als  gleich  bedeutend  erschienen  nur  noch  die  Interessen  der 
einheimischen  Bankiers,  die  durch  ihre  Kapitalanlagen  in  Spanien 
stark  zur  engen  Verbindung  mit  der  habsburgischen  Regierung  sollen 
beigetragen  haben  (darauf  spielt  einmal  Papst  Julius  III.  an;  vgl.  das 
Zitat  bei  L.  Romier,  »Origines  politiques  des  guerres  de  Religion«  I 
[1913],  254,  n.  1).  Da  Genua  keine  militärisch :politischen  Interessen 
als  Großmacht  zu  verteidigen  hatte  wie  Venedig,  so  mischten  sich  in 
solche  Überlegungen  keine  Bedenken  politischen  Charakters;  damit 
hing  wohl  auch  zusammen,  daß  Genua  auch  in  rein  kommerzieller  Be- 
ziehung ausländischen  Kaufleuten  mehr  entgegenkam,  weniger  mono- 
polistische Tendenzen  verfolgte  als  die  Markusrepublik.  Es  war  sicher- 
lich berechtigt,  wenn  ein  venezianischer  Agent  einmal  in  stillschweigen- 
dem Gegensatz  zu  Venedig  Genua  als  gänzlich  der  »niercanzia«  ergeben 
bezeichnet  (Relation  aus  dem  Jahre  1533  in  den  f>Relazioni«  ed.  Se- 
garizzi  II  [1913],  50). 

Literatur.  Über  die  Quellen  wäre  die  Bemerkung  zu  wiederholen,  die  dem 
vorhergehenden  Paragraphen  beigegeben  wurde,  nur  daß  sie  der  internationalen 
Bedeutung  der  Stadt  entsprechend  über  Genua  viel  reichlicher  fließen  als  über 
Neapel  und  Sizilien.  Zeitgenössische  Schilderungen,  ex  officio,  Relationen,  die  nur 
Genua  gewidmet  wären,  fehlen  auch  hier;  um  so  mehr  enthalten  aber  die  diplomati- 
schen Korrespondenzen  und  Akten,  von  denen  sich  die  venezianischen,  wie  begreif- 
lich, durch  Sachkunde  und  Präzision  auszeichnen  (es  sei  besonders  auf  den  uner- 
schöpflichen Fonds  von  Notizen  bei  Sanuto  hingewiesen).  Aber  auch  die  französi- 
schen und  spanisch-habsburgischen  Akten  enthalten  viele  wertvolle  Angaben. 

Von  der  Literatur  sei  vor  allem  die  »Eliide  historique  sur  leff  relations  commer- 
ciales  entre  la  Flandre  et  la  Republique  de  Genes  au  moyen  äge«  von  Jules  Finot  (1906) 
erwähnt,  die  trotz  ihres  Titels  auch  noch  das  16.  Jahrhundert  behandelt. 

Charakteristisch  ist,  daß  der  venezianische  »Sekretär«  in  Mailand  im  Jahre 
1520  als  einzigen  Vorteil,  den  der  König  von  Frankreich  aus  Genua  ziehen  könne, 
neben  der  »Reputation«  die  )>comoditä  di  armar«  nennt  {»Relazioni«,  ed.  Segarizzi  II 
[1913],  26). 

Wie  enge  die  lyseigneurie  de  Genes«  mit  Mailand  zusanuiiengehörte,  wird  durch 
viele  Stellen  belegt;  vgl.  z.  B.  die  beiden  Äußerungen  in  der  Korrespondenz  des 
französischen  Diplomaten  Castillon  aus  dem  Jahre  1538  in  der  »Correspondance 
politique  de  Castillon  et  Marillac«  (1885),  p.  39  und  45. 

Über  die  strategische  Bedeutung  Korsikas  vgl.  La  Ronciere,  »Histoire  de 
la  Marine  frangaise«  III   (1906),  511  f.,  und  die  dort  angeführten  Stellen. 

Über  die  Leistungsfähigkeit  des  genuesischen  Schiffbaus  ist  die  Stelle  bei 
Salinas  »Cartas«  (1903),  p.  479  (1530),  vielleicht  besonders  bezeichnend;  Saunas 
berichtet  dort,  wie  rasch  die  Stadt  eine  vielleicht  auf  französische  Anstiftung  hin 
in  Brand  gesteckten  zwölf  kielfertigen  Galeeren  ersetzen  könne.  Die  genuesischen 
<>Marinari«  werden  von  dem  Venezianer  Contarini  lobend  erwähnt:  »Fontes 
Rer.  Austr.«  II,  30  (1870),  p.  9  (1536);  gelegentlich  verwandte  Doria  übrigens  auch 
Sklaven  auf  seinen  Galeeren;  vgl.  Mocenigo  ibid.  p.  54  und  »Correspondance  politique 
de  G.  Pellicier«  {IS99),  p.  479  (1541).  Maximilian  I.  schickte  1498  deutsche  Verbrecher 
als  Sträflinge  auf  genuesische  Galeeren:  »Miscellanea  di  storia  italiana«  XXXV 
(1898),   337   und  n.  5. 

Genua  galt  schon  in  früheren  Zeiten  (Anfang  des  15.  Jahrhunderts)  als  liberaler 
fremden  Kaufleuten  gegenüber  als  Venedig.  Vgl.  Wilhelm  Stieda,  »Hansisch- 
venezianische Handelsbeziehungen  im  15.  Jahrhundert«  (1894),  p.  17. 


230  Kleinere  italienische  Staaten. 

§  95.  Savoyen.  Eine  ähnliche  Stellung  wie  Genua  nahm  in  den 
internationalen  Machtkämpfen  das  Herzogtum  Savoyen  ein. 

Auch  Piemont  hatte  infolge  der  italienischen  Politik  der  Groß- 
.staaten  eine  internationale  Bedeutung  gewonnen,  die  sich  zwar  der 
Genuas  nicht  gleichsetzen,  aber  immerhin  vergleichen  läßt.  Das  Land 
beherrschte  zu  einem  guten  Teile  die  Verbindung  zwischen  Mailand 
und  Frankreich,  und  Mailand  konnte  nur  solange  als  gesicherter  habs- 
burgischer  Besitz  gelten,  als  sich  Savoyen  nicht  in  französischer  Hand 
befand.  So  wenig  wie  Genua  konnte  das  Herzogtum  aber  daran  denken, 
sich  aus  eigener  Kraft  gegen  die  Armeen  der  Großstaaten  zu  behaupten, 
und  wie  jene  Republik  vermochte  das  kleine,  wenig  fruchtbare  Land,  das 
dazu  nicht  einmal  über  eine  modern  geschulte  Infanterie  verfügte,  nur  unter 
der  Bedingung  eine  nominelle  Unabhängigkeit  zu  bewahren,  daß  es  sich 
faktisch  der  Hegemonie  der  in  Italien  dominierenden  Macht  unterwarf. 

In  der  ersten  Hälfte  der  Periode  wurde  Savoyen  allerdings  noch 
durch  einen  anderen  Umstand  vor  dem  Verlust  seiner  Selbständigkeit 
geschützt.  Das  Herzogtum  lag  innerhalb  der  Ausdehnungssphäre  des 
am  meisten  auf  imperialistische  Tendenzen  bedachten  eidgenössischen 
Ortes,  nämlich  Berns,  und  die  französische  Krone  hätte  es  damals  nie 
gewagt,  sich  durch  eine  Annexion  des  Landes  mit  den  Eidgenossen  zu 
verfeinden.  Erst  als  die  konfessionelle  Spaltung  die  Macht  der  Eid- 
genossenschaft brach  (§  97),  konnte  es  dann  Frankreich  unternehmen, 
durch  eine  Besetzung  Savoyens  seinen  früher  unentbehrlichen  Söldner- 
lieferanten (§  29)  zu  brüskieren.  Damals  aber  war  die  militärische  Vor- 
herrschaft über  Italien  bereits  in  die  Hand  der  Habsburger  übergegangen, 
und  diesen  ist  es  dann  auch  gelungen,  Savoyen  wieder  zu  befreien, 
d.  h.  aus  einer  französischen  Provinz  zu  einem  habsburgischen  Vasallen- 
staat zu  machen. 

Bestärkt  wurde  die  Haltung  der  Großmächte  allerdings  wohl  noch 
dadurch,  daß  der  Besitz  des  Herzogtums,  abgesehen  von  der  strate- 
gischen Bedeutung,  nur  geringen  Vorteil  bot.  Weder  Geld  noch  modern 
geschulte  Soldaten  waren  von  dort  zu  erhalten.  Auch  der  kleine  Küsten- 
strich, den  Piemont  bei  Nizza  besaß,  war  ohne  Bedeutung;  eine  selb- 
ständige Marine  hat  sich  dort  neben  Monaco  und  Genua  nicht  entwickelt. 

Die  Politik  der  savoyischen  Regierung  beschränkte  sich  unter 
diesen  Umständen  auf  Lavieren  und  auf  Unterwürfigkeit  gegenüber 
der  stärkeren  Großmacht.  Der  Staat  genoß  daher  auch  im  internatio- 
nalen Verkehr  geringes  Ansehen.  Venedig  beschloß  im  Jahre  1498, 
in  Savoyen  keinen  patrizischen  Gesandten  mehr  zu  halten,  da  ein 
Sekretär  zur  Führung  der  Geschäfte  genüge  (Sanuto,  «Diarii«  I,  882), 
und  der  offizielle  portugiesische  Historiograph  Damiao  de  Goes  mußte 
seine  Regierung  ausdrücklich  gegen  den  Vorwurf  verteidigen,  daß 
die  eheliche  Verbindung  einer  portugiesischen  Infantin  mit  einem 
Herzog  von  Savoyen  die  Dynastie  durch  eine  Mesalliance  entwürdigt 
habe  {Chronica.  .  .  del  Rei  D.  Emanuel«  p.  IV,  cap.  71  =  II,  596  ff. 
der  Ausgabe  von  1790;  geschrieben  nach  1558). 


§  96.    Die  Condottierestaaten.  231 

Literatur.  Über  die  Quellen  gilt  Ähnliches  wie  in  den  beiden  vorhergehenden 
Paragraphen.  So  handeln  auch  über  Savoyen  in  den  späteren  Jahrzehnten  vor 
allem  die  venezianischen  Relationen  vom  Kaiserhofe;  vgl.  z.  B.  die  Bemerkung 
Mocenigos  (1548)  in  den  t,Fontes  Rer.  Austr.«  II,  30,  p.  56f.  Die  Armut  und  Unfrucht- 
barkeit des  Landes,  verbunden  mit  einer  relativ  starken  Reserve  an  Menschen 
betont  Falier  in  einer  Relation  aus  England  (1531)  bei  Alberi  I,  3  (1853),  5.  Diese 
Reserve  wurde  aber  für  den  Krieg  nicht  eigentlich  ausgenutzt.  —  Ebensowenig 
schlössen  übrigens  die  Herzoge  Verträge  mit  den  Schweizern  über  die  Anwerbung 
von  Söldnern  ab  (das  erste  solche  Abkommen  ist  aus  dem  Jahre  1571  nachweisbar: 
»Revue  militaire  suisse«  LIX  [1914],  529. 

Zu  der  Abneigung  der  Eidgenossen  gegen  eine  französische  Annexion  Savovens 
vgl.  §  35. 

Die  militärische  Bedeutung  der  savoyischen  Alpenpässe  ist  selbstverständlich; 
für  die  Wichtigkeit,  die  diesem  Gegenstande  damals  beigelegt  wurde,  sei  deshalb 
hier  nur  auf  die  Anstrengungen  Kaiser  Maximilians  im  Jahre  1496  hingewiesen: 
Ulmann,   »Max.  I.«  I,  467 ff. 

Über  die  französische  Okkupation  Piemonts  L.  Romier,  »Les  Origines  politiques 
des  guerres  de  Religion«  I   (1913),  529ff. 

§  96.  Die  übrigen  kleinen  italienischen  Staaten.  Die  noch  übrig 
bleibenden  kleinen  Staaten  Italiens  stellen,  auch  wenn  man  von  Zwerg- 
gebilden wie  der  Republik  Ancona  (die  bis  1532  selbständig  war)  ab- 
sieht, keine  Mächte  dar,  die  in  den  internationalen  Konflikten  auch  nur 
die  Bedeutung  außeritalienischer  Mittelstaaten  wie  Ungarns,  Schott- 
lands usw.  gehabt  hätten.  Wenn  sie  trotzdem  in  diesem  Zusammen- 
hange mindestens  ebenso  ausführlich  besprochen  werden,  so  liegt  dies 
nur  daran,  daß  ihre  Haltung  auf  die  Entwicklung  des  Zentralproblems 
jener  Periode  (§  1)  größeren  Einfluß  ausgeübt  hat,  als  die  Politik  der 
eben  angezogenen  Staaten  außerhalb  Italiens.  Bemerkt  sei  dabei,  daß 
aus  Gründen,  die  ohne  weiteres  verständlich  sind,  auch  die  Fürsten, 
die  als  Vasallen  der  Kirche  oder  des  Reiches  galten  (Ferrara,  Urbino, 
Mantua  usw.),  als  souveräne  Herrscher  betrachtet  v/erden. 

Die  wichtigeren  dieser  Staaten  sind  diejenigen,  die  man  als  Con- 
dottierestaaten bezeichnen  kann.  Ihre  Oberhäupter  unterschieden  sich 
von  anderen  Hauptleuten,  die  Soldverträge  abschlössen,  dadurch  daß 
sie  ihr  Gewerbe  viel  mehr  im  großen  trieben,  eigene  Untertanen  zum 
Kriegsdienst  heranziehen  konnten  und  vor  allem  imstande  waren, 
vollständige  Armeen  oder  Flotten,  also  schwere  und  leichte  Reiterei, 
Infanterie  und  Artillerie,  dazu  auch  kommandierende  Generale  zu  stellen. 
Sie  waren  dank  diesem  Umstände  nicht  nur,  wie  selbstverständlich  für 
die  italienischen  Stadtrepubliken,  die  aus  eigenen  Kräften  vielfach 
weder  Reisige  noch  erfahrene  Kommandanten  aufzubringen  vermochten, 
häufig  (d.  h.  wenn  nicht  besser  ausgerüstete  Bundesgenossen  in  die 
Lücke  traten)  unentbehrlich,  sondern  ihre  Unterstützung  war  auch 
für  die  Großmächte,  denen  es  öfter  an  bestimmten  Waffen  fehlte  (z.  B. 
den  Spaniern  an  Reisigen  und  Schiffen),  von  beträchtlicher  Bedeutung. 
Die  wichtigsten  dieser  Condottierestaaten  waren  für  den  Landkrieg: 
Mantua,  Urbino  und  Ferrara;  für  den  Seekrieg  Monaco. 

Diese  Fürsten  unterschieden  sich  aber  auch  dadurch  von  ihren 
Berufsgenossen  in  anderen  Ländern,  daß  sie  ihr  Geschäft  nicht  nach 


232  Kleinere   Staaten. 

rein  kommerziellen  Rücksichten  betrieben.  Stellte  sich  die  Frage, 
welcher  Macht  sie  ihre  Dienste  verkaufen  sollten,  so  fiel  der  Entscheid 
häufig  auf  Grund  politischer  Erwägungen,  und  dies  bedeutete  in  der 
Regel,  daß  die  ausländische,  der  eigenen  Unabhängigkeit  weniger 
gefährliche  Großmacht  dem  benachbarten  italienischen  Staate  vor- 
gezogen wurde.  Besonders  die  Politik  von  Ferrara  ist  in  der  Haupt- 
sache durch  dieses  Motiv  bestimmt  worden.  Vom  finanziellen  und  vom 
wirtschaftspolitischen  Standpunkt  aus  hätte  es  nahegelegen,  daß  die 
Herzoge  sich  in  den  Dienst  Venedigs  gestellt  hätten,  das  nicht  nur 
der  beste  Zahler  unter  den  Staaten  war,  sondern  auch  die  Getreide- 
zufuhr nach  dem  Staate  kontrollierte.  Aber  die  Furcht,  von  der  La- 
gunenrepublik absorbiert  zu  werden,  wirkte  in  der  entgegengesetzten 
Richtung,  und  so  hielt  Ferrara  in  der  Regel  zu  den  Gegnern  Venedigs. 

Ganz  frei  konnte  allerdings  wohl  keiner  dieser  Staaten  seine  Politik 
durchführen.  Da  ihr  Staatsbudget  einmal  auf  den  Condottieredienst 
angelegt  war,  so  bestand  beinahe  eine  Notwendigkeit,  irgendeine  Offerte 
anzunehmen  und  selbst  die  des  expansionslustigen  Nachbarn  ließ  sich 
nicht  ausschlagen,  wenn  keine  andere  vorlag.  Dies  führte  dazu,  daß 
diese  Fürsten  auch  dann  von  der  anderen  Seite  umworben  wurden, 
wenn  zu  ihrer  Verwendung  kein  Bedürfnis  vorlag,  nur  damit  sie  ihre 
wertvolle  Hilfe  nicht  der  Gegenpartei  verkaufen  konnten.  Ähnlich 
wie  bei  der  Eidgenossenschaft  (§  97)  hat  also  gerade  die  ökonomische 
Zwangslage,  in  der  sich  einige  dieser  Staaten  befanden,  zur  Folge  gehabt, 
daß  die  rivalisierenden  Mächte  sich  gegenseitig  mit  Angeboten  aus  dem 
Felde  zu  schlagen  suchten.  Wenn  die  Konsequenzen  dieses  Zustandes 
sich  in  Italien  weniger  bemerkbar  machten  als  in  der  Schweiz,  so  be- 
ruhte dies  nur  darauf,  daß  die  itahenischen  Kondottieren,  die  als  In- 
fanteriesöldner nur  das  notorisch  inferiore  einheimische  Truppen- 
material offerieren  konnten,  auf  dem  Werbemarkt  kein  Monopol  be- 
saßen, wie  die  schweizerischen  Regierungen  wenigstens  in  den  ersten 
Jahrzehnten. 

Geringere  Bedeutung  hatten  die  Bank-  und  Handelsstädte  Siena 
und  Lucca,  die  dank  ihrem  Finanzkapital  auf  den  Verlauf  der  mili- 
tärischen Operationen  einen  gewissen  Einfluß  auszuüben  vermochten. 
Denn  diese  Einwirkung  war  trotz  des  Reichtums,  zumal  Luccas,  nicht 
groß  genug,  als  daß  sie  entscheidende  Folgen  nach  sich  gezogen  hätte; 
auch  war  dazu  die  militärische  Position  der  beiden  Republiken  doch 
zu  schwach,  bei  Siena  außerdem  noch  das  politische  Regiment  wegen 
des  Streites  der  Faktion  zu  unsicher  fundiert.  Wenn  auswärtige 
Staaten  auch  gelegentlich  ausdrücklich  auf  deren  finanzielle  Beihilfe 
gerechnet  haben  (z.  B.  im  Jahre  1533,  als  der  Kaiser  eine  Alhanz  der 
italienischen  Staaten  gegen  Frankreich  zustande  bringen  wollte;  vgl. 
Sanuto  LVII,  554  ff.),  so  fielen  doch  selbst  in  dieser  Beziehung  ihre 
Leistungen  neben  Mailand  oder  Genua  nicht  sehr  in  Betracht.  Zu  be- 
merken ist  nur,  daß  auch  dieses  Machtmittel  nicht  nach  rein  wirtschaft- 
lichen   Gesichtspunkten    verwendet    wurde;    auch    hier    mischten    sich 


§  97.    Die  Schweiz.  233 

vielmehr  politische  Rücksichten  d.  h.  die  Furcht  vor  einer  Annexion 
durch  Florenz  ein.  Selbstverständlich  fielen  diese  Städte,  nachdem 
einmal  die  habsburgische  Hegemonie  über  Italien  aufgerichtet  war, 
noch  vollständiger  unter  die  Gewalt  des  Kaisers  als  die  Mittelstaaten 
i\gi.  z.  B.  Navagero  bei  Alberi  I,  352;  1546).  Siena  hat  dann  allerdings 
noch  einmal  versucht,  sich  dieser  Oberherrschaft,  d.  h.  der  Einver- 
leibung in  den  habsburgischen  Vasallenstaat  Toskana  zu  entziehen. 
Aber  nicht  nur  mißlang  dieses  Unternehmen  (1555),  sondern  es  zeigte 
sich  auch,  daß  die  Alternative  gegenüber  der  Abhängigkeit  von  den 
Habsburgern  nur  in  der  Aufrichtung  einer  französischen  Schutzherr- 
schaft bestanden  hätte. 

Literatur.  Vgl.  die  Anmerkung  zu  den  vorliergehenden  Paragraphen.  Für 
die  Verwendung  der  Condottierefürsten  hefern  besonders  die  itahenischen  Feld- 
züge vor  den  Zeiten  Karls  V.  reiches  Material,  für  die  Bedeutung  der  monegassi- 
schen Galeeren  besonders  die  Aktionen  zur  See  in  den  letzten  Jahrzehnten  der 
Periode. 

Nur  ganz  ausnahmsweise  sind  von  den  italienischen  Condottieri  schweizerische 
Söldner  verwendet  worden  (Sanuto  II,  21,  24;  1498);  einem  häufigeren  Gebrauch 
hätten  schon  die  Werbeverbote  der  Eidgenossen  im  Wege  gestanden.  Maximilian  I. 
ließ  jenem  Condottiere  (dem  Markgrafen  von  Mantua),  damals  auch  die  deutschen 
Söldner  sperren  (ibid.  63  und  86).  Über  die  finanzielle  Abhängigkeit  solcher  Fürsten 
von  dem  Engagement  durch  einen  größeren  Staat  vgl.  die  Bemerkung  in  der  Re- 
lation Badoers  über  Urbino:  ))Rclazioni«,  ed.  Segarizzi  II  (1913),  174.  Diese  Stelle 
ist  auch  bezeichnend  für  den  Großbetrieb  solcher  Condottierefürsten;  sie  sind  nicht 
mit  den  sonst  einzeln  angeworbenen  Hauptleuten  auf  eine  Linie  zu  stellen,  haben 
vielmehr  verschiedene  solcher  »Capitani«  unter  sich.  Damals  (1547)  hatte  übrigens 
der  Herzog  von  Urbino  insofern  Venedig  gegenüber  eine  Monopolstellung  als  die 
Republik  nur  von  ihm  italienische  Mannschaft  beziehen  konnte  (ibid.  p.  179).  Cha- 
rakteristisch ist,  daß  1498  dem  Herzog  von  Ferrara  die  Absicht  zugeschrieben 
wurde,  den  Markgrafen  von  Mantua  vergiften  zu  lassen,  weil  Venedig  jenen  in  seine 
Dienste  genommen  hatte  (Sanuto  II,  34).  Vgl.  auch  ibid.  I,  1112.  Die  italienischen 
Condottierefürsten  brachten  zwar  nicht  immer  eigene  Artillerie  mit,  bisweilen 
auch  nur  Feldartillerie  (vgl.  Sanuto  I,  1109  und  1112);  immerhin  geschah  dies  doch 
verschiedentlich,  wie  auch  aus  den  eben  zitierten  Stellen  hervorgeht  und  besonders 
noch  durch  die  Entsendung  der  berühmten  ferraresischen  Geschütze  im  Feldzuge 
des  Jahres  1508  bestätigt  wird.  Reiterei  (schwere  und  leichte)  wurde  dagegen 
wohl  immer  von  ihnen  gestellt;  sie  boten  eventuell  leichte  und  schwere  Reiter  zur 
Auswahl  an  (Suriano  bei  Alberi  II,  5,  423).  Daß  die  italienische  Infanterie  wegen 
mangelnder  Schulung  wenig  taugte,  wird  in  den  Quellen  immer  wieder  gesagt; 
Mocenigo  behauptet  geradezu  {»Fontes  Rer.  Austr.«  II,  30,  129),  Karl  V.  habe  es 
nicht  ungern  gesehen,  wenn  die  italienischen  Fürsten  ihre  Soldaten  nicht  übten; 
denn  er  wolle  sie  in  Abhängigkeit  erhalten.  (Eine  Ausnahme  bildete  bekannthch 
Urbino;  vgl.  oben  §  92.)  —  Ähnlich  im  großen  betrieben  übrigens  einzelne  italienische 
Magnatenfamilien  das  Condottieregewerbe,  die  auf  staatliche  Unabhängigkeit  nicht 
einmal  soweit  wie  etwa  Urbino  Anspruch  erheben  konnten.  So  stieß  Camillo  Colonna 
1541   zu  Kaiser  Karl  V.  mit  25  bis  30  Hauptleuten:   »State  Papers«  VIII,  504. 

i)ber  die  politische  Betätigung  der  Banquiers  von  Siena  und  Lucca  wie 
übrigens  auch  von  Florenz,  Genua  etc.  manches  bei  R.  Ehrenberg,  »Zeitalter 
der  Fugger«  I   (1896). 

§  97.  Die  Schweiz.  Auch  bei  der  Schilderung  der  Eidgenossen- 
schaft muß  die  Bemerkung  vorausgeschickt  werden,  daß  jede  zusammen- 
fassende Charakteristik  mangelhaft  ist,  weil  sich  die  Verhältnisse  wäh- 


234  Kleinere  Staaten. 

rend  der  hier  behandelten  Periode  stark  modifizierten.  Die  territorialen 
Veränderungen  sind  allerdings  von  geringer  Bedeutung.  Dagegen  hat 
die  Spaltung,  die  infolge  der  Reformationsbewegung  eintrat,  auch  die 
politische  Struktur  so  sehr  in  Mitleidenschaft  gezogen,  daß  kaum  eine 
Angabe,  die  man  machen  könnte,  in  gleicher  Weise  für  die  erste  und 
die  zweite  Hälfte  des  Zeitraumes  zutreffen  würde;  vor  1559  ist  kein 
anderer  Staat  so  entscheidend  durch  den  konfessionellen  Konflikt 
affiziert  worden  wie  die  Schweiz.  Der  Schwierigkeit  läßt  sich  nur 
Herr  werden,  wenn  der  Forscher  ausschließlich  die  Schweiz,  wie  sie 
vor  1520  bestand,  in  Betracht  zieht;  es  entspricht  dies  auch  dem  Zwecke 
dieser  Skizze:  nachdem  die  Kirchenspaltung  die  Grundlagen  der  ehe- 
maligen auswärtigen  Politik  der  Eidgenossenschaft  erschüttert  hatte, 
verliert  das  Land  das  Interesse,  das  ihm  als  einem  Machtfaktor  des 
europäischen  Staatensystems  gebührte. 

Die  Schweiz  nahm  eine  ähnliche  Stellung  zu  dem  Streit  um  Itahen 
ein  wie  die  in  den  letzten  Paragraphen  behandelten  italienischen  Con- 
dottierestaaten.  Wie  bei  jenen  war  ihr  Anteil  zunächst  wirtschaft- 
licher Natur:  dank  ihrer  Verfügung  über  das  ursprünglich  am  besten 
geschulte  Fußvolk  der  Periode  waren  die  eidgenössischen  Regierungen 
in  der  Lage,  den  neuen  internationalen  Konflikt,  der  den  Wert  ihrer 
Söldner  ungeheuer  erhöht  hatte,  zu  finanziellen  und  kommerziellen 
Konzessionen  in  bisher  ungeahntem  Maße  auszunutzen;  wie  bei  jenen 
wurde  auch  ihre  freie  Entschließung  dadurch  eingeschränkt,  daß  eine 
eigentliche  ökonomische  Notwendigkeit  bestand,  die  militärisch  ver- 
wendbare überschüssige  Menschenkraft  in  ausländischen  Diensten  zu 
beschäftigen.  Aber  so  wenig  wie  bei  den  genannten  italienischen  Fürsten 
waren  bei  der  Entscheidung  darüber,  welcher  Großmacht  die  offizielle 
Erlaubnis  zur  Anwerbung  schweizerischer  Söldner  erteilt  werden  sollte, 
rein  finanzielle  Motive  maßgebend.  Die  eidgenössischen  Orte  oder 
wenigstens  ein  Teil  von  ihnen  verfolgten  daneben  auch  eigentliche 
Eroberungsabsichten  in  den  benachbarten  italienischen  Gebieten,  und 
wenn  sich  schon  auch  diese  Ausdehnungstendenzen  zum  Teil  aus  öko- 
nomischen Überlegungen  herleiten  lassen,  so  standen  sie  doch  öfter 
mit  einer  ausschließlich  auf  finanzielle  Ausnutzung  der  Lage  auf  dem 
Söldnermarkt  gerichteten  Werbehzenzenpolitik  im  Widerspruch. 

Die  Erklärung  für  diese  widersprechenden  Tendenzen  wird  durch 
die  ökonomische  Struktur  des  Landes  geboten. 

Obwohl  die  Schweiz  auch  nach  damaligen  Begriffen  schwach  be- 
völkert war  (dies  deutet  z.  B.  Gommines  an  1.  V,  eh.  1 ;  ed.  Mandrot 
I,  346  u.  349),  so  war  sie  doch  bereits  übervölkert.  Man  schätzt  die 
damalige  Bevölkerungsdichte  zwar  nur  auf  15  Seelen  auf  den  Quadrat- 
kilometer und  die  gesamte  Seelenzahl  auf  4 — 500000,  d.  h.  etwa  ein 
Siebentel  der  heutigen;  aber  die  bereits  von  vielen  zeitgenössischen 
Beobachtern  hervorgehobene  »große  Unfruchtbarkeit«,  d.  h.  die  allzu 
starke  Niederschlagsmenge,  die  den  Anbau  von  Zerealien  in  großen 
Teilen  des  Landes  wenig  ertragreich  gestaltet,  hatte  schon  damals  zur 


§  97.   Die   Schweiz.  235 

Folge,  daß  die  Bewohner  sich  nur  mit  Hilfe  dürftiger  Lebenshaltung 
(der  häufig  hervorgehobenen  »Armut«)  aus  der  eigenen  Urproduktion 
zu  ernähren  vermochten.  Günstigere  Verhältnisse  ließen  sich  nur 
schaffen,  wenn  ausländisches  Getreide  in  großen  Quantitäten  einge- 
führt werden  konnte.  Um  dies  zu  erreichen,  waren  aber  zwei  Vor- 
bedingungen zu  erfüllen:  es  mußte  Geldkapital  geschafft  werden,  um 
diesen  Import  zu  bezahlen,  und  es  mußten  Mittel  gefunden  werden, 
um  die  fremden  Regierungen  davon  abzuhalten,  daß  sie  aus  politischen 
Gründen  die  Ausfuhr  von  Korn  nach  der  Eidgenossenschaft  sperrten. 

Diese  beiden  Voraussetzungen  sind  durch  den  Söldnerdienst  und 
besonders  durch  das  damit  zusammenhängende  Lizenzensystem  der 
schweizerischen  Regierungen  geschaffen  worden. 

Der  Söldnerdienst  (für  den  etwa  15000  Mann  als  überschüssiger 
Bevölkerungsteil  zur  Verfügung  standen)  brachte  zunächst  einmal 
direkt  Geld  in  das  Land,  sowohl  durch  den  Lohn  der  Truppen  wie  durch 
die  Pensionen,  die  den  Regierungen  für  die  Werbeerlaubnis  bezahlt 
werden  mußten.  Wurden  dadurch  die  Summen  aufgebracht,  die  zur 
Deckung  unentbehrlicher  Importartikel  (vor  allem  des  Getreides  und 
des  Salzes)  nötig  waren,  so  sorgte  für  freie  Zufuhr  das  Lizenzensystem, 
das  die  Regierungen  zur  Ausnutzung  ihrer  einzigen  Gegenleistung  von 
monopolartigem  Weit  geschaffen  hatten.  Die  Behörden  der  eidgenös- 
sischen Orte  hielten  nämlich  streng  darauf,  daß  ihre  Untertanen  nicht 
ohne  ihre  ausdrückliche  Autorisation  von  fremden  Regierungen  an- 
geworben wurden.  Es  war  den  Landeskindern  verboten,  sich  ohne 
offizielle  Vermittelung  als  »freie  Knechte«  oder  »Reisläufer«  in  fremde 
Dienste  zu  begeben;  es  wurde  als  ein  unfreundlicher  Akt  eines  aus- 
wärtigen Staates  angesehen,  wenn  ein  solcher  schweizerische  Söldner 
ohne  Zustimmung  ihrer  Regierungen  zu  engagieren  versuchte  (die 
französische  Regierung  hat  sich  unter  Karl  VI  IL  einmal  offiziell  wegen 
eines  solchen  Vorfalles  entschuldigt:  »Lettres  de  Charles  VIII <(  V  [1905], 
255  f.;  1494).  In  dem  Dijoner  Vertrag  aus  dem  Jahre  1513  wird  von 
der  französischen  Krone  direkt  verlangt,  sie  müsse  sich  zur  Unter- 
lassung solcher  nicht  autorisierter  Anwerbungen  verpflichten. 

Es  war  den  schweizerischen  Regierungen  nicht  leicht,  dieses  System 
gegenüber  ihren  Untertanen  zur  Geltung  zu  bringen.  Obwohl  sie  dafür 
gewisse  Garantien  für  die  Auszahlung  des  Soldes  übernahmen,  fehlte 
es  nicht  an  »Knechten«,  die  sich  über  die  Befehle  der  Behörden  hinweg- 
setzten und,  sei  es  aus  persönlichen  Gründen  (weil  sie  eine  offizielle 
Erlaubnis  nicht  abwarten  mochten),  sei  es  auch  auf  Grund  politischer 
Sympathien,  die  mit  den  Tendenzen  der  Regierungen  nicht  überein- 
stimmten, als  Reisläufer  ins  Ausland  zogen.  Besonders  in  den  in  spe- 
ziellem Maße  auf  das  Söldnergewerbe  angewiesenen  Gebirgskantonen 
der  Urschweiz  zeigten  sich  die  Behörden  vielfach  außerstande,  den 
Abfluß  ihrer  Untertanen  zu  verhindern.  Aber  es  wäre  verkehrt,  wenn 
man  das  System  deshalb  als  unwirksam  bezeichnen  wollte.  Dies  wird 
schon  durch  die  diplomatische  Korrespondenz  der  Großmächte  wider- 


236  Kleinere  Staaten. 

legt,  die  überall  da,  wo  sie  von  schweizerischen  Söldnern  redet,  deutlich 
zeigt,  welchen  Wert  die  ausländischen  Regierungen  auf  die  offiziellen 
schweizerischen  Lizenzen  legten.  Es  kommt  aber  noch  hinzu,  daß 
gerade  die  besser  ausgerüsteten  Söldner  oft  nur  mit  Erlaubnis  der 
Regierungen  zu  erhalten  waren  und  daß  das  Einreihen  von  unbot- 
mäßig »zugelaufenen«  Schweizern  Ungelegenheiten  zur  Folge  haben 
konnte,  die  mit  Rücksicht  auf  die  militärische  Bedeutung  der  eid- 
genössischen Infanterie  lieber  vermieden  wurden. 

Bestätigt  wird  diese  Ansicht  auch  durch  die  wertvollen  wirtschaft- 
lichen Konzessionen,  die  die  eidgenössischen  Regierungen  als  Gegen- 
leistungen für  ihre  Anwerbelizenzen  zu  erlangen  vermochten.  Vor 
allem  die  freie  Zufuhr  von  Getreide  und  Salz  wird  häufig  gefordert; 
dazu  kommen  Privilegien  kommerzieller  Natur,  besonders  in  Frank- 
reich u.  a.  m. 

Gerade  weil  dem  so  war,  geschah  allerdings  auch,  daß  die  ökono- 
mische Existenz  der  Schweiz  immer  mehr  vom  Söldnerwesen  abhing. 
Weil  es  möglich  war,  Getreide  aus  dem  Auslande  zu  erhalten,  wurde 
der  bisher  noch  spärlich  betriebene  Zeralienbau  in  den  Gebirgsgegenden 
gänzlich  eingestellt  und  nur  noch  Viehzucht  betrieben;  dieser  Umstand 
erhöhte  dann  nicht  nur  das  Bedürfnis  nach  Korn,  sondern  natürlich 
auch  nach  Salz.  Auch  wurde  dadurch  ein  größerer  Teil  der  männlichen 
Jugend  für  den  Kriegsdienst  frei,  so  daß  es  der  Regierung  noch  schwerer 
fiel  als  vordem,  aus  politischen  Gründen  eine  Werbelizenz  zu  versagen. 
Aber  in  der  Hauptsache  bewährte  sich  das  System.  Die  Gefahr  des 
Aushungerns,  von  dem  noch  ein  Vierteljahrhundert  vorher  ein  mai- 
ländischer  Beamter  einmal  gesprochen  hatte  {»Depeches  des  Ambassa- 
deurs milanais«  I  [1856],  256;  1475)  bestand  in  Tat  und  Wahrheit  nicht 
mehr,  nicht  weil  sich  die  wirtschaftliche  Produktion  gehoben  hätte, 
sondern  weil  die  fremden  Regierungen  ein  Interesse  daran  hatten,  es 
mit  den  Lieferanten  des  (in  der  ersten  Zeit)  besten  Fußvolkes  der  Pe- 
riode nicht  zu  verderben. 

Unter  diesen  Umständen  brachten  sogar  nicht  einmal  die  lockere 
Organisation  der  eidgenössischen  Bünde  und  die  divergierenden  Ziele 
der  auswärtigen  Politik,  die  unter  den  Orten  bestanden,  der  inter- 
nationalen Stellung  der  Schweiz  den  Schaden,  den  sie  ohne  diese  mili- 
tärische Basis  hätten  zur  Folge  haben  müssen.  Immerhin  genügten 
diese  gemeinsamen  wirtschaftlichen  Interessen  auch  nicht,  um  eine 
einheitliche  eidgenössische  Politik  gegenüber  dem  Auslande  zu  erzeugen. 
Der  Gegensatz  blieb  bestehen,  daß  die  westhchen  Orte  unter  der  Füh- 
rung Berns  ihre  Ausdehnungstendenzen  gegen  das  savoyische  Gebiet 
zu  richteten,  die  Urkantone  die  ihren  gegen  Mailand,  und  daß  die  Orte 
im  Norden  diesen  Bestrebungen  gegenüber  zum  mindesten  vielfach 
eine  passive  Resistenz  an  den  Tag  legten.  Dies  gilt,  besonders  mit 
Bezug  auf  die  Unternehmungen  gegen  Savoyen.  Mit  Mailand  stand  es 
allerdings  nicht  ganz  ebenso.  Die  Frage  des  Besitzes  Mailandes  rührte 
eben   an   das   fundamentale   Versorgungsproblem.     Mailand   war   nicht 


§  97.    Die   Schweiz.  237 

nur  für  die  Kornzufuhr  nach  der  Innerschweiz  von  außerordentliche!" 
Bedeutung,  sondern  die  französische  Krone  hätte,  falls  das  Herzogtum 
in  ihre  Hand  gefallen  wäre,  einen  unverhältnismäßig  großen  Einfluß 
auf  die  Versorgung  der  Eidgenossenschaft  überhaupt  erhalten.  Hier 
lag  daher  ein  Grund  vor,  sich  unmittelbar  in  die  Kämpfe  um  Italien 
einzumischen,  wie  denn  auch  geschehen  ist  (§  114).  In  einer  publi- 
zistischen französischen  Äußerung  aus  dem  Jahre  1515  wird  auch 
geradezu  dem  Gedanken  Ausdruck  verliehen,  man  könnte  die  Schweizer 
durch  eine  Getreidesperre  in  Frankreich  und  Mailand  zu  absoluter  Unter- 
würfigkeit bewegen  {»Journal  de  Jean Barrillonal  [1897],  130),  —  eine  Er- 
wägung, die  aus  den  eben  angeführten  Gründen  allerdings  undurchführ- 
bar war,  immerhin  aber  doch  die  wirtschaftliche  Bedeutung  der  Ver- 
reinigung  Mailands  mit  Frankreich  in  klarem  Lichte  erscheinen  läßt. 
Freilich  hätten,  auch  wenn  die  politische  Organisation  des  Bundes 
weniger  mangelhaft  gewesen  wäre,  wesentliche  Voraussetzungen  zu 
einer  wirksamen  auswärtigen  Politik  gefehlt.  Die  Schweiz  war  näm- 
lich auch  auf  dem  militärischen  Gebiete,  dem  einzigen,  das  ihr  einen 
Einfluß  auf  die  internationalen  Streitfragen  verschaffte,  so  einseitig 
ausgerüstet,  daß  sie  wohl  wertvolle  Hilfe  leisten,  dagegen  kaum  selb- 
ständig operieren  konnte.  Von  allen  Waffen  wurde  nur  die  Infanterie 
wirklich  gepflegt;  in  den  übrigen  Waffengattungen  leisteten  die  Eid- 
genossen nichts  oder  doch  nur  Mittelmäßiges.  An  Kavallerie  fehlte 
es  so  sehr,  daß  die  Behauptung  Machiavellis,  die  Schweizer  kennten 
diese  Waffe  überhaupt  nicht,  im  besten  Falle  als  leicht  übertrieben 
bezeichnet  werden  kann;  es  lag  dieser  Mangel  sowohl  in  der  gebirgigen 
Natur  des  Landes  wie  in  dem  städtisch-bürgerlichen  Charakter  der 
Mehrzahl  der  Kantone  begründet  (auch  die  deutschen  Reichsstädte 
hatten  keine  eigene  Reiterei).  Im  Artilleriewesen  stand  es  zwar  nicht 
ganz  so  schlimm;  einige  wenige  Städte  vermochten  sogar  aus  eigenen 
Kräften  Feuergeschütze  herzustellen,  was  bei  den  meisten  der  geringen 
Entwicklung  des  einheimischen  Handwerkes  wegen  nicht  möglich  war; 
auch  durfte  die  Befestigungskunst  schon  nur  mit  Rücksicht  auf  die 
Gefahr  innerschweizerischer  Kämpfe  nicht  vernachlässigt  werden.  Aber 
auch  hier  waren  die  Resultate  bescheiden.  In  den  Offerten,  die  den 
Eidgenossen  gemacht  wurden,  um  sie  zum  Kampfe  gegen  benachbarte 
Großmächte  zu  bewegen,  fehlte  kaum  je  das  Angebot,  sie  neben  Ka- 
vallerie auch  mit  Artillerie  zu  versehen,  was  beweist,  daß  es  entweder 
an  moderner  oder  an  reichlicher  Artillerie  oder  an  beiden  mangelte, 
und  es  war  allbekannt,  daß  die  schweizerischen  Söldner  regelmäßig 
bei  Belagerungen  versagten.  So  wertvolle  Dienste  die  Schweizer  in 
einer  Koalitionsarmee  leisten  konnten,  so  beschränkt  war  ihre  mili- 
tärische Brauchbarkeit,  wenn  sie  ausschließlich  auf  eigene  Kräfte  an- 
gewiesen waren.  Nur  der  Umstand,  daß  die  Infanterie  damals  im 
Landkriege  die  dominierende  Waffe  war  (§  5),  hat  die  Eidgenossen- 
schaft in  den  allerdings  wenigen  Kämpfen  mit  dem  Ausland  vor  Kata- 
strophen bewahrt. 


238  Kleinere  Staaten. 

Die  Qualitäten  der  schweizerischen  Söldner  selbst  können  hier  nur 
kurz  geschildert  werden;  sie  sind  ja  auch  kein  Erzeugnis  der  hier  be- 
handelten Periode,  sondern  die  Eidgenossen  traten  bereits  mit  ihnen 
in  jenen  Zeitraum  ein.  Die  schweizerischen  Infanteristen  waren  (be- 
sonders in  den  ersten  Jahren)  den  anderen  vor  allem  überlegen  durch 
ihre  taktische  Ausbildung,  die  dann  erst  allmählich  in  fremden  Ländern 
Nachahmung  fand.  Es  kamen  hinzu  günstige  physische  Eigenschaften. 
Die  viehzuchttreibenden  Gebirgskantone,  die  verhältnismäßig  am 
meisten  Söldner  stellten,  brachten  ein  besseres  Soldatenmaterial  hervor 
als  ackerbautreibende  Länder.  Dem  reihten  sich  moralische  Vorzüge 
an:  da  kein  Abfließen  in  andere  Gewerbsarten  stattfand,  meldeten  sich 
die  tüchtigsten  Elemente  an  und  ein  strenger,  in  Strafbestimmungen 
sich  äußernder  Korpsgeist  hielt  die  eidgenössischen  Truppen  so  fest 
zusammen,  wie  es  sonst  wohl  nur  bei  den  spanische  Söldnern  der  Fall 
gewesen  sein  dürfte.  »Nationale«  Gesinnung  im  eigentlichen  Sinne  des 
Wortes  war  allerdings  selten;  aber  wenn  schon  die  Söldner  den  poli- 
tischen Zielen  ihres  Landes  in  der  Regel  indifferent  gegenüberstanden,  so 
hielten  sie  um  so  mehr  auf  ihre  nationale  Berufsehre.  Es  war  wohl  nicht 
unberechtigt,  wenn  sie  bei  den  fremden  Regierungen  als  besonders  zu- 
verlässig galten;  damit  mochte  auch  zusammenhängen,  daß  sie  z.  B.  in 
Frankreich  höher  bezahlt  wurden,  nicht  nur  natürlich  als  die  einheim- 
ischen wenig  geschulten  Infanteristen,  sondern  selbst  als  die  deutschen 
Landsknechte  (so  berechnet  wenigstens  Kurt  Stallwitz,  »Die  Schlacht 
bei  Ceresole«  1911,  S.  81,  n.  78;  vgl.  auch  Soranzo  bei  Alberi  I,  2,  417). 

Weil  dem  nun  so  war  und  weil  die  auswärtigen  Regierungen  sogar, 
wenn  sie  selbst  keine  Schweizer  verwenden  mochten,  wenigstens  Wert 
darauf  legten,  daß  die  eidgenössischen  Regierungen  auch  dem  Gegner 
die  Werbung  nicht  gestatteten,  hätte  die  Eidgenossenschaft  trotz  des 
Aufkommens  gefährlicher  Rivalen  (vor  allem  der  Spanier,  aber  auch  der 
Landsknechte)  bis  zum  Ende  der  Periode  eine  einflußreiche  Stellung 
in  der  internationalen  Politik  bewahren  können,  wenn  die  konfessionelle 
Spaltung  nicht  jede  gemeinsame  Aktion  gegenüber  dem  Ausland  un- 
möglich gemacht  hätte.  Nicht  die  Schlacht  bei  Marignano  (§  116)  oder 
der  darauf  folgende  Freiburger  Friede  mit  Frankreich  hat  der  selb- 
ständigen Politik  der  Schweiz  ein  Ende  bereitet  —  die  Ereignisse  der 
unmittelbar  darauffolgenden  Jahre  beweisen  das  Gegenteil  —  sondern 
die  Reformation  und  ihre  Folgen.  Die  zeitgenössischen  Beobachter 
haben  dies  bereits  deutlich  genug  erkannt  (vgl.  z.  B.  den  Venezianer 
Mazza  in  den  Relazioni  ed.  Segarizzi  II,  66;  ferner  ibid.  p.  36);  die  innere 
Zwietracht  paralysierte  nicht  nur,  wie  ohne  weiteres  verständlich, 
die  diplomatische  Tätigkeit  der  eidgenössischen  Regierungen,  sondern 
sie  nötigte  die  »Orte«  auch,  einen  Teil  ihrer  Söldner  zum  gegenseitigen 
Schutze  zu  Hause  zu  behalten  (Cavalli  bei  Tommaseo  I,  309).  Die  kon- 
fessionelle Spaltung  der  Eidgenossenschaft  ist  daher  nicht  zum  min- 
desten am  Hofe  Kaiser  Karls  V.  mit  Befriedigung  aufgenommen 
worden  (Salinas   »Carlas«  p.  427  [1529]). 


§  97.    Die  Schweiz.  239 

Literatur.  Trotz  umfangreicher  Publikationen  zur  schweizerischen  Ge- 
schichte fehlt  es  noch  durchaus  an  wissenschaftlichen  Monographien  zur  Geschichte 
des  schweizerischen  Militär-  und  noch  mehr  des  Söldnerwesens.  Über  das  erstere 
das  Wichtigste,  in  Arbeiten  aus  der  Schule  Hans  Delbrücks;  vgl.  die  zu  §  5  zitierte 
Literatur.  Dazu  die  Arbeiten  von  Joh.  Häne  und  Hermann  Merz  (Heft  3  und  11 
der  »Schweizer  Kriegsgeschichte«  1915ff.);  E.  Dürr,  »Machiavellis  Urteil  über  die 
Schweizer«  in  der  »Basler  Zeitschrift  für  Geschichte  und  Naturkunde«  XVII  (1918), 
162 ff.  Über  das  Söldnerwesen  gibt  das  Beste  die  kurze  Schrift  von  Richard  Feller, 
»Bündnisse  und  Söldnerdienst  1515  — 1798«  (ß.  Heft  der  »Schweizer  Krieg.sgeschichte« 
1916).  Die  Arbeit  hat,  obwohl  zum  großen  Teile  auf  ungedruckten  Quellen  beruhend, 
leider  gemäß  dem  populären  Charakter  der  Sammlung,  in  der  sie  erschien,  auf  die 
Zitierung  der  Belege  verzichten  müssen;  immerhin  ist  wenigstens  ein  Literatur- 
verzeichnis beigegeben  worden.  Im  übrigen  sind,  wie  auch  Feller  andeutet  (p.  48) 
die  ausländischen  Quellen  für  diesen  Gegenstand  viel  ergiebiger  als  die  schweizerischen 
Akten.  Erschwert  werden  übrigens  die  Untersuchungen  über  das  schweizerische 
Söldnerwesen  dadurch,  daß  es  auch  noch  an  einer  Wirtschaftsgeschichte  der  Schweiz 
fehlt. 

Zu  den  Abmachungen  mit  fremden  Mächten,  die  den  Eidgenossen  mit  Artillerie 
und  Kavallerie  aushelfen  sollten,  vgl.  die  Offerte  Maximilians  I.  aus  dem 
Jahre  1513  (Ulmann  II,  465),  Gagliardi  im  »Jahrbuch  für  Schweizerische  Geschichte« 
XL,  17*,  54  ff.,  126,  177  (französisches  Geschütz  im  Jahre  1499  geliefert);  in  dem 
Bunde  zwischen  Frankreich  und  11  Ständen  vom  Jahre  1549  versprach  der  franzö- 
sische König  den  Eidgenossen  nicht  nur  Salz  zu  den  gleichen  Bedingungen  wie  seinen 
Untertanen  zu  liefern,  sondern  auch,  falls  sie  angegriffen  werden  sollten,  ihnen  Reiter 
und  Geschütze  zu  schicken  (ähnlich  schon  im  Jahre  1515  :  Jean  Barrillon,  )>Journal«, 
p.  und  106 f.).  Über  die  Bedeutung  des  Salzes  vgl.  ferner  »Jahrbuch«,  ibid., 
116*;  Kaiser  Karl  V.  befürchtete  deshalb  Absichten  der  Schweizer  auf  die  Salinen 
der  Freigrafschaft  (politisches  Testament  aus  dem  Jahre  1548  bei  Weiß,  »Papiers 
cfEtat  de  Granvellen  III,   294). 

Wenn  im  Texte  nicht  erwähnt  wurde,  daß  das  eingeführte  Getreide  zum  größten 
Teile  aus  Süddeutschland  stammte,  so  geschah  dies  nur  deshalb,  weil  die  Gefahr 
einer  Einfuhrsperre  aus  politischen  Gründen  von  dieser  Seite  kaum  bestand.  Diese 
Eventualität  scheint  nur  während  des  Schwabenkrieges  des  Jahres  1499  in  Betracht 
gezogen  worden  zu  sein  (»Jahrbuch  für  Schweiz.  Geschichte«  XL,  116*).  Der  wert- 
vollste Beitrag  zur  Geschichte  der  Selbstversorgung  mit  Korn  ist  die  Dissertation  von 
Reinhold  Bosch,  »Der  Kornhandel  der  Nord-,  Ost-,  Innerschweiz  und  der  ennet- 
birgischen  Vogteien  im  15.  und  16.  Jahrhundert«  (Zürich  1913)  (mit  Bibliographie). 
Über  die  Handelsprivilegien  im  Ausland,  die  mit  der  Gewährung  von  Anwerbe- 
lizenzen zusammenhingen,  vgl.  die  Zürcher  Dissertation  von  Ella  Wild,  »Die  eid- 
genössischen Handelsprivilegien  in  Frankreich  1444  —  1635«  (1909):  dazu  auch  die 
Äußerung  der  Berner  Regierung  »Jahrbuch  für  schweizerische  Geschichte«  XXXIX 
(1914),  38*  n.  1.  Ähnliche  Konzessionen  gewährte  auch  Mailand  (abgesehen  von  der 
freien  Zufuhr  von  Getreide  und  Salz),  vgl.  ibid.,  p.  214.  Welchen  Wert  diese  Privi- 
legien hatten,  geht  schon  daraus  hervor,  daß  deutsche  Kaufleute  gelegentlich  auf 
Umwegen  dieser  Begünstigung  teilhaftig  zu  werden  versuchten;  vgl.  die  zitierte 
Schrift  von  E.  Wild. 

Wichtige  Angaben  zur  Wirtschaftsgeschichte  enthalten  die  Auszüge  aus  den 
»Berner  Ratsmanualen  1465  —  1565«,  die  Berchtold  Haller  1900 ff.  publiziert  hat. 
Die  Stadt  Bern  ließ  regelmäßig  zur  Anfertigung  ihrer  Geschütze  ausländische 
(deutsche)  Büchsenmeister  kommen.  Doch  war  dies  nicht  in  allen  schweizerischen 
Städten  der  Fall;  vgl.  darüber  E.  A.  Geßler,  »Die  Entwicklung  des  Geschützwesens 
in  der  Schweiz«  I  und  II  (1918  f.;  Mitteilungen  der  Antiquarischen  Gesellschaft  in 
Zürich,  Band  XXVIII).  A.  Mantel,  »Geschichte  der  Zürcher  Stadtbefestigung  I« 
(Neujahrsblatt  der  Zürcher  Feuerwerkergesellschaft  auf  1919).  —  Welche  Bedeu- 
tung der  Hilfe  der  Schweizer  noch  unmittelbar  vor  der  Reformation  beigelegt 
wurde,  dafür  zeugen  u.  a.  die  beiden  Schreiben  Kaiser  Karls  V.  aus  dem  Jahre  1521, 


240  Kleinere   Staaten. 

in  denen  er  über  das  künftige  Schicksal  Mailands  spricht:  K.  Lanz,  »Aktenstücke«, 
p.  521  und  529  {»Moniunenta  Habsburgica«  II,  1).  Damals  dachte  man  in  Mailand 
auch  noch  an  ernsthafte  Absichten  der  Schweizer  auf  Annexion  des  Herzogtumes 
i^yRelazioni«,  ed.   Segarizzi  II   [1913],  29). 

Daß  in  den  Gebirg.sgegenden  der  bis  anhin,  offenbar  der  unsicheren  Ver- 
bindung mit  fruchtbareren  Gebieten  wegen,  noch  unterhaltene  Ackerbau  damals 
gänzlich  aufgehört  hatte,  wird  auch  von  fremden  Beobachtern  hervorgehoben. 
Vgl.  z.  B.  die  Äußerung  Konrad  Pellikans  in  seiner  »Hauschronik«  (übersetzt  von 
Vulpinus  1892,  p.  33);  auch  Guicciardini  nennt  die  Schweizer  »per  la  sterilitä  del 
paese,  piuttosto  pastori  che  agricoltori«  {»Istoria  d^Italia«  1.  X).  Mehr  noch  sagt,  daß 
Schwyz  im  Jahre  1530  erklärte,  es  fehle,  da  seit  langem  kein  Korn  mehr  gebaut 
werde,  sogar  an  Saatgut  (Strickler,  »Aktensammlung  zur  schweizerischen  Refor- 
mationsgeschichte« II,  Nr.  1764.  Mailand  lieferte  übrigens  außer  Getreide  auch 
Reis  in  die  Schweiz  (»Berner  Ratsmanuale«  II,  246;  Bosch  1.  c,  p.  9;  Schulte,  »Mit- 
telalt. Handel«  II  [1900],  197).  Auf  der  anderen  Seite  war  allerdings  die  schweizerische 
Viehzucht  exportfähig.  Besonders  Mailand  bezog  Vieh  aus  den  Urkantonen.  Die 
Ausfuhr  von  Molkereiprodukten  war  dagegen  allem  Anschein  nach  noch  unbedeutend 
(zwei  Fälle  aus  etwas  späterer  Zeit  in  den  »Berner  Ratsmanualen«,  256f.).  Immerhin 
antworteten  die  Eidgenossen  auf  ein  mailändisches  Ausfuhrverbot  einmal  (1549) 
mit  einer  Sperre  des  Exportes  von  Vieh,  Käse  usw.  (Bosch,  p.  31).  Über  die  Be- 
deutung des  Salzimportes  für  die  Viehzucht  zeitgenössische  Angabe  im  »Jahrbuch 
für  Schweiz.   Geschichte«  XL,  116*. 

In  den  »zugewandten  Orten«,  deren  Söldner  übrigens  als  etwas  geringer  in 
der  Qualität  erachtet  wurden,  lagen  die  Verhältnisse  ähnlich.  Auch  dort  war  die 
Söldneranwerbung  verstaatlicht.  Vgl.  z.  B.  Ehrenzeller  im  »Jahrbuch  für  Schweiz. 
Geschichte  XXXVIII,  76,  n.  2,  und  p.  79,  n.  3,  für  das  Wallis. 

Der  wertvollste  ausländische  Bericht  über  die  Schweiz  aus  späterer  Zeit  in 
der  Mailänder  Relation  des  Basadonna  vom  Jahre  1533:  Segarizzi  II,  35 ff.  Sehr 
beachtenswert  ist  außerdem  die  Charakteristik  des  Mailänders  »Balcus«  in  den 
»Quellen   zur   Schweizer   Geschichte«  VI    (1884),   73ff. 

Zur  Geschichte  der  diplomatischen  Beziehungen  E.  Rott,  »Histoire  de  la 
representation  de  la  France  aupres  des  cantons  suisses«,  1900 ff. 

2.  Die  am  Kampfe  um  Italien  nicht  unmittelbar  beteiligten  Staaten. 

§  98.  Ungarn.  Es  ist  weder  möglich  noch  wäre  es  zweckmäßig, 
die  nicht  unmittelbar  an  dem  zentralen  internationalen  Konflikte  der 
Periode  beteiligten  Staaten  ebenso  eingehend  zu  behandeln  wie  die 
bisher  besprochenen.  Ein  zusammenfassender  Paragraph  muß  ge- 
nügen. Eine  Ausnahme  möge  nur  für  zwei  Staaten  gemacht  werden, 
deren  Politik  besonders  eng  mit  dem  Kampf  um  Italien  verflochten 
ist.    Der  eine  von  beiden  ist  das  ungarische  Königreich. 

Ein  venezianischer  Gesandter  meinte  einmal,  Ungarn  sei  frucht- 
barer und  reicher  als  Frankreich  (Tommaseo  I,  270),  und  ein  anderer 
schrieb,  wenn  der  König  von  Ungarn  über  die  Naturschätze  und  die 
Menschen  seines  Landes  frei  verfügen  könnte,  vermöchte  er  es  mit 
jedem  Fürsten  aufzunehmen  (Schreiben  vom  5.  Oktober  1523  bei 
Sanuto,  »Z)mrü«  35,  III  f.).  Beide  Urteile  treffen  zweifellos  zu.  Die 
Getreideproduktion  und  Viehzucht  des  dafür  hervorragend  geeigneten 
Landes  warf  große  Überschüsse  ab,  und  dazu  kamen  noch  die  ergiebigen 
Bergwerke,  sowohl  die  Salinen  wie  die  Metallgruben  (Edelmetalle, 
Kupfer,  Blei  usw.).    Aber  alle  diese  günstigen  Vorbedingungen  wurden 


§  98.    Ungarn.  241 

politisch-militärisch  nicht  ausgenutzt.  Ungarn  hatte  den  Schritt  zum 
modern  zentralisierten  Staate  noch  nicht  mitgemacht.  Es  ist  dabei 
nicht  einmal  nötig,  Länder  wie  Frankreich  oder  England  zum  Ver- 
gleiche heranzuziehen.  Auch  nur  neben  Österreich  oder  die  größeren 
deutschen  Territorien  gestellt,  erschien  Ungarn  mangelhaft  organisiert. 
Es  fehlten  in  dem  Lande,  in  dem  es  nur  willäni,  soldati  e  preti«  gab 
(Sanuto,  Diarii  IV,  861),  die  Voraussetzungen  zu  der  relativen  Herr- 
schaft des  Mittelstandes,  wie  er  in  den  stärkeren  Staatswesen  ein- 
gerichtet worden  war.  Denn  Ungarn  kannte  keinen  einheimischen 
Mittelstand.  Die  Bevölkerung  setzte  sich,  abgesehen  von  den  Geist- 
lichen, aus  adeligen  Grundbesitzern  und  von  diesen  vollständig  ab- 
hängigen Bauern  zusammen;  nicht  nur  das  Handwerk,  sondern  selbst 
die  Ausbeutung  der  Bergwerke  blieb  so  gut  wie  ausschließlich  Fremden 
(meistens  Deutschen)  überlassen.  Das  hätte  nun  noch  angehen  mögen, 
wenn  die  Krone  wenigstens  die  Magnaten  in  der  Hand  gehabt  hätte 
oder  diese  eine  einheitliche  Standespohtik  verfolgt  hätten.  Aber  beides 
war  nicht  vorhanden.  Dem  Königtum  fehlten  alle  Mittel,  um  das 
Vermögen  des  Adels  für  staatliche  Zwecke  heranzuzieken;  selbst  die 
von  den  Ständen  beschlossenen  Steuern  liefen  nur  zu  einem  geringen 
Teile  ein,  so  daß  die  Bezahlung  dieser  Summen  noch  unregelmäßiger 
vor  sich  ging  als  die  Ablieferung  der  von  den  deutschen  Reichstagen 
bewilligten  Subsidien.  Die  Salzbergwerke,  der  wichtigste  Einnahme- 
posten der  Regierung,  warfen  nicht  genug  ab,  um  eine  von  den  Ständen 
unabhängige  wirksame  Exekutive  zu  schaffen. 

Diese  im  Vergleich  mit  den  anstoßenden  Großstaaten  im  Westen 
und  Süden  zurückgebliebene  Organisation  machte  sich  nicht  zum 
mindesten  im  Militärwesen  fühlbar.  Ungarn  war  zwar  nicht  ganz  un- 
bewehrt.  Seine  Pferde  wurden  allgemein  geschätzt,  und  aus  dem  Adel 
ließ  sich  eine  leistungsfähige  Kavallerie  bilden ;  wenn  die  ungarischen 
Reisigen  wohl  der  mangelhaften  Ausrüstung  wegen  als  nur  von  mittel- 
mäßiger Qualität  gelten  konnten,  so  wurden  die  leichten  Reiter  da- 
gegen wohl  mit  Recht  einmal  von  einem  Kenner  als  die  besten  ihrer 
Art  in  Europa  bezeichnet  (Avila,  »Comentario«  in  den  »Historiadores 
de  Sucesos  particulars<(  I,  438).  Aber  das  war  auch  alles,  was  zum 
Lobe  des  ungarischen  Heerwesens  gesagt  werden  konnte.  Zunächst 
litt  auch  die  militärische  Brauchbarkeit  der  ungarischen  Kavallerie 
unter  der  mangelhaften  Organisation:  die  Magnaten  rückten  mit  ihren 
Truppen  (die  sich  bis  auf  1000  Pferde  belaufen  konnten:  Sanuto, 
Diarii  1.  c.)  ein,  wie  und  wann  sie  wollten,  und  sobald  ein  kleiner 
Erfolg  errungen,  wurden  einzelne  »Banderien«  wieder  abberufen.  Vor 
allem  aber  besaß  die  Regierung  nicht  die  Mittel,  um  die  fehlenden 
Waffengattungen  durch  Anwerbung  oder  Käufe  im  Ausland  zu  schaffen. 
Zu  diesen  gehörte  sowohl  die  Infanterie,  von  der  Ungarn  ganz  entblößt 
war,  da  die  einheimischen  Bauern  nicht  oder  jedenfalls  nicht  ordent- 
lich geschult  waren,  wie  die  Artillerie.  Daß  in  Ungarn  keine  Geschütz- 
gießerei  bestand,    war   bei    dem   völligen    Fehlen    eines    einheimischen 

Fueter,  Europ.  Staatensystem.  16 


242  Kleinere  Staaten. 

Gewerbes  an  sich  zwar  nicht  auffallend.  Aber  es  wurde  von  der  Re- 
gierung nichts  getan,  um  diesem  Mangel  abzuhelfen.  Es  gab  in  Ofen 
(Buda)  nicht  einmal  einen  Geschützmeister.  Erst  als  die  Gefahr  eines 
türkischen  Angriffes  in  die  größte  Nähe  gerückt  war,  versuchten  die 
Ungarn  in  den  benachbarten  christlichen  Staaten  Geschütze  zu  leihen 
(vgl.  »Planitz'  Berichte«  S.513;  1523),  und  Erzherzog  Ferdinand  schickte 
damals  (1524)  den  Ungarn  nicht  nur  Geschütze  sondern  auch  Hand- 
feuerwaffen (L.  Kupelwieser,  »Die  Kämpfe  Ungarns  mit  den  Os- 
manen«  1899,  S.  212;  später  erbaten  sich  dann  die  mit  den  Habs- 
burgern  kriegenden  Ungarn  Geschütze  von  den  Türken  [Jorga,  »Ge- 
schichte des  Osmanischen  Reiches«  II,  406]).  Aber  damals  war  es 
bereits  zu  spät,  und  es  ist  sicherlich  keine  unbegründete  Annahme, 
wenn  man  die  Katastrophe  von  Mohacs  (1526;  vgl.  §  123)  hauptsächlich 
auf  die  Überlegenheit  der  türkischen  Artillerie  zurückführt.  Und  dabei 
waren  die  türkischen  Geschütze  keineswegs  von  hervorragender  Qua- 
lität (§77)! 

Aber  auch  in  den  politischen  Beziehungen  zum  Auslande  zog  der 
ungarische  »Feudalismus«  schädliche  Folgen  nach  sich.  Die  könig- 
liche Regierung  war  so  wenig  imstande,  sich  mit  diplomatischen  Waffen 
auszurüsten  wie  mit  militärischen.  Die  Einrichtung  ständiger  Ge- 
sandtschaften war  in  Ungarn  noch  gänzlich  unbekannt.  Dazu  hatte 
das  Königtum  nicht  einmal  die  ausschließliche  Verfügung  in  Fragen 
der  auswärtigen  Politik.  Der  letzte  Entscheid  lag  vielfach  bei  Koterien 
von  Magnaten,  und  die  fremden  Mächte  verhandelten  beinahe  ebenso- 
sehr mit  einflußreichen  Baronen  wie  mit  den  offiziellen  Herrschern; 
stärker  als  in  irgendeinem  anderen  Lande  scheint  dabei  die  Haltung 
der  ausschlaggebenden  Mitglieder  des  hohen  Adels  von  der  Höhe  des 
finanziellen  Angebotes  abhängig  gewesen  zu  sein.  Ein  österreichischer 
Bericht  spricht  einmal  ausdrücklich  von  »pecunia  parata«,  durcK  das 
neben  den  Burgen  »hoc  hominum  genus  (die  Ungarn)  facillime  capitur« 
(Lanz,  »Korrespondenz  Karls  V.«  II,  242).  Wenn  solche  persönliche 
Interessen  nicht  die  politische  Haltung  bestimmten,  so  waren  es  Rück- 
sichten auf  den  Vorteil  des  Standes.  Die  Barone  waren  z.  B.  schon 
deshalb  der  habsburgischen  Herrschaft  abgeneigt,  weil  sie  »unter  dem 
deutschen  Regime  ihre  Libertät  verloren«  hätten  (Lanz  ibid.);  wohl 
aus  diesem  Grunde  empfanden  sie  gegen  die  »Deutschen«  solchen  Haß, 
daß  sie  die  Türken  wie  Freunde  und  Brüder  betrachteten  ( »Acta  Tomi- 
ciana«  VIII,  268).  Noch  stärker  dominierte  ein  solches  Gefühl  bei 
der  ausgenutzten  Bauernbevölkerung;  diese  erwartete  von  dem  türki- 
schen Regiment  geradezu  eine  Befreiung  von  der  Willkürherrschaft 
der  Magnaten  (vgl.  z.  B.  Cavalli  bei  Alberi  I,  3,  131).  Freilich  hatte 
dieser  Teil  des  Volkes  in  normalen  Zeiten  auf  die  Politik  keinen  Einfluß. 

\^'enn  diese  Zustände  in  Ungarn  besonders  schädliche  Folgen 
nach  sich  zogen,  so  daß  schließlich  nur  die  Wahl  zwischen  Unter- 
werfung unter  die  Habsburger  oder  die  Türkei  blieb,  so  war  das  aller- 
dings nicht  die  Schuld  des  Landes  allein.    Andere  Staaten  wie  Polen 


§  99.    Der  nordafrikanische   Korsarenstaat.  243 

oder  Seliottland  hatten  die  Organisation  zum  modern  zentralisierten 
Staat  ebensowenig  mitgemacht  wie  das  magyarische  Königreich  und 
trotzdem  ihre  Unabhängigkeit  bewahren  können.  Ungarn  wurde  viel- 
mehr deshalb  in  besonderem  Maße  betroffen,  weil  ee;,  nachdem  die 
Türken  den  ganzen  Balkan  ihrer  Herrschaft  oder  wenigstens  Suzeränität 
unterworfen  hatten,  zwischen  zwei  modern  ausgerüstete  Großstaaten 
geriet,  die  beide  auf  seinen  Besitz  aspirierten. 

Literatur.  Die  wichtigsten  Quellen  sind  bereits  im  Texte  zitiert  (dazu  be- 
sonders noch  »Monumenta  Hungariae  historica«  39  [1914]);  von  den  diplomatischen 
Korrespondenzen  sind  natürlich  die  österreichischen  Berichte  am  reichhaltigsten. 
IJber  die  Zustände  im  Militärwesen  vieles  in  der  ebenfalls  angeführten  Schrift  von 
L.  Kupelwieser,  »Die  Kämpfe  Ungarns  mit  den  Osmanen  bis  zur  Schlacht  bei  Mohäcs, 
1526«.  2.  Aufl.  1899.  —  W.  Fraknöi,  »Ungarn  vor  der  Schlacht  bei  Mohacs«,  1886; 
Albert  de  Berzeviczy,  »Beatrice  (T Aragon,  reine  de  Hongrie  (1457—1508)«,  2  Bände. 
1911/12. 

§  99.  Der  nordafrikanische  Korsarenstaat.  Wer  die  Stellung  des 
nordafrikanischen  Piratenstaates  innerhalb  des  europäischen  politischen 
Systemes  definieren  will,  stößt  auf  besondere  Schwierigkeiten.  Es 
haben  sich  in  diesem  Falle  nicht  nur  Umfang  und  Grundlagen  des 
Gemeinwesens  während  des  hier  besprochenen  Zeitraumes  stark  ver- 
ändert, wie  es  z.  B.  bei  Osterreich  der  Fall  war,  sondern  das  genannte 
militärisch-politische  Gebilde  ist  überhaupt  erst  im  Laufe  der  Periode 
entstanden.  Trotzdem  muß  an  dieser  Stelle  auch  dieses  Glied  des 
europäischen  Staatensystems  wie  eine  unveränderliche  Größe  charak- 
terisiert werden.  Es  kann  daher  nur  die  Bemerkung  vorausgeschickt 
werden,  daß  die  folgenden  Ausführungen  für  die  ersten  zwei  Jahr- 
zehnte der  Periode  nicht  gelten  und  daß  im  übrigen  der  Zustand  vor- 
ausgesetzt ist,  wie  er  in  dem  Endabschnitt  vor  1559  herrschte. 

Die  mohammedanischen  Staaten  in  Nordafrika  besaßen,  bevor 
das  griechische  Seeräuberpaar  seine  Unternehmung  begründete,  nur 
für  die  spanische  und  portugiesische  Politik  Bedeutung.  Sie  bildeten 
keinen  selbständigen  Machtfaktor,  und  wenn  wie  natürlich  die  Ex- 
peditionen der  Spanier  gegen  sie  einen  gewissen  Rückschlag  auf  die 
spanischen  Operationen  in  Italien  ausübten,  so  zogen  diese  Vorfälle 
die  übrigen  Staaten  doch  nicht  direkt  in  Mitleidenschaft.  Das  wurde 
anders,  als  die  beiden  von  den  abendländischen  Schriftstellern  »Bar- 
barossa« genannten  Brüder  aus  Mytilene  an  Stelle  der  militärisch  rück- 
ständigen einheimischen  Herrscher  ein  Korsarenreich  gründeten  (von 
1514  an),  das  eine  der  stärksten  Flotten  des  Mittelländischen  Meeres 
sein  eigen  nannte.  Damit  war  nicht  nur  alles,  was  die  Spanier  an  der 
Küste  und  im  Innern  von  den  eingeborenen  Stammeshäuptlingen  ge- 
wonnen hatten,  in  Frage  gestellt,  sondern  es  bildete  sich  nun  zum 
ersten  Male  im  Mittelmeere  eine  Marinestreitmacht,  die  mit  den  Kriegs- 
flotten Venedigs  und  Genuas  in  Vergleich  gesetzt  werden  konnte. 
Besonders  für  die  Republik  Genua,  die  wie  bekannt  (§  94)  über  ihre 
Schiffe  nicht  frei  zu  verfügen  vermochte,  entstand  insofern  ein  Kon- 
kurrent,  als   die    Staaten,    die   auf   die   Ausnutzung   der   genuesischen 

16* 


244  Kleinere  Staaten. 

Marine  verzichten  mußten,  in  der  neuen  griechisch-mohammedanischen 
Gründung  ein  Surrogat  finden  konnten. 

Die  Korsarenflotte  der  Barbarossas  (seit  dem  Tode  des  älteren 
Bruders  im  Jahre  1518  kommandierte  allein  der  jüngere,  Chaireddin 
genannte)  ist  denn  auch  rasch  von  den  zur  See  schwachen  Großstaaten 
in  Dienst  genommen  worden.  Am  leichtesten  vollzog  sich  aus  natür- 
lichen Gründen  die  Verbindung  mit  der  Türkei,  unter  deren  Suzeränität 
sich  die  »Barbaresken«  bereits  im  Jahre  1519  stellten.  Aber  daran 
schloß  sich  später  die  Allianz  mit  Frankreich,  das  allem  Anschein 
nach  sein  Bündnis  mit  den  Osmanen  vor  allem  einging,  um  sich  die 
Mitarbeit  der  nordafrikanischen  Piratenflotte  zu  sichern,  nachdem 
Genua  verloren  gegangen  war  (§  121).  Auch  hat  dann  sogar  Kaiser 
Karl  V.  Anstrengungen  unternommen,  um  die  Barbaresken  von  den 
Türken  loszutrennen  und  in  den  Dienst  der  habsburgischen  Politik  ein- 
zubeziehen.  Im  Jahre  1540  sind  zwischen  beiden  Parteien  ernsthafte 
Verhandlungen  geführt  worden;  dem  Korsarenfürsten  hätten  von  dem 
Kaiser  Oran,  Tunis  und  Tripolis  zu  dem  bereits  okkupierten  Algier 
offiziell  überlassen  werden  sollen,  während  er  der  Gegenpartei  u.  a. 
50  Galeeren  zur  Verfügung  gestellt  hätte  ( »Venezianische  Depeschen 
vom  Kaiserhofe«  I,  428  usw.;  Armstrong,  t>The  Emperor  Charles  F« 
II,  4  f.). 

Auch  ohne  daß  weitere  Daten  angeführt  werden,  zeugt  allein 
schon  die  Zahl  der  in  diesem  Vertragsprojekt  genannten  Kriegsschiffe 
für  die  militärische  Bedeutung  der  algerischen  Piratenmacht.  Die 
Flotte  der  Barbaresken  war  allerdings,  was  Leistungsfähigkeit  und 
Leitung  anbetraf,  der  venezianischen  und  genuesischen  Marine  wohl 
nie  gewachsen,  und  die  verächtlichen  Urteile  venezianischer  Fach- 
männer dürften  zutreffend  gewesen  sein  (Alberi,  »Relazioni«  III,  1, 
p,  20,  69);  aber  wer  ihren  Wert  erkennen  will,  darf  sie  auch  nicht  mit 
diesen,  sondern  muß  sie  mit  den  Seestreitkräften  Frankreichs,  Spaniens 
oder  der  Türkei  vergleichen.  Diese  zuletzt  genannten  Staaten  waren 
ja  nicht  einmal  imstande,  ihre  Küsten  gegen  räuberische  Angriffe  der 
Korsaren  zu  schützen,  geschweige  denn,  daß  sie  in  einem  Seekriege 
eine  ähnliche  Macht  hätten  aufbringen  können. 

Diese  relative  Vormachtstellung  der  Barbaresken  beruhte  haupt- 
sächlich darauf,  daß  sie  ihre  zahlreichen,  mit  geübten  Ruderern  be- 
setzten Schiffe  beständig  im  Gebrauch  erhielten  und  daß  sie  ihre  Be- 
triebsmittel aus  ihren  Unternehmungen  selbst  ergänzten.  Die  Ruder- 
mannschaft bestand  ja  aus  gefangenen  Christen,  und  jede  gelungene 
Operation  vermehrte  nicht  nur  das  Kapital  der  Organisation,  sondern 
auch  die  Zahl  der  Arbeiter.  Ein  entschiedener  Schlag  hätte  gegen 
sie  nur  von  einer  Landmacht  ausgeführt  werden  können,  die,  gestützt 
auf  die  einheimischen,  von  den  Piraten  zurückgedrängten  Herrscher, 
die  an  Infanterie  schwachen  Korsarenfürsten  von  der  nordafrikanischen 
Küste  vertrieben  hätte.  Solche  Expeditionen  sind  denn  auch  von 
Karl  V.  versucht  worden  (§§  124  ff.),  aber  der  Kaiser  war  zu  sehr  durch 


§  100.    Polen.  245 

seinen  Kampf  mit  Frankreich  in  Anspruch  genommen,  als  daß  er  nach 
dem  Willen  seiner  spanischen  Untertanen  sich  dieser  Aufgabe  mit 
Konsequenz  und  Ernst  hätte  widmen  können.  Die  letzten  Jahre  der 
Periode  zeigen  deshalb  denn  auch  nicht  ein  Zurückweichen,  sondern 
ein  weiteres  Ausdehnen  der  Piratenfürsten  in  der  Weise,  daß  ihnen 
schließlich  (1551  und  1555)  sogar  noch  Tripolis  und  Bougie  zufielen. 
Es  kam  ihnen  dabei  zugut,  daß  sie  in  ihren  Kämpfen  mit  den  Spaniern 
auch  artilleristisch  nicht  hinter  ihren  Gegnern  zurückstanden.  Seit- 
dem Frankreich  sich  mit  den  Türken  verbunden  hatte,  half  es  den 
Barbaresken  auch  mit  Geschützen  aus. 

Literatur.  Vgl.  vor  allem  die  bibliographischen  Notizen  bei  Paul  Darmstädter, 
»Geschichte  der  Aufteilung  und  Kolonisation  Afrikas  seit  dem  Zeitalter  der  Ent- 
deckungen« 1  (1913).  —  Zeitgenössische  Angaben  über  die  militärisclie  Bedeutung 
der  Barbareskenfürslen  in  den  venezianischen  Relationen  über  die  Türkei  und  in 
den  Berichten  über  die  Expeditionen  Karls  V.  gegen  sie,  über  die  auch  eine  Reihe 
moderner  Monographien  vorliegen  (vgl.  speziell  die  apologetische  Abhandlung  von 
Gustav  Turba  »Über  den  Zug  Kaiser  Karls  V.  gegen  Algier«  im  »Archiv  für  österr. 
Geschichte«  LXXVI,  I    [1890],  25ff.). 

Bevor  die  Franzosen  aushalfen,  d.  h.  bevor  sich  der  Seeräuberstaat  gebildet 
hatte,  pflegten  die  Genuesen  etwa  den  nordafrikanischen  Reichen  Geschütze  zu 
liefern:  »Revista  de  Archivosi<  55,  199ff.  und  251  (1508).  Im  übrigen  hatten  die 
Korsaren  seit  ihrer  Vereinigung  mit  der  Türkei  natürlich  auch  die  MögUchkeit, 
sich  aus   Konstantinopel  mit  Artillerie  zu  versorgen. 

Erwähnt  sei  schließlich  noch  das  populäre  Werk  eines  modernen  englischen 
Fachmanns:  E.  ttamilton  Currey  R.  N.,  »Sea-Wolves  of  the  Mediterranean«  (mit 
Bibliographie). 

§  100.  Die  übrigen  Staaten.  Die  übrigen  Staaten  können  an  dieser 
Stelle  nur  ganz  kurz  besprochen  werden.  Von  Polen  wäre,  was  seine 
politische  Struktur  und  militärische  Leistungsfähigkeit  betrifft,  in 
der  Hauptsache  dasselbe  zu  sagen  wie  von  Ungarn;  auch  die  wirtschaft- 
liche Position  des  Landes  war  ähnlich.  Wenn  der  Staat  trotzdem  dem 
Schicksal  des  südlich  gelegenen  Reiches  entging,  so  beruhte  dies  nur 
darauf,  daß  seine  wichtigsten  Gegner,  die  Tataren  und  die  Mosko- 
witer, in  militärischer  Beziehung  ebenso  rückständig  waren  wie  die 
polnische  Wehrkraft.  Wäre  das  Land  wie  Ungarn  zum  eigentlichen 
Beuteobjekt  der  Osmanen  und  der  Habsburger  geworden  und  nicht  bloß 
gelegentlich  in  Konflikt  mit  diesen  beiden  überlegenen  Staatswesen 
gekommen,  so  hätte  es  seine  Selbständigkeit  wohl  ebensowenig  be- 
wahren können  wie  das  ungarische  Reich.  So  wie  die  Dinge  lagen, 
war  die  Haltung  Polens  weder  direkt  noch  indirekt  von  größerer  Be- 
deutung für  den  Ausgang  des  zentralen  politischen  Problemes;  dies 
wird  schon  dadurch  illustriert,  daß  die  Bemühungen  einen  Zusammen- 
schluß zwischen  den  Habsburgern  und  den  Russen  gegen  die  Polen 
zustandezubringen,  zu  keinem  praktischen  Resultate  geführt  haben, 
obwohl  die  österreichische  Diplomatie  solchen  Allianzverträgen  rührige 
Aufmerksamkeit  zu  widmen  pflegte. 

Ähnliches  gilt  von  Schottland,  das  als  dünn  besiedeltes,  wenig 
zum   Ackerbau    geeignetes    Land    es    freilich    an    wirtschaftlicher    Pro- 


246  Kleinere  Staaten. 

duktionsfähigkeit  weder  mit  Ungarn  noch  mit  Polen  aufnehmen  konnte. 
Auch  dort  war  der  »Feudahsmus«  noch  nicht  überwunden  und  fehlten 
die  modernen  technischen  Kriegsmittel  (Artillerie  und  Infanterie). 
Wenn  die  Armut  des  Bodens  auch  zu  einer  relativ  starken  Entwicklung 
der  Schiffahrt  führte  (unverhältnismäßig  viel  stärker  als  in  England) 
und  speziell  der  Fischhandel  recht  ausgedehnt  gewesen  zu  sein  scheint, 
so  vermochte  dies  doch  die  ungünstige  wirtschaftliche  Basis  nicht 
zu  verbessern,  so  daß  auch  schon  nur  aus  diesem  Grunde  die  Mittel 
zu  einer  Politik  in  größerem  Stile  gefehlt  hätten.  Daß  das  kleine  Land 
trotzdem  weniger  außerhalb  der  großen  Konflikte  des  europäischen 
Staatensystems  blieb,  hing  nur  damit  zusammen,  daß  England  zeiten- 
weise in  diese  Kämpfe  eingreifen  konnte  oder  wollte.  Damit  wurde  der 
nördliche  Staat  dann  zu  einem  natürlichen  Bundesgenossen  der  Gegner 
des  englischen  Königreiches,  d.  h.  in  den  meisten  Fällen  Frankreichs; 
diese  Allianz  empfahl  sich  auch  dadurch,  daß  gerade  die  französische 
Monarchie  den  Schotten  in  der  Waffengattung  aushelfen  konnte,  die 
in  Schottland  am  mangelhaftesten  ausgebildet  war,  nämlich  im  Ar- 
tillerie- und  Befestigungswesen;  dank  dieser  Unterstützung  hat  sich 
dann  Schottland  auch  gegen  England  verhältnismäßig  befriedigend  in 
der  Defensive  zu  behaupten  vermocht.  Auch  diplomatisch  war  Schott- 
land schlecht  ausgerüstet,  die  Regierung  unterhielt  nicht  einmal  in 
London  eine  ständige  Gesandtschaft. 

Noch  weniger  griffen  die  skandinavischen  Länder  (Dänemark, 
später  Dänemark  und  Schweden)  in  den  Verlauf  der  großen  politischen 
Aktion  ein.  Die  Möglichkeit  den  Sund  zu  sperren,  verlieh  den  däni- 
schen Königen  zwar  eine  im  Verhältnis  zu  ihrer  beschränkten  Wehr- 
kraft beträchtliche  Macht;  aber  da  der  Hansebund  als  internationale 
Potenz  nicht  in  Betracht  fiel  (§  61),  so  vermochte  dies  auf  die  inter- 
nationale Politik  nur  insofern  einen  Einfluß  auszuüben,  als  die  hol- 
ländische Schiffahrt  durch  ein  feindseliges  Verhalten  des  Königs  von 
Dänemark  geschädigt  werden  konnte,  die  Einkünfte  aus  Holland  waren 
aber  für  die  habsburgischen  Finanzen  nicht  von  ausschlaggebender 
Bedeutung.  Auch  die  Projekte,  die  Handelsbeziehungen  zwischen  Däne- 
mark und  England  auf  Kosten  der  Niederlande  zu  fördern,  die  eben- 
falls die  habsburgische  Politik  hätten  in  Mitleidenschaft  ziehen  können, 
blieben  ohne  Folgen. 

Anders  lagen  die  Verhältnisse  allerdings  in  Portugal.  Aber  dies 
Land  stand  aus  Gründen  besonderer  Art  in  noch  höherem  Grade  außer- 
halb der  großen  europäischen  Politik  als  die  eben  genannten  Staaten. 
Als  ein  ausschließlicher  Handels-  und  Seefahrerstaat  hätte  Portugal  an 
sich  trotz  seiner  schwachen  Position  zu  Lande  in  die  internationalen 
Konflikte  eingreifen  können,  sei  es  als  Gegner  Spaniens  oder  als  dessen 
Vasallenstaat.  Aber  seine  territorialen  und  kommerziellen  Interessen 
kollidierten  im  ganzen  und  großen  so  wenig  mit  denen  der  europäischen 
Großstaaten,  daß  dieser  Fall  nicht  eigentlich  eingetreten  ist.  Wohl 
fehlte  es  nicht  an  Konflikten  mit  Spanien  und  Frankreich  wegen  por- 


§  100.     Persien.  247 

tugiesischer  Ansprüche  auf  Schiffahrtsmonopole  und  Kolonialbesitz ; 
aber  diese  Streitigkeiten  wurden  von  den  Großmächten  nicht  ernsthaft 
ausgefochten,  und  Portugal  wurde  nie  in  das  Gewebe  der  internationalen 
Koalitionen  und  Gegenkoalitionen  hineingezogen.  Das  Königreich 
unterhielt  auch  nirgends  ständige  Gesandtschaften. 

Der  letzte  der  noch  zu  erwähnenden  Staaten,  Persien,  kann  da- 
gegen eher  mit  Polen  und  Schottland  in  eine  Reihe  gestellt  werden. 
Auch  dieses  Reich  hatte  für  die  europäische  Politik  nur  indirekt  Be- 
deutung; nachdem  die  Türken  sich  Syriens  bemächtigt  hatte,  war 
Persien  der  natürliche  Bundesgenosse  der  von  den  Osmanen  in  Europa 
bedrohten  Staaten.  Es  hat  denn  auch  nicht  an  Anknüpfungsversuchen 
zwischen  den  Habsburgern  und  dem  »Sofi«  gefehlt,  und  die  Unter- 
stützung des  Hauses  Österreich  erwies  sich  um  so  nützlicher,  als  sie 
(ähnlich  wie  die  Franzosen  in  Schottland)  die  Perser  gerade  mit  den 
diesen  fehlenden  Kriegsmitteln,  nämlich  mit  Feuerwaffen  und  In- 
fanterie unterstützen  konnten.  Nur  daß  diese  Bemühungen  nutzlos 
waren.  Denn  das  persische  Reich  hatte  es  nicht  mit  einem  Staate  wie 
England,  sondern  mit  dem  stärksten  Militärreiche  der  Zeit  zu  tun, 
und  selbst  in  den  Waffengattungen,  die  in  Konstantinopel  mangelhaft 
gepflegt  wurden,  waren  die  Türken  ihren  östlichen  Nachbarn  immer 
noch  überlegen.  Daher  hat  Persien  kaum  ein  besseres  Schicksal  erlitten 
als  Ungarn,  und  die  Soldaten,  die  von  Kaiser  Karl  V.  dem  Schah  gegen 
die  Türken  geschickt  wurden,  haben  den  Vorstoß  der  Türken  nicht 
aufhalten,  ja  nicht  einmal  die  osmanischen  Feldzüge  in  Asien  zugunsten 
der  christlichen  Reiche  in  Europa  in  die  Länge  ziehen  können. 

Das  Königreich  Navarra  hörte  so  frühzeitig  auf,  eine  selbständige 
Potenz  in  der  europäischen  Politik  zu  sein,  daß  es  an  dieser  Stelle  nicht 
einmal  genannt  zu  werden  verdient. 

Die  Literatur  zu  diesem  Paragraphen,  die  in  der  Hauptsache  aus  gelegent- 
lichen Notizen  in  den  Akten  und  diplomatischen  Korrespondenzen  der  Zeit  besteht, 
kann  hier  nicht  im  einzelnen  aufgeführt  werden.  Manches  ergibt  sich  von  selber; 
das  reichhaltigste  Material  über  Schottland  findet  sich  z.  B.  natürlich  in  den 
englischen  Akten,  den  Berichten  aus  London  bei  Sanuto  und  den  venezianischen 
Relationen  über  England  (eine  besonders  nachdrückliche  Stelle  über  die  Notwendig 
keit  der  französischen  Hilfeleistungen  Alberi  I,  2,  267 ff.),  in  den  niederländischen 
Akten  und  den  französischen  Korrespondenzen  (dazu  Teulet,  »Relations  poliliques 
de  la  France  avec  VEcossen).  Ähnlich  steht  es  mit  anderen  Ländern;  auch  über  diese 
unterrichten,  da  eigentliche  Relationen  nicht  vorliegen,  am  besten  die  diplomatischen 
Schriftstücke  der  mit  ihnen  in  Berührung  stehenden  Großmächte.  Verhältnismäßig 
am  eingehendsten  wird  Persien  in  den  venezianischen  Relationen  über  die  Türkei 
behandelt;  über  dessen  militärische  Inferiorität  gegenüber  der  Türkei  spricht  be- 
sonders deutlich  Ludovisi  bei  Alberi  III,  1,  22ff.  Über  die  Beziehungen  des  Sofi 
zu  den  Habsburgern  vgl.  »Familienkorrespondenz  Ferdinands  I.«  I,  204;  Charriere, 
»Negociations«  I,  173  n.  3  und  die  dort  zitierten  Stellen;  Jorga,  »Geschichte  des 
Osmanischen  Reichs«  II,  362;  Sanuto   LVII,  542  usw. 

Zu  Skandinavien  vgl.  u.  a.  Fröbe,  »Kurfürst  August  von  Sachsen  und  sein 
Verhältnis  zu  Dänemark«  1912  (Leipziger  Diss.);  R.  Häpke,  »Die  Regierung  Karls  V. 
und  der  europäische  Norden«,  1914.  Außerdem  natürhch  vor  allem  die  gesamte 
Literatur  über  die  Hanse.    Die  Bemerkung  des  Textes  über  die  internationale  Be- 


248  Kleinere  Staaten. 

deutung  Dänemarks  findet  sich  fast  wörtlich  ebenso  in  der  Denkschrift  eines  kaiser- 
lichen Agenten  aus  dem  Jahre  1533  bei  Häpke,  »Urkunden  und  Akten«  (§  50),  p.  165. 
Über  Polen  und  Rußland  H.  Uebersberger,  »Österreich  und  Rußland  seit 
dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts«  I  (1906).  Polen  durch  Rußland  im  Schach  zu  halten 
war  ein  ständiger  Grundsatz  der  habsburgischen  Politik  (vgl.  Ulmann,  »Maximilian  I. « 
II,  510ff.;  »Familienkorrespondenz  Ferdinands!.«  I,  267  usw.).  Doch  legten  die 
österreichischen  Herrscher  der  Verbindung  mit  dem  militärisch  wenig  leistungs- 
fähigen Moskowiterreich  stets  nur  geringe  Bedeutung  bei.  Wenn  übrigens  Planitz 
einmal  einen  Tatarenangriff  auf  Polen  für  gefährlicher  hielt  als  einen  türkischen 
Vorstoß  (»Berichte«,  p.  138;  1522),  so  war  er  zweifellos  im  Recht;  vgl.  z.  B.  E.  Zivier, 
»Geschichte  Polens«  I  (1915),  64.  Dazu  noch  W.  Platzhoff,  »Das  erste  Auftauchen 
Rußlands  und  der  russischen  Gefahr  in  der  europäischen  Pohtik«  in  der  »Histor. 
Zeitschrift«  115  (1916),  77 ff. 


Zweiter  Teil. 


Die  Veräüderimgen  im  europäischen  Staaten- 
System  von  1492  bis  1559. 


I.  Abschnitt. 
Oliederung  des  Stoffes. 

§  101.  Wohl  bei  keinem  Abschnitt  der  Geschichte  des  europäischen 
Staatensystems  ergibt  sich  die  Gliederung  so  ungezwungen  aus  dem 
Stoff  wie  bei  der  hier  behandelten  Periode.  Ein  Problem  —  der  im 
ersten  Paragraphen  besprochene  zentrale  Konflikt  der  damahgen 
Politik  —  tritt  in  den  ersten  Jahren  des  Zeitraumes  plötzlich  in  die 
Erscheinung;  es  findet  seine  auf  Jahrhunderte  hinaus  geltende  Lösung 
im  Schlußjahre  der  Periode.  Ein  Zweifel  darüber,  welche  Ereignisse 
in  den  Mittelpunkt  der  Erzählung  zu  rücken  seien,  kann  also  nicht 
bestehen.  Ebensowenig  kann  im  Grunde  ein  Streit  darüber  erhoben 
werden,  an  welcher  Stelle  ein  Einschnitt  gemacht  werden  muß.  Man 
könnte  zwar  schwanken,  welches  Jahr  am  besten  als  Grenze  zu  wählen 
wäre.  Es  ließen  sich  gute  Argumente  für  das  Jahr  1516  anführen  als 
den  Zeitpunkt,  da  die  entscheidende  Verbindung  der  österreichisch- 
niederländischen Besitzungen  der  Habsburger  mit  den  spanischen 
Reichen  erfolgte;  es  ließe  sich  auch  an  das  Jahr  1519  denken,  wo  zum 
ersten  Male  diese  Gebiete  zusammen  mit  der  Kaiserwürde  in  den  Händen 
eines  Herrschers  vereinigt  wurden.  Aber  ob  der  Forscher  nun  diese 
Jahre  oder  das  im  folgenden  gewählte  Jahr  1525,  das  Jahr  der  Schlacht 
bei  Pavia,  der  Disposition  seiner  Erzählung  zugrunde  legt,  —  immer 
stützt  sich  doch  die  Gliederung  auf  ein  und  dasselbe  Ereignis,  auf  die 
Verschiebung  der  Machtverhältnisse  unter  den  um  die  Vorherrschaft 
über  Italien  kämpfenden  Staaten,  die  die  zwei  stärksten  unter  den  mit 
Frankreich  rivalisierenden  Mächten  zu  einer  Einheit  zusammenfügte. 
Diese  Union  schuf,  von  welchem  Jahre  an  man  sie  auch  datieren  mag, 
die  neue  Situation,  die  allen  politisch-militärischen  Geschehnissen 
der  späteren   Jahrzehnte  ihre  Signatur  verlieh. 


250  Die  französische  Expedition  nach  Neapel. 

Die  Wahl  der  Schlacht  bei  Pavia  als  der  Grenzscheide  zwischen 
den  beiden  untereinander  so  verschiedenen  Hälften  der  Periode  ist 
aus  folgenden  Gründen  geschehen.  Zunächst  ist  erst  von  diesem  Er- 
eignis an  die  sich  an  die  Vereinigung  Spaniens  mit  den  habsburgischen 
Besitzungen  anschließende  Veränderung  in  dem  Kräfteverhältnis  der 
Staaten  praktisch  in  die  Erscheinung  getreten.  Latent  existierte  diese 
Verschiebung  allerdings  schon  vorher;  aber  auf  die  Politik  der  Staaten, 
vor  allem  der  kleineren  Staaten,  hat  sie  erst  von  dem  Augenblicke  an 
Einfluß  ausgeübt,  als  ihre  fundamentale  Bedeutung  durch  den  Aus- 
gang und  die  militärischen  Folgen  der  Schlacht  öffentlich  und  unzwei- 
deutig erwiesen  war.  Dazu  kommt,  daß  das  Datum  der  Schlacht  dem- 
zweiten  Wendepunkt  der  Periode,  dem  etwas  späteren  definitiven 
Anschluß  Genuas  an  die  Habsburger  (§§  94  und  121)  chronologisch  näher 
steht  als  die  früheren  Einschnitte,  die  in  Betracht  fallen  könnten. 
Man  kann  die  Gründe,  die  gegen  die  übertriebene  Schätzung  von 
Schlachten  (die  doch  zu  einem  guten  Teile  bloße  Exponenten  bereits 
vorhandener  Kräfte  sind)  als  die  eigentlich  epochemachenden  Daten 
der  Weltgeschichte  angeführt  werden,  als  berechtigt  anerkennen  und 
doch  zugeben,  daß  es  Fälle  gibt,  wo  der  nicht  nach  einer  Theorie  ur- 
teilende Historiker  nicht  wohl  anders  kann,  als  mindestens  die  Be- 
gebenheiten der  Staatengeschichte  nach  dem  Ausgang  eines  einzelnen 
militärischen  Zusammenstoßes  zu  gruppieren.  Auch  dürfte  gerade  in 
der  vorliegenden  Darstellung,  die  sich  bemüht  hat,  in  ihrem  ersten  Teile 
die  den  kriegerischen  Aktionen  zugrunde  liegenden  Kräfte  und  Insti- 
tutionen zu  charakterisieren,  die  Gefahr  eines  Mißverständnisses  aus- 
geschlossen sein. 

Die   Periode  gliedert   sich,   wenn  man  diese  Einteilung  annimmt, 
in  zwei  Abschnitte  von  ziemlich  gleichgroßer  Länge  (32  und  34  Jahre). 


IL  Abschnitt. 

Die  Gescliichte  des  europäischen  Staatensystems  bis  zur 
Selilaclit  bei  Pavia  (1525). 

H.   Die  Eröffnung  des  Kampfes  um  Italien.    Die  französische 
Expedition  nach  Neapel  und  ihre  Folgen  (1492-1497). 

§  102.  Die  Vorbereitung  der  Expedition.  Die  Neuorientierung  der 
französischen  auswärtigen  Politik,  der  Verzicht  auf  Ausdehnung  des 
Reiches  gegen  Flandern,  Deutschland  und  Spanien  zugunsten  von 
Eroberungen  in  Süditalien  (§  37),  war  mindestens  im  Jahre  1492  de- 
finitiv beschlossen.  Denn  in  dieses  und  das  folgende  Jahr  fallen  die 
Verträge,  in  denen  die  französische  Regierung  durch  Konzessionen 
die  Konnivenz  der  übrigen  Großstaaten  zu  ihrem  Vorstoß  nach  Neapel 
zu  erlangen  versuchte,  sowie  auch  das  Abkommen  mit   Mailand,   das 


§  102.    Vorbereitungen   der  französischen  Expedition  nach  Neapel.      251 

der  französischen  Kriegführung  wenigstens  einen  Stützpunkt  in  Italien 
schaffen  sollte. 

Auch  wer  die  neuen  Aspirationen  der  französischen  Politik  als  einen 
schweren  Fehler  zu  bezeichnen  geneigt  ist,  muß  wenigstens  zugestehen, 
daß  die  damaligen  Leiter  des  französischen  auswärtigen  Dienstes  sich 
Völle  Rechenschaft  über  die  Folgen  gaben,  die  aus  der  neapolitanischen 
Expedition  für  die  Stellung  Frankreichs  innerhalb  des  europäischen 
Staatensystems  entspringen  mußten.  Sie  überschätzten  vielleicht  ihre 
militärischen  Machtmittel  (§  29)  und  würdigten  nicht  genügend,  wie 
prekär  ihre  Basis  im  Mittelländischen  Meer  war;  noch  weniger 
zogen  sie  wohl  die  »moralischen«  Folgen  ihrer  Unternehmung,  d.  h. 
die  Erweckung  einer  allgemeinen  Gegenbewegung  gegen  eine  von 
Frankreich  befürchtete  politisch-militärische  Suprematie,  in  Betracht 
{§  22).  Aber  darüber  w^aren  sie  nicht  im  Zweifel,  daß  die  Unternehmung 
nur  unter  stillschweigender  Duldung  der  übrigen  Großmächte  durch- 
geführt w^erden  könnte  und  daß  diese  passive  Haltung  durch  Opfer 
von  ihrer  Seite  erkauft  werden  müßte. 

Denn  die  sofort  aufzuführenden  Verträge  sind  doch  wohl  aus 
keinem  anderen  Grunde  zu  erklären  als  aus  dem  eben  genannten. 
Eröffnet  wurde  die  Reihe  durch  den  Friedensvertrag  mit  England  vom 
3.  November  1492  (abgeschlossen  zu  Etaples),  dem  eine  Verpflichtung 
zur  Zahlung  von  745000  Goldkronen  an  die  englische  Krone  und  (am 
13.  Dezember)  ein  Artikel  über  den  Verzicht  auf  Unterstützung  von 
Prätendenten  (auf  den  englischen  Königsthron)  beigefügt  wurden. 
Am  19.  Januar  1493  folgte  dann  der  Vertrag  von  Barcelona  mit  Spanien, 
in  dem  Frankreich  Roussillon  und  die  Cerdagne  den  Spaniern  zurück- 
erstattete, am  23.  Mai  desselben  Jahres  der  Vertrag  von  Senlis  mit 
Kaiser  Maximilian  I.  und  Erzherzog  Phihpp,  in  dem  den  Habsburgern 
die  Freigrafschaft  vorbehaltslos,  das  Artois,  das  Charolais  und  die 
Herrschaft  Noyers  unter  Vorbehalt  der  königlichen  Rechte  auf  diese 
Gebiete  abgetreten,  sowie  die  freie  Rückgabe  der  13jährigen  Prin- 
zessin Margarete,  der  Tochter  Maximilians  I.,  zugesichert  wurde  (die 
zuletzt  genannte  Bestimmung  wurde  dann  bereits  am  12.  Juni  aus- 
geführt). 

Hand  in  Hand  damit  gingen  die  Verhandlungen  mit  Mailand.  — 
Die  sicher  w^ohl  überhaupt  nicht  zu  beantw^ortende  Frage,  wieweit 
der  damalige  Regent  des  Herzogtums,  Lodovico  Moro,  auf  die  italie- 
nische Unternehmung  der  französischen  Regierung  eingewirkt  hat, 
kann  hier  nicht  einmal  gestreift  werden;  auf  Grund  der  allgemeinen 
militärisch-politischen  Verhältnisse  kann  nur  gesagt  werden,  daß  auf 
selten  Frankreichs  stärkere  Gründe  für  den  Abschluß  einer  Verbindung 
vorlagen  als  bei  Mailand.  Der  mangelhafte  Zustand  der  französischen 
Marine  im  Mittelmeer  (§  30)  machte  ja  den  Erfolg  eines  Zuges  nach 
Neapel  zu  einem  guten  Teile  von  der  Unterstützung  genuesischer  Fahr- 
zeuge abhängig  und  über  die  genuesische  Flotte  verfügte  nur,  wer 
Mailand  in  seiner  Gewalt  hatte  (§§  90  u.  94).    Dieser  Punkt  ist  denn 


252  Die  französiche  Expedition  nach  Neapel. 

auch  schon  frühzeitig  in  den  Verhandlungen  Frankreichs  mit  Mailand 
zur  Sprache  gekommen  und  in  dem  späteren  Friedensvertrag  vom 
10.  Oktober  1495  mit  Mailand  ist  nicht  zum  mindesten  von  der  Aus- 
nutzung der  genuesischen  Schil'fslieferungen  die  Rede  (Godefroy,  »//<- 
stoire  de  Charles  VJII«  [1684],  p.  723).  Viel  weniger  läßt  sich  dagegen 
der  Nutzen  der  Expedition  für  Lodovico  Moro  einsehen,  es  wären 
denn  persönliche  Gründe,  die  auf  eine  Sicherung  seiner  Herrschaft 
über  Mailand  hinausliefen.  Das  war  freilich  wohl  auch  der  Grund, 
warum  Lodovico  trotz  eifriger  Verhandlungen  keine  Offensivallianz 
mit  Frankreich  abschloß,  sich  vielmehr  mit  der  Erneuerung  des  alten 
Bündnisvertrages  begnügte  (am  24.  Januar  1492). 

Immerhin  hatte  sich  Frankreich  damit  auch  in  Italien  für  seine 
Expedition  die  wichtigste  Voraussetzung  geschaffen.  Da  es  von  Mai- 
land, dem  es  dazu  noch  durch  die  Belehnuung  mit  Genua  (1490/91) 
eine  besondere  Konzession  gemacht  hatte,  keinen  Widerstand  zu  be- 
fürchten hatte,  so  war  der  einzige  militärisch  starke  Staat,  der  den 
Durchmarsch  seiner  Truppen  hätte  verhindern  können,  zu  einer  neu- 
tralen Haltung  bewogen  und  dazu  noch  der  Seeweg  frei  zu  benutzen. 
Außerdem  ließ  sich  noch  hoffen,  daß  sich  in  Neapel  selbst  wenigstens 
ein  Teil  der  mit  dem  königlichen  Regimente  unzufriedenen  »Barone« 
(§  93)  den  Angreifern  anschließen  würde. 

§  103.  Das  Ziel  der  Expedition.  Trotz  verschiedentlicher  Unklar- 
heiten in  den  offiziellen  französischen  Dokumenten  kann  doch  kaum 
ein  Zweifel  darüber  herrschen,  daß  das  Objekt  der  Expedition  des 
Jahres  1494  nur  das  Königreich  Neapel,  nicht  auch  die  Insel  Sizilien 
war.  König  Karl  VIII.  nahm  zwar  zu  Anfang  des  Jahres  1494  zu  Lyon 
den  Titel  »König  von  Sizilien  und  Jerusalem«  an  (Delaborde,  •»Expe- 
dition de  Charles  VIII«,  p.  318),  und  das  offizielle  Gutachten  aus.  dem 
Jahre  1491  (Godefroy,  p.  675)  schließt,  obwohl  es  im  Grunde  nur  von 
den  französischen  Ansprüchen  auf  Neapel  spricht,  weitergehende  For- 
derungen nicht  aus.  Aber  in  den  Proklamationen  der  französischen 
Regierung  ist  ausdrücklich  nur  von  dem  »Königreich  Neapel«  die  Rede 
(z.  B.  Godefroy,  p.  688),  und  tatsächlich  hat  sich  die  Expedition  später 
auch  auf  di^  Eroberung  dieses  Gebietes  beschränkt. 

Zu  demselben  Resultat  führt  auch  eine  allgemeine  Erwägung. 
Sizilien,  das  damals  von  Neapel  getrennt  war,  befand  sich,  wie  bekannt, 
nicht  in  den  Händen  der  illegitimen  aragonesischen  Dynastie,  die  in 
Neapel  herrschte,  sondern  im  direkten  Besitze  Spaniens  (vgl.  §  93). 
Der  Vertrag  von  Barcelona  (§  102)  beweist  nun  aber,  daß  die  franzö- 
sische Regierung  Wert  darauf  legte,  ihren  Eroberungszug  nach  Neapel 
unter  Aufrechterhaltung  freundschaftlicher  Beziehungen  zu  dem  spa- 
nischen Königspaare  durchzuführen.  Wie  hätte  sie  nun  erwarten  können, 
daß  sich  ein  Bruch  vermeiden  lasse,  wenn  sie  ihren  Vorstoß  nicht  nur 
auf  direkt  spanisches  Gebiet  ausgedehnt,  sondern  dazu  noch  ein  Ter- 
ritorium angegriffen  hätte,  das  ökonomisch  für  Spanien  einen  so  un- 
geheuren Wert  hatte  wie  die  Insel  Sizilien  (§44)? 


§  104.    Der  Zug  nach   Neapel.  253 

Etwas  anderes  ist  es,  daß  auch  schon  die  Besetzung  Neapels  in 
Spanien  Besorgungen  über  die  Sicherheit  Sizihens  erwecken  mußte, 
und  daß  der  von  dem  französischen  König  neu  angenommene  Titel 
solche  Befürchtungen  wenigstens  für  die  Zukunft  weiter  zu  nähren 
geeignet  war.  Es  scheint  sich  das  daraus  zu  ergeben,  daß  im  Jahre 
1500,  als  zwischen  Spanien  und  Frankreich  der  Teilungsvertrag  über 
das  Königreich  Neapel  abgeschlossen  wurde  (§  108),  der  französische 
König  ausdrücklich  auf  den  Titel  eines  Königs  von  Sizilien  verzichten 
mußte  (Zurita,   ^>AnaIes(^  V  [1610],  f.  162  b). 

§  104.  Der  Zug  nach  Neapel.  Die  Eröffnung  der  Feindselig- 
keiten erfolgte  im  Januar  1494.  Die  französische  Regierung  erklärte 
damals  offiziell  den  Kriegszustand,  indem  sie  die  neapolitanischen 
Gesandten  zum  Verlassen  des  Landes  nötigte;  zugleich  wurde  in  amt- 
lichen Schreiben  von  dem  bevorstehenden  Zuge  nach  Neapel  Kenntnis 
gegeben.  Im  Juni  folgte  die  Ausweisung  der  florentinischen  Bankiers 
aus  Lyon;  damit  wurde  erklärt,  daß  der  Vormarsch  nach  Neapel  durch 
florentinisches  Gebiet  gehen  würde.  Doch  sollten  nicht  alle  Truppen 
den  Landweg  einschlagen;  ungefähr  ein  Viertel  sollte  auf  dem  Seeweg 
befördert  werden.  Die  Notwendigkeit,  sich  zu  diesem  Behufe  Genuas 
zu  bemächtigen,  führte  die  ersten  kriegerischen  Zusammenstöße  herbei. 
Die  neapolitanische  Regierung  hatte  nämlich  die  Benutzung  Genuas 
zu  verhindern  versucht;  ihre  Flotte  hatte  Rapallo  besetzt  und  dort 
Truppen  gelandet.  Aber  die  Überlegenheit  der  französischen  Heeres- 
rüstung trat  schon  bei  dieser  ersten  Aktion  zutage.  Ihre  stärkere 
Artillerie  vertrieb  die  feindlichen  Schiffe,  und  ihre  moderner  geschulte 
(schweizerische)  Infanterie  vernichtete  das  feindliche  Fußvolk  (Treffen 
bei  Rapallo  vom  5.  September  1494).  Die  genuesische  Flotte  war  für 
die  französischen  Truppentransporte  frei  verwendbar. 

Commines  bemerkt  ausdrücklich  (ed.  Mandrot  II,  137  f.),  daß  die 
damalige  Wirkung  der  französischen  (Schiffs-)  Artillerie  (s.  §  29  und 
vgl.  §  12)  für  die  Gegner  eine  absolute  Überraschung  war.  Es  war 
dies  aber  nur  die  erste  der  Entdeckungen  dieser  Art,  die  die  rückstän- 
digen italienischen  (und  spanischen)  Kriegstechniker  während  dieses 
Feldzuges  machten.  Auch  der  rasche  Vormarsch  der  Franzosen  zu 
Lande  beruhte  auf  diesem  Moment  der  Überraschung.  Die  franzö- 
sische Armee  wies  mit  Ausnahme  der  leichten  Reiterei  in  allen  Waffen- 
gattungen die  größte  Leistungsfähigkeit  auf:  die  Reisigen  wurden  von 
ihren  eigenen  Adligen,  der  besten  schweren  Kavallerie  der  Zeit,  ge- 
stellt, ebenso  stand  es  mit  der  Artillerie,  und  die  Masse  der  Infanterie 
bildeten  schweizerische  Söldner  (vgl.  die  §§  5  u.  7).  Dementsprechend 
vollzog  sich  denn  auch  der  Verlauf  der  militärischen  Operationen,  so- 
weit von  solchen  überhaupt  noch  die  Rede  sein  konnte.  Gleich  der 
erste  Staat,  von  dem  Widerstand  denkbar  gewesen  wäre,  unterwarf 
sich  beinahe  ohne  Schwertstreich.  Piero  de'Medici,  das  faktische 
Oberhaupt  der  florentinischen  Republik,  kapitulierte,  kaum  daß  die 
französische   Armee   die    Grenzen   des    Freistaates   überschritten   hatte 


254  Die  französische  Expedition  nach  Neapel. 

(am  31.  Oktober  1494),  und  obwohl  er  kurz  darauf  durch  eine  Revo- 
lution gestürzt  und  aus  der  Stadt  Florenz  vertrieben  wurde,  blieb  doch 
auch  der  neugegründeten  republikanischen  Regierung  nichts  übrig,  als 
zu  ähnlich  drückenden  Bedingungen  wie  der  verbannte  Medicer  einen 
Friedensvertrag  mit  dem  französischen  König  abzuschließen  (am 
25.  November  1494).  Das  Abkommen  lieferte  nicht  nur  eine  Reihe 
florentinischer  fester  Plätze  bis  zur  Beendigung  des  Krieges  den  Fran- 
zosen aus,  sondern  das  damit  zusammenhängende  Verbleiben  der  bis- 
herigen Untertanenstadt  Pisa  in  französischen  Händen  verschaffte  den 
Pisanern  zugleich  die  Möglichkeit,  ihre  eben  proklamierte  Unabhängig- 
keit von  Florenz  zu  behaupten;  die  Kräfte  der  florentinischen  Re- 
publik wurden  nun  auf  Jahre  hinaus  durch  den  Kampf  gegen  die  ab- 
gefallene Stadt  zu  einem  guten  Teile  absorbiert.  Dazu  kamen  noch 
bedeutende  finanzielle  Leistungen  der  Republik  an  Frankreich. 

Dieser  Kapitulation  der  Florentiner  schloß  sich  rasch  darauf  die 
Unterwerfung  des  Kirchenstaates  an,  des  nächsten  Gebietes,  das  die 
französische  Armee  (bei  der  sich  der  König  selbst  befand)  auf  ihrem 
Vormarsch  gegen  Neapel  berührte.  Nach  kurzem  Schwanken  hatte 
auch  Papst  Alexander  VI.  eingesehen,  daß  ein  Widerstand  gegen  die 
Franzosen  unmöglich  sei.  Bereits  am  15.  Januar  1495  kam  ein  Ab- 
kommen zustande,  das  ähnliche  Bedingungen  enthielt  wie  der  Vertrag 
mit  Florenz,  nur  daß  an  Stelle  der  finanziellen  Opfer,  die  in  jenem 
stipuliert  waren,  der  Papst  kirchenpolitische  Konzessionen  machte 
und  daß  Prinz  Dschem,  der  zu  einträglichen  Erpressungen  benutzte 
Bruder  des  türkischen  Sultans  Bajazet  IL,  aus  der  päpstlichen  Ge- 
fangenschaft in  die  des  Königs  überliefert  werden  sollte. 

Zu  ernstlichen  Zusammenstößen  kam  es  unter  diesen  Umständen 
erst  in  Neapel.  Aber  auch  dort  war  der  Widerstand  rasch  gebrochen, 
vor  allem  dank  der  überlegenen  französischen  Artillerie,  die  die 
Festungen  des  Königreiches  in  überraschend  kurzer  Zeit  bezwang. 
Bereits  am  22.  Februar  zog  König  Karl  VIII.  in  der  Hauptstadt  ein; 
am  22.  März  hatte  sich  die  letzte  Festung  ergeben.  Der  König  von 
Neapel,  Ferdinand  IL,  dessen  Vater,  der  seit  dem  Jahre  1494  regierende 
Alfons  IL  bereits  im  Januar  1495  dem  Thron  entsagt  hatte,  entfloh 
nach  Ischia;  die  gesamte  Verwaltung  des  Reiches  fiel  in  die  Hände 
der  Franzosen. 

§  105.   Die  Gegenkoalition  gegen  Frankreich  infolge  der  Expedition. 

Die  Eroberung  Neapels  durch  die  Franzosen  bedrohte  keine  andere 
Macht  in  direkter  Weise;  selbst  die  Insel  Sizilien  konnte  nicht  als  ge- 
fährdet gelten  (vgl.  §  102).  Aber  die  Umstände,  unter  denen  sich  die 
Expedition  des  französischen  Königs  vollzogen  hatten,  boten  trotzdem 
Anlaß  genug,  damit  sich  alle  die  Staaten,  deren  Interessen  durch  eine 
französische  Hegemonie  über  Europa  hätten  geschädigt  werden  können, 
zu  einem  Gegenbunde  zusammenschlössen.  Die  leichte  Durchführung 
der  neapolitanischen  Kampagne  hatte  die  Superiorität  der  französischen 


§  105.    Die  Gegenkoalition  gegen  Frankreich.  255 

Militärorganisation  so  deutlich  erwiesen,  daß  nicht  nur  sämtliche  be- 
drohte Mittelstaaten,  sondern  auch  die  Großstaaten  zu  der  Über- 
zeugung gelangten,  nur  gemeinsames  Vorgehen  könne  sie  vor  der  Vor- 
herrschaft Frankreichs  bewahren.  Außerdem  war  die  Zahl  der  be- 
troffenen Staaten  durch  die  neue  Richtung  der  auswärtigen  Politik 
Frankreichs  vermehrt:  zu  dem  Hause  Österreich,  das  wegen  seiner 
burgundischen  Besitzungen  schon  längst  eine  feindselige  Haltung  gegen 
das  französische  Königreich  eingenommen  hatte  (§  64),  gesellten  sich 
nun  die  in  ihrem  unteritalienischen  Besitz  bedrohten  spanischen  Reiche 
und  die  italienischen  Mittelstaaten.  Außerhalb  dieser  Gegenkoalition 
bleiben  nur  Kleinstaaten  wie  Savoyen  und  militärisch  schwache  Ge- 
meinwesen wie  Florenz  (§  91);  diese  durften  es  nicht  wagen,  den  Kampf 
mit  dem  übermächtigen  Frankreich  aufzunehmen,  selbst  in  Gemein- 
schaft mit  anderen  nicht.  Das  Königreich  Neapel  vollends  hatte  durch 
seine  militärische  Hilflosigkeit  gezeigt,  daß  es  nicht  mehr  als  selbständige 
Potenz  betrachtet  werden  konnte;  es  zählte  von  dieser  Zeit  an  denn 
auch  nur  noch  als  Objekt,  nicht  als  Subjekt  der  internationalen  Po- 
litik (§  93). 

Man  kann  darüber  streiten,  ob  die  vor  dem  Feldzuge  geschlos- 
senen Verträge,  die  implicite  die  Duldung  der  neapolitanischen  Ex- 
pedition enthielten  (§  102),  jemals  von  den  Kontrahenten  ernst  ge- 
meint waren;  sicher  ist  jedenfalls,  daß  nach  dem  foudroyanten  Erfolge 
der  französischen  Waffen  die  Absicht,  diese  Verträge  zu  halten,  wenn 
sie  überhaupt  einmal  bestand,  sofort  in  Nichts  zerfiel.  Bereits  am 
31.  März  1495  wurde  zu  Venedig  ein  Bund  geschlossen,  der  die  poli- 
tischen Voraussetzungen  jener  Abmachungen  aufhob.  Formell  trug 
die  Allianz,  an  der  Spanien,  Kaiser  Maximilian,  Venedig,  Mailand  und 
der  Papst  teilnahmen,  allerdings  rein  defensiven  Charakter:  die  Kon- 
trahenten verpflichteten  sich  nur,  die  Staaten  der  Verbündeten  gegen 
Angriffe  anderer  Potentaten,  die  gegenwärtig  einen  Staat  in  Italien 
innehätten,  zu  beschützen.  Aber  es  war  klar,  daß  dabei  vor  allem  an 
die  Wiedereroberung  Neapels  gedacht  war,  die  sich  sehr  wohl  als  defen- 
siver Akt  auffassen  ließ,  da  das  Königreich  päpstliches  Lehen  war  und 
Papst  Alexander  VI.  den  französischen  König  die  Verleihung  mit 
diesem  Reiche  nie  gewährt  hatte.  Die  Liga  war  also  in  Tat  und  Wahr- 
heit eine  Koalition  zum  Zwecke  der  Vertreibung  der  Franzosen  aus 
Italien. 

Der  Vortrag  bezeichnet  im  übrigen  den  offiziellen  Beginn  der 
neuen,  sich  um  das  italienische  Problem  (§1)  gruppierenden  Bündnis- 
politik. Dafür  ist  charakteristisch,  daß  das  Instrument  sich  in  seiner 
ursprünglichen  Fassung  nur  auf  Italien  bezieht  (die  spanischen  Herr- 
scher nahmen  als  Besitzer  Siziliens  und  Sardiniens  teil,  Kaiser  Maxi- 
milian als  Inhaber  gewisser  Lehensrechte  des  Reiches  über  italienische 
Gebiete).  Der  Beitritt  anderer  (von  Frankreich  bedrohter)  Mächte  war 
zwar  offen  gelassen,  und  ein  Jahr  später  (18.  Juli  1496)  wurde  diese 
Möglichkeit  auch  von  dem   Könige   von   England   ausgenutzt;   eigent- 


256  Die  französische   Expedition  nach  Neapel. 

liches  Objekt  des  Vertrages  ist  aber  Italien.  Bemerkenswert  ist  wohl 
auch,  daß  der  spätere  Beitritt  ausdrücklich  nur  Staaten  gewährt  werden 
soll,  die  an  Rang  und  Macht  nicht  hinter  den  ersten  Teilnehmern  zurück- 
stehen; zwischen  den  kleineren  Staaten  und  den  militärisch  leistungs- 
fähigen größeren  wurde  also  von  Anfang  an  offiziell  eine  Grenze  ge- 
zogen in  dem  Sinne,  daß  die  ersteren  für  die  neue  internationale  Politik 
überhaupt  nicht  mehr  als  eigentlich  bündnisfähig  betrachtet  wurden, 

§  106.  Rückzug  der  Franzosen  aus  Neapel.  Nichts  ist  vielleicht 
für  die  mangelhafte  Organisation  des  französischen  diplomatischen 
Dienstes  (§31)  bezeichnender  als  die  Tatsache,  daß  die  in  Venedig 
geschlossene  Gegenkoalition  den  Leitern  der  französischen  auswärtigen 
Politik  vollständig  überraschend  kam  und  daß  die  militärischen  Rü- 
stungen und  Maßregeln  der  Franzosen  in  keiner  Weise  auf  eine  solche 
Eventualität  eingerichtet  waren.  Die  Machtmittel,  über  die  die  fran- 
zösische Expeditionsarmee  damals  verfügte,  reichten  weder  aus,  um 
das  neu  eroberte  Land  gegen  einen  Gegner  wie  die  neugebildete  Liga 
zu  behaupten  noch  auch  nur,  um  die  Verbindung  mit  dem  Heimat- 
lande aufrechtzuerhalten.  Da  außerdem  der  König  persönlich  an 
der  Expedition  teilgenommen  hatte,  so  lag  dazu  noch  die  Notwen- 
digkeit vor,  einen  Teil  der  disponibeln  Streitkräfte  dem  Schutze  Neapels 
zu  entziehen,  um  die  Person  des  Monarchen  in  Sicherheit  zu  bringen; 
Garantien  für  eine  relativ  ungefährliche  Heimkehr  bot  ja  nur  der 
Landweg  (vgl.  §  102). 

Wenn  trotz  dieser  mißlichen  Lage  die  Franzosen  vor  einer  eigent- 
lichen Katastrophe  bewahrt  blieben,  so  war  dies  nur  dem  Umstände 
zuzuschreiben,  daß  es  den  Staaten,  die  zu  der  Liga  zusammengetreten 
waren,  nicht  möglich  gewesen  war,  die  militärische  Superiorität  der 
französischen  Armee  in  den  wenigen  Monaten,  die  ihnen  zur  Verfügung 
standen,  auch  nur  durch  zahlenmäßige  Überlegenheit  in  den  Truppen- 
beständen auszugleichen;  dazu  trat  allerdings  noch  die  bei  Koalitions- 
kriegen öfter  beobachtete  Erscheinung,  daß  die  Allierten  ihren  Ver- 
pflichtungen gegen  den  Bund  zum  Teil  nur  lässig  nachkamen.  Diese 
Momente  erwiesen  sich  besonders  für  den  Rückzug  des  Königs  Karl  VI  IL 
günstig.  Daß  der  Kirchenstaat  dem  französischen  Durchmarsch  keine 
Hindernisse  in  den  Weg  stellen  konnte,  war  selbstverständlich  (vgl. 
§  92).  Aber  in  Oberitalien  hatten  Mailand  und  besonders  Venedig 
ansehnliche  Truppenbestände  ins  Feld  gestellt.  Der  Herzog  von  Mai- 
land wandte  seine  Hauptaufmerksamkeit  der  Bekämpfung  des  Her- 
zogs von  Orleans  (des  späteren  Königs  Ludwig  XII.)  zu,  der  während 
des  Zuges  Karls  VIII.  in  dem  französischen  Asti  stationiert  geblieben 
war  und  später  (13.  Juni  1495)  sich  der  mailändischen  Stadt  Novara 
bemächtigt  hatte;  die  Venezianer  suchten  den  Übergang  der  Franzosen 
über  die  Apenninen  zu  verhindern.  Ihr  Unternehmen  scheiterte  an 
der  Überlegenheit  der  französischen  Waffen.  Die  Armee  Karls  VIII. , 
die  am  20.  Mai  Neapel  verlassen  hatte  und  in  Eilmärschen  gegen  Norden 
gezogen  war,  erzwang  sich  den  Übergang  über  die  Bergkette  bei  Pont- 


§  106.     Der   Rückzug  der  Franzosen.  257 

remoli  und  den  Ausgang  in  die  Poebene  bei  Fornovo  (beim  Taro,  süd- 
westlich von  Parma;  6.  Juli  1495).  Das  zuletzt  genannte  Treffen  blieb 
z.\var  unentschieden,  insofern  die  gewaltige  numerische  Überlegenheit 
des  Heeres  der  Alliierten  eine  eigentliche  Niederlage  verhinderte;  der 
Gewinn  war  aber  trotzdem  bei  dem  französischen  König,  der  sich  in- 
folge der  Schlacht  nach  Asti  durchschlagen  konnte  (16.  Juli).  (Die 
Schlacht  bezeichnet  außerdem  die  erste  Intervention  der  »Stradioten« 
genannten  leichten  Reiter  der  Venezianer  in  den  neuen,  allgemein 
europäischen  Kriegsoperationen  [§8];  Commines  berichtet  übrigens  bei 
diesem  Anlaß,  daß  auch  diese  Truppen  von  der  ihnen  unbekannten 
französischen  Artillerie  in  Schrecken  gesetzt  wurden:  1.  VIII,  eh.  7 
=  ed.  Mandrot  II,  258.) 

Wie  wertvoll  der  bei  Fornovo  erzwungene  freie  Durchpaß  war, 
ergab  sich  schon  daraus,  daß  sofort  nachdem  sich  der  König  aus  seiner 
prekären  Lage  gerettet  hatte,  Frankreich  eine  stärkere  Position  gegen- 
über Mailand  gewann.  Der  Herzog  von  Mailand  mußte  nun  in  ein 
Abkommen  einwilligen  (Friedensvertrag  von  Vercelli  vom  10.  Oktober 
1495),  das  faktisch,  wenn  auch  nicht  formell  seinen  Austritt  aus  der 
Liga  von  Venedig  bedeutete  und  seine  militärischen  Hilfsmittel  in 
den  Dienst  der  französischen  Eroberungspolitik  in  Italien  stellte.  Die 
wichtigste  Bestimmung  war  auch  hier  wieder,  daß  die  genuesische 
Marine  der  französischen  Regierung  zur  freien  Verfügung  überlassen 
wurde;  damit  diese  Konzession  wirksam  wurde,  mußte  die  Zitadelle 
von  Genua  dem  von  Frankreich  abhängigen  Herzog  von  Ferrara  zur 
Besetzung  eingeräumt  werden.  Daneben  aber  versprach  der  Herzog 
von  Mailand,  auch  den  Durchpaß  französischer  Truppen  zu  gestatten, 
sowie  überhaupt  Frankreich  bei  der  Gewinnung  Neapels  zu  unter- 
stützen. Die  einzige  wichtigere  Gegenleistung  Frankreichs  bestand  in 
der  Rückgabe  der  Stadt  Novara.  Karl  VIII.  kehrte  darauf  wieder  nach 
Frankreich  zurück  (Ankunft  in  Lyon  am  7.  November  1495). 

Viel  weniger  günstig  liefen  die  Kämpfe  im  Süden  für  die  Franzosen 
ab.  Die  französischen  Streitkräfte,  die  unter  dem  Oberkommando 
des  zum  Vizekönig  von  Neapel  ernannten  Grafen  von  Montpensier 
(in  Kalabrien  unter  dem  Großkonnetable  Stuart  d'Aubigny)  zurück- 
gelassen worden  waren,  legten  zwar  nach  wie  vor  Proben  ihrer  mili- 
tärischen Superiorität  ab,  und  das  Gefecht  bei  Seminara  (Juni  1495), 
im  südlichsten  Teile  von  Neapel,  in  der  Provinz  Reggio  di  Calabria,  in 
dem  d'Aubigny  die  mit  der  neuen  Infanterietaktik  noch  unvertrauten 
spanischen  Truppen  schlug,  war  ein  neuer  Beweis  für  die  Leistungs- 
fähigkeit der  schweizerischen  Söldner.  Aber  das  Schicksal  der  Fran- 
zosen war  schon  dadurch  besiegelt,  daß  sich  die  Herrschaft  zur  See 
in  den  Händen  ihrer  Gegner  befand;  dazu  kamen  noch  Aufstände  im 
Lande  selbst  gegen  ihr  Regiment,  die  ihr  natürliches  Zentrum  in  der 
Person  des  wieder  zurückgekehrten  Königs  Ferdinand  fanden.  Schließ- 
lich entdeckte  das  Feldherrngenie  des  spanischen  Anführers  Gonzalo 
de  Cordoba,  der  sich  bereits  in  dem  Kriege  gegen  Granada  ausgezeichnet 

Fueter,  Europ.  Staatensystem.  17 


258  Die  französische  Expedition  nach  Neapel. 

hatte,  Mittel,  um  die  zurückgebliebene  Ausbildung  seiner  Truppen 
wenigstens  einigermaßen  auszugleichen.  Neapel  hätte  sich  unter  diesen 
Umständen  für  die  Franzosen  nur  halten  lassen,  wenn  die  Versorgung 
mit  Waffen  und  Lebensmitteln  aus  dem  Mutterlande  regelmäßig  vor 
sich  gegangen  wäre.  Aber  dies  zu  leisten  war  Frankreich  nicht  imstande^ 
und  so  sahen  sich  denn  die  in  Neapel  zurückgebliebenen  französischen 
Truppen,  obwohl  nirgends  geschlagen,  zu  Kapitulationen  genötigt. 
Für  ihre  militärische  Stärke  ist  immerhin  bezeichnend,  daß  sich  diese 
Akte  verhältnismäßig  lange  hinauszogen.  Die  Zitadelle  von  Neapel 
öffnete  am  8.  Dezember  1495  den  Aragonesen  ihre  Tore,  Montpensier 
kapitulierte  am  21.  Juli  1496  zu  Atella  (in  der  Basilicata)  gegen  die 
Bedingung  freien  Abzuges  nach  Frankreich;  später  (November  1496 
und  Februar  1497)  folgte  dann  noch  die  Übergabe  der  letzten  von  den 
Franzosen  okkupierten  festen  Plätze  Gaeta  und  Tarent.  Am  25.  Februar 
1497  schloß  Frankreich  (zu  Lyon)  einen  Waffenstillstand  mit  dem 
neuen  König  von  Neapel,  Friedrich  (dem  Neffen  Ferdinands  IL,  der 
am  6.  Oktober  1496  gestorben  war).  Wieder  hatte  sich  die  französische 
Marine  außerstande  gezeigt,  den  feindlichen,  vor  allem  den  vene- 
zianischen Schiffen,  mit  Erfolg  entgegenzutreten;  dies  schloß  eine 
wirksame  Entsatzaktion  von  vornherein  aus.  Im  adriatischen  Meere 
dominierte  Venedig  natürlich  vollständig;  diesem  Umstände  war  auch 
die  Eroberung  der  von  den  Franzosen  besetzten  Stadt  Monopoli  durch 
die  Venezianer  zuzuschreiben. 

§  107.  Neuordnung  der  Verhältnisse  iu  den  italienischen  Staaten. 
Die  Vertreibung  der  Franzosen  aus  Neapel  war  nicht  gleichbedeutend 
mit  einer  Wiederherstellung  der  alten,  vor  1494  bestehenden  Verhält- 
nisse in  Italien.  In  dem  Königreiche  selbst  gelangte  zwar  die  von  der 
französischen  Regierung  als  unrechtmäßige  Besitzerin  erklärte  arago- 
nesische  Dynastie  wieder  zur  Herrschaft.  Aber  das  Land,  das  sich 
in  der  Verteidigung  gegen  einen  Großstaat  als  ohnmächtig  erwiesen 
hatte,  hatte  nicht  nur  aufgehört,  eine  selbständige  Potenz  in  der  euro- 
päischen Politik  zu  sein,  sondern  es  hatte  es  auch  bereits  geschehen 
lassen  müssen,  daß  die  fremden  Staaten,  die  ihm  die  Befreiung  von 
der  französischen  Okkupation  brachten,  militärische  Stützpunkte  als 
Basis  für  weitere  Eroberungen  in  ihre  Hand  nahmen.  Spanien  behielt 
feste  Plätze  in  seinem  Besitz  und  Venedig,  zu  dessen  Plänen  die  voll- 
ständige Beherrschung  der  Adria  gehörte  (§§  70  u.  72),  bewahrte  als 
Pfand  sechs  apulische  Hafenplätze  (Mola  di  Bari,  Brindisi,  Otranto, 
Gallipoli  usw.).  Die  Unabhängigkeit  des  Königreiches  Neapel  bestand 
also  nur  zum  Schein  noch  fort. 

Beinahe  ebenso  geschwächt  ging  Florenz  aus  den  Kriegsereignissen 
hervor.  Die  Franzosen  lieferten,  wohl  weil  sie  keinen  Grund  zu  haben 
glaubten,  die  schwache  Republik  zu  schonen,  die  während  ihrer  Expe- 
dition besetzten  festen  Plätze  des  Freistaates  (§  104)  mit  Ausnahme 
Livornos  nicht  der  Stadt  aus,  sondern  übergaben  sie  deren  Feinden, 
so    Sarzana    mit   dem   Bergschloß    Sarzanella   (östlich   von    Spezia)   an 


§  107.    Neuordnung  in  den  italienischen   Staaten.  259 

Genua,  Pietrasanta  an  Liicca.  Scliliminer  als  der  Verlust  dieser  Außen- 
posten war  aber,  daß  sogar  die  Zitadelle  von  Pisa  von  dem  franzö- 
sischen Kommandanten  der  aufrührerischen  Bürgerschaft  (§  104)  aus- 
geliefert wurde  (1.  Januar  1496;  die  anders  lautenden  Befehle  des 
Königs  blieben  [aus  welchen  Gründen  immer]  ohne  Wirkung.  Vgl. 
»Lettres  de  Charles  VIII «  V,  259;  Ulmann,  »Maximilian  I.«  I,  408; 
Commines  ed.  Mandrot  II,  344).  Die  Stadt  Florenz  versuchte  dann 
zwar,  die  abgefallene  Untertanenstadt  wieder  mit  Waffengewalt  in 
ihren  Besitz  zu  bringen;  aber  ihre  Kräfte  reichten  um  so  weniger  zu 
einer  raschen  Beendigung  dieses  Unternehmens  aus,  als  die  antifran- 
zösische Koalition  (§  105)  die  Pisaner  unterstützte.  So  war  denn  auch 
die  internationale  Machtgeltung  der  florentinischen  Republik  durch 
die  Folgen  der  neapolitanischen  Expedition  stark  vermindert  worden. 
In  gegenteiligem  Sinne  wirkte  die  französische  Kampagne  auf  den 
Kirchenstaat.  Dessen  militärische  Organisation  hatte  sich  zwar  nicht 
leistungsfähiger  gezeigt  als  die  des  Königreiches  Neapel,  und  sogar 
die  Festung  Ostia,  die  sich  seit  dem  Beginn  der  Expedition  in  fran- 
zösischen Händen  befand,  konnte  nur  mit  Hilfe  von  Spaniern  unter 
dem  »Großen  Feldherrn«  Gonzalo  de  Cordoba  bezwungen  werden. 
Aber  da  der  Kirchenstaat  nicht  gleich  Neapel  zum  Schutzstaat  einer 
auswärtigen  Großmacht  gemacht  werden  konnte  (§  92),  so  blieb  ihm 
die  Möglichkeit,  das  Versäumte  nachzuholen  und  vorerst  durch  die 
Errichtung  einer  starken  Zentralgewalt  die  Voraussetzung  für  die 
Bildung  einer  brauchbaren  Wehrmacht  zu  schaffen.  Es  ist  dies  die 
Aufgabe,  die  dann  gleich  nach  1494  von  der  päpstlichen  Regierung 
vor  allem  mit  Hilfe  des  Papstsohnes  Cesare  Borgia  an  die  Hand  ge- 
nommen wurde. 

Literatur  zum  Abschnitt  A  (§§102  —  107).  Im  allgemeinen  muß  auch 
hier  auf  die  in  der  Vorbemerkung  aufgeführten  Werke  und  deren  bibliographischeAn- 
merkungen  verwiesen  werden.  Für  die  hier  besprochenen  Ereignisse  sind  besonders 
brauchbar  die  Angaben  in  der  Ausgabe  der  Memoiren  Commines'  von  Mandrot 
(Band  II,  1903).  So  sei  denn  hier  nur  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  H.  Hauser 
im  ersten  Bande  der  zweiten  Abteilung  der  »Sources  de  VHistoire  de  France«  (1906) 
eine  ausgezeichnete  Übersicht  über  die  Quellen  der  Campagne  gibt  und  daß  das 
Hauptwerk  über  die  Expedition,  Delabordes  »Expedition  de  Charles  VIII«  (1888) 
auch  heute  noch  unentbehrhch  ist.  —  Emilie  Herbst,  »Der  Zug  Karls  VIII.  nach 
Italien  im  Urteil  der  italienischen  Zeitgenossen«  1911  (Abhandlungen  zur  mittleren 
und  neueren  Geschichte,  28  [Dissertation]  ist)  eine  wenig  bedeutende  Arbeit.  A.  Segre, 
i)Lodovico  Sforza,  detto  il  Moro  e  la  Repubblica  di  Venezia  dall'autunno  1494  alla  pri- 
mavera  1495«  im  Archivio  storico  lombardo  ser.  III.  vol.  18  (1902)  und  folg.  —  Während 
des  Druckes  dieses  Werkes  hat  zu  erscheinen  begonnen  E.  Gagliardi,  »Der  Anteil  der 
Schweizer  an  den  italienischen  Kriegen  1494 — 1516«I  (1494 — 1509).  Auf  dieses  Buch, 
das  auch  unediertes  Material  benutzt,  sei  hier  ein  für  allemal  hingewiesen. 

B.  Der  Kampf  um  Mailand  und  Neapel;   der  österreichisch- 
französische Konflikt  (1497—1507). 
§  108.    Die   neue  französische  Politik;    Vorbereitungen  des   Zuges 
nach   Mailand.     Nicht    weniger    stark   waren    die    Nachwirkungen    des 
unglücklichen  Ausganges  der  Neapler  Expedition  in   Frankreich.     Die 

17* 


260  Der  Kampf  um  Mailand  und  Neapel. 

französische  Regierung  ließ  ihre  Aspirationen  auf  Süditalien  zwar 
nicht  fallen  und  noch  weniger  verzichtete  sie  auf  ihre  italienischen 
Ausdehnungspläne  überhaupt.  Aber  sie  konzentrierte  ihre  Aktion 
nun  auf  die  Erwerbung  Mailands,  sei  es  daß  sie  den  Besitz  Mai- 
lands und  Genuas  als  unentbehrliche  Vorbedingung  einer  Unter- 
nehmung gegen  Neapel  erkannt  hatte,  sei  es,  daß  sie  die  Herrschaft 
über  Mailand  selbst  als  die  leichter  zu  behauptende  Eroberung  in 
Sicherheit  bringen  wollte,  bevor  sie  sich  an  Annexionen  in  Süditalien 
heranwagte. 

Es  ist  üblich,  diesen  Wandel  in  der  auswärtigen  Politik  Frankreichs 
mit  dem  Thronwechsel  in  Verbindung  zu  bringen,  der  durch  den  Re- 
gierungsantritt König  Ludwigs  XII.  (8.  April  1498;  sein  entfernter 
Vetter  Karl  VIII.  war  kinderlos  gestorben)  bezeichnet  wird.  Nun  ist 
daran  auch  richtig,  daß  der  künftige  König  und  damalige  Herzog  von 
Orleans  bereits  im  Jahre  1494  den  französischen  Vorstoß  lieber  nach 
Mailand  statt  nach  Neapel  geleitet  hätte;  richtig  ist  auch,  daß  nur 
Lud\\ag,  nicht  aber  Karl  als  Abkömmling  der  Visconti  gewisse,  allerdings 
sehr  unsichere  Erbansprüche  auf  das  Herzogtum  Mailand  erheben  konnte 
und  daß  der  neue  König  von  den  ersten  Tagen  seiner  Regierung  an  die 
neuen  Prätensionen  auf  Mailand  offiziell  kundgab  (er  nahm  sofort  den 
Titel  eines  Herzogs  von  Mailand  an).  Aber  damit  ist  nicht  bewiesen, 
daß  eine  derartige  Schwankung  in  der  Politik  Frankreichs  nicht  auch 
unter  Karl  VIII.  hätte  eintreten  können.  Bereits  in  den  letzten  Monaten 
des  verstorbenen  Königs  hatten  Annäherungsversuche  an  Spanien 
stattgefunden,  die  nicht  anders  als  im  Sinne  eines  stillschweigenden 
Verzichtes  Frankreichs  auf  die  ehemaligen  neapolitanischen  Pläne  ge- 
deutet werden  können.  Der  ^^'affensti]lstand  von  Alcalä  de  Henares 
vom  24.  November  1497  zwischen  Spanien  und  Frankreich,  der  aus- 
drücklich die  Bundesgenossen  der  Liga  von  Venedig  (§  105)  nicht 
einschloß,  läßt  sich  am  besten  als  eine  Einigung  zwischen  den  beiden 
Großmächten  auf  Kosten  Neapels  und  Mailands  erklären,  wobei  das 
südliche  Königreich  im  Sinne  späterer  Abmachungen  (§  110)  virtuell 
Spanien  ausgeliefert  worden  wäre.  Da  man  am  französischen  Hofe 
wohl  wußte  (vgl.  Commines  II,  215  =  1.  VII,  eh.  19),  daß  der  König 
von  Spanien  eine  französische  Okkupation  Neapels  als  eine  Bedrohung 
seines  Besitzes  von  Sizilien  und  Sardinien  betrachtete,  so  konnte  eine 
Versöhnung  wohl  kaum  auf  einer  anderen  Basis  in  Aussicht  genommen 
werden,  als  daß  Frankreich  faktisch  auf  seine  alten  Projekte  in  bezug 
auf  Neapel  verzichtete. 

Wie  dem  nun  auch  sei,  Tatsache  ist,  daß  sofort  nach  der  Thron- 
besteigung Ludwigs  XII.  die  französischen  diplomatischen  Stellen  eine 
intensive  Tätigkeit  entfalteten,  um  ähnlich  wie  vor  dem  Zug  nach 
Neapel  (§  102)  Garantien  zu  erhalten,  daß  die  übrigen  Mächte  ihrem 
Unternehmen  gegen  Mailand  kein  Hindernis  in  den  Weg  legten.  Die 
Aufgabe  war  weniger  leicht  als  in  den  Jahren  vor  1494.  Mit  den  Staaten, 
die  in  Oberitalien  desinteressiert  waren,  ließ  sich  zwar  ohne  Mühe  ins 


§  108.    Vorbereitung  des  französischen  Zuges  nach  Mailand.  261 

Reine  kommen.  So  wurde  zunächst  mit  dem  König  von  England,  der 
im  Jahre  1496  nachträghch  der  Liga  von  Venedig  beigetreten  war 
(§  105),  der  Vertrag  von  Etaples  (§  102)  erneuert  (24.  Juni  1498). 
Wichtiger  war  aber,  daß  kurz  darauf  (5.  August  1498)  mit  Spanien  ein 
Friedens-  und  Bündnisvertrag  abgeschlossen  werden  konnte  (zu  Mar- 
coussis). 

Langwieriger  und  sclnvieriger  waren  die  Verhandlungen  mit  den 
Staaten,  die  eigene  Interessen  in  Oberitalien  besaßen.  Mit  den  Vene- 
zianern ließ  sich  zwar  schließlich  zu  einem  günstigen  Abkommen  ge- 
langen; denn  zu  dem  politischen  Programm  der  Markusrepublik  gehörte 
seit  langem  eine  Ausdehnung  ihrer  Terraferma  gegen  das  Mailändische 
zu.  Aber  der  Entscheid  darüber,  ob  die  Republik  zu  diesem  Behufe 
eine  Festsetzung  der  Franzosen  im  Herzogtum  Mailand  unterstützen 
sollte,  fiel  begreiflicherweise  nicht  leicht,  und  erst  am  15.  April  1499 
konnte  in  Blois  der  Vertrag  unterzeichnet  werden,  in  dem  Venedig 
ein  Bündnis  mit  Frankreich  einging;  Venedig  versprach  darin,  Frank- 
reichs Vorgehen  gegen  Mailand  militärisch  zu  unterstützen,  als  Gegen- 
leistung wurde  ihm  die  Abtretung  des  Gebietes  von  Cremona  und  der 
Ghiara  d'Adda  zugesichert.  Kompüziert  gestalteten  sich  auch  die 
Unterhandlungen  mit  den  Schweizern.  Die  Eidgenossenschaft  hatte 
nichts  weniger  als  ein  Interesse  daran,  daß  der  französische  Herrschafts- 
bereich sich  auch  noch  über  Mailand  ausdehnte  (§  97),  und  auch  hier 
dauerte  es  längere  Zeit,  bis  ein  Abkommen  zustande  kam  (Vertrag  von 
Luzern  vom  16.  März  1499).  Die  Eidgenossen  gingen  darin  einen 
Bündnisvertrag  auf  zehn  Jahre  ein  und  erklärten  sich  ausdrücklich 
aller  Verbindungen  mit  dem  Herzog  von  Mailand  ledig. 

Weitaus  am  schwierigsten  war  es  aber,  mit  dem  Hause  Österreich 
zu  einem  Einvernehmen  zu  gelangen.  Die  Habsburger,  die  an  sich  schon 
die  entschiedensten  Gegner  jeder  Verstärkung  der  französischen  Macht 
waren  (§  64),  waren  in  diesem  Falle  besonders  betroffen,  da  eine  Fest- 
setzung der  Franzosen  in  Mailand  ihren  natürlichen  Verbündeten 
gegen  die  als  Erbfeind  Österreichs  betrachtete  Markusrepublik  ver- 
schwinden ließ;  auch  die  neutrale  Haltung  König  Maximihans  während 
der  französischen  Expedition  nach  Neapel  war  ja  nur  durch  das  Ver- 
sprechen französischer  Unterstützung  gegen  Venedig  erkauft  worden 
(Ulmann,  »Maximilian  I.«  I,  271).  Eine  solche  Kombination  war  aber 
ausgeschlossen,  da  sich  der  Angriff  Frankreichs  auf  Mailand  im  Gegen- 
teil im  Einvernehmen  mit  Venedig  vollziehen  sollte. 

Trotzdem  gelang  es  Frankreich,  wenn  auch  nicht  die  Zustimmung, 
so  doch  die  Unschädlichmachung  der  habsburgischen  Macht  zu  erreichen. 
Zunächst  konnte  ein  Teil  der  habsburgischen  Streitkräfte  dadurch 
lahmgelegt  werden,  daß  sich  Maximilians  Sohn  Philipp,  der  Erbe  der 
hurgundischen  Lande  zu  einem  separaten  Abkommen  bereit  finden 
ließ  (abgeschlossen  zu  Paris  am  2.  August  1498),  das  eine  offensive 
Aktion  von  niederländischer  Seite  unmöglich  machte.  König  Maximilian 
gab   freilich  trotzdem   seine   Versuche,   das   französische   Unternehmen 


262  Der  Kampf  um  Mailand  und  Neapel. 

gegen  Mailand  zu  verhindern,  nicht  auf.  Aber  der  im  September  1498 
ins  Werk  gesetzte  Feldzug  in  der  Richtung  von  Vesoul  und  Lothringen 
blieb  ohne  praktischen  Erfolg,  und  noch  weniger  gelang  es  dem  König, 
die  Franzosen  ihrer  unentbehrlichen  schweizerischen  Söldner  (§  29)  zu 
berauben.  Er  unternahm  es  zwar,  mit  Hilfe  des  Schwäbischen  Bundes 
(vgl.  §  62)  die  Eidgenossenschaft  mit  Waffengewalt  wieder  zu  einer 
engeren  Verbindung  mit  dem  Reiche  zu  zwingen  (wodurch  auch  die 
Lieferung  schweizerischer  Söldner  an  die  Gegner  Habsburgs  erschwert 
worden  wäre);  aber  der  deshalb  schließlich  als  Reichskrieg  geführte 
Schwaben-  oder  Schweizerkrieg  (Februar  bis  Juli  1499)  zeitigte  für  die 
habsburgische  Sache  einen  Mißerfolg  nach  dem  anderen,  und  der  Friede, 
der  am  22.  September  1499  nach  langwierigen  Verhandlungen  zu  Basel 
abgeschlossen  wurde,  enthielt  sogar  die  sozusagen  offizielle  Anerken- 
nung des  Reiches,  daß  die  Eidgenossen  nicht  zur  Unterwerfung  unter 
die  Reichsgesetze  gezwungen  werden  könnten  (außerdem  noch  die 
Anerkennung  der  in  den  Jahren  1497  und  1498  eingegangenen  Verbin- 
dungen schweizerischer  »Orte«  mit  Graubünden,  wo  die  habsburgischen 
und  die  schweizerischen  Ausdehnungstendenzen  direkt  aufeinander 
gestoßen  waren). 

Der  Schwabenkrieg  hatte  so  im  Gegenteile  zur  Folge,  daß  die  Eid- 
genossen noch  enger  an  Frankreich  geschh^ssen  wurden:  der  oben  (S.  261) 
erwähnte  Vertrag  von  Luzern,  der  der  französischen  Krone  von  neuem 
die  Unterstützung  der  schweizerischen  »Knechte«  sicherte,  ist  denn  auch 
erst  während  dieses  Konfliktes  unterzeichnet  worden  und  kann  als  Gegen- 
leistung für  die  Hilfe  aufgefaßt  werden,  die  Frankreich  damals  den  Eid- 
genossen in  Form  von  Artillerie  zukommen  ließ  (vgl.  §  97).  König 
Maximilian  war  also  außerstande,  sich  dem  französischen  Vorstoße  wirk- 
sam entgegenzusetzen  und  seine  Bemühungen,  Herzog  Lodovico  zu 
retten  (er  versuchte  ihn  als  Mitglied  des  Schwäbischen  Bundes  auf- 
nehmen   zu  lassen),  hatten  nur  platonischen  Wert. 

Zu  den  übrigen  Bundesgenossen  trat  außerdem  schließlich  noch 
der  Papst  hinzu,  dessen  Sohn  Cesare  Borgia  im  Mai  1499  sich  mit  dem 
Geschlechte  der  d'Albret  verschwägert  hatte  und  vom  französischen 
König  mit  dem  Herzogtum  Valentinois  belehnt  worden  war;  die  päpst- 
liche Familienpolitik  und  die  Hoffnung,  mit  französischer  Hilfe  die 
Romagna  der  tatsächlichen  Herrschaft  der  Regierung  des  Kirchen- 
staates zu  unterwerfen  (vgl.  §  92),  hatte  eine  Verbindung  mit  Frank- 
reich vorteilhaft  erscheinen  lassen. 

§  109.  Die  Eroberung  Mailands  durch  Frankreich.  Nachdem  der 
Zug  nach  Mailand  auf  diese  Weise  vorbereitet  worden  war,  war  die 
Kampagne  selbst  kaum  mehr  als  ein  militärischer  Spaziergang.  Anfang 
August  1499  begannen  die  kriegerischen  Operationen;  bereits  am 
17.  September  war  mit  der  Kapitulation  der  Zitadelle  von  Mailand 
der  Feldzug  in  der  Hauptsache  beendigt.  Ebenso  glatt  vollzog  sich 
der  Vormarsch  auf  venezianischer  Seite;  am  10.  September  zogen  die 


§  109.    Die  Eroberung  Mailands  durch   Frankreich.  263 

Truppen  der  Markusrepublik  in  der  Stadt  Cremona  ein.  Herzog  Ludovico 
Moro,  der  auf  österreichisches  Gebiet  (nach  Brixen)  hatte  entkommen 
können,  versuchte  dann  allerdings,  ermuntert  durch  Berichte  über  die 
Unzufriedenheit  der  mailändischen  Bevölkerung  mit  dem  französischen 
Regiment,  sein  Land  wieder  zurückzuerobern,  und  es  gelang  ihm  auch, 
eine  Anzahl  Truppen  (Reisige  und  Landsknechte)  und  Artillerie  von 
König  Maximilian  zu  erhalten:  ja,  trotz  des  Verbotes  der  eidgenös- 
sischen Regierungen  ließen  sich  sogar  schweizerische  Reisläufer  ge- 
winnen. Der  Herzog  begann  im  Januar  1500  seine  Offensive.  Die  Streit- 
kräfte, die  die  Franzosen  im  Herzogtum  zurückgelassen  hatten  (die 
Schweizer  waren  entlassen  worden),  genügten  nicht,  um  diesem  Angriffe 
Widerstand  zu  leisten;  dazu  brach  noch  am  30.  Januar  in  der  Hauptstadt 
eine  Revolution  aus,  die  den  französischen  Gouverneur  (Trivulzio)  bereits 
am  3.  Februar  nötigte,  die  Stadt  zu  verlassen  und  sich  gegen  Novara  zu- 
rückzuziehen. Außer  der  Gegend  von  Novara  und  dem  Kastell  von  Mai- 
land befand  sich  binnen  kurzem  beinahe  das  ganze  Herzogtum  wieder 
in  den  Händen  Lodovico  Sforzas;  am  2L  März  mußte  dann  auch 
Novara  noch  kapitulieren.    Das  alte  Regiment  wurde  wieder  hergestellt. 

Aber  diese  Rückeroberung,  die  ausschließlich  auf  die  numerische 
Inferiorität  der  von  den  Franzosen  zurückgelassenen  Truppenbestände 
zurückzuführen  war,  konnte  keinen  Bestand  haben.  Die  französische 
Regierung  ergriff  energische  Maßregeln,  um  Entsatz  zu  liefern.  Es 
gelang  ihr  vor  allem,  zwar  nicht  eine  offizielle  Werbelizenz,  aber  wenig- 
stens stillschweigende  Duldung  des  Anwerbens  schweizerischer  Söldner 
von  den  eidgenössischen  Regierungen  zu  erlangen,  so  daß  ihr  ein  ver- 
hältnismäßig großes  Kontingent  von  Schweizern  zur  Verfügung  stand; 
dazu  wurden  zahlreiche  Reisige  und  die  beste  Artillerie  aufgeboten. 
Dieser  neuen  Armee  unter  La  Tremoille,  die  sich  kurz  nach  dem  Falle 
Novaras  mit  Trivulzio  vereinigte,  war  der  Herzog  in  keiner  Weise 
gewachsen;  dazu  kam  noch,  daß  die  Schweizer  in  seinem  Heere  sich 
weigerten,  gegen  ihre  Landsleute  unter  französischem  Banner  zu  fechten. 
Es  blieb  kein  anderer  Ausweg  als  die  Kapitulation  (9.  April  1500). 
Die  herzoglichen  Truppen  erhielten  freien  Abzug  aus  Novara;  der 
Herzog  selbst  willigte  ein,  sich  dem  französischen  König,  der  bereits 
einen  Preis  auf  seinen  Kopf  gesetzt  hatte,  zu  ergeben.  Die  Schweizer 
widersetzten  sich  aber,  da  sie  seine  Person  als  Pfand  behalten  wollten, 
und  schickten  sich  an,  ihn  in  der  Verkleidung  eines  Söldners  mitzu- 
nehmen. Die  Franzosen  machten  ihn  jedoch  leicht  ausfindig,  und  er 
fiel  als  Gefangener  in  ihre  Hände.  Er  wurde  nach  Frankreich  verbracht, 
wo  er  bis  zu  seinem  Tode  im  Jahre  1508  auf  dem  Schlosse  Lys  Saint- 
Georges  bei  Bourges  in  Haft  gehalten  wurde. 

Mailand  wurde  nun  ganz  mit  Frankreich  vereinigt.  Der  nach  dem 
Muster  der  französischen  Parlamente  errichtete  »Senat«  (Dekret  vom 
11.  November  1499),  in  dem  der  dominierende  Einfluß  den  französischen 
Mitgliedern  gesichert  war  (vgl.  Pelissier,  »Louis  XII  et  Liidovic  Sforza« 
II,  331),  trat  wieder  in  Tätigkeit. 


264  Der  Kampf  um  Mailand  und  Neapel. 

Doch  fiel  nicht  das  gesamte  Territorium  des  Herzogtums  in  die 
Hand  der  Franzosen.  Abgesehen  von  den  Gebietsteilen,  die  Venedig, 
hatten  überlassen  werden  müssen,  durfte  die  französische  Regierung 
auch  die  Ansprüche  der  Schweizer  nicht  ganz  unberücksichtigt  lassen, 
von  denen  besonders  die  Urkantone  sich  durch  die  Aufrichtung  des 
französischen  Regimentes  in  Mailand  in  ihren  Expansionstendenzen 
ernstlich  bedroht  sahen  (vgl.  §  97).  Die  Grafschaft  Bellinzona,  die 
bereits  im  Jahre  1500  von  innerschweizerischen  Söldnern  besetzt  worden 
war,  mußte  nach  verschiedenen  Zwischenfällen  im  Jahre  1503  den  drei 
Urkantonen  abgetreten  werden,  die  damit  mindestens  den  Gotthard- 
verkehr  bis  an  den  Fuß  des  Montecenere  und  bis  zum  nördlichen  Ende 
des  Langensees  beherrschten  (Vertrag  von  Arona  vom  11.  April  1503). 

Literatur  zu  den  §§108  und  109.  Vgl.  die  Bemerkung  zu  §107.  Das 
Hauptwerk  ist  auch  jetzt  noch  das  zahlreiche  unedierte  Dokumente  benutzende 
Buch  von  Leon-G.  Pelissier,    »Louis  XII  et  Ludovic  Sforza^,  2  Bände,  1896. 

§  110.  Die  Eroberung  Neapels  durch  Spanien.  Die  Eroberung 
Mailands  hatte  sich  so  glatt  vollzogen,  daß  die  französische  Regierung 
nicht  zögerte,  auch  ihre  Pläne  zur  Festsetzung  in  Neapel  wieder  auf- 
zunehmen. Noch  in  demselben  Jahre,  in  dem  Lodovico  Moro  definitiv 
seiner  Herrschaft  beraubt  worden  war,  begann  sie  mit  den  Vorberei- 
tungen zu  der  neuen  neapolitanischen  Expedition. 

Die  Methode  ihres  Vorgehens  unterschied  sich  allerdings  unter  dem 
Einfluß  der  Übeln  Erfahrungen,  die  sie  bei  der  Unternehmung  des 
Jahres  1494  gemacht  hatte,  stark  von  dem  in  jenem  Jahre  angewandten 
Verfahren.  Obwohl  Frankreich  sich  im  Jahre  1500  in  einer  viel  gün- 
stigeren Position  befand  als  sechs  Jahre  vorher,  wagte  die  Regierung 
doch  nicht  mehr  ohne  Verbindung  mit  der  Sizilien  beherrschenden 
Macht  zu  operieren.  Frankreich  besaß  allerdings  jetzt,  was  ihm  damals 
nur  in  unsicherem  Maße  zur  Verfügung  gestanden  hatte,  nämlich  eine 
Basis  für  seine  Flottenoperationen,  da  Genua  zusammen  mit  Mailand 
in  seine  Gewalt  gefallen  war;  außerdem  hatten  die  Ereignisse  des  Jahres 
1499  die  militärische  Schwäche  des  habsburgischen  Königs  enthüllt, 
so  daß  Frankreich  von  dieser  Seite  kein  Hindernis  zu  befürchten  hatte. 
Aber  der  Verlauf  der  militärischen  Operationen  in  Neapel  in  den  Jahren 
1495  und  folgende  hatte  doch  zu  deutlich  gezeigt,  daß  die  Franzosen 
das  Königreich  gegen  eine  von  Sizilien  her  vorstoßende  Armee  nicht 
halten  konnten,  als  daß  eine  Wiederholung  des  früheren  isolierten  Vor- 
gehens in  Betracht  gezogen  werden  konnte.  Vor  allem  aber  scheint 
dabei  die  französische  Regierung  die  Absicht  verfolgt  zu  haben,  die 
Befürchtungen,  die  in  Spanien  wegen  des  Besitzes  Siziliens  im  Falle 
einer  Festsetzung  der  Franzosen  in  Neapel  erweckt  wurden  (§  108), 
durch  die  Abtretung  des  der  Insel  zunächst  liegenden  Teiles  des  König- 
reiches gegenstandslos  zu  machen. 

Wie  es  sich  nun  auch  mit  diesen  Kalkulationen  verhalten  haben 
mag,  Tatsache  ist  jedenfalls,  daß  die  französische  Regierung  so  vorging, 
als  wenn  sie  die  eben  skizzierten  Erwägungen  angestellt  hätte.    In  dem 


§  110.    Die  Eroberung  Neapels  durch  Spanien.  265 

Geheimvertrag  über  die  Teilung  Neapels,  der  am  11.  November  1500 
zwischen  Frankreich  und  Spanien  zu  Granada  abgeschlossen  wurde, 
behielt  sich  Frankreich  nur  den  Besitz  der  Stadt  Neapel,  der  Terra  di 
Lavoro  und  der  Abruzzen  vor,  während  Apulien  und  Kalabrien,  d.  h. 
der  gesamte  unmittelbar  für  Sizilien  wichtige  südliche  Teil  des  König- 
reiches an  Spanien  fallen  sollte.  Es  schien  so  ein  Kompromiß  gefunden, 
der  beide  Teile  befriedigen  könnte;  Spanien  ging  den  Vertrag  um  so 
lieber  ein,  als  die  Ereignisse  des  Jahres  1494  gezeigt  hatten,  daß  ein 
unabhängiges  Neapel  seine  Selbständigkeit  gegen  einen  französischen 
Angriff  nicht  zu  behaupten  vermochte. 

Es  handelte  sich  nun  nur  noch  darum,  die  neutrale  Haltung  der 
zwei  in  Mitleidenschaft  gezogenen  italienischen  Mächte,  nämlich  Vene- 
digs und  des  Kirchenstaates,  zu  erlangen.  Der  Markusrepublik  kamen 
die  Kontrahenten  dadurch  entgegen,  daß  sie  die  neuen  venezianischen 
Eroberungen  im  Neapolitanischen  ausdrücklich  garantierten;  der  Papst 
wurde  dadurch  gewonnen,  daß  dem  Sohne  des  Papstes,  Gesare  Borgia, 
zur  Unterwerfung  der  Romagna  französische  und  spanische  Truppen 
zur  Verfügung  gestellt  wurden  (vgl.  §§  92  u.  108).  Kurz  vor  der  Eröff- 
nung der  Feindseligkeiten  (8.  Juli)  konnte  denn  auch  der  Abschluß 
eines  eigentlichen  Bündnisses  zwischen  Papst,  Frankreich  und  Spanien 
zum  Zwecke  der  Aufteilung  Neapels  verkündet  werden  (29.  Juni  1501 ; 
Bulle  vom  23.  Juni). 

Der  König  von  Neapel  (seit  1496  Friedrich  I.,  Oheim  Ferdinands  II.) 
hatte  unter  diesen  Umständen  noch  geringere  Aussichten,  sein  Reich 
zu  behaupten,  als  bei  Ludovico  Moro  der  Fall  gewesen  war.  Dazu 
sah  er  sich  einem  Angriff  von  zwei  Fronten  her  ausgesetzt :  von  Norden 
drang  ein  französisch-päpstliches  Heer  unter  Stuart  d'Aubigny  und 
Gesare  Borgia  gegen  ihn  vor,  von  Süden  Gonsalvo  de  Cördoba  mit 
spanischen  Truppen.  Beiden  konnte  er  nur  schwachen  Widerstand 
entgegensetzen;  auch  seine  befestigten  Plätze  konnten  zw'ar  wohl  dem 
Angriff  der  Spanier,  nicht  aber  der  weit  überlegenen  französischen  Ar- 
tillerie (§  29)  einige  Zeit  standhalten.  So  kapitulierte  er  denn  bereits 
am  1.  August  1501  in  die  Hände  des  französischen  Oberkommandanten 
und  flüchtete  nach  Ischia  (er  überlieferte  sich  dort  am  6.  September 
den  Franzosen,  die  ihn  nach  Marseille  führten;  er  starb  1504  in  franzö- 
sischer Staatsgefangenschaft.  Seine  Rechte  hatte  er  König  Ludwig  XII. 
zediert.  Sein  Sohn  und  Erbe  Ferdinand,  der  »Herzog  von  Kalabrien«, 
wurde  ebenfalls  unschädlich  gemacht;  er  fiel  in  die  Gewalt  Gonsalvos 
und  wurde  als  Staatsgefangener  nach  Spanien  geschickt  (wo  er  im  Jahre 
1559  kinderlos  starb).  Der  Herrschaft  der  aragonesischen  Bastard- 
dynastie über  Neapel  war  definitiv  ein  Ende  bereitet  w^orden. 

Daß  es  unter  den  Verbündeten  nach  kurzer  Zeit  über  die  Teilung 
der  Beute  zu  Konflikten  kam,  ist  nicht  zu  verwundern;  schwerer  be- 
greiflich ist,  daß  sich  die  Franzosen  nicht  schon  durch  die  Erwägung 
hatten  von  dem  Unternehmen  abhalten  lassen,  daß  sie  in  einem  solchen 
Falle  schließlich  den  kürzeren  ziehen  würden.    Ihre  Position  war  aller- 


266  Der  Kampf  um  Mailand  und  Neapel. 

dings  stärker  als  im  Jahre  1495  (§  106).  Das  genuesische  Gebiet  war 
fest  in  ihrer  Hand,  und  es  war  deshalb  den  Franzosen  auch  einmal 
(August  1503)  möglich,  mit  Hilfe  von  neun  in  Genua  und  Savona 
»armierten«  Schiffen  (vgl.  §  14)  der  von  den  Spaniern  belagerten  Stadt 
Gaeta  wirkungsvolle  Unterstützung  angedeihen  zu  lassen;  auch  hatten 
es  die  französischen  Truppen  dieses  Mal  nur  mit  den  Spaniern,  nicht 
auch  noch  mit  den  Streitkräften  anderer  Staaten  zu  tun.  Aber  die 
Verhältnisse  lagen  doch  immer  noch  für  sie  viel  ungünstiger  als  für  die 
Gegner.  Vor  allem  war  die  Verbindung  mit  dem  Mutterlande  umständ- 
licher und  imsicherer,  es  fehlte  den  Franzosen  eine  nahe  Basis,  wie  sie 
die  Insel  Sizilien  bot.  Dazu  kam,  daß  der  spanische  General,  der  »große 
Feldherr«  Gonsalvo  de  Cördoba,  allem  Anschein  nach  den  französischen 
Kommandanten  als  Heerführer  überlegen  war;  auch  war  dank  der 
kürzlich  erfolgten  partiellen  Einführung  der  schweizerischen  Taktik 
im  spanischen  Heere  (§41)  die  spanische  Infanterie  beträchtlich  leistungs- 
fähiger als  im  Jahre  1495.  Die  Hauptsache  blieb  aber,  daß  die  spanischen 
Truppen  infolge  besserer  Verbindung  und  demgemäß  auch  relativ 
besserer  Verpflegung  den  Krieg  länger  hinausziehen  und  dadurch  die 
Franzosen  zum  Losschlagen  an  für  jene  ungeeigneten  Stellen  nötigen 
konnten.  Der  Vorteil,  der  den  Franzosen  auch  jetzt  wieder  aus  ihrer 
stärkeren  Artillerie  entsprang,  wurde  dadurch  aufgehoben. 

Die  Feindseligkeiten  begannen  im  Sommer  1502.  Die  Operationen 
zogen  sich  anfänglich  unentschieden  hin;  als  aber  im  Frühling  des  Jahres 
1503  der  spanische  Oberkommandant  Verstärkungen  erhielt,  wendete 
sich  das  Geschick  zuungunsten  der  Franzosen:  ihre  Armeen  wurden  in 
mehreren  Gefachten  geschlagen,  und  am  16.  Mai  1503  konnten  die 
Spanier  sogar  wieder  die  Hauptstadt  besetzen.  Bis  auf  Gaeta  war 
beinahe  das  ganze  Königreich  für  die  Franzosen  verloren.  Die  Ent- 
scheidung fiel  jedoch  erst,  als  die  starke  Entsatzarmee,  die  aus  Frank- 
reich abgeordnet  wurde,  keinen  Erfolg  erzielte.  Ungefähr  drei  Monate 
lang  (Oktober  bis  Dezember  1503)  lagen  sich  die  französischen  und 
die  spanischen  Truppen  am  Garigliano  (d.  h.  zwischen  Gaeta  und 
Neapel)  gegenüber,  auf  dessen  linkem  Ufer  sich  Gonsalvo  verschanzt 
hatte.  Schließlich  wagte  der  spanische  Heerführer  am  29.  Dezember 
einen  Angriff  auf  die  französische  Stellung,  der  gelang;  die  Franzosen 
mußten  sich  nach  Gaeta  zurückziehen.  Mit  der  Niederlage  war  aber 
auch  dies  letzte  Bollwerk  der  Franzosen  verloren;  am  1.  Januar  1504 
kapitulierte  die  Stadt  Gaeta,  und  die  Reste  der  französischen  Armee 
retteten  sich  zu  Schiff  nach  Genua. 

Der  Krieg  war  damit  für  die  Franzosen  verloren,  und  selbst  wenn 
ihr  Vorstoß  in  dem  Roussillon  (Herbst  1503)  weniger  unglücklich  aus- 
gelaufen wäre,  als  der  Fall  war,  hätten  sie  wohl  auf  ihre  neapolitanischen 
Pläne  verzichten  müssen.  Es  blieb  nichts  mehr  übrig,  als  Frieden  zu 
schließen  und  Neapel  vollständig  den  Spaniern  zu  überlassen.  Bereits 
am  31.  Januar  1504  (bestätigt  zu  Lyon  am  31.  März  desselben  Jahres) 
wurde   denn   auch   zwischen   den   beiden   kriegführenden    Parteien   ein 


§  111.    Vorbereitung  der  Liga  von  Cambrai.  267 

Waffenstillstandsvertrag  *auf  drei  Jahre  abgeschlossen,  der  tatsächlich 
bedeutete,  daß  die  Franzosen  der  spanischen  Herrschaft  über  Neapel 
bis  auf  weiteres  kein  Hindernis  entgegensetzen  würden. 

Neapel  wurde  nun  spanischer  Besitz.  Der  erste  Statthalter  («Vize- 
könig«) war  der  »große  Feldherr«  Gonsalvo  de  Cördoba  selbst;  als  er 
1506,  weil  verräterischer  Pläne  verdächtig,  sein  Amt  quittieren  und 
nach  Spanien  zurückkehren  mußte,  folgte  auf  ihn  ein  Neffe  König 
Ferdinands.  Neapel  wurde  also  nicht  wieder  mit  Sizilien  vereinigt, 
dagegen  auf  dieselbe  Weise  wie  jenes  durch  die  Errichtung  eines  Vize- 
königtums gänzlich  von  Spanien  abhängig  gemacht. 

§  111.  Annäherung  Frankreichs  an  die  Habsburger  und  Spanien. 
Vorbereitung  der  Liga  von  Cambrai.  Der  Waffenstillstand  von  Lyon, 
der  Frankreich  gegen  Spanien  sicherte,  machte  von  selbst  auch  eine 
weitere  offensive  Politik  der  Habsburger  gegen  Frankreich  aussichtslos. 
Das  Haus  Osterreich  war  aus  eigenen  Kräften  nicht  imstande,  die 
Franzosen  wieder  aus  Mailand  zu  vertreiben;  es  erschien  König  Maxi- 
milian daher  zweckmäßiger  sich  der  französischen  Macht  in  Oberitalien 
zu  bedienen,  um  den  Erbfeind  der  österreichischen  Expansionspolitik 
an  der  Adria  zu  vernichten  als  Versuche  zur  Wiederherstellung  eines 
unabhängigen  mailändischen  Herzogtums  zu  unternehmen.  Der  Kampf 
gegen  die  französische  Herrschaft  über  Mailand  wurde  daher  eingestellt 
und  Pläne  zu  gemeinsamen  Operationen  zwischen  Frankreich  und  der 
habsburgischen  Macht  entworfen.  Der  erste  offizielle  Ausdruck  dieser 
Schwenkung  in  der  habsburgischen  Politik  (die  übrigens  in  der  Haltung 
König  Maximilians  im  Jahre  1494  bereits  einen  Vorläufer  hatte:  §  108) 
waren  der  nur  ein  halbes  Jahr  nach  dem  Waffenstillstand  nach  Spanien 
abgeschlossene  Vertrag  von  Blois  zwischen  König  Maximilian  und  König 
Ludwig  XII.  (22.  September  1504),  der  die  künftige  Vermählung  des 
Enkels  Maximilians  Karl  (des  späteren  Karls  V.)  mit  Claudia,  der 
Tochter  Ludwigs  XIL,  zusammen  mit  kaum  ehrlich  gemeinten  be- 
trächtlichen territorialen  Konzessionen  Frankreichs  vorsah,  und  noch 
mehr  die  an  demselben  Tage  unterzeichnete  Offensivallianz  gegen 
Venedig,  die  gleichsam  als  erste  Auflage  der  Liga  von  Cambrai  be- 
zeichnet werden  kann  (die  Ähnlichkeit  mit  dem  späteren  Bündnis 
springt  besonders  dann  in  die  Augen,  wenn  man  beachtet,  daß  die 
Allianz  formell  zwar  nur  von  Frankreich  und  Österreich  abgeschlossen 
wurde,  als  Initianten  der  Verbindung  aber  ausdrücklich  den  Herrn 
des  Kirchenstaates,  Papst   Julius  IL,  nennt). 

Beide  Verträge  gelangten  nicht  zur  Ausführung.  Aber  nur  der 
erste,  weniger  wichtige,  wurde  ganz  und  gar  mißachtet,  indem  die  dem 
österreichischen  Erben  versprochene  Prinzessin  Claudia  statt  dessen 
mit  dem  präsumptiven  französischen  Thronfolger,  dem  späteren  König 
Franz  I.  verlobt  wurde  (1506);  der  zweite  bedeutungsvollere  wurde 
nur  aufgeschoben.  Diese  Situation  machte  es  dem  französischen  König 
möglich,  seine  Herrschaft  in  Oberitalien  ungestört  weiter  zu  befestigen, 


268  Die   Koalition  der  Großmächte  gegen  Venedig. 

—  In  Genua,  das  nominell  noch  eine  selbständige  Republik  war,  brach 
im  Jahre  1506  eine  Revolution  gegen  das  Patriziat  aus,  die  sich  zu- 
gleich auch  gegen  die  französische  Oberherrschaft  richtete.  Die  genue- 
sische Bourgeoisie  erhob  sich  gegen  die  französische  Besatzung  und 
nahm  am  12.  März  1507  das  nur  von  einer  schwachen  Garnison  ver- 
teidigte Schloß;  nur  das  »Castelletto «  wurde  von  den  Franzosen  noch 
gehalten.  Aussicht  auf  Erfolg  hatte  der  Aufstand  aber  nur,  wenn 
andere  Großmächte  den  Freiheitsfreunden  zu  Hilfe  kamen.  Infolge 
der  neuen  diplomatischen  Lage  blieb  eine  solche  Unterstützung  jedoch 
gänzlich  aus  (Spanien  sandte  im  Gegenteil  den  Franzosen  noch  See- 
streitkräfte zu  Hilfe),  und  so  mußte  Genua  denn  bereits  im  April  1507 
vor  der  starken,  zu  Lande  heranrückenden  französischen  Armee  kapi- 
tulieren. Die  Freiheiten  der  Stadt  wurden  nun  für  verwirkt  erklärt, 
die  Herrschaft  des  Adels  wieder  hergestellt  und  vor  allem  wurde  am 
Eingang  des  Hafens  eine  große  französische  Fortifikation,  die  »Laterne«, 
angelegt,  die  zusammen  mit  dem  Castelletto  die  Stadt  militärisch  den 
Franzosen  auslieferte.  Genua  konnte  nun  als  förmlich  mit  der  Krone 
Frankreich  vereinigt  gelten. 

Auch  die  dynastischen  Verhältnisse  in  Spanien  gestalteten  sich 
zunächst  noch  für  Frankreich  günstig.  König  Ferdinand,  der  durch 
den  Tod  der  Königin  Isabella  (26.  November  1504)  Witwer  geworden 
war,  vermählte  sich  mit  einer  Nichte  König  Ludwigs,  Germaine  de  Foix 
(Vertrag  von  Blois  vom  12.  Oktober  1505;  Vermählung  am  18.  März 
1506).  Noch  wichtiger  war,  daß  die  Gefahr  einer  wenigstens  partiellen 
Vereinigung  habsburgischer  mit  spanischen  Besitzungen  fürs  erste 
abgewendet  wurde:  der  Erbe  Isabellas  und  Schwiegersohn  Ferdinands, 
Philipp  der  Schöne  von  Österreich,  der  am  12.  September  1505  die 
Regentschaft  über  Kastilien  an  Stelle  Ferdinands  in  Anspruch  ge- 
nommen hatte,  starb  schon  am  25.  September  1506  eines  plötzlichen 
Todes,  so  daß  das  Haus  Österreich  in  der  nächsten  Zeit  von  jedem 
Einfluß  auf  die  spanische  auswärtige  Politik  ausgeschlossen  blieb. 

Literatur  zu  den  §§110  und  111.  Eine  wissenschaftliche  Monographie 
über  den  neapolitanischen  Feldzug,  die  den  Werken  Delabordes  und  Pelissiers  an 
die  Seite  gestellt  werden  könnte,  fehlt.  Die  wichtigste  Quellenpublikation  sind  die 
■»Dispacci«  von  A.  Giustiniani  (1502  —  1505),  die  P.  Villari  1876  herausgegeben  hat. 

C.  Die  Koalition  der  Großmächte  gegen  Venedig  und  ihre  Folgen 

(1508-1516). 

§  112.  Die  Liga  von  Cambrai.  Von  allen  italienischen  Staaten 
hatte,  seitdem  die  Großmächte  ihre  Eroberungspolitik  auf  Italien  aus- 
dehnten, sich  einzig  Venedig  als  selbständige  Potenz  behaupten  können. 
Es  war  daher  nicht  verwunderlich,  wenn  sich  unter  den  Großstaaten, 
nachdem  sich  einmal  unter  ihnen  gewissermaßen  ein  System  des  Gleich- 
gewichtes gebildet  hatte,  Neigungen  zeigten,  die  Machtstellung  der 
Markusrepubhk  zu  brechen.  Schon  im  vorhergehenden  Paragraphen 
ist  denn  auch  berichtet  worden,  daß  sich  unmittelbar  an  die  gegen- 


§  112.    Die  Liga  von  Cainbrai.  269 

seitige  Verständigungsaktion  der  Großstaaten  vertragliche  Abmachungen 
schlössen,  die  sich  gegen  Venedig  richteten.  Aber  den  wirklichen  An- 
stoß zu  der  kurz  darauf  effektiv  ins  Werk  gesetzten  Offensivallianz 
gegen  die  Lagunenrepublik  gaben  wohl  weniger  Erwägungen  allge- 
meiner Natur  als  das  Bestreben,  die  neue,  durch  die  französische  Ex- 
pedition geschaffene  Situation  auszunützen,  um  die  w^ährend  des 
15.  Jahrhunderts  erreichten  Erfolge  der  venezianischen  Expansions- 
politik auf  der  italienischen  Terraferma  wieder  rückgängig  zu  machen 
sowie  um  sich  gegen  weitere  Fortschritte  dieser  Tendenzen  zu  sichern. 
Daher  war  der  Bund  gegen  Venedig  weniger  eine  Allianz  der  Groß- 
mächte gegen  Venedig  als  eine  Vereinigung  aller  durch  frühere  vene- 
zianische Eroberung  geschädigter  Territorien  (sowohl  der  freien  wie 
der  im  Besitze  der  Großmächte  befindlichen),  die  dank  der  Unter- 
stützung der  Großmächte  ihre  ehemalige  defensive  Haltung  gegen  die 
Markusrepublik  mit  einer  offensiven  vertauschen  konnten,  und  die 
Beteiligung  an  der  Liga  war  um  so  eifriger,  je  größer  die  direkten  terri- 
torialen Vorteile  \yaren,  die  für  das  betreffende  Mitglied  des  Bundes 
in  Aussicht  standen.  Der  Gedanke,  die  Machtstellung  Venedigs  über- 
haupt zu  schwächen,  dürfte  daneben  stark  zurückgetreten  sein. 

Daraus  erklärt  sich  ohne  weiteres,  daß  von  den  Großmächten 
Spanien  sich  vor  und  bei  dem  Abschluß  der  Koalition  durchaus  im 
Hintergrunde  hielt;  wenn  die  spanische  Regierung  als  Besitzerin  Neapels 
auch  von  Venedig  eine  Reihe  apulischer  Hafenorte  zurückzugewinnen 
hatte  (vgl.  §  110),  so  besaß  diese  Gebietsveränderung  infolge  der  vene- 
zianischen Seeherrschaft  in  der  Adria  doch  nur  geringe  Bedeutung. 
Ebenso  ist  leicht  verständlich,  daß  ein  italienischer  Mittelstaat,  der 
nicht  an  venezianisches  Territorium  angrenzte,  wie  Florenz,  sich  zu 
bloßer  Neutralität  verpflichtete,  während  kleine  unmittelbar  von 
Venedig  bedrohte  Gemeinwesen  wie  Ferrara  und  Mantua  von  vorn- 
herein zum  Beitritt  zu  der  Offensivallianz  aufgefordert  wurden.  Vor 
allem  folgt  aber  aus  den  eben  dargelegten  Prämissen,  daß  die  beiden 
Staaten,  die  von  einem  weiteren  Vordringen  Venedigs  am  meisten  zu 
fürchten  hatten,  nämlich  Österreich  und  der  Kirchenstaat,  sich  be- 
sonders energisch  um  die  Organisation  der  Liga  bemühten. 

Der  Bund  gegen  Venedig  wurde  geschlossen  zu  Cambrai  am 
10.  Dezember  1508.  Direkt  als  Kontrahenten  sind  nur  Kaiser  Maxi- 
milian und  König  Ludwig  XIL  von  Frankreich  genannt;  doch  be- 
zeichnet das  Instrument  selbst  als  eigentlichen  Initianten  den  Papst 
(damals  Julius  II.)  und  führt  an  erster  Stelle  die  Wiedereroberung  der 
dem  Kirchenstaate  entrissenen  Gebiete  auf;  man  kann  also  sagen, 
daß  der  Vertrag  ursprünglich  abgeschlossen  wurde  zwischen  Österreich, 
Frankreich  und  dem  Papste,  wenn  schon  dieser  aus  formellen  Gründen 
seinen  offiziellen  Beitritt  erst  am  23.  März  1509  erklärte.  Das  Vertrags- 
instrument läßt  außerdem  den  Beitritt  noch  offen  dem  König  von 
Spanien,  dem  Herzog  von  Savoyen,  dem  Herzog  von  Ferrara,  dem 
Markgrafen  von   Mantua,   dem   König  von   England,   dem   König  von 


270  Die   Koalition  der  Großmächte  gegen  Venedig. 

Ungarn.  Die  Eröffnung  der  Feindseligkeiten  gegen  Venedig  wurde 
spätestens  auf  den  1.  April  1509  angesetzt.  Als  Ziel  des  Krieges  wurden 
bestimmt  für  den  Papst  eine  Anzahl  Städte  in  der  Romagna  (Ravenna, 
Rimini  usw.),  für  den  Kaiser  Roveredo,  Verona,  Padua,  Vicenza,  Tre- 
viso,  Friaul  und  das  Patriarchat  von  Aquileja,  für  Frankreich  als  Be- 
sitzer Mailands  Brescia,  Crema,  Bergamo,  Gremona  und  die  Ghiara 
d'Adda  (also  auch  die  im  letzten  Koalitionskriege  gemeinsam  mit  den 
Franzosen  von  den  Venezianern  eroberten  Gebiete;  vgl.  §  109),  für 
Spanien  die  an  die  Venezianer  verloren  gegangenen  apulischen  Hafen- 
plätze (Brindisi,  Otranto  usw.).  Savoyen  sollte  Cypern  erhalten  können, 
Ferrara  und  Mantua  die  ihnen  von  Venedig  entrissenen   Gebietsteile. 

Läßt  schon  diese  Abgrenzung  der  den  einzelnen  Bundesgenossen 
zufallenden  Beuteteile  erkennen,  daß  die  Liga  hauptsächlich  im  Interesse 
der  Habsburger  abgeschlossen  wurde,  so  reden  die  Abmachungen  nicht 
politischer  Natur  erst  recht  eine  deutliche  Sprache.  Weil  die  von  Ve- 
nedig zu  erwartenden  Gebietserwerbungen  nicht  ausreichten,  um 
Frankreich  und  Aragon  zum  Beitritt  zu  dem  Offensivbündnis  zu  bewegen, 
mußte  Kaiser  Maximilian  ihre  Einwilligung  außerdem  mit  politischen 
Konzessionen  erkaufen.  Frankreich  versprach  er  die  Investitur  mit 
Mailand,  gegenüber  dem  König  von  Aragon  ging  er  die  Verpflichtung 
ein,  sich  jeder  Einmischung  in  die  Regierung  Kastiliens  zu  enthalten 
(er  hatte  als  Großvater  Karls  [V.]  und  Ferdinands,  der  unmündigen 
Erben  des  Landes  Anspruch  auf  die  Regentschaft  über  Kastilien  erhoben). 
Damit  steht  auch  im  Einklang,  daß  der  habsburgische  Herrscher  bereits 
in  dem  Jahre  vor  der  Liga  (vom  Februar  1508  an)  versucht  hatte, 
seine  Ziele  gegenüber  Venedig  mit  eigenen  Mitteln  durchzuführen,  und 
erst  den  Bund  abschloß,  als  dieser  Feldzug  einen  durch  und  durch 
unglücklichen  Ausgang  genommen  hatte :  er  hatte  nämlich  durch  einen 
am  6.  Juni  1508  zu  Maria  di  Grazia  unterzeichneten  Waffenstillstand  be- 
endigt werden  müssen,  der  die  Venezianer  im  Besitze  aller  ihrer  während 
des  Krieges  gemachten  Eroberungen  (u.  a.  auch  Triest  und  Fiume)  ließ. 

Erwähnenswert  ist  schließlich  noch,  daß  der  Gedanke,  die  Stadt 
Venedig  selbst  zu  okkupieren,  in  dem  Vertrage  nicht  erwähnt  wird. 
Die  starke  Position,  die  Venedig  zur  See  einnahm,  ließ,  darf  man  an- 
nehmen, einen  solchen  Plan  als  von  vornherein  undiskutierbar  erscheinen. 

Eine  Folge  der  Abmachungen  von  Cambrai  war  die  Beendigung 
des  Krieges,  den  die  florentinische  Republik  zur  Unterwerfung  des 
abgefallenen  Pisas  führte  (vgl.  §  107).  Frankreich  und  Spanien  hatten 
zur  Finanzierung  des  Krieges  gegen  Venedig  Geldmittel  nötig,  und 
sie  lieferten  daher  die  Stadt  Pisa  den  Florentinern  gegen  Zahlung  an- 
sehnlicher Subsidien  aus  (Vertrag  vom  13.  März  1509).  Nachdem  die 
Großmächte  sie  so  im  Stiche  gelassen  hatten,  blieb  den  Pisanern  nur 
die  Kapitulation  übrig;  am  2.  Juni  1509  wurde  der  Vertrag  ratifiziert, 
der  die  Stadt  wieder  der  Oberhoheit  der  Florentiner  unterstellte. 

§  113.  Der  Krieg  gegen  Venedig.  Obwohl  solange  Venedig  die 
See  beherrschte,  eine  definitive  Vernichtung  des  venezianischen  Staats- 


§  113.    Der  Krieg  der  Liga  von  Cambrai.  271 

Wesens  ausgeschlossen  war,  so  war  die  Republik  doch  begreil'Iicher- 
weise  nicht  imstande,  ihren  Besitz  auf  dem  Festlande  gegen  die  über- 
mächtige Koalition  zu  behaupten,  die  sich  zu  der  Liga  von  Cambrai 
zusammengefunden  hatte,  und  ihre  beste  Chance  lag  darin,  daß  sie 
ein  unangreifbares  Widerstandszentrum  besaß;  es  war  dies  besonders 
deshalb  wichtig,  weil  eine  unter  so  außergewöhnlichen  Verhältnissen 
zustande  gekommene  Bündnisvereinigung  wie  die  Liga  normalerweise 
nur  kurzen  Bestand  haben  konnte  und  Venedig  als  gerettet  gelten  durfte, 
sobald  es  nur  dem  ersten  Ansturm  nicht  erlegen  war. 

Der  gefährlichste  Gegner  war  dank  ihrer  Überlegenheit  an  In- 
fanterie, schwerer  Reiterei  und  Artillerie  die  französische  Armee.  Diese 
befand  sich  außerdem  zuerst  im  Felde,  während  Kaiser  Maximilian 
wie  gewöhnlich  mit  seinen  Leistungen  im  Rückstande  blieb  und  auch 
die  päpstlichen  Truppen  sich  vorerst  passiv  verhielten.  Um  so  kata- 
strophaler gestaltete  sich  für  die  Venezianer  das  erste  Zusammentreffen 
mit  dem  Feinde.  Es  war  das  erste  Mal,  daß  ihre  Truppen  sich  mit  den 
Franzosen  maßen,  die  damals  (mit  Ausnahme  der  leichten  Reiterei) 
in  allen  Waffengattungen  an  der  Spitze  der  Technik  standen  (§  29), 
und  der  Erfolg  war  eine  vollständige  Niederlage  auf  ihrer  Seite.  Die 
französische  Armee,  die  am  8.  Mai  1509  Mailand  verlassen  hatte,  schlug 
bereits  in  dem  ersten  Zusammentreffen  am  14.  Mai  bei  Agnadello 
(südlich  von  Treviglio)  das  venezianische  Heer  in  entscheidender  Weise 
(sogar  der  venezianische  Kondottiere  Bartolommeo  d'Aviano  wurde 
gefangen  genommen).  Der  venezianische  Widerstand  gegen  die  Fran- 
zosen war  fürs  erste  gänzlich  gebrochen;  die  von  Frankreich  in  An- 
spruch genommenen  Städte  Bergamo,  Brescia  usw.  fielen  binnen 
wenigen  Tagen  in  die  Hand  des  Siegers.  Die  venezianische  Armee  zog 
sich  bis  Verona  zurück. 

Schlimmer  als  dies  war  vielleicht  noch  für  Venedig,  daß  die  Kata- 
strophe von  Agnadello  auch  die  übrigen  Teilnehmer  der  Liga  zur  so- 
fortigen Ofensive  gegen  die  wehrlos  gemachte  Republik  animierte; 
die  Staaten,  die  bisher  noch  Bedenken  getragen  hatten,  den  venezia- 
nischen Staat  anzugreifen,  ließen  nun  alle  Rücksichten  fallen.  Ein 
päpstliches  Heer  rückte  durch  die  Romagna  heran,  Ferrara  und  Mantua 
erklärten  sich  offen  gegen  Venedig,  im  Friaul  und  in  I  Strien  wurde  der 
Angriff  energisch  aufgenommen,  und  in  Neapel  wurden  Anstalten  zur 
Besetzung  der  venezianischen  Hafenplätze  getroffen.  Überall  setzten 
die  venezianischen  Besatzungen  dem  Feinde  nur  geringen  Widerstand 
entgegen.  Eine  eigentliche  Panik  scheint  damals  ausgebrochen  zu  sein; 
Verona,  Vicenza  und  Padua  ergaben  sich  ohne  Schwertstreich  dem 
Kaiser.  Sogar  die  venezianische  Regierung  selbst  sah  ihre  einzige 
Rettung  in  einer  Sprengung  der  feindlichen  Koalition,  mochte  sie 
auch  noch  mit  so  großen  Opfern  erkauft  werden  müssen:  sie  über- 
lieferte dem  Papst  ihre  Städte  in  der  Romagna,  dem  König  von 
Aragon  ihre  (freiwillig  geräumten)  Plätze  in  Apulien  und  bot  ähn- 
liche   Konzessionen  dem  habsburgischen  Herrscher  an.    Bereits  erwog 


272  Die   Koalition  der  Großmächte  gegen   Venedig. 

der    Kaiser   den   phantastischen    Plan,  Venedig   von    der   Seeseite  her 
anzugreifen. 

Diese  Versuche,  Separatfriedensschlüsse  zustande  zu  bringen, 
blieben  aber  ohne  Erfolg;  wenn  Venedig  trotzdem  seinen  Besitz  auf 
der  Terraferma  nicht  definitiv  verlor,  so  war  dies  nur  dem  Umstände 
zu  verdanken,  daß  die  feindlichen  Staaten,  die  sich  zu  dem  Gelegen- 
heitsbunde zusammengeschlossen  hatten,  mangelhaft  untereinander 
operierten  und  daß  die  Venezianer  in  der  Bevölkerung  der  besetzten 
Gebiete  einen  wertvollen  Bundesgenossen  fanden.  Der  durch  die 
Signorie  aus  der  Herrschaft  verdrängte  Lokaladel  begrüßte  die  »Be- 
freiung« von  der  Markusrepublik  zwar  mit  Freuden;  eine  ganz  andere 
Stellung  nahmen  aber,  wie  begreiflich,  die  übrigen  Bevölkerungsklassen 
ein  (§  66).  Der  Widerstand  begann  mit  einer  Volkserhebung  in  Treviso 
gegen  den  Kaiser;  bald  (17.  Juli  1509)  konnte  auch  Padua  wieder 
zurückgewonnen  werden.  Damit  trat  die  entscheidende  Wendung 
zugunsten  Venedigs  ein.  Der  Kaiser,  der  nun  in  der  Hauptsache  den 
Krieg  allein  zu  führen  hatte  (wenn  auch  durch  französische  Reisige  und 
spanische  Söldner  unterstützt),  war  so  wenig  wie  im  Jahre  vorher 
(§  112)  imstande,  den  Gegner  zu  überwinden.  Die  Belagerung  Paduas 
(Mitte  August  bis  2.  Oktober  1509),  die,  wie  es  scheint,  nur  mit  Hilfe 
österreichischen  Geschützes  (also  ohne  französische  Artillerie)  durch- 
geführt wurde,  endete  mit  einem  vollständigen  Mißerfolg.  Bald  zogen 
die  Venezianer  auch  wieder  in  Vicenza  ein  (14^  November  1509),  so  daß, 
abgesehen  von  Verona  und  Roveredo  (und  den  1508  von  den  Öster- 
reichern verlorenen  und  jetzt  wieder  zurückeroberten  Gebieten)  alles, 
was  die  Kaiserlichen  gewonnen  hatten,  wieder  verloren  ging.  Die 
mangelhafte  finanzielle  Basis  der  habsburgischen  Politik  (vgl.  §  64) 
hatte  sich  auch  hier  wieder  von  dem  Augenblicke  an  enthüllt,  da  die 
Bundesgenossen,  die  ihre  Ziele  erreicht  hatten,  sich  von  dem  Kriege 
zurückzogen. 

Literatur  zu  den  §§112  und  113.  Auch  zur  Geschichte  der  Liga  von 
Cambrai  fehlt  es  noch  an  einer  selbständigen  wissenschaftlichen  Monographie.  Als 
Surrogat  kann  noch  am  ehesten  gelten  die  auch  umfangreiches  archivalisches  Material 
heranziehende  Arbeit  von  Ch.  Kohler,  »Les  Suisses  dans  les  guerres  d'Jtalie  de  1506 
ä  1512«  (1897),  in  der  auch  die  ältere  Spezialhteratur  sorgfältig  verzeichnet 
ist.  Vgl.  ferner  M.  v.  Wolff,  »Untersuchungen  zur  Venezianer  Pohtik  Kaiser  Maxi- 
milians L  während  der  Liga  von  Cambrai«  1905;  A.  Luzio,  »I  preliminari  della 
ega  di  Cambrai«  im  »Archivio  stör,  lombardo«,  ser.  IV,  vol.  16  (1911)  und  ibid. 
vol.  34  f.;  A.  Bonardi,  »Venezia  e  la  lega  di  Cambrai«  im  »A^.  Archivio  Veneto« 
VII  p.   2,  3  ff.  (1904). 

§  114.  Die  italienische  Politik  des  Papstes;  die  Verbindung  des 
Papstes  mit  den  Schweizern.  Der  Krieg  der  Liga  von  Cambrai  hat  zwar 
nicht,  wie  etwa  gesagt  worden  ist,  die  Großmachtstellung  Venedigs  ver- 
nichtet; denn  er  leistete  im  Gegenteil  den  Beweis,  daß  Venedig  allein 
unter  allen  italienischen  Staaten  stark  genug  war,  den  Kampf  mit 
ausländischen  Großstaaten  aufzunehmen.  Wohl  aber  stellte  er  die 
Beziehungen  der  Markusrepublik  zu  den  italienischen  Mittelstaaten  auf 


§  114.    Auflösung  der  Liga  von  Cambrai.  273 

eine  neue  Grundlage.  Er  machte  der  Expansionspolitik  der  Republik 
in  Italien  ein  Ende  und  setzte  die  durch  diese  Aspirationen  geschädigten 
Staaten  wieder  ungefähr  in  ihren  früheren  Besitzstand  ein;  dadurch 
hörte  der  sozusagen  »natürliche«  Zustand  der  Feindschaft  zwischen 
diesen  Mittelstaaten  und  Venedig  auf.  Der  »normale«  Gegner  dieser 
Gemeinwesen  war  jetzt  vielmehr  der  auswärtige  Großstaat,  der  sich 
seit  dem  Jahre  1494  als  der  mächtigste  und  gefährlichste  erwiesen 
hatte,  nämlich  Frankreich.  (Spanien  kam  nicht  in  Betracht,  da 
seine  Ziele  durch  den  Besitz  Neapels  als  befriedigt  erscheinen  konnten; 
wie  wenig  die  habsburgische  Macht  bedeutete,  hatte  der  Verlauf  des 
Feldzuges  des   Jahres  1509  von  neuem  gezeigt.) 

Es  ist  danach  wohl  begreiflich,  daß  nun  der  Versuch  einer  neuen 
Gruppierung  der  italienischen  Staaten  gemacht  wurde,  der  sich  gegen 
Frankreich  richtete,  —  nicht  ohne  Anlehnung  an  außeritalienische 
Mächte,  aber  nur  an  solche,  die  die  italienische  Freiheit  nicht  schienen 
bedrohen  zu  können.  Das  natürliche  Haupt  einer  solchen  Verbindung 
war  der  Papst.  Dieser  (damals  Julius  II.)  ist  es  denn  auch  gewesen, 
der  nun  den  alten  und  bisher  besonders  von  venezianischer  Seite  ge- 
brauchten Schlachtruf  aufnahm  und  die  »Befreiung  Italiens  von  den 
Barbaren«  proklamierte.  Ebenso  natürlich  war  wohl,  daß  diese  ita- 
lienische Koalition  gegen  Frankreich  die  französische  Wehrkraft  vor 
allem  in  ihrer  schwachen  Stelle,  nämlich  in  ihrer  Verbindung  mit  den 
Schweizern  zu  treffen  suchte.  Der  Mangel  an  einer  einheimischen 
Infanterie  war  ja  für  Frankreich  dank  den  Werbeverträgen  mit  der 
Eidgenossenschaft  an  sich  auf  ausgezeichnete  Weise  gehoben;  aber  die 
betreffenden  Abmachungen  waren  jederzeit  wieder  lösbar,  und  seit 
der  Annexion  Mailands  durch  Frankreich  konnten  die  Schweizer  ge- 
radezu als  an  dem  Kampfe  der  italienischen  Staaten  gegen  die  überstarke 
Großmacht  interessiert  gelten.  Es  erschien  also  möglich,  die  Eidgenossen 
von  Frankreich  zu  trennen ;  war  dies  erreicht,  so  war  auch  den  fran- 
zösischen Armeen  ihre  leistungsfähige  Infanterie  entzogen,  und  ein 
wichtiges  Stück  ihrer  Superiorität  war  zerstört. 

Man  kann  dem  damaligen  Leiter  des  Kirchenstaates  (Papst  Ju- 
lius II.)  das  Zeugnis  nicht  versagen,  daß  er  diese  Politik  mit  rastloser 
Energie  und  Konsequenz  verfolgt  hat.  Erleichtert  wurde  seine  Aufgabe 
allerdings  durch  die  veränderte  Haltung  Venedigs:  die  Markusrepublik 
hatte  aus  den  Erfahrungen  des  letzten  Krieges  gelernt,  daß  sie  nur 
dann  eine  Wiederholung  der  Liga  von  Cambrai  verhindern  könnte, 
wenn  sie  auf  ihre  alte  Ausdehnungspolitik  auf  Kosten  der  übrigen 
italienischen  Staaten  verzichtete.  Damit  war  die  Basis  zu  friedlichen 
Vereinbarungen  sowohl  mit  dem  Kirchenstaat  wie  mit  Neapel  gegeben. 

Zunächst  wurde  vom  Papste  mit  Venedig  Friede  geschlossen;  es 
erfolgte  dies  (da  der  Krieg  der  Liga  von  Cambrai  wie  alle  Kriege  des 
Kirchenstaates  mit  geistlichen  und  weltlichen  Waffen  zugleich  geführt 
wurde)  in  der  Form,  daß  Venedig  am  24,  Februar  1510  vom  Interdikt 
losgesprochen  wurde  (die  Republik  mußte,  um  dies  zu  erreichen,  un- 

Fueter,  Europ.  Staatensystem.  18 


274  Die  Koalition  gegen  Frankreich. 

erhörte  marine-  und  kirchenpolitische  Zugeständnisse  machen;  der  Ver- 
trag wurde  deshalb  von  Anfang  an  als  erzwungen  bezeichnet  und  mit 
einem  Nullitätsprotest  belegt,  nach  kurzer  Zeit  auch  faktisch  außer 
Kraft  gesetzt).  Es  folgte  die  Verbindung  des  Papstes  mit  Spanien: 
um  den  König  von  Aragon  zu  dem  Bunde  gegen  Frankreich  zu  ge- 
winnen, erteilte  ihm  Julius  II,  am  3.  Juli  1510  die  bisher  stets  verweigerte 
Belehnung  mit  Neapel  (bezeichnenderweise  mit  der  Klausel,  daß  die 
Könige  Neapels  niemals  die  Kaiserkrone  erlangen  oder  die  Herrschaft 
über  die  Lombardei  oder  Toskana  mit  der  ihrigen  vereinigen  dürften, 
d.  h.  der  für  die  Unabhängigkeit  des  Kirchenstaates  nicht  minder  als 
die  französische  Hegemonie  gefährliche  Fall  einer  habsburgisch-spani- 
schen  Suprematie,  der  dann  unter  Karl  V.  eintrat,  sollte  verhindert 
werden).  Dazu  fügte  sich  als  drittes  Glied  die  Verbindung  mit  den 
Schweizern.  Mit  Hilfe  des  fanatischen  Gegners  der  französischen 
Politik  in  der  Schweiz,  des  Bischofs  Matthäus  Schinner  von  Sitten 
(der  dafür  im  Jahre  1511  zum  Kardinal  erhoben  wurde),  gelang  es  dem 
Papste,  am  14.  März  1510  einen  fünfjährigen  Bund  mit  den  Eidgenossen 
zu  schließen,  in  dem  diese  sich  verpflichteten,  dem  Heiligen  Vater 
6000  Mann  (d.  h.  die  in  normalen  Zeiten  Frankreich  bewilligte  Zahl) 
zu  stellen,  sowie  keiner  anderen  Macht  (d.  h.  Frankreich)  ohne  Zu- 
stimmung des  Papstes  Werbungen  zu  gestatten.  Während  ehedem  die 
Franzosen  Mailand  zu  einem  guten  Teile  dank  der  Mitwirkung  eid- 
genössischer Söldner  erobert  hatten,  hatte  der  Papst  nun  erreicht,  daß 
bei  einem  neuen  Kampf  um  dieses  Gebiet  die  Schweizer  auf  der  Seite 
der  Gegner  Frankreichs  stehen  würden. 

§  115.  Die  Koalition  gegen  Frankreich;  die  Vertreibung  der  Fran- 
zosen aus  Italien.  Die  erste  Phase  des  Kampfes  ist  durch  kleine  Ak- 
tionen ausgefüllt.  Der  Vorstoß  des  Papstes  richtete  sich  zunächst  nur 
gegen  die  mit  Frankreich  verbündeten  italienischen  Kleinstaaten ; 
weder  die  Schweizer  noch  ein  ausländischer  Großstaat  operierten  da- 
mals mit  ihm  gemeinsam,  nur  Venedig  (und  mit  einigen  Hilfstruppen 
Spanien)  arbeiteten  mit  dem  Heiligen  Vater  zusammen.  Die  Resultate 
dieser  Offensivversuche  waren  recht  unbedeutend.  Der  Versuch,  in 
Genua  einen  Aufstand  gegen  die  französische  Herrschaft  hervorzu- 
rufen, mißlang  gänzlich,  und  der  Vorstoß  gegen  den  mit  Frankreich 
verbündeten  Herzog  Alfons  von  Ferrara  führte  nur  zu  einem  beschei- 
denen Erfolge.  Das  von  dem  Herzog  geräumte  Modena  wurde  aller- 
dings genommen  (Herbst  1510);  aber  die  weitere  Eroberung,  der  feste 
Platz  Mirandola,  der  das  Herzogtum  gegen  Westen  deckte  (der  am 
21.  Januar  1511  kapitulierte),  konnte  nicht  behauptet  werden.  Die 
Franzosen,  die  schon  im  Oktober  1510  den  persönlich  seinen  Truppen 
kommandierenden  Papst  in  Bologna  belagert  hatten,  um  die  von 
Julius  II.  vertriebene  Familie  der  Bentivoglio  wieder  in  den  Besitz 
der  Stadt  zu  setzen,  rückten  nun  unter  Trivulzio  von  neuem  gegen  die 
Stadt  an,  nahmen  sie  ein  (23.  Mai  1511)  und  verjagten  die  päpstlichen 
Behörden ;  mit  Leichtigkeit  wurde  von  ihm  dann  auch  Mirandola  wieder 


§  115.    Die  Vertreibung  der  Franzosen  aus   Italien  (1512).  275 

gewonnen,  und  der  Herzog  von  Ferrara  war  von  neuem  Herr  seines 
Landes. 

Ebensowenig  erfolgreicli  für  die  Kurie  verlief  der  Kampf  der  geisl- 
lielien  Waffen,  der  wie  üblich  die  militärische  Aktion  begleitete.  Um 
dem  päpstlichen  Bann  zuvorzukommen,  der  bereits  zu  Beginn  des 
Krieges  (am  9.  August  1510)  gegen  ihren  Verbündeten  in  Ferrara  aus- 
gesprochen war,  ließ  die  französische  Regierung  eine  Nationalsynode 
zusammentreten,  die  eine  Entziehung  der  Obedienz  gegenüber  dem 
Papst  für  erlaubt  erklärte  und  die  Abhaltung  eines  allgemeinen  Konzils 
beschloß  (26.  September  1510).  Am  16.  Mai  1511  lud  dann  eine  schis- 
matische Minorität  des  Kardinalkollegiums,  die  sich  nach  Mailand 
unter  französischen  Schutz  geflüchtet  hatte,  die  Christenheit  zu  einem 
(antipäpstlichen)  Konzil  nach  Pisa  auf  den  1.  September  d.  J.  ein. 
Diese  Taktik  war  so  gefährlich,  daß  dem  Papste  nichts  anderes  übrig 
blieb,  als  mit  der  gleichen  Waffe  zu  antworten:  während  es  sonst  üblich 
war,  daß  Staaten,  die  mit  dem  Heiligen  Vater  in  Konflikt  standen,  auf 
die  Einberufung  eines  Konzils  drangen,  mußte  er  sich  nun  selbst  dazu 
verstehen,  eine  allgemeine  Kirchenversammlung  zur  »Reform  der 
Kirche  an  Haupt  und  Gliedern«  in  den  Lateran  einzuberufen  (am 
18.  Juli  1511  auf  den  19.  April  1512;  es  ist  dies  die  sechste  Lateran- 
synode). Kirchenpolitisch  machte  sich  der  Papst  dadurch  wieder  von 
den  Großmächten  abhängig;  denn  es  war  klar,  daß  auch  diesmal  wieder 
für  die  Bedeutung  des  Konzils  ausschlaggebend  sein  würde,  welche 
Stellung  die  Großstaaten  zu  ihm  einnehmen  würden. 

So  blieb  Papst  Julius  IL,  wollte  er  die  französische  Hegemonie 
über  Italien  zerstören,  nichts  übrig,  als  die  im  vorhergehenden  Para- 
graphen skizzierte  Politik  einzuschlagen,  d.  h.  eine  Koalition  aller  Groß- 
staaten und  der  Schweizer  gegen  die  Franzosen  zuwege  zu  bringen. 
Das  Unternehmen  gelang  nicht  auf  einen  Schlag.  Der  habsburgische 
Herrscher,  der  als  Gegner  Venedigs  der  natürliche  Alliierte  Frankreichs 
in  Oberitalien  war,  hielt  sich  zunächst  fern  und  erklärte  sich  sogar 
halb  und  halb  für  das  Pisaner  Gegenkonzil.  Um  so  leichter  waren 
allerdings  die  übrigen  Staaten  zu  gewinnen.  Schon  am  5.  Oktober 
1511  wurde  die  »heilige  Liga«  zwischen  dem  Papst,  dem  König  von 
Spanien  und  der  Republik  Venedig  verkündet,  dem  sich  eine  am 
20.  Dezember  desselben  Jahres  in  Burgos  abgeschlossene  Offensiv- 
allianz zwischen  Spanien  und  England  gegen  Frankreich  anschloß; 
außerdem  konnten  die  Schweizer  auf  Grund  ihrer  früheren  Verbindung 
mit  dem  Past  als  tatsächliche  Teilnehmer  des  Bundes  gelten. 

Immer  fehlte  aber  noch  der  habsburgische  Kaiser,  obwohl  ihm 
von  Anfang  an  jn  der  Liga  eine  Stelle  offen  gelassen  worden  war.  Sein 
Beitritt  erfolgte  erst,  als  ein  neuer  französischer  Sieg  in  Oberitalien  die 
militärische  Superiorität  der  Franzosen  und  damit  auch  ihre  Gefähr- 
lichkeit für  die  übrigen  Staaten  abermals  erwiesen  hatte.  Es  geschah 
dies  in  der  Schlacht  bei  Ravenna  (11.  April  1512),  in  der  der  fran- 
zösische  Heerführer  Gaston  de  Foix  (der  selbst  in  der  Schlacht  fiel) 

18* 


276  Die   Koalition  gegen  Frankreich. 

die  ligistische  Armee  schlug,  wenn  aucli  nicht  vernichtete  (den  Kern 
des  Fußvolkes  bildeten  auf  französischer  Seite  deutsche  Landsknechte, 
auf  Seite  der  Liga  spanische  Infanteristen).  Daraufhin  begann  Kaiser 
Maximilian  L  sich  langsam  von  seiner  Verbindung  mit  Frankreich  zu 
lösen  und  sich  der  Heiligen  Liga  zu  nähern.  Am  3.  Juni  1512  wurde 
ein  Waffenstillstand  mit  Venedig  ratifiziert,  gleichzeitig  wurden  die 
deutschen  Landknechte  im  französischen  Heer  zurückberufen,  und  am 
1.  September  d.    J.  sagte  er  sich  vom  Pisaner  Konzil  los. 

Doch  noch  bevor  sich  die  Folgen  dieser  neuen  Politik  des  Kaisers 
äußern  konnten,  hatte  das  Eingreifen  der  Schweizer  bereits  eine  völlige 
Wandlung  der  Lage  in  Oberitalien  hervorgerufen  (die  übrigens  Maxi- 
milian durch  Gewährung  freien  Durchzuges  unterstützte).  Das  starke 
eidgenössische  Heer,  das  infolge  eines  Tagsatzungsbeschlusses  aus  dem 
April  1512  sich  in  Verona  vereinigte  (am  25.  Mai),  repräsentierte  eine 
um  so  gefährlichere  Macht,  als  die  Schweizer  dank  der  kurz  darauf 
erfolgten  Verbindung  mit  den  Venezianern  auch  über  eine  tüchtige 
Artillerie  verfügten,  damals  also  im  Gegensatz  zu  ihrer  eigenen  ein- 
seitigen Ausrüstung  (§97;  vgl.  auch  §67)  ausnahmsweise  zu  selbstän- 
digem Operieren  befähigt  waren.  Infolge  dieser  Kooperation  konnten 
auch  befestigte  Plätze  wie  Pavia  rasch  genommen  werden.  Die  franzö- 
sische Herrschaft  im  Mailändischen  brach  nun  zusammen;  in  der  Haupt- 
stadt erhob  sich  ein  Aufruhr,  Mailand  kapitulierte,  und  ein  päpstlicher 
Gubernator  zog  in  die  Stadt  ein  (20.  Juni  1512).  Auch  Genua  konnte 
sich  nun  frei  machen  und  erklärte  sich  als  unabhängige  Republik. 
Bologna  fiel  wieder  in  die  Gewalt  des  Papstes.  Die  Reste  der  franzö- 
sischen Armee  zogen  sich  bis  über  die  Alpen  zurück;  nur  einige  feste 
Punkte  und  Zitadellen  wurden  von  den  Franzosen  noch  gehalten. 
Bereits  faßte  der  Papst  den  Plan,  sich  auch  noch  Ferraras  zu  bemäch- 
tigen, und  schon  wurde  das  mailändische  Gebiet  von  Parma  und  Pia- 
cenza  (für  einige  Monate)  dem  Kirchenstaate  einverleibt;  Florenz,  das 
sich  dem  päpstlichen  Bunde  nicht  angeschlossen  und  durch  die  Zu- 
lassung des  Gegenkonzils  auf  sein  Gebiet  Anstoß  erregt  hatte,  wurde 
seiner  Freiheit  beraubt,  indem  mit  spanischer  Hilfe  die  Herrschaft 
der  Medici  wiederhergestellt  wurde  (August/September  1512),  und  die 
Stadt  wurde  genötigt,  der  Liga  beizutreten. 

Das  folgenschwerste  Ereignis  war  aber  die  Regelung  der  Verhält- 
nisse im  Mailändischen.  Es  entsprach  der  momentanen  militärischen 
Lage,  wenn  über  das  Schicksal  des  Herzogtums  ausschließlich  die 
Schweizer  und  der  Papst  entschieden.  Die  Lösung  wurde  in  der  W'eise 
getroffen,  daß  aus  Mailand  gewissermaßen  ein  Schutzstaat  der  Eid- 
genossenschaft gemacht  wurde.  Das  Herzogtum  wurde  durch  einen 
ewigen  Bund  mit  den  Schweizern  verbunden,  denen  neben  finan- 
ziellen, handelspolitischen  und  militärischen  Vorteilen  noch  Locarno, 
Lugano  und  Domodossola  überlassen  wurden.  Die  Zustimmung  des 
Kirchenstaates  wurde  dadurch  erkauft,  daß  die  Abtretung  von  Parma 
und   Piacenza   an   den   Papst   von  den    Schweizern  genehmigt  wurde; 


§  116.    Die  Wiedereroberung  Mailands  durch  Frankreich,  277 

das  Herzogtum  wurde  dafür  mit  dem  (bisher  französischen)  Asti  ent- 
schädigt (September/Oktober  1512).  Ausdrückhch  nur  von  den  Schwei- 
zern allein  und  nicht  von  der  gesamten  Liga  wurde  im  Dezember  d.  J. 
der  Herzog  in  die  Herrschaft  über  Mailand  eingesetzt;  im  Januar  1513 
wurde  das  Kapitulat  zwischen  den  Schweizern  und  dem  von  ihnen 
eingesetzten  Herzog  Maximilian  Sforza,  einem  Sohne  Lodovico  Moros, 
beschworen. 

§  116.  Die  Gegenaktion  Frankreichs;  die  Wiedererobernng  des 
Mailändisehen.  Das  Herzogtum  Mailand  war  den  Franzosen  im  Jahre 
1512  infolge  des  gemeinsamen  Operierens  der  Schweizer  und  der  Vene- 
zianer verloren  gegangen  (§  115).  Es  lag  daher  nahe,  daß  die  fran- 
zösische Regierung  zunächst  einmal  die  Markusrepublik  wieder  auf 
ihre  Seite  zu  ziehen  versuchte.  Die  Eidgenossen  hatten  ja  auch  die 
territorialen  Interessen  Venedigs  geschädigt  oder  wenigstens  unberück- 
sichtigt gelassen.  Es  gelang  Frankreich  denn  auch  wirklich,  eine 
Offensivallianz  mit  der  venezianischen  Republik  zustande  zu  bringen 
(in  Blois  am  23.  März  1513),  in  der  sich  Venedig  verpflichtete,  den 
Franzosen  bei  der  Wiedereroberung  des  Herzogtums  Mailand  beizu- 
stehen, während  Frankreich  versprach,  der  Republik  zur  Wieder- 
herstellung ihres  Besitzstandes  zu  verhelfen,  wie  er  vor  dem  Kriege 
der  Liga  von  Cambrai  (§  112)  bestanden  hatte. 

Aber  gerade  diese  Verbindung  mit  Venedig  verhinderte,  daß  sich 
die  Allianz  zwischen  der  von  dem  habsburgischen  Herrscher  ins  Leben 
gerufenen  antifranzösischen  Koalition  und  dem  Papste  löste.  Zu  den 
Motiven,  die  an  sich  schon  die  Habsburger  zu  Gegnern  Frankreichs 
machten  (vgl.  §  64),  gesellte  sich  nun  noch  der  Gegensatz  zu  Venedig, 
um  Kaiser  Maximilian  I.  auf  der  Seite  des  Papstes  verharren  zu  lassen. 
Auch  die  übrigen  Bundesgenossen  (Spanien,  England)  fielen  nicht  ab, 
und  so  w^ar  trotz  der  Allianz  Venedigs  mit  Frankreich  die  Koalition 
der  übrigen  Großmächte  mit  dem  Papste  (seit  dem  21.  Februar  Leo  X. 
aus  dem  Geschlechte  der  damals  Florenz  beherrschenden  [§  115] 
Medici)  und  den  Schweizern  die  stärkere  Macht.  Ihren  Ausdruck  fand 
diese  neue  Auflage  der  Heiligen  Liga  in  dem  Bunde  von  Mecheln,  der 
am  5.  April  1513  zwischen  dem  Papst,  dem  Kaiser,  England  und 
Spanien  geschlossen  wurde;  die  Alliierten  verpflichteten  sich  darin, 
hinnen  zwei  Monaten  in  Frankreich  einzufallen. 

Der  Krieg  verlief  deshalb  auch  diesmal  wieder  zuungunsten  der 
Franzosen.  Der  Einfall  der  Engländer  in  Nordfrankreich  führte  zu 
der  »Sporenschlacht«  bei  Guinegate  (jetzt  Enguinegatte,  südlich  von 
St.  Omer)  am  16.  August  1513,  in  der  die  französische  schwere  Reiterei 
von  den  engliscli-burgundischen  Truppen  in  die  Flucht  gejagt  wurde; 
es  schloß  sich  daran  die  Einnahme  mehrerer  fester  Plätze  wie  Therouanne 
und  Tournay  durch  die  vereinigte  englisch-kaiserliche  Macht.  Ent- 
scheidender waren  aber  die  Vorgänge  im  Mailändisehen.  Auch  dies- 
mal   brachte    das    Eingreifen    der    Eidgenossen    den    Umschwung.     Es 


278  Die   Koalition  gegen  Frankreich. 

war  der  französischen  Armee  unter  La  Tremoille  und  Trivulzio  im 
Verein  mit  den  Venezianern  bereits  gelungen,  Genua  und  den  größten 
Teil  des  Herzogtums  Mailand  zu  nehmen  und  den  von  den  Schweizern 
eingesetzten  Herzog  (§  115)  in  Novara  einzuschließen,  als  sie  durch 
die  Eidgenossen  (die  eine  ungewöhnlich  starke  Truppenmacht  abge- 
ordnet hatten)  zum  Rückzug  über  die  Alpen  genötigt  wurden  (Schlacht 
bei  Novara,  6.  Juni  1513).  Die  Niederlage  war  für  die  Franzosen  so 
vernichtend,  daß  ihnen  nicht  nur  das  Mailändische  gänzlich  verloren 
ging,  sondern  die  Schweizer  nun  sogar  ihrerseits  offensiv  gegen  das 
französische  Gebiet  vorzugehen  wagten.  Die  Tagsatzung  beschloß 
am  1.  August,  16000  Mann  zu  einem  Angriff  auf  Frankreich  aufzu- 
bieten, und  der  durch  kaiserliche  Artillerie  und  Reisige  unterstützte 
Vorstoß  konnte  nur  mühsam  mit  Hilfe  eines  von  La  Tremoille  ab- 
geschlossenen, außerordentlich  entgegenkommenden  Vertrages  (Frank- 
reich verzichtete  darin  u.  a.  gänzlich  auf  Mailand  und  Asti)  vor  Dijon 
zum  Stehen  gebracht  werden  (Abkommen  vom  13.  September  1513; 
der  Vertrag  wurde  dann  nach  dem  Abzug  der  eidgenössischen  Truppen 
von  der  königlichen  Regierung  nicht  ratifiziert).  Dazu  kam,  daß  die 
Niederlage  bei  Novara  auch  auf  die  militärische  Position  der  Venezianer 
ihre  Rückwirkung  ausübte  und  deren  anfänglich  gewonnene  Vorteile 
vernichtete.  Die  venezianische  Armee,  deren  Infanterie  dem  ihr  ent- 
gegenstehenden spanischen  und  deutschen  Fußvolk  nicht  gew-achsen 
war,  wurde  bis  Padua  zurückgetrieben,  und  der  Feind  drang  an  dieser 
Stadt  vorbei  bis  an  die  Lagunen  vor  (Juli  bis  Oktober  1513). 

Es  blieb  Frankreich  für  den  Augenblick  nichts  übrig,  als  durch 
separate  Verhandlungen  wenigstens  einen  Teil  der  Gegner  von  einer 
Fortsetzung  der  Verhandlungen  abzuhalten.  Man  begann  begreiflicher- 
weise mit  den  Mächten,  von  denen  am  ehesten  Einlenken  zu  erwarten 
war,  mit  dem  Papste,  mit  Spanien  und  mit  England.  Leo  X.  kam  die 
französische  Regierung  dadurch  entgegen,  daß  sie  sich  von  dem  (in- 
zwischen nach  Lyon  verlegten)  Pisaner  Konzil  lossagte  (6.  Oktober 
1513);  von  Spanien  versuchte  sie  die  Garantie  für  eine  neutrale  Hal- 
tung während  des  projektierten  Angriffes  auf  Mailand  zu  erkaufen, 
indem  sie  vorschlug,  das  Herzogtum  samt  der  Oberherrschaft  über 
Genua  einem  der  mit  Renata,  der  Tochter  Ludwigs  XIL,  zu  vermäh- 
lenden Enkel  König  Ferdinands  (Karl  oder  Ferdinand)  zu  überlassen 
(1.  Dezember  1513).  Noch  weiter  gelangte  man  mit  England,  das 
wieder  zu  seiner  früheren  Friedenspolitik  zurückkehrte  (vgl.  §  84) ; 
am  6.  August  1514  konnte  zu  London  ein  förmlicher  Friedens-  und 
Freundschaftsvertrag  zwischen  beiden  Ländern  abgeschlossen  werden. 

Selbst  wenn  aber  alle  diese  Versuche  Erfolg  gehabt  hätten,  so  wäre 
an  der  Situation  in  Oberitalien  dadurch  nichts  Wesentliches  geändert 
worden.  Es  war  die  mailändische  Politik  der  Eidgenossen  gewesen, 
die  die  Franzosen  zweimal  um  den  Besitz  des  Herzogtums  gebracht 
hatte,  und  so  lange  die  Macht  der  Schweizer  ungebrochen  war,  hatte 
die   Haltung  anderer   Staaten  für  Frankreich  nur  untergeordnete   Be- 


§  116.    Die  Eroberung  Mailands  durch  Frankreich.  279 

deutung.  Es  war  daher  die  natürliche  Konsequenz  der  letzten  Ereig- 
nisse, daß  die  französische  Regierung  (an  deren  Spitze  seit  dem  1.  Januar 
1515  Franz  I.  stand)  ihre  gesamte  Kraft  nun  an  diesem  Punkte  ein- 
setzte. Es  handelte  sich  darum,  das  Herzogtum  Mailand  mit  Güte 
oder  Gewalt  von  den  Eidgenossen  zurückzuerhalten,  und  da  friedliche 
Vorschläge,  bei  denen  den  Schweizern  beträchtliche  finanzielle  Vorteile 
gegen  die  Abtretung  des  Mailändischen  versprochen  wurden,  ohne 
Erfolg  waren,  so  blieb  nur  die  Entscheidung  durch  die  Waffen  übrig. 
Zu  dieser  rüsteten  sich  die  Franzosen  in  ungewöhnlichem  Umfange. 
Ihre  Position  war  nicht  schlecht.  Falls  die  Schweizer  nicht  von  den 
übrigen  Mächten  unterstützt  wurden,  mußte  den  Franzosen  der  Sieg 
zufallen;  denn  so  leistungsfähig  die  eidgenössische  Infanterie  auch 
war,  so  war  das  Wehrwesen  der  schweizerischen  Orte  doch  viel  zu  ein- 
seitig entwickelt  (§  97),  als  daß  ein  schweizerisches  Heer  ohne  fremde 
Hilfe  sich  gegen  die  vereinigten  französischen  und  venezianischen  Kon- 
tingente hatten  behaupten  können.  Nun  blieb  eine  solche  Unterstützung 
aber  aus,  obw^ohl  die  Eidgenossen  noch  am  7.  Februar  1515  einen  Bund 
mit  dem  Kaiser  und  Spanien  (dem  später  auch  der  Papst  beitrat) 
schlössen;  damit  war  das  Schicksal  des  Feldzuges  von  vornherein  ent- 
schieden. 

Denn  die  Schlacht  bei  Novara  (S.  278)  war  ein  Zufallssieg  gewesen 
und  eine  Wiederholung  nicht  zu  fürchten,  sobald  die  Franzosen  ge- 
nügende Kräfte  aufboten.  Dies  geschah  denn  auch,  wie  bereits  bemerkt, 
und  für  die  Schweizer  erhöhte  sich  dabei  die  Gefahr  dadurch,  daß  zu 
der  französischen  schweren  Reiterei  und  Artillerie,  denen  sie  sowieso 
nichts  Ähnliches  entgegenzusetzen  hatten,  noch  beträchtliche  Bestände 
deutscher  Landsknechte  hinzutraten. 

Der  Kampf  begann  damit,  daß  Genua  zu  Frankreich  abfiel.  Dies 
bewog  die  Eidgenossen  zum  Einschreiten;  ein  Heer  wurde  abgeordnet 
(25.  April  1515)  und  die  wichtigsten  piemontesischen  Alpenübergänge 
besetzt.  Die  französische  Armee  umging  aber  diese  Positionen,  indem 
sie  ihren  Weg  über  den  als  ungangbar  geltenden  Col  d'Argentiere  wählte 
(Mitte  August).  Die  Schweizer  sahen  sich  außerstande,  das  Herzogtum 
zu  verteidigen;  manche  Kontingente  zogen  sich  in  die  Heimat  zurück, 
andere  in  der  Richtung  nördlich  von  Mailand.  Auch  diese  aber  mußten 
schließlich  das  Land  verlassen.  Nachdem  sie  noch  vergeblich  mit  den 
Franzosen  über  einen  Frieden  verhandelt  hatten  (Vertrag  von  Gal- 
lerate vom  8.  September  1515,  ähnlichen  Inhaltes  wie  die  Offerten 
der  französischen  Regierung  im  Sommer  des  Jahres;  das  Abkommen 
wurde  dann  von  der  Mehrheit  der  Truppen  verw^orfen),  versuchten 
sie  einen  Angriff  auf  die  französischen  Stellungen  bei  Marignano  (jetzt 
Melegnano,  zwischen  Mailand  und  Lodi);  die  zweitägige  Schlacht 
(13.  und  14.  September  1515)  endete  aber  mit  einer  Niederlage  der 
Schweizer,  w^nn  schon  ihr  Heer  nicht  vernichtet  wurde  (die  Franzosen 
kämpften  dabei  mit  den  Venezianern  vereint,  während  die  Schweizer 
von  den  spanisch-päpstlichen  Bundestruppen  im  Stich  gelassen  wurden). 


280  Die   Koalition  gegen  Frankreich. 

Diese  Niederlage  entschied  um  so  mehr  über  die  Fortsetzung  der 
mailändischen  Pohtik  der  Eidgenossen,  als  die  divergierenden  Interessen 
der  locker  verbundenen  Kantone  sowieso  nur,  solange  die  Operationen 
keine  allzu  großen  Opfer  forderten,  einer  einheitlichen  Auslandspolitik 
untergeordnet  werden  konnten  (vgl.  §  97).  Diejenigen  Kantone,  denen 
an  der  Eroberung  Mailands  wenig  gelegen  war,  wandten  sieh  nun  von 
der  Politik,  die  sich  eine  Ausdehnung  des  schweizerischen  Gebietes 
südlich  der  Alpen  zum  Ziele  setzte,  gänzlich  ab,  und  damit  war  das 
Schicksal  des  Herzogtums  besiegelt. 

Herzog  Maximilian  Sforza,  der  Schützling  der  Eidgenossen,  kapi- 
tulierte mit  dem  Kastell  seiner  Hauptstadt  am  4.  Oktober  1515  und 
wurde  als  Staatsgefangener  nach  Frankreich  verbracht  (f  1530);  in 
Mailand  wurde  von  neuem  ein  französischer  Gouverneur  eingesetzt. 
Auch  das  nachträgliche  Eingreifen  des  Kaisers  (der  im  März  1516 
noch  einmal  bis  zur  Stadt  Mailand  vorrückte)  vermochte  die  Situation 
nicht  mehr  zu  ändern;  die  einzige  Folge  dieser  verunglückten  Inter- 
vention war,  daß  die  Venezianer  nun  auch  noch  beinahe  den  ganzen 
Rest  der  im  Kriege  der  Liga  von  Cambrai  an  die  Habsburger  ver- 
lorenen Gebiete  wieder  an  sich  bringen  konnten  (das  letzte  war  die 
Rückgabe  der  Stadt  Verona  am  27.  Januar  1517). 

§  117.  Die  Liquidation  des  italienisclien  Konfliktes;  die  Herstellung; 
eines  Gleichgewichtes.  Die  mailändische  Frage  konnte  dank  dem  fran- 
zösischen Siege  bei  Marignano  als  gelöst  gelten.  So  wie  die  Verhält- 
nisse damals  lagen,  konnte,  seitdem  die  schweizerische  Interventions- 
politik zusammengebrochen  war,  keine  Macht  mehr  daran  denken, 
den  Franzosen  den  Besitz  des  Herzogtums  streitig  zu  machen.  Es 
kam  aber  hinzu,  daß  die  französische  Regierung  nun  keineswegs  darauf 
ausging,  ihren  Erfolg  in  ungebührlicher  Weise,  d.  h.  ohne  Rücksicht 
auf  die  dauernden  Machtverhältnisse  auszunutzen.  Als  wenn  sie  den 
Befürchtungen,  die  seit  1494  gegen  eine  »französische  Weltherrschaft« 
gehegt  wurden  (§  105),  ausdrücklich  entgegentreten  wollte,  beschränkte 
sie  sich  durchaus  auf  ihre  letzte  Eroberung  und  dachte  keineswegs 
daran,  darüber  hinaus  die  Erwerbungen  anderer  Großmächte  oder 
italienischer  Mittelstaaten  rückgängig  zu  machen.  Wir  wissen  ja  aller- 
dings nichts  von  den  geheimen  Motiven  der  französischen  Regenten; 
aber  die  Friedensschlüsse,  die  von  ihnen  abgeschlossen  wurden,  lassen 
kaum  eine  andere  Deutung  zu,  als  daß  sich  Frankreich  damals  eine 
dauernde  Pazifizierung  Italiens  zum  Ziele  gesetzt  hatte. 

Diese  versöhnliche  Tendenz  trat  besonders  deutlich  in  den  Ab- 
machungen mit  dem  Papste  zutage.  Als  Leo  X.  nach  der  Schlacht  bei 
Marignano  um  Frieden  nachsuchte,  verlangten  die  Franzosen  nur,  daß 
er  die  kürzlich  von  Mailand  gewonnenen  Gebiete  von  Parma  und  Pia- 
cenza  (§  115)  wieder  zurückerstatte,  eigentliche  Abtretungen  wurden 
nicht  stipuliert,  und  Florenz  wurde  gänzlich  der  Familie  Medici  aus- 
geliefert, sowie  der  Verzicht  auf  Intervention  in  den  halb  unabhängigen 


§  117.     Das  Gleichgewicht  in   Itahen,  281 

Teilen  des  Kirchenstaates  ausgesprochen  (Vertrag  von  Viterbo  vom 
13.  Oktober  1515;  später  [1517]  sorgte  Frankreich  demgemäß  im 
Verein  mit  Spanien  auch  dafür,  daß  der  zum  Herzog  von  Urbino  ein- 
gesetzte Neffe  des  Papstes  Lorenzo  de'Medici  an  Stelle  des  vertriebenen 
Herzogs  Francesco  Maria  della  Rovere  im  Besitze  dieses  päpstlichen 
Lehens  gelassen  wurde).  Der  Papst  willigte  anderseits  in  den  Abschluß 
des  Konkordates  mit  der  französischen  Krone  ein  (Rom,  18.  August 
1516),  was  insofern  schon  eine  Konzession  bedeutete,  als  Leo  X.  damit 
auf  die  Aufhebung  der  pragmatischen  Sanktion  von  Bourges  zurückkam 
und  deren  bis  dahin  von  päpstlicher  Seite  nie  anerkannte  wichtigste 
Bestimmungen  sanktionierte. 

Ähnlich  war  die  Haltung  Frankreichs  gegenüber  Spanien.  In  dem 
Vertrage  von  Noyon  vom  13.  August  1516  verzichtete  König  Franz  1. 
auf  seine  Rechte  auf  Neapel  zugunsten  seiner  noch  im  Kindesalter 
stehenden  (damals  erst  einjährigen)  Tochter  Luise,  die  mit  dem  König 
von  Spanien  Karl  (V.)  vermählt  werden  sollte;  es  bedeutete  dies,  daß 
die  Franzosen  wenigstens  fürs  erste  Spanien  ungestört  im  Besitze 
Neapels  lassen  würden. 

Auch  mit  dem  habsburgischen  Kaiser  war  ein  gütliches  Einver- 
nehmen zu  erzielen.  Man  verlangte  von  Maximilian  I.  nur,  daß  er  auf 
die  seinerzeit  im  Kriege  der  Liga  von  Cambrai  (§  113)  von  Venedig 
gewonnenen  und  seither  in  der  Hauptsache  wieder  verlorenen  ge- 
gangenen Gebietsteile  mit  Ausnahme  eines  kleineren  Grenzstreifens 
(Roveredo  usw.)  verzichte  (Vertrag  von  Brüssel,  3.  Dezember  1516). 
Damit  war  auch  die  dauernde  Herstellung  guter  Beziehungen  zu  Venedig 
gegeben,  das  übrigens  schon  seit  einigen  .Jahren  mit  Frankreich  im 
Bunde  stand. 

Schließlich  wurde  auch  das  Verhältnis  zur  Schweiz  in  einer  für 
beide  Teile  befriedigenden  Weise  geregelt.  In  dem  »ewigen  Frieden« 
von  Freiburg  i.  Ue.  (29.  November  1516)  sagte  Frankreich  den  Eid- 
genossen und  ihren  Zugewandten  beträchtliche  finanzielle  und  handels- 
politische Vorteile  zu,  wogegen  die  Gegenpartei  versprach,  ihre  Söldner 
keinem  Gegner  Frankreichs  zur  Verfügung  zu  stellen,  besonders  nicht 
zu  einem  Angriff  auf  die  französischen  Besitzungen  in  Oberitalien. 
Außerdem  wurden  die  Schweizer  im  Besitze  der  ihnen  früher  abge- 
tretenen mailändischen  Herrschaften  (§  115)  gelassen;  die  Gegenleistung 
war  hier  der  im  Vertrag  allerdings  nicht  ausdrücklich  formulierte  Ver- 
zicht der  Schweizer  auf  das  Herzogtum  Mailand  selbst. 

Faßt  man  den  Inhalt  dieser  Verträge  zusammen,  so  kann  man 
sagen,  daß  darin  eine  befriedigende  Regelung  der  Ansprüche  der  grö- 
ßeren Staaten  erblickt  werden  kann.  Ungünstig  war  das  Resultat 
nur  für  die  schwächeren  italienischen  Gemeinwesen  wie  Neapel,  Mai- 
land, Genua  und  Florenz,  die  ihre  Selbständigkeit  eingebüßt  hatten. 
Aber  von  den  übrigen  hatten  Frankreich,  Spanien,  der  Kirchenstaat 
und  auch  die  Eidgenossenschaft  mit  ansehnlichem  Gewinn  abgeschlossen, 
Venedig  hatte   mindestens   seine   eine   Zeitlang  gefährdete   Terraferma 


282  Vorbereitung  der  habsburgischen  Vormachtstellung. 

in  der  Hauptsache  behauptet,  und  selbst  die  Habsburger  hatten  die 
Erwerbung  der  Freigrafschaft  als  Zuwachs  zu  buchen.  Es  war  be- 
greiflich, wenn  damals  sogar  Männer  der  Praxis  einen  dauernden 
Friedenszustand  innerhalb  der  christlichen  Staatengemeinschaft  glaubten 
erreicht  zu  haben  und  ein  päpstlicher  Diplomat  einmal  betonte,  an  die 
Eroberung  Mailands  durch  Frankreich  werde  sich  »die  Pazifizierung 
der  Christenheit«  anschließen  (F.  Nitti,  »Leone  X«  [1892],  p.  46).  Es 
waren  dies  ja  auch  die  Jahre,  in  denen  der  Papst  dem  Gedanken  einer 
gemeinsamen  Abwehrorganisation  der  christlichen  Staaten  gegen  das 
osmanische  Vordringen  praktische  Gestalt  zu  geben  versuchte  (vgl.  §  23). 

Literatur  zu  den  §§114  —  117.  Im  allgemeinen  ist  dasselbe  zu  bemerken 
wie  zu  den  §§112  und  113  (o.  p.  272),  nur  daß  die  Zahl  der  monographischen  Ab- 
handlungen größer  ist.  Dazu  gehören  verschiedene  militärgeschichthche  Arbeiten 
aus  der  Schule  Delbrücks:  Erich  Siedersieben,  »Die  Schlacht  bei  Ravenna«,  1907 
(Berhner  Diss.);  Georg  Fischer,  »Die  Schlacht  bei  Novara«,  1908  (id.);  Heinrich 
Harkensee,  »Die  Schlacht  bei  Marignano«,  1909  (Göttinger  Diss.).  Dazu  Ernst 
Gagliardi,  »Novara  und  Dijon«,  1907.  —  Über  das  Konzil  von  Pisa  Sandrel  in  der 
tiRevue  des  Questions  historiques«  34  (1883).  Über  ein  im  Texte  nicht  erwähntes 
angebliches  Projekt  Kaiser  Maximilians  vgl.  Aloys  Schulte,  »Kaiser  Maximihan 
als  Kandidat  für  den  päpstlichen  Stuhl  1511«  (1906),  wo  auch  die  gesamte  ältere 
Literatur  verzeichnet  ist.  Adelheid  Schneller,  »Der  Brüsseler  Friede  von  1516«, 
1910  (»Histor.  Studien«,  ed.  Ehering  83).  Vgl.  ferner  Andreas  Walther,  »Die  An- 
fänge Karls  V.«,  1911;  Francesco  Nitti,   »Leone  X  e  la  sua  politica«,  1892. 

Von  den  Quellenwerken  ist  neben  den  für  größere  Zeiträume  in  Betracht 
kommenden  Korrespondenzen  und  Aktensammlungen  bei  weitem  das  wichtigste 
das  »Journal  de  Jean  Barrillon,  secretaire  du  chancelier  Duprat  1510—1521«,  2  Bände, 
1897  —  1899  (Societe  de  l'Hist.  de  France). 

D.  Die  Vorbereitung  der  habsburgischen  Vormachtstellung 

(1516—1525). 

§  118.    Die  Änderung  in  den  internationalen  Machtverhältnissen. 

Von  den  am  Kampfe  um  Itahen  beteiligten  Großstaaten  hatte  die 
habsburgische  Macht  verhältnismäßig  mit  dem  geringsten  Saldo  ab- 
geschlossen. Konnte  man  auch  keineswegs  behaupten,  daß  sie  im 
Vergleich  zu  ihren  Machtmitteln  zu  kurz  gekommen  war,  so  standen 
doch  ihre  Gebietserweiterungen  in  keinem  Verhältnis  zu  ihren  Aspi- 
rationen. Dabei  ist  noch  weniger  an  die  Lage  in  den  österreichischen 
Erblanden  gedacht  als  an  die  burgundischen  Projekte,  die  ja  wohl 
in  höherem  Maße  als  der  Kampf  gegen  Venedig  die  Politik  des  habs- 
burgischen Hauses  unter  Kaiser  Maximilian  bestimmten  (vgl.  §  64). 
Wohl  war  die  Freigrafschaft  der  Dynastie  zugefallen;  aber  noch  fehlten 
die  Reste  der  burgundischen  Erbschaft,  die  auch  die  Franche-Comte 
erst  zu  einem  sicheren  habsburgischen  Besitz  schienen  gestalten  zu 
können. 

Es  war  daher  begreiflich,  daß  die  Habsburger  den  durch  die  letzten 
Kämpfe  geschaffenen  Gleichgewichtszustand  nicht  mehr  anerkannten, 
nachdem  ein  glücklicher  Zufall  zu  einer  Personalunion  zwischen  ihren 
österreichisch-burgundischen    Erblanden   und   den   spanischen    Reichen 


§  118.    Änderung  in  den  internationalen  Machtverhältnissen.  283 

geführt  hatte.  Diese  Vereinigung  erweiterte  ihre  Machtmittel  so  un- 
geheuer, daß  sie  von  da  an  an  die  Reahsierung  von  Aspirationen  zu 
schreiten  vermochten,  die  vor  diesem  Zeitpunkte  nur  in  beschränktem 
Sinne  ernst  genommen  werden  konnten. 

Es  kam  ihnen  dabei  zugute,  df^ß  die  mihtärische  Situation  sich 
nicht  nur  durch  die  Angliederung  neuer  Territorien  zu  ihren  Gunsten 
veränderte.  Zu  dem  Zuwachs  an  Macht,  den  die  Erwerbung  Spaniens 
brachte,  gesellte  sich  noch  eine  Erhöhung  der  Leistungsfähigkeit  ihrer 
mihtärischen  Machtmittel.  Die  Versuche  sowohl  der  österreichischen 
wie  der  spanischen  Regierung,  die  einheimische  Infanterie  nach  dem 
Muster  der  Schweizer  auszubilden  (§§  61  und  41),  hatten  Früchte 
getragen.  Gerade  in  dem  Momente,  als  die  französische  Regierung 
durch  ihren  Sieg  bei  Marignano  in  den  Stand  gesetzt  war,  sicherer 
als  bisher  auf  die  Verwendung  von  Schweizer  Söldnern  zu  zählen  (an 
den  Frieden  von  Freiburg  [§  117]  schloß  sich  1521  ein  Bündnis  der 
zwölf  eidgenössischen  Orte  mit  dem  französischen  König  an,  in  dem 
diesem  freie  Werbung  von  Söldnern  gestattet  wurde),  gerade  in  diesem 
Zeitpunkte  ergab  sich  (vor  allem  in  der  Schlacht  bei  Bicocca,  §  119), 
daß  die  Schüler  ihrem  Meister  mindestens  gleichgekommen  waren 
und  daß  die  eidgenössischen  Infanteristen  zwar  immer  noch  einen 
wertvollen,  ja  unentbehrlichen  Teil  des  französischen  Heeres  bildeten, 
der  französischen  Kriegsführung  keineswegs  mehr  aber  schlechthin  die 
Überlegenheit  garantierten.  Dagegen  befanden  sich  nun  die  beiden 
einzigen  Mannschaftstypen,  die  die  Konkurrenz  mit  den  Eidgenossen 
aufzunehmen  vermochten,  die  spanischen  Söldner  und  die  deutschen 
Landsknechte  (abgesehen  von  den  Einschränkungen,  die  sich  aus  den 
mangelhaften  Kompetenzen  der  kaiserlichen  Gewalt  in  Deutschland 
ergaben:  §§61  und  62)  in  der  Hand  der  Habsburger. 

Diese  veränderte  Machtstellung  des  Hauses  Österreich  wurde,  da 
der  neue  Oberherr  der  Dynastie,  Karl  V.,  die  verschiedenen  Würden, 
die  er  auf  seinem  Haupte  vereinigte,  nicht  zu  derselben  Zeit  empfing, 
nicht  mit  einem  Schlage  erreicht.  Dieses  Ereignis  ging  vielmehr  in 
folgenden  Etappen  vor  sich:  am  5.  Januar  1515  erfolgte  die  direkte  Über- 
nahme der  Regierung  der  Niederlande  durch  den  damals  ungefähr 
15jährigen  Fürsten,  am  23.  Januar  1516  folgte  er  seinem  Großvater 
Ferdinand  in  der  Regierung  Spaniens  nach,  der  Tod  Kaiser  Maximilians  I. 
am  12.  Januar  1519  machte  ihn  und  seinen  jüngeren  Bruder  zu  Herren 
der  österreichischen  Erblande,  am  28.  Juni  1519  erfolgte  die  Wahl 
zum  Kaiser.  Wie  man  sieht,  liegt  wenigstens  zwischen  den  Todestagen 
König  Ferdinands  und  Kaiser  Maximilians  eine  verhältnismäßig  lange 
Zeitdauer;  diese  drei  Jahre  haben  also  noch  als  Übergangsperiode  zu 
gelten.  Anderseits  schlössen  sich  dann  an  die  Kaiserwahl  zunächst 
Verhandlungen  innerhalb  der  Dynastie  selbst  über  die  Verteilung  der 
österreichischen  Lande  (in  denen  das  Primogeniturerbrecht  noch  nicht 
galt)  an,  die  erst  im  Jahre  1522  durch  den  Vertrag  von  Brüssel  (vom 
7.  Februar  d.  J.)  beendet  wurden:  Kaiser  Karl  überließ  damals  seinem 


284  Vorbereitung  der  habsburgischen  Vormachtstellung. 

Bruder  die  gesamten  österreichischen  Erblande  zusammen  mit  Würt- 
temberg, das  er  vom  Schwäbischen  Bunde  gekauft  hatte,  z.  T.  als 
Landesherrn,  z.  T.  auch  nur  als  Statthalter.  Die  Personal-  oder  richtiger 
Familienunion  zwischen  Spanien,  den  Niederlanden,  Osterreich  und 
dem  Reiche  konnte  also  erst  von  jenem  Zeitpunkte  an  als  bis  in  die 
Einzelheiten  hinein  definitiv  konstituiert  betrachtet  werden. 

§  119.  Die  erste  Phase  des  Kampfes  Frankreichs  gegen  die  neue 
habsburgische   Macht   bis   zur   Entscheidung   bei   Pavia    (1516 — 1525). 

Immerhin  folgte  auf  die  Verträge  der  Jahre  1516  und  1517  (§  117)  hin 
eine  Zeit  militärischer  Ruhe:  Frankreich  hatte  seine  Ziele  erreicht,  die 
Habsburger  waren  noch  nicht  imstande,  die  Gegenoffensive  aufzu- 
nehmen (vgl.  §  118).  Auffallender  ist  vielleicht,  daß  es  unter  dem 
Einflüsse  der  gewaltigen  Machtsteigerung  der  Habsburger  nicht  einmal 
zu  einer  diplomatischen  Neugruppierung,  zu  einer  Annäherung  der 
durch  die  neue  Großmacht  in  ihrer  Selbständigkeit  bedrohten  Mittel- 
und  Kleinstaaten  an  Frankreich  kam.  Es  fehlte  zwar  nicht  an  Be- 
mühungen auf  französischer  Seite,  eine  solche  Schwenkung  zuwege 
zu  bringen.  Alle  diese  Versuche  blieben  aber  erfolglos,  —  man  darf 
wohl  annehmen,  weil  die  kleineren  Staaten  in  der  Voraussetzung,  daß 
Frankreich  auch  seinem  neuen  Gegner  gewachsen  sei,  an  der  Fort- 
dauer des  vermeintlichen  Gleichgewichtszustandes  unter  den  Groß- 
mächten ein  Interesse  zu  haben  glaubten.  Eine  solche  diplomatische 
Niederlage  erlitten  die  Franzosen  zunächst  einmal  bei  der  Wahl  Karls 
zum  Kaiser.  Die  Kandidatur  des  französischen  Königs  erzielte  keinen 
Erfolg;  teils  infolge  nationaler  Abneigung,  teils  infolge  der  Vertreibung 
des  Herzogs  Ulrich  von  Württemberg,  die  Süddeutschland  und  die 
Wahlstadt  Frankfurt  der  Waffengewalt  des  Heeres  des  von  Österreich 
abhängigen  Schwäbischen  Bundes  (§  62)  auslieferte,  wurde  der  habs- 
burgische Herrscher  gewählt,  obwohl  die  Hausmacht  des  neuen  Kaisers 
eine  gefährliche  Bedrohung  der  ständischen  Freiheiten  bedeutete. 
Nicht  glücklicher  waren  die  Franzosen  in  ihren  Verhandlungen  mit 
dem  Papste.  Vergebens  wiesen  sie  auf  die  Notwendigkeit  hin,  daß  sich 
alle  Staaten  gegen  die  Habsburger  einigten  (Schreiben  aus  dem  Jahre 
1520  bei  Barrillon,  »Journal«  II,  156).  Nur  zum  Schein  ließ  sich  der 
Papst  zum  Abschluß  eines  Geheimvertrages  über  eine  gemeinsame 
Eroberung  Neapels  bewegen  (ibid.  II,  176  f.);  in  Wirklichkeit  ging  er 
mit  dem  Kaiser  eine  Offensivallianz  zur  Eroberung  Mailands  und 
Genuas  ein,  wogegen  dem  Kirchenstaat  Parma  und  Piacenza  sowie 
Ferrara  wieder  zurückerstattet  werden  sollten  (Vertrag  vom  8.  Mai 
1521 ;  vgl.  §  117).  Und  ebensowenig  gelang  es,  England  zu  einem  Bündnis 
gegen  den  Kaiser  zu  gewinnen;  auch  hier  blieb  es  bei  Versuchen  (vgl. 
ibid.  bei  Barrillon  II,  185  n.  5). 

Es  kann  danach  nicht  wundernehmen,  wenn  die  ersten  Zusammen- 
stöße zwischen  der  habsburgischen  und  der  französischen  Macht  für 
Frankreich    ungünstig    abliefen.     Die    Kämpfe    waren    dabei    übrigens 


§  119.     Die   Kämpfe  bis  zur  Sciilacht  bei  Pavia.  285 

von  Anlang  an  gemäß  der  Ausdehnung  des  habsburgischen  Macht- 
bereiches gleichmäßiger,  als  früher  der  Fall  gewesen  war,  auf  ver- 
schiedene Fronten  verteilt:  wenn  auch  zunächst  noch  das  italienische 
Kriegstheater  an  Wichtigkeit  die  anderen  Kriegsschauplätze  übertraf, 
so  pflegten  doch  von  nun  an  den  Operationen  in  Oberitalien  Angriffe 
gegen  Frankreich  von  Spanien  und  den  Niederlanden  her  zur  Seite 
zu  gehen.  —  Es  trat  dies  bereits  in  dem  ersten  Kriegsjahre  (1521) 
deutlich  hervor. 

Den  offiziellen  Ausbruch  des  Krieges  führte  nämlich  eine  Fehde 
des  Herzogs  von  Bouillon,  Robert  von  der  Mark,  herbei,  eines  kaiser- 
lichen Vasallen  in  den  Niederlanden,  der  einer  Privatangelegenheit 
wegen  mit  seinem  Oberlehnsherren  gebrochen  und  in  französische 
Dienste  übergetreten  war  (14.  Februar  1521).  Er  begann  im  März 
1521  mit  einem  Freibeuterzug  gegen  das  den  Habsburgern  gehörende 
luxemburgische  Gebiet,  was  nach  der  Auffassung  des  Kaisers  einen 
Bruch  der  Verträge  zwischen  ihm  und  Frankreich  bedeutete  (beide 
Mächte  stellten  sich  daher  als  die  angegriffenen  dar;  das  )>defi«  Karls  V., 
das  die  Franzosen  als  Kriegserklärung  betrachteten,  wurde  am  1.  April 
überreicht).  Bevor  aber  in  der  dortigen  Gegend  die  militärischen  Ope- 
rationen eine  ernsthafte  Gestalt  angenommen  hatten,  war  es  bereits 
in  Spanien  zu  größeren  Kriegshandlungen  gekommen.  Auch  dort 
hatte  die  französische  Regierung  zwar  nicht  direkt  die  Feindseligkeiten 
eröffnet.  Aber  Henri  d'Albret,  König  von  Navarra,  der  sich  im  Mai 
1521  zur  Eroberung  des  im  Jahre  1512  an  Spanien  verloren  gegangenen 
Teiles  seines  Reiches  aufmachte,  stützte  sich  doch  in  der  Hauptsache 
auf  ein  ihm  zur  Verfügung  gestelltes  französisches  Expeditionskorps. 
Der  Feldzug  lief  zunächst  für  die  Franzosen  günstig  ab;  das  beinahe 
schutzlos  gelassene  Land  wurde  mit  leichter  Mühe  erobert,  am  19.  Mai 
kapitulierte  die  Hauptstadt  Pamplona.  Aber  dieser  Erfolg  verkehrte 
sich  in  sein  Gegenteil,  sobald  die  kastilianische  Regierung  durch  die 
Niederwerfung  des  Aufstandes  der  Comuneros  freie  Hand  bekommen 
hatte  und  ihre  Gegenrüstungen  aufnehmen  konnte.  Wiederum  ent- 
schied die  Überlegenheit  der  spanischen  Infanterie  den  Kampf.  Trotz 
ihrer  stärkeren  Artillerie  und  schweren  Reiterei  wurden  die  Franzosen 
bei  Esquiros  (bei  Pamplona)  geschlagen  (30.  Juni  1521);  in  wenigen 
Tagen  befand  sich  ganz  Spanisch- Navarra  wieder  in  der  Gewalt  der 
Regierung  Karls  V. 

Zu  einem  förmlichen  Krieg  zwischen  Frankreich  und  der  habs- 
burgischen Macht  kam  es  aber  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahres 
in  der  Champagne  und  in  Oberitalien.  Die  Operationen  an  der  fran- 
zösischen Ostfront,  die  sich  an  den  verunglückten  Vorstoß  Roberts 
von  der  Mark  anschlössen,  nahmen  einen  unentschiedenen  Ausgang; 
die  kaiserlichen  Truppen,  die  anfänglich  auf  französischem  Gebiete 
mehrere  Erfolge  errungen  hatten,  zogen  sich  später  vor  den  stärkeren 
französischen  Streitkräften  zurück,  ohne  daß  es  auf  irgendeiner  Seite 
zu  einem  namhaften  Erfolge  gekommen  wäre  (August  bis  Oktober  1521). 


286  Vorbereitung  der  habsburgischen  Vormachtstelluug. 

Eine  um  so  ungünstigere  Wendung  nahmen  die  Ereignisse  in  Ober- 
italien für  die  Franzosen.  Zu  dem  Vorteil,  der  dem  Kaiser  hier  aus 
dem  Zusammenarbeiten  mit  dem  Papste  erwuchs,  gesellte  sich  noch 
der  Umstand,  daß  es  seinen  Parteigängern  sogar  gelang,  einen  großen 
Teil  der  Schweizer,  d.  h.  der  beinahe  einzigen  Infanterie,  die  den 
deutschen  und  spanischen  Söldnern  mit  Erfolg  entgegengesetzt  werden 
konnte,  dem  Dienste  im  französischen  Heere  abspenstig  zu  machen. 
Der  französische  Oberbefehlshaber  Lautrec  sah  sich  deshalb  von  Anfang 
an  zu  einer  rein  defensiven  Haltung  genötigt  (September  bis  November 
1521);  selbst  die  Hauptstadt  Mailand  wurde  dem  Feinde  ausgeliefert 
(19.  November).  Für  die  Zukunft  bedeutungsvoller  war  aber,  daß 
nicht  einmal  die  nachträglich  doch  noch  erhaltene  Unterstützung  der 
Schweizer  die  Lage  für  die  Franzosen  zu  retten  vermochte.  Das  be- 
trächtliche Kontingent,  das  die  eidgenössische  Tagsatzung  am  18.  .Januar 
1522  dem  König  von  Frankreich  bewilligt  hatte,  rückte  zwar  im  Mai- 
ländischen ein,  zeigte  sich  aber  (zum  ersten  Male,  vgl.  §  118)  ihren 
ehemaligen  Schülern,  den  Landsknechten  und  den  Spaniern,  nicht 
mehr  gewachsen,  und  ihr  Angriff  auf  die  feindlichen  Stellungen  bei  der 
Villa  La  Bicocca  (5  km  nördlich  von  Mailand)  lief  ganz  unglücklich  ab 
(27.  April  1522).  Mailand  war  von  neuem  für  Franzosen  verloren,  und 
bald  darauf  (30.  Mai)  fiel  auch  Genua  in  die  Hände  der  kaiserlichen 
Truppen  (die  die  Stadt  auf  dem  Landwege  bezwangen,  da  die  genue- 
sische Flotte  unter  Andrea  Doria  die  kaiserlichen  Galeeren,  die  von 
der  Seeseite  her  angreifen  sollten,  mit  Leichtigkeit  vertrieben  hatte). 
Dazu  kam,  daß  der  venezianische  Bundesgenosse  sich  nach  der  Nieder- 
lage bei  Bicocca  zum  Abfall  rüstete.  Anfang  Juli  war  denn  auch  das 
ganze  Herzogtum  Mailand  mit  Ausnahme  einiger  Zitadellen  in  den 
Händen  des  Kaisers;  der  von  ihm  eingesetzte  Herzog  Franz  Sforza, 
ein  jüngerer  Sohn  des  Mohren  (ein  Bruder  also  des  im  Jahre  1512  von 
den  Schweizern  instituierten  Herzogs  Maximilian:  §  115),  blieb  im 
Besitze  seiner  Herrschaft. 

Frankreich  sah  sich  nun  auf  seine  alten  Grenzen  zurückgewiesen 
und  selbst  dort  in  die  Defensive  gedrängt.  Von  drei  Seiten  erfolgte  der 
Angriff.  Am  wenigsten  hatte  der  Vorstoß  von  Süden,  d.  h.  von  Spanien 
her  zu  bedeuten:  trotz  großen  Aufwandes  war  der  einzige  Erfolg  der 
spanischen  Waffen,  daß  es  gelang,  die  Grenzfestung  Fuenterrabia  (in 
Guipuzcoa,  zwischen  San  Sebastian  und  Bayonne)  nach  zweijährigem 
Kampfe  zu  einer  ehrenvollen  Kapitulation  zu  nötigen  (24.  März  1524). 
Gefährlicher  ließ  sich  die  Lage  im  Norden  und  Osten  an.  Zwei  neue 
Gegner  gesellten  sich  dort  zu  der  habsburgischen  Macht.  Der  eine 
war  England.  Kein  Monarch  scheint  damals  mehr  als  der  englische 
König  an  der  irrtümlichen  Annahme  festgehalten  zu  haben,  daß  durch 
die  Bildung  der  neuen  habsburgischen  Länderunion  nur  ein  Gleich- 
gewicht hergestellt  sei  und  daß  speziell  England  als  »Zünglein  an  der 
Wage«  an  einer  Fortdauer  dieses  Zustandes,  der  seine  Unterstützung 
von  beiden   Seiten  nachsuchen  lasse,  das  größte   Interesse  habe  (vgl. 


§  119.    Die  Kämpfe  bis  zur  Schlacht  bei   Pavia.  287 

§§  84  und  118).  Es  erschien  der  englischen  Regierung  daher  für  ihre 
eigene  künftige  Stellung  nicht  gefährlich,  sich  mit  dem  Kaiser  zu  einem 
Eroberungszuge  gegen  Frankreich  vereinigen.  Bereits  in  dem  Vertrage 
von  Brügge  vom  25.  August  1521  verpflichteten  sich  Kaiser  Karl  V. 
und  König  Heinrich  VIII.,  im  März  1523  Frankreich  den  Krieg  zu 
erklären.  Am  16. /19.  Juni  1522  wurde  diese  Abmachung  dann  in 
Windsor  erneuert;  in  der  Hauptsache  blieben  die  Bestimmungen  un- 
verändert, bloß  daß  der  Zeitpunkt  des  allgemeinen  Angriffs  diesmal 
auf  Mai  1524  festgesetzt  wurde.  Vorher  schon  (am  29.  Mai  1522)  war 
aber  die  offizielle  Kriegserklärung  Englands  an  Frankreich  erfolgt.  — 
Der  zweite  Gegner  befand  sich  in  Frankreich  selbst.  Der  mächtigste 
Vasall  des  Königs  von  Frankreich,  der  Gonnetable  von  Bourbon,  der 
durch  seine  verstorbene  Gemahlin  die  meisten  Lehen  der  Familie  Bour- 
bon geerbt  hatte,  die  nach  den  Bestimmungen  des  Apanagegesetzes  an 
die  Krone  zurückfallen  sollten  (da  er  von  seiner  Gemahlin  keine  lebenden 
Kinder  hatte)  —  dieser  Herzog  Karl  von  Bourbon  ließ  sich  mit  der 
habsburgischen  Regierung  in  hochverräterische  Verhandlungen  ein, 
um  sich  mit  deren  Hilfe  ein  eigenes  Reich  in  Südfrankreich  (wo  seine 
Besitzungen  lagen)  zu  schaffen  (vom  Sommer  1522  an).  Dem  Gonne- 
table wurde  die  Vermählung  mit  einer  Schwester  des  Kaisers  in  Aus- 
sicht gestellt;  er  selbst,  ein  erprobter  Heerführer,  übernahm  dafür  die 
Verpflichtung,  einen  Aufstand  im  Innern  Frankreichs  hervorzurufen 
sowie  seine  eigenen  Truppen  und  10000  über  die  Freigrafschaft  ihm 
zugesandte  Landsknechte  mit  den  kaiserlichen  und  englischen  Invasions- 
armeen zusammenarbeiten  zu  lassen  (Geheimvertrag  vom  August  1523; 
am  6.  September  folgte  ein  ähnlicher  Vertrag  des  Gonnetable  mit  dem 
König  von  England). 

Diese  Umtriebe  hatten  aber  keinen  Erfolg.  Herzog  Karl  wurde 
von  seinen  eigenen  Leuten  im  Stiche  gelassen  und  sah  sich  genötigt, 
aus  Frankreich  zu  entfliehen  (September  1523;  am  9.  Oktober  traf  er 
in  Besan^on  ein).  Der  Sieger  von  Agnadello  (§  113)  trat  nun  in  kaiser- 
liche Dienste. 

Unter  diesen  Umständen  war  der  gemeinsame  Angriff  auf  Frank- 
reich von  geringerer  Wirkung,  als  befürchtet  werden  konnte.  Daß  die 
Offensive  an  der  spanischen  Front  keine  großen  Ergebnisse  zeitigte, 
ist  bereits  erw^ähnt  worden ;  dazu  kam  nun  aber  noch,  daß  die  englische 
Armee  in  der  Picardie  keinen  entscheidenden  Schlag  zu  führen  ver- 
mochte und  die  deutschen  Landsknechte  in  Lothringen  noch  be- 
scheidenere Erfolge  erzielten.  Die  Lage  war  nun  so,  daß  die  französische 
Regierung  sogar  daran  denken  konnte,  ihre  italienischen  Pläne  wieder 
aufzunehmen.  Von  neuem  entbrannte  nun  der  Kampf  um  Mailand, 
und  zwar  zunächst  mit  wechselndem  Glück.  Doch  siegten  die  Fran- 
zosen nun  fürs  erste  —  nicht  weil  sie  überhaupt  die  Stärkeren  waren, 
sondern  weil  die  Gegenpartei  das  umstrittene  Herzogtum  nicht  ge- 
nügend geschützt  gelassen  hatte.  So  gelang  es  ihrem  von  Admiral 
Bonnivet   kommandierten    Heere   im    Herbste   des    Jahres    1523   zwar, 


288  Vorbereitung  der  habsburgischen  Vormachtstellung. 

Mailand  bis  auf  einige  feste  Plätze  wieder  zurückzuerobern;  aber  dieser 
Erfolg  hatte  nur  so  lange  Bestand,  als  die  habsburgische  Partei  noch 
nicht  ihre  Rüstungen  beendigt  hatte.  Dabei  kam  es  dem  Kaiser  be- 
sonders zugut,  daß  ähnlich  wie  England  und  vielleicht  aus  demselben 
Motiv,  d.  h.  aus  einer  Unterschätzung  der  habsburgischen  Macht  im 
Vergleich  mit  der  französischen  die  italienischen  Mittelstaaten  sich 
auf  seine  Seite  schlugen.  Besonders  wichtig  war,  daß  Venedig,  früher 
in  der  Regel  der  Bundesgenosse  Frankreichs  bei  dessen  oberitalienischen 
Unternehmungen,  mit  dem  Kaiser  (der  sich  dabei  in  scharfem  Gegen- 
satz zu  seinem  die  spezifisch  österreichischen  Interessen  vertretenden 
Bruder  Ferdinand  befand:  »Familienkorrespondenz  Ferdinands  I.« 
I,  68  ff.;  vgl.  §§64  und  73)  einen  Vertrag  abschlössen  (29.  Juh  1523); 
normaler  war  schon,  daß  auch  der  Papst  (am  3. August)  eine  Defensiv- 
liga mit  dem  Kaiser  einging  (Inhaber  des  Stuhles  Petri  war  seit  dem 
9.  Januar  1522  Hadrian  VI.,  ein  Niederländer,  vormals  Lehrer  Karls  V.; 
die  Wahl  seines  Nachfolgers,  Klemens  VII.  aus  dem  Hause  Medici, 
am  18.  November  1523  brachte  dann  übrigens  keine  Änderung  in  der 
Politik  des  Papsttums).  Da  zu  diesem  letzteren  zur  Verteidigung 
Italiens  geschlossenen  Abkommen  außer  dem  Kaiser,  dem  Papste  und 
England  auch  noch  Florenz  und  Genua  ihre  Unterschrift  gaben,  so 
kann  man  sagen,  daß  sämtliche  größeren  italienischen  Staaten  dem 
Bunde  mit  den  habsburgischen  Herrschern  gegen  Frankreich  beitraten. 

Diese  Koalition  wurde  denn  auch  im  Jahre  1524  mit  leichter  Mühe 
der  französischen  Streitkräfte  im  Mailändischen  Herr.  Die  Armee  der 
Liga,  deren  Kern  auch  jetzt  wieder  Landsknechte  und  spanische  Söldner 
bildeten,  drängten  die  Franzosen  beinahe  ohne  Schwertschlag  aus  dem 
Lande  hinaus;  ein  größeres  Treffen  war  eigentlich  nur  die  Rückzugs- 
schlacht an  der  Sesia  (bei  Biagrasso;  30.  April  1524),  in  der  Bayard, 
der  »Ritter  ohne  Furcht  und  Tadel«,  tödlich  verwundet  wurde.  Die 
Kaiserlichen  konnten  darauf  sogar  ihrerseits  einen  Einfall  in  franzö- 
sisches Gebiet  ins  Auge  fassen.  Unter  dem  Oberkommando  Bourbons 
und  Pescaras  drangen  sie  in  der  Provence  ein  und  gelangten  bis  vor 
Marseille  (Juli/August  1524).  Nur  die  überlegene  Fortifikationstechnik 
der  Franzosen  (§29;  übrigens  wurde  auch  damals  die  Verteidigung 
von  einem  Italiener  Renzo  da  Ceri  geleitet)  ließ  dieses  Unternehmen 
schließlich  scheitern.  Die  von  den  der  Invasionsarmee  hart  belagerte 
Stadt  hielt  aus;  die  französische  Regierung  konnte  unterdessen  ein 
Heer  ansammeln,  und  am  29.  September  mußten  die  Kaiserlichen  die 
Belagerung  aufheben  und  wieder  nach  Italien  abziehen. 

Wieder  folgte  nun  ein  französischer  Vorstoß  in  das  Mailändische. 
König  Franz  folgte  mit  seinen  zum  Entsätze  Marseilles  vereinigten 
Truppen  (unter  denen  sich  schweizerische  und  deutsche  Infanteristen 
befanden)  dem  zurückweichenden  kaiserlichen  Heere  auf  dem  Fuße 
nach.  Die  Armee  Karls  V.  war  für  den  Augenblick  so  sehr  geschwächt, 
daß  die  Franzosen  den  größten  Teil  des  Herzogtums  wieder  besetzen 
konnten  und  sogar  ihre  Pläne  zur  Eroberung  des  Königreiches  Neapel 


§  119.    Die   Kämpfe  bis  zur  Schlacht  bei  Pavia.  289 

wieder  aufnahmen.  Nur  einige  feste  Plätze  blieben  noch  im  Besitze 
der  Kaiserlichen,  und  vor  einem  dieser,  der  Stadt  Pavia,  sollte  sich  dann 
das  Schicksal  Frankreichs  entscheiden;  die  französische  Armee  kon- 
zentrierte nämlich  alle  ihre  Anstrengungen  auf  die  Eroberung  dieser 
Stadt  (vom  28.  Oktober  1524  an). 

Der  erste  große  Mißerfolg  der  Franzosen  war  nun,  daß  es  ihnen 
trotz  viermonatelanger  Belagerung  nicht  gelang,  die  Stadt,  in  die  sich 
ein  guter  Teil  der  kaiserlichen  Truppen  samt  dem  Rest  der  Geschütze 
geflüchtet  hatte,  zu  nehmen.  So  gewannen  die  Gegner  Zeit,  Verstär- 
kungen heranzuziehen  und  eine  Entsatzarmee  zu  organisieren.  Dieser 
militärische  Nachteil  konnte  auch  durch  diplomatische  Erfolge  nicht 
aufgewogen  werden.  Es  gelang  den  Franzosen  allerdings,  die  Verbin- 
dung der  italienischen  Mittelstaaten  mit  dem  Kaiser  zu  lockern.  Am 
12.  Dezember  1524  wurde  ein  Bund  mit  Venedig,  am  5.  Januar  1525 
eine  Übereinkunft  mit  dem  Papste  geschlossen  (der  vorher  schon  dem 
Bunde  mit  Venedig  beigetreten  war),  und  die  an  zweiter  Stelle  genannte 
Abmachung  war  um  so  wichtiger,  als  sie  dem  zur  Eroberung  Neapels 
abgesandten  französischen  Korps  unter  dem  Herzog  von  Albany  den 
Durchzug  durch  den  Kirchenstaat  zu  ermöglichen  schien.  In  analoger 
Weise  begann  übrigens  gleichzeitig  auch  England  sich  zur  Lösung  der 
Allianz  mit  dem  Kaiser  vorzubereiten.  Aber  diese  Gewinne  fielen 
gegenüber  dem  ungünstigen  Verlauf  der  militärischen  Operationen 
nicht  ins  Gewicht,  und  dazu  kam  noch,  daß  weder  die  Expedition, 
die  gegen  Neapel  bestimmt  war,  noch  ein  Streifzug  zur  Eroberung 
Genuas  ein  Resultat  zeitigten. 

Denn  die  den  ganzen  Winter  hindurch  dauernde  Belagerung  Pavias 
gab  der  kaiserlichen  Partei  Gelegenheit,  eine  neue  Armee  zu  bilden, 
und  da  ihre  Streitkräfte,  wenigstens  was  die  Infanterie  betraf,  die 
stärkeren  waren,  so  war  damit  der  schließliche  Ausgang  des  Feldzuges 
beinahe  schon  entschieden.  Besonders  zahlreich  war  der  Zulauf  deut- 
scher Söldner.  Bereits  am  24.  Januar  1525  konnte  die  Entsatzarmee 
von  Lodi  aufbrechen,  und  am  2.  Februar  stand  sie  schon  in  der  Nähe 
der  belagerten  Stadt.  Es  war  hohe  Zeit,  denn  die  Not  in  Pavia  wurde 
immer  größer.  Am  24.  Februar  holten  die  Kaiserlichen  deshalb  auch 
zu  einem  entscheidenden  Schlage  aus,  um  sich  mit  den  Truppen  in  der 
Stadt  zu  vereinigen.  Dieser  Angriff  gelang  vollständig.  Die  Fran- 
zosen behaupteten  zwar  in  ihren  Spezialwaffen  ihre  alte  Überlegenheit 
(§  29);  aber  eine  Entscheidung  war  damit  noch  weniger  herbeizuführen 
als  in  den  ersten  Schlachten  der  Periode.  Der  Erfolg  der  französischen 
schweren  Reiterei  blieb  wirkungslos ;  die  Artillerie  konnte  nicht  aus- 
genutzt werden.  Um  so  mehr  fiel  die  Superiorität  der  kaiserlichen 
Infanterie,  die  zuletzt  noch  durch  die  Besatzungstruppen  der  Stadt 
unterstützt  wurde,  ins  Gewicht;  sie  war  nicht  nur  stärker,  sondern 
wurde  auch,  wie  es  scheint,  von  der  kaiserlichen  Armeeleitung  ge- 
schickter verwendet  (von  den  kaiserlichen  Generalen  soll  Pescara  der 
eigentliche  taktische  Führer  gewesen  sein).    Auch  die   Schweizer  ver- 

Fueter,  Europ.  Staatensystem.  19 


290  Vorbereitung  der  habsburgischen  Vormachtstellung. 

sagten  unter  diesen  Umständen,  so  daß  die  Schlacht  noch  mehr  als  das- 
Treffen  bei  Bicocca  ihr  militärisches  Renommee  minderte. 

Die  Schlacht  bei  Pavia  wurde  so  zu  einer  vollständigen  iNiederlage 
der  Franzosen;  sogar  König  Franz,  der  sich  am  Kampfe  persönlich 
beteiligt  hatte,  wurde  gefangen  genommen.  Mit  ihm  gerieten  viele 
andere  französische  Große  (auch  der  König  von  Navarra)  in  die  Hände 
des  Kaisers;  zahlreiche  andere,  darunter  Admiral  Bonnivet  und  die 
Generale  La  Palice  und  La  Tremoille,  waren  in  der  Schlacht  gefallen. 
Entsprechend  war  der  Umfang  der  Beute;  besonders  wichtig  war,  daß 
sich  darunter  auch  der  große  französische  Artilleriepark  befand. 

Mailand  war  nun  definitiv  für  die  Habsburger  gewonnen.  Abei 
darüber  hinaus  war  die  gesamte  militärisch-diplomatische  Lage  in 
Europa,  waren  die  internationalen  Machtverhältnisse  von  Grund  aul 
verändert. 

Literatur  zu  den  §§118  und  119.  Auch  hier  ist  die  Bemerkung  zu 
machen,  daß  es  kein  wissenschaftliches  Werk  gibt,  das  sich  ex  officio  mit  der  Ge- 
schichte der  in  diesen  Paragraphen  skizzierten  Kriege  und  diplomatischen  Verhand- 
lungen befaßte.  Einen  gewissen  Ersatz  bilden  die  Geschichten  Karls  V.,  die  alle 
auch  als  Geschichten  des  europäischen  Staatensystems  in  der  ersten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts  betrachtet  werden  können;  immerhin  vermögen  sie  die  Lücke 
nur  teilweis  auszufüllen.  Besonders  wer  Nachweise  über  die  Quellen  im  einzelnen 
und  die  Speziaüiteratur  wünscht,  findet  nur  in  den  Monographien  über  einzelne 
Ereignisse  oder  Persönlichkeiten  erschöpfende  Auskunft.  Von  solchen  Werken  seine 
hier  genannt  die  beiden  sich  ergänzenden  Arbeiten  von  Wilhelm  Busch,  »Drei  Jahre 
enghscher  Yermittlungspolitik  1518  —  1521«  (1884)  und  »Kardinal  Wolsey  und  die 
englisch-kaiserliche  AUianz  1522  —  1525«  (1886);  Andreas  Walther,  »Die  Anfänge 
Karls  V.«  (1911)  und  Wilhelm  Bauer,  »Die  Anfänge  Ferdinands  I.«  (1907)  für  die 
Neukonstituierung  der  habsburgischen  Regierung;  Francesco  Nitti,  »Leone  X  e  la 
sua  politica«  (1892);  T.  Pandolfini  im  »Archivio  della  R.  Soc.  Romana  di  stör, 
patr.«  34,  1 — 2;  E.  Fueter,  »Der  Anteil  der  Eidgenossenschaft  an  der  Wahl 
Karls  V.«  (Basler  Dissertation  1899).     G.  Pasohni,   *Adriano  VI«  1913. 

Über  die  militärischen  Vorgänge  enthalten  vieles  die  Anmerkungen  zu  der 
neuen,  von  Paul  Courteault  besorgten  Ausgabe  der  »Commentaires«  Monlucs  (1911  ff.) 
die  zusammen  mit  dem  Buch  desselben  Autors  »Blaise  de  Monluc  historien«  (1908) 
und  der  von  Bourrilly  und  Vindry  besorgten  neuen  Edition  der  Memoiren  der  Brüder 
du  Bellay  (1908 ff.)  am  ehesten  den  Dienst  erfüllen  können,  den  für  die  ersten 
Jahre  der  Periode  Mandrot  in  seinem  Kommentar  zu  Commines  (§107)  leistet. 
Vgl.  ferner  für  die  Geschichte  der  Feldzüge  des  Jahres  1521  in  Frankreich  H.  Ulmann, 
»Franz  von  Sickingen«  (1872).  Über  die  Schlacht  bei  Bicocca  Paul  Kopitsch,^ 
»Die  Schlacht  bei  B.«  1909  (Berliner  Diss.);  über  die  Schlacht  von  Pavia  Reinh. 
Thom,  »Die  Schlacht  bei  Pavia«  (Berliner  Dissertation,  1907);  E.  Gagliardi  im 
HO.  und  111,  Neujahrsblatt  der  Feuerwerkergesellschaft  in  Zürich  (1915  und  1916). 
—  Andrö  Lebey,   »Le  Connetable  de  Bourbon«,  1904. 

Über  die  Quellen  sei  ein  für  aUemal  auf  die  Vorbemerkung  verwiesen,  wo  auch 
die  Geschichten,  Landesgeschichten  und  die  allgemeinen  Werke  zur  Geschichte 
Karls  V.  aufgeführt  sind.  Es  sei  nur  hier  wieder  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß 
auch  noch  in  dem  hier  behandelten  Zeiträume  die  diplomatischen  Quellen  auf 
französischer  Seite  spärlicher  sind  als  die  der  anderen  Parteien,  speziell  der  Habs- 
burger, der  Engländer  und  Venezianer  und  daß  daher  das  Vorhandene  um  so 
mehr  ausgenutzt  werden  muß;  die  älteren  Darstellerhaben  häufig  die  Erzählung, 
au  sehr  auf  dem  Material  der  einen  Partei  aufgebaut. 


m.  Abschnitt. 

Die  Geschichte  des  europäischcD  Staateiisystems 

von  der  Schlacht  bei  Pavia  bis  zur  ßeeudigung 

des  Kampfes  um  Italien  (die  Zeit  der  habsbur- 

gischen  Vormachtstellung;  1525   1559). 

/\.  Die  Herstellung  der  habsburgischen  Vorherrschaft  über  Italien. 

§  120.    Die  diplomatische  Situation  nach  der  Schlacht  bei  Pavia. 

So  foudroyant  auch  die  französische  Niederlage  bei  Pavia  gewesen 
war,  so  brachte  sie  an  sich  doch  noch  keine  definitive  Aufklärung  über 
die  internationalen  Machtverhältnisse.  Daß  Frankreich  aus  eigenen 
Kräften  nicht  imstande  war,  es  mit  der  habsburgischen  Staatenunion 
aufzunehmen,  war  allerdings  unwiderleglich  erwiesen.  Aber  noch 
bestand  die  Möglichkeit,  die  gesamten  von  dem  habsburgischen  Kaiser 
in  ihrer  Selbständigkeit  bedrohten  Staaten  zu  einem  Gegenbunde 
zusammenzuschließen,  die  Waffe  also  gegen  die  Habsburger  zu  ge- 
brauchen, die  früher  gegen  die  französische  Übermacht  angewendet 
worden  war  (§  115).  Die  Hoffnung  konnte  an  sich  nicht  von  der 
Hand  gewiesen  werden,  daß  eine  solche  Gegenkoalition  zu  einem  neuen 
politischen  Gleichgewichtssystem  führen  würde. 

Immerhin  scheint  auch  in  Frankreich  selbst  als  durchaus  nicht 
sicher  angenommen  worden  zu  sein,  daß  ein  solches  Resultat  erreicht 
würde,  sogar  wenn  die  erwähnte  Koalition  zustande  gebracht  werden 
könnte.  Es  ergibt  sich  dies  vor  allem  daraus,  daß  damals  bereits  die 
ersten  Versuche  unternommen  wurden,  um  die  Hilfe  der  Osmanen 
gegen  den  Kaiser  anzurufen,  d.  h.  den  Beistand  eines  Staatswesens 
nachzusuchen,  das  bisher  überhaupt  nicht  als  Glied  des  europäischen 
Staatensystems  gegolten  hatte. 

Doch  war  dies  nur  ein  erster,  noch  schüchterner  Versuch,  und  die 
wirklichen  Bündnisverhandlungen  begannen  erst  viel  später,  erst  als 
die  militärische  Inferiorität  Frankreichs  und  vor  allem  die  Schwächt; 
des  Landes  zur  See  endgültig  festgestellt  worden  war  (§  123).  Vorerst 
sah  die  französische  Regierung  ihre  Aufgabe  darin,  die  christlichen 
Bundesgenossen  des  Kaisers  auf  die  französische  Seite  zu  ziehen  oder 
wenigstens  zu  einer  neutralen   Haltung   zu  bewegen.    Am  einfachsten 

19* 


292  Die  Herstellung  der  habsbur^schen  Hegemonie  über  Italien. 

gestaltete  sich  die  Verständigung  mit  England.  Die  englische  Regierung, 
die  weder  militärisch  noch  finanziell  zu  einer  Eroberungspolitik  auf 
dem  Kontinente  ausgerüstet  war,  hatte  weniger  als  je  ein  Interesse 
daran,  die  kaiserliche  Macht  zu  stärken,  deren  Vorherrschaft  das  gerade 
für  England  so  nützliche  Gleichgewichtssystem  zu  stören  drohte  (§  84). 
Dazu  befand  sich  der  englische  König  infolge  der  Schlacht  bei  Pavia 
gegenüber  Frankreich  in  der  günstigen  Lage  des  Fordernden,  und 
der  Friedens-  und  Bündnisbertrag  vom  30.  August  1525,  der  die  Ver- 
handlungen abschloß  (unterzeichnet  zu  More),  bot  England  größere 
Vorteile  als  dem  anderen  Kontrahenten :  die  englische  Regierung  ver- 
zichtete darin  bloß  auf  ihre  territorialen  Gewanne  in  Frankreich,  die 
sie  aus  eigenen  Kräften  sowieso  kaum  hätte  behaupten  können;  die 
französische  Regentschaftsregierung  dagegen  mußte  sich  zu  schweren 
pekuniären  Opfern  verstehen  und  zugleich  auf  eine  Unterstützung 
der  schottischen  Aspirationen  gegen  England  verzichten.  Die  Gefahr 
eines  neuen  konzentrischen  Angriffes  auf  Frankreich  von  Norden  und 
Süden  mit  englischer  Unterstützung  war  dadurch  fürs  erste  beschworen. 
Bevor  aber  die  neue  Allianzpolitik  Frankreichs  weiter  ausgedehnt 
werden  konnte,  mußte  zuerst  der  inzwischen  nach  Madrid  verbrachte 
König  Franz  I.  wieder  der  Freiheit  zurückgegeben  werden.  Die  Ver- 
handlungen, die  darüber  geführt  wurden,  ließen  sich  nicht  rasch  zu 
Ende  bringen.  Kaiser  Karl  hatte  beschlossen,  das  günstige  Geschick, 
das  seinen  Gegner  der  Gefangenschaft  überliefert  hatte,  zur  vollstän- 
digen Verwirklichung  des  habsburgischen  Programmes  auszunutzen. 
Daß  Frankreich  auf  seine  italienischen  Ansprüche  verzichten  sollte, 
war  ein  normales  Begehren;  darüber  hinaus  sollte  es  nun  aber  noch 
darein  einwilligen,  daß  das  Herzogtum  Burgund  zu  den  habsburgischen 
Besitzungen  geschlagen,  d.  h.  die  schon  längst  von  den  Habsburgern 
gewünschte  territoriale  Vergrößerung  der  Freigrafschaft  nach  Westen 
hin  hergestellt  würde,  wodurch  die  Habsburger  die  Freigrafschaft 
gesichert  und  zugleich  ihre  durch  die  Erwerbung  Württembergs  und 
den  Schwäbischen  Bund  angebahnte  Herrschaft  über  Süddeutschland 
weiter  befestigt  hätten.  Um  seine  Freiheit  zu  erlangen,  willigte  der 
französische  König  schließlich  in  diese  Bedingungen  ein  und  in  dem 
Vertrage  von  Madrid  (14.  Januar  1526)  verzichtete  er  auf  die  Bour- 
gogne  sowie  auch  auf  alle  Ansprüche  auf  Mailand,  Genua  und  Asti, 
auf  Neapel  und  auf  seine  Souveränitätsrechte  über  die  habsburgischen 
Besitzungen  in  den  Niederlanden.  Außerdem  verpflichtete  sich  der 
König,  sich  mit  der  Schwester  des  Kaisers,  der  verwitweten  Königin 
von  Portugal,  Eleonore  zu  verehelichen,  um  dem  Friedensbunde  Dauer 
zu  verleihen,  und  versprach,  den  Herzog  von  Bourbon  wieder  in  seine 
Besitzungen  einzusetzen  u.  a.  m.  Der  Vertrag  war  so  ausschließlich 
zugunsten  des  Kaisers  abgefaßt,  daß  es  kein  Wunder  war,  wenn  die 
erzwungenen  Konzessionen  von  König  Franz,  rasch  nachdem  er  in 
Freiheit  gesetzt  war,  für  ungültig  erklärt  wurden.  Es  half  dabei  dem 
Kaiser  nichts,  daß  der  König  seine  zwei  ältesten  Söhne  hatte  als  Geiseln 


§  120.     Die  Situation  nach  der  Schlacht  bei  Pavia.  203 

stellen  müssen.  Die  französische  Regierung  machte  keine  Anstalten, 
den  Vertrag  auszuführen,  besonders  was  die  Abtretung  der  Bourgogne 
anbetraf.  Zwei  Gründe  führte  sie  vor  allem  an,  um  ihr  Verhalten  zu 
rechtfertigen:  der  eine,  den  Franz  bereits  in  einem  geheimen  Protest 
unmittelbar  vor  der  Unterzeichnung  formuliert  hatte  (13.  Januar  1526), 
bestand  darin,  daß  der  Vertrag  erzwungen  war;  der  andere  lautete, 
daß  die  Stände  der  Bourgogne  ihre  Zustimmung  zu  der  Abtretung 
nicht  gegeben  hätten,  was  die  Abmachung  rechtlich  ungültig  mache. 
Bestärkt  wurde  die  französische  Regierung  in  ihrer  Haltung  da- 
durch, daß  trotz  des  Friedens  von  Madrid  oder  vielleicht  gerade  infolge 
davon  ihre  Bestrebungen  zur  Bildung  einer  Koalition  gegen  die  habs- 
burgische  Vorherrschaft  rasche  Fortschritte  erzielten.  War  es  vorher 
nur  gelungen,  mit  England  zu  einer  Einigung  zu  gelangen,  so  war  es 
nun  auch  möglich,  die  italienischen  Staaten  zu  einer  Alhanz  zu  be- 
wegen. Am  22.  Mai  1526  wurde  dieser  Bund,  die  »Heihge  Liga«  ge- 
nannt, zu  Cognac  abgeschlossen.  Kontrahenten  waren  außer  dem 
König  von  Frankreich  der  Papst,  Venedig,  der  Herzog  von  Mailand 
und  die  Republik  Florenz.  Die  Verbindung  hatte  im  Gegensatz  zu 
der  Verständigung  mit  England  eine  direkte  offensive  Tendenz:  die 
Alliierten  verpflichteten  sich,  Neapel  anzugreifen  sowie  dem  Herzog 
von  Mailand  zu  dem  freien  Besitz  seines  Landes  zu  verhelfen  und  die 
Freilassung  der  beiden  Söhne  König  Franz'  L  herbeizuführen.  (Über 
die  Aspirationen  des  Herzogs  von  Mailand  vgl.  den  folgenden  Para- 
graphen.) 

Literatur.  Innerhalb  der  diplomatischen  Geschichte  der  Jahre  nach  Pavia 
hat  die  Aktion  der  Kurie  besondere  Aufmerksamkeit  auf  sich  gezogen;  gesondert 
behandelt  ist  dieser  Gegenstand  in  der  Schrift  von  Rudolf  Grethen,  »Die  politischen 
Beziehungen  Klemens' VII.  zu  KarlV.  in  den  Jahren  1523  —  1527«  (1887),  in  der 
auch  die  gesamte  ältere  Literatur  und  die  Quellen  verzeichnet  sind.  Das  wichtigste 
Quellenwerk  ist  neben  den  die  gesamte  Periode  umfassenden  Korrespondenzen 
und  Aktenpublikationen  immer  noch  die  »Captivite  du  roi  Frangois  I^^«,  die  von 
ChampoUion-Figeac  1847  in  den  »Documents  inedits  sur  Vhist.  de  France^  heraus- 
gegeben wurde.  Neu  hinzugekommen  sind  hauptsächlich:  Jacqueton,  »La  politique 
exterieure  de  Louise  de  Savoie,  1525—1526«  (1892);  W.  Hellmann,  »Die  politischen 
Beziehungen  Klemens' VII.  zu  KarlV.  im  Jahre  1526«  (Leipziger  Diss.,  1889); 
C.  Randi,  «La  guerra  di  sette  anni  sotto  demente  VII«  im  »Archivio  della  Societä 
Romana«  VI,  3  und  4;  Henri  Hauser,  »Le  traite  de  Madrid  et  la  cession  de  la  Bour- 
gogne ä  Charles-Quint«,  1912. 

§  121.  Die  militärische  Entscheidung  in  Italien  und  der  Anschluß 
Genuas  an  die  Habsburger.  Die  eben  geschilderten  Versuche  der  ita- 
lienischen Staaten,  durch  eine  Verbindung  mit  Frankreich  sich  gegen- 
über dem  habsburgischen  Kaiser  ihre  Selbständigkeit  zu  sichern, 
konnten  zunächst  um  so  eher  an  die  Hand  genommen  werden,  als  trotz 
des  eklatanten  Erfolges  von  Pavia  die  kaiserliche  Heeresmacht  ihren 
Sieg  in  Italien  anfänglich  nicht  eigentlich  ausnutzte.  Wohl  in  Über- 
einstimmung mit  dem  alten  Programm  der  habsburgischen  Politik, 
vielleicht  auch  weil  die  Gefangenschaft  des  französischen  Königs  vor 
allem   zu   einem   Druck   auf  Frankreich   einlud,   stellte  die   kaiserliche 


294  Die   Herstellung  der  habsburgischen  Hegemonie  über  Italien. 

Regierung  viel  stärkere  Forderungen  an  Frankreich  als  an  die  italie- 
nischen Staaten.  Von  dem  Papst  und  Venedig  wurden  keine  territorialen 
Konzessionen  verlangt:  kleineren  Staaten  wie  Florenz  und  Ferrara 
wurden  bloß  starke  finanzielle  Leistungen  auferlegt;  Mailand  selbst 
wurde  nicht  wie  zur  französischen  Zeit  zu  einem  eigentlichen  Unter- 
tanengebiet gemacht,  sondern  wenigstens  provisorisch  einem  Abkömm- 
ling der  einheimischen  Dynastie  überlassen:  als  Regent  des  Herzogtums 
wurde  nämlich,  wenn  auch  nicht  investiert,  so  doch  vorläufig  ein- 
gesetzt der  jüngere  Sohn  des  »Mohren«,  Herzog  Franz  (vgl.  §  119). 
Wieweit  damals  die  Hoffnungen  der  italienischen  Regierungen  gingen, 
geht  am  besten  daraus  hervor,  daß  sie  glaubten,  durch  eine  Verbindung 
mit  einem  der  kaiserlichen  Generale  die  Herrschaft  der  Habsburger  in 
Italien  überhaupt  erschüttern  zu  können.  Der  Kanzler  des  Herzogs 
Franz,  Girolamo  Morone,  versuchte,  Pescara,  den  Sieger  von  Pavia 
(§  119),  dadurch  auf  die  Seite  der  antikaiserlichen  Koalition  zu  ziehen, 
daß  er  ihm  die  Krone  von  Neapel  versprach.  Der  aragonesisch-neapo- 
litanische  Adlige  ging  freilich  auf  dies  Anerbieten  nicht  ein;  er  verriet 
im  Gegenteil  Morone,  ließ  ihn  verhaften  (15.  Oktober  1525)  und  be- 
setzte das  gesamte  Herzogtum  Mailand  bis  auf  die  Zitadellen  von 
Mailand  und  Gremona.  Trotzdem  aber  blieb  die  Haltung  des  Kaisers 
zu  den  übrigen  italienischen  Potentaten  zunächst  noch  unverändert, 
imd  die  Liga  von  Cognac  (§  120)  konnte  ruhig  abgeschlossen  werden. 

Erst  auf  diese  Allianz  hin  w^urden  die  Feindseligkeiten  in  Italien 
wieder  aufgenommen.  Aber  obwohl  die  kaiserlichen  Truppen  anfäng- 
lich in  der  Minderzahl  waren,  zeigten  sich  die  Verbündeten  außer- 
stande, einen  entscheidenden  Schlag  zu  führen;  auch  die  Teilnahme 
Andrea  Dorias,  der  zumAdmiral  des  Heiligen  Stuhles  erhoben  wurde, 
vermochte  an  diesem  Resultate  nichts  zu  ändern.  Ausschlaggebend 
war  vor  allem,  daß  Frankreich  sich  nur  nachlässig  beteiligte  und  jeder 
der  Verbündeten  auf  eigene  Faust  vorging;  dank  dieser  Zersplitterung 
der  Kräfte  war  es  sogar  einmal  möglich,  daß  von  Neapel  aus  die  Spanier 
und  die  Colonnesen  einen  Handstreich  auf  die  Stadt  Rom  ausführten 
(20.  September  1526),  der  gleichsam  als  eine  Generalprobe  des  Sacco 
di  Roma,  der  im  folgenden  Jahre  stattfand,  betrachtet  werden  kann. 
Kleinere  Erfolge  in  Ober-  und  Mittelitalien  fielen  demgegenüber  nicht 
in  Betracht. 

Um  so .  wuchtiger  waren  dann  die  Schläge,  die  die  Kaiserlichen 
ausführten,  nachdem  sie  einmal  Verstärkungen  aus  Spanien  und 
Deutschland  herangezogen  hatten.  Zunächst  allerdings  hielten  sie  sich 
dem  Papste  gegenüber  immer  noch  zurück,  obw-ohl  dieser  als  die  eigent- 
liche Seele  der  feindlichen  Koalition  in  Italien  gelten  mußte,  und  noch 
am  15.  März  1527  kam  ein  Waffenstillstand  mit  diesem  zustande,  der 
für  die  italienischen  Gegner  der  Habsburger  außerordentlich  günstige 
Bedingungen  enthielt.  In  dieser  Situation  griff  aber  der  Gonnetable 
von  Bourbon  (§  119),  der  Kommandant  der  kaiserlichen  Streitkräfte 
in  Oberitahen,  ein.   Er  versagte  dem  Waffenstillstand  seine  Zustimmung 


§  121.     Der  Anschluß  Genuas  an  die  Habsburger.  295 

t 
und  nahm  den  Marsch  nach  Florenz  und   Rom  auf.    Florenz  konnte 

allerdings  von  den  Alliierten  gerettet  werden:  um  so  schlimmer  war 
aber  das  Schicksal,  das  Rom  erwartete.  Am  6.  Mai  1527  wurde  die 
Hauptstadt  der  Christenheit  erstürmt,  wobei  Bourbon  selbst  den  Tod 
fand;  nur  die  Engelsburg  blieb. noch  in  der  Hand  des  Papstes.  Es  folgten 
die  damals  bei  der  Eroberung  von  Städten  üblichen  Szenen  der  Plün- 
derung und  Verwüstung,  die,  weil  sie  Rom  betrafen,  besonderen  Abscheu 
erregten,  der  »Sacco  di  Roma«. 

Der  Fortgang  des  Krieges  entsprach  diesem  Anfang.  Die  Alliierten 
brachten  dem  Papste  keinen  Entsatz;  dazu  stürzte  unter  dem  Einfluß 
der  letzten  Ereignisse  die  Herrschaft  seiner  Familie  in  Florenz  zu- 
sammen: am  11.  Mai  1527  verließen  die  mediceischen  Regenten  die 
Stadt  am  Arno,  und  an  ihrer  Stelle  übernahm  die  Partei  der  Optimaten 
die  Regierung.  So  mußte  Papst  Klemens  VII.  am  7.  Juni  1527  kapi- 
tulieren; nicht  nur  Parma,  Piacenza  und  Modena,  sondern  auch  ver- 
schiedene Städte  des  Kirchenstaates  wurden  der  kaiserlichen  Armee 
ausgeliefert,  die  Engelsburg  wurde  von  spanischen  Soldaten  besetzt. 
Wenn  der  Kirchenstaat  trotzdem  keine  dauernden  allzu  großen  Ge- 
bietsverluste über  sich  ergehen  lassen  mußte,  so  war  dies  wohl  nur  dem 
Umstände  zu  verdanken,  daß  die  habsburgische  Regierung  den  Papst, 
den  sie  ja  doch  nicht  gleich  einem  Herzog  von  Mailand  mediatisieren 
konnte  (§  92),  nicht  für  immer  auf  die  Seite  der  Gegenkoalition  treiben 
wollte.  In  dem  Vertrag  vom  26.  November  1527  zwischen  Kaiser  und 
Papst  wurde  allerdings  abgemacht,  daß  eine  Anzahl  päpstlicher  Städte 
als  Pfand  in  der  Hand  der  kaiserlichen  Truppen  bleiben  sollten;  im 
übrigen  wurde  der  Kirchenstaat  aber  wieder  hergestellt.  Außerdem 
ließen  die  kaiserlichen  Kommandanten  zu,  daß  sich  der  Papst  am 
6.  Dezember  seiner  Gefangenschaft  durch  die  Flucht  nach  Orvieto 
entziehen  konnte. 

Denn  der  Krieg  war  noch  nicht  definitiv  entschieden,  und  die 
habsburgische  Regierung  war  noch  nicht  aller  Rücksichten  auf  den 
Papst  entbunden.  Der  glückliche  Fortgang  der  Operationen  in  Italien 
hatte  ja  zu  einem  guten  Teile  auch  davon  abgehangen,  daß  Frank- 
reich sich  nur  lässig  und  England  gar  nicht  an  dem  Kampfe  beteiligt 
hatte.  Die  Katastrophe  in  Rom  brachte  darin,  wie  begreiflich,  eine 
Wandlung  hervor.  Bereits  am  29.  Mai  1527  verpflichteten  sich  Frank- 
reich und  England,  im  Juni  eine  starke  Armee  nach  Italien  abzu- 
ordnen (Vertrag  von  Westminster),  und  im  Sommer  wurden  die  Feind- 
seligkeiten auch  wirklich  energisch  aufgenommen.  Im  August  erschien 
ein  französisches  Heer  unter  Lautrec  in  Oberitalien,  vereinigte  sich 
mit  den  mailändisch-venezianischen  Streitkräften  und  errang  eine 
Anzahl  ansehnlicher  Erfolge;  mehrere  feste  Plätze,  u.  a.  Pavia,  wurden 
genommen.  Der  Umfang  der  antihabsburgischen  Koalition  in  Italien 
erweiterte  sich  dadurch:  Ferrara  kehrte  zum  Bündnis  mit  Frankreich 
zurück;  Florenz  erneuerte  sein  Allianz  Verhältnis,  verschiedene  kleinere 
Staaten  schlugen  dieselbe   Politik   ein.     Bedeutungsvoll  war  aber  vor 


296  Die  Herstellung  der  habpburgischen  Hegemonie  über  Italien. 

allem,  daß  sogar  Genua  durch  den  in  französischen  Diensten  stehenden 
Andrea  Doria  wieder  Frankreich  unterworfen  wurde  (Ende  August 
1527).  Schon  konnten  die  Franzosen  das  bereits  vor  der  Schlacht  bei 
Pavia  begonnene  Unternehmen  gegen  Neapel  von  neuem  an  die  Hand 
nehmen;  im  Januar  1528  rückte  Lautrec  im  Königreich  ein,  und  im 
April  nahm  er  die  Belagerung  der  Hauptstadt  auf.  Die  Venezianer 
besetzten  wieder  die  apulischen  Häfen;  die  spanische  Flotte,  die  Neapel 
Entsatz  bringen  sollte,  wurde  bei  Amalfi  von  Filippino  Doria  (einem 
Neffen  Andreas)  vernichtet  (28.  April  1528). 

In  dieser  für  den  Kaiser  wenigstens  für  den  Augenblick  recht  kri- 
tischen Situation  wurde  die  habsburgische  Vorherrschaft  über  Italien 
durch  Andrea  Doria  gerettet.  Gründe  persönlicher  Art  sowohl  wie 
patriotische  Erwägungen  scheinen  den  großen  genuesischen  Admiral 
und  Kondottiere  damals  zum  Verlassen  des  französischen  Dienstes 
und  zum  Übertritt  zur  Partei  des  Kaisers  getrieben  zu  haben.  Die 
ersteren  können  hier  nur  angedeutet  werden;  die  letzteren  beruhten' 
darauf,  daß  Genua  nur  dann  wenigstens  formell  seine  Selbständigkeit 
bewahren  konnte,  wenn  Mailand  sich  nicht  in  französischen,  sondern 
in  habsburgischen  Händen  befand.  Den  letzten  Anstoß  gaben  Diffe- 
renzen zwischen  der  französischen  Regierung  und  Andrea  und  Filippino 
Doria,  die  sich  nach  dem  Treffen  bei  Amalfi  einstellten.  Sie  führten 
zum  förmlichen  Abfall  der  Genuesen.  Am  4.  Juh  1528  segelte  Filippino 
Doria  von  Neapel  ab,  das  von  da  an  nicht  mehr  als  blockiert  gelten 
konnte;  am  9.  Juli  nahm  Andrea  die  Verhandlungen  mit  der  kaiser- 
lichen Regierung  auf,  am  10.  August  wurde  die  Konvention  von  Madrid 
abgeschlossen,  die  die  Flotte  des  größten  Seehelden  der  Zeit  dem  habs- 
burgischen Herrscher  zur  Verfügung  stellte.  Kaiser  Karl  V.  gewährte 
alle  Bedingungen,  die  ihm  Doria  stellte;  darunter  befanden  sich  nicht 
nur  Forderungen  persönlicher  Art  wie  ein  hoher  Sold,  der  Titel  eines 
Generalkapitäns  zur  See  und  die  Überlassung  eines  neapolitanischen 
Hafens,  sondern  auch  Konzessionen  zugunsten  der  gesamten  genuesi- 
schen Republik:  die  Unabhängigkeit  des  Staates,  die  Zurückerstattung 
von  Savona,  freier  Seehandel  für  die  Genuesen. 

Der  Feldzug  in  Neapel  war  damit  für  die  Franzosen  entschieden, 
um  so  mehr,  als  keine  Möglichkeit  vorlag,  die  türkische  Flotte,  die 
später  die  genuesische  ersetzen  sollte  (§  123),  binnen  nützlicher  Frist 
heranzuziehen.  Die  Blockade  von  Neapel  war  faktisch  aufgehoben; 
die  Stadt  befand  sich  nun  in  derselben  Lage  wie  Marseille  im  Jahre 
1522  (§  119):  wie  damals  dank  der  Flotte  Dorias  die  Franzosen  ständig 
mit  der  belagerten  Stadt  in  Verbindung  geblieben  waren,  so  vermochte 
nun  Doria,  der  sich  die  Insel  Ischia  zum  Stützpunkt  genommen  hatte, 
Neapel  zur  See  zu  versorgen  und  die  Franzosen  von  dem  Verkehr  mit 
der  Heimat  abzusperren.  Es  fehlte  daher  der  französischen  Armee 
der  Nachschub  an  Infanterie,  der  um  so  weniger  zu  entbehren  war, 
als  Krankheiten  unter  dem  Belagerungsheer  furchtbare  Verwüstungen 
anrichteten  und  den  Kommandanten  Lautrec  schließhch  selbst  dahin- 


,§  121.     Der  Anschluß   Genuas  an  die  Habsburger.  297 

rafften  (16.  August  1528).  So  mußte  denn  die  französischf  Armee 
bald  darauf  die  Belagerung  der  Stadt  aufheben  (29.  August)  und  sich 
nach  Aversa  zurückziehen.  Aber  auch  dort  war  ihre  Lage  hoffnungslos ; 
bereits  am  30.  August  mußte  sie  kapitulieren.  Bald  fiel  dann  auch 
die  Republik  Genua  selber  ^vieder  in  die  Hände  der  antifranzösischen 
Partei.  Am  12.  September  wurde  die  Stadt  von  Andrea  Doria  zurück- 
erobert, der  französische  Gouverneur,  Marschall  Trivulzio,  in  das 
Castelleto  zurückgedrängt  und  die  Freiheit  der  Republik  proklamiert; 
am  28.  Oktober  ergab  sich  dann  auch  die  Zitadelle  von  Genua,  nach- 
dem bereits  am  21.  Savora  von  Andrea  Doria  genommen  und  zerstört 
worden  war.  Schon  nahmen  nun  die  Kaiserlichen  ihrerseits  die  Offen- 
sive gegen  Frankreich  auf:  Doria  wagte  im  Herbste  1528  und  Sommer 
1529  verschiedene  Vorstöße  gegen  die  Provence,  und  nur  die  Angriffe 
der  Barbaresken  (§  99),  die  den  Kaiser  nötigten,  einen  Teil  seiner  See- 
streitkräfte gegen  Algier  zu  verwenden,  verhinderten  Doria  an  einer 
vollen  Ausnutzung  seiner  Überlegenheit. 

Es  hätte  nur  ein  Mittel  für  die  Franzosen  gegeben,  um  sich  wieder 
in  den  Besitz  Genuas  zu  setzen:  die  Wiedereroberung  Mailands.  Die 
französische  Regierung  unternahm  auch  einen  Vorstoß  in  diesem  Sinne; 
aber  ihr  Versuch  schlug  fehl.  Der  Graf  von  Saint-Pol,  der  ausgeschickt 
worden  war,  um  den  spanischen  General  Leyva  aus  dem  Herzogtum 
zu  vertreiben,  wurde  bei  Landriano  (zwischen  Pavia  und  Mailand)  ge- 
schlagen (21.  Juni  1529);  Mailand  war  definitiv  für  die  Franzosen 
verloren.  Es  blieb  nur  noch  übrig,  Frieden  zu  schließen,  um  so  mehr, 
da  die  englische  Hilfe  vollständig  versagt  hatte  (vgl.  §  85). 

Literatur.  Eine  Übersicht  über  die  Quellen  und  die  Literatur  zur  Geschichte 
des  »Sacco  di  Roma«  gibt  Domenico  Orano  in  seinem  »Sacco  di  Roma,  vol.  I.  I  Ri- 
cordi  di  M.  Alber ini«,  1901.  Das  wichtigste  diplomatische  Quellenwerk  sind  wohl 
immer  noch  die  »Memorias  parra  la  historia  del  asalto  y  saqueo  de  Roma«,  die  A.  Rodrf- 
guez  Villa  1874  herausgegeben  hat.  Dazu  natürlich,  wie  immer,  die  Nachweise  bei 
Pastor.  —  H.Schultz,  »Der  Sacco  di  Roma«,  1894  (Hallische  Abhandlungen  32); 
A.  Professione,  »Dalla  battaglia  di  Pavia  al  sacco  di  Roma«,  1890;  Rodriguez  Villa, 
■iltalia  desde  la  batalla  de  Pavia  hasta  el  sacco  di  Roma«,  1885;  A.  Luzio  im 
*Archivio  storico  lombardo«  anno  35  und  in  der  »Deutschen  Revue«  1909  Februar. 

Über  Doria  die  besten  Nachweise  bei  Gh.  de  la  Ronciöre  ^Histoire  de  la  Marine 
frangaise«  III  (1906),  Wie  sehr  bereits  die  Zeitgenossen  dem  Übertritt  Dorias  ent- 
scheidende Bedeutung  beimaßen,  ist  z.  B.  aus  Ariosts  »Orlando  furioso«  XV,  30 
und  32,  zu  ersehen. 

§  122.  Die  Regelung  des  italienischen  Konfliktes  zugunsten  der 
Habsburger.  Die  Friedensverhandlungen  wurden  aufgenommen  (im 
April  1529),  noch  bevor  die  Schlacht  bei  Landriano  erfolgt  war;  den 
Ausschlag  hatte  eben  der  Abfall  Dorias  von  der  französischen  zur  kaiser- 
lichen Seite  und  dessen  Folgen,  nicht  die  verunglückte  französische  Ex- 
pedition ins  Mailändische  gegeben.  Dadurch  war  die  eine  Vorbedin- 
gung zu  einer  Verständigung,  d.  h.  zu  dem  Verzicht  Frankreichs  auf 
seine  italienischen  Aspirationen  geschaffen.  Daneben  hatten  allerdings 
die  Ereignisse  der  letzten    Jahre  auch  der  habsburgischen    Regierung 


jf98  Herstellung  der  habsburgischen   Hegemonie   über   Italien. 

vor  Augen  geführt,  daß  Frankreich  immerhin  einen  noch  zu  starken 
Gegner  darstellte,  als  dai3  es  zur  Annahme  der  Forderungen,  die  nach 
der  Schlacht  bei  Pavia  aufgestellt  worden  waren  (§  120),  gezwungen 
werden  könnte.  Auf  Grundlage  dieser  beiderseitigen  Erkenntnis  oder 
wenn  man  lieber  will,  des  sich  aus  dem  definitiven  Übergang  Dorias 
zur  kaiserlichen  Partei  ergebenden  Kräfteverhältnisses  unter  den  euro- 
päischen Großstaaten  (also  ohne  die  Türkei)  konnte  nun  ein  Friede 
geschlossen  werden,  der  für  einige  Jahre  eine  Unterbrechung  der  Feind- 
seligkeiten zwischen  Frankreich  und  den  Habsburgern  zur  Folge  hatte. 
Geführt  wurden  die  Verhandlungen  von  kaiserlicher  Seite  von  der 
Tante  Karls  V.,  Margarete,  Regentin  der  Niederlande,  von  französischer 
Seite  von  der  Mutter  des  Königs,  Luise  von  Savoyen;  der  Vertrag 
von  Cambrai,  der  das  Resultat  dieser  Bemühungen  war  (abgeschlossen 
am  5.  August   1529),  erhielt  daher  den  Namen  des    »Damenfriedens«. 

Der  Vertrag  gibt  sich  als  Erneuerung  und  Modifikation  zugleich 
des  Friedens  von  Madrid  (§  120).  Er  stimmt  mit  jenem  Instrument 
insofern  überein,  als  Frankreich  darin  von  neuem  auf  alle  seine  ita- 
lienischen Ansprüche  (inklusive  Asti)  verzichtete  und  die  noch  besetzt 
gehaltenen  Festungen  im  Mailändischen  und  Neapolitanischen  zu 
räumen  versprach.  Bestätigt  wurde  außerdem  der  Verzicht  der  fran- 
zösischen Krone  auf  ihre  Feudalrechte  über  Flandern  und  das  Artois, 
sowie  auf  Hesdin,  und  König  Franz  wiederholte  sein  Versprechen,  sich 
mit  der  Schwester  des  Kaisers,  der  Königinwitwe  Eleonore  von  Por- 
tugal zu  vermählen.  Dagegen  verzichtete  die  habsburgische  Regierung 
nun  auf  die  Abtretung  der  Bourgogne  und  versprach,  die  beiden  Söhne 
König  Franz'  I.,  die  noch  als  Geiseln  zurückbehalten  worden  waren, 
freizugeben.  Da  der  Friede  von  Madrid  seinerzeit  mit  Hilfe  der  Stände 
der  Bourgogne  für  ungültig  erklärt  worden  war,  enthält  der  Friede 
von  Cambrai  außerdem  noch  ausdrücklich  die  Bestimmung,  daß  der 
neue  Vertrag  von  allen  Provinzialständen  Frankreichs  ratifiziert  werden 
soll  (was  dann  auch  im  Oktober  bis  Dezembei-  1529  erfolgte). 

An  demselben  Tage  und  Orte  kam  dann  auch  ein  Friedens-  und 
Freundschaftsvertrag  zwischen  dem  Kaiser  und  dem  König  von  Eng- 
land zustande.  Wichtiger  war,  da  sich  der  Kampf  der  Großmächte 
doch  hauptsächlich  auf  Italien  bezog,  daß  es  dem  habsburgischen 
Monarchen  schon  vorher  gelungen  war,  mit  dem  Papste  zu  einem  Ein- 
vernehmen zu  gelangen.  Die  Verständigung  geschah  auf  Kosten  der 
Freiheit  Florenz'.  —  Nach  dem  Sacco  di  Roma  war  in  Florenz  (wie 
bereits  erwähnt,  §  121)  die  Herrschaft  der  Medici  beseitigt  worden, 
und  die  neue  Republik  hatte  sich  der  antihabsburgischen  Koalition 
angeschlossen.  Der  damalige  Papst  Klemens  VII.,  selbst  ein  Mediceer, 
war  dadurch  in  einen  Konflikt  zwischen  den  Interessen  seiner  Familie 
und  denen  des  Kirchenstaates  gekommen  und  hatte  sich  deshalb  von 
den  neuen  Kämpfen  zwischen  Frankreich  und  den  Habsburgern  so 
gut  wie  möglich  ferngehalten.  Nun  verstand  es  der  Kaiser,  durch  die 
Wiederaufrichtung    des    mediceischen    Regiments    sowohl    Florenz  wie 


§  122.     Die  Unterwerfung   Italiens   unter  dio  Habsburger.  299 

■den  Papst  auf  seine  Seile  zu  ziehen.  In  dem  Allianzvertrag  von  Bar- 
celona (29.  Jiini  1529)  versprach  der  Kaiser,  die  Mcdici  wieder  in  Florenz 
einzusetzen,  und  zwar  in  der  Person  des  Herzogs  Alexander,  eines  mit 
einer  natürlichen  Tochter  des  Kaisers  vermählten^)  illegitimen  Neffen 
des  Papstes,  außerdem  noch  dem  Kirchenstaate  zum  Besitze 
einiger  kürzlich  an  Venedig  oder  Ferrara  verlorener  Gebiete  (Ravenna, 
Modena  usw.)  zu  verhelfen.  Der  Papst  anderseits  gewährte  die  In- 
vt'stitur  des  Kaisers  mit  Neapel,  die  Zustimmung  zu  einer  eventuellen 
direkten  Annexion  des  Herzogtums  Mailand  sowie  freien  Durchmarsch 
der  kaiserlichen  Truppen  durch  das  Gebiet  des  Kirchenstaats. 

Nach  dieser  Einigung  blieb  auch  den  übrigen  italienischen  Staaten 
(mit  Ausnahme  der  florentinischen  Republik,  die  auf  keine  Verstän- 
digung hoffen  konnte),  nichts  übrig,  als  sich  mit  dem  Kaiser  zu  ver- 
gleichen. Am  23.  Dezember  1529  schlössen  Venedig  und  Herzog  Franz 
Sforza  von  Mailand  zu  Bologna  mit  den  beiden  habsburgischen  Brüdern 
einen  Friedensvertrag,  in  dem  die  Venezianer  auf  Ravenna  sowie  auf 
die  von  ihnen  noch  besetzt  gehaltenen  Städte  im  Neapolitanischen 
(vgl.  §  121)  verzichteten. 

Kaiser  Karl  konnte  nun  als  Herrscher  Italiens  gelten,  und  die 
Krönung  zum  König  von  Italien,  die  der  Papst  am  22.  Februar  1530 
zu  Bologna  mit  dem  lombardischen  Diadem  vornahm  (am  24.  Februar 
folgte  die  Kaiserkrönung),  hatte  mehr  als  symbolische  Bedeutung. 
Die  Vormachtstellung  des  habsburgischen  Hauses  über  Itahen  war  so 
festgegründet,  daß  die  Dynastie  sogar  ungestraft  an  manchen  Orten 
den  Schein  der  Unabhängigkeit  fortbestehen  lassen  konnte.  So 
in  Mailand,  wo  zunächst  der  letzte  Storza  wieder  als  Schattenherrscher 
die  Regierung  übernahm,  so  auch  etwas  später  in  Florenz. 

Denn  der  heroische  Widerstand,  den  die  florentinische  Republik 
der  kaiserlichen  Übermacht  entgegensetzte,  konnte  den  Fall  der  Stadt 
nur  aufhalten,  nicht  aber  verhindern.  Zehn  Monate  lang  (vom  14.  Okt. 
1529  bis  4.  August  1530)  dauerte  die  Belagerung;  dann  mußte  die  Stadt, 
in  der  die  Hungersnot  bis  zum  äußersten  gestiegen  war,  kapitulieren, 
nachdem  ihr  von  P'rancesco  Ferruccio  kommandiertes  Entsatzheer 
am  3.  August  1530  in  Gavignana  (bei  Pistoja)  vernichtet  worden  war. 
Am  6.  Juli  1531  wurde  dann  Herzog  Alessandro  de'Medici  förmlich 
vom  Kaiser  in  die  Herrschaft  über  die  Stadt  eingesetzt. 

Literatur.  Über  die  Krönung  Kaiser  Karls  V.  im  Jahre  1530  ist  immer  noch 
dif  reichhaltigste  Quellensammlung  die  1842  von  G.  Giordani  publizierte  »Cronaca 
d-ella  venuta  e  dimora  in  Bologna  del  s.  p.  demente  VII«  usw.  Vgl.  auch  M.  Romano, 
»Cronaca  del  soggiorno  di  Carlo  V  in  Italia«. 

Über  die  letzten  Kämpfe  der  florentinischen  Republik  vgl.  die  Dokumenten- 
sainmlung  »Francesco  Ferruccio  e  la  guerra  di  Firenze  del  1529—1530«,  1889  (Fest- 
schrift zur  Erinnerung  an  den  400jährigen  Geburtstag  des  Feldherrn),  wo  noch 
weitere  bibliographirche  Angaben. 

^)  So  heißt  es  im  Vertrage.  In  Wirklichkeit  aber  bestand  nur  eine  Verlobung, 
da  die  Braut  damals  erst  sechs  Jahre  alt  war.  Die  Vermählung  wurde  dann  erst 
im  Jahre  1536  gefeiert.    Vgl.  Perrens,  »Histoire  de  Florence«  III  (1890),  353  n. 


300  Die  letzten  Kämpfe  um  Italien. 

B.  Die  letzten  Kämpfe  um  Italien;  die  Einbeziehung  neuer  Staaten 
im  Osten  und  Norden  in  den  Konflikt.  (1530—1559). 

§  123.  Die  neue  Diplomatie  Frankreichs;  das  Eingreifen  der  Os- 
manen.  Obwohl  der  Friede  von  Cambrai  nicht  so  weit  ging  wie  der 
Friede  von  Madrid,  so  hatte  Frankreich  doch  darin  auf  zu  viel  ver- 
zichten müssen  (es  hatte  seine  italienischen  Pläne  und  seine  eventuellen 
Absichten  einer  Ausdehnung  nach  Norden  und  Osten  preisgeben 
müssen),  als  daß  es  die  damals  erfolgte  territoriale  Regelung  als  defi- 
nitiv anerkannt  hätte.  Auf  der  anderen  Seite  hatte  sich  aber  gezeigt, 
daß  mit  den  bisherigen  Kriegsmitteln  gegen  die  habsburgische  Macht 
nicht  aufzukommen  war.  Der  Kreis  der  Bundesgenossen  mußte  er- 
weitert und  fester  geschlossen  werden;  vor  allem  aber  mußte  ein  Ersatz 
für  die  durch  den  Übertritt  Andrea  Dorias  verlorene  Seemacht  im 
Mittelländischen  Meere  gesucht  werden. 

Die  französische  Diplomatie  warf  sich  denn  auch,  und  zwar  noch 
bevor  der  Vertrag  von  Cambrai  unterzeichnet  worden  war,  mit  Eifer 
auf  diese  Aufgaben. 

Der  erste  Schritt  war,  daß  der  diplomatische  Informationsdienst 
endlich  so  ausgebaut  wurde,  wie  ihn  andere  Staaten,  wie  ihn  vor  allem 
die  habsburgischen  Rivalen  seit  langem  kannten.  Die  französische 
Regierung  hatte  bisher  das  Institut  der  ständigen  Gesandtschaften 
nicht  gekannt  (vgl.  §31);  diese  Einrichtung  trat  nun  allmählich  auch 
bei  ihr  in  Wirksamkeit.  Wie  in  anderen  Staaten  scheint  sich  dabei 
auch  hier  die  Entwicklung  so  vollzogen  zu  haben,  daß  außerordent- 
liche Gesandtschaften  zunächst  durch  ihre  lange  Dauer  sozusagen  den 
Charakter  ständiger  Gesandtschaften  annahmen  und  später  dann  regel- 
mäßig ersetzt  wurden. 

Wichtiger  war  aber,  daß  diese  neue  Waffe  nun  ein  viel  ausge- 
dehnteres Tätigkeitsfeld  fand.  Besonders  bedeutungsvoll  war  die  Ver- 
bindung mit  dem  Türkischen  Reiche. 

Eine  Allianz  zwischen  den  Osmanen  und  den  Franzosen  war  auf 
beiden  Seiten  durch  die  Ereignisse  der  letzten  Jahre  nahegelegt  worden. 
Inwiefern  Frankreich  seit  dem  Jahre  1528  an  einer  solchen  Verbindung 
ein  Interesse  hatte,  ist  bereits  dargelegt  worden:  einzig  die  Türkei  war, 
seitdem  sie  sich  mit  den  algerischen  Korsarenfürsten  zusammen- 
geschlossen hatte  (vgl.  §  99),  imstande,  für  den  Verlust  der  genuesischen 
Flotte  Ersatz  zu  leisten.  Auf  türkischer  Seite  war  der  Gewinn,  der 
aus  einem  Bündnis  mit  Frankreich  zu  ziehen  war,  ebenso  offenkundig, 
wenn  auch  nicht  so  entscheidend.  Die  letzten  Jahre  vor  1529  hatten 
ja  aus  den  Osmanen  nicht  weniger  als  aus  den  Franzosen  einen  direkten 
Gegner  der  Habsburger  gemacht. 

Die  Darstellung  muß,  um  dies  zu  begründen,  um  einige  Jahre 
zurückgreifen. 

Die  Ausdehnungspolitik  des  Osmanischen  Reiches  war  bis  zum 
Ende   des   zweiten    Jahrzehntes   des    Jahrhunderts  in   der   Hauptsache 


§  123.     Verbindung  Frankreichs  mit  der  Türkei.  301 

nach  Süden  und  Osten  orientiert  gewesen  (vgl.  §  80).  Nachdem  aber 
Syrien  und  Ägypten  erobert  worden  waren,  trat  eine  Wandlung  ein 
und  vielleicht  im  Zusammenhang  mit  dem  im  Jahre  1520  erfolgten 
Thronwechsel,  der  Suleiman  II.  zur  Herrschaft  brachte,  wurde  der 
Vorstoß  gegen  Norden  und  gegen  die  christlichen  Staaten  überhaupt 
wieder  aufgenommen.  Schon  im  Jahre  1521  (8.  bis  29.  August)  wurde 
die  ungarische  Grenzfestung  Belgrad  genommen.  Die  nächsten  Jahre 
waren  dann,  nachdem  inzwischen  auch  noch  Rhodus  gefallen  war 
(Herbst  1522),  der  Vorbereitung  zum  Angriff  auf  Ungarn  gewidmet. 
Der  Ausgang  dieses  Kampfes  konnte,  da  Ungarn  (vgl.  §  98)  von  den 
übrigen  Christen  im  Stiche  gelassen  wurde,  nicht  zweifelhaft  sein:  die 
in  jeder  Beziehung  rückständige  ungarische  Wehrmacht  wurde  bei 
Mohacs  (in  der  Nähe  des  linken  Donauufers,  östlich  von  Fünfkirchen) 
am  29.  August  1526  vernichtend  geschlagen,  König  Ludwig  IL  selbst 
kam  in  der  Schlacht  um. 

Obwohl  der  Sultan  nach  diesem  Siege  widerstandslos  bis  nach  der 
Hauptstadt  Ofen  vorrücken  konnte,  war  doch  das  Land  noch  nicht 
gewonnen,  da  die  ungarischen  Magnaten  nicht  unterworfen  waren; 
denn  es  fehlte  den  Osmanen  an  Truppen,  um  das  ganze  Reich  zu  be- 
setzen. In  dieser  Lage  kam  ihnen  aber  der  seit  langem  bestehende 
Gegensatz  zwischen  der  österreichischen  Regierung  und  den  ungarischen 
Baronen  zu  Hilfe.  Die  durch  den  Tod  König  Ludwigs  erledigten  Throne 
Ungarns  und  Böhmens  fielen  auf  Grund  früherer  Abmachungen  dem 
Schwager  des  Verstorbenen,  Erzherzog  Ferdinand  (dem  jüngeren  Bruder 
Kaiser  Karls  V.)  zu,  und  die  habsburgische  Regierung  erhob  daher 
sofort  Ansprüche  auf  die  beiden  Länder.  In  Ungarn  erhob  sich  aber 
gegen  sie  die  Partei  der  an  ihrer  Selbständigkeit  festhaltenden  Magnaten, 
und  ihr  Führer,  der  Woiwode  von  Siebenbürgen,  Johann  Zapolya,  ließ 
sich  am  16.  Oktober  1526  von  seinen  Anhängern  zum  König  ausrufen. 
Allerdings  gelang  es  dann  den  Habsburgern,  eine  Anzahl  Zapolya 
feindlich  gesinnter  Magnaten  für  ihre  Sache  zu  gewinnen,  und  von 
diesen  ihren  Anhängern  wurde  Ferdinand  am  16.  Dezember  desselben 
Jahres  zu  Preßburg  zum  König  gewählt.  Aber  der  habsburgische  Kan- 
didat konnte  sich  mit  alledem  doch  nur  auf  eine  Minorität  im  Lande 
stützen,  und  wenn  er  schon  militärisch  der  Partei  Zapolyas  beträcht- 
lich überlegen  war  and  den  Rivalen  in  mehreren  Gefechten  in  den 
Jahren  1527  und  1528  empfindUch  schlug,  so  bheb  dem  Gegner  immer 
noch  die  Möglichkeit,  sich  mit  den  Türken  zu  verbinden  und  dadurch 
die  habsburgischen  Pläne  zu  vereiteln. 

Diese  Eventualität  trat  denn  auch  ein,  und  dadurch  kam  es  nun 
zum  offenen  Kampf  zwischen  dem  Hause  Österreich  und  den  Osmanen. 
Als  sich  der  antihabsburgische  König  von  Ungarn,  Johann  Zapolya, 
nämlich  an  die  Türken  um  Hilfe  wandte,  versprach  ihm  der  Sultan, 
ihn  unter  seinen  Schirm  zu  nehmen  (Februar  1528),  und  Suleiman 
selbst  machte  sich  im  Jahre  1529  auf,  um  seinen  Schützling  und  Bundes- 
genossen gegen  König  Ferdinand  wieder  in  den  Besitz  seines  Landes 


302  Die   letzten   Kämpfe  um    Italien. 

ZU  setzen.  Die  deutschen  Söldner,  die  die  Hauptstadt  besetzt  hielten, 
waren  dem  osmanischen  Ansturm  nicht  gewachsen:  am  8.  September 
1529  fiel  Ofen.  Der  Rest  des  Landes  folgte,  und  die  Osmanen  konnten 
daran  denken,  die  Offensive  direkt  gegen  österreichisches  Gebiet  auf- 
zunehmen. Es  war  nur  der  überlegenen  Artillerie  der  Habsburger  zu 
verdanken,  wenn  die  Stadt  Wien,  aus  der  sich  König  Ferdinand  bereits 
geflüchtet  hatte,  nicht  ebenfalls  von  den  Türken  genommen  wurde; 
so  aber  mußte  nach  ungefähr  einmonatiger  Dauer  (20.  September  bis 
16.  Oktober  1529)  die  Belagerung  wieder  aufgehoben  werden. 

Ein  großer  Teil  Ungarns  blieb  aber  trotz  dieses  Mißerfolges  unter 
türkischer  Oberhoheit  im  Besitze  Johann  Zapolyas.  Dessen  Stellung 
war  außerdem  noch  in  einer  für  die  Habsburger  gefährlichen  Weise 
dadurch  befestigt  worden,  daß  eine  Verbindung  zwischen  ihm  und  der 
französischen  Krone  zustande  gekommen  war.  Es  gehörte  zu  dem 
neuen  diplomatischen  Kurs  der  französischen  Regierung,  daß  der  Kreis 
der  Teilnehmer  an  der  antihabsburgischen  Koalition  erweitert  wurde, 
und  so  waren  Verhandlungen  über  ein  Bündnis  zwischen  Zapolya  und 
Frankreich  angeknüpft  worden,  die  zuerst  am  23.  Oktober  1528  zu 
einem  förmlichen  Abkommen  führten;  die  Ratifikation  durch  Zapolya 
erfolgte  am  28.  Oktober  1529.  Frankreich  war  also  schon  dadurch 
indirekt  ein  Bundesgenosse  der  Osmanen  gegen  die  Habsburger  ge- 
worden. 

Diese  neue  Verbindung  war  aber  nicht  die  einzige  ihrer  Art.  Einen 
bisher  noch  nicht  zunutze  gezogenen  Alliierten  in  seinem  Kampfe 
gegen  die  habsburgische  Übermacht  land  Frankreich  außerdem  in 
den  deutschen  Ständen,  die  sich  gegen  die  Aufrichtung  einer  starken 
kaiserlichen  (habsburgischen)  Herrschaftsgewalt  über  das  Reich  auf- 
lehnten. Diese  Oppositionsbewegung  hatte  seit  früher  einerseits  be- 
trächtlich an  Macht  gewonnen,  insofern  sich  zu  den  ehemaligen  politi- 
schen Motiven  noch  konfessionelle  Erwägungen  gesellten,  was  vor  allem 
den  folgenschweren  Übergang  vieler  Reichsstädte  zur  ständischen  Partei 
zur  Folge  hatte  (§62);  anderseits  waren  die  Stände  in  höherem  Maße 
als  ehemals  auf  fremde  Unterstützung  angewiesen,  da  unter  Karl  V. 
die  habsburgisch-kaiserliche  Gewalt  über  viel  größere  Machtmittel 
verfügte  als  zur  Zeit  Maximilians  I.  So  war  denn  der  Anlaß  zu  einer 
Verbindung  zwischen  Frankreich  und  der  ständischen  Opposition  ge- 
geben, und  weder  die  Verfolgung  der  Protestanten  in  Frankreich  noch 
die  Allianz  des  französischen  Königs  mit  den  auch  das  Reich  bedrohen- 
den Osmanen  vermochten  diesen  Beziehungen  Eintrag  zu  tun. 

Der  Schmalkaldische  Bund  (erste  Unterzeichnung  der  Bundes- 
urkunde am  27.  Februar  1531),  in  dem  sich  die  protestantisch-ständische 
Opposition  gegen  die  Habsburger  (besonders  auch  gegen  den  am 
5.  Januar  des  Jahres  trotz  des  kursächsischen  Protestes  zum  römischen 
König  gewählten  Ferdinand)  konstituiert  hatte,  erweiterte  sich  so  all- 
mählich gewissermaßen  zu  einer  europäischen  Liga  gegen  das  Haui> 
Österreich.     Nicht  nur  die   oberdeutschen   Städte  traten   bei,   sondern. 


§  123.     Verbindung  Frankreichs  mit  der  Türkei.  30S 

selbst  das  katholische  Bayern  schloß  wenigstens  mit  den  fürstlichen 
Mitgliedern  des  Bundes  eine  Allianz  ab  (zu  Saalfeld  am  24.  Oktober 
1531);  dazu  kam  dann  noch  eine  Einigung  mit  Dänemark  (Januar 
1532)  und  vor  allem  mit  Frankreich,  das  sich  am  26.  Mai  1532  mit  den 
Kontrahenten  des  Saalfelder  Bundes  verband;  Frankreich  leistete  von 
da  an  regelmäßige  Unterstützung.  Dazu  kamen  noch  Verhandlungen 
mit  England,  und  selbst  der  Papst  verhielt  sich  gegen  die  neue  Grün- 
dung nicht  unbedingt  ablehnend  (s.  u.);  wichtiger  war  aber,  daß  auch 
Johann  Zapolya  dem  Bunde  nahe  trat,  die  Schmalkaldner  sich  also 
gewissermaßen  auch  mit  den  Türken  verbündeten. 

Es  erschien  dies  für  den  Augenblick  um  so  gefährlicher,  als  Su- 
leiman  seine  Absichten  auf  Österreich  infolge  des  vergeblichen  An- 
griffes auf  Wien  keineswegs  aufgegeben  hatte.  Nochmals  nahm  er  im 
Jahre  1532  seinen  Vorstoß  gegen  Wien  auf.  Aber  nicht  nur  versagten 
in  dieser  Lage  die  protestantischen  Stände  dem  Kaiser  ihren  Beistand 
nicht,  sondern  die  Osmanen  wurden  auch  diesmal  wieder  durch  die 
stärkere  Artillerie  ihrer  Gegner  aufgehalten.  Das  Schloß  Güns  (südlich 
von  Ödenburg),  das  den  W'eg  nach  Wien  beherrschte,  hielt  dem  An- 
stürme der  Osmanen  so  lange  stand  (9.  August  bis  27.  September  1532), 
daß  der  Sultan  sich  zum  Rückzuge  entschloß. 

Einen  um  so  schlimmeren  Schlag  erhielt  aber  die  habsburgische 
Macht  infolge  der  neuen  Gegenkoalition  in  Süddeutschland,  das  seit 
langem  eine  ihrer  wichtigsten  Ausdehnungssphären  gebildet  hatte. 
Mit  französischer  Hilfe  wurde  Herzog  Ulrich  von  Württemberg,  der 
im  Jahre  1519  aus  seinem  Lande  vertrieben  worden  war,  von  dem 
Landgrafen  von  Hessen  wieder  in  sein  Land  zurückgeführt  (Mai  1534); 
Frankreich  erhielt  für  seine  Unterstützung  die  württembergische  Graf- 
schaft Mömpelgard.  (Abmachungen  zwischen  Franz  L  und  Landgraf 
Phihpp  von  Hessen  zu  Bar-le-Duo  im  Januar  1534.)  Für  die  habsbur- 
gische Stellung  in  Süddeutschland  kam  dieser  Vorgang  einer  eigent- 
lichen Katastrophe  gleich.  Nicht  nur  war  ihre  Herrschaft  über  Württem- 
berg beseitigt,  sondern  es  war  ihren  Gegnern  gleichzeitig  auch  ge- 
lungen, den  Schwäbischen  Bund,  die  stärkste  Stütze  der  habsbur- 
gischen  Macht  in  Oberdeutschland  (§  62)  zu  sprengen  (Dezember  1533 
Januar  1534). 

Hand  in  Hand  damit  ging  die  Anbahnung  guter  Beziehungen  der 
antihabsburgischen  Koalition  zu  dem  Papste.  —  Seitdem  die  Ver- 
bindung Frankreichs  mit  der  antimediceischen  florentinischen  Re- 
publik durch  die  Aufrichtung  der  mediceischen  Herrschaft  über  die 
Stadt  aufgehört  hatte,  bestand  für  den  Papst  der  Grund  nicht  mehr, 
der  ihn  auf  Grund  seiner  Familieninteressen  seinerzeit  die  Partei  des 
Kaisers  hatte  ergreifen  lassen  (§  122).  Der  Gedanke,  sich  zum  Schutze 
gegen  die  habsburgische  Vorherrschaft  über  Italien  mit  den  Gegnern 
des  Kaisers  zusammenzuschließen,  wurde  an  der  Kurie  wieder  in  ernst- 
liche Erwägung  gezogen;  ihren  Ausdruck  fand  diese  neue  Pohtik  in 
der  ehelichen  Verbindung,   die   zwischen  der   Großnichte  des   Papstes. 


304  Die  letzten  Kämpfe  um  Italien. 

Klemens  VII.,  Katharina  von  Medici,  und  dem  zweiten  Sohne  des 
französischen  Königs,  dem  Herzog  von  Orleans  (dem  späteren  König 
Heinrich  II.),  am  27.  Oktober  1533  geschlossen  wurde. 

Für  die  Folgezeit  vielleicht  noch  bedeutungsvoller  erwies  sich 
aber,  daß  die  türkische  Regierung,  nachdem  ihre  Angriffspläne  auf 
die  österreichischen  Gebiete  zu  Lande  gescheitert  waren,  den  Kampf 
auf  das  Meer  verlegte ;  dadurch  wurde  Gelegenheit  gegeben,  daß  Frank- 
reich nun  auch  für  die  ihm  durch  den  Abfall  Andrea  Dorias  (§  121) 
genuesische  Seemacht  Ersatz  finden  konnte.  —  Schon  dem  Vormarsche 
gegen  Wien  im  Jahre  1532  waren  Diversionen  zur  See  zur  Seite  ge- 
gangen; die  kaiserhche  Flotte  unter  Doria  hatte  damals  aber  die  tür- 
kischen Galeeren  noch  in  den  griechischen  Gewässern  zurückhalten 
und  sogar  einige  feste  Plätze  auf  Morea  und  in  Achaia  (auf  kurze  Zeit) 
besetzen  können.  Gerade  dieser  erfolglose  Vorstoß  hatte  aber  zu  einer 
Reorganisation  der  osmanischen  Marine  geführt.  Der  beste  Seemann, 
den  die  Türken  auftreiben  konnten,  der  Herrscher  des  algerischen 
Piratenstaates,  Chair-eddin  Barbarossa,  wurde  zum  Kapitän-Pascha 
der  türkischen  Flotte  ernannt  (Mai  1533)  und  schuf  sich  zugleich  eine 
noch  festere  Position  im  Mittelmeer,  indem  er  zu  Algier  auch  Tunis 
hinzueroberte  (August  1534).  Der  neue  Pascha  erwies  sich  bald  als 
ein  außerordentlich  nützliches  Werkzeug  der  türkischen  Kriegführung, 
und  die  süditalienischen  Besitzungen  des  Kaisers  wurden  durch  seine 
Korsarenraids  aufs  schwerste  geschädigt.  Die  Basis  zu  einem  Marine- 
abkommen zwischen  Frankreich  und  der  Türkei  war  damit  gegeben. 
Die  französische  Regierung,  die  noch  im  Jahre  1532  an  eine  Expedition 
gegen  die  Osmanen  und  Barbarossa  gedacht  hatte,  schloß  im  Mai  1534 
einen  Vertrag  mit  dem  Korsarenfürsten,  und  der  osmanischen  Re- 
gierung schlug  sie  den  Abschluß  eines  Offensivbündnisses  gegen  Genua 
und  Süditalien  vor. 

Bevor  solche  Pläne  zur  Ausführung  kamen,  griff  allerdings  der 
Kaiser  mit  einem  Gegenschlage  ein.  Die  kürzlich  erfolgte  Ausdehnung 
des  Machtgebietes  Barbarossas  in  Afrika  und  die  Bedrohung  der  spa- 
nischen Küsten  nötigten  ihn,  die  zugunsten  habsburgischer  Haus- 
interessen zurückgesetzte  ehemalige  spanische  Politik  gegen  Nordafrika 
wieder  aufzunehmen  (vgl.  §  45).  Der  kaiserliche  Angriff  richtete  sich 
gegen  die  neue  Eroberung  des  Korsarenfürsten.  Die  vereinigte  christ- 
liche Flotte  (hauptsächlich  genuesische  und  kaiserliche  Galeeren)  traf 
am  16.  Juni  1535  vor  Goletta,  dem  Hafenschloß  von  Tunis,  ein.  Das 
Schloß  und  Arsenal  wurde  ohne  große  Mühe  genommen  und  die  dort 
liegende  Flotte  Barbarossas  erbeutet.  Auch  die  Hauptstadt  Tunis  fiel 
darauf;  die  deutschen  und  spanischen  Söldner,  die  der  persönüch  kom- 
mandierende Kaiser  mitgenommen  hatte,  erwiesen  sich  den  ein- 
heimischen Truppen  ebenso  überlegen  wie  die  Artillerie  des  christlichen 
Heeres  der  ihrer  Gegner  (Juli  1535). 

Aber  ein  wirklich  entscheidender  Schlag  war  damit  gegen  die 
Piratenfürsten  nicht  geführt  worden.    Wenn  schon  die  Spanier  Goletta 


§  I2:s.     Verbindung  Frankreichs   mit  der  Türliei.  305 

behielten  und  Tunis  dem  von  Barbarossa  vertriebenen  einheimischen 
Herrscher  Muley  Hassan  wieder  zurückerstatteten,  so  blieben  doch 
Algier  und  Mehedia  (damals  »Afrika«  genannt)  im  Besitz  des  Kapitän- 
Paschas,  und  seine  Macht  war  nur  geschwächt,  nicht  aber  vernichtet. 
Die  wichtigste  praktische  Folge  der  Expedition  war  so  vielleicht  für 
den  Kaiser  sogar  ungünstig:  von  da  an  stießen  nämlich  die  Versuche 
Frankreichs,  sich  mit  der  Türkei  zu  verbinden,  auf  osmanischer  Seite 
allem  Anschein  nach  auf  größeres  Entgegenkommen. 

Wie  dem  nun  auch  sein  mag,  jedenfalls  kam  es  im  nächsten  Jahre 
(Februar  1536)  zum  ersten  Male  zu  einem  eigentlichen  Bundesvertrage 
zwischen  Frankreich  und  der  Türkei.  Formell  wurde  zwar  nur  ein 
Handelsvertrag  geschlossen  —  Frankreich  wollte,  wie  es  scheint,  vor 
allem  mit  Rücksicht  auf  die  verbündeten  deutschen  Fürsten  nicht 
weiter  gehen  (vgl.  Bourrilly  in  der  »Revue  historiqiie«  113  [1^13],  281)  — , 
aber  in  Wirklichkeit  wurde  eine  Offensivallianz  gegen  die  habsburgische 
Macht  vereinbart.  Frankreich  erhielt  dadurch  von  neuem  eine  Marine 
im  Mittelmeer;  die  Osmanen  bekamen  dafür  die  Stützpunkte  der  fran- 
zösischen Küste  für  ihre  Flotte  eingeräumt.  Der  Verlust  Genuas  war 
für  die  Franzosen,  der  von  Tunis  für  die  Türken  zu  einem  guten  Teile 
ausgeglichen. 

In  dieser  Liste  von  Aktionen,  die  die  französische  Macht  der  habs- 
burgischen  gleichwertig  machen  sollten,  ist  schließlich  noch  eine  inner- 
politische Maßregel  zu  erwähnen.  Die  letzten  kriegerischen  Ereignisse 
hatten  einerseits  gezeigt,  daß  die  schweizerischen  Infanteristen  ihren 
deutschen  und  spanischen  Konkurrenten  nicht  mehr  unbedingt  ge- 
wachsen waren ;  anderseits  erschien  die  Abhängigkeit  von  ausländischem 
Zuzug  überhaupt  bedenklicher  als  früher,  weil  die  Gegner  nun  über 
einheimische  Söldner  verfügten.  Dies  gab  wohl  den  Anstoß,  daß  die 
französische  Regierung  durch  die  Ordonnanz  vom  24.  Juli  1534  eine 
eigene  starke  Infanterie  (sieben  »Legionen«  zu  6000  Mann)  zu  schaffen 
suchte,  in  denen  nicht  zum  mindesten  die  bisher  immer  noch  vorzugs- 
weise als  Reisige  dienenden  Adligen  des  Landes  verwendet  werden 
sollten.  Doch  war  diese  Gründung  für  den  Augenblick  jedenfalls  von 
geringer  Bedeutung;  die  »Legionäre«  haben  sich  weder  in  den  im- 
mittelbar  folgenden  Kriegen  irgendwie  ausgezeichnet,  noch  hat  Frank- 
reich der  Anwerbung  schweizerischer  und  deutscher  Söldner  entraten 
können. 

Literatur.  Es  fehlt  noch  an  einer  Geschichte  der  französischen  Diplomatie, 
und  in  den  Geschichten  Karls  V.  treten  die  hier  behandelten  Verhältnisse,  wie  be- 
greiflich, zurück,  so  daß  auch  für  diesen  Paragraphen  keine  zusammenfassende 
wissenschaftliche  Monographie  angeführt  werden  kann.  Es  sei  deshalb  nur  darauf 
aufmerksam  gemacht,  daß  mit  diesem  Zeitpunkte  entsprechend  den  im  Texte  ge- 
machten Bemerkungen  zu  den  habsburgischen,  englischen,  venezianischen  usw. 
Korrespondenzen  nun  zum  ersten  Male  auch  französische  Gesandtschaftsrapporte 
treten  (die  erste  Legation  ist  wohl  die  von  Jean  du  Bellay,  1527  —  1529,  ed.  Bourrilly 
und  Vaissiöre,  1905);  vgl.  darüber  die  Notiz  am  Schlüsse  der  Vorbemerkung.  Mit 
dem  Jahre  1533  beginnen  dann  auch  die  Nuntiaturberichte  aus  Deutschland  (der 
Fueter,  Europ.  Staatensystera."]  20 


306  Die  letzten   Kämpfe  um  Italien. 

erste  Band  ed.  Friedensburg,  1892),  die  aber  natürlich  für  das  hier  behandelte  Thema 
weniger  aufschlußreich  sind  als  die  Akten  der  Großstaaten.  —  Ludwig  Gardauns, 
»Paul  III.,  Karl  V.  und  Franz  I.  in  den  Jahren  1535  und  1536#  in  den  »Quellen- 
und  Forschungen  aus  italienischen  Archiven«  XI  (1908),  147  ff. 

Für  die  Kämpfe  mit  den  Osmanen  L.  Kupelwieser,  »Die  Kämpfe  Österreichs 
mit  den  Osmanen  vom  Jahre  1526—1537«,  1899.  Siehe  auch  A.  Westermann,  »Die 
Türkenhilfe  und  die  politisch-kirchlichen  Parteien  auf  dem  Reichstag  zu  Regens- 
burg 1532«,  1910. 

Alfred  Keller,  »Die  Wiedereinsetzung  des  Herzogs  Ulrich  von  Württemberg« 
(Marburger  Dissertation,  1912). 

Über  Frankreich  und  die  Türkei  J.  Ursu,  )>La  Politique  Orientale  de  Frangois  /«''«, 
1908;  vgl.  dazuV.-L.Bourrilly  in  der  )>Revue  historique«  113  (1913),  64ff.  und  268 ff., 
und  ibid.  1901.     Dann  oben  die  §§23,  36  und  99. 

§  124.  Der  neue  Krieg  zwischen  Frankreich  und  den  Habsburgern; 
die  Eroberung  Piemonts  dnrch  Frankreich  (1536 — 1539).  Der  Vertrag 
mit  der  Türkei  hatte  die  Rüstungen,  die  Frankreich  unternommen 
hatte,  um  den  Vertrag  von  Cambrai  (§  122)  zu  seinen  Gunsten  rück- 
gängig zu  machen,  in  der  Hauptsache  zum  Abschluß  gebracht.  Wenn 
der  Krieg  sich  aber  sofort  daran  anreihte,  so  war  dies  außerdem  noch 
dem  Umstände  zu  verdanken,  daß  zu  derselben  Zeit  (1.  November 
1535)  das  Herzogtum  Mailand  durch  den  Tod  Francesco  Sforzas  for- 
mell erledigt  wurde. 

Frankreich  hatte  seine  Ansprüche  auf  Mailand,  Asti  und  Genua 
trotz  des  Friedens  von  Cambrai  nie  fallen  lassen;  solange  sich  das 
Herzogtum  aber  noch  im  Besitze  der  einheimischen  Dynastie  befand, 
konnte  die  faktische  habsburgische  Oberherrschaft  noch  als  Provisorium 
aufgefaßt  werden.  Nachdem  aber  der  letzte  Sforza  ohne  legitime  Erben 
dahingeschieden  war,  stand  die  definitive  Regelung  der  Angelegenheit 
in  Frage.  Frankreich  verlangte,  daß  der  zweite  Sohn  König  Franz' 
in  das  Herzogtum  eingesetzt  werde;  da  der  Kaiser  darauf  nicht  ein- 
ging, eröffnete  es  den  Krieg. 

Die  französische  Kriegführung  war  aber  vorsichtiger  geworden  als 
ehedem.  Sie  vermied  es,  ihre  schwächere  Infanterie  von  neuem  der 
Eventualität  einer  Schlacht  von  Pavia  auszusetzen,  und  begnügte  sich 
fürs  erste,  die  Verbindung  mit  Mailand  sicherzustellen,  d.  h.  sie  be- 
schränkte sich  zunächst  auf  die  Eroberung  Savoyens. 

Die  savoyische  Regierung,  außerstand,  selbständig  in  den  Kampf 
der  Großmächte  einzugreifen  (§  95),  hatte  den  italienischen  Expedi- 
tionen der  Franzosen  nie  ein  Hindernis  bereitet,  solange  Frankreich 
die  Oberhand  besaß;  Frankreich  dagegen  hatte  damals  mit  Rücksicht 
auf  die  Eidgenossen  auch  von  seiner  Seite  nicht  gewagt,  seine  Hand 
auf  das  Herzogtum  zu  legen.  Nun  hatten  sich  die  Verhältnisse  ge- 
ändert: Savoyen  hatte  sich  den  Habsburgern  als  der  stärkeren  Macht 
angeschlossen,  und  dazu  zeigte  sich  für  Frankreich  die  Möglichkeit, 
mit  dem  eidgenössischen  Orte,  der  an  Savoyen  besonders  interessiert 
war,  gemeinsam  zu  operieren. 

Auf  dieser  Grundlage  vollzog  sich  der  neue  Feldzug,  der  also  zu- 
nächst noch  nicht  direkt  gegen  den  Kaiser  gerichtet  war.   Es  war  natür- 


§  124.    Die  Eroberung  Piemonts  durch  Frankreich.  307 

lieh,  daß  er  sich  rasch  und  ohne  Schwierigkeiten  abwickelte,  da  den 
Franzosen  eine  vernichtende  Übermacht  zur  Disposition  stand.  Im 
Verein  mit  Bern,  das  die  savoyische  Waadt  eroberte  (Januar  1536)  und 
dadurch  zugleich  das  hugenottische  Genf  vor  eventuellen  Absichten 
Frankreichs  schützte,  rückten  die  Franzosen  gegen  Savoyen  vor  (März 
1536).  Ganz  Piemont  wurde  von  ihnen  besetzt;  der  Herzog  Karl  III.  (ein 
Schwager  des  Kaisers),  der  aus  Turin  hatte  flüchten  müssen,  wurde  für 
abgesetzt  erklärt,  König  Franz,  der  seit  dem  Tode  seiner  Mutter  Luise 
von  Savoyen  (22.  September  1531)  Erbansprüche  auf  das  Land  zu 
haben  behauptete,  nahm  das  Herzogtum  mit  Ausnahme  der  von  den 
Bernern  besetzten  Gebiete  und  der  Stadt  Genf  in  seinen  Besitz. 

Obwohl  die  Franzosen  mailändisches  Gebiet  nicht  betraten,  wurde 
ihre  Okkupation  des  Piemont  von  dem  habsburgischen  Kaiser  doch, 
wie  natürlich,  als  die  erste  Etappe  eines  Vorstoßes  gegen  Mailand  be- 
trachtet, und  der  Kaiser  antwortete  mit  einer  Kriegserklärung  (er 
richtete  zum  zweiten  Male  eine  persönliche  Herausforderung  an  den 
französischen  König  [17.  April  1536];  das  erstemal  war  ein  solches 
Kartell  erfolgt,  als  Franz  sein  in  Madrid  gegebenes  Wort  nicht  ge- 
halten hatte,  vgl.  Baumgarten,  »Karl  V.«  II,  641).  Aber  die  Franzosen 
ließen  sich  trotzdem  vorerst  nicht  zu  einem  Vorstoße  in  das  Mailändische 
verlocken,  und  sie  befestigten  dafür  Piemont  so  ausgezeichnet,  daß  die 
Kaiserlichen  nicht  daran  denken  konnten,  sie  von  dort  zu  vertreiben 
(das  Land  blieb  nun  für  23  Jahre  in  französischem  Besitz).  Der  habä- 
burgische  Angriff  erfolgte  vielmehr  direkt  gegen  Frankreich;  es  lag  für 
die  kaiserliche  Partei  um  so  näher,  zu  diesem  Verfahren  zu  greifen, 
als  die  genuesische  Flotte,  die  zum  Teil  den  unglücklichen  Ausgang 
der  Expedition  des  Jahres  1524  verschuldet  hatte  (vgl.  §§  119  u/121), 
diesmal  auf  ihrer  Seite  focht. 

Aber  die  Franzosen  schlugen  in  der  Provence,  die  nun  das  erste 
Objekt  des  kaiserlichen  Angriffes  war,  dieselbe  Taktik  ein,  wie  in  Pie- 
mont; man  kann  sagen,  sie  gingen  so  vor,  wie  es  für  einen  Staat  natür- 
lich war,  der  seinem  Gegner  infolge  seiner  inferioren  Infanterie  im 
offenen  Felde  nicht  gewachsen,  im  Belagerungskrieg  dagegen  durch 
seine  artilleristische  und  fortifikatorische  Superiorität  überlegen  war. 
Der  französische  General  Montmorency  opferte  mit  Ausnahme  der 
beiden  Städte  Marseille  und  Arles  die  Provence  und  nahm  seine  Truppen 
in  zwei  stark  befestigte  Lager  bei  Avignon  und  Valence  zurück;  jeder 
Angriff  auf  die  Kaiserlichen  wurde  vermieden.  Unter  diesen  Um- 
ständen hätte  Kaiser  Karl  V.,  der  persönlich  an  dem  Feldzuge  teil- 
nahm, auf  einen  Erfolg  nur  hoffen  können,  wenn  er  über  die  stärkere 
Artillerie  verfügt  hätte ;  da  dies  aber  nicht  der  Fall  war  und  er  nach  einer 
Besichtigung  Marseilles  die  Stadt  geradezu  für  »uneinnehmbar«  er- 
klären mußte  (Salinas,  »Carlas«,  p.  773  f.),  war  das  Schicksal  der  Unter- 
nehmung besiegelt.  In  dem  kaiserlichen  Heere,  das  in  dem  teilweise 
von  Lebensmitteln  und  Bewohnern  entblößten  Lande  kampieren  mußte, 
brach  die  Dysenterie  aus,  und  so  mußte  bereits  am  13.  September  1536 

20* 


808  Die  letzten    Kämpfe  um   Italien. 

der  Rückzug  angetreten  werden  (die  französische  Grenze  war  bei  dem 
Hinmarsch  am  25.  Juli  überschritten  worden). 

Dieser  Mißerfolg  des  Kaisers  war  um  so  bedenklicher,  als  der 
gleichzeitig  unternommene  Vorstoß  gegen  Frankreich  im  Norden  einen 
nicht  minder  unglücklichen  Ausgang  nahm.  Auch  dort  scheiterte  der 
kaiserliche  Angriff  an  der  überlegenen  Technik  der  französischen  Be- 
festigungsanlagen. Weder  Saint- Quentin  noch  Peronne  konnten  von 
dem  Generale  des  Kaisers,  dem  Grafen  Nassau,  genommen  werden, 
und  beinahe  an  demselben  Tage  wie  im  Süden  mußten  auch  im  Norden 
die  kaiserlichen  Truppen  den  Rückzug  antreten  und  Frankreich  räumen 
(am  8.  September  1536). 

Die  Lage  hatte  sich  nun  so  weit  geändert,  daß  die  Franzosen  wieder 
die  Offensive  aufnehmen  konnten.  Einen  größeren  Erfolg  vermochten 
freilich  ihre  Anstrengungen  aus  den  angegebenen  Gründen  ebensowenig 
zu  erzielen  wie  die  Angriffe  des  Kaisers.  Die  französische  Regierung 
ging  zwar  nun  so  weit,  den  Vertrag  von  Cambrai,  soweit  er  sich  auf 
Flandern,  Artois  und  Charolais  bezog,  für  ungültig  zu  erklären,  in- 
dem sie  am  15.  Januar  1537  diese  Lehen  des  Kaisers  wegen  Felonie 
konfiszierte.  Aber  die  militärischen  Operationen,  die  infolge  davon 
unternommen  wurden,  zeitigten  keinen  anderen  Erfolg  als  die  Ein- 
nahme von  Hesdin  (13.  April  1537).  Ebenso  gelang  es  zwar,  das  einen 
Augenblick  bis  auf  einige  feste  Plätze  verloren  gegangene  Piemont 
wieder  zurückzuerobern  (Oktober/November  1537);  aber  ein  Fortschritt 
wurde  auch  nach  dieser  Richtung  hin  nicht  erzielt.  An  beiden  Fronten 
mußten  die  Kämpfe  infolge  von  Waffenstillständen  eingestellt  werden: 
im  Norden  wurde  am  30.  Juli  1537  zu  Bomy  bei  Therouanne  zwischen 
den  Niederlanden  und  Frankreich  ein  Waffenstillstand  auf  zehn  Monate 
geschlossen,  für  Südfrankreich  und  Italien  wurde  am  16.  November 
desselben  Jahres  zu  Monzon  in  Aragon  ein  Waffenstillstand  auf  drei 
Monate  vereinbart. 

Selbst  die  Türken,  die  nun  zum  ersten  Male  mit  den  Franzosen 
gemeinsam  operierten,  vermochten  die  französische  Sache  nicht  wesent- 
lich zu  fördern.  Sie  unternahmen  zwar  Streifzüge  gegen  das  Neapoli- 
tanische, und  Katzianer,  der  General  König  Ferdinands,  der  die  slo- 
wenische Grenze  schützen  sollte,  wurde  bei  Essek  von  den  Osmanen 
vernichtend  geschlagen.  Aber  gerade  diese  Erfolge  der  Türken 
machten  die  christlichen  Staaten  im  Osten  geneigt,  sich  den  Fran- 
zosen gegenüber  wieder  mehr  auf  die  habsburgische  Seite  zu  stellen. 
Der  Papst  (Paul  IIL)  und  die  Venezianer,  die  ebenfalls  durch  die  letzten 
Raids  der  Flotte  Barbarossas  geschädigt  worden  waren,  näherten  sich 
dem  Kaiser,  und  vor  allem  war  nun  sogar  der  Vasall  der  Osmanen,  der 
Woiwode  Zapolya  (vgl.  §  123),  zu  einer  Verständigung  mit  dem  Hause 
Österreich  bereit.  Am  24.  Februar  1538  schloß  er  mit  dem  habsbur- 
gischen  Brüderpaar  einen  Vertrag  ab,  worin  er  gegen  Anerkennung 
seines    Königstitels   sowie    Waffenhilfe   gegen   die   Türken   darein   ein- 


§  124.    Die  Eroberung  PierrKmts   durch  Frankreich.  309 

willigte,   daß  nach  seinem  Tode   das   gesamte    Königreich   Ungarn   an 
König  Ferdinand  fallen  sollte  (Friede  von  Großwardein), 

Dies  alles  brachte  zusammen  mit  der  Weigerung  der  deutschen 
protestantischen  Stände,  sich  mit  König  Franz  gegen  den  Kaiser  zu 
verbinden  (Dezember  1535),  ein  Gleichgewicht  der  Kräfte  zustande, 
das  keine  Partei  von  einer  Fortsetzung  des  Krieges  größeren  Gewinn 
hoffen  ließ.  Die  Grundlage  zu  einer  Einstellung  der  Feindseligkeiten 
war  damit  gegeben,  und  durch  Vermittelung  des  Papstes  kam  denn 
auch  eine  Vereinbarung  zustande.  Die  beiderseitigen  Ansprüche  standen 
sich  allerdings  noch  zu  schroff  gegenüber,  als  daß  ein  Friede,  d.  h.  ein 
definitiver  Verzicht  auf  alle  im  Besitz  der  gegnerischen  Partei  befind- 
lichen Gebiete  (von  denen  hauptsächlich  Mailand  einer-,  Piemont 
anderseits  genannt  seien),  hätte  erlangt  werden  können.  Aber  es  wurde 
an  der  Zusammenkunft,  die  in  Nizza  zwischen  Kaiser  Karl  V.  und 
König  Franz  I.  stattfand,  doch  wenigstens  erreicht,  daß  auf  die  Dauer 
von  zehn  Jahren  ein  Waffenstillstand  geschlossen  wurde  (18.  Juni  1538). 
Der  Status  quo  wurde  für  so  lange  anerkannt  (also  auch  die  Besetzung 
des  größten  Teiles  Piemonts  durch  die  Franzosen),  und  so  proviso- 
rischen Charakter  auch  die  Form  des  Vertrages  hatte,  so  war  doch  zu 
hoffen,  daß  sich  auf  seiner  Grundlage  die  Verhältnisse  in  Italien  dauernd 
regeln  ließen.  Diese  Annahme  wurde  noch  dadurch  bestätigt,  daß  kurz 
darauf  (14.  bis  17.  Juli  1538)  die  beiden  Monarchen,  die  in  Nizza  nur 
indirekt  miteinander  verkehrt  hatten,  in  Aigues-Mortes  zu  einer  freund- 
schaftHchen  Entrevue  zusammentraten.  Ja,  die  habsburgische  Partei 
ging  sogar  noch  weiter.  In  der  Deklaration  von  Toledo  (1.  Februar 
1539)  versprach  Kaiser  Karl  V.  für  die  Vermählung  entweder  seiner 
Tochter  oder  seiner  Nichte  mit  dem  Herzog  von  Orleans  einzutreten 
und  dann  über  das  Herzogtum  Mailand  »in  Berücksichtigung  dieser 
Heirat  zu  verfügen«.  Es  wurde  also  der  französischen  Regierung  in 
Aussicht  gestellt,  daß  der  mailändische  Konflikt  durch  die  Errichtung 
einer  französischen  Sekundogenitur  in  Oberitalien  gelöst  werden  könnte. 

Literatur.  L.  Cardauns  »Zur  Geschichte  Karls  V.  in  den  Jahren  1536 — 
1538«  in  den  »Quellen  und  Forschungen  aus  italienischen  Archiven«  XII  (1909), 
189  ff. 

§  125.  Die  letzten  Kämpfe  Franz'  I.;  der  englisch-französische  Kon- 
flikt (1539 — 1544).  Der  Vertrag  von  Nizza  bewirkte  zwar,  daß  die  Feind- 
sehgkeiten  zwischen  Frankreich  und  den  Habsburgern  für  einige  Jahre 
unterbrochen  wurden;  die  internationale  Lage  blieb  aber  unklar,  und 
es  kam  weder  zu  einem  wirklich  freundschaftlichen  Verhältnisse  noch 
zu  einer  eigentlichen  Neugruppierung  der  Mächte.  Ein  Ziel  der  fran- 
zösischen Politik  läßt  sich  allerdings  deutlich  erkennen.  Frankreich 
versuchte  seine  alten  Aspirationen  auf  Mailand  in  der  Weise  zu  ver- 
wirklichen, daß  es  der  habsburgischen  Macht  Konzessionen  anderer 
Art  machte;  die  Rechnung  war  offenbar,  den  Gegner  auf  friedlichem 
Wege  zur  Überlassung  des  Herzogtums  zu  bewegen,  da  die  Kräfte- 
verhältnisse eine  Eroberung  unwahrscheinlich  machten.    Weniger  sicher 


310  Die  letzten  Kämpfe  um  Italien. 

ist  aber  schon,  wieweit  man  mit  dieser  Absicht  die  feindsehge  Hal- 
tung gegen  England  zusammenbringen  darf,  die  sich  in  der  erst  jetzt 
eigentlich  gepflogenen  Verbindung  mit  Schottland  zeigt;  man  könnte, 
um  einen  Zusammenhang  zwischen  beiden  Erscheinungen  wahrscheinlich 
zu  machen,  bloß  darauf  hinweisen,  daß  damals  (1539)  eine  Kombination 
zwischen  dem  König  von  England  und  den  oppositionellen  deutschen 
Ständen  (den  Schmalkaldnern)  in  der  Bildung  begriffen  schien:  auch 
in  der  Gegnerschaft  gegen  König  Heinrich  VIII.  arbeitete  also  König 
Franz  I.  gewissermaßen  als  Bundesgenosse  des  habsburgischen  Kaisers. 
Aber  alles  dies  führte  bei  Frankreich  nicht  dazu,  daß  seine  Verbin- 
dungen mit  den  Feinden  der  Habsburger,  vor  allem  den  Osmanen, 
wirklich  gelöst  wurden,  und  so  blieb  die  Situation  widerspruchsvoll, 
und  bereits  nach  drei  Jahren  kam  es  von  neuem  zum  Kriege  zwischen 
den  beiden  Großmächten,  allerdings  erst,  nachdem  die  habsburgische 
Regierung  die  Erwartungen,  die  der  französische  König  an  sein  Ent- 
gegenkommen geknüpft  hatte,  nicht  erfüllt  hatte. 

Die  Konzessionen,  die  Frankreich  den  Habsburgern  machte,  be- 
standen vor  allem  in  folgendem.  —  Dem  Aufstande  der  Stadt  Gent 
gegen  Karl  V.  (August  1539)  leistete  die  französische  Regierung,  ob- 
wohl darum  ersucht  und  obwohl  die  Revolte,  wenn  erfolgreich,  auch 
den  Rest  der  Niederlande  hätte  affizieren  können,  nicht  nur  keine 
Hilfe,  sondern  sie  gewährte  dem  damals  in  Spanien  weilenden  Kaiser 
sogar  freien  Durchpaß  durch  Frankreich  (November  1539  bis  Januar 
1540),  so  daß  die  Erhebung  mühelos  niedergeschlagen  wurde  (Februar 
1540).  Ebenso  wichtig  war,  daß  die  Franzosen  zwar  ihr  Bündnis  mit 
der  Türkei  (§  123)  nicht  aufgaben,  sich  immerhin  aber  jeder  Kooperation 
mit  den  Osmanen  gegen  das  Haus  Österrreich  enthielten.  So  nahmen 
an  der  Seeschlacht  bei  Prevesa  oder  Arta  (27.  September  1538),  die 
von  der  vereinigten  genuesisch-venezianischen  Flotte  allem  Anschein 
nach  infolge  mangefhaften  Zusammenarbeitens  der  rivaUsierenden  See- 
mächte gegen  Barbarossa  verloren  wurde,  französische  Schiffe  nicht 
teil»  Auch  wurde  der  bald  darauf  einsetzende  mächtige  türkische 
Vorstoß  zu  Lande  von  den  Franzosen  nicht  gefördert. 

Damals  holten  nämlich  die  Osmanen  zu  einem  neuen  Schlage  gegen 
die  österreichischen  Pläne  auf  Ungarn  aus.  König  Johann  Zapolya, 
der  sich  im  Jahre  1538  mit  König  Ferdinand  verständigt  hatte  (§  124), 
war  am  21.  Juli  1540  mit  Hinterlassung  eines  Sohnes  gestorben.  Nach 
dem  Erb  vertrage  hätte  Ungarn  dem  habsburgischen  Herrscher  zufallen 
sollen ;  ein  Teil  der  Magnaten  erkannte  das  Abkommen  aber  nicht  an 
und  suchte  Unterstützung  bei  dem  Sultan.  Suleiman  nützte  dieses 
Hilfegesuch  in  der  Weise  aus,  daß  er  Ofen  für  sich  besetzte  (26.  August 
1541),  Ungarn  zur  türkischen  Provinz  machte  und  der  Witwe  und  dem 
Sohne  Zapolyas  nur  Siebenbürgen  und  das  Land  jenseits  der  Theiß 
als  türkisches  Sandschakat  überließ.  Nicht  nur  war  also  Ungarn  zum 
größten  Teile  den  Habsburgern  auf  lange  hinaus  verloren  gegangen, 
sondern    auch    die   Gefahr    für    die  übrigen   Besitzungen    des    Hauses 


§  125.    Der  englisch-französische  Konflikt.  311 

'Österreich  war  durch  die  Festsetzung  der  Türken  in  Ofen  vergrößert 
worden.  Dazu  kam,  daß  ein  Unternehmen  des  Kaisers  gegen  die 
Barbaresken  im  Gegensatz  zu  der  Expedition  gegen  Tunis  (§  123)  ganz 
unglücklich  ausfiel.  Gegen  den  Rat  erfahrener  Seeleute  versuchte 
der  Kaiser  nämlich  im  Oktober  1541,  also  zu  einer  ungünstigen  Jahres- 
zeit, Algier  anzugreifen;  seine  Flotte  wurde  durch  einen  Sturm  ausein- 
ander getrieben,  die  gelandete  Armee  vom  Feinde  vernichtet. 

Die  Hoffnungen,  die  die  französische  Regierung  an  dieses  ihr 
Entgegenkommen  knüpfte,  gingen  aber  nicht  in  Erfüllung.  Hatte 
Karl  V.  zunächst  über  das  künftige  Schicksal  Mailands  noch  Unklar- 
heit gelassen,  so  daß  die  Möglichkeit  eines  Übergangs  in  französische 
Hände  nicht  ausgeschlossen  schien,  so  wurde  zwei  Jahre  nach  dem 
Waffenstillstand  von  Nizza  das  Herzogtum  dadurch  definitiv  für  die 
Habsburger  in  Anspruch  genommen,  daß  der  Kaiser  seinen  Sohn  Phihpp 
mit  Mailand  belehnte  (11.  Oktober  1540).  Damit  war  gegenüber  Frank- 
reich gewissermaßen  erklärt  worden,  daß  ohne  einen  neuen  Krieg  das 
Herzogtum  einem  französischen  Prinzen  nicht  ausgeliefert  werden  würde. 

Den  letzten  Anstoß  zu  dem  Kriege  gab  aber  eine  Verletzung  des 
Völkerrechtes  von  seiten  der  kaiserlichen  Regierung.  Zwei  französische 
diplomatische  Agenten,  von  denen  einer  namens  Antonio  Rincon,  ein 
Spanier,  s.  Z.  (1521)  aus  kaiserhchen  in  französische  Dienste  überge- 
treten war,  wurden  auf  der  Reise  nach  Konstantinopel  im  Mailändi- 
schen von  Leuten  des  kaiserlichen  Gouverneurs,  des  Marchese  del  Vasto, 
ermordet  (3.  Juli  1541).  Da  Frankreich  die  Erklärungen  der  habs- 
burgischen  Regierung  als  ungenügend  bezeichnete,  brach  von  neuem 
der  Krieg  aus.  (Die  offizielle  Kriegserklärung  Frankreichs  am  12.  Juli 
1542). 

Das  Verhältnis  der  militärischen  Kräfte  war  nicht  ganz  das- 
selbe wie  in  dem  letzten  Kriege.  Frankreich  vermochte  einerseits 
jetzt  zum  ersten  Male  wirklichen  Vorteil  aus  dem  Bündnisse  mit  der 
Türkei  zu  ziehen,  insofern  es  im  Mittelländischen  Meere  dank  der  Bar- 
bareskenflotte  über  eine  starke  Marine  verfügte;  anderseits  war  die 
Lage  der  Franzosen  an  der  Nordfront  viel  ungünstiger  als  vor  1538, 
weil  sie  außer  mit  den  Kaiserlichen  auch  noch  mit  den  Engländern 
zu  tun  hatten-  Die  Allianz  mit  Schottland,  die  aus  der  Feindschaft 
des  englischen  Königs  entsprungen  war,  vermochte  der  geringen  militä- 
rischen Leistungsfähigkeit  des  nördlichen  Bundesgenossen  wegen  (§  100) 
diesen  Nachteil  nicht  aufzuheben,  d.  h.  die  Diversion,  die  ein  schotti- 
scher Angriff  auf  England  hervorbringen  konnte,  war  nicht  imstande, 
die  englische  Kriegführung  gegen  Frankreich  in  entscheidendem  Maße 
zu  affizieren.  Noch  weniger  hatten  die  Verträge  zu  bedeuten,  die  Frank- 
reich damals  (19.  November  1541  und  1.  Juli  1542)  mit  Dänemark  und 
Schweden  einging. 

Diese  Verteilung  der  Kräfte  hatte  nun  auch  zur  Folge,  daß  viel 
stärker  als  in  irgendeinem  früheren  Kriege  das  Hauptgewicht  der  Ope- 
rationen  auf  den  nördlichen  Kriegsschauplatz  (Niederlande  und  Eng- 


312  Die  letzten  Kämpfe  um  Italien. 

land)  verlegt  wurde;  die  antifranzösische  Koalition  hatte  ja,  seitdem 
Frankreich  die  Barbaresken  gewonnen  hatte,  dort  eine  günstigere 
Position  als  im  Süden. 

Die  Aktionen  im  Norden  schlugen  denn  nun  auch  sämtlich  zugunsten 
der  Gegner  Frankreichs  aus  —  bloß  daß  auch  diesmal  die  überlegene 
Fortifikationstechnik  der  Franzosen  die  habsburgische  Partei  an  einer 
vollen  Ausnutzung  ihrer  Erfolge  im  freien  Feld  verhinderte.  Befördert 
wurde  dieser  Erfolg  der  kaiserlichen  Partei  allerdings  noch  dadurch, 
daß  die  Franzosen  nicht  einmal  ihre  gesamte,  sowieso  schwächere  Streit- 
macht auf  den  niederländischen  Kriegsschauplatz  konzentrierten.  Und 
doch  hätte  dies  schon  nur  aus  politischen  Gründen  nahegelegen.  Frank- 
reich besaß  in  den  Niederlanden  schon  lange  einen  natürlichen  Bundes- 
genossen in  dem  Herzogtum  Geldern,  das  ein  Hauptobjekt  des  habs- 
burgisch-niederländischenArrondierungsprogramms  (vgl.  §50)  war.  Her- 
zog Karl  von  Geldern,  das  einzige  Staatsoberhaupt,  das  neben  den 
Eidgenossen  mit  Frankreich  durch  einen  förmlichen  Monopolvertrag 
über  die  Werbelizenzen  für  Söldner  verbunden  war,  hatte  denn  auch 
im  Jahre  1534  sein  Land  an  Frankreich  durch  Schenkung  übertragen. 
Seither  hatte  sein  Nachfolger  Wilhelm  von  Cleve  noch  seine  Erblande 
mit  Geldern  vereinigt  (Februar  1539),  was  die  habsburgischen  Annexions- 
absichten noch  mehr  zu  erschweren  drohte.  Frankreich  hatte  dann 
im  Jah'-e  1541  (17.  Juli)  ein  Bündnis  mit  Herzog  Wilhelm  geschlossen. 
Trotzdem  führten  die  Franzosen  ihren  Hauptschlag  nicht  gegen  Norden, 
Bondern  gegen  Süden.  Die  clevisch-französisch-dänischen  Truppen  ließen 
es  in  den  Niederlanden  bei  militärisch  bedeutungslosen  Streifzügen  be- 
wenden; Luxemburg,  das  der  Herzog  von  Orleans  genommen  hatte, 
ging  bald  darauf  wieder  verloren.  Dies  war  um  so  bedenklicher,  als 
dafür  nicht  einmal  der  große  Schlag,  der  gegen  das  spanische  Roussillon 
geführt  werden  sollte,  von  Erfolg  begleitet  war.  Es  war  der  Armee 
des  Dauphins  nämlich  nicht  möglich,  die  von  dem  Herzog  von  Alba 
verteidigte  Stadt  Perpignan  zu  nehmen. 

So  verlief  das  Jahr  1542,  ohne  daß  die  Franzosen  ihre  Position 
hätten  verbessern  können,  während  der  Kaiser  inzwischen  Zeit  gefunden 
hatte,  seine  militärische  und  diplomatische  Ausrüstung  zu  verstärken. 
Das  wichtigste  war,  daß  es  nun  zu  einer  förmlichen  Allianz  des  Kaisers 
mit  England  kam  (Februar  1543) ;  Karl  V.  konnte  aus  diesem  Bünd- 
nisse um  so  größeren  Nutzen  ziehen,  als  der  Alliierte  der  Franzosen, 
König  Jakob  V.  von  Schottland,  im  Jahre  1542  (24.  November)  bei  Sol- 
way  Moss  (beim  Solway  Firth)  von  den  Engländern  geschlagen  worden 
und  kurz  darauf  (14.  Dezember)  gestorben  war,  was  das  caledonische 
Königreich  wiederum  der  Anarchie  auslieferte:  England  war  also  von 
Norden  her  nicht  mehr  eigentlich  bedroht  und  konnte  auf  dem  Fest- 
lande kräftig  mitwirken.  Zunächst  allerdings,  d.  h.  zu  Beginn  des 
Jahres  1543,  waren  die  Franzosen  noch  im  Vorteil.  Der  Führer  der  cle- 
vischen  Truppen,  Martin  von  Rossem,  erweiterte  seine  Erfolge,  indem  er 
die  KaiserHchen  bei  Sittard  (nördlich  von  Maastricht)  schlug  (24. März); 


§  125.     Der  englisch-französische   Konflikt.  313 

König  Franz  selbst  nahm  Landrecies  ein.  Aber  diese  verhältnismäßig 
günstige  Lage  hielt  für  die  französische  Partei  nur  so  lange  an,  als  der 
Kaiser  nicht  zur  Stelle  war.  Kaum  war  dieser  angelangt  (August  1543) 
und  waren  überhaupt  die  Operationen  auf  kaiserlicher  Seite  einmal 
ernstlich  aufgenommen,  so  wendete  sich  das  Schicksal  des  Krieges. 
Kaiser  Karl  V.  griff  hier,  wo  es  sich  um  die  Interessen  seiner  Dynastie 
und  seiner  wertvollsten  Erblande  handelte,  in  außerordentUch  ener- 
gischer Weise  ein.  Rasch  wurde  die  Festung  Düren,  die  den  Weg  von 
Deutschland  nach  Geldern  sperrte,  forciert  (24.  August  1543),  und  in 
zweiundeinhalb  Wochen  war  der  Feldzug,  da  französische  Hilfe  aus- 
blieb, bereits  beendigt.  Am  12.  September  mußte  sich  Herzog  Wilhelm 
zu  dem  Vertrag  von  Venloo  bequemen,  in  dem  er  Geldern  und  Zütphen 
dem  Kaiser  abtrat;  das  Herzogtum  wurde  von  nun  an  von  einem  habs- 
burgischen  Stadthalter  regiert. 

Der  Kaiser  konnte  nun  sogar  daran  denken,  die  Offensive  gegen 
Frankreich  aufzunehmen.  Aber  der  Verlauf  der  Operationen  gestaltete 
sich  nicht  anders  als  in  den  Feldzügen  vor  1538  (o.  p.307).  Während  die 
Franzosen  Luxemburg  wieder  einnahmen,  versuchte  der  Kaiser  (in 
dessen  Heer  damals  auch  Engländer  mitwirkten)  vergeblich,  sich  in 
den  Besitz  der  kürzlich  verlorenen  Stadt  Landrecies  zu  setzen.  Ander- 
seits waren  die  Franzosen  ebensowenig  imstande,  ihren  Erfolg  aus- 
zunutzen, da  sie  den  Kaiserlichen  im  offenen  Feld  nicht  entgegenzu- 
treten wagten. 

Die  Position  des  habsburgischen  Monarchen  hatte  sich  im  Norden 
durch  den  Sieg  über  den  Herzog  von  Geldern  aber  trotzdem  erheblich 
verstärkt.  Denn  die  völlige  Unterwerfung  der  Niederlande  und  der 
Umstand,  daß  Herzog  Wilhelm  von  den  schmalkaldischen  Ständen  im 
Stiche  gelassen  worden  war,  hatte  zur  Folge,  daß  auch  Dänemark  seine 
Verbindung  mit  Frankreich  löste.  König  Christian  III.  verzichtete  auf 
eine  Fortsetzung  seines  Krieges  gegen  die  Niederlande  und  auf  sein 
Bündnis  mit  Frankreich  und  gewährte  den  Holländern  freie  Schiffahrt 
durch  den  Sund;  der  Kaiser,  der  abgesehen  von  dem  schweren  Schaden, 
den  die  feindselige  Haltung  Dänemarks  dem  niederländischen  Handel 
zufügte,  ein  Interesse  daran  hatte,  den  König  von  den  deutschen  oppo- 
sitionellen Ständen  zu  trennen,  versprach  dafür,  die  Gegner  des  Monarchen 
nicht  weiter  zu  unterstützen  (Vertrag  von  Speyer  vom  23.  Mai  1544). 
Da  in  dieses  Abkommen  auch  Schweden  eingeschlossen  war  und  ander- 
seits Schottland  sich  mit  England  durch  den  Friedensvertrag  vom 
1.  Juli  1543  (von  Greenwich)  geeinigt  hatte,  so  blieb  als  einziger  Gegner 
der  habsburgischen  Macht  im  Norden  der  isolierte  und  schwache  Schmal- 
kaldische  Bund  übrig;  gerade  dieser  war  aber  für  Frankreich  um  so 
weniger  zu  einer  wirksamen  Allianz  zu  gewinnen,  als  die  neuen  An- 
griffe der  Osmanen  (s.  u.)  auch  die  protestantischen  Stände  von  einer 
eigentlichen  Opposition  gegen  den  Kaiser  absehen  ließen. 

Die  Vorteile  die  die  Franzosen  während  dieser  Zeit  im  Süden 
davontrugen,  konnten  dagegen  nicht  in  Betracht  fallen.  Es  gelang  aller- 


314  Die  letzten  Kämpfe  um  Italien. 

dings  mit  Hilfe  der  Flotte  Barbarossas  (denen  die  Franzosen  dafür 
im  Winter  1543/44  die  zum  Teil  evakuierte  Stadt  Toulon  als  Stand- 
quartier überlassen  mußten),  Nizza,  die  letzte  Besitzung  des  Herzogs 
von  Savoyen,  zu  erobern  (Kapitulation  der  Stadt  am  22.  August  1543; 
das  Kastell  blieb  in  spanischen  Händen).  Aber  weder  dieser  partielle 
Erfolg  noch  die  Eroberung  Grans  durch  Sultan  Suleiman  (10.  August 
1543)  vermochten  gegen  die  Fortschritte  der  Kaiserlichen  im  Norden 
aufzukommen. 

Die  Operationen  des  folgenden  Jahres  (1544)  brachten  dann  kaum 
eine  Änderung  in  der  Situation  hervor.  Da  die  Niederlande  bereits 
unterworfen  waren,  so  konnte  der  Kaiser,  der  von  neuem  von  den 
Engländern  unterstützt  wurde,  von  Anfang  an  seinen  Angriff  auf  Frank- 
reich konzentrieren.  Die  Franzosen  hielten  sich  auch  diesmal  (d.  h. 
wie  beim  Feldzug  in  der  Provence  §  124)  in  der  Defensive.  Nachdem 
bereits  im  Mai  1544  Luxemburg  von  den  habsburgischen  Truppen  wieder 
genommen  worden  war,  rückte  das  kaiserliche  Heer  gegen  St.  Dizier 
vor,  dessen  Besatzung  schheßlich  (7.  August)  zu  einer  ehrenvollen  Kapi- 
tulation genötigt  werden  konnte.  Von  dort  nahm  der  Kaiser,  ohne  von 
der  französischen  Armee  aufgehalten  zu  werden,  seinen  Weg  gegen  Paris 
zu  und  gelangte  am  8.  September  bis  Chäteau-Thierry.  Aber  die  Situation 
war  kaum  anders  als  im  Jahre  1536,  die  kaiserhche  Armee  war  zwar 
weit  in  französisches  Gebiet  vorgerückt,  das  feindliche  Heer  war  aber 
noch  intakt,  während  der  Konsistenz  der  eigenen  Truppen  schwere 
Gefahren  drohten.  Auf  der  anderen  Seite  fürchteten  auch  die  Franzosen 
für  ihre  Hauptstadt,  und  so  kam  binnen  ungewöhnlich  kurzer  Frist  ein 
Friede  zustande  (der  Vertrag  von  Grepy   vom  18,  September  1544). 

Der  Vertrag  lautete  zwar,  wie  natürlich,  mehr  zugunsten  des 
Kaisers  als  zugunsten  Frankreichs;  immerhin  kam  die  unbesiegte  Lage 
des  französischen  Königs  darin  zum  Ausdruck,  daß  ihm  verhältnis- 
mäßig unbedeutende  Konzessionen  abverlangt  wurden.  Frankreich  ver- 
zichtete nämlich  in  dem  Vertrag  nur  auf  Nizza  sowie  auf  alle  Ansprüche 
auf  Geldern;  im  übrigen  wurden  alle  Eroberungen  des  Kaisers,  soweit 
sie  Frankreich  betrafen,  zurückgegeben.  Sogar  die  für  die  Zukunft 
vorgesehene  Regelung  der  territorialen  Verhältnisse  in  Oberitalien  nahm 
auf  französische  Interessen  (wenn  schon  in  geringerem  Maße  als  auf  die 
kaiserlichen)  Rücksicht.  Es  wurde  nämlich  bestimmt,  daß  wenn  die 
projektierte  Heirat  zwischen  dem  Herzog  von  Orleans,  dem  zweiten 
Sohne  Franz'  L,  entweder  mit  einer  Tochter  oder  mit  einer  Nichte  des 
Kaisers  zustande  kommen  sollte,  Frankreich  dem  Herzog  von  Savoyen 
sein  Land  zurückzuerstatten  hätte ;  dagegen  würde  in  diesem  Falle  Mailand 
ohne  die  Festungen  dem  Herzog  von  Orleans  als  kaiserliches  und  Reichs- 
lehen überlassen  werden.  Im  Grunde  würde  also  der  Status  quo  ante 
wiederhergestellt,  mit  der  einzigenAusnahme,  daß  die  Gebietserweiterung 
des  Kaisers  in   den   Niederlanden  von   Frankreich   anerkannt  wurde. 

Zu  diesem  Ausgang  hatte  allerdings  außer  der  prekären  Lage  des 
Kaisers  noch  beigetragen,  daß  die  englische  Belagerung  von  Boulogne 


§  126.    Der  Ausgang  des  französisch-englischen  Konfliktes.  315 

keine  Fortschritte  machte  und  in  Piemont  die  Franzosen  unerwarteter- 
weise einen  Sieg  in  offener  Feldschlacht  erfochten  hatten.  Während 
sonst  die  schweizerischen  Söldner  und  die  französischen  Reisigen  gegen 
spanische  und  deutsche  Infanterie  nicht  mehr  aufzukommen  vermochten, 
war  es  dem  Herzog  von  Enghien  gelungen,  die  kaiserlichen  Truppen 
unter  dem  Gouverneur  von  Mailand,  dem  Marchese  del  Vasto  bei 
Ceresole  (Provinz  Turin)  dank  den  französischen  schweren  Reitern  und 
den  Schweizern  zu  schlagen  (14.  April  1544).  Aber  dieser  Sieg  blieb  ebenso 
ohne  Folgen,  wie  er  in  seinen  Voraussetzungen  isoliert  gewesen  war. 
Wie  weit  die  Klausel  des  Vertrages  von  Crepy  über  die  Vermählung 
des  Herzogs  von  Orleans,  und  ihre  Folgen  ernst  gemeint  war,  mag  dahin 
gestellt  bleiben;  selbst  wenn  ihr  aber  größere  Bedeutung  als  anderen 
Bestimmungen  dieser  Art  zugekommen  wäre,  so  hätte  sie  keine  prak- 
tischen Folgen  nach  sich  gezogen,  denn  der  Herzog  starb  kurze  Zeit 
darauf  (am  9.  September  1545),  und  so  blieben  sowohl  Mailand  wie 
Piemont  in  der  Hand  ihrer  bisherigen  Oberherren. 

Literatur.  Paul  Heidrich,  »Der  geldrische  Erbfolgestreit,  1537—1543«,  1896; 
Karl  Stallwitz,  »Die  Schlacht  bei  Ceresole«,  1911  (BerUner  Diss.);  A,  Rozet  und  L.  F. 
Lembey,  ^yU Invasion  de  la  France  et  le  siige  de  Saint-Dizier  par  Charles-Quint  en 
1544«,  1910.  —  Über  die  Unternehmung  Karls  V.  gegen  Algier  die  apologetische 
Abhandlung  von  Gustav  Turba  im  »Archiv  für  österreichische  Geschichte«  76,  I, 
25 ff.  (1890);  E.  Gat,  »De  Caroli  Quinti  in  Africa  rebus  gestis«,  1891;  R.  Basset, 
^Documents  musulmans  sur  le  siege  d'Alger«,  1890.  —  Über  Prevesa  Gaetano 
Capasso,  »Andrea  Doria  alla  Prevesa«  in  den  Rendiconti  des  Jstituto  lombardo  di 
Sc.  e  Leu.  ser.  II  vol.  38  (1905),  893  ft. 

V.-L.  Bourrilly,  »Antonio  Rincon  et  la  politique  Orientale  de  Frangois  /*>"«  in 
der    >>Revue  historique«  113   (1913),  64ff.  und  268ff. 

§  126.  Der  Ausgang  des  französisch-englischen  Konfliktes;  weitere 
Ausdehnung  der  kaiserlichen  Herrschaft  über  Italien  (1544 — 1550).  Der 

Friede  von  Crepy  hatte  nur  den  Feindseligkeiten  zwischen  dem  Kaiser 
and  Frankreich  ein  Ende  bereitet ;  der  Krieg  Frankreichs  mit  England 
dauerte  weiter.  Weder  hatte  König  Heinrich  VIII.  auf  Boulogne  (das 
er  am  14.  September  1544  schließlich  erobert  hatte)  verzichten  noch 
der  französische  König  seine  schottischen  Bundesgenossen  preisgeben 
wollen.  Aber  die  militärische  Lage  wurde  für  die  Franzosen  natürlich 
viel  günstiger,  seitdem  sie  es  nur  noch  mit  der  wenig  leistungsfähigen 
englischen  Armee  zu  tun  hatten.  Nur  die  Schwäche  der  französischen 
Marine  sowie  die  geringe  Qualität  der  schottischen  Truppen  verhinderten, 
daß  sich  für  England  aus  den  Kämpfen  mit  Frankreich  schhmme  Folgen 
ergaben. 

Immerhin  konnte  die  französische  Regierung  damals  allen  Ernstes 
den  Gedanken  einer  Invasion  in  England  ins  Auge  fassen,  und  im  Sommer 
1545  kam  es  zu  einer  ganzen  Reihe  von  Gefechten  zwischen  der  fran- 
zösischen und  der  englischen  Flotte  im  Kanal.  Aber  da  die  beiden  Gegner 
sich  zur  See  ungefähr  das  Gleichgewicht  hielten,  konnte  der  französische 
Landungsversuch  nicht  durchgeführt  werden;  die  Franzosen  mußten 
es  bei  gelegentlichen  Raids  (Verwüstung  der  Insel  Wight  am  21.  Juli  1545) 


316  Die  letzten  Kämpfe  um  Italien. 

sowie  mit  der  Sendung  von  Truppen  und  Waffen  nach  Schottland  be- 
wenden lassen. 

Auf  dem  Lande  fielen  ebensowenig  entscheidende  Aktionen  vor. 
Boulogne  wurde  zwar  von  den  Franzosen  blockiert,  konnte  aber  nicht 
genommen  werden,  und  an  der  schottischen  Grenze  war  nur  ein  englischer 
Verwüstungsfeldzug  zu  verzeichnen.  Diese  Lage,  die  für  keine  Partei 
von  einer  Fortsetzung  der  Feindseligkeiten  Gewinn  erwarten  ließ,  machte 
auf  beiden  Seiten  zum  Frieden  geneigt.  Am  7.  Juni  1546  wurde  der 
Vertrag  zu  Ardres  unterzeichnet.  Es  handelte  sich  dabei  allerdings 
nur  um  ein  Provisorium:  Boulogne  wurde  vorläufig  als  Pfand  in  englischem 
Besitz  gelassen,  bis  Frankreich  eine  bedeutende  Zahlung  geleistet  hätte 
(was  binnen  acht  Jahren  erfolgen  sollte);  Schottland  wurde  nur  in  zwei- 
deutiger Form  in  den  Frieden  inbegriffen.  Zu  einer  endgültigen  d.  h. 
für  einige  Jahre  friedliche  Zustände  schaffenden  Regelung  gelangten 
die  beiden  Staaten  dann  erst  fünf  Jahre  später,  nachdem  neue  Waffen- 
gänge die  Lage  geklärt  hatten.  Die  englische  Regierung  hatte  nämlich, 
wie  begreiflich,  trotz  des  Friedens  von  Ardres  ihre  Pläne  auf  Schott- 
land nicht  fallen  lassen;  im  Sommer  1547  rückte  (unter  dem  Regimente 
des  Protektors  Somerset;  König  Heinrich  VIIL  war  am  28.  Januar  1547 
gestorben)  eine  englische  Armee  in  dem  nördhchen  Königreiche  ein  und 
schlug  die  Schotten  bei  Pinkie  (in  der  Nähe  von  Musselburgh,  östlich 
von  Edinburg  10.  September  1547).  Die  Folge  war,  daß  der  Bund, 
der,  wie  sich  gezeigt  hatte,  ohne  französische  Unterstützung  machtlosen 
Schotten  mit  Frankreich  um  so  fester  geschlossen  wurde;  es  fand  dies 
Verhältnis  seinen  Ausdruck  darin,  daß  die  junge  (sechsjährige)  Königin 
des  Landes  Maria  Stuart  mit  Hilfe  einer  französischen  Flotte  und  eines 
Expeditionskorps  nach  Frankreich  entführt  und  mit  dem  Dauphin 
verlobt,  d.  h.  der  im  Vertrage  von  Greenwich  (1.  Juli  1543;  §125) 
vorgesehenen  ^'erlobung  mit  dem  englischen  König,  dem  damals  zehn- 
jährigen Eduard  VL,  entzogen  wurde  (Landung  der  Königin  in  Frank- 
reich am  13.  August  1548).  Gestützt  auf  diese  Verbindung  erklärte 
die  französische  Regierung  (an  deren  Spitze  seit  dem  am  31.  März  1547 
erfolgten  Tode  Franz'  I.  Heinrich  II.  stand)  England  von  neuem  den 
Krieg  (8.  August  1549). 

Die  Feindseligkeiten  hatten  übrigens  schon  früher  begonnen.  Be- 
lehrt durch  den  Mißerfolg  ihrer  früheren  Vorstöße  gegen  die  englische 
Küste  konzentrierten  die  Franzosen  diesmal  ihre  Angriffe  auf  die 
normannischen  Kanalinseln;  die  Insel  Sark  (Sercq)  wurde  okkupiert 
(27.  Juli  1549),  Jersey  verwüstet  und  ein  englisches  Geschwader  im 
Hafen  Saint-Pierre  auf  Guernsey  vernichtet  (31.  Juli  1549).  Zugleich 
wurde  auch  die  Belagerung  von  Boulogne  wieder  aufgenommen 
(August  1549).  Diese  Aktion  zog  sich  zwar  in  die  Länge;  aber  der 
Ausgang  konnte  nicht  zweifelhaft  sein,  und  dies  zusammen  mit  den 
anderen  Rückschlägen  bewog  die  englische  Regierung  zum  Nachgeben, 
d.  h.  zu  einer  Änderung  des  Vertrages  von  Ardres  zu  ihren  Ungunsten. 
In    dem  Vertrage  von  Boulogne    (24.  März    1550)  sagte  England   die 


§  126.     Weitere  Ausdehnung  der  habsburgischen  Herrschaft  über  Itahen.     317 

Zurückgabe  der  Stadt  Boulogiie  gegen  eine  französische  Zahlung  zu, 
und  Schottland  wurde  in  den  Frieden  einbegriffen.  Damit  war  der 
Kampf  für  einmal  entschieden,  und  es  folgte  eine  Periode  der  Ruhe 
zwischen  beiden  Reichen. 

In  starkem  Gegensatz  zu  dieser  Haltung  der  französischen  Re- 
gierung gegenüber  England  und  Schottland  steht  ihre  Passivität  gegen- 
über den  Vorgängen  in  Italien.  Die  Okkupation  Piemonts  dauerte 
zwar  fort ;  aber  im  übrigen  konnte  das  ehemalige  italienische  Programm 
als  aufgegeben  gelten.  Nicht  einmal  die  Erweiterung  der  habsburgischen 
Macht,  die  sich  im  Jahre  1547  vollzog,  vermochte  eine  Änderung  her- 
vorzubringen. Papst  Paul  III.  hatte  am  11.  August  1545  die  Herzog- 
tümer Parma  und  Piacenza  (die  einstens  zu  Mailand  gehört  hatten; 
vgl.  die  §§  115  u.  117)  seinem  Sohne,  dem  Condottiere  Pierluigi  Farnese 
tibertragen,  ohne  die  Einwilligung  des  Kaisers  zu  haben.  Andere 
Differenzpunkte  traten  hinzu;  weder  mit  der  Haltung  Karls  V.  in  der 
Frage  des  Konzils  noch  mit  dessen  deutscher  Politik  (s.  u.)  war  der  Papst 
einverstanden.  Den  letzten  Anstoß  zum  Einschreiten  des  Kaisers  gab 
aber,  als  der  Farnese  versuchte,  durch  den  Bau  einer  Festung  in 
Piacenza  seine  Stellung  zu  verstärken.  Mindestens  in  stillschweigendem 
Einverständnis  mit  dem  Gouverneur  von  Mailand,  Ferrante  Gonzaga, 
wurde  eine  Verschwörung  angezettelt  und  Pierluigi  Farnese  ermordet 
(10.  Oktober  1547);  Piacenza  wurde  im  Namen  des  Kaisers  besetzt, 
d.  h.  wieder  mit  dem  Mailändischen  vereinigt.  Aber  auch  dieser  Vor- 
fall, der  den  Papst  von  selber  auf  die  Seite  Frankreichs  getrieben 
hätte,  bewog  die  französische  Regierung  nicht  zu  einer  Intervention 
in  Italien.  Ebenso  wenig  Unterstützung  fanden  die  Versuche  der 
Gegner  Dorias,  die  Republik  Genua  aus  ihrem  Abhängigkeitsverhältnis 
zum  Kaiser  zu  lösen  und  wieder  einen  Anschluß  an  Frankreich  herbei- 
zuführen; weder  die  Aufregungen  der  genuesichen  Verschwörer  noch 
des  Papstes,  der  ihnen  mehrfach  Beihilfe  gewährte,  ließen  die  fran- 
zösische Regierung  aus  ihrer  Passivität  heraustreten  (die  bekannteste 
dieser  Verschwörungen  war  der  verunglückte  Putsch  Gianluigi  Fiescos, 
in  dessen  Verlauf  das  Haupt  des  Komplottes  selbst  den  Tod  fand; 
2.  Januar  1547). 

Literatur.  Über  den  Krieg  Frankreichs  mit  England  vgl.  vor  allem  La 
Ronciöre,  »Histoire  de  la  Marine  fran^aise«  III  (1906),  409ff.,  und  die  dort  verzeich- 
nete Literatur.  Über  die  erste  Phase  der  Kämpfe  Englands  mit  Schottland  nach 
1547  A.  F.  PoUard,  »England  under  Protector  Somerset«,  1900.  Über  die  Vor- 
gänge in  Italien  und  speziell  deren  Zusammenhang  mit  Frankreich  besitzen  wir 
vdeder  eine  große  wissenschafthche  Monographie  mit  bibliographischen  Nachweisen; 
es  ist  das  das  Werk  von  Lucien  Romier,  »Les  Origines  politiques  des  guerres  de  re- 
ligion  I:  Henri  II  et  VItalie  (1547—1555)«  (1913),  worauf  für  alle  Einzelheiten  über 
die  Ermordung  des  Farnese,  Fiesco  und  Savoyen  hingewiesen  sei. 

§  127.  Die  Niederlage  der  habsburgischen  Macht  in  Deutschland; 
die  Verbindung  der  deutschen  ständischen  Opposition  mit  Frankreich 
(1546—1565).  Seit  langem  bestand  eine  allianzartige  Verbindung  zwischen 
der    protestantisch-ständischen    Opposition    in    Deutschland    und    der 


318  Die  letztön   Kämpfe  um  Italien. 

französichen  Regierung  (§  123),  Aber  die  Schmalkaldner  hatten  bisher, 
sei  es  aus  mangelhafter  Einsicht  in  die  Proportion  der  militärichen 
Kräfte,  sei  es,  weil  sie  dem  Haus  Österreich  ihre  Unterstützungin  dem 
gemeinsamen  Kampfe  gegen  die  Osmanen  nicht  entziehen  wollten, 
niemals  die  Konsequenz  aus  diesem  Verhältnis  gezogen:  weder  Frankreich 
selbst  noch  auch  nur  etwa  dem  Herzog  von  Cleve-Geldern  (§  125)  hatte 
der  Schmalkaldische  Bund  militärische  Kooperation  gewährt.  Dies 
wurde  anders,  als  eine  Katastrophe  von  ungeahnter  Wucht  gezeigt 
hatte,  wie  hilflos  die  deutsche  ständische  Oppositiou  war,  so  lange 
sie  auf  sich  allein  angewiesen  war. 

Die  Vorbereitung,  die  der  Kaiser  diesem  Schlage  gegen  die  pro- 
testantisch-ständischen Gegner  der  zentralistisch-katholischen  Bestre- 
bungen vorausgehen  ließ,  liefert  vielleicht  den  glänzendsten  Beweis 
für  die  diplomatische  Fähigkeit  der  habsburgischen  Staatsmänner  und 
die  ausgezeichnete  Organisation  ihres  Auswärtigen  Amtes  —  diejenigen 
Vorzüge,  die  in  dieser  Verbindung  bei  keinem  einzigen  anderen  Staate 
der  damahgen  Zeit  anzutreffen  waren  (vgl.  §  63).  Zunächst  wartete 
die  habsburgische  Regierung  den  Zeitpunkt  ab,  da  das  Ausland  ihrem 
Vorstoß  gegen  die  Schmalkaldner  kein  Hindernis  in  den  Weg  zu  legen 
vermochte.  Der  Friede  von  Crepy,  den  der  Kaiser  unter  Preisgabe 
des  englischen  Verbündeten  eingegangen  war,  schloß  ein  Eingreifen 
Frankreichs  aus,  während  anderseits  der  französische  Rivale  durch 
den  fortdauernden  Krieg  mit  England  beschäftigt  blieb  (§§  125  und 
126).  Nach  Osten  wurden  ebenfalls  Garantien  für  neutrales  Verhalten 
geschaffen,  indem  im  Waffenstillstand  vom  10.  November  1545  König 
Ferdinand  sich  mit  den  Osmanen  verständigte  (die  Habsburger  willig- 
ten dabei  sogar  ein,  für  die  Grenzplätze,  die  sie  in  Ungarn  noch  inne- 
hatten, den  Türken  einen  Tribut  zu  zahlen).  Trotz  mannigfacher 
Irrungen  in  der  Konzilssache  gelang  es  dann,  den  Papst  (Paul  III.)  zu 
einem  Offensivbündnis  gegen  die  protestantischen  Stände  zu  bewegen 
(Juni  1546).  Einen  besonderen  Triumph  bedeutete  es  aber,  daß  die 
habsburgische  Diplomatie  sogar  einen  Teil  ihrer  Gegner  in  Deutsch- 
land selbst  durch  separate  Verhandlungen  und  Abmachungen  auf  ihre 
Seite  zu  ziehen  oder  wenigstens  zu  neutraler  Haltung  zu  bestimmen 
verstand.  So  gewann  der  Kaiser  nicht  nur  den  katholischen  Herzog 
Wilhelm  von  Bayern  (vgl.  §  123),  indem  er  ihm  Hoffnungen  auf  die 
pfälzische  Kur  machte  (Vertrag  von  Regensburg  vom  7.  Juni  1546), 
sondern  auch  eine  Anzahl  protestantischer  Fürsten,  von  denen  der 
wichtigste  Herzog  Moritz  von  Sachsen  war,  dem  u.  a.  die  sächsische 
Kurwürde  in  Aussicht  gestellt  wurde  (Vertrag  von  Regensburg  vom 
19.  Juni  1546). 

So  befand  sich  denn  der  Kaiser,  als  der  Krieg  im  Juli  1546  er- 
öffnet wurde,  in  der  für  ihn  denkbar  günstigsten  Lage.  Wohl  war  er 
nicht  sofort  imstande,  seine  Superiorität  auszunutzen;  die  Langsamkeit 
der  Rüstungen,  die  auf  habsburgischer  Seite  auch  in  den  Kriegen  mit 
Frankreich  häufig  zu  bemerken  war,  verHeh  den  Schmalkaldnern  an- 


§  127.    Niederlage  der  habsburgischen  Macht  in  Deutschland.  319 

fänglich  sogar  eine  numerische  Überlegenheit.  Aber  schon  damals  kam 
dem  Kaiser  der  Vorzug  zugute,  der  einer  einheitlichen  Leitung  gegen- 
über einer  Koalitionsarmee  eigen  zu  sein  pflegt,  und  nachdem  einmal 
seine  Verstärkungen  angekommen  waren,  entschied  sich  die  Lage  bald 
zu  seinen  Gunsten.  Die  Verbündeten  räumten,  nachdem  inzwischen 
auch  Herzog  Moritz  in  das  Land  des  Kurfürsten  von  Sachsen  einge- 
fallen war,  nach  einem  längeren  tatenlosen  Feldzuge  Oberdeutschland 
(November  1546),  und  der  Kaiser  zwang  vorerst  diesen  Teil  des  Reiches 
zur  Unterwerfung.  Das  nächste  Jahr  brachte  dann  auch  noch  die 
Bezwingung  der  Gegner  in  Norddeutschland.  Am  24.  April  1547  wurde 
Kurfürst  Johann  Friedrich  von  Sachsen,  der  inzwischen  sein  Land 
wieder  von  Herzog  Moritz  zurückerobert  hatte,  von  dem  Kaiser  bei 
Mühlberg  vernichtend  geschlagen,  der  Kurfürst  selbst  gefangen  ge- 
nommen. Einen  Monat  später  unterwarfen  sich  dann  auch  die  übrigen 
norddeutschen  Stände  (bis  auf  Magdeburg),  und  wieder  einen  Monat 
später  (19.  Juni  1547)  ergab  sich  auch  Landgraf  Philipp  von  Hessen 
dem  Kaiser. 

Die  habsburgische  Regierung  konnte  nun  daran  gehen,  ihr  altes 
Programm  auszuführen  und  die  ständische  Verfassung  des  Reichs 
mit  ihrer  unbrauchbaren  Organisation  der  Exekutive  (§  62)  durch 
eine  Neuordnung  in  monarchisch-habsburgischem  Sinne  zu  ersetzen. 
Aber  so  machtlos  in  militärischer  Beziehung  auch  die  ständischen 
Gegner  des  Kaisers  waren  (die  beiden  bedeutendsten  protestantischen 
Fürsten  befanden  sich  dazu  noch  persönhch  in  seiner  Gewalt,  der 
ehemalige  Kurfürst  von  Sachsen  nämlich,  der  in  der  Wittenberger 
Kapitulation  vom  19.  Mai  1547  auf  seine  Kur  hatte  verzichten 
müssen,  sowie  der  Landgraf  von  Hessen)  —  so  wenig  auch  an 
einen  Widerstand  mit  den  Waffen  zu  denken  war,  so  erwies  sich  der 
konfessionelle  Gegensatz  doch  als  unüberwindlich;  hier  zum  ersten 
Male  griff  der  neue  religiöse  Konflikt  in  entscheidender  Weise  in 
Geschichte  des  europäischen  Staatensystems  ein  (§  24).  Selbst  wenn 
man  von  dem  Widerstand,  die  der  Durchführung  des  »Interim«  ge- 
nannten religiösen  Provisoriums  (Mai  1548)  in  manchen  protestantischen 
Gebieten  entgegengesetzt  wurde,  absehen  wollte,  bliebe  die  Bedeutung 
der  Tatsache  unverändert,  daß  die  Erneuerung  des  Schwäbischen 
Bundes,  an  konfessionellen  Bedenken  vor  allem  der  protestantischen 
Städte  in  Süddeutschland  (früher  der  sichersten  Stützen  der  kaiser- 
lichen Gewalt)  scheiterte.  Der  Bund  hätte  auf  das  ganze  Reich  aus- 
gedehnt und  gleichsam  ein  Surrogat  für  die  mangelhafte  Reichsver- 
fassung werden  sollen;  der  Kaiser  war  aber  nicht  stark  genug,  um 
die  Opposition  der  Stände  zu  bezwingen.  Infolge  davon  erhielten  auch 
alle  anderen  Verfügungen,  die  eine  Ausdehnung  der  kaiserlichen  Kom- 
petenzen bezweckten,  sozusagen  nur  provisorischen  Charakter.  So  sei 
denn  von  diesen  Gesetzen  an  dieser  Stelle  nur  das  in  internationaler 
Beziehung  wohl  wichtigste  erwähnt,  das  ähnlich  wie  vorher  beinahe 
nur  in   der  Schweiz   üblich   gewesen  war,   den  Söldnerdienst  im  Aus- 


320  Die  letzten  Kämpfe   um   Italien. 

lande  von  einer  Lizenz  der  Zentralregierung  abhängig  machen  sollte. 
Niemand  sollte  nämüch  (wurde  vom  Reichstage  zu  Augsburg  beschlossen) 
mehr  ohne  Genehmigung  der  beiden  habsburgischen  Brüder  fremde 
Kriegsdienste  nehmen  dürfen,  und  der  Kaiser  war  damals  imstande, 
dieses  Dekret,  das  die  Verwendung  deutscher  Landsknechte  durch 
Frankreich  zu  verhindern  bezweckte,  gegen  strafbare  Hauptleute  zur 
Durchführung  zu  bringen  (1547/48). 

Dieses  partielle  Mißlingen  der  habsburgischen  Pläne  wog  um  so 
schwerer,  als  gleichzeitig  auch  die  internationale  Lage  sich  zu  Ungunsten 
des  Kaisers  zu  verschieben  begann.  Aus  den  Bemerkungen  zu  Beginn 
dieses  Paragraphen  ergibt  sich,  daß  der  gewaltige  Erfolg  über  die  Schmal- 
kaldner  nicht  eigentlich  den  inneren  Kräfteverhältnissen  der  Parteien  ent- 
sprach, sondern  zu  einem  guten  Teile  die  Frucht  einer  beinahe  zufällig  zu 
nennenden  diplomatischen  Situation  war.  Auch  die  Staatskunst  der  habs- 
burgischen Regenten  war  nun  aber  nicht  imstande,  dieser  Konstellation 
Dauer  zu  verleihen;  im  Gegenteil,  gerade  die  Machterhöhung,  die  dem 
Hause  Österreich  aus  der  neuesten  Haltung  der  Mächte  entsprang,  legte 
es  all  den  Regierungen,  die  von  einer  habsburgischen  Universalmonarchie 
das  Ende  ihrer  Selbständigkeit  befürchteten,  nahe,  sich  zum  Gegen- 
bunde zusammenschließen.  Zunächst  waren  die  friedlichen  Beziehungen 
zu  Frankreich  und  der  Türkei  nicht  bleibend  aufrechtzuerhalten :  einem 
Angriff  der  Flotte  Dorias  auf  den  Piraten  Dragut,  einen  Vasallen  des 
Sultans  (den  faktischen  Nachfolger  des  am  4.  Juli  1546  verstorbenen 
Chair-ed-din  Barbarossa),  wobei  Mehedia  (jetzt  Mahdia)  in  Tunis  ge- 
nommen wurde  (September  1550),  folgte  die  Eroberung  der  Malteser- 
nicderlassung  in  Tripolis  (14.  August  1551),  die  zu  ihrem  Oberlehns- 
herrn Karl  V.  in  einem  ähnlichen  Verhältnis  stand,  wie  die  Barba- 
reskenfürsten  zu  dem  Großtürken,  durch  |die  Osmanen  und  gleichzeitig 
(September  1551)  ein  neuer  osmanischer  Vorstoß  in  Ungarn  und  Sieben- 
bürgen, der  für  die  österreichischen  Waffen  einen  ungünstigen  Verlauf 
nahm.  Mit  Frankreich  war  wenigstens  in  Italien  der  Kriegszustand 
ausgebrochen:  am  27.  Mai  1551  hatte  Frankreich  mit  dem  Herzog  von 
Parma,  Ottavio  Farnese,  einen  Allianz  vertrag  abgeschlossen,  der  u.  a. 
einen  Krieg  zwischen  diesem  und  dem  kaiserlichen  Gouverneur  in  Mai- 
land und  dann  auch  kriegerische  Operationen  in  Piemont  von  Seiten 
Frankreichs  nach  sich  zog  (September  1551).  Der  große  Schlag  kam 
aber  von  selten  der  ständischen  Opposition  in  Deutschland,  und  seine 
Wirkung  beruhte  darauf,  daß  nun  zum  ersten  Male  Frankreich  mit  der 
deutschen  Opposition  militärisch  zusammenarbeitete. 

Daß  eine  solche  Kooperation  zustande  kam  und  dazu  noch, 
ohne  daß  die  Gegenpartei  etwas  davon  erfuhr,  war  wohl  die  erste 
schwere  Niederlage  der  habsburgischen  Diplomatie,  die  bisher  nie  in 
dieser  Weise  mit  ihren  eigenen  Waffen  geschlagen  worden  war.  Der 
Führer  dieser  Gegenoffensive  war  der  neue  Kurfürst  von  Sachsen, 
der  seinen  bisherigen  Verbündeten  mit  überlegener  Kunst  gegenüber- 
trat.    Es  gelang  Kurfürst  Moritz  zunächst  von  den  gegen  den  Kaiser 


§  127.    Niederlage  der  habsburgischen  Macht  in  Deutschland.  321 

verbündeten  Fürsten  (mit  Ausnahme  der  Sachsen)  ihre  Zustimmung 
zu  seinen  Erwerbungen  von  1547  (o.  p.  318  f.)  zu  erlangen.  Dann  aber  wurde 
vor  allem  auf  seine  Initiative  hin  eine  Offensivalhanz  mit  Frankreich 
geschlossen  (Vertrag  von  Ghambord  vom  15.  Januar  1552,  ergänzende 
Abmachungen  zu  Friedewalde  in  Hessen  am  12.  Februar),  Frankreich 
versprach  darin  den  verbündeten  deutschen  Fürsten  eine  beträchtliche 
Subvention  in  Geld ;  die  Fürsten  gestanden  ihm  dafür  das  Recht  zu, 
sich  der  Städte  Cambrai,  Toul,  Metz  und  Verdun,  die  nicht  deutscher 
Zunge  seien,  als  Reichsvikar  zu  bemächtigen. 

Dank  diesem  Abkommen  und  der  Untätigkeit  der  habsburgischen 
Partei,  die  den  Ernst  der  Lage  unterschätzte,  hatte  sich  mindestens 
in  Deutschland  die  militärische  Situation  für  den  damals  in  Innsbruck 
weilenden  Kaiser  recht  ungünstig  gestaltet.  Als  im  März  1552  die  Offen- 
sive aufgenommen  wurde,  waren  die  Kaiserlichen  beinahe  wehrlos. 
Kurfürst  Moritz,  der  noch  am  9.  November  1551  Magdeburg,  den  letz- 
ten nicht  bezwungenen  festen  Platz  der  schmalkaldischen  Opposition, 
zum  Schein  für  das  Reich  unterworfen  hatte,  rückte  rasch  in  Süddeutsch- 
land ein,  während  gleichzeitig  die  Franzosen  mühelos  die  ihnen  ein- 
geräumten Städte  okkupierten.  Dazu  kam,  daß  selbst  ein  Staat  wie 
Bayern,  der  sich  der  »Fürstenrevolution«  nicht  angeschlossen  hatte,  und 
die  Reichsstädte  im  besten  Falle  zu  einer  neutralen  Haltung,  d.  h.  zu 
einer  indirekten  Unterstützung  des  Kurfürsten  Moritz  zu  bewegen 
waren,  daß  also  Kaier  Karl  von  den  deutschen  Ständen  vollständig 
im  Stiche  gelassen  wurde.  Die  habsburgischen  Herrscher  suchten  denn 
auch  rasch  um  einen  Waffenstillstand  nach,  und  bereits  im  Juni  be- 
gannen in  Passau  Friedensverhandlungen,  nachdem  der  Kaiser  vorher 
noch  durch  einen  Vorstoß  des  sächsischen  Kurfürsten  zu  einer  eiUgen 
Flucht  nach  Villach  genötigt  worden  war.  Bereits  vorher  (am  10,  Mai 
1552)  hatte  der  Kaiser  mit  Frankreich  einen  Waffenstillstand  ge- 
schlossen. 

Die  habsburgische  Partei,  die  nur  überrascht,  nicht  geschlagen 
worden  war,  machte  in  dem  am  2.  August  1552  abgeschlossenen  (am 
15.  vom  Kaiser  ratifizierten)  Passauer  Vertrag  verhältnismäßig  unbe- 
deutende Konzessionen;  als  definitive  Errungenschaft  der  Opposition 
konnten  nur  die  Bestimmungen  gelten,  die  sich  auf  die  Freilassung 
des  Landgrafen  Philipp,  die  Amnestie  für  die  Teilnehmer  am  Schmal- 
kaldischen Kriege  etc.  bezogen.  Die  aufständischen  Fürsten  mußten 
sogar  auf  ihre  Verbindung  mit  Frankreich  verzichten  und  Kurfürst 
Moritz  König  Ferdinand  seine  Truppen  zum  Kampfe  'gegen  die  Os- 
manen  in  Ungarn  zur  Verfügung  stellen. 

Wenn  der  Konfhkt  schheßhch  trotzdem  einen  für  die  habs- 
burgischen Pläne  in  Deutschland  wenig  günstigen  Ausgang  nahm, 
so  war  daran  weniger  der  mit  den  realen  Machtverhältnissen  nicht  im 
Einklang  stehende  Verlauf  des  Überfalls  im  Frühjahr  1552  schuld  als 
der  Gang  der  Operationen  gegen  Frankreich,  die  von  neuem  dank 
der  Superiorität  der  französischen  Fortifikationsanlagen  zu  Ungunsten 

Fueter.  Europ,  Staatensystem,  2l 


322  Die  letzten  Kämpfe  um  Italien. 

der  Habsburger  ausschlugen.  Kaiser  Karl  V.  hatte  sich,  nachdem  er 
mit  den  deutschen  Fürsten  Frieden  geschlossen,  sofort  gegen  Frank- 
reich gewandt,  um  die  dem  Reiche  verloren  gegangenen  Städte  wieder 
zurückzuerobern.  Aber  die  im  Oktober  1552  begonnene  Belagerung 
von  Metz  bheb  vöUig  erfolglos;  am  1.  Januar  1553  mußte  der  Kaiser 
wieder  den  Rückzug  antreten.  Gegen  diesen  empfindUchen  Schlag 
konnte  auch  der  Eindruck  nicht  aufkommen,  den  die  bald  darauf 
(April  und  Juli  1553)  erfolgte  Einnahme  der  festen  Plätze  Therouanne 
und  Hesdin  machte. 

Anderseits  konnten  aber  die  Franzosen  damals  so  wenig  wie  in 
früheren  Feldzügen  (vgl.  die  §§  124  u.  125)  irgendwie  bedeutende  Offen- 
siverfolge erzielen.  Die  Kämpfe  des  Jahres  1554  in  den  Niederlanden 
brachten  nach  keiner  Seite  einen  entscheidenden  Schlag.  Dazu  kam 
dann  noch,  daß  auf  anderen  Kriegsschauplätzen  der  Kaiser  durchweg 
vom  Glück  begünstigt  war.  Sein  Parteigänger  unter  den  deutschen 
Fürsten,  Markgraf  Albrecht  Alcibiades  von  Brandenburg,  wurde  zwar 
von  Kurfürst  Moritz  bei  Sievershausen  (südösthch  von  Holzminden) 
am  9.  Juli  1553  geschlagen;  aber  der  Kurfürst  erkaufte  den  Sieg  mit 
seinem  Leben,  und  da  er  unzweifelhaft  der  bedeutendste  Staatsmann 
unter  den  deutschen  Gegnern  des  Kaisers  war,  so  kam  sogar  diese 
Niederlage  einem  Erfolg  der  habsburgischen  Partei  gleich.  Außerdem 
hatte  das  Eingreifen  des  Kurfürsten  in  Ungarn  im  Oktober  1552  vor- 
her noch  den  Vorstoß  der  Osmanen  zum  Stehen  zu  bringen  vermocht. 
Dann  trat  noch  der  im  Hinbhck  auf  den  Krieg  mit  Frankreich  be- 
deutende diplomatische  Erfolg  hinzu,  daß  Karls  Sohn  Phihpp  am 
25.  JuH  1554  mit  der  Königin  Maria  von  England  (die  ihrem  Bruder 
Eduard  VI.  am  6.  Juü  1553  in  der  Regierung  nachgefolgt  war)  ver- 
mählt werden  konnte;  von  England  war  also  vorerst  keine  Verbindung 
mit  Frankreich  zu  erwarten. 

Auch  in  Itaüen  wurde  das  Konto  der  Verluste  durch  das  der 
Gewinne  aufgehoben.  Es  gelang  zwar  den  Franzosen,  mit  Unter- 
stützung der  Flotte  Draguts  die  genuesische  Insel  Korsika  zu  nehmen 
und  gegen  Andrea  Doria  zu  behaupten  (August  1553  bis  Februar  1554); 
auch  wurden  einige  Raids  gegen  das  Neapolitanische  ausgeführt.  Aber 
um  so  empfindlicher  wurden  die  Franzosen  und  ihre  itaüenischen 
Parteigänger  in  Mittelitahen  geschlagen.  Die  ziemlich  planlos  be- 
gonnene und  durchgeführte  Unternehmung  gegen  den  mit  dem  Kaiser 
zusammenarbeitenden  Herzog  Cosimo  von  Florenz  (der  seit  dem 
Januar  1537  mit  spanischer  Hilfe  über  die  Stadt  regierte),  gegen  den 
Frankreich  im  Bunde  mit  antimedicäischen  florentinischen  Republi- 
kanern die  Unabhängigkeit  Sienas  verteidigen  wollte,  schlug  ganz 
unglückhch  aus.  Der  Niederlage  des  Kommandanten  der  französisch- 
sienesischen  Streitkräfte,  Piere  Strozzi,  bei  Marciano  (südhch  von 
Arezzo;  2.  August  1554)  folgte  nicht  lange  nachher  der  Fall  der  Stadt 
Siena  und  die  Unterwerfung  der  Republik  unter  den  florentinischen 
flerzog  (Kapitulation  vom  17.  April  1555). 


§  127.    Niederlage  der  habsburgischen  Macht  in  Deutschland.  323 

Der  fünfjährige  Waffenstillstand  von  Vaucelles  (5,  Februar  1556), 
der  damals  zwischen  dem  Kaiser  und  Frankreich  geschlossen  wurde,^ 
konnte  unter  diesen  Umständen  von  vornherein  nur  als  ein  Provisorium 
gelten,  wie  denn  auch  der  Kaiser  in  Wirklichkeit  nicht  bloß  einen 
Waffenstillstand,  sondern  einen  Friedensvertrag  zu  erlangen  gehofft 
hatte.  Das  Abkommen,  das  lediglich  den  momentanen  Stand  der 
territorialen  Verhältnisse  fixierte,  war  viel  zu  günstig  für  Frankreich, 
als  daß  die  habsburgische  Regierung  darin  die  Grundlage  für  eine 
dauernde  Regelung  des  italienischen  Konfliktes  hätte  erblicken  können. 
Wenn  sie  überhaupt  dazu  die  Hand  bot,  so  war  dies  wohl  nur  daraus 
zu  erklären,  daß  sie  Zeit  gewinnen  wollte,  bis  das  durch  den  Rück- 
tritt ihres  kaiserhchen  Oberhauptes  geschaffene  Übergangsstadium 
konsolidiert  wäre.  Denn  der  müde  Kaiser,  der  wohl  doch  vor  allem 
durch  den  Mißerfolg  seiner  deutschen  Politik  körperlich  schwer  mit- 
genommen worden  war,  verzichtete  damals  freiwillig  auf  eine  seiner 
Würden  nach  der  anderen.  Zunächst  überließ  er  Neapel  und  Mailand 
seinem  Sohne  Philipp  bei  dessen  Vermählung  mit  der  Königin  von 
England;  später  (15.  Oktober  1555)  resignierte  er  zu  dessen  Gunsten 
auch  auf  die  Niederlande,  die  dadurch  für  die  Folgezeit  mit  den 
spanischen  Besitzungen  der  Habsburger  verbunden  wurden,  am 
16.  Januar  1556  trat  er  ihm  die  spanischen  Königreiche  ab.  Charak- 
teristisch war  aber  vor  allem,  daß  er  sich  von  den  Verhandlungen 
mit  den  deutschen  Ständen,  die  das  Fazit  aus  der  Fürstenrevolution 
des  Jahres  1552  zogen,  gänzlich  fernhielt.  Denn  hier  vor  allem  zeigte 
sich  der  Zusammenbruch  seiner  deutschen  Politik.  Der  Augsburger 
Reichstagsabschied  vom  25.  September  1555,  dem  König  Ferdinand 
im  Namen  (wenn  schon  gegen  die  Vollmacht)  seines  Bruders  die  kaiser- 
liche Genehmigung  verlieh,  brachte  als  Hauptstück  Religionsfreiheit 
für  die  protestantischen  Stände,  was  einem  Verzicht  der  Habsburger 
auf  ihre  katholisch-zentralistischen  Pläne  gleichkam.  Formell  war 
Karl  V.  damals  übrigens  noch  Kaiser,  und  aus  verschiedenen  Gründen 
erfolgte  auch  nach  dem  Abschied  der  Verzicht  auf  die  Kaiserwürde 
nicht  so  rasch.  Karl  übertrug  zunächst  nur  die  unbeschränkte  Re- 
gierung des  Reiches  an  seinen  Bruder  (Schreiben  an  das  Reichskammer- 
gericht vom  27.  August  1556  und  an  die  Kurfürsten  und  Fürsten  des 
Reiches  vom  7.  September);  zu  einer  Abdankung  bekannte  er  sich 
öffentlich  noch  nicht,  und  erst  am  28.  Februar  1558  wurde  dann  die 
Herrschaft  über  das  Reich  auf  dem  Kurfürstentage  von  Frankfurt 
offiziell  an  Ferdinand  I.  übertragen  —  ungefähr  ein  halbes  Jahr  bevor 
Karl  V.  in  dem  spanischen  Kloster  San  Yuste,  wohin  er  sich  im  Herbste 
1556  zurückgezogen  hatte,  starb  (21.  September  1558). 

Literatur.  Die  reichhaltige  Literatur  zur  deutsclien  Geschichte  in  den 
hier  behandelten  Jahren  ist  in  Georg  Mentz'  »Deutscher  Geschichte  1493  —  1648« 
(1913)  in  so  trefflicher  und  vollständiger  Weise  angeführt,  daß  hier  eine  Wieder- 
holung entbehrhch  ist;  dasselbe  gilt  von  den  Quellenpubhkationen.  Als  wichtigste 
Ergänzung  ist  seither  (1915)  hinzugekommen  die  Abhandlung  von  Hermann  Joseph 
Kirch,  »Die  Fugger  und  der  Schmalkaldische  Krieg«  (Studien  zur  Fugger- Geschichte, 

21* 


324  Die  letzten  Kämpfe  um  Italien. 

5.  Heft).  —  Aus  der  bereits  bei  Mentz  verzeichneten  Literatur  seien  hier  nur  genannt  ; 
P.Kannegießer,  »Die  Kapitulation  zwischen  Kaiser  Karl  V.  und  Papst  Paul  III. 
gegen  die  deutschen  Protestanten  (1546)«  (1888);  P.  Heidrich,  »KarlV.  und  die 
deutschen  Protestanten  am  Vorabend  des  Schmalkaldischen  Krieges«,  2  Teile 
(1911/12);  E.  Brandenburg,  »Der  Regensburger  Vertrag  usw.  (1546)«  in  der  »Histori- 
schen Zeitsckrift«  80  (1898);  A.  Hasenclever,  »Die  Politik  der  Schmalkaldner  vor 
Ausbruch  des  Schmalkaldischen  Krieges«  (1901)  und  »Die  Politik  Kaiser  Karls  V. 
und  Landgraf  PhiUpps  von  Hessen  vor  Ausbruch  des  Schmalkaldischen  Krieges« 
(1903);  S.  Riezler,  »Die  bayerische  PoHtik  im  Schmalkaldischen  Kriege«  in  den 
»Abhandlungen  der  bayer.  Akademie,  bist.  Klasse  XXI«  (1898);  P.Schweizer, 
»Der  Donaufeldzug  von  1546«  in  den  »Mitteilungen  des  Instituts  für  österr.  Ge- 
schichtsforschung« XXIX,  88ff.  (1908);  G.  Turba,  »Verhaftung  und  Gefangenschaft 
des  Landgrafen  Philipp«  im  »Archiv  für  österr.  Geschichte«  83  (1897);  O.  A.  Hecker, 
»Karls  V,  Plan  zur  Gründung  eines  Reichsbundes«  (bis  1547)  (Leipziger  Disser- 
tation; 1906);  G.  Turba,  »Das  rechtliche  Verhältnis  der  Niederlande  zum  deutschen 
Reich«  (1903);  derselbe,  »Beiträge  zur  Geschichte  der  Habsburger  II  und  III« 
(im  »Archiv  für  österr.  Geschichte«  90,  I,  Iff.  und  235 ff.  (=  zur  deutschen  Reichs- 
(md  Hauspolitik  der  Jahre  1548  — 1558);  G.  Bonwetsch,  »Geschichte  des  Passau- 
ischen Vertrages«  (1907).  —  J.  Grießdorf,  »Der  Zug  Karls  V.  gegen  Metz  1552«  (1891). 
Über  den  Zug  Kurfürst  Moritz'  gegen  Verden  Röscher  in  der  »Zeitschrift  des 
historischen  Vereins  für  Niedersachsen«  76.  Über  den  Vertrag  von  Vaucelles 
Segre  in  den  Denkschriften  der  Turiner  Akademie  ser.  2,  55  (1905). 

Über  den  Zug  gegen  Mehedia  die  Leipziger  Dissertation  von  Paul  Rachel, 
»Über  die  Geschichtschreibung  über  den  Zug  usw.  (1550)«  (1897;  weitere  Literatur 
über  diese  und  die  folgenden  Unternehmungen  in  Afrika  bei  La  Ronciere,  »Hist, 
de  la  Marine  frangaise«  III  [1906].  Über  die  Ereignisse  in  Italien  Romier  (zu  §  126), 
Walter  Ebering,  »Die  Schlacht  bei  Marciano«  1914  (Erlanger  Diss.).  Pierre  de 
Vaissiöre,  »Charles  de  Marülac«,  1896  (für  diesen  und  den  folgenden  Paragraphen). 

§  128.    Der  Ausgang  des  Kampfes  um  Italien   (1555 — 1559).    So 

schwer  auch  die  Niederlage  gewesen  war,  die  die  habsburgischen  Pläne 
in  Deutschland  erlitten  hatten,  so  erwuchs  für  den  Augenblick  dem 
Hause  Österreich  aus  dem  Augsburger  Religionsfrieden  doch  ein  be- 
trächtlicher Vorteil.  Daß  die  habsburgische  Regierung  dem  Reichs- 
tagsabschied des  Jahres  1555  ihre  Zustimmung  hatte  geben  müssen, 
bedeutete  allerdings  das  definitive  Ende  ihrer  auf  eine  Unterwerfung 
Deutschlands  hinauslaufenden  Bestrebungen;  aber  für  die  nächste  Zeit 
war  dadurch  die  Gefahr  eines  weiteren  Zusammenarbeitens  zwischen 
den  oppositionellen  deutschen  Ständen  und  Frankreich  beseitigt,  die 
Gefahr  also,  die  an  der  bedrohlichen  Lage  im  Jahre  1552  recht  eigent- 
lich schuld  war  (§  127).  Außerdem  war  durch  den  Sieg  über  Siena  die 
Position  des  habsburgischen  Vasallenstaates  Toskana  und  damit  die 
Stellung  der  Habsburger  in  Mittelitalien  überhaupt  befestigt  worden, 
und  solange  die  dynastische  Verbindung  zwischen  König  Philipp  IL 
von  Spanien  und  Königin  Maria  von  England  bestand,  war  auch  von 
dem  englischen  Königreich  zum  mindesten  kein  feindseliger  Akt  zu 
erwarten.  Aus  alledem  ergab  sich  die  Wahrscheinlichkeit,  daß  eine 
Wiederaufnahme  der  militärischen  Operationen  mit  Frankreich  zu- 
gunsten des  Hauses  Österreich  ausschlagen  würde. 

Diesen  Gang  nahmen  denn  auch  wirklich  die  letzten  zwischen 
1555  und  1559  fallenden  Kämpfe  um  Italien.  Mehr  als  je  zeigte  sich 
die  unbedingte  Superiorität  der  spanischen  Infanterie  über  ihre  Rivalen 


§  128.     Der  Ausgang  des    Kampfes  um    Italien.  325 

und  die  Tatsache,  daß  die  Franzosen  infolge  davon  in  offener  Feld- 
schlacht den  kürzeren  ziehen  mußten. 

Auf  zwei  Kriegstheatern  wurde  diese  letzte  Phase  des  Konfliktes 
ausgefochten.  In  Italien  machte  die  französische  Regierung  den  Ver- 
such, mit  Hilfe  des  Kirchenstaates  (seit  dem  23.  Mai  1555  war  Papst 
Paul  IV.  aus  dem  Geschlechte  der  Carafa),  der  durch  die  habsburgische 
Vorherrschaft  über  Italien  in  seiner  Selbständigkeit  bedroht  war,  die 
Lage  zu  verbessern.  Am  15.  Dezember  1555  wurde  zu  Rom  ein  Ver- 
trag zwischen  Frankreich  und  dem  Heiligen  Stuhle  geschlossen,  der 
eine  gemeinsame  Aktion  zwischen  beiden  Kontrahenten  gegen  den 
Kaiser  vorsah;  dem  Kirchenstaate  oder,  genauer  gesagt,  der  Familie 
(Carafa  wurde  als  Gegenleistung  für  ihre  Unterstützung  der  franzö- 
sischen Politik  Stadt  und  Gebiet  von  Siena  versprochen.  Aber  der  Krieg 
verlief  unglücklich  für  die  beiden  Alliierten.  Der  Herzog  von  Alba, 
Vizekönig  von  Neapel,  der  am  1.  September  1556  in  das  Gebiet  des 
Kirchenstaates  eingedrungen  war,  trieb  die  Armee  des  Herzogs  von 
Guise  zurück,  die  Neapel  erobern  sollte  (März  bis  Mai  1557).  Der 
Herzog  von  Guise  erhielt  dann  von  seiner  Regierung  den  Befehl,  die 
Expedition  nach  Neapel  einzustellen;  Alba  drang  bis  vor  die  Mauern 
von  Rom  vor  (26.  August  1557). 

Noch  wichtiger  waren  die  Ereignisse,  die  sich  gleichzeitig  auf  dem 
flandrischen  Kriegsschauplatze  abspielten.  Man  hatte  von  habsbur- 
gischer  Seite  nie  zugegeben,  daß  die  savoyische  Frage  durch  den  Ver- 
trag von  Vaucelles  gelöst  sei,  sowohl  mit  Rücksicht  auf  die  Sicherheit 
Mailands  wie  aus  dynastischen  Erwägungen  heraus  (der  depossedierte 
Herzog  von  Savoyen  Emanuel  Philibert  war  der  Sohn  des  1553  ver- 
storbenen Herzogs  Karl  III.,  der  ein  Schwager  Kaiser  Karls  V.  ge- 
wesen war).  Bereits  im  Januar  J557  galt  der  Waffenstillstand  daher 
als  aufgehoben,  und  am  7.  Juni  desselben  Jahres  erfolgte  die  offizielle 
Kriegserklärung  (im  Namen  Englands).  Führer  der  habsburgischen 
Truppen  war  der  Herzog  von  Savoyen  selbst,  der  durch  einen  Sieg 
über  die  Franzosen  sein  väterliches  Erbteil  wieder  zu  erlangen  hoffte. 

Der  Erfolg  war  vollständig  auf  seiner  Seite.  Die  französische 
Armee,  die  unter  dem  Kommando  des  Connetable  von  Montmorency 
zum  Entsätze  des  von  den  Spaniern  vergeblich  belagerten  Saint- 
Quentins  heranzog,  wurde  unter  den  Mauern  der  Stadt  vernichtend 
geschlagen  (10.  August  1557);  Montmorency  selbst  wurde  gefangen. 
Am  27.  August  mußte  sich  darauf  auch  Saint- Quentin  ergeben. 

Obwohl  die  spanischen  Truppen,  vielleicht  belehrt  durch  frühere 
Erfahrungen  (vgl.  §  125),  nicht  weiter  in  Frankreich  einzudringen 
wagten,  war  der  Feldzug  doch  für  Frankreich  in  der  Hauptsache  ver- 
loren. Zunächst  mußte  nun,  wie  bereits  erwähnt,  der  Herzog  von 
Guise  aus  Italien  zurückberufen  werden  (am  11.  August),  was  den 
Papst  vollständig  den  Spaniern  auslieferte  (Paul  IV.  schloß  daraufhin 
mit  Spanien  Frieden  [September  1557];  die  Bedingungen  waren,  da 
die  habsburgische  Oberherrschaft  über  Italien  ohnehin  feststand,  sehr 


'-^26  Die  letzten  Kämpfe  um  Italien. 

milde  und  hatten  keine  Veränderung  in  dem  territorialen  Besitzstand 
zur  Folge).  Das  bedeutete  gleichsam  den  offiziellen  Verzieht  auf  alle 
Süd-  und  mittelitalienischen  Pläne. 

Im  Norden  gab  allerdings  Frankreich  seinen  Widerstand  noch  nicht 
auf.  Der  Herzog  von  Guise  konzentrierte  die  gesamte  Macht  des  König- 
reiches auf  den  niederländischen  Kriegsschauplatz,  und  dank  der  artil- 
leristischen Überlegenheit  Frankreichs  waren  ihm  denn  auch  ver- 
schiedene Erfolge  beschieden.  Vor  allem  konnte  Calais  genommen 
werden  (13.  Januar  1558);  daran  schloß  sich  im  Frühjahr  und  Sommer 
desselben  Jahres  die  Eroberung  von  Diedenhofen  (22.  Juni)  und  Dün- 
kirchen (Anfang  Juli)  an.  Aber  ebensowenig  wie  früher  konnten  sich 
die  Franzosen  auch  jetzt  im  offenen  Felde  behaupten.  Der  Marschall  von 
Termes,  der  nach  dem  Falle  Dünkirchens  einen  Vorstoß  nach  Flandern 
unternommen  hatte  und  bis  nach  Nieuport  vorgedrungen  war,  wurde 
bei  Gravelingen  von  einem  flämischen  Heere  unter  dem  Grafen  Egmont, 
dem  Gouverneur  von  Flandern,  gestellt  und  entscheidend  geschlagen 
(13.  Juli   1558);   der   Marschall   selbst   geriet   in  Gefangenschaft. 

Nach  diesem  verunglückten  Versuche  der  Franzosen,  die  Offensive 
aufzunehmen,  trat  der  Zustand  ein.  der  in  den  vorhergehenden  Jahr- 
zehnten schon  mehrfach  den  Kriegen  zwischen  Spanien  und  Frankreich 
ein  Ende  bereitet  hatte:  ein  aus  dem  Gleichgewicht  der  militärischen 
Machtmittel  hervorgehender  Stillstand  der  Operationen.  Damit  war 
zugleich  auch  die  Voraussetzung  zur  Aufnahme  von  Friedensverhand- 
lungen gegeben,  und  wirklich  wurden  denn  auch  schon  Anfang  Oktober 
1558  die  Pourparlers  aufgenommen.  Der  wichtigste  Streitpunkt  war 
die  savoyische  Frage;  da  ein  Nachgeben  Frankreichs  in  diesem  Falle 
zugleich  einen  Verzicht  auf  die  gesamte  seit  1494  verfolgte  italienische 
Politik  des  Landes  bedeutete,  so  nahmen  die  Besprechungen  einen 
recht  schleppenden  Verlauf.  Erleichtert  wurden  die  Verhandlungen 
nur  dadurch,  daß  mit  Rücksicht  auf  die  Schweizer  die  spanischen 
Unterhändler  es  von  vornherein  ablehnten,  die  savoyischen  Ansprüche 
auf  Genf  (vgl.  §  124)  zu  unterstützen.  Eine  Vereinfachung  bedeutete 
es  auch,  daß  Frankreich  sich  nicht  mehr  mit  dem  Kaiser,  sondern  nur 
mit  Spanien  verständigen  mußte:  die  Frage  der  drei  Bistümer  des 
Reiches  (§  127)  wurde  daher  nicht  zur  Diskussion  gestellt.  Überhaupt 
zeigte  sich  die  spanische  Regierung  bereit,  in  all  den  Punkten  entgegen- 
zukommen, die  ihre  Interessen  in  Italien  und  den  Niederlanden  nicht 
direkt  berührten.  Der  sozusagen  europäische  Gesichtspunkt,  der  die 
Politik  Kaiser  Karls  V.  geleitet  hatte,  trat  bei  ihr  stark  zurück.  Es 
zeigte  sich  dies  vor  allem  bei  der  Frage,  ob  Calais  an  England  zurück- 
gegeben werden  sollte:  die  Regierung  König  Philipps  machte  die  Re- 
stitution dieser  Stadt  nicht  zur  absoluten  Friedensbedingung.  Aller- 
dings kam  hinzu,  daß  sich  gerade  in  diesem  Punkte  die  Situation  wäh- 
rend der  Verhandlungen  zugunsten  Frankreichs  verschob.  Königin 
Maria  von  England,  die  Gemahlin  Philipps  IL,  starb  nämlich  am 
17.  November  1558;  dadurch  verlor  Spanien  sein  unmittelbares  Interesse 


§  128.     Der  Ausgang  des  Kampfes  um  Italien.  327 

an  Calais  (die  Verhandlungen  wurden  damals  für  zwei  Monate  unter- 
brochen). 

Auf   der  Basis   solcher  Kompensationen   konnten   die  Pourparlers 
schließlich   zu  einem  guten  Ende  gebracht  werden;  am  3.  April  1559 
wurde  zu  Cateau-Cambresis  der  Friede  unterzeichnet.    Frankreich  ver- 
zichtete darin  einerseits  so  gut  wie  vollständig  auf  alle  seine  Erobe- 
nmgen  in  Italien:  der  Herzog  von  Savoyen,  der  mit  Margarete,  der 
Schwester  des  Königs  von  Frankreich  vermählt  werden  sollte,  erhielt 
(mit  Ausnahme  von  Genf)  sein  ganzes  Gebiet  zurück,  sogar  den  alten 
französischen  Besitz  Asti  (einige  der  Form  wegen  gemachte  Einschrän- 
kungen können  hier  übergangen  werden);  die  Insel  Korsika  (vgl.  §  127) 
wurde   Genua  zurückgegeben;   die   Republik  Montalcino,   die  von  der 
mit    Frankreich    verbündeten    sienesischen    Patriotenpartei    gegründet 
worden  war,  und    die  gesamte  antimediceische  Opposition  in  Toskana 
überhaupt  wurden  preisgegeben;  Montferrat  und  Casale  wurden  dem 
Herzog  von  Mantua  restituiert.    Auf  der  anderen  Seite  gewannen  die 
Franzosen  Calais.    Allerdings  war  eine  eigentliche  Abtretung  der  Stadt 
nicht  zu  erlangen  gewesen:  Calais  wurde  vielmehr  nach  dem  Vertrag, 
der  zwischen  Königin  Elisabeth  von  England  und  König  Heinrich  II. 
von  Frankreich  am  2.  April  1559  (ebenfalls  zu  Cateau-Cambresis)  ab- 
geschlossen   wurde,    den    Franzosen    nur    für    acht    Jahre    überliefert. 
Aber  die   Stadt  konnte  trotzdem  als   definitiver  französischer  Besitz 
gelten.    Auch   die   Unterhändler   faßten   es  in   diesem   Sinne   auf:   die 
spanischen  Bevollmächtigten  gaben  erst  dann  den   Kampf  um  Calais 
auf,  als  sich  alle   Hoffnungen  auf  eine  ehehche  Verbindung  zwischen 
Philipp  IL  und  der  neuen  Königin  von  England,  Elisabeth,  zerschlagen 
hatten;  sie  sahen  also   doch  wohl  in  der  Abmachung  des  Vertrages 
mehr  als  ein  Provisorium.     Die  englische   Regierung  ihrerseits  konnte 
mit  Rücksicht  auf  ihre  militärische  Schwäche  (§  85)  nicht  anders  als 
in  die  Abtretung  einwilligen,  nachdem  Spanien  sie  preisgegeben  hatte. 
Der  Friede  war,  wie  es  der  militärischen  Lage  entsprach,   mehr 
zugunsten  der  spanisch-hasburgischen  als  der  französischen  Regierung 
ausgefallen.    Trotzdem  aber  wurden  die  Abmachungen  auch  in  Frank- 
reich als   der   Beginn   einer   Friedensperiode   angesehen   und   durchaus 
ehrhch  gehalten.    Dies  geht  nicht  nur  aus  der  sofort  erfolgten  Räumung 
des  Piemont  und  Montalcinos  durch  die  französischen  Truppen  hervor, 
sondern  auch  aus  den  ehehchen  Verbindungen,  die  zwischen  den  bis- 
herigen Gegnern  eingegangen  wurden.    Unmittelbar  an  die  Beschwörung 
des  Friedens  durch  König  Heinrich  IL  (18.  Juni  1559)  schloß  sich  näm- 
lich die  Vermählung  König  Philipps  IL  mit  Elisabeth  von  Valois,  der 
älteren  Tochter  des  französischen  Königs,  und  die  im  Friedensvertrag 
vorgesehene  Verlobung  des   Herzogs  Emanuel   Philibert  von  Savoyen 
mit  dessen  einziger  Schwester  Margarete  an  (27.  Juni).    (Während  der 
Festlichkeiten,  die  bei  diesem  Anlaß  in  Paris  gefeiert  wurden,  erhielt 
König  Heinrich  bei  einem  Lanzenstechen  einen  Stich  ins  Auge  [30.  Juni], 
der  kurz  darauf  seinen  Tod  herbeiführte  [10.  Juh  1559].) 


328  Die  letzten  Kämpfe  um  Italien. 

Der  Kampf  zwischen  Habsburg-Spanien  und  Frankreich  um  Italien 
war  für  mehrere  Jahrhunderte  zugunsten  des  Hauses  Österreich  beendigt. 
Frankreich  war  zwar  nicht  direkt  verkleinert  aus  dem  Streite  hervor- 
gegangen; es  hatte  durch  die  Erwerbung  der  drei  Bistümer  und  Galais* 
sein  Gebiet  sogar  nicht  unbeträchtlich  vergrößern  können.  Aber  an 
dem  gewaltigen  Gebietszuwachs  seiner  Rivalen  gemessen,  hatte  sich  sein 
Besitz  bedeutend  vermindert:  es  war  aus  der  ersten  an  die  zweite  Stelle 
gerückt  und  alle  seine  Anstrengungen  in  Italien  hatten  nur  dazu  gedient, 
die  apenninische  Halbinsel  der  Oberherrschaft  des  Gegners  zu  unter- 
werfen. Weder  zu  Lande  noch  zur  See  noch  auch  vielleicht  nur  seiner 
finanziellen  Leistungsfähigkeit  nach  konnte  es  mehr  als  die  stärkste 
Macht  der  Christenheit  gelten. 

Wenn  die  Geschichte  der  nächsten  Jahrzehnte  trotzdem  nicht  das 
Anwachsen  der  spanisch-habsburgischen  Macht  zeigt,  das  man  auf  Grund 
dieser  Niederlage  Frankreichs  erwarten  sollte,  so  liegt  dies  nur  darin 
begründet,  daß  sich  neue  Mächte  erhoben  und  auf  die  Entwicklung 
des  europäischen  Staatensystemes  Einfluß  ausübten.  Die  wichtigste 
Erscheinung  dieser  Art  ist  wohl  das  Aufkommen  Englands.  Kaiser  Karl  V. 
war  durchaus  im  Rechte,  wenn  er  in  seinem  großen  politischen 
Testament  an  seinen  Sohn  Philipp  (II.)  dem  englischen  Königreich  nur 
einen  kurzen  Paragraphen  widmete:  die  englische  Macht  war  damals 
wirklich  beinahe  bedeutungslos  und  mit  den  großen  Militärmächten  des 
Festlandes  nicht  in  Parallele  zu  setzen.  Aber  der  Kaiser  war,  wie  es 
gerade  aktiven  Staatsmännern  zu  gehen  pflegt,  blind  gegen  Verände- 
rungen, die  sich  unter  der  Oberfläche  des  öffentlichen  Lebens  vollzogen 
und  in  den  staatlichen  Organisationen  noch  keinen  Ausdruck  gefunden 
hatten.  Die  militärische  Leistungsfähigkeit  Englands  war  relativ  im 
Jahre  1559  allerdings  vielleicht  noch  geringer  als  im  Jahre  1492.  Aber 
es  waren  dort  latente  Kräfte  vorhanden,  die  der  spanischen  Politik 
schließlich  wirksam  entgegenzutreten  vermochten. 

Die  zu  Cateau-Gambresis  erfolgte  Regelung  des  italienischen  Kon- 
fliktes wurde  dadurch  freilich  nicht  mehr  in  Frage  gestellt.  Was  auch 
die  Habsburger  durch  den  Aufstand  der  Niederlande  verlieren  mochten, 
ihr  Sieg  über  Frankreich  hatte,  was  Italien  betraf,  definitiven  Cha- 
rakter, und  ihre  Vorherrschaft  über  die  apenninische  Halbinsel  war 
auf  Jahrhunderte  hinaus  sichergestellt. 

Literatur.  Auch  hier  haben  wir  über  die  diplomatischen  Verhandlungen 
eine  moderne  wissenschaftliche  Darstellung,  in  der  auch  die  gesamte  Spezialliteratur 
verzeichnet  ist ;  es  ist  dies  der  zweite  Band  des  zu  §  126  zitierten  Werkes  von  L.  Romier 
der  unter  dem  Untertitel  ^>La  fin  de  la  magnificence  exterieure,  le  roi  contre  le  pro- 
testants  (1555 — 1559)«,  1914,  erschienen  ist.  —  Über  das  MiUtärische  Henning^ 
von  Koß,  »Die  Schlachten  bei  St.  Quentin  und  bei  Gravelingen«,  1914  (»Historische 
Studien«,  ed.  Ehering,  118);  Lemaire,  Courteault  u.  a.,  »La  guerre  de  1557  en  Picardiei, 
1896  (Soc.  acad.  de  Saint-Quentin).  —  A.  de  Ruble,  »Z,e  traite  de  Cateau-Cambresis«^ 
1889. 


Namen-  und  Sachregister. 


A. 

Abruzzen  223,  265. 

Achaia  304. 

Ackerbau  11,  37  ff.  (§  18),  80  f.,  87,  105, 

192,  194,  216,  238,  240,  245.    S.  auch 
unter  Getreide. 

Adel  18,  54,  56-59,  83  f.,  86,  88-90, 
100,  112,  119  f.,  128-131,  152,  160, 

193,  196  f.,    204  f.,    216,    222-224, 
241  f.,  253,  268,  272,  305. 

Adriatisches  Meer  116,  118,  122,  131, 
141,  147  f.,  155  f.,  161,  172,  174, 
219,  221,  225  f.,  258,  267,  269,  (296). 

Afrika  26,  35,  78,  91,  99,  103,  157,  178, 
189,  —  Seeweg  um  A.  s.  Handels- 
wege. —  Die  Stadt  »Afrika«  305. 
S.  auch  Nordafrika. 

Ägäisches  Meer  170.  S.  auch  Griechen- 
land. 

Agnadello,  Schlacht  bei  (1509)  271,  287. 

Ägypten  157,  175,  178,  180-182.  189, 
301. 

Aigues-Mortes  309. 

Alaun  87,  218. 

Alba,  Herzog  von,  Fernando  Alvarez  de 
Toledo  (t  1582),  312,  325. 

Albanien,  Albanesen  19  f.,  58  155,  163, 
168,  174,  180,  182,  189. 

Albany,  Johann  Stuart,  Herzog  von,  289. 

Albrecht  Alcibiades,  Markgraf  von  Bran- 
denburg-Bayreuth (t  1557),  322. 

Albret  (d'),  das  Königsgeschlecht  von 
Navarra,  262,  285. 

Alcalä  de  Henares,  Waffenstillstand  von 
(1497),  260. 

Alexander  VI.  (Rodrigo  Borja  oder  Bor- 
gia,  geboren  1431),  Papst  1492  — 1503 
216,  220,  254  f.,  262,  265. 

Alfons  I.,  Herzog  von  Ferrara  (1505  bis 
1534),  274  f. 


Alfons  II.  (geboren  1448),  König  von 
Neapel  (1495),  254. 

Algier  99  f.,  175  f.,  178,  187,  244,  297, 
300,  304  f.,  311. 

Alpenpässe  74,  231,  279. 

Alviano,  Bartolommeo  d',  Condottiere, 
271. 

Amalfi,  Treffen  bei  (1528),  296. 

Amerika  2,  28,  35,  80,  84,  87,  90. 

Amsterdam  107,  109. 

Anatolien  182. 

Ancona  212,  231. 

Andalusien  82,  94,  97. 

Anden  81. 

Anshelm,    Valerius    (1475-1547),    XII. 

Antisemitismus  84,  86. 

Antonelli  92. 

Antwerpen  35,  105,  108  f.,   125,  157. 

Apenninen  256. 

Apulien  96,  258,  265,  269-271,  296. 

Aquileja,  Patriarchat,  270. 

Araber  19,  182. 

Aragon,  Königreich,  aragonesisch,  57  f., 
67  f.,  79,  84,  86,  88,  90,  96,  98,  102, 
226,  252,  258,  265,  270,  308. 

Ardres  200.  —  Vertrag  von  (1546),  316. 

Ariost,  L.,  297. 

Arles  307. 

»Armare«  34,  229,  266. 

Armbrust  20. 

Arona,  Vertrag  von  (1503),  264. 

Arta,  Schlacht  bei  (1538),  310. 

Artilleriewesen,  Bedeutung  der  Artillerie 
18  f.,  21-24,  29,  60-63,  72  f.,  92, 
112  f.,  116,  121,  123,  131,  137,  151, 
153,  161,  163  f.,  168,  177,  183—185, 
198-200,  202,  205,  209  f.,  224,  231, 
233,  239,  241  f.,  245  f.,  253  f.,  257, 
262  f.,  265  f.,  271  f.,  276,  278  f.,  285, 
289  f.,  302-304,  307,  326.    S.  auch 


380 


Namen-  und  Sachregister. 


Feuerwaffen,  Büchsenmeistei .  Be- 
festigungswesen, Belagerungen. 

Artois  251,  298,  308. 

Asien  26,  125,  157,  168,  170,  189,  247. 
S.  auch  Handelswege. 

Asti   256  f..    277  f.,   292,    298,   306,   327. 

Atella  258. 

Atlantischer  Ozean  28  f.,  63  f. 

Augsburg,  Reichstag  von  1547/48  14, 
320.  —  Reichsabschied  von  1555 
323  f. 

Avenel,  G.  d',  53  f. 

»Aventuriers«  16. 

Avignon  307. 

Avila,  Luis  de,  Kammerherr  Karls  V., 
Verfasser  einer  kaiserlich  offiziösen 
Beschreibung  des  Schmalkaldischen 
Krieges,  241 . 

B. 

Bagdad  182. 

Bajazet  IL,  türkischer  Sultan  (1481  bis 
1512),  254. 

Balearen  187. 

Balkan  36,  158,  169,  174,  176,  182,  243. 

Bankgewerbe  212,  227,  229,  232  f.,  253. 

Bar-le-Duc,  Abmachung  von  (1534),  303. 

»Barbaren,  Kampf  gegen  die«  (Schlag- 
wort), 44  f.,  171,  273. 

Barbaresken  s.  Nordafrika. 

Barbarossa,  die  beiden  Brüder  Urudsch 
oder  Arudsch  (t  1518)  und  Ghair-ed- 
din  (t  1547),  besonders  der  jüngere, 
Korsarenfürsten  in  Algier.  49,  99, 
118,  186,  243  f.,  304  f.,  308,  310, 
314,  320.  Vgl.  im  übrigen  Nord- 
afrika. 

Barcelona,  Vertrag  von  (1492),  251  f.  — 
Vertrag  von  (1529),  299. 

Basel,  Friede  von  (1499),  262. 

Basilicata  258. 

Baskische  Provinzen  (speziell  Biskaya  u. 
Guipuzcoa)  30,  79,  87  f.,  94,  102,  286. 

Baumwolle  126. 

Bayart  (Pierre  du  Terrail,  seigneur  de; 
1476-1524)  288. 

Bayern  120,  134  f.,  137,  142  f.,  149  f., 
152,  303,  318,  321. 

Beatis  (Antonio  de),  Sekretär  des  Kar- 
dinals Ludwig  von  Aragon  (f  1519), 
beschrieb  dessen  Reise  durch  Deutsch- 
land, Frankreich  und  Italien  1517/18 
55, 109, 116  (diese  Schrift  ist  im  Text 
nach  der  neuesten  [französischen] 
Übersetzung  zitiert;  richtiger  wäre 
gewesen,    das    Original    anzuführen. 


das  1905  von  L.  Pastor  ediert  würde 
[»Erläuterungen  und  Ergänzungen  zu 
Janßen«  IV,  4]). 

Befestigungswesen,  Befestigungen  221., 
60-63,  92,  112  f.,  121,  128,  163  f., 
179,  185,  193,  196  f.,  199  f.,  205  f., 
208,  210,  221-225,  237,  242,  246, 
254,  265,  288,  307  f.,  312,  317,  321. 
S.  auch  Belagerungen. 

Belagerungskunst,  Belagerungen  18, 211'.. 
130,  177,  184  f.,  237,  288  f.,  296,  299, 
302  f.,  307, 325.  S.  auch  Befestigungs- 
wesen. 

Belgrad  301. 

Bellinzona,  Grafschaft  264. 

Beloch,  JuHus,  54,  86. 

Belt  106. 

Bembo,  Pietro  (1470-1547),  Sekretäi- 
Papst  Leos  X.,  X. 

Bentivoglio,  Geschlecht  der,  274. 

Bergamo  270  f. 

Bergbau  38,  53,  60,  115,  117,  122.  124, 
193,  240  f. 

Bern  74  f.,  230,  236,  239,  307. 

Bernäldez,  Andres  ( t  um  1513 ),  spanischer 
Chronist,  84  f. 

Bernays,  J.,  85. 

BesanQon  112,  287. 

Bevölkerungswesen  33,  37  —  39,  52—54, 
79-81,  105,  107  f.,  115,  123  f.,  128, 
155,  175  f.,  191  f.,  194,  199,  205, 
207  f.,  211,  215  f.,  220  f.,  223,  226, 
231,  234  f. 

Biagrasso,  Treffen  bei,  288. 

Biasca  210. 

Bicocca,  Schlacht  bei,  283,  286,  290. 

Biskaya  s.  baskische  Provinzen. 

— ,  Golf  von  97. 

»Bistümer,  die  drei«  (die  Städte  Metz, 
Toul  und  Verdun)  326,  328. 

Bläsquez,  Antonio,  86. 

Blei  193,  240. 

Blois,  Vertrag  von  (1499):  261,  Vertrag 
von  (1504):  267,  Vertrag  von  (1505): 
268,  Vertrag  von  (1513):  277. 

Bogenschießen,  Bogenschützen  20  f.,  72, 
199. 

Böhmen  16,  86,  92,  114  f.,  117,  119  bis 
121,  140,  150,  301. 

Bologna  274,  276,  299.  —  Vertrag  von 
(1529)  299. 

»Bombarden«  62,  163. 

Bomy,  Waffenstillstand  von  (1537)  308. 

Bonnivet  (Guillaume  de),  »AdmiraU, 
französischer  Staatsmann  und  Heer- 
führer (1488-1525),   287,  290. 


Namen-  und  Sachregister. 


331 


Borgia  (Borja),  Cesare,  Sohn  Papst 
Alexanders  VI.  (1478-1507)-,  62, 
213,  216,  220,  259,  262,  265. 

Boscän,  Juan  (ca.  1490  —  1542),  spani- 
scher Dichter.  97. 

Bosnien  180. 

Bosporus  178. 

Bougie  245. 

Bouillon,  Herzog  von.  s.  Mark,  Robert 
von  der. 

Boulogne  314  —  317.  —  Vertrag  von 
(1550)  316  f. 

Bourbon,  Karl  III.,  Herzog  von,  Connö- 
table  (1490-1527),  57,  287  f.,  292, 
294  f. 

Bourges  263.  —  Pragmatische  Sanktion 
von  (1438)  281. 

Bourgogne  (Herzogtum  Burgund)  78, 
115,  118,  292  f.,  298. 

Brabant  105. 

Brasca,  E.,  137. 

Braugewerbe  126. 

Bremen  132. 

Brescia  121,  158,  160,  210,  270  f. 

Brindisi  258,  270. 

Brixen  263. 

Brügge  107  —  109.  —  Vertrag  von  (1521) 
287. 

Brüssel  17.  —  Vertrag  von  (1516)  281, 
Vertrag  von  (1522)  283. 

Burchardus  X. 

Büchsenmeister,  Geschützgießerei  21, 
121,  177,  241.    Vgl.  Artilleriewesen. 

Burgos  142,  275. 

Bürgertum  s.  Mittelstand. 

Burgundische  Lande  s.  Niederlande  und 
Freigraf Schaft.  Burgundische  Politik 
(der  Habsburger)  69  —  71,  134,  144, 
149,    151,    255,    277,    282,    292,    298. 

Burgunderkriege  10,  161. 

Busch,  V^ilhelm,  204. 

Byzantinisches  Reich  49,  177,  180  —  182, 
186.  188,  190. 

C. 
Calais  68,  72,  113,  145,  198  —  200,  206, 

326-328. 
Cambrai  321.  —  Liga  von  (1508)  160, 163, 

165,   167,   267,  268-270,  271—273, 

277,    280  f.    -    Frieden    von    (1529) 

298,  300,  306,  308. 
Carafa  325. 
Casale  327. 

Castiglione,  B.  (1478-1529),  X. 
Castillon  (Louis  de  Perreau,  seigneur  de), 

französischer  Diplomat,  229. 


Cateau-Cambresis,  Friede  von  (1559), 
327  f. 

Cecil,  William,  englischer  Staatssekretär 
(t  1612),  17. 

Cerdagne  101,  251. 

Ceresole,  Schlacht  bei,  59,  316. 

Ceri,  Renzo  da,  288. 

Cervantes,  M.  de,  187. 

Chair-ed-din  s.  Barbarossa. 

Chambord,  Vertrag  von  (1552),  321 

Champagne  285. 

Charolais  251,  308. 

Chäteau-Thierry  314. 

Chiffren  95. 

China  108. 

Christenheit,  christliches  Gemeinschafts- 
gefühl 7,  16,  46-50,  170,  174,  181, 
185,  189  f.,  282,  291. 

Christian  III.,  König  von  Dänemark 
(1534-1559),  313. 

Claudia,  Tochter  König  Ludwigs  XII., 
Gemahün  Franz'  L,  267. 

Cleve  312,  318. 

Cognac,  Bund  von  (1526),  293  f. 

Col  d'Argentiere  279. 

Colonna  294.  —  Camillo  C,  Kondottiere, 
233. 

Commines  (Philippe  de;  ca.  1447  —  1511), 
4,  24,  62,  68,  172,  208,  234,  253,  257, 
260. 

Como  209. 

Comuneros,  Aufstand  der  (1520/21),  285. 

Cosimo  de'Medici  (1519  —  1574),  1537 
Herzog  von  Florenz,  1569  Großher- 
zog von  Toskana,  211,  215,  322. 

Creighton,    Mandell    (1843  —  1901),    198. 

Crema  270. 

Cremona  208,  261,  263,  270,  294. 

Crepy,  Vertrag  von  (1544),  314,  315,  318. 

Cromwell,  Thomas,  englischer  Staats- 
mann (t  1540),  196  f.,  205. 

Guspinian,  deutscher  Humanist  (1473 
bis  1529),  139. 

Cypern  155,  158,  164,  270. 

D. 

Dalmatien  148,  155,  157  f.,  164, 168,  235. 

»Damenfrieden«  298. 

Dänemark  76, 106  f.,  113,  207,  246,  247f., 
303,  311-313.  S.  auch  Skandina- 
vien. 

Dardanellen  97,  17U. 

Delbrück,  Hans,  16,  19,  239.  S.  auch 
preußische  Schule. 

Deutschland  (das  Reich),  Deutsche  VI, 
IX,  7  f.,  12,  14-17,  23,  33,  40,  42  f., 


332 


Namen-  und  Sachregister. 


45,  49  f.,  52,  57,  59,  64,  69-71,  81, 
86  f.,  91  f.,  104,  108  f.,  112,  118,  120, 
123-137,  139  f.,  142,  144,  149-151, 
153,  162,  174,  181,  200,  210,  221, 
225,  229,  231,  233,  237,  239,  241  f., 
250,  255,  262,  283  f.,  294,  302  f.,  305, 
309  f.,  317,  323  f.,  326.  -  Reichs- 
regiment 135  f.  —  Kammergericht 
133,  323.  -  Reichsstädte  126  f., 
130  f.,  133  —  137,  237,  302,  319,  321. 
—  Söldner  s.  Landsknechte. 

Deutscher  Orden  151, 

Diedenhofen  326. 

Diehl,  Charles,  30. 

Dijon,  Vertrag  von  (1513),  17,  235,  278. 

Diplomatie,  diplomatische  Organisation, 
diplomatischer  Verkehr  VII,  XI, 
4-7,  65-67,  69,  71,  76  f.,  79,  95f., 
100,  133,  136,  138-140,  143  f  ,  I50f., 
153,  164-166,  187  f.,  196,  203  f., 
219-221,  230,  238,  240,  242,  245  bis 
247,  256,  282,  284,  290,  300,  305, 
311,  318,  320. 

Domodossola  276. 

Doria,  Andrea  (1466-1560),  33,  48, 184, 
225,  228  f.,  266,  294,  296-298,  300, 
304,  317,  320,  322.  -  Filippino,  Neffe 
des  Vorigen,  296. 

Dover  200. 

Dragut,  kleinasiatischer  Seeräuber,  Bey 
von  Tunis  (t  1565),  320,  322. 

Drenthe  105. 

Dschem,  jüngerer  Bruder  des  türkischen 
Sultans  Bajazet  II.,  254. 

Dünkirchen  326. 

Düren  313. 

Dürr,  Emil,  69. 

E. 
Eduard  VI.,  König  von  England  (1547 

bis    1553),    Sohn    Heinrichs    VIII., 

316,  322. 
Egmont,  Lamoral  Graf  von  (t  1568),  326. 
Eidgenossenschaft  s.  Schweiz. 
Eisen  164.    S.  auch  Metalle. 
Eleanore,  Schwester  Karls  V.,   Königin 

von  Portugal,  später  von  Frankreich, 

292,  298. 
Elisabeth,    Königin   von   England   1558 

bis  1603,   Tochter   Heinrichs  VIII., 

200,  327. 
Elisabeth    von    Valois,    Tochter  Hein- 
richs II.  von  Frankreich,  327. 
Elsaß  17,  120. 
Emanuel  Philibert,  Herzog  von  Savoyen 

(1553-1580),  325,  327. 


Engelsburg  295. 

Enghien,  Herzog  von,  315. 

England  VI,  VIII  f.,  2  f.,  6,  13,  17,  20, 
24,  28  f.,  32-34,  41,  43  f.,  46,  50, 
52,  55  f.,  63,  66-68,  71-73,  88,  91, 
95,  102,  106,  108,  110,  113,  115, 
125-127, 140  f.,  144-146, 155, 160f., 
165,  191-207,  212,  218,  241,  246  f., 
251,  255,  261,  269,  275,  277  f.,  284, 
286-290,  292  f.,  295,  297  f.,  303, 
310-318,  322-328. 

Enguinegatte  277. 

Entdeckungen  2,  35.  S.  Handelswege, 
Amerika,  Molukken  usw. 

Epidemien  52,  296,  307. 

Esquiros  285. 

Essek  308. 

Etaples,  Vertrag  von  (1492),  251,  261. 

Expedition,  französische  nach  Neapel 
(1494),  1,  18,  20,  44,  61,  63,  78,  91, 
148,  162,  224,  250-269,  261. 

F. 

Farnese,  Ottavio,  Sohn  Papst  Pauls  III., 
Herzog  von  Parma  und  Piacenza, 
320.  —  Pierluigi,  Bruder  des  Vorigen, 
Herzog  1545-1547,  317. 

Felle  193. 

Feller,  R.,  239. 

Ferdinand  I.  (1503  —  1564),  jüngerer  Bru- 
der Karls  V.,  Regent  der  habsburgi- 
schen  Hausmacht  in  Deutschland 
(vgl.  §  118),  von  1526  an  König  von 
Böhmen  und  von  Ungarn,  von  1556 
an  Kaiser,  VIII,  31,  34,  49, 116-118, 
120,  122  f.,  129,  136,  138  f.,  142,  148, 
242,  270,  278,  283  f.,  288,  299,  301  f., 
308  f.,  310,  318,  320  f.,  323. 

Ferdinand  der  Katholische  (1452  —  1516), 
König  von  Aragon  1479,  XI,  90,  93, 
95-99,  226,  267  f.,  274,  278,  283. 
S.  auch  Katholische  Könige. 

Ferdinand  II.  (1469-1496, 1495/96  nach 
der  Abdankung  seines  Vaters  Al- 
fons'  II.  König  von  Neapel)  254, 
257  f.,  265. 

Ferrara,  Herzogtum,  175,  215,  223,  231 
bis  233,  257,  269-271,  274-276, 
284,  294  f.,  299. 

Ferruccio,  Fr.,  Kondottiere  (t  1530),  299. 

Feuerwaffen  20,  34,  37,  130,  184,  189, 
200,  209  f.,  237,  247.  S.  auch  Hand- 
feuerwaffen, Artillerie. 

Fiesco  (Fieschi),  G.  L.,  317. 

FinanzpoUtik  39  —  42.  S.  auch  Handels- 
politik, Bankgewerbe. 


Namen*  und  Sachregister. 


333 


Fischerei  107  f.,  246. 

Fiume  122,  270. 

Flandern  38,  102-108,  110,  112  f.,  126, 
143,  159,  194,  207,  212,  218,  250, 
298,  308,  325  f.    S.  auch  Niederlande. 

Fleisch  158  f. 

Florenz,  Republik,  VI,  IX,  XI,  3,  6,  13, 
24,  34,  42,  45,  86,  94,  113,  149,  167, 
174,  211-216,  216,  220,  227,  229, 
233,  253-255,  258  f.,  269  f.,  276  f., 
280  f.,  288,  293-295,  298  f.,  322. 

Foix,  Gaston  de,  Herzog  von  Nemours 
(1489-1512),  275. 

Fornovü,  Gefecht  bei,  257. 

Fortescue,  Sir  John,  englischer  Staats- 
mann (ca.  1394  —  1476),  52,  56,  191, 
204. 

Francesco  Maria  I.,  Herzog  von  Urbino, 
220,  281. 

Francesco  II.  Maria  (Sforza),  Sohn  des 
Lodovico  Moro  (1492  —  1535),  286, 
294,  299,  306. 

Frankfurt  284,  323. 

Frankreich,  Franzosen,  VI,  VIII  f., 
XVIII,  2-6,  8-10,  13-15,  17, 
22  f.,  27,  29-35,  41,  43  f.,  46,  50, 
51-- 79,  82,  85-95,  97  f.,  100-103, 
105-117,  119-125,  127-131,  134f., 
137,  140-146,  148-151,  155  f.,  161 
bis  163,  166  f.,  170,  172,  175  f.,  187  f., 
190-195,  198  —  207,  209  f.,  212,  216, 
218-220,  222,  224  f.,  227-233,  235 
bis  241,  244-247,  249-Schluß.  - 
Verbindung  Frankreichs  mit  der  Tür- 
kei 5,  47-49.  64,  76  f.,  100,  144, 
190  f.,  291.  300,  302,  305,  306,  308, 
310  f. 

Franz  I.  (1494  —  1547),  König  von  Frank- 
reich 1515,  65,  92,  267,  279,  281, 
288,  290,  292  f.,  298,  304,  306  f., 
309  f.,  313  f.,  316. 

Franz    II.,     König    von     Frankreich 
(1559/60),  316. 

Freiburg  i.  Ü.,  Friede  von  (1516),  238, 
281,  283. 

»Freie  Knechte«  12,  15  f.,  235. 

Freigrafschaft  (Franche-Comt6)  VI,  69,73, 
78,  107,  109,  111-113,  143  f.,  239, 
251,  287,  292. 

Friaul  122  f.,  270  i. 

Friedewalde,  Abmachungen  von  (1552), 
321. 

Friedrich,  König  von  Neapel  (t  1504), 
258,  265. 

Friesland  105. 


Frundsberg,  Georg  v.,  Kondottiere  (1473 

bis  1527),  16,  162. 
Fuenterrabia  101,  286. 
Fugger  136,  323. 
»Fürstenrevolution«,  deutsche,  321,  323. 

O. 

Gaeta  258,  266. 

Gaghardi,  E.,  15,  259. 

Galeeren  s.  Ruderschiffahrt  und  Sträf- 
linge. 

Gallerate,  Vertrag  von  (1515),  279. 

Gallipoli  258. 

Garighano  266. 

Gascogne  59. 

Gattinara,  Großkanzler  Karls  V.  (1465 
bis  1530),  142  f.,  210,  224. 

Gavignana  299. 

Gegenreformation  43. 

Geldern,  Herzogtum,  105.  115,  313  f., 
318. 

Genf  307,  326  f. 

»Gens  d^ armes«  17. 

Gent  310. 

Genua,  Republik,  XVIII,  3,  26  f.,  30 
bis  34,  42,  64  f.,  69,  74,  76-78,  85, 
87,  94,  97,  101,  114,  123,  146,  149, 

156,  167,  174,  186,  190,  208,  210  bis 
212,  214  f.,  219,  222,  225,  226-229, 
230,  232  f.,  243-245,  250-253,  257, 
259  f.,  264,  266,  268,  274,  276,  278  f., 
281,  284,  286,  288  f.,  292,  296  f.,  300, 
304-307,  310,  317,  322,  327.  - 
St.  Georgsgesellschaft  228. 

Germaine  de  Foix  268. 

Gesandtschaften,  die  Errichtung  stän- 
diger, 5-7,  95,  136,  165  f.,  188,  204, 
220,  242,  246  f.,  300,  305.  S.  auch 
Diplomatie. 

Geschichtschreibung  VII,  XIX  f.,  7,  9, 
95,  140,  154,  170,  239,  250,  290,  305. 

Getreide  (Getreideproduktion,  -handel, 
-sperre),  XVII  f.,  3,  33,  35-37,  52 
bis  54,  69,  75,  79  —  81,  86  —  88,  96  bis 
98,  102,  105--107,  115,  124,  126  f., 
155  f.,  158-160,  164,  166  f.,  169  f., 
172-177,  179,  190,  192  f.,  208-210, 
212  f.,  216,  221-223,  227  f.,  232, 
234-237,  239  f. 

Gewerbe  s.  Handwerk. 

Gewürzhandel   55,   101,   108,   116,   125, 

157,  176,  178. 
Ghiara  d'Adda  261,  270. 
»Ginetes«  19  f.,  58,  92. 
Glasindustrie  117,  158. 


334 


Namen-  und  Sachregister. 


Gleichgewicht  innerhalb  des  Staaten- 
systems 45  f.,  78,  167,  268,  281  f., 
284,  286,  291  f.,  309. 

Goes,  D.  de,  portugiesischer  Geschicht- 
schreiber (1501-1574),  230. 

Goldschmiedekunst  85,  158. 

Goletta  304. 

Gonzaga,  Ferrante  226,  317. 

Gonzalo  de  Cördoba,  der  tiGran  Ca- 
pitän«  (t  1516),  90,  93,  99,  226,  257, 
259,  265-267. 

Görz,  Grafschaft  122. 

Gothein,  Eberhard,  86,  226. 

Gotthard  208,  264. 

Gran  314. 

Granada,  Königreich,  19,  93,  96.  257.  — 
Vertrag  von  (1500),  265. 

Gran  Capitän  s.  Gonzalo. 

Grassis,  Paris  de,  X. 

Graubünden  262. 

Graveüngen,   Schlacht  bei.  326. 

Graz  121. 

Greenwich,  Vertrag  von  (1543),  313,  316. 

Griechenland,  Griechen,  griechische  In- 
seln, 20,  155,  157,  163  f.,  177  f., 
180,  186,  189,  225,  243  f.  -  Griechi- 
sches Meer  181,  304.  —  Griechische 
Kirche  181. 

Gritti,  Lodovico  (t  1534),  169  f.,  180. 

Großwardein,  Frieden  von  (1538),  209. 

Guernsey  316. 

Guevara,  Antonio  de  (f  1545),  spani- 
scher Schriftsteller  83. 

Guicciardini,    Francesco     (1483  —  1540), 

X,  24,  34,  54,  81  f.,  84,  88,  91,  93-95, 
156,  160,  200,  240. 

Guinegate,  Schlacht  bei,  277. 
Guines  206. 

Guipuzcoa  s.  baskische  Provinzen. 
Guise,  Franz,  Herzog  von  (1519  —  1563), 

325  f. 
Güns  303. 

H. 

Häbler,  Konrad,  85. 

Habsburger,  habsburgische  Macht  (die- 
ser Ausdruck  wurde  gewählt  an  Stelle 
des  zeitgenössischen  »Haus  Öster- 
reich«, weil  sich  mit  jenem  allzu- 
leicht eine  irrige  geographische  Ideen- 
assoziation   verbindet),    VI,    VIII  f., 

XI,  XVIII,  1  f.,  3,  7,  10,  12-17,  22, 
29,  33-35,  40,  43,  46,  48-50,  60  f., 
66,  69-71,  76-78,  85,  91,  94-96, 
100-102,  103-154,  155,  158  f.,  165 
bis  168,  170,  172-175,  190  f.,  203  f.. 


207,  210-212,  217,  219,  221,  226, 
228-230,  233,  242,  244-251,  255. 
261  f.,  264,  270-274,  277,  280,  282 
bis    Schluß. 

Hadrian  VI.,  Papst  (1522/23),  288. 

Hamburg  106,   132. 

Handel  34  f.,  55,  63,  86-88,  108-110. 
116  f.,  124-128,  155-160,  166  f., 
169,  177-179,  212,  216,  223,  225, 
228  f.,  236,  239,  246.  -  Handels- 
und Wirtschaf tspohtik  34-37,  38  f., 
74,  145,  166,  173,  178,  193  f.,  196. 
206  f.,  212,  223,  296,  315.  -  Handels- 
schiffahrt 24-30,  38,  63,  87  f.,  93  f., 
101  f.,  105-107,  109,  112  f.;  116, 
122,  147,  155-159,  161,  172,  177, 
179,  186,  201,  207,  213,  219,  225, 
228  f.,  246  f.  -  Handelswege,  See- 
wege 35,  53,  87,  108,  115  f.,  125, 
127,  157  f.,  178,  208.  S.  noch  Ge- 
würzhandel. 

Handfeuerwaffen  20,   184,  199,  242. 

Handwerk  55,  194,  237,  241  f.  S.  auch 
die  einzelnen  Artikel  und  unter  In- 
dustrie und  Technik. 

Hanf  164,  194. 

Hanse,  die  deutsche,  XVIII,  28,  36,  63, 
106-109,  113  f.,  127, 131  f.,  150,  207, 
246. 

Hauptleute  (Kondottieri)  16.  Vgl.  Söld- 
nerwesen. 

Hauser,  H.,  259. 

Häute  106. 

Heere,  ständige  182  f. 

Hegau  120. 

»Heilige  Liga«  (1511),  275  —  277:  'von 
1526)  293. 

Heinrich  II.  (1519  —  1559),  König  von 
Frankreich  1547,  Sohn  Franz'  1., 
XXI,  63,  203,  304,  316,  327. 

Heinrich  VII.  (1457-1509),  seit  1485 
König  von  England,  197  f.,  201. 

Heinrich  VIII.  (1491  —  1547),  Sohn  de& 
Vorigen,  von  1509  an  König,  XX  f., 
6,  29,  191,  197,  200-203,  218,  286  f., 
310,  315  f. 

Heinrich  von  Albret,  König  von  Na- 
varra,  285. 

Heiratspolitik  (dynastische),  96,  102, 
292,  298,  309,  314-316,  327. 

Herausforderung  als  Kriegserldärung 
285,  307. 

Hesdin  298,  308,  322. 

Hessen  129,  303. 

Heyck,  Eduard,  30. 

Hobohm,  M.,  16. 


Nam«  n-  und  Sachregister. 


335 


Holland  38,  1U4  f.,  1U7  -109,  113  f., 
127,  132,  150,  246,  313.  S.  auch 
Niederlande. 

Holz  106,  108,   121,    164,   176,   227. 

Hugenotten  302,  307. 

Humanismus  8  f.,  46,  67,  139. 

Hundertjähriger  Krieg  60,  62,  68. 

Hütten,  U.  von,  139. 

1. 

Indien  (Ostindien)  35,  108,  157. 

Industrie  11,  38  f.,  52  f.,  55,  61,  73, 
86-89,  92,  105-110,  112,  116  f., 
121,  124-126,  158,  177,  208  f.,  212, 
216,  223.  S.  auch  die  einzelnen  Ar- 
tikel, spez.  Textilindustrie.  Waffen- 
fabrikation. 

Infanterie,  Bedeutung  der,  -Taktik  (s. 
darüber  auch  »Schweizerische  Ord- 
nung«) 9-17,  18,  20  f.,  27,  54,  58 
bis  60,  63,  72,  79-81,  90-93,  112, 
119  f.,  128,  151,  153,  162  f.,  171, 
182-184,  199,  209,  224,  230-234, 
236-238,  241,  246  f.,  253,  257,  266, 
271,  273,  276,  278  f.,  283,  285  f.,  289, 
296,  305-307,  315,  324. 

Innerpolitisches  s.  Ständewesen. 

Innsbruck  116  f.,  321. 

Inquisition,  spanische,  83  f.,  86. 

»Interim«,  das,  319. 

Irland  191  f.,  198. 

Isabella,  Königin  von  Kastilien  1474  bis 
1504,  268.  S.  audi  Katholische 
Könige. 

Ischia  254,  265,  296. 

Islam  19,  47-49,  82  f.,  99, 181,  189,  243  f. 

Istrien  174,  271. 

Italien,  Italienisch,  VI,  2  f.,  5  f.,  8,  13, 
16,  19,  33,  44-49,  51,  60  —  64,  69, 
76,  78,  83,  88,  91  f.,  94,  101,  103  f., 
108,  111,  113,  117,  120,  126,  131, 
139,  144,  146  f.,  149,  155,  161  f.,  167, 
171-175,  177,  186  f.,  189,  191,  200, 
203,  207  f.,  210  f.,  217,  219  f., 
225  f.,  230-232,  234,  243,  251  bis 
Schluß. 

—  Kampf  um  Italien  1—4,  7,  19, 
24,  26-28,  30,  32,  34—36,  42-46, 
52,  66,  68,  70-72,  75,  77-79,  93  f., 
98  f.,  114,  116,  131,  144,  154  f.,  167, 
172,  199,  203,  208,  212,  224,  226, 
231,  234,  237,  240,  249  bis  Schluß. 


Jakob  1.,  König  von  England  (1603  bis 
1625),  17. 


Jakob  V.,   König  von  Schottland  (1513 

bis  1542),  312. 
Janitscharen  57,  182-184.  186,  190. 
Jemen  189. 
Jersey  316. 
Jerusalem  252. 
Johann   Friedrich,    Kurfürst   von   SacJi- 

sen,  319. 
Jovius,  Paulus  (Giovio),  humanistischer 

Publizist    und    Historiker   (1483    bis 

1552),  9,  62. 
Juden  82-86,  178,  180. 
Julius  II.  (Giuliano  delle  Rovere,  1443 

bis   1513),    Papst    1503,    45,    217  f., 

220,  267,  269,  273-276. 
Julius  III.  (Gianmaria  de'Medici),  Papst 

1550-1555,  229. 

K. 

Kaisertum,  Kaiserwahl  usw.  34,  59, 
123  —  137,  274,  283  f.,  299,  323.  S. 
auch  Habsburger  und  Byzantinisches 
Reich.     Das   Reich   s.    Deutschland. 

Kalabrien  257,  265. 

Kalifat  181. 

Kanal  315. 

Kanalinseln  316. 

Karawanentransport  178. 

Karl  V.  (1500-1558),  Enkel  Maximi- 
lians I.,  von  1516  an  König  von 
Spanien,  von  1519  an  Kaiser  (vgl. 
§  118),  resigniert  1555/56,  IX,  XI, 
6,  9,  14,  16  f.,  27,  30  f.,  33  f.,  43, 
46  f.,  49  f.,  65,  77,  80,  89  f.,  96,  100, 
107,  109,  111-114,  116,  118,  121, 
126,  129,  132,  136  f.,  142,  148  f.. 
190,  194,  206,  210  f.,  218,  220,  223  f., 
228,  232  f.,  238  f.,  244  f.,  247-249, 
267,  270,  274,  278,  281,  283  bis 
Schluß. 

Karl  VIII.  (1470-1498),  1483  König 
von  Frankreich,  Sohn  Ludwigs  XL, 
75,  224,  227,  235,  252,  254,  256  f., 
259  f. 

Karl  III.,  Herzog  von  Savoyen  (1504 
bis  1553),  307,  325. 

Karl,  Herzog  von  Geldern  (j  1538),  312. 

Käse  87,  240. 

Käser,  Kurt,  140. 

Kastilien  XI,  52,  58  f.,  67,  79,  81,  86, 
88-91,  94,  96.  100,  102,  268,  270, 
285. 

Katalonien  87,  102.  Vgl.  im  übrigen 
Aragon. 


3H6 


Namen-  und  Sachregister. 


Katholische  Könige  (Ferdinand  von 
Aragon  und  Isabella  von  Kastilien), 
XI,  67,  89  f.,  92-94,  96,  99  f. 

Katzianer,  österreichischer  General,  308. 

Kavallerie,  Bedeutung  der,  17  —  20,  92  f., 
112,  120  f.,  128,  131,  199  f.,  208, 
225,  231,  233,  237,  239,  241,  253,  271. 
—  Schwere  (Reisige)  17  —  19,  54,  58, 
62,  93,  112,  120  f.,  162,  184,  199,  208, 
231,  233,  241,  253,  263,  271  f.,  277 
bis  279,  285,  289,  305,  315.  - 
Leichte  Reiterei  18-20,  58,  92  f., 
120  f.,  131,  152,  162  f.,  184  f.,  199, 
208,  233,  253,257,  271. 

Kirche  54,  56  f.,  88  f.,  119,  128,  132  f., 
161,  181,  188,  197.  S.  auch  Konkor- 
date, KonziUen,  Papsttum.  —  Kir- 
chenpolitik 8,  42  f.,  50,  135,  181, 
205,   218  f.,  254,  273,  275,  281. 

Kirchenstaat  X,  3,  34,  36,  38,  42,  146, 
148  f.,  158,  169,  171-173,  186  f., 
207,  210,  214,  215-221,  225,  254 
bis  256,  259,  262,  265,  267,  269-271, 
273  f.,  276,  281,  284,  289,  295,  298f., 
325. 

Kleinasien  176. 

Klemens  VII.  (üiulio  de'Medici,  1478 
bis  1534),  Papst  1523,  X,  214,  288f., 
293-295,  298  f.,  303  f. 

Köln  125. 

Kolonien  53,  87,  115,  159,   164,  247. 

Kolumbus  87. 

Komnenen  186. 

Kondottieren  11,  128  —  131,  161  f.,  182. 
S.  im  übrigen  Söldnerwesen. 

Kondottierestaaten,  -fürsten  13,  161  bis 
163,  173,  209,  222-224,  231  f.,  233 f. 

Konkordate:  französisches  (1516)  43,  57, 
281;  spanisches  (1482)  89. 

Konstantinopel  158,  165,  169  f.,  175, 
178,  181,  185  f.,  188,  191,  245,  247, 
311.  —  Patriarch  von,  181. 

Konzilien  275.  —  Reformkonzilien  42.  — 
VI.  Lateransynode  275.  —  Tridentini- 
sches  Konzil  317  f.  —  Gegenkonzil 
von  Pisa  218,  275  f.,  278. 

Korsaren  25  f..  40.  65,  93  f.,  97—99, 
178  f.,  186,  201,  219,  221,  223,  225, 
243-245,  304,  320.  Vgl.  auch  Nord- 
afrikanisches  Reich. 

Korsika  65,  228  f.,  322,  327. 

Kreta  157,  159,  170. 

Kreuzzugsprogramm  48,  76,  83,  99,  153, 
191.  Vgl.  im  übrigen  unter  Christen- 
heit. 

Kupfer  240. 


L.. 

Lagunen  278. 

Landrecies  313. 

Landriano  297, 

Landsknechte   10,   13  —  16,   59  f.,    70  f., 

81,    91  f.,    112,   120,   129-132,   151, 

162,   209,  238,  263,  276,  278  f.,  286 

bis  289,  304  f.,  315,  320. 
Langensee  264. 
La  PaUce  (Jacques  de  Chabannes,  sei- 

gneur  de,  ca.  1470  —  1525),  290. 
La  Ronciöre,  Charles  de,  65. 
Laski,    Hieronymus,    polnischer    Diplo- 
mat, zeitenweise  in  österreichischen 

Diensten,  188. 
Latein  7—9,  139.   S.  auch  Humanismus. 
La    Tr^moiUe,    Louis    de    (1460-1525), 

französischer  Feldherr,  263,  278,  290. 
Lautrec    (Odet   de   Foix,   seigneur   de), 

französischer  Marschall  (1485—1528), 

286,  295  f. 
Lea,  C,  85. 
Lebensmittel,    Verkehr    mit,    s.    unter 

Getreide. 
Lebrija,  spanischer  Humanist  (t  1522), 

95. 
Legionen  Franz'  I.  59,  305. 
Lemonnier,  Henri,  79. 
Leo  X.  (Giovannide'Medici,  1475— 1521) 

1513    Papst,    X,   49,   214,   217,   220, 

277  f.,  280—282,  284. 
Lepanto,  Schlacht  bei  (1571),  187. 
»Levant«  63. 

Levante  122,  156  f.,  159,   229. 
Leyva,  Antonio  de,  spanischer  Feldherr 

(t  1536),  297. 
Linz  115,  118. 
Lissabon  157. 
Livorno  214,  258. 
Locarno  276. 
Lodi  289. 
»Lodovico  il  Moro«,  (Lodovico  Sforza), 

1451  —  1508,  Regent  und  nach  dem 

Tode  seines  Neffen  Giovan  Galeazzo 

(1494)  Herzog  von  Mailand,  8,  139, 

251  f.,    256  f.,    259,    262-265,    277, 

286,  294. 
Lombardei,  lombardisch,  160,  208,  274, 

299. 
London  197,  246  f.  —  Vertrag  von  (1514), 

278. 
Lope  de  Soria  218. 
Lothringen  262,  287. 
Lübeck  106  f. 
Lucca,   Repubük,   45,   212,   232  f.,  259. 


Namen-  und  Sachregister 


337 


Ludwig  XI.,  König  von  Frankreich 
(t  1483),  4,  63,  69. 

Ludwig  XIL  (1462-1515),  1498  König 
von  Frankreich,  8,  256,  260,  267 
bis  269,  278. 

Ludwig  IL,  König  von  Böhmen  und 
Ungarn  (1516-1526),  301. 

Lugano  276. 

Luise,  Tochter  König  Franz'  I.  (f  1518), 
281. 

Luise  von  Savoyen,  Mutter  Franz'  I., 
verschiedentlich  Regentin  von  Frank- 
reich (1476-1531),  298,  307. 

Luther  181.  —  Luthertum  s.  Refor- 
mation. 

Lüttich,  Bistum,  105,  115. 

Luzern,  Vertrag  von  (1499),  261  1'. 

Luxemburg,  Herzogtum,  105,  285,  312 
bis  314. 

Lyon  63,  106,  212,  252  f.,  257,  278.  - 
Waffenstillstand  von  (1497)  258, 
id.  (1504)  266  f. 

Lys  St.  Georges  263. 

M. 

Machiavelh,  Niccolö  (1469-1527),    XI, 
XIX,  4,  13,  17,  22-24,  45,  59,  61,    | 
106,  160  f.,  213,  237,  239. 

Madrid,  Friede  von  (1526),  292,  293,  298, 
300,  307.  Konvention  von  (1528)  296. 

Magdeburg  319,  321. 

Magelhaens,  F.  (t  1521),  101. 

Mahdia  s.  Mehedia. 

Mähren  114  f.,  117,  150. 

Mailand,  Herzogtum,  VIII  — X,  3  f.,  6, 
8,  15,  23,  64  f.,  70,  73-78,  92,  101, 
137,  142,  144,  146,  148  f.,  160,  171, 
175,  196,  207-210,  211-214,  226 
bis  230,  232,  236  f.,  239  f.,  250-252, 
255-257,  260-265,  267,  270,  273  f., 
276-282,  284,  286-288,  290,  292 
bis  299,  306  f.,  309,  311,  314  f.,  317, 
320,  323,  325.  -  Stadt  208,  262  f., 
271,  275  f.,  279  f.,  286,  294. 

Mais  159. 

Malteser  320. 

Mameluken  182,  184,  189. 

Mantua,  Markgrafschaft,  später  (1530) 
Herzogtum,  62,  161,  173,  215,  231, 
233,  269-271,  327. 

Marano  122  f.,  148. 

Marciano,  Gefecht  bei,  322. 

Älarcoussis,  Vertrag  von  (1498),  261. 

Margarethe,     Tochter    Maximilians     I., 
Statthalterin  der  Niederlande  (tl530) 
13,  111,  251,  298. 
Fueter,  Europ.  Staatensystem. 


Margarethe,  Schwester  König  Hein- 
richs II.  von  Frankreich  (t  1574). 
327. 

Maria  die  Katholische  (1516  —  1558),  1553 
Königin  von  England,  322  —  324,  326. 

Maria  Stuart  (1542  —  1587),  1542  —  1568 
Königin  von  Schottland,  316. 

Maria,  Schwester  Karls  V.,  (1505  —  1558), 
Gemahlin  Ludwigs  II.  von  Ungarn, 
1530  Regentin  der  Niederlande,  107. 

Maria  di  Grazia  270. 

Marignano,  Schlacht  bei,  238,  279,  280, 
283. 

Marinewesen  3,  23,  24—34,  36,  62  —  65, 
68  f.,  71-73,  76-78,  93-95,  98, 
113f.,  122  f.,  131  f.,  146-148,  155  f., 
159,  163  f.,  166,  168,  170,  179, 
185-187,  189  f..  199-203,  205,  208, 
210-212,  214,  219,  221-223,  225, 
227  f.,  230  f.,  233,  243-245,  251  bis 
253,  257  f.,  264,  266,  270-272,  274, 
286,  296,  300,  304  f.,  307,  311,  315. 

Mark,  Robert  von  der,  285. 

Marken,  die  216. 

Marokko  85. 

Marranen  83,  85  f. 

Marseille  265,  288,  296,  307. 

Mauren,  Maurenkriege  80,  82  f.,  92,  98  f. 
Vgl.  auch  Moriscos. 

Maximilian  I.  (1459—1519),  Sohn  Fried- 
richs III.,  Kaiser  1493,  VIII  f.,  8  f.. 
13,  15,  49,  67,  70,  109,  111,  116, 
118,  121-123,  130,  132,  136  f.,  139 
bis  142,  146-148,  151,  210,  224,  229, 
231,  233,  239,  251,  255,  261-263, 
267,  269-272,  275-283,  302. 

Maximilian  Sforza,  Sohn  des  Lodovico 
Moro  (1491  —  1530),  277  f.,  280,  286. 

Mecheln  113.  —  Bund  von  (1513)  277. 

Medici  214  f.,  220,  254,  276  f.,  280,  288, 
295,  298  f.,  322,  327.  -  Alessandro 
de',  unehelicher  Sohn  Lorenzos  (IL), 
ermordet  1537,  299.  —  Giovanni, 
genannt  »delle  bände  nere<^  (gefallen 
1526),  Vater  Herzog  Cosimos,  16  f., 
162.  —  Katharina  v.,  304.  —  Lo- 
renzo  de',  Sohn  Pieros  (des  folgenden) 
Herzog  von  Urbino,  281.  —  Piero  de' 
(1471  —  1503),  Sohn  Lorenzos  des 
»Magnifico«,  253  f.  —  S.  noch  Co- 
simo,  Klemens  VII.,  Leo  X. 

Mehedia  305,  320. 

Melegnano  279. 

Mendoza,  Diego  Hurtado  de,  spanischer 
Diplomat    (1503-1575),     211,    220. 

Mesopotamien  175. 

•29 


338 


Namen-  und  Sachregister. 


Messina  173,  222. 

Metalle,  Metallindustrie  usw.  73,  86, 
108,  115,  124,  126,  160,  176,  193  f., 
240.    S.  auch  BergAverke. 

Metz  321  f. 

MiUtärisches,  Militärwesen  9—24,  37  bis 
39,  57-62,  68  f.,  71  f.,  84,  90-94, 
107,  112  f.,  119-123,  129-132, 
140  f.,  144,  146,  151-153,  161-163, 
175  f.,  182-186,  196-200,  205, 
209  f.,  213,  216,  219,  224  f.,  231, 
237,  241,  283.  S.  auch  Artillerie, 
Feuerwaffen,  Infanterie,  Kavallerie, 
Söldnerwesen,  Marine  usw. 

Mittehtaüen  215,  294,  322,  324,  326. 

Mittelländisches  Meer  26—31.  33  f.,  62 
bis  65,  68,  71,  76—78,  93  f.,  97,  114, 
131,  177  f.,  187,  202,  208,  243,  251, 
300,  304  f.,  311. 

Mittelstand.  Bürgertum  18,  41,  56,  82 
bis  84,  86,  88,  119,  145,  160,  193, 
196  —  198,  201,  204,  241, 

Minen  92,  184. 

Mirandola  274. 

Modena,  Herzogtum  (unter  den  Este 
von  Ferrara  stehend),  274,  295,  299. 

Mohacs,  Schlacht  bei,  118,  121,  242,  301. 

Mola  di  Bari  258. 

Moldau,   türkischer   Tributärstaat.   179. 

Molukken  101. 

Mömpelgard  (Montbehard),  Grafschaft 
im  Besitze  Württembergs,  107,  303. 

Monaco,  Fürstentum  im  Besitz  der  Gri- 
maldi,  230  f.,  233. 

Monluc,  Blaise  de,  französischer  Soldat 
und   Memorialist   (t  1577),    59,   203. 

MonopoH  258. 

Montalcino  327. 

Montecenere  264. 

i>Montesa«,  die,  90. 

Montferrat,  Markgrafschaft,  327. 

Montmorency,  Anne  de,  Connetable 
(1493-1567),  307,  325. 

Montpensier,  Graf  von  ( Gilbert  de  Bour- 
bon),  t  1496,  257  f. 

Monzon,  Waffenstillstand  von  (1537), 
308. 

More,  Vertrag  von  (1525),  292. 

Morea  189,  304. 

Moriscos  83,  85,  87,  100. 

Moritz,  Kurfürst  von  Sachsen  (t  1553), 
318-322. 

Morone,  Girolamo  XI,  294. 

Morus,  Thomas  (1478-1535),  194. 

Moskowiter  245,  248. 

Mühlberg,  Schlacht  bei,  319. 


Muley  Hassan,  »König«  von  Tunis  (1526- 
bis  1534  und  1535-1542),  305. 

Munitionsindustrie  177.  Vgl.  im  übrigen 
Büchsenmeister  und  Waffenfabrika- 
tion. 

Münzer,  Thomas,  181. 

Mytilene  99,  243. 

K. 
Nassau,  Graf  von,  308. 
Nationale    Tendenzen    44  f.,    129—131, 

171,  176,  183,  238,  273,  321. 
Navarra,   Königreich,  68,  75  f.,  79,  94, 

98,  100-102,  247,  285,  290. 
Navarra,   Pedro,   spanischer   Seeräuber, 

92. 
Navigationsakten  55,  201. 
Neapel,   Königreich,  3,  32,  42,  68-70, 

76-78,  92  f.,  96-98,  103,  146,  157, 

172,  175,  186,  191,  207,  216,  219, 
221  f.,  223-226,  229,  250-260,  264 
bis  267,  269,  271,  273  f.,  281,  284, 
288  f.,  292  —  294,  296,  298  f.,  308, 
322  f.,  325.  -  Zug  nach  Neapel  (1494) 
s.  unter  Expedition.  —  Stadt  223, 
254,  256,  258,  265  f.,  296  f. 

NeU,  M.,  132. 

Niederdeutschland  (Norddeutschland)  38, 
96,    124,    126-128,    150,    207,    319. 
Niederlande  13,  29,  34-36,  55,  63,  69, 
71,  80,  85,  87  f.,  97,  102  f.,  104-114, 
115,    117  —  119,    125,    127,    132,   138, 
140-143,   145-148,   150,   159,   193, 
198,  200,  206  f.,  210,  229,  246,  249, 
261,  283-285,  288,  292,  308,  310  bis 
314,  322  f.,  326,  328. 
Niederösterreich  115,  118,  120. 
Nieuport  326. 

Nizza  230,  314.  —  Waffenstillstand  von 

j  (1538),  309,  311. 

i   Nordafrika,  nordafrikanisches  Korsaren- 

reich  (Staat  der  Barbaresken)  32,  36, 

65,  89,  94,  97-103,  118,  168,  175  f., 

178  f.,  187,  189,  219,  222,  225,  229, 

I         243-246,    297,    300,    304,    311.     S. 

auch  Barbarossa. 

Norddeutschland  s.   Niederdeutschland. 

j   Nordische  Meere  29-31,  33  f.,  201.   - 

Nordsee  28,  131. 
j   Novara  256  f.,  263.  -  Schlacht  bei,  278f. 
I  Noyers,  Herrschaft  251. 
!   Noyon,  Vertrag  von  (1516),  281. 
,   Nuntien  220  f.,  305. 
I  Nürnberg  116,  121. 


Namen-  und  Sachregister. 


339 


O. 

Oberdeutschland  (Süddeutschland)  13, 
38  f.,  115  f.,  118,  120,  124-128, 
133  f.,  146,  150,  153,  157  f.,  174, 
208,  239,  284,  292,  302  f.,  319,  321. 

Oberitalien  61,  74,  101,  103,  121,  127, 
142,  148,  151,  159,  161,  222,  256, 
260  f.,  267,  275  f.,  278,  281,  285  f., 
288,  294  f.,  309,  314. 

Oberösterreich  115. 

Ofen  242,  301  f.,  310  f. 

Öl  223. 

Oran  244. 

Orleans,  Herzog  von  (=  Karl,  Sohn 
Franz'  I.),  309,  312,  314  f. 

Orvieto  295. 

Osmanen  s.  Türken. 

Ostasien  2,  87. 

Österreich  10,  14  f.,  40,  56,  69  f.,  103  f., 
107,  110,  114-123,  131  f.,  134  f., 
137,  139  f.,  142,  146-150,  153, 157  f., 
162,  164,  170,  174,  179,  190,  210, 
241-243,  249,  261,  263,  269,  272, 
282—284,  288,  320.  —  Haus  Öster- 
reich s.  Habsburger.  —  Vorlande, 
österreichische,  69,  115,  117,  120, 
146,  150. 

Ostia  259. 

Ostsee  97, 106  —  108, 131.  —  Ostseeländer 
36,  106,  192. 

Otranto  258,  270. 

Overyssel  105. 


•Padua  270-272,  278. 

Palästina  178. 

Palermo  222. 

Pamplona  285. 

Papsttum,  Päpste  X,  16,  42,  47,  92, 
149,  172,  178,  187,  204,  217  —  221, 
225,  231,  262,  271,  273-280,  282, 
284,  288,  293  f.,  298,  303  f.,  308, 
325.  —  S.  auch  unter  Kirchenpolitik, 
Kirchenstaat  und  unter  den  Namen 
der  einzelnen  Päpste. 

Parenti,  Piero  (1450  —  1519),  86. 

Paris  17,  61,  106,  314.  —  Abkommen 
von  (1498),  261. 

Parma  257,  276,  280,  284,  295,  317,  320. 

Passau,  Vertrag  von  (1552),  321. 

Pastor,  Ludvdg,  X,  220. 

Patras  184. 

Paul  III.  (Alessandro  Farnese,  1468  bis 
1549),  1534  Papst,  308  f.,  317  f. 

Paul  IV.  (Gian  Pietro  Carafa.  1476  bis 
1559),  15.55  Papst,  325. 


Pavia  276,  289,  295.  —  Schlacht  bei,  46, 
48  f.,  66  f.,  77,  191,  203-205,  207, 
249  f.,  289  L,  291-294,  296,  298, 
306. 

Pellikan,  Konrad  (1478  —  1556),  240. 

Pelissier,  Löon-G.,  IX  f.,  264. 

P6ronne  308. 

Perpignan  312. 

Persien,  Perser,  49,  180,  184,  189,  247. 

Peru  80  f. 

Pescara,  Marchese  di  (Francisco  Her- 
nando  de  Avalos),  1490  —  1525  289, 
294. 

Petrus  Martyr  (1457-1526),  95. 

Pfalz  318. 

Pferde,  Pferdezucht  37,  91,  93,  112,  200, 
241.    Vgl.  auch  Kavallerie. 

Philipp  (I.),  der  Schöne  (1478-1506), 
Sohn  Maximihans  I.,  1494  Regent 
der  Niederlande,  1504  König  von 
Kastilien,  111,  251,  261,  268. 

Philipp  IL  (1527-1596),  Sohn  Karls  V., 
von  1556  an  König  von  Spanien, 
100,  311,  322-324,  326-328. 

Philipp,  Landgraf  von  Hessen  (1504 
bis  1567),  von  1509  (1518)  an  Land- 
graf, 129,  303,  319,  321. 

Piacenza  276,  280,  284,  295,  317. 

Picardie  287. 

Piemont  75,  142,  230  f.,  279,  307-309, 
315,  317,  320,  327. 

Pietrasanta  259. 

»Pilgrimage  of  Grace«  (1536),   197  f. 

Pinkie,  Schlacht  bei,  316. 

Piombino  211. 

Pioniere  121  f.  Vgl.  im  übrigen  Befesti- 
gungswesen, Belagerungen. 

Pisa  174,  211,  214,  254,  259,  270.  - 
Konzil    von  P.  s.    unter    Konziüen. 

Pizarro  81. 

Planitz,  Hans  von  der.  kursächsischer 
Rat  (t  1535),  243. 

Po  257. 

Pökelfleisch  159. 

Polen  VII,  XII,  40,  76  f.,  86,   97,  133, 

139,    150-153,    190,    242,   245,   246, 

248. 
PoUard,  A.  F.,  VI.  198,  204. 
»Ponant«  63,  72. 
Pontremoli  256. 
Portugal  VII,  XVIII,  7,  26,  35,  96,  99, 

101  f.,  105,  108,  114,  156,  178,  230, 

243,  246  f.,  292. 
Preßburg  301. 

22* 


340 


Namen-  und  Sachregister. 


»Preußische  kriegsgeschichtUche  Schule« 
(die  Schule  Hans  Delbrücks)  25,  282. 
S.  auch  Hobohm,  Neil. 

Prevesa,  Seeschlacht  bei,  310. 

Propaganda,  politische,  9  f.  S.  auch 
Pubüzistik. 

Provence  63,  68,  288,  297,  307,  314. 

i  Provveditori «  161. 

PubUzistik  7-9,  67,  95,  139,  194. 

Pulgar,  Hernando  del  (ca.  1436-1500), 
spanischer   offiziöser   Chronist,   94  f. 

Pulver  121,  199  f.,  202.  Vgl.  auch  Ar- 
tilleriewesen. 

Pyrenäen  59,  100  f. 

Q. 

Quifiones,  Francisco,  143. 

B. 

Ranke,  L.,  VII. 

Rapallo,  Treffen  bei,  253. 

Ravenna  122,  270,  299.  —  Schlacht  bei 
58,  275. 

Reformation,  lutherische,  ihr  Einfluß 
auf  die  Geschichte  des  europäischen 
Staatensystems,  X,  43,  50,  74,  130  f., 
134—136,  150,  197,  205  f.,  209,  230, 
234,  238  f.,  302  f.,  317  —  319,  323. 

Regensburg,  Vertrag  von  (1546),  318. 

Reggio  di  Calabria  257. 

Reis  208,  240. 

»Reisläufer«  12,  16,  235,  263. 

Renaissance  47,  219. 

Renata,  Tochter  Ludwigs  XII.,  Herzo- 
gin von  Ferrara,  278. 

Rhein  124.  —  Rheinlande  124  f. 

Rhodus  185,  301.   —   Großmeister  170. 

Rimini  270. 

Rincon,  Antonio,  spanischer  Agent  in 
französischen  Diensten,  311. 

Ritter,  Moritz,  124. 

Ritterorden,  spanische,  89  f. 

Rohprodukte  37,  116,  124,  126  f.,  176  f. 
179,  193  f.,  201,  212,  216.  S.  auch 
die  einzelnen  Artikel :  Getreide,  Hanf, 
Metalle,  Salz,  Wein  usw. 

Rom  (Stadt)  9,  95,  190,  216.  220  f., 
294  f.,  325.  -  Vertrag  von  (1555)  325. 

Romagna  172,  213,  262,  265,  270  f. 

Romier,  Lucien,  X,  XXI,  317,  328. 

Roussillon  98,  101,  251,  266,  312. 

Rovere  s.  Francesco  Maria  und  Julius  II. 

Roveredo  270,  272,  281. 

Ruderschiffahrt  27,  27-31,  114,  156, 
202  f.,  219,  221,  228  f.,  244. 

RuscelU,  Girolamo  (t  1566),  XI. 


Rußland  IX,  245,  248.  S.  auch  Mosko- 
witer, 

Rustan  (Rüstern),  Großwesir  unter  Su- 
leiman  IL,  180. 

IS. 

Saalfeld,  Allianz  von  (1531),  303. 

»Sacco  di  Roma«  (1527),  217,  294,  295, 
297  f. 

Sachsen  136,  302,  318,  321. 

Sadolet,  J.  (1477-1547),  X. 

Salamanca,  Gabriel,  Graf  von  Orten- 
burg,  Schatzmeister  Ferdinands  L, 
142  L 

Salazar,  A.  de,  97. 

Salinas,  Martin  de,  Vertreter  Ferdi- 
nands I.  bei  Karl  V.,  31  f.,  93,  143. 

Salins  111. 

»Salume«  159. 

Salz  37,  53,  106,  108  f.,  111  L,  115,  126, 
155,  173,  176,  194,  208,  210,  216, 
235  f.,  239-241. 

Salzburg,  Erzbistum,  115. 

Samt  207. 

Sandoval,  Prudencio  de,  spanischer  Ge- 
schichtschreiber (1553  —  1629),  86. 

Sanuto,  Marino,  VI,  VIII,  24. 

San  Yuste  323. 

Sardinien  255,  260. 

Sark  316. 

Sarzana  258. 

Sarzanella  258. 

Savona  266,  296  f. 

Savoyen  XI,  73-76,  149,  227,  2801.,. 
236,  255,  269  f.,  306  f.,  314,  325  bis 
327.    S.  auch  Piemont. 

Schafzucht  88,  192-195. 

Schanz,  Georg,  195. 

Schießwaffen  20.  Vgl.  im  übrigen  Ar- 
tilleriewesen, Feuerwaffen. 

Schiffsbau  87,  94,  123,  126,  156,  164, 
177,  180,  201-203,  219,  229.  - 
Schiffsgeschütze  24,  164,  200,  202  L, 
227,  253.  —  Schiffszwieback  159, 
164,  227.  Vgl.  im  übrigen  noch  Han- 
delsschiffahrt, Marinewesen 

Schiismus  189. 

Schinner,  Matthäus,  Bischof  von  Sitten. 
(1499—1522)   274. 

Schlesien  114  f.,  117,  150. 

Schmalkaldischer  Bund,  Schmalk.  Krieg 
14,  50,  81,  92,  116,  121,  130,  135  bis 
137,  302  f.,  310,  313,  318-321. 

Schottland  XII,  7,  33,  43,  62,  73,  76„ 
108,  133,  191,  198  f.,  204-206,  231, 


Namen-  und  Sachregister. 


341 


243,  246!.,  247,  292,  310-313,  315 
bis  317. 

Schutzwaffen  21,  61,  92,  121,  200,  208, 
210.    S.  auch  Waffenfabrikation. 

Schwaben  120.  —  »Schwabenkrieg« 
(1499)  XI  f.,  151,  239,  262. 

Schwäbischer  Bund  131,  133  f.,  284,  292, 
303,  319. 

Schwarzes  Meer  170,  186. 

Schweden  113,  246,  311,  313. 

Schweiz,  Schweizer,  VII,  7,  43,  50, 
73-76,  92,  111  f.,  129,  140,  143  f., 
146,  151,  162,  171,  209  f.,  216,  219, 
227,  230-232,  233—240,  253,  257, 
261  —  264,  273  —  281,  283,  286,  288 
bis  290,  305  f.,  312,  315,  319,  326.  — 

Die  »schweizerische  Ordnung«,  die  neue 
Infanterietaktik  9  f.,  10-17,  19  f., 
27  f.,  37  f.,  58  f.,  64,  68,  70-72,  80, 
91,  93,  120,  128,  130,  161  f.,  183, 
195,  199,  213,  224,  238,  257,  266,  283. 

—  Urkantone  209,  235  f.,  240,  264. 

—  Zugewandte  Orte  240,  —  »Schwei- 
zerkrieg « s.  Schwabenkrieg.  —  S.  fer- 
ner noch  Reisläufer,   Söldnerwesen. 

Schweizer,  Paul,  81. 

Schwyz  240. 

Segelschiffahrt  28-31,  34, 114.  -  Segel- 
tuch 73. 

Segre,  Arturo,  74 

Seide,  Seidenindustrie,  87,  117,  126, 
157  f.,  178,  207,  212. 

Seminara,  Gefecht  bei,  257. 

SenigaUia  158. 

Senlis,  Vertrag  von  (1492),  251. 

Serben  180. 

Sesia  288. 

Sforza  s.  Francesco,  Lodovico  Moro, 
Maximilian. 

Siebenbürgen  301,  310,  320. 

Siena,  Republik,  77,  211  f.,  232  f.,  322, 
324  f.,  327. 

Sievershausen,  Schlacht  bei,  322. 

Sittard,  Schlacht  bei,  312. 

Sizilien  35-37,  69,  76,  80,  85,  87,  94, 
96-99,  101,  103,  158,  164,  169,  172 
bis  174,  221-223,  224-226,  228  f., 
252-254,  260,  264-267.  S.  auch 
Unteritalien. 

Skandinavien  VII,  7,  43,  50,  108,  127, 
132,  246  f. 

Slawen  180,  —   Südslawen  182. 

Slowenien  308. 

Sofi  s.  Persien. 

Söldnerwesen  10—18,  27,  37-39,  50, 
53  f.,  64,  70,  72-75,  79-82,  85  f.,  91 


bis  93,  112,  120,  124  f.,  129,  132, 
137,  144,  146,  151,  162  f.,  173,  182 
bis  184,  195,  197,  199,  205,  213,  216, 
219,  221,  225,  227,  230-240,  262  f., 
273  f.,  281,  283,  305,  312,  319  f.  - 
S.  auch  Landsknechte,  Reisläufer. 

Solway  Moss,  Schlacht  bei,  312. 

Somerset,  Herzog  von,  Protektor  von 
England  (1547-1549),  205,  316. 

Spanien,  spanisch,  VI,  XI,  XVIII,  2—4, 
9  f.,  14,  16  f.,  19  f.,  27,  31-33,  35, 
37  f.,  40,  52,  56,  58  —  60,66-69,  71,  75, 
77  f.,  79-103,  104,  106,  108,  110, 
112,  114-117,  122,  124,  128,  130, 
134  f.,  137,  139—142,  144,  146, 
148  f.,  154-156,  158,  158,  162  f., 
165-167,  169,  173-175,  180,  187, 
192,  195,  200,  202,  207,  210,  219, 
223-226,  228  f.,  231,  238,  243—246, 
249-253,  255,  257-261,  264-270, 
272-279,  281-288,  294—296,  304  f., 
310,  312,  314  f.,  322  —  327. 

Speyer,  Vertrag  von  (1544),  313. 

Spezia  258. 

Spieße  21. 

»Sporenschlacht«  277. 

St.-Dizier  314. 

St.-Pol,  Graf  von  (P'rangois  de  Bourbon), 
297. 

St.-Quentin  308,  325.  -  Schlacht  bei, 
325. 

Stallwitz,  K.,  238. 

Stände,  Einfluß  der  Stände  auf  die  aus- 
wärtige Politik,  39-42,  55-58,  88 
bis  90,  109-112,  117—119,  121,  123, 
128-137,  150,  159,  179,  195-198, 
215,  222  f.,  241,  284,  293,  298,  302f., 
309  f.,  313,  317  —  324. 

Stradioten  15,  19  f.,  58,  163,  209,  257. 

Sträflinge,  Verwendung  auf  Galeeren, 
30,  63,  94,  221,  225,  229.  Vgl. 
im  übrigen  unter  Ruderschiffahrt. 

Strohindustrie  212. 

Strozzi,  Piero,  322. 

Stuart,  Beraut,  seigneur  d'Aubigny 
(t  um  1507),  französischer  Heerfüh- 
rer, 257,  265. 

Süddeutschland  s.  Oberdeutschland. 

Südrußland  (das  heutige)  36,  158,  169. 

Suleiman  II.  (1496-1566),  Sohn  Se- 
Ums  I.,  1520  türkischer  Sultan,  169, 
301,  303,  310,  314. 

Sund  106  f.,  114,  246,  313. 

Sundgau  107. 

Syrien  157,  169,  175,  178,  247,  301. 


842 


Namen-  und  Sachregister. 


Tarent  258. 

Taro  257. 

Tataren    182,  245,  248. 

Technik  21  f.,  72,  112  f.,  177,  180,  182, 
184  f.,  189,  194,  197-199,  200,  202, 
212,  253,  271.  —  Italienische  Tech- 
niker 60,  62,  92,  113,  163,  253,  288. 

Teer  106. 

Termes,  Paule  de,  seigneur  de  Labarthe, 
französischer    Marschall,    326. 

Terra  di  Lavoro  265. 

Textilindustrie  (speziell  Wollweberei)  38, 
53,  55,  85,  87  1,  106,  108,  110,  112, 
117,  125  f.,  145,  157,  177,  192-196, 
207,  212  f. 

Theiß  310. 

Therouanne  277,  308,  322. 

Tirol  115,  120,  122. 

Toledo,  Deklaration  von  (1539),  309. 

Tolfa  218. 

Torre,  L.  de,  92  f. 

Toskana  274,  324,  327.  Vgl.  im  übrigen 
Florenz. 

Toul  321. 

Toulon  314. 

Tournay  277. 

Trani  93. 

TrevigUo  271. 

Treviso  270,  272. 

Trient  116. 

Triest  122  f.,  146  f.,  212,  270. 

Tripolis  97,  244  f.,  320. 

Trivulzio,  Gian  Giacomo,  französischer 
Marschall  (t  1518),  263,  274,  278.  - 
-  Teodoro  (1456—1532),  Vetter  des 
Vorigen,  id.,  Gouverneur  von  Genua, 
297. 

Trockendock  201. 

Tudors  2,  56,  102,  145,  160,  165,  180, 
193,  197  f.,  201-204. 

Tunis  97,  244,  304  f.,  311,  320. 

Turin  307. 

Türken  (Osmanisches  Reich)  VI,  IX, 
XVII,  1,  4  f.,  7,  16,  19  f.,  22  f.,  27  f., 
31,  33—35,  37,  41,  47-50,  52,  54, 
56  f.,  64—66,  71,  76  f.,  90,  92,  94, 
96,  99  f.,  103,  106,  109,  118,  120  f., 
124,  135,  139  f.,  142,  144,  148,  152 
bis  154,  156-159,  161,  164,  167  bis 
170,  172-175,  175-191,  195,  219, 
221-223,  225,  242-245,  247  f.,  254, 
282,  296,  298,  300  —  306,  310  f.,  313, 
318,  320—322.  —  Verbindung  mit 
Frankreich  s.  unter  diesem. 

Tyrrhenisches  Meer  219,  228. 


U. 

Ulmann,  Heinrich,  148,  154. 

Ulrich,  Herzog  von  Württemberg  (geb. 
1487,  regierte  1498  —  1519  und  1534 
bis  1550),  284,  308. 

Ungarn  XII,  7,  40,  42,  76,  114,  120  f., 
133,  135,  137,  139  f.,  142  f.,  152  bis 
154,  158,  160,  174  f.,  177.  183  f., 
189  f.,  231,  240-243,  245-247,  270, 
301  f.,  309  f.,  320—322. 

Universalmonarchie  s.  Weltherrschaft. 

Unteritalien  68,  94,  96-98,  100  f.,  103, 
137,  149,  212,  229,  250,  255,  260, 
304,  326.  S.  auch  Neapel  und  Si- 
zilien. 

Urbino,  Herzogtum,  13,  158,  161,  173. 
216,  220,  223,  231,  233,  281. 

Utrecht,  Bistum,  105. 


Valdes,  Juan  de  (ca.  1500-1540),  8. 

Valence  307. 

Valencia,  Königreich,  31,  86. 

Valentinois,  Herzogtum,  262. 

\'archi,  Benedetto,  florentinischer  Ge- 
.schichtschreiber  (1502—1565),  16  f., 
161  f.,  215,  217. 

Vasto  (Guasto),  Marchese  del  (Alfonso 
d'Avalos),  311,  315. 

Vaucelles,  Waffenstillstand  von  (1556), 
323,  325. 

Venedig,  Republik,  VI,  X,  XVII,  3,  6, 
15,  19,  23,  27,  30,  32-38,  42,  44, 
48  f.,  57,  60  f.,  66,  70,  76,  87,  95, 
105,  114,  116—118,  121  —  123,  125, 
139  —  143,  146-149,  152  f.,  154  bis 
175,  177-181,  185-190,  207-209, 
212  f.,  215-217,  219,  221  f.,  225  bis 
230,  232  f.,  243  f.,  255  —  259,  261  bis 
265,  267  —  282,  286,  288-290,  293 
bis  296,  299,  308,  310.  —  Bund  von 
(1495),  255-257,  260  f.  -  Vene- 
zianische Relationen  I,  VIII,  13,  15, 
17,  30-32,  34,  54-56,  60  f.,  65  f., 
69,  74  f.,  80,  84-86,  92,  98,110-112, 
116-121,  124,  126,  128,  137,  160, 
163,  166,  167,  169  f.,  177  f.,  181. 
183  —  187,  189-192,  195-197,  200, 
203,  205,  208-210,  220  f.,  224-226, 
229,  231,   238,  240,  244  f.,  247. 

Venloo,  Vertrag  von  (1543),  313. 

»Venturieri«  16. 

Vera,  Diego  de,  93. 

Vercelli,  Vertrag  von  (1495),  257. 

Verdun  321. 

Verona  160,  270-272,  276,  280. 


Namen-  und  Sachregfister. 


34.^ 


Verwaltung  (staatliche),  Verwaltungs- 
organisation, 40  f.,  111,  119,  132  bis 
134,  152,  155,  180  f.,  196-198,  216, 
218  f.,  222-224. 

Vesoul  262. 

Vettori,  Francesco  (1474  —  1539),  floren- 
tinischer  Staatsmann,   XI,   17,   220. 

Vicenza  62,  270  —  272. 

Viehzucht  37  f.,  80,  87,  105,  108,  194, 
236,  238,  240. 

Villach  321. 

Visconti  260. 

Viterbo,  Vertrag  von  (1515),  281. 

Vorderösterreich  s.  Österreich,  Vorlande. 

W. 

Waadt  307. 

Wachs  106. 

Waffenfabrikation  21  f.,  113,  116,  158, 
160,  207  f.,  210.  S.  auch  Büchsen- 
meister, Metallindustrie,  Artillerie- 
wesen, Technik. 

Wallachei,  türkischer  Tributärstaat,  179. 

Wallis  209,  240. 

Walther,  Andreas,  XXI,  107. 

Weidwirtschaft  s.  Viehzucht. 

Wein,  Weinbau,  Weinhandel  52  f.,  73, 
115,  126,  157,  193  f. 

»Weltherrschaft«,  das  Streben  nach 
( =  das  Streben  nach  Hegemonie  über 
Europa)  46,  77,  145,  251,  254  f.,  274, 
280,  284,  291,  293.  Vgl.  auch  unter 
Gleichgewicht. 

Westminster,  Vertrag  von  (1527),  295. 

Wien  121,  139,  185,  302  —  304. 


Wight  315. 

Wilhelm  IV.,  Herzog  von  Bayern,  31 H. 

Wilhelm  von  Cleve  312  f. 

Wimpfeling,  Jakob,  deutscher  Huma- 
nist (1450  —  1528),  139, 

Windsor,  Vertrag  von  (1522),  287. 

Wirtschaftliches  3  f.,  35  —  39,  52  —  55, 
73,  88  f.,  160  f.,  168  f.,  172  f.,  232, 
234  f.  Vgl,  im  übrigen  Handel,  In- 
dustrie, Rohprodukte,  Söldnerwesen, 
Bevölkerung  usw. 

Wittenberg  92.  —  Kapitulation  von 
(1547),  319. 

Wolle  (Schafwolle),  73,  80,  86  —  88,  102, 
106,  108,  145,  155,  193  f.,  207,  212. 
—  Wollindustrie  s.  Textilindustrie. 

Wolsey,  Thomas  (1474  —  1530),  Lord- 
kanzler in  England,  XXI,  196,  198, 
200,  203  f.,  226. 

Woodward,  W.  H.,  216. 

Worms  123. 

Württemberg  107,  114  f.,  124,  134,  14yf., 
152,  284,  292,  303. 

Z. 

Zapolya,  Johann  (ca.  1487  —  1540),  Woi- 
wode  von  Siebenbürgen,  1526  zum 
König  von  Ungarn  gewählt,  301,  303,^ 
308,  310. 

Zimmerische  Chronik  128. 

Zinn  193. 

Zucker  176. 

Zurita,  G.  (1512  —  1580),  aragonesischer 
Chronist,  XI. 

Zütphen  313. 


VERLAG  R.  OLDENBOURG,  MÜNCHEN=BERLIN 


Handbuch  der 
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Fueter,  Professor  an  der  Universität  Zürich. 

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„der  deutsche  Erzhumanist".  —  Ein  Kölner  Gedenkbuch  des  16.  Jahrhunderts.  Astro- 
logische Geschichtskonstruktion  im  Mittelalter.  —  Über  die  Anfänge  der  Selbstbiographie 
und  ihre  Entwicklung  im  Mittelalter.  —  Die  ältesten  deutschen  Universitäten  in'  ihrem 
Verhältnis  zum  Staat.  —  Republik  und  Monarchie  in  der  italienischen  Literatur  des 
16.  Jahrhunderts.  —  Zur  Geschichte  des  politischen  Meuchelmords.  —  Jean  Bodin  als 
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19.  und  20.  Jahrhundert.  —  Zweite  Gruppe:  Aus  der  Zeit  der  Erhebung  und  der  Restau- 
ration. —  Dritte  Gruppe:  Aus  der  Zeit  Friedrich  Wilhelms  IV.  und  des  jungen  Bismarck. 
—  Vierte  Gruppe:  Zur  deutschen  Geschichtschreibting  und  -forschung.  —  Fünfte  Gruppe: 
Aus  der  Zeit  des  Weltkriegs. 


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