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Full text of "Geschichte des Gerichtswesens und Gerichtsverfahrens in Liv-, est- und Curland"

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■ • Geschichte 



des 



Gerichtswesens und Gerichtsverfahrens 



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Liv-, Est- und Ciirland. 



Von 



Dr. Frieclrioti GJ-eorgr von Biingfo. 



Reval. 

Verlag von Franz Kluge. 

1874. 




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^osBo^eHo iieHsypoH). 

PeBeJB, 9ro AnphÄK 1874. 



Druck der F. prir. Hofbuohdruokerei in Budolstadt. 



Vorwort. 



Der erste Entwurf zu diesem Werke war bereits im Jahre 
1848 vollendet. Dass es damals nicht auch veröjBfentlicht wurde, 
lag an äusseren Verhältnissen, dürfte der Schrift aber nur zum 
Vortheil gereicht haben, denn sie erscheint jetzt in vielfach 
verbesserter und vervollständigter Gestalt, und um mehr als 
das Doppelte erweitert. 

Diese Erweiterung ist vorzugsweise dem ersten Abschnitt 
zu gute gekommen, welcher die Grundlage des Ganzen bildet, 
und auf welchen der Verfasser daher sein Hauptaugenmerk ge- 
richtet und den grössten Fleiss verwendet. Dass dabei die neueren 
Forschungen der Germanisten nicht unbeachtet geblieben sind, 
wird der Sachkundige leicht erkennen , wenn auch nur selten auf 
dieselben in Citaten ausdrücklich verwiesen ist. Litteratur-Citate 
finden sich überhaupt nur dort, wo es darauf ankam, auf weitere 
Ausführung eines Satzes oder auf von der Ansicht des Verfassers 
abweichende Meinungen Anderer hinzuweisen. Die bei solcher 
Gelegenheit nicht ganz zu vermeidende Polemik ist übrigens 
überall in die Anmerkungen verwiesen. 

Wie der Verfasser die Häufung von Litteratur- Citaten ver- 
mieden, so hat er es auch unterlassen, so nahe es lag, verwandte 
Rechtsquellen des Deutschen Mittelalters mehr, als ihm durchaus 
geboten schien, zu berücksichtigen. Die heimischen Quellen 
Siessen reichlich genug, um ein anschauliches Bild zu liefern, 
und sind — so weit sie bis jetzt bekannt und zugänglich — in 
ihrem ganzen Umfange verwerthet worden. Dadurch ist freilich 
Einzelnes hineingekommen, was vielleicht eher in die Rechts- 
alterthümer zu verweisen gewesen wäre, deshalb aber hoffentlich 
nicht als ganz ungehörig erkannt werden wird. — Die Beschrän- 
kung auf die heimischen Bechtsquellen schien aber auch besonders 
geeignet, die nicht wenigen und nicht uninteressanten Eigen- 
thümlichkeiten der Livländischen Rechtszustände in das gehörige 
Licht zu stellen und zur Anschauung zu bringen. Diese Eigen- 
thümlichkeiten äussern sich vorzugsweise im Land- und Lehnrecht 
(weniger im Stadtrecht), und bestehen hauptsächlich in einer in 



4 



IV 



die Augen springenden Vereinfachung der Rechtsinstitute, in einer 
ganz selbständigen Entwickelung derselben und in einem zähen 
Festhalten am Althergebrachten. Aus dieser Zähigkeit erklärt 
es sich namentlich , dass das Römische Recht viel später und in 
weit geringerem Maasse zur Geltung gelangte, als in Deutsch- 
land. Eben daher haben, besonders in Estland (und demnächst 
in der Stadt Riga), wo die Fortbildung des alten Rechts nicht, 
wie in Livland und Curland, durch gewaltsame Umwälzungen 
behindert wurde, nicht wenige Rechtsinstitute seit mehr denn 
sechshundert Jahren ihre wesentlichen Grundlagen bis auf den 
heutigen Tag bewahrt. Während in Liv- und Curland, bei dem 
Uebergange aus dem sechszehnten in das siebenzehnte Jahr- 
hundert, das gesammte Gerichtswesen und Gerichtsverfahren 
ganz neu gestaltet wurde, entwickelte es sich in Estland, im 
engen Anschluss an das alte Recht, den Zeitbedürfnissen Rech- 
nung tragend und mit ihnen Schritt haltend, organisch fort. 
Dass aber diese Fortentwickelung in der vorliegenden Schrift 
meist genauer verfolgt und nachgewiesen werden konnte, ver- 
dankt der Verfasser vor Allem dem reicheren Quellenmaterial, 
welches ihm daiür zu Gebote stand: theils in der v. TolTschen 
„Brieflade*', theils in den Protocollauszügen aus dem sieben- 
zehnten Jahrhundert, welche der Landrath Ferdinand Sanison 
von Himmels tiern mit seltenem Fleisse angefertigt und dem 
Verfasser mit nicht genug anzuerkennender Liberalität zur Ver- 
fügung gestellt hat. Solche Hilfsmittel fehlten leider für die 
andern Provinzen , daher für diese die Darstellung dürftiger aus- 
gefallen ist. Dass aber für die Zeit seit dem Jahre 1561, wo 
die Selbständigkeit Livlands aufhörte, überhaupt nur die Haupt- 
veränderungen hervorgehoben, im letzten Zeiträume selbst nur 
Andeutungen gegeben sind, glaubt der Verfasser durch die Ein- 
leitungen zu den bezüglichen Abschnitten genügend gerechtfertigt 
zu haben. 

So viel zur Erklärung der sonst nicht zu rechtfertigenden 
Ungleichheit in der Behandlung der einzelnen Abschnitte dieses 
Werkchens, welches hiermit der freundlichen Nachsicht seiner 
Leser empfohlen sein mag. 

Gotha, im April 1874. 

Dr. §f. ^. V. iJitnge. 



Inhalt. 



ii 



Erster Alasohnitt. Gerichtswesen und Gerichtsverfahren während der 
bischöflichen und Ordensherrschaft § 1 — 58 

Einleitung. § 1 

Erstes Capitel. Von dem Gerichtswesen und den bei dem 
Processe vorkommenden Personen § 2 — 11 

I. Von der Gerichtsverfassung im Allgemeinen § 2 

n. Von der Gerichtsbarkeit überhaupt § 3 

in. Von der weltlichen Gerichtsbarkeit § 4 — 8 . 

1. Gerichte erster Instanz § 4 — 6 

ä) Richter — Beisitzer — Urtheiler § 4 

h) Arten der Gerichte. Zeit der Gerichtshe- 

gung. § 5 
c) Form der Gerichtshegung § 6 

2. Gerichte zweiter Instanz § 7 . 

3. Gerichte dritter Instanz § 8 . 

IV. Von der geistlichen Gerichtsbarkeit § 9 

V. Von den Parteien und deren Stellvertretern § 10 

VI. Von dem Gerichtsstande und der Zuständigkeit des 
Richters § 11 

Zweites Capitel. Von dem gerichtlichen Verfahren § 12 — 58 

L Allgemeines § 12 und 13 

il. Ordentliches Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen 
§ 14—47 

1. Verfahren in erster Instanz § 14 — 40 

a) Ladung § 14 . 

b) Klage § 15 

c) Vortrag der Klage. Antwort 
Einreden § 16 

d) Ferneres Verfahren. Replik 
Widerklage § 17 . 

e) Vom Beweise im Allgemeinen 

f) Beweismittel §19—25 . 

a) im Allgemeinen § 19 

ß) Der Eineid der Partei § 20 



des Beklagten 
und Duplik. — 

• • 

§ 18 . 



Seite 
1 



4 

7 



11 
15 
18 
21 

24 

27 

31 
35 



39 



44 

46 

48 
50 
51 



VI 

Seite 
y) Der Eid mit Gehülfen § 21 . 56 

8) Das Zeugniss Dritter § 22 . . . 60 
s) Das Gerichtszeugniss und Q der Augen- 
schein § 23 65 

ri) Urkunden § 24 68 

d) Gottesurtheü: Zweikampf, Wasser- und 

Eisenprobe § 25 72 

g) Wer hat zu beweisen? § 26. 27 . . 76 

a) Beweisrecht § 26 — 

ß) Beweislast. Gegenbeweis § 27 . . 81 

h) Beweisverfahren § 28 — 32 . . . . 83 

«) überhaupt § 28 — 

ß) Verfahren beim Beweise durch den 

Eid § 29 84 

y) Verfahren beim Zeugenbeweise § 30 87 

8) Verfahren beim Urkundenbeweise § 31 91 
«) Verfahren bei der Eisenprobe § 32 

t) Das üngehorsamsverfahren § 33 . 

k) Processualische Schutzmittel § 34. 35 
«) Gerichtliche Strafmittel. Wedde 
ß) Gerichtliche Bürgschaft § 35 

T) Urtheil § 36 

m) Bewahrung und Anweisung § 37 

n) Vollstreckung des Urtheils § 38 — 40 
a) Verfahren im Allgemeinen § 38 
ß) Urtheilsvollstreckung in ein Immobil 

§ 39 108 

y) Urtheilsvollstreckung in das Mobiliar 
und gegen die Person des Schuldners 
§ 40 110 

2. Urtheilscheltung. Verfahren in zweiter Instanz 
§ 41—43 

a) Urtheilscheltung § 41 — 

b) Zug an den Oberrichter § 42 . . .115 

c) Urtheil. Dessen Eröffnung und Vollstreckung 
§ 43 

3. Von den übrigen Rechtsmittehi § 44 — 47 . . 120 

a) Ueberhaupt § 44 — 

b) Revision § 45 — 

. c) Berufung an die dritte Instanz § 46 . 122 

d) Zug an die Oberhöfe § 47 . .123 



92 

93 

96 

§34 - 
99 

101 

104 

106 



113 



118 



VII 

Seite 

m. Ausserordentliches gerichtliches Verfahren in Civil- 

Sachen § 48 — 53 128 

1. üeberhaupt. Insbesondere vom Gastrecht § 48 — 

2. Verfahren in Beschlag- oder Arrestsachen § 49 129 

3. Verfahren in Besitz- and Gränzstreitigten g 50 

bis 52 • . 131 

a) Aelteres Recht § 50 — 

b) Fortbildung durch die Gerichtspraxis § 51 136 

c) Bekreuzigungsverfahren § 52 . . 139 

4. Verfahren in Läuflingsforderungssachen § 53 144 

rV. Verfahren in peinlichen Sachen § 54— 58 . . . 147 

1. Aelteres Recht. Fehde § 54 ... . — 

2. Klage um Friedensbruch und üngericht § 55 151 

3. Ueberführung des Verbrechers. Eid. Gottesur- 

theil § 56 153 

4. Flucht des Verbrechers. Verfestung. Friedlosig- 

keit § 57 157 

5. Untersuchungsverfahren, insbesondere in den 
geistlichen Gerichten § 58 161 

Zweiter Absolmitt. Veränderungen in dem Gerichtswesen und dem 
Gerichtsverfahren bis zur Unterwerfung der Ostseeprovinzen 

unter den Russischen Scepter § 59 — 108 .... 164 

Erster Titel. Gerichtswesen und Gerichtsverfahren in Estland 

während der Schwedischen Herrschaft § 59 — 77 . ~. . — 

Einleitung. § 59 — 

Erstes Capitel. Von der Gerichtsverfassung und den' Par- 
teien §60 — 63 168 

I. Gerichtsbarkeit -und Zuständigkeit der Gerichte § 60 

bis 62 — 

1. Landesgerichte § 60. 61 — 

2. Stadtgerichte § 62 177 

II. Die Parteien und deren Stellvertreter § 63 . 179 

Zweites Capitel. Gerichtliches Verfahren bei den Landesge- 
richten § 64—72 181 

I. Ordentliches Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitig- 
keiten § 64 — 67 — 

1. Verfahren in erster Instanz § 64 — 6Q . . — 
a) Verfahren bis zum Urtheil mit Ausnahme 

des Beweisverfahrens § 64 . . . . — 

h) Beweisverfahren § 65 185 



vin 



c) Yerändenmgen am Schlosse dieses Zeit 

raumes % 66 

2. Verfahren in den höheren Instanzen. Appel 
lation. Revision § 67 

n. Ausserordentliches Verfahren § 68. 69 

1. Fortbildung der alten ausserordentlichen Pro 
cessarteu § 68 

2. Neue Arten des ausserordentlichen Processes § 69 

Hl. Verfahren in Criminalsachen § 70 — 73 

1. Untersuchungsprocess § 70. 71 . 

a) Erweiterte Anwendung des üntersuchungs 

Verfahrens § 70 

h) Form des Untersuchungsverfahrens § 71 

2. Privatanklageprocess § 72 . 
8. Staatsanklageprocess § 73 . 

Drittes Capitel. Gerichtliches Verfahren bei den Stadtge 
richten Revalfl §74 — 77 

I. Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen § 74 — 76 

1. Ordentliches Verfahren § 74 

2. Ausserordentliches Verfahren § 75 . 

3. Appellation § 76 

in. Verfahren in Criminalsachen §77 

Zweiter Titel. Gerichtswesen und Gerichtsverfahren in Livland 
während der Polnischen u. Schwedischen Herrschaft § 78 — 98 

• Erstes Capitel. Die Landesgerichte und Verfahren bei den- 
selben § 78 — 90 

Einleitung. § 78. 79 

I. Gerichtsverfassung u. Zuständigkeit der Gerichte § 80 

n. Die Parteien und deren Stellvertreter § 81 

ITT, Gerichtliches Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitig- 
keiten § 82 — 87 

1. Ordentliches Verfahren in erster Instanz § 82—83 

a) Verfahren bis zum Urtheil, mit Ausnahme 
des Beweisverfahrens § 82 . 

b) Beweisverfahren § 83 . 

2. Berufung an die höheren Instanzen § 84 — 86 

a) Appellation und Querel § 84 . 
h) Verfahren beim Hofgericht § 85 

c) Revision § 86 

3. Ausserordentliches Verfahren § 87 . 



Seite 

189 

192 
198 

201 
204 



207 
211 
21;-) 

219 



221 
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230 
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238 



242 
243 

246 
247 

250 



in Gurland 



270 
272 

275 

278 



IX 

Seit« 

lY. Yer&hren in peinlichen Sachen §88 — 90 . 250 

1. Zuständigkeit der Gerichte in peinlichen Sachen 

§ 88 - 

2. Verschiedene Formen des Verfahrens g 89 . 252 

3. Weitere Fortbildung des Verfahrens § 90 256 

Zweites Gapitel. Gerichtswesen und Verfahren in der Stadt 

Riga § 91 — 98 259 

Einleitung § 91 — 

I. Gerichtsverfassung und Zuständigkeit der Gerichte g 92 261 

IL Die Parteien und deren Stellvertreter § 93 . . 264 

m. Gerichtliches Verfahren in bürgerlichen Bechtsstreitig- 

keiten §94—97 266 

1. Ordentliches Verfahren in erster Instanz § 94. 95 — 

2. Appellation. Querel. Revision § 96 

3. Ausserordentliches Verfahren § 97 
IV. Verfahren in Griminalsachen § 98 

Dritter Titel. Gerichtswesen und Gerichtsverfassung 
während der herzoglichen Regierung § 99 — 108 

Einleitung § 99 

Erstes Gapitel. Das Gerichtswesen und die Parteien § 100. 101 280 

I. Gerichtsverfassung und Zuständigkeit der Gerichte 

§ 100 '— 

n. Die Parteien und deren Stellvertreter § 101 . 284 

Zweites Gapitel. Das gerichtliche Verfahren § 102 — 108 . 285 

Einleitung § 102 — 

I. Ordentliches Verfahren in Givilsachen § 103 — 105 . 287 

1. Verfahren in erster Instanz bis zum Beweise § 103 — 

2. Beweis. — Schlussverfahren § 104 . . . 289 

3. Appellation § 105 291 

n. Ausserordentliches Verfahren in Givilsachen § 106 . 293 

m. Verfahren in Griminalsachen § 107. 108 .. . 298 

1. Verschiedene Formen des Verfahrens § 107 . — 

2. Das Anklageverfahren insbesondere § 108 . 299 

Dritter Absohnitt. Veränderungen in dem Gerichtswesen imd dem 

Gerichtsverfahren während der Russischen Regierung § 109— 1 18 302 

Einleitung § 109 — 

Erstes Gapitel. Veränderungen in dem Gerichtswesen § 110 

bis 113 304 

L Bis zum Jahre 1783 § 110 — 



Seite 

, IT. Einführung der Statthalterschaftsverfassung § 111 . 306 

m. Veränderungen im Laufe des neunzehnten Jahrhun- 
derts § 112 ... , 309 

IV. Die Parteien und deren Stellvertreter § 113 . . 313 

Zweites Capitel. Veränderungen in dem Geriphtsverfahren 

§ 114-118 . . 315 

I. Einfluss der Statthalterschaftsverfassung auf das Ver- 
fahren überhaupt § 114 — 

II. Ordentlicher Civilprocess § 115 316 

ni. Ausserordentliche Civilprocesse § 116 . . . 319 

IV. Criminalprocess § 117. 118 321 

1. Anklage verfahren § 117 — 

2. üntersuchungsverfahren § 118 . . . . 322 



Anhang. Nachweisung der in verschiedenen Werken zerstreut 

gedruckten Urkunden 324 

Nachwort 326 

Nachträge und Berichtigungen 327 

Alphabetisches Register 329 



Erster Abschnitt. 

Gerichtswesen und Gerichtsvei*fahren während 
der bischöflichen und Ordensherrschaft. 



Einleitung. 

§1. 

Während der bischöflichen und Ordensherrschaft war — 
abgesehen von der verschiedenen Gerichtsverfassung — im 
üebrigen das Gerichtswesen, besonders aber das gerichtliche 
Verfahren im gesammten alten Livland — in dem heutigen 
Livlar sowohl, als in Est- und Curland, — in den Städten, 
wie a^i' dem Lande, im Wesentlichen durchaus gleichförmig 
gestaltet, und nur in einzelnen Beziehungen finden sich hin 
und wieder einige Abweichungen. Es erseheint daher zweck- 
mässig, zur Vermeidung von Wiederholungen, die nachfolgende 
Darstellung allgemein zu halte ^ und die einzelnen Abweichungen 
niu' gelegentlich anzugeben. 

Im Verlauf der viertehalb Jahrhunderte (vom Anfange des 
dreizehnten bis zum Jahre 15G1), welche dieser Zeitraum um- 
fasst, gingen zwar im Gerichtswesen überhaupt und im Ver- 
fahren insbesondere einige Veränderungen vor; dieselben waren 
jedoch keinesweges von dem Umfange und so durchgreifend, wie 
seit dem fünfzehnten Jahrhundert, durch den Einfluss des Rö- 

Bunge, Geschichte des Gerichtswesens. l 






• ; / » .mischen Rechts, im Deutschen Mutterlande. Vielmehr erhielt 

/ / ' ' sich im alten Livland der Altdeutsche Process bis zum Schlüsse 

' ;/ y^. y dieses Zeitraums im Wesentlichen unverändert. Die nachstehende 

«A^.»f I , ^^Darstellung nimmt daher vorzugsweise auf diese letztere Zeit, 

■i./''- . i'/i,-d. i. die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts, Rücksicht, ohne 

>Vt«i,. . .,.. -jedoch die Entwickelung des damaligen Rechtszustandes aus dem 

j y , . '^ 

'7 •- > •' '^ älteren ausser Acht zu lassen. 
: . . ' '. • Eben daher und zur Vermeidung der Häufung von Citaten 
i; '. '. v^erden in der Regel nur die jüngsten Rechtsbücher dieses Zeit- 
, ..raumes angeführt werden, zumal in ihnen die älteren meist 
: ,' ' -aufgenommen sind: so im sog. mittleren Livländischen Ritter- 
Aj.'.M'^' /recht das Waldemar-Erich'sche Lehnrecht, das älteste Ritter- 
' . . -' recht und der Livländische Rechtsspiegel ; in dem umgearbeiteten 

oder sog. Oelrichs'schen Rigischen Stadtrecht die älteren Re- 
dactionen desselben. Von dem Lübeck'schen Stadtrecht sind 
die beiden in v. Bunge 's Revaler Rechtsquellen abgedruckten 
Texte des älteren Lübeck'schen Rechts, der Lateinische durch 
L, der Deutsche durch IL bezeichnet. Das besonders wichtige 
Formiüare procuratorum von Dionysius Fabri wird nach 
den in der Oelrichs'schen Ausgabe angegebenen Seitenzahlen 
der ältesten Edition vom Jahre 1539 citirt; die nach Reval 
ergangenen Ordele des Rathes zu Lübeck nach der Sammlung 
in A. L. J. Mich eisen 's Oberhof zu Lübeck. Altena, 1839. 
Anderweite einzelne Urkunden sind nach v. Bunge 's Urkunden- 
buch und seiner und v. Toll 's Brieflade allegirt, die in diesen 
Sammlungen nicht enthaltenen nach ihrem Datum. Ein chrono- 
logisches Verzeichniss der letzteren, am Schlüsse des Werkes, 
giebt zugleich den Ort an, wo dieselben, so weit sie gedruckt, 
zu finden sind'). 

^) Ueber alle diese Kechtsquellen ist zu vergleichen v. Bunge 's 
Einleitung in die Liv- , Est - und Curländische Rechtsgc schichte. Reval 
1«49. 8. 



Von litterarischen Hülfsmitteln sind nur anzuführen : R. von 
Helmersen, Geschichte des Livländischen Adelsrechts bis zum 
Jahre 1561 (Dorpat und Leipzig 1836) § 22—27. 97-125. 151. 
— Oswald Schmidt, das Verfahren vor den Manngerichten 
in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, zur Zeit der bischöflichen 
und Ordensherrschaft in Livland. Dorpat 1866. 



Erstes Capitel. 

Von dem Gerichtswesen und den bei dem Processe 

vorkommenden Personen. 

I. 
Von der Gerichtsverfassung im Allgemeinen. 

§2. 
In den Städten bildete die Gerichtsverfassung sich im Ganzen, 
wie im Einzelnen, durchaus nach dem Muster der Deutschen 
Städteverfassungen aus, und zwar in Reval nach dem Stadtrechte 
Lübecks, in Riga und dessen Tochterstädten nach dem Ham- 
burgs. — Dagegen nahm die Entwickelung der für das Land 
bestimmten gerichtlichen Institutionen in Livland einen ganz 
eigenthümlichen Gang. Wie das gesammte Staats- und Privat- 
recht gleich Anfangs in dem Lehnwesen seine wesentliche Grund- 
lage fand, ja in demselben aufgingt), so war dies auch insbe- 
sondere mit der Gerichtsverfassung der Fall. Daher findet sich 



2) S. überhaupt v. Helmersen 's Geschichte des Adelsrechts § 4, 
7. 28. Geschichte des Livländischen etc. Privatrechts (St. Petersbui-g 
1S02. 8.) § 25. 



im alten Livland keine Spur von Landgerichten und von beson- 
dern, von jenen geschiedenen Lehnhöfen. Vielmehr treffen wir 
in allen Territorien, ohne Ausnahme, nur Lehngerichte an, 
welche eben daher die Benennung Manngerichte (indicia 
vasallorum) führten, allein schon sehr bald, wenn nicht schon 
von ihrem Ursprünge ^.n, den Character und die Bedeutung der 
gemeinen Gerichte im Lande erhielten*). Da sie jedoch bloss 
die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Sachen hatten, so bestand 
neben ihnen noch für Polizei- und Strafsachen die Gerichtsbar- 
keit der landesherrlichen Vögte. — Die geistlichen Gerichte 
bewahrten auch in Livland ihren allgemeinen, im canonischen 
Recht festgestellten Character. Hingegen die richterliche Gewalt 
der Vasallen über ihre Hintersassen gestaltete sich wiederum 
auf eigenthümliche Weise. 

II. 

Von der Gerichtsbarkeit überhaupt. 

§3. 

Alle Gerichtsbarkeit ging, als eines von den Hauptattributen 
der Landeshoheit, von dem Landesherrn aus: in Harrien und 
Wierland, so lange es Dänisch war, vom Könige, später von 
dem Hochmeister des Deutschen Ordens, dann von dem Liv- 
ländischen Ordensmeister ; von diesem auch in dem übrigen 
Ordensgebiete; in dem Erzstift Riga von dem Erzbischof, in 
den Stiftern Dorpat, Oesel, Curland und Reval von den bezüg- 
lichen Bischöfen. Der Erzbischof und die Bischöfe hatten so- 
wohl die weltliche, als auch die geistliche Gerichtsbarkeit*): 



3) 0. Schmidt, Verfahren vor den Manngerichten S. 1 fgg. v. Hel- 
me r s e n a. a. 0. § 26. 

*) Mittleres Livl. Ritterrecht c. 88: „De hischop en mach sine wertUke 
manne nicht [bannen um toertlike sdke, he vorvolge denn de sjke mit wert- 



letztere war ihnen von dem Pabste, erstere von dem Römischen 
Kaiser verliehen*), von welchem — wenigstens mittelbar — 
auch der Ordensmeister die weltliche Gerichtsbarkeit hatte*), 
während die geistliche Jurisdiction auch in den Ordenslanden 
von den Bischöfen in deren bezüglichen Sprengein geübt wurde ') ; 
die geistliche Jurisdiction des Erzbischofs erstreckte sich über 
seine ganze Provinz®). 

Die Landesherrn übten jedoch die Gerichtsbarkeit nicht 
immer persönlich aus, sondern übertrugen sie zum Theil be- 
sondern Richtern, welche daher als ihre Stellvertreter er- 
scheinen •). Solche Richter waren sowohl für das Land angeordnet 



likem rechtey sindt he dat wertlike mit dem geistliken hefV S. 
auch Gregors IX. Bulle vom 24. Febr. 1236 (ÜB. No. 145). 

®) 8. die verschiedenen Investiturbriefe der Römischen Kaiser, zu- 
nächst die am 1. Decbr. 1225 den Bischöfen von Riga und Dorpat ertheilten 
(ÜB. No. 67. 68). 

8) ürk. Kaiser Friedrichs IL vom Juni 1245 und Kaiser Ludwigs IV. 
vom 8. Mai 1332 (ÜB. No. 185 und 749). Dem Meister des Ordens der ' 
Schwertbrüder war die weltliche Gerichtsbarkeit ursprünglich bei der 
Landestheilung von den bezüglichen Bischöfen verheben (ürk. des Bischofs 
Hermann von Dorpat vom 23. Juli 1224, des Bischofs Albert von Riga aus 
derselben Zeit (ÜB. No. 62 und 70), und er Hess sich dieselbe vom Kaiser 
bestätigen (ürk. Kaiser Friedrichs vom Mai 1226, ÜB. No. 90). Auch die 
Gerichtsbarkeit des Meisters des Deutschen Ordens hat in Livland eigentlich 
denselben Ursprung: ürk. des Bischofs Heinrich von Oesel vom 28. Februar 
1238, ÜB. No. 156. Vergl. auch die ürk. des Bischofs Emund von Curland 
vom 9. Mai 1290, ÜB. No. 532. 

') S. die Bullen Innocenz IIL vom 20. Octbr. 1210 und 25. Jan. 1212, 
Honorius HL vom 30. Octbr. 1217 und 10. Decbr. 1226, Gregors IX. vom 
24. Febr. 1236 und 12. Mai 1237. ürkk. der Bischöfe Albert von Riga und 
Hermann von Dorpat vom 23. und 24. Juli 1224, Entscheidung des Legaten, 
Bischofs Wühelm von Modena, vom August 1225. ÜB. No. 16. 24. 40. 62. 
63. 73, b. 74. 92, a. 145. 149. 

« 

«) ürkk. vom 24. Februar und 3. März 1251. ÜB. No. 218 und 219. 

•) Mittl. Livl. RR. c. 76: „Stedet de hischop enen richter to richten an 
8 in er siede etcj' c. 100: f^Nen m^n mach ein richter sin, sunder vulbort 
und gehete des bischopsj^ 




6 



— Mannrichter'®), Hakenrichter »0, Stiftsvögte, Or- 
denscomthure und Ordensvögte**), — als auch für die 
Städte — Stadtvögte^'). Jedem Vasallen endlich war die 
Gerichtsbarkeit über seine Unterthanen (Bauern) auf seinem 
Lehngute verliehen, jedoch hatten bloss die Harrisch-Wierischen 
Vasallen auch die höhere, d. i. peinliche, die übrigen nur die 

niedere — Civil- und Polizei Jurisdiction**). — Gränzstrei- 

tigkeiten in Stadt- und Dorfmarken sind vor Schiedsrichtern 
zu verhandeln, welche von den Parteien gewählt werden'*). 



*°) Deren Bedeutung als „gemeine Richter des Landes" (s. oben § 2) 
wird ausdrücklich bezeugt in dem Privilegium des Erzbischofs Johann 
ßlankenfeld vom 20. Septbr. 1524. 

^*) S. über diese unten § 53. 

") Die Stifts - und Ordensvögte , so wie die Ordenscomthure , übten 
die höhere oder peinliche Gerichtsbarkeit, jeder in seinem Bezirke, aus, 
und zwar die Ordensvögte und Comthure zum Theil auch in den Städten 
des Ordensgebietes, ürk. vom October 1318 (ÜB. No. 3112, a.), vom 30. 
März 1330 (das. No. 741). Privil. des Bischofs von Oesel Johann Kievel 
vom 15. Decbr. 1524 Art. 8. 

*3) Urkk. des Legaten, Bischofs Wilhelm von Modena, vom Decbr. 
1225, der Bischöfe Albert von Riga v. J. 1211 und Hermann von Oesel v. 
J. 1279 (ÜB. No. 20. 75. 461). Eine beschränkte Gerichtsbarkeit verheb 
in den Städten der Rath auch den Aeltermännem der Gilden und Zünfte. 
S. z. B. die Scraen der Leichnamsgilde in Reval (ÜB. No. 593), der Maurer- 
gilde in Riga v. J. 1390 § 22 und 25 (ÜB. No. 1276), der Bäcker in Riga 
V. J. 1392 § 19. 20 (ÜB. No. 1305), der Stadtdiener in Riga v. J. 1414 § 7 
(ÜB. No. 1979), der Zimmerleute in Reval v. J. 1420 § 8 (ÜB. No. 2407) 
u. a. m. S. auch unten Anm. 24. 

^*) Waldemar-Erich'sches Lehnrecht Art. 1. Privil. des 0. M. Wolter 
von Plettenberg v. 27. März 1525. Privilegium Sigismund Augusts vom 
28. Novbr. 1561 Art. 26. v. Bunge 's Entwickelung der Standesverhält- 
nisse S. 15. ^,-4 / . •// ^ y ;,.,, ./. / ... /;:...'■'. . ..-., • - ., t -' 

") Mittl. Livl. RR. c. 92. ürk. des Legaten, Bischofs Wilhelm von 
Modena, vom J. 1226 (ÜB. No. 135). Auch in anderen Sachen werden die 
Parteien zuweilen vom Gericht an Schiedsrichter verwiesen. S. z. B. die 
Brieflade No. 570. 722 und 728. — Den fremden Kaufleuten war — 
wenigstens im dreizehnten Jahrhundert — gestattet, zur Entscheidung der 
unter ihnen entstehenden Streitigkeiten, aus ihrer Mitte Richter zu wählen. 

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HI. 

Von der weltlichen Gerichtsbarkeit. 

1. Gerichte erster Instanz : a) Biohter — Beisitzer — Urtheller. 

§4. 
Das Wesen der Deutschen Gerichtsbarkeit bestand in der 
Vollstreckung des Rechts: der Richter leitet daher die gericht- 
lichen Verhandlungen, hört die Parteien, ist beim Beweisver- 
fahren durch Verhör der Zeugen, Abnahme des Eides etc. thätig, 
und vollstreckt das Urtheil; mit der Feststellung des letztern, 
mit dem eigentlichen Rechtsprechen, hat er dagegen nichts zu 
thun*«). Dieses ist vielmehr Sache der Urth eiler oder Recht- 
finder*'), an deren Spitze — wenigstens in dem Manngericht 
— ein Urtheilsmann stand*®). Von dem Urtheilsmann und 



(Handelsprivilegien der Livländ. Landesherm vom 29. März 1277 und vom 
6. Januar 1299. ÜB. No. 453. 576). Dies ist wahrscheinlich auch der Ur- 
sprung des Voigts der Pilger (der pelegrime voget) in dem Rigischen Stadt- 
recht, bei Oelrichs S. 64. 

") M. L. RR. c. 214: „Dß ricliter schal geliJc nchter sin allen lüden, 
und he en schal ordel noch finden edder scheiden.^' Fabri forrmüare pro- 
curatorum S. 7 (Anm. 18). Daher kennt das alte Livländische Recht keine 
Recusation des Richters. Fabri S. 8. Dass in den Räthen der Städte 
die Rathsglieder in Sachen ihrer Verwandten und Freunde abtreten mussten 
(Rig. StR. I, 6. Lüb. StR. II, 205. 222), erklärt sich daraus, dass sie zu- 
gleich Urtheiler waren. S. unten § 7 und überhaupt 0. Schmidt a. a. 0. 
S. 19 fgg. 

"} Die Urtheiler bei den Manngerichten werden auch Geschworene 
genannt, weil es Vasallen sein mussten, die dem Landes- und Lehnsherrn 
den Huldigungseid geleistet. (Schmidt S. 17 fg.). Dass sie aber weder 
mit den Geschworenen des Altdeutschen und heutigen Redits, noch mit 
den Schöffen verwechselt oder identificirt werden dürfen, hat Schmidt 
S. 25 fgg. gründlich ausgeführt. 

") M. L. RR. c. 130, vergl. auch c. 75. Fabri S. 7: „In vorstelli- 
gen hlage und antwerdes hehöret deni richter allene, dat recht to hegende 
und to vullmechtigende, de sähe antohörendey mit sinen hesitteren, und darna 
de ordelsmenne mit des heren geschworen aftowisende, und (umme) ein recht 



8 



den ürtheilem sind noch die beiden Beisitzer oder Ding- 
mannen unterschieden, welche aber auch nichts mit der Ent- 
scheidung der Rechtsstreitigkeiten zu thun'*), vielmehr nur die 
bei Gericht vorkommenden Verhandlungen zu bezeugen^®), und 
darauf zu sehen hatten, dass bei der Verhandlung keiner Partei 
Unrecht geschehe, und dass überhaupt nichts Widergesetzliches 
begangen werde**). Die Beisitzer und der ürtheilsmann führen 
auch die gemeinsame Benennung: Folg er oder Mit folger des 
Richters**). — In den Städten gehörte zu den Gerichtspersonen 
noch der Gerichtsbote, Frohne oder Büttel (pracco) genannt, 
welchem die Ladung der Parteien, die Bewachung Angeklagter, 
die Vollstreckung der Urtheile u. dergl. oblag*'). Nach dem 
Lübeck'schen Stadtrecht stand demselben sogar eine Gerichtsbar- 
keit in geringfügigen Sachen zu**). 

Der Richter wird von dem Landesherrn eingesetzt*^); später 
nehmen auch die landesherrlichen Räthe (Stiftsrath, Landesrath) 



up klage und antwert in der sdken to vinden und intobringendej* S. auch 
das. S. 90 fgg. 

^') S. indess unten Anm. 34. 

2«) M. L. RR. c. 13 a. E. c. 76: yy Siedet de bischop enen richter to 
richtende an siner siede y loat dar gerichtet edder geendigei wert, des is 
(mach?) de richter wol vuUenkamen mit sinen waren worden und twe ding- 
manne y de des stichtes manne sin, up den hilligen y dat en mach nen mxin 
wedderspreken.^^ c. 210: ,ySiervet ein richter y wat bi sinen dagen gesehen iSy 
dat schalen betüge^i de bisittery in des richiers staV^ S. noch das. c. 204 und 
vergl. das Rig. StR. I, 18 a. E. 

2^) Rig. StR. II , 2. Lüb. StR. 1 , 109 : yy Advocatus non debet presidere 
iudiciOy nisi duo de consilio sedeant iuxta eum, ut audiant et videanty ne 
alicui pauperi aut diviti iniuria fiat." 

^^) Verordnung des 0. M. Wolter von Plettenberg vom 24. Juni 1509 
Art. 11. Fabri S. 90. 

2») Aeltestes Rig. StR. (ÜB. No. 77) Art. 26. Umgearb. Rig. StR. I, 
10. II, 14. 18. Lüb. StR. I, 45. 53. ÜB. No. 924, 91. 2432. 

") Lüb. StR. I, 54. II, 233. 

2») M. L. RR. c. 76 und 100 (Anm. 9), Kaiser Friedrichs II. Privil. 
vom Juni 1245 (ÜB. No. 185). Fabri S. 5. In Harrien und Wierland 



9 



an der Ernennung der Mannrichter AntheiP»), so wie in den 
Städten die Stadträthe schon früh das Recht erwarben, selbst 
einen Richter, Stadtvoigt, anzustellen"). Zu Beisitzern in 
den Manngerichten konnte der Mannrichter jeden erblichen Lehns- 
mann^®) — mit Ausnahme der Glieder des Stifts- oder Landes- 
raths — auffordern, welcher solchem Rufe bei Strafe folgen 
musste'*). In den Städten dagegen waren jedesmal zwei Raths- 
glieder Beisitzer'®). Zum Urtheilsmann konnte der Mannrichter 
auch nur einen erblichen Vasallen — nur kein Mitglied des 
Landes- oder Stiftsrathes — bei Strafe auffordern'"). Die Ur- 



war während der Dänischen Herrschaft der königliche Hauptmann vom 
Könige als Richter eingesetzt (Waldemar - Erich'sches Lehnrecht Art. 28\ 
und er ernannte die Mannrichter. Urk. v. 29. April 1346 , ÜB. No. 846, a. 

2«) Fabri S. 100. 

2') Für Riga s. die Entscheidung des Legaten , Bischofs Wilhelm von 
Modena, vom Decbr. 1225 (ÜB. No. 75), die Privilegien der Erzbischöfe 
Johannes L vom 20. August 1275, Johannes HJ. vom April 1296, Friedrichs 
vom 9. Octbr. 1305 (ÜB. No. 443, 563 und 617). Für Eeval: Privil. der 
Königin Margareta von Dänemark vom 13. August 1265 (ÜB. No. 390). Für 
Hapsal: Privil. des Bischofs Hermann von Oesel vom J. 1279 (ÜB. No. 
461) etc. 

28) Vergl. die Brieflade No. 534 und Schmidt S. 17 fg. In dem 
Erzstift Riga wurden später auch Pfandgutsbesitzer als Beisitzer zugelassen. 
Privil. des Erzbischofs Thomas vom 16. Novbr. 1531, unten Anm. 31. 

2*) Fabri S. 8. 91. Diese Beisitzer waren übrigens keine ständigen; 
es konnten vielmehr bei jeder Gerichtshegung , ja für jede einzelne Ver- 
handlung, Andere vom Richter zugezogen werden, wahrend der Mann- 
richter selbst sein Amt von einem Mann tage bis zum folgenden bekleidete. 
Fabri S. 5. 99. 

'*>) Rig. StR. II, 2: „De ratmanne , de bi dem vogede sitteV^ Das. 
III, 1. Lüb. StR. I, 109 (oben Anm. 21). 

81) M. L. RR. c. 244 (unten Anm. 112). Fabri S. 91: „De manrichter 
heft och vullenkamen gewalt, — — — de twe bisitter und ordelsman to vor- 
schrivende und to gebedende, ut der ridderschop stiftesmanne , wenner dat 
eme drechlik is, sotvol de erfheren dlse de pandheren, bi vorbör einer mark 
lödich sulver, utgenamen aUene de, de in dem rade sitten, dar aver heft de 
manrichter nen gebot/' Davon abweichend heisst es S. 9 : „So me nemandes 
tom ordelsmanne, in tüchenisse edder süs to vorhörende, bekamen könde einen 



10 



theiler mussten, ^ie es scheint, Standesgenossen der Parteien 
(zunächst des Beklagten) sein'*). Ihre Zahl ist nicht bestimmt: 
vielmehr mochte es dem Ermessen des Urtheilsmannes anheim- 
gestellt gewesen sein, wie viele er „Rechts fragen'' wollte'''). Im 
Falle der Noth — wenn z. B. bei einem gebotenen Gericht (§ 5) 
keine anderen Standesgenossen der Parteien zur Stelle waren — 
durfte der ürtheilsmann die Beisitzer Rechts fragen'*). Von der 



erfheren, de gesworen were, mach ein ungesworen pandhere wol to ordel 
stan, in getüehnisse to vorhör en^ und sus nicht." Beide Stellen 
lassen sich indess so vereinigen, dass die letztere — wie der Zusammen- 
hang lehrt — von Verhandlungen auf den allgemeinen Manntagen handelt 
(wo es an Erbherren nicht fehlen konnte), während die erster e von ausser- 
ordentlichen (gebotenen) Gerich tshegungen zu verstehen ist. S. auch unten 
Anm. 34. — Das oben, Anm. 28, angeführte Privilegium des Erzbischofs 
Thomas vom J. 1531 gestattet, auch Urtheilsmänner aus der Zahl der 
Pfandherren zu berufen: „Mit denen, so in pandtgerechticheit sltten edder 
ere jare mit eren husfrowen in den guderen hebhen, höven und guderen vor 
er gelt, soll men idt vortmer also mit holden: de solen nicht myn alse de 
erfheren in des Stiftes besten gebruket werden, dewile se in dem stifte zvonen 
und de gudere besitten, ok bisiUer und ordelsluide sin etc. 

32) Vergl. das m. L. RR. c. 130 und 244 (unten Anm. 35 und 112). 
In einem Rechtsstreit des Erzbischofs von Riga gegen einen seiner Vasallen 
nahmen der Probst und die übrigen Glieder des Domcapitels, die zum 
Manntage sich eingefunden, das Recht in Anspruch, beim Urtheilfinden 
mitzuwirken. Die Vasallen bestritten diesen Anspruch, gaben aber zuletzt 
nach, weil sie die Domherren „forsitan propter aiitiquavi consiietudinem^' 
nicht ausschliessen könnten (ürk. vom 10. Januar 1385. ÜB. No. 1218). — 
Auch in Sachen der Bauern mussten Ihresgleichen Urtheilsfinder sein, sie 
wurden jedoch nicht aus demselben Gebiete, zu welchem die Parteien 
gehörten, sondern aus einem andern, benachbarten Gebiete genommen. 
Verordn. des 0. M. Andreas von Velven vom J. 1241 (unten Anm. 44), 
des Erzbischofs Michael vom 31. Januar 1494. Rüssow's Livl. Chronik 
Bl. 18. 

33) Daraus, dass nach dem m. L. RR. c. 130 (Anm. 35) vier Mannen 
nach einander um das Urtheil gefragt werden konnten, hat v. Helmersen 
a. a. 0. § 99 mit Unrecht gefolgert , dass die Zahl der ürtheiler auf vier 
beschränkt gewesen sei. S. dagegen Schmidt a. a. 0. S. 25 fg. 

3*) Fabri, form. procur. S. 105 (nach der Emendation bei Schmidt 
S 27 Anm. 95): „Item so t/redt de ordelsman af, eschet und nimt to sik de 



11 



Verpflichtung, das Recht zu finden, konnte sich der vom Urtheils- 
manne Befragte nur durch die eidliche Versicherung befreien, 
dass er es nicht finden könne; überhaupt waren die Urtheiler 
nur gehalten , das Recht nach ihrem besten Wissen auszusprechen, 
und, wenn sie eidlich bekräftigten, dass sie es nicht besser 
gewusst, waren sie von jeder ferneren Verantwortlichkeit befreit ^^). 
Niemand konnte jedoch gezwungen werden. Recht zu finden 
gegen seinen Lehnsherrn, gegen seinen Vasallen und gegen seinen 
Verwandten, wenn es diesen an Ehre und Gesundheit geht^^). 

h) Arten der G-eriohte. — Zeit der Qerlchtshegung. 

§5. 

Die Gerichte waren entweder gebotene oder ungebotene 
Gerichte. Letztere waren solche, welche nicht besonders an- 
gesagt (geboten), sondern zu bestimmten Zeiten im Jahre gehalten 
wurden, und zu welchen sich sämmtliche Eingesessene des Ge- 
richtsbezirks einfinden mussten, ohne dazu einzeln aufgefordert 
zu werden. 

In den Städten wurden solche ungebotene oder offenbare 
Gericht j, placitum legitimum, Echteding oder Eddag 
genannt, mehreremal im Jahre gehalten; namentlich in Reval 
dreimal: Montags nach Ostern, Montags nach Pfingsten und 
Montags nach Epiphanias^''); in Riga vermuthlich schon damals, 



geswaren des Stiftes, alldar tor stedde. So dar nene geswarene, so heft de 
ordelsmcm macht, beide hisitter up to eschen und siJc dar mede to heraden.** 

•*) M. L. RR. c. 130: „Wen rnen einen man eines ordels fraget, und 
he des nicht finden kan, darf he dar sin recht to dönde, dat he des nicht 
finden könne, so mach he idt wol fragen einen andern, darna den drüdden 
und den veerden, Tom latesten dar he dar sin recht to don, dat he des 
noch nicht gönnende en könne, he finde idt doch bet to dem menen dage" 

»•) Das. c. 128. 

•'') Lüb. StR. I, 2: „Tribus vidhus in anno conventus erit legiHmi 
pladti, quod vulgariter dicitur echt ding, hoc est: proxima secunda feria 



12 



wie noch heut zu Tage, viermal jahrlich: vor Weihnachten, 
Ostern, Johannis und Michaelis, und zwar am Freitag^®). 

Die Hegung der Landesgerichte, hier Manntage, gemeine 
Tage, dies vasallorum, dies placitorum, placitum 
generale, genannt, fand in der altem Zeit ohne Zweifel auch 
zu bestimmten Zeiten, wahrscheinlich einmal jährlich, in jedem 
Territorium statt ^^). In der Folge wurden die Manntage zwar 
— wohl je nach Bedürfniss — zu verschiedenen Zeiten von dem 
Landesherrn (später mit Zustimmung seines Rathes) ausge- 
schrieben; sie behielten jedoch insofern einen den ungebotenen 
Gerichten verwandten Character bei, als auf ihnen sämmtliche 

m 

Vasallen des Territoriums zu erscheinen verpflichtet waren *^). 
Für Harrien und Wierland wurde im Jahre 1538 angeordnet, 
dass in jeder dieser Landschaften einmal jährKch, zu Johannis, 
ein sog. Dingeistag, d. i. Gerichtstag, gehalten werden solle; 
alle drei Jahre aber ein allgemeiner Mann tag oder Richtel- 



post pascha, proxima secunda feria post pentecosten et proxima secunda 
feria post epiphaniam Dominik et omnis, qui possessor est proprii caumatis, 
aderit plaeitiSj si fuerit infra muros civitatis.*' Lüb. StR. H, 22. 

'®) Vergl. das Rig. StR. II, 12. 13, wo unter dem ethdag ohne Zweifel 
das echte ding zu verstehen ist. S. Oelrichs' Glossar dazu S. 273. 

*») Notariatsinstrument vom 10. Januar 1385 (ÜB. No. 1218): „Con- 
venientibus in unum et aggregatis iuocta edictum reverendissimi in Christo 
patris et domini, domini Johannis, miseratione Divina s. Rigensis ecclesie 
archiepiscopi , preposito, canonicis et vasälUs Husdem ecclesie, pro servandis 
pladtis in termino consueto, videlicet Dominica proxima post festum 
epiphanie Domini etc.*' 

**>) Fabri S. 92: „ Wenner de mandage van dem landtheren und dem 
rade ingesettet,*' S. auch die unten Anm. 42 angeführten Urkunden. Selbst 
als der Termin noch ein bestimmter war, wurde der Manntag dennoch 
von dem Landesherm ausdrücklich angeordnet, wie in der ürk. vom 10. 
Januar 1385 (Anm. 39) die Worte: „iuxta edictum domini archie- 
piscopi*' klar beweisen. Wenn daher Schmidt a. a. 0. S. 14 fg. haupt- 
sachlich aus diesem Grunde die Existenz ungebotener Gerichte im alten 
Livland ganz leugnet, so geht er offenbar zu weit. 



13 



tag für beide Landschaften**). In den Stiftern Riga, Oesel 
und Dorpat wurde um dieselbe Zeit festgesetzt, dass jährlich 
ein Manntag anberaumt werden solle *^). Der Mannrichter, und 
wohl auch seine Folger, wurden während der Dauer des Mann- 
tages auf Kosten des Landesherrn verpflegt**). 

. Auch für die Verhandlung der die Landeseingebornen be- 
treffenden Sachen waren, zum Theil wenigstens, bestimmte Ter- 
mine festgesetzt**). 

Die gebotenen Gerichte wurden auf dem Lande für 
einzelne Verhandlungen zwischen den Landtagen in jedesmaliger 
besonderer Veranlassung gehalten, und waren daher an keine 
bestimmte Zeit gebunden. Der Richter war verpflichtet, auf 



*^) Urk. des 0. M. Hermann von Brüggeney vom 9. Decbr. 1538. 

**) Privilegium des Erzbischofs Johannes Blankenfeld vom 20. Sptbr. 
1524, des Bischofs Johannes Kievel von Oesel vom 15. Decbr. 1524 und des 
Bischofs Johannes von Gellinghausen von Dorpat vom 16. Decbr. 1540. 
Vergl. überhaupt v. Bunge 's Entwickelung der Standesverhältnisse S. C4 fg. 

•**) Dies wird für die Stifter Riga und Oesel ausdrücklich bezeugt in 
den Privilegien des Erzbischofs Jasper Linde vom 28. Decbr. 1523 und des 
Bischofs Johannes Kievel vom 15. Decbr. 1524 , galt aber ohne Zweifel für 
alle Territorien. 

**) S. z. B. die Urk. über den vom 0. M. -Andreas von Velven im 
J. 1241 mit den Oeselern geschlossenen Frieden (ÜB. No. 169): „Ad- 
rocatum ad secularia iudieia semel in anno, eo scilicet tempore, quo census 
coUigitur, recipient, qui de senior um terre consilio iudicahit, que fuerint 
iudicanda*^ Ferner die Urk. des 0. M. Anno vom 27. August 1255 (ÜB. 
No. 285): „Septimum est de iudlcio fratriim nostrorum, quod hdbent in 
Osiliaj quia discretum non fuerat, quando d'ebeat terminari ac inchoarl, ac 
petiverunt homines nostri, ut cellemus eis terminum assignare, quando nostrum 
iudicium terminari deheret et inchoari, Nos — — eisdem terminum assi- 
gnavimus et in hoc una nohiscum voluntate Concor dar unt, ut a festo h. Mi- 
chaelis usque ad carnisprivium debeat nostrum iudicium perdurare etc/^ 
Verordnung des Erzbischofs Albert und des 0. M. Walter von Nordeck 
für die Semgaller vom 6. Juli 1272 (Uß. No. 430j Art. 5: „Und die rogede 
solen ir rieht holden dries in dem iare, nach dem rechte und der gewonheit 
des landes to Letlant und to Eisilant solen sie richten eischen plectliche 
scaffunge.'^ 



14 



Ansuchen der Partei, ohne der jedesmaligen landesherrlichen 
Genehmigung zu bedürfen, zu jeder Zeit einen Gerichtstag an- 
zusetzen, auch, falls die Sache es erforderte, sich mit seinen 
„Folgern"**) an den von der Partei zu bezeichnenden Ort zu 
begeben*®). Die Partei, welche ihn auffordert, hat die Kosten 
zu tragen und die Gerichtspersonen zu verpflegen, wofür sie 
Sicherheit leisten muss*'). Bei Anberaumung des Gerichtstages 
musste übrigens auf die für die Ladung des Gegners erforderliche 
Frist (§ 14) Rücksicht genommen werden**). 

In den Städten hielt wahrscheinlich der Richter wöchentlich 
ein oder mehreremal Gericht, vielleicht schon damals vorzugs- 
weise am Dienstag, welcher daher seinen Namen führt, denn 
Dingstag ist soviel wie Gerichtstag*®). 



**) Fabri ö. 87 (bei Gelegenheit des Vollstreckungsverfahrens, ausser- 
halb des Manntages): „Ar bekenne ik mit minen bisitteren to rechte, de 
ordelsman mit mines G. JS. geswaren gudemannen, to dessen sähen voi'- 
schreven etc." S. auch das. S. 90. 

*•) Das. S. 6: „Hin manrichter is schvldich einem jedem, dewile he 
richter is, rechtes up anförderigest to plegen, und so idt de noth erfordert, 
sunder vortoch volghaftich to sin, up des partes unkost, dat ene vordert," 
S. auch das. S. 84 fg. 90. 

*■') Ebendas. S. 6: „Wenner sik de richter nu mllich gebruken let, und 
begeret van dem parte, dat ene gebruken will , vorsekeringe, schadlos to holden, 
mot ene dat part ok bdoven und behandstrecken, so verne he des rechten 
gebruken schall." Vergl. auch die Brieflade No. 768. 

*®) Fabri S. 84: „Wenner nu de richter dy solke tidt angesettet, so 
moth de richter idt dinem wedderparte ok tide genoch bevorne vorwiiliken, dat 
he sik ok möge darna weten to säten," Vergl. auch das m. L. RR. c. 71. 
Ein Missverstehen dieser Stelle des Ritterrechts, welche von einer sechs- 
. wöchentlichen Frist spricht, hat v. Helmersen (a. a. 0. § 25 und 96) zu 
der irrigen Ansicht verleitet, als wenn die Manntage alle sechs Wochen 
gehalten worden seien, wovon sich nirgends eine Spur findet. Gegen 
diesen Irrthum, welcher auch in die „Geschichtliche Uebersicht etc. des 
Provincialrechts" (St. Petersburg 1845. 8) Th. II. S. 17 übergegangen , s. 
noch Schmidt 1. c. S. 14 fg. 

*®) Rig. StR. II, 16. Vergl. Grimm 's Deutsche Rechtsalterthümer 
S. 818 fgg. 



15 



Gewisse gerichtliche Handlungen, namentlich die Auflassung 
von Immobilien, durften nur im ungebotenen Gericht vorge- 
nommen werden, damit jedem Gerichtseingesessenen, da jeder 
sich auf dem Echteding einzufinden verbunden war, Gelegen- 
heit geboten würde, etwanige Einsprache dagegen geltend zu 
machen *®). 

In so weit waren auch die gebotenen Gerichte an die Zeit 
gebunden, als der Richter 1) am Nachmittage und nach Sonnen- 
untergang nicht Gericht zu halten brauchte**) ? und 2) die 
Festtage (heilige oder gebundene Tage) beobachten musste. 
An solchen Tagen konnte zwar auch Gericht gehalten, allein 
nicht alle Handlungen durften daselbst vorgenommen werden. 
Namentlich durfte an heiligen Tagen (mit Ausnahme des Hul- 
digungseides , der Urfehde und einzelner dringender Fälle) kein 
Eid geleistet, keine Execution vollstreckt werden. Dagegen 
durften Friedlose und Verbrecher überhaupt gegriffen und vor- 
geladen, auch Civilklagen, wenn der Gegner zur Stelle war, 
angenommen, Beschlag gelegt und Zeugenverhöre veranstaltet 
werden **). 

c) Form der Geriohtshegong. 

§6. 
Die Gerichtshegungen, namentlich die der ungebotenen Ge- 
richte, wurden öffentlich, in Gegenwart der versammelten Ge- 



*°) In BetrefiF der Städte unterliegt dies keinem Zweifel: das Lüb. 
StR. I, 3. II, 22, spricht es ausdrücklich aus; in Riga hat sich dieser 
Grundsatz bis auf den heutigen Tag erhalten. Für die Landesgerichte 
findet sich zwar kein so ausdrückliches Zeugniss; allein es ist mehr als 
wahrscheinlich, dass auch nach Landrecht dieses Altdeutsche Herkommen 
(Eichhorn's Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte § 57. 35S) bestand. 

*^) Fabri 8. 6. Eine Rechtssache übrigens, deren Verhandlung 
Vormittags begonnen hatte, musste am Nachmittag fortgesetzt und ge- 
schlossen werden. Ebendas. Vergl. auch 8. 90. 

«2) M. L. RR. c. 120. Rig. StR. II, 12. Fabri 8. 9^. 8. auch 
unten § 20 und 57. 



16 



richtseingesessenen *^) , in den Städten in der Regel auf dem 
Rath hause (consistorium) gehalten**). Auf den Manntagen 
begannen die Verhandlungen damit, dass „von Gewalt und 
Macht des obersten Gerichts"**) der Friede gebannt wurde**), 



*') Dies ergiebt sich aus der ganzen Darstellung des gerichtlichen 
Verfahrens bei Fabri. S. besonders S. 43 fgg. 85. 100 u. a. Ob die 
Gerichtshegung , so weit die Jahreszeit es gestattete, wie im alten Deutsch- 
land (Grimm 's ßechtsalterthümer S. 793 j unter freiem Himmel statt- 
fand, darüber fehlt es an Zeugnissen. S. übrigens unten Anm. 531. Der 
Harrisch - Wierische Eath hielt vermuthlich schon in diesem Zeiträume, wie 
in späterer Zeit (§61), seine Sitzungen in der grossen Gildestube zu Reval. 

^*) Obschon auch Keval ein Rathhaus hatte, so hielt der Rath, we- 
nigstens im fünfzehnten Jahrhundert, seine Sitzungen (auch) in der Kirche 
zum heiligen Geist, der noch heut zu Tage so genannten ßathscapelle. 
In einem Schreiben vom J. 1410 (ÜB. No. 1838) berichtet H. Wattenschede, 
der bevollmächtigt war, einen Schiffer Kolner in Reval wegen einer Schuld- 
forderung auszuklagen, er habe letzterem den vom Vollmachtgeber ihm 
mitgetheilten Brief zugestellt , und fahrt dann fort : ,jDo he den href hadde 
taten lesen, do quam he to mi, und vragede mi, wor %k ene hebten wolde, vor 
dat recht, ofte vor den rad, ofte vor de hör g er meistere, dar wolde he gerne kamen 
unvorhadet, werde he sede, he were rede to segelende. Do sede ik tvedder, 
ik loolde ene vor den rad hebben morgen to den hilligen geste, alse 
de V missen ute weren, dat he is denn war neme, ivente id were dar 
also vele, of id ope dem radhusse were. Und also queme wi 
tosamende vor den rad etc.^^ So heisst es auch in einem Schreiben des 
Bischofs Nicolaus von Berna(?) an den Revaler Rath vom J. 1420 (ÜB. No. 
2502): „ — — in wat mate si tu ju quemen vor juwe r adstuel in des 
heiligen geistes kerken,*^ 

'^^) Ueber das oberste Gericht s. unten § 7. In den Stiftern wurde 
in späterer Zeit der Friede von dem Stiftsvoigt (wohl in seiner Eigenschaft 
als Vorsitzender des obersten Gerichts, in Stelle des Bischofs) und dem 
Ritterschaftshauptmann gebannt. S. die oben Anm. 43 angeführten Urkk. 
von den Jahren 1523 und 24. 

*") Fabri S. 42: „Itetn idt is gewönlik to allen mandagen, dai dar 
vor anvange des rechten ein frede gebannen werde , ut gewalt und macht des 
översten gerichtes, up dat de jegenparte under ein ander ere sake nicht anders 
denn mit rechte vordem, vornemen und utvören schollen, und de unbefrün- 
dete jegen den weidigen sin recht so vele mer ane vare möge utvören könnest. 
Wol den gebannen (reden breke, hefl den hals vorbört, und scal mit den 
höchsten to rechte, sunder alle gnade, gestraffet werden.^^ 



17 



in Folge dessen die Anwesenden ihre Waffen ablegen mussten^'). 

Hierauf wurde, wiederum vom „obersten Gericht'', dem Richter 

befohlen, sich zu setzen und Rechts zu pflegen'^*). Während der 

Verhandlung sitzt nämlich der Richter mit seinen Beisitzern, 

der ürtheilsmann steht vor ihnen ^®). Die Parteien brachten 

ihre Anträge gleichfalls stehenden Fusses an*»"). — Bei den 

Gerichtshegungen , welche ausserhalb der Manntage, auf Bitte 

einer Partei, gehalten wurden, war diese verpiiichtet, die Sitze 

für den Richter und die Beisitzer in Bereitscha't zu halten, und 

zwajr eine Bank, auf welcher drei Personen bequem Platz hatten, 

oder drei Stühle, diese wie jene mit Kissen belegt*'). 

Zur Gültigkeit der Verhandlungen war erforderlich, dass 
das Gericht „vollmächtig", d. h. vollständig und ordrmugsinässig 
besetzt sei, wozu die Gegenwart des Richters und seiner gehörig 
qualificirten Folger, d. i. Beisitzer und ürtheilsmann, geh()rte. 
Daher richtete die klagende Partei jedesmal vor Beginn der 



^'') M. L. RR. c. 183: „Binnen gemenen dagen, und vrede, den de 
bischop bütf en schäl men nene wapen vören, Sünder s wer de, behnloen in 
sinem denste. Alle de darhaven wapen vörenj de scholcti idt wedden up de 
högeste wedde." Vergl. auch c. 109. Nach späteren Zeuunissen mussten 
alle Waffen abgelegt werden, also wohl auch die Schwerdter. vS. die in 
der Anm. 43 angeführten Urkk. von 1523 und 24. 

**) Fabri S. 43. Bei Gerichtshegungen ausserhalb der Manntage 
muss die Partei den Richter bitten, sich zu setzen i ass» Ihe muss ge- 
schehen, wenn auf dem Manntage eine Partei ihre »"aehe vortragen will, 
und den Mannrichter nicht sitzend antrifft. Das. S. 45. 85. 10) 

»») Fabri S. 9. 45. 85. 100. 

•°) In der Urk. des Wierischen Manngerichts vom 24. Juli 14^55 (Briefl. 
No. 256) heisst es: „Hierauf stellte sich J. PoUe vor <>ericht, und erbot 
sich etc.** Aehnlich in vielen andern Urkunden. In einer Verhandlung 
Yor dem Revaler Rath vom J. 1417 (ÜB. No. 2115) leitet der Kläger seinen 
Antrag mit den Worten ein: „Hiir stae ik und geve den berven luden 
8(huld etc." Ebenso bei Fabri S. 101: „Her rlchter! ik st ah hir mit 
minem hogen rechte etc." 

«») Fabri S. 85. 100. S. auch unten Anm. 531. 

Bunge, Ge8chiuhte des Gerichtswesens. 2 



18 



Verhandlung an den Richter die Frage: ob das Gericht voll 
mächtig sei? Mit derselben Frage wandte sich dann der Richte 
an den Urtheilsmann, und erst wenn dieser sie bejaht hatte, wurd 
zum Verfahren in der Sache selbst geschritten**^). Nur wen: 
Zeugen zu verhören oder Verbrecher zu verfesten waren, be 
durfte es nicht nothw endig der Gegenwart des Urtheilsmannes**^ 

Am Schluss des Manntages legte der Mannrichter sein Am 
in die Hände des Landesherrn nieder, worauf sofort sein Nach 
folger ernannt wurde®*). 

Ueber die Form der Gerichtshegung in den Städten fehl 
es an genaueren Angaben: sie mag indess — mit Rücksicht au 
die örtlichen Verhältnisse — im Wesentlichen der der Manr 
gerichte ähnlich gewesen sein. 

2. Berichte zweiter Instanz. 

§ 7. 
In der älteren Zeit fand von den landesherrlichen Richter 
an den Landesherrn selbst die Berufung statt •^). In Harrie 
und Wierland ging die Appellation seit den frühesten Zeite 
an den Landesrath, in dieser Beziehung auch Ritterg( 
rieht genannt**). Als dergleichen Landesräthe, unter dei 



•2) Das. S. 45. 86. 101. Fabri giebt ausdrücklich der Partei d 
Anweisung, diese Frage nicht zu unterlassen: „und ift du schone sulve 
wol süstf dat idt (d. i. das Gericht) vulmechtich iSj so is idt de gehruk, d 
du allikewol fragen mosV Vgl. auch die Briefl. No. 256. 617. 676. 752 u. 

«3) Fabri S. 90. 

") Das. S. 99 fg. Vergl. auch S. 5. 

") M. Liv. RR. c. 128. S. unten Anm. 79. 

*'«) Waldemar-Erich'sches Lehnrecht Art 29: „Alle ordele, de heschi 
den werden vor dem rechte, de schal men teen vor den rath darsuloes, d^ 
der konigk dar gesettet heft Wat de delet und vindet, dat schal siede sir 
Vergl. auch das Privilegium König Christophs IL von Dänemark vom $ 
Septbr. 1329 (ÜB. No. 737). — J. Paucker, das Estländische Landrath 
und Oberlandgericht. Reval 1855. 



19 



Namen von Stiftsräthen, auch „sitzenden geschworenen 
Käthen", auch in den Bisthümern errichtet worden waren •'), 
bildeten sie die Berufungsinstanz*^), und in demselben Verhält- 
niss stand in den Ordenslanden ausser Harrien und Wierland 
der Ordensrath oder innerste Rath des Ordensmeisters, 
gegen das Ende des Zeitraumes auch fürstliche Kammer 
genannt**). In den Städten ging die Berufung von dem Stadt- 
voigt an den ßath der Stadt, als zweite Instanz'^). Jede 
dieser Behörden hatte einen Secretär, welcher den Namen eines 
Schreibers — Landschreiber und bezw. Stadtschreiber — 

führt '>)• 



^'^) Dies geschah in der zweiten Hälfte des fünfzehnten • Jahrhunderts. 
Die erste Erwähnung findet sich in einer Urkunde des Bischofs Andreas 
von Dorpat vom 7. März 1471 (Briefl. No. 238). S. über diese Stifts- und 
Landesräthe überhaupt v. Bunge, Entwickelung der Standesverhältnisse 
S. 75 fgg. und Schmidt S. 8 fg. 

«®) S. die Privilegien der Erzbischöfe Jaspar Linde vom 28. Decbr. 
1523 und Johannes Blank enfeld vom 20. Septbr. 1524, und des Bischofs 
Johannes Kievel von Oesel vom 15. Decbr. 1524. Fabri S. 53. 02 fg. 81. 

®®) In der älteren Zeit , vor der Vereinigung des Ordens der Schwert- 
brüder mit dem Deutschen Orden, ging die Berufung von den Urtheilen 
des Ordensmeisters an den Bischof. Entscheidung des Legaten, Bischofs 
Wilhelm von Modena, vom August 1225 (ÜB. No. 73, b.): „Homines, lia- 
hitantes in parte magistrl, dehent siih magistro respondere, ita tarnen y quod, 
si sentirent in definitiva sententia se gravatos, posslnt ad dominum epi- 
scopum, si voluerintj appellare." Bei dem später so ganz veränderten, ja 
zuletzt umgekehrten Verhältniss des Ordensmeisters zu den Bischöfen hat 
ohne Zweifel auch obige Bestimmung eine Abänderung erlitten. Urkund- 
liche Beweise dafür finden sich zwar nicht; allein es fehlt nicht an Zeug- 
nissen darüber, dass, wenigstens im sechszehnten Jahrhundert, der Ordens- 
meister mit seinen Käthen in Civilsachen Recht gesprochen (Brieflade No. 
1360 und 64, von den Jahren 1550 und 51), ja, dass er Berufungen gegen 
Erkenntnisse des Harrisch - Wierischen Käthes an seihen Kath (fürstliche 
Kammer) angenommen. S. die dagegen vom Harrisch - Wierischen Käthe 
gerichtete Vorstellung vom 3. December 1539. 

^0) Lüb. StR. II, 55. 111. Rig. StR. I, 4. Urk. des Bischofs Her- 
mann von Oesel für Hapsal vom J. 1279. ÜB. No. 461. 

'^) Fabri S. 72. Für die Städte' beweisen es zahlreiche Urkunden. 



20 



Der Landesrath in Harnen und Wierland wurde während 
der Dänischen Herrschaft unter dem Vorsitze des königlichen 
Statthalters oder Voigts '2), zur Ordenszeit unter dem des Com- 
thurs von Reval und des Voigts von Wesenberg"), die Stifts- 
räthe unter dem Präsidium der Bischöfe '*) , der Ordensrath unter 
dem des Ordensmeisters'*) auf den Manntagen gehegt. Ausser 
den Manntagen scheinen diese Behörden keine Sitzungen zum 
Zweck gerichtlicher Verhandlungen gehalten zu haben. In den 
Städten war der Rath, unter dem Vorsitze eines der Bürger- 
meister'*), ohne Zweifel häufiger — wahrscheinlich allwöchentlich 

— zu ordentlichen Gerichtshegungen versammelt'*). 

Dass bei diesen Gerichten zweiter Instanz, welche mit der 
allgemeinen Benennung des „obersten Rechts", d. h. Ober- 
gerichts, bezeichnet werden, besondere Urtheiler zugezogen wor- 
den, ist nicht anzunehmen, denn es wird dessen nirgends erwähnt. 
Vielmehr vereinigten ohne Zweifel die Mitglieder des Gerichts 

— Rathspersonen, Rathmannen, Aelteste, consi- 
liarii, consules, seniores — in ihrer Person die Eigen- 
schaften sowohl der Beisitzer, als auch der Urtheiler oder Recht- 
finder '^), während dem Vorsitzenden die eigentliche richterliche 



'2) Waldemar - Erich'sches Lehnrecht Art. 29. 

'^) ürk. des Hochmeisters Heinrich Tusmer vom 3. Juni 1347 (ÜB. 
No. 873) , des 0. M. Wolter von Plettenberg vom 25. Juli 1507 , des OM. 
Hermann von Brüggenei vom 9. Decbr. 1538, und besonders Rüssow's 
Chronik Bl. 18, beim Jahre 1397, und Fahr i S. 16. 

^*) Urkunden vom 7. März 1471 , vom 14. Octbr. 1496, vom 10. und 
11. Febr. 1507, in der Briefl. No. 288. 545. 690. 691 u. a. m. 

^*) Statut für den Livländ. Ordensmeister v. J. 1438. Vergl. übrigens 
oben Anm. 69. 

^^) In dem Eathe der Stadt Eiga sass seit dem J. 1330 auch ein 
Bruder des Deutschen Ordens, ürk. vom 30. März 1330. ÜB. No. 741. 

'^ Lüb. und Big. StR. a. a. 0. (Anm. 70). In Riga hielt, wie es 
scheint , der Rath seine Sitzungen regelmässig am Freitag. Rig. StR. I, 3. 

'*) Dafür sprechen schon die in der oben, Anm. QQ^ angeführten Stelle 
des Waldemar-Erich'schen Lehnrechts gebrauchten Worte: „Wat de delet 



21 



Gewalt beiwohnte. Denn vor der Errichtung dieser Behörden, 
namentlich der Stiftsräthe , zog der Bischof, wenn an ihn apellirt 
worden war, seine Mannen, ohne Zweifel als Urtheiler, hinzu'*), 
und an derei\ Stelle traten eben später die Mitglieder des Stifts- 
rathes, als stehende Urtheiler. 

3. Gerichte dritter Znstanz. 
§8. 

Der Harrisch-Wierische Landesrath war inappellabel^^) ; nur 
wenn von demselben widersprechende Urtheile in gleichartigen 
Sachen gefällt wurden, war die Berufung an den Landtag 
statthaft '0* -^^ diesen konnte auch von den Stiftsräthen , und 
wohl auch von dem Ordensrath , appellirt werden ; jedoch wurden 
von dem Landtage nur selten Privatrechtsstreitigkeiten ange- 
nommen, und, wenn es geschah, wurde in der Regel das Er- 
kenntniss der vorhergehenden Instanz bestätigt und aufrecht 
erhalten®^). Eine weitere Berufung — an auswärtige Gerichte 



und vindeV^ S. auch Fabri S. 41 und 71 und in Betreff der Städte 
Eig. StK. I, 2 (unten Anm. 565) und oben § 4 Anm. 16. 

^•) M. L. RR. c. 128: „Bescheidet ein man ein ordel, dat schal men 
Üieen an den bischop und an sine gemeine man" S. auch c. 129. 
Es ist daher unrichtig, wenn v. Helmersen (a. a. 0. S. 364) annimmt, 
dass die Manntage noch eine vom Stiftsräthe verschiedene Instanz gebildet 
haben , in welcher der Landesherr mit Zuziehung aller Vasallen Recht sprach. 

®^) Waldemar- Erich' sches Lehnrecht Art. 29 (s. Anm. QQ)^ in den 
Worten: „dat sal stede swi." S. auch die folgende Anmerkung. 

81) Fabri S. 41; „ de Harrigen und Wirrlender, wowöl se 

nener appellation rum edder stede geven willen , dennoch, so se in einerlei 
sahen contrarie sententie velleden, Jcönden se nenes weges vorhy, di to einem 
gemeinen landesdage rechtes heschedes und rede to plegende eres gevundenen 
rechtes und sententie, so du idt anders recht to drivende und to vördernde 
west, möten se di or sahen antehen, worumme se di anders gerichtet helfben, 
dlse einem andern.'' Vergl. übrigens noch oben Anm. 69. 

*^) Privil. des Bischofs Johannes Bäevel von Oesel vom 15. Decbr. 
1524, des Bischofs Johannes Gellinghausen von Dorpat vom 16. Decbr. 
1540. Fabri S. 76. 



22 



— war äer Regel nach ausgeschlossen. Bereits in dem Jahre 
1403 untersagte der Römische König Ruprecht, Untergebene 
und Unterthanen des Deutschen Ordens vor das Königliche Hof- 
gericht oder andere Landgerichte zu laden, es sei denn, dass 
den Klägern arglistig Recht verweigert würde**), und im Jahre 
1510 wurde von dem Ordensmeister Wolter von Plettenberg die 
Berufung ausserhalb Landes in Privatsachen ausdrücklich ver- 
boten®^). Auch wurde — in Estland wenigstens — nicht ge- 
stattet , dass Streitsachen an Universitäten oder Juristenfacultäten 
gezogen wurden®^). Dessen ungeachtet sind nicht wenige Pro- 
cesssachen aus dem alten Livland auch an die Deutschen Reichs- 
gerichte, namentlich an das Reichskammergericht, gebracht 
worden**); ja der Bischof Johannes Kievel von Oesel stellte den 
von dem Stiftsrathe Verurtheilten die Wahl anheim, entweder 
an den Landtag oder an das Reichskammergericht zu appelliren'*); 
und Kaiser Carl V. ertheilte der Familie von Tiesenhausen das 
Recht der Appellation an das Reichsgericht**). Endlich finden 
sich auch mehrere Beispiele davon , dass die Westphälischen 
heimlichen oder Fehmgerichte ihre Wirksamkeit bis in diese 



83) Privil. V. 19. August 1403 (ÜB. No. 1633) , wiederholt vom König 
Sigismund im J. 1420 (das. No. 3112). S. auch Sigismund's Schreiben an 
seinen Hofrichter vom 12. Mai 1424. 

8*1 Verordnung vom 22. Septbr. 1510: j,So jemand were, de dat recht 
tuten landes wollte söJcen, tip andere örden ofte enden, sik mit vrewel edder 
Wedderwertigkeit jegen dat recht seäende, sali man richten an dat höchste" 
Dasselbe Verbot erliess Erzbischof Jaspar Linde in seinem Privilegium vom 
28. Decbr. 1523. Vergl. auch den Kitters chaftsrecess zu Wolmar v. 8. März 
1543 und den sog. Kirchholm'schen Vergleich vom 30. Novbr. 1452. 

8*) S. die Vorstellung des Käthes und der Ritterschaft Harri ens und 
Wierlands an den Ordensmeister v. 11. März 1551. 

**') S. die Urkunden vom 23. Juli 1473, vom 1. Decbr. 1557 und vom 
Novbr. 15Jl in der Brieflade No. 301.* 1470. 1508. 

") Privil. V. 15. Decbr. 1524. 

88) Privil. V. 12. Septbr. 1528. Briefl. No. 958. 



23 



Gegenden ausgedehnt und Einwolmer des alten Livlands vor 
ihre Schranken gefordert haben®*). 

Die Entscheidungen des ßathes der Stadt Riga waren in 
der älteren Zeit inappellabel®^). Seit dem fünfzehnten Jahr- 
hundert aber ward in Sachen, welche „den Verlust der Ehre 
oder des grössten Theils des Vermögens'' des Betheiligten be- 
trafen , die Berufung an den Erzbischof von Riga und den Ordens- 
meister gestattet**). Von den Entscheidungen des Rathes zu 
Reval wurde an den Rath der Stadt Lübeck, als Oberhof, 
appellirt *-) , von denen des Rathes der Städte Narva und Wesen- 
berg an den Revaler Rath**). Für die Räthe der übrigen Städte 
des alten Livlands, ausser Hapsal, welche sämmtlich den Ge- 
brauch des Rigischen Rechts hatten, bildete der Rath der Stadt 
Riga den Oberhof *^). Von dem Rathe der Stadt Hapsal endlich 
ging die Berufung an den Bischof von Oesel, bezw. an den 
OeseFschen Stiftsrath**). 

^') Vergl. J. Voigt, die Westphälischen Fehmgerichte in Bezug 
auf Preussen. Königsberg 183(3. 8., und mehrere Urkunden im Revaler 
Kathsarchiv. 

««) Eig. StR. I, 2fgg. 

»^) Kirchholm'scher Vergleich vom 30. Novbr. 1452. S. überhaupt 
J. C. Schwartz in Gadebusch's Versuchen Bd. I. Stk. 4. 

«2j Lüb. StR. II, 111. ÜB. No. 1212. 1577 — 83 u. a. Mich eisen, 
der ehemalige Oberhof zu Lübeck, bes. S. 12. 15 fg. 23 fgg. 

*^) ÜB. No. 12o4. 1584 und zahlreiche andere Urkunden im Revaler 
Rathsarchiv. 

**) Vergl. wegen Dorpats das ÜB. No. 1105, wegen Pernau's das 
Privil. des OM. Gerd von Jork vom Novbr. 1318 (ÜB. No. 3112, a.), wegen 
Fellins das Schreiben des dortigen an den Rigischen Rath vom 8. Febr. 
1466 und s. überhaupt: W. Hezel de remedio appellationis etc. Dorpati 
1814. 8., und Brotze in Hupel's neuen nord. Miscellaneen St. 17 S. 
Ü6 fgg. 

") Urk. des Bischofs Jacob von Oesel vom Jahre 1279 (ÜB. No. 461). 




24 



rv. 

Von der geistlichen Gerichtsbarkeit. 

Die Einrichtung der geistlichen Gerichte beruhte im Ganzen 
auf den Grundsätzen des canoniscben Rechts, ohne dass sich 
besondere Abweichungen für unsere Ostseeländer nachweisen 
lassen, und war von der (Organisation der weltlichen Gerichte 
wesentlich verschieden. Namentlich fand hier keine Trennung 
der vollziehenden und der entscheidenden Gewalt statt, sondern 
beide waren in einer Person vereinigt. Auch wurden die geist- 
liehen Gerichte in der Regel nicht öffentlich gehalten. 

Die erste Instanz bildete der Bischof, die zweite der Erz - 
bisch of, die dritte der Pah st. Uebrigens wurde diese Ord- 
nung der Instanzen nicht immer beobachtet , indem dem Pabste 
eine mit der der Bischöfe concurrirende Gerichtsbarkeit zuge- 
schrieben wurde, auch von der ersten Instanz gleich an ihn 
appellirt werden konnte. In dem Sprengel des Erzbischofs fiel 
die erste Instanz ohnehin weg. Der geistliche Richter durfte 
überdies seine richterliche Gewalt einem Andern übertragen, 
was man Delegation nannte, und in solchen Fällen ging die 
Appellation von dem Delegaten an den Deleganten®*). Die 
Bischöfe übten auch selten ihre Jurisdiction in Person, vielmehr 
in der Regel durch den Archidiaconus aus, welches Amt 
dem Domprobst, im Bisthum Reval dem Decan zustand®'). Im 



^^) Vergl. das Statut des Rigischen Provincialconcils vom J. 1428 
Tit. 7: „de officio iudicis^\ und s. überhaupt Eichhorn 's Deutsche Staats- 
und Rechtsgeschichte § 181 fgg. , 320 fgg. 467. F. Walt er 's Kirchenrecht 
§ 181. 185. E. Rieht er 's Kirchenrecht § 194. 195. 210. 

»■') S. die Bullen Gregors IX. vom 24. Febr. 1236 und Alexanders IV. 
vom 22. Juni 1257 (Uß. No. 145. 306), die ürkk; Bischof Alberts von Riga 
vom 22. April 1225, des Bischofs Gottfried von Oesel vom 29. Juni 1228, 



25 



fünfzehnten Jahrhundert erhielten der Erzbischof von Riga und 
seine SulFraganbischöfe ausdrücklich das Recht, ihre geistliche 
Jurisdiction einem der Rechte kundigen Officialen oder Ge- 
neralvicar zu übertragen*^). 

Auch die Synodal- oder Sendgerichte fanden früh in 
Livland Eingang. Vermöge des den Bischöfen zustehenden Auf- 
sichfsrechts waren sie nämlich zur jährlichen Visitation ihrer 
Diöcese verpflichtet, deren Zweck die Untersuchung der Amts- 
führung der Geistlichen und der religiösen und sittlichen Zu- 
stände der Gemeinde war. Zu diesem Behuf wurden in den 
einzelnen Parochien glaubhafte und unbescholtene Männer — 
Sendzeugen oder Sendschöffen, testes synodales — 
beeidigt •**) , welche in der Synode oder dem Send, wie man die 
Versammlung der Gemeinde nannte , die ihnen bekannt gewor- 
denen Laster und Sünden der Gemeindeglieder, Behufs deren 
Bestrafung nach den Kirchengesetzen , auf Befragen dem Bischof 
oder dessen Stellvertreter (dem Archidiaconus) anzeigen muss- 
ten^^®). Diese Einrichtung fand nicht bloss in allen Bisthümern, 



des Bischofs Nicolaus von Eiga vom 27. Juli 1251 , die ürk. vom 14. März 
1410 (ÜB. No. 73. 99, a. 255. 1825). 

•®) S. das Statut des Provincialconcils vom J. 1428 Tit. 7. 

®*) Diese Sendzeugen wurden in der Regel von der Gemeinde selbst 
gewählt. In Betreff der Rigischen Gemeinde vergl. die Urk. des Bischofs 
Nicolaus von Riga vom 9. August 1231 (ÜB. No. 109): „ut tarn lalcif quam 

clerici nöbis in synodalihus ohediant'', desgl. vom G. Mai 1232: „ cives 

RigenseSj saepius a nohis moniti , ut testes synodales secimdum consuetudine^n 

ecclesie statuerent, tandem — henevolum adhihuerunt consensum, eam 

tarnen ponentes conditionem, quod civcs Rigenses eligendi habeant auctori- 

tatem inter se viros, ad hoc idoneos etc, quam conditionein approba- 

vimus et approbamus etcj^ Hinsichtlich Revals vergl. das Lüb. StR. I, 102. 
U, 2. 280. 

^^°) Entscheidung des Legaten, Bischofs Wilhelm von Modena, vom 
28. April 1226 (ÜB. No. 85, a.). Lüb. StR. a. a. 0. 




26 



sondern auch bei dem Deutschen Orden in Livland statt^®^). 
In wie weit die Stadt Reval dadurch, dass ihr die geistlichen 
und Episcopalrechte von dem Landesherrn verliehen und von den 
Bischöfen von Reval überlassen wafen^^^^^ you Jer bischöflichen 
Gerichtsbarkeit befreit wurde, geht aus den Quellen nicht mit 
Gewissheit hervor^ ^3). 

Nachdem die Reformation in diesen Landen Eingang ge- 
funden, und besonders in den Städten sich ausgebreitet hatte, 
erlitten diese Verhältnisse wesentliche Umwandlungen. Die Stadt 
Riga erlangte noch in diesem Zeiträume vollständige Befreiung 
von der geistlichen Gerichtsbarkeit des Erzbischofs^^*); dasselbe 
war ohne Zweifel auch mit den übrigen grösseren Städten der 
Fall, und vielleicht wurden daselbst schon jetzt aus geistlichen 
und weltlichen Gliedern gemischte Gerichte, Consistorien, 
errichtet. Auf dem Lande dagegen scheint es noch zu keiner 



*®^) Gesetz des Hochmeisters Winrich von Kniprode in Henning 's 
Statuten des Deutschen Ordens S. 139. 

102J Privilegien des Königs Christoph von Dänemark vom 16. Septbr 
1257, der Königin Margareta vom 13. Mai 1266. Urk. des Bischofs Johannes 
von Reval vom Jahre 1284 (ÜB. No. 315. 395. 488). 

*®^) Aus der Urkunde des Bischofs Johannes vom J. 1284 (s. Anm. 102) 
ergiebt sich, dass die Befreiung auch auf die Sendgerichte ging: „Nove- 
rint universi etc., nos dimisisse ad instantiam domini nostri Erici, Dano- 

rum Sclavorumque regis et ducis Estonie, civibus Reüoliensibus 

omnia iura spiritualta, in synodalihus et in aliis, sicut in civitate Luhi- 
censi servantur, in perpetuum ac inviolahiliter observanda." üeber den 
Umfang dieser Befreiung waren aber sowohl Bischof als Rath im Unklaren, 
und erliessen daher eine gemeinschaftliche Anfrage deshalb an das Lü- 
beck*sche Domcapitel (ÜB. No. 489). Die Antwort darauf ist leider unbe- 
kannt. Noch um das Jahr 1420 fanden zwischen Bischof und Stadt 
Differenzen wegen des Send statt. ÜB. No. 1851 ; vergl. das. Bd. VI. Reg. 
S. 102 ad No. 2205. 

• 
*°*) Vergleich der Stadt Riga mit dem Erzbischof Wilhelm vom 21. 

August 1542. 



27 



festen Organisation der neuen Kirchenverfassung gekommen zu 

sein^ö^). 

V. 
Von den Parteien und deren Stellvertretern. 

Vorsprecher. 

§ 10. 
Der Regel nach kann Jeder seine Rechte und Ansprüche 
vor Gericht sowohl persönlich, als auch durch einen Stellver- 
treter geltend machen^oß). Die Parteien werden S ach wältige 
(sakeivolde, saJceweldige) genannt, desgleichen — im Gegensatz 
zu ihren Stellvertretern — Hauptleute (hovetman, hovetlude); 
der Beklagte führt die Benennung Antwortsmann, der Stell- 
vertreter Vorsprecher (vörspy^ake) , Vormund , Vormann. 
Weiber^^^^) und Geistliche^ ^^) dürfen ihre Rechte nicht persön- 
lich , müssen sie vielmehr durch Vorsprecher vor Gericht wahr- 
nehmen lassen; eben daher dürfen sie auch selbst nicht Vor- 
sprecher seiniö9) Rechtlose, Friedlose, Geächtete und mit dem 
Kirchenbanne Belegte dürfen auch nicht einmal durch Vorsprecher 



106) Yergl. Gadebusch's Livländ. Jahrbb. Th. I. Abschn. 2. S. 353. 
375. 390 u. a. 

^®®) M. L. RR. c. 100: „Sünder vörspräken mach ein man wol ant- 
worden und Magen, ift he sik Schadens trösten wil, de darna volgen möchte, 
wente he sik nicht erholen mach, also he hi dem vörspraken wol mochte, 
dewile he an sin wort nicht en geit" Fabri S. 25. Vergl. auch S. 58. 

*®^) M. L. RR. c. 175 : „Item, idt en mach nen wif vörsprake sin/^ 

"^) Das. c. 104: „Ein iwelik man mach wol vörsprake sin in dem 
stickte, Sünder de papen, tvente men se in eren rechten nicht bescheiden 
mach/^ Dies gut übrigens unstreitig nur von weltlichen Gerichten. 

"*) Dass Personen , welchen aus privatrechtlichen Gründen die Rechts- 
fähigkeit abging, wie z. B. Minderjährige und Geisteskranke, auch vor 
Gericht von ihren Vormündern vertreten werden müssen , versteht sich von 
selbst. S. die Geschichte des Livländischen etc. Privatrechts (St. Peters- 
burg 1862. 8.) § 20—24. 



28 



als Kläger gerichtlich auftretenii®), um so weniger selbst das 
Vorsprecheramt übernehmen; Verfestete nicht in dem Gerichts- 
bezirke, in welchem sie verfestet worden^^^). In Lehnssachen 
muss der Vorsprecher Lehnsmann sein^^^^^ 

Der Vorsprecher wird von der Partei selbst gewählt, oder 
ihr, auf ihre Bitte, vom Richter zugeordnete^ ^). Wenn die 
Partei um Bestellung einer bestimmten Person zum Vorsprecher 
bittet, so darf ihr der Richter ohne rechtliche Gründe keinen 
andern aufdringen ^ ^ *) ; bitten aber zwei um denselben , so 
hängt es von des Richters Ermessen ab, wem er ihn zuordnen 

Willi 15). 

Das Vorsprecheramt zu übernehmen, darf sich Niemand 
weigern, der in dem Gerichtsbezirke besitzlich oder wohnhaft 
ist, oder sonst in dem Gerichtszwange des Richters steht. Nur 
gegen seinen Verwandten, gegen seinen Lehnsherrn und gegen 
seinen Vasallen braucht Niemand Vorsprecher zu sein, wenn 



^^^) M. L. RR. c. 202: „Rechtlose lüde en schollen 'keine Vormünder 
hebhen an erer klage. Vortmer den vorhannen luden und den fredelosen en 
darf nemant antworden , ift he klaget. Men klaget man aver se, se schollen 
anttcorden in den rechten , dar se inne sint." 

^^^) Das. c. 176: ,.Ei7i iivelik man moth wol vörsprake sin, anne binnen 
den rechten y dar he in vor festet is, edder ift he in des rechtes acht si; vor 
dein geisiUken rechte mach he des överst nicht den, ift he in dem banne is.^^ 
S. auch das. c. 247. 

*^2) Ebendas. c. 244: „We eines heren man nicht en is, noch mach he 
lool vörsprake sin und ordel finden binnen lehenrecht, allene (l. all) en hebbe 
he nen gtidt van dem heren^\ verglichen mit dessen Quelle, dem Sächsischen 
Lehnrecht Art. 9 § 1: Swie enes Ifierren man is , vorspreke mut he icol sin 
und ordel vinden, al ne hebbe he nen gut von me herren.'^ Anders versteht 
jene Stelle Schmidt S. 18 und 29. 

"3) Das. c. 101. Rig. StR. VH, 4 (s. Anm. 118). Lüb. StR. U, 99. 

»!*) M. L. RR. a. a. 0. 

"») Das. c. 103. 



29 

die Klage auf Leib oder Ehre geht^i®). Ein Vorsprecher, 
welcher in dem Gerichtsbezirke nicht ansässig ist, muss wegen 
Zahlung der gerichtlichen Strafgelder Bürgschaft leisten ^^'^). 
Die einmal übernommene Sache muss der Vorsprecher zu Ende 
führen^ 1^); zur Abschliessung eines Vergleiches ist er, wie es 
scheint, nicht berechtigt^ ^^). Er wird — wenigstens in den 
Städten, wo die Vorsprecher früh als formlich beamtete Per- 
sonen erschein en^20j — f^j, seine Mühwaltung honorirt^^i^^ 

Zwar scheint der Vorsprecher in der Regel mit der Partei 
selbst vor Gericht vorgetreten zu sein, denn der Richter soll 
die Partei jedesmal befragen, ob der Vorsprecher ihre, der 



^") Das. c. 102: .yVörspraken en mach me?i nenem manne tveigern to 
wesende binnen dem gerichte, dar he wonhaftich is, dar he gudt inne heft, 
edder dar he recht vördert, ane up einen mach, edder up sinen heren, edder 
up sinen man, ift em de klage an sinen Uf, edder an sin gesundt edder an 
sine ere gelt" 

^*') üragearb. Livl. RR. B. IL Cap. 9. Oesel'sches Lehnrecht B. I. 
Cap. 11 § 5. Im mittl. L. RR. fehlt diese Stelle, wohl nur in Folge einer 
Nachlässigkeit des Schreibers. Vergl. v. Bunge 's Beiträge S. 27. 

^*®) Rig. StR. VII, 4: „Komet ein minsche ofte twe vor den rat umme 
ene clage, und er en ofte beide Vormunde keset vor dem rade uppe de clage, 
und so we Vormunde wert und wilköret Vormunde to wesende, de ne mach 
de vormundschap nicht upgeven, dewile dat de clage wäret an beiden t halven.'^ 
Hierher dürfte auch die nachstehende etwas dunkele Willkür des Revaler 
Rathes aus der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts (ÜB. No. 933, 3) ge- 
hören: „Icht twe vur ein recht gingen, und er er ein den andern beschul- 
digede, und dat er er beider sake in ein ordel queme, de hovetman mach den 
vorspraken upgeven und de vorsprake nicht den hovetman.** 

"•) Lüb. StR. I, 103. li, 158: „ Nen vorsprake ne schal dar manc 
toesew, dar men ene sake vorevenen schal** 

"*>) Das. n, 218, wonach die Vorsprecher beim Antritte ihres „Amtes" 
(amecht) in Eid zu nehmen sind. 

***) Rig. StR. II, 3: „En vorsprake sal hebben vj. ore, dat he enem 
manne an sin lif spreke, und iiij. ore an sine sunt, und van ener slichten 
dage iij, penninge Lubisch. Wert aver en ordel beschulden uppe dat hus, 
dar af so sal hebben V2 ore.** Eine detaillirtere und weit höhere Taxe 
enthält das Lüb. StR. II, 218. 



30 



Partei, Meinung ausgesprocheni2 2)^ ^ya^ Letzteres von Seitea 
des Vorsprechers nicht geschehen, so durfte die Partei „sich, 
erholen", d. i. die Worte des Vorsprechers berichtigen^ 2^). Al- 
lein es war auch gestattet, dass die Partei, wenn sie persönlich 
zu erscheinen verhindert war, einen gehörig instruirten und 
bevollmächtigten Stellvertreter bestellte, welcher dann ihre Sache 
selbstständig führte^ 2*). — Am Schlüsse dieses Zeitraumes finden 
sich auch Spuren des Instituts der Procuratoren^^s) 

Den Parteien war überdies gestattet, zu den gerichtlichen 

Verhandlungen in Begleitung ihrer Verwandten und Freunde zu 

erscheinen, deren Zahl jedoch nicht mehr als sieben betragen 

durfte^ 2 6). ja die Rechte einer abwesenden Partei konnten unter 

Umständen von deren gegenwärtigen Freunden wahrgenommen 
werdeni2 7) 



1") M. L. ER. c. 110. Rig. StB. 11, 1. Offenbar eine Ausnahme- 
bestimmung trifft das Lüb. StR. II , 55 : „ So wanne oJc en ordel vor dem 
richte wert l)eschulden up dat hus, dat schal de vorspraJce up dat hus bringen 
to der negesten kumst, ofte it van eme gevordert wirt, de sakewolde si 
hi eme oder nicht. Ne deit he des nicht j he schal wedden dre mark 
sulvers," 

123) M. L. RR. c. 100 (oben Anm. 106).; 

"*) Lüb. StR. II, 55 (Anm. 122). Rig. StR. II, 5. Vergl. übrigens 
ebendas. II, 6. S. noch die Brieflade No. 79. 289. 401 u. a. und das 
Ordel bei Mich eisen No. 60. 

126) Pernau'scher Landtagsrecess vom J. 1552 Art. 16. Vergl. Schmidt 
a. a. 0. S. 30. — Fabri S. 3 scheint alle rechtskundigen Vertreter vor 
Gericht unter der Benennung von Procuratoren zu begreifen, bezeugt 
übrigens zugleich, dass es deren zu seiner Zeit in Livland nur wenige 
gegeben habe. 

1") M. L. RR. c. 180. Brieflade No. 617. 

»*^ Fabri S. 58. 



31 



VI. 

Von dem Gerichtsstände und der Zuständigkeit 

des Bichters. 

§ 11. 

Hauptgrundsatz war schon in diesem Zeiträume, dass der 
Kläger dem Gerichtsstande des Beklagten folgen muss, und 
zwar wurde der Richter des Wohnorts^ 2 s^ deg Beklagten für 
den der Regel nach zuständigen erachtet^ ^ 9) Jedoch kam es 
dabei zugleich auf den Stand des Beklagten an: der Ritter- 
bürtige (Edelmann) hatte sein ordentliches Forum vor dem 
Mannrichter ^ "^ ^ ) , der Geistliche vor dem Bischof ^ ^ ^ ) , der 
Bürger vor dem Stadtrichteri32)^ jgj. Bauer vor dem Guts- 



^*^) In Harrien und Wierland wurde dafür die Redensart gebraucht: 
„wo man sein Brod isst." S. schon die Urk. des 0. M. Johann von 
Mengden vom 4. April 1452 : „unsere ritter und knechte, die hinnen unsern 
landen Hargen und Wierland mit ihren Wohnungen sitzen und ihr hrod da- 
rinnen essen/^ Vergl. die Urkk. von den Jahren 1492, 1508 und 1514 in der 
Brieflade No. 381. 714 und 792. — Fabri (S. 10. 11 u. a. m.) bezeichnet 
das Domicil durch den Ausdruck: „hesittlik sin und sinen egen roh mit 
egener husholdinge gehruken.^' 

^*®) M. Livl. RR. c. 210: „In frömbden rechten en darf nemandt ant- 
worden, he en hehbe dar gud edder waninge inne.^^ Rig. StR. III, 6 a. E. 
Lüb. StR. II, 431. Entscheidung des Legaten, Bischofs Wilhelm von 
Modena, vom Decbr. 1225 (ÜB. No. 75). Vergl. auch ausser den in der 
Anm. 128 aus der Brieflade allegirten Urkunden das. No. 399 und Fabri 
S. 10 fgg. 92. 

"°) In Criminp,lsachen präsidirte dem Manngerichte der Stiftsvoigt, 
Ordenscomthur oder Ordensvoigt. S. oben § 3. 

"») S. die Urk. Erzbischofs Albrecht II. vom 13. April 1262 (ÜB. No. 
365) und oben § 9. Ordensbrüder, als solche, wurden nicht zu den Geist- 
lichen gezählt und sortirten daher — in nicht kirchlichen Sachen — unter 
die weltlichen Gerichte. Bulle Pabst Innocenz IV. vom 17. April 1247 
(ÜB. No. 3173). 

»") Rig. StR. m, 6. Lüb. StR. H, 431. 



32 



herrn^^^). Fremde hatten ihren Gerichtsstand theils vor dem 
ordentlichen Richter des Landes oder der Stadt ^ 3*), theils 
waren, wenigstens in der früheren Zeit, besondere Richter für 
sie bestellt^ 3^). 

Neben dem ordnungsmässigen forum domicilii triö't man 
übrigens schon in diesem Zeiträume fast alle ausserordentlichen 
Gerichtsstände an: namentlich werden erwähnt das forum rei 
sitae^^^), das forum contradus^'^'^)^ das forum delicti com- 
missi ^^^)^ das fo^-um recmiventionis^^^). 



"3) In der älteren Zeit war auch für sie der landesherrliche Kichter 
competent: Bulle Pabst Gregorys IX. vom 24. Febr. 123ü, Urk. des 0. M. 
Andreas vom J. 1241 und des Bischofs Hermann von Oesel vom J. 1284 
(Uß. No. 145. 169. 490), und blieb es auch für Criminalsachen , ausser in 
Harrien und Wierland. S. oben § 3 Anm. 14. 

^^*) Es war offenbar eine Ausnahme von dieser Regel , dass in den 
Friedens- und Handelsverträgen zwischen Riga und Polozk wiederholt 
festgestellt wurde, der Fremde oder Gast solle am Orte seiner Herkunft, 
nach dortigem Rechte, gerichtet werden. S. besonders den Vertrag vom 
2. Juli 1406 (ÜB. No. 2967): jyUnd weretj dat jenich Jcopman ut PlosJcow to 
Bige hreke, den schal men kegen Ploskow senden, und dar na deme rechte 
richten. Breke och jenich Dutsch kopman to Ploskow, den schal men kegen 
Bige senden und dar na enem Bigeschen rechte richten." Vergl. auch die 
Verträge und Vertragsentwürfe vom 17. Mai und 21. Juni 1405, vom Juni 
(?) 1406 , die Gerichtsordnung für Polozk vom J. 1330 ? , im ÜB. No. 2962. 
2963. 66, 3067. — Eigenthümüch ist die Bestimmung in dem Friedens- 
vertrage des OM. und der Stadt Riga mit Litthauen vom 1. Novbr. 1338 
(ÜB. No. 3081), dass Fremde einen Streit unter einander „zögern" sollen 
bis zu ihrer Rückkehr in die Heimath, wo er vor den dortigen Richter zu 
bringen «ei. 

1»») S. oben § 3 Anm. 15. 

1»«) Liv. RR. c. 210 (oben Anm. 129). Fabri S. 11 fg. Entscheidung 
des Legaten, Bischofs Wilhelm von Modena, vom Decbr. 1225 (ÜB. No. 
75). S. auch die oben Anm. 128 angeführten Urkunden in der Brieflade. 

^*'') M. L. RR. c, 210, in den Worten: „edder he vorbörge sik dar 
ifme/^ S. auch die Entscheidung des Legaten, Bischofs Wilhelm von Mo- 
dena, V. Decbr. 1225 (ÜB. No. 75). 

***) M. L. RR. c. 210 , in den Worten : „edder he en Vorwerke sik mit 
unrechte." Entscheidung des Legaten, Bischofs Wilhelm von Modena, vom 



33 



Der Besitzer eines Lehngutes zu Erbrecht kann auch in 
andern, als den das Lehngut betreflfenden Sachen, in demjenigen 
Gerichte belangt werden, in dessen Bezirke das Lehngut be- 
legen ist, auch wenn er daselbst nicht seinen Wohnsitz hat^*®), 
der Pfandbesitzer dagegen in gleichem Falle nur in Sachen, 
welche sein Pfandgut angehen i*^). 

Läuflingsforderungssachen gehören vor den Hakenrichter, 
dem auch die Vollstreckung der Criminalstrafen an den Bauern 
competirt^*^). 

Die geistlichen Gerichte hatten vor der Reformation nicht 
nur alle eigentlich kirchlichen Sachen, namentlich Ehesachen, 
an sich gezogen, sondern auch viele weltliche Sachen, sobald in 
ihnen irgend eine Beziehung zu der Religion und der Kirche 
hervortrat, z. B. Testamentssachen (nur nicht in den Städten^^^), 



Decbr. 1225 (ÜB. Ko. 75). ürk. des 0. M. Eberhard von Munheim vom 
16. August 1330 (ÜB. No. 744) und des Bischofs Winrich von Oesel vom 
16. Juli 1391 (ÜB. No. 1298). 

1") ümgearb. Livl. RR. B. II. Cap. 9. OesePsches Lehnrecht B. I. 
c. 11 § 6: y,Wo der man recht fordert y da soll er auch zugleich redit 
pftegen'% verglichen mit der Quelle : Sachsenspiegel B. I. Art. 60 § 3. 
V. Bunge, über den Sachsenspiegel S. 32. 

"0) Fabri S. 11: „Item wultu einen, de hüten dem rechten in einem 
anderen rechte besitlik is, und doch güder in dessen rechten erfliken heft 
(vorklagen), so egent sik to rechte, eme vorladinge vi. weken to vören, eer 
de mandach schilt, to schicken, so he di anders to rechte antwerden schäl." 
Vergl. auch die ürk. vom 9. Septbr. 1511 in der Brieflade No. 768. 

^*^) Fabri S. 11: „Item so (du) in dem rechte, dar du vorgeladen 
bist, nene erf güder, men allene pandtgüder in weren hefst, und hlst nicht 
dar inne hesiüik, sunder sittest in einem andern guden rechte to huse und 
to hove, dar du hus holst, so bindet di de vorladinge nicht wider in dem 
rechte, allene in saken, de de sulften pandtgüder belangen." 

***) S. die verschiedenen Einigungen über die Ausantwortung der 
Bauern von den Jahren 1494. 1509 u. a. 

^*') Dies beweisen die zahlreichen Actenstücke über Testamentsstrei- 
tigkeiten im Archive des Revaler Rathes. S. z. B. das ÜB. No. 1972. 2568. 
2826. 3154. Michelsen No. 116. In städtischen Testamenten findet sich 
häufig die Clausel, dass für milde Stiftungen vermachte Summen, falls die 

Bunge, Geschichte des Gerichtswesens. 3 



34 



durch Eid bestärkte Verbindlichkeiten, Vergehungen, welche 
irgend eine kirchliche Beziehung hatten, als Kirchenraub, Got- 
teslästerung, Meineid, Wucher, Ketzerei, Fleischesverbrechen 
u. dergl. m.^**). Zum Theil wurden übrigens für solche Sachen 
auch besondere gemischte Gerichte angeordnete*^). 

Abgesehen davon, dass jeder Stand sein eigenes Forum hat, 
scheinen persönlich priviligirte Gerichtsstände in diesem Zeit- 
räume nicht bekannt gewesen zu sein^^^). Dagegen kommen 
schon gewillkürte Gerichtsstände vor: denn obgleich, der Regel 
nach, jede Sache bei der ersten Instanz anhängig gemacht 
werden muss, so ist doch — wenigstens nach Landrecht — 
den Parteien gestattet, vermöge gegenseitiger Uebereinkunft, 
ihre Streitsache unmittelbar bei der zweiten Instanz zu ver- 
handeln; in Harrien und Wierland war jedoch dazu auch noch 
die Genehmigung des Landesrathes selbst erforderlich e*''). 



geistliche Gewalt sich darin mischen wollte, eine anderweitige Verwendung 
finden sollen. S. z. B. das ÜB. Ko. 1332. 1965. 

"*) Vergl. das Lüb. StR. H, 2. 280. 359. Statuten des Rigischen Pro- 
vincialconcils vom J. 1428 Tit. 8: De foro competenti: „Quod cause eecle- 
siasUee coram competentihus iudicibus tractentur, iniungimus singuUs locorum 
ordinariis, ut causas, ad forum eeclesiasticum spectantes, heneficiales puta, 
matrimoniales, testamentdles , maodme ad pios usus, nee non dedmarum, 
usurarum ac libertatum eeclesiasticarum et ipsa tangentes vel consimiles^ in 
iudicio ecclesiastico tractari procurent^' S. überhaupt Walter 's Kirchen- 
recht § 181. 183. Rieht er 's Kirchenrecht § 190 fgg. 197. 205 fgg. 

^*'') S. z. B. den Vertrag der Harrisch-Wierischen Ritterschaft mit dem 
Bischof von Reval vom 29. Juni 1516. 

**") üebrigens genossen die Glieder der Landes- und Stiftsräthe das 
Privilegium, dass ihre Sachen von dem Mannrichter vor allen übrigen vor- 
genommen werden mussten. Fabri S. 43. 

"^) Fabri S. 44. 54 fgg. S. übrigens auch noch unten Anm. 597. 



35 



Zweites CapiteL 

Von dem gerichtlichen Verfahren. 

I. 
Allgemeines. 

§ 12. 
Als oberster Grundsatz galt in Beziehung auf das gericht- 
liche Verfahren die Regel: wo kein Kläger ist, da ist auch kein 
Richter. Es durfte also elfte Sache, welche nicht von dem 
Betheiligten selbst an den Richter gebracht worden war, von 
diesem nicht zur Verhandlung gezogen^^^), es durfte aber auch 
Niemand zur Anstellung einer Klage gezwungen werden i*^). 
Dies galt nicht nur für Civil-, sondern auch für Criminalsachen, 
mithin war das amtliche Einschreiten des Richters überhaupt 
ausgeschlossen^ ^^). Indessen hatte diese Regel bereits in diesem 
Zeiträume ihre Ausnahmen. Namentlich führen die Stadtrechte 
einzelne Fälle auf, in welchen auch ohne gerichtliche Klage 
einer Partei der Richter einzuschreiten verpflichtet war, z. B. 
bei offenbaren Wunden, bei Erhebung des sog. Gerüftes, bei 
geheimen Verbindungen und öffentlichen Zusammenrottungen, 
desgleichen in allen Fällen, wo ein Vergehen in Gegenwart 



^*®) M. L. RE. c. 77 : , „ Wat överst nicht vor gerlchte vorklaget wert, 
dat en darf men nicht richten.*^ Vergl. auch das Lüb. StR. II, 124. Wo Id. 
von Bock, Zur Geschichte des Criminalprocesses in Livland (Dorpat 
1845. 8.) S. 31 fgg. 

**•) M. L. RR. c. 108: „Men schal neuen man dwingen to Jenigerlei 
Uage, der he nicht begundt heft, weilte ein itcelik man mach wol sinen 
schaden svngen, deivile he dat sulve will, Rig. StR. II, 21. Lüb. StR. U, 
112. 166 (unten Anm. 151). 

"•) Vergl. das m. L. RR. c. 80 und von Helmersen a. a. 0. § 105. 

, 8* 



0^ ■ • 



36 



einer obrigkeitlichen Person begangen wird ^5^). Und auch dem 
Landrecht war ein solches amtliches Einschreiten des Richters 
nicht fremd^^^). 

Hauptsächlich waren es aber die geistUchen Gerichte, bei 
denen dieses Verfahren in grossem Umfange zur Anwendung 
kam^^^), wozu vor Allem die Sendgerichte^^*) Veranlassung 
gaben, und zwar nicht bloss iq geistlichen, sondern auch in 
weltlichen Sachen, deren ja viele vor die geistlichen Gerichte 
gehörten^ ^^). Bei der Ausdehnung der Sendgerichte in diesem 
Zeiträume, namentlich auch bei dem Deutschen Orden^^^), lässt 



***) Eig. StR. n , 21 : „De voghet mach nenen man dwingen tq clagende 
vor jenigen hroke, et ne si eme geclaget oder openbare wunden sin, oder 
scrichte, oder were dat sik lüde hemelike vorevenden oder openbare; jodoch 
sal dat richte sin recht heholden.*^ Lüb. StR. II, 166: „Nemene ne mach de 
voget oder de rat dwingen to Idagende, it ne si also, dat dar scrichte si 
gehört, oder dat dat richte oder des richtes hode dar to si gekom^n, Vergl. 
auch das. Art. 112. 122. 124 und unten § 58. 

**^) In der Verordnung des Erzbischofs Albert II. vom Juni 1253 
(ÜB. No. 251), betreffend die Beraubung Schiffbrüchiger, heisst es, nach- 
dem solche Räuber mit kirchlichen Strafen bedroht worden: „ludices atUem 
seculares huiusmodi latrodnia potestate sibi tradita tanta diligentia per- 
se quantur, ut ipsos non oporteat rationem r edder e de neglectu, quia non 
turbare perversos, nichil aliud est, quam fovere.'*^ Vergl. von Bock a. a. 
0. S. 33. 

**^) Ein Beispiel der Anwendung des üntersuchungsverfahrens wider 
einen Geistlichen liefert die ürk. des Erzbischofs Johannes V. von Riga 
vom 9. Decbr. 1381 (ÜB. No. 1078). 

"*) S. oben § 8. 

"») S. oben § 10. 

^*") S. das oben Anm. 101 angeführte Gesetz. Zwar hat schon von 
Bock a. a. 0. S. 43 fgg. auf d&ü Gebrauch des Untersuchungsverfahrens 
bei dem Deutschen Orden aufmerksam gemacht, demselben jedoch einen 
weit spätem und nur mittelbaren Einfluss auf Livland, angeblich durch die 
im J. 1589 daselbst eingeführte (? die Einführung war zwar angeordnet, 
unterblieb aber ohne Zweifel) Preussische Gerichtsordnung zugestehen 
wollen, ohne zu bedenken, dass die Ordensstatuten und Gesetze ja auch 
schon zur Ördenszeit in Livland unmittelbare Geltung hatten, aber freilich 
nur für die Glieder des Ordens, nicht aber als allgemeines Landrecht für 



37 



sich auf die Häufigkeit der Anwendung des Untersuchungs- 
verfahrens im alten Livland schliessen, und dass dieses, 
besonders in Polizei- und Criminalsachen, auch auf das Ver- 
fahren bei den weltlichen Gerichten nicht ohne Einfluss gewesen 
ist, leidet keinen Zweifel. Freilich aber findet sich von einer 
Anwendung dieses Verfahrens auf den Adel bis zum Ende dieses 
Zeitraumes keine Spur. 

§ 13. 
Das Verfahren war ursprünglich ohne Zweifel ein durchaus 
mündliches. Als aber auch in der Folee — wie es scheint, 
vorzüglich seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts — das 
schriftliche Verfahren aufkam^ ^''), war es einestheils noch 
keinesweges ausschliesslich im Gebrauch, indem in der Regel 
alle Sachen sowohl mündlich, als schriftlich, verhandelt werden 
durften ^5 8)^ anderntheils bestand das schriftliche Verfahren nur 
darin, dass die Parteien ihre Schriftsätze vor Gericht laut vor- 
lasen und sie dann dem Richter überreichten^^®). Die richter- 



die weltlichen Gerichte. Inwiefern übrigens das Verfahren bei den geist- 
lichen Gerichten auch auf das der weltlichen auf dem Wege deir 
Praxis mittelbaren Einfluss gewann, ist eine andere Frage, und diese 
ist — wie oben geschehen — allerdings bejahend zu beantworten. Vergl. 
V. Bunge in den Erörterungen Bd. V. S. 166 fgg. 

"■') Als Veranlassung dazu giebt Fabri S. 25 an: „wente der unordent- 
like migestündcheit mit partien sehnende und ropende, wert hir in richtes 
handelen so averflödieh int gemen gebruket, dat idt nicht mögelik is, dat 
de richter mit ener idern sahen sik entreden könne, so de schrift nicht ge- 
hruket wördej^ 

"*) Fabri giebt a. a. 0. der Partei den Kath, wenn sie keinen Vor- 
sprecher hat, das Gericht also anzureden: „Hochwerdiger forste, werdigen, 
achtbaren und ernvesten leven heren und rede! Ik kan nemandes averkamen, 
de mine sake mündlik invören mach, und sulves wet ik es ok nicht to dönde, 
Äe&66 derhälve^i mine sahen in schrift möten loten stellen, ganz instendigen 
hogen vlites bittende, de sulftigen to rechte innemen und vorlesen willen 
hien, und dar up wat recht is mi mede delen mögen/* 

"•) S. überhaupt die ganze Schüderung bei Fabri S. 25. 30. 45 fgg. 



38 



liehen ProtocoUe und Ausfertigungen werden Scheine, Gerichts- 
scheine (ricMeschin), genannt ^^^), und mussten von dem 
Richter und seinen Beisitzern besiegelt werden^ ^^). In den 
Stiftern hatte der Mannrichter ein eigenes Amtssiegel, in den 
Ordenslanden dagegen bediente er sich seines Familiensiegels; 
mit einem solchen siegelten auch die Beisitzerin 2) 

Das Verfahren war ferner ein sehr summarisches. Es 
galt namentlich bei den Manngerichten der Grundsatz, dass 
Sachen, die auf einem Manntage anhängig gemacht worden 
waren, auch auf demselben Manntage, selbst durch zwei In- 
stanzen, beendet werden mussten, es sei denn, dass sie bis zum 
Landtage oder sonst aus besonderen Gründen vom Richter ver- 
tagt werden^n^). Gegen das Ende dieses Zeitraumes kommen 
jedoch schon Klagen über Verschleppung der Processe vor^®*). 

Endlich ist von der Form des Verfahrens im Allgemeinen 
noch zu bemerken, dass dasselbe „mit Urth eilen" geschah. 
Wie bereits oben (§ 6) angegeben worden , dass der Urtheilsmann 
bei der Eröffnung der Verhandlungen befragt werden musste, 
ob das Gericht vollmächtig sei, so musste auch im Laufe der 
glinzen Verhandlung, in Beziehung auf jede Formalität, vollends 
aber über jeden aufstossenden Zweifel, über jede einzelne Streit- 



"0) Fabri S. 23 u. 50. Oelrichs' Glossar S. 309 s. v. Richteschin. 

*^^) Fabri S. 23: „ nim du dar up van dem richter einen vor- 

segelden richtschin , under des richters und siner beiden hisitter segel hevestet'' 

^"2) Das. S. 5: „In den suchten gebruket de manrichter des Stiftes 
wapen, und heft ein egen amtsegel, dat he in gerichtes handelen bruJcet In 
Harrigen is ein besunder richter, in Wirlande ök ein besunder richter, de 
hebben nen amptsegel, gebruhen er er angebarne segel. So is idt ök under 
dem Orden alder wegen,'' 

*•*) Das. S. 38. Solche Ausnahmen sind übrigens in der Praxis nicht 
selten. S. besonders unten § 29 fgg. 

"*) Privil. des Erzbischofs Jaspar Linde vom 28.'Decbr. 1523. 



39 



frage^*^), der Urtheilsmann befragt werden und „das ürtheil 
einbringen-', ehe die Verhandlung fortschreiten durfte. Die 
Fragen stellt der Richter, theils selbstständig, theils auf Bitte 
der Partei, und zwar nicht willkürlich, sondern „nach Recht''^^^). 
Der Urtheilsmann eröffnet sodann das gefundene Urtheil dem 
Richter und zugleich den Parteien^^'^). 

n. 

Ordentliches Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen. 

1. Verfahren In erster Instanz, a) Ladimg. 

§ 14. 
In der älteren Zeit, wo sämmtliche Gerichtseingesessene 
regelmässiger auf den Manntagen sich versammelten, scheint 
eine vorgängige Ladung des Beklagten von Seiten des Klägers 
der Regel nach nicht vorgekommen zu sein: der Kläger konnte 
voraussetzen, den Beklagten stets zur Stelle zu finden^^®). Nur 



*•*) Hierauf bezieht sich auch die Bestimmung des m. L. RR. c. 110: 
„De richter — — schal ordels fragen twischen Uvier manne rede^^, d. h. 
sobald sich aus den gegenseitigen Vorbringen der Parteien ein zweifel- 
hafter oder streitiger Punkt herausgestellt. So auch das Rig. StR. II , 1 : 
,,De voget sal hören vor richte twier manne rede, und enem manne tuschen 
erer twier rede vragen en recht ordeV^ Fabri S. 7: ,Mem wanner dem 
richter ichtes was in richtes vörderinge bejegent, dar he sik nicht wet inne 
to holden, wor he wol edder övel ane deit, so mach he des heren gesworen 
afwisen, und to rechte vinden laten, wo he sik in der sake holden möge, dat 
he vor schaden vorhödet blive. Wes de em inbringen to rechte, dar mach 
he sik na richten.*^ 

"«) M. Livl. RR. c. 110. 

*•') S. auch unten § 36 und überhaupt Schmidt a. a. 0. S. 33 fgg. 
nnd besonders Homeyer, der Richtsteig Landrechts S. 416 fg. 430 fgg. 
452 fgg. 

i68j Dies ergiebt sich aus dem mittl. Livl. RR. c. 71 (Anm. 169), wo 
die beiden Fälle einander entgegengesetzt werden: „is de man to antwor- 
de«", d. i. hier gegenwärtig, und „is ein man nicht to antworden/^ 



40 



wenn der Beklagte nicht gegenwärtig war, wurde er förmlich 
geladen, und zwar wurde ihm zu dreienmalen eine Frist von je 
vierzehn Nächten anberaumt. Wenn der Beklagte zwar im Ge- 
richtsbezirke ein Gut besitzt , aber ausserhalb des Bezirkes seinen 
Wohnsitz hat, so wurde ihm eine dreimalige Frist von je sechs 
Wochen zum Erscheinen anberaumt. Ist er über See, so hat er 
eine Frist von Jahr und Tag zu gemessen^ ^^)i Die Ladung 
wurde dem Beklagten in sein Haus, dem auswärts wohnhaften 
oder abwesenden auf sein im Gerichtsbezirke belegenes Gut, mit 
einem Symbol, Wahrzeichen^''^), hinterbrachte''^), und zwar 
durch Vermittelung des ßichters^''^). — Später wurde die La- 
dung in jedem Falle, also auch zu den Manntagen oder unge- 
botenen Gerichten^''^), für nöthig erachtet; es genügte aber 



"•) M. L. ER c. 71: f,Wil de bischop beklagen sinen man umb lehen- 
gudt, und is de man to antworden, he findet sös weken dach, ift he wil; is 
he aver see, so heft he iar und dach. En is ein man nicht to antworden, 
so lecht m^n em sine dage, xiiii. nacht j und överst und tom drüdden mal 
xiiii, nacht, ift he in dem stichte wonhaftich si, und enthede em de dage in 
sin hus mit warteken. Wanet he överst hüten dem stichte, so legge men eme 
sös weken to d/ren malen, und hede em de dage in sin gudt.^^ Vergl. auch 
das. c. 114. Wohl nur in den Worten, nicht in der Sache, abweichend, 
jedenfalls nicht so deutHch, drückt sich das Waldemar-Erich'sche Lehn- 
recht Art. 30 aus. 

170J 'VVorin dieses Wahrzeichen, warteken, bestanden, ist nicht ange- 
geben. Vielleicht ist es gleichbedeutend mit dem unten zu erwähnenden 
Wachszeichen, wasteken (Anm. 180). Vergl. übrigens Jac. Grimm 's 
Deutsche Eechtsalterthümer S. 109 fg. 844 , und G. e 1 r i ch s' Glossar zum 
Rig. Stadtrecht etc. S. 339. 

"^) M. L. RR. c. 71 (s. Anm. 169) und 72. 

^^2) Das. c. 72: „Spreket de man, em en sin sine dage nicht gelecht, als 
men to rechte scholde, so is de hischop edder sin richter, de dat recht sittet, 
neger to vullkamende mit sinen waren worden und mit twen dingelüden, des 
stichtes mannen, up den hilligen, dat se dar aver weren, dat men eme sine 
dage legede und vorvolgende, als m^n to rechte scholde.^^ 

"*) Fabri S. 10: „De nicht vor sodaner bestemmeder tidt (dem de 
darna) vorgeladen wert, darf up de vorladinge to rechte nicht stan tor ant- 
toert, he wolde idt denne ut gudem wülen gerne don, överst he is dar nicht 



41 



schon eine einmalige Ladung, mindestens vierzehn Tage oder 
bezw. sechs Wochen vor Eröffnung des Manntages^'^*), wäh- 
rend die dreimalige Ladung für die gebotenen Gerichte geltend 
blieb^''^). — In dem sechszehnten Jahrhundert musste die Ci- 
tation schriftlich durch einen sogenannten ausgeschnittenen 
Zettel^ ''^) geschehen,, welcher die Namen des Klägers und des 
Beklagten , des Landesherrn und des Gerichts , des Ortes , wo 
der Gerichtstag gehalten werden sollte, die Angabe der Zeit, 
zu welcher der Beklagte sich einzufinden hatte, und mit mög- 
lichster Genauigkeit die Bezeichnung des Streitgegenstandes und 
der einzelnen Ansprüche des Klägers, endlich, nach einer Schluss- 
formel, Ort und Datum der Ausfertigung enthalten musste^ ' '^). 
War die Ladung dunkel oder zweideutig, so konnte der Ge- 
ladene darüber bei der höheren Instanz Beschwerde führen^ ''^). 



to vorplichtct; gift he sik dar to, he mot dar hi hlivenJ^ Es ist hier offen- 
bar der Fall vorausgesetzt, dass der Beklagte auf dem Manntage gegen- 
wärtig war. 

"*) Das. S. 10 u. 11. Auch schon früher war bei Klagen um Schuld, 
geliehene und deponirte Sachen, eine einmalige Ladung des Beklagten 
genügend. M. L. RR. c. 117 und 190. 

"») Fabri S. 6. 84 fg. 90. Vergl. auch das mittl. L. RR. c. 114. 

^'^^) S. darüber unten § 26. — Von den beiden Exemplaren der in 
der Form eines ausgeschnittenen Zettels angefertigten Citationsurkunde 
behielt der Citant das eine, während er das andere dem Citaten zusandte. 
Fabri S. 14 u. 16. 

^'''') Beliebung der Harrisch - Wierischen Ritterschaft vom Jahre 1500 : 
„Welker gut man, de mit dem andern to donde heft, de schal em sine he- 
schuldinge setten wp einen zettel, wat he to em to seggen heft. Wat he in 
de zettele settet, dar schal he em to antworden, und nicht to andern sahen, 
de dar nicht inne stan, hesundern he lade en tom andren male vor. Wat 
dar den \oTc inne steit, dar mach he den io antwerden/^ S. noch Fabri 
S. 14 fgg. , woselbst auch das Formular einer Citation. Beispiele wirkhch 
ausgefertigter Ladungsbriefe aus den Jahren 1528 bis 1555 s. in der Brief- 
lade No. 935. 1062. 1245. 1246. 1429. 



178 



) Fabri S. 17 fg. 



42 



— Die Ladung erging zwar im Namen des Klägers^ ''^), durfte 
jedoch wohl auch jetzt nicht ohne Wissen des Richters geschehen : 
im Erzstift namentlich musste der Kläger, um die Citation wirk- 
sam zu machen, neben der schriftlichen Ladung vom Richter 
ein „Wachszeichen" 1^^) und des Richters Amtssiegel er- 
werben^ ^^). 

Für das Ueberbringen der Ladung an den Beklagten hatte 
der Kläger zu sorgen^ ^2)^ j)ej. XJeberbringer oder Bote^^^) 
muss ein zuverlässiger und glaubwürdiger, zum Zeugniss tüch- 
tiger Mann sein, am füglichsten ein Deutscher Knecht, und 
darf, wenn er auf dem Hofe oder Gute des Beklagten die 
Ladung abzugeben hat, daselbst sein Pferd — bei Verlust des- 
selben — nicht anbinden; daher muss er einen Bauern mit- 
nehmen, der ihm sein Pferd halte, während er absitzt, um die 
Citation zu übergeben; auch darf er nicht in des Beklagten 
Gränzen weilen, noch etwas gemessen, sein Pferd füttern oder 
übernachten, es sei denn, dass der Beklagte ihn ausdrücklich 
dazu auffordert oder einladet. Uebrigens wurde dies in den 
Stiftern nicht so genau beobachtet, wie in Harrien und Wier- 
land. Will der Beklagte die Citation nicht annehmen, so muss 



"*) Die Ladung vor den Ordensrath ging noch am Ende dieses Zeit- 
raumes von dem Ordensmeister aus (Briefl. No. 1360). 

^^°) Unter diesen Wachszeichen, wastekeriy ist höchst wahrscheinlich 
ein Abdruck des richterlichen Amtssiegels in Wachs zu verstehen. S. e 1 - 
richs a. a. 0. Darauf beziehen sich auch die Worte: „hewastekent und 
vorgeladen'' in der Urkunde vom 29. April 1471 , Briefl. No. 289. Yergl. 
auch noch Homeyer, der Richtsteig Landrechts S. 427 fgg. 

^^^) Fabri S. 18 a. E. , wo noch bemerkt wird, dass es im Erzstift 
„mit allen Dingen anders zugeht." Was übrigens das Siegel neben dem 
Wachszeichen für eine Bedeutung hat, ist dunkel. 

1") M. L. RR. c. 190. Fabri S. 14 u. 17. 

"*) Einen besondem Boten, wie dergleichen in den Städten bestellt 
waren (§ 4), hatten die Manngerichte nicht. Vergl. Schmidt S. 16. 



43 



der Bote sie vor ihm hinlegen und deshalb protestiren. — Der 
Bote genoss übrigens den Frieden des Obergerichts, und ihm 
angethane Gewalt wurde als dem Richter zugefügt angesehen 
und mit dem Tode bestraft ^^*). 

In den Städten geschah die Vorladung nicht durch die 
Partei, sondern ging direct von dem Richter aus, und wurde 
durch den Gerichtsboten oder Fronen hinterbrachte ^^). Uebrigens 
war auch hier eine dreimalige Vorladung üblich^^®), und der 
Gerichtsbote genoss auch einen besondern' Frieden e®''). 



^«*) Fabri S. 17 u. 19 fg. 

^®®) Eig. StR. n, 14: „So wanne en man vor richte geboden wert hi 
des Stades boden." Das. Art. 18: „Were dat jeman geladen worde vor 
den voget mit des Stades boden.'^ Ob auch in den Städten Lübeckischen 
Rechts die Ladungen durch den Fronen auszurichten waren, könnte nach 
dem Lüb. StR. II, 207 zweifelhaft erscheinen, indem die Worte: „So 
wor en den andern but vor dat richte^^ dahin gedeutet werden dürften, 
dass der Kläger selbst die Ladung zu besorgen hatte. Eine Bestätigung 
dürfte dies finden in der in der Anm. 51 angeführten Urkunde vom J. 
1410. — Ausnahmsweise kennt auch das Rigische Stadtrecht eine Vor- 
ladung durch die Partei für den Fall , dass der Vorzuladende sich aus dem 
Bereiche der Stadt entfernt hatte. Der Kläger erhielt zu dem Zweck vom 
Richter einen „Brief", in welchem der Comparitionstermin angegeben war. 
Rig. StR. n, 14. 

"«) Lüb. StR. II, 207. Rig. StR. II, 15. Das. II, 1 a. E. heisst es: 
jyEn mun mot ok wol hebben dre achte y er he antworde dot, und so sal he 
antworde geven^\ und man könnte diese Worte auf die drei Ladungen 
beziehen wollen. Allein im Zusammenhange mit dem Vorhergehenden und 
mit Rücksicht auf die Quelle (Hamburg. StR. v. J. 1270 IX, 25 und mittel- 
bar Sachsenspiegel I, 62) sind unter den „drei Achten" richtiger die 
Berathungen (auch gesprelce genannt) zu verstehen, welche der Beklagte 
vor der Einlassung auf die Klage mit seinem Vorsprecher oder mit seinen 
Freunden halten darf (Homeyer, Richtsteig Landrechts S. 424). Diese 
Bedeutung hat der Ausdruck „Achte" auch in mehreren Ordelen des Lü- 
becker Rathes bei Michel sen S. 36. No. 12. 135. 168. Eine abweichende 
Auffassung der Sache bei Mich eisen S. XV XVIII. 

1") Lüb. StR. I, 53. 11,324. 



44 



h) Slage. 

§ 15. 
Zur Anstellung einer Klage (Anklage) kann, wie bereits 
oben gezeigt worden ^^^), Niemand gezwungen werden, weil 
Jeder se;jnen Schaden verschweigen mag^*^). Es darf aber auch 
der Richter Niemanden mit seiner Klage von sich aus abweisen, 
ohne zuvor den Gegner gehört zu haben^^^). Er muss vielmehr 
jeder Partei Rechtes pflegen, die ihn dazu auffordert, und ist 
für jede Weigerung und Verzögerung verantwortlich. Dagegen 



^8«) S. oben § 12. 

"») M. L. RR. c. 108. Rig. StR. II, 21. Lüb. StR. I; 118.' II, 166. 
S. oben Anm. 149 und 151. — Die Klage „mit Anevang" ist dem Livlän- 
dischen Gerichtsverfahren nicht bekannt, und die Hauptstelle des Sachsen- 
spiegels darüber (B. 11. Art. 36) in dem mittl. Livl. RR. c. 145 und 146 
vollständig umgearbeitet. Ebenso unbekannt ist die „ünterwindung", so- 
fern darunter ein ausserordentliches gerichtliches Verfahren verstanden 
werden soll. Der Ausdruck selbst ist den Livländischen Rechtsquellen zwar 
nicht fremd, bedeutet jedoch nur die eigenmächtige (d. i. ohne Vermit- 
telung des Richters bewerkstelligte) Besitzergreifung einer Sache, die man 
als die seinige erkannt hat (M. L. RR. c. 96. 151. 207. 249). Die Unter- 
windung erscheint demnach als ein Act an sich erlaubter Selbsthülfe. Wenn 
freilich derjenige, der sie geübt, seinen Anspruch nicht durchführen 
konnte, mithin in dem darüber entstandenen Rechtsstreite unterlag , musste 
er Busse und Wedde entrichten , j ene für die dem Gegner zugefügte Ge- 
walt, diese für den Eingriff in die Rechte des Richters. War dagegen dem 
über einen Eigenthumsanspruch erhobenen Rechtsstreite eine ünterwindung 
weder vorhergegangen noch nachgefolgt, so war auch kein Grund vor- 
handen, den unterliegenden Prätendenten zur Busse und Wedde zu ver- 
urtheilen. Auf diese Weise erklärt sich einfach die Bestimmung des M. 
Livl. RR. c. 96: „Sprekt ein man gud an und klaget he darup, und wert he 
mit rechte dar van gewiset, he hlift des ane hroke und ane wedde, dewile he 
sik des nicht underwi/ndet.'^ Ein besonderes, von dem gewöhnlichen ab- 
weichendes gerichtliches Verfahren liegt in dem Allen nicht. Anderer 
Ansicht ist Schmidt a. a. 0. S. 41 fg. 

^•®) M. L. RR. c. 201: „De richter noch nen man en m^ch nenen van 
siner klänge vorwisen, Sünder de jenne, dar de klage up geit, de mach en 
afwisen mit siner unschuldt/^ Vergl. auch das Rig. StR. III, 6. 



45 



mass ihm der Kläger eidlich geloben, ihn in Allem schadlos 
zu halten, wie denn überhaupt bei gebotenen (ausserordent- 
lichen) Gerichtshegungen der Kläger alle Kosten zu tragen 
hat^^^), deren Ersatz er übrigens — im Falle er obsiegt — 
von dem Beklagten verlangen darf ^^ 2) — Erheben beide Par- 
teien gleichzeitig Klage gegen einander^ ®^), so steht es bei dem 
Richter, welchen von beiden er zuerst hören und dadurch in 
die Stellung des Klägers bringen will^®*). — Die einmal erho- 
bene Klage muss der Kläger — bei Befürchtung einer dem 
Richter zu erlegenden Geldstrafe — auch ausführen^®^), und 
darf sich darüber mit dem Gegner ohne Genehmigung des 
Richters nicht vergleichen^ ®®). 

Die Klage kann sowohl mündlich, als schriftlich angestellt 
werden. Ersteres war in der früheren Zeit ausschliessliche Regel, 
und der Kläger bediente sich dabei gewöhnlich eines Vorspre- 
chers ^®'). Als in der Folge die schriftliche Form üblich wurde, 



"1) M. L. RR. c. 105. 106. 125. Fabri S. 6. 86. 

"*) Fabri S. 29, am Schlüsse des Klageformulars. 

*•') Fabri S. 26 fgg. bezeugt, dass es von grösster Wichtigkeit sei, 
dem Gegner mit der Klage zuvorzukommen, vermuthlich weil der Kläger 
noch zur Replik Gelegenheit hatte, während dem Beklagten nur ein An- 
trag zu seiner Vertheidigung und zur Ausführung seiner Rechtsansprüche 
in der ersten Instanz gestattet war. Fabri S. 34 — 37 und unten § 16. 

»»*) M. L. RR. c. 103. Vergl. das Rig. StR. II, 11. 

^»») M. L. RR. c. 48 : „ We sine klage nicht vor gerichte vulln- 

vöret, '-de weddet dem richter" Vergl. auch c. 108, unten Anm. 700. 

"•) Das. c. 77: „Wat klage vor gerichte kumptj de mach men nicht 
vorliken ane des richters vullwort" S. auch das. c. 135. — Rig. StR. II , 20 : 
tfNegen klegere mach sine sake vörevenen, de he geklaget he»et, he ne do dat 
mit vuTborde des vogedes^ und dede he dar^ en hovene, he sdl heteren der 
stat V« w^^- sidvers imd deme vogede iiij, ore, nochtan sal he volgen silier 
dage.'' Lüb. StR. I, 71. 103. H, 60. 82. 124. 

i»-^) Fabri S. 25. 



46 



mussten — nach Landrecht wenigstens — die Klageartikel Punkt 
für Punkt der schriftlichen Ladung (§ 14) folgen, und durfte 
in der Klage nichts Neues vorgehracht werden; mindestens war 
der Beklagte nicht verpflichtet, sich auf dergleichen neue Vor- 
bringen einzulassen^ ^^). 

c) Vortrag der Klage. Antwort des Beklagten. Einreden. 

§ 16. 
Am Gerichtstage tritt der Kläger vor den Richter, und 
bittet ihn, nach den einleitenden Förmlichkeiten^®^), den Gegner 
zu „eschen", d. i. vorzufordem, worauf der Richter zu dreien- 
malen — oder, wie der technische Ausdruck lautete: „mit drei 
Stimmen" 2 0) _ (Jen Beklagten bei dessen Namen laut aufruft 
(eschet). Sobald dieser sich stellt, trägt der Kläger seine münd- 
liche Klage laut vor oder verliest die schriftliche mit lauter 
Stimme, und überreicht sie dem Gericht^oi). Ist der Beklagte 
nicht speciell geladen worden und die Klage betrifft ein Lehn- 
gut, so darf er, wenn er gegenwärtig ist, sich eine Befristung 
von sechs Wochen zur Antwort erbitten; in allen andern Sachen 
muss er auf der Stelle antworten, und bekennen oder leug- 



^•*) Fabri S. 14: ^yDarna alle und ein ider sake hesundern, darumme 
du dinen wedderpart gedenkest antosprekende , möten in der vorladinge nam- 
haftich utgedrucket stan, wente wat in der vorladinge nicht utgenöniet is, dar 
darf din wedderpart di datmal nicht to antwerden" S. 26: „Item, wo dat 
me sik holden schal mit der klage to makende. So nim de vorladinge und 
legge (se) vor di, darmede du dinen jegendel vorgeladen hefst, und make 
denn dine heschuldinge und anklage, up ein ider punct und artikel hesun- 
dem, na vorvolch der vorladinge." Das. S. 27 auch das Formular einer 
„Anklage". S. auch ebendas. S. 46 fg. und vergl. noch das Lüb. StR. 
n, 211. 

1»») S. oben § 6. 

^°°) S. das Urtheil des Dörpt'schen Manngerichts vom 27. Juli 1508 
in der ßrieflade No. 719. Vergl. auch das. No. 380. 
"1) Fabri S. 45. Vergl. Michelsen S. XVII. 



47 



rien2ö2). Ist dem im Manngericht Beklagten eine specielle 
schriftliche Ladung zugekommen, so muss er die mündliche 
oder schriftliche Antwort — der Ladung Punkt für Punkt fol- 
gend — sofort vortragen, und im letztern Falle den schrift- 
lichen Aufsatz dem Richter ühergeben^o^)^ 

Nach Lübeckischem Stadtrecht musste der Kläger, nach 
Vortrag seiner Klage, deren Inhalt durch ein feierliches „Ja" 
bekräftigen 2 4). Nachdem er dieses Jawort gegeben, seine 
Klage „bejawortet", durfte er dieselbe nicht mehr ändern, 
namentlich in keiner Weise ergänzen, insbesondere den Betrag 
seines Anspruchs nicht erhöhen; denselben zu mindern ist ihm 
dagegen unverwehrt^^^). Wie der Kläger seine Klage, so musste 
auch der Beklagte seine Antwort formlich bejaworten, und 
durfte, nachdem dies geschehen, keine weiteren Behelfe und 
Vertheidigungsmittel , die er sich nicht ausdrücklich vorbehalten, 
vorbringen^oß). — Nach demselben Rechte war der Richter 



202) M. Livl. RR. c. 71 (Anm. 169). c. 73: „Geliker wise vorklaget ein 
sHchtes man den andern, und is he to antworden, he moth to handi ant. 
worden; en is he nicht so gelegen, men legge em sine dage, und dwinge en 

to rechte, als vorgerört is." c. 126: „ Wat men anders klaget, — 

dat moth de richter lool richten aver den man, de dar to antivorde 

is, und men schal em heden, dat he bekenne, und böte to rechter tidt, edder 
vorsake." S. auch noch c. 117. — Rig. StR. III, 17: „Were dat also, dat 
en dem anderen schult geve mit ener slichten clage, he schal eme nen eder ja 
Seggen." — Vergl. auch das Lüb. StR. II, 211 und das Ordel bei Mich ei- 
sen No. 74. 

«03) Fabri S. 26. 30. 47 fg. S. 30 findet sich auch eifi Formular der 
Antwort, üeber das Vorbringen neuer Momente in der Klage, so wie 
über dunkele und zweideutige Ladungen s. oben § 14 und 15. 

*o* ürdele bei Michels en No. 12. 71. 93. 153. 225. 

*o») Ebendas. und Lüb. StR. II, 208. 211. 

"«) Ordele bei Mich eisen No. 14. 120. S. überhaupt Mich eisen 
in der Vorrede S. XVII fg. 



48 



verpflichtet, nach Anhörung beider Theile, einen Stihneversuch 
vorzunehmen^ ^ '^). 

Auf die Klage Rechtloser und Friedloser braucht sich Nie- 
mand einzulassen, wohl aber muss der Recht- und Friedlose 
jedem Kläger antworten^®^). 

Wer ohne Grund auf die Klage zu antworten sich weigert, 
wird, nach dreimaliger Aufforderung dazu, als der Klage ge- 
ständig angesehen^oo). Dagegen konnte der Beklagte die Ant- 
wort ablehnen, wenn er nicht gehörig vorgeladen worden^io), 
' oder der Kläger nicht legitimirt war^n), wenn das Gericht 
nicht zuständig2i2) oder die Sache bereits bei einem andern 
Gerichte anhängig^^^) oder endlich bereits gerichtlich entschie- 
den war^i*). 

d) Ferneres Verfahren. Beplik und Suplik. — Widerklage. 

§ 17. 
Mit der Klage und deren Beantwortung, womit, wie unten 
(§ 28) zu zeigen ist, der Regel nach die Beweisführung gleich 
verbunden werden muss, ist nach Landrecht das Verfahren von 



207) Lüb. StE. II, 122. 

208) M. L. KK. c. 202 und 247. S. auch oben § 10. 

20») Das. c. 219. R. StR. II, 14. S. auch unten Anm. 474. 

«10) Brieflade No. 382. 792. Fabri S. 12. 

"1) Briefl. No. 401. 

2") Das. :^o. 381. 714. 

21*) S. das Schreiben des Stralsunder Rathes an den RevaPschen vom 
26. Janr. 1368 (ÜB. No. 1045). Schreiben des Erzbischofs von Riga an den 
Fürsten von Smolensk aus dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts, im 

ÜB. No. 3051: „A Ta npaB^a cctb npo whmB. Bacx h Hacx: 
K4'fc cä thhca noHHeib, ly kohij;äth," d. i.: „Das Recht gilt 
aber zwischen Euch und uns: wo ein Rechtsstreit begonnen, da ist er 
auch zu beenden." 

2") Brieflade No. 492. 820. 977. 1047. 1255. 



49 



Seiten der Parteien geschlossen^ i s)^ Daher giebt Fabri^ie) dem 
Kläger den Rath, muthmasslichen Einreden des Beklagten schon 
in der Klage zu begegnen, oder im Voraus eine schriftliche 
Widerlegung der Replik anzufertigen, und gleich nach Verlesung 
der Antwort des Beklagten vorzutragen, obschon Repliken bei 
den Gerichten nicht üblich seien. Ueber die Replik hinaus 
gehe aber der landesgerichtliche Process durchaus nicht, und 
kämen daher Dupliken etc. gar nicht vor, weil sonst eine 
Vertagung der Verhandlung bis zum nächsten Manntage un- 
umgänglich wäre, solche aber nicht statthaft sei^i'^). 

Abweichend davon gestattet das Lübecker Stadtrecht jeder 
Partei, zwei Anträge zu machen, so dass auf einander folgen: 
Klage (Anklage), Antwort, Wedderrede oder ßeplik und In- 
sage oder Duplik^i«)^ Nach Rigischem Stadtrecht wurde es 
wahrscheinlich ebenso gehalten. 

Dem Beklagten ist es zwar nicht verwehrt, gegen den 

Kläger sofort eine Widerklage anzustellen; allein der Kläger 

ist nicht verpflichtet, sich früher darauf einzulassen, als bis 

seine Klagesache erledigt ist^i»). Die einzige Wirkung der 

Widerklage besteht daher in der Begründung des besondern 
Gerichtsstandes 2 2 0)^ 



^'') Fabri K 48 fgg. 

*^*') Das. S. 34 fgg., wo auch das Formular einer Replik. 

2") Ebendas. S. 37. S. auch oben Anm. 193. 

"«) Mich eisen S. 26. 40 fgg. S. auch das. die Ordele No. 98. 
129 u. a. 

*") M. Livl. RR. c. 197: ,yWelk man up dm andern klaget und de 
jenne wedder up en, de erst geklaget lieft en höret jennem nicht to antworden, 
he si denn erst leddich van emj* Fast wörtlich damit übereinstimmend ist 
das Rig. StR. II, 16. Vergl. auch das RR. c. 249 und Fabri S. 26 fg. 

"0) S. oben Anm. 139. 

Bunge, Geschichte des Gerichtswesens. 4 



50 



e) Vom Beweise im Allgemeinen. 

§ 18. 
Wenn der von einer Partei behauptete Anspruch von dem 
Gegner ganz oder zum Theil geleugnet oder ins Nichtwissen 
gestellt wird, so kommt es zum Beweise. Für diesen Act des 
gerichtlichen Verfahrens gebrauchen die Rechtsquellen die man- 
nigfaltigsten Ausdrücke, welche theils allgemein angewendet 
werden, wie bewisen^^^), vullenlcamen^^^)^ vullenvören^^^), vuJr 
leribringen^^^), tilgen, hetügen oder vertagen^ ^^), tvar maJceti^^^); 
theils nur für gewisse Streitgegenstände: bei Klagen um Gut, 
bewegliches wie unbewegliches, desgleichen wenn Zustandsrechte 
in Frage stehen, ist behölden der übliche Ausdruck 2^7) ^ welchem 
das affmnnen des Gegners gegenübersteht 228)^ ajich. siJc dar to 
theen^^^); bei Klagen um Schuld heisst es vom Beweise des 
Klägers: verwinnen oder averwinnen^^^), avertügen^^^), bere- 



221) M. Livl. EK. c; 60. 157. 192. Kig. StR. IX, 26. Ueber die engere 
Bedeutung dieses Ausdrucks s. unten § 23. Im weiteren, hier in Rede 
stehenden Sinne wird das Wort gebraucht in der Deutschen Uebersetzung 
des Lateinischen Textes des Lübeck'schen Rechts für Reval vom Jahre 
1257 Art. 31. 50. 60. 62. 77. 87. 

2") M. L. RR. c. 8. 44. 72. 76. 131. 146. 204. Rig. StR. IX, 26. Lüb. 
StR: II, 33. 69. 

"8) M. L. RR. c. 116. 

"*) Das. c. 98. 113. 122. 146. 223. Lüb. StR. I, 36. 63. 

"») M. L. RR. c. 53. 112. 113. Lüb. StR. I, 20. 63. 87. II, 161. 

"•) RR. c. 64. Brieflade No. 392. 612 u. a. 

2") RR. c. 4. 15. 17. 53. 91. 93. 118. 141. 153. 154. 188. 212. Rig. 
StR. I, 20. n, 11. in, 14. IV, 1. VI, 8. Lüb. StR. I, 52. II, 118. 125. 

»») M. L. RR. c. 4. 53. 91 u. a. Rig. StR. H, 11. IV, 1. Lüb. 
StR. U, 125. 

«») RR. c. 137. 193. 

"•) Das. 0. 38. 79. 113. 125. 127. Rig. StR. IX, 7. 8. 26. Lüb. StR, 
n, 37. 38. 59. 147. 

*") RR. c. 13. 115. 168. 



51 



rfm2 3 2)^ von dem des Beklagten: entgan^^^), entreden^^^), ent- 
seggm ^ ^ ^ ) , entschuldigen ^ ^ ^) , weren , ieweren , enttveren oder 
Mmi2 3 7) Ciewöhnlich wird dann noch die Bezeichnung des 
Beweismittels hinzugefügt. Für die einzelnen Beweismittel giebt 
es noch besondere, ihres Orts anzugebende Ausdrücke. 

Beim Beweise kommen die Fragen in Betracht: 1) welches 
sind die Beweismittel? 2) wer hat zu beweisen? und 3) wie ist 
dabei zu verfahren? 

ß Beweismittel: a) im Allgemeinen. 

§ 19. 
Die in diesem Zeiträume in Anwendung kommenden Be- 
weismittel sind: 1) der Eid, den die Partei allein (Eineid) oder 
2) mit Gehülfen leistet; 3) das Zeugniss Dritter, insbesondere 
4) das Gerichtszeugniss ; 5) der Augenschein; 6) Urkunden und 
7) das Gottesurtheil. 

ß) Der Eineid der Partei. 

§ 20. 

Der Eid der Partei, Eineid, erscheint als das hauptsäch- 
lichste und am häufigsten gebrauchte Beweismittel, zur Bewahr- 
heitung sowohl des Anspruchs oder der Anklage, als auch der 
Ableugnung oder Ablehnung des klägerischen Anspruchs oder 



»*) KR. c. 44. 117. 

"») Das. c. 13. 15. 85. 113. 118. 131. 249. Rig. StR. I, 18. VI, 10. 12. 
Lüb. StR. I, 48. n, 78. 

"*) RR. c. 117. 

*") Das. c. 131. Lüb. StR. 11, 32. 38. 59. 

"•) RR. c. 38. Lüb. StR. 1 , 50. 

»") RR. c. 130. Rig. StR. IH, 12. Lüb. StR. U, 16. 101. Skra der 
ßevaler St. Canutigüde (Uß. No. 1519) Art. 7. 10. 11. 16. 30. 



52 



der Anklage. Pas Ziel des Eides ist mithin ein rein subjectives: 
der Eid will nur die Wahrhaftigkeit des Schwörenden und seiner 
persönlichen Ueberzeugung bestätigen, er ist gewissermassen das 
eigene Urtheil der Partei über ihren Rechtsanspruch (bezw. 
Widerspruch), und dient nicht, wie im heutigen Recht, bloss 
zur Bestärkung von Thatsachen, auf deren Grundlage erst der 
Urtheiler sein Erkenntniss zu fällen hat^^s). Der Eid ist eben- 
daher ein Recht der Partei ^ 3 9)^ und wird in den Quellen aus- 
drücklich als solches bezeichnet, indem Eid und Recht synonym 
sind, wie schon mehrere für das Leisten eines Eides übliche 
Ausdrücke beweisen. Solche sind im Allgemeinen: Sweren^^^), 
sinen ed^^^) oder sin recht darto don^^^), mit sinem rechte be- 
holden^^^), war maken^^^), tugen^^^), beschermen^^^), sine vul- 
Jcomenheit darto dmi^^'^)^ gewöhnlich mit dem Zusätze „w^ den 
hiUigen^'^^^). Man findet auch : bewisen'^^^)^ betügeti^^^), vullen- 



238) S. J. W. P 1 a n ck in der Zeitschrift für Deutsches Recht X, 
206 fgg. 0. Schmidt a. a. 0. S. 53. 

28») S. überhaupt unten § 26. 

"•) M. Livl. RR. c. 15. 71. 131. 166 u. a. Rig. StR. II, 12. 13. Lüb. 
StR. U, 140. 

**i) M. L. RR. c. 227. 

2") Das. c. 130. 191. 192. Rig. StR. II, 13. ÜB. No. 1523, 4. 1696. 
1838. Brieflade No. 325. 365. 626 u. a. m. 

2«) ÜB. No. 807. 814. Brieflade No. 322 - 324. 383. 455. 612. 724. 
950. 1186. 

"*) Brieflade No. 392. 393. 612. 751. Vergl. auch das mittl. L. RR. 
c. 64. 

*") Das. No. 258. 

«*•) Das. No. 278. 446. 455. 

"^) ÜB. No. 1287. 

**8) S. die meisten der in den Anmerkungen 240 — 47 citirten Stellea 
üeber die Bedeutung des Ausdrucks s. unten Anm. 274. 

**») M. L. RR. c. 60. 

"0) Das. c. 53. 113. 



53 



harnen up den hilligen^^^). Soll der Unterschied des Eineides 
von dem Eide mit Gehülfen hervorgehoben werden, so wird noch 
hinzugefügt: „mit sines sulves hant^^^), mit siner egen hant^^^)^ 
mit sines enes hant^^^), mit sind's siäves ede^^^), mit sines sulves 
rechte^' ^^^). In den Erkenntnissen des Harrisch - Wierischen 
Landesraths heisst es gewöhnlich: ,jSO vele darto don, als siJc im 
rechte gebort" ^^''), Wenn der Eid dem Beklagten oder Ange- 
griffenen zur Abwehr dient, gebrauchen die Quellen die Aus- 
drücke: weren oder erweren^^^), mit sinem ede oder rechte, oder 
mit siner unschidd^^^) entgaen^^^)^ sih untseggen^^^), entschtd- 
digen^^^)^ utnemen^^^)^ tittheen^^^), auch hier gewöhnlich mit 
den obigen Zusätzen: „up den hilligen" und „mit sines sulves 
hant etc." 

Zum Beweise durch den Eid wird nur zugelassen, wer voll- 
kommen unbescholten ist: der rechtlose Verbrecher ist davon 
ausgeschlossen 2 5)^ Der Eid muss persönlich geleistet werden; 



«") M. L. RR. c. 8. 72. 76. 146. 

««) Das. c. 118. Rig. StR. H, 19. IH, 13. IV, 1. VI, 10. Lüb. 
StR. n, 118. 

"») RR. c. 4. 

"*) Lüb. StR. II , 31. 36. 120. 154. 

«») Das. II, 116. 

"«) Briefl. No. 324. 386. 538. 568. 769. 1092 u. a. 

«^ Das. No. 383. 385. 389. 489. 536. 549. 644 u. a. m. 

»») M. L. RR. c. 130. Rig. StR. I, 24. IX, 12. Lüb. StR. n, 16. 
101. Skra der St. Canutigilde in Reval (ÜB. No. 1519) Art. 7. 10. 11. 16. 30. 

»») RR. c. 15. 249. 

"•) Das. c. 13. Rig. StR. 1 , 18. 

"1) Lüb. StR. n, 32. 59. ÜB. No. 2730. 

*«) M. L. RR. c. 38. Rig. StR. VI , 3. Lüb. StR. 1 , 35. 

"») Lüb. StR. II, 36. 154. 

"*) RR. c. 37. Lüb. StR. n, 120. 

"•) RR. c. 39. 



54 



auch Frauenzimmer sind davon nicht ausgenommen 2^®). In- 
dessen ist auch Stellvertretung gestattet , und in manchen Fällen 
unerlässlich : für einen Minderjährigen musste der Vormund 
schwören 2 6 7)^ für die Ehefrau konnte der Ehemann den Eid 
leisten 2 6 8)^ Corporationen Hessen sich durch ihren Vorstand 
oder durch Bevollmächtigte vertreten^«»). 

Seiner Form nach war der Eid stets ein körperlicher 2 ^o^ 
Er wurde vor dem Richter geleistet ^'^i), nach der Formel, welche 
der Gegner, und, wenn dieser nicht gegenwärtig war, der Richter 
stäbte, d. h. mit einem Stahe in der Hand vorsprach 2^2)^ Der 



**") RR. c. 43: „Wor idt den frouwen to ede kumpt, de schollen se 
sulven don, und nicht ere Vormünder" S. übrigens unten Anm. 268. 

2«"^) Lüb. StR. n, 30: „ we^i; w^ des vaders dode den hindern 

schult gegeven umme schult oder umme andere sähe, is de sake unwitlik und 
schal men dar recht vore don oder sweren vor dem vogede, so schal de Vor- 
munde en dat recht don und er nen mer. De 'vormunde scholen ok dar 
umme loten under twischen, welkere dat recht don schole, uppe wen so idt 
denne volty de schal dat recht don dllene." Vergl. auch die Briefl. No. 486 
(Anm. 268). 

*"®) ürtheil des Harrisch - Wierischen Rathes vom 27. Juli 1495: „Den 
Beweis sollen führen für diejenigen von Wekebrod's Erben, welche verän- 
dert (d. i. verheirathet) sind, deren Männer, jeder für seine Ehefrau, für 
die Jungfrauen J. Tuve (als Vormund) dasselbe, jeder mit seinem eigenen 
Rechte." — Nach einer Inscription in dem Rigischen Grund- und Erbe- 
buch vom J. 1479 (ÜB. No. 2953 , 41) leistet für eine Wittwe ihr Schwieger- 
sohn den Eid. 

"») S. z. B. das ÜB. No. 667. 676. 1000. 3106. 3107. Briefl. No. 563. 

*'®) In Urkunden heisst es: „liißike sweren, mit liifliken fingern": ÜB. 
No. 1669. 1803. 1805. 1895. 2024. 2544. 2703. 2995. Briefl. No. 327. 636. 
834. „luramentum corporaliter prestare": ÜB. No. 654. 

"») M. L. RR. c. 127. Rig. StR. II, 12. 13. Lüb. StR. H, 35. 226. 
237 u. V. a. Hierher gehört auch die grosse Zahl von gerichtlichen Ur- 
kunden, in welchen die Ablegung des Eides vor Gericht („vor uns") be- 
zeugt wird. 

*'^2) Des „gestäbten" (staveden), „rechtsgestäbten" Eides geschieht in 
Urkunden häufig Erwähnung (ÜB. No. 1304. 1337. 1505. 1669. 2310. 2506. 
2592. Briefl. No. 636. 834). Dass das Stäben in der angegebenen Weise 



55 



Schwörende berührte hierbei „mit ausgestreckten Armen und 
aufgerichteten Fingern" 273) q\j^ Reliquienkästchen: „die Hei- 
ligen"2 7 4)^ daher der bereits oben erwähnte Ausdruck: auf den 
Heiligen schwören, behalten etc.^'^^), der in den Rechtsbücher 11 
imd älteren Rechtsquellen fast ausschliesslich gebraucht wird 2'^®). 
In etwas späterer Zeit , übrigens auch schon ii^ vierzehnten Jahr- 
hundert 2'^'^), findet man auch die Formen: „in den Heiligen'', 
oder „zu den Heiligen" 2''^), auch „zu Gott und seinen Hei- 
ligen" 279)^ desgleichen „mit Berührung der heiligen Evan- 



geschah, ergiebt sich aus dem Big. StB. II, 12: „De geney de sin recht 
don aal to ethdagen, de sal den eth don des anderen mandages na paschen; 
und en is he dar nicht, deme de eth angeit (d. i. der Gegner), de 
voget sal eme staven, und he sal sweren und wesen ledich und loos.*^ 
Von einem besondern Vorstaber (Homeyer, Sachsenspiegel 11, 2. S. 598) 
findet sich in Livland keine Spur. 

*") S. die meisten der in den Anmerkungen 270 und 72 angeführten 
Urkunden. 

*'^*) Diese Bedeutung „der Heiligen" wird von den heimischen Quellen 
bezeugt in der alten üebersetzung des ältesten Lübeck'schen Stadtrechts 
für Beval vom J. 1257. Art. 44 , dessen Satz : „manum super reliquias po- 
nere" wiedergegeben ist durch: „de hant leggen up den hilgen.*^ S. auch 
das. Art. 33. 35. 52. In der Urk. vom 15. Mai 1313 (ÜB. No. 644) heisst 
es: „prestito iuramento super domini nostri corporis sacramento/* 

*^') S. die Citate in den Anmerkungen 240 fgg. 

'^•) Einmal, im Cap. 113 des m. L. BB. , wird die Form „mit den 
hiUigen** gebraucht, offenbar eine Verkürzung statt: „mit sinem recht up 
den hilligen." 

«") Urkunden von den Jahren 1391 und 1393 im ÜB. No. 1304 und 
1337 , und von den Jahren 1469 u. 1477 in der Briefl. No. 278 u. 327. 

*78) ürkk. von den Jahren 1415. 1465. 1477. 1501, im ÜB. No. 2017 
und in der Briefl. No. 256. 325. 612. 

»'•) ürkk. von den Jahren 1400. 1503. 1516, im ÜB. No. 1505, in der 
Briefl. No. 636. 834. Hier, und wohl auch in den in der Anm. 278 citirten 
Stellen, dürfte das Wort „Heilige" doch eine andere Bedeutung, als die 
eines Beliquienkästchens, haben, nämlich die der Anrufung des Zeugnisses 
(Gottes und) der Heiligen. 



56 



gelien"2 8o) schwören. Frauen schwören auch „bei ihrer Seelen 
Seligkeit, letzter Hinfahrt, fraulicher Ehre und Zucht" ^si). — 
Bemerkenswerth ist noch, dass, wenn Russen bei einem Rechts- 
handel betheiligt waren , die mitbetheiligten Katholiken die nach 

dem Orientalischen Ritus zum Eide unerlässliche Kreuzküssung 
beobachteten 2 «2)^^ 

An heiligen Tagen war die Ablegung eines Eides unstatt- 
haft, mit Ausnahme dringender Fälle, namentlich wenn der- 
jenige, der den Eid schwören soll, nachweist, dass er wegefertig, 
d. i. auf reisendem Fusse ist ^ 8 3)^ un(j überhaupt wenn die 
Sache „nach Gastrecht" verhandelt werden muss^^*). 

y) Der Eid mit Gehülfen. 

§21. 

Der Eid mit Gehülfen (Mitschwörenden oder Eidhelfern) ist 
zwiefacher Art: die Gehülfen beschwören nämlich entweder bloss 
ihre Ueberzeugung von der Wahrhaftigkeit der schwörenden 



"0) Diese Form finden wir bereits in den Jahren 1306, 1313, 1316 
und 1412: ÜB. No. 644. 654. 2992. Keg. 713. 

*®^) Urtheü des Harrisch - Wierischen Landesraths vom J. 1545, Briefl* 
No. 1260. 

2") ürk. des Kevaler Rathes vom 29. Decbr. 1384: „ dat — 

her Johan Boleman, unses rades kumpan, und unses rades gesworene weger 
hebben rechtUIcen und vullenkomeliken getuget mit erem ede, hi crucekussinge 
dar up gedan, als umme dat solt, dar Matwe Druckelewe, de Russe, an- 
klaget W, Drogen etc/^ 

^^^) Rig. StR. II, 12: „Binnen der gebunden tit scdl nen borgere deme 
andern sweren: men scal den eUi versten to den openen dagen, dat ne were, 
dat er en bewisen muchte, dat he wechverdich were.*' S. auch noch das 
mittl. L. RR. c. 126: „Binnen den hilligen dagen moth men nicht sweren, 
denn sinem heren to huldende, edder den fr ede to holden^e, edder up einen 
ma/Hf de dessülvigen dages umb tmdadt begrepen wert" S. auch oben 
§ 5 a. E. 

"*) Rig. StR. a. a. 0. S. unten § 48. 



57 



Partei und von der Richtigkeit des von ihr geleisteten Eides, — 
oder sie bezeugen durch ihren Eid die Richtigkeit der bestrit- 
tenen Thatsache selbst^^^). Die erstere Art des Eides mit 
Gehülfen findet jedoch zunächst nur im Strafverfahren Anwen- 
dung2 8 6); in Civilsachen ist sie dem stadtrechtlichen Verfahren 
durchaus unbekanntes ''), nach Landrecht aber nur in drei Fällen 
zulässig: 1) in Besitz- und Gränzstreitigkeiten^ss)^ 2) wenn 
Forderungen „nach todter Hand", d. h. an einen Nachlass, 



"•) S. überhaupt Homeyer's Richtsteig Landrechts S. 457 fgg. 
Dessen Sachsenspiegel Bd. I. S. 504 fg. 0. Schmidt a. a. 0. S. 54 fgg. 

"•) S. unten § 56. 

"') Die wenigen Stellen, in welchen die Stadtrechte von dem Eide 
mit Gehülfen handeln (Rig. StR. VI, 3. 5. 12.' IX, 6. 7. 8. Lüb. StR. I, 
50. 86. II, 179. 181), gehören ausschliesslich dem Strafrecht an; dasselbe 
gilt auch von der Skra der St. Canutigilde in Reval aus dem Anfange des 
fünfzehnten Jahrhunderts (ÜB. No. 1519) Art. 7. 10. 11. 16. 30. Eine Stelle 
des Hamburgischen Stadtrechts vom Jahre 1270 (VII, 9), welche hierher 
gehören könnte, ist weder in das umgearbeitete Rigische Stadtrecht über- 
gegangen, noch findet sie sich in einem Revaler Codex des Lübeck'schen 
Rechts ; wohl aber im sog. Pufendorf sehen Rigischen Stadtrecht Art. 93 fgg. 
(Archivtext VI, 8) und im Hach'schen Codex III. des Lüb. StR. Art. 334 
(Revaler Rechtsquellen II, 493 Art. 418). Jedenfalls ist diese Bestimmung 
in den Städten des alten Livlands nicht practisch geworden. Indessen 
darf ein Notariats - Instrument vom 9. Decbr. 1412 (ÜB. No. 2992) nicht 
unbeachtet gelassen werden, in welchem einer dem Gehülfeneide ver- 
wandten Handlung Erwähnung geschieht. Mehrere Rigische Rathsglieder, 
Bürger und Kaufleute nämlich , denen der Grossfürst Witaut von Litthauen 
Waaren hatte wegnehmen lassen, geben in diesem Instrumente jeder seinen 
Verlust an und beeidigen die Richtigkeit ihrer Angabe. Sodann heisst es 
m dem Documente: „Demum autem, in maiorem evidentiam testimonii et 
verum predictarum certitudinem, quidam venerdbiles mri, videlicet J, Want- 
schede, proconsul, L. de Pale et H. de Hey de, consules, iussu et nomine 
iotius constdatus Bigensis, ibidem tunc presentes et consentientes , iuramenta 

predicta testimonio confirmare volentes, ad sacra Bei ewangelia iura- 

verunt, 8C CVCdevC^ pTedictos aonsules, cives et mercatores 
Vera iuramenta pro eisdem honis et damnis et eorum occasione susten- 
tata et siMata prestitisse etc/' 

»») S. unten § 50 fgg. und vergl. Schmidt a. a. 0. S. 56 fg. 



58 



geltend gemacht werden, welche der Erbe nicht zu kennen vor- 
giebt^s»), und — wie es scheint — auch 3) bei der Vindication 
fahrender Habe^»^). In allen übrigen Fällen erscheinen nach 
Landrecht die Eidhelfer durchaus als Zeugen, da die Kenntniss 



»®®) M. Livl. ER. c. 12: „We dat erve nimpt, de schal van rechte de 
schult gelden etc. c. 13: „Dufte, noch rof — — en is he nicht pUchtich to 
gelden, noch nene schult, wenn de em witliTc is. De schult sal de trve 
gelden, ift he darumh gemanet worde , also dat recht is, mit dren unbe- 
spraken guden mannen eres rechten up den hilligenJ* Die Quelle (Sachsensp. 
B. IL Art. 6 § 1 und 2, in welcher Homeyer a. a. 0. mit Recht Eid- 
helfer erster Art sieht) ist im Ritterrecht wesentlich verändert, indem 
hier einestheils ausdrücklich die Fälle, wo der Erbe von der Schuld Kennt- 
niss hat und wo dies nicht stattfindet, einander entgegengesetzt, andem- 
theils, statt der besonders qualificirten zwei und siebenzig Eidhelfer 
des Sachsenspiegels, nur drei unbescholtene Männer gefordert werden. 
Dass diese drei Männer wirkliche Zeugen sein , also von der Schuld Kennt- 
niss haben sollen, ist nicht anzunehmen: 1) weil dies hier nicht, wie sonst 
immer, ausdrücklich ausgesprochen ist; 2) weil ihrer drei gefordert werden, 
während die Zahl der als Zeugen geltenden Gehülfen sonst immer nur 
zwei beträgt; 3) hängt dies mit den Grundsätzen über das Beweisrecht 
zusammen. S. unten § 26. Vergl. auch noch die Brieflade No. 534, 563 
und 756 (von den Jahren 1496, 97 und 1511), wo übrigens nur von einem 
selbdritte zu leistenden Eide des Gläubigers die Rede ist. 

*••) M. L. RR. c. 146: „Welk man have heft, de angesprdken wert, - 
— des mach he wol theen an sine wahre, dar idt em af kamen is, — — . 
Spreket de jenne, dat he idt sülve getagen hebbe edder hadde laten maken, 
mochte he des vullenkamen, he beholt de sülvige have; möchte he idt overst 
nicht vullenbringen , so schall de ander dat vullenbringen mit 
dren bederven lüden up den hilligen" Auch hier ist, wie im 
c. 13 (a. Anm. 289), die Quelle (Sachsensp. B. II. Art. 36) mehrfach ab- 
geändert, auch hier die Zahl der Eidhelfer auf drei festgestellt, auch hier 
wird bei ihnen Kenntniss der Thatsache nicht verlangt. S. auch das. c. 15: 
„Mach överst de jenne, de dat gud (welches als geliehen oder verpföndet 
in Anspruch genommen wird) in weren heft, mit dren bederven lüdest 
betügen, dat idt sin eigen is edder sin erfgud, he breket eme sin getüge." 
Vergl. übrigens die Urk. v. J. 1477 in der Brieflade No. 327. — Schmidt 
führt S. 56 Anm. 224 noch eine vierte Stelle des Ritterrechts an, in wel- 
cher angeblich drei Eidhelfer verlangt werden: RR. c. 98 § 4. Dies 
beruht aber auf einem Irrthum, denn es ist a. a. 0. nur von einem Eide 
selb dritte die Rede, also von nur zwei Eidhelfem. 



59 



der durch den Eid zu erweisenden Thatsache ausdrücklich bei 
ihnen vorausgesetzt, bezw. von ihnen verlangt wird^^i). Von 
den Zeugen im engern Sinne (§22) unterscheiden sie sich 
wesentlich dadurch, dass 1) die Beeidigung des Zeugnisses ihrer- 
seits unerlässliches Erfordemiss ist, und 2) dass ihr Zeugniss 
durch den Eid der Partei ergänzt werden muss2ö2). 

Die Zahl der Eidhelfer im ordentlichen bürgerlichen Gerichts- 
verfahren ist in der Regel auf zwei beschränkt , wofür gewöhnlich 
der Ausdruck „selbdritte (sülf drüdde) schwören" gebraucht 
wird 2 »3)^ Nur für den Beweis einer Forderung nach todter 
Hand werden im Landrecht drei Eidhelfer gefordert^ » *) , des- 
gleichen bei der Vindication fahrender Habe^ös), — in Be- 
ziehung auf die Eigenschaften der Mitschwörenden wird im All- 
gemeinen nur verlangt, dass es unbescholtene Leute (biderve^ 
hrave lüde, uniesproJcen eres rechten) seien ^^ß); in Lehnssachen 
dürfen nur Vasallen Eidhelfer sein ^ »7). Wenn die Vasallen- 
eigenschaft sonst noch für die Eidhelfer in Anspruch genommen 



*«^) Fast in allen Stellen, welche von Eidhelfern in Civüsachen han- 
deln, wird verlangt, dass die Eidhelfer dasjenige, was sie beschwören 
sollen, gesehen (mittl. RR. c. 53. 93) oder gesehen und gehört haben 
(das. c. 6. 8. 98. 122. 188), oder dass sie bei der Handlung oder dem 
Ereignisse gegenwärtig (dar aver) gewesen (das. c. 7. 17. 72. 112; desgl. 
c. 54 vergl. mit c. 27, unten Anm. 301). 

*•*) Dass nicht umgekehrt das Zeugniss der Eidhelfer als ergänzendes 
Beweismittel zu dem Eide der Partei hinzutrat, ergiebt sich daraus, dass 
nach dem Sachsensp. B. III. Art. 88 § 5, in Civilsachen die Eidhelfer vor 
der Parei den Eid leisteten. In Criminalsachen dagegen schwur die Partei 
zuerst und dann die Gehülfen. Ebendas. § 3. 

"8) S. die in der Anm. 291 angeführten Stellen. 

"*) M. L. RR. c. 13. S. Anm. 289. 

»»») Das. c. 15 und 146. S. Anm. 290. 

«••) Das. c. 15. 53. 98. Das Rig. Stadtrecht IX , 8 (Anm. 708) spricht 
von „erliken besetenen lüden." 

"^) RR. c. 6. 8. 72. 



60 



wird 2 »8), so ist dies ohne Zweifel auf die Fälle zu beschränken, 
in welchen die Parteien selbst dem Vasallenstande angehören, 
oder mindestens derjenige, gegen den der Beweis geführt wird, 
Vasall ist 2 ö 9). Auch Frauen können Eidhelfer sein, namentlich 
wenn es sich um die Bestellung einer Morgengabe ^^^) oder um 
den Beweis der lebendigen Geburt eines Kindes handelt ^^^). 

8) Das Zeugniss Dritter. 

§22. 

Die Zeugen, welche nicht zugleich Eidhelfer sind (§ 21), 
nehmen in den Stadtrechten bereits in frühester Zeit eine weit 
wichtigere Stellung ein, als in den Quellen des Landrechts ^® 2)^ 
Zu deren Fähigkeit wird vor Allem erfordert , dass sie „biderbe", 
„ehrlich", „fromm", „unberüchtigt", „unbesprochen an ihrem 



*»8) S. z. B. das KK. c. 53. 

*••) Das. c. 85: „Vorsähet ein man den dodtslach, so mach he 

des entgaen — — sülf sövende, de des stichtes manne sin, bederve lüde, 
ift he ok sülvest stichtes man si, Is he nicht, so sin is andere 
bederve lüde, de em helpen sweren etc.'* Obschon es sich hier um eine 
Griminalsache handelt, so ist es doch mehr als wahrscheinlich, dass der 
Grundsatz allgemeine Gültigkeit, auch für alle Civilsachen, hatte. 

*°°) Das. c. 17: „Morgengave heholt ein wiff up den hilligen sülf drüdde, 
idt si wif edder man, de aver der morgengave gewesen sin.** 

^^^) Das. c. 54: „Heft överst eine frouwe ein kindt, dat se betügen möge 
sülf drüdde, dat idt de veer wende beschriet, wenn idt to der werlt 

kumpt etc.*', verglichen mit c. 27: „Welk wif, de ein kindt drecht, 

— wert dat kindt levendich gebaren, und heft de frouwe des tu gen van 
den frouwen, de dar aver weren, dat dat kindt wenende imd 
schriende to der werlt kumpt etc.** 

'"*) Dies erklärt sich einfach daraus, dass die Stadtrechte keine Eid- 
helfer im Civilverfahreu kennen (§21), an deren Stelle also auch Zeugen 
traten. Seit dem fünfzehnten Jahrhundert wird übrigens auch in der land- 
rechtlichen Praxis der Beweis durch Zeugen (glaubwürdige gute Männer) 
in immer gesteigertem Maasse üblich. Vergl. die Briefl. No. 385. 515. 537. 
686 u. a. Fabri's formul. procur. S. 102. 107. 



61 



Rechte", d. i. vollkommen rechtsfähig seien ^^ 3). Personen, 
welche in die Acht erklärt, oder in den Bann gethan oder ver- 
festet sind, sind unfähig, in dem Gerichte Zeugniss abzulegen, 
in dessen Bezirke sie gebannt oder verfestet sind 3^*). Wer 
einmal ein falches Zeugniss abgelegt , darf nicht wieder als 
Zeuge auftreten 3®^). Demnächst müssen die Zeugen in der 
Regel von demselben Stande sein, wie die Partei, gegen welche 
sie aufgeführt werden ^oe^^ Die Stadtrechte verlangen, dass sie 
in der Stadt mit Grundstücken besitzlich seien ^ot^^ indem nur 
ausnahmsweise in geringfügigen Sachen und in einzelnen andern 
Fällen Unbesitzliche zum Zeugniss zugelassen werden ^**^). Im 
Zusammenhange damit steht die Bestimmung des Lübeckischen 
Rechts, dass kein Gast — dl i. Nichtbürger — gegen einen 



'°^) Dieses Erforderniss findet sich fast überall, wo von Zeugen die 
Rede ist, z. B. im mittl. Livl. RR. c. 6. 7. 13. 53 u. a., Rig. StR. III, 15. 
VI, 2. IX, 1. 20 etc, Lüb. StR. II, 74. 227. 341. Briefl. No. 636. 

*o*) M. L. RR. c. 247 : „Des vorbanneden mannes tüch mach men wol 
vorleggen, edder des vorachteden edder vorvesteden mannes, hinnen dem 
gerichtey dar he gebannet is." Lüb. StR. I, 44. II, 178. 

*°*) Rig. StR. III, 7: „So welic man unrechte tuget — sal uppe 

nenen man mer tilgen." Lüb. StR. I, 44. II, 47: „Wert deme rade witlik 
gemaketf dat lernen valsch getuget hebhe, — - de valsche tuch sal — — 
darna nimmer mer iemene tugen helpen." Vergl. auch das. Art. 178. 

«0«) S. z. B. das mittl. L. RR. c. 3. 6. 7. 13 u. a. und viele Stellen 
aus den Stadtrechten in den folgenden Anmerkungen. • 

«0') Rig. StR. n, 26. III, 15. VI, 12. Lüb. StR. I, 44. 48. 51. 63.86. 
II, 73. 227. 249. S. auch das ÜB. No. 1597 und Mich eisen No. 242. 

*o®) Zunächst gilt dies allerdings nur für Criminalsachen : Lüb. StR. I, 
64. II, 74. S. jedoch auch II, 313. 316. 341. 346, und vergl. das Rig. 
StR. VII, 13. Mich eisen No. 198. 201. — Ganz eigenthümlich ist die 
Bestimmung des Lüb. StR. II, 249: „Ok si dat witlik, dat de gemene rat 
des to rade worden is, dat ein iewelik minsche sine panne^i, ketele ofte bruv- 
vate, per de ofte quek, de he to hure dan heft, wedder mach winnen mit sines 
enes hant, Wat aver anderes gudes to hure dan wert, dat scal msn wedder 
winnen mit tilgen, de heseten sint" 



62 



Bürger, wohl aber ein Bürger gegen einen Gast, so wie ein 
Gast gegen den andern, als Zeuge auftreten darf 3^^). In Lehns- 
sachen sind nur Vasallen als Zeugen zulässig, welche wenigstens 
einen halben Haken Landes zu Lehn haben ^^^). Aus diesen 
strengen Requisiten darf schon gefolgert werden, dass in der 
Regel nur Männer als vollkommen fähige Zeugen angesehen 
wurden ^^1). Frauenzimmer wurden nur ausnahmsweise zum 
Zeugnisse zugelassen, namentlich über Thatsachen, von denen 
nur sie Kunde haben konnten ^^ 2) 

Wegen des besondern Verhältnisses des Zeugen zu den Par- 
teien oder zum Streitgegenstande findet sich in den Stadt- 
rechten ^^ 3) bestimmt, dass Verwandte nur in gewissen Fällen, 
namentlich in solchen, welche sich auf Familienverhältnisse be- 
ziehen, z. B. über den Brautschatz, Zeugniss ablegen können ^^*), 



*"•) Lüb. StR. II, 129: ,jNen gast ne mach tugen wp enen dorgere, 
Mer horgere mögen wol tugen up geste, und en gast mach wol tugen uppe 
den andern.^'' Vergl. auch das. Art. 218 und 341, und Mich eisen No. 166. 

^^°) M. L. ER. c. 3. 6. 7. 242. 246: „Welk man minn heft, denn einen 
haken edder einen halven, de en mach nenes mannes tüge sin hinnen lehen- 
rechte." 

^^^) Fast in allen von Zeugen handelnden Stellen der Rechtsbücher 
und Stadtrechte werden Männer ' ausdrücklich genannt oder doch voraus- 
gesetzt. 

312J Z. B. über die Geburt eines Kindes: M, L. RR. c. 27 (s. Anm. 
3011 Lüb. StR. II, 815: „Ok mögen frouwen tuegen eine echte (d. i. Ehe) 
ofte ein christendom (d. i. Taufe), edder ein levent des kindes, dar se mede 
aver de hordt sindJ' 

'*") Die landrechtlichen Quellen enthalten zwar keine bezüglichen 
Bestimmungen. Dass jedoch die in den Stadtrechten aufgestellten Grund- 
sätze auch im Landrecht anerkannt waren , beweist das in mehrfacher Hin- 
sicht interessante Urtheil des Bischofs von Dorpat vom 7. März 1471 in der 
Brieflade No. 288. In dem Urtheil des Harrisch - Wierischen Landesrathes 
vom 12. Juni 1511 (Briefl. No. 756) heisst es: „und ist in unserem Rechte 
nicht gewöhnlich, dass zwei Brüder sich selber zuschwören mögen oder 
zeugen können." 

»^*) Lüb. StR. II, 316. 



63 



dass Gesellschafter, und überhaupt Personen, welche an der 
Sache ein Interesse haben^^^), dass Rechtsbeistände und Rath- 
geber der Parteien 3^^), dass Pfandgläubiger für den Pfand- 
schuldner 3^'^) nicht als Zeugen aufgeführt werden dürfen. Zum 
Beweise von Forderungen der Geistlichkeit scheint das Zeugniss 
Geistlicher nicht als genügend angesehen worden zu sein 3^^). 
Der Deutsche Orden jedoch genoss das Privilegium, dass in 
Sachen desselben Ordensbrüder als glaubwürdige Zeugen auch 
für ihn auftreten durften ^i 9). 



2") Eig. StR. IJI, 8: „Et ne mach oc neman tugen uppe den anderen 
uppe ieniger hande sähe van sculde mit deme, de sin cumpan dar ane is, 
ofte den de sake mede angeit^' Mich eisen No. 176. — Eigenthümlich ist 
die Bestimmung der Skra der Heiligen - Leichnams - Gilde zu Reval vom 
Ende des dreizehnten Jahrhunderts (ÜB. No. 593) Art. 6 : „Nin man schal 
bringen einen tuch uppe sinen gildebroder, he si wer he si.** 

*") Rig. StR. m, 5: „So welik man den anderen an sine achte hiddet 
und seget eme sine hemlicheit, und wolde men dar na mit deme manne vor- 
tugen, des en mach nicht sin/* Lüb. StR. II, 45: „So wor ein man vor 
deme richte des anderen wort sprekt oder gespröken hevet, uppe de sulven 
sake ne mach he nen tuch werden J' S. auch Mich eisen No. 135. 

»") Lüb. StR. n, 333. Michelsen No. 229, 

'*•) Ein dem vierzehnten Jahrhundert: angehörendes Erkenntniss des 
Rigischen Rathes (ÜB. No. 916) lautet: „Na deme male dat de domheren 
tospreken Stakelberge umme eine ewige vicarien, und de vicarien geistlik sint, 
und de domheren dat hetugen willen mit vicariesen, de och geistlik sintj 
mögen de domheren dat beunsen mit breven und mit ingesegelen, dat de 
vicarie ewich si, und bewisset si an lantgued van rechte, schal de vicarie 
ewich bliven.** 

»1») S. die Bulle Honorius' III. vom 17. Januar 1221 (ÜB. No. 3129): 

,, ut iura vestra testimonio vestrorum fratrum probare et tueri possitis, 

libei'am vobis concedimus facultatem.'* Bulle Gregors IX. vom 21. August 
1227 (ÜB. No. 3156): „ — — — vobis duximus indulgendumj ut in causis 
vestris fratres vestros possitis ad testimonium ferendum producere, nee pro 
eo, quod fratres vestri sunt, si alia causa rationabilis et manifesta non 
obstat, a ferenda testimonio repellantur, dummodo, sicut censura canonum et 
legum sentit auctoritas, velint testimonium perhibere.**. 



64 



Besondere Glaubwürdigkeit genossen Personen, welche bei 
der Vornahme irgend einer Handlung* 20)^ insbesondere bei der 
Abschliessung eines Rechtsgeschäfts, von den Betheiligten aus- 
drücklich als Zeugen hinzugezogen waren, um sich für den Fall 
eines künftigen Rechtsstreites einen Beweis zu sichern ^^i), Yor. 
zugsweise in den Städten war es Sitte , Rechtsgeschäfte in Gegen- 
wart solcher Zeugen abzuschliessen , und letztere bei der Gelegen- 
heit mit einem Trünke Weines zu bewirthen, daher sie Wein- 
kaufsleute genannt wurden* 2 2) Was sie rücksichtlich des 
Rechtsgeschäftes aussagten, sollte „stät bleiben", d. i. nicht 
weiter angefochten werden dürfen, und wurde ihr Zeugniss dem 
der Rathmannen gleichgeachtet *2 3)^ In Beziehung auf sie ge- 
stattet das Lübecker Stadtrecht eine Ausnahme von der Regel, 
nach welcher nur Besitzliche Zeugen sein dürfen* 2 4)^ 

Der Ablegung des von ihm geforderten Zeugnisses darf sich 
Niemand entziehen: wer sich dessen weigert, kann von dem 
Richter durch Zwangsmittel dazu angehalten werden* 25)^ 

Ueber die zur Erbringung eines Beweises erforderliche Zahl 
von Zeugen findet sich zwar in den Rechtsbüchern Land- und 
Lehnrechts und in den Stadtrechten keine allgemeine Bestim- 
mung; indessen sprechen die meisten von Zeugen handelnden 
Stellen — analog den zwei Eidhelfern (§21) — von zwei 
Zeugen* 2 6), und dass diese Zahl genügt, wird auch durch eine 



"0) M. Livl. ER. c. 8. 64. 161. 

«") Das. c. 3. 112. Eig. StR. II, 26. Lüb. StR. H, 48. 

»") Vergl. Grimm's Deutsche Rechtsalterthüraer S. 191. G. Oel- 
riclis, Glossar zum Eig. Stadtrecht etc. S. 34f5. 

«23) Eig. StE. I, 9. m, 2. 15. VII, 8. S. unten § 23. 

"*) Lüb. StE. II, 316. 

«**) Fabri's formul. procur, S. 24. Vergl. auch das Lüb. StR. II, 85. 

«26) M. L. RR. c. 3. 8. 13. 64. 72. 112. 161. Eig. StR. III, 12. VH, 5. 

IX , 20. Lüb. StE. II , 48. 51. 227. 



65 



Reihe von Urkunden bestätigt ^ ^ 7^ ^ mochte daher wohl allge- 
meine Regel sein* 2^). 

£) Das (leriolitszetigniss tmd £) der Augensohein. 

§23. 

Zu den wichtigsten Beweismitteln gehört das Zeugniss des 
Gerichts über Dasjenige, was vor demselben verhandelt, durch 
dasselbe gerichtet oder ihm sonst bekannt geworden ist. Nach 
Landrecht wird dieses Zeugniss abgelegt von dem Richter und 
seinen beiden Beisitzern* 2 9)^ nach des Richters Tode von den 
Beisitzern allein**^), jedoch wird dabei vorausgesetzt, dass das 
Gericht „vollmächtig" gewesen **i). Das Gerichtszeugniss war 
unanfechtbar und schloss jedes andere Beweismittel aus, nament- 
lich den Eid der Partei** 2)^ Wenn eine Partei sich auf das 



»") Vergl. die Urkunden vom 24. Juni 1287 (ÜB. No. 518), vom 10. 
Januar 1385 (No. 1218), vom 26. August 1421 (No. 2446), Skra der Heü.- 
Leichnams - Gilde (No. 593) Art. 5 u. a. In dem Handelsvertrage Wisby's 
und Riga's mit Smolensk vom Jahre 1229 (ÜB. No. 101) Art. 8 heisst es : 
j,Ein Kusse darf nicht einen (einzigen) Russen als Zeugen aufführen , muss 
vielmehr einen Russen und einen Deutschen zum Zeugniss stellen. Das- 
selbe Recht haben die Deutschen in Smolensk." 

32«) So spricht auch Fabri a. a. 0. S. 102 und 107 von dem Zeug- 
niss zweier oder dreier glaubwürdigen Gutenmannen. In dem Urtheile bei 
Eichels en No. 94 werden die übereinstimmenden Aussagen zweier von 
vier angemeldeten Zeugen als genügender Beweis anerkannt. S. auch nocl) 
^ Rig. StR. III, 12 (unten Anm. 434). Vielleicht übte das canonische 
ßecht hier Einfluss : eine Anwendung desselben auf Livländische Verhält- 
nisse finden wir in dem von Honorius III. am 5. Febr. 1221 dem Deutschen 
Orden ertheilten Privilegium (ÜB. No. 3148), demselben zugewendete Ver- 
Diächtnisse durch zwei oder drei Zeugen beweisen zu können. 

«») M. L. RR. c. 13. 76. 204. S. oben Anm. 20. 

"0) Das. c. 210 , oben Anm. 20. 

"^) Vergl. das ürtheil des Harrisch - Wierischen Rathes vom 18. Juli 
U96 (Briefl. No. 534). 

»") M. L. RR. c. 76 , oben Anm. 20. Briefl. No. 330. 529. 

Bunge, Geschichte des Gerichtswesens.' 5 



66 



Zeugniss eines andern Gerichts beruft, so ist sie nicht ver- 
pflichtet, dieses Zeugniss beizubringen; viehnehr muss dasjenige 
Gericht, bei welchem die Berufung geschehen, das Zeugniss des 
andern Gerichts durch zwei Boten einholen lassen ^3^). 

In den Städten vertrat das Zeugniss zweier Eathmannen die 
Stelle des Gerichtszeugnisses ^ ^ *). Was in ihrer Gegenwart ver- 
handelt war, war unumstösslich ; ihr Zeugniss ging allen andern 
Beweismitteln vor 3^^), und war von solchem Gewicht, dass 
schon die Aussage eines einzigen Rathmannes einen vollen Be- 
weis liefert , wenn er — erforderlichen Falls eidlich — nachweist, 
dass ausser ihm auch noch ein verstorbener College von der zu 
beweisenden Thatsache Kenntniss gehabt habe^*®). 



*'•) ER. c. 168: „We sin recht vorlust vor gerichte in einer Stadt, de 
Tieft idt aver alle vorlaren, ift men des in dem rechten tuch heft. Des richtes 
tilgen is aver nen man to bringende plichtich in ein ander gerichte. Met 
jenne richter, vor dem he rechtloss gesecht wert, de schäl twe van sinen haden 
senden vor den richter, dar he sin recht vorlaren heft, dat se hören, ift men 
idt em avertügen möge, de schollen denn tüge sin." 

'**) In dem Lateinischen Texte des Lübeck - RevaPschen Rechts vom 
Jahre 1257 Art. 89 und 51 ist übrigens auch vom Gerichtszeugniss , als 
solchem , die Rede , und dessen bezügliche Bestimmungen sind auch in den 
Deutschen Text vom J. 1282 Art. 38 und 59 übergegangen. 

3") Rig. StR. I, 18. ni, 2. 15. VU, 8. Lüb. StR. II, 19. 38. 49: „So 
war ein lovede wert gedan vor ratmannen, oder vor den, de ratman hebbet 
gewesen, dat lovede is stede. Mer de ratman, vor den dat lovede is gedan, 
de scolen gan upt hus to den anderen ratmannen, und scolen dat seggen, 
dat dat lovede is gesehen und also gedan si, beide, mit den, de dat denne 
höret, und mit den, de it erst gehört hebbet; dat lovede blift stede, sunder 
allerhande wedderrede." 

*'•) Lüb. StR. n, 51: „So war ratman hebbet gewesen over sahen, und 
stervet se alle sunder enen, des enes tugent deit so vele, alse twier ratma/n 
tugent in der saJce. Truwet man is eme nicht, he schal sweren, dat de gene 
mit eme dar over hebben gewesen." — Rig. StR. VII, 5: „So war en man 
sin testament berichtet vor twen ratmannen, und storve der twier ratmanne 
en, de andere ma^h wol tugen alleine, wo dat testament berichtet is, und 
säl dar mede stede wesen. Und de levende ratman sal den doden ratman 
bi namen nomen, und sweren, dat he mit eme over dem testamente were." — 



67 



Als eine besondere Art des Gerichtszeugnisses ist der 
Augenschein anzusehen, dessen Aufnahme in den Rechts- 
quellen vorzugsweise „bewisen^' heisst^^*^). Er wird von dem 
Gericht, auf Ansuchen der Parteien, zur Feststellung von That- 
sachen vorgenommen ^^ö), und hebt, wie jedes Gerichtszeugniss, 
das Recht des Beklagten zur eidlichen Ableugnung auf^^*). 
Hierher sind wohl auch die Zeugnisse über Verwandtschaftsver- 
hältnisse, sog. Nächstenzeugnisse^*®), zu rechnen, welche 
von dem Rathe einer Stadt Erbprätendenten ertheilt werden, 
welche ihre bezüglichen Ansprüche bei dem Rathe einer andern 
Stadt geltend machen woUen^*^), und unter dem Namen „To- 
vorzicht" oder „Respect" sehr häufig vorkommen^ *2)^ — 



Nur scheinbar steht dem entgegen das Lüb. StR. II, 310: „Nen ratman 
mach tuch wesen to ener sähe, de gescheen is vor dem raede efte vor dem 
richte.*^ Dieser Artikel darf nämlich ohne Zweifel nur auf solche Raths- 
und Gerichtsverhandlungen bezogen werden, welche bei geschlossenen 
Thüren . ohne Anwesenheit der Parteien , gepflogen worden , und zu deren 
Geheimhaltung die Glieder verpflichtet waren. 

»") S. die Citate in der Anm. 221. 

«»«) S. z. B. das mittl. L. RR. c. 196 a. E. und die Brieflade No. 753. 
Am häufigsten ist die Anwendung im Strafverfahren. S. M. L. RR. c. 177 
und unten § 55 fgg. 

**®) M. L. RR. c. 15: ,jWat man överst under em betoisen mach, dar 
moüi he vor anticorden ane unschult.*^ 

"«) S. das Sachregister zum ÜB. Bd. VI. S. 776 u. d. W. Nächsten- 
zeugnisse. 

***) In dem Rechtsstreite des P. Volme wider die Stadt Dortmund 
(ÜB. Bd. VI. Reg. S. 110 fgg. No. 2409) erklären die Bevollmächtigten der 
Stadt mit Beziehung auf ein solches Zeugniss: „so hope toi, he schole mit 
der slichten klage des rechtes vellig ivesen, wante tuchnisse und he- 
wisinge dempen eede." ÜB. No. 2115 und 3106. 

»") S. z. B. ÜB. No. 1583. 1817. 2170. 2282 u. v. a. Michelsen 
No. 61. Ueber den Ursprung der Benennung Tovorzicht dürfte das 
Schreiben des Rathes zu Lüneburg an den RevaPschen vom 12. Juli 1398 
(ÜB. No. 1476) Aufklärung geben. 

5* 



68 



Der Beweis durch Augenschein kann ührigens auch durch Pri- 
vatpersonen aufgenommen werden, welche, von dem Betheiligten. 
dazu aufgefordert, ihr Zeugniss über das Wahrgenommene vor- 
Gericht abzulegen haben 3*^). 

fj) ürkTmden. 

§ 24. 
Wie das Waldemar-Erich'sche Lehnrecht ^**), so kennt auch, 
das älteste Livländische Ritterrecht in Lehnssachen den Urkun- 
denbeweis, und stellt ihn dem Zeugenbeweise durch zwei Stifts- 
mannen zur Seite und diesem vollkommen gleich 3*^). Das 
mittlere Ritterrecht hat nicht nur die bezügliche Bestimmung 
des ältesten aufgenommen^*^), sondern auch an einer anderen, 
dem Sachsenspiegel entnommenen oder doch durch denselben 



«") Beispiele s. im mittl. L. KE. c. 27. 157. 160 u. a. 

®**) Art. 2 § 4: „JEntf eilet de könig de samende hand, dat he er nicht 
verlehnet hebbe, se sind neger to beholden met des könig es h reffe ofte 
mit tween siner manne, hederve lüde, up den hilligen, de dat segen und 
horeden, dat en de samende hand verlehnet ward/^ 

•*^) Art. 8: „Vorsaket de bischop de samende hand, dat he se nicht 
belehnet hebbe , de man sin neger to beholden mit des bischoppes breven edder 
tom minsten mit twen des bischoppes mannen up denhüligen, de unbesprdken 
sin eres rechten, de dat segen und horeden de breve, dat de samsnde hand 
enen vorlehnet ward/' Art. 9 : „ Vorsaket de bischop enem manne sin gud, 
dat he idt eme nicht vorlehnet hebbe, noch sin vorfar, und is de man in 
der were des gudes, de man beholt sin lehen mit des bischoppes breve edder 
tom negesten mit twen des stichtes mannen, de u^espraken sin, up den 
hijligcn, den dat witlik si, dat he dat gud entfangen hebbe, und hebben des 
bischoppes breve dar up gesegen, wente he de were dar anne heff In der 
diesem Artikel entsprechenden Stelle des Waldemar - Erich'schen Lehnrechts 
ist bloss von dem Zeugnisse der Stiftsmannen , von dem Lehnbriefe da- 
gegen nicht die Rede. 

***) Das m. L. RR. c. 6 stimmt fast wörtlich mit dem Art. 8 des 
ältesten überein, ausser dass der Briefe das zweitemal nicht gedacht wird. 
In dem c. 7, welches aus dem Art. 9 des ältesten RR. entlehnt ist, ge- 



69 



veranlassten 3*'') Stelle auf ein anderes Verhältniss angewen- 
det^*^). In den Städten bildeten schon früh die unter ver- 
schiedenen Benennungen vorkommenden Stadtbücher (Schuld- 
bücher, Pfandbücher, Erbebücher), welche beim Rathe geführt, 
und in welche die mannigfaltigsten Rechtsgeschäfte eingetragen 
\viirden3*®), ein besonders wichtiges, unanfechtbares und alle 
übrigen ausschliessendes Beweismittel^^®). 

Ein weit umfassenderer Gebrauch wurde aber von dem 
ürkundenbeweise , auch im Landrecht, in späterer Zeit, ins- 
besondere seit der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts, 



schiebt — gleich dem Waldemar - Erich'schen Lehnrecht — der Lehnbriefe 
gar nicht Erwähnung. 

**^) S. V. Bunge, über den Sachsenspiegel, als Quelle des Livländ. 
Ktterrechte S. 91. Dem Sachsenspiegel — Land- und Lehnrecht — ist 
der ürkundenbeweis« ganz fremd. VergL Homeyer's Sachsensp. ü, 2. 
S. 610 fg. 

***) M. Livl. RR. c. 118: „Beklaget ein man den andern unib lehengud, 
<fci he in siner were Tieft iar und dach heseten und sin recht lehen is, des » 
w de jemie, dar men aver klaget, neger to beholden mit sines heren 
hreve edder mit sines sulves hande, denn de ander, de aver em klaget/' 
Vergl. auch noch das. c. 39 und dazu v. Bunge a. a. 0. S. 57. 

»") Vergl. darüber das ürkundenbuch Bd. IL Reg. S. 143. Bd. m. 
Reg. S. 67 fg. Mittheilungen der Gesellschaft für Livländ Geschichte XI, 
156 fgg. EL. J. B(öthführ), die Rigische Rathslinie S. 10 fgg. Das 
Kgische Schuldbuch, herausgegeben von H. Hildebrand. St. Peters- 
burg 1872. 4. 

••*) Rig. StR. VII, 8: „So we deme andern schult gift na doder hant, 

— mach he dat betugen mit ratmannen, ofte mit winkopes luden, ofte 

^ii des Stades bok, ofte mit breven, de eme helplik si/nt, so scholn 
«w« gdden sin gut de gene, de des doden erve upboref Vergl. auch das. 
1, 7 und Vn, 11. 13. — . Lüb. StR. 11, 412: „So wat in deme erveboke der 
^ steit bescreven und iar und da^h dar ivme stan hevet, dar en mach nen 
M boven gan etc.*' Art. 413: „So wat schulde vor dem ganzen rade 
^^^umimert wert, und an der stat schuldboke beschreven steit, dar en geit nen 
*WÄ boven etc.'* S. auch noch die Ordele bei Michel sen No. 11. 141. 
218. 230. 232! 252. 257. 



70 



gemacht, wo Urkunden aller Art, unter der allgemeinen Be- 
nennung Briefe oder Briefe und Siegel, als Beweismittel 
eine wichtige Rolle spielen ^ 5^). Speciell findet man angegeben 
Lehnbriefe ^5 2)^ Schuldbriefe ^^ 3)^ Theilbriefe, Kaufbriefe, Auf- 
tragsbriefe, Vertragszettel ^ ^ *) , Quittungen ^^^^ ^tc. Auch die 
schriftlich ausgefertigten Gerichtszeugnisse (§ 23) gehören hier- 
her. Endlich finden wir auch Kerbhölzer als Beweismittel in 
Anwendung ^3 6)^ 

Zur Beweiskraft einer Urkunde gehört, dass sie in der 
gehörigen Form ausgestellt ^^'^), namentlich von den Ausstellern 
und von den Zeugen besiegelt sei. Die Besiegelung vertrat 
die Stelle der Unterschrift der Betheiligten und geschah in der 
Regel durch Anhängen des in Wachs von verschiedener Farbe^^^) 



*"^) S. Fabri formul. procur. S. 102. 107, und eine grosse Zahl von 
ürtheilen des Harrisch - Wierischen Käthes, verzeichnet in dem Sachregister 
zur Brieflade I, 2. S. 305 u. d. W. ürkundenbeweis. Bei Fabri S. 102 
heisst es namentlich: „Item delbreve, kophreve und schedingh'eve können 
nümmermer vorliggen edder vorolden; dat sulftige is de erste und dehögeste, 
beste entsettinge/' S. unten Anm. 662. 

»«) S. z. B. Briefl. No. 393. 1295. 

»") Das. No. 793. 

«»*) Das. No. 787. Fabri a. a. 0. 

»») Briefl. No. 385. 537. 686. 817 u. v. a. 

8") Das. No. 750. Vergl. auch No. 198. 199. 

'*') Unter Umständen wird — übrigens nur aus Zweckmässigkeits- 
gründen — verlangt , dass die Urkunden auf Pergament geschrieben werden 
sollen. So schreibt der Rath zu Lübeck an den RevaPschen im Anfange 

des fünfzehnten Jahrhunderts (ÜB. No. 1581) : „ und hidden ju , leven 

vrende, of gi mer ordele and uns sohen, dat gi de schriven up permynt, 
wante dat pappir vergengUk is." S. auch Mich eisen No. 122 und unten 
Anm. 406. 

'^®) Die Bischöfe, Domcapitel und der Ordensmeister siegelten mit 
rothem Wachs , der Landmarschall und der Comthur von Reval , desgleichen 
die Ritterschaften, mit grünem, die übrigen Ordensgebietiger , die Städte 
und Privatpersonen mit weissem. S. das Schreiben des 0. M. vom 23. 
Octbr. 1422, ÜB. No. 2649. 



71 



abgedruckten Siegels an den mit Einschnitten versehenen untern 
Rand der Urkunde , mittelst in die Einschnitte gefügter schmaler 
Pergamentstreifen, Press ul genannt ^ 5^), seltener mittelst einer 
seidenen Schnur ^ß^). Die Stadträthe pflegten hei der Ausfer- 
tigung von Gerichtsscheinen, Credenzbriefen und dergl., das 
Stadtsiegel auf den Brief selbst, und zwar auf die in der Regel 
unbeschriebene Rückseite desselben (to rugge, rüggelinges, a tergo, 
tergotenvs) in Wachs zu drücken ^®i). — Von Amtssiegeln abge- 
sehen , führten nur vollkommen rechtsfähige Personen männlichen 
Geschlechts ihr eigenes Siegel. Frauenspersonen, welche eine 
Urkunde ausstellten, mussten daher dritte Personen, gewöhnlich 
die nächsten mündigen Verwandten, ersuchen, an ihrer Statt 
die Urkunde zu besiegeln ^^ 2) j für ^{q Ehefrau that es der 
Ehemann 3^^). Für Minderjährige siegelte deren Vormund ^^*), 
mitunter auch der Landesherr, „als oberster Vormund" ^^^). 
Auch andere Personen, welche kein eigenes Siegel hatten, z. B. 
Mönche 3^®), desgleichen Diejenigen, welche ihr Siegel nicht zur 
Hand hatten, Hessen fremde Siegel an die Urkunde hängen 3^*^), 
was dann in der Urkunde selbst regelmässig vermerkt wird. — 
Ein unbesiegelter Briefe ®^), desgleichen ein solcher mit abge- 



w») S. z. B. das ÜB. No. 2228. 2649. 2652. Vergl. auch No. 2306. 

"0) Vergl. das ÜB. No. 1519 P. 61. 

»") S. z. B. das ÜB. No. 1010. 1016. 1043. 1059. 1137. 38. 43. 1303. 
2310. 2540-43 u. a. m. 

»") S. die Brief lade No. 379. 638. 740. 832, a. 1173. 1184. 1232. 

3««) Das. No. 740. 986. 

3«*) Das. No. 613. 638. 

»««) Das. No. 739. 1056. Vergl. auch No. 615. 

»•«) S. z. B. ÜB. No. 649. 

"^ ÜB. No. ai4. 2742. In einer Urkunde vom J. 1507 (Briefl. No. 698) 
wird ein verlorenes Siegel (Petschaft) gerichtlich für machtlos erklärt. 

»•«) S. die Urkk. vom J. 1384 (ÜB. No. 1208), 1492, 1505 und 1515 
(Briefl. No. 387. 392. 432. 650. 814). 



72 



schnittenem Siegel ^®^) ist „machtlos". — Anderweitig verdor- 
benen , durchstochenen , verwaschenen Urkunden wurde kein 
Glauben geschenkt; diesem Mangel konnte jedoch durch eid- 
liche Erhärtung des Inhalts der Urkunde abgeholfen werden^''®). 

Eine eigenthümliche Form war für Urkunden über zwei- 
seitige Rechtsgeschäfte üblich. Man schrieb nämlich beide 
Exemplare, eines unter das andere, dergestalt auf ein Blatt 
Pergament oder Papier, dass zwischen beiden ein leerer Raum 
blieb, auf welchen einige grosse Buchstaben — gewöhnlich A 
B C D — oder andere Schriftzeichen gesetzt wurden. Dann 
wurde das Blatt durch diese Buchstaben oder Zeichen hin- 
durch^''^) in einer Wellenlinie oder im Zickzack zerschnitten 
und jedem von beiden Theilen ein Exemplar ausgereicht, welches 
man einen ausgeschnittenen Zettel (utgesneden sedel, liUerae 
indentatae, mdentura) nannte. Das genaue Aneinanderpassen 

beider Exemplare galt für einen Beweis der Echtheit der Ur- 
kunde ^^ 2). 

^) Gottesurtheil: Zweikampf, Wasser- und Eisenproloe. 

§25. 

Auch Gottesurtheile — das Zeugniss Gottes — waren im 
alten Livland in Gebrauch, jedoch in weit geringerem JJaasse, 



8««) Urk. vom J. 1497 , Briefl. No. 556. 

370) Briefl. No. 392. 455. 556. 687. Vergl. auch No. 1092. Mich eisen 
No. 37. 46. 

37^) Zuweilen wurde der Schnitt nicht durch die Buchstaben ge- 
macht, sondern zwischen denselben, so dass das eine Exemplar mehrere 
ganze Buchstaben behielt, z. B. A. C, E, die dazwischen liegenden — 
B. D. — dagegen auf dem andern blieben. S. die Brieflade No. 354. 

*72) Zahlreiche Beispiele enthält die Brieflade. S. das Verzeichniss in 
dem Sachregister I, 2. S. 286. S. auch das ÜB. No. 883. 1694. 1853. 
2077. 2083. 



73 



in den übrigen Ländern Deutschen Rechts. Was zunächst 
die in den letztern am häufigsten in Anwendung kommende Art, 
nämlich den Zweikampf, anbetrifft, so finden wir ihn ganz 
ausgeschlossen, wie sich schon daraus ergiebt, dass nicht eine 
einzige von den vielen Stellen, die sich darüber im Sachsen- 
spiegel finden 3 ''3), in die aus demselben geschöpften Livländischen 
Rechtsbücher aufgenommen ist^*^*). Den die Stadt Riga und 
die übrigen Livländischen Häfen besuchenden und sich dort 
niederlassenden Kaufleuten wurde bereits von dem Bischof Al- 



*'') ö. die genaueren Nachweisungen bei v. Bunge über den Sachsen- 
spiegel S. 73 fg. 

*"'*) Bezeichnend ist besonders die Abänderung, welche B. 1. Art. 39 
des Sachsenspiegels bei der Aufnahme in den Livländischen Eechtsspiegel, 
bezw. das mittlere Eitterrecht, erfahren hat. Es heisst dort von der Ver- 
theidigung der Rechtlosen: „Se hebbet drier köre: dat glogende iser to 
dragenef oder in einen wallenden ketel to gripene, oder deme Jcempen sik to 

werene,*' Im mitÜ. Livl. RR. c. 38 lautet die Stelle: „ twier 

lieft Jie köre: dat iser to dregen edder in einen sedendigen ketel to gripen 
het an de eUenpogen.*' — Uebrigens ist in einem Schreiben des Livländischen 
Ordensmeisters an den Revaler Rath vom 10. Mai 1418 von einem Zwei- 
kampfe zwischen zwei Edelleuten in einer Weise die Rede, dass daraus 
auf ein öfteres Vorkommen solcher Kämpfe geschlossen werden darf. Ob 
es aber gerichtliche Zweikämpfe waren, ist daraus nicht zu ersehen, 
und nach dem Obigen zu bezweifeln. Die betreffende Stelle des Briefes 
lautet: „0/j, guden vrunde, als gi ivol weten umme den kamp twischen 
Hinrik van Treyden und Gerd Dalem, de des anderes dinstages na dusser 
hochtit to Pinxsten is upgenomen vor der stat Bevale to gesehen etc., so 
is Ju wol ok witliky dat men sulke kampen to rechten vor erbar stede pleget 
to legen. So gebort uns mit hulpe unser getruwen, dat wi den platz vrig 
holden, also of jemand von den vrundenmotwilligenwolde, dat wi des nicht 
gesteden. Des hidde wi ju mit vrunüiker vlitiger heger, dat gi wol don und 
manen uttegen GL efte CG gewapent mit harnsche und guder were [ut juwer 
stat, dar wi ok de unsen van binnen landes to senden, de umme den kreis 
H dem kampe stan, und dat se don, wat se de cumpthur to Bevale don 
hdet, und dar vor sin, of we von den vrunden motwillen und gewalt dar 
driven eft don wolde, dat men dat sture. Und glike wol lotet juwe stat up 
de tit beslaten atan und in guder vorwaring$, dat wi selten to juwer vor- 
sichticheit.*' 



74 



bert I. von Riga zugesichert, dass sie weder zum glühenden 
Eisen, noch zum Zweikampf gezwungen werden sollten ^'^5), und 
die Befreiung ihrer Bürger von den gedachten Arten des Gottes- 
urtheils wurde der Stadt Riga in der Folge in mehreren Privi- 
legien bestätigt^''*). Das Verbot des Zweikampfs insbesondere 
wurde demnächst auch in die ältesten Stadtrechte Riga's auf- 
genommen^'''^), und dadurch für alle Städte geltend, welche 
mit dem Rigischen Recht bewidmet waren ^''^). Dass auch in 
Reval imd den übrigen Städten des Dänischen Estlands der 
Zweikampf verboten war, ist um so mehr anzunehmen, als 
König Waldemar IL von Dänemark, der Eroberer Estlands, 
die Eisenprobe in seinem ganzen Reiche abschaffte, der Zwei- 
kampf aber daselbst schon früher ausser Gebrauch gekommen 
^aj.3 7 9) Obschon auf solche Weise nicht nur der Zweikampf, 
sondern auch die Eisenprobe, in den Städten beseitigt war, 
auch die Päbste wiederholt gegen die Anwendung der letztge- 



»'«) ürk. Bischof Alberts I. vom Jahre 1211 (ÜB. No. 20): ,,Nullum 
eorum (seil, mercatorum, Dunam et ceteros portus Idvonie frequentantiwnt) 
ad ferrum candens et duellum arctari/* 

^^•) ürk. des Legaten, Bischofs Wilhelm von Modena, vom Decbr. 
1225 (ÜB. No. 75), des Erzbischofs Albert H. vom 12. Septbr. 1256 (ÜB. 
No. 3027). Dem entsprechende Bestimmungen finden sich auch in dem 
Handelsvertrage Riga's und Wisby's mit Smolensk (ÜB. No. 101) Art. 9 
und 10. 

'") Aeltestes Big. StR. (ÜB. No. 77) Art. 6: „8i quis alium in campum 
ad duellum vocaverit, si convictus fuerit, XII. mards satisfaciet." Vergl. 
darüber das ÜB. Bd. VI. Reg. S. 141 ad No. 88. Rigisch - Hapsal'sches 
Recht Art. 17. Hapsal'sches Stadtrecht vom Jahre 1294 Art. 15. 

'^®) S. V. Bunge 's Einleitung in die Rechtsgeschichte § 62. 

"*) Kolderup-Rosenvinge, Dänische Rechtsgeschichte, übersetzt 
von Homeyer § 73. Schwartz in Hupel's neuen nord. Miscellaneen 
Stück 5 S. 71 fgg. S. übrigens auch das Lüb. StR. 1, 36: „Si quis alium 
appellando furem, latronem etc. increpaverit enormiter, aut extra civitatem 
ad campum in detrimentum sui citaverit — — LX. solidos componet etc.** 
Damit übereinstimmend Lüb. StR. II, 33. 



75 



dachten Art von Gottesurtheilen bei den Landeseingebornen 
eiferten ^ö*^), so erhielt sich die Probe des glühenden Eisens 
doch als Beweismittel , und zwar nicht nur im Strafverfahren^ ^^), 
sondern auch im ausserordentlichen Verfahren in Besitz- und 
Gränzstreitigkeiten3 8 2)^ bis gegen den Schluss dieses Zeitraumes, 

unter dem Namen des „höchsten" oder des „schwersten" Ge- 
richts ^^^), im Gebrauch ^ ^ *) , übrigens zunächst nur für die 
Bauern 3^^). Schon die ältesten Rechtsbücher enthalten Be- 
stimmungen darüber ^^®), desgleichen einige der älteren ^^'^), 
so wie neuere Bauerordnungen ^^®). — Nur einmal geschieht 
in dem mittleren Livländischen Ritterrecht auch der Probe 
des siedenden Wassers Erwähnung 3®^), und dass auch 



»80) Bullen Honorius III. vom J. 1222 (ÜB. No. 54) und Gregors IX. 
vom 8. Septbr. 1232 (das. No. 143). 

«") S. unten § 56. 

»") S. unten § 50—52. 

«") Brieüade No. 278. 950. 

»**) Dies wird durch eine Keihe von Entscheidungen des Harrisch- 
Wierischen Landesraths aus dem sechszehnten Jahrhundert bewiesen. S. 
die Brieflade No. 752. 945. 950. 1005 u. a. In dem ürtheil des Harrisch- 
Wierischen Kaths vom 18. Juni 1510 (Brief!. No. 742) wird dahin erkannt: 
,,da8S eine jede Partei einen Bauern zum Eisen stellen soll 14 Tage nach 
Bartholomäi, nach Gewohnheit der Lande.** 

'*•) Alle in den vorhergehenden und nachfolgenden Anmerkungen 
citirten Quellen bezeugen dies. Nur in den Cap. 38 und 131 des mittl. L. 
RR., welche von der Vertheidigung in Criminalsachen handeln, ist eine 
solche Beschränkung nicht ausdrücklich ausgesprochen. In den Beschlüssen 
der königlichen Vasallen in Estland vom 26. März 1306 (ÜB. Reg. No. 713) 
wird aber auch dieser Fall als besonderes Recht der Esten dargestellt. 

"•) Aeltestes Livl. RR. Art. 62. 64. 67. Mitti. RR. c. 38. 90. 92. 95. 
131. 206. 

»87j Wieck'sches Bauerrecht Art. 3. 5. 6. Bauerrechte in v. Bunge 's 
Beiträgen zur Kunde der Rechtsquellen S. 84 § 16. S. 87 § 15. 

••*) Des 0. M. Wolter von Plettenberg Bauerverordnung vom 24. Juni 
1509 Art. 14. 

**•) M. L. RR. c. 38 (oben Anm. 374). In dem aus dem Sachsen- 
spiegel I, 21 entnommenen Cap. 206 des mittl. Livländ. RR. ist das in der 



76 



diese, so wie die Probe des kalten Wassers, thatsächlich 
ausgeübt wurde, wird in den Provincialstatuten der Rigischen 
Kirchenversammlung vom Jahre 1428^^^) bezeugt, welche den 
Gebrauch aller Gottesurtheile überhaupt untersagen, und die 
dawider Handelnden, namentlich die Bauern, die sich freiwillig 
dazu erbieten, mit der Excommunication bedrohen. 

g) Wer hat zu beweisen? a) Beweisrecht. 

§26. 

Nach den Grundsätzen des älteren Rechts, wie es sich 
in den Rechtsbüchern und zum Theil auch in den Stadtrechten 
dieses Zeitraumes darstellt, war der Beweis ein einseitiger^®^), 



Quelle erwähnte „water ordeV^ verändert in „yser^^. Vielleicht gehört hier- 
her auch die etwas dunkele Bestimmung des Landtagsrecesses über das 
Münzwesen vom 27. August 1422 (ÜB. No. 2632): „01c der olden munte 
nicht mer to stände, noch an artigen, noch an Luhischen, hi eren und hi 
truwen, und dar to hi dem Tcetele*^ 

390) xit 44. ^^Detestandam et canonica sanctione damnatam consuetu- 
dinem, in certis diocesibus nostre provincie plus quam in aliis mundi par- 
tibus hactenus damnabiliter continuatam, qua, cum contra aliquos criminis 
suspicio oriturj et alias deest copia probationis , in supplementum probatümis 
et expurgationem occulti et suspicati criminis, artantur incole rustici pre- 
sertim a sms superioribus , nonnumquam etiam sponte se offerunt ad ferri 
candentis aut aque ferventis et interdum frigide, peremtis (?) interdictum 
iudicium subeundum; inimico humane salutis fabricante adiuvamentum , in 
quo Deus speciäliter temptari videtur, ut elementum contra su^m naturalem 
agat ordinationem , aut in ea defidet, et frequenter is, qui in culpa non est, 
aliis suis peccatis prepeditus, condemnatur, et delicti conscius incantatione 
vel arte m^gica Uberatur, Cum tarnen melius sit, nocentem absolvere, quam 
innohentem illidte condemnare, aböler e desiderabiliter affectantes, statuimus 
et in virtute sancte obedientie strictius servari mandamus, quatenus non 
solum alios constringentes , ut subeant huiusmodi fetida et improbata iuddcia, 
sed etiam sponte ad talem purgationem offerentes, excommunicationis mucrone^ 
nuUa exceptione admissa, deinceps severius percellantur." 

*•*) S. überhaupt die scharfsinnige wie gründliche Erörterung dieser 
schwierigen Materie bei Homeyer, Kichtsteig Landrechts S. 482 — 505, 
aufweiche auch 0. Schmidt S. .60 — 6Q seine Darstellung stützt 



77 



80 dass nur eine der Parteien ihn zu führen hatte, und, wenn 

dies geschehen, die Gegenpartei für sachfällig erklärt wurde, 

ohne dass ihr die Führung eines Gegenbeweises zustand ^®2) 

Daher war die Beweisführung (nicht, wie im späteren Rechte, 

eme Last, sondern) ein Vorzug der Partei, zumal das derzeit 

am meisten gebrauchte Beweismittel, der Eid, Jedem zu Gebote 

stand, der ein gutes Gewissen hatte ^® 3). Es kam mithin Alles 

darauf an, wem der Richter das Recht der Beweisführung 

zusprach, und die Rechtsquellen enthalten die mannigfaltigsten 

Bestimmungen darüber, wer im einzelnen Falle diesen Vorzug 

geniessen, wer „näher" sein soll, sei es ein angefochtenes 

Recht zu „behalten" oder einer Beschuldigung zu „entgehen", 

sich von ihr zu reinigen ^ ^ *). Für das Letztere genügt in der 

Regel der Eineid, im ersteren Falle dagegen muss noch ein 

anderer Beweis, durch Eidhelfer oder Zeugen, hinzutreten ^^^). 

Auf Grundlage jener mannigfaltigen Bestimmungen lässt sich die 

Regel aufstellen, dass die Vertheidigung vor dem Angriffe den 



»»*) Vergl. die Urk. v. 10. Januar 1385 (ÜB. No. 1218) , desgleichen die 
Brieflade No. 758 und 813. Ordel des Lüb. Rathes bei Mich eisen No. 
63. Eine Ausnahme von dieser Eegel im Besitz - und Gränzprocess s. unten 
§ 50 — 52.. 

'•') Homeyer a. a. 0. S. 482 fg., wo auch in Betreff der anderen 
Beweismittel, namentlich der Zeugen, Aehnliches ausgeführt wird. 

894J Y^Q ijj ^gQ Rechtsquellen über den Beweis bestimmt wird, heisst 
es gewöhnlich: „he is neger to heholden up den hüligevi, denn jemand em 
aflowinnen'^, oder „neger to voUcomende u. d. h., denn de ander to vor- 
sdkende^^j desgleichen „he is neger to entgaende u. d. h., denn jemand en 
to averwinnend&' u. s. w. S. z. B. das mittl. L. RR. c. 4. 8. 15. 118. 118. 
154. Rig. StR. II, 11. IV, 1. Lüb. StR. II, 118. 254. 373. 375. 

•**) S. die nachfolgenden Citate zu diesem §, wo übrigens nur einige 
Hauptstellen angeführt sind, um die aufgestellten Grundsätze zu belegen. 
Die Zusammenstellung aller einzelnen Fälle, so wie der Ausnahmen von der 
Regel, würde nur zu Wiederholungen führen, da jene ihres Orts in der 
Darstellung des Gerichtswesens sowohl, als des Privatrechts, ohnehin behan- 
delt werden müssen. 



78 



Vorzug hat, dass mithin das Beweisrecht demjenigen zusteht, 
der dem Angriffe gegenüber die Vertheidigung übernimmt. Wird 
diese von dem Angegriffenen nicht übernommen oder ist sie un- 
möglich, so hat der Angreifer das Recht zur Beweisführung. 
Demnach ist zu unterscheiden: 

1. Das Beweisrecht des Vertheidigers, 

und bei diesem wiederum das Beweisrecht bei Klagen um Schuld 
und bei Klagen um Gut. 

a) Wenn bei einer Klage um Schuld oder um Herausgabe 
einer (beweglichen) Sache der Beklagte die Schuld oder den 
Besitz der Sache einfach leugnet, so ist er näher, der lüage 
durch seinen Eid zu entgehen, als der Gegner, ihn zu über- 
führen^®^), es sei denn, dass letzterer ein Gerichtszeugniss für 
sich hat^®'^). Wenn dagegen der Beklagte seine Vertheidigung 
durch Anführung von Thatsachen unterstützt, z. B. dass er die 
ausgeklagte Schuld bezahlt^®®), oder die in seinem Besitz be- 



»••) M. L. ER. c. 13: „TTe ichtes borget eddet' lavet, dat schal he 
gdden, und wat he deit, dat säl he stede holden. Wü he överst dat vor- 
sahen darna, he entgeit des mit sinem edeJ' c. 15: „Schuldiget 'man einen 
man um dat jenne, des he nicht en heft, des entgeit he mit einer unschuldt*^ 
c. 113 (8. unten Anm. 709). S. auch c. 21. 249 a. E. — Rig. StR. III, 13: 
„So we dem andern scult gevet umm>e gelt, mach he des nicht vorluden (dies 
ist wohl bloss von dem Zeugniss von Rathmannen oder Weinkaufsleuten 
zu verstehen), he mach des untgan mit sines sulves hant in den hilgenj' 
Vergl. auch ITl, 17 und Lüb. StR. II, 38. 53. 154. Brief lade No. 383. 385. 
434. 489. 521. 536. 538. 545. 705. 793. Mich eisen No. 12. — v. Hel- 
mersen a. a. 0. S. 206 fg. leugnet die practische Geltung dieses Grund- 
satzes im alten Livland , weil desselben in Fabri's formulare procuratorum 
nicht gedacht werde. Allein dies beweist nichts gegen die Rechtsansichten 
vor Fabri's Zeit, und gerade von diesen ist hier die Rede, üeber das 
spätere Recht s. unten § 27. 

»»^ S. oben § 23. 

*•*) M. L. RR. c. 112: „Alle schuld 7nach ein man gelden eer sine 
dage, des he twe man daraver heß, de dat seen und hören, ift idt em darna 



79 



findliche, von dem Kläger als ihm gestohlen oder geraubt 
beanspruchte Sache öjöfentlich gekauft^ ^^) u. dgl. m., so muss 
zia seinem Eide noch die eidliche Bestätigung durch zwei Zeugen 
liinzutreten*^^). 

b) Bei Klagen um unbewegliches Gut hat derjenige den 
Vorzug zum Beweise, welcher nicht nur ein Recht an der Sache, 
sondern auch den gegenwärtigen Besitz derselben behauptet. 

Nimmt der Angegriffene die rechte Gewere an dem Gut in 

Anspruch, so vertheidigt er dieselbe durch seinen Eid allein*®^). 

In allen andern Fällen muss er seinen Erwerbgrund angeben 

und diesen selbdritte beeidigen*® 2)^ 

2. Das Beweisrecht bei fehlender Vertheidigung. 

Es gehören hierher eine Reihe von Fällen, von denen nach- 
stehende besonders hervorzuheben sind: 

a) Beide Parteien sprechen gleichzeitig ein Gut an, der 
Eine als Eigen, der Andere als Lehn: beide Parteien sind also 
Angreifer und Angegriffene. Der Vorzug zur Beweisführung 
wird hier dem ersteren, der Eigen beansprucht, zugestanden*®^). 



nodt 8i, dat se em mögen helpen tügen, dcU he de schuld gegulden hebbe.'' 
c. 122: „Alle vorgulden schuld schal de man vrülenbringen sülf drüddCf de 
dat segen und hör den, up den hüligen,** Vergl. die Brief 1. No. 408. 457. 

•••) Das. c. 145: „Wdlc man apenbar gud Jcoft, dat gestalen, gerovet 
edder mit gewalt genomen is, dat he mit hider lüden belügen kan, dat he 
dat apenbar gekoft heft, dat en is eme nicht schedlik.*' 

*oo) Andere Fälle s. bei 0. Schmidt S. 62 fgg. 

*°^) M. L. RR. c. 4: „Welk m>an ein lehngud heft jar und dach in 
Sinei' were Sünder rechte bisprake, dat idt sin si, de is des neger to beholden 
sine rechte lehen, mit siner egen hand up den hilligen , denn jemandes eme 
aftowinnende,** S. auch das. c. 118. 154. 248. Rig. StR. IV, 1. Lüb. StR. 
n, 85. 373. 

*o«) M. Livl. RR. c. 6. 15. 17. 

*®*) Das. c. 153: „Spreket ein man gud an to lenen, und ein ander 
secht, idt si sin eigen, des mach he (de) neger sin to beholden sülf drüdde, 
de idt holt vor sin eigen, denn de idt anspreket to lenen.'^ 



80 



Behaupten aber beide Parteien das Lehnrecht an demselben 
Gute, so gebührt das Beweisrecht demjenigen von ihnen , welcher 
älterer Vasall ist*®*). 

i) Bei Schuldklagen „nach todter Hand", d. h. nach dem 
Tode des Schuldners*® 5), ist, wenn der Erbe das Schuldver- 
hältniss nicht kennt, also auch nicht als Vertheidiger auftreten 
kann, der Kläger zur Beweisführung befugt. Er darf sich aber 
dazu keiner Urkunden bedienen*®^), sondern nur des Eides mit 
drei — und mindestens zwei — Gehülfen, welche jedoch keine 
Zeugen zu sein brauchen, vielmehr nur die Wahrhaftigkeit des 
klägerischen Eides zu erhärten haben*®''). 

c) Aehnlich verhält es sich mit der Vindication fahrender 
Habe, wenn der beklagte Besitzer zwar einen rechtlichen Er- 
werbungsgrund, nicht aber seinen Gewährsmann angeben, sein 



*°*) KR. c. 241 : „Ift twe man ein gud toUke anspreken, des getüch 
schäl vörgan, de van oldinges des stichtes man gewesen is,^^ 
406) Yergl. oben § 21. 

*®®) Am bestimmtesten spricht sich aus eine Willkür des Reval'schen 
Rathes aus dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts (ÜB. No. 1514): „Item 
dat nin papir na dode tugen mach/^ S. auch Mich eisen No. 46. 92. 122. 
In dem zuletzt bezeichneten Urtheil (No. 122) wird bei der Zurückweisung 
eines Schuldbriefes auch darauf Gewicht gelegt, dass derselbe auf Papier 
(statt auf Pergament, s. oben Anm. 357) geschrieben, so dass es fraglich 
wird, ob in der obangeführten Willkür nicht* auch nur das Material der 
Urkunde , nicht diese selbst verworfen wird. 

"^ M. L. RR. c. 13 (s. oben Anm. 289). Brieflade No. 534. 559. 563. 
687. 756. Der Grund der Zulassung von eigentlichen Eidhelfern ist wohl 
in der Schwierigkeit zu suchen, durch Zeugen nicht nur die Richtigkeit 
der Forderung an sich, sondern auch die noch nicht erfolgte Bezahlung 
derselben zu erweisen. — Die Stadtrechte (Rig. StR. VII, 8. 11—13. Lüb. 
StR. II, 227. 269) sind insofern abweichend, als sie nicht den Eid mit 
Gehülfen verlangen, jedoch lassen auch sie den einfachen Eid nicht gelten. 
Eine Revaler Willkür (ÜB. No. 1514) spricht ausdrücklich aus: „Item dat 
nenian na des anderen dode sik in doden gud sweren mach.'* Das Rigische 
Recht a. a. 0. verlangt Gerichtszeugniss und was demselben gleich gilt. 
S. oben § 22 und 23. 



81 



Recht an der Sache nicht vertheidigen , sondern nur durch seinen 
Eid sich vor dem etwanigen Verdacht eines unrechtmässigen 
Besitzes schützen kann. Hier muss der Kläger sein Eigenthums- 
recht und zwar durch den Eid mit drei und mindestens zwei 
Gehülfen erweisen, wie in dem unter b) angegebenen Falle *®^). 

ß) Beweislast. Gegenloeweis. 

§27. 

Die im § 26 vorgetragenen Grundsätze galten vorzugsweise 
im Landrecht, in welchem der Schwerpunkt des ganzen Beweis- 
verfahrens im Eide, dem Rechte der Partei, lag. Die Stadtrechte 
lassen zwar auch den Eid, besonders zur Abwehr des Angriffes, 
zu, allein lange nicht in dem Umfange, wie das Landrecht; 
dagegen machen sie bereits im dreizehnten eTahrhundert von 
dem Urkunden- und Zeugenbeweise einen sehr umfassenden Ge- 
brauch*®®), und legen überhaupt mehr Gewicht darauf, dass 
der Richter durch den Beweis von der Wahrheit der von den 
Parteien behaupteten Thatsachen überzeugt werde, als auf die 
blosse Versicherung der Partei*^®). Diese Anschauung machte 



*»«) M. L. RR. c. 146 (oben Anm. 290). Vergl. auch das Lüb. StR. II, 
154. — Ueber den Grund vergl. Homeyer a. a. 0. S. 499 fgg. 

*••) Die wenigsten der im § 26 aufgestellten Sätze haben sich durch 
Gitate aus den Stadtrechten belegen lassen, und dass letztere den übrigen 
Beweismitteln, ausser dem Eide, einen weit grössern Spielraum gewähren, 
als die Rechtsbücher, ist in den §§ 21 — 24 wiederholt bemerkt worden. 
S. auch die Ordele bei Mich eisen No. 21. 69. 94. 103 u. a. — Bemerkens- 
werth ist die Entscheidung des Lübeck'schen Rathes vom Jahre 1487 (bei 
Mich eisen No. 190): f,Wowol dat Hans Techhane ein antwerdsman loerCj 
jodoch honde he dat tugen (d. h. mit Zeugen beweisen) , dat he der erf- 
sckichtinge halvefii van deme ancleger to einem vullenkamenen ende gescheden 
were." 

**•) Dies folgt schon aus der Bedeutung der vorzugsweise angewen- 
deten Arten von Beweismitteln (Zeugen und Urkunden), deren unmittel- 
bares Ziel auf die Feststellung thatsächlicher Verhältnisse gerichtet ist. 

Bunge, Geschichte des Oerichtswesens. - 6 



82 



sich, besonders seit der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahr 
hunderts, nach und nach auch im Landrecht geltend, und hatt 
nachstehende wesentliche Aenderungen des altem Rechts zu:»: 
Folge : 

1) Der Gebrauch des Eides kommt immer mehr in Ab- 
nahme *^^) und der Eid hört allmälig auf, ein Recht der Partei 
zu sein* 12)^ 

2) Urkunden- und besonders Zeugenbeweis gelangen häu- 
figer zur Anwendung und werden nach und nach vorherr- 
schend*^^). 

3) Der Richter, oder vielmehr die Urtheiler, vermeiden es, 
auf den Eid zu erkennen, wenn irgend andere Beweismittel zur 
Feststellung der materiellen Wahrheit — worauf es jetzt zunächst 
ankommt — in Aussicht stehen, so dass der Eid nur als sub- 
sidiäres Beweismittel, wenn die HerbeischafiFung anderer nicht 
möglich, zur Anwendung gelangt*^*). 

4) So tritt an die Stelle des Beweis rechts die Beweis- 
last: der Kläger und überhaupt derjenige, welcher eine That- 
sache behauptet, muss, beim Widerspruch des Gegners, den 
Beweis der behaupteten Thatsache übernehmen* ^ 5). 



*") Vergl. die Brieflade No. 758 und 813. S. unten Anm. 641. Das 
gewichtigste Zeugniss liefert Fabri, indem er in seinem fonnulare pro- 
curatorum — abgesehen von einem Falle im ausserordentlichen Process 
(S. 103) — des Eides als Beweismittel nirgends Erwähnung thut. Vergl. 
V. Helmersen S. 206 fg. 

*»«) Vergl. die Brieflade No. 1319. 1323. 

413) Wo Fabri im formul. procur, vom Beweise handelt, z, B. S. 
21 — 24. 47. 48. 102 und 107 spricht er nur von Zeugen und Urkunden. 
S. auch Brieflade No. 385 und im Sachregister S. 308 u. d. W. Zeugen- 
beweis, Zeugenverhöre. 

*^*) S. die Citate in den Anmerkungen 411 und 412, desgl. Lüb. StB. 
II, 31 (unten Anm. 416), und vergl. überhaupt 0. Schmidt S. 70 fg. 

*") Fabri S. 21: „Item wenner de vorladinge also tor stede gekamen 
whd avercmtwordet is, so is van nöden, dat de hie g er sik hi tiden mU 



83 



5) Zugleich wurde dem Gegner des Beweisführers ofifen- 
gelassen, einen Gegenbeweis zu führen*^®) und durch diesen 
die Behauptungen des andern Theils zu widerlegen. Den Ur- 
theilern lag es demnach ob, die gegenseitigen Beweise gegen 
einander abzuwägen und darauf — nicht auf die eidliche Ver- 
sicherung der Partei — ihr Erkenntniss zu gründen. 

Diese wichtigen Aenderungen traten indess — wie gesagt 
— nicht plötzlich ein: vielmehr wird das Ende dieses Zeitraums 
durch ein Schwanken zwischen diesen beiden Beweistheorien 
bezeichnet: die neuere brach sich jedoch immer mehr Bahn*^''). 

h) Beweisverfahren: a) überhaupt. 

§28. 
Für das Beweisverfahren galt seit jeher der allgemeine 
Grundsatz, dass sämmtliche Beweismittel von den Parteien 



aUer nodtroftigen tüchenisse und genochsame hewisitige jegen den richtddach 
lüol Vorsorge, dar mede he unvonvarder sähen sik sulvest nicht in schaden 
bringe.^^ S. 47: „Item hirmed averreicestu (d. i. der Kläger) solke dine an- 
klage, samt allem bewise, segel und hreven, int rechf In einer Reihe 
von Urtheilen seit dem Jahre 1471 wird dem Kläger aufgegeben, den 
Beweis seiner Ansprüche zu führen, oder er wird wegen mangelnden 
Beweises mit seinen Ansprüchen abgewiesen. Brieflade No. 288. 537. 686. 
787. 952. 1256. 1260. 1295. S. auch die Urtheile des RevaPschen und des 
Lübeckischen Rathes bei Michels en No. 103. 130. 161. 

**«) Fabri S. 48: „Item darna so nim dine antwort vor, und lat 
idt ök aflesen, mit inväringe dines gegenbewises und alles behelpes. — 
— — — Item wenner nu klage und antwort also Jegen ein ander ingevöret, 
gehruket und vullentogen, bewis, wedderbewis, tüchnisse, segel und breoe, 
van biden siden ingejecht etc.*' S. auch Briefl. No. 818. Uebrigens ist 
schon dem Lübeck'schen Recht vom J. 1282 der Gegenbeweis nicht fremd, 
indem es im Art. 31 heisst: „So wes dat hus is, de is nager, sine hushure 
to beholdene to enemjare, denn de jene, de dar inne is, he ne moges 
vullenkomen mit getuge.'* S. auch das Urtheil des Rathes zu Lübeck 
vom Jahre 1478 bei Mich eisen No. 101, in welchem von der Beibringung 
der Beweise durch beide Parteien die Rede ist. — In Besitz- und Gränz- 
sachen fand Beweis und Gegenbeweis schon seit den frühesten Zeiten 
Anwendung. S. unten § 50—52. 

*") S. überhaupt Schmidt a. a. 0. 

6* 



84 



gleich beim Hauptverfahrenn — d. i. bei der Klage und der 
Antwort auf dieselbe — beigebracht oder doch angemeldet 
(geuppet) und in Anspruch genommen werden mussten*^®). 
Darüber, welcher von beiden Parteien der Vorzug der Beweis- 
führung gebühre, wurde (in dem Zeiträume wo Alles auf das 
Beweis recht ankam) demnächst ein besonderes Urtheil, Be- 
weisurtheil, gefunden*^®). War die sofortige Beibringung 
der Beweismittel nicht möglich, so wurde, auf Ansuchen der 
Partei, vom Richter zu diesem Zweck ein fester Termin — im 
Lübeck'schen Stadtrecht „Stekerechtdag" genannt — anbe- 
raumt. Versäumte die Partei diesen Termin, so war sie sach- 
fällig (tuchborstig) ^^^), Nach Landrecht wurde dazu gewöhnlich 
der nächste — in der Regel nach Jahresfrist zu haltende — 
Manntag bestimmt *2i). Für einzelne Beweismittel finden sich 
noch besondere Bestimmungen*2 2)^ 

/?) Verfahren "bei dem Beweise durch den Eid. 

§ 29. 
Wer durch Eidesleistung seinen Anspruch beweisen oder der 
gegen ihn erhobenen Beschuldigung entgehen will, muss nach 
Landrecht sich vor dem Richter zum Eide erbieten* ^ 3), Wird 
demnächst auf den Eid erkannt, so muss dieser am nächsten 
Gerichtstage, und zwar in Gegenwart der Gegenpartei, geleistet 
werden. Bleibt derjenige, der den Eid zu leisten hat, zum 



*") Fabri S. 21. 47. 48 (Anm. 415 und 416). 102. Big. StR. lU, 12. 
Lab. StR. n, 46. 

*»») S. unten § 36. 

«0) ürkk. von den Jahren 1368 und 1401 (ÜB. No. 1045. 1601). Ur- 
theiTe bei Mich eisen No. 43 und 101. 

*") Brieflade Nö. 564. 687. 1319. 1323. 

"*) S. § 29-32. 

"') Briefl. No. 383. 389. 400. 443. 489. 521. 536. 538. 705. 793. 



85 



Termin aus , so wird er für sachfällig erklärt , falls er nicht 
echte Noth nachweisen kann* 2*). Dasselbe gilt für den Fall, 
dass er hinterher sich weigert, den „gelobten" Eid abzulegen. 
Erscheint der Gegner, auf die an ihn ergangene Ladung, nicht 
zum Termin, so wird derjenige, der sich zum Eide erboten und 
zum Termin gestellt hat, von der Leistung desselben, zugleich 
aber auch von dem gegen ihn erhobenen Anspruch entbunden. 
Dasselbe ist der Fall, wenn der Gegner zwar erscheint, aber 
die Leistung des Eides nicht zulässt*^^), oder darauf verzichtet, 
den Eid dem Gegner erlässt*2 6). 

In den Städten bildete ursprünglich gleichfalls das Erbieten 
zum Eide von Seiten desjenigen, der das Beweisrecht bean- 
spruchte, die Regel*2 7)^ desgleichen waren die Wirkungen des 
Nichterscheinens der Parteien, der Nichtleistung Seitens der 
einen, der Nichtannahme oder Verhinderung Seitens der andern 
Partei etc., dieselben, wie im Landrecht*^«); nur dass, nach 



*2*) M. L. RR. c. 127: „Wor men överst eide lavety de schal men 
leisten to dem negesten richtdage. We 6k eide lavet vor schuldty und leistet 
he er nicht to rechter tidt, he wert an der schuldt voricunnen, dar de eid 
üör gelavet was, idt en heneme em denn echte nodt, de nien bewisen mach. 
Was de eed gelavet vor gerichte , men möt dem gerichte wedden" S. auch 
Briefl. No. 365 , wonach die Leistung des Eides in dreimal vierzehn Tagen 
nach dem richterlichen Ausspruch erfolgen soll. 

***) Daselbst: „Js ein man gereit to leistende sinen eidt up den hil- 
ligen, den he gelavet heft, to rechter tidt, und en wil des de jenne nicht, 
edder en is he dar nichts dem men den eidt don schal, de^i eides schäl he 
Uddich sin, und der schuldt, dar vor he den eidt gelavet heft.^* S. auch 
Briefl. No. 563. 

«•) Briefl. No. 256. 545. 558. 

"^ S. z. B. das ÜB. No. 1818. 

**8) Rig. StR. II, 12 (s. oben Anm. 283). 13: „Lovet ein man deme 
andern sin recht to dem, ethdage, und lestet he den eth to der tit nicht, und 
hevet he eme sin gut vorsähet, he sal et eme geven. Men wü he dat uppe 
den hilgen sweren, dat et eme not dede, dat he to deme ethdage nicht ne 



86 



Rigischem Stadtrecht, auch beim Nichterscheinen des Gegners der 
Eid nicht erlassen wurde, sondern geleistet werden musste*^»). 
Seit dem fünfzehnten Jahrhundert aber trat — wenigstens nach 
Lübeck'schem Recht* 3®) — an Stelle der Erbietung zum Eide 
von Seiten des Angegriffenen , die Aufforderung des Angreifenden 
an denselben, sich von der Klage durch den Eid zu befreien: es 
kam also die sog. Zuschiebung des Eides in Aufnahme. Man 
nannte dies: „die Klage auf Eideshand stellen" oder „zu Eides- 
hand legen'', und stellte den Grundsatz auf: „was zu Eideshand 
gelegt ist, muss mit Eideshand gelöst werden", oder „Eideshand 
muss Eideshand lösen" ^^i)^ Der von dem einen Theil zuge- 



quam, he 8al de not henomen und aal de not sweren, und aal aver des 
nagesten richtes sin recht don und wesen ledich." — Lüb. StR. 11 , 35 : „Is 
dat ienech man den andern beklaget j umme welkerhande sake dat oh si, und 
de andere vor deme richte dar umme sweren udl, wert he bericht, dat he it 
leoer wil weder geven, denne sweren j he schal beteren deme ridite mit ver 
Schillingen, ofte de voget des nicht enberen wll.*^ Art. 226: „<So wor en man 
oder mer ludes scholen en recht don vor richte, und eset den in ener besehe- 
denen tit, so wanne men dat recht schal don, also dat it is in der vasten 
oder in der avende, dat men den ed ver stet to den eddagen, Jcumt he den 
nicht, er si en oder mer, to siner rechten tit, so is he svnes rechtes neder- 
vellich worden, it ne si, dat eme ofte en dat neme echte not.*' Art. 237: 
„Und weret de ratman ene sake up deme hus, dar men scal up tugen ofte 
sweren, de jene, de sine tuge nomen scal oder sweren, de scal dat don to 
deme sulven richte, of he wil; doit he des nicht, so scal he dat don to deme 
negestey> richte. Vorsumet se dat, welkere dar nicht ene kumpt, he si klegere 
oder antwordesman , de is sines rechtes nedervellich geworden , it ne were den 
also, dat de vogede dat richte uplegeden, so bleve manlik u/nvorsumet sines 
rechtes. Mer aver to deme negesten richte dar na so scolde en iwelik 
war den sines rechtes, oder he wor de nedervellich siner sake, de dar nicht 
ene queme,** 

♦") Big. StR. U, 12 (s. Anm. 283). 

*'®) Ueber das Rigische Stadtrecht fehlt es in dieser Beziehung an 
Nachrichten; in späterer Zeit, namentlich im siebenzehnten Jahrhundert, 
war auch dort die Eideszuschiebung im Gebrauch. 

*") S. die Urtheüe bei Mich eisen No. 59. 111. 130. 156. — Von 
einer Zurückschiebung des Eides findet sich keine Spur. 



87 



ötjhobene und von dem andern Tlieil angenommene Eid musste 
also von Letzterem geleistet werden, und durfte Ersterer statt 
dessen nicht zu andern Beweismitteln greifen, wenn er sich dies 
nicht bei der Eideszuschiebung ausdrücklich vorbehalten hatte*^^). 
Die Wirkungen des Nichterscheinens, Nichtschwörens u. s. w. 
erlitten übrigens durch diese neue Form keine Aenderung*^^). 

y) Verfahren Iseim Zeugenlseweise. 

§ 30. 
Nach den Stadtrechten mussten die Zeugen alle gleichzeitig 
namhaft gemacht werden, wobei es dem Gegentheil gestattet 
war, dieselben „aufzutreiben", d. i. aus gesetzlichen Gründen 
(§22) zu verwerfen*^*). Demjenigen, der sich auf Zeugen 
berief, wurde von dem Richter aufgegeben, dieselben, wenn sie* 
in der Stadt anwesend waren, zum nächsten Gerichtstage zum 
Verhör zu stellen*^^)^ waren sie ausserhalb der Stadt, aber 
binnen Landes, in sechs Wochen^^c)^ befanden sie sich ausser- 



*") Mich eisen No. 157. Vergl. auch das. No. 251. 

*••) Ebendas. No. 4. 53. 167. Wenn der zur Eidesleistung Verurtheüte 
gegen das Urtheil appellirt, die Appellation aber nicht verfolgt, so behält 
er nichts desto weniger das Recht, auf Grundlage jenes Urtheils die Eides- 
hand zu lösen. Mich eisen No. 244. 

*'*) Rig. StR. III, 12: „6'o war en man tuge nomet vor gerichte, wert 
eme dere toilk upgedreven, dat se eme nicht helpen mögen to sinem rechte, he 
maah dere anderen wol neten, de he genomet hevet, und de eme nicht upge- 
dreven sint, ofte he dat bewaret mit ordelen, al en hehelde he deren nicht dan 
twe. He »al aver to ener tut se al henomen vor deme richte" Im Wesent- 
lichen gleichlautend ist das Lüb. StR. II, 46. Yergl. auch das. Art. 178 
und Mich eisen No. 219. 

"») Rig. StR. III, 14. Lüb. StR. II, 237. Nach letzterem kann die 
Partei sich vorbehalten, ihre Zeugen zum ersten, zweiten oder dritten 
Gerichtstage vorzuführen. Mich eisen No. 115. 

"•) Rig. StR. III, 9. Nach Lübeckischeni Stadtrecht sechs Wochen 
und drei Tage. Mich eisen No. 140. 



88 



halb Landes und über See, in Jahr und Tag*^''). Wer die 
Vorführung der Zeugen in der anberaumten Zeit versäumte und 
keine echte Noth nachweisen konnte, wurde nicht nur „tuch- 
borstich", d. h. er verlor nicht nur das Recht des Zeugenbeweises, 
sondern war auch sachfällig*^®). — Eine Beeidigung der Zeugen 
in Civilsachen scheint der Regel nach nicht nothwendig gewesen 
zu sein*^^). Verhört wurden sie vor Gericht in Gegenwart des 
Gegners , welchem daher der Termin rechtzeitig angezeigt werden 



*") Rig. StR a. a. 0. Mich eisen No. 43. Urk. vom J. 1401 im 
ÜB. No. 1602. 

*'^) Rig. StR. a. a. 0.: „Thut ein man uppe tuch, de hinnen landes 
is und tuten der Stades marke, den sal he vorebr Ingen hinnen vj. wehen; 
doit he des nicht, he hlivet tuchhor stich. Met thut ein man uppe tuch, de 
hüten landes is , den sal he vorehringen hinnen jare und dage; ne doit he 
'des nicht, he hlivet tuchborstich. Und thut en unse bürgere uppe den anderen^ 
unsen horgere, und veret he ut umme sine neringe, he ne vorluset sine clage 
dar m^de nicht" Art. 11; „So welikeine manne en tuch gedelet teert, de sal 
tugen, alse he sik vor richte vorromet hevet, und en doit he des nicht, he 
hlivet nedervellidh siner clage." Art. 14: „So we sik enes iuges vorromet, 
und wert he em£ gedelet, den sal he henomen, und sal ene bringen to dem£ 
nagesten richtdage, also vere alse he is in der stat ofte in des Stades marke. 
Doit he des nicht, so sal he dat heholden uppe den hilgen, dat et ems echte 
not henomen hehhe, und bringen ene aver des nagesten richtdages, En doit 
he des nicht, so is he neddervellich der clage. Were dat aver, dat he sinen 
tuch vorebrochte und kumt sin weder sake nicht vore, und mach he dat he 
tugen ^ dat he eme to wetende dede, de voget und de rat scoln den tuch 
hören und richten deme guden m^nne." Lüb. StR. II, 178. 237. ÜB. No. 
1602. Mi Chaisen No. 43. 140. 195. 

489J Wenigstens wird nur in Criminalsachen , namentlich wenn der 
Zeuge „vorsat&^, d. i. dolus, bezeugen soll, der Eid als unerlässlich ange- 
geben: Lüb. StR. II, 217. S. auch das Rig. StR. IX, 20. Dagegen wird 
freilich in einem reformirenden ürtheile des Rathes zu Lübeck vom Jahre 
1479 (bei Mich eisen No. 104) ausgesprochen: „Na deme de tuge to ener 
tiid vor deme rade nicht to hope sin gewesen und ok de ene nicht gesicoren 
heft, so is de tuchnisse machtloes" — In den sog. Nächstenzeugnissen wird 
auch gewöhnlich angegeben, dass das Verwandtschaftsverhältniss eidlich 
bezeugt worden: ÜB. No. 1163. 1287. 1304. 1505. 1609. 1712. 2543. — Die 
bei Errichtung eines mündlichen Testamentes hinzugezogenen Zeugen be- 
eidigen ihre Aussage im ÜB. No. 1337 und 39. 



89 



musste; erschien er nicht, so wurden die Zeugen auch in seiner 
Abwesenheit vernommen**®). Kranke Zeugen wurden in ihrer 
Wohnung von dem Richter in Gegenwart zweier besitzlichen 
Zeugen befragt**^). 

Nach Landrecht mochte das Verfahren in der älteren Zeit 
dem städtischen ähnlich gewesen sein: nähere Nachrichten feh- 
len **2j. Allein mindestens seit dem fünfzehnten Jahrhundert 
^wurden auf den Manntagen von den Manngerichten selten münd- 
liche Zeugnisse angenommen** 3). Da nun aber Kläger sowohl, 
sds Beklagter, ihre Beweise gleich beim Vortrage der Klage und 
<3er Antwort vorbringen mussten***), so musste das Zeugenver- 
liör der Klage vorausgehen, daher der Vorladung unmittelbar 
folgen** 5). Das Verhör fand vor besetztem Gericht statt, so 
<iass Richter, Beisitzer und ürtheilsmann**^) zugegen waren; 



**o) Kig. StK. III , 14 (oben Anm. 438). Vergl. das Lüb. StR. II , 237. 

*") Lüb. StK. U, 311. 

***) Nur in der Verordnung des 0. M. Otto von Lutterberg für die 
CJurischen Landeseingebornen vom August 1*267 (UH. No. 405) § 13 finden 
\s'ir eine allenfalls hierher zu ziehende Bestimmung: j,Vortmer welich man 
tuge sich beropit, di sal hi vorbringen binnen drin maenden, weret dat si 
cver Dune weren; weret dat die tuge over see weren, so sal hi si vorbringen 
l>innen jar und dage.^* 

***) Fabri's formulare procur, S. 21: „ — — — toente mündlike 
tüchenisse weH seiden angenamen im rechten.^^ Ausser den Manntagen, bei 
ausserordentlichen Gerichtshegungen, wurden die Zeugen auch nach Land- 
Techt bei der Hauptverhandlung dem Gerichte vorgestellt und vom Richter 
vernommen. Das. S. 102. S. auch die Brieflade No. 288. 

***) Fabri S. 46—48 (s. Anm. 415 und 416). 

"») Das. S. 21 fgg. 

**") In den meisten der erhaltenen Urkunden über Zeugenverhöre 
(s. das Sachregister zur Brieflade S. 108 unter diesem Worte) wird der 
Gegenwart des Urtheilsmannes gedacht, indem es am Schlüsse gewöhnlich 
heisst: „Dies bezeugte NN., und als ich, NN., Richter, den Urtheils- 
mann fragte, ob dies Zeugniss auch Macht habe, antwortete*" dieser: Ja, 
sofern es mit Recht bewahrt ist, hat es Macht." 



90 



indess war die Gegenwart des letztem nicht unbedingt noth- 
wendig **''). Nachdem der Richter „durch Rechtszwang" * * ^ ) 
die Zeugen vernommen hatte, wurde über das Resultat des 
ganzen Verhörs (nicht über jede einzelne Aussage und noch 
weniger über die Antworten auf einzelne Fragen) ein von dem 
Mannrichter und seinen Beisitzern besiegeltes Protocoll (Gerichts- 
schein) aufgenommen, und der Partei, auf deren Verlangen, aus- 
gefertigt**^). Die Zeugen wurden dabei in der Regel nicht 
besonders beeidigt*^^), sondern nur „bei ihrer Seelen Selig- 
keit"*^^) und bei dem dem Landesherrn geleisteten Huldigungs- 
eide, zur Aussage der Wahrheit ermahnt*^ 2). Zuweilen erboten 
sie sich selbst, „falls es nöthig sein sollte", ihre Aussage durch 
den Eid zu bestärken* ^ 3 j^ Uebrigens war es auch gestattet, 
wenn der Zeuge damit einverstanden war, dass die Partei die 
Zeugenaussage privatim, aufnahm, worauf der Zeuge nur vor 
dem Richter seine Aussage zu bestätigen hatte, und sodann die 
richterliche Besiegelung des darüber aufgenommenen Instruments 
erfolgte* 5 4). 



**^) Fabri S. 22 und 90. S. auch oben § 6. 

**®) Fast in allen Urkunden über Zeugenverhöre ist der Ausdruck ge- 
braucht, der Richter habe die Zeugen mit Recht zur Aussage gezwungen 
oder genöthigt. S. auch Fabri S. 22. 

**») Fabri S. 23. Brieflade No. 327. 1390. 

*»o) Von den mehr als sechzig in die Brieflade aufgenommenen Ur- 
kunden über Zeugenverhöre (s. oben Anm. 446) gedenkt nur eine einzige 
(No. 636) der Beeidigung der Zeugen, namentlich Hapsal'scher Bürger. 
Vergl. übrigens auch die Brieflade No. 288. 

**^) Diese Formel ist die gewöhnlichste; andere, dem ähnliche, s. in 
der Briefl. No. 1351. 1390. 1428. 1469. 

***) S. überhaupt Fabri S. 22fgg. , der die ganze Procedur sehr aus- 
führlich schildert. 

*") S.-'z. B. Briefl. No. 751. 938. 972. 

"*) Fabri S. 24. 



91 



8) Vorfahren Iseim Urkunden'beweiso. 

§31. 

lieber das Verfahren beim Urkundenbeweise finden wir in 
den Rechtsquellen gar keine Bestimmungen; ebensowenig lässt 
Fabri sich darüber aus, und die bisher bekannt gewordenen 
processualischen Verhandlungen enthalten kaum einige Andeu- 
tungen. Der Grundsatz, dass die Anmeldung der Beweismittel 
mit dem Hauptverfahren verbunden werden müsse (§ 28), galt 
auch in Betreff der Urkunden, und zwar wurde nach Lübecki- 
schem Recht mit solcher Strenge darauf gehalten, dass eine 
später vorgebrachte Urkunde für „machtlos" erklärt wurde* ^5). 
In den Städten Rigischei]^ Rechts, so wie in den Landesgerichten, 
scheint man in dieser Beziehung mehr Nachsicht geübt zu 
haben* 5^). Es finden sich ferner mehrere Beispiele davon, dass 
eine Partei von der andern die Vorlegung von Urkunden ver- 
langt, und letztere dazu durch den Richter verpflichtet wird*^''). 
Anfechtung der von der andern Partei vorgebrachten Urkunden, 
weil sie schadhaft , veraltet, „unwahrlich" (unecht) seien, kommt 
in Rechtsstreitigkeiten häufig vor*^*). Dass beschädigte — zu- 
nächst wohl unleserlich gewordene — Urkunden bei Macht 
erhalten wurden, wenn der Producent den Inhalt derselben 
eidlich erhärtete, ist bereits früher angegeben worden*^ •). 



466> 



') ürtheil bei Mich eisen No. 117. Vergl. auch No. 14. 

**•) Wenigstens wird nicht selten im Laufe des Verfahrens den Par- 
teien vom Richter aufgegeben oder offen gelassen, nachträglich Urkunden 
beizubringen. ÜB. No. 916. Briefl. No. 393. 404. 537. 686. 817 u. a. 

*") Briefl. No. 440. 441. 479. 

"») Das. No. 539. 556. 686. 687. 703. 802. 864. 

«•) S. oben § 24. 



92 



s) Verfahren "bei der Eisonpro'be. 

§ 32. 
Das einzige Gottesurtheil , über dessen wiederholte Anwen- 
dung sich authentische Nachrichten erhalten haben (§ 25), ist 
die Eisenprobe. Ueber das dabei beobachtete Verfahren geben 
zum Theil schon die dafür in den Rechtsquellen gewöhnlich 
gebrauchten Ausdrücke: „das Eisen tragen"*^®), „ein heisses 
Eisen tragen", „an das feurige (heisse) Eisen tasten" *^^) Auf- 
schluss*^^)^ Eg igt nämlich darunter diejenige Art der Eisen- 
probe zu verstehen, bei welcher eine glühend gemachte Eisen- 
stange eine Strecke weit mit blossen Händen getragen werden 
musste*^^). Der Bauer, der sich freiwillig dazu erboten hatte 
oder zum Eisentragen verurtheilt worden war, wurde dem Ge- 
richte vorgestellt und vor der Procedur ,. geschoren und geba- 
det"*ö*), vermuthlich um der Anwendung künstlicher Mittel 



"«) M. L. ER. c. 38. 90. 92. 95. ÜB. No. 2482. 2589. Briefl. No. 
325. 554. 



461 



'^) S. die in der Anm. 387 angeführten Bauerrechte. 

*«2) Andere Ausdrücke sind: „mit dem Eisen entgehen, vertheidigen, 
niederlegen, sich reinigen, entlegen, gewinnen, entsagen." M. L. RR. c. 
131. OesePsches Bauerrecht Art. 3. 5. 6. Briefl. No. 728. 752. 995. 1005. 
Auch findet man: „einen Bauern zum Eisen treiben, stellen", desgleichen: 
„zum Schwersten, nämlich zum Eisen, stellen". Briefl. No. 650. 742. 945. 
950. Ganz eigenthümlich sind die in der Urk. v. J. 1511 (Briefl. No. 752) 
von einer vollzogenen Eisenprobe gebrauchten Ausdrücke : „die Bauern 
haben dem Landrecht voll und Genüge gethan, sind zu ihren Land- 
rechten gewesen; Johann Bremen hat mit seinen Bauern mit allen 
Landrechten gewonnen." Vergl. oben Anm. 384 a. E. und s. auch noch 
unten § 65 Anm. 100. 

*«») Grimm's Rechtsalterthümer S. 915 fgg. 

*•*) In dem Protocoll des Harrischen Manngerichts vom 8. Decbr. 
1529 (Briefl. No. 995) heisst es: „Nunmehr that Herr Heise (Beklagter) 
bei ipir, Richter, Verwahrung, und sagte, ich solle ihm sein Recht nicht 



93 



gegen das Verbrennen vorzubeugen. Ein solcher Betrug mag 

indessen doch wohl öfters vorgekommen sein, denn* nur dadurch 

erklärt es sich , dass in mehreren urkundlich festgestellten Fällen 

der zur Eisenprobe Gestellte aus derselben unversehrt (schier) 
hervorging*«^). 

i) Das Ungehorsamsvorfahren. 

§ 33. 
Der bisher geschilderte regelmässige Gang der Verhandlung 
wurde unterbrochen durch den Ungehorsam der Parteien gegen 
die richterlichen Anordnungen. Jede Ladung verpflichtet den 
Citirten, persönlich oder durch einen Stellvertreter vor Gericht 
zu erscheinen*««). Bleibt er aus, so verfällt er in eine Geld- 
strafe — Wedde — zum Besten des Richters*«''); erscheint er 
auch auf die dritte Ladung nicht, so wird er als „niederfallig'', 



„vertucken", sondern den vorgestellten Bauer, der im Gericht bereits 
„benachtet" (d. i. die Nacht über im Gewahrsam behalten) sei, dazu ge- 
schoren und gebadet, zum Bechte gestatten etc." 

*•*) Protocoll des Jerw'schen Manngerichts vom 5. Juni 1511 (von 

Bnnge's Archiv V, 318): „ dat Herman Boethasen und Jo- 

han Bremen er beider buer sin to eren lantrechten gewesen na der afsproke 
(des Obergerichts), so dat Boethasen sin huer de brande sik und Johan 
Bremen sin buer blef schier unverbrant.*^ — Zwei Beispiele von Land- 
erwerb mittelst Eisentragens aus dem dreizehnten Jahrhundert s. im ÜB. 
No. 439, b. und 440, a. 

*••) Fabri S. 59. — Eigenthümlich ist das in dem ältesten Eigischen 
Stadtrecht (ÜB. No. 77) dem Kläger ertheilte Recht, den ungehorsamen 
Beklagten mit Gewalt vor den Richter zu bringen. Es heisst nämlich im 
Art. 26: „Quicunque, a precone citatus, ad iudicium venire contempserit , et 
iUe actor, si ius suum executus est coram iudice, illum, vhicunque invenerity 
sine verberibus et lesione, ducat ante iudicem violenter.** Diese Bestimmung 
ist in keine der späteren Redactionen übergegangen. — Vergl. auch noch 
die Willkür des Revaler Rathes vom J. 1312 (ÜB. No. 932 , 1). 

*«^) M. L. RR. c. 48. 71. 123. Rig. StR. II, 15. Lüb. StR. II, 207. 
S. überhaupt unten § 34. 



94 



d.i. sachfällig, behandelt*«^), und dem Kläger ohne Weiteres 
zur Befriedigung seines Anspruchs verhelfen. Dies geschieht, 
wenn auf ein Orut geklagt worden , durch Einweisung des Klägers 
in den Besitz des Gutes^^^), bei Klagen um Schuld durch Aus- 
pfändung des Beklagten* '^^). Wo übrigens überhaupt nur eine 
einmalige Ladung, z, B. zum ungebotenen Gericht auf dem 
Manntage, erforderlich ist*"^^), wird der Beklagte schon beim 
Nichterscheinen auf diese einmalige Ladung für sachfällig er- 
kannt ^"^ 2)^ Erscheint zwar der Beklagte auf dem Manntage, 
stellt sich aber nicht auf die erste Aufforderung (Eschung) des 
Richters*'^ 3)^ so wird er zum zweiten und drittenmal geeschet, 
in Zwischenräumen von einer bis zwei Stunden*''*), und wenn 



*»8) M. L. RR. c. 114. 125. Rig. u. Lüb. StR. a. a. 0. Fabri S. 57: 
„Wenner din wedderpart nicht tor antwort kumpt edder gentzlik utehlift, tmd 
up dine vorladinge nicht to dem mandage edder rechtdage quentCj so mostu 
en to dren malen to rechte voreschen laten, und loten en to jederer eschinge 
neddervelUch delen, und nemen up de neddervelUge sdke van dem richter 
einen vorsegelden richteschin, darmede du di utrichtinge mögest don loten 
der neddervelligen sake, hinnen dren veertein dogen. S. auch das. S. 58. 97. 

♦«») M. L. RR. c. 190. Rig. StR. a. a. 0. Fabri S. 11, wo übrigens 
zugleich angegeben wird, die „niederföllige Sache" betrage in Harrien 
und Wierland hundert Mark. S. auch das Urtheü des Harrisch -Wierischen 
Rathes vom 16. März 1528 in der Brieflade No. 945. — lieber das beson- 
dere Verfahren im Lehnsprocess s. das mittl. Livl. RR. c. 72 und 0. 
Schmidt S. 49. 

*^o) M. L. RR. c. 117. Rig. StR. 1 , 14. II , 17. 

*^i) S. oben § 14 Anm. 174. 

*^«) Fabri S. 11. 

*") S. oben § 16 Anm. 201. 

*^*) In dem bereits oben § 16 Anm. 209 erwähnten, auch hierher 
gehörigen Falle, wenn der Beklagte zwar erschienen ist, aber die Ant- 
wort verweigert, musste derselbe in Harrien und Wierland „mit drei 
Stimmen drei Tage nach einander" vom Richter geeschet, und 
konnte dann erst für sachfällig erklärt werden. S. die ürk. vom 28. Juli 
1492 in der Brieflade No. 380 und überhaupt Schmidt S. 47 fg. 



95 



er sich auch daim nicht stellt, für sachfällig erklärt*'*). Er- 
scheint der Beklagte, wenn er geeschet worden, der Kläger aber 
ist nicht gegenwärtig, so wird letzterer vom Richter geeschet, 
und, wenn er nicht kommt, für sachfällig erkannt, die früher 
gegen den Beklagten etwa erkannte Ungehorsamsstrafe dadurch 
erledigt und der Kläger muss den Beklagten von Neuem eschen 
lassen. Erbietet sich der Beklagte dreimal zur Antwort, und 
der Kläger stellt sich nicht, oder ist letzterer ganz ausgeblieben, 
so wird er (der Kläger) für sachfällig erkannt, und der Beklagte 
von der Klage entbunden, so dass er dem Kläger in dieser 
Sache nicht mehr zu Recht zu stehen braucht*'^ ^). Ueberdies 
darf der Beklagte von ihm Kosten- und Schadensersatz ver- 
langen*''''). Auch das Versäumen späterer Termine zieht in der 
Regel den Verlust der Sache nach sich*''*). Haben jedoch die 
Parteien sich vorher darüber geeinigt, dass nicht früher, als bis 
beide erschienen sind, oder dass zu bestimmter Zeit (Stunde) 
geeschet werden soll, so bleibt es bei solcher Abmachung*''®). 

Der Ausgebliebene kann sich übrigens den ihn treffenden 
Nachtheilen dadurch entziehen, dass er „echte Noth", d. i. 
gesetzliche Hindernisse, Ehrehaften, eidlich nachweist*®^). Als 



*''^) Fabri S. 57 fg. Der Richter soll übrigens, wenn der Beklagte 
auf zweimaliges Eschen sich nicht stellt, laut fragen, ob nicht einer von 
des Beklagten Freunden „für ihn das Recht schützen" oder nach ihm 
senden wolle, ehe er zum drittenmale geeschet wird. 

*^«) M. L. RR. c. 125; vergl. auch c. 120. Rig. StR II, 15. Lüb. 
StR. n, 207, und besonders Fabri S. 59 fg. 

*") Fabri S. 61. 

*■'») Vergl. das mittl. L. RR. c. 114. 125. Rig. StR. HI , 11. 14. Lüb. 
StR. m, 237. 

*^») Fabri S. 59. 

*»«) M. L. RR. c. 123: „We vor gerichte geladen wert mit des richters 
teken und nicht en kumpt, de schäl to rechte wedden, he en möge denn mit 
sinen baden hewisen, dat idt em nodt henamen hebheJ^ Das. c. 71 und 125 



96 



gesetzliche Hindernisse der Art werden aber anerkannt: Gefang- 
niss, Krankheit, Geschäfte im Dienste des Landes- und des 
Lehnsherrn und Gottesdienst ausserhalb Landes, d. h. Wall- 
fahrt*^ i). Die Wittwe und überhaupt jeder Erbe, der sich im 
Besitz des Nachlasses befindet, darf binnen dreissig Tagen nach 

des Erblassers Tode nicht angehalten werden, vor Gericht zu 
erscheinen*® 2 j^ 

Flucht des Beklagten wird unbedingt als Zugeständniss der 

Klage angesehen und hat mithin dessen Sachfälligkeit im Ge- 
folge*83). 

Ic) Frooessualisolie Schutzmittel: a) Gerichtliche Strafen. — Wedde. 

§ 34. 
Zur Aufrechterhaltung seiner Autorität ist der Richter be- 
fugt, den seine Anweisungen missachtenden Parteien Strafen 
aufzuerlegen, welche in Gelde bestehen und Wedden heissen*®*). 



wird es jyechte und rechte nodt" genannt, so auch bei Fabri S. 61 und 97. 
Vergl. auch das Kig. StR. I, 3. II, 13. HI, 14. 

*") M. L. RR. c. 124: „Veer adken sint, de echte nodt heten: venke- 
nisse, süJcCf Gadesdenste hüten landes und des hischops denste. Welker 
desser sahen eine einen man vorhindert, dat he vor' gerichte nicht en kumpt 
icert he idt hewisen, wo idt recht is, mit sinen baden, wer he si, he hlift 
Sünder schaden und winnet dach het an dat negeste gerichte edder het he van 
der echten nodt leddich wert" Vergl. auch Fabri S. 97 und die Brieflade 
No. 775 und 813. 

"2) M. L. RR. c. 20. 27. 198. 199. Diese dreissigtägige Frist (von 
Bunge 's Liv- und Estland. Privatrecht § 406) wurde — offenbar durch 
ein Missverständniss — in Harrien und Wierland auf Jahr und Tag er- 
streckt, ürtheil des Harrisch -Wierischen Rathes vom 15. Febr. 1508, Briefl. 
No. 707. 

«») M. L. RR. c. 155. Rig StR. II, 14. Lüb. StR. II, 430. 

***) Die Benennung Wedde gilt im Land- und Lehnrecht, wie im 
Lübeckischen Stadtrecht, für alle zum Besten des Richters zu entrichtenden 
Geldstrafen, also auch für andere Vergehen, als die von den Parteien 



97 



Dergleichen werden verhängt für Nichtbefolgung der richter- 
lichen Ladung und Nichterscheinen vor Gericht*® 5), für Nicht- 
durchfiihrung einer Klage*®*), Nichtleistung eines im Gericht 
gelobten Eides*® '^), für das Finden eines widerrechtlichen Ur- 
theils*®®), für das ungerechtfertigte Schelten eines Urtheils*®*), 
für die Schliessung eines Vergleichs über eine bei Gericht an- 
hängig gemachte Sache*^^), für die Verletzung eines Personal- 
oder Realarrestes*® ^), für ungeziemendes Benehmen vor Ge- 
richt*® 2). In dem Erzstift Riga wurde übrigens die Wedde 

durch den Erzbischof Johannes Habundi (1418 — 22) abge- 
schaflft*93). 



während des gerichtlichen Verfahrens verübten. S. das ÜB. No. 924. Das 
Eigische Stadtrecht dagegen kennt diese Benennung gar nicht, bezeichnet 
vielmehr diese Geldstrafen als Bussen; überall heisst es: „He säl he- 
teren.*' 

**») M. L. RR. c. 48: „We nicht vor gerichte kumpt, wenn de richter 
dat gerichte ropet, edder vor gerichte drit, edder sine klage nicht vor gerichte 
vtUnvöret, edder we icht vor ge^-ichte hreketj edder findet ordel wedder recht, 
de weddet dem richte.'' Das. c. 123. Rig. StR. II, 15. Lüb. StR. 11 , 207. 
Der Nachweis echter Noth befreit in diesem Falle von der Entrichtung 
der Wedde. M. Livl. RR. c. 123 und oben § 33. 

"«) M. L. RR. c. 48 (Anm. 485). S. auch oben § 15. 

**■') Das. c. 127: j,Was de eed gelavet vor dem gerichte , men moth dem 
gerichte wedden,'* 

*") Das. c. 48. 

"») Das. c. 75 und 128 (unten Anm. 494). Rig. StR. I, 3. 4. Lüb. 
StR. n, 29. Vergl. auch Art. 55. 

*•«) Rig. StR. n , 20. 

*•!) Das. n, 8. 10. Lüb. StR. II, 321. 

*•») M. L. RR. c. 48 (Anm. 485). Das. c. 109. Rig. StR. I, 13. Vergl. 
anch die Briefl. No. 652. 

*•«) In der Dresdener Handschrift des mittleren Livländ. Ritterrechts 
heisst es am Schlüsse des Cap. 48 (Anm. 485): „Dieser artikel is doth ge- 
legt von hisscop Ahundi, und darnach von bischofen los tmd frey gegeben.'' 
S. V. Bange's Beiträge zur Kunde der Rechtsquellen S. 74. 

Bunge, Geschichte des G-erichtswesens. 7 



98 



Der Betrag der Wedde ist nicht nur in den verschiedenen 
Rechtsgebieten, sondern auch in jedem derselben für jeden der 
angeführten Fälle verschieden bestimmt*®*). Sie muss nach 
Land- und Lehnrecht an demselben Tage, an welchem auf sie 
vom Richter erkannt ist, „bei scheinender Sonne", d. i. vor 
Sonnenuntergang, entrichtet werden. Geschieht dies nicht, so 
muss das Doppelte, am folgenc^en Tage das Vierfache, am 
dritten das Achtfache gezahlt werden. Weiter steigt die Wedde 
nicht: der Richter beraumt dem dann noch Säumigen eine 
Zahlungsfrist von vierzehn Nächten an, und schreitet — wenn 
auch diese unbeachtet bleibt — zur Auspfändung*® s). 



*•*) Im mittl. Livl. ER c. 71 ist die gewöhnKche Wedde auf zwanzig 
Schillinge oder ein Pfund festgesetzt; für das unrechtfertige Schelten eines 
Urtheils betragt sie dagegen zwei Pfund (das. c. 75). Diese letztere, aus 
dem ältesten Kitterrecht entlehnte Bestimmung steht freilich im Wider- 
spruch mit einer anderen, im Cap. 128 („Men werd he (d.i. der Appellant) 
neddervellich , he schal dem richter geven dre ptmt pennig&^J, welches zwar 
im Uebrigen aus dem Sachsenspiegel (II, 12, 5) geschöpft ist, allein gerade 
in der Taxe einen eigenen Zusatz erhalten hat. 0. Schmidt (S. 88)][8ucht 
diesen Widerspruch dadurch zu beseitigen , dass er bloss die letztere Stelle 
auf die dem Richter zu zahlende Wedde bezieht, die erstere dagegen (in 
welcher der Richter als Empfänger nicht ausdrücklich bezeichnet wird, in- 
dem es im Cap. 75 nur heisst: „We ein recht ordeH bescheidet, dat is twe 
pundif^) von einer dem ürtheilsmann zu entrichtenden Wedde versteht 
Allein, abgesehen davon, dass von einer Wedde letzterer Art in keinem 
Deutschen Rechte etwas vorkommt, so ergiebt schon die Vergleichung mit 
dem unmittelbar vorhergehenden Cap. 74 (s. Anm. 495), dass hier von der 
dem Richter zu zahlenden Wedde die Rede ist. Eher Hessen sich die 
beiden Stellen vielleicht dadurch in Einklang bringen, dass man annimmt, 
die drei Pfund Pfennige des Cap. 128 hätten den zwei Pfund (Silbers?) 
im Cap. 75 im Werthe gleichgestanden. — Andere Ansätze für die Wedde 
s. im Rig. StR. I, 3. 4. 13. H, 8. 10. 20 (4 0er bis 3 Mark), im Lüb. 
StR. II, 29. 207. 321 (4 bis 60 Schillinge). 

***) M. L. RR. c. 74: ,yWeddet ein man vor gerichte, dat schal he 
bereden bi schinender sonne. Beredet he idt nicht, so sticht dat toedde dre 
dage: des ersten dages twe pundt, des andern dages veer pundt, des drüdden 
dages acht pundt, und nicht höger. So lecht em de richter sine dage aver 
veertein nacht, höret he denn nicht, so pandt de richtet ut sinem hove edder 



99 



ß) Geriehtliehe Bürgsehaft. 

§ 35. 
Nach Landrecht muss sowohl der Kläger, als auch der 
Beklagte, dem Gerichte Bürgschaft leisten : jener dafür, dass 
er die angestellte Klage vollführe, dieser, dass er auf die La- 
dung sich vor Gericht stelle, beide für die dem Richter etwa 
zu entrichtenden Wedden**^). Das Lübeckische Stadtrecht 
kennt bloss eine gerichtliche Bürgschaft des Beklagten dafür, 
dass er vor Gericht erscheine*^''). Ebenso verpflichtet das 
ßigische Stadtrecht zur Bürgschaft nur den Beklagten, welcher 
zur Antwort auf die Klage sich eine Frist erbittet*^ ^); indessen 
kann unter Umständen von ihm aiach schon bei der Ladung die 
Stellung von Bürgen verlangt werden*^®). 



Wirke des sinen wat findet," Schmidt a. a. 0. nimmt das Vierfache der 
Nonnalzahl als den höchsten Betrag der Wedde an , weü er nicht beachtet, 
dass hier als Normalzahl die gewöhnliche Wedde von einem Pfund (== 20 
Schillingen) vorausgesetzt ist. 

t 

*••) M. L. KK. c. 125 : „De richter schal borgen hehhen van dem Meger 
und wp dem de klage geit, — is idt sake, dat se in dem stickte nicht so 
vde en hebhen — so hoch als de klage geit, dat se to rechte vorkamen, de 
schalen eres rechten up dat gerichte seen.*' Vergl. auch das. c. 105 (Anm. 
501) und 107 (Anm. 502). 

«T Lüb. StR. n, 207. Vergl. auch Art. 431. 32. 

*••) Rig. StR. II, 22: „Were dat iemant den anderen scult geve vor 
gerichte, und eme en ander richtedach geleget worde, wil hes nicht enberen, 
he 8(ü eme enen borgen setten , recht to donde, et ne si dat he hebbe erve und 
egen, dat also gut si, alse de scult. Worde he under des vorevluchtich, de 
borge sal vor eme antworden, men he hevet tut, ene to sokende iij. weken. 
Were dat et eme an dat liif geit, so ne mach he nenen borgen setten, et ne 
si mit willen des sakewolden/' 

*••) Das. n, 18: „Were dat ieman geladen worde vor den voget mit 
des Stades boden, hedde he nen erve in desser stat, wolde mens eme nicht 
vordragen, dat he antworde geve, dar vore musste he enen borgen setten J^ 
Jüngere Abschriften lesen anstatt nicht vordragen: „keinen geloven geven"; 



Die Bürgschaft muss so hoch geleistet werden, als der 
Werth des Streitgegenstandes und der etwanigen Wedden sich 
beläuft^^^). Wer daher nachweist, dass er für diesen Betrag 
Immobilien, namentlich auch ein Lehngut, innerhalb des Ge- 
richtsbezirks besitzt, der ist von der Bürgschaftsleistung be- 
freit^ ^^). Wer dagegen weder einen solchen Besitz nachzuweisen, 
noch auch Bürgen zu stellen vermag , muss selbst Bürge werden, 
d. h. er wird in gerichtliche Haft genommen, bis die Sache 
erledigt und der Richter befriedigt ist^os). 

Der Bürge ist zunächst nur verpflichtet, den Verbürgten 
vor Gericht zu stellen, und geniesst zu dem Zweck nach Land- 
recht eine Frist von dreimal vierzehn Nächten^®*), nach Eigi- 
schem Stadtrecht von vier Wochen^^*). Stellt er ihn nicht, so 
muss er Alles leisten, was dem Verbürgten vom Eichter aufer- 



daher unter dem Worte ,jVerärageW^ (welches auch in der Quelle (Eigisch- 
Hapsal'sches Eecht Art. 37) gebraucht wird) hier wohl „vertrauen" zu ver- 
stehen ist. 

^^^) M. L. RR. c. 106: „ schoUen se borge setten diso hoch, dlse 

de broke vollen mäch, dar se wp klagen.*' Vergl. auch c. 121 und 125 (Amn. 
496). Rig. StR. U, 22 (Anm. 498). 

'^^^) M. L. RR. c. 105: „Nen kleger mach borge setten, noch de, dar 
de klage up geit, de lehengudt van dem bischoppe hebben/* S. auch c. 125 
(Anm. 496). Rig. StR. II , 18. 22 (Anm. 498 und 99). 23. IV, 15 : „So welik 
man uppe worttinse sit, de ne en darf nenen borgen setten vor sctüt, de men 
eme gevet, de nicht hogere en is, den sin erve wert is boven den worttins; 
he m^ch sik mit sime erve wol beborgen.'* Vergl. auch das Lüb. StR. 11, 
432 und den Ritterschaftsrecess zu Wemel vom Jahre 1482. 

•**) M. L. RR. c. 107 : „ We nene borge en hebben mach und de ök nen 
erve heft, de schal dat recht borgen, und schäl beide, den kleger und dar de 
Mage up geit, holden alse lange, bet se mit rechte entwe kamen und dem 
richter gelik schütJ' 

w») Das. c. 117 (Anm. 534). c. 195 (Anm. 505 und 506). 

"*) Rig. StR. n, 22 (Anm. 498). 



lor 



legt wirdsos); erscheint jedoch der Verbürgte hinterher, so wird 
der Bürge seiner Verpflichtung wieder enthoben^o«). Hatte der 
Bürge sich verpflichtet, den um Schuld Beklagten, aber noch 
nicht Verurtheilten , zu einem bestimmten Termin vor Gericht 
zu stellen, und stirbt der Verbürgte vor Eintritt des Termins, 
80 ist der Bürge, sobald er den Tod des Schuldners nachweist, 
von seiner Verbindlichkeit befreitso?). Nach Rigischem Stadt- 
recht erstreckt sich die Verbindlichkeit des Bürgen, den Ver- 
bürgten vor Gericht zu stellen, in keinöm Falle über den Tod 
des Verbürgten hinaus^ ^^). — Stirbt ein Pferd oder Stück Vieh, 
für 'welches der Bürge zu haften übernommen , so braucht er 
nur die Haut des gefallenen Thieres beim Gericht einzuliefern, 
um jeder ferneren Haftung ledig zu sein^o»). 




l) Urtheil. 

.§36. 

Wenn beim Manngericht Klage und Antwort vorgetragen. 
Beweis und Gegenbeweis beigebracht waren, wandte sich der 



*ö*) M. L. KR. c. 195: „We borge wert eines mannes vor gerichte to 
bringende, und mach he siner nicht hehben, als he en vorhritigen schal, he 
mot heteren na dem, dat jenne beklaget was/' Rig. StR. a. a. 0. 

•*•) M. L. RR. c. 195: „Kumpt överst de gebörgede man vor gerichte 
to rechter tidt und büt sik dar to rechte, he heft sinen borgen gelöset. Rig. 
StR. m, 3. 

•*') M. L. RR. c. 196: „Is he överst umb schult beklaget und noch 
nickt up en gewonnen is, stervet he binnen den dagen, men schäl en nicht 
vorbringen: ift de borge sinen dodt sülf drüdde betügen mach, so is de 
borge leddidi; sin erve antworde vor de schuldt.^ 

»**) Rig. StR. ni, 4: „Borget en man, den anderen vor gerichte to 
bringende to ener bescedenen tut, und stervet de borgede m>an under dere 
Uit, de borge de ne da/rf dar nene noth umme liden, mach he dat betugen, 
u/nd des doden erven scoln de scult gelden, de sin erve upboret,'* 

»••) M. L. RR. c. 196 a. E. 



Richter an den Urtheilsmann , und forderte ihn auf, mit den 
umher stehenden^^®) guten Mannen — Urtheilem, Geschworenen 
(§ 4) — abzutreten, und über die angehörte Klage und Antwort 
ein Urtheil zu finden^ *^). Auf solche Weisung des Richters 
eschet der TJrtheilsmannn die TJrtheiler zu sich, entfernt sich 
mit ihnen, sie erwägen (wrögen) die Sache, und was sie dann 
als Recht finden, bringt der Urtheilsmann wieder ein, und 
eröffnet es laut dem Richter und den Parteien. Sind letztere 
mit diesem Ausspruch' zufrieden, so danken sie dem Richter, 
und das Urtheil geht, wenn es nicht auf der Stelle angefochten 
wird (§ 41) j in die Rechtskraft über und bindet unwiderruf- 
lich ^^ 2) Ueber die ganze Verhandlung, mit Inbegriff des 



**®) In der Urkunde des Harrischen Mannrichters vom 6. Mai 1501 
(Brieflade No. 617) heisst es: ,^Hierauf wies ich Richter obgenannt den 
Urtheilsmann ab mit den guten Mannen, die da umher standen, die 
das Urtheil theilen (delen) sollten." 

«11) Vergl. das mittl. L. RR. 110. Fabri S. 48: „Item wermer nu 
"klage und antwert also jegen einander ingevört, gehruket tmd vuUentagen, 
betois, wedderhewis, tüchenisse, segel und hreve, van biden siden ingdecht, 
unde int recht averantwerdet is, so spreke de richter to dem ordelsnumne: 
„Her ordelsman! tredet af mit mines G. F. und heren gesworen, unde vindet 
ein recht up desse angehörte klage und antwert,** S. auch die Brieflade No. 
617. 995. 1011. 

•**) Fabri fahrt a. a. 0. S. 49 fort: „Item ujp solken hevel des richters 
80 eschet de ordelsman des Tieren gesworen gude manne to sik, und Predt 
mit en af, wröget mit en de sake, und wes se dar to rechte vinden, dat 
bringet de ordelsmann wedder in, na solker gestalt: „Her richter! dewüe gi 
mi in solker säken, u/mme ein recht to vinden, mit mines gnedigen forsten 
wnd heren gesworen afgemset, so hebben wi de saken na vormige klage und 
cmtwerde getvröget, und da/rup to rechte gevunden also: Na deme de Meger 
sine ansprake mit vullenkamen bewise, lofwerdigen segeln und breven, so 
weidig bekreftiget, dat des antwerders vormende behelp und wedderwere 
darentjegen nicht bestan möge, so schal de kleger solker siner segel wnd 
breve to rechte geneten, und dorch solke beantwerdinge sines rechten nenes- 
weges geleitet sin." — Item wenner de ordelsman de sententie also inge- 
bracht, welker pari ein benögent dar anne heft, bedanken dem rediten. Item 
80 nu dat wedderpart solk dankent nicht bispraket, und nimt den sUUe 



103 



Urtheils, wurde sodann der Partei, %elche es verlangte — 

wenigstens in der späteren Zeit — ein vom Richter und seinen 

Beisitzern besiegeltes ProtocoU oder Gerichtsschein ausgefer- 
tigt5i3). 

Durch das Urtheil wurde in der vorstehend angegebenen 
Weise in der Hauptsache allendlich erkannt, wenn von den 
Parteien, wie es im späteren Recht Regel war (§ 27), Beweis 
und Gegenbeweis geführt worden war. War letzteres noch nicht 
geschehen, hatten namentlich die Parteien sich die Beibringung 
von Zeugen vorbehalten , oder fragte es sich erst — • insbesondere 
nach dem älteren Recht (§ 26) — wer näher zum Beweise sei, 
wer den Eid zu leisten habe, ob dieser allein oder mit Eid- 
helfern zu schwören sei, so musste natürlich das Erkenntniss 
erst hierauf gehen, ein sog. Beweisurtheil gefunden werden 
(§ 28), in welchem dann aber allerdings auch die Entscheidung 
in der Hauptsache mit enthalten war^^*). 

Ueber die rechtliche Stellung des TJrtheilsmannes und der 
ürtheiler in Beziehung auf das Urtheilfinden ist bereits oben 
(§ 4 und 13) das Nähere angegeben worden. Man ersieht daraus, 



stoigende an, edder leth den ungebispraket, dat he den nicht von stunde an 
bescheidet vor dat overste recht, so geit de ingebrachte sententie in ere kraft, 
und bindet unwedderröplik," Vergl. auch das mittl. L. RR. c. 124 und die 
Brieflade a. a. 0. 

"«) Fabri S. 50. Briefl. No. 617. In Harrien und Wierland sollte 
auch der Hauscomthur den Gerichtsschein besiegeln. Wenn er sich jedoch 
dessen weigerte und dafür Zahlung verlangte, genügten auch die Siegel 
des Richters und der Beisitzer. Beliebung der Harrisch - Wierischen Ritter- 
schaft aus dem Anfange des sechszehnten Jahrhunderts. 

"*) Es ist bereits von 0. Schmidt a. a. 0. S. 76 Anm. 304 bemerkt 
worden , dass seit dem Anfange des sechszehnten Jahrhunderts das Urtheils- 
buch des Harrisch - Wierischen Landesrathes regelmässig Enderkenntnisse 
enthalt, während die früheren Erkenntnisse grösstentheils Beweisurtheile 
sind , und solche , in denen auf den Eid der Partei erkannt wird. 



104 



dass sie nicht bloss übet die Thatsache, sondern insbesondere 
^ auch über die Rechtsfrage zu entscheiden hatten. In dieser 
Beziehung wird ihnen namentlich zur Pflicht gemacht, in ihren 
Erkenntnissen sich gleich zu bleiben, daher in gleichartigen 
Sachen ältere Präjudicate, nicht nur desselben, sondern auch 
anderer Gerichte des Landes, sich zur Richtschnur zu nehmen* ^*^). 
Dass im Falle einer Meinungsverschiedenheit unter den Urtheilem 
die Stimmenmehrheit entschied , ist zwar nirgends ausgesprochen, 
indessen mindestens sehr wahrscheinlich. 

Ueber das Urtheilfinden bei den Stadtgerichten fehlt es 
zwar fast ganz an Nachrichten: allein man kann annehmen, 
dass es dem Verfahren bei den Manngerichten ähnlich war. 
Das Rigische Stadtrecht bestätigt nur den Satz, dass ein nicht 
sofort angefochtenes Urtheil rechtskräftig wird*^^), und ein 
Ordel des Rathes zu Lübeck sprlfcht die Verpflichtung des Rich- 
ters aus, der Partei, auf deren Verlangen, eine Ausfertigung 
des Urtheils auszureichen*^''). 

m) Bewahrung und ünweLnmg. 

§37. 

Ist das Urtheil rechtskräftig geworden, so darf der ob- 
siegende Theil nicht eigenmächtig dasselbe vollstrecken, indem, 
der Regel nach*^**), alle Selbsthülfe verboten ist*^^). Vielmehr 



•") Fabri S. 38 fgg. giebt den Parteien sehr ausführliche Anweisung, 
wie sie sich in dieser Beziehung zu verhalten und selbst auf ältere Prä- 
judicate hinzuweisen haben. S. auch noch v. Bunge 's Einleitung in die 
Keehtsgeschichte S. 85 fg. 

•") Big. StR. 1 , 5 : „ so wat ordel vor deme richte gevunden 

wert, und de to antworde is, deme dat angeü, und wedderredet he dat da/r 
nicht, et hlift al stede, 

»") Michelsen a. a. ü. No. 31. 

*") Die in dem älteren Recht erlaubte Fehde bezog sich nur auf Gri- 
minalsachen. S. v. Helmersen, Geschichte des Adelsrechts § 21 fgg. und 



105 

geschieht die Vollstreckung auf seine Bitte durch den Richter^^o), 

Zu diesem Zweck musste beim Manngericht der obsiegende Theil 

gleich nach gefälltem Urtheil, wenn der Gegner dasselbe nicht 

angefochten, sich deshalb bewahren oder verwahren^^i). 

„was er gewonnen und der Gegner verloren haben werde, wenn 

letzterer das Urtheil nicht erfüllen würde?" und sich darüber 

^ine Anweisung erbitten. Auf die einzelnen, formell genau 

bestimmten Fragen des Siegers bringt der Urtheüsmann - 

gleichfalls in einzelnen, formell bestimmten Antworten — ein: 

„der Gegner solle der Sache niederfallig sein, und der Richter 

die niederfällige Sache binnen dreimal vierzehn Tagen, oder 

wenn es ihm gelegen sein würde, am Orte der belegenen Sache, 

ausrichten" ^2 2) Auch die unterliegende Partei konnte sich 



unten § 54. Ausnahmsweise durfte übrigens auch für privatrechtliche Ver- 
hältnisse von den Parteien Selbsthülfe verabredet werden für den Fall, 
dass die eine ihren vertragsmässigen Verbindlichkeiten nicht nachkam. 
Zahlreiche Beispiele davon liefert die Brieflade (s. das Sachregister S. 303 
u. d. W. Vertragsmässige Selbsthülfe). — Dass der Gutsherr seine ünter- 
thanen selbst auspfönden durfte (mittl. Livl. RR. c. 98 u. 99), ist nicht 
sowohl erlaubte Selbsthülfe, als vielmehr Ausfluss der gutsherrlichen Ge- 
richtsbarkeit. 

619J Verordnung des Legaten, Bischofs Wilhelm von Modena, vom 
1. August 1238 (ÜB. VI. Reg. S. 9. No. 181 , a). Ritterschaftsrecess zu 
Wemel vom J. 1482. Rig. StR. II, 4. Vergl. auch schon das älteste Rig. 
StR. Art. 1 und 33, und die verschiedenen Rigischen und Reval'^chen Bur- 
spraken. S. unten Anm. 681. 

•") S. ebendas. und Fabri S. 83, insbesondere aber unten § 38. 

»") Fabri S. 52. 74. 80. 0. Schmidt S. 78. 

***) Das. S. 50: „Item so leih sik d^enige, dem de sente^itie tom besten 
gevaüen und gedanket heft, richüike anwisinge don, wnd sprekt also: „Her 
ruMer! Ift min wedderpart desser ingebrackten sententie nicht allenthdlven 
genoch und dem danke egenütken volgen dede, wat schäl ik darmede gewunnen 
und he darmede vorlaren hebben?" So antwerdet de ordelsm^an: jyHe schal 
der sahen neddervellich sin**.^^ S. 52: „So fragestu vort- „Wol schal de 
nedderveUige sdke utrichten?^ Antwerdet de ordelsman: ,yDat schal don de 
richterJ* Fragestu toider: „Wor schal de txtfrichtinge gesehen?** De ordels- 



106 

bewahren und um Anweisung bitten, für den Fall, dass der 
Sieger die ihm etwa auferlegten Bedingungen nicht erfüllen sollte. 
Da lautet denn die Antwort des Urtheilsmannes auf die erste 
und Hauptfrage, was gewonnen etc. dahin: „die unterlegene 
Partei solle der Beschuldigung nothlos sein" ^23)^ Ueber die 
ganze Verhandlung wird sodann der Partei, welche sich bewahrt, 
ein Protocoll auf Papier, oder, wenn die Partei es wünscht, auf 
Pergament, ausgefertigt, und in dieses Protocoll — falls es 
nicht schon früher besonders ausgereicht worden — auch das 
Urtheil aufgenommen 524). 

Ob eine solche formelle Bewahrung und Anweisung auch 
bei den städtischen Gerichten üblich war, darüber fehlt es an 
Nachrichten. 

n) Vollstreoktmg des Urtheils. a) Verfahren Im Allgemeinen. 

§38. 

Vor Ablauf der in der Anweisung angeordneten Frist von 
dreimal vierzehn Tagen (§ 37) musste der Sieger, wenn der 



man antwerdet: „Dar de sähe gewandt sin.'* So fragestu vordan: „TFb kort 
und wo la^k dat de utrichtlnge gesehen schal?" De ordelsma/n antwerdet, 
fyBinnen dren vertein dagen edder wenner de richter gemoih is".'* Dass diese 
Formalität in jedem Falle genau beobachtet wurde, beweisen zahlreiche 
mannrichterliche Anweisungen in der Briefiade: No. 331. 359. 365. 612. 
669. 670. 864. 911. 1011. 1151. 1174. 1303, 1338. 1355. 1412. üeber die 
sechswöchentliche Frist s. auch noch das Privü. des Bischofs Johann Kievel 
von Oesel v. 15. Decbr. 1524. 

*'*) S. die mannrichterliche Anweisung in der Brief lade No. 668. 

***) Fabri S. 50: „Item wenner du nu de anwisinge also genamen 
heffst, so nim des einen vorsegelden rkhteschin van dem richter, da/r du solke 
afspröke des orddsmans mede insetten most, und ok de anwisinge des dankes; 
wenn dat gesehen is , so is die sententie vüUenkamen , und hlivet stede jo 
sowol, ift se van dem oversten rechte gevellet." In den in der Brieflade ent- 
haltenen Anweisungen (Anm. 522) sind die bezüglichen Urtheile immer 
mit aufgenommen. 



107 



Gegner dem Urtheil nicht Folge geleistet, den Mannrichter um 
Anberaumung eines Termins für die Ausrichtung (täricktinge), 
d. i. Vollstreckung des TJrtheils, bitten^ ^ 5 )^ Versäumte er diese 
Frist, so musste die Anweisung wiederholt werden^ ^ 6)^ 

Zu dem auf das Gesuch der obsiegenden Partei demnächst 
anzusetzenden Termin, welcher auch dem Gegner rechtzeitig 
kundgethan wurde^^''), erschien das vollständig besetzte Gericht 
in der Wohnung oder auf dem Gute des Verurtheilten^^s) Dq^ 

Sieger leistet hierauf dem Richter die Caution, ihn in Allem 
schadlos zu halten, und bittet ihn, den Gegner zu eschen. 
Nachdem letzteres geschehen, lässt der Richter — der Gegner 
mag erschienen sein oder nicht, und in ersterem Falle ohne 
Rücksicht auf irgend welche Einwendungen desselben^^o) __ ^^g 



***) Das. S. 84: „Bidde derhdlven, dat gi (her richter) van wegen des 
rechtes mi eine tidt leggen, wenner idt ju bequeme und ä/rechlik is, dat gi 
mi de utrichtinge don willen.'^ 

"•) Brieflade No. 755. 761. 

•") Fabri S. 85: „Item wenner nu de richter di solke tidt angesettet, 

80 mot de richter idt dineni wedderparte ök Ude genoch hevome voruntliken, 
dat he sik ok möge darna weten to säten.'* 

"*) Ebendas. S. oben § 6 Anm. 61. 

•*») Fabri S. 85: „Item darna sprek: „Her richter! Ik hegere van 
wegen des rechten, dat gi allhir to rechte voreschen minen wedderpart, den 
erbaren Claves N,, to seende v/nd to hörende, dat der gewunnen afspröke 
genoch geschee/* Item so hevet de richter an: „Clawes N.! Ik esche ju all- 
hir van rechtes wegen vor gerichte, dat gi mögen hören und seen, dat ju 
recht wnd nicht to na geschüth in utrichtinge v/nd vorvolginge jegenwerdigen 
afsprökes/* So dat wedderpart erschinet und schöne vele inrede wedder de 
utrichtinge brücken wolde, schäl sik de richter nicht hindern taten, und 
nemen caution edder handlöfte van dem vörderenden parte, dat he eme 

schadlos holden will, Item so dat wedderpart nicht dar queme und 

up solke eschinge vor gerichte ersehene, so spreke de, de den Jifspröke ge- 
wunnen heft: „Her richter! Bemle gi min wedderpart allhir to sinde up 
desse tidt vorschreven, to seende und to hörende, dem afspröke genoch to 
scheende, und nu dorch dre stemmen to rechte egentlik geeschet, und hir dem 
rechte ungehorsam, und nicht erschinet, dewile ju van dem oversten rechte 



108 



Urtheil und die Anweisung laut verlesen, und fordert den Ur- 
theilsmann auf, „ein Recht einzubringen". Erklärt der Urtheils- 
mann, nach Rücksprache mit den Urtheilern, das Urtheil „bei 
Macht", so schreitet der Richter sofort zur Ausrichtung^*®), 
welche verschieden ist, je nachdem die Klage auf ein Gut (§ 39) 
oder auf Schuld (§ 40) gerichtet gewesen. 

ß) Urtheilsvollstreoktmg in ein Immobil. 

§39. 

War die Klage auf ein Gut gerichtet gewesen , so geschieht 
die Ausrichtung durch Einweisung des Siegers in den Besitz 



de walt und macht gegeven und hevalen, der afspröJce entliJc execution to 
dönde, und nu derhälven ju to gebruhende, hirher van wegen des rechten 
beleden laten, so bidde ik van wegen des rechten, gi dem rechte volge und 
der afspröJce genoch don, und mi in minem rechte nicht vertögernJ' Auch 
eine Appellation ist im VoUstreckungs verfahren „machtlos". Brieflade 
No. 719. 

»30^ Für den Fall , dass der Gegner erschienen und der Sieger Caution 
geleistet, sagt Fabri S. 86: „Item wenn dat gesehen, so do de richter 
deme vorderen parte, ludes siner afspröJce, utantwerdinge , unangeseen aller 
inrede, allene dat he siJc in allen dingen nicht wider edder vorder heft, alse 
de afspröJce vormach, edder de richter moth darvor stan/^ Ist der Gegner 
nicht erschienen , so giebt Fabri S. 87 nachstehende Anweisung : „Wenner 
nu de richter averantwerdinge don will, so nenie de richter de afspröJce vor 
siJc, und lote de luder stemme vor dem gehegeden gerichte lesen, und wenn 
de afspröJce gelesen is , und spreJce denne : „Hebhe gi desse afspröJce oJc mit 
ricJiüiJcer anunsinge bevesten laten?** So spreJce dat part: „Ja**. So esche 
de richter de amoisinge und lote denn de oJc lesen, und wenne de denne nu 
gelesen is, so spreJce de richter: „Peter N.! Dewile gi dit landt, lüde edder 
wat idt is , mit rechte gewuwnen , und solJc juwe gewunnen recht mit desser 
juwer vorsegelden afspröJce aXhvr vor gerichte geborliJc na rechte war gemaJcet, 
hir beJcenne ik mit minen hisitteren to rechte, de ordelsman mit mines G, H, 
geswaren gudemannen, to dessen säJcen vorschreven, utreden, siJc bespreken 
u/nd bi eeren eden ein recht inbringen. Wenne nu de ordelsman und toge- 
gevene gudema/ume sik besproJcen, erJcennen den afspröJce ut dem högesten 
rechte U macht, dat dem volge gesehen schölle, Hirup etc,** S. die folgende 
Anmerkung. 



109 



des Gutes, oder — wie es bei Fabri heisst — durch Ueberant- 
wortung von Land und Leuten an die obsiegende Partei^ ^^). In 
Harrien nnd Wierland fand seit dem sechszehnten Jahrhundert 
bei der Vollstreckung eines im Ungehorsamverfahren (§ 33) er- 
gangenen Urtheils nachstehende Procedur statt: Der Richter 
wies den Sieger in den Besitz eines dem Gegner gehörigen 



"^) Fabri S. 88: „Hirup hevet de manrichter sin ordel an also: 
fyDetoüe in dessen sahen rechtes art, forme und ivise der landlöpigen rechte, 
im anvange, middelen und ende gehruket und geholden, und des hocMv. mines 
gnedigen forsten und heren afsproke vorgesegelt, utgegan und entfangen, 
darmede juwe recht hestediget und hekreßiget, erkenne ik mines G. H. af- 
sproke in allen articülen und puncten bi macht, und in kraft des sulftigen 
utrichte und averantwerde juw(e) landt und lüde, so with unde so hreth de 
suLftige afsproke mines G. H. sik strecket, düdet (lüdet?) und inholdt, und 
nidht vnder, darinne ik mi heware, darvan ik öpentlik protestere, und wil 
hirmede desse juwe sake vor ein volTkamen recht entlik heslaten hebben.*' 
Desses ordels ddstu dem richter danksegginge und begerest des einen rieht- 
liken schin, mit des mawrichters und sines bisitters segelen vorsegelt; darmede 
hefstu din recht gewunnen.'* Wegen des übrigen Verfahrens verweist Fabri 
S. 89 auf die Notorietät. Wir finden dasselbe sehr ausführlich geschildert 
in einer Urkunde des Dörpt'schen Mannrichters vom 29. April 1471 (Briefl. 
No. 289), kürzer in einer alten Notiz im Archive des Wier- und Jerw'schen 
Manngerichts (Inland Jahrg. 1836 Sp. 218), welche so lautet: „Erstlich 
wenn einem Mannrichter auferleget, einem Part eine Ausrichtung zu thun, 
80 muss der Bichter mit sich führen lassen eine Bank , darauf drei Mannen, 
der Mannrichter mit seinen zwei Beisitzern^ sitzen können, auf der Bank 
ein Kissen, soweit die Bank lang ist, dem Mannrichter 2 oder 3 Gulden 
ins Mittel, und den Beisitzern auf jede Seite einen enkeden oder 1 Gulden. • 
Wann der Mannrichter für den Hof kömmt, recht für die Pforten, denn 
wird die Bank darhin gesetzt und wird die Absprüche abgelesen. Wenn 
das geschehen, so gehet der Mannrichter an die Pforten und nimmt den 
Mann bei der Hand und die Absprüche und drückt mit der Schrift an die 
Pforte Post. Wenn das geschehen , spricht der Mannrichter zu dem , wel- 
cher den Abspruch oder Sache gewonnen hat: „Mit Recht setze ich Dich 
hierein". Demnach wird der Mannrichter seinen Stuel wieder setzen lassen 
vor die Haus- oder Stubenthüre, und nebst seinen beiden Beisitzern sich 
gleichfalls dahin setzen, und denn auch mit der Hand und Schrift an die 
Thürschwell^ drücken. Wenn solches geschehen, so gehöret dem Parte, 
welcher die Sache gewonnen hat, Alles zu, was in demselben Hof ist, 
nichts ausbeschieden." Vergl. noch Briefl^ide No. 248^255. 719 u. a. 



110 



besetzten Gesindes mit einem Haken Landes ein, der Werth 
des Streitgegenstandes mochte sein, welcher er wollte. Der 
Sieger behielt den Besitz und Niessbrauch des Gesindes bis zum 
nächsten Manntage; wenn der Gegner auch auf diesem nicht 
erschien, so erfolgte die Vollstreckung des Urtheils bis zum 
vollen Betrage, ohne weiteren Rechtsgangs^s). 

In den Städten gebot der Richter dem unterlegenen Theile, 
nach Verlauf einer Frist von sechs Wochen aus dem dem Sieger 
zuerkannten Immobil „auszufahren", und wenn jener solchem 
Befehl nicht Folge leistete, wurde er — nach zweimaliger Wie- 
derholung des Gebotes — „in den Thurm gesetzt", die Einwohner 
des Hauses wurden „herausgetrieben" und das Haus dem ob- 
siegenden Theile „geweidigt", d. i. eingewiesen^^^). 

y) ürtheilsvollstreoktmg in das Mobiliar und gegen die Person 

des Sehuldners. 

§ 40. 

War um Schuld geklagt worden , so wurde der unterliegende 
Theil, wenn er in dem ihn anberaumten vierzehntägigen Termin 
nicht Zahlung leistete, „ausgepfändet", d. h. der Richter begab 



^ *'*) Beliebung der Harrisch - Wierischen Ritterschaft vom J. 1500 (bei 

0. Schmidt S. 85 Anm. 333): „Welker gude man up den andern nedder- 
f eilige sähe kricht, si seint so hoch als sie können: vor die nedderf ellige sake 
schal he sik nicht mehr utrichten laten, den ein hesettet gesinde mit einem 
haken landes. Bat schal he hruken, als dat gesinde mit dem haken landes, 
het an den andern gemeinen dach, und antwordet he em töm andern gemeinen 
dage nicht, so schal de cleger den werdigen herrn und achtbaren rade io 
erkewnen geven wnd afspreken laten. Dat schal gerichtet bliven und die 
richter schal vor die ganze sache utrichtinge don und schal kein rechtgang 
sein,** Ein besetztes Gesinde mit einem Haken Landes wurde nach der- 
selben Beliebung 100 Mark gleichgeachtet: daher heisst e& bei Fabri 
S. 11: „Neddervellige sake in Harrien und Wirlande is hundert mark,*^ 

"») Big. StR. IV, 5. Vergl. das Lüb. StR. U , 146 und 144. 



111 



sich in des Schuldners Wohnung und nahm Gegenstände seines 
beweglichen Vermögens für den Betrag der Forderung als Pfand 
in Beschlag. Während eines in den Land- und Stadtrechten 
^verschieden bestimmten Zeitraumes konnten dann die gepfän- 
deten Sachen von dem Schuldner oder von einem Dritten für 
ihn noch ausgelöst werden; geschah dies nicht, so wurden die 
Pfander veräussert und der Gläubiger aus dem Erlöse befrie- 
digt^^*). Hat der Schuldner kein Mobiliarvermögen, und kann 
er dies eidlich erhärten , so wird dem Gläubiger dessen Immobil 
verpfändet und darin in ähnlicher Weise die Execution voU- 
zogen^^s)^ Kann endlich der Schuldner auch auf diese Weise 
seinen Gläubiger nicht befriedigen, noch Bürgen stellen, so wird 
dem Gläubiger die Person des Schuldners „als Pfand" überant- 
wortet. Man nannte dies auch Uebergabe „zu Eigen" oder 
„zu Hand und Halfter", und dies Verhältniss begründete eine 
förmliche Schuldknechtschaft. Nach Landrecht musste der Gläu- 
biger den ihm dergestalt übergebenen Schuldner mit Speise und 
Arbeit gleich seinem Gesinde (Dienstboten) halten, durfte ihn 
auch — besonders wenn er einen Versuch zur Flucht machte 



"*) M. L. RR. c. 117: „Klaget jemant aver einen man umb schult, 
dat he nicht jegenwerdich is, men schal idt eme entbeden van gerichtes wegen, 
dat he idt gelde hinnen veertein nachten, edder dat he de schuldt mit rechte 
untrede. Deit he des nicht, men schal en panden, und dat pand schal msn 
to borge don d/ries, immer je um veertein nacht, iß men des geredt to borge. 
Beredt m^en des nicht, men schal idt doch holden sös weken unvordan. 
Entredet de jenne de schuldt binnen der tidt, darna mach he se nicht ent- 
reden, idt en beneme denne nodt, so schal msn dat pand utsetten vor de 
sdiuHdt, ifl men idt darvör utsetten m>ach, edder vorköpen idt Blift dar 
ichtes aver, dat schal men eme wedder geven. Entbreket dar ok ichtes an, 
men schal en aver panden, het so lange de jewne sin gelt hebbß. Were idt 
överst also, dat de jenne nicht jegenwerdich en were, so schal idt em de 
richter to entbeden drie, to veertein nmhten, und hetalet he binnen der tidt 
nicht, so schal de richter don, als borgen recht is/' Vergl. auch c. 97. 107. 
- Rig. StR. II, 17. - Lüb. StR. II, 144. 156. 

*") Rig. StR. n, 24. Lüb. StR. lU, 364. 



112 



— fesseln, sonst aber auf keine Weise peinigen^^e). Nach dem 
Rigischen Stadtrecht wurde der Schuldner, wenn die Schuld einen 
Ferding übersteigt, in des Stadtboten Haus (Schuldgefangniss) 
gesetzt, und zwar auf Wasser und Brod, wenn der Gläubiger 
ihm nichts Anderes geben wollte. Will ihn der Gläubiger in 
sein Haus nehmen, so muss- er ihn in der oben angegebenen 
Weise behandeln: vom Fesseln ist jedoch im Rigischen Recht 
nicht die Rede^^'). Das Lübecker Stadtrecht stimmt im Wesent^ 
liehen mit dem Landrecht überein^^^), gestattet aber auch nicht, 
den Schuldner wegen einer Forderung von acht Schillingen und 
darunter zu Eigen zu geben 5^^). Diese Schuldknechtschaft 
dauerte so lange, bis Zahlung geleistet wurde^*®). Wenn der 
Gläubiger den Gefangenen früher freiwillig entliess, so wurde 
letzterer dadurch seiner Schuld keinesweges ledig^*^), vielmehr 
durfte sich der Gläubiger seiner mit richterlicher Hülfe jeder- 
zeit wieder bemächtigen^* 2)^ 



^^•) M. L. RR. c. 218: „TFe schuldt vordert up einen man vor gerichie, 
der he nicht gdden mach, noch borgen selten, de richter schal em den man 
antworden vor dat geld, und also schal he &n holden, geliJc sinem gesinde, 
mit spise und mit arbeit; wü he en spannen mit einer helden, dat mach he 
don: anders en schal he en nicht pinigen.'* \Vergl. auch c. 107. 

**^) Rig. StR. I, 10: „So we scult vorderet up enen man, de nicht vor 
gdden mach, noch borgen setten, boven I. verdunc, und bekennet he der 
scult, de voget säl eme den mmi antworden vor sin gelt, und den sal he 
setten to des Stades boden hus, tmd säl eme geven water und brot; wü he 
eme anders geven, dat licht an deme sakewolden. Wü de sdkewolde ene in 
sin hus nemen, dat sal he dun, mit volbort des vogedes/* 

"8) Lüb. StR. II, 75. 164. 

»»») Das. II, 212. 

**®) Vergl. noch v. Bunge, Entwickelung der Standesveriiältnisse 
S. 11 fg. 27 fg. 

•*^) M. L. RR. c. 218 fährt in der in der Anm. 536 ausgezogenen 
Stelle fort: „Leih he en loss edder entlopet he em, darm^ede en is he des 
gddes nicht leddich; dewile he em nicht gegulden en Tieft, so is he sin pant 
vor dat gelt*' Rig. StR. 1 , 10. Lüb. StR. TL , 75. 

«*2j Vergl. überhaupt Grimm 's Rechtsalterthümer S. 613 fgg. 



113 



2. ürtheilsoheltung. Verfahren in der zweiten Instanz. 

a) Ürtheilsoheltung. 

§ 41. 
Derjenige, dem das gefundene Urtheil nicht richtig gefunden 
schien, durfte dasselbe anfechten, was man „das Urtheil schel- 
ten, bescheiten, strafen, redargiter&', nannte. In Lateinischen 
Urkunden findet sich dafür schon früh der Ausdruck appellare^ ^^)^ 
und gegen den Schluss dieses Zeitraumes wird die Benennung 
„Appellation" auch im Deutschen gebraucht^**). Zur Ürtheil- 
soheltung oder Appellation sind nur die unmittelbar betheiUgten 
Parteien, so wie Diejenigen befugt, denen sonst durch das Ur- 
theil irgend eine Schuld beigemessen oder eine Verbindlichkeit 
auferlegt worden ist^^^). In Lehnssachen durfte nur ein Vasall 
ein Urtheil schelten; wer nicht Vasall war, musste durch einen 
Vasallen Bürgschaft leisten^ *^). 



"•) S. z. B. die ürkk. des Legaten, Bischofs Wilhelm von Modena, 
vom August 1225 im ÜB. No. 73, b. und 74. 

"*) S. z. B. Fabri S. 108. 

«^«3 M. L. RR. c. 124 (s. Anm. 547). 128. Rig. StR. I, 5. Lüb. StR. 
^^>111. 117: „Ddt ordel, dat de ratman utsendet, dat ne mach neman 
Scheiden, mer de sakewolde und de, deme men schult hevet gegeven/ 
^abri S. 50 (Anm. 551). — Dass, wie in anderen Deutschen Rechts- 
ffebieten jener Zeit, jedem Gerichtseingesessenen gestattet war, ein Urtheil 
^^ schelten (Eichhorn's Deutsche Rechtsgeschichte § 385. Grimmas 
'^©chtsalterthümer S. 865), davon findet sich im alten Livland keine Spur, 
^ohl aus dem Grunde, weil das Verfahren beim Urtheilfinden ein wesent- 
**oli verschiedenes war. Dem Richter war das ürtheilschelten ausdrücklich 
^^tersagt: m. L. RR. c. 214 (s. oben Anm. 16). Dennoch findet sich hier- 
von ein Beispiel in der Briefl. No. 543 a. E. 

•*•) M. L. RR. c. 244, wo es nach den in der Anm. 112 ausgezogenen 
Worten heisst: „Men ordel siner man en moüi he nicht scheiden, he sette 
^^gen einen helehenden man des heren" 

Bunge, Geschichte des Gerichtswesons. 8 



114 



Das Urtheil muss, sobald es von dem Urtheilsmann aus- 
gesprochen worden, auf der Stelle (altohand, von stunde an, 
ungewandten Fusses) gescholten w^erden, wenn es nicht die 
liechtskraft beschreiten solP^'^). Letztere wird also durch das 
Urtheilschelten unterbrochen, die Vollstreckung des gefundenen 
Urtheils ausgesetzte*^), und die Sache an den hohem Richter 
— die zweite Instanz — gebracht. Dies heisst in den Bechts- 
(luellen: die Sache an den Oberrichter „ziehen'', in den Städten: 
„das Urtheil auf das Haus vor den Rath schelten" e*^). In den 
Städten wurde beim Schelten des Urtheils von dem Scheltenden 
dem Unterrichter eine Summe Geldes oder ein Ring, unter der 
Benennung eines Urtheilspfandes, erlegt^^**). Das Schelten 
des in der ersten Instanz gefundenen Urtheils darf keiner Partei, 
aus keinem Grunde, verwehrt werden^^^). Wer aber ein „rech- 



**') Das. c. 124: „Welk man nicht ein ardd bescheldt (üthöhandt, dat 

em antredt, (dat) moth stede hliven" Rig. StR. I, 5: „ so wai 

ordd vor deme richte gevunden werty und de do antwerde is, deme dat an- 
geit, und wedderredet he dat dar nicht, et hlivet al stede.^ Fabri S. 50 
(Anm. 551). Ordele bei Mich eisen No. 1. 45. Brieflade No. 1255. 
Hezel, de remedii ajppellaiionis indole ac forma (Dorpati 1814, 8.). S. 11 
und 20. 

•^"j Fabri S. 108. Vergl. auch das Schreiben des Bischofs von Dorpat 
an den Revaler Rath vom 21. Juni 1420 im ÜB. No. 2481. 

»*»j M. L. RR. c. 128. 129. Rig. StR. I, 3. n, 3. Lüb. StR. II, 55. 
111. Fabri S. 50. 62 u. a. 

«») Ordele bei Mich eisen No. 52. 202. Hezel a. a. 0. S. 11. 
20. 22. 

***) Fabri S. 50: y,Item darentjegen deme de sententie nicht ervolgety 
is unvorplichtet , de antonemende, und de mach de van stundt an, so fro se 
ingebracht y bescheiden , dat mach nemande gewert werden. Godt gece de 
bescheldinge geschee to rechte edder unrechte, dar licht nicht anne, se is 
einem jedem parte fry, de se gebruken toü." Ueber eine Ausnahme s. oben 
Anm. 529 a. E. Die ürtheilscheltung war — wenigstens gegen das Ende 
dieses Zeitraumes — so gewöhnlich, dass, wie Fabri S. 54 hinsichtlich 
der Manngerichte bezeugt , unter hundert Sachen nicht eine bei dem Unter- 
richter erledigt wurde. 



115 



tes", d. h. ein richtiges, gerechtes, Urtheil gescholten — was 
sich freilich erst aus dem Erkenntniss der höheren Instanz er- 
giebt — verfällt in eine Wedde an den Unterrichter^^^). 

Nachdem die betheiligte Partei das Urtheil gescholten , muss 
sie — wenigstens nach Landrecht — sich vom Richter eine 
.,Anweisung'* darüber erbitten: „was derjenige, der der Beschel- 
tung nicht folgt (d. h. sich zu der Verhandlung der Sache vor 
dem Oberrichter nicht einstellt), damit verloren und der Gegner 
damit gewonnen haben solle?" Die von dem Urtheilsmann ver- 
langte und darauf eingebrachte Antwort lautet, ähnlich wie bei 
der oben (§ 37) erwähnten Anweisung, dahin, dass der nicht 
folgende Theil sachfällig sein soUe^^^.). Hierauf erhält derjenige, 
(Jer das Urtheil gescholten, über diese Verhandlu,ng ein von den 
Gerichtsgliedern besiegeltes Protocoll, und alle von ihm dem 
Richter etwa überreichten Schriften und Documente werden ihm 
wieder ausgeliefert^^*). 

b) ZvLg an den Oberriohter. 

§ 42. 
Wer ein Urtheil gescholten, ist auch verpflichtet, die Sache 
an den Oberrichter zu „ziehen'' und vor demselben auszuführen, 
und darf davon ohne Genehmigung des Gegners und des Unter- 



"2) M. L. RR. c. 75. 128. 245. Rig. StR. I, 3. 4. Lüb. StR. 1, 32. 
U, 29. S. auch oben § 34. 

653j ■\yar (Jas ürtheü nur in einem Nebenpunkt gescholten, und der 
Gegner will dem Appellanten nicht vor den Oberrichter folgen, und wird 
dadurch sachfällig, so macht der Appellant, wenn er in der Hauptsache 
obgesiegt, die angefochtene Nebenforderung zugleich mit der Hauptsache 
geltend. War aber der Appellant in der Hauptsache unterlegen, so 
braucht er seinem ungehorsamen Gegner, wenn dieser ihn deshalb belangt, 
nicht zu Recht zu stehen. F a b r i S. 54. 

"*) Fabri S. 50 — 53. 

8* 



116 



richters nicht abstehen^ ^ 5). Das gescholtene Urtheil muss in 
den Städten in der nächsten Sitzung des Rathes (nach Rigischem 
Rechte am nächsten Freitag) vor den Rath gebracht werden^^*); 
nach Landrecht , wenn das gescholtene Urtheil auf einem Mann- 
tage gefunden war, noch während desselben Manntages^^''), war 
es in einem gebotenen Gerichte gefunden , wohl auf dem nächsten 
Manntage^^®). Wer diese Fristen versäumte, wurde sachfäl- 
lig5 5 9)^ Um ein gescholtenes Urtheil an den Harrisch-Wierischen 
Landesrath zu bringen, musste der Urtheilsschelter sich ,den 
Zutritt durch das jüngste Rathsglied erbitten, welches dafür 
einen Horngulden erhielt. In den Stiftern dagegen konnten die 
Parteien ohne Weiteres vortreten^*^), und wohl ebenso vor den 
Rath in den Städten. 



^^^) M. L. RR. c. 129: „We ein ordel findet j und wert em heschvlden, 
he moth darmede thenn het an den hischop und an sine manne, und en moth 
dar nicht aflaten ane des richters vorlöff und ane des sdkeweldigen." Die 
Anfangsworte sind offenbar corrumpirt: denn dass der ürtheilfinder das 
gescholtene Urtheil an den Bischof ziehen soll, wäre geradezu Unsinn. 
Der wahre Sinn, wie er im Texte angegeben, kann nicht wohl zweifelhaft 
sein. S. auch v. Buddenbrock's Uebersetzung in Hupel's neuen nord. 
Miscell. Stck. 5 S. 413. Granz verfehlt ist dagegen die von Budden- 
brook in seiner Sammlung der Gesetze I, 167 versuchte Emendation und 
Uebersetzung. — !Nach Lübeckischem Rechte musste der Appellant für 
die Ausführung der Appellation Bürgen stellen. Mich eisen No. 88 
und 250. 

*''®) Rig. StR. 1,3: „Wert ein ordel vor richte gevunden, und toil dar 
ienich man weder spreken, dat en doit nicht , he ne beschelde dat ordel uppe 
dat hus vor den raat, und dat sal he uppe dat hus bringen des nagesten 
vridages, et ne beneme eme noth etc.^* Lüb. StR. II, 55 (s. Anm. 122). 

657) Fabri S. 53 und 62. In dem Wolmar'schen Ritterschaftsrecess 
vom Donnerstag nach Lätare (8. März) 1543 wird der Appellationstermin 
von einem Manntage zum andern bestimmt. 

668j Vergl. Fabri S. 108 und den Recess vom J. 1543. 

"») Fabri S. 51. 54. 80. Rig. StR. I, 3. Briefl. No. 1100. 

"0) Fabri S. 53. 62. 



117 



Was das fernere Verfahren vor dem Oberrichter betrifft, so 
war dasselbe im Ganzen dem bei der Unterinstanz entsprechend, 
wenigstens giebt Fabri^^^) an, die Parteien müssten bei den 
Landes- imd Stiftsräthen ihre Sache ganz von Neuem, als wenn 
sie vor dem Unterrichter gar nicht ventilirt worden wäre, ver- 
handeln. Besonders charakteristisch ist es, dass nicht etwa zu- 
nächst der Appellant seine Appellation zu rechtfertigen hat, 
vielmehr — ohne alle Rücksicht darauf, wer das Urtheil ge- 
scholten, ob der Kläger oder der Beklagte — jener wiederum 
den ersten Vortrag vor dem Oberrichter hat, der Beklagte auch 
hier der Antwortsmann ist, dem Kläger auch in dieser Instanz 
ein Replikverfahren offen gelassen ist. Endlich müssen auch 
hier beide Theile mit ihren Vorträgen, bei denen sie sich, |wie 
es scheint, sogar der vor dem Unterrichter verlesenen Schrift- 
sätze wieder bedienen können, zugleich [die Beweisführung ver- 
binden5<*2)^ Neue Klagepunkte und neue Beweise darf der 
Kläger wider Willen des Beklagten in der zweiten Instanz nicht 
vorbringen, und überhaupt nichts bei der Unterinstanz Ver- 
säumtes nachholen: der Beklagte braucht sich darauf nicht ein- 
zulassen, und kann solche Nova beisprechen, d. i. dagegen 
protestiren. Wenn jedoch deriBeklagte keine Einwendung ver- 
lautbart , oder die Beibringung neuer Momente durch den Gegner 
ausdrücklich genehmigt, so kommen sie dem letztern zu stat- 
ten5«3). Das vom Kläger Gesagte galt ohne Zweifel auch für 
den Beklagten. 



*•*) Fabri S. 53: „Eer du nu vor dat overste recht kumpst und din 

wedderpart di dar volget, so mostu alle dine säke dar wedder van nyes, van 

ort ende an(?), gerade ift du vor dem nedersten nicht eins gewesen werest, 

anvangen, und procederest mede, alse du in dem hohe negest navolgende 

eren schalt** 

»") Das. S. 62—70. 

»•») Das. S. 44. 



118 



Das Verfahren bei den Stadträthen war dem eben geschil- 
derten ähnlich. Für die ältere Zeit fehlt es an näheren Nach- 
richten. Seitdem in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts 
das schriftliche Verfahren aufkam (§ 13), wurde jeder Partei 
die Beibringung von zwei Schriftsätzen zugelassen , so dass 
Klagecedel, Antwort, Wedderrede und Insage auf einander 
folgten^ß*). 

c) Urtheil. Possen Eröffhung tind Vollstreokong. 

§43. 

Hatten die Parteien ihre Vorträge geschlossen und ihre 
Beweise vorgebracht, so traten sie ab. Das Obergericht, dessen 
Beisitzer zugleich Urtheiler waren (§ 7), fand nacft Stimmen- 
mehrheit das Urtheil (bei den Landes- und Stiftsräthen Af- 
spröke, Abspruch, Sentenz genannt) und forderte die Par- 
teien zu dessen Anhörung wieder vor^^^). Die Landes- und 
Stiftsräthe beobachteten nach Fabri^^^) bei der Eröffnung des 
Urtheils das nachstehende eigenthümliche Verfahren: „Die Par- 
teien werden erst befragt, ob sie zu Rechte geschieden sein 
wollen. So sprechen die Parten: Ja! und sonderlich dem Kläger 
gebührt es „Ja" zu sagen. Wenn er still schweigt oder nicht 
„Ja" sagen will, wird die Sentenz angehalten und nicht abge- 
lesen, besonders in Harrien und Wierland, weil sie die Appel- 



664) Vergl. in Betreff des Revaler Rathes Mich eisen S. 26. 

*•') Fabri S. 71. Rig. StR. 1,2: j,Kumt ein ordel uppe dat hus vor 
den raat, und de vorsprdken beide to antworde sin, und beide over en 
draget, und de ratmanne dar en ordel up vindet und dat vor richte sendet, 
wü dat jeman wederspreJcen mit jenigen tugen, dat dat ordel nicht also 
gevunden were, des en mach nicht sin; mer so wes de meste del van den 
ratma/nnen bekennen, de an deme ordele seien, dat sal to rechte stede 



wesenJ* 



666 



) a. a. 0. S. 71. 



119 



lation nicht einräumen, noch gestatten wollen (§ 8). Wenii der 
Beklagte still schweigt oder nicht „Ja" sagen will, mag die 
Sentenz gleichwohl abgelesen werden. Wenn jedoch die Sentenz 
ihm günstig ist und er nicht „Ja" sagen will, so steht es bei 
dem Gericht, die Senteüz ihm zum Schaden einzubehalten, d. h. 
öiclt zu eröffnen; ist dagegen die Sentenz dem Kläger günstig, 
so darf sie nicht einbehalten werden, wenn er „Ja" gesagt hat, 
Sollte auch der Gegner nimmermehr „Ja" sagen. Ist dies 
S^schehen, so wird auf solches „Ja" und Vollwort die Sentenz 
abgelesen. Derjenige, zu dessen Gunsten sie gefallen ist, bedankt 
^ich beim Gericht, und damit ist das Verfahren beim Ober- 
gericht geschlossen und die Sache geht wieder an den Unter- 
dichter." Der obsiegende Theil wendet sich an den Schreiber, 
"vvelcher das Urtheil ausfertigt: in Harrien und Wierland „schlicht 
, auf einem losen Zettel", den der Mannrichter besiegelt , in den 
Stiftern auf Pergament, welches der Landesherr (Bischof) mit 
dem grossen Majestätssiegel versehen lässt^^'^). Mit dem Ur- 
theil geht man zum Mannrichter, bittet und erhält von ihm 
eine „Anweisung" (§ 37), auf deren Grundlage dann das Urtheil, 
wenn der unterliegende Theil säumig ist, durch den Mannrichter 
binnen sechs Wochen vollstreckt wird^^^). 

In den Städten wurde, wie es scheint, das Urtheil nicht 
sofort gefällt^ ^^), auch nicht den Parteien vor dem Obergericht 



^®') Fabri S. 72 fg., wo auch die Canzleitaxe angegeben ist. Bei 
den Obergerichten wurden die gefällten Urtheile in besondere Urtheils- 
bücher eingetragen. S. die Briefl. No. 654. 1251. 76. 

«^«8) Fabri S. 71. 74. 77—81. Privil. des Erzbischofs von Riga, Jas- 
par Linde , vom 28. Deebr. 1523 und des Bischofs Johannes Kievel von 
Oesel vom 15. Decbr. 1524. 

*•*) Vergl. das Rig. StR. 1 , 3 : „ Is aver en ordel vor den raat 

gekomen, so nen hinderet dem manne nicht, und so steid et an deme rade, 
80 wanne se dat ordel af senden willet.'' 



120 



eröffnet, sondern von demselben zu diesem Zweck und zur Voll- 
streckung an den Unterrichter gesendet^ '^^). 

3. Von den tbrigen Beohtsmitteln. 
a) Ueberhanpt. 

§44. 

Wider die Erkenntnisse der zweiten Instanz gab es gegen 
das Ende dieses Zeitraumes drei Rechtsmittel: die nochmalige 
Revision der Sache bei derselben Instanz, die Berufung an einen 
höheren Richter, und den Zug an einen Oberhof. Alle diese 
Rechtsmittel mussten, gleich dem Schelten des unterrichterlichen 
Urtheils,. auf der Stelle, unmittelbar nach der Eröffnung des 
Erkenntnisses, geltend gemacht werden^ ''*). 

h) Bevision. 

§ 45. 
Was zunächst die Revision betrifft, so war sie ausdrücklich 
gestattet in den Stiftern Riga und OeseP''^)^ 2iber höchst wahr- 
scheinlich auch in den übrigen Stiftern zulässig. Wer durch 
das Urtheil des Stiftsrathes sich beschwert fand, musste in der- 
selben Rathssitzung seine Beschwerdßpunkte aufgeben, und um 
nochmalige Revision der Acten bitten, welche alsdann von dem 
Stiftsrathe selbst vorgenommen wurde. Was der Rath in Folge 
dessen auf dem nächstfolgenden Manntage aussprach, dabei 
sollte es bleiben^'^s)^ Indessen scheint dadurch doch die Ap- 



"») Das. I, 2. 3. 4. Lüb. StR II, 29. 117. 

"0 ^ergl. Hezel a. a. 0. Michelsen S. 22. 

^'^2) Privil. des Erzhischofs von Kiga, Jaspar Linde, vom 28. Decbr. 
1523 und des Bischofs von Oesel, Johann Kievel, vom 15. Decbr. 1524. 

*'*) Privil. Joh. Kievels vom J. 1524: „So sik Jemandes in sinen rechten 
dorch uns und unsers werdigen und achtbaren rades afgesprohen ordd 



121 



pellation an den Landtag nicht ausgeschlossen gewesen zu 

sein5 7*). 

Ein ähnliches Verfahren fand bei dem Rigischen Rathe 
statt. Dessen Erkenntnisse waren bis in die Mitte des fünf- 
zehnten Jahrhunderts zwar inappellabel^''^), es war jedoch der 
Pa.rtei, welche mit dem an den ünterrichter gesandten Urtheil 
nicht zufrieden war, gestattet, dasselbe „an das Buch zu 
sotelten", d. h. auf das Rigische Statutenbuch, Stadtrecht, 
Bio! zu berufen: ,^Spricht dann das Buch, wie der Rath es 
S^fanden, so büsst der Appellant eine Mark Silbers; findet es 
sioh, dass das Recht (d. i. eine Bestimmung über die obschwe- 
l^^nde Rechtsfrage) in dem Buche nicht enthalten, so soll das 
tli:^heil stät bleiben und der Appellant eine Busse von zehn 
M^ark Silb. zahlen; wenn aber das Buch anders spricht, als der 
^ath gefunden, so braucht der Appellant keine Busse zu ent- 
^^chten"5 7 6)^ vielmehr wird — wie das Statut zwar nicht aus- 



^schwert fölede, de schal de heschweringe siner artikel uptekenen, demle 
dat wi und unse richter und rede sitten, so mUen m samt unsern werdigen 
achtbaren radt to den negesten manndage sodane eines jedem heschweringe- 
omkel to u/ns fheen, riepUTc innemen und bewegen, und de heschweringe 
düeden und erJcleren, dat einem jedem parte recht geschee, darmet nemand 
sich unsers werdigen achtbaren rades gerichts darf heklagenJ^ Zum Theil 
wörtlich gleichlautend ist das Privil. des Erzb. Jaspar Linde v. J. 1523. 
S. indess die folgende Anmerkung. 

»'*) S. oben § 8, besonders Anm. 87. Nur für das Erzstift Riga ist 
dies zweifelhaft , da in dem in der vorhergehenden Anmerkung angeführten 
Privilegium des Erzb. Jaspar, statt der in dem Oesel'schen am Schluss 
befindlichen Schlussworte: „darmed nemand^^ etc. es heisst: yydarmei men 
hüten landes nein recht soken dorfe; und wes alsdan erkandt, darhi sol 
et hliven.^^ Von einer Berufung an den Landtag ist — anders als im 
Oesel'schen Gnadenbrief — gar nicht die Rede, 
ö") S. oben § 8. 

*■'•) Eig. StR. 1,4: y,8o wanne de raat en ordel van deme hus sendet 
vor dat richte, hescheldet dat en man^ dat mach he bescheiden an dat hooTc. 
Bprelcei dat booJc, alse de ratmanne dat vunden, so sal de man dat betercn 
mit j, mark sylvers, Were aver dat also, dat dat recht in dems hoke nicht 



122 



drücklich sagt, was sich aber von selbst versteht — das 
Erkenntniss, dem „Buche" gemäss, reformirt ^ "^ ''). Dieses 
Rechtsmittel erhielt sich ohne Zweifel auch nach der im fünf- 
zehnten Jahrhundert eingeführten Appellation^''®), und mochte 
wohl auch in den übrigen Städten, in welchen Rigisches Recht 
galt, angewendet werden, wiewohl in diesen seit je her die 
unzufriedene Partei die von ihrem Rathe entschiedene Sache an 
den Rigischen Rath, als Oberhof, ziehen konnte (§ 47). 

c) Berufung an die dritte Instanz. 

§46. 

Von den Erkenntnissen der Stiftsräthe und in einzelnen 
Fällen selbst von denen des der Regel nach inappellabeln Har- 
risch-Wierischen Landesrathes konnte, wie bereits früher ange- 
, geben worden, an den Landtag appellirt werden^ ''^). Ist dies 
von einer Partei geschehen, so muss die andere, zu deren 
Gunsten das angefochtene Urtheil gefallen, vor dem Mann- 
richter eine „Bewahrung" für den Fall einlegen, dass der 
Appellant die Bescheltung auf dem nächsten Landtage nicht 
verfolgt. In Folge dessen wird ihm vom Mannrichter eine ähn- 
liche „Anweisung", wie über ein gewonnenes oberrichterliches 
Urtheil, schriftlich ausgefertigt^®^). Ueber das Verfahren in 



ne stunde, so säl dat ordel siede bliven und de man sal dat heteren ndt 
X. mrk. sylveres. Were dat aver, dat et book anders sprehe, dan et de rat- 
manne vu/nden, so en darf hes nicht heteren. 

*'') Vergl. J. C. Schwartz in Gadebusch's Versuchen in der 
Livländ. Geschichtskunde Bd. I. Stck. 4. S. 9 fgg. 

"«) Ebendas. S. 14 fg. 

570J Privil. des Bischofs von Oesel, Johann Kievel, v. J. 1524. Fabri 
S. 41 und 76. S. überhaupt oben § 8. 

"0) Fabri S. 76 fg. 



123 



Appellationssachen beim Landtage selbst fehlt es an Nach- 
richten. 

Von den Erkenntnissen des Rigischen Rathes konnte seit 
der Jßtte des fünfzehnten Jahrhunderts an den Erzbischof und 
den Ordensmeister appellirt werden , wenn die Sache den Ver- 
lust der Ehre oder des grössten Theiles der Güter der unter- 
liegenden Partei betraft ^i), welches letztere der Appellant mit 
seinem Eide vor dem Rathe erhärten musste^^^). 

d) Zug an die Oberhöfe. 

§47. 

Für alle übrigen Städte, ausser Riga, bestanden Oberhöfe: 
namentlich war Lübeck Oberhof für Reval, Reval für Narwa 
und Wesenberg, Riga für alle andern Städte des alten Liv- 
lands: Dorpat, Pernau, Fellin, Goldingen, Windau, Hasen- 
poth etc., überhaupt für alle diejenigen, welche den Gebrauch 
des Rigischen Rechts hatten5 8 3). Die Räthe der Städte Lü- 
beck^s*), Riga^^^) und RevaP^e) bildeten als Oberhöfe eine 



•**) Kirchholm'scher Vergleich vom 30. November 1452. PrivÜ. des 
^rdensmeisters Gotthard Kettler vom 24. Juni 1560. 

***) Privil. des Ordensmeisters Wilhelm von Fürstenberg vom August 
^5.57 und des OM. Gotthard Kettler vom 24. Juni 1560. Schwartz a. a. 0. 
S. 19 fgg. 

"») S. überhaupt oben § 8. 

*®*) Lüb. StR. II, 111: „Wert in den sieden oder in den wicbelden, 
^^r unse recht is, gevunden jemende en ordel, dat wiset man vor den rat, 
^fte he dat hesceldet. Wert it eme den so gevunden van dem rade, dat it 
^•>i€ nicht recht ne dunTcet, so mach het bescelden vor unsen rat/* 

***) S. z. B. das ÜB. No. 1105 und die Urkunden von den Jahren 
^466 und 1494 in Hupel's neuen nord. Miscellan. Stck. 17 S. 67 fgg. 

**•) ÜB. No. 1234. 1584 und eine grosse Zahl ungedruckter ürkimden 
^nd Actenstücke im Kevaler Eathsarchiv. 



124 



förmliche Oberinstanz* 8') für die Räthe der ihnen untergeord- 
neten Städte: die Urtheile der letztem mussten, wenn sie an 
jene gelangen sollten, von der unzufriedenen Partei gescholten 
worden sein '^^ 8). 

Nachrichten über das dabei beobachtete Verfahren sind fnr 
Riga dürftig. Wir erfahren .nur, dass bei dem Rathe, dessen 
Urtheil gescholten war, von dem Scheltenden eine Geldsumme, 
in Dorpat namentlich acht Mark, deponirt werden musste. Ge- 
wann der Appellant die Sache beim Oberhof, so wurde ihm das 
deponirte Geld zurückgezahlt; verlor er, so erhielt einen Theil 
(in Dorpat fünf Mark) der Gegner, als Ersatz seiner Kosten, 
den Rest (in Dorpat drei Mark) behielt der Rath als Wedde^»«). 



B87) Dass die genannten Oberhöfe den Käthen der untergeordneten 
Städte, auf deren Bitte, auch vor gefölltem Urtheile über zweifelhafte 
Fragen Bechtsbelehrungen erth eilten, davon findet sich keine Spar. Ein 
Ordel des Rathes zu Lübeck vom J. 1500 (Mich eisen No. 239) bezeugt 
vielmehr das Gegentheil, indem der Bath hinsichtlich einer Frage, welche 
nach Scheltung des in Rede stehenden ürtheils zur Sprache gekommen 
war, erklärt : „darup do wi juw gutlik weten , dat wanner sodans vor t«n«, 
lüu dat erste juwe afgesproken ordel, ordelswise (d. h. hier durch Appel- 
lation) komet, wes wi denne darup Juwen ersamheiden unses Lubeschen 
rechtes Tuüven na older gewonüiker wise mede dden, und in velen sust 
behegeliken willen und gudgefaUen irtogen mögen, sint toi to donde wiHiih/' 
— S. überhaupt Mich eisen, der Oberhof zu Lübeck S. 1 fgg. und Jac. 
Grimm 's Vorrede zu J. 6. C. Thomas, der Oberhof zu Frankfurt am 
Main. Frankfurt 1841. 8. 

^®®) Dies bezeugen die in den Anm. 584 — 86 angeführten Quellen. 
S. auch Michelsen S. 11 fgg. 

*®') Schreiben des Dorpater Rathes an den Rath zu Reval aus der 
zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts (ÜB. No. 1105): „*^u, unsen 
leven vrunden, do wi wetene und geven to ken/nende, dat wi desse sede 
holden und vor uns vunden to holdene hin ane, als wi en utgaende redU 
hebten tor Bige. Is dar umme aldus, dat lüde komet vor richte und de 
sdke queme in en hescdden ordel tor Bige, so we dat hescheldet, de mod 
tmder uns leggen vüq, ma/rk Biges. Is dat he dat ordel vorluset, so ant- 
worde m sime weder säte v. mark vor sine koste und vorteringe, und wi 



125 



Auch bei dem Revaler Rathe musste, wenn ein Urtheil desselben 
gescholten war, ein „Urtheilspfand" erlegt^*®), oder bis zum 
Eingange der Entscheidung des Oberhofes Bürgschaft geleistet 
werden^^i), und dasselbe galt ohne Zweifel auch für Narwa und 

* 

Wesenberg, wenn ein dortiges Rathsurtheil an den Revaler Rath 
gescholten worden war. 

Der Rath zu Lübeck verlangte ursprünglich, dass die Par- 
teien persönlich vor ihm erscheinen und Klage und Antwort 
vortragen^*^^^ oder wenigstens durch bevollmächtigte Lübecker 
sich vertreten lassen soUten^^^), und lehnte die Bitte des Re- 
valer Rathes, den Parteien wegen der beschwerlichen weiten 
Reise das persönliche Erscheinen zu erlassen, und, auf den 
schriftlichen Bericht des Rathes, diesem sein Urtheil schriftlich 
zuzustellen^®*), wiederholt mit dem Bemerken ab: „Es ist nicht 



heholden iij, mark vor de hesceldinge. Oh ist dat he dat ordel tor JRige 
winnet, so antworde wi eme sin gelt al weder," 

"0) Mich eisen No. 52. 202.« 

"1) Das. No. 88. 250. Dass, wie Mich eisen S. 22 annimmt, Bürg- 
schaft neben dem ürtheilspfand in derselben Sache geleistet werden 
musste, ist nicht wahrscheinlich. 

*•*) S. die Schreiben des Lübeck*schen Rathes vom Ende des vier- 
zehnten und Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts im ÜB. No. 1577. 1578. 
1579. 1706. 

"») Schreiben desselben vom 11. Mai 1411. ÜB. No. 1881. 

"*) Schreiben des Revaler Eathes um das Jahr 1385 , ÜB. No. 1580 : 

» Discretioni vestre significamus , nos ex vestris litteris — — 

— percepisse, quod vestre foret voluntatis, tU, st amplius super aliqua 
causa de nostro iudicio ad vos contigerit appdlari, ut ex tunc actorem et 
reum ad vestram presentiam dirigere curaremus, guod nöbis et nostris 
pauperibus civibiis nimis grave esset et onerosum, propter viam inter nos et 
vos, vdut hene sdtis, nimis longam et periculosam. Quaproptei' honestatem 
vestram — — humtUibus predbus instanter deprecando aggredimur, quod 
pie fadentes nos et nostros dves in antigua consuettidine, prout antecessores 
vestri fecertmt, conservare vditis, ut dves nostri causas suas in litteris, 
prout hactenus fecerunt, ad vestram reverentiam ducere väleant terminandas," 



126 



unsere Gewohnheit, unser Recht von uns zu schreiben'* ^^ 5). 
Zwar wurde dann und wann „aus Liebe" eine Ausnahme ge- 
macht^ •^), jedoch musste der Revaler Rath noch in den Jahren 
1423 und 24 Reverse darüber ausstellen, dass das scbriftliche 
Verfahren keine Rechtsgewohnheit sei, sondern lediglich auf 
l)esonderer Gunst beruhe, welche jederzeit widerrufen werden 
könnet ^''^). Dennoch wurde seit der Mitte des fünfeehnten Jahr- 
hunderts — wie zu jener Zeit überhaupt (§ 13), so auch hier 

Auffallend ist, dass der lievaler Rath hier ein Gewohnheitsrecht in An- 
spruch nimmt, welches der Rath zu Lübeck noch weit später in Abrede 
stellt (Anm. 595), 

""*^) Schreiben des Lübecker Rathes von ungefähr 1390 (ÜB. No. 1579): 

„ des begere wi Ju to wetende, alse wi ju ok vakene eer toscrer^ 

hebhen, dat it unse wotüieit niclit en is, dat wi unse recht plegen van uns 
to scrivende.*' Aehnlich in einem Schreiben vom 19. Mai 1403 (ÜB. No. 
1625). In einem Schreiben vom 11. Mai 1411 (ÜB. No. 1881) heisst es: 

„ dat uns nicht enstunde to donde, dat wi unse recht in andere stede 

bescreven sanden etc.*' und ums J. 1414 (ÜB. No. 1578): „Und wi Jiebben 
ju oh wol eer gescreven, und oh juwes rades cumpanen muntliken gesechl, 
dat wi nine ordele bescreven van uns senden.*' 

"«) In dem Schreiben vom J. 1390 (ÜB. No. 1579) heisst es, nach 
den in der Anm. 595 angeführten Worten: „Doch dorch juwer bede und 
leve willen, so wille wi ju gerne unse recht scriven'uppe desse (d. i. die in 
Rede stehende) sahen.** Aehnlich im J. 1403 (ÜB. No. 1625) und noch im 
J. 1422 (ÜB. No. 2653). 

'^•^ Ein solcher Revers vom Jahre 1423 (bei Mich eisen S. 24) lautet: 
„Dat alse uns de erbare heren borgermeistere und rad/inanne der stat Lubdx 
umme unser vlitigen bede und leve willen de gunst bewisen, wanne twe uU 
unser stat ein ordel vor ere erbarheide scheiden, dat se uns denne, na vor- 
löpe des rechtes vor uns gehandelt, wedder schriven, dat de jenne, de dat 
ordel van uns vor ere erbarheide geschülden hevet , dat ordel getounnen ofle 
vorloren hebbe, dat toi dat van en van sunderger gunst hebben, und dat 6k 
nicht lenger duren en darf, denne id ererb erbarheiden behechlih und bequeme 
is. Und wanne ok twe in unser stat sint, de eendrachtliken ere recht vor 
de erbaren heren, den rad der stat Lubeke söken willen, dar en sehöle wi 
noch en wiUen se nicht ane hinderen.** In dem letzten Satze gesteht also 
der Revaler Rath seinen Bürgern das Recht zu, ihre Streitsachen unmit- 
telbar vor den Lübecker Rath zu bringen , mit Uebergehung der heimischeB 
Gerichtsinstanzen. 



127 



— das schriftliche Verfahren zur Regel^'*), und gestaltete sich, 
wie folgt. Der Revaler Rath richtete, wenn ein Urtheil des- 
selben gescholten war, an den Rath zu Lübeck ein Schreiben, 
welches einen gedrängten Bericht über die Sache und deren 
Verhandlung — später einen vollständigen Auszug aus den 
schriftlich beim Revaler Rath verhandelten Acten — sammt 
dem gescholtenen Urtheil enthielt, und mit der Bitte schloss, 
in der Sache nach dem „edlen" Lübeckischen Rechte entscheiden 
zu wollen. Im sechszehnten Jahrhundert wurden die vollstän- 
digen Acten dem Schreiben des Revaler Rathes beigefügt. Ein 
ferneres Verfahren von Seiten der Parteien fand dann bei dem 
Lübecker Rathe nicht weiter statt. Vielmehr fällte dieser, nach 
Durchsicht des Berichtes oder der Acten, die Entscheidung, und 
sandte solche schriftlich nebst den Acten an den Rath zu Reval, 
welcher die Parteien vorlud und ihnen das bis dahin ver- 
schlossene Erkenntniss des Oberhofes eröffnete^ ®^). Dieses Er- 
kenntniss wurde dann, ohne auf irgend welche Einwendungen 
zu hören, von dem Unterrichter (Voigt) vollstreckt®^^). 

Der Revaler Rath beobachtete, als Oberhof für Narva und 
Wesenberg, seit jeher dasselbe schriftliche Verfahren®®^). Wie 



'*®) Bereits seit dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts ertheilte der 
Lübeckische Rath einzehie schriftliche Urtheile, ohne den gedachten Vor- 
behalt zu machen (ÜB. No. 1581, '2115 und 70, 2614, Michelsen No. 2), 
seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts aber zeugen für die Anwendung 
des schriftlichen Verfahrens als Regel die zahlreichen Ordele des Rathes 
Zu. Lübeck bei Michelsen und im Revaler Rathsarchiv. 

*"") S. überhaupt Michelsen S. 23—27, wo dieser Gegenstand aus- 
führlich und mit Hinweisung auf urkundliche Beläge behandelt ist. 

"****) Michelsen No. 72. In einem Schreiben des Pemau'schen Rathes 
an den Rigischen vom J. 1494 (Hupel's neue nord. Miscell. Stck. 17 
Ä 67 fgg.) ist übrigens von einem Falle die Rede, wo die vom Rigischen 
Bathe, als Oberhof, verurtheilte Partei ,yhevet U weder gescheiten int hogeste 
wn Juwe ersanüieit,** Sollte hierunter die Bescheltung an das Buch (§ 45) 
zu verstehen sein? 

•®^) Dies ergiebt sich aus den in der Anm. 586 angeführten Urkunden. 



128 



es damit in Riga in der älteren Zeit gehalten wurde, ist unbe- 
kannt ; seit dem fünfzehnten Jahrhundert aber bildete sich 
auch dort das schriftliche Verfahren in der angegebenen Weise 

m. 

Ausserordentliches gerichtliches Verfahren in 

Civilsachen. 

1. Ueberhanpt. Insbesondere vom &astrecht. 

§ 48. 
Da das gewöhnliche oder ordentliche Verfahren in Civil- 
sachen an sich ein summarisches war (§ 13), so kann von einem 
ausserordentlichen verkürzten Processgange in diesem Zeit- 
räume nur insofern die Rede sein, als die Ladungs-, Beweis- 
und Executionsfristen noch verkürzt werden konnten, und dies 
findet sich auch in den Stadtrechten in der That für den Pro- 
cess „nach Gast recht", d. h. für alle Fälle angewendet, wo 
eine der Parteien ein Gast, d. i. Fremder, Nichtbürger ist, und 
vollends wenn beide Parteien Gäste sind^®^). 

Ausserdem kommen aber auch schon in diesem Zeiträume 
einige Processgattungen vor, deren abweichende Form durch die 
Natur der Sache bedingt ist. Dahin gehört: 

1) der Schuld- und Auspfändungsprocess , welcher übrigens 
bereits oben» (§ 38 fgg.)? bei Gelegenheit der Lehre von der 
Vollstreckung der Urtheile mit abgehandelt worden ist; 



•") S. die Citate in der Anm. 585 und Hezel a. a. 0. 

•«) Big. StR. U, 12. 17. Lüb. StR. U, 344: „Beschuldiget ein gast 
einen borger, u/nd schal de borg er wat bewisen, dat schal he doen hueden 
und morgen/^ S. auch Michelsen No. 32. 36. 295 und oben § 20 a. E. 



129 



2) das Verfahren in Beschlag- oder Arrestsachen, 

3) das Verfahren in Besitz- und Gränzstreitigkeiten , 

4) der Läuflingsforderungsprocess. 

5) Ganz abweichend war endlich auch das Verfahren in 
den geistlichen Gerichten. Hierüber enthalten jedoch die einhei- 
niischen Rechtsquellen gar keine eigenthümlichen Bestimmungen, 
so dass dasselbe sich ganz nach den Grundsätzen des cano- 
flischen Rechts richtete, auf welches hier mithin einfach ver- 
lesen werden kann®^*). 

2. Verfahren in Beschlag- oder Arrestsaohen. 

§49. 

Wenn die Flucht eines Schuldners oder das Beiseitbringen 
Seines Vermögens zu befürchten ist, so ist der Gläubiger befugt, 
sich durch Beschlaglegung auf die Person oder auf das Ver- 
Jiiögen des Schuldners — oder auf Beides zugleich — vorläufig 
^ sichern. Dieses Rechtsmittel ist, unter den Benennungen 
yibesat&^, ^fiesettinge", „belcummeringe", nicht nur beiden Stadt- 
i*echten^®^), sondern auch schon dem ältesten Landrecht^^^) 
bekannt, allein nur im Lübeck'schen Stadtrecht finden sich 
genauere Bestimmungen über das dabei zu beobachtende Ver- 
fahren. Darnach begiebt sich der Gläubiger mit dem Frohnen 
tiach der Wohnung des Schuldners, oder dem Orte, wo sich 
dessen Vermögen befindet, und kündigt den Beschlag an^^''). 



•«*) Vergl. Eich hörn '8 Deutsche Rechtsgeschichte §320. Walter 's 
Kirchenrecht § 186. Richter 's Kirchenrecht § 193. 

«0*) Rig. StR. n, 7 fgg. Lüb.'StR. II, 48. 

«**«) M. L. RR. c. 6ß, 126. Im Sachsenspiegel und selbst noch im 
Bichtsteig ist von besettinge nicht die Rede. 

•®') Lüb. StR. II ,48: „ We so ienich ding hesetten wily de 

schäl gan to deme hus oder to deme hove, dar dat gut is, und hesetten dat, 
also hesteit de besettinge.'^ 

Bange, Gesdliiolite des G-erichtswesens. 9 



130 



Kann er des Frohnen nicht gleich habhaft werden, 80 muss er 
„zwei gute besitzliche Männer" mit sich nehmen. Durch die 
Ankündigung ist der Beschlag begründet, bis der Frohne hinzu- 
gezogen werden kann«®®). Der Beschlag kann auch an gebun- 
denen Tagen (§ 5) gelegt« ^•), muss aber in jedem Falle vom 
Gläubiger in der nächsten Gerichtssitzung verfolgt , d. i. gerecht- 
fertigt werden. Geschieht dies nicht, so verliert der Beschlag 
seine Wirkung, es sei denn, dass der Gläubiger denselben wie- 
derholt«^®). Die Wirkung der „Besetzung" besteht aber darin, 
dass der Schuldner sich nicht von dem Orte entfernen und von 
seinem Gute nichts veräussern oder sonst auf die Seite schaffen 
darf; das Uebertreten dieses Verbotes zieht Strafe nach sich«^^), 
und jede Veräusserung des bekümmerten Gutes ist nichtig. Selbst 
der Herr des Hauses, in welchem sich das besetzte Gut befindet, 
ist für jede mit seinem Wissen geschehene Verletzung des Be- 
schlages verantwortlich« ^2)^ ^ej. im Laufe von vier Wochen^^^) 
nach dem ersten Beschlag das bekümmerte Gut auch zu seiner 
Sicherung mit Beschlag belegt, geniesst gleiches Recht mit dem 



®®®) Lüb. StK. II , 48 : „Is dat lernen gut beseiten wil und des vronen nicht 
hehhen ne mach, de neme twe gude hesetene man dar to. De hesettinge steä 
also lange, wante he den vronen dar to bringen möge.*' S. auch Mich ei- 
sen No. 72. 

•®^) Dies wird zwar nur im mittl. Livl. RR. c. 126 ausdrücklich aus- 
gesprochen, galt aber ohne Zweifel auch nach Stadtrecht. Vergl. das 
Rig. StR. II, 12 und oben § 5 a. E. 

•^®) Im Lüb. StR. n, 48 heisst es nach den in der Anm. 607 aufge- 
führten Worten: „Mer to deme negesten richte scal he to dem>e richte komen, 
und vorvolgen sine hesettinge. Ne deü he des nicht, so ne hevet de beset- 
inge nene macht, he ne beseitet aver ander warve/' Vergl. auch Art. 433. 

«") Rig. StR. n, 8. 10. Lüb. StR. II, 321. Vergl. auch das mitÜ. 
Livl. RR. c. 72. 

«») Rig. StR. n, 8. 

*^') Ausserhalb Landes Abwesende gemessen dieses Recht bis zum 
Ablauf von Jahr und Tag. Mich eisen No. 254. 



131 



ersten Gläubiger, falls er diesen von der seinerseitigen Beschlag- 
legung in Kenntniss setzt^^*). Wer nach dieser Frist zum 
„Besäte" greift, hat nur auf Dasjenige Anspruch, was nach 
Befriedigung der Gläubiger, welche rechtzeitig ihre Rechte wahr- 
genommen, übrig bleibt^ ^^). Wenn der Gläubiger seinen An- 
spruch gehörig bewiesen, und der Schuldner im Laufe von Jahr 
und Tag nicht durch Zahlung seiner Schuld sein Gut „befreit", 
so wird letzteres dem Gläubiger — oder wenn ihrer mehrere 
sind, allen zusammen — - gewältigt^^^). — Das Gut eines Bür- 
gers, der in der Stadt mit Grundstücken besitzlich ist, darf 
nicht mit Beschlag belegt werden^ ^'^). Derjenige, dessen Gut 
irrthümlich bekümmert ist, kann dasselbe „freien", wenn er 
beeidigt, dass es sein Gut ist, dass er dem Schuldner gegen- 
über keine Verpflichtung hat, und dass er nicht zu dessen 
Gunsten handelt^^^^). 

3. Verfahren in Besitz- und Qränzstreitigkeiten. 

a) Aelteres Beoht* 

§50. 

Bereits in dem Jahre 1226 verordnete der päbstliche Legat, 
Bishhof Wilhelm von Modena, dass Gränzstreitigkeiten in der 
I^igischen Stadtmark durch drei von dem Bischof von Riga, dem 
Probste und dem Ordensmeister ernannte, beeidigte Schieds- 
richter entschieden werden soUten^^®). Die Parteien mussten 



•»*) Lüb. StR. II, 72. Michelsen No. 54. 

«") Michelsen No. 64. 

«^«) Das. No. 23 und 243. 

«") Lüb. StR. II, 434. 

«»8) Das. II , 321. Vergl. auch das ÜB. No. 1669. 

•") Entscheidung des Legaten, Bischofs Wilhelm, vom 15. März 1226 
(ÜB. No. 78). 

9' 



182 



dabei geloben, sich dem Ausspruche dieser Schiedsrichter un- 
weigerlich zu unterwerfen: wer sich dagegen auflehnte, musste 
eine Geldbusse entrichten ^^o) ^nd war selbst mit dem Banne 
bedroht* 2^). Die Schiedsrichter mussten, ohne sich auf ein 
Zeugenverhör einzulassen, nach Grundsätzen der Billigkeit ver- 
fahren® 22)^ und ihr Spruch hatte Geltung, wenn auch nur zwei 
von ihnen übereinstimmten*^ 2 3)^ 

Dieser Einrichtung offenbar nachgebildet ist das bereits in 
dem ältesten Livländischen Ritterrechte® 2*) vorgeschriebene, und 
von dort in das mittlere Richterrecht übergegangene Verfahren 
für Gränzstreitigkeiten zwischen zweien Dörfern. Wenn die 
Herren der Dörfer den Streit nicht in Güte beilegen können, 
ernennt der Bischof, als Landesherr, auf Kosten der Dörfer 
drei unbetheiligte Stiftsmänner zu Schiedsrichtern® 2 5), Diese 
sollen, nachdem sie von den Nachbarn (Umsassen) auf deren 
Eid erfragt, welcher von beiden Theilen an dem streitigen Grund- 
stücke eine ältere Gewere (Besitz) habe, diesem, nachdem er 
sein Recht selbsiebend (also mit sechs Eidhelfem) erhärtet, den 
Besitz zuerkennen. Wenn von den Schiedsrichtern zwei mit 
einander übereinstimmen, so muss der dritte sich ihnen an- 
«chliessen. Falls beide streitenden Theile eine gleiche Gewere 
an dem Grundstücke haben , entscheidet die Probe des glühenden 
Eisens: „welcher Seite es Gott dann giebt, der behalte es. 
Bleiben sie beide unversehrt, so theile man das Land, ver- 
brennen sie sich beide, so theile man es gleichfalls" ®2 6)^ 



«") Urkunde desselben vom 16. März 1226 (das. No. 79). 

«*!) Verordnung desselben vom 7. Mai 1226 (das. No. 86). 

«") Desgl. vom Mai 1226 (das. No. 89). 

«") Desgl. vom 22. Aprü 1226 (das. No. 85). 

•2*) Art. 64. 

«»») Vergl. auch Brieflade No. 901. 

*>*) M. L. RR. c. 92 : „Kiven twe dörpe tmb ere schedinge, imd kofinm 
se ere heren nicht schaden, so sende de bischop dre des stichtes manne to, de 



133 



Aehnliches bestimmt ein aus dem Sachsenspiegel geschöpftes, 
liicht bloss auf Dörfer gehendes, sondern allgemein lautendes 
Gapitel des mittleren Ritterrechts: Wenn ein Gut gleichzeitig 
Von zwei Personen , welche gleiches Recht daran geltend machen, 
in Anspruch genommen wird, so müssen beide gleichzeitig ihre 
Beweise beibringen, und zwar zunächst Zeugen aus den benach- 
barten Dörfern. Die Partei, welche die Mehrzahl der Zeugen 
für sich hat, behält das Gut. Ist die Zahl der Zeugen gleich, 
so wird das Gut getheilt. Wissen die Zeugen nicht anzugeben, 
vrer die Gewere an dem Gute hat, so schreitet man entweder 
zur Eisenprobe oder es wird beiden Theilen auferlegt, ihren 
Anspruch durch einen Eid zu erhärten. Schwören beide Par- 
teien, so wird das Gut getheilt. Von Schiedsrichtern ist hier 
nicht die Rede; vielmehr ist die Sache vor dem ordentlichen 
Richter zu verhandeln ^^ 7 j^ 



mit dem Jcive nicht to doende hebten, tip ere Icost, de schöllen sik befragen 
mit den umbsaten , we de erste were darinne hebbe gehat van olders jar unde 
dach edder lenger, ane rechte Insprekinge , dat schollen se belügen mit eren 
waren ivörden, und bi den truwen, de se Gade und crem heren schuldich 
sin. Wem se de were denne to delen, und also verne als se em to delen, 
also verne mach he des dorpes here sin, were und sine stede beholden up 
den hilligen, mit sinen eden sülf sövende. Mögen överst de dre, de de 
hischop darhen gesandt heft, nicht aver ein dregen, wor denn de ttce to- 
vallen, dar schal de drüdde mede volgen. Hebben överst de beide dörpe 
allike recht were daran, so drege man dat iser darup: welker siden idt 
Godt denne gift, de beholdt idt; werden se överst beide schyr, so dele man 
dat landt; bernen se sik överst beide, so schal men aver dat landt delen.^* 

**') Das. c. 206: „Spreken tice man to like ein gudt an mit geliker 
ansprake, und dat mit geliken tugen beholden, so schal men dat midden 
entwe delen. Desse tuginge schollen de rechten umbsaten bescheiden, de in 
deni dorpe edder in den negesten bidörpern heseten sint, welker de mer 
meininge (in dem Sachsenspiegel III, 21: „merre menie^', d. i. grössere 
Menge, Mehrheit) an dem tuge heft, de beholt dat gudt Is idt överst den 
umbsaten nicht witlik, we dat in weren heft, so mot men dat wol bescheden 
mit einem isern, edder de kleger und de, dar de klage up geit, schollen 
sweren, dat se rechte loisen, also dat idt er si; dar schal de richter sine 
baden to geven. Wor se beide up sweren, dat schal men delen." 



134 



Das Eigenthümliche des vorstehend geschilderten Gränz- 
processes besteht darin, dass 1) der Beweis — gegen die 
sonstige Regel (§ 26) — ein zweiseitiger ist, und 2) dass 
dabei zwei dem Gerichtsverfahren in Civilsachen sonst der Regel 
nach®'28j fremde Beweismittel, nämlich Eidhelfer und Eisen- 
probe, vorzugsweise gebraucht werden. 

Nächst den oberwähnten enthalten aber die Ritterrechte 
noch einige auf Besitzstreitigkeiten in Dorfmarken sich be- 
ziehende Bestimmungen, vermöge welcher zwar dieselben Be- 
weismittel, jedoch dergestalt zur Anwendung kommen, dass 
zunächst nur einem Theile das Beweisrecht, namentlich durch 
Eidhelfer, zugesprochen, dem andern dagegen offen gelassen 
wird, durch Erbietung zur Eisenprobe die Eidesleistung zu- 
rückzuweisen, was mit den Worten ausgedrückt wird: dem 
Gegner und seinen Eidhelfern „die Hand abstreichen und 
das Eisen tragen." Bleibt derjenige, der sich zum Eisen 
erboten, unversehrt, so hat er den Rechtsstreit gewonnen, 
verbrennt er sich, so muss er eine Geldstrafe erlegen. Im 
Einzelnen gehen die in mehrfachen Beziehungen dunkeln Be- 
stimmungenö2 9) dahin: 



^^^) üeber zwei Ausnahmen in Betreff der Eidhelfer s. oben § 21. 

**") Die diese Bestimmungen enthaltenden Capitel 89—91 und 95 des 
mittl. Livl. Ritterrechts (Anm. 630—33) sind dem ältesten Ritterrecht Art. 
61 — 63 und 67 entnommen, und in den bisher bekannten Texten in so 
hohem Grade corrurapirt, dass der »Sinn nicht nur oft zweifelhaft, sondern 
auch zuweilen vollkommen dunkel ist. Sie bieten daher ein weites Feld 
für die Conjecturalkritik, und sind aus diesem Grunde von den verschie- 
denen Auslegern auf die verschiedenste Weise aufgefasst worden. Siehe 
namentlich die beiden Uebersetzungen von Buddenbrock's in Hupel's 
neuen nord. Miscellan. Stck. 5 S. 386 fgg. und in seiner Sammlung der 
Gesetze etc. Bd. I. Sl 121 fgg., von Helmersen's Geschichte des Adels- 
rechts § 65 und i56j und 0. Schmidt, Verfahren vor dem Manngerichte 
S. 67 fgg. 



135 



1) Wenn an einem innerhalb einer geschlossenen Dorfmark 

belegenen Grundstücke ein Fremder (Ausmärker) Pfandrecht oder 

Mannbusse beansprucht, so muss er jene mit sieben, diese mit 

zwölf Eidhelfern beweisen^^^). Die Markgenossen können jedoch 

die Eide zurückweisen, indem sie jenen die Hand abstreichen 

und das Eisen tragen. Bleibt der Eisenträger unverletzt, so 

verliert jener Land und Gut, verbrennt er sich, so muss er 

(^vvenn Mannbusse in Rede steht?) die dreifache Mannbusse 

Zeilen, einen Theil dem Herrn (des Dorfes), zwei Theile dem 
Gregner® 3 1)^ 

2) Beansprucht ein Mann (aus der Zahl der Markgenossen ?) 
Eigenthum innerhalb der Mark, so hat jener das Vorrecht zum 
Beweise seines Anspruchs mit sieben Eidhelfern. Aber auch hier 
J^önnen die Gegner diesen Beweis durch Erbieten zur Eisenprobe 
^"tirückweisen. Verbrennt sich der Eisenträger, so zahlt er dem 



•80) M. L. RR. c. 89: „Binnen eines dorpes beslatener mark en mach 
'**^« m>an egendom hetalen(?). Hebhen överst lüde acker edder wysen hinnen 
^'^nes andern mark, dar mögest se weddeschat (edder) manhüte an heholden, 
"^^g) J wti7cZifcem acker edder toysen (eine?) marck landtgudes, mit söven man- 
*^€n, hederven lüden, up den hilligen, ift de acker edder loyse so gudt edder 
^eter. Sint se överst erger, so en darf men dar nicht mer utgeven, men dlse 
"^« wer dt sin, und schollen vor dingen (? werdigen?) twe des stichtes mannCy 
^^e de hisschop darto sendet. Spreken se överst manbüte dar up, und sin 
^^68 werdt edder heter, so mögen se men ere manbüte up eren ackeren edder 
"^^p eren wysen beholden, mit twölf mannen, unbespraken lüde, up den 
^^üligen.^* 

"^) Das. c. 90: „Wil överst dejenne, de de losinge büth, eer (?een?) 
rie handt afstriken wnd dregen dat iser, bernet he sik, he geve dre mark 
C?dremale?) manbüte na landtrechte, dat sin veertich mark landtgudes, dat 

drüdde deel sinem heren, de twe deele dem sakewolde, edder he lote em den 

ticker edder de vyyse stan vor dat sulvige gudt, beth he idt lösen mach. 

Wert he överst schyr, de jenne vorlüst landt und gudt, befialven als men em 

gudes daran bekant(?) heft.*^ 



Herrn eine Mark, bleibt er unversehrt, so muss jeder der sieben 
Eidhelfer eine Mark entrichten^ ^ 2)^ 

3) Wer an einem Grundstücke, welches zwar nicht inner- 
halb einer geschlossenen Mark, jedoch zwischen zweier oder 
mehrerer Dörfer Gränzen belegen ist, Eigenthum oder Erbrecht 
geltend macht, muss diesen Anspruch mit zwölf Eidhelfem 
beweisen^^^). Von einem „Abstreichen der Hand" ist in. diesem 
Falle nicht die Rede. 

h) Fortbildung durch die G^erichtsprazis. 

§ 51. 
Aus dem fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert liegt 
eine Reihe von Erkenntnissen des Harrisch-Wierischen Land 
rathes vor, welche vorzugsweise Nutzungen, insbesondere Hol 
Zungsrechte, in Gesammtmarken betreffen, und die im § 5 



dargestellten Grundsätze theils bestätigen^ 3*), theils modificireiL — 




^^^) Das. c. 95 : „Kiffet ein mun hinnen der gemeinheit eigendome t 
sih, und vorsähet em des de jenne, de to der gemeinheit höret, so sint 8 
neger ere gemeinheit to beholden mit söven 'mannen, up den hilligen, den 
de jenne, Wil överst de jenne en de handt afsiriken, und dat iser dreg 
dat mach he don. Winnet he, de söven geven ereni heren ein mm'h sulver 
vorlust he, so geve he ein marJc/^ 

•'3) Das. c. 91 : „Hehhen överst lüde acker edder wysen hüten er^ -- 
mark, v/nd doch hinnen nenes dorpes heslaiener mark, men twischen twi^^ 
edder mer dörper schedinge, und spreken se weddeschat eddßr manbü^ 
daran, welckem dorpe so kumpt(?) der losinge (? tokumpt de losinge?), d^^ 
ere mark daran schete, de sin der losinge neger, denn der (?de?) ander 
jegen aver, se möten alle sweren up den hilligen, ift men idt van en hebhe 
wil, de dat landt in den weren hehhen, dat dat dorp der losinge neger s^^ 
Spreken se överst er egendom und erve da/ran, und wolden dat heholden m^^^ 
ttoölf mannen, seker lüden, up den hilUgen, se sin des neger to heholdep^^ 
denn en jemandt aftowinnende , sint dat dat landt hinnen nenes m^inn^^ 
heslaiener mark en licht." 

•**) In einzelnen ürtheilen wird ausdrücklich auf altes Herkommen 
und Landesgewohnheit Bezug genommen. S. z. B. die Brieflade No. 644. 
742. 752 und vergl. oben Anm. 384 und 462. 



137 



Bis zum Anfange des sechszehnten Jahrhunderts wird in diesen 
Erkenntnissen in der Regel demjenigen, welcher ein Nutzungs- 
recht geltend macht^^^), er sei nun Kläger oder Beklagter^^e^^ 
das Beweisrecht zugesprochen, dem Gegner indessen gewöhnlich 
der Gegenbeweis offen gelassen® 3'^). Zu den im § 50 aufge- 
ftihrten Beweismitteln tritt jetzt noch der Urkundenbeweis hinzu, 
^iif Grundlage dessen bisweilen der Rechtsstreit entschieden 
^vird^^^). Am,, häufigsten aber kommt der Eid zur Anwendung, 
^nd zwar wird dieser von dem Guts - oder Hofsherrn allein , als 
Eineid, geleistet, während Bauern, wenn sie an dem Rechts- 
streit betheiligt sind, je sieben aus jedem Dorfe schwören 
Xnüssen®^^). Findet sich in dem Dorfe nicht die angegebene 
Zahl, so schwören so viele Bauern, als daselbst vorhanden 
sind®*^). Will die Partei, welcher das Beweisrecht zuerkannt 



•3«) S. die ürtheile von den Jahren 1489. 1492. 1493. 1497. 1501 , in 
^er Brieflade No. 365. 393. 446. 554. 612. Indessen fehlt es nicht an Bei- 
spielen, dass demienigen, der sein Land gegen prätendirte Nutzungsrechte 
des Gegners ,, beschirmt", das Beweisrecht zuerkannt wird. S. die drei 
Ürtheile vom J. 1477 in der Brieflade No. 323 — 325. In einem vierten 
Talle vom J. 1508 (Brieflade No. 724) erhält zwar auch die das Nutzungs- 
recht bekämpfende Partei das Beweisrecht, allein wohl nur aus dem 
Grunde, weil sie gleichzeitig behauptet, die Gegenpartei habe die Holzung 
nur aus „Gunst" genossen. 

«3«) Von den im Eingange der Anm. 635 angeführten Urtheilen spre- 
chen No. 365, 393 und 446 dem Kläger, No. 554 und 612 dagegen dem 
Beklagten das Beweisrecht zu. 

«3') S. die Brieflade No. 278. 325. 393. 554. 

•»«) Das. No. 278. 435. 

*^*) In einem Ürtheile vom Jahre 1493 (Brieflade No. 446) heisst es: 
„dass von Alters her allewege so gehalten ist: was ein Mann gedenkt zu 
beschirmen nach seinem Hofe für eine samende Mark mit seinem Recht 
(d. i. Eid), und die Bauern nach jeglichem Dorfe selbsiebend in den Hei- 
ligen etc." S. auch die ürtheile von den Jahren 1469. 1477. 1497. 1501. 
1530, in der Brieflade No. 278. 323—25. 554. 612. 1005, und vergl. noch 
daselbst No. 365 und 393. 

«*o) Brieflade No. 1005. Vergl. auch No. 612. 



138 



ist, nicht schwören, so wird die Gegenpartei zum Eide ge- 
lassen® *i). Die Gegenpartei kann aber auch Jener „die Hand 
abstreichen" und zum Eisen greifen« ^^^^ 

Seit dem sechszehnten Jahrhundert werden beide Parteien 
gleichzeitig zum Beweise zugelassen, und zwar sind die aus- 
schliesslichen Beweismittel Eid — mit der obangeführten Unter- 
scheidung zwischen Gutsherrn und Bauern — und Eisenprobe. 
Auf letztere wird gewöhnlich nur subsidiär erkannt, namentlich 
wenn eine Partei sich gegen die Eidesleistung erklärt®*^); zu- 
weilen giebt der Richter der Eisenprobe den Vorzug, um nicht 
durch den Eid „zu viele Seelen zu beschweren^'®**). Mitunter 
wird aber auch unmittelbar auf Eisentragen erkannt® *5). Be- 
hufs der Eisenprobe stellt jede Partei einen Bauern; hinsichtlich 
des Erfolges werden die Bestimmungen des Ritterrechts wieder- 
holt: „Welche Partei unversehrt bleibt, soll bei dem Lande 
(bezw. bei dem Nutzungsrechte) bleiben; brennen sie sich beide, 
so soll man das Land zur Hälfte theilen (middelen)\ bleiben sie 
beide unverletzt, so soll man gleichfalls das Land entzwei- 
schlagen®*®). Das letzte Erkenntniss der Art ist vom Jahre 
1530®*'^). 



**^) Das. No. 325. Von einer gleichzeitigen Eidesleistung beider Par- 
teien, wie sie das mittl. Livl. RK. c. 206 (Anm. 627) vorschreibt, findet 
sich keine Spur. Im Gegentheil werden in anderen Fällen gegenseitig 
angebotene Eide — „um der Beschwerung der Seelen willen" — vom 
Richter ausdrücklich verworfen. Brieflade No. 758. 813. 

«*2) Brieflade No. 278. 825. 554. In den beiden letzteren ürtheüen 
finden wir den technischen Ausdruck: „die Hand abstreichen** gebraucht. 

«") Urtheil vom J. 1530 , Briefl. No. 1005. 

«**) ürtheil vom J. 1510 , das. No. 742. Vergl. auch No. 650 (vom J. 
1505) und oben Anm. 641. 

««) Urtheile von den Jahren 1505 und 1528 in der Brieflade No. 650. 
945. 950. 

«*«) Briefl. No. 742. 752. 945. 
«*^) Das. No. 1005. 



139 



c) Bekreuzignngsverfahren. 

§ 52. 
Eine weitere Fortbildung des bisher geschilderten Verfahrens 
finden wir in dem sog. Bekreuzigungsverfahren, welches 
seit dem fünfzehnten Jahrhundert®*^) in allen Fällen zur An- 
wendung kam, wo gewaltsame Störung des Besitzes, Gränzein- 
drang, stattgefunden hatte® *^). Derjenige, dem Solches wider- 
&hren, hat darüber beim Mannrichter mündlich oder schriftlich 
Klage zu führen, und ihn zu bitten, ihm gegen den Beklagten 
eine Bekreuzigung ' zu vergönnen. Diesem Gesuch muss der 
Richter ohne Verzug willfahren, und ein Schreiben an den 
Beklagten ausfertigen, in welchem er diesen davon in Kennt- 
^s setzt , und ihm aufgiebt , die Bekreuzigung binnen sechs 
Wochen a dato „mit Recht zu entsetzen", d. i. vor Gericht seine 
Handlung zu rechtfertigen. Nachdem dieses Schreiben durch 
den Kläger oder durch den Richter dem Beklagten zugestellt 
forden, muss letzterer die von dem Kläger vorzunehmende 
Bekreuzigung ohne Widerrede gestatten, es sei in seinem Hause, 
Hofe, Landen, Leuten, Dörfern oder Gewässern. Jede von dem 
Beklagten dagegen unternommene Handlung galt als Gewalt^ s^). 



***) Die früheste Erwähnung des Bekreuzigungsverfahrens finden wir 
einem Urtheüe des Harrisch - Wierischen Landesrathes vom Jahre 1476 
Cferiefl. No. 315), wo dasselbe als eine bekannnte Einrichtung vorausgesetzt 
^^rd, die also wahrscheinlich schon seit langer Zeit im Gebrauche war. 
■^ abri widmet der Darstellung dieses Verfahrens ein eigenes — das fünfte 
^^^ — Bach seines Werkes. 

•*•) Nach Fabri S. 93 kann die Bekreuzigung angewendet werden: 
»>>n*f landen, lüden, watern edder strömen, holte und hoy, gewelde, lorevelike 
^'tisgewelde , oJc allerleye wiltsam entvöringe edder vrrevelike entvöringe edder 
^^'Htastinge etc.*^ 

«•*) S. die ausführliche Schilderung des Verfahrens bei Fabri S. 93 
^is 95, woselbst auch Formulare. Ueber die Wirkung der Bekreuzigung 



Die Bekreuzigung selbst aber geschieht in nachstehender Weise: 
Der Kläger oder einer seiner Angehörigen oder auf sein Geheiss 
ein zuverlässiger Deutscher Knecht spaltet ein etwa drei Ellen 
langes Stück Holz am oberen Ende, steckt quer in die Spalte 
ein anderes, ellenlanges Stück Holz hinein. Das so angefertigte ,^ 
Kreuz — oder , falls es erforderlich , mehrere solche Kreuze — — 
wird auf den streitigen Gegenstand (Gebreke) gehörig befestigte , 
Der Beklagte muss die Kreuze drei Tage lang, ohne etwi 
dagegen sagen zu dürfen, stehen lassen. Vor Ablauf diese: 
drei Tage muss er den Richter einladen, sich zum anberaumte! 
Termin auf seinem Hofe einzufinden. Thut er dies nicht, un ^ 
entsetzt nicht rechtlich die Bekreuzigung, so verliert er, na(^Zh 
Ablauf der sechs Wochen, als sachfällig, alles Bekreuzigte^ ^^ 3, 
er weise denn Ehehaften nach. Sind solche vorhanden, so karm-Ti 
der Richter die sechswöchentliche Frist erstrecken, wie er di 
auch sonst, mit Genehmigung beider Parteien, thun darf; a' 
kürzen darf er die Frist nicht. In dem anberaumten Term_in 
erscheint der Richter nebst seinen Folgern an dem Orte d_^r 
Bekreuzigung, und die Parteien treten vor ihn. Der Beklagt^e» 

hier „Entsetzer" genannt, hat das erste Wort, und bringt 

nachdem die üblichen Fragen über die Besetzung des Gerich^^ts 
vorausgegangen® ^2) — (jje Beweise bei,, welche ihm zu sein^^Di 
Rechte an dem Streitgegenstande und zur Entsetzung der t^c- 
kreuzigung verhelfen können, worauf auch der Kläger — „Jbr^e- 
kreuziger" — seine Beweise vorzulegen hat^^s) Nachdem d^^r- 
gestalt Beweis und Gegenbeweis auf der Stelle geführt word^^fl, 



und die Folgen einer Widersetzlichkeit des Beklagten vergl. auch ^Jie 
Brieflade No. 442. 650. 

«") Fabri S. 95 — 98. S. auch die Brieflade No. 942. 1121. 

«") S. oben § 6. 

«") Fabri S. 98. 100 — 104. 



141 



wird durch den Urtheilsmann , nach vorgängiger Berathung mit 
den Urtheilern, das Urtheil eingebracht 0^*). Ist dieses dem 
Entsetzer günstig, so nimmt der Richter die Kreuze ab, und 
verweist den Entsetzer mit seinen etwanigen Ansprüchen an den 
Kläger wegen zugefügter Gewalt an das Obergericht^^^). Hat 
dagegen der Kläger obgesiegt, so wird ihm, auf seine Bitte, der 
mit dem Kreuze bezeichnete Gegenstand auf der Stelle überant-^ 
wortet oder er in den Besitz desselben eingeführte^®). Können 
die bekreuzigten Gegenstände nicht gleich weggebracht werden, 
so wird dem obsiegenden Theile zu deren Abführung die erfor- 
derliche Frist bewilligt, und dem Entsetzer aufgegeben, ihm 
darin bei höchster Strafe nicht hinderlich zusein^^'^). Uebrigens 
darf ein solches Urtheil von jeder der streitenden Parteien an 
das Obergericht gescholten werden^^^). — Bleibt in dem zur 
Verhandlung angesetzten Termin der Beklagte aus, so wird er 
für sachfällig erklärt und das Bekreuzigte dem Kläger überant- 
vvortet^ö®); erscheint dagegen der Kläger nicht, so wird die 

Bekreuzigung aufgehoben® e®). 

• 

Der Beweis ist bei der Bekreuzigung, wie aus Obigem zu 
ersehen, ein zweiseitiger, wie er seit dem sechszehnten Jahr- 
hundert überhaupt in Besitzstreitigkeiten üblich geworden®®^). 
In Betreff der Beweismittel aber weist Fabri den Entsetzer an, 



"*) Das. S. 105. 

«") Das. S. 106 fgg. 

«»«) Das. S. 108 fgg. 

«") Das. S. 111 fg. 

«*«) Das. S. 108. 

«") Brieflade No. 942. 1121. 

«««) Das. No. 1470. 

•") S. oben § 51. 



142 



sein Recht zunächst durch Urkunden nachzuweisen^® 2). jn deren 
Ermangelung Zeugen, und zwar namentlich zwei oder drei ehr- 
bare, unberüchtigte Gutemannen, vorzuführen® ® ^^ . fehlen ihm 
auch solche, so soll er sich darüber, dass er und seine Vor- 
fahren sechs und dreissig Jahre lang im ruhigen Besitze des 
bekreuzigten Gegenstandes gewesen, zum Eide mit sechs Eid- 
helfern , unberüchtigten glaubwürdigen Rathleuten , erbieten. 
Wenn Bauerland bekreuzigt ist, so haben die Bauern selbst 
ihren alten Besitz eidlich zu erhärten®®*). Demnächst wird der 
Satz aufgestellt, dass „ein Mann näher ist, sein Land und seine 
Leute (durch Eid mit Gehülfen) zu behalten, als Jemand sie 
ihm mit neuer Ansprache oder Bekreuzigung abzugewinnen, es 
sei denn, dass der Bekreuziger mit genügsamen Siegeln und 



"•2) Fabri S. 101: „ So spreke de entsetter: Her richter! Ik^ 

sta hir mit minem hogen rechte und entsette desse heerützinge mit segel unc^ 
hreven. So he de heft, so mach he de gerieten. Item delbreve, kophreve etc.*^ 
S. Anm. 351. 

663j#D3g s 102: „Tom andern, de de segeL und hreve nicht en heft, d^ 
spreke also: Her richter t Ik entsette desse heerützinge mit twen edder dren^ 
lofwerdigen hesware getüchenissen , de ik dlhir vor juw int gericht bringe etc» 

So du nu solke heswaren tüchenisse vorhanden heddest, älse hi namen 

drier erhar unberüchtigeder guder manne, des machst du denn ok vor dem 
gehegeden gerichte gerieten, und de heerützinge also darmede entsetten/* 

••*) Das. S. 103: „Tom drüdden und veerden, so du nu ok solke he- 
sioaren tüchenisse nicht en heddest, so sprek also: Her richter! Ik entsette 
desse heerützinge mit minem egen rechte sulf sovende, unherüchtigede menne, 
up den hilligen j dat ik efte min vorvader edder min vader vorhen dit landt, 
holt, water, edder wat idt is, rouwsamliken , an Jemandes ansprake, nu 
xxxvj. jar lanck gehruket und heseten hehhen. Unde schal denn to und hi 
sik stellen söven{?) unherüchtigede, lof werdige radtlüde[?), imd de idt mit 
eme darup to den hilligen siveren, wo itzundes herört is, na forme und wise 
der landtrechte, dar tor stedde. Sös und dörtich jar rouwsam und hewislik 
hesitt is einem manne neger to heholdende, denn älse ein ander mit siner 
nien ansprake, ane segel und hreve, aftosprekende edder to hecrützigende. 
Wat överst huer lande sint, de hecrütziget werden, schollen de huren mit 
crem sulvest rechten heholden, mit sölkefin olden hesitt und hehhender were." 



143 



Briefen bewiese, dass das von ihm beanspruchte Gut ihm zuge- 
höre"^^5). Sonst kann auch der Bekreuziger sich des Zeugen- 
beweises, so wie des Eides mit sechs Gehülfen, bedienen^ ^6). 

Dieses von Fabri, dessen Buch im Jahre 1539 gedruckt ist, 

geschilderte Beweisverfahren unterscheidet sich von dem in den 

§§ 50 und 51 dargestellten sehr wesentlich dadurch, dass 1) der 

Eid mit Gehülfen durch Urkundenbeweis zurückgewiesen werden 

tann, und 2) der Eisenprobe, w'elcher noch im Jahre 1530 eine 

wichtige Stellung unter den Beweismitteln gebührte (§ 51 a. E.), 

durchaus keine Erwähnung geschieht. Dieses Beweismittel muss 

also zwischen den gedachten Jahren — 1530 und 39 — für den 

Besitz- und Gränzprocess wenn nicht abgeschafft worden, so 

doch ausser Uebung gekommen sein^^^a). 



***) Das. S. 103: „jE7m man is neger, sin landt und lüde, idt si ök icor 
'^dt si genömetj to heliöldende, älse jemandt de mit nier anspralce edder 
hecrützinge aftowinnende si; idt si denn, dat de hecrützinger dem jegendele 
genochaßige hreve und segel uphringe, darmede he bewise vor dem gehegeden 
gerichte, dat dat gudt, so he .mgespraken , eme togehöre, sus hefthe nen 
'>*€cht darto, und de besitter heft dat hogeste recht, und is baven sin olde 
hesit nicht mehr pUchtich to bewisende." 

*••) Fabri recapitulirt S. 106 fg. nochmals die im Bekreuzigungspro- 
cess zulässigen Beweismittel in nachstehender Art: ,fldt schal und{?) 
nemandes to rechte sin besitt nemen edder mit rechte daruth bringen, denn 
allene mit dessen dren stücken: mit genögehaftigem segel und breven, mit 
löfwerdiger beswarner tüchenisse, edder mit sines sulves rechte sülf sövende 
war maken (das Vorstehende geht offenbar auf den Bekreuziger; damit 
stimmt aber nicht der Schlusssatz:), dat datjenige, dat sin jegendel be- 
crütziget heft, eme mit rechte tohört und nicht sinem jegendeV^ Dieser 
Widerspruch ist um so auffallender, als unmittelbar darauf von den Beweis- 
mitteln des Entsetzers gehandelt wird: „Idt kann edder mach nene be- 
crützinge entsettet werden, utgenam^n mit dessen veer stücken, nömliken, ift mit 
segel und ift mit breven, twier edder drier löfwerdiger geswaren guder manne 
tüchenisse, ocxxvj, jar rouwsam und fredesam besitt, ane ansprake, ane lof- 
werdige segel und breve, de den besitter darvan tügen, sülf sövende, loo 
baven berört, up den hilligen to beholden.** 

•••a) S. übrigens unten § 65 Anm. 88. 



144 



4. Verfahren in L&nflinggforderangBsaclien. 

§ 53. 

Seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, wo die Eini- 
gungen über die Ausantwortung der entlaufenen Bauern**'') 
abgeschlossen wurden, wurden in allen Territorien, mitunter 
für einzelne Districte derselben**®), Hakenrichter eingesetzt, 
denen die Verhandlung der aus dem Entlaufen (Verstreichen) 
der Bauern entspringenden Streitigkeiten übertragen ward. Jeder 
Hakenrichter musste, wenn er von einem Betheiligten aufge- 
fordert wurde, ohne dass es in jedem einzelnen Falle der landes- 
herrlichen Genehmigung bedurfte, dem Kläger Beistand leisten, 
nachdem er zwei Gutemannen (Lehnsleute) als Beisitzer sich 
zugesellt***). 



"•^j Solcher Einigungen sind bis jetzt sechs bekannt: 1. Die von dem 
Bischof Bartholomäus von Dorpat (zwischen den Jahren 1443 und 61) mit 
dem Capitel, dem Abt von Falkenau und der Ritterschaft des Stifts abge- 
schlossene ; II. des Erzbischofs Michael Einigung mit den Ständen des Erz- 
stifts Eiga vom 31. Januar 1494; III. die Einigung des Ordensmeisters 
Wolter von Plettenberg und der Kitterschaft der Ordenslande mit dem 
Bischof von Oesel, dessen Capitel und Ritterschaft, am 22. Juni 1508 auf 
20 Jahre abgeschlossen ; IV. Einigung desselben mit dem Bischof von Reval 
und dessen Capitel, dem Abt zu Padis und der Harrisch-Wierischen Ritter- 
schaft, vom 24. Juni 1509; Y. des Ordensmeisters mit dem Bischof von 
Oesel vom 11. Januar 1554 und YI. des Bischofs Johannes von Oesel und 
Gurland mit seiner Ritterschaft vom 10. September 1554. S. über diese 
Einigungen and deren Veranlassung v. Bunge, geschichtl. Entwickelung 
der Standesverhältnisse S. 7 fgg. In den folgenden Anmerkungen sollen 
die einzelnen Einigungen nach den ihnen vorstehend vorgesetzten Nummern 
citirt werden. 

<'«*) So werden in der Einigung No. IV Art. 10 und 12 besondere 
Hakenrichter in Harrien, Wierland und Jerwen angeordnet. In den Stiftern 
scheint nur je ein Hakenrichter bestellt gewesen zu sein. S. die Einigungen 
I. II. VI. 

••») Einigung I. Art. 1 P. 7. Ein. H. Art. 5, Ein IV. Art. 10. 



145 



Wenn der Erbherr, welchem ein Bauer entlaufen ist, dessen 
Aufenthalt erforscht hat, muss er zunächst privatim denjenigen, 
unter dessen Gute der Läufling sich aufhält oder niedergelassen 
liat, Wegen dessen „Ausantwortung" angehen^''®), und zu- 
gleich eine Bewahrung für den Fall verlautbaren, dass der 
Bauer nach dieser Ansprache von dem Gute des Angesprochenen, 
mit dessen Wissen oder in Folge seiner Fahrlässigkeit, sich ent- 
fernen würde^'^^). Diese Ansprache wird „Forderung" ge- 
nannt , der sie Ausübende „Forderer"^'^^)^ (jag Recht dazu 

aber haftet an dem Gute, zu welchem der entlaufene Bauer 
gehört^ ''3). Die Forderung geht nicht bloss auf den Bauern, 
sondern auch auf alle von demselben mitgebrachte oder dort 
^r^orbene Habe^"^*), und darf der Bauer von dem Gutsbesitzer, 



•^») Einigung I. Art. l P. 1 u. 3. III. Art. 1. IV. Art. 1. 

«") Ein. I. Art. 1 P. 4. II. Art. 4. IV. Art. 3. Nach der ersten 
^^iiiigung muss der Beklagte, wenn der Läufling unter seinem Gute nicht 
^^funden wird, auf Verlangen vor dem Hakenrichter beeidigen, dass er 
i^Hen nicht aufgenommen, noch nach der Verwahrung gewarnt oder weg- 
geschafft. Vergl. auch die Brieflade No. 399. 429. 

•^*) In allen Einigungen, so wie in zahlreichen andern Urkunden, 
Verden die Ausdrücke „fordern", „verfordem", „Forderung", „Forderer", 
^e offenbar technisch waren, gebraucht. 

678) Wenigstens wird seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts fast 

• 

m allen Urkunden über die Veräusserung von Gütern das Recht, die vom 
Oute entlaufenen Bauern zu verfordem, auf den Erwerber ausdrücklich 
übertragen. S. die Kauf- und Auftragsbriefe in der Brieflade No. 228. 354. 
410. 471. 582. 586. 594. 673. 680. 777 und viele andere ; den Erbtheilungs- 
transact No. 341, den Pfandbesitzcontract No. 475, die Schenkungsurkunde 
No. 1375 u. a. m. 

•'*) Einigung I. Art. 1 P. 6: „ dass sie dem Uäger seine leute, 

als sie zu ihm gekommen sein, mit alle dem ihren, das sie zu ihm gebracht 
haben — — wieder ausantwortenJ* Art. 3: „Bern ob einiger mann au^- 
geantwortet werde, der da körn gesäet hette, es were was kom es were, 
von dem körn soll die herrschaft ausnehmen seine redliche schulde, seinen 

zehenden und seine gerechtigkeit.^ Einigung IV. Art. 1 P. 2 : „ de 

(hakenrichter) soll — em de lüde mit erer have uihantworden , und darto all 

Bunge, Geschichte des Gerichtswesens. 10 



146 



in dessen Gebiet er geflüchtet, wegen etwaniger Schulden dem 
Forderer nicht vorenthalten werden*''^). Der Angegangene ist 
vielmehr verpflichtet, den verstrichenen Bauern ohne Widerrede 
auszuantworten* "^ •). Verweigert er Solches, so erhebt der For- 
derer deshalb Klage bei dem Hakenrichter, welcher dem Be- 
klagten aufgiebt, den Kläger binnen vierzehn Tagen klaglos zu 
stellen. Leistet jener dieser Weisung nicht Folge, so begiebt 
sich der Hakenrichter auf Kosten des Beklagten*'''^) nach dessen 
Gute, und liefert den entlaufenen Bauern, falls dieser sich vor- 
findet, auf der Stelle aus. Findet der Bauer sich nicht mehr 
vor, so antwortet der Hakenrichter dem Kläger einen von des 
Beklagten Bauern, von gleicher Qualität, wie der entlaufene, 
für so lange aus, bis der entlaufene ihm wiedergestellt wird, 
oder die Parteien sich anderweitig vergleichen*'^®) — Dasselbe 
Verfahren tritt ein, wenn ein Gutsbesitzer, auf dessen Gebiet 
ein verstrichener Bauer sich niederlässt, davon Kenntniss erhält 
und dem Erbherm des Läuflings nicht binnen vier Wochen 
darüber Anzeige macht*''*). 



gewonnen körn und hoy, tttbescheiden gdehnet efte gehwret quedk, oh hüten 
bescheden dat erdfest und nagelfest is. Und weret sake, dat de hur roggen 
geseiet hedde, de roggen sal dem siihigen huren folgen, und sal den tegenden 
geven der herschop, dem dat landt höret,'* Einigung U. Art. 2: „Item ift 
de erfinan hi den frömden heren kinder hedde gekregen, wo ved er er is, de 
schollen den vader folgen, und nicht bliven hi den frömden heren, dar st 
geba/ren sin.'* Einigung III. Art. 1. V. Art. 1. 

•'») Einigung IV. Art 2: „ eft he em jennige schult upgeUhmt 

hedde, der en darf he em nicht hetalen.** Vergl. Ein. I. Art. 3 (Anm. 674). 
n. Art. 5. in. Art. 1. 

*^') S. BämmtUche Einigungen, desgl. den Landtagsschlnss zu Walk 
vom 25. Octbr. 1424 , die Wemersche Vereinigung vom J. 1482 , LandtagB- 
schluss zu Wolmar vom 5. März 1582 und zu Pemau vom J. 1552. 

•") Einigung I. Art. 1 P. 11. U. Art 3. IV. Art. 11. 

•») Einigung I. Art 1 P. 8. Ein. n. Art 4. HI. Art. 1. IV. Art 3. 

•7») Einigung IV. Art 1 und 2. 



147 



Der Erbherr ist übrigens befugt, den entlaufenen Knecht 
zu greifen , wo er ihn findet , nur muss er ihn dann demjenigen 
aufbieten, auf dessen Grund und Boden er ihn gegriffen. Wenn 
dieser sich für den Läufling nicht verbürgt, darf der Erbherr 
ihn mit sich nehmen®^®). 



TV. 
Verfahren in peinlichen Sachen. 

1. Aelteres Becht. Fehde. 

§ 54. 
Während in den Städten auch in peinlichen Sachen schon 
seh.1- früh alle Selbsthülfe (sulfrecht) verboten war«8i), war 



«80) Das. Art 15. 

•®^) Bereits im ältesten Rigischen Stadtrecht (ÜB. No. 77) besagt der 
erste Artikel: „Frimum quidem sit, ut nemo ipse iudicet; sed si quis nocet 
^^cui, adver sus proximum suum cor am iiidice satisfactionem exigat, secundum 
ius ordinatum." S. auch das. Art. 33. ümgearb. Big. StR. II, 4: „Negen 
'''ein sal sulf richte don, hi sinem live/^ Der erste Artikel der ältesten 
^gischen Bursprake vom J. 1376 (ÜB. No. 1123) lautet: „De rad verhud 
*tliken manne sulfrecht to doende hi sinem live*^, und wird in den späteren 
ebenso wiederholt. S. ferner die Reval'schen Burspraken (ÜB. No. 981, 
Ö82, 1516) Art. 2, die Pemau'sche Bursprake (ÜB. No. 1517) Art. 6. — 
X)em Lateinischen Texte des Lübecker Rechts für Reval vom J. 1257 
Art. 49 ist die Fehde wegen Todtschlages unter Bedingungen gestattet: 
y,Nemo alium potest propter homieidium , infra civitatis marchiam sive wich- 
hdde perpttratum, dliquem citare vel producere ad dtiellum, nisi in eodem 
locOf übi homcidium fuit factum, et clamx>r lesi est auditus etc.*' Allein 
dieser Artikel ist in die Deutschen Recensionen nicht mehr aufgenommen. 
— Uebrigens finden sich Spuren des Fehderechts in alten Güdeschragen. 
S. z. B. die Schra der heil. Kreuzes - Gilde in Riga vom J. 1252 (ÜB. No. 
242) Art. 16: y,Vortmer wer et sähe, dat en hroder were beveidet, dat he 
nicht dorste gan ute der gilde in sine herber ge, so sal men eme mede don 
veer hr ödere edder sosse, de solen ene beleiden in sine herber ge.'* Aehnlich 
in der Schra des Rigischen Fischeramtes (ÜB. No. 1524) Art. 15. Schra 

10* 



148 



auf dem Lande, namentlich unter den ßitterbürtigen , noch 
lange Zeit das Fehderecht oder Faustrecht in Uebung^®^)^ 
Im Falle einer Tödtung hatte nämlich die Familie des Ge- 
tödteten^^^), im Falle von Lähmungen und Verwundungen der 
Verletzte selbst und dessen Familie^ ^*), die Wahl, ob sie den 
der Tödtung oder Verletzung Schuldigen vor Gericht belangen, 
oder sich durch Selbsthülfe, Rache, Fehde {vdde, d. i. Krieg), 
Genugthuung verschaflFen wollten. Wählten sie das letztere, so 
erhob sich — bisweilen nach Kündigung des Friedens, was ab- 
sagen, entsagen, diffidare, hiess^^^) — die ganze Ver- 
wandtschaft des Getödteten oder Verletzten mit ihren Leuten, 
und verfolgte den Verbrecher — der als Friedensbrecher galt 
— bis sie ihn getödtet oder zur Genugthuung (durch Entrichtung 



der St. Canutigilde zu Reval (ÜB. No. 1519) Art. 4: „Nu ofte ein hüten- 
der gilde were und sloge einen güdebroder to dode, und weren sine gilde- 
hroder dar hi, so mögen se ene loreken, ofte se honen, edder se nemen oJc 
vulle borgen vor de ganze mannes hoet.^* S. auch das. Art. 25. — Hierher 
gehört wohl auch noch die Willkür des Revaler Käthes aus dem vierzehnten 
Jahrhundert (ÜB. No. 863, 3): „Weret dat jeman van hutento, de unse 
horger nicht en were, unseme horgere entsegede und druwede eme an sin lif, 
de horger scal to eme gan mit dem richte, und eschen eme enen horger to, 
und sat her sik dartegen und worde he dar dot geslagen, de dat deden, de 
dorsten dar nene not umme liden van rechtes icegene/' 

•8*) Noch im Jahre 1548 erklärt Robert Tolcks vor Gericht: „er wolle 
das mit des Edelmanns Rechte, als der Faust, beschützen, dass 
es nicht geschehe etc." Vergl. überhaupt v. Helmersen's Geschichte des 
Adelsrechts § 21. 22. 79. 80. 

•*') Mittl. Livl. RR. c. 84: „Sleit ein des stichtes man den andern dodt, 
he schal vnken iar und dach ut dem stichle. Wenn iar und dach umb Jcumpt 
und umbgekamen is, und toil he wedder inne, so geve he dem hischoppe 
dörtein gülden und veer ör, und legge de sake af, ift he mach: mach he 
nicht, 80 drege he de veydeJ^ S. auch c. 86. 

•**) Das. c. 87: „Lehmet ein den andern edder tvundet en, dar is kein 
recht y/p gesettet, msn he legere en edder drege sine veyde" 

•") S. z. B. das ÜB. No. 748. 983, 3. 1029. Es findet sich auch der 
Ausdruck „dedicere^*, ÜB. No. 713, b. — S. auch unten Anm. 691. 



149 



eines Wehrgeldes oder einer Busse, im Fall einer Tödtung 
Mannbusse genannt) gezwungen hatten, oder selbst unterlagen. 
Die Verwundung und selbst Tödtung des Friedensbrechers war 
straflos, auch wenn sie auf der Flucht geschah. Nur musste 
derjenige, der den Friedensbrecher verwundete oder tödtete, den 
begangenen Friedensbruch mit sechs Eidhelfern beschwören^ ^^). 
Bei andern, als den obgenannten Verbrechen, war das Fehde- 
recht ausgeschlossen^^''). — Erbot sich übrigens der Friedens- 
brecher zur Zahlung der Wedde an den Richter, und des Wehr- 
geldes oder der^ Busse , durch welche der Regel nach jeder 
Friedensbruch gesühnt werden konnte, an den Verletzten oder 
dessen Verwandte, so konnten diese von dem Richter gezwungen 
werden, sich damit zu begnügen |und jede weitere Fehde aufzu- 
geben ®®®). Wer dieses Sühnegeld vor Gericht ausgeschlagen 
hatte, konnte auf keinerlei fernem Ersatz Anspruch machen®^*). 



«8«) M. L. RR. c. 182. Vergl. auch c. 44 und 116. ÜB. No. 713, b. 

983,3 (Aiim.-681 a. E.). 

•*') Dies ist wohl der Sinn des mittl. L. RR. c. 111: „TFbr ein man 
einen viendt hefl, de an em gebraken heft, in welker achte idt is, den schal 
he nicht antasten edder ut dem rechten nicht vören, he do idt denn mit des 
richters willen und tuUwort, in des rechten he is." 

"«) Das. c. 84 und 87 (Anm. 683 und 84). Rig. StR. IX, 4: „Were 
dat also, dat en man untqueme, de enen dotslach (gedan) hedde, den sal 
men vredelos leggen. Wil he den dotslach heteren, dat sal he heden in de 
stat deme rade, so mach he heteren tegen den vrunt mit x, mark sülvers, und 
tegen de stat mit iij. mark sulvers, und de rat sal dar en hoven vögen also- 
danige heteringe, de he do, de den vrunden erlic si,* Iset ok, dat de dot- 
slach mortlike gesehen is ofte mit vor säte, so mach he tegen den vrunt mit 
OCX. mark sulvers 'und tegen de stat mit vj. mark sulvers (betem). Mer were 
dat sdke, dat de vrunt der heteringe nicht hehben ne wulden, so sulde de rat 
dat gelt wg hören, und hannen eme vrede. Und wer et, dat ene na dere tit 
jeman sloge, de su^de dat heteren, ailse hir vore hescreven is,'* — S. auch die 
Beschlüsse der Estnischen Vasallen vom 26. März 13Ö6 (ÜB. Reg. 713), und 
das ÜB. No. 1132. 1141. 1286. 

"») M. L. RR. c. 121. 



— Wenn die Fehde durch Erlegung des Wehrgeldes oder de 
Busse oder auf andere Weise, durch Vergleich oder richterlich 
Erkenntniss, erledigt war, so erfolgte eine formelle Aussöhnun, 
bei welcher der verletzte Theil die Urfehde (orvaide, caes 
dium) leisten, d. i. für sich und seine Angehörigen die eidlic 
Versicherung geben musste, wider den Gegner keinerlei Fein 
Seligkeit fortan zu unternehmen^^®). 

Spuren von der wirklichen Ausübung des Fehderechts dur« 
Privatpersonen — ßitterbürtige , wie Bauern — finden sich 
in das fünfzehnte Jahrhundert^si), liis durch das Gebot eii 
allgemeinen Landfriedens, erst auf eine Reihe von Jahren^* 
im sechszehnten Jahrhundert aber für immer, auch im Gebi( 
des Landrechts, alle Selbsthülfe in peinlichen Sachen ab| 
schafft und mit Strafe bedroht wurde^®^). 




£ 



"0) Beispiele von solchen Urfehden s. im ÜB. No. 635. 640. 891. ^ 

der letztem wird dafür der sonst nicht bekannte, aber sehr bezeichne 
Ausdruck „caesodium" gebraucht. S. auch noch die Sühnebriefe im 
No. 618. 637. 653. 655. 667. 1569. 1571. 2297. 

•®^) Die Belege dafür finden sich in den Citaten aus dem Urkund 
buche in den vorstehenden Anmerkungen, besonders 685, 88 und 90. 
fehlt auch nicht an Beispielen, dass Edelleute Städten Fehdebriefe zuj 
stellt, so die Brüder Christian und Willekin von Scherembeke im J. 
der Stadt Dorpat (ÜB. No. 795. 800 und 801), Hans von Tisenhusen 
J. 1471 derselben Stadt (Briefl. No. 287). Ein gewisser Claus Doeck rieht 
im J. 1418 einen Absagebrief an den Revaler Rath (ÜB. No. 2266), Berex» <^* 

von Vreden im J. 1409 an den Kaufmann in Nowgorod (ÜB. No. 1788). 

Ueber die üebung der Blutrache bei den Bauern berichtet Russe w ^^ 
seiner Chronik Bl. 18, b. 

"**) Landtagsrecess vom 21. Januar 1472. 

«®2) Landtagsrecesse vom 13. Februar 1534, vom 29. Septbr. 1537y 
vom 28. Juli 1546. S. überhaupt v. Bunge Entwickelung der Standes ^ 
Verhältnisse S. 82. 95 fgg. 



e 



151 



2. Zlage Tim Friedens'bruch itfiGl Ungericht. 

§ 55. 
Alle Klagen um Friedensbruch, desgleichen Klagen um 
Ungericht (ungerichte, auch unrecht)^ d. h. um jedes Ver- 
brechen, wegen dessen eine öffentliche Strafe eintreten kann, 
Verden mit Gerüfte (rächte, gerückte, schricJde), d. i. mit öffent- 
lichem Geschrei^®*), erhoben, wenn handhafte That vorhanden 
ist ö 9 5) Unter handhafter That — auch offenbare Schuld 
S^Uannt^^^) — versteht man diejenige, bei welcher der Ver- 
^^echer öffentlich ertappt worden ist. Es wird aber dahin auch 
^^hon gerechnet, wenn Jemand (im Falle von Todtschlag oder 
^^rwundung) mit scharfen Waffen betroffen wird, oder wenn 
S^^tohlene und gefraubte Sachen in seiner Wohnung und unter 



••*) Für dieses war in Norddeutschland die eigenthümliche Form 
^^^^odtU^^ oder „Tiodute*^ üblich (vergl. darüber Homeyer's Richtsteig 
^* 541) , welche auch in unseren Gegenden (im Handelshof zu Nowgorod) 
"Vorkommt. ÜB. No. 3077. 

•®'^) Mittl. L. RR. c. 177 : „ Wiff edder maget , de nodt vor dem rechten 

^^agetj de schollen Magen mit gerüchtCf dorch de handthaftige dadt und 

^^orch de nodt, de se dar bewisen schoUen, We ok wive (deve?) mit düffte 

^^der mit roff vor gerichte bringet gevangen, de schollen ok klagen mit 

Sferüchte dorch de handthaftige dadt, de se mit den lüden vorbringen.^' Das 

^STort „wi$ef' (ohne Zweifel eine Verstümmelung für „deve^^ hat v. Hel- 

iiciersen (a. a. 0. §105) veranlasst, die Unerlässlichkeit des Gerüftes auf 

IClagen wegen Nothzucht und gegen Frauen zu beschränken, was offenbar 

Unrichtig ist. — RR. c. 178: „De ok doden vor gerichte bringet, und klaget 

Vor gerichte dat unrecht, so em gedan, de schal idt klagen mit gerächte 

üorch de handthaftige dadt, de schinbar is. Wor nene apenhare dadt ne 

is, de mach {moth?) men Sünder gerächte klagen, ift men des ane schaden 

hliven toiV* Die Emendation des Textes durch die Worte: „wor — ne is^' 

nach der Quelle (Sachsensp. II , 64, 5) bedarf keiner Rechtfertigung. Vergl. 

auch noch c. 108. 165. 184. Rig. StR. II, 21. IX, 11. Lüb. StR. I, 73. 

U, 166. 179. 201. ÜB. No. 2406. 

•»«) M. L. RR. c. 113. Rig. StR. I, 22. K, 17 (Anm. 697). 



152 



seinem Verschlusse gefunden werden, nachdem er, darüber be- 
fragt, es geleugnet^ ^'^). — Wenn ein Gerüfte erhoben wird, so 
ist jeder Grossjährige , welcher sein Schwert fuhren kann , ver- 
pflichtet, sich bewaffnet einzustellen und den Verbrecher zu 
verfolgen, er weise denn Ehehaften nach^®®). Selbst Verwandte 
des Verbrechers dürfen sich davon nicht ausschliessen , und 
ebenso wenig der Vasall, wenn sein Lehnsherr, und der Lehns- 
herr, wenn dessen Vasall verfolgt wird^^^). Wer übrigens eine 
Klage mit Gerüfte erhoben hat, muss sie auch vollführen, d. h. 
beweisen; kann er dies nicht, so trifft ihn die Strafe, welche 
auf dem angeschuldigten Verbrechen stehf®®). 



•*'') M. L. RR. c. 144: ,jHandthaftige dadt is, wor men en hegripet mit 
der dadt, edder duffte edder roff findet in siner were, dar he den slötel to 
drecht.'' S. auch c. 145. 177. 178 (Anm. 695). Rig. StR. IX, 17: ^e 
hantdadige dat is de gene, de mit der apenharen schult ofte mit vorevlucht 
vorwunnen wert, ofte mit deme egachtigen wapene hesen wert, und ok efte he 
rof ofte duve in sinen weren hevet, dar he sulven den slötel to dreget, undj 
ofte man darna vraget, und he vorsähet." Fast gleichlautend ist das Lüb. 
StR. II, 453. Vergl. auch das. Art. 201. 

"•*) M. L. RR. c. 183: „Wapen mach men wol vören, wenn men dem 
gerüchte volget , und deme schollen van rechte volgen alle de jennen, de to 
efren jaren kamen sint, also verne als se dat swerdt vören können, idt en 
h&neme en denn rechte nodt" Rig. StR. 1 , 22 : „So war en rüchte acut in 
der stat und dar geschriet wert, und komet de näburen nicht to, de darhi 
heseten sint, dat soln se beteren der stat, er jewelik mit V« mark sulvers; 
so we aver sweren wil, dat he des nicht ne hör de, de ne^darf nicht 
beteren/^ 

•••) M. L. RR. c. 233 : „Mn man moth wol sinem heren, und de here 
sinem manne, und de mach dem mage volgen, und schal helpen wehren 
(Sachsensp. in, 78: bestedigen) van rechts wegen umh unrechte, dar he mit 
rechte {gerüchte) to geladen wert, an einer apenba/ren (handthaftigen) dadt, 
und he deit wedder sine truwe nicht" 

^®®) Das. c. 108 heisst es, nach den in der Anm. 149 ausgezogenen 
Worten: „Schriet he överst ein gerüchte, edder begripet eine klage, de scheu 
he vullenvören und vorderen de mit rechte. Wente gerüchte is ein beginnen 
der klage, und vullenvöret he der klage nicht, he schal sulven in der schult 
stan." S. auch das. c. 44. 



153 



Ist keine handhafte That vorhanden, so darf auch nicht 
mit Gerüfte, sondern nur einfach geklagt werden'' ®i). — Wenn 
mehrere Kläger um Ungericht gegen Einen Angeschuldigten auf- 
treten, so braucht dieser, ehe er der Klage des ersten Klägers 
ledig ist, den übrigen nicht zu antworten ''o«), — Die Bestim- 
mung, dass der Beklagte, wenn er vor Gericht erscheint, nicht 
mehr als sieben Männer (Begleiter) mitbringen, und ausser dem 
Schwert keine WaiBfe tragen darf® 3), mag sich wohl bloss auf 
den Fall beziehen, wo er nicht auf der That ertappt war, denn 
alsdann wird er ohne Zweifel immer entwaffnet worden sein''®*). 

3. Uelserführung des Verlsreohers. Eid, Gottesurtheil. 

§ 56. 

Ist der Verbrecher in handhafter That gefangen, so wird 
er vor Gericht geführt und — wenn er leugnet oder die Ant- 
wort verweigert — muss bei schwereren Verbrechen, welche an 
Leib oder Ehre gehen, der Kläger mit sechs Eidhelfern, bei 
geringeren Vergehungen mit zwei Mitschwörenden die Klage 
wahr machen''® 5), Geht die Beschuldigung auf einen Todt- 
schlag, der Angeklagte aber leugnet, und ein Anderer nimmt 



^01) Das. c. 178 (Anm. 695). 

^°*) Das. c. 197: „Klagen vele lüde up einen man unrecht, he en heft 
den andern nicht to antworden, eer he des ersten leddich is.'^ 
^«3) Das. c. 180. 
T04) Vergl. oben § 6. 

''®*) M. L. ER. c. 113: „Welk man mit apenharer schuldt gevangen 
wert, de em an sine eere geit, und wille des versahen, dat schollen de Meger 
vuUenbringen sulf sövende, dat he dat gedan hadde, Were dk de hröhe 
minder, so scholde he sulf drüdde up em tügenJ^ Das. c. 219: „Geit em 
(d. i. dem die Antwort verweigernden Angeklagten) överst de schuldt a/n 
dat Uff edder an sin gestmdt, so moth de kleger sulf sövende tagen up en.** 
Vergl. auch c. 196. 



die Schuld auf sich , so muss , wenn letzterer entflieht , der 
geklagte sich von der Anklage durch einen Eid mit sfechs Ei 
nelfern reinigen''®^). Nach dem Rigischen Stadtrecht kan 
derjenige, der dem Richter „Blau und Blut" aufweisen ka 
den Angeklagten schon durch seinen eigenen Eid überführe 
es sei denn, dass letzterer durch zwei Zeugen darthut, dass 
zu der Zeit, wo die Verwundung stattfand, an einem ande 
Orte gewesen sei'^^'^). ' Nach demselben Stadtrecht kann e— 
Hausfriedensbruch, wenn der desselben Angeschuldigte aus d 
Hause entkommen ist, durch das Zeugniss der Nachbarn 
wiesen werden. Ist dieser Beweis nicht zu erbringen, so kai 
der Angeklagte durch den Eid mit sechs Eidhelfern, seL 
etwanigen Gefährten durch den Eid mit je drei Gehülfen, 
Klage entgehen'^ ®^). 






''^^) Das. c. 85: „Vorsähet ein man den dodtslach, und is ein an^^^^r, 
de den doden (de dadt?) up sik nimpt, und wiket ut, so mach he des ^^-^^^ 
gan, de des vorsähet , sülf sövende, de des stichtes manne sin, fteete^^'""'^ 
lüde, iß he oh sülvest des stichtes mam, si; is he nicht, so sin idt ano^^^^^ 
hederve lüde, de em helpen sweren, dat he des rades und dades unschulä^'^'^^ 
8%, so schal em de hischop vrede werhen efte de richter, hi dem halse." 
Eine verwandte Bestimmung enthält ein Ordel des Lübeck'schen Baths ^■-'■m 
dem vierzehnten Jahrhundert (ÜB. No. 933, 2): ,flcht ein man doit ^^^' 
slagen worde in der stat to Luhehe, und en man den dodtslach up ^-^-^h 
neme, efte de vrunde ander lüde schuldigen wulden, dat se dar mede w^^^^^ 
hedderif en mögen se en des dodtslages nicht overtugen, so mögen de ItM^^^^^ 
den man schult gift, dar af gain mit enes hant/^ 

■'oTf) Kig. StR. IX, 20: „So welih man hlawe und hlot hevet, dj>t sal ^^^ 
wisen deme vogedCy und so is naghere to overgande sinen weder saken wp^^" 
sines sulves hant uppe den hügen, dan he eme si to untgande, dat ne v^ f"""^ 
also, dat de andere hetugen muchte mit twen erlihen hesetenen horgeren, (^^^ 
scoln dat sweren, dat he dar to dere tit nicht ne were, dar eme de serid^ei — -^ 
heschach." 

708) Das. Art. 8: „So war en man met heradenem mode ofte mit hesc^ — ^ 
menden vrunden an des anderen were geit und ene dar sleit, wert he in der' 
were heholden, he sal et heteren mit sines sulves live, Kumt he aver uU defT"^^ 
were und wert he den vorwunnen mit den ndburen, he sal der stat heteren^ 



155 



Ist der Verbrecher nicht auf handhafter That ergriffen, so 
kann er, wenn er „vollkommen an seinem Rechte", d. h. von 
unbescholtenem Rufe, ist, jeder Anklage durch seinen Eid ent- 
gehen ''<>®). Diesen Eid muss der Angeklagte persönlich leisten; 
indessen ist es auch gestattet, dass der Vater für den Sohn 
schwöre*^ ^^). Wer sich aber bereits einmal von einer Klage 
um Diebstahl oder Fälschung durch einen Eid gereinigt hat, 
kann, abermals wegen desselben Vergehens angeklagt, dieser 
Anklage nur durch einen selbander zu leistenden Eid entgehen; 
wird er zum drittenmal wegen Diebstahls oder Fälschung be- 
langt, so muss er sich der Probe des glühenden Eisens unter- 



X. mrk. sulvers und deine manne twevolt sinen bröke, na Stades rechte, und 
iewelik, de met eme an vlocke und an verde gewesen hevet, de sal heterefi der 
stat iij. mark sulvers^ den men vorwinnen m>ach mit den näburen. So weliken 
husvredebrekere men nicht vorwinnen en machy.de mach des untgan mit vj. 
man eden, de erlike hesetene lüde sin, und en iewelik, de an vlocke und verde 
gewesen hevet, mit dren man eden, de erlike hesetene lüde sin.*^ S. auch 
noch das. Art.' 6 und 7 und über den Beweis einer Nothzucht VT , 3. 

^®®) Mittl. L. RR. c. 113, wo es, nach den in der Anm. 705 abge- 
druckten Worten, heisst: „Were idt överst, dat einer beschuldiget worde 
umb einigerlei, des teere he neger to entgande mit den hilUgen, denn jemand 
em to avermnnende.** Diese Bestimmung bildet offenbar einen Gegensatz 
zu der vorangehenden, und kann daher nur von dem Falle verstanden 
werden, wenn keine handhafte That stattgefunden (s. v. Bunge, über 
den Sachsenspiegel S. 59). Vergl. auch c. 15 (oben Anm. 396) und c. 131 
(unten Anm. 711). — Lüb. StR. II, 32: „Is dat ienich man den andei'n 
tiet duve oder roves, und nicht under eme ne begripet, de, deme men is tief,, 
de m^ch sik des untsecgen mit siner enen hant up den hilegen." Vergl. auch 
Art. 36. 64. 116, und Mich eisen, Oberhof No. 234. Auch kann das in 
der Anm. 706 angeführte Ordel hierher gezogen werden. -^ Big. StR. IX, 
13. — S. noch die Bulle Pabst Honorius III. im ÜB. No. 3164, und eben- 
daselbst die Urkunden No. 518. 9ül. 1096; auch die Briefl. No. 558. 

^") M. L. RR. c. 138 : „De vader mach den söne utnemen eins , ift he 
umb missedadt beklaget würde, dewile he van em nicht gesundert en is, also 
dat he swere up den hilligen, dat de söne der dadt unschiüdich" 



156 



werfen'"). Wer bereits einmal vor Gericht des Diebstahls, 

• 

oder Raubes, oder Kirchenraubes, oder Mordes, oder der Ver- 
rätherei, oder der Vergiftung oder endlich der Zauberei über- 
führt worden, und dafür eine Busse erlegt hat, darf sich, im 
Falle einer abermaligen Anklage wegen irgend eines Verbrechens, 
nicht mehr durch den Eid reinigen, sondern muss entweder ein 
glühendes Eisen tragen oder bis an den Ellenbogen in einen 
siedenden Kessel greifen'^^^). — Bauern konnten sich in schwe- 
reren Criminalsachen von einer Anklage in der Regel nur durch 
die Eisenprobe von der Strafe befreien'^ ^3). 

Endlich gehört hierher noch die Bestimmung des Lübecki- 
schen Stadtrechts, dass, wenn ein Bürger ausserhalb der Stadt- 
mark erschlagen, die Leiche in die Stadt gebracht und ein 



'^^) Das. c. 131: „ Wert Överst ein seJcer man, de eer nene dufte 

gebetert heft, belegen umb dufte, he entgeit es allene up den hilligen. Wert 
he överst to dem andernmäle vorJdaget vor gerichte, so schall he sik sulf 
ander entseggen up den hilligen. Wert he överst to dem drüdden male vor 
gerichte vorMaget umb dufte, so mot he sik reinigen mit dem, iseren. Sunder 
de kleger schall dat up den hilligen sweren, dat he dat nicht durch hates 
willen f noch einigerlei andere saTce willen ^ Sünder dorch vorlust sines gudes 
gedan. Bernet he sik, men schal en hangen; wert he överst schyr, de kleger 
geve ein mark sülvers vor sin ungemak. Dat sülvige recht höret 6k aver 
unrechte mate und unrechte wage, und aver unrechten kope, ift man sodant 
under se findet, wente se denne (sodane?) sint alle deve.^^ S. das Wiek- 
OesePsche Lehnrecht II, 1, 2. — Das älteste Rigische Stadtrecht (ÜB. No. 77) 
Art. 13 bestimmt: „Quicunque satisfacit urhi pro furto^ atque si convidus 
fuerit postmodum, iure civili carebif In das uragearb. Stadtrecht ist diese 
Bestimmung nicht aufgenommen. 

'") Livl. RR. c. 38: „De mit dufte edder mit rove, edder mit kerkenbreken, 
edder mit vorrederniss , edder mit vorgift edder towerie vorwunnen wert vor 
gerichte, edder gebetert heft, wert he beschuldiget anders wor, he mach mit 
sinem ede nicht entschuldiget werden, sunder twier heft he köre, dat iser to 
dregen edder in einen sedendigen ketel to gripen bet an de ellenpogenJ* 
c. 131: „Wert einer belegen mit ditfle^ de eer dufte gebetert heft vor gerichte, 
des mach he anders nicht enlgan, dan mit dem iseren/^ 

'^') S. die in den Anmerkungen 385 — 388 angeführten Quellen. 



157 



öderer Bürger der Tödtung beschuldigt wird, dieser der Klage 
öQtgehen kann, wenn er selbzwölfte beschwört, dass er keine 
Schuld an dem Tode jenes haf^^*). 

4. Flucht des Verlsreohers, Verfestung, Friedlosigkeit. 

§ 57. 
Wenn der wegen Ungerichts Angeklagte auf dreimalige Vor- 
ladung nicht erscheinf^*^), desgleichen wenn der auf der That 
Ert^ippte entflieht, so wird er für verfestet oder friedlos er- 
klS-XTf*«). Wer den dergestalt Angeklagten mit Gewalt entführt 
11^^ entkommt, wird gleichfalls friedlos^ * '^). Wird ein Friedens- 



"*) Lüb. StK. n, 181. 

^^^) Das. U, 180: „/So wen so men vredelos scal leggen, denie schal 

''***^^ dat aller irest hundegen in sineme kerkspele, er man en vredelos legge, 

'*'^c2 wü he sih untsehuldegen und mach he, he kome, ne mach he nicht, men 

'^Qet ene vredelos in deme dridden dage." Vergl. das. I, 73 und mittl. L. 

• ^^. c. 219. 

'") M. L. RR. c. 155: „We einen man vor gerichte vorklaget in sin 

^Utworde, wert he fluchUch, so nimpt he de sake up sik; is he överst vor- 

'^^^iget umb ungerichte, men schäl en altohand fredeloss leggen" Das. c. 80 : ' 

»Jdordt und vorrederniss und kerkenbreken (dat is) dat radt Werdest se 

*•»*< der that upgeholden, men schal se richten, kamsn se en wech, men mach 

«c vorvesten und fredeloss leggen hinnen dem stichte etc." — Vergl. auch 

c. 115. - Rig. StR. IX, 4: „Were dat also, dat en man untqueme, de enen 

dodtslach hedde, den sal men vredelos leggen/* Lüb. StR. 11, 210: „Wundet 

unse borgere den anderen mit eggagtigen wapene und wert he dar umme 

vorvluchtic und vredelos gelecget etc." 

■'") M. L. RR. c. 196: „Welk man einen beklageden man, de umb 
ungerichte beklaget is, entföret weldikliken, wert he gegangen in der dadt, he 
schal pine liden gelik em. Kumpt he överst en wech, men vorvestet en älto- 
handt, ift men en in der dadt beseen heft, u/nd betügen mach sülf sövende 
mit unbespraken ludett up den hilligen." Abweichend bestimmt das Rig. 
StR. IX, 6: „We enen mordere ofte enen manslachtigen man beschermet 
loddechliken und de vorvölginge hinderet, iset dat men ene vormnnen mach, 
he sal dat lif vorlesen , ofte he sal et lösen mit x, mark sulvers. Mer mach 
men ene nicht vorwirmen , so sal he sik untschuldigen mit vj. erliken besetenen 
bargerenJ* 



158 



brecher in einem Hofe oder in einer Burg gehalten, und auf 
Verlangen des Richters nicht ausgeliefert, so werden Burg oder 
H->f, sammt Allen, die sich darin befinden, verfestet '^ ^ *). Eine 
Ausnahme findet statt hinsichtlich solcher Orte und Stätten, 
welche das Asylrecht gemessen, wohin nicht nur B^irchen 
und Klöster^ *^), sondern auch die Schlösser oder Häuser des 
Deutschen Ordens gehören" 2®). — Nach Landrecht triflft übrigens 
Friedlosigkeit auch denjenigen, der einen Friedlosen wissentlich 
speist oder beherbergte^*). 

Die Wirkungen der Verfestung oder Friedlosigkeit (Acht) 
bestanden darin, dass der Verfestete alle bürgerlichen Bechte 
verlor. Er war zum Vorsprecheramte^^^), wie zum Zeugniss 
unfähig^^^); sein Vermögen fiel an seine nächsten Erben'^^*). 
Auf seine Klage braucht sich Niemand einzulassen; er dagegen 
muss Jedem, der wider ihn klagt, antworten "^ 2 5)^ Kein Ver- 



'**) M. L. RR. c. 184: „Up welkerem huse edder hoffe men den frede- 
breker hoU wedder recht, wenn de richter mit gerückte darvör geladen wert, 
und he en den fredebreker afeschet, als dat recht is, dat men dat hören 
möge t*p dem huse^ gift he en nicht af edder ut to rechte y men vorveste de 
horch edder den hoff und de darup und inne sint. Leih men överst darup 
gan des richters baden sösse und den kleger, de sähen den fredebreker und 
roff, so en schal men se nicht vorvesten" 

'!•) Vergl. das ÜB. No. 283, a. 600. 985. 1007. 

'»0) Bulle Cölestins IIl. vom 21. Decbr. 1196, Honorius 111. vom 16. 
Decbr. 1220. Privilegium König Ruprechts vom 19. August 1403, ÜB. No. 
1633, 3114, 3121. 

'* *) M. L. RR. c. 208 : „ Welk man spiset edder herberget einen frede- 
losen man, he is freddoss gelik em/' Das Rigische Stadtrecht IX, 13 und 
die Revaler Burspraken (ÜB. No. 982, 35 und 1516, 38) bedrohen den 
Schuldigen nur mit Geldstrafen. 

'") M. L, RR. c. 176. 247. S. oben § 10. 

"«) Das. c. 247. S. § 22. 

'**) Das. c. 80 a. E. : „ överst er gudt vorbreken se nicht, dat 

beholt er wif und kinder und rechte erven, S. Anm. 729. 

'") Das. c. 202. 247. S. oben § 16. 



I. 



159 



gehen, das an ihm begangen wurde, zog irgend eine Verant- 
wortHchkeit des Thäters nach sich'^^e) Man kann ihn zu jeder 
Zeit, auch an heiUgen Tagen, greifen und vor Gericht brin- 
gen ^^^r) Wird er im letztem Falle überführt, so geht es ihm 
— um welches Verbrechens willen er auch friedlos gelegt sein 
mag — stets an den Leib^*^). 

Die Friedlosigkeit dauerte so lange, bis der Friedlose sich 
mit dem Richter und mit dem Kläger verglichen, d. h. bis er, 
vor Gericht gestellt, sowohl dem Richter die Wedde, als dem 
Kläger die Busse gezahlt hatte , worauf ihm vom Richter Friede 
gebannt wurde '^ 2^). Wenn der Verfestete sich freiwillig erbot, 
vor dem Richter zu erscheinen^ ^o) u^^ seine Unschuld darzu- 
•thun, — um sich „aus der Verfestung zu ziehen", — so musste 
der Richter ihm sicheres Geleit geben^^^). Erschien dann 



T««) Verordnung des Hochmeisters vom J. 1408. Rig. Burspraken im 
ÜB. No. 1123, 5. 1213, 4. 1493, 4. 1667, 4. 

''''') M. L. ER. c. 126: „Binnen den hüUgen dagen moth men wol einen 
fredelosen man vangen edder hesetten edder to eschenJ* 

'28) Das. c. 115: „ümb welkerlei sahen willen ein man fredeloss geleckt 
wert, wert he hinnen der tidt gevangen und vor gericht gedacht, idt geit em 
an sinen Uff, ift he der dadt edder der schuldt mit rechte avertüget wert.** 
S. auch das Lüb. StR. I, 73. II, 179. 

'*•) M. L. RR. c. 80, wo nach den in der Anm. 716 angefahrten 
Worten fortgefahren wird: „so lange beth se sik vorliken mit dem ridhter 
und mit dem kleger, överst er gudt etc/* (Anm. 724). Vergl. auch das Rig. 
StR. IX, 4, oben Anm. 688. 

'•<>) M. L. RR. c. 115, nach den in der Anm. 728 angeführten Worten : 
,J)eit he sik överst ut der schuldt , und kumpt he ungevangen vor gerichte 
und toil sin unschult darvan don sulf sövende wp den hUligen , de kumpt 
to sinen rechten und hlivet der unsdiuldt quidt.** 

'^•*) Das. c. 119: „Wert ein man fredeloss gdecht, wnd wü sik daruth 
iheen, dem schal de richter frede maken vörtokamen, und mit sinem rechte 
van dem to werrende(?). Wenn he sik up den hiUigen utgetagen heft, so 
schal en de richter und (de) sakeweldige, ift he dar is, quidt loten." c. 120: 
tyls de säkeweldige dar nicht, so schal men idt em to entbeden drie, Jo to 



160 



der Verfestete und stellte Bürgen, dass er jederzeit vor Gericht 
erscheinen werde, so wurde er nach dem Landrecht auf freiem 
Fuss gelassen; hat er aber keine Bürgen, so musste der Richter 
selbst ihn bürgen, d. h. ihn in Haft halten, bis er Rechtes 
pflogt^ 3*-^). Nach den Stadtrechten war im Falle von schweren 
Verbrechen, und namentlich bei Verfesteten, eine Bürgschaft 
nicht zulässig, wenigstens nicht ohne ausdrückliche Zustimmung 
des Klägers'^ 3 3). — Seine Unschuld beweist der Verfestete da- 
durch, dass er sie selbsiebend, also mit sechs Eidhelfem, 
beschwört^ 3*), worauf er, wenn der Kläger gegenwärtig ist, 
sofort zu seinem Rechte kommt, d. h. die Friedlosigkeit für 
aufgehoben erklärt wird^^^). Ist der Kläger abwesend, und 
erscheint nicht auf dreimalige Vorladung , so wird der Verfestete« 
gleichfalls freigesprochen und die Verfestung aufgehobene^*). 
Die Aufhebung der Verfestung durfte übrigens von keinem 



veertein nachten. Kumpt he dar hinnen nicht, so schal men en leddich delen 
van der klage y wnd schal em frede werken, alse dat ein recht J' Vergl. auch 
das Rig. StR. IX, 4 und das Lüb. StR. II, 14. 244. 

^**) M. L. RR. c. 203: y,Ein vorvestet man maxih sik wol uUheen in 
allen steden hinnen dem gerichte, darinne he vorvestet is, Borgen schal he 
överst setten, dat he vorkamen wil; ne hefl he der horgen nicht, de richtet 
sät en selven holden, het he des rechtens plege" (Vergl. v. Bunge über 
den Sachsenspiegel S. 50). Uebrigens ist auch der um Ungericht Ange- 
klagte von der Bürgschaftsleistung befreit, wenn er im Gerichtsbezirk 
mehr besitzt, ak die etwanige Busse beträgt. RR. c. 121. 

"») Rig. StR. n, 22 a. E. (Anm. 498). IX, 2: „Vor duve, vor rof 
und des gelike ne mach nen man horge werden, dar en mit dere openbare 
schuld hegrepen wert,** Lüb. StR. 11, 232: „So welk man deit enen hroke, 
de em geit an sinen hals oder an sine swnt, dene schal horgen de konvnglike 
wolt, dene ne mach ok ne man to horge don, it ne do de gance rat" 

"*) M. L. RR. c. 115 (Anm. 730). S. auch das. c. 37 (Anm. 739) und 
196 (Anm. 717). 

'«») Das. c. 119 (Anm. 731). 

'»•) Das. c. 120 (Anm. 731). 



161 



^dern Richter geschehen, als von demjenigen, welcher sie 
ausgesprochen hatte^^^). 

Die Friedlosigkeit erstreckte sich zunächst nur auf den 
Bezirk desjenigen Gerichts, von welchem sie ausgesprochen 
forden war^^^). Wer indessen durch das Obergericht ver- 
festet worden, war, wenn er binnen Jahr und Tag sich nicht 
herauszog ^^®), auch in den Bezirken aller untergeordneten 
Gerichte friedlos; umgekehrt war dagegen der von einem nie- 
dem Gerichte Verfestete deshalb nicht auch im Obergerichte 
veiTfestet. Der von dem Obergericht Verfestete konnte nur von 
<Jiesem, nicht aber von einem untergeordneten Gericht, gerichtet 
wex*den^*®). — Nach Lübeck'schem Stadtrecht war, wer in einer 
Stfii^t Lübeck'schen Rechts verfestet worden, in allen Städten 
v^x*festet, in denen dieses Recht galt^**). 

6. Untersuchungsverfahren; ins'besondere in den geistlichen 

Gerichten. 

§ 58. 
In den geistlichen Gerichten wurde gegen Geistliche nicht 
"*-c>S8 bei erhobener • Klage das Verfahren eingeleitet , sondern 



^") Das. c. 203 (Anm. 732). 

''^^) Das. c. 208 a. E.: „Men inach ok nenen fredelosen mmi vorwinnen 
**^ einem andern rechte/^ 

'^®) Das. c. 37: „We fredeloss wert gelecht vor dem översten richteVt 
**^ff darinne is jar unde dach, unde sik nicht darut thüt hi sinen eden sülf 
^^vende, de hlivet fredeloss in allen rechten, de in dat rechte hört." 

^*^) Das. c. 209 : „ We in dem högesten rechten fredeloss wert geleeht, 
^es is he in allen rechten fredeloss, de darin hören, in dat gerichte. We 
^verst in dem neddersten rechte vorvestet wert, he en is in dem översten 
'''echte nicht vorvestet, he en werde denn redelick darin gebracht. De ned- 
derste richtet en moth nicht richten de vestinge, de de överste richter gedan 
heß." 

'*^) Lüb. StR. n, 357: „De vorveste{ is in ener stad, dat si umme wat 
^issedat id si, de is vorvestet in alleme Luheschen rechte." 

Bunge, Geschiehte des Gerichtswesens. 11 



/ 



162 



es war der Richter auch verpflichtet, von Amts wegen einzu- 
schreiten bei offenkundigen Vergehungen und bei glaubhafter 
Denunciation ; und wenn ein Geistlicher durch ein dringendes 
Gerücht öflFentlich bezüchtigt war, musste der Richter eine 
amtliche Untersuchung oder Inquisition veranstalten. In Folge 
dieses letztern Verfahrens konnte jedoch den Ueberwiesenen 
nicht (wie bei Anklage und Notorietät) die volle Strafe, son- 
dern nur eine ausserordentliche Ahndung (Busse, Pönitenz) 
treflFen''*2)^ _ i^ (j^^ Sendgerichten waren die Sendschöffen 
verpflichtet, die ihnen bekannt gewordenen Vergehen der Ge- 
meindeglieder anzuzeigen, was man „rügen" (wrogen) nannte. 
Nach dem altern Rechte wurde der Angeschuldigte, wenn er 
gestand, mit einer Busse belegt; leugnete er aber, so konnte 
er sich durch einen Eid, bald mit, bald ohne Eidhelfer, rei- 
nigen; ja, nach Anleitung des Landrechts, selbst durch ein 
Gottesurtheil. Dies letztere hörte aber früh auf, und seit dem 
sechszehnten Jahrhundert kam auch der Gebrauch des Reinigungs- 
eides in Wegfall''* 3). 

Es ist bereits ^oben (§ 12) gezeigt worden, wie in den 
Städten auch der weltliche Richter in gewissen Criminalfallen 
amtlich einzuschreiten verpflichtet war, wenn auch keine Klage 
erhoben worden^**). Veranlassung dazu gab ohne Zweifel theils 
das Bedürfniss einer grösseren Rechtssicherheit bei dem Zu- 



^**) Vergl. das Statut des Rigischen Provincialconcils vom J. 1428 
Tit. 7: de officio ordinarii, wo das „inquirere et corrigere^' zu den Haupt- 
pflichten des geistlichen Eichters gerechnet wird. 

■'*») Vergl. überhaupt Richter's Kirchenrecht § 211; Walter's 
Eirchenrecht § 194, und oben § 9. 

, '^**) S. ausser den oben Anm. 151 angeführten Quellen , auch noch 
das Rig. StR. X, 9: „Weret also, dat gut vorstolen worde, und Jcumpt met^ 
uppe dat gut, so schal dat gut weder gan, und wert de def hegrepen, dar 
scal sik de voget mede hewetenj* 



163 



sammenleben so vieler Menschen in einem beschränkteren Räume, 
und die dadurch nothwendig gewordene polizeiliche Thätigkeit 
der Obrigkeit, theils die Schwierigkeiten, welche oft der An- 
stollung einer Criminalklage Seitens des Verletzten, namentlich 
in. IBetreflf des Beweises, entgegentraten, theils endlich, in späterer 
Zöit, der Einfluss des Canonischen und des Römischen Rechts. 
Atxf solche Weise entwickelte sich in den Städten schon in diesem 
Zeiträume der Untersuchungs - oder Inquisitionsprocess , ohne 
dfii*s8 sich jedoch für denselben specielle Normen in den Rechts- 
<l"0.dlen festgestellt finden^ *5). Uebrigens verordnet schon das 
äX-ti€ire Lübeck'sche Recht, dass, wenn obrigkeitliche Personen 
z^x einem Streite hinzukommen, sie die Streitenden vor Gericht 
f^xrdern, ihnen bei Strafe Frieden gebieten, und aufgeben sollen, 
^^Cili — mit Zuziehung ihrer Freunde — zu vertragen. Ge- 
s^^ldeht dies nicht, so soll die Obrigkeit sich der Sache „unter- 
^^^i.nden", und, je nachdem ein Theil sich an dem andern 
'^^ybrochen, den Schuldigen zur gesetzlichen Genugthuung ver- 
^^x-theilen^*«). 



'**) Vergl. Eichhorn 's Deutsche Rechtsgeschichte § 459. 

'*•) Lüb. StR. n, 122: „Schelet oder tmet hederve man under tmschen, 
de rcUmun scholen se taten komen vor er antworde, und scholen en beiden 
heden bi eres sulves halse und bi viftich marken goldes, dat se vrede hoMen, 
und sdiolen en beden, dat se to samene komen mit eren vrunden tmd vere- 
Venen sik na erem rade, Ne mach dat nicht gesehen, so scholen sik des de 
r(Uman underwinden, tmd na deme dlse er en an deine anderen gebroken 
hevet, scholen se enen deme andern laten beteren. Kumt aver en ratman 
dar to, dar twe lüde oder mer ludes twieden, de ratman diene mach en wol 
vrede beden bi tdn marken sulvers, dlse dicke dlse des not isj* 



11' 



164 



Zweiter Abschnitt. 

Yerändermigeii in dem Gerichtswesen nnd dem 

Gerichtsyerfahren bis zur ünterwerfang der Ost- 

seeproTinzen unter den Russischen Scepter. 



Erster Titel. 

Gericlits^?veseii und Gericlitsverfalireii in Estland 
Tv^ahrend der Sch^wedischen HerrsdiajTt. 

Einleitung. 

§ 59. 

Bis zum Anfange des siebenzehnten Jahrhunderts blieb das 
Gerichtswesen und Gerichtsverfahren in Estland im Wesentlichen 
auf demselben Standpunkt, den es am Schlüsse des vorher- 
gehenden Zeitraumes eingenonmien hatte. Die unter dem Titel: 
„Ritterrechte des Fürstenthums Ehsten" um das Jahr 
1600 von dem Eitterschafts - Secretär Moritz Brandis zu- 
sammengetragene Compilation^) ist fast ausschliesslich aus 
Quellen geschöpft, welche jenem Zeiträume angehören, und 
hatte — wenn sie auch viel rein geschichtliches Beiwerk auf- 



^) S. darüber v. Bunge 's Einleitung in die Bechtsge'öchichte § 82. 



165 



genommen — doch den deutlich ausgesprochenen Zweck, eine 
dem practischen Gebrauche dienende Darstellung des derzeit 
geltenden Rechts zu liefern. Wir stossen darin fast auf alle 
Institute des alten Rechts^), nur von Gottesurtheilen findet sich 
keine Spur. Selten, z. B. in dem von der Citation handelnden 
Art. 13 des zweiten Buches, kommen aus den späteren Pro- 
tocoUen des Landesrathes oder Landgerichts (§ 60) entnommene 
Bestimmungen vor. Von besonderer Wichtigkeit ist die auf 
solche Protocolle von den Jahren 1585 und 1587 gegründete 
Verweisung auf das Kaiserrecht, d. i. das Römische Recht, 
in Fällen, wo das heimische Recht nicht ausreicht^). Der Ein- 
fluss des Römischen Rechts zeigt sich denn auch in bedeutendem 
Umfange*) in dem um das Jahr 1648 zu Stande gekommenen 



*) So handelt B. I. Art. 7 vom ürtheilsmann , B. II. Art. 18 vom Ur- 
theilfinden , Art. 19 von der Wedde, Art. 28 von der Friedlosigkeit, Art. 32 
von dem Kechte, einer Beschuldigung durch den Eid zu entgehen, Art. 48 
von der Bekreuzigung u. s. w. — Auch die vorausgeschickte „Ordnung des 
gehegten Gerichts" enthält in ihren Schlussartikeln mehrere Reminiscenzen 
an das alte Recht. 

^) B. IL Art. 16 Lex. 4. Das hierzu als Beleg angeführte Urtheil des 
Landgerichts vom J. 1585 (in J. Paucker's Ausgabe in den Monumenta 
Livonice III, 2, S! 179 Anm. 1) spricht aus: „weiln in ihren von Icuningen 
zu Icuningen etc. confirmirten Privilegien ausdrücklich geschrieben, das, 
wan. feUe fürfallen, die in denselben Privilegien nicht enthalten, der richter 
nach den keiserlichen rechten urtheilen und sprechen sol." Ziemlich gleich- 
lautend ist auch ein Urtheil vom Jahre 1587 (ebendas. Anm. 2), nur dass 
darin das Wort „ausdrücklich" fehlt. In der That findet sich auch in 
keinem der älteren Privilegien eine solche ausdrückliche Bestimmung, ja 
nicht einmal eine Andeutung der Art. Vergl. v. Bunge 's angeführte 
Einleitung § 67 und 88 a. E. Bestimmte' Stellen aus dem Römischen 
Rechte werden in den gedachten Urtheilen nicht angeführt; aber auch 
solche finden wir in den Berichten des Landgerichts an den König von 
den Jahren 1592 (Monum. Livonice III, 2, 322) und 1621 (v. Bunge 's 
Archiv VIL S. 219). 

*) S. das Nähere in v. Bunge 's Beiträgen zur Kunde der Livländ. 
Rechtsquellen S. 131 fg. 



166 



„Kitter- und Landrecht des Herzogthums Esthen"*), 
dessen erstes Buch: „Vom Landgerichte, gerichtlichem Process 
und was demselben angehörig", die Hauptquelle für diesen Zeit- 
raum bildet. Dazu kommen noch einzelne königlich Schwedische 
Verordnungen^), Constitutionen des Landgerichts''), die von dem 
Estländischen Generalgouvemeur Erich Oxenstiema im Jahre 
1653 erlassene Manngerichtsordnung®), nebst Ergänzung vom 
28. März 1664»). lieber die Fortbildung des in dem Ritter- 
iind Landrechte aufgezeichneten Rechts durch die späteren ge- 
setzlichen Normen, so wie durch den Gerichtsbrauch, geben 
Auskunft die Marginalien von J. H. Riesenkampff ^®). Reichen 
Stoff zur Kenntniss der Entwicklung des Rechts durch die 
Praxis während dieses ganzen Zeitraumes liefert femer die zweite 
Abtheilung der Est- und Livländischen Brieflade, herausgegeben 
von E. Pabst und R. Baron von Toll. Reval 1861 und 



*) Es ist herausgegeben von J. P. Q. Ewers. Dorpat 1821. 8. S. 
überhaupt v. Bunge 's Einleitung § 83. Obschon die nachgesuchte Be- 
stätigung dieses Landrechts von der Schwedischen Eegierung bis zu deren 
Ende hingezogen wurde, erhielt es dennoch schon früh practische Greltung. 
Berufungen auf dasselbe finden wir bereits in den Jahren 1657 und 1667, 
S. die Brieflade 11. No. 696 (Anmerkungen) und 754. Vergl. auch No. 981 
Tom J. 1698, besonders aber die Oberlandgerichts-Constitution vom J. 1691 
Art. 1. 7. 8. 

') lieber die gedruckten Sammlungen derselben s. v. Bunge a. a. 0. 
§ 80. Das Beval'sche Burggericht brachte sogar das alte Schwedische 
Landrecht (das. § 77) in Anwendung (Brieflade U. No. 612), während das 
Landgericht von dessen Geltang in Estland mit Recht nichts wissen woUte 
(das. No. 739). 

^ S. Ewers' Ausgabe des Bitter- und Landrechts S. 577 fgg. 

") Das. S. 585 fgg. Durch diese Manngerichtsordnung wurde die von 
demselben Generalgouvemeur am 22. März 1648 erlassene Instruction für 
die Mannrichter antiquirt. 

•) Ewers S. 602 fgg. 

") Das. S, 483 — 574. 



167 



1864. 8. In gleich hohem Maassstabe gilt dies von den hand- 
schriftlichen Auszügen des Landraths Ferd. Samson von 
Himmelstiern aus den Protocollen des Estländischen Ober- 
^d Niederlandgerichts für die Jahre 1585 — 1652. 

In der Stadt Reval wurde das im Jahre 1586 revidirte 
Lübeck'sche Stadtrecht sehr bald recipirt^^), welches in dem 
hierher gehörigen fünften Buche zwar grösseren Theils aus den 
älteren Recensionen meist wörtlich schöpft, jedoch Manches als 
veraltet weggelassen ^^j^ dagegen einzelne neue, wohl auf Auto- 
nomie beruhende Artikel aufgenommen hat^^). Von grösserer 
Bedeutung für die Fortbildung des Rechts sind die von dem 
ReTal'schen Rathe selbst ausgegangenen autonomischen Normen, 
^Insbesondere die Obergerichts-, die Procuratoren- und die Con- 
sj^storialordnung^*). 



") V. Bunge a. a. 0. § 84. 

**) So fehlt in den revidirten Statuten eine Reihe der von der Zeugen - 
^^^gkeit handelnden Artikel der älteren Deutschen Becensionen, namentlich 
A^i^t. 73. 129. 213. 310. 313. 315. 346 ; ausserdem von den das Gerichtswesen 
betreffenden Artikeln: 54. 55. 82. 117. 211. 233. 237. 254. 323. 344. 364. 

") Von den neu hinzugekommenen Artikeln (s. v. Bunge a. a. 0. 
§ 227 Anm. 1.) beziehen sich nur sehr wenige auf den Process. 

") S. V. Bunge, Revaler Rechtsquellen Bd. I. S. 250 fgg. 268 fgg. 
287 fgg. 



168 



Erstes Capitel. 
Von der Gerichtsverfassung und den Parteien. 

I. 
Gerichtsbarkeit und Zuständigkeit der Gerichte. 

1. Landesgerichte. 

§60. 

Die Gerichtsverfassung des Landes erfuhr, theils schon zu 
Anfang, theils im Laufe dieses Zeitraumes, manche wesentliche 
Veränderungen. Zwar blieben im Ganzen dieselben Richter- 
stellen bestehen : der Landesrath , nunmehr königliches 
Landgericht genannt , die Manngerichte , die Hakenrichter ; 
allein es veränderte sich theils ihre Competenz, theils ihre 
innere Einrichtung. In ersterer Beziehung ist hervorzuheben, 
dass das Landgericht in den meisten Civil- und Criminalsachen 
des Adels die erste Instanz wurde ^^), während den Mann- 
gerichten nur Gränzstreitigkeiten , Immissionen, Aufträge, die 
Vollstreckung der Urtheile des Landgerichts und des königlichen 
Gouvernements, und die Ausführung anderer obrigkeitlicher Com- 
niissa, als Zeugenverhöre, Aufnahmen des Augenscheins und 
dergleichen mehr, vorbehalten blieben, besonders aber die Unter- 
suchung in Criminalsachen der niedern Stände^ ^). Demnächst 
wurde, wahrscheinlich im Jahre 1017^''), vorzugsweise für gering- 



") Estland. Bitter- und Landrecht B. I. Tit. 1 Art. 2. Tit. 2 Art 2. 3. 
S. übrigens unten § 68 No. 5. 

^®) Das. Tit. 5 Art. 1. 4. 8 fgg. Manngerichtsordnung vom Jahre 
1653 § 1. 

^'') Von diesem Jahre sind wenigstens die ersten Protocolle des Nie- 
derlandgerichts. 



169 



fiigige Schuldforderungssacheji^®), ein Nie derlandge rieht er- 
richtet^®), und das bisherige Landgericht dadurch zum Ober- 
gericht oder Oberlandgericht^^) erhoben. — Der Adel 
verlor die peinliche Gerichtsbarkeit über seine Bauern in Sachen, 
welche an Leib und Leben gehen, und es ward diese Juris- 
diction den königlichen Gerichten — den Manngerichten und 
dem Landgericht — übertragend^). — Den Hakenrichtern 
wurden verschiedene polizeiliche Functionen zugewiesen^^) , na- 
mentlich aber auch, neben den Manngerichten, und zuletzt aus- 
schliesslich, die Vollstreckung der Urtheile des Landgerichts und 
des königlichen Gouvernements auferlegt^^). 

* Ausser dem Niederlandgericht wurden auch noch andere 
neue Behörden errichtet. Dahin gehört: 

1) das im Jahre 1630 vom Könige verordnete Amt' eines 
Advocaius^ Fisci, auch Advocatus regius oder Commis- 



^®) In der ersten Zeit scheint die Competenz des Niederlandgerichts 
nicht genauer bestimmt gewesen zu sein, es vielmehr von dem Überland- 
gericht abgehangen zu haben, welche bei demselben angebrachte Sachen 
es an das Niedergericht verweisen wollte. S. das Niederlandgerichtspro- 
tocoll vom J. 1617. Erst später wurde die Zuständigkeit auf Sachen,. deren 
Werth 200 Rthlr. nicht übersteigt, beschränkt. R. u. LR. I, 3, 1. 

^®) R. u. LR. 1,3, verglichen mit I, 2, 3. S. auch die Brieflade IT. 
No. 790. 938. 

20) Die Benennung „Oberlandgericht" begegnet in dessen Protocollen 
zum erstenmal im Jahre 1647, bis dahin heisst es seit dem Jahre 1617 
gewöhnlich „Obergericht". 

**) Gnadenbriefe Gustav Adolfs vom 24. Novbr. 1617 und vom Jahre 
1630. Königl. Resolution vom 20. August 1634 § 20. R. u. LR. I, 2, 4. 
IV, 18, 4. 

") Estland. R. u. LR. I, 6, 4. VI, 6, 2. Brieflade H. No. 581. 583. 
897. S. auch unten § 68 No. 1. 

") R. u. LR. I, 6, 2. Vergl. dazu Riesenkampff *s Marginalien 
zum B. I. Tit. 34 Art. 3. 



170 



sarius Fi sei genannt, welcher das Interesse der Krone wahr- 
zunehmen und in gewissen Fällen als öffentlicher Ankläger auf- 
zutreten hatte^*). 

2) das geistliche Consistorium, auch Domcapitel 
genannt , ist wahrscheinlich schon im Anfange des siebenzehnten 
Jahrhunderts eingesetzt worden^^). Vor dasselbe gehörten alle 
Sachen, welche Beruf und Amt der Prediger betrafen, während 
letztere in weltlichen Sachen unter dem Landgericht sortirten. 
Ehesachen mussten zwar auch zunächst bei dem Consistorium 
verhandelt werden; allein das Landgericht war gleichfalls be- 
fugt, sie anzunehmen und darin zu erkennen, nur musste 
vorher ein Gutachten des Consistoriums eingeholt werden^^). 

3) das Burggericht zu Reval, bereits gegen Ende des 
sechszehnten Jahrhunderts errichtet 2''). Der Civil- und Cri- 
minalgerichtsbarkeit desselben wurden sämmtliche Bewohner des 
Schlosses und Domes zu Reval, nebst Zubehör (d. i. den Vor- 



**) Oberlandgerichtsjrotocoll vom J. 1634. S. überhaupt unten § 72. 

") H. B. Paucker (Estlands Geistlichkeit (Reval 1874. 8.) S. 21) 
folgert zwar daraus, dass das alte Siegel des Consistoriums die Jahrzahl 
1689 trägt, dass die Behörde in diesem Jahre eingesetzt worden. Allein 
in dem Urtheile des Landgerichts vom 12. März 1617 (Brieflade No. 326) 
ist bereits von einem Erkenntniss des „ehrwürdigen Consistoriums" in 
Ehesachen die Rede. Ja aus einem Erkenntniss des Landgerichts in Ehe- 
sachen vom 5. Juli 1592 (Monum. lAvonicB III, 2, 814) scheint hervorzu- 
gehen, dass damals schon ein geistliches Gericht in Estland bestand. 

") Estl. R. u. LR. B. L Tit. 2 Art. 5 — 7. Königl. Resolution vom 
16. October 1675 Art. 3. 

") Die Zeit der Errichtung dieser Behörde lässt sich nicht genauer 
ermitteln. Erwähnt wird sie zuerst in einem Schreiben des Königs Sigis- 
mund an die Landräthe vom 18. Juni 1596, und seit dem Jahre 1620 ist 
von ihr in den Protocollen des Oberlandgerichts häufig die Rede. In einer 
königl. Resolution vom 27. März 1688 wird auf eine die Competenz des 
Reval'schen Burggerichts betreffende königl. Verordnung vom 15. Septbr. 
1649 Bezug genommen. S. auch noch die Brieflade No. 411. 476. 593. 596. 
612 u. 1038 und vergl. oben Anm. 6. 



171 



Städten), so wie aller Krongüter, ohne Unterschied des Standes,- 
tixiterworfen^®). Zwischen diesem Burggerichte und dem Land- 
gericht entstanden schon früh wiederholte Competenzconflicte^®). 
Als nun, gegen das Ende des siebenzehnten Jahrhunderts, in 
Folge der Güterrevision und -Reduction, viele adelige Land- 
güter von der Krone eingezogen und den bisherigen Besitzern 
in Arende gegeben wurden^^), nahm das Burggericht die Ge- 
i^ichtsbarkeit auch über diese Güter, deren Besitzer und Be- 
'wohner, in Anspruch. Die hierdurch wesentlich vermehrten 
Jurisdictionsstreitigkeiten zwischen den gedachten Behörden 
führten endlich mehrere Entscheidungen des Königs herbei, 
'Welche im Ganzen zu Gunsten des Burggerichts ausfielen^ ^). 
Die beanspruchte Ausdehnung der Gerichtsbarkeit desselben 
wurde als berechtigt anerkannt, und davon nur ausgenommen 
und der Jurisdiction des Landgerichts vorbehalten: Criminal- 
sachen Adeliger, welche Ehre und Leib angehen^^), und Sachen, 
welche nach dem königlich Schwedischen Duellplacat vom Jahre 
1682 zu beurtheilen sind^^). — Noch vor dem Ende der Schwe- 



'*) S. die königl. Besolutionen vom 27. März und 22. Juni 1688, vom 
1. April 1691 und vom 3. Januar 1694. 

**) S. die Protocolle des Oberlandgerichts von den Jahren 1620. 1634. 
1635. 42. 46 und besonders 1647. 

»•) S. die Geschichte des Livländ. Privatrechts (St Petersb. 1862. 8.) 
§ 114. 

*^) Mit £e2dehung auf die königliche Besolution vom 22. Juni 1688 
publicirte der Generalgouvemeur von Estland, Axel Julius de la Gardie, 
am 30. Novbr. d. J. die Namen der Landgüter, welche fortan der Gerichts- 
barkeit des Burggerichts untergeben sein sollten. Es waren deren in 
Harrien 75, in Wierland 50, in Jerwen und in der Wieck je 59, in Allem 
also 24a S. die Brieflade H. Np. 935. 

»«) Königl. Resol. vom 22. Juni 1688 und vom 1. April 1691. 

••) Königl. Resol. vom 1. April 1691 und vom 3. Januar 1694. 



172 



dischen Herrschaft wurde übrigens, auf wiederholte Bitte des 
Adels, das Burggericht gänzlich aufgehoben**). 

Fortsetzung. Innere Einrichtung der Gerichte. Gerichtshegungen. 

§ 61. 
Was die innere Einrichtung der Gerichte betriffi , so besteht 
die wesentlichste Veränderung darin , dass — ohne Zweifel durch 
den Einfluss des Römischen Rechts — die Trennung der urthei- 
lenden von der vollstreckenden Gewalt aufhört. Im Anfange 
dieses Zeitraumes sehen wir zwar den Urtheilsmann*^), 
natürlich mit den Urtheilem, noch in voller Thätigkeit, be- 
sonders bei Aufträgen von Gütern***), desgleichen bei Zeugen- 
verhören *'^), Bewahrungen*®), Anweisungen*®). Allein schon 



^*) S. die geschichtliche Ueb ersieht des Provincialrechts der Ostsee- 
gouvernements (St. Petersb. 1845. 8.) Th. II. S. 58. 

^'^) In einem Berichte der Landräthe an den Beichsmarschall Heinrich 
Hörn vom Jahre 1614 (v. Bunge 's Archiv IV, 329 fgg.) heisst es: „Es 
seind auch allhier im Lande geordnet Mannrichtere und Hakenrichtere, 
welche nebenst zweien Geschwomen vom Adel und einem Urtheilsmann 
das Untergericht hegen, sowohl auch üfträge, Contracten und andere 
gemeine Sachen und Händel schlichten und richten." Daraus dürfte man 
schliessen, dass auch bei den Gerichtshegungen der Hakenrichter, Beisitzer 
und ein Urtheilsmann thätig gewesen, wovon jedoch sonst nirgends eine 
Spur vorkommt. 

3«) S. die Brieflade No. 32. 66. 82. 132. 250. 281. 314. 332, von den 
Jahren 1573. 84. 89. 93. 99. 1605. 15. 19 u. a. 

") Das. No. 18. 19. 22. 90. 222. 223, von den Jahren 1567. 68. 
1591. 98. 

*®) Das. No. 2 vom J. 1561. Braunes Protocoll des Landgerichts vom 
J. 1586. 

") Das. No. 33 vom J. 1573. Eigeatliche mannrichterliche ürtheüe 
aus dem Ende des sechszehnten und dem Anfange des siebenzehnten Jahr- 
hunderts fehlen leider in den bisher zugänglich gemachten Urkonden- 
sammlungen. 



173 



vom Jahre 1620 ab fehlt der Urtheilsmann häufig bei den 
Verhandlungen des Mannrichters*®), und erscheint nur noch bei 
Aufträgen, aber auch bei diesen zuletzt im Februar 1636*^). 
Seit dieser Zeit verschwindet er ganz, und bereits in einem 
mannrichterlichen Urtheile vom 3. Mai desselben Jahres*^) über- 
nehmen der Mannrichter und seine beiden Beisitzer ausdrücklich 
die Functionen der Urtheiler*^). In dieses Jahr fällt mithin — 
wie es scheint — diese wichtige und durchgreifende Aenderung 
der innem Gerichtsverfassung, und vermuthlich wurden, wenn 
nicht schon gleichzeitig, so doch nicht viel später, die Mann- 
richter von der Eitterschaft auf drei Jahre gewählt, und 
jedem derselben zwei ständige, gleichfalls auf drei Jahre 
gewählte Beisitzer zugeordnet**). Auch im Obergericht wird 



*°) So wird schon in einem Auftragsbriefe vom Jahre 1620 (Brieflade 
No. 339) des ürtheilsmannes nicht mehr erwähnt, ebensowenig bei Zeugen- 
verhören in den Jahren 1622. 23. 25. 28 u. a. (das. No. 355. 356. 361. 373 
400. 403. 404), bei Immissionen in den Jahren 1625. 29. 31 (das. No. 377. 
412. 413. 439). Bei Gränzführungen ist schon im Jahre 1567 kein Urtheils- 
mann gegenwärtig, ebensowenig in den Jahren 1623 und 1628 (Briefl. No. 
17. 359. 402. 403). 

*i) Brieflade No. 481. 

*2) Das. No. 483. Hier heisst es am Schlüsse der Urkunde: „Er- 
kennen deswegen ich Kichter, nebst meinen Beisitzern, dass 
die ganze Gesindehofstelle Tedwe-Auw genannt, dass es Simon Lode pos- 
sediren und besitzen soll etc." Und so treten von jetzt an der Mann- 
richter und seine beiden Beisitzer in einer Keihe von Erkenntnissen constant 
alsUrtheil sprechende Richter auf. S. z. B. die Briefl. No. 484. 496. 
536. 553. 566 u. a. m. 

") S. auch das R. u. LR. I, 5, 13 und die Manngerichtsordnung vom 
J. 1653 § 12. 

**) Estl. R. u. LR. B. I. Tit. 5 Art. 2 u. 3. Zwar sehen wir aus dem 
bis zum Jahre 1663 und bezw. 1666 reichenden Verzeichnisse der Har- 
rischen und Wierischen Mannrichter bei J. Paucker (Die Herren von 
Lode (Dorpat 1852. 8.) S. 135 und 142 fgg.), dass nach dem Jahre 1636 
die Mannrichter selbst, wie ihre Beisitzer, mitunter häufiger wechseln, als 
alle drei Jahre, und dass demselben Mannrichter nicht immer dieselben 
Beisitzer assistiren. Allein das Letztere erklärt sich daraus, dass den 



174 



in dieser Beziehung bereits seit dem Beginn dieses Zeitraumes 
nicht mehr zwischen dem Präsidenten — jetzt dem königlichen 
Statthalter oder Geüeralgouverneur — und den Assessoren (Land- 
räthen) unterschieden: alle nehmen an der Aburtheilung gleichen 
AntheU*«). 

Die Gerichte hielten auch jetzt noch keine beständigen 
Sitzungen, sondern es versammelten sich die Manngerichte, so 
oft ihre Thätigkeit in Anspruch genommen wurde, an dem 
Oi-te, wo dies der Fall war, zu sog. Localterminen, um Ver- 
brechen zu untersuchen, Zeugen zu vernehmen, über streitige 
Gränzen zu entscheiden und dergl. mehr*®). Demnächst wurde 
aber ein bis zweimal im Jahre, gewöhnlich um Johannis und 
um Lichtmess, in Beval ein öffentlicher Gerichtstag oder 
Dingeis tag gehalten*'^) , dessen Beginn, nach Vereinbarung 



Mannrichtem gestattet war, wenn sie, namentlich bei Localterminen, ihrer 
(ständigen) Beisitzer nicht gleich habhaft werden konnten , andere geeignete 
Personen von Adel dazu aufzufordern (Manngerichtsordnung vom J. 1653 
§ 2). Bass femer einzelne Mannrichter vor Ablauf von drei Jahren durdi 
andere , zum Theil nur zeitweilig , ersetzt wurden , kann auf verschiedenen 
Gründen des Zufalls beruhen. 

**) In König Erichs XTV. Privilegienbestätigung vom 2. August 1561 

Art. 2 heisst es: „ doch dass unser Statthalter sowohl in selben, als 

in anderen Gerichten, wie von Alters gebräuchlich, präsidire und mit 
urtheile etc." Vergl. auch das R. u. LR. I, 1, 9. 32, 1. 

*•) R. u. LR. I, 5, 6. 19. Manngerichtsordnung vom J. 1653 § 1. 

") Während der Kriegszustände am Ende des sechszehnten und An- 
fang des siebenzehnten Jahrhunderts wurden fast gar keine Gerichtstage 
gehalten; erst seit dem Jahre 1614 beginnen sie wieder regelmässiger 
(vergl. den Bericht der Landräthe vom J. 1614 in v. Bunge 's Archiv IV, 
330). Im Jahre 1620 wurde beschlossen, jährlich einen Gerichtstag auf 
Johannis, und, wenn solches nicht möglich, zur nächsten Lichtmesse za 
halten (s. Anm. 53). Mittelst königl. Resolution vom 7. Juni 1630 wurde 
vorgeschrieben, zwei Gerichtstage jährlich, und mittelst Resolution vom 
20. August 1634 wenigstens einmal des Jahres einen Gerichtstag zu halten. 
Dabei blieb es denn auch, und zwar wurde die Juridik gewöhnlich im 
Januar und Februar, selten zu Johannis, gehalten. 



175 



des Generalgouverneurs mit den Landräthen, zeitig — d. i. sechs 
Wochen vorher — durch sog. Kirchspielsbriefe*®) bekannt ge- 
macht wurde*®). Zu diesen Gerichtstagen oder Juridiken ver- 
sammelte sich nicht nur das Landgericht, sondern auch das 
Niederlandgericht und die Manngerichte. — Ebensolche Juridiken 
hielt auch das Consistorium. — Die Hakenrichter müssen ihr Amt 
zu jeder Zeit, wenn es erforderlich ist, wahrnehmen*^). 

Wenigstens bis zur Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts 
wurde der Gerichtstag des Landgerichts feierlich eröffnet. Der 
Generalgouvemeur begab sich mit den Landräthen gewöhnlich 
in die grosse Gildestube zu RevaP^). Hier wurde vom General- 
gouvemeur eine Rede gehalten, sodann der Friede gebannt, von 
dem Secretär die Privilegien verlesen, und die anwesenden 
Parteien, insbesondere die Procuratoren , ermahnt, bei Ver- 
handlung der Sachen dem Gesetze gemäss sich zu verhalten*^). 



**) Diese sog. Kirchspielsbriefe worden durch die Gutsbesitzer von 
Hof zu Hof befördert. Als im J. 1647 der Generalgouvemeur die Juridik 
nur durch Patente an den Kirchenthüren angezeigt hatte, verlangte die 
Hitterschaft diß Wiedereinfohrung der alten Ordnung. 

*•) S. schon den Bericht der Landrathe vom J. 1614 (Archiv IV, 330). 
R u. LR. I, 1, 12. 8, 4 (unten Anm. 80). 

") R. u. LR. B. I. Tit. 6. 

*^) Während der mannigfachen Zwistigkeiten , welche etwa seit dem 
Jahre 1620 bis nach dem Jahre 1641 zwischen der Ritterschaft imd der 
Stadt obwalteten, wurden statt der grossen Gildestube zu den Gerichts- 
hegungen meist die Wohnungen einzelner Landrathe benutzt. In den 
Jahren 1617, 1624 und 1625 wurde der Gerichtstag im neu angefertigten 
Remter des St. Michaelisklosters gehalten; in den Jahren 1647 und 1648 
wird eine „Gerichtsstube*^ oder „Landstube" als Sitzungslocal bezeichnet, 
im J. 1649 das Haus des Ritterschaftshauptmanns. Vergl. die Landgerichts- 
protocoUe von diesen Jahren. Der Landstube geschieht auch in dem K u. 
LR. I, 9, 1 Erwähnimg (s. unten Anm. 81) und dürfte darunter vielleicht 
das noch gegenwärtig bestehende Gerichts! ocal im Ritterhause auf dem 
Dom zu Reval zu verstehen sein. 

•*) S. die „Ordnimg des gehegeten Gerichts" aus der Regierungszeit 
des Königs Johann von Schweden (1568—92) und vom 4. Juli 1597 in den 



176 



Auch die demnächst folgenden Gerichtsverhandlungen selbst 
waren öffentlich, soweit nicht das Gericht die Entfernung des 
„ümstandes" anordnete ^^). Diese Oeffentlichkeit scheint 
aber schon in diesem Zeiträume aufgehört zu haben; wann 
dies geschehen, lässt sich nicht genauer bestimmen: das Ritter- 
und Landrecht erwähnt ihrer nicht mehr. Nur die Bekannt- 
machung der Urtheile, am Schlüsse jeder Juridik, geschieht 
noch heut zu Tage bei geöffneten Gerich tsthüren. Zu bemerken 
ist noch, dass es schon früh üblich wurde, die Reihenfolge 
der an jedem Tage zu verhandelnden Sachen im Voraus zu 
bestimmen und durch einen „Anschlag" an der Gerichtsthür 
bekannt zu machen^*). 



Monum. Livonicß III, 2, 94 fgg., 278 fgg., letztere auch in der Brief- 
lade 11 , 194. Bericht der Landräthe vom J. 1614 im Archiv IV, 330. Noch 
im J. 1649 finden wir diese Feierlichkeit beobachtet. 

^^) S. das LandgerichtsprotocoU vom Juni und Juli 1592 in Sachen 
Doenhof wider Tiesenhusen in den Monum. JJvonice lU , 2 , 304 fgg. , bes. 
S. 309. 10. 16 und 19, wo wiederholt von dem „versammelten Umstand" 
die Kede. Im Protocoll vom J. 1619 heisst es am Schlüsse einer Verhand- 
lung : „ist also der adelige Umstand abgewiesen und hierauf verabscheidet 
worden, wie folgt." — Uebrigens wird schon auf dem Gerichtstage im Febr. 
1620, welcher in der Neukirch'schen Behausung auf dem Dom gehalten 
wurde, von den Landräthen „die grosse Beschwemiss der vielfaltigen 
Gerichtstage, so hishero haben gehalten werden müssen in beschlos- 
senen Thüren, erwogen", und darauf beschlossen, dass künftig nach dem 
Alten alle Jahr auf eine gewisse Zeit zu Johannis ein Dingeltag gehalten 
werden soll etc. S. oben Aum. 47. 

**) In dem LandgerichtsprotocoU vom J. 1644 ist davon , als von einer 
bekannten, also schon längere Zeit bestehenden Einrichtung die Rede. Im 
J. 1649 wird, nach Eröffnung des Gerichtstages, Verlesung des Friedens- 
bannes etc. öffentlich verkündet: „dass agirende Parten sich beim Secre- 
tären angeben und gegen morgen sollen anschlagen lassen." S. auch die 
Constitution des Oberlandgerichts vom J. 1691 Art. 7. 8. 



177 



2. Stadtgerichte. 

§ 62. 

Die städtischen Gerichte, namentlich in Reval, behalten ihre 
frühere Verfassung bei; nur dass für verschiedene Sachen be- 
sondere XJntergerichte, aus Gliedern des Rathes zusammenge- 
setzt, errichtet werden. So treten zu dem Gerichte des Voigts, 
nunmehr Niedergericht genannt, hinzu: das Waisengericht 
für Vormundschaftssachen^^), das See- und Frachtgericht**), 
das Strassengericht, später Commerciengericht genannt, 
für Sachen, betreflfend die Berechtigung zum Handel*'). Es 
werden zwei öflFentliche Ankläger, Officiale, einer für Justiz- 
sachen*®), der andere, Commercien-Official, für Handelssachen, 
augestellt*®). Das bereits im sechszehnten Jahrhundert in Reval 
errichtete Stadt-Consistorium hat eine sehr ausgedehnte 
Competenz, indem nicht nur alle Sachen, Amt und Wandel 
der Prediger betreflfend, desgleichen Ehesachen, sondern auch 
alle Streitigkeiten imter Geistlichen, und alle mit der Religion 
irgend in Beziehung stehenden Vergehungen, namentlich Gottes- 
lästerung, Zauberei, Fleischesverbrechen, desgleichen Streitig- 



^^) Ueber dessen Organisation s. die zuletzt im J^. 1697 revidirte 
Waisengerichts- und Yormünderordnung in v. Bunge 's Quellen des 
Revaler Stadtrechts I, 259 fgg. 

^^) Ueber das Verfahren bei demselben s. die Lübeck'sche Seegerichts- 
processordnung vom J. 1655, bei v. Bunge a. a. 0. I, 234 fgg. 

^^) S. die Strassenordnung , vom König bestätigt den 31. Mai 1679, 
ebendas. I, 379 fgg. und die Kaufhausesordnung vom 22. Novbr. 1670, 
das. I, 389 fgg. Goncordaten zwischen dem Rathe imd der grossen Gilde 
vom 27. Januar 1672 Art. 3 der Incidentpunkte. Das. II , 50. 

*• Obergerichtsordnung Art. 19. 22. 

*•) Sirassenordnung vom J. 1679 Art. 8. 

Bunge, Geiohiohte des Geriohtiweseni. 12 



keiten zwischen Eltern und Kindern , vor dasselbe gehören^®). — 
Gegen das Ende dieses Zeitraumes wurde auf königlichen Be- 
fehl das Amt eines Justizbürgermeisters errichtet, welcher, 
vom Könige aus der Zahl der Rathsglieder ernannt, den bestän- 
digen Vorsitz im Rathe führte^^^a). Dieses Amt wurde jedoch 
kurz vor der Unterwerfung Revals an Russland wieder auf- 
gehoben ^^b). 

Von Urtheilern kommt, mindestens seit dem Anfange des 
siebenzehnten Jahrhunderts, auch bei den Stadtgerichten nichts 
mehr vor®^). Die Sitzungen des Revaler Rathes werden jährlich 
in der Woche nach heil, drei Könige (den 6. Januar), nach 
vorausgegangenem Gottesdienste in der Rathscapelle, feierlich 
eröffnet, und ebenso in der Woche vor St. Thomas (d. 21. Decbr.) 
geschlossen. Sie werden, gleichwie die Sessionen des Nieder- 
gerichts, an bestimmten Wochentagen das ganze Jahr hindurch 
gehalten, ausser in den ziemlich weit bemessenen „Ferien und 
Vacanzen*', während welcher nur die nothwendigsten Sachen 
vorgenommen werden®^). Zweimal im Jahre, um Ostern und 
um Michaelis, wurden — als Fortsetzung des alten „Echte 



«<>) Consistorialordnung Cap. 3. 

«oa) Königl. Brief vom 16. April 1687. 

«Ob) S. überhaupt v. Bunge, die Eevaler Kathslinie S. 44 fg. u. 126. 

«*) Das revidirte Lübeck'sche Stadtrecht V, 1, 1 kennt freilich noch die 
„Finder**, allein eine Hauptstelle über das ürtheilfinden (älteres ' Lüb. 
StB. n, 54) ist weggelassen, und das ganze Institut scheint schon sehr 
früh unpractisch geworden zu sein. 

•*) Im ersten Anhang zu der Eevaler Rathsordnung (v. Bunge a. a. 
0. 1, 246): „von Yacanz imd Ferien", werden, ausser einigen einzelnen 
Festtagen, als Ferien verordnet: vierzehn Tage vor und vierzehn Tage 
nach Weihnachten, acht Tage vor und nach Fastelabend, vierzehn Tage 
vor und nach Ostern, ebensoviel vor und nach Pfingsten, vor und nach 
Michaelis, und „die ganze Zeit der Hundstage" (etwa vier Wochen), in 
Allem also ungefähr 22 Wochen im Jahre, d. i. über 40 Procent. 



179 



Diiig" (§ &) — öffentliche Sitzungen, gehalten, welche aus- 
schliesslich für die Verhandlung von Veräusserungen und Be- 
lastungen von Inunobilien bestimmt waren^^a). 



II. 
Von den Parteien und deren Stellvertretern. 

§ 63. 

Auf die Rechte und Rechtsverhältnisse der Parteien hat 
das Römische Recht bedeutenden Einfluss gewonnen. In Be- 
ziehung auf die Stellvertretung der Parteien findet sich ange-. 
ordnet, dass — mit Ausnahme der Stellvertretung durch Ver- 
wandte^^), der Ehefrau durch den Ehemann**), und Bevormun- 
deter durch ihre Vormünder*^) — diejenigen, welche ihre Sache 
nicht selbst führen können**) oder wollen*'^), damit nur der 



®*a) S. V. Bunge, Kevaler Kechtsquellen II, 538. 

«3) R. u. LR. I, 14, 1: „Ein Verwandter mag wegen seines Ver- 
wandten zu Rechte wohl erscheinen, was sich gebühret handeln, und 
dessen Recht bewahren , ohne Vollmacht. Doch dass er Cautionem de rato 
oder Versicherung der Genehmhaltung bestelle." — Im Jahre 1597 wurde 
übrigens vom Landgericht Robrecht Taube, der sich erboten hatte, an 
Stelle des auf die Citation nicht erschienenen Johann Taube zu antworten, 
abgewiesen , weil „dieses Fürstenthums Statuten und löbliche Gewohnheiten, 
nicht nachgeben, über einen, der nicht citiret ist, zu richten." Briefl. IL 
No. 200. Mit dem älteren Recht stimmt dies jedoch keiüesweges. S. oben 
§ 10 ä. E. 

•*) Landgerichts- Protocoll vom März 1647. Vergl. auch das R. u. 
LR. II, 14. 

«») R. u. LR. V, 14, 2. 3. Revaler revidirte Procuratoren - Ordnung 
vom J. 1687 Art. 7. 

") Dahin gehören namentlich Abwesende. Parteien, welche einen. 
Rechtsstreit anhängig haben , dürfen ohne Urlaub des Gerichts nicht ver- 

12« 



180 



Bechte kundige, also geprüfte®^), Yom Gericht dazu ausdrücklich 
bestellte und beeidete Procuratoren beauftragen dürfen®®). 
Dabei ist übrigens keinem verwehrt, zur Abfassung von Satz- 
schriften sich auch anderer Rechtsbeistände — Advocaten — 
zu bedienen''®). In der Folge setzte jedoch das Oberlandgericht 
die Zahl der ßechtsbeistände — ohne zwischen Procuratoren 
und Advocaten zu unterscheiden — auf achf^), später auf 
zwölf, fesf^). Bei den Stadtgerichten Revals wurde auch für 
die Advocaten erfordert, dass sie dazu von dem Rathe formlich 
bestellt und vereidet seien; auch wurde die Zahl der Procura- 
toren daselbst auf drei, die der Advocaten auf acht, be- 
schränkt''^). — Der Procurator muss von der Partei entweder 
mündlich vor Gericht bevollmächtigt sein, oder, wenn er in 



reisen und müssen dann einen Bevollmächtigten hinterlassen. Landgerichts- 
protocoU von den J. 1597 imd 98. 

•^ Im R. u. LR. 1 , 14 , 4 wird zwar noch , auf Grundlage des alten 
Rechts (§ 10 und 16), den Rechtlosen das Recht abgesprochen, vor Gericht 
ihre Ansprüche geltend zu machen. Allein diese Bestimmimg wurde wohl 
bald unpractisch, wie die Rechtlosigkeit überhaupt. S. unten § 72. 

*®) Revaler Procuratoren- Ordnung Art. 1: „Es soll Niemand in dieser 
Stadt zu der Advocatur oder Procuratur admittiret werden, er sei dann 
eines ehrbaren Wandels, der Rechten und gerichtlichen Processen wohl 
erfahren und von E. Hochweisen Rathe ordentlich dazu bestätiget." Yergl. 
auch das R. u. LR. 1 , 13 , 1. 

••) R. u. LR. a. a. 0. Art. 3 imd 16. Revaler Procur. - Ordnung Art. 1 
und Anhang. 

^•) R. u. LR. I, 13, 6. Revaler Procur.- 0. Art. 2 u. a. 

^^) Oberlandgerichts - Constitution vom J. 1691 Art. 2. 



7* 



) Oberlandgerichts -ProtocoU vom J. 1692 S. 46. 

^•) Revaler Procur. - Ordn. Art. 2 und 3. Beim Oberlandgericht muss, 
wenn die Partei sich eines fremden Advocaten bedient, die Satzschrift 
von einem recipirten und beeidigten Procurator revidirt imd unterschrieben 
werden. Oberlandgerichts -Constitution vom J. 1691 Art. 16. 



181 



Abwesenheit der Partei auftritt, schriftliche Vollmacht haben''*). 
Armen Parteien werden Procuratoren und Advocaten vom Ge- 
richt zu unentgeltlichem Dienste zugeordnet ^) ; von anderen 
Parteien haben die Eechtsbeistände das Recht, ein Honorar zu 
verlangen, welches zum Theil durch Taxen festgesetzt ist, und 
niemals in einer Quote des Streitgegenstandes bestehen darf*). 



Zweites Capitel. 

Von dem gerichtlichen Verfahren bei den Landes- 
gerichten. 

I. 
Von dem ordentlichen Verfahren in bttrgerlichen 

Bechtsstreitigkeiten. 

1. Verfahren in erster Instanz. 
a) Verffi^ren IdIs zum ürtheil, mit Ausnahme des Beweisverfalirens. 

§ 64 
Eine der wesentlichsten Veränderungen in dem Verfahren 
vor den Landesgerichten bestand darin, dass dasselbe ein aus- 
schliesslich schriftliches wurde''''). 



'*) R. u. LR. 1 , 13 , 5. Oberlandgerichts - Constitution vom J. 1691 
Art. 2. Revaler Procur. - Ordn. Art. 10. 

") R. u. LR. 1 , 13 , 2. Revarsche Procur. - Ordn. Art. 6. 

^•) R. u. LR. a. a. 0. Art. 12. Anhang zur Reval'schen Procuratoren- 
Ordnung. 

") R. u. LR. I, 15, 4: „ soll der Kläger seine Klage 

in Schriften übergeben." I, 20, 2: „Es soll aber der Beklagte 



182 



Die Ladung des Beklagten geschieht noch durch die 
Partei selbst ''®), und zwar mittdst „ausgeschnittenen Zettels"''®), 
und muss mindestens vierzehn Tage vor dem zur Verhandlung 
angesetzten Termin dem Gegner eingehändigt werden®^). Ab- 
wesende, deren Aufenthalt unbekannt ist, w^den durch eine 
an die Landstube anzuschlagende öffentliche oder Edidtalcit^tion 
vorgeladen^^). Beim Ausbleiben des Klägers wird derselbe in 
die Kosten und zu einer Geldstrafe verurtheilt, vor deren Er- 



auf des Klägers angebrachte und empfangene Klage in angesetztem Ter- 
mine alle seine dawider habende Exeptionen und Schutzreden, so viele er 
derselben hat, in Schriften, mit allen dazu gehörigen Documenten und 
Beweisthum, damit er die Klage zu hintertreiben vermeint, auf ein Mal, 
gleichwie bei der Klage verordnet, einbringen und doppelt übergeben etc.*' 
üebrigens pflegten auch jetzt noch die Satzschriften, bevor sie dem Ge- 
richte überreicht wurden , von den Parteien „abgelesen" zu werden. Ober- 
landgerichts - Constitution vom J. 1691 Art. 9. 

''^) Dieses gilt zunächst für die Ladungen vor das Oberlandgericht zu 
den Juridiken. Die Citation vor das Manngericht zu den Localterminen 
geschah durch den Mannrichter. B. u. LE. I, 5, 6: „Dessen soll der 
Mannrichter beide Parteien auf einen gewissen Ort und Tag bestimmen, 
und eine geraume Zeit, zum wenigsten drei vierzehn Tage vorher, in 
Schriften kund thun etc." S. auch die Brieflade Ko. 657 u. a. 

'•) E. II. LR. I, 8, 2. 5. 9, 2. Beispiele von Ladungsbri«fen ». in der 
Brieflade IL No. 59. 520. 69. 70. 752. 825. 1038. — In M. Bra'ndis' Pro- 
tocoll S. 103 {Monum. lAvon. III, 2, 282) findet sich beim J. 1598 die 
Notiz: „Ebert Feindt legt ein eine Citation an Thonius Homburoh mit 
einem Stücklein von einem güldenen Ringe." Soll dies etwa das „Wahr- 
zeichen" sein, dessen die älteren Quellen bei Gelegenheit der Ladung 
Erwähnung thun? S. oben § 14. 

*•) R. u. LR. I, 8, 4: „Weil nach Landes Gewohnheit der Gerichts- 
tag von dem königl. Herrn Gouverneur sechs Wochen vorher ausge- 
schrieben wird, als soll und muss die Citation binnen dreimal vierzehn 
Tagen , und also zum wenigsten vierzehn Tage vorher, den Parten gebühr- 
lich eingehändigt werden; gesdiieht es eher als vierzehn Tage, ist es so 
viel besser. Auf die Citation aber, die nicht zum geringsten vierzehn Tage 
vorher behendigt worden, darf niemand antworten, er thue es denn gut- 
willig." — üeber die Zurücksendung s. die Brieflade No. 560. 

") R. u. LR. I, 9, 1. 2. 



183 



legung er mit keiner weiteren Ladung zu hören ist. Der 
Beklagte, welcher sich auf die erste und zweite Citation, ohne 
Ehehaften zu haben, nicht stellt, verfällt in eine Geldstrafe; 
leistet er auch der dritten Ladung keine Folge, so wird er 
überdies für sachfällig erkannt^^). 

Auf die schriftliche Klage, deren Erfordernisse nach den 
Grundsätzen des Römischen Rechts bestimmt werden^^), und mit 
welcher die Beibringung der Beweismittel verbunden sein muss^*), 
soll der Beklagte gleich im ersten Termin, oder spätestens am 
nächsten Gerichtstage^^), Punkt für Punkt antworten^^), und 
alle seine Einreden, nebst Urkunden und sonstigen Beweis- 
mitteln, auf einmal, und zwar doppelt, einreichend'^). Darauf 
muss der Kläger binnen zwei oder drei Tagen repliciren^^) , der 
Beklagte sodann binnen gleicher Frist seine Duplik übergeben, 
und zum Urtheil schliessen^^). In den Schlussschriften vorge- 



®*) Das. I, 10. Oberlandgerichts-Constitution vom J. 1691 Art. 7. 8. 
Brief 1. No. 211 u. a. 

") R u, Lj^. i^ 15^ 2 — 6. Oberlandg.-Constit. v. 1691 Art. 17. 

8*) K. u. LR. I, 15, 3. Oberlandg.-Constit. Art. 4. 

8*) R. u. LR. I, 17. 

**) Oberlandg.-Constit. v. 1691 Art. 18: „In den Antworten soll punk- 
tuell geantwortet werden". Der Grundsatz des älteren Rechts (§ 15), dass 
der Beklagte auf Momente, welche in der Ladung nicht ausdrücklich 
angegeben waren, sich nicht einzulassen brauchte, wird auch in diesem 
Zeiträume beobachtet. S. den Bericht des Landgerichts vom J. 1614 im 
Archiv IV, 330. 

") R. u. LR. I, 20, 2 (s. oben Anm. 77). Ob eriandg. - Constitution 
Art. 4. 5. 

«8) R. u. LR. I, 15, 7. 

*•) Das. I, 20, 3. Sowohl nach diesem Artikel, als auch nach I, 15, 
8 , soll der Richter befugt sein , den Parteien , auf deren Bitte, aus erheb- 
lichen Gründen, namentlich wenn die Sache noch dunkel und dem Richter 
selbst eine weitere Aufklärung wünschenswerth erschien, noch je einen 
Schriftsatz (Triplik und Quadruplik) zu verstatten. S. auch die Land- 



184 



brachte Nova, sie mögen sich auf den Streitgegenstand oder 
auf dessen Beweis beziehen, werden von dem Richter von Amts 
wegen verworfen^®), die Acten als geschlossen angesehen, in 
Vortrag gebracht, und nach Stimmenmehrheit das Urtheil 
gefällt^^). Wenn eine der Parteien es begehrt, wird vor der 
Aburtheilung eine schriftliche Relation aus den Acten ange- 
fertigt, und den Parteien zur Durchsicht und Ueberreichung 
etwaniger Bemerkungen binnen drei Tagen zugefertigt^^). Sämmt- 
liche während der Juridik gefällte ürtheile werden an einem^ 
durch einen öffentlichen Anschlag zeitig angekündigten Tage 
öffentlich abgelesen, und demnächst den Parteien ausgefer- 
tigt »3). 

Ein dem altern Rechte unbekanntes®*), aus dem Römischen 
Rechte entlehntes Institut, der Eid für Gefährde, d. h. die 
eidliche Versicherung der Partei, dass sie nicht aus Chikane 



gerichtsprotocoUe vom 24. Febr. und 3. März 1645 und vom 26. Febr. 
1648. Dies wurde jedoch durch die Oberlandgerichts -Constitution vom 
Jahre 1691 Art. 4 wieder aufgehoben: „(Es soll) mit der Eeplica und 
Duplica geschlossen, tiltra Beplicam aber keine Documente und ultra 
Duplicam keine Schriften und Suppliken mehr admittiret werden." 

»0) R. u. LR. I, 20, 4. Die Oberlandgerichts - Constitution von 1691 
Art. 4 (Anm. 89) lässt übrigens die Beibringung von Urkunden bei der 
Replik zu. 

»1) ß. u. LR. I, 1, 9. 32, 1. 

»») Oberlandg.-Constit. von 1691 Art. 19. 

•*) R. u. LR. I, 32, 2. 

®*) Noch unterm 31. März 1647 sprach sich das Landgericht dahin 
aus: „die Prästirung des iuramenti caluninice kann gebotener Maassen^ als 
in diesem Gericht ungewöhnliches, wie früherhin interloquire^, für dieses- 
mal nicht zugelassen werden^^ Zwei Jahre später wird, „da kein Mittel, 
auf andere Art hinter die Wahrheit zu kommen", dem Bevollmächtigten 
der einen Partei das in/ramentum maMti<B von Gerichtswegen auferlegt, 
„obwohl solches vor diesem nit practisiret etc." S. die Landgerichtspro- 
tocolle von 1647 und 1649. 



185 



handle, wird seit der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts 
üblich. Dieser Eid ist übrigens der Regel nach nur auf Ver- 
langen einer Partei von der andern zu leisten®^). 

Wer nicht in dem Gerichtsbezirk mit Immobilien besitzlich 
ist, muss — er sei Kläger oder Beklagter — auf Verlangen 
des Gegners, für Schäden und Kosten, für Ausführung der 
Sache und Leistung des Abzuurtheilenden , so wie wegen etwa- 
niger Widerklage, Caution leisten, und zwar, in Ermangelung 
von Bürgen oder Pfand, durch eidliche Angelobung, oder — je 
nach Beschaffenheit der Personen — selbst Bürge werden, d. i. 
gefänglicher Haft untergehend^). 

Auf eine Widerklage braucht sich der Kläger erst ein- 
zulassen, nachdem die von ihm klagbar gemachte Sache durch 
Urtheil und Recht vollständig erledigt ist*''), und auch dann 
nur in dem Falle, wenn die Widerklage ihrem Grunde nach 
mit der Klage im Zusammenhange steht*®). 

h) Beweisverfahren. 

§ 65. 
Von dem Beweis recht (§ 26) ist auch die letzte Spur ver- 
schwunden; es besteht nur eine Beweislast, und zwar für 
diejenige "Partei, welche eine positive Behauptung aufstellt, 
die von der Gegenpartei bestritten wird**). 



»») E. u. LE. B. I. Tit. 19. 
»•) Das. Tit. 18. 

■ 

"'') Auffallend ist, dass im J. 1618 das Landgericht eine Eeconven- 
tionsklage wider einen Bürgerlichen „an dessen gebührliche Obrigkeit 
remittirt". 

•«) R. u. LE. B. I. Tit. 16. 

••) Das. Tit. 21 Art. 1: „Ein jeder ist schuldig, den Grund seiner 
Sache, darauf er besteht, zu beweisen'^ Art. 2: „Insonderheit aber muss 



186 



Unter den Beweismitteln fallen die Gottesurtheile ganz 
weg^^^), ebenso — mindestens seit dem Ende des sechszelinten 
Jahrhunderts — der Eid mit Gehülfenioi). Der Eid der 
Partei ist nicht mehr ein vorzugsweise in Anwendung kom- 
mendes, überall concurrirendes , sondern umgekehrt ein subsi- 
diäres, nur in Ermangelung von Urkunden und Zeugen zu- 
lässiges Beweismittel^®^). Das Ritter- und Landrecht kennt 
sogar nur den nothwendigen , von dem Richter auferlegten, 



der beweisen, der da klagt und ein Ding bejahet, nicht aber der ver- 
neinet". S. auch schon das ürtheil des Landgerichts vom Jahre 1591 in 
der Brieflade No. 123. 

^®®) Eine ganz vereinzelte Spur findet sich doch noch in einer mann- 
richterlichen Verhandlung eines Gränzstreits vom 19. Juni 1567 (Briefl. No. 
17), bei welcher sich drei Bauern „zu Rechte erbieten, was ihnen ein 
Land recht (s. oben S. 92 Anm. 462) auferlegen würde, es wäre zum 
Eide oder zum Eisen, dass das ihre alte Gränze sei etc.'' Von diesem 
Anerbieten wurde indessen kein Gebrauch gemacht. — Auch noch in der 
Verhandlung gegen einen der Zauberei beschuldigten Bauern, Namens 
Tint Haus, vom 23. Juli 1682 (Briefl. No. 450), heisst es am Schluss: 
„Nachdem der alte Tint Hans nicht kann gefreiet werden laut Gezeugniss, 
als erkennen wir zu Recht, dass er gefänglich (einzuziehen ist), so lange 
bis der Herr Landrath einen Scharfrichter holen und mit dem Wasser 
proben, auch j,der scher fe anstrengen^* lässt. S. unten Anm. 198. 

101) S. oben § 59. Schon in M. Brand is' Ritterrechten ist Alles' 
weggelassen, "was sich auf Gottesurtheil und Eid mit Gehülfen bezieht. 
Nur im B. IL Tit. 14 Art. 2 erinnern die „sieben Bauern", als Zeugen, 
namentlich in Gränzstreitigkeiten , an die Eidhelfer. So heisst es auch in 
einem ürtheile des Landgerichts vom Jahre 1597 (Briefl. No. 195): „weil 
in diesen Landen Gewohnheit und gebräuchlich, dass sieben unberüchtigte 
Bauern Einem Gränze und Lande abzeugen können". Dass aber hier von 
Zeugen im eigentlichen Sinne die Bede ist, ergiebt sich deutlich aus einer 
Reihe von dergleichen Äeugenverhöreh (Briefl. No. 355. 356. 378. 523 
u. a.). — Das R. u. LR. weiss durchaus nichts mehr von dieser Institution, 

bestimmt vielmehr im B. I. Tit. 23 Art. 1 : „ darentgegen auch die 

grosse Menge der Zeugen, zur Verhütung unnöthiger Eide, von dem 
Richter nicht gestattet, noch zugelassen sein soll." 

"») R. n. LR. I, 30, 1 — 3. 



187 



namentlich den Ergänzungseid, für den Fall eines durch 
6inen Zeugen geführten halben Beweises^^^); der freiwillige 
oder zugeschobene Eid ist ihm fremd ^®*). An dessen Stelle kam, 
wohl noch im Laufe dieses Zeitraumes, auf Grundlage der 
Deutschen Reichsgesetze , der Gebrauch von sog. Positional- 
artikeln auf, welche jede Partei dem Gegner stellen darf, 
mid letzterer eidlich beantworten muss, widrigenfalls ange- 
nommen wird, dass er deren Inhalt als wahr anerkenne. Uebri- 
gens wird in diesem Falle sowohl, als zur Leistung des Er- 
gänzungseides, nur zugelassen, wer sich eines guten Namens und 
tadellosen Rufes erfreut, so dass von ihm ein Meineid nicht zu 
befürchten ist^^^). 



*®^) Das. I, 23, 2: „Begäbe es sich aber, dass der Zeugenführer 
nicht mehr, als einen einzigen Zeugen vorzubringen wüsste, und selbiger 
wäre eine ehrliche, unverwerfliche und unbescholtene Person, so macht 
seine eidliche Aussage einen halben Beweis; und so der Zeugenführer bei 
seinem Eide erhalten will, dass dasjenige wahr sei, was der einzige Zeuge 
gezeuget hat, so wird es für einen vollkommenen Beweis gehalten." Be- 
reits in einem Urtheile des Landgerichts vom Jahre 1596 (Brieflade No. 
168) heisst es: „dass, obwohl von Klägern ein Zeugniss eingeführet, die 
Rechte aber vermögen, dass in zweier Zeugen Munde alle Wahrheit be- 
stehen thue, als soll, wofeme Kläger bei seinem Gewissen erhalten (d. i. 

beeidigen) will, dass er etc. — — die beklagte Frau zu bezahlen 

schuldig sein". S. auch Briefl. No. 913. — Uebrigens kommt auch der 
Schätzungseid vor: Briefl. No. 167. 175. 

*®*) Die Manngerichtsordnung vom Jahre 1653 spricht zwar im § 4 
von einer Eideszuschiebung in Gränzprocessen , allein nicht von Seiten 
eiüer Partei an die andere, sondern Seitens der einen Partei an die 
Zeugen der andern, um dadurch der CoUision der Zeugeneide vorzu- 
beugen. 

"») E. u. LR. I, 23, 3: „Doch muss solcher Zeugenführer (Anm. 103) 
eines guten Namens und Gerüchtes (d. i. Bufes) sein. Denn da er eine 
solche Person, die eines bösen Gerüchtes und das Schwören gering achtet, 
soll er nicht zugelassen werden, eines einzigen beugen eidliche Aussage 
mit seinem Eide zu bestätigen und zu bestärken." 



188 



Der Zeugenbeweis (Kundschaft) ist im Ritter- und Land- 
recht^®^) bereits ganz in der Weise dargestellt, wie er noch 
gegenwärtig geführt wird. Jeder Theil überreicht förmliche 
Beweisartikel, auf welche der Gegner Fragstücke stellen, auch 
gegen die Zeugen, so wie später gegen deren Aussagen, Ein- 
wendungen machen darf^®*^). Die Zeugen müssen, wenn ihr 
Zeugniss Gültigkeit haben soll, vor dessen Ablegung in Gegen- 
wart der Parteien beeidigt werden ^®^); nur in Gränzprocessen 
werden die Bauern in der Regel , nach vorausgegangener Ermah- 
nung zur Aussage der Wahrheit, an Eidesstatt verhört^®*). 

Der Beweis durch Augenschein hat bereits seine heutige 
Gestaltung gewonnen^^®), desgleichen der ürkundenbeweis^^^). 
In Beziehung auf die Form der Urkunden findet sich seit dem 
Anfange dieses Zeitraumes die Veränderung, dass sie von den 
Ausstellern nicht nur besiegelt, sondern auch unterschrieben 



*®«) Bis zum Jahre 1625 wurde das Verhör noch in der alten Weise 
(§ 30) bewerkstelligt, ohne ein articulirtes zu sein (Brieflade No. 18. 20. 
22. 68. 90. 223. 355. 361. 373). Ein üebergang zu der späteren Form ist 
ersichtlich aus den No. 398. 400. 404. 489. 

1«^) R. u. LR. B. I. Tit. 22 — 27. S. auch die Zeugenverhöre in der 
Brieflade No. 523. 524. 597. 676. 678. 

"8) R. u. LR. a. a. 0. Tit. 22 Art. 6: „Doch mag kein Zeugniss 
gelten, es haben denn die Zeugen, ob es gleich adelige Personen, ihre 
Aussage nach landüblichen Rechten beeidiget und beschworen, und mag 
der Richter, wenn die Parteien damit nicht zufrieden sein, einen Zeugen 
des Eides nicht erlassen, wenn die Sache von hoher Importanz und 
Wichtigkeit". S. noch ebendas. Art. 4 und 9, und die Brieflade No. 
549. 676. 

10») S. die Brieflade No. 355. 378. 523. Vergl. auch die Manngerichts- 
ordnung vom Jahre 1653 Art. 4, nach welchem die Frage über die Beei- 
digung der Zeugen in solchen Fällen von dem Mannrichter dem Land- 
gerichte zur Entscheidung vorgestellt werden soll. 

»»0) R. u. LR. B. L Tit. 29. 
"1) Das. Tit 28. 



189 



werden, und mit dem siebenzehnten Jahrhundert erscheint die 
Unterschrift als ein wesentliches Erfordernisse ^^). Ausge- 
schnittene Zettel (§ 24) sind, insbesondere für Citationen, 
noch in lebhaftem Gebrauchtet), yüt andere Fälle werden sie 
seltener angewendete^*), und tritt an deren Stelle schon früh die 
Ausfertigung zweier besonderer gleichlautender Exemplare e es). 

c) Veränderungen am Schlüsse dieses Zeitraumes. 

§ 66. 
Von einzelnen in der vorstehenden Darstellung aufgeführten 
Ueberresten des alten Verfahrens scheint so Manches noch am 
Ende des siebenzehnten Jahrhunderts, oder doch im Beginne 
des achtzehnten, abgekommen, und bereits damals auch in 
andern, als den bisher angegebenen Beziehungen, der Process 
sich seiner heutigen Form noch mehr genähert zu haben. Dahin 
gehört namentlich: 

1) eine grössere Laxität der Gerichte in der Ertheilung 
von Fristen zur Einreichung von Satzschriften von Seiten der 



^^*J S. bereits die Brieflade No. 1. Bis gegen das Ende des sechs- 
zehnten Jahrhunderts bildet die blosse Untersiegelung noch die Begel 
(Brieflade No. 3. 8. 11. 13. 25. 30. 31. 36-38. 57. 63. 65 u. a.), die Unter- 
schrift kommt nur ausnahmsweise vor (das. No. 35. 42. 46), ja sie ver- 
tritt zuweilen nur die Stelle des dem Aussteller fehlenden Siegels (das. 
No. 48. 61. 89. 225); seit dem Ende des Jahrhunderts fehlt sie aber 
fast nie. 

"») S. die Citate in der Anm. 79. Statt der Buchstaben, welche 
durchschnitten werden, findet sich bald ein Wort, z. B. „Justitia'*, bald 
ein Spruch , z. B. „/Si debes solvef*, „Non uni cuncta", „Comite fortuna** u. a. 

"*) Brieflade No. 55. 71. 79. 159. 190. 346, das späteste Beispiel vom 
J. 1621. 

"») Das früheste Beispiel ist vom Jahre 1574, Brieflade No. 36. S. 
auch das. No. 117. 139. 333. 384. 508. 626. 702 u. v. a. 



190 



Parteien, und einer Erweiterung dieser Fristen. Aus den zwei 
bis drei Tagen, binnen welchen früher verfahren werden musste 
(§ 64), wurden acht Tage^^^), und auch diese wurden, sobald 
die Partei darum ansuchte, ohne Schwierigkeit verlängerte^''). 
Uebrigens werden diese Fristen als legale (constitutionelle) ange- 
sehen, und müssen, ohne in jedem einzelnen Falle von dem 
Richter anberaumt worden zu sein , von den Parteien wahrge- 
nommen werden^e^). 

2) Das Ritter- und Landrecht bestätigt zwar noch den 
Grundsatz des alten Rechts (§ 28), dass alle Beweismittel von 
den Parteien gleichzeitig mit der Klage und bezw. der Erklärung 
auf die Klage beigebracht werden müssende®). Allein gerade in 
dieser Beziehung wurde von den Gerichten eine ganz maasslose 
Nachsicht geübt, indem die Vorstellung der Beweise nicht nur 
häufig bis zur nächsten Gerichtshegung, also auf ein ganzes 
Jahr, gefristet, sondern mitunter diese Frist verdoppelt wurde^^^). 



"•) Riesenkampff's Marginalien zum R. u. LR. I, 15, 7: „Dies 
ist U8U abrogirt und gemessen beide Theüe achttägige Frist." 

*^^) Zahlreiche Beispiele finden sich in allen Jahrgängen der Pro- 
tocolle des Ober- und des Niederlandgerichts. Vergl. auch die Brieflade 
No. 98. 619. 624 u. a. 

*") Bereits das R. u. LR. I, 17, 2 bestimmt: „Erlanget er nun Dilation, 
darf er weiter nicht citiret werden, besondern ist schuldig, auf den nächst- 
folgenden Gerichtstag, ohne alle Ausflucht, entweder persönlich oder 
durch einen genugsam Vollmächtigen zu erscheinen und zu antworten." 

"•) R. u. LR. B. I. Tit. 15 Art. 4. Tit. 20 Art. 2. Beispiele davon, 
dass der Kläger bei Ueberreichung der Klage seine Zeugen nicht nur 
benennt, sondern auch dem Gericht gleich zum Verhör vorstellt, sind in 
den Protocollen des Landgerichts nicht selten. 

^*®) In einem Landgerichtsurtheil vom J. 1591 wird die ,yRegtda i'\iTis^ 
aufgestellt: „Dilation wird zugelassen, wenn Einer mehr Beweis künftig 
einlegen will". In einer Sache, in welcher den Parteien schon das Jahr 
zuvor auferlegt worden, bessere Beweise beizubringen, werden im J. 1587 
die Kläger, bis sie bessere und zu Recht zulässigere Beweise vorbringen, 



191 



Nicht selten wird sogar in dem Endurtheil der unterliegenden 
Partei oiBfen gelassen, bis zur nächsten Juridik bessere Beweise 
beizubringen und die Verhandlung der Sache wieder aufzu- 
nehmen^^^). Noch vor Ablauf dieses Zeitrauni,es jqdocb wurde* 
angeordnet, dass beide Parteien, bei Verlust dieses Rechts, binnen 
vierzehn Tagen nach Einreichung der Antwort des Beklagten, 
ohne dass es dazu einer richterlichen Aufgabe bedarf ^^2), ihren 
Beweis und bezw. Gegenbeweis anzutreten , d. h. mit Beibringung 
der Beweismittel zu beginnen haben. Erst nach geschlossenem 
Beweisverfahren folgten Replik und Duplik, oder Memorial und 
Gegenmemorial ^^^). 

3) Den Parteien wurde gestattet, auch noch nach der 
Duplik in einer „mündlichen Conferenz" schliesslich zu 



abgewiesen, weil die Aussagen ihrer Zeugen keine Beweiskraft haben; 
denn der eine habe ein Interesse an dem Ausgang der Sache, der andere 
seine Kenntniss nur vom Hörensagen; die Eechte aber erheischen in allen 
Sachen vollkommene prohationes und Beweise. — Im J. 1635 wird die Ver- 
handlung einer Sache vom Kichter von Amts wegen bis zur nächsten 
Juridik vertagt: „interim sich die Parten, weil die Sache dunkel, bessere 
Beweise einzubringen bemühen sollen". — Andere Fälle der Art liefern 
die Xiandgerichtsprotocolle in Menge. 

^**) Auch hiervon findet sich in den Protocollen des Landgerichts eine 
grosse Zahl von Beispielen. Solche Urtheile sind übrigens eigentliche 
Beweisurtheile (s. oben § 28 und 36). Allein es kommen auch Fälle vor, 
wo die unterliegende Partei, ohne dass ihr im Urtheil die Beibringung 
besserer Beweise vorbehalten war, mit solchen auftritt und die Aufhebung 
des Urtheils bewirkt. — Im Jahre 1597 wurden, nachdem die Urtheile des 
Landgerichts am Schluss der Juridik öffentlich verlesen worden waren, von 
einigen Parten Protestationen wider dieselben eingelegt , mit dem Erbieten, 
bessere Beweise beizubringen. Dasselbe geschah auch im Jahre 1636. 

"*) Ein Beweisurtheil , durch welches das Beweisthema richterlich fest- 
gestellt wird, ist dem Estländischen Process durchaus unbekannt. 

"^) Vergl. Eiesenkampff's Marginalien zum R. u. LR. I, 21, 2. 
Zwar wird hier deshalb auf die Oberlandgerichts - Constitution vom Jahre 
1691 Art. 6 Beziehung genommen, allein in diesem ist von gamz andern 
Fristen die Rede. 



192 



verfahren, wenn sie nicht schon vorher ausdrücklich darauf 
verzichtet hatten^^*). 

2. Verfahren in den höheren Instanzen. Appellation. Bevision. 

§67. 

Für die Urtheile des Manngerichts galt noch über die 
Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts hinaus das alte Becht 
(§ 41), dass sie sofort (stündlich, staute pede) „gescholten^^ 
werden mussten, wenn sie nicht die Rechtskraft beschreiten 
soUten^^^). Allein schon in diesem Zeiträume wurde den Par- 
teien vergönnt, binnen vierundzwanzig Stunden, bei Verlust des 
Rechtsmittels, gegen mannrichterliche Urtheile die Appellation 
an das Oberlandgericht anzumelden^^^). Auch das Verfahren 
bei dem Oberlandgericht änderte sich in der Weise, dass der 
Appellant jedesmal das erste Wort hat, und — ohne Rücksicht 
darauf, ob er in der Unterinstanz Kläger oder Beklagter war 
— seine Appellation rechtfertigen muss^^''). 



"*) Riesenkamp ff zum R. u. LR. I, 20, 3. Hierdurch wurde das 
ältere Verfahren (s. Anm. 89), zum Theil wenigstens, wiederhergestellt 

»») R. u. LR. I, 33, 2. Briefl. No. 496, b. 516. 567. 578. 589. 862. 

"") Riesenkamp ff 's Marginalien zu der angeführten Stelle des 
R. u. LR. 

"''j Vergl. die Manngerichtsordnung vom J. 1653 Art. 15. üebrigens 
scheint noch im J. 1635 das alte Verfahren (§ 42) beobachtet worden zu 
sein. In dem Protocolle dieses Jahres wird angeführt: Mannrioht«r Lode 
ül^ergiebt die Citation wider den Bürgermeister Wangersen, so wie des 
Mannrichters ürtheil, und bittet, bei demselben erhalten zu werden. Be- 
klagter gesteht, dass er citirt, und bittet copiatn libeUi; weil aber kein 
Libell eingelegt, sondern nur die Citation und das ürtheil, so wird ihm 
die gebotene Dilation bis morgen nachgegeben. Ist hier von einer Appel- 
lationssache die Rede, so ist jedenfalls der als Kläger auftretende Lode 
nicht Appellant, da er um Aufrechterhaltung des mannrichterlichen ür- 
theils bittet; er hat vielmehr das erste Wort, weil er in der Unterinstan« 
Kläger war. 



193 



Wer mit emem Urtheile des Niederlandgerichts unzufrieden 
ist, muss seine Appellation „den andern Tag" — d. i. , nach 
spätei*er Deutung, binnen achtundvierzig Stunden^^®) — nach 
Eröffnung des Urtheils anmelden^^ej^ i^i jieg geschehen, so 
muss der Appellant bei der nächsten Juridik^*®), ohne vor- 
gängige Citation des Gegners, beim Oberlandgericht seine Be- 
schwerdepunkte, unter Beibringung der Voracten, rechtfertigen, 
worauf die Antwort des Appellanten durch das Gericht einge- 
holt, und, ohne dass ein ferneres Verfahren zulässig, zu der 
Fällung des Erkenntnisses geschritten wird^*^). 

Von den Urtheilen des Burggerichts ging die Appellation 
an das königliche Hofgericht zu Stockholm^^^). 

Das Oberlandgericht behauptete bis in das siebenzehnte 
Jahrhundert sein vielfach angefochtenes^*^ altes Privilegium 
der Inappellabilität^**). Allein bereits in der im Jahre 1614 



"*) Riesenkamp ff zum R. u. LR. I, 3, 2. 

**•) Ursprünglich, und noch im Jahre 1647, galt auch für das Nie- 
derlandgericht der Grundsatz, dass von dessen Urtheilen „also bald, so 
lange das Gericht bei einander ist, nach dieser Lande Recessen, appel- 
liret" werden musste. S. das Oberlandgerichtsprotocoll vom J. 1647. 

^*®) Oberlandgerichts - Constitution vom J. 1691 Art 15. In der Mann- 
gerichtsordnung vom Jahre 1653 Art. 15 war die Frist zur Introduction 
der Appellation von dem Manngericht an das Oberlandgericht auf Jahr 
und Tag festgesetzt. 

"1) R. u. LR. I, 3, 2. 33, 1. 

»«) Oberlandgerichts -ProtocoU vom J. 1649 S. 388. 

^") Die Protocolle des Oberlandgerichts geben über mehrere Fälle 
Auskunft, in welchen einzelne Parteien dieses Privilegium missgeaohtet, 
an den König appellirt und zu wiederholten Deductionen Veranlassung 
gegeben haben. S. die Protocolle von den Jahren 1594, 1615, 1619, 1621. 
J. Paucker in v. Bunge 's Archiv VII, 217 fgg. 

"*) Dasselbe wird noch im R. u. LR. als bestehend aufgefesst und 
dieses durch eine Reihe von Citaten aus älteren Privilegien und Proto- 

Bunge, Geschichte des Gerichtswesens. 18 



194 



für das Reich Schweden erlassenen Gerichtsordinanz wurde es 
dem königlichen Hofgericht in Stockholm untergeordnet ^^^), und 
im Jahre 1616, in Veranlassung eines besondem Falles, die 

• 

Appellation von den Erkenntnissen des Oberlandgerichts an den 
König und das Hofgericht in Stockholm gestattet^**). Un- 
geachtet wiederholter Gegenvorstellungen des Oberlandgerichts 
und der Ritterschaft ^^'^), blieb es dabei, und zwar wurde im 
Jahre 1651 durch einen offenen königlichen Brief angeordnet, 
dass in allen Sachen, deren Werth üiindestens Ein Tausend 
Thaler beträgt, nur Gränzstreitigkeiten ausgenommen, von den 
Erkenntnissen des Oberlandgerichts das Rechtsmittel der Re- 
vision an den König ergriffen werden könne^^^). Gegen Ende 



Collen belegt, auch durch „König Gustav Adolphs Generalprivilegiom de 
anno 1617^', welches jedoch diesen Gegenstand gar nicht berührt« S. 
Ewers' Ausgabe des B. u. LR. S. 33 fgg. 

"'^) Königl. Gerichtsordinaiiz vom 10. Februar 1615 Art. 13: „Von 
diesem königlichen Hof- und obersten Gerichte (zu Stockhohn) sollen zu- 
vörderst angenommen, cognosdret und decidiret werden alle Appeüationes, 
welche nach Rechtens Form an Uns gebracht werden sollen und können, 

es sei von den fürstlichen Hofgerichten , item von den Estnischen 

Landräthen, Bürgermeister und Eath der Städte Eeval und Narva, keinen 
allhier ausgeschlossen etc.'^ Damit stimmt fast wörtlich überein der königl. 
Gerichtsprocess vom 23. Juni 1615 Art. 20 P. 1. 

"•) Königl. Briefe vom 14. Decbr. 1615 und vom 24. Juni 1616, in 
der Brieflade No. 316. 318. 

"^ Brieflade No. 317. 320. S. auch die Citate in der Anm. 133. 

^'8) Königl. Brief vom 17. Januar 1651 : „Wir haben bewilligt , wenn 
ürtheile in dem Landgericht eröffnet werden , von welchen die verlierende 
Partei an Uns die Revision ergreifen will, so soll solches auf folgende 
Art geschehen: 1) dass der Streitgegenstand sich zum mindesten bis auf 
tausend Reichsthaler an Werth belaufe; 2) dass die Revision nach Eröff- 
nung des Urtheils beim Landgerichte vor Ablauf von zehn Tagen gesucht 
werde. 3) Wer die Revision nachsucht, soll sogleich beim Landgericht 
zw'eihundert Reichsthaler bis zur Ausführung der Sache deponiren, so 
dass, wenn er später in der Revisionsinstanz verliert, er zugleich des 
erlegten Geldes verlustig geht, und dasselbe dem Landgericht zu gute 



195 



des siebenzehnten Jahrhunderts ward dies dahin geändert, dass 
die Revision in allen Sachen ohne Ausnahme und ohne Rück- 
sicht auf den Werth des Streitgegenstandes zugelassen wurde^^®). 
Die Bestimmungen des Schwedischen Rechts über das Rechts- 
mittel der Revision^*®) sind in den Hauptbeziehungen bis in die 
neueste Zeit unverändert geblieben ^*^). 

Schliesslich ist zu bemerken, dass das Institut der Bewah- 
rung und Anweisung (§ 37) den Rechtsquellen dieser Periode 
durchaus fremd, daher wohl schon zu Anfang derselben, gleich 
anderen Formalitäten, ausser Uebung gekommen ist^*^). 



kommt. Gewinnt er dagegen die Sache, 80 erhält er das Geld zurück 
Doch sollen die personae miserabües, welche sich per querelam an Uns 
wenden, dadurch nicht beschränkt werden. 4) Der um die Revision 
Nachsuchende soll dieselbe binnen Jahr und Tag prosequiren etc. 5) In 
Gränzstreitigkeitssachen aber, wobei es auf Augenschein ankommt, soll 
keine Revision zugelassen, vielmehr die darin gefällten Urtheile sogleich 
vollstreckt werden." 

*") Königl. Brief vom 26. October 1694, in welchem als Motiv die 
Noth wendigkeit einer Gleichstellung des Oberlandgerichts mit den Ilof- 
gerichten des Breiteren ausgeführt wird. Vergl. auch noch Riesen- 
kampff's Marginalien zu I, 33, 3. 

**•) S. besonders die königlichen Verordnungen vom 28. Juni 1662, 
vom 2. April 1681, vom 31. August 1682, vom 5. Januar und 27. März 
1688, vom 22. Septbr. 1690 und vom 19. Mai 1696. 

^**) Näheres darüber s. unten § 86. 

^^*) Nur im Anfange dieses Zeitraumes finden ^ sich noch ein Paar 
vereinzelte Spuren: Brieflade No. 2 und 33. Das Aufhören steht ohne 
Zweifel im Zusammenhange mit der Aufhebung des Institutes des Urtheils- 
mannes und der Urth eiler. S. oben § 61. 



IS* 



196 



n. 

Ausserordentliches VerfiEthreiL 

1. Foi^laildting der alten aosserordentUoben Prooossarten. 

§68. 

Je mehr der ordentliche Process durch Erweiterung der 
Fristen und besonders durch die Schriftlichkeit und durch das 
formellere und complicirtere Beweisverfahren an Ausdehnung 
gewann, um so mehr stellte sich das Bedürfniss heraus, davon 
die Fälle zu scheiden, in welchen, der Geringfügigkeit des 
Streitgegenstandes und der Einfachheit der streitigen Rechts- 
verhältnisse wegen, ein einfacheres und mehr beschleunigtes 
Verfahren geboten war; dann aber erforderten auch manche 
Sachen, ihrer eigenthümlichen Natur nach, ein Abweichen von 
dem ordentlichen Verfahren. Mehrere dieser Processarten, welche 
bereits dem altem Rechte bekannt waren (§ 48 — 53), erhielten 
in diesem Zeiträume eine weitere Ausbildung. Dahin gehört: 

1. Der unbestimmte summarische Process, in 
minder wichtigen und dem reellen Werthe des Streitgegen- 
standes nach geringfügigen Sachen. Er wird vor dem E[aken- 
richter — welcher übrigens dazu von dem königlichen Gouver- 
neur in jedem einzelnen Falle ermächtigt sein muss — auf 

kürzestem, an möglichst wenig Formen gebundenem Wege 
geführt^*»), 

2. Der Executivprocess, in Forderungssachen, welche 
auf klaren, unbestreitbaren Urkunden — zu denen insbesondere 
auch rechtskräftige richterliche Erkenntnisse gehören — be- 



i4S) Ergänzung zur Manngerichtsordnung vom 28. März 1664 Art 1. 



197 



mhen. Hier bedarf es keiner Ladung des Gegners: man kann 
vielmehr aus dergleichen Urkunden ohne Weiteres bei dem 
Oberlandgericht oder bei dem königlichen Gouverneur auf Exe- 
cution klagen^**). In Beziehung auf die fernere Form des 
Executivprocesses wurden vorzugsweise die Bestimmungen des 
Schwedischen Rechts geltend^*^), und namentlich für die Exe- 
cution in Immobilien das Institut der Immission oder des 
gerichtlichen Pfandrechts eingeführt. Darnach werden dem 
Gläubiger die nach dem Betrage der Zinsen der zu exequi- 
renden Summe berechneten Einkünfte von Landgütern des 
Schuldners oder von Bestandtheilen derselben „zugeschlagen", 
d. i. eingewiesen. Innerhalb Jahres und Tages darf der Schuld- 
ner den Gegenstand der Immission einlösen; nach Ablauf dieser 
Zeit wird die Immission, wenn der Gläubiger es verlangt, an 
den Meistbietenden öffentlich versteigert^*^). — Eines der Exe- 
cutionsmittel des alten Rechts (§ 40), die Schuldknecht- 
schaft, ist in Wegfall gekommen. 

3. Der .Arrestprocess, gegen Edelleute unstatthaft^*''), 
beginnt mit der Execution durch Beschlag auf die Person oder 
das Vermögen eines unbesitzlichen Schuldners, wenn dieser keine 
Bürgen zu stellen vermag^*®). Wer* den Arrest auf die Person 
oder den Sequester auf das Vermögen seines Gegners erlangt 



1**) Estl. E. u. LR. B. I. Tit. 8 Art. 9. 

^**) S. besonders die königl. Executionsverordnung vom 10. Juli 1669. 

*♦•) Das. § 6. Königl. Resolutionen vom 28. Januar 1685, vom 16. 
December 1687, vom 19. Mai 1697, vom 12. Januar 1698 und vom 18. 
April 1699. Vergl. auch das R. u. LR. I, 34, 3, und Riesenkampff's 
Marginalien S. 514 und 549. Beispiele von vollzogenen Immissionen s. in 
der Brieflade No. 897. 949. 952. 981. 1006. 1008. 1016 u. a. 

"^ Estl. R. u. LR. I, 35, 2. 

»") Das. Art. 1. 3. 4. 



198 



hat, muss, bei Befürchtung der Wiederaufhebung desselben, 
sein Recht in der nächsten Sitzung des Oberlandgerichts ver- 
folgen^*»). 

4. Mit dem Läuflingsforderungsprocess wird es 
noch ganz nach dem Alten gehalten^^®). Dagegen wurde 

5. das Bekreuzigungsverfahren (§52), von welchem 
im Anfange des Zeitraumes noch Spuren vorkommen ^^^), abge- 
schaflft und ausdrücklich verboten ^^2). Im Uebrigen wurde das 
Verfahren des altern Rechts wegen gestörten Besitzes und 
streitiger Gränzen Anfangs im Ganzen unverändert bei- 



"») Das. Art. 7. 

"0) Dem davon handelnden Tit. 18 B. IV. des R. u. LR. liegen meist 
die älteren Bauer - Einigungen zum Grunde, und auch die neuere vom 18. 
März 1632 enthält keine wesentlichen Abweichungen vom alten Recht (§ 53). 
Vergl. V. Bunge 's Beiträge zur Kunde der Rechtsquellen S. 118 No. 17. 
S. 121 No. 14. 

"1) S. die Brieflade No. 16 und 17, vom Jahre 1567. Nicht zu ver- 
wechseln mit der Bekreuzigung des alten Rechts ist die von dem Mann- 
richter vorzunehmende Bekreuzigung, deren auch das R. u. LR. I, 5, 4 
gedenkt, und in Beziehung auf welche es in dem ProtocoUe des Ober- 
landgerichts vom J. 1638 heisst: „Am 1. Februar haben die Herren Land- 
räthe öffentlich der Ritter- und Landschaft zugeredet, dass, obwohl bisher 
wegen der Bekreuzigung des Herrn Mannrichters Missverständniss gewesen, 
80 haben dennoch die Herren Landräthe itzo einhellig beschlossen, dass 
der Mannrichter die Bekreuzigung zu thun soll bemächtiget sein, und der 
solche nit annehmen und niederwerfen würde, dem Gerichte in ernste 
Strafe soll verfallen sein, worauf sich die Ritterschaft beredet und durch 
den Hauptmann geantwortet , dass sie sich solches gefallen liesse ; baten, 
dass darüber ernstlich möge gehalten werden.^' Auch diese Bekreuzigung 
scheint bald ausser Uebung gekommen zu sein. 

"*) R. u. LR. I, 35, 5: „ — — soll hinfüro niemanden gestattet 
werden, einem andern sein Gut oder Land, welches er oder seine Vor- 
fahren ruhig besessen, oder auch die darauf stehenden Früchte, als Korn, 
Heu und dergleichen, zu bekreuzigen; besondem, da er darauf recht- 
mässige Ansprache zu haben vermeinet, dass er durch ordentliche Wege 
Rechtens dieselben verfolge etc." S. auch die Manngerichtsordnung vom 
Jahre 1653 Art 12 a. E. 



199 



behalten^^^) und zunächst den Manngerichten übertragend^*), 
welche jedoch zur Einleitung des Verfahrens in jedem einzelnen 
Falle von dem Oberlandgericht oder von dem königlichen Gou- 
verneur beauftragt sein mussten^^^). Wenn, wie dies öfters 
geschah ^^^), das Manngericht die Entscheidung der Sache an 
das Obergericht verwies, desgleichen wenn von der Entscheidung 
des Manngerichts appellirt worden, ernannte das Oberlandge- 
richt aus seiner Mitte^^"^) Commissarien, welche an den Ort 
des Rechtsstreits sich begeben, und, nach Anhörung der Par- 
teien, Verhör etwaniger Zeugen und genommenem Augenschein, 
in zweiter Instanz erkennen mussten^^^). Von diesem Erkennt- 
niss war Anfangs keine weitere Berufung zulässig. Im Jahre 
1645 aber wurde, in Veranlassung eines besondern Falles^^*), 



"3) K. u. LR. I, 5, 6 fgg. Zu mehreren Artikeln dieses Titels ist 
ausdrücklich das „Livländische Ritterrecht L. V." als Quelle angeführt, 
worunter hier Fabri's formulare procuratorum zu verstehen ist. S. v. 
Bunge 's Beiträge zur Kunde der Rechtsquellen S. 110 fgg. 

"*) R. u. LR. I, 5; 4. 

155J Manngerichtsordnung vom Jahre 1653 Art. 1. S. auch Brieflade 
No. 359. 402. 403. 457. 458 u. v. a. 

»«) S. z. B. die Brieflade No. 458. 553. 647. 666. 894. 

"') Zuweilen wurde den deputirten Landrätheh auch ein Mannrichter 
oder ein anderes Glied der Ritterschaft beigesellt. 

"«) R. u. LR. 1 , 29 , 2. Das früheste Beispiel dieser commissarischen 
Instanz findet sich im Landgerichtsprotocoll vom Jahre 1585. S. auch die 
Brieflade No. 311. 378. 487. 539 u. a. 

"•) In Sachen Carl Hastfer wider den Landrath Hans Heinrich von 
Tiesenhusen hatte Letzterer im J. 1642 um Wiederaufnahme der von den 
Commissarien entschiedenen Sache gebeten, wurde jedoch abgewiesen 
(s. die Vota der Landräthe und des Gouverneurs über die Frage vom 16. 
Septbr. 1642 in der Brieflade No. 541). In den Jahren 1643 und 1644 
suchte die ganze Ritter- und Landschaft bei dem Gouverneur und den 
Landrathen darum nach, die alten Recesse in Gränzsachen in so weit zu 
corrigiren: „dass die, welche annoch einige erhebliche rationes, worum 



200 



auf Anhalten der ganzen Ritterschaft, vom Oberlandgerioht 
verordnet, dass der mit der Entscheidung der Gommissarien 
unzufriedene Theil das Recht haben solle, binnen zehn Tagen 
an das ganze Oberlandgericht , als dritte Instanz, zu appelliren; 
jedoch soll zuvor das Urtheil zweiter Instanz erfüllt, und von 
der Partei, welche um die Revision nachgesucht, der Eid gegen 
Gefährde geleistet werden^®®). Wiederum in Folge eines ein- 
zelnen Falles wurde bereits zu Anfang des Jahres 1647 diese 
Verordnung mittelst königlicher Resolution wieder aufgehoben 
und statt dessen die Berufung (Revision) von der Entscheidung 
der Gommissarien an den König vorgeschrieben^®^). Nachdem 
letztere Bestimmung im Jahre 1651 wieder zurückgenommen 
worden ^®^), ward das Verfahren, mit Zuziehung der Ritterschaft, 
dahin geregelt, dass die Gommissarien keine Entscheidung treffen, 
sondern über das Ergebniss ihrer Wahrnehmungen dem Ober- 
landgericht berichten, und letzteres dann das Urtheil in der 
Sache fällen solle ^®^), es sei denn, dass beide streitenden Theile 



sie mit der Herren Gommissarien Abspruch in secunda iinstantia nicht 
acquiesoiren könnten, beizubringen und zu demonstriren hätten, weiters 
gehört, und durch die tertia instantia von dem Gouverneur und Land- 
räthen, also vom ganzen Gericht, weiters judiciret und gerichtet werden." 
Darauf erfolgte der in der Anm. 160 angeführte Abscheid. 

^•®) Abscheid des Oberlandgerichts vom 24. März 1645 in der Brief- 
lade No. 575. In demselben war ursprünglich zugleich bestimmt, dass 
der Appellant, wenn er in der dritten Instanz unterlag, dem Landgericht 
hundert Speciesthaler als Strafe erlegen sollte. Hiergegen erhob jedoch 
die Bitterschaft Einsprache, und schlug vor, statt dessen von dem Appel- 
lanten den Eid gegen Gefährde zu fordern (Brieflade No. 598, vom 9. 
Februar 1647), worauf das Oberlandgericht auch einging (das. No. 608). 

^•^) S. die Brieflade No. 608 und 610 und besonders den Bericht der 
Landräthe an die Königin vom 2. Februar 1647, in dem ProtocoU XHI, 
A. fol 185 - 142. 

1") Königl. Brief vom 17. Januar 1651 P. 5. S. oben Anm. 138. 

^*') In dringenden Fällen behielt sich das Oberlandgericht vor, tu 



201 



frdwiUig den Spruch der Commissarien begehren und darin oom- 
promittireo^**). 




2. Neue Arten des aasserordentliohen FrooesBes. 

§ 69. 

Zu den neu aufgekommenen Arten des ausserordentlichen 
Verfahrens gehört vor Allem: 

1. der Concursprocess. Die ersten Anfänge seiner 
Ausbildung reichen zwar in das Ende des sechszehnten Jahr- 
hunderts hinauf ^^5), das Verfahren blieb jedoch in der ersten 
Hälfte des folgenden Jahrhunderts noch sehr unsicher und 
schwankend^®®), bis durch das Ritter- uod Landrecht das 



corpore sich an Ort und Stelle zu begeben, um sich von der Sachlage 
genaue Eenntniss zu verschaffen. 

^•*) Bereits im Jahre 1648 wurde die Königin um Genehmigung dieser 
Anordnung gebeten. S. die LandgerichtsprotocoUe vom 20. März 1648 
und vom 23. Juni 1651. 

"») Auf dem Landtage vom J. 1587 (M. Brandis' Ritterrechte B. II. 
Art. 25 Lex. 2) wurde beschlossen: wenn ein Gut an mehrere Gläubiger 
verpfändet (und der Schuldner zahlungsunfähig) ist, sollen die Gläubiger 
zusamnientreten , das Gut durch unparteiische Leute in Gelde schätzen 
lassen, und, die Summe ihrer Forderungen gegenüber stellend, von den 
letztern nach Yerhältniss kurzen. Demjenigen, welcher die grösste For- 
derung hat, steht es sodann frei, bei dem Pfände zu bleiben und die 
andern Gläubiger daraus zu lösen, d. h. ihren gekürzteti Antheil ihnen 
auszuzahlen. 

"•) Als im J. 1615 ein Gläubiger seine Forderung an das Gut Forel 
geltend machte, ward vom Oberlandgericht, dem die Existenz noch 
anderer Creditoren bekannt wurde, den letztem aufgegeben, ihre An- 
sprüche bis zum nächsten Gerichtstage „bei dem Kläger** anzugeben. 
Wenn solches geschehen, solle, nach Gestalt der Sachen, einem Jeden 
„die Billigkeit widerfahren". ~ Aehnlich entschied das Oberlandgericht 
im J. 1619 in Sachen wider Dücker's Erben, nur dass die Gläubiger ihre 
Forderungen „bei dem Secretär** angeben sollten. — In demselben Jahre 



202 



materielle Concursrecht auf Grundlage des gemeinen Deutschen 
Rechts geregelt ^^'), und dadurch mittelbar auch in das Ver- 
fahren mehr Stätigkeit gebracht wurde. Gegen den Schluss 
dieser Periode waren Folgendes die Hauptbestandtheile des Con- 
cursprocesses : Wenn die Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners 
sich ergeben hatte, wurde von dem Oberlandgericht ein Proclam 
zur Zusammenberufung der Gläubiger, gewöhnlich auf drei 
Monat ^^^), erlassen, und die darauf eingegangenen Anmel- 
dungen der Creditoren dem Gemeinschuldner (von einem Con- 
tradictor findet sich noch keine Spur) zur Erklärung zugefertigt. 
Nachdem sodann die Gläubiger unter einander, insbesondere 
wegen etwaniger Vorzugsrechte, Schriften gewechselt, und die 
etwa erforderlichen Beweismittel beigebracht, gingen die Acten 
„zur Formirung eines Quanti" an das Manngericht^®*). In- 



wurde wegen des den Tittfer'schen Erben gehörigen Gutes Eöendes der 
Wier'sche Mannrichter nebst drei anderen Adeligen als Commissarien 
verordnet, um sich des Orts za verfügen, das Gut zu ästimiren und nach 
geschehener Aestimation einem Jeglichen nach Advenant zuzueignen. — 
Im J. 1635 wird dem von mehreren Gläubigern in Anspruch genommenen 
Schuldner aufgegeben, jene zufriedenzustellen. In Entstehung dessen soll 
das Gut Sassel gerichthch aufgeboten und an den Meistbieter verkauft 
werden, worauf die sämmtlichen Creditoren sich aus dem Erlös, so weit 
er langt, bezahlt machen sollen. — Die Theilnahme des Gerichts an den 
Verhandlungen war mithin sehr beschränkt, das Wesentliche dem üeber- 
einkommen der Gläubiger überlassen; von einem Vorzugsrechte einzelner 
Gläubiger findet sich keine Spur, vielmehr theilen alle die Schuldmasse 
unter sich pro rata. 

^") B. IV. Tit. 7 des R. u. LR. handelt nämUch „Vom Vorzug der 
Creditoren und ihren Freiheiten"; über das Verfahren aber finden wir 
auch hier nichts bestimmt, so dass dasa^lbe sich einzig durch den Gerichts- 
brauch ausbildete. 

"8) OberlandgerichtsprotocoUe vom 3. April 1690 und 1691, bei Rie- 
senkamp ff, Marginalien zu B. I. Tit. 9 Art. 2. 

*••) Sollte unter dem dunkeln Ausdruck „Formirung eines Quanti" 
der Entwurf eines Locationsurtheils zu verstehen sein? Ein solcher ist 
jedenfalls unter der Relation gemeint , ^ deren das Urtheil vom J. 1687 



203 



zwischen wurden die Gütei' des Gemeinschuldners abgeschätzt 
und schliesslich vom Oberlandgericht das Locationsurtheil ge- 
fäUti'«). 

2. Der Consistorialprocess, besonders in Verlöbniss- 
und Ehescheidungssachen, wird möglichst summarisch, und — 
wenn die Parteien nicht ausdrücklich anders verlangen — münd- 
lich verhandelt ^'^^). Demnächst unterscheidet er sich von dem 
ordentlichen Gerichtsverfahren durch den vor der Antwort des 
beklagten Theiles vor Gericht anzustellenden Sühneversuch^'^^), 
durch besondere Erfordernisse des Scheidungsurtheils^'^) und 
durch den feierlichen. Scheidungsact^'^*). 

3. Trotz dem auch durch die Rechtsquellen dieser Periode 
bestätigten Grundsatze des altern Rechts (§ 12), dass Niemand 



(s. Aum. 170) gedenkt, welche aber nicht vom Manngericht, sondern 
von Commissarien — wohl aus der Zahl der Landräthe — abgefasst 
werden soll. 

^'^^) So referirt Riesenkamp ff zum R. u. LR. IV, 7, 1 aus dem 
ÜberlandgerichtsprotocoU vom Jahre 1708 S. 365. Im Eingange des Loca- 
tionsurtheils des Oberlandgerichts in Sachen der Creditoren des Keinhold 
Wrangeil von Sali vom 21. März 1687 (Briefl. No. 912) heisst es: „In 
Sachen sämmtlicher Creditoren des etc. R. Wrangell von Sali erkennet das 
königliche Oberlandgericht auf producirte Obligationes etc. , der Creditoren 
gegen einander gewechselte Schriften, dabei angeführten Beweisthum und 
der verordneten Herren Commissarien darüber abgestattete Relation, zu 
allerunterthänigster Folge Ihrer königlichen Majestät allergnädigsten Re- 
ficripts in puncto Uquidationis et praeferentiae hiermit definitive für Recht : 
1) dass etc." Das hier angezogene königl. Rescript ist in den bekannten 
Sammlungen Schwedischer Rechtsquellen nicht zu finden. 

"^) Königl. Verordnung über den Domcapitelprocess vom 11. Februar 
1687 § 19. 

"2) Das. § 18. Königl. Kirchen9rdnung vom 3. September 16S6 Cap. 
16 § 1. 

"') Kirchenordnung a. a. 0. § 14. 

^'*) Das. § 6. 



204 



zur Klage gezwungen werden dürfe^''*), fand schon früh der 
sog. ProYOcationsprocess des gemeinen Deutschen Rechts 
durch die Praxis auch in Estland Eingang^''®). 



HE. 
VerfiEihren in Criminalsachen. 

1. üntersnohtingsprooesB. 
a) Erweiterte Anwendung des UntersnohungsverfahrenB. 

§ 70. 
Zwar gilt auch noch in diesem Zeiträume der Grundsatz: 
„wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter"^''''), es wird daher 
auch noch, um Criminalsachen zur gerichtlichen Verhandlung 
zu bringen, die Anstellung einer (Privat-) Klage als nothwendig 
vorausgesetzt^''^). Allein von dieser Regel werden — besonders 



^^*) E. u. LR. I, 15, 1: ,,Es mag niemand zu klagen gezwungen 
werden, wofern er die Sache zu Recht nicht anhängig gemacht." 

*^') Riesenkamp ff 's Marginalien zu der angeführten Stelle. 

"^) R. u. LR. 1 , 15 , 1 : „Was für Gericht nicht geklaget wird , das 
darf man auch nicht richten.'' 

"«) Am 28. Februar 1650 ward der Wieck'sche Mannrichter beauf- 
tragt, den JEfpiscopus auf dessen Yisitationsreise auf die Insel Dago zu 
begleiten: „weil dann allerlei Excessen allda von einigen Eingepfarrten 
verübet, als soll der Mannrichter bei dem Visitationswerk die Casus zu- 
gleich vornehmen, verhören und nach Beschaffenheit der Sachen zur ver- 
dienten Strafe ziehen." Auf dieser Reise (einem üeberbleibsel der alten 
Sendgerichte, § 9 und 58) kommen eine Reihe von Verbrechen, die zum 
Theil schon vor Jahren begangen worden, zur Verhandlung; der Mann- 
richter verlangt aber zuvor von dem Bischof, er möge „einen gewissen 
Kläger verschaffen, der die Delinquenten gebührlich anklage und die 
angestrengte Action prosequire und verfolge". Der Bischof er- 
widert darauf, er wolle keinesweges Kläger oder Fiscal sein, werde aber, 
so viel er von den Pastoren erfahren könne, dem Gericht notificiren, und 



205 



seit der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts — sehr wesent- 
liche und weit greifende Ausnahmen gemacht. Auf das Rö- 
mische Recht gestützt^''®), spricht das Ritter- und Landrecht 
aus: „Es wird zum öftern eine Uebel- oder Missethat begangen, 
die billig sollte und müsste bestrafet werden; findet sich aber 
Niemand, der Solches klage oder flirbringe. Damit nur frevel- 
haftige, ärgerliche, auch wider gemeine Ruhe und Fijeden 
laufende ,Mißshandlungen nicht ungestraft bleiben , so gebührt 
der Obrigkeit und stehet ihr frei, wider die Verbrecher Amts 
wegen zu inquiriren und zu forschen" ^^®). Damit steht im Zu- 
sammephange die Bestimmung, dass „zwar Niemand schuldig 
ist, eines Anderen, insonderheit der Seinigen, Schande und 
Verbrechen zu offenbaren; wenn aber Jemand eine böse That 
nicht verhütet, noch wehret, die er hindern oder wehren kann, 
und noch dazu dieselbe verschweiget, oder es hätte ein Anderer 
eine so grosse Uebelthat im Willen oder vollbrächt, an deren 
Offenbarung, Verhütung und Abstrafung dem ganzen Wesen, 
Ruhe und Wohlstande gelegen, als da sein: crimen laesae 
maiestatiSy Landesverrätherei, Eltern- und Kindermord etc. — 
— und dergleichen; in solchen Fällen soll derjenige, dem 
solche Missethat bewusst, und (der sie) verschwiegen, nach 
derselben Grösse und beilaufenden Umständen gestrafet wer- 



sandte dem Mannrichter „etzliche specificirte Casus*' za, darüber eine In- 
quisition anzustellen. In Folge dessen nimmt dann das Manngericht diese 
specificirten Casus vor, und fordert in einigen derselben den Beschul- 
digten, ohne dass ein Ankläger auftritt, zum Examen vor, verhört 
Zeugen etc. In den meisten Fällen aber tritt ein Kläger auf, oder das 
Gericht bezeichnet den Hauptzeugen, den es zuerst befragt, und der den 
Thatbestand erzählt, oder auch den Denuntianten , als Kläger. S. .die 
für die Geschichte des Criminalprocesses sehr wichtigen Protocolle des 
Wieck'schen Manngerichts vom J. 1650. 

"•} Namentlich auf L. 13 D. de officio praesicUs (I, 18). 

"•) E. u. LE. B. V. Tit. 46 Art. 1. 



206 



den"^®^). Ferner wird jeder Gutsbesitzer, in dessen Gebiet ein 
Verbrechen begangen ist, verpflichtet, den Verbrecher zu ver- 
haften, und „das Gericht darüber ergehen zu lassen" ^®2), oder, 
wie es in anderen Rechtsquellen heisst, ihn unverzüglich der 
zuständigen Behörde — dem Manngericht — zu überliefern^^^), 
welches schleunigst zur „Untersuchung" der Sache zu schreiten 

hat^t*)- 

So war mithin zur Zeit der Abfassung des Ritter- und 
Landrechts, in der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts, die 
Untersuchungsmaxime im Criminalprocess in lebhafter Anwen- 
dung, und es fragt sich nur, ob dieselbe bloss auf Crhninal- 
sachen der Bauern und anderer Personen niederen Standes in 
Ausführung gebracht wurde^®^), oder auch auf solche adeliger 
Verbrecher. Obschon es an Andeutungen, welche für letzteres 
zu sprechen scheinen, nicht fehlt^®^), so schliessen sie doch 



»") Das. V, 36, 2. 

"«) Das. V, 10, 4. 44, 2. 

"') Ergänzung der Manngerichtsordnung vom Jahre 1664 Art. 5. 

"*) Manngerichtsordnung vom Jahre 1653 Art. 10. 

"*) Bei diesen ist die regelmässige und ausschliessliche Anwendung 
des üntersuchungsverfahrens gar keinem Zweifel unterworfen: R. u. LR. I, 
2, 4 und IV, 18, 14, verglichen mit V, 10, 4. 44, 2. 46, 1 und der Mann- 
gerichtsordnung a. a. 0. 

^^•) R. u. LR. V, 35, 1; „Würde jemand berüchtiget, als hätte er 

das hohe crimen laesae maiestatis begangen, oder in andere Wege 

wider des Landes Freiheit und adelige Ehre und Gebühr gethan, der 
oder dieselben, da sie besitzliche Erb- oder Lehnleute, sollen ordentlich 
citiret, die Unbesitzlichen aber, doch dass sie schüdbar, iu Bürgen Händen 
genommen , und alsdann vor den königlichen Herrn Gouverneur und Land- 
räthe vorgestellet , die Sache, darum der oder die angegeben worden, 
nothdürjtig und genugsam untersuchet, erkundiget, erwogen, auch 
auf befundene gründliche Beschaffenheit, nach Landes Rechten, Sitten 
und Gebrauch geurtheilet, und der Verbrecher mit gebührender Strafe 



207 



eine andere Deutung nicht aus^®*^), und können jedenfalls nur 
als Ausnahmen für einige Arten von Verbrechen verstanden 
werden ^^^). Denn der Regel nach wurde im Laufe dieser 
Periode gegen Edelleute nur im Wege des Anklageprosesses 
verfahren ^^®). 

h) Form des üntersnohtingsverfahrens. 

§ 71. 

Der Untersuchungsprocess wird vor den Manngerichten, in 

Auftrag des königlichen Gouverneurs, in der Regel an dem 

Orte, wo das Verbrechen begangen worden, mit möglichster 

Beschleunigung verhandelt^®®). Der Richter soll vor Allem 



ohne alle Gnade beleget werden". Fast wörtlich entnommen aus den königl. 
Privilegien vom 2. August 1561, vom 10. April 1594, vom 3. Sptbr. 1600 
und den 24. Novbr. 1617. 

'®^) Dass der blosse Ausdruck „untersuchen", der für die Thätigkeit 
des Richters in Criminalsachen gebraucht wird, nicht nothwendig auf den 
Untersuchungsprocess zu beziehen ist, hat bereits W. von Bock (Zur 
Geschichte des Criminalprocesses in Livland S. 53 Anm. 19) hervorge- 
hoben. Dazu kommt, dass das Eitter- und Landrecht für das eigentliche 
Untersuchungsverfahren den Ausdruck Inquisition braucht; R. u. LR. 
V, 46. Vergl. auch noch die Manngerichtsordnung vom Jahre 1653 Art. 
11 und 14, wo der Unterschied des Verfahrens in Criminalsachen gegen 
Edelleute und gegen Personen andern Standes ausdrücklich anerkannt 
wird, und Riesenkampff's Marginalien zu I, 2, 4. 

"8) Dahin würden, nach dem R. u. LR. V, 35, 1 (oben Anm. 186), 
Majestatsverbrechen und Landesverrath gehören. — Vereinzelt steht der 
Fall, dass auf die Klage zweier Bauern (Schwedischer Herkunft) über 
schwere Bedrückungen von Seiten der Gutsherrschaft, der König am 18. 
August 1684 eine besondere Commission beauftragte: „eine Inquisition 
zu veranstalten, und die Bauern in königlichen Schutz, Frieden und Ob- 
hut zu nehmen' ^ Brieflade No. 884. 

"») S. z. B. die Brieflade No. 195. 307 und überhaupt unten § 72 
und 73. 

"•) Manngerichtsordnung vom Jahre 1653 Art 10. 11. Ergänzung 



208 



darauf achten, dass das Gerücht, welches zum amtlichen Ein-* 
schreiten veranlasst, nicht von „leichtfertigen und feindseligen", 
sondern von „ehrlichen und unverdächtigen" Personen seinen 
Ursprung habe. Demnächst soll seine Thätigkeit gerichtet sein 
auf die Erforschung der Wahrheit „der That*', so wie der 
Schuld desjenigen, der der That bezichtigt worden ^*^). Er 
muss mithin die Beweise selbst herbeischaflfen^^^), wenn nicht 
ein Denunciant vorhanden ist, denn alsdann liegt diesem jene 
Pflicht ob^®^). Ist „die That" gewiss, und eine Person der- 
selben durch das Gerücht bezichtigt oder verdächtig gemacht, 
so darf das Verfahren gegen den Verdächtigen eingeleitet 
werden: „doch dass derselbe mit seiner Defension, ob er sich 
der That mit Recht entlegen könnte, gehört, und Niemand 
ungehörter Sache verdammet werde" ^^*). 

Von Beweismitteln finden wir im Ritter- und Landrecht 
nur den Reinigungseid ausdrücklich erwähnt, von dessen Leistung 
ehrlose und anrüchige Personen ausgeschlossen werden ^•5). Die 
Beibringung von Beweisen, insbesondere auch von neu auf- 
gefundenen, ist zu jeder Zeit, selbst nach geschlossenem Ver- 



derselben vom Jahre 1664 Art. 5. Landgerichtsprotocoll vom Jahre 1636 
S. 251. 

»") R. u. LR. V, 46, 2. 

192J Yergl. die Manngerichtsordnung a. a. 0. 

1»») R. u. LR. V, 35 , 3. 

»*) Das. V, 46 , 3. 

^"^) Es ist dies ein Ueberbleibsel des alten Recht» (§ 56), weleh^ 
übrigens im Ritter- und Landrecht nicht wenig abgeändert ist. LuBw Y. 
Tit 39 Art. 2 heisst es nämlich: „Welche an ihren Ehren und Stande 
befleckt sein, als da sind: die wegen Dieberei, Raub, Mord, Brand, 
Zauberei, Vergiftung, Yerrätherei, Eirchenraub, Meineides, falscher Zeug- 
niss, begangener Untreu, Falsches und anderer grober Üebelthaten ge- 
richtlich verklaget, überwunden und condemniret worden und dafür, ge- 
büdset haben; item die Jahr und Tag in der Yerfestung geblieben; item 



209 



fahren, gestattet, und sind dieselben bei der Entscheidung der 
Sache zu berücksichtigen^®^). — Der Tortur, als Mittels zur 
Erforschung der Wahrheit, gedenkt das Ritter- und Landrecht 
nicht^*''); in der Praxis fehlt es jedoch nicht an Beispielen ihrer 
Anwendung^®^), bis sie im Jahre 1686 ausdrücklich aufgehoben 
ward^*®). 



die Haut und Haar, Leib und Leben vom Galgen, Pranger und Staupen- 
schlagen, dazu man sie durch Urtheil und Recht verth eilet, gelöset, oder 
durch Andere lösen lassen, alle diese werden für ehrlose und anrüchige 
Leute gehalten". Art. 2: „Die nun also ein Mal durch Urtheil und Recht 
ehrlos und anrüchig geworden sein, die mögen, wann sie anderweit mit 
solcher üebelthat und Laster bezichtigt werden, mit ihrem Eide nicht 
unschuldig werden". Besonders wichtig ist, dass Eid mit Gehülfen und 
Eisenprobe — welche die Quelle dieser Artikel (s. oben S. 156 Anm. 711 
und 712) anordnet — hier ganz weggefallen sind. S. übrigens auch noch 
unten § 72. 

i««J Protocoll des Oberlandgerichts vom 9. Febr. 1692 S. 134. 

^®^) Ueber die Ausübung der Tortur durch Unbefugte s. das R. u. 
LR. V, 4, 1. 

*'®) Solche Beispiele aus den Jahren 1669 und 1683 (in beiden Fällen 
handelte es sich um Sodomie) führt an Riesenkamp ff in den Margi- 
nalien zu V, 46. Von der Tortur ist auch der Ausdruck: „der scherfe 
anstrengen*^ in der ürk. vom 23. Juli 1632 (oben Anm. 100) zu verstehen. 

^••) Königl. Brief an das Dörpt'sche Hofgericht vom 22. December 
1686 (in J. Schmedemann's Justitienwerk S. 1087): „Wir haben aus 
Eurem Schreiben — Uns — vortragen lassen Eure — Anfrage, wie Ihr 
Euch bei der Aburtheilung von Criminalsachen verhalten sollt, wenn von 
einer beschuldigten und verdächtigen Person solche Judicien und Prä- 
sumtionen sich ergeben, dass sie zwar des Verbrechens schuldig zu sein 
scheint, gleichwohl mit keinem vollkommenen Beweise, wie das Gesetz 
und Recht es erfordert, überführt werden kann; ob eine solche Person, 
zur Erforschung der Wahrheit, nach dem bei Euch üblichen Gebrauch, bis 
zum Eingeständniss der Wahrheit gepeinigt und torquirt werden, oder 
man sich auch in solchen Fällen nach Anleitung unserer Eriegsartikel, 
§ 23 im Processe, verhalten solle? Und gereicht es Euch hierauf zur 
gnädigen Antwort, dass, da Wir es sehr bedenklich finden, Jemanden zur 
Aussage der Wahrheit peinigen zu lassen, weil Solches unsicher ist und 
die wenigste Wahrheit dadurch erforscht wird, es daher besser ist, in 

Bange, Geschichte des Gerichtswesens. 14 



210 



War die Untersuchung geschlossen, so fällt das Mann- 
gericht das Erkenntnisse®^), und sendet dasselbe — das Ver- 
brechen mochte ein schweres oder ein leichtes sein — vor der 
Verkündigung, sammt dem Untersuchungsprotocolle und den 
übrigen Acten, dem königlichen Gouverneur zu. Dieser unter- 
wirft, mit Zuziehung einiger Landräthe, das Erkenntniss einer 
Revision und Leuteration, und fertigt es alsdann dem Mann- 
gericht, Behufs Eröffnung und demnächstiger Vollstreckung 



solchen dunkeln und zweifelhaften Sachen, wo die Wahrheit auf eine andere 
Art, nach menschlichem Verstände und allem angewendeten Fleiss, nicht 
erforscht werden kann, die Verdächtigen dem Urtheile Gottes zu über- 
lassen, als manche Unschuldige zu peinigen und zu verurtheilen, so pflichten 
Wir der Meinung derjenigen von Euch bei, welche hierin dem allge- 
meinen Gebrauch in Unserem Reiche und dem Inhalte der Eriegsartikel 
folgen etc." 

*®°) Ueber das Verfahren in der Zeit, wo das Rechtsprechen noch 
Sache besonderer Urtheiler war (§ 61), vernehmen wir aus dem Bericht 
des Landgerichts vom Jahre 1614 (Archiv IV, 331) Nachstehendes: „Wenn 

eine That oder Misshandliing in eines vom Adel Gebiete sich zu- 

tregt , alsdenn lest der vom Adel den Thäter — — gefenglichen 

einziehen, und meldet dem königl. Statthalter ein solches an, bittet 

daneben, dass er von wegen Ihrer königl. Majestät einen zum Judido 
oder Gerichte dazu deputiren wolle, der dem Richter mit beiwohnen 
helfe. Darnach fördert er auch zu Richtern etzliche besitzliche Geschworene 
vom Adel und ein Haufen alte unparteiische Pauren, die unsere Landes- 
gebreuche wissen und in solchen Fellen des Rechtens gute Erfarung haben. 
Alsdann wird der Beus oder Thäter fürgebracht und vom beleidigten Teil 
angeklaget, und muss mit offenbarer That, eigener Bekenniss uiid glaub- 
würdigen genügsamen Zeugnissen überwunden werden. Darauf wird nach 
Landesgebrauch den Pauren dieses verstendlichen eingebildet, welche vom 
Gerichte abgewisen, dass sie sich draussen berathfragen und das alte 
Recht einbringen sollen. So sie aber die Sache nicht recht eingenommen 
hatten, und wider des Landes Gebrauch und Recht etwas einfuhren 
wollten, werden sie ermahnt, dass sie die Misshandlung weil einnehmen, 
und das alte Recht, Landesgebrauch nach, einbringen sollen. Auf solch 
rechtmessiges Einbringen wird der Thäter von den Richtern, nachdem die 
That ist, zur Sti*a£f condemniret und verurteilet, und kann derselbe, wenn 
das Urteil gefeldt und gesprochen, keinesweges absolviret oder lossge- 
sprochen werden." 



211 



zu 201). Sind Glieder der Ritterschaft bei der Sache betheiligt, 
so darf das Ma^ingerieht in derselben kein Erkenntniss fällen, 
muss sie vielmehr zur Urtheilssprechung an das Oberlandgericht 
gelangen lassen ^o^). 

2. Frivatanklageprooess. 

§ 72. 

Das alte, auf Klage mit Gerüfte gegründete Criminalver- 
fahren (§ 55 — 57) war, was zunächst die Einleitung desselben 
durch das Gerüfte anlangt, wohl schon vor Ablauf des sechs- 
zehnten Jahrhunderts antiquirt 2®^). Es trat an die Stelle die 
einfache Klage oder Anklage des Verletzten ^o*) ; jedoch erhielten 
sich daneben zwei mit dem alten Recht in Verbindung stehende 
Institute, zum Theil freilich nur unter den alten Namen, mit 
wesentlich veränderter Gestalt und Bedeutung. Es sind dies: 

1. Die Friedlosigkeit. Sie trifft nicht nur einen Ca- 
pital Verbrecher , welcher auf die an ihn ergangene Ladung sich 
nicht vor Gericht stellt ^^^), sondern auch als unmittelbare 



*®^) R. u. LR. I, 2, 4. IV, 18. 14. Manngerichtsordnung vom Jahre 
1653 Art. 10. 11. Ergänzung derselben vom Jsüire 1664 Art. 5. 

"2) R. u. LR. V, 35, 1. 2. Manngerichtsordnung Art. 11. 14. VergL 
Riesenkamp ff 's Marginalien zum R. u. LR. I, 2, 2. 4. 

**") Eine Erinnerung an das Gerüfte findet sich übrigens in der Klage 
wegen Nothzucht, jedoch in einer Art, welche beweist, dass die Quelle 
in dieser Beziehung ganz missverstanden ist. Es heisst nämlich im R. u. 

LR. V, 24, 1: „Wer eine — — Frau oder Jungfrau mit Gewalt 

— zu seinem schändlichen Willen zwinget, und mit der That noth- 

züchtiget, darüber Geschrei ergehet, gehöret, wer darüber 
betreten oder sonsten beständig überwiesen wird, der soll mit dem 
Schwerte gerichtet werden." 

2«*) S. oben Anm. 178. 189. 200. 
*«») R. u. LR. V, 9 , 1. 40 , 1. 



212 



Strafe denjenigen, welcher eine sog. Absage (§ 54), mündlich 
oder schriftlich, an einen Andern ergehen lässt und dadurch 
den Landfrieden bricht 2®®). Ihre Wirkungen werden im Ritter- 
und Landrecht im Ganzen in Uebereinstimmung mit dem alten 
Recht (§ 57) angegeben ^o*?); dagegen bekunden die unklaren 
Bestimmungen desselben über die Beendigung der Friedlosig- 
keit^^^), dass das alte Recht bereits missverstanden wurde. 

2. Die Mannbusse wird zwar noch als Sühnegeld auf- 
gefasst^^®), was sie nach dem alten Recht (§ 54) ausschliesslich 



'•«) Das. V, 9, 2. 3. Unter den Artikeln, welche bei der Eröffnung 
der Gerichtstage, nachdem der Friede gebannt war, verlesen worden, 
lautet der neunte: „Weilen sich auch etzliche finden, die umb geringer 
Ursach willen sich unterstehen, seinen Nebenmenschen sowohl mündlichen 
als schriftlichen abzusagen, und dann solche und dergleichen Absage wider 
I. E. Majestät Hoheit, dieses Fürstenthumbs woll bestalltes löbliches Recht, 
auch allgemeinen Landtfrieden ist: als sollen die Verbrecher sampt ihren 
Mitgesellen in diesem ganzen Fürstenthnmb Ehsten friedlos geleget sein, 
und wo sie darinnen betroffen, gerichtlichen angezogen und am Höchsten 
gestraffet werden". Monum. lÄvonice ant. III, 2, 97. Ein Beispiel der 
practischen Anwendung dieser Bestimmung s. ebendas. S. 285. 

"■»j R. u. LR. V, 9, 1. 3. 40, 2. 3. 5. S. dagegen das. V, 36, 1. 

*°*) Das. V, 40, 4: „Will ein Mann, der friedlos geleget oder in die 
Acht erklärt ist, sich daraus ziehen, so soll er Bürgen stellen, dass er 
sich vor Gerichte stellen und sich verantworten wolle, und ihm alsdann 
vom Gerichte sicher Geleite gegeben werden; da nun kein Kläger vor- 
handen, oder derselbe zu dreien vierzehn Tagen vorgeladen würde und 
aussen bliebe, so soll er von der Klage losgesprochen und ihm Friede 
gewirket werden". S. auch das. Art. 5. 

*®*) Das. V, 42, 3: „Werden Todtschlages , oder andere peinliche 
und Halssachen auf ein Sühnegeld und Abtrag vertragen, welches 
gleichwohl, ehe und zuvor die hohe Obrigkeit von der Sache gründlich 
berichtet und derselben Consens und Zulass darüber erfordert worden, 
nicht geschehen soll, kann noch mag, so soll solch Sühne- und Ab- 
tragsgeld, wie auch andere fürm Mannrichter aberkannte Mann- 
bussen und Strafen in drei Theile geleget und getheilet werden, als 
nämlich der Kirchen ein, dem Kläger das andere, und demselben, der 
das Gerichte bei sich hegen lasset, das dritte Theil". Der Titel 42, 



213 



war; zugleich wird sie aber als Geldstrafe behandelt, indem 
davon nur der dritte Theil dem Verletzten, ein Drittheil der 
Kirche und ein Drittheil „demjenigen, der das Gericht bei sich 
hegen lässt", zugesprochen wird 2^®). Es wird die „adelige" 
Yon der „schlechten Mannbusse" unterschieden, und jene 
auf 200, diese auf 40 Thaler geschätzt ^^^). Der einer Tödtung 
oder eines andern mit Todesstrafe bedrohten Verbrechens Schul- 
dige darf sich mit dem Verletzten oder den Angehörigen des 
Getödteten über die Zahlung der Mannbusse, als Sühnegeldes, 
vergleichen, jedoch bedarf es dazu der Genehmigung der „hohen 
Obrigkeit" ^^^). Die Mannbusse wird indessen auch direct als 
Strafe dictirt, z. B. für einfachen Ehebruch^^^), für den Bürgen, 
welcher den verbürgten Verbrecher nicht vor Gericht stellt^ ^*), 



welchem dieser Artikel angehört, ist „Von Busse und Wette" über- 
schrieben, der erste Artikel hat den Eingang: „Wird jemand in Brüche, 
Strafe oder Busse verurtheilt etc.", von Wette, in der Bedeutung von 
Geldstrafe (§ 34), ist, ausser in jener Ueberschrift, weder in diesem Titel, 
noch sonst im Ritter- und Landrecht die Rede. Dies Alles beweist, dass 
der Verfasser aus den alten Rechtsquellen blosse Benennungen von 
Instituten beibehalten, deren Bedeutung ihm und seinen Zeitgenossen 
unklar war, weil die Institute selbst in ihrer ursprünglichen Gestalt ver- 
altet, ausser Gebrauch gekommen und daher dem Volksbewusstsein ent- 
schwunden waren. S. auch noch unten Anm. 214. 

**®) Eine königl. Resolution vom 20. August 1634 § 12 schrieb vor, 
von den Strafgeldern solle die Hälfte dem königlichen Fiscus, von der 
andern Hälfte der Kirche ein Drittheil, und ein eben solcher Antheil dem 
Kläger und dem Richter zufallen. Gegen diese Bestimmung scheint jedoch 
von der Ritterschaft mit Erfolg remonstrirt worden zu sein. Vgl. Riesen- 
kamp ff 's Marginalien zu V, 42, 3. 

2") R. u. LR. V, 27, 3 vergl. mit V, 31, 7 und V, 45, 1. 

*f*) Das. V, 42, 3, oben Anm. 209. 

"») Das. V, 27 , 3. 

*"J Das. V, 45, 1. Darnach soll der Bürge die ganze Mannbusse 
„dem Gerichte erlegen und bezahlen". 



214 



für die Entführung eines Erbbauers^^^) und für manche andere 
Fälle 216). 

Aber auch diese beiden Institute scheinen noch im Laufe 
dieser Periode ausser Gebrauch gekommen zu sein^i*^). 

Was die üeberführung des Angeklagten anbetrifft, so sind 
auch hier, wie im Untersuchungsprocess (§ 71), die Hauptver- 
theidigungsmittel des alten Rechts , der Eid mit Gehülfen und 
die Eisenprobe, in Wegfall gekommen. Wo in dem Ritter- 
und Landrecht vom Beweise im Criminalprocess die Rede ist, 
wird nur im Allgemeinen angegeben, der Angeklagte müsse 
„entweder auf scheinbarer (d. h. offenbarer) That betreten, 
oder, wie Recht, durch genügsame Zeugniss und Beweis oder 
eigenes Bekenntniss überführt" sein^i^)^ Wenn gegen den An- 
geklagten nur „starke Vermuthungen und Judicien (Anzei- 
gungen)" sprechen, kann er sich durch den Reinigungseid von 
der Anklage befreien ^^ 9). Die Herbeischaffung der Beweismittel 
war übrigens ganz Sache der Parteien, insbesondere hatten sie 
etwanige Zeugen vorzuführen und (seit der Mitte des sieben- 
zehnten Jahrhunderts) förmliche Beweisartikel zu übergeben, 
wobei dem Gegner die Einreichung von Fragstücken freistand. 
Die Thätigkeit des Richters beschränkte sich daher auf das Ver- 
hör der Zeugen, Aufnahme des Augenscheins und Prüfung d«r 
sonst von beiden Theilen etwa vorgestellten Beweismittel 220), 



"«) Das. V, 31, 7. 

*") In den LandgerichtsprotocoUen aus den Jahren 1645 — 50 wird 
öfters auf die Erlegung einer halben Mannbusse für zufällige Tödtung, 
für Tödtung aus Nothwehr, für entfernte Theünahme am Todtschlage und 
dergl. erkannt. 

*") Wenigstens verschwinden mit dem achtzehnten Jahrhundert aus 
der gerichtlichen Praxis auch die Namen: Friedlosigkeit und Mannbasse. 

«") R. u. LR. V, 27, 2. Vergl. auch V, 1, 3. 2, 1. 2. 29, 1. 31, 1. 

"») Das. V, 27, 5. S. auch oben § 71. 

*") S. die Brieflade No. 678. 



215 



3. StaatianUageprooess. 

§ 73. 
In dem Ritter- und Landrecht kommt nichts vor von einem 
Staatsankläger, Fiscal, welchem die amtliche Verpflichtung ob- 
gelegen hätte, Verbrecher vor Gericht zu belangen. Gleichwohl 
bestand in Estland bereits seit dem Jahre 1630 das Amt 
eines Commissarius Fi sei (§ 60), welcher namentlich Be- 
amte wegen Amtsvergehen in gerichtliche Ansprache zu nehmen 
verbunden war^^^). Daraus darf ohne Weiteres gefolgert werden, 
dass der Commissarius Fisci zu jener Zeit keinesweges officiöser 
oder Staatsankläger für Criminalsachen jeder Art, sondern 
nur für Amtsvergehungen , war, von denen gerade das Ritter- 
und Landrecht gar nicht handelt, daher es denn auch keine 
Gelegenheit hatte, des öffentlichen Anklägers überhaupt zu 
gedenken. Dieses wird nun auch dadurch bestätigt, dass die 
Amtsthätigkeit der fiscalischen Beamten in dem ganzen Schwe- 
dischen Reiche erst in der zweiten Hälfte des siebenzehnten 
Jahrhunderts eine grössere Ausdehnung erhielt. Während näm- 
lich bis dahin den Fiscalen nur die Wahrnehmung gewisser 
Pflichten gegenüber den Gerichtsbehörden, in Beziehung auf 
die Wirksamkeit der Richter etc., oblag 2^^), ging unter dem 
6. October 1665 bei der königlichen Executionscanzlei zu Stock- 
holm der königliche Befehl ein, dass Edelleute, welche „könig- 
liche Ordnungen und Stadgen" übertreten, von dem königlichen 
Hofgerichtsfiscal angeklagt werden sollten, Personen anderer 
Stände aber von dem StadtfiscaP^*^). Bald darauf wurde durch 



^^^) Manngerichtsordnung vom Jahre 1653 Art. 2 a. E. 

*^^) S. den königl. Gerichtspro cess vom 23. Juni 1615 Art. 5 und 10 
und die königlichen Verordnungen vom 15. Juni 1638 und vom 25. April 
1647, in Schmedemann's Justitienwerk S. 146. 149. 234. 271. 

"») Schmedemann a. a. 0. S. 464. 



216 



die königliche Verordnung über Executionen vom 10. Juli 1669 
§ 25 allen Befehlshabern Yorgeschrieben , für die Ausmittelung 
und Bestrafung aller derer Sorge zu tragen, welche „königliche 
Stadgen und Verordnungen" übertreten, und zu diesem Zweck 
im § 26 ebendaselbst angeordnet: 

„Damit nun aber dieses (nämlich die Ermittelung und Be- 
strafung der Uebert reter königlicher Stadgen und Verordnungen) 
desto ordentlicher zugehen möge, sollen unsere Befehlshaber 
zunächst, ein jeder an dem Orte, über den er gesetzt ist, 
gewisse Personen — zu Aufsehern bestellen, deren Ver- 
richtung darin bestehen soll, nach Allem, was wider die eine 
oder die andere Verordnung verbrochen werden möchte, zu 
fragen und zu forschen , sich genau darnach zu erkundigen, 
und es (d. i. das Erforschte) zu verzeichnen, auch von Allem 
eine besondere Aufzeichnung unserm Befehlshaber, eine andere 
gleichlautende aber demjenigen, der zum Ankläger bestimmt 
ist, einzuliefern 22*). Was nun dergestalt angegeben wird, dessen 
soll sich der Ankläger, nebst dem, was er selber vielleicht noch 
entdecken möchte, annehmen, auch dasselbe, nach gegebener 
Anleitung, vor das Gericht bringen, und auf geschehenen Be- 
weis und Gründe, welche er selber durch Hülfe und Zuthun. 
unserer Befehlshaber zusammenbringen können, die Sache zum 
Urtheil betreiben, und sollen die Befehlshaber auch zusehen, 
dass von einem solchen (Ankläger) keine Sache versäumt oder 
niedergeschlagen werde. Zu solchen Anklägern werden zunächst 
die Fiscale bestimmt, welche bereits ein jeder an seinem Ort 
verordnet worden, und zwar mit dem Unterschied, dass Alles, 
was von der Ritterschaft und Adel versehen wird, von dem 
Eitterhaus- und Hofgerichtsfiscal ausgeführt, das Uebrige aber, 



***) Dies ist wol der UrspruDg der noch gegenwärtig in Reval be- 
stehenden Strassenfiscale. 



217 



worin Personen anderer Stände sich vergehen, den Stadtfiscalen 
zur Ausführung überlassen werden soll. — — In diesem Allem 
soll die Gerichtsordinanz und Processi 2^), ebensowohl wie in 
andern Sachen, zur Richtschnur dienen, "nur dass, mit Ver- 
meidung aller Weitläufigkeit, die Sachen summarisch verhandelt 
werden, und ihnen ohne Aufschub Abhülfe geschehe. Nach 
gefälltem Urtheil soll der Ankläger Solches unsern Befehls- 
habern kund thun, welche diese, gleich andern Sachen, exe- 
quiren sollen" 2^®). 

Durch diese Verordnung wurde zwar der peinliche Staats- 
anklageprocess, welcher bis dahin zunächst für Amtsvergehungen 
üblich gewesen zu sein scheint, auch auf andere Fälle aus- 
gedehnt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass unter der „Ueber- 
tretung königlicher Verordnungen und Stadgen" 
keinesweges Gesetzesübertretungen jeder Art , am wenigsten 
schwere Criminalverbrechen , zu verstehen sind ^2"^), sondern nur 
TJebertretungen gewisser administrativer und polizeilicher Vor- 
schriften, durch welche kein privates, sondern nur das öflfent- 
liche Interesse verletzt wird, bei welchen daher kein Privat- 
kläger vorausgesetzt wird, eben deswegen aber ein öffentlicher 
Ankläger nothwendig erscheint ^^®). In Beziehung auf andere. 



2**) Darunter ist die Gerichtsordnung für die Untergerichte und das 
Hofgericht zu Stockholm vom 10. Februar 1614 und die hofgerichtliche Pro- 
cessordnung (Gerichtsprocess) vom 23. Juni 1615 zu verstehen. 

^2") Die hier gegebene üebersetzung ist auf Grundlage des bei Schme- 
demann a. a. 0. S. 593 fgg. abgedruckten Schwedischen Originals ge. 
macht. Daraus erklären sich einige Abweichungen von dem in den älteren 
Deutschen Sammlungen (s. insbesondere von Buddenbrock's Sammlung 
der Gesetze Bd. n. S. 467) enthaltenen alten Translat. 

^") Diese Ansicht vertheidigt W. von Bock, Zur Geschichte des 
Criminalprocesses S. 61 fgg. S. indess von Bunge 's Widerlegung der- 
selben in den Erörterungen aus den in Livland etc. geltenden Rechten 
B. V. S. 170 fgg. 

***) Dass der Ausdruck: „Uebertretung königlicher Stadgen und Ver- 



218 



eigentliche Criminalsachen blieb es daher beim Alten, wie auch 
die gerichtliche Praxis dieser Zeit beweist 2^^), aus welcher sich 
einestheils nicht wenige Acten über Criminalprocesse erhalten 
haben, in welchen 'das inquisitorische Verfahren beobachtet 
worden, anderntheils , namentlich gegen Edelleute, die Form 
des Privatanklageprocesses vorkommt ^^®). 



Ordnungen" die angegebene Bedeutung hat, und im Schwedischen Rechte 
gewissermassen ein technischer war, ergiebt sich vor Allem aus dem alpha- 
betischen Register zu Schmedemann's Werke u. d. W. „Stadgar", wo 
die betreffenden Gesetze über jene Classe von (geringeren) Vergehungen 
zusammengestellt sind. Ausserdem geht es auch aus der Livländischen 
Landgerichtsordinanz vom 1. Februar 1632 § 7 und der Instruction für die 
Livländischen Kreisfiscale Art. 1 deutlich hervor. S. v. Bunge a. a. 0. 
S. 173 fgg. und unten § 89 und 90. 

*''®) Im Oberlandgericht sehen wir den Commissarius Fisci zum ersten- 
mal im Jahre 1644 auftreten, wo er, bei Gelegenheit einiger Privatklagen, 
wegen ausgeübter Gewalt, sich „auch für den succumbirenden Fall actionem 
salvam^' vorbehält; dass er sie aber auch ausgeführt, findet sich nicht. 
Ausserdem tritt er bis zum Jahre 1651 nur sechsmal auf, und zwar erhebt 
er zweimal Klage wegen Vornahme ungehöriger Handlungen am Bettage, 
einmal wegen Schliessung einer Kirche; einmal klagt er im Interesse des 
Fiscns gegen einen Lehngutsbesitzer. Im J. 1649 strengt er eine Klage 
gegen einen Edelmann an, welcher an einem Bürgerlichen Strassengewalt 
verübt; es ist jedoch nicht ersichtlich, ob er in dieser Sache von Amts 
wegen oder als Privatauwalt des Verletzten handelt. — In einem Gränz- 
streit wird im Jahre 1646 das streitige Land mit Sequester belegt und den 
Parteien angedeutet, dass derjenige, der den Sequester nicht achtet, vom 
Fiscal angeklagt werden solle. ^ 

^^^) S. oben Anm. 189 und vergl. über die ähnliche Gestaltung der 
Verhältnisse in Livland unten § 89 fg. 



219 



Drittes Capitel. 

. Von dem gericlitliclieii Verfahren bei den Stadt- 

gericliten Eevals. 

I. 
Verfahren in bttrgerlichen Rechtssachen. 

1. OrdentUohes Verfahren. 

§ 74. 
Bei den üntergerichten wird in allen Sachen möglichst 
summarisch, daher, der Regel nach, mündlich verfahren, und 
nur beim Waisen- und Niedergericht, wenn die Verwickelung 
der Sache es nothwendig erheischt, schriftlich ^^^). 

Bei dem Rathe dagegen bildet das schriftliche Verfahren 
die Regel, und nur in ganz geringfügigen Sachen, und solchen, 
welche keinen Aufschub leiden, ist die mündliche Verhandlung 
zulässig 2^2). — Die Vorladung des Gegners und jeder Vorstand 
vor Gericht muss am Tage vor der Sitzung des Gerichts bei 
dem Vorsitzer desselben (im Rathe bei dem wortführenden Bür- 
germeister) erbeten werden ^^^). Die ungehorsame Partei trifft 
beim Ausbleiben auf die erste, zweite und dritte Ladung eine 
Geldstrafe; zum viertenmale wird aber, auf Ansuchen des Gegen- 
theils , die Sache für geschlossen angesehen , und in contumaciam, 



*'*) Revaler Obergerichtsordnung § 11. Consistorialordnung Cap. 5 
§ 2. Lübeckische Seegerichtsprocessordnung vom J. 1655 § 1. 

*'*) Obergerichtsordnung § 6, 7 und besonders § 8. 

»") Das. § 1. 5. 



220 



nach Lage der Acten, verfahren 2^*). Der Beklagte muss mit 
seiner Erklärung oder Litiscontestation alle etwanigen zerstör- 
lichen Einreden verbinden. Aufschiebende Einreden müssen vor 
der Litiscontestation vorgetragen werden, und sind, bei Verlust 
derselben, alle auf einmal, und mit den erforderlichen Beweis- 
mitteln versehen, zu verlautbaren. Wie der Kläger bei seiner 
Klage, so muss auch der Beklagte bei seiner Erklärung alle 
Documente und übrigen Beweismittel beibringen 2^^). — Die 
Schriftsätze werden von acht zu acht Tagen, ohne eine, gericht- 
liche Mahnung abzuwarten , vor besetztem Gericht eingereicht^^^). 
— Nach Erledigung des Beweis- und Gegenbeweis Verfahrens 
(s. unten) sind nur noch zwei Schriftsätze: Replik und Duplik, 
gestattet, denen dann eine mündliche Conferenz folgt. An deren 
Stelle ist nur aus besonders wichtigen Gründen ein nochmaliges 
schriftliches Verfahren (Memorial und Gegenmemorial) zuläs- 
sig ^^'^). 

In Beziehung auf Beweismittel und Beweisverfahren gingen 
bei den Stadtgerichten ganz dieselben Veränderungen vor, wie 
bei den Landesgerichten 2^®). Namentlich wurde auch hier die 
vierzehntägige peremtorische Beweisantretungsfrist üblich ^^®). 
Als etwas Eigenthümliches ist in Betreff des Urkundenbeweises 
hervorzuheben, dass den Handelsbüchern der Kaufleute (Gross- 



^^*) Das. § 18. Dadurch wurden die Bestimmungen des revidirten 
Lübeck'schen Stadtrechts V, 4, 1 fgg. aufgehoben. 

^^*) Obergerichtsordnung § 14. 
"•) Das. § 3 und 10. 

2") Ebendas. § 10 und 11. 

238) Vergl. das revid. Lüb. StR. B. V. Tit. 5-8. 

**®) Die Praxis beruft sich deshalb auf das revid. Lüb. StR. V, 7, 9, 
wo jedoch nur das alte Recht über die Fristen, in welchen Zeugen vor- 
zuführen sind (Lüb. StR. II, 420, s. oben § 30), bestätigt wird. 



221 



händler) halbe Beweiskraft beigelegt wurde; den Büchern der 
Krämer aber nur, wenn der Streitgegenstand die Summe von 
dreissig Mark nicht übersteigt^*®). 



• 2. Ausserordentliches Verfahren. 

§ 75. 

Abgesehen davon, dass, wie oben (§ 74) angegeben, bei 
den Untergerichten alle Sachen summarisch verhandelt werden 
sollen, — was in noch höherem Grade für die nach Gastrecht 
zu betreibenden Sachen gilt^*^), — wurden bei den Revaler 
Stadtgerichten in diesem Zeiträume alle ausserordentlichen Pro- 
cessgattungen des gemeinen Deutschen Rechts üblich, und er- 
hielten bereits damals grösstentheils ihre heutige Ausbildung. 
Eine ausführlichere Darstellung derselben kann hier um so mehr 
wegfallen, als in den meisten dieser Processgattungen keine 
wesentliche Abweichung vom gemeinen Recht vorkommt, nur 
dass die allgemeinen Bestimmungen über das ordentliche Ver- 
fahren (§ 74), so weit die besondere Natur des bezüglichen 
ausserordentlichen Processes es zulässt, auch bei diesem in An- 
wendung kommen. — Besondere Erwähnung verdient nur: 

1) dass in Bausachen der wortführende Bürgermeister, 
auf Ansuchen des durch den Bau sich gefährdet erachtenden 
Nachbarn, die sofortige Einstellung des Baues anordnen kann; 
Sodann muss aber der Kläger binnen vierzehn Tagen das Bau- 
gericht zur Baustelle einladen, wo beide Theile, zugleich Sach- 
verständige und etwanige Zeugen, summarisch vernommen wer- 



**®)* Kevid. Lüb. StR. V, 6, 4: „Gewandschneider- und Erämerbücher 
sein zur Schuld zu beweisen genugsam bis auf 30 Mark". S. darüber von 
Bunge in den Erörterungen Bd. IV. S. 167 fgg. 198 fgg. 

*") Vergl. das revid. Lüb. StR. V, 4. 2. 8, 2. 



222 



den, und, nach angestellter Besichtigung und etwa erforderlicher 
anderrveiter Untersuchung, das Gericht sofort das Erkenntniss 
fällt. Wenn der Kläger die vierzehntägige Frist versäumt, wird 
das Verbot des Weiterbauens aufgehoben ^^^^^ 

2) In Wechsel Sachen wird, wenn ein Wechsel acceptirt 
ist und die Respittage abgelaufen sind, ohne dass Zahliftig 
erfolgt, auf erhobene Klage des Gläubigers, ohne Rücksicht 
auf etwanige Appellation oder Provocation des Schuldners, die 
Execution binnen drei Tagen vollzogen und der Schuldner in 
gefängliche Haft gebracht. Gegen die Wechselklage sind keine 
andern Einreden zulässig, als die Exceptio doli mäli und solu- 
Monis, aber auch diese müssen, wenn sie die Execution abwenden 
sollen, auf der Stelle erwiesen werden 2*^). 

3) Zur Verhandlung einzelner Sachen kann der Rath Com- 
missionen ernennen, vor denen sich die Parteien bei Strafe 
zu sistiren haben 2**). Es wurde insbesondere üblich, beim Aus- 
bruche eines Concurses, nachdem die Gläubiger mittelst Pro— 
clams zusammenberufen waren, eine Concurscommissioa- 
aus Gliedern des Rathes zu ernennen, welcher die Leitung des 
Liquidations - und Prioritätsverfahrens übertragen wird, und 
welche, nach geschlossenen Acten, diese nebst einem Gutachten, 
dem Rathe zum Urtheil vorzulegen hat. 

3. Appellation. 

§ 76. 
Von den Erkenntnissen sämmtlicher üntergerichte kann an 
den Rath appellirt werden ^*^), und zwar muss der unzufriedene 



2") Vergl. das. lU, 12, 15. 

***) Lübeck'sche Wechselordnung vom Jahre 1662. 

***) Obergerichtsordnung § 17. 

*") Eevid. Lüb. StR. V, 10 , 4. 



223 



Theil, bei Verlust des Eechtsmittels , binnen zehn Tagen, von 
der Eröffnung des Urtheils an gerechnet, die Appellation bei 
dem betreffenden Unterrichter anmelden, und von da ab in 
vierzehn Tagen beim ßathe, unter Beibringung des unterrichter- 
lichen Protocolls und der Voracten , introduciren , und seine 
einzeln aufzuführenden Beschwerdepunkte rechtfertigen^*^). Nach 
Anhörung der Widerlegung des Appellanten , und nachdem allen- 
falls beiden Theilen noch eine mündliche Conferenz gestattet 
worden, wird zum Erkenn tniss geschritten. — Wider Erkennt- 
nisse des See- und Frachtgerichts ist die Appellation nur zu- 
lässig, wenn der Streitgegenstand den Werth von 1000 Mark 
erreicht. Auch sie muss binnen zehn Tagen angemeldet, aber 
schon bei der nächsten darauf folgenden Rathssitzung introducirt 
und gerechtfertigt werden 2*'^). 

Von den ürtheilen des Rathes ging zu Anfang dieses Zeit- 
raumes die Appellation noch an den Rath zu Lübeck 2*^). Allein 
im Jahre 1584 wurde dies aufgehoben, und es trat an die 
Stelle die Appellation an das königliche Hofgericht zu Stock- 
holm, welche jedoch nur zulässig war, wenn der Werth des 
Streitgegenstandes sich auf mindestens fünfhundert Thaler be- 
lief249^ Ausserdem wurden die Erkenntnisse des Rathes, ohne 
Rücksicht auf den Werth des Streitgegenstandes, für inap- 
pellabel erklärt in Bausachen ^^''), Arrest- und Executions- 



**«) Eathsconstitution vom 1. Septbr. 1665. Obergerichtsordnung § 4. 

**■') Lübeck'sche Seegericbtsprocessordnung vom Jahre 1655 § 6. 

**8) Unterwerfungsvertrag der Stadt vom 6. Juni 1561 und dessen 
Ratification vom 2. Aup^ust 1561. 

**®) König], ßesolution vom 25. August 1584 § 1 und vom 1. August 
1590 § 6. Privüegium König Sigismunds vom 10. April 1594 Art 2 u. a. m. 

"») Königl. Resolution vqm 13. April 1667 § 7. 



224 



Sachen 251)^ Injuriensachen ^ ^2), und Sachen, welche auf Grund- 
lage eines Vergleiches abgeurtheilt worden 2^^), wie denn von 
Alters her in Gilde- und Zunftsachen alle Berufung gegen Er- 
kenntnisse des Käthes ausgeschlossen war. Die Appellation gegen 
Erkenntnisse des ßathes muss binnen zehn Tagen angemeldet 
und binnen fünf Monaten bei dem Hofgericht zu Stockholm 
introducirt werden ^s*). 



VerfiEthren in Criminalsachen. 

§ 77. 

Das revidirte Lübeck'sche Stadtrecht enthält noch sehr 
zahlreiche Spuren des alten Verfahrens in Criminalsachen. Die 
peinliche Anklage des Verletzten ist darnach noch regelmässig 
der Anfang jedes Verfahrens 2^^), selbst das Gerüffce wird noch 
als wesentliches Erfordemiss — wenigstens in einzelnen Fällen 
— angesehen 2^^). Der ßeinigungseid , ohne allen anderweitigen 
Beweis zulässig, spielt im Beweisverfahren noch eine Haupt- 
rolle 2^'^); das Institut der Friedlosigkeit oder Verfestung ist 



«") Königl. Executions - Verordnung vom 10. Juli 1669 § 3. Königl. 
Brief vom 6. Mai 1692. 

**2) Königl. Brief vom 3. März 1648. Königl. Resolution vom 15. No- 
vember 1648. 

2") Königl. Brief vom 5. September 1700. 

"*) Königl. Stadga vom 4. Juli 1695 § 18 P. 2. 

2") Bevid. Lüb. StR. IV, 11, 1. 4. V, 2, 4. 4, 3. 

2*») Namentlich bei Mord, Strassenraub und Nothzucht. Bevid. Lüb. 
StR. IV, 2, 1. 7, 1. 8, 6. 

2") Bevid. Lüb. StB. IV, 1. 6. 9. 8, 9. 12, 3. 4. 5. 16, 5 u. a. m. 



225 



noch in voller Kraft 2*®). Dagegen erscheint das amtliche Ein- 
schreiten des Richters nur als Ausnahme von derRegeP^®), wie- 
wohl sich schon der Grundsatz festgestellt hat, dass schwerere 
Verbrechen, namentlich Todtschlag, nicht ohne Vorwissen des 
Gerichts von den Betheiligten verglichen werden dürfen ^^o). 

Alles dieses änderte sich jedoch ohne Zweifel bereits in der 
ersten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts, und, wie bei den 
Landesgerichten, so wurde auch bei den Stadtgerichten das 
Untersuchungsverfahren die für Criminalsachen vorherrschende 
Form 2^^). Aber auch hier kam, ohne Zweifel in derselben 
Veranlassung, wie bei den Landesgerichten (§ 72), und um 
dieselbe Zeit, der officiöse Anklageprocess in Aufnahme, indem 
dem bei der Stadt angestellten Justizofficial (§ 62) — welchem 
zunächst die Aufsicht auf die Beobachtung der Obergerichts- 
ordnung, und namentlich die ProtoeoUirung und Beitreibung 
der gerichtlich decretirten Geldstrafen oblag — ausserdem zur 
Pflicht gemacht wurde: „Da einige grobe Verbrechen, injuriöse 
Betastungen, Schlägereien, DiffamcUiones und dergleichen in der 
Stadt und deren Territorium vorgehen, — — solche alsobald 
dem Magistrate anzuzeigen, und, auf erhaltenen Zulass, die 
Verbrecher, wenngleich kein Kläger vorhanden, ex officio zu 
belangen, Strafe zu urgiren, und also, zur Verhütung grober 
Excesse, sein Amt fleissig und aufrichtig zu treiben" ^ ® 2). In 



»«) Das. IV, 2, 1. 2. 8, 3. 11, 3. 17, 1. 2. 3. 

**•) Das. IV, 4, 4, meist wörtlich übereinstimmend mit dem altern 

Rechte: Lüb. StR. 11, 122, oben § 58 Anm. 746. 

*•<>) Revid. Lüb. StR. IV, 8, 1. 

*•*) S. z. B. die Consistorialordnung Cap. 5 § 6. 

*•*) Obergerichtsordnung § 22. 

Bungo, G-eschichte des Goriohtsweseiis. 1<^ 



226 



derselben Weise trat, bei der Uebertretung von Handelsver- 
ordnungen, der CommercienofficiaP*^) als offidöser Ankläger 
auf26*). 



Zweiter Titel. 

Geridits^Tv^esen ixrid Gerichtsverialireii in LiTland 
^während der Polnisclieii und ScliA?redischeii 

Herrschaft. ^ 



Erstes Capitel. 

Die Landesgerichte und Verfahren bei denselben. 

Einleitung. 

§ 78. 

Die wiederholten Umwälzungen, welche während der kurzen 
Dauer der Polnischen Herrschaft über Livland die Verfassung 
der dortigen Landesgericjite erfuhr ^®^), mussten zwar auch auf 



*"') Ueber die ihm untergebenen Strassenfiscale s. oben Anm. 224. 

*•*) Vergl. die Revaler Strassenordnung vom 31. Mai 1679, Abschnitt 
über die Strassennahrung P. 8. 

««») Die wichtigsten Gesetze, durch welche diese Umwälzungen an- 
geordnet wurden, sind, ausser den Unterwerfungsverträgen vom Jahre 
1561, die Unionspacten mit Litthauen vom Jahre 1566, die ConstUtitianes 



ibiliche Verfahren wesentlichen Einfluss ausüben. Dieses 
E jedoch in diesem Zeiträume am so weniger eine feste 
lnug gewinnen, als einestheils die Grundsätze des alten 
Brechts liei den immer wieder von Neuem umgeformten 
^tsbehörden ausser Gebrauch kamen, ohne durch neue 
Normen ersetzt zu werden, anderntheils aus denselben 
und in Folge der Kriege, welche .das Land fast ohne 
rbrechung verheerten, die Kechtspflege vielfach behindert, 
»ebendaher auch die Bildung eines constanten Gerichts- 
gehemmt wurde. Zwar erfolgte unter Anderem im 
1 1589 die Vorschrift, dass die Preussische Gerichtsordnung 
pland eingeführt werden aolle '**•); allein es fehlt an allen 
dafür, dass diese Anordnung wirklich ins Leben ge- 
ja es ist dies um so weniger wahrscheinlich, als nur 
I Jahre später, auf königlichen Befehl, David Hilchen 
Landrechtsentwurf für Livland verfasste, welcher auch 
eine Gerichts- und Processordnung enthielt. Allein wenn auch 
dieser Codification, wie es scheint, die Preussische Gerichts- 
ordnung zum Grunde lag, so gelangte doch der ganze Entwurf 
nicht zu practisher Geltung, weil nicht zur landesherrlichen 
Bestätigung**''). 

Es ist daher eine Darstellimg des gerichtlichen Verfahrens 



Livonüe vom Jahre 15S2, und die beiden Ordinatiauen von den Jahrea 
1589 und 1598. S. darüber v. Bunge's Einleitung iu die Rechtsgeschichte 
S 69 und 71. 

"•} S. die Ordinatio Livonite vom Jahre 1589. 

"') Vergl. J. C. Schwartz in Hupel's neuen nord. Misoellan. Stck. 5 
und 6 S. 180 fgg. v. Kunge a. a. 0. g 78, ~ W. von Bock legt daier 
in seiner Schrift zur Geschichte des CnminalproceBsea S. 39 fgg. auf diese 
Prenssische Gerichtsordnung zu viel Gewicht, und schreibt ihr einen Ein- 
fluss auf dos Verfahren in CriminaUachen in Livland zd, au welchem sie 
Hieberlich gar keinen Antheil gehabt hat. S. oben S. 36 Anm. 156 und 
vergl. überhaupt von Bunge in den Erörterungen Bd. V, S. 169 fg.. 



228 



in Livland während der ephemeren Pohlischen Herrschaft so 
gut wie unmöglich ^®^) , denn es lässt sich in dieser Beziehung 
in der That nur sagen, dass diese Periode in der Gleschichte 
des Processes einen dunkeln Uehergang bildet von dem alten, 
im Laufe derselben fast ganz zu Grunde gegangenen Hechte 
zu der neuen Schöpfung, welche der folgende S^eitraum ins 
Leben rief. 

§ 79. 

Die von Gustav Adolph durch seinen Generalgouvemeor 
Johann Skytte^^^a) auf den Trümmern des alten Rechts 
aufgeführte neue Organisation der Gerichte und des gericht- 
lichen Verfahrens in Livland war — aus den im § 78 ent- 
wickelten Gründen — ein ganz selbstständiger, mit dem unter- 
gegangenen alten fast in gar keinem Zusammenhange stehender 
Bau, dem vielmehr zunächst die in dem Schwedischen Reiche 
derzeit bestehenden Institutionen zur Grundlage und zum Muster 
dienten 2®*). 



^*^) Eine kurze Schilderung der verschiedenen Gerichtsverfassiingen 
findet sich in der „Geschichtlichen Uebersicht des Provincialrechts der 
Ostseegouvemements" Th. 11. (St. Petersburg 1845. 8.) S. 29 fgg.; eine 
Darstellung des gerichtlichen Verfahrens, wie es im Hilchen 'sehen Land- 
rechtsentwurf enthalten, giebt 0. Schmidt in der Dorpater Zeitschrift 
für Kechtswissenschaft I, 8 fgg. — Im Anfange dieses Zeitraumes finden 
wir übrigens auch in Livland noch den alten Mannrichter und den ür- 
theilsmann. Brieflade No. 20. 21. 

***a) S. die demselben zu diesem Zweck am 26. Novbr. 162^ von 
Grustav Adolph ertheilte Vollmacht, so wie die Instruction vom 10. De- 
cember 1629. 

*••) W. von Bock (a. a. 0. S. 50 fgg.) irrt sich, wenn er das Ge- 
richtswesen imd Gerichtsverfahren, wie es im Schwedischen Landrecht 
oder Landslag vom Jahre 1608 sich dargestellt findet, für dasjenige aus- 
giebt, welches in Schweden zu Anfang des siebenzehnten Jahrhunderts 
bestand. Jenes Schwedische Landrecht wurde zwar allerdings im Jahre 



229 



Die als erste Instanz errichteten Landgerichte, und das 
Hofgericht zu Dorpat, als Appellationsinstanz, erhielten — 
jene provisorisch unter dem 20. Mai 1630 und definitiv unter 
dem 1. Februar 1632, dieses am 6. September 1630 — Ordi- 
nanzen oder Instructionen, welchen die den entsprechenden 
Schwedischen Gerichtsbehörden ertheilten Gerichts- und Pro- 
cessordnungen vom 10. Februar 1614 und vom 30. Juni 1615 
zum Grunde lagen. In jenen Ordinanzen sind zugleich die pro- 
cessualischen Rechtsgrundsätze niedergelegt, welche im Wesent- 
lichen noch gegenwärtig in Livland Gültigkeit haben. Aehnliche 
Ordnungen wurden auch den für besondere Angelegenheiten 
eingesetzten Behörden (§ 80) ertheilt. Demnächst wurde, ausser 
mehreren einzelne Momente betreffenden Gesetzen ^'^^) , unter 
denen die königliche Executionsverordnung vom 10. Juni 1669 
hervorzuheben ist, gegen das Ende der Schwedischen Herr- 
schaft, die das gesammte Gerichtsverfahren behandelnde, in 
Livland gleichfalls geltend gewordene königliche Stadga vom 



1608 einer Bevision unterzogen, allein — wie in dem Promulgationsedict 
ausdrücklich gesagt wird — nur zum Behuf der Herstellung eines authen- 
tischen Textes dieses bereits im Jahre 1442 publicirten Gesetzbuches, ohne 
dass die späteren, dasselbe ergänzenden und abändernden Gesetze darin 
aufgenommen wurden. Das Gerichtswesen und Verfahren hatte aber na- 
mentlich sehr wesentliche Aenderungen erfahren bereits durch die Ge- 
richtsordnung Tom Jahre 1598 (bei Schmedemann a. a. 0. S. 112). 
Wollte daher v. Bock das Schwedische Gerichtswesen schildern, wie es 
zur Zeit der Unterwerfung Livlands an Schweden bestand, so hätte er 
seiner Darstellung nicht den zu jener Zeit längst antiquirten Landslag 
zum Grunde legen müssen, sondern die beiden im Texte erwähnten Ge- 
richtsordnungen von den Jahren 1614 und 1615, welche den meisten Aus- 
gaben des Landslag als Anhang beigedruckt sind. Seine Besultate wären 
dann — zum grossen Theile wenigstens — andere gewesen. Vergl. v. 
Bunge in den Erörterungen a. a. 0. S. 170 fg., J. G. Schwartz in der 
Dorpater Zeitschrift II, 35 fgg. und über den Landslag überhaupt v. 
Bunge 's Einleitung in die Beditsgeschichte § 77. 

•»•) S. darüber v. Bunge 's Einleitung § 79. 80. 



230 



4. Juli 1695 erlassen. Sodann gehören zu den einzelne Punkte 
der Gerichtsordnung und des Verfahrens regelnden Quellen noch 
die Constitutionen des Dörpt'schen Hofgerichts, welche nicht 
nur für dieses, sondern auch für die demselben untergeordneten 
Gerichte verbindende Kraft hatten ^'^^j. — Endlich gelangte in 
diesem Zeiträume das Römische, so wie das canonische Recht in 
stets sich steigerndem Maasse zur Anwendung 2'^^). 

Da nun, besonders im Civilprocess , die meisten der ange- 
führten Rechtsquellen noch heut zu Tage practische Gültigkeit 
haben, so wird für den vorliegenden Zweck eine ganz gedrängte 
Uebersicht der wichtigsten Bestimmungen derselben über die 
Zuständigkeit der Gerichte und das gerichtliche Verfahren, 
unter besonderer Hervorhebung einzelner Eigenthümlichkeiten, 
genügen. 

I. 
Oerichtsverfossung und Zuständigkeit der Gerichte. 

§ 80. 
Zu den neu eingesetzten Gerichtsbehörden gehören: 

1) die Landgerichte, welche für alle nicht anderen Ge- 
richten ausdrücklich vorbehaltenen Civil- und Criminalsachen 
Adeliger, so wie derjenigen Nichtadeligen, welche auf dem 
Lande (d. i. ausserhalb der Städte) ihren Wohnsitz haben, die 
erste Instanz bilden 2''^). — Das Gericht hält jährlich zwei — 



"») V. Bunge 's Einl. § 79 Anm. h. und *. 

"*) Das. § 88. Vergl. 0. Schmidt in der Dorpater Zeitschrift I, 
20 fgg. 

"») Landgerichts - Ordinanz vom 20. Mai 1630 § 1. 8. Landgerichts- 
ordnung vom 1. Februar 1632 § 5. 6. üeber die zum Theü concurrirende 



231 



in der Folge drei — bei Zeiten bekannt zu machende Juridiken 
auf einem der Schlösser oder Höfe seines Gerichtsbezirks , ausser- 
dem aber, in Sachen, welche keinen Aufschub leiden, ausser- 
ordentliche Gerichtssitzungen 2''*). 

2) Das Hofgericht ist die zweite Instanz nicht nur für 
alle Landgerichte^''^), sondern auch für das Oberconsistorium^''^), 
desgleichen für die Käthe sämmtlicher Städte Livlands, mit 
Ausnahme Riga's, so wie für den Hapsal'schen Rath^'^'^); zu- 
gleich aber erste Instanz für Testaments-, Erbschafts -^''^) und 
Concurssachen Adeliger 2''^), für Sachen, betreffend die Privi- 
legien der Landgüter und Besitzstreitigkeiten unter Edelleu- 
ten^^®), Privilegien der Ritterschaft ^^^), fiskalische und könig- 



Competenz des Burggerichts und des burggräflichen Gerichts s. den Schluss 
dieses § und § 92. 

"*) LGO. V. J. 1630 § 3 — 6 ; desgl. vom J. 1632 § 4. Landesordnung 
vom 22. September 1671, Justizpunkte § 1. Placat vom 9 .Mai 1689. 

*") Hofgerichtsordnung vom 6. Septbr. 1630 § 20 P. 1. 3. Königl. 
Brief vom 5. Februar 1697. 

*'«) Domcapitel - Process vom 11. Februar 1687 § 24. Königl. Reso- 
lution vom 28. September 1694 I, 3. Vor dieser Zeit war das Obercon- 
consistorium inappellabel; es war von dessen Entscheidungen nur die 
Revision an den König gestattet. Consistorialordnung vom 13. August 1634 
Abschn. 1 Gap. 13. 

»''^ Hofgerichtsordnung vom J. 1630 § 20. Königl. Privilegium, der 
Stadt Hapsal ertheilt vom 22. Febr. 1665. Königl. Brief vom 10. April 
1695, betreffend den Rath zu Arensburg. 

"8) Landgerichts - Ordin. v. 1630 § 8. Hofgerichtsordnung v. 1630 
§20 P. 3, verglichen mit der Schwed. Gerichtsordn. vom 10. Februar 
1614 § 14. 

"•) Königl. Brief vom 7. Octbr. 1687 und vom 17. Decbr. 1688. 

"•) Landgerichts - Ordin. v. 1680 § 8. 

«") Ebendas. und königl. Resol. vom 10. Mai 1678 § 13. Vergl. die 
Gerichtsordnung v. 10. Febr. 1614 § 14. 



232 



liehe Hoheitsrechte***), für Klagen der Bauern wider die Guts- 
herrschaft wegen Bedrückung 2®^), endlich für Sachen, die von 
königlicher Majestät namentlich dahin überwiesen werden 2^*). 
lieber die Zuständigkeit des Hofgerichts in Criminalsachen wird 
füglicher bei der Darstellung des Criminalprocesses (§ 88) ge- 
handelt werden. — Das Hofgericht hielt ursprünglich zwei 
Juridiken im Jahre ^^^); später wurden diese in eine, vom 1. 
October bis zum 1. März des folgenden Jahres, vereinigt 2^^). 
Ausser der Zeit mussten Anfangs stets drei Glieder zur Ver- 
handlung der laufenden Sachen residiren^^*^), in der Folge wurde 
die Gegenwart von sechs Gliedern angeordnete®^). 

3) Vermuthlich wurden bereits bei der Errichtung der 
Landgerichte und des Hofgerichts bei jedem der ersteren ein 
KreisfiscaP®^), bei dem letztem ein Ob er fiscal bestellt^®^), 
welche die bezüglichen Gerichte zu überwachen, die Rechte der 
Krone und der Kirchen wahrzunehmen, und geeigneten Falls 
als Staatsankläger aufzutreten haben 2*^). 



*") Landgerichts - Ordin. v. 1630 § 8. Hofgerichtsordnung v. 1630 
§ 20 P. 2. 

"») Landger. - Ord. v. 1632 § 10. 

*") Hofgerichtsordnung § 20 P. 5. 

28») Das. § 3. Königl. Resol. v. 13. August 1631 § 16. 

**«) Königl. Brief an das Dörpt'sche Hofgericht vom 29. Mai 1688. 

**') Hofgerichtsordnung § 3. 

"«) Königl. Brief an das Dörpt'sche Hofgericht v. 18. Oct. 1688. 

2®*) Landgerichtsordnung vom 1. Februar 1632 § 7. Die undatirte 
Instruction der Kreisfiscale bei v. Buddenbrook II, 811 fgg. ist, da 
sie der erst im Jahre 1668 errichteten Ordnungsgerichte erwähnt, wahr- 
scheinlich als Anhang zu den sog. Landesordnungen von diesem Jahre 
erlassen worden. 

^•®) S. dessen Instruction vom 23. August 1630. Hofgerichtsord- 
nung § 5. 

''^) S. die in den beiden vorhergehenden Anmerkungen angeführten 



233 



4) Die Landwaisengerichte, im Jahre 1646 für Vor- 
mundschaftssachen eingesetzt, und am 5. September 1647 von 
dem Generalgouvemeur Gabriel Oxenstierna mit einer Instruction 
versehen, waren dem Hofgericht untergeordnet, wurden jedoch 
bereits im Jahre 1694 wieder aufgehoben und ihre Functionen 
den Landgerichten übertragen 2*^). 

5) Im Jahre 1633 wurde in Dorpat ein Oberconsisto- 
rium, aus weltlichen und geistlichen Gliedern bestehend, ein- 
gesetzt ^^^), dessen Gerichtsbarkeit alle Sachen, Amt und Beruf 
der Geistlichen und der Lehrer und das Kirchenvermögen 
betreffend, Ehesachen, Vergehen gegen die Religion, Fleisches- 
verbrechen , so * wie Hospitäler (milde Stiftungen) unterliegen 
sollten 2»*). Im Jahre 1648 wurde zwar an dessen Stelle mit- 
telst königlicher Resolution eine rein geistliche Behörde einge- 
setzt, jedoch schon nach vierzehn Jahren das Consistorium in 
seinem alten Bestände wiederhergestellt ^^s). Nachdem aber die 
Schwedische Kirchenordnung vom 3. September 1686 in Livland 
eingeführt worden , ward auf Grundlage derselben im Jahre 1693 
das Consistorium abermals in ein rein geistliches verwandelt^®®) 
und zugleich die im Jahre 1633 gleichzeitig mit dem Obercon- 
sistorium errichteten beiden ünterconsistorien in Riga und 
Dorpat 2®'') wieder aufgehoben 2*®). 



Instractionen , die Landesordnung vom 22. Septbr. 1671, Jostizpunkte 
§ 12, das Placat v. 9. Mai 1689 u. a. m. 

"2) Königl. Verordnung vom 20. December 1694 § 17. 

*•') S. die königl. Consistorialordnung vom 13. August 1634, Einl. 
und Abschn. I. Cap. 1 — 4. ' 

. "*) Das. Cap. 8. 

"») Königl. ResoL'vom 31. X)ctbr. 1662 § 5 und vom 5. Decbr. 1662. 
*•«) Gouvernements -Placat vom 22. Septbr. 1693. Königl. Verordnung 
vom 20. Decbr. 1694 § 16. 

*•'') Königl. Consistorialordnung v. 13. August 1634 Abschn. II. ünter- 
consistorialordnung , vom Generalgouvemeur Bengt Oxenstierna am 22. 



234 



6) Im Jahre 1668 wurden — zum Theil an Stelle der aus 
der Polnischen Zeit stammenden Schlossgerichte^*®) — die 
Ordnungsgerichte angeordnet, welche zwar zunächst die 
Landespolizei zu verwalten hatten, allein insofern auch hierher 
gehören, als ihnen die Untersuchung und Aburtheilung gering- 
fügiger Verbrechen, die von Personen niedem Standes begangen 
wurden, so wie zum Theil die Vollstreckung der ürtheile der 
eigentlichen Justizbehörden übertragen war^**®). Auch diese 
Behörden wurden jedoch im Jahre 1694 wieder aufgehoben imd 
ihre Functionen, so weit sie das Justizwesen betrafen, den 
Landgerichten überwiesene®^). 

7) Eine eigenthümliche Stellung nahm das R i g i s ch e 
Burggericht ^^^) ein , welches wahrscheinlich schon zu An- 
fang der Schwedischen Herrschaft eingesetzt worden e®^), ans 



Juni 1686 erlassen. Ausserdem bestand noch ein besonderes Consistorimn 
für die beim Militär angestellten Geistlichen. S. die Bigische Barggerichts- 
ordnung Tit. 2 § 9. 

*") Königl. Verordnung vom 20. Decbr. 1694 § 16. 

*••) S. über diese die Ordinatio Livonue vom J. 1598; die Land- 
gerichtsordinanz vom 1. Febr. 1632 § 10; die königl. Besol. vom 6. August 
1634 § 3 ; die Consistorialordnucg vom 13. August 1634 Abschn. I. 
Cap. 18. Wann sie aufgehoben worden, ist ungewiss. Vergl. v. Bud- 
denbrook n, 81. 

«®ö) S. die Livländ. Landesordnung vom 22. September 1671 Abth. V. 
Gap. 1. 

»Ol) Königl. Verordnung vom 20. Decbr. 1694 § 20. Die Verwaltung 
der Landespolizei wurde besondem Ereisvögten übertragen. Das. § 21. 
Instruction für die Kreisvögte vom 29. Octbr. 1695. 

»o«) Nicht zu verwechseln mit dem Burggrafengericht, von welchem 
unten § 92 die Bede isi 

»**) Ueber die Zeit der Errichtung fehlt es an Nachrichten. Da seiner 
besondem Gerichtsbarkeit in den Landgerichts- und Hofgerichtsordnungen 
von den Jahren 1630 und 1632 noch nicht Erwähnung geschieht, so dürfte 
es damals noch nicht bestanden haben. In der königl. Besolntion vom 



235 



einem Präsidenten, drei Assessoren und einem Secretär be- 
stand^®*) und zweimal wöchentlich Sitzungen hielt ^®^). Es 
übte die volle bürgerliche und peinliche Gerichtsbarkeit 1) über 
alle in Riga, Pernau, Dünamünde, Kokenhusen und Coborn^®^) 
wohnhaften Civilbeamten und deren Familien ^^'^), desgleichen 
über die beim Militär angestellten Geistlichen und deren Fa- 
müien aus ^^^) , mit Ausnahme der auf Immobilien und auf etwa 
von jenen Personen betriebene bürgerliche Nahrung sich be- 
ziehenden Sachen ^^^). 2) über alle Bewohner Dünamündes und 
der im Gebiete der Stadt Riga belegenen der Krone gehörigen 
Grundstücke — Schloss, Kloster, Vorburg, Spilwe^^^), — mit 
Ausnahme des activen Militärs ^^^). Vom Hofgericht war das 
Burggericht ursprünglich unabhängig und dem Rigischen Gene- 
ralgouvernement untergeordnet ^^^). Auf wiederholte Vorstel- 



le. Mai 1678 § 13 wird der Generalgouvemeur beordert: „dass derselbe 
nicht zulasse, dass das Burggericht seine Jurisdiction weiter extendire, als 
wozu es von Alters berechtigt ist", woraus sich ergiebt, dass es damals 
bereits seit geraumer Zeit existirte. Die noch ungedruckte Burggerichts- 
ordnung ist undatirt, und nicht vor dem Jahre 1670 erlassen, da in ihr 
(Tit. 4) auf die königl. Verordnung vom 10. Juli 1669 Bezug genommen 
wird. Vielleicht ist sie durch obgedachte königl. Eesol. vom 10. Mai 1678 
veranlasst. 

»0*) Burggerichtsordnung Tit. 1 § 2. 

»0») Das. § 2. 

'®*) Darunter ist ein Befestigungswerk am linken Dünaufer zu ver- 
stehen, wo noch heut zu Tage die Eobemschanze steht. 

«öT) Burggerichtsordnung Tit. 2 § 1. 10. 11. 

»0») Das. § 9. 

»•») Das. § 2. 

»") Das. § 5 und 7. 

*") Die Frauen, Wittwen und Kinder aber, so wie das Gesinde der 
Militärs, sortiren unter das Burggericht. Das. § 6. 

"«) Das. § 14. 



236 



lungen der Ritterschaft ^^^) wurde es aber im Jahre 1698 „der 
Direction des Hofgerichts untergeben" ^^*), und schon im fol- 
genden Jahre als besonderes Gericht aufgehoben und mit dem 
Rigischen Landgericht vereinigt ^^^). 

8) Die Gutsherrschaft hat über ihre Bauern nur eine 
polizeiliche Gerichtsbarkeit; in Civil- und Criminalsachen sor- 
tiren auch die leibeigenen Bauern unter die Landgerichte^^®). 



Die Parteien und deren Stellvertreter. 

§ 81. 

Den Parteien ist es gestattet, die Verhandlung ihrer Sache 
Stellvertretern zu überlassen ^^''), diese müssen aber vollständig 



»») S. z, B. die königl. Eesol. vom 10. Mai 1678 § 13, oben Anm. 303. 

"*) Königl. EesoL vom 12. Januar 1698. 

»«) Königl. Resol. vom 10. Januar 1699. 

»*«) Landgerichts - Ordinanz vom 1. Febr. 1632 § 9. 11. 

'") In Schweden war zur Zeit der Unterwerfung Livlands der Advo- 
catenstand — wie es scheint — kaum bekannt. In der Livländ. Hof- 
gerichtsordnung vom 6. Septbr. 1630 § 15 heisst es: „Und wiewohl man 
in' Schwedischen Eechten hierin nichts findet, ist auch im Eeiche selten 
zugelassen worden, dass man Advocaten und Procuratoren gebraucht, son- 
dern ein Jeder seine Sache ufs best er gekonnt, fürgebracht, dennoch, 
weiln es in diesen Landen allezeit im üblichen Gebrauch gehalten worden, 
auch ohne das öfters sich begiebt, dass der, so eine gute Sache hat, der- 
selbe der Gebühr nach nicht fürtragen kann etc. , derowegen 

soll den Parten nachgelassen sein, dass, sofern sie Selbsten nicht wollen 
oder können ihre Sachen für Gericht einfuhren, sie sich andere ver- 
schaffen mögen, welche ihrentwegen solches thuen können u. s. w." 
Daher ist auch die Schwedische Gesetzgebung über Kechtsbeistände sehr 
dürftig, und beschrankt sich fast nur auf Strafbestimmungen für Miss- 



237 



instruirt, und, wenn sie nicht in Gegenwart der Partei vor 
Gericht erscheinen ^^^), mit einer schriftlichen Vollmacht ver- 
sehen sein^^*). Ein Kronsbeamter darf ohne königliche Ge- 
nehmigung keine fremde Streitsache führen ^^®); desgleichen 
darf derjenige, welcher bei der Verhandlung einer Sache im 
Untergericht irgend als Gerichtsperson mitgewirkt, in derselben 
Sache im Obergericht nicht Stellvertreter einer der Parteien 
sein ^^^). 

Einen Unterschied zwischen Procuratoren und Advo- 
caten macht das Livländische Recht nicht. Im Anfange dieses 
Zeitraumes nahmen die Rechtsbeistände überhaupt keine amt- 
liche Stellung ein, und wurden nur in einzelnen Fällen, wo das 
Gericht es für angemessen hielt, beeidigt ^^^). In der Folge 
aber bedurften sie zur Ausübung der Rechtspraxis der Geneh- 
migung des Gerichts; jedes Gericht hatte seine „recipirten" 



brauche der Advocaten. S. unten Anm. 328. Diese Lücke wird aber aus- 
gefüllt durch hofgerichtliche Constitutionen, von denen besonders die vom 
2. Juli 1646 , vom 18. Januar und 24. März 1666 ausführliche Instructionen 
für die Advocaten enthalten. Yergl. v. Buddenbrock's Sammlung II, 
69 Anm. 61. 

'") Hofgerichtl. Constitution vom 6. December 1673. 

*^») Hofgerichtsordnung vom J. 1630 § 15. Hofgerichtliche Consti- 
tutionen vom 18. Januar 1666 § 3, vom 6. Decbr. 1673 § 3, vom 15. 
März 1690. 

»*o) Königl. Brief vom 17. März 1696. Hofgerichtl. Constit. vom 11. 
Mai 1696. Den Fiscalen war übrigens das Advociren in Privatsachen nicht 
verwehrt. Instruction des Oberfiscals vom 23. August 1630 a. E. Vergl. 
J. C. Schwartz in der Dorpater Zeitschrift II, 128. 

»") Königl. Brief vom Jahre 1686. 

»") Hofgerichtsordnung v. J. 1630 § 15 a. E. Dahin gehört insbe- 
sondere die Leistung der sog. Eevisionseide. S. die königl. Kevisions- 
placate vom 28. Juni 1662 § 2 und vom 31. August 1682 § 2 und 
unten § 86. 



238 



Advocaten und nahm sie in Eid und Pflicht ^^^). Bei den Con- 
sistorien durften sich die Parteien ursprünglich gar nicht durch 
Advocaten vertreten lassen ^^*); auch später wurde ihnen zur 
Pflicht gemacht, in eigener Person vor Gericht zu erscheinen: 
„obgleich ein Gevollmäohtigter ihre Sache zugleich treiben 
kann"^^^). — Die Advocaten müssen die bei frericht einzu- 
reichenden Schriftsätze mit ihrem Namen unterzeichnen, auch 
wenn sie von der Partei selbst unterschrieben sind ^2®). Für 
jeden der Partei verursachten Schaden sind sie verantwort- 
ljßjj327^ und für muthwilliges Processiren strafbar ^^^). Von' der 
einmal übernommenen Führung einer Streitsache darf kein Ad- 
vocat willkürlich zurücktreten ^^^). 



in. 

Gerichtliches Ver£Eihren in bürgerlichen Rechts- 
streitigkeiten. 

1. Ordentliches Verfahren in erster Instant. 
a) Verfahren l3is zum Urtheil, mit Ausnahme des Beweisverfahrens. 

§82. 

Das Verfahren bei den Landgerichten ^^^) sollte, nach der 
ursprünglichen Einrichtung, ein durchaus mündliches und sum- 



**•) S. die in der Anm. 317 angeführten hofgerichtl. Constitutionen 
und die Rigische Burggerichtsordnung Tit. 4. 

***) Consistorial - Ordnung vom 13. August 1634 I, 7. 

'**) Königl. Verordnung über den Domcapitel - Process vom 11. Febr. 
1687 § 18. 

»2«) Königl. Processstadga vom 4. Juli 1695 § 10 a. E. 

»*•') KönigL Briefe vom 7. August 1682 und vom 16. Mai 1693. 

"*) S. besonders die Processstadga vom J. 1695 § 10. 

"•) Königl. Resol. vom 5. April 1695. 



239 



marisches sein^^^); gegen den Schluss des siebenzehnten Jahr- 
hunderts aber ¥mrde das schriftliche gestattet und bildete sehr 
bald die Regel ^^^). 

Der Klage muss ein Citationsgesuch vorausgehen; die Ci- 
tation geschieht durch den Richter ^^^). Die Ladungsfrist 
betrug ursprünglich in der Regel vierzehn Tage und konnte 
zweimal wiederholt werden ^^*). Wer auf die erste und zweite 
Ladung nicht erscheint, verfallt in eine Geldstrafe, wer der 
dritten nicht folgt, wird mit dem versäumten Verfahren aus- 
geschlossen und der Richter erkennt in der Sache nach Lage 
der Acten ^^^). In der Folge wurden erweiterte, je nach der 
Entfernung des Citirten vom Gerichtsorte berechnete Fristen 



3^0) Auf diese, als die regelmässige erste Instanz, ist im Text zu- 
nächst Eücksicht genommen; die wichtigsten Abweichungen für andere 
erste Instanzen, insbesondere für das Burggericht, werden in den An- 
merkungen angegeben werden. — Vergl. auch noch überhaupt 0. Schmidt 
in der Dorpater Zeitschrift I, 25 fgg. 

''^) Landgerichtsordinanz vom 1. Februar 1632 § 15: „Kein schrift- 
licher Process soll bei diesem Gerichte zugelassen sein, sondern Alles 
mündlich und summarie gehandelt, und einer dem andern alsobald oder 
in der folgenden Session zu antworten schuldig sein/' Punkte zur Be- 
förderung der Justiz vom Jahre 1671 § 6. Beim Burggericht soll in ein- 
facheren Sachen mündlich, in erheblicheren schriftlich verliidifen werden. 
Burggerichtsordnung Tit. 4. 

3'*) Königl. Stadga vom 4. Juli 1695 § 4: „Die Parten sollen in der 
ersten Instanz, sie mögen mündlich oder schriftlich verhandeln, — 
— Alles, was zur Erläuterung der Sache dient, beibringen etc." 

»»») Landgerichts -Ordinanz von 1630 § 4, von 1632 § 8. Stadga von 
1695 § 1. 

»»*) Landgerichts - Ord. von 1630 § 12, v. J. 1632 § 8. Burggerichts- 
Ordnung Tit. 3. Executions - Verordn. v. 10. Juli 1669 § 23. 

»") Landg.-Ord. v. 1630 § 12, v. 1632 § 14. Burggerichts - Ordnung 
Tii 5. Hofgerichts - Constit. v. 18. Januar 1666 und v. 8. 3M[ai 1669. S. 
auch noch die Brieflade 11. No. 478. 568. 591. 



240 



angeordnet, und zugleich bestimmt, dass, wenn der Geladene 
auf diese einzige Ladung, falls deren Behändigung an ihn nach- 
gewiesen ist, nicht erscheint, das Gericht in der Hauptsache 
nach Lage der Acten urtheilen solle ^^®). Wenn übrigens der 
Ausgebliebene gesetzliche Hindemisse nachweist, so kann er 
dadurch „seine Sache wiedergewinnen"^^''). 

Auf die Klage musste der Beklagte sofort oder in der 
nächsten Sitzung antworten^^®). Mit der Einführung des schrift- 
lichen Verfahrens wurde ihm zur Einreichung seiner Erklärung 
eine längere Frist vergönnt. Ueberhaupt aber sind die Fristen 
keine legalen, sondern sie werden für jedes einzelne Verfahren 
jeder Partei durch den Richter besonders anberaumt ^^^a). Mehr 
als zwei Schriftsätze werden jeder der Parteien nicht zuge- 
standen. Nach der Replik und Duplik kann jedoch, auf 
Bitte der Parteien oder nach Ermessen des Richters, noch 
eine ein- oder mehrmalige mündliche Erörterung statthabend^'). 



•*•) Königl. Verordnung vom 19. April 1692. Königl. Processstadga 
vom 4. Juli 1695 § 1. Hofgerichtl. Constit vom 22. März 1693. Damach 
ist die Vorladungsfrist für denjenigen, der sich in demselben Gerichts- 
bezirke aufhält, auf drei Wochen festgesetzt, für den ausserhalb des Ge- 
richtsbezirks , aber in Livland , auf sechs Wochen , in Estland , Ingerman- 
land oder auf der Insel Oesel auf neun Wochen, in Finnland auf drei 
Monat, in ^diweden auf vier Monat, endlich ausserhalb des Beiches auf 
sechs Monat Alle diese Fristen fangen von dem Tage der Behändigung 
der Citation an zu laufen. 

»") Landger. - Ord. v. 1630 § 12, von 1632 § 14, Burggerichtsordn. 
Tit. 5, und besonders königl. Processstadga vom J. 1695 § 2, wo auch die 
das Ausbleiben des Geladenen entschuldigenden Hinderungsgründe genau 
angegeben werden. 

»»8) Landg. - Ord. von 1632 § 15. 

»88 a) Vergl. 0. Schmidt in der Dorpater Zeitschrift I, 27 fg. 

"») Justizpunkte vom J. 1671 § 6. Königl. Stadga vom 4. Juli 1695 
§ 4. Burggerichts - Ordn. Tit. 4. Vergl. auch die hofgerichtl. Constitutionen 
vom 15. Februar und 24. März 1666. 



241 



— Nach geschlossenem Verfahren vereinigen sich Landrichter 
und Assessoren über ein UrtheiH*^), welches den Parteien 
mündlich eröffnet und schriftlich ausgefertigt wird^*^). — Wenn 
der Beklagte statt einer directen Erklärung auf die Klage auf- 
schiebende Einreden vorschützen will, so dürfen diese nicht 
einzeln, sondern es müssen alle auf einmal vorgebracht wer- 
den^*^). Zerstörliche Einreden dagegen können auch mit der 
directen Erklärung auf die Klage verbunden werden ^*^a). — 
Der Beklagte kann auch eine Widerklage — welche übrigens 
auf demselben Fundamente, wie die Klage, beruhen muss — 
mit der directen Erklärung in der Art verbinden, dass beide, 
Klage und Widerklage, neben einander gleichzeitig verhandelt 
werden ^^'^ b). 

Ein Eid für Gefährde wird nur aus erheblichen Ur- 
sachen, auf Verlangen der Partei oder nach Ermessen des 
Richters, geleistet ^*^). — Zur Cautionsleistung können nur 
Unbesitzliche verpflichtet werden; sie kann geschehen durch 
Pfand, Bürgen, oder — wenn die Partei Beides nicht zu be- 
schafien vermag — durch eidliche Versicherung^**). 



3") Landger. - Ord. von 1632 § 29. Burgger. - Ordn. Tit. 7. Vergl. 
die kÖDigl. Stadga v. J. 1695 § 13. 

3*1) Stadga vom 4. Juli 1695 § 5 und 16. 

3*2) Burggerichtsordn. Tit. 4 § 18. Hofger. - Constit. vom 24. März 
1666, vom 6. Decbr. 1673 und vom 14. Januar 1688 § 3. 

3*2 a) Vergl. überhaupt 0. Schmidt in der Dorpater Zeitschrift I, 
312 fgg. m , 220 fg. 

=»"b) Königl. Brief an (Jje Hofgerichte vom 3. August 1672. Not. b. 
pag. 59 LL. Schmidt a. a. 0. I, 323 fgg. 

3") Landg.-Ürd. von 1632 § 17. Stadga v. 1695 § 9. 

3**) Landg.-Ord. von 1632 § 16. 

Bungo, Geschichte des Gorichtswosens. 16 



242 



b) Beveisrerfahren. 

§ 83. 

Der Urkundenbeweis muss mit der Klage, und bezw. 
mit der Erklärung auf dieselbe verbunden werden ^*^). Ebenso 
sind alle zum Beweise der Einreden und deren Widerlegung 
dienenden Beweismittel sofort beizubringen^*®). — Ergiebt sich 
aus der Klage und der Erklärung, dass die Parteien über die 
gegenseitig angeführten Thatsachen nicht in Allem einig sind, 
oder haben sie sich deren Beweis ausdrücklich vorbehalten, so 
erlässt der Richter ein Decret, durch welches (ohne Feststellung 
der zu beweisenden Momente) er beiden Theilen aufgiebt, binnen 
drei Wochen, bei Strafe der Ausschliessung, Beweis und Gegen- 
beweis anzutreten und in gleicher Frist zu schliessen^*''). In 
dieser Frist wird vorzugsweise der Zeugenbeweis durch förm- 
liche Beweisartikel, denen sowohl der Richter, als auch die 
Gegenpartei, Fragstücke beifügen kann, geführt ^*^). Die Zeugen 
werden in Gegenwart der Parteien beeidigt ^*^) und darauf jeder 
einzeln verhört ^^^). Zur Begründung eines vollständigen Be- 



^**) Königl. Processstadga vom J. 1695 § 4. Hofg. - Constit. vom 18. 
Januar und 24. März 1666 und vom 15. Februar 1669. Burggerichts - Ord- 
nung Tit. 6. 

3*«) Hofgerichtl. Constit. vom 24. März 1666. 

3*^) Hofgerichtl. Constit. vom 17. Novbr. 1697. Vergl. die üeber- 
gangsbestimmungen in der Landg. -Ord. von 1632 § 19 fgg., den Justiz- 
punkten vom J. 1671 § 8 und der Hofgerichts - Constitution vom 15. März 
1690, so wie überhaupt Schmidt 1. c. 1, 334 fgg., wo das Nähere über 
die Beweisfrist ausgeführt wird. Die Burggerichtsordnung Tit. 6 setzt den 
Beweistermin auf vierzehn Tage fest. 

3") Hofgerichtl. Constit. vom 15. März 1690, 13. März 1691 und 17. 
Novbr. 1697. Burgger. - Ordn. Tit. 6. 

«*») Landg. - Ord. v. 1632 § 19. Königl. Brief vom 18. Septbr. 1687. 

«») Landg. -Ord. v. 1632 § 19. Königl. Brief vom 26. Januar 1688. 



243 



weises ist die übereinstimmende Aussage dreier und mindestens 
zweier fähigen Zeugen erforderlich ^^^); eines einzigen Zeugen 
Aussage bildet nur einen halben Beweis ^^2). — Der Eid ist 
nur ein subsidiäres Beweismittel, und ist namentlich Eideszu- 
schiebung ohne anderweitigen Beweis dem Schwedisch -Livlän- 
dischen Landrecht fremd, welches vielmehr nur den richterlich 
auferlegten Eid kennt, und diesen, entweder als Ergänzunga- 
oder als ßeinigungseid eintreten lässt, wenn ein anderweitiger 
halber Beweis, z.B. durch einen Zeugen, geführt worden ist^^^). 
Der Eid mit Gehülfen ist zwar im Schwedischen Reiche erst 
gegen das Ende des siebenzehnten Jahrhunderts ausdrücklich 
aufgehoben worden ^^*); von dessen Anwendung in Livland findet 
sich jedoch während dieses ganzen Zeitraumes keine Spur. Eben- 
sowenig ist dem Livländischen Processe der Gebrauch zu beei- 
digender Positionalartikel (§ 65) bekannt. 



2. Berufung an die höheren Instanzen. 
a) Appellation und duerel. 

f 84. 

Die Appellation ist nur gegen Endurtheile^^^) des Land- 
gerichts, und auch gegen diese nur dann zulässig, wenn der 
Werth des Streitgegenstandes sich auf mehr als fünfzig Reichs- 



3") Königl. Brief vom 25. Mai 1685. 

"•■') Richterregeln § 16 P. 8. § 29. 

3") Das. § 27 — 30. Vergl. übrigens darüber Schmidt a. a. 0. 8. 
330 %g. und Bd. UI. S. 236. Abweichend ist hier die Burgger. - Ordn. 
Tit. 6, indem sie die Eideszuschiebung nach den Grundsätzen des ge- 
meinen Eechts zulässt. 

35*) Königl. Verordnung vom 30. October 1695. 

3«) Justizpunkte vom J. 1671 § 10 (unten Anm. 360).. 

16' 




244 



thaler Schwedisch beläuft ^^^). Sie muss von der mit dem End- 
urtheile unzufriedenen Partei — bei Strafe des Verlustes dieses 
Rechtsmittels — spätestens binnen acht ^ Tagen nach der Er- 
öffnung des Urtheils, unter Beibringung eines sog. Appellations- 
schillings von sechs Mark Schwedisch, beim Landgerichte an- 
gemeldet werden ^^'^). In der darauf erfolgenden Verfügung 
(apostoU reverentiales) wird, wenn die Appellation nachgegeben 
worden, der Termin der Einführung und Rechtfertigung der- 
selben bei dem Hofgericht, als der Appellationsinstanz, genau 
bestimmt ^^^). Dieser Introductions- und Justificationstermin — 
dessen Nichtbeobachtung gleichfalls den Verlust des Rechts- 
mittels zur Folge hat — ist auf den Ablauf von vier Wochen 
anzuberaumen ^^®). 

Gegen Entscheidungen über Nebenpunkte des Processes — 
Beiurtheile oder Interlocute — war Anfangs eine Berufung 
an einen höhern Richter ganz ausgeschlossen^^®). Später wurde 



3ß«) Landgerichts - Ordinanz vom J. 1630 § 16, vom J. 1632 § 37 und 
39. — Für die Anfechtung der ürtheüe der dem Hofgericht untergeord- 
neten Stadträthe waren meist bedeutendere Appellationssummen angeordnet, 
so für den Dorpater Eath dreihundert (Privüegium vom 20. August 1646 
§ 3), für den Pernau' sehen fünfhundert Thaler Schwedisch (königl. Brief 
vom 4. Mai 1693). 

3") Landg.-Ord. von 1630 § 15, von 1632 § 37. Königl. Brief vom 
10. März 1696. 

««8) Landg.-Ord. von 1632 § 7. Königl. Stadga v. 4. JuU 1695 § 19. 

3*^®) Landg.-Ord. vom J. 1630 § 15. Die zweite Landgerichtsordinanz 
vom J. 1632 § 38 ordnete zwar an, dass die Appellation in der nächst- 
folgenden Juridik des Hofgerichts fortgesetzt (d. i. eingeführt und gerecht- 
fertigt) werden solle, und damit stimmen auch noch die Justizpunkte vom 
Jahre 1671 § 11 überein. Allein die Praxis kehrte in Folge der königl. 
Stadga vom 4. Juli 1695 § 18, welche unter verschiedenen Terminen für 
die beiden Schwedischen Hofgerichte auch einen monatlichen anordnet, zu 
der Bestimmung der älteren Landgerichtsordinanz zurück. 

^«°) Justizpunkte vom J. 1671 § 10 : „Dass ad unius partis instantiam 
die appellatione^ , so von schlechten mterlocutoriis und Abscheiden, die 



245 



eine Ausnahme für den Fall zugelassen, dass in dem Beiurtheile 
etwas enthalten, „so den Parten an der Hauptsache selbst ent- 
weder binden oder beschweren könnte" ^^^). In solchen Fällen, 
insbesondere „wegen streitigen Zeugnisses", war der unzufrie- 
denen Partei gestattet, dem Richter „sofort" ihre Unzufrieden- 
heit zu erkennen zu geben, und dann in der Hälfte der Zeit, 
welche für Appellationen angeordnet ist, ihre Beschwerde bei 
dem Hofgericht vorzutragen ^^2). Daraus bildete sich ein neues 
Rechtsmittel, Querel genannt, welches in der Folge auf alle 
Beiurtheile ausgedehnt wurde, welche in appellationsfähigen 
Sachen gefällt werden ^^^). 

keine vim defmitivae haben, vom königlichen Landgericht nicht fort nach- 
gegeben und der Process dadurch stutzig gemacht werden möge". 

3«') Königl. Stadga vom 4. Juli 1695 § 24. 

3«2) Königl. Brief vom 5. Februar 1697. 

3^3) Königl. Resolution vom 15. April 1708 : „ dass in allen 

Präliminar- und Processual - Zwistigkeiten insgemein (dieselben allein aus- 
genommen, worin die Appellation durch ein oder die andere königliche 
Verordnung vor diesem ausdrücklich verboten zu sein befunden werden 
möchten) derjenige, welcher durch die ausgefallene Resolution sich be- 
schwert zu sein befindet, anstatt der sonst zu suchenden rechtlichen Ap- 
pellation oder ordinären Revision, stracks sich bei dem Richter anmelden, 
und dass er mit dem gegebenen Ausschlag nicht zufrieden sei, kund thun, 
desgleichen auch ohne Aufhaltung beim Oberrichter seine Beschwerde 

münd- oder schriftlich vortragen, die Sache auch sodann summario 

processu, und nachdem die Parten entweder mündlich oder allein ver- 
mittelst einer Schrift ein jeder seine Nothdurft vorgetragen, aufgenommen 
und stracks abgethan werden. Von Häradsgerichten und andern der- 
gleichen Gerichtsstühlen (d. i. von den Gerichten erster Instanz, in Liv- 

land den Landgerichten) mögen die Parten innerhalb der Hälfte von 

der Zeit, als sonst ordinär in den Processen an die Hof- und andere der- 
gleichen Obergerichte zu kommen vergönnet ist, sich angeben. — — — 
Worauf auch die Acten selbst, nebst dem Protocoll und rationibus sen- 
tentiae in originali, wofern sie weitläufig sind, sammt des Klägers De- 
duction, afterfolget und ausgeführet werden sollen. Woneben Ihre könig- 
liche Majestät jedoch auch wollen, dass, wofern jemand ohne rechte 
Erheblichkeit dergleichen Sachen von einem Gerichtsstubl zum andern zu 




246 



Gegen Erkenntnisse des Burggerichts muss die Appel- 
lation an das Generalgouvernement innerhalb acht Tagen nach 
Eröffnung des Urtheils, unter Erlegung eines Appellations- 
schillings von drei Thalern Silber, angemeldet werden. Urtheile 
in Sachen unter hundert Thaler Silbermünze sind inappellabel. 
Der Bechtfertigungstermin ist auf vier bis sechs Wochen anzu- 
beraumen. Gegen Contumacial- Erkenntnisse und Beiurtheile, 
welche keine vim definitivae haben, ist kein Eechtsmittel zu- 
lässig, Suppliken halten den Gang des Verfahrens nicht auf. 
Bei unrechtmässig verweigerter Appellation ist eine Beschwerde 
an das Generalgouvernement gestattet ^^*). 

h) Verfahren bei dem Hofgericht. 

§85. 

Das Verfahren beim Hofgericht ist sowohl in Appellations- 
sachen ^^^), als auch in solchen, welche in erster Instanz vor 
dasselbe gehören (§ 80), ein schriftliches ^^^), jedoch erscheinen 
noch immer beide Parteien zu den angesetzten Terminen vor 
Gericht, um ihre Satzschriften einzureichen und bezw. entgegen- 
zunehmen. Jeder Partei sind auch hier nur zwei Schriftsätze 
gestattet ^^''). Die Termine zum Verfahren werden jedesmal von 
dem Richter ausdrücklich anberaumt, und die in jeder Sitzung 



schleppen gesuchet zu haben, würde befunden werden, derselbe zu Er- 
fitattung allen Schadenstandes und Gerichtskosten condemniret, und daneben 
als ein temere litigans büssen solle". Vergl. (C. Helwig) lieber Querelen, 
nach Livländischem Kecht, in den Erörterungen Bd. I. S. 247 fgg. 

••*) Burggerichts - Ordnung Tit. 8. 

'**) Ueber das Verfahren in Querelsachen s. Anm. 363. 

«««) Hofgerichts - Ordnung vom 6. September 1630 § 24 und 27. — 
S. überhaupt 0. Schmidt in der Dorpater Zeitschrift I, 33 fgg. 

••^) Dahin wurde in der Praxis die Bestimmung der Hofg.-Ordn. § 27, 
in Verbindung mit § 24 gedeutet. 



247 



zu verhandelnden Sachen mittelst Anschlags an den Gerichts- 
thüren bekannt gemacht ^^**). Das Beweisverfahren ist dasselbe, 
wie in der ersten Instanz ^^^); in Appellationssachen jedoch 
findet ein solches nur statt, wenn eine Partei neue Beweis- 
mittel, welche ihr erweislich bei der Verhandlung in der ersten 
Instanz unbekannt waren, beibringt ^'^^). Nach Schluss der 
Acten wird aus denselben van zwei Gerichtsgliedern eine aus- 
führliche Relation angefertigt und den Parteien zugestellt, welche 
dieselbe zu unterschreiben haben, wobei ihnen gestattet ist, 
etwanige Bemerkungen dazu zu machen ^'^^). Auf Grundlage 
dieser Relation wird sodann die Sache vom Gericht discutirt, 
nach Stimmenmehrheit das Urtheil gefällt ^'^^), dieses den Par- 
teien unter Anschlag eröffnet und schriftlich ausgefertigt ^'^^). 

c) Bevision. 

§ 86. 
Von den Urtheilen des Hofgerichts ist keine Appellation, 
wohl aber eine Revision an den König zulässig^''*). Wer 



388) Hofgerichtl. Constitution vom 31. October 1666, vom 9. April 1709 
u. a. m. 

3«») Hofg. - Ordn. v. 1630 § 26. Hofg. Constit. vom 15. März 1690, vom 
13. März 1691 und vom 17. Novbr. 1697. 

^''^) Königl. Stadga vom 6. Juni 1691 , verglichen mit der Executions- 
ver Ordnung vom 10. Juli 1669 § 4 imd der königl. Revisionsverordnung 
vom 31. August 1682 § 6. 

"^) Hofg.-Ord. vom J. 1630 § 30 und 31. Königl. Briefe vom 31. 
Januar 1681, 27. Juli 1682, 29. Januar 1683, 30. Juni 1687. Hofgerichtl. 
Constit. vom 9. Februar 1684. — Ist die Sache eine ganz einfache, so 
fallt die Relation weg, und wird gleich zur Aburtheilung geschritten. 
Hofg. -Ordn. § 29. 

3^2) Hofg. -Ordn. § 32. 33. 

3") Königl. Brief vom 28. Septbr. 1687. Hofgerichtl. Constit. vom 
12. Novbr. 1687. 

»^*) Hofg. -Ordn. § 35. Königl. Resolution vom 6. August 1634 § 4. 



248 



sich dieses Rechtsmittels bedienen will, muss dasselbe bei Ver- 
lust dieses Rechts ^''^) 1) innerhalb acht Tagen, von der Eröff- 
nung des Urtheil an gerechnet, bei dem Hofgericht anmelden^''®), 
2) den sog. Revisionseid leisten^'''), 3) den Revisionsschilling 
im Betrage von zweihundert Thalern Schwedisch erlegen ^''^), 
4) binnen drei Monaten eine Reinschrift der Acten bei der 
Revisionsinstanz einreichen •'^'^®) und 5) binnen sechs Monaten 
derselben sich persönlich oder durch einen GevoUmächtigten 
vorstellen ^*^^). Auch der Gegner ist verpflichtet, einen Revi- 
sionseid zu leisten '^^^) und gleichzeitig mit dem Revisionsimpe- 
tranten sich bei der Revisionsinstanz einzufinden ^^^). Die ange- 
meldete Revision hält zwar die Vollstreckung des Urtheils auf: 
wenn jedoch der Gegner gleichlautende Erkenntnisse zweier 
Instanzen für sich hat, so darf er, gegen Bestellung einer 
Caution, die Vollziehung auch des angefochtenen Urtheils ver- 
langen. Kann er keine Caution leisten, so wird das Urtheil 
zwar auch vollzogen, allein das dem Sieger Zuerkannte bis zur 
Erlassung des Revisionsurtheils unter gerichtlichen Sequester 

^'*) Königl. Resol. vom 13. August 1631 § 15. Königl. Verordnung 
vom 2. April 1681 § 4, vom 31. August 1682 § 3 u. a. 

»^«) Hofg.-Ordn. § 35. Königl. Revisionsplacat vom 28. Juni 1662 
§ 4. Königl. Revisionsverordn. vom 31. August 1682 § 3. 

3") Königl. Placat vom 28. Juni 1662 § 1 und 2. Verordn. vom 31. 
August 1682 § 1. Dieser Eid ist seinem Wesen nach ein Eid für Gre- 
fährde. Das Eidesformular s. in der Verordn. v. 1682 a. a. 0. 

«'8) Hofg.-Ordn. § 35. Königl. Resolutionen vom 13. August 1631 
§ 14 und vom 6. August 1634 § 4. 

"») Placat vom J. 1662 § 4. Verordn. vom J. 1682 § 3. 

380) Placat vom J. 1662 § 3. 4. Verordn. vom J. 1682 § 3. 

8") Verordn. vom J. 1682 § 1. 2. 

«") Placat vom J. 1662 § 4. 5. 



249 



genommen ^^^). — Die Revision selbst besteht zwar nur in der 
Durchsicht und Prüfung der abgeurt heilten Acten ^^*), allein es 
ist jeder der Parteien anheimgestellt , bei der Revisionsinstanz 
eine summarische Deduction aus den Acten einzureichen , welche 
jedoch nichts Neues enthalten darf •'^^^), es seien denn neu auf- 
gefundene, der Partei in den unteren Instanzen erweislich nicht 
bekannt gewesene Beweismittel ^^^). Auch das Hofgericht ist 
verpflichtet, eine genaue Actenrelation und Rechtfertigung seines 
Urtheils einzusenden ^^'^). Wenn der Revisionsimpetrant obsiegt, 
so ist ihm der Revisionsschilling zurückzuzahlen ^^^), Kosten- 
ersatz darf er aber vom Gegner nicht verlangen^"®). — Ist die 
Revision gegen Interlocute, gegen \velche eine Querel gestattet 
ist (§ 85), angemeldet, so ist für die Beibringung der Acten 
an die Revisionsinstanz und das Erscheinen vor derselben die 
Hälfte der oben angegebenen Fristen (also anderthalb und bezw. 
drei Monat) wahrzunehmen •'^^^). 



383) Verordn. vom J. 1682 § 7. Königl. Brief vom 5. Januar 1688. 
Königl. Verordnung vom 19. April 1692. Königl. Stadga vom 4. Juli 
1695 § 25. 

38*) Königl. Placat vom 28. Juni 1662 , Einleitung und § 7. 

885) Königl. Kesol. vom 28. Septbr. 1638 § 2. ^önigl. Placat vom J. 
1662 § 8. 

88«) Königl. Placat von 1662 § 7. 

887) Königl. Kesol. vom 28. Septbr. 1638 § 8. 

888) Königl. Resol. vom 29. Novbr. 1680 § 12 und vom 13. October 
1691. Dadurch wurde die Bestimmung der Hofgerichts - Ordnung § 35 
abgeändert, nach welcher der Eevisionsschilling in jedem Falle dem Ge- 
richt zufallen sollte, das gesprochene Urtheil werde vom König bestätigt 
oder nicht. ^ 

88«) Königl. Verordn. vom 2. Aprü 1681 § 5. 

800) Königl. Resol. vom 15. Aprü 1703. 



250 



3. Ausserordentliches Verfahren. 

§ 87. 
In Beziehung auf das ausserordentliche gerichtliche Ver- 
fahren gilt für Livland fast alles dasjenige, was oben (§ 68 
und 69) hinsichtlich der Ausbildung der einzelnen hierher ge- • 
hörigen Processgattungen in Estland während der Schwedischen 
Herrschaft gesagt worden ist, da dort wie hier das Meiste auf 
Schwedischer Gesetzgebung und dem immer mehr Eingang ge- 
winnenden gemeinen Deutschen Recht beruht. Die Abweichungen 
sind zu unbedeutend, um einer besondern Ausführung gewürdigt 
zu werden. 



IV. 
Verfahren in peinlichen Sachen. 

1. Zuständigkeit der Gerichte in peinlichen Sachen. 

§ 88. 
Das Landgericht ist der Regel nach die zuständige Behörde 
zur Verhandlung wie aller Civil-, so auch der Criminalsachen^^^); 
nur 'einzelne Verbrechen, namentlich das Verbrechen der belei- 
digten Majestät ^^^) , Amtsvergehungen ^® ^) , Vergehungen wider 
Zollbeamte, während sie ihre Amtspflicht ausüben^^*), und Duell- 



*®^) Landgerichtsordnung vom 1. Februar 1632 § 6. 

3»2) Hofg.-Ordn. vom (j. Septbr. 1630 § 20 P. 2. 

"«) Das. § 22. Vergl. die Gerichtsordnung vom 10. Febr. 1614 § 15 
und vom 30. Juni 1615 § 22. Königl. Brief vom 7. Mai 1690. 

»") Königl. Briefe vom 23. Septbr. 1684 und 7. März 1696. 



251 



Sachen Adeliger gehören unmittelbar vor das Hofgericht ^^^). 
Andere Criminalsachen Adeliger wurden nach dem altern Recht 
zwar auch bei dem Landgericht verhandelt, jedoch durfte in 
denselben, wenn dabei des Verbrechers Leben, Ehre, adelige 
Freiheit, Güter oder erbliche Gerechtigkeiten auf dem Spiele 
waren, nur das Hofgericht ein Erkenntniss fällen; daher solche 
Sachen , nach geschlossenem Verfahren , dem Hofgericht zur 
Entscheidung vorgestellt wurden ^®^). Gegen das Ende dieses 
Zeitraumes ward jedoch den Landgerichten auch die Fällung 
des Urtheils in Sachen adeliger Verbrecher anheimgestellt, nur 
mit Vorbehalt der Leuteration durch das Hofgericht ^^'^), 
welche letztere übrigens auch in allen Criminalsachen Nicht- 
adeliger erforderlich war, welche den Inculpaten an Leib, Leben 
und Ehre gingen ^^^). Davon sind aber wieder ausgenommen: 
Blutschande , Sodomie , Nothzucht , Kindermord , Strassenraub, 
Raubmord und Tödtung mit Vorsatz. Die Urtheile der Land- 
gerichte über genannte Verbrechen, wenn dieselben unzweifel- 
haft dargethan und eingestanden sind, sollen, auch ohne an das 
Hofgericht gebracht zu werden, sofort vollstreckt werden ^^^). 

Die Criminalurtheile , welche das Burggericht im Bereich 
seiner Gerichtsbarkeit (§ 80) fällte, mussten, wie es scheint. 



»»») Königl. Placat vom 22. August 1682 § 12. 

3»«) Landg. - Ordn. vom J. 1632 § 25. Gerichtsordnung vom J. 1614 
§ 14. Vergl. auch die Landg. -Ordn. vom J. 1630 § 8 und die hofgerichtl. 
Constitution vom 9. Februar 1691. 

3»7) Königl. Briefe vom 7. August 1699 und vom 4. August 1703. 

3»8j Hofg.-Ordn. § 10 und 11. Landger. - Ordn. vom J. 1632 § 30. 
Königl. Resolutionen vom 21. April 1686 und vom 16. Decbr. 1687. 

»") Landg. -Ordn. vom J. 1632 § 24, verglichen mit der Gerichts- 
ordnung vom J. 1614 § 17. Die Emendation des § 24 der Landg. -Ordn. 
bei von Buddenbrock II, 102 ist ebenso willkürlich, als unbegründet. 



252 



ohne Ausnahme dem Generalgouvernement zur Leuteration vor- 
gestellt werden *®®). 

2. Verschiedene Formen des Verfahrens. 

§ 80. 

Wenn auch nicht erst während der Polnischen Herrschaft 
das Untersuchungs verfahren in Livland üblich geworden ^®^), so 
ist doch so viel gewiss, dass dasselbe zu Anfang dieses Zeit- 
raumes, wie in Schweden*^^) , so auch in Livland in Anwendung 
war, und auch während der ganzen Dauer der Schwedischen 
Regierung sich erhielt *®^ a) , wiewohl keinesweges ausschliesslich, 
indem vielmehr neben demselben sowohl das Privatanklagever- 
fahren, als auch der Staatsanklageprocess in Criminalsachen 
bestand. Alle drei Arten des Criminalprocesses kommen nament- 



"0) Burggerichts -Ordnung Tit. 7 und 8. 

■*°^) Diese von W. von Bock (Zur Geschichte des CriminalprocesseB 
S. 39 fgg.) aufgestellte Behauptung ist bereits oben S. 36 Anm. 156 und 
S. 227 Anm. 267 zur Genüge widerlegt worden. 

*®2) Davon überzeugt man sich leicht, wenn man, ohne mit v. Bock 
S. 50 fgg. beim Schwedischen Landrecht vom Jahre 1442 stehen zu bleiben 
(s. oben S. 228 An^n. 269), die Schwedische Gesetzgebung des sechszehnten 
und siebenzehnten Jahrhunderts verfolgt, zu welchem Zweck hier nur auf 
die vielen Bestimmungen zu verweisen ist, welche J. Schmedemann 
im alphabetischen Eegister zu seinem sogenannten Justitienwerke u. d. W. 
„Bansakning i Criminal-mahl^* zusammengestellt hat. Vergl. auch J. C. 
Schwartz in der Dorpater Zeitschrift U, 36 fgg. Ueber das in den 
Krieffsartikeln vom J. 1683 angeordnete Criminalgerichtsverfahren s. eben- 
daselbst S. 44 fgg. 

*®*a) Dass auf die erweiterte Anwendung des inquisitorischen Ver- 
fahrens in Livland auch die peinliche Gerichtsordnung Carls V. vom J. 
1532 von dem entschiedensten Einfluss gewesen, weist J. C. Schwartz 
a. a. 0. S. 50 fgg. nach. 



253 



lieh bereits in der Landgerichtsordnung vom Jahre 1632*^^) vor. 
Darnach sollen: 

1. „alle Excesse, so wider Edicte und Gebote 
der königlichen Majestät vorgehen, es sei verfäng- 
liche Verkauf erei, oder Nicht -Erbauung und Unterhaltung der 
Kirchen und Schulen, Post und Posthäuser, Brücken, Stege 
und Wege, Flösse und Fähren, imgleichen Nichtentrichtung 
Statiekorns, Nichtbesoldung der Prediger und Schuldiener, und 
was dergleichen zu des Landes Nothdurft mehr angeordnet und 
ohne Mangel geleistet werden muss, wie denn auch diejenigen, 
so sich unter königlicher Majestät in diesen Landen gesetzt und 
nicht eidpflichtig geworden, — — von dem Landgericht auf 
ordentliche Klage oder des Land-Fiscalis Anhalten, oder auch 
ex officio gestrafet werden"*^*). Dieses ist die einzige Bestim- 
mung, welche ausdrücklich den Anklageprocess durch den Fiscal, 
aber auch nicht ausschliesslich, und keinesweges für Criminal- 
sachen im engern Sinne, vielmehr gerade für solche Sachen an- 
ordnet , für welche, wie oben (§ 73) gezeigt worden , in der Folge 
die amtliche Thätigkeit der Fiscale im ganzen Schwedischen 
Reiche, besonders durch die Executionsverordnung vom Jahre 
1669 § 26, in Anspruch genommen wurde, nämlich für „Ueber- 
tretungen königlicher Edicte und Gebote". Was darunter zu 

verstehen, und dass die oben gegebene Auslegung die richtige 

I 

ist, geht aus den in der Landgerichtsordnung angeführten Bei- 



*®') Die Landgerichtsordnung vom Jahre 1630 enthält freilich keine 
bestimmte Andeutung des Inquisitionsprocesses , aber auch überhaupt gar 
nichts über die Form der Verhandlung von Criminalsachen. Denn bloss 
daraus, dass in dem § 8 für solche Verhandlung der Ausdruck „ventiliren" 
gebraucht wird, was eben nur „verhandeln" bedeutet, darf man keines- 
weges, wie V. Bock S. 9 annimmt, auf Ausschliesslichkeit des Anklage- 
processes schliessen. 

*o*) Landg. - Ordn. vom J. 1632 § 7. 



254 



spielen bis zur höchsten Evidenz hervor. — Nach den oben 
ausgezogenen Bestimmungen der Landgerichtsordnung konnte 
übrigens in diesen Sachen auch „auf ordentliche Klage", d. L 
des Betheiligten (Privatmanns), oder vom Landgericht ^ßx officio^' 
(hier wohl so viel, als inquisitorisch) verfahren werden: wir 
finden hier also alle drei Arten des Criminalprocesses für 
anwendbar erklärt. 

2. Criminalsachen Adeliger sollen „durch gebühr- 
liche Citation, Klag und Antwort — eingenommen, auch 

dem Flüchtigen sicher Geleit — — — gegeben, und sowohl 
eines als des andern Parts Gezeugnisse verhöret — werden", — 
worauf die Acten dem Hofgericht eingeschickt, und „beide 
Parten, oder, wo ex officio procedirt wurde, der Angeklagte 
dahin remittiret werden"*®^)? Für Verbrechen Adeliger findet 
sich also hier zunächst der Privatanklageprocess angeordnet, 
denn nur auf diesen passt der Ausdruck „Parten", welcher für 
beide Theile gebraucht wird. Ofi'enbar ausnahmsweise soll gegen 
den adeligen Verbrecher auch „ex officio ^^ verfahren werden 
können, also wohl dann, wenn kein Privatkläger auftritt; aber 
;//?'/ V "•'" auch bei diesem „amtlichen" Verfahren wird jener „Angeklagter 
genannt , woraus sich ergiebt , dass das Verfahren ein accusa- 
torisches ist, dem „Angeklagten" ein „officiöser Ankläger" — 
..ohne Zweifel der Fiscal — gegenübersteht. — Demnächst wird 
der Privatanklageprocess angeordnet für alle Sachen, welche 
"'Edelleute und Herren gegen ihre Diener und Hausgenossen 
„wegen Untreue in der Verwaltung und wegen anderer ünthat 
und grober Excesse" anhängig machen; auch hier soll das 
Landgericht „auf Klage, Antwort und Beweis das Urtheil er- 
gehen lassen" *^^). — Gleich hiernach, und offenbar als im 
Gegensatz damit, bestimmt die Landgerichtsordnung: 






d' ",}KiU' ' ' '. ' 



"») Das. § 25. 



255 



3. „Alle andern Criminalsachen unadeliger Per- 
sonen, gesessener oder angesessener, — — haben die Land- 
richter — — Macht und Gewalt, nach Qualität der Geklagten 

und erweislichen peinlichen Verbrechung vor oder nach 

dem Verhör mit*®'^) der Tortur und Gefängniss zu 
verfahren: sollen aber insonderheit in peinlichen Sachen — 
— vorsichtig und bedächtig — — procediren"*®^). Wenn die 
hier gebrauchten Ausdrücke noch nicht klar genug das in 
solchen „Criminalsachen unadeliger Personen" anzuwendende 
Unt er suchungs verfahren erweisen, so schwindet aller Zweifel, 
wenn man im Verfolge verordnet findet, das Landgericht solle 
in Criminalsachen ünadeliger „mit der Tortur auf genügsame 
indicia und praesumtiofies — — nicht verfahren", ohne zuvor 
des Hofgerichts Resolution darüber eingeholt zu haben ^^^). 
„Wofern nun die Tortur im Hofgerichte gleicherweise erkannt 
oder bestätigt würde, soll vom Landgericht dieselbe vollzogen, 
und, nach Beschaffenheit der Aussage, mit mehrer Inquisition 

und Zeugen verfahren werden" *^^). Endlich ist auch für 

die Verhandlung dei'jenigen Criminalsachen, in denen die Ur- 
theile vom Landgericht ohne hofgerichtliche Leuteration (§ 88) 
vollstreckt werden können, wie überwiesene oder eingestandene 
Blutschande, Sodomie etc. (§ 88), das üntersuchungsverfahren 
ausdrücklich angeordnet *^^). 



*o«) Das. § 27. 

*®') In den Druckausgaben steht hier offenbar fehlerhaft „und" statt 
„mit". 

*o8) Landg.-Ordn. § 28. 

*«») Das. § 30. 

*io) Das. § 34. 

*") Das. § 24, verglichen mit dessen Quelle, auf welche namentlich 
verwiesen wird, nämlich der Gerichtsordnxmg vom 10. Februar 1614 § 17, 
worin ausdrücklich gesagt wird, die Urtheile in solchen Sachen sollen 



256 



Das Ergebniss der Bestimmungen der Landgerichtsordnung 
vom Jahre 1632 über die Form des Verfahrens in Criminal- 
sachen lässt sich also dahin zusammenfassen: 1) gegen adelige 
Verbrecher findet Privat- oder Staatsanklageprocess (kein In- 
quisitionsprocess) statt; 2) gegen Unadelige wird auf dem Wege 
des Untersuchungsprocesses verfahren, mit Ausnahme gewisser 
Vergehungen der Diener und Hausgenossen gegen ihre adelige 
Herrschaft, welche im Privatanklageprocesse zu verhandeln sind; 
8) bei Uebertretungen „königlicher Edicte und Gebote" kann je 
nach Umständen jede der drei Processformen Platz greifen: denn, 
wenn der etwa Benachtheiligte nicht selbst als Kläger auftritt, 
noch der Fiscal als Staatsankläger, so ist der Richter ver- 
pflichtet, von Amts wegen einzuschreiten ^^2). 



3. Weitere Fortbildung des Verfahrens. 

§ 90. 

Bei den im § 89 entwickelten Grundsätzen blieb es im 
Wesentlichen bis zum Schlüsse dieses Zeitraumes, nur dass der 
Privatanklageprocess in dem Grade seltener wurde, als das 
üntersuchungsverfahren häufiger zur Anwendung kam, und dass 
die Theilnahme des Fiscals an der Verhandlung der Criminal- 
sachen allmälig wuchs. Die Fiscale^^^a) nämlich — sowohl 
der Oberfiscal beim Hofgericht, auch die Kreisfiscale bei den 



„nach gerichtlicher, fleissiger und genauer Inquisition" 
gefällt und sofort vollstreckt werden. 

*^^) S. überhaupt v. Bunge, Inquisitions - oder Anklage - Process ? , 
in den Erörterungen Bd. V. S. 163 fgg. , bes. S. 170 fgg., und vergl. J. C. 
Schwartz in der Dorpater Zeitschrift 11, 39 fgg. 

*^*^a) lieber die Entwickelung dieses Instituts in Schweden und in 
Livland handelt eingehend J. C. Schwartz in der Dorpater Zeitschrift 
S. 57 fgg., auch S. 127 fgg. S. auch oben § 73. 



257 



Landgerichten — waren zwar zunächst verpflichtet, Sachen, bei 
welchen das Interesse der königlichen Regalien, zunächst des 
Fiscus*^^), der Kirchen*^*), so wie des Gemeinwesens, im Spiele 
war*^^), namentlich alle „Uebertretungen königlicher (admi- 
nistrativer und polizeilicher) Edicte und Gebote" *^^), daher 
auch Amtsvergehungen*^''), von Amts wegen anhängig zu 
machen; sie sollten aber ausserdem auch in eigentlichen Cri- 
minalfällen, wenn sich kein Privatankläger fand, gegen die 
Verbrecher, besonders aber gegen die Hehler, als Ankläger 
auftreten *^^). Dadurch, dass den Fiscalen ein Drittheil aller 
Strafgelder in solchen Sachen zugesichert wurde, welche sie selbst 
aufgespürt und gehörig ausgeführt *^^), wurde ohne Zweifel die 
Thätigkeit dieser Beamten angespornt und thatsächlich erweitert. 
So konnte und durfte also ohne Zweifel jede Criminalsache 
auf dem Wege des Staatsanklageprocesses verhandelt werden, und 



*^*) Instruction des Oberfiscals vom 23. August 1630 § 1 und 2. In- 
struction der Kreisfiscale § 1. 

*") Instr. des Oberfiscals § 5. 8 fgg. Instr. der Kreisfiscale § 2. 

*") Königl. Kirchenordnung vom 3. Septbr. 1686 Cap. 26 § 5. Vergl. 
auch die Instr. der Kreisfiscale § 5. 

"«) Instr. des Oberfiscals § 8 — 11. 14. 15. Instr. der Kreisfiscale § 6. 
Königl. Executionsverordnung vom 10. Juli 1669 § 26. Königl. Verordnung 
vom 17. Octbr. 1687 II. § 12 u. a. 

*^^) Instr. des Oberfiscals § 3. 7. Instr. der Kreisfiscale § 3. Seh war tz 
a. a. 0. S. 115. 

*") Instr. des Oberfiscals § 2. Instr. der Kreisfiscale § 7. üeber 
Duellsachen insbesondere s. den königl. Brief v. 29. Novbr. 1688. — Statt 
der Durchfuhrung eines förmlichen Anklageprocesses begnügten sich jedoch 
die Fiscale nicht selten mit einer blossen Denunciation, und überliessen 
dem Richter, die Sache auf inquisitorischem Wege weiter zu verhandeln. 
Schwär tz S. 113 fgg. 116 fgg. 

« 

**•) Instr. der Kreisfiscale § 8. Executions - Verordn. v. 10. Juli 1669 
§ 28. Königl. Eesolutionen vom 6. November 1669, vom 25. Juni 1696 
und vom 16. August 1699. 

Bungo, Geschichte des Gerichtswesens. 17 



258 



wenn bei einzelnen Behörden diese Processform, in aller Art 
Criminalsachen und gegen Personen aller Stände, öfter vorge- 
kommen sein sollte*^®), so wäre dies aus den angeführten Um- 
ständen leicht erklärlich. Daraus folgt aber noch keinesweges, 
dass diese Processform am Schlüsse dieses Zeitraumes die ge- 
setzlich und practisch ausschliessliche gewesen, und vollends 
ist dadurch der Untersuchungsprocess in Criminalsachen nichts 
weniger als verdrängt worden. Im Gegentheil haben neuere 
archivalische Forschungen ergeben, dass während der Schwe- 
dischen Herrschaft, besonders in der zweiten Hälfte derselben, 
das inquisitorische Verfahren gerade überwiegend vorherrschte, 
während der reine Staatsanklageprocess nur eine seltene Aus- 
nahme bildete *^^). Auch fehlt es nicht an gesetzlichen Vor- 
schriften über den Untersuchungsprocess bis an das Ende des 
siebenzehnten Jahrhunderts ^^^j. 



*2®) S. von Bock a. a. 0. S. 80 fgg. In den wenigsten der hier 
aufgeführten Fälle ist übrigens ein formeller accasatorischer Process voraus- 
zusetzen; die meisten waren Inquisitionsprocesse unter Mitwirkung des 
Fiscals. S. Anm. 418 und Seh war tz S. 120 fgg. 132 fg. 

***) Vergl. von Bunge 1. c. S. 177 fg. Aus der Durchforschung 
einer Zahl von 386 in dem Hofgericht aufbewahrter landgerichtlicher Cri- 
minalacten ^us allen Decennien des Zeitraumes von 1630 bis 1710 hat 
Schwartz a. a. 0. S. 130 fg. das Ergebniss gezogen, dass von denselben 
verhandelt worden: 

im reinen Privatanklageprocess 17, also 4,4®/o, 

im gemischten Process (Untersuchung auf Grund 

einer Privatanklage) ohne Fiscal 60, „ 16%, 

im reinen Inquisitionsprocess 178, „ 46%, 

im Untersuchungsf erfahren unter Mitwirkung des 

Fiscals 117, „ 30%, 

im reinen Staatsanklageprocess 14 , „ 3,6%. 

386 lÖÖ 

Die Art des Verbrechens hat auf die Form des Processes gar keinen 
Einfluss. 

*") S. z. B. den königl. Brief vom 26. Mai 1693 bei Schmedemann 



259 



Das Wichtigste über die Form der Verhandlung im An- 
klage-, wie im Untersuchungsverfahren, ist in der bisherigen 
Darstellung bereits enthalten. Hier ist noch schliesslich zu wie- 
derholen, was bereits oben (§ 71) für Estland angeführt worden, 
dass nämlich gegen den Schluss dieses Zeitraumes die Tor- 
tur*2^) abgeschafft, und verordnet wurde, in zweifelhaften 
Fällen den Verbrecher dem Gerichte Gottes zu überlassen, d. h. 
von der Instanz zu absolviren*^*). 



Zweites Capitel. 

Gerichtswesen und Verfahren in der Stadt Eiga. 

Einleitung. 

§ 91. 

Seit dem letzten Viertel des sechszehnten Jahrhunderts 
machte der Rigische Rath von seinem Autonomierecht, beson- 
ders auch in Beziehung auf Gerichtswesen und Verfahren, den 
lebhaftesten und umfassendsten Gebrauch. Am 15. Decbr. 1581 
wurde eine neue Gerichtsordnung publicirt, welche in zehn 



S. 1346; vergl. auch das Placat des Livländ. Generalgouvernements vom 
9. Mai 1689 bei von Buddenbrook II, 1098 fgg. 

**^) Vergl. darüber auch Schwartz a. a. 0. S. 104. Dass bis dahin 
die Tortur in Schweden keinesweges ausser Gebrauch gewesen, wie von 
B o ck S. 62 Anm. g. behauptet , ergiebt sich aus den Richterregeln § 38. 

«*) Königl. Brief vom 22. Decbr. 1686 , oben S. 209 Anm. 199. 

17' 



260 



Capiteln das seit der Mitte des Jahrhunderts vielfach geänderte 
gerichtliche Verfahren in seinen Hauptzügen regelte. Bereits 
am 15. August 1578 war eine Procuratoren - Ordnung 
ergangen, welcher am 12. Novbr. 1634 eine Ergänzung folgte. 
Durch eine ganze Reihe von Senatusconsulten wurden viele 
einzelne Materien des Gerichtswesens normirt*^*). — Im Jahre 
1673 aber erfolgte eine Umarbeitung des gesammten Rigischen 
Stadtrechts, unter dem Titel: „Der Stadt Riga Statuta 
und Rechte", in deren zweitem Buche: „Vom Gerichts- 
pro c es s", mit Beseitigung alles Alten, die Grundsätze des 
gemeinen Deutschen Processes jener Zeit grösstentheils adoptirt 
sind, und durch welche auch die älteren Gerichtsordnungen und 
Senatusconsulte, so weit sie nicht darin Aufnahme fanden, 
grossentheils antiquirt wurden. — Gegen das Ende dieses Zeit- 
raumes gewannen mehrere allgemeine Schwedische Gesetze, ins- 
besondere die königliche Processstadga vom 4. Juli 1695 imd 
die verschiedenen Revisionsverordnungen, in Riga Geltung. Diese 
wurden, in Verbindung mit neueren Senatusconsulten, — frei- 
lich erst im folgenden Zeiträume — besonders codificirt, und 
unter dem Titel: „Abgeänderte Articul des Rigischen 
Rechts" den Statuten angehängt *2*). 

Da die Statuten, nebst den abgeänderten Artikeln und dem 
gemeinen Deutschen Recht, im Wesentlichen die Quelle des noch 
gegenwärtig in Riga und den übrigen Städten Livlands geltenden 
Rechts bilden, so hat die nachfolgende Darstellung — auf diese 
Quellen gestützt — um so kürzer gefasst werden können. 



^^*) S. y. Bnnge's Einleitung in die Bechtsgeschichte § 70. 
"•) Das. § 86 und 87. 



261 



I. 

Gerichtsver&ssang und Zuständigkeit der Gerichte. 

§ 92. 

Wie in Reval, bildeten sich auch in Riga für verschiedene 
Zweige der Justiz neben dem Voigteigericht, welches selbst 
in zwei Behörden, das stadt- und das landvoigteiliche Gericht, 
sich theilte, noch mehrere andere Untergerichte, als namentlich: 
das Waisen-, das Amts-, das Kämmerei- und Bauge- 
richt, das Kirchengericht und das (Luxuspolizei- oder) 
Gesetzgericht*^''). Sie waren je mit zwei bis drei Gliedern 
des Rathes besetzt und dem ganzen Rathe, als zweiter oder 
Appellationsinstanz, untergeordnet*^®). Dem ganzen Rathe in 
erster Instanz waren überdies alle Testaments-^, Erbschafts- und 
Proclamsachen, so wie Immissionen, vorbehalten *2*). Im Rathe 
sass ein rechtsgelehrter Syndicus*^®), und ihm sowohl, wie 
den einzelnen Untergerichten, waren rechtskundige Secretäre 
zugeordnet *^^). Als öffentlicher Ankläger war ein Official 
angestellt, zu dessen Obliegenheiten zugleich die Wahrnehmung 
der Rechte des Stadtärars und die Ueberwachung der Rechts- 
pflege gehörte. Der Rath hielt seine Sitzungen, mit Ausnahme 
der Ferien *^^), an jedem Mittwoch und Freitag *^^), das Voigtei- 



*") Rigische Statuten B. II. Cap. 1 § 4. Cap. 13 § 4. B. ÜI. Tit 
4 § 6. 

*") Das. B. IL Tit. 13 § 4. Tit. 28. 

"») Das. n, 3, 1. 

*•«) Das. II, 29. 

*") Das. I, 9. n, 1, 1. 5, 1. 2. 

^") Diese sind ebendas^ 11 , 10 in weit geringerem Umfange , als in 
Reval (S. 178 Anm. 62) ,. bemessen , und zwar: „nach den letzten offen- 



262 



gericht am Dienstag, Donnerstag und Sonnabend*^*); für die 
übrigen Untergerichte waren ebenso bestimmte Sitzungstage 
angeordnet *^^). Bis über die Mitte des siebenzehnten Jahr- 
hunderts hinaus wurden alle Gerichtssitzungen öffentlich ge- 
halten*^®). Die Statuten kennen aber nur noch die offenbaren 
Gerichtstage des Rathes, welche — ein Ueberbleibsel des 
alten echte Ding (§ 5) — noch gegenwärtig alle Quartale drei- 
mal von acht zu acht Tagen gehalten werden *^'^). 

Im Jahre 1576 wurde ein Stadtconsistorium, aus Glie- 
dern des Rathes und der Stadtgeistlichkeit bestehend , eingesetzt. 
Dasselbe hatte, wie das Revaler, eine ausgedehnte Jurisdiction 
und war inappellabel*^®). 

I Bei der Unterwerfung der Stadt an Polen, im Jahre 1581, 
i gründete König Stephan Bathory das Amt des Burggrafen *^^j. 



baren Bechtstagen vor Weihnachten bis an das h. Dreikönjge Fest, die 
ganze Fastnachtswoehe , acht Tage vor und acht Tage nach Ostern, die 
ganze Woche in den Pfingsten bis Trinitatis inclusive, die ganze Johannis- 
woche, vierzehn Tage in den Hundestagen, die Woche vor Michaelis und 
14 Tage hernach, die Martiniwoche"; in Allem 13 — 14 Wochen. 

*") Big. Stat. I, 13. 

"*) Das. n, 1, 1. 

*") Das. n, 1, 4. 

*»•) Im Senatusconsult vom 24. März 1658 heisst es: „E. E. Rath ge- 
schlossen , wenn Herren des Raths in Privatsachen mit einander im Process 

gerathen, soll solches nicht vor den Umbstandt, besondern 

wann die andern abgetreten, geschehen". Im Senatusconsult vom 4. Juni 
desselben Jahres: „Nachdem leider der Ungehorsam der Bürger von Tage 

2u Tage mehr einreisst, in dem dieselbe mit allerhand Injurien 

und Scheltworten einander angreifen , welches E. £. Bath und den ganzen 
Umstand verdrüsslich anzuhören etc." 

*") Big. Stat. B. I. § 13. 

4S8j Privil. des Königs Stephan vom 14. Januar (bestat. an^ 16. Novbr.) 
1581, des Königs Gustav Adolph vom 25. Septbr. 1621. C. G. Sonntag 
in den Bigaischen Stadtblättem Jahrg. 1824 No. 15. 16. 40 — 42. 

*••) Bereits in den sog. Subjectionspacten vom 28. Novbr. 1561 § 13 



263 



Dazu wurde jährlich auf St. Johannis vom Könige , auf Präsen- 
tation des Rathes, einer der vier Bürgermeister ernannt**®). 
Derselbe musste allen Verhandlungen, auf dem Rathhause bei- 
wohnen, den Rath an seine Pflichten erinnern, auf die Wah- 
rung der königlichen Hoheitsrechte und darauf achten, dass 
von den Gerichten die Justiz prompt verwaltet und allen Miss- 
bräuchen gesteuert werde **^). Zugleich übte er die Gerichts-] 
barkeit über alle Edelleute, welche im Gebiete der Stadt Ver-! 
brechen begehen oder Verträge abschliessend*^). Wiederholte) 
Vorstellungen des Adels wegen Aufhebung des Burggrafenamtes: 
vermochten während der Schwedischen Regierung nur einige 
Beschränkungen seiner Jurisdictionsbefugnisse herbeizuführen**^). 



hatte König Sigismund August die Ernennung eines Eathsgliedes zum 
Burggrafen von Riga, nach dem Muster Danzigs, verheissen. Allein erst 
König Stephan setzte dies durch das Privilegium vom 14. Januar (16. Nov.) 
1581 ins Werk. Damach sollte das Burggrafenamt in der Weise verwaltet 
werden, wie es in den drei grösseren Städten Preussens (Danzig, Thorn 
und Elbing), auf Grundlage des sog. Statütum Tliorunense vom Jahre 1520, 
bestand. Die näheren Bestimmungen für Riga enthält das Privilegium 
König Sigismunds III. vom 31. Mai 1593. Vergl. überhaupt C. G. Sonn- 
tag in den Rigaischen Stadtblättern Jahrg. 1823 No. 50 — 52. 

44oj Privil. vom 14. Januar 1581, vom 25. September 1621. Königl. 
Resol. vom 31. October 1662 § 2. Der Burggraf darf nicht zum wort- 
führenden Bürgermeister gewählt werden. Eben gedachte königl. Resol. 
§ 2 P. 3. 

*") Königl. Resol. vom 31. Octbr. 1662 § 2 P. 2 und 3. 

*") Privil. vom 31. Mai 1593 und vom 25. September 1621. — Wenn 
Edelleute in der Stadt Immobilien besitzen oder bürgerliche Nahrung 
treiben, so sind sie in diesen Beziehungen der ordentlichen städtischen 
Gerichtsbarkeit untergeben. Königl. Resol. vom 22. und vom 31. October 

1662 §6 — 8. 

**3j Dergleichen Vorstellungen wurden schon während der Polnischen 
Regierung gemacht, jedoch mittelst königlicher Bescheide vom 30. Novbr. 
1587, 17. April 1589 und vom Jahre 1593 zurückgewiesen. Aus der Zeit 
der Schwedischen Herrschaft gehört hierher die königl. Resol. vom 10. 
Mai W78 § 10. 



264 



In Criminalsachen , welche an Ehre, Leib und Leben gehen, 
hat darnach der Burggraf nur das Präsidium im Rathe, welcher 
Behufs der Urtheilsfallung auch den Generalgouverneur und 
zwei Offiziere von Adel hinzuziehen muss***). Für die Ver- 
handlung und Entscheidung von Vertrags - und geringereu Straf- 
sachen waren dem Burggrafen zwei gleichfalls vom Könige 
ernannte Glieder des Rathes als Assessoren beigegeben**^). Von 
den Entscheidungen des burggräflichen Gerichts ging die Appel- 
lation an das königliche Hofgericht zu Stockholm**®). 



II. 

Die Parteien und deren Stellvertreter. 

§93. 

Jedermann ist es gestattet, seine Rechte, sei es als Kläger 
oder als Beklagter, persönlich vor Gericht wahrzunehmen; wer 
aber verreisen will oder anderweitig behindert ist, muss einen 
genugsam Bevollmächtigten an seiner Statt, auf Gewinn und 
Verlust der Sache, zu Gericht senden**''). Ohne Vollmacht 
darf sich Niemand anmassen, für einen Abwesenden aufzutreten, 
es wäre denn ein naher Verwandte des Abwesenden, der zu- 



***) Königl. Resol. vom 31. October 1662 § 2 P. 4. Nach dem Pri- 
vilegium vom 31. Mai 1591 sollten £delleute in schwereren Criminalsachen 
nur dann unter der Jurisdiction des Burggrafen stehen, wenn sie Vaga- 
bunden sind und keinen bleibenden Wohnsitz haben, auch nicht genügende 
Gaution stellen wollen, desgleichen wenn sie sich freiwillig der Gerichts- 
barkeit des Burggrafen unterworfen haben. 

*") Königl. Resol. v. 31. Octbr. 1662 § 2 P. 5. 

**•) Ebend. Einl. zum § 2. 

**') Gerichtsordnung vom J. 1581 Tit. 2 Art. 6. Big. Statuten B. II. 
Cap. 7 § 1. 



265 



gleich dafür Caution leistet, dass der Vertretene seine Hand- 
lungen genehm halten und ihn in bestimmter Frist mit einer 
Vollmacht versehen werde**®). Zur Stellvertretung der Parteien 
werden von dem Rathe besondere der Rechte kundige Pro- 
curatoren oder Advocaten**®) angestellt, welche einen 
vorgeschriebenen Eid (Procuratorium) leisten müssen, da- 
gegen in den von ihnen geführten Sachen von dem Eid für 
Gefährde, wo ein solcher sonst verlangt wird, entbunden sind*^®). 
Sie dürfen Sachen, von deren Gerechtigkeit sie nicht überzeugt 
sind, nicht annehmen *^^), und werden für ihre Mühwaltung, 
wenn sie sich mit ihrem Principal nicht anders einigen können, 
nach einer Taxe honorirt *^^) , armen Parteien jedoch zum 
unentgeltlichen Dienst vom Gericht zugeordnet**^). Das Ho- 
norar darf der Regel nach nicht mehr als vier Procent von 
dem Werthe des Streitgegenstandes betragen***). — Auch die 



*") Big. Stat. n, 7, 6. 

**•) Einen Unterschied der Art, wie das Revaler Eecht (§ 63), macht 
das Eigische zwischen Procuratoren und Advocaten nicht; es giebt diese 
Benennung abwechselnd allen förmlich angestellten und beeideten Stell- 
vertretern. 

460) Procuratoren - Ordnung vom 15. August 1578 Art. 1, vom 12. 
Novbr. 1634 Art. 1. Senatusconsult vom 15. Septbr. 1609. Rig. Stat. 11, 
7, 7. Die Procuratorenordnung vom J. 1578 Art. 2 beschränkt die Zahl 
der anzustellenden Procuratoren auf vier; in den späteren Rechtsquellen 
ist diese Beschränkung weggefallen. 

"^) Procur. - ürdn. von 1578 Art. 1 und 6, von 1634 Art. 11. 

"«) Procur. - Ordn. von 1578 Ari 5, von 1634 Art. 12. Big. Stat. II, 
7, 10. 

"») Procur. - Ordn. von 1578 Art. 6. 

***) Rig. Stat. II, 7, 10: „Wenn die Procuratores und Advocaten die 
Sachen zu £nde gebracht, soll ihnen ihr Lohn gegeben werden, nemlich 
in bürgerlichen Sachen — — — sollen sie, nach Beschaffenheit der 

Sachen, nachdem die Sache in beeden Instantiis oder nur in 

einer Instantia allein geführet, 1. 2. 3, auch in den allerwichtigsten 



266 



Stellvertreter abwesender Parteien, welche nicht als,Procura- 
toren angestellt sind, müssen sich nach der Procuratorenord- 
nung richten *^^). Sowohl die Procuratoren , als andere Stell- 
vertreter, müssen die von ihnen einzureichenden Satzschriften 
unterschreiben *^®). 



HI. 

Gerichtliches Ver&hren in Cävilsachen. 

1. Ordentliches Verfahren in erster Instanz. 

§ 94. 
Für das gerichtliche Verfahren in Civilsachen überhaupt 
gilt als Hauptgrundsatz, dass der Richter bloss die Verhand- 
lung zu leiten, das Erkenntniss zu fällen und zu vollstrecken 
hat, dagegen soll er „Keinem schaden oder helfen zu seiner 
Klage und Antwort" *^'^). 

Das ordentliche Verfahren ist das schriftliche, bei 
welchem aber möglichste Kürze zu beobachten ist. Jedem 
Theile stehen nicht mehr als zwei Satzschriften zu : auf die 
Klage folgt die Einlassung (Kriegsbefestigung), der Kläger 
replicirt, der Beklagte duplicirt. Beim Rathe werden diese 
Satzschriften von vierzehn zu vierzehn Tagen, in den offen- 
baren Gerichtstagen dagegen, desgleichen bei den Unterge- 



Sachen nicht mehr, als 4 von hundert von dem obsiegenden, und die 
Hälfte von dem verlierenden Theil zu fordern haben, daneben aber keine 
verbotene Pacta machen etc." Vergl. auch die Procur. - Ordn. von 1578 
Art. 5. 

*") Procur. - Ordn. v. 1578 Art. 2. 

*") Senatusconsult vom 15. Septbr. 1609. Statuten II, 7, 3. 

*") Rig. Statuten II , 1 , 5. 



267 



richten, von acht zu acht Tagen eingereicht*^®). Will der 
Beklagte Einreden vorschützen, so muss er Solches vor der 
Einlassung thun*^*), und dann wird daiüber, ob der Beklagte 
sich einzulassen habe oder nicht, erkannt **^). Will der Be- 
klagte sich nicht einlassen, so wird, ohne eine fernere Ver- 
handlung zu gestatten, sofort zum Erkenntniss in der Haupt- 
sache geschritten*^^). 

Jeder Klage geht eine Citation voraus *^^). Ein Bürger 
braucht, wenn sein Gegner ein Mitbürger ist, erst auf die 
dritte Citation zu erscheinen. Bleibt er dann noch aus, so 
verfällt er in eine Geldstrafe, und erhält einen vierten, perem- 
torischen Termin: versäumt er auch diesen, so wird er für 
sachfällig erkannt. Im weitern Verlaufe des Processes aber, 
desgleichen wenn einer der streitenden Theile nicht Bürger ist, 
sind alle Citationen peremtorisch , so dass beim Nichterscheinen 
der Citirte sein Recht auf das in Rede stehende Verfahren ver- 
liert, und in der Sache nach Lage der Acten erkannt wird*®^). 
Bleibt der Citant selbst aus, so verfällt er die drei ersten Male 
in eine Geldstrafe, bleibt er zum vierten Male aus, so geht er 
seiner Klage verlustig*^*). In allen diesen Fällen werden die 



***) Das. n, 13, 1. Sowohl die Procuratorenordnung vom J. 1578 
Art. 3, als auch die Gerichtsordnung vom J. 1581 Tit. 2 gestatteten jeder 
der Parteien drei Satzschriften einzureichen, die letzten durften aber 
nichts Neues enthalten. 

«») Big. «tat. II, 16, 1. 17, 1. Vergl. auch H, 8, 1. 

*•<>) Das. II, 17, 1. 2. Vergl. auch JI, 12, 2. 

*") Das. II, 13, 2. 

. "*) Das. U, 9, 1 fgg. 

*«») Procur. - Ordn. von 1578 Art. 3. Gerichtsordn. von 1581 Tit. 2 
Art. 1. Tit. 3 Art. 3 und 4. Rig. Stat. II, 9, 4—6. Vergl. auch ebendas. 
n, 13, 3. 16, 2. 17, 1. 

*•*) Rig. Stat. II, 9, 7. 



268 



Nachtheile des Nichterscheinens wieder gehoben, wenn der Ans- 
gebliebene rechtliche Hindemisse (Ehehaften) nachweist***). — 
Personen, deren Aufenthalt unbekannt, werden durch einen 
ö£fentlichen Anschlag vorbeschieden *••). 

In den Untergerichten ist der Bichter verpflichtet, die 
Streitsache wo möglich zu vermitteln und die Parteien zu einem 
Vergleich zu bewegen *•''). 

Wer nicht mit liegenden Gründen in der Stadt besitzlidi 
ist***), kann vom Gegner zur Cautionsleistung angehalten 
werden *••). War eine cautio de iudido sisti durch Bürgschaft 
geleistet worden, und der Verbürgte erscheint freiwillig oder 
stirbt, so ist der Bürge seiner Bürgschaft enthoben*''®). 



Fortsetarang. Das Beweisverfaliren. 

§95. 

Ist die Einlassung des Beklagten verneinend ausgefallen, 
so wird durch ein gerichtliches Erkenntniss beiden Theilen auf- 
gegeben. Beweis und Gegenbeweis zu fuhren, imd sind alsdann 
die Parteien verpflichtet, binnen vierzehn Tagen von der Zeit 
an, wo die Beweisverfügung rechtskräftig geworden, den Beweis 
anzutreten*''^). Wer die Beweisfrist unbenutzt verstreichen lässt, 



*•») Gerichtsordn. von 1581 Tit. 2 Art. 1. Tit 3 Art. 3. Rig. Stat 
n, 9, 4. 7. 

*••) Rig. Stat. n, 9, 8. 

*") Das. U, 3, 3. 4. 

*") Das. n, 8, 3. ITI, 13, 3. 14, 2. 

*••) Das. n, 8, 1. 2. III, 14, 1. 

*'•) Das. m, 14, 3. 4. 

*'») Das. n, 20, 1. 11. 



2m' 



W 



verliert das Eecht der Beweisführung *''2). Einreden müssen so- 
fort bei ihrer Vorschtitzung erwiesen werden*''^). 

Unter den Beweismitteln müssen Urkunden*''*) gleich 
bei den ersten Satzschriften beigebracht werden; der Replik 
und Duplik beigefügte Documente bleiben unberücksichtigt*''^). 
Im Urkundenbeweise nehmen die Handelsbücher eine wich- 
tige Stelle ein: unter Kaufleuten liefern sie für den Producenten 
einen halben, gegen ihn einen vollen Beweis; nach dem Tode 
des Kaufmanns beweisen seine Bücher auch für ihn voU*''^). — 
Der Zeugenbeweis wird durch Stellung förmlicher Beweis- 
artikel geführt*''''), auf welche der Gegner Fragstücke stellen*''®), 
auch gegen die Person der Zeugen Einwendungen erheben darf, 
welches letztere aber vor Eröffnung der Zeugenaussagen ge- 
schehen muss*''®). Dagegen kann noch später gegen die Aus- 
sagen selbst excipirt werden*®^). Die Zeugen werden in Gegen- 
wart beider Parteien beeidigt und sodann vom Richter verhört*®^). 
— Das Stadtrecht erkennt ferner nicht nur den vom Richter 
auferlegten, nothwendigen , sondern auch den freiwilligen, von 
einer Partei der andern zugeschobenen Eid als Beweismittel an. 
Ersterer ist entweder Ergänzungs- oder Reinigungseid, je nach- 



*") Das. n, 20, 12. 

*") Das. n, 17, 1. 2. 

*'*) Das. II, 24. 

*") Das. n, 13, 2. 

*■'•) Das. U, 24, 4. S. auch v. Bunge in den Erörterungen Bd. IV. 
S. 164 fgg. 

♦'•O Big. Statuten H, 20, 1. 4. 5. 6. 

*'«) Das. II, 20, 2. 7. 

*") Das. II, 20, 2. 22, 1. Vergl. auch 21, 1. 2. 

"•) Das. n, 20, 2. 23, 1. 

*") Das. n, 20, 3. 



270 



dem von dem Kläger oder von dem Beklagten ein halber Beweis 
geführt worden *^2). üeber die Eideszuschiebung und Zurück- 
schiebung gelten im Ganzen die Grundsätze des gemeinen Deut- 
schen Rechts *^^). Dem Erben des' Beklagten kann ein Eid nicht 
zugeschoben werden, vielmehr muss der Kläger seine Klage 
wider den Erben (anderweitig) beweisen*^*). 

2. Appellation. Querel. Bevision. 

§ 96. 

Wer mit dem Urtheile eines Untergerichts unzufrieden ist, 
musste, nach dem zu Anfang dieses Zeitraumes und bis gegen 
das Ende des siebenzehnten Jahrhunderts geltenden Rechte, 
binnen zehn Tagen die Appellation beim Rathe introduciren, 
und am nächstfolgenden Freitag rechtfertigen*^^). Im Jahre 
1695 aber wurde, auf Grundlage des Schwedischen Rechts*^*), 



"2) Rig. Stat. II, 18, 14—17. 

«3) Das. n, 18, 1 fgg. 

*^*) Diese Bestimmung steht höchst wahrscheinlich mit den Grund- 
sätzen des alten Rechts über den Beweis nach todter Hand (§ 21 und 26) 
im Zusammenhange, wird aber in den Statuten anders begründet. Es 
heisst nämlich im B. IL Cap. 18 § 10: „Die Zuschiebung oder Wieder- 
weisunge des £ides hat nicht statt, wenn derjenige, so schwören soll, des 
Handels nicht gewiss ist, darauf er schwören solle. Denn wann er dran 
zweifelte, so mag er den Eid recusiren. Darum soll der Eid dem alleine, 
80 bei dem Handel gewesen, oder mit im Handel ist, zugeschoben 
werden. Und ob einer sonst des Handels, aus einer gemeinen Rede, 
Gerächte oder Sage Wissenschaft hätte, das wäre zu der Eidesleistung 
nicht genug". § 11: „Darum kann der Kläger des Verstorbenen Erben 
diesen Eid nicht zuschieben, sondern er muss seine Klage wider den 
Erbei^ erweisen". 

*") Procur. - Ordn. vom J. 1578 Art. 4. Gerichtsordnung vom J. 1581 
Cap. 5. Big. Statuten II, 28, 1. 

*") Namentlich der königl. Processstadga vom 4. Juli 1695 § 6. 7. 



271 



festgesetzt, dass die Appellation, mit Erlegung eines Appel- 
lationsschillings , binnen acht und vierzig Stunden beim Unter- 
gericht angemeldet, und binnen achtzehn Tagen, vom Datum 
des Urtheils an gerechnet, beim Rathe gerechtfertigt werden 
müsse *^''). In geringfügigen Sachen ^ in Sachen armer Per- 
sonen, Waisen und Wittwen, imd wo. Gefahr im Verzuge 
ist*^^), namentlich auch von den Erkenntnissen des Amts-, 
Wett-, Kämmerei- und Kirchengerichts*®®), kann statt der 
Appellation, ohne Erlegung eines Appellationsschillings, beim 
üntergericht eine Querel angemeldet werden. Die Anmeldung 
muss auch hier binnen acht und vierzig Stunden, die Recht- 
fertigung beim Rathe aber in der nächsten darauf folgenden 
Rathssitzung geschehen, und ist jeder Partei dabei nur eine 
Satzschrift zugestanden , während bei der Appellation jeder Theil 
zwei Satzschriften einreichen darf*®®). 

>Gegen Erkenntnisse des Rathes war bis zum Jahre 1690, 
nach dem alten jRecht*®^), theils die Bitte um Revision beim 
Rathe selbst *®2), theils die Appellation an den König zulässig, 
welche letztere binnen zehn Tagen angemeldet*®^) und zur 
nächsten Juridik des königlichen Hofgerichts zu Stockholm ge- 
rechtfertigt werden musste*®*). Gegen das Ende dieses Zeit- 
raumes aber wurde auch für Riga das Rechtsmittel der Re- 



*") Abgeänderte Artikel des Rig. Rechts U, 28, 1. 2. 

*") Senatusconsult vom 1. April 1701. Abgeänd. Art 11, 28, 4. 

"») Rig. Stat. II, 13, 4. 

*»o) Das. II, 13, 1. 2. 4. Abgeänd. Art. H, 28. 4. 

*»») S. oben § 45 und 46. 

*»*) Big. StR. II, 30. 

"») Das. II, 31, 1. 

*•*) Das. II , 31 , 4 



272 



Vision oder ausserordentlichen Appellation an den König 
eingeführt*®^). Dasselbe ist jedoch unzulässig in Administrativ- 
sachen, in Bau- und Servitutsachen , im Executionsverfahren, 
und gegen Urtheile, in welchen auf Strafe oder Geldbusse 
erkannt ist, insonderheit wenn darin beider Theile Ehre und 
guter Name vorbehalten und bewahrt ist; endlich auch nicht 
gegen Nebenurtheile, welche nicht die Kraft eines Endurtheils 
haben*®®). Dieses Rechtsmittel muss binnen achtmal vier und 
zwanzig Stunden angemeldet*®"^), innerhalb derselben Frist die 
sog. Revisionseide von beiden Theilen geleistet*®^), sodann, falls 
der Revisionsimpetrant in zweien Instanzen unterlegen, das Ur- 
theil von ihm erfüllt*®®), und die Revision binnen fünf Monaten 
bei dem königlichen Hofgericht zu Stockholm gerechtfertigt 
werden ^^®). 

3. ATunerordentliches Verfahren. 

§ 97. 

Unter den ausserordentlichen Processformen sind hervor- 
zuheben: 

1) der unbestimmte summarische Process, welcher 
sich von dem ordentlichen darin unterscheidet, dass er der 
Regel nach ein mündlicher ^^^), dass gleich die erste Citation 
eine peremtorische ist^®^), dass ohne dringende Gründe ^ar 



»») Königl. Briefe vom 7. Mai und 26. November 1690. 

•«) Abgeänd. Artikel II , 31 , 2. 

»T Das. § 1. 

•8) Das. §3 — 5. 

»») Das. § 7 — 11. 

•<>) Das. § 14. 

•^) Rig. Stat. n, 12, 1. 2. 5. 

") Das. n, 9, 5. 6. 12, 4. 



273 



kein Aufschub zur Erklärung des Beklagten und zu den Schluss- 
antragen bewilligt, auch der Beweis ohne alle Formalien ge- 
führt wird, damit die ganze Sache in einer und höchstens 
in dreien auf einander folgenden Sitzungen beendet werden 
könne^^^). Dieses Verfahren findet statt in allen Sachen, welche 
ihrer Natur nach keinen Verzug leiden, namentlich wenn der 
Streitgegenstand der Verderbniss ausgesetzt ist, in Bau- und 
Handelssachen, ferner in Sachen armer Waisen und Wittwen^^*), 
in Sachen, welche nach Gastrecht zu verhandeln sind 5^^) und in 
allen Sachen, welche bei dem Amts-, dem Wett-, dem Käm- 
merei- und dem Kirchengericht verhandelt werden ^®^). 

2. In dem Arrestprocess wird der Arrest (Kummer) 
auf das Vermögen oder die Person des Beklagten nur nach- 
gegeben, wenn der Kläger (Arrestant) seine Forderung, und 
dass sein Schuldner (Arrestat) in der Stadt nicht besitzlich oder 
dass er verschuldet ist, einigermaassen beglaubigt, oder — falls 
er dies nicht vermag und Gefahr im Verzuge ist — genügende 
Caution leistet. Ist der Arrest in Folge dessen bewilligt, so 
muss der Arrestant binnen acht Tagen seine Klage gerichtlich 
verfolgen, widrigenfalls der Arrest wieder gehoben wird^^'^). 

3. Der Executivprocess findet statt, wenn der Schuldner 
seine Schuld eingestanden, oder der Gläubiger aus unanstreit- 



*o3) Das. II, 12, 5. Zur Beschleunigung können solche Sachen zwei- 
mal an demselben Tage, Vor- und Nachmittags, verhandelt werden. Das. 
n, 9, 6. 

80*) Rig. Stat. II, 12, 4. 

»0«) Das. II, 12, 3. Vergl. auch II, 9, 5. 32, 5. III, 6, 1. 

«^0«) Das. II, 13, 4. . 

'^«^) Gerichtsordnung vom J. 1581 Cap. 1. Rig. Stat. II, 15. 

Bunge, Geschichte des Gerichtswesens. 18 



274 



baren Urkunden ^^*^), namentlich aus einem rechtskräftigen Ur- 
theile, klagt ^®®), und besteht darin, dass dem Gläubiger auf 
dem schleunigsten Wege zu seinem Rechte verholfen wird. Ist 
seine Klage eine dingliche, so wird er in den Besitz (recMs 
immissio) der ausgeklagten Sache gesetzt ^^^); ist sie eine per- 
sönliche, so wird der Schuldner ausgepfändet, und reicht das 
Mobiliar zur Deckung des Gläubigers nicht hin, so wird die 
Execution in das Immobiliarvermögen vollstreckt ^^^). Zu diesem 
Zweck wird das schuldnerische Immobil vor dem Voigteigericht 
dreimal „aufgeboten", d. h. dessen Veräusserung angekündigt. 
Nach dem letzten Aufbot bittet der Gläubiger beim Rathe, in- 
dem er einen Bot auf das Immobil macht, um die Immissio ex 
p7'im^ decreto, welche durch eine symbolische Tradition voll- 
zogen wird, und dem Gläubiger ein gerichtliches Pfandrecht an 
dem Immobil verleiht, jedoch ohne den Naturalbesitz. Nach 
Jahr und Tag erhält er auch diesen durch die Immissio ex 
secundo decreto, und zugleich das Eigent|jum am Immobil, wenn 
nicht der Schuldner dasselbe (wozu er noch sechs Wochen nach 
der zweiten Immission Zeit hat) durch Zahlung der Schuld ein- 
löst, oder ein Dritter den Bot des Gläubigers überboten und 
dsidurch die Immissio ex secundo decreto für sich erlangt hat^^^). 
— Reichen auch die Immobilien nicht zu, oder sind keine vor- 
handen, auch nicht ausstehende Forderungen des Schuldners, so 



»««) Rig. Stat. II, 12, 3. 24, 2. UI, 6, 1. — Dahin sind auch 
W e ch 8 e 1 zu rechnen ; denn Klagen aus solchen werden im Wege des 
gewöhnlichen Executivprocesses verhandelt, da das Rigische Stadtrecht 
über den Wechselprocess keine besondem Bestimmungen enthält. Vergl. 
die Statuten V, 8. 

»0») Rig. Stat. II, 32, 1. 

»10) Ebendas. 

»11) Das. § 1 — 6. 

»") Das. §6—11. 



275 

jrfiterer in Person in den Schuldthurm gesetzt oder dem 

r zum Dienst übergeben ^^'). 

tOer Concursprocesa wird eröffnet, wenn des Schuld- 

XiHungsunfähigkeit notorisch ist, oder er freiwillig sein 

' »en seinen Gläubigem abtritt , oder seine Insolvenz sich 

I eitig ergiebt, z. B. bei Gelegenheit der Execution in seine 

f ilien, durch seine Flucht und dergl.*^*). In solchen Fällen 

,ein Vermögen inventirt und unter Curatel gestellt; seine 

[er werden dui'ch ein Proclam zusammenberufen, und, 

i sie unter einander über die Liquidität und Priorität 

orderuDgen gestritten^'^), ein Locationsurtheil gefällt*'*). 



IV. 
VeTfahren in Criminalsachen. 



Von dem alten Verfahren in Criminalsachen kommen .in 
den revidirten Rigischen Statuten nur noch wenige Spuren vor, 
wie z. B. der Gebrauch des Beinigungseides ohne anderweitigen 
Beweis, um Beschuldigungen gewisser Art zu entgehen'"); ja 



"») Das. II, 32, 13. IH, 6, 4. 

»") Das. II, 15, 8. 9, 33, 10. HI, 3, 2. 
'"•) Dm. II, 15, 9. 32, 10. IH, 10. 

"•) Das. m, 10. 

'") S. z, B. die Rig. Stat. VI, 6, 4: „Wollte auch der Vogt Jemanden 
wegen berüchtigter Unkeuschheit vorstellen, davon er genagsam Anzeige 
hätte, dasa er wegen Ehebruchs bezüchtiget werden möchte; ao soll der- 
selbe des Verdachts mit dem Eide entgehen können, anders ist er in 
gebührliche Strafe verfallen". Das. 7 , 1 ; „Der einen Medlosen Mann 
Willens beherberget oder auch hauset, der soll es mit drei Mark i^ilbera 
büaaen, oder er moas bei seinen Eiden erbalten, dass er nicht gewnsst. 



276 



selbst das Gerüfte findet sich noch, jedoch ohne seine alte 
Bedeutung ^^^). Das regelmässige Verfahren war vielmehr das 
inquisitorische; denn in den Statuten heisst es: „Obzwar die 
Richtere keinen wegen eines delicti oder Verbrechens zur Klage 
zwingen sollen, so ist ihnen dennoch, wenn die Klage bereits 
angestellet, oder die Sache offenbar worden, das Aergemiss oder 
Verbrechen ex officio zu untersuchen und zu bestrafen unbe- 
nommen"^^'). Die Verhandlung aller Criminalsachen competirt 
dem Voigteigerichte *2*^) , welches jedoch, ohne Erkenntniss des 
Rathes, keine Tortur vornehmen darf, und nach beendetem 
Verhör „die Indicien, Bekenntnisse und Urgicht (d. i. Beant- 
wortung der sog. Torturalfragen), nebst den Acten" dem Rathe 
zur Fällung des Endurtheils vorstellen muss*^^). Der Inculpat 
darf nicht durch einen Stellvertreter, sondern muss persönlich 
vor Gericht erscheinen ^^^) , wird, wenn die Strafe an Leib und 



dass der Mann vogelfrei gemachet gewesen". S. auch das. VI , 4, 2 in der 
folgenden Anm. 518. 

•") Rig. Stat. VI, 4, 2: „Wenn ein Geschrei gehöret würde, wegen 
einer zugefügten Gewalt in der Stadt, solche sollen die dabei wohnende 
Nachbaren alsbald zu wehren schuldig sein, bei ernster Strafe des Ge- 
richts, oder die ^^ achbaren müssen sich mit dem Eide entschuldigen, dass 
sie das Geschrei nicht gehöret haben". Das. § 7: „Da in einem Wirtfas- 
hause von den Gästen , ohne des Wirths Yerursacfien , eine Misshandlung 
und Todschlag begangen würde , und der Thäter käme davon ; alsdann 
soll der Wirth ohne Gefahr sein: er soll aber über Gewalt zu rufen 
schuldig sein, und mit seinen Eiden erhalten können, dass er ein Geschrei 
gemachet, und den Thäter nicht aufhalten können". 

"•) Rig. Stat. n, 1, 6. 

"«) Das. II, 2, 1. 4. 

'*^) Das. II, 3, 2. Vergl. über die Anwendung der Tortur und über- 
haupt über das Criminalverfahren in Riga im Laufe des siebenzehnten 
Jahrhunderts: M. von Wolffeldt's Mittheilungen aus dem Strafrecht. 
Bd. II. (Leipzig 1844. 8.) S. 55 fgg. Die Abschaffung der Tortur durch 
König Carl XI. von Schweden (S. 209 Anm. 199) erstreckte sich selbstver- 
ständlich auch auf Riga. 

"») Rig. Stat. II, 6, 3. 



277 



Leben geht, in gefänglicher Haft gehalten, und aus derselben, 
ohne Einwilligung des Klägers, auch gegen Bürgschaft nicht 
befreit ^^^). Eine Appellation ist in Criminalsachen , welche 
Lebens- oder Leibesstrafe mit sich führen, nicht gestattet ^2*). 

Neben dem Untersuchungsverfahren und dem Verfahren auf 
die Privatanklage — welches letztere aber, Obigem zufolge, 
auch ein inquisitorisches gewesen zu sein scheint — fand ohne 
Zweifel auch der accusatorische Process auf Grundlage der 
Schwedischen Gesetzgebung in derselben Weise, wie in den 
Landesgerichten , Eingang , wiewohl die Rigischen Statuten 
darüber schweigen. War doch auch in Riga ein Official als 
öffentlicher Ankläger angestellt (§ 91). 



"8) Das. m, 14, 5. 

"*) Das. n, 31, 5 und abgeänderte Artikel H, 31, 2. 



278 



Dritter Titel. 

GerichLts^?vesen und GerichtsverialireTi in Cnr- 
land ^?rährend der herzoglichen Regierung. 



Einleitung. 

§ 99. 

Die in den ersten fünfzig Jahren nach der Erhebung Cur- 
lands zu einem Herzogthum wiederholt unternommenen Bestre- 
bungen zur Herstellung des durch auswärtige Kriege und innere 
Zerwürfnisse vollständig zerrütteten Gerichtswesens waren von 
keinem irgend erwähnenswerthen Erfolge begleitet ^^^). Der im 
Jahre 1617 nach Curland gesandten königlich Polnischen Com- 
mission war es vorbehalten, durch die sog. Regimentsformel 
und die Curländischen Statuten sowohl die Gerichte neu 
zu organisiren, als auch für das gerichtliche Verfahren die 
Hauptgrundsätze festzustellen. Letztere wurden dann hundert 
Jahre später durch die commissorialischen Decisionen 
vom Jahre 1717 wesentlich verbessert und vervollständigt, 
und damals bereits das gesammte Gerichtswesen und Verfahren 



***) Von dem traurigen Zustande der Rechtspflege im Anfange der 
herzoglichen Eegierung legen die alten Landtagsrecesse von den Jahren 
1567 bis 1606 (in v. Bunge 's Archiv, erste Aufl. Bd. H. S. 168 — 270) 
vielfaches Zeugniss ab. Die wiederholt projectirte Abfassung eines Land- 
rechts und einer Gerichtsordnung blieb unausgeführt. Vergl. auch K. W. 
Cruse, Curland unter den Herzögen Bd. I. S. 49 fgg. 



279 



im Ganzen auf den Fuss gebracht, auf welchem es noch gegen- 
wärtig besteht. Eine im zweiten Viertel des achtzehnten Jahr- 
hunderts, unter dem Titel: Instructorium des Curlän- 
dischen Processes, verfasste Privatarbeit enthält eine voll- 
ständige Darstellung des gerichtlichen Verfahrens und gelangte 
früh zu practischem Ansehen bei den Gerichten Curlands^^^). 

In dem Pilten'schen Kreise wurde durch die Statuten 
vom Jahre 1611 und die Regimentsformel vom Jahre 1617 
Gerichtswesen und Gerichtsverfahren geregelt, und durch ein- 
zelne Verordnungen das ausserordentliche Gerichtsverfahren ge- 
nauer normirt; im Ganzen wenig verschieden von den Verhält- 
nissen im Herzogthum^^'). 

In den Städten endlich, welche die frühere Gerichtsver- 
fassung im Wesentlichen behielten, wurde das für die Landes- 
gerichte angeordnete Verfahren, mit den durch die eigenthüm- 
lichen Verhältnisse gebotenen Modificationen , durch die Praxis 
adoptirt^^^). 

Bei solcher Uebereinstimmung der verschiedenen Rechts- 
gebiete in den wesentlichsten Momenten, ist eine verbundene 
Darstellung des in allen geltenden Rechts nicht nur möglich, 
sondern auch zweckmässig. 



^2") Ueber die Geschichte dieser Rechtsquellen s. v. Bunge, Einl. 
in die Rechtsgeschichte § 92. 93. 96. 

"7) S. ebendas. § 97 und 98. 

628) vergl. das. § 95. 



280 



Erstes CapiteL 

Das Gerichtswesen und die Parteien. 

I. 
GerichtsverfEtssung und Zuständigkeit der Greriehte. 

§ 100. 

In dem Herzogthum Curland bildeten 

1) die Oberhauptmannsgerichte die erste Instanz 
für Civilsachen der Edelleute und Unadeligen ihres Juris- 
dictionsbezirks ^2®) , so wie für Criminalsachen Nichtadeliger ^^®). 
Der Oberhauptmann, mit zwei, Anfangs von ihm beliebig zuge- 
zogenen ^^^), später ständigen Assessoren ^^2), hegte das ganze 
Jahr über, nur mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage, Ge- 
richt ^^^). 



***) Regimentsformel vom Jahre 1617 § 6. Landtagsabschied vom 24. 
Decbr. 1624 § 33. 

^^°) Landtagsabschied vom 5. Januar 1724 § 44, vergl. mit der Regi- 
mentsformel von 1617 § 6. 

^^^) Regimentsformel v. 1617 § 6: „ capitanei maiores — — 

adhibitis assessoribus , quos habere poterint etc" 

•^*) Diese wurden, nach langjährigen Verhandlungen darüber (Land- 
tagsabschiede vom 31. Aug. 1618 § 8, vom 13. Juni 1684 § 2, vom 8. Juli 
1684 § 35, vom 23. August 1692 § 16, vom 3. September 1718 § 8; 
commissoria!. Decisionen vom Jahre 1642 ad grav. Art. 9, vom Jahre 1717, 
ad desid. Art. 9), erst durch den Landtagsabschied vom 26. Novbr. 1759 
§ 2 definitiv verordnet. 

***) Regimentsformel v. 1617 § 8. Commiss. Decis. v. 1717 ad desid. 
Art. 9. S. überhaupt v. Ziegenhorn's Staatsrecht der Herzogthümer 
Curland und Semgallen § 544. 545. 



281 



2) Das Hofgericht oder Obergericht (später Ober- 
hofgericht genannt) bestand aus den vier herzoglichen Ober- 
räthen und zweien Doctoren der Rechte ^^*), und war einestheils 
Gericht zweiter Instanz ^^5), anderntheils gehörten vor dasselbe 
unmittelbar Concurs- und Edictalsachen^^^), Amtsvergehungen^^'') 
und einige andere Sachen ^^^), so wie, mit Zuziehung der vier 
Oberhauptmänner, die Criminalsachen des Adels ^^®). Das Hof- 
gericht wird zweimal jährlich, um heil, drei Könige und um 
Trinitatis, gehegt ^*^); ausser der Zeit müssen aber drei oder 
mindestens zwei Glieder desselben das ganze Jahr über zur Ver- 
handlung der laufenden Sachen residiren ^*^). 

3) Die Hauptmänner hatten, mit Zuziehung zweier 
Assessoren, die Gerichtsbarkeit über die Unterthanen der fürst- 
lichen Güter 542). 



'^^*) Die \der Oberräthe : der Landhofmeister , der Canzler , der Burg- 
graf und der Landmarschall ,^ bereits vom Herzog Gotthard eingesetzt, 
bildeten nebst den zwei rechtsgelehrten Käthen zugleich das höchste Ver- 
waltungscoUegium des Herzogthums. Regimentsformel v. 1617 § 1. Vergl. 
auch den Landtagsrecess vom 28. Februar 1567. 

^^^) Regimentsformel § 9. 

**•) Instructorium des Curländ. Processes Th. IL Cap. 7. 

*^^) Regimentsformel § 7 vergl. mit den commiss. Decis. von 1717 
ad grav. Art. 12. Landtagsabschied vom 9. Aug. 1636 § 14. Rescript vom 
15. März 1663. 

"«) Instructorium Th. I. Tit. 2 § 1. 

*3») Regimentsformel § 16. 

**®) Das. § 10. Vergl. auch den Compositionsact vom 29. Novbr. 1642 
§ 16 und die commissor. Decis. von 1717 ad desid. No. 8. 

"») Compositionsact von 1642 § 3 und vom 30. Juni 1717 § 13. Land- 
tagsabschied vom 3. April 1699 § 14 u. a. m. S. überhaupt v. Ziegen- 
hörn § 535 fgg. 

»") Landtagsabschied vom 30. Aug. 1618 § 8, vom 12. Aug. 1621 
§ 3, vom 3. Septbr. 1718 § 17. Vergl. auch die Regimentsformel § 7 
und V. Ziegenhorn § 546. 



282 



4) lieber die Privatbauern sowohl, als über die auf den 
Gütern des Adels ansässigen Deutschen, stand dem adeligen 
Gutsbesitzer die Civil- und Criminalgerichtsbarkeit zu^*^). 

5) Für die Vollstreckung der Urtheile der Gerichte war in 
jeder Oberhauptmannschaft ein Mann rieht er angestellt, dem 
auch andere polizeiliche Verrichtungen oblagen 5**). 

6) Als öffentlicher Ankläger fungirte ein Fiscal, welcher 
zugleich die herzoglichen Hoheits- und fiscälischen Rechte zu 
vertreten hatte ^*^). 

7) Vor das Consistorium, aus den sechs herzoglichen 
Räthen, dem Superintendenten und sechs Pröbsten bestehend, 
gehören alle Sachen , Amt und Wandel der Geistlichen betreffend, 
desgleichen Ehesachen und Sachen, betreffend Gotteslästerung. 
Seine Erkenntnisse sind inappellabel^*^). 

8) Efbschafts- und andere Theilungen, so wie Gränzbe- 
richtigungen , werden von besonders zu dem Zweck vom Herzoge 
ernannten Commissionen verhandelt; ausserdem dürfen Com- 
missarien nur auf Bitte der Parteien angeordnet werden ^*'^). 



"3) Privil. König Sigismund Augusts vom 28. Novbr. 1561 Art. 26. 
Privil. Herzog Gotthards vom 25. Juni 1570 Art 11. Landtagsabschied 
vom 9. August 1636 § 40. Commiss. Decis. von 1717 ad desid, Art 21. 
Vergl. V. Ziegenhorn § 660. 

***) Landtagsabschied vom 20. Octbr. 1622 § 9 Compositionsact vom 
13. Juni 1684 § 3. 4 u. a. v. Ziegenhorn § 551. 

«") Landtagsabschiede vom 20. Octbr. 1622 § 9, vom 20. Juli 1638 
§ 30, vom 29. Novbr. 1642 § 15, vom 14. März 1669 § 8, vom 27. Juli 
1746 § 74, V. Ziegenhorn § 561. 562. 

**•) Listructorium des Curl. Processes Th. I. Tit 4. v. Ziegenhorn 
§ 396 — 400. 

»*') Curland. Statuten vom J. 1617 § 8. Commiss. Decis. von 1717 
ad grav. Art. 5. v. Ziegenhorn § 534. 548. 



283 



In dem Pilten'schen Kreise ist das Landgericht die 
einzige Instanz in Civil- und Criminalsachen; das gleichzeitig 
mit demselben im Jahre 1611 eingesetzte Untergericht wurde 
bereits im Jahre 1017 wieder aufgehoben 5*®). Ein Mann- 
richter ist auch hier für Polizei- und Executionssachen an- 
gestellt^*®); desgleichen besteht ein eigenes Consistorium. 
Die Patrimonialjurisdiction auf seinen Gütern übt der Adel in 
demselben Umfange wie in dem herzoglichen Curland^^®). 

Die Magisträte der Pilten'schen Städte (Hasenpoth und 
Pilten) haben sowohl Civil- als Criminaljurisdiction über alle 
Gerichtseingesessene. Dagegen steht den Magisträten der her- 
zoglichen Städte nur die Civilgerichtsbarkeit in vollem Umfange 
zu, während die Gerichtsbarkeit in Criminalsachen theils nur 
mit Zuziehung eines Oberhauptmanns oder Hauptmanns, theils 
von den bezüglichen Oberhauptmanns - und Hauptmannsgerichten 
mit Zuziehung einiger Magistratsglieder ausgeübt wird^^^). In 
den meisten Städten bestehen ausserdem noch Untergerichte, 
namentlich Waisen-, Voigtei-, Amts- und Wettgerichte, welche 
mit Gliedern des Magistrats besetzt sind ^^2). 



"«) Pilten'sche Statuten vom J. 1611 Th. I. Tit. 2. Pilten'sche Kegi- 
mentsformel vom Jahre 1617 § 9. 

***) Modus procedendi in Schuldsachen vom J. 1746 § 8 fgg. 

"0) Pilten'sche Statuten Th. IL Tit. 1. 

661J Vergl. überhaupt v. Ziegenhorn's Staatsrecht § 681 und das 
Instructorium des Processes Th. 1. Tit 1 § 3. 4. 

"2) Instructorium Th. I. Tit. 1 § 1. 2. 



284 



Die Parteieii und deren Stellvertreter. 

§ 101. 

Frauenzimmer und Minderjährige dürfen bei Strafe der 
Nichtigkeit nicht selbständig vor Gericht auftreten, sondern 
müssen einen kriegerischen Vormund haben ^^^). Sonst darf 
der Regel nach jeder seine Rechtssache selbst führen oder sie 
einem Stellvertreter übertragen. Als solche sind vorzugsweise 
berechtigt die Procuratoren oder Advocaten, welche vom 
Hofgericht geprüft und vom Herzog angestellt und beeidigt 
werden, und deren Zahl im herzoglichen Curland anfanglich 
auf vier beschränkt war^^*), später auf acht vermehrt wurde*^^), 
Ausser diesen Hofgerichtsadvocaten , welche vor allen Gerichten 
auftreten dürfen, giebt es noch Untergerichtsadvocaten, welche 
vor den Magisträten der Städte Rechtssachen führen dürfen ^^*). 
In dem Pilten'schen Kreise ist die Zahl der Procuratoren nicht 
beschränkt^"). — Die Advocaten sind Jedem, armen Parteien 
unentgeltlich^^"), und gegen Jeden, namentlich auch gegen den 
Herzog ^''*^), zu dienen verpflichtet ^®®). Jedoch darf Niemand 

"») Curländ. Statuten § 14. Pilt. »tat. Th. I. Tit. 2 § 17. 

"*) Curländ. Statuten § 12. 13. 

***) Commias. Decis. von 1717 ad desid. Art. 18. 

5öej Vergl. den Compositionsact vom 29. Novbr. 1642 § 14. Landtags- 
abschied vom 18. März 1645 §38. v. Ziegenhorn§ 562. 

»") Pilt. Stat. Th. I. Tit. 6 § 1. 2. 

*") Vergl. den Landtagsabschied vom 30. Septbr. 1786 § 29. 

^^*) Gommiss. Decis. von 1717 ad deaid, Art. 18. Compositionsact vom 
27. Juli 1746 § 55. 



285 



ihrer mehr als zwei in einer Rechtssache annehmen ^^^). Für 
den Fall, dass sie sich mit den Parteien über das Honorar nicht 
einigen können, ist eine Taxe festgesetzt***^). —Ihnen wird das 
Prädicat „Edel" beigelegt und sie gemessen einen vorzüglichen 
Rang unter den fürstlichen Beamten^^^). Gegen das Ende dieses 
Zeitraumes erhielten sie durch ein königlich Polnisches Diplom 
den Titel „ Justiz räthe", mit dem Prädicate: „Edelgeborne 
und Hochgelehrte" *®*). 



Zweites CapiteL 

Das gerichtliche Verfahren. 

Einleitung. 

§ 102. 

In Betreff des gerichtlichen Verfahrens galt ursprünglich 
für alle Ober- und Untergerichte, in Civil- wie in Criminal- 
sachen, als Hauptgrundsatz, dass es ein summarisches sei, und 



"•o) Ebendas. Conferentialschluss vom 22. Octbr. 1715. Compositions- 
act vom 13. Juni 1684 § 9. Landtagsabschied vom 3. April 1699 § 20 und 
vom 3. Septbr. 1718 § 21. 

»•^) Commiss. Decis. von 1717 a. a. O. 

»•«) Das. 

*«») Ebendas. 

»«*) Königl. Diplom vom 8. Juli 1786. Vergl. überhaupt das Inland. 
Jahrg. 1837 No. 11 Sp. 181 fgg. und Rieht er 's kritische Jahrbücher der 
Rechtswissenschaft Bd. I. S. 384 fgg. 



286 



dass alle Vorträge der Parteien nicht schriftlich, sondern münd- 
lich, geschehen, in die Entscheidungen der Gerichte aber die 
Hauptumstände der Sache (merita caasae) aufgenommen werden 
sollen ^®^). Indessen war es den Parteien gestattet, durch eine 
schriftliche Darstellung des streitigen Sachverhältnisses (status 
causae)^ den Richter über dasselbe in genauere Kenntniss zu 
setzen ^^^). Dieses wurde in der Folge dahin ausgelegt, dass 
zwar die Formalien des Processes mündlich vorzutragen, die 
Sachdarstellung selbst aber, der status cavsae, dem Gericht 
schriftlich zu übergeben sei, wobei sich gleichwohl die Parteien 
der möglichsten Kürze befleissigen sollten ^®'^). Auf solche Weise 
wurde das schriftliche Verfahren, welches übrigens — besonders 
wohl auch durch gesteigerten Einfluss des gemeinen Deutschen 
Rechts — schon früher in der Praxis vorzuherrschen begonnen 
hatte, seit dem ersten Viertheil des achtzehnten Jahrhunderts 



^^^) Curländ. Regimentsformel vom J. 1617 § 14: „Processus in Om- 
nibus iudiciis summarius sit, et oretenus omnla proponantur, iwn 

in scriptiSf sententiis vero iudicum merita causarum — — — inserantwr*^. 
Püten'sche Eegimentsformel von dems. Jahre § 10. Commissor. Decis. von 
1717 ad desid. No. 11. — Darüber, ob aach Oeffentlichkeit der Ver- 
handlungen stattfand, vergl. unten Anm. 607. 

**•) Curländ, Eegimentsformel § 15: „Partibus tarnen statum causae 
suae, pro informatione iudicis brevissime conscriptum, exhihere liberum eritf*. 
Commiss. Decis. von 1717 a. a. 0. 

»«^) Landtagsabschied vom 3. Septbr. 1718 § 18: „Obgleich in denen 
Decis. commiss., wie auch Form, regim., heilsamlich versehen, dass alle 
propositiones in denen Gerichten brevissime et qwidem oretenus geschehen 
sollen, dennoch aber die heutige Praxis darthut, dass mit Verlust vieler 
Zeit und zur Belästigung des Richters annoch alle Sachen ad calamum 
dictiret werden, welches daher zu kommen scheinet, dass die Secretarii 
merita causae zu notiren nicht vermögend sind ; als wird hiermit beliebet 
und festgesetzet , dass zwar die formalia processus dem Secretario ad pro- 
tocollum dictiret werden können, der status causae aber soll dem Gerichte 
schriftlich übergeben werden, worin die Ädvocati sich aller Kürze be- 
fleissigen sollen, damit kein Satz über zwei Bogren extendiret werde". 
Vergl. auch den Landtagsabschied vom 31. Juli 1733 § 19. 



287 



auch gesetzlich als das regelmässige anerkannt. Eine Ausnahme 
bildeten nur die städtischen und die Hauptmannsgerichte, bei 
welchen es meist bei dem mündlichen und summarischen Ver- 
fahren bieb^^®). 



I. 

Ordentliches Verfahren in Civilsachen. 

1. Verfahren in erster Instanz bis zum Beweise. 

§ 103. 
Die von dem Kläger erbetene Citation des Gegners wird 
diesem von dem Richter durch einen Gerichtsdiener, Ministe- 
riaP®®), oder einen zuverlässigen Deutschen Mann^'®), von den 
Stadtgerichten mündlich, Tages vor der Sitzung *'^^), von den 
Landesgerichten schriftlich, vier Wochen vor dem Termin, zu- 
gestellt, und zwar auf dem Hofe oder Gute des Vorgeladenen 
übergeben ^"^2). Die schriftliche Citation muss enthalten: Namen 
und Titel des Herzogs; des Klägers, so wie des Beklagten 
Namen, Titel und Besitzlichkeit ; Zeit und Ort der Gerichts- 
hegung; die mevita camae sammt dem Petitum; das Datum der 
Ausfertigung, das fürstliche Siegel; die Behändigung der Citation 
auf dem Gute oder in der Wohnung des Beklagten durch den 



"«) Instructorium des Curländ. Processes Th. I. Tit. 1 § 2 fgg. Tit. 5 
§ 4. Tit. 6 § 2. 

"•) Curländ. Stat. § 15. Pilt. Stat. TL L Tit. 7 § 2. 3. Commiss. 
Decis. von 1717 ad desid. Art. 10. 

"*) Instructorium Th. I, Tit. 5 §4. v. Ziegenhorn's Staatsrecht 
§ 564. 

*^*) Instructorium I, 1, 7. 

"*) Curl. Stat. § 16. Pilt. Stat. I, 7, 1. Vergl. auch das Instructo- 
rium I, 5, 4. 



288 



Ministerial oder sonstigen Boten und den Bericht des letztem 
über die erfolgte Behändigung^*^^). — Wenn der Kläger zum 
Termin nicht erscheint-, wird der Beklagte von dem Termin 
(nicht aber von der Sache) entbunden, und der Kläger nicht 
eher gehört, als bis er die dem Beklagten verursachten Kosten 
des versäumten Termins bezahlt, es sei denn, dass er Ehehaften 
nachweist ^'^*). Der Beklagte soll, wenn er im ersten Termin 
ungehorsam ausgeblieben, zum Beweise seiner Ehehaften zuge- 
lassen, wenn er aber auch im zweiten nicht erschienen, für 
tiberführt und sachfällig angesehen werden , wenn er auch um 
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Beseitigung des 
früheren Erkenntnisses bitten sollte, es sei denn, dass er binnen 
sechs Monaten gesetzliche Ehehaften nachweist und eidlich be- 
kräftigt 575). 

Auf die Klage muss der Beklagte alle etwanigen Ein- 
reden, die declinatorischen und dilatorischen, wie die perem- 
torischen, im ersten Termin auf einmal vorbringen 5'^®); der 
Kläger hat sie zu „refutiren", worauf der Beklagte sie „salvirt", 



"^) Landtagsabschied vom 14. März 1669 § 22. Instructorium I, 2, 84. 

»'*) Curländ. Stat. § 19. Pili Stat. I, 11, 1. 13. 

»") Curländ. Stat. § 20. Pilt. Stat. I, 11, 2. Instructorium I, 1, U 
bis 18. 5, 6. 

"«) Curländ. Stat. § 21. Pilt. Stat. I, 10. Commiss. Decis. von 1717 
ad desid, Art. 11: „CVw quoque § stat. 21, quo omnes declinatoriae , dUa- 
toriae et peremtoriae exceptiones in primo termino proponi — — deherU, 
desuetudine plane adumhratus slt, et dum partes omnes exceptiones seorsim 

opponunt — hoc modo terminus exceptione unica eludatur et Utes in 

infinitum protrahantur ; idcirco renovando legem oblitieratam optimam et in 
aliis (rermaniae provinciis usitatissimam , quatenus omnes exceptiones com- 
patihüeSy et quidem prima vice declinatoriae , secunda dilatoriae et tertia 
peremtoriae , in primo termino Simul öpponantur etc." Das Instructorium I, 
1 , 19 bezeugt übrigens , dass die Praxis fortdauernd diese Bestimmung 
unbeachtet Hess. 



289 



der Kläger „schliesslich verfährt"^"). Ist sodann über die Ein- 
reden erkannt, und dadurch die Sache nicht erledigt, so wird 
dem Beklagten aufgegeben, sich direct auf die Klage zu er- 
klären. Ist diese Erklärung eine ganz oder zum Theil ver- 
neinende, so kann der Kläger sofort um die Anberaumung eines 
Beweistermins bitten. Ihm steht aber auch frei, zuvor auf die 
Erklärung zu repliciren, und erst nachdem der Beklagte dupli- 
cirt, um die Ansetzung des Beweistermins nachzusuchen; der 
Beklagte kann ebenso sich einen Termin zur Führung des Gegen- 
beweises erbitten 5'^). Die Termine zu jedem Verfahren werden 
von dem Richter angeordnet. 

Wer nicht im Herzogthum^'^®) besitzlich ist, muss dem 
Gegner, auf Verlangen, und zwar der Kläger wegen Schäden 
und Kosten, der Beklagte wegen Erscheinung vor Gericht und 
Erfüllung des Urtheiles, Gaution leisten^®®). 



2. Beweis. — Sohlussverfahren. 
§ 104. 

Bitten die Parteien nach der Erklärung oder nach 'der 
Duplik um einen Beweis- und bezw. GegenbeWeistermin , so wird 
ihnen solcher auf vier Wochen anberaumt, welche Frist, ohne 
die dringendsten Ursachen, nicht erweitert werden darf^®.^). 

Urkunden, deren der Kläger sich zum Beweise bedienen 
will, muss er schon bei der Klage, und spätestens bei der 



*'') Instructorium I, 1, 19. 

»") Das. § 30. Pili Stat. I, 12. 14, 1. 

*'•) Commissor. Decis. von 1717 ad desid, Art. 22. 

"<>) Curl. Stat § 10. 18. Pilt. Stat. I, 9. 

*") Curl. Stat. § 27. Vergl. Püt. Stat. I, 14, 1. Instructorium I, 
1 , 31 fgg. 

Bunge, Gheschiohte des Gerichtswesens. 19 



290 



Replik, im Original beibringen *^^). Wer sich später — na- 
mentlich auch nach Beendigung des Processes — auf neu auf- 
gefundene Urkunden beruft, muss eidlich erhärten, dass er sie 
früher nicht gekannt habe und an dieser Unkenntniss unschuldig 
sei ^®^). 

Der Zeugenbeweis wird durch Stellung förmlicher Be- 
weisartikel geführt und dem Gegner dabei die Formirung von 
Fragstücken, so wie die Einwendung von Einreden gegen die 
Zeugen und deren Aussagen, gestattet ^^*). Zwei Zeugen bilden 
einen vollkommenen Beweis^®^). Die Aussagen der Zeugen sollen 
übrigens den Parteien nicht eröffnet, sondern nur vom Richter 
bei der Urtheilsfallung berücksichtigt werden *®^a). — Wenn die 
Aussagen der Zeugen einander widersprechen, so ist — nach 
den Pilten'schen Statuten — eher der Beklagte zum Reinigungs- 
eide, als der Kläger zum Ergänzungseide zugelassen ^^®). 

Der freiwillige oder zugeschobene Eid ist nur ein sub- 
sidiarisches, in Ermangelung anderer Beweise anzuwendendes 
Beweismittel ^®''), und kann auch von dem Procurator, wenn 
dieser namentlich dazu ermächtigt ist, in die Seele seines Prin- 



"2) Curl. Stat. § 21. 27. Instructorium I, 1, 10. 2, 36. 5, 4 u. a. 

"3) Curl. Stat. § 31. 

58*) Das. § 27 fgg. Püt. Stat. I, 14. Commiss. Decis. von 1717 ad 
desid, Art. 23. Instructorium I, 1, 33 fgg. 2, 43. 

"») Püt. Stat. I, 14, 6. 

*"*a) Curl. Stat § 29. Vergl. darüber Schmidt in der Dorpater 
Zeitschrift lU, 235. Diese eigenthümliche Bestimmung soll dadurch veran- 
lasst worden sein , dass in mehreren Fällen das Bekanntwerden der Zeugen- 
aussagen zu blutigen Conflicten zwischen den Parteien und den Zeugen 
geführt hat. 

"«) Püt. Stat. I, 14, 9. 

"') Curländ. Stat. § 23: ,yÄctorj si prohationibus destituatuTf 
poterit reo iuramentum super actione intentata deferre etc,^ 



291 



cipals geschworen werden ^^^). Derjenige, welcher dem Gegner 
den Eid zuschiebt, muss zuvor selbst den Eid für Gefährde 
leisten 5®®). 

Nach geschlossenem Beweisverfahren wird — besonders wenn 
schon vorher replicirt und duplicirt worden — jedem der beiden 
Theile noch die Einreichung einer Deduction (status cattsae) 
gestattet ^*^). Wenn sodann, nach Vortrag der Actön, das 
Urtheil gefallt und den Parteien eröffnet worden ^'^j, dürfen 
diese binnen drei Tagen um eine Erklärung etwaniger Dunkel« 
heiten des Erkenntnisses bitten ^^^). 



3. Appellation. 

§ 105. 

Von den städtischen Untergerichten wird an den Magistrat, 
von diesem, wie von den Hauptmanns- und Oberhauptmanns- 
gerichten, und ebenso von den Commissionen, an das Hofgericht 
appellirt, und zwar^ muss die Appellation binnen zehn Tagen 
angemeldet werden ^®^). Die Magisträte entscheiden indess in 
Sachen bis zum Betrage von zwanzig Thalern inappellabel^®*). 
Ausserdem ist die Appellation überhaupt ausgeschlossen von 



"«) Das. § 26. 

"») Das. § 23. 

'•®) Instructorium 1 , 1 , 42. 

^) Pilt. Stat. I, 16, 1. Vergl. die Curländ. Regimentsformel § 14. 

*) Curl. Stat. § 32: Pilt. Stat. I, 16, 3. 

*"'») Curländ. Regimentsformel § 9. Commissor. Decis. von 1717 (id 
desid. Art. 28. Instructorium Th. I. Tit. 1 § 43. Tit. 2 § 1. Tit. 6 § 2. 

^^*) Mitau'sche Polizeiordnung vom 5. September 1606 Tit. 1 § 15. 
Instructorium Th. I. Tit. 1 § 43. 

19* 



b9V 
692) 



292 



Nebenurtheilen***), in Executionssachen***) und in Spolien- 
sachen^*'^. — Die angemeldete Appellation muss spätestens 
Tor der dritten Hofgerichtsjoridik , von der Eröffiiong des Ur- 
theils an gerechnet, beim Hofgericht durch Rechtfertigung der 
Appellation weiter verfolgt werden**®). In der Appellations- 
instanz hat jeder Theil zwei Schriftsätze einzureichen *••). 

Gegen Urtheile des Hofgerichts darf nur in Rechtssachen, 
welche mehr als sechshundert Gulden oder die Ehre betreffen, 
an die königlichen Relationsgerichte appellirt werden, welche in 
den Monaten März und October in Warschau gehegt werden**®). 
Diese Appellation, zu welcher nur Edelleute**^), und Advocaten 
in ihren eigenen Sachen **2), nicht aber Bürgerliche*®'), zuge- 
lassen werden, muss binnen zehn Tagen angemeldet und binnen 
Jahresfrist gerechtfertigt werden*®*).: 



**'^) Gommissor. Decis. von 1717 ad desid. Art. 11. Compositionsact 
vom 27. Jtdi 1746 § 52. 

***) Gurländ. Begimentsformel § 24. Landtagsabschied vom 3. April 
1699 § 30. 

**^) Landtagsabschied v. 20. Juli 1638 § 31. Gommissor. Deds. von 
1717 ad desid. Art. 14. 

•»*) Instructorium des Curl. Processes I, 1, 47. 

^*^) lieber das Verfahren in der Appellationsinstanz ül^erhaupt s. das 
Listmctorium I, 2. § 2 fgg. 

•••) Gurländ. Regimentsformel § 10. v. Ziegenhorn's Staatsrecht 
§ 329. 330. 335. 

••*) Subjectionspacten vom 28. Novbr. 1561 Art 6. Privil. Sigismund 
Augusts von dems. Datum Art 4. Polnische Beichsconstitution vom Jahre 
1768, Abschn. von den Grundgesetzen. Grundges. 15 § 7. 

*®') Gommissor. Decis. von 1717 ad desid. Art 18. Beichsconstitution' 
vom J. 1768 a. a. 0. 

*<>*) Landtagsabschied vom 20. Juli 1638 § 21. Yergl. auch die in 
den Anm. 601 und 602 angeführten Gesetze. 

••*) Instructorium I, 2, 19. 20. 



293 



Bei jeder Appellation ist der Appellant, wenn er nicht be- 
sitzlich ist, zur Cautionsleistung verpflichtet*®^). 

Andere Rechtsmittel gegen Endurtheile eines Gerichts, ausser 
der Appellation, sind durchaus unzulässig ®®®). Ist jedoch die 
Appellation dem Appellanten von dem Richter, wider dessen 
Urtheil sie angemeldet ist, nicht nachgegeben worden, so darf 
der Appellant des Rechtsmittels der ausserordentlichen 
Appellation sich bedienen. Dieses muss jedoch auf der 
Stelle vor den Gerichtsschranken mündlich verlautbart, und 
„der Umstand" ®®'') zu Zeugen darüber aufgerufen werden. So- 
dann muss der Appellant innerhalb zehn Tagen über die erfolgte 
Anmeldung der ausserordlichen Appellation vor einem öffent- 
lichen Notar ein Instrument aufuehmen lassen*®®). 



Ausserordentliches Verfialiren in Civilsachen. 

§ 106. 

Im Gegensatz zu dem formellen Civilprocess , wie er in den 
§§ 103 — 105 geschildert worden, lässt sich auch in Curland 

1. ein unbestimmter summarischer Process unter- 
scheiden, nach welchem besonders in den städtischen Unter- 



««») Curland. Stat. § 33. 

«0«) Curland. Eegimentsformel § 18. 

*®'Q Aus der Erwähnung des „Umstandes" ergiebt sich, dass die 
gerichtlichen Verhandlungen, zum Theil wenigstens, öffentliche waren. 
Wahrscheinlich beschränkte sich jedoch diese Oeffentlichkeit nur auf die 
Gerichtssitzungen, in welchen die Erkenntnisse den Parteien eröffiiet wur- 
den, da sonst nirgends eine Spur davon vorkommt. 

••*) Instructorium I, 1, 46. 2, 23. 



294 



gerichten, so wie in den Hauptmannsgerichten, geringfügige oder 
keinen Aufschub leidende Sachen mündlich verhandelt werden, 
und wobei namentlich das formelle Beweisverfahren wegfallt*®*). 
Hierher gehört auch das Gastrecht, nach welchem in Sachen 
Adeliger wider städtische Bürger, und umgekehrt, verfahren 
wird «!<>). 

2. Der Executivprocess hat Statt bei Forderungen aus 
rechtskräftigen Urtheilen und anderen unanstreitbaren Urkunden 
(mstrumenta liquida et gtuirentigiata). Bei rechtskräftigen Ur- 
theilen sollte, nach den Curländischen Statuten, wenn die Klage 
eine persönliche war, der Schuldner, falls er binnen einem 
Monat dem Urtheile nicht Genüge leistet, zu einer Geldstrafe 
verurtheilt werden, welche, wenn die Erfüllung auch im zweiten 
Monate nicht erfolgt, gesteigert wird; kommt der Schuldner 
auch im dritten Monate seiner Verpflichtung nicht nach, so 
wird er in die Acht erklärt, und der gewinnende Theil hat das 
Recht, mit Beistand des Richters, die Güter seines Gegners in 
Besitz zu nehmen und sich daraus vollständig zu befriedigen*^^). 
War die Klage eine dingliche, so wird, wenn der unterlegene 
Theil das Urtheil binnen einem Monat nicht erfüllt, der Sieger 
durch richterliche Hülfe in den Besitz der ihm zuerkannten Sache 
eingewiesen *^2). — Die für den ersten Fall angeordnete Achts- 
erklärung scheint indess in Civilsachen schon früh unpractisch 
geworden zu sein; wenigstens wird ihrer in späteren Rechts- 
quellen gar nicht weiter gedacht. Vielmehr wurden bereits im 
Jahre 1684 andere, den Zeitverhältnissen angemessenere Maass* 



«<»») Tnstructorium I, 1, 2 fgg. 6,2. 

•") Compositionsact vom 29. Novbr. 1642 § 36. Landtagsabschied 
vom 5. Angost 1662 § 22. 

•") Curl. Stat. § 41. 

«»*) Das. § 42. 



295 



regeln angeordnet •^^), und insbesondere durch die commisso- 
rialischen Decisionen vom Jahre 1717 der Executivprocess in 
der Weise festgestellt, wie er noch gegenwärtig in Curland 
practisch ist®^*). Für den Pilten'schen Kreis wurde im Jahre 
1746 ein besonderes Gesetz erlassen, dessen Bestimmungen mit 
denen der eben genannten commissorialischen Decisionen im 
Wesentlichen übereinstimmend sind*^^). 

3. Der Arrestprocess ist nur zulässig gegen unbesitz- 
liche flüchtige oder der Flucht verdächtige Schuldner, desgleichen 
gegen Fremde, welche sich im Lande durch Verträge ver- 
pflichtet ^^^). Der Kläger muss, um den Arrest zu erwirken, 
sein Recht, und dass der Schuldner in einer der obigen Kate- 
gorien sei, oder dass derselbe mit der streitigen Sache übel 
umgehe, in der Kürze nachweisen ®^'^). Sodann muss er seiner 
Klage binnen vier Wochen weitern Verfolg geben, widrigenfalls 
der Arrest des Schuldners oder die Sequestrirung der bean- 
spruchten Sache vom Gericht wieder gehoben wird^^®). 

4 Für den Fall von Besitzstörungen -oder von Ent- 
setzung aus dem Besitz ordnete schon das ältere Recht ein 
möglichst summarisches Verfahren an®^®). Auf die Klage des 
Spoliirten sollte von dem Richter sofort ein Termin angesetzt, 
und der Spoliirte, sobald er nachgewiesen, dass er im Besitz 



«1») Landtagsabschied vom 8. Juli 1684 § 8. 

•") Commissor. Decis. von 1717 ad desid, Art. 13. Instructorium 
Th. n. Cap. 1. 

•") Modus procedendi in liquiden Schuldsachen für den Pilten'schen 
Kreis vom 23. August 1746. 

«1«) Curländ. Stat. § 34. 

"•') Das. § 37. 

«'«) Das. § 36. 

«*») Landtagsabschied vom 31. August 1618 § 13. 



296 



der Sache gewesen und daraus entsetzt worden, ohne Weiteres 
wieder restituirt werden, der Gegner mochte sich zum Termin 
gestellt haben oder nicht. Weder die Appellation des Beklag- 
ten®^®), noch die Intervention eines Dritten, soll die Restitution 
aufhalten® 2^). Bei Festhaltung dieser Grundsätze wurde durch 
die commissorialischen Decisionen vom Jahre 1717 der sog. 
Restitutionsprocess näher festgestellt. Darnach muss bei 
Immobilien der Kläger nachweisen, dass er mindestens sechs 
Wochen im ruhigen Besitz gewesen; auch das Restitutionsgesuch 
binnen Jahresfrist, bei Verlust seines Rechts, übergeben ^2^). 
Damit im Wesentlichen übereinstimmend ist das im Jahre 1756 
für den Pilten'schen Kreis erlassene Gesetz über denselben Gegen- 
stand®^^). 

5. Obgleich über dec materiellen Gläubigerconcurs , na- 
mentlich über die Classification der Gläubiger, die wesentlichsten 
Bestimmungen bereits in den Statuten vom Jahre 1617 enthalten 
sind®^*), so wurde doch das Concursver fahren erst durch 
die commissorialischen Decisionen vom Jahre 1717 gesetzlich 
geregelt® 2^), und zwar in der Weise, wie es noch heut zu Tage 
gestaltet ist®^®). 



«20) Compositionsact vom 29. Novbr. 1642 § 26 und 27 und vom 13. 
Juni 1684 § 10. Landtagsabschied vom 10. Juli 1638 § 31 und vom 14. 
März 1669 § 24. 

«**) Landtagsabschied vom 8. Juli 1684 § 9 und vom 23. August 
1692 § 19. 

«") Commissor. Decis. von 1717 ad desid. Art. 14. S. auch das In- 
structorium Th. II. Cap. 9. 

•*') Modus procedendi in Eestitutionssachen vom 30. Novbr. 1756. 

«") Curländ. Statuten § 39. Vergl. auch § 44. 

•*•) Commissoria!. Decisionen von 1717 ad desid. Art. 13 § 4. 5. 

•«•) Instructorium Th. II. Cap. 7 und 8. 



297 



6. Der sog. Provocationsprocess findet auch in den 
Curländischen Gesetzen seine Bestätigung®^'), ohne dass die 
Gesetzgebung ihn näher feststellte, daher für ihn die Be- 
stimmungen des gemeinen Deutschen Rechts gelten. 

7. Für das Verfahren in Läuflingsforderungs- 
sachen wurde zunächst der Grundsatz festgestellt, dass der 
Erbherr den entlaufenen Leibeigenen innerhalb vierundzwanzig 
Stunden nach der Entweichung überall, auch auf fremdem Grund 
und Boden, eigenmächtig greifen und zurückbringen darf®^®). 
Nach Ablauf dieser Zeit aber muss er sich, wenn der Läufling 
nicht gutwillig ausgeliefert wird, mit seiner Forderungsklage an 
den zuständigen Richter® 2®) wenden, welcher demjenigen, unter 
dessen Gute der Läufling sich befindet, aufgiebt, letztern vor 
Gericht zu stellen, woselbst die Sache im summarischen Process 
zu verhandeln ist®^^). Nach dem älteren Rechte war die For- 



«*'') Curl. Stat. § 11: „Si quis alterum su^er dehito aut crimine 

diffamaverit aut traduxerü, ei, qui diffamatus fuit, liberum sit, diffamatorem 
ad suum forum dtare atque pertrahere, suh poena perpetui silentüf si citatus 
non steteriif^. 

•**) Curländ. Stat. § 61 : „Licitum unicuique erit, fugitivum suum, in 
alter ius territorio deprehensum, prehendere, ibidemque domino dlterius terri- 
torii sistere ad repetendum. Invito autem eius territorii domino eum äbducere 
non debet, sub amissione iuris, sibi in fugitivum competentis, excepto casu, 
si quis fugitivum suum in continenti, hoc est spatio viginti quatuor hora- 
rum, insequatur, tunc enim fugitivum suum in fuga deprehensum etiam ex 
alteriits territorio domum redu>cere impune poterilf^. Uebereinstimmend sind 
die Pilten'schen Statuten II, 1, 12. 13. 

•*•) Dieser ist, wenn der Läufling sich auf einer herzoglichen Domäne 
aufhält, der bezügliche Hauptmann, wenn auf einem adeligen Gute, der 
Oberhauptmann. Landtagsabschiede vom 20. Juli 1638 § 19, vom 13. Juni 
1684 § 14 , vom 8. Juli 1684 § 16. 

680) Vergl. Curl. Stat. § 54. Commiss. Decis. von 1717 ad desid. Art. 16. 
Pilt. Stat. II, 1. 2, und besonders das Instructorium Th. II. Cap. 11. von 
Ziegenhorn's Staatsrecht § 662. 



298 



derungsklage keiner Verjährung unterworfen*^^) und ging ver- 
loren , wenn der Erbherr seine Erbbauern in Zeiten der Hungers- 
noth verlassen und dadurch zum Entweichen veranlasst hatte*^^). 
Letzteres wurde durch die commissorialischen Decisionen vom 
Jahre 1717 ganz aufgehoben *^^) ; die unvordenkliche oder hun- 
dertjährige Verjährung aber auch auf entlaufene Erbbauem 
.ausgedehnt *^*). 

HI. 

Verfahren in Criminalsachen. 

1. Verschiedene Formen des Verfahrens. 

§ 107. 

Im Criminalprocesse hat sich in Curland von dem alten 
Rechte schon insofern mehr erhalten, als daselbst das Anklage- 
verfahren die Regel bildet, der inquisitorische Process dagegen 
nur ausnahmsweise in Criminalsachen der Bauern und anderer 
Personen niedem Standes statthat®^^). Gegen Edelleute, Beamte, 
Litteraten und städtische Bürger dagegen erhebt in Criminal- 
sachen entweder der Verletzte, oder — namentlich wenn es 
öfifentliche Verbrechen sind — der Fiscal eine förmliche An- 
klage®^*). Ja, es darf, wenn die Betheiligten über Privatver- 



•") Curl. Stat. § 53. Vergl. dagegen die Pili. Stat. H , 1 , 1. 

•'*) Curl. Stat. § 61 , a : „Qui tempore famis homines suos propnos 
desertterit ilUque se alio receperint, omni iure pristino, quod in eos hdbuit, 
privari debehit^^. Dieser § gehört zu denjenigen, welche nur in dem 
von der Polnischen Commission dem Herzoge übergebenen Exemplar der 
Statuten gestanden haben sollen, in dem der Ritterschaft zugestellten aber 
fehlten. S. darüber v. Ziegenhorn a. a. 0. 

•*') Commiss. Decis. von 1717 ad grav. Art. 20. 21. 

«"*) Ebendas. ad desid, Art. 16. 

•**) Landtagsabschied vom 11. Septbr. 1786 § 26. Instructorium I, 
5, 11. 6, 3. V. Ziegenhorn § 545. 



299 



brechen sich vergleichen, weder der Fiscal, noch der Richter, 
amtlich gegen den Verbrecher einschreiten, und nur ein Ver- 
gleich über öffentliche Verbrechen schliesst die Anklage des 
Fiscals nicht aus®^'^). — Edelleute dürfen, wenn sie ein Ver- 
brechen begangen, nur auf frischer That, innerhalb vierund- 
zwanzig Stunden, ausserdem aber nur nach gefälltem richter- 
lichen Erkenntniss gefänglich eingezogen werden ^^*^). 

Nur über das Anklageverfahren enthalten die einheimischen 
Gesetze genauere Bestimmungen (§ 108); das inquisitorische 
bildete sich in der Praxis nach den Grundsätzen des gemeinen 
Deutschen Rechts aus. 




2. Das Anklageverfahren insbesondere. 

§ 108. 

Das Anklageverfahren richtet sich im Ganzen nach 
den Bestimmungen über das Verfahren in Givilsachen, und 
weicht von letzterem nur in nachstehenden Momenten ab: 

1. Der Citat muss in Person erscheinen, und darf nicht 
durch einen Bevollmächtigten sich vertreten lassen ^^^). 

2. Ist der Verbrecher entflohen , so wird eine Edictalcitation 
erlassen, welche mindestens vier Wochen vor dem Termin an 
den Kirchenthüren angeschlagen wird^*^). 



*'*•) Commissor. Decis. vom J. 1642 § 45. Landtagsabschied vom 20. 
Juli 1638 § 30, vom 14. März 1669 § 8, vom 27. Juli 1746 § 74. Instructo- 
rium I, 3, 1. 5, 2. 9. v. Ziegen hörn a. a. 0. 

*'■') Compositionsact vom 29. Novbr. 1642 § 45. Vergl. den Landtags- 
abschied vom 13. Juni 1684 § 8. 

«•*) Commissor. Decis. vom Jahre 1717 ad grav, Art. 8. Landtags- 
abschied vom 19. Juni 1763 § 28. Pilt. Stat. IV, 18. 

«") Instructorium I, 3, 3. 8. 
•*») Das. § 4. 5. 



300 



3. Erscheint der citirte Verbrecher nicht, so wird er im 
ersten Termin in die Unteracht, im zweiten in die Ober- 
acht verurtheilt **^). Wenn er von dem letzten Termin an 
gerechnet nicht binnen sechs Wochen sich stellt und gesetzliche 
Hindemisse nachweist, wird er auf Antrag des Anklägers zum 
dritten Termin vorgeladen, und versäumt er auch diesen, so 
wird die Oberacht bestätigt und der Angeklagte als überführt 
angesehen und verurtheilt ®*^). Die Wirkungen der Acht be- 
stehen darin, dass Jeder an der Person und dem Vermögen des 
Geächteten sich ungestraft vergreifen darf®*^), dass Niemand 
ihn beherbergen, ihm Lebensmittel, Kleidung oder andere Be- 
dürfnisse reichen darf, ohne derselben Strafe zu untergehen, 
welche den Geächteten trifift***). Ohne Genehmigung des Ver- 
letzten oder anderweitiger Interessenten darf der Geächtete auch 
durch den Herzog nicht von der Acht befreit werden**^), und 
dürfen Uebelthäter selbst vom Könige keine Schutz- oder Ge- 
leitsbriefe erhalten ^*^). 

4. Unter den Beweismitteln sind die Eidesdelation und der 
Ergänzungseid ausgeschlossen®*'^). 

5. Verhaftete Verbrecher dürfen , wenn auf dem Verbrechen 
Leibes- oder Lebensstrafe steht, auch gegen Caution nicht auf 
freien Fuss gestellt werden®*^). 



«") Curländ. Stat. § 4 und 46. 

«") Ebendas. und Instructorium 1 , 3 , 8 — 12. 

«"J Curländ. Stat. § 46. 

«**) Das. § 49. 

•") Das. § 48. 

•*•) Curländ. Regimentsformel § 20. 21. 

•*') Bericht des Curländischen Oberhofgerichts vom Jahre 1805. Vergl. 
Neander's Auszug aus den Manifesten etc. Forts. II. S. 15. 

•") Landtagsabschied vom 20. August 1692 § 14. 



301 



6. Edelleute können gegen Erkenntnisse in Criminalsachen 
appelliren®*®), falls sie nicht wegen nachstehend genannter Ver- 
brechen angeklagt sind: Einbruch (mvasio), Spolium, Brand- 
stiftung, Gewalt, Nothzucht (defloratlo), Entführung, Raub, 
absichtliche und hinterlistige Tödtung*^^). 

7. In schwereren Criminalsachen kann der Herzog die 
Acten einfordern, und die Bestätigung des Urtheils sich vor- 
behalten ^^^), wie ihm denn auch das Begnadigungsrecht zu- 
steht «^2). 



•*») Curländ. Eegimentsformel § 16. 

«»«>) Das. § 17. 

•**) Landtagsabschied vom 14. März 1669 § 37: „Wenn wichtige Cri- 
minalsachen vorfallen, können Wir es nicht ändern, dass zu besserer 
Untersuchung derselben Wir die Protocolle einholen lassen, wie Wir daün 
solches hinfüro gleicher Gestalt zu halten nicht unterlassen können, doch 
wollen Wir dergleichen Sachen beschleunigen*^ Schon früher hatte der 
Herzog dieses Eecht in Betreff der von den Hauptmännern verurtheilten 
fürstlichen Reuter sich vorbehalten. Landtagsabschied vom 5. August 1662 
§ 18. Als in der Folge der Herzog Ferdinand, während er ausserhalb 
Landes, in Danzig, residirte, die Einsendung aller Urtheile vor ihrer 
Publication nach Danzig verlangte (Commissor. Decis. von 1717 ad grav, 
addit. Art. 1) , wurde auf Antrag des Adels von der Commission {ad desid, 
Art. 7) verordnet: „Ne capitanei maiores et minores decreta et sententias 
suas ante publicationem ad üluatrissimum principem pro confirmatione trans- 
mittant etc.^^ Wiewohl dieser Verordnung, welche durch die damaligen 
Ausnahmeverhältnisse veranlasst und begründet war, nur eine vorüber- 
gehende Wirksamkeit zugeschrieben werden dürfte, wurde sie doch in der 
Folge als eine peremtorische angesehen. Yergl. v. Ziegenhorn § 545, 
welcher übrigens zu weit geht, wenn er für den Herzog auch das Recht 
in Anspruch nimmt, die Urtheile „abzuändern". Eine solche Befugniss 
kann auch aus dem Begnadigungsrechte nicht hergeleitet werden. 

•**) Polnische Reichstagsconstitution vom Jahre 1768, Abschn. von den 
Grundgesetzen. Grundgesetz 15 § 4: „— — da auch gedachter Durch- 
lauchtigster Herzog das Recht zu aggratiiren in den Herzogthümem Cur- 
länd und Semgallen hat, so soll ihm jederzeit freistehen, sich desselben 
vorkommenden Falles zu bedienen, jedoch ohne Nachtheil des Dritten". 



> < ^» ■ • 



302 



Dritter Absclinitt. 

Veränderimgeii in dem Gerichtswesen und Ge- 
richtsyerfahren wähi^end der Russischen 

Regierung. 



Einleitung. 

§ 109. 

Bei der Darstellung des Processes in der der Russischen 
Herrschaft unmittelbar vorausgehenden Zeit ist überall ange- 
geben worden, dass sich das Gerichtswesen und Gerichtsver- 
fahren schon vor der Unterwerfung der einzelnen Provinzen und 
Städte unter den Russischen Scepter im Wesentlichen zu der 
Stufe herangebildet hatte, auf welcher sie gegenwärtig stehen. 
Es wurden nämlich bei der Unterwerfung die derzeitigen Rechts- 
zustände einfach bestätigt^), und bis zum Jahre 1783 erfuhr 
das Gerichtsverfahren fast gar keine, die Gerichtsverfassui^ 
nur wenige, nicht sehr wesentliche Modificationen^). In den 
Jahren 1783 und 1786 wurden zwar an Stelle der bisherigen 



*) S. die Capitulationen vom 4. Juli und 29. September 1710, und 
vergl. V. Bunge 's Einleitung in die Rechtsgeschichte § 99. 

2) S. unten § 110. 



303 



Gerichte, auf Grundlage der für das ganze Beich erlassenen 
Statthalterschafts- oder Gouvernements-Verordnung 
vom 7. November 1775, in Liv- und Estland, und im Jahre 
1795 auch in Curland, neue Bichterstühle eingesetzt^); allein 
bereits im Jahre 1790 erfolgte die Wiederherstellung der alten 
Behörden*), deren Organisation in dem ersten Theile des am 
1. Juli 1845 Allerhöchst bestätigten .,Provincialrechts der 
Ostseegouvernements", eine auf das derzeit bestehende 
Recht gegründete, feste Gestaltung gewann^). Schon früher 
hatte die Aufhebung der Leibeigenschaft in den Jahren 1816 
bis 1819 die Errichtung einer ganzen Reihe neuer Justizbe- 
hörden für den Bauerstand im Gefolge gehabt®). 

Die im Jahre 1864 für das Russische Reich ins Werk ge- 
setzte Justizreform"^) berührte ursprünglich die Ostseepro- 
vinzen nicht. Zwar wurde die Ausdehnung dieser Reform auch 
auf Liv-, Est- und Curland, unter den entsprechenden Modifi- 
cationen, in Aussicht genommen®), allein bis jetzt ist es bei 
blossen Entwürfen geblieben. 

Da die meisten und wichtigsten Neuerungen in diesem Zeit- 
räume alle drei Provinzen gleichmässig betroffen haben, so ist 
eine .vereinte Darstellung derselben, zur Vermeidung von Wie- 



») AUerhöchste Befehle (Ukasen) vom 3. Juli 1783 und vom 23. Oc- 
tober 1795. S. unten § 111. 

*) Desgleichen vom 28. November und 24. December 1796. 

*) Desgleichen vom 1. Juli 1845. S. überhaupt v. Bunge a. a. 0. 
§ 110—113. 

«) V. Bunge 's Einleitung § 114—116. 

'^) S. die am 20. November 1864 Allerhöchst bestätigten „Gerichtsord- 
nungen". In Deutscher Uebersetzung : St. Petersburg, 1868. 8. 

^) Allerhöchster Befehl vom 11. Januar 1865. Yergl. auch schon das 
Allerhöchst bestätigte Gutachten des Beichsraths vom 29. September 1862 
Punkt 8, so wie den Allerhöchsten Befehl vom 23. Februar 1867. 



304 



derholungen, geboten. Weil übrigens eine ausführlichere Dar- 
legung des neuesten und gegenwärtigen Rechtszustandes nicht 
zu den Zielen eines rechtsgeschichtlichen Werkes gehört, so wird 
an dieser Stelle eine kurze Andeutung der einzelnen wichtigeren 
Veränderungen und demnächst eine Verweisung auf die bezüg- 
lichen Gesetze genügen. 



Erstes CapiteL 

Veränderungen in dem Gerichtswesen*). 

I. 
Bis zum Jahre 1783. 

§ 110. 

Bei der Unterwerfung Liv- und Estlands an das Russische 
Reich, im Jahre 1710, wurden nicht nur sämmtliche Gerichts- 
hehörden des Landes und der Städte, wie sie am Schlüsse des 
vorhergehenden Zeitraumes bestanden hatten, bestätigt ^^), son- 
dern auch bald darauf in Livland die im Jahre 1694 aufge- 



*) S. überhaupt die Geschichtliche Ueb ersieht des Provincialrechts in 
den Ostseegouvemements Th. ü. (St. Petersburg, 1845. 8.) S. 38 fgg., 
45 fgg., 59 fg., 62. 

*•) Gapitulation der Livländischen Ritterschaft vom 4. Juli 1710 , be- 
sonders Art. 9, der Stadt Riga von demselben Tage, Art. 9, universal 
Kaiser Peters I. vom 16. August 1710, Gapitulation der EsÜändisdien Rit- 
terschaft vom 29. Septbr. 1710 und der Stadt Reval von demselben Tage. 
AUerh. Befehl vom 31. Mai 1726. 



305 



hobenen (§ 80) Ordnungsgerichte wiederhergestellt. An die 
Stelle des königlichen Hofgerichts zu Stockholm trat als Ap- 
pellations- und ßevisionsinstanz für das Livländische Hofgericht 
und das Estländische Oberlandgericht das im Jahre 1718 von 
Kaiser Peter dem Grossen errichtete Justizcollegium der 
Liv- und Estländischen Sachen in St. Petersburgs^), 
welches wiederum dem dirigirenden Senate untergeordnet war^^). 

Wie in Livland das Oberconsistorium dem Hofgerichte s^), 
so wurde auch das Estländische Consistorium dem Ober- 
landgerichte untergeben s*). 

Durch einen Landtagsschluss vom Jahre 1724 wurde das 
Estländische Niederlandgericht zugleich zum Landwaisen- 
gericht constituirt und auch als solches dem Oberlandgericht 
subordinirt^^). 

Der Rigische sowohl, als der Reval'sche Rath, wurden in 
Rechtssachen Anfangs dem Hauptmagistrat, im Jahre 1739 aber 
dem Justizcollegium der Liv- und Estländischen Sachen, als 
Appellationsinstanz, unterstellt s"). Das Burggrafenamt in Riga 
wurde zwar bei der Unterwerfung der Stadt bestätigt s''), allein 
bald darauf, auf Bitte des Livländischen Adels, aufgehoben, AiVt? 
und, trotz wiederholten Vorstellungen des Rathes, nicht wieder- 



") Senats -Befehle vom 19. August 1737 und vom 12. Juni 1739. 
Allerh. Befehl vom 23. November 1739. 

") Allerh. Resolution auf die Vorstellung des Senats vom 12. Sep- 
tember 1737. 

^«) S. oben S. 231 Anm. 276. Vergl. die Resolution des JustizcoUe- 
giums vom 17. Januar 1739. 

^*) Allerhöchste Resolution vom 24. September 1722. 

*•*) S. die Land Waisengerichtsordnung vom Jahre 1724 in Ewers' 
Ausgabe des. Ritter- und Landrechts S. 607 fgg. 

^«) Geschichtliche üebersicht etc. S. 46 und 62. 

") Capitulation der Stadt Riga vom 4. JuH 1710 Art. 9. 

Bunge, Gesohiohte des GerichtsweBens. 20 



306 



hergestellt^^). — Für Polizeisachen wurde im Jahre 1713 ein 
besonderer Rigischer Oberinspector und Präsident des Rathes 
ernannt; allein bereits im Jahre 1739 wurde dieses Amt wieder 
aufgehoben, indem dessen Obliegenheiten theils der Gouveme- 
mentsobrigkeit , theils dem Rathe übertragen wurden^®). — Der 
Versuch, das Amt eines Justizbürgermeisters in Reval (§ 62) 
wieder einzuführen, wurde von dem dirigirenden Senate zurück- 
gewiesen'^®). 



IL 
Einführung der Statthalterschaftsver£assung^^). 

§ m. 

Im Jahre 1783 wurden die Provinzen Liv- und Estland in 
zwei Statthalterschaften, die Rigische und Reval'sche, umge- 
schaffen (später Livländisches und Estländisches " Gouvernement 
umbenannt), und fast die ganze Verwaltung auf Grundlage der 
Statthalterschafts - Verordnung vom Jahre 1775 neu gestaltet. 
Als erste Instanz für Civil- und Criminalsachen wurden mehrere 
Kreisgerichte eingesetzt; die zweite Instanz bildete in jeder 
Statthalterschaft der Gerichtshof, in zwei Departements, für 
Civil- und für Criminalsachen, getheilt, und unmittelbar dem 
dirigirenden Senate , als dritter Instanz , untergeordnet. An die 
Stelle der Ordnungsgerichte und Hakenrichter traten die Nieder- 



") Allerhöchste Befehle vom 22. December 1725 und vom 12. Sep- 
tember 1728. 

^•) Allerhöchster Befehl vom 14. October 1713. Vergl. die Geschicht- 
liche Uebersicht a. a. 0. S. 46. 

*«) Senatsbefehl vom 3. März 1775. 

*^) S. überhaupt A. W. Hupel, die gegenwärtige Verfassung der 
Bigischen und RevaPschen Statthalterschaft. Biga, 1789. 8. 



307 



landgerichte, welche wieder zwei Oberlandgerichten untergeben 
waren. In jeder Statthalterschaft wurde ein Gewissensgericht, 
in jedem Kreise ein adeliges Vormundschaftsamt errichtet. Jede 
Statthalterschaft erhielt ferner einen Procureur, welchem die 
Aufrecliterhaltung der Gesetze, die Beförderung der Rechtspflege 
und die Aufsicht über die Gefängnisse übertragen war. Unter 
ihm standen die Anwälte oder Fiscale, — Die Consistorien 
wurden in ihrem bisherigen Bestände gelassen, und Anfangs 
behielten in den grösseren Städten, ** namentlich in Riga und 
Reval, auch die Räthe, mit ihren Untergerichten, ihre Ver- 
fassung; allein es wurden in den genannten Städten Gouverne-. 
ments - Magistrate errichtet, an welche die Appellation von den 
Räthen oder Magistraten sämmtlicher Städte Livlands und bezw. 
Estlands ging^^). Im Jahre 1786 wurde jedoch auch die be- 
sondere Gerichtsverfassung Riga's und Revals aufgehoben, und 
daselbst die Administrativ-, wie die Justizbehörden, nach den 
Bestimmungen der Statthalterschafts Verordnung vom Jahre 1775 
und der inzwischen erschienenen allgemeinen Stadtordnung vom 
21. April 1785 eingerichtet^^). — Nachdem im Jahre 1795 Cur- 
land mit dem Russischen Reiche vereinigt worden^*), ward auch 
die dortige Gerichtsverfassung ganz auf denselben Fuss ge- 
brachte^). 



2"^) Allerhöchste Befehle an den Senat vom 3. Decbr. 1782 und an 
den Rigischen und Reval'schen Generalgouverneur, Grafen G. Browne, vom 
3. Juli 1783. Specielle Ausführungsbestimmungen enthalten noch die Aller- 
höchsten Befehle vom 14. und 15. November 1783 und der Senatsbefehl 
vom 19. März 1784. 

2^) Allerhöchste Befehle vom 4. September, 18. und 30. December 
1785 und vom 12. October 1787. 

**) Allerhöchster Befehl vom 15. April 1795 und Manifest von dem- 
selben Tage. 

2») Allerhöchste Befehle vom 23. October und 27. November 1795. 

20* 



308 



Diese Gleichstellung Liv-, Est- und Curlands mit dem 
ganzen Reiche , in Bezug auf Verfassung und Verwaltung, 
dauerte jedoch nur bis zum Jahre 1796, in welchem Kaiser 
Paul die alte Verfassung im Wesentlichen wiederherstellte. Bei- 
behalten wurde — ausser den höheren Verwaltungsbehörden 
(den Gouvernementsregierungen und den Cameralhöfen nebst 
Kreisrenteien) — nur das Amt des Gouvernements-Pro- 
cureurs. Das Livländische Hofgericht, das Estländische Ober- 
landgericht , das Curländische Oberhofgericht und das Pilten'sche 
Landgericht wurden unmittelbar dem dirigirenden Senate, als 
Appellationsinstanz, unterstellt^^). Das Curländische und das 
Pilten'sche Consistorium wurden zu einer Behörde vereinigt, 
und für diese sowohl, als auch für das Livländische und das 
Estländische Consistorium, das Justizcollegium als Appellations- 
instanz verordnet ^'^). Auch in den Städten wurden die alten 
Behörden, wie sie vor dem Jahre 1786 bestanden hatten, von 
Neuem errichtet; von den Räthen der Städte Riga und Reval, 
desgleichen von dem Rathe der Stadt Narva, sollte die Appel- 
lation wieder an das Justizcollegium gehen, von dem Magistrate 
der Stadt Hapsal aber an das Livländische Hofgericht^^). 



*«) Allerhöchste Befehle vom 28. November und 24. December 1796, 
vom 5., 24. und 26. Februar 1797, vom 24. September 1798 und vom 25. 
December 1799. 

2^ AUerh. Befehl vom 5. Februar 1797. Yergl. auch die Etats der 
Gouvernements vom 18. und 19. Februar 1797. 

2») AUerh. Befehle vom 28. November 1796 und vom 23. und 24. Fe- 
bruar 1797. Vergl. auch die Allerh. bestätigte Vorstellung des Senats vom 
29. December 1800. 



309 



Veränderungen im Laufe des neunzehnten Jahr- 
hunderts. 

§ 112. 

Das neunzehnte Jahrhundert brachte nicht nur mehrere ein- 
schneidende Aenderungen in die alten, sondern auch ganz neue 
Gerichtsinstitutionen. 

1. Bereits zu Anfang desselben wurde die Patrimonial- 
gerichtsbarkeit des Adels und der Gutsbesitzer Liv- und 
Estlands aufgehoben, und es traten an die Stelle besondere 
Bauergerichte, deren Mitglieder theils Edelleute, theils 
Bauern waren ^^). Nachdem sodann im Jahre 1816 in Estland, 
1817 in Curland und 1819 in Livland die Leibeigenschaft ganz 
aufgehoben worden, hörte auch in Curland die Patrimonial- 
gerichtsbarkeit auf, und in allen drei Provinzen wurden die 
Bauergerichte in mehreren Instanzen und unter verschiedenen 
Benennungen (Gemeindegerichte , Kirchspielsgerichte , Kreisge- 
richte) neu organisirt; als höchste Instanz wurde in jedem der 
drei Obergerichte, dem Estländischen Oberlandgericht, dem Liv- 
ländischen Hofgericht uud dem Curländischen Oberhofgericht, 
ein besonderes Departement für Bauersachen eingerichtet^®). 



*•) S. die Allerhöchsten Rescripte vom 14. Juli und vom September 
1802, das am 27. August 1804 Allerhöchst bestätigte sog. Regulativ für 
die Bauern Estlands, und die am 20. Februar 1804 Allerhöchst bestätigte 
Livländische Bauerverordnung. VergL noch überhaupt R. J. L. Samson 
von Himmelstiern, historischer Versuch über die Aufhebung der 
Leibeigenschaft in den Ostseeprovinzen, Beilage zum Inland, Jahrg. 1838. 

30) S. die Allerhöchsten Befehle vom. 23. Mai 1816, 25. August 1817 
und 26. März 1819, und die durch dieselben bestätigten drei Bauerverord- 
nungen, deren jede eine vollständige Gerichtsordnung enthält. 



310 



2. Auf Grundlage des im Jahre 1832 für das ganze Reich 
erlassenen Evangelisch -Lutherischen Kirchengesetzes wurden die 
Consistorien (in Livland, Estland, Curland, Oesel, in den 
Städten Riga und Reval) neu organisirt, und erhielten das in 
St. Petersburg errichtete Generalconsistorium zur Ober- 
instanz. Im Zusammenhange damit stand die Aufhebung des 
Justizcollegiums und die unmittelbare Unterordnung des 
Rigischen, wie des Reval'schen Rathes, unter den Senat. Dem 
Rathe der Stadt Narva wurde das Estländische Oberlandgericht 
als Appellationsinstanz zugewiesen ^^). 

3. Das Livländische Hofgericht wurde im Jahre 1834 
ganz neu organisirt, und besteht seitdem aus einem Präsidenten, 
einem Vicepräsidenten , zwei Landräthen, zwei Räthen und zwei 
Assessoren ^^). 

4. In dem Curländischen Oberhofgericht wurden 
bereits im Jahre 1797 die temporären Juridiken aufgehoben, 
so dass es, gleich den Oberhauptmannsgerichten, das ganze 
Jahr hindurch tägliche Sitzungen hält^^). Später wurden auch 
die besonderen Juridiken für Criminalsachen abgeschafft, und 
die Oberhauptmänner von der Theilnahme an denselben be- 
freit^*). — Im Jahre 1817 wurde das Pilten'sche Land- 
gericht als besondere Behörde aufgelöst und mit dem Ober- 
hofgericht vereinigt; der Bestaiid des letztern wurde dadurch 
um ein Mitglied — einen beständigen Präsidenten — vermehrt. 
Der Pilten'sche Kreis verlor seine Selbständigkeit und wurde 



•*) Allerhöchster Befehl an den Senat vom 28. December 1832 und 
das an demselben Tage bestätigte Eirchengesetz. AUerh. bestät. Gutachten 
des Beichsrathes von demselben Datum. 

^*) Allerhöchst bestätigtes Reichsrathsgutachten vom 11. Novbr. 1834. 

*») Allerhöchster Befehl vom 5. Februar 1797. 

»*) Allerh. bestät. RRG. vom 1. April 1840. 



311 



in eine Oberhauptmannschaft des Curländischen Gouvernements 
umgeschaffen ^^). — Die Gerichtsbarkeit in allen Civil- und 
Criminalsachen , welche nicht dem Oberhofgericht ausdrücklich 
vorbehalten waren, wurde im Jahre 1812 den Oberhaupt- 
mannsgerichten übertragen; die Hauptmannsgerichte 
erhielten die ganze Polizei- und Executivgewalt in ihren Be- 
zirken, und übernahmen auch die Funktionen der Mann- 
richter, deren Amt aufgehoben wurde ^®). — Ausser dem 
bisherigen einen Fiscal, welcher den Titel Gouvernement s- 
fiscal erhielt, wurde für jede der Oberhauptmannschaften ein 
Kreisfiscal verordnet^''). 

5. Die Magisträte der Curländischen Städte erhielten 
selbständige Gerichtsbarkeit in Criminalsachen, und wurden in 
Beziehung auf solche unmittelbar dem Oberhofgericht unter- 
geben^^). 

6. In Estland wurden für die Verhandlung von Gränz- 
und Servitutstreitigkeiten Schiedsgerichte eingeführt^*). Bei 
den — sämmtlich in Reval residirenden — Manngerichten 
wurde für die Verhandlung der Sachen ausserhalb der Juri- 
diken eine Dejour angeordnet*®). Die Zahl der Haken- 
richter wurde vermehrt und ihre Amtsbefugnisse wurden 
genauer bestimmt *^). 



") AUerh. Befehle vom 25. August 1817 und vom 13. März 1819. 
Senatsbefehl vom 3. April 1818. 

") Allerh. Befehl vom 26. Mai 1812. 

'^) Allerh. bestät. Beschluss des Ministercomite vom 10. October 18^ 

»8) AUerh. bestat. RRG. vom 9. Juli 1840. 

*•) Allerh. bestätigte Verordnung vom 15. April 1831. 

*^) Rescript des Estländischen Generalgouvemeurs, Prinzen Georg von 
Holstein - Oldenburg, vom 22. September 1808. S. das Inland, Jahrg. 1836 
Sp. 105 Anm. 1 und Sp. 126 Anm. 6. 

*>) AUerh. Befehl vom 24. September 1798. 



312 



7. In den grösseren Städten, und zwar namentlich in 

Riga, Reval, Mitau, Dorpat und Libau, wurden besondere 

Polizeiverwaltungen, mit einem Militär als Polizeimeister, 

errichtet, welche von dem Rathe der Stadt unabhängig am- 
tiren*2). 

8. In Riga wurde im Jahre 1801 für die Untersuchung 
von Criminalsachen eine besondere Criminaldeputation 
eingerichtet, zu welcher das Stadt- und das Landvoigteigericht 
je eines ihrer Glieder delegiren, so dass letztere Behörden nur 
die Verhandlung der Civilsachen behielten*^). 

9. In dem Rathe der Stadt Reval wurden die besonderen 
öjBFentlichen Sitzungen für die Verhandlung von Sachen, be-; 
treffend den Erwerb und die Belastung von Immobilien, im 
Jahre 1812 abgeschafft, und auch diese Sachen den gewöhn- 
lichen Sitzungen des Rathes zugewiesen**). — Zu den Unter- 
gerichten der Stadt kam im Jahre 1800 ein neues, unter dem 
Namen des mündlichen oder Stadtgerichts, hinzu, welchem 
die Verhandlung von Bagatellsachen übertragen wurde *^). 

10. Der Magistrat der Stadt Hapsal, von welchem bis 
dahin an das Livländische Hofgericht appellirt worden war 
(§ 80 und 111), wurde im Jahre 1808 dem Estländischen Ober- 
landgerichte untergeben*®). 



*'^) AUerh. bestätigter Etat der Dorpater Polizei vom 13. Juni 1805, 
der Polizeiämter in Mitau und Libau vom 22. Novbr. 1810, des Rigischen 
lT)lizeiamtes vom 11. Januar 1812, Verordnung des Generalgouvemeurs 
über die Polizei in Reval vom 5. October 1819. 

*') Vergl. das Provincialrecht der Ostseegouvernements vom 1. Juli 
1845. Th. I. Art. 573 — 75. 

**) Auftrag des Estland. Generalgouvemeurs vom 15. April 1812. 

**) Polizeireglement und Instruction des Reval'schen Stadtgerichts vom 
24. Septbr. 1800, in v. Bunge 's Revaler Rechtsquellen I, 279 fgg. 

*•) Allerh. F.efehl vom 9. Juni 1808. 



313 



IV. 
Die Parteien und deren Stellvertreter. 

§ 113. 

In Betreff der Stellvertretung der Parteien vor Gericht ist 
zunächst hervorzuheben, dass die Unterscheidung zwischen Pro- 
curatoren und Advocaten, wo sie bis dahin noch bestanden 
hatte, allmälig verschwand, und der letztere Titel für alle Per- 
sonen geltend wurde, welche von der zuständigen Gerichtsbe- 
hörde die Autorisation erhalten, als Rechtsbeistände der Par- 
teien vor Gericht aufzutreten*''). In Curland blieb die Zahl der 
Advocaten zwar beschränkt; das Oberhofgericht erhielt jedoch 
die Befugniss, wenn es eine Vermehrung der bestehenden An- 
zahl von Advocaten für nothwendig erachtet, darüber einen 
Beschluss zu fassen und diesen dem Justizminister zur Bestä- 
tigung vorzustellen*^); Personen, welche sonst irgend ein Amt 
bekleiden, dürfen jedoch nicht zugleich Advocaten sein*®). In 
Liv- und Estland dagegen fing man an, auch den Secretären 
der Behörden und anderen Beamten das Recht der Advocatur 
(übrigens selbstverständlich mit Ausschluss der Behörde, bei 
welcher sie angestellt sind) zu ertheilen. Zwar wurde dies vom 
dirigirenden Senat gerügt*®); allein das Allerhöchst bestätigte 



471 



') Die Ertheilung des Rechts zur Ausübung der Advocatur gebührt 
den Gerichten zweiter Instanz (dem Hofgericht in Livland, dem Ober- 
landgericht in Estland, dem Oberhofgericht in Curland, dem Bigischen 
und dem Revarschen Rathe), für sich und alle ihnen untergebenen Ge- 
richte. Vergl. das Allerhöchst bestät. Gutachten des Reichsraths vom 5. 
Juli 1840. 

*8) AUerh. Befehl vom 9. Januar 1797. 

*») "Senatsbefehl vom 26. Februar 1832. 



314 



Gutachten des Reichsraths vom 12. April 1822, welches — frei- 
lich zunächst für das Innere des Reichs, wo und weil daselhst 
zu jener Zeit kein Advocatenstand existirte, daher ohne Rück- 
sicht auf die Ostseeprovinzen — die juristische Praxis allen 
Beamten freigah, wurde ohne Weiteres auch in Liv- und Est- 
land zur Anwendung gebracht*^). Uebrigens blieb dabei der 
Grundsatz bestehen, dass auch solche Beamte die Autorisation 
zur Ausübung des Berufs eines Advocaten von der zuständigen 
Gerichtsbehörde erwerben mussten. Den Procureuren und Fis- 
calen wurde die Ausübung der Advocatur in Privatsachen bei 
den Gerichten, welche zu ihrem amtlichen Wirkungskreise ge- 
hören, untersagt ^2). — In neuester Zeit wurde die Erlangung 
des Rechts der Advocatur an die Erwerbung eines höheren 
gelehrten Grades bei einer Juristenfacultät des Reiches, na- 
mentlich des Magister- oder Doctorgrades , geknüpft ^^), bald 
darauf aber auch der Candidatengrad zu dem Zweck für ge- 
nügend erachtet^*). 



*®) Senatsbefehle vom 4. April und 31. October 1785 und vom 6. 
April 1790. 

*^) Sanctionirt wurde dieses durch das Allerh. bestät. Provincialrecht 
vom 1. JuH 1845. Th. I. Art. 105. 

*^) Allerh. bestät. Eeichsrathsgutachten vom 26. April 1843. 

*') Desgleichen vom 5. Juli 1840. 

»*) Desgl. vom 8. Mai 1861. 



315 



Zweites Capitel. 

Veränderungen in dem Gerichtsverfahren. 

I. 

Einfluss der StatthalterschafteverfiEUSsung auf das Ver- 

faiiren überhaupt. 

§ 114. 

Bei der Einführung der Statthalterschaftsverfassung in Liv-, 
Est- und Curland (§ 111) wurden zwar die neu eingesetzten 
Kichterstühle ausdrücklich angewiesen, darauf zu achten, dass 
die diesen Provinzen zugeeigneten besondern Rechte unverletzt 
befolgt werden ^^), und dies musste ohne Zweifel nicht nur auf 
das materielle (Privat- und Criminal-) Recht, sondern auch auf 
das gerichtliche Verfahren bezogen werden. Allein es konnte 
nicht fehlen, dass die neu organisirten Behörden manche Neue- 
rungen auch in dieser Beziehung mit sich brachten, zumal die 
Statthalterschaftsverordnung vom Jahre 1775 nicht nur einzelne 
— wenn auch nur wenige — zum Theil mit der Organisation 
der Richterstühle selbst in genauer Beziehung stehende pro- 



«5) Allerhöchster Befehl vom 3. Juli 1783 Punkt 2: „Die nach Vor- 
schrift Unserer Verordnungen zu errichtenden Departements, imgleichen 
die in verschiedenen Aemtem angestellten Persone, sollen, ein jeder in 
seiner Function, darauf sehen, dass die den erwähnten Gouvernements zuge- 
eigneten Gesetze, wie auch die von Unsern Vorfahren sowohl, als von 
Uns , dem Adel und den Städten dieser Statthalterschaften verliehenen und 
bestätigten Gnadenbriefe, nach ihrem genauesten Inhalte, unverletzt befolgt 
werden mögen". 



316 



cessualische Normen aufstelltet^), sondern auch ein besonderes 
Hauptstück derselben (das siebente) „von der Form des pein- 
lichen Processes" handelt. Wie weit diese Neuerungen in Be- 
ziehung auf den Civilprocess gingen, ist ohne Einsicht in die 
Archive der einzelnen Behörden schwer anzugeben, indem, wie 
es scheint, nicht überall und nicht in gleichem Umfange, 
Institutionen des Russischen Processes in Anwendung gebracht 
wurden. Auch war die Dauer dieser Gerichtsorganisation eine 
zu kurze, als dass solche Institutionen, wo sie Aufnahme ge- 
funden, sich hätten einbürgern können. Mit der Wiederher- 
stellung der alten Verfassung wurden die meisten Spuren des 
Einflusses der Statthalterschaftsverfassung auf den Civilprocess 
verwischt^''), auf den Criminalprocess dagegen behielt sie einen 
solchen auch für die Folge in höherem Grade ^^). 



n. 

Ordentlicher Civilprocess. 

§ 115. 

Die Verhan dlungsmaxime, welche bis gegen das Ende 
des achtzehnten Jahrhunderts die Hauptgrundlage des Ver- 
fahrens in Civilsachen gewesen war, und vermöge welcher der 
Richter in solchen Sachen durchaus nur auf Anregung der Par- 



*•) Vergl. z. B. die Hauptstücke 6: von der Pflicht des Gerichtshofes 
peinlicher Sachen, 8 : von der Pflicht des Gerichtshofes bürgerlicher Sachen, 
14: von der Pflicht des Oberlandgerichts, 15: von dem Kreisgericht und 
seiner Pflicht etc. 

*^) Eine Ausnahme bildet nur die Einwirkung des Procureurs, worüber 
unten im § 115 das Nähere. 

»8) S. unten § 117 und 118. 



317 



teien handelte und handeln durfte, erlitt eine nicht ganz unbe- 
deutende Beschränkung. Durch die Einführung des Amtes der 
Procureure nämlich, durch die denselben auferlegte Ver- 
pflichtung, auch auf die Beschleunigung der Rechtspflege ein 
wachsames Auge zu haben, und bei Verzögerungen von Amts 
wegen einzuschreiten^®), wurden die Richter von denselben — 
in Liv- und Curland auch von den Kreisfiscalen — zur amt- 
lichen Förderung auch von Civilsachen angehalten, welche die 
Parteien nicht gehörig verfolgten. AUmälig fingen die Richter 
selbst an, auf die Beobachtung der Termine von Seiten der 
Parteien zu wachen, und — wo Anschläge eingeführt sind — 
die Sachen von Amts wegen, ohne die Anregung der Parteien 
abzuwarten, anzuschlagen. Eine wichtige Folge dieses Ver- 
fahrens war, dass dadurch den Parteien ein wirksames Schutz- 
mittel gegen die Lässigkeit ihrer Rechtsbeistände geboten wurde. 
— Für die Abkürzung der sehr ausgedehnten processualischen 
Fristen im Curländischen Verfahren in Civilrechtssachen wurde 
durch ein besonderes Gesetz Vorsorge getroffen ^^). 

Seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts kam beim 
Livländischen Hofgericht, und später auch bei den Landge- 
richten, das Verfahren in Terminen, zu welchen beide Parteien 
sich zu stellen hatten, allmälig ausser Gebrauch, und wurde 
statt dessen angeordnet, dass die Parteien ihre Satzschriften in 
die Canzlei des Gerichts einliefern sollten®^). Diese wesentliche 
Aenderung war von durchgreifendem Einfluss auf das ganze 



^") Zu diesem Zwecke wurde auch die Einsendung von Verzeich- 
nissen der pendenten Sachen und von Terminverschlägen nicht nur an 
die Procureure, sondern auch an die übergeordneten Instanzen, ein- 
geführt. 

«®) AUerh. bestät. Reichsrathsgutachten vom 22. December 1841. 

«1) Hofgerichts -Constitutionen vom 2. Mai 1758, vom 12. Sptbr. 1775 
und vom 21. Juli 1797 § 3. 



318 



Verfahren ®2) , dessen Darstellung jedoch dem heutigen Recht 
angehört. 

Im Uehrigen ist das Verfahren in bürgerlichen Rechts- 
sachen im ViTesentlichen bis auf den heutigen Tag unverändert 
geblieben, und hat nur wenige und in keiner ViTeise durch- 
greifende Modificationen erlitten. Dahin gehört z. B., dass die 
Ladung des Beklagten durch den Kläger ganz abgekommen, 
und vielmehr überall unmittelbar durch den Richter geschieht. 
— Das Estländische Oberlandgericht und der Revaler Rath 
sahen sich veranlasst, im Jahre 1872 Constitutionen zu erlassen, 
welche die Abkürzung und Vereinfachung des Processganges, ins- 
besondere die genauere Feststellung der processualischen Fristen, 
bezwecken. Für die Rechtfertigung der Appellation von den 
Manngerichten und dem Niederlandgerichte bei dem Oberland- 
gericht wird eine peremterische Frist von sechs Wochen, für die 
Justification einfacher Beschwerden eine solche von drei Wochen 
angeordnet. Durch beide Constitutionen wird das indirecte Ver- 
fahren auf eine Satzschrift von Seiten jeder Partei (Exception 
und Elision) beschränkt. Dagegen sollen im Hauptverfahren, 
Behufs genauerer Feststellung des Streitgegenstandes und dem- 
gemässer Vereinfachung des Beweisverfahrens, diesem Replik und 
Duplik vorausgehen; nach geschlossenem Beweisverfahren haben 
dann aber die Parteien noch das Recht, Deductionsschriften 
(Memorial und Gegenmemorial) einzureichen®^). 

Für die Verfolgung der gegen Erkenntnisse zweiter Instanz 



•*) S. überhaupt 0. Schmidt in der Dorpater Zeitschrift Bd. L 
S. 35 fgg. 38 fgg. 

*') 8. die „Ergänzende Geschäftsordnung des kaiserlich Estländischen 
Oberlandgerichts^' vom 15. Mai 1872, und die Constitution des Käthes der 
Stadt Eeval, betreffend das Verfahren in Civürechtssachen vom 23. Mai 
1872. Vergl. über diesen Gegenstand noch 0. Schmidt in der Dor- 
pater Zeitschrift III , 227 fgg. 



319 



angemeldeten Rechtsmittel (Beschwerden, Appellation, Revision) 
bei dem dirigirenden Senat wurden neue Fristen festgesetzt®*). 
— Das in Curland bis dahin bloss dem Adel und den Advocaten 
vorbehalten gewesene Recht, von den Urtheilen des Oberhof- 
gerichts zu appelliren®^), wurde auf alle Bewohner Curlands, 
ohne Unterschied des Standes, ausgedehnt ®®). 

Schliesslich ist hier die Einführung des Stempelpapiers 
für alle Satzschriften der Parteien, so wie für alle gerichtlichen 
Ausfertigungen, desgleichen der Klage- und Appellationssteuer 
(Poschline) zu erwähnen. Auch auf die Lehre vom Urkunden- 
beweis ist die Einführung des Stempelpapiers nicht ohne Ein- 
fluss geblieben. 



HI. 

Ausserordentliche Civilprocesse. 

§ 116. 

Von den verschiedenen Arten des ausserordentlichen Civil- 
processes erlebten 

1. einige gar keine oder doch nur ganz unbedeutende 
Abänderungen. Zu den ersteren sind zu zählen der unbestimmte 
summarische, der Provocations-, der Besitz-, Gränz- und 
Restitutionsprocess , in den Städten ausserdem das Verfahren 
in Bau- und Servitutstreitigkeiten ; zu den letztern der Con- 
cursprocess. Für den städtischen Concursprocess erliess 



•*) Senatsbefehl vom 30. November 1803. Vergl. auch den Allerh. 
Befehl vom 3. April 1798. 

•») S. oben § 105. 

««) Allerh. Befehl vom 9. April 1802. 



320 



nämlich am 22. November 1819 der derzeitige Generalgouver- 
neur, Marquis Paulucci, eine, meist auf bereits bestehende Ge- 
setze gegründete Verordnung, welche zunächst die bei Eröffnung 
des Concurses zur Feststellung der Concursmasse und zur Siche- 
rung der Gläubiger zu ergreifenden Maassregeln normirt, vor- 
zugsweise aber das öfficiöse Einschreiten gegen muthwillige und 
böswillige Bankroteure betrifft®''). Denselben Zweck verfolgt 
eine von dem Revaler Rath am 1. März 1819 publicirte sog. 
Concursordnung ^^), 

2. Seit der Einsetzung der Gouvernementsregierungen 
sind nicht nur alle Executivprocesse, sondern auch die 
Sequester p.rocesse an sie und die ihnen untergeordneten 
Polizeibehörden verwiesen worden. Nur in den grösseren Städten 
haben die bezüglichen Stadtbehörden ihre Zuständigkeit auch in 
solchen Sachen bewahrt. — Besondere Erwähnung verdient hier 
noch die im Jahre 1829 erfolgte ausdrückliche Aufhebung der 
im Lübeck'schen Stadtrecht (I, 3, 1) angeordneten Schuld- 
knechtschaft (§ 40), welche übrigens der That nach längst 
ausser Gebi'auch gekommen war*^). 

3. Ganz reorganisirt wurde im Jahre 1832 der Consisto- 
rialprocess'^^). 

4. Der Process in Läuflingsforderungssachen ist 
seit der Aufhebung der Leibeigenschaft Antiquität geworden. 

5. Neu gegründete Processformen sind: 

a) der schiedsrichterliche Process in Gränz- und Ser- 
vitutsachen für Estland''^); 



•^) S. V. Bange's Quellen des Eevaler Stadtrechts II, 549 fgg. 

««) Das. I, 297 fgg. 

«•) Allerh. bestat. Reichsrathsgutachten vom 10. October 1829. 

^°) S. das Kirchengesetz vom 28. December 1832 Cap. 8: Von dem 
gerichtlichen Verfahren bei den Consistorien. 

^^) Allerh. bestätigte Verordnung für die Schiedsgerichte vom 1.5. 
April 1S31. 



321 



bj die verschiedenen, durch die drei ßauerverordnungen 
von den Jahren 1816, 1817 und 1819 angeordneten Process- 
arten '^^) ; 

c) der Process in Kronsinteressesachen, auf die Russi- 
schen Reichsgesetze basirt. 



IV. 
Criminalprocess. 

1. Anklageverfahren. 
§ 117. 

In Criminalsachen haben sich die drei Formen : des privaten 
und officiösen accusatorischen und des inquisitorischen Verfahrens 
fortwährend erhalten. Das letztere ist jedoch vorherrschend 
geworden und bildet entschieden die Regel. 

^er Privatanklagepro cess kommt fast nur noch bei 
leichten Injurien vor, welche nicht das Einschreiten der Staats- 
gewalt pro satisfact^one ptiblica erheischen , und in solchen Fällen 
ist auch ein Vergleich zulässig. Der Staatsanklagepro cess 
findet bei den Landesgerichten ''^) statt gegen Personen von 
Adel — erblichem, wie persönlichem — und bei Amtsvergehen; 
in Curland auch gegen Litteraten und Exemte, demnach in 
neuerer Zeit auch gegen Ehrenbürger. Bei den Stadtgerichten, 
namentlich in Reval, ist das officiöse Anklageverfahren haupt- 



^*) Auch in den späteren Kedactionen «der Bauerverordnungen für 
Liv- und Estland sind die das gerichtliche Verfahren behandelnden Ab- 
schnitte im Wesentlichen unverändert geblieben. 

^^) In Betreff der Zuständigkeit der Gerichte in Criminalsachen ist es 
beim Alten geblieben. 

Bungo, Geschichte d^ Gerichtswesens. 21 



322 



sächlich nur wegen Amtsvergehen, wegen Uebertretung admi- 
nistrativer Verordnungen, z. B. der Zollgesetze durch Personen 
aus dem Kaufmannsstande, so wie gegen muthwillige und bös- 
willige Falliten, üblich. Dies gilt auch von den Städten Cur- 
lands, in denen gleichfalls der officiöse Anklageprocess in anderen 
Fällen ausser Uebung gekommen ist. 

Das alte Contumacialverfahren und die Acht, mit 
ihren Wirkungen, ist auch in Curland längst nicht mehr im 
Gebrauch. An dessen Stelle wird der entwichene und auf wie- 
derholte Citation nicht erschienene Angeklagte in contumactam 
verurtheilt und durch Steckbriefe und anderweitige polizeiliche 
Maassregeln verfolgt. 

Das Honorar, auf welches nach dem altem Rechte der 
officiöse Ankläger Anspruch hatte, ist im Jahre 1828 abge- 
schafft worden''*). 



2. üntersnohnngsverfahren. 

§ 118. 

In dem Untersuchungsverfahren mochte man mindestens seit 
dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts begonnen haben , die 
General- und Specialinquisition von einander zu scheiden. Beide 
wurden jedoch in der Regel von demselben Richter geleitet, und 
in der Stadt Reval kam bis in das gegenwärtige Jahrhundert 
noch eine defensio pro avertenda inquisitione spedodi vor''*). Dieses 
änderte sich für die Landesbehörden, wie es scheint, seit Ein- 
führung der Statthalterschaftsverfassung, während welcher die 



^*) Allerh. bestat. Reichsralhsgutachten vom 4. November 1828. 

■'») S. den Bericht des Revaler Rathes über das gerichtliche Verfidiren 
vom 8. November 1784 (bei v. Bunge a. a. 0. I, 302 fgg.) I, a, 6. 



323 



Voruntersuchung ^dem Criminalrichter abgenommen und den 
Landpolizeibehörden übertragen wurde. In den Städten vollzog 
sich diese Veränderung später, und nur dort, wo besondere, 
von dem Rathe unabhängige Polizeiverwaltungen errichtet 
wurden ''*). 

Von besonderer Wichtigkeit ist die E^inwirkung d^s Pro- 
cureurs auf die Verhandlung von Criminalsachen , namentlich 
die ihm obliegende Durchsicht der Criminalurtheile , ferner die 
Bestätigung solcher Urtheile durch den Gouvernementschef u. s. 
w. , in welchen Beziehungen im Wesentlichen die Vorschriften 
der allgemeinen Russischen Reichsgesetze seit den achtziger 
Jahren des vorigen Jahrhunderts in ihrem ganzen Umfange 
geltend wurden. Ebenso sind die Russischen Reichsgesetze über 
Revision oder Leuteration der Criminalurtheile der 
unteren Instanzen in schwereren Sachen durch die Oberinstanz, 
desgleichen über die Appellation in leichteren Sachen, maass- 
gebend geworden. 



^•) S. oben § 112. 



» ♦ 



21 



324 



Anhang. 

Nachweisung der in verschiedenen Werken zerstreut 

gedruckten Urkunden. 



1424, Mai 12, König Sigismunds Schreiben, in v. Bunge 's Beitragen 
S. 68 Anm. 188. 

1428. Statut des Bigischen Provüicialconcils , in Jacobson 's Geschichte 
der Quellen des Preussischen Eirchenrechts (Eönigsb. 1837.) 
Anhang S. 20 fgg. 

1450? Bartholomäus', Bischofs von Dorpat, Läuflingseinignng , in v. Bun- 
ge 's Eutwickelung der Standesverhältnisse ß. 103 fgg. 

1452, April 4, Urk. des OM. Johann von Mengden, in Hupel's neuen 
nord. Miscell. 1 1 , 294 fgg. 

„ Novbr. 30 , Vergleich zu Kirchholm zwischen dem Erzbischof und 
dem Ordensmeister, in Dogiel, Codex diplom. V, 136 sqq. und 
in Arn dt 's Chronik II, 139 fgg. 

1472, Januar 21, Landtagsrecess zu Wolmar, bei Hupel a. a. 0. 3, 
603 fgg. 

1482. Ritterschaftsrecess zu Wemel, ebendas. 7, 479. 

1494, Januar 31, Michaels, Erzb. von Riga, LäufUngseinigung , in Oel- 
richs' Ausgabe des Rig. StR. und Livl. RR. S. 151 fg. 

1500. Beliebung der Estland. Ritterschaft bei Hupel 11, 371 fg. 

1501. Eine ebensolche, das. S. 372 fg. 

1507, Juli 25, Urk. des GM. Wolter von Plettenberg, das. S. 299 fgg. 
und in Ewers' Ausgabe des Estl. Ritter > und Landrechts 
S. 62 fgg. 

1509, Juni 24, dessen LäufUngseinigung, bei Ewers a. a. 0. S. 65 fgg. 

1510, September 22, desselben Urkunde, bei Hupel 11, 301 fgg., bei 

Ewers S. 69. 

1516, Juni 29, Vertrag der Harrisch - Wierischen Ritterschaft mit dem 
Bischof von Reval, bei Hupel 11, 305 fgg., bei Ewers S. 
71 fg, , in V. Bunge 's Archiv (erste Ausg.) I, 308. 



325 



1523, December 28, Privilegium des Erzbischofs Jaspar Linde, bei Hu- 

pel 7, 260 fgg. 

1524, September 20, desgl. des Erzbischofs Johannes Blankenfeld, das. 

ö. 271 fgg. 

„ December 15, Johannes EievePs, Bischofs von Oesel, Privilegium, 
das. 9 , 424 fgg. 

1525, März 27, Privil. des OM. Wolter von Plettenberg, bei Hupel 11, 

308 fgg., bei Ewers S. 73 fgg. 

1537, September 29, Landtagsrecess zu Wolmar, bei Hupel 7, 301 fgg. 

1538, December 9, ürk. des OM. Hermann von Brüggenei, bei Ewers 

S. 78 fgg. 

1539, December 3, Vorstellung des Harrisch - Wierischen Rathes an den 

OM., in den Monvm. lAvoniae IH, 2, 307. 

1543, März 8, Wolmar'scher Ritterschaftsrecess , bei Hupel 7, 310 fgg. 
1546, Juli 28, Landtagsrecess zu Wolmar, das. S. 330 fgg. 

1551, März 11 , Vorstellung der Harrisch- Wierischen Ritterschaft an den 

OM. , in den Monum, Livon, HI, 2, 307 fg. 

1552. Landtagsrecess zu Pernau, bei Hupel 7, 348 fgg. 



326 



Nachwort. 

Mehrjähriger Bemühungen ungeachtet ist es mir erst dann 
gelungen, ein Exemplar der von der Dorpater Juristenfacultät 
herausgegebenen Zeitschrift für Rechtswissenschaft (bis jetzt 
vier Bände) zu erhalten, als fast die Hälfte des vorliegenden 
Werkes bereits gedruckt war. Daher konnte ich diese Zeit- 
schrift , insbesondere die schätzenswerthen Beiträge von Oswald 
Schmidt und J. C. Schwartz, erst vom fünfeehnten Druck- 
bogen an berücksichtigen. Für den ersten Abschnitt dieser 
Schrift fand sich übrigens zum Glück nur Weniges, was beson- 
derer Beachtung bedurfte, und solche unten in den „Nach- 
trägen" gefunden hat. 

Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht unterlassen, mich 
gegen den etwanigen Vorwurf zu rechtfertigen, dass ich in 
meiner Darstellung auf die bekannten Landrechtsentwürfe für 
Livland: den David Hilchen'schen, den Engelbrecht von Meng- 
den'schen und den von Budberg-Schrader'schen, so wie auf den 
von Derschau'schen Landrechtsentwurf für Curland, keine Rück- 
sicht genommen habe. Ich unterliess es hauptsächlich aus dem 
Grunde, weil in allen diesen Entwürfen dem zu ihrer Zeit that- 
sächlich geltend gewesenen Recht viel zu wenig Rechnung ge- 
tragen, dagegen sehr viel Fremdes in dieselben aufgenommen 
ist, so dass sie eher als Entwürfe von Gesetzbüchern, denn als 
Codificationen des bestehenden Rechts erscheinen. Sie müssen 
daher, wenn nicht als unlautere, so doch jedenfalls als sehr 
unzuverlässige Quellen bezeichnet werden. Daraus erklärt es 
sich auch, dass diese Entwürfe — mit Ausnahme vielleicht des 
Hilchen'schen — von der Praxis ihrer Zeit gar keine Beachtung 
fanden, während der Entwurf des Estländischen Ritter- und 
Landrechts vom Jahre 1648, so wie der der Rigischen Statuten 
vom Jahre 1073, sehr bald practische Autorität erlangt und bis 
auf die neueste Zeit bewahrt haben, weil diese beiden Arbeiten 
sich eng an das bestehende Recht anschlössen. 



7, 4 


„ 4 


.. 8 


» 12 


» 18 


» 2 


» 19 


„ 3 


„ 28 


„ 13 


„ 32 


„ 15 


„ 43 


»14 


» 44 


„ 26 



327 



Nachträge nnd Berichtigungen. 

S. 3 Z. 6 ist hinzuzufügen: 0. Schmidt, Zur Geschichte des Livlän- 

dischen landrechtlichen Civilprocesses , in der Dorpater 
Zeitschrift für Rechtswissenschaft I, 1 — 42. 
1. iudicia 

V. u. 1. stat st. stäl. 
„ „ „ LandrathscoUegium 
„ ,, „ Rig. StK. I, 3. 
„ ,, „ ane st. anne 
„ yj „ Oewichtsordnung 
„ „ ,, Big. StR. I, 14. 

„ „ Wenn C. Erdmann in der Dorpater Zeitschrift IV, 
285 fgg. jede Vindication beweglicher Sachen „Klage mit 
Anevang" benennt, so ist dies überhaupt unrichtig (Ho- 
meyer's Richtsteig S. 440), vollends aber in Beziehung 
auf das Altlivländische Becht. In den Quellen des letztem 
kommt selbst das Wort „Anevang" in dieser Bedeutung 
nirgends vor ; in Urkunden begegnen wir dem Worte zwar 
öfters, allein in ganz anderem Sinne (v. Bunge 's ürkun- 
denbuch IV, 923). — Um so auffallender ist freilich eine 
Notiz in J. Grimm 's Bechtsalterthtimem S. 589: Zu dem 
von der Klage mit Anevang handelnden Art. 36 B. H 
des Sachsenspiegels bemerkt die Glosse: „Hie sagen etliche 
leut, wenn sich einer etwas unterwindet, so soll er im 
tretten auf den rechten fuss und es nehmen hei dwn rechten 
ohre, obs viehe is, da Teere dich nicht an*\ und dabei steht 
am Rande : „mos Livonicus*'. Dass j edoch diese Sitte 
jedenfalls nicht eine specifisch Livländische (wenn über- 
haupt eine solche) war, wird unwiderleglich bewiesen 
durch eine Beihe von Zeugnissen über deren Verbreitung, 
besonders im nördlichen Deutschland, bei Grimm a. a. 0. 
49 „ 4 V. o. 1. Widerlegung oder Replik 
53 „ 9 „ u. „ Rig. StR. D, 24. IX, 11. 
59 „ 8 „ „ „ Partei 
61 „ 20 „ „ „ VI, 3. IX, 1. 20 etc. 
73 „ 13 „ „ „ des andern dinstages 
— » "^ » » » mdken st. manen 

94 „13 „ „ füge nach 945 hinzu: und unten Anm. 532. 

95 „ 20 „ o. 1. Ehehaften, 
110 „ 15 „ u. „ ihm st. ihn 
117. Die abweichende Darstellung des Verfahrens vor dem Oberrichter 

bei 0. Schmidt in der Dorpater Zeitschrift 1, 6 fg. beruht 
ofifenbar auf einem Missverstehen der bezüglichen Stelle bei 



328 



Fabri S. 62 fgg. (in Oelrichs' Ausg. S. 202 fgg.). Dieser 
instruirt hier nämlich zunächst diejenige Partei, welche in der 
ersten Instanz Kläger gewesen, und unterscheidet dabei die 
beiden Fälle, wenn von dieser Partei und wenn von der 
gegnerischen (ursprünglich beklagten) das unterrichterliche 
ürtheil gescholten worden. In beiden Fällen aber lässt er die 
erste re die Initiative ergreifen: „ihre Sache anheben" oder 
„ihr Recht einführen**, und giebt nur die durch jene Unter- 
scheidung bedingte verschiedene Form des Antrages an. In 
dem ganzen Verfolge der Anleitung zum Verfahren vor dem 
Oberrichter ist nirgends von dem Appellanten und Appellaten, 
sondern immer nur vom Kläger und Antwortsmann die Rede, 
daher steht auch hier dem Kläger, als solchem, nicht dem 
Appellanten, eine Replik zu etc. Dies stimmt auch vollkommen 
mit der allgemeinen Anweisung, welche Fabri S. 53 (oben 
S. 117 Anm. 561) für das Verfahren in der zweiten Instanz 
giebt, wie nicht minder mit der Praxis späterer Zeit. S. oben 
S. 192 Anm. 127. 
S. 117 Z. 3 V. u. 1. leren schalt. 
143 „ 1 „ „ ,i 100 st. 88. 

147 „ 12 „ „ „ In dem Lateinischen etc. 

148 „ 18 „ „ „ 983 st. 863. 
163 „ 6 „ 0. „ canonischen 
170 „ 18 „ u. „ 1849 st. 1874. 

172 „ 13 „ „ ist nach „Hakenrichter" das Gomma zu tilgen. 
182 „ 29 „ „ 1. Exceptionen 
188 „ 10 „ „ „ No. 18 — 20. 
194 „ 21 „ „ „ 1614 St. 1615 
205 „ 6 „ o. „ nun st. nur 
205 „ 3 „ u. füge hinzu: üeber ganz analoge Verhältnisse in Liv- 

land s. J. C. Schwartz in der Dorpater Zeitschrift ü, 101 fgg. 
Von besonderem Interesse sind die Delinquentenzettel, 
welche die Prediger über die ihnen bekannt gewordenen Ver- 
brechen, sammt den Delinquenten, Zeugen und sonstigen 
Beweismitteln, dem Gerichte vorzustellen verpflichtet waren. 
Das. S. 104. 109 fg. 

„ 236 „ 7 V. u. 1. die- st. der- 

„ 248 „ 3 „ o. „ des ürtheils 

„ 253 „ 4 „ „ „ Vorkäuferei, 

„ 261 „ 8 „ „ füge nach „das Amts-", hinzu: das Wettgericht (für 

Handelssachen) , 

„ 282 „ 16 „ „ 1. vor st. von 



329 



Sachregister. 



Die Zahlen weisen auf die Seitenzahl. Wo eine Zahl von der voran- 
stehenden durch ein Comma getrennt ist, bezeichnet sie die auf der 

bezüglichen Seite befindliche Anmerkung. 



A. 

Absage (absagen, entsagen) 148. 212. 

Abspruch (afspröke) 118. S. auch 
Urtheil. 

Accusatorischer Process s. Privat- 
und Staatsanklageprocess. 

Acht 158 fg. 294. 300. 322. S. auch 
Verfestung. 

Achte 43, 186. 

Advocaten 180 fg. 237 fg. 265. 284. 
292. 313 fg. S. auch Procuratoren 
und Stellvertreter. 

Ad/üocatu8 fisci seu regius s. Fiscale. 

Aelteste {seniores) 20. 

Amtsgerichte 261. 273. 283. 

Amtsvergehungen 215. 257. 321. 322. 

Anevang s. Klage. 

Anklage s. Klage. 

Anklageprocess s. Privat- u. Staats- 
anklageprocess. 

Anschlag 176. 184. 247. 317. 

Antwort des Beklagten (Erklärung, 
Einlassung auf die Klage, Kriegs- 
befestigung , Litiscontestation ) 
46 fg. 118. 183. 220. 240. 266. 289. 

Antwortsmann 27. S. auch Beklagter. 

Anwälte 307. S. auch Fiscale. 

Anweisung wegen Erfüllung eines 
ürtheüs 105. 107. 195. 
— wegen Ausführung einer Ur- 
theilsscheltung 115. 122. 195. 

Aposioli reverenticUes 244. 



Appellation 113fgg. 192 fgg. 222 fgg. 

243fgg. 270 fgg. 291 fgg. 301. 318. 

319. 323. 326. 
Archidiaconus 24. 
Arrestprocess 129. 197. 223. 273. 

295. 320. 
Asylrecht 158. 
Aufbot von Immobilien 274. 
Augenschein 67. 188. 
Ausantwortung von Läuflingen 145 

fgg. 297 fg. 
Ausgeschnittene Zettel 41. 72. 189. 
Auspfändung 98. 110 fg. 128. S. 

auch Executivprocess. 
Ausrichtung s. Vollstreckung. 

B. 

Bauergerichte 10, 32. 210, 200. 303. 

309. 321. 
Baugerichte 221. 261. 
Bauprocess 221. 223. 273. 
Begleiter der Parteien 30. 153. 
Begnadigungsrecht 301. 
Bejawortung 47. 
Beisitzer des Gerichts 8. 9. 10. 65. 

174. 280. 
Beiurtheile (Interlocute) 244. 246. 

249. 
Beklagter 27. 46 fg. 118. 183. 220. 

240. 266. 288. 
Bekreuzigungsverfafaren 139 fgg. 

198. 



330 



Bekümmerung s. Arrestprocess. 
Besatz s. Arrestprocess. 
Bescheltung s. Scheltung. 
Beschlag s. Arrestprocess. 
Beschwerde s. Querel. 
Besiegelang der Urkunden 70 fgg. 

103. 188 fg. 
Besitz, 36 jähriger 142. 
Besitzeinweisung 108 fgg. S. auch 

Immission. 
Besitzprocess 131 fgg. 198 fgg. 

295 fg. 
Bewahrung wegen Erfüllung eines 

ürtheils 105. 

— wegen Ausführung einer Ur- 
theilsscheltung 122. 195. 

Beweis überhaupt 50 fgg. 141 fgg. 
153 fgg. 185 fgg. 208 fg. 220 fg. 
242 fg. 268 fg. 289 fgg. 

— , einseitiger, 76 fgg. 

— , zweiseitiger, 83. 134. 138. S. 

auch Gegenbeweis. 
— , halber, 187. 248. 
— , neu aufgefundener, 117. 247. 

249. 290. 

— nach todter Hand 57 fg. 80. 270. 
Beweisartikel 188. 214. 242. 269. 290. 
Beweisfrist (Termin) 84. 87 fg. 183. 

190 fg. 220. 242. 268. 289. 

Beweislast 81 fgg. 185. 

Beweismittel 51 fgg. 141 fgg. S. 
Beweis überhaupt und insbe- 
sondere: Augenschein, Eid, Ur- 
kunden, Zeugen. 

Beweisrecht 76 fgg. 137. 185. 

Beweisurtheil 84. 103. 

Beweisverfahren in bürgerlichen 
Rechtssachen 83 fgg. 185 fgg. 190. 
220. 242. 268 fgg. 289 fgg. 318. 

— in Besitzstreitigkeiten 132 fgg. 
137. 141. 

— in peinlichen Sachen 153 fgg. 
208 fg. 214. 224. 255. 275 fg. 300. 



Bischöfliche Gerichtsbarkeit 4. 24. 
26. 31. 

Blau und Blut 154. 

Blutrache s. Bache. 

Briefe und Siegel 70. 

Burggericht, Reval'sches, 170. 193. 
— , Rigisches , 234 fgg. 239, 330. 
246. 251. 

Burggraf in Gurland 281, 534. 
— , burggräfliches Gericht , in 
Riga 262 fgg. 305. 

Bürgschaft, gerichtliche, in bürger- 
lichen Rechtssachen 99 fgg. 185. 
241. 268. 289. S. auch Caution. 
— , — , in peinlichen Sachen 160. 
277. 

Bussen 149. 162. 212 fgg. 

Büttel s. Frohne. 

C. 

Canzler 281, 534. 

Caesodium s. Urfehde. 

Caution 107. 185. 241. 248. 268. 273. 
289. 293. 300. S. auch Bürg- 
schaft. 

Citation s. Ladung. 

Civilprocess s. Verfahren in bür- 
gerlichen Rechtssachen. 

Commissarien und Commissiönen 
199 fgg. 222. 282. 

Commissarius fisci s. Fiscale. 

Concursprocess 201 fg. 222. 275. 

296. 319 fg. 
Gonferenz , mündliche, 191 fg. 220. 
Consüiarii, consiUes s. Rathman- 

nen. 
Consistorien , geistliche , 26. 170. 

175. 177. 233. 238. 262. 282. 283. 

305. 307. 308. 310. 
Gonsistorialprocess 203. 320. 
Consistorium s. Rathhaus. 
Contumaz s. Ungehorsamsyerfah- 

ren. 



"*'■ 






S31 



/^ion 312. 

§ 8. Verfahren in 
^'Sachen. 



.iften 8. 



Schluss- 



3ttel 328. 
'*162. 205, 178. 208. 216. 
um seu vasaMorum 12. 
* • 2. 174. 
8. 

I. Consistorien. 
.83. 191. 220. 240. 266. 
■ , 291. 318. 

_^ E. 

Echteding 11. 178. 262. S. auch 

offenbare Gerichtstage. 
Echte Noth 95. S. auch Ehehaften. 
Eddag 11. 
Edictalladung (Proclam) 182. 202. 

222. 268. 299. 
Ehehaften (echte Noth) 140. 159. 

183. 240. 288. 
Ehescheidungsproces8 203. 
Eid der Partei 51 fgg. 77 fg. 81. 

84 fgg. 133. 137. 154 fgg. 162. 

186. 208. 243. 269 fg. 275. 290. 
— , auferlegter, s. Ergänzungs- 
und Eeinigungseid. 
— , freiwilliger, s. Eideserbietung 

und Eideszuschiebung. 

- für Gefährde 184. 200. 241. 248, 
377. 291. 

— mit Gehülfen s. Eidhelfer. 
Eideserbietung 84. 
Eidesfahigkeit 53. 187. 
Eidesform 54 fgg. 
Eideshand 86. 



Eideszuschiebung 86. 243. 269. 290 
fg. 300. 

Eidhelfer 56 fgg. 80. 81. 132 fgg. 
137 fgg. 142. 149. 153 fgg. 160. 
162. 186. 214. 243. 

Eineid 51 fgg. 

Einlassung auf die Klage s. Ant- 
wort. 

Einreden 48. 183. 188. 220. 241. 
242. 267. 26^. 288. 290. 

Einweisung in den Besitz s. Im- 
mission. 

Eisenprobe 74 fg. 92 fg. 132 fgg. 
138. 143. 155 fg. 186, 100. 214. 

Entsagen s. Absage. 

Entsetzer 140. 

Ergänzungseid 187. 243. 269. 290. 
300. 

Erkenntniss s. ürtheil. 

Erklärung auf die Klage s. Antwort. 

Eschung der Partei durch den 
Richter 46. 94. 107. 

— der ürtheiler 102. 
Exceptionen s. Einreden. 
Executivprocess 128. 196 fg. 223. 

273. 294 fg. 320. S. auch Voll- 
streckung der ürtheile. 

F. 

Faustrecht 148. 

Fehde , Fehderecht 148 fgg. 212. 

Fehmgerichte 22. 

Ferien 15. 178. 261 fg. 

Finder (des Rechts) 7. 102 178, 61. 

Fiscale 169 fg. 215 fgg. 232. 237, 
320. 253. 254. 256 fgg. 282. 298 
fgg. 307. 311. 314. 322. S. auch 
Officiale. 

Flucht des Schuldners 129. 275. 

— des Verbrechers 157 fgg. 300. 
Folger des Richters 8. 14. 17. 
Forderung von Läuflingen 145. 297. 



332 



Forderung nach todter H^nd 57. 

59. 80. 270, 484. 
Fragstücke 188. 242. 269. 290. 
Fremde (Gäste) 32. 61 fg. S. auch 

Gastrecht. 
Friedensbann 16. 175. 
Friedensbruch 151. 
Friedlosigkeit 157 fgg. 211 fg. 224 

fg. S. auch Acht. 
Fristen 183. 189 fgg. 240. 298. 318 fg. 

S. auch Ladung. 
Frohne 8. 43. 

O. 

Gäste s. Fremde. 

Gastrecht 56. 128. 221. 273. 294. 

Gegenbeweis 83. 137. 191. 220. 242. 

268. 289. 
Gegenraemorial 191. 220. 318. 
Geistliche Gerichte s. Gerichte. 
Geleit s. Sicheres Geleit. 
Gemeindegerichte 309. 
Generalconsistorium 310. 
Generalinquisition 322. 
Generalvicar 25. 
Gericht : dessen Verpflegung 13. 14. 

Dessen Vollmächtigkeit 17. 
Gerichte, auswärtige 21 fgg. 
— , gebotene 11. 13 fg. 
— , geistliche 4. 24. 33. 36. 129. 

161 fgg. S. auch Consistorien. 
— , offenbare oder ungebotene 

11 fgg. 15. 
Gerichtsbarkeit 4 fgg. 168 fgg. 230 

fgg. 261 fgg. 280 fgg. 
— , geistliche 4. 24. 161. 
Gerichtsbote 8. 42. 112. 
Gerichtshegung ( Juridik ) , deren 

Zeit, Ort und Form, 11 fgg. 

15 fgg. 174 fg. 178. 231. 232. 

280. 281. 
Gerichtshof bürgerlicher und pein- 
licher Sachen 306. 



Gerichtsordnungen 167. 227. 259. 
278, 525. 303, 7. 

Gerichtsschein (richteschin) 38. 

Gerichtsstand 31 fgg. 49. S. auch 
Zuständigkeit. 

Gerichtsstube s. Landstube. 

Gerichtstage s. Dingeltag, Gerichts- 
hegung, offenbare Gerichtstage. 

Gerichtszeugniss 65 fgg. 

Gerüfte 151 fg. 211. 224. 276. 

Gesammtmarken s. Marken. 

Gesetzgericht 261. 

Gewissensgericht 295. 

Gottesurtheüe 72 fgg. 92 fg. 162. 
186. S. auch Eisenprobe, Was- 
serprobe, Zweikampf. 

Gouvernementsfiscal 311. 

Gouvemementsmagistrat 307. 

Gouvemementsprocureur 307. 308. 
314. 317. 323. 

Gouvemementsregierung 308. 

Gränzprocess 6. 131 fgg. 198 fgg. 
320. 

GutsherrKche Gerichtsbarkeit s. Pa- 
trimonialgerichtsbarkeit. 



Hakenrichter 6. 33. 144 fgg. 169. 
175. 311. 

Handabstreichen 134. 136. 138. 

Handelsbücher 220 fg. 269. 

Handelsprocess 273. 

Handhafte That 151 fgg. 

Hauptleute {hoveüude) 27, 

Hauptmannsgerichte 281. 287. 311. 

Hofgericht, Curländisches, s. Ober- 
hofgericht. 
— , Livländisches, 229. 23L 246 fg. 
251. 305. 308. 309. 310. 313, 47. 
— , Schwedisches, zu Stockholm 
193. 194. 223. 247 fgg. 805. 



333 



Ja! 118. S. auch Bejawortung. 

Immission 197. 274. 294. 

Indentura, litter ae indentatae, s. 
Ausgeschnittene Zettel. 

Indicien 214. 

Injurienprocess 224. 321. 

Inquisition s. General- und Spe- 
cialinquisition. Untersuchungs- 
verfahren. 

Insage 49. 118. 

Interlocut s. Beiurtheil. 

Interrogatorien s. Fragstücke. 

ludicium vasallorum a. Mannge- 
richt. 

Juridik s. Gerichtshegung. 

Juristenfacultäten 22. 

Justizbürgermeister 178. 306. 

JustizcoUegium der Liv- und Est- 
ländischen Sachen 305. 308. 310. 

Justizräthe 285. 

Justizreform im Russischen Reiche 
303. 

Kaiser, Römischer, 5. 
Kammer, fürstliche, 19. 
Käramereigericht 261, 273. 
Kirchengericht 261. 273. 
Kirchspielsbriefe 175. 
Kirchspielsgericht 309. 
Klage überhaupt 44. 118. 183. 240. 
-.266. 288. 
— , als Grund zum Einschreiten 

des Richters 35. 204. 266. 
— , Zwang zur, 35. 203 fg. 
— , peinliche 151 fgg. 211 fgg. 
252 fgg. 

— mit Anevang 44, 189. 327. 

— mit Gerüfte s. Gerüfte. 
Klagesteuer 319. 

Kosten des gerichtlichen Verfahrens 
45. 95. 



Kreisfiscal 232. 311. 
Kreisgericht 306. 309. 
Kreuzküssung 56. 
Kriegsbefestigung s. Antwort. 
Kronsinteressesachen 321. 
Kummer s. Arrest. 
Kundschaft 188. 

Ladung (Citation) 39 fgg. 46. 47. 

93 fgg. 182 fgg. 219. 289. 267. 

287. 318. 
Landesherrliche Gerichtsbarkeit 4. 
Landesrath 8. 
— , Harrisch - Wierischer, 18. 20. 

21. 168. 
Landfriede 150. 

Landgericht, Estländisches, s. Ober- 
landgericht. 
Landgericht, Pilten'sches, 283. 310. 
Landgerichte in Livland 229. 230. 

238 fgg. 250 fg. 
Landhofmeister 281, 534. 
Landmarschall 281, 534. 
Landrechtsentwürfe 227. 326. 
Landschreiber 19. 
Landstube, Gerichtsstube 175, 51. 

182. 
Landtag 21. 122. 
Landvoigteigericht 261. 312. 
Landwaisengericht, Estland., 305. 

— in Livland 233. 
Läuflingsforderungs-Process 33. 144. 

198. 297 fg. 320. 
Lehnhöfe 4. 
Leuteration (Revision) der Urtheile 

in peinlichen Sachen 210. 251. 

252. 255. 301. 323. 
Litiscontestation s. Antwort. 

M. 

Magisträte in den Städten Cur- 
lands 283. 311. 



334 



Magisträte während der !r^tatthalter- 
schaftsverfassuug 307. 

— s auch Stadtrath. 
Mannbusse 135. 149. 212 fg. 
Mannrichter und Manngerichte in 

der bischöflichen und Ordens- 
zeit 4. 6. 9. 18. 31. 139 fgg. 
S. auch Richter. 

— in Curland 282. 283. 311. 

— in Estland 168. 173 fg. 192. 311. 
Manntag 12 fgg. 16 fg. 20. 39 fgg. 

89. 116. 
Marken , Markgenossen 135 fgg. 
Memorial 191. 220. 318. 
Merita causae 286. 
Mitfolger s. JFolger. 
Mitschwörende s. Eidhelfer. 
Mündliches Gericht 312. 
Mündlichkeit s. Verfahren. 

Nächstenzeugnisse 67. 
Nebenurtheil s. Beiurtheil. 
JJiedergericht in Reval 177. 
Niederlandgericht , Estländisches, 

169. 175. 193. 305. 
Niederlandgericht während der 

Statthalterschaftsverfassung 306. 

O. 

Oberacht s. Acht. 

Oberconsistorium 233. 

Oberfiscal 232. 

Obergericht 20. 114 fgg. 169. 281. 

Oberhauptmannsgerichte 280. 311. 

Oberhöfe 23. 123 fgg. 

Oberhofgericht (Obergericht), Cur- 
land., 281. 308. 309. 310. 313, 47. 

Oberlandgericht ( Landgericht , 
Obergericht), Estland., 168. 169. 
174. 193 fgg. 305. 308 fgg. 313,47. 

Oberlandgerichte während d. Statt- 
halterschaftsverfassung 307. 



Offenbare Gerichtstage 262. 

Oeffentlichkeit des gerichtlichen 
Verfahrens 15. 24. 174 fgg. 179. 
262. 293, 607. 

Officiale in den geistlichen Ge- 
richten 25. 
— in den Städten 177. 225. 261. 
277. 

Ordalien s. Gottesurtheile. 

Ordens - Comthure und Vögte 6. 
31, 130. 

Ordensmeister, dessen Gerichtsbar- 
keit, 4. 

Ordensrath 19. 

Ordnungsgerichte 234. 305. 

P. 

Päbstliche Gerichtsbarkeit 24. 

Parteien 17. 27. 179 fgg. 236 fgg. 
264 fgg. 284 fg. 313. 

Patrimonialgerichtsbarkeit d. Guts- 
herrn 4. 6. 169. 236. 282. 283. 309. 

Pergament 70, 357. 106. 

Pfandbesitzer, deren Gerichtsstand, 
33. 

Pilgervoigt 7, 15. 

Placitum generale, legiUmum 11.12. 

Polizeiverwaltungen in den Städten 
312. 

Positionalartikel 187. 243. 

Praeco s. Frohne. 

Präjudicate 104. 

Pressul 71. 

Privatanklage-Process 211 fgg. 218. 
252 fgg. 277. 298. 321. 

Process s. Verfahren. 

Proclam s. Edictalladung. 

Procuratoren 30. 180 fg. 237. 265. 
284. 313. 

Procuratorenordnungen 167. 260. 

Procureur s. Gouvernementspro- 
cureur. 



335 



ProtocoUe 38. 106. 115. 
Provocationsprocess 204. 297. 

Q. 

Quadruplik 183, 89. 

Quellen des Processrechts 2. 164 fgg. 

226 fgg. 259 fg. 278 fg. 302 fg. 326. 
Querel (Bescjiwerde) 245. 249. 271. 

318. 319. 

B. 

Eache , Blutrache 148 fgg. 

Eath 8. Landesrath, Ordensrath, 

Stadtrath, Stiftsrath. 
Eathhaus (consistorium) 16. 
Eathmannen , Hathspersonen 20. 
— , städtische , deren Zeugniss 

64. 66. 
Eechtfinder 7. S. auch ürtheiler. 
Eechtskraft des Urtheils 102. 114. 
Eechtsmittel 113 fgg. 120 fgg. 192 

fgg. 222 fgg. 243 fgg. 270 fgg. 

291 fgg. 319. S. auch Appellation, 

Querel, Revision. 
Eechtsquellen s. Quellen. 
Eeichsgerichte , Eeichskammerge- 

gericht 22. 
Eeinigungseid 208. 224. 243. 269. 

275. 290. S. auch Eid der Partei. 
Eelation 247. 249. 
Belationsgericht in Warschau 292. 
Eeplik 49. 183. 191. 220. 240. 266. 

269. 289. 291. 318. 328. 
Eespect 67. 

Eestitutionsprocess 296. 
Eevision , Eechtsmittel der, 120 fgg. 

194 fg. 237, 322. 247 fgg. 271 fg. 
— der Urtheile in Criminalsachen 

s. Leuteration. 
Richteltag 12. 

Richter 5. 7. 17. S. auch Mannrichter. 
— , dessen Amtsbefugnisse 7. 35. 

172. 



Richter, dessen amtliches Einschrei- 
ten 35. 162 fg. 204 fgg. 266. 316. 
S. auch üntersuchungsverfahren. 
— , dessen Zuständigkeit 31. 168 
fgg. 230 fgg. 250 fgg. 261 fg. 
280 fgg. 

Eittergericht 18. 

Eugen (wrogen) 162. 

Sachfälligkeit 93 fgg. 105. 183. S. 
auch Ungehorsamsverfahren. 

S achwältige (sdkewolde) 27. 

Scheltung s. Urtheilsscheltung. - 

Schiedsrichter 6. 131 fgg. 311. 320. 

Schlossgerichte 234. 

Schlussschriften 291. S. auch Re- 
plik, Duplik, Triplik, Quadru- 
plik, Memorial und Gegenme- 
morial. ,^ 

Schreiber 19. 

Schriftlichkeit s. schriftliches Ver- 
fahren. 

Schuldgefängniss , Schuldhaft 112. 
223. 275. 

Schuldknechtschaft 111. 197. 320. 

Schuldprocess 128. S. auch Exe- 
cutivprocess. 

See- und Frachtgericht 177. 223. 

Selbsthülfe (sulfrecht) 104. 147 fgg. 

Senat, dirigirender, 305. 306. 308. 
310. 

Sendgerichte, Sendschöffen, Send- 
zeugen 25. 36. 162. 

Seniores 20. 

Sequester s. Arrestprocess. 

Sicheres Geleit 159 fg. 

Siegel des Richters 38. 71. 

Siegel an Urkunden s. Besiegelung. 

Specialinquisition 322. 

Spolium 295. S. auch Besitzprocess. 

Staatsanklageprocess 215. 225. 252 
fgg. 277. 298 fgg. S. auch Fiscale. 



336 



Stabung des Eides 54. 

Stadgen s. üebertretung. 

Stadtbote s. Gerichtsbote. 

Stadtbücher 69. 

Stadtgericht in Reval 812. 

Stadtrath 9. 19. 177. 261. 305 fg. 308. 
812. S. auch Magisträte. 

Stadtschreiber 19. 

Stadtvügte (Stadtrichter) 6. 9. 31. 
S. auch Voigteigerichte. 

Statthalterschafts - Verfassung 308. 
806 fg. 315. 

Status causae 286. 291. 

Stekerechtdag 84. ^ 

Stellvertreter der Parteien 27. 179 
fgg. 236 fgg. 264 fgg. 276. 299. 
313 fg. S. auch Advocaten, Pro- 
curatoren , Vorsprecher. 

Stempelpapier 319. 

Stiftsrath 8. 19. 20. 120. 

Stiftsvögte 6. 31. 130. 

Strafen, gerichtliche, 96. 

Strassenfiscal 216, 224. 226, 263. 

Strassengericht 177. 

Sühnegeld 149. 212 fg. 

Sühneversuch 48. 203. 268. 

Summarisches Verfahren s. Ver- 
fahren. 

Syndicus 261. 

Synoden, Synodalgericht s. Send- 
gerichte. 

T. 

Tag, gemeiner, 12. 

Tage, heilige oder gebundene, 15. 

56. S. auch Ferien. 
Termine 317. S. auch Fristen. 
Todte Hand s. Beweis. 
Tortur 209. 255. 259. 276. 
Tovorzicht 67. 
Triplik 183, 89. 



r. 

Ueb ergäbe zu £igen , zu Hand und 
Halfter 111. S. auch Schuld- 
knechtschaft. 

Üebertretung königlicher Stadgen 
und Verordnungen 215 fgg. 258 
fgg. 257. 

Umstand 102. 176. 262. 293. 

Ungehorsams (Contumacial) - Ver- 
fahren 93 fgg. 109 fg. 182 fg. 
219 fg. 239 fg. 246. 267. 288. 
300. 822. 

Ungericht 151. 

Unteracht s. Acht. 

Uuterconsistorien 233. 

Untersuchungsverfahren 37. 161 fgg. 
204 fgg. 218. 225. 252 tg. 255 fg. 
258. 276. 298. 322 fg. 

Unterschrift der Urkunden 70. 189. 

Unterwindung 44, 189. 327. 

Urfehde (orvaide, caesodium) 150. 

Urgicht 276. 

Urkundenbeweis 68 fgg. 82. 91. 142. 
143. 188. 242. 269. 289 fg. 

Urtheil 101 fgg. 118 fg. 184. 241. 
247. S. auch Verfahren mit ür- 
theilen. 

Urtheile, gleichlautende, zweier In- 
stanzen 248. 272. 

Urtheiler 7. 9 fgg. 20 fg. 102. 108. 
172. 178. 210, 200. 

Urtheilsmann 7. 9. 17. 39. 102. 108. 

115. 172. 
Urtheilspfand 114. 125. 
Urtheilsscheltung 113 fgg. 192. 
— an das Buch 121. 

V. 

Verfahren , gerichtliches , accusa- 
torisches s. Privat- und Staats- 
anklageprocess. 
— , — , ausserordentliches 128 fgg. 
196. 221. 250. 272. 293. 319. 



337 



Verfahren , gerichtliches , inquisi- 
torisches 8. üntersuchungspro- 
cess. 
— , — , mündliches und schrift- 
U.ches 37. 125 fgg. 181 fgg. 191. 
219. 238 fg. 266. 286. 

— , — , ordentliches , in bürger- 
lichen Eechtssachen bis 1561 
39 fgg. 

— — — — in Estland unter 
Schwedischer Herrschaft 181 fgg. 
219 fgg. 

— — — — in Livland unter 
Schwedischer Herrschaft 238 fgg. 
266 fgg.| 

in Curland während 

der herzoglichen Regierung 287 

%g- 
in allen Provinzen unter 

Russischer Herrschaft 316 fgg. 

, summarisches, 38. 128. 196. 

219. 221. 238. 272. 285. 293. 

— — mit Urtheilen 38. 

— — in Bausachen 221. 

in peinlichen Sachen 147 

fgg. 204 fgg. 224 fgg. 252 fgg. 
275. 298 fgg. 321 fgg. 328 fg. 

— in geistlichen Gerichten 129. 
161 fgg. 203. 320. 

Verfestung 157 fgg. S. auch Fried- 

losigkeit. 
Vergleich 29. 45. 97. 268. 299. 321. 
Verhandlungsmaxime 266. 316. 
Verwahrung s. Bewahrung. 
Vindication fahrender Habe 58. 59. 

80. 327. 
Vögte 4. S. auch Ordens-, Stadt- 

und Stiftsvögte. 
Voigteigerichte 261. 276. 283. 312. 



Vollstreckung (Ausrichtung , Exe- 
cution) des Urtheils in bürger- 
lichen Rechtssachen 105 fgg. 

— der Criminalstrafen 33. 
Vorladung s. Ladung. 
Vormundschaftsamt, adeliges, 307. 
Vorsprecher 27 fgg. 

W. 

Wahrzeichen und Wachszeichen bei 
der Ladung 40. 42. 182, 79. 

Waffentragen 17. 

Waisengerichte 177. 261. 273. 283. 
S. auch Landwaisengerichte und 
Vormundschaftsamt. 

Wasserprobe 75 fg. 156. 186, 100. 

Wechselprocess 222. 274, 508. 

Wedde 96 fgg. 

Wedderrede 49. 118. 

Wehrgeld 149. S. auch Mannbusse. 

Weinkaufsleute 64. 

Wettgerichte 271. 273. 283. 

Widerklage 49. 185. 241. 

Z. 

Zeit der Gerichtshegung 11 fgg. 15. 
Zeugen, Zeugenbeweis überhaupt, 
58 i'gg. 60 fgg. 81 fg. 133. 188. 
242 fg. 269 fg. 290. 

— , deren Auftreibung 87. 

— , Beeidigung 88. 90. 188. 

— ', Fähigkeit 60 fg. 

— , Verhör 88 fgg. 

— , Vorführung 87 fg. 

— , Zahl 64. 133. 187, 103. 
Zug an den Oberrichter 114. 115 fgg. 

— an die Oberhöfe 123 fgg. 
Zuständigkeit s. Richter. 
Zweikampf, gerichtlicher, 73 fg. 



Bunge, Geschichte des Gerichtswesens.