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HANDBUCH
DER
Mittelalterlichen und
Neueren Geschichte
HERAUSGEGEBEN VON
G. V. BELOW UND F. Meinecke
PRUFESSOR AN DER UNIVERSITJCT FREIBURG I.B. PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT BERLIN
ABTEILUNG n
POLITISCHE GESCHICHTE
Eduard fueter
GESCHICHTE DES EUROPÄISCHEN STAATENSYSTEMS
VON 1492-1559
MÜNCHEN UND BERLIN 1919
DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG
GESCHICHTE
DBS
EUROPÄISCHEN STAATENSYSTEMS
VON 1492-1559
VON
EDUARD FUETBR
ZÜRICH
MÜNCHEN UND BERLIN 1919
DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG
Alle Rechte, auch das der Übersetzung, vorbehalten
Copyright 1919 by R. Oldenbourg, München und Berhn
Bibliograpliische Vorbemerkung.
Da die hier gewählte Darstellungsform es mit sich bringt, daß mehrfach ein
und dasselbe Ereignis, eine und dieselbe Institution in verschiedenen Ab-
schnitten erwähnt werden, so war es ausgeschlossen, daß zu jedem Paragraphen
die vollständige Literatur verzeichnet wurde, wie z. B. in musterhafter Weise
in Georg Mentz' »Deutscher Geschichte« (1913) geschehen ist. Gewisse Werke all-
gemeinen Inhaltes hätten bei diesem Verfahren beinahe zu jedem Paragraphen zitiert
werden müssen. Es erschien daher richtiger, der Darstellung eine Übersicht über
die wichtigsten Nachschlagewerke zur politischen Geschichte Europas in der hier be-
handelten Periode vorauszuschicken. Diese Liste soll nicht nur die sonst unver-
meidlichen Wiederholungen von Büchertiteln verhindern, sondern zugleich als Er-
satz dafür dienen, daß wenigstens die ältere Spezialliteratur mit Rücksicht auf den
beschränkten Raum nur unvollständig aufgeführt werden konnte. Es sind deshalb
nur Werke neueren Datums (d. h. in der Regel nur die neuesten über das in ihnen
behandelte Thema) verzeichnet worden und natürlich auch nur Werke, die mit
bibliographischen Nachweisen versehen sind. Der Detailforscher wird sich an
Hand der dort enthaltenen Angaben dann ohne große Mühe über die Spezialliteratur
über ein bestimmtes, im Texte des vorliegenden Buches nur kurz gestreiften Ereig-
nisses informieren können.
I. Allgemeines.
A. Bibliographien. Der universal-europäische Charakter beinahe aller inter-
nationalen KonfHkte während der hier behandelten Periode gestaltet auch die
Nachschlagewerke, die nur der Geschichte eines bestimmten Landes gewidmet sind,
bis zu einem gewissen Grade zu bibliographischen Übersichten über die europäische
politische Geschichte überhaupt. Im besonderen gilt dies von der neuesten Auf-
lage von Dahlmann-Waitz, »Quellenkunde der deutschen Geschichte« (1912), die
nicht nur durch ihre spätere Erscheinungszeit sondern auch durch ihre größere
Ausführhchkeit selbst dem Forscher in europäischer Geschichte melir bietet als die
von demselben verdienstlichen Herausgeber (Paul Herre) bearbeitete »Quellen-
kunde zur Weltgeschichte« (1910). In direktem Zusammenhang mit dem in dem
vorhegenden Buche behandelten Gegenstande stehen die bibhographischen Listen,
die den zwei dieselbe Zeitperiode darstellenden Bänden der »Cambridge Modern
History« mitgegeben sind (Band I und II; 1902 und 1903); diese Verzeichnisse
können aber nicht in jeder Beziehung befriedigen, auch Hegen sie nun doch schon
etwas weit zurück. Sehr nützhch ist dagegen die bibhographische Vornotiz, die
Edward Armstrong der zweiten Auflage (1910) seines »Emperor Charles F« vor-
ausgeschickt hat ; doch kommt sie natürhch nur für die zweite Hälfte der Periode
in Betracht. Über die Quellen (und zwar nicht nur die französischen) geben die
beste Auskunft die außerordenthch gut gearbeiteten »Sources de Vhistoire de
France, XV I^ sieden, von denen für den hier behandelten Gegenstand die beiden
ersten Bände (1906 und 1909) in Betracht fallen (verfaßt von Henri Hauser). —
Außerdem etwa noch H. Pirennes i> Bibliographie de Vhistoire de Belgiquea
2. Aufl. 1902.
VI Bibliographische Vorbemerkung.
B. Qaellenwerke. Die Grundlage der Geschichte des europäischen Staaten-
systenis wird, soweit die Staatsverträge in Frage kommen, immer noch gebildet
durch das alte Werk von J. Dumont, »Corps universel diplomatique du droit des
gens«, von dem Band III— V (1726—1728 mit Supplement 1 und II, 1 [1739]) in
die hier behandelte Periode fallen. Die Sammlung ist freilich keineswegs voll-
ständig. Viele Nachträge finden sich in neueren Aktenpubhkationen; die \Aich-
tigste Ergänzung bieten die »Diarii« des Marino Sanuto (umfassend die Jahre
1496 — 1533; erschienen Venedig 1879 — 1903), in denen auch viele Verträge im
Originalwortlaut abgedruckt sind.
II. Literatur über die (xeschiclite einzelner Länder
(geordnet nach der Reihenfolge im zweiten Abschnitt des ersten Teiles).
Frankreich. Henry Lemonnier im fünften Band der von Ernest Lavisse heraus-
gegebenen »Histoire de France« (umfassend die Jahre 1492 — 1559; erschienen 1911);
G. Jacqueton, »La politique exterieure de Louise de Sdvoiea 1892; F. de Crue,
»Anne, duc de Montmorency« 1885.
Spanien. Konrad Häbler, »Geschichte Spaniens unter den Habsburgern I;
Geschichte Spaniens unter der Regierung Karls I. (V.)« 1907 (in der Heeren -Ukert-
schen Sammlung). Für die von Häbler nicht behandelte Regierungszeit der katholi-
schen Könige sowie über die neuesten Erscheinungen zur Geschichte Karls gute
Übersicht in dem bibhographischen Anhang, den R. Altamira y Crevea dem vierten
Bande (1911) seiner leider nicht mit Noten versehenen »Historia de Espana« bei-
gegeben hat.
Die Habsburger und Deutschland. Heinrich Ulmann, »Kaiser Maximilian I.«,
■J. Bände, 1884 und 1891, und das bereits angeführte Werk von Armstrong über
KarlV. Georg Mentz, »Deutsche Geschichte 1493 — 1648« (1913), und Br. Gebhardts
»Handbuch der deutschen Geschichte« neu herausgegeben von Ferdinand Hirsch,
2 Bände, 1913. — Für die Geschichte einzelner habsburgischer Länder die drei
in der Heeren-Ukertschen Sammlung erschienen Werke: Alfons Huber, »Geschichte
Österreichs« Illf. (1888ff. ; vgl. im übrigen die Nachweise in der von Dopsch be-
sorgten zweiten Auflage [1901] der »Österreichischen Reichsgeschichte« desselben
Autors, den »Wegweiser durch die Literatur der österreichischen Geschichte«
von Richard Charmatz, 1912 und A. Luschin von Ebergreuth, »Österreichische
Reichsgeschichte des Mittelalters« 2. Aufl. 1914); Henri Pirenne, »Geschichte
Belgiens« (1899ff.) und P. Blök, »Geschichte der Niederlande« (1902ff.); Lucien
Febvre, ^Philippe II et la Franche - Comte 1911 (behandelt auch die erste
Hälfte des 16. Jahrhunderts). — Ferner S. Riezler, »Geschichte Bayerns« III ff.
(18S9ff.) und M. Döberl, »Entwicklungsgeschichte Bayerns« I (3. Auflage, 1915).
Eine moderne wissenschafthche Geschichte Venedigs fehlt noch. Charles
Diehl, »Venise« (1915), gibt leider keine Bibliographie. Vgl. im übrigen unter Italien.
Türkei. N. Jorga, »Geschichte des Osmanischen Reiches« II und III (1909ff.);
A. H. Lybyer, »The Governement of the Ottoman Empire in the time of Suleiman the
Magnificent« 1913.
England. H. A. L. Fisher, V. Band der »Political History of England«, heraus-
gegeben von Hunt und Poole (behandelt die Jahre 1485 — 1547 und A. F. Pollard
im VI. Band für die folgenden Jahre (beide erschienen 1910); Wilhelm Busch,
»England unter den Tudors« I (= König Heinrich VII.) 1892 (englische Über-
setzung 1895); A. F. Pollard, »England under Protector Somerset« 1900 (von dem-
selben auch eine gute Geschichte Heinrichs VIII., neue Ausgabe 1905).
Italienische Staaten. G. de Leva, »Storia documentata di Carlo V in corre-
lazione alVItalia« (bis 1552) 1863 — 1893; F. T. Perrens, »Histoire de Florence« II
und III (1889 f.) Bibhographisch besonders reichhaltig ist Ludwig Pastors »Ge-
schichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters« (für die Geschichte des Kir-
chenstaates); vgl. die Note zu § 92. Keine fortlaufenden Anmerkungen gibt die Ge-
schichte Genuas von M. G. Canale, »Nuova Istoria della Repuhhlica di Genova«
(1858 ff.) und «Storia della Repubblica di Genova dal 1528 al 1550« (1874).
Bibliographische Vorbemerkung. yi[
Schweiz. Joliannes Dierauer, »(ieschichte der schweizerischen Eidgenossen-
schaft« 11 (2. Auflage, 1913) und III (1907, in der Heeren- ülcertschen Sammlung);
Karl Dändliker, »Geschichte der Schweiz« II. (1900). Über die seither erschienene
Literatur vollständiges Verzeichnis im »Anzeiger für schweizerische Geschiclite«.
Über die Literatur zur ungarischen Geschichte sind die oben zur Geschichte
Österreichs angeführten Werke zu vergleichen. Für die Geschichte Nordafrikas
vgl. die Notiz zu § 99. Besonders gut sind wir für die polnische Geschichte gestellt;
der 1915 erschienene erste Band der »Neueren Geschichte Polens« von E. Zivier
(Heeren-Ukertsche Sammlung), der die gesamte Literatur verzeichnet und ver-
arbeitet, behandelt die Geschichte der Jahre 1506 — 1572. Schottland. P. Hume
Brown, »History of Scotland« 1 u. II (1899 — 1902); Andrew Lang, idem I u. II
1900 ff.). Skandinavien. Paul Barron Watson, »The Swedish Revolution under
Gustavus Wasa« 1889 (mit Bibhographie) ; Dietrich Schäfer, »Geschichte von Däne-
mark« IV (1893, bei Heeren-Ukert). Portugal. Vgl. die Notiz am Sclüusse der
»Historia de Portugal« von OHveira Martins (7. Auflage, 1908).
Wenn die vorliegende Übersicht aus leicht verständHchen Gründen jedesmal
nur die letzten Arbeiten zur Geschichte eines bestimmten Gegenstandes auf-
führt, so sollte damit natürlich kein Urteil über die historiographische Bedeu-
tung der zitierten Werke gegeben werden. Große Leistungen der Geschichts-
schreibung behalten bekanntlich auch dann noch für die Forschung ihren Wert,
wenn sie dem Benutzer, der sich über die Resultate der neuesten Pubhkationen
und Untersuchungen informieren will, nicht mehr empfohlen werden können.
In besonderem Maße gilt dies von den in ihrer Art unvergänglichen Darstellun-
gen, die Leopold Ranke der Geschichte der hier behandelten Periode gewidmet
hat. Die in mehr als einer Hinsicht unreife Jugendarbeit über die »Geschichten
der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514« (1824) hat freilich
auch in der fünfzig Jahre später vorgenommenen Umarbeitung (1874) nicht auf
die Höhe der Meisterwerke Rankischer Geschichtschreibung gebracht werden
können. Die »Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation« wirkt dagegen
immer noch mit derselben anregenden Kraft wie am ersten Tage ihres Erschei-
nens und die der auswärtigen Politik gewidmeten Kapitel, die zusammengestellt
beinahe eine vollständige Geschichte des europäischen Staatensystems zur Zeit
Karls V. und Franz' I. bilden würden, sind in ihrer wahrhaft universalhistorischen
Anlage von keinem neueren Forscher erreicht worden. Auch die übrige ältere
Literatur wird der gewissenhafte Historiker nicht unbeachtet lassen; wer aber
Rankes Werk nicht auf Schritt und Tritt zu Rate zieht, ignoriert eines der
wichtigsten Hilfsmittel zur geistigen Durchdringung des Stoffes.
III. Die wichtigsten Sammluiigeu von Akten und diplomatisclien
Korrespondenzen.)
Aus den in § 3 geschilderten Gründen ist es möglich, für die hier behandelte
Periode beinahe gänzhch von der zeitgenössischen Historiographie abzusehen. Die
Rapporte der diplomatischen Agenten bieten in Verbindung mit den eigentlichen
Akten und den Berichten militärischer Stellen vielfach ein beinahe lückenloses
Material für die Rekonstruktion des Ganges der Ereignisse. Kein Historiker wird
zwar deshalb die Darstellungen der zeitgenössischen Geschichtschreiber ganz beiseite
lassen; wenigstens die größeren unter ihnen sind schon deshalb unentbehrhch,
weil sie noch deutlicher als die diplomatischen Berichte die Wirkung der Ereignisse
auf die öffentliche Meinung erkennen lassen. Aber zur Feststellung des Tatsächhchen
sind sie so gut wie ganz entbehrlich. Man kann sagen, daß die moderne Forschung
sie mit ihren eigenen Waffen geschlagen hat. Wenn die guten Geschichtschreiber
der hier behandelten Periode im Durchschnitt an Zuverlässigkeit weit über denen
irgendeiner vorhergehenden Epoche stehen, so verdanken sie diesen Vorzug ihrer
Benutzung archivalischer Quellen; der moderne Historiker ist nun aber imstande
YllI Bibliographische Vorbemerkung.
ein viel reicheres und universaleres diplomatisches Material heranzuziehen als jener
die in der Regel nur zu den Akten eines einzigen Staates Zutritt hatten.
Weniger entbehrlich sind durch die neuesten Pubhkationen die Relationeu
gemacht worden, von denen die wichtigsten die venezianischen sind (vgl. darüber
§ 69). Die hauptsächliche Sammlung sind die »Relazioni degli ambasciatori veneti
al senato«, herausgegeben von Eugenio Alböri, 1839—1863; eine neue und voll-
ständigere Sammlung hat in den »Scrittori d'Italia« zu erscheinen begonnen; weitere
Angaben siehe unter den einzelnen Ländern. Wenn der Historiker auch nie eine
Angabe der Relationen über Dinge benutzen wird, über die er sich aus den Original-
akten informieren kann, so bleiben diese Berichte doch unentbehrlich. Über manche
in den Relationen berührte Gegenstände stehen direkte Quellen überhaupt nicht
zu Gebote; in anderen Fällen handelt es sich um persönhche Beobachtungen, die
durch Rechnungsbücher und Steuerlisteu ergänzt, aber nicht ersetzt werden können.
Es drückt sich eben auch hierin die Zwitternatur dieser Relationen aus, die halb
diplomatische Rapporte, halb statistische Darstellungen sind.
Es kann sich hier nun natürlich nicht darum handeln, die zahlreichen Publi-
kationen von Akten und Korrespondenzen vollständig zu registrieren. Im besonderen
muß von einer Aufzählung derjenigen lokalgeschichtlichen Veröffentlichungen ab-
gesehen werden, in denen nur gelegentlich und indirekt der Kampf der Großmächte
und die Geschichte des europäischen Staatensystems berührt wird. Die oben
unter I A angeführten Werke enthalten außerdem so vollständige Listen der in
Betracht fallenden Quellenwerke, daß eine nochmalige Aufzählung an dieser Stelle
überflüssig sein dürfte.
Die wichtigste diplomatische Quelle für die ganze Periode bildet (neben
den bereits erwähnten Diarien Sanutos, die aber die letzten Jahrzehnte nicht mehr
umfassen) die englischen »Calendars of Leiters, Dispatches and State Papersi und die
i>State Papers* oder »Letters and Papers«. Die Sammlung ist noch nicht abgeschlossen
und wird noch fortgesetzt ; über sie und über ergänzende englische Quellen geben
neben Hauser (s. o.) Auskunft Fisher und PoUard in den zitierten Bänden der
iPolitical History of England«. Seither sind speziell für die Zeit Eduards VL und
Marias verschiedene Bände hinzugekommen: »Calendar of Letters . . . relating to the
Negotiations betiveen England and Spainv. vol. IX— XI = 1547 — 1553 (1913f.). Dann
eine Publikation zur Geschichte der englisch-mailändischen Beziehungen : »Calendar
of State Papers and Manuscripts existing in the Archives and Collections of Milan«.
ed. Allen B. Hinds, Band I (1385 — 1618), 1912.
Die an sich noch reichhaltigere Korrespondenz der habsburgischen Familien-
angehörigen und ihrer Agenten (vgl. § 63) ist aus begreiflichen Gründen weniger
einheitlich publiziert; manche Editionen berücksichtigen nur die Zeit Maximihans I.
oder nur die seiner Enkel, andere geben nur das Material, das sich auf ein bestimmtes
Herrschaftsgebiet oder auf die Tätigkeit eines einzelnen Agenten bezieht. Voll-
ständiger Pubükation steht außerdem vielfach der große Umfang der erhaltenen
Schriftstücke entgegen. Die universalste und brauchbarste Sammlung wird ein-
mal die von der Kommission für neuere Geschichte Österreichs in die Wege geleitete
Ausgabe der Korrespondenz Ferdinands I. sein; bisher ist aber erst als erster Band
die »Famihenkorrespondenz bis 1526« dieses Herrschers erschienen (bearbeitet von
Wilhelm Bauer, 1912). — Von den übrigen Ausgaben sind die wichtigsten für die
Zeit Maximilians I.: die »Lettres du roi Louis XII« (Brüssel 1712), in denen trotz
des Titels die Schreiben habsburgischer Diplomaten dominieren; Le Glay, »Correspon-
dance de VEmpereur Maximilien I^ et de Marguerite d'Autriche (1507—1519)«, 1839
ergänzt durch Van den Bergh, »Correspondance de Marguerite d'Autriche sur les
affaires des Pays-Bas de 1506 ä 1528« (1845 — 1847). Die spätere Publikation Le
Glays, »Negociations diplomatiques entre la France et VAutriche dans les trente premieres
annees du XVI^ siede« (1845) reicht dagegen, wie schon aus dem Titel hervorgeht,
über die Periode Maximilians hinaus, enthält außerdem auch Schreiben von französi-
scher Seite. »Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Maximihans I. « ed. Chmel 1845
(Stuttg. Literar. Veroin) : »Maximilians T. vertraulicher Briefwechsel mit S. Prüschken«
Bibliographische Vorbemerkung. IX
ed. Kraus 1875. — Über dio Zeit Karls V. (neben der bereits erwähiiten »Familien-
korrespondenz Ferdinands I. «) die verschiedenen Publikationen von Karl Lanz,
»Korrespondenz des Kaisers KarlV. « (nur Auswahl), 1844 — 1846; »Staatspapiere
zur Geschichte des Kaisers Karl V.<s 1845 (Stuttgarter Literarischer Verein); »Akten-
stücke und Briefe zur GeschichLe Kaiser Karls V.«, 1853 (Monumenta Habsburgica).
Dann die vielleicht wichtigste Pubükation zur Poütik des Kaisers, die von Ch. Weiß
herausgegebenen »Papiers cCEtatdu cardinal de Granvelle« (1841 ff.). t>El Eniperador
Carlos V y SU corte segün las cartas de D. Martin de Saunas, einbajador del Infame
D. Fernando (1522—1539)*, herausgegeben von A. Rodriguez Villa, 1903. »Carlas
al Emperador Carlos V, escritas en los ahos 1530 — 1532 par su confesor G. de Loaysa«,
1848. Die Memoiren des Kaisers sind jetzt immer in der Ausgabe mit französischer
Übersetzung zu benutzen, die A. Morel-Fatio davon gegeben hat ( »Historiographie
de Charles-Quint, premiere pam>«,1913; ttBibliotheque de VEcole des Hautes-Etudes«).
— Die von DöUinger herausgegebenen »Beiträge zur Geschichte Karls V., PhiUpps IL
und ihrer Zeit« (1862) beschlagen nur die letzten Jahre des hier behandelten Zeit-
raumes, die von August von Druffel bearbeiteten »Briefe und Akten zur Geschichte
des 16. Jahrhunderts« (1873 ff.) teilen nicht nur habsburgische, sondern auch fran-
zösische, päpsthche usw. Schriftstücke mit. In der Hauptsache habsburgische
Dokumente enthalten dagegen die von R. Häpke edierten »Niederländischen Akten
und Urkunden I«, 1913; vgl. die Anmerkung zu §50.
Die in den zitierten Werken zur deutschen Geschichte angeführten Publikationen
zur deutschen Reichsgeschichte enthalten über die europäische PoUtik der Dynastie
verhältnismäßig wenig. Viel instruktiver sind für diesen Zweck die von G. Turba
herausgegebenen »Venetianischen Depeschen vom Kaiserhofe« (1889 ff.) und auch
die im Auftrag des Preußischen historischen Instituts in Rom edierten »Nuntiatur-
berichte aus Deutschland«, 1892ff. (I. Abteilung beginnend mit dem Jahre 1533);
dazu »Nuntiaturberichte G. Morones vom deutschen Königshofe I539f. «, ed. F. Ditt-
rich 1892.
Von den deutscheu Quellen seien daher an dieser Stelle nur die von K. Klüpiel
edierte Sammlung von »Urkunden zur Geschichte des Schwäbischen Bundes« (1846
bis 1853, Stuttgarter Literarischer Verein) angeführt. W. Maurenbrecher, »KarlV.
und die deutschen Protestanten«, 1865 (Anhang). — Dazu dann noch H. Uebers-
berger, »Österreich und Rußland seit dem Ende des 15. Jahrhunderts« I (1906).
Für Frankreich sind wir aus den in § 31 ausgeführten Gründen viel weniger
gut gestellt. Die bereits zitierten Sammlungen der »Lettres de Louis XII« und
Le Glays enthalten nur einzelne Schreiben und die PubUkationen Pelissiers zur
Geschichte der mailändischen Beziehungen (aufgezählt in dessen »Louis XII et
Ludovic Sforza« [1896], VII n. 1) behandeln nur einen Ausschnitt der französischen
auswärtigen Politik; die von Abel Desjardins herausgegebenen »Negociations diplo-
matiques de la France avec la Toscane« (1859 ff.) enthalten so gut wie ausschließlich
florentinische, nicht französische Berichte. EineÄnderung tritt erst mit den zwanziger
Jahren des 16. Jahrhunderts ein (vgl. § 123). Hier sind zunächst zu nennen die von
E. Charriöre publizierten »Negociations de la France dans le Levant«, 1848 ff. (Be-
ziehungen zum Osmanischen Reich), die ergänzt werden durch die »Correspondance
politique de Guillaume Pellicier, ambassadeur de France ä Venise 1540—1542«, ed.
A. Tausserat-Radel, 1899. Berichte von Gesandtschaften in England geben die
»Premiere Ambassade de Jean du Bellay (1527—1529)«, ed. Bourrilly und Vaissidre
(1905), die »Correspondance politique de Castillon et Marillac (1537—1542)«, ed.
Kaulek (1885), und die »Correspondance politique de Odet de Selve (1546—1549)«,
ed. Lefövre-Pontahs (1888). Dazu noch die »Memoires de MM. de Noailles (1553 ff.)*
(1763) und die von AI. Teulet unter dem Titel »Relations politiques de la France et de
VEspagne avec VEcosse au XVI« siede« pubhzierten Staatsschriften (I. Band, 1862).
Allgemeineres in G. Ribier, »Lettres et memoires d'ßtat« (1666). Über die Beziehungen
zu den Habsburgern vgl. die zitierte Sammlung von Druffel sowie die »Captivite
du roiFrangois I^«, ed. Aime ChampoUion-Figeac (1847), von dem auch in anderen
Bänden der »Docvments inedits« manche wichtige Dokumente aus französischen
X Bibliographische Vorbemerkung.
Quellen zur Geschichte der hier behandelten Periode pubhziert worden sind (vgl.
G. Monod, »Bibliographie de Vhistoire de Francea [1888], nr. 371 und 372). Ähn-
lich wie bei den Habsburgern treten dann als Ergänzung die Nuntiaturberichte
hinzu, mit deren Pubhkation 1906 begonnen wurde: »Nonciatures de Clement VII«,
ed. Fraikin I. — »Correspondance politique de Lanssac, 1548—1557«, ed. Ch. Sauze
(1904); »Correspondance du marechal de Brissac (1550—1557); vgl. darüber und
über weitere Pubhkationen H. Hauser »Sources« II (1909), nr. 1272ff. — Manches
dann auch in den »Lettres de Charles VIIl«, ed. P. Pehcier, Band 4 und 5 (1903
bis 1905), und in dem von der Akademie der politischen und morahschen Wissen-
schaften publizierten »Catalogue des actes de Frangois ler« (1887 ff.). — La Pilorgerie,
»Campagne et Bulletins de la Grande Armee d'Italie, commandee par Charles VIII«,
1886. »Le Journal d'un Bourgeois de Paris (1515—1536)«, ed. Bourrilly, 1910, ent-
hält in den Anmerkungen auch Angaben aus unpubhzierten Archivalien.
Italienische Staaten. Für Venedig kommen hauptsächlich die bereits zitierten
Diarien Sanutos so\Aie die Relationen (s. o.) in Betracht, die in gelegenthchen Be-
merkungen auch Streifhchter auf Ereignisse im Venezianischen werfen. Im übrigen
enthalten die venezianischen Berichte, wie natürlich, wenig Angaben über dte
Pohtik des eigenen Landes; sie sind daher hier unter den Staaten eingereiht, über
die sie berichten. Nur wenige willkürlich herausgerissene venezianische Doku-
mente finden sich gedruckt bei VI. Lamansky, »Secrets d'Etat de Venise«, 1884.
Kirchenstaat. Die Korrespondenz der päpsthchen Diplomaten ist, besonders
während der ersten Jahrzehnte der hier behandelten Periode, unbedeutend; für
die spätere Zeit kommen hauptsächhch die bereits zitierten Nuntiaturberichte in
Betracht. Die wichtigste Quelle für die ersten Jahre ist deshalb das »Diarium«
des Burchardus (bis 1506) (erste vollständige Ausgabe von P. Thuasne, 1883 — 1885,
neue Ausgabe von Enrico Celani in der neuen Bearbeitung des Muratori im Er-
scheinen begriffen). Das Diarium seines Amtsnachfolgers, des päpsthchen Zere-
monienmeisters Paris de Grassis, ist für die Zeit Leos X. von M. ArmeUini pubhziert
worden (1884). Dazu die unvollendeten »Regesten« Leos X., deren Edition 1884
von Hergenröther begonnen wurde. Die wichtigste Ergänzung dazu sind die von
P. Villari herausgegebenen Depeschen des venezianischen Gesandten Antonio
Giustiniani in Rom aus den Jahren 1502 — 1505 (1876). Die im Auftrage Papst
Leos X. von Bembo verfaßten Schreiben sind, wie Pastor in seiner »Geschichte
der Päpste« IV, 2, Anhang, nachgewiesen hat, in den Ausgaben des 16. Jahrhunderts
(zuerst Venedig 1535 f.) nicht im Originalwortlaut reproduziert worden und dürfen
daher vom Historiker nicht ohne weiteres benutzt werden.
Ähnlichen Charakter tragen Sadolets »Epistolae Leonis X, Clementis VII,
Pauli III nomine scriptae« (1759); d. h. auch diese bilden so wenig wie die Schreiben
Bembos eine fortlaufende Korrespondenz, sondern geben nur eine Sammlung un-
zusammenhängender Schriftstücke und haben häufig nur formelle Bedeutung. Etwas
anders steht es mit den »Lettere« des Grafen Baidessar Castiglione (1769). Die im
Namen Klemens' VII. von Sadolet redigierten Schreiben von 1524—1528 gab P. Balan
1885 heraus (»Monumenta saec. XVI historiam illustrantia« I). Zu den päpsthchen
Dokumenten kann man schließhch auch noch den größten Teil der pohtischen
Korrespondenz Francesco Guicciardinis rechnen, die in dessen »Opere inedite« (1857
bis 1867) pubhziert ist.
Im übrigen verfolgen die neueren Publikationen aus den päpstlichen Archiven
vor allem den Zweck, die Geschichte der lutherischen Reformation aufzuhellen und
bieten daher für den hier behandelten Gegenstand verhältnismäßig wenig (vgl. z. B.
die von Lämmer edierten »Monumenta vaticana«, 1861); eine Ausnahme bilden die
Anmerkungen zu L. Romiers, »Origines politiques des guerres de Religion« (1913f.),
in denen übrigens auch viele andere italienische Archive herangezogen sind.
Was die malländischen Akten betrifft, so müssen als die wichtigsten Publi-
kationen die Arbeiten Pehssiers gelten; vgl. über diese oben und Hauser, »Sources« 1,
Nr. 450 — 454. Dazu die Dokumente in den »Miscellanea di storia italiana«, XXXV
(1898, aus den Jahren 1498 und 1'j99), und die von G. Müller edierten »Documenti*
Bibliographische Vorbemerkung. XI
über G. Morone (ibid. III [1865]). Mit dem Ende der Selbständigkeit des mailändi-
-sdien Staates hört dann natürlich auch der diplomatische Dienst des Herzogtumsauf.
Die noreutinischen Akten bieten etwas mehr, doch verhältnismäßig wenig
Urientbehrhches, da die florentinischen Staatsmänner sich im allgemeinen mit der
Rolle von Beobachtern begnügen mußten und nur ausnahmsweise in entscheidender
Weise in den Verlauf der diplomatischen Aktionen einzugreifen vermochten. Im
übrigen sind auch hier die ganze Serien umfassenden Pubhkationen selten und
eigentlich nur von französischer Seite durchgeführt worden und selbst die bereits
zitierte Sammlung von Desjardins (s. o.) enthält nur eine kleine Auswahl aus den
Dokumenten (Romier, »Les Origines politiques des guerres de Religion« I [1913],
p. VII, n. 1). Dazu die Depeschen Francesco Vettoris von seiner Gesandtschaft
zu Maximilian im Jahre 1507, die Louis Passy im zweiten Bande seines »Vettori«
(1914), 220 ff., in französischer Übersetzung pubhziert hat (weiteres Material ist
im Texte des ersten Bandes verwertet). Ergänzungen bei Oreste Tommasini, »La
vita e gli scritti di Niccold Machiavelli« II (1912), und bei Villari in dessen Werk
über Machiavelli (3. Auflage, 1913), sowie in den Legationen und Korrespondenzen
Machiavellis selbst (vgl. besonders dessen Opere, ed. Passerini-Milanesi, V [1876];
die »Scritti inediti«, ed. Canestrini, 1857, und die »Lettere famigliariv., ed. E. Alvisi,
1883 [vollständige Ausgabe]). Reichhaltiger werden dann die Pubhkationen
TMT Geschichte des Unterganges des florentinischen Freistaates. Vgl. P. G. Falletti,
»Assedio di Firenze«, 2 Bände, 1885, und »Francesco Ferruccio e la guerra di Firenze
del 1529-1530« (mit Bibliographie), 1889.
Von den übrigen italienischen Staaten kommt beinahe nur Savoyen in Be-
tracht. Zitiert sei da die »Histoire genealogique« von S. Guichenon wegen ihrer
»Preuves« (1660), die von A. Segre publizierten »Documenti di storia sabauda dal
1510 al 1536« in den »Miscell. di storia ital.«, ser. III vol. 8, die »Extraits de la corre-
spoiidance diplomatique des ambassadeurs du duc de Savoie 1546—1559«, ed. G. Greppi
(»Bulletin de la comm. royale d'histoire«, ser. II, 12), und Adriani in den »Miscellanea
di storia italiana« V (1867). Über verschiedene kleinere Publikationen aus mantuani-
schen, monegassischen usw. Berichten sei auf Hauser verwiesen. Angeführt seien
hier nur die von Pelissier herausgegebenen »Documents pour servir ä Vhistoire de
Vetablissement de la domination frangaise ä Genes, 1498—1500« (1894).
Schheßlich sei noch bemerkt, daß die unter dem Titel »Lettere di Principii
von RusceUi edierte Sammlung italienischer diplomatischer Schreiben (gebräuch-
lichste Ausgabe, Venedig 1581) auch jetzt noch unentbehrlich ist.
Spanien. Für den hier behandelten Gegenstand kommt nur die Zeit der katholi-
schen Könige in Betracht, da die auswärtige Politik des Landes von Karl V. an von
der habsburgischen Dynastie geleitet wird. Vollständig registrierende Pubhkationen
in der Art der enghschen Calendars fehlen für Spanien; einen gewissen Ersatz bieten
die bei Zurita, »Anales de la Corona de Aragon« (1562 — 1580) vorliegenden Auszüge
ans der Korrespondenz Ferdinands. Einzelnes (außer dem in der Anmerkung zu
§ 39 angeführten »Cedulario del Rey Cat6lico«) : Duque de Berwick y de Alba, »Corre-
spondencia de Gutierre Gömez de Fuensalida, embajador en Alemania, Flandes e Ingla-
terra (1490—1509)«, 1907; »Cartas del cardenal ... Jimenez«, ed. Gayangos und
V. de la Fuente (1867), und »Cartas de los secretarios del cardenal Jimenez«, ed. V. de
la Fuente 1885. Dazu außer der Pubhkation über die Cortes von Kastilien (4. Teil,
herausgegeben von M. Colmeiro, 1882 — 1886; 5. Band von M. Danvilla, 1903)
zahlreiche in den Bänden der Documentos ineditos zerstreute Dokumente, über die
auf die Spezialliteratur verwiesen werden muß; angeführt sei hier nur die in Band 24
dieser Sammlung herausgegebene Korrespondenz Hugo de Moncadas aus den Jahren
1509-1529.
Schweiz. Die wichtigsten Dokumente über die Beziehungen der Eidgenossen-
schaft zum Auslande finden sich in der »Amtlichen Sammlung der älteren eidgenössi-
schen Abschiede«. Vgl. außerdem etwa noch A. Büchi, »Aktenstücke zur Geschichte
d<'s Schwabenkriegs« in den »Quellen zur Schweizer Geschichte« 20 (1901; weitere
Xll Bibliographische Vorbemerkung.
Aktenpublikationen zu diesem Kriege aufgezählt in Luginbühls Ausgabe von Heinrich
Brennwalds Schweizerchronik« II [1910], 330 [Quellen zur Schweizer Geschichte,
neue Folge, Band 2]). Mit Vorsicht zu benutzen sind die Aktenstücke, die Valerius
Anshelm in seine »Berner Chronik« (n. A. 1884—1901) eingelegt hat.
Ungarn. Das wichtigste Quellenwerk sind die »Monumenta Hungariae historica«,
speziell die I.Abteilung »Diplomatariaa (1857 ff.). Einen ähnlichen Dienst leisten
für Polen die »Acta Tomiciana« (1876ff.). Die schottischen Akten bieten verhältnis-
mäßig wenig Wichtiges neben den englischen und französischen Pubhkationen;
vgl. die Angaben in der »Cambridge Modern History« II, 793 f. Über Skandinavien
und ebenso über Portugal muß auf die unten angeführten Bibliographien verwiesen
werden.
Bemerkt sei schließlich noch, daß die Zitate in der Regel in der Orthographie
modernisiert worden sind und daß für die Form der geographischen Namen Ritters
»Geographisch-statistisches Lexikon« (9. Auflage, 1905) maßgebend gewesen ist.
InhaltsTerzeiclmis.
Bibliographische VorbemerJtung.
Einleitung: Disposition und Stoff . .
XVII
I.Teil: Das europäische Staatensystem, seine Organisation und seine (Hieder
in den Jahren zwischen 1492 und 1559 . . . . . 1
I. Abschnitt:
B.
C.
Institutionen und Tendenzen der internationalen
Politik in Europa.
Seite
Das Zentralproblem der inter-
nationalen Politik
§ 1. Das Problem
§ 2. Die Ursachen des Problems
Die politischen Kampfmittel .
§ :3. Die neue diplomatische Or-
ganisation
§4. Die Publizistik
Die militärischen Kampfmittel
1. Der Krieg zu Lande . . .
a) Die Infanterie
§5. Die neue Infanterie-
taktik
§ 6. Veränderungen im An-
werbewesen ....
b) Die Kavallerie 17
§7. Die schwere Reiterei 17
§8. Die leichte Reiterei . 18
e) Die Artillerie 20
§ 9. Die Artillerie .... 20
§10. Artillerie und Ent-
wicklung der Technik 21
§11. Die Verwendung der
Artillerie 22
§ 12. Artillerie und Marine 23
2. Der Krieg zur See ....
§ 13. Der Staat u. die Marine
§ 14. Ruder- und Segelschiff-
fahrt ........
§ 15. Die Bedeutungd. Marine
10
D
.Seite
§17.
§18.
i4
35
Wirtschaftliche Konfliktstoffe u
Kampfmittel
§ 16. Handelspoh tische Kon-
flikte ;!4
Die Sicherung der Zufuhr
von Lebensmitteln . .
Der Einfluß ökonomischer
Betriebsformen auf die
internationale Stellung d.
Glieder d. Staatensystems 37
1. Ackerbau u. Viehzucht 37
2. Industrie und Söldner-
wesen 38
E. Der Einfluß innerpolitischer Ver
hältnisse 39
§19. Der Einfluß ständischer
Institutionen auf die Fi-
nanzpolitik 39
Der Einfluß kirchenpohti-
scher Konflikte 42
Der Einfluß geistiger Tendenzen 44
1. Politische Strömungen . ■ 44
§21. Nationale Gefühle . 44
§22. Die Gleichgewichts-
theorie 45
2. Religiöse Strömungen .46
§ 23. Das christliche Gemein-
schaftsgefühl 'tß
§ 24. Dogmatische Neue-
rungen 50
§20.
XIV
Inhaltsverzeichnis.
II. Abschnitt: Die Glieder des
Seile
§ 25. Disposition des zwei-
ten Abschnittes 51
A. Die Großstaaten 51
1. Die am Kampfe um Italien
unmittelb. beteiligten Staaten 51
a) Frankreich 51
§ 26. Das Land und seine
Bewoiiner 51
§27. Industrie u. Handel 55
§ 28. Die innerpolitische
Organisation .55
§ 29. Die Armee .... 58
§ 30. Die Marine .... 62
§31. Die auswärtige Poli-
tik. 1 . Die Organisation
d. auswärtigen Dienstes 65
§ 32. Die auswärtige Poli-
tik. 2. Das Verhältnis
zu Spanien 67
§ 33. Die auswärtige Poh-
tik. 3. Das Verhältnis
zu den habsburgischen
Ländern 69
§ 34. Die auswärtige Poli-
tik. 4. Das Verhältnis
zu England 71
§ 35. Die auswärtige Poli-
tik. 5. Das Verhältnis
zu den benachbarten
kleinen Staaten ... 73
§ 36. Die auswärtige Poli-
tik. 6. Das Verhältnis
zu den übrigen Staaten 75
§ 37. Die auswärtige Poli-
tik. 7. Politische Aspi-
rationen 77
b) Spanien 79
§ 38. Das Land und seine
Bewohner 79
§ 39. Industrie u. Handel 86
§ 40. Die innerpolitische
Organisation 88
§41. Die Armer .... 90
§ 42. Die Marine ... 93
§ 43. Die auswärtige Poh-
tik. 1. Die Organisation
d. auswärtigen Dienstes 95
§ 44. Die auswärtige Poli-
tik. 2. Das Verhältnis
zu Unteritalien ... 96
§ 45. Die auswärtige Poli-
tik. 3. Das Verhältnis
zu Nordafrika .... 98
europäischen Staatensystems.
Seite
§ 46. Die auswärtige Politik.
4. Das Verhältnis zu
Frankreich ..... 100
§ 47. Die auswärtige Politik.
5. Das Verhältnis zu
den übrigen Staaten • 101
§ 48. Die auswärtige Politik.
6. Politische Aspiratio-
nen lOS
c) Die habsburgische Macht 103
§ 49. Allgemeines 103
1. Die burgundischen Erblande 104
§50. D. Land u. s. Bewohner 104
§51. Industrie und Handel 108
§ 52. Innerpolitische Organi-
sation 109
§53. Die Armee 112
§54. Die Marine 113
2. Die österreichischen Erblande 114
§ 55. Das Land und seine
Bewohner 114
§ 56. Industrie und Handel 11&
§57. Innerpolitische Organi-
sation 117
§ 58. Armee und Marine . • 119
3. Deutschland 123
§59. Das Lnnd und seine
Bewohner 123
§ 60. Handel und Industrie 125
§ 61. Militärische Verhältnisse 127
§ 62. Innerpolitische Organi-
sation 132
4. Die habsburgische Macht als
Gesamtheit; die auswärtige
PoUtik der Habsburger . . 138
§ 63. Die Organisation des
diplomatischen Dienstes 138
§ 64. Die Ziele der auswär-
tigen PoHtik 140
d) Venedig 154
§65. Allgemeines; wirt-
schaftliche Verhältnisse 154
§ 66. Innerpolitische Or-
ganisation 159
§67. Die Armee .... 161
§68. Die Marine . . . .163
§ 69. Die Organisation d.
diplomatischen Dienstes 164
§ 70. Die auswärtige Poli-
tik Venedigs .... 166
§71. Venedig u. d. Türkei 168
§72. Venedigu.d. übrigen
italienischen Staaten . 170
§ 73. Venedig U.Österreich 174
Inhaltsverzeichnis.
XV
Seite
2. Die am Kampfe um Italien
nicht unmittelbar beteiligten
Staaten 175
a) Das Osmanische Reich . 175
§ 74. Größe und Bevölke-
rung 175
§ 75. Industrie u. Handel 177
§ 76. Innerpolitische Or-
ganisation 179
§77. Die Armee ... 182
§78. Die Marine . . . .185
§ 79. Die Organisation d.
diplomatischen Dienstes 187
§ 80. Die auswärtige Poli-
tik der Türkei .... 188
b) England 191
§81. Größe und Bevölke-
rung 191
§82. WirtschaftHche Ver-
hältnisse 192
§83. Die innerpolitische
Organisation 195
§84. Die auswärt. PoHtik 198
§85. Die Armee .... 199
§86. Die Marine .... 200
§ 87. Die Organisation d.
auswärtigen Dienstes . 203
§88. Stellung zu Schottld. 204
Seite
§ 89. Stellung zu den üb-
rigen Staaten .... 206
B. Die kleineren Staaten .... 207
1. Die am Kampfe um Italien
unmittelb. beteiligt. Staaten 207
§90. Mailan.I 207
§91. Florenz 211
§92 Der Kirchenstaat . 215
§93. Neapel und Sizilien . 221
§94. Genua 226
§95. Savoyen 230
§ 96. Die übrigen kleinen ita-
henischen Staaten . . . 231
§ 97. Die Schweiz 233
2. Die am Kampfe um Itahen
nicht unmittelbar beteiligten
Staaten 240
§98. Ungarn 240
§ 99. Der nordafrikanische
Korsarenstaat 243
§ 100. Die übrigen Staaten 245
Polen 245
Schottland 245
Skandinavien .... 246
Portugal 246
Persien 247
Navarra 247
II. Teil. Die Veränderungen im europäischen Staatensystem von 1492 — 1559.
I. Abschn^itt. Gliederung des Stoffes § lOi . . ... 24»
II. Abschnitt. Die Geschichte des europäischen Staatensystems bis
zur Schlacht bei Pavia.
A. Die Eröffnung des Kampfes um
Italien. Die franz. Expedition
nach Neapel und ihre Folgen 250
§102. Vorbereitg. d. Expedition 250
§103. Das Ziel der Expedition 252
§ 104. Der Zug nach Neapel . 253
§ 105. Die Gegenkoalition gegen
Frankreich infolge der
Expedition 254
§ 106. Rückzug der Franzosen
aus Neapel 256
§ 107. Neuordnung der Verhält-
nisse in den italienischen
Staaten 258
B. Der Kampf um Mailand; der
österreichisch-französische Kon-
flikt (1497—1506) 259
§ 108. Die neue französische Po-
litik; Vorbereitungen des
Zuges nach Mailand . . 259
§ 109. Die Eroberung Mailands
durch Frankreich . . . 262
§110. Die Eroberung Neapels
durch Spanien .... 264
§111. Annäherung Frankreichs
an die Habsburger und
Spanien. Vorbereitung d.
Liga von Cambrai . . . 267
G. Die KoaUtion der Großmächte
gegen Venedig und ihre Folgen
(1508—1516) 268
§112. Die Liga von Cambrai . 268
§ 113. Der Krieg gegen Venedig 270
§ 114. Die italienische Politik d.
Papstes; die Verbindung
des Papstes mit den
Schweizern 272
§115. Die KoaUtion gegen
Frankr. ; die Vertreibung
der Franzosen aus Italien 274
XVI
1 nhaltsverzeichnis.
Seite
§116. Die Gegenaktion Frank-
reichs; die Wiedererobe-
ning des Mailändischen 277
§117. Die Liquidation des ita-
lienischen Konfliktes; die
Herstellung eines Gleich-
gewichtes 280
D, Die Vorbereitungen der habs-
burgischen Vormachtstellung
(1516—1525) 282
Seite
§118. Die Änderung in den in-
ternationalen Machtver-
hältnissen 282
§119. Die erste Phase des
Kampfes Frankreichs ge-
gen die neue habsburgi-
sche Macht bis zur Ent-
scheidung bei Pavia . . 284
IIL Abschnitt. Die Geschichte des europäischen Staatensystem von
der Schlacht bei Pavia bis zur Beendigung des Kampfes um Italien
(die habsburgische Vormachtstellung; 1525 — 1559).
A. Herstellung der habsburgischen
Vorherrschaft über Italien . . 291
§ 120. Die diplomatische Situa-
tion nach der Schlacht
bei Pavia 291
§121. Die militärische Entschei-
dung in Italien und der
Anschluß Genuas an die
Habsburger 293
§122. Die Regelung des italie-
nischen Konfliktes zu-
gunsten der Habsburger 297
B. Die letzten Kämpfe um Italien;
das Eingreifen neuer Mächte im
Südosten und Norden Europas
in den Konflikt (1530—1559). 300
§123. Die neue Diplomatie
Frankreichs; das Eingrei-
fen der Osmanen . . . 300
§124. Der neue Krieg zwischen
Frankreich u. den Habs-
Namen- und Sachregister
burgern; die Eroberung
Piemonts durch Frank-
reich (1536—1539) ... 306
§125. Die letzten Kämpfe
Franz' I.; der englisch-
französische Konflikt
(1539—1544) :{09
§ 126. Der Ausgang des franzö-
sisch-englischen Konflik-
tes; weitere Ausdehnung
der habsburgischen Herr-
schaft über Italien (1544
bis 1550) 315
§ [•>'. Die Niederlage der habs-
burgischen Macht in
Deutschland; die Verbin-
dung der ständischen
deutschen Opposition mit
Frankreich (1547—1555) 317
§ 128. Der Ausgang d. Kampfes
um Italien (1555—1559) 324
. 329
Einleitung.
Disposition und Stoff.
Eine Darstellung der Veränderungen, die sich in einem Staaten-
systeme innerhalb eines bestimmten Zeitraumes vollzogen haben, ist
nur dann verständlich, wenn der Leser den Wert der Größen kennt,
deren gegenseitige Beziehungen geschildert werden. Es ist daher im
folgenden ersten Teile der Versuch gemacht worden, die politischen
und militärischen Faktoren, mit denen der erzählende zweite Teil zu
arbeiten hat, so präzis wie möglich zu definieren. Der Benutzer soll
mit den Stärkeverhältnissen und politischen Aspirationen der einzelnen
Staaten vertraut werden, bevor ihm gezeigt wird, in welcher Weise diese
Kräfte im Verlauf der internationalen politisch-militärischen Konflikte
kombiniert worden sind.
Es hat sich dabei natürlich nicht vermeiden lassen, daß manche
Tatsachen, die erst im zweiten Teil berichtet werden, im ersten als be-
kannt vorausgesetzt werden. Aber dieser Nachteil mußte in den Kauf
genommen werden, um des größeren Vorteils willen, daß durch den
ersten Teil für die darauf folgende Erzählung eine reale Grundlage ge-
schaffen worden ist. Anderseits darf der ausdrückliche Hinweis nicht
unterlassen werden, daß der erste Teil nicht mehr sein will als ein Kom-
mentar zum zweiten. Es war nicht die Absicht des Verfassers, eine voll-
ständige Schilderung der politischen, militärischen und wirtschaftlichen
Zustände Europas in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu geben;
er wollte vielmehr nur die Dinge schildern, die für die Modifika-
tionen des europäischen Staatensystems von Bedeutung waren. Die
Auswahl des Stoffes ist demnach im allgemeinen und im einzelnen
nach diesem speziellen Gesichtspunkte durchgeführt worden und auf
die allgemeine historische Wichtigkeit einer Materie ist prinzipiell
keine Rücksicht genommen worden. Staaten und Organisationen, die
auf den Ausgang der zentralen internationalen Konflikte keinen oder
einen geringen Einfluß ausübten, sind daher hier nur ganz kurz er-
wähnt worden, und ebenso sind bei der Schilderung der an den großen
Kämpfen direkt beteiligten Staaten diejenigen Erscheinungen nur
flüchtig besprochen worden, die nicht in politisch-militärische Macht-
mittel umgesetzt wurden. Deshalb hat z. B. das politisch ausgenutzte
Problem der türkischen Getreideausfuhr nach Venedig ganz anders
XVIII Einleitung.
eingehend behandelt werden müssen als der Kornimport nach Genua,
und die deutsche Hanse findet knappere Erwähnung als die Verhält-
nisse in der spanischen Industrie, die für die Kriegsgeschichte von ka-
pitaler Bedeutung gewesen sind. Aus demselben Grunde ist dann auch
von einem Staatenwesen, wie dem portugiesischen, so gut wie gar nicht
die Rede. Eine analoge Stellung ist gegenüber geistigen Bewegungen
eingenommen worden; auch für deren Besprechung war das Kriterium
maßgebend, ob sie auf die internationale Politik eine Wirkung ausgeübt
haben. Die allgemeine historische Bedeutung einer Begebenheit fiel
dabei außer Betracht.
Der Zweck, dem der erste Teil dienen soll, hat noch in einer anderen
Hinsicht auf die Darstellung einen bestimmenden Einfluß ausgeübt.
Der Ausgang internationaler Konflikte ist, wie bekannt, weniger von
der absoluten Menge an Machtmitteln abhängig, über die ein Staat
oder eine Staatengruppe verfügt, als von der Relation, in der die mili-
tärische, diplomatische, finanzielle usw. Leistungsfähigkeit eines Staates
zu der seiner Konkurrenten steht. Ich habe daher in der folgenden Dar-
stellung vor allem gesucht, die relative Bedeutung der besprochenen
Erscheinungen im Vergleich mit den analogen Einrichtungen rivali-
sierender Staaten festzustellen. Die charakterisierenden Urteüe gehen
nicht von einem abstrakten Maßstabe aus, auch nicht von den Verhält-
nissen der Gegenwart, sondern von einer Vergleichung mit damaligen
Zuständen. Wenn da etwa (in Übereinstimmung übrigens mit den be-
deutendsten Theoretikern des 16.. Jahrhunderts) gesagt wurde, daß unter
allen christlichen Fürsten der König von Frankreich am uneingeschränk-
testen über die Finanzkraft seiner Untertanen verfügte, so sollte damit
weder behauptet werden, daß eine finanzielle Omnipotenz des französi-
schen Monarchen bestand, noch daß er größere oder geringere Gewalt
über das Vermögen der Bevölkerung besaß als moderne Staatsregie-
rungen. Es sollte nur darauf hingewiesen werden, daß die Könige von
Frankreich bei der Aufbringung der Mittel, die zu ihren internationalen
Operationen nötig waren, mit geringeren Sch\NTierigkeiten zu kämpfen
hatten als ihre Rivalen, die habsburgischen Herrscher und die spani-
schen Könige. Eine Folge dieses Verfahrens war allerdings, daß sich in
vielen Fällen die Charakterisierung durch wenig sagende Adjektiva
nicht umgehen ließ. Selten steht ja in internationalen Kämpfen ein
Nichts einem Etwas gegenüber ; die Regel ist vielmehr, daß schwächere
Organisationen mit stärkeren ringen. Wie kann man solche Verhält-
nisse anders formulieren als mit Hilfe unbestimmter Ausdrücke, die
immerhin wenigstens das Wesentliche, nämlich den Vergleichsgrad,
deutlich erkennen lassen ? Auch fehlt es, wie bekannt, in der im folgen-
den behandelten Zeit vielfach noch so sehr an zuverlässigen statistischen
Angaben, daß schon nur die historische Ehrlichkeit von apodiktischen
Behauptungen zurückhalten sollte. Soweit sich solche trotzdem finden
möchten, sollte der Benutzer nicht übersehen, daß sie hauptsächlich
in dem obengenannten relativen Sinne gemeint sind. Geht man von
Disposition und Stoff. XIX
diesem Gesichtspunkte aus, so wird man manche Aussage für berechtigt
halten müssen, die der Lokalhistoriker nur mit starken Einschränkungen
gelten lassen könnte. Sogar viele, allzu scharf zugespitzte allgemeine
Urteile Machiavellis sind nicht mehr unrichtig, wenn man in ihnen
nur eine Relation ausgedrückt sehen will.
Daß dabei in den früheren Abschnitten vielfach Dinge als bekannt
vorausgesetzt wurden, die erst in den späteren behandelt werden,
war eine unvermeidliche Folge dieses Systems. Da schon die Angaben
über die einzelnen Länder nach ihrem relativen Wert ausgewählt und
formuliert werden mußten, so war nicht daran zu denken, etwa zuerst
jeden Staat für sich zu schildern und erst am Schluß die separaten Re-
sultate zu vergleichen; eine solche Disposition hätte (von anderem ab-
gesehen) zu den lästigsten Wiederholungen geführt. So viel wie möglich
ist versucht worden, durch Verweisungen den Übelstand zu mildern.
Überall hat dies, freilich nicht geschehen können; in manchen Fällen
wurden daher in den ersten Abschnitten Ausführungen, die sich erst
später an ihrem eigentlichen Platz finden, wenigstens in den Umrissen
resümiert.
Ähnliches muß auch von dem gegenseitigen Verhältnis der beiden
Hauptabschnitte des ersten Teiles gesagt werden. Beide stehen unter-
einander im engsten Zusammenhang, und aus inneren Gründen dürfte
kaum zu entscheiden sein, welchem der Vorrang gebührt. Der zweite
Abschnitt, der die Teilnehmer an dem wichtigsten politisch-militärischen
Kampfe der Periode schildert, ist ohne den ersten nicht verständlich,
der die Kampfmittel zu charakterisieren sucht; der erste anderseits
ist vielfach nichts anderes als eine Zusammenfassung der im zweiten
ausgeführten Einzelresultate. Es war unter diesen Umständen wohl
das zweckmäßigste, sich an die traditionelle Anordnung zu halten,
die das Allgemeine dem Einzelnen vorangehen läßt. Immerhin sind
die beiden Abschnitte so gehalten, daß sie sich im Notfalle auch in der
umgekehrten Reihenfolge lesen lassen.
In dem Charakter der dem Verfasser gestellten Aufgabe lag schließ-
lich auch begründet, daß sowohl in dem schildernden wie in dem er-
zählenden Teil nur ausnahmsweise von einzelnen Persönlichkeiten die
Rede sein kann. Sowohl sachliche wie methodische Gründe ließen eine
andere Darstellungsweise nicht zu. Vom sachlichen Standpunkte aus
müßte gesagt werden, daß eine Geschichte des europäischen Staaten-
systems es mit Staaten zu tun hat und nicht Individuen, mögen diese
auch als Fürsten, Generale und Diplomaten äußerlich im Vordergrunde
stehen. Stärker ins Gewicht fällt aber noch eine methodische Erwägung.
Nur in den allerseltensten Fällen läßt sich nachweisen, welche Persön-
lichkeit und ob überhaupt eine für eine Unternehmung und deren Ver-
lauf verantwortlich ist. Die meisten Entschlüsse sind bekannthch Kom-
promisse aus widerstreitenden Meinungen und zwischen Interessen-
gruppen, die innerhalb der leitenden Kreise bestehen, und kein ehrlicher
Arbeiter wird sich vermessen wollen, den Anteil der Einzelnen an dem
XX Einleitung.
Resultat auch nur mit einiger Sicherheit festzustellen. Der kritische
Historiker wird es vielmehr vorziehen, die Willensakte, die politisch-
militärische Aktionen zur Folge gehabt haben, auf den Kollektivbegriff
»Regierung« zurückzuführen; es steht dabei nichts im Wege, den Aus-
druck so aufzufassen, daß damit nicht nur mit offiziellen Kompetenzen
betraute, sondern auch inoffiziell wirkende Persönlichkeiten gemeint
sind, sobald sie nur auf die Leitung der Staatsgeschäfte einen direkten
Einfluß ausgeübt haben. Auch hier ist die unbestimmte Bezeichnung
die bessere, denn sie täuscht keine falsche Sicherheit vor.
Dazu kommt noch eine andere Erwägung, die freilich nur von neben-
sächlicher Bedeutung ist. Zu den reizvollsten Aufgaben der Geschicht-
schreibung, wie man sie bis vor kurzem auffaßte, gehörte bekanntlich
die psychologische Rekonstruktion der historisch wirksamen Persön-
lichkeiten. Gegen dieses, für künstlerische Naturen so sehr anziehende
Spiel lassen sich aber schwere wissenschaftliche Bedenken nicht unter-
drücken. Gibt es eine historisch brauchbare wissenschaftliche Psycho-
logie, die eine solide Basis für solche Untersuchungen bilden würde,
kann es selbst der mit genialer Intuition begabte historische Psychologe
über geistreiche Kombinationen hinausbringen ? Aber selbst wenn dies
der Fall wäre, so wäre damit für Arbeiten wie die vorliegende noch wenig
gewonnen. Ein feiner Psychologe mag imstande sein, die menschliche
Persönlichkeit eines Staatsmannes oder Generals mit großer Wahrschein-
lichkeit, ja beinahe Sicherheit, zu rekonstruieren. Aber welcher Nutzen
ließe sich daraus für Darstellungen wie die folgende ziehen ? Historisch
wirksame Akte auf dem politisch-militärischen Gebiet sind doch nur
in Ausnahmefällen das individuelle Produkt einer einzelnen Persönlich-
keit, wie man es z. B. von großen Kunstwerken behaupten könnte.
Auch angenommen also, daß es der historischen Forschung möglich wäre,
(las Wesen einer historischen Figur bis in alle Einzelheiten getreu nach-
zubilden (wozu übrigens nicht nur die Kenntnis der geistigen sondern
auch der körperlichen Eigentümlichkeiten gehörte, über die die Zeug-
nisse meistens recht unzuverlässig sind), so bliebe immer noch zu unter-
suchen, wie weit der wirkliche Verlauf der Ereignisse durch die Be-
sonderheiten dieser Persönlichkeit bestimmt worden ist. Diese Frage
ist aber, wie bereits betont, in der Regel nicht zu beantworten, und da
die folgende Darstellung es nicht mit den persönlichen Absichten der
an den öffentlichen Geschäften beteiligten Individuen, sondern allein
mit den tatsächlich eingetretenen Veränderungen des Staatensystems
zu tun hat, so glaubte ihr Verfasser, jene Materie ganz beiseite lassen
zu dürfen.
Die Schwierigkeiten des psychologischen Verfahrens mögen nur an
einem Beispiele erläutert werden. Über wenige Persönlichkeiten der
damaligen Zeit liegen so viele Zeugnisse verschiedenartigsten Charakters
vor wie über König Heinrich VIII. von England. Es ist ferner auch
bekannt, daß persönliche Affären dieses Monarchen die Stellung seines
Landes in der internationalen Politik in höherem Grade als in der Regel
Disposition und Stofl. XXI
der P'all zu sein pflegt, in Mitleidenschalt gezogen haben. Trotzdem aber
weiß jeder, der sich mit der Geschichte der englischen Politik in jener
Zeit befaßt hat, daß es durchaus unrichtig wäre, wollte man diese als
einen Ausfluß der Persönlichkeit des Königs ansehen. Mehrere Jahre
hindurch wurde die auswärtige Politik Englands vielmehr so gut wie
ganz von Wolsey dirigiert, und zwar nachgewiesenermaßen in einem
Sinne, der den Intentionen des Königs wenig entsprach. Auf der anderen
Seite läßt sich aber zeigen, daß auch Wolsey nicht ganz frei war. Er
durfte zwar anders vorgehen, als der König eigentlich wünschte, sich
zu den Absichten seines Mandanten aber nicht in einen offenen Gegen-
satz setzen. Erscheint es nun nicht als Spielerei, feststellen zu wollen,
wieweit die als Resultat dieses Kompromisses durchgeführte Politik
der Persönlichkeit des Königs entsprang und wieweit sie in der Seele
des ersten Ministers ihren Ursprung hatte ? Und dabei ist dieser Fall
noch einer der einfachsten und durchsichtigsten. Die natürlichste Fol-
gerung scheint mir zu sein, daß der Historiker aus den Komponenten
die Resultante zieht und nur von der »auswärtigen Politik der englischen
Regierung« spricht.
Zu demselben Resultate sind neuerdings auch manche Verfasser von Mono-
graphien zur politischen Geschichte des im folgenden behandelten Zeitraumes ge-
langt- Auch sie haben vielfach feststellen müssen, daß es unmöglich ist, den Einfluß
eines Monarchen auf die auswärtige Politik festzustellen. »On ne peut guere distinguer,
dans les documents, ce qui appartient au Roi de ce qui appartient aux ministres«, heißt
es über König Heinrich II. von Frankreich in einer der solidesten Arbeiten zur
diplomatischen Geschichte des 16. Jahrhunderts, in Lucien Romiers rOrigines
politiques des guerres de religion I (Henri II et l'Italie)« (p. 28, am Schluß einer
p. 23 beginnenden Ausführung zu diesem Thema). Und wenn Romier in seiner Dar-
stellung dann trotzdem bisweilen den Versuch macht, die Verantwortlichkeit ein-
zelner Persönlichkeiten zu erforschen, so sind solche Hypothesen jedenfalls nur
in einer ins Detail gehenden Erzählung am Platze; die folgenden Ausführungen
müssen dem Umfang des Handbuches entsprechend auf Vermutungen über einzelne
Personen und Ereignisse verzichten, denen als Kautel eine umständliche Begründung
beizugeben wäre. — Eine ähnHche Polemik findet sich bei A. Walther, »Die
Anfänge Karls V.« (1911), S. If.
Erster Teil.
Das europäische Staatensystem, seine Organisation
und seine Glieder in den Jahren zwischen 1492
und 1559.
I. Abschnitt.
Institutionen und Tendenzen der internationalen Politik
in Europa.
Ä. Das Zentralproblem der internationalen Politik.
§ 1. Das Problem. Kaum in einer anderen Periode des europäischen
Staatensystems lassen sich die Machtkämpfe der europäischen Groß-
staaten so zwanglos um ein einziges Problem gruppieren wie in dem hier
zu behandelnden Zeitraum. Ein Ziel stand den Staaten und Dynastien,
die sich gegen das Ende des 15. Jahrhunderts dank äußerer Ausdehnung
und innerer Konsolidation als Großstaaten von der Masse der Mittel-
und Kleinstaaten abzuheben begannen, beinahe ununterbrochen als die
wichtigste Aufgabe ihrer auswärtigen Politik vor Augen: die Vorherr-
schaft über Italien, Die ersten Jahre der Periode verleihen dem Problem
mit der französischen Expedition nach Neapel eine akute Gestalt;
die letzten bringen die definitive Entscheidung zugunsten der Habs-
burger. Wohl ist dieser Kampf mehrmals durch kürzere Zeiträume un-
terbrochen worden, in denen die Auseinandersetzung der christlichen
Staaten mit dem gegen Westen vordringenden Osmanischen Reiche
den Vorrang zu haben scheint. Aber selbst dieser Gegensatz mußte
schließlich, soweit die internationale Politik in Betracht kam, stets
vor dem italienischen Konflikte zurücktreten. Diese Auffassung hat
die auswärtige Politik der damaligen Großstaaten beherrscht, und der
Historiker hat keinen Grund, sich zu einer anderen Ansicht zu bekennen.
Er muß so verfahren, obgleich er wohl weiß, daß andere Ereignisse
der Zeit wenigstens für die spätere Geschichte des europäischen Staaten-
systems größere Bedeutung gehabt haben als der Kampf um die Vor-
Fueter, Europ. Staatensystem. 1
2 Das Zentralproblem der internationalen Politik.
herrschaft über Italien. Die Entdeckung des neuen Seeweges nach
Ostasien, die spanischen Eroberungen in Amerika, ja vielleicht sogar
die neue Handelspolitik der englischen Regierung haben aller Wahr-
scheinlichkeit nach auf die schließliche Entwicklung der europäischen
Machtverhältnisse einen stärkeren Einfluß ausgeübt als die Hegemonie
der habsburgischen Dynastie über Italien. Aber es dürfte nicht Aufgabe
der wissenschaftlichen Geschichtschreibung sein, die Darstellung frü-
herer Perioden nach den schwankenden Gesichtspunkten zu orientieren,
die von späteren Zeiten oder der Gegenwart geboten werden. Was
auch jener Kampf um die Vorherrschaft über Italien jetzt, vier Jahr-
hunderte später, bedeuten mag, — für die damalige Politik der euro-
päischen Großstaaten war dieser Konflikt das Zentralproblem und dabei
/ i wird es auch der Histoi^er bewenden lassen müssen.
§ 2. Die Ursachen des Problems. Das Problem war keine Not-
wendigkeit, — auch wenn man dabei nur an die beschränkte Notwendig-
keit denkt, von der allein in der Staatengeschichte die Rede sein kann.
Es wäre falsch, in ihm die Resultante der politischen Entwicklung
des 15. Jahrhunderts zu sehen. Selbst wenn man annehmen wollte,
die französische Ausdehnungspolitik hätte sich nach der Beendigung des
Kampfes mit England am natürlichsten gegen Italien gewendet, so
läge dieser Anschauung eine Voraussetzung zugrunde, die durchaus nicht
eintreten mußte : wirklich beendigt wurde der Krieg zwischen England
und Frankreich nur dadurch, daß die auswärtige Politik Englands
sich bewußt neu orientierte und ihre traditionellen Pläne auf Frankreich
definitiv fallen ließ. Niemand aber könnte beweisen, daß das Regiment
der Tudors, das diese neue Politik einführte, das unvermeidliche End-
resultat der Adelskämpfe des 15. Jahrhunderts darstellte. Und doch
wäre ohne diese Wandlung auch die französische Politik gegen Italien,
unmöglich gewesen. Daß aber auch diese nicht als eigentliche poli-
tische Notwendigkeit bezeichnet werden kann, wird in einem späteren
Abschnitte näher ausgeführt werden (s. u. § 37).
Es kann sich deshalb hier nur darum handeln, die Verhältnisse aus-
einanderzusetzen, die den Kampf um die Vorherrschaft über Italien
wenigstens erklärlich, wenn auch nicht notwendig machten.
Zwei Erwägungen legten es den Regierungen der Großstaaten
vor allem nahe, nach der Hegemonie über Italien zu streben: die eine
bezog sich auf den Unterschied in den Machtmitteln, der zwischen den
italienischen Staaten und den im Laufe des 15. Jahrhunderts konsoli-
dierten Großstaaten bestand; die andere auf die (vor allem wirtschaft-
lichen, deshalb natürlich aber auch militärischen) Vorteile, die die Be-
herrschung Italiens und der Ausschluß der rivalisierenden Macht von.
diesem mit sich brachte.
Was den ersten Punkt — die Differenz in den Machtmitteln —
betrifft, so wäre es durchaus unrichtig, wenn man diesen Unterschied
moralisch fassen wollte, auch etwa nur in dem Sinne, daß die angrei-
fenden Großstaaten die politisch höher oder zweckmäßiger organi-
§ 2. Die Ursachen des Problems. 3
sierten Staatswesen gewesen wären. Gewiß gab es in Italien zu Beginn
der Periode wenigstens einen Staat, der in seiner Organisation hinter
den neukonsolidierten großen Staaten zurückgeblieben war (der Kirchen-
staat, dann auchNeapel ; vgl. die §§ 92 u. 93). Aber Staaten wie Venedig,
Mailand und Florenz können neben Frankreich und Spanien keineswegs
als politisch rückständig bezeichnet werden, und selbst wer in der relativen
nationalen Geschlossenheit des französischen und englischen Staates ein
Symptom politischer Superiorität erkennen wollte, brauchte nur auf
die habsburgische Großmacht einen Blick zu werfen, um einzusehen,
daß auch dieses Kriterium unangebracht wäre. Die Dinge liegen viel-
mehr viel einfacher. Es war nichts anderes als die Größe, die den neuen
Großmächten den Vorrang vor den italienischen Mittelstaaten gab;
diese waren imstande, wenigstens zu Lande, stärkere Armeen aufzustellen.
(Zur See lagen die Verhältnisse anders; dies bewahrte die Republik
Venedig vor dem Schicksal der übrigen italienischen Staaten.) Die Groß-
staaten, die um die Vorherrschaft über Italien kämpften, besaßen un-
zweifelhaft eine wirksamere politisch-militärische Organisation als andere
europäische Länder, die, obwohl an sich nicht kleiner, doch durch mangel-
hafte Ausrüstung an einem entscheidenden Eingreifen in die großen
italienischen Konflikte verhindert waren. Aber den italienischen Staaten
gegenüber wird man ihnen keine solche Überlegenheit zubilligen können;
hier hat das bloße geographische Übergewicht den Ausschlag gegeben.
Was den wirtschaftlichen Wert der Oberherrschaft über Italien
betrifft, so kann hier nur das Allernötigste gesagt werden, da ausführ-
lichere Angaben besser der Besprechung der einzelnen Staaten vor-
behalten bleiben.
Man kann den wirtschaftlichen Ertrag der Hegemonie über Italien
unter drei Punkte resümieren: den direkten finanziellen Nutzen, den
die Beherrschung großer Industrie- oder Handelszentren nach sich zog,
den wirtschaftlichen Vorteil, den der Reichtum einzelner italienischer
Gegenden an Bodenprodukten, vor allem an Getreide dem Besitzer zu-
brachte (zumal sobald er selbst an solchen Erzeugnissen Mangel litt)
und schließlich den über das rein wirtschaftliche Gebiet hinausreichen-
den Gewinn, der in der Verfügung über die Seestreitkräfte der beiden
größten christlichen Marinestaaten des Mittelmeeres bestand.
Die verschiedenen Teile Italiens waren an diesem Ertrage ungleich
beteiligt: der Süden und ein großer Teil des Zentrums kamen nur für den
an zweiter Stelle genannten Punkt in Betracht, während Oberitalien
und Toskana vor allem wegen ihres Handels, ihrer Industrie und ihrer
Flotten von Wert waren. Dabei hingen alle diese Objekte aber unter
sich zusammen. Eigentümliche politisch-militärische Verhältnisse hatten
es gefügt, daß die Beherrschung eines der wichtigsten Industrieplätze
des Nordens (Mailands) zugleich der einzige Weg war, um sich eines
der beiden großen Marinestaaten (Genuas) und damit zugleich der sicheren
Verfügung über die Getreideproduktion Unteritaliens zu bemächtigen.
Es war deshalb den Großstaaten nicht wohl möglich, Italien zum Zwecke
4 Die politischen Kampfmittel.
gemeinsamer Ausnutzung friedlich in Einflußsphären aufzuteilen.
Darin liegt das Problem Mailands verborgen, und dies erklärt, warum
der Kampf um Italien bald in der Hauptsache zu einem Kampf um
Mailand wurde.
B. Die politischen Kampfmittel.
§ 3. Die ueue diplomatische Organisation. Diese Konzentration
der auswärtigen Politik der Großstaaten auf ein großes Zentralproblem
schuf für Europa eine ganz neue diplomatische Lage. An internationalen
Koalitionen zu Offensiv- und Defensivzwecken hatte es schon früher
nicht gefehlt ; aber derartige Kombinationen wurden nun systematischer
betrieben und bewußter aufrecht erhalten als in den vorhergehenden
Jahrhunderten, sie setzten sich auch viel bestimmter als bisher Ziele,
die das ganze europäische Staatensystem und nicht bloß das Verhältnis
zwischen zwei Staaten betrafen. Viel stärker als früher wirkten nun
Veränderungen innerhalb eines Staates oder innerhalb des Verhält-
nisses zwischen zwei Staaten auf die gesamte internationale Situation
zurück, und daraus entsprang dann die vorher in dieser ausgeprägten
Form nicht nachweisbare Erscheinung, daß während gewisser Zeit-
räume alle Staaten Europas, auch die kleinsten und entlegensten, in
die Gegensätze der Großstaaten hineingerissen und mit einer der rivali-
sierenden Gruppen in Verbindung gebracht wurden. Um den Kon-
trast mit der unmittelbar vorangehenden Zeit zu erfassen, denke man
nur daran, wie begrenzt noch der politische Horizont eines so klugen
Vertreters der älteren Generation wie Gommines war. Man beachte,
wie sich die politische Spekulation des Vertrauten König Ludwigs XL
kaum je mit verhältnismäßig doch gar nicht so abgelegenen Ländern
wie den spanischen Reichen und der Türkei beschäftigt, und vergleiche
damit die Bedeutung, die Spanien und die Osmanen für Frankreich
während der hier behandelten Periode gewannen.
Diese neue Politik hat natürlich nicht mit einem Schlage Platz
gegriffen. Sie hat erst allmählich alle Glieder des europäischen Staaten-
systems in ihren Bann gezogen, und in voller Wirksamkeit steht sie erst
in der zweiten Hälfte der Periode. Man kann die ersten zwei bis drei
Jahrzehnte noch als eine Zeit des Tastens, der Anpassungsversuche
an die neuen Verhältnisse bezeichnen. Es sind dies auch die Jahre,
in denen internationale Allianzverhältnisse besonders rasch gewechselt
und in neue Kombinationen verwandelt, wenn nicht gar in ihr Gegenteil
verkehrt wurden. Es ist zwar töricht, den Vorwurf des Machiavellismus
in dem Sinne, wie man den Ausdruck gewöhnlich versteht, gerade gegen
die hier dargestellte Periode zu richten; aber wenn man damit nur sagen
will, daß selten so leichtfertig und unablässig Allianzen geschlossen
und aufgelöst wurden wie in der Zeit, die den florentinischen Staats-
sekretär zu seinen Betrachtungen inspirierte, so würde man diese An-
sicht nicht als durchaus unrichtig bezeichnen können. Die Regierungen
fanden sich einer ganz neuen Situation gegenüber. Sie mußten mit
§ 3. Die neue diplomatische Organisation. 5
Kräften rechnen, deren militärisch-politische Bedeutung sie nur unvoll-
kommen kannten; sie mußten Staaten in den Kreis ihrer Spekulation
einbeziehen, über die sie nur ungenügend informiert waren. Dies alles
war die natürliche Folge der neuen Lage, für die die bisherige Erfahrung
versagte. Es begann daher eine Zeit wirren Versuchens und diese dauerte
so lange an, als die Praxis nicht über die Proportion der Kräfte in den
neuen internationalen Konflikten Aufklärung gebracht hatte. Nachdem
diese Aufklärung einmal eingetreten, wurden die Allianzverhältnisse
stabiler, obwohl die internationale Politik im übrigen ihren gewalt-
tätigen Charakter nicht veränderte. Man denke z. B. an das Bündnis
Frankreichs mit der Türkei; eine ähnlich dauerhafte und relativ unge-
trübte Verbindung zwischen zwei Großstaaten ist in der ersten Hälfte
der Periode nicht nachzuweisen.
Daß sich damals wirklich ein neuer Zustand bildete, wird am besten
dadurch dargetan, daß sich die Notwendigkeit einer neuen diplomati-
schen Organisation herausstellte. Die Quellen, aus denen die Regierungen
bisher ihre Kenntnisse über die Veränderungen der auswärtigen Politik
geschöpft hatten, genügten nicht mehr zur Befriedigung des neuen Be-
dürfnisses nach internationaler Information. Besonders die militärisch
schwächeren Mittelstaaten, die nur durch Verbindung mit anderen
Mächten ihre Unabhängigkeit von den Großstaaten bewahren konnten,
waren darauf angewiesen, über bevorstehende politisch-militärische
Projekte aufs genaueste unterrichtet zu werden. Aber auch die Groß-
staaten sahen sich genötigt, in einer Zeit, da selbst mächtige Staaten
feindlichen Koalitionen nur mit Unterstützung kleinerer Gemeinwesen
zu widerstehen vermochten, rechtzeitig über die Pläne der Rivalen
informiert zu werden, um daraufhin eventuell eine Gegenkoalition ins
Leben zu rufen. Aus diesem Bedürfnis heraus entstand die Errichtung
ständiger Gesandtschaften in den wichtigsten europäischen Staaten, i)
Die Unterhaltung ständiger Gesandtschaften war im Prinzip nichts
Neues; aber die Einrichtung war bisher nur innerhalb eines einzigen
Landes üblich gewesen. — In Italien hatte seit etwa einem halben Jahr-
hundert ein ähnlicher Zustand geherrscht, wie er jetzt für ganz Europa
geschaffen wurde. Verschiedene Staaten kämpften um Ausdehnung,
meist auf Kosten der Rivalen, und wenn schon die Konkurrenten mili-
tärisch und finanziell über ungleiche Kräfte verfügten, so war doch keiner
so stark, daß er einer gegen ihn gerichteten Koalition zweier anderer
ohne Bedenken hätte entgegensehen können. Die Notwendigkeit stän-
diger diplomatischer Information stellte sich daher dort früher ein als
1) Die einzige Ausnahme, die bestand, bestätigt in diesem Fall die Regel.
Das Osmanische Reich unterhielt allerdings keine ständigen Gesandtschaften (§80);
aber die Türkei war auch der einzige unter den großen MiHtärstaaten, der so stark
war, daß er sogar eine Offensivallianz aller anderen Staaten nicht eigenthch zu
fürchten hatte. Wenn sie sich dem Beispiel der anderen Regierungen nicht anschloß,
so beweist dies bloß, daß die neue Institution nur unter ganz ungewöhnlichen Ver-
hältnissen als entbehrhch angesehen werden konnte.
6 Die politischen Kampfmittel.
im übrigen Europa. Der erste naciiweisbare Fall rührt aus der Mitte
des 15. Jahrhunderts (1448) her und bezieht sich auf eine ständige
Verbindung zwischen Mailand und Florenz, zwischen den beiden Staaten
also, die durch die Ausdelmungspolitik des mächtigsten italienischen
Staates, der Republik Venedig, am meisten bedroht waren. Später folgten
verschiedene andere Gründungen, und bald wandten die italienischen
Regierungen das neue System auch außerhalb der appeninischen Halbinsel
an. Auch hierbei war zunächst die Erwägung ausschlaggebend, daß
vor allem dem Schwächeren die Pflicht obliege, sich durch rechtzeitige
Information gegen Angriffsversuche des Stärkeren zu schützen. Daraus
erklärt sich erstens, daß diese Gesandtschaften in der Hauptsache
nur bei der französischen Regierung unterhalten wurden, von der damals
fast allein eine Offensive gegen Italien befürchtet werden mußte, nicht
aber in England usw., und dann, daß der erste Staat, der eine ständige
Gesandtschaft in Frankreich einrichtete, derjenige war, den ein französi-
scher Einfall zuerst getroffen hätte, nämlich Mailand. Dies erklärt des
weiteren aber auch, warum diese diplomatischen Vertretungen damals
noch durchweg einseitig waren; die Gründe, die Mailand und Florenz
zur Errichtung ständiger Gesandtschaften in Frankreich bewogen,
waren ja für die französische Regierung nicht vorhanden, die von den
italienischen Mittelstaaten nichts zu befürchten hatte. Schließlich ist
es nach dem eben Gesagten durchaus verständlich, wenn zu Beginn
der im folgenden behandelten Periode die Abordnung ständiger Gesandt-
schaften verschiedentlich noch als Anzeichen politischer Schwäche auf-
gefaßt wurde. Der kleinere Staat war allerdings unbedingt darauf ange-
wiesen, über die Projekte des größeren unterrichtet zu werden; für den
Großstaat lag dagegen eine solche Notwendigkeit nicht vor. Nicht ohne
Grund zählt daher Sanuto (»Diarien« I, 739) »zum Ruhme Venedigs«
auf, wie viele italienische Oratori sich in der Stadt aufhielten (1497),
und aus einer ähnlichen Erwägung heraus hielten gerade Staaten,
die befürchten mußten, daß man zwischen ihnen und den eigent-
lichen Großstaaten einen Unterschied mache, darauf, daß in dieser
Beziehung zwischen ihnen und den mächtigeren Staaten Reziprozität
herrschte. Gerade weil die englische Regierung es an militärischer Be-
deutung mit der kaiserlichen nicht aufnehmen konnte, legte sie Wert
darauf, daß Kaiser Karl V. ebenso bei ihr einen Gesandten unterhielt;
wie sie selbst einen am kaiserlichen Hofe hatte (1529; Lanz, »Korrespon-
denz des Kaisers KarlV.« I, 314) und wenn 1520 zwischen Karl V.
und König Heinrich VIII. abgemacht wurde, daß beide Monarchen
beieinander ständige Gesandte haben sollten (»Monumenta Habs-
burgica« II, 1, 180), so war dabei auf englischer Seite wohl ebenfalls
der Wunsch maßgebend, die Gleichstellung des englischen Königs
mit dem Kaiser von der Gegenseite öffentlich anerkannt zu sehen.
Über diesen Punkt hinaus dehnte sich während dieser Periode
die Einrichtung ständiger Gesandtschaften nicht mehr aus. Den An-
fang hatten die italienischen Mittelstaaten gemacht, ihnen folgten die
§ 4. Die Publizistik. 7
Großstaaten, die um die Vorherrschaft über Itahen kämpften oder an
•diesem Kampfe interessiert waren, mit Ausnahme der Türkei; die klei-
neren und die weiter abgelegenen Staaten außerhalb Italiens, zumal
die politisch weniger entwickelten, verharrten dagegen bei dem alten
System der gelegentlichen Gesandtschaften. Daher treffen wir die
Institution weder in Portugal noch in Schottland noch in Polen oder
Ungarn noch in Skandinavien noch in der Eidgenossenschaft, von den
deutschen Territorialherrschaften ganz abgesehen, bei denen der Ent-
sendung von Gesandtschaften dazu noch staatsrechtliche Hemmungen
entgegenstanden (vgl. § 62). Bei Staaten wie Portugal, die sich in der
Hauptsache außerhalb der europäischen Politik, d. h. des sich um Italien
und die Türkengefahr bewegenden Allianzensystems befanden, scheint
dieser Mangel so gut wie keine nachteiligen Folgen nach sich gezogen
zu haben ; anders dürfte es sich mit Ungarn und Polen verhalten haben,
die es als Gegner mit einem der diplomatisch am wirksamsten organi-
sierten Staaten, nämlich dem Hause Österreich, zu tun hatten (§63).
Literatur. Die wichtigste Arbeit über diesen Gegenstand ist die Abhand-
lung von Adolf Schaube, »Zur Entstehungsgeschichte der ständigen Gesandtschaften«
in den »Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung« X
(1889), 501 — 552, die die für diese Zeit durchaus unzulänghche BerHner Disser-
tation von Otto Krauske, »Beiträge zur Geschichte der ständigen Diplomatie« (1884)
(erster Teil der Abhandlung »Die Entwicklung der ständigen Diplomatie vom 15. Jahr-
hundert bis 1818«, 1884) so gut wie ganz entbehrlich gemacht hat. Seine Darlegungen
liegen auch dem betreffenden Abschnitt bei David Jayne Hill, »A History of Diplo-
macy in the international Development of Europe« II (= 1313 — 1648), 1906, zugrunde.
Über die Technik der diplomatischen Arbeit findet man das Material am reich-
haltigsten bei M. de Maulde-la Claviöre, »JL« Diplomatie au temps de Machiavel«,
3 Bände, 1892 f.
Die Errichtung ständiger Gesandtschaften bildet bekannthcli auch für die
Geschichtschreibung eine Epoche. Weil die ständigen Gesandten zu einer fort-
laufenden Berichtersattung verpflichtet waren und ihre Rapporte aufbewahrt
-vvurden, liegt von jener Zeit an eine Fülle diplomatischen Materials vor, der frühere
Perioden nichts an die Seite zu stellen haben. Erst von diesem Zeitpunkt an ist
■es möglich, diplomatische Verhandlungen mit einiger Sicherheit zu rekonstruieren.
§ 4. Die Publizistik. Die Erweiterung der diplomatischen Aktion
wirkte auch auf die für das internationale Pubhkum bestimmte Publi-
zistik ein. Seitdem sich ein eigentliches europäisches Staatensy^tem
gebildet hatte, legten die Regierungen Wert darauf, die öffentliche Mei-
nung innerhalb eines größeren geographischen Umkreises als bisher zu
bearbeiten. Hatten sie in ihren offiziösen Darlegungen bisher in der
Regel neben dem einheimischen Publikum nur an einen oder mehrere
Nachbarn und unmittelbar beteihgte ausländische Staaten appelliert,
so konnten sie es nun nicht mehr vermeiden, sich an Leser in weiter ab-
gelegenen Ländern zu wenden. Die internationale Publizistik, die Schrift-
stellerei in der allgemein europäischen Sprache, dem Lateinischen, und
die Verwendung von Argumenten, die auf allgemeine Interetsen, den
Schutz der Christenheit z. B., den Hauptakzent legten, erfuhr eine
■eifrigere Pflege.
g Die politischen Kampfmittel.
Natürlich läßt sich hier keine so scharfe Grenzlinie ziehen, wie es
bei der Besprechung der neuen diplomatischen Organisation möglich
war. Auch wenn man, wie selbstverständlich, von der kirchenpoliti-
schen und kurialen Publizistik der früheren Zeit gänzlich absieht, die
stets einen internationalen Charakter hatte bewahren müssen, so wird
man nicht erwarten, ein so deutliches Unterscheidungsmerkmal zu
finden, wie es die Errichtung ständiger Gesandtschaften eines ist.
Trotzdem aber wird man wohl behaupten dürfen, daß der publizistische
Betrieb ähnlich umgewandelt und erweitert wurde wie der diplomatische.
Als Symptom für die veränderten Umstände dürfte vor allem das
Interesse betrachtet werden, das in dieser Zeit die Regierungen außer-
halb Italiens an der humanistischen Bewegung zu nehmen begannen.
Wer das internationale Publikum, die gebildeten Leser ganz Europas
zu bearbeiten wünschte, mußte über Autoren verfügen, die die lateinische
Sprache und den modischen Stil oder doch wenigstens eines von beiden
beherrschten. In Italien, das auch hier als Vorbild diente, hatten dies
die Regierungen schon seit längerer Zeit eingesehen, und in manchen
Staaten hatten es deshalb humanistisch geschulte Männer zu leitenden
Stellungen gebracht. Seitdem nun die Machtkämpfe der außeritalieni-
schen Staaten einen allgemein europäischen Charakter angenommen
hatten und dabei gerade auch der Wert der öffentlichen Meinung Italiens
höher geschätzt wurde als früher, waren auch die Großmächte außer-
halb der appeninischen Halbinsel genötigt, sich dieses Kriegsmittels zu
bedienen.
Die offizielle und die offiziöse Publizistik nahm infolgedessen einen
ungeheuren Aufschwung, sowohl der Masse wie der Qualität nach.
Eine Flut polemischer Literatur begleitete die militärischen und diplo-
matischen Vorgänge. Und zwar öffentlicher Polemik: die Regierungen
arbeiteten nicht nur mit halb vertraulichen Schriftstücken wie etwa
Kaiser Maximilian mit einzelnen Kundgebungen »für das offizielle
Deutschland« (H. Ulmann, »Kaiser Maximilian« II [1891], 374), sondern
sie bekämpften sich vielfach in voller Öffentlichkeit. Als König Lud-
wig XII. von Frankreich im Jahre 1498 einen Bericht über sein Ver-
hältnis zu dem österreichischen Herrscher in Italien verbreiten ließ,
verfaßte der Gesandte des mit Maximilian verbündeten Mailands, der
sich am kaiserlichen Hofe aufhielt, nicht nur eine Gegenschrift, die an
die italienischen Kanzleien weitergegeben wurde, sondern Kaiser Ma-
ximilian selbst ließ eine offizielle Relation ausarbeiten, einen »Brief«
an Lodovico Moro, der dann »durch die ganze Christenheit vertrieben«
werden sollte (L. Pelissier in den »Miscellanea di storia italiana« XXXV
[1898], 373 und 484).
Nicht immer konnte dabei allerdings die Forderung erfüllt werden,
daß die offizielle Diatribe sowohl lateinisch wie im humanistischen Stile
abgefaßt wurde. Bisweilen konnte nur eine der beiden Bedingungen inne-
gehalten werden ; so ist z. B. Juan de Valdes' Dialog »Merkur und Charon «,
Die Infanterie. — § 5. Die neue Infanterietaktik. 9
der eine offiziöse Apologie der Politik Kaiser Karls V. enthält, zwar im
Stil durch und durch humanistisch, jedoch in spanischer Sprache ge-
schrieben. In anderen Fällen begnügten sich die Mandanten mit einer
lateinischen Redaktion, die des Schmuckes humanistischer Rede ent-
behrte. Aber im Prinzip hielten die Regierungen darauf, daß ihre
Beauftragten sowohl lateinisch wie nach den humanistischen Geschmacks-
regeln schrieben. Dies wird erwiesen einerseits durch das außergewöhn-
liche Ansehen, dessen sich Stilkünstler unter den Publizisten, wie der
Italiener Jovius, erfreuten, und anderseits durch einen Fall wie den
des Kaisers Maximilian, der, obwohl seiner Bildung nach durchaus
dem Mittelalter angehörig, doch die offiziöse Publizistik in lateinischer
Sprache aufs eifrigste förderte. — Keine Ausnahme von dieser Regel
bilden dagegen natürlich die häufigen Fälle, da eine Regierung sich in
offiziösen Darlegungen an das eigene Land wandte. Daß ihre Mandatare
sich dabei vielfach der Landessprache und eventuell auch eines populären,
d. h. nicht humanistischen Stiles bedienten, ist ohne weiteres ver-
ständlich.
In das gleiche Kapitel gehört schließlich, daß die Publizierung von
internationalen Verträgen, Reden von Fürsten usw. damals beinahe
schon zur Regel wurde. Dabei ist diese Tatsache selbst ebenso bemerkens-
wert wie der Umstand, daß zu Zwecken der Propaganda der Wortlaut
der Aktenstücke und Reden öfter verstümmelt oder gar verfälscht
wurde. So enthielt der veröffentlichte Text des französisch-spanischen
Vertrages vom Jahre 1505 absichtlich unrichtige Zahlen über die Höhe
der gegenseitigen militärischen Leistungen (De Maulde-La Claviere
[o. S. 7], III, 217 und 238 ff.), und von der Rede, die Kaiser KarlV.
im Jahre 1536 in Rom hielt, wurde für den Druck ein Exemplar her-
gestellt, das eine der bezeichnendsten Auslassungen des Monarchen
unterdrückte (Schreiben von M. de Salinas bei A. Rodriguez Villa,
ifEl Emperador Carlos V« [1903], p. 713).
Literatur. Eine Monographie über die offizielle Publizistik der Periode fehlt
noch. Manches bei Wilhelm Bauer, »Die öffentliche Meinung und ihre geschicht-
lichen Grundlagen«, 1914. Unergiebig für das im Text behandelte Thema ist Paul
Roth, »Die neuen Zeitungen in Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert«, 1914
(in den Jablonowskischen Preisschriften). — Die offizielle Propaganda bediente
sich verschiedentUch der Form historischer Abhandlungen oder Darstellungen;
darüber einiges in meiner »Geschichte der neueren Historiographie« (1911).
C. Die militärischen KampfmitteL
1. Der Krieg zu Lande.
a) Die Infanterie.
§ 5. Die neue Infanterietaktik. Die militärischen Aktionen der
im folgenden behandelten Periode sind von den Kriegsoperationen,
wie sie noch um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts üblich waren,
prinzipiell stark verschieden. Die Veränderung besteht weniger darin,
10 Die Infanterie.
daß die Infanterie gegenüber den anderen Waffengattungen in unge-
wöhnlichem Maße an Bedeutung gewonnen hätte, als darin, daß inner-
halb der Infanterie selbst eine neue Taktik aufgekommen war, die
starke Qualitätsunterschiede unter den Söldnern zur Folge hatte und
wenigstens in den ersten Jahrzehnten den Infanteristen eines bestimmten
Landes (der Eidgenossenschaft) beinahe eine Monopolstellung ver-
schaffte.
Es ist hier nicht der Ort, auf die technischen Details einzugehen,
die der neuen »schweizerischen Taktik« ihr Gepräge gaben; es kann dies
um so weniger geschehen, als deren Ursprung in eine viel frühere als die
hier besprochene Periode fällt. Es muß genügen zu bemerken, daß zwei
Eigentümlichkeiten vor allem die schweizerischen Söldner auszeichneten:
die einheitliche Ausbildung, die ihnen erlaubte aus dem Fußvolk einen
disziplinierten taktischen Körper zu formieren, und dann der Gebrauch
des langen Spießes, der eben auf dieser einheitlichen Schulung beruhte.
Diese »schweizerische Ordnung« hatte dann speziell in den Burgunder-
kriegen (1476) ihre Superiorität über die alte Taktik so deutlich er-
wdesen, daß an ihrem militärischen Wert kein Zweifel mehr möglich wäre
hält man damit zusammen, daß die Bedeutung der Infanterie für di///'^
Feldschlachten sowieso seit langem im Zunehmen begriffen war, so
ist ohne weiteres verständlich, daß infolgedessen diejenigen Infanterie-
söldner, die die neue Ausbildung durchgemacht hatten, auf dem inter-
nationalen Werbemarkt eine privilegierte Stellung einnahmen.
Es wird später bei der Besprechung der einzelnen Länder gezeigt
werden, daß das Monopol, das die Schweizer ursprünglich besaßen,
im Laufe der Periode allerdings immer mehr durchbrochen wurde.
Die Großstaaten, die annexionistische Ziele verfolgten, mußten be-
greiflicherweise danach streben, die neue Waffe in der eigenen Armee
einzuführen und, wenn es nicht möglich war, schweizerische Söldner
in Dienst zu nehmen, wenigstens die schweizerische Taktik bei den
eigenen Truppen kopieren zu lassen. Daß dies zunächst besonders in
den österreichischen Landen geschah, erklärt sich schon aus dem Um-
stände, daß der gefährlichste Gegner der Habsburger, die Krone Frank-
reich, als die finanziell überlegene INIacht, sich einen Teil der schwei-
zerischen Söldner vertraglich gesichert hatte. Aber dieser Fall von
Imitation, der bekanntlich zur Entstehung der Landsknechte führte,
steht keineswegs vereinzelt da, und für die historisch-politische Ent-
wicklung hat sich schließlich vielleicht sogar noch als wichtiger erNsie-
sen, daß später (nach dem ersten Zusammentreffen mit Schweizern)
die spanische Regierung die neue Taktik unter ihren Fußtruppen ein-
führte (§41).
§ 6. Veränderungen im Anwerbewesen. Welche Folgen aus dieser
Umgestaltung der Taktik entsprangen und inwiefern speziell die aus-
wärtige Politik Frankreichs und der Eidgenossenschaft dadurch be-
rührt wurde, wird später bei der Besprechung der einzelnen Länder
zur Behandlung kommen. An dieser Stelle soll nur erörtert werden,
§ 6. Veränderungen im Anvverbewesen. 11
welche Nachwirkungen diese Neuerung für das Verfahren der An-
werbung von Söldnern im allgemeinen hatte.
Schon lange war es üblich gewesen, daß die Regierungen ihre
Armeen aus fremden oder einheimischen Söldnern bildeten, die sie in
der Regel schon fertig formiert von Unternehmern (Kondottieren) be-
zogen. Erhebliche Qualitätsunterschiede scheinen dabei, speziell was
die Infanterie betrifft, nicht bestanden zu haben. Das Soldatenmaterial
war zwar seiner physischen Leistungsfähigkeit nach nicht ganz gleich-
artig und in seinem Wert zum Teil durch die Bodenbeschaffenheit und
die klimatischen Verhältnisse des Herkunftsortes bestimmt; auch er-
gab sich ohne weiteres, daß »arme« Gegenden, d. h. Landschaften, deren
Boden sich nur wenig zum Ackerbau eignete und die der Verkehrs-
verhältnisse usw. wegen keine Industrie entwickeln konnten, eher in
der Lage waren, überschüssige Menschenkraft in der Form von Söldnern
abzugeben als Länder, die ihrer Bevölkerung genügendes Auskommen
in friedlicher Beschäftigung boten. Aber wenn schon deshalb, was die
»Produktion« von Söldnern betraf, unter den einzelnen Landschaften
beträchtliche quantitative Unterschiede bestehen mochten, so war
doch qualitativ (für die Infanterie) die Differenz ganz unbedeutend.
Mit dem Aufkommen der schweizerischen Taktik änderten sich die
Verhältnisse vollständig. Brauchbar war nun nur noch das Soldaten-
material, das nach der neuen Ordnung geschult war, wenigstens so-
weit es sich um die großen Kriege handelte, in denen von einer Partei
regelmäßig schweizerische oder schw^eizerisch ausgebildete Söldner
verwendet wurden. Dadurch erhielten nun die Länder, die solche
Infanteristen zu liefern imstande waren, eine Monopolstellung.
Damit gewann nun auch das Anwerberecht eine bisher unbekannte
Bedeutung. Es hatte wohl immer zu den Befugnissen der Regierungen
gehört, daß sie ausländischen Behörden das Anwerben von Söldnern
innerhalb ihres Hoheitsgebietes erlauben oder verbieten konnten. Es
war auch wühl immer als unfreundlicher Akt aufgefaßt worden, wenn
eine Regierung Werbungen duldete, die gegen einen Staat gerichtet
waren, mit dem sie offiziell gute Beziehungen unterhielt. Aber wenn
schon an diesen Verhältnissen prinzipiell nichts geändert wurde, so
erhöhte sich doch der Wert dieser amtlichen Werbelizenzen in der im
folgenden behandelten Periode in ungeahntem Maße.
Zunächst wirkte auch hier die neue diplomatische Lage (§3) ein.
Seitdem auch die entlegensten und kleinsten Staaten in das System
der großen internationalen Allianzen und Gegenallianzen hineingezogen
worden waren, nahm die Zahl der Regierungen immer mehr ab, die
durch kriegerische Konflikte fremder Länder nicht irgendwie berührt
wurden: es kam daher seltener vor, daß eine Werbelizenz einen politisch
indifferenten Akt darstellte, die Regel w^ar vielmehr, daß jede Regierung
die Erteilung einer solchen Erlaubnis von ihrer gegenwärtigen oder
künftigen Stellung zu den kriegführenden Parteien abhängig machen
mußte. Wichtiger war freilich ein anderer Umstand. Der starke Unter-
12 Die Infanterie.
schied in der Qualität des Söldnermaterials verschaffte dem Besitzer
des gesuchten Artikels, d. h. den Regierungen der Länder aus denen
modern geschulte Infanteristen bezogen werden konnten, eine politisch
und finanziell privilegierte Stellung; damit war natürlich auch die
Verfügung über die Wehrkraft des Landes zu einem ganz anders als
früher wertvollen Objekte geworden.
Es wird später im einzelnen gezeigt werden, welche politischen
Folgen diese Veränderung nach sich zog und wie im besonderen die
innere Politik der schweizerischen Kantone und die Beziehungen der
habsburgischen Kaiser zu den Ständen des Deutschen Reiches dadurch
zu einem wesentlichen Teile bestimmt wurden. Hier soll nur noch er-
wähnt werden, daß die Ausnutzung der einheimischen Söldnerbestände
auf zweierlei Weise vorgenommen wurde.
Die primitivere Art, die vorzugsweise in Ländern angewandt wurde,
in denen die technische Ausbildung der Söldner mittelmäßig oder
schlecht war, bestand in der Fortsetzung des alten Verfahrens, fremde
Anwerbungen von Fall zu Fall entweder zu gestatten oder zu ver-
bieten, ohne daß die Untertanen, die sich in fremde Dienste anwerben
ließen, dies nur mit Zustimmung ihrer Regierung tun durften. Die
andere, neue Methode, die sich natürlich nur da anwenden ließ, wo es
sich um die Anwerbung von Qualitätssöldnern handelte, war die zuerst
von der Schweiz durchgeführte Lizenzenpolitik. In diesem Falle machte
die Regierung nicht nur Anwerbungen fremder Staaten auf ihrem
Territorium von ihrer Erlaubnis abhängig, sondern sie verbot auch
ihren Untertanen, sich ohne ihre ausdrückliche Einwilligung anwerben
zu lassen, behielt sich das Rückberufungsrecht ihrer Söldner vor und
betrachtete schon den Versuch eines anderen Staates, Landeskinder
gegen ihren Willen in seinem Dienste zu behalten (nicht nur die An-
werbung innerhalb des eigenen Gebietes), als unfreundliche Haltung.
Hand in Hand damit gingen in der Regel vertragliche Abmachungen
über die Gegenleistungen, die die anwerbende Partei für die Erlaubnis,
einheimische Söldner einstellen zu dürfen, zu konzedieren hatte. Der
Vertrieb von Söldnern war dabei gewissermaßen in den Händen der
Regierung monopolisiert; von einem wirklichen Monopol unterscheidet
sich das Verfahren nur dadurch, daß die Lieferung der Söldner nie
durch die Behörden selbst besorgt wurde, diese vielmehr nie weiter
gingen als Werbungen zu erlauben und deshalb ihre Untertanen auch
nicht zum Eintritt in fremde Dienste nötigten. Deutlich monopolartigen
Charakter trugen dagegen die strafrechtlichen Maßregeln, die die Re-
gierungen der zweiten Kategorie gegen diejenigen ihrer Untertanen
einführten, die trotz offiziellen Verbotes einem nichtkonzessionierten
fremden Werber gefolgt waren (gegen die »Reisläufer« oder »freien
Knechte«, wie die technischen Ausdrücke in der Schweiz lauteten). Es
sind vor allem diese Vorkehrungen, die das neue System von dem alten
scharf unterscheiden. Nach dem alten Verfahren nahm eine Regierung
wohl das Recht in Anspruch, fremde Werbungen auf ihrem Gebiete zu
§ 6. Veränderungen im Anwerbewesen. 13
verbieten; dem Untertan war aber damit niclit die Freiheit genom-
men, seine Dienste, wo er wollte, anzubieten.
In den Staaten, die nicht oder noch nicht in der Lage waren, gut
qualifiziertes Söldnermaterial zu liefern, wurde diese Freiheit denn
auch in der hier behandelten Periode nie aufgehoben. Es ist mir nicht
bekannt, daß z. B. jemals in Frankreich und England, die beide keine
modern ausgebildete, einheimische Infanterie besaßen, den Unter-
tanen verboten worden wäre, sich ohne Einwilligung der Regierung
auswärts anwerben zu lassen. Und selbst Kaiser Maximilian I., der
doch für die Gebiete, aus denen die Landsknechte vorzugsweise stammten,
.das schweizerische System so gut es ging auch in dieser Hinsicht zu
kopieren strebte, bemerkt 1513 in einem Schreiben an seine Tochter
Margarete, Statthalterin der Niederlande, daß »les personnes de nos
pays ont ete toujours tenus [sie] en leiir liberte de s'exerciter et aller
servir en giierre ä leur plaisir« (wobei er unter »pays« allerdings wohl
sicher nur die Niederlande meint, deren Söldner allgemein als den
oberdeutschen Knechten bei weitem nicht gewachsen betrachtet wur-
den; vgl. §61)1).
Es fehlt der Raum, um die Ausbreitung des schweizerischen Lizen-
zensystems über die übrigen Militärstaaten Europas im einzelnen zu
schildern. Es können an dieser Stelle nur einige Andeutungen gegeben
werden, die als notdürftiger Ersatz für die beinahe gänzlich ver-
sagende Literatur dienen müssen.
In voller Strenge wurde die schweizerische Monopolpolitik wohl
nur in Ländern durchgeführt, die ähnlich wie die Eidgenossenschaft
die wirtschaftliche Existenz des Staatswesens ganz oder zum Teile auf
den Ertrag des Söldnerwesens begründeten. Dies traf vor allem auf
einzelne italienische Kondottierenstaaten zu und hier wissen wir denn
auch von Urbino, daß der Herzog, der eine wrdinanza« eingerichtet
hatte, 1534 seinen Untertanen unter strengen Strafen jeden fremden
Solddienst verbot (F. Ugolini, »Storia dei Conti e Duchi d' Urbino«
[1859], II, 262); daß der Herzog anderseits durchaus auf den Verdienst
aus den (durch ihn vermittelten) ausländischen Solddiensten angewiesen
war, erfahren wir aus venezianischen Berichten (Relation von F. Badoer
vom Jahre 1547 in »Relazioni degli ambasciatori veneti«, ed. A. Segarizzi
II [1913], 173 f.). — Anders lagen die Verhältnisse in Florenz: dort
bildete es nur einen Teil der von Machiavelli angeregten Übernahme
des schweizerischen Systems überhaupt, daß einmal (1507) allen An-
gehörigen der »Miliz « die fremden Dienste verboten wurden (M. Hobohm,
»Machiavellis Renaissance der Kriegskunst« I [1913], 145).
In Florenz hatte Machiavellis Milizsystem bekanntlich keinen
Erfolg; in anderen kleineren Staaten aber, und vor allem in der Eid-
genossenschaft selbst (§97), war die Wirkung die, daß die Regierungen,
1) Correspondance de VEmpereiir Maximilien /«'" et de Marguerite d'Äutriche,
ed. Leglay II (1839), 136.
14 Die Infanterie.
die über ein modern geschultes, stets lieferbares Fußvolk verfügten^
in der internationalen Politik eine Stellung einnahmen, die mit dem
kleinen Areal und der wirtschaftliehen Leistungsfähigkeit ihres Ge-
bietes außer Verhältnis stand. Je nach der Konjunktur besaßen sie
entweder beiden kriegführenden Parteien oder doch wenigstens einer
Gruppe gegenüber ein Monopol auf die Abgabe von brauchbaren Söldnern
und infolge davon wurden ihre Werbelizenzen ein vielbegehrtes Wert-
objekt auch für Großstaaten, die an sich über viel größere Machtmittel
verfügten als die Söldnerländer. Ja nicht einmal die Großstaaten,
die nicht auf fremdes Fußvolk angewiesen waren, konnten sich dem
Wettlauf um die Gunst der lizenzberechtigten Regierungen entziehen;
denn es war für sie vielfach ebenso wichtig, daß der Gegner die Werbe-
erlaubnis nicht erhielt, als daß sie selbst die gesuchten »Knechte« in
ihre Dienste nehmen durften. Dieses Bemühen tritt besonders deut-
lich in den Verhandlungen der Habsburger mit den Eidgenossen zutage,
ist aber nicht auf dieses Verhältnis beschränkt.
Doch übernahmen auch die Großmächte selbst zum Teil die schweize-
rische Lizenzenpolitik. Die spanischen Herrscher haben zwar, wie es
scheint, das schweizerische Vorbild in dieser Beziehung nie nachge-
ahmt, obwohl sie in der zweiten Hälfte der Periode wohl über das beste
Fußvolk der Zeit verfügten (§123 u. öfter); vielleicht wurde ihre Hal-
tung dadurch erleichtert, daß das starke Nationalgefühl der spanischen.
Söldner fremden Werbungen sowieso im Wege stand, wie denn auch
Spanier verhältnismäßig selten in ausländischem Dienste nachgewiesen
werden können (§41). Anders stand es dagegen mit den Untertanen
der Habsburger, und zwar speziell mit den deutschen Söldnern, die
nicht den österreichischen Erbländern angehörten. Diese fühlten sich
weder dem Reiche so unmittelbar verbunden noch so von der Reichs-
gewalt abhängig, daß ihnen gegenüber die Kaiser eine Lizenzenpolitik
auch nur mit dem relativen Erfolge wie in der Eidgenossenschaft hätten
durchführen können. Nur einmal schien sich Gelegenheit dazu zu
bieten: das war im Jahre 1547, als Kaiser Karl V. seinen Sieg über den
Schmalkaldischen Bund erfochten hatte (§127). Damals wurde aller-
dings auf dem Augsburger Reichstage verfügt, daß, ganz wie in der
Schweiz, kein Deutscher ohne Genehmigung der Reichsregierung fremde
Kriegsdienste nehmen dürfe. Aber dieses Dekret blieb nur so lange in
Kraft als die außergewöhnlich günstige Situation bestand, die der
kaiserlichen Exekutive die militärischen Erfolge im Schmalkaldischen
Kriege geschaffen hatten; in normalen Zeiten mußten die Habsburger
mit anderen Verhältnissen rechnen. Dabei war dieses Problem für
sie, wenigstens in den ersten Jahrzehnten, von der größten Bedeutung.
Die von ihnen ausgebildeten Landsknechte waren, so lange die Spanier
die moderne Schulung noch nicht durchgemacht hatten, die einzige
Infanterie, die man den von den Franzosen verwendeten Schweizern
entgegensetzen konnte, und selbst als die Spanier anfingen, brauchbarer
zu werden, standen sie, so lange Spanien noch nicht mit Deutschland
§ 6. Veränderungen im Anwerbewesen. 15'
vereinigt war, den habsburgischen Herrschern noch nicht unbedingt
zur Verfügung. Da aber anderseits ein vollständiges staatliches Lizenzen-
system wie in der Eidgenossenschaft außerhalb der Erblande undurch-
führbar war, so half sich die habsburgische Regierung mit verschiedenen
Kompromissen : Es wurde etwa verboten, daß Deutsche gegen den Kaiser
oder das Reich dienen dürften (Zirkularschreiben des Kaisers vom
14. August 1507 bei Janßen, »Frankfurts Reichskorrespondenz« II, 2,
741; vgl. auch S. 738) oder der Kaiser rief wenigstens Landsknechte,
die dem Feinde dienten, offiziell zurück (1512; vgl. Ulmann, »Kaiser
Maximilian« 11, 448).
Es ist hier nicht der Ort, auszuführen, inwieweit diese beschränkte
Lizenzenpolitik der habsburgischen Kaiser Erfolg gehabt und auf die
militärischen Ereignisse Einfluß ausgeübt hat. Es kann in diesem
Zusammenhange nur darauf ankommen, die prinzipielle Stellung der
Regierungen zu der Anwerbung von Untertanen zu charakterisieren.
Das Vorgehen der Habsburger steht in dieser Beziehung nicht ver-
einzelt da. Speziell das Zurückrufen von Landeskindern, die unter
feindlichen Fahnen dienten, war wohl in allen Staaten Regel, die über-
haupt Söldner an das Ausland abgaben, selbst wenn diese keine Qualitäts-
truppe bildeten. So hat z. B. Venedig 1499 seine Stradioten aus dem
mailändischen Dienste zurückbeordert, als es sich zum Kriege gegen
den Nachbarstaat rüstete (Sanuto, »Diarien« II, 652) und ebenso rief
im Jahre 1509 die mailändische Regierung ihre Untertanen zurück,
die sich in venezianischen Diensten befanden (L.-G. Pelissier, »Docu-
ments pour Vhistoire de la domination jranQaise dans le Milanais% 1891,.
p. 197 f.). Dabei ist freilich zu beachten, daß solche Fälle nur zum Teil
die Infanteriesöldner betreffen und sich eher die Schwächung der feind-
lichen Wehrkraft überhaupt zum Ziele setzen.
Falsch wäre es, w^enn man aus dem Umstände, daß solche Anwerbe-
verbote sich immer nur zum Teil durchführen ließen, den Schluß ziehen
wollte, daß sie unwirksam gewesen wären. Die Akten der von Söldner-
sperren betroffenen Mächte zeigen nämlich gerade das Gegenteil. Richtig
ist allerdings, daß auch die strengsten Strafbestimmungen nicht alle
Söldner verhinderten, beim Feinde ihres Landesherrn Dienste zu
nehmen, wenn diese ausreichend bezahlt wurden. Aber nicht nur gelang
es den Regierungen in der Regel, wenigstens einen Teil ihrer Unter-
tanen zurückzuhalten, sondern es waren auch beinahe immer die ge-
ringeren und schlechter ausgerüsteten Leute, die Elemente, die nichts
mehr zu verlieren hatten, die das Risiko der späteren Bestrafung durch
die Regierung auf sich nahmen. Man beachte etw^a die Stellen aus
zeitgenössischen Schreiben, die Gagliardi im »Jahrbuch für schweizerische
Geschichte« 39 [1914], S. 41* (zum Jahre 1495) über die geringe Qualität
der schweizerischen »freien Knechte« im Gegensatz zu den legal ange-
worbenen Söldnern zitiert, und bedenke, daß es mit den Landsknechten,
nicht anders stand. Der venezianische Gesandte Marino Giustiniani
betont 1535 die Gefahr, die für Frankreich in einer Einigung zwischen
16 Die Infanterie.
dem Kaiser und den deutschen Fürsten liege: in diesem Falle könnte
die französische Regierung nur noch wenturieri« {= aventuriers, die
französische Bezeichnung für die »freien Knechte« oder Reisläufer)
erhalten, keine »janterie huone germanea mehr (N. Tommaseo, )>Re-
lations des Ambassadeurs venitiens« I [1838], 54). Noch wichtiger war
vielleicht, daß im Falle eines Verbotes, selbst wenn genügend Söldner
»zuliefen«, das Anwerben von Hauptleuten außerordentlich erschwert
zu sein pflegte. Nicht nur war die Sperre gegen die Unternehmer leichter
durchzuführen und legten die Regierungen auf deren Zurückhaltung
größeres Gewicht, sondern das Ausbleiben guter Führer hatte mili-
tärisch natürlich viel bedenklichere Folgen als ein Mangel an tüchtigen
und gut bewehrten Söldnern. Es kam daher häufig vor, daß wenn ein
Anwerbeverbot übertreten wurde, nur die Hauptleute oder diese doch
besonders streng bestraft wurden; auch die Grenzsperre scheint mehr-
fach gegen die Hauptleute strenger durchgeführt worden zu sein als
gegen die gemeinen Soldaten (vgl. Sanuto, »Diarien« II, 68; 1498).
Die finanziell stark engagierten Hauptleute anderseits setzten viel mehr
aufs Spiel als die Söldner, die vielfach als einziges Kapital über eine
Rüstung verfügten, wenn sie dem Verbote ihrer Regierung trotzten.
Literatur und einzelne Belege. Zu § 5 (die neue Infanterietaktik):
Das wichtigste \'\erk ist Martin Neil, »Die Landsknechte. Entstehung der ersten
deutschen Infanterie«, 1914, auf das als auf das neueste zugleich auch für die ge-
samte weitere Literatur verwiesen sei. Aus dieser sei hier wegen seines reichen
Materials nur das ebenfalls aus der Schule Delbrücks hervorgegangene zweibändige
Werk von Martin Hobohm »Machiavellis Renaissance der Kriegskunst«, 1913,
genannt, dessen einzelne Angaben freihch sorgfältig nachgeprüft werden müssen.
Was die Belege für die im Text geäußerten Ansichten betrifft, so kann es
sich hier wie anderwärts nur um Proben handeln. Eine Aufzählung auch nur der
wichtigsten Beweisstellen würde den Umfang des Handbuches weit überschreiten,
zumal da den meisten Zitaten ein Kommentar beigegeben werden müßte. Auch ist
in manchen Fällen das Schweigen der Texte ebenso beredt wie eine direkte Angabe
und solche Stellen anzuführen würde den Raum erst recht ungebührlich in Anspruch
nehmen. Dies Verfahren mußte auch in den Abschnitten angewandt werden, wo
eine Spezialliteratur fehlt und dem Verfasser daher eigentlich die Pflicht einer
eingehenden Beweisführung obgelegen hätte.
Auf den in § 5 behandelten Gegenstand trifft das zuletzt Gesagte übrigens nur
zum kleinsten Teile zu, wie aus den Literaturverzeichnissen der beiden genannten
Darstellungen hervorgeht. Zu dem, was in den Abschnitten über die einzelnen
Länder (Spanien, die Eidgenossenschaft usw.) über die Bedeutung der neuen In-
fanterietaktik bemerkt werden ^vird, sei daher nur hinzugefügt, daß noch weit über
die beiden ersten Jahrzehnte der Periode hinaus in dem militärischen Kalkül ein
scharfer Unterschied z^vischen den modern ausgebildeten Infanterietruppen und
den Söldnern der alten Schule gemacht wurde. In dem Projekte, das 1517 von
der päpstlichen Regierung zum Zwecke einer gemeinsamen Bekämpfung der Türken
durch die christlichen Staaten ausgearbeitet wurde, heißt es z. B. ausdrückUch,
die Infanteristen dürften nur aus Nationen genommen werden, »quae maxime huic
militiae pedestri et ordinibus servandis Student«, nämlich den Schweizern, Deutschen,
Spaniern und Böhmen (Charriere, »Aegociations de la France dans le Levant«. I [1840],
36). Und Varchi erzählt in seiner »Storia fiorentina« II, 18, zum Jahre 1526, Giovanni
de'Medici habe beim Herannahen Frundsbergs darauf hinge"\viesen, die italienischen
Söldner (f anter ie) seien den Landsknechten nicht gewachsen, »per lo non essere
§ 7. Die schwere Reiterei. 17
esse disciplinate ne use a servare gli ordini«, eine Stelle, bei der es nicht darauf an-
kommt, ob sie wirkhch auf Giovanni de'Medici zurückgeht oder erst von Varchi
formuliert worden ist.
Zu § 6 (Veränderungen im Anwerbewesen): An Literatur über diesen
Gegenstand fehlt es so gut wie ganz. Sogar die Arbeiten zur Geschichte der Schweiz
widmen ihm nur ungenügend Aufmerksamkeit. Trotzdem muß aus den angegebenen
Gründen hier auf eine detaillierte Begründung verzichtet werden; für manche
Einzelheiten kann allerdings auf die Abschnitte über die Eidgenossenschaft und die
Habsburger verwiesen werden. Einiges ist übrigens bereits im Texte angeführt.
Für den außergewöhnlichen Charakter des schweizerischen Lizenzensystems
ist charakteristisch, daß es noch im Jahre 1558 ein Venezianer in einer Relation
aus Frankreich ausführlich glaubt darstellen zu müssen (Alberi, »Relazioni« I, 2, 416).
In dem dann schheßhch von der französischen Regierung nicht ratifizierten Frieden
von Dijon (1513) wurde dem König von Frankreich die Verpflichtung auferlegt,
keine eidgenössischen »Knechte« ohne Wissen und Wilhm der .schweizerischen
Orte oder deren Mehrheit in Sold zu nehmen (»Eidgenössische Abschiede« III, 2
[1869], 1360).
Über die relative Wirksamkeit der Anwerbeverbote sogar in Deutschland
(wo die Reichsexekutive in dieser Beziehung doch noch weniger leistete als die
ausführende Gewalt der schweizerischen Regierungen) vgl. etwa wie ein guter italieni-
scher Kenner, nämUch Vettori, im Jahre 1513 die Folgen des kaiserlichen Verbotes
nicht gering anschlug ( Schreiben an Machiavelli, »Lettere familiari di N. Machiavelli«,
ed. Alvisi [1883], p. 286). Auch als Kaiser Karl V. 1547 das im Texte erwähnte
Dekret gegen die freie Anwei-bung im Auslande erließ, glaubte zwai- der englisoJie
Gesandte in Paris nicht an eine große Wirkung {»Calendar of State Papers, Foreign
Series, of the reign of Edward VI«, ed. Turnbull [1861], nr. 70, p. 15, 1548); aber die
französischen Gesandten äußerten doch lebhafte Befürchtungen für den Fall, daß
der Kaiser den Durchzug für Söldner durch die Reiclisstädte im Elsaß sperren sollte
(P. de Vaissiere, ^•»Charles de Marillac«, 1896, p. 75), und als die enghsche Regierung
damals deutsche Söldner begehrte, hielt sie es doch für besser, sich an den Kaiser
um Erlaubnis zu wenden [Calendnr, ibid. nr. 100 und 118; 1548/49). Die Folge des
neu in Deutschland eingeführten Lizenzensystems war dann natürlich, daß Frank-
reich die kaiserhche Regierung für die engUschen Werbungen haftbar machte (Vais-
siere, ibid. p. 91). — Zwischen der Weigerung, Werbungen für einen auswärtigen
Staat zu gestatten, und dem Verbot an die Untertanen sich anwerben zu lassen,
wurde noch lange ein deutlicher Unterschied gemacht, und zwar wurde dabei etwa
die bloße Weigerung als eine praktisch unwirksame Maßregel bezeichnet. Noch
1604 lehnte es König Jakob I. von England ab, seinen Untertanen den Dienst in
einer feindhchen Armee zu verbieten; er versprach der spanischen Regierung nur,
die Anwerbung von Truppen in seinem Gebiete nicht zu dulden, »//ts Majestyn,
schrieb bei diesem Anlaß sein Staatssekretär Cecil an den enghschen Ge.sandten in
Brüssel, »proniised neither to punish nor to stay, but only that he will not consent —
a Word of whicli you know the latiiude as well as I« (zitiert bei S. R. Gardiner, )'>History
of England from the Accession of James I«, I, 210 = eh. V).
b) Die Kavallerie.
§ ?. Die schwere Reiterei. Die moderii geschulte Infanterie, die
»schweizerische Ordnung«, hatte vor dem Fußvolk der älteren Zeit
vor allem den Vorzug voraus, daß sie, wenn in geschlossener Formation,
angreifender schwerer Reiterei standzuhalten vermochte. Noch bestand
die Möglichkeit, daß der Ausgang einer Feldschlacht durch die Inter-
vention bepanzerter Reiterscharen in bestimmten Momenten modifiziert
werden konnte; die letzte Entscheidung lag aber nicht mehr bei ihr.
Fueter, Europ. Staatensystem. 2
^3 Die Kavallerie.
Daraus ergibt sieh ohne weiteres, daß die Länder und Armeen^
deren Stärke in der Hauptsache auf den Reisigen [gens d'armes] be-
ruhte, in den internationalen KonfUkten soweit in Nachteil gerieten
als Feldzüge überhaupt durch den Ausgang der Schlachten (und nicht
durch den Verlauf von Belagerungen, Marineaktionen, wirtschaftliche
Machtverhältnisse usw.) entschieden wurden, oder, insofern es ihnen
nicht gelang, den Mangel an leistungsfähigen einheimischen Infanteristen
durch Anwerbung fremder Söldner auszugleichen. Solche Staaten er-
litten daher, wenn sie nicht über ein modern ausgebildetes Fußvolk
verfügten, in doppelter Beziehung Schaden: nicht nur war ihre In-
fanterie der betreffenden feindlichen Waffe nicht gewachsen, sondern
sie konnten ihr ehemals wirksamstes Kampfmittel nicht so zur Geltung
bringen wie es in der Periode vor dem Aufkommen der schweizerischen
Taktik möglich gewesen war.
Diese Wandlung hatte sich übrigens bereits vor dem im folgenden
behandelten Zeitraum vollzogen. Die ausschlaggebende Bedeutung der
neuen Infanterie und ihre Überlegenheit über die Reisigen stand seit
den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts wohl schon allgemein fest
und diese Erkenntnis ist in den darauffolgenden Jahrzehnten den
militärischen Fachleuten zwar vielleicht immer deutlicher bewußt ge-
worden; in der Hauptsache aber bestand kein Zweifel mehr und bereits
die französische Expedition im Jahre 1494, die die Kriegsgeschichte
der Periode eröffnet, ist auf der Verwendung schweizerischer Söldner
aufgebaut worden. Man kann nicht einmal behaupten, daß in der rela-
tiven Schätzung der schweren Reiterei eine Änderung eingetreten wäre.
Die Reisigen verloren zwar vor und zu Beginn der Periode definitiv
ihre einstige präponderierende Stellung und Infanterie, leichte Reiterei
und Artillerie gewannen dafür an Bedeutung; aber den Platz, den sie
damals einnahm, behauptete sie ungeschmälert bis zum Ende des
Zeitraums. Einen Feldzug wenigstens unter den Armeen der Groß-
staaten ohne Reisige anszuf echten, wäre undenkbar gewesen und es
scheint nicht einmal, daß das Zahlenverhältnis unter den Waffengattun-
gen während der Periode weiter zuungunsten der schweren Reiterei
verändert worden wäre.
Obwohl im einzelnen nicht nachweisbar, dürfte dabei außer Zweifel
stehen, daß diese Verschiebung in der Bedeutung der Waffengattungen
auch auf die innere politische Organisation der europäischen Staaten
einen Einfluß ausgeübt hat. Wenn damals in all den Staaten, die
überhaupt an den großen internationalen Kriegen teilzunehmen ver-
mochten, die Regierungen die politische Macht des hohen Adels schwäch-
ten und auf die Interessen des Bürgertums in höherem Maße Rücksicht
nahmen als früher, so ist diese Haltung wohl sicher dadurch erleichtert
worden, daß in den Schlachten nicht mehr die aus dem Adel zu rekrutie-
renden Reisigenscharen sondern die jedem finanzkräftigen Herrscher
zur Verfügung stehenden Infanteristensöldner die letzte Entscheidung
hatten. Eine zuverlässige einheimische schwere Reiterei stellte zwar
§ 8. Die leichte Reiterei. 1<)
immer noch ein wertvolles militärisches Objekt dar; aber ihr Besitz war
nicht mehr unentbehrlich. Völker, wie die Schweizer, waren dmxli
ihren Mangel an schwerer Reiterei in ihren militärischen Operationen
wohl geniert aber immerhin nicht ganz lahmgelegt; mit Reisigen allein
war dagegen überhaupt nichts auszurichten.
Literatur. Vgl. M. Ilobohm, »Machiavellis Renaissance dci' Kriegskunst« 11
(1913), 475 ff., und daneben die im zweiten Teile angeführten Monographien anderer
Schüler H. Delbrücks über einzelne Schlachten der Periode.
§ 8. Die leichte Reiterei. Auch in der Bedeutung der leichten Reiterei
hat sich während der hier behandelten Periode nichts geändert; wohl
aber trat auch für sie in den ersten Jahren eine Wandlung ein, die im
Vergleich zu früheren Zeiten eine neue Epoche schuf.
Zwei Umstände scheinen hauptsächlich den Werl (\i'v hichtcn
Kavallerie erhöht zu haben.
Der eine besteht in dem veränderten Charakter der Feldzüge.
Die neuen Kriege unter den Großstaaten und der Kampf um Italien
hatten den Schauplatz der Operationen, der Märsche und Gegenmärsche
außerordentlich vergrößert; damit hatte die eigentliche Funktion der
leichten Reiterei, das Four agieren, die Störung feindlicher Truppen-
bewegungen, die Aufklärung usw. wohl wesentlich an Bedeutung ge-
wonnen. Auch die stärkere Ausnutzung der Artillerie in den Feld-
schlachten scheint die ^Vichtigkeit der leichten Reiterei erhöht zu
haben: während leichte Reiter in der Schlacht kaum gegen schwere
Kavallerie oder modern geschultes Fußvolk aufkam, waren sie die
gegebene Waffe, um das Geschütz während der Schlacht zu über-
rennen oder zu decken.
Klarer liegt der Kausalzusammenhang bei dem zweiten Umstände.
Bei diesem läßt sich deutlich nachweisen, daß die veränderten allgemeinen
Verhältnisse auch die Stellung der leichton Reiterei gehoben haben.
Der europäische Kampf um Italien brachte nämlich Spezialtruppen,
die bisher nur innerhalb eines beschränkten Gebietes verwendet worden
waren, mit den Armeen aller Staaten in Berührung. Der Vorgang hat
genaue Analogien mit der Ausbreitung der schweizerischen Taktik über
Europa. Wie erst die italienischen Kriege die spanische Regierung dazu
nötigten, die schweizerische Methode systematisch bei ihren Söldnern
einzuführen, so haben auch erst die Kämpfe in Italien dazu den Anstoß
gegeben, daß die venezianisch-albanesischen Stradioten und die spani-
schen »Ginetes« Großstaaten außerhalb Italiens und Spaniens wie
Frankreich zur Einstellung einer ähnlichen Truppengattung anregten.
Beide Truppengattungen w^aren durch den Kampf christlicher mit
mohammedanischen Staaten hervorgerufen worden. Sowohl die Türken
wie die Araber von Granada zeichneten sich durch eine leistungsfähige
leichte Reiterei aus, und die Venezianer und Spanier waren daher ge-
zwungen, etwas Ähnliches zu schaffen. Dies war denn auch erfolgt ;
die venezianische Regierung hatte ihre Stradioten, die spanische ihre
»ginetes« gebildet.
20 Artilleriewesen.
Die Truppen erwiesen sich aber auch in den Kämpfen mit den
Armeen christUcher Staaten als wertvoll. Schon der Verlauf der ersten
französischen Expedition nach Italien zeigte dies deutlich und von
damals an fand die neue leichte Reiterei in die Armeen aller großen
Militärstaaten Einlaß. Direkt übernommen wurden dabei allerdings
wohl nur Stradioten und kaum je Ginetes. Doch rührte dies wohl
kaum von einem Unterschiede in dei' Qualität her, sondern beruhte nur
darauf, daß die spanischen Soldaten überhaupt nur selten im Auslande
Dienste nahmen, während die griechisch-albanesischen Söldner, aus
denen die Stradiotentruppen gebildet wurden, jeder Regierung zur
Verfügung standen. Es dürfte hiebei ein ähnliches Verhältnis bestanden
haben wie bei der Anwerbung von Schweizern und Spaniern: obwohl
die spanischen Söldner wenigstens in der späteren Zeit den schweize-
rischen unzweifelhaft gleichwertig waren, traten sie auf dem internatio-
nalen Werbemarkt doch stark zurück, weil sie sich weniger leicht für
fremde Dienste gewinnen ließen als die Eidgenossen.
Über diesen Analogien darf freilich der fundamentale Wertunter-
schied nicht übersehen werden, der zwischen den beiden Waffengattungen
bestand. Die leichte Kavallerie gewann zwar relativ an Bedeutung,
aber die Stellung der Infanterie als der ausschlaggebenden Waffe wurde
dadurch nicht erschüttert. Daher fiel es für den Ausgang der inter-
nationalen Kämpfe auch nicht sosehr ins Gewicht, daß einzelne Staaten
in größerem Umfange über die neue Truppengattung verfügten als andere.
Aus diesem Grunde kann auch hier, wo keine Geschichte der militärischen
Technik gegeben werden soll, das Thema nicht weiter behandelt werden.
Literatur. Vgl. zu §7.
c) Artillerie und Befestiguugswesen.
§ 9. Die Schießwaffen. Aus einem ähnlichen Grunde kann das
vorliegende Werk auch nicht auf die Geschichte des Schießwesens ein-
treten, soweit die Handfeuerwaffen und das Bogenschießen in Betracht
kommen. Denn unter den Großstaaten bestanden in dieser Beziehung
keine prinzipiellen Unterschiede und sogar die Türkei, die im Ge-
brauch der Feuerwaffen anfänglich hinter anderen Großmächten zu-
rückstand (§ 77), hat deshalb in ihren Kriegen keinen Schaden gelitten.
Ähnliches gilt von England, da dieses Land nicht direkt in den Kampf
um Italien eingriff.
Es kann daher hier nur kurz in Erinnerung gerufen werden, daß
in der im folgenden behandelten Periode die Handfeuerwaffen im Gefecht
nur eine untergeordnete Rolle spielten und nicht einmal die alten Fern-
waffen (Armbrust und Bogen) ganz zu verdrängen vermochten. Es tritt
dies schon aus der einen Tatsache hervor, daß die Schweizer als die
besten Infanteristen der Zeit galten, obwohl sie sich im Gebrauch der
Handbüchsen keineswegs auszeichneten.
§ 10. Artillerie und Technik. 21
§ 10. Artillerie und Entwicklung der Technik. Bevor über die
Bedeutung der großen Geschütze gesprochen wird, muß ein Gegenstand
erwähnt w^erden, der für unser Thema von besonderer Wichtigkeit ist,
nämlich der Zusammenhang, der zwischen der Qualität der Artillerie
und der allgemeinen Entwicklung der Technik in den einzelnen Ländern
bestand.
Es ist selbstverständlich, daß die Leistungsfähigkeit der Waffen-
fabrikation überall vom Stand der Handwerkstechnik und etwa noch
von der Existenz von Rohmaterialien abhing und daß Staaten, die
in diesen beiden Punkten hinter anderen zurückstanden, entweder
militärisch ins Hintertreffen gerieten oder auf unsicheren Import aus
dem Auslande (sei es von fertigen Waffen oder von geschulten Arbeitern)
angewiesen waren. So verhielt es sich mit allen Waffen und zwischen
der Herstellung von Kanonen und der von Bogen oder Panzern bestand
in dieser Beziehung kein prinzipieller Unterschied. Aber der praktische
Unterschied war ungeheuer. Bei keiner anderen Waffe erzeugte eine
auch nur geringe technische Inferiorität so unmittelbare schlimme Folgen
wie bei den großen Geschützen. Wenn gut geschulte Infanteristen,
dank ihrer besseren Ausbildung, eine stärker bewaffnete gegnerische
Truppe nicht unter allen Umständen zu fürchten hatten, so entschied
dagegen, zumal bei der schweren Artillerie, allein die Qualität des
Geschützes und etwa noch die technische Ausbildung des Bedienungs-
personals. Die Regierungen, die über eine überlegene Artillerie ver-
fügten, hatten daher vor anderen, die in dieser Beziehung weniger gut
ausgerüstet waren, einen Vorteil voraus, der wenigstens innerhalb der
eigentlichen Domäne der schweren Geschütze, nämlich des Belagerungs-
krieges {§ 11) durch keine technische Superiorität auf anderen Gebieten
aufgehoben werden konnte.
Die Fabrikation dieser neuen schweren Geschütze war nun aber
nicht nur in ganz anderer Art als die der alten an eine bestimmte Stufe
der technischen Entwicklung gebunden, sondern sie bildete auch in
technisch hochstehenden Ländern immer noch eine Spezialität. Kanonen
waren kein Artikel, der sich wie Panzer und Spieße zur handwerks-
mäßigen Massenfabrikation für den Lokalgebrauch eignete, und nur an
wenigen Orten fanden Büchsenmeister regelmäßige Beschäftigung.
Dazu waren sie in ihrer Tätigkeit durchaus von den Bestellungen der
Regierungen abhängig. Während sonst der einzelne Soldat für seine
Waffen zu sorgen hatte, fiel die Bestellung der Geschütze dem Staate zu.
Daraus ergibt sich auf der einen Seite, daß die Einwirkung einer
militärisch starken und eine bewußte Kriegspolitik treibenden Regierung
sich auf keinem Gebiete so unmittelbar zeigt wie auf dem des Geschütz-
wesens und auf der anderen Seite, daß doch auch eine solche Regierung
sich nicht ganz von den Bedingungen der einheimischen Technik zu
emanzipieren vermochte; denn wenn sie schon taugliche Arbeiter aus
dem Ausland heranziehen konnte, so ersetzte dies Surrogat doch in der
Regel den eventuellen Mangel an brauchbaren einheimischen Arbeits-
22 Artilleriewesen.
kräften nicht und vor allem fehlten dann meistens auch J)ei den Mit-
gliedern der Regierung die technischen Kenntnisse, um die fremden
Handwerker richtig auszulesen und zu verwenden. Es ist dies in der
hier behandelten Periode vor allem in der Türkei deutlich in die Er-
scheinung getreten (§77).
Es ist daher auch den rivalisierenden Staaten nie möglich gewesen,
der Artillerie und dem Befestigungswesen des Landes, das zu Beginn
der Periode die Überlegenheit in dieser Waffe hatte (Frankreich; vgl.
§ 29), etwas ganz Gleichwertiges entgegenzusetzen. Es sind zwar viel-
fach Bemühungen dieser Art angestellt worden (vor allem von dem
wichtigsten Konkurrenten der französischen Macht, der habsburgischen
Regierung); aber ganz ist das Vorbild nie erreicht worden. Für die
Feldzüge der letzten Jahre gilt nicht weniger als für die der ersten,
daß etwaige andere Mängel in der Ausrüstung und Zusammensetzung
der französischen Armeen durch die Superiorität der französischen
Geschütze wenigstens zum Teil wettgemacht wurden.
§ 11. Die Verwendung der Artillerie. Für den Ausgang der Feld-
schlachten fiel dieser Qualitätsunterschied allerdings kaum in Betracht.
Kanonen wurden zwar in den Schlachten bereits regelmäßig verwendet;
aber ihre Bedeutung war, verglichen mit der anderer Waffen, nur gering
und jedenfalls nicht so groß, daß eine bessere Schußwirkung eine etwaige
Inferiorität anderer Waffen hätte aufwiegen können. Auch die besten
Geschütze arbeiteten noch viel zu langsam, als daß sie in den Ver-
lauf einer Schlacht hätten in entscheidender Weise eingreifen können.
Ganz anders lagen die Verhältnisse im Festungskrieg. Auch dort war
zwar der Nutzen nicht für beide Parteien gleich groß; der Angreifer zog
aus einer überlegenen Artillerie einen viel beträchtlicheren Vorteil als
der Verteidiger. Machiavelli hat in militärischen Dingen manches Urteil
gewagt, das nur halb oder auch gar nicht richtig ist : aber wenn er in
der »Arte della guerra« (1. III) behauptet, daß die Geschütze in einer
großen Festung dem Belagernden nützlicher seien als der Besatzung,
so steht dies nicht nur mit der damaligen Entwicklungsstufe der artille-
ristischen Technik im Einklang, sondern auch mit der Kriegsgeschichte.
Überlegene Artillerie erlaubte hauptsächlich die rasche Durchführung
von Feldzügen über weite Strecken, weil die feindlichen Städte oder
Festungen, die ein Hindernis des Vormarsches bildeten, schneller ein-
genommen werden konnten, als es dem Gegner im umgekehrten Falle
möglich gewesen wäre, vermochte dagegen die Defensivkraft einer be-
lagerten Stadt nicht in demselben Maße zu erhöhen. Dabei darf freilich
von dem Standpunkte dieses Werkes aus, der nicht der Machivellis ist,
nicht übersehen werden, daß der Staat, der über eine überlegene Artillerie
verfügte, trotzdem sich auch im Falle einer Defensive insofern in einer
günstigeren Position befand, als die geringere Qualität der feindlichen
Geschütze den Gegner nötigte, auf Belagerungen einen unverhältnis-
mäßig langen Zeitraum zu verwenden. Außerdem liegt die Annahme
nahe und ist auch gerade in der hier behandelten Periode von Frank-
§ 12. Artillerie und Marine. 2;}
reich bestätigt worden, daß die Regierung, die dem Geschützwesen
besondere Aufmerksamkeit zuwendet, nicht minder auch für die stete
Modernisierung der Befestigungsanlagen Sorge trägt. Geschah dies, so
hatte das Land, das im Fortifikationswesen die letzten Fortschritte
ausnutzte, trotz des von Machiavelli formulierten Unterschiedes in der
Wirkung der Geschütze, immerhin den Vorteil, daß die an sich schon
weniger leistungsfähige Artillerie des Gegners es noch dazu mit besonders
starken Verteidigungswerken zu tun hatte.
Wenn Artillerie und Befestigungswesen in einigen Staaten technisch
besser ausgebildet waren als in anderen, so hing dies übrigens nicht nur
von dem Willen der Regierimg und der Geschicklichkeit der Arbeiter ab,
sondern auch von den inneren politischen Zuständen. Da Kanonen und
Fortifikationsanlagen natürlich nur in den Städten stets den neuesten
Anforderungen entsprechen mußten, die von feindlichen Angriffen be-
droht waren, so konnten Regierungen, die über gänzlich pazifizierte
Länder herrschten, ihre Befestigungsarbeiten ganz anders auf einige
wenige, militärisch wichtige Grenzorte konzentrieren als die Beherrscher
zurückgebliebener Länderstriche, in denen es keine öffentliche Sicher-
heit gab, jedes Territorium und jede Stadt vielmehr noch zur Ab-
wehrgegen einen inneren Feind gerüstet sein mußte, in solchen war
die Summe der Defensivkraft vielleicht größer als in absoluten
Monarchien (vgl. das in § 61 über Deutschland Gesagte) ; aber sie war
verzettelt und erreichte deshalb im einzelnen in der Regel auch nicht die
technische Vollkommenheit, die bei der Beschränkung auf wenige Orte
leichter zu erreichen war. Das beste Beispiel dafür liefert die Türkei
(§77). Obwohl die Osmanen ihre technische Rückständigkeit nie ganz
ausgleichen konnten, haben sie doch dadurch, daß sie, dank der abso-
luten Sicherheit im Innern, alle ihre artilleristischen und fortifikatorischen
Arbeiten zur Verteidigung und Ausdehnung der Landesgrenzen ver-
Avandten, auch im. Belagerungskrieg schließlich nicht unbeträchtliche
Resultate erzielt.
Benachteiligt waren dagegen wieder Staaten, die zwar Sicherheit
und Ordnung im Innern hergestellt hatten, aber nur über ein kleines Areal
verfügten. Die zu schützende Grenzzone war dort im Verhältnis zum
ganzen Gebiet unverhältnismäßig groß und fiel bisweilen mit dem Um-
fang des Landes überhaupt zusammen. Daher waren auch die Aus-
gaben für das Befestigungswesen proportional viel höher als in den i
Großstaaten. Es erklärt dies vielleicht, warum wenigstens zu Beginn
der Periode italienische Staaten, wie Venedig und Mailand, die im
übrigen ihrem Militärwesen große Aufmerksamkeit zuwandten, in
Artillerie und Fortifikationen hinter Frankreich zurückstanden.
§ 12. Artillerie und Mariiie. In diesem Zusammenhange wird am
natürlichsten auch der Einfluß besprochen, den die nach den einzelnen
Ländern verschiedene Leistungsfähigkeit der Artillerie auf die See-
macht gehabt hat.
24 Marinewesen.
Der Gegenstand steht zunächst schon dadurch mit dem in den
beiden vorangehenden Paragraphen behandelten in enger Verbindung,
als zwischen Schiffsgeschützen und den zur Verteidigung von Städten
verwendeten Kanonen noch kein Unterschied gemacht wurde. War
ein Staat genötigt, Handelsschiffe zu bewaffnen, so pflegten die Ge-
schütze der festen Plätze auf dem Lande requiriert zu werden (vgl.
E. Gaullieur, »LesGascons et V artülerie bordelaise au siege de Fontarabie«
[1875], p. 18 ff.). Das Land, das über eine besonders leistungsfähige
Artillerie zu Lande verfügte, war also, was das Schießwesen betrifft,
ohne weiteres auch zur See im Vorteil.
Die Ähnlichkeit zwischen beiden Gegenständen erstreckt sich aber
noch weiter. Wie im Belagerungskrieg, so hatte auch im Seekrieg eine
bessere Qualität der artilleristischen Ausrüstung einen so großen Ein-
fluß auf die Operationen, daß überlegene Geschütze Mängel und Rück-
ständigkeiten auf anderen Gebieten ausgleichen oder wenigstens in
ihrer Wirkung abschwächen konnten. Auch waren Staaten, die ihre
Schiffe mit besseren Kanonen zu bewaffnen vermochten, in der Lage,,
ihre Hafenanlagen stärker zu befestigen. Für dieses Verhältnis ist z. B.
der Fall Englands charakteristisch, das die Verteidigungswerke seiner
Hafenstädte ebenso vernachlässigte wie die moderne Artillerie überhaupt.
Literatur zu den §§9 — 12. Die Literatur versagt hier ganz. Es gibt
zwar Abhandlungen über die Bedeutung der Artillerie im allgemeinen (vgl.
M. Hobohm, »Machiavellis Renaissance der Kriegskunst« II [1913], 504 ff. und die
dort zitierte weitere Literatur). Aber über die Qualitätsunterschiede, die zwischen
den einzelnen Ländern bestanden, ist meines Wissens nie gehandelt worden, ob-
wohl schon die erzählenden Quellen wie Gommines. Guicciardini und zeitgenössische
Theoretiker wie Machiavelli {»Arte della Guerra«, 1. VIT) dieses Thema oft genug
erwähnen, von den diplomatischen Dokumenten und den Akten ganz zu schweigen.
Da eine Aufzählung der vielen zu der obigen Skizze benutzten Belegstellen nicht
möglich ist, kann imr im allgemeinen auf die Quellenhteratur verwiesen werden;
besonders reiclüialtig sind die vielseitigen Diarien des Marino Sanuto. Manches
daraus ist in den folgenden Abschnitten angeführt, wo über die artilleristische
Ausrüstung der einzelnen Länder gehandelt ist.
2. Der Krieg; zur See.
§ 13. Der Staat und die Marine. Nur ganz selten ist außerhalb
der Spezialliteratur dargestellt worden, welch großen Einfluß die Stärke-
verhältnisse in der Marine auf den Ausgang des Kampfes um Italien
ausgeübt haben. Obwohl viele Dokumente der Zeit in dieser Beziehung
eine deutliche Sprache reden, so steht es doch immer noch so, daß die
historische Forschung die damaligen militärischen Vorgänge mit den
Augen des gi-oßen florentinischen Theoretikers betrachtete, der als
Angehöriger eines keine Seefahrt treibenden Staates die Probleme der
maritimen Kriegführung ausdrücklich vom Kreise seiner Spekulationen
ausschloß (vgl. seine '»Arte della guerra« am Schlüsse). Machiavellis durch
praktische Bedenken hervorgerufenes Schweigen steht aber mit den
wirklichen Verhältnissen in keinem Zusammenhang, ebensowenig wie
§ 13. Der Staat und die Marine. 25
die kriegsgeschichtlichen Arbeiten der preußischen historischen Schule,
die aus einer ähnlichen Lage heraus ebenfalls starke Neigung zeigt,
die militärische Bedeutung der Marine zu unterschätzen.
Ein Milderungsgrund kann freilich für die bisher dominierende
Betrachtungsweise angeführt werden. Noch war in der hier behandelten
Periode die Zeit nicht gekommen, in der es die an die See grenzenden
Militärstaaten ebenso für ihre Pflicht ansahen, eine (Kriegs-) Flotte
zu bauen und zu unterhalten wie ein Landheer. Noch war die Kriegs-
marine zu einem guten Teil nicht mehr als ein Anhängsel oder ein Teil
der privaten Handelsschiffahrt und stand vielfach zu der Staatsgewalt
in einem lockeren Verhältnis. Wenn je das viel mißbrauchte Wort vom
»Übergangsstadium« angewendet werden muß, so ist es hier der* Fall.
Die Voraussetzung für eine starke Kriegsflotte ist noch die alte: d e
Existenz einer großen eigenen Handelsmarine. Aber in immer weiterem
Umfange beginnen daneben die Staaten, die keinen bedeutenden See-
verkehr auf eigenen Schiffen haben, sich um die Gründung einer natio-
nalen Flotte zu bemühen, einer Flotte, die sich rein militärische Ziele
setzt und nicht mehr mit der Beschützung der Handelsschiffahrt be-
gnügen soll. — Diese nebeneinander herlaufenden Tendenzen und das
unklare Verhältnis, in dem die Flottenstärke eines Landes zu dessen
staatlicher Wehrkraft stand, erschweren nun aber die Aufgabe des
Forschers, der die pulitisch-militärische Bedeutung der Marine zur
damaligen Zeit genau feststellen will, außerordentlich, und es ist daher
vielleicht entschuldbar, wenn moderne universalhistorische Darstel-
lungen das Problem des Einflusses der Marinestreitkräfte nur flüchtig
berühren.
Bevor dieses Problem aber besprochen wird, soll versucht werden,
das damalige Verhältnis zwischen Staat und Marine nach seiner prinzi-
piellen Natur klarzulegen.
Auszugehen ist dabei von der Tatsache, daß zwischen eigentlichen
Kriegsschiffen und Handelsschiffen, was die militärische Verwendungs-
möglichkeit betraf, kaum ein Unterschied bestand. Der Staat, der
eine große Handelsflotte sein eigen nannte, verfügte zugleich auch
über die wichtigste Voraussetzung für eine Kriegsflotte. Ein reger
Schiffsverkehr führte aber anderseits auch von selbst zur Errichtung
einer Marine; denn die Sicherheit der Handelsschiffahrt war nur durch
eine gute Seepolizei und die eventuelle Konvoyierung der Handels-
flotte zu erreichen. Solche Vorkehrungen wurden nun wohl natürlicher-
weise zu einem guten Teile unter Mitwirkung und Kontrolle des Staates
durchgeführt ; aber sie gehörten nicht eigentlich in das Gebiet militärischer
Maßregeln. Denn die zum Schutze der Handelsschiffahrt gegen die
Korsaren unterhaltene Marine hatte sich keine direkt militärische
Aufgabe gestellt; wenn ihre Förderung durch den Staat überhaupt
unter dem Gesichtspunkt der Hebung der militärischen Machtmittel
aufgefaßt werden sollte, so könnte dies nur insofern geschehen, als der
finanzielle Ertrag, den ein durch Kriegsschiffe geschützter Handels-
26 Marinewesen.
"verkehr abwarf, von der Regierung zur Gründung einer starken Wehr-
macht ausgenutzt werden konnte. Direkte kriegerische Ziele brauchten
die Behörden aber bei dieser Unterstützung der Marine nicht zu ver-
folgen und am wenigsten brauchten sie dabei von der Absicht geleitet
zu sein, sich an den Kriegen der europäischen Großstaaten mit ihren
Streitkräften zur See zu beteiligen. Die Ausbreitung des nationalen
Handelsverkehrs außerhalb Europas und die Bemühung zur Gewinnung
von Stützpunkten für den Handel in Asien, Afrika ließ sich an sich
allerdings kaum ohne kriegerische Aktionen durchführen; allein abge-
sehen davon, daß diese Ereignisse nicht mehr in den Rahmen des hier
behandelten Gegenstandes fallen, so sind doch diese Konflikte wesent-
lich anderer Art als die Kämpfe der Grußstaaten in Europa. Man braucht
nur die Politik des Staates, der für diesen »unkriegerischen« Charakter
der allermeisten damaligen Marinestaaten typisch ist, mit dem Vorgehen
der Großmächte zu vergleichen, die den Streit um die Hegemonie über
Italien ausfochten. Diese Seestaaten, zu denen neben Portugal vor
allem Genua gehört, enthielten wohl die Grundlage für eine Marine-
politik großen Stils, und ihre Seestreitkräfte waren derart, daß ihr
Besitz zu einem guten Teile den Ausgang der Rivalitätskämpfe der
Großstaaten bestimmen konnte. Aber ihre Kriegsflotten waren nicht zu
diesem Zwecke errichtet worden, und diese Staaten wären auch gar nicht
imstande gewesen, eine solche entscheidende Rolle zu übernehmen.
Ähnlich steht es mit den kleinen Flotten, die zumal im Mittel-
ländischen Meere auch von Staaten, deren eigener Schiffsverkehr kaum
nennenswert war, zum Schutze ihrer Küsten gegen verwüstende Ein-
fälle von der See her unterhalten wurden. Auch diese Rudimente einer
Marine waren an sich militärisch sehr wohl brauchbar; aber ihre Grün-
dung erfolgte nicht in der Absicht in militärischen Operationen größeren
Umfanges sie verwenden zu lassen, und außerdem verbot schon ihr
eigentlicher Zweck vielfach eine langandauernde Entfernung von ihren
Stationen. Natürlich brauchten sich solche Schiffe nicht notwendiger-
weise rein defensiv zu verhalten; es lag vielmehr nahe, daß sie auf
Raids gegen das von ihnen zu schützende Land mit Gegenraids in das
Gebiet des Korsaren antworteten. Aber zu den Kampfmitteln, die
Veränderungen im europäischen Staatensystem hervorzubringen ver-
mochten, können sie deswegen noch nicht gerechnet werden.
Nun zeigte es sich aber, und zwar, wie es scheint, vor allem im
Kampfe um Italien und im Zusammenhange mit den großen Entfernungen
über die während der allgemein europäischen Kriege Truppen, Kriegs-
material und Lebensmittel befördert werden mußten, daß der Besitz
einer Flotte auch aus rein militärischen Gründen große Wichtigkeit
besaß. Die großen Militärstaaten, die bisher der Marine keine oder nur
geringe Aufmerksamkeit zugewandt hatten, und denen doch auch nicht
eine prosperierende nationale Schiffahrt das Mittel bot, diese Lücke
auszufüllen, sahen sich nun vor die Frage gestellt, wie sie diesem Mangel
abhelfen wollten.
§ 13. Der Staat und die Marine. 27
Zwei Wege standen offen. Der eine bestand in der direkten offi-
ziellen Begünstigung des nationalen Schiffbaus und Schi ff Verkehrs,
der andere, der genau analog ist den Bemühungen zur Anwerbung
ausländischer Qualitätssöldner, vor allem der Schweizer (§6), lief
darauf hinaus, über militärisch schwache Handelsstaaten, die übei-
eine hochentwickelte Marine verfügten, die Oberhand zu erhalten und
deren Flotte in den Dienst eigener militärischer Interessen zu pressen.
Beide Wege wurden in jener Zeit eingeschlagen. Allerdings in un-
gleichem Maße. Aus leicht begreiflichen Gründen wurde nämlich der
zweiten Methode vor der ersten meistens der Vorzug gegeben. Die
Regierungen verschlossen sich allerdings den Erwägungen keineswegs,
die für die Errichtung einer eigenen Marino sprachen. Sie waren sich
dessen wohl bewußt, daß als absolut zuverlässig nui' eine von ihnen
selbst geschaffene und unterhaltene Flotte gelten konnte, und daß auch
ein stark fundiertes Protektoratsverhältnis niemals den festen Zusam-
menhang ersetzen würde, der in Staaten mit eigener Marine, wie Venedig,
zwischen Regierung und Flotte bestand. Man bedenke nur, wie sehr
noch Kaiser Karl V. im Jahre 1548 in seinem politischen Testamente den
Thronfolger glaubte ermahnen zu müssen, die Gunst der genuesischen
Republik nicht zu verscherzen {»Papiers d'etat de Granvelle« III, 283)
obwohl Genua damals doch schon längst als von Spanien abhängig be-
trachtet werden mußte. Und noch bezeichnender ist, daß sogar die
Staaten, die den zweiten Weg einschlugen, deshalb durchaus noch nicht
auf die Gründung einer eigenen Marine verzichteten, sich also auf die
fremde angeworbene Flotte doch nicht ausschließlich verlassen wollten,
ganz ähnlich wie Länder, die gleich Frankreich ihre Infanterie zur
Hauptsache aus dem Auslande bezogen, deshalb Projekte zur Errich-
tung einer einheimischen Miliz doch nicht fahren ließen.
Aber trotz aller dieser Bedenken konnte doch keiner der um Italien
kämpfenden Großstaaten ohne die zweite Methode auskommen. Die
praktischen Schwierigkeiten, die sich dem Bau einer Flotte in einem
hierfür nicht vorgebildeten Lande entgegenstellten, hätten sich schließ-
lich wenigstens bis zu einem gewissen Grade überwinden lassen, wie das
Beispiel der Türkei zeigt, die ihre Marine aus dem Nichts schaffen
mußte (§78). Aber dagegen fiel entscheidend ins Gewicht, daß die
Ausrüstung einer großen leistungsfähigen Kriegsflotte mehr Zeit in
Anspruch genommen hätte, als sich mit den dringlichen Forderungen
der Kriegführung vertrug. In gut eingerichteten Werften, wie z. B.
in Genua, scheinen zwar Kriegsschiffe in sehr kurzer Zeit gebaut worden
zu sein (nach einer Stelle bei M. Salinas, »Carlas a [1903], p. 479, von
1530 scheint dafür ein Monat genügt zu haben). Aber erstens ver-
fügte ein Schiffahrtszentrum wie Genua natürlich über Einrichtungen,
die an anderen Orten erst hätten geschaffen werden müssen, und dann
war es mit dem Bau von Schiffen selbstverständlich nicht getan, am
wenigsten im Mittelländischen Meere, wo die Ruderschiffahrt domi-
nierte (§14). Ohne ausgebildete Mannschaft und Offiziere war nichts
28 Marinewesen.
zu machen, und wie hätte ein Staat solche Leute in größerer Anzahl
unter seinen Landeskindern auftreiben können, wenn er nicht aus der
Reserve einer eigenen Handelsschiffahrt zu schöpfen vermochte ? Dazu
kam, auch hier genau analog dem Verhältnis, das zwischen der Schweiz
und den umliegenden Großstaaten bestand, die Erwägung, daß die Re-
gierung, die auf die Ausnutzung einer unschwer zu erlangenden aus-
ländischen Flottenmacht verzichtete, diese dadurch ohne weiteres dem
Gegner auslieferte.
Ein Staat wie England, der von den großen Kämpfen abseits stand
und sich zumal an der Mittelmeerpolitik der Großmächte kaum be-
teiligte (§84 und 86), hat deshalb wohl an dem zuerst genannten Ver-
fahren festhalten und aus öffentlichen Mitteln eine eigene Flotte er-
richten können; für die Länder, die um die Hegemonie über Italien strit-
ten, war mit dieser Methode allein nicht auszukommen. Sogar Staaten,
die sich längere Zeit gegen diese Notwendigkeit sperrten, wie die Türkei,
haben sich schließlich doch dazu verstehen müssen, Kapitulationen
mit einer fremden Seemacht abzuschließen (§§78 und 99).
§ 14. Ruder- und Segelscliiffahrt. In vollem Umfange treffen diese
Bemerkungen freilich nur für das Gebiet des Mittelländischen Meeres
zu; wenn sie trotzdem ohne Einschränkung formuliert worden sind,
so ist dies nur deshalb geschehen, weil sich die großen Seeaktionen der
rivalisierenden Mächtegruppen damals in der Hauptsache im Mittel-
meer zutrugen.
Der Grund aber, warum diese Ausführungen nur für das Mittel-
meer eigentlich gelten können, ist ein Unterschied technischer Natur,
der zwischen der Schiffahrt in den Meeren des Nordens und der im Mittel-
meerbecken bestand. Im Norden herrschte durchaus die Segelschiffahrt
vor; im Mittelmeer wurden die Schlachten zur See noch durch Ruder-
galeeren entschieden.
Es ist hier nicht der Ort, die Gründe zu erörtern, die diese Ver-
schiedenheit herbeigeführt hatten. Es kann hier nur bemerkt werden,
daß hauptsächlich zwei Hindernisse der Verwendung von großen Ruder-
kriegsschiffen in der Nordsee und dem Atlantischen Ozean scheinen
entgegengestanden zu haben : zunächst ungünstigere Wind- und Wasser-
verhältnisse, die das Manövrieren erschwerten, und dann die größeren
Distanzen, mit denen die Schiffe im Norden rechnen mußten. Der
zweite Punkt ist ohne weiteres verständlich: da Ruderschiffe viel stärker
bemannt waren als Segelschiffe, so war es ausgeschlossen, sie für so lange
Zeit mit Lebensmitteln für die Mannschaft zu versehen wie jene, wie
denn ja auch die Unmöglichkeit, Ruderschiffe für die Fahrt nach Amerika
zu verproviantieren, mehr als irgendein anderer Umstand scheint der
präponderierenden militärischen Bedeutung der Rudergaleeren den
Todesstoß versetzt zu haben. Der andere Punkt ist weniger klar; Tat-
sache aber ist, daß die Ruderschiffahrt im Norden sogar bei den großen
Militärstaaten nie über vereinzelte Versuche herausgekommen ist, daß
große Marineverbände wie die deutsche Hanse sich ausschließlich der
§ 14. Ruder- und Segelschiffahrt. 29
Sogelschil't'alirt bedienten, und daß ein Monarch wie Heinrich VIII.
unbedenklich einem französischen Diplomaten gegenüber auf die Un-
brauchbarkeit der französischen Mittelmeergaleeren im Norden hin-
weisen durfte, und zwar mit der Motivierung, daß die rauhere See und
die plötzlich auftretenden Stürme Galeeren, die sich nicht in der Nähe
eines Hafens befänden, in einem Kriege mit England dem sicheren
Untergang ausliefern würden (1546; Odet de Selve, )>Correspondance
politique« [1888], p. 11 ; vgl. auch die Aussage des Venezianers G. Soranzo
bei Alberi, »Relazioni« I, 2, 419).
Sei dem wie ihm wolle, so ist jedenfalls unbestritten, daß zwischen
der Kriegsmarine im Mittelmeer und der im Norden ein prinzipieller
Unterschied bestand, der verhinderte, daß Flotten von einem Gebiet
auf das andere ausgewechselt oder zur Ergänzung lierangezogen werden
konnten. Es war zwar nicht so, als wenn Segel auf den Kriegsschiffen
des Mittelmeeres nicht verwendet worden wären; die Kriegsflotten
waren immer auch von Segelschiffen begleitet und auch die Ruder-
galeeren selbst bedienten sich zu ihren Fahrten, soweit es der Wind
erlaubte, der Segel. Aber ihre eigentliche Stärke, das Rammen feind-
licher Schiffe, hing doch durchaus von der Rudertechnik ab und so lange
diese Taktik möglich war, waren sie ohne weiteres den Segelschiffen
überlegen, die sich bei Windstille einem solchen Angriffe ja überhaupt
nicht hätten entziehen können. Und ebenso fehlte es unter den Schiffen,
die in den Seekriegen des Nordens verwendet wurden, nicht an Ruder-
booten. Aber diese hatten dort nur untergeordnete Bedeutung; sie
traten erst während der Schlacht in Aktion und man hat sie etwa mit
den modernen Torpedobooten verglichen. Die Entscheidung lag nicht
bei ihnen sondern bei den Geschützen der Segelschiffe.
Daraus ergaben sich nun für die Kriegführung der Großstaaten
zwei wichtige Folgen. Die erste ist bereits erwähnt worden und ist
ohne weiteres ersichtlich : sie bestand darin, daß eine eventuelle Schwäche
auf dem einen Marinekampfgebiet nicht durch Flottenstreitkräfte aus
dem anderen ausgeglichen werden konnte. Da mehrere Großstaaten,
wie Frankreich und die habsburgische Länderunion, sowohl am Mittel-
ländischen Meere wie im Norden Küstenstriche besaßen, so war dieser
Umstand von großer Bedeutung: Frankreich hat z. B. weder seine
atlantischen Schiffe noch die Habsburger ihre niederländische Flotte
im Mittelmeer zu Kriegszwecken verwenden können. Weniger deutlich
ist die andere Konsequenz, obwohl sie noch mehr als die erste die Politik
der Großmächte gegenüber den Seestaaten ( § 13) letzten Endes be-
stimmt hat. Diese bestand darin, daß die Ruderschiffahrt in ganz
anderer Weise als die Segelschiffahrt von einer speziell für die See-
kriegsführung eingeübten Mannschaft abhängig war. Natürlich war
auch die Segelschiffahrt ohne geübtes Personal nicht zu treiben; aber
es brauchte hiezu keine anderen Kenntnisse als zur Handelsschiffahrt
und die Matrosen jedes Kauffahrteischiffes waren ohne weiteres ver-
wendbar (die Geschütze und ihre Bedienung waren vom Landkriege
30 Marinevvesen.
nicht verschieden: §12). Bei den Rudergaieeren dagegen lagen die
Verhältnisse ganz anders. Die mit Segeln betriebene Handelsschiffahrt
zog kein Personal heran, das man im Kriegsfalle sofort als Ruderer
einstellen konnte. Hier war ohne freiwillige oder gezwungene Ausbildung
durch die Behörden nicht auszukommen und daher hatten die Staaten,
die nicht nur über Schiffe, sondern auch über eine geschulte Mannschaft
verfügten, eine beinahe monopolartige Stellung, die sich mit der Position
der nordischen Seestaaten keineswegs vergleichen läßt. Im Norden
konnte ein Staat daran denken, sich in Kriegsfällen durch Konfiskation
der in den einheimischen Häfen liegenden fremden Schiffe und durch
Anwerbung beschäftigungsloser Schiffer eine Flotte zu bilden (wie
damals die regelmäßige Praxis war); im Mittelmeer reichte dieses Ver-
fahren nicht aus. Es verhielt sich nicht einmal so, daß eine in der Segel-
schiffahrt erprobte Mannschaft besonders leicht zum Dienst auf den
Rudergaleeren hätte verwendet werden können. Der Venezianer
N. Tiepolo, der wie alle seine Landsleute sich in seinen Relationen
niemals so präzis und sachkundig ausdrückt als wenn er von Dingen der
Marine redet, hebt sicherlich mit Recht hervor, daß die gefeierten
biskaischen Schiffer für die Galeeren Kaiser Karls V. trotz ihrer Tüchtig-
keit kaum in Betracht kämen, weil sie »gente non molto alla cd governo
di tai legni« seien (Alberi, »Relazioni« I, 49; 1532).
Nun ist allerdings bekannt, daß gerade in der hier behandelten
Periode auch die Großstaaten, die bisher die Marine im Mittelmeer
vernachlässigt hatten, Anstrengungen machten um das Monopol der
Seestaaten zu brechen. So weiß man, daß vor allem Frankreich im
Zusammenhange mit den Kriegen um Italien zu jener Zeit damit begann.
Galeeren zu bauen und mit eigenen Sträflingen zu bemannen (vgl.
unten §30). Aber es scheint, daß solche Sträflinge frei angeworbenen
Ruderern in ihrer Qualität immer nachstanden. In den beiden großen
Seerepubliken Italiens scheinen zwar auf den Galeeren neben Freien
auch Sklaven und Sträflinge verwendet worden zu sein; was Heyck,
»Genua und seine Marine« (1886), p. 125 f., über die genuesische Praxis
im 13. Jahrhundert bemerkt, gilt für das 16. offenbar nur mehr zum Teil
und auch in Venedig dienten gelegentlich Sklaven auf Galeeren. Aber
sie bildeten doch immerhin nicht den Kern der Mannschaft, so wenig in
Genua wie in Venedig, und wenn Charles Diehl »Venise« (1915), p. 31,
meint, bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts hätten nur freie Bürger auf
den Galeeren des hl. Markus gedient, so ist dies zwar nicht ganz richtig,
dürfte in der Hauptsache aber trotzdem zutreffen. Wenn dem aber so
war, so ergibt sich daraus auch ohne weiteres die größere Leistungs-
fähigkeit der mit Freien bemannten Galeeren; denn die venezianischen
und genuesischen Kriegsschiffe waren den mit Sträflingen oder Sklaven
betriebenen Fahrzeugen anderer Staaten unzweifelhaft überlegen. Da-
mit steht auch im Einklang, daß nicht nur die Venezianer an ihrem
System der Beschäftigung Freier festhielten, sondern daß auch z. B.
Kaiser Karl, wenn immer möglich, genuesische Galeeren neben seinen
§ 15. Bedeutung Her Marine. 31
spaniscliou einzusLeJlen suchte, obwohl die Kosten lui' ScijJlTe mit
freien Ruderern höher waren als für Sträflingsschiffe (vgl. den eben
zitierten N. Tiepolo bei Alberi, ))Relazioni« I, 44 und 36).
Wie viel dieser, übrigens leicht verständliche Qualitätsunterschied
zwischen freien und gezwungenen Ruderern in militärischer Beziehung
ausmachte, ist nun freilich schwer zu sagen. Die Seeslaaten, die ihre
Galeeren zu einem guten Teile mit Freien bemannten, waren ja zu-
gleich auch diejenigen, die überhaupt über einen größeren Fonds an
geübter Mannschaft und übei' größere Erfahrung im Seekrieg verfügten.
Die Marine der Mächte, die erst durch die neue Kriegslage dazu genötigt
wurden, ihrer Mittelmeerflotte ernsthafte Fürsorge zuzuwenden, verlor
bis zidetzt nie ganz den Charakter der Improvisation; ihre Reserven,
besonders an dem wichtigsten, an geübter Mannschaft, waren immer
knapp und rasch erschöpft. Es trifft nicht nur für Spanien zu, wenn
Martin de Salinas, der am kaiserlichen Hofe als Vertreter König Ferdi-
nands weilte, im Jahre 1537 schrieb, der Schiffbruch von sechs spanischen
Galeeren an der Küste von Valencia sei für den Kaiser ein sehr schwerer
Verlust. Denn an fertigen Galeeren {galer as hechas) mangle es zwar
nicht; aber üo principal y el todo es la chusma« (die Mannschaft) {»Car-
las«, 1903, p. 795; vgl. auch Tiepolo bei Albeii I, 135, wo davon die
Rede ist, daß der Kaiser aus eigenen Kräften weitere Galeeren nicht
bemannen kann und sich deshalb an Genua wendet). Daher hat keiner
der Großstaaten, die überhaupt eine Marinepolitik im Mittelmeer
trieben, damals auf die Verwendung einer fremden Seemacht verzichten
können, die Türkei ebensowenig wie Spanien odei" Frankreich.
§ 15. Die Bedeutung- der Marine. So groß auch zweifellos der
Einfluß gewesen ist, den die Marineverhältnisse auf die Geschichte
des europäischen Staatensystems in der ersten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts ausgeübt haben, so schwer ist es doch genau festzustellen,
wie weit dieser Einfluß sich im einzelnen bemerkbar gemacht hat.
Diese methodische Schwierigkeit läßt sich auf drei Gründe zurück-
führen. Der erste und wichtigste besteht darin, daß nicht die großen
Aktionen, die Seeschlachten und selbständigen Flottenoperationen den
Wert der Marine ausmachten, sondern daß deren Bedeutung haupt-
sächlich auf der Unterstützung beruhte, die sie den Unternehmungen
zu Lande brachte. Sie leistete vor allem dadurch Dienste, daß sie die
Verbindung zwischen weit entlegenen oder zeitenweise nur durch die See
verbundenen Kriegsschauplätzen herstellte und Truppen-, Munitions-
und Lebensmitteltransporte durchführte. Größere selbständige Unter-
nehmungen, wie Einfälle in feindliches Gebiet mit Truppenlandungen
nur mit Hilfe einer Flotte und ohne Mitwirkung einer gleichzeitig zu
Lande heranrückenden Armee waren dagegen ausgeschlossen; w'as in
dieser Art versucht wurde, erhob sich nicht über bloße Raids ohne weitere
militärische Folgen oder höchstens auf streng abgegrenzte Vorstöße
gegen einzelne Inseln. Solche selbständige Operationen hätten wohl
schon an dem beschränkten Laderaum der damaligen Schiffe ein un-
32 Marinewesen.
überwindliches Hindernis gefunden. Der Venezianer Mocenigo rechnet
im Jahre 1540, daß eine Galeere etwa 120 Infanteristen transportieren
könnte (»Venezianische Depeschen vom Kaiserhofe« I [1889], 386)
und Sahnas meinte 1536, der kaiserUche Hof brauche zur Rückfahrt
von Frankreich nach Spanien mindestens 50 Galeeren {»Carlas«, p. 760).
Bedenkt man, daß es sich dabei in dem ersteren Falle nur um einen
Teil der für einen Feldzug nötigen Streitkräfte handelt, so wird man
leicht einsehen, daß große selbständige Unternehmungen mit solchen
Mitteln nicht zu wagen waren. Tatsächlich sind denn auch derartige
Expeditionen in unserer Zeit zwar mehrfach geplant worden, aber nie
über das Stadium von Projekten hinausgekommen.
Zum Teil hing dies allerdings mit dem zweiten Punkte zusammen,
der das Problem erschwert. Wie bereits erwähnt, waren gerade die
Staaten, die als Herren über starke Flotten vielleicht ein solches Unter-
nehmen hätten versuchen können, aus anderen Gründen nicht in der
Lage, eine derartige Operation in die Wege zu leiten. Sie besaßen ent-
weder überhaupt keine nennenswerte Landarmee wie Genua oder der
algerische Seeräuberstaat, oder es waren ihnen aus wirtschaftlichen
Gründen die Hände gebunden wie Venedig (§§65 und 71). Daher
haben auch die mächtigen Flotten der Seestaaten in der Regel nur in
Verbindung mit den Armeen kontinentaler Militärstaaten große Aktionen
ausführen können, was natürlich das Urteil über die eigentliche Be-
deutung der Marine erschwert.
Ähnlicher Art ist der dritte Grund. Er besteht darin, daß die
Großstaaten, die den Kampf um die Hegemonie über Italien ausfochten,
für die Kriegführung zur See mangelhaft ausgerüstet waren (§13),
und deshalb ihre Marinestreitkräfte nur zur Unterstützung der Opera-
tionen zu Lande auszunutzen geneigt waren. In dieser Beziehung
scheinen dann die Leistungen der Flotte vielfach in eine Reihe gestellt
werden zu müssen mit der finanziellen Vorbereitung der Feldzüge,
den innerpolitischen Kompetenzen der Regierungen usw., lauter Dingen,
die für den Ausgang von Feldzügen von großer Bedeutung, in ihrer
Wirksamkeit aber schwer abzuschätzen sind, da sie nur selten als
eigentlich unentbehrlich nachgewiesen werden können.
Trotzdem aber darf man bei der Besprechung des Einflusses, der
zur damaligen Zeit der Marine zukam, einige positive Bemerkungen
wagen.
Wenn die Unternehmungen einer Flotte allein in der Regel nicht
mehr als Verwüstungsraids zur Folge hatten und keine Marine so stark
war, daß man mit ihrer Hilfe Staaten, die durch das Meer geschützt
waren, wie England oder Venedig, hätte zu Leibe rücken können, so
war doch ihre Tätigkeit in Verbindung mit einer Landarmee gerade auf
dem italienischen Kriegsschauplatz öfter von ausschlaggebender Be-
deutung. Zumal der Kampf um Neapel, das von Frankreich oft nur
mit Schwierigkeiten und von Spanien vielfach überhaupt nicht zu Lande
erreicht werden konnte, wurde zu einem guten Teile dadurch bestimmt,
§ 15. Bedeutung der Marine. 3;-j
welcher Kriegspartei der Weg zur See für Truppen- und Munitions-
nachschübe und vor allem für die Verproviantierung von belagerten
Plätzen offenstand. Ähnlich verhielt es sich mit Schottland: obwohl
das mehrfach erörterte Projekt eines Flottenangriffes auf England
aus den angeführten Gründen nie ausgeführt wurde, so war es doch
außerordentlich wichtig, daß Frankreich, dank seiner relativ starken
Marine im Norden, die schottischen Truppen mit seinen Geschützen
ausrüsten konnte (§100). Dies sind natürlich an sich banale Bemer-
kungen; aber sie mußten trotzdem hier gesagt werden, weil erst die
neue, eigentlich europäische Politik der Großmächte (§§1 — 3) diesem
Kommunikationsmittel für die Geschichte des europäischen Staaten-
systems praktische militärische Bedeutung verlieh. Und noch größere
Wichtigkeit gewann die Marine, als das von den Habsburgern beherrschte
Länderkonglomerat sich unter Kaiser Karl V. noch um Spanien ver-
mehrte und so ein Reich entstand, das unter seinen Bestandteilen über-
haupt nur zur See sicher verkehren konnte. Der Venezianer Navagero
meint einmal geradezu, Kaiser Karl hätte vielleicht nur deshalb seine
Staaten in seinem Besitz behalten können, w^il Andrea Doria ihm mit
seiner genuesischen Flotte die Verbindung zwischen Italien und Spanien
garantiert hätte (Alberi, )>Relazioni« I, 305; vgl. ibid., p. 320f. ; 1546).
In dieser Beziehung war der rivalisierende französische Groß-
staat freilich besser gestellt. Doch war dies nicht der einzige Umstand,
der die französische Regierung unabhängiger von der Marine machte
als die habsburgisch-spanische und vielleicht auch die mangelhafte
Fürsorge der französischen Monarchie für die Flotte erklärt (§ 30).
Frankreich gehörte nämlich nicht zu den Ländern, deren Bodenproduk-
tion zur Ernährung der Bevölkerung nicht mehr ausreichte und durch
Zufuhr über die See ergänzt werden mußte, wie es in Spanien der Fall
war (§ 26). Diese Abhängigkeit von überseeischem Lebensmittel- (speziell
Getreide-) Import konnte natürlich auch militärisch von großer Bedeutung
sein, insofern ein auf diese Weise übervölkertes Land durch eine über-
legene feindliche Flotte, die die Seetransporte abschnitt, hätte aus-
gehungert werden können. Dieser Fall konnte für Frankreich nicht
eintreten.
Literatur zu den §§ 13 — 15. Es muß hier im allgemeinen dieselbe Be-
merkung gelten wie zu § 12. Die wichtigste Literatur bilden die Werke über
die Marinegeschichte einzelner Länder; da diese weiter unten bei den Paragraphen
über die betreffenden Staaten angeführt ist, so kann hier auf eine Wiederholung
verzichtet werden. Es mag hier nur erwähnt werden, daß mit Rücksicht auf die
präponderierende Stellung des Mittelmeeres für unser Thema vor allem die Ab-
handlungen zur Geschichte der Flotten Venedigs, Genuas, der Türkei, Spaniens
und Frankreichs in Betracht kommen. Die deutsche Spezialliteratur, die sich be-
greiflicherweise hauptsächlich mit der Schiffahrt in den nördlichen Meeren befaßt,
fällt deshalb hier fast ganz außer Betracht; es sei dies deshalb ausdrücklich bemerkt,
weil von deutscher Seite eine der wenigen Abhandlungen vorliegt, die die Marine-
stärke verschiedener Nationen zu vergleichen sucht: Walter Vogel, »Zur Größe
der europäischen Handelsflotten im 15., 16. und 17. Jahrhundert« in den »For-
schungen und Versuchen zur Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Fest-
Fueter, Europ. Staatensystem. 3
34 Marinewesen.
Schrift für D. Schäfer«, 1915, 268 ff., auch hier werden nämhch die Mittelmeer-
seestaaten nicht erwähnt. Die beste resümierende Darstellung des Unterschiedes,
der zwischen dem Mittelländischen Meer und dem Norden damals bestand, bei
Julian S. Corbett, »Drake and the Tudor Navijv (1898), I, 1 — 56 {>^Introduction\
the Naval Art in the middle of the sixteenth Century«), Vgl. ferner d'Albertis, »Le
Costruzioni navaii e Varte della navigazione al tempo di Crist. Colonibo«, 1893. —
Rudolf Häpke »Die Regierung Karls V. und der europäische Norden« (1914) gibt
p. 78 ff. die beste Übersicht über das Seekriegswesen in den nordischen Meeren.
Von den Quellen sind, wie bereits im Texte bemerkt, vor allem die veneziani-
schen aufschlußreich; Genua bietet sehr wenig, da seine diplomatische Hinterlassen-
schaft neben der Venedigs kaum in Betracht fällt. Ebenso wichtig sind dabei die
fortlaufenden diplomatischen Rapporte (vgl. die )A'enezianischen Depeschen vom
Kaiserhof«, 1889 ff.) wie die Relationen. Die florentinischen Abhandlungen und
Berichte versagen im allgemeinen ganz; eine Ausnahme bildet fast nur Guicciardinis
»Modo del governo veneziano« (>>Opere inedite« X, 402).
Bei der Benutzung der Dokumente darf nie vergessen werden, daß der tech-
nische Name für »bemannen« »armare« (lateinisch oder italienisch-spanisch) ist.
»Ausrüsten« wurde mit »parare« oder ähnlich bezeichnet. Dieser Gebrauch, der
bereits im 13. Jahrhundert bestand (Heyck, »Genua und seine Marine« [1886],
S. 129 — 132), herrschte auch noch im 16. Jahrhundert ausschheßlich vor, und obwohl
die Feuerwaffen auch für die Kriegsschiffahrt immer größere Bedeutung gewannen
und während der im folgenden behandelten Periode auf den Schiffen die alten
Fernwaffen immer mehr zurückdrängten (vgl. z. B. M. Sanuto, »Diarien« LVIII, 90;
1533), so verstand man doch unter der »Armierung« einer Galeere nie die Ausrüstung
mit Geschütz. Reserven an Mannschaft hatten aber nur die großen Seestädte;
als 1539 der Papst Schiffe stellen mußte, wandte er sich abwechselnd an Genua
und Venedig, um seine Fahrzeuge »bemannen« (»armare«) zu lassen (»Venezianische
Depeschen vom Kaiserhofe« I, 296 und 299). Daher spricht der Venezianer Con-
tarini ausdrücklich von dem Nutzen, den die »galere arniate« der Genuesen dem
Kaiser gegenüber Frankreich gebracht hätten (1536; »Fontes Herum Ausfriacarum«,
1870, p. 9). 1540 meinte König Ferdinand, »per difetto de'homini da remo« könnte
im laufenden Jahre keine starke Flotte gegen die Türken abgeschickt werden (»Ve-
nezianische Depeschen« I, 402).
Was die Bauzeit von Schiffen anbetrifft, so sei darauf verwiesen, daß zwei
Jahre als sehr lang galten (vgl. »Correspondance politique de Castillon et Marillac«.
[1885], p. 227; es handelt sich hierbei übrigens um den Bau von Segelschiffen). Die
Quellen enthalten selten genaue Angaben; sie erwecken aber durchweg den Ein-
druck, daß wenige Monate, wenn nicht noch kürzere Zeit, zum Bau eines Schiffes
genügten.
D. Wirtschaftliche Konfliktstoffe und Kampfmittel.
§ 16. Handelspolitische Konflikte. Die Geschichte des europäischen
Staatensystems in der liier behandelten Periode könnte für die These,
daß internationale Konflikte in der Regel auf wirtschaftliche Ursachen
zurückzuführen seien, nicht als Beweis zitiert werden.
Gewiß standen Fragen der Handelspolitik im diplomatischen Ver-
kehr einzelner Staaten im Vordergrund der Interessen und waren die
auswärtigen Beziehungen verschiedener Staaten, z. B. der Niederlande,
Englands, Florenz' zu einem guten Teile von kommerziellen Rücksichten
bestimmt. Aber die großen Staaten, die im Kampfe um Italien die
Führung hatten, blieben, wenigstens soweit dieser Kampf in Betracht
kam, von handelspolitischen Erwägungen so gut wie ganz unberührt.
Solche Tendenzen wogen nur bei einem Teile der kleineren Staaten vor.
§ U^. Handelspolitische Konflikte. 35
die, gezwungen oder freiwillig, keine imperialistische oder Ausdehnungs-
politik trieben.
Wenn das vorliegende Buch daher darauf verzichtet, die allgemeinen
Handelsverhältnisse des damaligen Europas zu schildern und diesem
Gegenstand nur so weit Aufmerksamkeit zuwendet, als sich bei der
Charakterisierung der Politik der einzelnen Staaten dazu die Notwendig-
keit ergibt, so liegt dies in der Aufgabe der Darstellung begründet. Es
könnte nun freilich eingewendet werden, daß diese Auffassung so eminent
handelspolitische Vorgänge wie die Entdeckungsfahrten nach Indien
und Amerika außer Betracht lasse; an diesen Unternehmungen sei
doch mindestens einer der um die Vorherrschaft über Italien kämpfenden
Großstaaten direkt beteiligt gewesen, und ein anderer (die Türkei)
sei wenigstens indirekt durch die neuen Handelswege stark in Mitleiden-
schaft gezogen worden. Aber wenn dies schon richtig ist, so hat dies
doch auf den Streit um Italien so gut wie keinen Einfluß ausgeübt.
Sowohl Spanien wie die Türkei standen ja zunächst nur in Gefahr,
wegen der neuen Handelswege mit Portugal in einen kriegerischen
Konflikt zu geraten; das portugiesische Königreich gehörte aber kaum
mehr dem europäischen politischen System an (§100). Später kam es
allerdings wegen Amerikas zu Zusammenstößen zwischen Spaniern
und Franzosen ; aber es ist ganz unwahrscheinlich, daß der Ausgang des
italienischen Krieges durch diese Ereignisse irgendwie bestimmt worden
wäre. Auch im weiteren Sinne kann aber nicht von einer Einwirkung
der Entdeckungsfahrten auf die europäische Politik in jener Zeit ge-
sprochen werden. So gewiß auch die neuen Handelswege zur finanziellen
Schwächung der Türkei und Venedigs beigetragen haben und so sehr
sie dadurch und durch weitere Folgen eine Verschiebung der Macht-
verhältnisse nach sich zogen, so wenig kann doch bereits für die hier
behandelte Periode von einer solchen Nachwirkung die Rede sein (vgl.
§ 65). Eher wäre noch der Aufschwung Antwerpens zu nennen, der
bekanntlich auf der Entdeckung des Seeweges um Afrika durch die
Portugiesen beruhte. Aber die Niederlande waren schon vorher eine so
ergiebige Geldquelle für die Habsburger, daß deren Position in der
internationalen Politik durch dieses Ereignis nicht wesentlich ver-
ändert wurde.
§ 17. Die Sicherung der Zufuhr von Lebensmitteln. Viel größeren
Einfluß als handelspolitische Ziele übte auf den Kampf um Italien
das Problem der sicheren Versorgung mit den notwendigen Lebens-
mitteln aus. Mehrere der an dem Konflikt beteiligten Staaten w^aren
auf Zufuhr von auswärts angewiesen, sei es aus Gebieten, deren Besitz
von der rivalisierenden Gruppe bedroht wurde (Spanien und Sizilien!),
sei es aus (feindlichen) Großstaaten selbst (wie Venedig auf die Türkei
§ 71). Von den Großstaaten befand sich eigentlich nur Frankreich in
der günstigen Lage, daß es für den Bezug der notwendigsten Lebens-
bedürfnisse gänzlich vom Auslande unabhängig war ; die übrigen waren
alle, wenigstens für einen Teil ihres Gebietes (wie die habsburgischen
3*
36 Handelspolitik.
Territorien für die Niederlande) genötigt, ihre Bevölkerung, durch Zu-
fuhr aus dem Auslande zu erhalten, weil diese, sei es wegen zu ge-
ringer Ertrags fähigkeit des Bodens, sei es wegen Menschenanhäufungen
in industriellen Betrieben, aus der Produktion des eigenen Landes nicht
mehr ernährt werden konnte. Am wichtigsten war dabei die Ver-
sorgung mit Getreide und den damaligen Verkehrsmitteln entsprechend
kam als Kommunikation fast nur der Wasserweg (die See und die
Flußläufe) in Betracht. Nun genügte es aber keineswegs, wenn ein Staat
durch eine starke Flotte die sichere Verbindung zur See garantierte.
Ebenso unentbehrlich war es, Gewähr dafür zu haben, daß die Regie-
rung des Getreide im Überfluß produzierenden Landes die Lizenz zur
Ausfuhr erteilte. In dieser Beziehung bestand nun aber so lange keine
Sicherheit, als das kornreiche Land nicht der unbedingten Herrschaft
des getreidearmen unterworfen w^ar. Denn die Erlaubnis zum Export
wurde durchaus nicht nur auf Grund finanzieller Erw^ägungen erteilt,
in der Weise etwa, daß ein kapitalkräftiger Staat unbedingt auf eine
Ausfuhrbewilligung hätte rechnen können, wenn er nur bereit war,
in eventuellen Mißjahren exorbitante Forderungen der Verkäufer anzu-
nehmen. Vielmehr w^urde die Erteilung solcher Lizenzen von allen
Staaten, die überhaupt an der großen europäischen Politik teilnahmen,
als politisch-militärisches Druckmittel ausgenutzt und von politisch-
militärischen Gegenleistungen abhängig gemacht. Die Kriegführung
mancher Großstaaten ist dadurch aufs stärkste modifiziert worden.
Es wird im zweiten Abschnitte im einzelnen gezeigt w^erden, in welcher
Weise solche ökonomische Abhängigkeitsverhältnisse, in denen sich vor
allem Venedig und ein Teil der nordafrikanischen Küste befanden,
von den Besitzern getreidereicher Gegenden ausgenutzt w'urden (vgl.
speziell die §§44 und 71). Aber die diplomatische Überlegenheit, die
die Kornfelder des Balkans, Südrußlands, Siziliens und des Kirchen-
staates den über ihren Überschuß verfügenden Regierungen gegenüber
einem Staate wie Venedig verschafften, war kein vereinzelter Fall.
AndersW'O waren die Verhältnisse nicht so zugespitzt; aber prinzipiell
stand es mit der politischen Verwertung von Lizenzen zur Getreide-
ausfuhr nicht anders. Es ist um so mehr nötig, auf diesen Umstand
hinzuweisen, als auch die Wirtschaftsgeschichte bisher die internationale
staatliche Getreidepolitik zugunsten der Handelspolitik ungebührlich
vernachlässigt hat. Wenn sich bei Organisationen wie der deutschen
Hanse und den Ostseeländern so gut wie keine Spuren einer solchen
Lizenzenpolitik finden, so ist dies nur ein weiteres Symptom für die
gegenüber anderen Staaten zurückgebliebene politische Organisation
im Norden und Osten Europas (vgl. §100); es darf aber daraus nicht
geschlossen werden, daß die politisch führenden Staaten und speziell
die um Italien kämpfenden Großmächte ebenso vorgingen.
Das Getreide war nicht der einzige zum Leben nötige Artikel,
der auf diese Weise politisch nutzbar gemacht w^urde, aber bei weitem
der wichtigste. Die Gründe leuchten ohne weiteres ein; besonders zu
§ 18. Der Einfluß von Betriebsformen. 37
beachten ist die Scliwierigkeit, ausreithendo Mengen Korns für ein
großes Land für längere Zeit aufzuspeichern. In dieser Beziehung stand
es mit dem Salz besser, obwohl auch die Lieferung dieses Produktes
häufig genug in diplomatischen Verhandlungen als Kompensationsobjekt
verwendet wurde. So gut wie nie wurde dagegen die Zufuhr (unentbehr-
licher) Rohstoffe aus politisch-militärischen Gründen gesperrt, eben-
sowenig wie die von Armeepferden und ähnlichem Kriegsmaterial.
Resümierend läßt sich sagen, daß die Getreidelizenzenpolitik in
zweifacher Hinsicht auf den Gang der militärischen Aktionen eingewirkt
hat: sie hat die von ausländischer Kornzufuhr abhängigen Staaten
entweder genötigt, mit den exportierenden Ländern so weit wie möglich
gute Beziehungen zu unterhalten, selbst um den Preis schwerer Opfer,
oder sie hat sie zur Eroberung getreidereicher Gegenden veranlaßt,
d. h. unter Umständen zur Expansion in einer Richtung, die nicht inner-
halb der normalen Vergrößerungszone lag. Das klassische Beispiel für
den ersten Fall ist Venedig in seinem Verhältnis zur Türkei, das für den
zweiten Spanien in seinem Verhältnis zu Sizilien.
Literatur. Die Literatur läßt aucli liier beinahe ganz im Stich und es kann
daher hier nur auf die im zweiten Abschnitt gegebenen Ausführungen über die
Wirtschaftsverhältnisse der einzelnen Länder, speziell Venedigs, der Türkei, Spaniens,
der Niederlande, Frankreichs usw. verwiesen werden. Das Buch von W. Naude,
»Die Getreidehandelspolitik der europäischen Staaten vom 13. — 18. .Jahrhundert«,
1896 (in den »Acta Borussiccm), versagt für die Mittelmeerländer in der hier behandel-
ten Zeit so gut wie vollständig, wie es überhaupt fast nur da brauchbar ist, wo es
fremde Forschung resümiert.
§ 18. Der Einfluß ökonomischer Betriebsformen auf die internatio-
nale Stellung der (ilicder des Staatensystems. 1. Ackerbau und Vieh-
zucht. Seitdem die Entscheidung im Landkriege in immer größerem
Umfange von der Infanterie abhing (§5), war es für die internationale
Stellung eines Staates von großer Bedeutung, ob bei der landwirt-
schaftlichen Tätigkeit der Bewohner der Ackerbau oder die Viehzucht
dominierte oder (anders ausgedrückt), welche von beiden Bewirtschaf-
tungsformen nach Büdenbeschaffenheit und Klima den größeren Er-
trag versprach.
Physiologische und populationistische Momente fielen dabei in
Betracht. Die ersteren bestanden darin, daß die Viehzucht als die
gesündere und vielseitigere Tätigkeit die Fähigkeit zum Gebrauch der
damaligen Waffen (unter denen die Handfeuerwaffen ja noch stark
zurücktraten) sehr viel mehr förderte als der körperlich leicht defor-
mierende Ackerbau. Völker, die in großem Umfange Viehzucht trieben
und in größeren Teilen ihres Gebietes den Ackerbau überhaupt ver-
nachlässigten wie die Spanier und Schweizer, lieferten ein besonders
gutes Soldatenmaterial; ihre Tj'uppen waren leichter auszubilden und
leistungsfähiger.
Dazu kam noch der bevölkerungstechnische Grund. Di(^ Viehzucht
braucht bekanntlich für ein gleichgroßes Stück Land viel weniger
38 Handelspolitik.
Arme zur Bewirtschaftung als der Ackerbau. Länder, die sie vorzugs-
weise betrieben, konnten demnach eine größere Anzahl Söldner ab-
geben als die ackerbautreibenden Staaten, und dazu noch in besserer
Qualität, da ein viel größerer Teil der Bevölkerung genötigt war, seinen
Lebensunterhalt im Kriegsdienst zu suchen, folglich sich auch tüchtigere
Elemente anwerben ließen als in einem ackerbautreibenden Lande.
Da nun damals die militärische Stärke eines Staates zu der Be-
völkerungszahl nicht in direktem Verhältnis stand, vielmehr durch
die Menge der Söldner bestimmt wurde, die er aufstellen oder anwerben
konnte, so waren die viehzuchttreibenden Staaten soweit in einer
besseren Lage als die anderen: sie konnten entweder auf die Anwerbung
fremder, nie ganz zuverlässiger Söldner überhaupt verzichten oder die
Abgabe ihrer überschüssigen Söldner ins Ausland zur Verstärkung ihrer
internationalen Position ausnutzen. — Den Nachteil mußten sie aller-
dings dafür in den Kauf nehmen, daß sie für die Ernährung ihrer Be-
völkerung zu einem guten Teile auf das Ausland angewiesen waren
(vgl. §17).
2. Industrie und Söldner wesen. Nur selten entsprach frei-
lich die Wirklichkeit vollständig dieser Formel. Die Alternative: ent-
weder Ackerbau oder Viehzucht und Söldnerdienst stellte sich in dieser
einfachen Weise wohl nur in der Schweiz und in großen Teilen Spaniens.
Für andere ebenso vorzugsweise viehzuchttreibende Länder wie Holland
trifft sie dagegen nicht zu. Dort bot sich, obwohl sich der Boden für
Getreidebau ebenfalls wenig eignet, eine andere Gelegenheit zum Er-
werb nämlich die Schiffahrt, die zugleich dann auch die Versorgung der
Bevölkerung mit den zu einem wesentlichen Teile von auswärts zu be-
ziehenden Lebensmitteln übernahm. Daher war dort der überschüssige
(d. h. aus der einheimischen Produktion nicht mehr zu ernährende)
Teil der Bevölkerung nicht genötigt, im Söldnerdienst Unterkunft zu
suchen, und es ist deshalb kein Wunder, wenn die niederdeutschen Söld-
ner allgemein als weniger leistungsfähig galten denn die oberdeutschen.
Aber auch in Holland wußte man, daß im Falle daß die Schiffahrt
unterbrochen würde, sofort die Bewohner sich in großer Anzahl in fremde
Dienste begeben müßten; denn nur die Schiffahrt helfe den schlimmen
Folgen der Übervölkerung ab (vgl. Rudolf Häpke, »Niederländische
Akten und Urkunden zur Geschichte der Hanse« I [1913], 35; Instruk-
tion Hollands an die Regentin aus dem Jahre 1532). — Ähnlich stand
es mit den Ländern, in denen ein ertragreicher Bergbau betrieben wurde.
Noch etwas anders lagen die Verhältnisse in dem Falle, wo auch
Übervölkerung bestand, diese aber deshalb nicht zu zahlreichem Ein-
tritt in fremde Dienste führte, weil die Industrie (damals fast ausnahms-
los die Textilfabrikation) dem überschüssigen Volksteile eine Erwerbs-
möglichkeit gewährte. Denn in solchen Fällen (für die das übervölkerte
Flandern das Musterbeispiel bietet) kann nicht einfach davon gesprochen
werden, daß der mangelnde Bodenertrag einen Teil der Bevölkerung
auf andere Tätigkeitsgebiete als die Bewirtschaftung des Landes drängte,
§ 18. Der Einfluß von Betriebsformen. 39
sondern es muß auch mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß über-
haupt erst die Industrie eine übergroße Menschenansammlung zur
Folge hatte und beisammen erhielt. Immerhin war die Wirkung von
der eben geschilderten nicht verschieden: auch Industriegegenden waren
der Zahl und der Qualität nach ein ungünstiger Boden für Söldner-
anwerbungen; ihr Besitz war militärisch wohl von großem \\'ert, weil
die Industrie die Mittel zu liefern vermochte um fremde Qualitäts-
söldner anzuwerben, eigene ausgezeichnete Truppen wurden durch
solche Gegenden dagegen nicht aufgebracht. Schließlich ist noch die
Eventualität zu erwähnen, daß auch ein ackerbautreibendes Land in-
folge starker Bevölkerungsvermehrung genötigt wurde, überschüssige
Volkskraft an den Waffendienst abzugeben. Dieser Fall war aber
damals außerordentlich selten und seine Möglichkeit könnte höchstens
für Süddeutschland angenommen werden.
Eine vollständige Darstellung hätte an dieser Stelle auch noch die
Frage zu erörtern, inwiefern »Armut« und »Unfruchtbarkeit« eines
Landes zu militärischer Machtstellung beitragen konnten, indem ein
solches Land genötigt worden wäre, eine Industrie und damit die Mittel
zur Finanzierung von Kriegen zu schaffen. Aber eine solche Unter-
suchung würde über den Rahmen des Handbuches hinausgehen und
überdies auch allzuviele Ereignisse berühren, die schon nur chronologisch
nicht mehr der hier behandelten Periode angehören. So muß man es
denn hier mit dieser Andeutung bewenden lassen.
Literatur. Vgl. die Anmerkung zu §17. Die militärische Bedeutung des
Gegensatzes von Ackerbau und Viehzucht behandelt im allgemeinen A. R. Cowan,
»Master-Clues in World Historyv, 1914. — Das Problem, ob sich die tatsächliche
Bevölkerungsvermehrung überall in ähnlichem Umfange vollzog, d. h. ob eine
auf mangelhaften Bodenertrag zurückzuführende ungenügende Lebenshaltung nicht
eine größere Sterblichkeit nach sich zog, kann nicht berücksichtigt werden, da für
jene Zeit darüber keine statistischen Daten vorliegen. Sicher steht nur, daß damals
innerhalb der Bevölkerung, d. h. außerhalb fürstlicher Familien, eine künstliche
Beschränkung der Geburtenzahl nirgends nachweisbar ist.
Was hier und später über die ver.schiedene militärische Brauchbarkeit ein-
zelner Nationen gesagt wird, ist nicht bloß ein Rückschluß aus den Ereignissen,
sondern beruht auf den Beobachtungen zeitgenössischer Staatsmänner (vor allem
italienischer), die zum Teil schon zu Beginn der Periode gemacht wurden. Einzelne
Nachweise finden sich in den betreffenden Paragraphen des zweiten Abschnittes.
E. Der Einfluß innerpolitischer Verhältnisse.
§ 19. Der Einfluß ständischer Institutionen auf die Finanzpolitik.
Reichtum an Land, Geld, Soldaten und Schiffen und eine gut
organisierte Diplomatie konnten ihren Einfluß auf die Stellung eines
Staates in der auswärtigen Politik erst dann entfalten, wenn die Re-
gierung über diese Hilfsquellen frei verfügte. Die Frage, wieweit eine
Regierung die Mittel ihres Landes für auswärtige Politik auszunutzen
vermochte, ist deshalb auch für die hier versuchte Darstellung von großer
Wichtigkeit. Ja sie ist für unser Thema sogar in besonderem Maße be-
40 Innerpolitische Verhältnisse.
deutungsvüll. Denn die führenden Staaten jener Zeit trieben allesamt
eine Ausdehnungspolitik, die keineswegs als unvermeidlich gelten konnte;
es handelte sich nicht darum, die Zustimmung der Stände zu Maß-
regeln zu erhalten, die offenkundig nur die Verteidigung der eigenen
Existenz zum Ziele hatten, sondern es mußte die Bewilligung von Steuern
erlangt werden, die zur Deckung der Kosten einer frei gewählten und
mit den partikularen Interessen der betreffenden Provinzen vielleicht
durchaus nicht harmonierenden imperialistischen Politik dienten. Es
kommt also nicht nur der augenfällige Gegensatz in Betracht zwischen
Staaten, die in ihrer Organisation soweit zurückgeblieben waren, daß
sie dank mächtigen Ständen und einer schwachen Exekutive überhaupt
militärisch ungenügend leistungsfähig waren (Ungarn, Polen, in gewissem
Sinne auch Deutschland), und anderen, die eine von einer Stelle aus
geleitete und wirksame Verwaltungsmaschinerie eingerichtet hatten.
Sondern unter den letzteren selbst bestand wieder ein Unterschied, daß
einige Regierungen zwar in friedlichen Zeiten und solange ihre auswärtige
Politik nur defensive Ziele verfolgte und Angriffe nur zum direkten
Schutze des Landes (z. B. gegen Korsaren) unternahm, als autokratisch
gelten konnten, die Mittel zu einer offensiven Kriegspolitik dagegen
erst von ihren Ständen zugestanden erhalten mußten, während andere
in allen Fällen über die Hilfsquellen ihres Landes unbeschränkt dispo-
nieren konnten.
Es braucht keine weitere Ausführung, um darzulegen, daß die zuletzt
genannten »absolutistischen« Regierungen, was auswärtige Politik und
Kriegführung betraf, besser gestellt waren als die ständisch beschränkten.
Viel schwieriger aber ist es, genau anzugeben, wieweit bei den letzteren
im einzelnen der hemmende Einfluß der Stände reichte. Denn dieser
Einfluß ist im einzelnen kaum erkennbar. Die Großmacht, bei der
man am ehesten eine störende Einwirkung ständischen Widerstandes
nachweisen könnte, wäre zweifellos das habsburgische Reich. Das Haus
Osterreich besaß nicht nur in den meisten seiner Besitzungen (den
österreichischen Erblanden, den Niederlanden und später noch den
spanischen Reichen) fest fundierte und regelmäßig funktionierende
Ständeversammlungen, sondern diese Stände vertraten dazu ausnahms-
los nur einen ganz kleinen Teil des habsburgischen Gebietes, waren also
so ungünstig konstituiert als möglich, wenn es sich darum handelte,
die Gesamtinteressen der Dynastie ins Auge zu fassen. Aus der großen
Korrespondenz der habsburgischen Regenten wissen wir ferner, daß
die finanziellen Forderungen der Dynastie oft auf große Opposition bei
den Ständen stießen und daß es mehrfach langer Verhandlungen be-
durfte, bis die von der Regierung verlangten Summen ganz oder zum
Teile bewilligt wurden. Trotzdem aber läßt sich nicht nachweisen,
daß die Politik der Habsburger durch die Ständegewalt irgendwie
wesentlich modifiziert worden wäre. Obwohl bei den Habsburgern
so wenig wie bei einer anderen christlichen Regierung die ordentlichen
Staatseinnahmen zur Führung von Kriegen ausreichten und sie daher
§ 19. Stände und Finanzpolitik. 41
theoretisch in ihrer auswärtigen Pohtik von ihren Ständen abhängig
waren, gab es doch immer noch Finanzquellen genug, um sich, wenn
nötig, die Mittel auf anderem Wege zu verschaffen. Und dabei ist dies,
wie gesagt, noch der extremste Fall. In Ländern wie England, die
zwar an der großen Politik teilnahmen aber keine eigentliche Ausdeh-
nungspolitik trieben, existierte erst recht kein Einfluß des Parlamentes
auf die auswärtige Politik, obwohl auch dort an den formellen Kompe-
tenzen der Stände nichts geändert worden war. Es braucht beinahe
das Zeugnis gut informierter Zeitgenossen, die immer wieder betonen,
welchen Vorsprung die beiden typischen Vertreter des Großmacht-
Absolutismus, nämlich der türkische Sultan und der König von Frank-
reich, vor ihren Rivalen besessen hätten, um überhaupt an einen Unter-
schied zwischen den »tyrannischen« und den ständisch beschränkten
Staaten zu glauben, was die auswärtige Politik und die Kriegführung
betrifft! Es haben sich denn auch in den Ausführungen des zweiten
Abschnittes, wo von der Stellung der Stände in den einzelnen Staaten
gesprochen wird, öfter unbestimmte Ausdrücke nicht vermeiden lassen.
Denn präzise Formeln hätten den wirklichen Verhältnissen und vielleicht
noch mehr unserer historischen Kenntnis in keiner Weise entsprochen.
Das einzige, was man sagen kann, ist dies, daß in all den Ländern, in
denen eine von der Regierung abhängige und leistungsfähige Exekutive
überhaupt existierte, die Stände auf diese keinen Einfluß hatten und
daß sie daher auch versteckten Steuererhebungen, die auf dem Wege
von Verwaltungsmaßregeln vor sich gingen, keine wirksame Opposition
zu machen vermochten.
Zu beachten ist dabei ferner, daß die Regierungen in ihrem Kampfe
gegen die Stände sich vielfach auf populäre Strömungen stützen konnten.
Die Interessen des Mittelstandes, der in finanzieller und auch militäri-
scher Beziehung für die internationale Stellung eines Staates eine
größere Bedeutung gewonnen hatte als früher der Fall war (vgl. § 7),
wurden manchmal durch die Regierung besser vertreten als durch
Stände, in denen feudale Gewalten und privilegierte städtische Korpo-
rationen mehrfach das Übergewicht hatten. Auch entsprach schon die
Existenz einer starken Zentralgewalt durchaus den Absichten der in den
Ständen gar nicht oder nur ungenügend repräsentierten Volksklassen
und rücksichtsloses Vorgehen gegen ständische Ansprüche brauchte der
Beliebtheit eines Herrschers keinen Abbruch zu tun.
Sicher ist ferner folgendes: Das Bestehen von Ständen, die ein
Steuerbewilligungsrecht besaßen, mochte gelegentlich die Aktions-
freiheit der Regierungen in der auswärtigen Politik etwas einschränken;
daß sich aber Konflikte zwischen Ständen und Regierung so weit ver-
schärft hätten, daß das feindliche Ausland Gelegenheit zur Einmischung
erhalten hätte, kam in den modern organisierten Staaten nicht vor und
insofern waren die Ständestaaten unter den Großmächten nicht schlechter
gestellt als die absolutistischen Staatswesen. Überall, wo es zu Ver-
bindungen zwischen aufrührerischen Ständen und ausländischen Re-
42 Innerpolitische Verhältnisse.
gierungen kam wie in Neapel, Ungarn, Deutschland usw. handelte es
sich um Gemeinwesen, in denen sich überhaupt noch keine feste Zentral-
gewalt konstituiert hatte. Für die übrigen Länder gilt unzweifelhaft,
daß die Stände zwar einer Offensivaktion ihrer Regierung Widerstand
entgegensetzen konnten, dagegen mit dieser durchaus Hand in Hand
gingen, wenn das Land sich in der Defensive befand.
Ein etwas anderes Problem stellen die republikanischen Staaten,
insofern bei ihnen der Gegensatz zwischen Ständen und Regierung
nicht existierte, dafür aber Konflikte zwischen dem herrschenden Staat
und dem Untertanengebiet sowie zwischen den Parteien innerhalb des
herrschenden Staates selbst eintreten konnten. Doch kann dieser
Gegenstand hier nur gestreift werden, da von den damaligen Repu-
bliken nur Venedig zu den Großmächten gerechnet werden kann und
solche Zwistigkeiten gerade dort nie akut geworden sind. Was sich aber
in anderen italienischen Republiken (besonders in Genua und Florenz)
in dieser Beziehung zutrug, ist allerdings im Kampf um Italien von den
Großmächten nach Kräften für ihre Zwecke ausgenutzt worden; diese
inneren Wirren haben aber doch nur Werkzeuge, nicht Akteure der
internationalen Politik zur Schwäche verurteilt.
§ 20. Der Einfluß kirchenpolitischer Konflikte. Die spätmittel-
alterliche Kirchenpolitik der europäischen Staaten, d. h. die Bestre-
bungen zur Gründung von Nationalkirchen, die in allen nicht dogmati-
schen Angelegenheiten die ausschließliche Herrschaft der politischen
Gewalten herstellen sollten, erfuhr während der hier behandelten Periode
zunächst keine prinzipielle Änderung. Die Tendenzen blieben auf beiden
Seiten die nämlichen. Nur auf die Kampfmittel und Methoden hat
auch hier die neue internationale Situation eingewirkt.
Der Kampf um Italien stellte nämlich die Beziehungen zwischen
der Kurie und den Großstaaten auf eine ganz neue Basis. Der Papst
wurde als Herr des Kirchenstaates unmittelbar in den Konfhkt hinein-
gezogen und damit war nicht nur Gelegenheit zu militärischen Pressions-
versuchen von Seiten der Großmächte gegeben, sondern der Heilige
Stuhl konnte auch seinerseits die militärische oder wirtschaftliche
Beihilfe, die der Kirchenstaat während der italienischen Kriege zu
leisten imstande war, von Konzessionen auf kirchenpolitischem Gebiete
abhängig machen. Solche Fälle sind denn auch oft genug eingetreten
und die Periode ist deshalb erfüllt von kirchenpolitischen Konflikten,
die an die Zeit der Reformkonzilien erinnern; sogar zur Einberufung
eines antipäpstlichen Gegenkonzils ist es einmal gekommen (§115).
Aber es standen sich dabei nicht mehr die großen Gegensätze gegen-
über wie ehemals. An ihre Stelle waren kirchenpolitisch maskierte
militärisch-politische Differenzen getreten, die zudem in der Regel
nur der momentanen internationalen Situation ihr Dasein verdankten.
Daher hinterließen diese Kämpfe weder in der öffentlichen Meinung
noch in der tatsächlichen Gestaltung der Beziehungen zwischen Kirche
§ 20. Kirchenpolitische Konflikte. 43
und Staat so tiefe Spuren wie einst der Fall gewesen; auch das franzö-
sische Konkordat des Jahres 1516, das von allen kirchenrechtlichen
Abkommen der Zeit wohl am stärksten die Einwirkungen des Kampfes
um Italien zeigt, kann nicht als Gegenargument angeführt werden.
Anders wurde es freilich, als in der zweiten Hälfte der Periode
infolge der lutherischen Reformation zu den kirchenpolitischen Sepa-
rationsbestrebungen sich noch dogmatische Trennungsversuche ge-
sellten und einzelne Regierungen sich nicht mehr mit der faktischen
Herrschaft über die Kirche ihres Landes begnügten, sondern bis zum
Schisma (mit oder ohne Neuerungen in der Glaubenslehre) gingen.
Dadurch wurden natürlich auch in kirchenpolitischer Beziehung neue
Probleme aufgeworfen, und zwar Probleme, die sogar die Kämpfe des
15. Jahrhunderts an Wichtigkeit übertrafen.
Gerade weil dem so ist, muß sich der Forscher hüten, die politisch-
militärische Bedeutung dieser Wandlung, soweit die Zeit bis 1559 in Be-
tracht fällt, zu überschätzen. Auf zwei Länder war der Einfluß der
Reformationsbewegung allerdings ungeheuer groß: auf die schweizerische
Eidgenossenschaft und auf Deutschland. Die Schweiz schied infolge
der konfessionellen Spaltung aus der internationalen Politik in der
Hauptsache aus (§97) und in Deutschland verhinderte der Protestantis-
mus zu einem guten Teile die Errichtung eines stark organisierten
Staatswesens unter habsburgischer Führung (§62). Aber wennschon
dieses Ereignis eine der Großmächte, die um die Hegemonie über Italien
kämpften, in empfindlicher Weise traf, so blieb es doch auf den Aus-
gang des Konfliktes schließlich ohne ausschlaggebenden Einfluß. Von
den Großstaaten selbst schloß sich aber keiner in jener Zeit ganz der
Reformation an. Auch England bildet keine Ausnahme; zuerst erfolgte
bekanntlich nur ein politischer Bruch, kein dogmatischer, und als dann
auf dieses Schisma der Übergang zur protestantischen Lehre folgte,
so war diese Wandlung zunächst nicht von langer Dauer, sondern es
kam zunächst wieder eine Restauration des Katholizismus, die definitive
Einführung des Protestantismus fällt erst in die Zeit nach der hier
behandelten Periode. Die skandinavischen Königreiche fielen ander-
seits für die europäische Politik kaum in Betracht. Von einer konfessio-
nellen Gruppierung der Staaten, in dem Umfange wie sie zur Zeit der
Gegenreformation bestand, kann deshalb für die Zeit vor 1559 noch
keine Rede sein. Mit Ausnahme der beiden bereits erwähnten Fälle
werden denn auch konfessionelle Motive in den diplomatischen Ver-
handlungen eigentlich nur in bezug auf die Verhältnisse in England
berührt und auch da treten sie in der Regel zurück. Wenn ein französi-
scher Gesandter im Jahre 1548 den Kaiser von einer Verbindung mit
dem protestantischen England gegen Schottland abzuhalten versuchte
und dabei die religiöse Seite der englischen Pläne auf Schottland er-
wähnte, so geschah dies doch nur nebenbei; die entscheidenden Argu-
mente waren politisch-wirtschaftlicher Natur (P. de Vaissiere, »Charles
de Marillaci^ [1896], p. 93f.).
44 Politische Strömungen.
F. Der Einnuß geistiger Tendenzen.
1. Politische Tendenzen.
§ 21. Nationale Strömiiiigeii. Sucht man sich darüber Rechen-
schaft zu geben, ob in einer Darstellung des damaligen europäischen
Staatensystems das Nationalgefühl als politischer wirksamer Faktor
in Betracht gezogen werden muß, so ist zunächst klar, daß man nur von
den Fällen reden kann, in denen nationale Tendenzen im Gegensatz
zu partikularen oder nationalen Staatsorganisationen oder wenigstens
unabhängig von diesen auftraten. Nur über das Nationalgefühl in sozu-
sagen reiner Gestalt kann hier gehandelt werden; das Nationalgefühl,
das sich z. B. im damaligen Frankreich oder England nachweisen läßt,
ist mit Patriotismus so eng verwandt, daß es nicht separat besprochen
werden kann.
Anders steht es mit Ländern, in denen das Gefühl nationaler Zu-
sammengehörigkeit zwar existierte, sich aber nicht mit der Anhänglich-
keit an eine bestimmte politische Organisation identifizieren ließ.
In einem solchen Falle war denkbar, daß Nationalgefühl und Staats-
interessen auseinander gingen, und daß eine Regierung auf einen partiku-
laren Vorteil zugunsten nationaler Interessen verzichtet hätte. Natio-
nale Tendenzen hätten somit auf den Verlauf politischer Aktionen
einen praktisch bedeutungsvollen Einfluß ausüben können.
Das Problem ist für unsere Periode von mehr als theoretischer
Wichtigkeit. In einem Falle wenigstens kam bereits den Zeitgenossen
der Widerspruch zwischen partikularen und nationalen Interessen zum
Bewußtsein und fand in der offiziellen und privaten Publizistik eifrige
Erörterung. Es betraf dies das Verhältnis, in das die meisten italienischen
Staaten infolge der französischen Invasion des Jahres 1494 zu den aus-
ländischen Großmächten geraten waren.
Dieses Ereignis, das aus verschiedenen bisher unabhängigen Staaten
kaum mehr als bloße Trabanten von ausländischen Mächtegruppen
machte, traf nun nicht nur mehrere Mittelstaaten gleichzeitig, denen
dadurch der Gedanke eines Zusammenschlusses von selbst nahegelegt
wurde, sondern es berührte auch eine Nation, die sich nicht mit Unrecht
ihrer Kultur nach als eine Einheit fühlte und im gebildeten Europa
überall als das geistig und künstlerisch führende Volk anerkannt wurde.
Es dauerte denn auch nicht lange bis das Schlagwort von dem Kampfe
geprägt wurde, den alle Italiener gegen die »Barbaren« (wie die aus-
ländischen Staaten regelmäßig genannt wurden) zu führen hätten. Mit
Vorliebe wurde es natürlich von dem italienischen Staate gebraucht,
der durch seine ehemalige Ausdehnungstendenzen am meisten zu der
Politik des Mißtrauens unter den kleineren italienischen Gemeinwesen
beigetragen hatte, und die Republik Venedig proklamierte sich nun
offiziell als die Verteidigerin der Freiheit Italiens. Aber auch in an-
deren Staaten fand der Kampfruf Eingang und jedermann ist b<^kannt.
§ 21. Nationale Tendenzen. 45
daß sowohl ein Papst, wie ein florentinischer Staatsmann daraus zeiten-
weise ein eigentliclies politisches Programm gemacht haben.
Aber praktische Folgen haben alle diese Anstrengungen nicht ge-
habt. Vergebens stellte sich der größte politische Schriftsteller des
damaligen Italiens mit dem ganzen Feuer seines patriotischen Tempera-
mentes in den Dienst der nationalen Sache; vergebens wollte er sogar
auf die Freiheit seiner Vaterstadt verzichten, wenn nur Italien nicht die
Beute der Barbaren bliebe. Über offizielle Proklamationen und publi-
zistische Propaganda gedieh die Bewegung nie hinaus. Die militärische
Superiorität der ausländischen Mächte war viel zu groß als daß die
italienischen Staaten imstande gewesen wären, den beiden grt»ßen
rivalisierenden Gruppen der ausländischen Großstaaten gegenüber die
Unabhängigkeit Italiens zu behaupten. Sie konnten im günstigsten
Falle eine Partei gegen die andere ausspielen.
Dabei muß dahingestellt bleiben, wie weit die nationale Tendenz
überhaupt von den Regierungen der italienischen Staaten ernst ge-
nommen wurde. Ein sicheres Urteil darüber abzugeben ist aus bekannten
Gründen natürlich unmöglich; immerhin darf gesagt werden, daß sich
so gut wie nie Maßregeln nachweisen lassen, die sich als eigentlich
nationale charakterisieren ließen, d. h. bei denen partikulare Interessen
zugunsten allgemein italienischer geopfert worden wären. Dabei ist
nicht einmal an die eigentlichen Kleinstaaten wie Lucca gedacht, die
in der Herrschaft des Auslandes geradezu eine Garantie ihrer Selbständig-
keit erblicken mochten, weil dieses allein sie gegen die Ausdehnungs-
politik der Mittelstaaten schützen konnte. Ebenso muß unerörtert
bleiben, ob diese passive Haltung durch partikularistische Interessen-
politik oder durch Einsicht in die Hoffnungslosigkeit der nationalen
Bewegung bestimmt wurde.
In anderen Ländern übten begreiflicherweise nationale Tendenzen
einen noch geringeren Einfluß aus. Auch in Deutschland stand die
nationale Bewegung zu der politischen Organisation in einem Gegen-
satz; sie verlangte eine wirksamere Exekutive und kräftigere Reichs-
politik als sich mit der Verfassung und den partikularen Interessen der
Territorialstaaten vertrug. Aber diese Strömung, deren Stärke sich
nur schwer schätzen läßt, blieb praktisch ebenso wirkungslos wie die
italienische Kampagne. Ihre tatsächliche Bedeutung war übrigens viel
geringer. Deutschland war weder ausländischer Oberherrschaft unter-
worfen noch hatte es einen Angriff vom Ausland zu fürchten wie Italien
( § 61). Auch handelte es sich nicht um die Schaffung eines neuen Staates,
sondern nur um die Modernisierung einer bereits bestehenden Organi-
sation.
§ 22. Die Gleichgewichtstheorie. In der politischen Praxis zumal
der italienischen Staaten dominierte anstatt des Prinzips der nationalen
Interessen das des Gleichgewichts. Der Zusammenschluß aller italieni-
schen Staaten gegen die Barbaren war eine Phantasie; ausführbar er-
46 Politische Strömungen.
schien dagegen der Plan, keine der um die Oberherrschaft über Itahen
konkurrierenden Staatengruppen so mächtig werden zu lassen, daß die
Italiener zwischen beiden Rivalen nicht wenigstens eine halbe Un-
abhängigkeit bewahren könnten. Die Politik der italienischen Mittel-
- Staaten bestand daher vielfach darin, auf die Seite der schwächeren
Großmacht zu treten, um mit dieser vereint der stärkeren die Balance
zu halten und den überlegenen Staat an der Gründung einer »Welt-
hegemonie« zu hindern. Die itahenischen Mittelstaaten wandten dabei
übrigens nur die Methode auf den Kampf der Großmächte um Italien
an, die sie früher für die Regelung der Verhältnisse in Italien selbst
befolgt hatten (vgl. § 3).
Es ist hier nicht der Ort, die Wandlungen dieser Pohtik zu schildern;
die große Veränderung, die sich infolge der Schlacht bei Pavia vollzog,
wird besser erst im erzählenden Teile besprochen werden, dort wird
dann auch erörtert werden, warum in den ersten Jahrzehnten die italieni-
schen Staatsmänner vor allem von Frankreich eine Bedrohung ihrer
Unabhängigkeit fürchteten und inwiefern sie darüber die Stärke der
neuen spanisch-habsburgischen Macht lange Zeit scheinen unterschätzt
zu haben (vgl. die §§ 118 — 122). Hier muß nur noch bemerkt werden,
daß diese Politik des Gleichgewichtes nicht nur von den Regierungen
der italienischen Mittelstaaten befolgt wurde, wennschon diese, als die
durch die Großmächte am meisten gefährdeten, sie vorzugsweise pflegten.
Auch andere Staaten nahmen wenigstens zeitenweise eine Haltung an,
die mit den italienischen Gleichgewichtstendenzen in Parallele gesetzt
werden kann (z. B. England), und vor allem war das Schlagwort des
gemeinsamen Kampfes aller schwächeren gegen eine, die Hegemonie
über Europa (die »Weltmonarchie«) anstrebende Großmacht der natür-
■ liehe Kampfruf der Großmächte selbst, wenn sie sich des stärkeren
Rivalen nur durch eine Verbindung mit der Masse der kleineren Staaten
glaubten erwehren zu können. Am häufigsten ist dieses diplomatische
Kampfmittel wohl von Frankreich gegenüber Kaiser Karl V. ange-
wandt worden.
Literatur. E. Käber, »Die Idee des europäischen Gleichgewichts in der
pubHzistischen Literatur vom 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts«, 1907. Wenig
ergiebig für die hier behandelte Zeit sind die »vorläufigen Bemerkungen« von
Karl Jacob, »Die Chimäre des Gleichgewichts« im »Archiv für Urkundenforschung«
' VI (1918), 341-J-364, wo noch weitere Literatur verzeichnet ist.
3. Religiöse Strömungen.
§ 23. Das christliche Gemeinschaftsgefühl. Es muß der Geistes-
geschichte überlassen werden, zu untersuchen, inwieweit etwa von
einer Abnahme des christlichen Gemeinschaftsgefühles in der hier be-
handelten Periode, vielleicht infolge der humanistischen Bewegung,
gesprochen werden könnte. Hier ist nur darüber zu handeln, ob dieses
im großen und ganzen unzweifelhaft noch vorhandene Gefühl auf die
§ 2'.',. Das christliche Gemeinschaftsgefühl. 47
auswärtige Politik der christlichen Staaten einen nachweisbaren Einfluß
ausgeübt hat.
Daß die Frage von beträchtlicher praktischer Bedeutung war, ist
ohne weiteres klar. Die christlichen Staaten befanden sich zwar der
durch die Türken repräsentierten Offensive des Islam gegenüber keines-
wegs in der nämlichen ungünstigen Situation wie die italienischen
Staaten gegenüber den fremden Großmächten. Schon nur eine Koalition
der direkt betroffenen Länder reichte zur dringendsten Abwehr aus
und von einer Gefahr für ganz Europa konnte im Ernst nie die Rede
sein. Trotzdem lagen die Verhältnisse so, daß die Vormacht des Islam
beständig auf Kosten christlicher Staaten Boden gewann, und daß die
vollständige Behauptung des christlichen Besitzstandes nur erhofft
werden konnte, wenn sich alle christliehen Staaten zu einer Aktion
gegen die Türken zusammenschlössen.
Welchen Einfluß hatten nun solche Ansichten auf die politische
Praxis ? Daß die Überzeugung von der Notwendigkeit eines allge-
meinen christlichen Vorgehens gegen die Türkengefahr weit verbreitet
war und den Staatsmännern aller Länder derartige Gedanken bekannt
waren, steht außer Zweifel ; unzählige Male ist damals in offiziellen
Proklamationen und Reden das Motiv variiert worden, daß die Christen-
heit die inneren Streitigkeiten vergessen und den Kampf mit dem Erb-
feind des Glaubens aufnehmen solle. Auch hat es nicht an detaillierten
Projekten gefehlt, wie eine solche christliche Aktion am besten orga-
nisiert werden könnte, und besonders infolge von Bemühungen der
Kurie ist es sogar zu offiziellen Verhandlungen unter den Regierungen
der Großmächte gekommen. Welchen praktischen Erfolg haben aber
alle diese Versuche gezeitigt ?
Betrachtet man die Ereignisse der Zeit nur oberflächlich, so muß
man, scheint es, zu einer rein negativen Antwort kommen. In diese
Periode fällt ja das Bündnis des allerchristlichsten Königs von Frank-
reich mit dem Sultan von Konstantinopel gegen den Schirmherrn der
Christenheit, den Kaiser (§ 123). Gibt es ein besseres Zeugnis für die
vollständige Wandlung der Anschauungen, für den neuen »Renaissance-
geist«, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts in der Politik der europä-
ischen Staaten Platz griff ?
Aber wenn man näher zusieht, beweist gerade dieser Fall eher
das Gegenteil. Zunächst ist zu sagen, daß diese Waffenbruderschaft
eines christlichen Fürsten mit dem Herrscher der Ungläubigen von
der öffentlichen Meinung damals nicht im geringsten gebilligt oder
auch nur verstanden wurde, und daß nicht nur bei den Gegnern Frank-
reichs, sondern auch bei den Neutralen und im eigenen Lande gegen
diesen Verrat an der christlichen Sache die schwersten Vorwürfe er-
hoben wurden.
Von einer Abstumpfung des christlichen Gemeinschaftsgefühles
kann also jedenfalls keine Rede sein. Wichtiger aber für das hier be-
48 Religiöse Strömungen.
handelte Problem ist, daß auch dieses Bündnis erst unter dem
Drucke der Not geschlossen wurde. Die Dinge lagen nicht so, daß
Frankreich oder ein anderer Großstaat sich unbekümmert um die
gemeinsamen christlichen Interessen je nach der politischen Opportunität
bald mit einer christlichen, bald mit einer mohammedanischen Macht
verbunden hätte. Es brauchte vielmehr die verzweifelte Lage, in der
sich Frankreich nach der Schlacht bei Pavia und dem Abfall Dorias
befand, damit die französische Regierung sich entschloß, das Odium
einer türkischen Allianz auf sich zu nehmen; vorher hatte Frankreich
nicht nur offiziell immer an seinem überlieferten Kreuzzugsprogramm
festgehalten, sondern es hatte auch in der Praxis nie ernstlich daran
gedacht, zur Bekämpfung der habsburgischen Macht das naheliegende
Projekt eines Bündnisses mit den Osmanen aufzunehmen. In Tat und
Wahrheit bildete das christliche Gemeinschaftsgefühl in der prak-
tischen Politik damals allerdings kein unüberwindliches Hindernis einei-
Verbindung mit islamitischen Staaten, aber wenigstens ein nicht un-
bedeutendes retardierendes Moment. Wenn eine Allianz im großen
zustande kam wie die zwischen Frankreich und der Türkei, der sich in
den zahlreichen mittelalterlichen Bündnissen zwischen christlichen und
mohammedanischen Fürsten wohl Analogien, aber keine genauen Pa-
rallelen zur Seite stellen lassen, so hängt dies nicht mit einer Ver-
änderung der Gesinnung zusammen, sondern allein mit den größeren
Verhältnissen, in die die europäische Politik überhaupt zu Ende des
15. Jahrhunderts eintrat (vgl. § 3).
Damit stimmt denn auch überein, daß von allen Beschuldigungen,
die von den Staaten gegenseitig gegeneinander erhoben wurden, sich
keine einer größeren Beliebtheit erfreute als die, daß die feindliche
Regierung in geheimen Abmachungen mit den Türken stehe oder min-
destens durch ihr Verhalten die osmanische Gefahr verstärke. Dies
warfen sich nicht nur die italienischen Staaten vielfach vor, sondern es
kehrt dies auch in den österreichischen Anklagen gegen Venedig ständig
wieder. Man darf vielleicht geradezu behaupten, daß die öffentliche
Meinung in dieser Beziehung damals viel empfindlicher war als im
Mittelalter.
In einer anderen Hinsicht ist allerdings die erwähnte Behauptung
nicht ganz unrichtig. So sicher es auch sein dürfte, daß das Gefühl
der gemeinsamen christlichen Interessen den Abschluß politisch-mili-
tärischer Verbindungen mit islamitischen Staaten wesentlich erschwert
hat, so hat doch diesselbe Gefühl sich nicht als stark genug erwiesen,
um eine Abwehrorganisation zustande zu bringen. Ja, es hat nicht ein-
mal ausgereicht, um die Staaten, die gewissermaßen als Außenwerke
gegen den türkischen Ansturm angesehen werden konnten, einer größeren
Schonung teilhaftig werden zu lassen. Besonders im Falle Venedigs
hat sich dies sehr deutlich gezeigt ; seine christlichen Gegner haben nie
darauf Rücksicht genommen, daß eine der wichtigsten Bedingungen
für eine erfolgreiche Verteidigung der Christenheit gegen die Osmanen
§ 23. Das christliche Gemeinschaftsgefühl. 49
ein starkes Venedig war. Aber auch wenn man insofern das christliche
Gemeinschaftsgefühl als wirkungslos bezeichnen kann, so darf man
nicht vergessen, daß diese Erscheinung nicht neu oder der hier be-
handelten Periode eigentümlich war. Die Dinge hatten seinerzeit kaum
anders gelegen, als es sich darum gehandelt hatte, das byzantinische
Kaisertum zu retten; als neu kann höchstens hervorgehoben werden,
daß nicht einmal der Umstand, daß die türkische Gefahr für mehrere
christliche Staaten Europas früher unbekannte Proportionen angenom-
men hatte, die Pläne einer gemeinschaftlichen Defensivaktion über
das Stadium von Projekten und mangelhaft durchgeführten gelegent-
lichen Versuchen hat hinausgelangen lassen.
Literatur. Eine selbständige zusammenfa.ssende Arbeit über die interessante
Frage, wie sich die öffentliche Meinung in Europa im 16. Jahrhundert zu den Türken
stellte, fehlt noch. Vieles einzelne findet sich in den allgemeinen Werken zur da-
maligen Geschichte; selbstverständlich ist dort auch das Bündnis zwischen Frank-
reich und der Türkei vielfach besprochen worden. Die wichtigste Materialsammlung
ist immer noch E. Charriere, »Negociations de la France dans le Levant« I (1848;
in den »Documents inedits«). Dort (S. 31 ff.) findet sich auch das Projekt, das Leo X.
1517 über die Organisation einer allgemein europäischen Aktion gegen die Türken
ausarbeiten ließ. Daß sich Frankreich erst infolge der Schlacht bei Pavia an die
Osmanen anschloß, wird bereits von Charriere betont (S. 112). Es liefen natürhch
schon vorher Gerüchte um um eine angebliche Verbindung dieser Art (vgl. z. B.
Planitz, »Berichte aus dem Reichsregiment«, ed. Virck [1899], S. 529, aus dem
Jahre 1523), und die Gegner Frankreichs erhoben auch etwa dahinlautende Beschuldi-
gungen (s. z.B. König Ferdinand am 14. März 1525; »Die Korrespondenz Ferdi-
nands I.«, ed. W. Bauer I [1912], 275); aber es handelte sich immer nur um unbe-
wiesene Vermutungen.
Alle Zeugnisse stimmen darüber überein, daß das türkisch-französische Bündnis
allgemeine Mißbilligung gefunden habe. Nach einem Berichte Capponis vom 31. Au-
gust 1551 bei A. Desjardins, »Negociations diplomatiques de la France avec la Toscane«
(Documents inedits) III, 287 war auch in Frankreich die Entrüstung allgemein. Über
den Eindruck in Italien vgl. B. Segni, »Istorie fiorentine«, ed. Gargani (1857), p. 263,
und L. Romier, »Les Origines politiques des Guerres de Religion« I (1913), 265. Über
die gegenseitigen Vorwürfe italienischer Staaten, die Türken würden zu einem
Angriff gegen Italien aufgehetzt, vgl. z. B. M. Sanuto, »Diarii« I, 846 (1497) und
II, 124; M. Brosch, »Papst Julius II.« (1878), S. 59f. und Anmerkungen. Bei
Brosch (S. 197 f. und 347) auch über Versuche Kaiser Maximilians, die Türken gegen
Venedig aufzubringen. Über die von Österreich in diesem Sinne gegen Venedig
erhobenen Vorwürfe vgl. §71.
Anderer Art sind natürlich die Versuche, die verschiedentlich von den Habs-
burgern gemacht wurden, sich mit mohammedanischen Reichen gegen die Türkei
zu verbinden, so besonders mit den Persern (vgl. Lanz, »Korrespondenz Karls V.«
I, 292, 329, 355, 379 und 385 [1529/30]; bereits Maximilian hatte übrigens einmal an
eine solche Verbindung gedacht: Ulmann II, 559). Karl V. unterstützte dann auch
die Perser militärisch gegen die Türken (so berichtet wenigstens N. Jorga, »Ge-
schichte des osmanischen Reiches« II [1909], 362). Selbst auf dem deutschen
Reichstage wurde einmal der Gedanke einer Gesandtschaft nach Persien zur Sprache
gebracht (»Deutsche Reichstagsakten, jüngere Reihe« IV [1905], 440). — Ein Ge-
genstück zu dem Bündnis Frankreichs mit der Türkei könnte man höchstens in
den Verhandlungen erblicken, die Kaiser Karl V. im Jahre 1540 mit dem algeri-
schen Korsarenfürst-en Barbarossa führte (vgl. »Venezianische Depeschen vom Kaiser-
hofe« I, 418 und 428). Doch ist es nicht ausgemacht, ob die Vorschläge des Kaisers
ernst gemeint waren, und jedenfalls haben sie kein praktisches Resultat gehabt.
Fueter, Europ. Staatensystem. ^
50 Religiöse Strömungen.
(Vgl. darüber auch E.Armstrong, »TÄe Emperor Charles V« II [19101, 4ff.) —
Richard Ebermann, »Die Türkenfurcht«, Halle 1904 (Diss.).
§ 24. Dogmatische Neuerungen. \A'esentlich kürzer kann die
Frage besprochen werden, ob die neuen religiösen Ideen, die der luthe-
rischen Reformationsbewegung zugrundelagen, auf die Entwicklung
des europäischen Staatensystems von Einfluß gewesen sind.
Daß die kirchenpolitischen Folgen, die sich an die Errichtung
protestantischer Landeskirclien in verschiedenen Staaten anschlössen,
auf die internationale Politik eine bestimmte, wenn auch nicht allzu-
große Wirkung ausübten, ist bereits in § 20 erwähnt worden. Es ließe
sich aber darüber hinaus noch die Möglichkeit in Betracht ziehen,
daß das Luthertum neue Prinzipien erzeugt hätte, die auch die Re-
gelung der gegenseitigen Beziehungen unter den Staaten nicht un-
berührt gelassen hätten.
So weit sich sehen läßt, ist dies nicht der Fall gewesen. Die poli-
tischen Ansichten der deutschen lutherischen Theologen scheinen zwar
auf die Handlungsweise einzelner deutscher Fürsten nicht unbeträcht-
lich eingewirkt zu haben; aber w'enn schon dadurch die Kraft der stän-
dischen Erhebung gegen den Kaiser geschwächt worden sein dürfte,
so ist doch bereits in § 20 darauf hingewiesen worden, daß der Sieg der
Habsburger über die rivalisierende Großmacht Frankreich nicht an den
Erfolg im Schmalkaldischen Krieg gebunden war, wie er denn auch
durch den späteren Umschlag in den deutschen Verhältnissen nicht
aufgehalten w'orden ist. Außerhalb Deutschlands käme nur die Eid-
genossenschaft in Betracht. Hier hätte allerdings die von den refor-
mierten Theologen beförderte Bewegung gegen die Söldnerdienste,
wenn sie hätte vollständig durchgeführt werden können, für die aus-
wärtige Politik auch der Großstaaten bedeutsame Konsequenzen nach
sich ziehen können. Aber erstens war diesen Bestrebungen nur ein
ganz partieller Erfolg beschieden und dann hatte die konfessionelle
Spaltung so sehr die Einheitlichkeit der schweizerischen auswärtigen
Politik erschüttert, daß die von den protestantischen Moralisten erreichte
lokale Beseitigung des offiziellen Lizenzensystems (vgl. § 6) von unter-
geordneter Bedeutung war. In den übrigen Staaten (England, Skan-
dinavien) kann aber von einem Einflüsse der neuen Theologie auf die
auswärtige Politik vollends keine Rede sein — auch abgesehen davon,
daß eine solche Einwirkung nur für einen kurzen Zeitraum hätte in
Betracht fallen können.
II. Abschnitt.
Die Glieder des eiiropäisclieii Staateusystems.
§ 35. Disposition des zweiten Abschnittes. Da hier nicht eine
Geschichte Europas, sondern eine Geschiclite des europäischen Staaten-
systems gegeben werden soll, das damals von einem zentralen Probleme
beherrscht wurde (§ 1), so ist ohne weiteres klar, daß die Reihenfolge,
in der die einzelnen Länder besprochen werden, durch das Verhältnis
bestimmt werden muß, in dem die Staaten zu dieser dominierenden
Streitfrage standen. Es ergab sich daraus von selbst, daß zunächst
die Großstaaten behandelt werden, zwischen denen der Kampf um
Italien eigentlich ausgefochten wurde; daran schließt sich eine Schil-^
derung der an diesem Konflikte nur indirekt beteiligten Großstaaten.
Dieselbe Anordnung ist dann auch für die kleineren Staaten befolgt
worden. Es finden sich dabei allerdings Staaten zusammengestellt,
die eine Geschichte Europas in verschiedene Rubriken einreihen müßte,
und umgekehrt werden etwa einzelne Staatengruppen, wie z. B. die
italienischen Staaten, auseinandergerissen. Aber ein klarer Einblick
in die internationalen Machtverhältnisse jener Zeit dürfte auf keinem
anderen Wege zu erreichen gewesen sein als dadurch, daß die Aufgabe,
die eine Geschichte des europäischen Staatensystems stellt, konsequent
und ohne Rücksicht auf universalhistorisch berechtigte Forderungen
durchgeführt wurde. Nur so befindet sich die Anordnung auch in tjber-
einstimmung mit der Darstellung, die nach den in der Einleitung nieder-
gelegten Grundsätzen ebenfalls durchaus den Desideraten einer solchen
europäischen Staatengeschichte angepaßt ist.
Ä. Die Großstaaten.
1. Die am Kampfe um Italien unmittelbar beteiligten Großstaaten.
a) Frankreich.
§ 26. Das Land und seine Bewohner. Den Anstoß zu der zu Be-
ginn der Periode einsetzenden Umgestaltung des europäischen Staaten-
systems gab der Versuch Frankreichs, Herrschaftsgebiete in Italien zu
erwerben. Es ist daher billig, daß die Darstellung mit einer Schilde-
rung des französischen Königreichs ihren Anfang nimmt.
52 Frankreich.
Frankreich war weder der nach seiner Gebietsausdehnung größte,
noch der volksreichste Staat der damahgen Christenheit; aber es war
dasjenige Land, in dem das Ziel der spätmittehilterlichen Staatskunst
in West- und Mitteleuropa, die »Konsolidierung« d. h. die Zusammen-
fassung der militärischen, politischen und finanziellen Machtmittel
in der Hand der Zentralregierung verhältnismäßig am meisten durch-
geführt worden war, und unter den Staaten, die sich in dieser ^^'eise
organisiert hatten, war es der größte. Von den Mitgliedern des euro-
päischen Staatensystems überhaupt war ihm in dieser Beziehung nur
das osmanische Reich überlegen.
Frankreich hatte damals eine Bevölkerung von ungefähr 16 Millionen
Seelen. Es stand zwar damit hinter Deutschland zurück, dessen Be-
völkerung für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts auf 20 Millionen
geschätzt wird; aber es überragte die Macht, die im Kampfe um Itahen
den gefährlichsten Rivalen darstellte, nämlich Spanien, ungefähr um
das Doppelte (die Einwohnerzahl von Kastilien und Aragon wird auf
7 Millionen geschätzt), und die übrigen Nachbarstaaten wiesen im
Vergleich eine so kleine Seelenzahl auf, daß sie überhaupt nicht in
Parallele gesetzt werden können, der größte unter ihnen, nämlich
England, war von höchstens 4 Millionen Menschen bewohnt. Dazu
kam, daß der fruchtbare und für Getreide- und Weinbau vortrefflich
geeignete Boden, dank der vollständigen inneren Pazifizierung, gut aus-
genutzt wurde, und daß in Notjahren, dank der Vereinigung unter einem
Herrscher und den ausgezeichneten Flußverbindungen, ein Ausgleichs-
verkehr zwischen den verschiedenen Provinzen in Getreide vorge-
nommen werden konnte. Der natürliche Ertrag des Landes war zu
Beginn der Periode, als die durch den Hundertjährigen Krieg gerissenen
Lücken in der Bevölkerung noch nicht ausgefüllt waren, sogar noch
stärker als der Bevölkerungszahl entsprach, d.h. es blieb noch zu weite-
rer Bevölkerungsvermehrung Raum, ohne daß es zu Übervölkerung,
d. h. zu periodischer Hungersnot oder zu der Notwendigkeit regelmäßi-
ger Korneinfuhr aus dem Auslande hätte kommen müssen. Denn selbst
als Frankreich zu Ende der Periode ungefähr doppelt so dicht be-
völkert war als Kastilien, nämlich 34 Seelen auf den Quadratkilometer
(gegenüber 16 dort), war es doch immer noch, was seine Versorgung mit
Lebensmitteln anbetraf, vom Auslande in ganz anderer Weise unab-
hängig als jenes Land. Die Lebenshaltung der französischen Bauern
wird zwar von zeitgenössischen Beobachtern allgemein als dürftig
bezeichnet (vgl. Fortescue, »Governance of England« ed. Plummer 1885,
p. 115; Relation von Giustiniani bei Tommaseo I, 96); aber offenbar
herrschte doch kaum je eigentlicher Mangel, wie denn auch Epidemien
seltener als in irgendeinem anderen Lande gewesen zu sein scheinen.
Erleichtert wurde die Versorgung aus eigenen Kräften ferner durch die
geringe Entwicklung der Industrie (vgl. § 18); es gab keine ausgedehn-
ten übervölkerten Gebietsstücke, die aus schwach besiedelten Landes-
teilen oder durch Zufuhr aus dem Ausland ernährt werden mußten.
§ 26. Land und Bewohner. öH
Daraus ergeben sieli für das hier behandelte Tliema verschiedene
wichtige Folgen. Zunäi-hst die: Frankreich war ein reiches Land und
konnte seinen Reichtum vermehren, ohne daß es zur Förderung seines
Wohlstandes Mittel der auswärtigen Politik (Handelskriege, Erw^er-
bung von Kolonien, Eroberungen) anzuwenden brauchte. Denn es
mußte, um zu prosperieren, weder seinem Import noch seinem Export
offizielle militärische Hilfe angedeihen lassen. Einerseits hatte die
Bevölkerung es sozusagen gar nicht nötig, Handel oder Industrie zu
treiben, da kein Manko an Naturprodukten bestand, das nur durch
hnport hätte gedeckt werden können, der dann mit Fabrikation oder
Handelsgütern hätte bezahlt werden müssen: zur Aufsuchung neuer
Handelswege z. B. lag also kein zwingender Grund vor. Anderseits
setzte sich der Überschuß an Naturprodukten (Wein, Salz und Ge-
treide), den Frankreich hervorbrachte, aus so notwendigen Gegen-
ständen zusammen, daß ihr Absatz sicher war und Sperremaßregeln
des Auslandes nicht befürchtet werden mußten. Besonders in Wein
und Salz hatte Frankreich für große Teile des Nordens geradezu eine
Art Monopol (die nicht französischen Weine konnten die speziellen
Bedürfnisse nicht befriedigen, denen die französischen dienten). Warum
hätte sich da nicht der größte Teil der Bevölkerung auf Acker- und
Weinbau konzentrieren sollen, solange damit nicht nur die Ernährung
gedeckt, sondern außerdem noch ein gewinnbringender Exporthandel
erzielt werden konnte ? Um das Wenige, was aus dem Auslande be-
zogen werden mußte, nämlich eine Anzahl Metalle, zu bezahlen, ge-
nügte der Überschuß dieser Produktion vollständig, vermochte er doch
sogar die Mittel zum Ankauf fremder Luxusfabrikatc (hauptsächlich
italienischer Textilwaren) zu liefern. — Dies war mindestens in den
ersten Jahrzehnten der Fall, als die starke Bevölkerungsvermehrung,
die wegen der regelmäßigen Ernährung und des Fehlens innerer Un-
ruhen nicht von einer Zunahme der Mortalität begleitet w-ar^ noch
nicht begonnen hatte, das Verhältnis zwischen Produktion und Kon-
sumentenzahl ungünstiger zu gestalten (vgl. darüber G. d'Avenel,
»Paysans et oiwriers depuis sept cents ans« [1899], passwi, speziell
p. 158 f.). Man kann danach sagen, daß eine imperialistische Aus-
dehnungspolitik für Frankreich vom wirtschaftlichen Standpunkte aus
sozusagen ein Luxus war, daß das Land aber anderseits in der Defen-
sive, wirtschaftlich betrachtet, unüberwindlich war. Es wird sich aus
der folgenden Darstellung ergeben, daß dieser Umstand denn auch
wirklich der auswärtigen Politik des Königreiches seine Signatur ge-
geben hat, obwohl er diese keineswegs bestimmt hat.
Eine fernere Folge dieses Zustandes in militärisch-politischer Be-
ziehung war, daß die land- und weinbautreibende Bevölkerung, d. h.
der allergrößte Teil des französischen Volkes nicht gezwungen war,
einen Teil der männlichen Nachkommenschaft in den Kriegsdienst
abzugeben. Der freiwillige Söldnerdienst w^ar in dem größten Teile
Frankreichs als regulärer Lebenserwerb unbekannt. Anders stand es
54 Frankreich.
allerdings mit dem Adel ; da das Land allem Anschein nach nicht mehr
zur Bildung neuer Grundherrschaften ausreichte, so mußten die jüngeren
Söhne, um das väterliche Gut nicht zu zerstückeln, in der Armee oder
der Kirche Unterkunft suchen. Aber da der Adel zunächst noch aus-
schließlich bei den Truppen der Reisigen kämpfte, so erhielt damit nur
diese AYaffe einen nationalen Charakter und qualifizierte Vertreter; eine
nationale (Infanterie-) Miliz konnte dagegen nur künstlich von der Regie-
rung ins Leben gerufen werden. Welche Folgen dies in den internatio-
nalen Machtkämpfen nach sich zog, wird später (§ 29) erörtert werden.
Literatur. Die eigentliche Quelle der vorstehenden Ausführung bilden
natürlich die geographischen Verhältnisse, die an dieser Stelle nicht geschildert
werden konnten. Die historische Literatur ist nur insofern von Bedeutung, als ihr
zu entnehmen ist, wieweit die unveränderlichen natürlichen Vorbedingungen aus-
genutzt wurden. In dieser Beziehung bieten das meiste die venezianischen Re-
lationen, die wohl kein Land, mit Ausnahme der Türkei, so eingehend und sach-
kundig besprechen wie Frankreich. Ein Teil davon ist 1838 von N. Tommaseo
publiziert worden als »Relations des Ainbassaeleurs venitiens sitr les affaires de France
au XV I^ siede«; weitere, zum Teil ebenso wichtige Relationen bei Alberi. Über den
L'berfluß an allen Lebensnotwendigkeiten z. B. Soranzo 1558 bei Alberi I, 2, 405;
ähnlich Cavalli 1546 (Tommaseo I, 252). Den Nutzen des schiffbaren Flußsystems
rühmt z. B. M. Giustiniani 1535 (Tommaseo I, 42f.); ebenso Soranzo bei Alberi I, 2.
406. Die dichte Bevölkerung Frankreichs fiel schon Zeitgenossen auf (vgl. z. B. Michel
1561, der Frankreich »mbitatissimo« nennt [Tommaseo I, 396], und Fr. Guicciar-
dini im dritten seiner »Discorsi politici«: »Opere inedite« I [1857, 2. Aufl.], 218). —
Was die Zahlen betrifft, so stütze ich mich hier wie bei den anderen Ländern vor
allem auf die Berechnungen von Julius Beloch, »Die Bevölkerung Europas zur Zeit
der Renaissance« in der »Zeitschrift für Sozialwissenschaft« III (1900), 765 — 786,
die sich einerseits vor extremen Behauptungen hüten und anderseits auch nicht
größere Präzision vortäuschen, als sich mit dem mangelhaften Material verträgt.
Für Frankreich bieten daneben das Wichtigste die verschiedenen Werke, in denen
G. d'Avenel das in seiner »Histoire economique de la propriete, des salaires, des denrees
et de tous les prix en general depuis l'an 1200 jusqu'ä Van 1800« enthaltene Material
verarbeitet hat : »UArgent. La Terre« (1895), »Pai/sans et Ouvriers depuis sept cents
ans« (1899) und »Decouverles dliistoire sociale 1200—1910« (1910; in diesem Buche
handelt er S. 97 noch einmal über die Bevölkerungsvermehrung in der hier behan-
delten Periode und ihre ökonomischen Folgen).
Über den Getreidehandel und den Ausgleich in bezug auf die Kornversorgung
zwischen den einzelnen Provinzen vgl. A. P. Usher, »The History of the Grain Trade
in France, 1400 — 1710«, 1913 (Harvard University Press); Araskhaniantz »Die
französische Getreidehandelspolitik bis zum Jahre 1789 in ihrem Zusammenhange
mit der Land-, ^'olks- und Finanzwirtschaft Frankreichs« 1883 (Staatswissenschaft-
liche Forschungen, ed. Schmoller IV, 2 ; resümiert bei Xaude, »Getreidehandels-
politik« 1896, S. 23ff.). Das ausschließliche Recht der Krone, die Kornausfuhr
und den Verkehr zwischen den Provinzen zu regeln, ist erst während der hier be-
handelten Periode offiziell festgestellt worden (auf die Einzelheiten einzugehen
mangelt der Raum). Diese Verfügungen, von denen nur das im Jahre 1539 erlassene
Verbot der unautorisierten Getreideausfuhr ins Ausland erwähnt sei, scheinen zu
bestätigen, daß infolge der Bevölkerungsvermehrung die Ernährung des Volkes
größeren Schwierigkeiten begegnete (vgl. auch G. d'Avenel, *>Paysans et Ouvriers«,
p. 147 ff., speziell p. 154). Übrigens wurde auch das Verbot von 1539 nicht lange
aufrechterhalten. Daß dieser Ausgleich unter den Provinzen stets zur Versorgung
des Landes genügte, hebt der Venezianer Michiel 1561 ausdrücklich hervor (Tom-
maseo I, 390ff.).
§§ 27 u. 28. Handel und politische Organisation. 55
Manche nützliche Angaben über Frankreich auch in der Reisebeschreibung
des Don Antonio de Beatis aus den Jahren 1517/18 (vollständige Ausgabe in franzö-
sischer Übersetzung als »Voyage du cardinal d' Aragon en Allemagne, Hollande,
Belgique, France et Italic« par M. Havard de la Montagne, 1913), besonders da die
venezianischen Relationen in der Hauptsache erst in die späteren Jahrzehnte fallen.
Das »Journal d' an boiirgeois de Paris« (ed. Bourrilly, 1910) bringt zu den ausländischen
Berichten kaum etwas Neues bei.
§ 27. Industrie und Handel. Was im letzten Paragraphen nur als
Möglichkeit hingestellt wurde, trat in Wirklichkeit ein: der reiche Er-
trag, den der Überfluß an Naturprodukten bot, hatte tatsächlich zur
Folge, daß die französische Bevölkerung auf den Gewinn, der aus einer
intensiven Beschäftigung mit Handel und Industrie hätte entspringen
können, Verzicht leistete. Der Anteil der Franzosen an dem Gewürz-
handel, der im internationalen Verkehr noch immer seine dominierende
Stellung behauptete, war ganz unbedeutend, und auch die Einfuhr
fremder (besonders italienischer) Luxuswaren wurde in der Haupt-
sache durch ausländische Kaufleute besorgt. In der Industrie stand
es zwar etwas besser; aber der Unterschied war nicht groß. Das Textil-
gewerbe arbeitete allerdings auch für den Export; aber seine Produkte
konnten die Konkurrenz mit den besseren Fabrikaten Italiens und
der Niederlande nicht aufnehmen und fanden hauptsächlich in Län-
dern wie England Absatz, deren Gewerbe noch rückständiger war als
das französische (vgl. § 82). So war die französische Gesellschaft, für
die von ihr in großem Umfange konsumierten feineren Artikel (Seiden-
waren, Brokat, Glaswaren, Bijouterie usw.) ganz auf das Ausland
angewiesen, und ein Export aus Frankreich existierte in solchen Waren
so gut wie gar nicht. Erst in den späteren Jahrzehnten wurden Ver-
suche gemacht, die Fabrikation der bisher aus dem Auslande einge-
führten Luxuswaren (speziell der Seidengewebe) auch in Frankreich
einzubürgern. Aber selbst wenn diesen Anstrengungen ein beträcht-
licher Erfolg beschieden gewesen wäre, hätten sie auf die finanzielle
Leistungsfähigkeit Frankreichs vor 1559 keinen merkbaren Einfluß
ausüben können.
Literatur. Vgl. im allgemeinen das zum vorhergehenden Paragraphen Be-
merkte. Die venezianischen Relationen enthalten speziell über die Handelsbezie-
hungen zwischen Ualien und Frankreich sachkundige Angaben. Auch H. Pigeonneau,
»Histoire du Commerce de la France« II (1889), die beste zusammenfassende Dar-
stellung, stützt sich deshalb zu einem guten Teile auf diese. — Henri Mouzot, »Le
Metier de la soie en France«, s. d. (1914).
Einen besonders interessanten Einblick in diese Verhältnisse bieten die Ver-
handlungen, die 1517 zwischen der Regierung und den »bonnes villes« geführt wurden
(in dem »Jour?ial de Jean Barrillon« [Soc. de l'Hist. de France] I, [1897], 282ff.). Der
Kanzler, der übrigens ausdrücklich die wirtschaftliche Unabhängigkeit Frankreichs
mit der ökonomischen Abhängigkeit der anderen Länder in Kontrast setzte, schlug
vor, die Einfuhr von Luxuswaren unmöglich zu machen und zwar mit Hilfe einer
Navigationsakte. Der allergrößte Teil der Städte erklärte sich aber gegen das Projekt.
§ 28. Die innerpolitische Organisation. Die hier nur in dürftigen
Umrissen skizzierte günstige ökonomische Lage Frankreichs erhielt
56 Frankreich,
nun dadurch für die Geschichte des europäischen Staatensystems Be-
deutung, daß die Regierung über den dabei erzielten Gewinn so un-
beschränkt verfügen konnte wie keine andere, mit Ausnahme der
türkischen. Wohl bestand in der Theorie kein Steuerabsolutismus der
Krone; die Reichsstände waren nie abgeschafft worden und in manchen
Provinzen fanden noch regelmäßig Ständeversammlungen statt. Aber
faktisch hatten die Reichsstände zu existieren aufgehört und was
vollends das Recht zur Bewilligung von Steuern betraf, so war der
Engländer Fortescue sicherlich im Rechte, wenn er dieses als in Frank-
reich nicht mehr vorhanden betrachtete {))Governance of England«,
eh. III, p. 114). Die italienischen Beobachter betonen einstimmig und
zweifellos mit Recht die finanzielle Unumschränktheit des französischen
Königs, besonders wenn es sich um eine Angelegenheit der auswärtigen
Politik handelte. »Bricht ein Krieg aus, so liefert die französische
Bevölkerung unbedenklich (volentieri) so viel Geld, als die Krone
wünscht«, meint der Venezianer Cappello im Jahre 1554 (Alberi, »Re-
lazioni« I, 2, 277). So gefügig auch z. B. das englische Parlament unter
den Tudors war, und so viele Mittel auch die englische Regierung hatte,
um ihre Finanzbedürfnisse ohne Mitwirkung der Stände zu befriedigen,
so bestand doch zwischen ihrer Machtvollkommenheit und der des
französischen Königs in dieser Beziehung ein beträchtlicher Unter-
schied, von den oft recht widerspenstigen Ständen der spanischen
Reiche, der österreichischen Lande usw. gar nicht zu reden (vgl. dazu
freilich § 19).
Diese Bedeutungslosigkeit der französischen Stände war freilich
mehr ein Symptom als die Ursache der starken Stellung der Krone.
In keinem Lande fehlten die Voraussetzungen zu einem erfolgreichen
Widerstände gegen die Regierung so sehr wie in Frankreich. Das ge-
fährlichste Hindernis der königlichen Machtvollkommenheit, ein Adel,
der es an Reichtum und politischem Einfluß hätte mit dem Monarchen
aufnehmen können, existierte so gut wie nicht mehr. Der Venezianer
Cavalli war nicht im Unrecht, wenn er 1546 betonte, die »principi«
Frankreichs seien mit einer Ausnahme viel zu arm, als daß sie etwas
gegen den König unternehmen könnten (Tommaseo I, 274 f.). Man
bedenke, wie die englische Krone selbst noch unter dem zweiten Herr-
scher aus dem Geschlechte der Tudors ernsthafte Befürchtungen vor
einer Wiederkehr der ehemaligen Herrschaft der Barone glaubte hegen
zu müssen und ermesse daraus, was diese ökonomisch-politische Mo-
nopolstellung des französischen Königs bedeutete. Dazu kam, daß
dieser Adel nicht nur nicht die Mittel zur Auflehnung gegen die Krone
besaß, sondern ökonomisch zu einem guten Teile geradezu von dieser
abhängig war. Der Adel war aus wirtschaftlichen Gründen genötigt,
den Teil der Nachkommenschaft, für den der Ertrag der Güter nicht
ausreichte (§26), in der Armee oder der Kirche unterzubringen; um
hier nun Einlaß zu finden, gab es kaum einen anderen Weg als über
die königliche Regierung. Der dritte Stand war aus begreiflichen
§ 28. Innerpolitische Organisation. 57
Gründen überall einer starken Monarchie Ireundlich gesinnt; in Frank-
reich war aber auch die wirtschaftliche Existenz des Adels sozusagen
an die Beschützung durch das Königtum geknüpft. Denn es gab weder
Handel noch Industrie, die den Jüngern Söhnen des Adels eine selb-
ständige Existenz hätten gewähren können (§ 27). Auch das Kriegs-
handwerk bestand nicht als eigentlich freier Beruf; die Besetzung der
Stellen in den Kompagnien der Reisigen erfolgte durch die Regierung.
Nicht anders verhielt es sich mit den hohen kirchlichen Würden; das
Konkordat des Jahres 1516 hatte die Verfügung über die kirchlichen
Pfründen definitiv in die Hände der königlichen Regierung gelegt
(vgl. darüber von Zeitgenossen z. B. M. Giustiniani 1535 bei Tommaseo
I, 50 f.). Infolge davon hingen auch zahlreiche Laien, die geistliche
Benefizien erhofften, von der Krone ab, wie anderseits königliche
Beamte in uneingeschränktem Umfange mit einträglichen kirchlichen
Stellen bezahlt werden konnten (vgl. z. B. die Fälle der beiden Diplo-
maten Claude Seyssel: E. Picot, »Les Francais italianisants« I [1906]
1 ff. und Marillac: P. de Vaissiere, »Charles de M.« 1896). In dieser
Beziehung nahm die französische Krone allerdings keine Ausnahme-
stellung ein ; aber es ist immerhin festzuhalten, daß sie auch in diesem
Punkte mindestens so günstig gestellt war wie irgendeine andere
Regierung (vgl. auch noch § 62 das über die Kaiser und Deutschland
Gesagte).
Ebensowenig standen der Aktionsfreiheit der französischen Kö-
nige' weitreichende Sonderprivilegien im Wege, wie etwa die Rechte
der aragonesischen Länder den spanischen Herrschern oder Rück-
sichten auf separatistische Strömungen in Untertanengebieten, wie sie
z. B. sogar in dem Verhältnis zwischen Venedig und den Besitzungen
der terra ferma nicht außer acht gelassen werden durften (§66).
Es war daher kaum übertrieben, wenn ein Venezianer (Cavalli bei
Tommaseo I, 272) meinte, die Könige von Frankreich könnten sich
weges servorum« nennen. Unzweifelhaft kam den französischen Mon-
archen kein anderer Fürst an Machtvollkommenheit gleich. Nicht
einmal der osmanische Kaiser konnte ihm in dieser Beziehung an die
Seite gestellt werden. Denn die Herrschaft der französischen Krone
beruhte nicht auf einer Garde gleich dem Janitscharenkorps, das für
die Unabhängigkeit der Regierung eine ständige Gefahr bildete (§ 77).
Sie lag in der Interessengemeinschaft begründet, die alle Stände mit
der Regierung verband. Nur einmal hat ein Mitglied des hohen Adels,
der Connetable von Bourbon, versucht, sich gegen die Krone zu er-
heben (§ 119); der klägliche Ausgang seines Unternehmens hat dann
aber gezeigt, daß zum Erfolge solcher Bestrebungen alle Voraus-
setzungen fehlten.
Unabhängig von dieser Feststellung ist die Frage, wieweit die
französische Regierung ihre günstige Position in der Führung der aus-
wärtigen Politik ausgenutzt hat. Darüber werden in § 31 einige Be-
merkungen folgen.
58 Frankreich.
Literatur. \ gl. die Anmerkungen zu den vorhergehenden Paragraphen.
— R. Holtzmann, »Französi.sche Verfassung-sgeschichte«, 1910; P. Viollet, »Histoire
\ des Institutions politiques et administratives de la France«, 1898, und »Le Roi et ses
Ministres«. 1912; alle drei mit Literaturangaben.
§ 29. Die Armee. Die eben geschilderten ökonomischen und
pohtischen Verhältnisse haben auch den Charakter des französischen
Heerwesens bestimmt.
Die Söhne des Adels, die auf dem väterlichen Gute kein Aus-
kommen fanden, stellten die Mannschaft zu den Kompagnien der
Reisigen oder gens d' armes; kein Wunder, daß die Regierung hier
über eine Waffe verfügte, der an Qualität und Loyalität die schwere
Kavallerie keines anderen Staates gleichkam. Wenn die Kriege noch
wie in früheren Jahrhunderten in der Hauptsache durch diese Waffe
entschieden worden wären (vgl. § 7), so hätte Frankreich unzweifelhaft
die militärische Superiorität besessen. Besonders dem zunächst gefähr-
lichsten Rivalen Spanien gegenüber war die Überlegenheit der franzö-
sischen schweren Reiterei offenkundig: die Hochebenen Kastiliens
und Aragons gewährten ja auch den spanischen Adligen weniger Ge-
legenheit zu dieser Art kavalleristischer Ausbildung als die französische
Landschaft,
Die leichte Reiterei war ganz unbedeutend. In Italien konnte
sie allerdings nicht entbehrt werden, schon nur der Konkurrenz der
Stradioten und Ginetes wegen (vgl. § 8). Das Königreich selbst war
aber nicht imstande, diese Truppe zu stellen; die leichte Reiterei der
Franzosen bestand deshalb in der hier behandelten Zeit so gut wie aus-
schließlich aus »Albanesen« (das war die in Frankreich eigentlich so-
genannte »C aValerie «^ die man von der ))ge}idarmerie« unterschied.
Vgl. P. Viollet, »Le Roi et ses Ministres« 1912, p. 349 f.). Die fran-
zösische Regierung befand sich also der leichten Reiterei gegenüber
in einem ähnlichen Verhältnisse wie gegenüber der Infanterie: wollte
sie leistungsfähige Truppen verwenden, so mußte sie sie im Auslande
anwerben.
Nur daß diese Abhängigkeit von fremden Söldnern für die In-
fanterie schwerere Folgen nach sich zog. Eine französische Armee
konnte sich schließlich auch ohne eigene leichte Reiterei behelfen (vgl.
z. B. die Zusammensetzung des französischen Heeres in der Schlacht
bei Ravenna 1512: E. Siedersieben, »Die Schlacht bei Ravenna« 1907,
S. 28 und 50); ohne eine nach schweizerischer Methode geschulte In-
fanterie war dagegen nicht auszukommen (§ 5). Zu einer solchen fehlten
nun in Frankreich die Voraussetzungen. Der Adel war dem Dienst
bei der für niedrig gehaltenen Waffe abgeneigt, und die Bauernbevöl-
kerung wurde durch keine ökonomische Notlage zum Kriegshandwerk
hingetrieben. Es blieb also nur der Ausweg, sich an das Ausland zu
wenden. —
Dies ist denn auch geschehen, und die Infanterieregimenter der
französischen Armee bestanden zum größten Teile aus Fremden
§ 29. Die Armee. 59
(Schweizern oder deutschen Landsknechten). Nur aus der Gascogne
konnte brauchbare einheimische Infantei'ie in größerer Anzahl bezogen
Averden; es scheint, daß die Pyrenäengegenden in dieser Beziehung
ähnhch günstige Bedingungen aufwiesen wie die kastihsche Landschaft
(Machiavelli konstatiert ausdrückhch eine Ähnlichkeit zwischen Gas-
cognern und Spaniern, was die infanteristische Tauglichkeit betrifft ;
vgl. seine »Ritratti di Franciaa).
Man kann nicht sagen, daß die französische Regierung vor den
bedenklichen Folgen dieser Abhängigkeit vom Auslande, die gerade
die wichtigste Waffe betraf, ihre Augen verschlossen hätte. Sie hat
vielmehr verschiedene Versuche gemacht, diesem unbefriedigenden
Zustande abzuhelfen. Zwei Mittel boten sich dar: entweder den Adel
zu nötigen, wenigstens zum Teil bei der Infanterie zu dienen oder aus
den französischen Bauern zwangsweise eine nationale Miliz zu bilden.
Beide Wege sind dann auch begangen werden. Aber beide erwiesen
sich nicht als ausreichend. Wohl ließen sich etwa Edelleute unter die
Gascogner einreihen (vgl. Fischer, »Die Schlacht bei Novara«, 1908,
S. 109 und K. Stallwitz, »Die Schlacht bei Ceresole«, 1911, S. 75 f.),
andere nahmen wenigstens Offiziersstellen bei der Infanterie an (wie
Monluc, »Cojnmentaires« ed. Courteault I, 44, 63, 72, 75 und Bayart,
y>Le Loyal Serüiteur« ed. Soc. deVHist. de France ]). 139 f. und 430 ff.);
aber es waren ihrer zu wenige, als daß sich aus ihnen hätten ganze
Kompagnien bilden lassen. Und die Versuche, die die Regierung 1509
und 1534 (die »Legionen« Franz' I.) zur Bildung einer nationalen Miliz
machte, hatten ein durchaus unbefriedigendes Resultat. Zu dem Feld-
zug des Jahres 1544, der durch die Schlacht bei Ceresole bezeichnet ist,
wurden daher wohl Gascogner, aber keine »Legionäre« verwendet
(Stallwitz in der zitierten Schrift S. 75).
So blieb es denn dabei, daß Frankreich für seine wichtigste Waffe
auf das Ausland (anfänglich so gut wie ausschließlich auf die Schweizer,
später daneben auch auf die Werbungen in Deutschland) angewiesen
war. Die Regierung besaß daher keine Garantien dafür, daß sie jeder-
zeit über eine genügende Anzahl leistungsfähiger Infanteristen ver-
fügen konnte. Und in ihrer auswärtigen Politik war sie mindestens zwei
Staaten gegenüber stark eingeschränkt. Die Anwerbelizenzen der eid-
genössischen Orte ließen sich nur mit Konzessionen erkaufen, die neben
finanziellen auch politische Opfer erforderten, und der Bezug von
deutschen Landsknechten hing teils von dem guten Willen der deutschen
Stände, hauptsächlich aber davon ab, ob die kaiserliche INIacht (gegen
die sich die Werbungen vielfach richteten) imstande war, die Grenzen
zu sperren. Die Folge mußte hier zum mindesten eine konziliante
Politik gegenüber den Ständen sein, was wohl neben anderen Gründen
(vgl. § 61) nicht zum wenigsten die französische Regierung nie an
eine aggressive Politik gegen Deutschland hat denken lassen, —
außer natürlich in eventueller Verbindung mit deutschen Ständen
selbst.
60 Frankreich.
Dabei fiel zuungunsten Frankreichs noch besonders in Betracht,
daß es in dieser Beziehung gerade mit seinen beiden gefährlichsten
Rivalen besser bestellt war, Spanien sowohl wie auch die habsbur-
gischen Herrscher konnten ihre Infanterie aus Landeskindern bilden,
und wenn diese Truppen deshalb auch noch nicht unbedingt zuverlässig
waren, so hing ihre Verwendung doch wenigstens nicht vom guten
Willen einer ausländischen Macht ab. Dieser Nachteil konnte nur da-
durch zum Teil ausgeglichen werden, daß die französische Regierung,
dank ihrer uneingeschränkten Verfügung über den Reichtum des
Landes (§ 28), wenigstens nie der Mittel ermangelte, um auf dem Söldner-
markte die höchsten Preise zu offerieren.
Die unbedingte Superiorität hatte dagegen Frankreich auf dem
Gebiet der Artillerie und des Befestigungswesens. Welche Ur-
sachen den Franzosen diesen Vorsprung verschafften, ist noch kaum
je ernsthaft untersucht worden, obwohl die Tatsache selbst durchaus
nicht ohne weiteres verständlich ist, stand doch sonst das französische
Handwerk technisch hinter den führenden Industriestaaten unzweifel-
haft zurück (§27); als wahrscheinlichste Erklärung muß vorerst die
Vermutung gelten, daß die langwierigen Belagerungsoperationen, die
den Hundertjährigen Krieg schließlich zugunsten Frankreichs ent-
schieden hatten, auf die Entwicklung der artilleristischen Waffe in
besonderem Maße fördernd einwirkten. Aber wie es sich damit nun
auch verhalten haben mag, die Überlegenheit der französischen Ar-
tillerie während der ganzen hier behandelten Periode steht fest, und
es gibt wohl keine einzige Feststellung dieser Art, die durch eine solche
Fülle von Zeugnissen gestützt werden könnte wie diese, und zwar
ergeben die Rückschlüsse, die die Forschung aus dem Verlauf von
Belagerungen und Schlachten ziehen kann, ein ebenso klares Resultat
W'ie die zahlreichen direkten Aussagen in Relationen und Akten.
Wenn das metallarme und technisch vielfach rückständige Frank-
reich für die Entwicklung des Artilleriewesens wenig günstige Be-
dingungen aufwies, so wurde dieser Übelstand nämlich dadurch voll-
ständig wettgemacht, daß die französische Regierung dem Bau von
Geschützen und Befestigungsanlagen eine so systematische Pflege
zuwandte wie kein anderer Staat der damaligen Zeit. Der Mangel an
einheimischen Ingenieuren wurde durch die häufige Verwendung aus-
ländischer (hauptsächlich italienischer) Spezialisten ausgeglichen. Das
Metall mußte zwar importiert werden; aber die Regierung wußte es
trotzdem einzurichten, daß sogar ein besseres Material verwendet
wurde als im Venezianischen (vgl. Giustiniani bei Tommaseo I, 94).
Die Hauptsache aber war, daß ganz im Gegensatze zu anderen Zweigen
der französischen Staatsverwaltung für diesen Teil der Rüstungen der
Eifer der Behörden nie nachließ. Selbst wenn die Angaben der vene-
zianischen Gesandten über die unverhältnismäßig hohen Kosten, die
die französische Regierung für ihre Befestigungen aufbrachte, und über
die stete Modernisierung, der die Fortifikationsanlagen unterworfen
§ 29. Die Armee. 61
wurden (vgl. besonders Dandolo 1547 bei Alberi, »Relazioni« I, 2, 183 ff.),
im einzelnen nicht immer zuverlässig wären, so würde doch schon der
Ton der Be- und Verwunderung, mit dem diese Vertreter eines nichts
weniger als schlecht gerüsteten Staatsw^esens von den französischen
Leistungen sprechen, dafür Zeugnis ablegen, daß die französische Ver-
waltung dem Geschützwesen eine ganz außergewöhnliche Sorgfalt zu-
teil werden ließ. Es ist allerdings richtig, daß äußere Umstände der
französischen Regierung dabei zuhilfe kamen: ein großer Teil der West-
grenze brauchte kaum geschützt zu werden, und vor allem war im
Innern so vollständige Ordnung hergestellt (§ 28), daß die von den
Grenzen weiter entfernt liegenden Plätze, wie z. B. Paris (vgl. u. a.
Cavalli bei Tommaseo I, 260), vernachlässigt und alle Aufmerksamkeit
auf die nahe bei den Grenzen befindlichen Festungen konzentriert
werden konnte (vgl. § 11). Allein daraus hätte ja noch nicht zu folgen
brauchen, daß die Regierung diese günstige Gelegenheit nun auch
ausgenutzt hätte, wie geschehen ist, und vor allem wäre damit auch
nicht die ausgezeichnete Qualität der Artillerie zu erklären.
Die Superiorität der französischen Artillerie ist den übrigen euro-
päischen Staaten zum ersten Male bei der italienischen Expedition
des Jahres 1494 zum Bewußtsein gekommen. Sie hat nicht nur in
Italien beinahe eine Revolution im Geschützwesen hervorgerufen und
zu zahlreichen Nachahmungen angeregt (vor allem, wie es scheint, in
Venedig), sondern auch bei den übrigen Großstaaten (besonders bei
den Habsburgern) die Regierungen zu Anstrengungen bewogen, um
den Vorsprung der französischen Geschützfabrikation einzuholen. Aber
der Erfolg aller dieser Versuche war doch nur relativ. Es gelang aller-
dings einzelnen ausländischen Staaten, den Unterschied, der zu Beginn
der Periode zwischen ihrer Artillerie und der französischen bestand,
beträchtlich zu verkleinern; aber ganz haben sie ihr Vorbild doch nie
erreicht. Die letzten Feldzüge weisen in dieser Beziehung kaum einen
anderen Charakter auf als die ersten: den französischen Armeen gelingt
es meist, in kurzer Zeit feindliche Festungen zu nehmen, feindliche
Armeen aber können kaum je französische feste Plätze bezwingen.
Was Macliiavelli im siebenten Buch seiner »Kriegskunst« (1521) über
die trotz aller italienischen Bemühungen immer noch existierende
Überlegenheit der französischen Befestigungsanlagen und der fran-
zösischen Artillerie bemerkt, gilt im großen und ganzen bis zum Schluß
des Zeitraums und nicht nur für Italien.
Wie sehr sich die französische Waffenfabrikation auf die Artillerie
konzentrierte, wird ferner auch durch die Tatsache illustriert, daß
das Land, das die besten Kanonen goß, seine Schutzwaffen (Rüstun-
gen) in der Hauptsache aus dem Ausland (vor allem aus Oberitalien)
beziehen mußte (vgl. Soranzos Relation von 1558 bei Alberi I 2,,
S. 405), — ein Schicksal, das es allerdings mit den meisten anderen
Ländern teilte.
62 Frankreich.
Literatur. Vgl. die Angaben zu den §§5—10, sowie die Bemerkungen zu
den vorliergehenden Paragraphen unter Frankreich. In M. Hobohms »Machiavellis
Renaissance der Kriegskunst« ist das Kapitel 11, 312 ff. speziell Frankreich gewidmet.
Die wichtigste Quelle ist auch hier die Kriegsgeschichte selbst, mit der sich übrigens
die Urteile der Relationen und zeitgenössischen ernsthaften Historiker durchaus im
Einklang befinden.
Die Überlegenheit der französischen Artillerie und des Befestigungswesens
wird bekanntlich bereits von Commines betont (ed. Mandrot II, 149, 211 f.). Dann
folgt eine ununterbrochene Reihe von Zeugnissen. Jovius meint denn auch
geradezu, die Franzosen hätten sich hauptsächlich auf ihre Geschütze verlassen
{Uormenta . . ., in quibus Galli semper plus fiduciae quam in dextris atque virtute
Omnibus bellis posuissent« . . . »Historiae sui temporis«, 1. XI), wobei er allerdings
wohl die Hoffnungen, die auf die schwere Reiterei gesetzt wurden, zu gering anschlägt.
Doch urteilt ganz wie er auch ein florentinischer Diplomat im Jahre 1494 (Des-
jardins, »Negociations diplomatiques de la France avec la Toscanev. I [1859], 409.
(Documents inedits.)
Charakteristischer ist aber vielleicht noch, wie in Koalitionsfeldzügen die
Franzosen so gut wie regelmäßig die artilleristische Ausrüstung für ihre Bundes-
genossen ganz oder zum Teil übernehmen mußten. So bei der gemeinsamen Ex-
pedition Cesare Borgias und der Franzosen im Jahre 1499 (W. H. Woodward, »Cesare
Borgia« 1913, p. 157). Die schottischen Festungen wurden in Allianzkriegen mit
französischen Soldaten besetzt (Soranzo bei Alberi, »Relazioni« I. 2, p. 411; 15581.
Xgl. auch G. Fischer, »Die Schlacht bei Novara« 1908 (Berliner Diss.), S. 105.
Französische Kanonen in Mantua: M. de Salinas, »Carlas«, p. 485 (1530).
Über die Umgestaltung, die \ cnedig an seinem Geschützwesen unter dem
Eindruck der französischen Erfolge seit 1494 vornahm, viele Notizen bei Sanuto.
1496 werden hundert Stück »Bombarden« hergestellt, i>al costume et modo usano
Francesi« (»Diarien« I, 146), also wohl ein guter Teil des gesamten Artillerieparks.
Angefertigt wurden diese Kanonen von einem früheren Geschützgießer des französi-
schen Königs (ibid. p. 375). Vgl. auch p. 211, 512, 516 (Notiz über einen Ort, den
die Franzosen dank ihrer Artillerie ohne Kampf einnehmen) usw. Über italienische
Ingenieure, die in Frankreich verwendet wurden, vgl. z. B. Monluc, »Co?nmenia.ires«,
1. I, ed. Courteault I, 129; Dandolo bei Alberi I, 2 (1840), 183ff. Bezeichnend ist
dabei, daß sogar die Gießer, die italienische Regierungen aus Frankreich kommen
ließen, ursprünglich Italiener waren, wie der Vizentiner, der in Venedig die 100
eben erwähnten Bombarden anfertigte (Sanuto I, 146). Die technische Vorbildung
war in Italien eher als in Frankreich zu finden; die französische Regierung wendete
dem Artilleriewesen aber größere Aufmerksamkeit zu.
Über den Ursprung dieser Superiorität und den Einfluß des Hundertjährigen
Krieges vgl. Alfred Spont, »La Milice des francs-arches« in der »Revue des Questions
historiques« 61 (1897), 442 f., der auch vieles über die Bedeutung der schweizerischen
Söldner für Frankreich beibringt.
§ 30. Die Marine. Die militärische Bilanz lautet für Frankreich,
was die Landstreitkräfte anbetrifft, nicht ungünstig. Kam auch die
einheimische Infanterie kaum in Betracht, hatte auch die vortreffUche
schwere Reiterei erheblich an Bedeutung verloren, fehlte auch die leichte
Reiterei so gut wie ganz, so stand diesen Passiven doch das Aktivum
gegenüber, daß die Regierung mit ziemlicher Sicherheit auf die An-
werbung ausländischer hervorragender Infanteriesöldner rechnen konnte,
und daß die einheimische Artillerie die erste Europas war.
Ganz anders stand es mit der Flotte. Hier waren die eigenen
Streitkräfte, besonders was das eigentliche Kampfgebiet, nämlich das
Mittelländische Meer betraf, in jeder Beziehling ungenügend, und der
§ 30. Die Marine. 63
Ersatz, der aus dem Ausland bezogen werden mußte, war durchaus
unsicher.
Eine französische Handelsschifi'alirt von einiger Bedeutung exi-
stierte nur an der Küste des Atlantischen Ozeans. Man könnte die
dortige Handelsmarine sogar als für die militärischen Verhältnisse der
nördlichen Meere völlig ausreichend bezeichnen ; denn obwohl der
Zahl nach hinter den Flotten der Hanse und der Niederländer zurück-
stehend, so genügten doch die französischen Schiffe, die ja zugleich
auch die Grundlage der Kriegsmarine bildeten (§ 13), um der ebenfalls
kleinen Seemacht des einzigen Staates, der als Kriegsgegner zur See
in Betracht kam, nämlich Englands, die Stange zu halten. Aber im
Mittelmeer, in dem vom »Ponant« durchaus geschiedenen »Levant«,
lagen die Verhältnisse ganz anders. Zu einer eigenen französischen
Handelsschiffahrt waren dort kaum Rudimente vorhanden; der
Handelsverkehr, der im Mittelländischen Meere betrieben wurde,
befand sich ja fast ganz in den Händen von Fremden (§ 27), wie denn
auch Lyon als in der Mehrzahl von Ausländern (Italienern) bewohnt
bezeichnet wurde (Navagero 1528 bei Tommaseo I, 34 ff.). Dazu kam,
daß wegen der besonderen Verhältnisse der Seekriegführung im Mittel-
meer auch eine stärkere Entwicklung der französischen Handelsschiff-
fahrt noch nicht ohne weiteres das Material für eine Kriegsflotte ge-
liefert hätte, und daß aus demselben Grunde auch die französischen
Schiffe des »PonanHi nicht zum Ersätze herangezogen werden konnten
(vgl. § 14).
Man kann auch hier nicht sagen, daß die Regierung diesem un-
befriedigenden Zustand mit Gleichgültigkeit zugesehen hätte. Be-
sonders seitdem die Provence dem direkten Herrschaftsgebiet der fran-
zösischen Krone einverleibt worden war (1481), hatte es nicht an Ver-
suchen gefehlt, die Grundlagen einer französischen Seemacht im Mittel-
meer zu schaffen (vgl. vor allem A. Spont in der »Revue des Questions
historiques« 55 [1894], 435 ff.). Schon Ludwig XL arbeitete in dieser
Richtung, und als die Expedition des Jahres 1494 dann die Schwäche
der französischen Marine offen dargelegt hatte, leitete die Regierung
1496 den Bau einer mit Sträflingen bemannten Galeerenflotte ein
(Spont ibid. p. 393). Und auch später wurden mehrfach noch groß-
artige Projekte aufgestellt, um die französische Marine zum Rang einer
leistungsfähigen Waffe zu erheben; es sei nur an die bei La Ronciere,
»Histoire de la Marine frangaise« III (1906), 453 — 479 resümierten
Pläne der Regierung Heinrichs IL erinnert.
Aber all diesen Bestrebungen war kaum ein größerer Erfolg be-
schieden als den Versuchen, eine brauchbare einheimische Infanterie
zu schaffen. Die französische Flotte im Mittelmeer blieb klein und
offenbar auch wenig leistungsfähig; soweit sie Erfolge hatte, war dies
nur darauf zurückzuführen, daß die überlegene Artillerie auch hier
Mängel der übrigen Ausrüstung auszugleichen vermochte (vgl. § 12).
Jedenfalls konnte nie davon die Rede sein, daß die französische Marine
64 Frankreich.
den Kampf mit einem der großen Seestaaten des Mittelländischen
Meeres hätte aufnehmen können.
Es blieb der französischen Regierung daher, wollte sie nicht über-
haupt auf ihre italienische Politik verzichten, kein Ausweg übrig, als
eine ausländische Flotte in ihre Dienste zu nehmen, und zwar kam
dafür nur die genuesische in Betracht. Aber einer festen Verbindung,
die erlaubt hätte, daß die Franzosen unter allen Umständen auf die
Unterstützung der genuesischen Marine hätten rechnen können, standen
noch viel größere Schwierigkeiten entgegen als einer befriedigenden
Regelung der Beziehungen zu den Schweizern oder den deutschen
Söldnerhauptleuten. Die Republik Genua war nur scheinbar ein freier
Staat; in Wirklichkeit hing sie. die sich aus eigenen Kräften zu Lande
nicht verteidigen konnte, von der Militärmacht ab, die das Mailändische
beherrschte, und selbst ein sich einem Protektorat näherndes Abkommen
mit Genua war so lange von prekärem Wert, als die französische Re-
gierung nicht zugleich das Herzogtum Mailand in ihrer Gewalt hatte.
Nun war aber auch dieses Gebiet nur mit Mühe und mit Hilfe fremder
Söldner zu behaupten; die französische Regierung mußte es demnach
beinahe wie einen Zufall betrachten, wenn in ihren Feldzügen die
genuesische Flotte auf ihrer Seite focht.
Die historische Forschung darf in ihren Feststellungen vielleicht
sogar noch etwas weiter gehen, als in den vorhergehenden Bemerkungen
geschehen ist. Es ist bereits darauf hingewiesen, daß die französische
Regierung gegen die Mängel ihrer Rüstung zur See keineswegs blind war.
Aber es muß doch auch gesagt werden, daß sie auch hier kaum alles
getan hat, was in ihren Kräften lag, um diesem Übelstande abzuhelfen,
und vor allem, daß sie nicht immer in der Führung ihrer auswärtigen
Politik diese Schwäche gebührend in Rechnung gesetzt hat. So war
ihre italienische Politik zwar im allgemeinen von der Überzeugung
beherrscht, daß jede Ausdehnung nach dieser Seite hin den Besitz Mai-
lands, d. h. die Verfügung über die genuesische Marine zur Voraus-
setzung haben müsse; aber im einzelnen finden sich doch manche Ab-
weichungen von diesem Prinzip, und schon die Expedition nach Neapel
im Jahre 1494 gehört in gewisser Beziehung in diese Rubrik.
Bei den großen Reformprojekten mangelte es dann öfter an Konsequenz
in der Durchführung, wenn diese überhaupt in Angriff genommen wurde.
Vielleicht müssen sogar die Versuche, die nur im Mittelmeere eigentlich
brauchbare Galeerenschiffahrt nach nördlichen Meeren zu verpflanzen
(meistens natürlich unter Leitung italienischer Fachmänner), nicht als
ein Zeichen planmäßiger Sorge für die Flotte, vielmehr eher als Symptom
dilettantischen Eifers aufgefaßt werden (solche Fälle erwähnt z. B. in
»Leiters and Papers relating to the War with France 1512J13« ed. A. Spont
1891 p. 71 f. [Navy Records Soc.]: Dandolo bei Alberi, »Relazioni« I,
2, 177). Die schheßliche Folge dieser Politik war jedenfalls, daß Frank-
reich, nachdem einmal (Mailand und) Genua definitiv an den Gegner
verloren war, sich zu der unpopulären Allianz mit der Türkei (vgl. § 23)
§ 31. Auswärtige Politik. 65
verstehen mußte, um nicht ganz vom Mittelländischen Meere ausge-
schlossen zu sein.
Literatur. Der dritte, 19ü(j erschienene, Band der »Histnire de la Marine
francaise« von Charles de la Ronciere, der den Spezialtitel »Guerres d" Italie. Liberte
des Mers« führt, ist zwar in der Benutzung der Quellen nicht immer kritiscli genug,
enthält aber gute Gesichtspunkte und verzeichnet vor allem die Literatur so voll-
ständig, daß eine nochmalige Aufzählung an dieser Stelle unnötig ist, um so mehr
da seither über dieses Thema kaum etwas Wichtigeres publiziert worden ist. Es
seien daher aus der Spezialliteratur nur zitiert die beiden Aufsätze von Alfred Spont,
»La Marine frangaise soiis le regne de Charles VIII« in der »Revue des Questions
historiques« 55 (1894), 387 — 454, und »Les Galeres royales dans la Mediterranee de
1496 ä 1516«, ibid. 58 (1895), 391-429.
Die kardinale Bedeutung von Genua für die Hegemonie über Italien wird in
zahlreichen zeitgenössischen Zeugnissen hervorgehoben. Ebenso daß der Besitz
der Stadt an die Herrschaft über Mailand geknüpft war. So schreiben die veneziani-
schen Gesandten aus Gent, Kaiser Karl wolle deshalb nicht in eine Abtretung Mai-
lands an Frankreich einwilligen, da Frankreicli dann »dovesse etiam havere Genova
a sua deootione« { »Venezianische Depeschen vom Kaiserhofe« I, 414) ; vgl. im übrigen
La Ronciere, p. 27, 35, 37, 61 f. usw. König Franz I. selbst drückte sich Karl gegen-
über geringschätzig über seine Flotte aus (mit Ausnahme der von Genua in Sold
genommenen Schiffe): »Captiviie du roi Frangois Z^*"« (1847), p. 2'iß ( Doc. inedits).
Die Marinestreitkräfte Frankreichs im Mittelmeer genügten nicht einmal zur Ver-
teidigung der Küste gegen die nordafrikanischen Piraten (vgl. das Schreiben Franz' 1.
bei Charriere, »Negociations« I, 191).
t ber die Allianz mit den Türken und die Möglichkeit, eine Flotte aus eigenen
Kräften zu unterhalten, urteilt kaum anders als im Text geschehen ist, der \'enezianer
Cappello bei Tommaseo 1, 380 (1554). Über die Wichtigkeit der türkischen Flotte
für Frankreich in den Kriegen mit Spanien auch Soranzo bei Alberi 1,2, 469. Ohne
die türkische »Armata« hätten die Franzosen Korsika nicht genommen, meint auch
1560 der \'enezianer Cavalli (Alberi, »Relazioni« III, 1, 282).
§31. Die auswärtige Politik. 1. Die Organisation des diploma-
tischen Dienstes. Die Schilderung der französischen Marine stellt einen
Fall dar. in dem die Energie der Regierung nicht ausreichte, um einen
offen erkannten gefährlichen Mißstand im Rüstungswesen des König-
reiches zu reformieren. Bei der diplomatischen Organisation der fran-
zösischen Monarchie liegen die Verhältnisse anders. Wenn Frankreich,
zunächst wenigstens, in dieser Beziehung geringere Leistungen aufzu-
weisen hatte als andere Großstaaten, so rührte dies nicht daher, daß die
Regierung einer schwachen Stelle ihrer Ausrüstung ungenügende Sorg-
falt zuwandte, sondern daher, daß die günstige Lage des Landes An-
strengungen unnötig machte, denen sich weniger privih^gierte Staaten
nicht entziehen konnten.
Es ist bereits in einem früheren Paragraphen (§ 3) gezeigt worden,
daß die Unterhaltung eines regelmäßigen diplomatischen Informations-
dienstes nur für kleine und schwächere Staaten eine Notwendigkeit
war; es ist auch darauf hingewiesen worden, daß der stärkste Staat
der Zeit, nämlich das osmanische Reich, aus diesem Grunde bis zum
Schlüsse der Periode auf diese Institution verzichtete. Frankreich
befand sich nun in den ersten Jahrzehnten, wenn auch nicht in der-
selben Lage, so doch immerhin in einer solchen, die der der Türkei
Fueter, Europ. Staatensystem. 5
66 Frankreich.
nicht ganz unähnlich war. Frankreich war zwar durchaus nicht so un-
angreifbar wie die Türkei ; aber es war immerhin so stark, daß es eine
wirkliche Gefahr sogar dann nicht zu fürchten hatte, wenn sich alle
seine Nachbarn zu einer Koalition gegen seine Großmachtstellung zu-
sammenschlössen. Noch im Jahre 1546 meint der Venezianer Cavalli,
Frankreich hätte sich, wenn es nicht auf einen Gegner wie Kaiser
Karl V. gestoßen wäre, unbedingt zum Herrn der Christenheit erhoben
(Tommaseo I, 276), und wer die vorhergehenden Paragraphen gelesen
hat und sie mit der Schilderung der übrigen Staaten vergleicht, wird
sein Urteil zwar vielleicht weniger apodiktisch fassen, aber zugeben
müssen, daß die Ansicht des Venezianers auf einer richtigen Beobach-
tung beruht. Frankreich war wenigstens in der Defensive unüber-
windlich vor der Zeit, da die Habsburger Spanien mit ihren österreichisch-
burgundischen Besitzungen vereinigt hatten.
Die französische Regierung glaubte daher zunächst auf den neu-
aufkommenden ständigen diplomatischen Informationsdienst verzichten
zu können. In absolutem Gegensatze nicht nur zu Venedig und anderen
italienischen Staaten, sondern auch zu Spanien, den Habsburgern
und England nahm sie wohl bei sich fremde Gesandtschaften auf,
entsandte aber selbst keine ständigen Vertreter an die auswärtigen Höfe.
Hand in Hand damit ging eine Vernachlässigung der diplomatischen
Beziehungen zu den kleineren und weiter abgelegenen Staaten, bei
denen zwar auch andere Großstaaten keine ständigen Gesandtschaften
unterhielten, die von jenen aber doch häufiger in den Kreis ihrer
Bündnispolitik hereingezogen wurden.
Es wäre natürlich eine müßige Spielerei, wenn die historische
Forschung untersuchen wollte, inwiefern und ob überhaupt Frank-
reich aus dieser Untätigkeit praktischer Schaden erwachsen ist. Aber
die Tatsache steht fest, daß die französische Regierung diesem neuen
Kampfmittel geringere Aufmerksamkeit zugewandt hat als andere
Staaten, und daß es damit erst anders wurde, als die internationalen
Kräfteverhältnisse sich infolge der Personalunion zwischen Spanien
und Österreich-Burgund zuungunsten Frankreichs verschoben hatten.
Und zwar scheint auch in dieser Beziehung eine eigentliche Wand-
lung erst eingetreten zu sein, als der unglückliche Ausgang der Schlacht
bei Pavia (1525) die schwächere Position Frankreichs deutlich erwiesen
hatte. Es lassen sich wenigstens nach meiner Kenntnis erst nach diesem
Zeitpunkte ständige französische Gesandtschaften feststellen. Dabei
erfolgte übrigens auch diese Neuerung nicht auf einen Schlag; viel-
mehr hat die französische Regierung nur nach und nach nachgeholt,
was ihre Rivalen schon längst geschaffen hatten. Erst von der Mitte
der dreißiger Jahre an kann man von einer Reziprozität zwischen
Frankreich und den übrigen christlichen Großstaaten sprechen, was
die Unterhaltung ständiger Gesandtschaften betrifft.
Ein ähnlicher Wechsel vollzog sich in den Beziehungen Frank-
reichs zu den kleineren Staaten, die an dem Kampfe um Italien nicht
§ 32. Das Verhältnis zu Spanien. 67
unmittelhar beteiligt waren. Vorher nur intermittierend und ohne
ernsthafte konkrete Absichten bearbeitet, wurden nun nach Pavia
auch diese Mächte als wichtige Bundesgenossen in dem Abwehrkampfe
gegen die habsburgische Übermacht erkannt, und die französische
Diplomatie modernisierte nicht nur ihre Organisation, sondern sie
dehnte auch ihre Wirksamkeit über die bisherigen Grenzen aus (vgl.
§ 123).
Mit dieser Haltung der französischen Regierung stimmt dann auch
überein, daß der publizistischen Bearbeitung des Auslandes zumal in
den ersten Jahrzehnten nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
Der Unterschied zwischen ihrer Praxis und der der Gegner war zwar
auf diesem Gebiete nicht so groß wie auf dem der Diplomatie; trotz-
dem aber wird nicht bestritten werden können, daß Frankreich die
offiziöse schriftstellerische Produktion für das Ausland, d. h. die huma-
nistische Publizistik weniger gefördert hat als Kaiser Maximilian oder
auch nur die Regierung der katholischen Könige.
Literatur. Der hier kurz besprochene Gegenstand ist noch nie ex officio
behandelt worden. Einige Notizen bei Jean Zeller, »La Diplomatie frangaise vers
le milieu du XVI^ siede d' apres la conespondance de Guillaume Pellicier« (1881),
p. 1 ff. Vgl. ferner Charriere, »Xegociations« I, 147. — Auch das damalige französische
»Departement des Auswärtigen« war noch recht rudimentär organisiert und erst
in den letzten Jahrzehnten der hier behandelten Periode wurden einige Verbesse-
rungen vorgenommen; vgl. Paul Viollet, »Le Roi et ses ministres« (1912), p. 242 ff.,
und die dort angeführte Literatur.
§ 32. Die ausAviirtig;e Politik. 2. Das Verhältnis zu Spanien.
Schon nur die Tatsache, daß diese Übersicht über die Beziehungen Frank-
reichs zu den übrigen europäischen Staaten mit einer Schilderung des
Verhältnisses zu Spanien beginnen muß, ist für die neue Lage charak-
teristisch. Es heißt dies, daß der Jahrhunderte alte Gegensatz zu
England die ausw^ärtige Politik Frankreichs nicht mehr bestimmte;
die imperialistischen Aspirationen der französischen Regierung wen-
deten sich nach einer anderen Richtung, und damit gibt auch nicht
mehr das Kräfteverhältnis zu England den Ausschlag, sondern das zu
anderen Staaten. Unter diesen aber kommt infolge des neuen italie-
nischen Programms der französischen Regierung in erster Linie Spanien^)
in Betracht.
Wenn man verwickelte internationale Verhältnisse mit einer kurzen
Formel ausdrücken müßte, so könnte man sagen, das Ereignis, das
der auswärtigen Politik der Periode ihre neue Gestalt verlieh, sei der
plötzlich auftretende Gegensatz zwischen Frankreich und Spanien
gewesen. Aus den verschiedensten Gründen hatten bisher die Voraus-
1) Ich habe geglaubt, den Ausdruck »Spanien« hier und im folgenden unbe-
denklich anwenden zu können, nicht nur weil er bereits in den zeitgenössischen
Berichten dominiert und die bequemste Bezeichnung für die vereinigten spanischen
Reiche ist, sondern auch weil Kastilien und Aragon zunächst zwar nur durch das
Ehebündnis ihrer Herrscher vereinigt waren, dem Auslande gegenüber aber eine
einheitliche »spanische« Politik befolgten.
QS Frankreich.
Setzungen zu derartig feindseligen Beziehungen gefehlt. Zunächst
hatte es bis vor kurzem überhaupt keine einheitliche spanische Macht
gegeben; wenn die Könige von Frankreich sich in die Verhältnisse der
iberischen Halbinsel überhaupt einmischten, so konnten sie ihre Pläne
auf der Allianz mit einem der spanischen Reiche selbst aufbauen. Wich-
tiger aber war noch, daß Frankreich, auch nachdem es durch die Be-
endigung des Hundertjährigen Krieges in seiner auswärtigen Politik
freie Hand erhalten hatte, in einen fundamentalen Gegensatz zu Aragon
erst geraten konnte, als es durch die Erwerbung der Provence zu einer
wirklichen Mittelmeermacht geworden war. Denn akut wurde der
Konflikt doch erst, nachdem Frankreich auf Grund seiner neuen Be-
sitzung an der Küste des Mittelländischen Meeres und vielleicht
auch wegen der damit verbundenen Ansprüche auf Neapel seine Aus-
dehnungspolitik auf ein Gebiet erstreckte, das der aragonesischen
Herrschaftsdomäne angehörte. Selbst was von sonstigen Kampf-
stoffen vorhanden war, erhielt seine Bedeutung doch nur dadurch,
daß es in den Streit über Süditalien hereingezogen wurde. Die Hege-
monie über das kleine und von Glanfehden zerrissene Königreich Na-
varra zu erlangen, lag allerdings schon an sich den Regierungen beider
Länder nahe, und dieses Bestreben konnte auch ohne den Kampf um
Italien zu dauernden Zerwürfnissen zwischen Frankreich und Spanien
führen. Aber wäre die italienische Politik der französischen Regierung
nicht gewesen, so hätte dieser Konflikt nicht größere Wichtigkeit zu
erlangen brauchen als der Gegensatz, der zwischen England und Frank-
reich wegen Calais bestand. In diesem Falle hätte ja auch die strate-
gische Bedeutung des navarresischen Gebietes für die praktische
Politik nur wenig zu sagen gehabt. Ist es nicht charakteristisch, daß
ein Staatsmann, der noch durchaus in den Verhältnissen der Zeit vor
1494 aufgewachsen w^ar, wie Commines, über Spanien und eine fran-
zösische Politik gegenüber Spanien sich so gut wie gar nicht äußert ?
(Vgl. übrigens auch seine Worte über den Zusammenhang der Erwerbung
der Provence mit den neapolitanischen Projekten II, 101 ff. = 1. VII,
eh. 1.)
Militärisch war Frankreich zwar Spanien nicht in jeder Beziehung
überlegen; aber es repräsentierte sicherlich die stärkere Macht. Dies
traf besonders in den ersten Jahren zu, als die spanischen Herrscher
den von dem größeren und reicheren Frankreich in den Dienst genom-
menen schweizerischen Söldnern nichts Gleichwertiges entgegenzu-
setzen hatten. Später schuf die spanische Regierung allerdings eine
einheimische Infanterie, die der Qualität nach den Schweizern w^ohl
ebenbürtig, dazu noch den Vorteil des nationalen Zusammenhanges
hatte. Daß Spanien in der leichten Reiterei die unbedingte Superiorität
über Frankreich besaß, hatte wenig zu sagen, da die Waffe der schweren
Reiterei dafür in Spanien so gut wie ganz fehlte. Artilleristisch waren
die spanischen Heere den französischen nicht gewachsen. Dagegen
blieben die Spanier auf dem Gebiete der Marine trotz ihrer relativ
§ 33. \'orhältnis zu den Hahsburgoni. 61)
kloinon Flotte stets die stärkeren; gerade für die Kämpfe um Neapel
waren die Franzosen daher von Anfang an auf Genua angewiesen.
Schließlich darf auch nicht übersehen w-erden, daß Frankreich zwar
reicher und wirtschafHich unabhängiger w^ar als Spiini(>n, daß aber
Spanien für seine Versorgung nicht eigentlich auf das nord liehe König-
reich angewiesen war. Es wurde zw^ar Getreide aus Frankreich nach
Spanien eingeführt, und der Venezianer Giustiniani bemerkt ausdrück-
lich im .lahre 1535, daß der Überschuß der südfranzösischen Korn-
produktion, solange gute Beziehungen zwischen den beiden Ländern
beständen, nach Spanien exportiert würde (Tommaseo 1, 46 n.); aber
wenn diese Zufuhr ausblieb, so verfügte Spanien immer noch über
den Überschuß von Sizilien, dem sowieso die Aufgabe oblag, das spa-
nische Manko an Getreide zu decken (§ 44).
So war denn Spanien w'ohl schwächer als Frankreich; aber es bildete
einen Gegner, der auch schon nur rein militärisch von Frankreich nicht
leicht zu überwinden war. Dazu kam noch, daß Spanien, gerade weil
es nicht über die militärischen und finanziellen Machtmittel des fran-
zösischen Königreiches verfügte, viel eifriger als jenes seine diplo-
matische Organisation ausbaute und Koalitionen gegen den über-
starken Rivalen in die Wege zu leiten versuchte. Über die Einzelheiten
dieser Verbindungen wird in einem anderen Zusammenhange zu reden
sein; hier mag nur erwähnt werden, wie infolge der unerwarteten Per-
sonalunion zwischen Spanien und Habsburg-Burgund, die sich aus
(^iner dieser Allianzen (>rgab, in den späteren Jahrzehnten der spanisch-
französische Gegensatz dann in den habsburgisch-franz(")sischen aufging.
Literatur. Die N'orgeschiclite des französisch-spaniselien Koiifliii^tes ist von
Emil Dürr in zwei Aufsätzen behandelt worden: »Karl der Kühne und der Ursprung
des habsburgisch-spanischen Imperiums ( »Historische Zeitschrift« 1 13 [1914J, 22 — 55)
und (besonders) »Ludwig XL, die aragonesisch-kastilianische Heirat und Karl
der Kühne« (»Mitteilungen des Instituts für österr. Geschichtsforschung« 35 [1914],
297 — 332). D. scheint mir freilich den Einfluß der Verbindung mit Burgund auf
die Politik Spaniens vor 1494 zu überschätzen.
§ 33. Die aiiswürtig'c Politik. 3. Das Verhältnis zu den habs-
burgischen Ländern. In einem ganz anderen Verhältnis stand
Frankreich zu dem habsburgischen Reich (Osterreich, Vor(ler()sterreich,
die Freigrafschaft und der der burgundischen Erbschaft angeliörige Teil
der Niederlande, sowie auch Deutschland ; vgl. § 49). ^Yar der Konflikt
mit Spanien darauf zurückzuführen, daß die französische Regierung
ihrer Ausdehnungspolitik die an sich nicht »notwendige« Richtung
nach Italien gab, so lagen zwischen Frankreich und den Habsburgern
natürliche Gegensätze vor, die den Ausbruch von Feindseligkeiten
beinahe unvermeidlich machten. Wenn dieser Umstand auf die Ge-
staltung des europäischen Staatensystems weniger stark eingewirkt hat
als der spanisch-französische Streit, so lag dies nur daran, daß auch
hier die neue italienische Politik der französischen Regierung die herge-
brachten diplomatisch-militärischen Beziehungen wesentlich veränderte.
70 Frankreich.
Die Liquidation der burgundisehen Erbschaft hatte einen Zustand
geschaffen, der keine der beiden Mächte eigenthch befriedigen konnte.
Die Habsburger waren dadurch zu natürlichen Gegnern Frankreichs
geworden. Nicht nur war an eine \'ereinigung ihrer zerstreuten Gebiete
nicht ohne eine Schädigung Frankreichs zu denken, sondern ein starkes
Frankreich bedeutete der schwächeren habsbuigischen Macht gegen-
über eine stete Bedrohung der den österreichischen Herrschern aus der
burgundisehen Erbmasse zugefallenen Gebietsteile. Ein »natürlicher«
Ausgangspunkt zu weiteren Kriegen lag also vor und ebenso natürlich
war, daß die habsburgische Regierung solche Kämpfe nur mit Hilfe
von Militärallianzen führen konnte.
Aber dieses einfache Verhältnis, das in den Jahren vor unserer
Periode ebenso wie später im 17. Jahrhundert die auswärtige Politik
Frankreichs allerdings zu einem guten Teil bestimmt hat, wurde seit
1492 durch zwei Umstände kompliziert und seiner fundamentalen Be-
deutung beraubt. Zunächst und hauptsächlich durch die italienische
Politik der französischen Krone. Der Vorstoß zur Eroberung, sei es
nun Neapels oder Mailands, absorbierte nicht nur militärische und
finanzielle Kräfte, die Frankreich zur Ausdehnung seines Herrschafts-
gebietes gegen Nordosten hätte verwenden können, sondern er schuf
auch eine partielle Interessengemeinschaft mit Österreich. Wer Neapel
und noch mehr Mailand besaß, wurde beinahe von selbst auch zum
Gegner Venedigs d. h. des Staates, den auch Österreich als seinen eigent-
lichen Feind betrachtete (§ 64). Dadurch erhielten d/ französisch-
habsburgischen Beziehungen einen widerspruchsvollen und schwan-
kenden Charakter, den die Forschung häufig auf die Persönlichkeit
des damaligen habsburgischen Herrschers zurückgeführt hat, der in
Wirklichkeit aber schon aus den abweichenden Interessen der ein-
zelnen österreichischen Besitzungen hergeleitet werden kann.
Die zweite Komplikation rührte von dem unklaren Verhältnis her,
in dem sich Deutschland zu dem habsburgisch-französischen Konflikte
befand. Das Reich war als solches an dem Streit nur soweit beteiligt,
als die Leiter seiner auswärtigen Politik, nämlich die Kaiser, dem
habsburgischen Hause entstammten und für ihre burgundische Politik
daher auch an das Reich appellieren konnten. Deutschland als solches
hatte einen französischen Angriffskrieg nicht zu fürchten (vgl. § 61),
und Frankreich hatte das größte Interesse daran, mit den deutschen
Ständen gute Beziehungen zu unterhalten, da es bei dem Mangel an
einer einheimischen leistungsfähigen Infanterie auf deutsche Söldner
angewiesen war, wollte es sich nicht ganz und gar den Eidgenossen
ausliefern (§29); der freie Zuzug solcher Landsknechte hing aber zu
einem guten Teile von dem Belieben der Reichsstände ab. Anderseits
hatten auch die deutschen Territorialherren einen wirtschaftlichen
Vorteil von den französischen Sold vertragen, und es bestand somit
in mancher Beziehung eine direkte Interessengemeinschaft zwischen
den Reichsständen und Frankreich. Aber diese Interessengemeinschaft
§ 34. Verhältnis zu England. 71
konnte nicht nur der kaiserlichen Gewalt und Prärogative wegen nie-
mals vollständig ausgenutzt werden, sondern sie war aucli dadurch
an ihrer Wirkung gehemmt, daß die französische Krone von den deut-
schen Ständen wohl ein passives Verhalten gegenüber burgundischen
Kriegsplänen, keineswegs aber ein gemeinsames aggressives \'orgehen
gegen die Habsburger erhoffen konnte (die einzige Ausnahme ist durch
ganz außergewöhnliche Verhältnisse zu erklären; vgl. § 127). Beide
Parteien befanden sich somit in der Lage, daß sie ihren Kampf um das
burgundische Erbe nicht wohl ohne Assistenz der deutschen Stände
endgültig ausfechten konnten; beide mußten aber mit einer passiven
Resistenz der deutschen Territorialfürsten rechnen, sobald sie einen
Eroberungskrieg einleiten würden. Auch aus diesem Grunde hat daher
der französisch-habsburgische Konflikt an internationaler Bedeutung
hinter dem italienischen zurücktreten müssen.
Die Vergleichung der beiderseitigen Machtmittel muß sich schon
deshalb auf das Wichtigste beschränken, weil die Habsburger vor der
Vereinigung ihrer Erblande mit Spanien kaum je als einzelne Groß-
macht mit Frankreich Krieg geführt haben. Am stärksten überlegen
war Frankreich wohl auf dem Gebiet der Finanzen; das Land war an
sich reicher und stellte dazu seine Mittel der Regierung unbeschränkter
zur Verfügung. Militärisch war dagegen das Verhältnis nicht ungünstig
für die österreichischen Herrscher: konnten sie auch dfe Superiorität
der französischen Artillerie nie ganz einholen, so vermochten sie dafür
den von Frankreich in Sold genommenen Schweizern eine bald ebenso
leistungsfähige einheimische und deshalb zuverlässigere Infanterie
entgegenzustellen. Zur See waren Machtmittel der Habsburger im Mittel-
meer allerdings überhaupt nicht vorhanden und in den Niederlanden
verhältnismäßig wenig bedeutend; aber in dieser Beziehung war ja auch
Frankreich schlecht gerüstet, es hatte nur den Vorteil, daß es wenigstens
freien Zugang zum Mittelländischen Meere besaß. Ein Nachteil für
Österreich, dem in Frankreich nichts zur Seite gestellt werden konnte,
war schließlich die gefährliche Nachbarschaft der Türkei, die von vorn-
herein eine Konzentration der habsburgischen Machtmittel gegen
Frankreich ausschloß. Als einziges unbedingtes Aktivum zugunsten
Österreichs bleibt deshalb die weit überlegene diplomatische Organi-
sation der Habsburger (§63).
§ 34. Die auswärtige Politik. 4. Das Verhältnis zu England.
Man kann darüber streiten, ob die französische Regierung nicht besser
daran getan hätte, ihre Kräfte gegen die Habsburger zu konzentrieren
anstatt den Kampf um Italien aufzunehmen. Unzweifelhaft aber ist,
daß auch nur die Möglichkeit ihrer italienischen Politik erst geschaffen
wurde durch das neue Verhältnis zu England. Erst seitdem die eng-
lische Regierung ihren Ansprüchen auf Landbesitz auf dem Kontinent
definitiv entsagt hatte und den kleinen, ihr noch übrig gebliebenen
Rest ihrer ehemaligen Besitzungen nicht mehr als Kern künftiger
Gebietserweiterungen betrachtete, konnte die auswärtige Politik Frank-
72 Frankreich.
reichs sich gegen Süden gerichteten imperialistischen Projekten hin-
geben.
Gerade deshalb kann aber an dieser Stelle von dem neuen Ver-
hältnis zwischen beiden Ländern nur ganz kurz die Rede sein. Denn der
Anstoß dazu kam mehr von englischer als von französischer Seite und
ist in der Hauptsache zu erklären aus den veränderten Zuständen in
England, die bei der Besprechung dieses Landes skizziert werden sollen.
Frankreich hatte allerdings durch seine erfolgreiche Kriegführung die
Voraussetzung zu der Wandlung der englischen Politik geschaffen; daß
die englische Regierung aber aus der neugestalteten Lage die Konse-
quenzen zog, hing mit dem politischen Wechsel zusammen, der kurz
vor dem Beginn der hier besprochenen Periode in England selbst
eingetreten war (vgl. die §§ 83 und 84).
In militärischer Beziehung befand sich Frankreich England gegen-
über in so starker Überlegenheit wie gegenüber keinem anderen Lande.
Die englische Wehrmacht teilte alle Mängel der französischen Militär-
organisation, ohne deren Vorzüge zu besitzen. Eine einheimische, nach
schweizerischem Vorbilde geschulte Infanterie ging ihr noch vollständiger
ab als jener. Der französischen schweren Reiterei und Artillerie hatte
England nichts Ähnliches entgegenzusetzen. Die englischen Bogen-
schützen, die infolge der technischen Rückständigkeit des einheimischen
Handwerks immer noch verwandt wurden, bewahrten zwar bis zum
Schlüsse des Zeitraumes ihren guten Ruf (vgl. z. B. D. Barbaro 1551
bei Alberi, »Relazioni« I, 2, 251); aber für die militärische Entscheidung
kam dieser Waffe keine große Bedeutung mehr zu. Dazu kam, daß das
viel ausgedehntere und der Bevölkerung nach ungefähr viermal so starke
französische Königreich zur Kriegführung und vor allem zur Anwerbung
ausländischer Söldner ganz anders beträchtliche Mittel aufwenden
konnte als England.
Wenn sich diese militärische Inferiorität Englands in der Entwick-
lung des europäischen Staatensystems trotzdem so gut wie gar nicht
bemerkbar gemacht hat, so war dies vor allem zwei Umständen zu ver-
danken. Zunächst fehlte der französischen auswärtigen Politik jede
aggressive Zuspitzung gegen England. Neben dem Kampfe um Italien
hatte vielleicht noch das Projekt der Arrondierung gegen Nordosten
Platz, nicht aber der Gedanke der Eroberung englischen Besitzes, ab-
gesehen von Calais. Bestärkt wurde diese Haltung durch das zweite
Moment, die insulare Lage Englands, die erst jetzt eigentlich nutzbar
gemacht werden konnte. Die französische Flotte des »Ponant« war der
englischen zu Beginn der Periode zwar unzweifelhaft überlegen. Aber
erstens verminderte sich dieser Unterschied unablässig, da die englische
Regierung der Marine als einzigem Zweige des Rüstungswesens große
Aufmerksamkeit zuwandte (§86) und anderseits wäre wohl auch schon
in den ersten Jahren die französische Flotte noch nicht stark genug ge-
wesen, um eine Invasion in England durchzuführen. Daher befürchteten
wohl bis zu den letzten Jahren des Zeitraumes englische Staatsmänner
§ 35. Verhältnis zu kleinen Nachbarstaaten. 73
einen Angriff französischer Streitkräfte gegen England; aber in Wirk-
lichkeit ist es nie zu einer solchen Expedition gekommen. Auch die
zeitweilige Verbindung mit dem schlecht bewehrten Schottland hat die
Position Frankreichs gegenüber England dann nur unbedeutend ver-
stärken können (§ 100).
Zu erwähnen ist schließlich noch, daß zwischen den beiden Ländern
keine ökonomischen oder handelspolitischen Gegensätze bestanden.
Beide Staaten waren zwar in einzelnen Artikeln wirtschaftlich auf-
einander angewiesen (Frankreich auf Metalle und Wolle aus England,
England z. B. auf das französische Segeltuch, auch auf den französischen
Wein); aber es existierte keine rivalisierende Exportindustrie und auch
was die Versorgung mit Lebensmitteln betraf, so waren die beiden Länder
in normalen Jahren, d. h. wenn in England nicht Mißwachs herrschte,
voneinander unabhängig. Wirtschaftliche Konfliktstoffe waren also
ebensowenig vorhanden, als in Kriegen erfolgreiche wirtschaftliche
Druckmittel hätten angewendet werden können.
§ 35. Die auswärtige Politik. 5. Das Verhältnis zu den be-
nachbarten kleinen Staaten. Von den Nachbarstaaten Frank-
reichs sind drei, die Eidgenossenschaft, Savoyen und Navarra noch nicht
in ihrem Verhältnis zur französischen auswärtigen Politik besprochen
worden; es soll hier noch kurz das Nötigste bemerkt werden.
Die Eidgenossenschaft. Sieht man von dem ungeheuren Unter-
schied ab, der, was Ausdehnung des Areals, Bevölkerungszahl und wirt-
schaftliche Leistungsfähigkeit betrifft, zwischen der Schweiz und anderen
Staaten bestand, so wäre man versucht zu sagen, daß die französische
Krone keinen gefährlicheren Nachbar hatte als die Eidgenossenschaft.
Nach keiner Seite hin, könnte man behaupten, sah sich Frankreich
so vollständig in die Defensive gedrängt wie nach der Schweiz hin.
An eine eigentliche Bedrohung des französischen Staates war
natürlich nicht zu denken. Schon die ganz einseitige militärische Rüstung
der Eidgenossen (§97) hätte dem artilleristisch stark bewehrten Frank-
reich gegenüber eine wirkliche Gefahr ausgeschlossen, selbst wenn der
locker gefügte Bund der schweizerischen Orte überhaupt für eine Er-
oberungspolitik im großen Stile organisiert gewesen wäre. Außerdem
stieß das Gebiet der Eidgenossenschaft nicht unmittelbar an Frankreich,
sondern nur entweder an von Frankreich temporär annektierte Terri-
torien (Mailand, Savoyen) oder an Besitzungen, auf die die französische
Politik Ansprüche erhob (die Freigrafschaft). Aber mit alledem blieb
die Tatsache doch bestehen, daß Frankreich für seine Kriegführung zu
einem guten Teile auf die schweizerischen Söldner angewiesen war
(§29), und daß infolge des schweizerischen Lizenzensystems die Liefe-
rung dieser Söldner in der Hauptsache von der Aufrechterhaltung guter
Beziehungen zu den Regierungen der schweizerischen Kantone abhing.
Auch war das Abhängigkeitsverhältnis auf der Gegenseite viel weniger
stark. Wohl war die Eidgenossenschaft wirtschaftlich auf den Ertrag
74 Frankreich.
des Söldnerdienstes angewiesen (§ 97); aber wenn Frankreich der ein-
träglichste und wertvollste Abnehmer war, so war es doch nicht der
einzige. Die französische Regierung konnte daher bei den Eidgenossen
nur mit Leistungen finanzieller Natur (handelspolitischen Konzessionen,
Pensionen) ihre Absichten zu erreichen hoffen, nicht aber mit Druck-
mitteln wirtschaftlicher oder gar militärischer Art. Ihre auswärtige
Politik durfte sich ferner zu den Interessen der eidgenössischen Re-
gierungen nie in direkten Gegensatz setzen. Das zeigte sich nicht nur
in der Rücksicht, die die französische Okkupationsregierung in Ober-
italien auf die Forderungen der Schweizer nahm, sondern vielleicht noch
mehr in dem Bestreben der französischen Krone, offiziell unerlaubte
Anwerbungen von schweizerischen Söldnern so viel wie möglich zu
vermeiden.
In vollem Umfange gilt das eben Gesagte freilich nur für die ersten
Jahrzehnte der hier behandelten Periode. Nachdem die Reformation
die Ansätze zu einer einheitlichen auswärtigen Politik der Eidgenossen-
schaft vernichtet hatte, wurde auch Frankreich gegenüber den Schweizern
freier. Noch waren die schweizerischen Söldner zwar nicht entbehr-
lich geworden und noch konnte die französische Regierung nicht daran
denken, ihnen die einst zugestandenen Vorteile direkt streitig zu machen ;
aber neue Konzessionen wurden nicht mehr gemacht und die schweize-
rische Regierung mußte von da an mehr auf der Wahrung ihrer alten
Rechte als auf der Erringung neuer bedacht sein.
Savoyen. Für diesen Wandel ist auch der Wechsel in den Be-
ziehungen Frankreichs zu Savoyen ein gutes Beispiel.
Nachdem sich Frankreich einmal zur Eroberung Mailands (und
Genuas) entschlossen hatte, hätte der erste Schritt, sollte man denken,
die Besetzung Savoyens und die Sicherung der Alpenpässe sein müssen.
Eine solche Unternehmung wäre dazu auf keine großen militärischen
Hindernisse gestoßen, da der Widerstand des kleinen Herzogtums
praktisch kaum in Betracht gefallen wäre. Tatsächlich dürfte die
französische Regierung denn auch diese Überlegung angestellt haben,
wie aus den Ereignissen der späteren Jahrzehnte hervorgeht. Wenn
sie trotzdem zunächst auf die Annexion des Landes verzichtete, so
kann nur Rücksicht auf die Eidgenossen schuld gewesen sein. Wenn
Giustiniani 1537 bemerkt (Tommaseo I, 184), die französische Regierung
ziehe vor allem der Schweizer wegen den Verzicht auf Savoyen in Be-
tracht, so gilt Ähnliches auch für frühere Zeiten. Das savoyische Gebiet
war nämlich die eigentliche Einfluß- und Ausdehnungssphäre der
Eidgenossen, vor allem in den Augen des Ortes Bern, den Frankreich
besonders zu schonen Grund hatte. Seit 1512 war dazu Savoyen durch
einen Bund mit den Eidgenossen verbunden und Arturo Segre ist wohl
sicherlich im Recht, wenn er es nur der Intervention der Schweizer
zuschreibt, wenn das Herzogtum nicht bereits in den folgenden Jahren
annektiert wurde (»La Politica sabaiida con Francia e Spagna dal 1515
al 1533« in den »Memorie della R. Accademia delle scienze di Torino«,
§ 36. Verhältnis zu entfernten kleinen Staaten. 75
ser. II, 50 [1900], 257). — Als aber die Eidgenossenschaft durch die
konfessionelle Spaltung geschwächt war, wagte es Frankreich zur Be-
setzung des Landes zu schreiten: es hatte von den Schweizern weniger
zu befürchten.
Im übrigen kann von eigentlich politischen Zielen der französischen
Politik gegenüber Savoyen nicht die Rede sein. Die Beherrschung des
Herzogtums war für Frankreich wichtig, weil dadurch die Verbindung
mit Mailand gesichert wurde; wirtschaftliche oder militärische Vor-
teile (z. B. in der Form von Söldnerlieferungen) waren von dem Lande
nicht zu erwarten.
Navarra. Aus einem ähnlichen Grunde kann man auch kaum
von einer Politik Frankreichs gegen Navarra sprechen. Denn so große
Bedeutung auch der Besitz des navarresischen Königreiches für die
militärischen Operationen zwischen den spanischen Reichen und Frank-
reich hatte, so wenig hing die Entscheidung darüber, wem die Ober-
herrschaft über das Land zufallen sollte, von der Haltung der einheimi-
schen Regierung ab. Die Verhältnisse waren dort sogar noch schärfer
ausgeprägt als in Savoyen: während das oberitalienische Herzogtum
zwar seiner Kleinheit wegen von der Haltung der rivalisierenden Groß-
mächte abhing, an sich aber eine fest konstituierte Regierung besaß, so
war das durch Clanfehden zerrissene navarresische Königreich überhaupt
kaum monarchisch organisiert und von einem selbständigen Eingreifen
der Dynastie in die militärischen Streitigkeiten konnte kaum die Rede
sein. Der Kampf um Navarra bildete zwar, für Spanien noch mehr als
für Frankreich, ein wichtiges Glied in dem Streit um Italien; aber er
war durchaus diesem allgemeinen Gegensatze untergeordnet und Navarra
selbst nahm nicht einmal in der Art als selbständige Macht an dem
Konflikte teil, wie es bei Savoyen der Fall war.
Literatur. Vgl. hier wie sonst die Literatur zu den Abschnitten über die
Länder, deren Verhältnis zu Frankreich hier besprochen ist. — Welchen Wert die
Regierungen Savoyen mit Rücksicht auf die Verbindung Frankreichs mit Mailand
beilegten, geht u. a. deutlich aus den Verhandlungen der letzten Jahre der Periode
über den Verzicht Frankreichs auf die Besetzung des Landes hervor; vgl. darüber
vor allem Lucien Romier, ))Les Origines politiques des Guerres de Religion« I, (1913),
4. und 5. Buch. Daher kam denn auch praktisch nur die Unabhängigkeit Piemonts
( »il stato del duca diqua da nionti«) in Betracht (vgl. das Zitat bei Romier S. 486, n. 1,
und Mocenigo, »Fontes Rerum Austriaca II, 57).
Über die Rücksichten, die die französische Regierung auf die Schweizer nehmen
mußte, finden sich u. a. viele Angaben in den venezianischen Relationen. Hinge-
wiesen sei hier nur auf die Stelle aus der Relation Giustinianis bei Tommaseo I, 86,
weil daraus hervorgeht, daß sogar noch im Jahre 1535 für den Fall eines Bruches
Vorstöße der Schweizer gegen französisches Gebiet befürchtet wurden. — Wie
sehr die französische Regierung darauf bedacht war, den eidgenössischen Regierungen
zu beweisen, daß sie ihr Söldnermonopol nicht zu brechen beabsichtige, dafür zeugt
u. a. das Entschuldigungsschreiben, das Karl Vlll. am 23. Juli 1494 an Bern wegen
des Anwerbens »freier Knechte« richtete {»Letires des Charles VIII« V [1905], 255 f.
[Soc. de VHist. de France]).
§36. Die auswärtige Politik. 6. DasVerhältniszudenübrigen
Staaten. Wer die Beziehungen Frankreichs zu den übrigen Staaten
76 Frankreich.
besprechen will, kann sich sehr kurz halten, wenigstens soweit er nur die
ersten Jahrzehnte der Periode in Betracht zieht. Denn in der Haupt-
sache wird er zu keinem anderen Resultate kommen können, als daß
die französische Regierung eigentliche politische Ziele gegenüber den
weiter abliegenden Gliedern des europäischen Staatensyslems über-
haupt nicht befolgt hat. Die Gründe hierfür sind bereits in §31 aus-
einandergesetzt worden; es muß genügen, hier darauf zu verweisen.
Im besonderen Maße gilt dies von den Beziehungen zu den Mächten
des Ostens und Nordens. Die Politik gegenüber der Türkei beschränkte
sich auf gelegentliche Expeditionen im Mittelländischen Meere (Allianz
mit Venedig gegen die Türken 1499 ff. ; La Ronciere, »Marine francaise«
III, 37 ff.) und im Kreuzzugstil gehaltene Proklamationen. Im Verkehr
mit Polen, Ungarn und Dänemark gelangte die französische Regierung
nicht über nichtssagende Abmachungen hinaus (1498 mit Dänemark,
1500 mit Polen-Ungarn); wenn die Habsburger Schlimmeres von ihnen
befürchteten, so war dies mehr ein Rückschluß aus ihrer eigenen diplo-
matischen Praxis als direkte Beobachtung. Und w^enn man sehen
will, wie wenig Gewicht die französische Regierung damals noch sogar
der Verbindung mit Schottland beilegte, so lese man nur die bei Jean
Barrillon (»Journal« I [1897], 315) enthaltenen Notizen übei' die Ver-
handlungen mit schottischen Gesandten im Jahre 1517.
Etwas anders verhielt es sich allerdings mit den Beziehungen zu
den italienischen Staaten.
Zw'ar waren auch diese in der Hauptsache bloß Objekte und nicht
Subjekte der Politik der Großstaaten im allgemeinen und Frankreichs
im besonderen. Die Stellung Frankreichs zu ihnen hing von der italieni-
schen Politik ab, die die französische Krone befolgte, und da die franzö-
sische Regierung wenigstens einzelnen dieser Staaten gegenüber nicht
nur auf Schmälerung cles Gebietes, sondern auf vollständige Unter-
werfung ausging (Mailand, zeitenweise auch Genua und Neapel), so
kann von einem regulären politischen Verhältnis, wie es etwa zu der
Eidgenossenschaft bestand, nicht die Rede sein.
Aber ein Unterschied bestand doch darin, daß die italienischen
Staaten, dank ihren relativ großen Machtmitteln und ihrer geographi-
schen Lage, auf die Kriegführung der Franzosen in Italien ganz anders
einzuwirken vermochten als die Staaten des Ostens und des Nordens
oder auch als die Türkei. Dazu kam noch, daß, obwohl keiner dieser
Staaten Frankreich hätte militärisch bedrohen können, doch einige
von ihnen, vor allem das seemächtige Venedig und in gewisser Beziehung
auch Sizilien von dem marineschwachen Frankreich nicht eigentlich
in ihrer Existenz getroffen werden konnten. Die französische aus-
wärtige Politik konnte daher bereits in den ersten Jahrzehnten diese
italienischen Mittelstaaten weder diplomatisch so vernachlässigen wie
die übrigen nicht angrenzenden Länder noch so durchaus nur als Fi-
guranten behandeln wie Navarra und Savoyen.
§ 37. Aspirationen der auswärtigen Politik. 77
Ein völliger Wandel in den Beziehungen zu den entfernter gelegenen
Staaten erfolgte dann nach der Schlacht bei Pavia (vgl. § 31). Frankreich
war in die Defensive gedrängt und seine Regierung suchte nun auch im
Norden und Osten diplomatische Verbindungen gegen die habsburgische
Übermacht anzuknüpfen. Auch für die Selbständigkeit italienischer
Staaten, die unter die habsburgische Oberherrschaft zu fallen drohten,
trat nun Frankreich ein (Siena; 1552 — 1555). An dieser Stelle, wo vor
allem die Machtmittel der Staaten verglichen werden sollen, ist dabei
hauptsächlich die Allianz mit der Türkei zu erwähnen, die den Zweck
verfolgte, Frankreich eine Flotte im Mittelmeer zur Verfügung zu stellen:
Standen früher Mailand und Genua der französischen Armeeleitung
nicht zu Gebote, so vermochte dies im schlimmsten Falle nur eine
französische Angriffsaktion lahmzulegen; nun aber war Frankreich
durch den Mangel einer Flotte in seiner eigenen Sicherheit bedroht.
Literatur. .1. Ursu, »La Politique Orientale de Frangois I^r (1515—1547)«, 1908.
Dann L. Bourrilly, »Antonio Rincon et la politique Orientale de Frangois Z^'' (1522
ä 1541)« in der »Revue historiqne« 113 (1913), 64ff. und 260ff., der wohl die Bedeu-
tung der diplomatischen Verhandlungen mit Polen vor 1525 überschätzt.
§ 37. Die auswärtige Politik. 7. Politische Aspirationen.
Kein politischer Akt der damaligen Zeit ist wohl so sehr auf den freien
Willen regierender Persönlichkeiten zurückzuführen, so wenig durch
militärische oder wirtschaftliche Notwendigkeiten bestimmt wie der
Entschluß der französischen Regierung, ihr Herrschaftsgebiet nach
Italien hin (Neapel, später Mailand) auszudehnen, der dann über ein
halbes Jahrhundert die Geschichte des europäischen Staatensystems
beherrscht hat (§1). Es muß daher gestattet sein, auf die Gründe,
die für diese neue Orientierung der französischen auswärtigen Politik
angeführt werden könnten, kurz einzugehen. Es ist zwar nicht Sache
der wissenschaftlichen Forschung, Zensuren auszuteilen; aber bei einem
Unternehmen, das so stark nicht nur mit der früheren, sondern auch
mit der späteren Politik Frankreichs im W'iderspruche steht und von
Anfang an mit einer scharfen Opposition innerhalb der französischen
Regierung selbst zu kämpfen hatte, darf doch die Frage erörtert werden,
ob für diesen Bruch der politischen Tradition stichhaltige Argumente
vorgebracht werden können.
Dabei muß es der Untersuchende allerdings von vornherein ablehnen,
ex eventii zu urteilen. Das Vorgehen der Franzosen gegen Neapel rief
allerdings bei den schwächeren Staaten überall Befürchtungen vor einer
französischen »Weltherrschaft« hervor und schuf somit die Basis zu
der Koalition, der die französische Macht dann in der zweiten Hälfte
der Periode erlegen ist. Aber die wichtigste und vermutlich die ent-
scheidende Vorbedingung für den Sieg dieser Koalition, nämlich die
Personalunion zwischen den habsburgischen Landen und den spanischen
Reichen, die unter Kaiser Karl V. eintrat, hat zu Beginn der Periode
niemand voraussagen können, und der Forscher darf nie übersehen,
daß erst nachdem dieses Ereignis eingetreten war, die Bilanz des itaüeni-
78 Frankreich.
sehen Unternehmens mit einem Passivum zuungunsten Frankreichs
abschloß. Der »normale« Ausgang der italienischen Kriege wäre der
Zustand gewesen, wie er etwa im Jahre 1520 bestand: Frankreich im
Besitze Mailands, Spanien in dem Neapels und Siziliens (§ 117).
Der Hauptgrund, den die Verteidiger der französischen Politik
gegen Italien wohl vorbringen könnten, w^äre folgender: hätte Frank-
reich nicht in Italien eingegriffen, so hätte sich dort die spanische Macht
widerstandslos festsetzen und ausbreiten können. Frankreich wäre
dadurch gegenüber Spanien ins Hintertreffen geraten; es hätte hinter
dem Rivalen nicht nur an Ausdehnung des Herrschaftsgebietes und
Finanzkraft zurückgestanden, sondern es hätte auch alle Aussicht ver-
loren, ihm als Seemacht auf dem Mittelmeere entgegenzutreten; denn
eine Marine konnte sich Frankreich dort nur durch die Erwerbung
Mailands- Genuas schaffen (§30). Gegen eine solche Eventualität gab
es kein anderes Mittel als einen Präventivkrieg; daß dabei als wahr-
scheinliches Resultat auch im ungünstigsten Falle wenigstens die Her-
stellung eines Gleichgewichtes zwischen spanischen und französischen
Besitzungen auf der Appeninenhalbinsel zu erwarten war, ist durch die
Ereignisse erwiesen worden.
Aber eine solche Argumentation würde, scheint mir, bereits den
Zustand voraussetzen, der doch erst durch die italienische Politik der
französischen Regierung geschaffen wurde. Frankreich hatte einen
natürlichen Gegner, das waren die Habsburger, die sich mit der vor-
läufigen Liquidation der Frage der burgundischen Erbschaft nie zu-
frieden gaben, auch dann nicht als Frankreich mit Rücksicht auf sein
italienisches Unternehmen auf ein so wichtiges Gebiet wie die Frei-
grafschaft verzichtete (1493; § 102). Mit Spanien dagegen bestand kein
prinzipieller Gegensatz (§32), seine natürliche Ausdehnungssphäre lag
eher gegen Afrika als gegen Italien zu (§45); war es da nicht in hohem
Maße fehlerhaft, diesen Staat, der gar nicht zu den Feinden Frankreichs
gehören mußte, durch die italienische Expedition geradezu zur Ver-
bindung mit dem unversöhnlichen habsburgischen Gegner zu treiben ?
Wurde Frankreich dadurch nicht mindestens in seinen Handlungen so
eingeengt, daß es Eroberungen in Italien nur mit bedenklichen Kon-
zessionen an seinen Grenzen zugunsten der Habsburger und Spaniens
erkaufen mußte ? War dabei nicht der Verlust größer als der Ge-
winn ? War dies vor allem nicht eine ganz ungenügende Ausnutzung
der finanziellen und auch militärischen Superiorität, die Frankreich
jedem einzelnen seiner Nachbarn gegenüber besaß ?
Auch der Historiker wird wohl kaum vermeiden können, der Hypo-
these Ausdruck zu verleihen, daß die italienische Politik der französi-
schen Regierung kaum anders zu erklären ist als durch den Mangel an
Einsicht in das Erreichbare, wie er gerade bei übermächtigen Herrschern
nicht selten beobachtet wird. Es W'ürde hier also dieselbe Geistesver-
fassung zur Erklärung herangezogen werden, die z. B. auch auf Grund
§ 38. Spanien. 79
der mangelhaften Organisation des diplomatischen Dienstes voraus-
gesetzt werden mußte (§31).
Literatur. Vgl. dazu die Ausführungen Henri Lemonniers in dem im übrigen
nicht in jeder Hinsicht befriedigenden 5. Bande der von E. Lavisse edierten »Histoire
de Fiance<i I (1911), 13 ff. Dort finden sich auch die wichtigsten französischen Werice
aufgeführt, die sich die Apologie der damaligen französischen Politik zum Ziele
.setzen.
b) Spanien.
§ 38. Das Land und seine Bewohner. Die spanischen Reiche bildeten
staatsrechtlich keine Einheit wie Frankreich, besonders in der Zeit vor
1516 nicht. In einem späteren Paragraphen (§40) ist denn auch nicht
unterlassen, über das eigentümliche Unionsverhältnis, in dem die spani-
schen Länder untereinander standen, das Nötigste beizubringen. Zu-
nächst aber muß erlaubt sein, dem Zweck der vorliegenden Darstellung
entsprechend von Spanien als einer einheitlichen Größe zu sprechen.
Es ist dies nicht nur dadurch geboten, daß die auswärtige Politik Spaniens
damals von einer Stelle aus geleitet wurde, sondern auch dadurch,
daß nur auf diese Weise die Möglichkeit einer Vergleichung mit Frank-
reich geschaffen wird.
Geht man nur von der Seelenzahl aus, so stand Spanien an Macht-
mitteln weit hinter Frankreich zurück. Dem Areal nach waren die
spanischen Reiche zwar beinahe ebenso groß; aber die Bevölkerungs-
dichte war des viel weniger fruchtbaren Bodens und der schlechten
Flußverbindungen wegen so viel geringer (in Kastilien 15, in den übrigen
Ländern 12 auf den Quadratkilometer gegen 34 in Frankreich), daß
die Zahl der Einwohner nicht einmal halb so groß war wie in Frank-
reich (ungefähr 7 Millionen Seelen gegen 15 — 16 in Frankreich; davon
entfielen ungefähr 5^/4 Millionen auf Kastilien, 1 Million auf Aragon
und Navarra, ^/4 Million auf die baskischen Provinzen). Auch fehlten
die Voraussetzungen für eine starke Bevölkerungszunahme in kurzer
Zeit, wie sie in Frankreich infolge der inneren Pazifizierung voraus-
gesetzt werden konnten. Es lag dies an den geographischen Bedingun-
gen. Ein großer Teil Spaniens und besonders die kastilische Hoch-
ebene ist für Getreidebau wenig geeignet, und da es an schiffbaren
Flüssen mangelt, die eine brauchbare Verbindung mit der See her-
gestellt hätten, so war die Bevölkerung zu einem guten Teile auf die
verhältnismäßig unbedeutende einheimische Produktion angewiesen.
Für eine Rivalität mit Frankreich fehlte somit zunächst die wichtigste
Voraussetzung.
Aber eben diese Bevölkerungsverhältnisse verschafften anderseits
Spanien, seitdem die letzte Entscheidung in den Schlachten immer mehr
der Infanterie zufiel (§5), in militärischer Beziehung eine viel stärkere
Position als Frankreich. Die verschiedenartigsten Umstände vereinigten
sich, um der spanischen Regierung einen Stock leistungsfähiger ein-
heimischer Infanteriesöldner zur Disposition zu stellen. Schon die
geringe Fruchtbarkeit des Bodens nötigte viele kräftige und tüchtige
80 Spanien.
Männer, im Kriegshandwerk ihr Unterkommen zu suchen. Die im Zu-
sammenhang mit derselben Grundursache stehende starke Ausbreitung
der Viehzucht, der auch einer der wichtigsten Exportartikel des Landes,
nämlich die spanische Wolle, zu verdanken war, förderte diese Bewegung
noch mehr, indem sie nicht nur eine größere Anzahl Arbeitskräfte
freigab als der Ackerbau, sondern auch die in ihr tätigen, für ihre militäri-
schen Aufgaben physisch besonders gut ausrüstete (§ 18). Diese Ver-
schiebung in den Erwerbsverhältnissen dürfte außerdem im Verlaufe
der hier behandelten Periode immer größeren Umfang angenommen
haben. Es ist nämlich wahischeinlich, wenn auch statistisch nicht
nachweisbar, daß im Zusammenhange mit der Ausdehnung der spani-
schen Machtsphäre auch die Zufuhr ausländischen Getreides (das in
der Hauptsache aus Sizilien und den Niederlanden einlief) mehr und
mehr sichergestellt wurde und in wachsenden Quantitäten erfolgte.
War dies nun aber der Fall, so ließe sich annehmen, daß wenigstens in
den vom Meer aus leicht zu versorgenden Gegenden der weniger lohnende
Ackerbau noch mehr als vorher durch die Weidwärtschaft zurückge-
drängt worden wäre, was dann wiederum die Zahl der für den Kriegs-
dienst freiwerdenden Arbeitskräfte vermehrt hätte. Dazu kamen dann
noch die in späteren Paragraphen noch eingehender zu besprechende
»Militarisierung« des spanischen Lebens, die aus Abneigung gegen die
ackerbautreibende maurische Bevölkerung dem W^affenhandwTrk auch
in Form des Infanteriedienstes im Gegensatz zu anderen körperlichen
Betätigungen eine besondere W'ürde verlieh, und schließlich die Be-
mühungen der Regierung, ihr Soldatenmaterial dadurch international
konkurrenzfähig zu machen, daß sie es nach schweizerischer Methode
ausbilden ließ (§41).
In vollem Umfange dürften allerdings diese Umstände nur in den
ersten Jahrzehnten dem Zudrang zum Söldnerdienste in Europa zu-
gute gekommen sein. Der überschüssige Teil der Bevölkerung Spaniens
erhielt später in Amerika Gelegenheit, seinen Lebensunterhalt mindestens
ebenso leicht, wenn nicht noch leichter zu finden als in der Alten W'elt.
Besonders die Eroberung Perus scheint nach zeitgenössischen Berichten
in dieser Beziehung stark eingewirkt zu haben; hier bot sich ja freilich
die Möglichkeit nicht nur gewinnbringender Soldatenarbeit wie bisher
in Amerika und Europa, sondern friedlicher Ansiedlung. Ein Venezianer
behauptet denn auch 1546 geradezu (Navagero bei Alberi I, 316), Kaiser
Karl ständen spanische Söldner nur mehr in beschränkter Anzahl zu
Gebote. »Die Bevölkerungselemente, die einst den Soldatenberuf er-
griffen, weil sie kein anderes Mittel besaßen, um ihr Leben zu fristen,
ziehen es nun durchaus vor, nach Amerika überzusiedeln.« Aber wenn
die Tatsache, daß eine starke Auswanderung stattfand, auch nicht be-
stritten werden kann, so liegt im übrigen doch kein Anzeichen dafür vor,
daß die spanische Regierung damals in ihren militärischen Operationen
etwa durch den Mangel an einheimischer Mannschaft geniert worden wäre.
Ein anderer Venezianer (Mocenigo in den »Fontes Reriim Aastriacariim«
§ 38. Land und Volk. 81
II, 30 [1870], 33 f.) betont zwei Jahre später (1548) allerdings stark die
Getreidearmut Spaniens, die er hauptsächlich auf die dünne Bevölke-
rung und den daher rührenden Mangel an Ackerbauern zurückführt.
Aber dafür, daß Spanien )>mal abitata« war, macht er ebensosehr den
Söldnerdienst wie die Auswanderung nach Peru verantwortlich; er hat
also nichts von einer Abnahme der Anmeldungen zum Soldatenberuf
bemerkt, für die übrigens auch aus den Korrespondenzen der Regierung
kein Beleg aufzutreiben wäre (die starke Auswanderung nach Peru
betont bereits 1536 Gontarini: ibid. Fontes, p. 8).
Schließlich darf wohl auch noch auf ein anthropologisches Moment
hingewiesen werden, das sich zwar, wie natürlich, nicht auf wissenschaft-
lich-medizinische Untersuchungen stützen läßt, das aber sich einer-
seits aus den klimatischen Verhältnissen Spaniens oder wenigstens
Kastiliens und anderseits aus den damit durchaus übereinstimmenden
Erfahrungen und Beobachtungen der Zeitgenossen begründen läßt,
nämlich auf die ganz außergewöhnliche physische Widerstands- und
Leistungsfähigkeit der spanischen Infanteristen. Guicciardini befand
sich sicherlich nicht im Irrtum, wenn er in seiner ausgezeichneten
Schilderung Spaniens aus den Jahren 1512/13 die natürliche Eignung
der Spanier zum Waffendienst hervorhob und sie als Hutti pazientissimi
di ogni disagio« und als Soldaten, die »sanno vivere di poco qiianto bisogna«
hinstellte {»Opere inedite« VI [1864], 290 und 274). Denn damit stimmen
nicht nur die Bemerkungen aller anderen Beobachter (vgl. z. B. Gontarini
1525 bei Alberi I, 2 [1840], 44; Navagero 1546, ibid. I, 1 [1839], 316)
überein, sondern vor allem die tatsächlichen Leistungen der spanischen
Soldaten selbst. Es kann hier genügen, an den Zug Pizarros über die
Anden zu erinnern. Aus Europa ließen sich ähnliche, wenn natürlich
auch nicht so schlagende Beispiele anführen. Immerhin ist bemerkens-
wert, daß die spanischen Söldner die Beschwerlichkeiten des Schmalkaldi-
schen Winterfeldzuges besser aushielten als die deutschen Krieger
(P. Schweizer in den »Mitteilungen des Instituts für österr. Geschichts-
forschung« 29, 147).
Der eben genannte Historiker nennt diese Erscheinung »unglaub-
lich«. Sie ist es aber keineswegs, wenn man die klimatischen Verhält-
nisse Spaniens, d. h. der kastilischen Hochebene, die die Hauptmasse
der Truppen stellte, in Betracht zieht. Diese steppenartige Gegend ist
bekanntlich durch extreme Temperaturgegensätze ausgezeichnet. Im
Inneren, das dem Einfluß des Ozeans wenig zugänglich ist, sind starke
Fröste und Schneefälle im Winter nicht selten und auch im Sommer
wechseln im Hochland, das der Mittelpunkt eines eigenen Systems
atmosphärischer Strömungen ist, kalte Winde abrupt mit tropischer
Hitze. Diese klimatischen Umstände haben in Verbindung mit der
geringen Fruchtbarkeit des Bodens und der daher rührenden häufigen
Unterernährung eine starke Sterblichkeit zur Folge; auf der anderen
Seite ist aber klar, daß der Teil der Bevölkerung, der diese ungünstigen
Bedingungen übersteht, gegen Entbehrungen und gesundheitsschädliche
Fueter. Europ. Staatensystem. 6
82 Spanien.
Einflüsse ganz besonders widerstandsfähig ist. Die spanische Regierung
besaß somit den Vorteil, daß sie nicht nur einheimische Soldaten in
sozusagen beliebiger Zahl anwerben konnte, sondern daß diese Soldaten
sich dazu noch nötigenfalls mit einem niedrigeren Solde begnügten
und trotzdem noch für militärische Aufgaben, die an die physische
Leistungsfähigkeit besondere Anforderungen stellten, brauchbarer waren
als andere, vielleicht höher bezahlte.
Wie sehr dabei physiologische Umstände ins Gewicht fielen, dürfte
auch durch die Bemerkung Guicciardinis gestützt werden, der seinem
Lobe der spanischen Truppen beifügt (S. 279), sie seien wohl bessere
Soldaten als Offiziere. Es mag dahingestellt bleiben, wieweit dies Urteil
zumal für die späteren Jahre (Guicciardini schreibt 1512) auf Richtigkeit
Anspruch erheben darf; doch liegt ihm wohl die richtige Ansicht zu-
grunde, daß die besonderen Vorzüge der spanischen Soldaten vor allem
in ihren körperlichen Eigenschaften lagen.
Noch in einer anderen Beziehung bestand ein fundamentaler Unter-
schied zwischen der Bevölkerung Spaniens und der Frankreichs. Das
französische Volk war nach Religion und Abstammung einheitlich
zusammengesetzt und wenn auch unter den Angehörigen der einzelnen
Landesteile Ungleichartigkeiten existieren mochten, so waren diese,
übrigens nirgends tiefgehenden Verschiedenheiten lokal begrenzt und
fielen nicht mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksklasse
zusammen. In Spanien lagen die Verhältnisse gerade umgekehrt, und
da dieser Zustand auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes
einen außerordentlich starken Einfluß ausgeübt hat, so muß auch an
dieser Stelle das Nötigste darüber bemerkt werden.
Die spanische Bevölkerung setzte sich, wenigstens in den Städten
und in dem fruchtbaren Süden (Andalusien), aus drei Bestandteilen
zusammen: aus dem altchristlich-spanischen Element, dem maurischen
und dem jüdischen. In dreifacher Hinsicht unterschieden sich dabei
die spanischen Zustände von denen anderer christlicher Länder:
1. Waren die nichtchristlichen Elemente im Verhältnis zu den christ-
lichen numerisch viel stärker als anderswo und außer der jüdischen war
auch noch eine starke islamitische Bevölkerung vorhanden. 2. Dieser
nicht christliche Bevölkerungsteil hatte auf gewisse Erwerbsarten, vor
allem auf das Gewerbe in den Städten und die landwirtschaftlichen
Arbeiten auf den Latifundien sozusagen ein Monopol, insofern er, sei
es durch größere Bedürfnislosigkeit, sei es durch größere Arbeitsamkeit
und Geschicklichkeit, die Konkurrenz der Christen unmöglich machte.
3. Daraus ergab sich, daß für die durch diese wirtschaftliche Überlegen-
heit bedrängten Stände die bloße Bekehrung der Fremden zum Christen-
tum keine Abhilfe schaffen konnte, sofern nicht auch die Lebensgewohn-
heiten der Konkurrenten geändert wurden. Daher lief das Bestreben des
Mittelstandes, der als einzige Klasse unter diesen Zuständen zu leiden
hatte, darauf hinaus, entweder die Fremden auch in ihrer Lebensart
und Arbeitspraxis völlig zu christianisieren oder dann aus dem Lande zu
§ 38. Land und Volk. 88
vertreiben. Da der Mittelstand dabei in stärkerem Maße unter der
Konkurrenz der Juden litt, die in den Städten das Handwerk zu einem
guten Teile monopolisiert hatten, als unter der Betätigung der Mauren,
die in großer Zahl Landwirtschaft trieben, so richteten sich die Be-
strebungen des Mittelstandes mehr gegen die Israeliten als gegen die
Moriscos. In beiden Fällen machte die wirtschaftlich Bedrängten
dabei aber keinen Unterschied, ob die Fremden noch Juden oder Moham-
medaner geblieben oder ob sie getauft worden waren ^).
Behält man diese Tatsachen im Auge, so ist es nicht schwer, die
wirtschaftlich-religiöse Politik des spanischen Mittelstandes und der
von diesem abhängigen Regierung richtig aufzufassen. Der Forscher
versteht dann auch, warum in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahr-
hunderts die Haltung der spanischen Regierung gegenüber den an-
sässigen Ungläubigen plötzlich vollständig wechselte. Spanien gilt zwar
herkömmlicherweise als das Land des Glaubensfanatismus und ebenso
herkömmlich ist die Motivierung dieses Glaubenshasses mit den Mauren-
kriegen. Aber diese Ansicht ist mit der wirklichen spanischen Geschichte
im Mittelalter auf keine Weise zu vereinigen. Weder war die Politik der
christlichen spanischen Reiche im Mittelalter von Kreuzzugsideen
beherrscht, noch waren die herrschenden Klassen von Abneigung gegen
den Islam erfüllt. Die Gleichgültigkeit gegen die Form des Glaubens-
bekenntnisses war wohl im Mittelalter nirgends relativ so stark aus-
geprägt wie bei den Angehörigen des regierenden spanischen Adels.
Ganz anders aber stand es beim Mittelstande, der aus den angegebe-
nen Gründen unter der Konkurrenz der Andersgläubigen schwer litt.
Während der grundbesitzende Adel aus der Arbeit der Mauren reichen
Ertrag schöpfte und durch die jüdischen Handwerker wenigstens nicht
geschädigt wurde, erblickte der städtische Bürger zumal in dem Juden
den Zerstörer seines geschäftlichen Gedeihens. Und als die Regierung
sich von den Adelsfaktionen freigemacht hatte, war es das erste, daß
er die Beseitigung dieser Konkurrenz verlangte.
Es ist hier nicht der Ort, auf die Ereignisse, die dieses Verlangen
in die Tat umsetzten, im einzelnen einzugehen; der bezeichnendste
Akt ist bekanntlich die Vertreibung der Juden, die zu Beginn der Periode
stattfand. Hinzuweisen wäre aber außerdem hauptsächlich noch auf
die Einführung der Inquisition, die, wie man weiß, vor allem der Be-
seitigung aller Überreste unchristlichen Glaubens und Lebens bei den
Neugläubigen, eventuell der vollständigen Vernichtung der Unbot-
jnäßigen zu dienen hatte. Sie war so organisiert, daß an die Stelle der
1) Für die getauften Juden und Moslim und itire Nachkommen bürgerte sich
damals im Ausland, speziell in Italien, die Bezeichnung »Marranen« ein, die dann
dort bald die allgemeinere Bedeutung »religiös ungläubig« annahm. In Spanien
selbst ist das Wort meines Wissens nie als technischer Ausdruck verwendet worden
und findet sich sogar als Schimpfwort für Neugläubige nur sehr selten (vgl. Guevara,
»Epistolario« [Antwerpen 1633] II, 323 f., in einem Brief aus dem Jahre 1524).
Immerhin mag es erlaubt sein, den bequemen Ausdruck auch in einer historischen
Darstellung zu gebrauchen.
6*
84 Spanien.
vom Adel abhängigen oder gegen den Adel machtlosen bischöflichen
Gerichte königliche Tribunale traten, die gegen die Xeugläubigen und
ihre Beschützer ohne Rücksicht auf die Interessen der Edelleute vorzu-
gehen vermochten. Daher war denn auch die Inquisition beim »Volk«,
d. h. bei den Angehörigen des Mittelstandes ebenso populär wie sie von
dem Adel bekämpft wurde; je größer die Macht der großen Grund-
besitzer gegenüber der Krone war, um so heftiger war anderseits der
Widerstand gegen die Einführung der Inquisition, daher am stärksten
in Aragon.
Aber die Krone verfügte in Spanien über zu gewaltige Machtmittel
(§40), als daß die Opposition des Adels gegen die ihre wirtschaftlichen
Interessen schädigenden Maßregeln der Inquisition auf die im Ein-
verständnis mit dem Mittelstand erfolgte Politik mehr als eine sus-
pendierende Wirkung hätten ausüben können. Allerdings ist während
der im folgenden behandelten Periode das »antisemitische« Programm
der christlichen Bevölkerung (dieser Ausdruck ist hier am Platze, da
die Bewegung nicht aus rein religiösen Motiven erklärt werden kann)
noch nicht in seinem vollen Umfange zur Ausführung gekommen, und
die wirtschaftlichen Folgen der Aktion haben sich daher erst zum Teil
bemerkbar machen können. Aber trotzdem ist doch schon in der Zeit
vor 1559 die ökonomische Struktur Spaniens durch die neue antise-
mitische Politik nicht unberührt geblieben.
In zwei Beziehungen dürfte die neue Lage damals schon haupt-
sächlich wirtschaftliche Folgen nach sich gezogen haben. Erstens
in der »Militarisierung« des gesamten Volkslebens, d. h. in der An-
schauung, daß auch für den Nichtadligen die einzig oder vorzugsweise
ehrenhafte Tätigkeit neben der kirchlichen oder Beamten-Karriere der
Dienst als Soldat sei. Daß diese Ansicht damals in Spanien dominierte,
wird von mehreren Beobachtern bezeugt-. Fr. Guicciardini nennt die
Spanier 1513 eine mazione annigeraa und sagt von ihnen: »neue armi
stimano molto Vonore« {))Opere inedite« VI, 279 und 274). Ebenso meint
Contarini 1525, die Ehre bestehe bei den Spaniern hauptsächlich »neue
ormi« (Alberi I, 2 p. 44). Der Umstand, daß das Handwerk in der
Hauptsache eine Domäne der Andersgläubigen geworden war, legte
gewerblicher Tätigkeit einen Makel auf. Nimmt man nun hinzu, daß die
neuen Verhältnisse, wie eben gezeigt, den Waffendienst, sei es in Europa
oder in Amerika, zu einem einträglichen Berufe machten, so ist leicht
einzusehen, daß die spanische Bevölkerung geringe Lust verspürte,
in die durch die Vertreibung der Fremden gerissene Lücke in der in-
dustriellen Betätigung einzutreten.
Aber selbst wenn diese Verachtung des Handwerkes nicht so stark
gewesen wäre, so hätte doch schon nur die Tatsache, daß diejenigen
Elemente, die das Gewerbe vor allem alimentiert hatten, zum Verlassen
des Landes genötigt wurden, einen Verlust geübter Arbeitskräfte zur
Folge gehabt, der nicht ohne weiteres zu ersetzen war. Der Chronist
Bernäldez bemerkt ausdrücklich {»Historia de los Heyes Catölicos«
§ 38. Land und Volk. 85
e. 112 = ))Cröiiicas de los Heyes de Castüla« 111 [1878], 653), daß die
im Jahre 1492 vertriebenen Juden ausschließlich Händler, Steuer-
pächter oder Handwerker, und zwar mit Ausschluß der Beschäftigungen,
die schwere Körperarbeit (Maurer, Zimmerleute usw.) erforderten,
gewesen seien, und seine Angabe dürfte um so mehr zutreffen, als die
damals aus Spanien ausgewanderten Juden noch heutzutage in Marokko
ganz dieselben Gewerbsarten betreiben wie die von Bernäldez ange-
führten. Anderseits ist aber auch die moderne Forschung darüber
einig, daß in diesen von den Juden ausgeübten Gewerbszweigen (vor
allem der Textilindustrie und der Goldschmiedkunst) die Juden in
Spanien vor 1492 dominierten, und daß neben ihnen höchstens noch
etwa die Moriscos aufkommen konnten (vgl. K. Häbler, »Die wirt-
schaftliche Blüte Spaniens im 16. Jahrhundert <(, 1888, S. 164 f.).
Die Bevölkerung der spanischen Reiche bot somit am Ausgang der
Periode weniger günstige Vorbedingungen für die Entwicklung von
Industrie und Handel als in den ersten Jahren. Handel und Gewerbe
waren ihren natürlichen Inhabern entrissen worden und waren in den
Augen der Spanier gleichsam geächtet; die Fremden, die an die Stelle
der Vertriebenen traten (Franzosen im Handwerk, Genuesen im Handel),
konnten jene in nationalwirtschaftlicher Beziehung nicht ersetzen.
Die Landwirtschaft war zwar besser gestellt, insofern den andersgläubigen
Elementen die Weiterarbeit gestattet wurde; aber auch hier ließen sich
bereits Einschränkungen bemerken. Der mit diesen Veränderungen
im Zusammenhange stehende starke Andrang zu dem Soldatendienst
kompensierte diesen Verlust allerdings zum Teil, da die dadurch ge-
bildeten einheimischen Truppen den Anschluß wirtschaftlich einträg-
licher Gebiete (Siziliens, später auch der Niederlande) sichern halfen;
aber voller Ersatz wurde damit kaum geschaffen.
Ein bestimmteres Urteil darf die Forschung wohl kaum formu-
lieren. Selbst wenn er über den Mangel an zuverlässigen Daten hinweg-
sehen wollte, so darf der Historiker nicht vergessen, daß Spanien infolge
der Personalunion mit den habsburgischen Ländern auch in ein neues
Wirtschaftssystem eintrat; niemand kann sagen, wohin die neue Politik
gegen die Marranen das Land bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts geführt hätte, wenn es schon damals der Finanzkraft der
Niederlande hätte entraten müssen.
Literatur. Vgl. die allgemeine Bemerkung zu § 26. — Zu den venezianischen
Relationen und zu der im Texte angeführten Relation F. üuicciardinis treten noch
die in den »Fotites Rerum ÄKstriacarum«, 2. Serie, Band 30 (1870), publizierten
venezianischen Berichte. — Die Abhandlung K. Häblers, »Die wirtschaftliche
Blüte Spaniens im 16. Jahrhundert und ihr Verfall« (»Historische Untersuchungen«,
ed. Jastrow 9; 1883), die, wie alle Arbeiten des Verfassers für die habsburgische
Herrschaft apologetisch gehalten ist, darf nie ohne die in den meisten Punkten
berechtigte Kritik benutzt werden, die J. Bernays an ihr geübt hat (»Zur inneren
Entwicklung Kastiliens unter Karl V.« in der »Deutschen Zeitschrift für Geschichts-
wissenschaft« I [1889], 381 — 428).
Über die Frage der Marranen findet man das Material am besten und zuver-
lässigsten bei Henry Charles Lea, »The Moriscos of Spain: their Conoersion and
86 Spanien.
E.rpulsionif 1901; aucli in seiner Beurteilung erhebt sich das Buch weit über die
übhchen, mit Schlagworten arbeitenden historischen Darstellungen. Neben ihm
wäre nur etwa noch Gothein, »Ignatius von Loyola« (1895), Buch J, Kapitell,
zu nennen.
Auch der Venezianer Quirino sagt 1506 (Alberi I, 29), man schätze in Kastilien,
daß ein Drittel der Kaufleute ( »citladini e mercanti«) Marranen seien, (worunter er
nach S. 28 nur Abkömmlinge von Juden versteht), und auch er hält wegen dieser
großen Anzahl die Inquisition für nötig.
Als Analogie und zugleich als indirekte Bestätigung der im Texte nieder-
gelegten Ansichten über den Ursprung und die Bedeutung des spanischen Anti-
semitismus sei auf den Aufsatz von Felix Priebatsch, »Die Judenpolitik des fürst-
lichen Absolutismus im 17. und 18. Jahrhundert« verwiesen (»Forschungen und
Versuche« [Festschrift für Dietrich Schäfer, 1915], S. 564-651). Daraus ergibt
sich, daß damals auch in Deutschland die Krämer und Handwerker, das was wir
jetzt den Mittelstand nennen, geschworene Feinde der Juden waren (S. 565). und daß
die Juden gerade aus den Reichsstädten vertrieben wurden, in denen diese Stände
den maßgebenden Einfluß besaßen. Die Fürsten und die Reichsritter und noch mehr
die kleinen Territorialherren nahmen dagegen die Juden gerne auf (S. 569ff.), und
die Beschwerden, die die Städte dagegen bei Kaiser und Reich erhoben, blieben
ohne Erfolg. Nicht anders stand es in Polen und Böhmen (S. 567). Auch in Florenz
war der »popolo minuto« gegen die Juden und trat für ihre Vertreibung ein, während
die regierenden Familien (i principali) sie schützten (Zeugnis von Parenti, ange-
führt bei P. Villari, »Savonarola« I [2. Auflage], 331). — In Spanien hatte aber
dieser judenfeindliche Mittelstand seit der Vernichtung des Adels einen viel stärkeren
Einfluß auf die Regierung als in Deutschland; außerdem war allerdings die ökono-
mische Gefahr wohl auch größer. Die Monarchen und die Angehörigen der Adels-
familien dürften dagegen, wie sich aus allen Zeugnissen ergibt, auch damals in Spanien
kaum anders gedacht haben als ihre Standesgenossen in anderen Ländern. Vgl.
darüber z. B. die Angaben bei Prescott, ^Ferdinand and Isabella«, p. I, eh. 12, über
die Verheerungen, die die Inquisition gerade unter den adhgen Familien Aragons
anrichtete. Auch Sandoval beklagt sich darüber, daß die »Ritter« in Valencia die
Mauren verteidigten »Vida . . . de Carlos F.«, I. 13, § 28 = I, 505 der Ausgabe Ant-
werpen 1681 zum Jahre 1525. Interessant ist auch die Debatte im kaiserlichen
Staatsrat über diese Frage im Jahre 1523/24 (ed. Gossart in den »MemoiVcs-« der
Brüsseler Akad. 55 [1897], S. 101). In seiner Aufnahmerede in die historische Aka-
demie bestreitet Antonio Bläsquez, daß die Politik der kaiserlichen Regierung die
erwähnten verderblichen Folgen gehabt habe; schuld am Rückgang der Industrie
sei nur der Zudrang zum Waffenhandwerk und die Auswanderung nach Amerika
gewesen. Er unterläßt aber zu erklären, warum der Soldatenberuf so starke Nach-
frage fand (»Lff Geograjia de Espana en el siglo A'T'/«; vgl. »Revista de Archivos«
1909, September, p. 364f.). Bläsquez berechnet übrigens die Bevölkerungsdichte
für Kastilien etwas höher, für die aragonesischen Reiche etwas niedriger als Beloch.
§ 39. Industrie und Handel. Von den soeben geschilderten Ver-
hältnissen hing nun auch die ökonomische Konstitution der spanischen
Bevölkerung ab.
Spanien befand sich in wirtschaftlicher Beziehung nicht in einer
prinzipiell anderen Lage als Frankreich. Auch in den spanischen Reichen
waren Exportindustrie und Handel nur wenig entwickelt und beschränkte
sich die Ausfuhr beinahe ganz auf Rohprodukte (hauptsächlich Schaf-
wolle und Mineralien, wie Kupfer und Erz). Aber ein gewaltiger Unter-
schied bestand daneben: Frankreich produzierte seine Nahrungsmittel
in überreicher Fülle, während Spanien für diese, speziell für die Brot-
frucht, auf das Ausland angewiesen war.
§ 39. Industrie und Handel. 87
In Frankreich konnte man es daher als natürlich bezeichnen und
es war jedenfalls finanziell nicht schädlich, wenn Industrie und Handel
von der einheimischen Bevölkerung vernachlässigt wurden. In Spanien
dagegen wäre es normal gewesen, wenn die Bevölkerung die Kosten für
die unentbehrliche Einfuhr von Lebensmitteln, die durch die exportierten
Rohstoffe offenbar nicht gedeckt wurden, durch Tätigkeit in Industrie
und Handel aufgebracht hätte. Spanien hätte dann etwa die Ent-
wicklung genommen, die früher bereits von Venedig oder den Nieder-
landen eingeschlagen worden war. Der vorhergehende Paragraph hat
auf die Gründe hingewiesen, die allem Anschein nach die spanische
Bevölkerung verhindert haben, sich den genannten Erwerbszweigen
hinzugeben.
Erleichtert wurde diese Haltung freilich dadurch, daß gerade die
politische Machtstellung Spaniens die Versorgung Spaniens aus dem
Auslande garantierte. Sizilien, das Kornmagazin des Landes, befand
sich fest in spanischen Händen und der zweite wichtige Lieferant, der
niederländisch -deutsche Zwischenhandel, war den Einflüssen rivalisie-
render Großmächte entrückt und in den späteren Jahren sogar dem
Herrscher des eigenen Landes unterstellt.
Das Ergebnis dieses Wandels war jedenfalls, daß der sowieso für
die Versorgung des Landes unzureichende Ackerbau noch mehr zurück-
ging. Die Viehzucht, die zwar hauptsächlich der Wollproduktion diente,
daneben aber auch die Milchwirtschaft pflegte (es ist bezeichnend,
daß von allen Lebensmitteln allein der Käse während des Jahrhunderts
nicht im Preise stieg: Bernays, I.e., S. 425), dehnte sich weiter aus;
aber die Wolle mußte zur Verarbeitung in immer größerem Umfange
ins Ausland gesandt werden und nicht anders stand es mit der Seide.
Während in Frankreich die Industrie auch wenig für den Export arbeitete,
aber doch wenigstens den normalen Bedürfnissen des einlieimischen
Konsums zu genügen vermochte, mußten in Spanien sogar die ge-
wöhnlichsten Tuchsorten eingeführt werden. Sogar der Schiffsbau in
Katalonien geriet in Verfall, weil diese Arbeit hauptsächlich von Morisken
ausgeübt wurde (Lea, »Moriscos«, p. 6) und diese ihr Gewerbe nicht mehr
betreiben durften. Der Handel in diesen Produkten lag fast ganz in
den Händen der Fremden, vor allem der Genuesen, die auch, wie es
scheint, das Bankgeschäft des Landes fast ausschließlich beherrschten.
Eine Ausnahme bildete nur die Seidenindustrie, die sich noch in Über-
resten erhielt und dann in Guipuzcoa die bedeutende Schiffahrt, mit
deren Hilfe die Ausfuhr (hauptsächlich von Wolle und Alaun) nach den
Niederlanden auf eigenen Fahrzeugen besorgt werden konnte. Es darf
schließlich auch auf den charakteristischen Umstand hingewiesen wer-
den, daß sogar die Entdeckung Amerikas, die dem Genuesen Kolumbus
bekanntlich bei der Suche nach einem neuen Handelsweg nach Ost-
asien zufiel, nicht eigentlich dem spanischen Handel zugutekam, die
Neue Welt vielmehr von der spanischen Bevölkerung vor allem als
Kolonialland ausgenutzt wurde.
88 Spanien.
Literatur. Vgl. die Bemerkung zu dem vorhergehenden Paragraphen. —
Über Schiffahrt und Handel von Biscaya vgl. das Buch des Marques de Seoana,
»Navegantes Guipuzcoanos« (1909) und das außerordentlich viele hierhergehörige
Notizen enthaltende »Cedulario del Hey Catölico (löOS/OG)«, das Rodriguez Villa
im »Boletin de la R. Äcademia de la Historia« 54 (1909) u. ff. veröffentlicht hat.
— Nicht unmöglich wäre, daß die Schafzucht in Spanien auch deshalb stärker
gepflegt wurde, weil die englische Wolle, die im Heimatlande verarbeitet zu werden
begann (§82), auf dem niederländischen Markte seltener wurde und sich daher
größere Nachfrage nach spanischer Wolle einstellte. Vgl. darüber A. Walther, »Die
Anfänge Karls \'.« (1911), S. 58. (brigens ging nur ein Teil der spanischen Wolle
nach den Niederlanden; die feinere Qualität wurde nach Italien exportiert (Mocenigo
1548 in den »Fontes Reruin Austr.« II. Abt., 30. Band [1870], 33).
Mit den Ausführungen des Textes steht nicht im Widerspruch, daß aus den
südlichen Teilen Spaniens gelegentlich Getreide ausgeführt wurde; denn aus den
angegebenen Gründen war es nicht möglich, mit diesem übrigens recht beschränkten
Überschuß die übrigen Provinzen zu versorgen.
§ 40. Die iiinerpolitische Organisation. Die spanischen Reiche
waren nach Regierung und Verwaltung bekanntlich lange nicht so
zentralisiert wie das französische Königreich. Kastilien und Aragon
bildeten im Grunde nur dem Auslande gegenüber eine Einheit und be-
saßen nicht einmal gemeinsame Reichsstände; dazu zerfiel der aragoni-
schen Teil selbst wieder in einzelne Staaten mit besonderen Ständen
und Privilegien.
Trotzdem hat die spanische Regierung ihre auswärtige Politik kaum
weniger einheitlich und frei durchführen können als die französische.
Es lag dies weniger daran, daß die Interessen des Mittelstandes (des
niederen Adels und der städtischen Bourgeoisie), die sie vor allem
vertrat, in den verschiedenen Reichen so ziemlich dieselben waren,
sondern vor allem darin, daß das größere und mächtigere Reich so durch-
aus dominierte, daß eine Regierung, die sich auf Kastilien stützen
konnte, eine eventuelle divergierende Haltung der übrigen Reiche kaum
mehr in Betracht zu ziehen brauchte. Kastilien lieferte die Hauptmasse
der Soldaten und der Abgaben (vgl. z. B. Guicciardini in der mehrfach
erwähnten Relation, »Opere inedite« VI, 288 und die Zahlenangaben
bei Häbler, S. 113, n. 6), und zwar, wie es scheint, noch in größerer
Proportion, als dem Unterschiede des Areals und der Bevölkerung ent-
sprach — vielleicht zum Teil allerdings gerade auch deshalb, weil die
Privilegien der aragonesischen Staaten die Möglichkeit der Besteuerung
stärker einschränkten als in Kastilien. In Wirklichkeit hatte es daher
die Regierung nur mit den Ständen eines Reiches zu tun und sie be-
fand sich in Tat und Wahrheit kaum in einer ungünstigeren Position
als etwa das englische Königtum.
In Kastilien waren aber alle selbständigen Gewalten mit Ausnahme
der Stände vernichtet worden. Über die Stellen in Armee und Kirche
verfügte die Krone ebenso vollständig wie der französische König.
Dadurch wurde auch der vor kurzem noch so unbotmäßige hohe und
niedere Adel gänzlich von dem König abhängig. Auch in Spanien
waren die jüngeren Söhne des Adels, zu deren Unterhalt das väterliche
§ 40. Innerpolitische Organisation. 89
Besitztum nicht ausreichte, für ihre geistliche Karriere auf die Gunst des
Monarchen angewiesen ; dabei fiel besonders in Betracht, daß seit den
katholischen Königen sogar die drei Bitterorden der Krone inkorporiert
worden waren, also auch die Verfügung über die zahlreichen damit
verbundenen Sinekuren allein dem Könige zustand (dies besonders
betont z. B. von Mocenigo, »Fontes Reriim Aiistriacarum« II, 30 [1870],
30f.). Das Konkordat des Jahres 1482 hatte ja dem König von Kastilien
dieselben Bechte gewährt, wie sie der König von Frankreich besaß.
Die Stände selbst aber waren auch in Kastilien keine Macht, die
eigentlich hindernd in die Politik der Begierung hätte eingreifen können
(vgl. § 19). Ihr Becht zur Bewilligung von Steuern ist allerdings nie
bestritten worden, und da die Krone aus ihren ordentlichen Einnahmen
Kriege nicht zu führen vermochte, so war an sich nicht ausgeschlossen,
daß die Stände auf die auswärtige Politik Einfluß ausübten. Es scheint
auch, daß diese Möglichkeit bisweilen Wirklichkeit wurde: wenn Kaiser
Karl V. sich schließlich zu seiner Expedition gegen die algerischen
Piraten (§ 125) bewegen ließ, so dürfte daran nicht nur die Bücksicht auf
die Unzufriedenheit der Granden im allgemeinen (vgl. »Venezianische
Depeschen vom Kaiserhof« I [1889], 216, 246 f., 310 [1538/39]), sondern
auch die Überlegung maßgebend gewesen sein, daß die Kortes, die
kaiserlichen Finanzforderungen hartnäckigen und langwierigen Wider-
stand entgegenzusetzen pflegten (vgl. z.B. Salinas, »Carlas«, p, 897f.,
1539 und vor allem »Venez. Depeschen« I, 279 und 283 f.), infolge dieser
Konzession größere Nachgiebigkeit zeigen würden. Aber wennschon
die Begierung etwa ihre auswärtige Politik hat modifizieren müssen,
so kann von einem bestimmenden Einflüsse der Stände doch keine
Bede sein.
Denn tatsächlich besaß die Begierung Mittel genug, um Geld unab-
hängig von den Ständen aufzubringen. Wie andere Begierungen, half
sie sich mit Verpfändungen künftiger (hauptsächlich indirekter) Ab-
gaben. Ungünstiger als ihre Konkurrenzen war sie dabei nur insofern
gestellt, als das arme und spärlich Industrie und Handel treibende
Land nicht die Hilfsquellen besaß, die z. B. in Frankreich die (wenig-
stens partielle) Zurückzahlung solcher Schulden erlaubten. Außerdem
scheint es, als wenn die mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
des Landes nicht im Einklang stehende Erhöhung der indirekten Ab-
gaben schließlich die Lebenshaltung in Spanien so verteuert hätte, daß
der Industrie erst recht der Konkurrenzkampf mit auswärtigen Fabriken
unmöglich gemacht wurde. Dadurch wurde aber die Steuerkraft der
Bevölkerung weiter geschwächt.
Besümierend kann man sagen: Die Begierung war durch kein
äußeres Hindernis an einer Großmachtpolitik, d. h. an einer Bivalitäts-
politik mit Frankreich gehindert. Sie vermochte die dazu nötigen
Mittel zunächst ohne weiteres flüssig zu machen. Aber sie mußte dabei
von vornherein mit Antizipationen arbeiten und dieses System führte
unvermeidlich zur finanziellen Katastrophe; wenn diese dann erst in
90 Spanien.
den letzten Jahren der hier behandelten Periode eingetreten ist, so ist
dies nur auf den Umstand zurückzuführen, daß der Nachfolger der
katholischen Könige nicht allein auf die Steuerkraft Spaniens ange-
wiesen war. Land und Bevölkerung boten — sei es infolge natürlicher
Verhältnisse, sei es infolge eines mangelhaften Wirtschaftssystems —
nun einmal nicht die Mittel zu einer solchen Politik.
Die Verhältnisse in den aragonesischen Reichen lagen an sich
für die Regierung weniger günstig. Die Privilegien der Stände waren
größer und die bewilligten Gelder standen der Regierung weniger un-
beschränkt zur Verfügung; auch gelang es der Krone noch nicht, die
Verfügung über die Pfründen des aragonesischen Ritterordens {Montesa)
in ihre Hände zu bringen (vgl. Mocenigo, »Fontes Rer. Aiistr.«, 1870,
p. 32). Aber es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Leistungs-
fähigkeit Aragons verglichen mit der Kastiliens beschränkt war. Wenn
daher die finanziellen Forderungen der Regierung bei den Ständen
von Aragon mehrfach mit einer Niederlage der Krone endigten (vgl.
z. B. Salinas, »Carlas % p. 557 = 1533), so hatte dies nicht viel zu bedeuten.
Ebenso fiel auch kaum ins Gewicht, daß, wie es allen Anschein hat,
der Widerstand der aragonesischen Kortes im Laufe der Jahre zunahm,
d. h. unter Karl V. stärker war als unter Ferdinand dem Katholischen.
Wenn Ferdinand in einem Schreiben an den »Gran Capitäna Gonzalo
de Cördoba noch lobend die Gefügigkeit seiner Stände hervorhob
{»Revista de Archivosn 3 ep., ano 14 [1910] I, 120 = 1502), die kaiser-
liche Regierung dagegen auf hartnäckigen Widerstand stieß, so kamen
dafür für ihr Budget die Beiträge der aragonesischen Länder weniger
in Betracht. Begreiflich aber war, daß mit Rücksicht auf diese beschei-
denen Leistungen dann unter Karl V. die Verwaltung Aragons, soweit
sie überhaupt von Spaniern ausgeübt wurde, beinahe ganz in die Hände
von Kastiliern gelegt wurde. Der aragonesische Adel wenigstens war
von Anfang an am Hofe des Kaisers so gut wie gar nicht vertreten
(A. Walther, »Anfänge Karls V.«, S. 43).
Literatur. Rafael Fuentes Arias, Ȁlfonso deQuintanilla, Contador Mayor de
los Reyes Calölicos«, 2 Bände, 1909 ; Laiglesia, ^>Las Cortes en el Reynado de Carlos F«,
1909 (Akademierede). Derselbe, »Las rentas del Imperio en Espana«, 1907 (gegen
ihn Cristöbal Espejo, »Sohre la organizacion de la Hacienda espanola en elsiglo XVJ«,
1907). Auf die Wirtschaftspolitik gegenüber den amerikanischen Besitzungen kann
hier nicht eingegangen werden, da deren praktische Folgen vor 1559 kaum ins Gewicht
fielen. Das neueste Werk darüber ist Gl. H. Haring, »Trade and Navigation between
Spain and the Indies in the time of the Hapsburgs«, 1918 (Harvard Economic Studies),
§ 41. Die Armee. Wie bereits hervorgehoben, stellten dieselben
Umstände, die einer ökonomischen Prosperität hinderlich waren, der
spanischen Regierung auch anderseits eine Infanterie zur Verfügung,
wie sie zuverlässiger, wohlfeiler und in größerer Anzahl in keinem Lande
mit Ausnahme der Türkei zu finden war.
Alles vereinigte sich, um günstige Vorbedingungen für die Bildung
starker spanischer Armeen zu schaffen. Wenn die gebirgige Formation
§ 41. Die Armee. 91
zumal dtT kastilischen Hochel)ene der Pferdoziiclit hinderlieh war und
deshalb das Halten von Pferden bereits mit Hilfe offizieller Maßregeln
erzwungen werden mußte, so war dies in einer Periode, wo die Infanterie
den Ausschlag gab (§5), eher ein Vorzug als ein Nachteil. Die Armut
des Landes, die dürftige Lebenshaltung und die Verachtung erw^erbender
Berufsarten schufen ein Soldatenmaterial, das geringeren Sold und
bescheidenere Verpflegung verlangte als Truppen anderer Länder, und
trotzdem in sozusagen unbeschränkter Anzahl anzuwerben war. Diese
Söldner konnten außerdem in viel höherem Grade als national zuver-
lässig gelten als die angeworbenen Krieger irgendeines anderen Landes.
Wohl fehlte es im Falle unregelmäßiger Bezahlung und ungenügender
Versorgung auch unter den spanischen Truppen niclit an Meutereien.
Aber es bestand doch in ganz anderem Maße ein Zusammenhang zwischen
Heer und Regierung als selbst in Deutschland, wo die Landsknechte
der nichthabsburgischen Erblande mit cUm Kaiser nur durch ganz
lockere Bande verknüpft waren, von den Verhältnissen in Frankreich,
England und den italienischen Staaten erst recht zu schweigen. Es ist
auch wohl nicht ohne Bedeutung, daß spanische Söldner nur selten
im Dienste nichtspanischer Herrscher nachweisbar sind.
Die spanische Regierung hat diese günstige Position allerdings erst
nach und nach im Laufe der hier behandelten Periode ausnutzen können.
Das Material war wohl von Anfang an da; aber es fehlte die moderne
Schulung, die »schweizerische Methode« (§5). Wie hätte sich auch das
Bedürfnis nach dieser Neuerung geltend machen sollen, solange spanische
Soldaten weder in ihrem Lande selbst noch in Afrika oder Italien mit
schweizerischen Söldnern zusammenstießen ? Daß die spanische Armee
in dieser Beziehung hinter anderen Nationen und speziell hinter dem
Rivalen Frankreich zurückgeblieben war, zeigte sich erst, als die franzö-
sische Expedition nach Neapel einen Kampfplatz geschaffen hatten,
auf dem sich Truppen aller europäischer Staaten auf gemeinsamem
Boden messen mußten. Damals erwies sich die spanische Infanterie
allerdings bald als der neuen Taktik nicht gewachsen. Doch wau'de die
Reorganisation der Armee auch dann nicht mit einem Schlage durch-
geführt. Die Regierung behalf sich zuerst mit Kompromissen: sie nahm
zu ihren eigenen Truppen schweizerische oder deutsche Söldner in ihren
Dienst und reservierte zunächst, wie es scheint, die Fremden für die
schwierigen Aufgaben. Zugleich aber sorgte sie auch schon dafür, daß
wenigstens ein Teil der eigenen Mannschaft nach der neuen Methode
ausgebildet wurde (so noch im Jahre 1513; vgl. den vierten der »Dis-
corsi politici<( Fr. Guicciardinis, geschrieben in Spanien, »Opere ineditec I
[2. Aufl., 1857], 241 f.).
Etwa von 1520 an waren dann aber die spanischen Söldner so weit
gekommen, daß sie an militärischer Brauchbarkeit hinter ihren schweize-
rischen und deutschen Mustern nicht mehr zurückstanden. Bis zu den
letzten Jahren der Periode wird zwar etwa von fremden Beobachtern
hervorgehoben, daß die spanischen Soldaten von Haus aus nicht so gut
92 Spanien.
vorgebildet seien wie die deutschen (Navagero 1548 bei Alberi I [1839],
316, und Mocenigo in demselben Jahre, »Fontes Her. Aiistr.« 1870,
p. 124; vgl. ferner Ludovisi 1534 bei Alberi III, 1 [1840], 10). Aber
sogar die Kritiker mußten zugeben, daß die Spanier das Fehlende
rasch nachholten, viele unter ihnen waren ja auch alte Berufskrieger,
und in dem 1517 von der päpstlichen Regierung ausgearbeiteten Gut-
achten über eine Offensivallianz der europäischen Staaten gegen die
Türkei werden die Spanier neben den Schweizern, Deutschen und
Böhmen ausdrücklich als diejenigen genannt, die eine modern geschulte
Infanterie stellen könnten (Charriere, »Negociations« I, 36). Auch aus
dem Verlauf der damaligen Feldzüge dürfte mit nichten eine Minder-
wertigkeit der spanischen Söldner zu erweisen sein. Nimmt man dann
aber noch hinzu, daß die Spanier mit der ebenso guten Schulung Vorzüge
verbanden, die bei den deutschen »Knechten« nicht vorhanden waren,
so wird die spanische Infanterie gegen das Ende der Periode wohl als
die leistungsfähigste betrachtet werden müssen.
Die spanischen Infanteristen waren außerdem weniger einseitig
ausgebildet als mindestens die schweizerischen Söldner. Auch als Sturm-
truppen bei Belagerungen vermochten sie bedeutendes zu leisten und
Mocenigo meint 1548 geradezu {»Fontes Rer. Austr.« 1870, p. 109), daß
von den Kontingenten, aus denen sich das kaiserliche Heer gegen die
Schmalkaldner zusammensetzte, nur die spanischen für einen Angriff
auf die stark befestigte Stadt Wittenberg in Betracht gekommen wären.
Die spanischen Soldaten durften auf diesen Ruhm Anspruch er-
heben, obwohl ihre Leistungen im Artillerie- und Befestigungswesen
nie das Maß des Mittelmäßigen überschritten haben. Nie sind ihre
Geschütze und Fortifikationsanlagen den französischen gleichgekommen,
obwohl auch sie dem Mangel an einheimischen Technikern durch die
Verwendung ausländischer (italienischer) Ingenieure abzuhelfen ver-
suchten (vgl. z. B. Quirino, »Archiv für österr. Geschichte« 66 [1885],
246; 1506). Es könnte zwar dagegen angeführt werden, daß ein zur Zeit
der katholischen Könige lebender spanischer Seeräuber und Techniker
namens Pedro Navarra herkömmlicherweise als Erfinder der Minen
gerühmt wird; Lucas de Torre hat aber {»Revista de Archiuos« 1910,
I, 198 ff.) diese Legende zerstört und nachgewiesen, daß Navarro,
der übrigens unter Franz I. auch in französischen Diensten arbeitete,
seine Kunst von einem neapolitanischen Geschützmeister namens
Antonelli gelernt hatte und dazu noch nach einem veralteten Ver-
fahren operierte. — Sogar für den Bezug von Schutzwaffen waren
die Spanier auf das Ausland (Mailand) hingewiesen, wenn Qualitäts-
arbeit verlangt wurde (vgl. z. B. »Cediilario« in »Boletin« 55 [1909],
178 [1508] und Salinas, »Cartas« S. 632 [1535]).
Die Kavallerie stand hinter der Infanterie und sogar hinter der
Artillerie weit zurück. Die spanischen leichten Reiter, die ginetes,
fanden zwar bei ihrem ersten Auftreten in Italien kaum ihresgleichen
(vgl. §8); aber es scheint, daß diese Truppe, die den Maurenkriegen
§ 42. Die Marine. 93
ihre Entstehung verdankte, nach dem Untergang des Königreiches
Granada nach und nach einging, jedenfalls treten in den späteren Jahr-
zehnten der Periode spanische leichte Reiter nur selten mehr auf. Die
spanischen Heere hatten so schließlich überhaupt kaum mehr eine
Kavallerie. Denn an Reisigen hatte es in Spanien von jeher so gut wie
ganz gefehlt. Mangelte es doch schon an der ersten Voraussetzung dazu,
an guten und zahlreichen Pferden. Schon Guicciardini betont dies im
vierten seiner »Discorsi politici« (geschrieben 1513; »Opere inedite« I,
2. Aufl., p. 240) und Äußerungen wie die Salinas', aus dem Jahre 1529
{»Carlas«, p. 426) beweisen, daß in dieser Beziehung schließlich eine
eigentliche Kalamität bestand. Es ist deshalb durchaus begreiflich, wenn
die auf ihre Reisigen stolzen Franzosen die Spanier als bloße Infanteristen
verspotteten und sie einmal zu einem Schaugefecht herausforderten, weil
dos Espanoles no eran hombres de d caballo, sino de ä pie« (1502 bei
Trani; vgl. z. B. Gömara, »Annais of the Emperor Charles F« ed.
Merriman 1912, p. 167f. und 11). Die Spanier nahmen die Heraus-
forderung wohl an, konnten die Tatsache selbst aber kaum bestreiten.
Hire Kriegführung fuhr jedoch dabei nicht schlecht, da die Infanterie
nun einmal die entscheidende Waffe geworden war und deshalb wohl
hat die spanische Regierung zwar das vollständige Verschwinden der
Kavallerie verhindern wollen, zu der Schaffung eines Reisigenkorps
nach französischem Muster dagegen nie Anstrengungen gemacht.
Literatur. Für die gesamte ältere Literatur sei aucii hier wieder auf den
zweiten Band des Buches von M. Hobohm verwiesen »Machiavellis Renaissance der
Kriegskunst«, 1913. Dort noch nicht benutzt ist die außerordentlich aufschluß-
reiche Korrespondenz der katholischen Könige mit dem »Gran Capitän« aus den
Jahren 1495ff., die in der »Revista de Archivos«, 3 epoca, ano 13 (1909, I) und folgende
Bände von L. L Serrano y Pineda publiziert worden ist. Die ;iach der neuen Taktik
ausgebildeten Truppen hießen direkt »gente armada y ordenada ä la suiza« (z. B.
Schreiben vom 30. April 1504, ano 15 [1911], p. 427). Auch ihre Bewaffnung hieß
mrmadura siiizac (1000 Stück für die Truppen in Neapel erwähnt ib. nr. 490, p. 259,
Schreiben vom 21. März 1509). 1502 (9. Nov.) schreibt König Ferdinand, er habe
den Krieg mit Frankreich hinausgezogen, u. a. weil nötig sei, mrniar la gente que
para alli es menester, toda ä la suiza 6 la mayor parte« (»Revista«, 1910, I, p. 120).
Ein Aufsatz von L. de Torre in derselben Zeitschrift ano 15 (1911) stellt die wich-
tigsten Angaben über Meutereien spanischer Söldnertruppen zusammen (»Los
Motines militares en Flandes«). Vgl. ferner noch die Biographie des unter Gon-
zalo wirkenden Artilleristen Diego de Vera von Luca de Torre, »Revista de Ar-
chivos«, März 1912, p. 289ff.
Nichts neues bringt die Schrift von Henning von Koos, »Die Schlachten bei
St. Quentin und Gravelingen nebst einem Beitrag zur Kenntnis der spanischen
Infanterie im 16. Jahrhundert«, 1914.
§ 42. Die Marine. Entschieden stärker als Frankreich war Spanien
dagegen zur See, besonders wenn man die für den Kampf um Italien
entscheidenden Verhältnisse im Mittelländischen Meere in Betracht zieht.
Es hing dies mit zwei Umständen zusammen: erstens mit der Not-
wendigkeit, die Küsten gegen räuberische Angriffe zu schützen, die
in Frankreich in diesem Maße keineswegs bestand und dann darin,
daß Spanien noch Reste einer einst bedeutenden Handelsschiffahrt
94 Spanien.
bewahrt hatte, denen das südliche Frankreich nichts ÄhnHehes an die
Seite zu stellen hatte. Praktisch von untergeordneter Wichtigkeit
scheint dagegen gewesen zu sein, daß die unentbehrliche Verbindung
mit Sizilien nur durch eine Flotte garantiert werden konnte; es wäre
wenigstens schwer nachzuweisen, daß dieser Umstand auf die Marine-
politik der Regierung einen Einfluß ausgeübt hätte.
Mit all dem wurde freilich nur erreicht, daß Spanien im Mittelmeer
nicht gänzlich der Marinekampfmittel entbehrte, nicht aber, daß es
zu einer wirklichen Seemacht wurde. Denn die wenigen ständig unter-
haltenen Galeeren genügten kaum zum Schutze der Küsten; aus ihnen
ließ sich weder eine starke Flotte formieren, noch hätte die Regierung
sie, ohne ihr Land zu entblößen, auf längere Zeit von ihren Stationen
entfernen können. Zu einer Ergänzung durch »armierte« Handels-
schiffe (§ 14) fehlten aber die Voraussetzungen. Die spanischen Hafen-
plätze verfügten weder über so leistungsfähige Werften noch über
einen so starken Stock an Mannschaft wie die italienischen Seestaaten,
wie denn auch die Galeeren der Regierung mit Sträflingen bemannt
waren. In Biskaya war die Schiffahrt wohl sehr entwickelt, und die
dortigen Seeleute galten, wohl mit Recht, als sehr tüchtig {ygi. Pulgar
II, 99, in den »Crdnacas de los Heyes de Castüla« III, 358); aber aus den
in § 14 geschilderten Gründen war daraus für Kämpfe im Mittelmeer
nur geringer Vorteil zu ziehen. Dazu kam, daß die Regierung, wie es
scheint, schon unter den katholischen Königen, aber noch mehr unter
den Habsburgern der Marine wenig Aufmerksamkeit zuwandte; es
ist wohl mehr als ein Zufall und hängt nicht nur mit der florentinischen
Herkunft des Autors zusammen (vgl. § 13), wenn Francesco Guicciardini
in seiner Relation über Kastilien der Marine überhaupt keine Erwäh-
nung tut.
Freilich darf der Forscher dabei folgendes nicht übersehen: daß die
spanischen Streitkräfte zur See es nicht über bescheidene Dimensionen
hinausbrachten, zog erst von dem Augenblicke gefährlichere Folgen nach
sich, als einerseits der Kampf um Italien das Land in einen Gegensatz
zu Frankreich brachte, das dabei öfter über die genuesische Flotte
verfügen konnte, und anderseits die Korsarenschiffe Nordafrikas unter
einer einheitlichen Leitung zusammengefaßt wurden und sich dazu noch
mit der Türkei verbanden (vgl. § 99). Erst von da an kann von einer
eigentlichen Inferiorität der spanischen Flotte, d. h. von einer Ab-
hängigkeit von Genua gesprochen werden. Es war vielleicht nicht un-
verzeihlich, wenn die spanische Regierung in den Jahren vor diesen Er-
eignissen glaubte, zur See den Franzosen gewachsen zu sein und deshalb
für den Ausbau der Marine wenig leistete, zumal da sie in der Regel
auch noch über die Seestreitkräfte Unteritaliens verfügte.
Dabei fällt besonders in Betracht, daß die spanische Regierung
damals jedenfalls imstande war, die Verbindungen zur See, sei es mit
Unteritalien, sei es zwischen Andalusien und Navarra z. B. ohne wesent-
liche Störung durch die Franzosen aufrechtzuerhalten (vgl. zu dem
§ 43. Organisation des auswärtigen Dienstes. 95
zuletzt gPiianiUeu Punkte z.B. Guieeiaidini in dem diiltcn der ))Dis-
corsi politici«: ^>Opere inedite« I, 2. Aufl., p. 224).
Literatur. C. Fernändcz Duro, i>Ärm.ada espailola«, 1895— 1903 ; A. Navarrete,
i>Historia maritima militar de Espana« I, 1901 : F. de Laiglesia, »Estudios histöricos«,
(1908), p. 101 f. und 485.
§ 43. Die auswärtige Politik. 1. Die Organisation des aus-
wärtigen Dienstes.
Aus dem Vorhergehenden ergibt sich, daß Spanien, wenn es schon
seiner mihtärischen Ausrüstung nach Frankreich in mancher Beziehung
überlegen war, im allgemeinen doch dem nördlichen Nachbarreich gegen-
über durchaus als die schwächere Macht gelten mußte. Daß die spanische
Regierung selbst dieser Ansicht war, wird durch nichts besser bewiesen
als durch die Sorgfalt, die sie ihrem auswärtigen Dienst zuwandte
(vgl. §3).
Es mußte das natürliche Bestreben der spanischen Regierung sein,
sich gegen die französische Übermacht mit anderen Großstaaten zu
Koalitionen zusammenzuschließen und die Folge war, daß vom Anfang
der hier behandelten Periode an der diplomatische Verkehr besonders
mit den übrigen, dem französischen Reiche benachbarten Mächten
systematisch gepflegt wurde. Zu einer Zeit, da die französische Re-
gierung noch nirgends durch ständige Gesandte vertreten war, unter-
hielt die spanische bereits reguläre Repräsentanten am englischen und
am habsburgischen Kaiserhofe wie auch in Rom und in Venedig. Die
Korrespondenz mit den Gesandten wurde sorgfältig aufbewahrt; zum
erstenmal wurden damals im spanischen diplotnatischen Dienst Chiffren
(und zwar sehr komplizierter Natur) verwendet (Bergenroth in der Ein-
leitung zu den »Calendars, Spanish Papers« I; auch in der Biographie
Bergenroths von W. C. Gartwright [1870], S. 206). Die spanische Re-
gierung stand demnach in dieser Beziehung viel besser gerüstet da als
die französische.
Das gleiche gilt auch von der Art. wie die öffentliche Meinung
publizistisch bearbeitet wurde. Guicciardini rühmt in seinen »Ricordi«
aus eigener Erinnerung die geradezu musterhafte Geschicklichkeit, mit
der König Ferdinand von Aragonien die Mitwelt auf seine Akte vor-
bereitete (Ricordi nr. 273 = »Opere inedite« I, 2. Aufl., 163), und auch
für die moderne Forschung ist noch erkennbar, daß von allen außer-
italienischen Regierungen die spanische der offiziellen Historiographie,
und zwar der zeitgeschichtlichen, also unmittelbar publizistisch ver-
wendbaren, die größte Aufmerksamkeit zuwandte; es sei nur an das
Engagement des für Spanien schreibenden Chronisten Pulgar und der
für das Ausland arbeitenden lateinischen Historiographen Lebrija und
Petrus Martyr hingewiesen (vgl. darüber z. B. in dem mehrfach ange-
führten »Cedulario del rey catölicon im »Boletin« der spanischen histori-
schen Akademie 54 [1909] u. ff. nr. .530. 29 und 529 [1508/09]).
Die spanische auswärtige Politik war dabei neben der habsburgi-
schen die vielseitigste. In der Kunst, künftige Gebietserweiterungen
96 Spanien.
durch dynastische Eheverbindungen vorzubereiten, fanden die katho-
lischen Könige nur am Hause Österreich ihresgleichen und dazu kam
eine politische Ausnutzung wirtschaftlicher Vorzugsstellungen (der
Verfügung über den Getreideüberschuß Siziliens), wie sie sonst in diesem
Umfange wohl nicht einmal in der Türkei ausgeübt wurde. Der Zufall
(hier kann wirklich ein anderer Ausdruck nicht angewendet werden)
wollte es dann freilich so, daß die Heiratspolitik der spanischen Re-
gierung nicht ihr natürliches Resultat, nämlich die Vereinigung der
seinerzeit nach derselben Methode zusammengefügten Reiche von Kasti-
lien und Aragon mit Portugal erreichte, sondern die unerwartete Personal-
union der spanischen Länder mit den habsburgischen herbeiführte.
Für die Absichten der spanischen Regierung kann dieser Ausgang
aber nichts beweisen.
Literatur. G. Sela, »Politica internacional de los Heyes Catölicos«, 1905;
J. Perez de Guzman, »Dogmas politicos de Fernando V«, 1906. — Für die Art, wie die
Regierung ihre Verfügung über den Getreideexport aus Sizilien ausnutzte, bietet
besonders die zu § 39 zitierte Korrespondenz mit dem »Gran Capotän« zahlreiche
Belege. Unter den Habsburgern wurde dies natürlich nicht anders; noch im Jahre
1546 bemerkt B. Navagero (Alberi, »Relazioni« I, 338). wer über Sizilien und Apulien
gebiete, leide nicht nur nie Mangel an Lebensmitteln, »anzi a lui sta ü darne agli
atnici e tarne agVinimici e trarne come egli (KarlV.) ne trae grande utilitä«.
§44. Die auswärtige Politik. 2. Das Verhältnis zu Unter-
italien. Der Historiker mag es unklug nennen, daß die damalige
spanische Regierung ihre auswärtige Politik nach dem Gesichtspunkt
orientierte, daß ihr vor allem der Besitz Unteritaliens (Neapels und
Siziliens) zufiel oder gewahrt blieb. Aber er wird die Tatsache, daß
dem so w'ar, nicht bestreiten können, und es muß daher die Übersicht
über die Länder, mit denen sich die spanische Politik hauptsächlich
beschäftigte, mit einer Skizze des Verhältnisses zum Königreich beider
Sizilien beginnen.
Zu Beginn der hier behandelten Periode gehörte der wichtigste
Teil dieses Königreiches, nämlich die Insel Sizilien, bereits zu Aragon,
der übrige Teil (das Königreich Neapel) unterstand wenigstens der
Herrschaft einer aragonesischen Seitenlinie und die Annahme lag nahe,
daß König Ferdinand nicht nur nie auf seine Ansprüche auf dieses Ge-
biet verzichtet hätte, sondern daß er vor allem niemals dulden würde,
daß eine andere Großmacht sich festsetzen würde, am wenigsten nach-
dem die glückliche Beendigung des Krieges mit Granada die Konsoli-
dierung Spaniens zum Abschluß gebracht hatte. Dies war denn auch
der Fall. Aus welchen Gründen legte nun die spanische Regierung
auf den Besitz Siziliens besonderen Wert ?
Die Antwort ist nicht schwer zu geben. Für ein getreidearmes
Land wie Spanien war die Verfügung über den reichen Kornüberschuß,
den Sizilien produzierte, beinahe eine Lebensnotw^endigkeit. Wohl
waren die spanischen Reiche nicht gänzlich für ihre Getreideversorgung
auf die genannte Insel angewiesen. Von dem Getreide, das aus Nord-
§ 44. Verhältnis zu Unteritalien. 97
deutschland und Polen nach den Niederlanden verschifft wurde, ge-
langten Ladungen nicht nur in die gegen den Golf von Biskaya zu ge-
legenen Landstriche, sondern bis Andalusien; außerdem bestand die
Möglichkeit, Korn aus Frankreich zu importieren oder über Genua zu
beziehen. Aber es ist ohne weiteres klar, daß diese Transportwege
für Spanien nicht denselben Wert hatten wie die offizielle Kontrolle
über die sizilianische Produktion. Was an Getreide aus Sizilien nach
den Mittelmeerküsten Spaniens verfrachtet wurde, kam nicht nur wohl-
feiler als was aus der Ostsee oder durch die Dardanellen hergeschafft
werden mußte, sondern es konnte auch im Notfalle auf ein viel höheres
Quantum gesteigert werden als die Getreidesendungen aus Gegenden,
wo die Spanier vielleicht mit einem bloßen Rest vorlieb nehmen mußten;
auch waren Beschränkungen aus politischen Gründen nicht zu befürch-
ten, wie sie etwa von der französischen Regierung ausgeübt wurden
(§ 32). Daß Sizilien zu einer solchen Aushilfe imstande war, wird schon
allein dadurch bewiesen, daß in normalen Jahren, d. h. in Jahren,
da in Spanien kein Mißwachs herrschte, Getreide aus der Insel in großem
Umfange ins nichtspanische Ausland ausgeführt wurde und dieser
von der Regierung überwachte Export als politisches Druckmittel
gegenüber fremden Staaten Verwendung fand (vgl. u. und § 43). Daraus
ergibt sich ohne weiteres, daß im Falle einer schlechten Ernte in Spanien
die Regierung es in der Hand hatte, das Manko der einheimischen Pro-
duktion so gut wie vollständig aus dem (sonst ins Ausland abgegebenen)
Getreideüberschuß Siziliens zu decken. Die Versorgung Spaniens mit
sizilianischem Korn in Jahren des Mißwachses wurde denn auch beinahe
sprichwörtlich als eine ganz gewöhnliche Sache der Einfuhr seltenerer
Artikel aus Italien gegenübergestellt. »Boscän war der erste, der das
italienische Sonett nach Spanien verpflanzte«, heißt es in einer Salazar
zugeschriebenen Erklärung, die nach 1547 verfaßt wurde. ))Otro fue
por Dios esto giie no llevar mucho trigo de Sicilia en Espaha en tiempo
de carestiai'i {»Revista de Archivos«, Mai 1913, p. 357).
Aber selbst in den Jahren, in denen Spanien nicht unbedingt auf
die Getreidezufuhr aus Sizilien angewiesen war, erwies sich die Kompe-
tenz der Regierung, durch ihre Lizenzen den Export des sizilianischen
Getreides zu regeln als ein wertvolles Kampfmittel. Nicht nur kam es
vor, daß sogar das Königreich Neapel sich zu seiner Versorgung an
SiziUen wenden mußte (vgl. z. B. »Revista de Archivosa 1913, Juli,
p. 124 = 1503) und hat König Ferdinand durch seine Getreidelieferungen
mehrfach in gewichtiger Weise in die Kämpfe in Italien eingreifen
können, sondern die Möglichkeit, die Getreideausfuhr aus Sizilien zu
sperren, war, wie es scheint, eines der wirkungsvollsten Druckmittel den
Herrschern von Tunis und Tripolis gegenüber, denen die spanische
Macht sonst schwer beikommen konnte. Es war für die spanische
Regierung von großer Bedeutung, ihren Einfluß unter den Herrschern
der nordafrikanischen Küste auszudehnen, schon nur der Korsarengefahr
wegen (§45); konnte sie dieses Ziel auf bequemere Weise erreichen, als
Fueter, Europ. Staatensystem. 7
98 Spanien.
wenn sie jenen kornarmen Küstengegenden mit einer Sperre der Ge-
treidezufuhr drohte ? Gerade weil sie zunächst noch nicht an system-
atische Eroberungen in den weiter östhch gelegenen Teilen der Küste
dachte, lag ihr um so mehr daran, ihre dortigen Anhänger wenigstens
durch die Lieferung von Getreide zu unterstützen (vgl. darüber speziell
die Schreiben König Ferdinands 1496 und 1500 in der »Revista de
Archivos«, p. 346 ff., p, 415, im allgemeinen dann auch die Notiz bei
Sanuto, »Diarii« I, 459 [1497]).
In derselben Sache war außerdem der Besitz Siziliens für die spa-
nische Regierung noch insofern von Wert, als die Insel (wie übrigens
auch das Königreich Neapel) zur Abwehr gegen die Raids der afrikani-
schen Korsaren eine Flotte unterhalten mußte. Es ist klar, daß es für
Spanien, das von derselben Gefahr bedroht war, vorteilhaft war, wenn
seine zum Schutze der Küsten patrouillierenden Galeeren mit den si-
zilianischen und neapolitanischen Schiffen zusammen operieren konnten.
Der Besitz Neapels hatte für Spanien bei weitem nicht dieselbe
Bedeutung wie die Verfügung über Sizilien. Wer das verschiedene
Verhältnis, in dem Spanien zu den beiden Reichen stand, auf eine
kurze und deshalb übertreibende Formel bringen wollte, könnte sagen:
Neapel hatte für Spanien überhaupt nur insofern Wert, als ohne das
»Königreich« auch die Insel Sizilien nicht als sicherer Besitz zu gelten
vermochte. Jedenfalls hielt Spanien hauptsächlich aus diesem Grunde
an Neapel fest, wenn es schon dessen Beherrschung nie dieselbe Wichtig-
keit beilegte wie der Abhängigkeit Siziliens. Der Venezianer Contarini
behauptet im Jahre 1525, die Einnahmen, die der spanischen Krone
aus Neapel zugingen, würden gänzlich durch die Ausgaben aufgezehrt
(Alberi, »Relazionin I, 2 [1840], 32). Diese Ansicht mochte zutreffend
sein ; aber für Spanien war Neapel deshalb nicht weniger wertvoll.
Für die Ausnutzung der sizilianischen Getreideproduktion im Interesse der
Versorgung Spaniens sind besonders bezeichnend Schreiben wie das vom 4. Ok-
tober 1504 an den Präsidenten der »Justicia« in Neapel, in dem König Ferdinand
erklärt, er habe wegen des Getreidemangels ( necessidad de pari) in Aragon und anderen
Teilen Spaniens die Getreideausfuhr aus Sizilien allgemein außer nach Neapel und
Spanien sperren lassen (»he mandado cerrar la saca de pan de Sicilia para todas partes,
excepto para esse reyno y para mis reynns d" Espaiia«) : »Revista de Archivos« p. 379,
p. 308 und das Schreiben vom 9. Oktober (ibid. p. 311), das das Verbot wiederholt
und Vorsichtsmaßregeln gegen Umgehungsversuche von Getreidehändlern anordnet
§45. Die auswärtige Politik. 3. Die Beziehungen zu Nord-
afrika. Die Sorge um die unteritalienischen Besitzungen bildete das
Zentralproblem der spanischen Politik in der hier behandelten Periode,
weil Spanien dadurch in Gegensatz zu den französischen Ansprüchen
auf Italien geriet und somit in einer Weise in den allgemeinen Kampf
der Großmächte hineingezogen wurde, wie es bloß Navarras und Roussil-
lons wegen nie geschehen wäre. Ihrer inneren Bedeutung nach wurde diese
Angelegenheit aber von der afrikanischen Frage weit überragt. Es war
für die Zukunft des Landes von entscheidender Wichtigkeit, wie sich
die Regierung, nachdem sie den letzten Maurenstaat innerhalb ihres
§ 45. Beziehungen zu Nordafrika. 99
Gebietes vernichtet liatte, zu den mohammedanischen Staaten an der
nordafrikanischen Küste stellen würde.
Der Besitz Siziliens war gewiß, wie gezeigt worden ist. sehr ein-
träglich. Er brachte momentan größeren Nutzen als die Angriffe der
afrikanischen Piraten und Stammesfürsten Schaden anrichten konnten.
Aber eine solche Rechnung wäre doch nur halb richtig gewesen. Das
sizilianische Getreide wäre auch in fremden Händen Spanien nicht
ganz verloren gewesen, es hätte dies nur die Ernährung der spanischen
Bevölkerung unsicher gestaltet; von der nordafrikanischen Küste aus
ließ sich jedoch Spanien direkt bedrohen und schädigen. Dabei waren
die Raubzüge der dortigen Piraten vielleicht noch nicht einmal das
Schlimmste. Die Angriffe der nordafrikanischen Korsaren haben auch
nicht wenig zu der Vertreibung der Mauren aus Spanien beigetragen.
Es war zwar wohl nicht mehr als leere Spionenfurcht, wenn Bevölke-
rung und Cortes behaupteten, die einheimischen Mauren ständen mit
ihren Glaubensbrüdern in Afrika in hochverräterischer Verbindung und
gewährten deren Raids geheime Unterstützung (Lea, »The Moriscos%
p. 273 ff.). Aber es scheint doch, als w^nn diese Furcht schließlich das
entscheidende Moment gewesen wäre, um den Widerstand der spani-
schen Regierung gegen die Ausweisung der nützlichen maurischen
Arbeitskräfte zu brechen.
Regierung und Volk in Spanien waren sich der afrikanischen Gefahr
denn auch wohl bewußt. Sie sahen auch ein, daß nur eine militärische
Okkupation der gesamten Nordküste Afrikas (die Westküste gehörte zur
portugiesischen Einflußsphäre) oder wenigstens aller dortigen Hafen -
platze dauernde Abhilfe bringen konnte. Und unter den katholischen
Königen wurden wenigstens Anfänge zur Ausführung dieses Programms
gemacht: die wichtigsten Hafenplätze wurden okkupiert und eine An-
zahl einheimischer Stammesfürsten zur Anerkennung spanischer Ober-
hoheit gezwungen. Aber wie sehr König Ferdinand auch betonte, daß
sein größter Wunsch stets gewesen sei, seine Kräfte dem Kampfe gegen
die Ungläubigen zu widmen (vgl. z. B. sein Schreiben an den »Gran Capi-
tän« vom 29. Juni 1505 in der »Revista de Ärchiuos« 1913, I, 382), so
ließ er es doch bei gelegentlichen Unternehmungen bewenden.
Diese ungenügende Sorgfalt rächte sich bald. W'eil die Spanier
nur einige isolierte Plätze okkupiert hatten, vermochten die mytileni-
schen Seeräuberfürsten, die die Barbarossas genannt wurden, an der
afrikanischen Küste ihr Reich zu gründen und Algier zu besetzen (§99).
Die katholischen Könige hatten das Land nicht so unterworfen, als daß
es nicht die Basis zur Bildung eines neuen, gegen sie gerichteten Reiches
hätte abgeben können. Und die Forschung darf doch wohl annehmen,
daß sie daran nicht in der Sache selbst liegende unüberwindliche Schwie-
rigkeiten gehindert haben, sondern nur der Umstand, daß der Kampf
um Italien den größten Teil ihrer Kräfte absorbierte.
Zu einer eigentlichen Kalamität wurde dann aber die afrikanische
Gefahr, als die Seeräuberdynastie sich erst noch unter türkische Ober-
7*
100 Spanien.
hoheit stellte und später infolge der türkisch-französischen Allianz
auch noch der Unterstützung Frankreichs genoß (§ 125). Nun wurde es
für die spanische Regierung ganz und gar unmöglich, das früher Ver-
säumte nachzuholen, sie hätte denn alle ihre militärischen Mittel auf diese
Unternehmung konzentrieren müssen, und dazu bestand unter den
Habsburgern noch viel geringere Neigung als unter den katholischen
Königen. Die spanische Bevölkerung war allerdings damit nichts weniger
als zufrieden. Als Karl V. im Jahre 1538 den kastilischen Granden
erklärte, er müsse in eigener Person den Feldzug gegen die Türken leiten,
wandten sie »iino oren ein, nach ihrer Ansicht sollte der Kaiser in Spanien
bleiben und, wenn überhaupt, eine Expedition, zuerst die nach Algier
unternehmen, sowohl mit Rücksicht auf die starke Position der Stadt
wie auf die außerordentlich hohe Zahl der Moresken in Spanien (»Ve-
nezianische Depeschen vom Kaiserhofe« I [1889], 216 und 247); die
Mißstimmung war damals in Spanien so heftig, daß man geradezu von
einer Absetzung Karls zugunsten Philipps sprach, falls der Kaiser das
Land verlassen sollte und Karl selbst eine Revolte der Magnaten be-
fürchtet haben soll (ibidem S. 285 und 357; 1539). Aber diese ganze
Agitation führte schließlich, wie bekannt, nur zu einigen zusammen-
hangslosen und zum Teil dazu noch schlecht organisierten Expeditionen.
Die festen Plätze der nordafrikanischen Küste blieben so gut wie das
Hinterland den Spaniern in der Hauptsache verloren.
Literatur. Die wichtigere Spezialliteratur ist verzeichnet bei Paul Darm-
städter, »Geschichte der Aufteihmg und Kolonisation Afrikas seit dem Zeitalter
der Entdeckungen« I (1913). Dazu noch Federico Obanos Alcalä del Olmo, »Orän
y Mazalquivir«, 1912 (mit etwa hundert Dokumenten von 1509 an).
§46. Die auswärtige Politik. 4. Das Verhältnis zu Frank-
reich. Über die neue politische Lage, die sich zwischen Spanien und
Frankreich bildete, und das gegenseitige Kräfteverhältnis ist das Wich-
tigste bereits in dem Abschnitte über die auswärtige Politik Frankreichs
gesagt worden (vgl. § 32). Es kann sieh hier nur darum handeln, über die
speziellen Folgen, die die veränderte Situation für Spanien nach sich
zog, einiges nachzutragen.
Von den beiden Mächten war Spanien die schwächere und es hat
daher nichts Auffallendes, daß die spanische Politik gegenüber Frank-
reich ganz anders feindselig orientiert und von mißtrauischer Furcht
geleitet war als umgekehrt. Ein französischer Angriff konnte das
spanische Reich und zumal dessen wichtige Besitzungen in Unter-
italien gefährden; ein spanischer Vorstoß gegen Frankreich rührte nicht
an die Existenz des französischen Staates. Daher arbeitete die spanische
Regierung nicht nur diplomatisch nach Kräften gegen Frankreich,
sondern ging auch in dem Grenzgebiet zur Sicherung gegen französische
Einfälle so aggressiv vor, wie von der anderen Seite nie geschah. Der
Kampf um Navarra (1512) — und zwar nicht nur der zur Eroberung
und Befestigung des südlich von den Pyrenäen gelegenen »Hoch-
navarra«, sondern auch der zur Gewinnung des kleineren nördlichen
§ 47. Verhältnis zu Portugal, den Niederlanden und England. 101
Teiles — beruhte durchaus auf der Initiative Spaniens und wurde von
Frankreich wenig energisch dui'chgeführt (erst 1539, naclidem die
spanische Politik zu einem Teile der habsburgischen geworden war,
wurde Niedernavarra wieder an Frankreich abgetreten: P. Boissonade,
»Histoire de la Reunion de la Navarre ä la Castüle« 1893, p. 409). Ebenso
behielten die Spanier die ihnen 1493 zurückgegebenen, geographisch
zu Frankreich gehörenden Landschaften Cerdagne und Roussillon fest
in ihrer Hand. Sie beherrschten damit den Übergang über die Pyrenäen
im Osten und Westen. Eine offene Pforte bestand nur noch im äußersten
Westen an der See; die dort errichtete Festung Fuenterrabia war denn
auch der regelmäßige Treffpunkt der französisch -spanischen Kämpfe.
Ähnlich stand es mit dem Kampf um Unteritalien. Wie geringe
Interessen lagen dort für Frankreich vor im Vergleich mit der Wichtig-
keit , die die Beherrschung Siziliens für Spanien besaß! Auch hier
ist deshalb die spanische Politik ganz anders kräftig zu Werke gegangen
als die französische.
Anders aber verhält es sich mit Oberitalien. Es war gewiß auch
für Spanien von Bedeutung, daß Frankreich das Herzogtum Mailand,
worin die Hegemonie über Genua inbegriffen war, nicht von sich ab-
hängig machte. Aber entscheidend berührte diese Angelegenheit seine
Machtverhältnisse nicht, und es darf wohl vermutet werden, daß vom
rein spanischen Standpunkt aus eine Teilung Italiens in eine französische
und eine spanische Einflußsphäre die beste Lösung dargestellt hätte.
Ein solcher friedlicher Ausgang hätte es Spanien dann auch möglich
gemacht, alle seine Kräfte auf die Eroberung der nordafrikanischen
Küste zu konzentrieren. Jedenfalls scheint es, als wenn die spanische
Regierung im Jahre 1515 nicht abgeneigt gewesen wäre, sich mit den
neuen Zuständen abzufinden, obwohl damals Mailand von neuem
französisch geworden war (vgl. § 117). Da Spanien aber kurz darauf
seine Selbständigkeit in der auswärtigen Politik verlor, so ist ein sicheres
Urteil darüber natürlich nicht mehr möglich.
§ 47. Die auswärtige Politik. 5. D a s V e r h ä 1 1 n i s z u d e n ü b r i g e n
Staaten. Portugal. Wäre Spanien ein Handel und Schiffahrt treiben-
der Staat gewesen, so hätten sich schwere Konflikte, ja ein dauernd
feindseliges Verhältnis zu dem kleineren Nachbarstaate im ^^'esten kaum
vermeiden lassen. Aber Spanien besaß so geringe kommerzielle Inter-
essen (§39), daß es wohl zu Reibungen (besonders wegen der durch
Magelhaens für Spanien entdeckten Molukken, 1522 — 1529) kam, nie
aber zu einem Kriege. Spanien gab, obwohl die stärkere Macht, in der
Regel nach, weil der Gewürzhandel als Erwerbsquelle für die spanische
Bevölkerung nur untergeordnete Bedeutung hatte. Damit fiel die
Eventualität eines Angriffes von A\'esten her weg. Portugal allein hätte
zwar an einen Vorstoß gegen Spanien nicht denken können, aber krie-
gerische Absichten der spanischen Regierung hätten das lusitanische
Königreich sozusagen von selbst zu einer Verbindung mit Frankreich
102 Spanien. — Die habsburgische Macht.
und somit zu einer gefährlichen Allianzpolitik geführt. Man lese, was
1522 am spanischen Hofe über diesen Gegenstand gesprochen wurde
(Salinas ,,Cartas", p. 90f.); wenn damals einige Spanier meinten, es
könnte Portugal schließlich so ergehen wie Navarra, so war doch auch
ein anderer Ausgang denkbar.
Dazu kam, daß die spanischen Herrscher wohl, wie es scheint,
die Angliederung Portugals an Kastilien und Aragon immer fest im
Auge behalten haben, diese aber nicht durch kriegerische Eroberung,
sondern ebenfalls durch Familienverbindungen herbeizuführen hofften.
Um dies zu erreichen, wären nun feindselige Akte nicht zweckmäßig
gewesen. Schließlich besaßen beide Reiche in Nordafrika, wo sie ihre
gegenseitigen Interessensphären friedlich abgegrenzt hatten, gemein-
same Interessen in der Bekämpfung der Korsarenfürsten.
Niederlande. Bestand mit Portugal kein Gegensatz, so war
Spanien mit den Niederlanden geradezu durch eine Harmonie der
Interessen verbunden. Flandern war nicht nur das nächste, sondern
auch das einträglichste Abnehmerland für die Wolle und zum Teil
auch für die Bodenschätze Spaniens, und das Getreide und die Fabrikate,
die aus oder über die Niederlande geliefert wurden, waren für Spanien
ebenso unentbehrlich ; außerdem hielt dieser Verkehr die einzige Schiff-
fahrt Spaniens, die seit dem Rückgang der kat aionischen noch in
nennenswertem Umfange bestand, nämlich die von Guipozcoa, auf-
recht. Wenn es auch falsch wäre, in dieser ökonomischen Interessen-
gemeinschaft eine Ursache der späteren Personalunion zwischen den
niederländischen Provinzen und Spanien zu sehen, so ist doch immerhin
bemerkenswert, daß einer solchen Vereinigung keine wirtschaftlichen
Differenzen entgegenstanden. In diplomatischer Beziehung herrschte
insofern Übereinstimmung, als die Niederlande unter den Habsburgern
mindestens ebensosehr einer antifranzösischen Politik zuneigten als
die spanischen Reiche.
England. Ähnliches ist über die Beziehungen zu England zu
sagen, nur daß dort die militärisch-politischen Treffpunkte stärker
überwogen als in dem Verhältnis zu den Niederlanden. Zwischen Spa-
nien und England existierte zwar ein reger Schiffahrtsverkehr; aber
der Warenaustausch hatte für beide Länder nicht so fundamentale
Bedeutung wie in dem eben genannten Falle, und die militärische
Unterstützung, die England in einem Konfhkte mit Frankreich leisten
konnte, war wohl auch größer als die Hilfe, die von den Niederlanden
zu erwarten war. Die spanische Regierung hat denn auch mit kaum
einem anderen Lande so eifrige diplomatische Beziehungen unterhalten
wie mit England; auch der Anknüpfung dynastischer Ehebande wurde
besondere Sorgfalt geschenkt. Sosehr die englische Politik seit den
Tudors auch nur noch insulare Ziele verfolgte (§84), so' gehörte doch
England für Spanien zu denjenigen Staaten, die zu allererst als Teil-
haber an den gegen Frankreich gerichteten Koalitionen gewonnen werden
mußten.
§ 48. Aspirationen der spanischen Politik. 103
Übrige Staaten. Den übrigen Staaten gegenüber kann von
einer bestimmten politischen Haltung Spaniens nicht gesprochen werden.
Die Beziehungen zu den Habsburgern fallen mit denen zu den Nieder-
landen zusammen, die zu den italienischen Staaten beruhen teils auf
dem Gegensatze zu Frankreich, teils auf den besonderen Interessen
Neapels und Siziliens, das Verhältnis zur Türkei erhielt erst dann
Wichtigkeit, als die osmanische Herrschaft sich über die gesamte nord-
afrikanische Küste ausdehnte; was vorher an Kämpfen vorfiel, betraf
die spanischen Könige nur als Oberherren Neapels.
§ 48. Die auswärtige Politik. 6. Politische Aspirationen. Eine zu-
sammenfassende Charakteristik der auswärtigen Politik Spaniens hat
zu dem bisher Ausgeführten kaum etwas Neues beizutragen. Der Histo-
riker könnte ähnlich wie bei Frankreich zwar das Problem aufwerfen,
ob die spanische Regierung richtig handelte, als sie ihre Kräfte haupt-
sächlich in Italien engagierte, statt vor allem nach der Sicherung der
afrikanischen Küste zu streben. Allein die vorhergehenden Abschnitte
haben gezeigt, daß die Frage weniger leicht zu beantworten ist, als es
im Falle Frankreichs möglich war. Mindestens Süditalien bildete für
Spanien ein ganz anders wertvolles Besitzobjekt als für Frankreich,
und es kam hinzu, daß die spanische Regierung über diesem Ziele durch-
aus nicht den Gedanken an eine Ausdehnung in Afrika aus dem Ge-
sicht verlor, wie es bei den französischen Plänen auf Flandern geschah.
Dagegen war es für Spanien wohl zweifellos nicht von Vorteil, daß es
in der Mitte der Periode aus einem selbständigen Staatswesen zum Teil-
stück eines Weltreiches wurde; was das Land finanziell durch die Ver-
bindung mit den Niederlanden gewann, verlor es durch die neue Orien-
tierung seiner auswärtigen Politik nach habsburgischen Interessen, die
weder in Oberitalien noch bei der Bekämpfung der Türken mit den
eigenen übereinstimmten. Aber selbst wenn dem nicht so sein sollte,
so darf der Forscher darüber keinen Zweifel lassen, daß es nach 1516
keine spanische auswärtige Politik mehr gegeben hat.
c) Die habsb urgische Macht.
§ 49. Allgemeines. Der Abschnitt, der der Stellung des Hauses
Österreich innerhalb des europäischen Staatensystems gewidmet ist,
läßt sich nicht nach so einfachen Prinzipien gliedern, wie bisher der
Fall war. Die eigentümliche Zusammensetzung des habsburgischen
Herrschaftsgebietes kann nicht anders als auch in der Disposition zum
Ausdruck kommen. Es ist nicht möglich, beim Ganzen zu beginnen;
zuerst müssen die Teile und ihre oft widerspruchsvollen Interessen
geschildert werden, bevor die Grundzüge der auswärtigen Politik der
habsburgischen Regierung behandelt werden können. Ob die Reihen-
folge dabei besser mit den burgundischen oder den österreichischen
Gebieten beginnt, ist mit schlüssigen Gründen nicht zu entscheiden;
weil aber doch eine Wahl getroffen werden muß, so sind im folgenden
104 Die Habsburgische Macht (die Niederlande).
die Bemerkungen über die burgundischen Territorien vorausgestellt
worden, weil ihre Interessen die habsburgische Politik doch im all-
gemeinen stärker bestimmt haben dürften als die Rücksicht auf die
österreichischen Erblande. Selbstverständlich war aber dann, daß
Deutschland erst an dritter Stelle behandelt werden konnte, nicht nur
des lockereren Zusammenhanges wegen, in dem das Reich zu den
Habsburgern stand, sondern auch weil für die habsburgische Politik
die Sorge für Deutschland durchaus hinter der für die Erblande
zurücktrat.
Natürlich handelt es sich dabei immer nur um das habsburgische
Reich, wie es vor der Vereinigung mit Spanien (1516) bestand. Die
Folgen dieser gewaltigen Machterweiterung sollen dann erst am Schlüsse
in der zusammenfassenden Charakteiistik (§ 64) gestreift werden,
1. Die burgundischen Erblaude (die Niederlande und die
Freigrafschaft).
§ 50. Das Land und seine Bewohner. Die Schwierigkeiten, die
sich einer zusammenfassenden Besprechung des gesamten habsbur-
gischen Machtgebietes entgegenstellen, wiederholen sich, wenn die
einzelnen Teile charakterisiert werden sollen. Auch die Stücke, aus
denen sich das habsburgische Reich zusammensetzte, waren in sich
nichts weniger als einheitliche oder auch nur geographisch geschlossene
Gebilde und wurden von Veränderungen des europäischen Staaten-
systems durchaus nicht gleichmäßig affiziert. Dazu kommt noch die wei-
tere Schwierigkeit, daß keine Dynastie der damaligen Zeit wähi^end der
hier behandelten Periode ihre Hausmacht sosehr verändert, d. h. in
der Hauptsache vermehrt hat wie die habsburgische, — selbst wenn
man von den ganz neuen Erwerbungen in Italien und Spanien absieht.
Eine historische Darstellung, die sich zum Ziele setzte, stets exakt
über die realen Grundlagen der habsburgischen Macht den Leser in-
formiert zu halten, müßte eigentlich beinahe jedem Jahr eine besondere
Zusammenstellung der dem Hause Österreich unterworfenen Terri-
torien vorausschicken. Da dies hier aus verschiedenen Gründen nicht
angeht, so bleibt keine andere Möglichkeit, als einen Durchschnitt
zugrundezulegen, d. h. von den Verhältnissen auszugehen, wie sie
während des größten Teiles des hier behandelten Zeitraumes bestanden
haben.
Auf die Niederlande trifft diese Bemerkung nicht weniger zu als
auf die österreichischen Erblande.
Die Niederlande. Von den burgundischen Erblanden muß zu-
erst der größere und wichtigere Teil, die Niederlande, beschrieben
werden. Der Bequemlichkeit wegen werden dabei die südlichen Pro-
vinzen schlechtweg als die »flandrischen«, die nördlichen als die »hol-
ländischen« bezeichnet.
Zunächst eine Bemerkung über die Veränderungen des äußeren
Umfanges, die sich während der Periode vollzogen. — Als die Habs-
§50. Land und Volk. 105
burgcr den burgundischen Besitz in den Niederlanden erbten, fielen
zwar die einträglichen und wichtigen Provinzen alle in ihre Hand, d. h.
sowohl die Industriebezirke Flanderns und Brabants wie das seefahrt-
treibende Holland. Aber noch fehlten alle anderen Provinzen des
Nordens wie Friesland, Drenthe, Overyssel und das Bistum Utrecht;
besonders aber fehlte das Herzogtum Geldern, das in lästiger Weise
die Verbindung zwischen Holland und den noch zu gewinnenden nörd-
lichen Provinzen unterbrach, und das Bistum Lüttich, das ebenso die
freie Kommunikation zwischen den flandrischen Provinzen und dem
gröiSten Teile des Herzogtums Luxemburg sperrte. Das gefährlichere
dieser beiden Staatswesen war das Herzogtum Geldern, dessen Herr-
scherhaus durchaus keine Lust zeigte, freiwillig in den habsburgischen
Niederlanden aufzugehen und sich gegen diese Eventualität sogar durch
Allianzen mit Frankreich zu schützen versuchte. Da Geldern außerdem
über verhältnismäßig bedeutende Machtmittel verfügte, so gelang es
den Habsburgern dann erst im Jahre 1543, sich des Landes zu be-
mächtigen, erst zu einer Zeit also, wo die Superiorität der habsbur-
gischen Macht über die französische so deutlich feststand, daß fran-
zösische Unterstützung für Geldern nicht mehr zu erwarten war (§ 125).
Im Vergleich zu seinem kleinen Umfange war damals wohl kein
Land in der Lage, seiner Regierung sosehr als einträgliche Geldquelle
zu dienen wie die flandrischen und holländischen Herrschaftsgebiete.
Die Provinzen wiesen zwar nicht nur die vorteilhaften, sondern auch
die bedenklichen Eigentümlichkeiten von Industriestaaten auf. Sie
waren vor allem stark übervölkert und für ihre Nahrung auf das Aus-
land angewiesen. Es wird berechnet, daß in Flandern, dem größten
Industriegebiet der Zeit, nicht weniger als 50 Seelen auf den Quadrat-
kilometer kamen, in Brabant (von dem ähnliches gilt, das aber, nach-
dem der von den Portugiesen entdeckte Seeweg Antwerpen zu einem
der wichtigsten Handelsemporien gemacht hatte, dazu noch ein kom-
merzielles Zentrum bildete) 45 Seelen, in Holland, dessen Bevölkerung
zwar kaum Industrie trieb, sich aber dafür einseitig durch Viehzucht,
Schiffahrt und Handel zu ernähren genötigt war, 37 Einwohner, also
immer noch mehr als Frankreich (34). Trotz dem einheimischen Korn-
bau genügte deshalb die eigene Getreideproduktion zur Ernährung der
Bevölkerung in Flandern nicht; wie hätte es auch in einem Lande,
in dem, wie man berechnet hat, ungefähr ein Drittel der Bewohner
in Städten lebte, anders sein können! In den holländischen Provinzen
stand anderseits der Selbstversorgung der Bevölkerung entgegen, daß
der Boden sich wohl trefflich für die Viehzucht, wenig aber für den
Ackerbau eignet. Die drei Millionen Seelen, auf die man die Einwohner-
zahl der Niederlande schätzt, mußten also zu einem guten Teile aus
importiertem Getreide ernährt werden.
Aber dieses Abhängigkeitsverhältnis zog in politisch-militärischer
Hinsicht nur ganz selten gefährliche Folgen nach sich. Die Nieder-
lande befanden sich in einer günstigeren Lage als Venedig, dessen
106 Die habsburgische Macht (die Niederlande).
zwei wichtigste Kornkammern sieh in den Händen von oft feindhch
gesinnten Großmächten (der Türkei und Spanien) befanden (§ 65).
Die Ostseestaaten, die den Niederlanden das Getreide Heferten,
waren politisch entweder uninteressiert oder befanden sich jeden-
falls zu den Zielen, die von den Beherrschern der niederländischen
Provinzen verfolgt wurden, in keinem Gegensatze. Eine Ausnahme
bildete nur Dänemark, das denn auch, wenn es mit dem habs-
burgischen Kaiser in Konflikt geriet, den Sund und den Belt sperren
konnte. Aber diese Voraussetzung traf zumal in den ersten Jahrzehn-
ten der Periode kaum je zu, und auch in diesem Falle bot der ver-
hältnismäßig billige Landweg zwischen Lübeck und Hamburg immer
noch die Möglichkeit, die Folgen einer Schließung des Sundes wenig-
stens zu mildern.
Unter normalen Verhältnissen war somit die Versorgung des
Landes durchaus sichergestellt. Sowohl die einheimische (holländische)
wie die hansische Schiffahrt (die als einen ihrer wichtigsten, wenn
nicht als den wichtigsten Artikel Getreide aus den Ostseehäfen nach
den Niederlanden transportierte) versahen das dafür günstig gelegene
Land reichlich und regelmäßig mit Korn. Ähnlich stand es dann auch
mit anderen Rohprodukten, die die Provinzen nicht oder nur in un-
genügenden Quantitäten erzeugten wie Wachs, Häute, Holz, Salz,
Teer usw. Auch diese kamen (mit Ausnahme des französischen Salzes,
dessen Ausfuhr aber ebenfalls nie scheint gehindert worden zu sein)
aus Gebieten, die keinen Anlaß hatten, ihren Export aus politischen
Gründen zu verbieten; es waren ja in der Hauptsache auch dieselben
Landschaften wie die, aus denen die Niederlande ihr Getreide bezogen.
Einen dunkeln Punkt bildete nur die Einfuhr der Wolle. Die Textil-
industrie, von der die flandrischen Provinzen fast ausschließlich lebten,
konnte, wollte sie ihre Vorzugsstellung bewahren, der englischen Wolle
kaum entraten, und hier befanden sich die Niederlande nun einem
auswärtigen Staate gegenüber, der nicht nur eine eigene Politik trieb
und eventuelle Konflikte mit ihrem Herrscherhaus zu einer Schädigung
ihrer wirtschaftlichen Interessen ausnutzen konnte, sondern der vor allem
daran ging, die bisher ins Ausland exportierte Wolle im eigenen Lande
verarbeiten zu lassen (§ 82). Hier noch mehr als in dem Verhältnis
zu Dänemark lag die Stelle, an der die wirtschaftlichen Interessen der
Niederlande mit der internationalen Politik der Habsburger in Wider-
spruch geraten konnten; von ähnlicher Bedeutung war wohl nicht
einmal die Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen zu Frankreich,
obwohl ein Krieg mit dem französischen Königreich die flandrische
Industrie eines ihrer besten Absatzgebiete oder wenigstens Verkaufs-
plätze beraubte; Machiavelli (Ritratti di Francia) behauptet wenigstens
in seiner übertreibenden Art geradezu, ohne die Lyoner und Pariser
Messen könnten die Flamänder ihre Waren überhaupt nicht absetzen:
»ogni volta che mancassero del commercio co' Francesi, non arieno dove
smaltire le mercanzie.«
§ 50. Land und Bevölkerung. 107
Die Freigraf.schaft. Die Freigrafsehall Biirgund (die seil 1493
den Habsburgern gehörte) kann kürzer behandelt werden. Von etwa
300000 Seelen bewohnt und ohne Industrie, konnte sie naeh ihren
finanziellen Leistungen in keiner Weise mit den niederländischen Pro-
vinzen konkurrieren. Dagegen war in strategischer Beziehung ihr
Besitz von größter Bedeutung, da sie den natürlichen Ausgangspunkt
für Offensivoperationen gegen Frankreich bildete. Zu beachten ist
ferner, daß die Freigrafschaft nur durch die Grafschaft Mömpel-
gard vom österreichischen Sundgau getrennt wurde, die Herrschaft
über das Land also beinahe von selbst einen Antagonismus zwischen
den Habsburgern und den Herzogen von Württemberg, den Besitzern
Mömpelgards, hervorrief.
Ein neuerer Forscher hat dann darauf hingewiesen, daß die Frei-
grafschaft den habsburgischen Herrschern eine unverhältnismäßig große
Zahl leitender Männer, vor allem führender Juristen, geliefert hat
(Andreas Walther, »Die Anfänge Karls V.« 1911, S. 27 f.). Es kann
nun wohl kein Zweifel darüber herrschen, daß gerade die Armut und
Kleinheit des Landes zu dieser Erscheinung beigetragen hat. Zu ihrer
weder österreichischen noch niederländischen, sondern dynastischen
Politik fanden die Habsburger wohl nirgends leichter geeignete Per-
sönlichkeiten als in der Freigrafschaft, die keine partikularen, mit den
internationalen Zielen des Hauses im Widerspruch stehenden Interessen
besaß, und überhaupt nur durch ihre Verbindung mit der habsbur-
gischen Macht ihre Unabhängigkeit von Frankreich zu behaupten ver-
mochte und dazu noch innerhalb ihrer engen Grenzen strebsamen Naturen
keinen Raum zu selbständiger politischer Tätigkeit gewährte. Die kaiser-
lichen Räte aus der Freigrafschaft, die noch am Hofe KarlsV. dominierten,
waren daher auch die geborenen Vollstrecker der habsburgischen Politik.
Literatur. Das wichtigste Quellenwerk sind wohl die »Niederländischen
Akten und Urkunden zur Geschichte der Hanse und zur deutschen Seegeschichte,
bearbeitet von Rudolf Häpke«, 1. Band (1531 - 1.557), 1913. Daß der Einfuhrverkehr
aus der Ostsee hauptsächlich Getreide umfaßte, d. h. daß Korn der unentbehrlichste
Artikel war, wird hier vielfach bezeugt. Vgl. z.B. S. 17, nr. 22 (1531); Klagen
Amsterdams u. a. über die Bedrohung der Sundfahrt; sie wollen aus »Osterland«
»hles, grains et autres ?narchandises« importieren; die Regentin empfiehlt dieser
Beschwerde nachzukommen, »tant pour eviter la cherte des bles qui y a si longuement
ete(e) que plusieurs autres inconvenients« (p. 13). Von Holland aus wurde dann
auch Flandern versorgt (z. B. S. 31 ff.). Brügge wandte sich 1532 einmal an Lübeck
mit dem Gesuch, wegen der Getreideteuerung die Durchfahrt von drei bis vier
Kornschiffen von Dänemark zu erwirken (S. 34, nr. 43). Daß Holland nicht genügend
Getreide produzierte, wird z. B. nr. 49 und 56, § 6, betont. Die allerdings sehr aus-
gedehnte Fischerei (der Heringsfang) konnte diesen Mangel natürlich nicht aus-
gleichen. — Von zeitgenössischen Schilderungen hauptsächlich die Relation von
V. Quirino aus dem Jahre 1506 (Alberi I, Iff.).
Für weitere Literatur sei vor allem auf Felix Rachfahl, »Wilhelm von Oranien
und der niederländische Aufstand« I (1906), III. Buch (S. 238ff.) verwiesen. —
tjber die Bevölkerungsverhältnisse vgl. noch J. Cuvelier, )>Les denombrements de
foi/ers en Brabant (XIV^-XVI^ siecles), 1912 (belgische Akademie). Außerdem
ist natürlich auch die Literatur zur Geschichte der Hanse (vgl. § 60) heranzuziehen.
108 Die habsburgische Macht (die Niederlande).
§ 51. Industrie und Handel. In keinem Lande Europas waren
damals Handel und Industrie so gleichmäßig stark entwickelt wie in
den Niederlanden. Flandern war allerdings, soweit die einheimische
Bevölkerung in Betracht kam, so gut wie ausschließlich industriell
tätig; die Textilmanufaktur dominierte sosehr, daß der Handel zum
guten Teile in fremden Händen (hauptsächlich italienischen und deut-
schen) lag. Aber in Holland war der Handel nicht weniger als die
Industrie Sache der Inländer; sowohl der außerordentlich ausgedehnte
Zwischenhandel (hauptsächlich zw^ischen der Ostsee und Spanien,
Schottland, Skandinavien), als die Ausfuhr der eigenen Erzeugnisse,
der Molkereiprodukte, des Fischfanges und der (im Vergleich zu Flan-
dern allerdings weniger bedeutenden) Industrieprodukte (der Leine-
weberei) geschah auf eigenen Schiffen und mit eigenen Leuten. Dem-
entsprechend wurde auch der Import der vielen unentbehrlichen Ar-
tikel, die Holland über die See bezog, wie der englischen Metalle, des
skandinavischen Holzes, des französischen Salzes usw. auf einhei-
mischen Schiffen besorgt.
Für die Finanzierung ihrer militärisch - politischen Operationen
hätten die Habsburger daher an sich kein günstigeres Land finden können.
Dazu kam noch, daß selbst der mit dem Aufschwung der englischen
Tuchfabrikation zusammenhängende Niedergang der flandrischen Textil-
industrie die Finanzkraft des Landes kaum schwächte. Die Tuch-
weberei ging allerdings zurück, da die in immer größeren Quantitäten
verwendete spanische Wolle die englische nicht zu ersetzen vermochte;
aber ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen schuf gewissermaßen
Entschädigung. Die Änderung der Seewege machte Antwerpen zu
einem Zentrum des Gewürzhandels. Seitdem die Produkte Ostindiens
und Chinas über Portugal nach Europa gelangten, wurde die Scheide-
stadt zum großen Umschlagplatz für diese Artikel. Antw^erpen, dessen
Bevölkerung schon im Jahre 1526 auf 50000 Seelen geschätzt wird,
hatte 40 Jahre später seine Einwohnerzahl verdoppelt; rechnet man
noch die Vorstädte hinzu, die von ungefähr 50000 Seelen bewohnt
wurden, so betrug die Einwohnerzahl der Stadt am Ende der Periode
ungefähr ein Zwanzigstel der Bevölkerung der gesamten Niederlande
überhaupt. Waren auch an dieser Vermehrung die eigentlichen Fla-
mänder nur in untergeordnetem Maße beteiligt, so war für die Re-
gierung doch damit von neuem im Lande eine Stelle geschaffen, die
ihr in finanziellen Verlegenheiten aushelfen konnte und in dieser Be-
ziehung das mehr und mehr verödende Brügge ersetzte.
Dazu ist schließlich noch in Erwägung zu ziehen, daß die gleiche
Zeit die Ausdehnung und den Ertrag der holländischen Handels-
schiffahrt weiter steigerte. Die drei ersten Jahrzehnte des 16. Jahr-
hunderts bezeichnen bekanntlich die Periode, in der die deutsche Hanse
die Grundlagen ihrer merkantilen Hegemonie in Nordwest- und Nord-
osteuropa verlor. Dieser Rückgang des Konkurrenten, der sich in der
Emanzipierung der skandinavischen Staaten und auch Englands von
§ 52. Innerpolitische Organisation. 109
dem deutschen Bunde ausdrückte, wurde nun vor allem von den Hol-
ländern ausgenutzt; unterstützt wurden die Niederlande dabei durch
den Umstand, daß bei eventuellen Konfhkten ihre Oberherren in der
Regel für sie und gegen die Interessen der deutschen Hansestädte Partei
nahmen. Amsterdam wurde nun zum wichtigsten Umschlageplatz für
den Getreidehandel.
Die Freigrafschaft ist in diesem Zusammenhange kaum zu
erwähnen, so unbedeutend war ihr finanzieller Ertrag. Eine Einnahme
lieferten der Krone eigentlich nur die Salzschätze des Landes (vgl.
z. B. die Relation Mocenigos in den »Fontes Rerum Austriacariurm
1870, p. 25).
Literatur. Vgl. die Anmerkung zu dem vorhergehenden Paragraphen. —
Über die Schiffahrtsverhältnisse ist besonders instruktiv Walter Vogel, »Zur Größe
der europäischen Handelsflotten im 15., 16. und 17. Jahrhundert. Ein historisch-
statistischer Versuch« (in den »Forschungen und Versuchen zur Geschichte des
Mittelalters und der Neuzeit. Festschrift für Dietrich Schäfer«, 1915, S. 268 — 333)
Vieles außerdem bei Rudolf Häpke, »Die Regierung Karls V. und der europäische
Norden« 1914. — Beatis meint schon im Jahre 1517, in der zu §26 zitierten
Reisebeschreibung, die Antwerpener Messe sei die erste der Welt (S. 88). Vgl. da-
gegen seine Bemerkung über Brügge (S. 110).
Die bereits unter Maximilian zu beobachtende Intervention der habsburgischen
Fürsten für die Holländer gegen die Hanse trat unter Karl V. noch stärker hervor.
Vgl. z. B. Stücke wie nr. 57 der von Häpke publizierten Akten (§51).
Jules Finots »Etüde historique sur les Relatioris cominerciales entre la Flattdre
et VEspagne au moyen äge«, 1899, und »Etüde historique sur les Relations cornmer-
ciales entre la Flandre et la Republique de Genes au moyen äge<i. (1906) behandeln auch
noch die ersten Jahre des 16. Jahrhunderts. Jervis Wegg, »Antwerp 1447—1559«,
1916.
§ 52. Innerpolitische Organisation. Dieses durch Industrie und
Handel erworbene Kapital stand nun freilich der Regierung durchaus
nicht in dem Umfange zur Verfügung wie die Finanzkraft der Unter-
tanen in Frankreich und der Türkei. Der größere Teil der Einnahmen
kam der Krone nur in der Form von »Hilfen« (aides) zu, und diese
mußten zuerst von den Ständen bewilligt werden, die deshalb sogar
das faktische Anrecht auf regelmäßige Einberufung hatten. Wenn die
Zustimmung der Stände auch meist nicht eben schwer zu erhalten war
und wenn der Regierung eher durch die schwerfällige Art der Beschluß-
fassung als durch prinzipiellen Widerstand Hindernisse erwuchsen
(in der Regel tagten die Stände der einzelnen Provinzen getrennt und
sogar innerhalb der Provinzialstände waren manche Voten nur mit
Mühe zustandezubringen; Generalstände wurden nur ausnahmsweise
berufen und waren bei der Regierung im allgemeinen wenig beliebt
[vgl. »Papiers d'Etat de Granvelle« V, 599 f.]), — wenn die Stände auch
in der Regel das von der Regierung Geforderte schließlich bewilligten,
so daß diese auf die »aides <i wie auf eine regelmäßige Einnahme zählen
konnte, so bestand doch offenbar praktisch eine obere Grenze für die
finanziellen Leistungen der niederländischen Provinzen. Im übrigen
war auch so das Resultat für die Krone sehr beträchtlich. Der Kapital-
110 Die habsburgische Macht (die Niederlande).
reichtum des Landes erlaubte, der Regierung bedeutende Mittel zur
Disposition zu stellen, ohne daß die Bevölkerung in einer für ihre wirt-
schaftliche Tätigkeit schädlichen Weise belastet worden wäre. Es ist
kein Widerspruch, wenn der Historiker einerseits den Ausspruch Na-
vageros (1546; Alberi, »Relazioni« I, 297), die Niederländer seien »poco
aggravati ordinär iamente% für richtig hält, und anderseits doch in der
Finanzkraft dieses Landes eine der wichtigsten Stützen der auswärtigen
Politik der Habsburger sieht (vgl. A. Walther, »Die burgundischen
Zentralbehörden unter Maximilian I. und Karl V.« 1909, S. 6; K. Häbler,
»Geschichte Spaniens« I [1907], 278; Rachfahl, »Wilhelm von Oranien«
1, 437). Die Verhältnisse lagen hier eben viel günstiger als in Spanien;
die Industrie der Provinz Flandern, die um die Mitte des 16. Jahr-
hunderts ein Drittel der gesamten Steuersumme aufbrachte (Rach-
fahl S. 547), wurde durch diese Belastung in ihrer Konkurrenzfähigkeit
nicht gehemmt.
Aber aus diesem Zustand ergaben sich doch für die Regierung
besondere Schwierigkeiten. Gerade weil der W^ohlstand des Landes
ausschließlich von Handel und Industrie abhing, griff die auswärtige
Politik außerordentlich stark in die wirtschaftlichen Verhältnisse ein.
Die Frage »Krieg oder Frieden« war gleichbedeutend mit der anderen,
ob die Niederlande ihre guten Beziehungen zu ihren Absatz- und Lie-
ferungsgebieten im Ausland aufrechterhalten konnten. Wenn die
Stände der niederländischen Provinzen daher weniger als andere ärmere
Territorien darauf ausgingen, von der Regierung eine Ermäßigung der
Abgaben zu erzwingen, so brachten sie dafür um so bestimmtere
Wünsche in bezug auf die auswärtige Politik vor. Und da außerordent-
liche Steuern ohne ihre regelmäßige (beinahe jährliche) Bewilligung
nicht erhoben werden durften, so lief die Regierung wohl in keinem
einzigen anderen Staate so sehr Gefahr, ihre diplomatische Aktion den
Forderungen der Untertanen anpassen zu müssen wie in den Nieder-
landen.
Besonders da ihre politischen Ziele mit den \\'ünschen der Stände
nichts weniger als harmonierten. Die habsburgische Politik war scharf
gegen Frankreich gerichtet (§ 64), und als natürlicher Bundesgenosse
bot sich dabei England dar; die Niederlande wollten aber vor allem
einen Krieg mit Frankreich vermeiden und hatten kein Interesse an
einer Militärallianz ihrer Herrscher mit dem englischen Königreich,
der eventuell die Bedürfnisse ihrer durch die englische Handelspolitik be-
drohten Textilindustrie (§51) geopfert werden mußten. Erst recht
waren dann die Niederlande nicht geneigt, ihr Geld für Unternehmungen,
die andere habsburgische Erblande wie Österreich (und später Spanien)
betrafen, zur Verfügung zu stellen.
Trotzdem wäre es nun aber nicht richtig, wenn man folgern wollte,
die niederländischen Stände hätten auf die auswärtige Politik der Habs-
burger einen bestimmenden Einfluß ausgeübt. Da sie die Verfügung
über einen großen Teil der Mittel in der Hand hielten, konnten sie wohl
§ 52. Innerpolitische Organisation. 111
gelegentlich die Regierung zu Konzessionen nötigen, aber zu einem
Abhängigkeitsverhältnis kam es nie. \\ irklich durchsetzen konnte sich
die Auffassung der niederländischen Notablen allein in der Zeit, da
sie unter Philipp dem Schönen sozusagen eine autonome Regierung
hatten; damals ist ihre auf die Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen
zu Frankreich gerichtete Politik allerdings in direkte Opposition zu
der allgemeinen Orientierung der habsburgischen Dynastie getreten.
Aber dies war ein Ausnahmefall; die Mitglieder des Herrscherhauses,
die als Statthalter in den Niederlanden amteten, fühlten sich im übrigen
vor allem als Mandatare der Dynastie. Auch dominierten unter ihren
Räten meist die aus der Freigrafschaft stammenden Staatsmänner,
die die Führer der antifranzösischen Politik der Habsburger waren
und diese Haltung sogar unter Philipp dem Schönen beibehielten (vgl.
Quirino im Jahre 1505 im »Archiv für österr. Geschichte« 66 [1885],
S. 98).
Es fiel dies um so mehr ins Gewicht, als die übrige Verwaltung
sich durchaus in den Händen der Krone befand. Die Stände hatten
wohl das Recht der Steuerbewilligung, aber w-eder die Kompetenz,
sich ohne Einberufung durch die Regierung zu versammeln (wenigstens
nicht mehr vom Beginn des 16. Jahrhunderts an), noch das Recht,
die Verw'endung der Steuern zu kontrollieren. Sie waren wohl befugt,
darüber Klage zu erheben, daß die von ihnen bewilligten Subsidien
zu anderen Zwecken als von ihnen bestimmt ausgegeben würden; aber
sie hatten kein Mittel, um diesen Klagen Nachachtung zu verschaffen.
Es ist zwar eine Übertreibung, wenn der Venezianer Tiepolo im Jahre
1532 behauptet, der Kaiser verfüge ebenso unbeschränkt über die
Niederlande wie der König von Frankreich über sein Land; aber wenn
er hinzusetzt (Alberi, »Relazionin I, 53 f.), die aus dem Gelde der bur-
gundischen Erblande bezahlten Soldaten würden zum Teil in Italien
verwendet, und die Subsidien der Provinzen dienten auch sonst der
habsburgischen Politik in anderen Ländern, so wird der Historiker
diese Bemerkung nicht als unrichtig bezeichnen können. Die wirkliche
Macht ruhte eben durchaus bei der Regierung, auch schon nur, weil
sie den nur einzelne Provinzen vertretenden Ständen gegenüber das
gesamte Land in ihrer Gewalt hatte.
Was die Stände der Freigrafschaft anbelangt, so war ihr Steuer-
bewilligungsrecht von geringer Bedeutung, da die arme Landschaft
sowieso nur wenig aufbringen konnte. Ihr Recht zur Verweigerung
einer »Hilfe« dürfte übrigens in der Hauptsache nur formell bestanden
haben; darauf läßt wenigstens der Ton des Schreibens schließen, in
dem Kaiser Maximilian I. im Jahre 1513 das Arrangement einer Stände-
versammlung in Salins anordnet {»Correspondance de Maximilien P^
et de Marguerite« ed. Le Glay II, 168 ff.; vgl. auch die Antwort der
Tochter, ibid. p. 216 f.). Anderseits bestand eine Pflicht zur Schonung
der Landschaft, da sonst ein Abfall an die Eidgenossen hätte befürchtet
werden müssen, die die salzreiche Gegend wohl nicht ungern zu ihrem
112 Die habsburgische Macht (die Niederlande).
salzarmen Territorium hinzugefügt hätten (vgl. die Ermahnungen
Kaiser Karls V. in seinem politischen Testamente in den »Papiers
d'Etat de Granvelle« III, 294). Daß die Stadt Besancon 1518 mit drei
eidgenössischen Orten ein Burgrecht schloß, war dabei keineswegs ge-
eignet, die Besorgnisse der Habsburger zu zerstreuen (vgl. darüber
auch »Archiv für österr. Geschichte« 96 [1907], 289 f.).
Literatur. Vgl. die Anmerkungen zu den vorhergehenden Paragraphen. —
Zu dem häufig benutzten Briefwechsel zwischen Maximilian und seiner Tochter
Margarete sind die »Untersuchungen* von Hubert Kreiten im »Archiv für österr.
Geschichte« 96 (1907), 191 — 318, zu vergleichen, die auch zahlreiche Nachträge
enthalten. — Der zitierte Paragraph in dem Testament Karls V. zeigt übrigens,
daß die Subsidien der Freigrafschaft gerade nur zum Unterhalt der mihtärischen
Anlagen ausreichten.
§ 53. Die Armee. Die Niederlande schufen ihres Geldreichtums
wegen für die Kriegsunternehmungen der Habsburger die finanzielle
Basis; ihre direkten militärischen Leistungen waren dagegen nicht
bedeutend. Das Land besaß keine stehende Infanterie, und die ein-
heimischen Söldner waren weder sehr zahlreich noch kamen sie ihrer
Qualität nach den oberdeutschen oder spanischen Kriegsknechten
gleich. \\'enn Navagero 1546 von den Flamändern bemerkt, sie seien
schlechte Soldaten und für gewöhnlich nicht ausgebildet (Alberi,
»Relazioni« I, 314 f.), so steht dies mit den geschichtlichen Ereignissen
durchaus im Einklang, und es war kein Zufall, daß die niederländischen
Herrscher als Fußknechte lieber Deutsche oder Spanier verwendeten.
Auch ist diese Inferiorität der einheimischen Infanterie nicht schwer
zu erklären. Die Industrie im Süden und die Schiffahrt im Norden
beschäftigten bei nur einigermaßen normalem Geschäftsgang so
zahlreiche Arbeitskräfte, daß die Bevölkerung nur in geringem Um-
fange auf den Kriegsdienst als Lebensunterhalt angewiesen war und
eine regelmäßige Anwerbung zumal der tüchtigeren Elemente nicht
stattfand.
Besser stand es mit der Kavallerie. Aus der französisch-burgun-
dischen Zeit hatten sich noch die Ordonnanzkompagnien erhalten, in
denen nur der einheimische Adel dienen durfte, und diese schwere
Reiterei soll ebenso leistungsfähig gewesen sein wie die französische.
Auch war das Pferdematerial in den Niederlanden, die u. a. Pferde
nach Frankreich exportierten, von vortrefflicher Qualität. Aber diese
Truppe w^ar entsprechend der relativ unabhängigen Stellung des nieder-
ländischen Adels ein weniger gefügiges Instrument in der Hand der
Regierung als die französische Gendarmerie, und aus der Kriegs-
geschichte läßt sich denn auch nicht nachweisen, daß die niederländische
schwere Reiterei ähnlich bedeutungsvolle Leistungen vollbracht hätte
wie die französische.
Die Artillerie und die Festungsanlagen der Niederlande waren
mittelmäßig. Die niederländische Industrie war, wie bekannt, im allge-
meinen auf die Textilmanufaktur beschränkt und bot Ingenieuren in
§54. Die Marine. 118
der Regel keine Gelegenheit zur Ausbildung im Geschützwesen; wohl
nur Mecheln, wo sich auch das größte Zeughaus befand, hatte in der
Waffenfabrikation Leistungen aufzuweisen, die mehr waren als Hand-
werksprodukte für den Lokalgebrauch. Die offene Grenze gegen das
französische und das englische Gebiet (bei Calais) war zwar durch
zahlreiclie Festungen geschützt ; doch waren diese, wenn schon wider-
standsfähig, doch keineswegs so stark und so bewehrt wie im allgemeinen
die festen Plätze, die Frankreich vor einer Invasion von den Nieder-
landen aus bewahren sollten. Für die einseitige Richtung der flan-
drischen Industrie ist dabei bezeichnend, daß Kaiser Karl V. nicht
anders als der König des industriearmen Frankreichs den Bau seiner
drei großen Festungen in den Niederlanden von einem italienischen
Ingenieur besorgen lassen mußte (Navagero bei Alberi I, 336 f.).
Ähnliches gilt von den Festungsanlagen der Freigrafschaft.
§ 54. Die Marine. Als Marinemacht kam von den niederländischen
Provinzen nur der nördliche oder holländische Landesteil in Betracht.
Der Süden unterhielt zwar eine gewaltige Exportindustrie und zählte
einen der größten Handelsplätze in seiner Mitte; aber die Schiffahrt
lag in auswärtigen Händen (§51), und eine einheimische Marine bildete
sich dort ebensowenig wie unter ähnlichen Verhältnissen in Florenz
(vgl. §91). Ganz anders stand es, wie bereits ausgeführt, im Norden,
und die holländischen Provinzen nannten eine Flotte ihr eigen, mit
der es in den nördlichen Meeren nur die allerdings noch etwas größere
der deutschen Hanse aufnehmen konnte. Diese Schiffe waren nun
ohne weiteres auch als Kriegsschiffe zu benutzen, sobald sie mit
Artillerie bestückt waren, die die Regierung den Befestigungen der
Städte entnehmen konnte (vgl. § 13). Damit verfügten die Herrscher
der Niederlande auch über die stärkste staatliche Kriegsmarine im
Norden. Denn die Hanse war kein geschlossenes Staatswesen, das man
mit Frankreich oder England hätte vergleichen können, und sowohl
die französische wie die englische Marine waren der niederländischen
nicht gewachsen und noch weniger hatten die dänische und die über-
haupt erst im Entstehen begriffene schwedische Schiffahrt zu bedeuten.
Es ist zwar wohl kaum wörtlich zu nehmen, wenn einmal von nieder-
ländischer Seite behauptet wurde, die französischen Schiffe seien
meistens kleiner als die holländischen und wagten einen Angriff nur,
wenn sie in drei- bis vierfacher Mehrzahl seien (Häpke, »Akten«, S. 514,
Nr, 620, 1552). Aber im allgemeinen wird diese Bemerkung sicherlich
zugetroffen haben; auch war die holländische Flotte schon der Zahl
der Schiffe nach stärker als die französische und in größerem Um-
fange für längere Seefahrten eingerichtet. Gerade also dem Staate
gegenüber, der in den internationalen Konflikten am ehesten als poli-
tischer Gegner der Dynastie auftreten konnte, war die maritime Su-
periorität der Habsburger unzweifelhaft.
Wer aber daraus schließen wollte, daß aus dieser ihrer latenten
Überlegenheit die Habsburger in der politischen Praxis einen ent-
Fueter, Europ. Staatensystem. 8
114 Die habsburgische Macht (die österreichischen Lande).
sprechenden Nutzen gezogen hätten, würde sich täuschen. Zunächst
verfügten sie durchaus nicht frei über die holländische Marine, und
dieser Umstand fiel für ihre auswärtige Politik um so mehr ins Ge-
wicht, als die Holländer durchaus keinen Grund hatten, einem eventuel-
len habsburgischen Kriege gegen Frankreich zuzustimmen; denn sie
hatten wohl ein Interesse daran, sich, wenn nötig, in einen Krieg mit
der deutschen Hanse einzulassen, um sich die Freiheit der Durchfahrt
durch den Sund zu sichern, nicht aber die friedlichen Beziehungen
zu Frankreich zu stören. Wichtiger aber war der andere Grund. Selbst
wenn die holländische Flotte den Habsburgern uneingeschränkt zur
Disposition gestanden hätte, so hätte die Dynastie daraus für den
zentralen Konflikt der Periode, für den Kampf um Italien keinen
Vorteil schöpfen können. Denn die holländischen Schiffe waren, wenn
schon im Nahkampf gelegentlich Ruderbarken verwendet wurden,
ausschließlich Segelschiffe und waren deshalb gegen die Rudergaleeren
des Mittelländischen Meeres nicht zu gebrauchen (§ 14). Auch wenn-
die aus der Distanz entspringenden Schwierigkeiten weggefallen wären
(die holländische Schiffahrt drang damals kaum je weiter südlich vor
als bis nach Portugal), so hätte die niederländische Marine die genue-
sische Flotte nicht ersetzen können. Es ist daher wohl verständlich,
daß wenn Kaiser Karl V. sich in seinem im Jahre 1548 abgefaßten
politischen Testament als stärker zur See denn Frankreich bezeichnet
{»Papiers d'Ltat de Granvelle« III, 288 ff.), er dabei offenbar nur seine
Streitkräfte im Mittelmeer in Betracht zieht.
2. Die österreichischen Erblande.
§ 55. Das Land und seine Bewohner. Der Schilderung der öster-
reichischen Erblande, d. h. der habsburgischen Besitzungen im Osten,
stellen sich dieselben Schwierigkeiten entgegen wie der Darstellung
der burgundischen Territorien. Selbst wenn der Forscher von Ungarn,
Württemberg und den kleineren Gebietsveränderungen gegen Venedig
zu absieht, so bliebe immer noch die gewaltige Vergrößerung, die 1526
durch die Ei Werbung Böhmens, Mährens und Schlesiens erfolgte, zu
beachten. Auch hier müßte, streng genommen, der Umfang des öster-
reichischen Länderbesitzes vor jedem Abschnitt der Erzählung neu
beschrieben werden.
Dabei darf man freilich auch nicht übersehen, daß zwar alle hier
folgenden Angaben nur mit zeitlicher Einschränkung gültig sind, daß
aber anderseits die territorialen Veränderungen, die innerhalb der
österreichischen Besitzungen während der hier behandelten Periode
eintraten, auf die internationale Stellung des Hauses einen verhältnis-
mäßig geringen Einfluß ausgeübt haben, einen geringeren jedenfalls
als die Vereinigung der burgundisch-österreichischen Erblande mit
dem spanischen Königreiche. Auch wurde die Struktur des öster-
reichischen Staates durch die neuen Er\verbungen nicht so stark modi-
§ 55. Land und Bevölkerung. 115
tiziert, daß seine Stellung im europäischen Staatensystem wesentlich
anders geworden wäre.
Die österreichischen Lande standen am Schlüsse der Periode an
Größe der Bevölkerung nicht stark hinter Spanien zurück. Die alten
österreichischen Besitzungen hatten mindestens 2 Millionen Einwohner;
dazu kamen Böhmen, Mähren und Schlesien, deren Einwohnerschaft
auf 3^/2 Millionen geschätzt werden muß. Es bestand also nur ein
Unterschied von etwa anderthalb Millionen, und in dem größten der
europäischen Staaten, die im Vergleich zu Frankreich als »Mächte
zweiter Ordnung« bezeichnet werden können, nämlich in England,
blieb die Volkszahl (4 Millionen Seelen) sogar noch beträchtlich hinter
Österreich zurück.
Dabei war Österreich für die Versorgung seiner Bevölkerung viel
besser gestellt als Spanien. Mit Ausnahme von Oberösterreich pro-
duzierten sozusagen alle Provinzen Getreide, vielfach auch Wein, im
Überfluß, und wenn auch die Zahl der schiffbaren Flüsse nicht eben
groß war, so gehörten doch einige zu den wichtigsten Verkehrswegen,
so daß ärmere Gegenden von reicheren mit Korn versorgt werden
konnten (z. B. Linz aus Niederösterreich; Alberi, »Relazioni« I, 377).
Dazu traten Bodenschätze in großem Umfange: die Salz- und Metall-
bergwerke in Tirol und später die reichen Minen in Böhmen. Die
Bevölkerung war für ihre Ernährung also nicht nur vom Auslande
unabhängig, sondern es war auch noch Raum zur weiteren Vermehrung
da, ohne daß zu befürchten war, daß es, wie sogar in Frankreich (um
von Süddeutschland gar nicht zu reden) geschah, zu einer Übervöl-
kerung kommen könnte.
Österreich unterschied sich stark von den Weststaaten durch den
gleichsam provisorischen Charakter seines Gebietsumfanges. Frank-
reich, England und Spanien hatten einen Zustand der Konsolidierung
erreicht, der zwar Modifikationen in den Grenzdistrikten keineswegs
ausschloß, die erreichte Ausdehnung des Staatsareals aber doch in der
Hauptsache zu einer unveränderlichen Größe machte. Österreich be-
fand sich im Vergleich zu diesen Mächten noch im Werden. W^enn
schon von den burgundischen Erblanden bemerkt werden kann, daß
ihr »unfertiger« Charakter, d. h. die Existenz fremder Gebiete, die die
Verbindung zwischen den einzelnen Besitzungen unterbrachen (Geldern,
Lüttich, die Bourgogne us\v.) zu einer aggressiven Arrondierungspolitik
anregen konnte, so gilt etwas Ähnliches, und zwar noch in viel höherem
Maße von den österreichischen Landen. Nicht nur fehlte es an einer
Verbindung mit den Vorlanden, die am besten durch eine Annexion
Württembergs zu erreichen war, sondern auch die österreichischen
Lande selbst, die trotz des Erzbistums Salzburg eine zusammenhängende
Masse bildeten, wurden von der habsburgischen Regierung nur als
Kern eines viel größeren Reiches betrachtet, das sich nach allen Seiten
ausdehnen sollte. Während andere Großstaaten und zumal Spanien
und Frankreich nach . Erwerbungen kolonialen Charakters in geo-
8*
116 Die habsburgische Macht (die österreichischen Lande).
graphisch fremden Gebieten strebten, trachtete die österreichische Re-
gierung nach Anghederungen in den an ihre Provinzen direkt an-
stoßenden Distrikten.
Ein solcher Staat nahm daher auch an dem Kampfe um Itahen
in anderer Weise teil als die Mächte, die ihre territoriale Entwicklung
in gewissem Sinne bereits abgeschlossen hatten. Nur weil eine Seite
der österreichischen Ausdehnungspolitik, nämlich der Kampf mit
Venedig, Österreich in unmittelbare Berührung mit dem italienischen
Konflikte brachte, wurde das Land als solches von Anfang an von dem
zentralen Problem der Periode affiziert.
Literatur. Die wichtigste Quelle sind auch hier die venezianischen Relationen
bei Alberi, »Belazio?ii « L 1 — 3, und in den »Fontes Reruin Ausiriacaruni« IL Für die
Stellung Österreichs in der internationalen Politik ist dabei bezeichnend, daß ein-
gehendere Berichte über das Land erst nach der Vereinigung mit Spanien vorliegen,
§ 56. Industrie und HaiideL Die Zustände in Handel und Industrie
entsprachen den soeben dargelegten ^'erhältnissen. Es gab keine Ex-
portindustrie in Österreich; aber ähnlich wie in Frankreich genügte
der Ertrag, der sich aus der Ausfuhr von Rohstoffen ergab, um die
Mittel zur Bezahlung ausländischer Qualitäts- und Luxuswaren auf-
zubringen. Eine Ausnahme bildete beinahe einzig die vermutlich nach
französischem Vorgange offiziell geförderte Waffenfabrikation. Wenn
auch die Produkte vor allem der Innsbrucker Geschützgießereien nicht
ganz an das französische Vorbild heranreichten, so hatten sie doch
anderswo kaum ihre Rivalen; der Verlauf der damaligen militärischen
Operationen bestätigt durchaus die Bemerkung des Antonio de Beatis
aus dem Jahre 1517, sogar die nürnbergische Artillerie komme der
von Trient und Innsbruck nicht gleich {»Voyage du cardinal d' Aragon«
[1913], p. 46; vgl. ibid. pp. 29 u. 32). Auch der Quantität nach war
die österreichische Munitionsindustrie übrigens der deutschen überlegen,
wie sich u. a. aus den Vorbereitungen zum Schmalkaldischen Feldzuge
ergibt: es war die natürliche Folge der unter Maximilian inaugurierten
Wirtschaftspolitik, wenn Kaiser Karl V. im Jahre 15'46 seine Armee
vorzugsweise aus den Ländern des österreichischen Königs (Innsbruck)
mit Artillerie versorgte, nl quäle (Ferdinand I.) si dice haverne assai«
(»Venezianische Depeschen vom Kaiserhofe« I [1889], S. 533), Eben-
sowenig war es von schlimmen ökonomischen Folgen begleitet, daß
die österreichische Kaufmannschaft an dem einträglichen Gewürz-
handel nur in bescheidenem Maße, jedenfalls in viel geringerem Um-
fange als die großen süddeutschen Städte beteiligt war, obwohl die
wichtige Handelsstraße von Venedig durch österreichisches Gebiet
führte. Die Österreicher waren wie die Franzosen nicht auf dieses
Erwerbsmittel angewiesen. Infolge davon blieb es auch ohne schäd-
liche wirtschaftliche Folgen, daß das Adriatische Meer der nichtvene-
zianischen Schiffahrt so gut wie verschlossen war und sich in den
österreichischen Landstrichen nur eine Küstenschiffahrt von unter-
geordneter Bedeutung zu entwickeln vermochte (vgl. § 58).
§ 57. Innerpolitische Organisation. 117
Vgl. die Bemerkung zum vorhergellenden Paragraphen, besonders die Relation
von (^avalli aus dem Jahre 1543 bei Alberi 1, 3, 102 f. Mit dem, was dort über die
Einfuhr nach Österreich gesagt wird, stimmen durchaus überein die Angaben über
Import- und Exportverhältnisse zwischen Venedig und österreichischen Landschaften
bei H. Simonsfeld, »Der Fondaco dei Tedeschi in Venedig« II (1887), 104 f. Cha-
rakteristisch für den Stand der österreichischen Industrie ist, daß nicht einmal die
böhmische Glasfabrikation die Konkurrenz mit den feineren venezianischen Fabri-
katen aushalten konnte (Cavalli S. 104; vgl. auch S. 102). — Der Ausschußlandtag
der österreichischen Stände, der 1518 zu Innsbruck tagte, spricht in seinen Be-
schwerden über die »Monopolien« nur von den »großen Gesellschaften«, die außer-
halb des Landes ihren Sitz haben (»Archiv für Kunde österr. Geschichtsquellen«
XIII [1854], 239); dort übrigens S. 244 auch Wünsche der Stände nach Einführung
einer Textil- und Seidenindustrie in Österreich. — Theophil Mayer, »Der auswärtige
Handel des Herzogtums Österreich im Mittelalter«, 1909 ( »Forschungen«, ed. Dopsch,
6. Heft).
§ 57. Die inneipolitische Organisation. Die finanzielle Leistungs-
fähigkeit der österreichisehen Lande war deshalb, besonders nachdem
sie um Böhmen, Mähren und Schlesien vergrößert worden waren, nicht
unbeträchtlich. Reichten die Mittel, die sie der Regierung zur Ver-
fügung zu stellen vermochten, auch nicht zu einer Großmachtpolitik
im französischen Stile aus, so hätte sich aus ihnen, zumal in Verbin-
dung mit den Einkünften der Niederlande und später auch noch Spa-
niens und der italienischen Besitzungen doch ein recht bedeutender
Kriegsfonds bilden lassen. Aber die Regierung stieß, wenn sie das
Kapital ihrer Untertanen ausnutzen wollte, auf größere Hindernisse
als der König von Frankreich. Für außerordentliche Abgaben, ohne
die Kriege nicht eigentlich zu finanzieren waren, war sie auch in den
österreichischen Landschaften überall an die Zustimmung der Stände
gebunden, und die Bewilligung neuer Steuern dürfte hier nicht leichter,
sondern schwerer zu erlangen gewesen sein als in den Niederlanden.
Dazu waren diese Stände besser organisiert als die niederländischen;
auch der Umstand, daß es gelegentlich (1518, 1525) sogar zu Ausschuß-
landtagen der gesamten österreichischen Erblande (mit den Vorlanden)
kam, brachte zwar für die Regierung manche Bequemlichkeit mit sich,
verstärkte anderseits aber auch die Stellung der Stände, wie sich schon
aus der Haltung ergibt, die die Regierung gegenüber analogen Be-
strebungen in den niederländischen Provinzen einnahm (§ 52). Aus
den böhmischen Kronländern, in denen König Ferdinand I. gern einen
gemeinsamen Ausschußlandtag geschaffen hätte, war dabei noch weniger
zu erhalten als aus den altösterreichischen Erblanden.
Sosehr dieser Zustand den militärischen Unternehmungen der
österreichischen Regierung aber auch hinderlich war, und sosehr er
auch dazu verleitete, künftige Einnahmen vorwegzunehmen (durch
Verpfändung der Bergwerkserträge z. B.), so konnte die Dynastie
auf der andern Seite als Aktivum in ihr Konto einsetzen, daß ihre
auswärtige Politik in ganz anderer Weise mit den Interessen der
Stände oder, wenn man lieber will, der österreichischen Landschaf-
ten und nicht bloß des Gesamthauses im Einklang stand, als dies
118 Die habsburgische Macht (die österreichischen Lande).
in den Niederlanden der Fall war. Von den vier Zielpunkten, die man
als den Kern der habsburgischen Politik bezeichnen darf, der Er-
oberung der Bourgogne, dem Vorstoß gegen die venezianische Be-
herrschung der adriatischen Küstenstriche, der Ausdehnung der habs-
burgischen Hegemonie über Süddeutschland und der Abwehr des
osmanischen Angriffes, konnten wenigstens die drei zuletzt genannten
auch vom Standpunkt einer rein österreichischen Politik gerechtfertigt
werden, und der letzte betraf sogar eine direkt fühlbare und unmittelbar
verständliche Landesgefahr. Wenn die Regierung von den Ständen
deshalb finanzielle Mittel zur Bekämpfung der türkischen Macht ver-
langte, so durfte sie in ganz anderem Maße auf Entgegenkommen
rechnen als bei ihren Steuerforderungen an die niederländischen Stände,
besonders soweit es sich um die unmittelbarer bedrohten österreichischen
Erblande handelte. Wenn der venezianische Gesandte Cavalli im Jahre
1543 bemerkte, man könne die Macht König Ferdinands über die öster-
reichischen Erblande nach Belieben als sehr groß oder als sehr klein
taxieren, denn ohne die Türkengefahr erhalte er nichts über das
Normale hinaus (Alberi I, 3, 96), so kann man den Satz auch um-
kehren und sagen, daß dank der Türkengefahr die österreichische
Regierung auf unverhältnismäßig hohe Subsidien ihrer österreichischen
Stände zählen konnte. Daher mußte dieses Argument auch seinen
Dienst bereits zu einer Zeit tun, als von einer direkten Gefährdung der
österreichischen Besitzungen durch die Osmanen noch nicht wohl
gesprochen werden konnte: schon 1518 verlangte die Regierung von
dem Ausschußlandtag Geldmittel, um (u. a.) die in Nordafrika an den
Piraten Barbarossa verloren gegangenen Gebiete wieder zu erobern
(»Archiv für Kunde österr. Geschichtsquellen« XIII [1854], 207 ff.).
Diese »unverhältnismäßig hohen Subsidien« blieben dabei übrigens
offenbar immer noch weit hinter dem zurück, was die Stände hätten
leisten können, wenn die Regierung über das Vermögen der Untertanen
uneingeschränkt verfügt hätte. Zunächst pflegte die Bewilligung von
Steuern an lästige Bedingungen geknüpft zu werden, und dann ent-
sprach die bewilligte Summe nicht den Forderungen der Regierung.
Wenn Ferdinand I. in einem kurz nach der Katastrophe von Mo-
hacs geschriebenen Briefe an seinen Bruder nur in resigniertem Tone
von der Unterstützung sprach, die er von dem Landtage zu Linz er-
wartete (»Korrespondenz Ferdinands I.« ed. Bauer I [1912], 465), so
war er wohl vollkommen im Rechte, auch abgesehen davon, daß er kurz
vorher von den Ständen unter der Enns unbefriedigenden Bescheid
erhalten hatte (»Archiv« 1. c. S. 340 f.). Jedenfalls enthoben die Lei-
stungen der österreichischen Stände die Regierung nie der Notwendig-
keit, sich auch bei den deutschen Ständen um Beihilfe gegen die tür-
kische Gefahr zu bemühen.
Dazu kam schließlich, daß die Regierung in Österreich lange nicht
so fest konstituiert war wie in den Niederlanden. Wohl begann König
Maximilian auch in den österreichischen Erblanden mit der Errichtung
§^58. Armee und Marine. II')
ständiger Beamlenkollegien, mit der Schaffung von Grundlagen zu
einem Beamtenstaat. Aber der grundbesitzende Adel, der noch durch-
aus im Lande dominierte und noch den größten Teil der geistlichen
Stellen für sich reservieren konnte und neben dem, den Verhältnissen
in Handel und Industrie entsprechend, kein starker Mittelstand exi-
stierte, war noch viel zu mächtig, als daß er sich wie in Frankreich oder
auch nur in den Niederlanden in den leitenden Stellen durch Regierungs-
beamte hätte ganz verdrängen lassen. In die neugebildeten »Regimente«
mußten Vertreter der Stände aufgenommen werden, und die Regierung
mußte zustimmende Voten des Adels, die dann auch die anderen
Stände zur Bewilligung neuer Steuern nötigten, durch Konzessionen
in der Form von Versorgung in Hofämtern oder geistlichen Würden
erkaufen (was dadurch erleichtert wurde, daß die Regierung die letzte
Entscheidung über die Besetzung der kirchlichen Stellen in ihrer Hand
hatte).
Literatur. Für die Geschichte der österreichischen Landtage sind die wicli-
tigste Quelle die von H. J. Zeibig im 13. Bande des »Archivs für Kunde österreichi-
scher Geschichtsquellen« publizierten Akten; dazu »Monumcnta Hungarica Historica«
XXXL Wertvolle Ergänzungen dazu hauptsächlich in den venezianischen Rela-
tionen; daß finanzielle Forderungen der Regierung in den böhmischen Kronländern
auf größere Schwierigkeiten stießen als in den österreichischen Erblanden, betont
Tiepolo 1532 ausdrücklich (Alberi I, 93). — Über die Bedenken, die die Regierung
gegen die Abhaltung von Generallandtagen hegte, vgl. z. B. »Korrespondenz Ferdi-
nands I.« 1, 334 (zum Jahre 1525). — F. Hirn, »Zur Geschichte der Tiroler Land-
tage von 1518 — 1525«, 1905 (Erläuterungen und Ergänzungen zu Janssen IV, 5);
Fr. Tezner, »Die landesfürstliche Verwaltungspflege in Österreich vom Ausgange des
15. bis zum Ausgange des 18. Jahrhunderts« 1898; Loserth, »Ständische Bezieh-
ungen zwischen Böhmen und Innerösterreich im Zeitalter Ferdinands I.« in den
»Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen« 50 (1912),
1 ff. Weitere Literatur s. in dem bibliographischen Verzeichnis am Schlüsse von
H. Spangenbergs »Vom Lehenstaat zum Ständestaat« (1912).
Über die Kontroverse, ob der burgundischen oder der österreichischen Be-
amtenorganisation die Priorität zukomme, vgl. den Aufsatz von F. Rachfahl in
der »Historischen Zeitschrift« HO (1913), 1 ff. und die dort besprochene Literatur
sowie die Replik Andreas Walthers, »Die Ursprünge der deutschen Behörden-
organisation im Zeitalter Maximilians I.« (1913). — A. Bachmann, »Die Behörden-
organisation Kaiser Maximilians 1.« in den »Neuen Jahrbüchern für das klassische
Altertum« V (1900), 362 ff. ; Alfons Huber, »Studien über die finanziellen Verhält-
nisse Österreichs unter Ferdinand I.« in den »Mitteilungen des Instituts für österr.
Geschichtsforschung«, Ergänzungsband IV; Loserth, »Das Kirchengut in Steier-
mark im 16. und 17. Jahrhundert« 1912.
§ 58. Armee und Marine. Es ist in dem vorhergehenden Para-
graphen bereits auf manche Ähnlichkeiten hingewiesen worden, die
zwischen der sozialwirtschaftlichen Verfassung Frankreichs und der
Österreichs bestanden. Auch die militärischen Verhältnisse weisen,
vielleicht weil sie auf verwandte Ursachen zurückgehen, mehrfache
Analogien auf.
Auch in den österreichischen Landschaften fehlte die natürliche
Voraussetzung für die Bildung einer tüchtigen einheimischen Infanterie
(in beiden Fällen mit Ausnahme einiger Gebirgsgegenden). Das frucht-
120 Die habsburgische Macht (die österreichischen Lande).
bare Land bot der Bevölkerung genügendes Auskommen und der
Zwang zum Militärdienst fehlte. Wenn die Regierung, um den schwei-
zerischen Söldnern etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen, die Insti-
tution der Landsknechte schuf, so konnte sie das Material dazu nur
zum geringsten Teile ihren österreichischen Erblanden entnehmen
(die Vorlande bleiben hier wie üblich außer Betracht). Sie war nur
insofern besser gestellt, als der französische Rivale, als sie, die zugleich
die Kaiserwürde innehatte, bei ihrem Appell an die oberdeutsche Söldner-
mannschaft nicht eigentlich Fremde in ihren Dienst nehmen mußte;
aber was die Leistungen ihrer Erblande und auch der böhmischen Kron-
länder betraf, so war diesen an brauchbaren Infanteristen kaum mehr
zu entnehmen als dem Lande des französischen Königs. Die Quellen
pflegen zwar vielfach als (die häufigste) Heimat der Landsknechte
nur die »oberen deutschen Lande« anzugeben, und unter dieser un-
deutlichen Bezeichnung könnten auch die österreichischen Erblande
verstanden sein. Aber von denselben Truppen heißt es andere Male,
daß sie aus Schwaben oder aus Schwaben und dem Hegau stammten,
und nachweisbar waren sie zum großen Teile auch schwäbischer, elsäs-
sischer und bayerischer Herkunft (vgl. M. Neil, »Die Landsknechte«,
1914, S. 199 u. 256 — 259). Hält man damit noch zusammen, daß nach
einer ausdrücklichen venezianischen Bemerkung die Bevölkerung Xieder-
österreichs als ungeeignet zum Infanteriedienst galt und deshalb von
der Regierung in dieser Eigenschaft auch nicht verwendet wurde
(Alberi I, 382), und daß die böhmische Infanterie allerdings gebraucht
wurde, aber weil der »ordinanza« ermangelnd, mit geringem Erfolg
(ibid. S. 390), so läßt sich kein anderer Schluß ziehen, als eben ge-
schehen ist; es ist dies auch der Schluß, der mit den geographischen
Verhältnissen am besten harmoniert (nur das Tirol scheint Krieger in
größerer Anzahl geliefert zu haben). Damit stimmt dann auch, daß
König Ferdinand nach einer weiteren venezianischen Bemerkung von
dem böhmischen Landtage lieber Geld als Mannschaft bewilligt erhalten
wollte, weil die böhmischen Kriegsleute sowieso nicht viel taugten
(Alberi I, 3, 100).
Was die Kavallerie anbetraf, so war weder der österreichische Adel
der Krone so ergeben, daß sich aus ihm ein so loyales Reisigenkorps
wie in Frankreich hätte bilden lassen, noch kam die österreichische
schwere Reiterei ihrer Ausbildung nach der französischen gleich. An
einheimischer leichter Reiterei fehlte es beinahe vollständig; von dem
Geld, das einmal der tirolische Landtag für Infanterie zu einem Kriegs-
zug gegen Ungarn bewilligte, gedachte die Regierung die Hälfte zur
Anwerbung italienischer leichter Reiter zu verwenden (Alberi I,
1, 93), und im Jahre 1549 suchte die Regierung den niederösterreichi-
schen Ständen den Vorteil eines Krieges gegen Ungarn hauptsächlich
damit plausibel zu machen, daß sie ausführte, den Türken würden,
falls die Operationen günstig abliefen, größere Bestände leichter Rei-
terei »abgestrickt« werden (»Archiv für österr. Geschichtsquellen«
§ 58. Armee und Marine. 121
XI 11, 359). Es ist denn auch nirgends die Rede davon, daß öster-
reichische Kavallerie in eine Schlacht entscheidend eingegriffen hätte.
Im Artilleriewesen schloß sich die österreichische Regierung, und
zwar unter den Nachfolgern Maximilians I. nicht weniger als unter
diesen selbst durchaus dem französischen Vorbilde an. Sie hatte dabei
ähnliche Hindernisse zu überwinden wie jene; schließlich kamen aber
ihre Fabrikate den französischen beinahe gleich. Wenn von dem Be-
festigungswesen dies nicht in derselben Weise gilt, d. h. wenn die Be-
festigungen österreichischer Städte häufig mangelhaft unterhalten
wurden, so lag dies in der Hauptsache nur daran, daß in den ersten
Jahrzehnten der hier behandelten Periode, also vor der Eroberung
Ungarns durch die Türken, die Gefahr feindlicher Invasionsversuche
nicht eigentlich aktuell war; auch die französische Regierung wendete
ja der Befestigung der im Innern des Landes gelegenen Städte keine
Aufmerksamkeit zu (vgl. auch § 11). Allerdings scheint es, als wenn
die österreichische Verwaltung auch später, d. h. nachdem der Vor-
stoß der Osmanen die Notwendigkeit einer stärkeren Befestigung
wenigstens der Grenzorte erwiesen hatte, dieser Pflicht nur ungenügend
nachgekommen wäre. Sie verlangte zwar gleich nach Mohacs (1526;
§ 123) von den Ständen Geldbewilligungen zu Fortifikationsarbeiten
gegen die Türken (»Archiv für österr. Geschichtsquellen« XIII, 335);
aber die Ausführung dieser Pläne scheint nachlässig besorgt worden
zu sein. Der Historiker hat wenigstens keinen Grund, an den wieder-
holten Versicherungen der venezianischen Gesandten zu zweifeln, daß
nicht einmal Wien so stark befestigt war, wie es nötig gewesen und
wie leicht zu erreichen gewesen wäre, von anderen Städten wie Graz
ganz zu schweigen. Einer der Gesandten der Markusrepublik bemerkte
bei diesem Anlaß geradezu: 'i>per l'ordinario li ministri di S. M. usano
molta negligenza in simili cose« (Alberi I, 1, 376; andere Stellen ibid.
S. 383 f., 393; Cavalli betont I, 3, 120 die schlechte Verwaltung des
Arsenals zu Wien). Welcher Unterschied zu der Förderung der Ge-
schützgießerei, für deren Lafettierung sogar (bestimmtes) Holz an-
gepflanzt werden mußte (»Archiv« 1. c. XIII, 305)! In jenem Rüstungs-
zweige hatte man der Regierung höchstens vorwerfen können, daß sie
sich allzusehr auf das Anfertigen der Geschütze spezialisierte; es ist
jedenfalls bemerkenswert, daß Kaiser Karl V. zum Zuge gegen die
Schmalkaldner zwar seine Artillerie aus Wien kommen ließ, für die
Lieferung von Pulver und Munition dagegen, wie es scheint, auf Lie-
ferungen aus Nürnberg angewiesen war (vgl. Alberi I, 1, 419 u. 426).
Rüstungen (Harnische, Blechhandschuhe usw.) besorgte sich die Re-
gierung etwa in Oberitalien (Brescia; vgl. M. v. Wolff, »Die Beziehungen
K. Maximilians I. zu Italien« 1909, S. 90); doch war die dortige In-
dustrie überhaupt den meisten Ländern unentbehrlich (vgl. die §§ 41
und 90).
Zu erwähnen wäre schließlich noch, daß mindestens seit der Er-
werbung Böhmens die Habsburger die böhmischen Pioniere zu ihren
122 Die habsburgische Macht.
Untertanen zählten, die als die besten der Welt galten (Avila in »Histo-
riadores de Sucesos particulares« I [1852], 419); schon vorher hätte
übrigens das Tirol, das ebenfalls zahlreiche Bergwerke besaß, vielleicht
eine ähnlich vorgebildete Mannschaft stellen können (vgl. Contarini bei
Alberi I, 1, 386 f.), doch liegen darüber keine bestimmten Zeugnisse vor.
Am schwächsten stand Österreich auf dem Gebiet des Seekriegs-
wesens da. Es besaß keine Marine, die auch nur zu Truppentrans-
porten hätte verwendet werden können. Obwohl Triest (und Fiume)
mit Ausnahme einer ganz kurzen Unterbrechung während der ganzen
Periode im österreichischen Besitze waren, fehlte es so vollständig an
größeren Schiffen, daß die Regierung sogar für Truppensendungen
vom Triestiner Hafen aus auf spanische Schiffe angewiesen war (vgl.
z. B. Ulmann, »Kaiser Maximilian« II, 290). Und auch während der
Zeit, da der damals viel wichtigere Hafenplatz Marano sich in öster-
reichischen Händen befand (1513 — 1542), stand es damit nicht anders.
Es wurde im nördlichen Busen des Adriatischen Meeres wohl von öster-
reichischen Untertanen eine ziemlich lebhafte Küstenschiffahrt be-
trieben; aber zu einer großen Handelsschiffahrt und zum Unterhalt
von Galeeren mangelte es, selbst während die direkt mit der Levante
verkehrende Stadt Marano österreichisch war, an allen Voraussetzungen.
Der Grund davon ist leicht zu erkennen. Erst unter Maximilian I.
wurde Österreich durch die Erwerbung der Grafschaft Görz ein eigent-
licher Küstenstaat, und selbst dann hatte es noch die größte Mühe,
auch nur seine Küstenbesitzungen an der Adria zu Lande gegen Ve-
nedig zu behaupten, geschweige denn daß es bereits die Kraft gehabt
hätte, auch zur See sich gegen das Schiffahrtsmonopol zur Wehr zu
setzen, das die Markusrepublik zwischen Ravenna und Fiume für sich
in Anspruch nahm. Denn zu einem solchen Unternehmen hätte es
gerade der IMarinestrcitkräfte bedurft, die Österreich unter dem Druck
des venezianischen Ausschließungssystems bei sich nicht schaffen
konnte. Kaiser Maximilian hat denn auch in der Zeit, da er den Staat,
den er unter allen wohl am stärksten haßte, vernichten wollte, wohl
einmal einen Angriff auf die Stadt Venedig selbst ins Auge gefaßt (1509);
aber sogar diesem utopischen Plane konnte er nur eine kombinierte
Aktion der französischen und spanischen Flotte zugrundelegen, an
die Mitwirkung österreichischer Schiffe war nicht zu denken (vgl.
Ulmann, »Maximilian I.« II, 384). Und nicht anders stand es, als
König Ferdinand 1542 Marano wieder von den Venezianern zurück-
erobern wollte (Cavalli bei Alberi I, 3, 119).
Die österreichische Regierung hat sich denn auch der Einsicht
nicht verschlossen, daß in dem Punkte der Schiffahrt gegen Venedig
nicht aufzukommen war. So zähe sie auch gegen venezianische Aspi-
rationen an ihrem Landbesitz an der Adria festhielt, so wenig ver-
suchte sie ernstlich das venezianische Schiffahrtsmonopol zu brechen;
nicht einmal die Wiedereroberung Maranos wurde mit nachhaltigem
Eifer angestrebt. Als sich ISotabeln aus der friaulischen Gegend da-
§ 59. Deutschland. 123
mals bei König Ferdinand über das venezianische Schiffahrtsverbot
beklagten, ließ es der Monarch bei diplomatischen Vorstellungen ohne
weitere Folgen bewenden (Alberi I, 1, 464 ff.); ja, er scheute sich nicht
einmal, den Venezianern als Kompensationsobjekt die Abtretung von
Triest und auch Marano (solange dies noch österreichisch war) anzu-
bieten {»Correspondance politiqiie de G. Pellicier<( ed. Tausserat-Radel
1899, S. 84, 436, 499, n. 1).
Über die Angelegenheit der Stadt Marano in Friaul und die Bedeutung des
Ortes das beste Material in der zitierten Korrespondenz von Pellicier; vgl. speziell
S. 499. — Bezeichnend für die am Schlüsse geäußerte Ansicht ist auch, welch ge-
ringes Gewicht König Ferdinand im Jahre 1525 auf Beschwerden über Belästigungen
österreichischer Schiffer durch die Venezianer legt (»Korrespondenz«, ed. Bauer I,
288); die dort angeführten Wormser Abmachungen (Sanuto XXX, 453 ff.) enthalten
übrigens keine Zusagen zugunsten eventueller Schiffahrtsrechte österreichischer
Untertanen. — Daß in Triest »barques armees« aufzutreiben waren (Pellicier S. 502;
vgl. auch S. 524), beweist nichts für die Existenz einer Kriegsflotte in Triest, be-
sonders dem deutlichen Zeugnis Cavallis gegenüber. Vgl. auch W. Bauer, »Die An-
fänge Ferdinands 1.« (1907), S. 126, n. 1.
Natürlich besaß Österreich deshalb auch keine Werften für Kriegsschiffe.
Als sich Maximilian 1. 1497 mit dem Plan einer Offensivaktion gegen Frankreich
zur See trug, war projektiert, die Flotte in Genua bauen zu lassen (Sanuto, »Diarien«
I, 489).
Noch 1548 hebt (lontarini hervor, daß König Ferdinand sich besonders mit
dem Studium der Artillerie abgebe (Alberi, »Relazioni« I, 1, 456).
3. Deutschland.
§ 59. Das Land und seine Bewohner. Das römische Reich deut-
scher Nation gehörte staatsrechtlich nicht zum Herrschaftsgebiet der
Habsburger. Seit einigen Generationen pflegten zwar die Kaiser aus
dem Hause Österreich genommen zu werden; aber einen Anspruch
auf die Kaiserwürde besaß die habsburgische Dynastie nicht, und
gerade während des hier behandelten Zeitraumes ist es um die Be-
setzung dieses Amtes einmal zu einem Wahlkampfe gekommen. Aber
in einer Darstellung wie der hier vorliegenden muß Deutschland trotz-
dem als Teil des habsburgischen Reiches behandelt werden. Denn das
Reich war dem Auslande gegenüber (mochten im Innern die partiku-
lären Gewalten noch so große Machtbefugnisse an sich gerissen haben)
nur durch den Kaiser vertreten (§ 62), und diese kaiserliche Gewalt
ruhte damals mit Ausnahme des kurzen Interregnums im Jahre 1519
ununterbrochen in den Händen des Oberhauptes der habsburgischen
Dynastie. Unter normalen Verhältnissen also, d. h. solange sich die
deutschen Stände nicht zu einem revolutionären Vorstoß gegen ihren
Oberherrn zusammenschlössen, war Deutschland nur als Teil der habs-
burgischen Ländervereinigung dem europäischen Staatensysteme ein-
geordnet.
Von allen christlichen Staaten der damaligen Zeit war Deutschland
nicht nur der größte und volkreichste, sondern an seinen latenten
Machtmitteln gemessen auch der stärkste. Ähnlich günstige natür-
124 Die habsburgische Macht (Deutschland).
liehe Vorbedingungen zur Herstellung einer politischen Hegemonie
über Europa lagen höchstens noch bei der Türkei vor; aber selbst das
osmanische Reich enthielt bei weitem nicht die natürlichen Hilfskräfte,
über die Deutschland verfügte.
Deutschland zählte damals etwas über 20 Millionen Seelen. Es
übertraf damit Frankreich, den volkreichsten christlichen Staat der
Zeit, um ungefähr ein Viertel. Dazu war die Bevölkerung in einer für
die Macht und den Wohlstand des Landes vorteilhaften Weise verteilt.
Der gesamte Norden war mit Ausnahme der westlichen, gegen den Rhein
zu gelegenen Gebiete noch so dünn besiedelt, daß von dort eine be-
trächtliche Ausfuhr von Rohprodukten möglich war. Im Süden und auch
im Nordwesten war zwar die Bevölkerung vielfach schon zu dicht, um
aus den Produkten des Bodens leben zu können, aber doch noch nicht
so stark, als daß nicht ihr Überschuß in der Industrie und besonders
im Kriegshandwerk hätte ein einträgliches Einkommen finden können,
und auf Einfuhr aus dem Ausland waren auch diese Gebiete, deren
Bevölkerungsdichte den Durchschnitt für Deutschland (30 Seelen auf
den Quadratkilometer) überstieg, noch nicht angewiesen. Deutschland
teilte also den Vorzug der handelspolitischen Unabhängigkeit vom Aus-
lande mit Frankreich, hatte aber vor diesem voraus, daß es daneben
noch über genügend Einwohner, die nicht durch die Urproduktion in
Anspruch genommen waren, verfügte, um Kriegswesen, Handel und
teilweise auch die Industrie durch einheimische Kräfte besorgen zu
lassen. Dazu kamen die Metallgruben, denen Frankreich nichts Ähn-
liches an die Seite zu stellen hatte, und schließlich die guten Fluß-
verbindungen. Das Flußsystem Deutschlands war allerdings weniger
günstig als das französische. Hauptsächlich dank ihm war Ober-
deutschland von den niederdeutschen Gebieten mit Ausnahme der
Rheinprovinzen handelspolitisch beinahe vollständig getrennt, was dann
den politischen Zusammenhang zwischen Süden und Norden überhaupt
lockerte. Aber man braucht nur einen Blick auf Spanien zu werfen,
um zu sehen, was die vielen guten Zufahrtsstraßen zum Meere auch
so noch für Deutschland bedeuteten.
Literatur. Die zeitgenössischen Beobachter sind darin einig, Deutschland
als stark bevölkertes und fruchtbares Land zu bezeichnen. Vgl. z. B. X. Tiepolo
bei Alberi I, 1, 110 (1532) und Mocenigo in den '>Fontes Rer. Austr.« II, 30, 72 (1548).
Die Unabhängigkeit Deutschlands von Getreideeinfuhr aus dem Ausland betont
ausdrücklich z. B. Contarini (Alberi I, 402; 1548). Aus den Dokumenten ergibt sich
dasselbe Resultat: mehrfach wird interner Ausgleich nötig, aber kein Import von
außen. Contarini meint, daß wenn die Deutschen mäßigere Trinker wären (jeder
trinke wenigstens soviel wie vier Italiener), so würde auch Süddeutschland Über-
schuß an Getreide haben (S. 403 und 408). Am dichtesten scheint in Oberdeutsch-
land Württemberg besiedelt gewesen zu sein (vgl. z. B. Contarini, ibid., S. 445).
Dies nimmt auch Moritz Ritter an (»Deutsche Geschichte« I [1889], 5), der wohl
die beste Schilderung Deutschlands gibt. Von weiteren Relationen sind hauptsäch-
lich noch die von Badoer bei Alberi I, 3, 175 ff., zu erwähnen (1557). — Hans Lieb-
mann, »Deutsches Land und Volk nach italienischen Berichterstattern der Re-
formationszeit«, 1910. Vgl. zu diesem und den folgenden Paragraphen ferner das
§ 60. Handel und Industrie. 125
von J. V. Pflugk-Harttung 1912 herausgegebene Sammelwerk »Im Morgenrot der
Reformation«, speziell die Beiträge von J. Haller (»Auswärtige Politik und Krieg«)
und G. V. Below (»Die Reichsreform«).
§ 60. Handel und Industrie. Es ist bereits im vorhergehenden
Paragraphen angedeutet worden, warum der Historiker bei der Dar-
.stellung der wirtschaftlichen Verhältnisse eigentlich von »zwei Deutsch-
land« sprechen sollte. Ökonomisch hatten der Süden und die Rhein-
lande einerseits und der Norden anderseits kaum etwas miteinander
zu tun, jedenfalls viel weniger als mit großen Teilen des Auslandes.
Die beiden Wirtschaftsgebiete müssen daher auch an dieser Stelle
getrennt behandelt werden.
Der Süden (worunter hier also immer auch die Rheingegend mit
Köln verstanden wird) befand sich bereits zu Beginn des hier behan-
delten Zeitraumes nicht mehr in der befriedigenden ökonomischen Lage,
die etwa noch in der Mitte des 15. Jahrhundeits bestanden hatte.
Noch existierte zwar dank der starken Nachfrage nach deutschen
Söldnern ein Gleichgewicht zwischen Bevölkerungszahl und Erwerbs-
möglichkeit. Noch konnte auch ein anderer Teil der überschüssigen
Bevölkeiung in Handel und Industrie Beschäftigung finden. Aber
bereits fing das Angebot an Arbeitskräften überall an, die Nachfrage
zu übersteigen und ein ökonomischer Niedergang kündigte sich an.
Vor 1559 machte sich diese Veränderung allerdings noch nicht
so bemerkbar, daß sich bereits daraus politisch-militärische Folgen
ergeben hätten. Der Forscher kann ähnlich wie für Venedig für jene
Zeit wohl einen wirtschaftlichen Stillstand, aber noch nicht einen
Niedergang konstatieren. Aber trotzdem war auch schon diese Er-
scheinung bedeutungsvoll genug, um wenigstens ganz kurz erläutert
zu werden.
Die Verlegung der Handelswege steht dabei erst in zweiter Linie.
Denn auf der einen Seite wurde der Verkehr mit Venedig, der die ober-
deutschen Kaufleute früher hauptsächlich bereichert hatte, weder auf
einen Schlag unterbrochen, noch bezog sich dieser Verkehr nur auf
die Vermittelung asiatischer Gewürzwaren. Auf der andern Seite
wurde der Handelsverkehr mit den Niederlanden erst recht lebhaft,
nachdem Antwerpen einmal zum Entrepot des Gewürzhandels ge-
worden war; dazu verband sich auch hier mit dem Transporte asiatischer
Artikel Einfuhr von Produkten europäischer (hauptsächlich englischer)
Industrie (vgl. Häpke, »Akten«, S. 394, n. 1). Es galt denn auch noch
in den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts als ausgemacht, daß die
deutschen Handelsstädte nicht gegen den Kaiser kriegen würden, weil
sie große Kapitalien in den Niederlanden angelegt hätten (Mocenigo
in den »Fontes Her. Austr.« II, 30, 86 und 153), ■ — doch wohl vor allem
zum Zwecke ihres Handels, nicht in der dortigen Industrie.
Der eigentlich entscheidende Schlag fiel auf einem anderen Ge-
biete. Er bestand darin, daß die deutsche Textilindustrie nicht einmal
mehr im eigenen Lande die Konkurrenz des Auslandes aushalten konnte.
126 Die habsburgische Macht (Deutschland).
Während die Metallindustrie immer noch tüchtige Arbeit leistete,
versagte das oberdeutsche Gewerbe, wo es sich um Qualitätsarbeit
in der Bekleidungsindustrie handelte, und die Käufer, die sich mit den
groben einheimischen Produkten nicht begnügen wollten, waren auf
die Fabrikate Flanderns, Englands oder Italiens angewiesen. Es ist
hier nicht der Ort, zu untersuchen, wie weit dieser Zustand damit
zusammenhing, daß die Rohstoffe (Seide, Baumwolle, auch Wolle:
Badoer bei Alberi I, 3, 180) schwerer zu beschaffen und deshalb kost-
spieliger waren als in den ebengenannten Ländern ; die befriedigenderen
Verhältnisse in der Eisenindustrie, wo die Versorgungsbedingungen für
Deutschland günstiger lagen, würden an sich eine solche Erklärung
nahelegen. Aber sei dem wie ihm wolle, Tatsache ist, wie von den
fremden Beobachtern übereinstimmend betont wird, daß die Deutschen
grob und dürftig gekleidet gingen, daß sie feinere Tuche nicht zu pro-
duzieren verstanden, und daß alle Textilwaren, die nur einigermaßen
höheren Ansprüchen genügten, aus dem Auslande eingeführt werden
mußten; ein venezianischer Gesandter fügt noch hinzu, daß die Deut-
schen (deshalb) auch für ausländische Qualitätsware kein Verständnis
hätten und die billigeren, wennschon schlechteren Artikel den feineren
vorzögen (Cavalli bei Alberi I, 3, 102. Die anderen Stellen: Beatis,
»Voyage du cardinal d'Aragoti« [1913], p. 70f. ; Contarini bei Alberi
I, 1, 409; Badoer ibid. I, 3, 181 u. 184). — Man könnte nun freilich
bemerken, daß es in Frankreich damals kaum anders stand (vgl. § 27).
Aber dem wäre entgegenzuhalten, daß das französische Königreich die
Einfuhr ausländischer Industrieprodukte durch einen bedeutenden
Export von Getreide, Salz und Wein zu kompensieren vermochte,
während die Ausfuhr aus Oberdeutschland, sei es in Rohprodukten,
sei es an Fabrikaten, lange nicht so beträchtlich war. Die pessimisti-
schen Betrachtungen Contarinis über die zu erwartende Verarmung
(Ober-)Deutschlands waren deshalb sicherlich nicht ganz unbegründet
(Alberi I, 1, 409).
Mit dieser Auffassung stimmt auch die Bemerkung des Beicht-
vaters Karls V., daß die Reichsstädte nur vom Warenhandel lebten,
durchaus überein, insofern darin ausgedrückt ist, daß die Städte, wenn
ihnen der Handelsverkehr abgeschnitten würde, sich nicht an dem Er-
trage ihrer Industrie erholen könnten (bei W. Maurenbrecher, »Karl V.
und die deutschen Protestanten«, I [1865], Anhang S. 29; vgl. die ähn-
liche Bemerkung des Kaisers selbst S. 48). Und zwar speziell die ober-
deutschen Städte; denn bekanntlich befanden sich von den 66 Reichs-
städten 55 in Oberdeutschland.
In Niederdeutschland, das, was die finanzielle Leistungs-
fähigkeit betraf, für die kaiserliche Macht und noch mehr die Habs-
burger weniger in Betracht fiel als das oberdeutsche Wirtschaftsgebiet,
lagen die Verhältnisse günstiger. Die Industrie war zwar dort mit
Ausnahme des Schiffbaus, des Braugewerbes und einiger Leinewebereien
noch viel unbedeutender als in Oberdeutschland; andere Fabrikate
§ 60. Handel und Industrie. 127
wurden nicht einmaJ in dem beschränkten Umfange exportiert, wie
dies in Oberdeutschland der Fall war. Aber dafür wurden einheimische
Rohprodukte (vor allem Getreide) in gewaltigen Quantitäten aus-
geführt, und dieser Verkehr lag ebenso wie die Einfuhr fremder Roh-
stoffe und Fabrikate, sowie die Ausfuhr der Rohstoffe aus den nicht-
deutschen Gegenden im Osten und Norden in der Hauptsache in
deutschen Händen, d. h. War von den Städten der Hanse monopolisiert
W'Orden. Wohl erlitt gerade während der hier behandelten Zeit dieses
Monopol einige Einschränkungen, vor allem von selten der holländischen
Schiffahrt, später auch von England und den skandinavischen Staaten.
Aber die Kapitalkraft der niederdeutschen Städte wurde dadurch
zunächst noch viel weniger geschwächt, als die finanzielle Bedeutung
der oberdeutschen Städte vor 1559 durch die Verlegung der Handels-
wege. Mindestens Niederdeutschland selbst, das durch treffliche Wasser-
wege mit der See verbunden war, blieb der Hanse zu einem guten Teil
reserviert, und nicht einmal der Mangel an öffentlicher Sicherheit, mit
der es in Deutschland bekanntlich viel schlimmer bestellt war als in
Frankreich, den Niederlanden, England oder Oberitalien, und der
schlechte Zustand der Straßen konnte ihrer internationalen Konkur-
renzfähigkeit Schaden bringen. Denn der Verkehr wickelte sich auch
außerhalb der großen Flußläufe in der Hauptsache zu Wasser ab; auch
die kleinsten Flüsse wurden dabei ausgenutzt und Lücken durch Kanäle
und Schleusen ergänzt.
Für das Reich fiel dabei freilich wenig ab. Die Hanse stand tat-
sächlich außerhalb des Reichsverbandes, und viele ihrer Städte waren
nicht einmal reichsunmittelbar; der Ertrag ihres Handels kam also
zunächst nicht dem Reiche sondern dem Territorialherrn zugute.
Literatur. An einer allgemeinen Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im
16. Jahrhundert fehlt es noch. Es gibt nur Werke über einzelne Gegenstände wie
R. Ehrenbergs »Zeitalter der Fugger« (1896) und E. Gotheins »Wirtschaftsgeschichte
des Schwarzwaldes«! (1891); Walter Möllenberg, »Die Eroberung des Weltmarkts
durch das mansfeldische Kupfer« (1911). Besser steht es mit Niederdeutschland, weil
die eifrige x\rbeit zur Geschichte der Hanse zugleich auch die Grundlagen zu einer
Darstellung der wirtschaftlichen Zustände überhaupt gelegt hat. Es sei hier speziell
verwiesen auf E. Dänell, »Die Blütezeit der deutschen Hanse« II (1906), 429ff.
Dafür, daß während der hier besprochenen Zeit die Stellung des hansischen Handels
im wesentlichen noch unerschüttert war, vgl. z. B. die Schrift von Friedrich Schultz,
»Die Hanse und England von Eduards III. bis auf Heinrichs VIII. Zeit«, 1911
(»Abhandlungen zur Verkehrs- und Seegeschichte«, ed. D. Schäfer 5), speziell S. 163
und 193. Über die Beziehungen zu den skandinavischen Staaten und den Nieder-
landen vgl. R. Häpke, »Die Regierung Karls V. und der europäische Norden«
(1914). Auch Karl Brinkmann, »Der Beginn der neueren Handelsgeschichte und
das Aufkommen der Seemächte« (»Historische Zeitschrift« 112 [1914], 264ff.) zeigt
bessere Kenntnis von den Verhältnissen in Nieder- als in Oberdeutschland. —
Eine vollständige Bibliographie zur Geschichte der Hanse und des nordischen See-
verkehrs bei Walter Vogel, »Geschichte der deutschen Seeschiffahrt« I (bis zum
Ende des 15. .lahrhunderts), 1915.
§ 61. Militärische Verhältnisse. Es ist gezeigt worden, daß die
ökonomischen Verhältnisse in Deutschland eine unbefriedigende Ge-
128 Die habsburgische Macht (Deutschland).
stalt anzunehmen begannen. Zumal im oberdeutsch-westdeutschen
Wirtschaftsgebiet genügte der Ertrag aus Handel und Gewerbe nicht
mehr zur Ernährung der zu stark angewachsenen Bevölkerung; nur
in Niederdeutschland, wo die Bevölkerung weniger dicht und der öko-
nomische Rückgang weniger bedeutend war, bestanden noch keine
wirtschaftlichen Schwierigkeiten. So unerfreulich dieser Zustand nun
auch sein mochte, so hatte er doch die günstige Folge, daß dadurch
die Vorbedingungen zu einer zahlreichen und leistungsfähigen Wehr-
kraft geschaffen wurden.
Man kann sagen, daß Deutschland in dieser Beziehung die Vorzüge
Spaniens und Frankreichs vereinigte. Mit den spanischen Reichen
hatte es gemein, daß, nachdem einmal die »schweizerische« Ordnung
eingeführt worden war (speziell in Oberdeutschland), mit leichter Mühe
große und trefflich ausgebildete Infanterietruppen formiert werden
konnten, die aus den tüchtigsten Elementen der Bevölkerung Zulauf
fanden. Mit Frankreich bestand die Analogie, daß ein zum Reiter-
dienst fähiger und auch zu Hauptmannsstellen verwendbarer Adel
vorhanden war, der dazu noch in einem erheblich größeren Maße als
dort darauf angewiesen war, seinen Lebensunterhalt im Waffendienste
zu suchen. Denn obwohl die geistlichen Stifter strenger als in Frank-
reich der zu Hause nicht mehr zu ernährenden Nachkommenschaft
des Adels vorbehalten waren, so bewirkte doch die geringere Frucht-
barkeit des Bodens, daß der Landadel weniger leicht als dort von dem
Ertrage seiner Güter leben konnte; möglicherweise war auch der Betrieb
schon nur der Befestigungsanlagen wegen, die mit Rücksicht auf die
allgemeine Unsicherheit besser unterhalten werden mußten, kostspieliger
als in Frankreich. Die farbigen Schilderungen der Zimmerischen Chronik
sprechen in dieser Beziehung keine andere Sprache als die Berichte
der venezianischen Gesandten, die über die Armut und die Unkultur
(d. h. das hauptsächlich kriegerischer Beschäftigung gewidmete Leben)
der deutschen Adligen nicht Worte genug finden können.
Es standen hier also militärische Kräfte zur Verfügung, die es an
Tüchtigkeit mit denen mancher anderer Staaten aufnehmen konnten,
an Vielseitigkeit aber alle übertrafen. Aber dieser Vorteil konnte von
der Regierung nur ganz ungenügend ausgenutzt werden, da diese in
ihrer Art unerreichte Wehrkraft ihr nur in sehr beschränktem Maße
zur Verfügung stand. In der Defensive war das Reich allerdings un-
überwindlich. Es war allgemein bekannt, daß jeder Angriff auf Deutsch-
land, der das Reich in seinem Besitzstand gefährden könnte, von vorn-
herein zum Scheitern verurteilt war, und die wenigen Pläne eines
Offensivkrieges gegen Deutschland, die überhaupt erwogen wurden,
wurden stets unter der Voraussetzung entworfen, daß ein Teil der
deutschen Stände mit dem Angreifer gemeinsame Sache machen würde.
Aber ganz anders lagen die Verhältnisse, wenn die Regierung und wenn,
speziell die Habsburger diese Kräfte nun zum Angriff und gar noch
etwa im Interesse ihres Hauses aufbieten wollten. Wohl wäre es falsch,
§ 61. Militärwesen. 129
wenn der Historiker den Einfluß nationalen Empfindens wenigstens
bei den Infanteriesöldnern (den Landsknechten) als vollkommen un-
wirksam betrachten wollte (bei dem Adel waren solche Gefühle aller-
dings ohne jede praktische Bedeutung). Der moralische Zusammenhang
zwischen Kaiser und Volk hat sich mehrfach stärker erwiesen als die
Verpflichtungen der Soldverträge mit fremden Regierungen. Aber
immer handelte es sich dabei nur um ein sozusagen retardierendes
Moment: an sich bot der deutsche Söldner ohne Rücksicht auf das
Interesse des Reiches oder den Befehl der kaiserlichen Regierung seine
Dienste jedem an, der ihn dafür bezahlte, und dem Kaiser fehlte der
durchaus unzureichenden Reichsoxekutive wegen (§ 62) in der Regel
die Macht, auch nur die Anwerbung im Solde seiner direkten Gegner
zu verhindern. Die Gewaltmittel der habsburgischen Kaiser reichten
nicht einmal aus, die Grenze zu sperren (soweit nichthabsburgisches
Gebiet in Betracht kam), geschweige daß sie die Ansammlung von
Truppen innerhalb des Reichsterritoriums hätte hemmen können.
Und nicht einmal theoretisch wurde ihr Recht zur ausschließlichen
Verfügung über die einheimischen Söldner von der öffentlichen Meinung
anerkannt. Als Kaiser Karl V. im Jahre 1548 auf dem Höhepunkt
seiner Macht über Deutschland deutsche Hauptleute, die ohne seine
Erlaubnis bei dem französischen Könige Dienste genommen hatten,
hinrichten ließ, da wurde sein Vorgehen beinahe wie ein Justizmord
betrachtet, und die Zeitgenossen sind einstimmig darin, ihrer Ver-
wunderung oder Entiüstung Ausdruck zu verleihen (vgl. z. B. Mocenigo,
»Fontes Rer. Aiistr.n II, 30 [1870], 165). In Frankreich sprach man
damals sogar davon, an deutschen Untertanen in Frankreich, wenn
nicht an dem kaiserlichen Gesandten selbst, Repressalien zu üben
(Druffel, »Briefe und Akten« I, 106). Welcher Unterschied zu den
Zuständen auch nur in der schweizerischen Eidgenossenschaft, wo sich
die Söldner zwar oft genug gegen die Werbeverbote ihrer Regierungen
vergingen, wo aber die Bestimmung, daß der Eintritt in fremde Dienste
nur mit offizieller Bewilligung erlaubt war, im In- und Ausland an
sich nie in Zweifel gezogen w^urde (§ 97)!
Der Kaiser oder, genauer gesagt, die habsburgische Regierung
befand sich daher den deutschen Söldnern und Hauptleuten gegenüber
kaum in einer anderen Lage als gegenüber den Eidgenossen (§ 64).
Wie die österreichischen Dokumente immer wieder betonen, man
müsse die Schweizer, auch wenn man sie nicht nötig habe, zuvorkom-
mend behandeln, weil sie sonst dem französischen Erbfeinde zur Ver-
fügung ständen, so empfahlen die habsburgischen Regenten Kon-
zessionen an die deutschen Stände, um der Wehrkraft des Reiches
nicht verlustig zu gehen. »Wenn es infolge der Machinationen des Land-
grafen von Hessen zu einem Kriege in Deutschland kommen sollte
(heißt es in einer 1534 abgefaßten Instruktion König Ferdinands an
den Kaiser), so hat der Kaiser keine Möglichkeit mehr, Soldaten aus
Deutschland zu erhalten, und wenn dies doch der Fall sein sollte, nur
Fueter, Europ. Staatensystem. 9
130 Die habsburgische Macht (Deutschland).
wenige und schlechte« (Döllinger, »Beiträge zur politischen, kirch-
lichen und Kulturgeschichte« I (1862], 11 f.).
Tatsächlich ist diese Politik denn auch von der habsburgischen
Regierung, soweit es ihr möglich war, befolgt worden, und wenn es ihr
nicht gelang, den Kriegsdienst der Adligen und der Landsknechte
so für sich zu monopolisieren, wie es das französische Königtum bei
seinen Edelleuten erreicht hatte, so waren daran nicht mangelnder
Eifer, sondern wohl nur das Fehlen ausreichender Geldmittel und (in
späteren Jahrzehnten) partikularistische Befürchtungen mancher Ter-
ritorialherren schuld. Deutschland enthielt eben einerseits eine so
zahlreiche, auf den Kriegsdienst angewiesene und zu diesem befähigte
Mannschaft, daß selbst beträchtlichere Finanzquellen, als sie den Habs-
burgern zur Verfügung standen, nicht genügt hätten, um sie beständig
zu beschäftigen; anderseits entzog die ständische Opposition, nachdem
sie sich einmal mit dem religiösen Gegensatz verbunden hatte, dem
Kaiser direkt durch ihre Kriege und indirekt durch Erschwerung der
Anwerbung einen guten Teil der Truppen, die sonst in habsburgische
Dienste getreten wären; es tritt dies besonders hervor, wenn man be-
denkt, daß die Zeit Maximilians in dieser Beziehung die Stellung des
Kaisers gegenüber früheren Perioden zweifellos verbessert hatte. Denn
wennschon die kleinen reichsunmittelbaren Herren das natürlichste
Kontingent stellten und diese den Tendenzen der oppositionellen Stände
im allgemeinen indifferent gegenüberstanden, so waren diese Reichs-
freien doch durchaus nicht die einzigen, die als Hauptleute in Betracht
kamen, und ohne wenigstens stillschweigende Einwilligung auch der
größeren Territorialfürsten, ja sogar einzelner als Sammlungsplätze
dienender Reichsstädte, war an eine Anwerbung im großen kaum zu
denken. Gerade an diesem Punkte versagte nun aber die kaiserliche Macht.
Um wider den Willen der Stände Soldaten zu erhalten, mußte der Kaiser
zunächst selbst zum Schwerte greifen, und der einzige gelungene Versuch
dieser Art, der übrigens nur dank der Personalunion mit Spanien glück-
lich durchgeführte Schmalkaldische Krieg, zeigt, daß selbst unter den
günstigsten Bedingungen ein nachhaltiger Erfolg nicht zu erzielen war.
An sich aber war, nachdem einmal die schweizerische Taktik und
Schulung übernommen worden waren, das Material von vorzüglicher
Qualität. Die Landsknechte hatten die Vorzüge der Schweizer, vor
allem den Korpsgeist, ohne deren technische Einseitigkeit; denn wenn
sie auch als Belagerer den Spaniern nicht gleichkamen und in der Hand-
habung der Feuerwaffen (die sie gleich den Eidgenossen nur in ver-
hältnismäßig geringer Anzahl verwandten) hinter anderen Nationen
zurückstanden, so hielten sie im ganzen doch den Vergleich mit den
Truppen aller anderen Völker vollständig aus, und besonders in den
späteren Jahrzehnten der Periode konnten ihnen für gewisse Opera-
tionen wohl nur noch die Spanier vorgezogen werden.
Dazu kam, daß die vielleicht nicht ganz an die Vielseitigkeit der
Spanier heranreichende beschränkte Brauchbarkeit der Landsknechte
§ 61. Militärwesen. 131
durch die Leistungen Deutschlands in anderen Waffen mehr als aus-
geglichen wurde. Die deutsche Reiterei konnte sich zwar weder mit
der französischen Gendarmerie noch mit der italienischen leichten
Kavallerie messen; aber sie bewahrte ein anständiges Durchschnittsmaß
und ganz ähnlich verhielt es sich mit der Artillerie (speziell in den
Gebieten außerhalb der österreichischen Erblande). Freilich standen
anderseits diese Waffen der kaiserlichen Regierung nicht einmal in
dem Umfange zu Gebote wie die Landsknechte. Denn der Adel, aus
dem sich die Kavallerie bildete, trug kaum je Bedenken, seinen Arm
den ausländischen Fürsten zur Verfügung zu stellen, wenn ihm von
jener Seite günstigere Bedingungen geboten wurden, und die Reichs-
städte, die aus begreiflichen Gründen das Artillerieweseri besonders
pflegen mußten, konnten unter normalen Umständen nicht gezwungen
werden, dem Kaiser ihr Geschützmaterial zur Verfügung zu stellen;
als sie sich dann später, z. T. unter dem Einfluß der protestantischen
Bewegung der ständischen Opposition angeschlossen und auch der
Erneuerung des schwäbischen Bundes abgeneigt gezeigt hatten (§ 62),
konnte die Reichsregierung diese artilleristische Hilfeleistung für ge-
wöhnlich überhaupt nicht mehr in Anschlag bringen. Als Aktivum
blieb ihr in der Hauptsache auch hier nur, daß auch soweit diese beiden
Waffengattungen in Betracht kamen, das Reich über eine unüber-
windliche Defensivkraft verfügte und sie deshalb wohl eine kriegerische
Auflehnung der Stände, nicht aber einen selbständigen Angriff des
Auslandes befürchten mußte.
Das deutsche Marinewesen muß sich an dieser Stelle mit einer
kurzen Erwähnung begnügen. Und zwar nicht deshalb, weil das Reich
als solches keine Flotte besaß, sondern weil die Seemacht, über die
Reichsangehörige verfügten, auf das Zentralproblem der Periode, näm-
lich auf die Gestaltung der Lage in den Mittelmeerländern, keinen Ein-
fluß auszuüben vermochte (vgl. § 14). Das kaiserliche Herrschafts-
gebiet berührte das Mittelländische Meer ja nur an einzelnen Punkten
der nördlichen Adria und über den Zustand der österreichischen Schiff-
fahrt ist bereits gehandelt worden (§ 58).
Soweit aber die deutsche Marineausrüstung überhaupt als Faktor
der internationalen Politik in Betracht kam, d. h. soweit die Verhältnisse
in der Nord- und Ostsee und den dortigen Küstenstaaten berührt wur-
den, kann die Lage ungefähr mit denselben Worten charakterisiert
werden wie mit den Beziehungen des Reichs zu seinen Nachbarn auf
dem Festlande geschah. Zu Offensivaktionen sehr mangelhaft aus-
gerüstet, waren die Seestreitkräfte, über die die deutsche Hanse ver-
fügte, doch so stark, daß sie nicht nur den Seestaaten in der Defensive
gewachsen waren, sondern die in ihrer maritimen Organisation noch
zurückgebliebenen Länder wenigstens zu Beginn der hier behandelten
Periode noch in einer eigentlichen Abhängigkeit behalten konnten.
Kombinationen kleinerer Mächte im W^esten vermochten zwar die
handelspolitische Stellung des Bundes ungünstiger zu gestalten; an
132 Die habsburgische Macht (Deutschland).
einen erfolgreichen militärischen Angriff gegen die Hanse innerhalb
deren eigenen Gebietes war aber im Ernste nicht zu denken. Vor allem
die skandinavischen Staaten mußten zufrieden sein, wenn sie als äußerstes
Ziel eine bescheidene Selbständigkeit zur See erlangen konnten.
Aber die Reichsregierung hätte anderseits für aggressive Pläne
ebensowenig, ja noch weniger über die Streitkräfte der Hanse ver-
fügen können, als über die Landtruppen der Reichsstände. Es ist un-
bestritten, daß die Hanse sich ebensowenig um das Reich kümmerte,
als dieses sich um sie. Und wenn das Kaisertum nie auf eine Unter-
stützung von ihrer Seite hatte rechnen können, so war dies vollends
nicht der Fall, seitdem die habsburgischen Inhaber des Kaiserthrones
als Herren der Niederlande die Interessen der gefährlichsten Konkur-
renten der Hanse zu wahren hatten. Ordneten die Habsburger sowieso
durchweg den Vorteil des Reiches der Fürsorge für die Dynastie und
die Erblande unter, so führten sie diese Politik aus begreiflichen Grün-
den da besonders strikt durch, wo der geschädigte Teil nicht einmal
den Anspruch erheben konnte, den Nutzen des Reiches im Auge zu
haben. Sowohl unter Maximilian I. wie unter Karl V. hat die habs-
burgische Regierung daher soweit immer möglich in den Konflikten
zwischen Holländern und Hansen gegen den niederdeutschen Seebund
Partei genommen; man nahm in ihren Kreisen auch kein Bedenken,
etwa den Ruin Hamburgs und Bremens zum Vorteil der Niederlande
in Betracht zu ziehen, — seien doch die Bremer eher als Hansen denn
als kaiserliche Untertanen zu betrachten (vgl. Häpke, »Akten und Ur-
kunden« S. 451 f.; 1547). Daß aber damit auch die kaiserliche Politik
auf eine Verwendung der hansischen Seemacht im Interesse ihrer oder
der Reichsinteressen verzichtete, ergibt sich ohne weiteres.
Literatur. Über die Landsknechte Martin Neil, »Die Landsknechte«, 1914,
der aber freilich über die politische Seite des Anwerbewesens so gut wie nichts bei-
bringt, übrigens auch mit seiner Darstellung bereits vor der hier behandelten Periode
abbricht. tJber die übrigen Waffengattungen fehlt es noch an einer zusammen-
fassenden Darstellung; von den erzählenden Werken ist für die politischen Zusammen-
hänge wohl dem Buche von H. Ulmann über »Kaiser Maximilian I.« (1884 — 1891)
das meiste zu entnehmen. — t)ber die Marine außer den Darstellungen und Akten-
publikationen zur Geschichte der Hanse und auch Häpke (§ 60) Walther Vogel,
»Geschichte der deutschen Seeschiffahrt« I (1915).
§ 62. Innerpolitische Organisation. Auch in den Niederlanden
und in Österreich hatte die habsburgische Dynastie, wie gezeigt worden
ist, mannigfache Hindernisse zu überwinden, wenn sie die im Lande
vorhandenen Machtmittel finanzieller und militärischer Natur in vollem
Umfange für ihre Zwecke ausnutzen wollte. Aber die Schwierigkeiten,
die sich ihrer dort entgegenstellten, standen weit hinter denen zurück,
mit denen sie zu kämpfen hatte, sobald sie die latenten Kräfte des
Reiches zu verwerten versuchte.
Überall sonst vermochte sie sich, mochten die Privilegien der
Stände noch so ausgedehnt sein, auf eine ihr untertänige Beamtenschaft
und auf eine in der Hauptsache mit ihren Anhängern besetzte Prä-
§ 62. Innerpolitische Organisation. 133
latur zu stützen. Im Reiclie war nichts Ähnliches der Fall. Wohl waren
einige Reichsorgane von der kaiserlichen Gewalt abhängig: so lagen
vor allem (trotz gelegentlicher schüchterner Versuche der Stände,
dies Monopol zu brechen) der diplomatische Dienst und die diplo-
matische Vertretung des Reiches ganz in den Händen des Kaisers,
ebenso standen ihm Vorrechte bei der Besetzung des obersten Reichs-
gerichtes (des Kammergerichtes) zu. Aber selbst wenn die Kompe-
tenzen des Kaisers in dieser Hinsicht noch größer gewesen wären, so
wäre damit der Mangel nicht beseitigt worden, daß es den leitenden
Persönlichkeiten der Reichsverwaltung (mochten sie nun vom Kaiser
oder den Ständen bestellt sein) an den Machtmitteln, an starken, von
den einzelnen Ständen unabhängigen ausführenden Organen fehlte,
um ihre Beschlüsse in die Tat umzusetzen. Es war z. B. nicht nur nicht
möglich, Geld auf extralegalem Wege mit Umgehung der Stände zu
erheben, sondern selbst die von den Ständen bewilligten Steuerbeträge
liefen nur soweit ein, als es den einzelnen Steuerzahlern gefiel. Nimmt
man noch hinzu, daß außerdem die Stellen, die in anderen Ländern,
und zwar gerade in den einer leistungsfähigen Bureaukratie ermangeln-
den, wie z. B. Schottland, die festesten Stützen der königlichen Gewalt
bildeten, nämlich die hohen geistlichen Würden, speziell die Bistümer,
im Reiche nicht vom Kaiser besetzt werden konnten, so sieht man
ohne weiteres, daß die Kaiser das Vermögen ihrer Untertanen in viel
beschränkterem Umfange ausnutzen konnten als die Herrscher der
Weststaaten, ja auch nur als die deutschen Territorialregierungen
innerhalb ihrer eigenen Gebiete, und daß ihre tatsächlichen Macht-
mittel kaum größer waren als die der Könige Ungarns oder Polens,
Aber der Historiker, der sich seine Anschauung über die Bedeutung
des Kaisertums in der damaligen Zeit nur auf Grund der Organisation
der offiziellen Reichsverwaltung bilden wollte, würde den wirklichen
Machtverhältnissen nicht gerecht. Mochten auch die großen Terri-
torien an einer Stärkung der kaiserlichen Exekutive kein Interesse
haben, mochten auch speziell die von der habsburgischen Hausmacht
bedrohten Fürsten in einer Ausdehnung der kaiserlichen Befugnisse
geradezu eine Bedrohung ihrer Selbständigkeit erblicken, so gab es
doch daneben zahlreiche weniger starke Stände, die aus Gründen der
eigenen Sicherheit auf eine Erweiterung der Machtmittel des Reiches
bedacht sein mußten. Die wichtigsten unter diesen waren ihrer finan-
ziellen Leistungsfähigkeit wegen die Reichsstädte, und es wird denn
auch in den Quellen, und zwar vor allem in Gutachten der kaiserlichen
Agenten selbst, immer wieder betont, daß die Städte die zuverlässigste
Stütze der kaiserlichen Gewalt bildeten. Diese waren nun im Zusam-
menhang mit anderen Fürsten, besonders aber im Zusammenarbeiten
mit der österreichischen Regierung daran gegangen, wenigstens für
das den Reichsstädten wichtigste Gebiet, nämlich für Süddeutschland,
ein Surrogat für die fehlende Reichsexekutive zu schaffen und hatten
dies Ziel in der Hauptsache auch durch die Gründung des Schwä-
134 Die habsburgische Macht (Deutschland).
bischen Bundes erreicht. Diese Ständeliga erfüllte nicht nur für
ihr Gebiet im groiJen und ganzen die Aufgaben, die von Rechts wegen
der Reichsverwaltung obgelegen hätten, sondern sie stellte haupt-
sächlich der Dynastie, die die Kaiserwürde innehatte, die ausführenden
Organe zur Verfügung, die der kaiserlichen Verwaltung als solcher
abgingen. Dank diesem stark österreichischen Interessen dienenden
Bund besaßen die Habsburger im Reich eine Machtstellung, die den
Ansprüchen der Dynastie die reale Grundlage verlieh, haben sie doch
selbst ihre gefährlichsten Konkurrenten in Süddeutschland, nämlich
die Herzoge von Bayern, zur Beteiligung an dem habsburgischen Aspi-
rationen gehorchenden Bunde bewegen können! Nie hätten sie wohl
ohne den Schwäbischen Bund das Herzogtum Württemberg, das Ziel
ihrer Arrondierungspolitik in Süddeutschland (das sich vergeblich
gegen die habsburgischen Annexionsprojekte im Jahre 1512 durch
einen »Kontrabund« mit anderen bedrohten oberdeutschen Fürsten
zusammentat) für einige Jahrzehnte in ihre Gewalt bringen können.
Nirgends sonst hat denn auch die Reformationsbewegung der
Ausdehnungspolitik der Habsburger so schweren Abbruch getan wie
hier. Als die süddeutschen Reichsstädte sich der lutherischen Lehre
angeschlossen hatten, waren sie für den Schwäbischen Bund verloren
und damit brach dieser faktisch zusammen; er wurde bereits im Jahre
1533 nicht mehr erneuert, und vergebens versuchten die österreichischen
Herrscher später (1547, 1551) den Bund neu zu bilden oder durch eine
ähnliche neue Allianz zu ersetzen. Nicht einmal Württemberg konnten
sie behalten oder zurückgewinnen, nachdem sie dieses wichtige Ver-
bindungsstück zwischen den österreichischen Erblanden im Osten und
Westen einmal infolge der Auflösung des Bundes verloren hatten.
Die Reformationsbewegung (vgl. § 24) gewann während der hier
behandelten Periode im Gegensatze zu späteren Zeiten für die Ge-
schichte des europäischen Staatensystems in der Hauptsache nur in-
sofern Bedeutung, als sie die antiösterreichische Opposition der in ihrer
Selbständigkeit bedrohten größeren Reichsstände verstärkte und ver-
schärfte und dadurch die habsburgische Regierung nötigte, einen
größeren Teil ihrer Machtmittel als bisher erforderlich gewesen war,
auf den Kampf gegen die rebellierenden Stände zu verwenden. Daß
das Haus Österreich auch hier seine Kräfte nicht konzentrieren konnte,
vielmehr seine deutschen Pläne ähnlich wie die Bedürfnisse der span-
ischen Politik (vgl. § 48) dem aus burgundischer Wurzel entsprossenen
Konflikte mit Frankreich unterordnete, war dann bekanntlich ander-
seits ein Hauptgrund, warum die Ausbreitung der kirchlichen Abfalls-
bewegung in den ersten Jahren von der kaiserlichen Gewalt nur wenig
gestört wurde.
Auf der anderen Seite hat freilich auch die Verschärfung des Macht -
Streites zwischen Territorialfürsten und habsburgischem Kaisertum
die Defensivkraft des Reiches nicht geschwächt, sobald es sich um
unzweideutige Bedrohung von Reichsgebiet handelte. Die Reichs-
§ 62. Innerpolitische Organisation. 135
fürst(Mi hielten zwar mit ihrer Unterstützung zurück, als sie zur Hilfe-
leistung für die Eroberung Ungarns zugunsten Österreichs ausgenutzt
werden sollten; sobald die Türken aber Teile des Reiches selbst an-
griffen, versagten sie ihren Beistand nicht. Der einzige Fall, der gegen
diese Ansicht angeführt werden könnte, nämlich das Abkommen der
Schmalkaldner mit Frankreich, das den Verlust von Reichsgebiet zur
Folge hatte, spricht, genauer betrachtet, nicht gegen sondern für die
hier vertretene These: dies Vorgehen beweist nämlich, daß es so außer-
gewöhnlicher Ereignisse wie der Katastrophe des Jahres 1547 (§ 127)
bedurfte, damit die deutschen Stände kampflos in eine Verkleinerung
des Reichsumfanges einwilligten. Erst als die Stände sich so sehr
geschwächt sahen, daß sie ohne Unterstützung einer fremden Groß-
macht ihre Libertät vor dem kaiserlichen Absolutismus nicht mehr
glaubten schützen zu können, schritten sie zu diesem verzweifelten
Mittel; vorher hatten weder sie noch gar die Franzosen jemals die
Möglichkeit einer solchen Abmachung, d. h. territorialer Abtretungen
als Gegenleistung für französische Beihilfe in Betracht gezogen.
Dabei sei übrigens noch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die
Reformation zwar den Widerstand der Stände gegen die Aufrichtung
einer wirksamen Zentralverwaltung erheblich gestärkt, aber keines-
wegs hervorgerufen oder auch nur ausschließlich bestimmt hat. Viel-
mehr verbanden sich dabei partikularistische und kirchenpolitische
Tendenzen in einem sehr verschiedenen Mischungsgrad; der beste
Beweis dafür liegt vor allem in dem Umstände, daß sogar durch und
durch altgläubige Territorialstaaten, wie Bayern, den gegen den prote-
stantischen Sonderbund gerichteten Bestrebungen des Kaisers recht
kühl gegenüberstanden.
Schließlich muß der Forscher auch noch bemerken, daß gerade
die mangelhafte Organisation der Exekutive die militärische Defensiv-
kraft des Reiches auch wieder gestärkt hat. Die Notwendigkeit, sich
beständig zur Verteidigung der eigenen Existenz gegen den Nachbarn
gerüstet zu halten (eine Notwendigkeit, die z. B. wohl für die Reichs-
städte bestand, nicht aber für die Städte in Frankreich, Spanien, der
Türkei usw.), führte allerdings zu einer Verzettelung der militärischen
Leistungen, die für die Ausdehnungsprojekte der habsburgischen Po-
litik außerordentlich nachteilig war; sie hatte aber auch Verteidigungs-
anstalten zur Folge, die jeden Angriff von außen von vornherein als
aussichtslos erscheinen ließen und sogar die türkische Regierung schließ-
lich zum Verzicht auf weitere Vorstöße bewogen.
Ohne Bedeutung für die Gestaltung der internationalen Verhält-
nisse waren die Versuche, die verschiedentlich von den Ständen zur
Errichtung einer von den Habsburgern unabhängigen Zentralgewalt
(eines »Reichsregiments«) gemacht wurden. Sie müssen an dieser Stelle
daher unbeachtet bleiben, ebenso wie die politischen und administra-
tiven Zustände der Ständeterritorien selbst, da während des hier be-
handelten Zeitraumes ein direkter Einfluß dieser Verhältnisse auf die
136 Die habsburgische Macht (Deutschland).
Geschichte des europäischen Staatensystems nicht nachgewiesen weiden
könnte.
Die beste Illustration für die präponderierende Stellung, die der
habsburgischen Macht trotz der beschränkten Kompetenzen der kaiser-
lichen Gewalt im Reiche zukam, ist der Umstand, daß niemals ein
anderes Fürstenhaus (vor allem das kursächsische als das mächtigste
nach dem österreichischen) ernsthaft gewagt hat, seine Kandidatur
für die Kaiserwürde aufzustellen. Als im Jahre 1519 der Kaiserthron
erledigt war, konnte wohl der Herrscher eines außerdeutschen Groß-
staates daran denken, sich um die höchste Stelle im Reiche zu be-
warben, nicht aber einer der mit den Habsburgern konkurrierenden
Territorialfürsten. Denn die Hausmacht, über die die Habsburger
verfügten, war viel zu bedeutend, als daß ein anderer Fürst gegen sie
hätte regieren können. Umgekehrt verlieh diese Hausmacht den kaiser-
lichen Rechtsansprüchen eine ganz andere Wichtigkeit, als wenn diese von
einem kleinen Territorialherrscher hätten verfochten werden müssen.
Literatur. Der wichtigste innerpolitische Vorgang in Deutschland (wichtiger
als die mit der Reichsreform und dem Reichsregiment zusammenhängenden Er-
eignisse) war, wie im Texte bemerkt, daß die Reformation dem von den Habsburgern
geleiteten Schwäbischen Bund ein Ende bereitete. Vgl. darüber O. A. Hecker,
»Karls V. Plan zur Gründung eines Reichsbundes« (Leipziger Diss. 1906), daneben
hauptsächlich Fritz Härtung, »Karl V. und die deutschen Reichsstände von 1546
bis 1555« (1910), worauf auch für die weitere Literatur verwiesen sei. — Für die
Verhältnisse unter Maximilian ist neben den allgemeineren Werken und den Akten-
publikationen wohl am aufschlußreichsten Viktor von Kraus, »Das Nürnberger
Reichsregiment, Gründung und Verfall 1500 — 1502« (1883). — Von der PoHtik der
Kaiser gegenüber den Reichsstädten waren die Beziehungen zu einzelnen reichs-
städtischen Finanzleuten in der Hauptsache unabhängig; vgl. über diese Verhält-
nisse H. J. Kirsch, »Die Fugger und der Schmalkaldische Krieg« (1915), wo auch
die weitere Literatur über die Fugger verzeichnet ist.
Über das Monopol, das die kaiserlicheRegierung auf den diplomatischen Dienst
besaß, vgl. außer dem zitierten Werk von Kraus Stellen wie das Schreiben Ferdinands
an seinen Bruder Karl V. vom Jahre 1524 (»Familienkorrespondenz« 1 [1912].
134 — 136); »Venezianische Depeschen vom Kaiserhofe« I (1889), 537. — Dabei ist
zu beachten, daß selbst bei den ^'ersuchen, dies Monopol zu durchbrechen, die
Stände doch nie an die Errichtung ständiger Gesandtschaften gedacht haben.
Sie unterhielten ständige diplomatische Vertreter nicht einmal am Kaiserhofe
(vgl. »Hist. Zeitschr.« 113 [1914], 507). — F. v. Bezold, »Das Bündnisrecht der
deutschen Reichsstände« 1904.
Über die Bedeutung, die die kaiserliche Regierung der Unterstützung durch
die Reichsstädte beilegte, enthalten die Dokumente zahlreiche Stellen. Vgl. etwa
»Deutsche Reichstagsakten, jüngere Reihe« II, 74, n.2; Lanz, »Korrespondenz
Karls V.« II, 167 und 174. Die Fürsten machten es auch etwa dem Kaiser zum
Vorwurf, daß er die Städte zu .sehr gegen sie begünstige (Relation Badoers bei Alberi I,
3, 220). Daß die kaiserüchen Beamten die Städtemitglieder als den eigentlichen
Kern des Schwäbischen Bundes ansahen, wird durch Stellen wie die Äußerung
des J. de Xaves bei Lanz »Korrespondenz« II, 329, belegt (vgl. auch ibid. S. 333);
der 1512 von sezedierenden Mitgliedern geschlossene (antiösterreichische) »Kontra-
bund« umfaßte daher nur Fürsten, keine Städte (Ulmann, »Maximihan 1.« II, 574).
Um so charakteristischer ist, daß doch wohl aus konfessionellen Bedenken die kaiser-
Hche Regierung im Jahre 1547 bei den Versuchen, den Bund zu erneuern, zunächst
von der Berufung der Städte absah (Hecker in der zitierten Schrift S. 28 ff.). Ander-
§62. Innerpolitisehe Organisation. 137
soits ließen sich die l<atholisclien Fürsten trotzdem nielit für einen Anschluß an den
habsburgisch-zentrahstischen Bund gewinnen; vgl. etwa ebenda über die Haltung
Bayerns und die Bemerkungen von Ludwig Cardauns »Zur Geschichte Karls Y.
in den Jahren 1536 — 1538« in den »Quellen und Forschungen aus italienischen
Archiven« XII (1909), 210 f.
Über die Abneigung' der deutschen Fürsten gegen eine Eroberung Ungarns
für Österreich, das sowieso schon zu viel besitze (1542), Cavalli in seiner Relation
bei Alberi I, 3, S. 11«; Ludovisi bei Alberi III. 1, 23 und 26.
Für die Haltung Frankreichs gegenüber Deutschland ist die Denkschrift
besonders bezeichnend, die Marillac im Jahre 1559 nach seiner Rückkehr aus dem
Reiche aufsetzte (P. de Vaissiere, »Charles de Marillac^ 1896, S. 377 ff.). Der französi-
sche Diplomat rät zwar der französischen Krone an, die deutschen Fürsten (auch
er spricht nicht von den Städten) gegen die absolutistischen Tendenzen des Kaisers
aufzureizen; aber er will damit nur erreichen, daß das Reich keinen Angriff auf
lYankreich unternehme, nicht daß Frankreich Reichsgebiete erlange. Die französische
Regierung wurde bei ihrer Unterstützung der ständischen Opposition in Deutsch-
land für gewöhnlich nur von der Absicht geleitet, einerseits den habsburgischen
Kaiser der Hilfe, die ihm das Reich bieten konnte, zu berauben und anderseits einer
Sperre des deutschen Söldnermarktes vorzubeugen (vgl. darüber z. B. »Venezianische
Depeschen vom Kaiserhofe« I, 611 [vom Jahre 1546]); wie erwähnt, benutzten die
Kaiser eine Stärkung ihrer Macht vor allem, um die Anwerbung von deutschen
Söldnern in den ständischen Territorien zu verhindern (vgl. z. B. Druffel, »Beiträge
zur Reichsgeschichte« I [1873], 76, nr. 119). Daß Frankreich nie an einen Angriff
auf das Reich aus eigenen Mitteln, d. h. ohne die für gewöhnlich nicht in Betracht
kommende Beihilfe deutscher Stände dachte, ergibt sich aus den Akten nicht minder
als aus den Ereignissen selbst mit Sicherheit; auch die ausländischen Diplomaten
waren, soweit mir bekannt, alle dieser Ansicht (vgl. den Ausspruch des mailändischen
Diplomaten Erasmo Brasca aus dem Jahre 1498 in den »Miscellanea di Storia italianao
XXXV [1898], 483). Maximilian 1. war denn auch nicht imstande, vor den Ständen
auch nur den Beweis französischer Offensivabsichten gegen die österreichischen
Erblande zu erbringen und mußte zu gefälschten Proklamationen der französischen
Regierung seine Zuflucht nehmen (Kraus, »Reichsregiment« S. 14 und 53) — Vgl.
über die Beziehungen der Reichsstände zu Frankreich auch noch den Aufsatz von
W. Platzhoff in der »Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins«, N. F. XXIX,
Heft 3.
Der große Reichtum der Reichsstädte an Geschützen ist bekannt und bekannt
ist auch, daß Kaiser Karl V. nach dem siegreichen Ausgang des Schmalkaldischen
Krieges eine beträchtliche Anzahl Kanonen aus den unterworfenen Städten nach
seinen spanischen und süditalienischen Besitzungen schicken konnte. Trotzdem sei
noch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß nach einer Bemerkung des Venezianers
Badoer in keinem Lande die Städte so bedeutende Munitionsvorräte hatten wie
in Deutschland (Alberi, »Relazionic ser. I, vol. 3, p. 187). Darin lag aber keines der
geringsten Momente, die die militärische Stärke Deutschlands ausmachten, was
den Venezianer Tiepolo im Jahre 1532 sagen Heß, Deutschland sei bei seinen Nach-
barn und den weiter entfernten stets »di stima e di terrore« gewesen; seine »forze«.
seien »grandissime« und, wenn geeinigt, »formidabilin (Alberi, »Relazioni« I, 1, 35
und 110). Dieselbe Ansicht vertritt sein Landsmann Ludovisi, Alberi III, 1, 25f.
Zu den bisher angeführten Werken kommen dann noch die Arbeiten, die
sich mit der Geschichte der Reichsverfassung beschäftigen. Vgl. Johannes Sieber,
»Geschichte des deutschen Reichsmatrikelwesens im ausgehenden Mittelalter (1422
bis 1521)«, 1910 (»Leipziger Historische Abhandlungen«, 24. Heft); F. Härtung,
»Geschichte des fränkischen Kreises von 1521 — 1559«, 1910; derselbe über die
Reichsreform von 1485 bis 1495 in der »Historischen Vierteljahrsschrift« XVI
(1913), 24ff. und 181 ff. ; Rudolf Smend, »Das Reichskammergericht« I (1911);
Hans von Schubert, »Reich und Reformation« 1911; J. Heidrich, »Karl V. und die
deutschen Protestanten« I und II (1912).
138 Die habsburgische Macht.
4. Die habsburgische Macht als Gesamtheit; die auswärtige Politik
der Habsburger.
§ 63. Die Organisation des diplomatischen Dienstes. Die Zu-
sammensetzung des habsburgischen Länderbesitzes aus geographiscli
getrennten und in ihren politischen Interessen untereinander diffe-
rierenden Gebieten erschwerte die diplomatische Aktion der Dynastie
und hatte in militärischer Beziehung mannigfache Unzuträglichkeiten
zur Folge. Auf die diplomatische Organisation aber übte dieser Zu-
stand einen außerordentlich günstigen Einfluß aus. Wenn der Historiker
auch nicht behaupten kann, daß der vortreffliche Informationsdienst
der Habsburger ein notwendiges Produkt der eben erwähnten Ver-
hältnisse gewesen ist (denn auch die übrigen mit Frankreich rivali-
sierenden großen Staaten haben trotz ihrer territorialen Geschlossen-
heit das, was ihnen an militärischer und finanzieller Konkurrenz-
fähigkeit gegenüber der französischen Krone abging, durch diploma-
tische Arbeit zu ersetzen gesucht), so war doch das eigentümliche
habsburgische Ländersystem in ganz besonderem Maße geeignet, dieses
neue Kampfmittel (§ 3) zur Ausbildung zu bringen. In welchem Staate
lag die Zweckmäßigkeit des modernen ständigen Nachrichtendienstes
deutlicher zutage als in dem habsburgischen, der sozusagen durch jede
militärische oder diplomatische Aktion in Europa direkt in seinen
Interessen tangiert wurde ? Welche andere Regierung hatte auch nur
innerhalb ihres eigenen Gebietes auf so verschiedenartige und oft wider-
spruchsvolle Forderungen Rücksicht zu nehmen, die nur auf dem
W'ege ständiger Berichterstattung bei der zentralen leitenden Stelle
richtig zur Geltung gebracht werden konnten ?
Dazu kam noch ein anderer Umstand. — Es scheint bei den Habs-
burgern Prinzip gewesen zu sein, wichtigere Statthalterposten, vor
allem die Gouverneursstelle in den Niederlanden, mit Angehörigen der
Dynastie zu besetzen, und zwar womöglich mit ganz nahen Angehörigen
des regierenden Herrschers, wobei auch in ganz ungewöhnlichem Um-
fange weibliche Verwandte herangezogen wurden. Dies kam zunächst
der Qualität der Berichte zugute: es ist ohne weiteres klar, daß nahe
Blutsverwandte in manchen Fällen offener politisch delikate Ange-
legenheiten besprechen konnten als abhängige Delegierte. Daneben
aber fiel noch in Betracht, daß diese Korrespondenz zugleich dem
Bedürfnis nach Information über das persönliche Ergehen der Schrei-
benden diente, was den Antrieb zu einer raschen und ununterbrochenen
Berichterstattung wohl verstärkte. Daraus ist die zum größten Teile
noch erhaltene »Familienkorrespondenz « der Habsburger hervorgegangen,
die nun freilich trotz ihres Namens die privaten Angelegenheiten und
die verwandtschaftlichen Gefühle durchaus zurücktreten läßt vor der
Erörterung der politischen Angelegenheiten, sei es der Gesamtinteressen
der Dynastie, sei es der unter einander bisweilen sehr differierenden
Wünsche einzelner Angehöriger. Dies alles aber bildete einen Informa-
§ 63. Organisation des diplomatischen Dienstes. 139
tionsapparat, dem vielleicht Staaten des Westens und Südens ähnliches
an die Seite stellen konnten, den aber kein Rivale zu überbieten ver-
mochte. Ganz und gar überlegen zeigte sich die habsburgische Macht
aber in dieser Beziehung den Staaten des Ostens und Nordens, die
wie Ungarn und Polen und auch die deutschen Stände, überhaupt keinen
organisierten diplomatischen Dienst hatten; nur der Türkei gegenüber
war diese Superiorität von nebensächlicher Bedeutung, w-eil das os-
manische Reich den Mangel ständiger Informationen durch seine mili-
tärische Stärke ausgleichen konnte.
Ähnliches wie von dem diplomatischen Informationsdienst läßt
sich von der offiziellen und offiziösen Propagandatätigkeit der Habs-
burger sagen. Die österreichische Regierung war zwar nicht die einzige,
die der inspirierten Publizistik Sorgfalt zuwandte ; aber was andere
Staaten, wie z. B. Spanien, in dieser Hinsicht vollbrachten, kam höch-
stens dem gleich, was von habsburgischer Seite geschah, übertraf es
aber niemals, und manche Staaten (auch Frankreich in der ersten
Zeit) hatten überhaupt keine analogen Leistungen aufzuweisen. Wie
damals üblich, richteten sich diese Versuche, die öffentliche Meinung
für die eigene Politik günstig zu stimmen, w^eniger an die Untertanen
als an das Ausland oder wenigstens an die Gebiete, denen gegenüber
die Habsburger über keine wirksamen Machtmittel verfügten, also
neben Italien, Ungarn usw., vor allem an die Stände und die Bevöl-
kerung des Reiches. Hier aber hat nun von Beginn der hier behan-
delten Periode an die habsburgische Dynastie eine außerordentlich
ausgedehnte Propaganda für ihre Politik ins Werk gesetzt. Besonders
zu den Zeiten Kaiser Maximilians I. entfaltete die österreichische Re-
gierung gegen die deutschen Stände, die sich weigerten, die Kräfte des
Reiches der habsburgischen Hauspolitik gegen Venedig und Frank-
reich dienen zu lassen, eine Agitation, zu der damals wohl in keinem
anderen Lande eine Parallele gefunden werden könnte. Wie eifrig
dieses Mittel im Dienste der habsburgischen Ausdehnungspolitik ge-
braucht w^urde, wird besonders deutlich durch den Umstand belegt,
daß die Regierung bereits damals den neuen Stil der humanistischen
Publizistik zur Verwendung heranzog. Man weiß, daß Kaiser Maxi-
milian seinem literarischen Geschmacke nach noch durchaus der mittel-
alterlichen Stoffwelt und den spätmittelalterlichen Kunstformen zu-
geneigt war; es ist auch bekannt, daß sein Latein noch so »barbarisch«
war, daß Ludovico Moro einen Brief aus seiner Feder erst nach zwei-
bis dreimaligem Lesen verstand {»Miscellanea di Storia italianan XXXVI
[1898], 357, nr. 4). Aber der Kaiser hat sich dadurch nicht abhalten
lassen, die für die internationale Publizistik unentbehrlich w'erdende
humanistische Ausdrucksform zur Bearbeitung der öffentlichen Mei-
nung auszunutzen. Er verschmähte es nicht, Humanisten wie Cuspinian
und Wimpfeling in seine Dienste zu nehmen und auch Hütten glaubte
sich, als er im Jahre 1511 zum ersten Male AA'ien besuchte, durch nichts
anderes bei der österreichischen Regierung besser in Empfehlung
140 Die habsburgische Macht.
bringen zu können als durch eine humanistische Invektive gegen
Venedig.
Literatur. Die beste Quelle für die hier dargelegten Verhältnisse sind
natürlich die zahlreichen Schreiben der habsburgischen Familienmitglieder selbst.
Speciell der »Famihenkorrespondenz« gewidmet sind Sammlungen wie die »Corres-
pondance de V Empereur Maximilien 1^^ et de Marguerite d'Autriche, sa fille« {ISo'J}
und die »Familienkorrespondenz Ferdinands I.«, mit deren Pubhkation Wilhelm
Bauer 1912 begonnen hat (der bisher einzig vorliegende erste Band enthält auch
einige Bemerkungen über den Charakter des Briefwechsels).
Die publizistische Tätigkeit der habsburgischen Regierung ist noch nirgends
im Zusammenhange behandelt worden. Verschiedentlich hat sich die Forschung dabei
übrigens des Fehlers schuldig gemacht, die von offiziellen Stellen inspirierten Schriften
als Ausdruck volkstümlicher Stimmungen zu betrachten, wodurch natürlich z. B.
über die Popularität der Politik Maximilians im Deutschen Reiche ganz falsche
Ansichten entstehen müssen; noch unkritischer ist es, wenn man aus ihnen be-
weisen will, daß einzelne Behauptungen Maximilians nicht nur in der Phantasie
des Kaisers existierten, wie es z. B. Kurt Käser tut ( »Deutsche Geschichte im Aus-
gange des Mittelalters« II [1912], 50). Zu der damaligen Propagandatätigkeit der
habsburgischen Regierung gehörten übrigens auch die zahlreichen Reden und
Schreiben, die der Kaiser an einzelne oder mehrere deutsche Stände richtete, und
denen mindestens eine »halbe Öffentlichkeit« (vgl. Ulman, »Maximilian I.« 11,373)
zukam. — Vgl. auch Wilhelm Bauer, »Die öffentliche Meinung und ihre geschicht-
lichen Grundlagen« (1914), S. 217.
§ 64. Die Ziele der auswärtigen Politik. Die habsburgische
Macht im Vergleich mit anderen Großstaaten. Es ist bereits
in den vorhergehenden Abschnitten mehrfach darauf hingewiesen worden,
daß es unmöglich ist, die habsburgische Macht so zu beschreiben, daß die
dabei mitgeteilten Daten einer Vergleichung mit anderen Staaten als
Grundlage dienen könnten. Der Umfang keiner anderen Großmacht
(mit Ausnahme der osmanischen) hat sich während der hier behandelten
Periode so beständig gewandelt, d. h. vergrößert wie das Areal des
habsburgischen Gebietes, und selbst wenn man von der Erwerbung
Spaniens absehen wollte, die vom Jahre 1516 an die Politik der Dynastie
auf eine ganz neue Basis stellte, so könnte jede statistische Aufstellung
nur für eine kurze Zeitspanne Geltung in Anspruch nehmen. Dazu
kommt noch, daß die in § 62 geschilderten Zustände in Deutschland
weder erlauben, daß die Hilfsmittel des Reiches vollständig in Rech-
nung gesetzt werden, noch auch, daß sie ganz außer Betracht fallen.
Ohne Deutschland zählten die habsburgischen Besitzungen zu
Beginn der Periode (also noch ohne die späteren Erwerbungen in den
Niederlanden, Böhmen, Ungarn usw.) kaum über 3 Millionen Seelen;
ihre Bevölkerungszahl reichte demnach nicht einmal ganz an die Eng-
lands heran und konnte mit Frankreich überhaupt nicht in Parallele
gesetzt w^erden. Günstiger lagen die Verhältnisse, was die übrigen
materiellen Grundlagen einer Großmachtpolitik betraf. Die Infanterie-
söldner, die aus den habsburgischen Erblanden geliefert wurden, standen
zwar der Qualität und der Zahl nach sowohl den deutschen wie den
schweizerischen und später den spanischen Kriegsknechten nach; aber
sie bildeten immerhin ein einheimisches Soldatenmaterial, dem weder
§ 64. Charakter der auswärtigen Politik. 141
Frankreich noch England noch Ungarn, noch auch Venedig aus eigenen
Kräften ähnhches entgegenstellen konnten. Wichtiger war noch, daß
die Industrie und später auch der Handel der Niederlande Geldmittel
zur Kriegführung aufzubringen vermochten, die mit dem kleinen
Gebietsumfange des Territoriums außer Verhältnis standen. Konnte
auch nicht die Rede davon sein, daß die Habsburger damit über dieselbe
Finanzkraft verfügten wie Frankreich, so waren sie doch, dank den
Subsidien der burgundischen Erblande, finanziell besser ausgerüstet
als alle ihre sonstigen Nachbarn mit Ausnahme Venedigs.
Charakter der habsburgischen Politik. Zu einer Großmacht-
politik, die sich vor allem die Bekriegung Frankreichs und die Zurück-
drängung Venedigs zum Ziele gesetzt hatte, reichten freilich diese Mittel
nicht aus; nur in den Konflikten mit kleineren Staaten oder in Ver-
bindung mit einer der sonst bekämpften Großmächte pflegten die
Habsburger (vor der Vereinigung mit Spanien) den Sieg auf ihrer Seite
zu haben.
Behält man diesen Umstand im Auge und zugleich den »unfertigen«
Zustand nicht nur der einzelnen erbländischen Besitzungen, sondern
des gesamten habsburgischen Länderkonglomerates überhaupt, so er-
scheint der damalige Charakter der habsburgischen auswärtigen Politik
durchaus natürlich. Die mangelhafte finanzielle Ausrüstung verhinderte
(mindestens vor dem Jahre 1516) eine wirksame Aktion, während die
eigentümliche Gestalt der einzelnen Herrschaftsgebiete, wie vor allem
die Notwendigkeit, sich zu deren Erhaltung in einen Kampf mit Groß-
staaten einzulassen, der Dynastie doch nicht erlaubten, sich von den
Kämpfen der Großmächte fernzuhalten. Schon die Zeitgenossen haben
über die zerfahrene Politik Maximilians I. gespottet, der phantastischen
Zielen mit unzureichenden Mitteln nachjage. Diese Vorwürfe waren
in der Hauptsache durchaus berechtigt; aber der Forscher muß darauf
hinweisen, daß schwer zu entscheiden wäre, wieweit der Persönlichkeit
des Kaisers eine Schuld beizumessen wäre. Es wäre keine Paradoxie,
wenn man ihn und seine Politik als den bloßen Exponenten der eigen-
tümlichen Situation bezeichnen wollte, in der sich das Haus Öster-
reich damals befand.
Eine besondere Schwierigkeit erwuchs der habsburgischen Politik
dadurch, daß die internationalen Interessen ihrer einzelnen Erblande
sich zum Teil direkt widersprachen. Da die Habsburger weder der
Unterstützung durch eine auswärtige Großmacht entraten konnten,
noch auch dem Vorteile eines dominierenden Zentralgebietes die Rück-
sicht auf die übrigen Besitzungen unterordnen durften, so ließ sich
nicht vermeiden, daß die Koalitionen, zu denen sie griffen, irgendeinen
Teil ihrer Erblande in Nachteil setzten. So hatten die österreichischen
Lande keinen Gewinn von einem feindsehgen Verhältnisse zu Frank-
reich zu erwarten; die gegen Venedig gerichtete österreichische Adria-
politik verlangte im Gegenteile, daß zu der französischen Krone als
142 Die habsburgische Macht.
der (zeitweiligen) Herrscherin über Mailand gute Beziehungen unter-
halten würden. Für einzelne Stücke der burgundischen Erbschaft war
dagegen eine Unterstützung und Stärkung der französischen Position
wenig wünschenswert. Noch stärker w^urden diese Widersprüche, als
Zufälligkeiten der Erbfolge auch noch Spanien dem habsburgischen
Herrschaftsbereiche hinzufügten. Es war nun gar nicht mehr anders
möglich, als daß jede politische Aktion des Hauses das Wohl irgend-
eines Erblandes verletzen mußte. Denn die Gesamtinteressen der
Dynastie fielen nirgends mit denen eines Gebietsteiles vollständig zu-
sammen. — Wenn dann in den Zeiten Kaiser Karls V. die auswärtige
Politik der Habsburger konsequenter und reiflicher überlegt erscheint,
so liegt das nicht an einer prinzipiellen Wandelung der Handlungs-
weise, die seit der Periode Maximilians I. eingetreten wäre, sondern
allein an den größeren Machtmitteln, über die der Enkel verfügte,
Machtmitteln, die ihn von der prekären Beihilfe des Auslandes in einem
früher unbekannten Umfange unabhängig stellten. Und auch dieser
Kräftezuwachs wurde zu einem guten Teile dadurch ausgeglichen, daß
wenigstens einer der Gegner eine viel gefährlichere Gestalt angenommen
hatte: während zur Zeit Maximilians weder Venedig noch Ungarn,
noch Bayern, noch die Türkei die Ausdehnungspolitik Österreichs
ernsthaft bedrohen konnten, war nun ein beträchtliches Stück der
österreichischen Interessensphäre im Osten von den bisweilen bis gegen
Österreich selbst vorstürmenden Osmanen mit Beschlag belegt w^orden.
Mit den Bedürfnissen Österreichs und Spaniens hätte sich damals nur
eine Politik vertragen, die ohne Rücksicht auf den französischen Gegen-
satz alle Kräfte auf den Kampf mit der Türkei konzentriert hätte.
Aber die habsburgische Regierung hätte sich durch eine solche Haltung
in Widerspruch gesetzt mit ihren Sicherungs- und Arrondierungsplänen
in Oberitalien und Burgund. und weil sie dieses Opfer nicht bringen
wollte, wurden in Österreich und Spanien nicht einmal genügende
Defensivmaßregeln gegen die osmanischen Angriffe getroffen (§§ 45
und 58).
Es ist daher nicht verwunderlich, wenn die habsburgische Herr-
schaft im allgemeinen wenig populär war und speziell zur Zeit Karls V.
in Deutschland und Spanien das Gefühl aufkam, die Regierungspolitik
w^erde durch ausländische Interessen bestimmt. Die Dynastie stellte
wirklich ihren eigenen oder wenn man lieber will, den allgemeinen
Vorteil der von ihr beherrschten Länder über den Nutzen der einzelnen
Gebiete und sie verwendete dabei begreiflicherweise mit Vorliebe
Beamte, die wie der heimatlose (ursprünglich piemontesische) Mer-
curino di Gattinara, Großkanzler Karls V. in dessen ersten Jahren,
entweder überhaupt mit keinem der habsburgischen Erblande durch
ihre Herkunft verbunden waren oder wie der aus Burgos stammende
Salamanca, der Schatzmeister und einflußreichste Rat König Fer-
dinands in dessen erster Zeit, wenigstens nicht demjenigen Teile der
Erblande entstammten, an dessen Regierung sie mitw^irkten. Ver-
§ 64. Verhältnis zu Frankreich. 143
ständlich ist dann auch, warum gerade die Freigrafschaft passende
Diener dieser habsburgischen Politik hervorbrachte (§ 50): die Existenz
keiner anderen habsburgischen Besitzung war so eng mit dem Bestände
der Dynastie verknüpft als die der Franchecomte, die aus eigenen
Kräften sich weder der Franzosen noch auch nur der Eidgenossen
hätte erwehren können. Der antifranzösische Zug der habsburgischen
Politik wurde dadurch freilich vielleicht noch mehr verstärkt; auf der
anderen Seite bestand dafür wohl nirgends sonst so wenig das Gefühl
einer Fremdherrschaft wie in den burgundisch-niederländischen Ter-
ritorien.
Literatur. Die Hauptquelle sind natürlich die in überreicher Fülle vorhande-
nen Korrespondenzen und Akten der habsburgischen Regenten. Vgl. daneben
noch die biographischen Notizen über Gattinara von Gaudenzio Glaretta in den
»Memorie della R. Accadeniia delle Scienze di Torino« Sc. Mor. Ser. II, t. 47 (1897),
p. 67 ff., und Gattinaras lateinische Autobiographie, ed. (^.arlo Bornato in den »Mi-
scellanea della Deputazione storica piemontese«, serie III, t. 16 (1915). In den Ge-
dankenkreis Salamancas führen einigermaßen die zu einem guten Teil an diesen
gerichteten Briefe Salinas ein (A. Rodriguez Villa, »El Emperador Carlos V y su
carte« 1903). — Beauvois, »Un agent politique de Charles-Quint, le Bourguignon Claude
Bouton« 1882; Le marquis d'Alcedo, »Le cardinal de Quinones et la Sainte-Ligue«
1910. (Der Franziskanergeneral Quinones [148.5 — 1540] wurde auch zu diplomatischen
Missionen verwendet.)
Verhältnis zu anderen Staaten: Frankreich. Mit den Ein-
schränkungen, die sich aus den Ausführimgen des letzten Abschnittes
ergeben, darf gesagt werden, daß der auswärtige Staat, dessen Be-
kämpfung sich die Habsburger vor allem anderen zum Ziele gesetzt
hatten, Frankreich war.
Die Verhältnisse lagen nicht so, daß die Ausdehnungsprojekte der
Dynastie sich besonders gegen Frankreich gerichtet hätten oder be-
sonders von diesem bedroht worden wären, ^^'enn der burgundische
Besitz des Hauses, wie es schien, nur auf Kosten der französischen
Krone behauptet und erweitert werden konnte, so war doch dies Ziel
an sich keineswegs wichtiger als die Ausdehnungspläne, die sich gegen
die Aspirationen Venedigs, Bayerns oder Ungarns wendeten. Der
Unterschied bestand nur darin, daß bei Frankreich den habsburgischen
Absichten eine starke Großmacht entgegenstand, gegen die eine ganz
anders intensive diplomatische Gegenarbeit vonnöten war als gegen
die anderen Rivalen.
An sich kann nun kein Zweifel darüber herrschen und wird auch
durch die Ereignisse vor der Vereinigung mit Spanien bestätigt, daß
die Habsburger in diesem Konflikte, selbst wenn sie alle ihre Kräfte
auf diesen einen Punkt hätten konzentrieren können, die schwächere
Macht waren. Sie wären auch dann dem französischen Königtume
finanziell nicht gewachsen gewesen, wenn die niederländischen Stände,
deren Interessen einem Kriege mit Frankreich entgegengesetzt waren
(§ 51), in größerem Umfange Subsidien bewilligt hätten. Auch den
französischen Reisigen und selbst der französischen Artillerie ver-
144 Die habsburgische Macht.
mochten die Habsburger trotz aller Anstrengungen (§ 58) nichts
Gleichwertiges entgegenzusetzen. Was die modern geschulte Infanterie
betraf, so hätten allerdings die Habsburger, wenn sie die oberdeutschen
Söldner für ihre Zwecke hätten monopolisieren können, in dieser Be-
ziehung über eine sicherere Waffe verfügt als der Gegner, da die Fran-
zosen auf Anwerbungen im Ausland, d. h. in der Schweiz, angewiesen
waren (§ 29). Aber sosehr die habsburgische Regierung auch nach
dieser Richtung arbeitete, — es gelang ihr weder, den Franzosen die
deutschen Söldner zu sperren, noch (ein ebenso wirksames Mittel)
das System der Werbeverträge zwischen Frankreich und der Eid-
genossenschaft definitiv oder auch nur für lange Perioden lahmzulegen.
Es blieb somit nur der Ausweg übrig, mit anderen schwächeren
Staaten zusammen Koalitionen gegen Frankreich zu bilden. Und
dies war denn auch das Mittel, zu dem die habsburgische Regierung
griff, und dieses Ziel kann man eigentlich als das Leitmotiv ihrer diplo-
matischen Arbeit bezeichnen. Und zwar suchte sie nicht nur die Frank-
reich benachbarten Staaten wie Spanien und England und auch Mai-
land in den Kreis ihrer Allianzpolitik zu ziehen, sondern ebensosehr
auch die Reichsstände. Denn da die kaiserliche Gewalt nicht ausreichte,
um die Reichsfürsten zur Teilnahme an den kriegerischen Konflikten
der Dynastie mit Frankreich zu zwingen, so mußten auch hier nicht
viel anders als im Auslande Mittel diplomatischer Bearbeitung an-
gewandt werden. Aussichten auf eigenen Gewinn konnten den Stän-
den freilich nicht gemacht werden; die habsburgische Regierung suchte
daher mit Behauptungen über französische aggressive Pläne zu wirken.
Der beste Bundesgenosse der habsburgischen Politik war freilich
das französische Königtum selbst. Seitdem die französischen Aspi-
rationen sich einseitig nach Italien orientiert hatten (§37), war die fran-
zösische Krone nicht mehr in der Lage, ihre gesamten Machtmittel
gegen die habsburgischen Teile des burgundischen Erbes einzusetzen.
Schon der Beginn der hier behandelten Periode zeigt die Erscheinung,
daß ein Stück der Erblande, nämlich die Freigrafschaft, mit Rück-
sicht auf die italienische Unternehmung den Habsburgern ausgeliefert
wurde (1493, § 102). Solange die Franzosen an ihrer mailändischen
Politik festhielten, blieb ihnen ein Zuwachs auf Kosten habsburgisch-
burgundischen Gebietes versagt.
Allerdings verschoben sich in den späteren Jahrzehnten die Kräfte-
verhältnisse außerdem noch durch die Vereinigung Spaniens mit der
habsburgischen Macht weiter zuungunsten Frankreichs, das dann
durch sein Bündnis mit der Türkei die habsburgische Position wieder
in anderer Weise schwächte. Doch haben alle diese nachträglichen
Allianzversuche der französischen Krone zwar deren Stellung gegenüber
den Habsburgern verbessert, ihr aber nicht die Superiorität gesichert.
Verhältnis zu England. Wie die Politik gegenüber Frankreich,
so wurden auch die Beziehungen zu England durch die burgundischen
§ 64. Verhältnis zu England. 145
Inlerosson der Habsburger bestimmt. Die Behandlung dieses Gegen-
standes schließt sich daher hier am natürlichsten an.
Für die Suprematie antil'ranzösischer Tendenzen in der habs-
burgischen Politik ist das Verhältnis zu England besonders bezeichnend.
Es entsprach, wie später in dem Abschnitt über England (§ 84) näher
ausgeführt ist, sowohl dem neuen mittelständischen Charakter der
damaligen englischen Regierung wie der anfänglichen unsicheren Po-
sition des Tudorregimentes, wenn die Vertreter der neuen Dynastie
Eroberungskriegen in Frankreich abgeneigt waren ; es entsprach ander-
seits den handelspolitischen Interessen der Niederlande, daß das neue
englische Regierungssystem, das durch seine Maßregeln zugunsten der
englischen Tuchweberei die flandrische Textilindustrie zu ruinieren
drohte, bei ihren Regenten keine Unterstützung gefunden hätte. An
sich hätte also ein feindseliges oder mindestens ein kühles Verhältnis
zwischen den Habsburgern und Tudors normal erscheinen können.
Aber bei dem Hause Österreich galt die Bekämpfung Frankreichs so-
sehr als Voraussetzung für den Besitz des burgundischen Erbes, daß
die Beziehungen zu England in erster Linie im Lichte einer Offensiv-
alHanz gegen Frankreich betrachtet wurden. Natürlich war die Pro-
sperität der flandrischen Tuchfabrikation für die habsburgische Politik
von viel zu großer Bedeutung, als daß sich die Dynastie dieser Interessen
in ihren Verhandlungen mit England nicht angenommen hätte. Aber
das Übergewicht lag doch immer bei den Tendenzen, die darauf hinaus-
liefen, England zu militärischem Vorgehen gegen Frankreich zu bewegen.
Die Habsburger mußten dabei um so vorsichtiger operieren, als
die englische Regierung so gut wie gar keine Interessen an einem
Kriege mit Frankreich hatte. Der Besitz von Calais war allerdings,
solange die englische Wollausfuhr noch in großen Dimensionen erfolgte,
für England von Wichtigkeit; aber es besteht kein Anzeichen dafür,
daß wenigstens in den ersten Jahrzehnten der hier behandelten Periode
französische Absichten auf Eroberung der Stadt bestanden hätten.
Es bedurfte daher besonderer Anstrengungen, damit die englische
Regierung trotzdem zu einer Intervention in die habsburgischen Kriege
gegen Frankreich gewonnen wurde, und es waren auch in der Haupt-
sache persönliche und vorübergehende Gründe, wenn die Bemühungen
der österreichischen Diplomaten bisweilen von Erfolg begleitet waren
(vgl. § 115).
Etwas anders gestalteten sich die Beziehungen in der zweiten
Hälfte .der Periode, nachdem die habsburgische Macht als die ohnehin
Frankreich überlegene der englischen Unterstützung weniger bedurfte
und England gelegentlich Velleitäten verspürte, sich gegenüber der
Gefahr einer habsburgischen Hegemonie über Europa an Frankreich
anzuschließen. Doch kann auch auf diese Verhältnisse hier nur ganz
kurz hingewiesen werden.
Im übrigen war die Hilfe, die England den Habsburgern bieten
konnte, nur von nebensächlicher Bedeutung. Bei der Rückständig-
Fueter, Europ. Staateosystem. 10
146 Die habsburgische Macht.
keit der englischen Ausrüstung (§ 85) konnte es sich von vornherein
nicht darum handeln, sclivvache Stellen der habsburgischen Armee-
einrichtung auszugleichen (was z. B. Oberdeutschland und die Schweiz
durch die Lieferung von Söldnern zu leisten vermochten); es konnte
vielmehr nur finanzielle Unterstützung in Betracht fallen. Zu einer
solchen war die englische Regierung nun wohl in relativ hohem Betrage
imstande; aber sie hätte ganz anders an der Bekämpfung Frankreichs
interessiert sein müssen, als dies der Fall war, damit die mit ihrem
Geld angeworbenen Truppen einen bestimmenden Einfluß auf den
Gang der Operationen hätten ausüben können.
Verhältnis zu Spanien. Das Verhältnis der Habsburger zu
Spanien war prinzipiell von dem zu England nicht verschieden. Es
wich nur dadurch von jenem ab, daß das Bedürfnis, die schwächeren
Staaten zu einer antifranzösischen Koalition zusammenzuschließen,
hier auf günstigere Vorbedingungen stieß. Die spanische Politik be-
fand sich, wenigstens soweit die französische Krone Ansprüche auf
Neapel erhob, bereits im Gegensatze zu Frankreich, und die Hilfsmittel,
die Spanien den Habsburgern zur Verfügung stellen konnte, waren be-
trächtlicher als die Beitragsleistungen Englands.
Es kam dabei vor allem die Möglichkeit einer Unterstützung zur
See in Betracht. Da Österreich über keine Flotte verfügte, so standen
ihm nicht einmal zu Truppentransporten Schiffe aus eigenen Mitteln
zur Verfügung, und in all den Fällen, wo eine Bundesgenossenschaft
mit Mailand, d. h. die Verwendung der genuesischen Flotte, nicht
möglich war, vermochte nur die spanische Marine in den Riß zu treten.
Als Kaiser Maximilian I. im Jahre 1506 daran dachte, den Kirchen-
staat durch eine Invasion von Triest her anzugreifen, scheiterte dieser
Plan schon daran, daß die spanische Regierung ihm ihre Flotte ver-
sagte (Ulmann, »Maximilian I.« II, 290 f.).
Verhältnis zu Venedig und den italienischen Staaten.
Die Beziehungen zu den bisher genannten Staaten wurden durch die
Interessen der burgundischen und auch der vorderösterreichischen
Lande bestimmt. Es mag nun noch die Haltung zu den Staaten be-
sprochen werden, die es mit den Habsburgern als Herrschern Öster-
reichs zu tun hatten.
Die Beziehungen zu den italienischen Mächten seien dabei vor-
angestellt. Sie waren an sich zwar nicht wichtiger als die Pläne, die sich
auf eine Ausdehnung des Hausbesitzes nach anderen Richtungen be-
zogen; aber sie stehen mehr als jene mit dem Zentralproblem der da-
maligen internationalen Politik in unmittelbarem Zusammenhang.
Unter den italienischen Staaten kam keiner an Bedeutung für
die österreichische Politik der Republik Venedig gleich. Während
Mailand für die spezifisch österreichischen Interessen nur so weit in
Betracht fiel, als eine Angliederung des Herzogtums an Frankreich
eine Stärkung des wegen Burgund zu fürchtenden französischen Geg-
§ 64. Verhältnis zu Venedig. 147
neis zur Folge haben konnte, berührte der Gegensatz zu Venedig direkt
die österreichische Politik der Dynastie, die Politik, die auf die
Schaffung eines starken österreichischen Staates hinzielte, der auch
ohne die Verbindung mit Burgund als Großmacht gelten konnte.
Zu diesem Programm gehörte nun, soweit die Ausdehnung nach
Süden in Betracht kam, vor allem eine feste Basis am Adriatischen
Meer. Es läßt sich zwar darüber streiten, wieweit die österreichische
Regierung dabei bewußt einen Zugang zur See erlangen wollte. Denn
es ist bereits darauf hingewiesen worden (§ 58), daß Ost erreich, auch
wenn es einen noch so großen Küstenstrich besessen hätte, an die Er-
richtung einer Flotte nicht denken konnte, solange Venedig die Scliiff-
fahrt in der Adria kontrollierte, und wenn man einwenden wollte, daß
schon nur Rücksichten auf die Sicherung des seit langem österreichischen
Triest eine Ausdehnung der österreichischen Okkupation an der Adria
notwendig machten, so wäre darauf zu antworten, daß die öster-
reichische Regierung dem Besitze Triests und den Interessen ihrer
schiffahrttreibenden Untertanen nur ganz geringes Interesse zuwandte.
Das bestimmende Motiv scheint vielmehr gewesen zu sein, daß die
österreichische Regierung sich gegen die ihre Besitzungen im Innern
gefährdende Ausdehnungspolitik Venedigs gewissermaßen schon durch
Besetzung der Vorposten schützen wollte.
Wie dem nun auch sei, jedenfalls standen sich diese österreichischen
Ziele und die auf Abrundung des adriatischen Küstenbesitzes gerich-
teten Pläne der venezianischen Republik schroff gegenüber, und zu-
mal in den ersten Jahrzehnten der Periode war ein ständiger, teils
offener, teils latenter Feindschaftszustand die Folge.
Zeitgenössische Autoren berichten mehrfach, daß sich mindestens
bei Kaiser Maximilian I. dieser politische Gegensatz mit einer starken
persönlichen Abneigung, ja mit einem eigentlichen Haß wider den
Gegner verbunden hätte. Wenn dem so war, woran zu zweifeln kein
Grund vorliegt, so hing dies mit Umständen zusammen, die über das
individuelle Gebiet hinausreichen. Venedig war zwar nichts weniger
als der gefährlichste Gegner der Habsburger. Die Söldnerarmeen, die
es aus seinen Mitteln aufzubringen vermochte, erwiesen sich wohl
mehrfach als den österreichischen Heeren ebenbürtig; eine Bedrohung
der österreichischen Hausmacht stellten sie jedoch nicht dar. Aber
noch viel weniger waren die österreichischen Streitkräfte imstande,
den Gegner ins Herz zu treffen. Kein Staat war weniger als Österreich
in der Lage, zur See gegen die Lagunenrepublik vorzugehen, was doch
die einzig wirksame Waffe gewesen wäre. Es ließe sich . daher wohl
begreifen, wenn bei ihren Leitern ein Gefühl ohnmächtiger Wut vor-
geherrscht hätte.
Um so größer war dann bei der österreichischen Regierung der
Anreiz, sich gegen diese zur See unangreifbare Macht wenigstens mit
anderen Mächten zu einem Angriff auf dem Lande zu verbinden. Man
kann sagen, daß die italienische Politik der Habsburger, ja anfänglich
10*
148 Die habsburgische Macht.
sogar die Beziehungen zu den Osmanen durch diesen Antagonismus
mit Venedig bestimmt wurden. Wohl nicht mit Unrecht hebt der Bio-
graph Maximihans I. hervor, daß der Kaiser nur deshalb der fran-
zösischen Expedition nach Neapel im Jahre 1494 kein Hindernis in
den Weg legte, weil Frankreich ihm auf Unterstützung zur Eroberung
venezianischen Gebietes Aussicht machte (Ulmann I, 271 u. 275).
Und im Jahre 1510 scheint Maximilian die Türken geradezu zu einem
Angriff auf die dalmatinischen Besitzungen der Republik animiert zu
haben (M. Brosch, »Juhus II.« [1878], S. 197 f., 293 f., 347).
Nach der Vereinigung Spaniens mit den burgundisch-österreichi-
schen Territorien traten diese Tendenzen allerdings zurück. Einerseits
verloren die spezifisch österreichischen Interessen dadurch für die
Dynastie relativ an Bedeutung, anderseits gewannen für Österreich
selbst die Probleme der Abwehrmaßregeln gegen die Türken und der
Ausdehnung gegen Norden und Westen größere W'ichtigkeit als die
Befestigung der Südgrenze. Die Habsburger haben es deshalb damals
sogar geschehen lassen, daß die Republik den ihr 1513 entrissenen
wertvollen Adriahafen Marano im Jahre 1542 wieder eroberte (§ 58).
Immerhin dauerte im eigentlichen Österreich die ehemalige Animosität
gegen Venedig fort, und die venezianische Regierung war wohl kaum
im Unrecht, wenn sie sich von König Ferdinand I. schlimmerer Ab-
sichten versah als von Kaiser Karl V. (vgl. Carlo Cipolla, i>Una congiura
contro la Repubblica di Venezia« in den »Memorie der Turiner Akademie
Scienze morali« vol. VI ser. 4, p. I, p. 34).
Solange diese österreichischen Wünsche sich bei der obersten
Leitung der habsburgischen Politik Gehör verschaffen konnten, be-
stimmten sie auch durchaus das Verhältnis der Dynastie zu Mailand.
Das Herzogtum war der natürliche Bundesgenosse der österreichischen
Regierung im Kampfe gegen Venedig, und es behielt diesen seinen
Charakter auch dann bei, wenn es unter französischer Oberherrschaft
stand. So sehr Österreich auch ein selbständiges Mailand der Fest-
setzung der Franzosen in Oberitalien vorzog, so stellte es doch diesen
Wunsch vor dem andern zurück, daß ihm der Besitzer des Herzogtums
gegen Venedig Sukkurs leiste. — Auch hier nahmen die Verhältnisse
freilich eine andere Gestalt an, als die Vereinigung mit Spanien den
Habsburgern die Mittel gab, Mailand selbst zu annektieren. Die direkte
Erwerbung des Herzogtums war nun möglich und damit fiel auch
die Notwendigkeit weg, sich mit den Regenten des Landes zu einer
Offensivallianz gegen die Lagunenrepublik zusammenzuschließen. Mai-
land wurde, damit zwar erst recht zum Streitobjekte der internationalen
Politik; aber eine selbständige Politik gegenüber dessen Herrscher-
haus gab es nicht mehr.
Ähnliches läßt sich von den Beziehungen der Habsburger zum
Kirchenstaat sagen, abgesehen natürlich von dem an dem gehörigen
Orte (§ 92) noch zu erörternden Umstände, daß die Großmächte nicht
daran denken konnten, den Kirchenstaat gleich Mailand oder Neapel
§ 64. Verhältnis zu den deutschen Territorialstaaten. 149
zu annektieren. Vor der Angliederung Spaniens an Österreieh waren
die Päpste als Territorialherren vor allem die natürlichen Bundes-
genossen Österreichs im Kampfe gegen Venedig; nachher bestimnite sich
die Haltung zu ihnen durch die Stellung, die sie gegenüber dem Streit mit
Frankreich um Mailand einnahmen. Die Unterstützung, die der Kirchen-
staat den Habsburgern leisten konnte, war übrigens weder militärisch
noch finanziell von größerer Bedeutung. — Savoyen gew^ann für die
Habsburger erst seit der Zeit Kaiser Karls V. wirklichen Wert. Zur Siche-
rung Mailands gegen französische Angriffe war allerdings die Herrschaft
über das kleine Herzogtum beinahe unentbehrlich ; aber vor der Vereinigung
mit Spanien war die italienische Politik des Hauses Österreich in höherem
Grade durch den Konflikt mit Venedig als durch den Kampf um Mai-
land bestimmt, und außerdem hätten damals die Mittel durchaus ge-
fehlt, um Savoyen zu schützen. — Auch die Haltung zu den übrigen
italienischen Staaten nahm erst dann präzisere Gestalt an, als der
Kampf mit Frankreich auch die italienische Politik der Dynastie voll-
ständig beherrschte. Am wichtigsten waren die Beziehungen zu
Florenz; denn die an sich wichtigere Frage, wem die Kontrolle der
genuesischen Marine zufallen solle, konnte nicht durch eine selb-
ständige Aktion entschieden werden, fiel vielmehr mit dem Kampf
um Mailand zusammen (§94). In Unteritalien schließlich übernahm
die Dynastie bloß die Aspirationen der spanischen Regierung (§ 44).
Die auswärtige Politik der Habsburger in ihrem Ver-
hältnis zu deutschen Staaten. Auch die Politik der Habsburger
gegenüber den deutschen Staaten ist zwiespältiger Natur. Sie ver-
tritt zunächst rein österreichische Interessen und strebt nach einer
Ausdehnung der österreichischen Hausmacht auf Kosten anderer
deutscher Staaten oder wenigstens im Gegensatz zu deren Aspirationen ;
daneben aber vertritt sie aucii burgundische Interessen und versucht,
sei es das Reich gegen Frankreich mobil zu machen, sei es durch die
Schaffung einer wirksamen Exekutive die Kräfte des Reiches der
kaiserlichen Gewalt zum Kampfe gegen Frankreich zur Verfügung
zu stellen.
Es ist nicht auffallend, daß beide Ziele sich in der Praxis mehr-
fach im Wege standen. — Vor allem im Verhältnis zu Bayern trat dies
zutage. Es war wohl unvermeidlich, daß die deutschen Stände, die
durch die österreichischen Ausdehnungspläne bedroht wurden, nicht
gewillt waren, die Macht des Kaisertums, die schließlich mit der Macht
des Hauses Österreich identisch war, zu stärken. Neben Württemberg
wurde durch diese Pläne nun aber vor allem Bayern betroffen. Es
war zwar weniger in seiner Existenz bedroht als das eben genannte
schwächere Herzogtum. Aber Bayern war ebensowenig wie Öster-
reich gesinnt, sich mit seinen bisherigen Grenzen zufrieden zu geben.
Es strebte nicht weniger als jenes Land nach der Errichtung eines
geschlossenen großen Territorialstaates, und es war begreiflich, daß
die Interessensphären der beiden Länder sich zu einem guten Teile
150 Die habsburgische Macht.
deckten. Dies war in Böhmen nicht minder der Fall als in Süd-
deutschland.
Die österreichische Macht war nun freilich der bayerischen be-
trächtlich überlegen. Wurde die finanzielle Superiorität, die den Habs-
burgern infolge ihrer Beherrschung der Niederlande zugefallen war,
auch dadurch aufgewogen, daß die Dynastie nur einen Teil ihrer Macht-
mittel auf ihre spezifisch österreichische Hauspolitik verwenden konnte,
so kam ihr dafür die vortreffliche Organisation ihres diplomatischen
Nachrichtendienstes zugute. In dieser Beziehung hatte die bayerische
Regierung den Habsburgern so gut wie nichts entgegenzusetzen. Wenn
trotzdem die habsburgischen Pläne nur zum Teil zur Ausführung ge-
langten, Böhmen, Mähren und Schlesien allerdings in den Besitz des
Hauses übergingen, Württemberg, dessen Besitz zur Konsolidierung
der vorderösterreichischen Lande beinahe unentbehrlich war, dagegen
nicht dauernd behauptet werden konnte, so w^ar daran, wie bereits
erwähnt (§ 62), nicht die Macht Bayerns, sondern die konfessionelle
Opposition und die damit zusammenhängende Auflösung des Schwä-
bischen Bundes schuld. Aber gerade weil es der habsburgischen Re-
gierung nicht gelang, Bayern durch eine Einschließung von Ost und
West zu schwächen, blieb dieses Land die eigentliche Stütze des stän-
dischen Widerstandes in Oberdeutschland, und sogar gemeinsame
konfessionelle Interessen vermochten die Herzoge nicht dazu zu be-
wegen, der Zentralisierungspolitik der Habsburger wirksam Beihilfe
zu leisten. Gerade hier erwies sich also die partikularistisch österrei-
chische Ausdehnungspolitik als ein Hindernis für die antifranzösischen
Ziele der Gesamtdynastie.
Verhältnis zu den übrigen deutschen Territorialstaaten.
W'as die Beziehungen zu den übrigen größeren deutschen Staaten
betrifft, so kann (abgesehen von den Kämpfen um die Reichsrefornr ;
vgl. § 62) von einer eigentlichen Politik des Hauses Österreich kaum
die Rede sein. Die Aspirationen der österTeichischen erbländischen
Regierung bezogen sich so gut wie gar nicht auf Norddeutschland,
und die größeren niederdeutschen Territoi^ien kamen somit für die
allgemeine politische Haltung der Habsburger nur so weit in Betracht,
als ihre Interessen mit den außerdeutschen Zielen der Dynastie zu-
sammenstießen. Die habsburgische Regierung stellte -in solchen Fällen
unverrückbar den eigenen Vorteil über den des Reiches oder der Reichs-
glieder. Wie das Reich ihr nur geringe Unterstützung gewährte, so
vergaß sie auch nie, daß ihre Interessen nicht mit denen des Reiches
zusammenfielen. Wenn die Hanse für das Reich nichts leistete, so
nahmen die Habsburger auch für ihre holländischen Untertanen gegen
den Bund Partei, und wenn die norddeutschen Territorien den Reichs-
interessen kühl gegenüberstanden, so ließen sich die Habsburger in
ihrer Politik gegenüber Polen nur von Rücksichten auf die öster-reichische
Hausmacht, nicht auf das Wohl des Reiches leiten. Dies war z. B.
§ 64. Vorliältnis zu der Eidgenossenschaft. 151
bei den Konzossiüncii Kaiser Maximilians an P()I(mi in Saehen des
Deutschen Ordens der Fall (vgl. Ulmann II, 5o5).
Verhältnis zu den Eidgenossen. Von einem ähnlichen Ge-
sichtspunkte aus muß das Verhältnis der Habshmgei- zur Eid-
genossenschaft betracjitet werden. Auch den Eidgenossen gegenüber
machten sie ihre Politik nicht von den Interessen eines einzelnen Herr-
schaftsgebietes (des Reiches) abhängig, sondern ließen sich von dyna-
stischen Tendenzen leiten. Diese aber erlaubten nur eine Haltung:
wenn das Haus Österreich um seiner burgundischen Besitzungen willen
Frankreich schwächen wollte, so mußte es vor allem versuchen, ob es
nicht der französischen Regierung die ihr (wenigstens in den ersten Jahr-
zehnten) beinahe unentbehrlichen schweizerischen Söldner (§ 29) sperren
könnte. Dieses Bemühen hat denn auch die diplomatischen Beziehungen
der Habsburger zu den schweizerischen Kantonen ausschließlich be-
herrscht. Freilich hat auch nirgends mehr als hier die Inferiorität der
den Habsburgern zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel gegen-
über denen Frankreichs ihre diplomatische Aktion erschwert; da die
eidgenössischen Regierungen genötigt waren, einen Teil ihrer Be-
völkerung im auswärtigen Kriegsdienst zu verwenden (§ 97), so hätte
die österreichische Diplomatie ihre Absichten nur dann in vollem Um-
fange durchführen können, wenn sie den französischen Offerten Gegen-
offerten von gleichem Werte hätte entgegensetzen können. Da ihr
dies nicht möglich war, so vermochte sie allerdings nur temporäre
Erfolge zu erzielen; immerhin muß der Historiker konstatieren, daß
auch in diesem Falle die habsburgische Diplomatie ihre Überlegenheit
über die französische erwiesen hat: sie hat, wenn man die schwierigen
Verhältnisse in Betracht zieht, in ganz erstaunlichem Umfange ihre
Absichten verwirklicht. Die Habsburger haben dadurch, daß sie die
Schweiz nach Kräften zu feindseligen Akten gegen Frankreich, sei es
direkt, sei es in Oberitalien antrieben, nicht nur erreicht, daß die fran-
zösische Regierung mehrfach auf die Zuziehung schweizerischer Söldner
verzichten mußte, sondern sie haben auch die Expansionspolitik der Eid-
genossen von ihrer natürlichsten Ausdehnungssphäre, nämlich den vorder-
Österreichischen Gebieten südlich und nördlich des Rheines, abgelenkt.
Dieser Erfolg war um so bedeutungsvoller, als mit militärischen
Mitteln die Habsburger gegen die Eidgenossen nichts auszurichten
vermochten. So einseitig auch die Ausrüstung der schweizerischen
Orte war, so war doch gerade Frankreich, das gegen das Haus Oster-
reich der natürliche Bundesgenosse der Eidgenossen war, imstande,
diesen Mangel auszugleichen; es stellte den Schweizern ebensogut seine
Geschütze zur Verfügung, wie dies im umgekehrten Falle die Habs-
burger zu tun pflegten. Was die Infanterie aber anbetraf, so erwies
sich mindestens, falls es sich um einen Angriffskrieg gegen die Eid-
genossenschaft handelte, die vtui den Hal)sburgern neu geschaffene
Konkurrenzwaffe der Landsknechte ihrem Vorbilde nicht als gewachsen
(der Schwaben- oder Schweizerkrieg des Jahres 1499, § 110).
152 Die habsburgische Macht.
Verhältnis zu Ungarn und Polen. Sieht man von der osma-
nischen Gefahr ab, so bestanden für die imperialistischen Pläne des
habsburgischen Hauses sicherlich die günstigsten Aspekten im Osten
und Nordosten. Nirgends sonst hatte sich die Proportion der Kräfte
für das Haus Österreich so günstig gestaltet. Alle die Staaten, die bisher
erwähnt wurden, hatten, mit Ausnahme vielleicht ^^'ürttembergs, den
Habsburgern beträchtliche militärische Machtmittel entgegenzusetzen
und waren ihnen mindestens in einzelnen Waffen gewachsen. Bei Un-
garn und Polen war dies nicht der Fall. Beide Länder (die hier zu-
sammengenommen werden, da die habsburgische Politik sie stets im
Zusammenhange behandelte) besaßen weder eine von der Zentral-
gewalt abhängige leistungsfähige Bureaukratie noch einen auf stän-
digen Vertretern beruhenden diplomatischen Dienst noch eine modern
geschulte Infanterie oder ein brauchbares Geschützwesen. Sie waren
höchstens, was dieleichte Reiterei betraf, den Habsburgern gewachsen;
in jeder andern Beziehung war ihre militärisch-politische Inferiorität
evident.
Dieser Vorteil wurde nur dadurch zum Teil wenigstens aufgehoben,
daß gerade die halb feudale Organisation, die die beiden Länder an
Macht hinter den neuen Großmächten zurückstehen ließ, eine Fest-
setzung der Habsburger erschwerte. Eine Eroberung durch Österreich
bedeutete für die Magnaten, die unter ihren eigenen Königen in der
Hauptsache freie Herren geblieben waren, zugleich auch die Einführung
einer von ihrem Willen unabhängigen Verwaltung. Es genügte des-
halb nicht, das Land äußerlich zu erobern und die einheimische Dynastie
zu beseitigen; nur eine ständige militärische Okkupation konnte wirk-
lich eine Fruktifizierung des Landes für die habsburgische Politik in
die Wege leiten.
Des weiteren kam hinzu, daß die österreichische Politik durch
dringendere Probleme, wie das venezianische, das bayerische usw. ab-
gehalten wurde, die Überlegenheit ihrer Machtmittel in vollem Um-
fange gegen Ungarn zur Anwendung zu bringen. So haben denn die
Habsburger, so sehr sie im übrigen auch auf die Angliederung Ungarns
hinarbeiteten, eine gewaltsame Eroberung doch erst nach dem Aus-
sterben des ungarischen Königshauses versucht. Die Schwierigkeiten,
auf die sie auch dann noch stießen, der Umstand, daß ein großer Teil
des ungarischen Adels nicht einmal dann ihre Opposition gegen eine
Besitzergreifung durch die Habsburger aufgab, als ihm nur noch
die Alternative einer Unterwerfung unter türkische Herrschaft blieb
(§ 123), bewiesen, wie sehr die österreichische Regierung recht gehabt
hatte, als sie früher von militärischen Aktionen gegen Ungarn ab-
gesehen hatte.
Die Haltung zu Polen hing durchaus von den Beziehungen zu
Ungarn ab. An sich war das Kräfteverhältnis ähnlich, und zu dem
politischen Programm der Habsburger mag auch die Angliederung
Polens gehört haben. Aber es war ohne weiteres klar, daß diese Auf-
§ 64. Verhältnis zur Türkei, 153
gäbe erst an die Hand genommen werden konnte, wenn Ungarn einmal
der österreichischen Herrschaft unterworfen war, und dieses näher-
liegende Ziel schloß in der Regel eine offen aggressive Politik gegen
Polen aus. — In den späteren Jahrzehnten brachte die osmanische
Gefahr dann sogar eine gewisse Annäherung zwischen den Habsburgern
und dem polnischen Königshause zuwege.
Verhältnis zur Türkei. Viel ungünstiger war das Kräftever-
hältnis zum osmanischen Reiche.
Es w^äre zw-ar unrichtig, wenn man auf Grund populärer Ansichten,
die sich bereits bei Zeitgenossen der Ereignisse finden, eine absolute
Superiorität der türkischen Militärmacht annehmen wollte. Wer die
in § 58 und § 77 enthaltenen Schilderungen miteinander vergleicht,
wird konstatieren müssen, daß die Habsburger in dem wichtigsten Teil
ihrer Rüstungen, in der (oberdeutschen) Infanterie und dem Geschütz-
wesen den Osmanen überlegen waren und daß der einzige unbedingte
Vorzug der Türken in ihrem geordneten Finanzwesen und der damit
zusammenhängenden Schlagfertigkeit ihrer Armeen lag. Auch diplo-
matisch waren die Habsburger viel besser gerüstet als ihr Gegner;
wenn es auch praktisch von untergeordneter Bedeutung gewesen sein
dürfte, daß die Türkei aus dem Gefühl ihrer militärischen Stärke
heraus auf die Errichtung eines Informationsdienstes verzichtete,
so ist immerhin doch anzumerken, daß sie damit den Habsburgern
zur Vorbereitung von Gegenkoalitionen vollständig freie Bahn ließ.
Die Türkei war also ein Gegner, mit dem die Habsburger ernsthaft
rechnen mußten; eine wirkliche Gefahr bedeutete sie nicht.
Die Politik der Habsburger den Osmanen gegenüber war denn
auch durchaus so, wie man auf Grund dieser Situation voraussetzen
darf. So häufig auch in ihren offiziellen und offiziösen Proklamationen
von der Türkengefahr die Rede ist und mit so grellen Farben diese
auch geschildert wurde, so wurden doch in der Wirklichkeit die diplo-
matisch militärischen Entschlüsse der österreichischen Regierung durch-
aus nicht von der Vorstellung bestimmt, daß die türkische Macht das
habsburgische Reich eigentlich bedrohen könnte. Nicht nur wurden
manche Verteidigungsmaßregeln nur nachlässig ausgeführt (§ 58).
Nicht nur dachte die österreichische Regierung keineswegs daran, ihre
Interessen im Konflikte mit Venedig zu opfern, um dieser Vormacht
der Christenheit in ihrem Kampfe gegen die Osmanen freie Bahn zu
lassen. Sondern sie konnte sich vor allem nie dazu entschließen, ihre
gesamten Machtmittel auf die Abwehr des türkischen Vorstoßes zu
konzentrieren, wie sie es doch hätte tun müssen, wenn sie an die Mög-
lichkeit einer Katastrophe geglaubt hätte. Sie kannte die Grenzen
der türkischen Macht zu genau, als daß sie die panikartigen Ansichten
weiter Volkskreise geteilt hätte, und die deutschen Fürsten waren
wohl nicht ganz im Unrecht, wenn sie die Hilfsgesuche gegen die Türken,
die die Habsburger an das Reich richteten, auf österreichische Er-
154 Venedig.
oberungspläne in Ungarn zurückführten. Und zwar gilt dies von der
ganzen hier behandelten Periode. Auch als die Türken durch die Unter-
werfung des größten Teiles von Ungarn Nachbarn der Habsburger ge-
worden waren, veränderte sich die Haltung der österreichischen Re-
gierung nicht wesentlich; noch viel weniger kann natürlich die Rede
davon sein, daß den Habsburgern in früheren Jahren die Bekämpfung
der Osmanen als das Zentrum ihrer politischen Bestrebungen erschienen
wäre.
Literatur. Da die moderne politisclie Historiographie im allgemeinen ihren
Stoff nach nationalen Grenzen abgrenzt, so ist die habsburgische Politik in ihrer
Gesamtheit verhältnismäßig selten behandelt worden. Das Beste bieten bio-
graphische Werke, die der Person eines habsburgischen Herrschers gewidmet sind;
genannt sei an hier nur Heinrich Ulmann, »Kaiser Maximilian I.« (1884 — 1891);
ergänzt und gegen neuere Darstellung verteidigt in dem Aufsatz desselben Autors
»Deutsche Grenzsicherheit und Maximilians I. Kriege gegen Frankreich« in der
»Historischen Zeitschrift« 107 (1911), 473 ff., und Edward Armstrong ))The Emperor
Charles F« (2. Auflage, 1910). Wenig förderlich sind die beiden Arbeiten Max Freiherrn
von Wolffs, die »Untersuchungen zur Venezianer ( !) Politik Kaiser Maximilian (!) I.
während der Liga von Cambray« (1905) und »Die Beziehungen Kaiser Maximilian ( !)L
zu Hallen 1495 — 1508« (1909). Vgl. ferner Wilhelm Bauer, »Die Anfänge Ferdi-
nands L« (1907); Pribram, »Österreichische Staatsverträge (England)« I (1906);
K. Lanz, Einleitung zu den »Monumenta Habsburgica« II, 1 (1857).
d) Venedig.
§ 65. Allgemeines; wirtschaftliche Verhältnisse. In dem Kampf
um die Vorherrschaft über Italien kann Venedig neben den bisher
geschilderten Großmächten nicht als ebenbürtiger Partner angesehen
werden. Zumal nachdem sich die spanische und die habsburgische
Macht durch Personalunion zu einer politisch-militärischen Einheit zu-
sammengeschlossen hatten, vermochte die venezianische Republik nicht
mehr als gleichwertige Potenz neben den beiden Großstaaten in den
Streit einzugreifen. Aber dem venezianischen Staatswesen gebührt doch
an dieser Stelle eine Besprechung. Die Markusrepublik blieb nicht
nur bis zum Ende der Periode so stark, daß sie sogar ein vereinigter
Angriff mehrerer Großstaaten nicht ihrer Selbständigkeit berauben
konnte, sondern sie hat auch nach der fremden Invasion ihre Be-
mühungen zur Ausbreitung ihrer Herrschaft über Italien nicht sofort
eingestellt und sich damit gleichsam als Rivale der Großmächte be-
kannt, deren italienische Aspirationen in den vorhergehenden Ab-
schnitten besprochen wurden. Sie muß deshalb auch vor dem türki-
schen Reiche behandelt werden, so sehr dieses sie auch an Machtmitteln
übertraf; denn die auswärtige Politik der Osmanen bezog sich nur zum
kleineren Teile auf Europa und hier wieder so gut wie gar nicht auf
Italien.
Auch Venedig konnte freilich seiner wirtschaftspolitischen Stellung
nach kaum ein rein italienischer Staat genannt werden; seine eigent-
liche Interessensphäre lag in Südosteuropa. Aber die Politik der Re-
publik war doch nicht mehr so vorherrschend nach dem Osten orientiert
§ 65. Land und Volk. 155
wie in früheren Zeiten. Gerade in dem der hier behandelten Periode
unmittelbar vorangehenden Jahrhundert hatte sich die venezianische
Regierung außerordentlich intensiv mit der Erweiterung ihres Besitzes
auf dem italienischen Festland beschäftigt, und diese Pläne hatten
mehr als irgend etwas anderes die politische Lage in Italien geschaffen,
die die ausländischen Großstaaten gleichsam zum Eingreifen reizte.
Die Kenntnis der venezianischen Politik ist daher die wichtigste Er-
gänzung zu den Abschnitten über Frankreich, Spanien und das Haus
Österreich, wenigstens soweit es sich um das Zentralproblem der Periode,
um die Hegemonie über Italien, handelt.
Die Republik Venedig war nach Areal und Bevölkerung die kleinste
unter den Großmächten, die am Kampfe um Italien direkt beteiligt
waren. Ihr italienisches Gebiet zählte etwa 1700000 Seelen; die Be-
völkerung der Besitzungen in Dalmatien, Albanien und auf den grie-
chischen Inseln (worunter Cypern die größte) läßt sich nicht einmal
schätzen, war aber jedenfalls nicht sehr bedeutend, überdies war der
Umfang dieser Gebietsteile beträchtlichen Schwankungen unterworfen.
Die Republik hatte demnach kaum etwas mehr als halb soviel Einwohner
als England und stand hinter diesem Staate, der schon kaum eigentlich
zu den Großmächten gerechnet werden konnte, erst noch an Ausdehnung
des Territoriums zurück.
Die Republik mußte auch noch anderer Vorzüge entbehren. Die
Hauptstadt lag in den Lagunen, die wohl Salz, aber kein Getreide
lieferten, und die Kornproduktion des festländischen Besitzes war
in der Regel nicht imstande, diesen Mangel, sei es für die Hauptstadt
selbst, sei es für die übrigen Seestädte an der Adria auszugleichen.
Venedig war also, obwohl bei weitem nicht so übervölkert wie die flan-
drischen Industriebezirke, für die Ernährung seiner Bevölkerung auf
das Ausland angewiesen. Die Republik besaß dabei nicht einmal ein
Monopol in gewissen Rohstoffen, wie z. B. England mit seiner Wolle,
um auf fremde Staaten seinerseits einen Druck auszuüben; denn sogar
was das Salz betraf, so waren die benachbarten Landschaften nicht
durchaus von seinen Lieferungen abhängig.
Wenn Venedig trotz diesen ungünstigen Umständen den Rang
einer Großmacht einnahm, so verdankte es dies nur seiner maritimen
Ausrüstung, der insularen Lage der Hauptstadt, die freilich nur dank
der starken Marine das unangreifbare Bollwerk wurde, das sie damals
war, und schließlich der festen politischen Organisation und klugen
Verwaltung. Der Reichtum der Stadt ist dabei noch nicht genannt;
denn so sicher auch die Großmachtpolitik Venedigs sich ohne die der
Regierung zur Verfügung stehenden bedeutenden Geldmittel nicht
hätte durchführen lassen, so beruhte doch auch der Handel, der fast
ausschließlich diese Mittel schuf, letzten Endes auf den Marinerüstungen
der Republik, wennschon auch hier, wie natürlich, eine Wechselwirkung
bestand und der Handelsverkehr dann wieder Beiträge zum weiteren
Ausbau der Flotte gab.
156 Venedig.
All dies hat jedoch die ungünstigen Folgen der ungenügenden
Nahrungsmittelproduktion nur vermindern, aber nicht beseitigen können,
und es wird im Verlaufe dieser Ausführungen noch gezeigt werden, in
welcher Weise die Versorgungsschwierigkeiten auf die Politik des
Staates eingewirkt haben. Die Regierung der Republik tat zwar alles,
was möglich war, um die Voraussetzung ihrer Existenz, den Handels-
und Transportverkehr zur See, aufrechtzuerhalten. In keinem anderen
Staate mit Ausnahme vielleicht von Portugal wandten die Behörden
der Marine eine so systematische Pflege zu. Dem Schiffbau wurde die
größte Aufmerksamkeit geschenkt ; die Werften, auf denen (zum Unter-
schied von Genua) offenbar nur für venezianische Rechnung gearbeitet
werden durfte, waren imstande, alle Ansprüche an Qualität und Quan-
tität zu befriedigen. Und mit dem mindestens ebenso wichtigen (§ 14)
Rudererpersonal stand es nicht anders. Denn wenn in einer Relation
vom Jahre 1560 gesagt wird, die Republik könne bequem hundert
Galeeren neben anderen Schiffen ausrüsten, die gesamte übrige Christen-
heit kaum ebensoviel (Gavalli bei Alberi, »Relazioni« III, 1 [1840], 285),
so setzt diese Bemerkung voraus, daß (wie es von Genua bezeugt wird)
große Reserven an Ruderermannschaft vorhanden waren, unter denen
die qualitativ minderwertigen Sklaven übrigens recht spärlich ver-
treten waren; es hatte deshalb auch wenig zu bedeuten, daß die ständig
im Betrieb unterhaltenen Kriegsschiffe der Republik verhältnismäßig
wenig zahlreich waren (nach F. Guicciardini »Opere inedite« X, 402
waren es nur 10 bis 12). Die Befehlshaber der Schiffe bestanden aus-
schließlich aus Mitgliedern des regierenden- Patriziates, waren also viel
zuverlässiger als die genuesischen Admirale, die von Frankreich oder
Spanien in Dienst genommen wurden. Auch die Handelsexpeditionen
wurden unter staatlicher Kontrolle organisiert. Was mit alledem
erreicht wurde, wird durch nichts besser illustriert als durch die Tat-
sache, daß ein Angriff auf die Stadt Venedig während der ganzen hier
behandelten Periode überhaupt nie ernsthaft in Erwägung gezogen
worden ist. Selbst Flotten wie die türkische, die der Zahl der Schiffe
nach es zeitenweise mit der venezianischen hätten aufnehmen können,
standen doch an Ausrüstung so weit hinter jener zurück, daß eine
solche Offensivaktion von ihnen nie ins Auge gefaßt wurde.
Aber der direkte militärische Nutzen dieser Marinerüstungen trat
zurück neben der Bedeutung, die die Flotte für den Handel der Stadt,
d. h. für den beinahe einzig in Betracht fallenden nationalen Erwerbs-
zweig, hatte.
Venedig besaß für einen großen Teil des Warenverkehrs zwischen
Orient und Nordeuropa beinahe ein Monopol. Die Regierung der Re-
publik tat, was in ihren Kräften stand, um diesen Zustand weiter auf-
rechtzuerhalten. Sie gewährte ausländischen Kaufleuten Privilegien
sogar in religiöser Beziehung und eine unparteiische Justiz, wie sie
in dieser Art kein anderer Handelsplatz, nicht einmal die türkischen
Städte, aufwiesen. Die nördliche Adria, wenn nicht das ganze adria-
§ 65. Land und Volk. 157
tische Meer, wurde für jeden anderen Großscliilfahrtsverkehr außer
dem venezianischen gesperrt, sowohl durch direkte Verkehrsverbote
wie durch die Besetzung der Küstenstriche in Dalmatien und zeiten-
weise auch auf der neapolitanischen Seite. War dadurch auch der
Verkehr zwischen Europa und den orientalischen (ägyptischen) Hafen-
städten, in denen Gewürze und Seide des Ostens verladen wurden, an
sich noch keineswegs den venezianischen Schiffern reserviert, ebenso-
wenig die ebenfalls zum guten Teile von Venedig aus betriebene Aus-
fuhr von europäischen (Textil)waren nach dem Orient, und blieb auch
der Landweg von und nach Venedig fremden Kaufleuten stets offen,
so ergab sich doch der große Vorteil, daß alle Waren, die zur See nach
dem vielfach unersetzlichen Marktzentrum Venedig gebracht werden
mußten, nur auf venezianischen Schiffen dorthin befördert werden
konnten. Die Stadt war denn auch, wie bekannt, zum Ausgangspunkt
der wichtigsten Handelsstraßen geworden, vor allem der Straßen, die
über Österreich und Oberdeutschland nach Nordeuropa führten.
Es ist nun freilich auch bekannt, daß gerade dieses Monopol den
Anstoß zur Aufsuchung neuer Seewege nach Indien gab und daß bereits
in den ersten Jahren der hier behandelten Periode diese Bemühungen
auch zum Ziele führten mit dem Erfolge, daß Lissabon und noch mehr
Antwerpen die Zentren des internationalen Gewürzhandels wurden.
Aber es wäre unrichtig, wenn man annehmen wollte, daß die Folgen
dieses Ereignisses sich bereits vor 1559 in einer Schwächung der Finanz-
kraft des venezianischen Staates und damit auch einer Schwächung
der militärisch-politischen Position der Stadt bemerkbar gemacht
hätten. Die kommerzielle Stellung Venedigs beruhte ja nicht aus-
schließlich auf der Einfuhr asiatischer Gewürze und Spezereien. Der
Handelsverkehr in anderen Artikeln wurde durch die Auffindung des
Seeweges um Afrika nicht getroffen; manche wichtige Waren, z. B. die
aus venezianischen Besitzungen im griechischen Archipel (Kreta) ex-
portierten Südweine wurden durch die Veränderung der Handelswege
überhaupt nicht berührt. Auf die Länge übte die Entdeckung der
neuen Verbindung mit Indien zweifellos einen außerordentlich schäd-
lichen Einfluß auf die internationale Bedeutung des Handelsplatzes
Venedig aus; in den ersten Jahrzehnten lassen sich aber direkte Folgen
für die Stellung des Staates in der europäischen Politik nicht nachweisen.
Noch weniger kann davon die Rede sein, daß der venezianische
Handel durch die sich damals vollziehende Ausdehnung des türkischen
Reiches geschädigt worden wäre. Es ist allerdings richtig, daß die
Osmanen damals auch Ägypten und Syrien ihrer Herrschaft unterwarfen
und somit alle Endpunkte des Karawanenverkehrs in ihre Hand er-
hielten. Aber daraus ergab sich mit nichten eine Einbuße für den
venezianischen Handel; man könnte im Gegenteil behaupten, daß die
türkische Okkupation für Venedig von Vorteil gewesen sei, insofern
sie die öffentliche Sicherheit erhöhte und damit die Spesen des Kara-
wanentransportes verminderte (vgl. § 76).
158 Venedig.
Die venezianische Industrie stand, was den Ertrag betrifft, hinter
dem Handel weit zurück. Die Luxusindustrie der Stadt und des Terri-
toriums (Seidengewebe, Goldschmiedarbeiten, Glas) stand zwar in
mancher Beziehung ohne Konkurrenz da, und die venezianischen Gold-
brokatgewebe fanden in den reichen Klassen der Weststaaten guten
Absatz, wie auch die Waffenfabrikation von Brescia ihre Produkte
über die Grenze hinaus exportierte (vgl. § 58). Aber obwohl statistische
Angaben fehlen, kann doch kaum ein Zweifel darüber herrschen,
daß der Gewinn, der aus diesen Erwerbszweigen einging, absolut ge-
nommen gering war; auf diesem Wege hätte sich ein Manko des Handels
geschäftes nicht ausgleichen lassen.
Die schwache Stelle des venezianischen Wirtschaftssystemes lag
nicht hier, sondern, wie bereits erwähnt, in der ungenügenden Lebens-
mittelproduktion des eigenen Gebietes, sowohl was Getreide wie auch
Fleisch betraf. Weder die Hauptstadt noch die dalmatinischen Be-
sitzungen noch auch in den allermeisten Jahren die Herrschaftsgebiete
der Terraferma konnten aus eigenen Mitteln ernährt werden. Ersatz
war zwar, wenn das Problem rein ökonomischer Art gewesen wäre,
leicht zu finden. Venedig war gerade für den Seetransport, den für
die Getreidezufuhr wichtigsten Verkehrsweg, vortrefflich gelegen und
ausgerüstet, und es bestand kein technisches Hindernis gegen einen
regelmäßigen Import der großen Getreideüberschüsse des Balkans
(inkl. des heutigen Südrußlands) und Siziliens. Dazu kam dann noch
die Möglichkeit der Versorgung aus den benachbarten nördlichen
Distrikten des Kirchenstaates (der Gegend um Senigallia) und wenn
diese Quellen im Stiche ließen, so konnte die Regierung Zufuhren
aus Ungarn, ja sogar aus Süddeutschland in die Wege leiten. Auch an
Geldmitteln, um die Kosten dieses Importes aufzubringen, fehlte es
nicht; der Gewinn des Handelsverkehres hätte noch viel größere Aus-
gaben gedeckt.
Aber einer solchen glatten Lösung der Probleme stellten sich
politische Hemmungen entgegen. Der allergrößte Teil des von außen
herzuschaffenden Getreides (so gut wie alles Korn mit Ausnahme des
auf der venezianischen Insel Cypern gebauten) stammte aus Gebieten,
deren Regenten kein Interesse daran hatten, die Wohlfahrt der vene-
zianischen Republik zu fördern. Die Verfügung über die Getreide-
produktion des Balkans lag seit der Eroberung Konstantinopels in den
Händen der osmanischen Regierung, die in den Venezianern ihren
gefährlichsten Gegner, mindestens zu See, erblicken mußte (§ 78);
Bewilligungen für die Ausfuhr von sizilianischem Korn waren von der
spanischen Regierung verhältnismäßig noch leicht zu erhalten, mußten
aber später ebenso wie die Lizenzen zum Export österreichischen und
ungarischen Getreides bei der habsburgischen Regierung nachgesucht
werden, deren Bestrebungen mit den Aspirationen der Republik viel-
fach in geradem Gegensatz standen (§ 64), und ganz ebenso verhielt
es sich mit der Einfuhr aus dem Kirchenstaate (und Urbino). Wohl
§ 66. Innerpolitische Organisation. 159
köiinto man einwenden, daß die Venezianer, die auch einen beträcht-
lichen Teil des Hinterlandes in Oberitalien mit ihren Getreideschiffen
versorgten, als Kornkäufer zu den besten Kunden gehörten und daß
es den Produzenten nicht immer leicht gewesen wäre, bei anderen als
bei den Venezianern für ihren Getreideüberschuß Abnehmer zu finden.
Aber tatsächlich haben doch häufig genug politisch-militärische Er-
wägungen in der Politik der exportierenden Staaten über ökonomische
den Sieg davon getragen; es gilt dies besonders für die beiden Groß-
staaten, die Türkei und das habsburgische Reich.
Jedenfalls rechnete die venezianische Regierung nicht damit, daß
ihre Rivalen ihr aus solchen Berechnungen heraus Entgegenkommen
zeigen würden. Vielmehr ging ihre gesamte Politik von der Anschauung
aus, daß nur politisch-militärische Konzessionen von ihrer Seite, nicht
finanzielle Opfer oder Bedenken die Versorgung des Landes mit Ge-
treide sichern könnten. Die Republik befand sich eben, wenn ihr die
feindlichen Großmächte die Kornzufuhr sperrten, in einer Notlage, die
mit dem Schaden, der einzelnen feindlichen Untertanen aus dem Verbot
des Verkaufes an die Venezianer entstand, nicht in Parallele gesetzt werden
konnte. Wieviel ungünstiger war die Republik in dieser Beziehung ge-
stellt als die an sich stärker übervölkerten flandrischen Lande (§50)!
Venedig bezog daneben auch sein Pökelfleisch (salume) zu einem
gute Teile, wie es scheint, aus einem feindlichen Lande, nämlich der
Türkei. Doch war dieser Umstand politisch ohne Bedeutung, da die
osmanische Regierung die Ausfuhr dieses Artikels, soviel mir bekannt
ist, nie mit einer Sperre belegt hat.
Bemerkt sei schließlich noch, daß diese Abhängigkeit von der
ausländischen Kornzufuhr für Venedig in militärisch-politischer Be-
ziehung besonders schlimme Konsequenzen hervorzurufen vermochte.
Wurde das Getreide gesperrt, so war nicht nur die Ernährung der Be-
völkerung in Frage gestellt (die Maiskultur war damals in Europa be-
kanntlich noch unbekannt), sondern es konnte damit auch direkt die
Leistungsfähigkeit der Flotte und die Kolonialpolitik der Republik
getroffen werden. Denn die venezianische Regierung brauchte das
importierte Korn nicht zum mindesten zur Herstellung des Schiffs-
zwiebacks und ferner auch zur Versorgung ihrer levantinischen Be-
sitzungen, von denen manche, wie im besonderen die Insel Kreta,
ebenfalls auf die Getreidezufuhr aus dem Ausland auf venezianischen
Schiffen angewiesen waren (vgl. z. B. »Venezianische Depeschen vom
Kaiserhofe« I, 238, 366 f. usw.; Alberi, »Relazioni« III, 3, p. 144).
§ 66. Innerpolitische Organisation. \^'enn Venedig, was die Ver-
sorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln betraf, schlechter gestellt
war als die flandrischen Industriebezirke, so hatte seine Regierung
dafür den Vorzug, daß sie freier als die Herrscher der Niederlande über
das Steuerkapital der Einwohnerschaft verfügen konnte. Es gab in
Venedig keine Interessenkonflikte zwischen Ständen und Regierung,
160 Venedig.
Die Klasse der handeltreibenden Kaufleute, die von den Steuern vor
allem getroffen wurde, war dieselbe, die auch den Staat leitete und an
dessen Prosperität Anteil hatte. Der Ertrag des Handels war dazu
so groß, daß die Regierung eine Großmachtpolitik treiben konnte,
ohne ihre Untertanen auszusaugen.
Dies trifft besonders auf die Beziehungen der herrschenden Stadt
zu den Untertanengebieten auf dem Festlande zu. So rigoros die Re-
gierung auch gegen Handelskonkurrenten vorging, so wenig dachte sie
daran, von den Bewohnern der Terraferma direkte große finanzielle
Leistungen zu verlangen. Auch einem ökonomischen Aufschwung legte
sie kein Hindernis in den Weg, sobald keine Rivalität mit einem Erwerbs-
zweige der Hauptstadt bestand. Da die Stadt Venedig keine private
Metallindustrie besaß, so gewährte sie z. B. der Waffenfabrikation und
Geschützgießerei in Brescia freie Entwicklung; Brescia wurde nach
Guicciardinis wohl zutreffender Bemerkung {»Istoria d'Italia« lib. X)
die nach Mailand reichste Stadt der Lombardei. Aber selbst davon
abgesehen, erwies sich die venezianische Herrschaft als ökonomisch
vorteilhaft. Die Verwaltung der Republik schuf für die Masse der Be-
völkerung dieselben günstigen Verhältnisse wie etwa das gleichzeitige
Regiment der Tudors in England (§83): sie begründete eine starke
Zentralgewalt und schützte damit Bürgertum und Kleinadel vor der
Ausnutzung durch die kleinen Despoten und die Lokalmagnaten. Daher
war ihre Herrschaft wohl bei den Abkömmlingen der ehemals regieren-
den Geschlechter unbeliebt, bei den übrigen Volksklassen aber aus
demselben Grunde außerordentlich populär. Es war dies auch für die
auswärtige Politik keineswegs gleichgültig. Der Verlauf des Feldzuges
der Liga von Cambrai (§ 113) ist das eine Beispiel für die praktische
Bedeutung, die die Anhänglichkeit der Untertanengebiete an die re-
gierende Stadt in kritischen Zeitläuften hatte; das andere besteht in
dem geringen Erfolge, den die von Angehörigen früherer Tyrannen-
geschlechter etwa versuchten Losreißungsversuche erzielten. Wenn
ein venezianischer Gesandter einmal auf Ungarn als abschreckendes
Beispiel hinwies und empfahl, die Republik solle im Gegensatz zu dem
blutsaugerischen Systeme der ungarischen Barone dafür sorgen, daß
die Untertanen »sieno sicuri dalle violenze de' Graiidi« (Cavalli bei Alberi,
»Relazionin I, 3, 131 f.), so war diese Mahnung wohl kaum eigentlich
nötig. Mochten auch die »cittadini« und »gentiluomini«. einer Stadt
wie Verona der venezianischen Herrschaft, die sie z. B. von allen kom-
mandierenden Stellen in der Mihz ausschloß, keine Sympathien ent-
gegenbringen, die )>Popolani« waren dem Patriziat der Republik um
so mehr ergeben (vgl. Machiavelli, »Legazione XXXn: ))Opere« ed.
Passerini-Milanesi VII, p. 440 ff. und Carlo Cipolla, »Una Congiura
contro la Repubblica di Venezia« in den »Memorie deW Accademia di Torino
Classe di Sc. mor.« vol. VI, ser. 4, parte 1, p. 62).
Es kam hinzu, daß die Regierung ihre Untertanengebiete zu einem
guten Teile auch ökonomisch in der Hand hatte. Ohne die Getreide-
§ 67. Die Armee. 161
mengen, die von dem Adriatisehen Meere her auf den Flußläufen ein-
geführt wurden, war eine regelmäßige Versorgung der festländischen
Besitzungen nicht durchzuführen, und bei dem Schiffahrtsmonopol^
das Venedig in der nördlichen Adria besaß, war ein Import auf anderen
als auf venezianischen Schiffen ausgeschlossen.
Auch über die Geistlichkeit und die kirchlichen Würden ihres
Gebietes verfügte die venezianische Regierung so uneingeschränkt wie
irgendein anderer Staat. Dank ihrem geschlossenen Geschlechter-
regiment hatte sie sogar den besonderen Vorteil, daß sie hohe geistliche
Stellen, vor allem die Bistümer, lächt nur mit Anhängern, sondern mit
Angehörigen des regierenden Patriziates besetzen konnte; dieser Vorteil
ist denn auch, wie man weiß, in reichem Maße ausgenützt worden.
Die Kirche war vielleicht in keinem anderen Lande, nicht einmal in
Frankreich oder England, so sehr »nationalisiert« wie in Venedig. Die
Bischöfe wurden im Senate gewählt, und ein Gesetz des Jahres 1488
erklärte alle Fremden ausdrücklich als nicht wählbar. Der Patriarch
von Venedig war immer ein venezianischer Patrizier.
§ 67. Die Armee. Machiavelli (»Discorsi über Livius« II, 30) und
im Anschluß an ihn auch andere Florentiner (Varchi, »Storia jiorentinaa
IV, 28) haben häufig mit den Venezianern exemplifiziert, um die
schlimmen Folgen des Condottieresystems ins Licht zu setzen. Diese
Argumentation ist irreführend. Die Verwendung von Söldnertruppen
war keine Eigentümlichkeit der venezianischen Republik, und wenn
diese dabei im allgemeinen schlechte Erfahrungen machte, so war dies
nicht auf das System zurückzuführen, das sie mit allen anderen Groß-
staaten mit Ausnahme der Türkei teilte, noch auch auf die ungenügende
Organisation; man könnte im Gegenteil behaupten, daß kein anderer
Staat so zweckmäßige und vorsichtige Maßregeln zur Sicherung seiner
Soldatenlieferungen traf. Der Fehler lag anderswo. Er bestand darin,
daß die venezianische Regierung sich wohl auf Kämpfe mit den be-
nachbarten italienischen Staaten eingerichtet hatte, nicht aber auf
Konflikte mit den außeritalienischen Mächten, die die neue schwei-
zerische Taktik (§ 5) und die neue Geschütztechnik bei sich eingeführt
hatten. Bei Beginn der hier behandelten Periode war das venezianische
Militärwesen immer noch so organisiert, als wenn es keine Burgunder-
kriege gegeben hätte. An sich war für die Bedürfnisse des Krieges
trefflich vorgesorgt. Die Republik besaß für einen beträchtlichen Teil
des benachbarten Italiens gleichsam das Monopol auf Söldnerlieferung.
Sie konnte nicht nur aus ihrem eigenen Gebiete Truppen anwerben,
sondern verschiedene kleine Fürsten Oberitaliens (vor allem die Her-
zoge von Mantua, dann aber auch die Herzoge von Urbino usw.) waren
darauf angewiesen, die Kosten ihrer Regierung aus Condotteverträgen
mit Venedig zu decken, und an Mitteln, solche Verträge abzuschließen,
fehlte es der Republik nie. Dazu kam noch, daß die Republik die Ope-
rationen ihrer Armeen durch Regierungskommissäre {Provveditori) aus
den Reihen der Patrizier zu überwachen vermochte.
Fueteri Europ. Staatensystem. H
162 Venedig.
Aber alle diese Vorkehrungen zeigten sich unwirksam, als die
französische Invasion des Jahres 1494 die venezianischen Streitkräfte
in Berührung mit modern geschulten Truppen brachte. Nicht nur
war es nun mit der Monopolstellung der Republik vorbei : wenn die
französische Regierung die venezianischen Offerten an die italienischen
Condottierefürsten auch nicht unbedingt zu überbieten vermochte, so
hatte sie dafür den Vorteil, daß einer Anwerbung durch Frankreich
keine politischen Bedenken entgegenstanden, und wenn die französische
Krone vielleicht weniger Geld in Aussicht stellte, so bestand dafür bei
ihr nicht die Gefahr einer Absorption, wie sie die Herrscher der kleinen
italienischen Staaten stets von Venedig befürchteten. Bedeutungs-
voller aber war ein anderes Moment. Venedig hatte sich immer von
dem guten Willen auswärtiger Mächte unabhängig zu stellen gesucht
und in der Hauptsache nur italienische Truppen angeworben. Dieses
System war nun an sich nicht schlecht; aber es zog, so wie die Dinge
damals lagen, den Nachteil nach sich, daß die Republik, wenigstens
was die Infanterie betraf, nur minderwertiges Soldatenmaterial in ihren
Diensten hatte. Während Frankreich sich schweizerische Knechte ge-
sichert hatte, Österreich die schweizerische Taktik bei den deutschen
Söldnern einzuführen bestrebt war und bald darauf auch Spanien zur
Ausbildung seiner Truppen nach schweizerischer Methode schritt, hielt
sich Venedig von dieser Neuerung fern. Die Republik setzte weder
eine Schulung ihrer einheimischen Truppen nach der neuen Taktik
durch, noch versuchte sie mit ausländischen Staaten Verträge über
regelmäßige Werbelizenzen abzuschließen, wie es Frankreich mit der
Eidgenossenschaft und mit deutschen Territorien unternahm.
Auch so war Venedig natürlich keine verächtliche Macht, auch
nur was die Infanterie betraf. Ein Staat, der über die Finanzkraft der
Lagunenrepublik verfügte, konnte so zahlreiche Söldner in seine Dienste
nehmen, daß, selbst wenn die Qualität zu wünschen ließ, seine Armeen
nicht ignoriert werden durften. Aber an eine Gleichstellung mit den
anderen Großmächten war nicht zu denken. Die Klagen über die
Minderwertigkeit der italienischen Infanterie — und zwar Klagen aus
italienischem Munde — , die sich durch die ganze Periode hindurch
wiederholen, sind dafür ein beredtes Zeugnis, und noch in der Mitte
des 16. Jahrhunderts erzählt ein gebildeter italienischer Historiker,
Giovanni de' Medici sei im Jahre 1526 einer Schlacht mit den Lands-
knechten Frundsbergs ausgewichen; die italienischen fanterie seien
jenen nicht gewachsen, »per lo non essere esse disciplinate, ne use a
servare gli ordini« (Varchi, »Storia fiorentina« II, 18).
Besser stand es mit der Kavallerie der Republik. Die venezianischen
Patrizier waren allerdings aus natürlichen Gründen für den Dienst
als Reisige wenig geeignet; die Aristokratie der Terraferma war poli-
tisch unzuverlässig, und die schwere Reiterei, die mit den Condottieren
angeworben wurde, konnte im Vergleich mit der französischen nur als
von mittelmäßigem Wert gelten. Aber sie besaßen dafür in der leichten
§ 68. Die Marine. 163
Reiterei, die sie aus ihi'en Besitzungen in AU^anien und Grieelienland
bezogen, ein Instrument, wie es im übrigen Europa außeilialb Spaniens
unbekannt war. Die kämpf gew^ohnten Stämme der unwirtlichen Gegen-
den, in denen ein großer Teil der männlichen Jugend auf den Kriegs-
dienst im Ausland als Lebenserwerb angewiesen wai", stellten dem
venezianischen Regimente ein Material zur Verfügung, wie es günstiger
kaum gedacht werden konnte. Das Manko der Infanterie konnte damit
freilich nicht w^ettgemacht werden. Die militärische Bedeutung der
leichten Reiterei war beschränkt (§ 8), und so wertvolle Dienste den
Venezianern auch ihre »Stradioten« leisteten, so wurde ihre militärische
Position durch sie doch nicht wesentlich verstärkt.
Wieder etwas anders lagen die Verhältnisse im Geschützwesen.
Als die Franzosen in Italien einbrachen, w^aren im Vergleich mit ihren
Rüstungen Artillerie- und Befestigungsw^esen in Venedig nicht weniger
zurückgeblieben als die Ausbildung der Infanterie. Aber es war der
venezianischen Regierung leichter als auf jenem Gebiete, den Vor-
sprung Frankreichs einzuholen. Sobald sie von der Überlegenheit der
französischen Geschütze Kenntnis erhalten hatte, ließ sie, zum Teil
durch dieselben ursprünglich venezianischen Büchsenmeister, die die
französischen Kanonen gegossen, »«/ costume e modo usano Francesi«
))Bombarde grosse« anfertigen (Sanuto, »Diarien« I, 146; vgl. ibid. 375,
1496). Die Befestigungen der Städte wurden zunächst allerdings
nur in ungenügendem Maße modernisiert; aber nachdem der Krieg
der Liga von Cambrai (§ 113) die gefährdete Lage der Städte der Terra-
ferma erwiesen hatte, holte auch hier die Regierung das Erforderliche
nach, und von dieser Zeit an galten die venezianischen Städte wohl
mit Recht als ausreichend befestigt (vgl. G. Venturi, »Compeudio della
storia di Verona« II, 158 f. und allgemein Giustiniani bei Tommaseo
I, 72).
Literatur. M. Ilobohm, »Machiavelli« II, 303ff. — Ein Ablvomnien mit
den Schweizern empfahl z. B. Mocenigo seiner Regierung {»Fontes Renan Austria-
carumv II, 132); die Gründung einer eigenen »Mihz« schlug Cavalli vor (Tommaseo I,
306); beide stellen einen Beweis dafür, daß bereits zeitgenössische venezianische
Staatsmänner das überheferte System der Anwerbung als unbefriedigend empfanden.
Daß die itahenischen Gondottieren sich um den Eintritt in den venezianischen
Dienst rissen, weil die Republik gut bezahlte: Sanuto I, 1H2.
§ 68. Die Marine. Die venezianische Marine war für die Existenz
des ganzen Staates von so kardinaler Bedeutung, daß das Wichtigste
über sie bereits in dem Abschnitte über die allgemeinen wirtschaft-
lichen Verhältnisse der Republik (§ 65) hat gesagt werden müssen. Es
kann sich daher an dieser Stelle nur noch um einige ergänzende An-
gaben handeln.
Die Markusrepublik rüstete ihre Marine im Prinzip nach derselben
Methode aus wie ihre Landarmeen; der Unterschied lag nur darin,
daß die Verhältnisse für die Flotte viel günstiger lagen. Ihr Vorhaben,
nur einheimische und abhängige Mannschaft zu verwenden, konnte sie
11*
164 Venedig.
hier vollständig zur Ausführung bringen: die Besatzung ihrer Schiffe
bestand ausschließlich aus Venezianern oder aus Griechen aus dem
Kolonialgebiet; das oberste Kommando lag immer in den Händen eines
venezianischen Nobile. Dazu war dies zugleich die beste Mannschaft,
die überhaupt zu erhalten war; es ist charakteristisch, daß die türkische
Regierung griechische und venezianische Galeerenruderer, die im vene-
zianischen Dienste standen, durch höheren Sold, als ihn die Republik
zahlte, auf ihre Flotte zu locken pflegte, nach venezianischer Auffassung
hätten die Türken ohne diese Überläufer nicht einmal über mittelmäßig
bestellte Schiffe verfügt (Trevisano bei Alberi III, 1, 147). Auch die
Schiffsgeschütze scheinen kaum wesentlich hinter den französischen
zurückgestanden zu haben ; wenn die venezianische Regierung, wie
bereits erwähnt (§ 67), dem Geschützwesen größere Sorgfalt zuwandte
als dem Befest igungswesen, so mag dabei übrigens in der ersten Zeit
der Umstand mitgewirkt haben, daß die Verwendung veralteter Ge-
schützmodelle die Flotte ebenso in Mitleidenschaft zog wie die Be-
lagerungsarmeen (vgl. § 12).
Was die weitere Ausrüstung der Schiffe betraf, so war allerdings
Venedig nicht so ganz vom Auslande unabhängig. Wenn das Holz
zum Schiffbau in der Regel aus den dalmatinischen Besitzungen er-
halten werden konnte, so mußte der Hanf dagegen, wie es scheint,
zum Teil aus der Fremde bezogen werden. Immerhin führte dies in
der Praxis zu keinen Schwierigkeiten, wenn schon sich etwa venezia-
nische Gesandte bei der österreichischen Regierung neben Eisen auch
um Lizenzen für Holz bemühten (Alberi, »Relazioni« I, 2, p. 156).
Eine Einschränkung der politisch-militärischen Aktionsfreiheit be-
deutete dagegen, daß das getreidearme Land, wie bereits erwähnt
(§ 65), das Schiffszwieback für die bekanntlich unverhältnismäßig starke
Mannschaft der Galeeren nicht aufbringen konnte. Wohl wurde Gypern
nach Möglichkeit dafür herangezogen (vgl. z. B. Sanuto, »Diarien ((
II, 224); aber sogar die Produktion dieser kornreichen Insel reichte in
der Regel nicht aus. Die Venezianer waren also auch in dieser Beziehung
auf das Getreide Siziliens angewiesen, wenn sie nicht von ihrem Gegner
selbst, gegen den sich doch die Aktion ihrer Flotte vor allem richtete,
nämlich von der osmanischen Regierung Korn zur Ausrüstung ihrer
Schiffe erhalten wollten (vgl. z. B. Sanuto, ibid. I, 459).
§ 69. Die Organisation des diplomatischen Dienstes. Es ist üblich
geworden, die diplomatische Organisation der venezianischen Republik
als außergewöhnlich leistungsfähig hinzustellen. Wenn die Intellek-
tuellen des 16. Jahrhunderts wohl allgemein in Venedig einen Muster-
staat erblickten, so scheint dieses Lob noch bis auf die Gegenwart
nachzuwirken und auch die Auffassung der venezianischen diploma-
tischen Kunst zu beherrschen. Der Historiker kann diesem Urteile
nicht ohne weiteres beistimmen. Es wäre wohl schwer nachzuweisen,
daß der auswärtige Dienst der Markusrepublik Vorzüge besessen hätte,
§ 69. Die Organisation des diplomatischen Dienstes. 165
die man bei der Diplomatie der Habsburger, der spanischen und eng-
lischen Regierung nicht in demselben Maße angetroffen hätte. Ohne
Einschränkung ist dagegen zuzugeben, daß die Republik es ausgezeichnet
verstanden hat, trotz der ungünstigen Vorbedingungen, die in ihrer.
Verfassung begründet lagen, einen brauchbaren diplomatischen Infor-
mationsdienst und eine in der Hauptsache stabile auswärtige Politik
zu schaffen.
Dabei muiJ von vornherein bemerkt werden, daß es falsch wäre,
wenn man aus der zeitlichen Priorität eine Überlegenheit der venezia-
nischen Diplomatie ableiten wollte. Es ist allerdings richtig, daß Ve-
nedig wie die übrigen größeren italienischen Staaten bereits zu einer
Zeit die Institution ständiger Gesandten kannte, wo diese Einrichtung
außerhalb Italiens noch nicht üblich war (§ 3). Aber dieser Vorsprung
wurde lasch eingeholt und blieb ohne praktische Folgen. Auch hat
Venedig selbst anderseits erst während der hier behandelten Periode
seinen diplomatischen Dienst auf alle größeren Staaten Europas aus-
gedehnt; erwähnt sei hier davon nur die erste Errichtung eines stän-
digen Gesandtschaftspostens in England und der Ausbau der früher
recht dürftigen Konsularvertretung in Konstantinopel.
Die republikanische Verfassung Venedigs bot für eine zweckmäßige
Führung der auswärtigen Politik um so schwierigere Verhältnisse, als
das Patriziat in seiner Gesamtheit keineswegs gewillt war, sich die
Kontrolle der auswärtigen Angelegenheiten aus der Hand nehmen zu
lassen, ^^'ährend die Habsburger, die Tudors usw. über unabsetzbare
Leiter der auswärtigen Politik und vor allem über ein Gesandtschafts-
personal von Berufsdiplomaten (soweit damals bereits dieser Ausdruck
angewendet werden kann) verfügten, war in Venedig nichts Ähnliches
zu finden. Nicht nur wechselten die Inhaber des sog. Collegio und des
Rates der Zehn, die man als Exekutivorgane bezeichnen könnte, sondern
der letzte Entscheid auch in Fragen der auswärtigen Politik war einer
parlamentarischen Versammlung, den Pregadi (dem sog. Senat) vor-
behalten. Zu Gesandten wurden nur Patrizier gewählt, die vielfach
nur eine bestimmte Anzahl von Jahren im diplomatischen Dienste
blieben.
Aber das venezianische Patriziat hat diese Nachteile, so gut es
ging, auszugleichen versucht. Was zunächst die Leitung der auswärtigen
Politik betraf, so wurde, besonders nachdem der unglückliche Ausgang
des Krieges der Liga von Cambrai (§ 113) die Mängel des alten Systems
an den Tag gelegt hatte, die wirkliche Leitung der Geschäfte beinahe
ganz in den Händen des Rates der Zehn konzentriert; es kam vor,
daß wichtige Depeschen den Pregadi nur verstümmelt oder überhaupt
nicht vorgelegt wurden. Dadurch wurde die auswärtige Politik zwar
noch nicht einer ständigen Behörde, aber doch wenigstens einem kleinen
Kollegium zugewiesen, das leichter als der Senat bestimmte Richt-
linien aufstellen und von einer Amtsdauer zur andern überliefern konnte,
besonders da ihm auch ständige Mitglieder, wie z. B. der Doge, ange-
166 Venedig.
hörten. Dem Senate gehörten ferner die Patrizier sozusagen ex officio
an, die wichtigere Gesandtschaftsposten bekleidet hatten.
Was die Ausbildung der Diplomaten betraf, so diente dazu die
Einsicht in die Praxis, die die Verhandlungen im Senate gewährten;
besonders bedeutungsvoll waren in dieser Hinsicht die Relationen, die
die zurückkehrenden Gesandten in dieser Versammlung über ihre
Erfahrungen vorzutragen hatten. Daneben wurde sowohl bei der
Zentrale wie bei den einzelnen Gesandtschaften durch ständige Sekretäre
nicht patrizischer Herkunft, (die also wohl in der Regel juristische
Schulung hatten) dafür gesorgt, daß etwa mangelnde Fachkenntnisse
des patrizischen Diplomaten zu keinen schlimmen Folgen führten; es
war deshalb üblich, daß die venezianischen Gesandten im Gegensatz
zu den Diplomaten anderer Mächte ihre Sekretäre bei den Verhand-
lungen ständig bei sich hatten (Dandolo bei Alberi II, 3, 337; vgl. zum
übrigen Cavalli bei Tommaseo I, 332).
Auch vermochten anderseits, wie man annehmen darf, die vene-
zianischen Gesandten aus ihrer außerhalb der diplomatischen Praxis
erworbenen Erfahrung besonderen Nutzen zu ziehen. Ihre Berichte
zeigen, wie häufig ihre Dienste für handelspolitische Verhandlungen
in Anspruch genommen wurden; es ließe sich wohl denken, daß sie
für solche Geschäfte besser geschult gewesen wären als die Berufsdiplo-
maten der anderen Staaten. Auch verfügten sie aus ähnlichen Gründen
regelmäßig über präzisere marinetechnische Kenntnisse als ihre Kol-
legen aus anderen Staaten und bisweilen wohl auch über bessere mili-
tärische Kenntnisse überhaupt.
Literatur. Auch über die Organisation der venzianischen Diplomatie fehlt
es noch an einer Spezialarbeit. Einiges bei Jean Zeller, »La Diplomatie frangaise
vers le milieii du A'VI^ siede« (1881), p. 46f., und die dort angeführte ältere Lite-
ratur. Vgl. auch W. Andreas, »Die venetianischen Relationen« 1908. — Zu der
Verstümmelung von Depeschen, die im Senat verlesen werden sollte, vgl. z. B.
V. Lamansky, »Secrets d'Etat de Venisen (1884), p. 66.
§ 70. Die auswärtige Politik Venedigs. Die Grundzüge der aus-
wärtigen Politik Venedigs sind aus dem bisher Ausgeführten ohne große
Mühe zu erschließen. Zwei JNIomente beherrschen die Entscheidungen
der Republik: das eine ein wirtschaftliches, die Sorge um die Versorgung
des Landes mit Getreide und Rohstoffen für Land und Flotte, das zweite
ein militärisch-politisches: das Bestreben, wenn immer möglich Krieg
mit außeritalienischen Großmächten, vor allem Frankreich und Spanien
(Habsburg), zu vermeiden, da die Landstreitkräfte der Republik den
Armeen jener Staaten nicht gewachsen waren. Die Handelsinteressen,
von denen in neueren Darstellungen manclimal in unbestimmter Weise
gesprochen wird, traten daneben durchaus zurück. Nicht als wenn der
Handelsverkehr nicht die eigentliche Basis der venezianischen Groß-
machtstellung gebildet hätte. Aber die Stellung Venedigs im inter-
nationalen Handel war so fest, vielfach beinahe monopolartig, begründet
und gewährte auch den Kunden so große Vorteile, daß er durch poli-
§ 70. Auswärtige Politik. 167
tische Zerwürfnisse nur in geringem Umfange in Mitleidenschaft ge-
zogen wurde, in direktem Gegensatze zu den Verhältnissen, die bei dem
Importe des Getreides herrsehten. Wenn der venezianische Handel
während des hier behandelten Zeitraumes, wie bereits erwähnt (§ 65),
schwere Einbuße erlitt, so stand dieser Wandel mit der auswärtigen
Politik der Republik in keinem Zusammenhang; ihr gefährlichster
Gegner, das osmanische Reieli, vertrat im Gegenteil in der Angelegen-
heit des neuen Handelsweges nach Indien Interessen, die sich mit denen
Venedigs durchaus deckten. Hier hatte sich eben ein Wechsel voll-
zogen, dem mit militärisch-diplomatischen Mittehi nicht beizukom-
men war.
Den christlichen Staaten gegenüber stand das Moment militärischer
Natur im Vordergrund. Der Kampf, den die Großmächte um Italien
begannen, erschütterte die auswärtige Politik Venedigs in ihren Grund-
lagen. Die imperialistischen Bestrebungen, die auf Vergrößerung des
Besitzes auf der Terraferma hinausliefen, beruhten auf der Voraus-
setzung, daß die Republik es nur mit den italienischen Staaten zu tun
haben werde; diese mochten wohl, wie der Fall war, gegen den Vor-
stoß der venezianischen Macht die stärkste Abneigung empfinden,
aber sie waren außerstande, zum Gegenschlage auszuholen. Auswärtigen,
modern gerüsteten Staaten gegenüber befand sich Venedig in einer
viel ungünstigeren Lage. Die Republik war gerade noch stark genug,
sich gegen einen Angriff von dieser Seite in der Defensive zu behaupten.
Daraus entsprang beinahe von selbst die Neutralitätspolitik, an der
Venedig wenn immer möglich festhielt, die Politik der »büancian zwischen
Frankreich und Habsburg-Spanien, wie sie einer ihrer Oratoren selbst
definiert hat (Soranzo bei Alberi, »Relazioni« I, 2, 463 f.). Man kann
sagen, daß besonders seit der Liga von Cambrai diese Haltung oberster
Grundsatz wurde; seit dem unglücklichen Ausgange dieses Feldzuges
suchte die Republik vor allen Dingen zu verhüten, daß sich von neuem
eine Koalition der Großmächte gegen sie bildete.
Bei der Durchführung dieser Richtlinien kam der Republik ein
Vorteil zustatten, der ihr in ganz besonderem Maße eigen war, nämlich
die innere Geschlossenheit dem Auslande gegenüber. Es ist bekannt,
wie sehr andere Republiken der Zeit, vor allem Genua, aber auch
Florenz, infolge ihrer Parteifehden in ihrer auswärtigen Politik ge-
schwächt waren. Aber auch in Monarchien, wie z. B. in Frankreich,
litt die Kontinuität der Politik mehrfach unter dem Kampf der Ko-
terien. In Venedig gab es nichts Derartiges. Es gab keine Parteien,
die von fremden Mächten gegeneinander ausgespielt werden konnten;
es gab auch keine Minister, die man durch Gefälligkeiten und Pen-
sionen umstimmen konnte. Man hat bisweilen das Mißtrauen, mit
dem in Venedig jeder Verkehr zwischen ausländischen diplomatischen
Agenten und Patriziern überwacht wurde, übertrieben gescholten;
man darf darüber nicht vergessen, daß die Republik dank diesem
Kontrollsystem ihre Politik von ausländischen Einflüssen so frei gehalten
168 Venedig.
hat wie kaum eine andere Regierung der damaligen Zeit, nicht einmal
die habsburgische.
Resümierend kann man sagen, daß die Verhältnisse nach und nach
Venedig zu einer defensiven Haltung nötigten. Die ökonomische Ab-
hängigkeit von der Türkei und die militärische Superiorität der übrigen
Großmächte bereiteten der ehemaligen expansionistischen Politik nach
und nach ein Ende. Wer über die Staatskunst Venedigs urteilen will,
darf nicht vergessen, daß die Republik auch im günstigsten Falle nicht
mehr erreichen konnte, als das früher Gewonnene zu bewahren.
§ <]. A'enedig und die Türkei. Die Beziehungen zwischen Venedig
und der Türkei können an dieser Stelle nur kurz besprochen werden,
da sie das Zentralproblem der damaligen internationalen Politik nicht
unmittelbar berühren. Aber sie dürfen doch auch nicht ganz uner-
wähnt bleiben, da die politische Haltung der Markusrepublik letzten
Endes doch stets durch das Verhältnis zu der osmanischen Regierung
bestimmt wurde.
Zieht man nur die militärischen Machtmittel in Betracht, so muß
man sagen, daß sich in Venedig und der Türkei keine durchaus un-
gleichen Gegner gegenüberstanden. Die osmanische Regierung ver-
fügte über eine größere und zuverlässigere Landarmee; aber zur See
waren ihre Streitkräfte viel schwächer, besonders bevor sich die Bar-
bareskenfürsten in ihre Dienste gestellt hatten, und bei der Natur
des Kampfes, der sich zu einem guten Teile um Inseln oder von der
See leicht zugängliche Gebiete drehte, war diese Superiorität der vene-
zianischen Marine von ganz besonderer Bedeutung. Dazu kam noch,
daß auch im Geschützwesen die venezianischen Truppen den türkischen
überlegen waren. Als eigentlich bedroht konnten von dem veneziani-
schen Besitze somit nur die Eroberungen in Dalmatien und Albanien
gelten, die vom Lande her angegriffen werden konnten.
Hatte schon dies Kräfteverhältnis zur Folge, daß häufig zwischen
der Pforte und der Markusrepublik friedliche Beziehungen herrschten,
so fiel ferner noch in Betracht, daß die venezianischen Besitzungen
im Osten zwar innerhalb der türkischen Ausdehnungssphäre lagen, die
auf ihren Eiwerb gerichteten Pläne der osmanischen Regierung aber
zunächst wenigstens durchaus zurücktraten hinter den umfassenden
Eroberungsprojekten, die sich auf Asien und Nordafrika bezogen.
Ein latenter Konflikszustand war also wohl vorhanden; aber die Ver-
hältnisse lagen für ein aggressives kriegerisches Vorgehen auf keiner
Seite verlockend.
Aber nirgends wäre es weniger angebracht als hier, die Lage nur
vom militärischen Standpunkte aus zu betrachten. In militärischer
Hinsicht existierte vielleicht ein ge\\'isser Gleichgewichtszustand; in
ökonomischer Beziehung waren die Kampfmittel dagegen verschieden
stark, und zwar lag hier der Vorteil durchaus auf der Seite der Türkei.
Wohl war es auch für das Osmanische Reich ökonomisch nicht gleich-
§ 71. Verhältnis zur Türkei. 169
gültig, ob die wirtschaftliehen Beziehungen zu Venedig ungestört
blieben oder nicht: der Türkei erwuchs aus den Zöllen, die von dem
venezianischen Handel erhoben wurden, namhafter Gewinn, der aus
dem Verkehr mit anderen Nationen nicht hätte ersetzt werden können
(Alberi III, 1, 160, 283 f.; III, 3, 141) und auch für den Teil des Ge-
treideüberschusses, den die Venezianer zu kaufen pflegten, hätten sich
nicht leicht andere Abnehmer finden lassen. Aber was hatte dies zu
bedeuten im Vergleich mit der Abhängigkeit, in der sich die Getreide-
versorgung der Markusrepublik von dem guten Willen der türkischen
Regierung befand! Der Schade, der dem Osmanischen Reiche aus einer
Unterbrechung des venezianischen Handels entstand, war für dessen
militärisch-politische Operationen von untergeordneter Bedeutung; für
Venedig rührte eine längere Sperre der Getreidezufuhr aus dem Balkan
und Südrußland (auch aus Syrien) an die Grundlagen der Existenz. Die
venezianischen Berichte der Zeit sind einig darüber, daß es unmöglich
war, in dem Kirchenstaat und in Sizilien vollen Ersatz für das etwa
ausbleibende Getreide des Balkans und Südrußlands zu finden, d. h.
sie gehen sämtlich von der Voraussetzung aus, daß die Türkei in der
Kontrolle über das nur mit ihrer Einwilligung zu liefernde Getreide
ein Druckmittel besaß, gegen das die Republik machtlos war. »Wollte
Gott, daß unser Land für die Hauptstadt und die übrigen Städte das
Getreide selbst aufbringen könnte! Könnten wir es nur zwei Jahre
ohne den türkischen Import aushalten, so würden uns die Türken
selbst ersuchen, ihr Korn ihnen abzunehmen; sie wären dann nicht
mehr des Glaubens, daß man auf sie angewiesen sei {che non si possa
far senza loro)% heißt es in der Relation Navageros (Alberi III, 1, 84),
und diese Klage wiederholt sich in den meisten venezianischen Rap-
porten aus Konstantinopel (Trevisano, ibid. p. 183 f. ; Gavalli, ibid.
p. 290; Trizzo, ibid. III, 3, 144). Als der Halbvenezianer Gritti unter
Suleiman II. eine einflußreiche Stellung in Konstantinopel erlangte,
hoffte die Republik von ihm als Begünstigung vor allem Ausfuhrlizenzen
für Getreide {Uralte di jrumentir, Alberi III, 1, 30). Gesandte, die aus
der Türkei zurückkehrten, rühmten ewa in erster Linie unter ihren
Verdiensten, daß sie durch Kornlieferungen viele venezianische Unter-
tanen vor dem Hunger gerettet hätten {\^\. Alberi III, 1, 107).
Um solche Ausfuhrlizenzen zu erhalten, gab es nun aber für
Venedig kein anderes Mittel, als Konflikten mit der Türkei so viel wie
möglich aus dem Wege zu gehen. Denn keine Regierung der damaligen
Zeit führte den Grundsatz, die Erlaubnis zum Getreideexport von
politischen Konzessionen abhängig zu machen, so strikte durch wie
die türkische; nicht einmal die spanische hielt es mit dem sizilianischen
Korn so genau (vgl. § 44). Es war nicht einmal möglich, auf die private
Habsucht der Regierungsmitglieder zu spekulieren, um einen Bruch
des Verbotes herbeizuführen, obwohl die Wesire öfter an dem Ver-
kauf des Getreides persönlich interessiert waren (vgl. Navagero bei
Alberi III, 1, 84 f.). Die Ausfuhrlizenzen waren eine zu wirksame
170 Venedig.
Waffe, als daß die osmanischen Regenten mit dieser Waffe leichtfertig
umgegangen wären; man muß bedenken, daß das Getreide, das durch
die Dardanellen oder aus den asiatischen Gebieten der Türkei aus-
geführt wurde, ja auch zur Versorgung der venezianischen Flotte so-
zusagen unentbehrlich war und ferner zum Lebensunterhalt verschie-
dener Inseln im ägäischen Meere (vor allem Kretas) diente (vgl. Sanuto,
»Diarien« II, 478). Den besten Beweis dafür, daß es sich so verhielt,
geben wiederum die venezianischen Relationen: die Gesandten, die
aus Konstantinopel zurückkehren, nennen als Mittel, um ein Ausfuhr-
verbot zu verhüten, nur politische Konzessionen, nicht die Bearbeitung
einzelner Würdenträger.
Venedig hat sich denn auch in das Unvermeidliche gefügt und mit
dem Türkischen Reiche so gut es ging Frieden zu halten versucht.
Es war dies die Politik, die dann vielfach die Venedig feindlich ge-
sinnten Regierungen zu der Behauptung, ja vielleicht sogar zu dem
Glauben verleitete, daß die Markusrepublik mit der Türkei in einem
geheimen Bundesverhältnis stehe. Am weitesten ging in dieser Beziehung
die habsburgische Dynastie, die geradezu verkündete, die Venezianer
animierten die Türken zu Angriffen auf österreichisches Gebiet; aber
auch der französischen Diplomatie waren solche Vermutungen nicht
fremd (vgl. bei Charriere, »Negociations« I, 266 f.). In Wirklichkeit
hat nie ein Beweis für solche verräterische Abmachungen gegen die
Sache der Christenheit geführt werden können; richtig ist nur, daß
die Venezianer sich mit Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Notlage
von den Kriegen anderer christlicher Staaten gegen die Osmanen fern-
hielten. Sogar gegen ein Abkommen mit dem Großmeister von Rhodus
konnte etwa im Senate geltend gemacht werden, daß ein solcher Schritt
die Türken gegen die Republik aufreizen würde (Sanuto, »Diarien«
II, 123). Im übrigen waren die übrigen Großstaaten so wenig geneigt,
den venezianischen Staat wegen der Türkengefahr zu schonen, daß
nicht recht einzusehen ist, aus welchen Gründen man von der Republik
eine andere Politik als die von ihr befolgte hätte erwarten sollen.
Literatur. Die venezianischen Quellen fließen kaum für einen anderen
Gegenstand so reichlich als für die Geschichte der von der modernen Historiographie
beinahe gänzlich ignorierten wirtschaftlichen Abhängigkeit Venedigs von der Ge-
treideproduktion des Türkischen Reiches (und der Gebiete des Schwarzen Meeres).
Zu den Relationen sind noch die zahlreichen Notizen über Getreideimport hinzuzu-
fügen, die sich durch die Diarien Sanutos hindurch zerstreut finden. Den anderen
Regierungen war dieser Umstand übrigens wohl bekannt; denn die venezianischen
Diplomaten machten aus dieser ihrer Notlage kein Hehl (vgl. z. B. »Venezianische
Depeschen vom Kaiserhofe« I, 366, 375), vielleicht um so eher als die ausländischen
Diplomaten Neigung zeigten, die venezianischen Klagen für übertrieben zu halten.
~ Über die angeblichen geheimen Abmachungen zwischen Türken und Venezianern
vgl. vor allem den Aufsatz von Heinrich Kretschmayer, »Lodovico Gritti« im »Archiv
für österr. Geschichte« 83 (1896), 1 — 106. Siehe auch Salinas, »Carlas« 402, 413, 442.
§ 72. Venedig und die übrigen italienischen Staaten. Nach dem
Abschnitt über die Beziehungen zur Türkei muß zuerst das Verhältnis
zu den benachbarten italienischen Staaten behandelt werden.
§72. Verhältnis zu Mailand. 171
Venedig war zu Beginn der hier behandelten Periode der stärkste
unter den itahenischen Staaten und deshalb auch der gefürchtetste.
Die Besorgnis, die Markusrepublik könnte mit der Zeit ihre Oberherr-
schaft über ganz Italien ausdehnen, bestimmte, kann man sagen, die
gesamte auswärtige Politik der italienischen Territorialregierungen.
Nichts hat wohl die Intervention der fremden Großmächte so sehr
erleichtert und eine Einigung der italienischen Staaten verhindert wie
dieses Mißtrauen gegen die venezianischen Eroberungspläne. Und
selbst als die Ereignisse gezeigt hatten, daß die schwächeren italienischen
Gemeinwesen ihre Unabhängigkeit von Venedig nur behaupten konnten,
wenn sie ihre Freiheit einer ausländischen Macht auslieferten, wurde
es damit nicht anders. Vergebens nahm die venezianische Regierung
nun in ihre offiziellen Proklamationen und diplomatischen Schreiben
das Schlagwort auf, daß sie für die italienische Sache kämpfe und daß
es Pflicht aller italienischen Patrioten sei, sie im Kampfe gegen die
»Barbaren« zu unterstützen; die alte Abneigung blieb bestehen, und
die übrigen Staaten lehnten es ab, zum Besten der italienischen Nation
ihre feindselige Haltung gegen Venedig aufzugeben.
Diese Bemerkung bezieht sich auf alle größeren Staaten in Italien;
selbstverständlich zog der Kampf gegen die imperialistische Politik
der Lagunenrepublik aber vor allem die Länder in Mitleidenschaft,
die infolge ihrer geographischen Lage am unmittelbarsten von Venedig
bedroht wurden. Für die Geschichte des europäischen Staatensystems
haben daher die Beziehungen der Republik zu Mailand und dem Kirchen-
staat besondere Bedeutung.
Das feindselige Verhältnis Venedigs zu Mailand hat sich in seinen
Folgen in der internationalen Politik früher geltend gemacht als das
zum Kirchenstaat; aber es war an sich von geringerer Wichtigkeit als
der Konflikt mit dem Kirchenstaat. Das Herzogtum Mailand hatte
gegenüber dem Kirchenstaat zu Beginn der Periode den Vorteil, daß
es damals bereits über eine starke Exekutive verfügte; aber dieser
Vorsprung wurde dann bald eingeholt (§ 92), und als dies einmal ge-
schehen war, trat es an Gefährlichkeit für Venedig rasch hinter den
Kirchenstaat zurück. Dazu kam noch, daß Mailand in viel stärkerem
Maße als die beiden anderen Staaten infolge der Intervention der Groß-
mächte an militärischer Bedeutung verlor: wenn seine Infanterie die
Konkurrenz mit den schweizerischen Söldnern nicht auszuhalten ver-
mochte, so konnte es nicht durch Vorzüge auf anderen Gebieten diesen
Mangel ausgleichen. Übrigens verlor das Herzogtum so bald seine
Selbständigkeit, daß an dieser Stelle diese kurze Bemerkung genügen
muß; es wäre nur noch hinzuzufügen, daß die Festsetzung einer aus-
ländischen Großmacht in Mailand weitere Ausdehnungsprojekte Vene-
digs nach Westen liin unmöglich gemacht hat.
Beim Kirchenstaat nahmen die Ereignisse beinahe den ent-
gegengesetzten Verlauf. Er hatte vor Mailand und den übrigen ita-
lienischen Mittelstaaten den Vorzug voraus, daß er dank seinem eigen-
172 Venedig.
tümlichen, halb kirchliehen Charakter von den Großmächten nicht
offen seiner politischen Unabhängigkeit beraubt werden konnte (§ 92).
Die Päpste waren deshalb auch nach dem Eingreifen der Fremden
noch in der Lage, ihre partikularistische Aktion gegen Venedig fort-
zusetzen. Sie waren dazu gerade dank der Intervention der auslän-
dischen Großmächte viel gefährlichere Gegner geworden. Sie hatten
nicht nur ihrem Gebiete Konsistenz verliehen, sondern sie waren nun
befähigt, mit den nach Eroberungen in Italien strebenden Staaten
Koalitionen gegen Venedig einzugehen. Es ist dies denn bekanntlich
auch erfolgt (§ 112), und es entstand daraus eine Situation, wie sie
für Venedig kaum bedrohlicher sein konnte. Aber nachdem dieser
Krieg mit einem ansehnlichen Gewinn für den Papst abgeschlossen
hatte und dadurch auch Garantie geschaffen war, daß Venedig dem
Kirchenstaat gegenüber auf seine Ausdehnungspolitik verzichten würde,
hörte der Zustand latenter Feindschaft zwischen beiden Staaten auf:
weder hatte das Papsttum ein Interesse an einer Vernichtung der
venezianischen Republik noch ließ sich so leicht eine Wiederholung
der Mächtekoalition erwarten, die Frankreich und die Habsburger im
Kampfe gegen Venedig vereint hatte. In der internationalen großen
Politik hatte somit auch der Gegensatz zwischen Venedig und dem
Kirchenstaat während der späteren Jahrzehnte der hier behandelten
Periode keine Bedeutung mehr.
Auch die wirtschaftliche Überlegenheit des Kirchenstaates wurde
daher politisch nicht ausgenutzt. Venedig bezog allerdings aus der
fruchtbaren Romagna regelmäßig Getreide, und besonders in den
Zeiten, da Friktionen mit der Türkei bestanden, hätte die päpstliche
Regierung eine Sperre als wirksame Waffe verwenden können. Aber
die Kurie scheint dieses Kampfmittel nie gebraucht zu haben ; es wäre
freilich auch schwierig gewesen, die Getreideproduktion jener Gegend
anderswo in vollem Umfange abzusetzen als in Venedig, zumal da die
Schiffahrt in der nördlichen Adria fast ausschließlich in venezianischen
Händen war.
Ähnlich läßt sich schließlich das Verhältnis Venedigs zu Neapel
und Sizilien charakterisieren. Obwohl die beiden Länder nicht un-
mittelbar zusammenstießen, war doch auch Neapel durch die Aus-
dehnungspolitik der Markusrepublik bedroht; denn verschiedene Fest-
setzungen an der Ostküste zeigten, daß die Venezianer gerne am neapo-
litanischen Ufer des adriatischen Meeres Fuß gefaßt hätten, um auch
im südhchen Teil des Golfes auf beiden Seiten territoriale Stützpunkte
zu besitzen^). Aber es ging hier nicht anders als im Norden: das Ein-
greifen der mit größeren Machtmitteln ausgestatteten ausländischen
Mächte machten allen diesen Plänen der Lagunenrepublik ein Ende,
und die Venezianer konnten nicht einmal das behaupten, was sie bereits
okkupiert hatten.
1) Vgl. Commines 1. VIII eh. 21 (ed. Mandrot II, 347]
§ 72. Beziehungen zu Unteritalien. 173
Die spanische Regierung besaß außerdem in der Kontrolle der
Getreideausfuhr aus Sizilien eine wirtschaftliche Waffe, die von ihr
im Gegensatz zu dem Verhalten des Kirchenstaates keineswegs un-
genutzt gelassen wurde. Der Getreideimport aus Sizilien war zwar
für Venedig immer nur ein Notbehelf neben den Kornzufuhren aus
der Türkei (es ist bezeichnend, daß die Getreidepreise in Messina 1541
auf den tiefsten Punkt fielen, als Meldungen von einem Friedensschluß
zwischen Venedig und der Türkei einliefen, gleich darauf aber, als
Nachrichten von einem türkischen Ausfuhrverbote anlangten, den
höchsten überhaupt bisher vorgekommenen Stand erreichten: »Cor-
respondance politiqiie de G. Pellicier« ed. A. Tausserat-Radel [1899],
p. 253); aber um so wichtiger war für Venedig, daß wenigstens dann,
wenn die Türkei kein Getreide frei ließ, nicht auch noch die Zufuhr
von sizilianischem Korn verhindert wurde. In den Diarien Sanutos
wird einmal (I, 459) ausdrücklich vermerkt, daß im Jahre 1497 über-
haupt nur dank Sizilien kein aboluter Getreidemangel eintrat, da der
Verkehr mit der Türkei damals gesperrt war. Auch hier hing nun
aber die Versorgung Venedigs von dem guten Willen eines fremden
Fürsten ab, gegen den die Republik keine wirtschaftspolitischen Re-
pressahen ergreifen konnte. Freilich bestanden dafür zwischen Spanien
und Venedig nicht so starke Gegensätze wie zwischen Venedig und
der Türkei; um so schlimmer wurde die Lage allerdings dann für die
Republik, als die Verfügung über das sizilianische Getreide in die Hände
der habsburgischen Regierung überging. Die Depeschen der venezia-
nischen Gesandten am Kaiserhofe zeigen deutlich, wie mühsamer
Verhandlungen es bedurfte, um auch nur Ausfuhrlizenzen zum ZSvecke
der Ausrüstung gemeinsamer Flottenexpeditionen gegen die Osmanen
zu erhalten.
Die Beziehungen zu den benachbarten Condottierefürsten
(Mantua, Urbino, Ferrara) sind bereits in dem Abschnitt über das
Militärwesen der Republik (§ 67) besprochen worden. Es ist an jener
Stelle auch bereits darauf hingewiesen worden, welchen Verlust Venedig
erlitt, als die Stadt den Dienst dieser Herrscher infolge der Konkurrenz
der Großstaaten nicht mehr für sich monopolisieren konnte. Die Mög-
lichkeit einer Ausdehnung wurde ihm nun auch nach dieser Seite hin
abgeschnitten. Dazu kam auch hier das Erstarken des Kirchenstaates.
Denn dieser Vorgang wirkte auch auf die Stellung der nominellen
päpstlichen Vasallen in Ferrara und Urbino zurück, und sogar die
wirtschaftspolitischen Waffen, über die Venedig durch seine Salzliefe-
rung und seinen Getreidetransport, z. B. gegen Ferrara, verfügte,
blieben schließlich ohne entscheidenden Einfluß.
Das Verhältnis zu den übrigen italienischen Staaten kann hier nur
gestreift werden. Für die internationale Politik war bloß von Bedeutung,
daß Venedig als der natürliche Gegner der italienischen Mittelstaaten
leicht in die Lage kam, sich der kleinen Staaten anzunehmen, die von
den größeren annektiert zu werden fürchteten; praktisch trat dies be-
174 Venedig.
sonders in der Unterstützung hervor, die die Republik dem aufstän-
dischen Pisa gegen Florenz zuteil werden ließ. Es verdient ferner noch
Erwähnung, daß von einer politischen Rivalität mit Genua während
der hier behandelten Periode nicht mehr die Rede war.
§ 73. Venedig und Österreich. Der Konflikt zwischen Venedig
und Österreich, der von dem Kampf um die Küstengebiete an der
nördlichen Adria seinen Ausgang nahm, ist bereits in einem früheren
Abschnitte (§ 64) geschildert worden. Es ist hier nur hinzuzufügen,
daß der Streit um diese Landstriche für Venedig vor allem durch die
allgemeinen politischen Folgen wichtig war, die er nach sich zog. Daß
es der Republik nicht gelang, das gesamte Küstenland zwischen Istrien
und dem Venezianischen in ihren Besitz zu bringen, hatte wenig zu
sagen, da ihre Seeherrschaft in den dortigen Gewässern trotzdem un-
angefochten blieb. Aber dieser Gegensatz verhinderte ein Zusammen-
gehen der beiden Staaten zur Abwehr des türkischen Vorstoßes, und
zwar gerade zu der Zeit, als die Unterstützung einer Landmacht den
Venezianern zur Sicherung ihrer albanischen Besitzungen hätte wert-
volle Dienste leisten können. Auch später, nachdem der venezianisch-
österreichische Konflikt vor wichtigeren Aufgaben des habsburgischen
Hauses zurückgetreten war, bildete der alte Gegensatz ein Hindernis
bei den Versuchen, eine Allianz gegen die Osmanen zustande zu bringen.
Obwohl die Habsburger bei kriegerischen Unternehmungen kaum
weniger auf die venezianische Marine angewiesen waren, als die Vene-
zianer auf die spanischen und deutschen Truppen. Es kam zwar einmal
(1538; vgl. § 125) zu einer gemeinsamen Kampagne; aber wie sehr hat
diese dann unter dem gegenseitigen Mißtrauen gelitten!
Auch Osterreich besaß gegenüber Venedig die Waffe der Getreide-
sperre. Denn das Korn, das die Republik »aus Deutschland« bezog,
stammte allem Anschein nach zum allergrößten Teil aus Osterreich
oder mußte wenigstens österreichisches Gebiet passieren, und es gehörte
denn auch zu den Aufgaben der venezianischen Gesandten in Wien,
von der Regierung Ausfuhrlizenzen zu erlangen, zumal als auch noch
ein Teil Ungarns in österreichische Hände gefallen war (vgl. z. B.
Alberi, »Relazioni« I, 2, 156 ff.). Doch gewann diese Angelegenheit in
den politischen Verhandlungen keine eigentliche Bedeutung; dem
Kornimport aus den österreichischen Häfen kam bei weitem nicht die
Wichtigkeit zu wie dem aus den türkischen. Wenn die Republik auf
die Einfuhr von dort (und auch etwa aus Süddeutschland und anderen
Gegenden) in Notfällen Prämien setzte (vgl. z. B. Sanuto, »Diarien«
LVIII, 394; über frühere Zeiten vgl. H. Simonsfeld, »Der Fondaco
dei Tedeschi« II [1887], 104 f.), so geschah dies offenbar, um nicht
gänzlich von der Produktion des Balkans und Siziliens abhängig zu
sein; ersetzen konnte die Republik jenes Getreide damit aber nicht.
Ferner gingen auch die eben aus Sanuto zitierten Maßregeln des Jahres
1533 doch nur neben Bemühungen, sich in Sizilien zu versorgen, neben-
§74. Die Türkei. 175
her und wurden letzten Endes davon abhängig gemacht, ob nicht doch
aus Konstantinopel Getreide erhältlich wäre (Sanuto, ibid. LVIII,
414 f.).
Die Beziehungen der Republik zu den übrigen Staaten müssen
hier unbesprochen bleiben, da ihr Einfluß auf die Geschichte des euro-
päischen Staatensystems nur unbedeutend war. Frankreich und Spa-
nien gerieten wohl verschiedenthch mit Venedig in Konflikt ; aber diese
Streitigkeiten nahmen ihren Ausgang nicht von eigenen territorialen
Interessen der beiden Länder aus, sondern nur von ihren Besitzungen
in Italien. Ihre Politik war nur eine Fortsetzung der ehemaligen Politik
Mailands oder Neapels und ist deshalb bereits in dem Abschnitt über
die Stellung der Markusrepublik zu den übrigen italienischen Staaten
mit behandelt worden.
2. Die am Kampfe um Italien nicht unmittelbar beteiligten Staaten.
a) Das Osmanische Reich.
§ 74. Größe und Bevölkerung. Bei der Besprechung der habs-
burgischen Macht hat darauf hingewiesen werden müssen, daß statistische
Daten zum Vergleich mit anderen Staaten nicht wohl gegeben werden
können, weil der Besitz des Hauses sich sozusagen von Jahr zu Jahr
vergrößerte. Bei der Türkei trifft diese Bemerkung noch in größerem
Umfange zu. Durch die Eroberung und Angliederung von Syrien,
Mesopotamien, Ägypten, Ungarn (zum größten Teil) und der nord-
afrikanischen Küste bis Algier — um nur die wichtigsten neu-
gewonnenen Gebiete zu nennen — wurde das Areal des türkischen
Herrschaftsbereiches im Verlaufe der hier behandelten Periode un-
gefähr auf das Dreifache erhöht; die Bevölkerung nahm vielleicht
noch stärker zu, da man annehmen darf, daß in dem durch die osmanische
Verwaltung pazifierten Lande das Aufhören innerer Kriege und die
größere Sicherheit des Transportwesens die Sterblichkeit verminderten.
Vergleichende Zahlangaben hätten deshalb keinen Wert; für die Be-
rechnung der Bevölkerungsgröße fehlt uns übrigens sowieso jede
Grundlage.
Trotzdem liegt der Fall einfacher als bei dem habsburgischen
Reiche. Selbst wenn uns zuverlässige geographisch-statistische Notizen
zur Verfügung stünden, hätten detaillierte Angaben über das Wachstum
der türkischen Macht nur geringe Bedeutung, weil die Stellung des
Reiches innerhalb des europäischen Staatensystems dadurch so gut
wie gar nicht berührt wurde. Die Umstände, auf denen die partielle
Überlegenheit der türkischen Militärorganisation über die Armeen der
christlichen Staaten beruhte, konnten schon in vollem Umfange zur
Geltung gebracht werden, als die Türkei erst über das im Jahre 1492
beherrschte Gebiet verfügte; auch mußte das Osmanische Reich bereits
damals seinem Areal nach neben Frankreich und Spanien als Groß-
macht gelten, was von den Besitzungen der Habsburger nicht ohne
176 Das osmanische Reich.
weiteres gesagt werden könnte. Als Ausnahme könnte nur die Ver-
änderung angeführt werden, die sich infolge der Angliederung der
nordafrikanischen Staaten in der militärischen Position der Türkei
ergab; es wird dann später (§78) zu erörtern sein, welchen Vorteil
die türkische Marine aus dem Anschluß der algerischen Piratenfürsten zog.
Es kann deshalb hier nur gesagt werden, daß die Türkei während
der hier behandelten Periode an Größe durchschnittlich die anderen
Großstaaten übertraf, an Bevölkerungszahl sicherlich keinem nach-
stand und daß sie dabei an Rohstoffen (Getreide, Holz, Salz, Metalle)
alles zum Lebensunterhalt nötige produzierte und (abgesehen von
Fabrikaten) nur für Gewürze (Zucker usw.) auf Einfuhr aus dem Aus-
lande angewiesen war. Die Türkei war also noch besser gestellt als
Frankreich, insofern dieses wichtige Metalle von auswärts beziehen
mußte.
Man sieht, die Voraussetzungen für eine Großmacht- und Er-
oberungspolitik waren vorhanden. Die Art, wie diese günstigen Ver-
hältnisse ausgenutzt wurden, und die Schranken, die dieser Politik
gesetzt waren, wurden jedoch durch die eigentümliche militärische
Organisation des Staates bestimmt. Da diese aber wieder von der
ganz besonderen Zusammensetzung der Bevölkerung sowie von den
Zuständen in Industrie und Handel abhing, so seien zunächst diesem
Gegenstande einige Bemerkungen gewidmet.
Die Türkei war der einzige Staat in Europa, in dem zwar nicht
verschiedene Klassen mit abweichenden Rechtsansprüchen existierten,
wohl aber ein Herrschervolk über ein Untertanenvolk regierte. Zwischen
beiden bestand allerdings keine unüberschreitbare Grenze. Die Zu-
gehörigkeit zu einer der beiden Gruppen bestimmte sich nicht nach
der schwer veränderlichen Nationalität, sondern nur nach der Religion
des Staatsangehörigen; da nun der Übertritt mindestens zur Religion
des Herrschervolkes den Angehörigen des Untertanenvolkes unbe-
schränkt offen stand, so gab es an sich kein Hindernis gegen den Über-
gang von der einen zur anderen Klasse : es war leichter in der Türkei
in die Kreise der Regierenden zu gelangen als in den christlichen Staaten,
wo vielfach Standesprivilegien zu überwinden waren. Und was die
Zulassung von Ausländern betraf, so war die Türkei in dieser Beziehung
ebenfalls viel freier als die übrigen Staaten: es gab keine Bestimmung,
die die Verwendung von Fremden in Staatsstellen irgendwie beschränkt
hätte. Wenn nationale Ausschließungstendenzen im Sinne des 19. Jahr-
hunderts damals überall nur untergeordnete Bedeutung besaßen, so
waren in der Türkei überhaupt keine solchen vorhanden.
Für die politisch-militärische Organisation des Staates war dabei
praktisch von der größten Wichtigkeit, daß in dem ökonomisch und
durch seine strategische Lage wertvollsten Teile des Reiches, nämlich
auf dem Balkan und in der Küstengegend Kleinasiens die Bevölkerung
in ganz ungleichem Umfange auf die beiden Klassen verteilt war.
Obwohl Zahlen fehlen, kann man doch mit Sicherheit behaupten, daß
§ 75. Handel und Industrie. 177
in jenen Gegenden zumal zu Beginn der Periode das Herrschervolk
nur einen geringen Teil der Bevölkerung umfaßte, der größte Teil der
Bewohner also dem politisch rechtlosen Untertanenvolk angehörte.
(Cavalli schätzt 1560 den nicht türkischen Teil der Bevölkerung im
ganzen Reich auf zwei Drittel; Alberi III, 1, 277.) Es wird in § 77
gezeigt werden, welche Folgen sich daraus vor allem für das Militär-
wesen des Osmanischen Reiches ergaben.
§ 75. Industrie und Handel. Es ist keine Übertreibung, wenn
man sagt, daß es in der Türkei keine Industrie irgendwelcher Art gab.
Das Reich zog aus der Ausfuhr seiner Rohprodukte, vor allem des
Getreides, so reichen Gewinn, daß nicht einmal das Bedürfnis bestand,
die für den gewöhnlichen Konsum bestimmten Textilwaren im Lande
herzustellen, geschweige denn, daß sich eine Exportindustrie entwickelt
hätte. Einfache Kleidungsstoffe waren denn auch wohl der wichtigste
Artikel, den die fremden Händler (vor allem die Venezianer) als Gegen-
leistung für die genannten türkischen Exportartikel einführten. Von
dem einst in Europa dominierenden byzantinischen Kunstgewerbe
scheint sich auch bei den griechischen Untertanen nichts mehr erhalten
zu haben.
Da die türkischen Krieger weniger als jemand sonst in der Lage
waren, diesen Mangel auszugleichen, so ergab sich als Folge, daß es
sogar für die Herstellung militärischer Ausrüstungsgegenstände an
leistungsfähigen einheimischen Kräften fehlte. Obwohl es Griechen
gab, die für den Schiffsbau verwendet werden konnten, war doch in
der Regel die Beihilfe ausländischer oder wenigstens im Ausland ge-
schulter Techniker notwendig, und in noch höherem Maße war dies
in der Belagerungskunst und besonders bei der Fabrikation der Ge-
schütze der Fall; die Kanonen der türkischen Armee scheinen so gut
wie ausschließlich von fremden Büchsenmeistern gegossen worden zu
sein. Nur die finanzielle Stärke des türkischen Regimentes (§ 76) ver-
hinderte, daß diese technische Rückständigkeit des Volkes eine mili-
tärische Katastrophe zur Folge hatte, insofern es immer möglich war,
ausländische Fachleute dank der hohen Bezahlung in türkische Dienste
zu ziehen. Freilich ließ sich auch so kein Kriegsmaterial aufbringen,
das dem der fortgeschrittensten christlichen Staaten ebenbürtig ge-
wesen wäre; nur im Kampfe mit anderen orientalischen Staaten oder
mit technisch ganz zurückgebliebenen europäischen Armeen, wie der
ungarischen, erwjes sich die türkische Bewaffnung als überlegen.
Etwas günstiger lagen die Verhältnisse im Handel. Zur See domi-
nierten allerdings noch durchaus die Fremden, vor allem die Vene-
zianer; die einheimischen Fahrzeuge scheinen es damals nicht über
die Küstenschiffahrt hinausgebracht zu haben (vgl. Alberi III, 3, 153).
Aber im Handelsverkehr in den Städten zeigten sich deutlich die Folgen
des neuen Regimentes, das der Stellung der italienischen Kaufleute
ein Ende bereitet hatte, und zugleich auch die Folgen der Toleranz,
Fiie ter!,"^Europ.lStaatensy8tem. 12
178 > Das osmanische Reich.J
die die türkischen Behörden andersgläubigen Untertanen, vor allem
den aus anderen Mittelmeerstaaten vertriebenen Juden (vgl. § 38 f.)
zu teil werden lassen. Die Venezianer klagen in ihren Relationen häufig
darüber, daß ihr Handel zugunsten der Juden zurückgehe, die von ihnen
vielfach als Agenten und Teilhaber beschäftigt werden mußten (vgl. Ca-
valli bei Alberi III, 1, 274 f.; Navagero ibid. p. 101 f.; Sanuto, »Dia-
rien« LVII, 435). Dazu kam, daß die osmanische Regierung als Gegen-
leistung für die Freiheiten, die sie auswärtigen Händlern gewährte,
ebensolche Handelsfreiheit für ihre (jüdischen und griechischen) Unter-
tanen in christlichen Mittelmeerstaaten durchsetzte (vgl. Romanin,
))Storia documentata di Venezian IV, 262; Zinkeisen, »Geschichte des
Osmanischen Reiches« III, 372; Gömara, )> Annais of the Emperor
Charles F« ed. Merriman [1912], p. 199).
Der türkische Staat ging überhaupt, im Gegensatz zu einer in
modernen Zeiten verbreiteten Legende, mindestens während der hier
behandelten Periode durchaus darauf aus, den Handelsverkehr in
seinem Gebiete zu fördern. Als die Portugiesen dank dem neu ent-
deckten Seewege um Afrika dem Karawanentransport der »Spezereien«
durch die Türkei Abbruch zu tun begannen, nahmen die osmanischen
Herrscher die deshalb zu erwartende Schädigung keineswegs gleich-
mütig auf; es kam deshalb sogar einmal zu einem Krieg mit den Por-
tugiesen (vgl. die zutreffenden Ausführungen von A. H. Lybyer, ^)T}ie
Ottoman Turks and the Route of Oriental Trade« in der »English Histo-
rical Review« XXX [1915], 577 ff. ; ähnlich hatte der Sultan von
Ägypten, als sein Land noch selbständig war, dem Papst Repressalien
gegen die heiligen Stätten der Christen in Palästina angedroht, wenn
die Portugiesen fortfahren sollten, den Gewürzhandel von seinem
Gebiete abzulenken: »Dispacci di A. Giustiniani« ed. Villari III [1876],
205). Wäre es nicht zu dieser Veränderung der Handelswege gekommen,
so hätte vermutlich schon nur die größere Sicherheit, die die türkische
Herrschaft dem Transportw'esen zu Lande schuf, geradezu einen Auf-
schwung des Karawanenverkehrs nach sich gezogen. Es war nicht die
Schuld der türkischen Regierung, w-enn alle ihre Bemühungen die
Vorteile, die der wohlfeilere Seeweg um Afrika bot, nicht auszugleichen
vermochten. Auch wenn wirklich die erzwungene Verpflanzung von
reichen Kaufleuten aus Ägypten nach Konstantinopel, die die Haupt-
stadt zum großen Umschlaghafen für den Gewürzhandel machen sollte,
und der ähnliche Versuch, den Handel in Seide von Syrien nach dem
Bosporus abzulenken (Alberi III, 3, 62), wirtschaftspolitische Fehler
gewesen wären, so hätte die Wirkung solcher Maßregeln im Vergleich
zu der portugiesischen Unternehmung nur eine untergeordnete Be-
deutung besessen.
Damit steht auch die Haltung der türkischen Regierung gegen die
Korsaren im Einklang. Wenn sie genötigt war, häufig Piraten in ihre
Dienste zu nehmen, ja schließlich sogar mit den algerischen Seeräuber-
fürsten eine offizielle Verbindung einzugehen, so war daran nur die
§ 76. Innerpolitische Organisation. 179
Schwäche ilirer Marine (§ 78) seluild, nicht mangehide Fürsorge für
den Handelsverkehr. Soweit es möglich war, gingen ihre Vertreter
sogar gegen einheimische Korsaren vor (vgl. Sanuto, »Diarien« 1, 135 f.);
prinzipiell bestand in dieser Beziehung also kein Unterschied zwischen
ihrer Politik mid dem Vorgehen eigentlicher Handelsstaaten.
§ 76. Iimerpolitische Organisation. Es ist gezeigt worden, in
welch günstiger wirtschaitlicher Verfassung sich das Türkische Reich
befand. Wenn der Umstand, daß es keine Industrie gab und daß Fremde
einen beträchtlichen Teil des Handelsverkehrs akkapariert hatten,
finanziell von Nachteil w-ar, so wurde dieser Verlust mehr als ausge-
glichen durch den reichen Ertrag der Ausfuhr von Rohstoffen, vor
allem von Getreide. Politisch wichtig war nun, daß das dadurch an-
gesammelte Kapital der Regierung in so uneingeschränktem Maße
zur Verfügung stand wie in keinem anderen Staate. Bei der Erhebung
und Verwendung der Abgaben war der Padischah in keiner Weise an
die Zustimmung von Ständen gebunden, die es in seinem Reiche über-
haupt nicht gab. Keine andere Regierung der damaligen Zeit dispo-
nierte für militärisch-politische Zwecke über eine so regelmäßig laufende
und reichliche Geldquelle wie die türkische. Keine andere war daher
auch imstande, ihre militärische Organisation und ihre kriegerischen
Operationen so planmäßig und rationell in die Wege zu leiten wie die
osmanische.
Dazu kam, daß die Untertanen nicht einmal in außergewöhnlichem
Maße mit direkten und indirekteri Steuern belastet werden mußten.
Die Bewohner der Türkei genossen die Vorteile eines mächtigen, ja
unangreifbaren Großstaates in vollem Umfange. Die Ausgaben für
das Militärwesen waren, da Befestigungsarbeiten im Innern des Reiches
beinahe gänzlich unterlassen werden konnten und auch die reguläre
Armee mit einem relativ kleinen Bestände auskam, im Verhältnis zur
Größe des Staates gering und nahmen dazu im Verlauf der Periode
noch proportional ab, da der gewaltigen Ausdehnung des Reiches keine
entsprechende Vergrößerung der Armee zur Seite zu gehen brauchte.
Dank der stets kampfbereiten stehenden Armee konnten nämhch die
neu gewonnenen Gebiete mit verhältnismäßig geringen Besatzungen in
Unterwürfigkeit gehalten werden. Außerdem hatte die militärische
Vormachtstellung des Reiches zur Folge, daß. auch auswärtige und noch
unabhängige Staaten schon nur unter dem Druck einer Kriegsdrohung
zu Zahlungen bewogen werden konnten. Nicht nur Tributärstaaten,
wie die Moldau und die Wallachei, sondern auch Großstaaten, wie
Österreich und Venedig, verstanden sich zu regelmäßigen Kontribu-
tionen, um Angriffe der Osmanen von ihren Territorien fernzuhalten.
Die Folge dieser günstigen Position war, daß die Türkei trotz beinahe
unaufhörlicher kriegerischer Unternehmungen als einziger Staat der
damaligen Zeit in ihrem Staatsschatz Überschüsse aufwies. Man kann
sagen, daß die türkische Politik alle Ziele erreichte, die mit Geld ge-
12*
180 Das osmanische Reich.
Wonnen werden konnten; wenn ihre Ausrüstung in mancher Hinsicht
mangelhaft war (§ 77), so war daran nicht Mangel an finanziellen Mitteln,
auch nicht ein unrationelles Verwaltungssystem schuld. Hier lag der
Fehler an Eigenschaften, die nicht gekauft werden konnten.
Denn all das Geld, das dem Sultan zur Disposition stand, konnte
die Tatsache nicht aus der Welt schaffen, daß das Kriegervolk der
Osmanen sich auf einer zu niedrigen Kulturstufe befand, als daß es
mit den technisch fortgeschrittenen Großstaaten der Christenheit hätte
Schritt halten können. Allerdings waren die türkischen Herrscher in
dieser Beziehung nicht nur auf ihre eigenen Fertigkeiten angewiesen.
Als sie sich an die Stelle der oströmischen Kaiser setzten, übernahmen
sie einen Verwaltungsapparat und auch eine Untertanenbevölkerung,
die verhältnismäßig bereits einen hohen Grad der Ausbildung erreicht
hatten. Sie konnten dank diesem Umstände auch manche Lücke ihrer
technischen und geistigen Schulung ausgleichen; auch waren z. B.
noch während der hier behandelten Periode sämtliche Kanzlisten und
Schiffbauer in der Türkei Griechen (Alberi III, 1, 118; Zinkeisen III,
292). Auch nahm die osmanische Regierung häufig genug christliche
Techniker, sogar aus feindlichen Staaten, in ihre Dienste. Aber wenn
schon die Türkei dank dieser Ausnutzung europäischer (auch spanisch-
jüdischer; vgl. Ramberti bei Lybyer, »Government« p. 241) Handwerker
und Ingenieure gegenüber anderen orientalischen Staaten (Ägypten,
Persien usw.) eine außerordentlich wertvolle und militärisch sehr
fruchtbare Superiorität erlangte, so vermochte sie doch den Vorsprung
der großen christlichen Rivalen nicht einzuholen. Dazu waren dem
Griechentum in den letzten zwei Jahrhunderten des byzantinischen
Reiches doch zu schwere Schädigungen zugefügt worden; vielleicht
reichte auch die Bildung der regierenden Kreise nicht aus, um unter
den ausländischen Technikern die richtige Auswahl zu treffen.
Die Gewohnheit, die Staatsstellen mit Ausnahme der Richterposten
vorzugsweise, wenn nicht ausschließlich, mit Angehörigen der unter-
worfenen Volksstämme (hauptsächlich Slawen und Griechen, daneben
aber auch Albanesen, ja selbst christlichen Ausländern wie dem Halb-
venezianer Gritti) zu besetzen, hatte außerdem noch zwei besondere
Vorzüge. Der wichtigere bestand darin, daß diese Beamten vollständig
von der Gnade des Herrschers abhängig waren. Auch die vielen Wesiere
slawischer Herkunft, die nach zeitgenössischen Berichten zeitenweise
größeren Einfluß auf die Regierung ausübten als der Sultan selbst
(vgl. z. B. Navagero bei Alberi III, 1, 73 f.; der dort genannte Rustan
war ein Serbe aus Bosnien, p. 88), gründeten ihre Macht letzten Endes
ausschließlich auf den freien Entschluß ihres Gebieters ; weder die Zu-
gehörigkeit zu einer vornehmen Familie noch die Unterstützung einer
Partei noch persönlicher Reichtum schützten sie gegen Entfernung
von ihrem Posten. Die türkischen Herrscher waren in dieser Hinsicht
also sogar noch besser gestellt als die zahlreichen zeitgenössischen Regen-
ten, die, wie z. B. die Tudors, mit Vorliebe Angehörige des Mittelstandes
§ 76. Tnnerpolitische Organisation. 181
zu Inhabern politisch führender Ämter erhoben; die Renegaten, die
von ihnen besonders gern verwendet wurden, waren von aller Verbindung
mit ihren Volksgenossen gelöst, und der faktische Ausschluß der Nach-
kommen ehemaliger hoher Beamter von den Regierungsstellen verhin-
derte dazu noch das Aufkommen eines Beamtenadels. Nicht ganz ohne
Bedeutung war aber auch noch eine andere Folge dieses Systems. Weil
das türkische Prinzip der unbeschränkten Zulassung zu allen Ämtern, die
»münzerische « Ordnung, wie sie Luther aus den Anschauungen des
deutschen Ständestaates heraus schalt (Werke, Erlanger Ausgabe,
XXXI, 56), den in ausländischen Staaten vom Anteil an der Regierung
ausgeschlossenen Klassen verlockende Perspektiven öffnete, kam es
dazu, daß in christlichen Ländern das »Volk« eine eventuelle türkische
Okkupation nicht ohne eine gewisse Sympathie betrachtete. Nicht nur
Luther wußte von Leuten in Deutschland zu reden, die lieber unter
den Türken als unter dem Kaiser und Fürsten sein wollten (ibid. p. 67),
sondern auch ein aus Konstantinopel zurückkehrender venezianischer
Gesandter empfahl einmal das Vorgehen der Türken zur Nachahmung
und meinte, die Republik sollte ebenso wie der Sultan Sklaven in den
unterworfenen Gebieten zu den obersten Stellen erheben (Alberi III,
1, 283).
Dabei hatte die türkische Regierung den weiteren Vorteil, daß
wenigstens innerhalb des einst zum byzantinischen Reiche gehörigen
Gebietes nicht einmal die Sympathien der christlichen Bevölkerung
den Feinden des Staates gehörten. Die Sultane waren bekanntlich
den oströmischen Kaisern auch als Schutzherren der griechischen Kirche
nachgefolgt; sie füllten nicht nur die damit verbundenen Verpflich-
tungen getreulich aus, sondern für die unterworfenen Nationen bildete
ihre Herrschaft zugleich die beste Garantie gegen eine Bedrückung
durch die verhaßte katholische Kirche. Außerdem verfügte die os-
manische Regierung mindestens so frei über die obersten kirchlichen
Würden der griechischen Kirche (speziell das Patriarchat von Kon-
stantinopel) wie die christlichen Herrscher über ihre Landeskirchen;
sie besaßen also die kirchenpolitische Oberhoheit gewissermaßen eben-
sowohl über ihre mohammedanischen wie über ihre christlichen Unter-
tanen.
Literatur. Das Regierungssystem des Osmanischen Reiches während der
hier behandelten Periode ist am vollständigsten dargestellt von A. H. Lybyer,
s>The Government of the Ottonian Empire in the time of Suleiman the Magnificent«
1913 (Harvard Historical Studies 18). Das Werk enthält auch eine Bibliographie,
auf die für alles weitere verwiesen sei. Dazu etwa noch »Das Asafnäme des
Lutfi Pascha« ed. R. Tschudi, 1910.
Angeblich konnten sich die Sultane seit der 1517 erfolgten Eroberung
Ägyptens auch als mohammedanische Kalifen betrachten. In den zeitgenössischen
Dokumenten ist von diesem neuen Titel aber niemals die Rede; auch deutet
nichts darauf hin, daß die türkischen Herrscher nach jenem Zeitpunkte irgend-
wie eine größere Machtfülle besessen hätten als vorher. Vgl. über diese Frage /
G. A. Nalhno, »Appunti sulla natura del i)Ca.lifato(«. in genere e sul presunto i>Cali- '
fato Ottomanoa 1917.
182 Das osmanische Reich.
§ 77. Die Armee. Die Infanterie. Es ist bereits erwähnt worden,
daß ihre günstige finanzielle Position die türkische Regierung in den
Stand setzte, technische Rückständigkeiten in ihrem Rüstimgswesen
auszugleichen. Dies allein erklärt aber noch nicht ihre militärische
Leistungsfähigkeit. Damit die damals wichtigste Waffe, die Infanterie,
den christlichen Staaten gewachsen war, mußte der Reichtum des
Landes und die eigentümliche Zusammensetzung der Bevölkerung auf
eine ganz besondere Art ausgenutzt werden.
Seitdem die osmanischen Heerführer die Herrschaft über große
Gebiete auf dem Balkan angetreten hatten, waren sie, was die Orga-
nisation des Militärwesens betraf, vor ein schwieriges Problem gestellt.
Weiter aus eigenen Kräften Kriegsdienst zu tun, entsprach weder ihrer
Neigung noch hätten die türkischen Scharen dazu der Zahl nach aus-
gereicht; fremde Söldner aber einzustellen, wäre nichts anderes als
eine Wiederholung des abschreckenden Beispieles der byzantinischen
Kaiser gewesen, die schließlich ja hauptsächlich infolge des Engage-
ments türkischer Söldnerarmeen ihren Thron verloren hatten. Die
christlichen Untertanen aber zu bewaffnen, hätte die Grundlagen ihrer
Herrschaft untergraben. Sie griffen daher zu dem Auskunftsmittel,
das unter analogen Verhältnissen bereits arabische Regenten in Bagdad
und später ähnlich in Ägypten angewandt hatten: sie bildeten aus
ursprünglich andersgläubigen Elementen eine ständige Armee, die
mit ihrer ganzen Existenz an die Regierung geknüpft war und weder
vom Auslande in Dienst genommen werden konnte noch mit der
Bevölkerung durch irgendwelche Bande verknüpft war.
Wenn die türkische Regierung aus solchen Erwägungen heraus
ihr Korps der Janitscharen oder »neuen Krieger« schuf, so waren ihr
dabei übrigens die Umstände günstiger als den Gründern der Mame-
lukentruppen. Wenn man in moderner Zeit öfter von einer besonderen
Qualifikation der türkischen Rasse zum Soldatenberuf gesprochen hat,
so steht diese Ansicht zu der historischen Wirklichkeit, mindestens
im 16. Jahrhundert, vollständig im Widerspruch. Die Kerntruppe der
türkischen Armeen, die 8000, später 12000 Mann starken Janitscharen,
bestanden beinahe ausschließlich aus Söhnen der südslawischen und
albanesischen Bauernbevölkerung des Balkans, die von der Regierung
zwangsweise ihren Familien entrissen und durch systematische Er-
ziehung nach Sprache und Religion zu Türken gemacht worden waren;
die Bewohner Anatoliens wurden zu diesem Korps nur spärlich heran-
gezogen und lieferten nach zeitgenössischen Berichten wenig brauch-
bare Soldaten. Wenn die Janitscharen während der hier behandelten
Periode das Reich der Mameluken in Ägypten zerstörten, so siegte also
eine Truppe rein europäischer Abstammung über eine Armee, die in
der Hauptsache türkisch-tatarischer Herkunft war!
Wichtiger als dieser Umstand war, daß die neue Truppe durchaus
aus Infanteristen bestand und die Türkei sonach mit der in Europa
eingetretenen Wendung in der Geltung der Waffen Schritt hielt. Dar-
§|77. Die Armee. 183
über hinaus vermochte die osmanische Infanterie freihch der Entwick-
lung der mihtärischen Technik nicht zu folgen. Die »schweizerische«
Ausbildung wurde bei ihr nie eingeführt, und taktisch waren ihre
Janitscharen den Qualitätssöldnern der christlichen Staaten nicht
gewachsen. Wenn dies der türkischen Sache scheinbar nur geringen
Schaden zufügte, so lag dies nur daran, daß die militärisch-technische
Rückständigkeit durch Vorzüge anderer Art ausgeglichen wurde. Dazu
gehörte vor allem die auf dem leistungsfähigen Finanzsystem (§ 76)
aufgebaute unbedingte materielle Abhängigkeit der Janitscharen von
der Regierung. Sie bildeten die einzige ständig unterhaltene Armee
der Zeit. Der Janitschare, der keine andere Heimat als seine Kaserne
kannte, in der Regel unverheiratet bleiben mußte und nur den Sultan
als seinen Herrn anerkannte, konnte weder aus seinem Beruf in das
Zivilleben zurückkehren noch in den Dienst einer anderen Macht
übertreten, wie bei den Söldnern christlicher Staaten zu fürchten war.
Dazu kam, daß die türkische Regierung ihm größere Vorteile zu bieten
vermochte als andere Fürsten. Die Janitscharen waren in mannigfacher
Hinsicht privilegiert. Wohl noch wichtiger war aber, daß im geraden
Gegensatz zu den Gebräuchen christlicher Staaten Sold und Verpflegung
regelmäßig ausgerichtet wurden. Der Venezianer Ludovisi (Alberi
III, 1, 9) war sicherlich im Recht, wenn er in diesen Umständen den
eigentümlichen Wert der Janitscharen erblickte; er fügte als weitere
Vorzüge hinzu, daß Mannschaft und Führer sich (im Gegensatz zu den
zusammengewürfelten Condottiereheeren) kannten, (im Gegensatz zu
den sonst üblichen Reibereien unter den Nationalitäten) alle dieselbe
Sprache sprachen und daß schließlich der Sultan (im Gegensatz zu der
sonst in allen Armeen herrschenden Praxis) nicht mehr Leute bezahlen
mußte, als eingestellt waren.
Trotzdem hat es übrigens den Anschein, daß die Türkei mit alle-
dem die taktische Superiorität der nach schweizerischer Manier aus-
gebildeten christlichen Heere nicht hätte kompensieren können. Ihr
siegreiches Fortschreiten in Europa reichte gerade nur so weit, als sie
es mit Truppen militärisch zurückgebliebener Staaten wie Ungarn zu
tun hatte, und vielleicht war es nicht nur ihre mangelhafte Artillerie
(s. u.) sondern auch die Inferiorität ihrer Infanterie, die ihre Herrscher
von weiteren Angriffen auf Österreich absehen ließ.
Die Existenz dieses großen, in sich geschlossenen Korps hatte
freilich für die Unabhängigkeit der Regierung die natürlichen schlimmen
Folgen. Die Gefahr eines Überganges zum Feinde oder einer Vereinigung
mit unzufriedenen unterdrückten Volksstämmen bestand allerdings
nicht; wohl aber war Widerstand der allerbedenklichsten Art zu be-
fürchten, sobald die Politik des Sultans mit den Interessen der mäch-
tigen Garde nicht harmonierte. Es hat denn auch, wie bekannt, an
Aufständen der Janitscharen während der hier behandelten Periode
nicht gefehlt; für die Geschichte des europäischen Staatensystems ist
dabei nur von Bedeutung, daß ein Mittel, die Gunst der Janitscharen
184 Das osmanische Reich.
zu erhalten, in der Ausführung neuer erträglicher Kriegszüge bestand
(Navagero bei Alberi III, 1, 56). Die übrigen Streitpunkte waren für
die auswärtige Politik der Türkei ohne Bedeutung; übrigens darf man
auch den eben angeführten Umstand nicht in der Weise übertreiben,
daß man nun glaubte, die damalige Ausdehnungspolitik der Türkei
sei im Grunde überhaupt nur aus Aspirationen der Janitscharen her-
zuleiten.
Kavallerie. Die Janitscharen bildeten die Infanterie (vgl. z. B.
Barbarigo, Alberi 111,3, 150), aber nicht die ganze Armee der türkischen
Herrscher, wenn schon sie öfter von kundigen Zeitgenossen der »Nerv«
des Großtürken genannt wurden (z. B. Alberi III, 1, 55). Ihr
zur Seite stand eine verhältnismäßig recht zahlreiche Kavallerie. An
Reisigen, die es mit der schweren Reiterei christlicher Staaten hätten
aufnehmen können, fehlte es allerdings so gut wie ganz; aber die leichte
Kavallerie war sehr leistungsfähig und im allgemeinen, d. h. soweit
nicht auch den christlichen Staaten Spezialtrupps zur Verfügung
standen, der der europäischen Gegner überlegen. Doch stand diese
Waffe an Bedeutung hinter der Infanterie zurück.
Geschützwesen. Folgenreicher war für die türkische Krieg-
führung, daß die Artillerie der Osmanen es wenigstens mit dem Ge-
schützwesen der nach den modernen Forderungen ausgerüsteten christ-
lichen Großstaaten nicht aufnehmen konnte. — Es war begreiflich,
daß die technische Rückständigkeit der Bevölkerung die Herstellung
und Verwendung der Feuerwaffen erschwerte. Auch bei den Janit-
scharen wurden die Handfeuerwaffen später und in geringerem Um-
fange eingeführt als bei den guten christlichen Söldnern (wenn sie trotz-
dem dem Gebrauche dieses neuen Kampfmittels einen großen Teil
ihrer damaligen militärischen Erfolge verdankten, so geschah dies nur,
weil die Mameluken und [in den ersten Jahrzehnten] die Perser diese
Waffe überhaupt nicht kannten); im Kampfe mit Truppen euro-
päischer Großstaaten vermochten sie diesen wie andere Mängel nur
durch ihre unbedingte Zuverlässigkeit auszugleichen. Aber im Be-
lagerungskrieg lagen die Verhältnisse ungünstiger. So große Sorgfalt
auch die Regierung auf das Geschützwesen verwandte und so sehr sie
auch darauf bedacht war, tüchtige ausländische Büchsenmeister und
Minierer in ihre Dienste zu ziehen, so blieben ihre Leistungen doch
immer hinter denen ihrer wichtigsten Gegner zurück; nur gegen mili-
tärisch verwahrloste Staaten wie Ungarn erwies sich ihre Artillerie als
überlegen. Als Andrea Doria im Jahre 1532 Patras einnahm, wies er
sofort darauf hin, daß ein Teil der erbeuteten türkischen Geschütze,
weil veraltet, modernisiert werden müsse {»faiidroit refaire ä la mode
moderne«; Lanz, »Korrespondenz Karls V.«, II, 17). Allerdings hat
auch hier die gute Ordnung und Disziplin, die das türkische Armee-
wesen auszeichnete, einen gewissen Ersatz geboten. Die Heerführer
kamen nicht in die bei ihren christlichen Kollegen so häufige Lage^
§ 78. Die Marine. [185
daß sie wegen Geldmangels oder Meutereien der Truppen eine Be-
lagerung vorzeitig abbrechen mußten. Wenn Entsatz l'erngehalten wer-
den konnte, so gelang es ihnen verschiedentlich, mit Hilfe der Zeit
Festungen zu bezwingen, die sie nur mit ihren artilleristischen Mitteln
nicht hätten nehmen können. Aber es ist ohne weiteres ersichtlich,
daß dieser Notbehelf nur bis zu einem bestimmten Grade anwendbar
war. Rhodus mochten die Türken auf diese Weise erobern; an Wien
aber brachen sich ihre Angriffe und damit ihr Vorstoß gegen die
Christenheit überhaupt.
Praktisch von viel geringerer Bedeutung war, daß auch die De-
fensivanlagen der Osmanen im allgemeinen schwächer waren als die
der Christen. Denn die gefürchtete türkische Militärmacht kam dank
ihrer offensiven Politik seltener in den Fall, eigene Positionen zu ver-
teidigen, als fremde anzugreifen. Außerdem befand sich die osmanische
Regierung in der vorteilhaften Lage, daß sie verhältnismäßig wenige
Plätze zu befestigen hatte. Sowohl die Sicherheit, die im Innern
herrschte, wie die Gewißheit, daß feindliche Angriffe nicht weit ins
Innere des Landes vordringen könnten, wie schließlich wohl auch Miß-
trauen gegen die unterworfene Bevölkerung, der die Regierung keine
militärischen Stützpunkte anzuvertrauen wagte, führten dazu, daß
die Mauern der nicht in der Nähe der Grenze gelegenen Städte ver-
nachlässigt, wenn nicht geradezu entfernt wurden; selbst die Haupt-
stadt war ganz unbefestigt. Nur die Zitadellen blieben erhalten, ein
Zustand, der noch heute in baulicher Beziehung deutliche Spuren
hinterlassen hat (vgl. A. Philippson, »Das Mittelmeergebiet«, 3. Aufl.
[1914], S. 209; Alberi 1, 2, p. 102 u. 111).
Literatur. Vgl. die Anmerkung zu dem vorhergehenden Paragraphen. Es sei
nur hinzugefügt, daß die venezianischen Relationen für die Kenntnis des türkischen
Kriegswesens eine besonders wertvolle Quelle sind; über keinen anderen Gegen-
stand berichten die Gesandten der Republik so eingehend und sachkundig wie
über die Armee und Marine der Osmanen. — Über die leichte Kavallerie der Türken
vgl. z. B. »Nuntiaturberichte aus Deutschland 1533 — 1559« II (1892), 261. — Über
die frühere Geschichte des türkischen Militärwesens jetzt das beste bei H. A. Gibbons,
»The Foundation of the Ottoman Empires 1916.
§ 78. Die Marine. Die Verhältnisse lagen im Marinewesen prin-
zipiell nicht anders als im Artillerie- und Befestigungswesen. Nur
daß die technische Rückständigkeit der osmanischen Ausrüstung zur
See vielleicht auf die Entwicklung des europäischen Staatensystems
noch stärker eingewirkt hat als die Mängel des Geschützwesens.
Die türkische Regierung hat ihre Augen der Bedeutung der Marine
nie verschlossen, es auch nie an Sorgfalt für diese Waffe fehlen lassen;
aber sie sah sich dabei vor eine schwierige Situation gestellt. Es man-
gelte sozusagen an allen Voraussetzungen für die Errichtung einer
großen leistungsfähigen Flotte. Weder bei den Türken selbst noch bei
ihren Vorgängern in der Herrschaft über Konstantinopel waren die
Elemente dazu zu finden. Die Osmanen besaßen vor der Einnahme
186^ Das osmanische Reich.
der Hauptstadt keine eigene Galeerenflotte, und kaum besser hatte
es mit dem byzantinischen Reiche gestanden, in dem seit der Kom-
nenendynastie die Marine mit ganz wenigen Ausnahmen durchaus
vernachlässigt worden war, so daß die Italiener das Griechische und
das Schwarze Meer vollständig beherrschten (vgl. Geizer bei Krum-
bacher, »Geschichte der byzantinischen Literatur«, 2. Aufl. [1897],
S. 1021, 1056, und denselben, »Byzantinische Kulturgeschichte« [1909],
S. 16; schon im 13. Jahrhundert stellte Venedig die Mannschaft für
die kaiserlichen Schiffe [Ch. Diehl, )>Venisen 1915, S. 39 f]). Unter dem
Druck der italienischen Seestaaten war dann auch die griechische
Handelsschiffahrt zugrunde gegangen, womit die wichtigste Voraus-
setzung für eine starke Kriegsflotte (§ 13) geschwunden war. Es war
ein ungenügender Ersatz, wenn (wie in allen Ländern, die keine eigene
große Handelsmarine besaßen) das Gewerbe der Korsaren sich dafür
beträchtlich entwickelt hatte; denn wenn schon damit den Türken
wenigstens eine gewisse Anzahl brauchbarer Schiffe und geübter See-
leute zur Verfügung stand (vgl. Trevisano bei Alberi III, 1, 141), so
genügte doch diese Beihilfe nicht, um eine Flotte zu schaffen, die der
Marine Venedigs oder Genuas gleichwertig gewesen wäre. Die tür-
kischen Schiffe blieben mit Fehlern in der Konstruktion behaftet,
wurden mangelhaft unterhalten, und die Mannschaft entbehrte zu
einem guten Teile der fachmännischen Kenntnisse. Die Zahl der
Schiffe war wohl sehr groß; aber die Leistungsfähigkeit stand damit
nicht in Einklang. Wohl vermochte auch hier die gute Finanzver-
waltung und die Ordnung, die das türkische Regime vor dem anderer
Länder auszeichneten, Defekte der Ausrüstung teilweise zu kom-
pensieren. Wie bei den Armeen, so war auch auf den Schiffen der
Türken Spiel und Weingenuß verboten; die Bezahlung war pünktlich
und hoch, so daß häufig ausländische (venezianische) Freiwillige in
den Dienst der türkischen Marine traten (Alberi III, 1, 147 f.; Jorga,
»Geschichte des Osmanischen Reiches «1,482, vgl. §68). Die eigentlichen
Schiffstruppen konnten aus Janitscharen gebildet werden, so daß
wenigstens ein Teil der Besatzung aus unbedingt zuverlässigen Leuten
bestand. Aber mit alledem ließ sich der Vorsprung der großen ita-
lienischen Seestaaten nicht einholen. Die sachkundigen Berichte der
Venezianer lassen darüber keinen Zweifel.
Freilich hat die türkische Regierung auch in diesem Falle ihre
Kriegführung in außerordentlich geschickter Weise ihren militärischen
Kräften angepaßt. Ihre Raids zur See richteten sich nur gegen Staaten,
die wie Neapel oder der Kirchenstaat über kleine und in der Ausrüstung
nicht bessere Flotten verfügten; Angriffen auf venezianische Schiffe
gingen ihre Fahrzeuge dagegen w^enn immer möglich aus dem Wege,
und es ist wohl glaublich, daß sogar der Korsarenfürst Barbarossa
sich mit einer feindlichen Armada nur in einen Kampf einlassen sollte,
wenn er über doppelt so viel Schiffe disponierte als sein Gegner (Ludovisi
bei Alberi 1 1 1 , 1 , 20 ; vgl. auch J orga, »Geschichte des Osmanischen Reiches «
§ 79. Organisation des diplomatischen Dienstes. 187
II, 230). Es hing auch wohl mit dieser Selbsterkenntnis der osmani-
schen Regierung zusammen, wenn es nie zu einem Eroberungszug
und zu dauernder Festsetzung in Italien kam. Die Regierungen der
christlichen Länder, zumal diejenigen, die vom Seewesen nur wenig
verstanden, äußerten zwar oft Befürchtungen, daß ein Teil der ita-
lienischen Küstengegend oder der Inseln im Mittelmeer, wie die Ba-
learen, türkisch werden könnte; tatsächlich haben aber die Türken
sich nie an ein solches Unternehmen gewagt. Sie waren über die Grenzen
ihrer Leistungsfähigkeit besser unterrichtet als die Mehrzahl ihrer
Gegner. Den besten Beweis bietet das Engagement der algerischen
Piratenfürsten; diese Verbindung, die einem halb unabhängigen Herr-
scher das Oberkommando über die türkische Flotte überlieferte, wäre
der Sultan wohl nicht eingegangen, wenn er aus den Kräften seiner
eigenen Besitzungen eine starke Flotte hätte schaffen können. Es ist
daher auch unrichtig, wenn Cervantes an einer autobiographischen
Stelle seines »Don Quijote« (p. I c. 39) sagt, vor der Schlacht bei Le-
panto hätte man allgemein in der Christenheit die Türken zu See für
imbesiegbar gehalten; Fachleute, wie die venezianischen Gesandten,
haben schon vorher die Mängel des türkischen Marinewesens klar
genug erkannt.
Als Resultat der vorhergehenden Ausführungen ließ sich etwa
folgendes sagen: die türkische Marine war wenigstens seit ihrer Ver-
einigung mit den Flotten der Barbareskenfürsten die größte des Mittel-
meeres und für Staaten mit kleiner Marine, wie Frankreich und Spanien,
ein gefährlicher Gegner oder wertvoller Bundesgenosse. Dagegen
stand sie technisch so sehr hinter den Flotten der großen italienischen
Seestaaten zurück, daß nur die Uneinigkeit unter diesen sowie das
kluge Vermeiden entscheidender Aktionen von Seiten der Türken
eine Katastrophe verhindern konnte, wie sie nicht lange nach der hier
behandelten Periode bei Lepanto eintrat.
Literatur. Die venezianischen Relationen berichten nicht nur eingehend
über die Zustände in der türkischen Marine, sondern heben häufig genug auch
hervor, wie sehr die osmanische Regierung bei ihrem politischen Kalkül die relative
Flottenstärke der Mittelmeerstaaten in Berechnung zog. Vgl. z. B. in der Relation
Barbarigos vom Jahre 1558 (Alberi III, 3, 158f.) die Stellen, an denen einerseits
die Ignorierung des Papstes durch die Türken betont wird •^per non avere Sua Santitä
ar?nata« und anderseits deren Respekt vor Venedig, y>perche sanno che non vi e principe
alcuno che se li possa opporre con annata se non noi<^.
§ 79. Die Organisation des diplomatischen Dienstes. Die Macht-
stellung des türkischen Staates trat nirgends augenfälliger in die Er-
scheinung als in dem Umstände, daß seine Regierung eines diploma-
tischen Informationsdienstes entraten konnte (vgl. § 3). Wie hätte
ein Reich, das sogar in dem unwahrscheinlichen Falle, daß sich alle
seine Gegner zu einem aggressiven Bündnisse zusammenschließen
würden, seine Position noch hätte behaupten können, — ■ wie hätte
ein solches Reich Wert darauf legen sollen, über Koalitions- oder An-
griffsversuche in fremden Ländern unterrichtet zu werden! Die Türkei
188 Das osmanische Reich.
hat daher als einziger Großstaat keine ständigen Gesandtschaften in
ausländischen Staaten unterhalten. Ja, sie erlaubte sogar nur mit
Mühe, daß auswärtige Regierungen sich bei ihr durch ständige Ab-
geordnete vertreten ließen. Im Anfang hatten überhaupt nur die
Venezianer das Recht, einen ständigen Gesandten in Konstantinopel
zu unterhalten, und auch diesen ihren Bailo (der übrigens zugleich
die konsularische Gerichtsbarkeit über die venezianischen Untertanen
ausübte) sahen die Sultane ungern, so daß sie sogar dessen Entfernung
als eines Spions in Erwägung zogen (vgl. Sanuto I, 323, 399, 644),
Auch wurden selbst in späterer Zeit noch den ausländischen Gesandten
Beschränkungen auferlegt, die deutlich erweisen, daß die Türkei den
diplomatischen Verkehr nicht als ein im gegenseitigen Interesse liegendes
Geschäft, sondern als eine Gefälligkeit von ihrer Seite betrachtete.
Nicht nur bekamen die Gesandten außer bei der feierlichen Empfangs-
und Abschiedsaudienz den Sultan nicht persönlich zu sehen (Trevi-
sano bei Alberi III, 1, 157 f.; vgl. auch ibid. p. 163), was schließlich
noch als eine nationale Eigentümlichkeit ohne politische Bedeutung
aufgefaßt werden konnte, sondern die osmanische Regierung konnte
sich Übergriffe gegen diplomatische Vertreter gestatten, die durchaus
an Praktiken der byzantinischen Kaiser zur Zeit der Großmachtstellung
Ostroms erinnerten (Gefangensetzung des österreichischen Gesandten
Laski im Jahre 1541). Trotzdem kamen die fremden Regierungen den
Türken stets soweit immer möglich entgegen. Man w-eiß, daß damals
gerade in Frankreich mit Vorliebe Prälaten zu diplomatischen Missionen
verwendet wurden; weil man nun aber annahm, daß die Osmanen
christliche Geistliche nicht gern sahen, ordnete die französische Re-
gierung, wenn möglich, Laiengesandte nach Konstantinopel ab (vgl.
das Schreiben in der »Revue d'Histoire liiteraire de la France a XV [1908],
672).
Damit befindet sich auch im Einklang, daß sogar diplomatische
Spezialmissionen von der Türkei nur verhältnismäßig selten abgesandt
wurden. Es fehlt zwar nicht an einzelnen Gesandtschaften an aus-
ländische Regierungen; aber ihre Zahl steht in keinem Verhältnis zu
den Deputationen, die in Konstantinopel eintrafen.
Literatur. Über die französischen Diplomaten in Konstantinopel Bourrilly
in der »Revue historique« 76 (1901), 297ff. und 113 (1913), 64ff. und 268 ff.
§ 80. Die auswärtige Politik der Türkei. Dem Zwecke dieses
Buches entsprechend kann an dieser Stelle nur eine ganz unvollständige
Charakteristik der auswärtigen Politik des Osmanischen Reiches ge-
geben werden. Wer die Beziehungen der Türkei zu dem europäischen
Staatensystem schildern will, muß in der Hauptsache negativ vorgehen.
Denn er muß vor allem die Aufmerksamkeit darauf lenken, daß in dem
Denken und Handeln der türkischen Regenten die Konflikte ihres
Reiches mit den christlichen Staaten Europas an Wichtigkeit durch-
aus zurückstanden hinter den großen Plänen, die sich die Ausdehnung
§ 80. Die auswärtige Politik. 189
der Landesgrenzen über die mohammedanischen Gebiete in Asien und
Afrika zum Ziele gesetzt hatten.
Praktisch militärische Erwägungen und geistig religiöse Gefühle
wirkten vereint in diesem Sinne. Wenn die Türkei sich die technischen
Fortschritte der europäischen Großstaaten nur in unvollkommener
Weise aneignen konnte, so vermochte sie doch immerhin so viel zu
übernehmen, daß sie den benachbarten muselmännischen Reichen
militärisch beträchtlich überlegen war. Es gilt dies vor allem von der
Verwendung der Feuerwaffen, die in Ägypten überhaupt nicht, in
Persien erst in den letzten Dezennien der hier behandelten Periode
Eingang fanden; aber von der Marine wäre Ähnliches zu bemerken,
soweit wenigstens das Reich der Mameluken in Betracht fiel. Religiöse
Impulse trieben dann ebenfalls wenigstens zum Kampfe gegen Persien,
denn der Krieg gegen den Schah war zugleich ein Glaubenskrieg gegen
die schiitischen Schismatiker. Es klingt durchaus glaublich, wenn in
den venezianischen Relationen versichert wird, nicht die Kämpfe mit
den Christen, sondern die mit den Persern seien bei den Türken po-
pulär gewesen; denn der Ketzer wird ja allgemein mehr gehaßt als
der Ungläubige.
Jedenfalls war die imperialistische Politik der Osmanen viel mehr
nach Osten und Süden als nach W'esten gerichtet. Man braucht nur
einen Blick auf das damals neu erworbene Areal zu werfen, um zu
erkennen, daß trotz des Vorstoßes nach Ungarn die in Asien und Nord-
afrika eroberten Gebiete die Annexionen in Europa an Umfang weit
übertreffen. Dabei kann man von dem unsicheren Besitz im Jemen
noch ganz absehen, wo der Sultan nach dem Worte eines gleichzeitigen
Italieners ungefähr ebensoviel Gehorsam fand wie in — Albanien
(Ramberti bei Lybyer p. 258).
Es ist nun aber klar, daß diese Ereignisse in einer Geschichte des
europäischen Staatensystems nicht wohl besprochen werden können.
Der Historiker muß nur ein für allemal auf diesen Charakter der os-
manischen Politik hinweisen, weil nicht nur damals, und zwar auch
bei aktiven Staatsmännern, sondern auch in der Gegenwart vielfach
die Meinung verbreitet ist, das Türkische Reich habe im 16. Jahrhundert
vorzugsweise gegen das christliche Europa eine aggressive Haltung
eingenommen.
Die Stellung zu den christlichen Staaten Europas selbst wurde
vor allem durch die bereits geschilderten militärischen Verhältnisse
bestimmt. Der türkische Vorstoß richtete sich hauptsächlich gegen die
Länder, die den locus minoris resistentiae des europäischen Staaten-
systems bildeten, nicht gegen die Reiche, denen gegenüber natürliche
Konfliktsstoffe vorhanden waren. Einen »natürlichen« Gegner hätte
man an sich hauptsächlich Venedig nennen können. Denn die Markus-
republik besaß in Morea, dem griechischen Archipel und besonders in
Albanien Gebiete, die zur türkischen Ausdehnungssphäre gehörten.
Aber obwohl es deshalb mehrfach zu Kriegen gekommen ist (1498 bis
190 Das osmanische Reich.
1503 und 1537 ff.), so hat doch sowohl die Schwäche der Türkei zur
See (§ 78) wie die Abhängigkeit Venedigs von dem türkischen Getreide
(§ 65 ff.) dazu geführt, daß einen großen Teil der hier behandelten
Periode hindurch zwischen beiden Staaten ein fauler Friede herrschte.
Ähnlich verhielt es sich mit den Beziehungen der Türkei zum Kaiser.
Es wird allerdings glaubhaft versichert, daß die Sultane schon nur als
Nachfolger der oströmischen Monarchen gegen den Usurpator auf
dem christlichen Kaiserthrone einen starken Haß empfunden hätten,
wie auch berichtet wird (Hammer, »Geschichte des Osmanischen
Reiches« III, 475; vgl. auch Bragadin bei Alberi III, 3, Hl), daß den
Janitscharen bei feierlichen Anlässen die Eroberung Roms als der
Hauptstadt der Christenheit in Aussicht gestellt worden sei. Aber
solche gefühlsmäßigen Antipathien traten bei der türkischen Regierung
hinter Erwägungen zurück, die sich auf verstandesmäßiges Abwägen
der relativen Machtverhältnisse stützten. Es war nicht Sache der
osmanischen Herrscher und auch nicht der Janitscharen, sich gleich
der französischen Krone auf militärische Unternehmungen einzulassen,
die große Aufwendungen erforderten und nur unsichere geringfügige
Gewinnchancen versprachen. Nun lagen die Verhältnisse aber so,
daß der Kaiser wenigstens seit der Verbindung mit Genua (und erst
unter Karl V. nahm der Konflikt zwischen Sultan und Kaiser ja eine
akute Form an) über eine beträchtliche Macht zur See verfügte, der,
zumal da auch eine Verbindung des Gegners mit der venezianischen
Marine nicht ausgeschlossen war, die Türkei nicht unbedingt über-
legene Streitkräfte entgegensetzen konnte (vgl. z. B. die Bemerkungen
Trevisanos bei Alberi III, 1, 162 f.; Navageros ibid. 81 u. 84). Daher
besaß der Haß des Sultans gegen den Kaiser für die praktische Politik
nur geringe Bedeutung. Und aus analogen Gründen ist es auch nicht
zu einem Eroberungskriege gegen Rom gekommen. Die türkische Re-
gierung zog in Fällen wie dem Antagonismus mit Österreich die sichere
Tributzahlung einem beschwerlichen Kriege vor.
Venedig, die Habsburger und vielleicht noch Polen-Ungarn waren
die einzigen europäischen Staaten, denen gegenüber man von einer
eigentlichen Politik der Türkei reden kann. Soweit die osmanische
Regierung zu anderen christlichen Ländern in Beziehungen trat, war
ihre Haltung ausschließlich durch die Erwägung bestimmt, welche
Rückwirkung dieses ihr Vorgehen auf ihr Verhältnis zu den beiden
genannten Großstaaten haben würde. Dies gilt insbesondere von der
wichtigsten Verbindung dieser Art, von der Allianz mit Frankreich.
Die venezianischen Gesandten waren wohl sicherlich im Recht, wenn
sie diese freundschaftliche Annäherung ausschließlich aus dem latenten
Kriegszustand entspringen ließen, der zwischen der Türkei und dem
habsburgischen Kaiser herrschte: die Osmanen hielten, wie Trevisano
bemerkt (Alberi III, 1,163), mit dem französischen König gute Bezieh-
ungen aufrecht, hauptsächlich um den Kaiser anderwärts in Kriegen zu
beschäftigen. An sich bestanden ja zwischen der Türkei und Frankreich
§ 81. England (Größe und Bevölkerung). 191
weder Interessengegensätze noch eine Interessengemeinschaft. Wenn
sich die Franzosen, die damals ja die stärkste Militäi macht waren, in
den ersten Jahrzehnten der Periode hätten dauernd in Neapel fest-
setzen können, so hätte sich allerdings ein bleibender Konflikt aus
ihren gelegentliehen Kriegen mit den Türken entwickeln können; da
dies den französischen Königen aber nicht gelang, so war schon vor
Pavia (1525) keine direkte Streitursache mehr vorhanden. Wenn man
zu Beginn des 16. Jahrhunderts nach einem venezianischen Bericht in
Konstantinopel die Kreuzzugsproklamationen der französischen Re-
gierung ernst genommen und gegen den König von Frankreich einen
besonderen Haß empfunden zu haben scheint (Gritti im Jahre 1503
bei Alberi III, 3, 26), so nahmen die Ereignisse den Franzosen bald die
Möglichkeit, auch nur theoretisch Eroberungspläne gegen die Türken
von Italien aus in Erwägung zu ziehen.
b) England.
§ 81. Größe und Bevölkerung. Wenn die Türkei an dem Kampfe
in Italien nur indirekt beteiligt war, weil ihre politischen Aspirationen
mehr nach Osten und Süden als nach Westen gerichtet waren, so stand
England nicht nur aus geographischen, sondern auch aus machtpoli-
tischen Gründen außerhalb des Konfliktes. Das Land konnte weder
seinem Flächenumfange noch seiner Bevölkerungszahl nach mit Groß-
staaten wie Frankreich oder dem habsburgischen Reiche rivalisieren,
und wenn schon seine insulare Lage die ungünstigen Folgen dieses Miß-
verhältnisses einschränkte, so war damit doch nur die defensive Po-
sition des Landes gestärkt, keineswegs aber die Voraussetzung für
eine militärische Offensivaktion im Stile der Festlandsgroßstaaten
geschaffen.
Diese Bemerkungen müssen freilich durch zwei präzisierende
aA.usführungen ergänzt werden.
Zunächst: England war im strengen Sinne des Wortes keine Insel.
Der nördliche Teil Großbritanniens bildete damals bekanntlich noch
einen selbständigen Staat, mit dem die Beziehungen vielfach um so
weniger freundschaftlich waren, als die englische Monarchie Aspira-
tionen auf eine Ausdehnung ihres Herrschaftsbereiches über die ganze
Insel hegte. Aber in politisch-militärischer Hinsicht kann England
trotzdem bereits im 16. Jahrhundert als ein Inselstaat bezeichnet
werden. Schottland war militärisch und politisch so schlecht organi-
siert, daß es sogar in Verbindung mit einem kontinentalen Großstaat
keine Gefahr für England bedeutete (§ 100), und bereits englische
Publizisten des 15. Jahrhunderts konnten ihr Land deshalb einen
»Inselstaat« nennen (Fortescue, t>The Governance of England« ed. Plum-
mer 1885, p. 138; vgl. ferner König Heinrich VIII. bei R. B. Merriman,
»Li/e and Letters of Thomas Cromwell« [1902], II, 279).
Die zweite Bemerkung bezieht sich auf die Frage, wieweit man
Irland in die Berechnung einsetzen darf. Darauf ist wohl keine andere
192 England.
Antwort möglich, als daß für eine Vergleichung, wie sie dem Zwecke
der vorliegenden Darstellung entspricht, Irland außer Betracht fallen
muß. Nicht nur unterstand, zumal in den ersten Jahrzehnten der hier
behandelten Periode, nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der irischen
Insel tatsächlich der englischen Herrschaft (Näheres z. B. bei M. J. Bonn,
»Die englische Kolonisation in Irland« I [1906], 173 ff.), sondern dieser
Besitz brachte dazu der englischen Regierung mindestens so viel Aus-
gaben wie Einnahmen; für die auswärtige Politik resultierte hieraus
also kein Machtzuwachs, wie denn auch die venezianische Relation aus
dem Jahre 1500 (ed. Sneyd; »Camden Society« 1847) überhaupt nicht
von Irland spricht. Für den hier besprochenen Gegenstand kommt
also Irland sozusagen nur in negativer Beziehung in Betracht: für die
auswärtige Politik Englands war durch den Besitz des Landes wenigstens
so viel gewonnen, daß ein Angriff von der westlichen Insel her aus-
geschlossen war und daß deshalb keine Abwehrmaßregeln gegen diese
Seite zu getroffen werden mußten.
England war zumal zu Beginn der hier behandelten Periode, d. h.
als die Tuchindustrie noch in den Anfängen stand, nur schwach be-
völkert. Dies fiel schon Zeitgenossen auf (vgl. die zitierte Relation
S. 31) und wird durch Berechnungen aus englischen Quellen bestätigt;
man darf danach annehmen, daß die Bevölkerung zwischen drei und
dreieinhalb Millionen Seelen betrug oder etwa 22 auf den Quadrat-
kilometer. England besaß also nur etwa ein Fünftel so viel Einwohner
wie Frankreich und ungefähr halb so viel wie Spanien. Seine Bevöl-
kerung scheint sich allerdings gerade während der hier behandelten
Periode stark vermehrt zu haben (gemessen an dem Durchschnitt
früherer Jahrhunderte); aber diese Zunahme hat sich vor 1559 in der
internationalen Politik noch nicht fühlbar gemacht und wurde auch
von der damaligen politischen Spekulation nicht in Rechnung gezogen.
§ 82. Wirtschaftliche Verhältnisse. Wenn England trotzdem in
der internationalen Politik beinahe die Stellung einer Großmacht
einnahm, so verdankte es dies ausschließlich seiner außergewöhnlich
günstigen wirtschaftlichen Position.
Was die Versorgung des Landes mit Getreide betraf, so lagen die
Verhältnisse zwar nicht ganz so vorteilhaft wie bei Frankreich. Teils
weil die Schafzucht größeren Ertrag lieferte als der Ackerbau, teils
weil die Einfuhr von Getreide aus den Ostseeländern ohne Schwierig-
keiten und große Kosten möglich war, wurde der für Getreidebau
geeignete Boden nur ungenügend ausgenutzt (dies wird direkt betont
in der italienischen Relation S. 10), und in Mißerntejahren war das
Land auf Zufuhr aus dem Auslande angewiesen. Aber dies war ein
Ausnahmefall, auch handelte sich dabei es nur um kleine Quantitäten.
Außerdem bestand noch die Möglichkeit, durch intensiveren Getreide-
bau diesem Mangel abzuhelfen, und daß diese Möglichkeit (wohl im
Zusammenhange mit der dichteren Besiedlung des Landes) ausgenutzt
§82. Wirtschaftliche Verhältnisse. 193
wurde, geht schon aus der Tatsache hervor, daß der vor 1470 ganz un-
bedeutende Kornexport sich in den Jahren 1500 bis 1534 verdoppelte
(um dann bis 1554 wieder zu fallen), obwohl damals doch auch die
Schafzucht größere Ausdehnung gewann (vgl. N. S. B. Gras, »The
Evolution of the English Com Market« 1915, p. 220 [»Harvard Economic
Studies« XIII]).
Dies war aber auch der einzige Fall, in dem England für den Bezug
unentbehrlicher Rohmaterialien auf das Ausland angewiesen war.
Beinahe alle anderen Rohstoffe wurden im Lande selbst, und zwar
in der Regel im Überfluß produziert — man müßte denn auch den
Wein zu den unersetzlichen Versorgungsmitteln rechnen; gerade für
England würde dies aber weniger zutreffen als für andere Länder, da
im Zusammenhang mit dem überhaupt rückständigen Befestigungs-
wesen (§ 85) auch die Ausrüstung fester Plätze mit Wein nur unter-
geordnete Bedeutung besaß (an sich zählte der Wein allerdings zu den
wichtigsten Importartikeln). Am reichsten war die Produktion natür-
lich in den Branchen, die mit der Schafzucht zusammenhingen; neben
der Wolle, gegen deren Qualität kein anderes Land aufkam, wurden
auch Felle in großem Umfange exportiert. Daneben aber hatte Eng-
land vor Frankreich nach den großen Vorzug voraus, daß es auch über
einträgliche Bodenschätze verfügte ; besonders wichtig war die Ausfuhr
von Zinn, doch wurde auch Blei in größeren Quantitäten exportiert.
England gehörte also zu den Staaten, die wirtschaftspolitische Repres-
salien nur wenig zu fürchten hatten.
Dieser Umstand gew^ann gerade w^ährend der hier behandelten
Periode große praktische Bedeutung. Als die Tudors zur Herrschaft
gelangten und mit ihnen die Interessen des Mittelstandes (vor allem
des niederen Adels) in der Politik des Landes zu dominieren begannen,
wurden die Pläne auf staatliche Förderung der einheimischen Tuch-
industrie d. h. auf Verarbeitung der bisher in der Hauptsache nach
den Niederlanden gelieferten Wolle durch einheimische Kräfte energisch
an die Hand genommen und, was unter den letzten Herrschern der
gestürzten Dynastie nur unvollkommen hatte zur Ausführung gebracht
werden können, nun von der Regierung systematisch betrieben. Wohl
erlaubte der unentwickelte Stand des englischen Tuchgewerbes noch
nicht, die Ausfuhr von Wolle ganz zu sperren, d. h. die Verarbeitung
der englischen Wolle für die einheimischen Tuchmacher zu monopo-
lisieren; aber der Export der Wolle sowohl wie der Halbfabrikate (der
ungerauhten, ungeschorenen und ungewalkten Tücher) wurde außer-
ordentlich erschwert und zugleich die Zulassung englischer Tücher
zum Verkauf in den Niederlanden erzwungen.
Dem Staate, der durch diese Wandlung am empfindlichsten ge-
troffen wurde, nämlich den Niederlanden, stand nun keine Möglichkeit
zu wirksamen Repressalien zu Gebote. Von Frankreich z. B. war
England trotz seiner vielseitigen Produktion ökonomisch nicht durch-
aus unabhängig. Das französische Königreich lieferte England außer
Fueter, Europ. Staatensystem. 13
194 England.
Wein Salz und Hanf und hätte nach französischer Auffassung durch
eine Sperre dieser Artikel auf die englische Regierung einen Druck aus-
üben können {»Correspondance politique de Odet de Sehe« ed. G. Lefevre-
Pontalis [1888], p. 454, 1548); die Niederlande besaßen keine ähnliche
Waffe. Es ist daher denn auch kein Wunder, daß Flandern in dem
Handelskriege mit England schließlich den kürzern zog und seine Tuch-
industrie durch die englische Konkurrenz beinahe ruinieren lassen mußte.
Die englische Regierung, die übrigens sowohl an dem Metall- wie
an dem Wollexport direkt interessiert war, vermochte ihr Finanzsystem
daher auf einer breiteren Basis aufzubauen als irgendeine andere Re-
gierung der damaligen Zeit. Der ausnutzbare Kapitalreichtum ihrer
Untertanen beruhte sowohl auf der Ausfuhr von Rohprodukten wie
von Industrieerzeugnissen und stellte eine beinahe unveränderliche
Größe dar. Der Ertrag dieser Erwerbszweige war außerdem, je mehr
sich Schafzucht und Tuchindustrie unter dem Schutze der neuen Re-
gimes ausbreiteten, in starkem Zunehmen begriffen; dementsprechend
wuchs auch die Macht des englischen Staates während des hier be-
handelten Zeitraums ständig an, obwohl diese Tatsache sich eigentlich
erst in dem darauffolgenden halben Jahrhundert in der internationalen
Politik deutlich fühlbar machte und vor 1559 selbst so erfahrene Staats-
männer wie Kaiser Karl V. von dieser Veränderung nichts bemerkt
haben (in seinen politischen Testamenten widmet er England nur wenige
Worte). Freilich darf man dabei nicht übersehen, daß eine finanziell
sichere Position schließlich nur eines und nicht immer das wichtigste
Kampfmittel im Streite der Staaten ist und daß der Reichtum Eng-
lands durch seine mangelhafte militärische Rüstung (§ 85) und seine
geringe Bevölkerungszahl als mehr denn kompensiert betrachtet werden
konnte.
Sicher ist nur, daß wenigstens auf dem finanziellen Gebiete alle
die Mängel, die dem englischen Wirtschaftsleben im übrigen anhafteten,
durch diesen Aufschwung des Tuchgewerbes wettgemacht wurden.
So zog die geringe Entwicklung des englischen Handwerkes, die tech-
nische Rückständigkeit aller Gewerbebetriebe mit Ausnahme der Tuch-
fabrikation keine ökonomisch schädigenden Folgen nach sich. Von
Fabrikaten wurden aus England allerdings nur Produkte der Textil-
branche exportiert (vgl. z. B. die Angabe bei Gras, »Com Market«,
p. 203, 1549); aber genügten diese neben den Rohstoffen nicht, um
eine günstige Handelsbilanz zu schaffen ? Ebensowenig waren die
sozialpolitischen Störungen, die sich an die Umwandlung ehemaliger
Ackerbauflächen in Schafweiden (die sog. »inclosures «) anschlössen,
von bedenklichen Folgen begleitet. Die »Utopia« Thomas Morus' und
viele andere publizistische Schriften der Zeit führen allerdings in ebenso
beweglichen wie unverständigen Worten über die angebliche Verelendung
Englands Klage, die durch die mit der neuen Weidwirtschaft zusammen-
hängende Vertreibung von Ackerbauern von ihrem Lande hervor-
gerufen werde. Aber es handelte sich dabei nur um eine Übergangs-
§ 83. Inneipoli tische Organisation. 195
Erscheinung: binnen kurzem fanden die Volksklassen, die infolge der
Ausdehnung der Schafzucht ihre frühere Tätigkeit hatten aufgehen
müssen, in der sich immer mehr ausbreitenden Tuchindustrie Arbeits-
gelegenheit. Wie wenig von Arbeitslosigkeit gesprochen werden konnte,
wird schon allein durch die Tatsache belegt, daß England noch viel
weniger als Frankreich Söldner für den Kriegsdienst abzugeben in der
Lage war. Englische Söldner, die im Auslande Dienst genommen
hätten, sind so gut wie gar nicht nachzuweisen. Es scheint sogar, daß
dieser Fall damals noch viel weniger vorkam als in der vorhergehenden
Zeit, wozu allerdings wohl nicht nur die größere Verdienstmöglichkeit,
sondern auch die mangelnde Ausbildung in der neuen schweizerischen
Taktik beitrug. Aber auch dieser Umstand läßt sich nur in dem Sinne
deuten, daß kein Bedürfnis zur militärischen Verwendung eines Men-
schenüberschusses bestand. Hätte England damals mehr junge Männer
besessen, als es hätte ernähren können, so hätte sich dort die neue
Infanterietaktik ebenso leicht einführen lassen wie z. B. in Spanien.
Tatsächlich aber führte die englische Regierung sogar ihre eigenen
Kriege zum größten Teile mit ausländischen Kriegsknechten.
Literatur. Reiches Material bietet das Buch von Georg Schanz »Englische
Handelspolitik gegen Ende des Mittelalters«, 2 Bände, 1881, dessen darstellende
Partien sich allerdings recht an der Oberfläche halten. Von den Quellen haben die
venezianischen Relationen für England nicht dieselbe dominierende Bedeutung wie
für andere Länder, da die große englische Publikation der »Calendars of State Papers«,
die immer noch fortgesetzt wird, auch zur Wirtschaftsgeschichte eine Fülle zuver-
lässigen Materials zutage gefördert hat; ergänzt wird diese Regestensamnilung
durch die Veröffentlichungen französischer Gesandtschaftsrapporte wie der »Am-
bassades en Angleterre de Jean du Bellayn (ed. Bourrilly und Vaissiere 1905), die
•')Correspondance politique de Castillon et Marillac« (ed. Kaulek, 1885) und die »Cor-
respondance politique de Odet de Selve« (ed. Lefevre-Pontahs, 1888). Vgl. ferner das
zitierte Buch von Gras über die Entwicklung des englischen Getreidemarktes (1915)
und L. F. Salzmann, »English Industries of the Middle Ages« (1913). Friedrich
Schultz, »Die Hanse und England«, 1911 (»Abhandlungen zur Verkehrs- und See-
geschichte«, ed. Schäfer V). — Wenig ergiebig, mindestens für die hier behandelten
Probleme ist die »Englische Wirtschaftsgeschichte« von Georg Brodnitz, von der
ein erster, bis ungefähr 1500 reichender Band 1918 erschienen ist.
§ 83. Die innerpolitische Organisation. Die Kapitalien, die sich
infolge dieser günstigen wirtschaftlichen Verhältnisse in England an-
sammelten, standen der Regierung für ihre auswärtige Politik in bei-
nahe unbeschränktem Maße zur Verfügung.
Der Form nach disponierte der englische König allerdings nicht
so frei über das Vermögen seiner Untertanen wie der König von Frank-
reich oder der Sultan von Konstantinopel. Auch reichten die ihm ohne
weiteres zu Gebote stehenden Einnahmen aus Zöllen und lehenrecht-
lichen Abgaben, so beträchtlich sie auch waren, nur für die staatlichen
Bedürfnisse in Friedenszeiten aus; um die Mittel zu erhalten, die zur
Führung eines Krieges notwendig waren, mußte die Bewilligung der
Stände eingeholt werden. Aber die Zeitgenossen sind nicht weniger
als die modernen Rechtshistoriker darin einig, daß das Recht des Par-
is*
196 England.
lamentes, Subsidien zu bewilligen, nur theoretische Bedeutung hatte.
»Die alte Macht des Parlamentes besteht nur noch der Form nach«,
bemerkte der Venezianer Micheli im Jahre 1557. »Niemand wagt dort
gegen den Willen des Königs auch nur zu mucksen {fare lui minimo
cenno), er wollte sich denn offenem Verderben aussetzen.« Die Könige
machen von den Ständen nur noch Gebrauch, um für ihre eigenen
Wünsche Deckung zu suchen« (Alberi I, 2, 318 f.; vgl. auch die vene-
zianische Relation von 1500, S. 52 usw.). Und nicht anders drückt
sich Maitland aus { »Constitution al History of Englands 1913, p. 251).
Diese Gefügigkeit der Stände hatte verschiedene Ursachen. Die
wichtigste war wohl, daß das Königtum die einzige wirkliche Macht
im Staate darstellte. Seitdem die Barone ihre Privatarmeen verloren
hatten und der König infolge zahlreicher Konfiskationen zum reichsten
Grundbesitzer im Lande geworden war, es außerdem auch keine Pro-
vinzen mit militärischen Sonderrechten und keine starkbefestigten
großen Städte gab, fehlte es an mächtigen Persönlichkeiten und Zentren,
auf die sich eine Opposition hätte mit Erfolg stützen können. Die früher
allein herrschenden Magnaten hatten sich allerdings mit der neuen
Monarchie noch keineswegs abgefunden. Mehrfach kam es zu Auf-
standsversuchen, speziell von den nördlichen Grafschaften aus, wo
das ehemalige Regiment der Barone weniger durchgreifend gebrochen
war als im Süden. Aber das Mißlingen aller dieser Unternehmungen
beweist zur Genüge, daß die Alleingewalt der Krone durch keine An-
griffe des hohen Adels mehr erschüttert werden konnte ; obwohl das
Königtum militärisch gegen Revolten dürftig ausgerüstet war und
seine Abwehraktion in der Regel langsam und mangelhaft einsetzte,
trug es doch schließlich stets den Sieg davon.
Dabei war anderseits gerade der Umstand, daß eine Wiederkehr
der ehemaligen Adelsanarchie nicht ausgeschlossen schien, eine der
mächtigsten, wenn nicht die mächtigste Stütze der Monarchie. Alle
die Klassen, die unter dem früheren Zustand gelitten hatten, standen
in diesem Kampfe auf der Seite der Krone, und da sie, d. h. der Mittel-
stand auf dem Lande und in den Städten auch im Unterhause domi-
nierte, so konnte die Regierung dor^ nicht nur auf äußerlichen Ge-
horsam, sondern auf innerlich zustimmende Beihilfe zählen. Wie
hätte die Gentry auch nicht zu einem Regimente halten sollen, das
handelspolitisch sowohl durch die Begünstigung der Wollindustrie
wie durch den beinahe vollständig durchgeführten Verzicht auf kost-
spielige Eroberungskriege auf dem Festlande ihren Interessen ent-
gegenkam, in Verwaltung (im königlichen Rat z. B.) und Diplomatie
soweit möglich Angehörige des Mittelstandes verwandte und Mitglieder
der ehemals regierenden Familien in der Hauptsache von der Regierung
ausschloß und das Gerichtswesen dem Einfluß der Magnaten nach
Kräften zu entziehen bemüht war! Wie hätte eine Monarchie in diesen
Schichten nicht populär sein sollen, deren typische Vertreter Minister
wie Wolsey und Cromwell waren, von denen der zuletzt genannte dann
§ 83. Innerpolitische Organisation. 197
u. a. auch die zunächst noch geschonte Machtstellung des hohen Adels
in' den nördlichen Gral'scliai'ten brach, indem er nach der iNiederwerfung
der sog. »Pilgrimagc oj Grace« im Jahre 1537 es durchsetzte, daß das
»Council of the North« mit Niedriggeborenen besetzt wurde {i>Life and
Letters« ed. B. Merriman 1 [1902], 198 ff. ; die Aufständischen hatten
im Gegenteil die Entfernvmg alles willain blood« aus dem Geheimen
Rate verlangt: Fronde, »Henry VIII«, eh. 13)!
Dazu kam dann noch die direkte Abhängigkeit eines Teils der
Parlamentsmitglieder vom Könige. Im Oberhause konnten alle Bi-
schöfe als loyale Helfer der Krone betrachtet werden, da die Besetzung
der hohen geistlichen Würden in England vor und nach der Refor-
mation beinahe uneingeschränkt in den Händen der Regierung lag.
Außerdem konnte der König Laienpeers nach Belieben ernennen. Im
Unterhause verfügte er über eine Anzahl ganz von ihm abhängiger
Wahlflecken {boroughs) und besaß daneben das Recht, ergebenen Ge-
meinden das Recht zur Delegation von Parlamentsmitgliedern zu
erteilen. Und wenn sogar diese Versammlung sich nicht willfährig
erwies, so blieb immer noch der Ausweg der benevolences genannten
Zwangsanleihen, für die dann leicht nachträglich vom Parlamente
Amnestie zu erhalten war. Auch trafen die Steuern gerade den Mittel-
stand nicht schwer.
All dies zusammen verlieh der englischen Krone eine solche Macht-
stellung, daß das Königtum es nicht einmal für nötig hielt, ihre Herr-
schaft mit der Gewalt der Waffen zu stützen. Denn für gewöhnlich
verfügte die Regierung nur über schwache militärische Kräfte. Eine
kleine Leibgarde und einige ausländische Söldner machten beinahe den
ganzen Bestand der stehenden Armee aus, und ebensowenig gab es feste
Plätze, über die der König im Falle eines Aufstandes hätte unbedingt
verfügen können. Eine Ausnahme bildete nur der Londoner Tower;
aber auch dort ließ die Ausrüstung technisch vieles zu wünschen übrig.
Es traf vollständig zu, wenn der Venezianer Micheli im Jahre 1557
bemerkte, daß England gegen den inneren Feind so wenig wie gegen
den äußeren Festungen besitze (Alberi, »Relazioni« I, 2, 303 f.). Ebenso
blieb es ohne gefährliche Folgen, daß zwar an die Spitze der Verwal-
tung von der Krone abhängige Angehörige neuer und machtloser Fa-
milien gesetzt wurden, daneben aber keine ausgebildete königliche Bureau-
kratie nach dem Muster der kontinentalen Staaten geschaffen wurde.
Bemerkt sei schließlich noch, daß dieses Regiment unter Hein-
rich VII. bereits so fest fundiert wurde, daß die unter Heinrich VIII.
durchgeführte vollständige Nationalisierung der Kirche, soweit es sich
um die unbeschränkte Herrschaftsgewalt der Krone und die auswärtige
Politik handelte, keine nennenswerte Veränderung mehr nach sich zog.
Im allgemeinen nahm allerdings die Macht des Königtums während
der hier behandelten Periode zu; aber dies hing in der Hauptsache nur
mit dem Umstände zusammen, daß die anfänglich recht prekäre Stel-
lung der Tudors infolge der Reorganisationsarbeiten der neuen Dynastie
198 England.
besser konsolidiert wurde und die späteren Herrscher daher auf oppo-
sitionelle Bewegungen weniger Rücksichten zu nehmen brauchten, als
es Heinrich VII. noch hatte tun müssen.
Literatur. Neben den im Texte bereits genannten Werken und den all-
gemein verfassungsgeschichtlichen Arbeiten bietet eine gute Einführung in die
Organisation der damaligen englischen Regierung die vortreffliche Biographie, die
M. Creighton Wolsey in der Serie »Twelve Engtish Statesmen« gewidmet hat (erste
Auflage 1888). Dann die verschiedenen Werke von A. F. Pollard; vor allem sein
»Heinrich VIII.« (zuerst 1902, mit Anmerkungen 1905) und sein »England under
Protector Somerset« (1900). — Von monographischen Abhandlungen seien hier nur
genannt: M. H. Dodds und R. Dodds, »The Pilgrimage of Grace«, 1915; J. Glayton,
»Robert Kelt and the Norfolk Rising (1549)«, 1912; A.P.Newton, »The King's
Chamber under the Early Tudors« in der »English Historical Review«, Juli 1917.
§ 84. Die auswärtige Politik. In anderen Abschnitten ist die Or-
ganisation des Wehrwesens im Zusammenhang mit der inneren Politik
der Regierung besprochen worden. Bei einer Beschreibung des eng-
lischen Armeewesens wäre diese Anordnung des Stoffes unzweckmäßig.
Entscheidende Voraussetzungen der englischen auswärtigen Politik
waren die wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes und die finanziell
unabhängige Position der Krone; die Zustände im englischen Wehr-
wesen dagegen waren eine Folge und nicht eine Ursache des neuen
außenpolitischen Kurses. Natürlich hat dann die militärische Orga-
nisation des Landes auf die auswärtige Politik auch wieder eine Rück-
wirkung ausgeübt. Aber das primäre Moment war nicht die Qualität
der militärischen Machtmittel, sondern der bewußte Entschluß der
englischen Regierung, mit den Zielen der früheren auswärtigen Politik
zu brechen. Es muß daher zuerst über diesen Gegenstand gehandelt
werden.
Die Tudormonarchie bezeichnet bekanntlich vor allem deshalb
einen Abschnitt in der englischen Geschichte, weil von ihr an alle eng-
lischen Regierungen bewußt und systematisch von Eroberungskriegen
auf dem europäischen Festlande absahen, die Aspirationen also auf-
gaben, die in den unmittelbar vorhergehenden Jahrhunderten die aus-
wärtige Politik des Landes beherrscht hatten. Der Staat verzichtete
nicht auf seine Erweiterungspläne; aber er bezog Frankreich nicht
mehr in diese ein. Der Mittelstand, der mit der neuen Dynastie an die
Regierung gelangt war, mochte des Handelsverkehrs mit den Nieder-
landen wegen noch an Calais festhalten; die Eroberung festländischen
Bodens zu politischer oder ökonomischer Ausnutzung wurde nicht
mehr in Betracht gezogen.
Es ist ohne weiteres ersichtlich, daß dieser Umschwung auf die-
Verfassung des englischen Wehrwesens einen entscheidenden Einfluß
ausüben mußte. Die englische Regierung hatte nun keinen Grund mehr,
ihre Landarmeen und ihre Artillerie nach den letzten Anforderungen
der Technik umzugestalten; es genügte, wenn ihre Ausrüstung den
mangelhaften Kampfmitteln angepaßt war, die Schottland und etwa
noch irische Clanhäuptlinge gegen sie aufbieten konnten.
§ 85. Die Armee. 199
Daß die englische Monarchie diese Wandlung durchführen konnte,
war an sich allerdings nicht ihr Verdienst. Ohne die insulare Lage des
Landes, zu der sich noch die relative Schwäche Frankreichs zur See,
die neue italienische Politik der französischen Krone und die zurück-
gebliebene militärisch-politische Organisation Schottlands gesellten,
hätte sie die Modernisierung ihres Wehrwesens nicht so ungestraft
unterlassen dürfen, wie dies der Fall gewesen ist. Aber trotzdem bleibt
die Tatsache bestehen, daß der Entschluß, diese insulare Lage auszu-
nutzen, auf einen Willensakt der englischen Regierung zurückzuführen
ist; die Verhältnisse haben diesen neuen Kurs wohl ermöglicht, aber
nicht erzwungen.
§ 85. Die Armee. Die englische Armee kann daher ganz kurz
besprochen werden. Ihre Organisation wurde (abgesehen von der
Friedenspolitik der Regierung) hauptsächlich bestimmt durch die
technische Rückständigkeit des englischen Handwerkes und die dünne
Besiedelung des Landes. Ökonomische Not trieb die Bewohner Eng-
lands nicht zum Soldatenberuf, und keine hochentwickelte Technik
stellte dem Staate Waffen zur Verfügung, die den modernen Anfor-
derungen entsprachen.
Es fehlte daher gänzlich an einer modern geschulten Infanterie,
Nicht nur wurde die schweizerische Taktik nicht eingeführt, sondern
England hielt nicht einmal mit den Neuerungen der Schießtechnik
Schritt. Da das englische Gewerbe im allgemeinen nicht einmal die
Pulverfabrikation zu übernehmen vermochte, geschweige denn daß
komplizierte Geschütze hätten hergestellt werden können (doch vgl.
§ 86), so hielt die englische Regierung an der Verwendung von Bogen-
schützen fest. Nun waren allerdings dafür die englischen Truppen
in dieser Waffe wirklich geübt, und zumal in den ersten Jahrzehnten
der hier behandelten Periode stand der Bogen an militärischer Wirkung
den Handfeuerwaffen noch nicht unbedingt nach , die mangelhafte
Schulung im Gebrauch der Handbüchsen und die Abhängigkeit vom
Ausland für den Bezug dieser Waffen zogen also nicht so gefährliche
Folgen nach sich, wie man an sich hätte annehmen können; aber nach-
teilig blieb diese Rückständigkeit doch. Noch schlimmer stand es mit
der Reiterei, die in England überhaupt fehlte; der Staat verfügte weder
über Reisige noch über leichte Kavallerie.
Im Fortifikationswesen stand es im Prinzip nicht anders. Aber
hier läßt sich ein bedeutungsvoller Unterschied konstatieren, der zur
Evidenz beweist, daß die englische Regierung nur dank der insularen
Lage des Landes das Wehrwesen vernachlässigen durfte. Die Festungen
in England selbst, auch die Hafenplätze, wo man doch immerhin mit
der Möglichkeit französischer Angriffe rechnen mußte, sowie die Be-
festigungsanlagen an der schottischen Grenze wurden sehr mangelhaft
unterhalten. Aber mit den Besitzungen auf dem Festlande verhielt es
sich ganz anders. Auf die Befestigung von Galais und der übrigen Plätze
200 England.
in Frankreich, die der hochentwickelten französischen Artillerie (§ 29)
widerstehen mußten, verwandte die englische Krone große Sorgfalt,
und es scheint denn auch, daß sie ihr Ziel erreichte: die englischen
Anlagen in Calais vermochten bis zum Ausgang der Periode den fran-
zösischen Angriffen relativ erfolgreich Widerstand zu leisten. Ähn-
liches läßt sich von der Schiffsartillerie bemerken, — die Gründung
einer Kriegsmarine wurde eben gleichfalls von der Regieiung als poli-
tische Notwendigkeit empfunden. Aber auch hier wurde nur das Un-
entbehrliche getan.
Den fremden Regierungen war diese militärische Schwäche Eng-
lands natürlich wohl bekannt. Wenn der englische Großsiegelbewahrer
bei der Eröffnung des Parlamentes im Jahre 1559 darauf hinwies, daß
das Land nicht einmal mit den einfachsten Verteidigungsmitteln aus-
gerüstet war (Froude, »Elizabeth«, eh. 1), so waren dies beinahe die-
selben Worte, mit denen gleichzeitig der spanische Gesandte den Ver-
treter der Königin auf die Gefahr eines französischen Angriffes auf-
merksam machte, »you (die Engländer) being without money, men.
armour, fortresses, practise in war, or good captains« (Thomas Wright,
»Queen Elizabeth« I [1838], 7); aus früheren Jahren hatten italienische
Diplomaten Ähnliches berichtet. Speziell den Spaniern konnten diese
Zustände schon deshalb nicht verborgen bleiben, weil die Niederlande
seit langem das Defizit der englischen Ausrüstung an Pulver, Feuer-
waffen und Pferden ausgleichen mußten; die Ausfuhrbewilligungen
für diese Artikel gingen natürlich durch die Hand der niederländischen
Regierung (vgl. z. B. Wright, ibid. p. 9 und 11).
Literatur. .J. W. Fortescue, t>History of the British Army« I (1910). — Neben
den Angaben der englischen Akten, die auch für diesen Gegenstand sehr reichhaltig
sind, bieten auch die venezianischen Relationen manches. Den Mangel an Ein-
übung bei den englischen Truppen betonen z. B. Barbaro und Micheli (Alberi I, 2,
252, 254, 299). Barbaro hebt p. 257 f. auch ausdrücklich hervor, daß es in Calais
ausnahmsweise nicht an geschulter Bedienungsmannschaft für die Geschütze fehlte.
Daß die Engländer keine Kavallerie besaßen, wird besonders von F. Guicciardini
hervorgehoben {»Discorsi politici« III und IV; t)Opere inedite« I [2. Aufl.), 221 und
233). Über die Festungen ebenfalls zahlreiche Angaben bei den Venezianern; cha-
rakteristisch ist übrigens auch, daß als König Heinrich VIII. Dover befestigen lassen
wollte, er Ingenieure aus Spanien kommen lassen mußte (Froude, »Henry VIII«.
eh. 14). Über die Vernachlässigung der Zucht von Militärpferden (die in England
gehaltenen Pferde waren für den Kriegsdienst nicht zu gebrauchen) auch Micheli
bei Alberi I, 2, 301 f. Dieser weist übrigens auch darauf hin (p. 300f.), daß (ent-
sprechend dem zurückgebliebenen Handwerksbetriebe in England) auch die Schutz-
waffen von geringer Qualität waren. Als 1539 England in Deutschland Geschütz
bestellte, ersuchte es zugleich auch um geschulte Bedienungsmannschaft (Crom-
well, »Life and Letters« II, 189).
Vgl. ferner Ernest Law, »Englands First Great War Minister« 1916 (über
die Organisierung der Expedition des Jahres 1513 durch Wolsey) ; Traill, »Social
England«\\ (ill. Edition 1902).
§ 86. Die Marine. Ganz anders verhielt es sich mit der Marine.
Die Verhältnisse lagen an sich für die Schaffung einer Kriegsflotte
kaum günstiger als für die Bildung einer leistungsfähigen Infanterie
§ 86. Die Marine. 201
und einer modernen Anforderungen entsprechenden Artillerie. Aber
während die Regierung zu Lande so gut wie alles unterließ, um diesem
Mangel abzuhelfen, wandte sie der Rüstung zur See große, wenn schon
nicht kontinuierliche Sorgfalt zu.
In England hatte bisher beinahe jeder Impuls zur Gründung einer
Kriegsmarine gefehlt. Zunächst war die eigene Handelsschiffahrt ganz
unbedeutend, und da auch in den Meeren des iNordens Kriegsschiffe
hauptsächlich zur Abwehr gegen die Korsaren gehalten wurden (vgl.
§ 13), so fiel für die englische Krone das wichtigste Moment für den
Unterhalt von Schiffen weg. Dazu kamen aber militärische Erwägungen.
Der Krieg mit Frankreich wurde zu Lande ausgefochten, und die Ver-
bindung zwischen England und dem Festland wurde durch die relativ
unbedeutende französische Flotte kaum bedroht; auch in dieser Be-
ziehung lag somit kein Anlaß zur offiziellen Förderung der Marine vor.
Das englische Gewerbe an sich besaß aber w-eder Neigung noch wohl
auch das Geschick, sich dem Bau von militärisch verwendbaren Schiffen
zu widmen. In Notfällen gewährten außerdem die wegen der unent-
behrlichen englischen Rohstoffartikel stets zahlreich in den Häfen
liegenden fremden Schiffe (die nach damaligen Rechtsbegriffen bei
Ausbruch eines Krieges requiriert werden konnten) einen genügenden
Grundstock zur Bildung einer Flotte.
Ansätze zu einer Änderung dieses Systems sind vereinzelt schon
früher nachweisbar; aber eine eigentliche Wandlung hat auch hier
erst mit dem Regimente der Tudors eingesetzt. Die Verhältnisse modi-
fizierten sich in zwiefacher Hinsicht. Zunächst wurde England, seit-
dem der Mittelstand mit der neuen Dynastie zur Herrschaft gelangt
war, aus einem rohstoffproduzierenden Land zu einem selbst fabri-
zierenden und selbst seine Fabrikate ausführenden Staate. Dieser
Wandel vollzog sich natürlich nur allmählich, und die ganze hier be-
handelte Periode wird noch der Zeit des Übergangs vom alten Wirt-
schaftszustand zum neuen zugerechnet werden müssen. Aber ein
Anfang wurde doch schon damals gemacht, und die Regierung griff
bereits unter dem ersten Tudor in bestimmter Weise ein: englische
Fahrzeuge wurden vor fremden bei der Einfuhr begünstigt durch De-
krete, in denen man Vorläufer der Navigationsakte erblicken kann
(vgl. Schanz, »Handelspolitik« I, 302 und II, 532) und für den Bau
von Schiffen wurden vorbereitende Anstalten getroffen; wenn die
Zahl der unter der Regierung König Heinrichs VII. gebauten Schiffe
auch nicht beträchtlich ist, so wurde unter ihm doch das erste Trocken-
dock in England errichtet {»Naval Accounts and Inventories« ed. M. Op-
penheim 1896, p. XXXIV u. XXVII), und unter seinem Nachfolger
entfaltete die Regierung dann auch eine eifrige Tätigkeit im Bau von
Schiffen, damals wurde auch zum ersten Male ein »Marineministerium«
(Navy Board) in England geschaffen (ibid. p. XIII f.). Bereits unter
Heinrich VII. wurden auch Prämien für Schiffsbauer ausgesetzt (ibid.
p. XXIX).
202 England.
Die andere Veränderung bestand in der neuen militärischen Lage.
England verzichtete seit den Tudors im allgemeinen auf große mili-
tärische Expeditionen auf dem Festland; "dadurch gewann die Flotte
eine größere Bedeutung, es lag ihr nun sowohl die Verteidigung des
eigenen Landes gegen feindliche Einfälle wie die Ausführung von Raids
gegen feindliche (französische) Küstenstriche ob, und je mehr die
Regierung das Armeewesen vernachlässigte, um so wichtiger wurde
die Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Marine. Auch dieser
Aufgabe hat sich die englische Regierung nicht entzogen, und wenn
schon in den späteren Jahren Heinrichs VIII. und auch unter dessen
Nachfolgern der Flotte geringere Aufmerksamkeit zugewendet wurde,
als in den ersten Jahrzehnten, so blieb doch der Zustand des Gleich-
gewichtes mindestens mit der französischen Flotte stets gewahrt. Es
geht dies schon daraus hervor, daß die Franzosen nie einen Angriff
mit Landung in England versucht haben, so oft auch die englischen
Staatsmänner eine solche Operation befürchteten.
Die englische Regierung scheint dabei auch erreicht zu haben,
daß das einheimische Handwerk wenigstens einen Teil der Ausrüstung
übernehmen konnte. Das Material zum Tauwerk mußte zwar aus dem
Auslande bezogen werden; aber die Verarbeitung geschah in der Haupt-
sache in England. Ähnliches gilt für die Schiffsartillerie. Wenn auch
die Geschütze zum größten Teil aus dem Auslande importiert werden
mußten, so wurde wenigstens das Pulver in England hergestellt, und
nach und nach gelang es, wenigstens einen Teil der gegossenen Kanonen
in England zu fabrizieren (vgl. Oppenheim ibid. p. XXXII f.). Außer-
dem sorgte die Regierung, solange der Schiffbau noch unentwickelt war,
durch Kauf oder Konfiszierung fremder (spanischer) Schiffe für vor-
läufiges Ausfüllen der Lücken (p. XXX f.). Es ging dies um so eher
an, als die englische Regierung nicht dieselben Schwierigkeiten in der
Bemannung ihrer Fahrzeuge zu überwinden hatte wie die Mittelmeer-
staaten. Da sie keine Galeeren verwandte oder verwenden konnte
(§ 14), fiel die Sorge um die Beschaffung eines eingeübten Ruderer-
personals weg (vgl. darüber vor allem A. F. Pollard, »England under
Protector Somerset« [1900], p. 63, n. 2).
Literatur. Die wichtigsten Werke über die englische Marine der Zeit sind
die beiden in den Publikationen der »Navy Records Society a erschienenen Bände:
»Naval Accounis and Inventories of the Reign of Henry VII a, ed. M. Oppenheim
(1896) und »Letters and Papers relatingto theWarwith France 1512— 1513«, ed. A.Spont
(1897). Von dem Herausgeber des zuerst genannten Bandes Michael Oppenheim
gibt es außerdem eine »History of the Administration of the Royal Navy, 1509—1660«
(1896). — J. A. Wilhamson, Maritime Enterprise, 1485—1558«, 1914; Julian S. Cor-
bett, »Brake and the Tudor Navy«, 1898 (die Einleitung I, 1—56); Walter Vogel,
in der Festschrift für Dietrich Schäfer, »Forschungen und Versuche« (1915), p. 320ff.
Über die Dekadenz der englischen Marine in den späteren Jahren der Re-
gierung Heinrichs VIII. vgl. z. B. La Ronciere, »Histoire de la Marine frangaise« III
(1906), 411. Über die Befürchtungen eines französischen Angriffs auf England
vgl. z. B. »Life and Letters of Th. Cromwell« I, 214; Fronde, »Elizabeth«, eh. I (1559).
Für die relative Stärke gegenüber Frankreich ist neben den Ereignissen selbst
§ 87. Organisation des diplomatischen Dienstes. 203
vielleicht auch das Urteil Monlucs bezeichnend, der die Engländer ausdrücklich
tüchtiger zur See als zu Land nennt {Commentaires, ed. Courteault 1 [1911], 300 = 1.
II ad 1545); noch bestimmter drückt sich MicheH aus (Alberi, »Relazioni« I, 2,
347). Vgl. auch das Schreiben König Heinrichs II. von Frankreich aus dem Jahre
1549 bei Champollion-Figeac, »Melanges historiques«Ul (1847), 599f. (in den Docu-
ments inedits). — Kleinere Ruderschiffe wurden natürUch auch in England verwandt;
vgl. die zitierte Pubhkation von Spont, p. 151 und 143, und auch Corbett, »Drake«
p. 24, 31, 56; Soranzo bei Alberi I, 3, 59.
König Heinrich VIII. ließ noch im Jahre 1548 itaUenische Schiffbauer kommen
(Zitat bei Gorbett I, 36). Der französische Gesandte Marillac kritisiert noch im
Jahre 1540 die Mannschaft auf den enghschen Schiffen, die schlechter sei als die
Geschütze ; übrigens bestand sie zu einem guten Teile aus Ausländern ( »Correspon-
dance«, ed. Kaülek, 1885, p. 226f.); auch brauchten die Engländer zwei Jahre, um
ein Schiff segelfertig zu machen.
§ 87. Die Orgauisation des auswärtigen Dienstes. Es ist gezeigt
worden, wie die nur in Ausnahmefällen überwundene Abneigung der
englischen Regierung gegen eine militärische Intervention in die großen
Machtkämpfe der Festlandstaaten zu einer Vernachlässigung des
Rüstungswesens führte. Nicht dieselben Folgen traten in der Organi-
sation des auswärtigen Dienstes auf. Man könnte im Gegenteil behaup-
ten, daß die englische Krone um so eifriger ihre diplomatischen Kampf-
mittel pflegte, je geringere Aufmerksamkeit sie ihren militärischen zu-
wandte. England gehörte zu den Mittelstaaten, die ihren diplomati-
schen Informationsdienst am systematischsten einrichteten.
Es ist nicht leicht zu entscheiden, welche Gründe dabei für die
englische Regierung hauptsächlich bestimmend waren. Man kann
nur annehmen, daß ursprünglich wohl vor allem das Bedürfnis nach
Sicherung des damals noch recht prekären neuen Regimentes den
Anstoß hab: die Diplomatie mußte sowohl dazu dienen, die Usur-
patorendynastie der Tudors durch Verschwägerung mit anderen Königs-
häusern auf eine festere Grundlage zu stellen, wie über Komplotte zu
informieren, die im Auslande von ihren Gegnern angezettelt wurden.
Später scheint hauptsächlich das Bestreben maßgebend gewesen zu
sein, das Defizit an militärischen Machtmitteln durch diplomatische
Arbeit auszugleichen oder wenigstens daraus keine gefährlichen Kon-
sequenzen erwachsen zu lassen. Die englische Regierung konnte um
so eher hoffen, auf diesem Wege etwas zu erreichen, als sie dank ihrer
günstigen finanziellen Position (§ 83) anderen Staaten, zumal den für
gewöhnlich über ungenügende Geldmittel verfügenden Habsburgern
Leistungen zu offerieren vermochte, die kaum minder wertvoll waren
als direkte militärische Unterstützung.
Es gab sogar eine Periode, da die englische Regierung infolge des
scheinbaren Gleichgewichts, das zwischen den beiden um Italien kämp-
fenden Mächtegruppen bestand, sich einbilden konnte, sie halte trotz
ihrer unbedeutenden militärischen Ausrüstung die letzte Entscheidung
in der Hand. Es war dies die Zeit vor der Schlacht bei Pavia; damals
hat der leitende Staatsmann Englands, Kardinal Wolsey, eine beinahe
schiedsrichterliche Rolle zwischen Frankreich und dem Hause Oster-
204 England.
reich zu spielen versucht. Aber dieser Politik fehlte trotz der unge-
brochenen finanziellen Stärke Englands zu sehr die reale militärische
Basis, als daß sie sich lange hätte halten können: als Pavia und die
daran anschließenden militärischen Operationen gezeigt hatten, daß
die Superiorität der Waffen definitiv bei den Habsburgern ruhte, war
es auch mit der einflußreichen diplomatischen Stellung der englischen
Regierung vorbei. Hatte doch schon im Jahre 1521 der päpstliche
Nuntius einmal bemerkt, der englische König besitze nicht die Macht,
einer gegebenen Tatsache gegenüber Krieg oder Frieden durchzusetzen
(vgl. W. Busch, »Drei Jahre«, S. 122).
Die Organisation des Gesandtschaftswesens selbst stand mit der
allgemeinen Konstitution des Tudorregimentes im Einklang. Zu diplo-
matischen Vertretern wurden so gut wie ausschließlich Männer gewählt,
die von der Regierung abhängig waren; Angehörige der Magnaten-
geschlechter hatten keinen Zutritt. Die Krone erreichte damit nicht
nur, daß ihre Diplomaten ihre gefügigen Werkzeuge waren, sondern
auch, daß ihre Gesandten ihrer neutralen Politik keine Opposition
machten. Denn bei den ehemals herrschenden alten Familien war die
neue Versöhnungspolitik gegenüber Frankreich nichts weniger als
populär, und wenn die Regierung ihre mit den Interessen des Mittel-
standes übereinstimmenden Tendenzen zur Ausführung bringen wollte,
so mußte sie die Barone nach Möglichkeit von der auswärtigen Politik
fernhalten.
Literatur. Neben den Akten selbst ( die vor allem in den »Calendars « resümiert
sind) führen in die auswärtige Politik Englands gut ein die beiden Schriften von
Wilhelm Busch, »Drei Jahre englischer Vermittlungspolitik, 1518 — 1521« (1884),
und »Kardinal Wolsey und die englisch-kaiserliche Allianz 1522 — 1525« (1886).
Gute Bemerkungen in ähnlichem Sinne auch bei Pollard, »Factors in Modern History«
(1907). — Arnold Oskar Meyer, »Die englische Diplomatie in Deutschland zur Zeit
Eduards VI. und Marias« 1900 (Breslauer Diss.).
Daß auch für England die Errichtung ständiger Gesandtschaften etwas voll-
ständig Neues war, wird negativ gut belegt durch die Bemerkung Fortescues in der
»Governance of England« (ed. Plummer 1885, p. 124 und 241 f.). Diese Schrift gibt
überhaupt wohl die beste zeitgenössische Schilderung des politischen Systems,
wie es in England vor den Tudors existierte; es sei hier auch darauf hingewiesen,
wie er dafür plädiert, daß der König nur Männer zu Beamten ernenne, die ganz von
ihm abhingen (p. 150f.), obwohl dabei von der Wahl der (noch nicht bestehenden)
ständigen Gesandten natürlich nicht die Rede ist.
§ 88. Stellung zu Schottland. Die in § 84 skizzierten Verhältnisse
lassen es unnötig erscheinen, die Beziehungen Englands zu den übrigen
Staaten im einzelnen eingehend darzustellen. Nur der Stellung zu
Schottland sei ein besonderer Abschnitt gewidmet.
Es ist nicht ganz einfach, das Verhältnis Englands zu Schottland
zu definieren. Der neue Kurs, den die englische Regierung nach außen
hin eingeschlagen hatte, führte sozusagen von selbst dazu, daß die
Angliederung des schottischen Königreiches an das englische nun das
vornehmlichste Ziel der auswärtigen Politik des Landes wurde, schon
nur weil sich nur auf diesem Wege die Sicherheit gegen militärische
§ 88. Stellung zu Schottland. 205
Angriffe schaffen ließ, die die Voraussetzung der pazifisliselien Ver-
nachlässigung des Rüstungswesens war. »Wenn wir heide uns in Freund-
schaft einen, sind wir durchaus imstande, uns gegen alle Völker zu
verteidigen; haben wir die See als unsere Mauer, gegenseitige Zu-
neigung als unsere Besatzung und Gott zu unserer Verteidigung, so
brauchen wir uns weder im Frieden vor irgendeiner feindlichen Macht
zu schämen noch im Krieg zu ängstigen,« schrieb der Protektor Eng-
lands im Jahre 1548 an das schottische Volk (vgl. Pollard, '>>England
linder Protector Somerset ((^ p. 163 f.). Aber weder der Adel noch gar die
Krone zeigten sich in Schottland diesem Projekt einer friedlichen Ab-
sorption freundlich gesinnt, und es blieb also nur der Weg einer gewalt-
samen Unterwerfung übrig. Um diese Methode mit Erfolg anwenden
zu können, war aber eben England nicht genügend militärisch gerüstet.
An Bevölkerungszahl und Finanzkraft dem nördlichen Königreiche
unendlich überlegen, in der offenen Feldschlacht auch stets siegreich,
hatte England doch sein Militärwesen viel zu wenig systematisch ge-
pflegt (§ 85), als daß es sich an einer Annexion des Nachbarstaates
hätte versuchen können.
Dazu kam noch, daß die militärische Situation sich gerade im
Zusammenhange mit der neuen Orientierung der auswärtigen Politik
für England verschlechterte. Seitdem Frankreich auf dem Festlande
keine ernsthaften englischen Angriffe mehr zu fürchten hatte, lag die
Gefahr vor, daß es sich im Falle eines diplomatischen Konfliktes mit
den Schotten gegen England zur Offensive verband, und diese Even-
tualität erschien um so bedenklicher, als französischer Sukkurs die
Schotten gerade in der Waffe zu verstärken vermochte, die von der
englischen Regierung mangelhaft gepflegt worden war, nämlich im
Artillerie- und Fortifikationswesen. Tatsächlich ist dieser Fall denn
auch verschiedentlich eingetreten, und wenn die Franzosen Söldner
nur in geringer Anzahl nach Schottland abordneten, so pflegten sie
dafür Geschütze, Munition und Befestigungstechniker in reichem Maße
zu entsenden, und die englische Flotte war nicht imstande, solche
Transporte zu verhindern. Dadurch wurde Schottland ein militärisch
viel gefährlicherer Gegner als früher, und zugleich wurde seine Unter-
werfung die direkte Voraussetzung diplomatischer Handlungsfreiheit
auf dem Kontinent. Nicht nur um unmittelbar defensiver Ziele willen
verlangten nun einzelne englische Staatsmänner die Angliederung
Schottlands, sondern auch um gegen Frankreich nötigenfalls aggressiv
vorgehen zu können. In diesem Sinne sprach sich wenigstens — aller-
dings noch vor Pavia — der spätere Minister Thomas Cromwell (allem
Anschein nach) im Parlamente im Jahre 1523 aus {»Life and Letters«
1, 30ff. ; vgl. auch Giustiniani bei Tommaseo, »Relations« I, 180).
Wenn die französisch-schottische Allianz für England trotzdem
keine schlimmen Folgen gehabt hat, so waren daran nur die inneren
Zustände in Schottland und vor allem das Eindringen der protestan-
tischen Bewegung schuld. Kirchenpolitische und religiöse Aspirationen
206 England — Mailand.
ließen in Schottland die nationale Abneigung gegen eine Verbindung
mit England zurücktreten, und die englische Regierung konnte sich
auf der Basis dieser gemeinsamen Interessen mit der schottischen
Opposition gegen das Königtum vereinigen. Dadurch wurde die schot-
tische Regierung eines guten Teiles ihrer Mittel im Kampfe gegen
England beraubt, und das Bündnis mit Frankreich vermochte nicht
eigentlich Früchte zu tragen. Es liegt hier einer der wenig zahlreichen
Fälle vor, da schon damals die lutherische Reformation einen Einfluß
auf die auswärtige Politik ausübte. Der französische Gesandte am
Kaiserhofe konnte bereits im Jahre 1548 versuchen, Karl V. dadurch
von einer Unterstützung der englischen Regierung abzuhalten, daß er
den Kaiser darauf hinwies, eine solche Hilfeleistung befördere die Ein-
führung der protestantischen Religion in Schottland (P. de Vaissiere,
»Charles de Marillac« [1896], p. 93 f.).
§ 89. Stellung zu den übrigen Staaten. Die Schilderung der Be-
ziehungen, die England zu den übrigen Staaten unterhielt, kann kurz
gehalten werden; diese Verhältnisse hatten teils überhaupt nur geringe
Bedeutung, teils übten sie wenigstens auf das damalige zentrale Problem
der europäischen Politik keinen Einfluß aus.
Seitdem die englische Regierung mit den früheren Zielen ihrer
auswärtigen Politik gebrochen hatte, folgte auf die Gegnerschaft zu
Frankreich zwar nicht sofort freundschaftliches Einvernehmen. Ein
latenter Gegensatz blieb weiter bestehen, und England nahm, sobald
es sich überhaupt in die kontinentalen Händel einmischte, gleichsam
von selbst seine Position bei den Feinden Frankreichs, zumal solange
das französische Königreich als die militärisch stärkste Macht die Selb-
ständigkeit der Mittelstaaten zu bedrohen schien. Aber ein eigentlicher
Konfliktsstoff bestand nicht mehr. Allerdings hatten die Engländer
als letzten Rest ihrer französischen Eroberungen das Gebiet von Calais
(mit Guines, Ardres usw.) behalten und waren zunächst um so mehr
entschlossen, an diesem Besitze festzuhalten, als die Beherrschung
eines festländischen Stapelplatzes wie Galais in gleicher Weise den
englischen Handelsinteressen, wie den finanziellen Interessen der Krone
förderlich war (vgl. G. Schanz, »Handelspolitik« I, 66). Aber wenn
die englische Regierung die kommerzielle Stellung der Stadt zu heben
versuchte, so richteten sich ihre Bestrebungen gegen die Niederlande,
nicht gegen das nur wenig Handel treibende Frankreich (vgl. §27);
als Ausgangspunkt für militärische Unternehmungen bedeutete der
Ort aber keine ernste Gefahr, da die Engländer militärisch wenig leistungs-
fähig waren und große Mühe hatten, auch nur die defensiven ^^'erke Calais
gegen die Franzosen in genügendem Stand zu erhalten. So vollzog sich
denn auch, als am Ende der Periode England auf Calais verzichtete, in
dem gegenseitigen Verhältnis der beiden Staaten keine Veränderung.
Anlaß zu Konflikten hätte eher in dem Verhältnis zu den Nieder-
landen vorliegen können. Aber die Position Englands als des den
§ 90. Mailand. 207
Rohstüif, die Wolle für die flandrische Industrie liefernden Landes war
so viel stärker als die des Gegners, daß die häufigen handelspolitischen
Zwistigkeiten ohne Waffengewalt in der Hauptsache zugunsten Eng-
lands entschieden werden konnten. — Mit der Hanse bahnten sich
Konflikte damals erst an, da die englische Flotte noch zu klein war,
als daß sie die Konkurrenz mit der Schiffahrt der norddeutschen Städte
hätte aufnehmen können. Immerhin unterließ die enghsche Regierung
nicht, mit den nordischen Staaten, besonders Dänemark, in direkte
Beziehungen einzutreten, um die dortige Monopolstellung der Hanse
für den englischen Handel nicht zu drückend werden zu lassen. Doch
hatte dies, da zwischen der Politik der Hansestädte und der des Kaiser-
hauses kein innerer Zusammenhang bestand, für die Haltung Englands
in den großen europäischen Streitfragen keine Folgen. Ähnliches gilt
von den handelspolitischen Streitigkeiten mit Venedig.
Solange Frankreich der englischen Regierung noch gefährlich
schien, d. h. vor Pavia, gehörte neben den Habsburgern auch Spanien
zu den Staaten, mit denen das Land soweit wde möglich gute Beziehungen
unterhielt. Wichtige Nachwirkungen hat aber auch dies Verhältnis
nicht hinterlassen, obwohl die wirtschaftlichen Beziehungen zu Spanien
nicht unbedeutend waren,
B. Die kleineren Staaten.
1. Die am Kampfe um Italien unmittelbar beteiligten Staaten.
§ 90. Mailand. Mit Mailand beginnt die Reihe der Staaten, die
der Historiker nicht mehr als Mitglieder des »Europäischen Konzertes«
(um einen Begriff des 19. Jahrhunderts in das 16. zu übertragen) be-
zeichnen kann. Das Herzogtum gehörte zu den Ländern, die sich nur
im Gefolge einer oder mehrerer Großmächte an dem entscheidenden
internationalen Konflikte beteiligen konnten; an dieser Stelle muß
daher eine kurze Notiz genügen.
Außerdem ist noch in Betracht zu ziehen, daß von den Klein-
und Mittelstaaten der eben genannten Kategorie Mailand am raschesten
seine Selbständigkeit verlor. Das Herzogtum war zwar von den Staaten,
die unter die Hegemonie der Großmächte fielen, weder der kleinste
noch der am mangelhaftesten organisierte; aber seine geographisch-
strategische Lage war die ungünstigste, und seine Eroberung versprach
größere Vorteile als die Beherrschung eines anderen kleineren Landes.
An sich war Mailand eher als manche andere Staaten befähigt,
seine Unabhängigkeit zu behaupten. An Bevölkerungszahl (ungefähr
1125000 Seelen) stand das Herzogtum in Italien nur hinter Neapel,
Venedig und dem Kirchenstaat zurück, an Reichtum nur hinter Venedig.
Seine Qualitätsindustrie (Textilindustrie in Seide und Wolle, Gold-
brokat, Samt, Waffenfabrikation) hatte, besonders was die zuletzt
genannte Branche betraf, auf dem Weltmarkte beinahe Monopol-
208 Kleinere italienische Staaten.
Stellung (sogar die gerühmten Produkte der süddeutschen Waffen-
schmiede standen hinter den in Mailand angefertigten Schutzwaffen
zurück), und als Schnittpunkt der Handelsstraßen, die nach dem Gott-
hard zu strebten, war Mailand außerdem ein ansehnlicher, wenn schon
an Bedeutung hinter Venedig zurückstehender Handelsplatz. Als Folge
dieser prosperierenden Exportindustrie war das Herzogtum allerdings
dicht bevölkert (ca. 57 Einwohner auf den Quadratkilometer), und
Commines war nicht im Unrecht, wenn er (II, 260) die Lombardei zu
den am stärksten besiedelten Gegenden seiner Zeit rechnet. Aber dieser
Umstand zog hier weniger gefährliche Folgen nach sich als in anderen
Industrie- oder Handelsstaaten, vor allem als in Venedig. Obwohl die
Kultur des Reises sich erst auszubreiten begann, lieferte sie doch schon
ansehnliche Beträge, und in der Regel reichte der einheimische Ge-
treidebau noch zur Ernährung aus; ein venezianischer Gesandter hebt
denn auch einmal ausdrücklich die außerordentliche Fruchtbarkeit
des Mailändischen hervor, das jede Art Lebensmittel hervorbringe
{»Relazioni« ed. Segarizzi II [1913], 63 [in den »Scrittori d'Italia«]).
Mailand war, was den Bezug von Lebensmitteln betraf, nur für das
Salz auf das Ausland angewiesen.
Aber verlockte schon dieser Reichtum eher zu Angriffen der Groß-
mächte, als daß er einen Schutz dagegen geboten hätte, so kam noch
hinzu, daß dank der eigentümlichen Entwicklung der Marineverhält-
nisse im Mittelländischen Meer die Beherrschung Mailands der eigent-
liche Schlüssel zur Hegemonie über Italien, zu dem Hauptziele der
damaligen internationalen Politik also, war. Wer Mailand besaß, ver-
fügte auch über die wichtigste Voraussetzung, um Genua abhängig
zu machen, und das hieß, daß dem Herrn des Herzogtums die einzige
große Marine zu Gebote stand, die im Mittelmeer überhaupt von den
Großmächten unbeschränkt, d. h. ohne lästige Allianzverpflichtungen
in Dienst genommen werden konnte. Mailand war also, seitdem ein-
mal der Kampf um Italien ausgebrochen war, militärisch so wertvoll
geworden, daß die Großmächte seine Selbständigkeit, genauer gesagt
die Möglichkeit, daß es von der rivalisierenden Gruppe okkupiert werden
könnte, als eine Gefahr empfanden.
Wie hätte sich das Herzogtum gegenüber solchen Aspirationen
verteidigen können! Dem Nachteil seiner offenen Grenzen suchte die
Regierung zwar durch Festungsbauten abzuhelfen, von denen min-
destens zwei (die Zitadelle von Mailand und Gremona) zu den stärksten
Fortifikationsanlagen wenigstens Italiens gehörten. Aber so wertvoll
sich diese Befestigungen auch erwiesen, so war damit kein unangreif-
bares Bollwerk geschaffen, wie es Venedig in seiner Hauptstadt besaß.
Auch konnte damit die Eroberung des Landes nur aufgehalten, aber
nicht verhindert werden. Dazu kam noch, daß es in anderen Waffen-
gattungen bei weitem schlechter stand. An leistungsfähigen Reisigen
fehlte es so gut wie ganz, und leichte Kavallerie war noch weniger zu
erhalten, so daß sich die Regierung gelegentlich zur Anwerbung von
§ 90. Mailand. 209
Stradioten bis nach Triest wenden mußte (L. G. Pelissier, »Louis XII
et Ludoüic Sforza« I [1896], 434). Die Geschütze mußten aus dem
Auslande (Venedig) bezogen werden, da die mailändische Industrie
offenbar für die Herstellung von Feuerwaffen nicht eingerichtet war.
Nicht einmal über eine nach modernen Prinzipien geschulte Infanterie
verfügte die mailändische Regierung unbedingt. Der Staat war zwar
finanzkräftig genug, um die mangelhaften einheimischen Truppen durch
bessere fremde Söldner zu ergänzen oder zu ersetzen. Aber einer rich-
tigen Ausnutzung dieser günstigen Lage stellten sich politische Schwierig-
keiten entgegen. Am natürlichsten wäre es gewesen, wenn die mai-
ländischen Herzoge brauchbare Infanteriesöldner aus dem Ursprungs-
lande der neuen Taktik, den schweizerischen Kantonen, bezogen hätten.
Sie strebten auch dahin, und da sie außerdem noch mit Hilfe einer even^
tuellen Kornsperre auf die getreidearmen Gebirgskantone eine ökonom-
ische Pression ausüben konnten, so schienen sie auf den Zuzug schweizer-
ischer »Knechte« rechnen zu können. Aber die Eidgenossen nahmen
Mailand gegenüber eine andere Stellung ein als gegenüber Frankreich. Mit
diesem bestanden keine Konfliktsstoffe; das Herzogtum Mailand lag
dagegen, zumal für die Urkantone, die aus verschiedenen Gründen
am ehesten in der Lage waren, Söldner abzugeben, innerhalb der Aus-
dehnungssphäre, auf die sie schon lange ihren Blick gelenkt hatten.
Es widersprach daher den schweizerischen Interessen, Mailand zu
stärken; denn die Aspirationen der Eidgenossen auf die Gebiete süd-
lich der Alpen ließen sich nur erfüllen, wenn das Herzogtum schwach
war und sich um sich ihre Hilfe zu erkaufen, zu territorialen Kon-
zessionen verstehen mußte. Noch im Jahre 1520 (d. h. kurz bevor die
Reformation die Expansionspolitik der Schweizer lahmlegte) meinte
ein venezianischer Gesandter, Mailand würde nächstens ein schwei-
zerischer Kanton werden, und besonders Como werde nächstens in
eidgenössische Gewalt fallen {»Relazionin ed. Segarizzi II, 29). Es ist
daher verschiedentlich vorgekommen, daß Gesuche der mailändischen
Regierung um den Abschluß einer »Kapitulation« von den Eidgenossen
abgelehnt wurden (vgl. z. B. Gagliardi im »Jahrbuch für schweizerische
Geschichte« XXXIX [1914], 151* f.). Wohl versuchte Mailand, Surro-
gate zu finden, etwa Walliser Söldner oder Landsknechte anzuwerben.
Aber ein gleichwertiger Ersatz für die schweizerischen Infanteristen
war damit nicht geschaffen. Dazu kamen noch Schwierigkeiten anderer
Art. Das mailändische Regiment war lange nicht so populär wie die
milde venezianische Herrschaft, die die Untertanenstädte nur wenig zu
den Kosten der Regierung heranzog, und die Herzoge konnten in Kriegs-
zeiten von der Loyalität der Städte wenig erwarten. Die kleinen ita-
lienischen Gondottierefürsten zogen, wie es scheint, den Dienst bei
Venedig dem bei Mailand vor und waren vielfach für die Herzoge erst
erhältlich, nachdem sie Venedig entlassen hatte; man darf annehmen,
daß die Markusrepublik nicht nur besser bezahlte als das mailändische
Herzogtum, sondern für langfristige Verträge auch größere Garantien bot.
Fuet er], Europ.^Staatensystem. 14
210 Kleinere italienische Staaten.
Aber selbst wenn die Herzoge von Mailand über eine stärkere
Armee verfügt hätten, so wäre es aus den zu Beginn dieses Paragraphen
angeführten Gründen nicht wahrscheinlich gewesen, daß der Staat
seine Selbständigkeit hätte behaupten können. Mailand war nun
einmal nach Areal und Bevölkerungszahl nicht imstande, den Kampf
mit einer Großmacht aufzunehmen, und moralische Bedenken wie
diejenigen, die den Kirchenstaat vor der Annexion schützten (§ 92),
bestanden zu seinen Gunsten keine.
Außerdem stieg der Wert seines Besitzes noch während der hier
behandelten Periode in bedeutendem Maße. Seitdem die habsburgische
Personalunion zwischen Österreich, den Niederlanden und Spanien
erfolgt war, gewann nicht nur die Verfügung über die genuesische
Marine noch größere Wichtigkeit als vorher, sondern die Beherrschung
des Landes garantierte der habsburgischen Regierung auch allein eine
rasche Verbindung zwischen Spanien und Österreich.
Literatur. Fr. Malaguzzi-Valeri, )>La Corte di Lodovico il Moro«, 1913. Vieles
Hierhergehörige bieten ferner die Arbeiten Pelissiers über die französische Herr-
schaft in Mailand: »Louis XII et Ludovic Sforza« 2 vol. 1896; »Documents pour rhis-
toire de la Domination frangaise dans le Milanais«, 1891, und die Diarien Sanutos;
die Venezianer Heßen sich begreiflicherweise aus Mailand besonders regelmäßig
und eingehend berichten.
Mailand und Genua heißen die Schlüssel zur Herrschaft über Italien in dem
Gutachten Gattinaras an den Kaiser aus dem Jahre 1523/24 bei Ernest Gossart,
»Notes pour servir ä Vhistoire du regne de Charles-Quint« in den Denkschriften der
belgischen Akademie 55 (1897), p. 112; vgl. ferner ibid. p. 70f. Mailand war dank
seiner Beherrschung Genuas zu Beginn der hier behandelten Periode in der Lage,
seinen Bundesgenossen »armierte« Schiffe (vergl. § 14) anzubieten: »Lettres de
Charles VIII« V (1905), 48 ff. und 64 f.
Über die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Schweizern und Mailand
vieles in der im Text zitierten Abhandlung von E. Gagliardi im »Jahrbuch für
schweizerische Geschichte« 39 und 40. Wie groß die Vorteile waren, die die Herzoge
den Eidgenossen als Kompensation für Werbelizenzen neben der freien Einfuhr
von Getreide und Salz gewährten, geht schon daraus hervor, daß deutsche Kauf-
leute versuchten, ihre Ware als schweizerische Fabrikate einzuschmuggeln, um die
Privilegien der Schweizer auszunutzen (Schreiben der mailändischen Zöllner aus
dem Jahre 1498 bei A. Schulte, »Mittelalterlicher Handel« II [1900], 97 f.).
Durch eine Getreideausfuhrsperre einen Druck auf die Eidgenossen auszu-
üben, schlug bereits im Jahre 1475 der Sindaco von Biasca dem Herzog vor: »De-
peches des Ambassadeurs milanais« I (1858), 256.
Charakteristisch ist, daß 1499 als Waffen, die von Mailand an Kaiser Maxi-
milian geliefert werden, Lanzen und Brustharnische, aber keine Feuerwaffen genannt
werden (Gagliardi im »Jahrbuch« 40,84*). Ludovico Sforza mußte damals seine Ge-
schütze aus Brescia kommen lassen (Pelissier, »Louis XII« I, 437 und 443), wo
Kanonen sogar nach französischen Modellen verfertigt wurden (W. H. Woodward,
»Cesare Borgia«, 1913, p. 254). Damit steht auch im Einklang, daß die Befestigungs-
anlagen mancher mailändischen Städte als der französischen Artillerie in keiner
Weise gewachsen galten (Pelissier 1. c. I, 464). Wenn also einmal ein venezianischer
Gesandter meint, die Mailänder seien so sehr an der Waffenfabrikation interessiert,
daß sie gern immerfort Krieg hätten {Relazioni, ed. Segarizzi II [1913], 18), so
bezieht sich dies nicht auf die Herstellung von Feuerwaffen.
Zur Organisation des diplomatischen Dienstes in Mailand vgl. die Bemer-
kung in § 3.
§ 91. Florenz. 211
§ 91. Florenz. Die Republik (später Herzogtum) Florenz vermochte
im Gegensatz zu Mailand ihre nominelle Selbständigkeit zu behaupten
und gegen Ende der Periode sogar ihr Gebiet um das Areal der Nach-
barrepublik Siena zu erweitern. Aber es wäre unrichtig, wenn man
daraus schließen wollte, daß der Staat eine stärkere Potenz innerhalb
des europäischen Staatensystems gebildet hätte. In Wirklichkeit wurde
Florenz vielmehr wie andere kleine Gemeinwesen in Italien nur durch
seine Schwäche vor völligem Untergang gerettet. Seine geringe mili-
tärische Leistungsfähigkeit, noch mehr aber die Gegensätze innerhalb
der Bürgerschaft der Hauptstadt, die dazu führten, daß eine stabile
Regierung nur mit Hilfe einer ausländischen Militärmacht geschaffen
werden konnte, hatten zur Folge, daß die Großstaaten das Land in
Form eines Protektorates von sich abhängig zu machen vermochten,
ohne zur Annexion zu schreiten wie im Falle Mailands. Dazu kam
allerdings noch, daß der Besitz des florentinischen Gebietes vom mili-
tärischen Standpunkte und vor allem für die Seeherrschaft bei weitem
nicht die Bedeutung hatte wie die Herrschaft über Mailand; das Land
repräsentierte somit für die Großmächte einen geringeren Wert. Wie
sehr dies in Betracht fiel, d. h. wie sehr gerade dieser Umstand von
einer direkten Okkupation absehen ließ, wird wohl durch nichts deut-
licher belegt als durch die Tatsache, daß der Punkt der toskanischen
Küste, der für die Schiffahrt die größte Wichtigkeit hatte, nämlich
Piombino, von den Habsburgern der florentinischen Regierung nie
bleibend überlassen wurde (vgl. über die Bedeutung des Fürstentums
für den Kaiser z. B. Mendozas Schreiben aus dem Jahre 1548 bei Döl-
linger, »Beiträge zur politischen usw. Geschichte« I [1862], 147 f.).
Von dem Besitze Piombinos hing eben für die über Italien herrschende
Macht zu viel ab, als daß man diesen Küstenstrich sogar in den Händen
eines so loyalen Gefolgsmannes wie des Herzogs Cosimo hätte lassen
mögen; was das übrige florentinische Gebiet betraf, so war die Gefahr
eines eventuellen Abfalles weniger bedenklich.
Florenz (das hier natürlich überall ohne den erst gegen Ausgang
der Periode erfolgten Zuwachs des Gebietes von Siena betrachtet wird)
stand sowohl an Ausdehnung des Areals wie an Bevölkerungszahl
hinter den übrigen italienischen Mittelstaaten zurück: sein Territorium
war sogar noch kleiner als das mailändische, und der Bevölkerung
(750000 bis 800000 Seelen) nach war der Abstand noch größer. Die
Republik hatte vor Mailand nur voraus, daß ihr Gebiet ans Meer grenzte ;
aber da sie keine Flotte besaß und von den Küstenstädten mindestens
Pisa gerade während des damaligen Zeitraumes sich als unzuverlässiger
Besitz erwies, so war dieser Vorzug von geringem Werte und kam
vielleicht nicht einmal dem Nutzen gleich, der für Mailand aus der
natürlichen Beherrschung Genuas entsprang.
Dazu kam noch, daß in keinem anderen Staate des damaligen Ita-
liens der Ertrag der kapitalproduzierenden Arbeit relativ so stark
abgenommen hatte wie in Florenz. Die Industrie Mailands wies keinen
14*
212 Kleinere italienische Staaten.
Rückgang auf, ebensowenig zunächst der Handel Venedigs, und die
süditalienischen Gegenden sahen keine Verminderung ihres Exportes
an Getreide und anderen Rohstoffen. Die Woll- und Seidenindustrie
von Florenz war dagegen seit Mitte des 15. Jahrhunderts nach der
Zahl der Betriebe wie der Fabrikate beständig zurückgegangen, und
dieser Prozeß setzte sich während der hier behandelten Periode noch
weiter fort. Ursprünglich wurde davon, wie es scheint, hauptsächlich
im Zusammenhange mit dem neuen handelspolitischen Kurs der eng-
lischen Regierung vornehmlich die Wollemanufaktur betroffen; aber
in den späteren Jahrzehnten ging auch die Seidenindustrie, die übrigens
immer nur als »secondo membroa galt (Varchi, »Storia jiorentina« IX, 44),
den Weg des Verfalls: sie war weniger als die venezianische oder mai-
ländische Luxusindustrie imstande, sich den auf Förderung der ein-
heimischen Seidenindustrie gerichteten Bestrebungen der französischen
Regierung gegenüber zu behaupten. Ersatz wurde vor 1559 dafür
noch nicht geschaffen: die toskanische Strohindustrie fand erst später
Eingang, und im Bankgewerbe hatte Florenz schon seit längerem
hinter kleineren Städten wie Lucca und Siena zurücktreten müssen.
Noch gehörte Florenz zwar zu den reichen Städten, und noch ermög-
lichten die aus früheren Perioden vorhandenen Kapitalien der Stadt
eine aktive Teilnahme an der internationalen Politik. Aber die Basis
war prekär und nahm von Jahr zu Jahr an Tragfähigkeit ab.
Der neu eröffnete Kampf der Großmächte um Italien traf außer-
dem die Finanzen von Florenz in besonders empfindlicher Weise. Da
die Stadt keine eigene Flotte besaß, so war sie für den Vertrieb ihrer
Produkte durchaus auf die Gefälligkeit fremder Staaten angewiesen;
Handel und Produktion in Florenz hingen davon ab, ob ausländische
Mächte Schiffe stellten oder den Transit durch ihr Landgebiet erlaubten.
Der wichtigste Landweg führte nun durch das Territorium eines der
hauptsächlichsten Konkurrenten, nämlich Venedigs, und wenn schon
die Florentiner venezianischen Transitsperren gegenüber einmal daran
dachten, ihre Waren über Ancona nach Triest zu versenden (Suriano
bei Alberi II, 5, 421 f.), so war dies doch offenbar nur ein Notbehelf.
Noch schlimmer war aber, daß durch die Abhängigkeit Genuas von
den Habsburgern die Ausfuhr florentinischer Fabrikate nach dem
bedeutendsten Markte, nämlich Lyon über Genua (und auf genuesi-
schen Schiffen), zeitenweise unmöglich gemacht worden war, ferner
die Abhängigkeit von Frankreich, in der sich Florenz infolge der expo-
nierten Lage des Lyoner Platzes befand. Auch wenn die Wirkung
solcher Sperren durch einen ausgebreiteten Schmuggeldienst abge-
schwächt wurde, so wurden doch damit zugleich auch die Spesen pro-
portional erhöht, und eine Industrie wie die florentinische, die so wenig
nach Technik oder Qualität monopolartigen Charakter hatte, litt dar-
unter ganz besonders in ihrer Konkurrenzfähigkeit. Möglicherweise
erschwerte dieser Umstand sogar die Einfuhr unentbehrlicher Roh-
stoffe. Denn wenn Florenz ebensowenig wie Flandern die Wolle, die
§ 91. Florenz. 213
zu feinen Tuchen nötig war, selbst produzierte, so war es dazu nicht
einmal imstande, die Versorgung mit Hilfe eigener Schiffe, durchzu-
führen. Ähnlich stand es mit der Getreidezufuhr: Florenz produzierte,
wie es seiner industriellen Entwicklung entsprach, für gewöhnlich
nicht mehr ausreichend Korn zur Ernährung seiner Bewohner und
war auch in dieser Beziehung in der Regel auf Zufuhr aus dem Aus-
lande angewiesen. Aber politisch-militärisch fiel dieser Umstand nicht
ins Gewicht; diese Abhängigkeit des Staates scheint vom Auslande
nie ausgenutzt worden zu sein, eine Getreidesperre hätte die Stadt
auch lange nicht so scharf getroffen wie die Unterbindung ihres Handels-
verkehrs.
Und doch war der Kapitalreichtum, der der Stadt immer noch
zur Verfügung stand, ihr wertvollster Besitz, die wichtigste Unter-
stützung, die sie den kriegführenden Großstaaten als Bundesgenosse
zu bieten vermochte. Denn mit den eigentlich kriegerischen Macht-
mitteln war es schlimm bestellt. An sich waren die Söldnerheere, die
der Staat in seine Dienste nahm, nicht schlechter als die anderer ita-
lienischer Gemeinwesen, was freilich den großen Militärstaaten des
Auslandes gegenüber nicht viel heißen wollte. Aber es bestand der
Nachteil, daß Florenz so wenig wie Mailand ein unzerstörbares Zentrum
besaß, von dem aus sich der Widerstand gegen das Ausland immer
wieder organisieren ließ. Florenz hatte keinen unangreifbaren Kern,
der stets einen Rest von Selbständigkeit garantierte, und wenn schon
das Gebiet der Republik für militärische Angriffe weniger ungünstiger
lag als das Mailands und ihr Territorium daher etwas weniger häufig
von den internationalen Kriegsoperationen in Mitleidenschaft gezogen
wurde als jenes, so war damit für die Unabhängigkeit des Staates wenig
gewonnen. Die florentinische Regierung hat es zwar nicht an Ver-
suchen fehlen lassen, diesem unbefriedigenden Zustande abzuhelfen,
und wie andere italienische Staaten der Zeit, wie vor allem Cesare
Borgia in der Romagna, unternahm sie es, die angeworbene Infanterie
durch eine Miliz nach schweizerischer Art zu ersetzen; aber sowohl
politische wie militärisch-technische Gründe verhinderten, daß diese
Experimente, die dank der bestimmenden Mitwirkung Machiavellis
allgemein bekannt geworden sind, einen praktischen Erfolg zeitigten.
Diese politischen Gründe hingen nicht zum mindesten mit der
ungenügend fundierten Herrschaft der Stadt über ihr Gebiet, vor
allem über die größeren Untertanenstädte, zusammen. Das florenti-
nische Regiment konnte sich nicht wie das venezianische auf die mo-
ralische Zustimmung der Untertanen stützen, und um die ehemals
selbständigen Städte wider ihren Willen festzuhalten, wenn diese
das Ausland zu ihrer Unterstützung anriefen, reichten die Macht-
mittel der Republik nicht aus. Es war eben nicht zu vermeiden, daß
die privilegierte Stellung der hauptstädtischen Bürgerschaft bei den
Bewohnern der anderen Städte, besonders der größeren, das Gefühl
des Zurückgesetztseins nicht aussterben heß; erst das Regierungs-
214 Kleinere ilalienische Staaten.
System der Großherzoge, das mit den Vorrechten der Hauptstadt
brach und z. B. das florentinische Bürgerrecht auf den ganzen Staat,
d. h. auf alle Städte und terre nobili ausdehnte (1555), hat dann diesem
Zustande ein Ende bereitet. Die Behauptung und Erweiterung des
Territoriums konnte so nur auf rein militärischem Wege durchgeführt
werden; wenn es der Stadt schließlich auch gelang, das abgefallene
Pisa wieder zurückzuerobern, so verlangte diese Operation doch un-
verhältnismäßig große Kraftaufwendungen und reduzierte dadurch
in entsprechendem Maße die Mittel, die dem Staate im Kampfe gegen
die Großmächte zur Verfügung standen.
Dabei waren die Söldnerarmeen, die die Stadt anwarb, noch die
einzige Waffe, auf die sich Florenz zu stützen vermochte. Eine Kriegs-
marine besaß der Staat, der ja auch so gut wie keine Handelsmarine
unterhielt, nicht einmal in den ersten Anfängen. Pisa hatte als Hafen
kaum mehr irgendwelche Bedeutung, und der Ausbau Livornos fällt
erst in die Zeit der Großherzoge. Dazu scheinen selbst die Anlagen
zur Verteidigung der Küste mangelhaft unterhalten worden zu sein.
Florenz blieb daher von vornherein von einer entscheidenden Mit-
wirkung in all den Kriegen ausgeschlossen, deren Ausgang durch die
Machtverhältnisse zur See mitbestimmt wurde, d. h. von den aller-
meisten Kriegen jener Periode überhaupt. Daß der Staat infolge davon
wie bereits erwähnt, in den Augen der rivalisierenden Großmächte
auch ein geringeres Wertobjekt darstellte als z. B. das über Genua
verfügende Herzogtum Mailand, gereichte der nominellen politischen
Selbständigkeit des Landes allerdings zum Vorteil, war aber doch
anderseits ein bedenkliches Symptom für die untergeordnete Bedeutung
der florentinischen W^ehrmacht.
War Florenz schon aus diesen Gründen dazu genötigt, als Mittel-
staat den Konflikten der Großmächte gegenüber Reserve zu bewahren,
so kam noch hinzu, daß die immerhin nicht unbeträchtlichen finan-
ziellen Mittel, über die die Stadt auch damals noch disponierte, im
Kampfe mit den ausländischen Mächten nur ungenügend ausgenutzt
werden konnten. Es fehlte an einer stabilen Regierung, die ihre ge-
samte Kraft hätte auf die Abwehr nach außen — sowohl dem Terri-
torium wie den anderen Staaten gegenüber — hätte konzentrieren
können. Schon die ersten Jahre des hier behandelten Zeitraumes
sahen den Zusammenbruch des bisher, wenn auch nicht formell, so
doch faktisch bestehenden mediceischen Regimentes, und von da an
herrschten beinahe bis zum Ausgang der Periode revolutionäre Zustände,
insofern keine Regierung mehr über eine sichere unangefochtene Basis
innerhalb der hauptstädtischen Bürgerschaft verfügte. Es lag nahe,
daß die vertriebene Partei dabei die Intervention des Auslandes anrief,
und da der Zufall es fügte, daß zweimal (unter Leo X. und Klemens VIL)
ein Mitghed des Geschlechtes Medici den Stuhl Petri bestieg, so ver-
knüpfte sich das Schicksal der florentinischen Verfassung auch noch
mit den Beziehungen des Kirchenstaates zu den Großmächten. So
. § 92. Der Kirchenstaat. 215
trat denn ein Zustand ein, wie er in schlimmerer Gestalt nur noch in
Genua existierte. Die um die oberste Gewalt im Staate kämpfenden
Parteien waren genötigt, sich an eine ausländische Großmacht anzu-
lehnen, und der Sieg der Medici hat schließlich nur darauf beruht,
daß sie sich an die stärkere Macht wandten als die Republikaner. Die
Verteidigung eigentlich florentinischer Interessen mußte vor diesem
Konflikte zurücktreten. Wenn die Stadt gegenüber Ständestaaten da-
durch einen gewissen Vorsprung hatte, daß die reichsten Bürger in
der Hauptsache auch die Regierung führten und es daher zur Auf-
bringung der finanziellen Mittel keiner Verhandlungen mit Körper-
schaften bedurfte, die andere Ziele verfolgten als die Regierung, so
wurde dieser Vorteil durch die Machtkämpfe innerhalb der regierenden
Bürgerschaft mehr als aufgehoben.
Literatur, t'ber die florentinische Miliz vgl. das schon mehrfach angeführte
Werk von M. Hobohrn (§5). Zur Wirtschaftsgeschichte ist vor allem der zweite
Band von Georges Renards »Histoire du Travail ä Florence« (1914) heranzuziehen,
obwohl darin das 16. Jahrhundert nur summarisch und flüchtiger als frühere Perioden
behandelt ist. Ferner Pöhlmann, »Die Wirtschaftspolitik der Florentiner Renaissance«
1878 und A. Doren, »Studien aus der Florentiner Wirtschaftsgeschichte«, 1901—08.
Dann die venezianischen Relationen (bei Alberi II, 5). Der eingehende, beschreibende
Abschnitt im neunten Buch von Varchis »Florentinischer Geschichte« handelt fast
nur von der Hauptstadt.
Die geringe Bedeutung, die Florenz von der Diplomatie zugemessen wurde,
wird auch dadurch illustriert, daß der Herzog Cosimo zwar in Venedig Gesandte
unterhielt, die Markusrepublik sich aber nicht zur Reziprozität verstehen wollte
(vgl. §3). Venedig stellte in seiner ablehnenden Antwort Florenz auf eine Linie
mit Mantua und Ferrara (Mocenigo in den »Fontes Rerum Austriacarum« II, 30).
Über die Organisation des auswärtigen Dienstes einige Notizen bei A. Renaudet,
»Les Sources de Vhistoire de France aiix archiocs d'Etat de Florence<i (1910) (mit weiteren
Literaturangaben). — Manfroni, »Marina da guerra del granducato Mediceo« 1895 f.
§ 92. Der Kirchenstaat. Auch bei der Schilderung des Kirchen-
.staates ist es schwer, genaue und für die ganze Periode zutreffende
statistische Daten zu geben, und noch schwerer ist es, diese Daten auf
ihre politisch-militärische Bedeutung hin richtig einzuschätzen. Denn
das Gebiet des päpstlichen Staates veränderte sich nicht nur während
des hier behandelten Zeitraumes dem äußeren Umfange nach, zumal
was die Ausdehnung der Gewalt der Zentralregierung über ihr nur
noch nominell gehorchende Lehensstaaten betraf, sondern auch inner-
halb der stets zum Kirchenstaate im engeren Sinne gehörenden Land-
striche wurden damals die Machtbefugnisse der obersten Behörden so
sehr erweitert, daß es unmöglich ist, eine Beschreibung zu geben, die
für die gesamte Zeitspanne auch nur als ungefähr zutreffend gelten
könnte.
Geht man von dem Gebietsumfange aus, der während des größeren
Teils der Periode bestand, so ergibt sich ein Areal, das etwas ausge-
dehnter war als das Venedigs, entsprechend der geringeren Bevölke-
rungsdichte Mittelitaliens dagegen kaum mehr Bewohner aufwies.
Der Kirchenstaat übertraf also an Bevölkerung und Ausdehnung zu-
216 Kleinere italienische Staaten.
sammen alle oberitalienischen Staaten und stand in dieser Beziehung
nur hinter Neapel zurück.
Der Kirchenstaat war noch in einer anderen Hinsicht vor den
Staaten des Nordens begünstigt. Die Getreideproduktion war besonders
in den Marken so ergiebig, daß in der Regel große Überschüsse ins
Ausland (vor allem nach Venedig) abgegeben werden konnten; dazu
kamen noch beträchtliche Einnahmen aus dem Salzbetrieb und den
Alaungruben. Der Kirchenstaat war somit für seine Ernährung nicht
nur nicht vom Auslande abhängig, sondern konnte allein schon aus
dem Exporte seiner Rohprodukte, ohne eigenen Betrieb von Handel
und Industrie, einen bedeutenden Gewinn ziehen.
Auch in militärischer Hinsicht lagen die wirtschaftlichen Verhält-
nisse nicht ungünstig. Da einerseits Industrie und Handel so gut wie
ganz fehlten, d. h. soweit überhaupt vorhanden von Fremden betrieben
wurden, die dichte Besiedelung aber, die größer war als z. B. in Frank-
reich (43 auf den Quadratkilometer), zumal in den gebirgigeren Gegenden,
durch den Ackerbau nicht voll beschäftigt werden konnte, so blieb
ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung für den Kriegsdienst disponibel ;
es gab keine Hausindustrie auf dem Lande, die wie im florentinischen
Gebiete Erwerbskräfte aufnahm, die in der Naturalwirtschaft nicht
untergebracht werden konnten. Auch stand es, wie das Experiment
der Fürsten von Urbino erwies, mit der physischen Qualifikation der
Bewohner zum Militärdienst nicht schlecht, und es lag nur an dem
Mangel einer taktischen Schulung nach der modernen Methode, wenn
die Oberherren des Kirchenstaates gleich anderen italienischen Poten-
taten häufig genötigt waren, fremde Infanteriesöldner (vor allem
Schweizer) in ihre Dienste zu nehmen.
Doch konnten alle diese Vorteile zumal in den ersten Jahren des
hier behandelten Zeitraumes von der Regierung nur ungenügend aus-
genutzt werden. Zu Beginn der Periode fehlte es noch durchaus an
einer leistungsfähigen Exekutive, die die Befehle der Zentralgewalt
überall hätte zur Ausführung bringen können. Der neueste Biograph
Cesare Borgias hat den Kirchenstaat »das letzte Bollwerk des Feudal-
despotismus in Italien« genannt (W. H. Woodward, »Cesare Borgia«
1913, p. 96), und das Urteil ist nicht unbegründet. So machtlos war
nicht einmal in Neapel die Regierung, so unumschränkt herrschten
nicht einmal dort die rivalisierenden und in Privatfehden verstrickten
Magnatengeschlechter über das offene Land. Selbst die Hauptstadt
war gegen Einfälle der großen Barone nichts weniger als gefeit. Es
war die Aufgabe der Päpste jener Zeit, hier das nachzuholen, was die
anderen italienischen Staaten früher geleistet, und es ist dann bekannt-
lich vor allem Cesare Borgia gewesen, der unter dem Regimente seines
Vaters Alexanders VI. diese gewaltige Arbeit in der Hauptsache durch-
geführt hat. Für die Stellung des Kirchenstaates in der internationalen
Politik ergibt sich daraus freilich, daß die Päpste, solange sie noch
mit dieser innerpolitischen Tätigkeit belastet waren, die Machtmittel,
§ 92. Der Kirchenstaat. 217
die ihnen ilir Territorium bot, nur ungenügend zur Geltung bringen
konnten.
Aber auch, als das eben genannte Ziel in der Hauptsache erreicht
war, war die internationale Position des Kirchenstaates zunächst nur
wenig verändert. Hatten die Päpste vorher an den militärischen Ope-
rationen der Großmächte nicht eigentlich aktiv teilnehmen können,
weil sie sich zuerst im Innern ihres Landes eine Basis schaffen mußten,
so trat nun die Aufgabe an sie heran, ihrem Territorium wieder die
Gebiete zurückzugewinnen, die in der Zeit der Anarchie an die Nachbar-
staaten, vor allem an Venedig, verloren gegangen waren, und dieses
Bestreben brachte sie, die aus eigenen Machtmitteln ihre Absicht nicht
zu verwirklichen vermochten, erst recht in die Abhängigkeit von den
ausländischen Militärstaaten. Erst von dem Zeitpunkte an, da auch
dieses Projekt in die Tat umgesetzt war, also ungefähr von den letzten
Jahren der Regierung Julius' II. an, darf man daher von einer selb-
ständigen, d. h. nicht im Dienste innerpolitischer Aufgaben stehenden
auswärtigen Politik des Kirchenstaates reden.
Dieser Zeitpunkt fällt aber beinahe mit dem Augenblicke zusammen,
da infolge des gewaltigen Anwachsens der habsburgischen Macht (§ 118)
die Bewegungsfreiheit der italienischen Staaten fast gänzlich auf-
gehoben wurde. Von einer unabhängigen päpstlichen Territorialpolitik
könnte daher nur in dem kurzen Zeiträume die Rede sein, der durch
den Namen Leos X. bezeichnet wird und wohl nicht umsonst der Nach-
welt als glänzendste Periode des Papsttums in der Erinnerung ge-
blieben ist; ihren sichtbaren Schluß bildet die Katastrophe des Sacco
di Roma (1527). Es ist deshalb auch begreiflich, daß eine resümierende
Darstellung wie die vorliegende auf eine Charakteristik der damaligen
päpstlichen Politik verzichten muß.
Nur ein Umstand muß hervorgehoben werden, der die Stellung
des Kirchenstaates innerhalb des europäischen Staatensystems scharf
von der anderer italienischer Staaten unterscheidet. Das Land besaß
dank der Personalunion zwischen seinem Regenten und dem Inhaber
der höchsten geistlichen Würde in der Christenheit sozusagen einen
unzerstörbaren Kern, der nur mit der unangreifbaren Lage der Haupt-
stadt des venezianischen Gebietes verghchen werden kann. Auswärtige
Regierungen konnten an Kriege mit dem Kirchenstaate, auch an Ver-
kleinerung seines Umfanges denken; die völlige Aufhebung, die Ein-
setzung einer abhängigen Dynastie usw. fiel aber außer Betracht.
Die Gefahr war also beseitigt, daß der Kirchenstaat gleich anderen
italienischen Staaten annektiert wurde. Im Publikum wurde aller-
dings, besonders zur Zeit des Sacco di Roma, etwa davon gesprochen,
daß es angebracht wäre, den Heiligen Vater wieder auf seine geistlichen
Funktionen zu beschränken, d. h. den Kirchenstaat zu säkularisieren
(dies berichtet z. B. Varchi, »Storia Fiorentina« 1. V, c. 15); aber es
fehlt an Beweisen, daß die leitenden Staatsmänner der Großstaaten
jemals solche Gedanken ernsthaft erwogen hätten. Mir ist aus solchen
218 Kleinere italienische Staaten.
Kreisen nur das Schreiben des kaiserlichen Agenten Lope de Soria an
Karl V. (vom 25. Mai 1527) als Zeugnis für eine solche Anschauungs-
weise bekannt; aber sogar dieser vereinzelte Beleg beweist durch seine
vorsichtige Redeweise, wie fern an sich der kaiserlichen Regierung jenes
Ziel lag (vgl. den Wortlaut bei Rodriguez Villa, »Memorias para la
Historia del Saqueo de Roma« 1874, p. 166 f.), dazu kommt dann noch
das Schweigen maßgebender Denkschriften wie der politischen Testa-
mente Karls V.
Auf der andern Seite zog dann freilich der geistliche Charakter
des Staates, d. h. das Fehlen einer Dynastie, beträchtliche politische
Nachteile nach sich. Das schlimmste war noch nicht, daß in der aus-
wärtigen Politik und auch in der inneren Verwaltung nicht dieselbe
Kontinuität vorhanden war wie in Erbmonarchien oder aristokra-
tischen Republiken. Schädlicher wirkte vielmehr, daß eine ganze
Anzahl Päpste ein Surrogat für die mangelnde Erblichkeit durch die
Bildung von dynastischen Herrschaftsgebieten innerhalb des Kirchen-
staates für Angehörige ihrer Familien zu schaffen versuchten. Diese
Bestrebungen liefen nicht nur den Aspirationen auf direkte Unterwerfung
des gesamten Staatsgebietes unter die Zentralgewalt entgegen, sondern
diese Familienpolitik der Päpste bedurfte zu ihrem Erfolg dazu noch
mindestens der Konnivenz der Großmächte und war deshalb geeignet,
die internationale Position des Kirchenstaates weiter zu schwächen.
Nur andeutungsweise kann an dieser Stelle die Frage gestreift
werden, inwiefern die geistliche Würde des Oberhauptes des Kirchen-
staates die Stellung der Päpste als Territorialfürsten modifizierte.
Ein Punkt — die Garantie gegen eine vollständige Mediatisierung —
ist bereits erwähnt wurden. Es kamen aber noch andere hinzu. Dazu
zählt vor allem der finanzielle Ertrag der kirchlichen Steuern sowie
auch der moralische W'ert der kirchlichen Strafmittel, die nicht nur
in den Dienst militärisch-politischer, sondern auch finanzpolitischer
Aktionen der Regierung gestellt wurden (ein besonders bezeichnendes
Beispiel für die an zweiter Stelle genannte Verquickung kirchlicher
Maßregeln mit finanziellen Partikularinteressen des Kirchenstaates
bildet der Konflikt mit Flandern in Sachen des Alaunexportes aus
Tolfa unter Julius IL: Jules Finot, »Etüde historique siir les relations
commerciales entre la Flandre et la Republiqiie de Genes« 1906, p. 236 ff.).
Diesem Vorteil stand übrigens der Nachteil gegenüber, daß die aus-
ländischen Regierungen durch eine Sperre der nach Rom bestimmten
Abgaben aus ihren Ländern, durch Drohungen mit einem Schisma
und der Errichtung von Landeskirchen ihrerseits wieder einen Druck
auf die Regierung des Kirchenstaates ausüben konnten, der nicht nur
das Papsttum als solches, sondern auch die Politik des Kirchenstaates
zu treffen vermochte. Besonders von Frankreich, das sogar einmal
ein Gegenkonzil einberief, ist diese Abhängigkeit oft genug ausgenutzt
worden ; in ähnlicher Weise haben dann später vor allem Kaiser Karl V,
und König Heinrich VI IL von England gehandelt.
§ 92. Der Kirchenstaat. 219
Es vollzog sich in dieser Beziehung mit dem Kirchenstaat infolge
der neuen poHtischen Lage (§§3 und 107) dieselbe Wandlung wie mit
den übrigen italienischen Staaten. Hatte das päpstliche Territorium
bisher seine Interessen nur im Kampfe mit anderen, ihm nicht ohne
weiteres überlegenen Staaten der apenninischen Halbinsel ausfechten
müssen, so stieß es nun mit den Besitzungen von Großstaaten (vor
allem mit dem spanischen Neapel, in gewisser Beziehung aber auch
mit Mailand) zusammen; dadurch konnten einerseits die bisher haupt-
sächlich in kirchenpolitischen Konflikten angewendeten Sperremaß-
regeln der Großstaaten auch in den Kämpfen, die die territoriale Gestalt
des Kirchenstaates berührten, benutzt werden, anderseits sank der
Kirchenstaat zu einer Macht zweiten Ranges herab. Beide Umstände
bezeichnen denn auch den eigentümlichen Charakter der damaligen
päpstlichen Politik; von ihnen muß auch ausgehen, wer die These er-
weisen will, daß die politische Aktion der Kurie im Zeitalter der Re-
naissance in besonderem Maße von weltlichen Motiven geleitet worden sei.
Die Mängel des päpstlichen Finanzsystems machten sich vor allem
auch im Militärwesen fühlbar. Die Verwaltung erwies sich nur unter
besonders kräftigen Regenten fähig, die Mittel aufzubringen, um die
Konkurrenz in der Anwerbung von modern geschulten Infanteristen
(Schweizern) mit besser zahlenden Staaten (Frankreich, Venedig) aus-
zuhalten. Auch die Versuche, eine einheimische Miliz zu bilden, wofür
die Verhältnisse nicht ungünstig lagen, wurden nicht mit der Kon-
sequenz durchgeführt, die stabiler konstituierte Verwaltungssysteme
wie das spanische oder das habsburgische an den Tag legten. Die
päpstlichen Armeen standen daher in der Regel noch hinter denen der
Markusrepublik zurück, und nicht günstiger lagen die Verhältnisse in
der Marine. Daß in der Adria nichts geleistet wurde, war zwar natür-
lich; denn dort ließ das venezianische Schiffahrtsmonopol keine größere
fremde Flotte aufkommen. Aber auch im Tyrrhenischen Meer begnügte
sich die päpstliede Regierung mit bescheidenen Ansätzen. Die Flotte
des Kirchenstaates war klein und wenig leistungsfähig; es fehlte an
Werften (die Schiffe mußten in Genua gebaut w^erden) und an ein-
geübter Rudermannschaft. Wohl läßt sich in dieser Beziehung eine
leichte Verbesserung konstatieren: während anfänglich eine Marine
entbehrlich schien, weil die einheimische Bevölkerung keinen Handels-
verkehr trieb, erwies sich später der Unterhalt einer Flotte zum Schutze
der Küste gegen die Angriffe der türkisch-nordafrikanischen Korsaren
als notwendig. Aber trotzdem waren bis zuletzt die Seestreitkräfte
des Kirchenstaates unbedeutend und wohl nicht einmal mit denen
Neapels in Parallele zu setzen.
Es wäre unrichtig, wenn man annehmen wollte, daß diese Mängel
der Wehrkraft durch eine besonders wirkungsvoll ausgebildete diplo-
matische Organisation kompensiert worden wären. Die päpstliche
Diplomatie weist im Gegenteil zu einem guten Teil dieselben Gebrechen
auf wie die übrigen Zweige der päpstlichen Verwaltung. Daß die Kurie
220 Kleinere italienische Staaten.
im 15. Jahrhundert nicht gleich anderen italienischen Staaten ständige
Gesandtschaften errichtete, mag man mit Gründen des Prestiges ent-
schuldigen: es wurde dadurch die überragende Stellung des päpstlichen
Stuhles bezeichnet (vgl. § 3). Aber daß das Papsttum auch dann, als
sich alle Großmächte mit Ausnahme Frankreichs zur Übernahme der
neuen Institution entschlossen, damit noch zurückhielt, so daß erst
unter Julius II. bestimmtere Ansätze nachgewiesen werden können
und erst gegen 1520 hin von einer regelmäßigen Abordnung ständiger
diplomatischer Agenten (Nuntien) gesprochen werden kann, muß
wohl als Rückständigkeit in der diplomatischen Ausrüstung bezeichnet
werden. Es ist wohl richtig, daß die Päpste sowieso in einer der
großen Informationszentralen residierten und die Aufrechterhaltung
eines eigenen diplomatischen Dienstes für sie vielleicht weniger nötig
war als für andere Herrscher; auch war der außerordentliche Verkehr
mit anderen Ländern auf dem Wege kirchlicher Spezialgesandtschaften
stets sehr lebhaft, und es kam schon im 15. Jahrhundert vor, daß
einzelne Legaten auf längere Zeit abgeordnet wurden. Bedenkt man
aber, welchen Schaden selbst eine Großmacht wie Frankreich durch
ihre Vernachlässigung des Gesandtschaftswesens erlitt (§ 31), so wird
man doch kaum bestreiten können, daß auch die Kurie infolge ihres
ähnlichen Verhaltens gegenüber moderner organisierten Staaten in
Nachteil gesetzt wurde.
Literatur. Der Forscher ist bibhographisch für keinen Abschnitt der da-
maligen Ereignisse so gut gestellt wie für die Geschichte des Kirchenstaates und
der Päpste; denn die »Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters«
von Ludwig Pastor, die für das hier behandelte Thema vom dritten Bande an in
Betracht kommt, zählt in ihren immer wieder neu erscheinenden Auflagen die
Literatur mit musterhafter Vollständigkeit und Genauigkeit auf. — Für die in der
Textskizze berührten Fragen sind besonders wichtig die Arbeiten zur inneren Ge-
schichte des Kirchenstaates unter Alexander VI. (also vor allem die Werke über
Cesare Borgia; vollständige Bibliographie in dem zitierten Buche von Woodward)
und die Literatur zur Geschichte Julius II. und zur auswärtigen Politik Leos X.
(vgl. besonders Francesco Nitti, rtLeone X. e la sua Politica« 1892). Über die spätere
Zeit G. Capasso, »La Politica di Paolo III. e ritalia«, 1901. Vgl. auch Emiho Calvi,
»Bibliografia di Roma nel Cinquecento«, 1900 ff.
Für die zeitgenössischen Anschauungen über die Familienpolitik der Päpste
ist bezeichnend, daß nach einem Briefe Vettoris an Machivalli aus dem Jahre 1513
die Verwandten des Papstes Leos X. die Errichtung eines medicäischen Fürsten-
tums in Urbino mit der Unterwerfung von Florenz unter die Herrschaft des Ge-
schlechtes gleichsetzten, ja dem zuerst genannten Projekte noch den Vorzug gaben,
weil es ein sichereres Resultat verspreche als das andere ( »Lettere Jamiliari di N. Ma-
chiavelli«, ed. Alvisi 1883, p. 252). Vgl. auch Alberi II, 3 (1846), 11 und 375.
Was aus dem Kirchenstaate mit konsequenter Arbeit und geordneten Finanzen
mihtärisch hätte herausgeholt werden können, zeigt nicht nur das Beispiel des Herzogs
von Urbino Francesco Maria I. (das beste darüber in der Relation F. Badoers in den
»Belazioni«, ed. Segarizzi II [1913], 159ff. ; die »Storia dei conti e duchi d^Urbino«
von Filippo Ugolino 1859 bringt dazu kaum etwas Neues), sondern auch Urteile
von zeitgenössischen Staatsmännern. So die Instruktion Mendozas an Kaiser
KarlV. aus dem Jahre 1552 (bei Döllinger, »Beiträge zur politischen etc. Geschichte«
[1862], 195), wo von dem Volksreichtum des Kirchenstaates die Rede ist: »quien
§ 93. Neapel und Sizilien. 221
tiene dinero la (seil, la gente) halla«, deshalb seien auch leicht Hauptleute aufzutrei-
ben usw. Ähnlich Navagero in dem zitierten Bande der Relationen Alberis, p. 375.
Über die Marine die Werke von Alberto Gughelmotti, »La guerra dei pirati e
la marina pontificia dal 1500 al 1560« 1876 und »Sioria delle Fortificazioni nella
spiaggia romana«, 1880. Vgl. ferner die Notizen bei PastorV (1909) über die Schwie-
rigkeiten, die sich im Jahre 1535 der Ausrüstung einer päpstlichen Flotte entgegen-
stellten; es mußten Verbrecher zu Galeeren verurteilt werden, da sich sonst keine
Ruderer auftreiben ließen. Daß der Papst nicht imstande sei, seine Schiffe auszu-
rüsten^ wird auch »Venezianische Depeschen vom Kaiserhofe« I, 290 n. (1539) be-
merkt. Ähnliches geht aus dem Berichte aus dem Jahrel548 bei Druffel, »Beiträge zur
Reichsgeschichte«! (1873), lOOf., hervor. In früheren Zeiten hatten die Päpste denn
auch Korsaren in ihre Dienste genommen (Sanuto, »Diarii« I, 852; 1498). Die analoge
Vernachlässigung des Fortifikationswesens wird von Navagero (1558) hervorgehoben;
Alberi, »Relazioni« II, 3, 375. Bereits zu §78 ist hervorgehoben worden, daß die
Türken die Päpste wegen deren Schwäche zur See verachteten. Rom galt denn auch
als den x\ngriffen der Türken leicht zugänglich (Charriöre, »Negociations« I, 197
[1532]). — Der Konfhkt zwischen dem Papsttum und Venedig wegen der freien
Schiffahrt im Adriatischen Meer trat besonders in den Diskussionen des Jahres 1509
zutage. Vgl. darüber M. Brosch, »Julius IL«, p. 177, 187f. und 345f.
Über die diplomatische Organisation A. Pieper, »Zur Entstehungsgeschichte
der ständigen Nuntiaturen«, 1894 ; Ch. Samaran in der »Revue d'histoire diplomatique«,
1909, p. 64ff. ; J.Richard in der »Revoue des questions historiques« N. S. 34 (1905),
103 ff. über die Anfänge der französischen Nuntiatur und Rene Ancel ibid. 35 (1906).
Der venezianische Gesandte Navagero meinte einmal, in Kriegen mit dem
Papste gehe man schonungsvoller vor als im Kriege mit anderen (Alberi 1. c, p. 407).
§ 93. Neapel und Sizilien. Wer eine allgemeine Schilderung Europas
im 16. Jahrhundert geben wollte, dürfte Neapel und Sizihen ebenso-
wenig zusammen behandeln, als er etwa Deutschland nur als Teil des
habsburgischen Reiches würdigen dürfte. Weder politisch noch wirt-
schaftlich bildeten die beiden durch den Faro geschiedenen Teile des
»Königreiches beider Sizilien« eine Einheit; zu Beginn der hier be-
handelten Periode befanden sie sich nicht einmal in derselben Hand.
Trotzdem muß die folgende Darstellung aus äußeren und inneren
Gründen von einer Trennung absehen. Eine separate Behandlung
würde den Raum ungebührlich in Anspruch nehmen, und innerhalb
des europäischen Staatensystems bildeten beide Gebiete doch in der
Regel wenigstens in der zweiten Hälfte der Periode ein einheitliches
Objekt, und das Schicksal Neapels ist zu einem guten Teile dadurch
bestimmt worden, daß von seinem Besitz auch die Herrschaft über
Sizilien abzuhängen schien.
Von den beiden Teilen war trotz der geringeren Ausdehnung und
der kleineren Bevölkerungszahl Sizilien bei weitem der wichtigere.
Gerade die dünne Bevölkerung (ungefähr 700000 Seelen, d. h. etwa
ein Fünftel der gegenwärtigen Einwohnerzahl) machte die Insel für die
Regierung besonders wertvoll; denn sie erlaubte, daß die in gewaltiger
Fülle (in guten Jahren nach der Angabe Mocenigos bis hundertfältig)
produzierte Brotfrucht in enormen Quantitäten zur Ausfuhr frei-
gegeben werden und dabei noch so wohlfeil gehalten werden konnte,
daß der Exportzoll bisweilen mehr betrug als der Wert des Getreides.
222 Kleinere italienische Staaten.
Aus dieser Ausfuhr floß der Regierung ein zwar nach dem Resultate
der Ernte wechselnder, aber der Erhebung nach ganz sicherer Ertrag
zu. Wohl gab es ein Parlament auf der Insel mit verhältnismäßig aus-
gedehnten Befugnissen, und ein ständiger Ausschuß, die sog. Depii-
tazione del Regno, besaß sogar das Recht, die Ausführung der Stände-
beschlüsse zu überwachen. Aber die Finanzverwaltung und speziell
die Erhebung und Ansetzung der Exportzölle war in Wirklichkeit von
dem Willen der Stände unabhängig, und die Krone zog nicht nur aus
dieser Auflage einen Gewinn, der die Kosten der Regierung bei weitem
überstieg, sondern sie hatte in der Möglichkeit von Ausfuhrsperren
zugleich ein starkes Druckmittel, besonders gegenüber den überita-
lienischen und nordafrikanischen Staaten in der Hand. Genua war
sowohl für die Ernährung seiner Bevölkerung wie auch für die Ver-
sorgung seiner Flottenmannschaft zu einem guten Teile auf das sizi-
lianische Getreide angewiesen. Die Stadt konnte, wie es scheint, nur
aus Frankreich Getreide beziehen, wenn ihr die Zufuhr aus Sizilien
verwehrt wurde, dieses Auskunftsmittel war aber politisch kaum minder
bedenklich als der Import türkischer Brotfrucht nach Venedig (vgl.
Pellicier, Corresp. polit. p. 405 u. 424). Mit Venedig stand es kaum
besser, soweit nicht türkisches Korn in die Lücke trat. In der größten
Stadt der Insel und der einzigen Handelsstadt von Bedeutung, näm-
lich in Messina, richtete sich der Getreidepreis nach der Absatzmög-
lichkeit in Venedig; er fiel auf den tiefsten Punkt, als der Abschluß
eines Friedens zwischen der Markusrepublik und der Türkei gemeldet
wurde, um dann sofort wieder zu steigen, als man erfuhr, daß der
Sultan die Ausfuhr verboten habe (1541; Pellicier, »Correspondance
politiqiie«. 1899, p. 253; vgl. § 71).
Dazu kam, daß auch politisch die Insel ein sicherer Besitz war
als das Königreich Neapel. Mochten auch die schlecht zugänglichen
gebirgigeren Gegenden im Innern der Regierung nur nominell unter-
worfen sein, so fehlten doch die mächtigen Adelsfaktionen, die großen
Barone, die als Condottierefürsten eine beinahe unabhängige Existenz
führten und die Herrschaftsgewalt der Könige in Neapel so sehr ein-
schränkten. Die Geschichte der Insel verzeichnet keinen Aufstand in
jener Zeit, keinen Abfall an einen fremden Herrscher.
Die Kosten der Verwaltung waren dazu verhältnismäßig niedrig.
Die insulare Lage, die eine Eroberung durch einen Staat, der nicht
über eine große Seemacht verfügte, ausschloß, enthob die Regierung
der Pflicht, das Land gegen die rivalisierende Großmacht Frankreich
in Verteidigungszustand zu setzen. Für Fortifikationsanlagen scheint
auch so gut wie nichts geschehen zu sein, wenigstens von seiten
der Regierung nicht; die wichtigsten Städte Messina und Palermo
waren allerdings aus eigenen Kräften tüchtig befestigt. Auch Truppen
wurden für auswärts nicht ausgehoben; doch wäre eine solche Maß-
regel wahrscheinlich schon wegen der dünnen Bevölkerung der Insel
nicht zweckmäßig gewesen.
§ 93. Das Königreich beider Sizilien. 223
Dieser Zustand blieb übrigens nicht oline Gefahren. Wenn die
insulare Lage Sizilien vor fremden Eroberungsabsiehten schützte, so
setzte sie das Land doch zugleich auch den im Zusammenhang mit
der Ausbreitung der türkischen Herrschaft stets zunehmenden Kor-
sarenraids aus. Es läßt sich nun nicht leugnen, daß die Regierung auch
dagegen nur ungenügende Maßregel ergriffen hat. Das Parlament
bewilligte bereits im Jahre 1531 eine bedeutende Summe für die Be-
festigung verschiedener Städte; aber die Statthalter (Vizekönige)
Kaiser Karls V. schritten erst nach und nach energischer ein: erst in
die letzten Jahrzehnte der kaiserlichen Herrschaft fällt die Errichtung
von Wachttürmen gegen die Piraten. Charakteristisch ist auch, daß
das Parlament verschiedentlich darum ersuchen mußte, die Galeeren
der Insel nicht ihrem eigentlichen Zwecke zu entziehen und ausschließ-
lich zu deren Schutze zu verwenden (1518 und 1525). Für die Re-
gierung stellte sich eben die Lage so dar, daß der Gewinn, den sie aus
dem Besitz der Insel zog, nämlich der finanzielle Ertrag der Ausfuhr-
lizenzen für Getreide und die Versorgung Spaniens mit Korn aus
• Sizilien erreicht wurde, auch wenn die Küstenbewohner der Insel
räuberischen Überfällen mohammedanischer Piraten ausgesetzt waren.
Das ungefähr dreimal so große Königreich Neapel war ein viel
weniger einträglicher und sicherer Besitz. Die wirtschaftliche Struktur
war zwar ähnlich. Wie in Sizilien war die einheimische Industrie ganz
unbedeutend ; der Handel lag fast ausschließlich in ausländischen
Händen, und der unentbehrliche Import fremder Fabrikate konnte nur
durch den Überschuß der Urproduktion bezahlt werden. Daß dabei
im Gegensatz zu Sizilien die Ausfuhr von Getreide verhältnismäßig
zurücktrat und der Export von Ol wohl ebenso wichtig war, bedeutete
keinen prinzipiellen LInterschied. Dieser lag vielmehr in der politischen
Organisation des Landes.
Sieht man von der Hauptstadt ab, der Handelsmetropole des Landes,
die vielleicht nicht mit Unrecht als relativ zu stark bevölkert galt (sie
soll 200000 Seelen gezählt haben, d. h. ein Zehntel so viel wie das
ganze Königreich ohne die Capitale), so stand das gesamte Gebiet
unter der Herrschaft der großen Grundbesitzer, der Barone, die gleich
kleinen Fürsten mit eigener Armee, eigenen Festungen und sogar eigener
Handelspolitik der Krone vielfach nur nominell unterworfen waren.
Die Gebirgsgegend der Abruzzen lieferte ein brauchbares Soldaten-
material, das die Magnaten nicht nur militärisch unabhängig stellte,
sondern sie auch befähigte, kaum anders als ein Herzog von Ferrara
oder Urbino den Beruf eines selbständigen Condottierefürsten auszu-
üben.
Diesen Baronen gegenüber konnte die Regierung ihren Willen nur
durchsetzen, soweit sie sich auf überlegene militärische Macht stützen
konnte. Daß sie ihre Beamten fast sämtlich der vornehmen Bour-
geoisie der Hauptstadt, den sog. Sedilen oder »Seggi<(, entnahm, ge-
nügte nicht; denn wenn schon die Bureaukratie infolgedessen nicht die
224 Kleinere italienische Staaten.
Interessen der Barone verfolgte, so war für die wirksame Durchführung
der königlichen Beschlüsse noch wenig gewonnen. Nun zogen aber
alle Versuche, die Magnaten mit Gewalt der Krone zu unterwerfen,
besonders seitdem die Großstaaten den Kampf um Italien aufgenommen
hatten, für die Regierung schwere Gefahren in sich. Die Möglichkeit
lag vor, daß die Barone zur Aufrechterhaltung ihrer feudalen Freiheit
sich mit einer auswärtigen Macht verbinden würden, und da sie un-
gleich anderen Aufständischen dem Auslande nicht nur platonischen
Beistand, sondern reale militärische Unterstützung zu gewähren ver-
mochten, so war die Lage in solchen Fällen für das Königtum recht
bedenklich.
Dieser Fall ist dann bekanntlich auch eingetreten; ja der Anstoß
zu der Expedition König Karls VIII., die den Streit der Großmächte
um Italien eröffnete, ist von einem solchen Konflikte zwischen den
neapolitanischen Baronen und der Krone ausgegangen.
Die natürliche Folge war, daß sich schließlich als die oberste Ge-
walt im Lande überhaupt nur Vertreter von Großstaaten behaupten
konnten, die von den Leistungen des Königreiches unabhängig waren
und mit Machtmitteln auswärtiger Regierungen die Barone in Gehorsam
erhalten konnten. Denn den modern ausgerüsteten Armeen Frank-
reichs und Spaniens vermochten die neapolitanischen Magnaten nicht
standzuhalten. Vor allem nicht ihre der schweizerischen Taktik ent-
behrende Infanterie; aber auch ihre zahlreichen Burgen waren, obwohl
bei allen Invasionen ein gewichtiges retardierendes Element, der fran-
zösischen Artillerie nicht gewachsen.
Auch wenn aber ein Umsturz nicht zu befürchten war, blieb Neapel
ein wenig einträghcher Besitz. Schon der unabhängige König von
Neapel galt als so arm, daß Kaiser Maximilian es begreiflich fand,
wenn er ihm gegen Frankreich nur so gut wie keine Unterstützung ge-
währte (1498; »Miscellanea di Storia Italiana« 35 [1898], 445); nicht
anders betonten unter Karl V. venezianische Gesandte, daß die Ein-
nahme aus Neapel durch die Ausgaben aufgezehrt würden (Contarini
1525 bei Alberi I, 2, 32; id. 1536 »Fontes Rer. Austr.« 1870, p. 8; Tie-
polo glaubte 1532 sogar, der Kaiser müsse noch zulegen: Alberi I, 1, 37),
und die kaiserlichen Staatsmänner urteilten ebenso ; von Gattinara
liegt aus dem Jahre 1521 ein ausführliches Gutachten über die »fautea
der kaiserlichen »finances de Naples« vor {»Monumenta Habsburgica«
II, 1 [1853], 401 ff.; andere Stellen vgl. W. Busch, »Drei Jahre eng-
lischer Vermittelungspolitik« 1884, S. 86). Wenn dem Besitze des
Landes trotzdem von den Großmächten große Bedeutung beigelegt
wurde, so dürfte dies vor allem darauf beruhen, daß die spanische
Herrschaft über Sizilien gefährdet schien, solange sich Neapel in den
Händen einer anderen Großmacht befand.
Die militärische Ausrüstung des Königreiches war kaum mittel-
mäßig zu nennen. Daß die einheimische Infanterie modern geschulten
Truppen nicht gewachsen war, wurde bereits erwähnt; ihre finanzielle
§ 93. Das Königreich beider Sizilien. 225
Schwäche hinderte die Regierung, diesen Mangel, wie es in Frankreich
geschah, durch Anwendung leistungsfähigerer Söldner auszugleichen.
Auch die Kavallerie scheint keine hervorragenden Qualitäten besessen
zu haben. Am stärksten war, wohl im Zusammenhang mit den un-
sicheren Zuständen im Innern (ähnlich wie in Deutschland) das Be-
festigungswesen entwickelt. Der Marine wurde dagegen nur ungenügend
Aufmerksamkeit geschenkt. Da sich der Großhandel in der Haupt-
sache in fremden Händen befand, so gab es auch keine konsequente
Pflege der Handelsschiffahrt, und damit fiel auch der wichtigste Grund
zum Bau einer Kriegsflotte hinweg. Dazu kam noch die besondere
Schwierigkeit, daß an der adriatischen Küste das Aufkommen einer
Schiffahrt größeren Umfanges durch die monopolistischen Bestrebungen
der Venezianer beträchtlich erschwert gewesen wäre. Wie in Spanien
und auch in Sizihen beschränkte sich die Aufgabe der vom Staate
unterhaltenen Schiffe auf den Schutz der Küsten gegen die Angriffe
der (nordafrikanischen und türkischen) Korsaren. Die Zahl dieser mit
Sträflingen bemannten Galeeren war nie bedeutend (gewöhnlich 5);
sie wurde noch vermindert, nachdem die Insel Sizilien definitiv mit
Neapel unter einer Oberherrschaft mit Neapel stand, die sizilianischen
Wachtschiffe übernahmen damals den gemeinsamen Schutz der Küsten-
striche (vgl. Tiepolo bei Alberi I, 1, 36 — 38). Auch diese Waffe wies
im besten Falle mittelmäßige Leistungen auf, und die neapolitanischen
Fahrzeuge mußten öfter durch Galeeren aus dem genuesischen Gebiete
ergänzt werden. Mocenigo berichtet 1548 von 13 Galeeren, die in
Neapel gehalten würden; davon waren aber nicht weniger als sechs
von Doria gestellt, und von den neapolitanischen Fahrzeugen erachtete
er nur vier bis fünf als groß genug, um militärisch verwendet zu werden
{»Fontes Rer. Austr.« II, 30 [1870], 43 f.).
Bemerkt sei schließlich noch, daß, soweit überhaupt von einer
selbständigen auswärtigen Politik des Königreiches Neapel geredet
werden konnte, diese hauptsächlich auf dem Gegensatz gegen Venedig
aufgebaut war. Es gehörte zu den Plänen der Markusrepublik, zur
ausschließlichen Herrschaft über die Adria, vielleicht auch zur
Sicherung ihrer dalmatinischen und griechischen Besitzungen, an
der Ostküste des neapolitanischen Gebietes Stützpunkte zu er-
werben. Neapel befand sich also im Prinzip in derselben Stellung
zu Venedig wie die anderen italienischen Mittelstaaten. Ebenso
vollzog sich freilich später, als die Großmächte in das Schicksal
Italiens eingriffen, dort derselbe Wandel wie anderswo: die venezian-
ische Gefahr verlor an Bedeutung, und Neapel hörte auf, eine selb-
ständige Potenz in der internationalen europäischen Politik zu seih.
Ähnlich stand es mit dem Lehensverhältnis Neapels zum heiligen
Stuhle. Auch dieser Rechtsanspruch verlor an Bedeutung, nach-
dem das Königreich das Eroberungsziel von Großstaaten geworden
war, denen der Kirchenstaat mit seinen beschränkten Machtmitteln
nicht mehr gewachsen war.
Fueter, Europ. Staatensystem. 15
226 Kleinere italienische Staaten.
Literatur. Über die Zustände auf der Insel Sizilien ist verliältnismäßig:
wenig publiziert worden. Die beste Zusammenstellung findet sich in dem älteren
Werke von Isidoro La Lumia, fiLa Sicilia sotto Carlo V. Imperatoren (1862), das
auch über die früheren Jahrzehnte der im Text berücksichtigten Periode handelt.
Über die Verwaltung des Vizekönigs von Sizilien, Ferrante Gonzaga (1535 — 1543)
handelt G. Capasso im »Archivio stör. siciL«, N. S. 30 ff. (1905). Vgl. ferner Arena-
primo, »II governo spagnuolo in Sicilia nei sec. XVI e XV IIa in »El Archivo
Revista de Ciencias histöricas« V (1891) und V. Vitale, »Trapani neue guerre di
Carlo V in Africa« im «Archivio stör, siciln N. S. 29 (1904), 255 ff. Über Neapel
findet auch die politisch-militärische Forschung vieles bei E. Gothein, »Die Kultur-
entwicklung Süditaliens« (1886); man benutzt dieses Werk jetzt am besten in der
italienischen Übersetzung von Tommaso Persico ( »II Rinascimento nelV Italia meri-
dionale«, 1915), in der auch die zahlreichen unrichtigen Zitate korrigiert sind.
Die venetianischen Relationen enthalten nur dürftige Angaben; die Gesandten
erachteten es nicht für nötig, auf den in Venedig durch direkte Beziehungen bereits
bekannten Staat einläßhch einzugehen (vgl. Alberi 1, 1, 36). Wenn sie den Gegen-
stand überhaupt behandelten, so geschah es bei Besprechung der Machtmittel der
Habsburger; man wird also vor allem die Relationen und Depeschen vom Kaiser-
hofe heranziehen müssen. Für die aragonesische Zeit bietet die zu § 41 angeführte
Korrespondenz König Ferdinands mit Gonsalvo de Cordoba wertvolle Angaben.
J. Calmette, »La Politique espagnole dans Vaf faire des barons napolitains (1485—1492) <<
in der »Revue historique« 110 (1912), 225 ff.
In Neapel wurden schon von den ersten Jahren der Periode an genuesische
Schiffe in Sold genommen; vgl. Desjardins, »Negociations«!, 465 f.; Sanuto I, 206,
325. Wolsey bezeichnete dann die genuesische Flotte gerade als den Schutz Neapels
gegen Angriffe von der See her: Brewer, »Letters and Papersv IV, 1, nr. 510. Die
Venezianer versuchten noch in dem letzten Kriege, den die italienischen Mittel-
staaten gegen spanisch-habsburgische Macht riskierten, die Küstenstädte an der
Adria in Neapel in ihre Gewalt zu bringen. Vgl. über diese ihre Operationen in den
Jahren 1528/29 die Arbeit von Vito Vitale in »Nuovo Archivio Veneto«, N. S. XIII, 2,
und XIV, 1 und 2.
§ 94. Genua. Die Republik Genua ist in den vorhergehenden
Abschnitten bereits so häufig erv^'ähnt worden, daß an dieser Stelle
eine kurze Notiz genügen muß. Es entspricht dies auch der Bedeutung,
die der Stadt in der internationalen Politik zukam. Der Ausgang der
Kämpfe um Italien wurde zwar nicht zum mindesten dadurch bestimmt,
welche Gruppe der rivalisierenden Großstaaten den Sukkurs Genuas
auf ihrer Seite hatte; aber der Entscheid in dieser Frage hing nur zu
einem kleinen Teil von dem Willen und Charakter der genuesischen
Regierung ab.
Daß dem so war, ging hauptsächlich auf zwei Ursachen zurück.
Die eine lag in der ungünstigen Lage der Hauptstadt begründet.
Die Republik besaß kein unangreifbares Zentrum wie ihre einstige
Rivalin Venedig, und das an sich stark bevölkerte Gebiet (gegen eine
halbe Million Seelen) war nicht groß genug, als daß eine Landmacht
auch nur in dem in der Markusrepublik üblichen Umfange hätte unter-
halten werden können. Dadurch war der Staat ohne weiteres der
Gnade der angrenzenden, über größere Armeen verfügenden Regierungen
ausgeliefert, unter normalen Umständen natürlich vor allem der Will-
kür Mailands.
Ü 94. Genua. 227
Die zweite Ursache bestand in der labilen politischen Konstitution.
Weder die Verfassungen, die gerade eingeführt waren, noch die Fak-
tionen, die sich gerade am Ruder befanden, vermochten auswärtigen
Regierungen Garantien zu bieten, und noch häufiger wohl als in Neapel
und Florenz trat der Fall ein, daß eine fremde Macht bei ihrer Inter-
vention sich auf eine einheimische Oppositionspartei stützen konnte.
Brachte der zuerst genannte Umstand die Stadt in eine natürliche
Abhängigkeit von ausländischen Militärstaaten, so schuf der zweite
die Möglichkeit, auf dem Wege der Verbindung mit einer Faktion eine
Herrschaft über die Republik auszuüben, ohne deren Selbständigkeit
offiziell aufzuheben.
Daß dies nun aber so häufig und schon vor der hier behandelten
Periode mehrfach geschah, beruhte darauf, daß die Republik ein Aus-
nutzungsobjekt von ganz einzigartigem Werte war.
Genua als die größte Seemacht des Mittelmeeres nach Venedig
besaß nämlich sozusagen das Monopol für die Lieferung größerer Kriegs-
flotten. Venedig war wohl, was Anstalten zur Schiffsausrüstung betraf,
besser und jedenfalls für größere Verhältnisse eingerichtet; auch die
Zahl seiner Schiffe war beträchtlicher. Aber in der Lagunenrepubhk
stand dies alles im Dienste einer eigenen Großmachtspolitik: Venedig
stellte sein Arsenal ebensowenig fremden Regierungen zur Verfügung,
als seine Patrizier gleich den genuesischen ihre Privatkapitalien aus-
ländischen Potentaten zu politisch-militärischen Zwecken überließen.
In Genua hing nun allerdings die Verwendung der Seemacht und die
Möglichkeit, auf genuesischen Werften Schiffe zu bauen und zu be-
mannen, ebenfalls von der Erlaubnis der Regierung ab. Aber diese
Regierung war ihrerseits wieder von der auswärtigen Militärmacht
abhängig, die die Stadt faktisch beherrschte; der letzte Entscheid lag
also bei dieser. Genua war also noch ungünstiger gestellt als z. B. die
Eidgenossenschaft. Die schweizerischen Regierungen vermochten wenig-
stens über ihre Söldner frei zu verfügen ; Genua aber konnte weder seine
Marinemacht eigentlich in den Dienst einer eigenen Politik stellen
noch sie auch nur fremden Staaten sperren und dadurch einen Druck
ausüben. Man beachte, daß schon der Vertrag, den König Karl VIII.
im Jahre 1495 einging, um sich die Ausrüstung einer Flotte in Genua
zu sichern, bloß zwischen dem Herzog von Mailand und dem König
\^on Frankreich abgeschlossen wurde (vgl. den Passus bei Godefroy,
»Histoire de Charles VIII« [1684], p. 723).
Dazu kam, daß die Stadt sogar für ihre wichtigste und beinahe
einzige Industrie, nämlich den Schiffbau (inklusive der Fabrikation
von Schiffsgeschützen) auf den guten Willen des Auslandes angewiesen
war. Noch in viel größerem Umfange als in Venedig mußte das Holz
aus dem Auslande (hauptsächlich Frankreich und Savoyen; vgl. »Lettres
de Charles VIII« V [1905], 75) importiert werden, und eine Sperre dieser
Zufuhr konnte die Stadt in große Verlegenheit bringen. Weniger fiel
die Abhängigkeit von ausländischem Getreide (auch für den Schiffs-
15*
228 Kleinere italienische Staaten.
Zwieback) in Betracht: in dieser Beziehung war es wenigstens möghch,
Frankreich gegen Spanien (Sizihen) auszuspielen (vgl. § 93). Aber die
Dinge lagen eben doch so, daß Genua nur einen Teil der Ausrüstung,
allerdings wohl den wichtigsten (§ 14) gänzlich aus eigenen Kräften
zu liefern vermochte, nämlich die (eingeübte) Mannschaft, sei es auf
Schiffen, die auswärtige Mächte mit Inbegriff der Besatzung mieteten,
sei es zu Fahrzeugen, die erst gebaut werden sollten. — Zu beachten
ist ferner noch, daß die Republik als Besitzerin der Insel Korsika den
wichtigsten Flottenstützpunkt im Tyrrhenischen Meer ihr eigen nannte.
Denn wenn die Insel auch nominell nicht der Stadt, sondern der St. Ge-
orgs-Gesellschaft gehörte, so machte das doch in der Praxis keinen Unter-
schied aus; schon zeitgenössische Zeugnisse setzen die Gesellschaft
mit der Republik gleich (von einer anderen Besitzung heißt es in einem
venezianischen Bericht bei Sanuto I, 500: »el quäl liiogo e di la comunitä
di Zenoa, zoe di San Zorzin).
Schließlich darf auch an dieser Stelle ein persönliches Moment
nicht außer acht gelassen werden. Zu den bereits genannten Vorzügen
der Stadt kam wenigstens in der zweiten Hälfte der Periode noch hinzu,
daß die Flotte der Republik unter dem unzweifelhaft größten Seehelden
der Zeit, dem Genuesen Andrea Doria, stand. Der Staat, der damals
über die genuesische Marine verfügte, hatte also zugleich den erfolg-
reichsten Admiral des Mittelmeeres in seinen Diensten.
Der Kampf der Großmächte hat sich daher von Anfang an auf den
Kampf um Genua zugespitzt und, wie bereits bemerkt (§ 90), beruhte
die Bedeutung Mailands zu einem guten Teile darauf, daß sein Besitz
zugleich die Herrschaft über die genuesische Flotte garantierte. An
dieser Stelle kann nur hinzugefügt werden, daß von einer Freiheit der
auswärtigen Politik der Republik nur so weit die Rede sein konnte,
als ihr zeitenweise innerhalb gewisser Schranken die Wahl zwischen
dem Anschluß an die französische oder die spanisch-habsburgische
Macht gelassen war. Die habsburgische Regierung hatte dabei insofern
eine günstigere Situation, als sie, nachdem einmal Mailand definitiv
in ihre Hand gefallen war, die nominelle Unabhängigkeit der Stadt
nicht anzutasten brauchte, was Frankreich in früheren Zeiten nicht
vermieden hatte und damals nicht hätte vermeiden können. In ver-
traulichen Schriftstücken der habsburgischen Staatsmänner wird des-
halb Genua zwar unzweideutig als kaiserliches Eigentum bezeichnet
(so schreibt Kaiser Karl V. an seinen Gesandten in Genua im Jahre 1547:
» . . . al cabo ha de venir (seil. Genua) ä ser del rey de Francia o nuestra«
[Maurenbrecher, »Karl V. und die deutschen Protestanten« S. 83*J;
ausführlicher darüber derselbe in seinem politischen Testament aus
dem Jahre 1548 bei Weiß, »Papiers d'Etat de Granvelle« III, 292); aber
sie waren nicht genötigt, die »Freiheit« der Stadt direkt aufzuheben.
Die Politik der Stadt war unter diesen Umständen viel ausschließ-
licher als in Venedig durch Erwägungen kommerzieller Natur bestimmt.
Die Ausdehnung des Handelsverkehrs, vor allem des Seehandels nach
§ 94. Genua. 229
den Niederlanden, Unleritalien, Florenz, der Levante, Nordafrika,
Spanien, war, kann man sagen, das einzige Ziel der genuesischen Re-
gierung; als gleich bedeutend erschienen nur noch die Interessen der
einheimischen Bankiers, die durch ihre Kapitalanlagen in Spanien
stark zur engen Verbindung mit der habsburgischen Regierung sollen
beigetragen haben (darauf spielt einmal Papst Julius III. an; vgl. das
Zitat bei L. Romier, »Origines politiques des guerres de Religion« I
[1913], 254, n. 1). Da Genua keine militärisch :politischen Interessen
als Großmacht zu verteidigen hatte wie Venedig, so mischten sich in
solche Überlegungen keine Bedenken politischen Charakters; damit
hing wohl auch zusammen, daß Genua auch in rein kommerzieller Be-
ziehung ausländischen Kaufleuten mehr entgegenkam, weniger mono-
polistische Tendenzen verfolgte als die Markusrepublik. Es war sicher-
lich berechtigt, wenn ein venezianischer Agent einmal in stillschweigen-
dem Gegensatz zu Venedig Genua als gänzlich der »niercanzia« ergeben
bezeichnet (Relation aus dem Jahre 1533 in den f>Relazioni« ed. Se-
garizzi II [1913], 50).
Literatur. Über die Quellen wäre die Bemerkung zu wiederholen, die dem
vorhergehenden Paragraphen beigegeben wurde, nur daß sie der internationalen
Bedeutung der Stadt entsprechend über Genua viel reichlicher fließen als über
Neapel und Sizilien. Zeitgenössische Schilderungen, ex officio, Relationen, die nur
Genua gewidmet wären, fehlen auch hier; um so mehr enthalten aber die diplomati-
schen Korrespondenzen und Akten, von denen sich die venezianischen, wie begreif-
lich, durch Sachkunde und Präzision auszeichnen (es sei besonders auf den uner-
schöpflichen Fonds von Notizen bei Sanuto hingewiesen). Aber auch die französi-
schen und spanisch-habsburgischen Akten enthalten viele wertvolle Angaben.
Von der Literatur sei vor allem die »Eliide historique sur leff relations commer-
ciales entre la Flandre et la Republique de Genes au moyen äge« von Jules Finot (1906)
erwähnt, die trotz ihres Titels auch noch das 16. Jahrhundert behandelt.
Charakteristisch ist, daß der venezianische »Sekretär« in Mailand im Jahre
1520 als einzigen Vorteil, den der König von Frankreich aus Genua ziehen könne,
neben der »Reputation« die )>comoditä di armar« nennt {»Relazioni«, ed. Segarizzi II
[1913], 26).
Wie enge die lyseigneurie de Genes« mit Mailand zusanuiiengehörte, wird durch
viele Stellen belegt; vgl. z. B. die beiden Äußerungen in der Korrespondenz des
französischen Diplomaten Castillon aus dem Jahre 1538 in der »Correspondance
politique de Castillon et Marillac« (1885), p. 39 und 45.
Über die strategische Bedeutung Korsikas vgl. La Ronciere, »Histoire de
la Marine frangaise« III (1906), 511 f., und die dort angeführten Stellen.
Über die Leistungsfähigkeit des genuesischen Schiffbaus ist die Stelle bei
Salinas »Cartas« (1903), p. 479 (1530), vielleicht besonders bezeichnend; Saunas
berichtet dort, wie rasch die Stadt eine vielleicht auf französische Anstiftung hin
in Brand gesteckten zwölf kielfertigen Galeeren ersetzen könne. Die genuesischen
<>Marinari« werden von dem Venezianer Contarini lobend erwähnt: »Fontes
Rer. Austr.« II, 30 (1870), p. 9 (1536); gelegentlich verwandte Doria übrigens auch
Sklaven auf seinen Galeeren; vgl. Mocenigo ibid. p. 54 und »Correspondance politique
de G. Pellicier« {IS99), p. 479 (1541). Maximilian I. schickte 1498 deutsche Verbrecher
als Sträflinge auf genuesische Galeeren: »Miscellanea di storia italiana« XXXV
(1898), 337 und n. 5.
Genua galt schon in früheren Zeiten (Anfang des 15. Jahrhunderts) als liberaler
fremden Kaufleuten gegenüber als Venedig. Vgl. Wilhelm Stieda, »Hansisch-
venezianische Handelsbeziehungen im 15. Jahrhundert« (1894), p. 17.
230 Kleinere italienische Staaten.
§ 95. Savoyen. Eine ähnliche Stellung wie Genua nahm in den
internationalen Machtkämpfen das Herzogtum Savoyen ein.
Auch Piemont hatte infolge der italienischen Politik der Groß-
.staaten eine internationale Bedeutung gewonnen, die sich zwar der
Genuas nicht gleichsetzen, aber immerhin vergleichen läßt. Das Land
beherrschte zu einem guten Teile die Verbindung zwischen Mailand
und Frankreich, und Mailand konnte nur solange als gesicherter habs-
burgischer Besitz gelten, als sich Savoyen nicht in französischer Hand
befand. So wenig wie Genua konnte das Herzogtum aber daran denken,
sich aus eigener Kraft gegen die Armeen der Großstaaten zu behaupten,
und wie jene Republik vermochte das kleine, wenig fruchtbare Land, das
dazu nicht einmal über eine modern geschulte Infanterie verfügte, nur unter
der Bedingung eine nominelle Unabhängigkeit zu bewahren, daß es sich
faktisch der Hegemonie der in Italien dominierenden Macht unterwarf.
In der ersten Hälfte der Periode wurde Savoyen allerdings noch
durch einen anderen Umstand vor dem Verlust seiner Selbständigkeit
geschützt. Das Herzogtum lag innerhalb der Ausdehnungssphäre des
am meisten auf imperialistische Tendenzen bedachten eidgenössischen
Ortes, nämlich Berns, und die französische Krone hätte es damals nie
gewagt, sich durch eine Annexion des Landes mit den Eidgenossen zu
verfeinden. Erst als die konfessionelle Spaltung die Macht der Eid-
genossenschaft brach (§ 97), konnte es dann Frankreich unternehmen,
durch eine Besetzung Savoyens seinen früher unentbehrlichen Söldner-
lieferanten (§ 29) zu brüskieren. Damals aber war die militärische Vor-
herrschaft über Italien bereits in die Hand der Habsburger übergegangen,
und diesen ist es dann auch gelungen, Savoyen wieder zu befreien,
d. h. aus einer französischen Provinz zu einem habsburgischen Vasallen-
staat zu machen.
Bestärkt wurde die Haltung der Großmächte allerdings wohl noch
dadurch, daß der Besitz des Herzogtums, abgesehen von der strate-
gischen Bedeutung, nur geringen Vorteil bot. Weder Geld noch modern
geschulte Soldaten waren von dort zu erhalten. Auch der kleine Küsten-
strich, den Piemont bei Nizza besaß, war ohne Bedeutung; eine selb-
ständige Marine hat sich dort neben Monaco und Genua nicht entwickelt.
Die Politik der savoyischen Regierung beschränkte sich unter
diesen Umständen auf Lavieren und auf Unterwürfigkeit gegenüber
der stärkeren Großmacht. Der Staat genoß daher auch im internatio-
nalen Verkehr geringes Ansehen. Venedig beschloß im Jahre 1498,
in Savoyen keinen patrizischen Gesandten mehr zu halten, da ein
Sekretär zur Führung der Geschäfte genüge (Sanuto, «Diarii« I, 882),
und der offizielle portugiesische Historiograph Damiao de Goes mußte
seine Regierung ausdrücklich gegen den Vorwurf verteidigen, daß
die eheliche Verbindung einer portugiesischen Infantin mit einem
Herzog von Savoyen die Dynastie durch eine Mesalliance entwürdigt
habe {Chronica. . . del Rei D. Emanuel« p. IV, cap. 71 = II, 596 ff.
der Ausgabe von 1790; geschrieben nach 1558).
§ 96. Die Condottierestaaten. 231
Literatur. Über die Quellen gilt Ähnliches wie in den beiden vorhergehenden
Paragraphen. So handeln auch über Savoyen in den späteren Jahrzehnten vor
allem die venezianischen Relationen vom Kaiserhofe; vgl. z. B. die Bemerkung
Mocenigos (1548) in den t,Fontes Rer. Austr.« II, 30, p. 56f. Die Armut und Unfrucht-
barkeit des Landes, verbunden mit einer relativ starken Reserve an Menschen
betont Falier in einer Relation aus England (1531) bei Alberi I, 3 (1853), 5. Diese
Reserve wurde aber für den Krieg nicht eigentlich ausgenutzt. — Ebensowenig
schlössen übrigens die Herzoge Verträge mit den Schweizern über die Anwerbung
von Söldnern ab (das erste solche Abkommen ist aus dem Jahre 1571 nachweisbar:
»Revue militaire suisse« LIX [1914], 529.
Zu der Abneigung der Eidgenossen gegen eine französische Annexion Savovens
vgl. § 35.
Die militärische Bedeutung der savoyischen Alpenpässe ist selbstverständlich;
für die Wichtigkeit, die diesem Gegenstande damals beigelegt wurde, sei deshalb
hier nur auf die Anstrengungen Kaiser Maximilians im Jahre 1496 hingewiesen:
Ulmann, »Max. I.« I, 467 ff.
Über die französische Okkupation Piemonts L. Romier, »Les Origines politiques
des guerres de Religion« I (1913), 529ff.
§ 96. Die übrigen kleinen italienischen Staaten. Die noch übrig
bleibenden kleinen Staaten Italiens stellen, auch wenn man von Zwerg-
gebilden wie der Republik Ancona (die bis 1532 selbständig war) ab-
sieht, keine Mächte dar, die in den internationalen Konflikten auch nur
die Bedeutung außeritalienischer Mittelstaaten wie Ungarns, Schott-
lands usw. gehabt hätten. Wenn sie trotzdem in diesem Zusammen-
hange mindestens ebenso ausführlich besprochen werden, so liegt dies
nur daran, daß ihre Haltung auf die Entwicklung des Zentralproblems
jener Periode (§ 1) größeren Einfluß ausgeübt hat, als die Politik der
eben angezogenen Staaten außerhalb Italiens. Bemerkt sei dabei, daß
aus Gründen, die ohne weiteres verständlich sind, auch die Fürsten,
die als Vasallen der Kirche oder des Reiches galten (Ferrara, Urbino,
Mantua usw.), als souveräne Herrscher betrachtet v/erden.
Die wichtigeren dieser Staaten sind diejenigen, die man als Con-
dottierestaaten bezeichnen kann. Ihre Oberhäupter unterschieden sich
von anderen Hauptleuten, die Soldverträge abschlössen, dadurch daß
sie ihr Gewerbe viel mehr im großen trieben, eigene Untertanen zum
Kriegsdienst heranziehen konnten und vor allem imstande waren,
vollständige Armeen oder Flotten, also schwere und leichte Reiterei,
Infanterie und Artillerie, dazu auch kommandierende Generale zu stellen.
Sie waren dank diesem Umstände nicht nur, wie selbstverständlich für
die italienischen Stadtrepubliken, die aus eigenen Kräften vielfach
weder Reisige noch erfahrene Kommandanten aufzubringen vermochten,
häufig (d. h. wenn nicht besser ausgerüstete Bundesgenossen in die
Lücke traten) unentbehrlich, sondern ihre Unterstützung war auch
für die Großmächte, denen es öfter an bestimmten Waffen fehlte (z. B.
den Spaniern an Reisigen und Schiffen), von beträchtlicher Bedeutung.
Die wichtigsten dieser Condottierestaaten waren für den Landkrieg:
Mantua, Urbino und Ferrara; für den Seekrieg Monaco.
Diese Fürsten unterschieden sich aber auch dadurch von ihren
Berufsgenossen in anderen Ländern, daß sie ihr Geschäft nicht nach
232 Kleinere Staaten.
rein kommerziellen Rücksichten betrieben. Stellte sich die Frage,
welcher Macht sie ihre Dienste verkaufen sollten, so fiel der Entscheid
häufig auf Grund politischer Erwägungen, und dies bedeutete in der
Regel, daß die ausländische, der eigenen Unabhängigkeit weniger
gefährliche Großmacht dem benachbarten italienischen Staate vor-
gezogen wurde. Besonders die Politik von Ferrara ist in der Haupt-
sache durch dieses Motiv bestimmt worden. Vom finanziellen und vom
wirtschaftspolitischen Standpunkt aus hätte es nahegelegen, daß die
Herzoge sich in den Dienst Venedigs gestellt hätten, das nicht nur
der beste Zahler unter den Staaten war, sondern auch die Getreide-
zufuhr nach dem Staate kontrollierte. Aber die Furcht, von der La-
gunenrepublik absorbiert zu werden, wirkte in der entgegengesetzten
Richtung, und so hielt Ferrara in der Regel zu den Gegnern Venedigs.
Ganz frei konnte allerdings wohl keiner dieser Staaten seine Politik
durchführen. Da ihr Staatsbudget einmal auf den Condottieredienst
angelegt war, so bestand beinahe eine Notwendigkeit, irgendeine Offerte
anzunehmen und selbst die des expansionslustigen Nachbarn ließ sich
nicht ausschlagen, wenn keine andere vorlag. Dies führte dazu, daß
diese Fürsten auch dann von der anderen Seite umworben wurden,
wenn zu ihrer Verwendung kein Bedürfnis vorlag, nur damit sie ihre
wertvolle Hilfe nicht der Gegenpartei verkaufen konnten. Ähnlich
wie bei der Eidgenossenschaft (§ 97) hat also gerade die ökonomische
Zwangslage, in der sich einige dieser Staaten befanden, zur Folge gehabt,
daß die rivalisierenden Mächte sich gegenseitig mit Angeboten aus dem
Felde zu schlagen suchten. Wenn die Konsequenzen dieses Zustandes
sich in Italien weniger bemerkbar machten als in der Schweiz, so be-
ruhte dies nur darauf, daß die itahenischen Kondottieren, die als In-
fanteriesöldner nur das notorisch inferiore einheimische Truppen-
material offerieren konnten, auf dem Werbemarkt kein Monopol be-
saßen, wie die schweizerischen Regierungen wenigstens in den ersten
Jahrzehnten.
Geringere Bedeutung hatten die Bank- und Handelsstädte Siena
und Lucca, die dank ihrem Finanzkapital auf den Verlauf der mili-
tärischen Operationen einen gewissen Einfluß auszuüben vermochten.
Denn diese Einwirkung war trotz des Reichtums, zumal Luccas, nicht
groß genug, als daß sie entscheidende Folgen nach sich gezogen hätte;
auch war dazu die militärische Position der beiden Republiken doch
zu schwach, bei Siena außerdem noch das politische Regiment wegen
des Streites der Faktion zu unsicher fundiert. Wenn auswärtige
Staaten auch gelegentlich ausdrücklich auf deren finanzielle Beihilfe
gerechnet haben (z. B. im Jahre 1533, als der Kaiser eine Alhanz der
italienischen Staaten gegen Frankreich zustande bringen wollte; vgl.
Sanuto LVII, 554 ff.), so fielen doch selbst in dieser Beziehung ihre
Leistungen neben Mailand oder Genua nicht sehr in Betracht. Zu be-
merken ist nur, daß auch dieses Machtmittel nicht nach rein wirtschaft-
lichen Gesichtspunkten verwendet wurde; auch hier mischten sich
§ 97. Die Schweiz. 233
vielmehr politische Rücksichten d. h. die Furcht vor einer Annexion
durch Florenz ein. Selbstverständlich fielen diese Städte, nachdem
einmal die habsburgische Hegemonie über Italien aufgerichtet war,
noch vollständiger unter die Gewalt des Kaisers als die Mittelstaaten
i\gi. z. B. Navagero bei Alberi I, 352; 1546). Siena hat dann allerdings
noch einmal versucht, sich dieser Oberherrschaft, d. h. der Einver-
leibung in den habsburgischen Vasallenstaat Toskana zu entziehen.
Aber nicht nur mißlang dieses Unternehmen (1555), sondern es zeigte
sich auch, daß die Alternative gegenüber der Abhängigkeit von den
Habsburgern nur in der Aufrichtung einer französischen Schutzherr-
schaft bestanden hätte.
Literatur. Vgl. die Anmerkung zu den vorliergehenden Paragraphen. Für
die Verwendung der Condottierefürsten hefern besonders die itahenischen Feld-
züge vor den Zeiten Karls V. reiches Material, für die Bedeutung der monegassi-
schen Galeeren besonders die Aktionen zur See in den letzten Jahrzehnten der
Periode.
Nur ganz ausnahmsweise sind von den italienischen Condottieri schweizerische
Söldner verwendet worden (Sanuto II, 21, 24; 1498); einem häufigeren Gebrauch
hätten schon die Werbeverbote der Eidgenossen im Wege gestanden. Maximilian I.
ließ jenem Condottiere (dem Markgrafen von Mantua), damals auch die deutschen
Söldner sperren (ibid. 63 und 86). Über die finanzielle Abhängigkeit solcher Fürsten
von dem Engagement durch einen größeren Staat vgl. die Bemerkung in der Re-
lation Badoers über Urbino: ))Rclazioni«, ed. Segarizzi II (1913), 174. Diese Stelle
ist auch bezeichnend für den Großbetrieb solcher Condottierefürsten; sie sind nicht
mit den sonst einzeln angeworbenen Hauptleuten auf eine Linie zu stellen, haben
vielmehr verschiedene solcher »Capitani« unter sich. Damals (1547) hatte übrigens
der Herzog von Urbino insofern Venedig gegenüber eine Monopolstellung als die
Republik nur von ihm italienische Mannschaft beziehen konnte (ibid. p. 179). Cha-
rakteristisch ist, daß 1498 dem Herzog von Ferrara die Absicht zugeschrieben
wurde, den Markgrafen von Mantua vergiften zu lassen, weil Venedig jenen in seine
Dienste genommen hatte (Sanuto II, 34). Vgl. auch ibid. I, 1112. Die italienischen
Condottierefürsten brachten zwar nicht immer eigene Artillerie mit, bisweilen
auch nur Feldartillerie (vgl. Sanuto I, 1109 und 1112); immerhin geschah dies doch
verschiedentlich, wie auch aus den eben zitierten Stellen hervorgeht und besonders
noch durch die Entsendung der berühmten ferraresischen Geschütze im Feldzuge
des Jahres 1508 bestätigt wird. Reiterei (schwere und leichte) wurde dagegen
wohl immer von ihnen gestellt; sie boten eventuell leichte und schwere Reiter zur
Auswahl an (Suriano bei Alberi II, 5, 423). Daß die italienische Infanterie wegen
mangelnder Schulung wenig taugte, wird in den Quellen immer wieder gesagt;
Mocenigo behauptet geradezu {»Fontes Rer. Austr.« II, 30, 129), Karl V. habe es
nicht ungern gesehen, wenn die italienischen Fürsten ihre Soldaten nicht übten;
denn er wolle sie in Abhängigkeit erhalten. (Eine Ausnahme bildete bekannthch
Urbino; vgl. oben § 92.) — Ähnlich im großen betrieben übrigens einzelne italienische
Magnatenfamilien das Condottieregewerbe, die auf staatliche Unabhängigkeit nicht
einmal soweit wie etwa Urbino Anspruch erheben konnten. So stieß Camillo Colonna
1541 zu Kaiser Karl V. mit 25 bis 30 Hauptleuten: »State Papers« VIII, 504.
i)ber die politische Betätigung der Banquiers von Siena und Lucca wie
übrigens auch von Florenz, Genua etc. manches bei R. Ehrenberg, »Zeitalter
der Fugger« I (1896).
§ 97. Die Schweiz. Auch bei der Schilderung der Eidgenossen-
schaft muß die Bemerkung vorausgeschickt werden, daß jede zusammen-
fassende Charakteristik mangelhaft ist, weil sich die Verhältnisse wäh-
234 Kleinere Staaten.
rend der hier behandelten Periode stark modifizierten. Die territorialen
Veränderungen sind allerdings von geringer Bedeutung. Dagegen hat
die Spaltung, die infolge der Reformationsbewegung eintrat, auch die
politische Struktur so sehr in Mitleidenschaft gezogen, daß kaum eine
Angabe, die man machen könnte, in gleicher Weise für die erste und
die zweite Hälfte des Zeitraumes zutreffen würde; vor 1559 ist kein
anderer Staat so entscheidend durch den konfessionellen Konflikt
affiziert worden wie die Schweiz. Der Schwierigkeit läßt sich nur
Herr werden, wenn der Forscher ausschließlich die Schweiz, wie sie
vor 1520 bestand, in Betracht zieht; es entspricht dies auch dem Zwecke
dieser Skizze: nachdem die Kirchenspaltung die Grundlagen der ehe-
maligen auswärtigen Politik der Eidgenossenschaft erschüttert hatte,
verliert das Land das Interesse, das ihm als einem Machtfaktor des
europäischen Staatensystems gebührte.
Die Schweiz nahm eine ähnliche Stellung zu dem Streit um Itahen
ein wie die in den letzten Paragraphen behandelten italienischen Con-
dottierestaaten. Wie bei jenen war ihr Anteil zunächst wirtschaft-
licher Natur: dank ihrer Verfügung über das ursprünglich am besten
geschulte Fußvolk der Periode waren die eidgenössischen Regierungen
in der Lage, den neuen internationalen Konflikt, der den Wert ihrer
Söldner ungeheuer erhöht hatte, zu finanziellen und kommerziellen
Konzessionen in bisher ungeahntem Maße auszunutzen; wie bei jenen
wurde auch ihre freie Entschließung dadurch eingeschränkt, daß eine
eigentliche ökonomische Notwendigkeit bestand, die militärisch ver-
wendbare überschüssige Menschenkraft in ausländischen Diensten zu
beschäftigen. Aber so wenig wie bei den genannten italienischen Fürsten
waren bei der Entscheidung darüber, welcher Großmacht die offizielle
Erlaubnis zur Anwerbung schweizerischer Söldner erteilt werden sollte,
rein finanzielle Motive maßgebend. Die eidgenössischen Orte oder
wenigstens ein Teil von ihnen verfolgten daneben auch eigentliche
Eroberungsabsichten in den benachbarten italienischen Gebieten, und
wenn sich schon auch diese Ausdehnungstendenzen zum Teil aus öko-
nomischen Überlegungen herleiten lassen, so standen sie doch öfter
mit einer ausschließlich auf finanzielle Ausnutzung der Lage auf dem
Söldnermarkt gerichteten Werbehzenzenpolitik im Widerspruch.
Die Erklärung für diese widersprechenden Tendenzen wird durch
die ökonomische Struktur des Landes geboten.
Obwohl die Schweiz auch nach damaligen Begriffen schwach be-
völkert war (dies deutet z. B. Gommines an 1. V, eh. 1 ; ed. Mandrot
I, 346 u. 349), so war sie doch bereits übervölkert. Man schätzt die
damalige Bevölkerungsdichte zwar nur auf 15 Seelen auf den Quadrat-
kilometer und die gesamte Seelenzahl auf 4 — 500000, d. h. etwa ein
Siebentel der heutigen; aber die bereits von vielen zeitgenössischen
Beobachtern hervorgehobene »große Unfruchtbarkeit«, d. h. die allzu
starke Niederschlagsmenge, die den Anbau von Zerealien in großen
Teilen des Landes wenig ertragreich gestaltet, hatte schon damals zur
§ 97. Die Schweiz. 235
Folge, daß die Bewohner sich nur mit Hilfe dürftiger Lebenshaltung
(der häufig hervorgehobenen »Armut«) aus der eigenen Urproduktion
zu ernähren vermochten. Günstigere Verhältnisse ließen sich nur
schaffen, wenn ausländisches Getreide in großen Quantitäten einge-
führt werden konnte. Um dies zu erreichen, waren aber zwei Vor-
bedingungen zu erfüllen: es mußte Geldkapital geschafft werden, um
diesen Import zu bezahlen, und es mußten Mittel gefunden werden,
um die fremden Regierungen davon abzuhalten, daß sie aus politischen
Gründen die Ausfuhr von Korn nach der Eidgenossenschaft sperrten.
Diese beiden Voraussetzungen sind durch den Söldnerdienst und
besonders durch das damit zusammenhängende Lizenzensystem der
schweizerischen Regierungen geschaffen worden.
Der Söldnerdienst (für den etwa 15000 Mann als überschüssiger
Bevölkerungsteil zur Verfügung standen) brachte zunächst einmal
direkt Geld in das Land, sowohl durch den Lohn der Truppen wie durch
die Pensionen, die den Regierungen für die Werbeerlaubnis bezahlt
werden mußten. Wurden dadurch die Summen aufgebracht, die zur
Deckung unentbehrlicher Importartikel (vor allem des Getreides und
des Salzes) nötig waren, so sorgte für freie Zufuhr das Lizenzensystem,
das die Regierungen zur Ausnutzung ihrer einzigen Gegenleistung von
monopolartigem Weit geschaffen hatten. Die Behörden der eidgenös-
sischen Orte hielten nämlich streng darauf, daß ihre Untertanen nicht
ohne ihre ausdrückliche Autorisation von fremden Regierungen an-
geworben wurden. Es war den Landeskindern verboten, sich ohne
offizielle Vermittelung als »freie Knechte« oder »Reisläufer« in fremde
Dienste zu begeben; es wurde als ein unfreundlicher Akt eines aus-
wärtigen Staates angesehen, wenn ein solcher schweizerische Söldner
ohne Zustimmung ihrer Regierungen zu engagieren versuchte (die
französische Regierung hat sich unter Karl VI IL einmal offiziell wegen
eines solchen Vorfalles entschuldigt: »Lettres de Charles VIII <( V [1905],
255 f.; 1494). In dem Dijoner Vertrag aus dem Jahre 1513 wird von
der französischen Krone direkt verlangt, sie müsse sich zur Unter-
lassung solcher nicht autorisierter Anwerbungen verpflichten.
Es war den schweizerischen Regierungen nicht leicht, dieses System
gegenüber ihren Untertanen zur Geltung zu bringen. Obwohl sie dafür
gewisse Garantien für die Auszahlung des Soldes übernahmen, fehlte
es nicht an »Knechten«, die sich über die Befehle der Behörden hinweg-
setzten und, sei es aus persönlichen Gründen (weil sie eine offizielle
Erlaubnis nicht abwarten mochten), sei es auch auf Grund politischer
Sympathien, die mit den Tendenzen der Regierungen nicht überein-
stimmten, als Reisläufer ins Ausland zogen. Besonders in den in spe-
ziellem Maße auf das Söldnergewerbe angewiesenen Gebirgskantonen
der Urschweiz zeigten sich die Behörden vielfach außerstande, den
Abfluß ihrer Untertanen zu verhindern. Aber es wäre verkehrt, wenn
man das System deshalb als unwirksam bezeichnen wollte. Dies wird
schon durch die diplomatische Korrespondenz der Großmächte wider-
236 Kleinere Staaten.
legt, die überall da, wo sie von schweizerischen Söldnern redet, deutlich
zeigt, welchen Wert die ausländischen Regierungen auf die offiziellen
schweizerischen Lizenzen legten. Es kommt aber noch hinzu, daß
gerade die besser ausgerüsteten Söldner oft nur mit Erlaubnis der
Regierungen zu erhalten waren und daß das Einreihen von unbot-
mäßig »zugelaufenen« Schweizern Ungelegenheiten zur Folge haben
konnte, die mit Rücksicht auf die militärische Bedeutung der eid-
genössischen Infanterie lieber vermieden wurden.
Bestätigt wird diese Ansicht auch durch die wertvollen wirtschaft-
lichen Konzessionen, die die eidgenössischen Regierungen als Gegen-
leistungen für ihre Anwerbelizenzen zu erlangen vermochten. Vor
allem die freie Zufuhr von Getreide und Salz wird häufig gefordert;
dazu kommen Privilegien kommerzieller Natur, besonders in Frank-
reich u. a. m.
Gerade weil dem so war, geschah allerdings auch, daß die ökono-
mische Existenz der Schweiz immer mehr vom Söldnerwesen abhing.
Weil es möglich war, Getreide aus dem Auslande zu erhalten, wurde
der bisher noch spärlich betriebene Zeralienbau in den Gebirgsgegenden
gänzlich eingestellt und nur noch Viehzucht betrieben; dieser Umstand
erhöhte dann nicht nur das Bedürfnis nach Korn, sondern natürlich
auch nach Salz. Auch wurde dadurch ein größerer Teil der männlichen
Jugend für den Kriegsdienst frei, so daß es der Regierung noch schwerer
fiel als vordem, aus politischen Gründen eine Werbelizenz zu versagen.
Aber in der Hauptsache bewährte sich das System. Die Gefahr des
Aushungerns, von dem noch ein Vierteljahrhundert vorher ein mai-
ländischer Beamter einmal gesprochen hatte {»Depeches des Ambassa-
deurs milanais« I [1856], 256; 1475) bestand in Tat und Wahrheit nicht
mehr, nicht weil sich die wirtschaftliche Produktion gehoben hätte,
sondern weil die fremden Regierungen ein Interesse daran hatten, es
mit den Lieferanten des (in der ersten Zeit) besten Fußvolkes der Pe-
riode nicht zu verderben.
Unter diesen Umständen brachten sogar nicht einmal die lockere
Organisation der eidgenössischen Bünde und die divergierenden Ziele
der auswärtigen Politik, die unter den Orten bestanden, der inter-
nationalen Stellung der Schweiz den Schaden, den sie ohne diese mili-
tärische Basis hätten zur Folge haben müssen. Immerhin genügten
diese gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen auch nicht, um eine
einheitliche eidgenössische Politik gegenüber dem Auslande zu erzeugen.
Der Gegensatz blieb bestehen, daß die westhchen Orte unter der Füh-
rung Berns ihre Ausdehnungstendenzen gegen das savoyische Gebiet
zu richteten, die Urkantone die ihren gegen Mailand, und daß die Orte
im Norden diesen Bestrebungen gegenüber zum mindesten vielfach
eine passive Resistenz an den Tag legten. Dies gilt, besonders mit
Bezug auf die Unternehmungen gegen Savoyen. Mit Mailand stand es
allerdings nicht ganz ebenso. Die Frage des Besitzes Mailandes rührte
eben an das fundamentale Versorgungsproblem. Mailand war nicht
§ 97. Die Schweiz. 237
nur für die Kornzufuhr nach der Innerschweiz von außerordentliche!"
Bedeutung, sondern die französische Krone hätte, falls das Herzogtum
in ihre Hand gefallen wäre, einen unverhältnismäßig großen Einfluß
auf die Versorgung der Eidgenossenschaft überhaupt erhalten. Hier
lag daher ein Grund vor, sich unmittelbar in die Kämpfe um Italien
einzumischen, wie denn auch geschehen ist (§ 114). In einer publi-
zistischen französischen Äußerung aus dem Jahre 1515 wird auch
geradezu dem Gedanken Ausdruck verliehen, man könnte die Schweizer
durch eine Getreidesperre in Frankreich und Mailand zu absoluter Unter-
würfigkeit bewegen {»Journal de Jean Barrillonal [1897], 130), — eine Er-
wägung, die aus den eben angeführten Gründen allerdings undurchführ-
bar war, immerhin aber doch die wirtschaftliche Bedeutung der Ver-
reinigung Mailands mit Frankreich in klarem Lichte erscheinen läßt.
Freilich hätten, auch wenn die politische Organisation des Bundes
weniger mangelhaft gewesen wäre, wesentliche Voraussetzungen zu
einer wirksamen auswärtigen Politik gefehlt. Die Schweiz war näm-
lich auch auf dem militärischen Gebiete, dem einzigen, das ihr einen
Einfluß auf die internationalen Streitfragen verschaffte, so einseitig
ausgerüstet, daß sie wohl wertvolle Hilfe leisten, dagegen kaum selb-
ständig operieren konnte. Von allen Waffen wurde nur die Infanterie
wirklich gepflegt; in den übrigen Waffengattungen leisteten die Eid-
genossen nichts oder doch nur Mittelmäßiges. An Kavallerie fehlte
es so sehr, daß die Behauptung Machiavellis, die Schweizer kennten
diese Waffe überhaupt nicht, im besten Falle als leicht übertrieben
bezeichnet werden kann; es lag dieser Mangel sowohl in der gebirgigen
Natur des Landes wie in dem städtisch-bürgerlichen Charakter der
Mehrzahl der Kantone begründet (auch die deutschen Reichsstädte
hatten keine eigene Reiterei). Im Artilleriewesen stand es zwar nicht
ganz so schlimm; einige wenige Städte vermochten sogar aus eigenen
Kräften Feuergeschütze herzustellen, was bei den meisten der geringen
Entwicklung des einheimischen Handwerkes wegen nicht möglich war;
auch durfte die Befestigungskunst schon nur mit Rücksicht auf die
Gefahr innerschweizerischer Kämpfe nicht vernachlässigt werden. Aber
auch hier waren die Resultate bescheiden. In den Offerten, die den
Eidgenossen gemacht wurden, um sie zum Kampfe gegen benachbarte
Großmächte zu bewegen, fehlte kaum je das Angebot, sie neben Ka-
vallerie auch mit Artillerie zu versehen, was beweist, daß es entweder
an moderner oder an reichlicher Artillerie oder an beiden mangelte,
und es war allbekannt, daß die schweizerischen Söldner regelmäßig
bei Belagerungen versagten. So wertvolle Dienste die Schweizer in
einer Koalitionsarmee leisten konnten, so beschränkt war ihre mili-
tärische Brauchbarkeit, wenn sie ausschließlich auf eigene Kräfte an-
gewiesen waren. Nur der Umstand, daß die Infanterie damals im
Landkriege die dominierende Waffe war (§ 5), hat die Eidgenossen-
schaft in den allerdings wenigen Kämpfen mit dem Ausland vor Kata-
strophen bewahrt.
238 Kleinere Staaten.
Die Qualitäten der schweizerischen Söldner selbst können hier nur
kurz geschildert werden; sie sind ja auch kein Erzeugnis der hier be-
handelten Periode, sondern die Eidgenossen traten bereits mit ihnen
in jenen Zeitraum ein. Die schweizerischen Infanteristen waren (be-
sonders in den ersten Jahren) den anderen vor allem überlegen durch
ihre taktische Ausbildung, die dann erst allmählich in fremden Ländern
Nachahmung fand. Es kamen hinzu günstige physische Eigenschaften.
Die viehzuchttreibenden Gebirgskantone, die verhältnismäßig am
meisten Söldner stellten, brachten ein besseres Soldatenmaterial hervor
als ackerbautreibende Länder. Dem reihten sich moralische Vorzüge
an: da kein Abfließen in andere Gewerbsarten stattfand, meldeten sich
die tüchtigsten Elemente an und ein strenger, in Strafbestimmungen
sich äußernder Korpsgeist hielt die eidgenössischen Truppen so fest
zusammen, wie es sonst wohl nur bei den spanische Söldnern der Fall
gewesen sein dürfte. »Nationale« Gesinnung im eigentlichen Sinne des
Wortes war allerdings selten; aber wenn schon die Söldner den poli-
tischen Zielen ihres Landes in der Regel indifferent gegenüberstanden, so
hielten sie um so mehr auf ihre nationale Berufsehre. Es war wohl nicht
unberechtigt, wenn sie bei den fremden Regierungen als besonders zu-
verlässig galten; damit mochte auch zusammenhängen, daß sie z. B. in
Frankreich höher bezahlt wurden, nicht nur natürlich als die einheim-
ischen wenig geschulten Infanteristen, sondern selbst als die deutschen
Landsknechte (so berechnet wenigstens Kurt Stallwitz, »Die Schlacht
bei Ceresole« 1911, S. 81, n. 78; vgl. auch Soranzo bei Alberi I, 2, 417).
Weil dem nun so war und weil die auswärtigen Regierungen sogar,
wenn sie selbst keine Schweizer verwenden mochten, wenigstens Wert
darauf legten, daß die eidgenössischen Regierungen auch dem Gegner
die Werbung nicht gestatteten, hätte die Eidgenossenschaft trotz des
Aufkommens gefährlicher Rivalen (vor allem der Spanier, aber auch der
Landsknechte) bis zum Ende der Periode eine einflußreiche Stellung
in der internationalen Politik bewahren können, wenn die konfessionelle
Spaltung nicht jede gemeinsame Aktion gegenüber dem Ausland un-
möglich gemacht hätte. Nicht die Schlacht bei Marignano (§ 116) oder
der darauf folgende Freiburger Friede mit Frankreich hat der selb-
ständigen Politik der Schweiz ein Ende bereitet — die Ereignisse der
unmittelbar darauffolgenden Jahre beweisen das Gegenteil — sondern
die Reformation und ihre Folgen. Die zeitgenössischen Beobachter
haben dies bereits deutlich genug erkannt (vgl. z. B. den Venezianer
Mazza in den Relazioni ed. Segarizzi II, 66; ferner ibid. p. 36); die innere
Zwietracht paralysierte nicht nur, wie ohne weiteres verständlich,
die diplomatische Tätigkeit der eidgenössischen Regierungen, sondern
sie nötigte die »Orte« auch, einen Teil ihrer Söldner zum gegenseitigen
Schutze zu Hause zu behalten (Cavalli bei Tommaseo I, 309). Die kon-
fessionelle Spaltung der Eidgenossenschaft ist daher nicht zum min-
desten am Hofe Kaiser Karls V. mit Befriedigung aufgenommen
worden (Salinas »Carlas« p. 427 [1529]).
§ 97. Die Schweiz. 239
Literatur. Trotz umfangreicher Publikationen zur schweizerischen Ge-
schichte fehlt es noch durchaus an wissenschaftlichen Monographien zur Geschichte
des schweizerischen Militär- und noch mehr des Söldnerwesens. Über das erstere
das Wichtigste, in Arbeiten aus der Schule Hans Delbrücks; vgl. die zu § 5 zitierte
Literatur. Dazu die Arbeiten von Joh. Häne und Hermann Merz (Heft 3 und 11
der »Schweizer Kriegsgeschichte« 1915ff.); E. Dürr, »Machiavellis Urteil über die
Schweizer« in der »Basler Zeitschrift für Geschichte und Naturkunde« XVII (1918),
162 ff. Über das Söldnerwesen gibt das Beste die kurze Schrift von Richard Feller,
»Bündnisse und Söldnerdienst 1515 — 1798« (ß. Heft der »Schweizer Krieg.sgeschichte«
1916). Die Arbeit hat, obwohl zum großen Teile auf ungedruckten Quellen beruhend,
leider gemäß dem populären Charakter der Sammlung, in der sie erschien, auf die
Zitierung der Belege verzichten müssen; immerhin ist wenigstens ein Literatur-
verzeichnis beigegeben worden. Im übrigen sind, wie auch Feller andeutet (p. 48)
die ausländischen Quellen für diesen Gegenstand viel ergiebiger als die schweizerischen
Akten. Erschwert werden übrigens die Untersuchungen über das schweizerische
Söldnerwesen dadurch, daß es auch noch an einer Wirtschaftsgeschichte der Schweiz
fehlt.
Zu den Abmachungen mit fremden Mächten, die den Eidgenossen mit Artillerie
und Kavallerie aushelfen sollten, vgl. die Offerte Maximilians I. aus dem
Jahre 1513 (Ulmann II, 465), Gagliardi im »Jahrbuch für Schweizerische Geschichte«
XL, 17*, 54 ff., 126, 177 (französisches Geschütz im Jahre 1499 geliefert); in dem
Bunde zwischen Frankreich und 11 Ständen vom Jahre 1549 versprach der franzö-
sische König den Eidgenossen nicht nur Salz zu den gleichen Bedingungen wie seinen
Untertanen zu liefern, sondern auch, falls sie angegriffen werden sollten, ihnen Reiter
und Geschütze zu schicken (ähnlich schon im Jahre 1515 : Jean Barrillon, )>Journal«,
p. und 106 f.). Über die Bedeutung des Salzes vgl. ferner »Jahrbuch«, ibid.,
116*; Kaiser Karl V. befürchtete deshalb Absichten der Schweizer auf die Salinen
der Freigrafschaft (politisches Testament aus dem Jahre 1548 bei Weiß, »Papiers
cfEtat de Granvellen III, 294).
Wenn im Texte nicht erwähnt wurde, daß das eingeführte Getreide zum größten
Teile aus Süddeutschland stammte, so geschah dies nur deshalb, weil die Gefahr
einer Einfuhrsperre aus politischen Gründen von dieser Seite kaum bestand. Diese
Eventualität scheint nur während des Schwabenkrieges des Jahres 1499 in Betracht
gezogen worden zu sein (»Jahrbuch für Schweiz. Geschichte« XL, 116*). Der wert-
vollste Beitrag zur Geschichte der Selbstversorgung mit Korn ist die Dissertation von
Reinhold Bosch, »Der Kornhandel der Nord-, Ost-, Innerschweiz und der ennet-
birgischen Vogteien im 15. und 16. Jahrhundert« (Zürich 1913) (mit Bibliographie).
Über die Handelsprivilegien im Ausland, die mit der Gewährung von Anwerbe-
lizenzen zusammenhingen, vgl. die Zürcher Dissertation von Ella Wild, »Die eid-
genössischen Handelsprivilegien in Frankreich 1444 — 1635« (1909): dazu auch die
Äußerung der Berner Regierung »Jahrbuch für schweizerische Geschichte« XXXIX
(1914), 38* n. 1. Ähnliche Konzessionen gewährte auch Mailand (abgesehen von der
freien Zufuhr von Getreide und Salz), vgl. ibid., p. 214. Welchen Wert diese Privi-
legien hatten, geht schon daraus hervor, daß deutsche Kaufleute gelegentlich auf
Umwegen dieser Begünstigung teilhaftig zu werden versuchten; vgl. die zitierte
Schrift von E. Wild.
Wichtige Angaben zur Wirtschaftsgeschichte enthalten die Auszüge aus den
»Berner Ratsmanualen 1465 — 1565«, die Berchtold Haller 1900 ff. publiziert hat.
Die Stadt Bern ließ regelmäßig zur Anfertigung ihrer Geschütze ausländische
(deutsche) Büchsenmeister kommen. Doch war dies nicht in allen schweizerischen
Städten der Fall; vgl. darüber E. A. Geßler, »Die Entwicklung des Geschützwesens
in der Schweiz« I und II (1918 f.; Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in
Zürich, Band XXVIII). A. Mantel, »Geschichte der Zürcher Stadtbefestigung I«
(Neujahrsblatt der Zürcher Feuerwerkergesellschaft auf 1919). — Welche Bedeu-
tung der Hilfe der Schweizer noch unmittelbar vor der Reformation beigelegt
wurde, dafür zeugen u. a. die beiden Schreiben Kaiser Karls V. aus dem Jahre 1521,
240 Kleinere Staaten.
in denen er über das künftige Schicksal Mailands spricht: K. Lanz, »Aktenstücke«,
p. 521 und 529 {»Moniunenta Habsburgica« II, 1). Damals dachte man in Mailand
auch noch an ernsthafte Absichten der Schweizer auf Annexion des Herzogtumes
i^yRelazioni«, ed. Segarizzi II [1913], 29).
Daß in den Gebirg.sgegenden der bis anhin, offenbar der unsicheren Ver-
bindung mit fruchtbareren Gebieten wegen, noch unterhaltene Ackerbau damals
gänzlich aufgehört hatte, wird auch von fremden Beobachtern hervorgehoben.
Vgl. z. B. die Äußerung Konrad Pellikans in seiner »Hauschronik« (übersetzt von
Vulpinus 1892, p. 33); auch Guicciardini nennt die Schweizer »per la sterilitä del
paese, piuttosto pastori che agricoltori« {»Istoria d^Italia« 1. X). Mehr noch sagt, daß
Schwyz im Jahre 1530 erklärte, es fehle, da seit langem kein Korn mehr gebaut
werde, sogar an Saatgut (Strickler, »Aktensammlung zur schweizerischen Refor-
mationsgeschichte« II, Nr. 1764. Mailand lieferte übrigens außer Getreide auch
Reis in die Schweiz (»Berner Ratsmanuale« II, 246; Bosch 1. c, p. 9; Schulte, »Mit-
telalt. Handel« II [1900], 197). Auf der anderen Seite war allerdings die schweizerische
Viehzucht exportfähig. Besonders Mailand bezog Vieh aus den Urkantonen. Die
Ausfuhr von Molkereiprodukten war dagegen allem Anschein nach noch unbedeutend
(zwei Fälle aus etwas späterer Zeit in den »Berner Ratsmanualen«, 256f.). Immerhin
antworteten die Eidgenossen auf ein mailändisches Ausfuhrverbot einmal (1549)
mit einer Sperre des Exportes von Vieh, Käse usw. (Bosch, p. 31). Über die Be-
deutung des Salzimportes für die Viehzucht zeitgenössische Angabe im »Jahrbuch
für Schweiz. Geschichte« XL, 116*.
In den »zugewandten Orten«, deren Söldner übrigens als etwas geringer in
der Qualität erachtet wurden, lagen die Verhältnisse ähnlich. Auch dort war die
Söldneranwerbung verstaatlicht. Vgl. z. B. Ehrenzeller im »Jahrbuch für Schweiz.
Geschichte XXXVIII, 76, n. 2, und p. 79, n. 3, für das Wallis.
Der wertvollste ausländische Bericht über die Schweiz aus späterer Zeit in
der Mailänder Relation des Basadonna vom Jahre 1533: Segarizzi II, 35 ff. Sehr
beachtenswert ist außerdem die Charakteristik des Mailänders »Balcus« in den
»Quellen zur Schweizer Geschichte« VI (1884), 73ff.
Zur Geschichte der diplomatischen Beziehungen E. Rott, »Histoire de la
representation de la France aupres des cantons suisses«, 1900 ff.
2. Die am Kampfe um Italien nicht unmittelbar beteiligten Staaten.
§ 98. Ungarn. Es ist weder möglich noch wäre es zweckmäßig,
die nicht unmittelbar an dem zentralen internationalen Konflikte der
Periode beteiligten Staaten ebenso eingehend zu behandeln wie die
bisher besprochenen. Ein zusammenfassender Paragraph muß ge-
nügen. Eine Ausnahme möge nur für zwei Staaten gemacht werden,
deren Politik besonders eng mit dem Kampf um Italien verflochten
ist. Der eine von beiden ist das ungarische Königreich.
Ein venezianischer Gesandter meinte einmal, Ungarn sei frucht-
barer und reicher als Frankreich (Tommaseo I, 270), und ein anderer
schrieb, wenn der König von Ungarn über die Naturschätze und die
Menschen seines Landes frei verfügen könnte, vermöchte er es mit
jedem Fürsten aufzunehmen (Schreiben vom 5. Oktober 1523 bei
Sanuto, »Z)mrü« 35, III f.). Beide Urteile treffen zweifellos zu. Die
Getreideproduktion und Viehzucht des dafür hervorragend geeigneten
Landes warf große Überschüsse ab, und dazu kamen noch die ergiebigen
Bergwerke, sowohl die Salinen wie die Metallgruben (Edelmetalle,
Kupfer, Blei usw.). Aber alle diese günstigen Vorbedingungen wurden
§ 98. Ungarn. 241
politisch-militärisch nicht ausgenutzt. Ungarn hatte den Schritt zum
modern zentralisierten Staate noch nicht mitgemacht. Es ist dabei
nicht einmal nötig, Länder wie Frankreich oder England zum Ver-
gleiche heranzuziehen. Auch nur neben Österreich oder die größeren
deutschen Territorien gestellt, erschien Ungarn mangelhaft organisiert.
Es fehlten in dem Lande, in dem es nur willäni, soldati e preti« gab
(Sanuto, Diarii IV, 861), die Voraussetzungen zu der relativen Herr-
schaft des Mittelstandes, wie er in den stärkeren Staatswesen ein-
gerichtet worden war. Denn Ungarn kannte keinen einheimischen
Mittelstand. Die Bevölkerung setzte sich, abgesehen von den Geist-
lichen, aus adeligen Grundbesitzern und von diesen vollständig ab-
hängigen Bauern zusammen; nicht nur das Handwerk, sondern selbst
die Ausbeutung der Bergwerke blieb so gut wie ausschließlich Fremden
(meistens Deutschen) überlassen. Das hätte nun noch angehen mögen,
wenn die Krone wenigstens die Magnaten in der Hand gehabt hätte
oder diese eine einheitliche Standespohtik verfolgt hätten. Aber beides
war nicht vorhanden. Dem Königtum fehlten alle Mittel, um das
Vermögen des Adels für staatliche Zwecke heranzuzieken; selbst die
von den Ständen beschlossenen Steuern liefen nur zu einem geringen
Teile ein, so daß die Bezahlung dieser Summen noch unregelmäßiger
vor sich ging als die Ablieferung der von den deutschen Reichstagen
bewilligten Subsidien. Die Salzbergwerke, der wichtigste Einnahme-
posten der Regierung, warfen nicht genug ab, um eine von den Ständen
unabhängige wirksame Exekutive zu schaffen.
Diese im Vergleich mit den anstoßenden Großstaaten im Westen
und Süden zurückgebliebene Organisation machte sich nicht zum
mindesten im Militärwesen fühlbar. Ungarn war zwar nicht ganz un-
bewehrt. Seine Pferde wurden allgemein geschätzt, und aus dem Adel
ließ sich eine leistungsfähige Kavallerie bilden ; wenn die ungarischen
Reisigen wohl der mangelhaften Ausrüstung wegen als nur von mittel-
mäßiger Qualität gelten konnten, so wurden die leichten Reiter da-
gegen wohl mit Recht einmal von einem Kenner als die besten ihrer
Art in Europa bezeichnet (Avila, »Comentario« in den »Historiadores
de Sucesos particulars<( I, 438). Aber das war auch alles, was zum
Lobe des ungarischen Heerwesens gesagt werden konnte. Zunächst
litt auch die militärische Brauchbarkeit der ungarischen Kavallerie
unter der mangelhaften Organisation: die Magnaten rückten mit ihren
Truppen (die sich bis auf 1000 Pferde belaufen konnten: Sanuto,
Diarii 1. c.) ein, wie und wann sie wollten, und sobald ein kleiner
Erfolg errungen, wurden einzelne »Banderien« wieder abberufen. Vor
allem aber besaß die Regierung nicht die Mittel, um die fehlenden
Waffengattungen durch Anwerbung oder Käufe im Ausland zu schaffen.
Zu diesen gehörte sowohl die Infanterie, von der Ungarn ganz entblößt
war, da die einheimischen Bauern nicht oder jedenfalls nicht ordent-
lich geschult waren, wie die Artillerie. Daß in Ungarn keine Geschütz-
gießerei bestand, war bei dem völligen Fehlen eines einheimischen
Fueter, Europ. Staatensystem. 16
242 Kleinere Staaten.
Gewerbes an sich zwar nicht auffallend. Aber es wurde von der Re-
gierung nichts getan, um diesem Mangel abzuhelfen. Es gab in Ofen
(Buda) nicht einmal einen Geschützmeister. Erst als die Gefahr eines
türkischen Angriffes in die größte Nähe gerückt war, versuchten die
Ungarn in den benachbarten christlichen Staaten Geschütze zu leihen
(vgl. »Planitz' Berichte« S.513; 1523), und Erzherzog Ferdinand schickte
damals (1524) den Ungarn nicht nur Geschütze sondern auch Hand-
feuerwaffen (L. Kupelwieser, »Die Kämpfe Ungarns mit den Os-
manen« 1899, S. 212; später erbaten sich dann die mit den Habs-
burgern kriegenden Ungarn Geschütze von den Türken [Jorga, »Ge-
schichte des Osmanischen Reiches« II, 406]). Aber damals war es
bereits zu spät, und es ist sicherlich keine unbegründete Annahme,
wenn man die Katastrophe von Mohacs (1526; vgl. § 123) hauptsächlich
auf die Überlegenheit der türkischen Artillerie zurückführt. Und dabei
waren die türkischen Geschütze keineswegs von hervorragender Qua-
lität (§77)!
Aber auch in den politischen Beziehungen zum Auslande zog der
ungarische »Feudalismus« schädliche Folgen nach sich. Die könig-
liche Regierung war so wenig imstande, sich mit diplomatischen Waffen
auszurüsten wie mit militärischen. Die Einrichtung ständiger Ge-
sandtschaften war in Ungarn noch gänzlich unbekannt. Dazu hatte
das Königtum nicht einmal die ausschließliche Verfügung in Fragen
der auswärtigen Politik. Der letzte Entscheid lag vielfach bei Koterien
von Magnaten, und die fremden Mächte verhandelten beinahe ebenso-
sehr mit einflußreichen Baronen wie mit den offiziellen Herrschern;
stärker als in irgendeinem anderen Lande scheint dabei die Haltung
der ausschlaggebenden Mitglieder des hohen Adels von der Höhe des
finanziellen Angebotes abhängig gewesen zu sein. Ein österreichischer
Bericht spricht einmal ausdrücklich von »pecunia parata«, durcK das
neben den Burgen »hoc hominum genus (die Ungarn) facillime capitur«
(Lanz, »Korrespondenz Karls V.« II, 242). Wenn solche persönliche
Interessen nicht die politische Haltung bestimmten, so waren es Rück-
sichten auf den Vorteil des Standes. Die Barone waren z. B. schon
deshalb der habsburgischen Herrschaft abgeneigt, weil sie »unter dem
deutschen Regime ihre Libertät verloren« hätten (Lanz ibid.); wohl
aus diesem Grunde empfanden sie gegen die »Deutschen« solchen Haß,
daß sie die Türken wie Freunde und Brüder betrachteten ( »Acta Tomi-
ciana« VIII, 268). Noch stärker dominierte ein solches Gefühl bei
der ausgenutzten Bauernbevölkerung; diese erwartete von dem türki-
schen Regiment geradezu eine Befreiung von der Willkürherrschaft
der Magnaten (vgl. z. B. Cavalli bei Alberi I, 3, 131). Freilich hatte
dieser Teil des Volkes in normalen Zeiten auf die Politik keinen Einfluß.
\^'enn diese Zustände in Ungarn besonders schädliche Folgen
nach sich zogen, so daß schließlich nur die Wahl zwischen Unter-
werfung unter die Habsburger oder die Türkei blieb, so war das aller-
dings nicht die Schuld des Landes allein. Andere Staaten wie Polen
§ 99. Der nordafrikanische Korsarenstaat. 243
oder Seliottland hatten die Organisation zum modern zentralisierten
Staat ebensowenig mitgemacht wie das magyarische Königreich und
trotzdem ihre Unabhängigkeit bewahren können. Ungarn wurde viel-
mehr deshalb in besonderem Maße betroffen, weil ee;, nachdem die
Türken den ganzen Balkan ihrer Herrschaft oder wenigstens Suzeränität
unterworfen hatten, zwischen zwei modern ausgerüstete Großstaaten
geriet, die beide auf seinen Besitz aspirierten.
Literatur. Die wichtigsten Quellen sind bereits im Texte zitiert (dazu be-
sonders noch »Monumenta Hungariae historica« 39 [1914]); von den diplomatischen
Korrespondenzen sind natürlich die österreichischen Berichte am reichhaltigsten.
IJber die Zustände im Militärwesen vieles in der ebenfalls angeführten Schrift von
L. Kupelwieser, »Die Kämpfe Ungarns mit den Osmanen bis zur Schlacht bei Mohäcs,
1526«. 2. Aufl. 1899. — W. Fraknöi, »Ungarn vor der Schlacht bei Mohacs«, 1886;
Albert de Berzeviczy, »Beatrice (T Aragon, reine de Hongrie (1457—1508)«, 2 Bände.
1911/12.
§ 99. Der nordafrikanische Korsarenstaat. Wer die Stellung des
nordafrikanischen Piratenstaates innerhalb des europäischen politischen
Systemes definieren will, stößt auf besondere Schwierigkeiten. Es
haben sich in diesem Falle nicht nur Umfang und Grundlagen des
Gemeinwesens während des hier besprochenen Zeitraumes stark ver-
ändert, wie es z. B. bei Osterreich der Fall war, sondern das genannte
militärisch-politische Gebilde ist überhaupt erst im Laufe der Periode
entstanden. Trotzdem muß an dieser Stelle auch dieses Glied des
europäischen Staatensystems wie eine unveränderliche Größe charak-
terisiert werden. Es kann daher nur die Bemerkung vorausgeschickt
werden, daß die folgenden Ausführungen für die ersten zwei Jahr-
zehnte der Periode nicht gelten und daß im übrigen der Zustand vor-
ausgesetzt ist, wie er in dem Endabschnitt vor 1559 herrschte.
Die mohammedanischen Staaten in Nordafrika besaßen, bevor
das griechische Seeräuberpaar seine Unternehmung begründete, nur
für die spanische und portugiesische Politik Bedeutung. Sie bildeten
keinen selbständigen Machtfaktor, und wenn wie natürlich die Ex-
peditionen der Spanier gegen sie einen gewissen Rückschlag auf die
spanischen Operationen in Italien ausübten, so zogen diese Vorfälle
die übrigen Staaten doch nicht direkt in Mitleidenschaft. Das wurde
anders, als die beiden von den abendländischen Schriftstellern »Bar-
barossa« genannten Brüder aus Mytilene an Stelle der militärisch rück-
ständigen einheimischen Herrscher ein Korsarenreich gründeten (von
1514 an), das eine der stärksten Flotten des Mittelländischen Meeres
sein eigen nannte. Damit war nicht nur alles, was die Spanier an der
Küste und im Innern von den eingeborenen Stammeshäuptlingen ge-
wonnen hatten, in Frage gestellt, sondern es bildete sich nun zum
ersten Male im Mittelmeere eine Marinestreitmacht, die mit den Kriegs-
flotten Venedigs und Genuas in Vergleich gesetzt werden konnte.
Besonders für die Republik Genua, die wie bekannt (§ 94) über ihre
Schiffe nicht frei zu verfügen vermochte, entstand insofern ein Kon-
kurrent, als die Staaten, die auf die Ausnutzung der genuesischen
16*
244 Kleinere Staaten.
Marine verzichten mußten, in der neuen griechisch-mohammedanischen
Gründung ein Surrogat finden konnten.
Die Korsarenflotte der Barbarossas (seit dem Tode des älteren
Bruders im Jahre 1518 kommandierte allein der jüngere, Chaireddin
genannte) ist denn auch rasch von den zur See schwachen Großstaaten
in Dienst genommen worden. Am leichtesten vollzog sich aus natür-
lichen Gründen die Verbindung mit der Türkei, unter deren Suzeränität
sich die »Barbaresken« bereits im Jahre 1519 stellten. Aber daran
schloß sich später die Allianz mit Frankreich, das allem Anschein
nach sein Bündnis mit den Osmanen vor allem einging, um sich die
Mitarbeit der nordafrikanischen Piratenflotte zu sichern, nachdem
Genua verloren gegangen war (§ 121). Auch hat dann sogar Kaiser
Karl V. Anstrengungen unternommen, um die Barbaresken von den
Türken loszutrennen und in den Dienst der habsburgischen Politik ein-
zubeziehen. Im Jahre 1540 sind zwischen beiden Parteien ernsthafte
Verhandlungen geführt worden; dem Korsarenfürsten hätten von dem
Kaiser Oran, Tunis und Tripolis zu dem bereits okkupierten Algier
offiziell überlassen werden sollen, während er der Gegenpartei u. a.
50 Galeeren zur Verfügung gestellt hätte ( »Venezianische Depeschen
vom Kaiserhofe« I, 428 usw.; Armstrong, t>The Emperor Charles F«
II, 4 f.).
Auch ohne daß weitere Daten angeführt werden, zeugt allein
schon die Zahl der in diesem Vertragsprojekt genannten Kriegsschiffe
für die militärische Bedeutung der algerischen Piratenmacht. Die
Flotte der Barbaresken war allerdings, was Leistungsfähigkeit und
Leitung anbetraf, der venezianischen und genuesischen Marine wohl
nie gewachsen, und die verächtlichen Urteile venezianischer Fach-
männer dürften zutreffend gewesen sein (Alberi, »Relazioni« III, 1,
p, 20, 69); aber wer ihren Wert erkennen will, darf sie auch nicht mit
diesen, sondern muß sie mit den Seestreitkräften Frankreichs, Spaniens
oder der Türkei vergleichen. Diese zuletzt genannten Staaten waren
ja nicht einmal imstande, ihre Küsten gegen räuberische Angriffe der
Korsaren zu schützen, geschweige denn, daß sie in einem Seekriege
eine ähnliche Macht hätten aufbringen können.
Diese relative Vormachtstellung der Barbaresken beruhte haupt-
sächlich darauf, daß sie ihre zahlreichen, mit geübten Ruderern be-
setzten Schiffe beständig im Gebrauch erhielten und daß sie ihre Be-
triebsmittel aus ihren Unternehmungen selbst ergänzten. Die Ruder-
mannschaft bestand ja aus gefangenen Christen, und jede gelungene
Operation vermehrte nicht nur das Kapital der Organisation, sondern
auch die Zahl der Arbeiter. Ein entschiedener Schlag hätte gegen
sie nur von einer Landmacht ausgeführt werden können, die, gestützt
auf die einheimischen, von den Piraten zurückgedrängten Herrscher,
die an Infanterie schwachen Korsarenfürsten von der nordafrikanischen
Küste vertrieben hätte. Solche Expeditionen sind denn auch von
Karl V. versucht worden (§§ 124 ff.), aber der Kaiser war zu sehr durch
§ 100. Polen. 245
seinen Kampf mit Frankreich in Anspruch genommen, als daß er nach
dem Willen seiner spanischen Untertanen sich dieser Aufgabe mit
Konsequenz und Ernst hätte widmen können. Die letzten Jahre der
Periode zeigen deshalb denn auch nicht ein Zurückweichen, sondern
ein weiteres Ausdehnen der Piratenfürsten in der Weise, daß ihnen
schließlich (1551 und 1555) sogar noch Tripolis und Bougie zufielen.
Es kam ihnen dabei zugut, daß sie in ihren Kämpfen mit den Spaniern
auch artilleristisch nicht hinter ihren Gegnern zurückstanden. Seit-
dem Frankreich sich mit den Türken verbunden hatte, half es den
Barbaresken auch mit Geschützen aus.
Literatur. Vgl. vor allem die bibliographischen Notizen bei Paul Darmstädter,
»Geschichte der Aufteilung und Kolonisation Afrikas seit dem Zeitalter der Ent-
deckungen« 1 (1913). — Zeitgenössische Angaben über die militärisclie Bedeutung
der Barbareskenfürslen in den venezianischen Relationen über die Türkei und in
den Berichten über die Expeditionen Karls V. gegen sie, über die auch eine Reihe
moderner Monographien vorliegen (vgl. speziell die apologetische Abhandlung von
Gustav Turba »Über den Zug Kaiser Karls V. gegen Algier« im »Archiv für österr.
Geschichte« LXXVI, I [1890], 25ff.).
Bevor die Franzosen aushalfen, d. h. bevor sich der Seeräuberstaat gebildet
hatte, pflegten die Genuesen etwa den nordafrikanischen Reichen Geschütze zu
liefern: »Revista de Archivosi< 55, 199ff. und 251 (1508). Im übrigen hatten die
Korsaren seit ihrer Vereinigung mit der Türkei natürlich auch die MögUchkeit,
sich aus Konstantinopel mit Artillerie zu versorgen.
Erwähnt sei schließlich noch das populäre Werk eines modernen englischen
Fachmanns: E. ttamilton Currey R. N., »Sea-Wolves of the Mediterranean« (mit
Bibliographie).
§ 100. Die übrigen Staaten. Die übrigen Staaten können an dieser
Stelle nur ganz kurz besprochen werden. Von Polen wäre, was seine
politische Struktur und militärische Leistungsfähigkeit betrifft, in
der Hauptsache dasselbe zu sagen wie von Ungarn; auch die wirtschaft-
liche Position des Landes war ähnlich. Wenn der Staat trotzdem dem
Schicksal des südlich gelegenen Reiches entging, so beruhte dies nur
darauf, daß seine wichtigsten Gegner, die Tataren und die Mosko-
witer, in militärischer Beziehung ebenso rückständig waren wie die
polnische Wehrkraft. Wäre das Land wie Ungarn zum eigentlichen
Beuteobjekt der Osmanen und der Habsburger geworden und nicht bloß
gelegentlich in Konflikt mit diesen beiden überlegenen Staatswesen
gekommen, so hätte es seine Selbständigkeit wohl ebensowenig be-
wahren können wie das ungarische Reich. So wie die Dinge lagen,
war die Haltung Polens weder direkt noch indirekt von größerer Be-
deutung für den Ausgang des zentralen politischen Problemes; dies
wird schon dadurch illustriert, daß die Bemühungen einen Zusammen-
schluß zwischen den Habsburgern und den Russen gegen die Polen
zustandezubringen, zu keinem praktischen Resultate geführt haben,
obwohl die österreichische Diplomatie solchen Allianzverträgen rührige
Aufmerksamkeit zu widmen pflegte.
Ähnliches gilt von Schottland, das als dünn besiedeltes, wenig
zum Ackerbau geeignetes Land es freilich an wirtschaftlicher Pro-
246 Kleinere Staaten.
duktionsfähigkeit weder mit Ungarn noch mit Polen aufnehmen konnte.
Auch dort war der »Feudahsmus« noch nicht überwunden und fehlten
die modernen technischen Kriegsmittel (Artillerie und Infanterie).
Wenn die Armut des Bodens auch zu einer relativ starken Entwicklung
der Schiffahrt führte (unverhältnismäßig viel stärker als in England)
und speziell der Fischhandel recht ausgedehnt gewesen zu sein scheint,
so vermochte dies doch die ungünstige wirtschaftliche Basis nicht
zu verbessern, so daß auch schon nur aus diesem Grunde die Mittel
zu einer Politik in größerem Stile gefehlt hätten. Daß das kleine Land
trotzdem weniger außerhalb der großen Konflikte des europäischen
Staatensystems blieb, hing nur damit zusammen, daß England zeiten-
weise in diese Kämpfe eingreifen konnte oder wollte. Damit wurde der
nördliche Staat dann zu einem natürlichen Bundesgenossen der Gegner
des englischen Königreiches, d. h. in den meisten Fällen Frankreichs;
diese Allianz empfahl sich auch dadurch, daß gerade die französische
Monarchie den Schotten in der Waffengattung aushelfen konnte, die
in Schottland am mangelhaftesten ausgebildet war, nämlich im Ar-
tillerie- und Befestigungswesen; dank dieser Unterstützung hat sich
dann Schottland auch gegen England verhältnismäßig befriedigend in
der Defensive zu behaupten vermocht. Auch diplomatisch war Schott-
land schlecht ausgerüstet, die Regierung unterhielt nicht einmal in
London eine ständige Gesandtschaft.
Noch weniger griffen die skandinavischen Länder (Dänemark,
später Dänemark und Schweden) in den Verlauf der großen politischen
Aktion ein. Die Möglichkeit den Sund zu sperren, verlieh den däni-
schen Königen zwar eine im Verhältnis zu ihrer beschränkten Wehr-
kraft beträchtliche Macht; aber da der Hansebund als internationale
Potenz nicht in Betracht fiel (§ 61), so vermochte dies auf die inter-
nationale Politik nur insofern einen Einfluß auszuüben, als die hol-
ländische Schiffahrt durch ein feindseliges Verhalten des Königs von
Dänemark geschädigt werden konnte, die Einkünfte aus Holland waren
aber für die habsburgischen Finanzen nicht von ausschlaggebender
Bedeutung. Auch die Projekte, die Handelsbeziehungen zwischen Däne-
mark und England auf Kosten der Niederlande zu fördern, die eben-
falls die habsburgische Politik hätten in Mitleidenschaft ziehen können,
blieben ohne Folgen.
Anders lagen die Verhältnisse allerdings in Portugal. Aber dies
Land stand aus Gründen besonderer Art in noch höherem Grade außer-
halb der großen europäischen Politik als die eben genannten Staaten.
Als ein ausschließlicher Handels- und Seefahrerstaat hätte Portugal an
sich trotz seiner schwachen Position zu Lande in die internationalen
Konflikte eingreifen können, sei es als Gegner Spaniens oder als dessen
Vasallenstaat. Aber seine territorialen und kommerziellen Interessen
kollidierten im ganzen und großen so wenig mit denen der europäischen
Großstaaten, daß dieser Fall nicht eigentlich eingetreten ist. Wohl
fehlte es nicht an Konflikten mit Spanien und Frankreich wegen por-
§ 100. Persien. 247
tugiesischer Ansprüche auf Schiffahrtsmonopole und Kolonialbesitz ;
aber diese Streitigkeiten wurden von den Großmächten nicht ernsthaft
ausgefochten, und Portugal wurde nie in das Gewebe der internationalen
Koalitionen und Gegenkoalitionen hineingezogen. Das Königreich
unterhielt auch nirgends ständige Gesandtschaften.
Der letzte der noch zu erwähnenden Staaten, Persien, kann da-
gegen eher mit Polen und Schottland in eine Reihe gestellt werden.
Auch dieses Reich hatte für die europäische Politik nur indirekt Be-
deutung; nachdem die Türken sich Syriens bemächtigt hatte, war
Persien der natürliche Bundesgenosse der von den Osmanen in Europa
bedrohten Staaten. Es hat denn auch nicht an Anknüpfungsversuchen
zwischen den Habsburgern und dem »Sofi« gefehlt, und die Unter-
stützung des Hauses Österreich erwies sich um so nützlicher, als sie
(ähnlich wie die Franzosen in Schottland) die Perser gerade mit den
diesen fehlenden Kriegsmitteln, nämlich mit Feuerwaffen und In-
fanterie unterstützen konnten. Nur daß diese Bemühungen nutzlos
waren. Denn das persische Reich hatte es nicht mit einem Staate wie
England, sondern mit dem stärksten Militärreiche der Zeit zu tun,
und selbst in den Waffengattungen, die in Konstantinopel mangelhaft
gepflegt wurden, waren die Türken ihren östlichen Nachbarn immer
noch überlegen. Daher hat Persien kaum ein besseres Schicksal erlitten
als Ungarn, und die Soldaten, die von Kaiser Karl V. dem Schah gegen
die Türken geschickt wurden, haben den Vorstoß der Türken nicht
aufhalten, ja nicht einmal die osmanischen Feldzüge in Asien zugunsten
der christlichen Reiche in Europa in die Länge ziehen können.
Das Königreich Navarra hörte so frühzeitig auf, eine selbständige
Potenz in der europäischen Politik zu sein, daß es an dieser Stelle nicht
einmal genannt zu werden verdient.
Die Literatur zu diesem Paragraphen, die in der Hauptsache aus gelegent-
lichen Notizen in den Akten und diplomatischen Korrespondenzen der Zeit besteht,
kann hier nicht im einzelnen aufgeführt werden. Manches ergibt sich von selber;
das reichhaltigste Material über Schottland findet sich z. B. natürlich in den
englischen Akten, den Berichten aus London bei Sanuto und den venezianischen
Relationen über England (eine besonders nachdrückliche Stelle über die Notwendig
keit der französischen Hilfeleistungen Alberi I, 2, 267 ff.), in den niederländischen
Akten und den französischen Korrespondenzen (dazu Teulet, »Relations poliliques
de la France avec VEcossen). Ähnlich steht es mit anderen Ländern; auch über diese
unterrichten, da eigentliche Relationen nicht vorliegen, am besten die diplomatischen
Schriftstücke der mit ihnen in Berührung stehenden Großmächte. Verhältnismäßig
am eingehendsten wird Persien in den venezianischen Relationen über die Türkei
behandelt; über dessen militärische Inferiorität gegenüber der Türkei spricht be-
sonders deutlich Ludovisi bei Alberi III, 1, 22ff. Über die Beziehungen des Sofi
zu den Habsburgern vgl. »Familienkorrespondenz Ferdinands I.« I, 204; Charriere,
»Negociations« I, 173 n. 3 und die dort zitierten Stellen; Jorga, »Geschichte des
Osmanischen Reichs« II, 362; Sanuto LVII, 542 usw.
Zu Skandinavien vgl. u. a. Fröbe, »Kurfürst August von Sachsen und sein
Verhältnis zu Dänemark« 1912 (Leipziger Diss.); R. Häpke, »Die Regierung Karls V.
und der europäische Norden«, 1914. Außerdem natürhch vor allem die gesamte
Literatur über die Hanse. Die Bemerkung des Textes über die internationale Be-
248 Kleinere Staaten.
deutung Dänemarks findet sich fast wörtlich ebenso in der Denkschrift eines kaiser-
lichen Agenten aus dem Jahre 1533 bei Häpke, »Urkunden und Akten« (§ 50), p. 165.
Über Polen und Rußland H. Uebersberger, »Österreich und Rußland seit
dem Ende des 15. Jahrhunderts« I (1906). Polen durch Rußland im Schach zu halten
war ein ständiger Grundsatz der habsburgischen Politik (vgl. Ulmann, »Maximilian I. «
II, 510ff.; »Familienkorrespondenz Ferdinands!.« I, 267 usw.). Doch legten die
österreichischen Herrscher der Verbindung mit dem militärisch wenig leistungs-
fähigen Moskowiterreich stets nur geringe Bedeutung bei. Wenn übrigens Planitz
einmal einen Tatarenangriff auf Polen für gefährlicher hielt als einen türkischen
Vorstoß (»Berichte«, p. 138; 1522), so war er zweifellos im Recht; vgl. z. B. E. Zivier,
»Geschichte Polens« I (1915), 64. Dazu noch W. Platzhoff, »Das erste Auftauchen
Rußlands und der russischen Gefahr in der europäischen Pohtik« in der »Histor.
Zeitschrift« 115 (1916), 77 ff.
Zweiter Teil.
Die Veräüderimgen im europäischen Staaten-
System von 1492 bis 1559.
I. Abschnitt.
Oliederung des Stoffes.
§ 101. Wohl bei keinem Abschnitt der Geschichte des europäischen
Staatensystems ergibt sich die Gliederung so ungezwungen aus dem
Stoff wie bei der hier behandelten Periode. Ein Problem — der im
ersten Paragraphen besprochene zentrale Konflikt der damahgen
Politik — tritt in den ersten Jahren des Zeitraumes plötzlich in die
Erscheinung; es findet seine auf Jahrhunderte hinaus geltende Lösung
im Schlußjahre der Periode. Ein Zweifel darüber, welche Ereignisse
in den Mittelpunkt der Erzählung zu rücken seien, kann also nicht
bestehen. Ebensowenig kann im Grunde ein Streit darüber erhoben
werden, an welcher Stelle ein Einschnitt gemacht werden muß. Man
könnte zwar schwanken, welches Jahr am besten als Grenze zu wählen
wäre. Es ließen sich gute Argumente für das Jahr 1516 anführen als
den Zeitpunkt, da die entscheidende Verbindung der österreichisch-
niederländischen Besitzungen der Habsburger mit den spanischen
Reichen erfolgte; es ließe sich auch an das Jahr 1519 denken, wo zum
ersten Male diese Gebiete zusammen mit der Kaiserwürde in den Händen
eines Herrschers vereinigt wurden. Aber ob der Forscher nun diese
Jahre oder das im folgenden gewählte Jahr 1525, das Jahr der Schlacht
bei Pavia, der Disposition seiner Erzählung zugrunde legt, — immer
stützt sich doch die Gliederung auf ein und dasselbe Ereignis, auf die
Verschiebung der Machtverhältnisse unter den um die Vorherrschaft
über Italien kämpfenden Staaten, die die zwei stärksten unter den mit
Frankreich rivalisierenden Mächten zu einer Einheit zusammenfügte.
Diese Union schuf, von welchem Jahre an man sie auch datieren mag,
die neue Situation, die allen politisch-militärischen Geschehnissen
der späteren Jahrzehnte ihre Signatur verlieh.
250 Die französische Expedition nach Neapel.
Die Wahl der Schlacht bei Pavia als der Grenzscheide zwischen
den beiden untereinander so verschiedenen Hälften der Periode ist
aus folgenden Gründen geschehen. Zunächst ist erst von diesem Er-
eignis an die sich an die Vereinigung Spaniens mit den habsburgischen
Besitzungen anschließende Veränderung in dem Kräfteverhältnis der
Staaten praktisch in die Erscheinung getreten. Latent existierte diese
Verschiebung allerdings schon vorher; aber auf die Politik der Staaten,
vor allem der kleineren Staaten, hat sie erst von dem Augenblicke an
Einfluß ausgeübt, als ihre fundamentale Bedeutung durch den Aus-
gang und die militärischen Folgen der Schlacht öffentlich und unzwei-
deutig erwiesen war. Dazu kommt, daß das Datum der Schlacht dem-
zweiten Wendepunkt der Periode, dem etwas späteren definitiven
Anschluß Genuas an die Habsburger (§§ 94 und 121) chronologisch näher
steht als die früheren Einschnitte, die in Betracht fallen könnten.
Man kann die Gründe, die gegen die übertriebene Schätzung von
Schlachten (die doch zu einem guten Teile bloße Exponenten bereits
vorhandener Kräfte sind) als die eigentlich epochemachenden Daten
der Weltgeschichte angeführt werden, als berechtigt anerkennen und
doch zugeben, daß es Fälle gibt, wo der nicht nach einer Theorie ur-
teilende Historiker nicht wohl anders kann, als mindestens die Be-
gebenheiten der Staatengeschichte nach dem Ausgang eines einzelnen
militärischen Zusammenstoßes zu gruppieren. Auch dürfte gerade in
der vorliegenden Darstellung, die sich bemüht hat, in ihrem ersten Teile
die den kriegerischen Aktionen zugrunde liegenden Kräfte und Insti-
tutionen zu charakterisieren, die Gefahr eines Mißverständnisses aus-
geschlossen sein.
Die Periode gliedert sich, wenn man diese Einteilung annimmt,
in zwei Abschnitte von ziemlich gleichgroßer Länge (32 und 34 Jahre).
IL Abschnitt.
Die Gescliichte des europäischen Staatensystems bis zur
Selilaclit bei Pavia (1525).
H. Die Eröffnung des Kampfes um Italien. Die französische
Expedition nach Neapel und ihre Folgen (1492-1497).
§ 102. Die Vorbereitung der Expedition. Die Neuorientierung der
französischen auswärtigen Politik, der Verzicht auf Ausdehnung des
Reiches gegen Flandern, Deutschland und Spanien zugunsten von
Eroberungen in Süditalien (§ 37), war mindestens im Jahre 1492 de-
finitiv beschlossen. Denn in dieses und das folgende Jahr fallen die
Verträge, in denen die französische Regierung durch Konzessionen
die Konnivenz der übrigen Großstaaten zu ihrem Vorstoß nach Neapel
zu erlangen versuchte, sowie auch das Abkommen mit Mailand, das
§ 102. Vorbereitungen der französischen Expedition nach Neapel. 251
der französischen Kriegführung wenigstens einen Stützpunkt in Italien
schaffen sollte.
Auch wer die neuen Aspirationen der französischen Politik als einen
schweren Fehler zu bezeichnen geneigt ist, muß wenigstens zugestehen,
daß die damaligen Leiter des französischen auswärtigen Dienstes sich
Völle Rechenschaft über die Folgen gaben, die aus der neapolitanischen
Expedition für die Stellung Frankreichs innerhalb des europäischen
Staatensystems entspringen mußten. Sie überschätzten vielleicht ihre
militärischen Machtmittel (§ 29) und würdigten nicht genügend, wie
prekär ihre Basis im Mittelländischen Meer war; noch weniger
zogen sie wohl die »moralischen« Folgen ihrer Unternehmung, d. h.
die Erweckung einer allgemeinen Gegenbewegung gegen eine von
Frankreich befürchtete politisch-militärische Suprematie, in Betracht
{§ 22). Aber darüber w^aren sie nicht im Zweifel, daß die Unternehmung
nur unter stillschweigender Duldung der übrigen Großmächte durch-
geführt w^erden könnte und daß diese passive Haltung durch Opfer
von ihrer Seite erkauft werden müßte.
Denn die sofort aufzuführenden Verträge sind doch wohl aus
keinem anderen Grunde zu erklären als aus dem eben genannten.
Eröffnet wurde die Reihe durch den Friedensvertrag mit England vom
3. November 1492 (abgeschlossen zu Etaples), dem eine Verpflichtung
zur Zahlung von 745000 Goldkronen an die englische Krone und (am
13. Dezember) ein Artikel über den Verzicht auf Unterstützung von
Prätendenten (auf den englischen Königsthron) beigefügt wurden.
Am 19. Januar 1493 folgte dann der Vertrag von Barcelona mit Spanien,
in dem Frankreich Roussillon und die Cerdagne den Spaniern zurück-
erstattete, am 23. Mai desselben Jahres der Vertrag von Senlis mit
Kaiser Maximilian I. und Erzherzog Phihpp, in dem den Habsburgern
die Freigrafschaft vorbehaltslos, das Artois, das Charolais und die
Herrschaft Noyers unter Vorbehalt der königlichen Rechte auf diese
Gebiete abgetreten, sowie die freie Rückgabe der 13jährigen Prin-
zessin Margarete, der Tochter Maximilians I., zugesichert wurde (die
zuletzt genannte Bestimmung wurde dann bereits am 12. Juni aus-
geführt).
Hand in Hand damit gingen die Verhandlungen mit Mailand. —
Die sicher w^ohl überhaupt nicht zu beantw^ortende Frage, wieweit
der damalige Regent des Herzogtums, Lodovico Moro, auf die italie-
nische Unternehmung der französischen Regierung eingewirkt hat,
kann hier nicht einmal gestreift werden; auf Grund der allgemeinen
militärisch-politischen Verhältnisse kann nur gesagt werden, daß auf
selten Frankreichs stärkere Gründe für den Abschluß einer Verbindung
vorlagen als bei Mailand. Der mangelhafte Zustand der französischen
Marine im Mittelmeer (§ 30) machte ja den Erfolg eines Zuges nach
Neapel zu einem guten Teile von der Unterstützung genuesischer Fahr-
zeuge abhängig und über die genuesische Flotte verfügte nur, wer
Mailand in seiner Gewalt hatte (§§ 90 u. 94). Dieser Punkt ist denn
252 Die französiche Expedition nach Neapel.
auch schon frühzeitig in den Verhandlungen Frankreichs mit Mailand
zur Sprache gekommen und in dem späteren Friedensvertrag vom
10. Oktober 1495 mit Mailand ist nicht zum mindesten von der Aus-
nutzung der genuesischen Schil'fslieferungen die Rede (Godefroy, »//<-
stoire de Charles VJII« [1684], p. 723). Viel weniger läßt sich dagegen
der Nutzen der Expedition für Lodovico Moro einsehen, es wären
denn persönliche Gründe, die auf eine Sicherung seiner Herrschaft
über Mailand hinausliefen. Das war freilich wohl auch der Grund,
warum Lodovico trotz eifriger Verhandlungen keine Offensivallianz
mit Frankreich abschloß, sich vielmehr mit der Erneuerung des alten
Bündnisvertrages begnügte (am 24. Januar 1492).
Immerhin hatte sich Frankreich damit auch in Italien für seine
Expedition die wichtigste Voraussetzung geschaffen. Da es von Mai-
land, dem es dazu noch durch die Belehnuung mit Genua (1490/91)
eine besondere Konzession gemacht hatte, keinen Widerstand zu be-
fürchten hatte, so war der einzige militärisch starke Staat, der den
Durchmarsch seiner Truppen hätte verhindern können, zu einer neu-
tralen Haltung bewogen und dazu noch der Seeweg frei zu benutzen.
Außerdem ließ sich noch hoffen, daß sich in Neapel selbst wenigstens
ein Teil der mit dem königlichen Regimente unzufriedenen »Barone«
(§ 93) den Angreifern anschließen würde.
§ 103. Das Ziel der Expedition. Trotz verschiedentlicher Unklar-
heiten in den offiziellen französischen Dokumenten kann doch kaum
ein Zweifel darüber herrschen, daß das Objekt der Expedition des
Jahres 1494 nur das Königreich Neapel, nicht auch die Insel Sizilien
war. König Karl VIII. nahm zwar zu Anfang des Jahres 1494 zu Lyon
den Titel »König von Sizilien und Jerusalem« an (Delaborde, •»Expe-
dition de Charles VIII«, p. 318), und das offizielle Gutachten aus. dem
Jahre 1491 (Godefroy, p. 675) schließt, obwohl es im Grunde nur von
den französischen Ansprüchen auf Neapel spricht, weitergehende For-
derungen nicht aus. Aber in den Proklamationen der französischen
Regierung ist ausdrücklich nur von dem »Königreich Neapel« die Rede
(z. B. Godefroy, p. 688), und tatsächlich hat sich die Expedition später
auch auf di^ Eroberung dieses Gebietes beschränkt.
Zu demselben Resultat führt auch eine allgemeine Erwägung.
Sizilien, das damals von Neapel getrennt war, befand sich, wie bekannt,
nicht in den Händen der illegitimen aragonesischen Dynastie, die in
Neapel herrschte, sondern im direkten Besitze Spaniens (vgl. § 93).
Der Vertrag von Barcelona (§ 102) beweist nun aber, daß die franzö-
sische Regierung Wert darauf legte, ihren Eroberungszug nach Neapel
unter Aufrechterhaltung freundschaftlicher Beziehungen zu dem spa-
nischen Königspaare durchzuführen. Wie hätte sie nun erwarten können,
daß sich ein Bruch vermeiden lasse, wenn sie ihren Vorstoß nicht nur
auf direkt spanisches Gebiet ausgedehnt, sondern dazu noch ein Ter-
ritorium angegriffen hätte, das ökonomisch für Spanien einen so un-
geheuren Wert hatte wie die Insel Sizilien (§44)?
§ 104. Der Zug nach Neapel. 253
Etwas anderes ist es, daß auch schon die Besetzung Neapels in
Spanien Besorgungen über die Sicherheit Sizihens erwecken mußte,
und daß der von dem französischen König neu angenommene Titel
solche Befürchtungen wenigstens für die Zukunft weiter zu nähren
geeignet war. Es scheint sich das daraus zu ergeben, daß im Jahre
1500, als zwischen Spanien und Frankreich der Teilungsvertrag über
das Königreich Neapel abgeschlossen wurde (§ 108), der französische
König ausdrücklich auf den Titel eines Königs von Sizilien verzichten
mußte (Zurita, ^>AnaIes(^ V [1610], f. 162 b).
§ 104. Der Zug nach Neapel. Die Eröffnung der Feindselig-
keiten erfolgte im Januar 1494. Die französische Regierung erklärte
damals offiziell den Kriegszustand, indem sie die neapolitanischen
Gesandten zum Verlassen des Landes nötigte; zugleich wurde in amt-
lichen Schreiben von dem bevorstehenden Zuge nach Neapel Kenntnis
gegeben. Im Juni folgte die Ausweisung der florentinischen Bankiers
aus Lyon; damit wurde erklärt, daß der Vormarsch nach Neapel durch
florentinisches Gebiet gehen würde. Doch sollten nicht alle Truppen
den Landweg einschlagen; ungefähr ein Viertel sollte auf dem Seeweg
befördert werden. Die Notwendigkeit, sich zu diesem Behufe Genuas
zu bemächtigen, führte die ersten kriegerischen Zusammenstöße herbei.
Die neapolitanische Regierung hatte nämlich die Benutzung Genuas
zu verhindern versucht; ihre Flotte hatte Rapallo besetzt und dort
Truppen gelandet. Aber die Überlegenheit der französischen Heeres-
rüstung trat schon bei dieser ersten Aktion zutage. Ihre stärkere
Artillerie vertrieb die feindlichen Schiffe, und ihre moderner geschulte
(schweizerische) Infanterie vernichtete das feindliche Fußvolk (Treffen
bei Rapallo vom 5. September 1494). Die genuesische Flotte war für
die französischen Truppentransporte frei verwendbar.
Commines bemerkt ausdrücklich (ed. Mandrot II, 137 f.), daß die
damalige Wirkung der französischen (Schiffs-) Artillerie (s. § 29 und
vgl. § 12) für die Gegner eine absolute Überraschung war. Es war
dies aber nur die erste der Entdeckungen dieser Art, die die rückstän-
digen italienischen (und spanischen) Kriegstechniker während dieses
Feldzuges machten. Auch der rasche Vormarsch der Franzosen zu
Lande beruhte auf diesem Moment der Überraschung. Die franzö-
sische Armee wies mit Ausnahme der leichten Reiterei in allen Waffen-
gattungen die größte Leistungsfähigkeit auf: die Reisigen wurden von
ihren eigenen Adligen, der besten schweren Kavallerie der Zeit, ge-
stellt, ebenso stand es mit der Artillerie, und die Masse der Infanterie
bildeten schweizerische Söldner (vgl. die §§ 5 u. 7). Dementsprechend
vollzog sich denn auch der Verlauf der militärischen Operationen, so-
weit von solchen überhaupt noch die Rede sein konnte. Gleich der
erste Staat, von dem Widerstand denkbar gewesen wäre, unterwarf
sich beinahe ohne Schwertstreich. Piero de'Medici, das faktische
Oberhaupt der florentinischen Republik, kapitulierte, kaum daß die
französische Armee die Grenzen des Freistaates überschritten hatte
254 Die französische Expedition nach Neapel.
(am 31. Oktober 1494), und obwohl er kurz darauf durch eine Revo-
lution gestürzt und aus der Stadt Florenz vertrieben wurde, blieb doch
auch der neugegründeten republikanischen Regierung nichts übrig, als
zu ähnlich drückenden Bedingungen wie der verbannte Medicer einen
Friedensvertrag mit dem französischen König abzuschließen (am
25. November 1494). Das Abkommen lieferte nicht nur eine Reihe
florentinischer fester Plätze bis zur Beendigung des Krieges den Fran-
zosen aus, sondern das damit zusammenhängende Verbleiben der bis-
herigen Untertanenstadt Pisa in französischen Händen verschaffte den
Pisanern zugleich die Möglichkeit, ihre eben proklamierte Unabhängig-
keit von Florenz zu behaupten; die Kräfte der florentinischen Re-
publik wurden nun auf Jahre hinaus durch den Kampf gegen die ab-
gefallene Stadt zu einem guten Teile absorbiert. Dazu kamen noch
bedeutende finanzielle Leistungen der Republik an Frankreich.
Dieser Kapitulation der Florentiner schloß sich rasch darauf die
Unterwerfung des Kirchenstaates an, des nächsten Gebietes, das die
französische Armee (bei der sich der König selbst befand) auf ihrem
Vormarsch gegen Neapel berührte. Nach kurzem Schwanken hatte
auch Papst Alexander VI. eingesehen, daß ein Widerstand gegen die
Franzosen unmöglich sei. Bereits am 15. Januar 1495 kam ein Ab-
kommen zustande, das ähnliche Bedingungen enthielt wie der Vertrag
mit Florenz, nur daß an Stelle der finanziellen Opfer, die in jenem
stipuliert waren, der Papst kirchenpolitische Konzessionen machte
und daß Prinz Dschem, der zu einträglichen Erpressungen benutzte
Bruder des türkischen Sultans Bajazet IL, aus der päpstlichen Ge-
fangenschaft in die des Königs überliefert werden sollte.
Zu ernstlichen Zusammenstößen kam es unter diesen Umständen
erst in Neapel. Aber auch dort war der Widerstand rasch gebrochen,
vor allem dank der überlegenen französischen Artillerie, die die
Festungen des Königreiches in überraschend kurzer Zeit bezwang.
Bereits am 22. Februar zog König Karl VIII. in der Hauptstadt ein;
am 22. März hatte sich die letzte Festung ergeben. Der König von
Neapel, Ferdinand IL, dessen Vater, der seit dem Jahre 1494 regierende
Alfons IL bereits im Januar 1495 dem Thron entsagt hatte, entfloh
nach Ischia; die gesamte Verwaltung des Reiches fiel in die Hände
der Franzosen.
§ 105. Die Gegenkoalition gegen Frankreich infolge der Expedition.
Die Eroberung Neapels durch die Franzosen bedrohte keine andere
Macht in direkter Weise; selbst die Insel Sizilien konnte nicht als ge-
fährdet gelten (vgl. § 102). Aber die Umstände, unter denen sich die
Expedition des französischen Königs vollzogen hatten, boten trotzdem
Anlaß genug, damit sich alle die Staaten, deren Interessen durch eine
französische Hegemonie über Europa hätten geschädigt werden können,
zu einem Gegenbunde zusammenschlössen. Die leichte Durchführung
der neapolitanischen Kampagne hatte die Superiorität der französischen
§ 105. Die Gegenkoalition gegen Frankreich. 255
Militärorganisation so deutlich erwiesen, daß nicht nur sämtliche be-
drohte Mittelstaaten, sondern auch die Großstaaten zu der Über-
zeugung gelangten, nur gemeinsames Vorgehen könne sie vor der Vor-
herrschaft Frankreichs bewahren. Außerdem war die Zahl der be-
troffenen Staaten durch die neue Richtung der auswärtigen Politik
Frankreichs vermehrt: zu dem Hause Österreich, das wegen seiner
burgundischen Besitzungen schon längst eine feindselige Haltung gegen
das französische Königreich eingenommen hatte (§ 64), gesellten sich
nun die in ihrem unteritalienischen Besitz bedrohten spanischen Reiche
und die italienischen Mittelstaaten. Außerhalb dieser Gegenkoalition
bleiben nur Kleinstaaten wie Savoyen und militärisch schwache Ge-
meinwesen wie Florenz (§ 91); diese durften es nicht wagen, den Kampf
mit dem übermächtigen Frankreich aufzunehmen, selbst in Gemein-
schaft mit anderen nicht. Das Königreich Neapel vollends hatte durch
seine militärische Hilflosigkeit gezeigt, daß es nicht mehr als selbständige
Potenz betrachtet werden konnte; es zählte von dieser Zeit an denn
auch nur noch als Objekt, nicht als Subjekt der internationalen Po-
litik (§ 93).
Man kann darüber streiten, ob die vor dem Feldzuge geschlos-
senen Verträge, die implicite die Duldung der neapolitanischen Ex-
pedition enthielten (§ 102), jemals von den Kontrahenten ernst ge-
meint waren; sicher ist jedenfalls, daß nach dem foudroyanten Erfolge
der französischen Waffen die Absicht, diese Verträge zu halten, wenn
sie überhaupt einmal bestand, sofort in Nichts zerfiel. Bereits am
31. März 1495 wurde zu Venedig ein Bund geschlossen, der die poli-
tischen Voraussetzungen jener Abmachungen aufhob. Formell trug
die Allianz, an der Spanien, Kaiser Maximilian, Venedig, Mailand und
der Papst teilnahmen, allerdings rein defensiven Charakter: die Kon-
trahenten verpflichteten sich nur, die Staaten der Verbündeten gegen
Angriffe anderer Potentaten, die gegenwärtig einen Staat in Italien
innehätten, zu beschützen. Aber es war klar, daß dabei vor allem an
die Wiedereroberung Neapels gedacht war, die sich sehr wohl als defen-
siver Akt auffassen ließ, da das Königreich päpstliches Lehen war und
Papst Alexander VI. den französischen König die Verleihung mit
diesem Reiche nie gewährt hatte. Die Liga war also in Tat und Wahr-
heit eine Koalition zum Zwecke der Vertreibung der Franzosen aus
Italien.
Der Vortrag bezeichnet im übrigen den offiziellen Beginn der
neuen, sich um das italienische Problem (§1) gruppierenden Bündnis-
politik. Dafür ist charakteristisch, daß das Instrument sich in seiner
ursprünglichen Fassung nur auf Italien bezieht (die spanischen Herr-
scher nahmen als Besitzer Siziliens und Sardiniens teil, Kaiser Maxi-
milian als Inhaber gewisser Lehensrechte des Reiches über italienische
Gebiete). Der Beitritt anderer (von Frankreich bedrohter) Mächte war
zwar offen gelassen, und ein Jahr später (18. Juli 1496) wurde diese
Möglichkeit auch von dem Könige von England ausgenutzt; eigent-
256 Die französische Expedition nach Neapel.
liches Objekt des Vertrages ist aber Italien. Bemerkenswert ist wohl
auch, daß der spätere Beitritt ausdrücklich nur Staaten gewährt werden
soll, die an Rang und Macht nicht hinter den ersten Teilnehmern zurück-
stehen; zwischen den kleineren Staaten und den militärisch leistungs-
fähigen größeren wurde also von Anfang an offiziell eine Grenze ge-
zogen in dem Sinne, daß die ersteren für die neue internationale Politik
überhaupt nicht mehr als eigentlich bündnisfähig betrachtet wurden,
§ 106. Rückzug der Franzosen aus Neapel. Nichts ist vielleicht
für die mangelhafte Organisation des französischen diplomatischen
Dienstes (§31) bezeichnender als die Tatsache, daß die in Venedig
geschlossene Gegenkoalition den Leitern der französischen auswärtigen
Politik vollständig überraschend kam und daß die militärischen Rü-
stungen und Maßregeln der Franzosen in keiner Weise auf eine solche
Eventualität eingerichtet waren. Die Machtmittel, über die die fran-
zösische Expeditionsarmee damals verfügte, reichten weder aus, um
das neu eroberte Land gegen einen Gegner wie die neugebildete Liga
zu behaupten noch auch nur, um die Verbindung mit dem Heimat-
lande aufrechtzuerhalten. Da außerdem der König persönlich an
der Expedition teilgenommen hatte, so lag dazu noch die Notwen-
digkeit vor, einen Teil der disponibeln Streitkräfte dem Schutze Neapels
zu entziehen, um die Person des Monarchen in Sicherheit zu bringen;
Garantien für eine relativ ungefährliche Heimkehr bot ja nur der
Landweg (vgl. § 102).
Wenn trotz dieser mißlichen Lage die Franzosen vor einer eigent-
lichen Katastrophe bewahrt blieben, so war dies nur dem Umstände
zuzuschreiben, daß es den Staaten, die zu der Liga zusammengetreten
waren, nicht möglich gewesen war, die militärische Superiorität der
französischen Armee in den wenigen Monaten, die ihnen zur Verfügung
standen, auch nur durch zahlenmäßige Überlegenheit in den Truppen-
beständen auszugleichen; dazu trat allerdings noch die bei Koalitions-
kriegen öfter beobachtete Erscheinung, daß die Allierten ihren Ver-
pflichtungen gegen den Bund zum Teil nur lässig nachkamen. Diese
Momente erwiesen sich besonders für den Rückzug des Königs Karl VI IL
günstig. Daß der Kirchenstaat dem französischen Durchmarsch keine
Hindernisse in den Weg stellen konnte, war selbstverständlich (vgl.
§ 92). Aber in Oberitalien hatten Mailand und besonders Venedig
ansehnliche Truppenbestände ins Feld gestellt. Der Herzog von Mai-
land wandte seine Hauptaufmerksamkeit der Bekämpfung des Her-
zogs von Orleans (des späteren Königs Ludwig XII.) zu, der während
des Zuges Karls VIII. in dem französischen Asti stationiert geblieben
war und später (13. Juni 1495) sich der mailändischen Stadt Novara
bemächtigt hatte; die Venezianer suchten den Übergang der Franzosen
über die Apenninen zu verhindern. Ihr Unternehmen scheiterte an
der Überlegenheit der französischen Waffen. Die Armee Karls VIII. ,
die am 20. Mai Neapel verlassen hatte und in Eilmärschen gegen Norden
gezogen war, erzwang sich den Übergang über die Bergkette bei Pont-
§ 106. Der Rückzug der Franzosen. 257
remoli und den Ausgang in die Poebene bei Fornovo (beim Taro, süd-
westlich von Parma; 6. Juli 1495). Das zuletzt genannte Treffen blieb
z.\var unentschieden, insofern die gewaltige numerische Überlegenheit
des Heeres der Alliierten eine eigentliche Niederlage verhinderte; der
Gewinn war aber trotzdem bei dem französischen König, der sich in-
folge der Schlacht nach Asti durchschlagen konnte (16. Juli). (Die
Schlacht bezeichnet außerdem die erste Intervention der »Stradioten«
genannten leichten Reiter der Venezianer in den neuen, allgemein
europäischen Kriegsoperationen [§8]; Commines berichtet übrigens bei
diesem Anlaß, daß auch diese Truppen von der ihnen unbekannten
französischen Artillerie in Schrecken gesetzt wurden: 1. VIII, eh. 7
= ed. Mandrot II, 258.)
Wie wertvoll der bei Fornovo erzwungene freie Durchpaß war,
ergab sich schon daraus, daß sofort nachdem sich der König aus seiner
prekären Lage gerettet hatte, Frankreich eine stärkere Position gegen-
über Mailand gewann. Der Herzog von Mailand mußte nun in ein
Abkommen einwilligen (Friedensvertrag von Vercelli vom 10. Oktober
1495), das faktisch, wenn auch nicht formell seinen Austritt aus der
Liga von Venedig bedeutete und seine militärischen Hilfsmittel in
den Dienst der französischen Eroberungspolitik in Italien stellte. Die
wichtigste Bestimmung war auch hier wieder, daß die genuesische
Marine der französischen Regierung zur freien Verfügung überlassen
wurde; damit diese Konzession wirksam wurde, mußte die Zitadelle
von Genua dem von Frankreich abhängigen Herzog von Ferrara zur
Besetzung eingeräumt werden. Daneben aber versprach der Herzog
von Mailand, auch den Durchpaß französischer Truppen zu gestatten,
sowie überhaupt Frankreich bei der Gewinnung Neapels zu unter-
stützen. Die einzige wichtigere Gegenleistung Frankreichs bestand in
der Rückgabe der Stadt Novara. Karl VIII. kehrte darauf wieder nach
Frankreich zurück (Ankunft in Lyon am 7. November 1495).
Viel weniger günstig liefen die Kämpfe im Süden für die Franzosen
ab. Die französischen Streitkräfte, die unter dem Oberkommando
des zum Vizekönig von Neapel ernannten Grafen von Montpensier
(in Kalabrien unter dem Großkonnetable Stuart d'Aubigny) zurück-
gelassen worden waren, legten zwar nach wie vor Proben ihrer mili-
tärischen Superiorität ab, und das Gefecht bei Seminara (Juni 1495),
im südlichsten Teile von Neapel, in der Provinz Reggio di Calabria, in
dem d'Aubigny die mit der neuen Infanterietaktik noch unvertrauten
spanischen Truppen schlug, war ein neuer Beweis für die Leistungs-
fähigkeit der schweizerischen Söldner. Aber das Schicksal der Fran-
zosen war schon dadurch besiegelt, daß sich die Herrschaft zur See
in den Händen ihrer Gegner befand; dazu kamen noch Aufstände im
Lande selbst gegen ihr Regiment, die ihr natürliches Zentrum in der
Person des wieder zurückgekehrten Königs Ferdinand fanden. Schließ-
lich entdeckte das Feldherrngenie des spanischen Anführers Gonzalo
de Cordoba, der sich bereits in dem Kriege gegen Granada ausgezeichnet
Fueter, Europ. Staatensystem. 17
258 Die französische Expedition nach Neapel.
hatte, Mittel, um die zurückgebliebene Ausbildung seiner Truppen
wenigstens einigermaßen auszugleichen. Neapel hätte sich unter diesen
Umständen für die Franzosen nur halten lassen, wenn die Versorgung
mit Waffen und Lebensmitteln aus dem Mutterlande regelmäßig vor
sich gegangen wäre. Aber dies zu leisten war Frankreich nicht imstande^
und so sahen sich denn die in Neapel zurückgebliebenen französischen
Truppen, obwohl nirgends geschlagen, zu Kapitulationen genötigt.
Für ihre militärische Stärke ist immerhin bezeichnend, daß sich diese
Akte verhältnismäßig lange hinauszogen. Die Zitadelle von Neapel
öffnete am 8. Dezember 1495 den Aragonesen ihre Tore, Montpensier
kapitulierte am 21. Juli 1496 zu Atella (in der Basilicata) gegen die
Bedingung freien Abzuges nach Frankreich; später (November 1496
und Februar 1497) folgte dann noch die Übergabe der letzten von den
Franzosen okkupierten festen Plätze Gaeta und Tarent. Am 25. Februar
1497 schloß Frankreich (zu Lyon) einen Waffenstillstand mit dem
neuen König von Neapel, Friedrich (dem Neffen Ferdinands IL, der
am 6. Oktober 1496 gestorben war). Wieder hatte sich die französische
Marine außerstande gezeigt, den feindlichen, vor allem den vene-
zianischen Schiffen, mit Erfolg entgegenzutreten; dies schloß eine
wirksame Entsatzaktion von vornherein aus. Im adriatischen Meere
dominierte Venedig natürlich vollständig; diesem Umstände war auch
die Eroberung der von den Franzosen besetzten Stadt Monopoli durch
die Venezianer zuzuschreiben.
§ 107. Neuordnung der Verhältnisse iu den italienischen Staaten.
Die Vertreibung der Franzosen aus Neapel war nicht gleichbedeutend
mit einer Wiederherstellung der alten, vor 1494 bestehenden Verhält-
nisse in Italien. In dem Königreiche selbst gelangte zwar die von der
französischen Regierung als unrechtmäßige Besitzerin erklärte arago-
nesische Dynastie wieder zur Herrschaft. Aber das Land, das sich
in der Verteidigung gegen einen Großstaat als ohnmächtig erwiesen
hatte, hatte nicht nur aufgehört, eine selbständige Potenz in der euro-
päischen Politik zu sein, sondern es hatte es auch bereits geschehen
lassen müssen, daß die fremden Staaten, die ihm die Befreiung von
der französischen Okkupation brachten, militärische Stützpunkte als
Basis für weitere Eroberungen in ihre Hand nahmen. Spanien behielt
feste Plätze in seinem Besitz und Venedig, zu dessen Plänen die voll-
ständige Beherrschung der Adria gehörte (§§ 70 u. 72), bewahrte als
Pfand sechs apulische Hafenplätze (Mola di Bari, Brindisi, Otranto,
Gallipoli usw.). Die Unabhängigkeit des Königreiches Neapel bestand
also nur zum Schein noch fort.
Beinahe ebenso geschwächt ging Florenz aus den Kriegsereignissen
hervor. Die Franzosen lieferten, wohl weil sie keinen Grund zu haben
glaubten, die schwache Republik zu schonen, die während ihrer Expe-
dition besetzten festen Plätze des Freistaates (§ 104) mit Ausnahme
Livornos nicht der Stadt aus, sondern übergaben sie deren Feinden,
so Sarzana mit dem Bergschloß Sarzanella (östlich von Spezia) an
§ 107. Neuordnung in den italienischen Staaten. 259
Genua, Pietrasanta an Liicca. Scliliminer als der Verlust dieser Außen-
posten war aber, daß sogar die Zitadelle von Pisa von dem franzö-
sischen Kommandanten der aufrührerischen Bürgerschaft (§ 104) aus-
geliefert wurde (1. Januar 1496; die anders lautenden Befehle des
Königs blieben [aus welchen Gründen immer] ohne Wirkung. Vgl.
»Lettres de Charles VIII « V, 259; Ulmann, »Maximilian I.« I, 408;
Commines ed. Mandrot II, 344). Die Stadt Florenz versuchte dann
zwar, die abgefallene Untertanenstadt wieder mit Waffengewalt in
ihren Besitz zu bringen; aber ihre Kräfte reichten um so weniger zu
einer raschen Beendigung dieses Unternehmens aus, als die antifran-
zösische Koalition (§ 105) die Pisaner unterstützte. So war denn auch
die internationale Machtgeltung der florentinischen Republik durch
die Folgen der neapolitanischen Expedition stark vermindert worden.
In gegenteiligem Sinne wirkte die französische Kampagne auf den
Kirchenstaat. Dessen militärische Organisation hatte sich zwar nicht
leistungsfähiger gezeigt als die des Königreiches Neapel, und sogar
die Festung Ostia, die sich seit dem Beginn der Expedition in fran-
zösischen Händen befand, konnte nur mit Hilfe von Spaniern unter
dem »Großen Feldherrn« Gonzalo de Cordoba bezwungen werden.
Aber da der Kirchenstaat nicht gleich Neapel zum Schutzstaat einer
auswärtigen Großmacht gemacht werden konnte (§ 92), so blieb ihm
die Möglichkeit, das Versäumte nachzuholen und vorerst durch die
Errichtung einer starken Zentralgewalt die Voraussetzung für die
Bildung einer brauchbaren Wehrmacht zu schaffen. Es ist dies die
Aufgabe, die dann gleich nach 1494 von der päpstlichen Regierung
vor allem mit Hilfe des Papstsohnes Cesare Borgia an die Hand ge-
nommen wurde.
Literatur zum Abschnitt A (§§102 — 107). Im allgemeinen muß auch
hier auf die in der Vorbemerkung aufgeführten Werke und deren bibliographischeAn-
merkungen verwiesen werden. Für die hier besprochenen Ereignisse sind besonders
brauchbar die Angaben in der Ausgabe der Memoiren Commines' von Mandrot
(Band II, 1903). So sei denn hier nur darauf aufmerksam gemacht, daß H. Hauser
im ersten Bande der zweiten Abteilung der »Sources de VHistoire de France« (1906)
eine ausgezeichnete Übersicht über die Quellen der Campagne gibt und daß das
Hauptwerk über die Expedition, Delabordes »Expedition de Charles VIII« (1888)
auch heute noch unentbehrhch ist. — Emilie Herbst, »Der Zug Karls VIII. nach
Italien im Urteil der italienischen Zeitgenossen« 1911 (Abhandlungen zur mittleren
und neueren Geschichte, 28 [Dissertation] ist) eine wenig bedeutende Arbeit. A. Segre,
i)Lodovico Sforza, detto il Moro e la Repubblica di Venezia dall'autunno 1494 alla pri-
mavera 1495« im Archivio storico lombardo ser. III. vol. 18 (1902) und folg. — Während
des Druckes dieses Werkes hat zu erscheinen begonnen E. Gagliardi, »Der Anteil der
Schweizer an den italienischen Kriegen 1494 — 1516«I (1494 — 1509). Auf dieses Buch,
das auch unediertes Material benutzt, sei hier ein für allemal hingewiesen.
B. Der Kampf um Mailand und Neapel; der österreichisch-
französische Konflikt (1497—1507).
§ 108. Die neue französische Politik; Vorbereitungen des Zuges
nach Mailand. Nicht weniger stark waren die Nachwirkungen des
unglücklichen Ausganges der Neapler Expedition in Frankreich. Die
17*
260 Der Kampf um Mailand und Neapel.
französische Regierung ließ ihre Aspirationen auf Süditalien zwar
nicht fallen und noch weniger verzichtete sie auf ihre italienischen
Ausdehnungspläne überhaupt. Aber sie konzentrierte ihre Aktion
nun auf die Erwerbung Mailands, sei es daß sie den Besitz Mai-
lands und Genuas als unentbehrliche Vorbedingung einer Unter-
nehmung gegen Neapel erkannt hatte, sei es, daß sie die Herrschaft
über Mailand selbst als die leichter zu behauptende Eroberung in
Sicherheit bringen wollte, bevor sie sich an Annexionen in Süditalien
heranwagte.
Es ist üblich, diesen Wandel in der auswärtigen Politik Frankreichs
mit dem Thronwechsel in Verbindung zu bringen, der durch den Re-
gierungsantritt König Ludwigs XII. (8. April 1498; sein entfernter
Vetter Karl VIII. war kinderlos gestorben) bezeichnet wird. Nun ist
daran auch richtig, daß der künftige König und damalige Herzog von
Orleans bereits im Jahre 1494 den französischen Vorstoß lieber nach
Mailand statt nach Neapel geleitet hätte; richtig ist auch, daß nur
Lud\\ag, nicht aber Karl als Abkömmling der Visconti gewisse, allerdings
sehr unsichere Erbansprüche auf das Herzogtum Mailand erheben konnte
und daß der neue König von den ersten Tagen seiner Regierung an die
neuen Prätensionen auf Mailand offiziell kundgab (er nahm sofort den
Titel eines Herzogs von Mailand an). Aber damit ist nicht bewiesen,
daß eine derartige Schwankung in der Politik Frankreichs nicht auch
unter Karl VIII. hätte eintreten können. Bereits in den letzten Monaten
des verstorbenen Königs hatten Annäherungsversuche an Spanien
stattgefunden, die nicht anders als im Sinne eines stillschweigenden
Verzichtes Frankreichs auf die ehemaligen neapolitanischen Pläne ge-
deutet werden können. Der ^^'affensti]lstand von Alcalä de Henares
vom 24. November 1497 zwischen Spanien und Frankreich, der aus-
drücklich die Bundesgenossen der Liga von Venedig (§ 105) nicht
einschloß, läßt sich am besten als eine Einigung zwischen den beiden
Großmächten auf Kosten Neapels und Mailands erklären, wobei das
südliche Königreich im Sinne späterer Abmachungen (§ 110) virtuell
Spanien ausgeliefert worden wäre. Da man am französischen Hofe
wohl wußte (vgl. Commines II, 215 = 1. VII, eh. 19), daß der König
von Spanien eine französische Okkupation Neapels als eine Bedrohung
seines Besitzes von Sizilien und Sardinien betrachtete, so konnte eine
Versöhnung wohl kaum auf einer anderen Basis in Aussicht genommen
werden, als daß Frankreich faktisch auf seine alten Projekte in bezug
auf Neapel verzichtete.
Wie dem nun auch sei, Tatsache ist, daß sofort nach der Thron-
besteigung Ludwigs XII. die französischen diplomatischen Stellen eine
intensive Tätigkeit entfalteten, um ähnlich wie vor dem Zug nach
Neapel (§ 102) Garantien zu erhalten, daß die übrigen Mächte ihrem
Unternehmen gegen Mailand kein Hindernis in den Weg legten. Die
Aufgabe war weniger leicht als in den Jahren vor 1494. Mit den Staaten,
die in Oberitalien desinteressiert waren, ließ sich zwar ohne Mühe ins
§ 108. Vorbereitung des französischen Zuges nach Mailand. 261
Reine kommen. So wurde zunächst mit dem König von England, der
im Jahre 1496 nachträghch der Liga von Venedig beigetreten war
(§ 105), der Vertrag von Etaples (§ 102) erneuert (24. Juni 1498).
Wichtiger war aber, daß kurz darauf (5. August 1498) mit Spanien ein
Friedens- und Bündnisvertrag abgeschlossen werden konnte (zu Mar-
coussis).
Langwieriger und sclnvieriger waren die Verhandlungen mit den
Staaten, die eigene Interessen in Oberitalien besaßen. Mit den Vene-
zianern ließ sich zwar schließlich zu einem günstigen Abkommen ge-
langen; denn zu dem politischen Programm der Markusrepublik gehörte
seit langem eine Ausdehnung ihrer Terraferma gegen das Mailändische
zu. Aber der Entscheid darüber, ob die Republik zu diesem Behufe
eine Festsetzung der Franzosen im Herzogtum Mailand unterstützen
sollte, fiel begreiflicherweise nicht leicht, und erst am 15. April 1499
konnte in Blois der Vertrag unterzeichnet werden, in dem Venedig
ein Bündnis mit Frankreich einging; Venedig versprach darin, Frank-
reichs Vorgehen gegen Mailand militärisch zu unterstützen, als Gegen-
leistung wurde ihm die Abtretung des Gebietes von Cremona und der
Ghiara d'Adda zugesichert. Kompüziert gestalteten sich auch die
Unterhandlungen mit den Schweizern. Die Eidgenossenschaft hatte
nichts weniger als ein Interesse daran, daß der französische Herrschafts-
bereich sich auch noch über Mailand ausdehnte (§ 97), und auch hier
dauerte es längere Zeit, bis ein Abkommen zustande kam (Vertrag von
Luzern vom 16. März 1499). Die Eidgenossen gingen darin einen
Bündnisvertrag auf zehn Jahre ein und erklärten sich ausdrücklich
aller Verbindungen mit dem Herzog von Mailand ledig.
Weitaus am schwierigsten war es aber, mit dem Hause Österreich
zu einem Einvernehmen zu gelangen. Die Habsburger, die an sich schon
die entschiedensten Gegner jeder Verstärkung der französischen Macht
waren (§ 64), waren in diesem Falle besonders betroffen, da eine Fest-
setzung der Franzosen in Mailand ihren natürlichen Verbündeten
gegen die als Erbfeind Österreichs betrachtete Markusrepublik ver-
schwinden ließ; auch die neutrale Haltung König Maximihans während
der französischen Expedition nach Neapel war ja nur durch das Ver-
sprechen französischer Unterstützung gegen Venedig erkauft worden
(Ulmann, »Maximilian I.« I, 271). Eine solche Kombination war aber
ausgeschlossen, da sich der Angriff Frankreichs auf Mailand im Gegen-
teil im Einvernehmen mit Venedig vollziehen sollte.
Trotzdem gelang es Frankreich, wenn auch nicht die Zustimmung,
so doch die Unschädlichmachung der habsburgischen Macht zu erreichen.
Zunächst konnte ein Teil der habsburgischen Streitkräfte dadurch
lahmgelegt werden, daß sich Maximilians Sohn Philipp, der Erbe der
hurgundischen Lande zu einem separaten Abkommen bereit finden
ließ (abgeschlossen zu Paris am 2. August 1498), das eine offensive
Aktion von niederländischer Seite unmöglich machte. König Maximilian
gab freilich trotzdem seine Versuche, das französische Unternehmen
262 Der Kampf um Mailand und Neapel.
gegen Mailand zu verhindern, nicht auf. Aber der im September 1498
ins Werk gesetzte Feldzug in der Richtung von Vesoul und Lothringen
blieb ohne praktischen Erfolg, und noch weniger gelang es dem König,
die Franzosen ihrer unentbehrlichen schweizerischen Söldner (§ 29) zu
berauben. Er unternahm es zwar, mit Hilfe des Schwäbischen Bundes
(vgl. § 62) die Eidgenossenschaft mit Waffengewalt wieder zu einer
engeren Verbindung mit dem Reiche zu zwingen (wodurch auch die
Lieferung schweizerischer Söldner an die Gegner Habsburgs erschwert
worden wäre); aber der deshalb schließlich als Reichskrieg geführte
Schwaben- oder Schweizerkrieg (Februar bis Juli 1499) zeitigte für die
habsburgische Sache einen Mißerfolg nach dem anderen, und der Friede,
der am 22. September 1499 nach langwierigen Verhandlungen zu Basel
abgeschlossen wurde, enthielt sogar die sozusagen offizielle Anerken-
nung des Reiches, daß die Eidgenossen nicht zur Unterwerfung unter
die Reichsgesetze gezwungen werden könnten (außerdem noch die
Anerkennung der in den Jahren 1497 und 1498 eingegangenen Verbin-
dungen schweizerischer »Orte« mit Graubünden, wo die habsburgischen
und die schweizerischen Ausdehnungstendenzen direkt aufeinander
gestoßen waren).
Der Schwabenkrieg hatte so im Gegenteile zur Folge, daß die Eid-
genossen noch enger an Frankreich geschh^ssen wurden: der oben (S. 261)
erwähnte Vertrag von Luzern, der der französischen Krone von neuem
die Unterstützung der schweizerischen »Knechte« sicherte, ist denn auch
erst während dieses Konfliktes unterzeichnet worden und kann als Gegen-
leistung für die Hilfe aufgefaßt werden, die Frankreich damals den Eid-
genossen in Form von Artillerie zukommen ließ (vgl. § 97). König
Maximilian war also außerstande, sich dem französischen Vorstoße wirk-
sam entgegenzusetzen und seine Bemühungen, Herzog Lodovico zu
retten (er versuchte ihn als Mitglied des Schwäbischen Bundes auf-
nehmen zu lassen), hatten nur platonischen Wert.
Zu den übrigen Bundesgenossen trat außerdem schließlich noch
der Papst hinzu, dessen Sohn Cesare Borgia im Mai 1499 sich mit dem
Geschlechte der d'Albret verschwägert hatte und vom französischen
König mit dem Herzogtum Valentinois belehnt worden war; die päpst-
liche Familienpolitik und die Hoffnung, mit französischer Hilfe die
Romagna der tatsächlichen Herrschaft der Regierung des Kirchen-
staates zu unterwerfen (vgl. § 92), hatte eine Verbindung mit Frank-
reich vorteilhaft erscheinen lassen.
§ 109. Die Eroberung Mailands durch Frankreich. Nachdem der
Zug nach Mailand auf diese Weise vorbereitet worden war, war die
Kampagne selbst kaum mehr als ein militärischer Spaziergang. Anfang
August 1499 begannen die kriegerischen Operationen; bereits am
17. September war mit der Kapitulation der Zitadelle von Mailand
der Feldzug in der Hauptsache beendigt. Ebenso glatt vollzog sich
der Vormarsch auf venezianischer Seite; am 10. September zogen die
§ 109. Die Eroberung Mailands durch Frankreich. 263
Truppen der Markusrepublik in der Stadt Cremona ein. Herzog Ludovico
Moro, der auf österreichisches Gebiet (nach Brixen) hatte entkommen
können, versuchte dann allerdings, ermuntert durch Berichte über die
Unzufriedenheit der mailändischen Bevölkerung mit dem französischen
Regiment, sein Land wieder zurückzuerobern, und es gelang ihm auch,
eine Anzahl Truppen (Reisige und Landsknechte) und Artillerie von
König Maximilian zu erhalten: ja, trotz des Verbotes der eidgenös-
sischen Regierungen ließen sich sogar schweizerische Reisläufer ge-
winnen. Der Herzog begann im Januar 1500 seine Offensive. Die Streit-
kräfte, die die Franzosen im Herzogtum zurückgelassen hatten (die
Schweizer waren entlassen worden), genügten nicht, um diesem Angriffe
Widerstand zu leisten; dazu brach noch am 30. Januar in der Hauptstadt
eine Revolution aus, die den französischen Gouverneur (Trivulzio) bereits
am 3. Februar nötigte, die Stadt zu verlassen und sich gegen Novara zu-
rückzuziehen. Außer der Gegend von Novara und dem Kastell von Mai-
land befand sich binnen kurzem beinahe das ganze Herzogtum wieder
in den Händen Lodovico Sforzas; am 2L März mußte dann auch
Novara noch kapitulieren. Das alte Regiment wurde wieder hergestellt.
Aber diese Rückeroberung, die ausschließlich auf die numerische
Inferiorität der von den Franzosen zurückgelassenen Truppenbestände
zurückzuführen war, konnte keinen Bestand haben. Die französische
Regierung ergriff energische Maßregeln, um Entsatz zu liefern. Es
gelang ihr vor allem, zwar nicht eine offizielle Werbelizenz, aber wenig-
stens stillschweigende Duldung des Anwerbens schweizerischer Söldner
von den eidgenössischen Regierungen zu erlangen, so daß ihr ein ver-
hältnismäßig großes Kontingent von Schweizern zur Verfügung stand;
dazu wurden zahlreiche Reisige und die beste Artillerie aufgeboten.
Dieser neuen Armee unter La Tremoille, die sich kurz nach dem Falle
Novaras mit Trivulzio vereinigte, war der Herzog in keiner Weise
gewachsen; dazu kam noch, daß die Schweizer in seinem Heere sich
weigerten, gegen ihre Landsleute unter französischem Banner zu fechten.
Es blieb kein anderer Ausweg als die Kapitulation (9. April 1500).
Die herzoglichen Truppen erhielten freien Abzug aus Novara; der
Herzog selbst willigte ein, sich dem französischen König, der bereits
einen Preis auf seinen Kopf gesetzt hatte, zu ergeben. Die Schweizer
widersetzten sich aber, da sie seine Person als Pfand behalten wollten,
und schickten sich an, ihn in der Verkleidung eines Söldners mitzu-
nehmen. Die Franzosen machten ihn jedoch leicht ausfindig, und er
fiel als Gefangener in ihre Hände. Er wurde nach Frankreich verbracht,
wo er bis zu seinem Tode im Jahre 1508 auf dem Schlosse Lys Saint-
Georges bei Bourges in Haft gehalten wurde.
Mailand wurde nun ganz mit Frankreich vereinigt. Der nach dem
Muster der französischen Parlamente errichtete »Senat« (Dekret vom
11. November 1499), in dem der dominierende Einfluß den französischen
Mitgliedern gesichert war (vgl. Pelissier, »Louis XII et Liidovic Sforza«
II, 331), trat wieder in Tätigkeit.
264 Der Kampf um Mailand und Neapel.
Doch fiel nicht das gesamte Territorium des Herzogtums in die
Hand der Franzosen. Abgesehen von den Gebietsteilen, die Venedig,
hatten überlassen werden müssen, durfte die französische Regierung
auch die Ansprüche der Schweizer nicht ganz unberücksichtigt lassen,
von denen besonders die Urkantone sich durch die Aufrichtung des
französischen Regimentes in Mailand in ihren Expansionstendenzen
ernstlich bedroht sahen (vgl. § 97). Die Grafschaft Bellinzona, die
bereits im Jahre 1500 von innerschweizerischen Söldnern besetzt worden
war, mußte nach verschiedenen Zwischenfällen im Jahre 1503 den drei
Urkantonen abgetreten werden, die damit mindestens den Gotthard-
verkehr bis an den Fuß des Montecenere und bis zum nördlichen Ende
des Langensees beherrschten (Vertrag von Arona vom 11. April 1503).
Literatur zu den §§108 und 109. Vgl. die Bemerkung zu §107. Das
Hauptwerk ist auch jetzt noch das zahlreiche unedierte Dokumente benutzende
Buch von Leon-G. Pelissier, »Louis XII et Ludovic Sforza^, 2 Bände, 1896.
§ 110. Die Eroberung Neapels durch Spanien. Die Eroberung
Mailands hatte sich so glatt vollzogen, daß die französische Regierung
nicht zögerte, auch ihre Pläne zur Festsetzung in Neapel wieder auf-
zunehmen. Noch in demselben Jahre, in dem Lodovico Moro definitiv
seiner Herrschaft beraubt worden war, begann sie mit den Vorberei-
tungen zu der neuen neapolitanischen Expedition.
Die Methode ihres Vorgehens unterschied sich allerdings unter dem
Einfluß der Übeln Erfahrungen, die sie bei der Unternehmung des
Jahres 1494 gemacht hatte, stark von dem in jenem Jahre angewandten
Verfahren. Obwohl Frankreich sich im Jahre 1500 in einer viel gün-
stigeren Position befand als sechs Jahre vorher, wagte die Regierung
doch nicht mehr ohne Verbindung mit der Sizilien beherrschenden
Macht zu operieren. Frankreich besaß allerdings jetzt, was ihm damals
nur in unsicherem Maße zur Verfügung gestanden hatte, nämlich eine
Basis für seine Flottenoperationen, da Genua zusammen mit Mailand
in seine Gewalt gefallen war; außerdem hatten die Ereignisse des Jahres
1499 die militärische Schwäche des habsburgischen Königs enthüllt,
so daß Frankreich von dieser Seite kein Hindernis zu befürchten hatte.
Aber der Verlauf der militärischen Operationen in Neapel in den Jahren
1495 und folgende hatte doch zu deutlich gezeigt, daß die Franzosen
das Königreich gegen eine von Sizilien her vorstoßende Armee nicht
halten konnten, als daß eine Wiederholung des früheren isolierten Vor-
gehens in Betracht gezogen werden konnte. Vor allem aber scheint
dabei die französische Regierung die Absicht verfolgt zu haben, die
Befürchtungen, die in Spanien wegen des Besitzes Siziliens im Falle
einer Festsetzung der Franzosen in Neapel erweckt wurden (§ 108),
durch die Abtretung des der Insel zunächst liegenden Teiles des König-
reiches gegenstandslos zu machen.
Wie es sich nun auch mit diesen Kalkulationen verhalten haben
mag, Tatsache ist jedenfalls, daß die französische Regierung so vorging,
als wenn sie die eben skizzierten Erwägungen angestellt hätte. In dem
§ 110. Die Eroberung Neapels durch Spanien. 265
Geheimvertrag über die Teilung Neapels, der am 11. November 1500
zwischen Frankreich und Spanien zu Granada abgeschlossen wurde,
behielt sich Frankreich nur den Besitz der Stadt Neapel, der Terra di
Lavoro und der Abruzzen vor, während Apulien und Kalabrien, d. h.
der gesamte unmittelbar für Sizilien wichtige südliche Teil des König-
reiches an Spanien fallen sollte. Es schien so ein Kompromiß gefunden,
der beide Teile befriedigen könnte; Spanien ging den Vertrag um so
lieber ein, als die Ereignisse des Jahres 1494 gezeigt hatten, daß ein
unabhängiges Neapel seine Selbständigkeit gegen einen französischen
Angriff nicht zu behaupten vermochte.
Es handelte sich nun nur noch darum, die neutrale Haltung der
zwei in Mitleidenschaft gezogenen italienischen Mächte, nämlich Vene-
digs und des Kirchenstaates, zu erlangen. Der Markusrepublik kamen
die Kontrahenten dadurch entgegen, daß sie die neuen venezianischen
Eroberungen im Neapolitanischen ausdrücklich garantierten; der Papst
wurde dadurch gewonnen, daß dem Sohne des Papstes, Gesare Borgia,
zur Unterwerfung der Romagna französische und spanische Truppen
zur Verfügung gestellt wurden (vgl. §§ 92 u. 108). Kurz vor der Eröff-
nung der Feindseligkeiten (8. Juli) konnte denn auch der Abschluß
eines eigentlichen Bündnisses zwischen Papst, Frankreich und Spanien
zum Zwecke der Aufteilung Neapels verkündet werden (29. Juni 1501 ;
Bulle vom 23. Juni).
Der König von Neapel (seit 1496 Friedrich I., Oheim Ferdinands II.)
hatte unter diesen Umständen noch geringere Aussichten, sein Reich
zu behaupten, als bei Ludovico Moro der Fall gewesen war. Dazu
sah er sich einem Angriff von zwei Fronten her ausgesetzt : von Norden
drang ein französisch-päpstliches Heer unter Stuart d'Aubigny und
Gesare Borgia gegen ihn vor, von Süden Gonsalvo de Cördoba mit
spanischen Truppen. Beiden konnte er nur schwachen Widerstand
entgegensetzen; auch seine befestigten Plätze konnten zw'ar wohl dem
Angriff der Spanier, nicht aber der weit überlegenen französischen Ar-
tillerie (§ 29) einige Zeit standhalten. So kapitulierte er denn bereits
am 1. August 1501 in die Hände des französischen Oberkommandanten
und flüchtete nach Ischia (er überlieferte sich dort am 6. September
den Franzosen, die ihn nach Marseille führten; er starb 1504 in franzö-
sischer Staatsgefangenschaft. Seine Rechte hatte er König Ludwig XII.
zediert. Sein Sohn und Erbe Ferdinand, der »Herzog von Kalabrien«,
wurde ebenfalls unschädlich gemacht; er fiel in die Gewalt Gonsalvos
und wurde als Staatsgefangener nach Spanien geschickt (wo er im Jahre
1559 kinderlos starb). Der Herrschaft der aragonesischen Bastard-
dynastie über Neapel war definitiv ein Ende bereitet w^orden.
Daß es unter den Verbündeten nach kurzer Zeit über die Teilung
der Beute zu Konflikten kam, ist nicht zu verwundern; schwerer be-
greiflich ist, daß sich die Franzosen nicht schon durch die Erwägung
hatten von dem Unternehmen abhalten lassen, daß sie in einem solchen
Falle schließlich den kürzeren ziehen würden. Ihre Position war aller-
266 Der Kampf um Mailand und Neapel.
dings stärker als im Jahre 1495 (§ 106). Das genuesische Gebiet war
fest in ihrer Hand, und es war deshalb den Franzosen auch einmal
(August 1503) möglich, mit Hilfe von neun in Genua und Savona
»armierten« Schiffen (vgl. § 14) der von den Spaniern belagerten Stadt
Gaeta wirkungsvolle Unterstützung angedeihen zu lassen; auch hatten
es die französischen Truppen dieses Mal nur mit den Spaniern, nicht
auch noch mit den Streitkräften anderer Staaten zu tun. Aber die
Verhältnisse lagen doch immer noch für sie viel ungünstiger als für die
Gegner. Vor allem war die Verbindung mit dem Mutterlande umständ-
licher und imsicherer, es fehlte den Franzosen eine nahe Basis, wie sie
die Insel Sizilien bot. Dazu kam, daß der spanische General, der »große
Feldherr« Gonsalvo de Cördoba, allem Anschein nach den französischen
Kommandanten als Heerführer überlegen war; auch war dank der
kürzlich erfolgten partiellen Einführung der schweizerischen Taktik
im spanischen Heere (§41) die spanische Infanterie beträchtlich leistungs-
fähiger als im Jahre 1495. Die Hauptsache blieb aber, daß die spanischen
Truppen infolge besserer Verbindung und demgemäß auch relativ
besserer Verpflegung den Krieg länger hinausziehen und dadurch die
Franzosen zum Losschlagen an für jene ungeeigneten Stellen nötigen
konnten. Der Vorteil, der den Franzosen auch jetzt wieder aus ihrer
stärkeren Artillerie entsprang, wurde dadurch aufgehoben.
Die Feindseligkeiten begannen im Sommer 1502. Die Operationen
zogen sich anfänglich unentschieden hin; als aber im Frühling des Jahres
1503 der spanische Oberkommandant Verstärkungen erhielt, wendete
sich das Geschick zuungunsten der Franzosen: ihre Armeen wurden in
mehreren Gefachten geschlagen, und am 16. Mai 1503 konnten die
Spanier sogar wieder die Hauptstadt besetzen. Bis auf Gaeta war
beinahe das ganze Königreich für die Franzosen verloren. Die Ent-
scheidung fiel jedoch erst, als die starke Entsatzarmee, die aus Frank-
reich abgeordnet wurde, keinen Erfolg erzielte. Ungefähr drei Monate
lang (Oktober bis Dezember 1503) lagen sich die französischen und
die spanischen Truppen am Garigliano (d. h. zwischen Gaeta und
Neapel) gegenüber, auf dessen linkem Ufer sich Gonsalvo verschanzt
hatte. Schließlich wagte der spanische Heerführer am 29. Dezember
einen Angriff auf die französische Stellung, der gelang; die Franzosen
mußten sich nach Gaeta zurückziehen. Mit der Niederlage war aber
auch dies letzte Bollwerk der Franzosen verloren; am 1. Januar 1504
kapitulierte die Stadt Gaeta, und die Reste der französischen Armee
retteten sich zu Schiff nach Genua.
Der Krieg war damit für die Franzosen verloren, und selbst wenn
ihr Vorstoß in dem Roussillon (Herbst 1503) weniger unglücklich aus-
gelaufen wäre, als der Fall war, hätten sie wohl auf ihre neapolitanischen
Pläne verzichten müssen. Es blieb nichts mehr übrig, als Frieden zu
schließen und Neapel vollständig den Spaniern zu überlassen. Bereits
am 31. Januar 1504 (bestätigt zu Lyon am 31. März desselben Jahres)
wurde denn auch zwischen den beiden kriegführenden Parteien ein
§ 111. Vorbereitung der Liga von Cambrai. 267
Waffenstillstandsvertrag *auf drei Jahre abgeschlossen, der tatsächlich
bedeutete, daß die Franzosen der spanischen Herrschaft über Neapel
bis auf weiteres kein Hindernis entgegensetzen würden.
Neapel wurde nun spanischer Besitz. Der erste Statthalter («Vize-
könig«) war der »große Feldherr« Gonsalvo de Cördoba selbst; als er
1506, weil verräterischer Pläne verdächtig, sein Amt quittieren und
nach Spanien zurückkehren mußte, folgte auf ihn ein Neffe König
Ferdinands. Neapel wurde also nicht wieder mit Sizilien vereinigt,
dagegen auf dieselbe Weise wie jenes durch die Errichtung eines Vize-
königtums gänzlich von Spanien abhängig gemacht.
§ 111. Annäherung Frankreichs an die Habsburger und Spanien.
Vorbereitung der Liga von Cambrai. Der Waffenstillstand von Lyon,
der Frankreich gegen Spanien sicherte, machte von selbst auch eine
weitere offensive Politik der Habsburger gegen Frankreich aussichtslos.
Das Haus Osterreich war aus eigenen Kräften nicht imstande, die
Franzosen wieder aus Mailand zu vertreiben; es erschien König Maxi-
milian daher zweckmäßiger sich der französischen Macht in Oberitalien
zu bedienen, um den Erbfeind der österreichischen Expansionspolitik
an der Adria zu vernichten als Versuche zur Wiederherstellung eines
unabhängigen mailändischen Herzogtums zu unternehmen. Der Kampf
gegen die französische Herrschaft über Mailand wurde daher eingestellt
und Pläne zu gemeinsamen Operationen zwischen Frankreich und der
habsburgischen Macht entworfen. Der erste offizielle Ausdruck dieser
Schwenkung in der habsburgischen Politik (die übrigens in der Haltung
König Maximilians im Jahre 1494 bereits einen Vorläufer hatte: § 108)
waren der nur ein halbes Jahr nach dem Waffenstillstand nach Spanien
abgeschlossene Vertrag von Blois zwischen König Maximilian und König
Ludwig XII. (22. September 1504), der die künftige Vermählung des
Enkels Maximilians Karl (des späteren Karls V.) mit Claudia, der
Tochter Ludwigs XIL, zusammen mit kaum ehrlich gemeinten be-
trächtlichen territorialen Konzessionen Frankreichs vorsah, und noch
mehr die an demselben Tage unterzeichnete Offensivallianz gegen
Venedig, die gleichsam als erste Auflage der Liga von Cambrai be-
zeichnet werden kann (die Ähnlichkeit mit dem späteren Bündnis
springt besonders dann in die Augen, wenn man beachtet, daß die
Allianz formell zwar nur von Frankreich und Österreich abgeschlossen
wurde, als Initianten der Verbindung aber ausdrücklich den Herrn
des Kirchenstaates, Papst Julius IL, nennt).
Beide Verträge gelangten nicht zur Ausführung. Aber nur der
erste, weniger wichtige, wurde ganz und gar mißachtet, indem die dem
österreichischen Erben versprochene Prinzessin Claudia statt dessen
mit dem präsumptiven französischen Thronfolger, dem späteren König
Franz I. verlobt wurde (1506); der zweite bedeutungsvollere wurde
nur aufgeschoben. Diese Situation machte es dem französischen König
möglich, seine Herrschaft in Oberitalien ungestört weiter zu befestigen,
268 Die Koalition der Großmächte gegen Venedig.
— In Genua, das nominell noch eine selbständige Republik war, brach
im Jahre 1506 eine Revolution gegen das Patriziat aus, die sich zu-
gleich auch gegen die französische Oberherrschaft richtete. Die genue-
sische Bourgeoisie erhob sich gegen die französische Besatzung und
nahm am 12. März 1507 das nur von einer schwachen Garnison ver-
teidigte Schloß; nur das »Castelletto « wurde von den Franzosen noch
gehalten. Aussicht auf Erfolg hatte der Aufstand aber nur, wenn
andere Großmächte den Freiheitsfreunden zu Hilfe kamen. Infolge
der neuen diplomatischen Lage blieb eine solche Unterstützung jedoch
gänzlich aus (Spanien sandte im Gegenteil den Franzosen noch See-
streitkräfte zu Hilfe), und so mußte Genua denn bereits im April 1507
vor der starken, zu Lande heranrückenden französischen Armee kapi-
tulieren. Die Freiheiten der Stadt wurden nun für verwirkt erklärt,
die Herrschaft des Adels wieder hergestellt und vor allem wurde am
Eingang des Hafens eine große französische Fortifikation, die »Laterne«,
angelegt, die zusammen mit dem Castelletto die Stadt militärisch den
Franzosen auslieferte. Genua konnte nun als förmlich mit der Krone
Frankreich vereinigt gelten.
Auch die dynastischen Verhältnisse in Spanien gestalteten sich
zunächst noch für Frankreich günstig. König Ferdinand, der durch
den Tod der Königin Isabella (26. November 1504) Witwer geworden
war, vermählte sich mit einer Nichte König Ludwigs, Germaine de Foix
(Vertrag von Blois vom 12. Oktober 1505; Vermählung am 18. März
1506). Noch wichtiger war, daß die Gefahr einer wenigstens partiellen
Vereinigung habsburgischer mit spanischen Besitzungen fürs erste
abgewendet wurde: der Erbe Isabellas und Schwiegersohn Ferdinands,
Philipp der Schöne von Österreich, der am 12. September 1505 die
Regentschaft über Kastilien an Stelle Ferdinands in Anspruch ge-
nommen hatte, starb schon am 25. September 1506 eines plötzlichen
Todes, so daß das Haus Österreich in der nächsten Zeit von jedem
Einfluß auf die spanische auswärtige Politik ausgeschlossen blieb.
Literatur zu den §§110 und 111. Eine wissenschaftliche Monographie
über den neapolitanischen Feldzug, die den Werken Delabordes und Pelissiers an
die Seite gestellt werden könnte, fehlt. Die wichtigste Quellenpublikation sind die
■»Dispacci« von A. Giustiniani (1502 — 1505), die P. Villari 1876 herausgegeben hat.
C. Die Koalition der Großmächte gegen Venedig und ihre Folgen
(1508-1516).
§ 112. Die Liga von Cambrai. Von allen italienischen Staaten
hatte, seitdem die Großmächte ihre Eroberungspolitik auf Italien aus-
dehnten, sich einzig Venedig als selbständige Potenz behaupten können.
Es war daher nicht verwunderlich, wenn sich unter den Großstaaten,
nachdem sich einmal unter ihnen gewissermaßen ein System des Gleich-
gewichtes gebildet hatte, Neigungen zeigten, die Machtstellung der
Markusrepubhk zu brechen. Schon im vorhergehenden Paragraphen
ist denn auch berichtet worden, daß sich unmittelbar an die gegen-
§ 112. Die Liga von Cainbrai. 269
seitige Verständigungsaktion der Großstaaten vertragliche Abmachungen
schlössen, die sich gegen Venedig richteten. Aber den wirklichen An-
stoß zu der kurz darauf effektiv ins Werk gesetzten Offensivallianz
gegen die Lagunenrepublik gaben wohl weniger Erwägungen allge-
meiner Natur als das Bestreben, die neue, durch die französische Ex-
pedition geschaffene Situation auszunützen, um die w^ährend des
15. Jahrhunderts erreichten Erfolge der venezianischen Expansions-
politik auf der italienischen Terraferma wieder rückgängig zu machen
sowie um sich gegen weitere Fortschritte dieser Tendenzen zu sichern.
Daher war der Bund gegen Venedig weniger eine Allianz der Groß-
mächte gegen Venedig als eine Vereinigung aller durch frühere vene-
zianische Eroberung geschädigter Territorien (sowohl der freien wie
der im Besitze der Großmächte befindlichen), die dank der Unter-
stützung der Großmächte ihre ehemalige defensive Haltung gegen die
Markusrepublik mit einer offensiven vertauschen konnten, und die
Beteiligung an der Liga war um so eifriger, je größer die direkten terri-
torialen Vorteile \yaren, die für das betreffende Mitglied des Bundes
in Aussicht standen. Der Gedanke, die Machtstellung Venedigs über-
haupt zu schwächen, dürfte daneben stark zurückgetreten sein.
Daraus erklärt sich ohne weiteres, daß von den Großmächten
Spanien sich vor und bei dem Abschluß der Koalition durchaus im
Hintergrunde hielt; wenn die spanische Regierung als Besitzerin Neapels
auch von Venedig eine Reihe apulischer Hafenorte zurückzugewinnen
hatte (vgl. § 110), so besaß diese Gebietsveränderung infolge der vene-
zianischen Seeherrschaft in der Adria doch nur geringe Bedeutung.
Ebenso ist leicht verständlich, daß ein italienischer Mittelstaat, der
nicht an venezianisches Territorium angrenzte, wie Florenz, sich zu
bloßer Neutralität verpflichtete, während kleine unmittelbar von
Venedig bedrohte Gemeinwesen wie Ferrara und Mantua von vorn-
herein zum Beitritt zu der Offensivallianz aufgefordert wurden. Vor
allem folgt aber aus den eben dargelegten Prämissen, daß die beiden
Staaten, die von einem weiteren Vordringen Venedigs am meisten zu
fürchten hatten, nämlich Österreich und der Kirchenstaat, sich be-
sonders energisch um die Organisation der Liga bemühten.
Der Bund gegen Venedig wurde geschlossen zu Cambrai am
10. Dezember 1508. Direkt als Kontrahenten sind nur Kaiser Maxi-
milian und König Ludwig XIL von Frankreich genannt; doch be-
zeichnet das Instrument selbst als eigentlichen Initianten den Papst
(damals Julius II.) und führt an erster Stelle die Wiedereroberung der
dem Kirchenstaate entrissenen Gebiete auf; man kann also sagen,
daß der Vertrag ursprünglich abgeschlossen wurde zwischen Österreich,
Frankreich und dem Papste, wenn schon dieser aus formellen Gründen
seinen offiziellen Beitritt erst am 23. März 1509 erklärte. Das Vertrags-
instrument läßt außerdem den Beitritt noch offen dem König von
Spanien, dem Herzog von Savoyen, dem Herzog von Ferrara, dem
Markgrafen von Mantua, dem König von England, dem König von
270 Die Koalition der Großmächte gegen Venedig.
Ungarn. Die Eröffnung der Feindseligkeiten gegen Venedig wurde
spätestens auf den 1. April 1509 angesetzt. Als Ziel des Krieges wurden
bestimmt für den Papst eine Anzahl Städte in der Romagna (Ravenna,
Rimini usw.), für den Kaiser Roveredo, Verona, Padua, Vicenza, Tre-
viso, Friaul und das Patriarchat von Aquileja, für Frankreich als Be-
sitzer Mailands Brescia, Crema, Bergamo, Gremona und die Ghiara
d'Adda (also auch die im letzten Koalitionskriege gemeinsam mit den
Franzosen von den Venezianern eroberten Gebiete; vgl. § 109), für
Spanien die an die Venezianer verloren gegangenen apulischen Hafen-
plätze (Brindisi, Otranto usw.). Savoyen sollte Cypern erhalten können,
Ferrara und Mantua die ihnen von Venedig entrissenen Gebietsteile.
Läßt schon diese Abgrenzung der den einzelnen Bundesgenossen
zufallenden Beuteteile erkennen, daß die Liga hauptsächlich im Interesse
der Habsburger abgeschlossen wurde, so reden die Abmachungen nicht
politischer Natur erst recht eine deutliche Sprache. Weil die von Ve-
nedig zu erwartenden Gebietserwerbungen nicht ausreichten, um
Frankreich und Aragon zum Beitritt zu dem Offensivbündnis zu bewegen,
mußte Kaiser Maximilian ihre Einwilligung außerdem mit politischen
Konzessionen erkaufen. Frankreich versprach er die Investitur mit
Mailand, gegenüber dem König von Aragon ging er die Verpflichtung
ein, sich jeder Einmischung in die Regierung Kastiliens zu enthalten
(er hatte als Großvater Karls [V.] und Ferdinands, der unmündigen
Erben des Landes Anspruch auf die Regentschaft über Kastilien erhoben).
Damit steht auch im Einklang, daß der habsburgische Herrscher bereits
in dem Jahre vor der Liga (vom Februar 1508 an) versucht hatte,
seine Ziele gegenüber Venedig mit eigenen Mitteln durchzuführen, und
erst den Bund abschloß, als dieser Feldzug einen durch und durch
unglücklichen Ausgang genommen hatte : er hatte nämlich durch einen
am 6. Juni 1508 zu Maria di Grazia unterzeichneten Waffenstillstand be-
endigt werden müssen, der die Venezianer im Besitze aller ihrer während
des Krieges gemachten Eroberungen (u. a. auch Triest und Fiume) ließ.
Erwähnenswert ist schließlich noch, daß der Gedanke, die Stadt
Venedig selbst zu okkupieren, in dem Vertrage nicht erwähnt wird.
Die starke Position, die Venedig zur See einnahm, ließ, darf man an-
nehmen, einen solchen Plan als von vornherein undiskutierbar erscheinen.
Eine Folge der Abmachungen von Cambrai war die Beendigung
des Krieges, den die florentinische Republik zur Unterwerfung des
abgefallenen Pisas führte (vgl. § 107). Frankreich und Spanien hatten
zur Finanzierung des Krieges gegen Venedig Geldmittel nötig, und
sie lieferten daher die Stadt Pisa den Florentinern gegen Zahlung an-
sehnlicher Subsidien aus (Vertrag vom 13. März 1509). Nachdem die
Großmächte sie so im Stiche gelassen hatten, blieb den Pisanern nur
die Kapitulation übrig; am 2. Juni 1509 wurde der Vertrag ratifiziert,
der die Stadt wieder der Oberhoheit der Florentiner unterstellte.
§ 113. Der Krieg gegen Venedig. Obwohl solange Venedig die
See beherrschte, eine definitive Vernichtung des venezianischen Staats-
§ 113. Der Krieg der Liga von Cambrai. 271
Wesens ausgeschlossen war, so war die Republik doch begreil'Iicher-
weise nicht imstande, ihren Besitz auf dem Festlande gegen die über-
mächtige Koalition zu behaupten, die sich zu der Liga von Cambrai
zusammengefunden hatte, und ihre beste Chance lag darin, daß sie
ein unangreifbares Widerstandszentrum besaß; es war dies besonders
deshalb wichtig, weil eine unter so außergewöhnlichen Verhältnissen
zustande gekommene Bündnisvereinigung wie die Liga normalerweise
nur kurzen Bestand haben konnte und Venedig als gerettet gelten durfte,
sobald es nur dem ersten Ansturm nicht erlegen war.
Der gefährlichste Gegner war dank ihrer Überlegenheit an In-
fanterie, schwerer Reiterei und Artillerie die französische Armee. Diese
befand sich außerdem zuerst im Felde, während Kaiser Maximilian
wie gewöhnlich mit seinen Leistungen im Rückstande blieb und auch
die päpstlichen Truppen sich vorerst passiv verhielten. Um so kata-
strophaler gestaltete sich für die Venezianer das erste Zusammentreffen
mit dem Feinde. Es war das erste Mal, daß ihre Truppen sich mit den
Franzosen maßen, die damals (mit Ausnahme der leichten Reiterei)
in allen Waffengattungen an der Spitze der Technik standen (§ 29),
und der Erfolg war eine vollständige Niederlage auf ihrer Seite. Die
französische Armee, die am 8. Mai 1509 Mailand verlassen hatte, schlug
bereits in dem ersten Zusammentreffen am 14. Mai bei Agnadello
(südlich von Treviglio) das venezianische Heer in entscheidender Weise
(sogar der venezianische Kondottiere Bartolommeo d'Aviano wurde
gefangen genommen). Der venezianische Widerstand gegen die Fran-
zosen war fürs erste gänzlich gebrochen; die von Frankreich in An-
spruch genommenen Städte Bergamo, Brescia usw. fielen binnen
wenigen Tagen in die Hand des Siegers. Die venezianische Armee zog
sich bis Verona zurück.
Schlimmer als dies war vielleicht noch für Venedig, daß die Kata-
strophe von Agnadello auch die übrigen Teilnehmer der Liga zur so-
fortigen Ofensive gegen die wehrlos gemachte Republik animierte;
die Staaten, die bisher noch Bedenken getragen hatten, den venezia-
nischen Staat anzugreifen, ließen nun alle Rücksichten fallen. Ein
päpstliches Heer rückte durch die Romagna heran, Ferrara und Mantua
erklärten sich offen gegen Venedig, im Friaul und in I Strien wurde der
Angriff energisch aufgenommen, und in Neapel wurden Anstalten zur
Besetzung der venezianischen Hafenplätze getroffen. Überall setzten
die venezianischen Besatzungen dem Feinde nur geringen Widerstand
entgegen. Eine eigentliche Panik scheint damals ausgebrochen zu sein;
Verona, Vicenza und Padua ergaben sich ohne Schwertstreich dem
Kaiser. Sogar die venezianische Regierung selbst sah ihre einzige
Rettung in einer Sprengung der feindlichen Koalition, mochte sie
auch noch mit so großen Opfern erkauft werden müssen: sie über-
lieferte dem Papst ihre Städte in der Romagna, dem König von
Aragon ihre (freiwillig geräumten) Plätze in Apulien und bot ähn-
liche Konzessionen dem habsburgischen Herrscher an. Bereits erwog
272 Die Koalition der Großmächte gegen Venedig.
der Kaiser den phantastischen Plan, Venedig von der Seeseite her
anzugreifen.
Diese Versuche, Separatfriedensschlüsse zustande zu bringen,
blieben aber ohne Erfolg; wenn Venedig trotzdem seinen Besitz auf
der Terraferma nicht definitiv verlor, so war dies nur dem Umstände
zu verdanken, daß die feindlichen Staaten, die sich zu dem Gelegen-
heitsbunde zusammengeschlossen hatten, mangelhaft untereinander
operierten und daß die Venezianer in der Bevölkerung der besetzten
Gebiete einen wertvollen Bundesgenossen fanden. Der durch die
Signorie aus der Herrschaft verdrängte Lokaladel begrüßte die »Be-
freiung« von der Markusrepublik zwar mit Freuden; eine ganz andere
Stellung nahmen aber, wie begreiflich, die übrigen Bevölkerungsklassen
ein (§ 66). Der Widerstand begann mit einer Volkserhebung in Treviso
gegen den Kaiser; bald (17. Juli 1509) konnte auch Padua wieder
zurückgewonnen werden. Damit trat die entscheidende Wendung
zugunsten Venedigs ein. Der Kaiser, der nun in der Hauptsache den
Krieg allein zu führen hatte (wenn auch durch französische Reisige und
spanische Söldner unterstützt), war so wenig wie im Jahre vorher
(§ 112) imstande, den Gegner zu überwinden. Die Belagerung Paduas
(Mitte August bis 2. Oktober 1509), die, wie es scheint, nur mit Hilfe
österreichischen Geschützes (also ohne französische Artillerie) durch-
geführt wurde, endete mit einem vollständigen Mißerfolg. Bald zogen
die Venezianer auch wieder in Vicenza ein (14^ November 1509), so daß,
abgesehen von Verona und Roveredo (und den 1508 von den Öster-
reichern verlorenen und jetzt wieder zurückeroberten Gebieten) alles,
was die Kaiserlichen gewonnen hatten, wieder verloren ging. Die
mangelhafte finanzielle Basis der habsburgischen Politik (vgl. § 64)
hatte sich auch hier wieder von dem Augenblicke an enthüllt, da die
Bundesgenossen, die ihre Ziele erreicht hatten, sich von dem Kriege
zurückzogen.
Literatur zu den §§112 und 113. Auch zur Geschichte der Liga von
Cambrai fehlt es noch an einer selbständigen wissenschaftlichen Monographie. Als
Surrogat kann noch am ehesten gelten die auch umfangreiches archivalisches Material
heranziehende Arbeit von Ch. Kohler, »Les Suisses dans les guerres d'Jtalie de 1506
ä 1512« (1897), in der auch die ältere Spezialhteratur sorgfältig verzeichnet
ist. Vgl. ferner M. v. Wolff, »Untersuchungen zur Venezianer Pohtik Kaiser Maxi-
milians L während der Liga von Cambrai« 1905; A. Luzio, »I preliminari della
ega di Cambrai« im »Archivio stör, lombardo«, ser. IV, vol. 16 (1911) und ibid.
vol. 34 f.; A. Bonardi, »Venezia e la lega di Cambrai« im »A^. Archivio Veneto«
VII p. 2, 3 ff. (1904).
§ 114. Die italienische Politik des Papstes; die Verbindung des
Papstes mit den Schweizern. Der Krieg der Liga von Cambrai hat zwar
nicht, wie etwa gesagt worden ist, die Großmachtstellung Venedigs ver-
nichtet; denn er leistete im Gegenteil den Beweis, daß Venedig allein
unter allen italienischen Staaten stark genug war, den Kampf mit
ausländischen Großstaaten aufzunehmen. Wohl aber stellte er die
Beziehungen der Markusrepublik zu den italienischen Mittelstaaten auf
§ 114. Auflösung der Liga von Cambrai. 273
eine neue Grundlage. Er machte der Expansionspolitik der Republik
in Italien ein Ende und setzte die durch diese Aspirationen geschädigten
Staaten wieder ungefähr in ihren früheren Besitzstand ein; dadurch
hörte der sozusagen »natürliche« Zustand der Feindschaft zwischen
diesen Mittelstaaten und Venedig auf. Der »normale« Gegner dieser
Gemeinwesen war jetzt vielmehr der auswärtige Großstaat, der sich
seit dem Jahre 1494 als der mächtigste und gefährlichste erwiesen
hatte, nämlich Frankreich. (Spanien kam nicht in Betracht, da
seine Ziele durch den Besitz Neapels als befriedigt erscheinen konnten;
wie wenig die habsburgische Macht bedeutete, hatte der Verlauf des
Feldzuges des Jahres 1509 von neuem gezeigt.)
Es ist danach wohl begreiflich, daß nun der Versuch einer neuen
Gruppierung der italienischen Staaten gemacht wurde, der sich gegen
Frankreich richtete, — nicht ohne Anlehnung an außeritalienische
Mächte, aber nur an solche, die die italienische Freiheit nicht schienen
bedrohen zu können. Das natürliche Haupt einer solchen Verbindung
war der Papst. Dieser (damals Julius II.) ist es denn auch gewesen,
der nun den alten und bisher besonders von venezianischer Seite ge-
brauchten Schlachtruf aufnahm und die »Befreiung Italiens von den
Barbaren« proklamierte. Ebenso natürlich war wohl, daß diese ita-
lienische Koalition gegen Frankreich die französische Wehrkraft vor
allem in ihrer schwachen Stelle, nämlich in ihrer Verbindung mit den
Schweizern zu treffen suchte. Der Mangel an einer einheimischen
Infanterie war ja für Frankreich dank den Werbeverträgen mit der
Eidgenossenschaft an sich auf ausgezeichnete Weise gehoben; aber die
betreffenden Abmachungen waren jederzeit wieder lösbar, und seit
der Annexion Mailands durch Frankreich konnten die Schweizer ge-
radezu als an dem Kampfe der italienischen Staaten gegen die überstarke
Großmacht interessiert gelten. Es erschien also möglich, die Eidgenossen
von Frankreich zu trennen ; war dies erreicht, so war auch den fran-
zösischen Armeen ihre leistungsfähige Infanterie entzogen, und ein
wichtiges Stück ihrer Superiorität war zerstört.
Man kann dem damaligen Leiter des Kirchenstaates (Papst Ju-
lius II.) das Zeugnis nicht versagen, daß er diese Politik mit rastloser
Energie und Konsequenz verfolgt hat. Erleichtert wurde seine Aufgabe
allerdings durch die veränderte Haltung Venedigs: die Markusrepublik
hatte aus den Erfahrungen des letzten Krieges gelernt, daß sie nur
dann eine Wiederholung der Liga von Cambrai verhindern könnte,
wenn sie auf ihre alte Ausdehnungspolitik auf Kosten der übrigen
italienischen Staaten verzichtete. Damit war die Basis zu friedlichen
Vereinbarungen sowohl mit dem Kirchenstaat wie mit Neapel gegeben.
Zunächst wurde vom Papste mit Venedig Friede geschlossen; es
erfolgte dies (da der Krieg der Liga von Cambrai wie alle Kriege des
Kirchenstaates mit geistlichen und weltlichen Waffen zugleich geführt
wurde) in der Form, daß Venedig am 24, Februar 1510 vom Interdikt
losgesprochen wurde (die Republik mußte, um dies zu erreichen, un-
Fueter, Europ. Staatensystem. 18
274 Die Koalition gegen Frankreich.
erhörte marine- und kirchenpolitische Zugeständnisse machen; der Ver-
trag wurde deshalb von Anfang an als erzwungen bezeichnet und mit
einem Nullitätsprotest belegt, nach kurzer Zeit auch faktisch außer
Kraft gesetzt). Es folgte die Verbindung des Papstes mit Spanien:
um den König von Aragon zu dem Bunde gegen Frankreich zu ge-
winnen, erteilte ihm Julius II, am 3. Juli 1510 die bisher stets verweigerte
Belehnung mit Neapel (bezeichnenderweise mit der Klausel, daß die
Könige Neapels niemals die Kaiserkrone erlangen oder die Herrschaft
über die Lombardei oder Toskana mit der ihrigen vereinigen dürften,
d. h. der für die Unabhängigkeit des Kirchenstaates nicht minder als
die französische Hegemonie gefährliche Fall einer habsburgisch-spani-
schen Suprematie, der dann unter Karl V. eintrat, sollte verhindert
werden). Dazu fügte sich als drittes Glied die Verbindung mit den
Schweizern. Mit Hilfe des fanatischen Gegners der französischen
Politik in der Schweiz, des Bischofs Matthäus Schinner von Sitten
(der dafür im Jahre 1511 zum Kardinal erhoben wurde), gelang es dem
Papste, am 14. März 1510 einen fünfjährigen Bund mit den Eidgenossen
zu schließen, in dem diese sich verpflichteten, dem Heiligen Vater
6000 Mann (d. h. die in normalen Zeiten Frankreich bewilligte Zahl)
zu stellen, sowie keiner anderen Macht (d. h. Frankreich) ohne Zu-
stimmung des Papstes Werbungen zu gestatten. Während ehedem die
Franzosen Mailand zu einem guten Teile dank der Mitwirkung eid-
genössischer Söldner erobert hatten, hatte der Papst nun erreicht, daß
bei einem neuen Kampf um dieses Gebiet die Schweizer auf der Seite
der Gegner Frankreichs stehen würden.
§ 115. Die Koalition gegen Frankreich; die Vertreibung der Fran-
zosen aus Italien. Die erste Phase des Kampfes ist durch kleine Ak-
tionen ausgefüllt. Der Vorstoß des Papstes richtete sich zunächst nur
gegen die mit Frankreich verbündeten italienischen Kleinstaaten ;
weder die Schweizer noch ein ausländischer Großstaat operierten da-
mals mit ihm gemeinsam, nur Venedig (und mit einigen Hilfstruppen
Spanien) arbeiteten mit dem Heiligen Vater zusammen. Die Resultate
dieser Offensivversuche waren recht unbedeutend. Der Versuch, in
Genua einen Aufstand gegen die französische Herrschaft hervorzu-
rufen, mißlang gänzlich, und der Vorstoß gegen den mit Frankreich
verbündeten Herzog Alfons von Ferrara führte nur zu einem beschei-
denen Erfolge. Das von dem Herzog geräumte Modena wurde aller-
dings genommen (Herbst 1510); aber die weitere Eroberung, der feste
Platz Mirandola, der das Herzogtum gegen Westen deckte (der am
21. Januar 1511 kapitulierte), konnte nicht behauptet werden. Die
Franzosen, die schon im Oktober 1510 den persönlich seinen Truppen
kommandierenden Papst in Bologna belagert hatten, um die von
Julius II. vertriebene Familie der Bentivoglio wieder in den Besitz
der Stadt zu setzen, rückten nun unter Trivulzio von neuem gegen die
Stadt an, nahmen sie ein (23. Mai 1511) und verjagten die päpstlichen
Behörden ; mit Leichtigkeit wurde von ihm dann auch Mirandola wieder
§ 115. Die Vertreibung der Franzosen aus Italien (1512). 275
gewonnen, und der Herzog von Ferrara war von neuem Herr seines
Landes.
Ebensowenig erfolgreicli für die Kurie verlief der Kampf der geisl-
lielien Waffen, der wie üblich die militärische Aktion begleitete. Um
dem päpstlichen Bann zuvorzukommen, der bereits zu Beginn des
Krieges (am 9. August 1510) gegen ihren Verbündeten in Ferrara aus-
gesprochen war, ließ die französische Regierung eine Nationalsynode
zusammentreten, die eine Entziehung der Obedienz gegenüber dem
Papst für erlaubt erklärte und die Abhaltung eines allgemeinen Konzils
beschloß (26. September 1510). Am 16. Mai 1511 lud dann eine schis-
matische Minorität des Kardinalkollegiums, die sich nach Mailand
unter französischen Schutz geflüchtet hatte, die Christenheit zu einem
(antipäpstlichen) Konzil nach Pisa auf den 1. September d. J. ein.
Diese Taktik war so gefährlich, daß dem Papste nichts anderes übrig
blieb, als mit der gleichen Waffe zu antworten: während es sonst üblich
war, daß Staaten, die mit dem Heiligen Vater in Konflikt standen, auf
die Einberufung eines Konzils drangen, mußte er sich nun selbst dazu
verstehen, eine allgemeine Kirchenversammlung zur »Reform der
Kirche an Haupt und Gliedern« in den Lateran einzuberufen (am
18. Juli 1511 auf den 19. April 1512; es ist dies die sechste Lateran-
synode). Kirchenpolitisch machte sich der Papst dadurch wieder von
den Großmächten abhängig; denn es war klar, daß auch diesmal wieder
für die Bedeutung des Konzils ausschlaggebend sein würde, welche
Stellung die Großstaaten zu ihm einnehmen würden.
So blieb Papst Julius IL, wollte er die französische Hegemonie
über Italien zerstören, nichts übrig, als die im vorhergehenden Para-
graphen skizzierte Politik einzuschlagen, d. h. eine Koalition aller Groß-
staaten und der Schweizer gegen die Franzosen zuwege zu bringen.
Das Unternehmen gelang nicht auf einen Schlag. Der habsburgische
Herrscher, der als Gegner Venedigs der natürliche Alliierte Frankreichs
in Oberitalien war, hielt sich zunächst fern und erklärte sich sogar
halb und halb für das Pisaner Gegenkonzil. Um so leichter waren
allerdings die übrigen Staaten zu gewinnen. Schon am 5. Oktober
1511 wurde die »heilige Liga« zwischen dem Papst, dem König von
Spanien und der Republik Venedig verkündet, dem sich eine am
20. Dezember desselben Jahres in Burgos abgeschlossene Offensiv-
allianz zwischen Spanien und England gegen Frankreich anschloß;
außerdem konnten die Schweizer auf Grund ihrer früheren Verbindung
mit dem Past als tatsächliche Teilnehmer des Bundes gelten.
Immer fehlte aber noch der habsburgische Kaiser, obwohl ihm
von Anfang an jn der Liga eine Stelle offen gelassen worden war. Sein
Beitritt erfolgte erst, als ein neuer französischer Sieg in Oberitalien die
militärische Superiorität der Franzosen und damit auch ihre Gefähr-
lichkeit für die übrigen Staaten abermals erwiesen hatte. Es geschah
dies in der Schlacht bei Ravenna (11. April 1512), in der der fran-
zösische Heerführer Gaston de Foix (der selbst in der Schlacht fiel)
18*
276 Die Koalition gegen Frankreich.
die ligistische Armee schlug, wenn aucli nicht vernichtete (den Kern
des Fußvolkes bildeten auf französischer Seite deutsche Landsknechte,
auf Seite der Liga spanische Infanteristen). Daraufhin begann Kaiser
Maximilian L sich langsam von seiner Verbindung mit Frankreich zu
lösen und sich der Heiligen Liga zu nähern. Am 3. Juni 1512 wurde
ein Waffenstillstand mit Venedig ratifiziert, gleichzeitig wurden die
deutschen Landknechte im französischen Heer zurückberufen, und am
1. September d. J. sagte er sich vom Pisaner Konzil los.
Doch noch bevor sich die Folgen dieser neuen Politik des Kaisers
äußern konnten, hatte das Eingreifen der Schweizer bereits eine völlige
Wandlung der Lage in Oberitalien hervorgerufen (die übrigens Maxi-
milian durch Gewährung freien Durchzuges unterstützte). Das starke
eidgenössische Heer, das infolge eines Tagsatzungsbeschlusses aus dem
April 1512 sich in Verona vereinigte (am 25. Mai), repräsentierte eine
um so gefährlichere Macht, als die Schweizer dank der kurz darauf
erfolgten Verbindung mit den Venezianern auch über eine tüchtige
Artillerie verfügten, damals also im Gegensatz zu ihrer eigenen ein-
seitigen Ausrüstung (§97; vgl. auch §67) ausnahmsweise zu selbstän-
digem Operieren befähigt waren. Infolge dieser Kooperation konnten
auch befestigte Plätze wie Pavia rasch genommen werden. Die franzö-
sische Herrschaft im Mailändischen brach nun zusammen; in der Haupt-
stadt erhob sich ein Aufruhr, Mailand kapitulierte, und ein päpstlicher
Gubernator zog in die Stadt ein (20. Juni 1512). Auch Genua konnte
sich nun frei machen und erklärte sich als unabhängige Republik.
Bologna fiel wieder in die Gewalt des Papstes. Die Reste der franzö-
sischen Armee zogen sich bis über die Alpen zurück; nur einige feste
Punkte und Zitadellen wurden von den Franzosen noch gehalten.
Bereits faßte der Papst den Plan, sich auch noch Ferraras zu bemäch-
tigen, und schon wurde das mailändische Gebiet von Parma und Pia-
cenza (für einige Monate) dem Kirchenstaate einverleibt; Florenz, das
sich dem päpstlichen Bunde nicht angeschlossen und durch die Zu-
lassung des Gegenkonzils auf sein Gebiet Anstoß erregt hatte, wurde
seiner Freiheit beraubt, indem mit spanischer Hilfe die Herrschaft
der Medici wiederhergestellt wurde (August/September 1512), und die
Stadt wurde genötigt, der Liga beizutreten.
Das folgenschwerste Ereignis war aber die Regelung der Verhält-
nisse im Mailändischen. Es entsprach der momentanen militärischen
Lage, wenn über das Schicksal des Herzogtums ausschließlich die
Schweizer und der Papst entschieden. Die Lösung wurde in der W'eise
getroffen, daß aus Mailand gewissermaßen ein Schutzstaat der Eid-
genossenschaft gemacht wurde. Das Herzogtum wurde durch einen
ewigen Bund mit den Schweizern verbunden, denen neben finan-
ziellen, handelspolitischen und militärischen Vorteilen noch Locarno,
Lugano und Domodossola überlassen wurden. Die Zustimmung des
Kirchenstaates wurde dadurch erkauft, daß die Abtretung von Parma
und Piacenza an den Papst von den Schweizern genehmigt wurde;
§ 116. Die Wiedereroberung Mailands durch Frankreich, 277
das Herzogtum wurde dafür mit dem (bisher französischen) Asti ent-
schädigt (September/Oktober 1512). Ausdrückhch nur von den Schwei-
zern allein und nicht von der gesamten Liga wurde im Dezember d. J.
der Herzog in die Herrschaft über Mailand eingesetzt; im Januar 1513
wurde das Kapitulat zwischen den Schweizern und dem von ihnen
eingesetzten Herzog Maximilian Sforza, einem Sohne Lodovico Moros,
beschworen.
§ 116. Die Gegenaktion Frankreichs; die Wiedererobernng des
Mailändisehen. Das Herzogtum Mailand war den Franzosen im Jahre
1512 infolge des gemeinsamen Operierens der Schweizer und der Vene-
zianer verloren gegangen (§ 115). Es lag daher nahe, daß die fran-
zösische Regierung zunächst einmal die Markusrepublik wieder auf
ihre Seite zu ziehen versuchte. Die Eidgenossen hatten ja auch die
territorialen Interessen Venedigs geschädigt oder wenigstens unberück-
sichtigt gelassen. Es gelang Frankreich denn auch wirklich, eine
Offensivallianz mit der venezianischen Republik zustande zu bringen
(in Blois am 23. März 1513), in der sich Venedig verpflichtete, den
Franzosen bei der Wiedereroberung des Herzogtums Mailand beizu-
stehen, während Frankreich versprach, der Republik zur Wieder-
herstellung ihres Besitzstandes zu verhelfen, wie er vor dem Kriege
der Liga von Cambrai (§ 112) bestanden hatte.
Aber gerade diese Verbindung mit Venedig verhinderte, daß sich
die Allianz zwischen der von dem habsburgischen Herrscher ins Leben
gerufenen antifranzösischen Koalition und dem Papste löste. Zu den
Motiven, die an sich schon die Habsburger zu Gegnern Frankreichs
machten (vgl. § 64), gesellte sich nun noch der Gegensatz zu Venedig,
um Kaiser Maximilian I. auf der Seite des Papstes verharren zu lassen.
Auch die übrigen Bundesgenossen (Spanien, England) fielen nicht ab,
und so w^ar trotz der Allianz Venedigs mit Frankreich die Koalition
der übrigen Großmächte mit dem Papste (seit dem 21. Februar Leo X.
aus dem Geschlechte der damals Florenz beherrschenden [§ 115]
Medici) und den Schweizern die stärkere Macht. Ihren Ausdruck fand
diese neue Auflage der Heiligen Liga in dem Bunde von Mecheln, der
am 5. April 1513 zwischen dem Papst, dem Kaiser, England und
Spanien geschlossen wurde; die Alliierten verpflichteten sich darin,
hinnen zwei Monaten in Frankreich einzufallen.
Der Krieg verlief deshalb auch diesmal wieder zuungunsten der
Franzosen. Der Einfall der Engländer in Nordfrankreich führte zu
der »Sporenschlacht« bei Guinegate (jetzt Enguinegatte, südlich von
St. Omer) am 16. August 1513, in der die französische schwere Reiterei
von den engliscli-burgundischen Truppen in die Flucht gejagt wurde;
es schloß sich daran die Einnahme mehrerer fester Plätze wie Therouanne
und Tournay durch die vereinigte englisch-kaiserliche Macht. Ent-
scheidender waren aber die Vorgänge im Mailändisehen. Auch dies-
mal brachte das Eingreifen der Eidgenossen den Umschwung. Es
278 Die Koalition gegen Frankreich.
war der französischen Armee unter La Tremoille und Trivulzio im
Verein mit den Venezianern bereits gelungen, Genua und den größten
Teil des Herzogtums Mailand zu nehmen und den von den Schweizern
eingesetzten Herzog (§ 115) in Novara einzuschließen, als sie durch
die Eidgenossen (die eine ungewöhnlich starke Truppenmacht abge-
ordnet hatten) zum Rückzug über die Alpen genötigt wurden (Schlacht
bei Novara, 6. Juni 1513). Die Niederlage war für die Franzosen so
vernichtend, daß ihnen nicht nur das Mailändische gänzlich verloren
ging, sondern die Schweizer nun sogar ihrerseits offensiv gegen das
französische Gebiet vorzugehen wagten. Die Tagsatzung beschloß
am 1. August, 16000 Mann zu einem Angriff auf Frankreich aufzu-
bieten, und der durch kaiserliche Artillerie und Reisige unterstützte
Vorstoß konnte nur mühsam mit Hilfe eines von La Tremoille ab-
geschlossenen, außerordentlich entgegenkommenden Vertrages (Frank-
reich verzichtete darin u. a. gänzlich auf Mailand und Asti) vor Dijon
zum Stehen gebracht werden (Abkommen vom 13. September 1513;
der Vertrag wurde dann nach dem Abzug der eidgenössischen Truppen
von der königlichen Regierung nicht ratifiziert). Dazu kam, daß die
Niederlage bei Novara auch auf die militärische Position der Venezianer
ihre Rückwirkung ausübte und deren anfänglich gewonnene Vorteile
vernichtete. Die venezianische Armee, deren Infanterie dem ihr ent-
gegenstehenden spanischen und deutschen Fußvolk nicht gew-achsen
war, wurde bis Padua zurückgetrieben, und der Feind drang an dieser
Stadt vorbei bis an die Lagunen vor (Juli bis Oktober 1513).
Es blieb Frankreich für den Augenblick nichts übrig, als durch
separate Verhandlungen wenigstens einen Teil der Gegner von einer
Fortsetzung der Verhandlungen abzuhalten. Man begann begreiflicher-
weise mit den Mächten, von denen am ehesten Einlenken zu erwarten
war, mit dem Papste, mit Spanien und mit England. Leo X. kam die
französische Regierung dadurch entgegen, daß sie sich von dem (in-
zwischen nach Lyon verlegten) Pisaner Konzil lossagte (6. Oktober
1513); von Spanien versuchte sie die Garantie für eine neutrale Hal-
tung während des projektierten Angriffes auf Mailand zu erkaufen,
indem sie vorschlug, das Herzogtum samt der Oberherrschaft über
Genua einem der mit Renata, der Tochter Ludwigs XIL, zu vermäh-
lenden Enkel König Ferdinands (Karl oder Ferdinand) zu überlassen
(1. Dezember 1513). Noch weiter gelangte man mit England, das
wieder zu seiner früheren Friedenspolitik zurückkehrte (vgl. § 84) ;
am 6. August 1514 konnte zu London ein förmlicher Friedens- und
Freundschaftsvertrag zwischen beiden Ländern abgeschlossen werden.
Selbst wenn aber alle diese Versuche Erfolg gehabt hätten, so wäre
an der Situation in Oberitalien dadurch nichts Wesentliches geändert
worden. Es war die mailändische Politik der Eidgenossen gewesen,
die die Franzosen zweimal um den Besitz des Herzogtums gebracht
hatte, und so lange die Macht der Schweizer ungebrochen war, hatte
die Haltung anderer Staaten für Frankreich nur untergeordnete Be-
§ 116. Die Eroberung Mailands durch Frankreich. 279
deutung. Es war daher die natürliche Konsequenz der letzten Ereig-
nisse, daß die französische Regierung (an deren Spitze seit dem 1. Januar
1515 Franz I. stand) ihre gesamte Kraft nun an diesem Punkte ein-
setzte. Es handelte sich darum, das Herzogtum Mailand mit Güte
oder Gewalt von den Eidgenossen zurückzuerhalten, und da friedliche
Vorschläge, bei denen den Schweizern beträchtliche finanzielle Vorteile
gegen die Abtretung des Mailändischen versprochen wurden, ohne
Erfolg waren, so blieb nur die Entscheidung durch die Waffen übrig.
Zu dieser rüsteten sich die Franzosen in ungewöhnlichem Umfange.
Ihre Position war nicht schlecht. Falls die Schweizer nicht von den
übrigen Mächten unterstützt wurden, mußte den Franzosen der Sieg
zufallen; denn so leistungsfähig die eidgenössische Infanterie auch
war, so war das Wehrwesen der schweizerischen Orte doch viel zu ein-
seitig entwickelt (§ 97), als daß ein schweizerisches Heer ohne fremde
Hilfe sich gegen die vereinigten französischen und venezianischen Kon-
tingente hatten behaupten können. Nun blieb eine solche Unterstützung
aber aus, obw^ohl die Eidgenossen noch am 7. Februar 1515 einen Bund
mit dem Kaiser und Spanien (dem später auch der Papst beitrat)
schlössen; damit war das Schicksal des Feldzuges von vornherein ent-
schieden.
Denn die Schlacht bei Novara (S. 278) war ein Zufallssieg gewesen
und eine Wiederholung nicht zu fürchten, sobald die Franzosen ge-
nügende Kräfte aufboten. Dies geschah denn auch, wie bereits bemerkt,
und für die Schweizer erhöhte sich dabei die Gefahr dadurch, daß zu
der französischen schweren Reiterei und Artillerie, denen sie sowieso
nichts Ähnliches entgegenzusetzen hatten, noch beträchtliche Bestände
deutscher Landsknechte hinzutraten.
Der Kampf begann damit, daß Genua zu Frankreich abfiel. Dies
bewog die Eidgenossen zum Einschreiten; ein Heer wurde abgeordnet
(25. April 1515) und die wichtigsten piemontesischen Alpenübergänge
besetzt. Die französische Armee umging aber diese Positionen, indem
sie ihren Weg über den als ungangbar geltenden Col d'Argentiere wählte
(Mitte August). Die Schweizer sahen sich außerstande, das Herzogtum
zu verteidigen; manche Kontingente zogen sich in die Heimat zurück,
andere in der Richtung nördlich von Mailand. Auch diese aber mußten
schließlich das Land verlassen. Nachdem sie noch vergeblich mit den
Franzosen über einen Frieden verhandelt hatten (Vertrag von Gal-
lerate vom 8. September 1515, ähnlichen Inhaltes wie die Offerten
der französischen Regierung im Sommer des Jahres; das Abkommen
wurde dann von der Mehrheit der Truppen verw^orfen), versuchten
sie einen Angriff auf die französischen Stellungen bei Marignano (jetzt
Melegnano, zwischen Mailand und Lodi); die zweitägige Schlacht
(13. und 14. September 1515) endete aber mit einer Niederlage der
Schweizer, w^nn schon ihr Heer nicht vernichtet wurde (die Franzosen
kämpften dabei mit den Venezianern vereint, während die Schweizer
von den spanisch-päpstlichen Bundestruppen im Stich gelassen wurden).
280 Die Koalition gegen Frankreich.
Diese Niederlage entschied um so mehr über die Fortsetzung der
mailändischen Pohtik der Eidgenossen, als die divergierenden Interessen
der locker verbundenen Kantone sowieso nur, solange die Operationen
keine allzu großen Opfer forderten, einer einheitlichen Auslandspolitik
untergeordnet werden konnten (vgl. § 97). Diejenigen Kantone, denen
an der Eroberung Mailands wenig gelegen war, wandten sieh nun von
der Politik, die sich eine Ausdehnung des schweizerischen Gebietes
südlich der Alpen zum Ziele setzte, gänzlich ab, und damit war das
Schicksal des Herzogtums besiegelt.
Herzog Maximilian Sforza, der Schützling der Eidgenossen, kapi-
tulierte mit dem Kastell seiner Hauptstadt am 4. Oktober 1515 und
wurde als Staatsgefangener nach Frankreich verbracht (f 1530); in
Mailand wurde von neuem ein französischer Gouverneur eingesetzt.
Auch das nachträgliche Eingreifen des Kaisers (der im März 1516
noch einmal bis zur Stadt Mailand vorrückte) vermochte die Situation
nicht mehr zu ändern; die einzige Folge dieser verunglückten Inter-
vention war, daß die Venezianer nun auch noch beinahe den ganzen
Rest der im Kriege der Liga von Cambrai an die Habsburger ver-
lorenen Gebiete wieder an sich bringen konnten (das letzte war die
Rückgabe der Stadt Verona am 27. Januar 1517).
§ 117. Die Liquidation des italienisclien Konfliktes; die Herstellung;
eines Gleichgewichtes. Die mailändische Frage konnte dank dem fran-
zösischen Siege bei Marignano als gelöst gelten. So wie die Verhält-
nisse damals lagen, konnte, seitdem die schweizerische Interventions-
politik zusammengebrochen war, keine Macht mehr daran denken,
den Franzosen den Besitz des Herzogtums streitig zu machen. Es
kam aber hinzu, daß die französische Regierung nun keineswegs darauf
ausging, ihren Erfolg in ungebührlicher Weise, d. h. ohne Rücksicht
auf die dauernden Machtverhältnisse auszunutzen. Als wenn sie den
Befürchtungen, die seit 1494 gegen eine »französische Weltherrschaft«
gehegt wurden (§ 105), ausdrücklich entgegentreten wollte, beschränkte
sie sich durchaus auf ihre letzte Eroberung und dachte keineswegs
daran, darüber hinaus die Erwerbungen anderer Großmächte oder
italienischer Mittelstaaten rückgängig zu machen. Wir wissen ja aller-
dings nichts von den geheimen Motiven der französischen Regenten;
aber die Friedensschlüsse, die von ihnen abgeschlossen wurden, lassen
kaum eine andere Deutung zu, als daß sich Frankreich damals eine
dauernde Pazifizierung Italiens zum Ziele gesetzt hatte.
Diese versöhnliche Tendenz trat besonders deutlich in den Ab-
machungen mit dem Papste zutage. Als Leo X. nach der Schlacht bei
Marignano um Frieden nachsuchte, verlangten die Franzosen nur, daß
er die kürzlich von Mailand gewonnenen Gebiete von Parma und Pia-
cenza (§ 115) wieder zurückerstatte, eigentliche Abtretungen wurden
nicht stipuliert, und Florenz wurde gänzlich der Familie Medici aus-
geliefert, sowie der Verzicht auf Intervention in den halb unabhängigen
§ 117. Das Gleichgewicht in Itahen, 281
Teilen des Kirchenstaates ausgesprochen (Vertrag von Viterbo vom
13. Oktober 1515; später [1517] sorgte Frankreich demgemäß im
Verein mit Spanien auch dafür, daß der zum Herzog von Urbino ein-
gesetzte Neffe des Papstes Lorenzo de'Medici an Stelle des vertriebenen
Herzogs Francesco Maria della Rovere im Besitze dieses päpstlichen
Lehens gelassen wurde). Der Papst willigte anderseits in den Abschluß
des Konkordates mit der französischen Krone ein (Rom, 18. August
1516), was insofern schon eine Konzession bedeutete, als Leo X. damit
auf die Aufhebung der pragmatischen Sanktion von Bourges zurückkam
und deren bis dahin von päpstlicher Seite nie anerkannte wichtigste
Bestimmungen sanktionierte.
Ähnlich war die Haltung Frankreichs gegenüber Spanien. In dem
Vertrage von Noyon vom 13. August 1516 verzichtete König Franz 1.
auf seine Rechte auf Neapel zugunsten seiner noch im Kindesalter
stehenden (damals erst einjährigen) Tochter Luise, die mit dem König
von Spanien Karl (V.) vermählt werden sollte; es bedeutete dies, daß
die Franzosen wenigstens fürs erste Spanien ungestört im Besitze
Neapels lassen würden.
Auch mit dem habsburgischen Kaiser war ein gütliches Einver-
nehmen zu erzielen. Man verlangte von Maximilian I. nur, daß er auf
die seinerzeit im Kriege der Liga von Cambrai (§ 113) von Venedig
gewonnenen und seither in der Hauptsache wieder verlorenen ge-
gangenen Gebietsteile mit Ausnahme eines kleineren Grenzstreifens
(Roveredo usw.) verzichte (Vertrag von Brüssel, 3. Dezember 1516).
Damit war auch die dauernde Herstellung guter Beziehungen zu Venedig
gegeben, das übrigens schon seit einigen .Jahren mit Frankreich im
Bunde stand.
Schließlich wurde auch das Verhältnis zur Schweiz in einer für
beide Teile befriedigenden Weise geregelt. In dem »ewigen Frieden«
von Freiburg i. Ue. (29. November 1516) sagte Frankreich den Eid-
genossen und ihren Zugewandten beträchtliche finanzielle und handels-
politische Vorteile zu, wogegen die Gegenpartei versprach, ihre Söldner
keinem Gegner Frankreichs zur Verfügung zu stellen, besonders nicht
zu einem Angriff auf die französischen Besitzungen in Oberitalien.
Außerdem wurden die Schweizer im Besitze der ihnen früher abge-
tretenen mailändischen Herrschaften (§ 115) gelassen; die Gegenleistung
war hier der im Vertrag allerdings nicht ausdrücklich formulierte Ver-
zicht der Schweizer auf das Herzogtum Mailand selbst.
Faßt man den Inhalt dieser Verträge zusammen, so kann man
sagen, daß darin eine befriedigende Regelung der Ansprüche der grö-
ßeren Staaten erblickt werden kann. Ungünstig war das Resultat
nur für die schwächeren italienischen Gemeinwesen wie Neapel, Mai-
land, Genua und Florenz, die ihre Selbständigkeit eingebüßt hatten.
Aber von den übrigen hatten Frankreich, Spanien, der Kirchenstaat
und auch die Eidgenossenschaft mit ansehnlichem Gewinn abgeschlossen,
Venedig hatte mindestens seine eine Zeitlang gefährdete Terraferma
282 Vorbereitung der habsburgischen Vormachtstellung.
in der Hauptsache behauptet, und selbst die Habsburger hatten die
Erwerbung der Freigrafschaft als Zuwachs zu buchen. Es war be-
greiflich, wenn damals sogar Männer der Praxis einen dauernden
Friedenszustand innerhalb der christlichen Staatengemeinschaft glaubten
erreicht zu haben und ein päpstlicher Diplomat einmal betonte, an die
Eroberung Mailands durch Frankreich werde sich »die Pazifizierung
der Christenheit« anschließen (F. Nitti, »Leone X« [1892], p. 46). Es
waren dies ja auch die Jahre, in denen der Papst dem Gedanken einer
gemeinsamen Abwehrorganisation der christlichen Staaten gegen das
osmanische Vordringen praktische Gestalt zu geben versuchte (vgl. § 23).
Literatur zu den §§114 — 117. Im allgemeinen ist dasselbe zu bemerken
wie zu den §§112 und 113 (o. p. 272), nur daß die Zahl der monographischen Ab-
handlungen größer ist. Dazu gehören verschiedene militärgeschichthche Arbeiten
aus der Schule Delbrücks: Erich Siedersieben, »Die Schlacht bei Ravenna«, 1907
(Berhner Diss.); Georg Fischer, »Die Schlacht bei Novara«, 1908 (id.); Heinrich
Harkensee, »Die Schlacht bei Marignano«, 1909 (Göttinger Diss.). Dazu Ernst
Gagliardi, »Novara und Dijon«, 1907. — Über das Konzil von Pisa Sandrel in der
tiRevue des Questions historiques« 34 (1883). Über ein im Texte nicht erwähntes
angebliches Projekt Kaiser Maximilians vgl. Aloys Schulte, »Kaiser Maximihan
als Kandidat für den päpstlichen Stuhl 1511« (1906), wo auch die gesamte ältere
Literatur verzeichnet ist. Adelheid Schneller, »Der Brüsseler Friede von 1516«,
1910 (»Histor. Studien«, ed. Ehering 83). Vgl. ferner Andreas Walther, »Die An-
fänge Karls V.«, 1911; Francesco Nitti, »Leone X e la sua politica«, 1892.
Von den Quellenwerken ist neben den für größere Zeiträume in Betracht
kommenden Korrespondenzen und Aktensammlungen bei weitem das wichtigste
das »Journal de Jean Barrillon, secretaire du chancelier Duprat 1510—1521«, 2 Bände,
1897 — 1899 (Societe de l'Hist. de France).
D. Die Vorbereitung der habsburgischen Vormachtstellung
(1516—1525).
§ 118. Die Änderung in den internationalen Machtverhältnissen.
Von den am Kampfe um Itahen beteiligten Großstaaten hatte die
habsburgische Macht verhältnismäßig mit dem geringsten Saldo ab-
geschlossen. Konnte man auch keineswegs behaupten, daß sie im
Vergleich zu ihren Machtmitteln zu kurz gekommen war, so standen
doch ihre Gebietserweiterungen in keinem Verhältnis zu ihren Aspi-
rationen. Dabei ist noch weniger an die Lage in den österreichischen
Erblanden gedacht als an die burgundischen Projekte, die ja wohl
in höherem Maße als der Kampf gegen Venedig die Politik des habs-
burgischen Hauses unter Kaiser Maximilian bestimmten (vgl. § 64).
Wohl war die Freigrafschaft der Dynastie zugefallen; aber noch fehlten
die Reste der burgundischen Erbschaft, die auch die Franche-Comte
erst zu einem sicheren habsburgischen Besitz schienen gestalten zu
können.
Es war daher begreiflich, daß die Habsburger den durch die letzten
Kämpfe geschaffenen Gleichgewichtszustand nicht mehr anerkannten,
nachdem ein glücklicher Zufall zu einer Personalunion zwischen ihren
österreichisch-burgundischen Erblanden und den spanischen Reichen
§ 118. Änderung in den internationalen Machtverhältnissen. 283
geführt hatte. Diese Vereinigung erweiterte ihre Machtmittel so un-
geheuer, daß sie von da an an die Reahsierung von Aspirationen zu
schreiten vermochten, die vor diesem Zeitpunkte nur in beschränktem
Sinne ernst genommen werden konnten.
Es kam ihnen dabei zugute, df^ß die mihtärische Situation sich
nicht nur durch die Angliederung neuer Territorien zu ihren Gunsten
veränderte. Zu dem Zuwachs an Macht, den die Erwerbung Spaniens
brachte, gesellte sich noch eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit ihrer
mihtärischen Machtmittel. Die Versuche sowohl der österreichischen
wie der spanischen Regierung, die einheimische Infanterie nach dem
Muster der Schweizer auszubilden (§§ 61 und 41), hatten Früchte
getragen. Gerade in dem Momente, als die französische Regierung
durch ihren Sieg bei Marignano in den Stand gesetzt war, sicherer
als bisher auf die Verwendung von Schweizer Söldnern zu zählen (an
den Frieden von Freiburg [§ 117] schloß sich 1521 ein Bündnis der
zwölf eidgenössischen Orte mit dem französischen König an, in dem
diesem freie Werbung von Söldnern gestattet wurde), gerade in diesem
Zeitpunkte ergab sich (vor allem in der Schlacht bei Bicocca, § 119),
daß die Schüler ihrem Meister mindestens gleichgekommen waren
und daß die eidgenössischen Infanteristen zwar immer noch einen
wertvollen, ja unentbehrlichen Teil des französischen Heeres bildeten,
der französischen Kriegsführung keineswegs mehr aber schlechthin die
Überlegenheit garantierten. Dagegen befanden sich nun die beiden
einzigen Mannschaftstypen, die die Konkurrenz mit den Eidgenossen
aufzunehmen vermochten, die spanischen Söldner und die deutschen
Landsknechte (abgesehen von den Einschränkungen, die sich aus den
mangelhaften Kompetenzen der kaiserlichen Gewalt in Deutschland
ergaben: §§61 und 62) in der Hand der Habsburger.
Diese veränderte Machtstellung des Hauses Österreich wurde, da
der neue Oberherr der Dynastie, Karl V., die verschiedenen Würden,
die er auf seinem Haupte vereinigte, nicht zu derselben Zeit empfing,
nicht mit einem Schlage erreicht. Dieses Ereignis ging vielmehr in
folgenden Etappen vor sich: am 5. Januar 1515 erfolgte die direkte Über-
nahme der Regierung der Niederlande durch den damals ungefähr
15jährigen Fürsten, am 23. Januar 1516 folgte er seinem Großvater
Ferdinand in der Regierung Spaniens nach, der Tod Kaiser Maximilians I.
am 12. Januar 1519 machte ihn und seinen jüngeren Bruder zu Herren
der österreichischen Erblande, am 28. Juni 1519 erfolgte die Wahl
zum Kaiser. Wie man sieht, liegt wenigstens zwischen den Todestagen
König Ferdinands und Kaiser Maximilians eine verhältnismäßig lange
Zeitdauer; diese drei Jahre haben also noch als Übergangsperiode zu
gelten. Anderseits schlössen sich dann an die Kaiserwahl zunächst
Verhandlungen innerhalb der Dynastie selbst über die Verteilung der
österreichischen Lande (in denen das Primogeniturerbrecht noch nicht
galt) an, die erst im Jahre 1522 durch den Vertrag von Brüssel (vom
7. Februar d. J.) beendet wurden: Kaiser Karl überließ damals seinem
284 Vorbereitung der habsburgischen Vormachtstellung.
Bruder die gesamten österreichischen Erblande zusammen mit Würt-
temberg, das er vom Schwäbischen Bunde gekauft hatte, z. T. als
Landesherrn, z. T. auch nur als Statthalter. Die Personal- oder richtiger
Familienunion zwischen Spanien, den Niederlanden, Osterreich und
dem Reiche konnte also erst von jenem Zeitpunkte an als bis in die
Einzelheiten hinein definitiv konstituiert betrachtet werden.
§ 119. Die erste Phase des Kampfes Frankreichs gegen die neue
habsburgische Macht bis zur Entscheidung bei Pavia (1516 — 1525).
Immerhin folgte auf die Verträge der Jahre 1516 und 1517 (§ 117) hin
eine Zeit militärischer Ruhe: Frankreich hatte seine Ziele erreicht, die
Habsburger waren noch nicht imstande, die Gegenoffensive aufzu-
nehmen (vgl. § 118). Auffallender ist vielleicht, daß es unter dem
Einflüsse der gewaltigen Machtsteigerung der Habsburger nicht einmal
zu einer diplomatischen Neugruppierung, zu einer Annäherung der
durch die neue Großmacht in ihrer Selbständigkeit bedrohten Mittel-
und Kleinstaaten an Frankreich kam. Es fehlte zwar nicht an Be-
mühungen auf französischer Seite, eine solche Schwenkung zuwege
zu bringen. Alle diese Versuche blieben aber erfolglos, — man darf
wohl annehmen, weil die kleineren Staaten in der Voraussetzung, daß
Frankreich auch seinem neuen Gegner gewachsen sei, an der Fort-
dauer des vermeintlichen Gleichgewichtszustandes unter den Groß-
mächten ein Interesse zu haben glaubten. Eine solche diplomatische
Niederlage erlitten die Franzosen zunächst einmal bei der Wahl Karls
zum Kaiser. Die Kandidatur des französischen Königs erzielte keinen
Erfolg; teils infolge nationaler Abneigung, teils infolge der Vertreibung
des Herzogs Ulrich von Württemberg, die Süddeutschland und die
Wahlstadt Frankfurt der Waffengewalt des Heeres des von Österreich
abhängigen Schwäbischen Bundes (§ 62) auslieferte, wurde der habs-
burgische Herrscher gewählt, obwohl die Hausmacht des neuen Kaisers
eine gefährliche Bedrohung der ständischen Freiheiten bedeutete.
Nicht glücklicher waren die Franzosen in ihren Verhandlungen mit
dem Papste. Vergebens wiesen sie auf die Notwendigkeit hin, daß sich
alle Staaten gegen die Habsburger einigten (Schreiben aus dem Jahre
1520 bei Barrillon, »Journal« II, 156). Nur zum Schein ließ sich der
Papst zum Abschluß eines Geheimvertrages über eine gemeinsame
Eroberung Neapels bewegen (ibid. II, 176 f.); in Wirklichkeit ging er
mit dem Kaiser eine Offensivallianz zur Eroberung Mailands und
Genuas ein, wogegen dem Kirchenstaat Parma und Piacenza sowie
Ferrara wieder zurückerstattet werden sollten (Vertrag vom 8. Mai
1521 ; vgl. § 117). Und ebensowenig gelang es, England zu einem Bündnis
gegen den Kaiser zu gewinnen; auch hier blieb es bei Versuchen (vgl.
ibid. bei Barrillon II, 185 n. 5).
Es kann danach nicht wundernehmen, wenn die ersten Zusammen-
stöße zwischen der habsburgischen und der französischen Macht für
Frankreich ungünstig abliefen. Die Kämpfe waren dabei übrigens
§ 119. Die Kämpfe bis zur Sciilacht bei Pavia. 285
von Anlang an gemäß der Ausdehnung des habsburgischen Macht-
bereiches gleichmäßiger, als früher der Fall gewesen war, auf ver-
schiedene Fronten verteilt: wenn auch zunächst noch das italienische
Kriegstheater an Wichtigkeit die anderen Kriegsschauplätze übertraf,
so pflegten doch von nun an den Operationen in Oberitalien Angriffe
gegen Frankreich von Spanien und den Niederlanden her zur Seite
zu gehen. — Es trat dies bereits in dem ersten Kriegsjahre (1521)
deutlich hervor.
Den offiziellen Ausbruch des Krieges führte nämlich eine Fehde
des Herzogs von Bouillon, Robert von der Mark, herbei, eines kaiser-
lichen Vasallen in den Niederlanden, der einer Privatangelegenheit
wegen mit seinem Oberlehnsherren gebrochen und in französische
Dienste übergetreten war (14. Februar 1521). Er begann im März
1521 mit einem Freibeuterzug gegen das den Habsburgern gehörende
luxemburgische Gebiet, was nach der Auffassung des Kaisers einen
Bruch der Verträge zwischen ihm und Frankreich bedeutete (beide
Mächte stellten sich daher als die angegriffenen dar; das )>defi« Karls V.,
das die Franzosen als Kriegserklärung betrachteten, wurde am 1. April
überreicht). Bevor aber in der dortigen Gegend die militärischen Ope-
rationen eine ernsthafte Gestalt angenommen hatten, war es bereits
in Spanien zu größeren Kriegshandlungen gekommen. Auch dort
hatte die französische Regierung zwar nicht direkt die Feindseligkeiten
eröffnet. Aber Henri d'Albret, König von Navarra, der sich im Mai
1521 zur Eroberung des im Jahre 1512 an Spanien verloren gegangenen
Teiles seines Reiches aufmachte, stützte sich doch in der Hauptsache
auf ein ihm zur Verfügung gestelltes französisches Expeditionskorps.
Der Feldzug lief zunächst für die Franzosen günstig ab; das beinahe
schutzlos gelassene Land wurde mit leichter Mühe erobert, am 19. Mai
kapitulierte die Hauptstadt Pamplona. Aber dieser Erfolg verkehrte
sich in sein Gegenteil, sobald die kastilianische Regierung durch die
Niederwerfung des Aufstandes der Comuneros freie Hand bekommen
hatte und ihre Gegenrüstungen aufnehmen konnte. Wiederum ent-
schied die Überlegenheit der spanischen Infanterie den Kampf. Trotz
ihrer stärkeren Artillerie und schweren Reiterei wurden die Franzosen
bei Esquiros (bei Pamplona) geschlagen (30. Juni 1521); in wenigen
Tagen befand sich ganz Spanisch- Navarra wieder in der Gewalt der
Regierung Karls V.
Zu einem förmlichen Krieg zwischen Frankreich und der habs-
burgischen Macht kam es aber erst in der zweiten Hälfte des Jahres
in der Champagne und in Oberitalien. Die Operationen an der fran-
zösischen Ostfront, die sich an den verunglückten Vorstoß Roberts
von der Mark anschlössen, nahmen einen unentschiedenen Ausgang;
die kaiserlichen Truppen, die anfänglich auf französischem Gebiete
mehrere Erfolge errungen hatten, zogen sich später vor den stärkeren
französischen Streitkräften zurück, ohne daß es auf irgendeiner Seite
zu einem namhaften Erfolge gekommen wäre (August bis Oktober 1521).
286 Vorbereitung der habsburgischen Vormachtstelluug.
Eine um so ungünstigere Wendung nahmen die Ereignisse in Ober-
italien für die Franzosen. Zu dem Vorteil, der dem Kaiser hier aus
dem Zusammenarbeiten mit dem Papste erwuchs, gesellte sich noch
der Umstand, daß es seinen Parteigängern sogar gelang, einen großen
Teil der Schweizer, d. h. der beinahe einzigen Infanterie, die den
deutschen und spanischen Söldnern mit Erfolg entgegengesetzt werden
konnte, dem Dienste im französischen Heere abspenstig zu machen.
Der französische Oberbefehlshaber Lautrec sah sich deshalb von Anfang
an zu einer rein defensiven Haltung genötigt (September bis November
1521); selbst die Hauptstadt Mailand wurde dem Feinde ausgeliefert
(19. November). Für die Zukunft bedeutungsvoller war aber, daß
nicht einmal die nachträglich doch noch erhaltene Unterstützung der
Schweizer die Lage für die Franzosen zu retten vermochte. Das be-
trächtliche Kontingent, das die eidgenössische Tagsatzung am 18. .Januar
1522 dem König von Frankreich bewilligt hatte, rückte zwar im Mai-
ländischen ein, zeigte sich aber (zum ersten Male, vgl. § 118) ihren
ehemaligen Schülern, den Landsknechten und den Spaniern, nicht
mehr gewachsen, und ihr Angriff auf die feindlichen Stellungen bei der
Villa La Bicocca (5 km nördlich von Mailand) lief ganz unglücklich ab
(27. April 1522). Mailand war von neuem für Franzosen verloren, und
bald darauf (30. Mai) fiel auch Genua in die Hände der kaiserlichen
Truppen (die die Stadt auf dem Landwege bezwangen, da die genue-
sische Flotte unter Andrea Doria die kaiserlichen Galeeren, die von
der Seeseite her angreifen sollten, mit Leichtigkeit vertrieben hatte).
Dazu kam, daß der venezianische Bundesgenosse sich nach der Nieder-
lage bei Bicocca zum Abfall rüstete. Anfang Juli war denn auch das
ganze Herzogtum Mailand mit Ausnahme einiger Zitadellen in den
Händen des Kaisers; der von ihm eingesetzte Herzog Franz Sforza,
ein jüngerer Sohn des Mohren (ein Bruder also des im Jahre 1512 von
den Schweizern instituierten Herzogs Maximilian: § 115), blieb im
Besitze seiner Herrschaft.
Frankreich sah sich nun auf seine alten Grenzen zurückgewiesen
und selbst dort in die Defensive gedrängt. Von drei Seiten erfolgte der
Angriff. Am wenigsten hatte der Vorstoß von Süden, d. h. von Spanien
her zu bedeuten: trotz großen Aufwandes war der einzige Erfolg der
spanischen Waffen, daß es gelang, die Grenzfestung Fuenterrabia (in
Guipuzcoa, zwischen San Sebastian und Bayonne) nach zweijährigem
Kampfe zu einer ehrenvollen Kapitulation zu nötigen (24. März 1524).
Gefährlicher ließ sich die Lage im Norden und Osten an. Zwei neue
Gegner gesellten sich dort zu der habsburgischen Macht. Der eine
war England. Kein Monarch scheint damals mehr als der englische
König an der irrtümlichen Annahme festgehalten zu haben, daß durch
die Bildung der neuen habsburgischen Länderunion nur ein Gleich-
gewicht hergestellt sei und daß speziell England als »Zünglein an der
Wage« an einer Fortdauer dieses Zustandes, der seine Unterstützung
von beiden Seiten nachsuchen lasse, das größte Interesse habe (vgl.
§ 119. Die Kämpfe bis zur Schlacht bei Pavia. 287
§§ 84 und 118). Es erschien der englischen Regierung daher für ihre
eigene künftige Stellung nicht gefährlich, sich mit dem Kaiser zu einem
Eroberungszuge gegen Frankreich vereinigen. Bereits in dem Vertrage
von Brügge vom 25. August 1521 verpflichteten sich Kaiser Karl V.
und König Heinrich VIII., im März 1523 Frankreich den Krieg zu
erklären. Am 16. /19. Juni 1522 wurde diese Abmachung dann in
Windsor erneuert; in der Hauptsache blieben die Bestimmungen un-
verändert, bloß daß der Zeitpunkt des allgemeinen Angriffs diesmal
auf Mai 1524 festgesetzt wurde. Vorher schon (am 29. Mai 1522) war
aber die offizielle Kriegserklärung Englands an Frankreich erfolgt. —
Der zweite Gegner befand sich in Frankreich selbst. Der mächtigste
Vasall des Königs von Frankreich, der Gonnetable von Bourbon, der
durch seine verstorbene Gemahlin die meisten Lehen der Familie Bour-
bon geerbt hatte, die nach den Bestimmungen des Apanagegesetzes an
die Krone zurückfallen sollten (da er von seiner Gemahlin keine lebenden
Kinder hatte) — dieser Herzog Karl von Bourbon ließ sich mit der
habsburgischen Regierung in hochverräterische Verhandlungen ein,
um sich mit deren Hilfe ein eigenes Reich in Südfrankreich (wo seine
Besitzungen lagen) zu schaffen (vom Sommer 1522 an). Dem Gonne-
table wurde die Vermählung mit einer Schwester des Kaisers in Aus-
sicht gestellt; er selbst, ein erprobter Heerführer, übernahm dafür die
Verpflichtung, einen Aufstand im Innern Frankreichs hervorzurufen
sowie seine eigenen Truppen und 10000 über die Freigrafschaft ihm
zugesandte Landsknechte mit den kaiserlichen und englischen Invasions-
armeen zusammenarbeiten zu lassen (Geheimvertrag vom August 1523;
am 6. September folgte ein ähnlicher Vertrag des Gonnetable mit dem
König von England).
Diese Umtriebe hatten aber keinen Erfolg. Herzog Karl wurde
von seinen eigenen Leuten im Stiche gelassen und sah sich genötigt,
aus Frankreich zu entfliehen (September 1523; am 9. Oktober traf er
in Besan^on ein). Der Sieger von Agnadello (§ 113) trat nun in kaiser-
liche Dienste.
Unter diesen Umständen war der gemeinsame Angriff auf Frank-
reich von geringerer Wirkung, als befürchtet werden konnte. Daß die
Offensive an der spanischen Front keine großen Ergebnisse zeitigte,
ist bereits erw^ähnt worden ; dazu kam nun aber noch, daß die englische
Armee in der Picardie keinen entscheidenden Schlag zu führen ver-
mochte und die deutschen Landsknechte in Lothringen noch be-
scheidenere Erfolge erzielten. Die Lage war nun so, daß die französische
Regierung sogar daran denken konnte, ihre italienischen Pläne wieder
aufzunehmen. Von neuem entbrannte nun der Kampf um Mailand,
und zwar zunächst mit wechselndem Glück. Doch siegten die Fran-
zosen nun fürs erste — nicht weil sie überhaupt die Stärkeren waren,
sondern weil die Gegenpartei das umstrittene Herzogtum nicht ge-
nügend geschützt gelassen hatte. So gelang es ihrem von Admiral
Bonnivet kommandierten Heere im Herbste des Jahres 1523 zwar,
288 Vorbereitung der habsburgischen Vormachtstellung.
Mailand bis auf einige feste Plätze wieder zurückzuerobern; aber dieser
Erfolg hatte nur so lange Bestand, als die habsburgische Partei noch
nicht ihre Rüstungen beendigt hatte. Dabei kam es dem Kaiser be-
sonders zugut, daß ähnlich wie England und vielleicht aus demselben
Motiv, d. h. aus einer Unterschätzung der habsburgischen Macht im
Vergleich mit der französischen die italienischen Mittelstaaten sich
auf seine Seite schlugen. Besonders wichtig war, daß Venedig, früher
in der Regel der Bundesgenosse Frankreichs bei dessen oberitalienischen
Unternehmungen, mit dem Kaiser (der sich dabei in scharfem Gegen-
satz zu seinem die spezifisch österreichischen Interessen vertretenden
Bruder Ferdinand befand: »Familienkorrespondenz Ferdinands I.«
I, 68 ff.; vgl. §§64 und 73) einen Vertrag abschlössen (29. Juh 1523);
normaler war schon, daß auch der Papst (am 3. August) eine Defensiv-
liga mit dem Kaiser einging (Inhaber des Stuhles Petri war seit dem
9. Januar 1522 Hadrian VI., ein Niederländer, vormals Lehrer Karls V.;
die Wahl seines Nachfolgers, Klemens VII. aus dem Hause Medici,
am 18. November 1523 brachte dann übrigens keine Änderung in der
Politik des Papsttums). Da zu diesem letzteren zur Verteidigung
Italiens geschlossenen Abkommen außer dem Kaiser, dem Papste und
England auch noch Florenz und Genua ihre Unterschrift gaben, so
kann man sagen, daß sämtliche größeren italienischen Staaten dem
Bunde mit den habsburgischen Herrschern gegen Frankreich beitraten.
Diese Koalition wurde denn auch im Jahre 1524 mit leichter Mühe
der französischen Streitkräfte im Mailändischen Herr. Die Armee der
Liga, deren Kern auch jetzt wieder Landsknechte und spanische Söldner
bildeten, drängten die Franzosen beinahe ohne Schwertschlag aus dem
Lande hinaus; ein größeres Treffen war eigentlich nur die Rückzugs-
schlacht an der Sesia (bei Biagrasso; 30. April 1524), in der Bayard,
der »Ritter ohne Furcht und Tadel«, tödlich verwundet wurde. Die
Kaiserlichen konnten darauf sogar ihrerseits einen Einfall in franzö-
sisches Gebiet ins Auge fassen. Unter dem Oberkommando Bourbons
und Pescaras drangen sie in der Provence ein und gelangten bis vor
Marseille (Juli/August 1524). Nur die überlegene Fortifikationstechnik
der Franzosen (§29; übrigens wurde auch damals die Verteidigung
von einem Italiener Renzo da Ceri geleitet) ließ dieses Unternehmen
schließlich scheitern. Die von den der Invasionsarmee hart belagerte
Stadt hielt aus; die französische Regierung konnte unterdessen ein
Heer ansammeln, und am 29. September mußten die Kaiserlichen die
Belagerung aufheben und wieder nach Italien abziehen.
Wieder folgte nun ein französischer Vorstoß in das Mailändische.
König Franz folgte mit seinen zum Entsätze Marseilles vereinigten
Truppen (unter denen sich schweizerische und deutsche Infanteristen
befanden) dem zurückweichenden kaiserlichen Heere auf dem Fuße
nach. Die Armee Karls V. war für den Augenblick so sehr geschwächt,
daß die Franzosen den größten Teil des Herzogtums wieder besetzen
konnten und sogar ihre Pläne zur Eroberung des Königreiches Neapel
§ 119. Die Kämpfe bis zur Schlacht bei Pavia. 289
wieder aufnahmen. Nur einige feste Plätze blieben noch im Besitze
der Kaiserlichen, und vor einem dieser, der Stadt Pavia, sollte sich dann
das Schicksal Frankreichs entscheiden; die französische Armee kon-
zentrierte nämlich alle ihre Anstrengungen auf die Eroberung dieser
Stadt (vom 28. Oktober 1524 an).
Der erste große Mißerfolg der Franzosen war nun, daß es ihnen
trotz viermonatelanger Belagerung nicht gelang, die Stadt, in die sich
ein guter Teil der kaiserlichen Truppen samt dem Rest der Geschütze
geflüchtet hatte, zu nehmen. So gewannen die Gegner Zeit, Verstär-
kungen heranzuziehen und eine Entsatzarmee zu organisieren. Dieser
militärische Nachteil konnte auch durch diplomatische Erfolge nicht
aufgewogen werden. Es gelang den Franzosen allerdings, die Verbin-
dung der italienischen Mittelstaaten mit dem Kaiser zu lockern. Am
12. Dezember 1524 wurde ein Bund mit Venedig, am 5. Januar 1525
eine Übereinkunft mit dem Papste geschlossen (der vorher schon dem
Bunde mit Venedig beigetreten war), und die an zweiter Stelle genannte
Abmachung war um so wichtiger, als sie dem zur Eroberung Neapels
abgesandten französischen Korps unter dem Herzog von Albany den
Durchzug durch den Kirchenstaat zu ermöglichen schien. In analoger
Weise begann übrigens gleichzeitig auch England sich zur Lösung der
Allianz mit dem Kaiser vorzubereiten. Aber diese Gewinne fielen
gegenüber dem ungünstigen Verlauf der militärischen Operationen
nicht ins Gewicht, und dazu kam noch, daß weder die Expedition,
die gegen Neapel bestimmt war, noch ein Streifzug zur Eroberung
Genuas ein Resultat zeitigten.
Denn die den ganzen Winter hindurch dauernde Belagerung Pavias
gab der kaiserlichen Partei Gelegenheit, eine neue Armee zu bilden,
und da ihre Streitkräfte, wenigstens was die Infanterie betraf, die
stärkeren waren, so war damit der schließliche Ausgang des Feldzuges
beinahe schon entschieden. Besonders zahlreich war der Zulauf deut-
scher Söldner. Bereits am 24. Januar 1525 konnte die Entsatzarmee
von Lodi aufbrechen, und am 2. Februar stand sie schon in der Nähe
der belagerten Stadt. Es war hohe Zeit, denn die Not in Pavia wurde
immer größer. Am 24. Februar holten die Kaiserlichen deshalb auch
zu einem entscheidenden Schlage aus, um sich mit den Truppen in der
Stadt zu vereinigen. Dieser Angriff gelang vollständig. Die Fran-
zosen behaupteten zwar in ihren Spezialwaffen ihre alte Überlegenheit
(§ 29); aber eine Entscheidung war damit noch weniger herbeizuführen
als in den ersten Schlachten der Periode. Der Erfolg der französischen
schweren Reiterei blieb wirkungslos ; die Artillerie konnte nicht aus-
genutzt werden. Um so mehr fiel die Superiorität der kaiserlichen
Infanterie, die zuletzt noch durch die Besatzungstruppen der Stadt
unterstützt wurde, ins Gewicht; sie war nicht nur stärker, sondern
wurde auch, wie es scheint, von der kaiserlichen Armeeleitung ge-
schickter verwendet (von den kaiserlichen Generalen soll Pescara der
eigentliche taktische Führer gewesen sein). Auch die Schweizer ver-
Fueter, Europ. Staatensystem. 19
290 Vorbereitung der habsburgischen Vormachtstellung.
sagten unter diesen Umständen, so daß die Schlacht noch mehr als das-
Treffen bei Bicocca ihr militärisches Renommee minderte.
Die Schlacht bei Pavia wurde so zu einer vollständigen iNiederlage
der Franzosen; sogar König Franz, der sich am Kampfe persönlich
beteiligt hatte, wurde gefangen genommen. Mit ihm gerieten viele
andere französische Große (auch der König von Navarra) in die Hände
des Kaisers; zahlreiche andere, darunter Admiral Bonnivet und die
Generale La Palice und La Tremoille, waren in der Schlacht gefallen.
Entsprechend war der Umfang der Beute; besonders wichtig war, daß
sich darunter auch der große französische Artilleriepark befand.
Mailand war nun definitiv für die Habsburger gewonnen. Abei
darüber hinaus war die gesamte militärisch-diplomatische Lage in
Europa, waren die internationalen Machtverhältnisse von Grund aul
verändert.
Literatur zu den §§118 und 119. Auch hier ist die Bemerkung zu
machen, daß es kein wissenschaftliches Werk gibt, das sich ex officio mit der Ge-
schichte der in diesen Paragraphen skizzierten Kriege und diplomatischen Verhand-
lungen befaßte. Einen gewissen Ersatz bilden die Geschichten Karls V., die alle
auch als Geschichten des europäischen Staatensystems in der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts betrachtet werden können; immerhin vermögen sie die Lücke
nur teilweis auszufüllen. Besonders wer Nachweise über die Quellen im einzelnen
und die Speziaüiteratur wünscht, findet nur in den Monographien über einzelne
Ereignisse oder Persönlichkeiten erschöpfende Auskunft. Von solchen Werken seine
hier genannt die beiden sich ergänzenden Arbeiten von Wilhelm Busch, »Drei Jahre
enghscher Yermittlungspolitik 1518 — 1521« (1884) und »Kardinal Wolsey und die
englisch-kaiserliche AUianz 1522 — 1525« (1886); Andreas Walther, »Die Anfänge
Karls V.« (1911) und Wilhelm Bauer, »Die Anfänge Ferdinands I.« (1907) für die
Neukonstituierung der habsburgischen Regierung; Francesco Nitti, »Leone X e la
sua politica« (1892); T. Pandolfini im »Archivio della R. Soc. Romana di stör,
patr.« 34, 1 — 2; E. Fueter, »Der Anteil der Eidgenossenschaft an der Wahl
Karls V.« (Basler Dissertation 1899). G. Pasohni, *Adriano VI« 1913.
Über die militärischen Vorgänge enthalten vieles die Anmerkungen zu der
neuen, von Paul Courteault besorgten Ausgabe der »Commentaires« Monlucs (1911 ff.)
die zusammen mit dem Buch desselben Autors »Blaise de Monluc historien« (1908)
und der von Bourrilly und Vindry besorgten neuen Edition der Memoiren der Brüder
du Bellay (1908 ff.) am ehesten den Dienst erfüllen können, den für die ersten
Jahre der Periode Mandrot in seinem Kommentar zu Commines (§107) leistet.
Vgl. ferner für die Geschichte der Feldzüge des Jahres 1521 in Frankreich H. Ulmann,
»Franz von Sickingen« (1872). Über die Schlacht bei Bicocca Paul Kopitsch,^
»Die Schlacht bei B.« 1909 (Berliner Diss.); über die Schlacht von Pavia Reinh.
Thom, »Die Schlacht bei Pavia« (Berliner Dissertation, 1907); E. Gagliardi im
HO. und 111, Neujahrsblatt der Feuerwerkergesellschaft in Zürich (1915 und 1916).
— Andrö Lebey, »Le Connetable de Bourbon«, 1904.
Über die Quellen sei ein für aUemal auf die Vorbemerkung verwiesen, wo auch
die Geschichten, Landesgeschichten und die allgemeinen Werke zur Geschichte
Karls V. aufgeführt sind. Es sei nur hier wieder darauf aufmerksam gemacht, daß
auch noch in dem hier behandelten Zeiträume die diplomatischen Quellen auf
französischer Seite spärlicher sind als die der anderen Parteien, speziell der Habs-
burger, der Engländer und Venezianer und daß daher das Vorhandene um so
mehr ausgenutzt werden muß; die älteren Darstellerhaben häufig die Erzählung,
au sehr auf dem Material der einen Partei aufgebaut.
m. Abschnitt.
Die Geschichte des europäischcD Staateiisystems
von der Schlacht bei Pavia bis zur ßeeudigung
des Kampfes um Italien (die Zeit der habsbur-
gischen Vormachtstellung; 1525 1559).
/\. Die Herstellung der habsburgischen Vorherrschaft über Italien.
§ 120. Die diplomatische Situation nach der Schlacht bei Pavia.
So foudroyant auch die französische Niederlage bei Pavia gewesen
war, so brachte sie an sich doch noch keine definitive Aufklärung über
die internationalen Machtverhältnisse. Daß Frankreich aus eigenen
Kräften nicht imstande war, es mit der habsburgischen Staatenunion
aufzunehmen, war allerdings unwiderleglich erwiesen. Aber noch
bestand die Möglichkeit, die gesamten von dem habsburgischen Kaiser
in ihrer Selbständigkeit bedrohten Staaten zu einem Gegenbunde
zusammenzuschließen, die Waffe also gegen die Habsburger zu ge-
brauchen, die früher gegen die französische Übermacht angewendet
worden war (§ 115). Die Hoffnung konnte an sich nicht von der
Hand gewiesen werden, daß eine solche Gegenkoalition zu einem neuen
politischen Gleichgewichtssystem führen würde.
Immerhin scheint auch in Frankreich selbst als durchaus nicht
sicher angenommen worden zu sein, daß ein solches Resultat erreicht
würde, sogar wenn die erwähnte Koalition zustande gebracht werden
könnte. Es ergibt sich dies vor allem daraus, daß damals bereits die
ersten Versuche unternommen wurden, um die Hilfe der Osmanen
gegen den Kaiser anzurufen, d. h. den Beistand eines Staatswesens
nachzusuchen, das bisher überhaupt nicht als Glied des europäischen
Staatensystems gegolten hatte.
Doch war dies nur ein erster, noch schüchterner Versuch, und die
wirklichen Bündnisverhandlungen begannen erst viel später, erst als
die militärische Inferiorität Frankreichs und vor allem die Schwächt;
des Landes zur See endgültig festgestellt worden war (§ 123). Vorerst
sah die französische Regierung ihre Aufgabe darin, die christlichen
Bundesgenossen des Kaisers auf die französische Seite zu ziehen oder
wenigstens zu einer neutralen Haltung zu bewegen. Am einfachsten
19*
292 Die Herstellung der habsbur^schen Hegemonie über Italien.
gestaltete sich die Verständigung mit England. Die englische Regierung,
die weder militärisch noch finanziell zu einer Eroberungspolitik auf
dem Kontinente ausgerüstet war, hatte weniger als je ein Interesse
daran, die kaiserliche Macht zu stärken, deren Vorherrschaft das gerade
für England so nützliche Gleichgewichtssystem zu stören drohte (§ 84).
Dazu befand sich der englische König infolge der Schlacht bei Pavia
gegenüber Frankreich in der günstigen Lage des Fordernden, und
der Friedens- und Bündnisbertrag vom 30. August 1525, der die Ver-
handlungen abschloß (unterzeichnet zu More), bot England größere
Vorteile als dem anderen Kontrahenten : die englische Regierung ver-
zichtete darin bloß auf ihre territorialen Gewanne in Frankreich, die
sie aus eigenen Kräften sowieso kaum hätte behaupten können; die
französische Regentschaftsregierung dagegen mußte sich zu schweren
pekuniären Opfern verstehen und zugleich auf eine Unterstützung
der schottischen Aspirationen gegen England verzichten. Die Gefahr
eines neuen konzentrischen Angriffes auf Frankreich von Norden und
Süden mit englischer Unterstützung war dadurch fürs erste beschworen.
Bevor aber die neue Allianzpolitik Frankreichs weiter ausgedehnt
werden konnte, mußte zuerst der inzwischen nach Madrid verbrachte
König Franz I. wieder der Freiheit zurückgegeben werden. Die Ver-
handlungen, die darüber geführt wurden, ließen sich nicht rasch zu
Ende bringen. Kaiser Karl hatte beschlossen, das günstige Geschick,
das seinen Gegner der Gefangenschaft überliefert hatte, zur vollstän-
digen Verwirklichung des habsburgischen Programmes auszunutzen.
Daß Frankreich auf seine italienischen Ansprüche verzichten sollte,
war ein normales Begehren; darüber hinaus sollte es nun aber noch
darein einwilligen, daß das Herzogtum Burgund zu den habsburgischen
Besitzungen geschlagen, d. h. die schon längst von den Habsburgern
gewünschte territoriale Vergrößerung der Freigrafschaft nach Westen
hin hergestellt würde, wodurch die Habsburger die Freigrafschaft
gesichert und zugleich ihre durch die Erwerbung Württembergs und
den Schwäbischen Bund angebahnte Herrschaft über Süddeutschland
weiter befestigt hätten. Um seine Freiheit zu erlangen, willigte der
französische König schließlich in diese Bedingungen ein und in dem
Vertrage von Madrid (14. Januar 1526) verzichtete er auf die Bour-
gogne sowie auch auf alle Ansprüche auf Mailand, Genua und Asti,
auf Neapel und auf seine Souveränitätsrechte über die habsburgischen
Besitzungen in den Niederlanden. Außerdem verpflichtete sich der
König, sich mit der Schwester des Kaisers, der verwitweten Königin
von Portugal, Eleonore zu verehelichen, um dem Friedensbunde Dauer
zu verleihen, und versprach, den Herzog von Bourbon wieder in seine
Besitzungen einzusetzen u. a. m. Der Vertrag war so ausschließlich
zugunsten des Kaisers abgefaßt, daß es kein Wunder war, wenn die
erzwungenen Konzessionen von König Franz, rasch nachdem er in
Freiheit gesetzt war, für ungültig erklärt wurden. Es half dabei dem
Kaiser nichts, daß der König seine zwei ältesten Söhne hatte als Geiseln
§ 120. Die Situation nach der Schlacht bei Pavia. 203
stellen müssen. Die französische Regierung machte keine Anstalten,
den Vertrag auszuführen, besonders was die Abtretung der Bourgogne
anbetraf. Zwei Gründe führte sie vor allem an, um ihr Verhalten zu
rechtfertigen: der eine, den Franz bereits in einem geheimen Protest
unmittelbar vor der Unterzeichnung formuliert hatte (13. Januar 1526),
bestand darin, daß der Vertrag erzwungen war; der andere lautete,
daß die Stände der Bourgogne ihre Zustimmung zu der Abtretung
nicht gegeben hätten, was die Abmachung rechtlich ungültig mache.
Bestärkt wurde die französische Regierung in ihrer Haltung da-
durch, daß trotz des Friedens von Madrid oder vielleicht gerade infolge
davon ihre Bestrebungen zur Bildung einer Koalition gegen die habs-
burgische Vorherrschaft rasche Fortschritte erzielten. War es vorher
nur gelungen, mit England zu einer Einigung zu gelangen, so war es
nun auch möglich, die italienischen Staaten zu einer Alhanz zu be-
wegen. Am 22. Mai 1526 wurde dieser Bund, die »Heihge Liga« ge-
nannt, zu Cognac abgeschlossen. Kontrahenten waren außer dem
König von Frankreich der Papst, Venedig, der Herzog von Mailand
und die Republik Florenz. Die Verbindung hatte im Gegensatz zu
der Verständigung mit England eine direkte offensive Tendenz: die
Alliierten verpflichteten sich, Neapel anzugreifen sowie dem Herzog
von Mailand zu dem freien Besitz seines Landes zu verhelfen und die
Freilassung der beiden Söhne König Franz' L herbeizuführen. (Über
die Aspirationen des Herzogs von Mailand vgl. den folgenden Para-
graphen.)
Literatur. Innerhalb der diplomatischen Geschichte der Jahre nach Pavia
hat die Aktion der Kurie besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen; gesondert
behandelt ist dieser Gegenstand in der Schrift von Rudolf Grethen, »Die politischen
Beziehungen Klemens' VII. zu KarlV. in den Jahren 1523 — 1527« (1887), in der
auch die gesamte ältere Literatur und die Quellen verzeichnet sind. Das wichtigste
Quellenwerk ist neben den die gesamte Periode umfassenden Korrespondenzen
und Aktenpublikationen immer noch die »Captivite du roi Frangois I^^«, die von
ChampoUion-Figeac 1847 in den »Documents inedits sur Vhist. de France^ heraus-
gegeben wurde. Neu hinzugekommen sind hauptsächlich: Jacqueton, »La politique
exterieure de Louise de Savoie, 1525—1526« (1892); W. Hellmann, »Die politischen
Beziehungen Klemens' VII. zu KarlV. im Jahre 1526« (Leipziger Diss., 1889);
C. Randi, «La guerra di sette anni sotto demente VII« im »Archivio della Societä
Romana« VI, 3 und 4; Henri Hauser, »Le traite de Madrid et la cession de la Bour-
gogne ä Charles-Quint«, 1912.
§ 121. Die militärische Entscheidung in Italien und der Anschluß
Genuas an die Habsburger. Die eben geschilderten Versuche der ita-
lienischen Staaten, durch eine Verbindung mit Frankreich sich gegen-
über dem habsburgischen Kaiser ihre Selbständigkeit zu sichern,
konnten zunächst um so eher an die Hand genommen werden, als trotz
des eklatanten Erfolges von Pavia die kaiserliche Heeresmacht ihren
Sieg in Italien anfänglich nicht eigentlich ausnutzte. Wohl in Über-
einstimmung mit dem alten Programm der habsburgischen Politik,
vielleicht auch weil die Gefangenschaft des französischen Königs vor
allem zu einem Druck auf Frankreich einlud, stellte die kaiserliche
294 Die Herstellung der habsburgischen Hegemonie über Italien.
Regierung viel stärkere Forderungen an Frankreich als an die italie-
nischen Staaten. Von dem Papst und Venedig wurden keine territorialen
Konzessionen verlangt: kleineren Staaten wie Florenz und Ferrara
wurden bloß starke finanzielle Leistungen auferlegt; Mailand selbst
wurde nicht wie zur französischen Zeit zu einem eigentlichen Unter-
tanengebiet gemacht, sondern wenigstens provisorisch einem Abkömm-
ling der einheimischen Dynastie überlassen: als Regent des Herzogtums
wurde nämlich, wenn auch nicht investiert, so doch vorläufig ein-
gesetzt der jüngere Sohn des »Mohren«, Herzog Franz (vgl. § 119).
Wieweit damals die Hoffnungen der italienischen Regierungen gingen,
geht am besten daraus hervor, daß sie glaubten, durch eine Verbindung
mit einem der kaiserlichen Generale die Herrschaft der Habsburger in
Italien überhaupt erschüttern zu können. Der Kanzler des Herzogs
Franz, Girolamo Morone, versuchte, Pescara, den Sieger von Pavia
(§ 119), dadurch auf die Seite der antikaiserlichen Koalition zu ziehen,
daß er ihm die Krone von Neapel versprach. Der aragonesisch-neapo-
litanische Adlige ging freilich auf dies Anerbieten nicht ein; er verriet
im Gegenteil Morone, ließ ihn verhaften (15. Oktober 1525) und be-
setzte das gesamte Herzogtum Mailand bis auf die Zitadellen von
Mailand und Gremona. Trotzdem aber blieb die Haltung des Kaisers
zu den übrigen italienischen Potentaten zunächst noch unverändert,
imd die Liga von Cognac (§ 120) konnte ruhig abgeschlossen werden.
Erst auf diese Allianz hin w^urden die Feindseligkeiten in Italien
wieder aufgenommen. Aber obwohl die kaiserlichen Truppen anfäng-
lich in der Minderzahl waren, zeigten sich die Verbündeten außer-
stande, einen entscheidenden Schlag zu führen; auch die Teilnahme
Andrea Dorias, der zumAdmiral des Heiligen Stuhles erhoben wurde,
vermochte an diesem Resultate nichts zu ändern. Ausschlaggebend
war vor allem, daß Frankreich sich nur nachlässig beteiligte und jeder
der Verbündeten auf eigene Faust vorging; dank dieser Zersplitterung
der Kräfte war es sogar einmal möglich, daß von Neapel aus die Spanier
und die Colonnesen einen Handstreich auf die Stadt Rom ausführten
(20. September 1526), der gleichsam als eine Generalprobe des Sacco
di Roma, der im folgenden Jahre stattfand, betrachtet werden kann.
Kleinere Erfolge in Ober- und Mittelitalien fielen demgegenüber nicht
in Betracht.
Um so . wuchtiger waren dann die Schläge, die die Kaiserlichen
ausführten, nachdem sie einmal Verstärkungen aus Spanien und
Deutschland herangezogen hatten. Zunächst allerdings hielten sie sich
dem Papste gegenüber immer noch zurück, obw-ohl dieser als die eigent-
liche Seele der feindlichen Koalition in Italien gelten mußte, und noch
am 15. März 1527 kam ein Waffenstillstand mit diesem zustande, der
für die italienischen Gegner der Habsburger außerordentlich günstige
Bedingungen enthielt. In dieser Situation griff aber der Gonnetable
von Bourbon (§ 119), der Kommandant der kaiserlichen Streitkräfte
in Oberitahen, ein. Er versagte dem Waffenstillstand seine Zustimmung
§ 121. Der Anschluß Genuas an die Habsburger. 295
t
und nahm den Marsch nach Florenz und Rom auf. Florenz konnte
allerdings von den Alliierten gerettet werden: um so schlimmer war
aber das Schicksal, das Rom erwartete. Am 6. Mai 1527 wurde die
Hauptstadt der Christenheit erstürmt, wobei Bourbon selbst den Tod
fand; nur die Engelsburg blieb. noch in der Hand des Papstes. Es folgten
die damals bei der Eroberung von Städten üblichen Szenen der Plün-
derung und Verwüstung, die, weil sie Rom betrafen, besonderen Abscheu
erregten, der »Sacco di Roma«.
Der Fortgang des Krieges entsprach diesem Anfang. Die Alliierten
brachten dem Papste keinen Entsatz; dazu stürzte unter dem Einfluß
der letzten Ereignisse die Herrschaft seiner Familie in Florenz zu-
sammen: am 11. Mai 1527 verließen die mediceischen Regenten die
Stadt am Arno, und an ihrer Stelle übernahm die Partei der Optimaten
die Regierung. So mußte Papst Klemens VII. am 7. Juni 1527 kapi-
tulieren; nicht nur Parma, Piacenza und Modena, sondern auch ver-
schiedene Städte des Kirchenstaates wurden der kaiserlichen Armee
ausgeliefert, die Engelsburg wurde von spanischen Soldaten besetzt.
Wenn der Kirchenstaat trotzdem keine dauernden allzu großen Ge-
bietsverluste über sich ergehen lassen mußte, so war dies wohl nur dem
Umstände zu verdanken, daß die habsburgische Regierung den Papst,
den sie ja doch nicht gleich einem Herzog von Mailand mediatisieren
konnte (§ 92), nicht für immer auf die Seite der Gegenkoalition treiben
wollte. In dem Vertrag vom 26. November 1527 zwischen Kaiser und
Papst wurde allerdings abgemacht, daß eine Anzahl päpstlicher Städte
als Pfand in der Hand der kaiserlichen Truppen bleiben sollten; im
übrigen wurde der Kirchenstaat aber wieder hergestellt. Außerdem
ließen die kaiserlichen Kommandanten zu, daß sich der Papst am
6. Dezember seiner Gefangenschaft durch die Flucht nach Orvieto
entziehen konnte.
Denn der Krieg war noch nicht definitiv entschieden, und die
habsburgische Regierung war noch nicht aller Rücksichten auf den
Papst entbunden. Der glückliche Fortgang der Operationen in Italien
hatte ja zu einem guten Teile auch davon abgehangen, daß Frank-
reich sich nur lässig und England gar nicht an dem Kampfe beteiligt
hatte. Die Katastrophe in Rom brachte darin, wie begreiflich, eine
Wandlung hervor. Bereits am 29. Mai 1527 verpflichteten sich Frank-
reich und England, im Juni eine starke Armee nach Italien abzu-
ordnen (Vertrag von Westminster), und im Sommer wurden die Feind-
seligkeiten auch wirklich energisch aufgenommen. Im August erschien
ein französisches Heer unter Lautrec in Oberitalien, vereinigte sich
mit den mailändisch-venezianischen Streitkräften und errang eine
Anzahl ansehnlicher Erfolge; mehrere feste Plätze, u. a. Pavia, wurden
genommen. Der Umfang der antihabsburgischen Koalition in Italien
erweiterte sich dadurch: Ferrara kehrte zum Bündnis mit Frankreich
zurück; Florenz erneuerte sein Allianz Verhältnis, verschiedene kleinere
Staaten schlugen dieselbe Politik ein. Bedeutungsvoll war aber vor
296 Die Herstellung der habpburgischen Hegemonie über Italien.
allem, daß sogar Genua durch den in französischen Diensten stehenden
Andrea Doria wieder Frankreich unterworfen wurde (Ende August
1527). Schon konnten die Franzosen das bereits vor der Schlacht bei
Pavia begonnene Unternehmen gegen Neapel von neuem an die Hand
nehmen; im Januar 1528 rückte Lautrec im Königreich ein, und im
April nahm er die Belagerung der Hauptstadt auf. Die Venezianer
besetzten wieder die apulischen Häfen; die spanische Flotte, die Neapel
Entsatz bringen sollte, wurde bei Amalfi von Filippino Doria (einem
Neffen Andreas) vernichtet (28. April 1528).
In dieser für den Kaiser wenigstens für den Augenblick recht kri-
tischen Situation wurde die habsburgische Vorherrschaft über Italien
durch Andrea Doria gerettet. Gründe persönlicher Art sowohl wie
patriotische Erwägungen scheinen den großen genuesischen Admiral
und Kondottiere damals zum Verlassen des französischen Dienstes
und zum Übertritt zur Partei des Kaisers getrieben zu haben. Die
ersteren können hier nur angedeutet werden; die letzteren beruhten'
darauf, daß Genua nur dann wenigstens formell seine Selbständigkeit
bewahren konnte, wenn Mailand sich nicht in französischen, sondern
in habsburgischen Händen befand. Den letzten Anstoß gaben Diffe-
renzen zwischen der französischen Regierung und Andrea und Filippino
Doria, die sich nach dem Treffen bei Amalfi einstellten. Sie führten
zum förmlichen Abfall der Genuesen. Am 4. Juh 1528 segelte Filippino
Doria von Neapel ab, das von da an nicht mehr als blockiert gelten
konnte; am 9. Juli nahm Andrea die Verhandlungen mit der kaiser-
lichen Regierung auf, am 10. August wurde die Konvention von Madrid
abgeschlossen, die die Flotte des größten Seehelden der Zeit dem habs-
burgischen Herrscher zur Verfügung stellte. Kaiser Karl V. gewährte
alle Bedingungen, die ihm Doria stellte; darunter befanden sich nicht
nur Forderungen persönlicher Art wie ein hoher Sold, der Titel eines
Generalkapitäns zur See und die Überlassung eines neapolitanischen
Hafens, sondern auch Konzessionen zugunsten der gesamten genuesi-
schen Republik: die Unabhängigkeit des Staates, die Zurückerstattung
von Savona, freier Seehandel für die Genuesen.
Der Feldzug in Neapel war damit für die Franzosen entschieden,
um so mehr, als keine Möglichkeit vorlag, die türkische Flotte, die
später die genuesische ersetzen sollte (§ 123), binnen nützlicher Frist
heranzuziehen. Die Blockade von Neapel war faktisch aufgehoben;
die Stadt befand sich nun in derselben Lage wie Marseille im Jahre
1522 (§ 119): wie damals dank der Flotte Dorias die Franzosen ständig
mit der belagerten Stadt in Verbindung geblieben waren, so vermochte
nun Doria, der sich die Insel Ischia zum Stützpunkt genommen hatte,
Neapel zur See zu versorgen und die Franzosen von dem Verkehr mit
der Heimat abzusperren. Es fehlte daher der französischen Armee
der Nachschub an Infanterie, der um so weniger zu entbehren war,
als Krankheiten unter dem Belagerungsheer furchtbare Verwüstungen
anrichteten und den Kommandanten Lautrec schließhch selbst dahin-
,§ 121. Der Anschluß Genuas an die Habsburger. 297
rafften (16. August 1528). So mußte denn die französischf Armee
bald darauf die Belagerung der Stadt aufheben (29. August) und sich
nach Aversa zurückziehen. Aber auch dort war ihre Lage hoffnungslos ;
bereits am 30. August mußte sie kapitulieren. Bald fiel dann auch
die Republik Genua selber ^vieder in die Hände der antifranzösischen
Partei. Am 12. September wurde die Stadt von Andrea Doria zurück-
erobert, der französische Gouverneur, Marschall Trivulzio, in das
Castelleto zurückgedrängt und die Freiheit der Republik proklamiert;
am 28. Oktober ergab sich dann auch die Zitadelle von Genua, nach-
dem bereits am 21. Savora von Andrea Doria genommen und zerstört
worden war. Schon nahmen nun die Kaiserlichen ihrerseits die Offen-
sive gegen Frankreich auf: Doria wagte im Herbste 1528 und Sommer
1529 verschiedene Vorstöße gegen die Provence, und nur die Angriffe
der Barbaresken (§ 99), die den Kaiser nötigten, einen Teil seiner See-
streitkräfte gegen Algier zu verwenden, verhinderten Doria an einer
vollen Ausnutzung seiner Überlegenheit.
Es hätte nur ein Mittel für die Franzosen gegeben, um sich wieder
in den Besitz Genuas zu setzen: die Wiedereroberung Mailands. Die
französische Regierung unternahm auch einen Vorstoß in diesem Sinne;
aber ihr Versuch schlug fehl. Der Graf von Saint-Pol, der ausgeschickt
worden war, um den spanischen General Leyva aus dem Herzogtum
zu vertreiben, wurde bei Landriano (zwischen Pavia und Mailand) ge-
schlagen (21. Juni 1529); Mailand war definitiv für die Franzosen
verloren. Es blieb nur noch übrig, Frieden zu schließen, um so mehr,
da die englische Hilfe vollständig versagt hatte (vgl. § 85).
Literatur. Eine Übersicht über die Quellen und die Literatur zur Geschichte
des »Sacco di Roma« gibt Domenico Orano in seinem »Sacco di Roma, vol. I. I Ri-
cordi di M. Alber ini«, 1901. Das wichtigste diplomatische Quellenwerk sind wohl
immer noch die »Memorias parra la historia del asalto y saqueo de Roma«, die A. Rodrf-
guez Villa 1874 herausgegeben hat. Dazu natürlich, wie immer, die Nachweise bei
Pastor. — H.Schultz, »Der Sacco di Roma«, 1894 (Hallische Abhandlungen 32);
A. Professione, »Dalla battaglia di Pavia al sacco di Roma«, 1890; Rodriguez Villa,
■iltalia desde la batalla de Pavia hasta el sacco di Roma«, 1885; A. Luzio im
*Archivio storico lombardo« anno 35 und in der »Deutschen Revue« 1909 Februar.
Über Doria die besten Nachweise bei Gh. de la Ronciöre ^Histoire de la Marine
frangaise« III (1906), Wie sehr bereits die Zeitgenossen dem Übertritt Dorias ent-
scheidende Bedeutung beimaßen, ist z. B. aus Ariosts »Orlando furioso« XV, 30
und 32, zu ersehen.
§ 122. Die Regelung des italienischen Konfliktes zugunsten der
Habsburger. Die Friedensverhandlungen wurden aufgenommen (im
April 1529), noch bevor die Schlacht bei Landriano erfolgt war; den
Ausschlag hatte eben der Abfall Dorias von der französischen zur kaiser-
lichen Seite und dessen Folgen, nicht die verunglückte französische Ex-
pedition ins Mailändische gegeben. Dadurch war die eine Vorbedin-
gung zu einer Verständigung, d. h. zu dem Verzicht Frankreichs auf
seine italienischen Aspirationen geschaffen. Daneben hatten allerdings
die Ereignisse der letzten Jahre auch der habsburgischen Regierung
jf98 Herstellung der habsburgischen Hegemonie über Italien.
vor Augen geführt, daß Frankreich immerhin einen noch zu starken
Gegner darstellte, als dai3 es zur Annahme der Forderungen, die nach
der Schlacht bei Pavia aufgestellt worden waren (§ 120), gezwungen
werden könnte. Auf Grundlage dieser beiderseitigen Erkenntnis oder
wenn man lieber will, des sich aus dem definitiven Übergang Dorias
zur kaiserlichen Partei ergebenden Kräfteverhältnisses unter den euro-
päischen Großstaaten (also ohne die Türkei) konnte nun ein Friede
geschlossen werden, der für einige Jahre eine Unterbrechung der Feind-
seligkeiten zwischen Frankreich und den Habsburgern zur Folge hatte.
Geführt wurden die Verhandlungen von kaiserlicher Seite von der
Tante Karls V., Margarete, Regentin der Niederlande, von französischer
Seite von der Mutter des Königs, Luise von Savoyen; der Vertrag
von Cambrai, der das Resultat dieser Bemühungen war (abgeschlossen
am 5. August 1529), erhielt daher den Namen des »Damenfriedens«.
Der Vertrag gibt sich als Erneuerung und Modifikation zugleich
des Friedens von Madrid (§ 120). Er stimmt mit jenem Instrument
insofern überein, als Frankreich darin von neuem auf alle seine ita-
lienischen Ansprüche (inklusive Asti) verzichtete und die noch besetzt
gehaltenen Festungen im Mailändischen und Neapolitanischen zu
räumen versprach. Bestätigt wurde außerdem der Verzicht der fran-
zösischen Krone auf ihre Feudalrechte über Flandern und das Artois,
sowie auf Hesdin, und König Franz wiederholte sein Versprechen, sich
mit der Schwester des Kaisers, der Königinwitwe Eleonore von Por-
tugal zu vermählen. Dagegen verzichtete die habsburgische Regierung
nun auf die Abtretung der Bourgogne und versprach, die beiden Söhne
König Franz' I., die noch als Geiseln zurückbehalten worden waren,
freizugeben. Da der Friede von Madrid seinerzeit mit Hilfe der Stände
der Bourgogne für ungültig erklärt worden war, enthält der Friede
von Cambrai außerdem noch ausdrücklich die Bestimmung, daß der
neue Vertrag von allen Provinzialständen Frankreichs ratifiziert werden
soll (was dann auch im Oktober bis Dezembei- 1529 erfolgte).
An demselben Tage und Orte kam dann auch ein Friedens- und
Freundschaftsvertrag zwischen dem Kaiser und dem König von Eng-
land zustande. Wichtiger war, da sich der Kampf der Großmächte
doch hauptsächlich auf Italien bezog, daß es dem habsburgischen
Monarchen schon vorher gelungen war, mit dem Papste zu einem Ein-
vernehmen zu gelangen. Die Verständigung geschah auf Kosten der
Freiheit Florenz'. — Nach dem Sacco di Roma war in Florenz (wie
bereits erwähnt, § 121) die Herrschaft der Medici beseitigt worden,
und die neue Republik hatte sich der antihabsburgischen Koalition
angeschlossen. Der damalige Papst Klemens VII., selbst ein Mediceer,
war dadurch in einen Konflikt zwischen den Interessen seiner Familie
und denen des Kirchenstaates gekommen und hatte sich deshalb von
den neuen Kämpfen zwischen Frankreich und den Habsburgern so
gut wie möglich ferngehalten. Nun verstand es der Kaiser, durch die
Wiederaufrichtung des mediceischen Regiments sowohl Florenz wie
§ 122. Die Unterwerfung Italiens unter dio Habsburger. 299
■den Papst auf seine Seile zu ziehen. In dem Allianzvertrag von Bar-
celona (29. Jiini 1529) versprach der Kaiser, die Mcdici wieder in Florenz
einzusetzen, und zwar in der Person des Herzogs Alexander, eines mit
einer natürlichen Tochter des Kaisers vermählten^) illegitimen Neffen
des Papstes, außerdem noch dem Kirchenstaate zum Besitze
einiger kürzlich an Venedig oder Ferrara verlorener Gebiete (Ravenna,
Modena usw.) zu verhelfen. Der Papst anderseits gewährte die In-
vt'stitur des Kaisers mit Neapel, die Zustimmung zu einer eventuellen
direkten Annexion des Herzogtums Mailand sowie freien Durchmarsch
der kaiserlichen Truppen durch das Gebiet des Kirchenstaats.
Nach dieser Einigung blieb auch den übrigen italienischen Staaten
(mit Ausnahme der florentinischen Republik, die auf keine Verstän-
digung hoffen konnte), nichts übrig, als sich mit dem Kaiser zu ver-
gleichen. Am 23. Dezember 1529 schlössen Venedig und Herzog Franz
Sforza von Mailand zu Bologna mit den beiden habsburgischen Brüdern
einen Friedensvertrag, in dem die Venezianer auf Ravenna sowie auf
die von ihnen noch besetzt gehaltenen Städte im Neapolitanischen
(vgl. § 121) verzichteten.
Kaiser Karl konnte nun als Herrscher Italiens gelten, und die
Krönung zum König von Italien, die der Papst am 22. Februar 1530
zu Bologna mit dem lombardischen Diadem vornahm (am 24. Februar
folgte die Kaiserkrönung), hatte mehr als symbolische Bedeutung.
Die Vormachtstellung des habsburgischen Hauses über Itahen war so
festgegründet, daß die Dynastie sogar ungestraft an manchen Orten
den Schein der Unabhängigkeit fortbestehen lassen konnte. So
in Mailand, wo zunächst der letzte Storza wieder als Schattenherrscher
die Regierung übernahm, so auch etwas später in Florenz.
Denn der heroische Widerstand, den die florentinische Republik
der kaiserlichen Übermacht entgegensetzte, konnte den Fall der Stadt
nur aufhalten, nicht aber verhindern. Zehn Monate lang (vom 14. Okt.
1529 bis 4. August 1530) dauerte die Belagerung; dann mußte die Stadt,
in der die Hungersnot bis zum äußersten gestiegen war, kapitulieren,
nachdem ihr von P'rancesco Ferruccio kommandiertes Entsatzheer
am 3. August 1530 in Gavignana (bei Pistoja) vernichtet worden war.
Am 6. Juli 1531 wurde dann Herzog Alessandro de'Medici förmlich
vom Kaiser in die Herrschaft über die Stadt eingesetzt.
Literatur. Über die Krönung Kaiser Karls V. im Jahre 1530 ist immer noch
dif reichhaltigste Quellensammlung die 1842 von G. Giordani publizierte »Cronaca
d-ella venuta e dimora in Bologna del s. p. demente VII« usw. Vgl. auch M. Romano,
»Cronaca del soggiorno di Carlo V in Italia«.
Über die letzten Kämpfe der florentinischen Republik vgl. die Dokumenten-
sainmlung »Francesco Ferruccio e la guerra di Firenze del 1529—1530«, 1889 (Fest-
schrift zur Erinnerung an den 400jährigen Geburtstag des Feldherrn), wo noch
weitere bibliographirche Angaben.
^) So heißt es im Vertrage. In Wirklichkeit aber bestand nur eine Verlobung,
da die Braut damals erst sechs Jahre alt war. Die Vermählung wurde dann erst
im Jahre 1536 gefeiert. Vgl. Perrens, »Histoire de Florence« III (1890), 353 n.
300 Die letzten Kämpfe um Italien.
B. Die letzten Kämpfe um Italien; die Einbeziehung neuer Staaten
im Osten und Norden in den Konflikt. (1530—1559).
§ 123. Die neue Diplomatie Frankreichs; das Eingreifen der Os-
manen. Obwohl der Friede von Cambrai nicht so weit ging wie der
Friede von Madrid, so hatte Frankreich doch darin auf zu viel ver-
zichten müssen (es hatte seine italienischen Pläne und seine eventuellen
Absichten einer Ausdehnung nach Norden und Osten preisgeben
müssen), als daß es die damals erfolgte territoriale Regelung als defi-
nitiv anerkannt hätte. Auf der anderen Seite hatte sich aber gezeigt,
daß mit den bisherigen Kriegsmitteln gegen die habsburgische Macht
nicht aufzukommen war. Der Kreis der Bundesgenossen mußte er-
weitert und fester geschlossen werden; vor allem aber mußte ein Ersatz
für die durch den Übertritt Andrea Dorias verlorene Seemacht im
Mittelländischen Meere gesucht werden.
Die französische Diplomatie warf sich denn auch, und zwar noch
bevor der Vertrag von Cambrai unterzeichnet worden war, mit Eifer
auf diese Aufgaben.
Der erste Schritt war, daß der diplomatische Informationsdienst
endlich so ausgebaut wurde, wie ihn andere Staaten, wie ihn vor allem
die habsburgischen Rivalen seit langem kannten. Die französische
Regierung hatte bisher das Institut der ständigen Gesandtschaften
nicht gekannt (vgl. §31); diese Einrichtung trat nun allmählich auch
bei ihr in Wirksamkeit. Wie in anderen Staaten scheint sich dabei
auch hier die Entwicklung so vollzogen zu haben, daß außerordent-
liche Gesandtschaften zunächst durch ihre lange Dauer sozusagen den
Charakter ständiger Gesandtschaften annahmen und später dann regel-
mäßig ersetzt wurden.
Wichtiger war aber, daß diese neue Waffe nun ein viel ausge-
dehnteres Tätigkeitsfeld fand. Besonders bedeutungsvoll war die Ver-
bindung mit dem Türkischen Reiche.
Eine Allianz zwischen den Osmanen und den Franzosen war auf
beiden Seiten durch die Ereignisse der letzten Jahre nahegelegt worden.
Inwiefern Frankreich seit dem Jahre 1528 an einer solchen Verbindung
ein Interesse hatte, ist bereits dargelegt worden: einzig die Türkei war,
seitdem sie sich mit den algerischen Korsarenfürsten zusammen-
geschlossen hatte (vgl. § 99), imstande, für den Verlust der genuesischen
Flotte Ersatz zu leisten. Auf türkischer Seite war der Gewinn, der
aus einem Bündnis mit Frankreich zu ziehen war, ebenso offenkundig,
wenn auch nicht so entscheidend. Die letzten Jahre vor 1529 hatten
ja aus den Osmanen nicht weniger als aus den Franzosen einen direkten
Gegner der Habsburger gemacht.
Die Darstellung muß, um dies zu begründen, um einige Jahre
zurückgreifen.
Die Ausdehnungspolitik des Osmanischen Reiches war bis zum
Ende des zweiten Jahrzehntes des Jahrhunderts in der Hauptsache
§ 123. Verbindung Frankreichs mit der Türkei. 301
nach Süden und Osten orientiert gewesen (vgl. § 80). Nachdem aber
Syrien und Ägypten erobert worden waren, trat eine Wandlung ein
und vielleicht im Zusammenhang mit dem im Jahre 1520 erfolgten
Thronwechsel, der Suleiman II. zur Herrschaft brachte, wurde der
Vorstoß gegen Norden und gegen die christlichen Staaten überhaupt
wieder aufgenommen. Schon im Jahre 1521 (8. bis 29. August) wurde
die ungarische Grenzfestung Belgrad genommen. Die nächsten Jahre
waren dann, nachdem inzwischen auch noch Rhodus gefallen war
(Herbst 1522), der Vorbereitung zum Angriff auf Ungarn gewidmet.
Der Ausgang dieses Kampfes konnte, da Ungarn (vgl. § 98) von den
übrigen Christen im Stiche gelassen wurde, nicht zweifelhaft sein: die
in jeder Beziehung rückständige ungarische Wehrmacht wurde bei
Mohacs (in der Nähe des linken Donauufers, östlich von Fünfkirchen)
am 29. August 1526 vernichtend geschlagen, König Ludwig IL selbst
kam in der Schlacht um.
Obwohl der Sultan nach diesem Siege widerstandslos bis nach der
Hauptstadt Ofen vorrücken konnte, war doch das Land noch nicht
gewonnen, da die ungarischen Magnaten nicht unterworfen waren;
denn es fehlte den Osmanen an Truppen, um das ganze Reich zu be-
setzen. In dieser Lage kam ihnen aber der seit langem bestehende
Gegensatz zwischen der österreichischen Regierung und den ungarischen
Baronen zu Hilfe. Die durch den Tod König Ludwigs erledigten Throne
Ungarns und Böhmens fielen auf Grund früherer Abmachungen dem
Schwager des Verstorbenen, Erzherzog Ferdinand (dem jüngeren Bruder
Kaiser Karls V.) zu, und die habsburgische Regierung erhob daher
sofort Ansprüche auf die beiden Länder. In Ungarn erhob sich aber
gegen sie die Partei der an ihrer Selbständigkeit festhaltenden Magnaten,
und ihr Führer, der Woiwode von Siebenbürgen, Johann Zapolya, ließ
sich am 16. Oktober 1526 von seinen Anhängern zum König ausrufen.
Allerdings gelang es dann den Habsburgern, eine Anzahl Zapolya
feindlich gesinnter Magnaten für ihre Sache zu gewinnen, und von
diesen ihren Anhängern wurde Ferdinand am 16. Dezember desselben
Jahres zu Preßburg zum König gewählt. Aber der habsburgische Kan-
didat konnte sich mit alledem doch nur auf eine Minorität im Lande
stützen, und wenn er schon militärisch der Partei Zapolyas beträcht-
lich überlegen war and den Rivalen in mehreren Gefechten in den
Jahren 1527 und 1528 empfindUch schlug, so bheb dem Gegner immer
noch die Möglichkeit, sich mit den Türken zu verbinden und dadurch
die habsburgischen Pläne zu vereiteln.
Diese Eventualität trat denn auch ein, und dadurch kam es nun
zum offenen Kampf zwischen dem Hause Österreich und den Osmanen.
Als sich der antihabsburgische König von Ungarn, Johann Zapolya,
nämlich an die Türken um Hilfe wandte, versprach ihm der Sultan,
ihn unter seinen Schirm zu nehmen (Februar 1528), und Suleiman
selbst machte sich im Jahre 1529 auf, um seinen Schützling und Bundes-
genossen gegen König Ferdinand wieder in den Besitz seines Landes
302 Die letzten Kämpfe um Italien.
ZU setzen. Die deutschen Söldner, die die Hauptstadt besetzt hielten,
waren dem osmanischen Ansturm nicht gewachsen: am 8. September
1529 fiel Ofen. Der Rest des Landes folgte, und die Osmanen konnten
daran denken, die Offensive direkt gegen österreichisches Gebiet auf-
zunehmen. Es war nur der überlegenen Artillerie der Habsburger zu
verdanken, wenn die Stadt Wien, aus der sich König Ferdinand bereits
geflüchtet hatte, nicht ebenfalls von den Türken genommen wurde;
so aber mußte nach ungefähr einmonatiger Dauer (20. September bis
16. Oktober 1529) die Belagerung wieder aufgehoben werden.
Ein großer Teil Ungarns blieb aber trotz dieses Mißerfolges unter
türkischer Oberhoheit im Besitze Johann Zapolyas. Dessen Stellung
war außerdem noch in einer für die Habsburger gefährlichen Weise
dadurch befestigt worden, daß eine Verbindung zwischen ihm und der
französischen Krone zustande gekommen war. Es gehörte zu dem
neuen diplomatischen Kurs der französischen Regierung, daß der Kreis
der Teilnehmer an der antihabsburgischen Koalition erweitert wurde,
und so waren Verhandlungen über ein Bündnis zwischen Zapolya und
Frankreich angeknüpft worden, die zuerst am 23. Oktober 1528 zu
einem förmlichen Abkommen führten; die Ratifikation durch Zapolya
erfolgte am 28. Oktober 1529. Frankreich war also schon dadurch
indirekt ein Bundesgenosse der Osmanen gegen die Habsburger ge-
worden.
Diese neue Verbindung war aber nicht die einzige ihrer Art. Einen
bisher noch nicht zunutze gezogenen Alliierten in seinem Kampfe
gegen die habsburgische Übermacht land Frankreich außerdem in
den deutschen Ständen, die sich gegen die Aufrichtung einer starken
kaiserlichen (habsburgischen) Herrschaftsgewalt über das Reich auf-
lehnten. Diese Oppositionsbewegung hatte seit früher einerseits be-
trächtlich an Macht gewonnen, insofern sich zu den ehemaligen politi-
schen Motiven noch konfessionelle Erwägungen gesellten, was vor allem
den folgenschweren Übergang vieler Reichsstädte zur ständischen Partei
zur Folge hatte (§62); anderseits waren die Stände in höherem Maße
als ehemals auf fremde Unterstützung angewiesen, da unter Karl V.
die habsburgisch-kaiserliche Gewalt über viel größere Machtmittel
verfügte als zur Zeit Maximilians I. So war denn der Anlaß zu einer
Verbindung zwischen Frankreich und der ständischen Opposition ge-
geben, und weder die Verfolgung der Protestanten in Frankreich noch
die Allianz des französischen Königs mit den auch das Reich bedrohen-
den Osmanen vermochten diesen Beziehungen Eintrag zu tun.
Der Schmalkaldische Bund (erste Unterzeichnung der Bundes-
urkunde am 27. Februar 1531), in dem sich die protestantisch-ständische
Opposition gegen die Habsburger (besonders auch gegen den am
5. Januar des Jahres trotz des kursächsischen Protestes zum römischen
König gewählten Ferdinand) konstituiert hatte, erweiterte sich so all-
mählich gewissermaßen zu einer europäischen Liga gegen das Haui>
Österreich. Nicht nur die oberdeutschen Städte traten bei, sondern.
§ 123. Verbindung Frankreichs mit der Türkei. 30S
selbst das katholische Bayern schloß wenigstens mit den fürstlichen
Mitgliedern des Bundes eine Allianz ab (zu Saalfeld am 24. Oktober
1531); dazu kam dann noch eine Einigung mit Dänemark (Januar
1532) und vor allem mit Frankreich, das sich am 26. Mai 1532 mit den
Kontrahenten des Saalfelder Bundes verband; Frankreich leistete von
da an regelmäßige Unterstützung. Dazu kamen noch Verhandlungen
mit England, und selbst der Papst verhielt sich gegen die neue Grün-
dung nicht unbedingt ablehnend (s. u.); wichtiger war aber, daß auch
Johann Zapolya dem Bunde nahe trat, die Schmalkaldner sich also
gewissermaßen auch mit den Türken verbündeten.
Es erschien dies für den Augenblick um so gefährlicher, als Su-
leiman seine Absichten auf Österreich infolge des vergeblichen An-
griffes auf Wien keineswegs aufgegeben hatte. Nochmals nahm er im
Jahre 1532 seinen Vorstoß gegen Wien auf. Aber nicht nur versagten
in dieser Lage die protestantischen Stände dem Kaiser ihren Beistand
nicht, sondern die Osmanen wurden auch diesmal wieder durch die
stärkere Artillerie ihrer Gegner aufgehalten. Das Schloß Güns (südlich
von Ödenburg), das den W'eg nach Wien beherrschte, hielt dem An-
stürme der Osmanen so lange stand (9. August bis 27. September 1532),
daß der Sultan sich zum Rückzuge entschloß.
Einen um so schlimmeren Schlag erhielt aber die habsburgische
Macht infolge der neuen Gegenkoalition in Süddeutschland, das seit
langem eine ihrer wichtigsten Ausdehnungssphären gebildet hatte.
Mit französischer Hilfe wurde Herzog Ulrich von Württemberg, der
im Jahre 1519 aus seinem Lande vertrieben worden war, von dem
Landgrafen von Hessen wieder in sein Land zurückgeführt (Mai 1534);
Frankreich erhielt für seine Unterstützung die württembergische Graf-
schaft Mömpelgard. (Abmachungen zwischen Franz L und Landgraf
Phihpp von Hessen zu Bar-le-Duo im Januar 1534.) Für die habsbur-
gische Stellung in Süddeutschland kam dieser Vorgang einer eigent-
lichen Katastrophe gleich. Nicht nur war ihre Herrschaft über Württem-
berg beseitigt, sondern es war ihren Gegnern gleichzeitig auch ge-
lungen, den Schwäbischen Bund, die stärkste Stütze der habsbur-
gischen Macht in Oberdeutschland (§ 62) zu sprengen (Dezember 1533
Januar 1534).
Hand in Hand damit ging die Anbahnung guter Beziehungen der
antihabsburgischen Koalition zu dem Papste. — Seitdem die Ver-
bindung Frankreichs mit der antimediceischen florentinischen Re-
publik durch die Aufrichtung der mediceischen Herrschaft über die
Stadt aufgehört hatte, bestand für den Papst der Grund nicht mehr,
der ihn auf Grund seiner Familieninteressen seinerzeit die Partei des
Kaisers hatte ergreifen lassen (§ 122). Der Gedanke, sich zum Schutze
gegen die habsburgische Vorherrschaft über Italien mit den Gegnern
des Kaisers zusammenzuschließen, wurde an der Kurie wieder in ernst-
liche Erwägung gezogen; ihren Ausdruck fand diese neue Pohtik in
der ehelichen Verbindung, die zwischen der Großnichte des Papstes.
304 Die letzten Kämpfe um Italien.
Klemens VII., Katharina von Medici, und dem zweiten Sohne des
französischen Königs, dem Herzog von Orleans (dem späteren König
Heinrich II.), am 27. Oktober 1533 geschlossen wurde.
Für die Folgezeit vielleicht noch bedeutungsvoller erwies sich
aber, daß die türkische Regierung, nachdem ihre Angriffspläne auf
die österreichischen Gebiete zu Lande gescheitert waren, den Kampf
auf das Meer verlegte ; dadurch wurde Gelegenheit gegeben, daß Frank-
reich nun auch für die ihm durch den Abfall Andrea Dorias (§ 121)
genuesische Seemacht Ersatz finden konnte. — Schon dem Vormarsche
gegen Wien im Jahre 1532 waren Diversionen zur See zur Seite ge-
gangen; die kaiserhche Flotte unter Doria hatte damals aber die tür-
kischen Galeeren noch in den griechischen Gewässern zurückhalten
und sogar einige feste Plätze auf Morea und in Achaia (auf kurze Zeit)
besetzen können. Gerade dieser erfolglose Vorstoß hatte aber zu einer
Reorganisation der osmanischen Marine geführt. Der beste Seemann,
den die Türken auftreiben konnten, der Herrscher des algerischen
Piratenstaates, Chair-eddin Barbarossa, wurde zum Kapitän-Pascha
der türkischen Flotte ernannt (Mai 1533) und schuf sich zugleich eine
noch festere Position im Mittelmeer, indem er zu Algier auch Tunis
hinzueroberte (August 1534). Der neue Pascha erwies sich bald als
ein außerordentlich nützliches Werkzeug der türkischen Kriegführung,
und die süditalienischen Besitzungen des Kaisers wurden durch seine
Korsarenraids aufs schwerste geschädigt. Die Basis zu einem Marine-
abkommen zwischen Frankreich und der Türkei war damit gegeben.
Die französische Regierung, die noch im Jahre 1532 an eine Expedition
gegen die Osmanen und Barbarossa gedacht hatte, schloß im Mai 1534
einen Vertrag mit dem Korsarenfürsten, und der osmanischen Re-
gierung schlug sie den Abschluß eines Offensivbündnisses gegen Genua
und Süditalien vor.
Bevor solche Pläne zur Ausführung kamen, griff allerdings der
Kaiser mit einem Gegenschlage ein. Die kürzlich erfolgte Ausdehnung
des Machtgebietes Barbarossas in Afrika und die Bedrohung der spa-
nischen Küsten nötigten ihn, die zugunsten habsburgischer Haus-
interessen zurückgesetzte ehemalige spanische Politik gegen Nordafrika
wieder aufzunehmen (vgl. § 45). Der kaiserliche Angriff richtete sich
gegen die neue Eroberung des Korsarenfürsten. Die vereinigte christ-
liche Flotte (hauptsächlich genuesische und kaiserliche Galeeren) traf
am 16. Juni 1535 vor Goletta, dem Hafenschloß von Tunis, ein. Das
Schloß und Arsenal wurde ohne große Mühe genommen und die dort
liegende Flotte Barbarossas erbeutet. Auch die Hauptstadt Tunis fiel
darauf; die deutschen und spanischen Söldner, die der persönüch kom-
mandierende Kaiser mitgenommen hatte, erwiesen sich den ein-
heimischen Truppen ebenso überlegen wie die Artillerie des christlichen
Heeres der ihrer Gegner (Juli 1535).
Aber ein wirklich entscheidender Schlag war damit gegen die
Piratenfürsten nicht geführt worden. Wenn schon die Spanier Goletta
§ I2:s. Verbindung Frankreichs mit der Türliei. 305
behielten und Tunis dem von Barbarossa vertriebenen einheimischen
Herrscher Muley Hassan wieder zurückerstatteten, so blieben doch
Algier und Mehedia (damals »Afrika« genannt) im Besitz des Kapitän-
Paschas, und seine Macht war nur geschwächt, nicht aber vernichtet.
Die wichtigste praktische Folge der Expedition war so vielleicht für
den Kaiser sogar ungünstig: von da an stießen nämlich die Versuche
Frankreichs, sich mit der Türkei zu verbinden, auf osmanischer Seite
allem Anschein nach auf größeres Entgegenkommen.
Wie dem nun auch sein mag, jedenfalls kam es im nächsten Jahre
(Februar 1536) zum ersten Male zu einem eigentlichen Bundesvertrage
zwischen Frankreich und der Türkei. Formell wurde zwar nur ein
Handelsvertrag geschlossen — Frankreich wollte, wie es scheint, vor
allem mit Rücksicht auf die verbündeten deutschen Fürsten nicht
weiter gehen (vgl. Bourrilly in der »Revue historiqiie« 113 [1^13], 281) — ,
aber in Wirklichkeit wurde eine Offensivallianz gegen die habsburgische
Macht vereinbart. Frankreich erhielt dadurch von neuem eine Marine
im Mittelmeer; die Osmanen bekamen dafür die Stützpunkte der fran-
zösischen Küste für ihre Flotte eingeräumt. Der Verlust Genuas war
für die Franzosen, der von Tunis für die Türken zu einem guten Teile
ausgeglichen.
In dieser Liste von Aktionen, die die französische Macht der habs-
burgischen gleichwertig machen sollten, ist schließlich noch eine inner-
politische Maßregel zu erwähnen. Die letzten kriegerischen Ereignisse
hatten einerseits gezeigt, daß die schweizerischen Infanteristen ihren
deutschen und spanischen Konkurrenten nicht mehr unbedingt ge-
wachsen waren ; anderseits erschien die Abhängigkeit von ausländischem
Zuzug überhaupt bedenklicher als früher, weil die Gegner nun über
einheimische Söldner verfügten. Dies gab wohl den Anstoß, daß die
französische Regierung durch die Ordonnanz vom 24. Juli 1534 eine
eigene starke Infanterie (sieben »Legionen« zu 6000 Mann) zu schaffen
suchte, in denen nicht zum mindesten die bisher immer noch vorzugs-
weise als Reisige dienenden Adligen des Landes verwendet werden
sollten. Doch war diese Gründung für den Augenblick jedenfalls von
geringer Bedeutung; die »Legionäre« haben sich weder in den im-
mittelbar folgenden Kriegen irgendwie ausgezeichnet, noch hat Frank-
reich der Anwerbung schweizerischer und deutscher Söldner entraten
können.
Literatur. Es fehlt noch an einer Geschichte der französischen Diplomatie,
und in den Geschichten Karls V. treten die hier behandelten Verhältnisse, wie be-
greiflich, zurück, so daß auch für diesen Paragraphen keine zusammenfassende
wissenschaftliche Monographie angeführt werden kann. Es sei deshalb nur darauf
aufmerksam gemacht, daß mit diesem Zeitpunkte entsprechend den im Texte ge-
machten Bemerkungen zu den habsburgischen, englischen, venezianischen usw.
Korrespondenzen nun zum ersten Male auch französische Gesandtschaftsrapporte
treten (die erste Legation ist wohl die von Jean du Bellay, 1527 — 1529, ed. Bourrilly
und Vaissiöre, 1905); vgl. darüber die Notiz am Schlüsse der Vorbemerkung. Mit
dem Jahre 1533 beginnen dann auch die Nuntiaturberichte aus Deutschland (der
Fueter, Europ. Staatensystera."] 20
306 Die letzten Kämpfe um Italien.
erste Band ed. Friedensburg, 1892), die aber natürlich für das hier behandelte Thema
weniger aufschlußreich sind als die Akten der Großstaaten. — Ludwig Gardauns,
»Paul III., Karl V. und Franz I. in den Jahren 1535 und 1536# in den »Quellen-
und Forschungen aus italienischen Archiven« XI (1908), 147 ff.
Für die Kämpfe mit den Osmanen L. Kupelwieser, »Die Kämpfe Österreichs
mit den Osmanen vom Jahre 1526—1537«, 1899. Siehe auch A. Westermann, »Die
Türkenhilfe und die politisch-kirchlichen Parteien auf dem Reichstag zu Regens-
burg 1532«, 1910.
Alfred Keller, »Die Wiedereinsetzung des Herzogs Ulrich von Württemberg«
(Marburger Dissertation, 1912).
Über Frankreich und die Türkei J. Ursu, )>La Politique Orientale de Frangois /«''«,
1908; vgl. dazuV.-L.Bourrilly in der )>Revue historique« 113 (1913), 64ff. und 268 ff.,
und ibid. 1901. Dann oben die §§23, 36 und 99.
§ 124. Der neue Krieg zwischen Frankreich und den Habsburgern;
die Eroberung Piemonts dnrch Frankreich (1536 — 1539). Der Vertrag
mit der Türkei hatte die Rüstungen, die Frankreich unternommen
hatte, um den Vertrag von Cambrai (§ 122) zu seinen Gunsten rück-
gängig zu machen, in der Hauptsache zum Abschluß gebracht. Wenn
der Krieg sich aber sofort daran anreihte, so war dies außerdem noch
dem Umstände zu verdanken, daß zu derselben Zeit (1. November
1535) das Herzogtum Mailand durch den Tod Francesco Sforzas for-
mell erledigt wurde.
Frankreich hatte seine Ansprüche auf Mailand, Asti und Genua
trotz des Friedens von Cambrai nie fallen lassen; solange sich das
Herzogtum aber noch im Besitze der einheimischen Dynastie befand,
konnte die faktische habsburgische Oberherrschaft noch als Provisorium
aufgefaßt werden. Nachdem aber der letzte Sforza ohne legitime Erben
dahingeschieden war, stand die definitive Regelung der Angelegenheit
in Frage. Frankreich verlangte, daß der zweite Sohn König Franz'
in das Herzogtum eingesetzt werde; da der Kaiser darauf nicht ein-
ging, eröffnete es den Krieg.
Die französische Kriegführung war aber vorsichtiger geworden als
ehedem. Sie vermied es, ihre schwächere Infanterie von neuem der
Eventualität einer Schlacht von Pavia auszusetzen, und begnügte sich
fürs erste, die Verbindung mit Mailand sicherzustellen, d. h. sie be-
schränkte sich zunächst auf die Eroberung Savoyens.
Die savoyische Regierung, außerstand, selbständig in den Kampf
der Großmächte einzugreifen (§ 95), hatte den italienischen Expedi-
tionen der Franzosen nie ein Hindernis bereitet, solange Frankreich
die Oberhand besaß; Frankreich dagegen hatte damals mit Rücksicht
auf die Eidgenossen auch von seiner Seite nicht gewagt, seine Hand
auf das Herzogtum zu legen. Nun hatten sich die Verhältnisse ge-
ändert: Savoyen hatte sich den Habsburgern als der stärkeren Macht
angeschlossen, und dazu zeigte sich für Frankreich die Möglichkeit,
mit dem eidgenössischen Orte, der an Savoyen besonders interessiert
war, gemeinsam zu operieren.
Auf dieser Grundlage vollzog sich der neue Feldzug, der also zu-
nächst noch nicht direkt gegen den Kaiser gerichtet war. Es war natür-
§ 124. Die Eroberung Piemonts durch Frankreich. 307
lieh, daß er sich rasch und ohne Schwierigkeiten abwickelte, da den
Franzosen eine vernichtende Übermacht zur Disposition stand. Im
Verein mit Bern, das die savoyische Waadt eroberte (Januar 1536) und
dadurch zugleich das hugenottische Genf vor eventuellen Absichten
Frankreichs schützte, rückten die Franzosen gegen Savoyen vor (März
1536). Ganz Piemont wurde von ihnen besetzt; der Herzog Karl III. (ein
Schwager des Kaisers), der aus Turin hatte flüchten müssen, wurde für
abgesetzt erklärt, König Franz, der seit dem Tode seiner Mutter Luise
von Savoyen (22. September 1531) Erbansprüche auf das Land zu
haben behauptete, nahm das Herzogtum mit Ausnahme der von den
Bernern besetzten Gebiete und der Stadt Genf in seinen Besitz.
Obwohl die Franzosen mailändisches Gebiet nicht betraten, wurde
ihre Okkupation des Piemont von dem habsburgischen Kaiser doch,
wie natürlich, als die erste Etappe eines Vorstoßes gegen Mailand be-
trachtet, und der Kaiser antwortete mit einer Kriegserklärung (er
richtete zum zweiten Male eine persönliche Herausforderung an den
französischen König [17. April 1536]; das erstemal war ein solches
Kartell erfolgt, als Franz sein in Madrid gegebenes Wort nicht ge-
halten hatte, vgl. Baumgarten, »Karl V.« II, 641). Aber die Franzosen
ließen sich trotzdem vorerst nicht zu einem Vorstoße in das Mailändische
verlocken, und sie befestigten dafür Piemont so ausgezeichnet, daß die
Kaiserlichen nicht daran denken konnten, sie von dort zu vertreiben
(das Land blieb nun für 23 Jahre in französischem Besitz). Der habä-
burgische Angriff erfolgte vielmehr direkt gegen Frankreich; es lag für
die kaiserliche Partei um so näher, zu diesem Verfahren zu greifen,
als die genuesische Flotte, die zum Teil den unglücklichen Ausgang
der Expedition des Jahres 1524 verschuldet hatte (vgl. §§ 119 u/121),
diesmal auf ihrer Seite focht.
Aber die Franzosen schlugen in der Provence, die nun das erste
Objekt des kaiserlichen Angriffes war, dieselbe Taktik ein, wie in Pie-
mont; man kann sagen, sie gingen so vor, wie es für einen Staat natür-
lich war, der seinem Gegner infolge seiner inferioren Infanterie im
offenen Felde nicht gewachsen, im Belagerungskrieg dagegen durch
seine artilleristische und fortifikatorische Superiorität überlegen war.
Der französische General Montmorency opferte mit Ausnahme der
beiden Städte Marseille und Arles die Provence und nahm seine Truppen
in zwei stark befestigte Lager bei Avignon und Valence zurück; jeder
Angriff auf die Kaiserlichen wurde vermieden. Unter diesen Um-
ständen hätte Kaiser Karl V., der persönlich an dem Feldzuge teil-
nahm, auf einen Erfolg nur hoffen können, wenn er über die stärkere
Artillerie verfügt hätte ; da dies aber nicht der Fall war und er nach einer
Besichtigung Marseilles die Stadt geradezu für »uneinnehmbar« er-
klären mußte (Salinas, »Carlas«, p. 773 f.), war das Schicksal der Unter-
nehmung besiegelt. In dem kaiserlichen Heere, das in dem teilweise
von Lebensmitteln und Bewohnern entblößten Lande kampieren mußte,
brach die Dysenterie aus, und so mußte bereits am 13. September 1536
20*
808 Die letzten Kämpfe um Italien.
der Rückzug angetreten werden (die französische Grenze war bei dem
Hinmarsch am 25. Juli überschritten worden).
Dieser Mißerfolg des Kaisers war um so bedenklicher, als der
gleichzeitig unternommene Vorstoß gegen Frankreich im Norden einen
nicht minder unglücklichen Ausgang nahm. Auch dort scheiterte der
kaiserliche Angriff an der überlegenen Technik der französischen Be-
festigungsanlagen. Weder Saint- Quentin noch Peronne konnten von
dem Generale des Kaisers, dem Grafen Nassau, genommen werden,
und beinahe an demselben Tage wie im Süden mußten auch im Norden
die kaiserlichen Truppen den Rückzug antreten und Frankreich räumen
(am 8. September 1536).
Die Lage hatte sich nun so weit geändert, daß die Franzosen wieder
die Offensive aufnehmen konnten. Einen größeren Erfolg vermochten
freilich ihre Anstrengungen aus den angegebenen Gründen ebensowenig
zu erzielen wie die Angriffe des Kaisers. Die französische Regierung
ging zwar nun so weit, den Vertrag von Cambrai, soweit er sich auf
Flandern, Artois und Charolais bezog, für ungültig zu erklären, in-
dem sie am 15. Januar 1537 diese Lehen des Kaisers wegen Felonie
konfiszierte. Aber die militärischen Operationen, die infolge davon
unternommen wurden, zeitigten keinen anderen Erfolg als die Ein-
nahme von Hesdin (13. April 1537). Ebenso gelang es zwar, das einen
Augenblick bis auf einige feste Plätze verloren gegangene Piemont
wieder zurückzuerobern (Oktober/November 1537); aber ein Fortschritt
wurde auch nach dieser Richtung hin nicht erzielt. An beiden Fronten
mußten die Kämpfe infolge von Waffenstillständen eingestellt werden:
im Norden wurde am 30. Juli 1537 zu Bomy bei Therouanne zwischen
den Niederlanden und Frankreich ein Waffenstillstand auf zehn Monate
geschlossen, für Südfrankreich und Italien wurde am 16. November
desselben Jahres zu Monzon in Aragon ein Waffenstillstand auf drei
Monate vereinbart.
Selbst die Türken, die nun zum ersten Male mit den Franzosen
gemeinsam operierten, vermochten die französische Sache nicht wesent-
lich zu fördern. Sie unternahmen zwar Streifzüge gegen das Neapoli-
tanische, und Katzianer, der General König Ferdinands, der die slo-
wenische Grenze schützen sollte, wurde bei Essek von den Osmanen
vernichtend geschlagen. Aber gerade diese Erfolge der Türken
machten die christlichen Staaten im Osten geneigt, sich den Fran-
zosen gegenüber wieder mehr auf die habsburgische Seite zu stellen.
Der Papst (Paul IIL) und die Venezianer, die ebenfalls durch die letzten
Raids der Flotte Barbarossas geschädigt worden waren, näherten sich
dem Kaiser, und vor allem war nun sogar der Vasall der Osmanen, der
Woiwode Zapolya (vgl. § 123), zu einer Verständigung mit dem Hause
Österreich bereit. Am 24. Februar 1538 schloß er mit dem habsbur-
gischen Brüderpaar einen Vertrag ab, worin er gegen Anerkennung
seines Königstitels sowie Waffenhilfe gegen die Türken darein ein-
§ 124. Die Eroberung PierrKmts durch Frankreich. 309
willigte, daß nach seinem Tode das gesamte Königreich Ungarn an
König Ferdinand fallen sollte (Friede von Großwardein),
Dies alles brachte zusammen mit der Weigerung der deutschen
protestantischen Stände, sich mit König Franz gegen den Kaiser zu
verbinden (Dezember 1535), ein Gleichgewicht der Kräfte zustande,
das keine Partei von einer Fortsetzung des Krieges größeren Gewinn
hoffen ließ. Die Grundlage zu einer Einstellung der Feindseligkeiten
war damit gegeben, und durch Vermittelung des Papstes kam denn
auch eine Vereinbarung zustande. Die beiderseitigen Ansprüche standen
sich allerdings noch zu schroff gegenüber, als daß ein Friede, d. h. ein
definitiver Verzicht auf alle im Besitz der gegnerischen Partei befind-
lichen Gebiete (von denen hauptsächlich Mailand einer-, Piemont
anderseits genannt seien), hätte erlangt werden können. Aber es wurde
an der Zusammenkunft, die in Nizza zwischen Kaiser Karl V. und
König Franz I. stattfand, doch wenigstens erreicht, daß auf die Dauer
von zehn Jahren ein Waffenstillstand geschlossen wurde (18. Juni 1538).
Der Status quo wurde für so lange anerkannt (also auch die Besetzung
des größten Teiles Piemonts durch die Franzosen), und so proviso-
rischen Charakter auch die Form des Vertrages hatte, so war doch zu
hoffen, daß sich auf seiner Grundlage die Verhältnisse in Italien dauernd
regeln ließen. Diese Annahme wurde noch dadurch bestätigt, daß kurz
darauf (14. bis 17. Juli 1538) die beiden Monarchen, die in Nizza nur
indirekt miteinander verkehrt hatten, in Aigues-Mortes zu einer freund-
schaftHchen Entrevue zusammentraten. Ja, die habsburgische Partei
ging sogar noch weiter. In der Deklaration von Toledo (1. Februar
1539) versprach Kaiser Karl V. für die Vermählung entweder seiner
Tochter oder seiner Nichte mit dem Herzog von Orleans einzutreten
und dann über das Herzogtum Mailand »in Berücksichtigung dieser
Heirat zu verfügen«. Es wurde also der französischen Regierung in
Aussicht gestellt, daß der mailändische Konflikt durch die Errichtung
einer französischen Sekundogenitur in Oberitalien gelöst werden könnte.
Literatur. L. Cardauns »Zur Geschichte Karls V. in den Jahren 1536 —
1538« in den »Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven« XII (1909),
189 ff.
§ 125. Die letzten Kämpfe Franz' I.; der englisch-französische Kon-
flikt (1539 — 1544). Der Vertrag von Nizza bewirkte zwar, daß die Feind-
sehgkeiten zwischen Frankreich und den Habsburgern für einige Jahre
unterbrochen wurden; die internationale Lage blieb aber unklar, und
es kam weder zu einem wirklich freundschaftlichen Verhältnisse noch
zu einer eigentlichen Neugruppierung der Mächte. Ein Ziel der fran-
zösischen Politik läßt sich allerdings deutlich erkennen. Frankreich
versuchte seine alten Aspirationen auf Mailand in der Weise zu ver-
wirklichen, daß es der habsburgischen Macht Konzessionen anderer
Art machte; die Rechnung war offenbar, den Gegner auf friedlichem
Wege zur Überlassung des Herzogtums zu bewegen, da die Kräfte-
verhältnisse eine Eroberung unwahrscheinlich machten. Weniger sicher
310 Die letzten Kämpfe um Italien.
ist aber schon, wieweit man mit dieser Absicht die feindsehge Hal-
tung gegen England zusammenbringen darf, die sich in der erst jetzt
eigentlich gepflogenen Verbindung mit Schottland zeigt; man könnte,
um einen Zusammenhang zwischen beiden Erscheinungen wahrscheinlich
zu machen, bloß darauf hinweisen, daß damals (1539) eine Kombination
zwischen dem König von England und den oppositionellen deutschen
Ständen (den Schmalkaldnern) in der Bildung begriffen schien: auch
in der Gegnerschaft gegen König Heinrich VIII. arbeitete also König
Franz I. gewissermaßen als Bundesgenosse des habsburgischen Kaisers.
Aber alles dies führte bei Frankreich nicht dazu, daß seine Verbin-
dungen mit den Feinden der Habsburger, vor allem den Osmanen,
wirklich gelöst wurden, und so blieb die Situation widerspruchsvoll,
und bereits nach drei Jahren kam es von neuem zum Kriege zwischen
den beiden Großmächten, allerdings erst, nachdem die habsburgische
Regierung die Erwartungen, die der französische König an sein Ent-
gegenkommen geknüpft hatte, nicht erfüllt hatte.
Die Konzessionen, die Frankreich den Habsburgern machte, be-
standen vor allem in folgendem. — Dem Aufstande der Stadt Gent
gegen Karl V. (August 1539) leistete die französische Regierung, ob-
wohl darum ersucht und obwohl die Revolte, wenn erfolgreich, auch
den Rest der Niederlande hätte affizieren können, nicht nur keine
Hilfe, sondern sie gewährte dem damals in Spanien weilenden Kaiser
sogar freien Durchpaß durch Frankreich (November 1539 bis Januar
1540), so daß die Erhebung mühelos niedergeschlagen wurde (Februar
1540). Ebenso wichtig war, daß die Franzosen zwar ihr Bündnis mit
der Türkei (§ 123) nicht aufgaben, sich immerhin aber jeder Kooperation
mit den Osmanen gegen das Haus Österrreich enthielten. So nahmen
an der Seeschlacht bei Prevesa oder Arta (27. September 1538), die
von der vereinigten genuesisch-venezianischen Flotte allem Anschein
nach infolge mangefhaften Zusammenarbeitens der rivaUsierenden See-
mächte gegen Barbarossa verloren wurde, französische Schiffe nicht
teil» Auch wurde der bald darauf einsetzende mächtige türkische
Vorstoß zu Lande von den Franzosen nicht gefördert.
Damals holten nämlich die Osmanen zu einem neuen Schlage gegen
die österreichischen Pläne auf Ungarn aus. König Johann Zapolya,
der sich im Jahre 1538 mit König Ferdinand verständigt hatte (§ 124),
war am 21. Juli 1540 mit Hinterlassung eines Sohnes gestorben. Nach
dem Erb vertrage hätte Ungarn dem habsburgischen Herrscher zufallen
sollen ; ein Teil der Magnaten erkannte das Abkommen aber nicht an
und suchte Unterstützung bei dem Sultan. Suleiman nützte dieses
Hilfegesuch in der Weise aus, daß er Ofen für sich besetzte (26. August
1541), Ungarn zur türkischen Provinz machte und der Witwe und dem
Sohne Zapolyas nur Siebenbürgen und das Land jenseits der Theiß
als türkisches Sandschakat überließ. Nicht nur war also Ungarn zum
größten Teile den Habsburgern auf lange hinaus verloren gegangen,
sondern auch die Gefahr für die übrigen Besitzungen des Hauses
§ 125. Der englisch-französische Konflikt. 311
'Österreich war durch die Festsetzung der Türken in Ofen vergrößert
worden. Dazu kam, daß ein Unternehmen des Kaisers gegen die
Barbaresken im Gegensatz zu der Expedition gegen Tunis (§ 123) ganz
unglücklich ausfiel. Gegen den Rat erfahrener Seeleute versuchte
der Kaiser nämlich im Oktober 1541, also zu einer ungünstigen Jahres-
zeit, Algier anzugreifen; seine Flotte wurde durch einen Sturm ausein-
ander getrieben, die gelandete Armee vom Feinde vernichtet.
Die Hoffnungen, die die französische Regierung an dieses ihr
Entgegenkommen knüpfte, gingen aber nicht in Erfüllung. Hatte
Karl V. zunächst über das künftige Schicksal Mailands noch Unklar-
heit gelassen, so daß die Möglichkeit eines Übergangs in französische
Hände nicht ausgeschlossen schien, so wurde zwei Jahre nach dem
Waffenstillstand von Nizza das Herzogtum dadurch definitiv für die
Habsburger in Anspruch genommen, daß der Kaiser seinen Sohn Phihpp
mit Mailand belehnte (11. Oktober 1540). Damit war gegenüber Frank-
reich gewissermaßen erklärt worden, daß ohne einen neuen Krieg das
Herzogtum einem französischen Prinzen nicht ausgeliefert werden würde.
Den letzten Anstoß zu dem Kriege gab aber eine Verletzung des
Völkerrechtes von seiten der kaiserlichen Regierung. Zwei französische
diplomatische Agenten, von denen einer namens Antonio Rincon, ein
Spanier, s. Z. (1521) aus kaiserhchen in französische Dienste überge-
treten war, wurden auf der Reise nach Konstantinopel im Mailändi-
schen von Leuten des kaiserlichen Gouverneurs, des Marchese del Vasto,
ermordet (3. Juli 1541). Da Frankreich die Erklärungen der habs-
burgischen Regierung als ungenügend bezeichnete, brach von neuem
der Krieg aus. (Die offizielle Kriegserklärung Frankreichs am 12. Juli
1542).
Das Verhältnis der militärischen Kräfte war nicht ganz das-
selbe wie in dem letzten Kriege. Frankreich vermochte einerseits
jetzt zum ersten Male wirklichen Vorteil aus dem Bündnisse mit der
Türkei zu ziehen, insofern es im Mittelländischen Meere dank der Bar-
bareskenflotte über eine starke Marine verfügte; anderseits war die
Lage der Franzosen an der Nordfront viel ungünstiger als vor 1538,
weil sie außer mit den Kaiserlichen auch noch mit den Engländern
zu tun hatten- Die Allianz mit Schottland, die aus der Feindschaft
des englischen Königs entsprungen war, vermochte der geringen militä-
rischen Leistungsfähigkeit des nördlichen Bundesgenossen wegen (§ 100)
diesen Nachteil nicht aufzuheben, d. h. die Diversion, die ein schotti-
scher Angriff auf England hervorbringen konnte, war nicht imstande,
die englische Kriegführung gegen Frankreich in entscheidendem Maße
zu affizieren. Noch weniger hatten die Verträge zu bedeuten, die Frank-
reich damals (19. November 1541 und 1. Juli 1542) mit Dänemark und
Schweden einging.
Diese Verteilung der Kräfte hatte nun auch zur Folge, daß viel
stärker als in irgendeinem früheren Kriege das Hauptgewicht der Ope-
rationen auf den nördlichen Kriegsschauplatz (Niederlande und Eng-
312 Die letzten Kämpfe um Italien.
land) verlegt wurde; die antifranzösische Koalition hatte ja, seitdem
Frankreich die Barbaresken gewonnen hatte, dort eine günstigere
Position als im Süden.
Die Aktionen im Norden schlugen denn nun auch sämtlich zugunsten
der Gegner Frankreichs aus — bloß daß auch diesmal die überlegene
Fortifikationstechnik der Franzosen die habsburgische Partei an einer
vollen Ausnutzung ihrer Erfolge im freien Feld verhinderte. Befördert
wurde dieser Erfolg der kaiserlichen Partei allerdings noch dadurch,
daß die Franzosen nicht einmal ihre gesamte, sowieso schwächere Streit-
macht auf den niederländischen Kriegsschauplatz konzentrierten. Und
doch hätte dies schon nur aus politischen Gründen nahegelegen. Frank-
reich besaß in den Niederlanden schon lange einen natürlichen Bundes-
genossen in dem Herzogtum Geldern, das ein Hauptobjekt des habs-
burgisch-niederländischenArrondierungsprogramms (vgl. §50) war. Her-
zog Karl von Geldern, das einzige Staatsoberhaupt, das neben den
Eidgenossen mit Frankreich durch einen förmlichen Monopolvertrag
über die Werbelizenzen für Söldner verbunden war, hatte denn auch
im Jahre 1534 sein Land an Frankreich durch Schenkung übertragen.
Seither hatte sein Nachfolger Wilhelm von Cleve noch seine Erblande
mit Geldern vereinigt (Februar 1539), was die habsburgischen Annexions-
absichten noch mehr zu erschweren drohte. Frankreich hatte dann
im Jah'-e 1541 (17. Juli) ein Bündnis mit Herzog Wilhelm geschlossen.
Trotzdem führten die Franzosen ihren Hauptschlag nicht gegen Norden,
Bondern gegen Süden. Die clevisch-französisch-dänischen Truppen ließen
es in den Niederlanden bei militärisch bedeutungslosen Streifzügen be-
wenden; Luxemburg, das der Herzog von Orleans genommen hatte,
ging bald darauf wieder verloren. Dies war um so bedenklicher, als
dafür nicht einmal der große Schlag, der gegen das spanische Roussillon
geführt werden sollte, von Erfolg begleitet war. Es war der Armee
des Dauphins nämlich nicht möglich, die von dem Herzog von Alba
verteidigte Stadt Perpignan zu nehmen.
So verlief das Jahr 1542, ohne daß die Franzosen ihre Position
hätten verbessern können, während der Kaiser inzwischen Zeit gefunden
hatte, seine militärische und diplomatische Ausrüstung zu verstärken.
Das wichtigste war, daß es nun zu einer förmlichen Allianz des Kaisers
mit England kam (Februar 1543) ; Karl V. konnte aus diesem Bünd-
nisse um so größeren Nutzen ziehen, als der Alliierte der Franzosen,
König Jakob V. von Schottland, im Jahre 1542 (24. November) bei Sol-
way Moss (beim Solway Firth) von den Engländern geschlagen worden
und kurz darauf (14. Dezember) gestorben war, was das caledonische
Königreich wiederum der Anarchie auslieferte: England war also von
Norden her nicht mehr eigentlich bedroht und konnte auf dem Fest-
lande kräftig mitwirken. Zunächst allerdings, d. h. zu Beginn des
Jahres 1543, waren die Franzosen noch im Vorteil. Der Führer der cle-
vischen Truppen, Martin von Rossem, erweiterte seine Erfolge, indem er
die KaiserHchen bei Sittard (nördlich von Maastricht) schlug (24. März);
§ 125. Der englisch-französische Konflikt. 313
König Franz selbst nahm Landrecies ein. Aber diese verhältnismäßig
günstige Lage hielt für die französische Partei nur so lange an, als der
Kaiser nicht zur Stelle war. Kaum war dieser angelangt (August 1543)
und waren überhaupt die Operationen auf kaiserlicher Seite einmal
ernstlich aufgenommen, so wendete sich das Schicksal des Krieges.
Kaiser Karl V. griff hier, wo es sich um die Interessen seiner Dynastie
und seiner wertvollsten Erblande handelte, in außerordentUch ener-
gischer Weise ein. Rasch wurde die Festung Düren, die den Weg von
Deutschland nach Geldern sperrte, forciert (24. August 1543), und in
zweiundeinhalb Wochen war der Feldzug, da französische Hilfe aus-
blieb, bereits beendigt. Am 12. September mußte sich Herzog Wilhelm
zu dem Vertrag von Venloo bequemen, in dem er Geldern und Zütphen
dem Kaiser abtrat; das Herzogtum wurde von nun an von einem habs-
burgischen Stadthalter regiert.
Der Kaiser konnte nun sogar daran denken, die Offensive gegen
Frankreich aufzunehmen. Aber der Verlauf der Operationen gestaltete
sich nicht anders als in den Feldzügen vor 1538 (o. p.307). Während die
Franzosen Luxemburg wieder einnahmen, versuchte der Kaiser (in
dessen Heer damals auch Engländer mitwirkten) vergeblich, sich in
den Besitz der kürzlich verlorenen Stadt Landrecies zu setzen. Ander-
seits waren die Franzosen ebensowenig imstande, ihren Erfolg aus-
zunutzen, da sie den Kaiserlichen im offenen Feld nicht entgegenzu-
treten wagten.
Die Position des habsburgischen Monarchen hatte sich im Norden
durch den Sieg über den Herzog von Geldern aber trotzdem erheblich
verstärkt. Denn die völlige Unterwerfung der Niederlande und der
Umstand, daß Herzog Wilhelm von den schmalkaldischen Ständen im
Stiche gelassen worden war, hatte zur Folge, daß auch Dänemark seine
Verbindung mit Frankreich löste. König Christian III. verzichtete auf
eine Fortsetzung seines Krieges gegen die Niederlande und auf sein
Bündnis mit Frankreich und gewährte den Holländern freie Schiffahrt
durch den Sund; der Kaiser, der abgesehen von dem schweren Schaden,
den die feindselige Haltung Dänemarks dem niederländischen Handel
zufügte, ein Interesse daran hatte, den König von den deutschen oppo-
sitionellen Ständen zu trennen, versprach dafür, die Gegner des Monarchen
nicht weiter zu unterstützen (Vertrag von Speyer vom 23. Mai 1544).
Da in dieses Abkommen auch Schweden eingeschlossen war und ander-
seits Schottland sich mit England durch den Friedensvertrag vom
1. Juli 1543 (von Greenwich) geeinigt hatte, so blieb als einziger Gegner
der habsburgischen Macht im Norden der isolierte und schwache Schmal-
kaldische Bund übrig; gerade dieser war aber für Frankreich um so
weniger zu einer wirksamen Allianz zu gewinnen, als die neuen An-
griffe der Osmanen (s. u.) auch die protestantischen Stände von einer
eigentlichen Opposition gegen den Kaiser absehen ließen.
Die Vorteile die die Franzosen während dieser Zeit im Süden
davontrugen, konnten dagegen nicht in Betracht fallen. Es gelang aller-
314 Die letzten Kämpfe um Italien.
dings mit Hilfe der Flotte Barbarossas (denen die Franzosen dafür
im Winter 1543/44 die zum Teil evakuierte Stadt Toulon als Stand-
quartier überlassen mußten), Nizza, die letzte Besitzung des Herzogs
von Savoyen, zu erobern (Kapitulation der Stadt am 22. August 1543;
das Kastell blieb in spanischen Händen). Aber weder dieser partielle
Erfolg noch die Eroberung Grans durch Sultan Suleiman (10. August
1543) vermochten gegen die Fortschritte der Kaiserlichen im Norden
aufzukommen.
Die Operationen des folgenden Jahres (1544) brachten dann kaum
eine Änderung in der Situation hervor. Da die Niederlande bereits
unterworfen waren, so konnte der Kaiser, der von neuem von den
Engländern unterstützt wurde, von Anfang an seinen Angriff auf Frank-
reich konzentrieren. Die Franzosen hielten sich auch diesmal (d. h.
wie beim Feldzug in der Provence § 124) in der Defensive. Nachdem
bereits im Mai 1544 Luxemburg von den habsburgischen Truppen wieder
genommen worden war, rückte das kaiserliche Heer gegen St. Dizier
vor, dessen Besatzung schheßlich (7. August) zu einer ehrenvollen Kapi-
tulation genötigt werden konnte. Von dort nahm der Kaiser, ohne von
der französischen Armee aufgehalten zu werden, seinen Weg gegen Paris
zu und gelangte am 8. September bis Chäteau-Thierry. Aber die Situation
war kaum anders als im Jahre 1536, die kaiserhche Armee war zwar
weit in französisches Gebiet vorgerückt, das feindliche Heer war aber
noch intakt, während der Konsistenz der eigenen Truppen schwere
Gefahren drohten. Auf der anderen Seite fürchteten auch die Franzosen
für ihre Hauptstadt, und so kam binnen ungewöhnlich kurzer Frist ein
Friede zustande (der Vertrag von Grepy vom 18, September 1544).
Der Vertrag lautete zwar, wie natürlich, mehr zugunsten des
Kaisers als zugunsten Frankreichs; immerhin kam die unbesiegte Lage
des französischen Königs darin zum Ausdruck, daß ihm verhältnis-
mäßig unbedeutende Konzessionen abverlangt wurden. Frankreich ver-
zichtete nämlich in dem Vertrag nur auf Nizza sowie auf alle Ansprüche
auf Geldern; im übrigen wurden alle Eroberungen des Kaisers, soweit
sie Frankreich betrafen, zurückgegeben. Sogar die für die Zukunft
vorgesehene Regelung der territorialen Verhältnisse in Oberitalien nahm
auf französische Interessen (wenn schon in geringerem Maße als auf die
kaiserlichen) Rücksicht. Es wurde nämlich bestimmt, daß wenn die
projektierte Heirat zwischen dem Herzog von Orleans, dem zweiten
Sohne Franz' L, entweder mit einer Tochter oder mit einer Nichte des
Kaisers zustande kommen sollte, Frankreich dem Herzog von Savoyen
sein Land zurückzuerstatten hätte ; dagegen würde in diesem Falle Mailand
ohne die Festungen dem Herzog von Orleans als kaiserliches und Reichs-
lehen überlassen werden. Im Grunde würde also der Status quo ante
wiederhergestellt, mit der einzigenAusnahme, daß die Gebietserweiterung
des Kaisers in den Niederlanden von Frankreich anerkannt wurde.
Zu diesem Ausgang hatte allerdings außer der prekären Lage des
Kaisers noch beigetragen, daß die englische Belagerung von Boulogne
§ 126. Der Ausgang des französisch-englischen Konfliktes. 315
keine Fortschritte machte und in Piemont die Franzosen unerwarteter-
weise einen Sieg in offener Feldschlacht erfochten hatten. Während
sonst die schweizerischen Söldner und die französischen Reisigen gegen
spanische und deutsche Infanterie nicht mehr aufzukommen vermochten,
war es dem Herzog von Enghien gelungen, die kaiserlichen Truppen
unter dem Gouverneur von Mailand, dem Marchese del Vasto bei
Ceresole (Provinz Turin) dank den französischen schweren Reitern und
den Schweizern zu schlagen (14. April 1544). Aber dieser Sieg blieb ebenso
ohne Folgen, wie er in seinen Voraussetzungen isoliert gewesen war.
Wie weit die Klausel des Vertrages von Crepy über die Vermählung
des Herzogs von Orleans, und ihre Folgen ernst gemeint war, mag dahin
gestellt bleiben; selbst wenn ihr aber größere Bedeutung als anderen
Bestimmungen dieser Art zugekommen wäre, so hätte sie keine prak-
tischen Folgen nach sich gezogen, denn der Herzog starb kurze Zeit
darauf (am 9. September 1545), und so blieben sowohl Mailand wie
Piemont in der Hand ihrer bisherigen Oberherren.
Literatur. Paul Heidrich, »Der geldrische Erbfolgestreit, 1537—1543«, 1896;
Karl Stallwitz, »Die Schlacht bei Ceresole«, 1911 (BerUner Diss.); A, Rozet und L. F.
Lembey, ^yU Invasion de la France et le siige de Saint-Dizier par Charles-Quint en
1544«, 1910. — Über die Unternehmung Karls V. gegen Algier die apologetische
Abhandlung von Gustav Turba im »Archiv für österreichische Geschichte« 76, I,
25 ff. (1890); E. Gat, »De Caroli Quinti in Africa rebus gestis«, 1891; R. Basset,
^Documents musulmans sur le siege d'Alger«, 1890. — Über Prevesa Gaetano
Capasso, »Andrea Doria alla Prevesa« in den Rendiconti des Jstituto lombardo di
Sc. e Leu. ser. II vol. 38 (1905), 893 ft.
V.-L. Bourrilly, »Antonio Rincon et la politique Orientale de Frangois /*>"« in
der >>Revue historique« 113 (1913), 64ff. und 268ff.
§ 126. Der Ausgang des französisch-englischen Konfliktes; weitere
Ausdehnung der kaiserlichen Herrschaft über Italien (1544 — 1550). Der
Friede von Crepy hatte nur den Feindseligkeiten zwischen dem Kaiser
and Frankreich ein Ende bereitet ; der Krieg Frankreichs mit England
dauerte weiter. Weder hatte König Heinrich VIII. auf Boulogne (das
er am 14. September 1544 schließlich erobert hatte) verzichten noch
der französische König seine schottischen Bundesgenossen preisgeben
wollen. Aber die militärische Lage wurde für die Franzosen natürlich
viel günstiger, seitdem sie es nur noch mit der wenig leistungsfähigen
englischen Armee zu tun hatten. Nur die Schwäche der französischen
Marine sowie die geringe Qualität der schottischen Truppen verhinderten,
daß sich für England aus den Kämpfen mit Frankreich schhmme Folgen
ergaben.
Immerhin konnte die französische Regierung damals allen Ernstes
den Gedanken einer Invasion in England ins Auge fassen, und im Sommer
1545 kam es zu einer ganzen Reihe von Gefechten zwischen der fran-
zösischen und der englischen Flotte im Kanal. Aber da die beiden Gegner
sich zur See ungefähr das Gleichgewicht hielten, konnte der französische
Landungsversuch nicht durchgeführt werden; die Franzosen mußten
es bei gelegentlichen Raids (Verwüstung der Insel Wight am 21. Juli 1545)
316 Die letzten Kämpfe um Italien.
sowie mit der Sendung von Truppen und Waffen nach Schottland be-
wenden lassen.
Auf dem Lande fielen ebensowenig entscheidende Aktionen vor.
Boulogne wurde zwar von den Franzosen blockiert, konnte aber nicht
genommen werden, und an der schottischen Grenze war nur ein englischer
Verwüstungsfeldzug zu verzeichnen. Diese Lage, die für keine Partei
von einer Fortsetzung der Feindseligkeiten Gewinn erwarten ließ, machte
auf beiden Seiten zum Frieden geneigt. Am 7. Juni 1546 wurde der
Vertrag zu Ardres unterzeichnet. Es handelte sich dabei allerdings
nur um ein Provisorium: Boulogne wurde vorläufig als Pfand in englischem
Besitz gelassen, bis Frankreich eine bedeutende Zahlung geleistet hätte
(was binnen acht Jahren erfolgen sollte); Schottland wurde nur in zwei-
deutiger Form in den Frieden inbegriffen. Zu einer endgültigen d. h.
für einige Jahre friedliche Zustände schaffenden Regelung gelangten
die beiden Staaten dann erst fünf Jahre später, nachdem neue Waffen-
gänge die Lage geklärt hatten. Die englische Regierung hatte nämlich,
wie begreiflich, trotz des Friedens von Ardres ihre Pläne auf Schott-
land nicht fallen lassen; im Sommer 1547 rückte (unter dem Regimente
des Protektors Somerset; König Heinrich VIIL war am 28. Januar 1547
gestorben) eine englische Armee in dem nördhchen Königreiche ein und
schlug die Schotten bei Pinkie (in der Nähe von Musselburgh, östlich
von Edinburg 10. September 1547). Die Folge war, daß der Bund,
der, wie sich gezeigt hatte, ohne französische Unterstützung machtlosen
Schotten mit Frankreich um so fester geschlossen wurde; es fand dies
Verhältnis seinen Ausdruck darin, daß die junge (sechsjährige) Königin
des Landes Maria Stuart mit Hilfe einer französischen Flotte und eines
Expeditionskorps nach Frankreich entführt und mit dem Dauphin
verlobt, d. h. der im Vertrage von Greenwich (1. Juli 1543; §125)
vorgesehenen ^'erlobung mit dem englischen König, dem damals zehn-
jährigen Eduard VL, entzogen wurde (Landung der Königin in Frank-
reich am 13. August 1548). Gestützt auf diese Verbindung erklärte
die französische Regierung (an deren Spitze seit dem am 31. März 1547
erfolgten Tode Franz' I. Heinrich II. stand) England von neuem den
Krieg (8. August 1549).
Die Feindseligkeiten hatten übrigens schon früher begonnen. Be-
lehrt durch den Mißerfolg ihrer früheren Vorstöße gegen die englische
Küste konzentrierten die Franzosen diesmal ihre Angriffe auf die
normannischen Kanalinseln; die Insel Sark (Sercq) wurde okkupiert
(27. Juli 1549), Jersey verwüstet und ein englisches Geschwader im
Hafen Saint-Pierre auf Guernsey vernichtet (31. Juli 1549). Zugleich
wurde auch die Belagerung von Boulogne wieder aufgenommen
(August 1549). Diese Aktion zog sich zwar in die Länge; aber der
Ausgang konnte nicht zweifelhaft sein, und dies zusammen mit den
anderen Rückschlägen bewog die englische Regierung zum Nachgeben,
d. h. zu einer Änderung des Vertrages von Ardres zu ihren Ungunsten.
In dem Vertrage von Boulogne (24. März 1550) sagte England die
§ 126. Weitere Ausdehnung der habsburgischen Herrschaft über Itahen. 317
Zurückgabe der Stadt Boulogiie gegen eine französische Zahlung zu,
und Schottland wurde in den Frieden einbegriffen. Damit war der
Kampf für einmal entschieden, und es folgte eine Periode der Ruhe
zwischen beiden Reichen.
In starkem Gegensatz zu dieser Haltung der französischen Re-
gierung gegenüber England und Schottland steht ihre Passivität gegen-
über den Vorgängen in Italien. Die Okkupation Piemonts dauerte
zwar fort ; aber im übrigen konnte das ehemalige italienische Programm
als aufgegeben gelten. Nicht einmal die Erweiterung der habsburgischen
Macht, die sich im Jahre 1547 vollzog, vermochte eine Änderung her-
vorzubringen. Papst Paul III. hatte am 11. August 1545 die Herzog-
tümer Parma und Piacenza (die einstens zu Mailand gehört hatten;
vgl. die §§ 115 u. 117) seinem Sohne, dem Condottiere Pierluigi Farnese
tibertragen, ohne die Einwilligung des Kaisers zu haben. Andere
Differenzpunkte traten hinzu; weder mit der Haltung Karls V. in der
Frage des Konzils noch mit dessen deutscher Politik (s. u.) war der Papst
einverstanden. Den letzten Anstoß zum Einschreiten des Kaisers gab
aber, als der Farnese versuchte, durch den Bau einer Festung in
Piacenza seine Stellung zu verstärken. Mindestens in stillschweigendem
Einverständnis mit dem Gouverneur von Mailand, Ferrante Gonzaga,
wurde eine Verschwörung angezettelt und Pierluigi Farnese ermordet
(10. Oktober 1547); Piacenza wurde im Namen des Kaisers besetzt,
d. h. wieder mit dem Mailändischen vereinigt. Aber auch dieser Vor-
fall, der den Papst von selber auf die Seite Frankreichs getrieben
hätte, bewog die französische Regierung nicht zu einer Intervention
in Italien. Ebenso wenig Unterstützung fanden die Versuche der
Gegner Dorias, die Republik Genua aus ihrem Abhängigkeitsverhältnis
zum Kaiser zu lösen und wieder einen Anschluß an Frankreich herbei-
zuführen; weder die Aufregungen der genuesichen Verschwörer noch
des Papstes, der ihnen mehrfach Beihilfe gewährte, ließen die fran-
zösische Regierung aus ihrer Passivität heraustreten (die bekannteste
dieser Verschwörungen war der verunglückte Putsch Gianluigi Fiescos,
in dessen Verlauf das Haupt des Komplottes selbst den Tod fand;
2. Januar 1547).
Literatur. Über den Krieg Frankreichs mit England vgl. vor allem La
Ronciöre, »Histoire de la Marine fran^aise« III (1906), 409ff., und die dort verzeich-
nete Literatur. Über die erste Phase der Kämpfe Englands mit Schottland nach
1547 A. F. PoUard, »England under Protector Somerset«, 1900. Über die Vor-
gänge in Italien und speziell deren Zusammenhang mit Frankreich besitzen wir
vdeder eine große wissenschafthche Monographie mit bibliographischen Nachweisen;
es ist das das Werk von Lucien Romier, »Les Origines politiques des guerres de re-
ligion I: Henri II et VItalie (1547—1555)« (1913), worauf für alle Einzelheiten über
die Ermordung des Farnese, Fiesco und Savoyen hingewiesen sei.
§ 127. Die Niederlage der habsburgischen Macht in Deutschland;
die Verbindung der deutschen ständischen Opposition mit Frankreich
(1546—1565). Seit langem bestand eine allianzartige Verbindung zwischen
der protestantisch-ständischen Opposition in Deutschland und der
318 Die letztön Kämpfe um Italien.
französichen Regierung (§ 123), Aber die Schmalkaldner hatten bisher,
sei es aus mangelhafter Einsicht in die Proportion der militärichen
Kräfte, sei es, weil sie dem Haus Österreich ihre Unterstützungin dem
gemeinsamen Kampfe gegen die Osmanen nicht entziehen wollten,
niemals die Konsequenz aus diesem Verhältnis gezogen: weder Frankreich
selbst noch auch nur etwa dem Herzog von Cleve-Geldern (§ 125) hatte
der Schmalkaldische Bund militärische Kooperation gewährt. Dies
wurde anders, als eine Katastrophe von ungeahnter Wucht gezeigt
hatte, wie hilflos die deutsche ständische Oppositiou war, so lange
sie auf sich allein angewiesen war.
Die Vorbereitung, die der Kaiser diesem Schlage gegen die pro-
testantisch-ständischen Gegner der zentralistisch-katholischen Bestre-
bungen vorausgehen ließ, liefert vielleicht den glänzendsten Beweis
für die diplomatische Fähigkeit der habsburgischen Staatsmänner und
die ausgezeichnete Organisation ihres Auswärtigen Amtes — diejenigen
Vorzüge, die in dieser Verbindung bei keinem einzigen anderen Staate
der damahgen Zeit anzutreffen waren (vgl. § 63). Zunächst wartete
die habsburgische Regierung den Zeitpunkt ab, da das Ausland ihrem
Vorstoß gegen die Schmalkaldner kein Hindernis in den Weg zu legen
vermochte. Der Friede von Crepy, den der Kaiser unter Preisgabe
des englischen Verbündeten eingegangen war, schloß ein Eingreifen
Frankreichs aus, während anderseits der französische Rivale durch
den fortdauernden Krieg mit England beschäftigt blieb (§§ 125 und
126). Nach Osten wurden ebenfalls Garantien für neutrales Verhalten
geschaffen, indem im Waffenstillstand vom 10. November 1545 König
Ferdinand sich mit den Osmanen verständigte (die Habsburger willig-
ten dabei sogar ein, für die Grenzplätze, die sie in Ungarn noch inne-
hatten, den Türken einen Tribut zu zahlen). Trotz mannigfacher
Irrungen in der Konzilssache gelang es dann, den Papst (Paul III.) zu
einem Offensivbündnis gegen die protestantischen Stände zu bewegen
(Juni 1546). Einen besonderen Triumph bedeutete es aber, daß die
habsburgische Diplomatie sogar einen Teil ihrer Gegner in Deutsch-
land selbst durch separate Verhandlungen und Abmachungen auf ihre
Seite zu ziehen oder wenigstens zu neutraler Haltung zu bestimmen
verstand. So gewann der Kaiser nicht nur den katholischen Herzog
Wilhelm von Bayern (vgl. § 123), indem er ihm Hoffnungen auf die
pfälzische Kur machte (Vertrag von Regensburg vom 7. Juni 1546),
sondern auch eine Anzahl protestantischer Fürsten, von denen der
wichtigste Herzog Moritz von Sachsen war, dem u. a. die sächsische
Kurwürde in Aussicht gestellt wurde (Vertrag von Regensburg vom
19. Juni 1546).
So befand sich denn der Kaiser, als der Krieg im Juli 1546 er-
öffnet wurde, in der für ihn denkbar günstigsten Lage. Wohl war er
nicht sofort imstande, seine Superiorität auszunutzen; die Langsamkeit
der Rüstungen, die auf habsburgischer Seite auch in den Kriegen mit
Frankreich häufig zu bemerken war, verHeh den Schmalkaldnern an-
§ 127. Niederlage der habsburgischen Macht in Deutschland. 319
fänglich sogar eine numerische Überlegenheit. Aber schon damals kam
dem Kaiser der Vorzug zugute, der einer einheitlichen Leitung gegen-
über einer Koalitionsarmee eigen zu sein pflegt, und nachdem einmal
seine Verstärkungen angekommen waren, entschied sich die Lage bald
zu seinen Gunsten. Die Verbündeten räumten, nachdem inzwischen
auch Herzog Moritz in das Land des Kurfürsten von Sachsen einge-
fallen war, nach einem längeren tatenlosen Feldzuge Oberdeutschland
(November 1546), und der Kaiser zwang vorerst diesen Teil des Reiches
zur Unterwerfung. Das nächste Jahr brachte dann auch noch die
Bezwingung der Gegner in Norddeutschland. Am 24. April 1547 wurde
Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen, der inzwischen sein Land
wieder von Herzog Moritz zurückerobert hatte, von dem Kaiser bei
Mühlberg vernichtend geschlagen, der Kurfürst selbst gefangen ge-
nommen. Einen Monat später unterwarfen sich dann auch die übrigen
norddeutschen Stände (bis auf Magdeburg), und wieder einen Monat
später (19. Juni 1547) ergab sich auch Landgraf Philipp von Hessen
dem Kaiser.
Die habsburgische Regierung konnte nun daran gehen, ihr altes
Programm auszuführen und die ständische Verfassung des Reichs
mit ihrer unbrauchbaren Organisation der Exekutive (§ 62) durch
eine Neuordnung in monarchisch-habsburgischem Sinne zu ersetzen.
Aber so machtlos in militärischer Beziehung auch die ständischen
Gegner des Kaisers waren (die beiden bedeutendsten protestantischen
Fürsten befanden sich dazu noch persönhch in seiner Gewalt, der
ehemalige Kurfürst von Sachsen nämlich, der in der Wittenberger
Kapitulation vom 19. Mai 1547 auf seine Kur hatte verzichten
müssen, sowie der Landgraf von Hessen) — so wenig auch an
einen Widerstand mit den Waffen zu denken war, so erwies sich der
konfessionelle Gegensatz doch als unüberwindlich; hier zum ersten
Male griff der neue religiöse Konflikt in entscheidender Weise in
Geschichte des europäischen Staatensystems ein (§ 24). Selbst wenn
man von dem Widerstand, die der Durchführung des »Interim« ge-
nannten religiösen Provisoriums (Mai 1548) in manchen protestantischen
Gebieten entgegengesetzt wurde, absehen wollte, bliebe die Bedeutung
der Tatsache unverändert, daß die Erneuerung des Schwäbischen
Bundes, an konfessionellen Bedenken vor allem der protestantischen
Städte in Süddeutschland (früher der sichersten Stützen der kaiser-
lichen Gewalt) scheiterte. Der Bund hätte auf das ganze Reich aus-
gedehnt und gleichsam ein Surrogat für die mangelhafte Reichsver-
fassung werden sollen; der Kaiser war aber nicht stark genug, um
die Opposition der Stände zu bezwingen. Infolge davon erhielten auch
alle anderen Verfügungen, die eine Ausdehnung der kaiserlichen Kom-
petenzen bezweckten, sozusagen nur provisorischen Charakter. So sei
denn von diesen Gesetzen an dieser Stelle nur das in internationaler
Beziehung wohl wichtigste erwähnt, das ähnlich wie vorher beinahe
nur in der Schweiz üblich gewesen war, den Söldnerdienst im Aus-
320 Die letzten Kämpfe um Italien.
lande von einer Lizenz der Zentralregierung abhängig machen sollte.
Niemand sollte nämüch (wurde vom Reichstage zu Augsburg beschlossen)
mehr ohne Genehmigung der beiden habsburgischen Brüder fremde
Kriegsdienste nehmen dürfen, und der Kaiser war damals imstande,
dieses Dekret, das die Verwendung deutscher Landsknechte durch
Frankreich zu verhindern bezweckte, gegen strafbare Hauptleute zur
Durchführung zu bringen (1547/48).
Dieses partielle Mißlingen der habsburgischen Pläne wog um so
schwerer, als gleichzeitig auch die internationale Lage sich zu Ungunsten
des Kaisers zu verschieben begann. Aus den Bemerkungen zu Beginn
dieses Paragraphen ergibt sich, daß der gewaltige Erfolg über die Schmal-
kaldner nicht eigentlich den inneren Kräfteverhältnissen der Parteien ent-
sprach, sondern zu einem guten Teile die Frucht einer beinahe zufällig zu
nennenden diplomatischen Situation war. Auch die Staatskunst der habs-
burgischen Regenten war nun aber nicht imstande, dieser Konstellation
Dauer zu verleihen; im Gegenteil, gerade die Machterhöhung, die dem
Hause Österreich aus der neuesten Haltung der Mächte entsprang, legte
es all den Regierungen, die von einer habsburgischen Universalmonarchie
das Ende ihrer Selbständigkeit befürchteten, nahe, sich zum Gegen-
bunde zusammenschließen. Zunächst waren die friedlichen Beziehungen
zu Frankreich und der Türkei nicht bleibend aufrechtzuerhalten : einem
Angriff der Flotte Dorias auf den Piraten Dragut, einen Vasallen des
Sultans (den faktischen Nachfolger des am 4. Juli 1546 verstorbenen
Chair-ed-din Barbarossa), wobei Mehedia (jetzt Mahdia) in Tunis ge-
nommen wurde (September 1550), folgte die Eroberung der Malteser-
nicderlassung in Tripolis (14. August 1551), die zu ihrem Oberlehns-
herrn Karl V. in einem ähnlichen Verhältnis stand, wie die Barba-
reskenfürsten zu dem Großtürken, durch |die Osmanen und gleichzeitig
(September 1551) ein neuer osmanischer Vorstoß in Ungarn und Sieben-
bürgen, der für die österreichischen Waffen einen ungünstigen Verlauf
nahm. Mit Frankreich war wenigstens in Italien der Kriegszustand
ausgebrochen: am 27. Mai 1551 hatte Frankreich mit dem Herzog von
Parma, Ottavio Farnese, einen Allianz vertrag abgeschlossen, der u. a.
einen Krieg zwischen diesem und dem kaiserlichen Gouverneur in Mai-
land und dann auch kriegerische Operationen in Piemont von Seiten
Frankreichs nach sich zog (September 1551). Der große Schlag kam
aber von selten der ständischen Opposition in Deutschland, und seine
Wirkung beruhte darauf, daß nun zum ersten Male Frankreich mit der
deutschen Opposition militärisch zusammenarbeitete.
Daß eine solche Kooperation zustande kam und dazu noch,
ohne daß die Gegenpartei etwas davon erfuhr, war wohl die erste
schwere Niederlage der habsburgischen Diplomatie, die bisher nie in
dieser Weise mit ihren eigenen Waffen geschlagen worden war. Der
Führer dieser Gegenoffensive war der neue Kurfürst von Sachsen,
der seinen bisherigen Verbündeten mit überlegener Kunst gegenüber-
trat. Es gelang Kurfürst Moritz zunächst von den gegen den Kaiser
§ 127. Niederlage der habsburgischen Macht in Deutschland. 321
verbündeten Fürsten (mit Ausnahme der Sachsen) ihre Zustimmung
zu seinen Erwerbungen von 1547 (o. p. 318 f.) zu erlangen. Dann aber wurde
vor allem auf seine Initiative hin eine Offensivalhanz mit Frankreich
geschlossen (Vertrag von Ghambord vom 15. Januar 1552, ergänzende
Abmachungen zu Friedewalde in Hessen am 12. Februar), Frankreich
versprach darin den verbündeten deutschen Fürsten eine beträchtliche
Subvention in Geld ; die Fürsten gestanden ihm dafür das Recht zu,
sich der Städte Cambrai, Toul, Metz und Verdun, die nicht deutscher
Zunge seien, als Reichsvikar zu bemächtigen.
Dank diesem Abkommen und der Untätigkeit der habsburgischen
Partei, die den Ernst der Lage unterschätzte, hatte sich mindestens
in Deutschland die militärische Situation für den damals in Innsbruck
weilenden Kaiser recht ungünstig gestaltet. Als im März 1552 die Offen-
sive aufgenommen wurde, waren die Kaiserlichen beinahe wehrlos.
Kurfürst Moritz, der noch am 9. November 1551 Magdeburg, den letz-
ten nicht bezwungenen festen Platz der schmalkaldischen Opposition,
zum Schein für das Reich unterworfen hatte, rückte rasch in Süddeutsch-
land ein, während gleichzeitig die Franzosen mühelos die ihnen ein-
geräumten Städte okkupierten. Dazu kam, daß selbst ein Staat wie
Bayern, der sich der »Fürstenrevolution« nicht angeschlossen hatte, und
die Reichsstädte im besten Falle zu einer neutralen Haltung, d. h. zu
einer indirekten Unterstützung des Kurfürsten Moritz zu bewegen
waren, daß also Kaier Karl von den deutschen Ständen vollständig
im Stiche gelassen wurde. Die habsburgischen Herrscher suchten denn
auch rasch um einen Waffenstillstand nach, und bereits im Juni be-
gannen in Passau Friedensverhandlungen, nachdem der Kaiser vorher
noch durch einen Vorstoß des sächsischen Kurfürsten zu einer eiUgen
Flucht nach Villach genötigt worden war. Bereits vorher (am 10, Mai
1552) hatte der Kaiser mit Frankreich einen Waffenstillstand ge-
schlossen.
Die habsburgische Partei, die nur überrascht, nicht geschlagen
worden war, machte in dem am 2. August 1552 abgeschlossenen (am
15. vom Kaiser ratifizierten) Passauer Vertrag verhältnismäßig unbe-
deutende Konzessionen; als definitive Errungenschaft der Opposition
konnten nur die Bestimmungen gelten, die sich auf die Freilassung
des Landgrafen Philipp, die Amnestie für die Teilnehmer am Schmal-
kaldischen Kriege etc. bezogen. Die aufständischen Fürsten mußten
sogar auf ihre Verbindung mit Frankreich verzichten und Kurfürst
Moritz König Ferdinand seine Truppen zum Kampfe 'gegen die Os-
manen in Ungarn zur Verfügung stellen.
Wenn der Konfhkt schheßhch trotzdem einen für die habs-
burgischen Pläne in Deutschland wenig günstigen Ausgang nahm,
so war daran weniger der mit den realen Machtverhältnissen nicht im
Einklang stehende Verlauf des Überfalls im Frühjahr 1552 schuld als
der Gang der Operationen gegen Frankreich, die von neuem dank
der Superiorität der französischen Fortifikationsanlagen zu Ungunsten
Fueter. Europ, Staatensystem, 2l
322 Die letzten Kämpfe um Italien.
der Habsburger ausschlugen. Kaiser Karl V. hatte sich, nachdem er
mit den deutschen Fürsten Frieden geschlossen, sofort gegen Frank-
reich gewandt, um die dem Reiche verloren gegangenen Städte wieder
zurückzuerobern. Aber die im Oktober 1552 begonnene Belagerung
von Metz bheb vöUig erfolglos; am 1. Januar 1553 mußte der Kaiser
wieder den Rückzug antreten. Gegen diesen empfindUchen Schlag
konnte auch der Eindruck nicht aufkommen, den die bald darauf
(April und Juli 1553) erfolgte Einnahme der festen Plätze Therouanne
und Hesdin machte.
Anderseits konnten aber die Franzosen damals so wenig wie in
früheren Feldzügen (vgl. die §§ 124 u. 125) irgendwie bedeutende Offen-
siverfolge erzielen. Die Kämpfe des Jahres 1554 in den Niederlanden
brachten nach keiner Seite einen entscheidenden Schlag. Dazu kam
dann noch, daß auf anderen Kriegsschauplätzen der Kaiser durchweg
vom Glück begünstigt war. Sein Parteigänger unter den deutschen
Fürsten, Markgraf Albrecht Alcibiades von Brandenburg, wurde zwar
von Kurfürst Moritz bei Sievershausen (südösthch von Holzminden)
am 9. Juli 1553 geschlagen; aber der Kurfürst erkaufte den Sieg mit
seinem Leben, und da er unzweifelhaft der bedeutendste Staatsmann
unter den deutschen Gegnern des Kaisers war, so kam sogar diese
Niederlage einem Erfolg der habsburgischen Partei gleich. Außerdem
hatte das Eingreifen des Kurfürsten in Ungarn im Oktober 1552 vor-
her noch den Vorstoß der Osmanen zum Stehen zu bringen vermocht.
Dann trat noch der im Hinbhck auf den Krieg mit Frankreich be-
deutende diplomatische Erfolg hinzu, daß Karls Sohn Phihpp am
25. JuH 1554 mit der Königin Maria von England (die ihrem Bruder
Eduard VI. am 6. Juü 1553 in der Regierung nachgefolgt war) ver-
mählt werden konnte; von England war also vorerst keine Verbindung
mit Frankreich zu erwarten.
Auch in Itaüen wurde das Konto der Verluste durch das der
Gewinne aufgehoben. Es gelang zwar den Franzosen, mit Unter-
stützung der Flotte Draguts die genuesische Insel Korsika zu nehmen
und gegen Andrea Doria zu behaupten (August 1553 bis Februar 1554);
auch wurden einige Raids gegen das Neapolitanische ausgeführt. Aber
um so empfindlicher wurden die Franzosen und ihre itaüenischen
Parteigänger in Mittelitahen geschlagen. Die ziemlich planlos be-
gonnene und durchgeführte Unternehmung gegen den mit dem Kaiser
zusammenarbeitenden Herzog Cosimo von Florenz (der seit dem
Januar 1537 mit spanischer Hilfe über die Stadt regierte), gegen den
Frankreich im Bunde mit antimedicäischen florentinischen Republi-
kanern die Unabhängigkeit Sienas verteidigen wollte, schlug ganz
unglückhch aus. Der Niederlage des Kommandanten der französisch-
sienesischen Streitkräfte, Piere Strozzi, bei Marciano (südhch von
Arezzo; 2. August 1554) folgte nicht lange nachher der Fall der Stadt
Siena und die Unterwerfung der Republik unter den florentinischen
flerzog (Kapitulation vom 17. April 1555).
§ 127. Niederlage der habsburgischen Macht in Deutschland. 323
Der fünfjährige Waffenstillstand von Vaucelles (5, Februar 1556),
der damals zwischen dem Kaiser und Frankreich geschlossen wurde,^
konnte unter diesen Umständen von vornherein nur als ein Provisorium
gelten, wie denn auch der Kaiser in Wirklichkeit nicht bloß einen
Waffenstillstand, sondern einen Friedensvertrag zu erlangen gehofft
hatte. Das Abkommen, das lediglich den momentanen Stand der
territorialen Verhältnisse fixierte, war viel zu günstig für Frankreich,
als daß die habsburgische Regierung darin die Grundlage für eine
dauernde Regelung des italienischen Konfliktes hätte erblicken können.
Wenn sie überhaupt dazu die Hand bot, so war dies wohl nur daraus
zu erklären, daß sie Zeit gewinnen wollte, bis das durch den Rück-
tritt ihres kaiserhchen Oberhauptes geschaffene Übergangsstadium
konsolidiert wäre. Denn der müde Kaiser, der wohl doch vor allem
durch den Mißerfolg seiner deutschen Politik körperlich schwer mit-
genommen worden war, verzichtete damals freiwillig auf eine seiner
Würden nach der anderen. Zunächst überließ er Neapel und Mailand
seinem Sohne Philipp bei dessen Vermählung mit der Königin von
England; später (15. Oktober 1555) resignierte er zu dessen Gunsten
auch auf die Niederlande, die dadurch für die Folgezeit mit den
spanischen Besitzungen der Habsburger verbunden wurden, am
16. Januar 1556 trat er ihm die spanischen Königreiche ab. Charak-
teristisch war aber vor allem, daß er sich von den Verhandlungen
mit den deutschen Ständen, die das Fazit aus der Fürstenrevolution
des Jahres 1552 zogen, gänzlich fernhielt. Denn hier vor allem zeigte
sich der Zusammenbruch seiner deutschen Politik. Der Augsburger
Reichstagsabschied vom 25. September 1555, dem König Ferdinand
im Namen (wenn schon gegen die Vollmacht) seines Bruders die kaiser-
liche Genehmigung verlieh, brachte als Hauptstück Religionsfreiheit
für die protestantischen Stände, was einem Verzicht der Habsburger
auf ihre katholisch-zentralistischen Pläne gleichkam. Formell war
Karl V. damals übrigens noch Kaiser, und aus verschiedenen Gründen
erfolgte auch nach dem Abschied der Verzicht auf die Kaiserwürde
nicht so rasch. Karl übertrug zunächst nur die unbeschränkte Re-
gierung des Reiches an seinen Bruder (Schreiben an das Reichskammer-
gericht vom 27. August 1556 und an die Kurfürsten und Fürsten des
Reiches vom 7. September); zu einer Abdankung bekannte er sich
öffentlich noch nicht, und erst am 28. Februar 1558 wurde dann die
Herrschaft über das Reich auf dem Kurfürstentage von Frankfurt
offiziell an Ferdinand I. übertragen — ungefähr ein halbes Jahr bevor
Karl V. in dem spanischen Kloster San Yuste, wohin er sich im Herbste
1556 zurückgezogen hatte, starb (21. September 1558).
Literatur. Die reichhaltige Literatur zur deutsclien Geschichte in den
hier behandelten Jahren ist in Georg Mentz' »Deutscher Geschichte 1493 — 1648«
(1913) in so trefflicher und vollständiger Weise angeführt, daß hier eine Wieder-
holung entbehrhch ist; dasselbe gilt von den Quellenpubhkationen. Als wichtigste
Ergänzung ist seither (1915) hinzugekommen die Abhandlung von Hermann Joseph
Kirch, »Die Fugger und der Schmalkaldische Krieg« (Studien zur Fugger- Geschichte,
21*
324 Die letzten Kämpfe um Italien.
5. Heft). — Aus der bereits bei Mentz verzeichneten Literatur seien hier nur genannt ;
P.Kannegießer, »Die Kapitulation zwischen Kaiser Karl V. und Papst Paul III.
gegen die deutschen Protestanten (1546)« (1888); P. Heidrich, »KarlV. und die
deutschen Protestanten am Vorabend des Schmalkaldischen Krieges«, 2 Teile
(1911/12); E. Brandenburg, »Der Regensburger Vertrag usw. (1546)« in der »Histori-
schen Zeitsckrift« 80 (1898); A. Hasenclever, »Die Politik der Schmalkaldner vor
Ausbruch des Schmalkaldischen Krieges« (1901) und »Die Politik Kaiser Karls V.
und Landgraf PhiUpps von Hessen vor Ausbruch des Schmalkaldischen Krieges«
(1903); S. Riezler, »Die bayerische PoHtik im Schmalkaldischen Kriege« in den
»Abhandlungen der bayer. Akademie, bist. Klasse XXI« (1898); P.Schweizer,
»Der Donaufeldzug von 1546« in den »Mitteilungen des Instituts für österr. Ge-
schichtsforschung« XXIX, 88ff. (1908); G. Turba, »Verhaftung und Gefangenschaft
des Landgrafen Philipp« im »Archiv für österr. Geschichte« 83 (1897); O. A. Hecker,
»Karls V, Plan zur Gründung eines Reichsbundes« (bis 1547) (Leipziger Disser-
tation; 1906); G. Turba, »Das rechtliche Verhältnis der Niederlande zum deutschen
Reich« (1903); derselbe, »Beiträge zur Geschichte der Habsburger II und III«
(im »Archiv für österr. Geschichte« 90, I, Iff. und 235 ff. (= zur deutschen Reichs-
(md Hauspolitik der Jahre 1548 — 1558); G. Bonwetsch, »Geschichte des Passau-
ischen Vertrages« (1907). — J. Grießdorf, »Der Zug Karls V. gegen Metz 1552« (1891).
Über den Zug Kurfürst Moritz' gegen Verden Röscher in der »Zeitschrift des
historischen Vereins für Niedersachsen« 76. Über den Vertrag von Vaucelles
Segre in den Denkschriften der Turiner Akademie ser. 2, 55 (1905).
Über den Zug gegen Mehedia die Leipziger Dissertation von Paul Rachel,
»Über die Geschichtschreibung über den Zug usw. (1550)« (1897; weitere Literatur
über diese und die folgenden Unternehmungen in Afrika bei La Ronciere, »Hist,
de la Marine frangaise« III [1906]. Über die Ereignisse in Italien Romier (zu § 126),
Walter Ebering, »Die Schlacht bei Marciano« 1914 (Erlanger Diss.). Pierre de
Vaissiöre, »Charles de Marülac«, 1896 (für diesen und den folgenden Paragraphen).
§ 128. Der Ausgang des Kampfes um Italien (1555 — 1559). So
schwer auch die Niederlage gewesen war, die die habsburgischen Pläne
in Deutschland erlitten hatten, so erwuchs für den Augenblick dem
Hause Österreich aus dem Augsburger Religionsfrieden doch ein be-
trächtlicher Vorteil. Daß die habsburgische Regierung dem Reichs-
tagsabschied des Jahres 1555 ihre Zustimmung hatte geben müssen,
bedeutete allerdings das definitive Ende ihrer auf eine Unterwerfung
Deutschlands hinauslaufenden Bestrebungen; aber für die nächste Zeit
war dadurch die Gefahr eines weiteren Zusammenarbeitens zwischen
den oppositionellen deutschen Ständen und Frankreich beseitigt, die
Gefahr also, die an der bedrohlichen Lage im Jahre 1552 recht eigent-
lich schuld war (§ 127). Außerdem war durch den Sieg über Siena die
Position des habsburgischen Vasallenstaates Toskana und damit die
Stellung der Habsburger in Mittelitalien überhaupt befestigt worden,
und solange die dynastische Verbindung zwischen König Philipp IL
von Spanien und Königin Maria von England bestand, war auch von
dem englischen Königreich zum mindesten kein feindseliger Akt zu
erwarten. Aus alledem ergab sich die Wahrscheinlichkeit, daß eine
Wiederaufnahme der militärischen Operationen mit Frankreich zu-
gunsten des Hauses Österreich ausschlagen würde.
Diesen Gang nahmen denn auch wirklich die letzten zwischen
1555 und 1559 fallenden Kämpfe um Italien. Mehr als je zeigte sich
die unbedingte Superiorität der spanischen Infanterie über ihre Rivalen
§ 128. Der Ausgang des Kampfes um Italien. 325
und die Tatsache, daß die Franzosen infolge davon in offener Feld-
schlacht den kürzeren ziehen mußten.
Auf zwei Kriegstheatern wurde diese letzte Phase des Konfliktes
ausgefochten. In Italien machte die französische Regierung den Ver-
such, mit Hilfe des Kirchenstaates (seit dem 23. Mai 1555 war Papst
Paul IV. aus dem Geschlechte der Carafa), der durch die habsburgische
Vorherrschaft über Italien in seiner Selbständigkeit bedroht war, die
Lage zu verbessern. Am 15. Dezember 1555 wurde zu Rom ein Ver-
trag zwischen Frankreich und dem Heiligen Stuhle geschlossen, der
eine gemeinsame Aktion zwischen beiden Kontrahenten gegen den
Kaiser vorsah; dem Kirchenstaate oder, genauer gesagt, der Familie
(Carafa wurde als Gegenleistung für ihre Unterstützung der franzö-
sischen Politik Stadt und Gebiet von Siena versprochen. Aber der Krieg
verlief unglücklich für die beiden Alliierten. Der Herzog von Alba,
Vizekönig von Neapel, der am 1. September 1556 in das Gebiet des
Kirchenstaates eingedrungen war, trieb die Armee des Herzogs von
Guise zurück, die Neapel erobern sollte (März bis Mai 1557). Der
Herzog von Guise erhielt dann von seiner Regierung den Befehl, die
Expedition nach Neapel einzustellen; Alba drang bis vor die Mauern
von Rom vor (26. August 1557).
Noch wichtiger waren die Ereignisse, die sich gleichzeitig auf dem
flandrischen Kriegsschauplatze abspielten. Man hatte von habsbur-
gischer Seite nie zugegeben, daß die savoyische Frage durch den Ver-
trag von Vaucelles gelöst sei, sowohl mit Rücksicht auf die Sicherheit
Mailands wie aus dynastischen Erwägungen heraus (der depossedierte
Herzog von Savoyen Emanuel Philibert war der Sohn des 1553 ver-
storbenen Herzogs Karl III., der ein Schwager Kaiser Karls V. ge-
wesen war). Bereits im Januar J557 galt der Waffenstillstand daher
als aufgehoben, und am 7. Juni desselben Jahres erfolgte die offizielle
Kriegserklärung (im Namen Englands). Führer der habsburgischen
Truppen war der Herzog von Savoyen selbst, der durch einen Sieg
über die Franzosen sein väterliches Erbteil wieder zu erlangen hoffte.
Der Erfolg war vollständig auf seiner Seite. Die französische
Armee, die unter dem Kommando des Connetable von Montmorency
zum Entsätze des von den Spaniern vergeblich belagerten Saint-
Quentins heranzog, wurde unter den Mauern der Stadt vernichtend
geschlagen (10. August 1557); Montmorency selbst wurde gefangen.
Am 27. August mußte sich darauf auch Saint- Quentin ergeben.
Obwohl die spanischen Truppen, vielleicht belehrt durch frühere
Erfahrungen (vgl. § 125), nicht weiter in Frankreich einzudringen
wagten, war der Feldzug doch für Frankreich in der Hauptsache ver-
loren. Zunächst mußte nun, wie bereits erwähnt, der Herzog von
Guise aus Italien zurückberufen werden (am 11. August), was den
Papst vollständig den Spaniern auslieferte (Paul IV. schloß daraufhin
mit Spanien Frieden [September 1557]; die Bedingungen waren, da
die habsburgische Oberherrschaft über Italien ohnehin feststand, sehr
'-^26 Die letzten Kämpfe um Italien.
milde und hatten keine Veränderung in dem territorialen Besitzstand
zur Folge). Das bedeutete gleichsam den offiziellen Verzieht auf alle
Süd- und mittelitalienischen Pläne.
Im Norden gab allerdings Frankreich seinen Widerstand noch nicht
auf. Der Herzog von Guise konzentrierte die gesamte Macht des König-
reiches auf den niederländischen Kriegsschauplatz, und dank der artil-
leristischen Überlegenheit Frankreichs waren ihm denn auch ver-
schiedene Erfolge beschieden. Vor allem konnte Calais genommen
werden (13. Januar 1558); daran schloß sich im Frühjahr und Sommer
desselben Jahres die Eroberung von Diedenhofen (22. Juni) und Dün-
kirchen (Anfang Juli) an. Aber ebensowenig wie früher konnten sich
die Franzosen auch jetzt im offenen Felde behaupten. Der Marschall von
Termes, der nach dem Falle Dünkirchens einen Vorstoß nach Flandern
unternommen hatte und bis nach Nieuport vorgedrungen war, wurde
bei Gravelingen von einem flämischen Heere unter dem Grafen Egmont,
dem Gouverneur von Flandern, gestellt und entscheidend geschlagen
(13. Juli 1558); der Marschall selbst geriet in Gefangenschaft.
Nach diesem verunglückten Versuche der Franzosen, die Offensive
aufzunehmen, trat der Zustand ein. der in den vorhergehenden Jahr-
zehnten schon mehrfach den Kriegen zwischen Spanien und Frankreich
ein Ende bereitet hatte: ein aus dem Gleichgewicht der militärischen
Machtmittel hervorgehender Stillstand der Operationen. Damit war
zugleich auch die Voraussetzung zur Aufnahme von Friedensverhand-
lungen gegeben, und wirklich wurden denn auch schon Anfang Oktober
1558 die Pourparlers aufgenommen. Der wichtigste Streitpunkt war
die savoyische Frage; da ein Nachgeben Frankreichs in diesem Falle
zugleich einen Verzicht auf die gesamte seit 1494 verfolgte italienische
Politik des Landes bedeutete, so nahmen die Besprechungen einen
recht schleppenden Verlauf. Erleichtert wurden die Verhandlungen
nur dadurch, daß mit Rücksicht auf die Schweizer die spanischen
Unterhändler es von vornherein ablehnten, die savoyischen Ansprüche
auf Genf (vgl. § 124) zu unterstützen. Eine Vereinfachung bedeutete
es auch, daß Frankreich sich nicht mehr mit dem Kaiser, sondern nur
mit Spanien verständigen mußte: die Frage der drei Bistümer des
Reiches (§ 127) wurde daher nicht zur Diskussion gestellt. Überhaupt
zeigte sich die spanische Regierung bereit, in all den Punkten entgegen-
zukommen, die ihre Interessen in Italien und den Niederlanden nicht
direkt berührten. Der sozusagen europäische Gesichtspunkt, der die
Politik Kaiser Karls V. geleitet hatte, trat bei ihr stark zurück. Es
zeigte sich dies vor allem bei der Frage, ob Calais an England zurück-
gegeben werden sollte: die Regierung König Philipps machte die Re-
stitution dieser Stadt nicht zur absoluten Friedensbedingung. Aller-
dings kam hinzu, daß sich gerade in diesem Punkte die Situation wäh-
rend der Verhandlungen zugunsten Frankreichs verschob. Königin
Maria von England, die Gemahlin Philipps IL, starb nämlich am
17. November 1558; dadurch verlor Spanien sein unmittelbares Interesse
§ 128. Der Ausgang des Kampfes um Italien. 327
an Calais (die Verhandlungen wurden damals für zwei Monate unter-
brochen).
Auf der Basis solcher Kompensationen konnten die Pourparlers
schließlich zu einem guten Ende gebracht werden; am 3. April 1559
wurde zu Cateau-Cambresis der Friede unterzeichnet. Frankreich ver-
zichtete darin einerseits so gut wie vollständig auf alle seine Erobe-
nmgen in Italien: der Herzog von Savoyen, der mit Margarete, der
Schwester des Königs von Frankreich vermählt werden sollte, erhielt
(mit Ausnahme von Genf) sein ganzes Gebiet zurück, sogar den alten
französischen Besitz Asti (einige der Form wegen gemachte Einschrän-
kungen können hier übergangen werden); die Insel Korsika (vgl. § 127)
wurde Genua zurückgegeben; die Republik Montalcino, die von der
mit Frankreich verbündeten sienesischen Patriotenpartei gegründet
worden war, und die gesamte antimediceische Opposition in Toskana
überhaupt wurden preisgegeben; Montferrat und Casale wurden dem
Herzog von Mantua restituiert. Auf der anderen Seite gewannen die
Franzosen Calais. Allerdings war eine eigentliche Abtretung der Stadt
nicht zu erlangen gewesen: Calais wurde vielmehr nach dem Vertrag,
der zwischen Königin Elisabeth von England und König Heinrich II.
von Frankreich am 2. April 1559 (ebenfalls zu Cateau-Cambresis) ab-
geschlossen wurde, den Franzosen nur für acht Jahre überliefert.
Aber die Stadt konnte trotzdem als definitiver französischer Besitz
gelten. Auch die Unterhändler faßten es in diesem Sinne auf: die
spanischen Bevollmächtigten gaben erst dann den Kampf um Calais
auf, als sich alle Hoffnungen auf eine ehehche Verbindung zwischen
Philipp IL und der neuen Königin von England, Elisabeth, zerschlagen
hatten; sie sahen also doch wohl in der Abmachung des Vertrages
mehr als ein Provisorium. Die englische Regierung ihrerseits konnte
mit Rücksicht auf ihre militärische Schwäche (§ 85) nicht anders als
in die Abtretung einwilligen, nachdem Spanien sie preisgegeben hatte.
Der Friede war, wie es der militärischen Lage entsprach, mehr
zugunsten der spanisch-hasburgischen als der französischen Regierung
ausgefallen. Trotzdem aber wurden die Abmachungen auch in Frank-
reich als der Beginn einer Friedensperiode angesehen und durchaus
ehrhch gehalten. Dies geht nicht nur aus der sofort erfolgten Räumung
des Piemont und Montalcinos durch die französischen Truppen hervor,
sondern auch aus den ehehchen Verbindungen, die zwischen den bis-
herigen Gegnern eingegangen wurden. Unmittelbar an die Beschwörung
des Friedens durch König Heinrich IL (18. Juni 1559) schloß sich näm-
lich die Vermählung König Philipps IL mit Elisabeth von Valois, der
älteren Tochter des französischen Königs, und die im Friedensvertrag
vorgesehene Verlobung des Herzogs Emanuel Philibert von Savoyen
mit dessen einziger Schwester Margarete an (27. Juni). (Während der
Festlichkeiten, die bei diesem Anlaß in Paris gefeiert wurden, erhielt
König Heinrich bei einem Lanzenstechen einen Stich ins Auge [30. Juni],
der kurz darauf seinen Tod herbeiführte [10. Juh 1559].)
328 Die letzten Kämpfe um Italien.
Der Kampf zwischen Habsburg-Spanien und Frankreich um Italien
war für mehrere Jahrhunderte zugunsten des Hauses Österreich beendigt.
Frankreich war zwar nicht direkt verkleinert aus dem Streite hervor-
gegangen; es hatte durch die Erwerbung der drei Bistümer und Galais*
sein Gebiet sogar nicht unbeträchtlich vergrößern können. Aber an
dem gewaltigen Gebietszuwachs seiner Rivalen gemessen, hatte sich sein
Besitz bedeutend vermindert: es war aus der ersten an die zweite Stelle
gerückt und alle seine Anstrengungen in Italien hatten nur dazu gedient,
die apenninische Halbinsel der Oberherrschaft des Gegners zu unter-
werfen. Weder zu Lande noch zur See noch auch vielleicht nur seiner
finanziellen Leistungsfähigkeit nach konnte es mehr als die stärkste
Macht der Christenheit gelten.
Wenn die Geschichte der nächsten Jahrzehnte trotzdem nicht das
Anwachsen der spanisch-habsburgischen Macht zeigt, das man auf Grund
dieser Niederlage Frankreichs erwarten sollte, so liegt dies nur darin
begründet, daß sich neue Mächte erhoben und auf die Entwicklung
des europäischen Staatensystemes Einfluß ausübten. Die wichtigste
Erscheinung dieser Art ist wohl das Aufkommen Englands. Kaiser Karl V.
war durchaus im Rechte, wenn er in seinem großen politischen
Testament an seinen Sohn Philipp (II.) dem englischen Königreich nur
einen kurzen Paragraphen widmete: die englische Macht war damals
wirklich beinahe bedeutungslos und mit den großen Militärmächten des
Festlandes nicht in Parallele zu setzen. Aber der Kaiser war, wie es
gerade aktiven Staatsmännern zu gehen pflegt, blind gegen Verände-
rungen, die sich unter der Oberfläche des öffentlichen Lebens vollzogen
und in den staatlichen Organisationen noch keinen Ausdruck gefunden
hatten. Die militärische Leistungsfähigkeit Englands war relativ im
Jahre 1559 allerdings vielleicht noch geringer als im Jahre 1492. Aber
es waren dort latente Kräfte vorhanden, die der spanischen Politik
schließlich wirksam entgegenzutreten vermochten.
Die zu Cateau-Gambresis erfolgte Regelung des italienischen Kon-
fliktes wurde dadurch freilich nicht mehr in Frage gestellt. Was auch
die Habsburger durch den Aufstand der Niederlande verlieren mochten,
ihr Sieg über Frankreich hatte, was Italien betraf, definitiven Cha-
rakter, und ihre Vorherrschaft über die apenninische Halbinsel war
auf Jahrhunderte hinaus sichergestellt.
Literatur. Auch hier haben wir über die diplomatischen Verhandlungen
eine moderne wissenschaftliche Darstellung, in der auch die gesamte Spezialliteratur
verzeichnet ist ; es ist dies der zweite Band des zu § 126 zitierten Werkes von L. Romier
der unter dem Untertitel ^>La fin de la magnificence exterieure, le roi contre le pro-
testants (1555 — 1559)«, 1914, erschienen ist. — Über das MiUtärische Henning^
von Koß, »Die Schlachten bei St. Quentin und bei Gravelingen«, 1914 (»Historische
Studien«, ed. Ehering, 118); Lemaire, Courteault u. a., »La guerre de 1557 en Picardiei,
1896 (Soc. acad. de Saint-Quentin). — A. de Ruble, »Z,e traite de Cateau-Cambresis«^
1889.
Namen- und Sachregister.
A.
Abruzzen 223, 265.
Achaia 304.
Ackerbau 11, 37 ff. (§ 18), 80 f., 87, 105,
192, 194, 216, 238, 240, 245. S. auch
unter Getreide.
Adel 18, 54, 56-59, 83 f., 86, 88-90,
100, 112, 119 f., 128-131, 152, 160,
193, 196 f., 204 f., 216, 222-224,
241 f., 253, 268, 272, 305.
Adriatisches Meer 116, 118, 122, 131,
141, 147 f., 155 f., 161, 172, 174,
219, 221, 225 f., 258, 267, 269, (296).
Afrika 26, 35, 78, 91, 99, 103, 157, 178,
189, — Seeweg um A. s. Handels-
wege. — Die Stadt »Afrika« 305.
S. auch Nordafrika.
Ägäisches Meer 170. S. auch Griechen-
land.
Agnadello, Schlacht bei (1509) 271, 287.
Ägypten 157, 175, 178, 180-182. 189,
301.
Aigues-Mortes 309.
Alaun 87, 218.
Alba, Herzog von, Fernando Alvarez de
Toledo (t 1582), 312, 325.
Albanien, Albanesen 19 f., 58 155, 163,
168, 174, 180, 182, 189.
Albany, Johann Stuart, Herzog von, 289.
Albrecht Alcibiades, Markgraf von Bran-
denburg-Bayreuth (t 1557), 322.
Albret (d'), das Königsgeschlecht von
Navarra, 262, 285.
Alcalä de Henares, Waffenstillstand von
(1497), 260.
Alexander VI. (Rodrigo Borja oder Bor-
gia, geboren 1431), Papst 1492 — 1503
216, 220, 254 f., 262, 265.
Alfons I., Herzog von Ferrara (1505 bis
1534), 274 f.
Alfons II. (geboren 1448), König von
Neapel (1495), 254.
Algier 99 f., 175 f., 178, 187, 244, 297,
300, 304 f., 311.
Alpenpässe 74, 231, 279.
Alviano, Bartolommeo d', Condottiere,
271.
Amalfi, Treffen bei (1528), 296.
Amerika 2, 28, 35, 80, 84, 87, 90.
Amsterdam 107, 109.
Anatolien 182.
Ancona 212, 231.
Andalusien 82, 94, 97.
Anden 81.
Anshelm, Valerius (1475-1547), XII.
Antisemitismus 84, 86.
Antonelli 92.
Antwerpen 35, 105, 108 f., 125, 157.
Apenninen 256.
Apulien 96, 258, 265, 269-271, 296.
Aquileja, Patriarchat, 270.
Araber 19, 182.
Aragon, Königreich, aragonesisch, 57 f.,
67 f., 79, 84, 86, 88, 90, 96, 98, 102,
226, 252, 258, 265, 270, 308.
Ardres 200. — Vertrag von (1546), 316.
Ariost, L., 297.
Arles 307.
»Armare« 34, 229, 266.
Armbrust 20.
Arona, Vertrag von (1503), 264.
Arta, Schlacht bei (1538), 310.
Artilleriewesen, Bedeutung der Artillerie
18 f., 21-24, 29, 60-63, 72 f., 92,
112 f., 116, 121, 123, 131, 137, 151,
153, 161, 163 f., 168, 177, 183—185,
198-200, 202, 205, 209 f., 224, 231,
233, 239, 241 f., 245 f., 253 f., 257,
262 f., 265 f., 271 f., 276, 278 f., 285,
289 f., 302-304, 307, 326. S. auch
380
Namen- und Sachregister.
Feuerwaffen, Büchsenmeistei . Be-
festigungswesen, Belagerungen.
Artois 251, 298, 308.
Asien 26, 125, 157, 168, 170, 189, 247.
S. auch Handelswege.
Asti 256 f.. 277 f., 292, 298, 306, 327.
Atella 258.
Atlantischer Ozean 28 f., 63 f.
Augsburg, Reichstag von 1547/48 14,
320. — Reichsabschied von 1555
323 f.
Avenel, G. d', 53 f.
»Aventuriers« 16.
Avignon 307.
Avila, Luis de, Kammerherr Karls V.,
Verfasser einer kaiserlich offiziösen
Beschreibung des Schmalkaldischen
Krieges, 241 .
B.
Bagdad 182.
Bajazet IL, türkischer Sultan (1481 bis
1512), 254.
Balearen 187.
Balkan 36, 158, 169, 174, 176, 182, 243.
Bankgewerbe 212, 227, 229, 232 f., 253.
Bar-le-Duc, Abmachung von (1534), 303.
»Barbaren, Kampf gegen die« (Schlag-
wort), 44 f., 171, 273.
Barbaresken s. Nordafrika.
Barbarossa, die beiden Brüder Urudsch
oder Arudsch (t 1518) und Ghair-ed-
din (t 1547), besonders der jüngere,
Korsarenfürsten in Algier. 49, 99,
118, 186, 243 f., 304 f., 308, 310,
314, 320. Vgl. im übrigen Nord-
afrika.
Barcelona, Vertrag von (1492), 251 f. —
Vertrag von (1529), 299.
Basel, Friede von (1499), 262.
Basilicata 258.
Baskische Provinzen (speziell Biskaya u.
Guipuzcoa) 30, 79, 87 f., 94, 102, 286.
Baumwolle 126.
Bayart (Pierre du Terrail, seigneur de;
1476-1524) 288.
Bayern 120, 134 f., 137, 142 f., 149 f.,
152, 303, 318, 321.
Beatis (Antonio de), Sekretär des Kar-
dinals Ludwig von Aragon (f 1519),
beschrieb dessen Reise durch Deutsch-
land, Frankreich und Italien 1517/18
55, 109, 116 (diese Schrift ist im Text
nach der neuesten [französischen]
Übersetzung zitiert; richtiger wäre
gewesen, das Original anzuführen.
das 1905 von L. Pastor ediert würde
[»Erläuterungen und Ergänzungen zu
Janßen« IV, 4]).
Befestigungswesen, Befestigungen 221.,
60-63, 92, 112 f., 121, 128, 163 f.,
179, 185, 193, 196 f., 199 f., 205 f.,
208, 210, 221-225, 237, 242, 246,
254, 265, 288, 307 f., 312, 317, 321.
S. auch Belagerungen.
Belagerungskunst, Belagerungen 18, 211'..
130, 177, 184 f., 237, 288 f., 296, 299,
302 f., 307, 325. S. auch Befestigungs-
wesen.
Belgrad 301.
Bellinzona, Grafschaft 264.
Beloch, JuHus, 54, 86.
Belt 106.
Bembo, Pietro (1470-1547), Sekretäi-
Papst Leos X., X.
Bentivoglio, Geschlecht der, 274.
Bergamo 270 f.
Bergbau 38, 53, 60, 115, 117, 122. 124,
193, 240 f.
Bern 74 f., 230, 236, 239, 307.
Bernäldez, Andres ( t um 1513 ), spanischer
Chronist, 84 f.
Bernays, J., 85.
BesanQon 112, 287.
Bevölkerungswesen 33, 37 — 39, 52—54,
79-81, 105, 107 f., 115, 123 f., 128,
155, 175 f., 191 f., 194, 199, 205,
207 f., 211, 215 f., 220 f., 223, 226,
231, 234 f.
Biagrasso, Treffen bei, 288.
Biasca 210.
Bicocca, Schlacht bei, 283, 286, 290.
Biskaya s. baskische Provinzen.
— , Golf von 97.
»Bistümer, die drei« (die Städte Metz,
Toul und Verdun) 326, 328.
Bläsquez, Antonio, 86.
Blei 193, 240.
Blois, Vertrag von (1499): 261, Vertrag
von (1504): 267, Vertrag von (1505):
268, Vertrag von (1513): 277.
Bogenschießen, Bogenschützen 20 f., 72,
199.
Böhmen 16, 86, 92, 114 f., 117, 119 bis
121, 140, 150, 301.
Bologna 274, 276, 299. — Vertrag von
(1529) 299.
»Bombarden« 62, 163.
Bomy, Waffenstillstand von (1537) 308.
Bonnivet (Guillaume de), »AdmiraU,
französischer Staatsmann und Heer-
führer (1488-1525), 287, 290.
Namen- und Sachregister.
331
Borgia (Borja), Cesare, Sohn Papst
Alexanders VI. (1478-1507)-, 62,
213, 216, 220, 259, 262, 265.
Boscän, Juan (ca. 1490 — 1542), spani-
scher Dichter. 97.
Bosnien 180.
Bosporus 178.
Bougie 245.
Bouillon, Herzog von. s. Mark, Robert
von der.
Boulogne 314 — 317. — Vertrag von
(1550) 316 f.
Bourbon, Karl III., Herzog von, Connö-
table (1490-1527), 57, 287 f., 292,
294 f.
Bourges 263. — Pragmatische Sanktion
von (1438) 281.
Bourgogne (Herzogtum Burgund) 78,
115, 118, 292 f., 298.
Brabant 105.
Brasca, E., 137.
Braugewerbe 126.
Bremen 132.
Brescia 121, 158, 160, 210, 270 f.
Brindisi 258, 270.
Brixen 263.
Brügge 107 — 109. — Vertrag von (1521)
287.
Brüssel 17. — Vertrag von (1516) 281,
Vertrag von (1522) 283.
Burchardus X.
Büchsenmeister, Geschützgießerei 21,
121, 177, 241. Vgl. Artilleriewesen.
Burgos 142, 275.
Bürgertum s. Mittelstand.
Burgundische Lande s. Niederlande und
Freigraf Schaft. Burgundische Politik
(der Habsburger) 69 — 71, 134, 144,
149, 151, 255, 277, 282, 292, 298.
Burgunderkriege 10, 161.
Busch, V^ilhelm, 204.
Byzantinisches Reich 49, 177, 180 — 182,
186. 188, 190.
C.
Calais 68, 72, 113, 145, 198 — 200, 206,
326-328.
Cambrai 321. — Liga von (1508) 160, 163,
165, 167, 267, 268-270, 271—273,
277, 280 f. - Frieden von (1529)
298, 300, 306, 308.
Carafa 325.
Casale 327.
Castiglione, B. (1478-1529), X.
Castillon (Louis de Perreau, seigneur de),
französischer Diplomat, 229.
Cateau-Cambresis, Friede von (1559),
327 f.
Cecil, William, englischer Staatssekretär
(t 1612), 17.
Cerdagne 101, 251.
Ceresole, Schlacht bei, 59, 316.
Ceri, Renzo da, 288.
Cervantes, M. de, 187.
Chair-ed-din s. Barbarossa.
Chambord, Vertrag von (1552), 321
Champagne 285.
Charolais 251, 308.
Chäteau-Thierry 314.
Chiffren 95.
China 108.
Christenheit, christliches Gemeinschafts-
gefühl 7, 16, 46-50, 170, 174, 181,
185, 189 f., 282, 291.
Christian III., König von Dänemark
(1534-1559), 313.
Claudia, Tochter König Ludwigs XII.,
Gemahün Franz' L, 267.
Cleve 312, 318.
Cognac, Bund von (1526), 293 f.
Col d'Argentiere 279.
Colonna 294. — Camillo C, Kondottiere,
233.
Commines (Philippe de; ca. 1447 — 1511),
4, 24, 62, 68, 172, 208, 234, 253, 257,
260.
Como 209.
Comuneros, Aufstand der (1520/21), 285.
Cosimo de'Medici (1519 — 1574), 1537
Herzog von Florenz, 1569 Großher-
zog von Toskana, 211, 215, 322.
Creighton, Mandell (1843 — 1901), 198.
Crema 270.
Cremona 208, 261, 263, 270, 294.
Crepy, Vertrag von (1544), 314, 315, 318.
Cromwell, Thomas, englischer Staats-
mann (t 1540), 196 f., 205.
Guspinian, deutscher Humanist (1473
bis 1529), 139.
Cypern 155, 158, 164, 270.
D.
Dalmatien 148, 155, 157 f., 164, 168, 235.
»Damenfrieden« 298.
Dänemark 76, 106 f., 113, 207, 246, 247f.,
303, 311-313. S. auch Skandina-
vien.
Dardanellen 97, 17U.
Delbrück, Hans, 16, 19, 239. S. auch
preußische Schule.
Deutschland (das Reich), Deutsche VI,
IX, 7 f., 12, 14-17, 23, 33, 40, 42 f.,
332
Namen- und Sachregister.
45, 49 f., 52, 57, 59, 64, 69-71, 81,
86 f., 91 f., 104, 108 f., 112, 118, 120,
123-137, 139 f., 142, 144, 149-151,
153, 162, 174, 181, 200, 210, 221,
225, 229, 231, 233, 237, 239, 241 f.,
250, 255, 262, 283 f., 294, 302 f., 305,
309 f., 317, 323 f., 326. - Reichs-
regiment 135 f. — Kammergericht
133, 323. - Reichsstädte 126 f.,
130 f., 133 — 137, 237, 302, 319, 321.
— Söldner s. Landsknechte.
Deutscher Orden 151,
Diedenhofen 326.
Diehl, Charles, 30.
Dijon, Vertrag von (1513), 17, 235, 278.
Diplomatie, diplomatische Organisation,
diplomatischer Verkehr VII, XI,
4-7, 65-67, 69, 71, 76 f., 79, 95f.,
100, 133, 136, 138-140, 143 f , I50f.,
153, 164-166, 187 f., 196, 203 f.,
219-221, 230, 238, 240, 242, 245 bis
247, 256, 282, 284, 290, 300, 305,
311, 318, 320.
Domodossola 276.
Doria, Andrea (1466-1560), 33, 48, 184,
225, 228 f., 266, 294, 296-298, 300,
304, 317, 320, 322. - Filippino, Neffe
des Vorigen, 296.
Dover 200.
Dragut, kleinasiatischer Seeräuber, Bey
von Tunis (t 1565), 320, 322.
Drenthe 105.
Dschem, jüngerer Bruder des türkischen
Sultans Bajazet II., 254.
Dünkirchen 326.
Düren 313.
Dürr, Emil, 69.
E.
Eduard VI., König von England (1547
bis 1553), Sohn Heinrichs VIII.,
316, 322.
Egmont, Lamoral Graf von (t 1568), 326.
Eidgenossenschaft s. Schweiz.
Eisen 164. S. auch Metalle.
Eleanore, Schwester Karls V., Königin
von Portugal, später von Frankreich,
292, 298.
Elisabeth, Königin von England 1558
bis 1603, Tochter Heinrichs VIII.,
200, 327.
Elisabeth von Valois, Tochter Hein-
richs II. von Frankreich, 327.
Elsaß 17, 120.
Emanuel Philibert, Herzog von Savoyen
(1553-1580), 325, 327.
Engelsburg 295.
Enghien, Herzog von, 315.
England VI, VIII f., 2 f., 6, 13, 17, 20,
24, 28 f., 32-34, 41, 43 f., 46, 50,
52, 55 f., 63, 66-68, 71-73, 88, 91,
95, 102, 106, 108, 110, 113, 115,
125-127, 140 f., 144-146, 155, 160f.,
165, 191-207, 212, 218, 241, 246 f.,
251, 255, 261, 269, 275, 277 f., 284,
286-290, 292 f., 295, 297 f., 303,
310-318, 322-328.
Enguinegatte 277.
Entdeckungen 2, 35. S. Handelswege,
Amerika, Molukken usw.
Epidemien 52, 296, 307.
Esquiros 285.
Essek 308.
Etaples, Vertrag von (1492), 251, 261.
Expedition, französische nach Neapel
(1494), 1, 18, 20, 44, 61, 63, 78, 91,
148, 162, 224, 250-269, 261.
F.
Farnese, Ottavio, Sohn Papst Pauls III.,
Herzog von Parma und Piacenza,
320. — Pierluigi, Bruder des Vorigen,
Herzog 1545-1547, 317.
Felle 193.
Feller, R., 239.
Ferdinand I. (1503 — 1564), jüngerer Bru-
der Karls V., Regent der habsburgi-
schen Hausmacht in Deutschland
(vgl. § 118), von 1526 an König von
Böhmen und von Ungarn, von 1556
an Kaiser, VIII, 31, 34, 49, 116-118,
120, 122 f., 129, 136, 138 f., 142, 148,
242, 270, 278, 283 f., 288, 299, 301 f.,
308 f., 310, 318, 320 f., 323.
Ferdinand der Katholische (1452 — 1516),
König von Aragon 1479, XI, 90, 93,
95-99, 226, 267 f., 274, 278, 283.
S. auch Katholische Könige.
Ferdinand II. (1469-1496, 1495/96 nach
der Abdankung seines Vaters Al-
fons' II. König von Neapel) 254,
257 f., 265.
Ferrara, Herzogtum, 175, 215, 223, 231
bis 233, 257, 269-271, 274-276,
284, 294 f., 299.
Ferruccio, Fr., Kondottiere (t 1530), 299.
Feuerwaffen 20, 34, 37, 130, 184, 189,
200, 209 f., 237, 247. S. auch Hand-
feuerwaffen, Artillerie.
Fiesco (Fieschi), G. L., 317.
FinanzpoUtik 39 — 42. S. auch Handels-
politik, Bankgewerbe.
Namen* und Sachregister.
333
Fischerei 107 f., 246.
Fiume 122, 270.
Flandern 38, 102-108, 110, 112 f., 126,
143, 159, 194, 207, 212, 218, 250,
298, 308, 325 f. S. auch Niederlande.
Fleisch 158 f.
Florenz, Republik, VI, IX, XI, 3, 6, 13,
24, 34, 42, 45, 86, 94, 113, 149, 167,
174, 211-216, 216, 220, 227, 229,
233, 253-255, 258 f., 269 f., 276 f.,
280 f., 288, 293-295, 298 f., 322.
Foix, Gaston de, Herzog von Nemours
(1489-1512), 275.
Fornovü, Gefecht bei, 257.
Fortescue, Sir John, englischer Staats-
mann (ca. 1394 — 1476), 52, 56, 191,
204.
Francesco Maria I., Herzog von Urbino,
220, 281.
Francesco II. Maria (Sforza), Sohn des
Lodovico Moro (1492 — 1535), 286,
294, 299, 306.
Frankfurt 284, 323.
Frankreich, Franzosen, VI, VIII f.,
XVIII, 2-6, 8-10, 13-15, 17,
22 f., 27, 29-35, 41, 43 f., 46, 50,
51-- 79, 82, 85-95, 97 f., 100-103,
105-117, 119-125, 127-131, 134f.,
137, 140-146, 148-151, 155 f., 161
bis 163, 166 f., 170, 172, 175 f., 187 f.,
190-195, 198 — 207, 209 f., 212, 216,
218-220, 222, 224 f., 227-233, 235
bis 241, 244-247, 249-Schluß. -
Verbindung Frankreichs mit der Tür-
kei 5, 47-49. 64, 76 f., 100, 144,
190 f., 291. 300, 302, 305, 306, 308,
310 f.
Franz I. (1494 — 1547), König von Frank-
reich 1515, 65, 92, 267, 279, 281,
288, 290, 292 f., 298, 304, 306 f.,
309 f., 313 f., 316.
Franz II., König von Frankreich
(1559/60), 316.
Freiburg i. Ü., Friede von (1516), 238,
281, 283.
»Freie Knechte« 12, 15 f., 235.
Freigrafschaft (Franche-Comt6) VI, 69,73,
78, 107, 109, 111-113, 143 f., 239,
251, 287, 292.
Friaul 122 f., 270 i.
Friedewalde, Abmachungen von (1552),
321.
Friedrich, König von Neapel (t 1504),
258, 265.
Friesland 105.
Frundsberg, Georg v., Kondottiere (1473
bis 1527), 16, 162.
Fuenterrabia 101, 286.
Fugger 136, 323.
»Fürstenrevolution«, deutsche, 321, 323.
O.
Gaeta 258, 266.
Gaghardi, E., 15, 259.
Galeeren s. Ruderschiffahrt und Sträf-
linge.
Gallerate, Vertrag von (1515), 279.
Gallipoli 258.
Garighano 266.
Gascogne 59.
Gattinara, Großkanzler Karls V. (1465
bis 1530), 142 f., 210, 224.
Gavignana 299.
Gegenreformation 43.
Geldern, Herzogtum, 105. 115, 313 f.,
318.
Genf 307, 326 f.
»Gens d^ armes« 17.
Gent 310.
Genua, Republik, XVIII, 3, 26 f., 30
bis 34, 42, 64 f., 69, 74, 76-78, 85,
87, 94, 97, 101, 114, 123, 146, 149,
156, 167, 174, 186, 190, 208, 210 bis
212, 214 f., 219, 222, 225, 226-229,
230, 232 f., 243-245, 250-253, 257,
259 f., 264, 266, 268, 274, 276, 278 f.,
281, 284, 286, 288 f., 292, 296 f., 300,
304-307, 310, 317, 322, 327. -
St. Georgsgesellschaft 228.
Germaine de Foix 268.
Gesandtschaften, die Errichtung stän-
diger, 5-7, 95, 136, 165 f., 188, 204,
220, 242, 246 f., 300, 305. S. auch
Diplomatie.
Geschichtschreibung VII, XIX f., 7, 9,
95, 140, 154, 170, 239, 250, 290, 305.
Getreide (Getreideproduktion, -handel,
-sperre), XVII f., 3, 33, 35-37, 52
bis 54, 69, 75, 79 — 81, 86 — 88, 96 bis
98, 102, 105--107, 115, 124, 126 f.,
155 f., 158-160, 164, 166 f., 169 f.,
172-177, 179, 190, 192 f., 208-210,
212 f., 216, 221-223, 227 f., 232,
234-237, 239 f.
Gewerbe s. Handwerk.
Gewürzhandel 55, 101, 108, 116, 125,
157, 176, 178.
Ghiara d'Adda 261, 270.
»Ginetes« 19 f., 58, 92.
Glasindustrie 117, 158.
334
Namen- und Sachregister.
Gleichgewicht innerhalb des Staaten-
systems 45 f., 78, 167, 268, 281 f.,
284, 286, 291 f., 309.
Goes, D. de, portugiesischer Geschicht-
schreiber (1501-1574), 230.
Goldschmiedekunst 85, 158.
Goletta 304.
Gonzaga, Ferrante 226, 317.
Gonzalo de Cördoba, der tiGran Ca-
pitän« (t 1516), 90, 93, 99, 226, 257,
259, 265-267.
Görz, Grafschaft 122.
Gothein, Eberhard, 86, 226.
Gotthard 208, 264.
Gran 314.
Granada, Königreich, 19, 93, 96. 257. —
Vertrag von (1500), 265.
Gran Capitän s. Gonzalo.
Grassis, Paris de, X.
Graubünden 262.
Graveüngen, Schlacht bei. 326.
Graz 121.
Greenwich, Vertrag von (1543), 313, 316.
Griechenland, Griechen, griechische In-
seln, 20, 155, 157, 163 f., 177 f.,
180, 186, 189, 225, 243 f. - Griechi-
sches Meer 181, 304. — Griechische
Kirche 181.
Gritti, Lodovico (t 1534), 169 f., 180.
Großwardein, Frieden von (1538), 209.
Guernsey 316.
Guevara, Antonio de (f 1545), spani-
scher Schriftsteller 83.
Guicciardini, Francesco (1483 — 1540),
X, 24, 34, 54, 81 f., 84, 88, 91, 93-95,
156, 160, 200, 240.
Guinegate, Schlacht bei, 277.
Guines 206.
Guipuzcoa s. baskische Provinzen.
Guise, Franz, Herzog von (1519 — 1563),
325 f.
Güns 303.
H.
Häbler, Konrad, 85.
Habsburger, habsburgische Macht (die-
ser Ausdruck wurde gewählt an Stelle
des zeitgenössischen »Haus Öster-
reich«, weil sich mit jenem allzu-
leicht eine irrige geographische Ideen-
assoziation verbindet), VI, VIII f.,
XI, XVIII, 1 f., 3, 7, 10, 12-17, 22,
29, 33-35, 40, 43, 46, 48-50, 60 f.,
66, 69-71, 76-78, 85, 91, 94-96,
100-102, 103-154, 155, 158 f., 165
bis 168, 170, 172-175, 190 f., 203 f..
207, 210-212, 217, 219, 221, 226,
228-230, 233, 242, 244-251, 255.
261 f., 264, 270-274, 277, 280, 282
bis Schluß.
Hadrian VI., Papst (1522/23), 288.
Hamburg 106, 132.
Handel 34 f., 55, 63, 86-88, 108-110.
116 f., 124-128, 155-160, 166 f.,
169, 177-179, 212, 216, 223, 225,
228 f., 236, 239, 246. - Handels-
und Wirtschaf tspohtik 34-37, 38 f.,
74, 145, 166, 173, 178, 193 f., 196.
206 f., 212, 223, 296, 315. - Handels-
schiffahrt 24-30, 38, 63, 87 f., 93 f.,
101 f., 105-107, 109, 112 f.; 116,
122, 147, 155-159, 161, 172, 177,
179, 186, 201, 207, 213, 219, 225,
228 f., 246 f. - Handelswege, See-
wege 35, 53, 87, 108, 115 f., 125,
127, 157 f., 178, 208. S. noch Ge-
würzhandel.
Handfeuerwaffen 20, 184, 199, 242.
Handwerk 55, 194, 237, 241 f. S. auch
die einzelnen Artikel und unter In-
dustrie und Technik.
Hanf 164, 194.
Hanse, die deutsche, XVIII, 28, 36, 63,
106-109, 113 f., 127, 131 f., 150, 207,
246.
Hauptleute (Kondottieri) 16. Vgl. Söld-
nerwesen.
Hauser, H., 259.
Häute 106.
Heere, ständige 182 f.
Hegau 120.
»Heilige Liga« (1511), 275 — 277: 'von
1526) 293.
Heinrich II. (1519 — 1559), König von
Frankreich 1547, Sohn Franz' 1.,
XXI, 63, 203, 304, 316, 327.
Heinrich VII. (1457-1509), seit 1485
König von England, 197 f., 201.
Heinrich VIII. (1491 — 1547), Sohn de&
Vorigen, von 1509 an König, XX f.,
6, 29, 191, 197, 200-203, 218, 286 f.,
310, 315 f.
Heinrich von Albret, König von Na-
varra, 285.
Heiratspolitik (dynastische), 96, 102,
292, 298, 309, 314-316, 327.
Herausforderung als Kriegserldärung
285, 307.
Hesdin 298, 308, 322.
Hessen 129, 303.
Heyck, Eduard, 30.
Hobohm, M., 16.
Nam« n- und Sachregister.
335
Holland 38, 1U4 f., 1U7 -109, 113 f.,
127, 132, 150, 246, 313. S. auch
Niederlande.
Holz 106, 108, 121, 164, 176, 227.
Hugenotten 302, 307.
Humanismus 8 f., 46, 67, 139.
Hundertjähriger Krieg 60, 62, 68.
Hütten, U. von, 139.
1.
Indien (Ostindien) 35, 108, 157.
Industrie 11, 38 f., 52 f., 55, 61, 73,
86-89, 92, 105-110, 112, 116 f.,
121, 124-126, 158, 177, 208 f., 212,
216, 223. S. auch die einzelnen Ar-
tikel, spez. Textilindustrie. Waffen-
fabrikation.
Infanterie, Bedeutung der, -Taktik (s.
darüber auch »Schweizerische Ord-
nung«) 9-17, 18, 20 f., 27, 54, 58
bis 60, 63, 72, 79-81, 90-93, 112,
119 f., 128, 151, 153, 162 f., 171,
182-184, 199, 209, 224, 230-234,
236-238, 241, 246 f., 253, 257, 266,
271, 273, 276, 278 f., 283, 285 f., 289,
296, 305-307, 315, 324.
Innerpolitisches s. Ständewesen.
Innsbruck 116 f., 321.
Inquisition, spanische, 83 f., 86.
»Interim«, das, 319.
Irland 191 f., 198.
Isabella, Königin von Kastilien 1474 bis
1504, 268. S. audi Katholische
Könige.
Ischia 254, 265, 296.
Islam 19, 47-49, 82 f., 99, 181, 189, 243 f.
Istrien 174, 271.
Italien, Italienisch, VI, 2 f., 5 f., 8, 13,
16, 19, 33, 44-49, 51, 60 — 64, 69,
76, 78, 83, 88, 91 f., 94, 101, 103 f.,
108, 111, 113, 117, 120, 126, 131,
139, 144, 146 f., 149, 155, 161 f., 167,
171-175, 177, 186 f., 189, 191, 200,
203, 207 f., 210 f., 217, 219 f.,
225 f., 230-232, 234, 243, 251 bis
Schluß.
— Kampf um Italien 1—4, 7, 19,
24, 26-28, 30, 32, 34—36, 42-46,
52, 66, 68, 70-72, 75, 77-79, 93 f.,
98 f., 114, 116, 131, 144, 154 f., 167,
172, 199, 203, 208, 212, 224, 226,
231, 234, 237, 240, 249 bis Schluß.
Jakob 1., König von England (1603 bis
1625), 17.
Jakob V., König von Schottland (1513
bis 1542), 312.
Janitscharen 57, 182-184. 186, 190.
Jemen 189.
Jersey 316.
Jerusalem 252.
Johann Friedrich, Kurfürst von SacJi-
sen, 319.
Jovius, Paulus (Giovio), humanistischer
Publizist und Historiker (1483 bis
1552), 9, 62.
Juden 82-86, 178, 180.
Julius II. (Giuliano delle Rovere, 1443
bis 1513), Papst 1503, 45, 217 f.,
220, 267, 269, 273-276.
Julius III. (Gianmaria de'Medici), Papst
1550-1555, 229.
K.
Kaisertum, Kaiserwahl usw. 34, 59,
123 — 137, 274, 283 f., 299, 323. S.
auch Habsburger und Byzantinisches
Reich. Das Reich s. Deutschland.
Kalabrien 257, 265.
Kalifat 181.
Kanal 315.
Kanalinseln 316.
Karawanentransport 178.
Karl V. (1500-1558), Enkel Maximi-
lians I., von 1516 an König von
Spanien, von 1519 an Kaiser (vgl.
§ 118), resigniert 1555/56, IX, XI,
6, 9, 14, 16 f., 27, 30 f., 33 f., 43,
46 f., 49 f., 65, 77, 80, 89 f., 96, 100,
107, 109, 111-114, 116, 118, 121,
126, 129, 132, 136 f., 142, 148 f..
190, 194, 206, 210 f., 218, 220, 223 f.,
228, 232 f., 238 f., 244 f., 247-249,
267, 270, 274, 278, 281, 283 bis
Schluß.
Karl VIII. (1470-1498), 1483 König
von Frankreich, Sohn Ludwigs XL,
75, 224, 227, 235, 252, 254, 256 f.,
259 f.
Karl III., Herzog von Savoyen (1504
bis 1553), 307, 325.
Karl, Herzog von Geldern (j 1538), 312.
Käse 87, 240.
Käser, Kurt, 140.
Kastilien XI, 52, 58 f., 67, 79, 81, 86,
88-91, 94, 96. 100, 102, 268, 270,
285.
Katalonien 87, 102. Vgl. im übrigen
Aragon.
3H6
Namen- und Sachregister.
Katholische Könige (Ferdinand von
Aragon und Isabella von Kastilien),
XI, 67, 89 f., 92-94, 96, 99 f.
Katzianer, österreichischer General, 308.
Kavallerie, Bedeutung der, 17 — 20, 92 f.,
112, 120 f., 128, 131, 199 f., 208,
225, 231, 233, 237, 239, 241, 253, 271.
— Schwere (Reisige) 17 — 19, 54, 58,
62, 93, 112, 120 f., 162, 184, 199, 208,
231, 233, 241, 253, 263, 271 f., 277
bis 279, 285, 289, 305, 315. -
Leichte Reiterei 18-20, 58, 92 f.,
120 f., 131, 152, 162 f., 184 f., 199,
208, 233, 253,257, 271.
Kirche 54, 56 f., 88 f., 119, 128, 132 f.,
161, 181, 188, 197. S. auch Konkor-
date, KonziUen, Papsttum. — Kir-
chenpolitik 8, 42 f., 50, 135, 181,
205, 218 f., 254, 273, 275, 281.
Kirchenstaat X, 3, 34, 36, 38, 42, 146,
148 f., 158, 169, 171-173, 186 f.,
207, 210, 214, 215-221, 225, 254
bis 256, 259, 262, 265, 267, 269-271,
273 f., 276, 281, 284, 289, 295, 298f.,
325.
Kleinasien 176.
Klemens VII. (üiulio de'Medici, 1478
bis 1534), Papst 1523, X, 214, 288f.,
293-295, 298 f., 303 f.
Köln 125.
Kolonien 53, 87, 115, 159, 164, 247.
Kolumbus 87.
Komnenen 186.
Kondottieren 11, 128 — 131, 161 f., 182.
S. im übrigen Söldnerwesen.
Kondottierestaaten, -fürsten 13, 161 bis
163, 173, 209, 222-224, 231 f., 233 f.
Konkordate: französisches (1516) 43, 57,
281; spanisches (1482) 89.
Konstantinopel 158, 165, 169 f., 175,
178, 181, 185 f., 188, 191, 245, 247,
311. — Patriarch von, 181.
Konzilien 275. — Reformkonzilien 42. —
VI. Lateransynode 275. — Tridentini-
sches Konzil 317 f. — Gegenkonzil
von Pisa 218, 275 f., 278.
Korsaren 25 f.. 40. 65, 93 f., 97—99,
178 f., 186, 201, 219, 221, 223, 225,
243-245, 304, 320. Vgl. auch Nord-
afrikanisches Reich.
Korsika 65, 228 f., 322, 327.
Kreta 157, 159, 170.
Kreuzzugsprogramm 48, 76, 83, 99, 153,
191. Vgl. im übrigen unter Christen-
heit.
Kupfer 240.
L..
Lagunen 278.
Landrecies 313.
Landriano 297,
Landsknechte 10, 13 — 16, 59 f., 70 f.,
81, 91 f., 112, 120, 129-132, 151,
162, 209, 238, 263, 276, 278 f., 286
bis 289, 304 f., 315, 320.
Langensee 264.
La PaUce (Jacques de Chabannes, sei-
gneur de, ca. 1470 — 1525), 290.
La Ronciöre, Charles de, 65.
Laski, Hieronymus, polnischer Diplo-
mat, zeitenweise in österreichischen
Diensten, 188.
Latein 7—9, 139. S. auch Humanismus.
La Tr^moiUe, Louis de (1460-1525),
französischer Feldherr, 263, 278, 290.
Lautrec (Odet de Foix, seigneur de),
französischer Marschall (1485—1528),
286, 295 f.
Lea, C, 85.
Lebensmittel, Verkehr mit, s. unter
Getreide.
Lebrija, spanischer Humanist (t 1522),
95.
Legionen Franz' I. 59, 305.
Lemonnier, Henri, 79.
Leo X. (Giovannide'Medici, 1475— 1521)
1513 Papst, X, 49, 214, 217, 220,
277 f., 280—282, 284.
Lepanto, Schlacht bei (1571), 187.
»Levant« 63.
Levante 122, 156 f., 159, 229.
Leyva, Antonio de, spanischer Feldherr
(t 1536), 297.
Linz 115, 118.
Lissabon 157.
Livorno 214, 258.
Locarno 276.
Lodi 289.
»Lodovico il Moro«, (Lodovico Sforza),
1451 — 1508, Regent und nach dem
Tode seines Neffen Giovan Galeazzo
(1494) Herzog von Mailand, 8, 139,
251 f., 256 f., 259, 262-265, 277,
286, 294.
Lombardei, lombardisch, 160, 208, 274,
299.
London 197, 246 f. — Vertrag von (1514),
278.
Lope de Soria 218.
Lothringen 262, 287.
Lübeck 106 f.
Lucca, Repubük, 45, 212, 232 f., 259.
Namen- und Sachregister
337
Ludwig XI., König von Frankreich
(t 1483), 4, 63, 69.
Ludwig XIL (1462-1515), 1498 König
von Frankreich, 8, 256, 260, 267
bis 269, 278.
Ludwig IL, König von Böhmen und
Ungarn (1516-1526), 301.
Lugano 276.
Luise, Tochter König Franz' I. (f 1518),
281.
Luise von Savoyen, Mutter Franz' I.,
verschiedentlich Regentin von Frank-
reich (1476-1531), 298, 307.
Luther 181. — Luthertum s. Refor-
mation.
Lüttich, Bistum, 105, 115.
Luzern, Vertrag von (1499), 261 1'.
Luxemburg, Herzogtum, 105, 285, 312
bis 314.
Lyon 63, 106, 212, 252 f., 257, 278. -
Waffenstillstand von (1497) 258,
id. (1504) 266 f.
Lys St. Georges 263.
M.
Machiavelh, Niccolö (1469-1527), XI,
XIX, 4, 13, 17, 22-24, 45, 59, 61, |
106, 160 f., 213, 237, 239.
Madrid, Friede von (1526), 292, 293, 298,
300, 307. Konvention von (1528) 296.
Magdeburg 319, 321.
Magelhaens, F. (t 1521), 101.
Mahdia s. Mehedia.
Mähren 114 f., 117, 150.
Mailand, Herzogtum, VIII — X, 3 f., 6,
8, 15, 23, 64 f., 70, 73-78, 92, 101,
137, 142, 144, 146, 148 f., 160, 171,
175, 196, 207-210, 211-214, 226
bis 230, 232, 236 f., 239 f., 250-252,
255-257, 260-265, 267, 270, 273 f.,
276-282, 284, 286-288, 290, 292
bis 299, 306 f., 309, 311, 314 f., 317,
320, 323, 325. - Stadt 208, 262 f.,
271, 275 f., 279 f., 286, 294.
Mais 159.
Malteser 320.
Mameluken 182, 184, 189.
Mantua, Markgrafschaft, später (1530)
Herzogtum, 62, 161, 173, 215, 231,
233, 269-271, 327.
Marano 122 f., 148.
Marciano, Gefecht bei, 322.
Älarcoussis, Vertrag von (1498), 261.
Margarethe, Tochter Maximilians I.,
Statthalterin der Niederlande (tl530)
13, 111, 251, 298.
Fueter, Europ. Staatensystem.
Margarethe, Schwester König Hein-
richs II. von Frankreich (t 1574).
327.
Maria die Katholische (1516 — 1558), 1553
Königin von England, 322 — 324, 326.
Maria Stuart (1542 — 1587), 1542 — 1568
Königin von Schottland, 316.
Maria, Schwester Karls V., (1505 — 1558),
Gemahlin Ludwigs II. von Ungarn,
1530 Regentin der Niederlande, 107.
Maria di Grazia 270.
Marignano, Schlacht bei, 238, 279, 280,
283.
Marinewesen 3, 23, 24—34, 36, 62 — 65,
68 f., 71-73, 76-78, 93-95, 98,
113f., 122 f., 131 f., 146-148, 155 f.,
159, 163 f., 166, 168, 170, 179,
185-187, 189 f.. 199-203, 205, 208,
210-212, 214, 219, 221-223, 225,
227 f., 230 f., 233, 243-245, 251 bis
253, 257 f., 264, 266, 270-272, 274,
286, 296, 300, 304 f., 307, 311, 315.
Mark, Robert von der, 285.
Marken, die 216.
Marokko 85.
Marranen 83, 85 f.
Marseille 265, 288, 296, 307.
Mauren, Maurenkriege 80, 82 f., 92, 98 f.
Vgl. auch Moriscos.
Maximilian I. (1459—1519), Sohn Fried-
richs III., Kaiser 1493, VIII f., 8 f..
13, 15, 49, 67, 70, 109, 111, 116,
118, 121-123, 130, 132, 136 f., 139
bis 142, 146-148, 151, 210, 224, 229,
231, 233, 239, 251, 255, 261-263,
267, 269-272, 275-283, 302.
Maximilian Sforza, Sohn des Lodovico
Moro (1491 — 1530), 277 f., 280, 286.
Mecheln 113. — Bund von (1513) 277.
Medici 214 f., 220, 254, 276 f., 280, 288,
295, 298 f., 322, 327. - Alessandro
de', unehelicher Sohn Lorenzos (IL),
ermordet 1537, 299. — Giovanni,
genannt »delle bände nere<^ (gefallen
1526), Vater Herzog Cosimos, 16 f.,
162. — Katharina v., 304. — Lo-
renzo de', Sohn Pieros (des folgenden)
Herzog von Urbino, 281. — Piero de'
(1471 — 1503), Sohn Lorenzos des
»Magnifico«, 253 f. — S. noch Co-
simo, Klemens VII., Leo X.
Mehedia 305, 320.
Melegnano 279.
Mendoza, Diego Hurtado de, spanischer
Diplomat (1503-1575), 211, 220.
Mesopotamien 175.
•29
338
Namen- und Sachregister.
Messina 173, 222.
Metalle, Metallindustrie usw. 73, 86,
108, 115, 124, 126, 160, 176, 193 f.,
240. S. auch BergAverke.
Metz 321 f.
MiUtärisches, Militärwesen 9—24, 37 bis
39, 57-62, 68 f., 71 f., 84, 90-94,
107, 112 f., 119-123, 129-132,
140 f., 144, 146, 151-153, 161-163,
175 f., 182-186, 196-200, 205,
209 f., 213, 216, 219, 224 f., 231,
237, 241, 283. S. auch Artillerie,
Feuerwaffen, Infanterie, Kavallerie,
Söldnerwesen, Marine usw.
Mittehtaüen 215, 294, 322, 324, 326.
Mittelländisches Meer 26—31. 33 f., 62
bis 65, 68, 71, 76—78, 93 f., 97, 114,
131, 177 f., 187, 202, 208, 243, 251,
300, 304 f., 311.
Mittelstand. Bürgertum 18, 41, 56, 82
bis 84, 86, 88, 119, 145, 160, 193,
196 — 198, 201, 204, 241,
Minen 92, 184.
Mirandola 274.
Modena, Herzogtum (unter den Este
von Ferrara stehend), 274, 295, 299.
Mohacs, Schlacht bei, 118, 121, 242, 301.
Mola di Bari 258.
Moldau, türkischer Tributärstaat. 179.
Molukken 101.
Mömpelgard (Montbehard), Grafschaft
im Besitze Württembergs, 107, 303.
Monaco, Fürstentum im Besitz der Gri-
maldi, 230 f., 233.
Monluc, Blaise de, französischer Soldat
und Memorialist (t 1577), 59, 203.
MonopoH 258.
Montalcino 327.
Montecenere 264.
i>Montesa«, die, 90.
Montferrat, Markgrafschaft, 327.
Montmorency, Anne de, Connetable
(1493-1567), 307, 325.
Montpensier, Graf von ( Gilbert de Bour-
bon), t 1496, 257 f.
Monzon, Waffenstillstand von (1537),
308.
More, Vertrag von (1525), 292.
Morea 189, 304.
Moriscos 83, 85, 87, 100.
Moritz, Kurfürst von Sachsen (t 1553),
318-322.
Morone, Girolamo XI, 294.
Morus, Thomas (1478-1535), 194.
Moskowiter 245, 248.
Mühlberg, Schlacht bei, 319.
Muley Hassan, »König« von Tunis (1526-
bis 1534 und 1535-1542), 305.
Munitionsindustrie 177. Vgl. im übrigen
Büchsenmeister und Waffenfabrika-
tion.
Münzer, Thomas, 181.
Mytilene 99, 243.
K.
Nassau, Graf von, 308.
Nationale Tendenzen 44 f., 129—131,
171, 176, 183, 238, 273, 321.
Navarra, Königreich, 68, 75 f., 79, 94,
98, 100-102, 247, 285, 290.
Navarra, Pedro, spanischer Seeräuber,
92.
Navigationsakten 55, 201.
Neapel, Königreich, 3, 32, 42, 68-70,
76-78, 92 f., 96-98, 103, 146, 157,
172, 175, 186, 191, 207, 216, 219,
221 f., 223-226, 229, 250-260, 264
bis 267, 269, 271, 273 f., 281, 284,
288 f., 292 — 294, 296, 298 f., 308,
322 f., 325. - Zug nach Neapel (1494)
s. unter Expedition. — Stadt 223,
254, 256, 258, 265 f., 296 f.
NeU, M., 132.
Niederdeutschland (Norddeutschland) 38,
96, 124, 126-128, 150, 207, 319.
Niederlande 13, 29, 34-36, 55, 63, 69,
71, 80, 85, 87 f., 97, 102 f., 104-114,
115, 117 — 119, 125, 127, 132, 138,
140-143, 145-148, 150, 159, 193,
198, 200, 206 f., 210, 229, 246, 249,
261, 283-285, 288, 292, 308, 310 bis
314, 322 f., 326, 328.
Niederösterreich 115, 118, 120.
Nieuport 326.
Nizza 230, 314. — Waffenstillstand von
j (1538), 309, 311.
i Nordafrika, nordafrikanisches Korsaren-
reich (Staat der Barbaresken) 32, 36,
65, 89, 94, 97-103, 118, 168, 175 f.,
178 f., 187, 189, 219, 222, 225, 229,
I 243-246, 297, 300, 304, 311. S.
auch Barbarossa.
Norddeutschland s. Niederdeutschland.
j Nordische Meere 29-31, 33 f., 201. -
Nordsee 28, 131.
j Novara 256 f., 263. - Schlacht bei, 278f.
I Noyers, Herrschaft 251.
! Noyon, Vertrag von (1516), 281.
, Nuntien 220 f., 305.
I Nürnberg 116, 121.
Namen- und Sachregister.
339
O.
Oberdeutschland (Süddeutschland) 13,
38 f., 115 f., 118, 120, 124-128,
133 f., 146, 150, 153, 157 f., 174,
208, 239, 284, 292, 302 f., 319, 321.
Oberitalien 61, 74, 101, 103, 121, 127,
142, 148, 151, 159, 161, 222, 256,
260 f., 267, 275 f., 278, 281, 285 f.,
288, 294 f., 309, 314.
Oberösterreich 115.
Ofen 242, 301 f., 310 f.
Öl 223.
Oran 244.
Orleans, Herzog von (= Karl, Sohn
Franz' I.), 309, 312, 314 f.
Orvieto 295.
Osmanen s. Türken.
Ostasien 2, 87.
Österreich 10, 14 f., 40, 56, 69 f., 103 f.,
107, 110, 114-123, 131 f., 134 f.,
137, 139 f., 142, 146-150, 153, 157 f.,
162, 164, 170, 174, 179, 190, 210,
241-243, 249, 261, 263, 269, 272,
282—284, 288, 320. — Haus Öster-
reich s. Habsburger. — Vorlande,
österreichische, 69, 115, 117, 120,
146, 150.
Ostia 259.
Ostsee 97, 106 — 108, 131. — Ostseeländer
36, 106, 192.
Otranto 258, 270.
Overyssel 105.
•Padua 270-272, 278.
Palästina 178.
Palermo 222.
Pamplona 285.
Papsttum, Päpste X, 16, 42, 47, 92,
149, 172, 178, 187, 204, 217 — 221,
225, 231, 262, 271, 273-280, 282,
284, 288, 293 f., 298, 303 f., 308,
325. — S. auch unter Kirchenpolitik,
Kirchenstaat und unter den Namen
der einzelnen Päpste.
Parenti, Piero (1450 — 1519), 86.
Paris 17, 61, 106, 314. — Abkommen
von (1498), 261.
Parma 257, 276, 280, 284, 295, 317, 320.
Passau, Vertrag von (1552), 321.
Pastor, Ludvdg, X, 220.
Patras 184.
Paul III. (Alessandro Farnese, 1468 bis
1549), 1534 Papst, 308 f., 317 f.
Paul IV. (Gian Pietro Carafa. 1476 bis
1559), 15.55 Papst, 325.
Pavia 276, 289, 295. — Schlacht bei, 46,
48 f., 66 f., 77, 191, 203-205, 207,
249 f., 289 L, 291-294, 296, 298,
306.
Pellikan, Konrad (1478 — 1556), 240.
Pelissier, Löon-G., IX f., 264.
P6ronne 308.
Perpignan 312.
Persien, Perser, 49, 180, 184, 189, 247.
Peru 80 f.
Pescara, Marchese di (Francisco Her-
nando de Avalos), 1490 — 1525 289,
294.
Petrus Martyr (1457-1526), 95.
Pfalz 318.
Pferde, Pferdezucht 37, 91, 93, 112, 200,
241. Vgl. auch Kavallerie.
Philipp (I.), der Schöne (1478-1506),
Sohn Maximihans I., 1494 Regent
der Niederlande, 1504 König von
Kastilien, 111, 251, 261, 268.
Philipp IL (1527-1596), Sohn Karls V.,
von 1556 an König von Spanien,
100, 311, 322-324, 326-328.
Philipp, Landgraf von Hessen (1504
bis 1567), von 1509 (1518) an Land-
graf, 129, 303, 319, 321.
Piacenza 276, 280, 284, 295, 317.
Picardie 287.
Piemont 75, 142, 230 f., 279, 307-309,
315, 317, 320, 327.
Pietrasanta 259.
»Pilgrimage of Grace« (1536), 197 f.
Pinkie, Schlacht bei, 316.
Piombino 211.
Pioniere 121 f. Vgl. im übrigen Befesti-
gungswesen, Belagerungen.
Pisa 174, 211, 214, 254, 259, 270. -
Konzil von P. s. unter Konziüen.
Pizarro 81.
Planitz, Hans von der. kursächsischer
Rat (t 1535), 243.
Po 257.
Pökelfleisch 159.
Polen VII, XII, 40, 76 f., 86, 97, 133,
139, 150-153, 190, 242, 245, 246,
248.
PoUard, A. F., VI. 198, 204.
»Ponant« 63, 72.
Pontremoli 256.
Portugal VII, XVIII, 7, 26, 35, 96, 99,
101 f., 105, 108, 114, 156, 178, 230,
243, 246 f., 292.
Preßburg 301.
22*
340
Namen- und Sachregister.
»Preußische kriegsgeschichtUche Schule«
(die Schule Hans Delbrücks) 25, 282.
S. auch Hobohm, Neil.
Prevesa, Seeschlacht bei, 310.
Propaganda, politische, 9 f. S. auch
Pubüzistik.
Provence 63, 68, 288, 297, 307, 314.
i Provveditori « 161.
PubUzistik 7-9, 67, 95, 139, 194.
Pulgar, Hernando del (ca. 1436-1500),
spanischer offiziöser Chronist, 94 f.
Pulver 121, 199 f., 202. Vgl. auch Ar-
tilleriewesen.
Pyrenäen 59, 100 f.
Q.
Quifiones, Francisco, 143.
B.
Ranke, L., VII.
Rapallo, Treffen bei, 253.
Ravenna 122, 270, 299. — Schlacht bei
58, 275.
Reformation, lutherische, ihr Einfluß
auf die Geschichte des europäischen
Staatensystems, X, 43, 50, 74, 130 f.,
134—136, 150, 197, 205 f., 209, 230,
234, 238 f., 302 f., 317 — 319, 323.
Regensburg, Vertrag von (1546), 318.
Reggio di Calabria 257.
Reis 208, 240.
»Reisläufer« 12, 16, 235, 263.
Renaissance 47, 219.
Renata, Tochter Ludwigs XII., Herzo-
gin von Ferrara, 278.
Rhein 124. — Rheinlande 124 f.
Rhodus 185, 301. — Großmeister 170.
Rimini 270.
Rincon, Antonio, spanischer Agent in
französischen Diensten, 311.
Ritter, Moritz, 124.
Ritterorden, spanische, 89 f.
Rohprodukte 37, 116, 124, 126 f., 176 f.
179, 193 f., 201, 212, 216. S. auch
die einzelnen Artikel : Getreide, Hanf,
Metalle, Salz, Wein usw.
Rom (Stadt) 9, 95, 190, 216. 220 f.,
294 f., 325. - Vertrag von (1555) 325.
Romagna 172, 213, 262, 265, 270 f.
Romier, Lucien, X, XXI, 317, 328.
Roussillon 98, 101, 251, 266, 312.
Rovere s. Francesco Maria und Julius II.
Roveredo 270, 272, 281.
Ruderschiffahrt 27, 27-31, 114, 156,
202 f., 219, 221, 228 f., 244.
RuscelU, Girolamo (t 1566), XI.
Rußland IX, 245, 248. S. auch Mosko-
witer,
Rustan (Rüstern), Großwesir unter Su-
leiman IL, 180.
IS.
Saalfeld, Allianz von (1531), 303.
»Sacco di Roma« (1527), 217, 294, 295,
297 f.
Sachsen 136, 302, 318, 321.
Sadolet, J. (1477-1547), X.
Salamanca, Gabriel, Graf von Orten-
burg, Schatzmeister Ferdinands L,
142 L
Salazar, A. de, 97.
Salinas, Martin de, Vertreter Ferdi-
nands I. bei Karl V., 31 f., 93, 143.
Salins 111.
»Salume« 159.
Salz 37, 53, 106, 108 f., 111 L, 115, 126,
155, 173, 176, 194, 208, 210, 216,
235 f., 239-241.
Salzburg, Erzbistum, 115.
Samt 207.
Sandoval, Prudencio de, spanischer Ge-
schichtschreiber (1553 — 1629), 86.
Sanuto, Marino, VI, VIII, 24.
San Yuste 323.
Sardinien 255, 260.
Sark 316.
Sarzana 258.
Sarzanella 258.
Savona 266, 296 f.
Savoyen XI, 73-76, 149, 227, 2801.,.
236, 255, 269 f., 306 f., 314, 325 bis
327. S. auch Piemont.
Schafzucht 88, 192-195.
Schanz, Georg, 195.
Schießwaffen 20. Vgl. im übrigen Ar-
tilleriewesen, Feuerwaffen.
Schiffsbau 87, 94, 123, 126, 156, 164,
177, 180, 201-203, 219, 229. -
Schiffsgeschütze 24, 164, 200, 202 L,
227, 253. — Schiffszwieback 159,
164, 227. Vgl. im übrigen noch Han-
delsschiffahrt, Marinewesen
Schiismus 189.
Schinner, Matthäus, Bischof von Sitten.
(1499—1522) 274.
Schlesien 114 f., 117, 150.
Schmalkaldischer Bund, Schmalk. Krieg
14, 50, 81, 92, 116, 121, 130, 135 bis
137, 302 f., 310, 313, 318-321.
Schottland XII, 7, 33, 43, 62, 73, 76„
108, 133, 191, 198 f., 204-206, 231,
Namen- und Sachregister.
341
243, 246!., 247, 292, 310-313, 315
bis 317.
Schutzwaffen 21, 61, 92, 121, 200, 208,
210. S. auch Waffenfabrikation.
Schwaben 120. — »Schwabenkrieg«
(1499) XI f., 151, 239, 262.
Schwäbischer Bund 131, 133 f., 284, 292,
303, 319.
Schwarzes Meer 170, 186.
Schweden 113, 246, 311, 313.
Schweiz, Schweizer, VII, 7, 43, 50,
73-76, 92, 111 f., 129, 140, 143 f.,
146, 151, 162, 171, 209 f., 216, 219,
227, 230-232, 233—240, 253, 257,
261 — 264, 273 — 281, 283, 286, 288
bis 290, 305 f., 312, 315, 319, 326. —
Die »schweizerische Ordnung«, die neue
Infanterietaktik 9 f., 10-17, 19 f.,
27 f., 37 f., 58 f., 64, 68, 70-72, 80,
91, 93, 120, 128, 130, 161 f., 183,
195, 199, 213, 224, 238, 257, 266, 283.
— Urkantone 209, 235 f., 240, 264.
— Zugewandte Orte 240, — »Schwei-
zerkrieg « s. Schwabenkrieg. — S. fer-
ner noch Reisläufer, Söldnerwesen.
Schweizer, Paul, 81.
Schwyz 240.
Segelschiffahrt 28-31, 34, 114. - Segel-
tuch 73.
Segre, Arturo, 74
Seide, Seidenindustrie, 87, 117, 126,
157 f., 178, 207, 212.
Seminara, Gefecht bei, 257.
SenigaUia 158.
Senlis, Vertrag von (1492), 251.
Serben 180.
Sesia 288.
Sforza s. Francesco, Lodovico Moro,
Maximilian.
Siebenbürgen 301, 310, 320.
Siena, Republik, 77, 211 f., 232 f., 322,
324 f., 327.
Sievershausen, Schlacht bei, 322.
Sittard, Schlacht bei, 312.
Sizilien 35-37, 69, 76, 80, 85, 87, 94,
96-99, 101, 103, 158, 164, 169, 172
bis 174, 221-223, 224-226, 228 f.,
252-254, 260, 264-267. S. auch
Unteritalien.
Skandinavien VII, 7, 43, 50, 108, 127,
132, 246 f.
Slawen 180, — Südslawen 182.
Slowenien 308.
Sofi s. Persien.
Söldnerwesen 10—18, 27, 37-39, 50,
53 f., 64, 70, 72-75, 79-82, 85 f., 91
bis 93, 112, 120, 124 f., 129, 132,
137, 144, 146, 151, 162 f., 173, 182
bis 184, 195, 197, 199, 205, 213, 216,
219, 221, 225, 227, 230-240, 262 f.,
273 f., 281, 283, 305, 312, 319 f. -
S. auch Landsknechte, Reisläufer.
Solway Moss, Schlacht bei, 312.
Somerset, Herzog von, Protektor von
England (1547-1549), 205, 316.
Spanien, spanisch, VI, XI, XVIII, 2—4,
9 f., 14, 16 f., 19 f., 27, 31-33, 35,
37 f., 40, 52, 56, 58 — 60,66-69, 71, 75,
77 f., 79-103, 104, 106, 108, 110,
112, 114-117, 122, 124, 128, 130,
134 f., 137, 139—142, 144, 146,
148 f., 154-156, 158, 158, 162 f.,
165-167, 169, 173-175, 180, 187,
192, 195, 200, 202, 207, 210, 219,
223-226, 228 f., 231, 238, 243—246,
249-253, 255, 257-261, 264-270,
272-279, 281-288, 294—296, 304 f.,
310, 312, 314 f., 322 — 327.
Speyer, Vertrag von (1544), 313.
Spezia 258.
Spieße 21.
»Sporenschlacht« 277.
St.-Dizier 314.
St.-Pol, Graf von (P'rangois de Bourbon),
297.
St.-Quentin 308, 325. - Schlacht bei,
325.
Stallwitz, K., 238.
Stände, Einfluß der Stände auf die aus-
wärtige Politik, 39-42, 55-58, 88
bis 90, 109-112, 117—119, 121, 123,
128-137, 150, 159, 179, 195-198,
215, 222 f., 241, 284, 293, 298, 302f.,
309 f., 313, 317 — 324.
Stradioten 15, 19 f., 58, 163, 209, 257.
Sträflinge, Verwendung auf Galeeren,
30, 63, 94, 221, 225, 229. Vgl.
im übrigen unter Ruderschiffahrt.
Strohindustrie 212.
Strozzi, Piero, 322.
Stuart, Beraut, seigneur d'Aubigny
(t um 1507), französischer Heerfüh-
rer, 257, 265.
Süddeutschland s. Oberdeutschland.
Südrußland (das heutige) 36, 158, 169.
Suleiman II. (1496-1566), Sohn Se-
Ums I., 1520 türkischer Sultan, 169,
301, 303, 310, 314.
Sund 106 f., 114, 246, 313.
Sundgau 107.
Syrien 157, 169, 175, 178, 247, 301.
842
Namen- und Sachregister.
Tarent 258.
Taro 257.
Tataren 182, 245, 248.
Technik 21 f., 72, 112 f., 177, 180, 182,
184 f., 189, 194, 197-199, 200, 202,
212, 253, 271. — Italienische Tech-
niker 60, 62, 92, 113, 163, 253, 288.
Teer 106.
Termes, Paule de, seigneur de Labarthe,
französischer Marschall, 326.
Terra di Lavoro 265.
Textilindustrie (speziell Wollweberei) 38,
53, 55, 85, 87 1, 106, 108, 110, 112,
117, 125 f., 145, 157, 177, 192-196,
207, 212 f.
Theiß 310.
Therouanne 277, 308, 322.
Tirol 115, 120, 122.
Toledo, Deklaration von (1539), 309.
Tolfa 218.
Torre, L. de, 92 f.
Toskana 274, 324, 327. Vgl. im übrigen
Florenz.
Toul 321.
Toulon 314.
Tournay 277.
Trani 93.
TrevigUo 271.
Treviso 270, 272.
Trient 116.
Triest 122 f., 146 f., 212, 270.
Tripolis 97, 244 f., 320.
Trivulzio, Gian Giacomo, französischer
Marschall (t 1518), 263, 274, 278. -
- Teodoro (1456—1532), Vetter des
Vorigen, id., Gouverneur von Genua,
297.
Trockendock 201.
Tudors 2, 56, 102, 145, 160, 165, 180,
193, 197 f., 201-204.
Tunis 97, 244, 304 f., 311, 320.
Turin 307.
Türken (Osmanisches Reich) VI, IX,
XVII, 1, 4 f., 7, 16, 19 f., 22 f., 27 f.,
31, 33—35, 37, 41, 47-50, 52, 54,
56 f., 64—66, 71, 76 f., 90, 92, 94,
96, 99 f., 103, 106, 109, 118, 120 f.,
124, 135, 139 f., 142, 144, 148, 152
bis 154, 156-159, 161, 164, 167 bis
170, 172-175, 175-191, 195, 219,
221-223, 225, 242-245, 247 f., 254,
282, 296, 298, 300 — 306, 310 f., 313,
318, 320—322. — Verbindung mit
Frankreich s. unter diesem.
Tyrrhenisches Meer 219, 228.
U.
Ulmann, Heinrich, 148, 154.
Ulrich, Herzog von Württemberg (geb.
1487, regierte 1498 — 1519 und 1534
bis 1550), 284, 308.
Ungarn XII, 7, 40, 42, 76, 114, 120 f.,
133, 135, 137, 139 f., 142 f., 152 bis
154, 158, 160, 174 f., 177. 183 f.,
189 f., 231, 240-243, 245-247, 270,
301 f., 309 f., 320—322.
Universalmonarchie s. Weltherrschaft.
Unteritalien 68, 94, 96-98, 100 f., 103,
137, 149, 212, 229, 250, 255, 260,
304, 326. S. auch Neapel und Si-
zilien.
Urbino, Herzogtum, 13, 158, 161, 173.
216, 220, 223, 231, 233, 281.
Utrecht, Bistum, 105.
Valdes, Juan de (ca. 1500-1540), 8.
Valence 307.
Valencia, Königreich, 31, 86.
Valentinois, Herzogtum, 262.
\'archi, Benedetto, florentinischer Ge-
.schichtschreiber (1502—1565), 16 f.,
161 f., 215, 217.
Vasto (Guasto), Marchese del (Alfonso
d'Avalos), 311, 315.
Vaucelles, Waffenstillstand von (1556),
323, 325.
Venedig, Republik, VI, X, XVII, 3, 6,
15, 19, 23, 27, 30, 32-38, 42, 44,
48 f., 57, 60 f., 66, 70, 76, 87, 95,
105, 114, 116—118, 121 — 123, 125,
139 — 143, 146-149, 152 f., 154 bis
175, 177-181, 185-190, 207-209,
212 f., 215-217, 219, 221 f., 225 bis
230, 232 f., 243 f., 255 — 259, 261 bis
265, 267 — 282, 286, 288-290, 293
bis 296, 299, 308, 310. — Bund von
(1495), 255-257, 260 f. - Vene-
zianische Relationen I, VIII, 13, 15,
17, 30-32, 34, 54-56, 60 f., 65 f.,
69, 74 f., 80, 84-86, 92, 98,110-112,
116-121, 124, 126, 128, 137, 160,
163, 166, 167, 169 f., 177 f., 181.
183 — 187, 189-192, 195-197, 200,
203, 205, 208-210, 220 f., 224-226,
229, 231, 238, 240, 244 f., 247.
Venloo, Vertrag von (1543), 313.
»Venturieri« 16.
Vera, Diego de, 93.
Vercelli, Vertrag von (1495), 257.
Verdun 321.
Verona 160, 270-272, 276, 280.
Namen- und Sachregfister.
34.^
Verwaltung (staatliche), Verwaltungs-
organisation, 40 f., 111, 119, 132 bis
134, 152, 155, 180 f., 196-198, 216,
218 f., 222-224.
Vesoul 262.
Vettori, Francesco (1474 — 1539), floren-
tinischer Staatsmann, XI, 17, 220.
Vicenza 62, 270 — 272.
Viehzucht 37 f., 80, 87, 105, 108, 194,
236, 238, 240.
Villach 321.
Visconti 260.
Viterbo, Vertrag von (1515), 281.
Vorderösterreich s. Österreich, Vorlande.
W.
Waadt 307.
Wachs 106.
Waffenfabrikation 21 f., 113, 116, 158,
160, 207 f., 210. S. auch Büchsen-
meister, Metallindustrie, Artillerie-
wesen, Technik.
Wallachei, türkischer Tributärstaat, 179.
Wallis 209, 240.
Walther, Andreas, XXI, 107.
Weidwirtschaft s. Viehzucht.
Wein, Weinbau, Weinhandel 52 f., 73,
115, 126, 157, 193 f.
»Weltherrschaft«, das Streben nach
( = das Streben nach Hegemonie über
Europa) 46, 77, 145, 251, 254 f., 274,
280, 284, 291, 293. Vgl. auch unter
Gleichgewicht.
Westminster, Vertrag von (1527), 295.
Wien 121, 139, 185, 302 — 304.
Wight 315.
Wilhelm IV., Herzog von Bayern, 31 H.
Wilhelm von Cleve 312 f.
Wimpfeling, Jakob, deutscher Huma-
nist (1450 — 1528), 139,
Windsor, Vertrag von (1522), 287.
Wirtschaftliches 3 f., 35 — 39, 52 — 55,
73, 88 f., 160 f., 168 f., 172 f., 232,
234 f. Vgl, im übrigen Handel, In-
dustrie, Rohprodukte, Söldnerwesen,
Bevölkerung usw.
Wittenberg 92. — Kapitulation von
(1547), 319.
Wolle (Schafwolle), 73, 80, 86 — 88, 102,
106, 108, 145, 155, 193 f., 207, 212.
— Wollindustrie s. Textilindustrie.
Wolsey, Thomas (1474 — 1530), Lord-
kanzler in England, XXI, 196, 198,
200, 203 f., 226.
Woodward, W. H., 216.
Worms 123.
Württemberg 107, 114 f., 124, 134, 14yf.,
152, 284, 292, 303.
Z.
Zapolya, Johann (ca. 1487 — 1540), Woi-
wode von Siebenbürgen, 1526 zum
König von Ungarn gewählt, 301, 303,^
308, 310.
Zimmerische Chronik 128.
Zinn 193.
Zucker 176.
Zurita, G. (1512 — 1580), aragonesischer
Chronist, XI.
Zütphen 313.
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