Skip to main content

Full text of "Geschichte des grotesk-komischen : ein Beitrag zur Geschichte der Menschheit"

See other formats


FLÖGEL-BAUER 

GESCHICHTE  DES  GROTESK- KOMISCHEN 

ERSTER  BAND 


4— 

KARL  FRIEDRICH  FLÖGEL 

GESCHICHTE  DES 
GROTESK-KOMISCHEN 

EIN  BEITRAG  ZUR  GESCHICHTE 
DER  MENSCHHEIT 


MIT  DREIUNDSIEBZIG  BILDBEIGABEN    \ 


i  •    9   •    1   •    4 


MÜNCHEN  /  VERLEGT  BEI  GEORG  MÜLLER 


) 


im 


NACH  DER  AUSGABE  VON  1788  NEU  BEARBEITET 
UND  HERAUSGEGEBEN  VON 

MAX  BAUER 


Motto : 

Von  allen  Geistern,  die  verneinen, 

Ist  mir  der  Schalk  am  wenigsten  zur  Last. 

Des  Menschen  Tätigkeit  kann  allzu  leicht  erschlaffen, 

Er  liebt  sich  bald  die  unbedingte  Ruh; 

Drum  geb  ich  gern  ihm  den  Gesellen  zu, 

Der  reizt  und  wirkt,  und  muß,  als  Teufel,  schaffen. 

Goethe,  Faust,  Prolog-  im  Himmel. 


Altägyptische  Groteske 
Aus  dem  obszönen  Papirus  in  Turin 


VORREDE  ZUR  AUSGABE  VON  1788 

Gewisse  Ursachen  nötigten  den  Verfasser  der  Geschichte 
der  komischen  Literatur,  dieses  Werk  mit  dem  vierten 
Teile  desselben,  doch,  wie  man  sich  aus  der  Vorrede  zu 
diesem  Bande  erinnern  wird,  nur  dem  Titel  nach,  zu  endigen. 
Was  noch  zur  Vollendung  seines  Plans  fehlte  (denn  in 
der  Tat  war  der  nur  kaum  zur  Hälfte  noch  ausgeführt), 
das  sollte  dann  nach  und  nach  in  einzelnen  Abhandlungen 
folgen,  die  zwar  unter  besonderen  Titeln  erscheinen,  aber 
doch  als  Teile  und  Fortsetzung  des  ganzen  Werkes  an- 
gesehen werden  sollten.  Die  erste  dieser  versprochenen 
Fortsetzung  erhält  das  Publikum  hiermit,  aber  die  Hoffnung, 
das  ganze  Werk  vollendet  zu  sehen,  ist  nun  auf  immer 
verschwunden !  denn  leider !  wurde  der  würdige  Verfasser 
desselben,  unser  vortrefflicher  Professor  Flögel,  der  Welt 
durch  einen  unvermuteten  Tod  den  7.  März  entrissen,  und 
wer  darf  es  wagen,  nach  ihm  ein  Werk  fortsetzen  zu  wollen, 
das  nur  er  allein  zu  entwerfen  und  auszuführen  imstande 
war!  Dazu  müßte  man  nicht  nur  seine  gründliche  und  weit 
ausgebreitete  Gelehrsamkeit,  seinen  richtigen  Geschmack 
und  philosophischen  Scharfsinn,  man  müßte  auch  seinen 
unermüdeten,  eisernen  Fleiß  besitzen,  mit  dem  er  viele  Jahre 
zu  diesem  Werke  sammelte,  eh  er  nur  einmal  Hand  an- 
legte, und  eben  den  Vorrat  an  Büchern  und  die  Gelegen- 
heiten nützen  können,  die  er  bei  der  Verfertigung  dieses 
Werkes  nützen  konnte;  und  alles  dieses  möchte  sich  wohl 
nicht  leicht  wieder  so  bei  einer  Person  beisammen  verei- 
nigt finden,  als  es  sich  bei  dem  ersten  Urheber  dieses  Werkes 
mit  noch  anderen  vortrefflichen  Eigenschaften  vereinigt  be- 
fand, um  deren  willen  nicht  nur  seine  Freunde,  sondern 
alle,  die  ihn  kannten,  ihn  ebensosehr  schätzten  und  liebten, 
als  ihn  jeder,  der  sich  auf  Schätzung  gelehrten  Werts  ver- 
steht, um  seiner  Gelehrsamkeit  willen  hochachten  und  seinen 
Verlust  bedauern  wird.  Unvollendet  wird  also  dieses  Werk 
nun  wohl  immer  bleiben,  doch  läßt  sich  hoffen,  daß  sich 

IX 


unter  den  nachgelassenen  Papieren  des  Seligen  noch  Fort- 
setzungen davon  finden  werden.  Wie  viel  oder  wenig,  kann, 
da  diese  Papiere  bis  jetzt  noch  nicht  untersucht  werden 
konnten,  vorderhand  noch  nicht  bestimmt  werden ;  nur  das 
kann  ich  mit  Gewißheit  versichern,  daß  die  Abhandlung 
von  den  Hofnarren,  als  der  zweite  Teil  vom  Groteske-Ko- 
mischen, schon  völlig  ausgearbeitet  ist  und  zum  Drucke 
fertig  liegt.  Diese  also  wenigstens  wird  das  Publikum  von 
dem  bisherigen  Verleger  noch  ganz  gewiß  erhalten;  den 
außerdem  noch  etwa  übrigen  schriftstellerischen  Nachlaß 
des  Seligen  werden  einige  seiner  Freunde  mit  aller  Sorg- 
falt und  Achtung,  die  sie  dem  Andenken  ihres  unvergeß- 
lichen Freundes  sowohl,  als  dem  Publikum  schuldig  sind, 
untersuchen  und  zu  seiner  Zeit  davon  öffentlich  Rechen- 
schaft geben.  So  sehr  sie,  so  viel  an  ihnen  ist,  es  zu  ver- 
hindern suchen  werden,  daß  durch  die  Herausgabe  noch 
unreifer  Werke,  nachgeschriebener  Kollegien  u.  dgl.  der 
Ruhm  ihres  würdigen  Freundes  nur  im  geringsten  befleckt 
werde,  so  hoffen  sie  doch  unter  seinem  gelehrten  Nach- 
lasse noch  manches  zu  finden,  für  dessen  öffentliche  Be- 
kanntmachung ihnen  das  Publikum  Dank  wissen  soll. 


EINLEITUNG 

Karl  Friedrich  Flögel  wurde  am  3.  Dezember  1729  in 
Jauer  geboren.  Seine  Schulbildung-  erhielt  er  auf  der  la- 
teinischen Schule  seiner  Vaterstadt  und  auf  dem  Gymna- 
sium zu  St.  Maria  Magdalena  in  Breslau.  Seit  1752  stu- 
dierte er  Theologie  in  Halle.  Von  1754  bis  1760  Hauslehrer 
in  seiner  schlesischen  Heimat,  kam  er  1761  als  Lehrer  an 
das  Breslauer  Magdaläneum,  von  wo  er  bereits  im  folgenden 
Jahr  als  Prorektor  an  die  Stadtschule  seiner  Vaterstadt 
berufen  wurde.  Zwölf  Jahre  hatte  er  dieses  Amt  inne,  das 
er  dann  mit  einer  Professur  der  Philosophie  an  der  Ritter- 
akademie zu  Liegnitz  vertauschte.  In  Liegnitz  starb  er  am 
7.  März  1788. 

Flögel  war  eine  Gelehrtenindividualität,  wie  sie  nicht 
allzu  oft  anzutreffen  ist.  Er  schlug  neue  Bahnen  ein,  die 
er  sich  erst  gangbar  machen  mußte,  Seitenwege  der  Lite- 
ratur- und  Kulturgeschichte,  die  er  erst  entdeckte  und  die 
alle  in  das  Gebiet  des  Komischen  und  Lächerlichen  führen. 

Seine  Geschichte  der  komischen  Literatur,  deren  vier 
Teile  1784  bis  1787  herauskamen,  unterzog  den  Gegen- 
stand der  ersten  deutschen  Gesamtdarstellung.  Als  Fort- 
setzung und  im  sachlichen  Zusammenhang  mit  diesem  Werke 
erschienen  nach  Flögeis  Tod,  herausgegeben  von  seinem 
Freunde,  Professor  Friedrich  Schmit  in  Liegnitz,  die  Ge- 
schichte des  Grotesk-Komischen  (1788),  die  Geschichte  der 
Hofnarren  (1789)  und  die  Geschichte  des  Burlesken  (1794). 
Eine  „Geschichte  des  menschlichen  Verstandes",  Flögeis 
Erstlingswerk  (3.  Auflage  1776)  und  verschiedene  kleine 
Aufsätze,  meist  philosophischen  Inhaltes,  waren  bald  durch 
bessere  ersetzt  und  vergessen. 

Nicht  so  die  erstgenannten  Bücher. 

Der  in  ihnen  aufgespeicherte  Reichtum  an  Materialien  aus 
heute  schwer  zugänglichen,  zum  Teil  ganz  verschütteten 
Quellen  und  die  ihnen  zugrunde  liegenden  Ideen  hatten 
verhindert,  daß  sie  das  Schicksal  so  vieler  beachtenswerter 

XI 


Geistesprodukte  des  achtzehnten  Jahrhunderts  teilten  und 
ungestört  vermoderten.  Die  Gegenstände,  die  sich  Flögel 
zum  Spezialstudium  auserkoren,  waren  zu  interessant,  um 
jemals  völlig  ins  Hintertreffen  kommen  zu  können. 

Das  Seinige,  dies  zu  verhindern,  hat  der  fleißige  Dres- 
dener Archivar  Friedrich  W.  Ebeling  getan,  der  die  drei 
Hauptwerke  Flögeis  bearbeitete. 

Wenn  heute  Ebelings  Arbeiten  überholt  und  namentlich 
durch  die  darin  niedergelegten  Urteile  veraltet  sind,  so 
trägt  Ebeling  daran  viel  weniger  die  Schuld,  als  die  Zeit, 
in  der  er  sie  niederschrieb.  Wir  haben  jetzt  ganz  andere 
Wertmesser  und  betrachten  kulturgeschichtliche  Bewegun- 
gen und  literarische  Persönlichkeiten  mit  ganz  anderen 
Blicken  als  ein  Gelehrter  in  der  zweiten  Hälfte  des  neun- 
zehnten Jahrhunderts.  Die  sittliche  Entrüstung  Ebelings  z.  B. 
über  Offenbach,  Nestroy  und  viele  andere  ist  nicht  weit 
von  Grotesk-Komik  entfernt. 

Überdies  hat  Ebeling  die  Arbeiten  seines  Autors,  vor- 
nehmlich die  Geschichte  der  Grotesk-Komik,  recht  gering- 
schätzig behandelt.  Er  hat  den  von  Flögel  klugerweise 
aufgestellten  Rahmen  gewaltsam  erweitert  und  Stückwerk 
eingefügt,  das  mit  der  Grotesk-Komik  im  Flögeischen  Sinne 
nichts  zu  tun  hat.  So  haben  der  Phallusdienst,  die  grotesk- 
komischen Moden  nichts  in  einem  Werke  zu  suchen,  das  nur 
das  willkürlich  Grotesk-Komische  auf  der  Bühne  und  im 
Volksleben  behandeln  will. 

Diese  Absicht  Flögeis  ist  nun  in  meiner  Bearbeitung 
wieder  hergestellt.  Alles  unfreiwillig  Komische,  mag  es 
noch  so  exzentrisch  auftreten,  ist  ausgeschieden,  und  nur 
die  Äußerungen  des  Grotesken  und  extravaganten  Humors 
sind  aufgenommen.  Das  Thema  ist  reich  genug.  Auf  die 
Bühne  aller  Zeiten  und  Völker,  zum  Kasten  der  Mario- 
netten- und  Schattenspieler,  in  die  Manege,  in  das  Kino, 
in  die  Kirche,  in  Dorf  und  Stadt  zu  Fest-  und  Feiertagen, 
in  die  Ballsäle,  in  Vereine,  auf  den  Ozeandampfer,  sogar 
in  die  trockene  Jurisprudenz  führt  das  neue  Buch. 
XII 


Ich  habe  bei  meiner  nicht  immer  leichten  Arbeit  viel 
Entgegenkommen  von  berufener  Seite  gefunden,  für  das 
ich  auch  an  dieser  Stelle  nochmals  aufrichtig  danke.  Aus 
der  großen  Zahl  der  Herren  und  Korporationen,  die  mich 
mit  Material  unterstützten,  seien  besonders  genannt:  Herr 
Pfarrer  Fr.  Mechtersheimer  in  Weisenheim  am  Berg,  Herr 
Bürgermeister  Walther  in  Stockacht,  Herr  Josef  Wingender, 
Präsident  der  Großen  Köln.  Karnevalsgesellschaft,  Herr 
Schriftsteller  H.  W.  Otto,  Düsseldorf,  Herr  Kunstmaler 
Walter  Trier,  Friedenau-Berlin,  Herr  Hofantiquar  Max  Mai, 
Berlin,  Herr  Antiquar  Martin  Breslauer,  Charlottenburg,  Ph. 
Rosenthal  &  Co.  A.  G.  Selb  in  Bayern,  Herr  Filipp  Kester 
in  München,  Herr  Josef  Ricardo-Rocamora,  Hamburg,  dann 
die  Vorstände  des  Wiener  Männergesangvereins  in  Wien 
und  der  Pankgrafen  in  Berlin. 

Andere  allerdings,  wie  z.  B.  die  Allmutter  Praga  der 
Schlaraffia,  haben  anscheinend  die  Preisgabe  wichtiger  Ge- 
heimnisse gefürchtet.  Der  Vorstand  der  Grünen  Insel  in 
Wien  hat  höfliche  Anfragen  überhaupt  nicht  beantwortet. 

Für  die  mehr  als  reiche  Ausstattung  des  neuen  Flögel 
gebührt  dem  Verlag  der  Dank  der  deutschen  Lesewelt. 

Berlin-Friedenau,  Mai  1913. 

Max  Bauer 


XIII 


Bon  soir! 
(Antoine  Watteau) 


Japanisches  Götterbild 
\us  dem  Besitze  des   Erzherzogs  Johann  Salvator  von  Österreich   (Johann  Orth) 


ERSTES  HAUPTSTUCK 

VOM  GROTESK-KOMISCHEN  AUF  DEM 
THEATER 

Die  Neigung-  der  Menschen  zum  Grotesk-Komischen  oder 
zur  Karikatur  ist  so  alt  wie  irgendein  anderer  Zweig 
des  Komischen;  ja,  es  ist  wahrscheinlich,  daß  er  an  Alter- 
tum alle  anderen  übertrifft.  Denn  ehe  der  Mensch  so  ge- 
sittet wird,  daß  er  das  Fein-  und  Hochkomische  ersinnen 
oder  an  ihm  Behagen  finden  kann,  ist  das  Gefallen  an  dem 
Übertriebenen  und  Grob-Komischen  lange  vorher  gegangen, 
weil  sich  dieses  wie  von  selbst  mit  den  rohen  Sitten  des 
ungebildeten  Menschen  am  besten  verträgt  und  natürlicher- 
weise daraus  entstehen  muß.  Es  würde  ein  sehr  unter- 
haltender Beitrag  zur  Geschichte  der  Menschheit  sein,  wenn 
man  von  dem  ersten  Ursprünge  des  Grotesk-Komischen  bei 
alten  und  neuen  Völkern  verbürgte  Nachrichten  erhalten 
könnte;  allein  die  Quellen  reichen  kaum  über  die  Grie- 
chen hinaus,  und  auch  diese  sind  teils  zu  trübe,  um  auf  den 
Grund  zu  sehen,  teils  zu  seicht,  um  viel  daraus  schöpfen  zu 
können. 

Da  wir  über  direkte  Nachrichten  nicht  verfügen,  müs- 
sen wir  mit  jenen  vorlieb  nehmen,  die  uns  Schlüsse  auf 
das  Verlorengegangene  erlauben.  Das  Leben  und  Treiben 
der  Naturvölker  von  heute  läßt  uns  erkennen,  wie  es  vor 
unzählbaren  Jahren  in  der  Jugend  des  Menschengeschlechts 
gewesen  sein  mag;  denn  in  den  Sitten  und  Gebräuchen 
der  „Wilden",  wie  wir  höchst  ungerechtfertigt  die  kultur- 
fremden Völker  nennen,  sind  all  die  Gepflogenheiten  der 
Menschen  von  ehemals  erhalten. 

Die  wirklich  Wilden,  die  keine  Kultur  beleckt,  denen 
die  Segnungen  der  Zivilisation  weder  durch  Matrosen 
noch  durch  Missionäre  gelehrt,  denen  Sittlichkeitsapostel 
keine  Kleider  aufgedrängt,  Seefahrer  noch  nicht  erotischen 
Unterricht  erteilt   haben,    denen  Kultur   nicht   mit  Folter, 

1  1 


Galgen,  Pulver  und  Blei  beigebracht  wurde,  haben  Kin- 
dergemüt und  wie  die  Kinder  Freude  an  lustigen  Narre- 
teien. Hiervon  sind  selbst  jene  Völker  nicht  ausgenommen, 
deren  ganzes  Dasein  einen  mörderischen  Kampf  um  das 
Dasein  mit  einer  geizig-harten  Natur  darstellt:  die  Men- 
schen jenseits  des  Polarkreises. 

In  seinem  Bliche  „Die  Nordwest-Passage" 1  beschreibt  der 
Südpol-Entdecker  Roald  Amundsen  ein  Tanzvergnügen  der 
Eskimos  im  höchsten  Norden,  also  von  Menschen,  die  in 
ewig  dräuenden  Gefahren  leben. 

Von  dem  lustigen  Trommeltanz  grönländischer  Eskimos 
berichtet  Fridtjof  Nansen: 

„Der  Verlauf  war  der,  daß  die  beiden  Gegner  sich  in 
einem  Kreise   von    Zuschauern  beiderlei  Geschlechts 
einander  gegenüberstellten.    Auf  ein  Tamburin  oder 
eine  Trommel  schlagend,  sangen  sie  nun  abwechselnd 
Spottlieder  aufeinander.    In  diesen  Liedern,  die  in  der 
Regel  vorher  gedichtet,   bisweilen  aber  auch  impro- 
visiert wurden,  erzählten  sie  alles,  was  der  Gegner  ver- 
brochen hatte  und  versuchten  ihn  nach  besten  Kräften 
lächerlich  zu  machen.    Wer  die  Zuhörer  am  meisten 
über  seine  Witze  und  Anklagen  lachen  machte,  blieb 
Sieger." 
Die  Missionäre  haben  diesen   uralten  Volksbrauch,  wie 
so  viel  anderes,  Ursprüngliches   und  Lobenswertes,  unter- 
drückt und  ausgerottet2. 

Von  dem  Grotesk-Komischen  bei  anderen  primitiven  Völ- 
kern hier  nur  Stichproben,  richtige  ethnographische  Rössel- 
sprünge. 

Es  können  eben  nur  Stichproben  sein,  denn  eine  gründ- 
liche Durcharbeitung  des  Themas  würde  mehr  Raum  bean- 
spruchen, als  diesem  Werke  mit  allen  seinen  Kapiteln  zu- 
gemessen ist.  Dabei  wären  einerseits  Wiederholungen  bis 
ins  Endlose  kaum  zu  vermeiden,  andererseits  stände  die 

1  München  1908,  S.  278  ff.  —  a  Eskimoleben,  Berlin  1903,  S.  155  ff. 
2 


Trockenheit  des  Stoffes  den  Absichten  entgegen,  die  einst 
Floegel  und  daher  auch  mich  bei  der  Bearbeitung  seines 
Buches  geleitet  haben:  —  für  jedermann,  nicht  für  den 
Fachgelehrten  allein  zu  schreiben. 

Ich  übergehe  dabei  mit  voller  Absicht  alles  das,  was 
nur  dem  geläuterten  Geschmack  als  grotesk-komisch,  bizarr 
erscheint,  sowie  das  Unfreiwillig-Komische. 

Die  alten  Götterstandsäulen  der  Indianer  in  Alaska  muten 
uns  mit  ihren  seltsamen  Fratzen  wie  Karikaturen  an,  und 
doch  war  es  den  Rothäuten  bitter  ernst  zumute,  als  sie  diese 
Holzstatuen  schufen. 

Die  Teufelstänzer  auf  Ceylon  und  die  Duck-Duck-Tänzer 
des  Bis  mar  ck- Archipels,  die  Fetische  bei  afrikanischen 
Negern,  die  Götterbilder  bei  den  Maoris  auf  Neuseeland, 
die  Tanzmasken  der  Priester  in  Tibet,  sie  alle  dienen  dem 
Kult,  so  grotesk-komisch  sie  dem  modernen  Geschmack 
erscheinen  mögen. 

Wie  anders  steht  es  mit  dem  Neger  Ostafrikas!  Alle 
Reisenden,  die  nicht  als  Herrenmenschen  oder  Conquista- 
toren  in  sein  Gebiet  kommen,  rühmen  das  kindlich-naiv- 
heitere Gemüt  des  Naturburschen.  Lachen  und  Andere-zum- 
Lachen-Bringen,  ist  ihm  Lebenselement.  Er  ist  grausam, 
aber  auch  lustig  wie  das  Kind. 

Aus  den  Tropen  in  die  Steppen  Asiens. 

Kindlich,  besser  kindisch,  ist  das  Gehaben  des  Kirgisen, 
wenn  besondere  Festlichkeiten,  etwa  Hochzeiten,  seinen 
Übermut  entfesseln. 

„Wenn  die  offiziellen  Vertreter  des  Bräutigams  im  Aul 
des  Mädchens  erwartet  werden,  haben  die  Frauen  in  der 
Kilicke  (Hütte)  der  Braut  gleich  hinter  der  Schwelle  eine 
flache  Grube  ausgehoben  und  sie  mit  Filz  bedeckt.  So- 
bald die  Fremden  eintreten,  stolpern  sie  in  diese  Grube, 
und  in  demselben  Augenblick  stürzen  sich  die  Frauen, 
die  sich  seitlich  von  der  Tür  aufgestellt  halten,  auf  sie 
und  schmieren  ihnen  Mehl  ins  Gesicht.  Allgemeiner  Jubel 
belohnt  den  Spaß,  an  dem  sich  später  dann  das  Zusammen- 


nähen  der  Chalate  (der  langen  Kaftane)  der  Gäste  an- 
schließt3." 

Die  beste  Gelegenheit,  die  Lustigkeit  voll  zu  entfalten, 
bietet  der  Tanz,  für  den  die  Völker  des  ewigen  Eises 
ebenso  schwärmen  wie  die  in  den  Ländern  des  steten 
Frühlings  und  dauernden  Sommers. 

„Die  erotischen  Tänze  sind  sehr  beliebt  und  werden 
hauptsächlich  bei  den  zu  Ehren  der  Verstorbenen  statt- 
findenden Festlichkeiten  aufgeführt.  Die  Tänzer  tragen  bei 
dieser  Gelegenheit  die  Tatanuamasken,  welche  den  Träger 
unkenntlich  machen.  Außer  der  Maske  trägt  der  Tänzer 
einen  rings  um  den  Leib  gehenden  Schurz  aus  Farnkräutern 
und  anderem  Laub,  der  vom  Gürtel  bis  zu  den  Knien  reicht. 
Bei  der  Aufführung  bilden  die  Zuschauer  einen  Kreis, 
innerhalb  dessen  das  Orchester  Platz  nimmt.  Dies  letztere 
besteht  aus  Holztrommeln  und  aus  Brettern  und  Bambus- 
stücken, die  im  Takt  geschlagen  werden.  Unterstützt  wird 
die  Kapelle  von  einem  Sängerchor,  der  sich  möglichst 
viel  Mühe  gibt,  die  dröhnenden  Trommeln  zu  überschreien. 
Zunächst  spielt  das  Orchester  eine  Art  von  Ouvertüre. 
Dann  sieht  man  von  der  Seite,  gewöhnlich  aus  dem  Ge- 
büsch kommend,  eine  Anzahl  der  maskierten  Tänzer  her- 
vortreten; langsamen  und  bedächtigen  Schrittes  nähern 
sie  sich  dem  Tanzplatze,  bald  stehenbleibend,  bald  sich 
nach  allen  Seiten  umblickend,  bis  sie  sich  endlich  am 
vorher  bestimmten  Ort  zu  einer  Gruppe  vereinigen.  Diese 
Gruppe  führt  nun  unter  Begleitung  des  Orchesters  eine 
Anzahl  gemessener  Bewegungen  aus,  die  man  wohl  kaum 
als  Tanz  bezeichnen  darf,  denn  sie  bestehen  darin,  daß 
die  Maskierten  einander  langsam  umkreisen,  gleichsam  als 
ob  der  eine  auskundschaften  wolle,  wer  der  andere  wohl 
sein  könne.  Dies  dauert  etwa  zehn  Minuten.  Dann  nähert 
sich  plötzlich,  ebenfalls  aus  dem  Gebüsch  hervortretend, 
eine   einzelne  Maske   und   bewegt   sich  nach  der  Gruppe 

8  Dr.  R.  Karutz,  Unter  den    Kirgisen   und  Turkmenen,  Leipzig  1911,. 

S.  101  ff. 

4 


hin,  genau  in  der  vorher  beschriebenen  Weise.  Sowie 
die  Masken  diese  neue  Maske  gewahren,  geraten  sie  an- 
scheinend in  große  Aufregung,  trippeln  ihr  schnellen 
Schrittes  entgegen,  ziehen  sich  dann  zurück,  während 
die  zuletzt  gekommene  Maske  allmählich  sich  der  Gruppe 
zugesellt. 

Es  beginnt  jetzt  eine  sehr  komische  Darstellung,  welche 
die  Annäherung  des  Mannes  an  die  Frau  schildert,  denn 
es  wird  dem  Zuschauer  schnell  klar,  daß  die  zuletzt  er- 
schienene Maske  ein  weibliches  Wesen,  die  ersten  Masken 
jedoch  Männer  repräsentieren.  Die  Männer  versuchen  sich 
nun  dem  Weibe  angenehm  zu  machen,  wobei  jeder  ein- 
zelne sich  bemüht,  die  andern  zu  verdrängen.  Vorderhand 
bleibt  die  Schöne  jedoch  anscheinend  kalt  gegen  alle 
Liebesanträge,  schiebt  einen  sich  Anschmeichelnden  derb 
zurück,  kehrt  einem  anderen  den  Rücken  oder  gibt  durch 
andere  nicht  zu  verkennende  Zeichen  ihr  Mißfallen  kund. 
Doch  endlich  erklärt  sie  sich  für  besiegt  und  erkennt 
einen  der  Maskierten  als  ihren  Liebhaber  an.  Dieser  ist 
nun  voller  Freude,  welche  er  durch  allerhand  Sprünge  um 
die  Geliebte  herum  ausdrückt.  Die  verschmähten  Liebhaber 
ziehen  sich  nun  nach  einer  Seite  des  Tanzplatzes  zurück 
und  überlassen  den  Platz  den  beiden  Verliebten,  die  nun 
eine  intimere  Annäherung  darstellen,  nicht  ohne  anfäng- 
liches Sträuben  der  Schönen,  die  jedoch  schließlich  dem 
Liebeswerben  ihres  Erwählten  Gehör  schenkt.  Wenn  nun 
auch,  namentlich  in  der  letzten  Szene,  die  Darstellung  es 
an  derber  Realistik  nicht  fehlen  läßt,  so  kann  man  doch 
nicht  sagen,  daß  der  Tanz  obszön  ist.  Das  Komische  und 
Groteske  ist  in  der  Vorführung  zu  sehr  vorherrschend 
und  wird  noch  erhöht  durch  die  geschnitzten  und  bemalten 
Tatanuamasken,  mit  ihren  gefärbten  Raupen,  die  an  die 
altbayerischen  Helme  erinnern.  Daß  die  Eingeborenen  in 
der  Aufführung  nichts  Anstößiges  finden,  brauche  ich 
wohl  nicht  zu  bemerken.  Alt  und  jung,  Männer  und  Weiber, 
Jünglinge  wie  Mädchen  blicken  ihr  mit  ruhiger  Miene  zu 

5 


und  zollen  den  Aufführenden  zum  Schluß  durch  laute 
Zurufe  ihre  Bewunderung4." 

Die  Kaua-Indianer  im  brasilianischen  Urwald  führen  ganze 
Maskenbälle  auf,  wobei  die  Tänzer  als  Aasgeier,  Jaguar,  Mist- 
käfer, Eule,  Zwerg,  Mäkukö  vermummt  erscheinen.  Mimisch- 
humoristische Vorführungen  von  Jagdszenen  erwecken  lauten 
Jubel5. 

Der  vergnügungssüchtige  Birmane,  dem  wir  später  noch 
einmal  begegnen  werden,  gestaltet  alles  zu  einem  Fest,  die 
Leichenbestattung  nicht  minder  wie  sogar  die  Hinrichtung. 
„Bevor  der  Verurteilte  mit  dem  kurzen  Handschwert  ge- 
köpft wird,  reicht  man  ihm  berauschende  Getränke,  vor  allem 
Opium,  und  schmiert  ihm  Lehm  in  die  Ohren.  Der  Scharf- 
richter bittet  den  Verbrecher  um  Verzeihung,  daß  er  die 
Enthauptung  an  ihm  vollziehen  muß.  Dann  tanzt  der  Henker 
um  den  gefesselten  Verbrecher  herum,  und  am  Schluß  des 
Tanzes  schlägt  er  ihm  mit  einem  Streich  den  Kopf  ab6." 

Im  alten  Mexiko,  ehe  Cortez  mit  seinem  Gesindel  und 
später  die  Mönche  die  hohe  Kultur  in  Grund  und  Boden 
hinein  „zivilisierten",  waren  Tänze  mit  Masken  sehr  be- 
liebt7. Noch  jetzt  sind  dort  die  Ruinen  von  Amphi- 
theatern erhalten,  in  denen  einst  unter  den  Azteken  Grotesk- 
tänzer und  Schauspieler  ihre  Künste  zeigten.  Auf  dem  Hofe 
der  altmexikanischen  Könige  produzierten  sich  Zauber- 
künstler und  Spaßmacher.  Als  Hofnarren  wurden  Krüp- 
pel, Bucklige,  Einäugige,  Hinkende  und  Zwerge  gehalten. 
Im  Nationalmuseum  in  Mexiko  wird  die  Statue  eines  der 
Hofzwerge  Montezumas  bewahrt8. 

Im  fernen  Osten  erfreut  sich  besonders  China  seit  un- 
vordenklichen Zeiten  an  den  Artistenkünsten.    Chinesische 

*  R.  Parkinson,  Dreißig  Jahre  in  der  Südsee,  herausgegeben  von  Dr.  B. 
Ankermann,  Stuttgart,  S.  276  ff.  —  6  Dr.  Th.  Koch-Grünberg,  Zwei 
Jahre  unter  den  Indianern,  Berlin  1909,  I.  Bd.,  S.  135  ff.  —  6  Prof.  Dr. 
Philipp  Bockenheimer,  Rund  um  Asien,  Leipzig  1909,  S.  272.  —  7  Ernst 
v.  Hesse- Wartegg,  Mexiko,  Land  und  Leute,  Wien-Olmütz  1890,  S.  265. 
—  8  Josef  Lauterer,  Mexiko,  Leipzig,  S.  79  f. 
6 


Siamesische  Schauspieler 


Jongleure,  Seiltänzer,  Taschenspieler  und  Equilibristen,  die 
ja  auch  auf  den  europäischen  Spezialitätenbühnen  keine 
Fremdlinge  mehr  sind,  traten  und  treten  dort  öffentlich, 
ebenso  wie  bei  den  Gastmählern  der  Vornehmen  auf. 

Sie  besitzen  ferner  von  berufsmäßigen  Schauspielern  dar- 
gestellte Komödien,  in  denen  meist  die  Tao-sze,  die  Lehrer 
und  Anhänger  des  Tao,  dann  auch  die  Buddhisten  lächer- 
liche Rollen  spielen. 

Der  Ursprung  des  japanischen  Theaters  wird  in  das  Jahr 
807  n.  Chr.  verlegt.  Die  Oper,  besser  das  Melodrama,  soll 
noch  älter  sein.  Auch  hier  entwickelt  es  sich  aus  religiösen, 
von  Musik  begleiteten  Tänzen.  Heute  besitzt  das  japanische 
Theater  heroische  Dramen,  moderne  Schauspiele,  Komödien 
und  Possen  nationalen  Charakters,  doch  fassen  jetzt  dort 
europäische  Meisterwerke  festen  Fuß.  Ibsen,  Sudermann 
und  Shakespeare  sind  nun  gern  gesehene  Gäste  in  Japan. 

Die  früheren  Theaterstücke  zeichneten  sich  durch  ihre 
Länge  aus.  Dramen,  die  zwölf  Stunden  in  Anspruch  nahmen, 
waren  die  Regel,  doch  kamen  auch  noch  ausgedehntere  vor. 
In  der  Pracht  der  Kostüme  wie  in  der  Groteske  der  auf- 
geschminkten Masken  werden  die  japanischen  Darsteller  nur 
von  ihren  Kollegen  an  den  indischen  und  javanischen  Höfen 
erreicht. 

Durch  die  von  Europa  und  Amerika  eingedrungene  Kultur 
ist  recht  viel  von  der  Eigenart  im  Lande  der  aufgehenden 
Sonne  zerstört  worden.  Wie  anders  war  es  dort  noch,  da 
der  biedere  Engelbert  Kämpfer  aus  Lemgo  als  der  erste 
Deutsche  am  4.  Juli  1689  seinen  Fuß  auf  den  geheiligten 
Boden  Japans  setzte.     Von  Osacka  schrieb  er: 

„Neben  dem  wohlfeilen  Leben  dieser  Stadt  ist  alles,  was 
zur  Üppigkeit  und  sinnlichen  Ergötzung  dient,  im  Überfluß 
vorhanden,  weshalb  auch  Osacka  bei  den  Japanern  derSchau- 
und  Sammelplatz  aller  Lustbarkeiten  genannt  wird.  Sowohl 
auf  den  öffentlichen  Plätzen  wie  in  den  Häusern  sieht  man 
täglich  Schauspieler.  Es  stehen  Marktschreier  und  Gaukler  aus, 
und  wer  nur  etwas  von  Seltsamkeiten,  Mißgeburten,  fremden 

7 


oder  in  Künsten  abgerichteten  Tieren  besitzt,  der  findet  sich 
vor  allen  Arten  hier  ein  und  läßt  für  Geld  seine  Künste 
und  Raritäten  sehen9."  Kämpfer  wohnte  einem  Schau- 
spiel von  zwölf  Akten  bei.  In  den  sechs  ersten  Auftritten 
sah  er:  einen  runden  Triumphbogen  nach  chinesischer  Art; 
ein  Landhaus  und  einen  Garten,  dann  einen  Tanz  von 
zehn  bewaffneten  Knaben.  Ihre  Röcke  waren  grün,  das 
Futter  gelb  und  blau,  ihre  Beinkleider  von  ganz  sonder- 
barem Schnitt.  Unter  diesen  Burschen  sprang  ein  Hans- 
wurst herum  und  machte  allerhand  sonderbare  Possen.  Den 
Schluß  des  Auftrittes  bildeten  zwei  Tänzer  in  ausländischer 
Kleidung,  die  tanzend  aus  dem  Garten  kamen. 

Von  Japan  nach  Persien,  dem  Lande  des  silbernen  Löwen. 
„Für  Europäer  ist  das  persische  Theater  deshalb  so  interes- 
sant, weil  es  unsere  mittelalterlichen  Farcen  und  Mysterien 
noch  in  unserer  Zeit  auf  asiatischem  Boden  gleichsam  re- 
produziert. Man  kann  jedes  Jahr  im  Monat  Moharrem  in 
Teheran  Stücke  sehen,  die  den  zu  Karls  des  Kühnen  Zeiten 
in  Frankreich  und  England  aufgeführten  äußerst  ähnlich  sind, 
so  daß  die  Beschreibung  von  Pierre  Gringoirs  Mysterie 
in  Victor  Hugos  Glöckner  von  Notre-Dame  in  bezug  auf 
Charakter  und  Szenerie  des  Stückes  ebensogut  auf  eine 
persische  Tragödie  passen  würde.  Die  Ähnlichkeit  erstreckt 
sich  auch  auf  die  Veranlassung  der  Aufführungen,  die  in 
Persien  oft  von  Reichen  als  ein  verdienstliches  Werk  ver- 
anstaltet werden,  wobei  Schauspieler,  Veranstalter  und  Zu- 
schauer für  ihr  Heil  wirken.  Nicht  selten  aber  auch  aus 
Eitelkeit  und  Prunksucht,  um  dem  Unternehmer  Gelegenheit 
zu  geben,  seinen  Reichtum  an  Edelsteinen  und  kostbarer 
Kleidung  zu  entfalten  und  seine  Damen,  „die  fettesten  Maul- 
würfe aus  der  Höhle  seines  Harems",  wie  es  in  dem  orientali- 
schen Pathos  heißt,  dem  Volke  zu  zeigen,  die  sonst  ungesehen 
und  unbewundert  in  der  Verborgenheit  geblüht  hätten10." 

9  Wilhelm  Heine,  Japan  und  seine  Bewohner,  Leipzig1 1861,  S.  222.  — 

10  Dr.  Johannes  Baumgarten,  Die  außereuropäischen  Völker,  Kassel  1885, 
S.  416  f. 

8 


Komiker 
Antike  Skulptur 


Altjapanische  Teufelmaske 


Die  dramatische  Poesie  der  Perser  besteht  aus  Haziehs, 
einer  Art  religiösen  Dramas,  ähnlich  den  alten  Mysterien, 
und  der  Temacha,  der  vielbeliebten  Posse  niederen  Grades 
voll  handgreiflicher,  möglichst  dick  aufgetragener  Eindeu- 
tigkeit. 

Die  Temache  ist  eine  Stegreifkomödie.  Sie  wird  von 
Lutys  gespielt.  Dies  sind  Musiker,  Gaukler  und  Tänzer 
von  Profession.  Sie  führen  Possenreißer,  Bajaderen  und 
dressierte  Tiere  mit  sich,  um  ihre  Vorstellungen  möglichst 
abwechslungsreich  zu  gestalten.  Ihre  Stoffe  sind  häufig 
dem  Landleben  entnommen,  wie  dies  meist  bei  den  Spielen 
der  Griechen  und  Römer  der  Fall  war.  Auch  sonst  weisen 
diese  Temacha  manche  Ähnlichkeit  mit  den  römischen  Atel- 
lanae  und  den  Spielen  der  Griechen  auf. 

Derbe  Witze,  persönliche  und  politische  Anspielungen, 
zotige  Reden  und  Gebärden,  die  oft  weit  über  das  Erlaubte 
hinausgehen,  charakterisieren  die  persische  Temacha,  die 
nicht  allein  den  unteren  Volksschichten  zur  Freude  und  Er- 
holung dient,  sondern  auch  von  Angehörigen  höherer  Stände 
gern  aufgesucht  wird. 


GRIECHEN  UND  ROMER 

In  Griechenland  nahm  die  Komödie  mit  dem  Grotesk- 
Komischen  ihren  Anfang.  Die  Satyren  waren  nichts  an- 
deres als  groteske  Geschöpfe,  die  auf  dem  Lande  schon 
lange  als  die  Begleiter  des  Bacchus  das  Volk  belustigt 
hatten,  ehe  sie  in  Athen  auf  dem  Theater  erschienen.  Pra- 
tinas  führte  aus  dem  peloponnesischen  Phlius  das  Satyrspiel 
ein,  das  man  auch  später  noch,  seit  drei  Tragödien  hinter- 
einander gegeben  wurden,  als  erheiterndes  Nachspiel  nicht 
missen  wollte.  Die  Verbindung  der  feigen,  aber  unver- 
schämten Satyren  mit  ernsten  Helden,  in  deren  Rollen  sie 
sich  gelegentlich  selbst  mit  ähnlichen  Erfolgen  wie  Falstaff 
versuchten,  bot  noch  den  großen  Tragikern  ein  reiches  Feld 

9 


ihre  Laune  und  ihren  Witz  spielen  zu  lassen1.  Der  Satyr 
hatte  in  den  griechischen  Satyrspielen,  wovon  leider  der  nur 
wenig  charakteristische  Cyclop  des  Euripides  allein  noch 
übrig  ist,  einen  doppelten  Charakter;  erstlich  belustigte 
dies  Geschöpf  der  Einbildungskraft  den  gemeinen  Mann 
durch  seine  groteske  Gestalt  und  drolligen  Einfälle,  und 
wiederum  unterhielt  er  durch  tiefsinnige  Weisheitssprüche 
die  ernsteren  und  verständigeren  Männer.  Wahrscheinlich 
wurden  wichtige  Lehren  der  bürgerlichen  Klugheit,  inter- 
essante Anspielungen  auf  Staatsangelegenheiten  oder  eine 
höhere,  feinere  Sittenlehre  unter  der  Maske  bäurischer  Ein- 
falt vorgetragen.  Daher  mag  das  innige  Vergnügen  der 
Alten  an  diesen  Satyrspielen  entstanden  sein.  So  hat  man 
Wohlgefallen  an  den  Charakteren  der  Bauern  bei  Shake- 
speare, die  wie  der  Dichter  sie  selbst  charakterisiert,  sich 
hinter  ihrer  Narrheit  verbergen,  wie  der  Vogler  hinter  sei- 
nem Pferde,  um  desto  treffender  ihren  Witz  abschießen 
zu  können. 

Die  parodistische  Nachahmung  des  Ernsten  ist  so  alt  wie 
das  Ernste  selbst,  und  Nachahmung  irgendwelcher  Vor- 
gänge des  täglichen  Lebens,  mit  possenhafter  Übertreibung, 
ist  gewiß  einer  der  frühesten  Triumphe  eines  Individuums 
über  das  andere  gewesen.  Dergleichen  in  irgendwie  kon- 
stante Form  zu  fassen,  auf  eine  „Bühne"  zu  bringen,  mag 
schon  Halbkulturvölkern  geraten2.  Auf  dem  Boden  der 
bloßen  Lebensnachahmung  (uiuriöu;)  erwächst  keine  Tra- 
gödie, sondern  diese  wird  bloß  zu  einem  gewissen  Grad  von 
meist  possenhafter  Nachahmung  der  Vorgänge  des  äußeren 
Lebens,  also  höchstens,  wenn  die  Form  besonders  günstig 
darüber  scheint,  zur  Komödie,  und  hierfür  haben  Spaß  und 
Hohn  überall  von  jeher,  selbst  bei  Wilden  gesorgt. 

Bei  den  Griechen  war  das  Komische  in  der  Poesie  ur- 
alt.   Es  lebte  längst  im  Epos  und  in  der  Lyrik.    Der  Ur- 

1  Baumgartner,   Poland  und  Wagner,    Die  hellenische   Kultur,  Leipzig- 
Berlin  1905,    S.  398.    —    ■  Burckhardt,    Griechische   Kulturgeschichte. 
3.  Bd.,  S.  207  ff. 
10 


Tanzszene  aus  einer  Komödie 

(Borngräbers  Verlag,  Berlin,  cop.) 


sprung  der  Komödie  wird  an  die  kleinen  oder  ländlichen 
Dionysien  angeknüpft,  die  Schlußfeste  der  Weinlesen.  Der 
Hauptteil  dieses  Festes  war  der  Komos,  der  Umzug  beim 
Trinkgelage,  ein  wildes  Gemisch  von  Trunk,  Gesang,  Tanz 
und  Mummenschanz.  Beim  Komos  wurde  auch  der  Phallos 
unter  einem  besonderen  Gesang  der  maskierten  und  be- 
kränzten Sänger  umhergetragen,  eine  Übung,  von  der  uns 
der  Aufbruch  des  Dikäopolis  zu  den  ländlichen  Dionysien 
in  den  Acharnern  des  Aristophanes  eine  Vorstellung  gibt. 

Nach  dem  Liede  pflegte  der  Schwärm  den  ersten  besten, 
der  des  Weges  kam,  zu  verhöhnen.  Irgendwie  werden  sich 
dann  an  dieses  Treiben  sprechende  Charaktermasken  an- 
geschlossen und  sich  dazu  dramatisch  gebärdet  haben ;  aber 
gleichwohl  blieb  die  Komödie  noch  lange  ein  obskures 
Spiel  ausgelassener  Landleute,  wie  denn  ja  immer  der  Schau- 
spieler der  Vorläufer  des  Dichters  ist.  Schon  Aristoteles 
nannte  die  Nachahmung  den  Ursprung  des  Dramas8. 

Im  Mittelpunkt  dieser  Feste  standen  Spaßmacher,  die  das 
Volk  durch  improvisierte  Witze  unterhielten.  Sie  waren 
als  Betrunkene  maskiert,  trugen  groteske  Larven,  lange 
weiße  Kleider  und  Kränze  im  Haar. 

Eine  ziemlich  bestimmte  Überlieferung  meldet,  daß  die 
Komödie  sich  zuerst  in  dem  possensüchtigen  und  witzigen 
dorischen  Megara  ausgebildet  habe,  doch  scheint  sich  diese 
megarische  Komödie  nach  einer  Andeutung  des  Aristo- 
phanes in  den  „Wespen"  mit  plump-lächerlichen  Vorgängen 
begnügt  zu  haben;  es  war  ein  derbes  Lustspiel,  das  statt 
des  Komischen  das  Gemeine  gab. 

In  Sizilien  hatte  die  Komödie  eine,  wenn  auch  schnell 
vorübergehende  Blüte  erreicht.  Dort  hat  Epicharmos  auf 
Kos  zuerst  aus  den  vorgefundenen  Elementen  der  heimi- 
schen Volkskomik  ein  humoristisches  Spiel  geschaffen, 
in  dem  sich  die  scharfsinnige  Lebensphilosophie  des 
Mannes  mit  dem  heiteren  sizilischen  Geist  zu  drastischer 

•  Poetik,  Kap.  4. 

11 


Wirkung  vereinigte.  Er  parodierte  die  alten  Göttermythen 
und  spottete  in  satirischer  Weise  über  die  Mängel  seiner 
Zeitgenossen. 

Darin  lag  schon  die  ganze  Entwicklung  der  alten  atti- 
schen Komödie  vorgezeichnet. 

Eine  besondere  Empfänglichkeit  des  hellenischen  Geistes 
förderte  diese  Entwicklung  in  außerordentlicher  Weise. 

Die  Freiheit,  die  in  der  Antike  lag,  zeigte  sich  früh  in 
einem  Hang  zum  Komischen,  der  schon  im  homerschen  Epos 
hervorbricht  und  in  der  jambischen  Lyrik  eine  weitere  Aus- 
bildung erhielt.  Genau  wie  die  Tragödie  entwickelte  sich 
auch  die  Komödie  aus  einer  Mischung  lyrischer  und  epischer 
Elemente.  Sie  bestand  zunächst  aus  Dialogen.  Viel  später 
erst  kam  ein  dritter  und  vierter  Darsteller  hinzu.  Eigen- 
tümlich war  der  Komödie  die  Parabase,  d.  h.  die  direkte 
Ansprache  an  das  Publikum  im  Theater,  in  der  der  Dichter 
aus  dem  Stück  selbst  heraustrat  und  Angelegenheiten  all- 
gemeiner oder  persönlicher  Natur  vor  das  Forum  brachte. 

Zu  Anfang  des  fünften  Jahrhunderts  dürften  diese  Possen 
den  Weg  von  der  Straße  auf  die  Bühne  gefunden  haben. 
In  dieser  Zeit  scheinen  die  ältesten  attischen  Komiker, 
deren  Namen  bekannt  sind,  Chionides  und  Magnes  von 
Ikaria,  aufgetreten  zu  sein,  ferner  Ekphantides,  der  sich  in 
einem  Fragment  rühmt,  von  der  megarischen  Form  abge- 
wichen zu  sein.  An  diese  schließt  sich  die  glänzende  Reihe 
von  Dichtern  der  perikleischen  und  der  Zeit  des  Pelopon- 
nesischen  Krieges,  darunter  Kratinos,  der  hochbetagt  nach 
410  v.  Chr.  starb. 

In  einem  seiner  Stücke,  „Die  Weinflasche"  brachte  der 
Schauspieler  Krates  aus  Athen,  der  später  selbst  Possen 
schrieb,  zuerst  die  Rolle  der  Betrunkenen  auf  die  Bühne. 

Sophron  (448)  schrieb  im  dorischen  Dialekt  ernste  und 
heitere  Mimen,  in  denen  Boten,   Fischer,  Landleute,  stör- 
rische Knaben,  häßliche  Brautjungfern  und  zänkische  Schwie- 
germütter auftraten. 
12 


Grotesktänzerin 

Griechische  Bronzen  aus  dem  letzten  Jahrhundert  v.  Chi.  Geb. 


Als  der  bedeutendste  unter  den  Humoristen  des  helleni- 
schen Theaters  gilt  Aristophanes.  Er  verfaßte  seit  427  unter 
fremden,  von  424  bis  388  unter  seinem  eigenen  Namen  vier- 
undfünfzig Stücke,  von  denen  aber  nur  elf  ein  glücklicher 
Zufall  erhalten  hat.  Er  schildert  in  ihnen  das  ganze  Leben 
seiner  Zeit  in  allen  wesentlichen  Richtungen  vom  Stand- 
punkt einer  entschiedenen  Opposition.  Eine  einschnei- 
dende Kritik  der  zeitgenössischen  Gesellschaft,  mit  einem 
scharf  ausgeprägten  Sinn  für  das  Komische,  sind  die 
Vorzüge  seiner  Komödien.  Mit  Satire,  Ironie  und  Witz 
kämpft  er  gegen  die  Schäden  seiner  Zeit,  die  er,  mitleid- 
los bis  zur  äußersten  Grenze  des  Obszönen,  aufdeckt.  Im 
Jahre  425  erhielt  Aristophanes  für  seine  „Acharner"  den 
ersten  Preis. 

„Das  Stück  ist  die  genialste  Parodie  der  alten  attischen 
Tragödie.  Seine  Tendenz  ist  die  Verherrlichung  des  Friedens." 

In  seinem  zweiten  Stück  „Die  Ritter"  trat  Aristophanes 
im  Jahre  424  selbst  auf.  Es  richtet  sich  gegen  den  Dema- 
gogen Kleon  und  die  Auswüchse  der  plebejischen  Staats- 
klugheit. 

Ihm  folgte  die  Komödie  „Die  Wolken",  die  bei  der  Auf- 
führung im  Jahre  423  nur  geringen  Erfolg  hatte.  Der  Dichter 
wendet  sich  darin  gegen  das  Prinzip  der  Ideen  des  Sokrates, 
gegen  die  einseitige  Verstandesbildung,  die  von  den  So- 
phisten in  Athen  eingeführt  wurde. 

Ein  Jahr  später  erscheinen  die  „Wespen"  auf  der  Bühne. 
Sie  geißeln  die  Prozeßsucht  der  Athener  in  dem  Streit  um 
einen  Hund  zwischen  dem  Demagogen  Kleon  und  dem  Feld- 
herrn Laches. 

Im  Jahre  415  trat  der  Dichter  mit  den  „Vögeln"  hervor. 
„Das  Stück  ist  eine  Allegorie  auf  das  Athen  jener  Zeit, 
auf  den  sizilischen  Kriegszug  und  auf  den  jungen  Alkibiades, 
auf  dessen  Rat  jene  Expedition  unternommen  wurde." 

In  der  „Lysistrata",  drei  Jahre  nach  den  „Vögeln"  auf- 
geführt, und  neuerdings  wieder  durch  Ulrich  v.  Willamowitz- 
Möllendorff  auf  die  Bühne  gebracht,  verschwören  sich  die 

13 


Frauen  unter  Führung-  der  Titelheldin  zugunsten  des  Frie- 
dens. Sie  geloben  auf  einen  Eimer  Wein  den  Männern 
die  eheliche  Pflicht  zu  verweigern,  bis  diese  Frieden  ge- 
schlossen haben. 

In  dem  folgenden  Stücke,  den  „Thesmophoriazusen"  ist 
Euripides  und  sein  angeblicher  Weiberhaß  der  Gegenstand 
des  Spottes.  Ganze  Szenen  aus  den  Dramen  „Helena"  und 
„Andromeda"  des  Euripides  werden  mit  ätzender  Schärfe 
parodiert. 

Sechs  Jahre  nach  dem  Vorgenannten  erschien  das  Meister- 
lustspiel „Die  Frösche",  mit  dem  Aristophanes  wieder 
den  ersten  Preis  errang.  Diese  Dichtung  ist  „das  Toten- 
gericht und  die  Apotheose  der  dramatischen  Kunst  im  freien 
Athen"  genannt  worden.  * 

Später  tritt  Aristophanes  nur  noch  zweimal  auf,  „um  die 
allgemeine  Zerrüttung  und  die  Schwächen  seiner  Mitbürger 
in  der  Komödie  zu  geißeln".  Zunächst  in  dem  Schwank 
„Die  Ekklesiazusen".  In  ihm  zieht  er  gegen  die  Frauen- 
emanzipation los.  Es  ist  eine  ganz  modern  anmutende  Satire 
gegen  das  „Votes  for  women"  von  damals. 

Das  letzte  Stück  „Plutos"  oder  der  Reichtum,  die  schwächste 
aller  Komödien  von  Aristophanes,  richtet  sich  gegen  die 
Habsucht  der  Griechen. 

Das  Lächerliche  zu  verstärken  und  zu  übertreiben,  be- 
dienten sich  die  Griechen  und  Römer  der  Larven  oder 
Masken,  die  die  Schauspieler  trugen.  „Die  Verwendung 
dieser  Masken  bleibt  für  uns  moderne  Menschen  immer 
merkwürdig,  und  doch  haben  die  Griechen  mit  ihnen 
etwas  sehr  Wirksames  geschaffen,  das  als  Dekorationsmotiv 
seine  Bedeutung  für  alle  Zeiten  behalten  hat." 

Die  Gründe  für  die  seltsame  Erscheinung  finden  wir 
auf  den  mannigfachsten  Gebieten. 

Die  Maske  erklärt  sich  zunächst  historisch  aus  den  Ver- 
mummungen und  Bemalungen,  wie  sie  überall  in  der  Welt 

4  Gustav   Karpeles,    Allgem.  Gesch.  der  Literatur,    Berlin  1891,    I.  Bd. 

S.  213. 

14 


-S  fc 


JO 

V 

fl 

u 

ü 

n 

Rj 

> 

in 
9 

CO 


bei  religiösen  Festen  der  Naturvölker  wie  auch  bei  der 
Weinlese  von  Kulturvölkern  vorkommen.  Eine  Menge  prak- 
tischer Gründe  fordern  weiterhin  die  Verwendung  der 
Maske. 

So  die  Möglichkeit,  mehrere  Rollen  von  einer  Person 
und  Frauenrollen  durch  Männer  darstellen  zu  lassen,  wie 
es  in  Griechenland  ursprünglich  Sitte  war.  Auch  religiöse 
Gründe  sprechen  dafür,  daß  man  die  Person  des  Dar- 
stellers eines  Gottes  oder  Heroen  ganz  hinter  der  Rolle 
verschwinden  ließ,  die  er  zur  Ehre  der  Gottheit  spielte. 
Schließlich  entspricht  es  der  ganzen  Richtung  des  griechi- 
schen Kunstempfindens,  weniger  Individualitäten  zu  schaffen 
als  Idealbilder,  in  deren  Großzügigkeit  vor  allem  die  eigen- 
artige Wirkung  hellenischer  Kunst  beruht,  während  in 
der  Komödie  wiederum  die  äußere  Erscheinung  wirklicher 
Personen  in  voller  Persönlichkeit  bzw.  unter  parodistischer 
Steigerung  durch  die  Maske  ermöglicht  wurde5. 

Die  Masken  bildeten  eine  Art  von  Helm  oder  Kappe, 
die  den  ganzen  Kopf  bedeckte  und  außer  den  Gesichts- 
zügen noch  Bart,  Augen,  Haare  und  sogar  den  Kopfputz 
der  Frauen  mit  vorstellte.  Anfänglich  zwar  waren  die 
Larven  nicht  so  vollkommen,  sondern  sie  wurden  erst  zur 
Zeit  des  Aeschylus  in  der  siebzigsten  Olympiade  bekannt 
und  auf  dem  Theater  eingeführt.  Anfänglich  beschmierten 
sich  die  Schauspieler  die  Gesichter  bloß  mit  Hefe.  In  der 
Folge  machten  sie  sich  Larven  von  Blättern  oder  be- 
strichen sich  das  Gesicht  mit  Froschfarbe.  Die  ältesten 
komischen  Larven  sind  die  des  Bedienten  und  des  Kochs, 
die  der  Schauspieler  Maeson  aus  Megara  erfand.  Zu- 
erst waren  diese  Larven  aus  Baumrinde;  später  fertigte 
man  sie  aus  Leder,  mit  Leinwand  oder  Stoff  gefüttert. 
Allein  da  sie  wenig  dauerhaft  waren,  ließ  man  sie,  nach 
Hesychius,  zuletzt  von  geschickten  Bildhauern,  denen  die 
Dichter   ihre  Ideale   angaben,   in  Holz   aushöhlen.     Julius 

8  Baumgarten,  Poland,  Wagner,  S.  252  f. 

15 


Pollux,  der  ein  Wörterbuch  für  den  Kaiser  Commodus  ver- 
faßte, unterscheidet  drei  Larven-Gattungen :  die  tragischen, 
komischen  und  satirischen.  Sie  hatten  aber  alle  in  ihrer 
Art  übertriebene  Züge,  ein  gräßliches  oder  lächerliches 
Aussehen  und  einen  großen  aufgesperrten  Mund,  wie  wenn 
sie  die  Zuschauer  verschlingen  wollten.  Daher  spottet 
Lucian  dieser  grotesken  Gestalt  der  Larven,  wenn  er  sagt : 
„In  der  Tragödie  gehen  die  Schauspieler  in  hohen  und 
schweren  Schuhen  einher  und  tragen  Larven,  die  einen 
übermäßig  weit  aufgesperrten  Mund  haben,  aus  denen  sie 
ein  großes  Geschrei  machen.  In  der  Komödie  tragen  die 
Schauspieler  zwar  keine  ungewöhnlichen  Kleider  und 
Schuhe,  auch  schreien  sie  weniger,  aber  ihre  Larven  sind 
noch  viel  lächerlicher."  Diese  komischen  Larven  wurden 
gebraucht  von  den  Darstellern  der  Bedienten,  der  Sklaven- 
händler, der  Schmarotzer,  der  ungeschliffenen  Leute,  einer 
Buhldirne  und  einer  Sklavin,  und  jede  hatte  ihren  eigen- 
tümlichen Charakter.  Die  Larve  eines  ehrlichen  Mannes 
sah  niemals  der  Larve  eines  Schelms  ähnlich.  Im  alten 
Lustspiel,  wo  es  noch  erlaubt  war,  lebende  Personen  zu 
kopieren,  gab  es  keine  so  ungestaltete  Masken,  sondern 
die  Schauspieler  richteten  sie  nach  der  Ähnlichkeit  der 
Person,  die  sie  nachahmen  wollten.  Erst  als  dieser  Ge- 
brauch abgeschafft  wurde,  verfielen  sie  auf  jene  Karika- 
turen, damit  man  sie  keiner  Nachahmung  beschuldigen 
konnte. 

Meist  zeigten  diese  Possen-Masken  stumpfe  Nase,  dicke 
Lippen,  Glotzaugen  als  Zeichen  der  Unverschämtheit  und 
Begehrlichkeit.  Diese  Masken  waren  eben  darauf  berechnet, 
schon  durch  ihr  Aussehen  auf  das  Zwerchfell  der  Zu- 
schauer zu  wirken.  Im  Trauerspiel  kam  zu  dieser  über- 
triebenen Größe  der  Larven  noch  die  außerordentliche 
Höhe  der  Kothurne  und  die  entsetzliche  Dicke  der  aus- 
gestopften Bäuche  hinzu,  was  alles  zusammen  ein  sehr 
sonderbares  Ganzes  ausmachte,  das  aber  die  Griechen  an- 
nahmen, weil  sie  sich  alle  Helden  der  Vorzeit,  den  ein- 
16 


Tragische  und  komische  Maske.  Mosaik 


zigen  Tydeus  ausgenommen,  von  übernatürlicher  Größe  vor- 
stellten. Ein  weiterer  Vorteil  der  Larven  war  für  die  alte 
griechische  Komödie,  die  bestimmte  Persönlichkeiten  auf 
das  Theater  brachte,  daß  die  Ähnlichkeit  der  Dargestell- 
ten besonders  sichtbar  gemacht  werden  konnte.  Endlich 
halfen  die  Larven  die  Stimme  der  Schauspieler  verstär- 
ken, so  daß  sie  allenthalben  gehört  und  verstanden  wer- 
den konnten.  Dieser  Umstand  allein  machte  den  Ge- 
brauch der  Larven  fast  unentbehrlich.  Wie  hätte  sonst 
die  Stimme  eines  Menschen  stark  genug  sein  können,  das 
ganze  Theater  auszufüllen,  das,  wie  bemerkt,  nicht  nur 
sehr  groß,  sondern  auch  meistenteils  unter  freiem  Himmel 
und  mit  einer  erstaunlichen  Menge  Menschen  angefüllt 
war.  Der  weit  aufgesperrte  und  gähnende  Mund  der  Larve 
trug  zur  Verstärkung  der  Stimme  wesentlich  bei.  Denn 
es  war  an  dem  Munde  der  Larve  eine  Einfassung  oder 
eine  Art  von  Sprachrohr  angebracht,  das  entweder  aus 
Erz  oder  aus  einem  Stein  gefertigt  war,  den  Plinius  Chalko- 
phonos  nennt,  weil  er  einen  metallähnlichen  Klang  von 
sich  gab.  Es  gab  besondere  Künstler,  die  die  Schauspieler 
unterrichteten,  wie  sie  sich  dieses  Sprachrohrs  zu  bedienen 
hatten. 

Außer  den  bisher  erwähnten  Larven  hatte  man  noch  or- 
chestrische  oder  stumme  Larven,  die  von  den  Tänzern  ge- 
braucht wurden.  Diese  Masken  besaßen  regelmäßige  Züge, 
geschlossenen  Mund,  und  waren  überhaupt  die  einzigen, 
die  keine  Veränderung  erlitten.  Von  ihnen  sagt  Lucian: 
„Die  Komödie  muß  sich  gewisser  stehender  Charaktere 
als  Lustigmacher  bedienen,  um  die  beabsichtigte  ergötz- 
liche Wirkung  hervorbringen  zu  helfen,  wie  zum  Beispiel 
die  Rollen  der  Tölpel  (Davusse),  Spitzbuben  (Tibiusse)  und 
Köche.  Wie  schicklich,  geschmackvoll  und  gefällig  da- 
gegen alles  an  dem  mimischen  Tänzer  —  dem  Pantomisten 
—  ist,  brauche  ich  nicht  erst  zu  betonen;  nur  dem  Blin- 
den kann  es  entgehen.  Die  Maske  ist  immer  höchst  wohl 
geformt  und  schön  und  dem  Charakter  der  Handlung  an- 
2  17 


gemessen,  nicht  gähnend  wie  jene,  sondern  mit  geschlos- 
senen Lippen6." 

Lessing  hat  bekanntlich  in  seiner  Dramaturgie  die  Wieder- 
einführung der  Larven  gewünscht. 

Der  Anblick  dieser  Masken  war  häufig  geradezu  schreck- 
lich, und  die  schrecklichste  von  allen  war  der  Mandanus. 
Er  wurde  bei  den  Römern  teils  in  den  Atellanen,  teils  bei 
anderen  öffentlichen  Spielen  gebraucht. 

Diese  groteske  Figur,  die  eigentlich  nur  ein  Schreckbild 
der  Kinder  vorstellen  sollte,  erwachsenen  Leuten  aber  zum 
Gelächter  diente,  hatte  dicke,  aufgeblasene  Wangen,  beweg- 
liche, schielende,  rote  Augen,  einen  weit  offenstehenden  Mund, 
große  spitze  Zähne,  mit  denen  sie  schrecklich  knirschte,  und 
Totenfarbe;  sie  diente  auch  bei  öffentlichen  Aufzügen,  den 
Pöbel  auseinander  zu  treiben. 

Rabelais  gedenkt  in  seinem  Pantagruel  auch  des  Manducus 
und  beschreibt  seine  Gestalt:  Bei  den  Gastrolatern  (Bauch- 
dienern) trug  ein  Schmerbauch  auf  einer  langen  vergoldeten 
Stange  eine  hölzerne  schlecht  geschnitzte  und  grob  bemalte 
Bildsäule,  wie  sie  uns  Plautus,  Juvenal  und  Pompejus  Festus 
beschreiben.  Zu  Lyon  nennt  man  sie  am  Karneval  Masche- 
croute;  jene  aber  hießen  sie  Manducus.  Es  war  ein  unge- 
schlachtes, possierliches  und  häßliches  Bild  und  ein  Schrecken 
für  kleine  Kinder;  denn  seine  Augen  waren  größer  als  der 
Bauch,  und  der  Kopf  dicker  als  der  übrige  Körper,  mit  weiten, 
großen  und  schrecklichen  Kinnbacken,  oben  und  unten  wohl 
mit  Zähnen  versehen,  die  man  mit  Hilfe  einer  kleinen  Schnur, 
die  in  der  vergoldeten  Stange  verborgen,  greulich  anein- 
ander klappern  ließ,  wie  man  es  zu  Metz  mit  dem  Drachen 
des  heiligen  Clemens  macht7. 

Diese  grotesken  Schreckbilder,  mit  denen  man  den  un- 
gehorsamen  kleinen    Kinder    drohte,    daß    sie   von    ihnen 

6  Lucians  Werke,  7.  Bd.,  Über  den  mimischen  Tanz,  übersetzt  von  August 
Pauly,  Stuttgart,  1827,  §  29.  S.  879.  —  7  Rabelais,  übersetzt  von  Gott- 
lob Regis,  München  und  Leipzig  (Georg  Müller)  1911,  2.  Bd.,  S.  190  f. 
18 


gefressen  werden,  finden  sich  bei  alten  und  neuen  Völkern. 
Schon  Callimachus  gedenkt  ihrer,  wenn  er  sagt:  „Als  Diana 
einst  ihre  Nymphen  in  die  Werkstatt  des  Vulkan  geführt, 
hätten  sie  sich  vor  dem  gräßlichen  Anblick  der  Zyklopen 
gefürchtet  und  ihre  Gesichter  weggewendet;  so  wie  eine 
Mutter,  wenn  ihr  Kind  nicht  schweigen  und  gehorchen  will, 
die  Zyklopen  Arges  und  Steropes  ruft,  worauf  ein  mit 
Kohlen  geschwärzter  Merkur  hervorkommt,  der  dem  Kinde 
Schrecken  einjagt,  daß  es  seine  Augen  mit  den  Händen 
bedeckt  und  sich  in  den  Schoß  der  Mutter  birgt. 

Plutarch  spricht  von  zwei  solchen  weiblichen  Schreck- 
bildern, der  Akko  und  Alphito,  indem  er  erzählt,  Chry- 
sippus  habe  es  mißbilligt,  daß  man  den  Menschen  mit  der 
göttlichen  Gerechtigkeit  Furcht  einjage,  um  sie  von  der 
Sünde  abzuhalten.  Denn,  sagte  er,  es  fehlt  uns  nicht  an 
Gründen,  die  das  bestreiten,  was  von  den  göttlichen  Strafen 
gesagt  wird,  und  die  beweisen,  daß  dergleichen  Reden  den- 
jenigen ähnlich  sind,  deren  sich  die  einfältigen  Weiber  be- 
dienen, die  die  kleinen  Kinder  mit  der  Akko  und  Alphito 
furchtsam  machen,  um  sie  dadurch  vom  Mißbrauch  ihrer 
Freiheit  abzuhalten. 

Auch  Lamia  war  ein  Schreckbild,  womit  man  die  Kin- 
der bedrohte,  daß  sie  bei  Ungehorsam  von  ihr  würden 
gefressen  werden.  Einige  legen  ihr  eine  weibliche  Ge- 
stalt mit  Eselsfüßen  bei.  Andere  sagen,  Lamia  sei  eine 
schöne  Frau  aus  Afrika  gewesen,  mit  der  Jupiter  Kinder 
gezeugt,  die  aber  alle  von  der  eifersüchtigen  Juno  umge- 
bracht worden  wären,  was  ihre  Mutter  in  solche  Wut  ver- 
setzte, daß  sie  nicht  allein  häßlich,  sondern  auch  so  grau- 
sam wurde,  fremde  Kinder  zu  rauben  und  zu  töten. 

Python  Gorgonius  wird  von  Scaliger  gleichfalls  unter 
diese  Schreckbilder  der  Kinder  gezählt.  Der  Atellanen- 
dichter  Pomponius  schrieb  eine  Komödie  unter  diesem  Titel. 
Scaliger  aber  glaubt,  der  Python  Gorgonius  wäre  nichts 
anderes  als  der  oben  angeführte  Manducus  oder  Kinder- 
fresser gewesen. 

2*  19 


Sonst  hieß  auch  bei  den  Griechen  ein  weiblicher  Popanz 
von  gräßlicher  Gestalt  Mormo  (Mopfica),  womit  die  Kinder- 
wärterinnen die  ungehorsamen  Kinder  bedrohten,  und  eine 
solche  verlarvte  Person  Mormolykion  (MopjaoXtSxetou). 

Unter  den  Juden  ist  ein  weibliches  Gespenst  Lilis  oder 
Lilith  bekannt,  von  dem  sie  vorgeben,  daß  es  vorzeiten 
die  kleinen  Kinder  vor  ihrer  Beschneidung  am  achten  Tage 
getötet  oder  hinweggeführt  hätte;  damit  dies  nun  nicht 
mehr  geschehe,  schrieben  sie  an  die  Wand  des  Zimmers 
einer Kindbetterin  „Adam  ChavaChutz  Lilis",  das  ist,  Adam, 
Eva,  heraus  Lilis8.  „Wir  zweifeln  nicht,"  sagt  Reinesius, 
„daß  die  alten  Mütterchen  oder  Ammen  mit  dem  Namen 
der  Lilith  (die  mit  der  Gello  einerlei  zu  sein  scheint)  wie 
mit  einem  Gespenste  und  Schreckbilde  die  weinenden 
Kinder  gestillt  und  besänftigt  haben,  wie  etwa  die  Heiden 
mit  den  närrischen  und  boshaften  Weibern  Akko  und  Al- 
phito;  oder  wie  unsere  Leute  heutiges  Tages  halsstarrige 
und  widerspenstige  Kinder  mit  dem  Manducus  oder  Kin- 
derfresser bedrohen,  der  einen  offenen  Rachen  hat,  mit 
den  Zähnen  knirscht,  in  zerlumpten  und  zerrissenen  Klei- 
dern, ohne  Schuhe,  bloß  und  unverschämt  herumlauft,  oder 
mit  der  Werra,  die  ganz  wütend,  mit  verwirrten  Haaren, 
scheußlichem  Anblick  und  greulicher  Gestalt,  mit  einem 
ganzen  Haufen  törichter  und  unsinniger  Weiber  ankommt." 

Die  Italiener  nennen  dergleichen  Schreckbilder  la  Befana, 
la  Tregenda,  l'orco,  i  battuti;  bau  bau!  wie  far  bau  bau 
alli  fanciulli,  spaventacchio,  far  baco  baco  a'  fanciulli. 

Das  Wort  Befana  kommt  von  Epiphanias  (Befania)  her, 
weil  an  diesem  Tage  Kinder  und  Frauen  eine  Puppe  aus 
alten  Lumpen  ans  Fenster  setzen.  Daher  nennt  man  auch 
ein  häßliches,  ungestaltetes  Weib  Befana.  Francesco  Berni 
(1497  oder  1498  bis  1535),  der  Erfinder  der  nach  ihm  ge- 
nannten Burlesken,  „Poeta  Bernesca",  sagt  darüber: 

8  Soldan-Heppe,  Hexenprozeß,  2.  Aufl.,  herausgegeben  von  Max  Bauer, 

1912,  München,  Georg  Müller,  I.  Bd.  S.  153  f. 

20 


II  di  di  Beffania 
Vö  porla  per  befana  alla  fenestra, 
Perche  qualcun  le  dia  d'una  balestra  . . . 

Die  Holländer  sagen:  Een  Bitebau,  oft  den  bommelaer. 

In  Frankreich  wurde  im  dreizehnten  Jahrhundert  der  Po- 
panz Barbuaud  genannt,  woraus  der  Bischof  Wilhelm  von 
Paris  Barbualdus  gemacht  hat.  Daraus  ist  wahrschein- 
lich das  Wort  Babau  entstanden,  dessen  sich  die  Ammen 
in  den  südlichen  Provinzen  Frankreichs  noch  jetzt  bedienen, 
um  die  Kinder  einzuschüchtern ;  woraus  de  la  Peyre  einen 
abenteuerlichen  Titel  zu  einem  seiner  Bücher  genommen, 
das  er  Anti-Babau  oder  der  Gegenpopanz  nannte. 

In  Tours  bedrohte  man  ehemals  die  Kinder  mit  dem  König 
Hugo  oder  mit  seinem  Geist,  der  bisweilen  in  einer  alten 
Kirche  oder  einem  Gemäuer,  wo  sich  sein  Grabmal  befand, 
erschienen  sein  soll. 

Weil  die  Protestanten  in  Frankreich  im  sechzehnten  Jahr- 
hundert an  einem  wüsten  Ort,  der  wegen  Erscheinung  der 
Gespenster  und  des  Geistes  von  Hugo  oder  Huguets  ängst- 
lich gemieden  gewesen,  ihre  nächtlichen  Zusammenkünfte 
gehalten,  weil  sie  sich  bei  Tage  nicht  ohne  Lebensgefahr 
versammeln  konnten,  so  sollen  sie  von  ihren  Feinden  spöttisch 
Hugenotten  oder  Huguenots  genannt  worden  sein.  Andere 
führen  allerdings  mit  weit  mehr  Berechtigung  die  Entstehung 
des  Namens  auf  Korrumpierung  der  deutschen  Worte  Yds- 
genossen  oder  Ydsgenotten  (d.  i.  Eidgenossen)  zurück. 

Die  alten  Preußen  brauchten  den  Namen  des  Piculnus, 
um  ihren  Kindern  Furcht  einzujagen,  und  die  alten  Deutschen 
bedienten  sich  in  derselben  Absicht  des  Namens  der  Druden ; 
daher,  sagt  Aventinus  in  seinen  Bayerischen  Annalen,  be- 
droht man  noch  an  vielen  Orten  die  kleinen  Kinder  mit  den 
Worten:  Schweig,  oder  die  Drut  kommt! 

In  Schwaben  und  Franken  ängstigte  man  die  Kinder  mit 
der  Holle,  Berche,  Hildabertha,  Bildabertha  oder  eigentlich 
Wildabertha,  das  ist,  mit  der  wilden  Berta,  der  Mutter 
Karls  des    Großen.     Sie    soll   nach  der  Sage  ein  wildes, 

21 


jähzorniges  Weib  gewesen  sein,  daher  entstand  die  Sage, 
daß  sie  des  Nachts  um  die  Häuser  schleiche  und  hals- 
starrige Kinder  nehme  und  zerreiße. 

In  Sachsen  und  anderen  Ländern  ist  der  Knecht  Ruprecht 
bekannt,  der  an  Weihnachten  mit  dem  Christkinde  herum- 
wandelt. Dieser  Knecht  soll  den  Namen  von  einem  Priester 
Rubertus  führen,  der  im  elften  Jahrhundert  einige  Männer 
und  Weiber  verfluchte,  die  in  der  Christnacht,  als  er  eben 
seine  erste  Messe  las,  auf  dem  Kirchhofe  tanzten,  so  daß 
sie  ein  ganzes  Jahr  fort  tanzen  mußten.  Daher  soll  nun 
noch  immer  der  Knecht  des  verkappten  heiligen  Christ, 
der  dessen  Zorn  zu  vollziehen  bemüht  ist,  den  Namen 
Ruprecht  führen. 

In  Schlesien  heißt  der  männliche  Unhold  Popelmann,  der 
weibliche  Popelhole.  Auch  diese  Bezeichnung  hat  man 
historisch  begründen  und  von  Popielus  II.,  einem  polnischen 
Regenten,  der,  einer  Mönchsfabel  zufolge,  wegen  verübter 
Grausamkeiten  von  den  Mäusen  verzehrt  worden  sein  soll, 
herleiten  wollen.  Die  Ehre,  von  Mäusen  gefressen  zu  werden, 
war  damals  ein  Modetod,  den  z.  B.  auch  der  Erzbischof 
Hatto  II.  zu  Mainz  und  Widerold,  Bischof  zu  Straßburg, 
erlitten  haben  sollen. 

Der  Popelmann  ist  ein  Unhold  im  weißen  Kittel.  „Daß 
dich  der  Popelmann  hol'"  ist  eine  ganz  geläufige  Ver- 
wünschung. Mit  ihm  schreckt  man  die  Kinder,  ähnlich  wie 
mit  dem  Büshenikel  (Busch-Nikolaus),  der  wieder  an  den 
niederdeutschen  Rühias  (Rauh-Nikolaus)  erinnert9. 

Popel  heißt  auch  der  dräuende  Wolkenstreifen,  der  ein 
Gewitter  erwarten  läßt10.  Der  Zusammenhang  zwischen 
diesem  und  dem  Kinderschreck  ergibt  sich  leicht. 

Neben  dem  Ruprecht  erscheint  auch  Knecht  Nikolas  mit 
Rute  und  Sack  und  droht  die  ungehorsamen  Kleinen  zu 
schlagen,  ins  Wasser  zu  tragen  oder  ihnen  die  Augen 
auszublasen.     Der  bayerische  Semper  schneidet  den  Kin- 


9  Paul  Drechsler,  Sitte,   Brauch  und  Volksglaube  in  Schlesien,  Leipzig 

1906,  1.  B.,  S.  164  f.  -  l0  Drechsler,  I,  S.  129. 

22 


Der  heilige  Nikolaus 
von  J.  J.  Mettenleiter 


Nikolo  und  Krampus 
Weihnachtsspielzeug  aus  Böhmen  (Sammlung  Walter  Trier) 


dem  den  Bauch  auf  und  legt  Kieselsteine  ein,  der  öster- 
reichische Krampus  steckt  sie  in  den  Sack  und  züchtigt 
sie  mit  Ruten.  Dieser  Krampus,  der  Partner  des  hl.  Niko- 
laus oder  Niklo,  ist  eine  seit  vielen  Menschenaltern  üb- 
liche Gestalt,  ein  Groteskkomiker  von  reinstem  Wasser. 
Er  wird  aus  getrockneten  Pflaumen  hergestellt,  die  auf  Holz- 
stäbchen gesteckt  und  mit  Flittergold  und  Buntpapier  be- 
klebt werden.  Seine  Pranken  sind  durch  eine  Papierkette 
miteinander  verbunden.  Unter  dem  einen  Arm  trägt  er 
die  Birkenrute. 

Jakob  Grimm  sieht  die  Ahnen  aller  dieser  Popanze  in 
den  Hausgeistern  der  deutschen  Sage:  die  Verflechtung  des 
Hanswurstes,  Narren,  Klobes  und  Rüpels,  des  Julbocks,  ja 
zuletzt  des  Teufels  in  das  rohe  Volksdrama  unseres  Mittel- 
alters zeigt,  wie  wesentlich  diesem  früher  die  Wichtel-  und 
Tatermänner,  wie  unausrottbar  die  elbischen  Figuren  und 
Larven  des  Heidentums  waren11. 

Nach  dieser  kurz  eingeschalteten  Geschichte  der  Popanze 
bei  verschiedenen  Völkern,  die,  wie  ich  glaube,  hier  am 
rechten  Orte  steht,  komme  ich  wieder  auf  das  Grotesk- 
Komische  in  der  Komödie  der  alten  Griechen  und  Römer 
zurück,  von  denen  die  Atellanen  mit  den  Exodien  und  die 
römischen  mimischen  Spiele  ganz  hierher  gehören. 

Da  hier  keine  Literaturgeschichte  zu  schreiben  ist,  kann 
ich  die  Entwicklung  des  römischen  Lustspiels  übergehen, 
um  gleich  zu  jenen  Erscheinungen  zu  kommen,  in  denen 
sich  das  Grotesk-Komische  auf  der  römischen  Bühne  reich 
entfaltete:  Es  sind  dies  die  fabula  palliata,  das  Lustspiel 
nach  griechischen  Stoffen,  und  die  fabula  togata,  das 
nationale  Lustspiel. 

Beide  sind  nach  schriftlichen  Vorlagen  dargestellte  Stücke. 
In  ihnen  wurden  heitere  Vorwürfe  behandelt,  in  denen  für 
das  Niedrig-Komische  kein  Platz  war.  Ihre  Herrschaft 
währte  bis  um  das  Jahr  80  v.  Chr.    Von  da  ab  wurden  sie 

11  Deutsche  Mythologie,  IV.  Ausgabe,  Gütersloh,  I.  Bd.,  XVII,  S.426f. 
Kuhn  in  Haupts  Zeitschrift  für  das  deutsche  Altertum,  V,  473. 

23 


von  den  Volkspossen  aus  der  Gunst  des  Theaterpublikums 
verdrängt.  Die  Satyrspiele,  die  den  Schluß  ernster  Stücke 
bildeten  oder  zur  Erholung  der  Zuschauer  als  Zwischenakte 
gegeben  wurden,  vermochten  sich  nur  ihrer  Zotenhaftig- 
keit  wegen  neben  den  Volksstücken  zu  erhalten. 

Das  lebensvolle  Bild  der  Probe  zu  einem  Satyrspiel  ist 
uns  erhalten.  Das  Original  war  gemalt.  Wir  besitzen  nur 
eine  im  Altertum  ausgeführte  Kopie  in  Mosaik,  die  sich 
im  Museo  Nazionale  zu  Neapel  befindet.  Der  Spielleiter, 
vielleicht  der  Dichter,  übt  den  Satyrchor  ein.  Zwischen 
dem  Regisseur  und  dem  Satyr  steht  der  Flötenspieler  in 
dem  für  seinen  Beruf  charakteristischen  langen  Gewand, 
mit  Doppelflöte  und  Lippenbinde.  Ein  Satyr,  nur  mit  einem 
Fell  bekleidet  und  einer  phantastischen  Kopfbedeckung 
versehen,  tanzt  nach  den  Klängen  der  Flöten.  Ein  zweiter 
Darsteller  (links)  wartet,  bis  die  Reihe  an  ihn  kommt.  Im 
Hintergrund  legt  ein  Schauspieler  mit  Hilfe  eines  Kostümiers 
ein  Bühnenkleid  an.  Ein  anderer  Darsteller  folgt  aufmerk- 
sam dem  Tanz.  Masken  liegen  umher.  Zwischen  den  Säu- 
lein hängen  goldene  Schilde  und  Blattgewinde  mit  Binden l*. 

In  der  Kaiserzeit  gewannen  die  Atellane  und  der  Mimus, 
die  beiden  echt  römisch-nationalen  Komödienarten  nie- 
drigsten Schlages,  immer  mehr  und  mehr  die  Gunst  des  Pu- 
blikums. 

Die  Atellane,  eine  Hanswurst -Komödie,  stammte  aus 
Atella  bei  Kapua  in  Kampanien. 

In  Kapua  und  anderen  oskischen  Städten  belustigte  man 
sich  an  improvisierten  derben  Volkspossen,  in  denen  allerlei 
Narreteien  des  kleinstädtischen  Lebens  geschildert  wurden. 
Wie  die  Griechen  Abdera  hatten,  und  wie  wir  allerlei 
lustige  Dummheiten  der  Kleinstädter  nach  Krähwinkel, 
Schiida,  Schildburg,  Mottenburg,  Kalau,  Kyritz  an  der 
Knatter,  Schöppenstedt  und  Seldwyla  verlegen,  so  wählten 
die  Kampaner  Atella  als  Schauplatz,  auf  dem  sie  die  Possen- 

12  Dr.  Hans  Lamer,    Römische  Kultur  im  Bilde,    Leipzig  1910,   S.  9. 
24 


streiche  sich  abspielen  ließen13.  Diese  Atellanen  waren 
schon  früh  nach  Rom  verpflanzt  worden,  wo  sie  zu  Sullas 
Zeiten  aus  den  Improvisationen  in  die  Literatur  über- 
gingen. 

Eine  kurze,  in  der  Regel  einaktige  Handlung,  knüpfte 
sich  an  vier  stehende  Masken,  die  als  Vorbilder  für  die 
italienischen  Charakterkomödien  anzusehen  sind.  Pappus, 
der  gutmütige  Alte,  entsprach  ungefähr  dem  Pantalon,  der 
gefräßige  bucklige  Dossenes,  der  weise  Philosoph,  der  als 
Schulmeister,  Wahrsager  u.  dgl.  auftrat,  etwa  dem  Dottore. 
Dazu  kamen  noch  die  beiden  Figuren  des  Fressers  und  des 
Dümmlings,  Bucco  und  Maccus. 

Der  Maccus  oder  weiße  Mimus  (mimus  albus)  war  ganz 
weiß  gekleidet  und  stellte  einen  Stocknarren  (Morio)  vor, 
mit  unförmigem  Kopf,  einer  großen  herabhängenden  Nase, 
hinten  und  vorn  mit  einem  großen  Buckel.  Der  Name 
Maccus,  der  mit  Narr  (bardus,  fatuus,  stolidus)  übersetzt 
worden,  findet  sich  bei  Diomedus  und  Apulejus14. 

Ein  derartiges  Histrio  wurde  1727  in  Rom  ausgegraben. 
Es  war  aus  Erz,  hatte  silberne  Augen  und  an  beiden 
Enden  des  Mundes  silberne  Kügelchen  (Sannas). 

In  diesem  Maccus  ist  zweifellos  der  Ahne  des  italieni- 
schen Pullicinella  zu  suchen. 

Die  zahlreichen  erhaltenen  Titel  von  Atellanen  aus 
früher  Zeit  machen  uns  mit  den  beliebtesten  Stoffen  dieser 
Possengattung  bekannt.  Zu  ihnen  gehörten  übrigens  auch 
Travestien  von  Mythen,  z.  B.  der  Geschichte  des  Pentheus 
und  „des  untergeschobenen  Agamemnons". 

Öfter  wurden  bestimmte  Nationalitäten  auf  die  Bühne 
gebracht,  die  Kampaner,  die  transalpinischen  Gallier,  die 
Soldaten  von  Pometia,  deren  provinzielle  Sprache  und 
Haltung  das  hauptstädtische  Publikum  ohne  Zweifel  sehr 
belustigte. 

13  Dr.  A.  Albrecht,  Abriß  der  römischen  Literaturgeschichte,  Leipzig, 
S.  40.  —  M  Lipsius  in  epistolicis  quaestion.  Lib.  XL  quaest.  22.  Diome- 
des,  de  Oratione,  Lib.  VIII.  Apulejus  in  Apologia. 

25 


Den  reichsten  Stoff  lieferte  wohl  das  Landleben:  das 
Zicklein,  der  kranke  Eber,  der  gesunde  Eber,  die  Kuh, 
der  Hühnerhof,  die  Winzer,  die  Holzhauer  usw.  .  .  Hat 
doch  auch  Edmond  Rostand  in  unserer  Zeit  eine  moderne 
Atellane,   den   Chantecler,    in   einen   Hühnerhof    versetzt. 

Sodann  boten  die  städtischen  Gewerbe  reichen  Stoff: 
Fischer,  Maler,  Ausrufer,  vor  allem  die  Walker,  die  über- 
haupt auf  der  römischen  Bühne  eine  große  Rolle  spielten. 

Eine  Anzahl  von  Titeln  zeigt  die  Hauptpersonen  in 
allerlei  komischen  Situationen  und  Verwicklungen:  die 
beiden  Maccus,  Maccus  als  Jungfer,  als  Soldat,  als  Schenk- 
wirt, als  Verbannten,  die  beiden  Dossenus,  Pappus,  Bucco 
in  der  Gladiatorenschule.  Auch  Gespenster  scheinen  oft 
vorgekommen  zu  sein. 

Daß  in  dieser  Volkskomödie  die  Komik  eine  durchaus 
groteske,  die  Spaße  mehr  als  derb  waren,  und  daß  es 
namentlich  von  Zoten  wimmelte,  versteht  sich  von  selbst. 

Kunstgemäße  Atellanen  verfaßten  besonders  Pomponius 
und  Novius,  die  um  die  Jahre  100  bis  70  v.  Chr.  gewirkt 
haben  dürften. 

Aber  der  Mime  ist  älter  als  der  Komöde.  Er  hat  das 
Hauptzeichen  des  Fruchtbarkeitsdämonen,  den  Phallus,  von 
Urbeginn  an  getragen,  als  es  noch  lange  keine  Komödien 
gab.  Wenn  ihn  der  Komöde  schon  im  fünften  Jahr- 
hundert v.  Chr.  ablegte,  so  trug  ihn  der  Mime  zum  Arger 
der  christlichen  Prediger  noch  im  fünften  Jahrhundert  nach 
Christus  und  hat  ihn  getragen  bis  an  das  Ende  aller 
hellenischen  Dinge,  bis  zum  Untergange  von  Byzanz.  Alle 
Verwandten  und  Abkömmlinge  des  Mimus  führten  ihn  gleich- 
falls. So  der  italienische  Mime,  der  Phlyake,  so  auch  der 
oskische  Mime,  der  Atellanenspieler.  Ja  einer  der  Nach- 
kommen des  Mimus  trägt  ihn  noch  heute  an  den  alten 
Stätten  seiner  früheren  Existenz,  in  Konstantinopel,  in  den 
Städten  der  Levante,  in  Ägypten  und  in  Nord-Afrika,  näm- 
lich der  türkische  Karagöz15. 

15  Reich,  Der  Mimus,  Berlin  1903,  S.  17  f. 
26 


Vasengemälde  des  Assteas 
Possenszene,  die  sich  vor  einer  Hausdekoration  abspielt 


„Der  mimische  Tanz  dieses  Dämonen  der  Fruchtbarkeit 
dringt  in  den  Kreis  des  Niedrig-Menschlichen.  So  erfinden 
sie  den  Mimus.  Von  dem  Lande  drängen  sie  sich  mit  der 
steigenden  Bedeutung  des  niederen  Volkes  in  die  Städte. 
Aber  auch  dort  bleiben  ihre  Spaße  roh  und  ausgelassen, 
mindestens  naturwüchsig  und  klotzig  und  völlig  und  allein 
der  Darstellung  des  realsten  Lebens  zugewendet,  aber 
auch  meistens  voll  kernhafter  Gesundheit  und  fester,  auf 
der  Erde  stehender  Kraft  und  voll  des  kecken,  sprudeln- 
den Humors,  der  das  niedere  Volk  auszeichnet;  der  sich 
überall,  mag  das  Leben  noch  so  schwer  sein,  siegreich 
in  ihm  regt  und  seine  unverwüstliche,  aus  der  Erde  stets 
neue  Kraft  saugende  Gesundheit  betätigt." 

„Wenn  wir  versuchen,  diese  Dämonen  wieder  ins  Leben 
zurückzurufen,  —  ganz  sind  sie  ja  niemals  gestorben,  und 
der  Nickelmann  und  der  Waldschratt  Gerhart  Hauptmanns 
sind  ihre  jüngsten  Verwandten  —  so  wollen  wir  ihnen  nicht 
zürnen,  wenn  sie  mit  bacchischem  Übermut  alle  Blößen  des 
menschlichen  Leibes  zeigen  und  ihrer  erdgeborenen  Art 
entsprechend  nur  das  Irdische  in  der  menschlichen  Natur 
erkennen  und  darstellen,  sie,  denen  das  Leben  eine  lustige 
Farce  ist,  und  die  in  der  Farce  ihr  lustiges  Leben  leben^ 

Es  sind  keine  bösen  Geister,  wenn  sie  sich  auch  noch 
so  toll  gebärden.  Das  griechische  Volk  hat  sie  geschaffen 
und  auserlesen  zu  den  Darstellungen  seiner  dramatischen 
Volkspoesie.  Es  hat  ihnen  das  Amt  des  Spaßmachers  und 
des  lustigen  Rats  der  antiken  griechisch-römischen  und  der 
byzantinischen  Welt  übertragen,  und  sie  haben  dieses 
wichtige  Amt  länger  als  zwei  Jahrtausende  zur  Zufrieden- 
heit verwaltet16." 

Über  die  Entstehung  des  Mimus  schreibt  Albrecht17:  „Die 
großen  vergnügungssüchtigen  Griechenstädte  Siziliens  und 
Unteritaliens  (Magna  Graecia),  besonders  Syrakus  und 
Tarent,  waren  einst  ein  treffliches  Arbeitsfeld  für  Gaukler 

16  Reich  a.  a.  O.,  S.  18.  -  "  A.  a.  O.,  S.  417. 

27 


und  Spaßmacher,  die  teils  auf  Straßen  und  Plätzen  vor 
einer  schaulustigen  Menge,  teils  auch  in  vornehmen  Häu- 
sern bei  Gastmählern  und  Trinkgelagen  ihre  Künste  zum 
besten  gaben.  Großer  Beliebtheit  erfreuten  sich  diejenigen, 
die  Stimmen  von  Menschen  und  Tieren,  Aussehen,  Benehmen 
und  Sprechweise  einzelner  Personen  (namentlich  Angehö- 
riger gewisser  Stände  und  gewisser  Berufsarten)  und  allerlei 
lächerliche  Situationen  zu  kopieren  verstanden.  Eine  solche 
nachahmende  Darstellung  nannten  die  Griechen  uiuoö,  und 
sie  definierten  sie  als  „Nachahmung  des  (wirklichen)  Le- 
bens" (uiunöiq  ßi'ov);  auch  der  Darsteller  selbst  wurde 
mimos  genannt.  Wurden  Szenen  aus  dem  Alltagsleben 
aufgeführt,  so  hatte  der  Mimus  das,  was  dabei  zu  sprechen 
war,  zu  extemporieren;  traten  zwei  Mimen  auf,  so  bot  das 
zwischen  ihnen  sich  abspielende  Gespräch  ausgezeichnete 
Gelegenheit  zur  Entfaltung  einer  schlagfertigen,  witzigen 
Beredsamkeit,  wie  man  sie  jetzt  in  ähnlicher  Weise  hier 
und  da  bei  Clownscherzen  oder  auf  Variete-  und  Spe- 
zialitätenbühnen hören  kann. 

Um  das  Jahr  400  wurde  der  Mimus  eine  literarische  Gat- 
tung: der  Syrakusaner  Sophron  dichtete  derartige  kleine 
Lebensbilder,  die  großen  Anklang  fanden. 

Im  Beginn  der  Diadochenzeit  waren  Stücke  dieser  Art 
überall  in  den  Griechenstädten  im  Schwange;  ihre  beson- 
deren Kriterien  waren  krassester  Realismus  und  massive 
Unanständigkeit.  Die  untreue  Gattin  bildete  im  Geleite  von 
Liebhabern  und  Kupplern  die  Hauptfigur. 

Während  des  tarentinischen  Krieges  und  besonders  nach 
der  Einnahme  von  Tarent  (272)  lernten  die  Römer  diese  mei- 
stens wohl  noch  nach  einem  verabredeten  Plan  improvisier- 
ten Bilder  aus  dem  Leben  kennen;  etwa  drei  bis  vier  Dezen- 
nien später  begann  man  dann  in  Rom  mit  der  Darstellung 
von  Mimen.  Sie  wurden  für  sich  allein  und  selbständig  auf- 
geführt, und  zwar  geschah  dies  regelmäßig  an  den  zuerst  im 
Jahre  238  gefeierten  Floralien,  die  anfangs  nicht  in  bestimm- 
tem Turnus  wiederkehrten,  aber  seit  dem  Jahre  173  jährlich 
28 


vom  28.  April  bis  2.  Mai  in  ausgelassenster  Fröhlichkeit 
begangen  wurden.  Die  Stücke  standen  auf  dem  Boden 
plattester,  gemeinster  Wirklichkeit,  was  durch  die  von  den 
Römern  gewählte  Bezeichnung  des  Stücks  wie  des  Dar- 
stellers „planipedes"  nicht  übel  gedeutet  wurde. 

Die  Mimen  traten  nämlich  ohne  Theaterschuhe  auf  und 
wurden  deshalb  Plattfüße  genannt.  Masken  trugen  sie 
natürlich  nicht.  Der  Hauptdarsteller,  der,  wenn  improvi- 
siert wurde,  die  Grundzüge  des  Plans  angab  und  die  Hand- 
lung leitete,  war  der  Archimimus  ;  ihn  unterstützte  im  Spiel 
sein  ständiger  Begleiter,  der  clownmäßige,  bornierte  und 
gewöhnlich  arg  geprügelte  sannio  in  der  bunten  Harle- 
kinsjacke (centunculus),  als  actor  secundarum  partium.  An- 
dere ständige  Rollen  sind  die  verheiratete  Frau,  ihr  Buhle 
und  ihre  kupplerische  Zofe;  die  letztere  trägt  das  ricinium, 
einen  kurzen,  viereckigen  Überwurf,  nach  dem  der  Mimus 
—  da  die  Rolle  nie  fehlte  —  auch  fabula  riciniata  — 
genannt  wurde.  Neben  diesen  Figuren  kamen  noch  der 
Charlatan,  der  Dieb,  der  Trunkene  (Dikelon),  der  Sklave, 
der  Koch,  der  Matrose,  der  Hirt,  der  Schulmeister,  der 
Soldat,  der  Mautner,  Schankwirt,  Kuppler,  Winzer,  Lumpen- 
händler, Seiler,  Ausrufer,  dann  Hetären,  Kupplerinnen, 
Hebammen  und  Flötenspielerin  häufig  vor. 

Charakteristisch  war  dem  Mimus,  daß  die  Frauenrollen 
durch  Frauen  gegeben  wurden;  die  Schamlosigkeit,  mit 
der  es  auf  der  Bühne  der  Floralia  zuging,  wird  genügend 
illustriert  durch  die  Tatsache,  daß  sich  nach  Schluß  der 
Aufführung   die  mima  dem  Volke  nackt  zu  zeigen   hatte. 

Ein  Literaturzweig  wurde  der  in  Rom  ausgebildete  Mi- 
mus im  Anfang  der  dritten  Periode  zur  Zeit  Cäsars,  und 
zwar  durch  D.  Laberius  und  Publilius  Syrus ;  in  der  Form 
wurde  er  der  Togata  und  der  Atellana  näher  gebracht, 
und  bald  betrat  er  dann  auch  die  Bühne  des  Theaters.  Hier 
wurde  er  nicht  selbständig,  sondern  wie  die  Atellane  als 
Nachspiel  (exodium)  aufgeführt,  indes  bald  (etwa  um  das 
Jahr  46)  gelang  es  ihm,  die  Atellana  als  solches  gänzlich 

29 


zu  verdrängen.  Dann  kam  er  wieder  zu  selbständiger 
Aufführung,  Palliata  und  Togata  gingen  in  ihm  unter, 
während  neben  ihn  der  Pantomimus  trat.  Dieser  war 
eine  aus  Tanz  und  Gebärdenspiel  bestehende  ballettartige 
Aufführung,  zu  der  ein  Chor  den  begleitenden  Text  sang. 
Eingeführt  wurde  der  tragische  Pantomimus  durch  Pylades 
aus  Cilicien,  der  komische  durch  den  Alexandriner  Bathyl- 
lus,  einen  Freigelassenen  des  Mäcenas.  In  der  Literatur- 
geschichte ist  der  Pantomimus  nur  insofern  zu  erwähnen, 
als  er  dem  übrigens  bis  in  die  späteste  Kaiserzeit  kulti- 
vierten Mimus  Terrain  abgewinnt,  und  weil  bisweilen  nam- 
haftere Dichter  (Lucan,  Statius)  sich  zur  Lieferung  des  natür- 
lich ganz  nebensächlichen  Librettos  verstanden." 

Wie  die  Atellane  wurde  der  Mimus  als  Nach-  und  Zwi- 
schenspiel anderer  Aufführungen  gegeben,  und  er  erfreute 
sich  in  späterer  Zeit  größerer  Gunst  als  die  Schauspiele 
selbst. 

Nach  den  erhaltenen  Titeln  waren  die  Stoffe  des  Mimus 
im  ganzen  dieselben  wie  die  der  Atellanen,  nur  daß  sie  mehr 
dem  städtischen  als  dem  bäuerlichen  Leben  entnommen  ge- 
wesen zu  sein  scheinen,  besonders  der  unteren  Stände  und 
Handwerker.  Sie  betrafen  ferner  auch  Schilderungen  von 
fremden  Völkern,  endlich,  wenn  auch  wohl  ebenfalls  nur 
ausnahmsweise,  mythologische  Vorwürfe. 

In  den  Mimen  von  Lentulus  und  Hostilius  wurden  nach 
dem  Kirchenvater  Tertulian  die  Götter  dem  Gelächter 
preisgegeben.  Er  erwähnt  einen  Anubis  als  Ehebrecher, 
eine  männliche  Luna,  eine  ausgepeitschte  Diana,  eine  Vor- 
lesung des  Testaments  des  verstorbenen  Jupiters  und  die 
drei  gefoppten  hungrigen  Herkulesse.  Der  Anubis  als  Ehe- 
brecher war  vielleicht  durch  die  unter  Tiber  vorgekommene 
Verführung  einer  edlen  Frau  durch  einen  Liebhaber  in  der 
Maske  dieses  Gottes,  oder  durch  ein  ähnliches  Ereignis  ver- 
anlaßt worden.  Wenigstens  wissen  wir,  daß  aktuelle  sen- 
sationelle Ereignisse  und  interessante  Persönlichkeiten  in 
diesen  Stücken  auf  die  Bühne  gebracht  wurden. 
30 


In  einem  Mimus,  am  Tage  von  Caligulas  Ermordung  ge- 
spielt, kam  die  Kreuzigung  des  berühmten  Räuberhaupt- 
manns Laureclus  vor,  wobei  das  Fließen  des  Blutes  künst- 
lich dargestellt  und  von  mehreren  Spaßmachern  nachgeäfft 
wurde. 

In  einem  anderen,  im  Beisein  Vespasianus  im  Theater 
des  Marcellus  aufgeführt,  spielte  ein  Hund  die  Hauptrolle, 
der  ein  narkotisches  Mittel  erhielt  und  sowohl  das  all- 
mähliche Einschlafen  wie  Erwachen  zur  allgemeinen  Ver- 
wunderung ausführte. 

So  weit  haben  es  unsere  „komischen  Dresseure"  noch 
nicht  gebracht.  Ihr  höchster  Trick  ist  die  grotesk-komische 
Darstellung  Betrunkener  durch  Hunde. 

Gaunereien  und  Rabulistenstücke  kamen  oft,  am  häu- 
figsten Liebeshändel  und  Ehebruchszenen  vor. 

Der  überraschte  Liebhaber  ließ  sich  in  einem  Kasten 
davontragen,  um  dem  betrogenen  Ehemann  zu   entgehen. 

Der  Gatte  schickt  seine  hübsche  Frau  zu  einem  mächtigen 
Feind,  um  durch  ihre  Reize  seine  Sicherheit  zu  erkaufen 
und  ähnliches  mehr. 

Eine  große  Rolle  spielten  im  Mimus  Schimpfreden  und 
Prügel.  Das  Klatschen  der  Ohrfeigen  auf  den  Pausbacken 
der  auch  in  diesem  Stück  regelmäßig  vorkommenden  Dümm- 
linge (stupidi)  scheint  zu  den  beliebtesten  Spaßen  gehört 
zu  haben. 

Die  Sprache  war  voll  von  Ausdrücken  und  Wendungen, 
wie  sie  die  untersten  Klassen  gebrauchten.  Der  Witz  possen- 
haft und  gemein,  das  Spiel  karikiert  und  grob  komisch. 
Grimassen,  skurrile  Gebärden,  groteske  Tänze  gehörten 
notwendig  dazu,  ja  sie  waren  ein  Hauptbestandteil  dieser 
Stücke. 

Man  sah  in  der  Kaiserzeit  Mimen  mit  zahlreichen  Per- 
sonen eine  wohldurchdachte  Handlung  darstellen.  Viel- 
leicht entlehnte  die  Posse  um  so  mehr  von  der  kunstmäßigen 
Komödie,  je  mehr  sie  diese  auf  der  Bühne  verdrängte. 
Doch    dürften,    wie    früher,    auch   damals    solche    Possen 

31 


gewöhnlich  gewesen  sein,  wo  man  es  sich  mit  der  Lösung 
des  dramatischen  Knotens  leicht  machte.  Sollte  das  Stück 
aufhören,  so  lief  etwa,  wie  Cicero  erwähnt,  eine  von  den 
Personen,  z.  B.  der  ertappte  Liebhaber,  davon,  die  Musik 
fiel  ein,  und  ein  Tanz  machte  den  Schluß. 

„Die  mimische  Poesie  ist  wie  die  unabsehbare,  weite 
Heide.  Es  blühen  auf  ihr  nicht  Rosen,  die  üppig  stolzen 
Gewächse  gärtnerischer  Kultur  und  Kunst,  nicht  weiße 
Schwertlilien  und  stolze  Kaiserkronen  oder  bunte  Orchideen. 
Aber  zahllos  gedeihen  der  niedrige  rötliche  Thymian  und 
rote  und  weiße  Nelken  mit  ihrem  scharfen  Duft  und  kleine 
Stiefmütterchen,  auch  Brennesseln,  stachlige  Disteln  und 
giftiger  Schierling,  alles  wie  die  Natur  es  treibt  in  unend- 
licher Fülle18." 

Die  szenische  Ausstattung  dieser  Mimen  war  wie  die 
Handlung  mehr  als  einfach.  Die  Mimen  spielten  auf  dem 
vordersten,  durch  einen  Zwischenvorhang  abgeteilten  Raum 
der  Bühne19. 

Zu  den  stehenden  Figuren  der  alten  Komödie,  und  zwar 
zu  den  lustigsten  gehörte  auch  der  Schmarotzer  (Parasitus). 
Lessing  erklärt  ihn  in  seiner  Dramaturgie  für  den  Harlekin 
der  Alten.  „Hatte  er  nicht  auch  seine  eigene  besondere 
Tracht,  in  der  er  in  einem  Stücke  über  den  anderen  vor- 
kam ?" 20  Wie  vordem  der  Mimus  mit  dem  Phallus  und 
später  der  Hanswurst  mit  der  Pritsche,  so  war  er  mit  dem 
Striegel,  einem  Olkrug  und  einem  Stock  bewehrt. 

Auf  den  Schauspielern  der  Römer  lastete  der  Fluch 
der  Unehrlichkeit  (Infamie).  Sie  standen  rechtlos  außer- 
halb der  Gesellschaft,  selbst  dann,  wenn  sie  als  Freige- 
lassene ihre  eigenen  Herren  waren.  Nicht  zuletzt  fand 
dieser  Makel  seine  Ursache  in  der  Schamlosigkeit,  durch 
die    sie    das    Lächerliche    ihrer    Darstellung    zu    erhöhen 

18  Herrn.  Reich,  Der  Mimus,  I.  Bd.,  I.  Teil,  S.  16.  —  19  Ludwig  Friedländer( 
Darstellungen   aus  der  Sittengeschichte  Roms  in  der  Zeit  von  August 
bis  zum   Ausgang   der   Antonine,   7.  Aufl.,    Leipzig  1901,    II.  Teil.   — 
20  IV.  Band  (Hesse),  S.  66. 
32 


Komische  Szene  aus  einer  neueren  attischen  Komödie 


■  t-tt    2    S    -•**  J   '*  .£   »»     ?  "3     3    r 


E-    ■£ 


cc 


T3    "J3 

C      « 

<  2 


cn 


suchten.  So  hingen  sie  sich  ungeheure  Phallen  aus  Leder 
wie  ein  Schwert  um  die  Lenden  oder  zwischen  die  Beine. 
Das  Komödianten-Schwert  (Gladius  histricus  Clunaculum) 
war  ihr  Attribut,  mit  dem  sie  sich  auf  komische  Weise  ver- 
teidigten oder  den  Widersacher  verfolgten.  Ihr  Kleid  war 
aus  zahlreichen  verschiedenfarbigen  Flicken  zusammenge- 
näht, weshalb  es  Centunculus  (Hundertfleck)  genannt  wurde. 

Mit  welcher  Liebe  nicht  nur  das  niedere  römische  Volk 
den  Spielen  der  Mimen  zugetan  war,  darüber  sind  uns 
vollwertige  Zeugnisse  erhalten.  Am  Florafeste,  wo  nur  die 
Mimen  ihr  lockeres  Spiel  trieben,  ging  selbst  der  strenge 
Cato  ins  Theater,  die  übrigen  Senatoren  und  Ritter  daher 
erst  recht. 

Der  numidische  Rhetor  Arnobius  geiferte  gegen  die 
glänzende  Versammlung  im  Theater,  wenn  Mimen  gegeben 
wurden.  „Da  sitzen  die  Kollegien  der  Priester  und  hohen 
Beamten,  der  Pontifex  Maximus,  der  Flamen  Dialis,  die 
Augurn  und  die  Vestalinnen,  alle  in  ihrer  Amtstracht. 
Da  sitzen  der  Senat,  die  gewesenen  Konsuln  und  selbst 
die  der  Gottheit  nahen  irdischen  Majestäten  —  die  Kaiser 
—  in  diesem  Falle  Diocletian.  Und  vor  ihnen  spielen  die 
Mimen  und  entblöden  sich  nicht,  selbst  die  Götter  zu  ver- 
spotten und  sie  in  allerhand  spaßhaften  und  niedrigen 
Situationen  vorzuführen.  Dann  springen  alle  Zuschauer 
auf  mit  all  den  hohen  Würdenträgern,  und  der  Riesen- 
raum widerhallt  vom  Beifallsgeschrei."  „Ihr  solltet  lieber 
die  Theater  zerstören  und  aufheben,  in  denen  die  Schmach 
der  Götter  täglich  in  schamlosen  Mimen  öffentlich  pro- 
stituiert wird21." 

Als  die  Theater  in  Italien,  in  Gallien  und  Germanien, 
in  Spanien  und  Afrika  in  Schutt  und  Staub  sanken,  da 
besannen  sich  die  Mimen  auf  ihren  alten  Ursprung.  Sie 
waren  ja  von  vornherein  nur  ftauuctTOTioioi  und  yeXcoroftotoi, 
Taschenspieler  und  Gaukler  gewesen,  da  wurden  sie  denn 

21  Adversus  gentes,  IV,  Kap.  35/36  (nach  Reich,  Mimus). 

3  33 


wieder  was  sie  vordem  waren,  Jongleure  und  Spaßmacher 
und  übten  nebenbei  die  uralte  mimische  Kunst,  die  sie 
als  Schauspieler  ganz  vergessen  hatten. 

So  retteten  sie  den  Mimus  durch  das  barbarische  Mittel- 
alter in  die  neue  Zeit,  wo  sie  sich  aus  Artisten  wieder  in 
Mimen  verwandelten,  wie  man  gerne  unsere  Schauspieler 
nennt. 

Im  griechischen  Osten  aber,  im  Reiche  der  Rhomäer,  fand 
das  eindringende  Barbarentum  einen  starken  Damm.  Da 
blieb  der  alte  Hellenismus,  wenn  auch  in  sehr  veränderter, 
in  christianisierter  und  byzantinisierter  Form  erhalten  und 
damit  auch  der  gute  alte  Mimus. 

Die  Byzantiner  haben  noch  jahrhundertelang  viel  von 
Philistion,  dem  Klassiker  des  Mimus,  gehalten  und  seinen 
Mimen  zugejubelt.  Bei  ihnen  blieb  die  alte  mimische  Kunst 
in  Blüte.  Sie  haben  noch  sehr  viele  Mimographen  nach 
Philistion  gehabt  und  mancherlei  mimische  Typen  und  Fi- 
guren zu  den  alten  hinzugefügt.  Die  hellenischen  Tragödien 
und  Komödien  waren  tot,  dafür  herrschte  aber  der  Mimus 
auf  den  späten  römischen  und  griechischen  Bühnen  unbe- 
schränkt 22. 

INDIEN 

Das  indische  Drama,  eine  nationale  Schöpfung,  völlig  un- 
berührt von  jedem  fremden  Einfluß,  blickt  auf  unzählbare 
Jahrhunderte  zurück.  Bereits  im  ältesten  Literaturdenkmal 
des  alten  Märchen-  und  Wunderlandes,  im  Rigveda,  das 
schon  vor  dem  Jahre  1000  v.  Chr.  hohen  Einfluß  ausgeübt, 
finden  sich  dramatisch  gehaltene  Lieder.  Im  alten  Epos 
treten  die  handelnden  Personen  ganz  wie  bei  Homer  immer 
redend  auf.  Gesang,  Instrumentalmusik  und  Tanz  waren 
von  ältester  Zeit  an  beliebt.  Zwischen  die  einzelnen  Ge- 
sänge und  Tänze  wurden  bald  improvisierte  Wechsel- 
reden eingeschoben,  und  aus  diesen  Darbietungen  leiteten 

22  Hermann  Reich,  Der  Mimus,  I.  Band,  I.  Teil,  Seite  14. 
34 


sich  wohl  nicht  allein  die  bengalischen  Yaträs  ab,  Volks- 
schauspiele, die  heute  noch  blühen,  sondern  auch  das  in- 
dische Drama,  denn  auch  dieses  war  ursprünglich  ein  Steg- 
reifschauspiel. 

Das  klassische  Drama  der  Inder  hat  die  eigentümliche 
Form,  daß  die  Prosa  beständig  durch  Strophen  in  den  mannig- 
fachsten Metren  unterbrochen  wird.  Solche  Strophen  gehör- 
ten in  der  vorklassischen  Zeit  zu  dem  ersten  Bestände  des 
Schauspielers.  In  der  Prosa  blieb  ihm  die  größte  Freiheit. 
So  ist  es  bis  auf  den  heutigen  Tag  bei  den  Volksstücken 
geblieben.  Volksstücke  sind  in  Indien  nie  aufgezeichnet 
worden.  Der  Regisseur  macht  seine  Schauspieler  kurz  mit 
dem  Inhalt  des  aufzuführenden  Stückes  bekannt  und  über- 
läßt die  Aufführung  ihrem  Improvisationstalent.  Wir  haben 
literarische  Nachbildungen  von  Volksstücken  aus  Bengalen 
und  Nepal,  die  alle  den  gleichen  Charakter  tragen.  Die 
Verse  sind  fixiert,  für  die  Prosa  werden  nur  Andeutungen 
gegeben,  und  zwar  bei  den  nepalisischen  Stücken  in  den 
Landesdialekten. 

Die  indischen  Dramen  haben  oft  einen  sehr  bedeutenden 
Umfang.  Stücke  von  sieben  und  zehn  Akten  sind  nichts 
Seltenes,  ja  das  Mahanätaka  hat  in  seiner  Bearbeitung  so- 
gar vierzehn.  Von  einer  Abart,  dem  Samavakära,  einem 
Spektakel-  und  Ausstattungsstück,  wie  sie  noch  heute  in 
Indien  bei  großen  Festen  aufgeführt  werden,  erfahren  wir  die 
genaue  Zeitdauer  der  Vorstellung.  Es  hatte  nur  drei  Akte; 
aber  der  erste  Akt  spielte  9lh  Stunden,  der  zweite  21/*, 
nach  anderen  31/*,  der  dritte  lVs  Stunden,  eine  Dauer,  die 
auch  den  eifrigsten  Theaterbesucher  befriedigt  haben  dürfte. 

Aber  das  Theater  war  mit  dem  Drama  noch  nicht  zu  Ende. 

Auf  das  Schauspiel  folgte  im  Volkstheater  stets  eine  Posse. 
Da  die  Aufführungen  erst  nach  Sonnenuntergang  begannen, 
so  dauerten  sie  die  ganze  Nacht.  Die  Posse  wurde  erst 
gespielt,  wenn  der  Morgen  graute1. 

1  Rosen,  Die  Indarsabhä  des  Amanat,  Leipzig  1891,  S.  4.,  Anm. 

3*  35 


In  diesen  Possen  bildete  das  Auftreten  und  die  Rolle 
des  Lustigmachers  den  Höhepunkt.  Sein  Name  ist  Vidü- 
saka. 

In  dem  ältesten  Lehrbuch  der  Schauspielkunst,  dem 
Bharatiyanä-yasastra,  wird  außer  dem  Helden  und  der  Heldin 
des  Stückes  dem  Vidüsaka  eine  eigene  Schutzgottheit  zu- 
geteilt; allen  übrigen  Darstellern  ist  eine  und  dieselbe  Gott- 
heit gegeben.  Es  heißt  darin:  „Den  Helden  schützt  Indra, 
die  Heldin  Saravati,  den  Vidüsaka  die  heilige  Liebe  Om, 
die  übrigen  Personen  Siva." 

Bhärata  lehrt,  daß  der  Vidüsaka  darzustellen  sei  als  Zwerg, 
mit  hervorstehenden  Zähnen,  bucklig,  als  Brahmane,  mit  ver- 
zerrtem Angesicht,  kahlköpfig  und  gelbäugig.  Visvanatha 
in  seinem  Sähityadarpana  sagt,  er  solle  seinen  Namen  von 
einer  Blume,  dem  Frühling  u.  dgl.  haben,  durch  sein  Be- 
nehmen, seine  Gestalt,  seine  Kleidung  und  Sprache  Heiter- 
keit erregen,  am  Zank  Gefallen  finden  und  sich  auf  seinen 
Vorteil  verstehen,  d.  h.  auf  Essen  und  Trinken  bedacht  sein. 
In  den  erhaltenen  Dramen  ist  dies  ein  Hauptcharakter- 
zug des  Vidüsaka.  In  der  Mrechatika,  wo  er  als  Freund 
des  verarmten  Kaufmanns  Cärudatta  auftritt,  beginnt  er 
seinen  Monolog  mit  der  Klage,  daß  die  schöne  Zeit  vor- 
über sei,  wo  er  sich  an  dem  Konfekt  satt  aß,  das  Tag  und 
Nacht  mit  Sorgfalt  bereitet  wurde  und  herrlichen  Duft  aus- 
strömte. Damals  habe  er  an  der  Tür  des  inneren  Hauses 
gesessen,  von  Hunderten  von  Näpfen  umgeben  wie  ein 
Maler,  mit  den  Fingern  bald  von  hier,  bald  von  dort  ge- 
nascht und  dann  wie  ein  Ochse  auf  dem  Marktplatz  wieder- 
gekäut. 

In  den  Vikramorvai  des  Kälidäsa  vergleicht  der  Vidüsaka 
den  aufgehenden  Mond  mit  einem  Zuckerkuchen.  Als  in 
der  Ratnävali  der  König  ihn  aufforderte  zu  hören,  was  ein 
sprechender  Narr  sagt,  antwortete  er,  der  Narr  sage,  der 
König  möge  ihm,  dem  Vidüsaka,  zu  essen  geben.  In  beiden 
Fällen  muß  er  sich  vom  König  vorhalten  lassen,  daß  bei 
einem  Schlemmer  sich  alles  nur  um  das  Essen  drehe. 
36 


Der  gleiche  Zug  der  Naschhaftigkeit  und  Freude  an 
gutem  Essen  tritt  in  allen  Stücken  hervor,  in  denen  er 
erscheint,  und  dementsprechend  ist  er  in  den  prachtvollen 
Reliefs  auf  den  Portalen  des  großen  Tope  von  Sinei  in 
Mittelindien  aus  den  ersten  Jahrhunderten  n.  Chr.  als  Zwerg 
mit  dickem  Bauche  abgebildet2. 

Oft  wird  auch  auf  seine  Häßlichkeit  angespielt.  Er  wird 
ein  gemalter  oder  roter  Affe  genannt.  Er  selbst  trägt  kein 
Bedenken,  sich  mit  einem  Affen  zu  vergleichen  und  seinen 
Glatzkopf  zu  verspotten.  Er  weicht  darin  von  den  lustigen 
Personen  aller  Burlesken  anderer  Nationen  ab,  die  sich, 
mögen  sie  noch  so  ungestaltet  sein,  ihrer  Schönheit 
rühmen. 

Seine  Häßlichkeit  gibt  ihn  dem  allgemeinen  Gelächter 
preis,  ebenso  seine  Dummheit,  die  aber  oft  geheuchelt  ist 
und  aus  seiner  Verschlagenheit  entspringt. 

Er  ist  der  verschmitzte  Kuppler  des  Königs,  aber  ebenso 
regelmäßig  bringt  er  durch  seine  Ungeschicklichkeit  und 
Schwatzhaftigkeit  den  König  in  die  größte  Verlegenheit 
gegenüber  der  Königin,  so  daß  er  vom  König  zwar  „Freund", 
aber  ebensooft  auch  „Dummkopf"  genannt  wird. 

Hervorstehende  Charakterzüge  sind  ferner  seine  Eitelkeit, 
seine  Unwissenheit,  seine  Furchtsamkeit,  die  aber  sofort  in 
Frechheit  umschlägt,  wenn  die  drohende  Gefahr  vorüber 
ist,  seine  Lust,  an  andern  alles  zu  tadeln,  was  seine  Be- 
quemlichkeit stört,  seine  Grobheit  endlich  gegen  alle,  die 
seinen  Freund,  den  Helden,  zu  einer  anderen  Ansicht  be- 
stimmen wollen,  wie  er  selbst  hegt. 

Alle  diese  hervorstehenden  Eigenschaften  haben  ihm 
zu  seinem  Namen  verholfen.  Vidüsaka  bedeutet  nämlich 
„Schlechtmacher",  „Tadler",  „Verspotter";  doch  damit  ist 
sein  Charakter  keineswegs  erschöpft. 

Der  Vidüsaka  ist  stets  zum  Streit  geneigt  und  immer 
bereit,  darauf  loszuschlagen.     Häufig  hat  er  damit  aller- 

1  Schlag-inweit,  Indien  in  Wort  und  Bild,  Leipzig  1881,  II.  Bd.,  S.  12. 

37 


dings  nur  den  Erfolg-,  daß  er  selbst  ordentlich  geprügelt, 
gefesselt  und  eingesperrt  wird,  und  dies  sogar  von  Frauen. 

Seinem  Stande  nach  ist  er  Beamter,  also  Mitglied  der 
ersten,  der  Priesterklasse  des  indischen  Volkes.  Dies  allein 
schon  zeigt  seine  große  Volkstümlichkeit  auf  das  deutlichste. 
In  den  indischen  Possen  werden  nämlich  mit  Vorliebe  die 
Priester  aller  indischen  Religionen  verspottet.  Ihre  Heuchelei, 
Selbstüberhebung,  Begehrlichkeit  nach  Weibern,  berau- 
schenden Getränken  und  leckeren  Speisen  sind  ein  uner- 
schöpfliches und  dankbares  Thema.  Es  herrscht  heute 
noch  in  den  Volksstücken,  wie  es  im  Altertum  in  den  lite- 
rarischen Dramen  eine  Hauptrolle  spielte. 

Dieser  seiner  Abstammung  ist  es  auch  zuzuschreiben, 
daß  der  Vidüsaka  nicht  wie  alle  anderen  Männer  seiner 
Kaste  in  den  Dramen  das  vornehme  Sanskrit  spricht,  son- 
dern wie  die  Männer  niederen  Standes  und  die  Frauen, 
außer  den  Nonnen  und  den  Hetären,  das  vulgäre  Präkrit, 
weil  es  ein  Überbleibsel  aus  jenen  alten  Volksstücken  ist, 
in  denen  wohl  nur  der  Volksdialekt  gesprochen  worden  war. 

In  Indien  haben  sich  die  Priester  schon  früh  der  Literatur 
bemächtigt.  Es  ist  ganz  undenkbar,  daß  sie  eine  Figur  wie 
den  Vidüsaka,  der  eine  Parodie  ihrer  Standesgenossen  im 
allgemeinen  und  in  einzelnen  Stücken  wohl  auch  bestimmter 
hervorragender  Persönlichkeiten  ihrer  Kaste  darstellte,  in 
das  Kunstdrama  aufgenommen  hätten,  wenn  sie  nicht  im 
Bewußtsein  des  Volkes  so  innig  mit  dem  Schauspiel  ver- 
knüpft gewesen  wäre,  daß  eine  Entfernung  daraus  unmög- 
lich erschien. 

In  dem  altindischen  Vidüsaka  finden  wir  demnach  alle 
Eigenschaften  vor,  die  in  späterer  Zeit  zum  eisernen  Be- 
stand der  Hanswürste  aller  Völker  gehören.  Alle  Züge 
des  indischen  Lustigmachers  kehren  bei  dem  europäischen 
wieder,  und  zwar  in  so  überraschender  Gleichheit,  daß  über 
die  Identität  der  Figuren  kein  Zweifel  herrschen  kann. 
Bereits  Christian  Lassen,  der  Begründer  der  indischen 
Altertumswissenschaft,  hat  den  Vidüsaka  den  „indischen 
38 


TLazullo 


ucurucu 


Zwei  Zanni  vor  dem  Podium 
Kupfer  von  Callot 


Vertreter  des  deutschen  Hanswursts  und  des  italienischen 
Policinello  und  Arlequino"  genannt3,  ohne  aber  die  Vi- 
düsakafigur  als  den  Ahnen  dieser  volkstümlichen  Spaß- 
vögel anzusprechen,  wie  dies  Professor  Dr.  Richard  Pischel 
tat,  dessen  Ausführungen  ich  bis  hierher  gefolgt  bin4. 

Dem  berühmten  Hallenser  Indiologen  ist  Vidüsaka  das 
Urbild  der  Hanswürste  aller  Zeiten  und  Völker.  Dem  tritt 
Hermann  Reich,  der  Geschichtsschreiber  des  Mimus,  ent- 
gegen. 

Auf  Grund  einer  lückenlos  geschlossenen  Beweiskette 
kommt  Reich  zu  dem  Schluß,  daß  Vidüsaka  und  seine  Kol- 
legen wohl  einen  gemeinsamen  Stammbaum  haben,  aber 
der  Vidüsaka  von  diesem  ebenso  ein  Zweig  sei  wie  der 
Hanswurst,  der  Jean  Potage,  Signor  Maccaroni,  Jack  Pud- 
ding, der  Pickelhering  und  der  Paprika  Jancsi. 

Die  Wurzel,  der  alle  diese  Typen  der  Volkskomödie  ent- 
sprossen sind,  heißt  Mimus  calvus,  und  seine  Wiege  stand 
in  Hellas  und  nicht  im  Lande  der  Bajaderen. 

Im  sechsten  Jahrhundert  n.  Chr.  blühte  Kälidäsa,  der 
Klassiker  des  indischen  Dramas.  Im  ersten  Jahrhundert 
n.  Chr.  Philistion,  der  Klassiker  des  Mimus,  aber  vier  Jahr- 
hunderte vorher  hat  der  dickbäuchige  Spaßmacher  die 
jubelnde  Menge  in  Griechenland  begeistert. 

Der  Vidüsaka  ist  der  Sohn  des  Mimus,  sein  Altester, 
und  ihm  wie  ein  Ei  dem  andern  ähnlich. 

Er  hat  den  Buckel,  den  kahlen  Schädel,  den  Fettwanst, 
das  schmierige  Äußere,  den  affenähnlichen  Gesichtsaus- 
druck vom  Mimus,  sogar  den  Namen!  Schlechtmacher, 
Tadler,  Verspötter  ist  direkte  Übersetzung  von  derisor  und 
ficbxoq,  wie  Martial  den  berühmten  Mimen  Latinus  nannte. 
Nur  den  Phallus,  das  Attribut  des  Mimus,  führt  der  Vidü- 
saka nicht  mehr.  Er  hat  ihn  als  unzeitgemäß  an  seinen 
Sohn,  den  javanischen  Semar,  abgegeben,  der  ihn  heute 
noch  voll  Grazie  schwingt. 

*  Indische  Altertumskunde,  Bonn  1844-1862,  IV.  Bd.,  S.  829.  —  4  Die 
Heimat  des  Puppenspiels,  Rede  bei  Antritt  des  Rektorats,  Halle  a.S.  1900. 

39 


In  Indien  hat  im  achten  Jahrhundert  unserer  Zeitrech- 
nung- Bhavabhüti,  nächst  Kälidäsa  der  gefeiertste  drama- 
tische Dichter  Indiens,  versucht,  den  Vidüsaka  von  der 
Bühne  zu  treiben.  Dies  ist  ihm  ebensowenig-  gelungen, 
wie  fast  ein  ganzes  Jahrtausend  später  dem  Professor 
Gottsched  mit  der  Karoline  Neuberin. 


ITALIENER 

Als  unter  den  despotischen  Kaisern  und  in  den  Zeiten 
nach  dem  Einbruch  der  Germanen  die  eigentliche  Komödie 
in  Italien  aufhörte,  dauerten  doch  die  Spiele  der  Mimen, 
die  sich  der  atellanischen  Possenspiele  bemächtigt  hatten, 
noch  immer  fort.  Die  Schriftsteller  gedenken  ihrer  noch 
im  sechsten  und  dreizehnten  Jahrhundert,  und  es  ist  kein 
Zweifel,  daß  die  uralte  Stegreif komödie,  die  Commedia 
dell'arte,  nach  und  nach  aus  den  Mimen  entstanden  ist 
und  sie  diesen  Spielen  wie  die  Charaktere  ihrer  Schau- 
spieler, so  auch  deren  Kleidung  entlehnt  hat. 

Den  Namen  Commedia  dell'arte,  d.  i.  Berufskomödie, 
tragen  diese  Stegreif  stücke,  weil  sie  von  Komödianten  dar- 
gestellt wurden,  die  aus  ihrer  Kunst  ein  Gewerbe  machten. 
Sie  verbreiteten  sich  gegen  Ende  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts,  als   die  gelehrte  Komödie  zu  verfallen  begann. 

Besonders  eng  lehnte  sich  die  Commedia  dell'arte  an  die 
Dialektlustspiele  des  Paduaners  Angelo  Beoleo,  nach  dem 
von  ihm  selbst  dargestellten  bäuerischen  Helden  mehrerer 
seiner  Komödien  Ruzante  genannt  (1502 — 1542),  und  sei- 
nes Nachahmers,  des  lustigen  Schauspielers  und  Dichters 
Andrea  Calmo  (1510 — 1570)  aus  Venedig.  Wie  in  den 
Stücken  dieser  Possenautoren  findet  auch  in  den  impro- 
visierten Komödien  der  Dialekt  Verwendung,  auch  hier 
tritt  der  Verfasser  zugleich  als  Schauspieler  auf,  auch  hier 
kehren  die  Hauptpersonen  in  den  Stücken  immer  wieder. 
Ruzante  (ruzarre  =  scherzen)  bearbeitet  in  seinen  ersten 
40 


Stücken  in  „Piovana"  (Pfarreikomödie)  und  in  „Vaccaria" 
(Kuhkomödie)  die  plautinischen  Possen  „Rudens"  und  die 
„Asinaria"  für  die  Volksbühne.  In  diesen  wie  in  seinen 
weiteren  drastischen  Spielen  spricht  jede  der  komischen 
Personen  eine  andere  Mundart,  nämlich  Venezianisch,  Bo- 
lognesisch,  Bergamaskisch,  den  Dialekt  von  Padua,  das 
Florentinische  und  sogar  das  mit  Italienisch  vermengte 
Neugriechische.  Ebenso  führte  er  den  Pantalon,  dem  er 
venezianisches  Kostüm  gab,  auf  der  Bühne  ein,  den  bo- 
lognesischen  Doktor  und  den  bergamaskischen  Bedienten. 
Calmo  überbietet  seinen  Vorgänger  noch  darin,  daß  er  neben 
den  heimischen  Idiomen  gelegentlich  sogar  Griechisch, 
Deutsch  und  Slavisch  sprechen  läßt.  Er  entfernt  sich  aber 
damit  von  Ruzantes  Natürlichkeit  und  Einfachheit. 

Die  verschiedenen  Mundarten  und  die  feststehenden  Mas- 
ken bleiben  ständiges  Requisit  der  Stegreifkomödien.  Man 
schrieb  für  sie  nur  den  Gang  der  Handlung  in  allgemeiner 
Kürze  nieder  und  deutete  —  darum  hieß  das  Niederge- 
schriebene scenario  —  die  Einteilung  in  Szenen  an.  Den 
Dialekt  wählten  sich  die  Schauspieler  selbst,  die  immer 
denselben  Charakter,  dieselbe  Sprache  in  dem  immer 
gleichbleibenden  Kostüm  vertraten. 

Das  älteste  Szenario,  das  wir  besitzen,  stammt  aus  dem 
Jahre  1568.  Ferner  hat  sich  eines  von  dem  Neapolitaner 
Giovan  Battista  della  Porta  (1530 — 1615)  erhalten,  der 
darnach  seine  gelehrte  Komödie  „La  Trappolaria"  verfaßte, 
die  dem  Plautus  entnommen  ist. 

Von  den  Höfen  und  Akademien  ausgeschlossen,  blieb 
die  Commedia  dell'arte  immer  im  Volke,  das  diese  An- 
hänglichkeit mit  zärtlichster  Gegenliebe  vergalt.  Da  sie 
nur  für  das  Volk  schuf,  ihre  Gestalten  nur  dem  Volke 
entnahm,  blieb  ihr  das  Volk  auch  in  allen  Wandlungen  bis 
zur  Gegenwart  treu,  trotzdem  ihre  Blütezeit  längst  vorüber 
und  sie  nun  von  der  Schau-  zur  Marionettenbühne  über- 
gegangen ist. 

Jede  italienische  Provinz  lieferte  der  Commedia  dell'arte 

41 


eine  Maske  und  ihren  charakteristischen  Typus.  Bologna, 
wie  erwähnt,  die  Stadt  der  seit  alters  her  weltberühmten 
Universität,  in  dem  Doktor,  den  lächerlichen  Pedanten.  Das 
allmächtige,  reiche  und  handeltreibende  Venedig  den  alten 
täppischen  Kaufmann  Pantalone;  das  damals  den  Spaniern 
unterworfene  Neapel  den  Hauptmann  Spavento,  den  Mata- 
moros  (Maurentöter),  den  Miles  gloriosus,  den  Bramarbas 
und  Eisenfresser,  wie  ihn  Andreas  Gryphius  in  seinem  Don 
Horribilicribrifax  zeichnete.  Bergamo  endlich,  von  dem  der 
Ruf  ging,  daß  sein  Pöbel  aus  Gecken  und  Betrügern  be- 
stehe, steuerte  die  dummdreisten,  verschmitzten  Diener 
Arlecchino  und  Brighella  bei. 

Dieser  Stamm  wurde  in  den  Jahrhunderten  der  Blüte 
der  Commedia  dell'arte  ganz  bedeutend  vermehrt,  so  be- 
sonders im  achtzehnten  Jahrhundert,  dem  goldenen  Zeit- 
alter der  Stegreifkomödie  und  der  Stegreifkomödianten. 

Diese  Histrionen  hatten  keinen  festen  Wohnsitz,  sondern 
wanderten  bald  hierhin,  bald  dorthin,  um  irgendeine  große 
Festlichkeit,  etwa  die  Hochzeit  eines  Fürsten,  verherrlichen 
zu  helfen.  Von  den  italienischen  Höfen  zogen  sie  nach 
denen  Österreichs,  Bayerns,  Spaniens,  Englands  und  Frank- 
reichs. Die  berühmteste  dieser  Schauspielertruppen,  die 
„Gelosi",  d.  h.  die  Eifersüchtigen,  wurden  dreimal  an  den 
französischen  Hof  geladen. 

Sie  standen  unter  der  Leitung  Flaminio  Scalas,  des  Refor- 
mators der  Stegreifkomödie.  Seine  dramatischen  Werke 
liegen  in  seinem  „Teatro  delle  favole  rappresentative  overo 
la  ricreatione  comica,  boscareccia  e  tragica  divisa  in  cin- 
quante  giornate"  (Theater  der  dramatischen  Stoffe  oder 
komische,  pastorale  und  tragische  Unterhaltung,  einge- 
teilt in  fünfzig  Tage),  erschienen  1611  in  Venedig,  gesam- 
melt vor. 

Zu  den  stehenden  Masken  in   diesen  Stücken  gehörten 
der  Arlecchino,  Pantalone,  Buratino,  Gratiano  Dottore,  Ca- 
pitano  Spaventa,   Cavicchio,   Pedrolino   und  noch  andere 
mehr. 
42 


Callot:  Pantalone 
Im  Hintergrund  die  Bühne  mit  dem  Dottore 


Die  Vorrede  zu  dem  genannten  Werke  Scalas  schrieb 
das  berühmteste  Mitglied  der  „Gelosi",  nämlich  „Capitan 
Spaventa  da  Vall'  interna",  d.  i.  der  Hauptmann  Schreck 
aus  dem  Höllental,  mit  seinem  bürgerlichen  Namen  Fran- 
cesco Andreini  aus  Pistoja.  Neben  ihm  glänzte  seine  Frau 
Isabella  aus  Padua  (1562 — 1604).  Sie  war  „schön  von 
Ruf,  schön  von  Körper  und  sehr  schön  von  Geist".  Sie 
sang  und  spielte,  schrieb  neben  ihrer  Muttersprache  noch 
Lateinisch,  Spanisch  und  Französisch  und  wurde  von  Tor- 
quato Tasso,  Gabriello  Chiabrera  und  Giambattista  Marino 
gefeiert. 

Den  „Gelosi"  folgten  die  „Fedeli"  (Treuen). 

Sie  standen  unter  der  Leitung  des  berühmten  Florentiner 
Komikers  Giambattista  Andreini  (1587 — 1652),  Francescos 
Bruder,  der  auch  als  fruchtbarer  Dichter  in  der  National- 
literatur Italiens  weiterlebt.  So  schrieb  er  die  lyrische 
Tragödie  „Adamo"  (Adam),  die  Milton  zu  seinem  „Ver- 
lorenen Paradies"  angeregt  haben  soll. 

Als  weiblicher  Star  der  „Fedeli"  glänzte  des  Direktor 
Andreinis  Gattin  Virginia  Ramponi,  die  ebenfalls  von  Ma- 
rino verherrlicht  wurde. 

Den  größten  und  nachhaltigsten  Erfolg  erhielten  diese 
wandernden  Mimen  in  Frankreich. 

Dort  war  die  italienische  Farce  keine  Neuheit  mehr. 
Heinrich  II.  und  Katharina  von  Medici  hatten  bereits  im 
Jahre  1548  in  Lyon  die  „Calandria"  des  späteren  Kardinals 
Bernardo  Dovizi  (1470 — 1520),  nach  seinem  Geburtsort  im  Ca- 
sentino  „Bibbiena"  genannt,  aufführen  lassen,  „die  Farce  voll 
lustiger  und  unanständiger  Spässe",  über  die  aber,  wie  das 
französische  Herrscherpaar,  die  feinsten  Damen  des  italieni- 
schen Hochadels,  der  Papst  und  die  Kardinäle  sich  vor 
Lachen  schüttelten. 

Immerhin  währte  es  fast  noch  drei  Jahrzehnte,  ehe  Fran- 
cesco Andreini  aus  der  Provinz  nach  Paris  durfte.  Mit  der 
Erlaubnis  von  König  Heinrich  III.  spielte  die  Gesellschaft 
unter  ungeheurem  Zulauf  trotz  des  Widerspruchs  der  Geist- 

43 


lichkeit  und  des  Parlaments  im  Palais  Bourbon  ihre  obszönen 
Stegreifkomödien.  Auch  hier  eroberte  sich  besonders  Isa- 
bella Andreini  die  Herzen  der  Pariser,  und  der  Triumph, 
den  sie  feierte,  fand  seinen  Ausdruck  in  einem  Poem  Isaac 
du  Ryers,  das  mit  den  Versen  schloß: 

Divin  esprit  dont  la  France 
Adorera  l'excellence 
Mille  ans  apres  son  Trepas: 
(Paris  vaut  bien  l'Italie) 
L'assistance  te  supplie 
Que  tu  ne  t'en  aille  pas. 

Nach  dem  Tode  Isabellas  zog  sich  Francesco  Andreini 
von  der  Bühne  zurück. 

Weitere  Truppen  spielten  dann  1584  und  1588  in  Paris, 
wo  auch  sie  große  Erfolge  hatten. 

Gegen  Ende  des  siebzehnten  Jahrhunderts  begann  der 
Verfall  der  Stegreifkomödie. 

Die  Nachahmung  des  französischen  Theaters  im  Norden 
sowie  die  Verbreitung  des  Melodramas  im  Süden  gaben  ihr 
den  Gnadenstoß. 

Der  Schauspieler  Luigi  Riccoboni  aus  Modena  (1674  bis 
1753),  der  später  auch  Werke  über  das  Theater  verfaßte, 
so  „Storia  del  teatro  italiano"  (Geschichte  des  italienischen 
Theaters),  „Osservazioni  sul  Moliere"  (Bemerkungen  über 
Moliere),  „Riforma  del  teatro"  (Reform  des  Theaters),  wollte 
durch  verständige  Verquickung  der  Stegreifkomödie  mit  der 
literarischen  die  alten  italienischen  Lustspiele  des  sech- 
zehnten Jahrhunderts  auf  der  Bühne  seines  Vaterlandes 
halten,  die  er  abwechselnd  mit  Überarbeitungen  französischer 
Lustspiele  und  mit  seinen  eigenen  Stücken  zur  Aufführung 
brachte.  Er  ließ  auch  die  Melodramen  Apostolo  Zenos 
(1668  — 1750)  ohne  Musik  spielen,  wodnrch  er  das  Lust- 
spiel den  Stegreifkomödianten  aus  der  Hand  zu  nehmen 
und  es  zu  reformieren  und  moralischer  zu  gestalten  beab- 
sichtigte. 
44 


ü 

' 

PI  ?  / 

Hl 

^■T^^k. 

^4 

/" 

^ 

Goldonis  Reformwerk 
Nach  Zeichnungen  von  P.  A.  Novelli,   gestochen  von  Baratti  und  Giampiccoli, 

Venedig  1670 
.  Der  zwölfjährige  Carlo  Goldoni  in  einer  Frauenrolle  auf  der  Bühne  von  Perugia, 
'..  eine  Commedia  dell'arto  in  der  Arena  von  Verona, 
».  die  Hauptdarsteller  der  venezianischen  Stegreifkomödie, 

:.  Carlo  Goldoni  überrascht  seine  Freunde  mit  seinem  ersten  Drama,  dem  „Belisario", 
k  Szene  aus  dem  Stück  „Die  Flegel"  von  Goldoni, 
5.  Pantalone  in  Goldonis  „Der  eifersüchtige  Geizhals"  (II.  Akt,  Szene  16). 


Als  er  sich  jedoch  bei  einer  Aufführung  der  „Scolastica" 
Lodovico  Ariostos  durch  das  Publikum  gezwungen  sah,  die 
Vorstellung  abzubrechen,  gab  er  das  Unternehmen  auf  und 
ging  nach  Frankreich,  wohin  ihn  der  Herzog  Regent  im 
Jahre  1716  berufen  hatte1.  Dort  stand  er  der  mit  15000 
Livres  subventionierten  Commedie  italienne  im  Theater 
de  Bourgogne  vor.  1719  führte  er  in  Paris  die  Paro- 
dien ein. 

Inzwischen  war  aber  schon  der  Mann  geboren,  der  das 
beenden  sollte,  was  Riccoboni  mit  unzulänglichen  Mitteln 
erstrebte,  nämlich  Carlo  Goldoni  (1707 — 1793),  dem  Italien 
seine  Nationalkomödie  verdankt. 

Zu  Goldonis  Zeit  war  die  Comedia  dell'arte  bereits  völlig 
entartet.  Sie  war  durchsetzt  von  gymnastischen  Spielen  und 
fast  ganz  in  den  Händen  von  Gauklern. 

Bei  seinen  Reform  planen  begann  Goldoni  zuerst  mit  der 
Stegreifkomödie,  die  er  zu  einem  realistischen  Lustspiel 
umgestalten  wollte.  „In  seinen  ersten  Komödien,  die  durch- 
weg Stegreifkomödien  und  spanischen  oder  französischen 
Ursprungs  waren,  hatte  er  nur  die  vier  Hauptmasken  ver- 
wendet, nämlich  Pantalone,  Arlecchino,  Brighella  und 
den  Dottore,  die  übrigen  gestrichen.  Auch  jetzt  ließ  er 
seine  Schauspieler  jene  vier  Rollen  improvisieren,  für  die 
Nebenfiguren  dagegen  lieferte  er  fertig  ausgeführte  Rol- 
len. So  konnte  er  schon  wenigstens  einen  Teil  seiner 
Personen  frei  nach  seinem  Belieben  handeln  und  sprechen 
lassen  und  damit  reizende  Typen  schaffen,  so  Dienst- 
mädchen, Industrieritter,  Hausfreunde  usw.  Dann  zog  er 
die  Liebespaare,  die  bis  dahin  in  der  Komödie  eine  ganz 
untergeordnete  Bedeutung  besessen  hatten,  hervor  und 
verlieh  ihnen  so  viel  Interesse,  daß  sie  die  Masken  in  den 
Hintergrund  drängten,  die  sich  nun  selbst  mit  den  Neben- 
rollen, Diener,  Wirte,  Väter,  begnügen  oder  ganz  von  der 
Bühne   abtreten    mußten.     So  wurde  die  Stegreifkomödie 

1  Dr.  Berth.  Wiese  und  Prof.  Erasmo  Percopo,   Geschichte  der  italieni- 
schen Literatur,  Leipzig  und  Wien  1899,  S.  435  ff. 

45 


zerstört,  und  Goldoni  konnte  die  ewig  menschliche  Ko- 
mödie an  ihre  Stelle  setzen2." 

In  Italien  verkannt,  von  Widersachern  angefeindet  und 
verfolgt,  wandte  sich  Goldoni  nach  Paris,  dem  Dorado  der 
italienischen  Komödianten.  Aber  auch  hier  hatte  er  in  den 
ersten  Jahren  seines  Aufenthaltes  bedeutende  Anstrengungen 
zu  machen,  um  von  der  alten  Commedia  dell'arte  zu  seiner 
neuen  Komödie  hinzuleiten. 

Die  Hauptschwierigkeit  beim  Kampf  gegen  die  Stegreif- 
komödie bildete  die  Beseitigung  der  alten  Lieblinge  des 
Volkes,  jener  stehenden  Masken,  die  als  unzertrennlich  von 
der  Comedia  dell'arte  galten. 

Hier  eine  kurze  Charakteristik  der  bedeutendsten  dieser 
grotesken  Geschöpfe  der  italienischen  Stegreifkomödie. 

a)  ARLECCHINO 

Es  ist  jetzt  entschieden,  daß  der  Charakter  des  Harlekins 
noch  von  den  alten  mimischen  Spielen  herstammt,  wie  schon 
Riccoboni  angenommen  hatte.  Der  Histrio  mit  dem  Hundert- 
fleck, dessen  ich  bei  den  mimischen  Spielen  der  Römer 
gedacht  habe,  ist  der  Urahn  des  Harlekins  gewesen.  Auch 
seine  Kleidung  stimmt  mit  der  des  Arlecchino  überein. 
Woher  käme  sonst  dieses  absonderliche  Kostüm,  das  nie- 
mals Mode  gewesen?  Stücke  von  rotem,  blauem,  gelbem 
und  grünem  Tuche,  dreieckig  geschnitten,  sind  nach  der 
Form  eines  Wamses  zusammengenäht,  kleine  Schlurfen  ohne 
Absätze,  ein  kleiner  Hut,  der  den  geschorenen  Kopf  bedeckt, 
und  eine  schwarze  Larve,  die  keine  Augen,  sondern  bloß 
zwei  kleine  Löcher  zum  durchsehen  hat.  Alles  dies  läßt 
sich  recht  gut  erklären,  wenn  man  den  Harlekin  für  den 
Nachfolger  derjenigen  Mimen  annimmt,  die  mit  geschorenen 
Köpfen  und  barfuß  gingen  (Planipedes).  Denn  die  Füße 
des  Harlekins  sind  bloß  mit  Leder  umwickelt,  ihre  Sandalen 
ohne  Absätze.    Seine  schwarze  Larve  deutet  ebenfalls  auf 

1  Wiese-Percopo,  S.  476. 
46 


die  Mimen  hin,  die  ihr  Gesicht  mit  Ruß  schwärzten.  Vom 
Kopf  bis  auf  die  Füße  hinab  ist  demnach  die  Kleidung-  des 
Harlekins  nichts  anderes  als  das  entsprechend  nachgeahmte 
Kostüm  der  alten  Mimen  bei  den  Lateinern.  Dazu  kommt 
noch  das  komische  Schwert  der  alten  Mimen,  das  wir  auch 
bei  dem  Harlekin  finden,  das  aber  Riccoboni  nicht  kannte. 
Dieser  sucht  seine  Meinung-  noch  dadurch  zu  beweisen, 
daß  Harlekin  und  Scapin  bei  den  toskanischen  Schriftstellern 
Zanni  hießen,  eine  Bezeichnung-,  die  wahrscheinlich  von 
dem  lateinischen  Sannio  stammt,  von  dem  Cicero  im  2.  Buch 
de  Oratore  eine  Beschreibung-  liefert,  die  vollkommen  auf 
den  Charakter  des  Harlekins  paßt.  Carlo  Dati  und  nach  ihm 
auch  Menage  behaupten  dagegen,  daß  Zanni  so  viel  wie 
Giovanni  sei,  was  in  der  toscanischen  Sprache  abgekürzt 
Gianni  laute;  oder  weil  einer  der  ersten  Harlekine  vielleicht 
Gianni  geheißen  habe.  Menage  führt  zum  Beweis  seiner 
Abstammung  aus  dem  Spanischen  des  Covaruvias  da  Bobo 
Juan  an,  und  Dati  zitiert  eine  Stelle  aus  einer  im  Stil  des 
Merlin  Coccai  verfaßten  Schrift,  wo  der  Verfasser,  indem 
er  von  einem  Menschen,  der  in  der  Komödie  die  Rolle  des 
Zanni  vorstellte,  sagt:  fecerat  Joannem.  Alles  das  hat 
Riccoboni  ausführlich  zu  widerlegen  gesucht.  Doch  ist  es 
auffallend,  daß  die  lustigen  Personen  fast  bei  allen  neu- 
zeitlichen Nationen  den  Namen  Johann  führen,  wie  Hans- 
wurst, Jack,  Jean  Potage,  Hansdumm,  Hansdampf,  Hans 
in  allen  Gassen.  Allerdings  ist  hieraus  nicht  viel  zu  schliessen, 
da  man  auch  aus  dem  Namen  Nikolaus  ohne  seine  Schuld 
das  verächtliche  Wort  Nickel  gebildet  hat,  wodurch  im 
allgemeinen  eine  widerwärtige  Person,  inbesondere  ein  lieder- 
liches Weib  angedeutet  wird;  falls  es  nicht  etwa  von  dem 
Namen  des  Kaninchens  herkommt,  um  die  Geilheit  an- 
zudeuten. 

Batteux  sucht  den  Harlekin  vom  griechischen  Satyr  her- 
zuleiten. Er  erklärt:  der  Harlekin  in  gewissen  italienischen 
Stücken  hat  fast  alle  Kennzeichen  eines  Satyrs.  Man  sehe 
nur  seine  Maske  an,  seine  Umgürtung,  sein  Kleid,  das  wie 

47 


angeleimt  ist  und  ihm  fast  das  Aussehen  eines  Nackten 
gibt,  seine  überzogenen  Knie,  die  man  sich  als  hinein- 
gehend denken  kann:  so  fehlt  ihm  nichts  mehr  als  der  Schuh 
mit  gespaltenen  Klauen.  Man  füge  noch  hinzu  seine  Necke- 
reien, seine  Sprünge,  seinen  Stil,  seine  Scherzreden,  den 
Ton  seiner  Stimme:  alles  dies  macht  in  der  Tat  eine  Art 
von  Satyr  aus.  Der  Satyr  der  Alten  kam  dem  Bocke  nahe; 
der  Harlekin  ähnelt  der  Katze;  es  bleibt  immer  ein  Mensch, 
in  dem  ein  Tier  steckt.  Wie  spielten  nach  Horaz  die  Satyre? 
Mit  einem  Gotte,  mit  einem  Helden,  der  in  einem  hohen 
Tone  sprach.  Ebenso  erscheint  Harlekin  zugleich  mit  Simson ; 
er  figuriert  auf  groteske  Art  neben  einem  Helden;  er  spielt 
selbst  den  Helden;  er  stellt  den  Theseus  vor. 

So  viel  Wahrscheinlichkeit  es  hat,  daß  das  Geschlechts- 
register des  Harlekin  sich  im  entferntesten  Altertum  ver- 
liert und  mehrere  Ahnen  ihre  Attribute  in  seiner  Person  ver- 
einigt haben,  so  ungewiß  war  bis  vor  kurzem  noch  der  Ur- 
sprung seines  Namens. 

Die  Franzosen  erklären,  der  Name  sei  bei  ihnen  ent- 
standen, und  zwar,  wie  früher  behauptet  wurde,  auf  fol- 
gende Weise:  Unter  der  Regierung  Heinrich  III.  kam  eine 
Gesellschaft  italienischer  Komödianten  nach  Paris,  unter 
denen  ein  junger,  lustiger  Bursche  war,  der  oft  in  das  Haus 
des  Herrn  Harlay  de  Chanvalon  verkehrte;  seine  Kame- 
raden nannten  ihn  deshalb  entweder  aus  Spott  oder  Neid 
Harlequino  oder  den  kleinen  Harlay,  weil  die  Italiener 
gewohnt  waren,  die  Günstlinge  vornehmer  Leute  nach  deren 
Namen  zu  benennen.  Menage  erzählt,  daß  er  diese  Etymo- 
logie von  einem  Herrn  Guyet  habe,  der  dies  von  dem  Har- 
lequino selbst  bei  seiner  zweiten  Reise  nach  Frankreich 
unter  Ludwig  XIII.  gehört  habe.  Ferner  hätte  ihm  ein  Herr 
Forget  berichtet,  daß  dieser  Harlequino  den  Herrn  von 
Chanvalon  auf  dem  Theater  seinen  Paten  genannt. 

Es  fragt  sich,  wer  dieser  Harlay  de  Chanvalon  gewe- 
sen? Gundling  nimmt  an,  er  sei  der  Liebhaber  der  Königin 
Margareta  gewesen,  der  diesen  Namen  führte,  und  dem 
48 


Heinrich  III.  selbst  vorgeworfen,  daß  seine  Schwester  mit 
ihm  einen  Sohn  gezeugt  hätte5.  Andere  glauben,  es  wäre 
der  Präsident  Achilles  von  Harlay  gewesen,  in  dessen  Hause 
dem  Harlequino  Zugang  gestattet  worden  sei.  Allein,  das 
ist  schwer  zu  glauben,  wenn  man  den  Charakter  des  Achilles 
von  Harlay  betrachtet,  der,  so  wie  die  andern  obrigkeitlichen 
Personen  seiner  Zeit,  kaum  einen  Pickelhering  in  seinem 
Hause  gelitten  hätte. 

Alle  diese  Ansichten  werden  aber  dadurch  widerlegt, 
daß  der  Name  Harlekin  schon  früher  vorkommt.  Man  findet 
ihn  bereits  in  einem  Briefe  des  lustigen  Predigers  Johann 
Raulin,  den  dieser  an  Johann  Standouk  schrieb,  und  zwar 
in  der  Ausgabe  seiner  Epistolae  von  1520.  Raulin  ist  schon 
1514  gestorben.  Ebenso  falsch  ist  die  Meinung,  daß  das  Wort 
Harlekin  unter  Franz  I.  entstanden  sei,  um  den  Kaiser 
Karl  V.  (Charles  Quint)  zu  verspotten,  so  wie  die  Eng- 
länder eine  Hure  Harlot  nennen,  von  einer  gewissen  Char- 
lotte, die  Wilhelm  des  Eroberers  Liebste  war.  Franz  von 
Harlay  Chanvallon  wurde  auch  von  seinen  Feinden  Harlay 
Quint  genannt,  weil  er  der  fünfte  Erzbischof  von  Paris  war, 
oder  weil  nach  Menages  Mutmaßung  der  Name  Harlekin 
von  seiner  Familie  abstammen  sollte.  Ebenso  hat  Hotto- 
mann dies  Wort  in  seinem  Anti-Chopinus. 

Bei  Gundling  aber  findet  man  noch  eine  Ableitung  des- 
selben Wortes  von  den  Italienern.  Er  sagte:  Sie  machten 
den  Signor  Arlecchino  zu  ihrem  Landsmann,  indem  sie  ein 
ganzes  Buch  von  ihm,  seiner  Familie  und  seinen  Begeben- 
heiten herumtrugen.  Dieser  Arlecchino  sei  Priester  in  Tos- 
kana gewesen,  der  sich  durch  seine  Bouffonerien  einen  un- 
sterblichen Namen  gemacht,  also  daß  man  ganze  Historien 
von  ihm  verfertigt.  Ich  will  die  Fehler,  die  hier  von  Gund- 
ling begangen  werden,  nicht  rügen,  sondern  bloß  bemerken, 
daß  darunter  der  bekannte  Piovano  Arlotto  gemeint  ist, 
den  Gundling  mit  dem  Harlekin  verwechselt. 

8  Nie  Hieron.  Gundling,  Gundlingiana,  Halle  1715-1728,  XXXI.  Stück, 
S.87. 

4  49 


& 


uuü^i     uiw  amv/i  laivi  i    uv.il    xi 

4  Der  Ursprung  des  Harlekins,  Berlin  1907.   —   s  Aug.  Wünsche,  D 

Sagenkreis  vom  geprellten  Teufel,  Leipzig  und  Wien  1905 

50 


Seit  Otto  Driesens  Untersuchungen  ist  das  Rätsel  des 
Harlekinnamens  gelöst.  Harlekin  oder  Herlekin  ist  fran- 
zösisch und  bedeutet  einen  Dämon,  etwa  wie  unseren 
Hackelberg,  den  Anführer  der  wilden  Jagd4.  Der  Teufel 
galt  ja  den  Mysteriendichtern  und  dem  Volke,  so  lange  es 
nicht  für  ein  freundliches  Wort  über  den  Gottseibeiuns  den 
Scheiterhaufen  zu  fürchten  hatte,  immer  für  einen  dummen, 
kinderleicht  zu  prellenden  Gesellen,  daher  für  eine  lächer- 
liche Figur,  bei  deren  Ausmalung  sich  der  köstliche,  un- 
verfälschte Volkshumor  ausleben  konnte.5 

Der  Charakter  des  alten  Harlekins  war  ein  Gewebe  von 
quecksilberner  Beweglichkeit  und  übertriebener  Possen- 
reißerei,  so  daß  er  fast  immer  in  der  Luft  zu  schweben 
schien  und  beinahe  den  Springer  spielte.  Er  war  unver- 
schämt, spöttisch,  ein  Schalksnarr,  niedrig  und  besonders  sehr 
schmutzig  in  seinen  Ausdrücken.  Ungefähr  um  1560  ver- 
änderte sich  der  Charakter  dieser  Maske.  Der  neue  Harlekin 
legte  alles  ab,  was  ihm  aus  dem  vorigen  Jahrhundert  noch 
anhing.  Er  wurde  ein  unwissender,  im  Grunde  einfältiger 
Bedienter,  der  sein  möglichstes  tat,  um  witzig  zu  sein,  und 
seine  Scherze  bis  zur  Bosheit  trieb.  Er  war  Schmarotzer, 
feig,  untreu,  vielbeschäftigt,  ließ  sich  aber  aus  Furcht  oder 
Eigennutz  in  alle  Arten  von  Schelmerei  und  Betrügerei  ein. 

Der  Harlekin  ist  der  Glanzpunkt  der  Commedia  dell'arte. 
Er  ist  ein  Chamäleon,  das  alle  Farben  annimmt,  ein  Charak- 
ter, der  in  den  Händen  eines  intelligenten  Mannes  der 
Mittelpunkt  des  Stückes  wird.  Die  improvisierte  Rede 
ist  sein  Probierstein.  Der  neue  Harlekin  beobachtet  ge- 
wisse komische  Gebärdenspiele  und  Possen,  die  sich  Jahr- 
hunderte hindurch  vom  Vater  auf  den  Sohn  fortgeerbt 
haben.  In  Italien  war  die  erste  Frage  an  einen  Arlecchino, 
ob  er  auch  flink  genug  sei,  Purzelbäume  zu  schießen,  zu 
springen  und  zu  tanzen. 

Sulzer  charakterisiert  den  Harlekin:  Er  ist  dem  Anschein 


'er 


nach  ein  einfältiger,  sehr  naiver  und  geringer  Kerl  oder 
allenfalls  ein  Possenreißer.  Im  Grunde  aber  ein  sehr  listiger, 
dabei  witziger  und  scharfsichtiger  Bube,  der  an  andern 
jede  Schwäche  und  Torheit  sofort  erkennt  und  sie  auf  geist- 
reiche, aber  sehr  naiv  scheinende  Art  bloßstellen  kann. 
Einige  Kunstrichter  finden,  daß  eine  solche  Person  dem 
guten  Geschmack  des  Schauspiels  hinderlich  sei  und  die 
komische  Bühne  erniedrige.  Es  ist  aber  nicht  schwer  zu 
zeigen,  daß  dieses  Urteil  übereilt  und  der  Harlekin  in  vielen 
Fällen  beinahe  unentbehrlich  war.  Wenn  es  darum  zu  tun 
ist,  daß  ein  wirklicher  Narr  in  seiner  vollen  Lächerlichkeit 
erscheine,  so  darf  man  ihm  nur  einen  guten  Harlekin  zur 
Seite  setzen.  Freilich  ist  es  eben  nicht  nötig,  daß  er  ein 
Narrenkleid  trägt  und  überall  Possen  ausführt,  denn  da- 
durch fällt  er  leicht  ins  Pöbelhafte.  Seine  Hauptaufgabe 
muß  es  sein,  das  Lächerliche,  das  in  den  Schein  des  Ernstes 
oder  der  Würde  gehüllt  ist,  an  den  Tag  zu  bringen,  dem 
Schelm  die  Maske  abzuziehen  und  ihn  dem  Spotte  preis- 
zugeben. Dies  ist  ohne  Zweifel  der  größte  Nutzen,  den 
man  von  der  komischen  Bühne  erwarten  kann,  und  er  ist 
an  sich  selbst  keineswegs  gering.  Es  gibt  Menschen,  ruch- 
los genug,  sich  über  alles  wegzusetzen,  was  gesetzmäßig, 
billig,  menschlich  ist;  bei  denen  die  stärksten  Vorhaltungen 
von  Vernunft  und  Recht  nicht  den  geringsten  Eindruck 
machen,  deren  Torheit  und  Schalkheit  durch  nichts  zu 
hemmen  ist:  diese  muß  man  dem  Harlekin  preisgeben.  So 
sehr  sie  über  allen  Tadel  erhaben  sind,  so  empfindlich 
wird  sie  der  Spott  treffen.  Denn  solche  Leute  dünken 
sich  eben  dadurch  groß,  daß  sie  sich  über  alles  wegsetzen ; 
sie  glauben  ihr  Ansehen,  ihren  Rang,  ihre  Macht  alsdann 
erst  recht  zu  fühlen,  wenn  sie  sich  über  das  Urteil  anderer 
erheben;  durch  den  Spott  aber  stürzen  sie  von  ihrer  Höhe 
herab,  und  jetzt  fühlen  sie,  daß  sie  selbst  verachtet  und 
erniedrigt  sind. 

Im  Grunde  macht  der  Harlekin  auf  der  Schaubühne 
nichts   anderes,    als  was   Lucian,   Swift   und   die   anderen 

4*  51 


großen  Satiriker  in  ihren  Schriften  tun,  in  denen  sie  oft 
den  Charakter  des  Harlekins  annehmen. 

Es  gibt  also  gewisse  Komödien,  wo  er  die  wichtigste 
Person  ist.  Das  haben  auch  die  humoristischen  Dichter 
gefühlt,  denen  er  zu  niedrig  war.  Sie  haben  an  seiner 
Stelle  Bediente  gebraucht,  denen  sie  seine  Verrichtung 
übertragen  haben.  Im  Grunde  aber  sind  solche  Bediente 
livrierte  Harlekine,  und  da,  wo  sie  nötig  sind,  wäre  der 
Harlekin  immer  noch  besser  am  Platze.  Aber  freilich  er- 
fordert die  Behandlung  des  Harlekins  einen  Meister.  Es 
ist  schwer,  ihn  da,  wo  er  die  wichtigsten  Dinge  vollbringen 
kann,  natürlich  anzubringen,  und  dann  vermag  nur  ein  zum 
Spotten  aufgelegter  Geist  ihn  völlig  auszunutzen.  Unter 
allen  Geistern  aber  scheint  der  echte  Spöttergeist  der 
seltenste  zu  sein  6. 

Unter  den  Harlekins  hat  es  in  Italien  wie  in  Frankreich 
bei  der  italienischen  Komödie  einige  gegeben,  die  wegen 
ihres  vortrefflichen  Spiels  die  Bewunderung  ihrer  Zeit  er- 
regten, und  die  nicht  allein  Geld  und  Gut,  sondern  auch 
öffentliche  Ehrenbezeigungen  erlangt  haben. 

Der  Arlecchino  Pietro  Maria  Cecchini  wurde  von  dem 
Kaiser  Mathias  in  den  Adelstand  erhoben. 

Als  Trivelin,  der  italienische  Harlekin  der  königlichen 
Truppe  zu  Paris  starb,  übernahm  der  berühmte  Dominico 
seine  Rolle.  Bisher  war  der  Charakter  des  Harlekins  der 
eines  unwissenden  und  einfältigen  Bedienten  gewesen. 
Dominico  aber,  ein  Mann  von  Geist,  der  den  Geschmack 
der  Franzosen  kannte  und  wußte,  daß  nur  das  Geistreiche 
und  Witzige  ihnen  überall  willkommen  war,  brachte  so  viel 
gute  und  sinnreiche  Einfälle  in  seiner  Rolle  an,  daß  der 
alte  Harlekin  ganz  umgewandelt  wurde. 

Der  einzige  unter  den  französischen  Dichtern,  der  den 
Harlekin  mit  Geschick  gebraucht  hat,  ist  de  l'Isle  in 
„Arlequin  sauvage"  und  in  „Timon  le  Misantrope". 

•  Sulzers  Allg-.  Theorie  der  schönen  Künste,  Leipzig1  1792 — 99. 
52 


Als  die  italienischen  Komödianten  in  Paris  anfingen 
auf  ihrem  Theater  auch  französische  Stücke  aufzuführen, 
beschwerten  sich  die  französischen  Schauspieler  darüber 
beim  König.  Dieser  ließ  jene  fordern,  ihre  Sache  in  Gegen- 
wart ihrer  Widersacher  auszutragen.  Baron,  ein  berühmter 
Schauspieler,  sprach  im  Namen  der  Franzosen  zuerst.  Als 
er  fertig  war,  gab  der  König  dem  Dominico  einen  Wink, 
nun  zu  reden.  Nachdem  dieser  einige  harlekinische  Stel- 
lungen und  Gebärden  ausgeführt,  fragte  er  den  König:  „In 
welcher  Sprache  befehlen  Eure  Majestät,  daß  ich  reden 
soll?"  „Rede,  welche  du  willst,"  entgegnete  der  König: 
„ich  bin  mit  allem  einverstanden."  „Weiter  verlange  ich 
nichts",  fuhr  Dominico  fort,  indem  er  dem  König  dankte. 
„Meine  Sache  ist  gewonnen!"  Der  König  mußte  lachen, 
daß  er  so  überrascht  worden,  und  die  Italiener  fuhren  fort, 
französische  Stücke  zu  spielen. 

Dieser  Dominico  wünschte  von  Santeui!  einen  lateinischen 
Vers  unter  das  Brustbild  des  Harlekins,  das  die  Vorder- 
szene des  italienischen  Theaters  schmücken  sollte.  Er  kannte 
aber  den  Stolz  dieses  Dichters  und  fürchtete  eine  abschlä- 
gige Antwort.  Er  warf  sich  deshalb  in  sein  Theaterkostüm, 
schnallte  seinen  Gürtel,  seinen  kleinen,  hölzernen  Degen 
um,  nahm  sein  Hütchen  und  einen  langen  Mantel  und  ließ 
sich  so  zu  Santeuil  tragen.  Er  klopfte  an,  trat  hinein, 
warf  seinen  Mantel  ab  und  sprang  aus  einer  Ecke  des 
Zimmers  in  eine  andere,  unaufhörlich  lächerliche  Bewe- 
gungen und  Faxen  machend.  Herr  von  Santeuil  wunderte 
sich  anfänglich  über  diese  Erscheinung,  sie  fing  ihn  an 
zu  belustigen,  und  nach  und  nach  fand  er  an  den  Possen 
so  viel  Geschmack,  daß  er  selber  wie  der  Harlekin  in 
allen  Zimmerwinkeln  herumlief.  Endlich  nahm  Dominico 
seine  Maske  ab,  und  beide  umarmten  sich  unter  lautem 
Gelächter,  als  ob  sie  ein  paar  Freunde  wären,  die  einan- 
der lange  Zeit  nicht  gesehen  hätten.  Herr  von  Santeuil 
machte  Dominico  sofort  den  bekannten  Vers:  Castigat 
ridendo   mores.     Er   schmückte  den  vordersten  Vorhang. 

53 


Bei  der  1760  vorgenommenen  Neugestaltung-  des  Theaters 
wurde  er  nicht  beseitigt. 

Der  Vorhang  stellte  Thalia  mit  den  Genien  der  Komödie 
und  der  Schäferspiele  vor.  Die  Muse  stützte  sich  auf  ein 
Medaillon,   unter   dem   die  Santeuilsche  Aufschrift  stand. 

Dominico,  mit  seinem  Bürgernamen  Biancolelli,  starb,  erst 
42jährig,  1688  in  Paris.  Mit  seiner  minderberühmten  Frau, 
der  Schauspielerin  Ursula  Cortezza,  hatte  er  zwölf  Kinder. 

Der  letzte  bedeutende  Harlekin  auf  dem  Pariser  italieni- 
schen Theater  war  Karl  Anton  von  Bertinazzi,  Carlino  ge- 
nannt. Er  war  aus  Turin  gebürtig.  Er  bezog  vom  König 
eine  jährliche  Besoldung  von  8000  Livres.  Er  starb  am 
5.  September  1783,  nachdem  er  42  Jahre  hindurch  Paris 
als  Harlekin  erheitert  hatte.  Er  sprach  mit  solcher  Zungen- 
gewandtheit Französisch  und  Italienisch,  daß  die  Zuhörer 
nie  unterscheiden  konnten,  ob  seine  Rolle  studiert  oder 
aus  dem  Stegreif  war.  Noch  vier  Wochen  vor  seinem  Tode, 
im  77.  Jahre  seines  Alters,  tanzte  er  auf  der  Bühne  ein 
Menuett.  Er  heiterte  alles  um  sich  auf,  obgleich  er  selbst 
im  höchsten  Grade  hypochondrisch  war. 

Er  ging  einst  zu  einem  Arzte,  der  ihn  nicht  kannte, 
klagte  ihm  seine  Not  und  bat  sich  dessen  Hilfe  aus.  „Ich 
weiß  Ihnen  keine  bessere  Kur  vorzuschlagen,"  erwiderte 
dieser,  „als  daß  Sie  oft  den  Carlino  besuchen;  dies  ist  das 
beste  Mittel  gegen  alle  Hypochondrie."  „Ach!"  seufzte  er» 
„ich  bin  selbst  Carlino!" 

b)  DER  PANTALONE 

stellt  einen  alten  venezianischen  Kaufmann  vor.  Er  hatte 
ursprünglich  eine  Art  Schlafrock,  Zimarra  genannt,  wie  ihn 
die  Kaufleute  in  ihren  Gewölben  zu  tragen  pflegten,  und 
der  bei  einigen  Advokaten,  wenn  sie  sich  in  ihren  Schreib- 
stuben aufhielten,  im  Gebrauch  war.  Die  Kleidung  des 
neuern  Pantalone  war  die  gewöhnliche  venezianische  für  die 
Straße  bestimmte  Tracht.  Hosen  und  Strümpfe  waren  bei 
54 


dem  alten  Pantalone  aus  einem  Stücke.  Der  Rock  war  stets 
schwarz,  das  Unterkleid  rot.  Als  nach  der  Einnahme  von 
Konstantinopel  die  Republik  Venedig-  das  Königreich  Negro- 
ponte  verlor,  war  die  Betrübnis  darüber  so  allgemein,  daß 
man  die  Farbe  des  Unterkleids  änderte  und  ebenfalls  schwarz 
dazu  wählte.  Der  Bart  an  der  Maske  war,  wie  ihn  alte  Kauf- 
leute damals  zu  tragen  pflegten.  Der  Bart  des  neuern  Panta- 
lone war  hingegen  ganz  rund  und  am  Kinn  spitzig.  Was 
den  Charakter  des  Pantalones  anlangt,  so  ist  er  gewöhnlich 
etwas  einfältig,  treuherzig  und  immer  verliebt.  Es  wird  be- 
ständig von  seinem  Nebenbuhler,  Sohne,  Bedienten  oder 
der  Zofe  betrogen.  Dann  hat  man  auch  einen  guten  Haus- 
vater aus  ihm  gemacht,  einen  Mann  von  Ehre,  der  sehr  pünkt- 
lich sein  Wort  hält,  sehr  streng  gegen  seine  Kinder  ist,  der 
aber  nach  wie  vor  von  allen  hintergangen  wird,  mit  denen 
er  zu  tun  hat.  Sie  prellen  ihn  entweder  um  sein  Geld  oder 
suchen  ihn  zu  zwingen,  seine  Tochter  ihrem  Liebhaber  zu 
überlassen,  wenn  er  sie  auch  schon  einem  andern  ver- 
sprochen hat7. 

Der  Name  Pantalone  kommt  eigentlich  von  einer  Art 
Kleidung  her,  die  die  Venezianer  ehemals  trugen,  in  der 
Hosen  und  Strümpfe  wie  bei  dem  Trikot  ein  Ganzes  waren. 
Man  nannte  sie  Pantaloni,  nach  dem  hl.  Pantaleon,  dem  Schutz- 
patron von  Venedig. 

c)  DOTTORE 

Der  Doktor  kam  wahrscheinlich  mit  dem  Pantalone  zugleich 
auf  die  Bühne;  denn  man  brauchte  einen  alten  Genossen 
des  Pantalone.  Die  Tracht  borgte  man  von  den  Doktoren  der 
Universität  Bologna.  Die  spätere  Tracht  des  Dottores  ist 
französische  Erfindung. 

Der  Doktor  ist  ein  ewiger  Schwätzer,  der  den  Mund  nicht 
auftut,  ohne  eine  Sentenz  oder  lateinische  Brocken  auszu- 
kramen.   Einige  Schauspieler  haben  den  Doktor  zu  einem 

7  Floegel-Ebeling,    Gesch.    des    Grotesk-Komischen,    IV.  Aufl.,   Berlin, 
1887,  S.  33. 

55 


wirklich  gelehrten  Manne  gemacht  und  ließen  ihn  seine  ganze 
Gelehrsamkeit,  mit  einer  Menge  von  Zitaten  aus  lateinischen 
Schriftstellern  bepackt,  von  sich  strömen.  Andere  aber 
machten  ihn  zu  einem  Ignoranten,  der  mit  makaronischem 
oder  Küchen-Latein  um  sich  wirft  und  pedantisch  alle  Sen- 
tenzen am  unrechten  Orte  anbringt. 

d)  BELTRAMO  VON  MAILAND 

Diese  Figur  war  in  Frankreich  unter  Ludwig  XIII.  im 
Schwange.  Ihre  Tracht  hat  nichts  Außergewöhnliches;  sie 
scheint  das  Kostüm  der  Zeit  getragen  zu  haben,  oder  doch 
wenigstens  die,  die  nicht  lange  vorher  Mode  gewesen  war. 
Sie  hat  dieselbe  Maske  wie  Scapin,  der  um  eben  diese  Zeit 
auf  das  Theater  kam  und  den  Beltramo  vertrieben  zu  haben 
scheint.  Riccoboni  selbst  weiß  nicht,  was  Beltramo  für  einen 
Charakter  gehabt  hat,  doch  glaubt  er,  er  hätte  die  Rolle 
eines  Bedienten  gespielt.  Baretti  und  Napoli  Signorelli  nen- 
nen ihn  einen  mailändischen  Einfaltspinsel. 

e)  SCAPINO 

Scapino  ist  was  die  Sklaven  in  den  Komödien  des  Flautus 
und  Terenz  waren.  Er  ist  ränkesüchtig,  verschmitzt,  spitz- 
bübisch und  hilft  gern  der  liederlichen  Jugend,  wenn  sie 
auch  noch  so  Schlimmes  im  Schilde  führt.  Wie  Harlekin 
ist  auch  er  immer  aus  Bergamo  gebürtig. 

f)  CAPITANO 

Der  alte  italienische  Kapitän  ging  im  Mantel,  Wams, 
Pluderhosen  und  Halbstiefeln;  manche  seiner  Darsteller 
trugen  auch  einen  Koller.  Ihm  folgte  der  spanische  Kapitän, 
der  in  seiner  Nationaltracht  gekleidet  war.  Als  Karl  V. 
durch  Italien  reiste,  wurde  der  Spanier  zuerst  auf  die  Bühne 
gebracht,  und  er  vertrieb  bald  den  alten  italienischen  Kapitän. 
Sein  Charakter  ist  der  eines  Aufschneiders,  der  am  Ende 
vom  Harlekin  durchgeprügelt  wird. 
56 


Drei  Figuren  aus  der  Comedia  dell'arte 
Handzeichnung  von  Jacques  Callot 


g)  SCARAMUCCIA 
Der  spanische  Kapitän  verlor  sich  1680  von  der  Bühne, 
und  an  seine  Stelle  trat  der  neapolitanische  Scaramuccia, 
der  auch  den  gleichen  Charakter  hat.  Ganz  schwarz  ge- 
kleidet, ist  seine  Tracht  die  spanische,  die  so  lange  in 
Neapel  bei  Hofleuten  und  Beamten  gebräuchlich  war.  In 
Frankreich  hat  man  ihn  zu  mancherlei  Rollen  verwendet, 
in  Italien  aber  lediglich  zu  der  des  Kapitäns. 

h)  GIANGURGULO 
Riccoboni  erklärt,  auch  der  Charakter  des  Giangurgulo 
sei  kein  anderer  als  der  des  spanischen  Kapitäns  und  des 
Scaramuccias.  Barettis  jedoch  nennt  ihn  einen  ungeschliffenen 
Lümmel  aus  Kalabrien,  und  Napoli  Signorelli  einen  Bauer 
aus  Kalabrien. 

i)  MEZZETINO 
Der  Mezzettin  erschien  zuerst  auf  dem  italienischen  Theater 
in  Paris.  Angelo  Constantini  sollte  mit  dem  Dominico 
Biancolelli  in  der  Rolle  des  Harlekins  abwechseln.  Als 
er  sich  jedoch  ohne  Beschäftigung  fand,  sann  er  sich  einen 
Charakter  aus,  der  der  Truppe  nützlich  werden  konnte.  Da 
niemand  zu  den  Scapinsrollen  vorhanden  war,  borgte  er 
dessen  Charakter,  setzte  sich  aber  eine  Kleidung  nach  den 
Zeichnungen  des  großen  Malerradierers  und  phantastischen 
Humoristen  Jacques  Callots  (1592 — 1635)  und  der  Tracht 
der  Komiker  des  französischen  Theaters  vom  Jahr  1632, 
des  Turlupin  und  Philippin,  zusammen.  Er  hatte  ein  sehr 
hübsches  Gesicht  und  sehr  schöne  Augen,  deshalb  bediente 
er  sich  keiner  Larve.  Von  der  alten  Tracht  ließ  er  bloß  die 
langen  Beinkleider  weg  und  behielt  nur  den  buntgestreiften 
Stoff  bei.     Er  stellte  einen  listigen  Bedienten  dar. 

k)  TARTAGLIA 
der  Stotterer  oder  Stammler,  hat  keinen  bestimmten  Charakter. 
Sein  Stottern  bot  die  Möglichkeit,  bei  den  Botschaften,  die 

57 


er  immer  zu  übermitteln  hatte,  eine  Fülle  von  komischen 
Situationen  und  Mißverständnissen  zu  schaffen.  Seine  Rolle 
war  von  den  öffentlichen  Plätzen  und  aus  den  Marktschreier- 
buden entnommen. 

Eine  bezeichnende  Tartaglia -Szene  teilt  unser  Floegel 
im  ersten  Bande  seiner  Geschichte  der  komischen  Literatur 
(S.  240  f.)  mit. 

„Im  Allgemeinen  sehr  eingenommen  gegen  das  italienische 
Theater,  begleitete  Moore  bei  seiner  Anwesenheit  in  Venedig 
eines  Abends  den  Herzog  von  Hamilton  in  die  Komödie, 
überzeugt,  daß  dieser  das  gleiche  Gefühl  der  Verachtung 
gegen  sie  mit  ihm  nach  Hause  tragen  werde.  In  der  That 
behauptete  auf  ihren  Gesichtern  ein  souveräner  Widerwille 
seinen  Platz  bis  zu  dem  Augenblicke,  da  der  Tartaglia 
erschien,  um  dem  Arlecchino  eine  höchst  interessante  Nach- 
richt zu  überbringen,  welche  dieser  mit  der  äußersten 
Gespanntheit  anhörte.  Der  unglückliche  Bote  war  eben  zu 
dem  wichtigsten  Punkte  seiner  Mittheilung  gelangt,  nämlich, 
wo  Arlecchinos  Geliebte  verborgen,  als  er  bei  einem  Worte 
von  sechs  bis  sieben  Silben  stecken  blieb  und  jenen  zur 
wahren  Verzweiflung  brachte.  Immer  neue  Versuche,  das 
ominöse  Wort  richtig  hervorzubringen,  mißglückten.  Ar- 
lecchino nannte  ihm  ungeduldig  ein  Dutzend  Wörter,  ob 
darunter  das  richtige  sei,  aber  er  schüttelte  zu  jedem  ver- 
neinend den  Kopf.  Die  Angst  beider  stieg  immer  höher. 
Tartaglia  arbeitete  mit  dem  ganzen  Körper;  er  schnitt  haar- 
sträubende Grimassen,  würgte  sich  ab,  sein  Gesicht  schwoll 
auf,  die  Augen  schienen  aus  dem  Kopfe  springen  zu  wollen. 
Entsetzt  knöpfte  ihm  Arlecchino  Weste  und  Halskragen 
auf,  fächelte  ihm  mit  seiner  Mütze  Kühlung  zu,  hielt  ihm 
scharfe  Essenz  unter  die  Nase,  —  als  es  aber  dennoch 
schien,  daß  Tartaglia  seinen  Geist  aushauchen  werde,  bevor 
das  verwünschte  Wort  zu  Tage  gekommen,  rannte  er  plötz- 
lich wie  in  einem  Wahnsinnsanfall  dem  Halbtoten  mit  seinem 
Kopf  vor  den  Bauch  —  und  blitzschnell  flog  das  Wort  aus 
Tartaglias  Munde  mit  einer  Stimme,  daß  es  im  entferntesten 
58 


Callot:  Pulcinella 


Theile  des  Hauses  vernommen  wurde.  Alles  brach  über 
die  ganze  Procedur  und  vornehmlich  über  ihre  unerwartete 
Wendung  in  lautes  Gelächter  aus,  die  beiden  Engländer 
aber  in  ein  so  anhaltendes,  daß  das  ganze  Haus  nach  ihrer 
Loge  sah  und  in  ein  noch  stärkeres  Gelächter  denn  zuvor 
überging." 

1)  PULLICINELLA 

PullicineUa,  ein  apulischer  Spaßvogel  oder  Possenreißer 
von  Acerra,  scheint  in  gerader  Linie  von  dem  Maccus  oder 
weißen  Mimus  der  Alten  herzustammen,  weil  sie  alle  Kenn- 
zeichen miteinander  gemein  haben  und  die  mimischen 
Spiele,  wie  schon  oben  bemerkt,  in  Italien  niemals  aufgehört 
hatten.  Um  Neapel,  wo  das  ehemalige  Atella  lag,  werden 
noch  jetzt  Menschen  geboren,  die  etwas  Monströses  an 
sich  haben  und  den  altrömischen  Morionen  oder  Narren 
ähnlich  sehen.  Diese  werden  gewöhnlich  PullicineUa  ge- 
nannt, vermutlich  von  dem  Worte  Pulliceno,  das  bei  Lam- 
pridius  vorkommt  und  eine  Henne  bedeutet.  Diese  Pulli- 
cinellen  zeichnen  sich  besonders  durch  eine  krumme  und 
herabhängende  Nase  aus,  die  mit  dem  Schnabel  einer  Henne 
eine  gewisse  Ähnlichkeit  hat.  Der  PullicineUa  erschien  ganz 
weiß  gekleidet,  hinten  und  vorn  mit  einem  Buckel  wie  der 
Maccus.  Der  Schauspieler  Silvio  Florillo,  der  sich  Capitano 
Mattamoros  nannte,  brachte  den  neapolitanischen  Pullici- 
neUa auf. 

In  den  neapolitanischen  Komödien  erschienen  statt  des 
Scapins  und  Harlekins  zwei  PullicineUa,  einer  als  Betrüger, 
der  andere  als  Betrogener.  Nach  einer  Sage  hatte  die  Stadt 
Benevent  diese  zwei  entgegengesetzten  Charaktere  geliefert. 
Man  sagt,  diese  Stadt,  halb  auf  einem  Berge  und  halb  auf 
einer  Ebene  gelegen,  bringe  deshalb  auch  zweierlei  Men- 
schen hervor;  die  in  der  obern  Stadt  seien  lebhaft,  geistreich 
und  sehr  tätig,  die  in  der  untern  Stadt  träge,  unwissend  und 
dumm.  Die  Stadt  Bergamo,  woraus  Scapin  und  Harlekin 
abstammen,    hat   dieselbe   Lage  wie   Benevent,    und   man 

59 


behauptet  deshalb  das  Nämliche  von  dem  Charakter  ihrer 
Einwohner. 

Übrigens  ist  gewiß,  daß  die  neapolitanischen  Komödianten 
eine  besondere  natürliche  Fähigkeit  besaßen,  die  Fehler 
und  Schwächen  ihrer  Landsleute  drastisch  nachzuahmen. 
Schon  Statius  rühmt  ihre  vorzügliche  Mimik  und  erzählt, 
wie  herrlich  dort  die  Komödien  des  Menander  aufgeführt 
wurden. 

m)  NARCISSINO 

Der  Narcissino  wurde  bald  als  Bedienter,  bald  als  Vater 
gebraucht,  war  aber  immer  ein  Einfaltspinsel.  Seine  Tracht 
war  die  gewöhnliche  bolognesische  des  siebzehnten  Jahr- 
hunderts. Die  Bologneser,  denen  schon  die  Rolle  des 
Doktors  auf  dem  Theater  zugefallen,  gesellten  diesem  den 
Narcessino  zu,  der  die  Sprache  des  Pöbels  zu  Bologna 
sprach,  die  von  der  der  höheren  Klassen  so  sehr  abweicht, 
daß  man  sie  fast  für  eine  fremde  halten  könnte. 

n)  PIERROT 

Als  Dominico  auf  dem  italienischen  Theater  zu  Paris  die 
Rolle  des  Harlekins  ganz  umgeschaffen  hatte,  fiel  dem 
Theaterdiener  Joseph  Gareton  aus  Ferrara  auf,  daß  die 
Komödie  um  den  Charakter  ihres  einfältigen  Dieners  ge- 
kommen sei.  Er  nahm  sich  vor,  diesen  zu  ersetzen.  Er 
vermischte  die  Kleidung  des  Polichinells  mit  dem  Charak- 
ter des  Harlekins,  und  so  entstand  das  groteske  Geschöpf 
des  Pierrot,  dem  das  längste  Leben  unter  allen  Personen 
der  Comedia  dell'Arte  beschieden  sein  sollte. 

Außer  den  hier  angeführten  komischen  Charakteren  sind 
noch  folgende  bekannt: 

Coviello,  ein  grober  Lümmel  aus  Kalabrien; 

Gelsomino,  ein  süßer  Geck  aus  Rom  oder  Florenz; 

Brighella,  ein  Betrüger  oder  Kuppler  aus  Ferrara; 

Pascariello,  ein  alter  Modenarr  aus  Neapel,  der  unzusam- 
menhängendes Zeug  schwatzt; 

Sganarell  und  andere  mehr. 
60 


Zu  diesen  ständigen  männlichen  Masken  kamen  nur 
zwei  weibliche.  Die  bedeutendste  war  Colombina  (Täub- 
chen).  Sie  ist  gewöhnlich  die  Zofe  der  Tochter  des  Pan- 
talone,  nur  selten  diese  selbst.  Sie  ist  die  Geliebte  des 
Arlecchino,  die  Partnerin  seiner  tollen  Streiche,  aber 
wenn  sie  auf  ihn  eifersüchtig  wird,  seine  Gegnerin.  Ihre 
Kleidung  ist  die  einer  putzsüchtigen  Kammerkatze,  will- 
kürlich in  Schnitt,  Farbe  und  Ausführung.  Wurde  sie,  was 
nur  vereinzelt  geschah,  zur  Arlecchinetta,  so  war  ihr  Kleid 
so  buntscheckig  wie  das  des  Harlekins.  In  jedem  Falle 
trug  sie  aber  die  schwarze  Halblarve.  Die  Colombina,  wie 
ihre  Kollegin  Isabella,  meist  Pantalones  oder  des  Dottores 
Frau  oder  Tochter,  hatten  etwa  das  Fach  unserer  Soubretten. 
Wie  diese  sprachen,  sangen  und  tanzten  sie  als  Repräsen- 
tantinnen der  weiblichen  komischen  Rollen  in  der  Comedia 
dell'Arte  und  hatten  ebenso  Lazzi  zu  machen,  wie  die 
Komiker. 

Die  Italiener  nennen  alles  das  Lazzi,  was  die  Komiker  in 
einer  Szene  ausführen,  ohne  daß  es  mit  der  eigentlichen  Hand- 
lung etwas  zu  tun  hat.  Alle  Zeichen,  die  sie  geben,  das  Lachen, 
Erstaunen,  die  Possen,  durch  die  sie  die  Handlung  unter- 
brechen, ohne  sie  aber  aufzuheben,  sind  Lazzi.  Diese  Lazzi 
sind  demnach  ein  Spiel,  das  der  Stegreifschauspieler  nach 
seinem  Talent  erfindet.  Riccoboni  nimmt  an,  daß  Lazzi  so 
viel  heiße  wie  Lacci  =  Bänder,  weil  diese  Zwischenspiele 
so  mit  der  Handlung  verknüpft  sind,  daß  sie  deren  Fort- 
setzung zu  sein  scheinen.  Doch  scheint  mir  diese  An- 
sicht etwas  weit  hergeholt.  Wahrscheinlicher  ist,  daß 
Lazzi  das  verstümmelte  l'azione  sei.  Dies  wird  dadurch  be- 
stätigt, daß  man  in  den  alten  Entwürfen  das  Wort  öfter 
mit  einem  z  geschrieben  findet.  Riccoboni  führt  dazu  fol- 
gendes Beispiel  an.  In  dem  alten  Stücke  „Arlequin  devali- 
seur  des  maisons"  sind  Harlekin  und  Scapin  Bediente  der 
Flaminia,  eines  armen,  von  ihren  Eltern  entfernten  Mäd- 
chens, das  in  äußerster  Dürftigkeit  lebt.  Harlekin  beschwert 
sich  bei  seinem  Kameraden  über  die  trostlosen  Zustände 

61 


und  über  den  Mangel,  in  dem  er  sich  seit  langer  Zeit  be- 
findet. Scapin  tröstet  ihn  und  verspricht  Rat  zu  schaffen; 
unterdessen  aber  befiehlt  er  ihm,  vor  dem  Hause  zu  lär- 
men. Flaminia  kommt  auf  das  Geschrei  des  Arlecchins 
heraus  und  fragt  ihn  nach  der  Ursache;  Scapin  entdeckt  ihr 
den  Grund  ihres  Streites,  und  Harlekin  schreit  beständig, 
daß  er  sie  verlassen  wolle.  Flaminia  bittet  ihn,  dies  nicht 
zu  tun,  und  rechnet  dabei  auf  Scapin.  Dieser  macht  ihr 
denn  auch  einen  Vorschlag,  wie  sie  sich  aus  ihrem  Elend 
auf  anständige  Weise  reißen  könnten.  Während  Scapin  sei- 
nen Plan  auseinandersetzt,  unterbricht  Harlekin  die  Szene 
durch  verschiedene  Lazzi.  Bald  tut  er,  als  ob  er  in  sei- 
nem Hute  Kirschen  hätte  und  sie  äße  und  die  Kerne  dem 
Scapin  ins  Gesicht  werfe;  bald  macht  er,  als  ob  er  eine 
Fliege  haschen  wolle,  ihr  die  Flügel  ausreiße  und  sie  ver- 
zehre, bald  macht  er  andere  Streiche,  und  dies  eben 
ist  das  Spiel,  das  man  Lazzi  nennt.  Diese  Lazzi  stören 
zwar  beständig  die  Rede  Scapins,  zugleich  geben  sie  ihm 
aber  auch  Gelegenheit,  sie  desto  lebhafter  fortzusetzen. 
Sie  müssen  zwar  nicht  notwendig  in  der  Szene  sein,  denn 
wenn  sie  Harlekin  nicht  machte,  würde  die  Handlung  doch 
beständig  fortgehen,  ohne  daß  etwas  daran  fehlte.  Gleich- 
wohl aber  entfernen  sie  sich  nicht  von  dem  Inhalt  des 
Auftritts;  denn  wenn  sie  diesen  auch  verschiedentlich 
unterbrechen,  so  verbinden  sie  ihn  doch  wieder,  und  zwar 
durch  eben  die  Schwanke,  die  aus  dem  Innersten  der 
Handlung  selbst  hergeleitet  werden  müssen. 

Was  den  Wert  der  Stegreifkomödie  betrifft,  so  sind  die 
Urteile  darüber  in-  und  außerhalb  Italiens  in  früheren 
Zeiten  sehr  verschieden  ausgefallen.  Einige  haben  sie  bis 
in  den  Himmel  erhoben  und  die  regelrechte  und  kunst- 
gemäße Komödie  verdammt,  andere,  besonders  Ausländer, 
sie  oft  für  ein  hirnloses  Gewebe  der  elendesten  und  nied- 
rigsten Possen  gehalten,  an  denen  nur  der  Abschaum  des 
Volkes  Gefallen  finden  könne.  Allein  die  Gerechtigkeit 
fordert,  daß  wir  das  Urteil  sachkundiger  Italiener  den  Vor- 
62 


urteilen  der  Fremden  entgegenhalten.    Riccoboni,  der  bei 
dem  Theater  aufgewachsen,  geistreich  und  gebildet  war,  er- 
klärt: Man  kann  der  Stegreifkomödie  gewisse  Vorzüge  nicht 
absprechen,  deren  sich  die  geschriebene  Komödie  niemals 
rühmen  kann.  Das  Extemporieren  gibt  Gelegenheit  zur  Ab- 
wechslung des  Spiels,  so  daß,  wenn  man  ein  und  denselben 
Entwurf  verschiedene  Male  aufführt,  man  jedesmal  fast  ein 
anderes  Stück  sehen  kann.     Der  Darsteller,  der  aus  dem 
Stegreife   spielt,   spielt  lebhafter  und  natürlicher   als  der, 
der  eine  gelernte  Rolle  darstellt.    Was  man  selbst  hervor- 
bringt, empfindet  man  tiefer  und  sagt  es  also  auch  besser 
als  das,  was  man  durch  Hilfe  des  Gedächtnisses  von  andern 
erborgt.  Allein  diese  Vorteile  der  extemporierten  Komödie 
werden  durch  sehr  viele  Nachteile  erkauft.    Sie  setzt  geist- 
volle Darsteller  voraus,   die  an  Talent  einander  fast  gleich 
sein  müssen;  denn  das  Böse  beim  Extemporieren  ist,  daß 
das  Spiel  des  besten   Schauspielers  von  dem  Spiele  des 
Partners,  mit  dem  er  gerade  spricht,  abhängig  ist.    Tritt  er 
mit  einem  auf,  der  nicht  gleich  den  rechten"  Punkt,  an  dem 
er  antworten  muß,  zu  treffen  weiß,   oder  der  ihn  zu  un- 
rechter Zeit  unterbricht,  so  wird  seine  Rede  matt  werden 
und  seinen  Gedanken  die  gehörige  Schlagfertigkeit  fehlen. 
Gestalt,  Gedächtnis,  Stimme  und  selbst  Empfindung  sind 
daher  für  einen  Stegreifkomödianten  noch  nicht  zureichend. 
Besitzt  er  keine  lebhafte  und  fruchtbare  Einbildungskraft, 
weiß  er  sich  nicht  mit  aller  Leichtigkeit  auszudrücken,  hat 
er  nicht  alle  Vorzüge  der  Sprache  in  seiner  Gewalt;    ist 
er  nicht  mit  allen  Kenntnissen  versehen,  die  die  verschie- 
denen Wendungen  seiner  Rolle  erfordern  können,  so  wird 
er  es  in  der  Stegreifkunst  niemals  zu  etwas  bringen.  Welche 
Erziehung  ist  nicht  für  einen  solchen  Schauspieler  erforder- 
lich, und  welche  Hindernisse  türmen  sich  nicht  vor  denen 
auf,    die  zu    diesem   Berufe    bestimmt    werden    und    eine 
dahingehende  Erziehung  erhalten?  Die  Seltenheit  der  Schau- 
spieler, die  mit  so  vielen  Talenten  auch  Bildung  verbinden, 
die   ihnen  bei   ihrer  Kunst  unentbehrlich  ist,   ist  die  Ur- 

63 


sache,  daß  die  extemporierte  Komödie  so  oft  schlecht 
ausgefallen  ist. 

Um  sie  nun  zu  erhalten  und  in  den  Stand  zu  setzen, 
auch  von  mittelmäßigen  Schauspielern  dargestellt  werden 
zu  können,  war  man  genötigt,  die  Zuflucht  zu  den  Mono- 
logen und  einer  Art  von  topischen  Fächern  zu  nehmen, 
die  von  den  Italienern  Robbe  generiche  genannt  werden. 
Ihrer  bediente  sich  der  Darsteller,  wenn  er  allein  auf  der 
Bühne  stand,  mit  Erfolg.  Er  war  jedoch  vollkommen  hilflos, 
sobald  er  gezwungen  wurde,  den  Extempores  der  Mitspieler 
stand  zu  halten.  Er  half  sich  dann  meist  damit,  daß  er 
Unflätigkeiten  für  Witz  nahm  und  mit  Gemeinheiten  um 
sich  warf.  „Dieses  ist  die  schlimmste  Seite  der  italienischen 
Komödie  aus  dem  Stegreif,  ein  Fehler,  der  in  den  vierzig 
Jahren,  also  so  lange  ich  das  Theater  kenne,  beständig 
geherrscht  hat",  schließt  Riccoboni. 

Zu  den  ärgsten  Widersachern  Goldonis  als  Reformator 
der  rein  italienischen  Comedia  dell'Arte  gehörte  der  Aka- 
demiker Carlo  'Gozzi  (1720 — 1806).  Ohne  die  Absichten 
Goldonis  zu  erfassen,  verfolgte  er  diese  auf  das  schärfste 
und  benutzte  in  seinen  dramatisierten  Märchen  gerade  die- 
jenigen Elemente  der  Stegreifkomödie,  die  Goldoni  ver- 
schmäht hatte.  Dieser  hatte  in  seiner  Komödie  nur  die 
komischen  und  realistischen  entwickelt;  die  andern,  näm- 
lich die  phantastischen  und  humoristischen,  wie  die  Masken, 
die  Verwandlungen,  die  Harlekinaden  und  die  Improvisa- 
tionen, wurden  dagegen  erst  von  Gozzi  in  einer  Art  Ko- 
mödie neu  belebt. 

Auch  die  Bestrebungen  Pietro  Chiaris  aus  Brescia,  eines 
persönlichen  Gegners  Goldonis,  der  wieder  an  Stelle  der 
Stegreifkomödie  fast  regelrechte  Dramen  voll  Trivialitäten 
und  Albernheiten  setzen  wollte,  verfolgte  Gozzi,  während 
sich  der  Satiriker  Gasparo  Gozzi,  Carlos  Bruder,  für 
Goldoni  erklärte.  Mehr  aber  noch  der  berühmte  und  be- 
rüchtigte Giacomo  Casanova,  Marquis  von  Seingalt  von 
eigenen  Gnaden.  Dieser  geistreichste  aller  Abenteurer  des 
64 


an  Abenteurern  und  bedeutenden  Schwindlern  so  reichen 
achtzehnten  Säkulums  ergriff  für  Goldoni  Partei,  trotzdem 
er  selbst  einmal  eine  Harlekinade  verfaßt  hatte.  Er  schreibt 
darüber:  „Das  Leben,  das  ich  bis  zum  Ende  des  Karne- 
vals 1753  in  Dresden  führte,  bietet  nichts  Besonderes.  Um 
den  Schauspielern  und  besonders  meiner  Mutter  (sie  war 
am  Dresdener  Theater  beschäftigt)  ein  Vergnügen  zu  machen, 
verfaßte  ich  eine  Tragikomödie,  worin  ich  zwei  Harlekins 
auftreten  ließ.  Es  war  eine  Parodie  der  feindlichen  Brüder 
von  Racine.  Der  König  (August  der  Starke)  lachte  herzlich 
über  die  komischen  Bosheiten,  mit  denen  mein  Stück  ge- 
spickt war,  und  ich  erhielt  von  ihm  ein  herrliches  Geschenk8." 

Guiseppe  Baretti  (1719 — 1789),  der  geistvolle  italienische 
Literaturhistoriker,  dessen  Urteile  und  Folgerungen  so  viele 
Berührungspunkte  mit  denen  Lessings  gemein  haben,  wirft 
sich  gleichfalls  zum  Verteidiger  der  Stegreifkomödie  auf. 
Er  sagte:  „Diese  Art  Komödie  zu  skizzieren,  wird  den  Eng- 
ländern gewiß  äußerst  seltsam  vorkommen,  die  an  eine 
größere  Regelmäßigkeit  des  Entwurfes  gewöhnt  sind.  Sie 
werden  glauben,  dergleichen  Stücke  könnten  nur  unvoll- 
kommen und  voller  Possen  sein.  Und  dies  sind  sie  auch 
gewissermaßen,  und  so  werden  sie  von  dem  größten  Teil 
unserer  Gelehrten  beurteilt,  die  längst  gewünscht  haben, 
sie  von  der  italienischen  Bühne  verbannt  zu  sehen.  Allein 
trotz  aller  kritischen  Strenge  muß  ich  gestehen,  daß  einige 
der  Stegreifschauspieler,  besonders  Sacchi  und  Fiorilli, 
von  den  Rollen,  in  denen  sie  exzellieren,  gewöhnlich  Truffal- 
dino  (soviel  wie  Harlekin)  und  Tartaglia  genannt,  die  ich 
jüngst  in  Venedig  sah,  mir  alle  Lust  benommen  haben, 
der  Meinung  der  Kunstrichter  beizustimmen. 

Ich  kann  deshalb  den  Wunsch  nicht  unterdrücken,  daß 
unsere  gebräuchliche  Art,  Komödien  abzufassen  und  auf- 
zuführen, beibehalten  werden  möge.  Die  Kräfte,  die  unsere 

8  Die  Erinnerungen  des  Giacomo  Casanova.  Vollständig  übertragen 
von  Heinrich  Conrad,  München  und  Leipzig,  bei  Georg  Müller,  IL  Bd., 
S.  206. 

5  65 


Schauspieler  aufzuwenden  genötigt  sind,  wenn  sie  auf  diese 
schwere  Probe  gestellt  werden,  sind  so  bedeutend,  daß 
sie  mir  oft  weit  mehr  Gelegenheit  zur  Verwunderung  als 
zur  Bekrittelung  gegeben  haben.  Außerdem  sind  derartige 
Stücke  eine  Eigenart  unseres  Volkes.  Deshalb,  wie  wegen 
des  Alters  ihres  Ursprunges,  sollten  sie,  glaube  ich,  so  lange 
wie  möglich  bei  uns  erhalten  bleiben,  und  die  Kritik  sollte 
sich  lieber  damit  beschäftigen,  sie  zu  verbessern,  statt 
sie  auszurotten. 

Ein  Fremder  kann  sich  nur  schwer  davon  eine  Vorstellung 
machen,  mit  welcher  Fertigkeit  unsere  Darsteller  ihre  Rollen 
aus  dem  Stegreif  spielen  und  wie  schwer  Landsleuten  wie 
Fremden  die  Entdeckung  fällt,  daß  sie  aus  dem  Stegreif 
sprechen.  Herr  Garrick  (der  berühmteste  englische  Schau- 
spieler seiner  Zeit,  1716  [oder  1717] — 1779,  und  selbst  ein 
fruchtbarer  Schriftsteller  und  Dramatiker)  sagte  mir  in 
Venedig,  von  allen  Schauspielern  in  Paris  habe  ihm  der 
Pantalon  von  der  sogenannten  italienischen  Komödie  am 
besten  gefallen,  dann  der  berühmte  Carlino,  der  auf  der- 
selben Bühne  den  Harlekin  spielt.  —  Hätte  David  Garrick 
den  Sacchi  und  Fiorilli  in  Italien  gesehen,  so  würden  sie 
ihm  ebensoviel  Vergnügen  bereitet  haben  wie  Harlekin  und 
Pantalon  in  Paris." 

Von  Italien  im  letzten  Viertel  des  achtzehnten  Jahrhunderts 
berichtet  Freiherr  von  Archenholz,  der  bekannte  Geschichts- 
schreiber des  Siebenjährigen  Krieges,  die  heftige  Leiden- 
schaft der  Italiener,  nicht  allein  der  Venetianer,  für  die 
Possen  sei  unglaublich.  In  Neapel  bestehe  kein  Theater 
für  regelmäßige  Lust-  und  Trauerspiele,  hingegen  ver- 
schiedene für  Singspielpossen,  Zoten-  und  Marionetten- 
spiele, die  außerordentlichen  Zulauf  haben.  Das  Volk  kann 
nicht  leben,  ohne  seinen  Polichinello  anzugrinsen,  der  in 
seiner  Landessprache  die  elendsten  Zoten  vorbringt.9 

9  Joh.  Wilhelm,   Baron  von  Archenholz,   England  und  Italien,  2.  Aufl., 

Leipzig  1787,  II.  Bd.,  S.  17  und  359. 

66 


Außer  diesen  Komödien  haben  die  Italiener  noch  andere 
Arten  von  Farcen,  an  denen  sich  der  Pöbel  bis  in  die 
neueste  Zeit  hinein  ergötzte.  Es  waren  dies  die  Zingaresche, 
Zigeunergespräche  ohne  alle  Ordnung  und  Kunst.  Sie  wur- 
den auf  öffentlichen  Plätzen  meist  mit  Masken  aufgeführt 
und  mit  einer  besonderen  Art  von  Gesang  entweder  zur 
Gitarre  oder  auch  wohl  ohne  alle  Musik  abgesungen.  Eine 
Probe  davon  ist  die  Coupletstrophe  aus  dem  Stücke  la  Zin- 
gara  Tiburtina: 

Mostra,  Donna  gentile, 
La  tua  serena  fronte 
Che  e  lucido  Orizonte 
A  miserelli. 
Scorpi  gl'ochi  tuoi  belli, 
Perch'io  possa  lodare 
Ciö,  che  s'odenarrare 

Or  quindi  or  quinci. 

Von  der  gleichen  Art  waren  auch  die  Giudiate  oder  Juden- 
stücke. Sie  wurden  im  Karneval  zu  Rom  auf  von  Ochsen 
gezogenen  Karren  aufgeführt  und  bildeten  eigentlich  nur 
eine  Verspottung  der  Juden.  Auch  sie  sang  man  auf  ganz 
eigentümliche  Art  ab. 

Alle  solche  Farcen  haben  in  Italien  ein  hohes  Alter. 
Daher  leitet  auch  Gian  Mario  Crescimbeni  (1663 — 1728), 
der  bekannte  Verfasser  der  Geschichte  und  der  Kommentare 
der  italienischen  Dichtkunst,  den  Ursprung  der  Komödie 
von  den  alten  Possen  her. 

Man  findet  zweierlei  Arten  dieser  Possen.  Die  eine  hat 
keine  Trennung  nach  Zeit,  nur  daß  in  einigen  die  Verän- 
derung der  Personen  oder  Sachen  mit  einer  Überschrift  an- 
gegeben ist.  Eines  dieser  Stücke  ist  Zannin  da  Bologna, 
das  zu  Anfang  des  sechzehnten  Jahrhunderts  gedruckt 
erschien.  Zanin  entdeckt  in  diesem  Stücke  seinem  Herrn 
seine  Liebe,  und  dieser  gibt  ihm  dazu  allerlei  komische 
Ratschläge. 

5»  67 


Die  zweite  Art  ist  in  Akte  abgeteilt.  So  das  Stück  des 
Francesco  Sallustio  Bonguglielmi  aus  Florenz,  der  gegen 
Ende  des  vierzehnten  Jahrhunderts  lebte.  Er  hat  darin  die 
Sage  von  Apollo  und  der  Leucotae  bearbeitet.  Dann  ein 
1519  zu  Siena  gedrucktes  Spiel  mit  dem  Schlußwort:  Finita 
la  Comedia  del  Damiano. 

Bisweilen  wurden  auch  die  Farcen  in  sechs  Akte,  damals 
Tempe  genannt,  eingeteilt,  wie  die  1520  in  Florenz  ge- 
druckte und  aufgeführte  mit  dem  Titel:  Questa  e  una  farsa 
recitata  agli  excellenti  signori  di  Firenze,  nella  quäle  si 
dimostra,  che  in  qualunque  grado  che  l'uomo  sia,  non  si 
puo  quietare  e  vivere  senza  pensieri. 

Die  Farcen  hatten  auch  ihren  Prolog  und  sogar  oft  deren 
zwei,  auch  meist  zwischen  jedem  Akt  einen  Gesang.  In 
der  Posse  Damianos  ist  der  Prolog  in  ebenso  viele  Teile 
abgeteilt,  wie  Akte  sind.  Zu  Anfang  eines  jeden  Akts  ist 
eine  Ottava,  die  von  einer  Person,  Orfeo  genannt,  zu  einer 
Lyra  gesungen  wurde.  Zwischen  jedem  Akte  war  ein  Ma- 
drigal unter  dem  Titel  Coro. 

Übrigens  war  der  Inhalt  dieser  Possen  bald  tragisch, 
bald  komisch,  bald  beides.  Götter,  Fürsten,  Bauern  und 
Narren  kamen  nebeneinander  auf  die  Bühne,  wie  man 
unter  anderm  aus  den  Stücken  des  Antonio  Ricco  aus 
Neapel  ersieht.  In  einer  Posse  dieses  Verfassers  kommen 
Pallas,  Juno,  Phöbus,  Venus,  Cupido,  der  Liebhaber  und 
die  Geliebte  vor. 

Was  die  Form  anbetrifft,  so  finden  sich  zwar  einige,  die 
in  einer  bestimmten  Versart  geschrieben  sind.  Meist  aber 
waren  alle  möglichen  Formen  der  italienischen  Dichtkunst 
untereinander  gemischt. 

In  der  Bibliothek  Jean  Louis  Gaignats  zu  Paris,  deren 
Verzeichnis  de  Bure  der  Jüngere  in  Paris  1769  herausgab, 
befand  sich  ein  sehr  seltenes  Buch,  das  unter  anderm  eine 
Sammlung  solcher  alten  Farcen  enthielt.  Es  dürfte  als 
einzig  in  seiner  Art  anzusehen  sein.  Diese  Farcen  sind 
teils  in  lateinischer,  teils  in  italienischer,  teils  in  altfran- 
68 


zösischer  Sprache  abgefaßt.   Statt  des  Titels  steht  folgen- 
des Verzeichnis: 

1.  Macharonea  contra  Macharoneam  Bassani  ad  specta- 
bilem  d.  Baltasarem  Lupum  asten,  studentum  Papiae 
(7  Blätter). 

2.  Comedia  on  l'homo  e  de  soy  cinque  sentimenti  (71/* 
Blatt). 

3.  Farza  de  Zohan  Zavatino  e  de  Biatrix  soa  Mogliere 
et  del  Prete  ascoso  soto  el  grometto  (14x/2  Blatt). 

4.  Farza  de  doe  Veggie  repolite  quäle  volivano  reprender 
le  Giovine.  (7  Blätter). 

5.  Farza  de  la  Donna  chi  se  credir  havere  una  roba  de 
veluto  dal  Franzozo  alogiato  in  casa  soa  (9  Blätter). 

6.  Farza  de  Nicoiao  Spranga  Caligario  el  quäle  credendo 
haver  prestata  la  foa  veste,  trovo  per  sententia  che  era 
donata  (14  Blätter). 

7.  Farza  del  Marito  et  de  la  Mogliere  quali  littigoreno 
insiema  per  un  petto  (14  Blätter). 

8.  Farza  del  doe  veggie  le  quäle  feceno  annonciare  la 
lanterna  e  el  sofietto  (13  Blätter). 

9.  Farza  de  Nicora  et  de  Sibrina  soa  sposa,  che  fece  el 
figliolo  in  cavo  del  meise  (13  Blätter). 

10.  Farza  del  Bracho  e  del  Milaneyso  innamorato  in  Ast 
(17  Blätter). 

11.  Farza  del  Franzioso  allogiato  al'hostaria  del  Lom- 
bardo  (10  Blätter). 

12.  Conseglo  in  favore  de  doe  sorelle  spose  contra  el 
fornaro  de  primello  nominato.  Meyni.  Ein  sehr  freies 
Stück.  Um  den  Verfall  der  Sitten  und  den  Geist  jenes 
Zeitalters  zu  kennzeichnen,  sei  der  Inhalt  hier  wiederge- 
geben: 

Argumentum:  Duabus  sororibus  nuptis  duobus  fratribus, 
dum  coquerent  panem  circa  horam  noctis,  promittit  forna- 
rius  tres  cavallatos  quae  extunc  exbursavit  in  terris,  sub 
domo  furni,  dummodo  faciant  se  supponi  a  Maritis,  eo  pre- 
sente   et  vidente.     Evocatis  Maritis,   quilibet  eorum  suam 

69 


ascendit;  at  fornarius,  qui  nunquam  credidisset  hoc  even- 
turum,  cepit  dicere  eisdem,  quod  forte  fingebant,  sed  non 
pro  veritate  coibant.  Una  mulierum  respondit.  Inspice.  For- 
narius assumpta  lucerna  inspexit  alteros  ex  conjugibus,  quos 
vidit  habere  membrum  in  membro;  et  dolens  de  promissione, 
acceptis  tribus  cavallotis  discessit;  sed  fornarius  conventus 
in  iudico,  iudicatus  est  in  comitatu  conconati. 

13.  Frotula  de  la  donne  et  cantione  doe  per  li  Frati  de 
Sancto  Augustino  contra  li  disciplinati  de  Ast  (2  Blätter). 

14.  S'ensuyvent  les  Oeuvres  de  l'Acteur,  en  rime  fran- 
coise,  contenant  le  Recoeil  que  les  Chrestiens  d'Ast  feirent 
ä  leur  Duc  d'Orleans  ä  sa  joyeuse  Entree,  quand  il  des- 
cendit  en  Italie,  pour  l'empreinse  de  Naples,  auquel  ils  pre- 
senterent  un  grand  Geant,  accompagne  de  quatre  cent  hom- 
mes  sauvaiges,  tous  armes  de  feuilles,  pour  le  servir  a  la 
dite  empreinse,  avec  le  voyage  et  conqueste  de  Charles  VIII. 
Roy  de  France,  sur  le  Royaume  de  Naples,  et  sa  Victoire 
de  Fornoue. 

DIE  SPANIER  UND  IHRE  PORTUGIESISCHEN 
NACHBARN 

„Das  spanische  Theater  hat  für  den  Kunsthistoriker  die 
interessante  Eigentümlichkeit,  daß  es  in  seiner  Entwick- 
lung die  von  der  griechischen  Bühne  durchlaufene  Bahn  ge- 
wissermaßen in  umgekehrter  Richtung  durchmessen  hat. 
Das  griechische  Drama  beginnt  für  uns  in  Athen  mit  Aeschylus 
in  der  ideellen  Erhabenheit  der  Tragödie  und  bewegt  sich 
stufenweise  und  durch  Vermittlung  der  sizilischen  Kunst  in 
immer  kleineren  Abständen  bis  zum  Possenspiel  herunter. 
Das  spanische  Theater  dagegen  beginnt  in  Portugal  mit  der 
leichtesten  Posse  und  erhebt  sich  stufenweise  zum  Idealismus 
bis  zur  kastilisch-calderonischen  Kunstform,  mit  der  es  ab- 
schließt1." 

1  Spanisches  Theater,  herausgegeben  von  Moritz  Rapp,  Hildburghausen 

1868,  S.  9. 

70 


Als  der  Vater  der  spanischen  Bühnendichtung-  ist  Juan 
del  Encina  (etwa  1468  — 1534)  anzusehen.  Im  Jahre  1496 
veröffentlichte  er  in  seinen  „Cancionero"  die  meisten  seiner 
dramatischen  Arbeiten.  Die  Stücke  haben  nur  kleinen  Um- 
fang- und  keine  Akt-Einteilung-,  sind  in  Versen  abgefaßt  und 
schließen  mit  dem  „Villancico",  einem  gewöhnlich  kurzen 
und  ziemlich  unpoetischen  Gesang.  Die  Zahl  der  sprechenden 
Personen  ist  eine  sehr  beschränkte.  Anfänglich  scheint  sich 
Encina  bemüht  zu  haben,  die  Autos  sacramentales,  rohe  kirch- 
liche Spiele,  zu  vervollkommnen,  doch  tritt  dabei  das  derb- 
komische Element  zu  stark  hervor.  Von  diesen  kunstlosen 
Stücken  ging-  er  zu  den  Eglogas  über,  die  schon  eine  merk- 
liche Erweiterung  der  Handlung  zeigen  und  Ansätze  von 
echter  Komik  enthalten,  so  besonders  die  „Egloga  de  Pla- 
cida  y  Vitoriano",  in  der  Höflinge  zu  Schäfern  und  Schäfer 
zu  Höflingen  wurden. 

Den  Spuren  Encinas  folgten  in  der  Komposition  primi- 
tiver Weihnachtsstücke  mit  dramatischen  Situationen  Lopez 
Rangel,  Inau  Pastor,  Fernando  Diaz,  Lucas  Fernandez  und 
der  Portugiese  Gil  Vincente,  dem  seine  Zeitgenossen  den 
Ehrentitel  des  „portugiesischen  Plautus"  beigelegt  hatten. 

Gil  Vincente  (etwa  1470  —  ungefähr  1536)  schrieb  seine 
Werke  teils  in  portugiesischer,  teils  in  kastilianischer,  teils 
in  beiden  Sprachen  vermischt.  In  einem  der  Stücke  sind 
sogar  vier  Idiome  vertreten. 

Von  seinen  vielen  dramatischen  Arbeiten,  die  alle  für  Hof- 
festlichkeiten verfaßt  wurden,  interessieren  uns  nur  die 
„Farcas".  Sie  sind  zwar  unzusammenhängend  in  der  Hand- 
lung-, aber  meistenteils  voll  scharfen  Witzes.  Eine  der  besten 
und  berühmtesten  dieser  Komödien  ist  die  „Farcas  de  Inez 
Pereira",  die  1523  vor  König  Johann  III.  im  Kloster  zuThomar 
aufgeführt  wurde. 

Sie  hat  folgende  Entstehungsgeschichte: 

Gil  Vincente  war  verleumdet  worden,  seine  Stoffe  von 
anderen  Dichtern  zu  entnehmen.  Um  dies  zu  widerlegen, 
ließ  er  sich  ein  Thema  aufgeben,  aus  dem  er  ein  Lustspiel 

71 


machen  wollte.  Man  gab  ihm  die  Redensart:  „Antes  quero 
asno  que  meleve,  que  cavallo  que  me  derrube",  d.  h.  „Ich 
will  lieber  einen  Esel,  der  mich  trägt,  als  ein  Pferd,  das 
mich  abwirft".  Der  Dichter  erfand  dazu  die  Handlung:  „Die 
schöne  Inez  Pereira  hat  sich  ins  Köpfchen  gesetzt,  ihr  künf- 
tiger Gatte  müsse  ein  hochgebildeter  und  kluger  Mann  sein. 
Sie  verschmäht  deshalb  den  gutmütigen  und  wohlhabenden, 
aber  etwas  beschränkten  Pero  Marquez.  Endlich  wird  durch 
zwei  jüdische  Heiratsvermittler  ihr  Ideal  zur  Wirklichkeit: 
Sie  wird  die  Gattin  eines  musikalisch  und  geistig  gebil- 
deten Escuderos  (Edelmannes).  Bald  zeigt  sich  die  Schatten- 
seite ihrer  Wahl.  Der  wenig  begüterte  Gemahl  hält  sie  sehr 
knapp,  überwacht  sie  genau  und  zeigt  überhaupt  einen 
Mangel  an  Duldsamkeit,  der  dem  leichtlebigen  Naturell  der 
jungen  Frau  in  keiner  Weise  zusagt.  Selbst  als  er  in  den 
Krieg  zieht,  trifft  er  seine  Vorsichtsmaßregeln,  daß  Inez  seine 
Abwesenheit  nicht  mißbrauche.  Unter  solchen  Umständen 
erscheint  dem  Dämchen  die  Nachricht,  ihr  Gatte  sei  im 
Kriege  gefallen,  als  wahre  Heilsbotschaft.  Sie  hat  nichts 
Eiligeres  zu  tun,  als  den  früher  verschmähten  gutmütigen 
Pero  Marquez  zu  heiraten,  der  sie  alles  tun  läßt,  was  sie 
will,  und  den  sie  infolgedessen  in  kürzester  Zeit  zum  Hahnrei 
macht2." 

Gil  Vincente  war,  trotzdem  seine  Stücke  unter  der  Re- 
gierung des  fanatischen  Johann  III.  von  Portugal  geschrieben 
und  vor  dem  König  aufgeführt  wurden,  ein  grimmer  Pfaffen- 
hasser, der  wuchtige  Geißelhiebe  an  die  Geistlichkeit  austeilte. 

Der  berufenste  Nachfolger  Gil  Vincentes  war  Bartolome 
de  Torres  Naharro. 

Von  seinem  Leben  ist  nur  bekannt,  daß  er  infolge  eines 
Schiffbruches  als  Sklave  in  Algier  lebte,  dann  nach  Rom 
kam,  dessen  Sitten  er  als  die  verruchtesten  schilderte,  von 
dort  nach  Neapel  floh,  wo  er  1517  eine  Sammlung  seiner 
Werke  herausgab. 


s  Adolf   Schäffer,    Geschichte 

Leipzig  1890,  S.  26  ff. 

72 


des    spanischen    Nationaldramas,    I.  Bd. 


Seine  Komödien  sind  wenig  einheitliche,  aber  mit  kräf- 
tigen Pinselstrichen  hingeworfene  Malereien.  Er  teilt  seine 
Stücke  in  fünf  Akte  ein,  die  er  zuerst  „Jornadas"  nennt. 
Sie  beginnen  mit  einem  „Introito",  der  „Loa",  und  einer 
Inhaltsangabe,  „Argumento",  und  schließen  gewöhnlich  mit 
einem  „Villancico".  Diese  Stücke  haben  alle  eine  durch- 
geführte Handlung,  die  aber  stets  von  allerlei  Possenwerk 
unterbrochen  wird. 

Waren  die  Werke  der  bisher  erwähnten  Schriftsteller  für 
höhere  Kreise  berechnet,  so  arbeitete  Lope  de  Rueda 
nur  für  das  Volk.  In  der  Einleitung,  die  Cervantes  seinen 
dramatischen  Werken  voranstellte,  sagte  er  von  Lope  de 
Rueda: 

„ In  den  letztverwichenen  Tagen  befand  ich  mich 

in  einem  Freundeskreis,  wo  man  von  Komödien  und  dahin 
einschlagenden  Dingen  sprach.  Der  Gegenstand  wurde  der- 
maßen kleingemacht  und  ausgetüpfelt,  daß  nach  meiner 
Meinung  kein  Wort  mehr  zuzusetzen  blieb.  Man  verhandelte 
auch,  wer  sie  in  Spanien  zuerst  aus  den  Windeln  gehoben 
und  ihnen  das  erste  lustige  Flügelkleidchen  umgetan  habe. 
Ich  als  der  Alteste  unter  den  Anwesenden  äußerte,  ich 
erinnere  mich  noch,  den  großen  Lope  de  Rueda  spielen 
gesehen  zu  haben,  einen  Mann,  ebenso  ausgezeichnet  als 
Darsteller  wie  als  Dichter.  Er  war  aus  Sevilla  gebürtig 
und  seines  Gewerbes  ein  Goldblättchenschläger.  Er  war 
wundervoll  in  der  Pastoralpoesie,  und  darin  hat  ihn  weder 
ehedem  noch  heute  einer  übertroffen.  Obgleich  ich,  ein 
Knabe,  kein  sicheres  Urteil  über  die  Güte  seiner  Verse 
hatte,  so  finde  ich  doch,  nach  einigen  zu  schließen,  die  mir 
im  Gedächtnis  geblieben  sind,  auch  jetzt  bei  reiferem  Urteil, 
daß  meine  Meinung  begründet  war  .  .  .  Zur  Zeit  dieses  be- 
rühmten spanischen  Schauspielers  wurde  der  ganze  Apparat 
eines  Schauspielunternehmers  in  einem  Sack  verpackt.  Er 
bestand  aus  vier  weißen  Schaffellen,  eingefaßt  mit  ver- 
goldeten Lederborten,  aus  vier  Barten  und  Perücken  und 
vier   Schäferstäben,    so  ungefähr.     Die   Komödien   waren 

73 


Gespräche  oder  Eklogen  zwischen  zwei  oder  drei  Hirten  und 
einer  Schäferin.  Sie  stutzten  sie  auch  oder  verlängerten 
sie  durch  zwei  oder  drei  Zwischenszenen,  wo  bald  eine 
Negerin,  bald  ein  Raufbold,  oder  ein  Narr  oder  ein  Bis- 
caier  auftrat,  denn  alle  diese  vier  Rollen  und  noch  viele 
andere  spielte  der  berühmte  Lope  mit  der  größten  Virtuosi- 
tät. Damals  kannte  man  keine  Maschinerien,  noch  Kämpfe 
zwischen  Mauren  und  Christen  zu  Fuß  und  zu  Pferd.  Es 
gab  auch  keine  Gestalten,  die  durch  die  Versenkung  auf 
der  Bühne  wie  aus  dem  Mittelpunkt  der  Erde  heraufstiegen, 
denn  das  Theater  bestand  aus  vier  Bänken,  im  Quadrat  auf- 
gestellt, und  vier  oder  sechs  Bretter  darüber  gelegt,  wo- 
durch es  vier  Fuß  über  dem  Boden  erhoben  war.  Noch 
weniger  schwebten  vom  Himmel  Wolken  mit  Engeln  oder 
Seelen  herunter.  Die  Dekoration  der  Bühne  war  eine  alte 
Decke,  die  an  zwei  Schnüren  hin-  und  hergezogen  wurde. 
Dadurch  wurde  das  jetzt  so  genannte  Vestuar  gebildet, 
hinter  dem  die  Musiker  standen  und  ohne  Gitarre  irgend- 
eine alte  Romanze  absangen8." 

Diese  Komödien,  die  dem  Dichter  des  Don  Quixote  ge- 
fielen, lassen  uns  den  Dramatiker  Lope  de  Rueda  als  einen 
trockenen  Gesellen  erscheinen,  dessen  Witz  nicht  mehr 
zündet,  dessen  ganzer  Vortrag  nüchtern  und  fahl  erscheint. 
Sein  Hauptverdienst  besteht  darin,  den  Sinn  des  Volkes 
für  dramatische  Darbietungen  geweckt  zu  haben.  Er  kannte 
den  Geschmack  der  schaulustigen  Menge  seiner  Epoche  und 
wußte  ihm  entgegenzukommen.  Schäffer  nennt  ihn  einen 
Pionier  der  späteren  Komödie. 

Gleich  Lope  de  Rueda  war  auch  Alonso  de  la  Vega 
Schauspieler  und  Dichter  in  einer  Person.  Bei  ihm  mischten 
sich  Zauberer  und  heidnische  Götter  in  das  platte  Alltags- 
leben. 

Ebenso  bedeutend  wie  die  Genannten  war  Juan  de  Timo- 
neda,   dem  wir  die  Veröffentlichung  einer  ganzen   Reihe 


*  Rapp  a.  a.  O.,  I.  Bd.,  S.  183  f. 

74 


wichtiger  Werke  verdanken,  darunter  die  seines  Freundes 
Lope  de  Rueda  und  des  Alonso  la  Vega.  Er  wurde  zu 
Valencia  gegen  Ende  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  ge- 
boren und  starb  im  hohen  Alter  um  1580. 

Bei  seinen  eigenen  Werken  lag  das  Haupttalent  in  der 
Komik.  „So  ist  seine  freie  Prosabearbeitung  der  Neuächmen 
des  Plautus,  ,Comedia  de  los  Menechmos',  recht  lobenswert 
und  die  Handlung  der  ,Farsa  Ilamada  Trapacera',  wenn 
auch  derbkomisch  und  für  unsere  Begriffe  übermäßig  frei, 
doch  natürlich  und  lebhaft.  Das  gleiche  Lob  gebührt  seinen 
Schwänken.  Einen  von  ihnen  nennt  er  ,Entremes  de  un  ciego, 
un  mozo  y  un  pobre*  das  erste  Stück,  das  die  Bezeichnung 
,Entremes'  trägt;  die  anderen  betitelte  er  ,Pasos<4t." 

Joaquin  Romero  de  Cepeda  aus  Badajoz  folgte  Timoneda 
in  der  metrischen  Komposition  seiner  Werke,  von  denen 
uns  aber  nur  zwei  Komödien  interessieren.  Beide  sind  da- 
durch bemerkenswert,  daß  in  ihnen  der  erste  Versuch  ge- 
macht wurde,  ein  psychologisches  Problem  zu  behandeln. 

Alle  diese  Dichter,  mochten  sie  nun  dem  höfischen  oder 
dem  Volksgeschmacke  huldigen,  waren  nur  Pfadfinder,  die 
ohne  festes  Ziel  vor  Augen  ihren  Weg  verfolgten. 

Sie  alle  lehnten  sich,  bewußt  oder  unbewußt,  an  fremde 
Vorbilder.  Ihrem  Humor  wie  ihrem  ganzen  Schaffen  fehlte 
die  nationale  Eigenart.  Ihre  Dummköpfe,  ihre  Rüpel,  ihre 
Gauner  trugen  nur  spanisches  Kleid,  aber  hatten  kein 
spanisches  Blut  in  den  Adern.  Sie  waren  nur  ihrer  Sprache, 
nicht  ihrem  Empfinden  und  Wesen  nach  Spanier. 

Das  änderte  sich  mit  einem  Schlage,  als  der  „Phönix  der 
Dichter"  erstand,  der  Schöpfer  der  spanischen  National- 
komödie, Lope  de  Vega  (1562 — 1635). 

In  seinem  langen,  an  Ehren  und  Erfolgen  überreichen  Le- 
ben hat  Vega  eine  schier  unfaßliche  Fruchtbarkeit  entfaltet. 

Außer  lyrischen  und  epischen  Gedichten,  Romanen  und 
Novellen  hat  er  ungefähr  zweitausend  dramatische  Werke 

4  Schäffer  a.  a.  O.,  S.  43  ff. 

75 


verfaßt,  darunter  viele  Juwelen  unter  ebenso  vielem  tauben 
Gestein. 

Eine  Charakteristik  seines  Schaffens  liegt  uns  fern.  Wir 
haben  hier  nur  die  Arbeiten  grotesk-komischen  Inhalts  zu 
beachten. 

Lope  verwendet  das  grotesk-komische  Element  in  seinen 
Stücken  als  Gegensatz  zum  tragischen  oder  auch  nur  dra- 
matischen, um  dieses  zu  heben.  So  stellt  er  in  dem  Schau- 
spiel „Los  novios  de  Hornachuelos"  dem  ersten  Paare  Lope 
Melendez  —  Estrella  als  Parodie  die  gewaltsam  verlobten 
Bauernbrautleute  Berrueco  —  Marina  gegenüber. 

Bei  vielen  seiner  grotesken  Komödien  scheut  Lope  de 
Vega  nicht  davor  zurück,  laszive  Verwicklungen  anzubringen. 
So  in  den  Schwänken  „La  noche  toledana"  und  „AI  pasar 
el  arroyo",  wo  nächtliche  Verwechslungen  und  Stellver- 
tretungen durch  einen  Tumult  ans  Licht  kommen.  Der- 
artige Frivolitäten  müssen  sehr  beliebt  gewesen  sein,  wie  die 
häufige  Erwähnung  der  „Noche  toledana"  in  der  spanischen 
Literatur  des  siebzehnten  Jahrhunderts  zu  beweisen  scheint. 

Eines  der  besten  Lustspiele  Vegas  ist  „El  Caballero  del 
milagro",  dessen  Inhalt  ich  nach  Schäffer  wiedergebe. 

Luzman,  ein  spanischer  Soldat  von  schöner  Gestalt  und 
einnehmendem  Wesen,  macht  in  Rom  unter  den  Kurtisanen 
viele  Eroberungen.  Eine  von  ihnen,  Otavia,  wird  von  dem 
Fähnrich  Leonato  beschimpft.  Sie  klagt  dies  dem  Luzman 
und  fügt  bei,  daß  Leonato  ihm  den  Tod  geschworen  habe. 
Luzman  heuchelt  großen  Mut,  dabei  zittern  seine  Knie, 
als  er  seinem  Feinde  begegnet.  Seine  Schlauheit  läßt  ihn 
aber  nicht  im  Stich.  Er  bittet  Leonato  unter  allerlei  Vor- 
wänden und  Schmeicheleien,  Hut,  Mantel  und  Degen  mit 
ihm  zu  tauschen.  Leonato  geht  darauf  ein,  da  ihn  derselbe 
Gedanke  leitet  wie  Luzman,  nämlich  Otavia  vorzutäuschen, 
den  Gegner  im  Duell  getötet  und  dessen  Kleidungsstücke 
an  sich  genommen  zu  haben.  Unterdessen  läuft  Luzman  ein 
anderes  Wild  in  den  Weg.  Er  sieht  die  eben  angekommene 
französische  Kurtisane  Beatriz  mit  ihrem  Liebhaber  Filiberto. 
76 


Er  läßt  sie  durch  einen  seiner  Diener  entführen  und  spiegelt 
dem  Filiberto  vor,  Leonato  sei  der  Frauenräuber.  Der  ge- 
foppte Liebhaber  sucht  den  vermeintlichen  Entführer  auf, 
wird  mit  ihm  handgemein,  zum  großen  Vergnügen  Luzmans. 
Dieser  begibt  sich  zu  Otavia,  schwindelt  ihr  vor,  daß  er 
Leonato  im  Duell  getötet  habe  und  schleunigst  nach 
Neapel  flüchten  müßte,  wohin  sie  ihm  zur  Vermählung  bald 
folgen  solle.  Otavia,  hierdurch  geködert,  schenkt  ihm  ein 
weißes  Kleid  und  eine  goldene  Kette.  Diese  dienen  dem 
Gauner  wieder  dazu,  sich  bei  Beatriz  einzuschmeicheln, 
der  er  als  reicher  Kavalier  die  Kostbarkeiten  zu  Füßen 
legt.  Kaum  hat  sich  Luzman  entfernt,  erscheint  Leonato. 
Er  behauptet  unter  gleichen  Vorwänden,  den  Nebenbuhler 
im  Duell  getötet  zu  haben,  wodurch  Otavia  den  Betrug 
entdeckt. 

Zweiter  Akt 

Luzman  will  das  Nützliche  mit  dem  Angenehmen  ver- 
binden und  sich  eine  reiche  Geliebte  verschaffen.  Sein 
Auge  fällt  auf  Isabella,  die  Gattin  Patricios,  eines  reichen 
alten  Venezianers.  Er  befiehlt  deshalb  seinem  Diener, 
Isabella  vor  ihrem  Fenster  mit  lauter  Stimme  allerlei  Übles 
nachzusagen.  Das  geschieht.  Luzman  eilt  herbei  und  nimmt 
sich  der  Verleumdeten  mit  Wort  und  Schwert  in  ritter- 
licher Weise  an.  Der  Anschlag  gelingt,  und  die  gerührte 
Isabella  ruft  ihren  Ritter  und  Ehrenretter  zu  sich  ins  Haus. 
Beatriz  zeigt  sich  unterdessen  mit  Otavias  Kleid  und  Kette  auf 
der  Straße,  wird  aber  von  Ottavia  gesehen  und  mit  Gewalt 
der  Kostbarkeiten  entkleidet.  —  Halb  entblößt  erregt  sie  das 
Mitleid  und  die  Begierde  des  alten  Patricios,  der  zufällig  des 
Weges  daherkommt.  Er  nimmt  sie  mit  in  sein  Haus.  Dieser 
Streich  des  Gatten  gibt  Isabelia  den  Mut,  Luzman  in  der 
Wohnung  zu  behalten,  indem  sie  Patricio  aufbindet,  ihr 
Schutzbefohlener  habe  im  Zweikampf  einen  Gegner  getötet 
und  müsse  sich  deshalb  versteckt  halten.  Die  Begegnung 
zwischen  Luzman  und  Beatriz  im  gleichen  Hause  ist  ebenso 

77 


überraschend  wie  komisch,  aber  beide  wissen  sich  als  durch- 
triebene Gauner  vorzüglich  zu  verstellen.  Filiberto  trifft  in- 
zwischen auf  Luzmans  Diener  und  forscht  ihn  nach  Beatriz 
aus.  Dieser  redet  ihm  vor,  Patricio  sei  ein  alter  Kuppler 
und  habe  sie  dem  Luzman  abgejagt.  Filiberto  versucht 
deshalb,  in  das  Haus  des  Venezianers  einzudringen,  wird  aber 
auf  Luzmans  Anklage  als  Irrsinniger  verhaftet. 

Dritter  Akt 

Um  von  Isabella  Geld  zu  erpressen,  spielt  Luzman  den 
Beleidigten,  der  sie  verlassen  will.  Die  junge  Frau  geht 
in  die  Falle,  entwendet  ihrem  Gatten  zweitausend  Dukaten 
und  schickt  sie  Luzman  durch  dessen  Diener  Tristan.  Luzman 
will  mit  diesem  Vermögen  nach  Spanien  verduften  und 
lohnt  Tristan  mit  einer  Dublone  ab.  Über  diese  Schäbig- 
keit ist  Tristan  derart  entrüstet,  daß  er  zu  Isabella  eilt 
und  ihr  die  ganze  Wahrheit  enthüllt.  Diese  verspricht  in 
ihrer  Wut  demjenigen  das  Geld,  der  es  Luzman  wieder  ab- 
nimmt. Tristan  verabredet  sich  zu  diesem  Zwecke  mit 
Leonato  und  zwei  anderen,  die  maskiert  den  abreisenden 
Luzman  anfallen  und  ausrauben.  Sie  entkleiden  Luzman 
fast  bis  auf  die  Haut  und  lassen  ihn  so  auf  der  Straße. 
Der  betrogene  Betrüger,  um  alles  gekommen  was  er  besaß, 
ruft  nun  nacheinander  die  Barmherzigkeit  Isabellas,  Bea- 
trizens,  Otavias  und  schließlich  Tristans  an,  erntet  aber 
nur  Spott  und  Hohn. 

Die  beiden  Entkleidungsszenen,  die  Beatrizens  und  des 
Gauners  Luzman,  bildeten  den  Höhepunkt  dieser  an  Grotesk- 
komik reichen  Komödie  Vegas. 

In  „La  discreta  enamoroda"  werden  beinahe  handgreiflich 
die  durchsichtigen  Kunststücke  vorurteilsloser  Damen  ge- 
schildert, die  sich  einen  Mann  ergattern  wollen. 

Durch  Lope  de  Vegas  Arbeiten,  von  denen  uns  kaum 
der  vierte  Teil  bekannt  ist,  war  das  spanische  Volk   auf 
Jahrhunderte  hinaus  mit  Samen  versehen,  der  in  wuchernder 
Üppigkeit  emporschießen  sollte. 
78 


Es  kann  hier  nicht  meine  Aufgabe  sein,  die  Fortschritte 
der  spanischen  Nationalliteratur  zu  verfolgen.  Ich  muß 
deshalb  gar  manchen  Dichter  übergehen,  dem  das  Drama 
auf  der  pyrenäischen  Halbinsel  viel,  die  Geschichte  der 
Groteskkomik  wenig  oder  gar  nichts  zu  verdanken  hat. 

Zu  erwähnen  wäre  nur  noch  Luis  Velez  de  Guevara 
(1570 — 1674),  der  Dichter  des  durch  Lesages  Nachahmung 
so  berühmt  gewordenen  „El  diablo  Cojuelo"  („Der  hinkende 
Teufel"),  von  dem  achtzig  von  vierhundert  Komödien  er- 
halten sind,  darunter  auch  Burlesken.  Dann  besonders 
der  größten  einen,  den  die  Weltliteratur  mit  Stolz  den 
Ihren  nennt:  Don  Miquel  Cervantes  de  Saavedra. 

Das  sei  vorweg  gesagt,  daß  sein  Dichterruhm  nicht  so 
strahlend  geworden  wäre,  wenn  er  nur  seine  dramatischen 
Arbeiten  hinterlassen  hätte.  Aber  auch  sie  bilden  Mark- 
steine in  der  Entwicklung  der  Literatur  seines  Vaterlandes. 
Weit  mehr  aber  als  seine  ernstgemeinten  Stücke,  über  die 
die  Literaturgeschichte  zur  Tagesordnung  übergegangen 
ist,  seine  „Entremeses",  lustige  Einakter  voll  glücklichen 
Humors  und  feiner  Beobachtung  des  Menschlichen,  bestimmt, 
die  Zwischenakte  größerer  Tragödien  auszufüllen. 

Ungleich  bedeutender  als  der  Dramatiker  Cervantes  ist 
der  Pater  Gabriel  Tellez  (Tirso  de  Molina,  1570-1648), 
dessen  Komödien  die  Zahl  von  vierhundert  bedeutend 
übersteigen. 

In  seiner  Komödie  „La  villana  de  Vallecas"  ist,  wie  in 
vielen  anderen  seiner  Stücke,  dem  Burlesken  große  Be- 
deutung beigelegt.  Eine  der  Heldinnen,  die  schöne  Valen- 
cianerin  Dona  Violante,  verkleidet  sich  als  Bauernmädchen, 
um  die  Spur  ihres  ungetreuen  Liebhabers,  des  Hauptmanns 
Don  Gabriel  de  Herrena  zu  verfolgen.  Dabei  verliebt  sich 
der  edle  Don  Juan  in  die  angebliche  Bäuerin.  Daraus 
ergeben  sich  Gelegenheiten  zu  derben  Spaßen,  die  einen 
großen  Teil  der  Komödie  füllen.  Diese,  beständig  zwischen 
Tragik  und  Komik  schwankende  und  in  beiden  Fächern 
reich    bedachte   Violante    ist    eine    der    Haupttypen    der 

79 


Heldinnen  Tirso  de  Molinas,  die  in  vielen  seiner  Komödien 
wiederkehren,  so  auch  in  dem  Meisterwerke  „Don  Gil  de 
las  calzao  verdes".  Tellez  ist  übrigens  der  erste,  der  die 
Abenteuer  Don  Juans  dramatisch  bearbeitet  hat. 

Als  fruchtbaren  Dichter  der  lustigen  sogenannten  Figuren- 
Komödie  nennt  die  Geschichte  des  spanischen  Schrifttums 
den  Antonio  Herrtado  de  Mendoza  (t  1644). 

Er  aber,  und  mit  ihm  die  meisten  anderen  Sterne  der 
spanischen  Literatur,  erblichen  und  verschwanden  fast  völlig 
und  für  immer  von  der  Bühne,  als  der  Mann  auftrat,  der  der 
ganzen  Periode  seinen  Namen  leihen  sollte,  nämlich  Pedro 
Calderon  de  la  Barca  (1600-1681). 

Das  Lebenswerk  Calderons  beträgt  über  hundertzwanzig 
Dramen  und  etwa  hundert  Autos  sacramentales.  Von 
diesen  dramatischen  Arbeiten  haben  aber  nur  die  Autos 
Interesse  für  uns.  Von  den  hundert  Autos  aus  der  Feder 
Calderons  sind  zwölf  zu  Lebzeiten  des  Dichters  erschienen, 
zweiundsiebzig  später  (Madrid  1717  und  1750)  gedruckt, 
die  anderen  verschollen. 

Diese  Autos  sind  Fronleichnamspiele,  die  ausschließlich 
während  eines  Monates  aufgeführt  wurden.  Lope  de  Vega 
brachte  sie  auf  das  Theater.  Vorher  waren  sie  in  den  Kir- 
chen zur  Darstellung  gelangt,  bis  die  Possen  und  Schnurren 
in  den  meisten  von  ihnen  so  überhand  nahmen,  daß  man 
sie  von  dort  auf  die  Straße  stieß.  Nun  spielten  sich  die 
Autos  bei  den  Fronleichnamsumzügen  ab,  wo  maskierte 
Musikanten  und  Tänzer  ihr  Wesen  trieben  und  die  Tarasca 
sich  zeigte.  Es  war  dies  eine  Riesenschlange  aus  bemaltem 
Stoff,  eine  Verkörperung  des  Heidentums  und  der  Ket- 
zerei. Sie  kroch  langsam  dahin,  von  Männern  getragen, 
deren  Beine  aus  dem  Bauche  der  Taraska  hervorsahen.  Nach 
dem  Umzüge  wurde  ein  Podium  aufgeschlagen,  das  von  vier 
großen  Wagen  umgeben  war.  Von  diesen  aus  betraten  die 
Darsteller  die  Bühne.  Auch  auf  den  Wagen  selbst  ging  oft 
ein  Teil  der  Handlung  vor  sich.  In  der  Regel  war  auf 
jedem  von  ihnen  eine  andere  Dekoration  aufgestellt,  etwa 
80 


auf  dem  ersten  ein  Turm,  auf  dem  zweiten  eine  Felsen- 
gruppe, auf  dem  dritten  ein  Garten,  eine  Stadt  u.  a.  m. 
Diese  Dekoration  wurde  durch  Offnen  des  Wagens  sichtbar, 
durch  Schließen  verdeckt.  Auch  wurde  durch  Drehung  des 
Gefährtes  ein  Dekorationswechsel  hervorgebracht.  Bei 
Schluß  der  Vorstellung  wurden  die  Wagen  geschlossen  oder 
ganz  weggefahren. 

Calderon  wurde  zum  Klassiker  dieser  Autos. 

Ihre  Form  ist  meist  allegorisch.  Man  personifizierte  mit 
unglaublicher  Kühnheit  alles  nur  Erdenkliche.  So  unter 
anderem:  das  Gedächtnis,  den  Willen,  den  Verstand,  die 
Schuld,  den  Schlaf,  den  Tod,  die  Ketzerei,  die  Eitelkeit, 
die  Natur,  die  Buße,  die  Klugheit,  die  fünf  Sinne,  das 
Wissen,  die  göttliche  Gnade,  das  Judentum  u.  a.  m.  Unter 
diese  allegorischen  Personen  mischen  sich  auch  realistische, 
bei  denen  besonders  der  Narr  nicht  fehlte. 

Unter  den  Autos  Calderons  befindet  sich  eines,  betitelt: 
De  las  Plantas.  Die  Darsteller  sind:  der  Dornbusch,  der 
Maulbeerbaum,  die  Zeder,  der  Mandelbaum,  die  Eiche,  der 
Ölbaum,  die  Kornähre,  der  Weinstock  und  der  Lorbeer- 
baum. Zwei  Engel  treten  auf,  reden  die  Bäume  an  und  sagen, 
einer  von  ihnen  möge  eine  süße  und  wunderbare  Frucht  her- 
vorbringen. Dadurch  solle  er  die  Krone  verdienen,  die  der 
eine  Engel  in  der  Hand  hielt  und  auf  der  Bühne  aufhing. 
Sie  begaben  die  Gewächse  mit  der  Fähigkeit,  sprechen  zu 
können,  und  gehen  ab.  Die  Zeder  erscheint  mit  einem 
Stock  in  der  Form  eines  Kreuzes.  Sie  hält  eine  lange  alle- 
gorische Rede  über  die  Schöpfung  der  Welt.  Sie  erklärt 
den  Bäumen,  daß  wie  Tiere,  Fische  und  Vögel  einen  König 
•hätten,  sie  ebenfalls  einen  solchen  haben  müßten.  Ob- 
wohl sie  sich  dieses  Vorzuges  nicht  anmaßen  wolle,  so 
sei  sie  doch  zu  entscheiden  bereit,  wer  unter  ihnen  den 
Preis  erhalten  solle.  Darauf  tritt  sie  ab.  Die  anderen 
Bäume  sind  unwillig  darüber,  daß  ein  Fremder  sich  zu 
ihrem  Schiedsrichter  aufwerfe.  Sie  halten  sich  die  Vorzüge 
vor,  die  ihnen  die  Menschen  beilegen,  und  jeder  will  der 
6  81 


vornehmste  sein.  In  der  folgenden  Szene  tritt  die  Zeder 
wieder  auf  mit  einem  Kreuz,  dessen  Arme  mit  Zedern-, 
Zypressen-  und  Palmblättern  umflochten  sind.  Nun  sind 
einige  bereit,  die  Zeder  als  Schiedsrichter  anzunehmen, 
andere  nicht.  Besonders  ist  der  Dornstrauch  sehr  erzürnt 
darüber  und  sagt,  er  allein  wolle  diesen  unbekannten  Baum 
vernichten,  der  sich  unterfinge,  sich  als  Schiedsrichter 
unter  ihnen  aufzuspielen.  Hierauf  umfaßt  er  die  Zeder,  die 
schreit,  daß  man  ihr  den  Leib  zerreiße.  Da  sieht  man  Blut 
dem  Kreuze  entfließen,  worüber  alle  Bäume  erschrecken. 
Die  Zeder  sagt,  mit  diesem  Blute  wolle  sie  die  ganze 
Erde  anfeuchten. 

Ähre  und  Weinstock  nähern  sich  dem  Kreuze,  um  das 
Blut  aufzufangen.  Die  Zeder  sieht  ihr  Mitleid  und  ihre  De- 
mut und  sagt: 

„Pues  humildes,  pues  piadosos 

Lo  dos  recibid  mi  cuerpo, 

Y  mi  sangre,  en  los  dos  solo 

Desde  oy  mi  cuerpo,  y  mi  sangre 
Sera  divino  tesoro." 

(Weil  ihr  beide  demütig  und 
barmherzig  meinen  Leib  und 
Blut  annehmt,  so  wird  von  nun  an 
auch  in  euch  beiden  allein 
mein  Leib  und  Blut  ein  göttlicher 
Schutz  sein.) 

Der  blutige  Dornbusch  gerät  in  Verzweiflung,  als  er 
sieht,  daß  ihn  alle  Bäume  verabscheuen.  Das  Kreuz  er- 
scheint in  der  Luft.  Die  Gewächse  fragen  nun  die  Zeder, 
wem  der  Preis  werden  solle.  Diese  entgegnet,  der  De- 
mut! Sie  nennt  daher  die  Ähre  (Brot)  und  den  Wein- 
stock. Wie  dieser,  so  endigen  alle  Autos  mit  einer  Be- 
ziehung auf  das  heilige  Sakrament. 

Diesen  Autos  geht  meist  ein  Prolog  oder  Vorspiel  voran, 
das  Loa  sacramental  genannt  wird  und  einen  eigenen  Titel 
82 


hat,  der  in  keinem  Zusammenhang  mit  dem  Sakrament  am 
Fronleichnamsfeste  zu  stehen  scheint.  So  hat  man  zum 
Beispiel  ein  Loa  sacramental  des  Narren.  Anfänglich  hört 
man  Leute  hinter  der  Szene  schreien:  Nehmt  euch  vor 
dem  Narren  in  Acht,  der  entwischt  ist!  Wir  müssen  ihm 
nachlaufen!  Da  tritt  der  Narr  auf  und  sagt  zu  seinen 
Verfolgern,  sie  mögen  sich  beruhigen,  er  sei  nicht  mehr 
der,  der  er  früher  gewesen.  Er  sei  nur  entlaufen,  um  das 
Vergnügen  zu  haben,  das  Fest  zu  sehen,  worauf  er  in 
wohl  zweihundert  Versen  alle  Wunder  und  Geheimnisse 
des  Alten  und  Neuen  Testamentes  vorerzählt. 

In  einem  andern  Auto  Calderons,  A  Dios  por  razon  de 
estado  (Gott  um  einer  Staatsursache  wegen),  kommen 
folgende  Personen  vor: 

Witz,  ein  Mann; 

Gedanke,  ein  Wahnsinniger; 

die  heidnische  Religion,   eine  häßliche  Frau; 

die  Synagoge,  ein  schmutziges  Weib; 

Atheismus,  ein  monströser  Mann; 

St.  Paul,  der  Apostel; 

die  Taufe,  ein  artiger  Knabe; 

die  Beichte,  eine  Frau; 

das  Priestertum,  ein  Mann; 

die  Ehe,  ein  Mann; 

das  Naturgesetz,  eine  Frau; 

das  geschriebene  Gesetz,  eine  Frauensperson; 

das  Gesetz  der  Gnade,  eine  Frau. 

Vor  diesem  Auto  steht  eine  ebenso  sonderbare  Loa. 

Ihre  Personen  sind:  Glaube,  Fama,  die  Urteilskraft, 
Gottesgelehrtheit,  Rechtsgelehrtheit,  Weltweisheit,  die  Me- 
dizin, die  Natur.  Alles  dies  sind  Frauen  bis  auf  die  Urteils- 
kraft, die  als  Mann  gedacht  ist.  Dann  Musikanten  beiderlei 
Geschlechts. 

In  einem  andern  Auto  hat  Calderon  die  Dreieinigkeit, 
den  Teufel,  den  Apostel  Paulus,  Adam,  Augustinus,  Jeremias, 

6*  83 


die  Begierde,  die  Sünde,  die  Welt,  eine  Rose  und  eine 
Zeder  durcheinander  gemischt. 

In  dem  Auto  Ordini  militari  kommt  Christus  und  ver- 
langt das  Kreuz  von  der  Welt.  Diese  aber  holt  Gutachten 
von  Moses,  Hiob,  David  und  Jeremias  ein,  ob  sie  es 
ihm  geben  solle.  Die  Räte  sagen  ja.  Um  des  Vaters 
willen  verdiene  er  es,  und  so  erhält  Christus  von  der  Welt 
das  Kreuz  mit  der  Versicherung,  sie  habe  es  bisher  nur 
ehrenhalber  verliehen. 

In  diesen  monströsen  Produkten  und  Vorstellungen,  in 
denen  eine  Lais  oder  Phryne  die  Mutter  Maria  darstellte, 
die  Hostie  in  die  Höhe  hob  und  das  Tantum  ergo  dazu 
sang,  sah  viele  Jahre  hindurch  das  spanische  Volk  eines 
seiner  Hauptvergnügen.  Allgemeines  Murren  erscholl,  als 
ein  königlicher  Befehl  diese  Autos  verbot. 

Dem  alles  in  allem  recht  undramatischen  Auto  verliehen 
in  Spanien  nur  jene  Momente  Lebensfähigkeit,  die  als  leere 
Zutaten  aufzufassen  sind,  nämlich  Schaugepräge,  Tänze, 
Possen  und  Lazzi,  Musik  und  Gesang.  Ohne  diese  hätte 
sich  das  Auto  niemals  so  in  der  Gunst  der  Spanier  fest- 
setzen können.  Schon  die  Grundgedanken,  die  allegorische 
Verhüllung,  mußte  der  breiten  Masse  des  Volkes  etwas 
Fremdes,  nur  zu  häufig  direkt  Unverständliches  sein.  Des- 
halb übertrug  es  seine  Liebe  zu  einzelnen  stehenden  Fi- 
guren der  Autos  auf  die  Stücke,  die  es,  um  ihre  Lieblinge 
zu  sehen,  mit  in  den  Kauf  nahm.  Ich  komme  auf  diese 
für  uns  so  wichtigen  Persönlichkeiten  noch  zurück. 

Nach  diesem  Seitensprung  wieder  zu  Calderon. 

Unter  seinen  Schöpfungen  befinden  sich  heute  noch  sechs- 
undzwanzig Comedias  de  Capa  y  espada,  d.  h.  Lustspiele 
mit  Mantel  und  Degen.  Beinahe  in  allen  diesen  Komödien 
finden  sich  Szenen  von  grotesker  Komik,  die  sich  nicht 
selten  bis  zum  Übermut  steigert. 

Wie  ausgelassen  Calderon  sein  kann,  zeigt  er  in  der 
Posse  „Cefalo  y  Pocris"  (Chephalus  und  Pocris).  Sie  wurde 
Fastnacht  1662  vor  dem  Königspaar  in  Madrid  aufgeführt 
84 


und  stellt  eine  Parodie  der  mythologischen  Schauspiele 
dar.  Der  Vierakter,  eine  Burleske  voll  köstlichen  Humors, 
ein  Tummelplatz  des  ausgelassensten  Scherzes  und  be- 
sonders dadurch  von  unvergleichlicher  komischer  Wirkung, 
daß  der  tollste  Spaß,  ja  das  Absurdeste,  in  einem  feier- 
lichen, pathetischen  Ton  und  in  den  elegantesten  Versen 
vorgetragen  wird5,  sei  hier  nach  seinem  Inhalte  wieder- 
gegeben: 

Erster  Akt 

Begleitet  von  ihren  Dienern  Pastel  und  Tabaco  treten 
die  irrenden  Ritter  Cephalus,  König  der  Pikardie,  und 
Rosicler,  Fürst  von  Trapobana,  der  auf  einem  Esel  reitet, 
auf.  Sie  fallen  alle  vor  Schrecken  über  einen  Riesen  um, 
der  mit  der  Keule  auf  der  Schulter  aus  einem  Palast  tritt, 
zu  dessen  Hüter  er  bestellt  ist.  Nun  erscheint  Aura,  die 
Hofdame  der  Pocris.  Die  Prinzessin  hat  sie  davongejagt. 
Sie  erzählt  den  Fremdlingen  von  Tebandro,  dem  König 
dieses  Landes,  der  seine  Zwillingstöchter  Pocris  und  Fillis 
von  ihrer  Geburt  an  gleich  „Loretto-Nonnen"  in  diesem 
Palast  eingekerkert  halte,  weil  er  eines  Tages  ein  Omen 
fand.  Sei  es,  daß  ihm  geträumt  habe,  er  habe  einen  Strick 
um  den  Hals,  sei  es,  daß  er  seine  Schere  gekreuzt  fand. 
Nun  kommt  ein  Hauptmann  mit  Häschern,  verhaftet  die 
Fürsten,  ihre  Diener  und  Aura  und  befiehlt,  sie  hinter 
Masken  zu  stecken,  damit  niemand  sie  erkenne.  Alle  werden 
abgeführt,  nur  Cephalus  entflieht  und  versteckt  sich.  Pocris 
und  Fillis  treten  auf,  worauf  Cephalus  aus  seinem  Versteck 
erscheint.  Bei  seinem  Anblick  fällt  Pocris  in  Ohnmacht. 
Sie  hat  wie  Fillis  zum  erstenmal  im  Leben  einen  Mann 
gesehen.  Fillis  empfindet  Sympathie  für  den  „verbindlich 
schmeichelnden  Herrn  Ritter",  warnt  ihn  deshalb  vor  der 
Schwester,  die,  „von  Charakter  ein  Dämon"  sei.    Sie  werde 

5  Ad.  Friedr.  von  Schack,  Gesch.  der  dramatischen  Literatur  und  Kunst 
in  Spanien.     Berlin  1845/46,  III.,  249. 

85 


beim  Erwachen  den  Riesen  rufen,  daß  er  ihm  mit  der 
Keule  das  Hirn  kuriere,  worauf  sich  der  Ritter  schleunigst 
entfernt.  Pocris  erwacht  und  ist  außer  sich,  einen  Mann 
erblickt  zu  haben,  während  Fillis  meint:  „Daß  ein  Mann 
hier  gewesen,  ist  erwiesen,  und  mir  scheint  es,  die  Männer 
sind  niedliche  Dinger!" 

Zweiter  Akt 

Der  König  Tebandro  beklagt  sich  zu  seinen  Höflingen 
Floro  und  Antistes,  dem  Vater  der  Aura,  über  die  Last 
des  Regierens.  Da  führt  der  Hauptmann  seine  Gefangenen 
vor.  Als  ihnen  die  Masken  abgenommen  werden,  erblickt 
Antistes  entsetzt  seine  „Mari -Aura  als  Galeerensklavin 
zwischen  solchem  Lumpgesindel!" 

Aura  erzählt,  daß  Pocris  sie  ohne  Rücksicht  auf  die 
langen  und  treuen  Dienste  einfach  hinausgeworfen  habe, 
als  sie  erfahren,  daß  Polidoro,  der  Sohn  des  Königs,  sie 
im  Palast  besucht  habe.  Der  König  bricht  sofort  auf,  den 
Sohn  zu  holen.  Antistes  aber  vermahnt  nach  des  Königs 
Befehl  die  ehrlose  Tochter,  den  „echten  Sproß  der  alten 
sel'gen  bösen  Sieben,  die  Gott  im  Himmel  gut  bewahre", 
und  sagt  ihr,  daß  sie  jetzt  sterben  müsse,  sei  es  durch  Stahl, 
sei's  durch  Gift.  Antistes  reicht  ihr  ein  Fläschchen  und 
Aura  trinkt  es,  ergeben  in  ihr  Schicksal,  aus.  „Schon  be- 
ginnt der  Todeskampf",  ruft  sie  aus,  doch  der  Vater  be- 
ruhigt sie.  Es  sei  Alikantewein  im  Fläschchen  gewesen. 
Antistes  eilt  mit  Aura  in  den  Wald  vor  dem  Palast,  wo 
auch  der  König  mit  Rosicler  und  dessen  Dienern  ange- 
kommen ist.  Der  König  holt  den  Riesen  heraus  und  macht 
ihm  Vorwürfe,  einen  Mann  in  das  Schloß  gelassen  zu  haben. 
Der  Riese  erwidert,  er  habe  ihn  mit  der  Keule  zum  Doktor 
graduiert ! 

„Meinen  Sohn  hast  du  verkannt?"  fragte  der  König. 
„Hoheit  kam  bei  Nacht  gewandelt,  und  bei  Nacht  sind 
alle  Könige  grau!"  entgegnete  der  Riese  —  eine  Variation 
86 


auf    das    auch    uns   geläufige    „Bei    der   Nacht    sind    alle 
Katzen  grau!"6 

Aura  sinkt  in  Ohnmacht.  „Der  Jammer  steigt  mir  zu 
Kopf!"  ruft  sie  aus.  „Ich  glaub',  es  ist  der  Alikante", 
meint  der  Vater  und  wirft  sie  in  die  Luft,  weil  sie  in  den 
Wind  geworfen  alle  väterlichen  Phrasen.  Sie  fliegt  davon. 
Da  ertönt  hinter  der  Szene  das  Geschrei:  „Pocris  lebe!" 
Floro  bittet  im  Namen  des  Volkes  um  Gehör.  Der 
König  winkt  ab,  denn  er  errät  den  Wunsch  des  Volkes, 
seinen  bisher  abgeschlossen  gehaltenen  Töchtern  in  den 
Ehehafen  zu  helfen.  Er  schickt  den  Hauptmann  ab,  ihm 
aus  dem  hier  herumlungernden  Volke  den  reichsten  Mann 
herauszusuchen,  dann  entläßt  er  den  Rosicler  mit  seinen 
Dienern.  Da  bringt  auch  schon  der  Hauptmann  den  Ce- 
phalus.  Auf  des  Königs  Befehl  werden  dem  Cephalus 
mit  dem  Taschentuch  des  Königs  die  Augen  verbunden, 
worauf  sich  alle  entfernen.  Pocris  und  Fillis  kommen,  bald 
darauf  wieder  der  König.  Er  führt  ihnen  den  geblendeten 
Cephalus  zu,  damit  sie  mit  ihm  in  den  Fastnachttagen 
Blindekuh  spielen,  aber  unter  der  Bedingung,  daß  er  die 
Binde  nicht  löse.  Dann  geht  er  ab.  Pocris  und  Fillis  er- 
greifen Ballschläger  und  laufen  im  Kreise  um  Cephalus  her- 
um. Dieser  nimmt  die  Binde  ab,  erblickt  voll  Freude  die 
beiden  Königstöchter,  von  denen  ihn  die  eine  „detestiert", 
die  andere  „adoriert".  Der  König  kehrt  mit  Rosicler  und 
seinem  ganzen  Gefolge  zurück  und  sieht  sein  Gebot  über- 
treten. Vorerst  offenbart  er  in  einer  einhundertzwanzig 
Verse  langen  Thronrede,  in  der  jede  Assonanz  auf  ,u* 
endet,  warum  er  seine  Töchter,  vor  deren  Schönheit 
„gallengrün  aus  Neid  wird  das  himmlische  Azur",  bis  jetzt 
unter  Verschluß  gesetzt  habe.  Bei  der  Geburt  der  Zwil- 
linge habe  er,  wohl  bewandert  in  Zauberbüchern  und  im 
Talmud,  sofort  ihr  Horoskop  gestellt  und  das  unheilvolle 
Orakel  vernommen,  daß  die  eine  dem  ersten  besten,  der 

6  Cefalo  und  Pocris,  übersetzt  von  C.  A.  Dohrn,  Stettin  1879,  S.  150. 

87 


ihr  begegnen  werde,  gedankenlos  „die  Schlüssel  zu  dem 
Schlößchen  Hohegunst"  überreichen,  die  andere  aber  ihren 
unglücklichen  Liebsten  zwingen  werde,  „daß,  in  einen  Stier 
verwandelt,  er  nichts  sagen  kann  als  Muh!"  Um  dieses 
Verhängnis  abzuwenden,  habe  er  für  sie  „diesen  goldenen 
Sarg  aus  Stein  und  Stuck  gebaut".  Cephalus,  der  es  ge- 
wagt, die  Angesichter  der  beiden  zu  sehen,  heißt  er  zu 
Tode  zu  führen. 

Pocris  billigt  den  Befehl  des  Vaters,  doch  Fillis  legt  Für- 
bitte ein,  ebenso  Rosicler.  Aber  erst  als  der  Diener  Pastel 
für  den  Fürsten  von  Tropabana,  den  ein  Delphin  zur  Küste 
getragen  hat,  um  Gnade  bittet,  schenkt  der  König  dem  Ver- 
urteilten das  Leben. 

Dritter  Akt 

Der  Streit  ist  geschlichtet,  und  König Tebandro  läßt  Cepha- 
lus die  Wahl  zwischen  den  erlauchten  Töchtern.  Cephalus 
schwankt.  Er  möchte  am  liebsten  alle  beide  nehmen,  aber 
verliebt  ist  er  nur  in  Pocris,  die  ihn  nicht  ausstehen  kann. 
Da  tritt  Rosicler  zu  ihm  und  erzählt,  daß  er  einen  Schuh 
der  schönen  Fillis  zu  Gesicht  bekommen  habe  (er  zeigt 
dabei  einen  Schuh  von  Riesengröße),  und  dieses  zierliche 
Kunstwerk  habe  ihn  sofort  behext.  Nur  darum  habe  er  die 
Heimat  im  Stiche  gelassen,  um  die  süße  Besitzerin  dieses 
Kleinods  zu  suchen  und  zu  finden.  Freundlich  bittet  er  des- 
halb, ihm  die  Fillis  zu  „zedieren".  Cephalus  erwidert,  daß 
er  wohl  selbst  Fillis  werde  wählen  müssen,  da  sein  Diener 
ihm  mit  ihr  „den  Eheknoten  geboten  habe".  Deshalb  schlägt 
Rosicler  vor,  die  Fillis  auszuknobeln. 

Das  Spiel  beginnt. 

Schon  hat  Rosicler  die  halbe  Fillis  gewonnen,  da  erscheint 
Aura,  „in  Luft  aufgelöst  als  Unsichtbare",  die  an  Pocris 
Rache  nehmen  will,  und  entführt  die  Würfel.  Rosicler 
fürchtet  Zauberei,  um  so  mehr  als  Auras  Stimme  ertönt: 
„Ihr  Ritter,  besser  wär's,  nicht  laut  zu  poltern  1"  Cephalus 
88 


glaubt,  eine  Göttin  habe  ihr  Spiel  gestört  und  fragt  des- 
halb: „Sage,  was  in  meinem  Herzen  thronen  soll?"  Da  ant- 
wortet ihm  hinter  der  Szene  der  Ruf:  „Hoch  lebe  Pocris!" 
Die  Götter  selbst  haben  entschieden.  Als  daher  der  König 
mit  Pocris,  Fillis  und  den  übrigen  auftritt,  um  die  Ent- 
scheidung zu  hören,  verkündet  Cephalus,  daß  Pocris  die 
Holde  sei,  der  er  sich  auf  Schritt  und  Tritt  opfern  wolle. 
Fillis  aber  weist  Rosicler,  der,  gestützt  auf  sein  Würfeln, 
halbes  Wohnungsrecht  bei  ihr  zu  haben  behauptet,  schroff 
ab:  „Bei  mir  ist  nichts  zu  vermieten,  der  Mieter  mag  sich 
trollen!" 

Alle  ziehen  sich  zurück,  bis  auf  das  junge  Ehepaar  Cephalus 
und  Pocris,  das  sich  allerlei  Schmeicheleien  an  den  Kopf 
wirft,  bis  Aura  erscheint  und  den  Cephalus  von  seiner  jungen 
Gattin  hinweglockt.  Die  eifersüchtige  Pocris  folgt  ihnen, 
findet  sie  im  Waldesdickicht  und  beobachtet,  hinter  einem 
Jasmingebüsch  verborgen,  das  tuschelnde  Paar. 

„Mitleidlos  sei  umgebracht  jenes  wilde  Tier!"  flüstert 
Aura. 

„Doch  womit?"  fragt  Cephalus. 
„Nehmt  den  Flitzbogen  zur  Hand,  den  Diana  selbst  Euch 
sendet",  erwidert  Aura  und  verschwindet.  Cephalus  drückt 
ab,  und  tödlich  getroffen  sinkt  Pocris  zusammen.  Vergeblich 
sucht  sie  der  Gemahl  damit  zu  trösten,  daß  er  zum  ersten- 
mal in  seinem  ganzen  Leben  mit  dem  Gewehr  etwas  ge- 
troffen habe.  Pocris  haucht  in  dem  düstern  Walde  ihre  Seele 
aus.    Cephalus  aber  klagt: 

„Ausgelöscht  ist  das  Fanal 
Meines  Lebens!    Nacht  bricht  ein! 
Jammer,  Weh  und  Himmels-All, 
Vögel,  Fische,  Bestien,  Menschen, 
Land  und  Wasser,  Berg  und  Tal, 
Pflanzen,  Blumen,  Kräuter,  Auen 
Jammert  mit  aus  vollem  Hals! 
Kutschen,  Satteldecken,  Esel, 
Alles,  was  nur  Odem  hat, 

89 


Pfauen,  Hühner,  Kälberpfoten, 
Saure  Milch,  kommt,  wimmert,  klagt 
Pocris  starb,  sanft  mag-  sie  ruhen, 
Sie  samt  ihrem  falschen  Haar!" 

Hinter  der  Szene  ertönen  feierliche  Stimmen:  „Friede  ihrer 


Asche!' 
Der* 


Fillis,  Rosicle 


idall 


önig  kommt 

Er  hört  von  Cephalus,  wie  Pocris  den  Tod  gefunden. 
„Tod  ihm,  der  sie  gemordet!"  ruft  Rosicler,  doch  der  zärt- 
liche Papa  König  ist  anderer  Meinung.  Er  hält  es  für  sehr 
ersprießlich,  wenn  Cephalus  nach  und  nach  die  ganze  Sipp- 
schaft beseitigt,  weil  ihr  Spionieren  ihm,  dem  König,  lästig 
fällt.  Darauf  befiehlt  er,  das  wohlverdiente  Ende  der  Pocris 
pomphaft  durch  eine  glänzende  Mogiganga,  eine  nächtliche 
Mummerei,  bei  der  die  Teilnehmer  in  Tiermasken  erscheinen, 
zu  feiern,  ergreift  eine  Gitarre,  und  damit  man  gleich  ge- 
wahre, wie  ihn  solches  Treiben  vergnüge,  fallen  ihm  der 
Bart  und  die  grauen  Haare  ab,  während  er  singt  und  mit 
den  anderen  den  Schlußtanz  aufführt7. 

In  der  reizenden  Komödie  Calderons,  „La  dama  duende", 
d.  h.  „Dame  Kobold",  die  1883  in  der  Bearbeitung  von 
Adolf  Wilbrand  im  Wiener  Burgtheater  eine  fröhliche  Auf- 
erstehung feierte,  ist  der  Diener  Cosme  die  lustige  Person. 

Im  sechzigsten  Stück  seiner  Hamburgischen  Dramaturgie 
hat  Lessing  den  Cosme  der  spanischen  Komödie  charak- 
terisiert. 

Der  Lessingsche  Cosme  ist  der  Diener  des  Grafen  Essex 
in  dem  Stücke  „Dar  la  vida  por  su  dama"  („Sterben  für  seine 
Dame"). 

Dieser  Cosme  ist  furchtsam  für  viere,  dabei  ein  ekelhaft 
prosaischer  Bursche,  der  der  Romantik  seines  Herrn  stets 
einen  Dämpfer  aufsetzt.  „Cosme  hat,  unter  seinen  anderen 
guten  Eigenschaften  auch  diese,  daß  er  ein  Plauderer  ist. 


7  Engelbert  Günther,   Calderon   und  seine  Werke,  Freiburg  i.  B. 

IL  Bd.,  S.  53ff. 

90 


1888, 


Er  kann  kein  Geheimnis  eine  Stunde  bewahren;  er  fürchtet 
ein  Geschwür  im  Leibe  zu  bekommen."  „Die  Art,  wie  er 
sich  seiner  Geheimnisse  entledigt,  ist  äußerst  ekel.  Sein 
Magen  will  es  nicht  länger  bei  sich  behalten;  es  stoßt  ihm 
auf;  er  gibt  es  von  sich;  und  um  einen  besseren  Geschmack 
wieder  in  den  Mund  zu  bekommen,  läuft  er  geschwind  ab, 
eine  Quitte  oder  Olive  darauf  zu  kauen8". 

Bei  Calderon  ist  Cosme  weit  weniger  drastisch,  aber  immer- 
hin noch  das,  wenn  auch  verfeinerte,  Abbild  des  altspanischen 
Hanswurstes,  des  Gracioso. 

Lange  vor  Cosme  trieb  der  Gracioso  auf  der  spani- 
schen Bühne  sein  Spiel.  Er  scheint  aus  dem  stammver- 
wandten Italien  nach  der  pyrenäischen  Halbinsel  gekommen 
zu  sein,  vielleicht  schon  zur  Zeit  des  Mimus.  Er  ist  ein 
Schwätzer,  der  bei  der  geringsten  Gelegenheit  alle  Heiligen 
anruft,  und  zwar  meist  solche,  die  kein  Kalender  kennt.  Er 
hat  überdies  alle  guten  und  bösen  Eigenschaften  des  Arle- 
quino  wie  des  Cosme,  ist  aber  meist  liebenswürdiger  und 
weniger  derb  als  diese.  Unter  den  Plattheiten  seines  Dialoges 
finden  sich  nicht  selten  lustige  Wahrheiten. 

Bei  Lope  de  Vega  sind  die  Graciosos  noch  nicht  in  der 
stereotypen  Gestalt  der  späteren  Dichter,  sondern  mit  feiner 
Schattierung  des  Charakters  und  stets  in  bedeutsamer  Be- 
ziehung zur  Haupthandlung9. 

Neben  diesen  beiden  Trägern  komischer  Rollen  haben 
die  Vejele,  Galleja  und  andere  nur  untergeordnete  Be- 
deutung. Nicht  so  der  Teufel.  Wenn  er  auf  der  Bühne 
erscheint,  ist  er  Cosme  und  Grazioso  in  einer  Person. 

In  dem  Stücke  „Diabolo  Predicador"  (Der  Teufel  ein 
Prediger)  fängt  die  Handlung  mit  einer  langen  Rede  des 
Teufels  an,  der  auf  einem  feurigen  Drachen  reitet.  Er  er- 
bost sich  darin  über  die  Franziskaner,  die  ihm  beständig 
so  viele  Untertanen  rauben.    Er  hat  vernommen,  daß  sich 

8  Lessing,  Dramaturgie  (Hesse),  IV.  Bd.,  S.  225.  —  9  Ph.  Aug.  Becker, 
Geschichte  der  spanischen  Literatur,  Straßburg  1904,  S.  72. 

91 


diese  Mönche  in  Lucca  niedergelassen  haben,  wo  er  wegen 
der  vielen  Laster  der  Einwohner,  die  sich  nun  zu  seinem 
größten  Schaden  bekehren  werden,  regiert  hat. 

Die  Mönche  zu  hindern,  sich  dort  einzunisten,  schickt  er 
seinen  Bedienten  Asinodi  ab,  um  womöglich  die  Mönche 
von  dort  zu  verjagen.  Um  dies  zu  erreichen,  befiehlt  er 
ihm,  die  Herzen  der  Einwohner  so  zu  verhärten,  daß  sie 
den  Mönchen  keine  Almosen  geben  sollen.  Asinodi  tut 
wie  ihm  aufgetragen  und  richtet  es  überdies  noch  so  ein, 
daß  der  Statthalter  von  Lucca  ein  Todfeind  der  Franziskaner 
wird  und  die    Bewohner  Luccas  sie  mit  Steinen  werfen. 

Aber  der  Ninno,  das  Jesukind,  kann  die  Ungerechtigkeit 
der  Menschen  und  des  Teufels  nicht  länger  mit  ansehen. 
Er  kommt  persönlich  vom  Himmel  herab,  begleitet  von  dem 
Erzengel  Michael.  Diesen  schickt  der  Ninno  zum  Teufel, 
mit  dem  Befehl,  sofort  die  Gestalt  eines  Franziskaners  an- 
zunehmen und  den  Luccanern  Buße  zu  predigen. 

Der  Teufel  tobt,  rast,  wütet,  speit  Feuer  aus  Maul  und 
Nase,  muß  sich  aber  fügen  und  Guardian  in  dem  Franzis- 
kanerkloster werden.  Dort  findet  er  aber  überraschender- 
weise die  Sitten  der  Mönche  ebenso  verderbt  wie  die  der 
Einwohner  von  Lucca. 

Einer  der  gottlosesten  Mönche  ist  der  Frater  Antolin. 
Er  hatte  erst  kurz  vorher  ein  Techtelmechtel  mit  einer  ver- 
liebten, aber  sehr  scheinheiligen  Dame  angesponnen.  Der 
Pater  Guardian  hat  aber  seinen  Pferdefuß  nur  versteckt, 
nicht  ihn  verloren.  Er  liest  die  geheimsten  Gedanken  der 
Menschen  im  Fluge,  kennt  folglich  auch  alle  die  gottlosen 
Anschläge  des  Bruders  Antolin. 

Dieser  hat  ein  Stelldichein  mit  seiner  Geliebten  verab- 
redet, aber  der  Teufel  hindert  ihn,  es  einzuhalten. 

Antolin  will  einen  Teil  der  eingesammelten  Almosen  unter- 
schlagen und  für  sich  verwenden,  aber  der  teuflische  Guar- 
dian fordert  Abrechnung  von  ihm. 

Er  will  an  einem  abgelegenen  Ort  sich  an  einem  Fast- 
tage an  Fleisch  satt  essen,  aber  der  Teufel  ist  zur  Stelle 
92 


und  hindert  ihn,  ein  Stück  Schinken  in  den  Mund  zu  schieben 
und  den  Korken  aus  der  Flasche  zu  ziehen.  Er  zwingt  ihn, 
die  Kuttenärmel,  in  denen  er  die  verbotenen  Speisen  ver- 
borgen hat,  auszuschütteln  und  verdammt  ihn  zu  ver- 
schärftem Fasten. 

So  wird  Antolin  als  durchtriebener  lasterhafter  Mensch  ge- 
schildert, in  vielen  Stücken  noch  böser  als  selbst  der  Teufel. 

Recht  verwunderlich  erscheint  es,  daß  in  dem  überkleri- 
kalen Spanien  den  Mönchen  solch  bittere  Wahrheiten  ins 
Gesicht  gesagt  werden  und  sie  von  der  Bühne  herab  so 
unbarmherzig  verspottet  werden  durften,  ohne  daß  das 
geistliche  Gericht  einschritt. 

Aber  sie  waren  klug  genug,  den  Spott  über  nicht  weg- 
zuleugnende Tatsachen  nicht  tragisch  zu  nehmen.  Ihre 
Autorität  war  ja  doch  unerschütterlich. 

Mit  Calderon  war  die  Höhe  der  spanischen  Dramatik 
erreicht.  Keiner  der  Epigonen  vermochte  an  ihn  oder  Lope 
de  Vega  heranzureichen,  obgleich  noch  manche  Talente  auf- 
tauchten. Ich  nenne  nur  die  wichtigsten.  So  Francisco  de 
Rojas  Zorilla  ("f  1661),  voll  feiner  Beobachtungsgabe  mit 
einem  Stich  ins  Bizarre.  Er  pflegte  in  seinen  Komödien 
mit  Vorliebe  die  Charakterkomik  und  führte  groteske  Fi- 
guren mit  possenhaftem  Anstrich  vor,  „denen  er  mit  dem 
sprudelnden  Witz  seines  Dialoges  große  komische  Kraft 
verleiht,  jene  schalkhaft  naive  Art  der  Komik,  die  die  Tiefe 
der  Seele  und  die  Schattenseiten  der  Gesellschaft  mit  blitz- 
artigen Schlaglichtern  beleuchtet"10. 

Nur  bedingt  hierher  gehört  Augustin  Moreto  y  Cabana 
(1618 — 1669),  der  unvergessene  Dichter  von  „Donna  Diana" 
(Desden  con  el  desden,  wörtlich:  Trotz  wider  Trotz).  Seine 
leicht  karikierende  Manier  wird  aber  nur  höchst  selten  zum 
Grotesken. 

Geschmeidigkeit,  in  der  hergebrachten  Weise  fortzu- 
dichten,  zeigen  mit  den  mehr  äußerlichen  Vorzügen  der 

10  Becker  a.  a.  O.,  S.  83. 

93 


spanischen  Komödie  Matos  Fragoso,  Antonio  Coello,  I.  B. 
Diamante,  Alvero  Cubillo,  Juan  de  la  Hoz,  Luis  Quifiones 
de  Benevente,  der  Meister  des  Entremes  und  zahllose  andere ; 
denn  kein  anderes  Theater  reicht  an  die  Produktivität  des 
spanischen  in  diesem  Jahrhundert  heran.  Wenn  mit  dem 
Tode  Philipps  IV.  seine  Glanzzeit  zur  Neige  ging,  so  fand 
die  nationale  Form  des  Schauspiels  doch  noch  tief  bis  in 
das  achtzehnte  Jahrhundert  hinein  ihre  achtbaren  und  talent- 
vollen Vertreter  in  Fr.  Antonio  de  Bauces  Cändamo,  in 
Jose  de  Canizares  und  in  Antonio  de  Zamora. 

Ganz  langsam,  aber  unaufhaltsam  vollzog  sich  eine  Wand- 
lung des  Geschmackes  in  tonangebenden  Kreisen.  Die 
Volksschauspiele,  an  denen  sich  die  Spanier  aller  Gesell- 
schaftsklassen ergötzt  hatten,  verflachten  immer  mehr  und 
wurden  dem  Volke  allein  überlassen.  1765  erfolgte  das 
Verbot  der  Autos  sacramentales. 

Der  französische  Einfluß  hatte  die  Herrschaft  über  die 
spanische  Bühne  erlangt. 

Doch  der  Sieg  war  nicht  unbestritten  und  schwankte 
oft  zwischen  beiden  Richtungen. 

So  als  Roman  de  la  Cruz  in  seinen  lebensvollen  Skizzen 
mit  drastischem  Realismus  und  packendem  Witz  ein  treues 
Spiegelbild  des  naturwüchsigen  Madrider  Lebens  schuf. 
Alles  jubelte  ihm  zu,  und  eine  neue  Glanzperiode  der 
nationalen  Komödie  schien  angebrochen,  um  so  mehr,  als 
de  la  Cruz  in  dem  Souffleur  am  Theater  in  Cadiz,  Juan 
Ingnacio  Gonzalez  del  Castillo(1763 — 1800),  ein  gleichwer- 
tiger Genosse  erstanden  war. 

Aber  diese  und  spätere  Erfolge  vermochten  dem  Verfall 
der  nationalen  Burlesken-Komödie  immer  nur  auf  kurze 
Zeit  Einhalt  zu  gebieten.  Cosme  und  Graciose  waren  durch 
anspruchsvolle  Herrschaften  in  französischer  Modekleidung 
für  immer  von  ihrem  angestammten  Platz  verdrängt  und 
an  die  Straßenecken,  in  die  Elendviertel,  auf  die  Volksfeste 
und  Jahrmärkte  verwiesen,  wo  sie  sich  noch  heute  ihres 
Daseins  freuen  und  dankbare  Hörer  finden. 
94 


FRANZOSEN 

Das  älteste  Theaterstück  in  französischer  Sprache  ent- 
stand im  zwölften  Jahrhundert.  Es  ist  das  „Adamsspiel". 
Es  bewegt  sich  noch  ganz  im  Stil  der  lateinischen  bi- 
blischen Dramen,  die  in  und  vor  Kirchen  von  und  für 
Kleriker  gespielt  wurden.  Das  alte  komische  Element,  der 
Teufel  und  seine  Unterteufel,  ist  noch  beibehalten.  Gott 
selbst  tritt  hier  handelnd  auf,  wird  als  figura  bezeichnet 
und  tritt,  wenn  er  die  Bühne  verläßt,  in  die  Kirche,  da  sich 
der  Schauplatz  unmittelbar  vor  der  Kirchentüre  befindet. 
Den  Inhalt  des  Adamsspiels  bilden  der  Sündenfall,  Kains 
Mord  und  die  Propheten.  Die  Teufel  laufen  zum  Ergötzen 
der  Zuschauer  umher  und  treiben  allerlei  Allotria. 

Aus  dem  Ende  desselben  Jahrhunderts  ist  uns  das  „Sankt 
Nikolausspiel"  (Ju  saint  Nicolas)  erhalten.  Sein  Verfasser 
war  Jean  Bodel  aus  Arras.    Er  starb  im  Jahre  1210. 

In  diesem  frommen  Spiele  werden  die  komischen  Rollen 
von  einigen  Gaunern  gespielt.  Sie  sprechen  das  Argot,  die 
französische  Gaunersprache,  zum  ersten  Male  auf  der  Bühne. 

Bodel  ließ  bei  dem  Aufbau  der  komischen  Szenen  seiner 
Laune  freien  Lauf,  so  daß  das  derbrealistische  Rankenwerk 
die  ernsten  Teile  überwucherte  und  der  Faden  der  Hand- 
lung unter  den  Beigaben  fast  ganz  verschwand.  Ich  folge 
hier  und  in  dem  folgenden  der  ausgezeichneten  Geschichte 
der  französischen  Literatur  von  Professor  Hermann  Suchier 
und  Prof.  Dr.  Adolf  Birch-Hirschfeld. 

Wenn  Bodel  den  Grundstoff  seines  Stückes  der  Legende 
entnimmt,  so  sieht  Adam  de  le  Haie,  genannt  der  Bucklige 
(f  etwa  1286),  von  jeder  Frömmigkeit  ab  und  bringt  statt 
der  Heiligen  sich  selbst,  seinen  Vater  und  seine  persön- 
lichen Angelegenheiten  vor  das  Auditorium,  und  dies  in 
„Ju  Adan  ou  de  la  fucülie"  (das  Spiel  Adams  oder  das 
Spiel  in  der  Laube).  Die  Gelegenheitsdichtung,  unseren 
Polterabendscherzen  vergleichbar,  ist  wohl  in  dem  lite- 
rarischen Verein  von  Arras,  dem  Puys  Notre  Dame,  kurz 

Puy  genannt,  aufgeführt  worden. 

95 


Als  Personen  treten  auf  Meister  Adam,  der  Dichter  selbst, 
Meister  Henri,  sein  Vater,  fünf  mit  Namen  genannte  Bürger 
von  Arras,  ein  Arzt,  ein  Bettelmönch,  ein  Narr,  dessen 
Vater,  ein  Schenkwirt,  das  Volk  verkörpert  in  einer  Person, 
die  Feen  Morgue,  Maglore  und  Arsile,  der  Bote  Croquesot, 
eine  taubstumme  Blinde,  die  auf  einem  Rade  reitet  und 
Fortuna  darstellen  soll. 

Adam  wünscht  Arras  und  seine  Frau  Maroie  zu  ver- 
lassen, um  in  Paris  zu  studieren.  Sein  Vater  will  jedoch 
kein  Geld  dazu  hergeben,  weil  er  sich  schwach  und  krank 
fühlt.  Der  Arzt  allerdings  erklärte,  er  kranke  an  einem 
Leiden,  Geiz  genannt,  von  dem  auch  noch  zehn  andere  Bür- 
ger der  Stadt,  die  namhaft  gemacht  werden,  befallen  seien. 
So  werden  einzelne  Bürger  und  ihre  Frauen  unter  die  Lupe 
genommen  und  dem  allgemeinen  Gelächter  preisgegeben. 

Das  Maifest  findet  statt,  und  heller  Jahrmarktrummel  bricht 
los.  Ein  Bettelmönch  preist  seine  Reliquien  an,  die  unfehl- 
bar die  Tollheit  kurieren.  Jeder  empfiehlt  seinem  Nach- 
barn, die  Wunderdinge  zu  berühren. 

Es  ist  die  Nacht  des  ersten  Mai,  in  der  die  Feenkönigin 
Morgue  mit  ihren  holden  Begleiterinnen  in  Arras  einzieht, 
um  von  den  für  sie  in  der  Laube  hergerichteten  Speisen 
zu  naschen. 

Als  man  den  Mönch  mit  seinen  Knochen  entfernt  hat, 
hört  man  ein  Geklingel,  und  die  Mesnie  Hellequin,  dem 
wilden  Heere  unserer  Mythologie  entsprechend,  kommt 
herangebraust.  Ihr  folgen  die  Feen.  Sie  kosten  von  den 
Speisen  und  spenden  den  Gästen  allerlei  Glück.  Adam 
bestimmen  sie  dazu,  der  verliebteste  Mann  aller  Länder 
und  ein  guter  Liederdichter  zu  werden. 

Nur  die  Fee  Maglore  ist  erzürnt.  Man  hat  vergessen, 
ihr  ein  Messer  zu  dem  Gedeck  zu  legen.  Sie  verhängt 
daß  Adam,  statt  die  Pariser  Hochschule  zu  besuchen,  in 
der  Arraser  Gesellschaft  verbummeln  und  seinen  Wissens- 
durst und  Lernbegierde  in  den  Armen  seiner  jungen  und 
schönen  Frau  allmählich  verlieren  soll. 
96 


Fortuna  erscheint  und  gesellt  sich  zu  den  Feen,  die  wieder 
den  Schauplatz  verlassen. 

Jetzt  würfeln  alle  die  Zeche  aus,  nur  der  Mönch  schläft. 
Sie  spielen  so  geschickt,  daß  die  ganze  Zahlung  auf  den 
Mönch  fällt.  Er  skandaliert,  und  weil  er  kein  Geld  hat, 
wird  er  gezwungen,  den  Reliquienschrein  zu  versetzen.  Der 
Wirt  nimmt  die  Knochen  an  sich  und  imitiert  die  Tätigkeit 
des  Mönches  unter  allgemeinem  Gelächter.  In  dem  nun 
folgenden  Wirrwarr,  zu  dessen  Entstehen  ein  Narr  das 
Seine  beiträgt,  ertönt  plötzlich  das  Taggeläute  der  St.  Niko- 
lauskapelle. Die  Bürger  brechen  zum  Kirchgang  auf.  Der 
Mönch  findet  schließlich  noch  etwas  Geld,  löst  seinen 
Schrein  wieder  ein  und  zieht  gleichfalls  seiner  Wege. 

Wie  Suchier  findet,  erinnert  das  Lustspiel  an  Aristo- 
phanes.  Es  ist  in  der  mittelalterlichen  Literatur  einzig  in 
seiner  Art,  poesievoll  und  doch  zugleich  satirisch  und  phan- 
tastisch, anmutig  und  boshaft,  fein-  und  grotesk-komisch. 

„Robin  und  Marion"  von  de  la  Haie  ist  ein  Schäferspiel, 
das  außer  den  stereotypen  Namen  des  Schäfers  und  seiner 
Geliebten  und  den  Hauptzügen  der  Handlung  auch  die 
wiederkehrenden  Schlußverse  eines  Liedes  aus  dem  Pasto- 
rale des  Perrin  d'Angecort,  des  Schützlings  von  Karl  von 
Anjou  entlehnt  hat. 

Marion  singt  das  erwähnte  Refrainlied  „Robins  m'aime, 
Robins  m'a  demandee  si  m'ara  („Robin  liebt  mich,  Robin 
hat  mich  begehrt  und  soll  mich  haben"). 

Der  Ritter  erscheint  zu  Pferde,  den  durch  eine  Leder- 
kappe geblendeten  Jagdfalken  auf  der  Hand.  Er  knüpft 
mit  Marion  ein  Gespräch  an  und  begehrt  ihre  Liebe.  Sie 
weigert  sich  jedoch,  ihrem  Robin  untreu  zu  werden.  Kaum 
ist  der  Ritter  fort,  erscheint  Robin.  Sie  berichtet  ihm  von 
dem  Mann  zu  Roß,  der  einen  Fausthandschuh  am  Beine 
und  so  etwas  wie  einen  Weih  auf  der  Faust  trug,  und  daß 
sie  dessen  Liebeswerben  abgewiesen  habe.  Sie  speisen  zu- 
sammen, tanzen  singend  einen  traditionellen  Tanz  mit  allerlei 
Variationen.    Robin  ruft  noch  zwei  Hirten  herbei,  denen  er 

7  97 


von  dem  zudringlichen  Ritter  erzählt,  dann  eine  Freundin 
Marions.  Robin  geht  ab,  da  kehrt  der  Ritter  zurück,  weil 
ihm  sein  Falke  entflogen  ist.  Marion  gibt  ihm  Bescheid, 
wohin  der  Vogel  geraten  sei.  Der  Ritter  aber  erklärt,  an 
dem  Falken  läge  ihm  nichts,  wenn  er  eine  so  schöne  Freun- 
din haben  könne.  Da  kommt  Robin  mit  dem  gefangenen 
Falken.  Der  Ritter  ohrfeigt  ihn,  weil  er  das  Tier  zu  sehr 
drückt.  Marion  eilt  herzu  und  wird  von  dem  Ritter  auf 
das  Pferd  gehoben.  Robin  ruft  seine  Freunde  zu  Hilfe. 
Marion  macht  sich  aber  inzwischen  selbst  von  dem  Ritter 
frei  und  sinkt  in  Robins  Arme.  Nach  diesem  Schluß  der 
Handlung  vergnügen  sich  die  Hirten  noch  mit  Gesprächen, 
Pfänderspielen  und  Tänzen. 

Wir  dürfen  in  dem  anmutigen  Stück  das  älteste  weltliche 
Singspiel  erblicken.  Es  ist  wahrscheinlich  1283  oder  1284 
am  Hofe  Karl  von  Anjous  in  Neapel  aufgeführt  worden. 

Weit  unbedeutender  als  „Robin  und  Marion"  ist  die 
anonyme  Posse  „Der  Knabe  und  der  Blinde",  um  1277 
wahrscheinlich  in  Tournai  gespielt. 

„Ein  junger  Mann  erbietet  sich,  einen  Blinden  zu  führen. 
Statt  sich  indessen  ihm  nützlich  zu  erweisen,  plündert  er 
ihn  aus,  führt  ihn  so,  daß  er  sich  stoßen  muß,  und  schlägt 
ihn,  indem  er  so  tut,  als  rührten  die  Prügel  von  einem 
anderen  her." 

Das  kurze,  nur  270  Verse  umfassende  Stück  ist  von 
einer  Roheit,  hinter  der  die  beabsichtigte  Komik  ganz  ver- 
schwindet. 

Neben  diesen  Possen  fehlt  aber  das  komische  Element 
auch  in  den  Dramen  nicht.  Sie  alle  sind  von  lustigen 
Episoden  durchzogen. 

In  der  „Auferstehung"  von  Jean  Michel,  Stadtarzt  zu 
Angers  und  vielbewundertem  Dichter  von  Passionsspielen 
(t  1501),  sagt  Christus  den  ganzen  Katechismus  her.  Da- 
mit sich  aber  das  Publikum  dabei  nicht  langweile,  wird 
der  Vortrag  häufig  von  einem  Bettler  unterbrochen,  der 
mit  seinem  Knaben  lustige  Trinklieder  anstimmt. 
98 


Doch  das  genannte  Stück  gehört  schon  einer  späteren 
Epoche  an. 

Im  dreizehnten  Jahrhundert  jedoch  finden  wir  zum  ersten 
Male  das  komische  Drama,  die  Farce,  die  von  ihrem  Ur- 
sprungslande alle  Welt  durchziehen  sollte. 

Der  Name  Farce  stammt  vom  lateinischen  farca  für 
farcta,  Partizip  von  farcira,  mit  Latein  untermengen,  eigent- 
lich mit  Füllsel  stopfen.  Er  findet  sich  zum  ersten  Male 
in  der  Urkunde  des  Prevöt  von  Paris  vom  3.  Juni  1398, 
in  der  dieser  den  Parisern  verbietet,  in  Saint-Maure  Farcen 
Heiligenleben  und  ähnliches  ohne  seine  ausdrückliche 
Genehmigung  zu  spielen.  Es  bezieht  sich  wohl  auf  eine 
Untermischung  des  Textes  mit  Brocken  aus  dem  Lateini- 
schen oder  anderen  Sprachen,  wie  dies  ja  besonders  in 
Italien  üblich  wurde,  oder  auch  mit  Liedern.  Man  will  den 
Ursprung  der  Farcen  teils  auf  die  Narrenfeste  des  Mittel- 
alters, teils  auf  komische  Vorträge  der  Spielleute  zurück- 
führen. Beide  Ansichten  können  nebeneinander  bestehen, 
doch  findet  die  zweite  in  erhaltenen  Literaturkomödien 
eher  als  die  erste  eine  Stütze. 

Daß  Spielleute  dramatische  Aufführungen  mit  verteilten 
Rollen  veranstaltet  haben,  ist  nirgends  nachzuweisen.  Sie 
pflegten  überhaupt,  bevor  mehrstimmige  Musikkorps  auf- 
traten, einzeln,  höchstens  zu  zweien  zu  reisen.  Wir  erfahren, 
daß  sie  Puppenspiele  aufführten,  aber  der  Text  war  schwer- 
lich aufgezeichnet. 

Zu  den  Aufgaben  der  Jongleure  und  Menestrels  gehörte 
es,  die  im  Turnier  verwundeten  Ritter  aufzuheitern.  Dazu 
benützten  sie  gern  mimische  Charakterdarstellungen.  Sie 
kopierten  und  karikierten  den  Stutzer,  den  Einsiedler,  den 
Pilger,  oder  andere  geistliche  Personen.  Sogar  über 
kirchliche  Handlungen  zogen  sie  mit  nicht  gerade  feinem 
Spotte  her l. 

Doch  auch  harmloseren  Stoffen  wichen  sie  nicht  aus. 
In  einem  altfranzösischen  Fabliau  wird  erzählt,  wie  die  Jong- 

1  Bretel,  Tournois  de  Chauvenci,  V  4341. 

7*  99 


leure  sich  bemühten,  den  vom  Hausherrn  ausgesetzten  Preis 
zu  erringen.  Einer  spielte  den  Trunkenen,  ein  anderer  den 
Narren.  Im  vierzehnten  Jahrhundert  boten  die  Engländer 
und  die  Bretonen  den  Kopisten  besonders  dankbare  Vor- 
bilder2. 

Dabei  begnügten  sich  aber  die  Artisten  nicht,  nur  Mono- 
loge —  diese  Bezeichnung  wird  erst  im  fünfzehnten  Jahr- 
hundert üblich  —  zu  sprechen,  sondern  sie  brachten  auch 
Dialoge  mit  Stimmenwechsel  zum  Vortrag. 

Ein  Prosastück  dieser  Art  aus  dem  dreizehnten  Jahr- 
hundert ist  „Riote  del  monde"  (Das  Lärmen  der  Welt): 

„Ich  ritt  gerade  von  Amiens  nach  Corbie,  da  begegnete 
ich  dem  König  mit  seinem  Gefolge. 

„Wem  gehörst  du?"  fragte  er. 

Herr,  ich  gehöre  meinem  Herrn. 

„Wer  ist  dein  Herr?" 

Der  Gatte  meiner  Herrin. 

„Wer  ist  deine  Herrin?" 

Die  Frau  meines  Herrn 

„Wie  heißest  du?" 

Gerade  wie  mein  Pate. 

„Wie  heißt  dein  Pate?" 

Genau  wie  ich. 

„Wohin  gehst  du?" 

Ich  gehe  hierhin. 

„Woher  kommst  du?" 

Ich  komme  dorther. 

„Woher  bist  du?" 

Aus  unserer  Stadt. 

„Wo  liegt  deine  Stadt?" 

Rings  um  die  Kirche. 

„Wo  liegt  die  Kirche?" 

Auf  dem  Kirchhof. 

„Wo  ist  der  Kirchhof?" 

2  Reich,  in ,  S.  815. 
100 


Auf  der  Erde. 

„Wo  liegt  die  Erde?" 

Auf  dem  Wasser. 

„Wie  heißt  man  das  Wasser?" 

Das  heißt  man  gar  nicht.  Es  kommt  schon  ungeheißen,  u.a.m. 

Natürlich  fehlte  es  auch  dem  „Riote  del  monde"  nicht 
an  scharf  gewürzten  Stellen.  Sie  sind  nun  einmal  von  der 
Groteske  jener  Zeit  überhaupt,  von  der  des  Spielmanns 
aber  ganz  besonders  vollkommen  unzertrennlich. 

Wie  es  die  deutschen  Fahrenden  noch  im  sechzehnten 
Jahrhundert  trieben,  sei  hier  vorweggenommen. 

Hippolytus  Guarinonius,  so  hieß  der  Mann  wirklich, 
schreibt  in  seinem  einst  sehr  berühmten  Buche  über  „Die 
Grewel  der  Verwüstung  menschlichen  Geschlechts3": 

„Ich  bin  mit  und  bey  gewesen  auff  einer  Hochzeit  am 
andern  Tag,  wellichen  man  allhie  zu  Lande  den  gülden 
Tag  oder  das  Eyer  in  Schmaltz  nennet,  allda  man  den  Spiel- 
leuteh  die  allerschendlichsten  Lieder  an-  und  auffgeben, 
nicht  allein  auff  ihren  Instrumenten  zu  spielen,  sonder  auch 
mit  der  stimme  darein  zu  singen;  deß  aber  nicht  genug 
war,  sonder  ein  ungehobleter  Ehrloser  Schalcksnarr  allda 
zugegen  war,  wellicher  ein  darzu  gerüste  Banck  hette, 
dieselb  mitten  in  die  Stuben  niderstellet,  damit  er  von 
allen  wol  mochte  gesehen  werden,  der  Taffein  aber  vier 
wol  besetzt,  Manns-  und  Weibsbilder  und  Jungfrawen  vor- 
handen waren.  Auff  dieser  Banck  übet  er  dergleichen 
gebärden,  ob  wellichen  ich  noch  in  dieser  stundt  mich  von 
hertzen  schäme  zu  gedencken,  dergleichen  ich  bey  keinem 
Heyden  nie  gelesen  hab,  viel  weniger  glauben  kan,  das 
in  beysein  so  ehrlicher  Personen  jemals  geschehen  sey. 

Was  ist  darnach  geschehen? 

Theils  unter  den  Beysitzern,  die  gröbsten  und  unge- 
hoblesten,  die  schaweten  mit  fleiß  zu  und  hüben  sich  auff 
die  Fuß,  damit  sie  nichts  überseheten,  was  zu  dem  schönen 

8  Ingolstadt,  1610. 

101 


Schawspiel  gehörig,  theils  schaweten  mit  dem  einen  Aug 
darauff,  wie  auch  die  mehreren  Weiber,  denen  ichs  nicht 
für  übel  hab,  weil  ihnen  der  Fürwitz  angeboren.  Was  aber 
die  Jungfrawen  thaten,  das  sag  ich  nicht;  diß  sag  ich  wol, 
das  deren  etliche  gar  kein  Aug  noch  Acht  darauff  gaben. 
Wie  viel  waren  aber  deren,  die  ob  diesem  ehrlosen  Werck 
ein  mißfallen  hetten?  Ich  weiß  es  nicht  für  mein  Theil; 
das  weiß  ich  wol,  daß  ich  zu  einem  Ehrlichen  vom  Adel, 
so  neben  mir  an  der  seyten  saß,  spräche,  er  solle  ein 
wenig  zusehen,  was  diß  für  ein  schöne  Kurtzweil  sey.  Der 
sprach  mit  diesen  Worten:  „Ey,  pfuy,  Pestilentz  den  Schelmen 
ankomme";  der  rufft  und  befahl  ihm,  solle  sich  ehist  mit 
der  Schelmerey  packen  und  auß  dem  Staub  machen,  welliches 
auch  geschehen.  Nach  dem  Tisch  aber,  als  man  zu  Tantze 
gienge,  nahet  ich  mich  zu  ihm  und  sprach:  „Du  Ehrloser 
Tropf,  wann  ich  heut  mein  weib  oder  meine  Töchter  oder 
mein  Blutsverwandte  eine  bey  dieser  Hochzeit  ob  der 
Tafel  gehabt  hette,  so  soltu  wissen,  das  die  heutig  Unzucht, 
so  du  unschambarer  Tropff  getrieben,  dein  lezte  müße  ge- 
wesen sein";  darob  er  erschrack,  sprechend,  er  wolle  es 
so  bald  nimmer  thun.  „Ey  du  Ertztropff,  sprach  ich,  so 
hast  Du  dennoch  im  willen,  du  wolltest  es  noch  üben?" 
„Nein,  mein  Herr,  sprach  er,  ich  wils  gar  nimmer  thun." 
Und  hat  war  geredt,  dann  er  bald  naher  deß  jähen  Tods 
gestorben." 

Wie  sich  aus  solchen  Anfängen  die  Farcen  entwickelt 
haben,  darüber  können  nur  Vermutungen  gehegt  werden, 
da  die  Zwischenglieder  von  Artistenszene  zu  Farce  fehlen. 

Wir  besitzen  reiche  Sammlungen  von  alten  Farcen. 

Eine  Handschrift  aus  Rouen,  die  einst  dem  Herzog  von 
Lavaliiere  gehörte,  enthielt  allein  achtundvierzig. 

Von  gedruckten  Stücken  war  nur  wenig  bekannt.  Da  wurde 
im  Jahre  1845  in  Berlin  auf  einem  Boden  ein  dickleibiger 
Foliant  gefunden,  der  vierundsechzig  Einzelschriften  umfaßte. 
Unter  diesen  waren  einundfünfzig  Farcen,  die  mit  Ausnahme 
von  sechs  ganz  unbekannt  waren.  Die  meisten  waren  in 
102 


Lyon  gedruckt,  sie  datierten  zwischen  1542  und  1548.  Das 
unschätzbar  wertvolle  Werk  gehört  jetzt  nicht  etwa  der  König- 
lichen Bibliothek  in  Berlin  oder  der  Nationalbibliothek  in 
Paris,  sondern  dem  Britischen  Museum  in  London.  Das  ist 
so  schrecklich  grotesk,  aber  gar  nicht  komisch,  daß  für  Geld 
selbst  Unbezahlbares  feil  ist. 

Man  spielte  Farcen  zunächst  zu  Fastnacht,  dann  aber  auch 
bei  Festlichkeiten  der  Städte  oder  Zünfte,  bei  Privatfesten, 
wie  Hochzeiten  und  dergleichen. 

Von  stehenden  Figuren  wäre  nur  der  „Badin"  zu  nennen, 
der  aufgeblasene,  geckenhafte  Dummkopf,  der  überall  in  der- 
selben Tracht  auftrat. 

Eine  der  beliebtesten  Farcen  war  die  „Le  Cuvier"  (das 
Waschfaß)  benannte.  In  ihr  ist  ein  bereits  im  Sanskrit  er- 
zählter Schwank  in  geschickter  Weise  verarbeitet. 

Die  liebe  Schwiegermutter,  die  schon  in  dem  alexandri- 
nischen  Mimus  Hecyra  wie  im  griechisch-römischen  Mimus 
manch  argen  Strauß  auszufechten  gehabt,  kommt  hier  zum 
ersten  Male  auf  die  französische  Bühne.  Mit  ihr  und  seiner 
Gattin  hat  der  arme  Jaquinot  um  die  Herrschaft  im  Hause 
zu  kämpfen.  Die  Weiber  drangsalieren  den  Ehemann  zum 
Steinerweichen.  Er  beschwert  sich,  daß  ihm  alle  weib- 
liche Arbeit  im  Hause  aufgebürdet  wird.  Da  rät  die  Schwieger- 
mutter, um  endlich  allen  Streit  und  Zank  zu  beenden,  Jaquinot 
möge  sich  selbst  ein  Verzeichnis  aller  seiner  Pflichten  an- 
legen. Mehr  als  das,  was  auf  diesem  Register  stehe,  brauche 
er  nicht  zu  tun.  Der  geplagte  Gatte  ist  einverstanden,  und 
Frau  und  Schwiegermutter  diktieren  ihm  nun  eine  end- 
lose Reihe  von  Obliegenheiten.  Dann  macht  man  sich  an 
die  Wäsche.  Während  Jaquinot  am  Waschfaß  steht,  zieht 
er  wohl  die  Wäsche  etwas  zu  straff  an,  und  seine  Frau  purzelt 
in  das  Waschfaß.  Sie  verlangt,  der  Mann  solle  sie  heraus- 
holen. Er  sieht  seine  Liste  durch,  findet  dies  aber  nicht 
darin  verzeichnet.  Cela  n'est  point  a  man  rollet!  —  Auch 
die  Schwiegermutter  kann  beim  besten  Willen  der  Tochter 
nicht  beistehen  und  ihr  helfen.     Da  man  wirklich  auf  die 

103 


Kräfte  Jaquinots  angewiesen  ist,  so  müssen  denn  Frau  und 
Schwiegermutter  ihn  als  Herrn  im  Hause  anerkennen. 

Ohne  Angabe  des  Autors  ist  auch  die  Perle  aller  mittel- 
alterlichen Burlesken  erschienen,  nämlich  die  um  1470  zu- 
erst aufgeführte  „Farce  de  Maistre  Pierre  Pathelin". 

Sie  hat,  dank  einer  Neubearbeitung  durch  den  Abbe 
Brueys  (1704),  ihre  Lebensfähigkeit  bis  auf  die  Gegenwart 
bewahrt.  Wurde  sie  doch  vor  wenigen  Jahren  noch  an  der 
Comedie  Francais  mit  Beifall  aufgenommen. 

Die  Beliebtheit  des  Stückes  war  bald  nach  seiner  Ent- 
stehung ungemein  groß.  Wie  in  Paris,  spielte  man  es  in 
allen  bedeutenderen  Städten  Frankreichs.  Einzelne  Rede- 
wendungen daraus  wurden  zu  geflügelten  Worten,  die  noch 
im  Gebrauche  sind.  So,  „II  convient  rendre  ou  pendre"  und 
besonders  das  auch  im  Deutschen  heimisch  gewordene  „Re- 
venons  ä  nos  moutons",  um  auf  besagten  Hammel  zurück- 
zukommen4. 

Welchen  Anklang  das  Stück  auch  im  Auslande  fand,  ist 
weiter  daraus  zu  ermessen,  daß  der  Humanist  Reuchlin  es  im 
Jahre  1497  von  seinen  Studenten  in  Heidelberg  in  einer 
lateinischen  Umarbeitung  aufführen  ließ,  und  daß  seine  Fabel 
in  den  Literaturen  aller  Weltsprachen  immer  wieder  auftaucht. 

Die  Personen  des  Stückes  sind: 

Maistre  Pathelin,  ein  verarmter  betrügerischer  Schurke  von 
Advokat,  dabei  im  Grunde  eine  lustige  Haut,  ein  Späßchen- 
macher  und  Clown  in  der  Robe,  vollendeter  Meister  der 
Dialektik  und  von  eiserner  Unverschämtheit. 

Seine  Frau  Guillenette,  die  würdige  Gattin  eines  solchen 
Schelms,  von  größter  Verständnisinnigkeit  für  die  pfiffig 
angelegten  Betrügereien  Pathelins. 

Der  Drappier,  der  dummschlaue  Tuchhändler,  der  den 
listigen  Rechtsverdreher  zu  betrügen  vermeint,  aber  gar  bald 
sich  selber  als  betrogen  erkennen  muß;  ein  wundervoll  ge- 
lungener Typus  des  Bourgeois,  der  erfolglos  gegen  den 
Bohemien  ankämpft. 

*  Georg  Büchmann,  Geflügelte  Worte,"  20.  Aufl.,  Berlin  1900,  S.  296. 
104 


Die  Figur  des :  Richters,  der  die  größte  Eile  hat,  den  Pro- 
zeß schnell  abzumachen,  tritt  weniger  bedeutsam  hervor,  ist 
aber  gut  durchgeführt. 

Der  Schuft  von  Bergier,  der  schließlich  selbst  den  Fuchs 
Pathelin  überlistet,  ist  die  sühnende  Gerechtigkeit  des 
Stückes. 

Der  Inhalt  ist  kurz  dieser: 

Pathelin,  dessen  Frau  dringend  eines  neuen  Gewandes 
bedarf,  geht  zur  Verkaufsbude  des  Tuchhändlers  und  weiß 
diesem  durch  seine  Gewandtheit  ein  Stück  Tuch  auf  kurze 
Zahlungsfrist  abzuschwatzen.  Wie  der  Händler  nach  be- 
endigtem Marktgeschäft  zu  dem  Advokaten  kommt,  sein 
Geld  zu  holen  und  zugleich  dessen  Einladung  zu  einer 
gebratenen  Gans  zu  folgen,  findet  er  den  schlauen  Patron 
scheinbar  sterbenskrank  —  seit  elf  Wochen!  —  im  Bett 
liegen,  und  die  Frau  Rechtsanwalt  bestätigt,  daß  ihr  Mann 
weder  heute  noch  sonst  seit  langer  Zeit  sich  aus  dem 
Hause  gerührt  habe.  Unser  Tuchhändler  erbost  sich  hier- 
über nicht  wenig,  beginnt  aber  selbst  allmählich  zu  zwei- 
feln, ob  seine  Sinne  ihn  nicht  betrogen  haben,  denn  die 
Geschicklichkeit,  mit  der  Pathelin  die  Sterbeszene  eines 
Fieberkranken  spielt,  ist  für  den  beschränkten  Tuchhändler- 
verstand zu  groß.  Er  läßt  am  Ende  die  Hoffnung  auf  die 
Erlangung  der  Kaufsumme  fahren  und  tröstet  sich  damit, 
daß  es  vielleicht  der  Teufel  selbst  gewesen  sein  könnte, 
der  ihm  diesen  Schabernack  gespielt.  Da  aber  kommt  für 
den  Betrogenen  ein  neuer  harter  Schlag.  Sein  unehrlicher 
Schäfer,  Thibault  l'Aignelet,  hat  ihm  seine  besten  Schafe 
listigerweise  getötet,  um  sie  zu  verzehren,  und  dem  Be- 
sitzer jahrelang  vorgelogen,  die  Tiere  seien  an  der  Dreh- 
krankheit gefallen.  Aber  nun  ist  er  endlich  von  glaub- 
würdigen Leuten  bei  seinem  schändlichen  Tun  überrascht 
worden  und  soll  vor  Gericht  dem  Tuchhändler  dafür  büßen. 
Der  spitzbübische  Schäfer  begibt  sich  in  seiner  hochnot- 
peinlichen Lage  zu  dem  ebenso  gerissenen  Advokaten 
Pathelin   und  verspricht   ihm  eine  gute  Belohnung,  wenn 

105 


er  ihn  durch  diesen  lebensgefährlichen  Prozeß  glücklich 
und  ungezaust  hindurchbringen  kann.  Pathelin  rät  dem 
Schäfer,  sich  blödsinnig  zu  stellen  und  auf  alle  Fragen 
des  Richters  mit  einem  blökenden  Bäh  zu  antworten. 

Die  List  gelingt.  Der  eilende  Richter,  durch  den  Tuch- 
händler, der  seine  getöteten  Hammel  und  sein  gestohlenes 
Tuch  immer  durcheinander  mengt,  ungeduldig  gemacht, 
spricht  den  Schäfer  kurzerhand  frei. 

Das  Stück  endet  damit,  daß  Pathelin  auf  seine  Mahnung 
an  den  Schäfer,  ihm  nun  den  ausbedungenen  Anwaltsold 
zu  zahlen,  nichts  als  das  angeratene  Bäh  zu  hören  be- 
kommt und  ganz  empört  mit  leeren  Händen  abziehen  muß. 

Besonders  bemerkenswert  ist  auch,  daß  Pathelin  in  der 
Fieberszene  ein  Sprachgemengsel  von  Limousinisch,  Picar- 
disch,  Flamändisch  (Deutsch-Französisch),  Normannisch,  Bre- 
tonisch und  Küchenlatein  radebrecht,  wie  die  Spaßmacher 
in  Italien  und  Spanien5. 

Der  große  und  dauernde  Erfolg  des  Pathelin  eiferte  natür- 
lich zu  Nachahmungen  und  Fortsetzungen  an.  Aber  keiner 
der  Nachahmer  des  Pathelins  hatte  den  Geist  und  den  Witz 
des  Urhebers  dieser  dankbaren  Figur.  Immerhin  sei  eine 
dieser  Fortsetzungen  hier  angeführt,  weil  ihre  Fabel  ent- 
weder den  Schwankbüchern  entnommen  wurde  oder,  was 
allerdings  wahrscheinlicher  ist,  aus  der  Farce  in  diese 
überging. 

In  dieser,  der  neue  Pathelin  (Nouveau  Pathelin)  betitelten 
Farce,  kauft  Pathelin  bei  einem  Rauhwarenhändler  einen 
Pelz,  angeblich  im  Auftrage  eines  Priesters,  der  gerade  eine 
Messe  liest.  Pathelin  schleicht  sich  an  den  Geistlichen  heran 
und  flüstert  ihm  zu,  der  Kaufmann  sei  gekommen,  um  bei 
ihm  zu  beichten.  Er  möge  es  aber  gnädig  mit  ihm  machen, 
denn  der  arme  Kaufmann  sei  leider  verrückt.  Wie  sich 
Pathelin  mit  dem  Pelze  entfernt  hat,  kommt  der  Pelzhändler, 
um  sein  Geld  von  dem  Priester  zu  holen.    Der  Pfarrer  will 

5  Eduard  Engel,  Geschichte  der  französischen  Literatur,  6.  Aufl.,  Leipzig 

1905,  S.  99  ff. 

106 


ihm  durchaus  die  Beichte  abnehmen,  der  Kaufmann  aber 
durchaus  sein  Geld  haben,  was  der  Priester  als  Zeichen 
der  Verrücktheit  ansieht. 

Neben  solchen  weltlichen  Stücken,  die  sich  immer  weitere 
Kreise  des  Publikums  eroberten,  blieben  aber  die  alten  geist- 
lichen Spiele  weiter  bestehen,  wenn  sie  auch  immer  mehr 
verweltlichten. 

Unter  allen  Arten  der  französischen  Schauspiele  war 
übrigens  das  Grotesk-Komische  nirgend  mehr  zu  Hause  als 
in  den  alten  Misterien,  diesen  rohen,  unförmlichen  Spielen 
ohne  Plan,  ohne  Erfindung,  ohne  regelmäßige  Behandlung. 
Ihre  Verfasser  banden  sich  ganz  sklavisch  an  die  historische 
Ordnung.  Die  Auftritte  hatten  selten  Zusammenhang,  und 
die  Handlung  erstreckte  sich  manchmal  über  ein  halbes 
Jahrhundert  und  länger.  Alle  Stellen  der  Bibel  wurden 
wörtlich  angeführt.  Der  Heiland  hielt  Predigten  wie  die 
damaligen  Geistlichen,  halb  lateinisch,  halb  französisch.  Er 
reichte  den  Aposteln  das  Abendmahl;  erschien  bei  der 
Verklärung  auf  dem  Berge  Thabor  zwischen  Moses  und 
Elias  in  der  Kleidung  eines  Karmeliters.  Erfanden  oder 
erdichteten  die  dramatischen  Poeten  ja  etwas  zu  den  bibli- 
schen Erzählungen,  so  verrieten  sie  die  größte  Unwissen- 
heit. Judas  tötet  den  Sohn  des  Königs  Ischariot,  mit 
dem  er  sich  beim  Schachspiel  überwarf;  er  erschlägt  hierauf 
seinen  Vater,  heiratet  seine  Mutter,  bereut  es,  wird  wahn- 
sinnig. Mohammed  mußte  700  Jahre  vor  seiner  Geburt 
erscheinen  und  wurde  unter  die  Götzen  der  Heiden  gezählt. 
Der  Statthalter  von  Judäa  verkauft  die  Bistümer  an  die 
Meistbietenden.  Dies  sollte  vermutlich  eine  Satire  auf  das 
damals  sehr  gewöhnliche  Laster  der  Simonie  sein.  Satan 
bittet  den  Luzifer  um  seinen  Segen.  Wenn  über  das  Kleid 
Christi  das  Los  geworfen  werden  soll,  so  bringt  der 
Teufel  die  Würfel  und  befiehlt  dem  Soldaten,  dem  er 
sie  gibt,  allen  denen,  die  ihn  fragen  würden,  woher  er 
sie  bekommen,  zu  sagen,  daß  sie  ein  Geschenk  von  ihm 
seien. 

107 


Die  Menge  und  Mannigfaltigkeit  der  Handlungen  in  diesen 
Misterien  erforderte  eine  ungeheure  Anzahl  von  Schau- 
spielern. Ein  einziger  Tag  beschäftigte  oft  bei  zweihundert, 
woraus  notwendig  eine  ebenso  lächerliche  wie  unangenehme 
Verwirrung  auf  dem  Theater,  wo  alle  Personen  auf  ein- 
mal erschienen,  entstehen  mußte. 

Die  Bühne  unterschied  sich  ganz  wesentlich  von  der  heu- 
tigen. Der  Szenenwechsel  war  unbekannt.  Es  war  Regel, 
daß  für  jeden  Schauplatz,  über  den  sich  die  Handlung  des 
Stückes  bewegte,  eine  besondere  Bühne  aufgeschlagen 
wurde,  wie  dies  ja  auch  in  Spanien  der  Fall  war.  Diese 
Teile  der  Gesamtbühne  wurden  Mansionen  genannt.  Alle 
diese  Mansionen  sah  der  Zuschauer  das  ganze  Stück  hin- 
durch nebeneinander. 

Gespielt  wurde  gewöhnlich  nur  an  einer  Stelle  der  Bühne. 
An  den  übrigen  befanden  sich  inzwischen  die  nach  der 
Annahme  des  Dichters  dort  wohnhaften  Personen,  z.  B. 
der  König  in  seinem  Palaste,  der  Papst  in  Rom,  Gott  mit 
seinen  Engeln  im  Himmel,  der  Teufel  in  der  Hölle.  Einige 
dieser  Mansionen  konnten  geschlossen  werden  und  den 
Schauspieler  auf  kurze  Zeit  den  Augen  des  Publikums  ent- 
ziehen. In  einem  solchen  Abteil  gebar  die  heilige  Anna 
auf  der  Bühne  hinter  zugezogenen  Vorhängen. 

Die  einzelnen  Mansionen  waren  gezimmert,  um  den  Schau- 
spielern einen  Sitz  bieten  zu  können,  doch  war  der  vordere, 
dem  Publikum  zugekehrte  Teil  dekoriert.  Die  Dekorationen 
wurden  feinies,  d.  h.  Verstellungen  genannt. 

An  den  Mansionen  waren  zuweilen  Zettel,  escritel,  be- 
festigt, auf  denen  der  Name  des  dargestellten  Ortes  zu 
lesen  war.  So  Lenfer  über  dem  gewaltigen  Rachen  eines 
Drachen,  der  den  Eingang  zur  Hölle  darstellt,  dann  Paradis, 
Nazareth,  Hierusalem,  La  mer,  une  salle  usw. 

Es  gab  auch  einen  Hauptplatz,  campus  oder  circulus 
genannt,  der  zwischen  den  Mansionen  lag.  Über  ihn  mußten 
die  von  einer  Mansion  zur  andern,  etwa  von  Rom  nach 
Jerusalem  oder  Bethlehem  Wandernden  hinwegschreiten. 
108 


Gelegentlich  wurde  auch  die  Handlung  dorthin  verlegt.  Da 
in  diesen  Misterien  auch  oft  die  Hölle  gebraucht  wurde, 
öffnete  man  in  solchen  Fällen  eine  Falltüre,  worauf  sich 
eine  Höhle  in  Gestalt  eines  Drachenschlundes  zeigte,  aus 
dem  die  Teufel  und  Ungeheuer  hervorkamen.  Zu  den  ver- 
schiedenen Veränderungen  des  Theaters  bediente  man  sich 
der  Hebel  und  Gegengewichte. 

Ehe  die  Vorstellung  eines  Stückes  begann,  saßen  die  Mit- 
spielenden vor  der  Bühne  auf  Stufen,  von  denen  sie  in  der 
Reihe,  wie  es  ihre  Rollen  erforderten,  auf  die  Bühne  stiegen. 
Die  Dialoge  wechselten  mit  Gesängen.  Wenn  Gott  seinen 
Willen  kund  tat,  geschah  dies  meist  durch  ein  Trio,  das 
aus  Diskant,  Alt  und  Baß  bestand. 

Zur  Aufführung  wählte  man  gewöhnlich  den  Platz  neben 
einer  Kirche.  In  der  Regel  waren  Schauspieler  und  Publi- 
kum während  der  Vorstellungen  allen  Störungen  von  Wind 
und  Wetter  preisgegeben,  und  ein  Platzregen  konnte  die 
Aufführungen  an  den  schönsten  Stellen  unliebsam  unter- 
brechen, ja  eine  Fortsetzung  am  selben  Tage  unmöglich 
machen. 

Die  Kostüme  mußten  sich  die  Darsteller  meist  aus  eigenen 
Mitteln  anfertigen  lassen.  Nur  einzelnen,  die  zu  arm  waren, 
schoß  wohl  ein  wohlhabender  Kunstfreund  das  Geld  dazu 
vor.  Unbemittelte  traten  besonders  als  Teufel  auf.  Man 
sagt  noch  jetzt:  ein  armer  Teufel! 

Waren  die  Proben,  die  sogenannten  recors  oder  records, 
weit  vorgeschritten  und  der  Tag  der  Aufführung  nahe,  so 
veranstaltete  man  eine  mon(s)tre,  d.  h.  einen  feierlichen 
Umzug  durch  die  Stadt,  wobei  alle  Schauspieler  in  ihren 
Kostümen  mittaten.  Den  Zug  eröffnete  gewöhnlich  Gott- 
Vater,  während  der  Henker  und  die  Teufel  den  Schluß 
bildeten. 

Der  Zudrang  zu  den  Schaltern,  an  denen  die  Eintritts- 
karten ausgegeben  wurden,  war  groß.  Sagte  man  doch  in 
kleineren  und  mittleren  Städten,  daß  die  Hälfte  der  Ein- 
wohner auf  der  Bühne  stände,    um  die  andere  Hälfte  im 

109 


Zuschauerraum  zu  ergötzen.  Auf  den  geringeren  Plätzen 
waren  keine  Sitzgelegenheiten  vorhanden.  Wie  in  den 
Hörsälen  der  Pariser  Universität  und  in  den  Kirchen  war 
auf  dem  Fußboden  eine  Streu  von  Blättern  und  Stroh  aus- 
gebreitet, auf  die  sich  das  Publikum  knien,  setzen  oder 
legen  konnte. 

Aus  den  Parlamentsregistern  zu  Paris  geht  hervor,  daß 
man  in  der  Fastenzeit  für  eine  einzige  Loge  in  den  Mysterien 
50  Taler  bezahlte.  Allein  da  die  Passionsbrüder  hierin  zu 
geschäftstüchtig,  befahl  das  Parlament,  von  keinem  Zu- 
schauer mehr  als  zwei  Sols  zu  nehmen. 

Das  Spiel  begann  morgens  um  7  Uhr  und  währte  bis 
zum  Sonnenuntergang  oder  auch  von  9 — 5  Uhr.  Nur  mit- 
tags wurde  eine  Essenpause  gemacht  und  von  der  Bühne 
herab  angekündigt.  Die  Schauspieler  ließen  sich  auf  der 
Bühne  ihr  Mittagsbrot  schmecken,  häufig  angesichts  der 
Zuschauer,  die  sich  vorsorglich  ihren  Freßkober  mit  in  das 
Theater  genommen  hatten  —  wie  es  in  Berlin  bisweilen 
noch  jetzt  vorkommen  soll. 

Von  einem  Vorhang  ist  noch  sehr  lange  keine  Rede. 
Der  Stil   dieser  Misterien  war  oft   recht  sonderbar.    In 
einem  Misterium  kündigt  der  Erzengel  Gabriel  Maria  die 
Empfängnis  folgendermaßen  an: 

Ave,  pour  Salutation, 

Je  te  salue  d'affection; 

Maria,  vierge  tres  benigne, 

Gratia  par  infusion 

De  grace  acceptable  et  condigne, 

Plena  par  la  vertu  divine 

Pleine  quand  dedans  toy  recline 

Dominus  par  dilection: 

Nostre  Seigneur  fait  un  grand  signe 

Tecum  d'amour  quand  il  assigne 

Avec  toy  sa  permancion. 
Maria   soll   verheiratet   werden;    Gabriel  befiehlt   allen 
ledigen  Juden,  sich  mit  einer  Rute  in  der  Hand  im  Tempel 
110 


&W  fi&tyffp 


Altfranzösischer  Sot 

Nach  einer  Handschrift  aus  dem  15.  Jahrhundert 

Links  neben  der  Figur:  Stultus  stultissimus 


einzufinden.  Derjenige,  dessen  Rute  grünen  wird,  soll  sie 
zur  Frau  bekommen.  Es  geschieht,  wie  er  befohlen,  und 
Maria  wird  dem  Joseph  zuteil,  weil  dessen  Zweig  grünte. 

Oft,  wenn  ein  Märtyrer  gegeißelt  oder  Christus  gekreuzigt 
wird,  liest  man  zwischen  zwei  Klammern  die  Anmerkung: 
hier  redet  der  Narr  (sot).  Dieser  Narr  war  der  Lustigmacher, 
der  Hanswurst,  der  mit  plumpen  Scherzen  das  Trauerspiel 
zu  beleben  suchte.  Dieser  Sot  war  oft  in  dem  Misterium  der 
einzige  Schauspieler  von  Beruf  unter  lauter  Dilettanten,  die 
ihn  denn  auch  gerne  sprechen  ließen,  wenn  dem  Publikum 
eine  Mitteilung  zu  machen  war. 

Die  ungeheuerlichste  Mischung  des  Komischen  mit  dem 
Tragischen  findet  man  allenthalben  in  diesen  Spielen. 
So  unterhalten  sich  z.  B.  in  einem  Misterium  des  Jean 
Michel  „Vom  Leiden  und  der  Auferstehung  Christi"  Gott, 
Christus,  Luzifer,  Magdalena  und  ihr  Liebhaber.  Satanas 
hinkt  von  den  Prügeln,  die  ihm  Luzifer  verabfolgt,  weil  er 
Christus  vergeblich  versucht  hat.  Die  Tochter  des  kana- 
näischen  Weibes,  vom  Teufel  besessen,  wird  gemein. 
Magdalena  wird  von  einem  Liebhaber  geküßt.  Die  Seele 
des  Judas,  die  nicht  zum  Munde  ausfahren  kann,  fällt 
mit  den  Eingeweiden  zum  Bauche  heraus.  Christus  fliegt 
auf  den  Schultern  des  Satans  auf  die  Zinnen  des  Tempels 
u.  a.  m.  Selbst  manche  Fehler  der  Maler  sind  durch  diese 
Misterien  verursacht,  die  ihren  Stoff  nicht  nur  der  Heiligen 
Schrift  entnahmen,  sondern  auch  der  Legende  und  abge- 
schmackten Mönchsfabeln.  Daraus  entstand  ein  wunder- 
bares Gemisch  von  Wahrem  und  Falschem,  Komischem  und 
Ernsthaftem,  das  damals  von  der  lieben  Einfalt  bewundert 
wurde.  So  wird  in  einer  solchen  Misterie  erzählt,  daß  bei 
Gelegenheit  der  Geburt  Maria  Joachim  und  Anna  sich 
wegen  ihrer  unfruchtbaren  Ehe  eine  Zeitlang  getrennt  hätten. 
Endlich  sei  dem  Joachim  ein  Engel  erschienen  und  habe 
ihm  angekündigt,  sein  Gebet  sei  erhört  worden ;  zum  Zeichen 
soll  er  in  den  Tempel  gehen,  wo  er  Anna  bei  der  ver- 
goldeten Türe  finden  und  durch  einen  Kuß  fruchtbar  machen 

111 


" 


würde.    Dieses  hat  der  alte  Dichter  gar  erbaulich  auf  die 
Bühne  gebracht.    Anna  und  Joachim  treffen  sich  bei  der 
goldenen  Türe   und  freuen  sich  beiderseits  über  ihre  Zu 
sammenkunft. 

Anne: 

Joachin,  mon  amy  tres  doulx 

Honneur  vous  fais  et  reverence. 
Joachin : 

Anne,  m'amye,  votre  presence 

Me  plaits  tres-forts,  approchez  vous. 
Anne: 

Helas !  que  j'ai  eu  de  courroux, 

Et  de  souci  pour  votre  absence! 

Joachin,  mon  amy  tres  doulx 

Honneur  vous  fais  et  reverence. 
Es  ist  tatsächlich  ein  Gemälde  vorhanden,  das  diese  Szene 
schildert,  mit  der  Unterschrift:  Ainsi  fut  concue  la  Vierge 
Marie. 

In  den  Misterien  waren  besonders  die  Teufel  dem  Volke 
sehr  willkommen,  die  ihm  wegen  ihrer  abscheulichen  Ge- 
stalt, Schwänze,  Hörner,  Reden  und  Gebärden  außerordent- 
lich gefielen,  denn  sie  vergegenwärtigten  die  lustigen  Per- 
sonen. Man  nannte  auch  wohl  ein  solches  Misterium:  Die 
große  Teufelei  (la  grande  Diablerie)  und  glaubte,  eine 
schöne  Misterie  müsse  wenigstens  'vier  Teufel  aufweisen. 
Daher  ist  das  Sprichwort  entstanden :  Faire  le  Diable  a  quatre. 
Rabelais  spricht  auch  von  der  großen  Teufelei  mit  vier  Per- 
sonen. 

In  der  Misterie  de  Tassomption  schickt  Luzifer  dem  Satan 
folgenden  offenen  Brief,  um  den  Triumph  der  Maria  zu  hin- 
tertreiben : 

Lucifer,  Prince  general 

De  Thorrible  gouffre  infernal, 

Pour  salutation  nouvelle, 

Malediction  eternelle; 

Scavoir  faisons,  qu'en  nostre  höstel, 
112 


Oü  il  y  a  maint  tourment  cruel, 

En  personnes  sont  comparus 

Un  grand  tas  de  diables  plus  drus, 

Que  moucherons  en  air  volant 

Devant  nous;  en  constituant 

Leur  Procureur  irrevocable, 

Fonde  en  puissance  de  diable 

Satan,  nostre  conseil  feal 

Luy  donnant  pouvoir  general 

De  procurer  toutes  matieres, 

Soyent  parties,  ou  entieres, 

Dont  il  nous  peut  soudre  profit; 

Premierement  par  cet  escript, 

De  procurer  pour  gens  d'eglise, 

En  Symonie  et  convoitise, 

Soyent  Evesques  ou  Prelatz, 

Curez,  Prestres  de  tous  estatz, 

Qui  sont  subjects  ä  notre  court 

Et  de  procurer  brief  et  court 

Pour  haultains  Princes  terriens 

Qui  se  gouvernent  par  moyens 

D'orgueil  et  de  Presomption, 

Qui  ne  quierent  que  ambition, 

Pour  vivre  en  plaisance  mondaine, 

Et  n'ont  jamais  leur  bourse  pleine. 
Mit  Vorliebe  wurden  die  Geistlichen  verspottet.     Man 
sieht  dies   auch  aus   der  Misterie  vom  hl.  Christoph,  wo 
Satan  dem  Luzifer,   die  Seele  eines  Priesters  bringt: 

Lucifer,  veci  venaison, 

Qui  ne  veut  que  vin  et  vinaigre. 

Je  ne  sais  s'elle  est  de  saison; 

C'est  un  bigard,  qui  est  bien  maigre. 

Je  Tai  empoigne  ä  ce  vepre. 

Si  lui  faut  faire  sa  raison, 

Puisqu'  on  le  tient,  le  maitre  Pretre, 

Car  il  ne  pire  que  poison. 

8  113 


In  den  Riesen-Misterien  der  zwei  Brüder  Arnold  und 
Simon  Greban  aus  Le  Mans,  von  denen  eines  494  Darsteller 
und  vierzig  Aufführungstage  erforderte,  kommen  ganze 
Heere  von  Teufeln  vor,  die  sich  ungemein  lustig  gebärden. 
Unter  andern  singen  sie  folgendes  Lied: 

Plus  en  a  plus  en  veut  avoir 
Luciferus  notre  grand  diable: 
Quand  il  voit  les  ames  pleuvoir, 
Plus  en  a  plus  en  veut  avoir; 
Toujours  il  en  veut  recevoir, 
Car  il  en  est  insatiable: 
Plus  en  a  plus  en  veut  avoir 
Luciferus  notre  grand  diable. 

Die  Teufel  vollführen  dabei  eine  Art  von  Rundtanz  und 
machen  einen  solch  höllischen  Lärm,  daß  Luzifer  und  sein 
Hund  Zerberus  alle  Mühe  haben,  sie  zum  Schweigen  zu 
bringen. 

Der  Dichter  Francois  Villon,  ein  verlorenes  Subjekt, 
eine  Art  Nachzügler  der  fahrenden  Schüler  des  Mittelalters, 
soll  einst  mit  Mühe  dem  Galgen  entgangen  sein,  wenn 
wir  der  von  ihm  selbst  gedichteten  Grabschrift  glauben 
dürfen : 

Ich  bin  der  Franz,  so  leid  mir's  tut, 
Dazu  ein  echt  Pariser  Blut. 
Ein  Ruck  nur  fehlt,  ein  Ruck  am 

Strick, 
Weiß  mein  Genick,  wie  schwer 

mein  Rück. 

Das  Pech,  zum  Tode  verurteilt  zu  werden,  soll  ihm 
widerfahren  sein,  weil  er  in  der  Notwehr  einen  Priester 
lebensgefährlich  verwundete. 

Von  ihm  erzählt  Rabelais6,  daß  er  sich  in  seinen  alten 
Tagen  nach  Saint-Maixent  in  Poitou  begeben,  wo  er  seine 

8  Regis  IL  Bd.,  S.  77  ff. 
114 


Tag  unter  dem  Schutze  des  Abtes  ruhig  verlebte.  Um 
dort  dem  Volke  einen  Zeitvertreib  zu  bereiten,  nahm  er 
sich  vor,  die  Passion  in  der  Mundart  von  Poitou  spielen 
zu  lassen.  Als  er  die  Rollen  ausgeteilt  und  das  Theater 
aufgeschlagen  hatte,  fehlte  ihm  nichts  als  die  Kleidung 
für  die  Schauspieler.  Er  ersuchte  den  Frater  Stephan 
Turncül,  den  Sakristan  der  Franziskaner,  ihm  eine  Kutte 
und  ein  Meßgewand  für  einen  alten  Bauer  zu  leihen,  der 
Gott-Vater  darstellen  sollte.  Turncül  schlug  es  ihm  ab 
und  sagte,  es  wäre  durch  die  Provinzialstatuten  auf  das 
schärfste  verboten,  den  Schauspielern  geistliche  Gewänder 
zu  geben.  Villon  versetzte,  dies  Verbot  beträfe  bloß  die 
Farcen,  Mummereien  und  liederlichen  Spiele,  keineswegs 
aber  die  Misterien;  so  würde  es  in  Brüssel  und  an  an- 
deren Orten  gehalten.  Turncül  aber  blieb  dabei,  daß  er 
aus  seiner  Sakristei  nichts  haben  sollte.  Villon  erzählte 
dies  voll  Ärger  seinen  Schauspielern  und  meinte  dabei,  Gott 
würde  ehestens  den  Turncül  bestrafen. 

Den  folgenden  Sonnabend  erfuhr  Villon,  Turncül  sei 
auf  der  Klosterstute  nach  Saint-Ligaire  geritten,  um  Al- 
mosen zu  sammeln,  und  würde  um  zwei  Uhr  nachmittags 
zurückkommen.  Hierauf  zog  er  mit  seiner  Teufelei  durch 
die  Stadt  und  über  den  Markt.  Die  Teufel  waren  alle  mit 
Wolfs-,  Kälber-  und  Widderhäuten  bekleidet,  mit  Schafs- 
köpfen und  Ochsenhörnern  behangen,  mit  Riemen  umgürtet, 
an  denen  Kuhschellen  und  Mauleselglocken  hingen,  die  ein 
schreckliches  Getöse  machten.  Einige  trugen  schwarze 
Knüppel  voller  Raketen  in  den  Händen,  andere  ange- 
brannte Stücke  Holz.  Auf  den  Kreuzwegen  streuten  sie 
ganze  Hände  voll  Pech  und  Harz  aus,  das  einen  abscheu- 
lichen Dampf  verursachte. 

Nachdem  er  sie  nun  zum  großen  Vergnügen  des  Pöbels 
und  zum  Schrecken  der  kleinen  Kinder  durch  die  Stadt 
geführt,  brachte  er  sie  endlich  vors  Tor  in  ein  Wirtshaus, 
das  auf  dem  Weg  nach  Saint-Ligaire  lag,  um  sie  zu  be- 
wirten. Hier  entdeckte  er  in  der  Ferne  den  zurückkehren- 
8»  115 


den  Turncül  und  sagte  zu  den  Teufeln  in  maccaronischen 

Versen: 

Hie  est  de  patria,  natus  de  gente  Halunca, 
Qui  solet  antiquo  Brockos  portare  Tornistro 7 

„Gotts  Tod!"  schrien  da  die  Teufel,  „er  hat  Gott  dem 
Vater  nicht  einmal  eine  lausige  Franziskanerkutte  leihen 
wollen;  wir  müssen  ihn  dafür  schrecken!"  „Gut,"  antwortete 
Villon,  „aber  wir  wollen  uns  unterdessen  verstecken,  bis  er 
vorbeikommt." 

Als  Turncül  ankam,  sprangen  sie  alle  mit  großem  Ge- 
räusch heraus  auf  die  Straße,  warfen  von  allen  Seiten  auf 
ihn  und  seine  Stute  Feuer,  machten  ein  greuliches  Geklingel 
mit  ihren  Schellen  und  schrien:  „Ho,  ho,  ho,  ho,  brurrurr, 
rrrurrr,  rrrurrr,  hu,  hu,  hu,  ho,  ho,  ho!  Bruder  Stephan, 
spielen  wir  den  Teufel  gut?" 

Die  Stute  fing  an  zu  galoppieren,  schlug  hinten  und  vorn 
aus  und  warf  den  Turncül  herunter,  ob  er  sich  gleich  fest 
an  dem  Sattelknopf  hielt.  Sein  gegitterter  Schuh  verwickelte 
sich  so  fest  in  den  Steigriemen,  die  aus  Stricken  bestanden, 
daß  er  ihn  nicht  loskriegen  konnte,  und  so  schleppte  ihn 
die  Stute  über  Stock  und  Stein,  daß  ihm  Kopf,  Arme  und 
Beine  abgerissen  wurden.  Als  die  Stute  wieder  in  das 
Kloster  zurückkam,  brachte  sie  von  dem  armen  Turncül 
nichts  mit,  als  den  rechten  Fuß  und  einen  zusammenge- 
drückten Schuh. 

Neben  dem  Sot  und  den  Teufeln  spielte  in  den  Mysterien 
oft  ein  blinder  Bettler,  wie  in  der  ältesten  französischen 
Posse,  den  Komiker.  Ferner  waren  der  Henker  Daru  und 
der  Hirt  Rifflart  in  komischen  Partien  sehr  beliebt. 

Aus  den  bisherigen  Angaben  über  die  alten  französi- 
schen Mysterien  wird  man  beurteilen  können,  ob  Voltaires 
Urteil  über  sie  begründet  war  oder  nicht.  Er  schrieb  an 
den  Herzog  de  la  Valiere:    „In  den  Mysterien   steht  kein 

7  Das  ist  der  Erzhalunke  von  Vaters  Beinen  her! 
Die  fetten  Bettelbrocken  im  alten  Sacke  trägt  er.     Regis. 
116 


Wort,  das  die  Schamhaftigkeit  und  Frömmigkeit  beleidigen 
würde.  Vierzig  Personen,  die  diese  geistlichen  Schauspiele 
darstellen,  können  sich  nicht  verbinden,  ihre  Stücke  durch 
Unanständigkeiten  zu  entehren,  die  das  Publikum  gegen 
sie  würde  aufgebracht  und  verursacht  haben,  daß  man  ihr 
Theater  geschlossen  hätte." 

Ist  es  nicht  gerade  deswegen  geschlossen  worden? 

Aus  den  Händen  der  Geistlichen  und  Zufallsschauspieler 
gingen  die  Rollen  bald  in  die  Hände  von  solchen  Dilettanten 
über,  die  sich  zu  Vereinen  zur  Pflege  der  dramatischen 
Kunst  zusammentaten,  wie  die  bereits  erwähnten  Puys  in 
Le  Puy-Notre-Dame.  So  spielte  die  Confrerie  der  Schuh- 
macher 1443  in  Paris  das  Leben  ihrer  Schutzheiligen  Krispin 
und  Krispinian,  die  Confrerie  der  Maurer  und  Zimmerleute 
ebenda  gegen  1512  das  Leben  Ludwigs  IX.,  und  dies  eine 
lange  Reihe  von  Jahren  hindurch. 

Als  ihren  Hauptzweck  sahen  das  Theater  die  berühmten 
Passionsbrüder  an,  denen  Karl  VI.  am  4.  Dezember  1402 
für  Paris  und  die  Bannmeile  ein  Privileg  zur  Aufführung 
geistlicher  Spiele  erteilt  hatte.  Der  Verein  heißt  in  der 
Urkunde  La  Confrarie  de  la  Passion  et  Resurreccion  Nostre 
Seigneur. 

Die  Passionsbrüder  schlugen  in  dem  Hopital  de  la  Trinite 
ihre  Bühne  auf,  wo  sie  weit  über  ein  Jahrhundert,  bis 
1539,  gegen  Eintrittsgeld  an  Sonn-  und  Festtagen  spielten. 
Dieses  Hopital,  das  sie  den  Prämonstratensern  abgemietet 
hatten,  lag  dicht  vor  der  Porte  Saint  Denis  und  war  ein 
Gasthaus  für  Reisende,  die  nach  Schließung  der  Stadttore 
vor  Paris  eintrafen.  In  dem  erwähnten  Privileg  finden  sich 
zuerst  mehrtägige  Aufführungen  erwähnt. 

Wie  in  Paris,  wurden  dann  auch  anderwärts  dramatische 
Gesellschaften  unter  dem  Namen  Passionsbruderschaften  ge- 
gründet. Die  Passionsbrüder  von  Rouen  entwarfen  bereits 
im  September  1374  ihre  Satzungen.  Sie  spielten  nur  ein- 
mal im  Jahre. 

117 


Die  Bühne  der  Passionsspieler  war  so  eingerichtet,  daß 
ganz  unten,  den  Zuschauern  zunächst,  sich  die  Hölle  mit 
den  Teufeln  befand,  die  dort  ihre  Tollheiten  trieben.  Den 
Hauptraum  nahm  die  Erde  ein.  Darüber  befand  sich  im 
Hintergrund  das  Paradies,  zu  dem  man  auf  Treppen  hinauf- 
stieg, daher  noch  jetzt  der  Ausdruck  Paradies  vom  obersten 
Teil  eines  Theaters,  in  Wien  Juchheh  genannt,  gebraucht 
wird. 

Von  dem  Repertoire  der  Confreres  besitzen  wir  das 
Misterium  vom  heiligen  Ludwig,  das  vom  Alten  Testament 
und  den  Monolog  des  durchreisenden  Pilgers.  Dieser 
Monolog  aus  dem  Le  pelerin  passant  ist  mehr  politische 
Satire  als  geistliches  Spiel.  Er  zeichnet  den  König  und 
andere  hochstehende  Persönlichkeiten,  indem  er  sie  als 
Wirtshausschilder  aufführt. 

„Der  Pilger  hält  sich  im  Schild  von  Frankreich  auf,  wo 
der  Wirt,  d.  h.  der  König,  überaus  geizig  ist.  Dann  im 
Schild  von  Bretagne,  d.  h.  der  Königin,  wo  man  nur  Bretonen 
gut  aufnimmt,  im  Delphin,  d.  h.  beim  Dauphin,  dem  späteren 
Franz  I.,  endlich  im  Roten  Hut,  d.  h.  beim  Kardinal  Minister 
von  Amboise." 

Eine  andere  Gesellschaft  bildeten  die  Clercs  oder  Ge- 
richtsschreiber und  Gehilfen  der  Prokuratoren  des  Pariser 
Parlaments,  die  Basoche,  später  auch  Basoche  du  Palais 
genannt.  Sie  standen  unter  einem  Roi  und  besaßen  man- 
cherlei Privilegien,  z.  B.  das  Recht  Münzen  zu  prägen. 

Sie  führten  zu  Fastnacht  eine  sogenannte  cause  grasse 
auf,  einen  fingierten  Prozeß  voll  toller  Einfälle  und  Possen. 
Daneben  spielten  sie  aber  auch  Dramen,  moralites,  da 
Mysterien  laut  Privileg  nur  von  den  Passionsbrüdern  darge- 
stellt werden  durften,  daneben  auch  Farcen.  Am  l.Mai  1486 
wurde  ein  Stück  mit  so  kühnen  politischen  Anspielungen 
gebracht,  daß  sein  Verfasser,  Henri  Baude,  verhaftet  wurde. 
Eine  ihrer  beliebtesten  Farcen,  Le  cry  de  la  Basoche  (Der 
Aufruf  der  Basoche),  ging  zu  Fastnacht  1548  zum  ersten 
Male  in  Szene. 
118 


Die  Spiele  der  Basoche  lassen  sich  bis  zum  Jahre  1582 
verfolgen.  Die  Gesellschaft  selbst  ging  erst  in  den  Wogen 
der  Revolution  für  immer  unter. 

Neben  der  Basoche  gab  es  noch  die  Petite  Basoche 
(Kleine  Basoche).  Sie  rekrutierte  sich  aus  den  Gerichts- 
und Rechtsanwaltsschreibern  des  Chätelet.  Sie  war  der 
Basoche  du  Palais  untergeordnet.  Auch  in  den  Provinzen 
tauchten  Basochiens  auf.  Die  Basoche  von  Rouen  spielte 
eine  Farce  „Les  sobres  sots"  (Die  nüchternen  Narren), 
deren  Niederschrift  noch  vorhanden  ist. 

Eine  weitere,  der  Basoche  untergeordnete  Gesellschaft 
war  die  der  Kinder  oder  Burschen  ohne  Sorgen  (Enfants 
oder  Galants  sans  souci).  Es  waren  meist  unbemittelte 
Pariser,  die  diesen  Theaterverein  gegründet  hatten.  Sie 
führten  Possen  auf  oder  spielten  berufsmäßig  den  Narren 
(sot  oder  fol).  Diese  Narren,  mehr  Artisten  als  Schauspieler, 
machten  allerlei  Sprünge  —  daher  das  Wortspiel  sot  (Narr) 
und  saut  (Sprung)  —  und  Gaukelkünste.  Sie  trugen  einen 
halb  gelben,  halb  grünen  Anzug  —  diese  Farben  bedeuten 
Freude  und  Hoffnung  —  und  eine  eng  das  Haupt  um- 
schmiegende, haubenartige  Kopfbedeckung  mit  Eselsohren 
und  Schellen.  Das  Wams  war  unten  krausenförmig,  die 
Ärmel  an  den  Ellbogen  spitz  zulaufend.  Später  erhielten  sie 
die  Marotte,  einen  kurzen  Stock  mit  geschnitztem  Narren- 
kopf. Ihre  Fußbekleidung  bestand  aus  übermäßig  langen 
Schnabelschuhen. 

Sie  besaßen  ein  Haus  in  Paris,  das  Haus  der  Sots  atten- 
dans  genannt,  in  dem  wahrscheinlich  die  gymnastische  Aus- 
bildung der  Sots  vor  sich  ging. 

Die  Passionsbrüder  und  Basochiens  liehen  sich  von  den 
Enfants  sans  souci  die  Sots,  die  sie  in  ihren  Vorstellungen 
auftreten  ließen. 

An  der  Spitze  der  Basochiens  stand  der  prince  de  sotz. 
Als  zweiter  Vorsitzender  amtierte  die  Mere  sötte.  Da  aber, 
wie  in  Athen  und  Rom  auch  in  Frankreich  anfangs  nur 
Männer  auf  der  Bühne  erscheinen  durften,  fanden  die  Frauen 

119 


keine  Aufnahme  in  den  den  Theaterspielen  gewidmeten 
Vereinen.  Deshalb  war  auch  diese  Narrenmama  ein  Ver- 
treter des  starken  Geschlechts.  Pierre  Gringoire,  der  letzte 
bedeutende  Vertreter  der  mittelalterlichen  Bühne  (f  um 
1539),  bekleidete  lang  dieses  Amt. 

Nach  1632  stellten  die  Enfants  sans  souci  ihre  Spiele  ein. 

Durch  ihre  Gastspielreisen,  die  sie  nach  allen  französischen 
Städten  brachten,  wo  Misterien  aufgeführt  wurden,  verpflanz- 
ten sie  Pariser  Sitten  in  die  Provinz.  Sie  fanden  daher  bald 
Nachahmer.  So  tat  sich  in  Dijon  eine  Infanterie  zusammen, 
mit  dem  Wahlspruch:  Stultorum  numerus  est  infinitus  (Der 
Narren  Zahl  ist  unendlich). 

Ihre  Narrenfeste  hielten  sie  am  Neujahrstage,  wohl  auch 
noch  am  folgenden  Tage  ab,  während  anderwärts  die  Narren- 
zeit von  Weihnachten  bis  Epiphania  währte,  so  in  Rouen. 

Dort  stand  eine  fidele  Gesellschaft,  Cornards  oder  Co- 
nards,  wohl  nach  den  Cornes,  den  Ohren  auf  der  Narren- 
kappe genannt,  unter  einem  Abt.  Ihre  Vereinstracht  war 
den  geistlichen  Gewändern  nachgebildet,  ebenso  ihre  Ge- 
bräuche voll  Anspielungen  auf  die  der  Mönche  und  Nonnen. 

Im  sechzehnten  Jahrhundert  wird  die  Farce  vielfach  in 
den  Dienst  der  konfessionellen  Streitigkeiten  hineingezogen, 
hauptsächlich  von  protestantischer  Seite,  wie  dies  ja  auch 
in  Deutschland  der  Fall  war,  das  zur  Zeit  der  Reformation 
über  Tendenz-Dramatiker  verfügte.  In  Frankreich  wurde 
um  1523  eine  Tendenz-Farce  Les  theologastres  (Die  fal- 
schen Theologen)  verfaßt.  Nach  Suchier-Birch-Hirschfeld, 
deren  ausgezeichnetem  Werk  über  die  französische  Lite- 
ratur ich  die  meisten  meiner  Angaben  verdanke,  ist  der 
Inhalt  dieser  Farce  wie  folgt: 

Theologastre  verdächtigt  bei  Fratres  das  ihm  unbekannte 
Griechisch  als  ketzerisch,  während  Fratres  an  nichts  als 
an  der  Einsammlung  des  Zehnten  Interesse  nimmt.  Sie 
zeigen  sich  also  beide  als  „falsche"  Theologen.  Nun  ruft 
der  erkrankte  Glaube  die  Vernunft  zu  Hilfe.  Da  diese  sich  je- 
doch in  Deutschland  bei  Luther  befindet,  so  verlangt  jener 
120 


den  Text  zur  Heiligen  Schrift.  Mit  scholastischen  Kom- 
mentaren, die  man  ihm  anbietet,  ist  ihm  nicht  gedient,  er 
will  sich  nur  dem  Text  anvertrauen.  Theologastre  und  Fratres 
lassen  den  Text  ruhig  kommen,  da  sie  ihn  nie  gesehen 
haben  und  ihn  auch  nicht  erkennen,  wie  er  in  einem  trau- 
rigen Zustande,  lahm,  heiser,  zerschunden  auftritt.  Vernunft 
kommt  mit  ihm  und  klagt  über  die  Gefangennahme  Berquins, 
den  man  1529  in  Paris  als  Ketzer  verbrannte.  Zuletzt 
kommt  der  Deutsche  Merkur,  der  weder  Lutheraner  noch 
Sorbonnist  sein  will,  sondern  Christ  schlechtweg,  den  Text 
von  den  Glossen  der  Sorbonne  reinigen  läßt  und  dann  den 
Glauben  damit  heilt.  Vom  Papst  ist  hier  gar  keine  Rede, 
dagegen  werden  am  Schluß  Erasmus  von  Rotterdam  und 
„der  große  Geist  Fabri"  (Lefevre,  der  die  Bibel  ins  Fran- 
zösische übersetzte)  mit  Ehrfurcht  genannt. 

In  den  bitterernsten  Kern  dieser  Farce  bringen  die  beiden 
Vertreter  der  falschen  Gottesgelahrtheit  grotesk-komische 
Lustigkeit. 

Unter  den  Farcendichtern  jener  Zeit  sind  noch  einige  we- 
nige zu  erwähnen.  Besonders  Jean  von  Abondance  in 
Savoyen.  Er  war  Mitglied  der  Basoche  und  Notar  zu  Pont- 
Saint-Esprit.  Von  seinen  Schwänken  ist  als  der  beste  die 
„Farce  de  la  cornette",  d.  h.  die  der  spitzen  Mütze,  deshalb 
bemerkenswert,  weil  Moliere  eine  Szene  daraus  in  seinem 
Geizigen  nachgeahmt  hat.  Es  ist  der  Auftritt  zwischen 
Harpagon  und  Cleant  im  zweiten  Akt.  Das  Stück  schildert 
die  Ehe  eines  alten  Herrn  mit  einer  jungen  Frau.  Die  Ehe 
ist  glücklich,  denn  beide  Teile  sind  darin  zufrieden. 

Zu  derselben  Zeit  machten  sich  zwei  Schauspieler  als 
Farcendichter,  mehr  aber  noch  als  Komiker  einen  Namen  von 
dauerndem  Klang. 

Gaultier  Garguille  war  ein  Darsteller  von  solcher  Eigen- 
art, daß  diese  wie  sein  Name  später  von  anderen  aufge- 
nommen und  zu  einer  stehenden  Figur  in  den  Possen  wurde. 

Dann  Jean  du  Pontalais.  Er  hieß  eigentlich  Jean  de  l'Espine. 
Er  nannte  sich  du  Pontalais  nach  einer  Brücke  über  einen 

121 


Abzugskanal  auf  dem  Pariser  Fischmarkt,  an  der  er  sein 
Gerüst  zur  Vorführung  seiner  Komödien  gewöhnlich  aufschlug. 
Bereits  1512  war  er  unter  diesem  Namen  im  „Prince  de  sots" 
aufgetreten. 

Jean  gehörte  zu  den  Enfants  sans  souci  und  trat  auch 
als  Sot  auf.  Seine  Witzworte,  oft  nur  Frechheiten,  sind 
auch  jetzt  noch  nicht  vergessen,  wie  die  Antwort,  die  er 
einst  dem  Pfarrer  von  Saint-Eustache  gab,  der  über  seinen 
Gauklerlärm  zeterte:  „Woher  nehmt  Ihr  die  Dreistigkeit, 
zu  predigen,  so  lange  ich  das  Tamburin  schwinge?"8  1516 
wurde  er  mit  zwei  anderen  Schauspielern  verhaftet,  weil  sie 
die  Königin-Mutter  unter  dem  Namen  Mere  sötte  auf  die 
Bühne  gebracht  und  behauptet  haben  sollten,  daß  sie  den 
Staat  plündere  und  aussauge. 

Von  seinen  Farcen  scheint  keine  erhalten  zu  sein;  doch 
werden  ihm  „Contredicts  de  Songecreux  (Songecreux-Gegen- 
reden),  gedruckt  in  Paris  1529,  zugeschrieben.  Es  ist  dies 
eine  Satire,  die  die  Ehe  dem  Tode  gleichstellt,  nur  daß  sie 
ihn  an  Dauer  übertreffe,  das  Weib  mit  allen  seinen  Schwächen, 
konterfeit  und  den  echten,  wahren  Adel  in  Betätigung  edler 
Eigenschaften,  nicht  im  Verführen,  Hasardspielen,  Pferde- 
handel und  Duellen  bestehen  läßt.  In  ihr  wird  auf  das  schärfste 
gegen  die  Gebrechen  der  Gesellschaft  losgezogen. 

Von  der  Farce  zweigte  sich  bereits  anfangs  des  fünfzehnten 
Jahrhunderts  die  Sotie  ab,  ohne  daß  beide  Gattungen  immer 
streng  auseinander  gehalten  worden  wären.  Die  Sotie  war 
ursprünglich  nur  eine  Clownszene  ohne  Handlung.  Es  spielten 
mehrere  Sots,  die  sich  in  einem  zusammenhanglosen  Gespräch 
unterhielten,  das  als  pois  piles  (gestampfte  Erbsen)  bezeichnet 
wurde.  Die  Sotie  erinnert  an  die  alten  Fatrasien,  Scherz- 
gedichte, in  denen  zusammenhanglose  Sätze  aneinander  ge- 
reiht wurden,  die  den  höchsten  Blödsinn  darstellten.  Doch 
versteckten  sich  häufig  unter  dem  Nonsens  zugespitzte 
Satiren  auf  irgendein  Ereignis  oder  eine  witzige  Anspielung 

8  Paul  Wiegler,  Franzosisches  Theater  der  Vergangenheit  (Fruchtschale, 

13.  Bd.),   S.  21. 

122 


auf  den  Staat,  die  Regierung  und  ihre  Machthaber.  Denn 
die  Sotie  ist  im  Gegensatz  zur  Farce  immer  satirisch. 

Bei  den  Enfants  sans  souci  wurde  es  mit  der  Zeit  üblich, 
eine  Sotie,  der  zuweilen  noch  ein  komischer  Monolog  oder 
eine  humoristische  Predigt  angehängt  wurde,  dem  Haupt- 
stück, Misterium  oder  Moralität,  vorauszuschicken,  während 
die  Farce  den  Schluß  bildete. 

Es  sind  uns  mehr  als  ein  viertel  Hundert  derartiger 
Sotien,  meist  aus  dem  sechzehnten  Jahrhundert,  erhalten. 

Zu  den  berühmtesten  gehörte  Pierre  Gringoires  Jeu  du 
prince  des  sots  (Das  Spiel  des  Narrenfürsten),  das  am  24.  Fe- 
bruar, dem  Fastnachtstage,  des  Jahres  1512,  an  den  Hallen 
von  Paris  in  Szene  ging.  Gringoire  schrieb  sein  Stück  im 
Auftrage  Ludwig  XII.,  um  das  Volk  für  die  Pläne  des 
Königs  zu  gewinnen. 

Das  Spiel  besteht  aus  vier  Teilen :  Cry,  Sotie,  Moralite, 
Farce.  Der  Cry  sagt  höchst  witzig  in  vier  Strophen  den 
Narren  und  Närrinnen  von  Paris  die  Aufführung  an  und 
schließt  mit  der  eine  halbe  Strophe  füllenden  Unterschrift 
des  Narrenfürsten.  Er  wurde  zur  allgemeinen  Kenntnisnahme 
bei  dem  Umzug  der  Darsteller  durch  die  Straßen  von  Paris 
vorgetragen.  Die  Farce  Faire  et  Dire  (Tun  und  Sagen)  ist 
voll  schmutziger  Zweideutigkeiten.  In  der  Sotie  und  Moralite 
wimmelt  es  von  politischen  Gesprächen  und  Anspielungen. 

Die  Hauptdarsteller  sind  drei  Sots:  die  Sötte  commune 
als  Vertreterin  des  niederen  Volkes,  der  Prince  de  sots,  der 
offenbar  den  König  von  Frankreich  bedeutet,  die  Mere  sötte, 
von  Gringoire  gespielt,  die  über  ihrer  üblichen  Narren- 
kleidung als  Mutter  Kirche  kostümiert  war.  Ihr  standen  Sötte 
fiance  (Närrin  Vertrauen)  und  Sötte  occasion  (Närrin  Gelegen- 
heit) zur  Seite.  Die  falsche  Kirche  wurde  entlarvt,  indem 
man  ihr  das  Oberkleid  abriß,  wodurch  ihr  Narrengewand 
zum  Vorschein  kam. 

In  der  Moralite  erschienen  das  französische  und  italienische 
Volk  als  Personen.  Papst  Julius  spielte  den  l'Homme  obstine 
(halsstarrigen  Menschen).  Er  erklärte,  er  wolle  die  Franzosen 

123 


aus  Italien  vertreiben  und  die  ganze  Welt  bevormunden.  Er 
schloß  innige  Freundschaft  mit  Simonie  (Ämterschacher), 
der  er  seine  Papstwürde  zu  verdanken  hat.  Zuletzt  trat 
Pugnicion  divine  (göttliche  Strafe)  auf  und  bedrohte  den 
Papst  und  die  Völker,  wenn  sie  nicht  ihren  Lastern  ent- 
sagen würden. 

Zu  den  bekanntesten  Sotis  zählen  auch  die  „Menüs  pro- 
pos"  (kleinen  Gespräche).  Sie  wurden  zuerst  1461  in  Rouen 
aufgeführt.  Man  nimmt  den  Schauspieler  Cardinot  als  ihren 
Verfasser  an. 

In  den  Menüs  sind  nur  drei  Personen  beschäftigt,  die 
der  Erste,  der  Zweite  und  der  Dritte  heißen  und  immer 
in  dieser  Reihenfolge  kurze  Sätze  sprechen,  die  niemals  zu- 
einander passen.    So: 

Der  Erste: 
Gern  sagt  man,  daß  den  Text  verdirbt, 
Von  Orleans  das  Kommentar. 

Der  Zweite: 
Unzweifelhaft  ist  eines  wahr; 
Der  Kalbsfuß  ist  kein  Eingeweide. 

Der  Dritte: 
Tanz  ich,  so  hüpf  ich,  springe,  schreite, 
Als  hätt'  ich  Nesseln  im  Gesäß, 
und  so  geht  es  weiter  zum  Gaudium  der  Zuhörer. 

Eine  Sotie  mit  fortschreitender  Handlung  ist  „Monde  et 
Abuz"  (Welt  und  Mißbrauch).  Sie  ist  um  1514  entstanden. 
In  ihr  treten  Sot  dissolu,  der  als  Geistlicher  gekleidete  lie- 
derliche Narr,  Sot  glorieux,  der  prahlerische  Narr  (ein 
Soldat),  Sot  corrumpu,  der  bestechliche  Narr  (ein  Jurist), 
Sot  Trompeur,  der  betrügerische  Narr  (Kaufmann),  Sot 
Ignorant,  der  unwissende  Narr  (Bauer),  und  Sötte  Folie, 
die  tolle  Närrin,  auf. 

Die  Reformation  und  der  Humanismus  machten  dem  Teufel 
auf  der  Bühne  den  Garaus.  Er  fiel  und  mit  ihm  die  Miste- 
rien,  doch  ihre  Gefolgschaft  von  Moralites,  Farcen  und 
124 


Sotien  änderte  nur  das  Kleid,  legte  Altes  und  Veraltetes 
ab,  paßte  sich  dem  Zeitgeschmacke  an  und  trieb  in  die- 
ser Gestalt  ihre  Bocksprünge  lustig  weiter.  Das  ernste 
weltliche  Schauspiel  war  durch  das  Verbot  des  Pariser 
Parlaments  zu  Grabe  getragen.  Wenn  man  auch  in  den 
gebildeten,  vornehmen  und  vornehmtuenden  Kreisen  die 
Nase  über  die  Roheit,  Schlüpfrigkeit  und  Kunstlosigkeit  der 
alten  Spiele  rümpfte,  die  Plumpheit  der  Spieler  hervor- 
hob, dem  Volke  waren  sie  ans  Herz  gewachsen,  und  es 
ließ  nicht  von  seinen  Lieblingen,  die  sich  ganz  so  ge- 
bärdeten,  wie  das  Volk  selbst  es  zu  tun  gewohnt  war.  Das 
Kunstdrama  gab  ihm  nichts.  Die  Sentimentalität  ging  über 
seinen  Horizont,  sein  Witz  war  zu  fein,  zu  geistreich.  Das 
Volk  will  lachen,  recht  vom  Herzen  lachen,  nicht  lächeln. 
Für  die  ideale  Welt,  in  die  es  die  Dichter  des  Dramas  und 
der  Tragödie  führen,  hat  es  kein  Verständnis,  der  Wohl- 
klang der  Sprache,  der  Rhythmus  des  Verses  ist  ihm 
leerer  Schall. 

Wie  anders  ist  es  beim  Lustspiel,  der  Parade,  bestellt  1 
Es  ist  ein  Spiegelbild  des  wirklichen  Lebens,  das  in  der 
Gegenwart  spielt,  nicht  einer  erträumten  Phantasie-Ortlich- 
keit.  Es  enthält  Menschen,  nicht  Schemen.  Der  Held  ist 
immer  eine  Idealfigur,  der  Schelm,  wenn  auch  noch  so 
grotesk  und  bizarr  vermummt,  ein  Zeitgenosse,  aus  Fleisch 
und  Blut,  wie  die  Zuschauer  selbst. 

Mit  den  Paraden  retteten  sich  die  direkten  Nachkommen 
der  Farcen  und  Sotien  in  die  neue  Zeit  hinüber,  und  durch 
sie  sind  die  Komödien  der  neuen  Schule  noch  blutsver- 
wandt mit  den  älteren,  als  abgetan  in  die  Rumpelkammer 
gewanderten  Erzeugnissen.  Dieselbe  Lust  an  der  Zote  und 
an  pikanten  Situationen,  dieselbe  Freude  an  derber  Komik 
wie  die  Alten  haben  auch  die  Jungen.  Sie  zeigen  nur  darin 
einen  unleugbaren  Fortschritt,  daß  an  Stelle  der  lose  an- 
einandergereihten Auftritte  nun  eine,  um  einen  dramatischen 
Mittelpunkt  gruppierte,  in  Akte  und  Szenen  eingeteilte 
Handlung  tritt. 

125 


Die  erste  Originalkomödie  der  Jungen  war  Estienne 
Jodelles  (1532 — 1573)  „Eugen",  die  1552  im  Rampenlicht 
erschien.    Der  Inhalt  ist  kurz: 

Alix,  die  Buhlerin  des  Abtes  Eugene  und  des  Soldaten 
Florimond,  ist  zur  größeren  Bequemlichkeit  von  dem  Abt 
an  den  tölpelhaften  Guillaume  verheiratet  worden,  der  die 
Tugend  und  Liebe  seiner  Gattin  nicht  genug  zu  rühmen 
weiß.  Das  ruhige  Leben  zu  dreien  wird  gestört  durch  die 
unerwartete  Rückkehr  Florimonds  aus  dem  Kriege.  Da  er 
von  Alix  keine  Nachricht  empfangen,  glaubt  er  sie  noch 
unverheiratet  und  will  sein  früheres  Verhältnis  mit  ihr  wie- 
der anknüpfen.  Wie  er  aber  erfährt,  daß  sie  inzwischen 
die  Gattin  eines  andern  geworden,  verfällt  er  in  die  größte 
Wut  und  bedroht  alle  Beteiligten,  den  Abt  nicht  ausge- 
nommen, mit  Mord  und  Totschlag.  Da  fällt  dem  würdigen 
Abt  Eugene  ein,  daß  auch  seine  Schwester,  die  tugend- 
same Helene,  früher  ein  zartes  Verhältnis  mit  dem  wütigen 
Florimond  gehabt,  das  nur  durch  die  größere  Willfährig- 
keit der  schönen  Alix  gelöst  worden.  Er  beredet  seine 
Schwester,  und  dies  wird  ihm  nicht  schwer,  des  Soldaten 
Liebste  zu  werden.  Florimond  ist  damit  recht  zufrieden» 
der  dumme  Guillaume,  der  inzwischen  von  dem  sauberen 
Vorleben  seiner  Gattin  gehört  hat,  beruhigt  sich,  da  ihm 
der  Abt  aus  einer  Geldverlegenheit  hilft.  So  setzt  sich  im 
fünften  Akt  das  Laster  vergnügt  an  den  gastfreien  Tisch, 
den  der  noble,  würdige  Abt  der  ganzen  verlotterten  Gesell- 
schaft zum  Schmause  deckt. 

Es  fehlt  in  dieser  Farce  nicht  an  Szenen  echter  Komik. 
So  die,  worin  Maitre  Guillaume  seine  Alix  als  einen  wahren 
Ausbund  von  Tugend  rühmt  und  dabei  unbewußt  deren 
Lasterleben  schildert9. 

„Eugen"  hat  keine  satirischen  Absichten.  Das  Stück  soll 
nur  belustigen,  nicht  bessern.  Im  Prolog  rühmt  Jodelle  die 
Selbständigkeit    seiner   Erfindung   und   den    französischen 

9  Prof.  Eduard  Engel,  Geschichte  der  französischen  Literatur,  6.  Aufl., 

Leipzig  1905,  S.  164. 

126 


Charakter  seiner  Komödie  gegenüber  den  eingeführten 
Stücken  aus  Italien,  der  aber  auch  nichts  gemein  hat  mit 
den  Stücken  jener  Farceurs,  die  sich  mit  ihrem  allegorischen 
Krimskrams  brüsten. 

Von  den  Nachfolgern  und  Nachahmern  Jodelles  seien 
Jacques  Grevin  (1538 — 1570)  und  Remy  Belleaus  als  die 
bedeutendsten  genannt. 

Die  Komödien  dieser  Dichter  gleichen  dem  griechisch- 
römischen Lustspiel  in  der  Beschränkung  des  Schauplatzes. 
Die  Handlung  spielt  auf  der  Gasse  zwischen  zwei  gegen- 
überstehenden Nachbarhäusern.  Wie  bei  den  Alten  ist  auch 
hier  die  Nebensächlichkeit  und  geringe  Selbständigkeit  der 
weiblichen  Rollen  bemerkenswert  und  ebenso  wie  dort, 
so  bringen  auch  hier  die  Diener  die  komische  Handlung  in 
Gang.  Der  Inhalt  des  Stückes  bildet  in  der  Regel  eine 
glücklich  durchgeführte  List,  eine  Verwechslung  oder  Täu- 
schung. Dazu  kommt  dieselbe  Leichtfertigkeit  des  Tons, 
dieselbe  sittliche  Schlaffheit  wie  bei  den  Alten.  Die  Cha- 
raktere sind  zeitgemäß,  die  Sitten  französisch,  und  in  der 
Sprache  der  Auftretenden  erkennt  man  schon  die  Unter- 
schiede des  Standes  und  der  Bildung. 

In  der  Zeit  Heinrichs  IV.  und  der  Maria  von  Medici 
(1595 — 1630)  erfüllten  sich  die  Vorbedingungen  für  das 
Aufblühen  einer  nationalen  Bühne:  stehendes  öffentliches 
Theater  und  Berufsschauspieler. 

Die  Artistentruppen,  Springer,  Seiltänzer,  Gaukler  und 
Possenreißer,  die  ihr  Gewerbe  von  Stadt  zu  Stadt,  von 
Markt  zu  Markt  trieb,  waren  durch  Schauspieler  verstärkt 
worden,  die  als  Liebhaber  bei  den  Misterien  mitgewirkt 
und  Gefallen  an  der  Schauspielerei  gefunden  hatten.  Solche 
Truppen  führten  Possen,  und  wenn  es  sich  lohnte,  auch 
ernste  Dramen  und  klassische  Tragödien  auf.  Gegen  Ende 
des  sechzehnten  Jahrhunderts  erschien  Valleran  le  Comte 
mit  einer  solchen  Truppe  in  Paris,  wo  er  1609  das  Recht 
erhielt,  sich  „comediens  francais  ordinaires  du  Roy"  (ordent- 
liche  französische   Schauspieler   des   Königs)   zu    nennen. 

127 


Sieben  Jahre  später  ist  er  Inhaber  des  Hotel  de  Bourgogne. 
Als  Hausdichter  war  Alexandre  Hardy  (ca.  1570—1631  oder 
1632)  für  Valleran  tätig,  der  erste  Bühnendichter  der  Fran- 
zosen. Nach  seiner  eigenen  Angabe  hat  Hardy  mehr  als 
sechshundert  Stücke  für  Valleran  geliefert.  Darunter  mytho- 
logische Possen,  in  denen  die  Götter  ironisch-parodistisch 
behandelt  wurden,  aber  besonders  viele  Tragikomödien, 
Pastorale  (Schäferspiele)  und  Farcen. 

Die  Aufführungen  des  Hotels  de  Bourgogne  bestanden 
gewöhnlich  aus  Prolog,  Tragikomödie  oder  Pastorale,  Farce 
und  Chanson  (Lied).  Da  man  über  vorzügliche  Vertreter 
komischer  Rollen  verfügte,  die  sich  allgemeiner  Beliebtheit 
erfreuten,  war  auch  die  Farce  mit  ihrem  „altgallischen  Witz" 
ständig  auf  dem  Spielplan.  Gaultier  Garguille,  Gros  Guil- 
laume  und  Turlupin  waren  damals  das  Komikerkleeblatt, 
dessen  Rum  beispiellos  dastand.  Abraham  Bosse  (1605  bis 
1678),  der  berühmte  Stecher,  hat  diesem  Trifolium  ein  Blatt 
gewidmet,  das  die  Komiker  auf  der  Bühne  zeigt  und  die 
Unterschrift  trägt: 

Wie  großartig  ist  diese  Bühne, 

die  Spieler  wie  erfinderisch! 

Und  was  haben  sie  für  Gegenmittel  doch 

wider  üble  Laune  und  Melancholie  1 

Hier  nasenstübern  sie  die  schlechten  Zeiten 

in  dem  drolligsten  Aufzug 

und  bezaubern  alle  Hörer 

mit  einem  einzigen  Worte  schon. 

Hier  spielt  der  Höfling, 
der  sinnreiche  Guillaume, 
und  schmäht  auf  die  Liebe, 
ausgebeutelt  wie  ein  Ballspieler. 

Hier  versucht  Turlupin  es  zu  machen 
wie  der  scheue  Taschendieb, 
und  der  Spanier  flieht  aus  Angst  vorm  Stoß 
den  Franzosen,  der  nach  ihm  blickt. 

128 


Aber  der  wahre  Gautier  übertrifft  sie, 
und  der  Härte  des  Geschicks  zum  Trotz 
bringt  er  uns  nach  seinem  Tod  noch  zum  Lachen, 
wenn  wir  uns  an  seine  Grimassen  erinnern. 

Die  Vorliebe  für  die  mit  Zoten  gespickte  Farce  war  so 
groß,  daß  man  meinte,  ohne  Posse  sei  das  Theater  über- 
flüssig. 

Bald  entstand  neben  dem  Hotel  de  Bourgogne  im  Stadt- 
viertel des  Marais  Mondoris  Theater,  doch  blieb  die  Bühne 
noch  die  „Kloake  Satans",  wenn  auch  die  Zeit  nicht  mehr 
ferne  war,  wo  sie,  wie  Corneille  sagt,  „der  Großen  schönste 
Freude  und  des  Volkes  Entzücken"  werden  sollte. 

Pierre  Corneilles  Wort  trifft  aber  mehr  auf  die  Tragödie 
als  auf  die  leichtere  Bühnenware  zu.  Sie  war  im  Zeit- 
alter der  beiden  großen  Kardinäle  Richelieu  und  Mazarin 
(1630—1660)  ganz  von  Spanien  abhängig.  Die  spanische 
Degen-  und  Manteltragödie  versorgte  die  französischen 
Bühnen  mit  Stoffen.  So  entnahm  z.  B.  Thomas  Corneille 
(1625 — 1709),  der  jüngere  Bruder  des  großen  Peter,  von 
seinen  in  den  Jahren  1647 — 1660  erschienenen  neun  Lust- 
spielen acht  den  spanischen  Dichtern  Calderon,  Rojas,  Solis 
und  Moreto.  Der  Charakter  der  Originale  wurde  bei  der 
Umarbeitung  völlig  verwischt,  Ausgelassenheit  für  die 
spanische  Grandezza  gesetzt. 

Dies  besonders  bei  Paul  Scarron,  dem  Verfasser  des 
unsterblichen  und  unverwüstlich  komischen  „Komödianten- 
Roman".  Scarron  (1610 — 1660)  ist  in  seinen  Schwänken 
immer  burlesk.  Das  Komische  seiner  Vorlagen  wird  ver- 
stärkt und  übertrieben.  So  sind  seine  Lustspiele,  besonders 
„Die  Studenten  von  Salamanca"  nach  Rojas  und  „Don 
Japhet  von  Armenien"  nach  Alonso  de  Castillo  y  Solorzano, 
richtige  Farcen  voll  possenhaft  satirischer  Komik. 

Aus  der  spanischen  Komödie  hatte  sich  Scarron  auch  den 
lustigen  Diener  geholt,  den  er  zum  Helden  einer  ganzen 
Anzahl  seiner  Possen  machte.   Jodelet,  dies  der  Name  der 

9  129 


burlesken  Dienerfigur,  den  noch  Moliere  beibehielt,  wird 
aber  bei  Scarron  ganz  zum  dummdreisten  französischen 
Spitzbuben  Pariser  Fraktur.  „Jodelet  ou  le  Maitre  valet" 
(Jodelet  oder  der  Bediente  als  Herr),  „Die  drei  Dorotheen 
oder  der  geohrfeigte  Jodelet",  „Jodelet  als  Duellant"  sind 
die  drei  aus  dem  Spanischen  entnommenen  Dienerburlesken 
Scarrons. 

In  „Le  Marquis  ridicule"  (Der  lächerliche  Marquis),  Scar- 
rons letzter  Posse,  kommt  zum  ersten  Male  der  unwissende 
und  aufgeblasene  Krautjunker  auf  die  Bühne. 

Wie  die  Spanier  unter  den  Kardinälen,  waren  die  Italiener 
in  der  Epoche  Ludwig  XIV.  auf  den  französischen  Bühnen 
Mode.  Selbst  der  Schöpfer  des  französischen  Lustspiels, 
der  Kammertapeziererssohn  Jean  Baptist  Poquelin,  das 
größte  dichterische  Genie,  das  Frankreich  im  siebzehnten 
Jahrhundert  besessen,  als  Schauspieler  und  Theaterdirektor 
Moliere  genannt,  zeigte  sich  in  seinen  Anfängen  abhängig 
von  der  italienischen  Commedia  del'arte. 

Bei  zwei  kleinen  Possen,  „La  Jalousie  du  barbouille"  (Eifer- 
sucht des  Eingeschmierten)  und  „Le  medecin  volant"  (Der 
fliegende  Arzt),  hatte  er  die  Stegreifkomödie  der  Italiener 
zum  Vorbild.  Aber  auch  seine  erste  wirkliche  Komödie, 
„L'Etourdie"  (Der  Unbesonnene),  war  die  Bearbeitung  eines 
italienischen  Stückes. 

In  seinen  Schöpfungen,  in  denen  er  die  Zeitgenossen 
züchtigte,  indem  er  ihnen  die  Wahrheit  zeigte,  wie  Goethe 
von  ihm  sagte,  wich  er  niemals  dem  Burlesken  oder  dem 
Grotesken  aus.  So  steht  sein  Meisterlustspiel  „Les  Pre- 
cieuses  ridicules"  ganz  auf  dem  Boden  der  alten  Farcen. 

Zwei  Landpomeranzen,  Madeion  und  Cathos,  sind  nach 
Paris  gekommen  und  von  dem  überspannt  affektierten  Wesen, 
das  die  französische  Aristokratie  und  die  vornehme  oder  vor- 
nehm tuende  Damenwelt  angenommen  hatte,  angesteckt 
worden.  Sie  weisen  hochnäsig  zwei  annehmbare  Freier  ab, 
weil  sie  nicht  den  Idealen  entsprechen,  die  sie  sich  nach 
Romanfiguren  zusammengestellt  haben.  Die  beiden  Ver- 
130 


Die   italienische   Komödie  in 


i  Antoine  Watteau 


schmähten  verkleiden  ihre  beiden  Bedienten  Jodelet  und 
Mascarille  als  Edelleute,  die  vollständig  im  Besitze  des  „bei 
air"  sind.  Sie  müssen  sich  den  beiden  Damen  präsentieren. 
Diese  sind  entzückt  und  begeistert,  einenVicomte  und  Marquis 
kennen  zu  lernen,  die  ganz  auf  der  Höhe  der  preziösen  lite- 
rarischen und  gesellschaftlichen  Bildung  stehen.  Die  Damen 
werden  durch  die  Seelengemeinschaft  zu  Äußerungen  unein- 
geschränkter Bewunderung  hingerissen.  Man  will  eben  mit 
den  rasch  herbeigerufenen  Herren  und  Damen  aus  der  Nach- 
barschaft einen  Ball  improvisieren,  als  die  zurückgewiesenen 
Freier  hereinplatzen  und  ihre  Bedienten  ganz  regelrecht 
durchbläuen.  Dies  ist  ihre  Rache  an  den  preziösen  Gäns- 
chen. Nun  fragt  es  sich  nur,  wer  die  für  das  Tanzver- 
gnügen bestellten  Musikanten  bezahlen  soll. 

Auch  die  kurze  Komödie  „Sganarelle  ou  le  cocu  imagi- 
naire"  (Sganarelle  oder  der  eingebildete  Hahnrei)  ist  reich 
an  Grotesk-Komik. 

Durch  die  Precieuses  ridicules  hatte  es  Moliere  mit  zwei 
Parteien,  und  mächtigen  obendrein,  verdorben,  mit  den  An- 
hängern des  burlesken  und  des  grotesken  Stiles  wie  mit 
den  Prüden  und  den  Dummköpfen,  den  Turlupins,  wie  sie 
der  Dichter  nannte.  Die  Preziösen,  die  er  lächerlich  gemacht, 
warfen  ihm  vor,  daß  er  das  Publikum  durch  Obszönitäten, 
dann  durch  „Grimassen,  Turlipinaden  (Wortwitze),  große 
Perücken  und  Hosenmanschetten"  ergötze;  die  Anhänger  des 
Burlesken  verstanden  ihn  nicht,  deshalb  fanden  sie  ihn 
ohne  Geist  und  Witz.  Und  dennoch  dankt  das  Grotesk- 
Komische  Moliere  ebensoviel,  wie  er  ihm.  Wie  er  am  An- 
fang seiner  dichterischen  Laufbahn  auf  die  alte  Farce  zurück- 
griff,  so  auch  später  noch  auf  der  Höhe  seines  Schaffens. 
„Der  Geizige",  wie  schon  oben  erwähnt,  und  „Scapins 
Schelmenstreiche"  lehnen  sich  an  die  alten  Vorbilder. 

Mit  Molieres  Heimgang  war   auch   der  Glanz  der  fran- 
zösischen Posse  auf  lange  verblaßt.  Von  seinen  Zeitgenossen 
und  seinen  Nachfolgern  wurde  er  kaum  erreicht,  geschweige 
denn  übertroffen,  so  bemerkenswerte  Talente  darunter  waren. 
9*  131 


Ich  greife  aus  ihnen  den  Meister  der  Burleske  heraus, 
Hauteroche,  eigentlich  Noel  le  Breton,  geboren  1617. 

Hauteroche  war  Schauspieler  am  Hotel  de  Bourgogne.  Er 
ist  der  Urheber  der  Crispinkomödien.  Ihre  komische  Wir- 
kung bestand  im  wesentlichen  darin,  daß  Crispin,  ein  mit 
allen  Hunden  gehetzter  Bedienter,  sich  in  die  Kleidung  von 
allerlei  Standespersonen  warf  und  diese  karikierte.  Er  er- 
schien als  Arzt,  Musiker,  Schöngeist,  Hofmeister  oder  Ade- 
liger. Der  beste  Darsteller  des  Crispin  war  Raimund  Poisson 
(1630—1690),  ein  verkommener  Student.  Wir  sehen  ihn 
oder  doch  sein  charakteristisches  Kostüm  auf  dem  Gemälde 
Antoine  Watteaus  „Les  comediens  francais",  das  Liotard 
le  jeune  gestochen  hat.  Das  hervorstechendste  Stück  dieser 
Kleidung  ist  der  breite  Gürtel  mit  dem  Stoßdegen,  das  kurze 
spanische  Mäntelchen  und  das  kleine  Hütchen. 

Als  Abart  des  Grotesk -Komischen  kann  man  auch  die 
Parodien  der  Trauerspiele  ansehen,  die  besonders  auf  dem 
italienischen  Theater  zu  Paris  in  Schwung  kamen.  Voltaires 
Odipus,  den  Paris  mit  dem  größten  Beifall  aufnahm,  ist 
von  Riccoboni  und  Biancolelli  parodiert  und  durch  glei- 
chen Applaus  ausgezeichnet  worden.  Houdar  de  La  Mottes 
(1672 — 1731)  Trauerspiel  „Ines  de  Castro"  (1723)  wurde 
in  ein  Possenspiel  verwandelt,  „Agnes  de  Chaillot"  genannt. 
Es  war  darin  die  Gattin  eines  Infanten  von  Spanien  in  die 
Bauernmagd  eines  unweit  Paris  gelegenen  Dorfes  und  der 
Prinz  in  eines  Schulzen  Sohn  aus  einem  anderen  Dorfe  ver- 
wandelt. 

De  La  Motte  selbst  hat  in  der  Vorrede  zu  seinem  Trauer- 
spiel „Ines"  über  dergleichen  Parodien  folgende  Meinung 
geäußert:  „Die  Kunst  des  Parodierens  ist  ganz  einfach:  Sie 
besteht  nur  darin,  daß  man  Handlung  und  Gang  des  Werks 
beibehält,  aber  den  Stand  der  Personen  ändert.  Dann  be- 
trachtet man  die  Verse  des  Werks  als  sein  Eigentum,  wirft 
aber  von  Zeit  zu  Zeit  possierliche  Worte  und  komische  Um- 
stände darunter,  die  durch  den  Gegensatz  des  Ernsten  zu 
dem  Rührenden  desto  possierlicher  wirken.  Also  macht  man 
132 


Jahrmarktsbühne 
aus  Gottfried  Benjamin  Hanckes  Gedichte,  Dresden  und  Leipzig  1731 


aus  dem  Werk,  das  lächerlich  gemacht  werden  soll,  ein  neues, 
das  man  hochnäsig  für  seine  Erfindung  ausgibt,  ebenso,  wie 
wenn  ein  Mensch,  der  einer  vornehmen  Ratsperson  den  langen 
Rock  entwendet,  glaubt,  er  wäre  sein  Eigen,  sobald  er  etliche 
Flicken  von  einem  Pickelheringskleide  darauf  setzt  und  sein 
Recht  dazu  damit  beweist,  daß  seine  Kleidung  zum  Lachen 
reizt.  Das  bedeutendste  Übel,  das  aus  solchen  Werken 
entsteht,  ist,  daß  sie  die  Tugend  zu  einem  Paradoxon  machen 
und  sich  oft  bemühen,  sie  als  lächerlich  darzustellen."  Mit 
diesem  Urteil  stimmt  Sulzer  vollkommen  überein,  wenn  er 
sagt:  „Man  muß  es  weit  im  Leichtsinn  gebracht  haben,  um 
an  solchen  Parodien  Gefallen  zu  finden,  und  ich  kenne  nicht 
leicht  einen  größern  Frevel,  als  den,  der  wirklich  ernsthafte, 
sogar  erhabene  Dinge  lächerlich  macht.  Ein  französischer 
Kunstrichter  hat  sehr  richtig  bemerkt,  daß  der  leichtsinnige 
Geschmack  an  Parodien  unter  anderm  auch  das  verursacht 
habe,  daß  gewisse,  sehr  gute  Szenen  des  Corneille  die 
öffentliche  Vorstellung  deswegen  nicht  mehr  vertrügen10." 
Dieser  einseitige  Gelehrtenstandpunkt  von  Anno  dazumal 
ist  recht  anfechtbar.  Wahrhaft  Großes  ist  durch  Parodien 
niemals  entwertet  worden.  Trotz  Voltaires  Pucelle  ist  Jeanne 
d'Arc  eine  der  herrlichsten  Persönlichkeiten  der  Weltge- 
schichte geblieben.  Was  machten  Offenbach  und  seine  Text- 
dichter aus  dem  Olymp,  was  mußten  sich  alle  jene  Heroen 
bieten  lassen,  die  unter  dem  Unverständnis  der  Menge  litten. 
Eine  Parodie,  bei  der  nicht  Neid  und  Schmähsucht,  sondern 
Witz  und  Geist  die  Feder  führen,  kann  für  sich  ein  Kunst- 
werk sein,  dem  neben  dem  Original,  das  verspottet  wird, 
sein  Platz  eingeräumt  werden  kann.  Und  über  alle  jene 
Parodien,  die  ein  wahres  Kunstwerk  verhöhnen,  geht  der 
gute  Geschmack  sehr  bald  mit  Achselzucken  hinweg,  wenn 
auch  ein  Augenblickserfolg  dem  Spötter  recht  gegeben 
zu  haben  scheint.  Im  Gegenteil!  Oft  ist  der  Parodist  ein 
Gradmesser  der  Größe  und  Beliebtheit.     Auch  der  Kari- 

10  Joh.  Georg  Sulzer,  Allgemeine  Theorie  der  schönen  Künste,  4  Bde., 
Leipzig  1792-99,  II.  Bd.  „Parodie". 

133 


katurist  sucht  sich  mit  Vorliebe  kleine  Schwächen  großer 
Persönlichkeiten  als  Stoffe  für  seinen  Stift.  Das  Unbe- 
deutende mutet  schon  wie  Parodie  an,  nur  das  Große  kann 
wirksam  parodiert  werden. 

Jede  große  Oper,  jedes  Trauerspiel  oder  Drama  von  Be- 
deutung, das  in  Paris  auf  einer  der  Hauptbühnen  mit  Beifall 
gegeben  wurde,  erhielt  die  Ehre  einer  Travestierung.  In  solchen 
Parodien  traten  immer  die  besten  Darsteller  auf,  und  es  ist 
unglaublich,  welche  Wirkung  sie  dann,  von  der  Feinheit  ihres 
Spiels,  vornehmlich  in  Nachahmung  der  hochtragischen  Ge- 
sten der  Schauspieler  des  parodierten  Originals  unterstützt, 
auf  das  Zwerchfell  ausübten. 

Einer  der  würdigsten  Erben  Molieres  war  auch  Jean 
Francois  Regnard  (1655—1710),  wie  seine  großen  Vorgänger 
ein  Pariser  Kind.  In  den  letzten  zwanzig  Jahren  seines 
Lebens  versorgte  er  sowohl  die  französische  wie  die  italie- 
nische Bühne  in  Paris  mit  zahlreichen  Komödien.  Für  die 
Italiener  war  Charles  Riviere,  genannt  Duf  resny  (1 655 — 1724), 
sein  Mitarbeiter. 

Nach  Molieres  Hinscheiden  war  das  italienische  Theater 
solide  geworden,  hatte,  wie  bereits  erwähnt,  die  Stegreif- 
komödie ganz  fallen  lassen  und  spielte  französische  Stücke. 

Die  Spezialität  der  „Italiener"  war  die  Lokalposse  in  Prosa, 
in  der  man,  soweit  es  die  strenge  Zensur  erlaubte,  über  Vor- 
gänge und  Gestalten  des  Pariser  Stadt-  und  Gesellschafts- 
lebens herzog.  Dieser  Spottlust  der  Pariser  hatten  die  Dichter 
zu  dienen,  wenn  sie  des  Erfolges  sicher  sein  wollten. 

Regnards  erstes  Stück,  „LeDivorce"  (Die  Ehescheidung, 
1688),  war  denn  auch  ein  komischer  Eheprozeß  mit  einer 
Parodie  der  Gerichtsverhandlung.  Ihr  Erfolg  zeitigte  an- 
dere ausgelassene  lustige  Possen  aus  Regnards  Feder,  wie 
„Attendez-moi  sous  Tonne"  (Hoffen  und  Harren,  1694),  „La 
foire  de  Saint-Germain"  (Der  Jahrmarkt  von  Saint-Germain), 
dann  „Les  Momies  d'egypte"  (Die  ägyptischen  Mumien). 

Bald  darauf  wurde  das  italienische  Theater  geschlossen. 
Entweder  hatte  man  das  Stück  „Fausse  Prüde"  (Die  Zimper- 
134 


liehen)  auf  Frau  von  Maintenon,  die  allmächtige  Maitresse, 
bezogen,  oder  man  wollte  der  Ungebundenheit  auf  dieser 
Bühne  ein  Ende  machen.  Regnard  wurde  dadurch  notge- 
drungen zu  einem  Dramatiker  höheren  Stils,  dessen  Arbeiten 
mit  der  Grotesk-Komödie  nun  nichts  mehr  zu  tun  haben. 

Wohl  aber  ist  hier  ein  anderer  Zeitgenosse  Regnards 
aufzuführen,  dem  auch  unsere  Sondergeschichte  ein  Lor- 
beerblatt nicht  versagen  darf,  trotzdem  er  sich  seine  Un- 
sterblichkeit auf  einem  anderen  Gebiete  errungen  hat.  Es 
ist  dies  Alain  Rene  Le  Sage  (1668 — 1747),  der  Verfasser 
von  Le  Diable  boiteux  (Der  hinkende  Teufel)  und  des  Gil 
Blas,  dem  aber  das  französische  Theater  auch  die  bedeu- 
tendste Sittenkomödie  dieses  Zeitalters,  „Tucaret",  ge- 
schrieben 1709,  verdankt. 

Tucaret,  ein  reicher  Finanzmann  von  geringem  Herkom- 
men und  schlechter  Erziehung,  ist  einer  Baronin,  der  Witwe 
eines  Obersten,  in  das  Netz  gegangen.  Die  Zofe  der  Baronin 
ist  darüber  ungehalten,  daß  alles,  was  ihre  Herrin  von  Tucaret 
ergattert,  dem  Chevalier,  dem  Zuhälter  der  Baronin,  und 
seiner  Spielleidenschaft  geopfert  wird.  Sie  verrät  dem  Geld- 
mann die  Falschheit  seiner  Angebeteten.  Wütend  stürmt 
Tucaret  zur  Baronin,  zerschlägt  bei  ihr  Spiegel  und  Por- 
zellan, läßt  sich  aber  besänftigen,  als  ihn  die  Baronin  von 
der  Unschuld  ihres  Verhältnisses  zum  Chevalier  zu  über- 
zeugen vermag.  Ein  Abendmahl  im  Hause  der  Baronin  soll 
zum  Versöhnungsfest  werden.  Hierzu  haben  sich  auch  ein 
Marquis  mit  einer  Gräfin  aus  der  Provinz  angesagt.  Als  die 
Gesellschaft  versammelt  ist,  gibt  sich  jene  Gräfin  als  Tuca- 
rets  Frau  zu  erkennen.  Die  beiden  Hochstapler,  die  Baronin 
und  ihr  Chevalier,  haben  aber  das  Nachsehen,  da  der  Finan- 
zier gleich  darauf  wegen  Unterschleife  ins  Gefängnis  ab- 
geführt wird.  Die  Schelme  geringer  Abkunft,  der  lustige 
Lakai  Frontin  und  die  Zofe  Lisette,  teilen  sich  in  die  Beute. 

Die  Figur  des  Geldmannes  und  die  verlotterte  Gesell- 
schaft seiner  Umgebung  sollen  so  echt  gewirkt  haben,  daß 
die  Steuerpächter  in  Paris  Le  Sage  die  gewaltige  Summe 

135 


von  100000  Livres  angeboten  hatten,  wenn  er  sein  Stück 
vor  der  Aufführung-  zurückzöge. 

Für  den  armen  Le  Sage  ist  es  doppelt  ehrenvoll,  dies 
Ansinnen  zurückgewiesen  zu  haben,  er,  der  gezwungen  war, 
um  des  Gelderwerbes  willen,  für  die  Jahrmarktsbühne  zu 
arbeiten  und  Marionettenspiele  zu  schreiben. 

Noch  einmal  feierte  auf  der  großen  Bühne  des  acht- 
zehnten Jahrhunderts  die  Figur  des  Harlekins  Triumphe, 
die  ihm  einen  festen  Platz  im  Bühnenrepertoire  der  Völker 
einräumen  sollten,  nämlich  jener  Harlekin,  den  Pierre  Au- 
gustin Carron  de  Beaumarchais  in  seinem  Figaro  auf  die 
weltbedeutenden  Bretter  stellte.  „Figaro  ist  der  Arlechin 
und  Scapin,  der  Jodelet  und  Maskawill,  die  letzte  Blüte 
der  Bedientengeneration,  die  sich  in  den  Komödien  seit 
zwei  Jahrhunderten  getummelt  hatte11." 

Beaumarchais,  der  letzte  große  Dramatiker  des  franzö- 
sischen Rokokos,  ist  auch  der  Klassiker  des  Harlekins  ge- 
worden. Nach  ihm  sank  der  lustige  Narr  zu  jenem  gro- 
tesk-komischen Zerrbild,  das  nur  durch  den  Mund  des 
Puppenspielers  spricht  und  von  dessen  Hand  regiert  wird. 

Mehr  als  ein  Menschenalter  nach  dem  Figaro  trat  wieder 
ein  Harlekin  seinen  Siegeszug  von  Frankreich  aus  durch 
die  Welt  an,  und  zwar  zur  Zeit  des  zweiten  Kaiserreiches, 
als  jener  Kölner  Cellist  die  Bouffes-Parisiens  in  Paris  grün- 
dete und  seine  witzigen  Melodien  alle  Welt  eroberten. 
Jaques  Offenbachs  Kalchas,  Menelaus,  Prinz  von  Arkadien, 
Zeus,  Orpheus,  General  Bumbum  und  wie  sie  alle  heißen 
mögen,  die  grotesken  Figuren  in  seinen  Operetten,  sind 
ganz  auf  den  Ton  gestimmt,  der  einst  dem  Mimus  zu  eigen 
war.  Seine  Werke  haben  „parodistische  Tendenz,  scharfen 
Witz,  sind  frivol,  oft  gemein,  aber  immer  lebendig  und  flott 
durchgeführt  und  lieben  es,  die  Elemente  der  niedrigsten 
Volkskomik  wie  der  Volksmusik,  Cancan  usw.,  zu  benutzen." 
In  ihnen  ist  eben  all  das  vereint,  was  einst  in  den  Burlesken 

11  Suchier-Birch-Hirschfeld.  S.  581. 
136 


Das  älteste  Bild  eines  Harlekins  (um  1600) 
(Razi,  I.  Comici  Italiani) 


Oh 


CO 
U 

-C 


tu 

.2  3 

"5  J 

oa  J 

_  *s 

J  * 

M 

^  s 

CO  "^ 

-°  ^ 

iä  Du 


ü   -3 


C     C 

o  •"■ 
> 


und  Grotesken  enthalten  war,  und  deshalb  fanden  sie  Ver- 
ständnis und  freudige  Aufnahme  überall  dort,  wo  man  nicht 
über  wirklichen  Witz  die  Augen  verdreht  und  die  Hände 
ringt,  auch  wenn  er  dekolletiert  auftritt. 

ENGLÄNDER 

Wie  in  Frankreich  und  den  anderen  romanischen  Ländern 
erwuchsen  in  England  die  ersten  dramatischen  Spiele  aus 
den  Wechselgesängen  zwischen  dem  messelesenden  Geist- 
lichen und  seiner  Gemeinde.  Ihr  Entwicklungsgang  unter- 
scheidet sich  nur  unwesentlich  von  den  Misterien  der  an- 
deren Völker. 

Wie  dort  gingen  diese  biblischen  Szenen  aus  der  Hand 
der  Geistlichen  in  die  der  Laien,  hauptsächlich  der  Hand- 
werker, über,  die  sie  auf  öffentlichen  Plätzen  zur  Darstellung 
brachten. 

Große  sechsrädrige  Karren  bildeten  das  Schaugerüst  (pa- 
geants),  auf  denen  jede  Zunft  ihr  besonderes  Stück  spielte. 
Von  dem  beschränkten  Raum  der  Wagen  siedelten  später 
die  schauspielenden  Zünftler  auf  ein  Podium  über,  das  alle 
Gewerke  gemeinsam  errichten  ließen,  um  dort  der  Reihe 
nach  ihre  biblischen  Dramen  vorzuführen. 

Aus  den  erhaltenen  alten  Rechnungsbüchern  ist  zu  er- 
sehen, daß  die  Darsteller  entlohnt  wurden.  Auch  die  Ko- 
stüme erhielten  sie  geliefert.  Besonders  interessant  war  die 
Tracht  der  Höllenbewohner.  Die  Seelen  der  Verstorbenen 
trugen  einen  hemdenartigen  Überwurf,  der  bei  den  Geret- 
teten weiß,  bei  den  Verdammten  jedoch  schwarz  war.  Da 
sie  Tote  darzustellen  hatten,  waren  ihre  Gesichter  weiß  an- 
gemalt. Um  an  die  Höllenflammen  zu  erinnern,  hatten  sie 
oben  auf  dem  Scheitel  und  an  den  beiden  Schläfen  drei 
hohe,  flammenartig  zugespitzte  Haarbüschel,  die  grellrot 
oder  gelb  gefärbt  waren.  Da,  wie  überall,  so  auch  hier,  aus 
diesem  teuflischen  Gelichter  die  Komiker  entstanden,  tru- 
gen und  tragen  die  englischen  Clowns  die  weißgeschminkten 

137 


Gesichter  —  Gipsköpfe  lautet  der  Fachausdruck  —  und  die 
drei  abstehenden  bunten  Haarbüschel. 

Es  währte  nicht  lange,  so  standen  auch  bei  den  engli- 
schen  Misterien  Tragödie  und  Posse  eng  nebeneinander. 

Aus  einer  Sammlung  von  Misterien,  die  im  vierzehnten 
Jahrhundert  aufgezeichnet  und  nach  dem  Namen  ihrer  Be- 
sitzer, der  Familie  Towneley,  als  die  Towneley-Sammlung 
bezeichnet  wurde,  ist  dies  deutlich  zu  ersehen. 

In  dem  Spiele  von  Abels  Tod  sind  Kain  und  sein  Knecht 
Scheuerdieb  die  Komiker,  die  durch  Wortverdrehungen  und 
Prügeleien  unterhalten  wollen. 

In  der  „Sintflut"  spielt  Frau  Noah  die  Rolle  der  komi- 
schen Alten.  Sie  hält  ihrem  Gatten  eine  ausgewachsene 
Gardinenpredigt,  als  er  vom  Bau  der  Arche  heimkehrt.  Sie 
weigert  sich,  diese  zu  betreten,  ehe  sie  ihren  Rocken  ab- 
gesponnen hat.  Im  Schiffe  endlich  geht  der  Zank  wieder 
los,  der  zu  einer  Keilerei  zwischen  dem  Patriarchenpaar 
ausartet. 

Besonders  reich  an  urwüchsiger  Komik,  die  recht  be- 
zeichnende Einblicke  in  das  Leben,  die  Sitten  und  den 
Geschmack  Altenglands  gewährt,  ist  „Die  Geburt  Christi", 
die  in  zwei  Schäferspiele  geteilt  ist.  Beide  sind  besonders 
beachtenswert,  doch  das  zweite  liefert  uns  bereits  eine  völlig 
in  sich  abgerundete  Posse  und  zeigt,  wie  früh  das  englische 
Volk  seine  Begabung  für  dramatische  Literatur  verriet1. 

Der  Inhalt  des  ersten  Spiels  ist  folgender: 

Ein  Schäfer  klagt,  wie  vergänglich  alles  irdische  Gut  sei. 
Vor  kurzem  habe  er  noch  einen  schönen  Viehstand  gehabt, 
und  nun  seien  ihm  alle  seine  Tiere  gefallen,  er  selbst  aber 
ein  armer  Mann  geworden. 

Ein  Genosse  kommt  hinzu  und  jammert  über  die  Gewalt- 
tätigkeiten, die  an  den  Bauern  nicht  nur  von  Räubern,  son- 
dern auch  von  großen  und  kleinen  Herren  verübt  würden. 
Bald  aber  geraten  beide  in  Streit,  der  erst  durch  einen  Dritten 

1  Prof.  Dr.  Rieh.  Wülker,   Geschichte  der  englischen  Literatur,  2.  Aufl., 

Leipzig  und  Berlin  1906,  I.  Bd.,  S.  131. 

138 


geschlichtet  wird.  Zur  Versöhnung-  halten  sie  ein  gemein- 
schaftliches Mahl,  wozu  sie  eine  Menge  Leckereien  aus  ihren 
Rucksäcken  auskramen.  Leberpuddinge,  Pökelfleisch,  far- 
cierte  Kuhfüße,  gebratene  Ochsenschwänze,  Schweineschnau- 
zen, Geflügel  verschiedener  Art  werden  aufgezählt  und  den 
Zuschauern  vorgewiesen.  Da  kurz  vorher  der  eine  Hirte  er- 
wähnte, daß  sie  kaum  etwas  anderes  als  trockenes  Brot  zu 
essen  hätten,  so  dürfen  wir  wohl  annehmen,  daß  ein  Haupt- 
spaß darin  lag,  daß  bei  den  verschiedensten  Tafelgenüssen 
immer  wieder  Brot,  höchstens  vielleicht  noch  ein  Stück  Käse, 
den  Zuschauern  vorgezeigt  wurde.  Der  Bierkrug  kreist  fleißig, 
und  es  wird  auch  ein  Trinklied,  dessen  Text  leider  fehlt,  von 
diesem  lustigen  Kleeblatt  gesungen.  Dann  sinkt  die  Nacht 
herab,  und  die  Hirten  legen  sich  zur  Ruhe,  nachdem  sie 
sich  bekreuzt  und  den  „gekreuzigten  Heiland"  angerufen 
haben.  Kurz  darauf  erscheinen  die  Engel,  um  mit  ihrem 
Gesänge  „Ehre  sei  Gott  in  der  Höhe"  die  Geburt  des  Herrn 
zu  verkündigen.  Die  Hirten  erwachen  und  machen  sich  auf 
nach  Bethlehem. 

Das  andere  Hirtenspiel  beginnt  ähnlich,  indem  ein  Schäfer 
sich  über  den  Druck  der  Großen  beklagt,  ein  zweiter  aber 
die  scharfe  Zunge  und  die  Bosheit  seines  Weibes  für  die 
Quelle  all  seines  Übels  erklärt.   Ein  Dritter  kommt  hinzu, 
und  endlich  erscheint  noch  ein  berüchtigter  Schafdieb.    Da 
das  Stück  in  Nordengland  geschrieben  ist,  so  ist  der  Dieb 
natürlich  ein  Schotte,  und  sein  Name  ist  Mac.  Er  will  nicht 
erkannt  sein,  daher  hat  er  einen  Plaid  über  seinen  Anzug 
geschlagen.   Zu  demselben  Zwecke  bemüht  er  sich  auch,  in 
südländischer  Mundart  und  sehr  hochtrabend  zu  reden.  Aller- 
dings fällt  er  dabei  gleich  wieder  ins  Gewöhnliche: 
„Herr!  Bei  deinen  heil'gen  Namen  allen, 
der  Mond  und  Sterne  du  gemacht, 
die  zahllos  an  dem  Himmel  wallen, 
dein  Wille  werd'  an  mir  vollbracht! 
Wie  oft  tu'  ich  in  Sünden  fallen, 

das  hab'  ich  viel  bei  mir  bedacht! 

139 


O  weilt'  ich  doch  schon  in  des  Himmels  Hallen, 

dort  schreit  kein  kleines  Kind  in  der  Nacht 

beständig." 

Doch  die  Hirten  lassen  sich  nichts  vormachen,  sie  erkennen 
Mac  sofort:  „Mac,  wo  kommst  du  her?  Sag-' es  unverhohlen!" 
ruft  der  eine,  und  der  andere  setzt  hinzu:  „Ist  der  da?  Dann 
Obacht,  sonst  wird  uns  gestohlen!"  Mac  will  sich  zwar  noch 
immer  für  einen  vornehmen  Mann  ausgeben,  wie  er  indessen 
sieht,  daß  die  anderen  Bescheid  wissen,  steht  er  davon 
ab.  Auf  die  Frage,  wie  es  seiner  Frau  gehe,  antwortet  er 
kleinlaut: 

„Sie  sitzt  an  dem  Feuer,  beim  Kreuz  in  der  Ecken, 

trotz  des  Hauses  voll  Kinder  tut  ein  Gläschen  ihr 

schmecken, 

Gutes  weiß  sie  sonst  nicht  auszuhecken. 

Dabei 

ißt  sie  in  sich,  was  sie  kann, 

und  jed'  Jahr  schenkt  sie  dann 

ein  Kind  ihrem  Mann, 

mitunter  auch  zwei!" 
Die  Hirten  begeben  sich  zur  Ruhe,  da  sie  aber  Mac  nicht 
trauen,  muß  sich  dieser  zwischen  sie  legen,  damit  er  keinen 
Diebstahl  ausführen  kann.  Trotzdem  schleicht  er  sich  fort, 
als  die  Schäfer  entschlummert  sind,  stiehlt  den  fettesten 
Hammel  aus  der  Herde  und  bringt  ihn  nach  Hause.  Er  findet 
kein  besseres  Versteck  als  die  Wiege.  In  diese  bettet  er 
ihn,  als  läge  ein  neugeborenes  Kind  darin.  Dann  eilt  er 
zu  den  Schäfern  zurück,  kriecht  wieder  zwischen  sie  und 
tut,  als  schliefe  er  ganz  fest.  Das  Erwachen  der  Hirten  wird 
sehr  natürlich  geschildert:  dem  einem  ist  der  Fuß  noch  ein- 
geschlafen, erst  allmählich  kommt  er  ganz  zu  sich.  Der  Zweite 
dagegen  hat  herrlich  geruht,  und  nur  der  Dritte  hatte  einen 
schweren  Traum:  er  sah  Mac  als  Werwolf  in  die  Herde  ein- 
fallen. Der  aber  schläft  noch  immer  und  ist  kaum  wach  zu 
bekommen.  Endlich  erhebt  er  sich  und  erzählt  einen  Traum, 
den  er  gehabt  habe;  seine  Frau  habe  gegackert,  das  deute 
MO 


auf  Familienvermehrung,  darum  müsse  er  schleunigst  nach 
Hause.  Die  Hirten  untersuchen  ihn  vor  dem  Abschied,  ob 
er  auch  wirklich  nichts  gestohlen  habe,  finden  aber  nichts. 
Trotzdem  zählen  sie  sofort  ihre  Herde  nach  und  entdecken 
den  Diebstahl.  Unverzüglich  machen  sie  sich  nach  Macs 
Hütte  auf,  um  den  Hammel  zu  suchen.  Der  Schotte  sieht 
sie  herankommen.  Er  setzt  sich  darum  an  die  Wiege  und 
singt  ein  Wiegenliedchen,  während  sein  Weib  sich  zu  Bett 
gelegt  hat,  als  sei  sie  in  den  Wochen.  Die  Hirten,  durch 
alle  diese  Veranstaltungen  nicht  irre  gemacht,  durchsuchen 
das  Haus  von  oben  bis  unten,  müssen  aber  beschämt  ein- 
gestehen, daß  sie  außer  einigen  fetten  Spinnen  kein  Fleisch 
im  ganzen  Hause  vorgefunden  haben.  Um  nun  Mac,  den  sie 
für  einen  Dieb  hielten,  jetzt  aber  für  unschuldig  erklären 
müssen,  eine  Freude  zu  bereiten,  beschließen  sie,  das  Kind 
zu  beschenken. 

Erster  Hirte. 
Schenkest  du  was  dem  kleinen  Kind? 

Zweiter  Hirte. 
Keinen  Pfennig  gab  ich  zum  Angebind! 

Dritter  Hirte. 
Ich  will  ihm  holen  was  geschwind, 
erwartet  mich  hier!  (Er  kommt  zurück.) 

Mac,  schau,  ich  habe 
fürs  Kind  eine  Gabe; 
nun  laß  es  mich  sehen, 
dann  können  wir  gehen. 
Mac. 
Fort!  Ich  will  euch  nicht  mehr, 
ihr  kränket  mich  schwer! 
Dritter  Hirte. 
Dein  Kind  wird  nicht  dran  denken, 
der  liebe  Tagesstern! 
Laß  mich  ihm  etwas  schenken, 
einen  Groschen  geb  ich  gern! 

141 


Mac. 
Nein!  Denn  zu  schlafen  es  scheint! 

Dritter  Hirte. 
Ich  glaube,  es  weint! 

Mac. 
Fort,  daß  es  nicht  greint! 

Dritter  Hirte. 
Doch  ohne  Kuß  tu'  ich  es  nicht! 

(Zieht  den  Vorhang  der  Wiege  zurück ) 

Was  Teufel!  Das  hat  ja  ein  Schafsgesicht! 

Erster  Hirte. 
Nun  warte,  du  durchtriebener  Wicht! 

Zweiter  Hirte. 
Der  Krug  geht  zum  Brunnen,  bis  er  bricht! 
Das  ist  unser  Hammel! 

Mac. 
Stille,  bitte  ich!  Schweigt  geschwind! 
Dies  hier  ist  unser  liebes  Kind! 

Die  Frau  weiß  sich  schnell  zu  fassen  und  erklärt  unver- 
froren: „So  wahr  Gott  mir  helf',  als  die  Glocke  schlug  zwölf, 
da  kam  ein  Elf,  der  hat  es  verhext!"  Leider  bleiben  aber 
die  Hirten  ungläubig  und  halten  nach  wie  vor  Mac  für  den 
Hammeldieb.  Sie  werfen  ihn  darum  auf  ein  Tuch  und  prellen 
ihn,  bis  sie  sich  nicht  mehr  rühren  können.  Dann  ruhen  sie 
auf  der  Weide  aus.  Da  erscheint  ein  Engel,  singt  „Ehre  sei 
Gott  in  der  Höhe"  und  verkündet  damit  die  Geburt  Christi. 
Sofort  machen  sich  die  Hirten  auf,  den  Weltheiland  anzu- 
beten und  ihm  Geschenke  darzubringen :  Ohrgehänge  von 
Kirschen  schenkt  der  eine,  der  andere  ein  Vöglein  dem 
„kleinen,  winzigen  Flederwischchen",  der  dritte  aber  gibt 
ein  Bällchen,  damit  es  „zum  Tennisspiel"  gehen  könne. 

Wo  man  dem  ernsten  und  gravitätischen  Stoff  durch  possen- 
hafte Zutaten  nicht  Gewalt  antun  konnte  oder  wollte,  half 
man  sich  dadurch,  daß  ein  Possenspiel,  das  in  keinem  Zu- 
142 


sammenhang  mit  der  eigentlichen  Handlung-  stand,  einge- 
schoben oder  angehängt  wurde.  Ist  das  Publikum  im  Pro- 
cessus Crucis  (der  Kreuzigung)  zu  Tränen  gerührt,  so  heitert 
sofort  das  derbe,  groteske  Processus  Talentorum  (das  Würfel- 
spiel) die  betrübten  Gemüter  wieder  auf. 

„Die  Kriegsknechte,  die  bei  der  Kreuzigung  mitgewirkt 
haben,  kommen  mit  dem  ungenähten  Rock  Christi  zu  Pilatus, 
damit  dieser  entscheide,  wem  er  gehören  soll.  Pilatus,  merk- 
würdigerweise mit  ,König  Pilatus'  bezeichnet,  befiehlt  zu 
würfeln.  Obgleich  er  nun  nicht  den  besten  Wurf  tut,  nimmt 
sich  Pilatus  den  Rock,  moralisiert  dann  aber  noch  lang  und 
breit  über  die  Verwerflichkeit  des  Knobeins." 

In  dem  letzten  der  Towneley-Spiele,  „Das  Jüngste  Ge- 
richt", hatte  das  Komische,  der  junge  Teufel  Tutivillus,  auf 
moralisierende  Wirkung  gerechnet. 

Im  sechzehnten  Jahrhundert  beschrieb  ein  Augenzeuge, 
der  englische  Topograph  Lambert,  ein  Misterium.  Er  sah  den 
Bethlehemischen  Kindermord.  Hier  trat  einer  der  Hofnarren 
des  Herodes  vor  und  verlangte  den  Ritterschlag,  damit  er 
das  Recht  habe,  gegen  die  Bethlehemischen  Mütter  vorzu- 
gehen. Die  Weiber  griffen  ihn  aber  mit  ihren  Spinnrocken 
an,  zerschlugen  ihm  den  Kopf  und  schickten  ihn  mit  Schimpf 
und  Schande  nach  Hause. 

Die  Misterien  währten  bis  in  das  siebzehnte  Jahrhundert, 
ohne  aber  Neues  zu  bringen  oder  Fortschritte  zu  zeigen. 
Schon  gegen  Ende  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  traten 
ihnen  gefährliche  Rivalen  in  den  Moralitäten  entgegen. 

In  diesen  Moralitäten  sollte  der  Zwiespalt  in  der  Seele  des 
Menschen,  sein  Ringen  mit  den  Lastern  und  dem  Unglauben, 
sein  Kampf  mit  der  Welt  und  ihren  Verführungen  vorge- 
führt werden.  Da  die  Kraft  der  Dichter  nicht  ausreichte, 
diesen  Stoff  als  psychologisches  Problem  aufzufassen,  hal- 
fen sie  sich  durch  die  Allegorien.  Alle  Tugenden  und  alle 
Laster  wurden  personifiziert  und  agierten  nun  je  nach  der 
von  ihnen  verkörperten  Charaktereigenschaft  tragisch  oder 
lustig. 

143 


In  der  Moralität  „Mankynde"  (Die  Menschheit)  stritten  die 
dunklen  Mächte  mit  denen  des  Lichtes  um  die  Seele.  Der 
Teufel  Tutivillus,  eine  anscheinend  sehr  beliebte  Figur,  und 
sein  Anhang  bringen  den  Menschen  so  weit,  daß  er  sich  aus 
Verzweiflung  über  sein  sündhaftes  Leben  erhängen  will.  In 
diesem  Augenblick  naht  sich  indessen  die  Gnade  (Mercy), 
und  durch  sie  und  ihre  Gefährten  wird  der  Mensch  dem 
Leben  gewonnen  und  auf  den  Weg  des  Heils  gebracht  und 
dies  alles  unter  Mithilfe  einer  besonders  derb  auftretenden 
grotesken  Komik. 

Die  Moralität  leitete  zur  modernen  dramatischen  Dichtung 
über.  Je  nachdem  die  Sünden  und  Gebrechen  der  Menschen 
komisch  oder  tragisch  behandelt  wurden,  führten  sie  zum 
Lustspiel  oder  zum  Drama. 

Scharf  an  der  Kante  zwischen  Moralität  und  Harlekinade 
steht  der  „Nigromansir"  (Schwarzkünstler)  von  dem  Huma- 
nisten John  Skelton  (1460 — 1529).  Das  Stück  selbst  ist  ver- 
loren gegangen,  wir  besitzen  nur  noch  seine  Inhaltsangabe. 

„Der  Titelheld  tritt  als  Prolog  auf  und  erklärt  die  Hand- 
lung des  Stückes.  Bestechlichkeit  und  Geiz  v/erden  vor  einen 
Gerichtshof  gerufen,  dem  der  Teufel  selbst  Vorsitzen  soll. 
Ein  Notar  ist  Schriftführer  und  Hanswurst  zugleich.  Ein 
Schwarzkünstler  wird  in  die  Hölle  gesandt,  um  Beelzebub 
zu  der  Sitzung  abzuholen.  Allein  der  Teufel,  aus  dem  Schlaf 
geweckt,  prügelt  den  Boten  weg.  Als  er  endlich  doch  er- 
scheint, versucht  ihn  Bestechlichkeit  durch  Geldgeschenke 
zu  gewinnen,  aber  er  ist  unbestechlich  und  verurteilt  die 
beiden  Angeklagten,  ,in  dem  untersten  Sündenpfuhl  der 
Hölle  zu  braten  und  zu  schmoren  bei  Mahomet,  Judas,  Pilatus 
und  Herodes*.  In  der  Schlußszene  führt  Beelzebub  mit  dem 
Schwarzkünstler  vor  dem  offenen  Höllenrachen  einen  Tanz 
auf,  bis  beide  unter  einem  Feuerregen  in  der  ewigen  Glut 
verschwinden2." 

Das  derbe,  mit  Zweideutigkeiten  gespickte  Stück  wurde 

*  Wülker,  S.  220. 
144 


nicht  etwa  auf  einem  Jahrmarkt,  sondern  vor  König  Hein- 
rich VII.  und  seinem  Hofe  aufgeführt.  Es  zeigt,  woran  der 
damalige  feine  Geschmack  oder  der  Geschmack  der  feinen 
Welt  noch  Gefallen  fand. 

Die  neue  Richtung,  die  Kelton  eingeschlagen,  wurde  von 
John  Heywood  (1495 — 1565  oder  1577)  erfolgreich  weiter 
verfolgt.  Seine  Spiele  zeichnen  sich  vor  denen  aller  seiner 
Vorgänger  durch  Lebendigkeit  und  Ursprünglichkeit  aus. 
Die  Künstelei  der  Allegorie  ist  in  ihnen  vermieden,  Men- 
schen treten  auf,  wenn  auch  von  vierschrötiger  Gestalt. 

Die  älteste  unter  Heywoods  Possen  ist  wohl  „The  Merry 
Play  between  the  Pardoner,  and  the  Frere,  the  Curate  and 
negbour  Pratte"  (Das  lustige  Spiel  vom  Ablaßkrämer,  dem 
Bettelmönch,  dem  Pfarrer  und  Nachbar  Pratte),  um  1520 
entstanden  und  1533  gedruckt. 

Einem  Bettelmönch  ist  erlaubt  worden,  in  der  Kirche  zu 
predigen.  Kaum  hat  er  zu  sprechen  begonnen,  so  erscheint 
ein  Ablaßkrämer,  der  seine  Reliquien  auslegt  und  mit 
lauter  Stimme  anpreist.  So  den  „Arm  des  heiligen  Sonn- 
tags", „Die  groß  Zeh  der  heiligen  Dreifaltigkeit"  und  ähn- 
liches mehr.  Beide  suchen  einander  zu  überschreien.  Als 
aber  keiner  seinen  Zweck  erreicht,  schreiten  sie  zu  Tät- 
lichkeiten, und  bald  hallt  die  Kirche  vom  Gekreische  der 
sich  Prügelnden  wieder.  Vergebens  sucht  der  Ortsgeistliche 
Frieden  zu  stiften.  Er  und  der  zu  Hilfe  gerufene  Nachbar 
Pratte  werden  nur  in  die  allgemeine  Hauerei  hineingezogen 
und  weidlich  durchgewalkt,  bis  die  beiden  Eindringlinge, 
begleitet  von  den  Verwünschungen  aller  Anwesenden,  den 
Schauplatz  ihrer  ersprießlichen  Tätigkeit  verlassen. 

Ein  Prügelstück  erster  Güte  ist  ferner  „The  Mery  Play 
between  Johann  the  Husbonde,  Tyb  his  Wife  and  Syr  Jhon 
the  Preest"  (Das  lustige  Spiel  von  dem  Ehemann  Hans, 
seinem  Weibe  Grete  und  Herrn  Johannes  dem  Priester). 

In  einem  einleitenden  Monolog  will  sich  Hans  zwar  als 
Herr  in  seinem  Hause  aufspielen  und  besonders  die  Be- 
suche des  Geistlichen  bei  seiner  Frau  abstellen.  Wie  aber 
10  145 


Grete  erscheint,  ist  er  sofort  der  zaghafte  Siemann.  E 
selbst  muß  Herrn  Johannes  zu  einer  Pastete  einladen,  di 
Grete  gebacken  hat.  Der  Priester  kommt,  und  währen 
er  sich  mit  der  Frau  an  der  Speise  ergötzt,  wird  Hans  durch 
allerlei  Aufträge  fern  gehalten.  Da  er  sich  dies  nicht  ge- 
fallen lassen  und  von  der  Pastete  mitessen  will,  entsteht 
eine  Prügelei.  Der  Geistliche  und  die  Frau  fallen  vereint 
über  Hans  her  und  schlagen  ihn  blutig,  dann  verschwinden 
sie.  Hans  kommt  langsam  wieder  zu  Kräften.  Kaum  hat  er 
sich  aber  erholt,  hält  er  zunächst  eine  Lobrede  auf  seine 
Tapferkeit,  und  wie  siegreich  er  das  Schlachtfeld  behauptet 
hat.  Doch  da  kommt  ihm  der  Gedanke,  das  plötzliche  Ver- 
schwinden der  beiden  könnte  mit  einem  Vorgang  zusammen- 
hängen, den  er  als  Ehemann  nicht  dulden  dürfe,  und  so  geht 
er  denn  dem  Paare  nach,  um  sein  Hausrecht  zu  wahren3. 

Die  Prügelszenen  sind  eines  der  wichtigsten  Bestandteile 
dieser  Zwischenspiele,  doch  geht  es  auch  hin  und  wieder 
ohne  sie  ab.  So  in  der  Farce  „The  faure  PP"  (die  vier  P's) 
Der  Titel  rührt  von  den  auftretenden  Personen,  Palmer 
(Wallfahrer),  Pardoner  (Ablaß kräm er),  Poticary  (Apotheker) 
und  Pedlar  (Hausierer)  her. 

Der  Wallfahrer  und  der  Ablaßkrämer  streiten  darüber, 
ob  der  Mensch  leichter  durch  Bußfahrten  oder  durch  Ablaß 
in  den  Himmel  kommen  könne.  Mit  dem  Hinzukommen  der 
beiden  weiteren  Personen  geht  das  Gespräch  auf  etwas  an 
deres  über.  Wallfahrer,  Ablaßkrämer  und  Apotheker  streiten 
jetzt  miteinander,  wer  von  ihnen  der  größte  Lügner  sei,  und 
der  Hausierer  soll  den  Schiedsrichter  machen.  Der  Apotheker 
erzählt  von  den  haarsträubendsten  Wunderkuren,  die  er  mit 
Hilfe  seiner  Klistierspritze  vollbracht  hat.  Der  Ablaßkrämer 
berichtet,  wie  er  ein  böses  Weib  aus  der  Hölle  zurückgeholt 
habe,  aber  sie  beide  werden  von  dem  Wallfahrer  übertrumpft 
Er  behauptet  nämlich,  in  seinem  ganzen  Leben  noch  nie- 
mals eine  Frau  zornig  gesehen  zu  haben,  und  dies  wird  als 
die  größte  Lüge  anerkannt. 

8  Wülker,  S.  224  f. 
146 


Heywoods  Stücke  sind  für  uns  noch  dadurch  besonders 
bemerkenswert,  daß  in  ihnen  die  mittelalterliche  Figur  des 
Lasters  (Vice),  wie  sie  zum  Bestand  der  Moralitäten  gehörte, 
zum  Clown  des  modernen  Dramas  wurde.  Der  Apotheker  in 
den  „vier  P's",  Hans  im  „Ehemann-Hans"  sind  bereits  Clowns, 
mehr  aber  noch  der  Narr  in  einem  kurzen  „Spiel  von  der 
Liebe"  (The  Playe  of  Love)  und  der  lustige  Bote  (Merry 
Report)  im  „Spiel  vom  Wetter"  (Play  of  the  Weather)  des- 
selben Dichters. 

Der  Hanswurst,  wenn  er  auch  noch  lange  nicht  auf  diesen 
Namen  hört,  wird  hinfort  zum  unentbehrlichen  Bestandteil 
jedes  Dramas.  Selbst  in  tieftragischen  Stücken  unterbrechen 
er  und  seine  gleichgesinnten  Genossen  oft  in  unpassender, 
aufdringlicher  und  störender  Weise  den  Gang  der  Handlung. 

Thomas  Sackville,  Lord  Buckhurst  (1536 — 1608),  der  ver- 
eint mit  Thomas  Morton  die  erste  englische  Tragödie  „Gor- 
boduc"  schrieb,  benützt  diese  Personen,  die  er  in  die  ver- 
schiedensten Kostüme  steckte,  sie  als  Zufall  (Haphazard), 
als  Bauer,  als  Raufbolde  auftreten  läßt,  in  den  meisten 
seiner  sonst  ganz  ernsten  Stücke. 

In  diesen  Figuren  machte  sich  unverkennbar  spanischer 
Einfluß  geltend.  Er  war  auch  anderweitig  so  bedeutend, 
daß  England  ihm  seine  erste  wirkliche  Komödie  verdankt. 
Merkwürdigerweise  ist  die  Vorlage  für  diese  die  „Celestina" 
des  Rodrigo  de  Cota,  deren  Tragik  der  englische  Dichter 
ohne  jedes  Bedenken  in  eine  Burleske  umwandelte. 

Neben  den  spanischen  Vorlagen  bot  auch  die  altlateinische 
Komödie  willkommene  Stoffe.  Besonders  die  vielen  Prügel- 
szenen in  den  Komödien  von  Plautus  waren  so  recht  nach 
dem  englischen  Geschmack  und  wurden  auch  dort  einge- 
legt, wo  sie  im  Original  nicht  standen.  Im  „Miles  glorio- 
sus"  von  Plautus,  von  Nicholas  Udall  (um  1505 — 1556)  unter 
dem  Titel  „Ralph  Royster  Doyster"  auf  die  englische  Bühne 
gebracht,  bildete  die  Szene  den  Höhepunkt,  in  der  Ralph, 
eben  der  Bramarbas,  in  das  Haus  seiner  Geliebten  eindringen 
will.  Diese  aber  hat  ihre  weibliche  Dienerschaft  mit  Besen, 

io«  147 


er 


Kochlöffeln  und  anderen  Küchengeräten,  mit  gefüllten  Eimerr 
und  anderen  nützlichen  Gefäßen  bewaffnet  und  leistet  so  ent- 
schieden Widerstand,  daß  Royster  mit  den  Seinen  zurück- 
weichen muß. 

Ganz  englisch  ist  die  Komödie  „Like  will  to  Like,  quoth 
the  Devill  to  the  Collier"  (Gleich  und  gleich  gesellt  sich 
gern,  sagt  der  Teufel  zu  dem  Köhler,  1568)  von  Ulpian 
Fulwell,  in  der  sich  allegorische  Gestalten  mit  landläufigen 
mischen. 

„Guter  Ruf,  tugendhaftes  Leben  und  Ehre  treten  neber 
Niclas  New  fangle  (Neuer  Einfall),  der  Verkörperung  der 
damaligen  Jugend,  auf.  Außer  diesen  spielen  der  Prahler 
Ralph  Royster,  Tom  Tosspot  (Stürzenbecher),  Cuthbert  Curt- 
puse  (Beutelschneider)  und  andere.  Luzifer  holt  am  Schlüsse 
New  fangle  in  die  Hölle,  und  Curtpuse  wird  gehenkt." 

Nationalcharakter  trägt  ferner  Tom  Tiler  and  his  wife  (Tom 
Tiler  und  seine  Frau). 

Die  Frau  Strife  (Streit)  keift  von  früh  bis  spät.  Tom  Tiler 
klagt  seine  Not  dem  Nachbar  Taylor.  Der  verkleidet  siel 
als  Tiler  und  prügelt  Strife  derart  mürbe,  daß  sie  ganz  un- 
tröstlich ist.  Tiler,  um  sein  Weib  zu  beruhigen,  erzählt  ihm 
den  Sachverhalt.  Sie  gibt  ihm  darauf  die  erhaltenen  Schläge 
mit  Zinseszinsen  zurück,  bis  Patience  (die  Geduld)  erscheint 
und  das  Ehepaar  versöhnt. 

Weit  besser  in  Anlage  und  Ausführung  als  diese  Stücke 
ist  die  Posse  „Gammer  Gurtons  Needle"  (Gevatterin  Gur- 
tons  Nähnadel),  deren  lustiges  Sujet  sogar  heute  noch  zu 
bestehen  vermag. 

Gevatterin  Gurton  flickt  einem  Bauern  die  Hosen.  Da 
sieht  sie,  wie  die  Katze  sich  über  die  Milch  machen  will. 
Sie  wirft  ihre  Arbeit  hin.  Als  sie  die  Katze  verjagt  hat  und 
die  Arbeit  wieder  aufnehmen  will,  vermißt  sie  ihre  Nadel. 
Ein  boshafter  Gevatter  hetzt  sie  gegen  ihre  Nachbarin  auf, 
indem  er  behauptet,  diese  hätte  die  Nadel  gestohlen.  Nacl 
langem  Hin  und  Her  folgt  die  obligate  Prügelei.  Endlicl 
soll  sogar  der  Teufel  beschworen  werden,  das  Versteck  der 
148 


Nadel  bekannt  zu  geben.  Unterdes  hat  der  Bauer  die  Hosen 
angezogen.  Wie  er  sich  setzt,  stößt  er  sich  die  Nadel  in 
sein  Gesäß.  So  ist  denn  die  Vermißte  entdeckt  und  der 
Streit  geschlichtet. 

Solche  echt  volkstümlichen,  wenn  auch  gassenhauerischen 
Töne  wurden  von  der  Menge  herzlich  belacht,  aber  von  Vor- 
nehmtuern von  oben  herab  angesehen. 

Diese,  die  Mehrzahl  der  Theaterfreunde,  wollten  höher 
hinaus  und  bevorzugten  auch  auf  der  Volksbühne  die  bom- 
bastischen Dramen  mit  maßlos  gehäuften  Schauerszenen,  wie 
sie  ja  auch  in  Deutschland  dem  Auftreten  unserer  größten 
Dramatiker,  Schiller  und  Goethe,  vorangehen  sollten.  Mit 
diesen  übermenschlichen  Greueln  stand  aber  auch  weiter 
die  Komik  niedrigster  Art  Hand  in  Hand  auf  der  Bühne. 

So  reißt  der  wachende  Roland  in  Robert  Greenes  gleich- 
namigem Drama  dem  Diener  seines  Feindes  ein  Bein  aus, 
das  er  wie  eine  Keule  schwingt*.  In  desselben  Dichters 
„Bruder  Bacon  und  Bruder  Bungay"  (Historie  of  Frier  Bacon 
and  Frier  Bungay,  1591)  vertreten  Miles,  der  arme  Schüler 
des  Erzzauberers  Bacon,  die  Hofnarren  Ernsby  und  Ralph 
Simmel  die  Grotesk-Komik.  Püffe,  Schläge,  Ohrfeigen,  falsch 
ausgesprochene  und  mißverstandene  lateinische  Brocken, 
sind  auch  hier  die  Grundzüge  der  Komik.  Als  der  Teufel 
kommt,  den  Miles  in  die  Hölle  abzuholen,  hat  dieser  gar 
nichts  dagegen,  da  er  sich  doch  auf  der  Erde  zu  sehr  ärgert 
und  langweilt.  Nachdem  er  das  Versprechen  erhalten,  in 
der  Hölle  als  Bierzapfer  angestellt  zu  werden,  setzt  er  sich 
auf  den  Rücken  des  Teufels  und  fliegt  mit  ihm  davon.  Aller- 
dings ist  bei  Miles  und  den  Hofnarren  schon  der  Fortschritt 
festzustellen,  daß  sie  nicht  neben  der  Handlung  einherlaufen, 
sondern  mit  ihr  verwoben  sind. 

Das  grotesk-komische  Element  macht  sich  auch  dem  herr- 
lichen Werke  des  bedeutendsten  Vorläufers  Shakespeares, 
in  Christopher  Marlowes  Doktor  Faust  breit.  Kit  Marlowe, 

*  Friedrich  Bodenstedt,  Shakespeares  Zeitgenossen  und  ihre  Werke, 
Berlin  1860,  III.  Bd.  S.  83. 

149 


wie  ihn  die  Zeitgenossen  nannten,  wäre  vielleicht  ein  zweiter 
Shakespeare  geworden,  wenn  am  1.  Juni  1593  den  Neun- 
undzwanzigj  ährigen  nicht  der  Dolch  eines  Freundes  töd- 
lich getroffen  hätte. 

Mögen  die  Rüpelszenen  im  Faust  auch  nicht  von  Mar- 
lowe  selbst  stammen,  sondern  von  späteren  Bearbeitern  ein- 
geschoben sein,  so  zeigen  sie  doch,  daß  selbst  in  einem 
so  gereiften,  tiefsinnigen  Werke  wie  es  der  Doktor  Faust 
ist,  das  Grotesk-Komische  nicht  zu  missen  war,  wenn  das 
Stück  dem  Publikum  gefallen  sollte.  Übrigens  ist  auch  Mar- 
lowe  selbst  dem  Burlesken  nicht  aus  dem  Wege  gegangen, 
wie  die  Szenen  mit  dem  Papst  und  den  Priestern  beweisen. 

Ich  lasse  hier  zwei  der  Rüpelszenen  nach  der  Übersetzung 
von  Wilhelm  Müller,  dem  Dichter  der  Griechenlieder5,  folgen : 

Rüpel  tritt  auf. 
Heda,  Dick!  Sieh  nach  den  Pferden,  bis  ich  zurückkomme. 
Ich  habe  eins  von  Doktor  Faustus  Beschwörungsbüchern  er- 
obert, und  da  wollen  wir  einmal  die  Spitzbüberei  versuchen. 

Dick,  ein  Stallknecht,  kommt. 

Dick.  Heda,  Rüpel,  du  mußt  fort  und  die  Pferde  aus- 
reiten. 

Rüpel.  Ich  die  Pferde  ausreiten?  Prosit  die  Mahlzeit, 
ich  habe  andre  Sachen  zu  tun,  laß  die  Pferde  sich  selbst 
ausreiten,  wohin  sie  wollen.  A  per  se  a  per  se  demi  orgon 
gorgon  —  Heb  dich  weg  von  mir,  du  unliterarischer  und 
ungelehrter  Stallknecht ! 

Dick.  Potz  Würmer  und  Schlangen,  was  hast  du  denn 
da  erobert?  Ein  Buch?  Was,  du  kannst  ja  kein  Wort  darin 
lesen. 

Rüpel.  Du  sollst  es  gleich  sehn.  Geh  mir  aus  dem  Zirkel» 
sag'  ich,  oder  ich  lasse  dich  vom  Teufel  in  den  Pferdestall 
transportieren. 

Dick.  Das  ist  was  Schönes,  das  muß  ich  gestehn.  Du 
tatst  auch  besser,  deine  Tollheiten  sein  zu  lassen,  denn  wenn 

s  Berlin  1818,  mit  einer  Vorrede  von  Ludwig  Achim  von  Arnim. 
150 


der  Herr  kommt,  der  wird  dich  in  der  Tat  recht  ordent- 
lich beschwören. 

Rüpel.  Mein  Herr  mich  beschwören!  Ich  will  dir  was 
sagen:  wenn  der  Herr  mir  zu  nahe  kommt,  so  will  ich  ihm 
ein  so  schönes  Paar  Hörner  an  den  Kopf  setzen,  wie  du 
in  deinem  Leben  nicht  gesehen  hast. 

Dick.  Das  brauchst  du  nicht  erst  zu  tun,  dafür  hat  die 
Madam  schon  gesorgt. 

Rüpel.  Oho,  hier  sind  Leute,  die  in  diese  Materie  eben 
so  tief  eingedrungen  sind  wie  andre,  wenn  wir  nur  plau- 
dern wollten! 

Dick.  Hol'  dich  der  Teufel,  ich  dachte  es  mir  immer, 
daß  du  nicht  so  für  nichts  und  wieder  nichts  Trepp'  auf, 
Trepp'  ab  hinter  sie  her  schlichest.  Aber,  ich  bitte  dich, 
Rüpel,  sag  mir  in  völligem  Ernst,  ist  denn  das  ein  Beschwö- 
rungsbuch? 

Rüpel.  Sprich  nur,  was  ich  tun  soll,  und  ich  will  es  tun. 
Willst  du  nackend  tanzen,  so  zieh'  nur  deine  Kleider  aus, 
und  ich  will  dich  auf  der  Stelle  beschwören.  Oder  willst 
du  mit  mir  in  die  Kneipe  gehn,  ich  will  dir  geben  lassen 
Weißwein,  Rotwein,  Ciaret,  Sekt,  Muskat,  Malvasier  und 
Tunkwein  —  halt,  Schlampampus,  halt  —  und  wir  wollen 
keinen  Pfennig  dafür  bezahlen. 

Dick.  O  du  Braver!  Ich  bitte  dich,  laß  uns  gleich  gehn, 
denn  ich  bin  durstig  wie  ein  Hund. 

Rüpel.    Komm  denn,  wir  wollen  fort.     (Beide  ab.) 


Rüpel  und  Dick  treten  auf.    Einer  hält  einen  Becher. 

Dick.  Kerl!  Rüpel!  Wir  täten  am  besten,  uns  nach  deinem 
Teufel  umzusehn,  daß  der  sich  für  unsern  gestohlenen  Becher 
verantwortete,  denn  des  Schenkwirts  Junge  folgt  uns  hart 
auf  den  Fersen. 

Rüpel.  Hat  nichts  zu  sagen,  laß  ihn  kommen.  Wenn  er 
uns  folgt,  so  will  ich  ihn  beschwören,  wie  er  in  seinem  Leben 

151 


noch  nimmermehr  beschworen  worden  ist,  dafür  steh'  ich. 
Gib  mir  den  Becher. 

Der  Schenkwirt  kommt. 

Dick  (Dick  gibt  den  Becher  an  Rüpel).  Hier  hast  du  ihn.  Da 
kommt  er.  Jetzt,  Rüpel,  jetzt  oder  nimmermehr  zeige  deine 
Wissenschaft. 

Schenkwirt.  Ah,  seid  ihr  hier?  Ich  freue  mich,  daß  ich 
euch  gefunden  habe.  Ihr  seid  mir  ein  Paar  schone  Kum- 
pans. Sagt,  wo  ist  der  Becher,  den  ihr  aus  der  Schenke 
gestohlen  habt? 

Rüpel.  Was,  was!  Wir  einen  Becher  gestohlen?  Seht 
zu,  was  Ihr  sprecht.  Sehen  wir  wie  Becherdiebe  aus  ?  He, 
was  meint  Ihr? 

Schenkwirt.  Nun,  nun,  leugnet's  nur  nicht.  Ich  weiß  es, 
ihr  habt  ihn,  und  ich  muß  euch  visitieren. 

Rüpel.  Mich  visitieren?  Gut,  macht's  nur  —  Halt  den 
Becher,  Dick  —  Kommt,  kommt,  visitiert  mich. 

Schenkwirt  (zu  Dick).  Komm  heran,  Kerl,  jetzt  will  ich 
dich  visitieren. 

Dick.  Ja,  ja,  nur  zu  —  Halt  den  Becher,  Rüpel  —  Ich 
fürchte  mich  nicht  vor  Eurem  Visitieren.  Wir  werden  uns 
wahrhaftig  nicht  so  gemein  machen,  Eure  Becher  zu  stehlen, 
das  kann  ich  Euch  sagen. 

Schenkwirt.  Nun,  nun,  ihr  macht  mich  doch  nicht  dumm. 
Denn  ich  bin  überzeugt,  der  Becher  ist  unter  euch  beiden. 

Rüpel  (hält  den  Becher  in  die  Höhe).  Nein,  da  lügt  Ihr.  Er 
ist  über  uns  beiden. 

Schenkwirt.  Hol'  euch  der  Teufel,  ich  dacht'  es  gleich, 
daß  es  nur  ein  Spaß  von  euch  wäre,  daß  ihr  den  Becher 
mitgenommen  habt.  Kommt,  gebt  ihn  her. 

Rüpel.  Ja,  Prosit  die  Mahlzeit!  Übermorgen!  Dick,  mache 
einen  Kreis  um  mich  herum,  stelle  dich  dicht  an  meinen 
Rücken  und  rühre  dich  um  Leib  und  Leben  nicht.  Herr 
Schenk,  Ihr  sollt  Euren  Becher  gleich  haben.  Still,  Dick. 
O  per  se  o  demigorgon!  Rülpsius  und  Mephostophilis. 

Mephostophilis  tritt  auf. 
152 


Mephostophilis.  Oihr  Trabanten  all'  des  Höllenreichs, 
Wie  mich  die  Zauberei  der  Schufte  neckt! 
Von  Stambul  aus  werd'  ich  hieher  be- 
schworen 
Zum  Spaße  nur  für  diese  Sklavenbrut. 
Rüpel.  Bei  der  heiligen  Jungfrau,  Herr,  da  habt  Ihr  eine 
verdammte  Tagereise  gehabt.  Ist  es  Euch  gefällig,  mit  einer 
Schöpsenkeule  zum  Abendbrot  vorlieb  zu  nehmen  und  dann 
mit  einem  Zehrpfennig  in  der  Tasche  Euren  Weg  fortzu- 
setzen? 

Dick.    Ja,  ich  bitt'  Euch  von  Herzen  darum.  Denn  wir 
riefen  Euch  bloß  aus  Jokus,  das  könnt  Ihr  glauben. 
Mephost.    Um  den  vorwitz'gen  Frevel  zu  bestrafen, 
Sei  du  in  diese  Schmachgestalt  verwandelt. 

(Verwandelt  Dick  in  einen  Affen.) 
Die  Affenfratz  ist  für  die  Affentat. 
Rüpel.  O  vortrefflich!  Ein  Affel  Ich  bitt'  Euch,  Herr, 
laßt  mich  ihn  herumführen  und  Kunststücke  mit  ihm  machen. 
Mephost.    Das  soll  geschehen.  Verwandle  dich  in  einen 
Hund  und  nimm  ihn  auf  den  Rücken.  Marsch,  fort! 

Rüpel.  Ein  Hund!  Das  ist  exzellent!  Nun,  Mägde,  seht 
nach  euren  Suppentöpfen,  denn  es  geht  gleich  in  die  Küche 
mit  mir.    Komm,  Dick,  komm!     (Beide  ab.) 

Mephost.  Jetzt  mit  des  ewigglühnden  Feuers  Flammen 
Beschwing'  ich  mich  und  fliege  frisch  von  dannen 
Zu  meinem  Faust  am  Hof  des  Großsultans.  (Ab.) 

Von  Marlowe  zum  Heros  der  Dichtkunst,  William  Shake- 
speare, ist  nur  ein  Schritt,  wenn  auch  einer,  zu  dem  die 
Siebenmeilenstiefel  des  deutschen  Märchens  gehören. 

Shakespeare,  der  seiner  Epoche  so  weit  vorausgeeilt  ist, 
daß  er  vom  sechzehnten  Jahrhundert  an  bis  zum  heutigen 
Tage  immer  modern,  ungealtert,  unverstaubt  blieb,  war 
dennoch  ein  Kind  seiner  Zeit  und  nur  zu  gern  bereit,  dem 
Geschmack  seiner  Mitbürger,  der  ja  auch  der  seine  war, 
Rechnung  zu  tragen. 

153 


So  fehlt  denn  auch  in  seinem  Drama  der  Clown  nicht. 

Mag  er  als  Narr  erscheinen  wie  in  König  Lear,  Was 
ihr  wollt,  Ende  gut,  alles  gut  und  als  Probstein  in  Wie  es 
euch  gefällt  und  geistreiche  Sentenzen  um  sich  werfen 
wenn  sein  Kolben  zuschlägt,  oder  als  Clown  den  Blutstrom 
unterbrechen,  der  im  Titus  Andronicus  über  Gebühr  daher- 
rauscht,  wo  nur  irgend  möglich,  ist  ein  Plätzchen  für  ihn 
frei  gemacht. 

In  den  Komödien  treiben  gleich  mehrere  Narren  ihr  loses 
Spiel.  Flink  und  Lanz  in  den  „Beiden  Veronesern",  Schul- 
meister Holefernes,  Pfarrer  Nathanael,  Schädel  und  Armodo 
in  „Verlorene  Liebesmüh",  „Autolicus,  der  Gauner",  der 
alte  Schäfer  und  sein  Sohn  im  „Wintermärchen",  die  sieben 
Handwerker  im  „Sommernachtstraum",  der  Kesselflicker 
Schlau  in  „Der  Widerspenstigen  Zähmung",  die  einfältigen 
Gerichtsdiener  Holzapfel  und  Schlehwein  in  „Viel  Lärmen 
um  nichts",  endlich,  um  diese  bunte  Galerie  nicht  über  Ge- 
bühr auszudehnen,  Christoph  von  Bleichenwang  und  Tobias 
von  Rülps  in  „Was  ihr  wollt". 

Dieser  schlaue  Tobias  von  Rülps  zeigt  manche,  wenn 
auch  nur  entfernte  Ähnlichkeit  mit  der  gewaltigsten  grotesk- 
komischen Figur,  der  Shakespeare  Leben  verliehen,  mit 
Sir  John  Falstaff. 

Die  frappante  Ähnlichkeit  Sir  Johns  mit  dem  alten  Mimus 
hat  Herrmann  Reich  in  einer  gediegenen  Studie  klar  ge- 
macht, die  ich  wörtlich  hier  anführe6: 

Falstaff  ist  die  eigentliche  Inkarnation  des  alten  Narren 
im  Mimus,  er  ist  sozusagen  der  König  aller  Clowns.  Er  ist 
eine  Metamorphose  des  alten  Jack  Jugler.  Wir  haben  schon 
die  Gleichung  aufgestellt  Jugler  gleich  Ioculator  =  iocu- 
laris  =  yskcaxojxoiöq  =  uifioq  yeAoicov,  also  Falstaff  —  uijuoq 
•yeXot'cov. 

In  der  Tat  erinnert  Falstaff  mit  seinem  dicken  Bauche 
und  seinen  niedrigen,  fleischlichen  Gelüsten  an  die  dick- 
bäuchigen Narren  im  uralten  hellenischen  Mimus,  auch  an 

6  Der  Mimus,  P,  S.  863-69. 
154 


den  dickbäuchigen  kahlköpfigen  Vidüsaka  und  den  dick- 
bäuchigen Semar,  die  uiuoi  yeXoi'cov  im  indischen  Drama  und 
im  indischen  und  javanischen  Puppenspiel.  Denken  wir  an 
Philistions  Ardalio,  er  ist  glutto,  vorax,  manducus,  ein  Fresser 
und  Säufer;  das  ist  auch  Karagöz,  Kasperle  und  Pulcinell, 
der  Vidüsaka  und  Semar.  Bei  Falstaff,  als  einem  Nord- 
länder und  Germanen,  überwiegt  das  Trinken.  Was  steht 
doch  auf  der  Rechnung,  die  ihm  Poins  aus  der  Tasche  zieht : 

Item,  ein  Kapaun 2  Schill.  6  Pf . 

„      Brühe —     „       4  „ 

„     Sekt,  2  Maß 5     „      8  „ 

„      Sardellen  u.  Sekt  nach  d.  Abendessen     2      „       6  „ 

„      Brot —     „     Vi  „ 

Ardalio  ist,  wie  sein  Name  sagt,  ein  wenig  Schmutzfink, 
er  wird  eben  von  seinem  vielen  Schlemmen  und  Prassen 
ein  etwas  fettiger  Geselle  sein,  wie  es  auch  noch  unter  seinen 
Nachkommen  der  Vidüsaka  und  Semar  ist.  Prinz  Heinrich 
sagt  von  Hans  Falstaff:  „Ruft  mir  das  Rippenstück,  ruft 
mir  den  Talgklumpen"  (König  Heinrich  IV.,  I.Teil,  II.  Aufzug, 
Szene  4)  und  weiter:  „Ei,  du  grützköpfiger  Wanst!  Du  ver- 
nagelter Tropf!  Du  verwetterter,  schmutziger,  fettiger  Talg- 
klumpen." So  vieles  Fett  macht  Falstaff  feige,  und  er  ist 
bei  aller  Unverfrorenheit,  die  er  als  echter  mimischer  Narr 
besitzt,  durchaus  leicht  zu  erschrecken  und  ins  Bockshorn 
zu  jagen.  Er  ist  TaöcnTÖU€vo<;  wie  Philistions  Ardalio  und 
die  mimischen  Narren  alle;  ich  erinnere  auch  an  die  Feig- 
linge in  Philistions  Philogelos.  Mit  welcher  Zuversicht  fällt 
Falstaff  über  die  feigen  Krämer  her,  und  wie  entsetzt  nimmt 
er  Reißaus,  „brüllend  wie  ein  Büffelkalb",  als  Prinz  Heinrich 
und  Poins  in  ihrer  Vermummung  ihn  scheinbar  ernsthaft 
angreifen. 

Vor  allem  zeigt  Falstaff  die  Haupteigenschaft  des  mimi- 
schen Narren.  Er  ist  ein  Industrie-  und  Glücksritter,  ähnlich 
wie  Karagöz  und  Pulcinell,  „der  auf  der  Dummheit  der  an- 
deren bequem  durchs  Leben  reitet".  Wie  alle  Beutelschneider 
im  Mimus  ist  Falstaff  von  Hause  aus  ein  armer  Lump.  Er 

155 


ist  so  arm,  wie  es  der  Parasit  im  Mimus  immer  ist,  oder 
wie  es  die  spezifisch  mimischen  Typen  bei  Petron,  die  Glücks- 
ritter Encolpios,  Ascyltos  und  der  hungrige  Poet  Eumolpos 
sind,  die  sich  durch  allerhand  Spitzbübereien  ihr  Brot  ver- 
schaffen. Von  Beutelschneiderei  und  Diebstahl  ist  im  Mimus 
beständig  die  Rede.  Laberius  verwendet  für  das  schändliche 
„Stehlen"  den  hochanständigen  Ausdruck  „manuari"  aus  der 
Diebessprache. 

Als  Falstaff  kein  Geld  hat,  Frau  Hurtig  zu  bezahlen, 
schlägt  er  Lärm,  er  sei  in  ihrer  Kneipe  bestohlen  worden, 
besonders  sein  kostbarer  Siegelring  ist  fort ;  es  kommt  aber 
heraus,  daß  dieser  Ring  aus  Kupfer  und  kaum  8  Pfennig 
wert  und  Falstaff  überhaupt  nicht  bestohlen  ist.  Schließ- 
lich verspricht  er  der  Wirtin,  sie  soll  seine  Lady  werden 
und  verschafft  sich  damit  bei  ihr  unbegrenzten  Kredit; 
freilich,  als  sie  ihr  Geld  wiederhaben  oder  geheiratet  werden 
will,  steht  die  Sache  schlimm.  Gelegentlich  kommt  es  ihm 
auch  nicht  darauf  an,  bei  Nacht  auf  Raub  auszugehen,  um 
Börsen  mit  Gewalt  zu  ergattern,  und  den  Friedensrichter 
Schallow  bringt  er  um  tausend  Pfund,  indem  er  ihm  goldene 
Berge  verspricht,  wenn  nur  erst  sein  Heinz  König  Heinrich 
sein  wird. 

Wie  einträglich  ist  nicht  auch  sein  Werbesystem.  Er  ist 
wirklich  ein  Beutelschneider,  wie  sie  im  Mimus  von  jeher 
geschildert  sind.  Seine  Einfälle  erinnern  überhaupt  an  die 
des  Karagöz  und  des  Pulcinell  und  besonders  an  den  alten 
Mimus.  So  wie  Falstaff  Schallow  gegenüber,  tritt  Eumol- 
pos im  Erbschleichermimus  bei  Petron  als  Herr  über  un- 
geheure Schätze  auf,  nur  daß  er  sie  nicht  gerade  zur  Hand 
und  zur  Verfügung  hat,  und  reichlich  strömen  ihm  die 
Gaben  der  Gimpel  zu,  die  bei  ihm  erbschleichen,  wie  Herr 
Schallow  sich  um  Falstaffs  Protektion  mit  tausend  Pfund 
bewirbt.  Das  sind  die  praestigiae  und  fallaciae,  die  als 
„mimorum  argumenta"  Cicero  nennt,  das  sind  die  „tricae" 
der  Atellanen,  von  denen  unser  Ausdruck  „Intrigue"  her- 
kommt. 
156 


Der  Narr  im  griechischen  und  römischen  Mimus  spielt 
nicht  eigentlich  die  erste  Rolle,  er  ist  ein  mimus  secun- 
darum  partium  und  erscheint  gewöhnlich  als  Parasit  der 
Hauptperson,  wie  auch  der  Vidüsaka  als  Schmarotzer  des 
Helden  auftritt.  Auch  Falstaff  ist  im  „König  Heinrich  IV.", 
I.  und  II.  Teil,  der  Mimus  secundarum  partium,  der  Parasit 
bei  Prinz  Heinrich,  und  als  rechter  jroXuTTpdy^cov  und  Beutel- 
schneider weiß  er  seinen  Herrn  trefflich  auszunutzen. 

So  sagt  Falstaff  zu  Heinz:  „Nein,  ich  lasse  dir  Ge- 
rechtigkeit widerfahren,  du  hast  immer  alles  bezahlt." 
Prinz  Heinrich:  „Ja,  und  anderswo  auch,  soweit 
mein  bares  Geld  reichte,  und  wo  es  mir  ausging,  habe 
ich  meinen  Kredit  gebraucht !" 
Die  Narren  sind  im  Mimus,  wie  wir  sahen,  in  zwei  Typen 
geschieden,  den  wirklich  stupiden  Narren,  den  eigentlich 
stupidus  und  uxopöq,  wie  Philistion  im  Scholasticus,  dem 
Dottore,  sein  Prototyp  schuf  oder  die  commedia  dell'arte 
im  Arlechino  —  und  den  Derisor,  in  dessen  Rolle  gern 
der  berühmte  Mimi  Latinus  auftrat,  den  Spötter,  den  eigent- 
lichen Spaßmacher,  den  scurra,  der  nicht  nur  als  Narr 
den  anderen  zum  Spaße  dient,  sondern  sich  ebenso  und 
noch  besser  über  die  anderen  lustig  zu  machen  versteht. 
Sein  Prototyp  ist  Sannio,  der  mit  jeder  Muskel  seines 
Gesichts,  ja  seines  ganzen  Körpers  lacht,  wie  Cicero  sagt. 
Er  ist  der  eigentliche  Lustigmacher,  der  rechte  Mimos 
geloion.  Er  ist  zwar  auch  ein  Narr,  aber  er  weiß,  daß  er 
ein  Narr  ist,  und  er  weiß  sogar  auch,  daß  die  ganze  Welt 
närrisch  ist,  und  daß  er  sie  darum  als  Narr  zum  Narren 
halten  kann.  Wir  wissen,  daß  zu  dieser  besonderen  Sorte 
der  mimischen  Narren  auch  der  Vidüsaka  und  Semar  gehört, 
sowie  der  türkische  Karagöz,  der  Pulcinell  und  Kasperle. 
Und  im  Grunde  gehören  auch  die  mittelalterlichen  Hof- 
narren dazu,  die  unter  der  Maske  der  Torheit  ihren  Herren 
nicht  selten  die  Wahrheit  sagten,  und  vor  allem  auch 
die  Clowns  bei  Shakespeare.  Nur  darum,  weil  er  diese 
unsterbliche   mimische  Narrheit   vertritt,   ist   Falstaff   eine 

157 


unsterbliche  Figur  geworden,  Falstaff  als  der  bedeutendste 
moderne  Vertreter  des  mimischen  Narren,  der  zugleich 
ein  Spötter,  ein  Verhöhner  der  Narrheit,  ein  Derisor,  ein 
u%o<;  ist. 

Wie  weiß  Prinz  Heinrich  den  guten  Falstaff  zu  verhöhnen 
ob  seiner  absoluten  Feigheit  bei  dem  räuberischen  Über- 
fall auf  die  Kaufleute.  Doch  wie  geschickt  zieht  sich  der 
Derisor  aus  der  Schlinge.  Er  habe  Prinz  Heinrich  und 
Poins  wohl  erkannt,  aber  der  Löwe  rührt  den  echten  Prinzen 
nicht  an.  Mit  welchem  lustigen  Hohne  überschüttet  der 
Derisor  den  Bardolph,  als  dieser  sich  erlaubt,  die  Gewissens- 
bisse des  dicken  Hans  über  seinen  schlechten  Lebenswandel 
für  sehr  berechtigt  zu  erklären. 

Falstaff:  Bessere  du  dein  Gesicht,  so  will  ich  mein 
Leben  bessern.  Du  bist  unser  Admiralsschiff,  du  trägst 
die  Laterne,   aber  nicht   im   Hinterdeck,  sondern  sie 
steckt  dir  in  der  Nase,   du  bist  der  Ritter  von  der 
brennenden  Lampe. . . .  Du  hast  mir  an  die  Tausend 
Mark  für  Kerzen  und  Fackeln   erspart,  wenn  ich  mit 
dir  nachts  von  Schenke  zu  Schenke  wanderte;   aber 
für  den  Sekt,  den  du  mir  getrunken  hast,  hätte  ich 
von  dem  teuersten  Lichtzieher  in  Europa  ebenso  wohl- 
feil Lichter  haben  können. 
Bei  dieser  lustigen  und  unverschämten  Art,  mit  welcher 
der  Derisor  jede  Neckerei  doppelt  und  dreifach  heimzu- 
zahlen versteht,  kommt  es  nicht  selten  zu  wahren  Zank- 
und  Schimpfduetten.    Wie  schilt  Prinz   Heinrich  auf  Fal- 
staff: „Diese  vollblütige  Memme,  dieser  Bettdrücker,  dieser 
Pferderückenbrecher,  dieser  Fleischberg";  Falstaff  dagegen : 
„Fort  mit  dir,  du  Hungerbild,  du  Aalhaut,  du  getrocknete 
Rinderzunge,  du  Ochsenziemer,  du  Stockfisch,  —  oh,  hätte 
ich  nur  Odem,  zu  nennen,  was  dir  gleicht !  —  du  Schneider- 
elle,  du  Degenfutteral,   du   erbärmliches   Rapier"   (König 
Heinrich  IV.,  I.  Teil,  II.  Aufzug,   Szene  4).     Ich   erinnere 
auch   an  die  Zankszene   zwischen   Falstaff   und   Dortchen 
Lakenreisser  (König  Heinrich  IV.,  II.  Teil,  Akt  II,  Szene  4). 
158 


Dem  Beispiel  des  großen  Derisors  folgen  seine  Spieß- 
gesellen. Wie  foppt  Bardolph  Falstaffs  Pagen  mit  losen 
Stichelreden :  „Komm,  du  tugendhafter  Esel,  du  verschämter 
Narr!  Mußt  du  rot  werden?  Warum  wirst  du  rot!  Welch 
ein  jüngferlicher  Soldat  bist  du  geworden?  Ist  es  so  eine 
große  Sache,  die  Jungfernschaft  eines  Vier-Nösel-Krugs 
zu  erobern?"  (König  Heinrich  IV.,  II.  Teil,  II.  Akt,  Szene  4.) 
Aber  der  witzige  Junge  bleibt  dem  Ritter  von  der  brennen- 
den Lampe  nichts  schuldig. 

Mit  ernster  Mahnung  sagt  der  Lord  Oberrichter  zu  Fal- 
staff  (König  Heinrich  IV.,  II.  Teil,  IL  Akt,  Szene  1):  „Nun, 
der  Herr  erleuchte  dich!  Du  bist  selbst  ein  großer  Narr", 
und  doch  muß  er  sich  von  diesem  notorischen  Narren, 
weil  es  nun  einmal  der  alte  Derisor  und  Ioculator  ist,  der 
seit  zwei  Jahrtausenden  schon  die  Narrenfreiheit  übt,  ver- 
höhnen lassen:  „Was  die  Ohrfeige  betrifft,  die  Euch  der 
Prinz  gab,  so  gab  er  sie  wie  ein  roher  Prinz,  und  Ihr  nahmt 
sie  wie  ein  feinsinniger  Lord.  Ich  habe  es  ihm  verwiesen, 
und  der  junge  Löwe  tat  Buße,  freilich  nicht  in  Sack  und 
in  der  Asche,   sondern  in  altem  Sekt  und  neuer  Seide." 

Wie  kläglich  geht  es  zum  Schlüsse,  da  König  Heinrich 
sich  von  ihm  wendet,  dem  alten  Beutelschneider,  trotz  aller 
seiner  Anschläge,  Ränke  und  Künste ;  er  ist  der  Gepritschte, 
wie  es  der  Narr  im  Mimus  ein  für  allemal  ist.  Doch  schnell 
wirft  der  Derisor  Spott  und  Hohn  auf  den  törichten  Friedens- 
richter Schallow,  der  ihm  die  tausend  Pfund  geborgt  hat 
und  nun  auch  nicht  eins  davon  wiedersieht. 

Am  lustigsten  ist  es,  den  feisten  Narren  im  Kriege  zu 
sehen,  der  für  ihn  nur  eine  lustige  Abwechslung  und  eine 
gute  Erwerbsquelle  ist.  Der  mimische  Narr,  der  mit  Dick- 
wanst und  Phallus,  Helm  und  Schild  hinter  seinem  jugend- 
schlanken Helden  herzieht,  auf  einem  Vasenbilde  der 
Hamiltonschen  Sammlung,  ist  auch  ein  Falstaff  im  Kriege. 
Manchmal  spielen  die  Mimen  auch  Krieg,  sagt  Choricius. 

Wie  der  mimische  Narr  durch  Philistion  in  den  Ardalio- 
typus  umgeschaffen  wurde,  zu  einem  Prototyp  des  zerfah- 

159 


renen,  unruhigen  Lotterlebens  in  den  höheren  sozialen 
Kreisen  seiner  Zeit,  so  muß  die  Inkarnation  des  alten  mi- 
mischen Narren  und  Derisors  in  der  Person  Falstaffs  durch 
Shakespeare  das  heruntergekommene  Rittertum  in  der  Zeit 
der  Königin  Elisabeth  zur  Anschauung  bringen.  Dieses 
Rittertum,  das  längst  aller  Ideale  bar  geworden  ist  und  nur 
nach  Genuß  ohne  Mühe  und  Arbeit  strebt,  das  da  glaubt, 
selbst  in  der  verfetteten  und  versumpften  Gestalt  des  mi- 
mischen Narren  den  ehrlichen  Bürgerweibern  eine  Ehre 
anzutun,  wenn  es  sie  verführt,  und  das  schließlich  als  ein 
Haufen  schmutziger  Wäsche  ins  Wasser  geschüttet  wird. 
Daß  der  mimische  Narr  hier  als  Ritter  auftritt,  kann  uns 
nicht  wundern,  war  er  doch  auch  im  mythologischen  Mimus 
als  Ritter  aufgetreten  und  hatte  gar  als  Zeus,  als  Vater 
der  ritterlichen  Götter,  mit  mächtigem  Wanste  bewehrt, 
den  schönen  Weibern  und  Töchtern  der  Menschen  nach- 
gestellt. 

So  entspringen  Falstaff  wie  Ardalio,  diese  beiden  be- 
rühmten Metamorphosen  des  uralten  mimischen  Narren, 
einer  im  letzten  Grunde  sehr  ernsten  Lebensauffassung  und 
einer  bei  aller  Lustigkeit  herben  und  strengen  Biologie." 

Mit  Falstaff  war  dem  Schwan  von  Avon  der  große  Wurf 
im  Grotesk-Komischen  gelungen.  Was  nun  folgte,  reichte 
nicht  mehr  an  diesen  Giganten  der  Drastik  hinan.  Es  ge- 
hört der  Weltliteratur,  aber  nicht  mehr  der  Geschichte  des 
Grotesk-Komischen  an.  Allerlei  geschäftliche  Unannehmlich- 
keiten bedrückten  Shakespeares  Stimmung.  Sein  Gönner 
Graf  Essex  war  durch  Henkershand  gefallen,  seine  Einkünfte 
als  Schauspieler  verringerten  sich,  da  eine  Kindertruppe  in 
Mode  kam  und  den  stehenden  Bühnen,  so  auch  dem  Globe- 
Theater,  zu  dessen  Darstellern  Shakespeare  gehörte,  emp- 
findlichen Abbruch  taten.  Diese  Singknaben  der  St.  Pauls- 
kirche hatten  nach  zehnjähriger  Unterbrechung  1601  ihre 
Spiele  wieder  aufgenommen  und  stellten  unter  enormem  Zu- 
lauf im  Blackfriartheater  Stücke  dar,  die  sonst  nur  von  Er- 
wachsenen gegeben  wurden.  Bekanntlich  machte  Shakespeare 
160 


seinem  Arger  über  diese  Konkurrenz  im  Hamlet,  2.  Aufzug", 
2.  Szene,  Luft:  „.  .  .  .  es  hat  sich  da  eine  Brut  von  Kin- 
dern eingefunden,  kleine  Nestlinge,  die  immer  über  das  Ge- 
spräch hinausschreien  un  d  höchst  grausamlich  dafür  beklatscht 
werden.  Diese  sind  jetzt  Mode  undbeschnattern  die  gemeinen 
Theater  (so  nennen  sie's)  dergestalt,  daß  viele,  die  Degen 
tragen,  sich  vor  Gänsekielen  fürchten  und  kaum  wagen 
hinzugehen. 

Hamlet:  Wie,  sind  es  Kinder?  Wer  unterhält  sie? 
Wie  werden  sie  besoldet?  Wollen  sie  nicht  länger  bei 
der  Kunst  bleiben,  als  sie  den  Diskant  singen  können? 
Werden  sie  nicht  nachher  sagen,  wenn  sie  zu  gemeinen 
Schauspielern  heranwachsen  (wie  sehr  zu  vermuten  ist, 
wenn  sie  sich  auf  nichts  Besseres  stützen),  daß  ihre 
Komödienschreiber  unrecht  tun,  sie  gegen  ihre  eigene 
Zunft  deklamieren  zu  lassen?" 

Die  trübe  Stimmung  Shakespeares  macht  sich  auch  in 
den  Clownrollen  im  Hamlet  bemerkbar,  die  diesmal  den 
Totengräbern  zufallen.  Auch  das  einzige  Lustspiel  dieser 
Periode,  „Maß  für  Maß",  ist  von  pessimistischer  Weltan- 
schauung durchtränkt  und  entbehrt  der  Grotesk-Komik. 

Doch  der  Humor,  die  Freude  am  Grotesken  ließen  sich 
nicht  auf  immer  unterdrücken,  und  so  traten  sie  gerade  in 
den  letzten  Werken  Shakespeares  siegreich  hervor.  Auto- 
lycus,  der  Spitzbube  und  der  alte  Schäfer  mit  seinem  Sohn 
—  ich  sah  sie  in  meiner  Jugend  im  Wiener  Burgtheater  von 
Schöne,  Meixner  und  Thiemig  unübertrefflich  dargestellt  — 
im  „Wintermärchen",  Caliban  undTrinculo  im  „Sturm"  waren 
die  alten  Clowns  in  Shakespearescher  Auffassung,  grotesk 
und  derb  und  dennoch  Menschen  von  Fleisch  und  Blut. 

Im  Jahre  1616  entwand  der  Tod  dem  großen  William  die 
Feder;  er  hat  das  englische  Theater  auf  eine  Höhe  gehoben, 
die  es  nie  wieder  erreichen  sollte.  Er  hat  den  Zeitgenossen 
und  den  Nachkommen  die  Bahnen  gewiesen,  die  man  ein- 
schlagen muß,  um  ewigwährende  Werte  zu  schaffen. 

n  161 


own   zu 


Ich  muß  hier  noch  einige  Worte  über  den   Cl 
Shakespeares  Zeiten  einfügen. 

Ohne  ihn  kein  Theaterabend.  Verbot  das  aufgeführte 
Trauerspiel  die  Entfaltung  seiner  Gaben,  seine  Improvi- 
sationen, seine  Kolbenschläge,  seine  Luftsprünge,  dann  hatte 
er  die  Pflicht,  die  Vorstellung  durch  eine  Solonummer  zu 
beenden. 

„Sind  die  Zuhörer  durch  eine  Tragödie  tiefernst  gestimmt, 
dann  muß  sie  noch  William  Kemp,  der  berühmte  Clown 
und  Jigtänzer  des  Globe-Theaters  durch  einen  Moriskotanz 
erheitern  V 

„Nachdem  sich  die  Anwesenden  durch  Essen  und  Trinken 
gestärkt,  durch  Rauchen  und  Schwatzen  erholt  haben,  treten 
Tänzer  auf.  Der  Clown,  in  riesigen  Pluderhosen,  die  Beine 
mit  Schellen  behangen,  den  Schlapphut  mit  wallender  Feder 
auf  dem  Kopfe,  führt  seinen  Tanz  auf,  von  einem  Musikanten 
begleitet.  Dieser  hat  am  rechten  Arm  eine  Trommel  hängen, 
die  er  mit  der  linken  Hand  schlägt,  während  er  in  der  rechten 
eine  Schalmei  hält.  Der  Clown  tanzt  zuerst  allein,  dann  mit 
einem  schmucken  Jungen  in  Mädchenkleidern.  Zuletzt  läßt 
er  sogar  ein  kaschiertes  Pferd,  wie  es  sich  jetzt  noch  unter 
den  Clowns  in  der  Zirkusmanege  tummelt,  seine  wilden 
Cabriolen  machen.  Unter  lautem  Gelächter  und  Beifall- 
klatschen endet  diese  Schaustellung.  Zum  Schlüsse  des 
Ganzen  ziehen  alle  Schauspieler  auf  die  Bühne  und  knien 
nieder,  um  nach  altem  Brauche  das  Gebet  für  die  Königin 
Elisabeth  zu  sprechen8." 

Neben  Shakespeare  wirkte  Benjamin  Jonson,  gewöhnlich 
Ben  Jonson  genannt  (1573 — 1637),  wie  sein  größerer  Zeit- 
genosse im  Hauptberuf  Schauspieler.  Ben  Jonson  ist  der 
Urheber  des  bürgerlichen  Lustspiels,  in  das  er  mit  Vorliebe 
ganz  unwahrscheinliche,  dafür  aber  um  so  groteskere  und 
derbere  Situationen  einschiebt.  Als  Beispiele  mögen  die  In- 
haltsangaben zweier  beifällig  aufgenommenen  Burlesken  Ben 


7  Wülker,  S.  329.  - 
162 


Wülker,  I,  S.  328. 


'WCÄ 


Moriskotanz 
Nach  „Illustrations  of  Shakespeare"  von  F.  Douce,  1807 


Jonsons  dienen.  Das  erste,  „Volpone,  or  the  Fox"  (Vol- 
pone  oder  der  Fuchs)  wurde  1605  zuerst  aufgeführt: 

Volpone,  ein  alter  Geizhals,  wird  von  Erbschleichern 
umdrängt.  Auf  den  Rat  seines  Dieners  Mosca  stellt  er 
sich  todkrank,  und  unter  der  Vorspiegelung,  Volpone  habe 
jeden  einzelnen,  der  von  den  Erbschleichern  auftritt,  zu 
seinem  alleinigen  Erben  eingesetzt,  erlangt  Mosca  von  den 
Herren  reiche  Geschenke.  Dann  wird  der  Geizhals  plötz- 
lich wieder  gesund,  aber  nur,  um  von  seinem  Verhängnisse 
ereilt  zu  werden.  Er  verliebt  sich  in  die  Frau  eines  der 
Erbschleicher,  und  der  Versuch,  sich  ihrer  mit  Gewalt  zu 
bemächtigen,  bringt  ihn  vor  Gericht.  Er  stellt  sich  zwar 
tot,  und  es  wäre  auch  jetzt  noch  vielleicht  alles  gut  für 
ihn  abgelaufen,  wenn  er  sich  nicht  mit  seinem  endlich  eine 
Belohnung  fordernden  Diener  aus  maßlosem  Geiz  über- 
worfen  hätte.  Durch  Mosca  kommen  alle  Schurkereien, 
die  beide  begangen  haben,  ans  Licht,  und  das  würdige 
Paar  erleidet  die  gerechte  Strafe. 

Noch  grotesker  und  frivoler  als  Volpone  ist  „Epicoene, 
or  the  Silent  Woraan"  (Epicöne,  oder  das  schweigsame 
Weib).  Mürrisch  (Morose)  haßt  die  Menschen  und  zieht 
sich  von  ihnen  zurück;  vor  allem  will  er  seinen  lustigen 
und  leichtsinnigen  Neffen,  der  immer  Geld  von  ihm  ver- 
langt, nicht  mehr  sehen.  Bald  aber  wird  es  ihm  doch  zu 
einsam.  Er  beschließt  daher,  sich  zu  verheiraten,  nur  soll 
die  Auserwählte  ein  sehr  stilles  Wesen  haben,  da  er  ein 
Feind  von  jedem  Lärm  und  überhaupt  von  jedem  Geräusch 
ist.  Sein  Barbier,  Bartkratzer  (Cutbeard),  weiß  ihm  auch 
wirklich  ein  solches  Mädchen,  Epicöne,  zuzuführen,  das 
meist  schweigt  oder,  wenn  es  redet,  so  leise  spricht,  daß 
Mürrisch  es  kaum  versteht.  Der  Alte  ist  von  Epicöne  ent- 
zückt und  heiratet  sie.  Kaum  aber  ist  die  Ehe  geschlossen, 
so  ruft  die  junge  Frau  einen  Haufen  Hochzeitsgäste,  lauter 
tolle  Gesellen,  ins  Haus  und  läßt  durch  sie  einen  Höllen- 
spektakel vollführen.  Epicöne,  auf  einmal  ganz  verwandelt, 
ist  am  wildesten  von  allen.  Mürrisch  gerät  in  Verzweiflung 
li«  163 


über  seinen  Mißgriff,  will  sich  scheiden  lassen,  dringt  aber 
damit  nicht  durch.  Da  erbietet  sich  sein  Neffe  unter  der 
Bedingung,  daß  der  Oheim  seine  Schulden  bezahle,  für 
diesen  einen  Scheidungsgrund  ausfindig  zu  machen.  Der 
verzweifelte  Ehemann  geht  darauf  ein,  und  jetzt  erklärt  der 
Neffe,  daß  Epicöne  gar  kein  Weib,  sondern  ein  verkleideter 
junger  Mann  sei.  Gegen  diesen  Scheidungsgrund  läßt  sich 
natürlich  nichts  einwenden. 

Viel  gehaltvoller  als  diese  Possen  sind  Ben  Jonsons  Sitten- 
komödien, die  sich  gegen  allerlei  Modetorheiten  seiner  Zeit 
wenden.  Als  beste  gilt  The  Alchemist,  der  1610  zum  ersten- 
mal auf  die  Bühne  kam. 

Ein  Londoner  Hausbesitzer,  Heiter  (Lovewit),  ist  vor  der 
Pest  geflohen  und  hat  sein  Haus  seinem  Verwalter  Lips 
(Face)  übergeben.  Dieser,  ein  Gauner,  beherbergt  darin 
den  Goldmacher  Dunst  (Subtle)  und  die  Dirne  Dortchen 
Gemeinheit  (Dolly  Common).  Unter  dem  Vorgeben,  Dunst 
besitze  den  Stein  der  Weisen,  lockt  Lips  die  verschiedensten 
Menschen  an,  die  alle  erst  tüchtig  zahlen  müssen  und  sich 
dann  doch  geprellt  sehen.  Ein  Schreiber,  der  einen  kleinen, 
Spielerglück  bringenden  Höllengeist  erlangen  will,  und  ein 
Kaufmann,  der  belehrt  werden  will,  wie  er  seinen  Laden 
einrichten  könne,  um  recht  viel  Geld  zu  verdienen,  machen 
den  Anfang.  Tüchtig  geplündert,  gehen  beide  mit  leeren 
Versprechungen  heim.  Dann  folgt  ein  Spieler,  dessen  Be- 
gehren nach  Geld  steht,  um  seiner  Leidenschaft  frönen 
zu  können.  Sir  Epicure  Mammon  vertritt  die  vornehmen 
Schwelger  der  damaligen  Zeit;  er  will  den  ausgesuchtesten 
Luxus  durch  das  Gold  um  sich  häufen,  das  ihm  der  Stein 
der  Weisen  bringen  soll. 

„Luftschwell'nde  Betten  will  ich,  keine  Polster, 
Flaum  ist  zu  hart.    Dann  mein  ovales  Zimmer, 
mit  Bildern  angefüllt,  wie  sie  Tiber 
und  Elephantis  nahm  und  Aretin 
nur  kühl  nachahmte;  meine  Spiegel  künstlich 
und  schief  geschnitten,  die  Figuren  zahllos 
164 


mir  abzuschildern,  wenn  ich  unter  Scharen 

von  nackten  Nymphen  wandle. . . . 

All  mein  Speisen  laß  ich 

auftragen  in  ostind'schen  Muschelschalen, 

in  Schüsseln  von  Achat,  mit  Gold  gefaßt 

und  rings  besetzt  mit  trefflichen  Smaragden. . . 

Zungen  von  Karpfen  und  von  Murmeltieren, 

die  Füße  vom  Kamel,  in  Sonnenwasser 

gesotten  und  in  aufgelösten  Perlen; 

und  essen  will  ich  die  Brühe  mit  Löffeln 

von  Bernstein,  deren  Stiel  mit  reichem  Schmuck 

von  Diamanten  und  Karfunkeln  prangt." 

(Wolf  Graf  von  Baudissin.) 

Mammon  schickt  schon  all  seinen  Hausrat,  damit  er  in 
Gold  verwandelt  werde.  Der  schärfste  Hohn  aber  wendet 
sich  gegen  die  Feinde  des  Theaters  und  der  Schauspieler, 
gegen  die  Puritaner.  Der  Pastor  Heilsames  Trübsal  (Tribu- 
lation  Wholesome)  und  sein  Küster  Ananias,  beide  aus 
Amsterdam  gebürtig,  stellen  den  schlauen  Betrüger  und 
den  plumpen  Fanatiker  dar  und  zeigen  sich  in  ihrer  ganzen 
Gemeinheit  und  Heuchelei.  Sie  wollen  die  Teufelskunst 
des  Alchimisten  angeblich  nur  zum  Besten  der  Kirche  ver- 
wenden, in  Wirklichkeit  aber  natürlich  für  ihre  eigenen 
unlauteren  Zwecke  Auch  ihnen  wird  vor  dem  Abschied  der 
Beutel  tüchtig  geschröpft.  Der  Krautjunker  Häher  (Kastrill) 
will  von  Dunst  gern  alles  lernen,  was  von  einem  Modeherrn 
erfordert  wird,  vor  allem  Raufen,  Fluchen  und  Rauchen. 
Seine  Schwester,  die  Dame  Fügsam  (Pliant),  wünscht  er 
an  einen  reichen  Mann  zu  verheiraten,  und  auch  dafür  ver- 
spricht der  Goldmacher  Rat  zu  schaffen.  Alle  diese  Leute 
treten  in  den  folgenden  Akten  wieder  auf  und  verlangen, 
zuletzt  immer  stürmischer,  den  Stein  der  Weisen  oder  noch 
lieber  Gold  zu  sehen.  Da  ertönt  ein  Knall  im  Laboratorium, 
Lips  stürzt  herein  und  erklärt,  durch  die  Zudringlichkeit 
der  Fordernden  sei  der  fast  fertige  Stein  zersprungen. 
Einige  lassen  sich  dadurch  abweisen,  der  Spieler  aber  durch- 

165 


schaut  den  Betrug-  und  verlangt  sein  Geld  zurück.  Lips 
hetzt  zwar  den  Junker  auf  ihn  und  entfernt  ihn  glücklich, 
aber  jetzt  kehrt  unvermutet  der  Besitzer  des  Hauses,  Heiter, 
zurück  und  fordert  Einlaß.  Schnell  werden  alle  bis  auf 
den  Junker  hinausgeprügelt.  Lips  gesteht  seinem  Herrn 
alles  ein,  rät  ihm  aber  zugleich,  sich  mit  der  vermögenden 
Dame  Fügsam  zu  verloben.  Dies  geschieht,  und  so  versöhnt 
sich  Heiter  mit  Lips  und  mit  Häher.  Auch  der  Goldmacher 
und  Dortchen  werden  genötigt,  vor  Heiter  zu  weichen,  und 
so  endet  alles  gut.  Als  die  Geprellten  in  Begleitung  der 
Polizei  wiederkommen,  erklärt  Heiter,  daß  er  der  Besitzer 
des  Hauses  sei,  die  Gauner  aber  soeben  entwichen  wären. 
Alle  Betrogenen  müssen  daher  mit  langen  Gesichtern  ab- 
ziehen.9 

In  dem  „Bartholomäus-Markt"  (Bartholomew-Fair,  1614) 
malt  Ben  Jonson  drastische  Skizzen  aus  dem  Londoner  Volks- 
leben, in  denen  auch  der  Slang,  der  Londoner  Volksdialekt 
zu  Worte  kommt. 

Die  letzte  wertvolle  Komödie  Ben  Jonsons  „Der  dumme 
Teufel"  (The  Devil  is  an  Ass)  wendet  sich  gegen  die  un- 
reelle Projektenmacherei,  eine  Folge  des  zunehmenden 
Nationalreichtums. 

Der  Teufel  Puck  wird  auf  seinen  eigenen  Wunsch  vor 
Satan  auf  die  Straße  geschickt,  um  der  Hölle  möglichst  viele 
Seelen  zu  gewinnen.  Er  tritt  in  den  Dienst  des  Landedel- 
mannes Fitz  Gimpel  (Fitz  Dottrel,  eigentlich  Kibitz),  der, 
wie  schon  sein  Name  andeutet,  ein  arger  Dummkopf  ist  und 
dem  Schwindler  Fintenheim  (Meercraft)  in  die  Hände  fällt. 
Dieser  hat  den  ganzen  Kopf  voll  von  Projekten,  und  darunter 
befindet  sich  eins,  das  die  Trockenlegung  eines  sumpfigen 
Landstriches  bezweckt.  Er  gibt  vor,  Gimpel  solle  Besitzer 
des  ganzen  entwässerten  Landes  und  Herzog  von  Schlam- 
burg  werden,  und  jagt  dem  Junker  damit  sein  ganzes 
Vermögen   ab.     Erst    ein   Freund   vermag,   das   Geld   für 

9  Wülker,  S.  343. 
166 


Gimpels  Frau  zu  retten.  Auch  sonst  wird  Gimpel  gehörig 
geprellt.  Als  Diener  eines  solchen  Menschen  kommt  Puck 
stets  mit  in  Ungelegenheit,  ja  es  geht  ihm  noch  schlimmer: 
überall  muß  er  die  Zeche  bezahlen  und  soll  zuletzt  sogar 
als  Dieb  gehenkt  werden.  Schon  längst  hat  er  eingesehen, 
daß  er  ein  dummer  Teufel  ist,  daß  die  Menschen  viel  schlauer 
sind  als  er.  Er  sehnt  sich  nach  der  Hölle  zurück;  der  Satan 
erfüllt  endlich  seinen  Wunsch.  Er  schickt  das  Laster,  das 
Vice  der  Moralitäten,  das  ihn  auf  dem  Rücken  in  seine  heiße 
Heimat  trägt10. 

Nach  Ben  Jonson  gelang  den  dichterischen  Dioskuren 
John  Fletcher  (1579 — 1625)  und  Francis  Beaumont  (1584  bis 
1616)  ein  Meisterstück  in  der  literarisch-satirischen  Gro- 
teske „Der  Ritter  mit  der  feurigen  Mörserkeule"  (The 
Knight  of  the  Burning  Pestle). 

Sie  wendet  sich  gegen  das  romantische  Schauspiel,  also 
auch  ganz  direkt  gegen  Shakespeare. 

Das  Vorspiel  führt  uns  in  ein  Londoner  Theater,  in  dem 
der  Prolog  auftritt  und  verkündet,  es  solle  der  „Kaufmann 
von  London"  gespielt  werden.  Sofort  erhebt  ein  Zuschauer, 
ein  Gewürzkrämer,  Einspruch.  Er  will  ein  Stück  im  höhe- 
ren Stil,  ein  Ritterdrama  sehen,  und  seine  Frau  schlägt 
vor,  daß  darin  ihr  Lehrbursche  Ralph  auftreten  und  Helden- 
taten vollbringen  solle;  vor  allem  müsse  er  mit  einem  Stößel, 
einer  Mörserkeule,  wie  sie  die  Gewürzkrämer  brauchen, 
einen  Löwen  erschlagen.  Nachdem  einige  Bedenken  der 
Theaterdirektion  überwunden  sind,  geht  Ralph  auf  die  Bühne 
und  vollführt  seine  Rittertaten  nach  dem  Muster  des  Don 
Quijote.  Durch  die  Lektüre  des  Ritterromans  „Palmerin  von 
England"  begeistert  er  sich  dann  so  sehr,  daß  er  auf  Aben- 
teuer auszieht.  Seine  Mitlehrlinge  begleiten  ihn  als  Knappen 
und  als  Zwerg.  In  sein  Wappenschild  setzt  er  eine  flammen- 
umwobene  Mörserkeule.  Wie  Don  Quijote  als  Ritter,  fährt 
er  als  Gewürzkrämer  (Crocer-Errant)  durch  die  Alltagswelt, 

10  Wülker,  S.  344  f. 

167 


weiß  das  Trivialste  in  romantischem  Licht  zu  sehen  und 
zur  Freude  seines  Meisters  und  seiner  Meisterin  große 
Heldentaten  zu  vollbringen.  Eine  gewöhnliche  Kneipe  ist 
ihm  ein  herrliches  Schloß,  in  dem  der  Ritter  Tapstero  ge- 
bietet. Aber  als  er  mit  Ritterdank  statt  mit  Geld  bezahlen 
will,  wird  er  in  drastischer  Weise  daran  erinnert,  daß  die 
Zeiten  des  Rittertums  vorbei  sind.  Er  sieht  in  einem  Barbier 
den  Riesen  Barbarroso,  der  die  Wanderer  in  sein  Haus  lockt, 
um  sie  mit  Schermessern  und  Zangen  schrecklich  zu  miß- 
handeln, bekämpft  und  besiegt  ihn.  Auf  einem  Schlosse  — 
wieder  ist  es  eine  elende  Spelunke  —  trifft  er  die  Königs- 
tochter von  der  Moldau,  Pomponia,  die  sich  sofort  in  ihn 
verliebt.  Aber  er  verläßt  sie,  um  der  Dame  seines  Herzens, 
Susanna  mit  dem  schwarzen  Daumen,  einer  Schusterstochter, 
treu  zu  bleiben.  Weiterhin  führt  er  die  Bürgergarde  von 
Mile  End,  Gestalten,  die  Falstaffs  Rekruten  nichts  nach- 
geben, mit  fliegenden  Fahnen  und  klingendem  Spiele  gegen 
den  Feind.  Zum  Schlüsse  tritt  er  mit  einem  Pfeil  im  Haupte 
auf,  erzählt  noch  einmal  alle  seine  Heldentaten  und  stirbt 
auf  der  Bühne,  indem  er  seine  Seele  der  Gewürzkrämer- 
innung (Crocer's  Hall)  empfiehlt.  Neben  dieser  Handlung 
geht  die  Liebesgeschichte  des  Lehrlings  Kaspar  und  der 
Meisterstochter  Lucie  in  ähnlichem  Stile  her,  endet  aber 
fröhlich11. 

Die  nun  folgenden  Dichter  der  Shakespeare-Zeit  haben 
so  wenig  Shakespeareisches  an  sich,  brachten  so  wenig  neue 
Züge  in  das  althergebrachte  Klischee  der  Komödien  und 
Possen,  daß  sie  summarisch  behandelt  werden  können. 

Da  ist  John  Ford  (1586 — 1639),  der  dem  Gemeinen  mehr 
zugetan  ist  als  dem  Humor  und  Witz.  Ahnlich  verhält  es 
sich  mit  John  Shirley  (1596 — 1666),  in  dessen  bestem  Drama, 
„The  Gamester"  (Der  Spieler),  die  Lust  am  Obszönen  sich 
überall  hervordrängt. 

Der  Geschmack  des  Publikums  war  auf  dem  Tiefstand 


11  Wülker,  S.  349. 
168 


gesunken.    Shakespeares  Geist  hatte  nicht  befruchtend  ge- 
wirkt.   Er  war  mit  ihm  untergegangen. 

Was  den  Engländern  Komisches  und  Obszönes  von  der 
Bühne  herab  geboten  wurde,  hatte  längst  den  Grimm  der 
Puritaner  geweckt,  die  sich  grausam  rächten,  sobald  sie  die 
Macht  in  die  Hände  bekamen.  Die  Drangsalierung  der  Schau- 
spieler und  Bühnendichter  durch  diese  geistigen  Abstinenzler 
hatte  schon  lange  vorher  begonnen. 

Aus  dem  Jahre  1606  stammt  das  Verbot,  den  Namen 
Gottes,  Christi  und  des  Heiligen  Geistes  auf  der  Bühne  zu 
äußern.  1616  wüteten  der  Lordmayor  und  die  Aldermänner 
der  City  gegen  das  Blackfriars-Theater;  König  Jakob  ver- 
teidigte es  durch  einen  neuen  Freibrief.  1630  erfolgten  aber- 
mals Bittschriften  um  Abschaffung  des  Blackfriars-Theaters 
unter  heuchlerischer  Vorschützung  polizeilicher  Gründe :  Ge- 
dränge der  Kutschen  vor  dem  Theater  und  dergleichen. 
1633  traten  französische  Schauspielerinnen  mit  allzu  großer 
Ausgelassenheit  in  London  auf.  Darauf  wütendes  Zeter- 
geschrei im  Lager  der  Puritaner,  deren  einer,  William 
Prynne  „Die  Komödiantengeißel",  ein  „Libell"  von  tau- 
send Quartseiten  schrieb,  worin  er  wie  ein  Wahnsin- 
niger gegen  Drama,  Dramatiker  und  Schauspieler  raste. 
Darin  findet  sich  auch  die  hämische  Bemerkung,  daß 
Shakespeares  Werke  auf  besserem  Papier  als  die  Bibel 
gedruckt  seien. 

Prynne  wurde  zu  fünftausend  Pfund  Geldstrafe  und  zum 
Ohrenabschneiden  verurteilt,  sein  Buch  vom  Henker  ver- 
brannt und  der  Verfasser  für  lange  Zeit  eingesperrt. 

Am  2.  September  1642  verfügte  ein  Befehl  des  durch 
den  Bürgerkrieg  allmächtig  gewordenen  Parlaments  die 
Schließung  sämtlicher  Theater,  und  als  trotzdem  noch  ge- 
legentliche Aufführungen  stattfanden,  erfolgte  unter  Crom- 
well  1648  eine  Verfügung  des  Puritanischen  Parlaments, 
derzufolge  alle  Schauspieler  als  unehrlich  bezeichnet,  alle 
Theater  eingerissen  werden  sollen,  jeder  zuwiderhandelnde 

169 


Komödiant  mit  dem  Staupbesen  bedroht  und  jeder  Zu- 
schauer zu  fünf  Schilling  Buße  verurteilt  wird12." 

Auf  den  hellsten  Sonnenschein  und  die  üppigste  Reife 
war  die  Dürre  gefolgt,  die  auch  unter  Karl  II.  anhielt,  als 
der  drakonische  Befehl  der  verbissenen  Frömmler  außer 
Kraft  gesetzt  worden  war. 

Die  natürliche,  gesunde  Derbheit  Shakespeares  war  dem 
Lustspiel  und  der  Komödie  auf  lange  Zeit  hinaus  abhanden 
gekommen,  für  sie  traten  Zoten  und  die  unverhüllte  Lüstern- 
heit ein.  Der  sittliche  Tiefstand  aller  Gesellschaftsklassen 
war  die  Reaktion  auf  die  Weltflucht  der  Puritaner,  und  diese 
Unsittlichkeit  ergriff  zuerst  von  dem  wiedererstandenen 
Theater  Besitz.  Denn  in  der  Verspottung  der  Sittenlosig- 
keit  wurden  Szenen  auf  die  Bühne  gebracht,  die  an  gro- 
tesker Gemeinheit  nichts  mehr  zu  wünschen  übrig  ließen. 
Alles,  was  der  Puritanismus  verworfen,  zerrte  man  mit  zyni- 
schem Grinsen  vor  die  Rampen,  und  alles,  was  von  ihm 
geschätzt  worden  war,  wurde  hohnlachend  in  den  Schmutz 
getreten.  Ehe  und  Familienleben,  die  die  Puritaner  rein  und 
heilig  gehalten,  wurden  jetzt,  wo  man  den  Puritanismus  dem 
Hochverrat  an  das  wiedereingesetzte  Königshaus  gleich 
achtete,  zum  Gegenstand  des  Spottes  und  der  Mißachtung. 
Wer  für  königstreu  gelten  wollte,  mußte  ausschweifend  wie 
König  Karl  II.  und  sein  Hof  sein. 

Das  Lustspiel  und  die  Posse  brachten  getreue  Spiegel- 
bilder dieser  allgemeinen  Unsittlichkeit  zur  Darstellung.  Die 
spanischen  und  französischen  Komödien  dienten  den  Eng- 
ländern zum  Vorbild,  aber  sie  erschienen  vergröbert,  die 
Laszivitäten  der  Originale  noch  vertieft  und  breiter  aus- 
geführt vor  dem  britischen  Publikum. 

Zu  den  sittenreinen  Komödienschreibern  jener  Epoche 
zählte  anfänglich  John  Dryden,  der  berühmteste  Dichter 
seiner  Zeit  und  der  Hauptvertreter  der  Restauration  (1631 
bis  1700).    In  „The  Spanish  Friar"  (Der  spanische  Mönch) 

11  Prof.   Dr.   Ed.  Engel,   Geschichte   der   englischen  Literatur,    6.  Aufl. 

Leipzig  1906,  S.  175. 

170 


brachte  er  in  dem  Mönche  eine  außerordentlich  lustige 
Figur  auf  die  Bühne.  Auch  „Die  Ehe  nach  der  Mode" 
(Marriage  ä  la  Mode)  gehört  zu  Drydens  besten  Schöp- 
fungen. Jedoch  schon  im  „Stelldichein  oder  Liebe  im  Non- 
nenkloster" (The  Assignation,  or,  Love  in  a  Nunnery), 
mehr  noch  in  „Limberham"  räumt  er  dem  Anstößigen  einen 
großen  Spielraum  ein. 

So  arg  es  aber  Dryden  und  nach  ihm  Sir  George  Ethe- 
rege  (um  1635 — 91)  und  Sir  Charles  Sedley  (um  1639  bis 
1701)  trieben,  so  wurden  sie  doch  von  William  Wycherley 
(um  1640 — 1716)  weit  in  den  Schatten  gestellt.  Die  Scham- 
losigkeiten in  seinen  beiden  bedeutendsten  Komödien  hatten 
selbst  in  den  Hanswurstiaden  nicht  ihresgleichen. 

In  The  Country  Wife  (Die  Frau  vom  Lande)  gibt  sich 
der  Held  des  Stückes  für  einen  Kastraten  aus,  um  unge- 
stört mit  verheirateten  Frauen  verkehren  zu  können.  Die 
Ehemänner  sind  alle  so  naiv,  ihm  zu  glauben  und  führen 
ihn  ihren  Frauen  zu.  Die  Verführungsszenen  spielen  sich 
auf  der  Bühne  selbst  ab,  wodurch  sich  die  obszönsten,  wenn 
auch  groteskesten  Situationen  ergeben. 

Im  The  Piain  Dealer  (Der  Freimütige),  um  1674  erschienen, 
setzt  sich  der  Dichter  gleichfalls  über  das  Zulässige  hinweg13. 

Als  bedeutende  Vertreter  des  Lasziven  in  der  Komödie 
seien  noch  angeführt  der  geniale  William  Congreve  (1670 
bis  1729),  John Vanbrugh  (etwa  1666 — 1726),  der  die  komische 
Figur  des  Lord  Foppington  schuf,  und  der  Irländer  George 
Farquhar  (1678-1707). 

Bei  Farquhar  machte  sich  bereits  der  Umschlag  im  Ge- 
schmack des  Publikums  bemerkbar.  Seine  Stücke  schwan- 
ken deshalb  zwischen  Moral  und  Unmoral  hin  und  her.  Das 
gleiche  gilt  von  Frau  Susanna  Centlivre  (um  1667 — 1723), 
die  den  beständig  Unheil  anrichtenden  Spielverderber  in 
ihrem  Lustspiel  „The  Busy  Body"  (Der  Allgeschäftige)  er- 
fand. Ausschließlich  frivol  ist  Aphra  Behn  (1640—1689). 
Das    Leitmotiv    ihrer    Lustspiele    war    „Virtue   is    but   an 

11  Wülker,  S.  18  f. 

171 


infirmity  in  Women,  a  Discas!"  (Tugend  ist  nur  eine 
Schwäche  in  der  Frau,  eine  Krankheit!) 

Aber  die  Herrschaft  der  Zote  war  vorüber.  Wie  der 
Roman  nach  und  nach  anfing,  die  bürgerlichen  Kreise  zum 
Gegenstand  seiner  Schilderungen  zu  wählen,  wandten  sich 
auch  das  Lustspiel  und  die  Komödie  von  den  grotesk- 
zweideutigen Stoffen  ab.  Immerhin  verschwanden  sie  noch 
nicht  ganz  von  der  Bühne,  und  selbst  der  bedeutendste 
Shakespeare-Darsteller  seiner  Zeit,  David  Garrick  (1717 
bis  1779),  einer  der  größten  Schauspieler  aller  Zeiten, 
schrieb  und  spielte  leichteste  Ware,  wie  den  „lügenhaften 
Diener"  (The  Lying  Valet)  und  „Die  heimliche  Hochzeit" 
(The  Clandestine  Marriage).  Das  zuletzt  genannte  Stück 
verfaßte  er  zusammen  mit  Colman  (1732 — 1794).  Dieser 
George  Colman,  zum  Unterschied  von  seinem  Sohne  der 
Altere  genannt,  war  Theaterdirektor  und  der  Verfasser  einer 
Reihe  von  seichten  Lustspielen.  Er  suchte  die  Burleske 
wieder  nach  England  zu  verpflanzen.  Floegel,  der  Zeit- 
genosse Colmans,  ereifert  sich  darüber: 

„Einen  Versuch,  burleske  Parodien  in  England  einzu- 
führen, hat  Colmann,  Direktor  des  Sommertheaters  in 
Heymarket,  einer  der  besten  dramatischen  Dichter,  gemacht. 
Diese  Gattung  von  Possenspielen  ist  bisher  außer  Frank- 
reich noch  nirgends  nachgeahmt  worden,  so  groß  auch  die 
Sucht  ist,  alles,  was  aus  diesem  Lande  kommt,  nachzuäffen. 
Ja  selbst  in  Berlin,  das  doch  unter  allen  Städten  in  Europa 
Paris  am  meisten  nachzuahmen  sucht,  hat  man  vor  einigen 
Jahren  das  Gesuch  zu  einem  solchen  Etablissement  abge- 
wiesen. Um  desto  mehr  ist  es  zu  verwundern,  daß  Col- 
mann die  ernsthafte  englische  Nation  mit  solchen  Farcen 
heimsuchen  will.  Dieser  Mann  aber  hat  die  Manier,  alles 
was  französisch  ist,  auf  englischen  Boden  zu  pfropfen.  Der 
berühmte  Vestris  war  1781  in  London  und  erhielt  mit 
seinem  Ballett  Medea  und  Jason  solchen  Beifall,  daß  ihm 
die  erste  Vorstellung  3000  Pfund  Sterlings  einbrachte. 
Dieses  Ballett  hat  Colmann  durch  ein  burleskes  Ballett,  das 
172 


eben  den  Titel  führt,  äußerst  lächerlich  gemacht.  Das 
Ding-  hat  sehr  gefallen,  weil  es  den  Reiz  der  Neuheit  hat, 
sonst  dürfte  öftere  Wiederholung-  davon  wohl  nicht  nach 
dem  Geschmack  des  Londoner  Publikums  seyn.  Durch 
diesen  Versuch,  wodurch  Colmann  erst  den  Geschmack 
der  Engländer  sondieren  wollte,  ist  er  aufgemuntert  worden, 
an  der  Fortsetzung  seines  Planes  zu  arbeiten.  Wahrschein- 
lich wird  man  also  bald  von  ihm  Parodien  ä  la  francaise 
sehen,  und  vielleicht  werden  auch  nachher  Shakespeares 
Meisterstücke  das  nämliche  Schicksal  haben.  Da  die  Fran- 
zosen ihre  angebeteten  Dichter,  ja  ihren  Racine  selbst  nicht 
verschonen,  und  sogar  über  ihn  lachen,  als  in  seinen  Trauer- 
spielen weinen,  so  glauben  Colmann  und  Consorten  viel- 
leicht befugt  zu  seyn,  die  englischen  Dichter  eben  so  zu 
behandeln." 

Es  kam  nicht  so  weit. 

Hingegen  machte  eine  andere  Art  der  grotesken  Parodie 
großes  Aufsehen  in  London. 

Alexander  Stevens  (f  1786)  war  Schauspieler  in  Drury- 
lane,  und  zwar  ein  sehr  mittelmäßiger;  denn  das  Talent, 
wodurch  er  sich  nachher  so  sehr  auszeichnete,  konnte  er  in 
dieser  Stellung  nicht  anwenden,  nämlich  lebhaften  Witz, 
unerschöpflichen  Reichtum  an  Einfällen,  die  ihm  von  der 
Klapper  des  Wortspiels  an  bis  zur  feinsten  Spitze  des  epi- 
grammatischen Stachels  von  allen  Seiten  zuströmten,  und 
endlich  seine  Gabe,  Stimmen  und  Gebärden  der  Menschen 
jedes  Standes  und  Alters  nachzuahmen.  Mit  solchen  Geistes- 
gaben ausgerüstet,  erfand  er  ein  Schauspiel  von  besonderer 
Art,  das  er  Vorlesungen  über  Köpfe  (Lectures  upon  heades) 
nannte.  Er  trat  damit  alle  Winter  im  Haymarket  auf.  Es 
waren  eigentlich  satirisch-komische  Vorlesungen  über  alle 
Stände  und  Volksklassen  der  britischen  Nation,  mit  tiefer 
Welt-  und  Menschenkenntnis,  mit  Witz,  Laune  und  großer 
Kunst  gehalten.  Um  seinen  Vortrag  sinnfällig  zu  machen, 
bediente  er  sich  etwa  vierzig  bis  fünfzig  Büsten  aus  Pappe, 
etwa  halb  so  vieler  Perücken  aus  allen  vier  Fakultäten  und 

173 


solcher,  die  zu  gar  keiner  gehören,  auch  einiger  Mappen 
und  Bilder  zur  Erläuterung.  Mit  diesem  Werkzeug  ver 
sehen,  erschien  er  allein  auf  der  Bühne.  Die  Bildung  un 
der  Kopfputz  dieser  Pappe-Büsten  bezeichneten  die  ver 
schiedenen  Stände,  Gewerbe  und  Charaktere  der  Menschen, 
die  er  durch  Nachäffung  in  Sprache,  Ton  und  Gebärde 
darstellte.  Hofleute,  Arzte,  Advokaten,  Prediger,  Krämer, 
Landleute,  Militärpersonen,  Gelehrte,  Künstler,  Hofdamen 
und  Fischweiber,  alle  kamen  der  Reihe  nach  dran.  Man 
hörte  sehr  wenig  Triviales,  dagegen  viel  Belehrendes  in 
dieser  Menschenschule,  die  auch,  obgleich  nicht  in  Anbetracht 
der  Kenntnisse,  die  zur  Philosophie  des  Lebens  gehören, 
um  die  sich  die  wenigsten  Menschen  kümmern,  sondern 
wegen  der  ergötzlichen  Mimik  so  großen  Beifall  fand.  Mit 
diesen  Köpfen  besprach  er  sich,  wie  sie  wiederum  sich  durch 
ihn  mit  ihm  oder  auch  durch  ihn  miteinander  selbst  unter- 
hielten. Zuweilen  erzählte  er  ihre  Geschichte  oder  kom- 
mentierte ihre  Reden.  Alexander  der  Große,  ein  Menschen 
schlächter  von  einst  (dies  sind  Stevens  Ausdrücke),  ward 
mit  Sachem-Swampum-Skalpo-Tomahawk,  einem  ähnlichen 
Schlächter  von  damals,  und  beide  mit  einem  Quacksalber, 
aus  eben  der  Gilde,  verglichen.  Er  zeigte  die  unwider- 
stehliche Macht  der  Perücke  an  Beispielen,  und  wie  der 
Kredit  des  Mannes,  der  sie  trägt,  mit  jeder  Unze,  um  die 
ihr  Gewicht  zunimmt,  um  ganze  Zentner  wächst.  Der  Kopf- 
putz einer  Hofdame  wurde  mit  dem  eines  Fischweibes  von 
ßillingsgate  verglichen,  ihre  Sprache  nebeneinander  gestellt 
und  die  treffende  Bemerkung  gemacht,  daß,  wie  die  Hof- 
dame immer  bemüht  sei,  Polysyllaba  zu  monosyllabieren, 
die  Fischweiber  sich  bestrebten,  Monosyllaba  zu  polysylla- 
bieren.  Jene  sagt  statt  I  shall  not,  can  not,  may  not:  I  shaant, 
caant,  maant;  diese  hingegen  essen  ihre  toasteses  zu  ihrem 
Tee  und  stoßen  zuweilen  their  sisteses  against  their 
posteses.  Am  übelsten  kamen  bei  ihm  die  Advokaten  weg, 
deren  Kniffe,  ihre  Herumschweif-,  Schwenk-,  Lenk-  und 
Streckungen  er  ebenso  gut  kannte  wie  er  ihr  englisches 
174 


Halblatein  zu  imitieren  wußte.  Er  beschloß  seine  Vor- 
lesungen gewöhnlich  mit  einer  Satire  auf  sich  selbst,  um  bei 
dem  so  reichlich  ausgeteilten  Spotte  nicht  allein  leer  aus- 
zugehen. Stevens  ging  nach  Amerika,  ehe  der  Krieg  aus- 
brach, und  kehrte  mit  reichem  Verdienst  nach  Europa  zurück. 

Das  neunzehnte  Jahrhundert  vergaß  bei  seiner  Bühnen- 
produktion gleichfalls  den  nachgerade  ehrwürdig  gewor- 
denen Clown  nicht.  Die  Lust  der  Engländer  an  derb  auf- 
getragenem Spaß,  an  Kulissenreißerei  ist  zu  groß,  als  daß  je- 
mals der  Schalksnarr  von  der  Bühne  Britanniens  verschwinden 
könnte.  Dieser  nationalen  Freude  am  Grotesk-Komischen 
verdankte  im  Jahre  1821  Pierce  Egans  „Tom  and  Jerry" 
seinen  beispiellosen  Erfolg.  Zuerst  am  Adelphi-Theater  ge- 
geben, wurde  es  viele  Jahre  hindurch  an  zehn  Theatern  all- 
abendlich gespielt,  „denn  der  derbe  Humor,  die  Buffonerie 
in  diesem  Stücke  entsprach  vortrefflich  einer  Neigung  der 
englischen  Volksseele  u." 

Dieser  tief  im  Volke  wurzelnden  Vorliebe  für  das  Bur- 
leske kam  der  Herausgeber  des  „Punch",  Sir  Francis  Cowley 
Burnand,  in  seinen  mehr  als  einhundertzwanzig  Schwänken, 
Farcen  und  Possen  entgegen.  Die  billigen  Witze,  die  immer 
wiederkehrenden  Mißverständnisse  verhalfen  ihnen  zu  ihrem 
Erfolg.  Ihnen  dankt  auch  der  größte  englische  Possen- 
schlager der  Neuzeit,  „Charleys  Tante"  von  Brandon  Thomas, 
einem  englischen  Offizier,  seine  dauernde  Beliebtheit.  Vom 
Jahre  1893  ab  wurde  das  Stück  im  Londoner  Globe-Theater 
mehr  als  zehn  Jahre  hindurch  fast  allabendlich  gegeben. 
Am  15.  August  1896  feierte  „Charleys  Tante"  mit  Guido 
Thielscher  in  der  Titelrolle  im  Berliner  Adolf  Ernst-Theater 
das  Jubiläum  der  450.  Aufführung. 

Sind  doch  derartige,  oft  nur  den  Engländern  genießbare 
Bestandteile  der  Possen  und  Schwanke  das  Haupterfordernis 
eines  wirkungsvollen  englischen  Stückes.  Dazu  gehören  ferner 
groteske  Masken  der  Komiker,  grotesk  in  Schminke,  Pe- 
rücken und  Barten,    ebenso  Kostüme,    die  der  Ausländer 

14  Prof.  Dr.  Ernst  Groth  in  Wülkers  Literaturgesch.,  II.  Bd.,  S.  377 

175 


nicht  mehr  komisch,  sondern  läppisch  findet.  Derartig  ver- 
mummte Clowns  treiben  ärger  denn  je  auf  der  englischen 
Bühne  ihr  Unwesen.  Sie  sind  nicht  minder  zu  Hause  in  der 
englischen  Operette,  im  „Mikado"  und  der  „Geisha",  als 
in  dem  von  Frankreich  importierten  Schwank  und  in  der 
deutschen  Operette.  Von  den  Easter-  und  Christmas-Panto- 
mimes,  jenen  mit  fabelhafter  Pracht  inszenierten  Ausstattungs- 
Revuen  der  großen  englischen  Bühnen,  bilden  sie  einen  un- 
trennbaren Bestandteil,  ohne  den  diese  einfach  keine  Exi- 
stenzberechtigung hätten. 

Mit  dem  neuesten  Meister  der  Groteske,  George  Bernard 
Shaw  (geb.  1856),  sei  dieser  Abschnitt  geschlossen.  Nur 
der  Vollständigkeit  halber  ist  sein  Name  genannt,  denn  er 
dient  mit  seinen  feingeschliffenen  Werken  nicht  der  Gro- 
tesk-Komik, sondern  der  grotesken  Satire.  Er  grollt  nicht 
über  die  Untugenden  der  Menschen,  er  belächelt  und  ver- 
spottet sie. 

DIE  DEUTSCHEN 

Die  Anfänge  des  Schauspiels  in  Deutschland  unterscheiden 
sich  in  nichts  von  denen  anderer  Kulturländer.  Zuerst  war 
das  Misterium,  das  in  lateinischer  Sprache  in  Szene  ging 
und  auf  Kirche  und  Kloster  beschränkt  blieb.  Dieses  Mi- 
sterium war  aber  auch  auf  deutschem  Boden  vorwiegend 
ein  Produkt  der  Muse  gebildeter  Kleriker  und  diente  fast 
ausschließlich  der  Belustigung  geistiger  Feinschmecker1. 

Für  diese  Kreise  schrieb  die  erste  deutsche  Dichterin, 
der  erste  Dramatiker  der  nachrömischen  Welt,  die  Nonne 
Roswitha  —  Hrotsuitha  nannte  sie  sich  selbst  —  ihre  Dramen. 
Von  ihrem  Leben  wissen  wir  nur,  daß  sie  in  der  ersten  Hälfte 
des  zehnten  Jahrhunderts  geboren  wurde.  Wie  sie  selbst 
berichtet,  war  Terenz  das  Vorbild  ihrer  Dramen,  die  sie 
zu  eigener  Freude  und  zur  Belustigung  ihrer  Klosterschwestern 
niederschrieb. 

1  Dr.  R.  Froning,    Das    Drama    des   Mittelalters    (Kürschners   Deutsche 

Nationallit,  14.  Bd.),  S.  24. 

176 


Eines  dieser  Dramen,  „Das  Leiden  der  heiligen  Jungfrauen 
Agape,  Chionia,  Irene",  nach  der  Hauptperson  meist  kurz 
„Dulcitius"  genannt,  wird  in  einer  Szene  zur  Posse  und  ar- 
beitet mit  den  Effekten  einer  solchen.  Das  Stück  spielt  zur 
Zeit  der  diokletianischen  Christenverfolgung  in  Thessalonich. 
Agape,  Chionia  und  Irene  sind  Schwestern,  Töchter  eines 
hochangesehenen  Geschlechtes  und  dem  Gekreuzigten  treu 
ergeben.  Diokletian  möchte  die  Mädchen  schonen,  sie  aber 
verschmähen  seine  Gnade  und  werden  daher  dem  Land- 
pfleger Dulcitius  überliefert,  damit  er  nach  Form  und  Recht 
ihr  Urteil  spreche.  Dieser  Lüstling  will  erst  die  Gunst  der 
Mädchen  erlangen,  ehe  er  sie  aburteilt.  Er  läßt  die  drei 
Jungfrauen  in  ein  Gemach  des  Küchenhauses  sperren.  Eines 
Nachts  will  er  zu  ihnen,  an  ihrer  heißersehnten  Liebe  sich 
erlaben: 

Vierter  Auftritt2. 

Gefängnis. 
Agape.     Chionia.     Irene. 
Agape.    Was  ist  das  nur  für  Lärm  an  unsrer  Tür? 
Irene.    Dulcitius,  der  Unselige,  tritt  ein. 
Chionia.    Gott  sei  uns  gnädig! 
Agape.    Amen. 
(Dulcitius  verfehlt  die  rechte  Tür  und  tritt  in  das  Gemach,  wo  die  Köche 
ihr  Gerät  bewahren.) 

Chionia.  Was  mag  er  bei  den  Töpfen  nur,  den  Kesseln 
und  den  Pfannen  suchen? 

Irene.  Ich  will  doch  einmal  sehn.  (Sie  blickt  durch  eine  Spalte 

der  Scheidewand  in  das  Nebenzimmer.)  O  kommt,  ich  bitte  euch, 

guckt  schnell  hier  durch  die  Ritze! 

Agape.   Was  gibt  es  denn? 

Irene.  Seht  nur,  der  Tropf!  Wahrhaftig,  er  ist  über- 
geschnappt! Er  meint,  wir  hielten  ihn  in  unsern  Armen. 

Agape.    Was  tut  er  denn? 

Irene.  Jetzt  nimmt  die  Töpfe  er  auf  seinen  geilen  Schoß 
und  läßt  sie  da  erwarmen,  jetzt  schließt  er  gar  den  großen 

s  Übersetzt  von  Ottomar  Pilz  (Leipzig),  S.  81  f. 

12  177 


Kessel  brünstig  an  die  Brust,  den  rußigen  Pfannen  spendet 
er  Kuß  über  Kuß! 

Chionia.   Ich  kann  das  Lachen  kaum  noch  unterdrücken. 

Irene.  O  pfui!  Wie  schmutzig  seine  Hände  sind!  Und 
das  Gesicht,  die  Kleider  wie  besudelt!  Wahrhaftig,  der 
Schwärze  nach  ist  einem  Mohren  er  zum  Verwechseln 
ähnlich. 

Agape.  Das  geschieht  ihm  recht.  Der  Teufel  ist  ja  ein- 
mal seiner  schwarzen  Seele  Herr,  da  mag  denn  auch  sein 
Leib  die  gleiche  Farbe  tragen. 

Irene.  Paßt  auf,  er  wendet  sich  zum  Gehn.  Jetzt  laßt 
uns  sehen,  was  wohl  die  Krieger,  die  vor  der  Türe  auf  ihn 
warten,  anstellen  werden,  wenn  er  heraustritt. 


Fünfter  Auftritt. 

Vor  dem  Gefängnis. 
Dulcitius.     Soldaten. 

Soldaten.  Was  kommt  dort  für  ein  Teufelskind?  Nein, 
das  ist  ja  der  Teufel  selber!  Fort!  Laßt  uns  fliehen! 

Dulcitius.  Soldaten,  warum  lauft  ihr  weg!  Halt!  Wartet! 
Bringt  mit  den  Fackeln  mich  zu  Bett! 

Soldaten  (durcheinander).  Der  Stimme  nach  ist's  unser  Herr. 
—  Das  Aussehn  aber  ist  des  Teufels!  —  Der  Kuckuck  mag 
hier  warten!  Ich  mach',  daß  ich  davon  komm'!  —  Flieht, 
flieht!  Das  Gespenst  will  uns  den  Hals  umdrehen!  — 

(Sie  laufen  davon.) 

Dulcitius.  Da  möchte  man  sich  ja  zuschanden  ärgern! 
Sogleich  gehe  ich  zur  kaiserlichen  Pfalz  und  melde,  was 
geschehen,  bei  den  Obern. 

Sechster  Auftritt. 

Vor  dem  kaiserlichen  Palaste. 

Dulcitius.     Türhüter.     Später  Dulcitius  Gemahlin. 

Dulcitius.  Türhüter,  führt  mich  in  den  Palast,  ich  hab' 
dem  Kaiser  Wichtiges  zu  melden! 

Türhüter.  Was  will  das  schmutzige  Scheusal  hier?  Hinaus 
mit  deinen  zerfetzten  Rußlumpen !  Laßt  ihn  die  Fäuste  fühlen  1 
178 


Die  Treppe  mit  ihm  hinunter!  Daß  nicht  der  Kerl  sich  etwa 
einfallen  läßt,  noch  einen  einzigen  Schritt  vorwärts  zu  tun ! 
(Sie  treiben  ihn  vom  Tor  weg.)  .... 

Ob  die  Stücke  der  Gandersheimer  Nonne  aufgeführt 
worden  sind,  ist  natürlich  nicht  mehr  festzustellen,  obgleich 
dies  nicht  ganz  unwahrscheinlich  ist.  War  doch  die  Lust 
am  Theaterspielen  bei  der  Geistlichkeit  damals  keineswegs 
geringer  als  knapp  zweihundert  Jahre  später.  Gerloh  von 
Reichenberg  entrüstet  sich  um  1161  in  seiner  Schrift  „De 
investigatione  Antichristi"  darüber,  daß  Geistliche  heiliges 
Geld  zur  Aufführung  von  Misterien  beisteuerten  und  selbst 
die  Rollen  von  Teufeln,  Weibern  und  Soldaten  darstellten. 

Doch  war  es  nicht  allein  die  Freude  am  Komödienspiel, 
die  die  Kleriker  zu  Schauspielern  machte.  Wilhelm  Scherer 
sagt  sehr  richtig :  „Das  Schauspiel  brachte  einen  so  tiefen 
Eindruck  hervor,  wie  es  die  Predigt  nimmermehr  konnte. 
Das  wußten  die  Geistlichen  wohl,  und  darum  pflegten  sie 
das  kirchliche  Drama,  bis  es  eine  selbständige  Macht  wurde, 
die  ihnen  über  den  Kopf  wuchs  und  mehr  zur  Unterhaltung 
als  zur  sittlichen  Förderung  diente".3 

Das  Misteräum  wurde  verweltlicht,  und  an  dieser  Abschütt- 
lung  der  kirchlichen  Fesseln  trug  die  Freude  der  Deutschen 
an  der  derben  Komik,  die  naturgemäß  in  der  Kirche  sich 
allerlei  Zwang  auferlegen  mußte,  den  Hauptanteil. 

Wie  aus  Gerlohs  Worten  hervorgeht,  kamen  schon  zur 
Zeit  Barbarossas  Dramen  zur  Aufführung,  in  denen  ein  an- 
deres dramatisches  Leben  herrschte,  als  in  den  streng  kirch- 
lichen Spielen. 

Wenn  sich  auch  die  Geistlichen  selbst  rege  an  derartigen 
Aufführungen  beteiligten,  die  Spiele  verfaßten,  leiteten  und 
selbst  mitspielten,  so  konnten  sie  doch  bald  die  Mitwirkung 
von  Leuten  nicht  entbehren,  die  für  die  Berufsschauspieler 
jener  Zeit  gelten  durften. 

Dies  waren  die  Geistlichen  unter  den  fahrenden  Leuten, 
die   sogenannten   Clerici  vagantes.     Sie  kamen   allerorten 

•  Geschichte   der   deutschen   Literatur,    12.  Aufl.,   Berlin  1912,  S.  245. 
12«  179 


herum,  kannten  die  verschiedenen  Bräuche  bei  den  Spielen 
und  konnten  ihren  beheimateten  Amtsgenossen  mit  Rat 
und  Tat  beistehen.  Diese  Mitarbeit  war  von  größtem  Ein- 
fluß auf  die  Popularisierung  und  die  Verweltlichung  der 
kirchlichen  Spiele.  Denn  diese  Leute  unterschieden  sich 
meist  in  gar  nichts  als  durch  ihre  Schulbildung  von  den 
anderen  Vaganten  und  fahrenden  Spielleuten.  Wie  diese 
erlustigten  sie  auch,  wenn  dies  Aussicht  auf  Verdienst 
bot,  auf  den  Märkten  das  Volk  durch  Spässe.  Sie  führten 
lebhaftere  Aktion  in  die  kirchliche  Feier  ein  und  bemäch- 
tigten sich  vor  allem  der  ihnen  zusagenden  komischen  Rollen, 
die  sie  ausgestalteten  und  zur  vollen  Entfaltung  brachten^ 
Sie  suchten  durch  das  Äußere  die  verschiedenen  Personen 
zu  charakterisieren,  vielleicht  auch,  nach  alter  Mimenweise, 
durch  körperliche  Verunstaltungen,  ja  sie  wagten  es  sogar, 
die  kirchlichen  Gesänge  durch  Verdrehungen  zu  profa- 
nieren4. 

Auch  den  Gebrauch  von  Larven  verschmähten  sie  nicht, 
was  ein  Hamburger  Verbot  vom  Jahre  1330  beweist5. 

Die  Kirche  wehrte  sich  durch  Synodalbeschlüsse  noch 
im  vierzehnten  Jahrhundert  gegen  das  Auftreten  der  Va- 
ganten in  den  Gotteshäusern.  Doch  das  Volk  fand  Ge- 
fallen an  ihrer  Art,  es  wollte  sie  nicht  missen.  Nicht  zuletzt 
deshalb  wurden  die  Spiele  ins  Freie  verlegt,  und  damit 
erhielten  sie  erst  die  Möglichkeit,  sich  zu  Volksschauspielen 
umzugestalten. 

Noch  blieb  aber  der  Kern  der  Spiele  im  wesentlichen 
religiös,  wenn  auch  der  Schaulust  und  dem  Geschmacke 
der  Laien  vielerlei  und  recht  weitgehendes  Entgegenkom- 
men bewiesen  wurde,  und  dieses  immer  mehr,  seit  die  Spiele 
nur  in  deutscher  Sprache  aufgeführt  wurden. 

An  dem  frommen  Text  wagten  die  berufsmäßigen  Spieler 
natürlich  nicht  zu  rütteln.  Sie  übernahmen  ihn,  wie  er 
überliefert  worden.  Wo  aber  in  der  Handlung  eine  Lücke 

*  Froning,  Drama,  S.  26.   —    8  Rudolf  Genee,   Lehr-  und  Wanderjahre 

des  deutschen  Schauspiels,  Berlin  1882,  S.  8. 

180 


offen  war,  da  ließen  sie  ihrer  Laune  die  Zügel  schießen, 
schoben  sie  altbewährte  Szenen  ein,  die  bei  den  Fahrenden 
seit  unerdenklichen  Zeiten  im  Schwange  waren:  es  war 
dies  vornehmlich  die  Krämerszene,  die  direkt  von  der  Jahr- 
marktbude auf  die  Bühne  versetzt  wurde. 

Der  wandernde  Kaufmann  oder  Quacksalber  bestritt 
das  Zwischenspiel  zuerst  allein.  Dann  kam  der  Knecht 
Rubinus  und  als  dritte  komische  Figur  die  Frau  des  Kauf- 
manns hinzu.  Als  Krönung  des  Ganzen  erschien  dann 
endlich  der  Unterknecht  Puster-  oder  Lasterbalg.  Sein  Name 
wird  im  Munde  der  Frommen  direkt  zu  dem  eines  Teufels, 
den  man  den  bösen  Spielleuten  beilegt.  Denn  die  Spiel- 
leute, sagt  Bruder  Berthold  von  Regensburg,  scheuten  sich 
nicht  vor  Reden,  die  selbst  der  Teufel  nicht  aussprechen 
würde,  sie  seien  seine  Blasebälge  (Pusterbälge)6. 

Was  die  Puster-,  Laster-  oder  Blasebälge  an  grotesker 
Komik  und  mit  vollem  Behagen  breitgequetschter  Gemein- 
heit von  sich  gaben,  mußte  allerdings  im  hohen  Maße  das 
Mißbehagen  feiner  organisierter  Menschen  erregen.  Doch 
im  Mittelalter  und  der  Folgeepoche  waren  solche  Leute  in 
der  Minderzahl,  und  deshalb  konnten  diese  Krämerszenen 
immer  weitläufiger  werden,  bis  sie  mehr  als  die  Hälfte  des 
ganzen  Spiels  ausmachten.  Das  eine  der  erhaltenen  Erlauer 
Spiele  zählt  im  ganzen  1331  Verse,  davon  entfallen  auf 
die  Krämerszenen  885. 

Der  Rubinus  wie  der  Pusterbalg,  die  Hauptpersonen  der 
Krämerszenen,  wurden  stets  mit  besonderer  Liebe  und  Sorg- 
falt ausgeführt,  d.  h.  ihnen  die  gröbsten  Zoten  und  die 
derbsten  Witze  vorbehalten.  Waren  doch  diese  beiden  die 
Repräsentanten  des  Vagantenstandes  und  ihre  Scherze  auch 
diejenigen,  mit  denen  die  Fahrenden  auf  ihren  Kreuz-  und 
Querzügen  ihr  Publikum  zu  erheitern  pflegten.  Alle  die 
Manöver  und  Tricks,  mit  denen  sie  auf  die  Lachmuskeln 
ihrer  Zuschauer   einzuwirken  suchten,   wurden  hier  ange- 

6  Bruder  Berthold  von  Regensburg,  Predigten,  herausgegeben  von  Franz 
Pfeiffer,  Wien,  I.  Bd.  S.  159. 

181 


bracht.  Sie  prügeln  sich  in  einem  Auferstehungsdrama  auf 
der  Bühne  herum,  werden  von  dem  Medicus,  ihrem  Herrn, 
geschlagen,  wie  im  Erlauer  und  in  vielen  von  den  anderen 
Spielen 7. 

In  einem  mittelalterlichen  Osterspiel  ging  es  in  der  Krämer- 
szene ungefähr  so  zu: 

Der  Arzt  grüßte  das  Publikum  mit  einem  Witz,  etwa: 
„Got  grüß  euch,  ir  herrn  al  zu  mal,  sprach  der  Wolf 
und  kuckt  in  den  gensstal  (Gänsestall)." 
Dann  gab  er  bekannt,  daß  er  einen  Knecht  suche.  Alsbald 
bietet  sich  Rubin  an.  Seine  Lohnforderung  ist  sehr  hoch, 
unter  hundert  Mark  tut  er's  nicht,  denn  er  ist  viel  gereist 
und  infolgedessen  in  sehr  vielen  Künsten  bewandert.  Vor 
allem  kann  er  lügen,  betrügen  und  Frauen  verführen.  Der 
Lohn  ist  dem  Arzt  viel  zu  hoch.   Er  will  ihn  höchstens 

lohnen 
mit:  Siebzehn  Bohnen, 

Glockenklang, 

Pfannensang, 

der  Mönche  Tanzen, 

der  Nonnen  Schwänzen  (Herumstreichen), 

der  Wölfe  Höhne  (Geheul), 

der  Vögel  Töne, 

der  Lerchen  Singen, 

der  Krummen  Springen, 

der  Jagdhunden  chenkchen  (Laufen), 

der  Hasen  wenkchen  (Straucheln), 

der  Winde  Pfeifen, 

der  Jäger  Streichen, 

das  gib  ich  dir  ze  Ion, 

ob  du  mir  dinst  schon. 
Schließlich  werden  sie  aber  doch  einig  um  einen  Preis,  der 
mit  Münze  nichts  zu  tun  hat,  auch  gewöhnlich  eine  nichts 
weniger  als  appetitliche  Beigabe  in  sich  schließt.  Kaum  ist 

7  F.  J.  Mone,  Schauspiele  des  Mittelalters,  Karlsruhe  1846,  2.  Bd.,  S.  345. 

Altd.  Schauspiele.    Quedlinburg  1841,  S.  115. 

182 


Der  Hanswurst  des  Quacksalbers 
Kupfer  von  Dietrich  (1767) 


die  Anwerbung  vollzogen,  macht  sich  Rubin  daran,  die  Kunst 
seines  Herrn,  des  berühmten  Meisters  Ypocras  bekannt  zu 
geben.    Der  versteht  Wunderdinge: 

Wird  einer  in  dem  Mantel  wund, 
Kommt  er  zu  ihm,  er  macht  ihn  gesund  .  .  . 
Die  Blinden  macht  er  sprechen, 
Die  Stummen  macht  er  essen  .... 
Er  weiß  von  Arzneikunst  also  viel 
gleich  wie  ein  Esel  vom  Saitenspiel. 
Rubin  kann  die  Arbeit  nicht  allein  schaffen   und  begehrt 
einen  Unterknecht.   Der  findet  sich  in  dem  Lasterbalg  oder 
Pusterbalg.     Dies   sind   zuweilen   zwei   verschiedene   Per- 
sonen.    Der    Lasterbalg    ist    vielfach    ein    Bekannter  und 
Diebsgenosse  des  windigen  Oberknechtes.   Jedenfalls  gibt 
er   ihm   an   Kunstfertigkeit    nichts   nach,    ebensowenig   an 
Schönheit,  denn: 

er  hat  eyne  nase  also  eyn  Kacze, 

er  ist  über  dij  schuldern  breit, 

sin  rucke  manchen  hocker  treygt  (trägt). 

Die  beiden  rüpeln  sich  gegenseitig  an,  reißen  Zoten,  was 
meist  eine  kleine  Schlägerei  im  Gefolge  hat,  bis  schließlich 
Rubin  auf  wiederholtes  Mahnen  des  Meisters  sich  herbei- 
läßt, erst  dessen  Kenntnisse,  dann  die  Salben  und  Pillen  dem 
Publikum  anzupreisen. 

In  der  Harnschau  ist  sein  Herr  ausnehmend  groß.  Aus 
dem  Urin  vermag  er  jedes  Siechtum  zu  erkennen.  Mit  der 
Zange  bricht  er  so  schmerzlos  Zähne  aus,  daß  sich  jeder 
dann  die  Haare  ausreißt.  Den  Stein  schneidet  er  virtuos; 
er  klistiert,  daß  von  sechs  Kranken  vier  sicher  sterben.  Den 
Unvermögenden  braut  er  Kräuter  zusammen,  die  unglaub- 
liche Wirkung  haben.  Verschwundene  Männer  bringt  er  den 
Weibern  zurück,  alte  verjüngt  er,  Gefallene  macht  er  so 
rein,  wie  ihre  Mutter  nach  der  Geburt  des  dritten  Kindes 
gewesen.  Eine  seiner  Wundermixturen  schützt  sogar  gegen 
Schläge. 

183 


Dann  bereitet  der  gehorsame  Knecht  auf  das  Geheiß 
seines  Herrn  vor  aller  Augen  die  Salbe.  Er  stampft  zu- 
sammen Mückenfett,  Fliege  ngehirn,  Glockenklang,  Kuckucks- 
gesang und  eines  alten  Mönches  Winde  und  verkauft  das 
Gemisch  an  die  drei  Marien. 

Das  paßt  der  holden  Gattin  des  Arztes  nicht.  Sie  war 
von  ihrem  Manne  geflohen,  und  Rubin  mit  Pusterbalg  hatten 
sie  mit  drastischen  Worten  von  ihrem  Entführer  wieder 
erbeten,  gleichviel  in  welchen  Zustand  auch  immer  sie  ver- 
setzt worden  wäre.  Sie  ist  von  großer  Schönheit.  Sie  hat 
einen  krummen  Mund,  sieht  über  die  Nase  wie  ein  Hund, 
kesselfarben  ist  ihr  Haar,  und  ihre  Augen  triefen. 

Dieses  entzückende  Geschöpf  stürzt  herbei  und  über- 
schüttet ihren  Mann  mit  Vorwürfen,  daß  er  die  Salbe  so 
wohlfeil  weggebe  und  sie  dadurch  um  die  versprochenen 
neuen  Kleider  bringe.  Der  Ehemann  nimmt  einen  solchen 
Eingriff  in  sein  Geschäft  sehr  übel  auf,  verweist  ihn  ihr  mit 
strengen  Worten,  prügelt  sie  schließlich  ordentlich  durch, 
um  sich  dann,  müde  von  dem  so  zweckmäßig  beendeten 
Tagewerk,  zur  Ruhe  zu  begeben.  Diese  Gelegenheit  er- 
greift der  treue  und  biedere  Knecht  Rubin,  schlägt  der 
Herrin  vor,  mit  ihm  durchzubrennen,  was  ihr  gerade  recht 
ist.  Nur  eine  einzige  Bedingung  hat  sie  zu  stellen: 

Führ'  mich  nicht  in  die  Schule! 

komm'  ich  in  das  Schulhaus, 

so  geh'  ich  nicht  als  Jungfrau  'raus ! . . . 

Neben  diesem  lustigen  Vierblatt  hatten  aber  auch  in  ge- 
wissen Fällen  die  biblischen  Personen  komische  Szenen,  das 
heißt  das,  was  man  damals  für  komisch  hielt. 

In  dem  Mecklenburgischen,  dem  sogenannten  Redentiner 
Osterspiel  von  1464  treibt  der  an  dem  heiligen  Grabe 
wachehaltende  Nachtwächter  seine  lockeren  Possen. 

In  einem  Tiroler  Spiel  werden  Lukas  und  Kleophas,  die 
mit  dem  Heiland  nach  Emaus  gehen,  mitten  in  geistlichen 
Gesprächen  handgemein,  geraten  sich  in  die  Haare  und 
184 


s 

V 


3 

a 

CO 

x 

m 


— -     bO 


19 


3 
C 

o 
> 


13  JS 


i«       X 


c 

3, 

c 


c/3 


Der  Eingang  zur  Hölle  in  einem  Schweizer  Pfingstspiel 
Federzeichnung-  eines  Züricher  Malers  aus  dem  Jahre  1539 


hauen  vereint  dann  Wirt  und  Wirtin  fürchterlich  durch. 
In  einem  anderen  Osterspiel  fallen  die  Wächter  beim  hei- 
ligen Grabe  über  die  Hohenpriester  her  und  schlagen  sich 
mit  ihnen  herum. 

Auch  die  Prügelszenen  der  Teufel  verfehlten  niemals 
ihre  komische  Wirkung. 

So  sehr  man  sich  auch  vor  dem  Teufel  fürchtete,  so  fühlte 
man  sich  durch  die  kirchlichen  Gnadenmittel  so  sicher  vor 
ihm,  daß  man  ihn  keck  als  Lustigmacher  vorführte,  gleich 
dem  gefesselten  Bären8. 

Man  stattete  diese  Teufel  mit  allen  Requisiten  der  hölli- 
schen Garderobe  aus  und  freute  sich  vorzüglich  über  ihre 
grotesken  Sprünge  und  Tänze.  Der  Teufel  war  ein  über- 
kluger, armer  oder  dummer  Teufel,  der  wider  Willen  zur 
lächerlichen  Figur  dienen  mußte.  Der  Haß  gegen  den 
Satan  war  so  tief  gewurzelt,  daß  alles,  was  ihm  angetan 
wurde,  die  helle  Schadenfreude  weckte,  und  man  selbst 
sein  Angst-  und  Schmerzgeheul  herzlich  belachte. 

In  der  Karlsruher  Handschrift  ist  Satan  die  rechte  Hand 
Luzifers.  Er  erhält  die  wichtigsten  Aufträge,  denn  er  wird 
für  den  klügsten  aller  Teufel  angesehen.  Er  benimmt  sich 
aber  als  ein  recht  dummer  Teufel.  Da  er  lange  ausbleibt, 
jammert  Luzifer,  ob  er  nicht  an  der  Gicht  erkrankt  sei,  er 
wolle  ihm  das  Wasser  besehen.  Endlich  kommt  Satan  und 
bringt  einen  Priester  mit  sich.  Der  Priester  muß  aber  aus 
der  Hölle  entfernt  werden,  denn  er  versengt  Luzifer  mit 
seiner  Rede  die  Haare.  Der  Priester  bannt  Satan  in  ein 
wildes  Brachfeld,  wo  er  nicht  mehr  schaden  kann,  und 
dieser  bricht  deshalb  in  lauten  Jammer  aus9. 

Hier  ist  der  dumme  Teufel,  der  sich  für  sehr  klug  hält, 
statt  Lohn  Schelte  erhält  und  ausgelacht  wird,  der  richtige 
Mimus.  Wie  dieser  macht  er  auch  Grimassen,  groteske 
Sprünge.    Er  heult,  jammert  und  brüllt. 

Die  grotesk-komischen  Szenen  nahmen  aber  mit  der  Zeit 

8  Karl  Weinhold,  Über  das  Komische  im  altdeutschen  Schauspiel  (Gosches 
Jahrbuch),  Berlin  1865,  S.  17  ff.  —  9  Reuling,  S.  18. 

185 


immer  mehr  an  grober  Realistik  zu  und  hingen  sich  wie 
Bleigewichte  an  die  frommen  Spiele,  deren  künstlerische 
Entwicklung  sie  hemmten.  Man  besuchte  die  Passions-, 
Oster-  und  Weihnachtsspiele  bald  nur  ihretwegen.  Da 
lag  denn  der  Gedanke  nahe,  sie  ganz  von  den  frommen 
Darbietungen  zu  lösen  und  sie  selbständig,  ohne  Mischung 
mit  ernsten  Szenen,  auf  die  Bühne  zu  bringen. 

Über  das  Wann  konnte  kein  Zweifel  herrschen. 

Die  lange  vierzigtägige  Fastenzeit  schob  sich  wie  ein  Keil 
in  die  Lustbarkeiten  ein,  mit  denen  das  Volk  den  Beginn 
des  Frühjahrs  und  gleichzeitig  den  Jahresanfang  zu  feiern 
pflegte.  Da  galt  es  vor  der  Abtötung  des  Fleisches  sich 
noch  einmal  gründlich  auszutoben,  tollen  Mummenschanz 
zu  treiben,  zu  singen,  zu  tanzen,  zu  lieben,  zu  essen  und 
zu  trinken  und  zu  lachen  nach  Herzbegehr. 

Zu  diesen  überschäumenden  Lustbarkeiten  trugen  die 
Fahrenden  mit  ihren  Darbietungen  das  Ihre  bei. 

Sie  waren  die  gewerbsmäßigen  Spaßmacher,  die  auf  dem 
Marktplatz  in  kleinen  Szenen  ihre  Mitmenschen  weidlich 
verspotteten. 

Die  Jugend  der  Bürger  blieb  aber  auch  nicht  hinter  den 
Vaganten  zurück.  Junge  Leute  zogen  verkleidet  von  Haus 
zu  Haus  und  führten  kleine  Spiele  auf,  für  die  sie  Bewir- 
tung als  Lohn  erwarteten.  In  der  einfachsten  Form  sagte 
jeder  nur  einen  Spruch  auf,  womit  er  sich  selbst,  das  was 
er  vorstellte,  satirisch  charakterisierte.  Sie  sind  Toren  der- 
selben Art,  Liebesnarren,  Weiber,  Bauern,  faule  Pfaffen- 
knechte, Büßer,  Quacksalber  usw.  Oder  sie  sind  Narren 
verschiedener  Art:  der  Liebesnarr,  der  trunkene  Narr,  der 
Schwätzer,  der  durch  Studieren  dumm  Gewordene  u.  a.  m. 
Zuweilen  ist  ihnen  ein  für  alle  gleicher  Mittelpunkt  ge- 
geben; so  führte  eine  Jungfrau  den  Tod  am  Narrenseil, 
die  Liebesnarren  produzieren  sich  vor  der  Frau  Venus,  die 
Ritter  zählen  vor  dem  Kaiser  ihre  Feigheiten  her.  Dialoge 
sind  möglich,  und  ein  Schatten  von  abgeschlossener  Hand- 
lung kommt  hinein,  wenn  etwa  Angehörige  verschiedener 
186 


Stände  um  eine  Jungfrau  werben  und  sie  ihnen  zuletzt  der 
Schreiber  vor  der  Nase  wegnimmt10. 

Damit  war  das  Fundament  für  die  Fastnachtsspiele  ge- 
geben. Von  den  Fastnachtsspielen  interessieren  uns  nur 
die  lustigen,  denn  auch  ernste  waren  vorhanden,  wie  z.  B. 
die  in  Lübeck  üblichen. 

Die  Wiege  dieser  übermütigen  Fastnachtsspiele  stand 
im  deutschen  Paris  des  Mittelalters,  im  herrlichen  Nürn- 
berg, der  zu  Stein  gewordenen  Ballade.  Denn  das  um  1480 
von  Theodorich  Schernberg  verfaßte  Fastnachtsspiel  von 
Frau  Jutta,  das  in  ernster,  würdiger,  nur  selten  von  Grotesk- 
Komik  unterbrochener  Weise  die  Sage  der  Päpstin  Johanna 
behandelt,  steht  dem  religiösen  Drama  näher  als  der  über- 
mütigen Fastnachtsposse  der  Nürnberger. 

Da  tollten  die  Nürnberger  ganz  anders  los. 

„Jeder  Spielende  ein  Schwein,  jeder  Spruch  eine  Roheit, 
jeder  Witz  eine  Unfläterei",  sagt  Goedeke11. 

Nur  zwei  Nürnberger  Dichter  von  Fastnachtsspielen  sind 
vor  deren  Blütezeit  sicher  nachzuweisen:  der  Gelbgießer 
und  Büchsenmacher  Hans  Schnepperer  genannt  Rosenplüt 
in  der  Mitte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  und  der  aus  Worms 
gebürtige  Barbier  Hans  Folz  (f  vor  1515). 

Beide  sind  gleich  begabt,  beide  voll  Humor,  der  aber 
nur  zu  gern  ins  Obszöne  hinüberspielt.  Beide  schöpfen  aus 
dem  lokalen  Volkswitz,  dem  sie  ihrerseits  durch  saftige  Ein- 
fälle neue  Nahrung  zuführen.  Sie  können  beide  als  Vor- 
läufer von  Nürnbergs  größtem  Dichter,  dem  ehrsamen 
Schuh-Macher  und  Poet  dazu,  Hans  Sachs  angesprochen 
werden,  und  darin  liegt  mit  ihre  Bedeutung. 

Als  Beispiel  für  die  Fastnachtsfarcen  vor  Hans  Sachs 
gebe  ich  im  folgenden  das  kurze  Spiel  „Von  einem  paurn- 
gericht"  von  Hans  Folz,  in  dem  sich  die  ganze  Eigenart 
der  Nürnberger  Spiele  vereint,  ohne  daß  die  Sauglocke 
allzusehr  geläutet  würde. 

10  Scherer,  Literaturgeschichte,  S.  249.  —  "  Grundriß,  2.  Aufl.,  I.  Bd., 
Dresden  1884,  S.  325. 

187 


Der  Einschreier  (Herold): 

Gott  grüß  Euch,  liebs  Volk,  insgemein, 

Es  ist  zu  Euch  gelegt  herein 

Ein  Gericht,  das  hat  jetzt  hier  den  Sitz. 

Wenn  jemand  mit  falschem  Antlitz 

Hat  Unrat,  Frevel  und  Schaden  tan, 

Der  zeig  es  nun  den  Schöffen  an. 

Dann  wird  man  ihm  das  Urteil  sprechen, 

Daß  er  sich  mag  ohne  Schwertschläg  rächen. 

Der  erste  Kläger: 

Herr  Richter,  ich  klag  über  meinen  Nach- 
bauern, 
Der  nachts  tut  an  meinem  Fenster  lauern, 
Und  hält  sich  völlig  in  der  Stilin, 
Und  das  um  zweier  Sachen  willn: 
Die  erste,  ob  ich  nicht  trunken  war, 
Und  schnitt  den  Schöffen  ab  die  Ehr 
Und  strafet  sie  an  ihrem  Eide! 
(Daß  ihr  mich  hart  bestrafet  beide) 
Das  andere,  ob  ich  dann  nicht  ließ, 
Und  ihn  ein'  Gottverächter  hieß, 
Wie  er  es  lange  Zeit  gewesen, 
Und  was  ich  sonst  noch  könnt  verlesen 

(aufzählen). 
Der  erste  Antworter: 

Herr  Richter,  eines  versicher  ich, 

Er  ist  kein  kleinrer  Schalk  denn  ich 

Und  schwärzt  mich  als  den  größern  an. 

Was  gibt  er  dabei  zu  verstahn? 

Er  darf  mich  nicht  mit  Recht  belangen: 

Wir  trügen  wohl  Wasser  auf  einer  Stangen12. 

Der  Richter: 

Ihr  Schöffen,  urteilt  um  die  Sache 

Daß  man  das  Recht  desto  kürzer  mache. 

11  D.  h.  wir  sind  beide  einander  ebenbürtig. 
188 


Der  erste  Schöffe: 

Ich  urteil:  Wer  also  will  ständig  lauschen, 
Zu  prüfen  was  die  Leut  heimlich  plauschen, 
Daß  man  von  oben  mit  einem  Topf 
Voll  Drecks  ihm  schmisse  an  den  Kopf, 
Und  er  ihn  drei  Tage  lang  müßt  tragen, 
Daß  man  das  wüßt  von  ihm  zu  sagen! 

Der  andere  Schöffe: 

Ihr  Herren,  das  war  eine  Leckereil 
Ganz  anders  mein  Urteil  ist  dabei: 
Daß  wir  zunächst  ihre  Gäste  sein, 
Daß  sie  'nen  Weck  und  vier  Maß  Wein 
Bringen,  und  mit  uns  dreien  Zechen  1 
Ich  weiß  kein  besser  Recht  zu  sprechen! 

Der  andere  Kläger: 

Ihr  Herrn!     Ich  klag  über  den  Volln. 
Soll  er  des  nachts  nach  Haus  sich  trollen, 
So  schleicht  er  mir  auf  meinen  Mist, 
Leert  aus,  was  ihm  im  Körper  ist, 
Und  macht  nen  Stank  vor  meiner  Tür, 
Den  ich  ganz  oben  in  der  Kammer  spür! 

Der  Antworter: 

Ihr  Herrn,  ich  tu  zu  Dienst  ihm  das, 
Daß  er  seine  Acker  dünge  bas  (besser) 
Oder  ein  Schwein  damit  ernähr, 
Und  mich  dann  mit  den  Würsten  ehr ! 

Der  Richter: 

Ihr  Schöffen,  rieht'  die  Sach  bald  aus, 
Daß  dem  Wirte  bleib  sein  Haus! 

Der  Ur teuer: 

Ich  Sprech:  Wer  solch  Markstein  tut  setzen, 
Daß  man  die  Zahn  ihm  sollt  drein  wetzen 
Und  seine  Backen  damit  füllen, 
Um  gestrenger  Buße  willen. 


189 


Ein  anderer  Schöffe: 

Ein  Dreck!    Was  weißt  du  von  dem  Ding? 
Ein  andres  ich  dabei  vorbring 
Und  urteil:  Da  uns  jetzt  sehr  dürst' 
Daß  sie  uns  beide  schicken  Wurst 
Und  jeder  bringe  Schweinebraten, 
Da  wolln  wir  gut  zur  Sache  raten! 

Ein  Kläger: 

Ihr  Herrn :  Einer  Sach  mich  dieser  zeicht  (zeiht) 

Und  spricht,  ich  sei  meinem  Weib  zu  leicht, 

Wenn  ich  mag  nimmer  Apfel  essen. 

Ich  hab  mich  erst  neulich  drin  vollgefressen, 

Daß  ich  einen  Haufen  hin  gelegt, 

Der  gleich  wie  Balsam  und  Bisam  schmeckt! 

Der  Antworter: 

Ihr  Herrn!    Ich  hab  es  anders  gemeint, 
Daß  er  zu  leicht  seinem  Weib  erscheint. 
Die  find't  man  stets  in  des  Pfarrers  Haus, 
Wenn  man  das  ganze  Dorf  sucht  aus! 
Obgleich  sie  viel  zu  dem  tut  fliehn, 
Muß  doch  der  Narr  die  Kinder  ziehn! 

Der  Richter: 

Ihr  Schöffen,  wollt  die  Sach  ansehn, 

Mich  dürst',  machts  kurz,  und  laßt  uns  gehn! 

Der  Ur teuer: 

Wenn  man  ein  schönes  Weib  besitzt, 

Das  immer  zu  dem  Pfarrer  flitzt, 

Der  glaubt  sich  damit  beliebt  zu  machen, 

Entbehrn  will  ich  gern  solch  Sachen. 

Drum  kurz!    Ich  urteil  über  diesen  Fall, 

Daß  zusammen  kommen  morgen  all' 

Um  zwei  zum  Halbwachsen  hin  auf, 

Wo  man  diesen  Streit  versauf. 

Dort  sollt  Ihr  zwei  bezahlen  das  Trinken, 

So  lang  bis  wir  zu  den  Bänken  hinken! 

190 


Der  Tanzforderer: 

Traun,  liebe  Herrn,  es  bleibt  dabei! 
Seht  um  Euch,  wo  der  Spielmann  sei, 
Daß  man  wohl  bald  nen  Reihen  pfeif, 
Darnach  ein  jeder  zum  Weinglas  greif 
Und  sauf  nit  mehr  als  drin  mag  sein, 
So  schenkt  man  jedem  ein  Volles  ein! 

Der  Ausschreier: 

Ihr  Herrn!    Gott  gesegen  Vieh  und  Leut, 
Ob  wir  ein  wenig  wohl  sind  heut, 
Das  möget  Ihr  dabei  verstahn: 
Es  ist  nicht  Ol,  was  wir  trunken  han. 
Nichts  für  ungut!    Mit  nächstem  meh(r), 
Es  ist  Zeit,  daß  man  heimwärts  geh. 

Ein  anderer  Bauer  spricht: 

Ihr  Herrn!    Ich  muß  ja  auch  drein  spein, 
Wie  so  oft  eine  ihren  Mann  tut  zeihn, 
Er  zieht  zu  andern  Weibern  aus, 
Wiewohl  er  hab  genug  im  Haus. 
Dennoch  lieb  er  die  Fremden  mehr, 
Von  denen  er  hab  weder  Nutz  noch  Ehr. 
Davon  will  ich  vier  Dinge  erklären: 
Das  erste,  daß  er  sie  spart  zum  „Kehrn". 
Das  andre:  Wenn  sie  stets  erhitzt, 
Bei  schönem  Wetter  donnert,  blitzt 
Sieht  er  sich  um  gleich  nach  der  Tür, 
Ob  nicht  ein  Platzregen  kam  hervür. 
Das  dritt':  Die  nächst,  die  er  ersieht, 
Die  ihn  anlacht,  ihm  schön  zuspricht. 
Von  der  fällt  ihm  zur  Stund  gleich  ein, 
Da  möcht  ich  über  Nacht  wohl  sein! 
Das  Viert:  Wenn  er  heim  dann  kehrt, 
Sie  wie  ein  Teufel  ihn  anfährt, 
Mit  ihrem  Gesicht  zum  Haus  austreibt, 
Daß  er  nicht  ne  Stund  gern  drin  bleibt! 


191 


Er  schreit  wie  sauer  Bier  sie  aus. 

Davon  erhebt  sich  dann  ein  Strauß. 

Wem  solche  Kurzweil  Freud  gewährt 

Dem  sei  von  Gott  Haus  und  Hof  voll  beschert!13 

„Das  Bauerngericht"  zeichnet  sich  vor  allen  anderen 
Spielen  der  beiden  Nürnberger  Dichter  durch  das  Fehlen 
der  Prügeleien  und  durch  seine  Anständigkeit  aus.  Denn 
abgesehen  von  ein  paar  von  mir  gemilderten  lasziven 
Ausdrücken,  ist  es  rein  von  allen  sonst  haufenweise  auf- 
gestapelten Zoten.  In  einem  anderen  Spiele,  dem  „Von 
einer  Peurischen  Pauren-Heirath",  handelt  es  sich  darum, 
daß  einem  Bauern  von  mehreren  Personen  die  übelsten 
Dinge  über  seine  Braut  hinterbracht  werden.  Auf  der  an- 
deren Seite  streicht  der  Vater  das  Mädchen  und  dessen 
körperliche  Vorzüge  in  einer  das  eingehendste  Studium 
verratenden  Weise  heraus. 

Auf  dem  Lande,  besonders  in  Tirol  und  in  Steiermark, 
hatten  sich  die  Bauern  bereits  im  vierzehnten  Jahrhundert 
zusammengetan  und  Passionsspiele  aufgeführt,  in  denen 
natürlich  die  Zwischenspiele  nicht  fehlten.  Besonders  Ster- 
zing  in  Tirol  war  durch  seine  Spiele  weit  berühmt.  Der 
Flecken  ließ  neben  ernsten  Passionen  auch  Fastnachtsspiele 
durch  seine  Darsteller,  gewöhnliche  Bauern,  aufführen.  Der 
Leiter  und  Sammler  dieser  Spiele  war  der  Maler  Vigil  Raber. 

In  den  Sterzinger  Possen  ist  meist  der  dumme,  geile  und 
gefräßige  Bauer  die  lustige  Person.  Seine  Witze  sind  wo- 
möglich noch  saftiger  als  die  der  Nürnberger  Spaßmacher, 
von  denen  er  sich  aber  sonst  ebensowenig  unterscheidet, 
wie  die  Spiele  selbst  von  denen  der  Dichter  in  den  Städten. 
Einige  dieser  Fastnachtskomödien  sind  nur  Überarbeitun- 
gen älterer  Vorlagen,  denen  die  Quacksalberszene  angefügt 
wurde.  Wir  finden  hier  den  anderwärts  längst  zum  Ge- 
rumpel geworfenen  Arzt  mit  seinen  Kumpanen  Rubin  und 

18  Das  Drama  des  Mittelalters,  herausgegeben  von  Dr.  R.  Froning,  3.  Teil 

(Nat.  Lit.,  14.  Bd.),  S.  993  f. 

192 


Pusterbalg  in  erneuter,  an  Derbheiten  vermehrter,  doch 
nicht  verbesserter  Auflage  wieder. 

Als  Erfindung  der  Sterzinger  kann  der  Narr  Esopus 
gelten. 

Er  wird  von  Xanntus  als  Diener  gekauft. 

Sein  Herr  fragt  ihn,  wo  er  geboren  sei? 

„Meiner  mueter  leib  hat  mich  tragen",  antwortete  er. 

Wie  Eulenspiegel,  richtet  er  alle  Aufträge  wörtlich  aus. 
Er  soll  „ein  linsen",  also  ein  Linsengericht  bereiten,  und 
er  kocht  eine  einzige  Linse.  Xanntus  befiehlt  ihm,  seiner 
„guet  billigstn"  Speise  zu  bringen,  worunter  er  seine  Frau 
versteht.  Der  Knecht  gibt  sie  aber  seinem  Hund  zu  fres- 
sen, denn  dieser  sei  sein  „guetbilligster".  Die  Frau,  hierüber 
erzürnt,  verläßt  ihren  Gatten.  Esopus  verspricht,  sie  so- 
fort wieder  zu  schaffen.  Er  erzählt  auf  dem  Markt,  sein 
Herr  wolle  sich  wieder  vermählen ;  natürlich  stellt  sich  die 
Frau  wieder  ein  und  sagt,  sie  weiche  keiner  anderen,  und 
wenn  man  sie  in  Stücke  reiße.  Zuletzt  hebt  Esopus  der 
schlafenden  Frau  die  Röcke  auf  und  läßt  sie  so  liegen, 
während  Gäste  kommen.  Dies  ist  seinem  Herrn  zu  bunt. 
Er  will  Esopus  prügeln  lassen,  aber  der  entflieht  auf  Nimmer- 
wiedersehen 14. 

Diese  volkstümlichen  Fastnachtsspiele,  mögen  sie  noch 
so  tief  in  den  Kinderschuhen  stecken,  haben  vor  den  Pro- 
dukten der  höheren  deutschen  Dramatik  im  fünfzehnten 
Jahrhundert  die  geschlossene  Handlung  voraus.  Erst  die 
deutschen  Humanisten,  welche  die  Ausarbeitung  klassischer 
Bildung  anstrebten,  haben  das  Schauspiel  in  eine  strengere 
Form  gebracht.  Sie  ließen  römische  Komödien  von  Schü- 
lern aufführen  und  verfaßten  selbst  lateinische  Stücke. 

Das  beste  davon  ist  „Henno"  von  Johann  Reuchlin  (1455 
bis  1522),  aufgeführt  1497.  Es  ist  die  freie  Bearbeitung 
des  Maitre  Pathelin. 

14  C.  Reuling,  Die  komische  Figur   in  den  wichtigsten    deutschen  Dra- 
men bis  zum  Ende  des  XVII.  Jahrhunderts,  Stuttgart  1890,  S.  28  ff. 
13  193 


Reuchlin  hat,  wie  Scherer  meint,  den  Stoff  nicht  gerade 
glücklich  umgebildet,  indem  er  sich  an  Terenz  lehnte  und, 
vielleicht  aus  eigener  Kenntnis  der  italienischen  Komödie, 
die  Figur  eines  Wahrsagers  einführte. 

Aber  Reuchlins  „Henno"  steht  doch,  dank  der  guten 
Vorlage,  weit  über  dem  Trosse  lateinischer  und  deutscher 
Komödien  selbst  des  sechzehnten  Jahrhunderts. 

Reuchlins  Bearbeitung  des  Maitre  Pathelin  war,  neben- 
bei bemerkt,  nicht  die  erste  auf  deutschem  Boden.  Eine 
solche  erschien  bereits  in  dem  Schweizer  Fastnachtsspiel 
vom  „Klugen  Knecht",  das  in  seinen  Motiven  denselben 
Stoff  wie  Maitre  Pathelin  verwendet,  sonst  aber  ganz  selb- 
ständig arbeitet,  auch  bei  Reuchlins  „Henno"  keine  An- 
leihen macht.  Übrigens  hat  sich  auch  Hans  Sachs  den 
Patheline  zu  eigen  gemacht,  neben  ihm  noch  zwei  andere 
Übersetzer15. 

Im  fünfzehnten  Jahrhundert  entstehen  auch  deutsche  Über- 
setzungen römischer  Komödien.  „Wie  die  neuattische  Ko- 
mödie einst  nach  Italien  gewandert  war,  wie  sie  durch  das 
Medium  des  Terenz  eine  deutsche  Nonne  des  zehnten  Jahr- 
hunderts zum  Wetteifer  angeregt  hatte,  so  lebt  sie  in  den  mo- 
dernen europäischen  Literaturen  und  demgemäß  in  Deutsch- 
land wieder  auf,  indem  Plautus  und  Terenz  deutsches  Ge- 
wand anziehen16." 

Unter  diesen  Verdeutschern  des  antiken  Dramas  bleibt 
der  älteste,  Albrecht  von  Eyb,  auch  auf  lange  hinaus  der 
beste. 

.Albrecht  von  Eyb,  einer  der  bedeutendsten  deutschen 
Prosaisten  vor  Luther,  wurde  1420  in  Sommersdorf  in  Fran- 
ken geboren,  erlangte  auf  der  Universität  Pavia  die  Doktor- 
würde und  wurde  Archidiakonus  zu  Würzburg,  Domherr 
zu  Bamberg  und  Eichstätt.  Er  starb  1475  in  Eichstätt, 
in  dessen  Domkirche  er  begraben  liegt. 

18  Dr.  Wolf?.  Golther,    Gesch.  der   deutschen  Literatur  (Kürschn.  Nat. 

Lit.  Bd   163)  S.  413.  —  16  Scherer,  S.  251. 

194 


Die  nach  seinem  Tode  erschienene  Übersetzung-  der 
Plautusschen  Bacchides  hält  sich  nicht  sklavisch  an  das 
Original,  sondern  sucht  sie  der  deutschen  Umgebung-  an- 
zupassen, indem  die  Personen  deutsche  Namen  tragen  und 
die  lateinischen  Redensarten  des  Originales  durch  deutsche 
Sprichwörter  ersetzt  werden.    Hier  einige  Szenen  daraus: 

Das  argument  vnd  die  matery  des  gantzen 

püchlins  in  kürtz.17 
Athenis,  in  der  Stadt,  gelegen  in  Griechenland,  waren 
zwei  hübsche  Frauen  und  Buhlerinen,  jegliche  genannt 
Bacchis,  und  waren  gehalten  und  geheißen  zwei  Schwestern, 
darum,  daß  sie  Gemeinschaft  und  Gesellschaft  hielten  in 
allen  Dingen,  wiewohl  sie  nit  rechte  leibliche  Schwestern 
waren;  und  da  sie  einen  Namen  haben,  so  soll  eine  die 
erste  Bacchis,  und  eine  die  andere  Bacchis  heißen  zum 
Unterschied.  Diese  selbe  erste  Bacchis  versprach  sich  mit 
einem  Ritter  genannt  Seitz  um  zweihundert  Gulden  also, 
daß  sie  ihm  allein  in  Wollust  aufwartend  wäre.  Und  da 
sie  nun  etliche  Zeit  bei  dem  Ritter  war,  ward  sie  sehr 
verdrossen  und  fügt  sich  wieder  gen  Athen  zur  ersten 
Bacchis  ihrer  Schwester,  und  wurde  da  mit  ihr  rateinig, 
wie  sie  den  Ritter  möcht  los  werden.  Nun  war  in  der 
Stadt  Athen  ein  Jüngling  reich  und  mächtig,  genannt  Lentz, 
auf  den  gedachten  die  zwei  Schwestern  wie  sie  ihn  möchten 
betrügen  und  überreden,  daß  er  dem  Ritter  die  zwei- 
hundert Gulden  herausgäbe  und  nähme  diese  Bacchis  in 
seinen  Dienst  nach  seinem  Willen.  Und  als  sie  nun  mit 
Fleiß  versuchten  den  Jüngling,  da  vermochten  sie  ihn  zu- 
erst nicht  zu  überwinden.  Doch  zum  letzten  mit  hübschen 
Worten  und  Listen  nach  solcher  Frauen  Sitten,  ward  er 
von  ihnen  bezwungen,  und  ergab  sich  der  ersten  Bacchis 
und  nahm  sie  auf  als  seine  Liebhaberin.  Die  andere  Bacchis, 
die  dem  Ritter  verbunden  war,  die  hatte   vor  dem  Ritter 

"  Übertragung  nach  Max  Herrmann.     Deutsche  Schriften  des  Albrecht 
von  Eyb,  Berlin  1890,  II.  Bd. 

13«  195 


einen  Jüngling  als  Buhlen,  genannt  Entz.  Dieser  Entz  war 
nun  geschickt  von  seinem  Vater  in  eine  Stadt,  genannt 
Ephesum,  etlich  Geld  da  zu  nehmen,  das  man  dem  Vater 
schuldig  war.  Und  dieweil  Entz  in  Epheso  von  des  Geldes 
wegen  war,  da  schickt  er  Brief  zu  Lentz,  seinem  Gesellen, 
durch  Pentzen  seinem  Knecht,  wo  Bacchis  seine  Lieb- 
haberin wäre.  Also  verschrieb  ihm  Lentz,  sie  wäre  wieder 
in  Athen.  Da  das  Entz  vernahm,  verfügte  er  sich  von 
Stund  an  zu  ihr.  Also  bat  ihn  da  Bacchis,  daß  er  die 
zweihundert  Gulden  herausgab,  und  sie  von  dem  Ritter 
erlöst.  Da  nun  Entz  des  Geld  nicht  hatte,  da  erdachte 
Pentz  der  Knecht  viel-  und  mancherlei  List  und  Geschmei- 
digkeit, bis  er  das  Geld  von  Utzen,  dem  Vater,  heraus 
brachte.  Und  als  Utz  der  Vater  merkte,  daß  er  betrogen 
worden  war,  da  ließ  er  den  Knecht,  Pentzen  ins  Gefängnis 
legen.  Aber  der  Knecht  kam  von  Stund  an  mit  seinen 
Listen  aus  der  Fangenschaft,  und  mit  neuen  Listen  hinter- 
kam er  Utzen,  um  andere  zweihundert  Gulden,  die  er 
Entzen  gab,  daß  er  seiner  Buhlschaft  wohl  auswarten  mochte. 
Kuntz,  der  eine  Vater,  wie  er  vernahm,  wie  Lentz,  seil 
Sohn,  lieb  hätte  die  erste  Bacchis,  ging  er  aus  großer 
Zorn  zu  Utzen,  des  Entzens  Vater,  der  da  lieb  hatte  di< 
andere  Bacchis,  und  vereint  sich  mit  ihm  zu  gehen  in  das 
Haus  der  zwei  Schwestern  und  mit  Unfug  heraus  zu  nehmen 
ihre  beiden  Söhne.  Da  nun  die  Väter  waren  in  dem  Haus, 
fanden  sie  bei  ihnen  sitzen  ihre  Söhne  in  Freuden.  Wie- 
wohl sie  zuerst  ganz  heftig  waren,  wurden  sie  zuletzt  mit 
hübschen  Worten  der  Frauen  überredet  und  hinterkommen, 
also  daß  sie  allen  Zorn  und  Unwillen  abließen  und  samt 
den  Söhnen  lebten  in  Wollust  und  Freuden  und  ward  also 
zuletzt  aller  Krieg  und  Unwillen  ganz  vernichtet  und  ver- 
söhnet nach  Gewohnheit  solcher  Geschichten,  die  ihren 
Anfang  und  Ende  sollen  nehmen  mit  Freuden. 

Hie  hebt  an  das  Büchlein:  .  .  . 

Hye  wil  Utz,  der  alte  vatter,  gern  an  das  Wasser  vnd 
besehen,  ob  kain  schif  kommen  sey  auß  Epheso  vnd  wie 
196 


es  da  gee  seinem  sun  entzen,  vnd  redt  also  mit  jm  selbs: 
Ich  will  gehn  in  den  Porten  an  das  Wasser  und  besehn, 
ob  kein  Kaufmannsschiff  kommen  sei  aus  Ephesus.  Denn 
ich  furcht  mich  sehr,  was  es  sei,  daß  unser  Sohn  so  lange 
außen  ist  und  er  nicht  wieder  kommt. 

Pentz  der  Knecht  (sieht  seinen  Herrn  Utz  hergehn, 
spricht  also  mit  sich  selbst) :  Ich  will  fürwahr  das  alte  Schaf 
recht  hernehmen,  wenn  Gott  will.  Ich  darf  nicht  schlafen. 
Es  muß  Geld  da  sein.  Ich  will  zu  ihm  gehn  und  ihn  heut 
sowohl  bescheren  von  seinem  Geld,  wie  nie  ein  Schaf 
beschoren  worden  ist,  ganz  bis  auf  die  lebendige  Haut. 
(Nun  spricht  er  ganz  laut  zu  ihm:)  Gegrüßt  sei  mein  Herr, 
der  Utz! 

Utz:  Ach  lieber  Gott,  Pentz,  wo  ist  mein  Sohn? 

Pentz:   Ich   hab   dich  gegrüßt,  dankst   du  mir   nicht? 

Utz:  Gott  grüß  dich  auch,  mein  Pentz!  Wo  ist  aber 
nun  mein  Sohn? 

Pentz:    Er  lebt  und  gehabt  sich  wohl. 

Utz:    Ist  er  auch  gekommen? 

Pentz:    Herr,  ja! 

Utz:  Nun  hast  mich  ganz  erquickt.  Ist  er  auch  allwegen 
stark  gewesen? 

Pentz:    Ganz  stark  wie  ein  freier  Held. 

Utz.  Wie  aber  da?  Hat  er  auch  das  Geld  gebracht 
aus  Ephesus  von  meinem  Wirt,  nach  dem  ich  ihn  ausge- 
sandt habe? 

Pentz  (hier,  was  er  redet  ist  erdacht  und  nicht  wahr, 
daß  er  den  Herrn  teusche  um  das  Geld.  Er  antwortet  ihm 
also):  Ach  Herr,  mein  Herz  möchte  zerbrechen,  mein  Hirn 
verschwinden,  wenn  ich  den  schamlosen  Menschen  nennen 
höre.  Und  du  sprichst  von  deinem  Wirt!  Du  könntest 
billiger  sagen  von  deinem  Feind! 

Utz:   Und  warum,  ich  bitt*  dich! 

Pentz:  Denn  ich  weiß  wohl,  daß  Feuer,  Sonne,  Mond 
und  der  Tag,  die  vier  können  keinen  bösem  Menschen 
nie  haben  beschienen. 

197 


Utz:    Wen?    Meinen  Wirt? 

Pentz:   Ja,  deinen  Wirt! 

Utz:   Was  hat  er  getan? 

Pentz:  Was  hat  er  nicht  getan?  Zuerst  leugnet  er  das 
Geld  ab,  und  sprach,  er  wäre  dir  nicht  drei  Heller  schuldig. 
Von  Stund'  an  verfügte  sich  dein  Sohn  Entz  zu  ihm,  unserm 
alten  Wirt,  und  zeigte  ihm  das  Zeichen,  daß  du  ihm  ge- 
geben hattest. 

Utz:   Was  sagte  er,  da  er  das  Zeichen  sah? 

Pentz:  Er  sagte,  es  sei  ein  falsch'  Zeichen,  und  schalt 
deinen  Sohn  und  hieß  ihn  einen  Fälscher  aller  Dinge. 

Utz:    Sag'  an:  habt  ihr  aber  das  Geld? 

Pentz:  Darnach  gingen  wir  zu  dem  Richter,  der  gab 
das  Urteil,  und  durch  die  Stadtknechte  mit  Gewalt  gab  er 
tausend  und  zweihundert  Gulden. 

Utz:  So  viel  war  er  mir  schuldig. 

Pentz:  Höre  noch,  er  wollt  uns  dazu  schlagen  und  sagte: 
Nehmt  hin  das  Geld,  ich  Vertrags  euch  doch  noch. 

Utz:  Sicher,  ich  bin  betrogen  worden,  daß  ich  einem 
solchen  Dieb  mein  Geld  hab  zu  halten  gegeben.  Ich  hab 
nicht  gewußt,  daß  er  solch  Mann  gewesen  ist. 

Pentz:  Ja,  Lieber,  höre  mehr!  Als  mir  nun  das  Geld 
hatten  und  im  Schiff  saßen  und  hierher  heimfahren  wollten, 
da  sah  ich  mich  um  und  erblickte  ein  Rennschiff,  das  schoß 
auf  uns  zu.  Es  wäre  viel  davon  zu  erzählen,  wie  sie  sich 
anschickten. 

Utz:  Nun  bin  ich  ruiniert.  Das  Rennschiff  zerrennt  mir 
meine  Seiten. 

Pentz:  Dieses  Rennschiff  war  gemein  der  Räuber  und 
unseres  Wirtes. 

Utz:  Wie  ich  so  ganz  Torheit  gewesen  bin  und  habe 
einem  solchen  Mann  mein  Geld  getraut.  Sein  Name  sollte 
mich  gewarnt  haben,  denn  er  heisst  Nimmsgeld. 

Pentz:  Und  dieses  Schiff  eilte  auf  uns  behende  zu,  denn 
der  Wind  weht  und  die  Vögel  in  der  Luft  fliegen.    Sofort 
wandten  wir  unser  Schiff. 
198 


Utz:  O,  das  sind  böse  Leut  gewesen!  Was  tat  ihr 
darnach  ? 

Pentz:   Wir  eilten  schnellstens  in  den  Hafen. 

Utz:  Ihr  Weisen,  das  war  weislich  gehandelt.  Was  be- 
gannen sie  hierauf? 

Pentz:  Sie  kamen  später  auch  ans  Land. 

Utz:   Freilich,  sie  wollten  Euch  das  Geld  nehmen. 

Pentz':  Glaub  das  nur!  Darum  erschraken  wir.  Also 
des  Morgens  trugen  wir  das  Geld  aus  dem  Schiff  öffent- 
lich, und  als  sie  das  sahen  .  .  . 

Utz:    Lieber,  was  taten  sie? 

Pentz:  Da  waren  sie  traurig  und  drohten  uns,  neigten 
alle  die  Köpfe  und  spotteten  unser.  Hiernach  gaben  wir 
das  Geld  einem  Priester  aufzuheben,  der  dort  Pfarrer  ist. 

Utz:    Was  für  Mann  ist  dieser  Priester? 

Pentz:    Gar  ein  frommer  Mann,  ihm  ist  jedermann  hold. 

Utz:  Wahrlich  betrüge  er  mich  um  das  Geld,  ich  wäre 
ihm  nicht  gar  hold. 

Pentz:  Er  hat  es  auch  behalten  im  Schrein,  in  dem,  wo 
man  öffentlich  Geld  einschließt. 

Utz:  Ich  wollt  es  viel  besser  heimlich  behalten  haben. 
Habt  ihr  aber  nichts  von  dem  Geld  heimgebracht? 

Pentz:    Gewiß,  aber  wie  viel,  weiß  ich  nicht. 

Utz:    Wieso  weißt  du  das  nicht? 

Pentz:  Weil  dein  Sohn  des  Nachts  es  von  dem  Priester 
nahm,  und  es  weder  mir  noch  sonst  einem  anvertraute. 
Darum  weiß  ich  nicht,  wie  viel  er  hat,  doch  glaube  ich,  es 
sei  nicht  viel. 

Utz:   Meinst,  daß  er  es  halb  habe? 

Pentz:    Ich  glaub  das  nicht. 

Utz:  Hat  er  das  Dritteil? 

Pentz:  Ich  glaub  das  auch  nicht,  denn  ich  weiß  nichts 
von  dem  Geld.  Doch  wollt  ich  dir  raten,  du  setztest  dich 
selbst  in  ein  Schiff  und  holtest  das  Geld  von  dem  Priester. 
(Utz  bereitet  sich  von  Stund  an  zu,  und  will  selbst  nach  dem 
Geld  fahren,  da  ruft  ihn  Pentz  und  sagt) :  Doch  hörst  du  ? 

199 


Utz:    Was  willst  du? 

Pent;z:  Denke  daran,  daß  du  deines  Sohnes  Fingerring 
mit  dir  nimmst. 

Utz:    Wozu? 

Pentz:  Denn  es  ist  das  Wahrzeichen.  Wer  den  Finger- 
ring bringt,  dem  gibt  der  Priester  das  Geld. 

Utz:  Du  mahnst  mich  eben  recht.  Ist  der  Priester  auch 
reich  ? 

Pentz:  Reich?  Er  hat  den  ganzen  Söller  mit  Geld  über- 
zogen. 

Utz:   Warum  ist  er  so  prunkvoll? 

Pentz:  Er  ist  so  reich,  daß  er  nicht  weiß,  wo  er  mit 
dem  Geld  bleiben  soll. 

Utz:  Gäbe  er  mir  doch  einen  Teil!  Sag  an,  wer  war 
dabei,  als  man  ihm  das  Geld  gab? 

Pentz:  Das  ganze  Volk!  Es  ist  keiner  in  Ephesus,  der 
nicht  davon  weiß. 

Utz:  Das  hat  mein  Sohn  weise  gemacht,  daß  er  das 
Geld  einem  Reichen  gab  und  das  Volk  dabei  war,  so  daß 
man  es  ohne  Müh'  wieder  haben  kann. 

Pentz:  Er  verweigert  es  dir  nicht  eine  Stunde.  Sobald 
du  da  bist,  so  gibt  er  dir's. 

Utz  (redet  mit  sich  selbst):  Ich  hätte  gemeint,  dem  Meere 
entflohen  zu  sein,  da  das  Meer  sich  nicht  mehr  ziemt  für 
mein  Alter.  Aber  mein  hübscher  Wirt  hat  mich  schön 
zugerichtet.  (Nun  spricht  er  zu  Pentz:)  Wo  ist  aber  mein 
Sohn? 

Pentz:  Er  ist  in  die  Kirche  und  auf  den  Markt  gegangen 
und  grüßt  Gott  und  gute  Freunde. 

Utz:   Ich  will  nun  gehn  und  suchen,  wo  er  sei. 

Pentz  (redet  nun  mit  sich  selbst,  als  Utz  von  ihm  ging,  also): 
Der  gute  Mensch  ist  wahrlich  wohl  beladen  und  trägt  mehr 
als  recht  ist.  Ich  hab  ihm  ein  gutes  Tuch  gewirkt,  da  ich 
gemacht  hab,  daß  Entz,  mein  Herr,  vom  Geld  behält  so 
viel  er  will.  Er  kann  dem  Vater  geben,  so  viel  er  mag. 
Der  gute  alte  Mann  wird  nach  Ephesus  um  das  Geld  fahren, 
200 


^g^^g^gsggaaggggaB 


MOgmÜmL 

i 


V 


Ü 


g 

»     S 

-o  — » 

l-c 


4) 


Ü 


derweil  können  wir  hier  leben  wie  die  Junker.  Anders  wär's, 
wenn  er  mich  oder  Entz  mitnimmt.  Ach,  was  bin  ich  für 
ein  gar  feiner  Gesell!  Wie  kann  ich  so  gut  ein  hübsch 
Spiel  zurichten.  Was  folgt  aber  darnach,  wenn  der  Alte 
inne  wird,  daß  ich  ihn  getäuscht  habe,  daß  er  umsonst  ge- 
fahren ist,  da  wir  das  Geld  ohnehin  schon  haben;  was 
wird  er  dann  tun?  Freilich,  er  wird  mir  den  Namen  ver- 
drehn,  aus  dem  Pentzen  machen  einen  Patzen  und  wird 
meinen  Rücken  wohl  abputzen.  Es  wird  mir  besser  sein 
zu  fliehn.  Denn,  wenn  er  mich  ergreift,  zerschlägt  er  einen 
ganzen  Wald  von  Ruten  an  mir.  Ich  will  nun  zu  meinem 
jungen  Herrn  Entz  gehen  und  ihm  die  gute  Mär  bringen, 
daß  er  Herr  und  Meister  über  das  Geld  ist.  Er  mag  zu 
seiner  Buhlen  Bacchis  gehn,  mit  ihr  in  Freuden  und  Wol- 
lust leben,  und  Lentz  sei  Kellner!..." 

Wir  sind  am  zweiten  Wendepunkt  der  Ideen  angelangt, 
deren  ersten  der  Humanismus  bildete. 

Die  Reformation  nahm  ihren  Anfang  und  mit  ihr  begann 
allenthalben  neues  Leben  zu  sprießen.  Neue  Männer  traten 
auf  den  Plan,  in  der  Gefolgschaft  oder  als  Gegner  der  neuen 
Kirche  und  ihres  Führers  und  Urhebers  Martin  Luther. 

Der  Kampf  der  alten  mit  der  neuen  Kirche  kam  auch 
auf  der  Bühne  zum  Austrag,  und  harte  Worte  wurden  von 
den  Brettern  herab  in  die  feindlichen  Lager  geschleudert. 
Der  oder  die  Narren  hatten  den  Gegnern  die  bissigsten 
Satiren  an  den  Kopf  zu  werfen  und  wütend  über  sie  her- 
zufallen. Aus  den  burlesken  Spielen  waren  Tendenzstücke 
geworden,  die  grotesken  Larven  waren  den  haß-  und  wut- 
verzerrten gewichen. 

Als  einer  der  ersten  dieser  Tendenzdramatiker  trat  der 
Schweizer  Buchdrucker  Pamphilus  Gengenbach  auf,  der  von 
Nürnberg  nach  Basel  auswanderte  und  um  1525  starb. 

Er  hatte  bereits  einige  Fastnachtsspiele  verfaßt,  ehe  er 
sein  Reformationsstück  „Dies  ist  ein  iemerliche  Clag  über 
die  Todten  fresser",  abgekürzt  „Die  Totenfresser"  genannt, 
schrieb.    Es   behandelt   die  von  der  Reformation  als  Miß- 

201 


brauch  bezeichneten  Seelenmessen.  Die  Personen,  die  von 
den  Messen  Nutzen  ziehen,  sind  eben  die  Totenfresser.  Ein 
Bischof,  ein  Weltpriester,  ein  Bernhardiner,  ein  Bettelmönch, 
eine  Nonne,  eine  Pfaffenmagd  erfreuen  sich  an  dem  vom 
Papste  zerteilten  Leichnam. 

Das  Totenfressen  macht  uns  feist,  sagt  die  Pfaffenmagd 
und  die  Klosterfrau: 

Die  totenbain  schmecken  unsz  wol, 
Dobey  wir  tag  und  nacht  sind  vol. 
Der  Teufel  mit  der  Geige  jubelt: 

Das  sind  mein  auserwählten  Kind 
Auf  Erd  hab  ich  nit  besser  Fründ, 
Darumb  ich  ihn  mach  auf  die  Gigen, 
Auf  daß  sie  können  Kurzweil  triben, 
Es  sei  mit  Tanzen,  Pfeifen,  Singen, 
Und  mit  mir  ad  infernum  springen. 
Die  Bettler  jammern,   sie  könnten  sich   nicht   mehr   er- 
nähren, weil  von  den  Pfaffen  und  Mönchen  alles  aufgezehrt 
würde.    Ebenso    klagen   Pfarrer,   Edelmann    und   Bauer.18 
'  fj  Gengenbachs  Fastnachtsspiel  „Der  J^ollhart",  „von  einer 

jungen  Bürgerschaft  zu  Basel  gespielt",  überströmt  von 
Leidenschaft  gegen  den  Papst  und  die  Klerisei. 

Aber  so  scharf  Gengenbach  gegen  die  Altgläubigen 
wetterte,  er  war  noch  zahm  gegen  den  Maler  Nikiaus 
Manuel  aus  dem  Geschlechte  der  Aleman,  d.  h.  Deutsch. 
Manuel,  der  uneheliche  Sohn  Alemans  und  der  Margarete 
Frickart,  der  illegitimen  Tochter  des  Berner  Stadtschreibers 
und  Chronisten  Thüring  Frickart,  hieß  eigentlich  Nikolaus 
Emanuel  Aleman  und  nannte  sich  auch  bis  zu  seiner  1505 
erfolgten  Verheiratung  Deutsch.  1522  zog  er  als  Feld- 
schreiber der  eidgenössischen  Söldner  mit  König  Franz  I. 
gen  Mailand.  Seit  1523  Landvogt  zu  Erlach,  wirkte  er 
eifrig  für  die  Reformation,  und  ihm  ist  es  in  erster  Linie 
mit  zu  danken,  daß  Bern  der  neuen  Lehre  zugeführt  wurde. 

18  Karl  Goedeke,  Pamphilius  Gengenbach,  Hannover  1865,  S.  153  ff. 
202 


Titelholzschnitt  zum  Totenfresser  von  Pamphilius  Gengenbach 


1528  wurde  er  Mitglied  des  kleinen  Rates  zu  Bern,  be- 
kleidete daneben  noch  andere  Amter  und  widmete  sich 
seitdem  ganz  den  Staatsgeschäften.  Ende  April  1530  starb 
er  plötzlich.19 

Seine  Dramen  „Vom  Papst  und  seiner  Priesterschaft" 
und  „Von  Papst  und  Christi  Gegensatz",  beide  1522  an 
zwei  aufeinander  folgenden  Sonntagen  aufgeführt,  sind 
bitterernste  Satiren  gegen  die  herrschende  Kirche.  Sie 
fallen  deshalb  nur  stellenweise  in  unser  Gebiet.  Ganz 
gehört  ihm  aber  Manuels  Spiel  „Der  Ablaßkrämer"  an, 
so  tendenziös  es  auch  ist. 

Ein  Ablaßkrämer,  dem  es  in  der  Stadt  nicht  mehr  glücken 
will,  begibt  sich  auf  das  Dorf  und  preist  dort  seinen  Ablaß 
an.  Er  ist  vom  Regen  in  die  Traufe  gekommen,  denn  die 
Bauern  und  Bäuerinnen,  die  er  früher  betrogen  hat,  binden 
und  foltern  ihn,  bis  er  seine  Schandtaten,  eine  nach  der 
anderen,  bekannt  hat.  Dann  plündern  sie  seinen  Geld- 
kasten und  jagen  ihn  davon. 

Über  dieses  Spiel  urteilt  Baechtold 20 :  „Es  ist  mit  einer 
Keckheit,  mit  einem  lachenden  Humor  und  mit  einer  lebens- 
vollen Natürlichkeit  hingeworfen,  daß  wir  uns  hier  wie 
bei  dem  kleinen  Fastnachtsspiele  unter  den  vorzüglichsten 
Erzeugnissen  der  Reformations-Satire  umsonst  nach  einem 
Gegenstück  umsehen."  Baechtold  stößt  sich  eben  nicht 
an  die  Roheiten  und  die  widerlichen  Laszivitäten,  von 
denen  der  „Ablaßkrämer"  überströmt. 

Welchen  Anklang  Manuels  Schauspiele  übrigens  auch 
bei  den  Zeitgenossen  fanden,  zeigen  deren  zahlreiche  Auf- 
lagen und  Ausgaben.  Von  seinen  ersten  Fastnachtspielen 
lassen  sich  elf  Auflagen  nachweisen. 

In  die  Fußstapfen  des  Vaters  trat  Manuels  zweiter  Sohn 
Hans  Rudolf  (1525 — 1571),  „ein  wunderbarer  Kopf  und 
Künstler",  bemerkt  der  Chronist,  „aber  vom  Podagra  übel 
abkommen."  Ein  talentierter  Zeichner  wie  sein  Vater,  war 

19  Dr.  Rieh.  Froning,  Das  Drama  der  Reformationszeit  (Nat.  Liter. 
XXII.  Bd.)  S.  XVII  f.  -   20  Nikiaus  Manuel,  Frauenfeld  1878,  S.  CLVI. 

203 


er  auch  Dichter  gleich  diesem.  Von  ihm  ist  das  „Wein- 
spiel", oder  wie  er  es  nennt,  „Holdsälige  Fastnachtspiel, 
darin  der  edle  Wyn  von  der  trunkenen  Rotte  beklagt,  von 
Räblüten  geschirmt  und  von  Richtern  ledig  gesprochen 
wird21."     Es  wurde  im  Frühjahr  1548  in  Zürich  aufgeführt. 

Das  Weinspiel  richtet  sich  gegen  die  Völlerei.  Die 
Besserung  der  Säufer  soll  durch  eine  ekelerregende  Ge- 
meinheit erzielt  werden,  die  sich  für  die  Komik  ausgibt. 
Genee  findet  es  mit  Recht  unbegreiflich,  wie  dieses  So- 
datikum  die  Zuhörer  fesseln  konnte 22.  Das  Publikum  des 
sechzehnten  Jahrhunderts  war  an  scharf  gewürzte  Kost 
gewöhnt.  Aber  das,  was  Hans  Rudolf  Manuel  im  Wein- 
spiel und  sein  Vater  Nikiaus  im  Fastnachtspiel  „Von  dem 
Elsslin  trag  den  Knaben  und  von  Uly  Rechenzan  mit  ihrem 
ehelichen  Gerichtshandel"  an  breiter  Ausmalung  des  absto- 
ßend Häßlichen  und  Unzüchtigen  boten,  erscheint  selbst  für 
jene  von  keinerlei  Prüderie  angekränkelte  Epoche  unerhört. 

In  anderen  Spielen  Schweizer  Dramatiker  ging  es  auch 
nicht  gerade  fein  zu,  aber  solch  enthusiastische  An- 
hänger des  heiligen  Grobianus,  wie  es  die  Manuels  waren, 
finden  sich  kein  zweites  Mal.  Sonst  hatte  in  den  meisten 
deutschen  Spielen  aus  der  Schweiz  der  niemals  cynische 
Koch  oder  Narr  die  komischen  Rollen  inne.  In  dem  „Hiob" 
des  Züricher  Wundarztes  und  Dramatikers  Jacob  Ruf  sind 
Narr  und  Koch  vertreten.  „Hiob",  das  nach  Stumpfs 
Schweizer  Chronik  „zuo  Zürich  ganz  zierlich  durch  die 
Bürgerschaft  gespilet  auf  dem  Münsterhof  am  28.  Junii"  (1535) 
folgt  ganz  dem  Gang  der  biblischen  Erzählung.  Nur  Ein- 
gang und  Schluß  sowie  die  Dienerszenen  sind  selbständige 
Erfindung23. 

Callipius  der  Narr  eröffnet  das  Spiel  mit  der  gewöhn- 
lichen  Mahnung   an   die  Zuschauer,    Ruhe   zu   halten.     Er 

21  Herausgegeben  von  Theodor  Odinga.  Braunes  Neudrucke,  Halle  an 
der  Saale  1892.  —  "  Lehr-  und  Wanderjahre  des  deutschen  Schauspiels, 
Berlin  1882,  S.  59  f.  —  M  Jac.  Baechtold,  Geschichte  der  deutschen  Lite- 
ratur in  der  Schweiz.    Frauenfeld  1892,  S.  319. 
204 


mischt  sich  gleich  am  Anfang  in  das  Gespräch  zwischen 
Koch  und  Kellermeister,  macht  Witze,  ruft  während  einer 
Prügelszene  zwischen  Koch  und  Köchin  trara,  trara,  trara! 
In  einer  späteren  Szene  will  er  der  jüngsten  Tochter  des 
Hiobs  einen  Kuß  geben;  da  ihn  das  Mädchen  fortjagt, 
ruft  er  ihr  zu : 

Potz  hirn,  potz  wurst,  potz  verder  dreck, 

Wer  Jotze  jeckel  dein  Büle  do 

Du  stelltest  dich  nit  halber  so ! 

Dem  Vater  Job  klatscht  er  von  dem  lustigen  Leben 
seiner  Kinder.  Sie  hätten  bis  spät  in  die  Nacht  zusammen 
gesessen  und  geschlemmt.  Er  hätte  einen  vollen  Wanst 
davongetragen  und  wolle  bald  wieder  zu  ihnen  gehn.  Er 
rät  dem  Vater,  sich  nicht  um  das  Treiben  seiner  Kinder 
zu  grämen,  ihnen  sei  Freude  zu  gönnen.  Er,  der  Narr, 
bekäme  von  Job  keinen  Trunk,  drum  lobe  er  die  Knaben. 
Zu  dem  Alten,  der  sparen  wolle,  passe  er  nicht.  Das 
Vermögen  mit  klein  zu  machen,  sei  er  stets  bereit  und 
alle  Tage  voll  Wein.  Am  Schlüsse,  als  Job  wieder  reich 
geworden,  kehrt  er  zu  ihm  zurück  und  will  wieder  in  seine 
Dienste  aufgenommen  werden.  Er  beschließt  das  Stück, 
aber  nicht  mit  der  üblichen  Moralpredigt.  Wenn  er  Geld 
habe,  erklärt  er,  würde  er  sich  kein  Haus  bauen  lassen, 
das  ihm,  wie  den  Kindern  Jobs,  über  dem  Haupte  zu- 
sammenfallen könne.  Er  wolle  lieber  sein  Vermögen  in 
kühlem  Wein  anlegen  und  diesen  unter  einem  Baum  trinken. 
Wäre  er  dann  bezecht,  so  schlafe  er  im  Freien,  wo  ihn 
kein  Balken  zu  erschlagen  drohe. «) 

Ein  im  Text  dieses  Spiels  befindlicher  Holzschnitt  zeigt 
das  Bühnenkostüm  dieses  Narren.  Er  trägt  eine  Haube 
mit  zwei  langen  Ohren,  einen  langen  Kinnbart,  ein  Wams 
mit  langen  Ärmeln,  ausgezackte,  bis  an  die  Knie  reichende 
Pumphosen,  Strümpfe  und  Schuhe.  In  der  Hand  hält  er 
einen  ziemlich  langen  dicken  Stock24. 

S4  Reuling  S.  37  f. 

205 


Wie  die  geistlichen  und  die  politisch-satirischen  Spiele, 
so  blühten  auch  um  die  angezogene  Zeit  in  der  Schweiz 
die  Fastnachtsspiele,  die  nur  unterhalten  wollten,  sonst 
weiter  nichts.  Meist  waren  die  Dichter,  die  derartige  Spiele 
für  ihre  Gaugenossen  verfaßten  und  in  Szene  setzten,  nicht 
einmal  eitel  genug,  ihren  Namen  der  Mit-  und  Nachwelt 
bekannt  zu  geben.  Und  doch  hätte  die  letztgenannte  z.  B. 
ganz  gern  den  wirklichen  Namen  des  Mannes  gekannt,  der 
den  Fastnachtsscherz:  „Wie  man  alte  Weiber  jung  schmie- 
det" für  die  Leute  zu  Utzendorf  im  untern  Emmental  ab- 
faßte. Das  Spiel,  zuerst  in  Zürich  ohne  Jahrzahl,  dann 
1540  in  Augsburg  in  Druck  erschienen,  hat  folgenden  Inhalt: 

Ein  Bote  verkündet  dem  versammelten  Publikum  neue 
Märe  von  einem  Meister,  der  alte  Weiber  jung  schmiede. 
Buben  bringen  auf  einem  Karren  eine  Verjüngungsbedürf- 
tige angefahren,  die  sich  nach  dem  kunstreichen  Schmied 
erkundigt.  Obschon  sie  hundert  Jahre  alt  ist,  die  Augen 
ihr  rinnen  und  die  Nase  trieft,  will  sie  sich  in  die  Esse 
wagen,  um  nochmals  auf  Buhlschaft  ausgehen  zu  können. 
Der  Sohn  mahnt  sie  an  ihr  Seelenheil  und  begibt  sich  mit 
ihrem  Wasser  erst  zum  Doktor.  Der  findet,  daß  ihr  Herz 
voll  Üppigkeit  sei.  Das  Weib  verhöhnt  den  Arzt,  der  das 
Gräslein  wachsen  höre  und  an  den  Wind  einen  Knopf 
machen  könne.  Dann  zieht  sie  vor  die  rechte  Schmiede. 
Der  Meister  befiehlt  seinen  Knechten  Vasold  und  Heiß- 
eisen, das  Feuer  und  die  Zangen  in  Bereitschaft  zu  setzen, 
damit  sie  der  Vettel  ein  rotes  Mündlein,  schwarze  Äuglein, 
weiße  Brüstlein  und  goldgelbes  Haar  anfertigen.  Während 
das  Weib  in  die  Schmiede  geführt  wird,  um  dort  drei  Feuer 
zu  passieren,  wird  draußen  einem  bösen  Buben  zur  Strafe 
die  Zunge  ausgeschnitten.  Ermahnung  an  die  Jugend  folgt. 
Inzwischen  bringt  der  Meister  die  jung  geschmiedete  Frau 
aus  der  Esse  hervor  und  läßt  sich  seinen  Lohn  auszahlen, 
den  das  Weib  bald  wieder  gewonnen  haben  will.  Sogleich 
ist  ein  alter  Mann  zur  Stelle  und  buhlt  um  die  Schöne. 
Er  wird  abgewiesen.  Ebenso  der  Landsknecht,  der  kein 
206 


Geld  hat.  Zu  diesem  gesellt  sich  ein  Eidgenosse.  Er  klagt 
über  den  Frieden,  den  der  Papst  gemacht.  Ein  Troßbube 
führt  dem  Landsknecht  eine  Metze  zu,  mit  der  dieser  da- 
vonfährt. Der  Eidgenosse  will's  dem  ruchlosen  Wesen  des 
Bruders  Veit  auch  nachtun,  ebenso  ein  Knabe,  der  seiner 
Alp  entlaufen  ist.  Jetzt  tritt  der  Edelmann  Hans  Rudolf 
von  Hohenzorn  auf.  Mit  diesem  will  es  denn  das  jung  ge- 
schmiedete Weib  aufnehmen,  falls  er  sie  sauber  kleidet25. 

Eine  ganze  Anzahl  anderer  Fastnachtsspiele  Schweizer 
Dichter  ist  zu  wenig  eigenartig  im  Aufbau,  in  der  Stoff- 
wahl und  in  der  Komik,  um  hier  angereiht  zu  werden.  Ihre 
Inhaltsangabe  findet  sich  für  jene,  die  auch  diese  kennen 
lernen  wollen,  in  Baechtolds  Geschichte  der  deutschen  Lite- 
ratur in  der  Schweiz.  Nur  die  bedeutendsten  können  hier 
Platz  finden. 

Das  erste  ist  „Der  Weltspiegel"  von  Valentin  Bolz  aus 
Rufach  im  Elsaß,  das  am  11.  und  12.  Mai  1550  in  Basel  zum 
ersten  Male  aufgeführt  wurde. 

Einhundertachtundfünfzig  Rollen  weist  der  „Weltspiegel" 
auf,  in  dem,  wie  der  Dichter  in  der  Vorrede  sagt,  er  der 
Welt  Art,  Wesen  und  Eigenschaft  in  einem  Spiegel  zu- 
sammengestellt habe,  darin  sich  männiglich  finden  und  be- 
schauen möge.  Alle  Laster  und  Tugenden  treten  auf,  dann 
die  dreizehn  alten  Orte  der  Eidgenossenschaft.  Ein  To- 
huwabohu tummelt  sich  an  den  Zuschauern  vorüber,  dar- 
unter mancher  groteskkomischer  Einfall,  hauptsächlich  im 
sechsten  Akt,  in  dem  die  Bettelleute  ihr  Wesen  treiben. 
Aber  alles  ist  so  mit  Moral  Übergossen,  daß  sich  der  Hu- 
mor niemals  frei  entfalten  kann,  so  viel  Anläufe  er  auch 
dazu  nimmt. 

Von  allen  Schweizer  Dramatikern  hat  Jos.  Murer  (1530 
bis  1580)  die  komische  Figur  am  meisten  verwendet.  Sie 
kommt  in  allen  sieben  Stücken  vor,  die  der  vielseitige  Mann 
hinterlassen  hat.  Er  war  Topograph,  Mathematiker  und  ein 
berühmter  Glasmaler.    Seine  Komiker  sind  meist  Koch  und 

»  Baechtold,  S.  333 

207 


Kellermeister.    Im  „Naboth",  1556  in  Wintertur  aufgeführt, 

findet  sich  im  vierten  Akt   die   komische  Szene   zwischen 

Koch  und  Kellner.    Im   fünften   werden   der  schmausende 

Koch  und  Kellner  vom  Weib  des  Kochs  überrascht.    Die 

Frau  schimpft,  worauf  der  Koch  gelassen  fragt: 

„Herr  doktor,  gend  mir  zu  verstan, 

Worus  hand  ir  die  bredig  (Predigt)  gnan  (genommen)  ?" 

Die  übliche  Prügelei  ist  die  Folge26. 

In  Murers  „Belagerung  der  Stadt  Babylon",  in  Zürich  am 
29.  und  30.  Mai  1559  gespielt,  bringt  der  zweite  Teil  das 
komische  Intermezzo.  Der  Koch  lädt  den  Kellermeister  zu 
sich  ein.  Dieser  will  nicht  kommen,  weil  des  Kochs  Frau 
ihm  gram  sei.  Da  erwidert  der  Koch,  wenn  er  zu  essen  und 
zu  trinken  bringe,  sei  er  willkommen,  und  nennt  nun  allerlei 
Speisen  und  Getränke,  die  der  Kellner  mitbringen  solle. 
Daran  schließt  sich  ein  Auftritt  zwischen  einem  Bauern  und 
der  Köchin.  Der  Bauer  hat  Tauben  feil.  Die  Köchin  er- 
klärt die  Tauben  für  zu  jung,  hält  den  Deckel  des  Korbes 
hoch,  sodaß  die  Tauben  entfliegen.  Der  Bauer  will  nun 
bezahlt  sein.  Als  dies  die  Frau  verweigert,  wirft  er  sie  zu 
Boden  und  läuft  weg. 

In  „Zorobabel  ein  nüw  Spyl  von  dem  mal,  welches  Künig 
Darius  seinen  Landsfürsten  und  Hoflüten  zurichtet"  (Zürych 
1575)  von  Murer  wird  der  wegen  Trunkenheit  eingelochte 
Koch  von  seiner  Gattin  aus  dem  Gefängnis  geholt  und  mit 
Prügel  in  die  Küche  getrieben.  In  „Ein  nüw  wunderliebe 
Spils  Übung  wie  die  Kinder  Israel  trockens  fuß  durch  den 
fürt  Jordans  zogen",  kommt  zu  dem  Koch  der  Narr  hinzu, 
der  wieder  bei  anderen  Schweizer  Dramatikern  wie  Her- 
mann Haberer,  J.  C.  Vallensis  u.  a.  an  Stelle  des  Kochs  tritt 
und  in  dem  Berner  Drama  „Appius  und  Virginia"  (1565) 
eine  lustige  Episode  mit  einer  Hexe  hat. 

Einen  grotesk-komischen  Auftritt  von  echtem  Gepräge 
enthält  „Narren  Schul  zu  Fastnacht  abgetheilet  auff  die 
fünff  Actus  in  Fabulis  oder  Comödien  am  endt  eines  jeden 

*•  Baechtold,  S.  355. 
208 


Actus  einzubringen,  da  sonsten  die  Fastnacht -Narren  ihr 
Narrenwerk  zu  treiben  pflegen"  (Frankfurt  a.  Oder  1578). 

Gottsched  gibt  den  Inhalt  dieser  Farce  wie  folgt  wieder: 
„Es  wird  ein  Schulmeister  mit  neun  närrischen  Schülern 
aufgeführt,  darunter  gewiß  er  selbst  der  größte  Narr  ist. 
Nach  allerley  possenhaften  Reden  will  er  sie  buchstabieren 
lehren,  und  zwar  das  Wort:  Inhonorificabilitudinationitatibus. 
Hernach  will  er  ihnen  das  Latein  beybringen  usw.  Allein 
alles  läuft  sehr  grob  und  plump  ab.  Die  Knittelverse  sind 
auch  sehr  schlecht  und  übel  gereimt.  Der  Schulmeister 
wird  zuletzt  ausgeprügelt27." 

Ganz  auf  Grotesk-Komik  gestellt  ist  „Comedia.  Ein  neuw 
schimpff  spil  von  zweien  Jungen  Eeleute  wie  sey  sich  in 
fürfallender  reiss  beiderseitz  verhalte,  gestellt  durch  T.  S.V. 
S.M.,  anno  1580  de  22.  t.  decemb.28." 

Hinter  den  Buchstaben  verbirgt  sich,  nach  Baechtold, 
ein  ganz  ungewöhnliches  dramatisches  Talent:  Tobias 
Stimmer,  der  am  7.  April  1539  geborene  Sohn  des  Schul- 
meisters, Kalligraphen,  Buchbinders  und  Malers  Christoph 
Stimmer  aus  Burghausen  bei  Salzburg.  Von  den  sechzehn 
Geschwistern  von  Tobias  wurde  einer  Kalligraph  und  noch 
drei  Maler,  darunter  auch  Tobias.  1566  hat  sich  Tobias 
in  Schaffhausen,  seiner  Geburtsstadt,  als  Maler  nieder- 
gelassen, von  wo  er  fünf  Jahre  später  nach  Straßburg  über- 
siedelte. Dort  entwickelte  er  eine  reiche  Tätigkeit  als  Holz- 
schneider. Die  Bilder  zu  den  Werken  seines  Freundes  Johann 
Fischart  sind  von  ihm  gezeichnet  und  geschnitten.  Stimmer 
starb  jung.  Wann  ist  nicht  bekannt,  doch  weilte  er  1587 
nicht  mehr  unter  den  Lebenden. 

Tobias  Stimmers  Comedia  erklärt  Jacob  Baechtold  für  das 
beste  Fastnachtspiel  des  sechzehnten  Jahrhunderts29.  Man 
urteile  selbst: 

Ein  Bote  bringt  dem  Herrn  Honoratus,  gewöhnlich  Hospes 

27  J.  C.  Gottsched,  Nöthiger  Vorrath  zur  Geschichte  der  deutschen  drama- 
tischen Dichtkunst,  II.  Bd.,  Leipzig  1765,  S.  232.  —  "  Herausgeg.  von 
Dr.  Jacob  Oeri  Frauenfeld  1891.  —  J9  A.  a.  O.,  S.  372. 

14  209 


genannt,  einen  Brief,  in  dem  dieser  zu  einer  gewinnreichen 
Reise  aufgefordert  wird.  Honoratus  ist  erst  drei  Monate 
vermählt,  deshalb  kommt  ihm  die  Reise  schwer  an.  Er 
baut  aber  auf  die  Tugend  seiner  Amorrosa.  Er  gibt  ihr 
gute  Ermahnungen  und  empfiehlt  ihr,  falls  sie  männliche 
Hilfe  im  Haus  nötig  haben  sollte,  einen  jener  Bauern  zu 
mieten,  die  sich  als  Taglöhner  anbieten.  Der  Gatte  ist 
kaum  zur  Tür  hinaus,  da  berät  Amorrosa  schon  mit  ihrer 
Magd  Ancilla  wegen  eines  Ersatzmannes,  und  die  Wahl 
der  beiden  fällt  auf  Hans  den  Pfarrherrn,  der  als  Bauer 
verkleidet  ins  Haus  kommen  und  Gattenstelle  vertreten 
soll.  Unterwegs  fällt  der  Pfarrer  dem  Hausherrn  in  die 
Hände,  wird  von  diesem  für  einen  säumigen  Schuldner  ge- 
halten, erhält  ordentliche  Prügel  und  muß  das  Feld  räumen. 
Statt  des  Pfaffen  erscheint  im  Hause  Gorgus  ein  wirklicher 
Bauer,  den  die  Magd  für  den  Geistlichen  hält  und  als  Buhler 
der  Frau  zuführt. 

Nun  hat  Stimmer  das  Wort: 

(Amorrosa,  Ancilla,  dann  Gorgus.) 

Amorrosa: 

Ja  wohl,  ja  wohl,  ich  muß  recht  lachen. 

Ancilla: 

Nun,  Frau,  was  soll  der  Mann  denn  machen? 

Amorrosa: 

Ei,  ei,  bist  du  mir  eine  Dirn, 
Mit  seltsam  und  durchstochnem  Hirn. 
Wie  konntest  du  nur  unsern  Pfaffen 
Also  verwandeln  in  'nen  Affen. 
Hätt'st  du  nicht  seinen  Namen  genannt, 
Ich  hätt'  ihn  wahrlich  nicht  erkannt. 

Ancilla: 

Nun,  Ihr  habt  jetzt  nach  Eurem  Willen, 
Mit  ihm  mögt  Ihr  der  Liebe  spielen, 
Auswerfen  nun  die  besten  Karten. 
210 


Ich  will  gehn,  der  Haustür  warten. 

Hernach  ist  er  auch  für  mich, 

Ich  spiel  mit  ihm  den  letzten  Stich. 

Amorrosa: 

Kommt,  guter  Freund,  jetzt  her  zu  mirl 
Wir  sind  nun  ganz  alleine  hier. 
Nehmt  zur  Hand  nun  einen  Hammer 
Und  kommet  mit  mir  in  die  Kammer. 
Schlagt  mir  'nen  Nagel  in  die  Wand. 

Bauer: 

Ach  nein,  mein  Frau,  das  war  ein  Schand! 
Ich  bin  da,  Euch  anders  zu  dienen, 
Stellt  nicht  an  mich  dies  Ansinnen. 
Einem  der  Freunde  erzeigen  Spott, 
Ist  Unrecht  und  Sünde  und  strafet  Gott. 

Amorrosa: 

Ja  wohl,  was  mehr?  Was  liegt  daran! 
Ich  kenn  Euch  wohl,  kann  Scherz  verstahn. 
Soll  ich  Euch  Euren  Namen  geben? 
Kommt  her,  Herr  Hans,  es  fügt  sich  eben! 
Wollt  Ihr  Euch  fürchten,  von  dannen  ziehn, 
Es  wäre  Schande,  wollt'  Ihr  entfliehn. 

Bauer: 

Ist  die  Zeit,  jezt  Holz  zu  spalten? 
O  nein,  das  muß  der  Teufel  walten. 
Ich  bin  kein  Pfaffe,  laßt  mich  gehn, 
Solch  Arbeit  laß  ich  ungeschehn. 

Amorrosa: 

Wie  stellt  Ihr  Euch,  mein  lieber  Herr, 
Erfüllet  doch  gleich  mein  Begehr 
Und  tut  mir,  wie  Ihr  es  pflegt, 
Wenn  Ihr  zur  Kellerin  Euch  legt30. 

*°  Kellerin,  Kellnerin,  Schaffnerin  =  Pfarrerskochin. 

14*  211 


Der  Narr 

Gezeichnet  von  Tobias  Stimmer 


Bauer: 

Ich  hab  kein  Kell- 
nerin, nur  eine 
Frauen, 

Die  tut  mir  alle  Ehr 
vertrauen. 

Amorrosa: 

So  macht  es,  wie 
es  bei  Euch  stets 
geht, 
Bevor  Ihr  des  Mor- 
gens früh  auf- 
steht. 
Bauer: 

Der  Teufel  Euch  den 
Wunsch  vergelt! 

Ist  denn  so  nichtig  schon  die  Welt? 
Soll  ich  die  Ehe  zweifach  brechen? 
Gott  und  der  Mann  wird  solches  rächen. 
Ich  dürft  mich  nimmer 

sehen  lassen, 
Laßt    mich    gehn,    ich 

zieh'  mein'  Straßen  1 

Amorrosa: 

Das  tu  ich  nicht,  bei 
meinem  Leib! 

Bauer  (schlägt  sie): 

Wohlan,  so  mach'  ich's 

meinem  Weib, 
Wenn    sie    mir    nicht 
will  Suppe  kochen, 
Das     geschieht     auch 
mehrmals  jede  Wo- 
chen. 
212 


Amorrosa 

Federzeichnungen  von  Tobias  Stimmer 


Ancilla 

Gezeichnet  von  Tobias  Stimmer 


Amorrosa: 

O  weh,  o  weh,  ich  bin 

betrogen! 
Mein*  Magd  hat  schänd- 
lich mich  belogen. 

(Bauer,  Ancilla.) 
Ancilla: 

Herr   Pfarrer,   ich  lasse 

Euch  nicht  weg, 
Ihr  tut  mit   mir,   gleich 

auf  dem  Fleck, 
Was  Ihr  jetzt  der  Frau 

gemacht ! 
Bauer: 

Hat  mich  der  Teufel  zu  euch  gebracht? 

(Schlägt  sie.) 

Nimm  hin,  hier  hab's  nach  deinem  Wort, 

Wie  ich's  erst  tat  der 
Frauen  dort! 

(Bauer  geht  ab.) 

Ancilla: 

O  Frau,  wir  sind  all  beid 
betrogen ! 

Amorrosa: 

Du  öder  Sack,  hast  mich 
belogen. 

Ancilla: 

Nein,  Frau,  es  war  nur 
ein  Versehn, 

Wie  sonst  der  Unfall  ist 
geschehn, 

Kann  ich  bei  mir  nicht 
ersinnen. 

213 


Der  Bote 

Gezeichnet  von  Tobias  Stimmer 


Amorrosa: 

Es  geht  um  mich,  ich  lauf  von  hinnen, 

Wenn  es  sollt  mein  Mann  erfahren  1 
Ancilla: 

Wollt,  liebe  Frau,  Euch  nicht  so  gebaren! 

Es  ist  einzurenken  noch  die  Sach, 

Ich  will  ihm  ernstlich  gehen  nach, 

Daß  man  vielleicht  ein  Mittel  find' 

Und  die  Sach  kein  ander  Geschrei  gewinnt. 
Amorrosa: 

Mach's,  wie  du  willst,  ich  bin  empört, 

Genarrt  hast  du  mich  unerhört. 

Mich  g'lust,  ich  fiel  dir  in  das  Haar, 

Und  geb  dir  deinen  Lohn  gleich  bar. 

Du  böser  Balg,  ich  könnt  es  wissen, 

Von  dir  bleibt  keiner  unbeschissen. 
Ancilla: 

Was  Ihr  gewollt,  das  hab  ich  tan. 

Amorrosa: 

Du  lügst!  Ich  wollt 's  nicht  also  han. 
Ancilla: 

Warum  sollt  ich  Euch  belügen? 
Amorrosa: 

Ja,  du  wolltest  mich  betrügen. 
Ancilla: 

Ihr  wollt  es  gern  mit  mir  verdecken. 

O  nein,  Frau,  so  sollt  Ihr  mich  nicht  necken, 

Ihr  wißt  wohl,  daß  die  Sonn  nicht  schint  (schien.) 

Amorrosa: 

Nimm  hin  den  Lohn,  den  du  verdient. 

Du  mußt  noch  heut  mir  aus  dem  Haus! 
Ancilla: 

Tut's  gemach!  Ich  gehe  noch  nicht  raus. 

Ihr  seid  mir  recht  ein  böser  Luchs 

Und  tut  jetzt  eben  wie  der  Fuchs. 
214 


Nachdem  Euch  hat  gefehlt  die  Chance, 

So  brauchet  Ihr  den  Allefanz, 

Schienet  jetzt  gern  gerecht  und  frumm. 

Tut  nicht  also,  glaubt  mir  drum! 

Ich  weiß  wohl,  wie  man  Maus'  vertreibt 

Und  wie  man  ei'm  ein  Aug  verkleibt. 

Es  wird  nichts  ausgericht'  mit  Dreuen  (Drohen). 

Folgt  Ihr  nicht,  so  wird's  Euch  reuen. 

Kam  der  Herr  jetzt  zu  der  Sachen, 

Er  würde  uns  bald  zufrieden  machen. 

Amorrosa: 

O  kam  mein  Schatz  doch  nur  bald  wieder, 
Ich  wäre  bei  ihm  fromm  und  bieder. 

(Fängt  zu  weinen  an.) 

Ancilla: 

Er  ist  am  längsten  ausgeblieben, 

Man  muß  die  Sach  jetzt  wohl  verschieben. 

Amorrosa: 

So  tu  es  gleich  und  geht  nur  hinl 
Ich  will  fortan  noch  frommer  sin. 

Hospes: 

Der  auf  Gott  hofft,  dem  fehlts  nit! 
Er  hat  mir  gewährt  meine  Bitt. 
Was  mein  Geschäft  und  Reis  belangt, 
Was  von  ihm  doch  allein  abhangt; 
So  bin  ich  glücklich  anher  gekommen. 
Ob's  auch  mein  Weib  zu  Herzen  g'nommen 
Meines  Abschieds  Lehre  nach  Vertrauen, 
Daß  ich  noch  hab  'ne  fromme  Frauen, 
Und  hätt'  all  Ding  recht  wohl  versehn, 
Als  wär's  in  meinem  Beisein  g'schehn? 
Ich  hoff  zu  Gott,  es  soll  so  sein. 
Eh'  aber  ich  zum  Haus  geh  ein, 
Muß  ich  der  Sachen  han  verstand  (wissen 

woran  ich  bin). 

215 


Sieh  dort,  der  Bauer  ist  mir  bekannt, 
Er  will,  mich  dünkt  es,  zu  dem  Pfaffen. 
Was  hat  er  denn  mit  dem  zu  schaffen  ? 
Seine  Redlichkeit  kennt  man  überall. 
Ich  bleib  und  horch  auf  jeden  Fall. 

Bauer: 

Sieh,  da  kommt  der  fromme  Hirt, 
Der  gern  die  schönen  Schäflin  schirt. 
Was  fehlet  ihm?   Ich  muß  doch  losen; 
Hätt  er  doch  Beulen  und  Franzosen ! 

Pfarrer: 

Wie  manchem  will  die  Liebe  taugen. 
Gar  lieblich  dringt  sie  durch  die  Augen 
Und  fängt  das  Herz  in  bittrer  Freud! 
Mich  nicht,  daß  ich  mich  so  verkleid 
Und  mach  einen  Bauern  aus  dem  Pfaffen! 
Also,  sagt  man,  fängt  man  Affen. 
Ich  glaub,  hier  gibt  es  Holz  zu  scheiten. 
Per  pedes  muß  ich  schnell  entreiten, 
Sonst  gilt  es  wahrlich  Haut  und  Haar. 
Es  ist  ein  schönes  Spiel  fürwahr. 
Venus  haben  wir  im  Hintern  küßt, 
Zugleich  auch  redlich  gebeicht,  gebüßt. 
Wenn's  nur  bleibt  verschwiegen  wohl. 
Aber  der  Bauer,  der  grobe  Knoll, 
Sorg  ich,  wird  viel  Lärmen  machen ! 

Bauer  Gorgus: 

Lieber  Herr,  sollt  ich  denn  lachen 
Zu  einer  vorgefallen  Schand, 
Wie  mir  die  Sache  ist  bekannt? 
Daß  Ihr  des  andern  Weib  begehrt, 
Welches  Buch  hat's  Euch  gelehrt? 
Alles  wird  so  verdreht  und  krumm, 
Das  Ehrliche  kehrt  Ihr  in  Sünde  um, 
Und  was  Ihr  sollt  als  Sünde  geben, 


216 


Das  heißt  Ihr  Recht,  ist  Euer  Leben. 
Pfui!  was  soll  noch  daraus  werden! 
Ihr  seid  ein  solches  Salz  der  Erden, 
Das  seine  Schärf  verloren  hat 
Und  wird  getreten  in  den  Kot. 
Wie  wollt  Ihr  die  Leut'  bekehren, 
Da  Ihr  nicht  tut  nach  Euren  Lehren. 
Und  gebet  großes  Argernuß? 
Weh  der  Stadt,  wo  der  Wächter  schlaft, 
Und  wo  der  Bauer  den  Pfarrer  straft, 
Wenn  dort  der  armen  Schäflein  Hirt 
Nichtswürdig  zum  reißenden  Wolfe  wird. 

Pfarrer: 

Nicht  also,  mein  lieber  Mann, 
Ihr  müßt  die  Sache  recht  verstahn. 
Dieweil  die  Frau  hat  gutes  Lob, 
Wollt  ich  sie  stellen  auf  die  Prob, 
Auf  daß  ihr  Ehr  noch  mehr  erschien; 
Hat  sonst  nichts  Arg's  mit  ihr  im  Sinn. 

Bauer  Gorgus: 

Das  heißt  mit  Affenschmalze  schmieren ! 
Mir  dürftet  Ihr  nicht  mein  Weib  probieren! 
Der  Teufel  dank  Euch  Eure  Prob! 
Die  schiene  manchem  Mann  zu  grob, 
Da  muß  zuvor  auch  der  Probierstein 
Geprüft  und  lauter  funden  sein, 
Ihr  habt  für  fromm  Euch  ausgegeben, 
Doch  merkt  man  Euer  keusches  Leben. 

Pfarrer: 

Was  wollt  Ihr  noch  daraus  machen? 
Redet  zum  Besten  doch  der  Sachen. 
Es  ist  doch  nichts  Tätliches  geschehen, 
Man  kann  hierin  niemanden  schmähn. 
Mir  ist  es  auch  Warnung  genug, 
Gebt  Ihr  nun  acht  auf  Euren  Pflug. 


217 


Bauer: 

Ich  weiß  wohl  zu  pflügen  und  zu  eggen, 
Dem  Nächsten  auch  die  Schand  zu  decken, 
Wenn  dies  nicht  war,  würd  mehr  geschehn, 
Ungestraft  würd  es  Euch  nicht  ausgehn. 
Pfarrer: 

Seid  nur  gut!  Vergeßt  den  Fall, 
Wenn's  wieder  geschieht  zum  andernmal, 
Dann  will  ich  mich  lassen  beschämen, 
Will  jetzt  hiermit  Urlaub  nehmen. 
Bauer: 

Pfaff,  Pfaff,  sollst  du  weiter  fehlen, 
Ich  wollt  dir  helfen  die  Laus'  abstrehlen. 
Der  Gatte  findet  den  Bauern,  der  ihm  den  Vorfall  erzählt. 
Der  Mann  ist  erst  wütend,  doch  ein  Fußfall  der  Frau  und 
ihre  Versprechungen  besänftigen  ihn  schnell.   Der  Narr  be- 
schließt das  Spiel  wie  er  es  begonnen. 

Nun  aus  der  Schweiz  wieder  zurück  in  das  deutsche  Vater- 
land, in  den  Federkrieg  für  und  wider  die  Reformation. 

In  ihren  Dienst  stellte  der  Hesse  Burkard  Waldis  aus 
Allendorf  an  der  Werra  (um  1495 — 1557)  sein  Drama 
vom  verlorenen  Sohn.  Es  wurde  1527  auf  dem  Markt  zu 
Riga  aufgeführt.  Georg  Buchenau81  nennt  den  verlorenen 
Sohn  ein  herrliches  Fastnachtsspiel,  in  dem  in  großartig- 
ster Weise  die  beiden  Kirchen  einander  selbst  gegenüber- 
treten. Das  Spiel  ist  in  niederdeutscher  Mundart  geschrieben. 
Die  zweite  Szene  spielt  im  Bordell.  Die  handelnden  Per- 
sonen sind  der  verlorene  Sohn,  der  Spitzbove,  der  Huren- 
werdt  und  die  beiden  Dirnen  Else  und  Grete.  Dem  ver- 
lorenen Sohn  luchst  man  seine  Habe  ab,  und  als  er  seines 
„geldes  und  gudes  quydt",  wird  er  erst  vom  Wirt  bis  auf 
Wams  und  Hosen  gepfändet,  dann  auf  der  Bühne  mit 
Hilfe  des  Spitzbuben  bis  auf  das  Hemd  ausgezogen.  Er 
jammert : 

81  Leben  und  Schriften  des  Burcard  Waldis,  Marburg  a.  L.,  1858,  S.  15 
218 


Nu  sta  ick  vor  den  lüden  naket: 

Alle  myne  frunde  hebben  my  verstaket  (verleugnet)! 

Das  ist  eigentlich  tief  tragisch,  aber  das  Ausziehen,  das 
Auf-die-Straße-Werfen  mußte  grotesk-komisch  wirken,  da 
die  Zuschauer  mit  der  Torheit  des  verlorenen  Sohnes  kein 
Mitgefühl  haben  konnten. 

Die  Parabel  vom  verlorenen  Sohn  hat  auch  Jakob  Fun- 
kelin  aus  Konstanz  (1561)  als  Drama  bearbeitet,  dann  Hans 
Salat,  Seiler,  Reisläufer,  Gerichtsschreiber,  Chronist  und 
Schulmeister  in  Luzern,  benutzt,  um  in  volkstümlicher 
Sprache  seinen  Mitbürgern  einen  Spiegel  vorzuhalten32. 

In  diesem  1537  veröffentlichten  Spiele  hat  der  Teufel 
Temptator  die  grotesk-satirische  Rolle  inne. 

Die  scharfe  Tonart  Luthers  rief  eine  ganze  Hochflut  von 
polemisch-satirischen  Komödien  hervor,  von  denen  nicht 
wenige  den  Reformator  selbst  und  seinen  Kreis  in  den 
Mittelpunkt  der  Handlung  stellten,  alle  aber  Stinkbomben  um 
sich  warfen.  So  die  „Lutherische  Strebkatz".  Sie  erschien 
um  1524  oder  1525.  Die  Personen  sind  Luther,  der  „die 
Strebkatz  ziehen  muß",  Eck,  Emser,  Lemp,  Thomas  Murner, 
Cochläus  und  andere.  Den  darin  herrschenden  Ton  mag 
der  Vers  charakterisieren : 

Ich  zeuch,  daß  mir  mein  Arschloch  stinkt, 
Doch  facht  das  Haupt  mir  an  und  sinkt. 
Ach,  lieber  Bock,  tu  mir  hofieren, 
Gib  ihm  ein  guten  Buff  in  Stirn33. 

Und  wie  hüben,  so  drüben.  Man  spuckte  sich  gegen- 
seitig an.  Es  ist  nicht  nötig,  tiefer  in  den  modrigen  Pfuhl 
hinabzusteigen,  da  diese  dialogisierten  Pasquille  kaum  auf 
die  Bühne  gekommen  sind.  Erst  nachher  haben  die  Theo- 
logen ihren  Mist  auf  dem  Podium  ausgeschüttet.  „Die  Rach- 
sucht unter  vielen  Theologis"  ist  so  groß,  schreibt  der 
Hanauer  Diakonus  Heinrich  Steinhart  im  Jahre  1594,  „daß 
etliche  durch  ihre  Schüler  ihren  Widerpart  auch  in  öffent- 

8i  Bächtold,  S.  309.  —  ,s  Otto  Schade,  Satiren  und  Pasquillen  aus  der 
Reformationszeit,  Hannover  1856—58,  3.  Bd.,  S.  112  ff. 

219 


liehen  Komödien  heftig  verspotteten  und  gleich  wie  unflät 
und  Teufel  traktieren  lassen,  als  denn  solches  zu  Wittenberg 
zu  mehreren  Malen  vorgekommen 34." 

Mit  weniger  unfären  Mitteln  kämpfte  der  mit  beiden 
Füßen  im  Werdegang  der  Reformation  stehende  frucht- 
barste und  namhafteste  Volksdichter  jener  Epoche,  der  Nürn- 
berger Schuster  Hans  Sachs. 

Er  war  nicht  der  erste  deutsche  Handwerker,  der  nach 
Dichterlorbeer  gestrebt,  wohl  aber  der  bedeutendste.  Er 
war  ein  echter  Sohn  des  goldenen  Nürnbergs,  das  zur  Zeit 
der  Entfaltung  und  Blüte  von  Hans  Sachs  im  Zenit  seines 
Ruhmes  stand. 

Eine  solche  Fülle  von  gewerblichem  und  künstlerischem 
Leben,  wie  es  Nürnberg  damals,  zu  Anfang  des  sechzehnten 
Jahrhunderts,  umfaßte,  war  beispiellos.  Da  saßen  in  jenem 
schmalen  Bau  an  der  St.  Sebalduskirche,  der  heute  Brat- 
wurstglöcklein  heißt,  zu  guter  Stunde  Albrecht  Dürer,  der 
Patrizier  und  gelehrte  Humanist  Willibald  Pirkheimer,  Peter 
Vischer  der  Erzgießer,  Veit  Stoß  der  Holzbildhauer  und 
bescheiden  zwischen  ihnen  der  ehrsame  Meister,  der  ebenso 
fleißig  den  Schusterhammer  wie  die  Feder  führte. 

Im  Jahre  1517  ging  sein  erstes  Fastnachtsspiel  „Das 
Hofgesinde  der  Venus"  aus,  und  als  1567  der  Dreiund- 
siebzigjährige  die  Bilanz  seines  dichterischen  Schaffens  zog, 
hatte  er  zweihundertundacht  dramatische  Arbeiten  zu  ver- 
zeichnen. 

Hans  Sachs'  Vorgänger  im  Fastnachtsspiel  waren,  wie 
schon  erwähnt,  Hans  Rosenplüt  und  Hans  Folz.  Sachs  er- 
kannte bereits  zu  Beginn  seiner  Laufbahn  als  Komödien- 
dichter die  den  bisherigen  Spielen  anhaftenden  Fehler  und 
beseitigte  sie  mit  glücklicher  Hand.  Vor  allen  Dingen  ging 
er  der  Gemeinheit  aus  dem  Wege.  Wenn  er  auch  derb 
blieb,  wie  es  ein  Bürgersmann  des  sechzehnten  Jahrhunderts 
gar  nicht  anders  sein  konnte,  geflissentlich  und  unmotiviert 
zotig  war  er  nie.  Er  wollte  unterhalten,  dabei  aber  immer 
84  Johannes  Janssen,  Gesch.  des  deutschen  Volkes,  VI.  Bd.,  1901,  S.  332*. 
220 


< 


bessern  und  lehren,  niemals  nur  die  Sinne  kitzeln,  wie  es 
sich  viele  seiner  Brüder  in  Apoll  vor,  neben  und  nach  ihm 
zu  ihrer  Berufspflicht  gemacht. 

Im  Lebenswerk  von  Hans  Sachs  sind  einundachtzig  Fast- 
nachtsspiele enthalten.  Sie  sind  in  der  überwiegenden  Mehr- 
zahl kleine  Kabinettstücke  der  dramatischen  Volksliteratur, 
denen  noch  heute  mit  behaglichem  Schmunzeln  gelauscht 
werden  würde,  wenn  sie  über  die  Bühne  gingen.  Karl 
Goedeke  sagt  von  ihnen: 

„Seine  Fastnachtsspiele  sind  so  vollkommen  den  besten 
unter  den  guten  kleinen  Spielen  alter  und  neuer  Zeit  in  Er- 
findung, dramatischer  Gestaltung,  Verwicklung  und  Ange- 
messenheit der  Sprache  ebenbürtig,  daß  jeder,  der  sie 
gesehen  und  verstanden  hat,  immer  wieder  lieber  zu  ihnen 
als  zu  fremden  zurückkehrt ...  Im  Studium  des  Hans  Sachs 
und  der  Verhältnisse,  unter  denen  seine  dramatischen  Dich- 
tungen durch  Deutschland  vom  Volke  aufgeführt  wurden, 
könnte  die  Gegenwart  lernen,  was  kein  Studium  fremder 
Kunstpoesie  sie  lehrt:  die  Ausfüllung  der  Kluft  zwischen 
Dichter  und  Volk85." 

Wie  stark  Hans  Sachs  noch  heute  ein  naives  Publikum 
gefangen  zu  nehmen  und  zu  fesseln  weiß,  mag  das  nach- 
stehend mitgeteilte  Fastnachtsspiel  vom  Teufel,  der  ein 
altes  Weib  zur  Ehe  nahm,  zeigen.  Dieses  Spiel,  am  19.  No- 
vember 1545  beendet,  wurde  den  ganzen  vorjährigen  Som- 
mer hindurch  sehr  stilecht  in  der  Münchener  Gewerbe- 
schau aufgeführt  und  von  tausenden  Zuhörern  herzlich 
belacht. 

Es  enthält  die  Personen :  den  Arzt,  Moses  (den  Juden), 
Esau  (den  Juden),  das  alte  böse  Weib  und  den  Teufel. 

Moses  eröffnet  als  Herold  das  Stück  mit  einer  kurzen 
Einleitung : 

Seid  gegrüßet  insgemein, 
Die  ihr  gekommen  seid  herein, 
Ein  Spiel  zu  hören  und  zu  sehen. 

M  Grundriß,  II.  Aufl.,  II.  Bd.,  S.  409. 

221 


Das  vor  langer  Zeit  geschehen, 
Ist  nun  wohl  viele  tausend  Jahr 
So  lang,  daß  schier  schon  nimmer  wahr, 
Wie  daß  der  Teufel  kam  auf  Erden, 
Wollt  heiraten  und  Ehemann  werden, 
Und  nahm  ein  altes  Weib  zur  Eh', 
Bei  dem  ihm  ward  gar  bang  und  weh 
Von  ihrem  Zanken,  Reißen,  Schlagen 
Daß  er  entrann  nach  wen'gen  Tagen ; 
Wie  er  in  eines  Arztes  Dienst 
Dann  trat  um  die  Hälfte  vom  Gewinst, 
Mit  dem  er  dann  das  Land  durchzog, 
Wobei  der  eine  den  andern  trog: 
Das  werdet  ihr  hören  und  sehen  an. 
Doch  wer  nicht  alles  glauben  kann, 
Der  bleibet  dennoch  ein  Biedermann. 
(Der  Jude  geht  ab.) 
Der  Teufel  tritt  ein,  redet  mit  sich  selbst  und  spricht: 
In  der  Hölle  mag  ich  nicht  bleiben, 
Meine  Langeweil  darin  vertreiben, 
Darum  fuhr  ich  herauf  zur  Erden 
Und  will  gleich  ein  Ehemann  werden; 
Hab  angenommen  Mannes  Leib. 
O  hätt'  ich  nun  ein  altes  Weib  I 
Ich  hab'  gehört,  wie  in  der  Ehe 
Jed'  Ding  so  wohl  und  freudreich  stehe, 
Drum  will  ich  mich  sogleich  umschauen 
Nach  einer  frommen  alten  Frauen. 
Eine  junge  die  war'  mir  zu  geil; 
Ich  hab'  auch  Jahr  ein  gutes  Teil. 
Eine  junge  tat'  mir  leicht  nicht  gut. 
Nur  gleich  mit  gleich  sich  freuen  tut  — 
So  sagt  ein  altes  Sprichwort  klug  — , 
Eine  alte  sei's  darum  mit  Fug. 
Schau,  schau,  da  schleicht  schon  eine  her, 
Die  wohl  für  mich  ganz  passend  war', 


222 


An  Leib  Gestalt,  Schönheit,  Jugend, 
An  Herz,  Frömmigkeit  und  an  Tugend, 
Reicht  sie,  scheints,  an  mir  heran. 
Ich  schleiche  schnell  zu  ihr  mich  an 
Und  rede  gütig  auf  sie  ein, 
Ob  sie  vielleicht  mein  Weib  will  sein. 

(Das  alte  Weib  kommt,  trägt  Kräuter  und  einen  Grabstichel 
in  den  Händen.) 

Du  liebe  Alte,  Glück  zu,  Glück  zu ! 
Was  suchst  du  in  der  Morgfruh 
In  diesem  Wald  am  Wegescheid? 

Das  alte  Weib  schaut  sich  um  und  spricht: 
Ei  schweig'  und  habe  Herzeleid, 
Du  machst  mich  irr  in  meinem  Segen; 
Ich  wollte  nach  dem  Maienregen 
Mir  Wurzel  graben  vor  Sonnenlicht. 

Der  Teufel  spricht: 

So  hab'  ich  mich  vergriffen  nicht. 
Du  suchest  Wurzel  zur  Zauberei, 
So  wiss',  ich  bin  auch  gern  dabei; 
Ich  kenne  aller  Kräuter  Kräfte 
Und  helf  dir  gern  bei  dem  Geschäfte. 

Die  alte  Zauberin  spricht: 

Sprich,  Lieber,  ob  ich's  glauben  kann  ? 
Der  Teufel  spricht: 

Ja,  nähmst  du  mich  zu  deinem  Mann, 

Wollt'  ich  wohl  dir  behilflich  sein 

In  allem,  dem  Vornehmen  dein; 

Denn  ich  kenn  alle  Zauberlist. 

Die  alte  Hexe  spricht: 

Sag'  mir  zuvor  erst,  wer  du  bist. 
Der  Teufel  spricht: 

So  wiss',  daß  ich  der  Teufel  bin. 

223 


224 


Das  alte  Weib  spricht: 

Jawohl,  so  wag'  ich's  immerhin; 
Jedoch,  daß  du  mich  tust  ernähren 
Und  hältst  mein  Alter  auch  in  Ehren: 
Denn  das  bin  ich  wahrhaftig  wert. 

Der  Teufel  spricht: 

Ich  tue,  was  dein  Herz  begehrt. 
Dein  soll'n  auch  alle  Schätze  werden, 
Die  tief  verborgen  in  der  Erden. 

Die  alte  Hexe  spricht: 

Wann  und  wo  woll'n  wir  Hochzeit  haben  ? 

Der  Teufel  spricht: 

Heut'  abend  in  dem  Entengraben 
Auf  einer  hohen,  großen  Buchen. 
Die  Gespielen  tu  zusammen  suchen ! 
Da  woll'n  wir  haben  guten  Mut, 
Wie  man  denn  bei  der  Hochzeit  tut, 
Wollen  tanzen  und  recht  fröhlich  sein. 

Das  alte  Weib  spricht: 

Oh,  ich  weiß  nen  guten  Wein 
In  einem  Keller  in  der  Stadt; 
Darein  will  ich  heut'  abend  spat 
Fahren  mit  den  Gespielen  mein 
Holen  sechs  große  Krug'  mit  Wein. 
Gans',  Enten,  Hühner,  Vögel  und  Fisch, 
Weiß  ich  zu  bereiten  gut  und  frisch 
In  einer  Küch'  in  einem  Haus, 
Die  bring'  ich  auch  zum  Baum  hinaus. 
Ich  gehe  jetzt,  tu  bald  nachkommen. 
(Die  alte  Hure  geht  ab.) 

Der  Teufel  spricht: 

Nun  hab'  ich  mir  ein  Weib  genommen, 
Sie  hat  'nen  Buckel,  ich  bin  hinkend, 
Sie  riecht  nicht  schön  und  ich  bin  stinkend, 
Sie  ist  scheußlich,  ich  bin  häßlich, 
Sie  ist  tückisch,  ich  bin  gräßlich, 


Sie  kann  kuppeln,  zaubern,  lügen, 
Ich  bescheißen  und  betrügen. 
Es  wird  eine  prächtige  Heirat  wer'n, 
Denn  gleich  und  gleich  gesellt  sich  gern. 
Potz  Mist,  fast  hätt'  ich  mich  versessen, 
Die  Hochzeit  auf  dem  Baum  vergessen! 
Nun  fahr'  ich  eilends  nach  dem  Ort, 
Denn  sicher  sind  schon  alle  dort. 
(Der  Teufel  geht  ab.) 
Der  Arzt  kommt,  trägt  einen  Mantelsack  am  Schwert, 
bleibt  stehen  und  spricht: 

Ich  wollt'  hier  etliche  Wurzeln  graben, 
Damit  will  ich  die  Kranken  laben, 
Und  hab'  wohl  den  Verstand  verloren: 
Ich  hörte  stets  vor  meinen  Ohren 
Sackpfeifen  bald  und  bald  Schalmeien, 
Pfeifen  zu  einem  Tanz  und  Reihen; 
Hör'  in  den  Asten  gehn  und  springen, 
Die  alten  Weiber  tanzen  und  singen 
Und  seh'  doch  nichts  wie  ich  hin  kumm 
Im  Entengraben  ringsherum. 
Ich  glaub',  es  sind  Hexen  fürwahr; 
Zu  Berge  steht  mir  all  mein  Haar. 
Schnell  flucht'  ich  aus  dem  Wald  hinaus 
Und  mache  mich  geschwind  nach  Haus. 

(Der  Arzt  geht  ab.) 

Die  alte  Teufelsbannerin  kommt  mit  dem  Teufel  und 
spricht: 

Nun  höre,  mein  Mann  Beizenbock! 
Fahr'  bald  nun  über  Stein  und  Stock 
Und  bringe  mir  den  Schatz  mit  Geld, 
Wie  du  in  Aussicht  mir  gestellt. 

Der  Teufel  spricht: 

Mein  Weib,  dein  Wort  hab'  ich  vernommen, 
Wart'  hier,  ich  will  bald  wiederkommen. 
(Der  Teufel  fährt  ab.) 

15  225 


Die  alte  Zauberin  spricht: 

Den  rechten  Gatten  hab'  ich  nun, 
Was  ich  ihn  heiße,  muß  er  tun. 
Er  muß  mir  schleppen  Geld  heran, 
Daß  ich  damit  auch  helfen  kann 
Den  andern  Spielgenossen  mein 
Die  arm  und  faul  sind  wie  ein  Schwein. 

Der  Teufel  bringt  einen  Hafen  und  spricht: 

Schau,  Weib,  hier  bring'  ich  einen  Schatz. 

Dies  Geld,  vor  dreißig  Jahren  hat's 

Vergraben  eine  Bäuerin, 

Die  es  mit  klug  verschlagnem  Sinn 

Dem  Bauern  abgestohlen  hat, 

Wenn  sie  die  Milch  fuhr  in  die  Stadt. 

Die  Alte  nimmt  den  Topf,  schaut  hinein  und  spricht: 
Das  wird  nicht  lange  reichen,  Mann. 
Fahr'  hin  und  streng'  dich  besser  an 
Und  bringe  uns  noch  einen  Schatz. 

Der  Teufel  spricht: 

Ich  weiß  noch  einen  Mönch,  der  hat's 
In  einem  Kreuzgang  eingegraben; 
Auch  dieses  Geld  sollst  du  bald  haben. 

(Der  Teufel  fährt  dahin.) 

Die  Alte  schlägt  ein  Schnippchen  und  spricht: 
Das  wird  für  mich  ein  rechtes  Spiel! 
Der  Teufel  tut  alles,  was  ich  will, 
Und  ich  geb'  ihm  kein  gutes  Wort. 
Bald  will  ich  ihn,  geht  es  so  fort, 
Zu  einem  Windelwäscher  machen ; 
Muß  meiner  Schalkheit  selber  lachen, 
Daß  er  so  gar  einfältig  ist 
Ohn'  allen  Trug  und  Hinterlist. 
Die  Saiten  will  ich  noch  besser  dehnen 
Und  fletsch'  ihn  an  mit  meinen  Zähnen. 
226 


Der  Teufel  kommt,  bringt  einen  Mönchsbeutel  und  spricht : 
Sieh,  liebe  Alte,  leer'  bald  aus 
Das  Geld  und  halte  damit  Haus! 
Kauf  Hühner  und  Gans',  Vögel,  Fisch, 
Daß  wohl  besetzt  sei  unser  Tisch 
Und  laß  uns  trinken  Wein  dabei. 

Die  Alte  nimmt  den  Beutel  und  spricht: 
Laß  sehn,  was  es  für  Münze  sei. 
Dem  Kloster  ward  sie  abgestohlen. 
Schau,  Narr,  was  bringst  du  mir  da  Kohlen? 
Mich  dünkt,  du  Unflat  spottest  mein. 
Hab'  Aussatz  in  das  Herz  hinein ! 
Den  Beutel  stieß  ich  gern  ins  Maul 
Dir,  träger  Teufel,  ganz  mistfaul ! 
Flugs  troll'  dich,  bring'  mir  rechtes  Geld! 

Der  Teufel  hebt  beide  Hände  empor  und  spricht: 
Das  könnt  ich  nicht  bei  aller  Welt; 
Wenn  es  ist  nach  Mitternacht, 
Hab'  über  Schätz'  ich  keine  Macht, 
Gib  mir  bis  morgen  abend  Frist, 
Ich  bring'  dir  Geld,  wenn's  finster  ist. 

Die  Alte  macht  einen  Kreis  mit  der  Gabel  um  den  Teufel 
und  spricht: 

Schatzholen  lernst  du  noch  durch  mich! 
Ich  schlage  mit  der  Gabel  dich, 
Daß  dir  der  Rücken  dein  muß  auch 
So  windelweich  sein  wie  dein  Bauch. 

(Die  Alte  schlägt  ihn,  er  wehrt  sich,  sie  reißen  einander  im  Kreis 
herum) 

Der  Teufel  springt  aus  dem  Kreis  heraus  und  spricht: 
Warum  schlägst  du  so  scheußlich  zu, 
Du  schändlich  Weib,  du  Satan  du? 
Eh'  ich  bei  dir  bleib'  noch  ein  Jahr, 
Ich  gleich  in  wildes  Röhricht  fahr', 
Daß  du  mich  nie  mehr  siehst  im  Leben. 
15«  227 


Die  Alte  droht  ihm  mit  der  Gabel: 

Komm'  her,  ich  will's  dir  besser  geben! 

(Der  Teufel  fährt  davon  und  zeigt  ihr  den  Hintern,  sie  spricht  weiter) : 

Wart'  nur,  ich  will  mir  gleich  bestellen 
Zwei  meiner  alten  Spießgesellen, 
Dann  wollen  wir  mit  Strick  und  Strang 
Hinaus  aufs  Feld  zu  deinem  Fang, 
Du  entgehst  uns  nimmer,  denk'  an  mich. 
Fahr',  wie  du  willst,  wir  finden  dich! 

(Sie  geht  ab.) 

Der  Teufel  kommt  wieder,  setzt  sich  nieder  und  spricht: 
Ei,  ei,  wie  ist  im  Stand  der  Eh' 
So  große  Trübsal,  Ach  und  Weh! 
Tags  keift  die  Alte  immerzu 
Und  nachts  hab  ich  auch  keine  Ruh', 
Sie  thet  stecz  rüeczen,  hüesten  vnd  kreisten, 
Kraczen,  jucken,  scheißen  vnd  feisten; 
Auch  bissen  mich  Flöh',  Wanzen,  Läuse, 
Benagten  Ratten  mich  und  Mäuse. 
Ich  muß  mich  umsehn  in  der  Tat, 
Daß  nicht  mein  alter  Flohsack  naht 
Und  mich  in  seinem  Garne  fängt 
Und  dann  mit  Schlägen  reich  bedenkt. 
Was  rauscht  dort  durch  die  Stauden  her? 
Wie,  wenn's  mein  altes  Fieber  war'!? 
Nein,  nein,  es  ist  ein  alter  Mann, 
Für  einen  Arzt  seh'  ich  ihn  an. 

Der  Arzt  kommt  und  spricht: 

Gesell,  was  sitz'st  du  so  voll  Schmerz? 
Sag'  an,  was  dir  betrübt  dein  Herz! 

Der  Teufel  spricht: 

Ich  hab'  gehabt  ein  altes  Weib, 
Das  mir  gepeinigt  meinen  Leib 
Mit  Keifen,  Zanken,  Raufen,  Schlagen, 
Daß  ich  jetzt  kaum  die  Haut  kann  tragen ; 
Der  bin  ich  jetzund  weggerannt. 
228 


Der  Arzt  spricht: 

Mein  Freund,  das  war  dir  doch  bekannt, 

Daß  alle  Fraun  sind  wunderlich, 

Die  alten  Frauen  sunderlich. 

Was  nahmst  du  dich  nicht  baß  in  acht  ? 
Der  Teufel  spricht: 

Das  sei  dir  jetzund  klar  gemacht: 

Als  ich  zuerst  sie  angeschaut, 

Da  hab'  ich's  ihr  nicht  zugetraut, 

Daß  sie  so  böse  könnte  sein ; 

Da  einen  Zahn  sie  hatt'  allein, 

Dacht'  ich,  sie  könnte  nicht  hart  beißen. 

Sie  kann  mit  mir  nicht  viel  sich  reißen, 

Denn  sie  hat  einen  Buckel  groß; 

Den  wird  sie  schwerlich  wieder  los. 

Auch  war  sie  schwach  und  alt  und  bleich 

Und  dünkte  mich  sehr  frumm  zugleich 

Und  trug  ein  Paternoster  gar 

Und  stellte  die  reine  Einfalt  dar. 

Jetzt,  wo  ich  sie  bei  Licht  beschau', 

Ist  noch  viel  böser  als  ich  die  Frau 

Und  steckt  voll  Tück'  und  arger  List. 
Der  Arzt  spricht: 

Gesell,  nun  sag'  mir,  wer  du  bist. 
Der  Teufel  spricht: 

So  wiss',  daß  ich  der  Teufel  bin. 
Der  Arzt  spricht: 

Sag'  an,  wo  willst  du  jetzt  nun  hin? 
Der  Teufel  spricht: 

Zu  meiner  Alten  will  ich  nimmer. 

Eh'  wollt'  ich  ewiglich  und  immer 

Sitzen  in  einem  wilden  Rohr. 
Der  Arzt  spricht: 

Sag'  an,  hast  du  vielleicht  nun  vor. 

Dir  auszusuchen  ein  junges  Weib, 

Das  dir  erfreuen  mag  den  Leib? 

229 


Der  Teufel  spricht: 

Nein,  nein!    Ich  hab'  daran  genung, 

Will  keine  mehr,  ob  alt,  ob  jung, 

Eh'  will  ich  dienen  einem  Herrn, 

Mit  ihm  durchreisen  weit  und  fern 

Die  Lande.  Was  treibst  du  für  Handel? 

Der  Arzt  spricht: 

Im  Land  ich  hin  und  wider  wandel', 
Ich  bin  der  Arzeneien  kund 
Und  mache  kranke  Leut'  gesund 
Von  mancher  Krankheit,  glaube  mir. 

Der  Teufel  spricht: 

Oh,  da  könnt'  ich  wohl  helfen  dir, 
Wenn  du  mich  nähmst  zu  deinem 

Knechte. 

Der  Arzt  spricht: 

Sag',  was  mir  das  für  Hilfe  brächte  ? 

Der  Teufel  spricht: 

Da  wollt'  ich  in  die  Reichen  fahren 
Und  sie  besitzen,  wie  vor  Jahren  — 
Du  müßtest  mich  hinausbeschwören. 
Dann  würde  man  zum  Lohn  verehren 
Dir  wohl  zehn  Taler  oder  mehr. 

Der  Arzt  spricht: 

Das  war'  recht  schön,  bei  meiner  Ehr' ! 
Nun,  wenn  du  willst  mein  Diener  sein, 
So  gib  mir  drauf  die  Treue  dein. 

Der  Teufel  spricht: 

Doch  mußt  du  treulich  mir  daneben 
Davon  den  halben  Teil  stets  geben, 
Was  wir  verdienen  alle  beide. 

Der  Arzt  beut  ihm  die  Hand,  spricht: 
Ich  sag's  dir  zu  bei  meinem  Eide. 
Wo  woll'n  wir  nun  zuerst  hinaus? 
230 


Der  Teufel  spricht: 

Drin  in  der  Stadt  weiß  ich  ein  Haus, 

Da  wohnen  zwei  Juden  darinnen, 

Die  wuchernd  großes  Gut  gewinnen 

Und  mit  Finanz 3<;  und  mit  Betrügen 

Sich  Geld  in  ihren  Beutel  lügen. 

Da  will  ich  in  den  einen  fahren ; 

Da  aber  tu  nicht  lange  harren 

Und  kehre  bei  den  Juden  ein, 

Damit  ich  kann  beschworen  sein ; 

Dann  fahr'  ich  wieder  aus  alsbald. 

Wir  treffen  uns  dann  hier  im  Wald, 

Da  teilst  du  dann  den  Lohn  mit  mir. 
Der  Arzt  spricht: 

Ist  gut.  Fahr'  hin !  Ich  folge  dir. 

(Sie  gehen  beide  ab.    Die  zwei  Juden  kommen  herein.) 
Moses  spricht: 

Esau,  nimm  her  das  Wucherbuch 

Und  darin  einen  Bürger  such', 

Der  Hermann  Wüstling  ist  genannt. 

Dem  ist  verfallen  alles  Pfand ; 

Die  Pfänder  wollen  wir  verkaufen 

Und  damit  mehren  unsern  Haufen. 
(Der  Jude  Esau  schüttelt  den  Kopf  und  sieht  schielig.) 
Moses  spricht: 

Hör',  Esau !  Geh'  und  spute  dich ! 
Esau,  der  Besessene,  fährt  auf  und  spricht: 

Schelm,  Unflat,  laß  zufrieden  mich ! 

Flieh',  sonst  würg'  ich  dich  und  beiße, 

Mit  den  Zähnen  dich  in  Stücke  reiße! 

(Er  knirscht  mit  den  Zähnen,  ballt  die  Hände,  als  wolle 
er  ihn  überfallen.) 

Moses,  der  Jude,  spricht: 

Traun,  mein  Esau,  sag'  mir  an, 
Hat  jemand  dir  ein  Leid  getan  ? 

Wucherisches  Geldgeschäft. 

231 


Es  au  zückt  ein  Messer  und  spricht: 

Troll'  dich  von  mir,  du  Teufel  du, 
Sonst  stoß'  ich  mit  dem  Messer  zu ! 

Der  Arzt  kommt: 

Heil  sei  euch  beiden  überall ! 

Moses,  der  Jude,  spricht: 

Mein  Herr,  wie  kommt  Ihr  dieses  Mal 
Zu  rechter  Zeit  zu  uns  herein  I 
Ich  weiß  nicht,  was  der  Vetter  mein 
Für  wunder  schrecklich  Reden  treibt. 

Es  au,  der  Besessene,  spricht: 

Ihr  zwei  mir  ja  vom  Leibe  bleibt ! 

Flugs  trollt  euch,  sonst  werd'  ich  euch  fressen! 
Der  Arzt  spricht: 

Dein  Vetter,  Moses,  ist  besessen. 

Willst  du,  so  will  ich  ihn  beschwören. 

Moses,  der  Jude,  spricht: 

O  helft,  ich  will  euch  gern  verehren 
An  zwanzig  Taler,  blank  und  bar, 
Daß  nur  der  böse  Geist  ausfahr' 
Und  meinen  Vetter  lass'  in  Ruh'. 

Der  Arzt  spricht: 

So  schweigt  und  hört  mir  fleißig  zu ! 
Geist,  ich  beschwör'  dich  pei,  pix,  pax, 
Bei  Flederwisch,  Hering  und  Lachs, 
Daß  du  verfluchter  Beizebock 
Ausfahrest  über  Stein  und  Stock 
In  wildes  Röhricht  weit  hinaus 
Und  eilig  räumest  dieses  Haus! 
Willst  du  das  tun,  du  böser  Feind? 

Es  au,  der  Besessene,  spricht: 

Wes  zeihst  du  mich,  mein  lieber  Freund, 
Daß  du  mich  treibst  so  schnell  hinaus 
Aus  diesem  lüstereichen  Haus? 
Gerüstet  ist  hier  alles  zu 
232 


Nach  meinem  Wunsch,  ich  sitz'  in  Ruh' : 
Mit  Diebstahl,  Wucher,  Raub  und  Trug 
Ist's  bis  zum  First  gefüllt  genug. 
Dein  Zauberwort  mit  Grausen  hör'  ich 
Und  fahre  gleich  in  wildes  Röhrich. 

Nachdem  spricht  Esau: 

Mir  ist,  als  sei  ich  aufgewacht. 
Mein  Mose,  was  hab'  ich  gemacht  ? 
Ich  bin  wohl  ungeschickt  gewesen  ? 

Moses,  der  Jude,  spricht: 

Mein  Esau,  weil  du  nun  genesen, 
So  danke  Gott  und  schweige  still! 
Den  Arzt  ich  gleich  bezahlen  will. 
Zwanzig  Taler  wollt'  ich  Euch  geben, 
Nun  nehmt  zum  Dank  hier  dreißig  eben ! 
Habt  zu  dem  Dank  auch  Preis  und  Ehr! 

Der  Arzt  nimmt  das  Geld  und  spricht: 

Schickt  nur  nach  mir,  braucht  Ihr  mich 

mehr. 
Lebt  wohl,  und  Frieden  walt'  im  Haus. 

Moses  spricht: 

Wir  geben  Euch  Geleit  hinaus. 

(Sie  gehen  alle  drei  hinaus.) 

Der  Teufel  kommt  herein  und  spricht: 

Laßt  seh'n,  ob  nun  mein  Eidkumpan 
Das  Geld  auch  richtig  teilen  kann. 
Dreißig  Taler  hat  er  eingenommen ; 
Ich  bin  nicht  aus  dem  Haus  gekommen, 
Stand  still  in  einem  Winkel  dort 
Und  hörte  deutlich  jedes  Wort. 
Wenn  er  mich  mit  dem  Geld  will  äffen, 
Will  ich  ihn  tückisch  wieder  treffen. 
Doch  still,  ich  hör'  ihn  kommen  schon. 
Ob  er  wird  richtig  teilen  den  Lohn  ? 


233 


Der  Arzt  zählt  die  Taler  und  spricht: 

Die  zwanzig  Taler  haben  wir. 

Nimm  hin,  die  zehn  gebühren  dir! 
Der  Teufel  nimmt  das  Geld  und  spricht: 

Hat  dir  der  Jüd'  nicht  mehr  gegeben  ? 
Der  Arzt  reckt  zwei  Finger  empor  und  spricht: 

Nein,  mein  Gesell,  bei  meinem  Leben ! 
Der  Teufel  spricht: 

Gesell,  wo  fahr'  ich  nun  noch  hin  ? 
Der  Arzt  spricht: 

Schön  war  beim  Juden  der  Gewinn. 

Wie,  wenn  zur  Stadt  du  tätest  wandern 

Und  führest  auch  noch  in  den  andern? 
Der  Teufel  spricht: 

Ja,  sput'  dich  in  der  Juden  Haus, 

Treib'  mich  auch  von  dem  andern  aus ! 

(Der  Teufel  geht  ab.) 

Der  Arzt  lacht  und  spricht: 

Ei,  ei,  du  bist  mir  ohne  Zweifel 
Ein  frummer,  einfaltreicher  Teufel, 
Der  meinen  Trug  nicht  merken  tut ; 
Mit  dir  gewinn'  ich  großes  Gut. 
Nun  will  ich  in  die  Stadt  hinein, 
Der  Jüd'  wird  nun  besessen  sein. 

(Der  Arzt  geht  ab.    Die  beiden  Juden  kommen  herein.    Esau  führt  den 
anderen,  der  mit  Fäusten  um  sich  schlägt,  an  einer  Kette. 

Esau  spricht: 

Oh,  wenn  jetzund  der  Arzt  doch  käme, 
Des  Vetters  Moses  sich  annähme 
Und  half  ihm,  wie  er  mir  getan ! 
Viel  Geld  setzt'  ich  zum  Lohn  daran. 

(Der  Arzt  kommt  herein.) 

Esau,  der  Jude,  empfängt  ihn  und  spricht: 
O  Meister,  jetzt  kommt  Ihr  als  Retter! 
Seht,  Moses,  mein  geliebter  Vetter, 
234 


Hat  die  gleiche  Krankheit  nun  wie  ich. 
Beschwört  ihn,  wie  Ihr  beschwöret  mich! 
Will  Euch  auch  dreißig  Taler  geben. 
Der  Arzt  spricht: 

Jawohl,  so  schweigt  und  merket  ebenl 
Geist,  ich  beschwör'  dich  pei,  pix,  pax, 
Bei  Flederwisch,  Hering  und  Lachs, 
Daß  du,  du  alter  Beizebock, 
Hinfahrest  über  Stein  und  Stock 
In  wildes  Röhricht  weit  hinaus 
Und  eilig  räumest  dieses  Haus! 
Gib  Antwort,  willst  du  folgen  endlich? 

Moses,  der  Besessene,  spricht: 

Heb'  dich  hinweg,  du  Mann  so  schändlich, 
Laß  mich  in  Ruh'  in  diesem  Haus ! 
Ein  Dieb  treibt  mich  hier  nicht  hinaus. 
Du  bist  ein  Dieb,  hast  mir  verhohlen 
Von  dreißig  Talern  zehn  gestohlen. 
Drum  darfst  du  dich  mit  mir  nicht  balgen. 
Hinweg,  denn  du  gehörst  zum  Galgen ! 

Der  Arzt  spricht: 

Du  böser  Geist,  mit  solchen  Dingen 
Wirst  einen  du  zum  Galgen  bringen! 
So  muß  ich  geh'n,  in  meinem  Buch 
Einen  Spruch  zu  suchen,  stark  genug, 
Dich  böser  Geist,  zu  treiben  aus. 

(Der  Arzt  geht  ab.) 

Der  Besessene,  spricht  weiter: 

Mich  bringst  du  nicht  aus  diesem  Haus, 

Du  Diebesdieb,  du  Kuharzt  du ; 

Beschwöre  mich  nur  immerzu ! 
Der  Arzt  kommt  wieder  gelaufen  und  spricht: 

Teufel,  dein  altes  Weib  ist  hier: 

Sie  beschied  mich  her  zu  dir. 

Sie  ist  vom  Chorgericht  gekommen, 


235 


Hat  Brief  und  Siegel  mitgenommen 
Und  dich  gewonnen  beim  Chorgericht; 
Du  mußt  zu  ihr,  's  hilft  alles  nicht. 
Jetzt  kommt  sie  her.    Besinn'  dich  eben, 
Was  du  ihr  willst  zur  Antwort  geben. 

Der  Teufel  spricht  aus  dem  Besessenen: 

Wie?  Ist  mein  altes  Weib  gekommen, 
Hat  Recht  beim  Chorgericht  genommen, 
Daß  ich  mviß  wieder  zu  der  Alten, 
Um  mit  ihr  weiter  hauszuhalten? 
Jawohl,  jawohl,  da  bleib'  ich  nicht. 
Mein  Arzt,  sei  ledig  deiner  Pflicht! 
Ich  fahr'  dahin,  wiss'  es,  Geselle, 
Und  führ'  am  liebsten  gleich  zur  Hölle; 
Da  hätt'  ich  wahrlich  bess're  Ruh'. 
Ich  scheide  nun,  ich  weiß  wozu. 

Es  au,  der  Jude,  beschließt: 

Bei  diesem  Schwank  bleib'  euch,  ihr  Herr'n, 

Verdrießlichkeit  und  Undank  fern, 

Zur  Kurzweil  sollt'  er  nur  sein  gut, 

Wie  man  jetzund  zur  Fastnacht  tut, 

Wenn  wir  die  alten  Fraun'  ganz  offen 

Und  Juden  arg  dabei  getroffen. 

Nun  freu'n  wir  uns,  daß  diese  Stadt, 

Keine  Juden  in  den  Mauern  hat, 

Die  diese  Kurzweil  hätt'  verdrossen. 

Wir  hoffen  auch,  daß  dieser  Possen 

Die  alten,  ehrbar  frummen  Frauen, 

Die  nur  aus  Neigung  und  Vertrauen 

Den  Ehemännern  Untertan, 

Kein  Ärgernis  gefunden  dran. 

Hier  sind  doch  ganz  allein  gemeint 

Die  bösen  Fraun,  die  jedem  feind, 

Die,  wenn  wir  Salomon  nur  glauben, 

Der  Hölle  selbst  den  Frieden  rauben. 


236 


c 

G 
3 

c 
c 

E 

-O 

<u 

t/1 

-o 

4J 

D 

£X 

5 

s 

n 

Ü 

3 
RS 

c 

O 

N 

Z 

c 

03 
C 

c 
o 
> 

<U 

03 

2 

c 
Ja 

o 

n 

N 

Q 

0 

T 

Besser,  zu  hausen  und  zu  wachen 
Bei  Löwen,  Schlangen  und  bei  Drachen, 
Als  bei  'nem  Weib  voll  Zorn  und  Groll. 
Wenn  ihr  der  Kamm  von  Wut  anschwoll, 
Vergißt  sie  Treu'  und  Lieb'  und  Ehr'. 
Doch  solche  Frau'n  gibt's  hier  nicht  mehr, 
Die  gibt  es  nur  jenseit  des  Bachs, 
Da  treiben  sie  noch  viel  Ungemachs. 
Weit  weg  mit  ihnen!  wünscht  Hans  Sachs87. 
Wie  in  diesem  und  vielen  seiner  Spiele  über  die  Weiber, 
so  zieht  er   in   anderen    gegen  die  Dummheit,   gegen  die 
Todsünden  und  gegen  die  Pfaffen  los,  wobei  er  ausnahms- 
weise einmal  seine  Derbheit  bis  zur  Ausgelassenheit  stei- 
gert und  durch  Unflätereien  komisch  wirken  will. 

Im  „Nasentanz"  tragen  die  Bauern  und  Bäuerinnen  die 
Namen  Herman  Hirnlos,  Ula  Mistfink,  Kunzel  Kleienfurz, 
Friedel  Zettelscheisz,  Molkendrämel,  Heinz  Flegel  und  Eber- 
lein Hieffendorn.  In  der  „Rockenstube"  (vom  28.  Dezem- 
ber 1536)  weissagt  ein  Zigeuner 

der  Bäuerin: 

Dies,  Mutter,  sag  ich  dir  als  wahr: 
Noch  heute  wird  dein  Mann  dich  schlagen, 
Du  wirst  ihm  heimlich  Geld  wegtragen, 
Hast  einen  Topf  mit  Geld  vergraben 
Und  tust  zuviel  Gemeinschaft  han 
Mit  dem  Pfarrer  und  dem  Kaplan. 

Dem  Bauer: 

Du  trinkst  dich  gerne  spuntenvoll, 
Du  kegelst  gern  und  kannst's  nicht  wohl, 
Du  kartest  gern  und  hast  kein  Glück, 
Du  borgest  gern,  gibst  nichts  zurück, 
Du  leihest  gern  und  zahlest  nicht 

37  Nach  der  Übersetzung-  von  Karl  Panier  (Reclam,  Leipzig),  Original- 
ausgabe von  Karl  Goetze,  Sämtliche  Fastnachtsspiele  von  Hans  Sachs, 
VII.  Bd.,  Halle,  1902,  S.  20  ff. 

237 


Und  haderst  gerne  vor  Gericht, 

Du  buhlest  gern  vor  allen  Dingen, 

Man  wird  dir  bald  'nen  Bankert  bringen. 

Endlich  der  Magd: 

Gar  faul  und  liederlich  du  bist, 

Das  Fett  du  von  der  Suppe  frißt, 

Du  stiehlst  und  naschst  zu  allen  Zeiten, 

Liegst  zwölf  Stund'  auf  einer  Seiten 

Und  schläfst  beim  Spinnen  dennoch  ein; 

Nie  kannst  du  ohne  Schwatzen  sein; 

Den  Säu'n  kannst  du  am  besten  kochen, 

Hast  wohl  zweitausend  Flöh'  erstochen, 

Hast  auch  fort  (voriges  Jahr)  ein  Bankert  tragen, 

Und  was  soll  ich  dir  lang  wahrsagen? 

Der  Bauch,  der  wächst  dir  wieder  her. 

Aber  wenn  er  noch  so  derb  auftrumpfte,  so  gehen  doch 
sein  Spott  und  seine  Satire  nicht  über  das  Maß  einer 
Strafpredigt  hinaus.  Er  kann  zornig  werden,  nicht  aber 
hassen.  Gutmütig  lenkt  er  immer  wieder  ein,  ehe  seine 
Ausfälle  Striemen  ziehen.  Er  will  durch  Unterhaltung  be- 
lehren, aber  nicht  strafen. 

Um  dieses  Ziel  zu  erreichen,  nimmt  er,  wie  zu  seinen 
Gedichten  und  Komödien,  auch  zu  seinen  Schwänken  die 
ihm  passend  erscheinenden  Stoffe  auf,  wo  sie  sich  ihm 
bieten,  heimische  und  eingeführte,  klassische  und  volks- 
tümliche. 

Aber  alle  werden  in  seiner  Hand  zu  süddeutschen  Fast- 
nachtsspielen, mit  deutlichem  Nürnberger  Zeit-  und  Lokal- 
kolorit, denen  man  das  Ursprungsland  nicht  mehr  anmerkt. 
Ob  er  aus  dem  Boccaccio  oder  aus  altklassischen  Autoren 
schöpft,  eine  gehörte  Anekdote  zu  einem  Spiel  erweitert, 
er  haucht  allem  Entlehnten  seinen  Geist  ein,  gibt  ihm  seine 
echt  bürgerliche  Biederkeit.  Darum  ist  auch  die  komische 
Figur  in  seinen  Schwänken  nichts  als  ein  verkappter  Bür- 
gersmann, ganz  gleich,  ob  er  sich  als  Ule  Läpp,  ein  bauer 
238 


(der  alte  buler  mit  der  Zauberei),  als  Markolf  (Von  Joseph 
und  Melisso,  auch  König  Salomon)  oder  als  Narr  wie  in 
vielen  seiner  Komödien  verkappt.  Das  war  es  aber 
gerade,  was  den  Leuten  gefiel.  Sie  hörten  sich  selbst 
sprechen,  vernahmen  anheimelnd  klingende  Witze,  fan- 
den die  eigenen  Begierden  und  Gelüste  in  den  Reden 
vom  Bretterboden  herab,  daher  die  große  Beliebtheit  der 
komischen  Figur  überhaupt  und  der  Sachsschen  insbe- 
sondere. 

Hans  Sachs  hat  Nürnberg  zur  klassischen  Stätte  der 
Fastnachtsspiele  gemacht,  wie  er  der  Klassiker  der  Fast- 
nachtsspiele geworden  und  geblieben  ist.  Alle  seine  Werke 
sind  für  das  Volk  geschrieben,  dem  er  angehörte,  im  Gegen- 
satz zu  jenen  dramatischen  Arbeiten,  die  im  protestanti- 
schen Gebiet  um  Luther  her  entstanden  sind  und  im  katholi- 
schen von  den  Jesuiten  inspiriert  waren. 

Diese  Dramen  waren  fast  durchgängig  lehrhaften  Cha- 
rakters und  wurden  von  Schülern  dargestellt. 

Der  bedeutendste  protestantische  Dichter  solcher  Stücke 
war  wieder  ein  Süddeutscher,  Nikodemus  Frischlin  in  Tü- 
bingen (1547 — 1590),  dessen  meist  lateinisch  geschrie- 
bene Schulkomödien  in  den  Jahren  1576 — 1585  vor  dem 
Stuttgarter  Hof  zuerst  aufgeführt  wurden.  „Ihre  Kompo- 
sition ist  schwach,  die  Wahrscheinlichkeit  zuweilen  gröb- 
lich verletzt,  die  Charakteristik  auf  die  komischen  Per- 
sonen beschränkt,  der  Dialog  zerhackt  und  übermäßig 
lebhaft  S8.tt 

Dennoch  füge  ich  drei  komische  Szenen  aus  einer  der 
wenigen  deutsch  abgefaßten  Stücke  Frischlins  hier  als  Bei- 
spiel des  Grotesk-Komischen  in  einer  Schulkomödie  an.  Sie 
rühren  aus  der  im  Jahre  1590  gedruckten  „Hochzeit  von 
Kana"  her89. 

88  Scherer,  S.  310.  —  ,9  Deutsche  Dichtungen  von  Nicodemus  Frischlin, 
herausgegeben  von  David  Friedrich  Strauß.  Stuttgart  1857.  Litter. 
Verein,  XLI.  Publ. 

239 


Act 


us   secundi. 


>cena 


Koch: 


Koch.    Kellner. 


Mein  Kellner,  lösch  du  mir  den  Durst, 


Ich  will  dir  geb< 


Wui 


le  bratne 

Kellner: 

Wo  ist  sie  denn,  lang  mir  sie  her, 

Ich  hab  nun  lang  gefastet  sehr. 

Und  muß  noch  weiter  drin  aufwarten. 

Koch: 

Ach,  wenn  sie  nur  den  Wein  rechts  sparten. 

Das  Feuer  ist  so  riesig  warm, 

Macht  mir  'nen  Durst,  daß  Gott  erbarm. 

Eil  tapfer  fort,  bring  mir  ein  Glas 

Mit  frischem  Wein,  das  gefällt  mir  bas. 

Ich  will  die  Wurst  rasch  zubereiten, 

Laß  dich  von  einer  Flasch  begleiten. 

Kellner: 

Kannst  mir  nicht  ein  Bescheidessen  mitgeben, 
Mei'm  Weib  kam  es  grad  und  eben, 
Hast  nit  einen  guten  kalten  Braten, 
Den  du  jetzund  könnt'st  entraten? 

Koch: 

Fürwahr,  es  ist  hier  Armutei, 

Nichts  übrig  ist,  ich  sag  es  frei. 

Kann  für  mich  selber  nichts  abtragen, 

Womit  ich  füll  mir  meinen  Kragen. 

Wollt  sonst  schon  längst  nach  meinem  Haus 

Ein  Essen  hab'n  geschickt  hinaus. 

Es  lugt  der  Küchenmeister  zu  nah, 

Eh  ich's  verseh,  so  ist  der  da. 

Kellner: 

Desgleichen  geschieht  mir  auch  im  Keller, 
Da  findst  nichts  übrig  für  'nen  Heller, 
Bei  einer  Maß,  wie  angeschrieben. 
240  » 


Koch: 

So  viel  ist  dir  doch  überblieben, 
Daß  du  kannst  meine  Bitt  gewährn. 

Kellner: 

Das  will  ich  jetzund  tun  gar  gern. 

Koch: 

Wir  müssen  was  zum  Vorrat  halten, 
Nach  aller  unser  Sach  gestalten, 
Und  wenn  dann  Braut  und  Bräutigam 
Zu  Bette  gehn,  daß  wir  zusamm 
Einen  guten  Schlaftrunk  haben 
Mit  andern  Brüdern  und  nassen  Knaben, 
Und  schlafen  dann  am  hellen  Morgen. 

Kellner: 

Ich  aber  steh  in  bangen  Sorgen, 

Der  Wein,  der  möcht  zu  früh  ausgehn. 

Koch: 

Laß  den  Bräutigam  nach  Wein  aussehn. 
Hat  nicht  der  Back'  im  Laden  Brot? 
Der  Bräutigam  mag  leiden  Not. 
Ich  hab  einen  ganzen  Korb  versteckt. 

Kellner: 

Und  ich  zehn  Maß  Wein  verdeckt. 
Doch  keiner  dem  andern  wehren  soll. 

Koch: 

Sei  unbesorgt.    Gehab  dich  wohl. 

Kellner: 

Sieh  da,  der  Küchenmeister  kummt, 
Was  der  wohl  wieder  bei  sich  brummt. 


Actus  secundi. 

Scena  II. 
Kuchenmeyster,  Koch  vnd  Keller. 

Küchenmeister: 

Was  steht  ihr  hier  so  müßig  beid, 

Gab  ich  euch  nicht  ein  andern  Bescheid? 

16  241 


Koch: 

Ich  klagt  ihm  da,  wie  mir  ausgeh 

Das  Holz,  daß  ich  schier  mit  Schand  besteh, 

Da  gab  er  mir  'nen  guten  Rat. 

Kellner: 

Ich  klagte  ihm,  wie  ein  Unflat 
Mir  hat  einen  Possen  hier  gemacht 
Vor  die  Kellertür,  daß  alles  lacht. 

Küchenmeister: 

Klagen  gibt  es  hier  mit  nichten, 

Du  kannst  die  Klag  wo  anders  anrichten, 

Geh  hin  und  schenk  den  Gästen  ein. 

Kellner: 

Ach  Gott,  hätt  ich  nur  bessern  Wein 
Und  wären  nur  nicht  die  Fässer  leer, 
Und  wollt  auftragen  noch  viel  mehr. 

Küchenmeister: 

Du  Koch,  rieht  an  den  andern  Gang. 
Koch: 

Fürwahr,  Ihr  machet  mir  schier  bang, 

Ich  hab  in  diesen  Hochzeitssaal, 

Doch  alles  geliefert  auf  einmal. 

Küchenmeister: 

Lang  her  den  Braten  von  dem  Spieß, 

Und  diesen  Hasen  nicht  vergiß, 

Rieht  auch  den  gelben  Pfeffer  an, 

Die  Pflaumen  sollen  beim  Braten  stahn. 

Du  bist  ein  Koch,  mach  alles  recht, 

Es  sei  gleich  köstlich  oder  schlecht  (schlicht) 

Ich  will  den  Gästen  sprechen  zu. 

Koch: 

Das  alles  verrichte  ich  im  Nu. 

Küchenmeister: 

Das  ist  ein  Koch,  wer  viel  von  hat, 
Und  nicht  viel  Speis  an  seiner  Statt, 
242 


Abzutragen  und  zu  stehln, 

Dem  wirds  an  allen  Orten  fehlen. 

Kann  nichts  als  auf  die  Finger  sehn, 

Und  muß  wahrhaftig  eingestehn, 

Wenn  ich  die  Speis  gleich  schließ  ein, 

Sie  würden  doch  gestohlen  sein. 

Ihr  Diener  hebt  auf,  gebt  frische  Teller, 

Schenk  du  da  ein,  marsch  in  den  Keller! 

Actus   quarti. 

Scena  I. 
Koch,  Keller. 
Koch: 

Kellner,  wie  schmeckt  dir  diese  Wurst? 
Kellner: 

Gar  wohl,  hast  du  noch  großen  Durst? 
Koch: 

Ach  Gott,  was  fragst.    Wenn  ich  dich  siech, 

Von  Stunde  an  da  dürstet  mich, 

Und  hab  fürwahr,  eh  ich  mich  setzte, 

Ein'  Darm,  der  will,  daß  ich  ihn  netze. 
Kellner: 

Wie  schmeckt  dir  aber  dieser  Wein? 
Koch: 

Gar  wohl,  er  könnt  nicht  besser  sein. 
Kellner: 

Doch  war  er  Wasser  vor  einer  Stund, 

Wie  ich  es  oben  am  Brunnen  fund. 
Koch: 

Hast  auch  vielleicht  gelernt  die  Kunst, 

Die  ich  bei  Wirten  finde  sunst? 

Die  können  Wein  aus  Wasser  machen, 

Ich  versteh  mich  auch  auf  diese  Sachen. 

Ich  lag  neulich  in  einer  Herberg  hie, 

Da  sah  ich,  was  ich  gesehn  sonst  nie. 

Der  Wirt  ein  Schaff  mit  Wasser  nahm, 

Und  ich  ohngefähr  dazu  kam, 
16«  243 


Schlich  ich  ihm  nach  in  den  Keller  'nein, 
Da  füllte  er  es  zu  dem  Wein. 

Kellner: 

Man  muß  die  starken  Wein  so  baden, 
Damit  sie  nicht  den  Köpfen  schaden, 
Sonst  wenn  man  s'  will  so  stark  einschenken, 
So  werden  dann  die  Köpf  sich  senken. 
Mit  diesem  hat's  aber  'ne  andre  Gestalt. 

Koch: 

Wie  denn?    Bericht  mir  darüber  bald. 

Kellner: 

Den  Wein  hab  ich  geschöpft  aus  dem  Bronnen, 
Aus  dem  sonst  Wasser  kam  geronnen. 

Koch: 

Wie  ist  daraus  geworden  Wein? 

Kellner: 

Das  will  ich  dir  erzählen  fein. 
Er  war  bei  den  Gästen  geladen  hie, 
Du  hast  wohl  ihn  gesehen  nie. 
Jesus  von  Nazareth  wird  er  genannt, 
Sein  Nam,  der  ist  sonst  wohlbekannt. 
Der  hieß  mich  diese  Krüge  füllen 
Mit  Wasser.    Ich  tat  seinen  Willen. 
Da  wurde  auf  sein  Wort  allein 
Aus  solchem  Wasser  dieser  Wein. 
Was  hältst  du  nun  von  diesem  Mann  ? 

Koch: 

Fürwahr,  'ne  große  Kunst  der  kann. 
Wenn  er  mich's  lehrt  auf  mein  Begehrn 
Und  wollt  mir  diese  Bitt  gewährn, 
Daß  ich  aus  Wasser  machte  Wein, 
Ich  wollt  auf  Erd'  nicht  reicher  sein. 

Kellner: 

Das  war  nicht  gut,  du  würdest  stolz, 
Und  würdest  nicht  fragen  viel  nach  Holz 
Und  kochtest  mir  kein  Suppen  mehr. 
244 


Koch: 

Das  sag  ich  dir,  bei  meiner  Ehr. 
Sieh  da  den  Küchenmeister  gehn, 
Er  hat  'nen  Rausch,  kann  kaum  stehn. 

Mit  dem  Übergang  vom  fünfzehnten  zum  sechzehnten 
Jahrhundert  treten  die  Volksschauspiele,  die  von  allen 
Ständen,  Geistlichen,  Adeligen,  Bürgern  und  Bauern,  Schul- 
meistern und  Schülern  aufgeführt  werden,  vor  einer  ge- 
werbsmäßigen Schauspielkunst  zurück40.  Schon  in  der  zwei- 
ten Hälfte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  war  es  bei  den 
Aufführungen  der  Schüler  und  der  Zünfte  in  Deutschland 
vornehmlich  auf  Gelderwerb  abgesehen.  Eintrittsgeld  wurde 
erhoben  und  die  Darsteller  erhielten  Entlohnung.  In  diesem 
Zeitraum  kam  es  immer  häufiger  vor,  daß  eine  Bürgergesell- 
schaft, die  sich  ein  paar  Stücke  einstudiert  hatte,  in  der  Nach- 
barschaft ihrer  Heimat  umherzog.  1574  spielte  in  München 
der  Augsburger  Meistersinger  Daniel  Hotzmann.  Zur  Frank- 
furter Herbstmesse  1585  kamen  Nürnberger  Bürger,  die, 
wie  es  scheint,  dort  ausschließlich  Hans  Sachssche  Stücke 
zur  Darstellung  brachten41. 

Italienische,  niederländische  und  französische  Schauspieler 
zogen  zu  den  deutschen  Regenten  und  in  die  Reichsstädte. 
An  den  Höfen  von  Wien  und  München  traten  im  Jahre 
1568  Italiener  auf,  früher  schon  in  Nördlingen  und  Straß- 
burg. In  Erzherzog  Ferdinand  II.  „Schöner  Komödie  spe- 
culum  vitae  humanae,  auf  deutsch  ein  Spiegel  des  mensch- 
lichen Lebens  genannt",  die  1589  am  Hofe  des  Dichters 
in  Innsbruck  aufgeführt  wurde,  sind  italienische  Narren  be- 
schäftigt. Ägidius  Albertinus,  herzoglich  bayerischer  Hof- 
sekretär, der  den  spanischen  Schelmenmann  nach  Deutsch- 
land brachte,  läßt  seinen  Landstörtzer  „Gusman  von  AI- 
farche,  genannt  Picaro"  mit  den  umziehenden  neuen  Ko- 
mödianten zusammenkommen  und  von  ihnen  berichten:  „Die 
waren  von  allen  Nationen,  teils  Franzosen,  teils  Engländer, 

40  Janssen,  VI.  Bd.,  S.  400.  —  4I  Prof.  Dr.  W.  Creizenach,  Die  Schauspiele 
der  englischen  Comodianten  (Nat.  Litt.,  23.  Bd.),  S.  2. 

245 


teils  Niederländer,  teils  Italiener.  Ihre  Musik  und  Komödien 
gefielen  mir  ausbündig  und  dermaßen  wohl,  daß  ich  mich 
zu  ihnen  verfügte  und  mit  ihnen  akkordierte,  daß  sie  mich 
in  ihre  Gesellschaft  aufnahmen;  denn  ich  konnte  gut  Italie- 
nisch, Spanisch,  Lateinisch  und  halb  gebrochenes  Teutsch 
reden,  benebens  schlug  ich  trefflich  wohl  der  Lauten  und 
vertrat  einen  spanischen  Schalksnarren  mit  seinen  Kitarren, 
und  konnte  artlich  drein  singen,  tanzen  und  springen."  Es 
waren  vier  Komödianten,  die  „gute  Historien  agieren  und 
benebens  lächerliche  Bossen  und  Gaukelspiel  verrichten, 
bossierliche  Schnacken  rissen,  und  von  einem  Ort  zum 
andern  umziehen42." 

Schon  dadurch,  daß  sie  ohne  weiteres  einen  Dilettanten 
als  Hauptdarsteller  annahm,  wird  diese  Truppe  als  eine  jener 
Schmieren  gekennzeichnet,  die  im  siebzehnten  Jahrhundert 
Deutschland  unsicher  machten. 

Von  solchen  Wandertruppen,  richtigen  Landstreichern, 
heute  Schauspieler,  morgen  Quacksalber,  Kuppler,  ge- 
legentlich auch  Diebe  und  Räuber,  unterschieden  sich  die 
seit  1590  in  Deutschland  auftauchenden  sogenannten  eng 
tischen  Komödianten. 

Zuerst  kamen  Artisten,  nämlich  Fiedler,  Pfeifer,  Trom 
peter  und  Gymnastiker  über  den  Kanal.  Sie  zogen  bereits 
1585  Schauspieler  nach  sich  und  mit  diesen  kam  der  be- 
rühmte englische  Clown,  William  Kemp.  Durch  ihn  wurde  die 
englische  und  damit  die  Bühnenkunst  überhaupt  von  einem 
ihrer  hervorragendsten  Vertreter  in  Deutschland  eingeführt. 

Kemp,  eine  Zeitlang  der  Clown  der  Shakespeareschen 
Truppe,  hat  nachweislich  den  Peter  in  Romeo  und  Julia 
und  wohl  auch  manchen  anderen  aus  der  stattlichen  Reihe 
der  Shakespearischen  Narren  zur  Darstellung  gebracht. 
Man  vermutet,  daß  Shakespeare  auf  diesen  Clown  an- 
spielte, wenn  er  sich  im  Hamlet  gegen  die  Improvisationen 
wendet,  denn  die  Zeitgenossen  loben  Kemps  Improvisations- 

42  S.  284  f.  bei  Janssen,  VI.  Bd.,  S.  401. 
246 


talent  über  alle  Maßen.  Er  wird  es  sich  kaum  haben  neh- 
men lassen,  auch  in  Shakespearischen  Stücken  Verdrehungen 
und  Zusätze  anzubringen43. 

Kemps  und  noch  andere  Gesellschaften  kehrten  aber  bald 
wieder  in  die  Heimat  zurück.  Erst  von  1592  an  werden 
die  Engländer  ständige  Gäste  in  Deutschland,  wo  sie  erst  in 
ihrer  Muttersprache,  bald  aber  in  deutscher  Sprache  spielten. 

Ihr  Spielplan  umfaßte  neben  den  Werken  ihrer  großen 
heimatlichen  Dichter  noch  zahlreiche  minderwertige  Tra- 
gödien, Tragikomödien,  Komödien  und  Possen  mit  dem 
lustigen  Clown,  der  für  Deutschland  auf  den  niederländi- 
schen Namen  Pikelhering  getauft  wurde.  Der  älteste  erhal- 
tene Theaterzettel  aus  jener  Zeit  gibt  interessante  Einblicke 
in  das  Wesen  der  damaligen  Schauspielkunst. 

„Zu  wissen  sey  jederman,  daß  allhier  ankommen  eine 
gantz  newe  Compagni  Comoedianten  /  so  niemals  zuvor  hier 
zu  Lande  gesehen  /  mit  einem  sehr  lustigen  Pickelhering  / 
welche  täglich  agirn  werden  /  schone  Comoedien  /  Tragoe- 
dien  /  Pastorellen  /  (Schäffereyen)  vnd  Historien  /  vermengt 
mit  lieblichen  und  lustigen  interludien/vnd  zwar  heut  Mitt- 
wochs den  21.  Aprilis  werden  sie  praesentin  eine  sehr 
lustige  Comoedi  genannt. 

Die  Liebes  Süßigkeit  verändert  sich  in  Todes  Bitterkeit. 
Nach  der  Comoedi  soll  präsentirt  werden  ein  schön  Ballet 
vnd  lächerliches  Possenspiel. 

Die  Liebhaber  solcher  Schauspiele  wollen  sich  nach  Mit- 
tags Glock  2.  einstellen  vffm  Fechthauß  /  allda  vmb  die 
bestimbte  Zeit  praecise  soll  angefangen  werden." 

Unter  den  in  Deutschland  aufgeführten  englischen  Dichtern 
finden  sich,  nach  Creizenach :  John  Still,  Bischof  von  Bath 
("j*  1607),  mit  Gammer  Gurtons  needle;  Robert  Wilmot, 
George  Peel,  Christopher  Marlow,  dessen  Faust  in  Graz, 
Dresden,  Prag,  Hannover,  München  und  Weimar  zur  Dar- 
stellung kam.    Dann  Thomas  Kyd  (f  etwa  1594),   Robert 

48  Creizenach,  S.  III. 

247 


Greene,  Henry  Chettle,  George  Chapman  (f  1634),  Tho- 
mas Dekker  (f  ca.  1640),  Thomas  Heywood  (f  ca.  1650), 
William  Houghton,  John  Day,  John  Marston,  Beaumont 
und  Fletcher,  Philipp  Massinger,  John  Ford,  Henry  Glap- 
thorne,  Lewis  Sharpe  und  natürlich  Shakespeare. 

Man  spielte  die  meisten  seiner  Dramen  und  Komödien, 
mit  besonderer  Vorliebe  die  Rüpelszenen,  die  wahrschein- 
lich als  selbständige  Stücke  zur  Darstellung  kamen.  Ver- 
bürgt ist  dies  vom  Handwerker-Zwischenspiel  im  »Sommer- 
nachtstraum*.  Wie  aus  einer  Beschreibung  von  Johannes 
Rist  in  seiner  Schrift  „Die  aller  Edelste  Belustigung  Kunst- 
und  Tugendliebender  Gemüther  .  .  ."  (1666)  hervorgeht, 
hatten  sich  die  Engländer  mit  der  Shakespeareschen  Derb- 
heit nicht  begnügt  und  zum  Schluß  noch  eine  allgemeine 
Prügelei  dazu  gedichtet.  Die  Rolle  der  Thisbe  wurde  dem 
bärtigen  Pickelhering  zuteil,  was  die  groteske  Wirkung 
auf  die  Spitze  getrieben  haben  mag. 


In  welcher  Weise  die  englischen  Komödianten  die  Tra- 
gödien ihres  großen  Landsmannes  den  Deutschen  mund- 
gerecht machten  und  durch  Zwischenspiele  unterbrachen, 
mögen  die  hier  mitgeteilten  Szenen  zeigen. 

Die  erste  ist  der  Tragoedia  „Der  bestrafte  Brudermord 
oder:  Prinz  Hamlet  aus  Dänemark"  entnommen. 

Hamlet  hat  den  hinter  der  Tapete  lauschenden  Coram- 
bus,  den  Polonius  Shakespeares,  im  Zimmer  der  Königin 
niedergestochen.  Der  Geist  schreitet  über  die  Szene,  Ham- 
let ist  abgestürzt  und  die  Königin  folgt  ihm  mit  den 
Worten:  „Ich  will  hingehen  und  mich  aufs  höchste  be- 
mühen, wie  ich  meinen  Sohn  wieder  zu  seinem  vorigen 
Verstand  und  Gesundheit  helfen  kann." 

Die  Spannung  der  Zuschauer  hat  den  Höhepunkt  er- 
reicht, da  wird  sie  nach  englischem  Rezept  durch  die 
Groteske  abgerissen.  Jens,  ein  Bauer,  der  Hofnarr  Phan- 
tasmo  und  Ophelia,  die  Tochter  des  Hofmarschalls  Coram- 
bus  sind  nun  die  handelnden  Personen. 


248 


Titelkupfer  einer  im  Jahre  1670  in  Frankfurt  a.  M. 

erschienenen  Sammlung  von  Lustspielen 

Links  die  Komiker 


Szene  VII. 
Jens  (allein):  Ich  bin  lange  nit  zu  Hof  gewesen,  um 
meine  Zinsen  abzugeben.  Ich  befürchte,  wo  ich  werde 
hinkommen,  ich  werde  müssen  ins  Loch  kriechen.  Könnt 
ich  nur  einen  guten  Freund  finden,  der  ein  gutes  Wort 
für  mich  redete,  damit  ich  nicht  abgestraft  werde. 

Szene  VIII. 

Phantasmo. 

Phantasmo:  Alles  gehet  zu  Hofe  anjetzo  wunderlich 
zu.  Prinz  Hamlet  ist  toll,  die  Ophelia  ist  auch  toll;  in 
summa,  es  geht  ganz  wunderlich  daher,  daß  ich  auch  fast 
Lust  habe,  hinweg  zu  laufen. 

Jens:  Potz  tausend,  da  sehe  ich  meinen  guten  Freund 
Phantasmo,  ich  hätte  keinen  besseren  antreffen  können, 
ich  muß  ihn  bitten,  daß  er  ein  gutes  Wort  vor  mich  redet. 
Glück  zu,  Herr  Phantasmo! 

Phantasmo:  Großen  Dank!  Was  ist  dein  Begehren, 
Herr  Bauer? 

Jens:  Ei,  mein  Herr  Phantasmo,  ich  bin  lange  nicht 
zu  Hofe  gewesen  und  bin  viel  schuldig,  darum  bitte  ich 
Euch,  Ihr  wollet  doch  ein  gutes  Wort  vor  mich  einlegen, 
ich  will  Euch  auch  einen  guten  Käs  spendieren. 

Phantasmo:  Was ?  Meinst  du  Flegel,  daß  ich  bei  Hofe 
nichts  zu  fressen  habe? 

Szene  IX. 

Ophelia  (toll). 
Ophelia:  Ich  laufe  und  renne  und  kann  doch  mein 
Schätzchen  nicht  antreffen.  Er  hat  mir  Boten  geschickt, 
ich  soll  zu  ihm  kommen,  wir  wollen  Hochzeit  machen,  ich 
habe  mich  schon  angezogen.  Aber  da  ist  mein  Liebchen! 
Siehe,  bist  du  da,  mein  Lammchen?  Ich  habe  dich  so 
gesucht,  ja,  gesucht  hab  ich  dich.  Ach,  gedenke  doch, 
der  Schneider  hat  mir  meinen  kattunen  Rock  ganz  ver- 
dorben. Siehe,  da  hast  du  ein  schönes  Blümchen,  mein 
Herz! 

249 


Phantasmo:  Der  Teufel,  wer  nur  von  ihr  weg  wäre. 
Sie  meint,  ich  sei  ihr  Liebster. 

Ophelia:  Was  sagst  du,  mein  Liebster?  Wir  wollen 
miteinander  zu  Bette  gehen,  ich  will  dich  ganz  reine 
waschen. 

Phantasmo:  Ja,  ja,  ich  will  dich  wieder  einseifen  und 
auch  auswaschen. 

Ophelia:  Höre,  mein  Liebchen,  hast  du  dein  neues  Kleid 
schon  angezogen?  Ei,  das  ist  schön  gemacht,  recht  auf  die 
neue  Mode. 

Phantasmo:  Das  weiß  ich  ohnedem  wohl  ....  (Hier 
sollen  Extempores  eingefügt  werden.) 

Ophelia:  O  potz  tausend,  was  hätte  ich  bald  verges- 
sen? Der  König  hat  mich  zu  Gaste  gebeten,  ich  muß  ge- 
schwinde laufen.  Siehe  da,  mein  Kutschchen,  mein  Wägel- 
chen. (Ab.) 

Phantasmo:  O  Hekate,  du  Königin  der  Hexen,  wie  bin 
ich  so  froh,  daß  dies  tolle  Ding  weg  ist.  Wäre  sie  länger  ge- 
blieben, ich  wäre  mit  toll  geworden.  Ich  muß  nun  gehn,  ehe 
das  närrische  Ding  wiederkommen  wird. 

Jens:  O  barmherziger  Herr  Phantasmo,  ich  bitte  meiner 
nicht  zu  vergessen. 

Phantasmo:  Nun  komme  nur  mit,  Bruder  Hundsfott,  ich 
will  sehen,  daß  ich  dir  bei  dem  Ober-Einnehmer  zurechte 
helfe.   (Gehn  ab.) 

Der  König  mit  Hamlet,  Horatio  und  zwei  Dienern  kommen. 
Hamlet  entschuldigt  seine  „Mordtat"  an  Corambus,  die  ihm 
der  König  scheinbar  verzeiht.  Er  befiehlt  ihm,  sich  in 
Begleitung  von  zwei  Dienern  nach  England  zu  begeben. 
Diesen  Dienern  wird  von  dem  König  befohlen,  Hamlet  um- 
zubringen oder,  „wo  aber  dieser  Anschlag  nicht  möchte  von 
statten  gehn",  ihn  in  ein  sicheres  Gewahrsam  zu  schaffen 
aus  dem  er  nie  wieder  nach  Dänemark  zurückkehren  könne. 
Hamlet  reist  mit  den  beiden  Banditen  ab  und  wieder  kom- 
men Ophelia  und  Phantasmo. 
250 


Szene  XI. 

Phantasmo.     Ophelia. 

Phantasmo:  Wo  ich  gehe  oder  stehe,  da  läuft  das  ele- 
mentische Mädchen,  die  Ophelia,  aus  allen  Winkeln  mir 
nach;  ich  kann  keinen  Frieden  vor  ihr  haben,  sie  sagt  alle- 
zeit, das  ich  ihr  Liebster  bin,  und  ist  doch  nicht  wahr.  Wenn 
ich  mich  nur  verstecken  könnte,  damit  sie  mich  nicht  finde. 
Nun  wird  der  Henker  wieder  los  werden;  da  kommt  sie  schon. 

Ophelia:  Wo  mag  mein  Liebchen  sein?  Der  Schelm  will 
nicht  bei  mir  bleiben,  er  läuft  immer  vor  mir  weg.  —  Aber 
siehe,  da  ist  er.  Höre,  mein  Liebchen,  ich  bin  bei  dem 
Priester  gewesen,  der  will  uns  noch  heute  zusammen  kopu- 
lieren; ich  habe  alles  zu  der  Hochzeit  fertig  gemacht.  Ich 
habe  Hühner,  Hasen,  Fleisch,  Butter  und  Käse  eingekauft; 
es  mangelt  nichts  mehr,  als  daß  die  Musikanten  uns  zu  Bette 
spielen. 

Phantasmo:  Ich  muß  nur  ja  sagen.  Komm  denn,  wir 
wollen  miteinander  zu  Bette  gehen. 

Ophelia:  Nein,  nein,  mein  Püppchen,  wir  müssen  erstlich 
miteinander  zur  Kirche  gehen,  hernach  wollen  wir  essen  und 
trinken,  und  dann  wollen  wir  tanzen  —  ach,  wie  wollen  wir 
uns  lustig  machen! 

Phantasmo:  Ja,  es  wird  lustig  hergehen;  es  werden  wohl 
drei  von  einem  Teller  essen. 

Ophelia:  Was  sagst  du?  Willst  du  mich  nicht  haben,  so 
will  ich  dich  auch  nicht  haben.  (Schlägt  ihn.)  Siehe  dort,  dort 
ist  mein  Liebchen,  er  winkt  mir.  Siehe  da,  welch  ein  schön 
Kleid  er  an  hat;  siehe,  er  will  mich  zu  sich  locken,  er  wirft  mit 
einem  Röslein  und  Lilien  auf  mich  zu;  er  will  mich  in  seine 
Arme  nehmen,  er  winkt  mir,  ich  komme,  ich  komme.  (Ab.) 

Phantasmo:  Bei  der  Nähe  ist  sie  nicht  klug,  aber  weit 
davon  ist  sie  gar  toll.  Ich  wollte,  daß  sie  aufgehängt  wäre, 
so  könnte  mir  das  Rabenaas  so  nicht  nachlaufen.   (Ab.) 

So  widerlich  dem  modernen  Gefühl  die  Roheiten  dieser 
Zwischenspiele  erscheinen,  dem  Publikum  des  siebzehnten 
Jahrhunderts    waren    sie    unentbehrlich.    Das  gewaltsame 

251 


Herausreißen  aus  der  Stimmung-,  der  Gegensatz  von  höchster 
Tragik  zu  niedrigster  Komik,  war  den  Zuschauern  eine  will- 
kommene Abwechslung,  durch  die  die  Wirkung  der  Clown- 
szene einerseits  erhöht,  andererseits  auch  die  Spannung  auf 
die  nun  folgenden  ernsten  Szenen  gesteigert  wurde.  Daß 
Ophelia  zu  einer  komischen  Figur  entwürdigt  ist,  wird  da- 
durch erklärt,  daß  man  im  Wahnsinn  nichts  als  Narrheit  sah 
und  den  Geisteskranken  als  Sträfling1  im  Narrenkotter  ver- 
kommen ließ,  ohne  an  ärztliche  Hilfe  zu  denken. 

Weit  leichter  als  mit  derartigen,  dem  Drama  aufgezwun- 
genen grotesken  Einschiebseln  wird  sich  der  moderne  Ge- 
schmack mit  den  Clownszenen  im  Lustspiel  befreunden.  Die 
Ausgelassenheit  springt  hier  nicht  aus  dem  Rahmen  und  an 
den  Schuß  Roheit  sind  wir  nun  schon  gewöhnt  und  über- 
sehen ihn  gerne,  um  so  mehr,  als  diese  Derbheit  bereits 
alles  Fremde  abgestreift  hat  und  echt  deutsch  geworden 
ist.  Der  englisch-holländische  Pickelhering  hat  sich  nun- 
mehr mehr  dem  deutschen  Geschmack  angepaßt.  Bald  soll 
er  auch  seinen  fremden  Namen  verlieren.  Ein  echt  deutscher 
Hanswurst,  wie  aus  einem  Fastnachtsspiel  geschnitten,  prä- 
sentiert sich  schon  in  der  Komödie  „Tugend-  und  Liebes- 
streit Freuden-Spiel"  der  englischen  Truppen,  die  in  einiger 
Verwandtschaft  mit  Shakespeares  „Was  ihr  wollt"  steht,  da 
beide  aus  derselben  Quelle  geschöpft  sind,  aus  Barnabas 
Riches  Novellensammlung  „Riche  his  Farewell  to  Militarie 
profession  etc."  (Riches  Abschied  vom  Kriegshandwerk), 
gedruckt  1581 4*. 

Shakespeares  Viola  heißt  hier  Silla.  Sie  ist  dem  Apo 
lonius,  „Herzog  von  Venedig",  vom  Hofe  ihres  Vaters» 
des  Königs  von  Cypern,  gefolgt  und  sucht  nun,  als  Mann 
gekleidet,  in  den  Dienst  der  Geliebten  zu  treten.  In  Venedig 
angekommen,  trifft  sie  auf  den  wunderlich  geputzten 
Pickelhering. 

Pickelhering:  Bin  ich  nun  nicht  ein  prav  Kerl  worden ; 
gelt  ihr  Jungfern,  ich  gefall  euch  sind  der  Zeit,  das  meine 

**  Creizenach,  S.  55  f. 
252 


»3 


Mutter  die  Seele  ausgefahren,  hab  ich  ihre  Kastn  eröffnet 
und  ein  gantz  Hauffen  Geld  gefunden,  daß  ich  mich  jetz 
auch  als  dreckschaffener  Cavalier  halten  kan.  Jetz  bin 
ich  nun  willens  worden,  mir  ein  Weib  zu  nehmen,  gehe 
derowegen  auff  Freyers  Füßen.  Ist  nun  ein  Rabenäßgen 
hier,  die  mich  haben  will,  so  sage  sie  ja,  denn  ich  bin 
jetzt  zu  käuff.  Nun,  will  sich  keine  melden?  Jetz  ist's 
noch  Zeit,   eh   es  mich  wieder  gereut.  (Gehet  spazieren.) 

Silla:  Ist  mir  recht,  so  ist  dies  des  Herzogs  närrischer 
Diener.  Ich  will  mich  stellen,  als  ob  ich  ihn  nicht  kennte, 
sondern  vor  einen  großen  Herrn  ansehn.  Vielleicht  kann 
er  mir  zu  meinem  Vorhaben  dienen.  Gnädiger  Herr! 

Pickelhering  (siehet  Sillam  an). 

Silla:  Gnädiger  Herrl 

Pickelhering:  Gnädiger  Narr,  dacht  ich,  aber  ich 
muß  meinen  Respekt  in  acht  nehmen.  Was  willst  du  Jung, 
wer  hat  dir  befohlen,  mich  anzureden?  Und  was  machst 
du  hier  an  diesem  Ort?  Weißt  du  wohl,  daß  der  Herzog 
nagst  hier  sein  Zimmer  hat,  und  was  begehrst  du  von  mir? 

Silla:  Gnädiger  Herr,  die  Jugend,  die  mich  verleitet, 
fremde  Länder  zu  besuchen,  hat  mich  auch,  aber  zu  meinem 
Unglück,  in  Venedig  gebracht,  und  weil  ich  von  etlichen 
leichtfertigen  Dieben  alles  des  Meinen  bin  beraubet  worden, 
werde  ich  gezwungen,  meine  fernere  Reise  einzustellen 
und  mich  bey  einem  vornehmen  Herrn  um  Dienst  zu  be- 
werben.   Und  weil  Euer  Gnaden 

Pickelhering:  Der  Kerl  macht  mich  bald  toll  mit 
dem  Quacken. 

Silla:  Ohne  Diener  eben  hier  an  den  Ort  seynd  kommen, 
und  ich  dieselben  für  einen  wackern  Cavalier  ansehe 

Pickelhering:  Ja  das  bin  ich  auch! 

Silla:  Als  wüntsche  ich  von  Herzen,  wenn  Sie  etwan 
eines  Pagen  von  nöten  hätten,  daß  Sie  mich  doch  in  Ihren 
Dienst  aufnehmen  wollten.  Es  sollte  Euer  Gnaden  von 
mir  sowohl  bei  Tag  oder  Nacht  fleißig  aufgewartet  werden. 

253 


Pickelhering:  Was  anlanget  die  Aufwartung  bei  Tage, 
die  möchst  du  wohl  bei  mir  verrichten  können,  aber  des 
Nachts  muß  ich  eine  schöne  leckere  Hullepulle  haben. 

Silla:  So  wollte  ich  mich  dann  befleißigen  bei  Tag 
mein  Bestes  zu  tun. 

Pickelhering:  Ja,  es  ist  wohl  an  dem,  ich  bin  willens, 
itzliche  Pagen  und  Laqueien  anzunehmen,  ich  will  dich 
probieren ;  wenn  du  mir  gefällst,  kannst  du  leicht  bey  mir 
in  Dienst  kommen.    Aber  wie  ist  dein  Nam? 

Silla:  Mein  Name  ist  Silvius,  gnädiger  Herr! 

Pickelhering:  Gnädiger  Herr !  Der  Kerl  macht,  daß 
ich  vor  Lachen  in  die  Hosen  scheiße.  Silvius  ist  dein 
Nam.    Von  wannen  bist  du  gebürtig? 

Silla:  Aus  Cypern. 

Pickelhering:  Was  kannst  du  aber,  wormit  du  einem 
großen  Herrn,  als  ich  bin,  dienen  kannst? 

Silla:  Ich  verstehe  etwas  von  der  Musika. 

Pickelhering:  Auf  was  Instrument  kannst  du  dann? 

Silla:  Ich  verstehe  etwas  auf  der  Viol  di  gamba,  auf  der 
Laute,  auf  der  Zither,  auf  der  Harpfe,  auf  der  Flöte,  und 
hab  auch  ein  gut  Fundament  auf  dem  Spinett  zu  spielen. 

Pickelhering:  Was?  Seynd  das  Instrument,  einen 
großen  Herrn  damit  lustig  zu  machen?  Weg  mit  diesen 
Lappereyen.  Es  seyn  Bauren  Instrument  und  gehören  in 
die  Schenke  vor  die  Bauren-Knechte.  Aber  kannst  du 
nichts  auf  der  Sackpfeifen,  auf  dem  Rumpelpoth,  auf  der 
Strohfiedel,  auf  der  Leyer,  auf  der  Maultrommel,  auf  dem 
polnischen  Bock?  45  Das  seynd  Instrumenta  für  einen  großen 
Herrn ! 

Silla:  In  Cypern  brauchen  die  Bauren  solche  Instru- 
mente. 

Pickelhering:  Und  in  Venedig  die  großen  Narren, 
ey  Herr,  potzelement,  ich  hätte  mich  bald  versprochen. 
Aber  komme  hier! 

Silla:  Was  beliebt  Euer  Gnaden? 

45  Sackpfeife,  Rumpelpoth,  polnischer  Bock  =  Dudelsack. 
254 


Pickelhering:  Meiner  Gnaden  beliebt,  daß  du  sollst 
dein  Maul  auf  und  den  Ars  zumachen,  denn  wenn  ich  dich 
kaufe,  muß  ich  auch  wissen,  wie  alt  du  bist. 

Silla:  Gnädiger  Herr,  bey  mir  sieht  man  den  Pferden 
ins  Maul. 

Pickelhering-:  Und  bey  mir  den  Eseln,  drumb  mache 
auf.  So  die  Zähne  stehn  noch  gut,  du  hast  noch  nicht 
verschoben.  Höre  hier  Jung,  weißt  du  auch  wohl,  wer 
wir  seyn  und  bey  weme  du  in  Diensten  kommst? 

Silla:  Nein.  Denn  ich  kenne  Euer  Gnaden  nicht  weiter 
als  ich  Sie  gesehen  habe. 

Pickelhering:  So  wisse  denn,  daß  ich  des  Herzogs 
von  Venedig  sein  Bruder  bin! 

Silla:  So  bitte  ich  untertänigst  umb  Pardon,  wo  ich 
mich  zu  kühn  gegen  Euer  Durchlaucht  gemacht  habe. 

Pickelhering:  Du  hast  unsern  Pardon  schon,  nun 
so  gehe  hinter  mich.  (Pickelhering  gehet  auff  dem  Thea- 
tro  herumb,  Silla  hinter  ihm,  indem  (so  oft)  sich  Pickel- 
hering umbsiehet,  machet  Silla  einen  reverentz). 

Pickelhering:  Jung,  was  war  das? 

Silla:    Es  war   ein  Reverenz   vor  einen  großen  Herrn. 

Pickelhering:  War  das  ein  Reverenz  für  einen  großen 
Herrn?  Vor  einen  Narren  magst  du  sagen.  Geschwind 
noch  einmal  hinter  mir.    (Wieder  wie  zuvor.) 

Pickelhering:  O  Jung!  Arger  und  ärger.  Fort,  gehe 
du  voran,  ich  will  dir  weisen,  wie  du  einen  Reverenz  machen 
sollst. 

Silla:  Ey,  ich  bitte  Euer  Durchlaucht,  scherzen  nicht 
so  mit  ihrem  Diener. 

Pickelhering:  Geschwind,  sag  ich,  Schelm,  geh  du 
voran.  (Silla  geht  voran,  Pickelhering  hinter  ihr.  Silla 
sieht  sich  um  und  Pickelhering  macht  wunderliche  Sprünge 
und  einen  Reverenz.) 

Pickelhering:  Gib  wohl  Achtung,  auf  welche  Manier 

kmußt  du  einen  Reverenz  vor  einem  großen  Herrn  machen. 
Nun  folge  mir  nach.  (Pickelhering  wieder  voran.  Silla  hinter 
255 


ihm.  Pickelhering'  hat  eine  Spießrute  und  dreht  sich  immer 
jählings  herum  und  schlägt  auf  Silla.)  Hinter  mich,  hinter 
mich,  Jung,  (Pickelhering  läßt  die  Hosen  fallen  im  Gehen) 
geschwind,  Jung,  die  Hosen  auf!  (Läßt  den  Hut  fallen.) 
Den  Hut  auf,  den  Hut  auf!  Jung,  hinter  mich!  (Pickelhering 
treibt  seine  Possen.  Der  Herzog  kommt.  Pickelhering  aber 
läuft  mit  Silla  immer  auf  dem  Theatro,  stellet  sich,  als  sähe 
und  hörte  er  den  Herzog  nicht.) 

Scena  6. 
(Apolonius  kombt.) 

Apolonius:  Was  hat  dieser  leichtfertige  Schelm  mit 
diesem  jungen  Menschen  vor!  Pickelhering!  —  Pickel- 
hering!   Wie?  Hörst  du,  leichtfertiger  Schelm,  mich 

nicht  ? 

Pickelhering:  Fort,  Jung,  hinter  mich! 

Apolonius:  Ich  sage,  leichtfertiger  Vogel,  was  hast 
du  vor? 

Pickelhering:  Hier  exerziere  ich  meinen  Pagen.  Fort, 
Jung,  hinter  mich,  geschwind  einen  Reverenz.  (Silla  macht 
einen  Reverenz.) 

Apolonius:  Jung,  komm  hierher! 

Pickelhering:   Und  ich  sage   dir,  Jung,   bleib  stehn! 

Apolonius:  Und  ich  sage  dir,  laß  ihn  herkommen! 

Pickelhering:  Und  ich  rate  dir,  du  bleibst  stehn! 

Apolonius:  Bin  ich  nicht  dein  Herr? 

Pickelhering:  Und  bin  ich  nicht  auch  sein  Herr?  Ge- 
schwind, Jung,  hinter  mich!  —  Kehre  dich  um  —  knie 
nieder steh  wieder  auf!  —  — 

Apolonius:  Ich  muß  dem  ungeschliffenen  Esel  nur  gute 
Worte  geben,  denn  mit  bösen  kann  ich  ihn  doch  nicht 
zurecht  bringen.  Ei,  Monsieur  Pickelhering,  ich  bitte,  er 
vergönne  doch  seinem  Pagen  ein  paar  Worte  mit  mir  zu 
reden. 

Pickelhering:  Das  wäre  eine  Wurst,  wenn  sie  gebraten 
wäre.  Ja,  wenn  wir  großen  Herren  mit  Bitten  etwas  von- 
256 


Ein  moderner  Malvolio:  H.  Beerbohm-Tree 
Zander  &  Labisch  phot. 


einander  begehrten,  so  kann  man's  wohl  zulassen.  Jung-, 
sieh,  das  ist  der  Herzog . .  . 

Silla  (heimlich):  Ach,  ich  kenne  ihn  allzu  wohl. 

Pickelhering:  Unser  Bruder.  Gehe  hin,  mache  eine 
Reverenz,  als  wenn  du  von  uns  kämest.  Rede  mit  ihm, 
aber  nicht  mehr  als  drei  Worte,  zwei  Silben,  einen  Buch- 
staben.   Nicht  mehr,  aber  auch  nicht  weniger. 

Silla:  Ich  werde  Euer  Durchlaucht  Befehl  nachkommen. 
(Ach,  wie  bebet  mein  Herz!) 

Apolonius:  Sage  mir,  junger  Mann,  wie  bist  du  an 
diesen  Toren  geraten? 

Silla:  Gnädiger  Herr,  weil  ich (Pickelhering 

hält  ihm  mit  der  Hand  das  Maul  zu.) 

Pickelhering:  Komm  her,  Jung,  du  hast  schon  allzu- 
viel geredet. 

Apolonius:  Ich  schwöre  dir,  wofern  du  ihm  nicht  ver- 
gönnen wirst,  ihn  ausreden  zu  lassen,  so  werde  ich  dich 
nach  der  Küche  schicken. 

Pickelhering:  Herr  Herzog,  hat  denn  ein  Herr  nicht 
die  Macht,  seinem  Diener  zu  befehlen? 

Apolonius:  Ja  freilich,  und  deshalb  befehl  ich  dir,  die- 
sen Menschen  mit  mir  reden  zu  lassen. 

Pickelhering:  Höre,  Jung,  so  gehe  denn  und  rede  mit 
ihm  so  lang  du  willst. 

Apolonius:  Sag  uns,  Jüngling,  von  wannen  du  bist,  wie 
ist  dein  Name  und  wie  kommst  du  zu  diesem  einfältigen 
Menschen? 

Silla:  Mein  Name,  gnädigster  Herr,  ist  Silvius  und  ich 
bin  gebürtig  aus  dem  Königreich  Cypern  und  weil  ich 
durch  Räuberei  um  all  das  Meine  gekommen  bin,  habe 
ich   mich  jetzt  in   Dienst   bei   diesem   Kavalier   begeben. 

Apolonius:  Kavalier,  sagst  du?  Kabeljau  magst  du 
sagen.  Der  ist  unser  Hofnarr,  unser  Schmarotzer,  unser 
Tellerlecker  und  kurzweiliger  Rat. 

Pickelhering:  Herr  Herzog,  Ihr  habt's  recht  gemacht. 
Und  ich  hab  ihm  gesagt,  Ihr  wärt  mein  Bruder. 

17  257 


Apolonius:  Geh  du  Bärnhäuter  geschwind  von  hier, 
ehe  ich  meinen  Zorn  an  dir  auslassen. 

Pickelhering:  Aber  soll  ich  denn  meinen  Pagen  nicht 
mit  mir  nehme? 

Apolonius:  Willst  du  gehn  oder ? 

Pickelhering:  Nun  adieu,  adieu (abit). 

War  die  Figur  des  Narren  eine  stehende,  so  gilt  dies 
aber  weder  von  seinem  Namen  noch  von  seiner  Kleidung. 
Sackville  nannte  sich  John  Bouset,  nach  dem  Posset,  einem 
in  England  beliebten  Getränk  aus  Milchrahm  mit  Bier  oder 
Wein,  Gewürzen  und  Zucker,  Spencer,  Hans  von  Stock- 
fisch. Sogar  der  Name  Wursthänseln  findet  sich  1597  in 
der  Sackvillschen  Truppe,  wahrscheinlich  nach  Hans  Sachs, 
in  dessen  „Wiltbad"  ein  Wursthans  als  lustiger  Diener 
eines  Edelmannes  vorkommt46. 

Von  diesem  Wursthänsel  berichtet  Marx  Mangoldt  in  einem 
Gedicht  „Marckschiffs  Nachen,  darin  nachgeführet  wirdt, 
was  in  dem  nächst  abgefahrnen  Markschiff  auß  geblieben: 
verpichet  vnd  auffs  beste  verkeult  mit  Naupentheuerlichen 
Schwenken  vnd  Bossen  (1597)",  in  dem  sich  noch  andere 
interessante  Mitteilungen  über  die  englischen  Komödianten 
vorfinden: 

Als  die  Fechtschul  hatt  ein  Endt, 

Da  war  nun  weiter  mein  Intent, 

Zu  sehen  das  Englische  Spiel, 

Davon  ich  hab  gehört  so  viel. 

Wie  der  Narr  drinnen,  Jan  genennt, 

Mit  Bossen  wer  so  excellent: 

Welches  ich  auch  bekenn  fürwar, 

Daß  er  damit  ist  Meister  gar. 

Verstellt  also  sein  Angesicht, 

Dass  er  keim  Mensch  gleich  mehr  sieht. 

Auf  Tölpisch  Bossen  ist  sehr  geschickt, 

Hat  Schuch,  der  keiner  jhn  nicht  trückt. 

In  sein  Hosen  noch  einr  hett  Platz, 

48  Creizenach,  S.  XCVII. 

258 


Hat  dran  ein  vngehewren  Latz. 
Sein  Juppen  jhn  zum  Narren  macht, 
Mit  der  Schlappen,  die  er  nicht  acht 
Wann  er  da  fängt  zu  löffeln  an, 
Vnd  dünckt  sich  seyn  ein  fein  Person. 
Der  Wursthänsel  ist  abgericht, 
Auch  zimlicher  massen,  wie  man  sieht : 
Vertretten  beyd  jhr  Stelle  wol, 
Den  Springer  ich  auch  loben  soll, 
Wegen  seines  hohen  Springen, 
Vnd  auch  noch  anderer  Dingen : 
Höfflich  ist  in  all  seinen  Sitten, 
Im  tantzen  vnd  all  seinen  Tritten. 
Daß  solches  fürwar  ein  Lust  zu  sehen, 
Wie  glatt  die  Hosen  jhm  anstehen, 
Welche  mit  Fleiß  so  zugericht, 
Daß  man  was  zwischen  Beinen  sieht: 
Darnach  etwan  pflegen  zu  schawen, 
Glüstige  Weiber  vnd  Jungfrawen. 
Wie  dann  eine  am  Fenster  stundt, 
Die  solches  nicht  verbergen  kundt: 
So  gnaw  drauff  s  Gsicht  wendt,  daß 

man  spürt, 
Daß  sie  bestürtzt  war,  vnd  verführt. 
Ich  glaub  daß  es  ein  frembde  war, 
Welche  jhr  Kleydung  anzeigte  zwar. 
Ihr  bestes  Kleinod  sie  dran  hieng, 
Daß  er  nach  jhrem  Willen  spreng. 
Aber  ich  halt  jhrs  leicht  zu  gut, 
Dann  er  so  runde  Springe  thut. 
Ist  sonst  auch  wohl  proportionirt, 
Sein  langes  Haar  jhn  auch  was  ziert. 
Aber  ein  Kunst,  die  fehlt  jhm  noch, 
Vnd  spreng  er  noch  einest  so  hoch. 
Welch  wol  diente  zu  seinen  Sachen, 
Wann  er  sich  kündt  vnsichtbar  machen. 
17*  259 


Noch  mehr  Gelt  er  verdienen  möcht, 
Dann  nicht  alle,  versteht  mich  recht, 
Hineyn  zu  diesem  Spiele  gehen, 
Die  lustigen  Comedien  zsehen, 
Oder  der  Music  vnd  Seiten  spiel, 
Zu  gefallen,  sonder  jhr  viel 
Wegen  deß  Narren  groben  Bossen, 
Vnd  deß  Springers  glatten  Hosen. 
Die  kurzen  Angaben  Marx  Mangoldts  über  die  Tracht 
des  Clowns  werden  anderweitig  ergänzt.    Nach  dem  Titel- 
bild eines  politischen  Pamphletes  „Gespräch  zwischen  dem 
Englischen  Bickelhäring  und  Frantzösischen  Schampetasen 
(Jean  Pottage)  über  das  schändliche  Hinrichten  Königlicher 
Majestät  in  England,  Schottland,  und  Ireland",  beschreibt  sie 
Löffelt  im  Shakespeare-Jahrbuch47:  „Sein  Anzug  hat  etwas 
Militärisches;  er  erinnert  uns  an  den  Bramarbas  Pistol  und 
an  Ben  Jonsons  Kapitän  Bobadill.     Sein  Hut  ist  wie  ein 
Tiroler  Hut,   aber  zweimal  so   hoch  und  mit  zwei  langen 
Hahnenfedern  geschmückt.  Er  trägt  eine  kurze,  eng  sitzende 
Jacke  mit  großen  Knöpfen  und  niedere  Schuhe ;  ein  kurzes 
Schwert  vervollständigt  seinen  Anzug." 

Auf  dem  Einblattdruck  mit  dem  Spottbild  auf  den  Winter- 
könig trägt  der  Pickelhering  ein  unförmiges  Barett  mit  einem 
Fuchsschwanz,  eine  halblange,  schlotternde  Jacke  mit  großen 
Knöpfen,  Strumpfhosen,  zu  große,  dem  Gegner  leicht  an 
den  Kopf  zu  schleudernde  Schuhe. 

Im  „Buhler  und  Buhlerin"  von  Herzog  Heinrich  Julius  von 
Braunschweig48  werden  die  einzelnen  Bestandteile  des  Clown- 
anzuges aufgezählt.  Johan  Bouset,  Josephs  Hausknecht,  fragt 
Dina,  seine  Herrin,  warum  sie  so  spät  zur  Kirche  gehe. 
Diana:  Ich  kann  mich  des  Morgens  so  bald  nicht  anziehen. 
Johan  Bouset:  Als  ick  my  antrecke,  das  sou  bald  ge- 
scheen.  Denn  erstliken  trecke  ick  enen  Hemde  an,  darna  de 
Buchsens  (obere  Teil  der   Hosen)  aver  myn  Gat  (Steiß), 

47  VI.  Bd.,  S.  379  ff.  —  4&  Herausgegeben  von  Julius  Tittmann,  Leipzig 

1880,  S.  39. 

260 


Englischer  Pickelhering 

Spottbild  auf  den  Winterkönig 

Kupfer  aus  dem  Jahre  1621 


darna  de  Wambu  (vielleicht  Wambs  ?),  ende  denn  tolest  de 
Lersen  (enganliegenden  Lederhosen)  aver  myn  Bein. 

Der  schon  erwähnte  Johannes  Rist  schildert  Pickelhering 
als  kleines,  wohlbeleibtes  Kerlchen  mit  großem  roten  Voll- 
bart, das  Kleid  halb  rot,  halb  gelb,  einen  Mantel,  kaum  zwei 
Spangen  lang,  papiernen  Kragen  um  den  Hals,  Schafhaube 
mit  Ohren  auf  dem  Kopf. 

Bei  dem  Aufsehen,  das  die  englischen  Komödianten  in 
Deutschland  erregten,  war  es  selbstverständlich,  daß  sie  nach 
zwei  Seiten  hin  Schule  machten.  Sie  beeinflußten  die  deutschen 
Darsteller  ebenso  wie  die  deutschen  Dichter,  darunter  die 
zwei  größten  Dramatiker  jener  Zeit,  Jacob  Ayrer  und  den 
Herzog  Heinrich  Julius  von  Braunschweig- Wolfenbüttel. 

Jacob  Ayrer  aus  Nürnberg  (f  1605)  steht  mit  den  Possen 
unter  seinen  neunundsechzig  Stücken  —  Tragödien,  Komö- 
dien, Fastnachtspielen  und  der  neuen,  von  den  Fremden 
mitgebrachten  Gattung,  den  Singspielen  —  der  alten  Weise, 
die  sich  an  Hans  Sachs  lehnt,  näher  als  der  englischen  und 
niederländischen,  der  er,  nur  um  mit  dem  Zeitgeschmack  zu 
gehen,  zu  seinem  großen  Schaden  nacharbeitete49. 

Wenn  Ayrers  Tragödien  von  Mord,  Blut  und  den  entsetz- 
lichsten Scheußlichkeiten  starren,  so  sind  seine  lustigen 
Stücke  „frisch  und  wirksam,  oft  voll  echt  dramatischenLebens. " 
Er  nimmt  seine  Stoffe  aus  der  Geschichte,  aus  dem  Leben, 
aus  der  Phantasie,  „heitere  und  ernste  in  bunter  Abwechs- 
lung," „und  ist  manchmal  voll  köstlichen  Humors  und  wahren 
Witzes". 

Beinahe  in  allen  Stücken  Ayrers  findet  sich  der  Narr,  und 
ihm  fallen  große  und  wichtige  Rollen  zu.  Im  ersten  Teil 
der  Comödia  von  „Valentino  vnd  Urso"  heißt  er  Lörlein,  aber 
bereits  im  Zwischenteil  mußte  dieser  deutsche  dem  englischen 
Namen  Jahn  weichen.  Wie  den  Namen,  hat  er  von  seinem 
englischen  Vorbild  Trommel  und  Pfeife  entlehnt,  mit  denen 

49  Weinhold,  S.  35.  Robertson,  zur  Kritik  Jacob  Ayrers.  Mit  besonderer 
Rücksicht  auf  sein  Verhältnis  zu  Hans  Sachs  und  zu  den  englischen  Ko- 
mödianten.   Leipzig  1892. 

261 


er  häufig  Scherze  treibt.  So  unterbricht  er  sich  mitten  in 
einem  Satze,  pfeift  ein  paar  Takte  und  redet  dann  weiter.  Wie 
noch  heute  die  Clowns,  steckte  er  zuerst  den  Kopf  auf  die 
Bühne  und  ließ  sich  mehreremal  rufen,  ehe  er  kam.  Er 
wandte  sich  mit  Fragen  an  das  Publikum,  um  Heiterkeit  zu 
erregen,  suchte  durch  Kleidung,  wie  z.  B.  einen  verkehrt 
umgebundenen  Harnisch,  schon  bei  seinem  Auftreten  Ge- 
lächter hervorzurufen,  er  sprang,  tanzte  und  schnitt  die  ab- 
scheulichsten Grimassen 50. 

Jahn,  meist  Jahnn  geschrieben,  der  „Engelendische  Narr", 
dann  Jodel,  Jahn  Clam,  Jahn  Grundo,  John  Türck,  Jahn 
Pansser,  Jahn  Poset,  Dhonla,  Mario  Prologus,  Jahn  Molitor, 
Philippus,  Claus  Narr  sind  die  verschiedenen  Namen,  unter 
denen  sich  der  Ayrersche  Pickelhering  vorstellt.  Er  ist  meist 
Diener  und  Bote,  daneben  aber  auch  noch  all  das,  was  der 
Spaßmacher  bei  den  Engländern  und  selbst  in  den  alten 
Farcen  und  Spielen  gewesen  war,  denn  Ayrer  hatte  dem 
Narren  keine  wesentlichen  neuen  Züge  zu  den  hergebrachten 
hinzuzufügen  vermocht. 

Er  wird,  wie  der  Mimus,  als  Ehemann  betrogen,  steht 
unter  dem  Pantoffel,  zieht  beim  Kampf  um  die  Herrschaft 
im  Hause  den  kürzeren. 

Als  Liebhaber  trifft  ihn  Amors  Pfeil  in  den  Hintern,  und 
er  wird  mit  Wasser  begossen.  Er  verwechselt  oder  verliert 
Briefe,  benutzt  die  Geschenke,  die  er  überbringen  soll,  ist 
geil,  gefrässig,  feig,  eitel,  borniert,  schlägt  und  wird  ge- 
schlagen, prellt,  stiehlt,  betrügt,  foppt  und  wird  gefoppt, 
kurz  er  ist  ein  Mischling  des  Fastnachtsnarren  mit  dem 
Clown  der  Engländer. 

Ich  habe  Ayrer  als  Verfasser  von  Singspielen  genannt. 
Von  diesen  Machwerken  sagt  J.  Bolte:  „Der  Inhalt  der 
Singspiele  Ayrers  ist  meist  unflätig  und  gemein,  der  Witz 
roh.  Bei  der  häufigen  Schilderung  ehebrecherischer  Ver- 
hältnisse triumphiert  gewöhnlich  die  List  des  treulosen  Weibes 
und  die  Gewandtheit  des  Galans,  der  oft  ein  buhlerischer 

60  Reuling,  S.  84. 
262 


Jakob  Ayrer 
Nürnberger  Kupferstich 


Mönch,  bisweilen  ein  Schüler  oder  Student  ist,  wie  in  der 
italienischen  Novellistik  und  in  manchen  deutschen  Schwän- 
ken, über  die  Einfalt  des  Hahnreis.  Daneben  gibt  auch  die 
Zanksucht  und  Herrschgier  der  Weiber  Motive  her;  der  ver- 
liebte Pedant  und  der  geckenhafte  Alte  werden  verspottet. 
Teufelsbeschwörungen  und  Geistererscheinungen  fehlen 
nicht51." 

Noch  mehr  emanzipiert  von  dem  alten  deutschen  Stil 
als  Ayrer  hat  sich  der  Herzog  Heinrich  Julius  von  Braun- 
schweig (1564 — 1613).  Er  steht  ganz  auf  dem  Boden  der 
Engländer,  sowohl  in  seinen  ernsten  wie  in  den  lustigen 
Stücken.  Er  wendet  sich  niemals  an  die  weiten  Volks- 
schichten wie  Ayrer,  sondern  an  ein  höheres  Publikum, 
vornehmlich  an  die  Hofkreise.  Darum  ist  sein  Narr, 
mag  er  auch  Mutterwitz  zeigen  und  in  der  Volksmundart 
reden,  trockener,  didaktischer  und  langweiliger  als  der 
agile  Jahn  Ayrers.  Der  Herzog  spricht  es  in  seiner  Su- 
sanna direkt  aus,  was  er  mit  den  lustigen  Personen  be- 
zweckt. Nicht  zum  Lachen  allein  sind  die  Possen  unter 
die  Komödien  gemischt,  sondern  um  die  Verworfenheit 
des  Lasters  heller  zu  beleuchten  und  außerdem  noch  den 
allgemeinen  Weltlauf  abzubilden,  daß  nach  dem  Fall  hoch- 
gestellter und  gefürchteter  Personen  alles  an  den  Tag 
kommt  und  jedermann  Kot  auf  sie  wirft52. 

Der  Narr  ist  eben,  wie  Tittmann  sagt,  eine  wirkliche 
Bühnenrolle  geworden.  Die  alte  Freiheit,  sich  überall  ein- 
zumischen, und  zwar  nach  eigenem  Belieben,  hat  aufgehört. 
Johann  Bouset  oder  Bouschet  ist  jetzt  ebensoviel  Intrigant 
wie  Narr  und  sein  Bild  aus  Charakter-  und  Grotesk-Komik 
zusammengesetzt. 

Aber  wenn  der  Narr  nicht  mehr  im  Vordertreffen  steht, 
so  wird  dafür  die  Situationskomik  mehr  gepflegt,  als  es 

Sl  Die  Singspiele  der  englischen  Komödianten  und  ihrer  Nachfolger  in 
Deutschland,  Holland  und  Skandinavien,  Hamburg  1893,  S.  6.  —  52  Titt- 
mann, Die  Schauspiele  des  Herzogs  Heinr.  Jul.  v.  Braunschweig,  Leipzig 
1880,  S.  XIX. 

263 


bisher  der  Fall  war.  Einzelne  Stücke  des  Herzogs  sind  ganz 

allein   auf   diese   gestellt,   wie   die   „Comedia   von   einem 

Weibe". 

Ein   Kaufmann   reist   mit   seinem  Diener,   der   ihm   den 

Koffer  nachträgt,   in  Geschäften  zur  nächsten  Stadt.    Der 

Abschied  von  der  Frau  ist  sehr  herzlich;  sie  empfiehlt  ihm, 

durch  einen  geschickten  „Balbierer"  nach  seinem  kranken 

Auge    sehen    zu    lassen.     Dann    bestellt    sie    sofort   ihren 

„Amator".    Im   zweiten  Akt   ist   der  Mann   am  Ziele  der 

Reise;   er  gedenkt  auch  des  Rates  seiner  Frau,  aber  der 

Besuch   bei    dem    Bartkünstler   bringt   wenig   Tröstliches. 

Er  hat  keinen  Rat  und  keine  Hilfe  für  das  Auge  und  gibt 

überdies  die  ersten  Winke  in  bezug  auf  die  Untreue  der 

Gattin  des  Patienten.    Dieser  vertraut  dem  Nachbar  sein 

Leid   und  beschließt  den  Versuch  zu  machen,   hinter   die 

Wahrheit   zu   kommen.    Der  Amator  ist  wirklich  bei  der 

Frau,   aber  sie  weiß  ihn  entkommen  zu  lassen,  indem  sie 

dem  Manne  das  gesunde  Auge  zuhält,  um  zu  probieren, 

ob  das  andere  nicht  dennoch  besser  geworden.    Nun  reist 

der  Kaufmann  zum  zweitenmal  ab,   um  dem  Urheber  der 

Verleumdung   nachzuforschen;    er   erinnert  sich  des  alten 

Reims: 

Disteln  und  Dornen  stechen  sehr, 

Lügenhafte  Zungen  noch  viel  mehr  — 

und  verspricht,  keinem  losen  Gerede  wieder  zu  glauben. 
Der  Nachbar  rät  zu  einer  zweiten  Probe.  Diese  mißlingt 
ebenfalls.  So  ist  er  denn  von  der  Tugend  der  schlauen  Be- 
trügerin vollkommen  überzeugt;  mit  dem  Balbierer  kommt 
es  sogar  zur  Schlägerei.  Da  will  das  Unglück,  daß  ihm 
zufällig  der  Amator  begegnet,  der  dem  Fremden  sein 
Abenteuer  erzählt;  wütend  läuft  er  nach  Haus,  doch  die 
Frau  weiß  ihm  einzureden,  daß  alles,  was  er  gehört,  voll- 
kommen auf  einen  andern  Bewohner  der  Straße  paßt.  So 
hat  es  bei  der  Hahnreischaft  sein  Bewenden.  Jan,  der 
von  allem  besser  Bescheid  weiß,  persifliert  mit  großem 
Behagen  die  Dummheit  seines  Herrn. 
264 


Der  Stoff  dieses  Lustspiels  findet  sich  lange  vorher  in 
den  Gesta  Romanorum58  in  Kirchhofs  „Wendunmuth"  III. 
Nr.  242  und  in  den  Cent  Nouvelles  nouvelles  als  Nr.  XX. 
Kirchhofs  „Wendunmuth"  (I.  Nr.  192)  war  auch  die  Vor- 
lage zu  dem  harmlosen  dramatischen  Scherz  „Comoedia 
Hidbelahe  von  einem  Wirt",  in  dem  ein  Gastwirt  durch 
einen  schlauen  und  witzigen  Gast  um  die  Zeche  betrogen 
wird. 

Drei  Gesellen  kehren  bei  einem  Wirte  ein;  das  erstemal 
betrügen  sie  ihn  damit,  daß  sie  sagen,  sie  wollen  für  ihr 
Geld  herbergt  sein.  Ihr  Vermögen  besteht  aber  nur  aus 
einem  Pfennig,  den  sie  auch  zahlen.  Beim  zweiten  Besuch 
schlagen  sie  vor,  sie  wollen  keine  Zeche  bezahlen,  wenn 
einer  ein  Lied  sänge,  das  dem  Wirt  gefiele.  Nach  mehre- 
ren Liedern  stimmt  der  eine  an: 

Ich  sehe  wohl,  es  will  nicht  anders  sein, 

Ich  muß  zum  Beutel  greifen. 

(Er  greift  nach  dem  Beutel  und  öffnet  ihn.) 

Komm  heraus,  du  liebes  Kindelein, 

Der  Wirt  will  gezahlet  sein. 
Der  Wirt  ruft  schmunzelnd,  das  gefalle  ihm,  da  laufen 
die  Burschen  davon.  Noch  einmal  suchen  sie  den  Wirt 
mit  Erfolg  zu  betrügen.  Sie  spielen  mit  ihrem  Wächter 
Johann  Bouset  Blindekuh  und  entwischen  einer  nach  dem 
andern54. 

Johann  Bouset,  der  das  Stück  mit  einem  kurzen  Mo- 
nolog eröffnet,  beschließt  es  auch  mit  den  Worten: 

„Ha  ha  ha!  Dat  mot  ick  lachen.  Hebb  ick  all  myn  Lyf- 
tag  van  nien  Blindekühe  niet  gehört,  und  hebb  itzund 
Blindekuh  gespelet.  Ha  ha  ha!  Nu  is  myn  Here  driemal 
so  schandliken  bedrogen.  Averst  up  ditmal  isset  dat  aller 
Lacherlikeste.  Ha  ha  ha!  Un  up  myn  Siel,  het  sind  die- 
sülvig  Schelme,  die  mynem  Heren  schon  twemal  bedrogen 
hebben.  Allein  sie  hebbet  upper  Stund  heuren  Bart  aff- 
geschoren  und  enen  ander  angemaket  met  de  Klister,  ick 

sa  3.  Ausgabe,  Leipzig  1905,  122.  Kap.,  S.  241.  —  54  Reuling,  S.  118f! 

265 


hebbt  gar  wel  gesien.  Und  als  ick  sie  fraget,  eff  sie  niet 
touvörn  hir  gewest,  seden  sie  nien,  averst  sie  wären  all 
beschämt.  Und  als  ick  begunde  darvan  to  spreken,  souden 
sie  ok  niet  lenger  blyfen,  und  speleden  dat  Blindekühe 
met  mey.  Ha  ha  ha!  O,  et  schadt  hem  niet,  he  hefft  so 
veel  Lüden  bedrogen.  Ha  ha  ha!  Ick  hebb  Blindekühe 
gespelet,  ick  sal  nu  to  Huis  gaen  und  nene  Blindekuh 
mehr  spielen.  (Gehet  damit  abe.)  Ha,  ha,  ha!55 

Aber  alles,  was  der  Herzog  geschaffen,  steht  weit  zurück 
gegen  seine  beste  Komödie,  wie  einst  Gervinus  urteilte: 
„unstreitig  das  eigentümlichste  und  originellste  Stück,  was 
diese  Zeit  aufzuweisen  hat",  gegen  „Comoedia  Hidbelepihal. 
Von  Vincentio  Ladislao  Sacrapa  von  Mantua,  Kämpffern  zu 
Ross  vnd  Fuess  /  weiland  des  Edlen  vnd  Ehrenuesten  / 
auch  Mannhafften  vnd  Streitbaren  Barbarossae  Bellicosi 
von  Mantua,  Rittern  zu  Malta,  Ehelichen  nachgelassenen 
Sohn.  Mit  Zwölff  Personen.  Wolffenbüttel  M.  D.  X  C IV. 
(1594)." 

Es  ist  nur  schwer  zu  glauben,  daß  der  finstere  Mann,  der 
fest  an  den  Teufel  glaubte,  auf  dessen  Gebot  die  Hexen- 
richter ihres  Amtes  walteten  und  an  manchen  Tagen  zehn 
und  mehr  Hexen  verbrennen  ließen56,  so  viel  echten  Humor 
entfalten  konnte.  Allerdings  ist  der  Titelheld  eine  recht 
bewährte  Figur.  Von  dem  Pyrgopolinices  des  Plautus,  dem 
Capitano  Spavento  der  Comoedia  dell'arte,  Shakespeares 
Don  Adriano  de  Armado  läßt  sich  dieser  Miles  gloriosus 
bis  zu  Gryphius,  Corneille  und  darüber  hinaus  verfolgen. 
Doch  der  Satrapa  ist  des  Herzogs  Eigen,  seine  Auffassung 
erhebt  den  Maulhelden  weit  über  den  gewöhnlichen  Bra- 
marbas, dessen  öde  Aufschneidereien  mit  Ohrfeigen  quit- 
tiert wurden.  Was  dieser  Klopffechter  Satrapa  erzählt, 
sind  abgegriffene  Münzen,  dem  Schatz  der  alten  Schwanke 
entnommen,  die  in  dem  ewig  jungen  Münchhausen  fortleben. 


58  Tittmann  a.  a.  O.,  S.  107.  —  56  Soldan-Heppe,  Geschichte  der  Hexen- 
prozesse. Neubearbeitet  und  herausgeg.  von  Max  Bauer,  München  (1912), 
II.  Bd.,  S.  59  ff. 
266 


Aber  wie  er  sie  verausgabte,  war  der  Wirkung  selbst  auf 
ein  verwöhntes  Publikum  sicher. 

Aus  den  sechs  Akten  des  Vincentio  Ladislao  wähle  ich 
eine  Szene  aus,  in  der  auch  Johann  Bouset  der  Narr  zu 
tun  hat.     Es  ist  der  erste  Auftritt  des  fünften  Aktes. 

Vincentius  Ladislaus,  Herzog  Silvester,  Johan  Bouset, 

Marschalck,  Valerius,  Balthasar,  Lackey 

Vincentius    komt  gegangen    und   hat   ein   hauffen   Diener 

hinter  sich  her.   Er  hat  ein  gar  stattlich,  aber  doch  Narrisch 

Kleidt  an,  hat  sich  mit  viel  Gülden  Ketten  behangen*  den 

Schnuptuch  hat  er  im  Gürtel  stecken,  schüttelt  den  Kopff, 

und  spreiset  sich  wie  ein  Katz,  Setzet  die  Füsse  all  nach  der 

Kunst,  rücket  den  Mantel  hin  und  wieder,  wirfft  das  Maul 

auff,  dreihet  den  Barth,  hat  die  Finger  all  mit  Ringen 

besteckt,  sihet  sich  etlichemal  umb,  ob  jm  auch 

seine  Diener  volgen,  und  setzt  den  Huet 

auff  ein  ohr.  Unnd  wenn  er  sich  so  umb 

sihet,  haben  seine  Diener  stracks 

die  Hüte  in  der  Handt  und 

sein  bereit  anzuhören,  was 

erbevhelenwolte.  Item 

seine  Diener  tragen 

jhm  Spiesse  und 

lange  Röhr 

nach. 

Silvester  kümpt  mit  seinen  Dienern  heraus  jhm  ent- 
gegen und  sagt  zu  Johan  Bouset  seinen  kürtzweiligen  Rath: 
Rede  nicht  eher  bis  ich  dirs  befehle! 

Johan  Bouset:  Ich  werde  es  tun. 

Valerius  (ad  [zu]  Vincentium):  Edler,  ehrenfester,  mann- 
hafter, in  Kriegsläufen  und  andern  freien  löblichen  Künsten 
wohl  erfahrener,  weitberühmter  Kämpfer  zu  Roß  und  Fuß, 
gestrenger  Junker !   Der  Herzog  kommt  Euch  da  entgegen ! 

Vincentius:  Domine  Valeri,  sitzt  uns  auch  der  Mantel 
recht?    (Valerius  zieht  ihm  den  Mantel  zurecht.) 

267 


Vincentius:  Domine  Balthasare,  hängt  uns  auch  die 
Kette  gleich?  (Zum  Lakein:)  Du  Lakei,  saubre  uns  die 
Schuh!  (Endlich  geht  er  gar  stolz  fort,  nimmt  aber  den 
Hut  nicht  eher  ab,  bis  er  nahe  beim  Herzog  ist.  Und  wenn 
er  den  Hut  abnimmt,  tut  er's  mit  großem  Bedacht,  damit 
er  das  Haupt  nicht  zu  schnell  entblößen  und  erkälten  möge, 
räuspert  und  brüstet  sich  gewaltig,  gibt  dem  Herzog  mit 
großer  Reverenz  die  Hand  und  spricht:)  Wir  Vincentius 
Ladislaus  Sacrapa  von  Mantua,  Kämpfer  zu  Roß  und  Fuß 
etc.  wünschen  Eurer  Fürstlichen  Durchlauchtigkeit  einen 
fröhlichen  guten  Morgen  vom  Aufgang  bis  zum  Nieder- 
gang der  Sonne !  Der  liebe  Gott  wolle  Ihren  Ausgang  und 
Eingang  behüten,  von  nun  an  bis  in  Ewigkeit.  Und  weil 
E.  F.  Durchlauchtigkeit  unsere  Gegenwart  und  Bekannt- 
schaft inständiglich  begehren  und  darum  uns  fleißig  hat 
ersuchen  lassen,  so  haben  wir  uns  durch  die  Beweglich- 
keit unseres  Leibes  und  Glieder  hierher  zu  E.  F.  Durch- 
lauchtigkeit verfügt,  erhoben  und  eingestellt.  Und  haben 
sich  fürwahr,  daß  wir  sie  mit  unserem  Anblick  anschauen 
dürfen,  unser  Herz  und  alle  unsere  inwendigen  Glieder  in 
unserem  Leibe  vor  großer  Freude  gar  umgekehrt.  Dieweil 
auch  jetzunder  Krieg  und  Kriegsgeschrei  vor  der  Hand 
sind,  und  E.  F.  Durchlaucht  ohne  allen  Zweifel  eines  hoch- 
verständigen, kecken,  berühmten  und  erfahrenen  Kriegs- 
mannes werden  vonnöten  haben,  so  werden  E.  F.  Durch- 
lauchtigkeit ihn  an  uns  finden  und  haben.  Wollen  uns  auch 
zu  dero  besten  hiermit  befehlen,  und  zu  dero  behuf,  da- 
mit Sie  wissen  mögen,  was  Sie  an  uns  für  einen  Mann 
haben,  E.  F.  Durchlauchtigkeit  wir  dieses  zur  Nachricht  an- 
gezeigt, vermeldet  und  angedeutet  haben. 

Silvester  (zu  Johan  Bouset):  Herr  Oberster,  gebt  für 
uns  Antwort.  (Raunt  ihm  ins  Ohr,  und  befiehlt  ihm,  was 
er  sagen  soll.) 

Johan  Bouset:  Mannhafter,  streitbarer,  in  Kriegs- 
sachen wohl  erfahrener,  in  sonders  guter,  unbekannter  Herr 
und  Freund!  Mein  gnädigster  Fürst  und  Herr  hat  zu  Ohren, 
268 


Herz  und  Sinn  genommen  was  Ihr  jetzunder  durch  Eure 
stattliche,  zierliche  und  bedächtige  Rede  vorgebracht.  Und 
haben  S.  F.  G.  über  Euren  überaus  großen  Verstand,  Ge- 
schicklichkeit, Zierlichkeit  in  der  Rede  nicht  allein  sich 
über  die  Maßen  sehr  verwundert,  sondern  auch  herzlich 
gerne  und  mit  Freuden  vernommen,  daß  sie  an  Euch  so 
einen  erfahrenen,  mannhaften,  beherzten,  kecken  Mann  ge- 
funden, und  wollen  Sie  hernach  mit  Euer  Herrlichkeit  weiter 
über  diese  Sachen  reden  lassen.  (Während  dieses  geredet 
wird,  muß  er  sich  gewaltig  brüsten.) 

Vincentius  Ladislaus.  Ist  ein  Mann  in  der  Welt  jetzt, 
der  den  Türken  wird  Widerstand  leisten  können,  so  kann 
es  nur  dieser  Mann  hier  tun.  (Weist  auf  sich  selbst.)  Und 
wenn  Alexander  Magnus,  so  die  ganze  Welt  in  zwölf  Jahren 
bezwungen  hat,  noch  lebte,  sollte  ihm  dieser  Mann  zu  schaf- 
fen geben. 

Silvester:  Herr  Marschalk,  laßt  decken  und  anrichten. 

Marschalk:  Ich  will  hingehn  und  es  bestellen.  (Gehet  ab.) 

Silvester  (zu  Vincentium):  Herr  Oberster,  Ihr  müßt 
manche  treffliche  Tat  ausgerichtet  haben,  weil  Ihr  Euch  so 
wohl  versucht  habt. 

Vincentius:  Es  ist  unmöglich  zu  glauben,  was  wir  für 
ritterliche,  mannhafte,  vortreffliche  Taten  ausgerichtet  haben! 
Als  wir  noch  Student  waren,  wie  wir  uns  denn  von  Ju- 
gend auf  des  Krieges  beflissen,  haben  wir  neben  andern 
Studenten,  welche  zusammen  in  Zahl  zweihundert  neun  und- 
neunzig  gewesen,  siebentausend  Kriegsleute  erlegt  und 
keinen  gefangen  genommen. 

Johan  Bouset:  Das  ist  wahr,  das  hab  ich  gesehn.  Ich 
war  damals  nicht  weit  davon.  Ich  sah  wohl,  daß  Ihr  bei 
der  Gelegenheit  drei  mit  einem  Schusse  erschösset.  Und 
zwei  blieben  stracks  tot,  aber  der  eine  lebte  noch  ein  wenig. 
Er  konnte  nicht  gut  deutsch  und  rief:  „O  Alemanni,  wie 
scheust  du  mit  Speck  1" 

Vincentius:  Wir  wollen  E.  F.  Durchlauchtigkeit  noch 
eine  Geschichte,   bei  der  wir  selbst  mit  bei  gewesen,  er- 

269 


zählen.  Es  ist  wohl  unglaublich,  aber  doch  wahr!  Wir  haben 
mit  denselben  Studenten  eine  Stadt  mit  Pomeranzen,  Melo- 
nen, Zitronen  und  Granatäpfeln  gestürmt  und  eingenommen! 

Silvester:  Das  ist  zu  verwundern! 

Johan  Bouset:  Das  ist  wahr!  Ich  will  aber  E.  G. 
sagen,  wie  es  zugegangen.  Als  wir  vor  der  Stadt  gelagert 
und  sie  ausgehungert,  daß  das  Volk  nichts  mehr  zu  essen 
hatte,  warfen  wir  einen  Haufen  Pomeranzen,  Melonen, 
Zitronen  und  Granatäpfel  in  die  Stadt.  Und  als  das  Volk 
voll  Hunger  nach  den  Äpfeln  lief,  diese  aufaßen  und  ihre 
Sache  nicht  acht  hatten,  nahmen  wir  die  Stadt  ein. 

Vincentius  (schweigt  ein  wenig  still  und  spricht  dar- 
nach) :  Wir  und  unser  ganzes  Geschlecht  sind  so  adeligen 
und  mannhaften  Geblüts,  daß  wir  allwege  zum  Kriegen 
Lust  gehabt  haben.  Und  nicht  allein  die  Manns-,  son- 
dern auch  die  Weibspersonen  haben  sich  dessen  beflissen. 
Unsere  geliebte  Schwester,  so  nun  in  Gott  verstorben,  hat 
in  einer  Festung,  in  der  wir  belagert  waren,  in  einem  Tag 
vierundzwanzig  Kerle  umgebracht! 

Johan  Bouset:  Das  ist  wahr!  Ich  wäre  es  auch  bei- 
nahe ohne  Schaden  nicht  gewahr  geworden,  denn  ich  war 
derzeit  Euer  Feind.  Ich  will  aber  E.  G.  berichten,  wie 
sie  es  gemacht  hat:  Sie  stand  auf  dem  Walle  und  hatte 
bei  sich  einen  großen  Kessel  voll  Leimwasser  stehn,  und 
eine  Spritze,  damit  sprengte  sie  uns,  dem  Feinde,  das 
Leimwasser  in  die  Augen.  Und  wenn  dem  Feinde  dann  die 
Augen  zugekleistert,  dann  warf  sie  ein  großes,  langes, 
rundes  Holz,  das  sie  auf  dem  Wall  hatte,  herunter,  und 
ehe  die  Leute  sich  wieder  ermuntern  konnten,  schlug  dieses 
Holz  dreiundzwanzig  Kerle  tot!  Und  ich  war  der  vierund- 
zwanzigste. Denn  mit  dem  Leimwasser  traf  sie  mich  etwas 
zu  tief,  daß  es  mir  nicht  in  die  Augen  kam.  Und  als  ich 
das  Holz  herunterfallen  sah,  sprang  ich  auf  die  Seite  und 
fiel  auf  die  Erde,  daß  die  Leute  meinten,  ich  wäre  tot. 
Und  wie  ich  darnach  meine  Gelegenheit  ersah,  lief  ich 
davon.  (Schweigt  eine  Weile  still). 
270 


Vincentius:  Wir  verstehn,  daß  jetzt  groß  Kriegswesen 
vor  der  Hand  ist.  Nun  wollten  wir  als  ein  berühmter,  kriegs- 
erfahrener Oberster  E.  F.  Durchläuchtigkeit  wohl  gute  und 
nützliche  Anschläge  geben,  wie  man  den  Feind  angreifen 
und  mit  wenigem  Volk  und  großem  Vorteil,  wie  es  vor 
dieser  Zeit  nicht  im  Gebrauch  gewesen,  Abbruch  tun  könnte. 

Silvester:  Das  möchten  wir  gerne  anhören. 

Vincentius:  Wir  haben  einmal  eine  Fahne  Reiter  ge- 
sehn, da  führte  jeder  Reiter  vierundzwanzig  Büchsen  und 
konnte  einer  so  viel  schaffen  wie  sonst  vierundzwanzig. 
Wann  dasselbe  noch  geschehe,  könnte  man  mit  wenig  Volk 
dem  Feind  großen  Abbruch  tun. 

Bouset:  Das  ist  wahr.  Wir  können  aber  beiderseits 
ohne  Lügen  nicht  reden!  Die  Reiter  habe  ich  auch  geseh'n. 

Silvester:  Das  ist  wohl  eine  feine  Sache.  Aber  ich 
möchte  gerne  wissen,  wie  man  die  Röhren  alle  tragen 
wollte. 

Vincentius:  Wir  wollen  es  E.  F.  Durchläuchtigkeit  be- 
richten. Sie  hatten  etliche  auf  die  Hüte  gesteckt  wie  die 
Hahnenfedern.  (Während  sie  also  reden,  wird  der  Tisch 
gedeckt.) 

Silvester  (schweigt  eine  Weile  still  und  spricht  darnach): 
Herr  Oberster,  ich  befinde  aus  Eueren  Reden,  daß  Ihr  alle- 
mal selbst  dabei  gewesen  seid.  Darum  müßt  Ihr  oftmals 
große  Gefahren  ausgestanden  haben. 

Vincentius:  Das  werden  E.  F.  Durchlaucht  kaum  glau- 
ben können,  was  wir  für  Gefahr  ausgestanden  haben.  Ich 
will  Derselben  nur  zweierlei  erzählen.  Wir  haben  einmal 
vor  einer  stattlichen  Festung  gelegen,  der  Name  ist  uns  ent- 
fallen, da  hat  man  nach  uns  siebentausend  und  etliche 
hundert  Schüsse  getan  mit  Kartaunen,  Mauerbrechern,  Feld- 
schlangen und  anderm  groben  Geschütz.  Und  wir  sind 
von  keinem  getroffen  worden. 

Silvester:  So  mögt  Ihr  wohl  von  großem  Glück  sagen! 
Aber  sagt  mir,  seid  Ihr  auch  einmal  in  Kriegszeiten  ge- 
fangen worden? 

271 


Vincentius:  Ja.  Wir  sind  einmal  gefangen  worden, 
aber  dies  zugegangen,  wollen  wir  E.  F.  G.  berichten.  Wir 
waren  bei  der  Belagerung  vor  einer  Stadt.  Vor  ihr  taten  wir 
mit  unseren  Gesellen  starke  Scharmützel.  Und  durch  solch 
ein  Scharmützel  kamen  mir  ganz  nahe  zum  Tor,  und  wurden 
allda  von  unsern  Gesellen  verlassen.  Wie  wir  nun  nicht 
wenden  konnten,  mußten  wir  aus  Not  es  wagen,  und  mit 
dem  Feind  in  die  Stadt  eilen.  Indem  wir  nun  hinein  rannten, 
ließ  der  Torwächter  das  Schutzgitter  in  aller  Eile  fallen  und 
schlug  damit  unserm  Gaul  das  Hinterteil  bis  an  den  Sattel 
ab.  Wir  wurden  aber  solches  nicht  gewahr,  renneten  auch 
dem  Feind  mit  dem  halben  Pferd  bis  auf  den  Markt  nach, 
und  taten  noch  dort  dem  Feind  nicht  geringen  Abbruch. 
Als  wir  aber  vermerkten,  daß  uns  der  Feind  zu  stark  wer- 
den wollte,  wollten  wir  uns  wenden.  Indem  stürzt  das  Pferd 
mit  uns,  und  wir  wurden  gewahr,  daß  wir  solch  großen 
Schaden  empfangen  hätten.  Mußten  uns  also  wider  unsern 
Willen  gefangen  geben,  und  uns  mit  einer  Tonne  Gold 
ramponieren  (auslösen). 

Johan  Bouset:  Das  hab  ich  nicht  gesehn,  da  bin  ich 
nicht  dabei  gewesen. 

(Inzwischen  kommt  des  Herzogs  Gemahlin  mit  ihrem 
Frauenzimmer  und  läßt  auch  der  Marschalk  das  Essen  auf- 
tragen.) 

Silvester:  Das  Essen  ist  da!  Wir  wollen  uns  zu  Tisch 
setzen.  Herr  Oberster,  gehet  hin  zu  meiner  Gemahlin,  und 
gebt  ihr  ernstlich  die  Hand. 

Vincentius:  Das  wollen  wir  mit  aller  Ehrerbietung  und 
uns  eingepflanzten  Höflichkeit  willig  und  gern  tun  und  ver- 
richten. So  viel  auch  die  Mahlzeit  anlangt,  wollen  wir  die 
aufgetragene  Speise  in  schuldiger  Dankbarkeit  mit  zutun 
unserer  Zähne  zu  uns  nehmen  und  genießen.  Denn  wir  haben 
bei  unserm  Wirt  gar  schlechte  und  geringe  Traktation  ge- 
habt. Denn  er  ließ  uns  grobe  Speise  wie  Speck,  Hering 
und  andere  geringe  Kost,  an  welche  wir  unsere  Mägen  nicht 
gewöhnt,  auftragen,  von  welchen  wir  aus  Vorwitz  einen 
272 


ßissen  versucht,  der  uns  dann  gar  übel  bekommen,  daß  wir 
auch  nicht  wohl  darnach  ruhen  konnten.  (Gehet  zu  der 
Herzogin  und  dem  Frauenzimmer  und  gibt  ihnen  nach  der 
Reihe  mit  großer  Reverenz  und  Höflichkeit  auf  seine  Art 
die  Hand.  Der  Herzog  setzt  sich  mit  seiner  Gemahlin  zu 
Tisch  und  läßt  Vincentium  etliche  mal  durch  den  Marschalk 
zur  Tafel  fordern.  Er  aber  weigert  sich,  bis  endlich  der 
Herzog  selbst  aufsteht  und  ihn  zum  Tisch  führt.  Da  setzt 
er  sich  mit  großer  Reverenz  und  Höflichkeit  nieder.) 

Von  den  Stücken  zeitgenössischer  Autoren  des  Braun- 
schweiger Herzogs  gehört  das  „Somnium  vitae  humanae" 
von  Ludwig  Hollonius,  ^gedruckt  1605  zu  Alten-Stettin57, 
vor  allen  anderen  hierher,  [einerseits  weil  es  besser  und 
lebendiger  geschrieben  ist  als  die  meisten  dramatischen 
Werke  der  stagnierenden  Epoche  vor  dem  langen  Krieg, 
andererseits  aber  seines  Stoffes  wegen.  Es  ist  das  von 
„Tausendundeine  Nacht"  und  Shakespeare  bis  zu  Zschokkes 
„Abenteuer  in  der  Neujahrsnacht"  und  Gerhard  Haupt- 
manns »Schluck  und  Jau"  so  oft  benutzte  Erlebnis  des 
Trunkenen,  der  einen  mit  ihm  getriebenen  Scherz  für  einen 
Traum  hält. 

Im  „Somnium"  findet  der  Herzog  von  Burgund  einen 
berauschten  Bauern,  läßt  ihn  auf  sein  Schloß  bringen  und 
fürstlich  bewirten.  Als  er  vollgetrunken  einschläft,  wird 
er  wieder  in  seine  alten  Lumpen  gehüllt  und  auf  die  Straße 
gelegt.  Zu  seiner  Familie  zurückgekehrt,  erzählt  er  nun 
den  herrlichen  Traum,  den  er  gehabt. 

Neben  den  Bauern  haben  der  Narr  Gutbitschen  und 
der  Schmarotzer  Naschart  die  komischen  Rollen.  Gut- 
bitschen lärmt  und  tollt  viel,  erhält  Prügel  und  rächt  sich 
dafür  durch  einen  Schwall  von  Schimpfworten. 

Die  nun  folgende  Zeit  war  der  dramatischen  Produktion 
nicht  günstig.  Der  große  Krieg  verheerte  durch  drei 
Dezennien  die  deutschen  Gauen  und  ertötete  alle  Lebens- 

"  Herausgegeben  von  Franz  Spengler.  (.Brannes  Neudrucke  Nr.  95) 
Halle  a.  S.  1891. 

18  273 


lust.  Das  Alte  verflachte  und  verrohte  immer  mehr,  und 
das  Neue  bedeutete  eher  einen  Rückgang  als  einen  Fort- 
schritt. Was  Martin  Opitz  und  andere  Dichter  in  jener 
Zeit  an  dramatischen  Arbeiten  lieferten,  war  nicht  für  die 
Bühne  bestimmt,  sondern  blieb  auf  das  Buch  beschränkt, 
deshalb  sahen  sich  die  Schauspieler  auf  minderwertige 
Übersetzungen,  Stegreif-Dichtungen  und  eigene  Produkte 
angewiesen    . 

Erst  als  die  aufgeregten  Wogen  sich  wieder  geglättet, 
die  Wunden  zu  vernarben  begannen  und  ein  erhöhter 
Luxus,  der  von  den  Höfen  ausging  und  bald  den  Adel 
und  das  Bürgertum  mitriß,  die  Jahre  des  Elends  und  der 
Erniedrigung  vergessen  zu  machen  suchte,  sproß  neues 
Leben  auch  für  das  Theater  auf,  und  die  erste  Blüte,  die 
sie  für  unser  Sondergebiet  zeitigte,  war  der  Schlesier 
Andreas  Gryphius. 

Andreas  Gryphius  ist  am  2.  Oktober  1616  zu  Groß- 
Glogau  geboren.  Früh  verwaist,  wurde  er,  nach  oft  unter- 
brochenen Studien,  Erzieher  der  Söhne  des  Kaiserlichen 
Kammerfiskals  Freiherrn  von  Schönborn  auf  Zissendorf  in 
Schlesien,  der  ihn  1637  zum  Kaiserlichen  Poeten  krönte, 
ihm  den  erblichen  Adel  und  die  Würde  eines  Magisters 
der  Philosophie  verlieh.  Nach  dem  Tod  dieses  seines 
Gönners  und  Freundes  (1638)  ging  er  nach  Leyden,  wo 
er  sich  habilitierte.  Sechs  Jahre  später  finden  wir  ihn 
wieder  in  der  Heimat,  um  von  dort  mit  einigen  Schütz- 
lingen eine  größere  Reise  durch  Frankreich,  Italien,  Holland 
und  Deutschland  anzutreten,  die  in  Straßburg  endete. 
1647  ließ  er  sich  in  Frankfurt  nieder.  1650  wurde  er  zum 
Syndikus  der  Landstände  des  Fürstentums  Glogau  ge- 
wählt, was  er  bis  zu  seinem  Tode,  am  16.  Juli  1664  blieb. 

Andreas  Gryphius'  Verdienst  um  das  Schrifttum  seiner 
und  der  Folgezeit  ist  unsterblich.  Seine  Dichtungen  gleichen 
den  Experimenten  der  Naturforscher,  die  Anlaß  zu  bahn- 

88    Dr.   Berth.  Haendcke,    Deutsche  Kultur  im   Zeitalter  des  Dreißig- 
jährigen Krieges.    Leipzig  1906,  S.  314. 
274 


brechenden  Entdeckungen  geben.  Sein  Schaffen  stellt  einen 
Knotenpunkt  in  der  Entwicklung  unserer  Literatur  dar, 
von  dem  aus  viele  neue  Wege  sich  öffneten.  In  seinen 
Possen  blitzen  die  Strahlen  des  deutschen  Lustspiels  zum 
ersten  Male  auf,  und  was  seinen  nächsten  Nachfolgern  in 
der  Posse  und  Farce  Gutes  gelungen,  ist  zum  großen  Teil 
ihm  zu  danken. 

Seine  erste  Posse,  „Das  Schimpf  f-Spiel",  „Absurda  Co- 
mica  oder  Herr  Peter  Squentz",  trägt  allerdings  noch 
ganz  den  Charakter  des  Fastnachtsspiels.  Dieser  Peter 
Squentz  ist  nichts  anderes  als  eine  Wiedergabe  des  In- 
termezzos im  Shakespearschen  Sommernachtstraum,  mit 
oft  abschreiberischer  Anlehnung  an  eine  holländische  Be- 
arbeitung von  M.  Gramsbergen. 

Die  Personen  bei  Gryphius  sind:  Herr  Peter  Squentz, 
Schreiber  und  Schulmeister  zu  Rumpeiskirchen:  Prologus 
und  Epilogus;  Pickelhäring,  des  Königs  lustiger  Rat:  Pira- 
mus;  Meister  Krix  über  und  über,  Schmied:  der  Mond; 
Meister  Bulla  Butäin,  Blaßbalgmacher:  die  Wand;  Meister 
Klipperling,  Tischler:  der  Löwe;  Meister  Lollinger,  Lein- 
weber und  Meistersänger:  der  Brunnen;  Meister  Klotz- 
George,  Spulenmacher:  Thisbe. 

Die  Zuschauer  bestehen  aus  dem  König  Theodorus,  Prinz 
Serenus,  Königin  Cassandra,  Prinzessin  Violandra  und 
Marschalk  Eubulus. 

Weit  mehr  auf  eigenen  Füßen  als  in  dem  Squentz  steht 
Gryphius  in  seinem  „Horribilicribrifax".  Nur  der  Gedanke 
an  den  miles  gloriosus  ist  von  dem  Dichter  verwertet. 
Für  seine  beiden  großmäuligen,  frechen  und  prahlerischen 
Helden,  den  Träger  der  Titelrolle  und  seinen  Partner, 
Kapitän  Daradiridatumtarich,  haben  Soldaten  des  Dreißig- 
jährigen Krieges  Modell  gestanden.  An  Frische  und  Eigen- 
art steht  das  Stück  himmelhoch  über  der  Comoedia  Hid- 
belepihal  des  Herzog  Heinrich  Julius,  wenn  auch  der  aus 
sieben  Sprachen  zusammengesetzte  Dialog  nur  ausnehmend 
polyglotten  Lesern  verständlich  sein  dürfte.  Aber  so 
18«  275 


sprachen  eben  die  Leute  in  jener  Zeit,  wo  Soldaten  aus 
aller  Herren  Länder  sich  auf  deutscher  Erde  zusammen- 
fanden. Auch  die  Roheiten  sind  im  Stile  des  Ganzen. 
Die  verwilderten  Burschen  mußten  unflätig-  sprechen,  wenn 
sie  naturwahr  geschildert  sein  sollten. 

„Die  geliebte  Dornrose"  von  Gryphius,  nach  Gustav 
Freytag  das  beste  deutsche  Lustspiel  vor  Lessing,  ver- 
zichtet auf  alles  Groteske. 

Als  Gegner  der  Engländer  erklärt  sich  der  sonst  ziem- 
lich bedeutungslose  J.  S.  Mitternacht.  Er  wendet  sich  in 
der  Vorrede  seines  blutigen  Dramas  „Der  unglückselige 
Soldat  und  vorwitzige  Balbirer"  gegen  die  „Engelländischen 

Comödien ,"  die,    „was   ihren   Comödien   mangelt, 

theils  durch  Kleider  Pracht,  theils  durch  einen  geübten  kurz- 
weiligen Jean  putagen  ersetzen".  Er  gibt  für  die  Kleider- 
pracht Moritaten  und  für  den  „Jean  putagen"  den  Morio, 
der  auf  eine  Frage,  wer  es  sei,  antwortet:  „ich  bin  der  in 
aller  Welt  bekannte  und  berühmte  Frantzos  Jean  Putage. 
In  Teutschland  aber  nennt  man  mich  Hans  Supp!"  Dieser 
Morio  hat  mit  mehreren  anderen  Komikern  durch  vorge- 
schriebene oder  extemporierte  Witze  den  Bann  zu  brechen, 
den  die  Schauerlichkeiten  des  Stückes  über  das  Publikum 
breiten.  Wird  doch  dem  unglücklichen  Soldaten  von  dem 
vorwitzigen  Barbier  die  Brust  aufgeschnitten,  um  das  Herz 
arbeiten  zu  sehen!  Sonst  überfließt  aber  dieses  1662  ge- 
druckte Stück,  wie  Mitternachts  fünf  Jahre  später  erschie- 
nene „Politica  Dramatica"  von  zudringlicher  Lehrhaftigkeit. 
In  der  „Politica"  schleppen  die  von  Stegreifdarstellern 
gespielten  „Moriones"  einen  Ermordeten  auf  die  Bühne, 
„dem  geben  sie  Nasensteuber,  Ohrfeigen  etc.,  heißen  ihn 
einen  Bauernplakker  etc."59 

Wichtiger  als  diese  Machwerke  waren  Filidor  des  Dor- 
ferers  schwülstige  Dramen.  In  ihnen  treiben  Pantalon  und 
Scaramutza,  Gabinet  und  Gernwitz  ihre  meist  recht  plumpen 
und  steifen  Spässe;  Scaramutza  ist  der  erste  unter  ihnen. 

49  Reulins,  S.  131  f. 
276 


Am  Anfang-  des  II.  Aktes  von  „Der  vermeintliche  Prinz" 
hat  er  eine  große  Szene.  Er  soll  Wache  stehen,  während 
sein  Herr  den  vermeintlichen  Prinzen  besucht.  Scaramutza 
kommt  mit  einer  Büchse  und  Lunte  und  will  schießen, 
zum  Schrecken  Alphonsos,  seines  Herrn,  der  die  größte 
Stille  für  nötig  hält.  Nun  lehrt  ihn  sein  Herr,  wie  er 
Wache  zu  halten  und  die  Kommenden  anzurufen  habe. 
Scaramutza  versteht  natürlich  alles  verkehrt  und  benimmt 
sich  so  dumm  wie  nur  möglich.  Weit  schlauer  zeigt  er 
sich  in  einer  Unterredung  mit  Pantalon,  der  100  Taler 
von  ihm  leihen  will;  er  sagt,  Pantalon  solle  in  die  Münze 
gehen,  dort  mache  man  alle  Tage  Geld;  er  möge  einen 
Sack  mitbringen  und  sich  welches  holen.  Da  Pantalon  sich 
mit  einem  Pfund  begnügen  will,  verspricht  Scaramutza  ihm 
zuerst  Juwelen,  dann  besinnt  er  sich,  daß  er  sie  erst  bei 
einer  Wäscherin  auswaschen  lassen  wuß,  weil  die  Juwelen 
schmutzig  seien.  Ein  Zank  zwischen  beiden  schließt  die 
Szene.  In  einem  späteren  Auftritt  kommt  Scaramutza  mit 
Tinte  beschmiert  und  trägt  ein  Papier  in  der  Hand.  Sein 
Herr  fragt  ihn,  was  er  da  habe,  und  der  Narr  erwidert,  er 
hätte  ein  Gebet  abschreiben  wollen.  Er  soll  es  vorlesen, 
und  es  zeigt  sich,  daß  das  Gebet  ein  komisch  abgefaßter 
Liebesbrief  ist.  Da  er  aber  einige  zotige  Witze  über  seinen 
Herrn  macht,  prügelt  ihn  dieser,  „daß  er  blutet"60. 

Noch  einen  gemeinsamen  Auftritt  haben  die  beiden 
lustigen  Personen.  Scaramutza  bringt  für  seinen  Herrn 
Alphonso,  der  für  eine  verkleidete  Dame  angesehen  wird, 
Geschenke,  nämlich  goldene  Ketten,  Spangen  usw.;  er  öff- 
net das  Kästchen,  schmückt  sich  mit  dem  Geschmeide  und 
soll  nach  einer  Notiz  „Affenwerk"  damit  treiben.  Pantalon 
kommt  hinzu,  „bossiert  mit  ihm  und  treibt  Gauckelwerk". 
Zuletzt  läuft  Scaramutza  mit  seiner  Schachtel  ab  und  Pan- 
talon ruft,  daß  der  Kerl  „gantz  ein  Narr*  sei.  Bei  den 
Zurüstungen  zur  Vermählung  der  Prinzessin  bringt  Scara- 

60  Filidors   Erster  Teil  der  Trauer-,   Lust-  und  Mischspiele,  Jena  1665, 
S.  37  ff. 

277 


mutza   einen  Schiebkarren  mit  Spiegeln,  Tanzschuhe  un 
einen  Spielmann  herbei.    Er  tanzt  zuerst  allein  und  forde 
dann  den  Geiger  auf,  seine  Braut  darzustellen.  Dieser  sag 
er  könne  nicht  zugleich  geigen  und  tanzen,  worauf  Scara 
mutza  fragt,  ob  man  keine  Geigen  habe,   die  von  selbst 
spielten.     Nun    „tanzt    er   bossierlich   lange   Zeit"  herum 
und  ruft  schließlich  dem  Geiger  zu,  er  solle  mit  ihm  trinken 
gehen. 

Von  Filidor  übernimmt  Joh.  Christian  Hallmann  de 
„kurtzweiligen  Diener"  Scaramutza,  dem  aber  auch  er  nich 
einen  Schimmer  von  Originalität  zu  verleihen  mag. 

Im  Banne  Ayrers  wie  des  älteren  Schauspiels  steht  der 
Nürnberger  Schulmeister  Georg  Mauritius.  Wie  seine  Vor- 
bilder benutzt  er  in  jedem  seiner  Stücke  den  Narren  unter 
den  verschiedensten  Namen,  wie  Rüpel,  Prosei,  Morio,  Veitl. 
Ich  erwähne  Mauritius  nur  einer  von  ihm  geschaffenen  Neue- 
rung wegen,  die  erst  in  der  allerjüngsten  Gegenwart,  aller 
dings  von  Mauritius  ganz  unbeeinflußt,  wieder  aufgetauch 
ist.  Außer  dem  Narren  und  dem  Teufel  läßt  Mauritius  in 
vielen  seiner  Stücke  noch  einen  Zwerg  als  Komiker  wirken. 
Das  Münchener  Künstlertheater  und  nach  ihm  das  Berliner 
Theater  auf  dem  Nollendorffplatz  haben  diese  „Neuheit" 
wieder  aufgenommen.  Hier  ist  der  Zwerg  Diederich  Ulpt 
früher  Grotesk-Komiker  auf  dem  Variete,  für  lustige  Rolle 
engagiert. 

Da  schlägt  der  Schlesier  Christian  Weise  (1642-1708) 
eine  andere  Klinge  als  die  Vorgenannten!  Alles,  was  er 
schuf,  Gedichte,  Romane  und  Dramen,  zeugt  von  nicht 
gewöhnlichem  Talent,  das  aber  in  erster  Reihe  in  seinen 
dramatischen  Arbeiten  zutage  tritt.  Ihr  Inhalt  ist  interes- 
sant, die  Handlung  belebt,  und  besonders  die  dem  bürger- 
lichen Leben  entnommenen  Szenen  sind  naturwahr  und 
voll  gesunden  Humors.  Schon  in  seinem  dramatischen  Erst- 
lingswerk, in  der  „Triumphierenden  Keuschheit",  pulsiert 
warmes  Blut.  Die  Handlung  geht  flott  vorwärts,  und  statt 
der  üblichen  ein  bis  zwei  sorgen  hier  drei  lustige  Personen 
278 


; 


Pickelhering,  sein  Vater  und  Melane,  für  die  Wachhal- 
tung des  Interesses.  Bezeichnend  für  den  damaligen  Humor 
ist  die  Obzönität,  von  der  Melanes  Rolle  strotzt.  Derartige 
Derbheiten,  von  einer  Frau  gesprochen,  mußten  doppelt 
rüde  wirken,  selbst  dann,  wenn  solche  Rollen,  wie  es  tat- 
sächlich der  Fall  war,  von  Männern  dargestellt  worden  sind. 
Der  Inhalt  des  Stückes  ist  kurz  folgender:  Der  deutsche 
Graf  Heinrich  ist  im  Kampfe  Konradins  gegen  Karl  von 
Anjou  in  Gefangenschaft  geraten  und  dient  unter  dem  Namen 
Floretto  dem  Oberhofmarschall  Rodoman  als  Knecht.  Rodo- 
mans Gemahlin  Ciarisse  verliebt  sich  in  den  schönen  Sklaven, 
dessen  Tugend  ihren  Verführungskünsten  standhält.  Florettos 
Saitenspiel  heilt  den  von  einer  Tarantel  gestochenen  König, 
er  wird  frei,  erhält  die  Hand  der  von  ihm  geliebten  Belissa, 
der  Muhme  Ciarisses,  und  wird  Statthalter  von  Kalabrien. 

Wie  die  komischen  Personen  in  diesem  Werke  Weises 
sprechen,  mag  die  nachfolgende,  dem  ersten  Akt  der  „Trium- 
phierenden Keuschheit"  entnommene  Szene  zeigen61. 

(Melane  kommt  von  hinten  und  hält  Floretto  die  Augen  zu). 

Floretto:  Wer  ist  da,  wer  hält  mir  die  Augen  zu?  Soll 
mir  künftig  auch  das  Lesen  verboten  werden?  Ich  bitte, 
man  lasse  mich  los  oder  ich  entreiße  mich  mit  Gewalt! 

Melane:  Mein  lieber  Floretto,  ich  wars. 

Floretto:  Sieh  da.  Seid  Ihr  alle  Tage  so  kurzweilig? 

Melane:  Ja,  aber  nur  bei  Euresgleichen. 

Floretto:  Meinesgleichen  achten  solchen  Scherz  nicht 
hoch. 

Melane:  Es  ist  kein  Wunder!  Tut  Ihr  doch  gegen  unsere 
Frau  als  ob  sie  ein  Hund  wäre. 

Floretto:  Melane!  Habt  Ihr  die  Gedanken  beim  Juden 
versetzt,  oder  lebt  Ihr  jetzt  im  schweren  Monat? 

Melane:  Wieso,  mein  lieber  Floretto?  Ist's  nicht  wahr? 
Sie  tut  so  freundlich  mit  Euch,  sie  redet  mit  Euch,  sie  strei- 
chelt Euch,  ich  glaube,  sie  risse  sich  das  Herz  aus  dem  Leibe 

81  Christian  Weise  „Überflüssige  Gedanken  etc."  Nach  der  Ausgabe  von 
1673  in  der  Berliner  Kgl.  Bibliothek. 

279 


und  gäbe  Euch  die  Hälfte  davon,  und  Ihr  macht  ihr  ein 
Gesicht  wie  ein  leibhaftiger  Holzbock.  Ach  du  niedliches 
Honigtöpfchen,  soll  denn  meine  Frau  einen  Essigkrug  an 
Euch  haben? 

Floretto:  Wann  hat  Euch  Eure  Frau  zum  geheimen  Rat 
gemacht?  Ihr  meint  gewiß,  weil  Ihr  das  Scherbel  (Nacht- 
topf) ausputzen  müßt,  so  kennt  Ihr  all  ihre  Heimlichkeiten. 
Ich  verstehe  schon,  wie  ich  mich  in  dergleichen  Händel 
schicken  muß. 

Melane:  Wenn  ich  an  Eurer  Stelle  wäre,  so  wollte  ich 
mich  weit  besser  darein  schicken. 

Floretto:  Das  mögt  Ihr  tun.  Ich  aber  werde  doch  lang- 
sam zu  Euch  in  die  Schule  kommen.  (Geht  ab.) 

Melane:  Da  geht  das  einfältige  Bauernbürschchen.  Wenn 
es  nicht  ein  bißchen  rauh  ums  Maul  wäre,  so  dächt'  ich,  die 
Schweine  hättens  ihm  in  der  Kindheit  weggefressen.  Sind 
das  nicht  schwere  Zeiten?  Meine  liebe  Großmutter  hat  lange 
davon  gepredigt.  Sie  sagte,  vor  Zeiten  wollte  sie  gerne,  da 
durfte  sie  nicht.  Nun  wollte  sie  gern,  und  könne  nicht.  Es 
geht  meiner  Frau  nicht  alleine  so.  Ich  arme  Hure  kann  auch 
ein  Liedchen  davon  singen.  Ach  Pickelhering,  mein  liebster 
Pickelhering,  wie  hast  du  mein  jungfräuliches  Herz  einge- 
salzen! Ach  strotze  doch  nicht  so,  wie  ein  verdorrter  Bick- 
Iing,  oder  lasse  dich  wenigstens  durch  das  Rosenwasser 
meiner  treuen  Liebe  erweichen.  (Pickelhering  kommt  ge- 
laufen.) 

Pickelhering:  Ja,  wer  ein  Narr  wäre  und  ließ  den 
schmutzigen  Bärenhäuter  um  den  Ring  fiedeln.  Ich  halte 
meinen  Fetzer  wohl  so  hoch,  wie  ein  anderer  seine  Nase. 
Da  soll  ich  ein  Ding  bekommen,  es  heißt  mit  dem  ersten 
Buchstaben  Küchenschilling.  Damit  ist  mein  Herr  so  liberal, 
wie  wenn  er  sie  gestohlen  hätte.  Er  mag  in  seiner  Jugend 
viel  gesammelt  haben,  denn  da  er  zur  Ciarisse  auf  die  Freite 
ging,  da  konnte  er  kein  Wort  reden.  Er  mußte  mit  dem 
Steiße  hinten  auswackeln,  als  ob  er  überkippen  wollte.  Aber 
dem  sei  wie  ihm  wolle,  mir  ohne  Schaden. 
280 


Melane:  Liebster  Pickelhering,  wo  steckt  Ihr  denn  allzeit? 

Pickelhering:  In  Kleidern,  wenn  ich  nicht  bade! 

Melane:  Was  macht  Ihr  denn  aber  so  manches  liebe 
lange  Mal? 

Pickelhering:  Ich  atme,  daß  ich  nicht  ersticke. 

Melane:  Ihr  müßt  ohne  Zweifel  viel  zu  verrichten  haben? 

Pickelhering:  Den  Kammermädchen  schmier  ich's  gleich 
auf  die  Zähne,  was  ich  zu  tun  habe/! 

Melane:  Pickelhering,  wie  schaut  Ihr  doch  so  sauer  drein. 

Pickelhering:  Ich  habe  heut  noch  kein  Nonnenpförz- 
chen62  gegessen. 

Melane:  Oh,  seid  Ihr  gar  böse  auf  mich? 

Pickelhering:  Ja,  es  verlohnt  sich  der  Mühe  mit  Euch! 

Melane:  Ich  hab  Euch  nichts  zuleide  getan. 

Pickelhering:  Ihr  sollt  mir  auch  etwas  zuleide  tun! 

Melane:  Darum  könnt  Ihr  mich  so  lieb  haben. 

Pickelhering:  Daß  dich  mein  Leibchen  drücke!  Lieb 
haben  meint  Ihr?  Ei  sagt  doch  recht,  brennt  Euch  die  kalte 
Grütze  so  sehr  aufs  Herze  oder  ists  nur  Euer  höflicher 
Scherz  ? 

Melane:  Mein  Engel,  mein  Herze! 

Pickelhering:  Ich  höre  auf  dieser  Seite  nicht  gut,  geht 
vors  andere  Ohrenloch! 

Melane:  Ich  sterbe  vor  Liebe! 

Pickelhering:  Viel  Glück  auf  die  Reise! 

Melane:  Ich  ersteche  mich! 

Pickel hering:  Oh,  wenn's  nicht  weh  täte! 

Melane:  Ich  erhenke  mich! 

Pickelhering:  Geht  nur  an  den  Dorf-Galgen,  da  fällt 
Euch  kein  Ziegel  auf  den  Kopf. 

Melane:  Ich  ersäufe  mich! 

Pickelhering:  Es  fehlt  sonst  im  Wasser  an  Stock- 
fischen. 

Melane:  Soll  ich  denn  verderben,  liebster  Pickelhering? 

*'  Ein  Gebäck,  das  noch  heute  unter  diesem  Namen,  z.  B.  in  Berlin,  feil- 
gehalten wird. 

281 


Pickelhering:  Ich  kann's  wohl  leiden. 

Melane:  Ach  nur  ein  Blickchen! 

Pickelhering  (kehrt  sich  um):  Da  mein  Schatz!  Lieb- 
äugle dich  satt! 

Melane:  Ach  du  freundliches  Schnippchen. 

Pickelhering:  Geld  und  Gut  hab  ich  nicht.  Wem  mit 
einem  freundlichen  Schnippchen  gedient,  dem  bin  ich  bereit. 
(Schlägt  sie  an  den  Hals  und  läuft  davon.) 

Melane:  Ach,  der  Kaufmann,  der  die  Barmherzigkeit  aus 
Ostindien  hat  herbringen  sollen,  ist  gewiß  mit  seinem  Schiff 
untergegangen,  denn  sie  ist  trefflich  teuer.  Ich  glaube, 
Pickelherings  Mutter  hat  sich  an  einem  Pflasterstein  versehn, 
daß  er  so  hart  ums  Herz  ist.  Oder  versteht  etwa  der  junge 
Lecker  noch  nicht,  wo  Bartel  den  Most  holt?  Halt,  es  ist 
um  den  Versuch  zu  tun.  Ich  will's  ihm  durch  seinen  Vater 
zu  verstehn  geben.   (Klopft  an)  Holla,  holla! 

Ephialtes:  Nu,  nu,  zerbrecht  mir  nur  die  Türe  nicht! 
Was  gibt's  denn  da  außen? 

Melane:  Ach  lieber  Herr  Torwärter,  verzeiht  mir  doch 
großgünstig,  daß  ich  Euch  solche  Ungelegenheiten  mache. 
Ich  habe  gar  was  Notwendiges  mit  Euch  zu  reden. 

Ephialtes:  Macht's  nicht  lange.  Ein  Beamter  wie  ich 
kann  nicht  lange  Audienz  geben. 

Melane:  Ich  wollt' auch  nur  Eures  Pickelhering  gedenken. 
Er  kommt  immer  zu  mir,  heißt  mich  sein  Schätzchen,  sein 
Lämmchen,  sein  alles  miteinander.  Bald  zwickt  er  mich  in 
den  Arm,  er  sticht  mich  mit  dem  Finger  in  die  Seite,  und 
wenn  er  mich  herzt,  so  tut  er,  als  ob  er  mich  gar  fressen 
wollte.  Neulich  hob  er  mir  den  Rock  auf  und  klitschte  mich 
und  riß  mir  ein  Stück  vom  Hemd,  das  wollte  er  so  lange 
mit  zu  Bett  nehmen,  bis  er  mich  selber  'nein  kriegte.  Weil 
ich  nun  mit  den  Talpossen  nicht  auskommen  kann,  so  wollte 
ich  nur  fragen,  ob's  Euer  Wille  wäre? 

Ephialtes:  Wie,  wer,  was,  wen?  Mein  Sohn,  Pickel- 
hering? In  den  Arm?  in  die  Seite?  auf  den  Steiß?  zu 
Bett  nehmen?  Geh,  du  garstiger  Mistfink,  pack  dich  aus 
282 


meinem  Gesicht.    Mit  meinem  Willen  sollt  Ihr  nimmermehr 
zusammen  in  ein  Bett  kommen! 

Melane:  Ihr  dürft  nicht  böse  auf  mich  sein.  Warum 
habt  Ihr  ihn  nicht  anders  erzogen.  Wollt  Ihr's  besser  haben, 
so  schafft  mir  Friede  vor  dem  Vogel.    (Geht  ab.) 

Ephi altes:  O  ich  armer  Mann.  Hab' ich  nicht  ein  Haus- 
kreuz bei  meinen  schweren  und  großen  Amtssorgen!  Ihr 
Leute  denkt  an  mich !  Wenn  ich  den  Schelm  bei  der  Boß- 
heit  ertappe,  so  hacke  ich  ihm  den  Kopf  in  dreihundert 
Stücke  und  werfe  ihm  die  Hirnschale  zum  Fenster  hinaus. 
Wie  muß  es  doch  immer  kommen,  daß  vornehme  Leute 
solch  ungeratene,  böse  Kinder  haben !  Ich  singe,  ich  sage, 
„einen  Quarck  fasse  Er". 

Pickelhering  (kommt  und  singt):  „Da  mein  Herr  Vatter 
in  Franckreich  zog,  da  herzt  er  meine  Frau  Mutter". 
(Ephialtes  kommt  und  schlägt  ihn  hinters  Ohr.) 

Pickelhering:   Nu,  wieder  was  Neues? 

Ephialtes:  Du  Sau,  du  Sau! 

Pickelhering:  Seid  Ihr  doch  mein  Vater! 

Ephialtes:  Du  Erzsau,  du  Sternsau,  du  Giftsau,  du 
Strahlsau,  du  Donnersaul 

Pickelhering:  Ihr  Erzvater,  Ihr  Sternvater,  Ihr  Gift- 
vater, Ihr  Strahlvater,  Ihr  Donnervater! 

Ephialtes:  Du  wilde  Sau,  du  Specksau,  du  Kommißsau, 
du  Erzsau! 

Pickelhering:  Wenn  ich  werde  so  lange  Torwärter 
gewesen  sein,  und  werde  so  viele  Schweine  von  der  Tür 
geprügelt  haben  wie  Ihr,  so  will  ich  auch  einen  großen 
Speisezettel  von  Schweinen  hermachen. 

Ephialtes:  Gib  her,  du  Sau. 

Pickelhering:  Wollt  Ihr  eine  Wurst  haben? 

Ephialtes:  Das  zerrissene  Hemd  gib  her! 

Pickelhering:  Die  alte  Sibylle  flickte  mir's  gestern,  es 
ist  nicht  zerrissen. 

Ephialtes:  Das  zerrissene  Mädchenhemd  gib  her! 

Pickelhering:  Haben  die  Mädchen  auch  Hemden  an? 

283 


Ephialtes:  Guck  nur  den  schmutzigen  Kammermädchen 
an  den  Bürzel,  du  Sau! 

Pickelhering:  O,  ich  werde  heuer  kein  Sterngucker. 

Ephialtes:  Aber  der  Melane  kannst  du  wohl  Klitscher 
geben,  kannst  ihr  das  Hemd  zerreißen  und  die  Zipfel  mit 
zu  Bett  nehmen.  Kannst  sie  in  den  Arm  zwicken,  kannst 
sie  mit  dem  Finger  in  die  Seite  stechen,  kannst  ihr  den 
Geifer  vom  Maul  lecken,  kannst  sie  mein  Schätzchen,  mein 
Lämmchen  heißen.  O,  in  den  Schweinestall  mit  einer 
solchen  Sau.  Ich  weiß  alles,  sie  hat's  mir  selber  gesagt. 
Geh,  geh,  da  hast  du  einen  Schreckenberger.  Sieh  wie  du 
fortkommst.  Ich  mag  dein  Vater  nicht  mehr  sein.  (Geht  ab.) 

Pickelhering:  Das  ist  mir  ein  saftiges  Kammermäd- 
chen, ein  eingemachtes  Rabenäsgen.  Da  verklagt  mich  das 
Klunkerfüchschen  beim  Vater,  und  schreibt  mir's  vor,  wie 
ich's  machen  soll.  Ja,  ich  müßte  meinen  Zwirn  gestohlen 
haben,  daß  ich  ihn  an  einen  solchen  Kittel  vernähen 
sollte.  Ach  nein.  Ich  bin  ein  Weinkoster,  den  Kasten 
gieß  ich  auf  die  Gasse.  Ihr  Leute!  Wenn  das  Schwamm- 
drückerchen  herauskommt,  so  sagt  ihr,  es  ist  nicht  von- 
nöten,  daß  sie  sich  weiter  vergebens  anmelden  will.  (Geht  ab.) 

Ein  Realismus  wie  dieser,  der  dann  noch  in  einer  Verfüh- 
rungsszene alles  erlaubte  Maß  übersteigt,  ist  in  keinem  der 
spätem  Werke  Weises  wieder  anzutreffen.  „Aber  gerade, 
daß  er  hier  seinem  Jugendübermut  die  Zügel  schießen  ließ, 
das  gibt  dem  Stück  eine  Frische  und  Bewegtheit,  welche 
die  Lektüre  sehr  anziehend  macht63." 

In  „Die  beschützte  Unschuld",  dem  Seitenstück  zur  trium- 
phierenden Keuschheit,  spielt  der  Narr  eine  ganz  merkwür- 
dige Rolle.  Er  ist  der  Spaßmacher,  daneben  aber  auch 
ein  bedenklicher  Bösewicht  und  der  Helfershelfer  der  In- 
triganten. „Dies  ist  ein  Weise  eigentümlicher  Zug,  daß  er 
auch  in  späteren  Stücken  dem  Narren  einen  Hauptanteil 
an    der   Intrige    gibt.    Unser   Gefühl    muß  es   heute   ver- 

38  Ludwig  Fulda,   Einleitung  zu  „Die  Gegner  der  zweiten  schlesischen 

Schule".  2.  Teil  (Kürschners  Nat.  Lit.  39.  Bd.)  S.  XVIII. 

284 


letzen,  von  derselben  Person  einen  Schwall  harmloser 
Scherze  anzuhören,  die  uns  durch  ihre  Handlungen  ent- 
rüstet 64." 

Die  Schwerkraft  Weises  liegt  aber  weniger  auf  dem 
Gebiete  des  Dramas,  als  auf  dem  der  Schulkomödie.  Päd- 
agogische Rücksicht  leiteten  ihn,  den  Lehrer,  „die  Jugend 
mit  Komödien  aufzumuntern",  und  deshalb  brachte  er  es 
fertig,  „alle  Jahre  drei  Spiele  meinem  Amanuensi  in  die 
Feder  zu  diktieren".  So  kamen  die  fünfundfünfzig  Stücke 
Weises  zusammen,  von  denen  aber  ein  großer  Teil  ver- 
schollen ist. 

Erhalten  sind  dreizehn  biblische  Dramen.  Er  hält  sich 
in  ihnen  eng  an  die  von  der  Bibel  vorgezeichnete  Hand- 
lung, an  die  die  komischen  Szenen  angeklebt  wurden, 
weshalb  diese,  mag  ihre  Wirkung  einst  auch  noch  so 
unterhaltend  gewesen  sein,  heute  recht  taktlos  anmuten. 
Das  erste,  1679  erschienen,  behandelt  Jephtas  Tochter- 
mord. In  ihm  macht  der  Narr  der  Tradition  gemäß  der 
Kammerjungfer  Thamar  den  Hof,  um  mit  ihr  den  Gegen- 
satz zu  dem  ernsten  Liebespaar  zu  bilden.  Hübsch  und 
flott  sind  die  Szenen,  in  denen  Nabal  Soldaten  wirbt  und 
Leute  aller  Art  zum  Kriegsdienste  preßt.  Weise  variierte 
dasselbe  Thema  später  noch  einmal  in  seinem  Drama  „Der 
verfolgte  David". 

„Jakobs  doppelte  Heirat"  (1682)  hält  Fulda  für  das 
modernste  und  deshalb  beste  aller  Bibeldramen  Weises. 
An  Jakobs  Werbung  um  Rahel  ist  eine  Menge  dem  Leben 
entnommene  Nebenhandlung  geschickt  gruppiert.  „Zahl- 
reiche Stellen  von  starker  Unbefangenheit  darf  man  nicht 
nach  unserem  Schicklichkeitsstandpunkt  beurteilen,  von 
dem  aus  sie  in  einer  Schulkomödie  allerdings  schwer  be- 
greiflich sind.  Hat  doch  selbst  Günther  als  Schüler  sich 
nicht  gescheut,  die  komischen  Szenen  seines  Theodorius 
mit  Zoten  zu  würzen,  und  der  Rektor,  der  das  Stück  auf- 
führen ließ,  nahm  nicht  den  mindesten  Anstoß  daran65." 
M  Fulda,  S.  XIX.  -  65  Fulda,  S.  XXXIV. 

285 


Im  „Nebukadnezar"  tritt  der  Narr  Trakzaku  zuerst  als 
Bauer  auf,  dann  als  komischer  Küchenmeister.  Seine 
Komik  ist  meist  plump  und  ungeschlacht,  dabei  überaus 
redselig. 

In  der  „Komödie  von  König-  Salomo"  ist  der  Narr  dem 
alten  Volksbuch  aus  dem  zwölften  Jahrhundert  „Salomon 
und  Markolf"  entnommen.  In  ihm  ist  Salomo  als  dem 
Urbild  ernster  Lebensweisheit  der  typische  Vertreter  des 
derben  Volkswitzes  entgegengesetzt.  Wie  Salomo,  so  hat 
auch  dieser  Markolf  Sprüche  geschrieben.  Sie  zeichnen 
sich  meist  durch  ihre  drollige  Weiberfeindlichkeit  aus, 
oder  bergen  den  tollsten  Unsinn  in  scheinbar  tiefsinniger 
Sprache:  „Wenn  das  Vorderviertel  am  Kalbe  gut  ist,  so 
muß  das  hintere  wohl  auch  gut  schmecken!" 

Dem  weißen  Narren  Markolf  steht  der  schwarze  Narr 
Knaas  gegenüber.  Es  kommt  zu  einem  überaus  drolligen 
Auftritt,  als  sie  den  Weisheitswettstreit  Salomos  und  der 
Königin  parodieren66. 

In  der  „Tragoedia  von  dem  ungeratenen  Absolon"  hat 
der  Narr  Utz  die  Aufgabe,   das  Publikum   zu  zerstreuen. 

In  der  „Athalia"  tollen  die  beiden  Spaßmacher  Necho 
und  Secher.  Wenn  sie  ihren  Schabernack  nach  einer  Szene 
treiben,  von  der  es  in  dieser  von  Schülern  dargestellten 
Komödie  wörtlich  heißt:  „die  mittelste  Szene  eröffnet  sich 
und  praesentiret  lauter  Blut  und  Stücke  von  zerhackten 
Kindern",  so  war  ein  guter  Magen  nötig,  das  zu  verdauen. 
Aber  ebenso  wie  Zoten  zur  Komödie  gehörten,  schien  recht 
viel  und  möglichst  echt  aussehendes  Blut  bei  der  Tragö- 
die unerläßlich.  In  einem  Stücke  „Unzeitiger  Vorwitz"  hat 
der  eifersüchtige  Ehemann,  der  sein  Weib  zum  Selbstmord 
treibt,  nach  der  Anweisung  mit  dem  Kopf  gegen  die 
Wand  zu  rennen,  „daß  das  Blut  unter  dem  Hut  herfür- 
läuft".  Er  wiederholt  diese  Zimmergymnastik  so  lange,  bis 
er  tot  hinfällt67.  In  dem  Schauspiel  von  „König  Monta- 
lors  unrechtmäßiger  Liebe"  wird  der  König  in  den  Kopf 

86  Fulda,  S.  XXXVIII.  —  «'  Genee,  S.  280. 
286 


BOLlKANA-DiH 


.RKOLFVS 


Markolf  und  seine  Frau  Bolikana 
Kupfer  von  Daniel  Hopfer 


gehauen,  wobei  erinnert  wird,  es  möge  dabei  in  dem  Hute 
die  Vorrichtung  getroffen  sein,  „daß  es  Blut  gibt". 

Mit  den  aufregenden  Wirkungen  der  mit  Blut  gefüllten 
Blase  wechselten  in  dieser  an  Roheit  erschreckend  reichen 
Epoche  die  Schweinereien  des  Pickelherings  und  des  Hans- 
wurst. 

Im  „Simson"  sucht  Weise  schon  die  Gestalt  des  Nar- 
ren in  den  Rahmen  des  Dramas  einzuziehen.  Dies  kommt 
auch  im  „Kain  und  Abel"  zum  Ausdruck,  wo  der  Narr 
Galga  den  blödsinnigen  Sohn  Adams  darstellt,  nur  in  ab- 
gebrochenen Sätzen  spricht  und  die  plumpsten  Tölpeleien 
anstellt. 

Auch  in  keinem  der  erhaltenen  acht  historischen  und 
politischen  Stücke  Weises  fehlt  die  komische  Figur. 

„Wie  in  den  Bibeldramen  kann  man  auch  hier  ihre  all- 
mähliche Entwicklung  vom  Spaßmacher  auf  eigene  Rech- 
nung zur  mithandelnden  Person  verfolgen68. 

Im  frühesten  Drama,  dem  vom  gestürzten  Markgraf  von 
Ancre,  hängen  die  beiden  Narren  Potage  und  sein  Sohn 
Courage  nur  wenig  mit  der  Handlung  zusammen.  Der 
interessantere  von  beiden  ist  Courage,  dessen  Witz  sich 
einmal  zu  einer  Satire  steigert,  die  an  Shakespeares  Nar- 
ren erinnert. 

Aus  dem  Trauerspiel  von  dem  neapolitanischen  Haupt- 
rebellen Masaniello  hebt  Fulda  als  amüsant  die  Szene  her- 
vor, in  der  der  Narr  Allegro  einem  Bauern  begegnet  und 
beide  sich  voreinander  fürchten  und  die  Flucht  ergreifen. 

An  „Der  Fall  des  spanischen  Favoriten,  des  Grafen  von 
Olivarez"  einem  „ernsthaften  Schauspiel"  ohne  komische 
Szenen,  ist  bemerkenswert,  daß  hierzu  „Ein  lächerliches 
Schauspiel  vom  großmütigen  und  wundertätigen  Alfonso" 
gehört,  „welches  zu  dem  vorhergehenden  mußte  praesen- 
tirt  und  als  ein  anmutiges  Intercenium  gebrächet  werden". 
Es  ist  eine  selbständige  Posse,  die  mit  dem  Olivarez  nur 

68  Fulda,  S.  XLV. 

287 


ganz  oberflächlich  zusammenhängt.  Wahrscheinlich  wui 
den  seine  einzelnen  Akte  zwischen  die  Akte  des  ernster 
Stückes  geschoben,  und  zwar,  wie  Weise  in  der  Inhalts- 
angabe bemerkt,  „alldieweil  unterschiedene  Personen  sich 
die  Geduld  nicht  nehmen,  tiefsinnigen  Sachen  nachzudenken, 
und  lieber  etwas  leichtes  vor  sich  sehen,  das  ohn'  alle 
Mühe  sowohl  in  die  Augen,  als  in  das  Gemüte  zu  fallen 
pfleget".  Er  sagt  ferner,  die  Vergnügung  könne  nie  größer 
sein,  „als  wenn  allerhand  contraria  gleich  auf  einander 
folgen,  und  wenn  von  der  extremen  Ernsthaftigkeit  gleich 
auf  etwas  extrement  Lächerliches  gegangen  wird".  Es  ist 
ein  ausgelassener  Schwank  voll  Situationswitz  mit  dürf- 
tiger Handlung.  Der  Held  Alfanzo  ist  ein  weitläufiger 
Verwandter  des  Miles  gloriosus,  ein  aufgeblasener  Geck, 
der  sich  in  jeder  Hinsicht  vollkommen  -glaubt  und  von 
aller  Welt  zum  Narren  gehalten  wird,  eine  dankbare  und 
unzählige  Male  variierte  Bühnenfigur.  Der  Anstifter  der 
Fopperei  ist  Diego,  der  Alfanzo  für  den  Grafen  von 
Olivarez  zum  Narren  abrichten  will.  Man  treibt  nun  in 
buntester  Weise  sein  Spiel  mit  ihm,  und  er  wird  in  je- 
dem Akte  wenigstens  einmal  weidlich  durchgeprügelt. 
Schließlich  öffnet  ihm  ein  Geistlicher  die  Augen,  und 
obwohl  Diego  diesen  zu  überreden  weiß,  daß  er  seine 
Pläne  nicht  weiter  störe,  geht  Alfanzo  in  sich,  und  die 
Fopperei  hat  ein  Ende,  zumal  inzwischen  der  Graf  Oli- 
varez gestürzt  ist.  Alfanzo  wird  mit  Sainte  Mitouche, 
dem  Kammermädchen  der  Königin,  verheiratet  und  der 
königlichen  Gnade  versichert.  Die  grobkörnige  Komik 
des  Stückes  kennzeichnet  es  als  einen  Nachzügler  des 
Fastnachtsspiels 69. 

Im  „Fall  des  Marschall  Biron"  bildet  eine  Geschmacks- 
losigkeit  schlimmster  Art  den  Höhepunkt  der  sogenann- 
ten Komik.  Der  Held  Biron  soll  auf  der  Bühne  enthauptet 
werden.  Er  entwindet  dem  Henker  das  Richtschwert,  ver- 
folgt diesen  und  die    entweichenden  Personen   und  greift 

69  Fulda,  S.  XLIX. 
288 


die  zwei  Narren  des  Stückes  zum  Schein  an.    Schließlich 
wird  er  hinter  der  Szene  geköpft. 

Das  Drama  „Regnerus"  schließt  mit  der  humoristischen 
Trauung-  des  Narren  Smek  mit  der  Kammerjungfer  Geno- 
vefa,  wobei  der  Priester  in  seiner  Rede  das  Amt  des 
Narren  mit  dem  Sauerkraut  und  die  Braut  mit  der  Brat- 
wurst salbungsvoll  vergleicht.  Wie  in  dieser  herrscht  in 
den  übrigen  Narrenszenen  ein  munterer  frischer  Ton. 

Im  „König  Wenzel"  (1686)  sind  die  Narren  Babel  und 
Wazek  ausbündige  Schurken,  deren  Spaße  von  bedauer- 
licher Gemütsroheit  ihres  Schöpfers  zeugen.  Empörend  ist 
es  z.  B.,  wenn  Babels  Frau  an  dem  Genuß  von  Kirschen 
stirbt,  die  dieser  für  Wenzel  vergiftet  hat,  und  wenn  Babel 
selbst  uns  dieses  mit  scherzender  Lustigkeit  berichtet.  „In 
der  Tat  muß  im  Gefühl  der  Zeit  der  Hanswurst  eine  Aus- 
nahmestellung eingenommen  haben,  die  ihm  nicht  nur  außer- 
halb der  Kausalität  des  Stückes,  sondern  auch  außerhalb 
der  moralischen  Welt  zu  agieren  erlaubt70." 

Am  erfreulichsten  entfaltet  sich  Weises  Begabung  in  den 
Lustspielen.  Sie  beruhen  zum  größten  Teil  auf  freier  Er- 
findung und  treffen  häufig  eine  Natürlichkeit,  die  erst  lange 
nach  Weise  wieder  erreicht  werden  sollte. 

Gleich  in  dem  frühesten  Stück  dieser  Gattung,  dem 
„Bäurischen  Machiavellus"  (1679),  zieht  er  alle  Register  des 
echten  Humors,  der  niemals  zu  den  niederen  Mitteln  der 
Hanswurstkomödie  zu  greifen  nötig  hat.  Hervorzuheben 
ist,  daß  Weise  hier  wie  in  allen  übrigen  Schwänken  den 
Narren  als  ständige  Figur  verschwinden  läßt.  Dadurch  ist 
eine  erhöhte  Lebenswahrheit  erreicht.  Sie  mag  nicht  wenig 
zur  Beliebtheit  der  Weiseschen  Komödien  beigetragen 
haben. 

Der  berühmte  Staatsmann,  Historiker  und  Dichter  Nic- 
colo  di  Bernardo  dei  Machiavelli  (1469 — 1527)  war  durch 
seinen  „Principe",  in  dem  er  den  Typus  eines  rücksichts- 
losen Politikers  hingestellt  hatte,  von  der  Folgezeit  als 
70  Fulda,  S.  Uli. 

19  289 


Repräsentant  einer  kalt  egoistischen,  gewissenlosen  Lebens- 
anschauung gebrandmarkt  worden,  deren  Vertreter  man 
fortan  kurz  als  Macchiavellisten  bezeichnete.  Weises  Ten- 
denz war  es  nun,  zu  zeigen,  daß  der  Egoismus  und  die 
aus  ihm  entspringende  Schlechtigkeit  durchaus  nicht  auf 
irgendwelche  Lehren,  am  wenigsten  auf  die  des  mißver- 
standenen Florentiners,  sondern  auf  einen  den  Menschen 
angeborenen  Naturtrieb  zurückzuführen  sei.  Er  hat  zu  dem 
Zweck  das  eigentliche  Stück  mit  einer  allegorischen  Hand- 
lung umrahmt. 

Auf  dem  Parnaß  thront  Apollo,  der  Inbegriff  der  Tugend 
und  Weisheit.  Die  Vertreter  der  verschiedenen  Tugenden 
klagen  vor  ihm  den  Macchiavellus  an  als  den  Anstifter  alles 
Bösen,  den  Urheber  aller  Laster.  Macchiavellus  ist  bereits 
seiner  Schriften  wegen  vom  Parnaß  verbannt  und  wird  nun 
zitiert,  damit  er  sich  ob  der  neuen  Anklage  verantworte. 
Er  sagt,  daß  die  Schlechtigkeit  der  Welt  von  seinen 
Schriften  unabhängig  sei,  daß  sie  vor  diesen  bestanden 
habe  und  gerade  bei  den  niederen  Leuten,  die  jene  niemals 
gelesen  hätten,  am  verbreitetsten  sei.  Um  diese  Behaup- 
tung zu  prüfen,  sendet  Apollo  Eusebius,  den  Vertreter  der 
Frömmigkeit,  und  Politicus,  den  Vertreter  der  Weltklug 
heit,  aus,  die  bei  der  nun  folgenden  Haupthandlung  a 
unsichtbare  Zuschauer  zu  denken  sind. 

In  dem  Marktflecken  Querlequitsch  ist  die  Stelle  des 
Pickelherings,  d.  h.  des  öffentlichen  Spaßmachers,  Hoch- 
zeit- und  Leichenbitters  vakant  geworden,  und  es  melden 
sich  drei  Bewerber,  von  denen  jeder  eine  einflußreiche  Per- 
sönlichkeit zu  ihren  Gunsten  zu  stimmen  weiß.  Teils  durch 
Bestechung,  teils  dadurch,  daß  sie  sich  als  Freier  schwer 
anbringbarer  Töchter  einführen,  teils  durch  andere  Ränke 
und  Kniffe  wissen  sie  die  Selbstsucht  ihrer  Beschützer  auf 
das  äußerste  anzustacheln,  und  es  entspinnt  sich  nun  das 
bunteste  Intrigengewirr,  dessen  Seele  und  verschmitzter 
Leiter  der  Schulmeister  Scibilis  ist.  Diesem  gelingt  es  auch 
endlich  mit  einer  durchtriebenen  Kriegslist,  seinem  Schütz- 


u 


290 


dikrij^lMSc^Si^ 


i'  »fei  ~^&ty.*i>*itl 


Titelkupfer  von  Christian  Weises  Bäuerischem  Macchiavellus,  Leipzig,  1861 


ling  und  künftigen  Schwiegersohn  Ziribizirbo  das  Amt  zu 
verschaffen,  während  die  beiden  Rivalen  nach  mühseligen 
Beratungen  mit  anderen  Amtern  abgefunden  werden.  Mac- 
chiavells  Unschuld  ist  durch  diese  Vorgänge  erwiesen, 
und  als  der  Schuldige  wird  Antiquus  erkannt.  Er  wird  als 
der  uralte  Anfänger  aller  Bosheit  gekennzeichnet  und  zu 
Gefangenschaft  und  schwerer  Arbeit  verdammt. 

Von  diesem  matten  allegorischen  Teil  abgesehen,  fesselt 
das  Stück  durchaus,  ja  es  läßt  keinen  Augenblick  zu  Atem 
kommen.  Mit  glücklichem  Griff  hat  Weise  hier  eine  Welt 
dargestellt,  die  bis  heute  die  Lieblingssphäre  des  deutschen 
Lustspiels  geblieben  ist:  die  Welt  des  Philistertums,  der 
spießbürgerlichen  Beschränktheit  und  Aufgeblasenheit.  Da- 
bei hatte  er  gleich  eine  Reihe  von  Typen  gezeichnet,  deren 
Nachkommen  noch  heute  auf  den  Brettern  heimisch  sind. 
Da  ist  der  verschlagene,  mit  seiner  windigen  Gelehr- 
samkeit renommierende  Schulmeister,  der  wichtigtuende 
Schulze,  der  zugleich  ein  arger  Pantoffelheld  ist,  die  reso- 
lute Schwiegermutter  mit  dem  erstaunlichen  Mundwerk,  der 
aufschneiderische  Soldat,  der  leichtsinnige,  gewandte  Aben- 
teurer, die  naive  Dorfschöne,  lauter  lebenswahre  Gestalten, 
typisch  und  doch  nicht  ohne  treffende  individuelle  Züge. 
Die  ganze  kleinbürgerliche  Misere  mit  all  ihrer  Klatsch- 
sucht und  Wichtigtuerei  konnte  nicht  drastischer  und  witziger 
geschildert  werden  als  in  diesem  Stück;  es  ist  deshalb  zu- 
gleich ein  wertvolles  und  wahrhaftes  Kulturbild71. 

Auch  das  folgende  Lustspiel  von  einer  „zweifachen 
Poetenzunft"  ist  von  sehr  glücklicher  Erfindung.  Es  ist 
das  einzige  satirische  Lustspiel,  das  Weise  geschrieben  hat, 
und  wendet  sich  gegen  die  Ausschreitungen  der  damals  em- 
porschießenden Sprachgesellschaften,  die  den  Kampf  gegen 
das  Fremdwort  in  der  deutschen  Sprache  ausfochten. 

Die  vereinigte  Tannzapfen-  und  Narrenkolbenzunft  hält 
eine  ihrer  feierlichen  Sitzungen,  und  wir  erfahren  zunächst 
ihre  Tendenzen,  deren  hauptsächlichste  die  Reinigung  der 
71  Fulda,  S.  LV. 

19*  291 


deutschen  Heldensprache  ist.  Sehr  komisch  wirkt  die  Ängst- 
lichkeit, mit  der  jedes  Fremdwort  vermieden  oder  umgangen 
wird.  Jeder  Zunftgenosse  soll  seine  Lebensgeschichte  er- 
zählen; doch  sie  werden  durch  das  Herannahen  des  Edel- 
mannes unterbrochen,  vor  dem  sie  die  Flucht  ergreifen  und 
der  ein  neu  eintretendes  Mitglied  durchprügeln  läßt.  Darauf 
versammeln  sie  sich  wieder,  wählen  in  drolliger  Weise  ihre 
Untersassen  und  Schreinhalter  und  beschließen,  dem  Edel- 
mann die  Schutzherrschaft  anzutragen.  „Wer  seid  ihr  denn?" 
fragt  dessen  Verwalter,  und  der  Zunftmeister  der  Tann- 
zapfenzunft antwortet :  „Wir  sind  die  vortrefflichsten  Leute 
von  der  Welt;  wir  schreiben  Bücher,  wir  machen  Gedichte, 
wir  teilen  Ehrenämter  aus;  mit  einem  Worte:  wir  machen 
die  sterblichen  Leute  unsterblich."  Zum  Scherz  geht  der 
Edelmann  auf  die  Sache  ein,  und  als  er  der  Zunft  prä- 
sidiert, soll  sie  ihm  ihren  Heiligen  nennen.  Sie  nennen 
Hans  Sachs,  den  Nürnberger  Spruchsprecher  Wilhelm 
Weber,  Michael  Theuerdank  und  den  Bader  zu  Stößen, 
Jakob  Vogel.  Aber  er  verlangt  einen  Heiligen,  der  etliche 
hundert  Jahre  alt  sei.  „Drum  lasset  euch  den  alten  Dich- 
ter befohlen  sein,  der  nunmehr  fast  vor  fünfhundert  Jah- 
ren gelebet  hat,  der  heißtet  Walther  von  der  Vogelweide 
und  ist  so  berühmt  gewesen,  daß  er  Kaiser  Philippen  sein 
Buch  zugeschrieben  (gewidmet)  hat."  Dieser  wird  denn 
auch  als  Heiliger  akzeptiert.  Zuletzt  muß  jeder  einen  Reim 
machen,  und  da  der  Edelmann  [für  denjenigen  zehn  Taler 
bestimmt,  dem  der  beste  Reim  gelingt,  geraten  sie  in  Zwist, 
und  das  Stück  schließt  mit  einer  allgemeinen  Prügelei 7*. 

Am  berühmtesten  wegen  seiner  Beziehungen  zu  Gryphius 
und  Shakespeare  ist  das  „Lustige  Nachspiel,  wie  etwan  vor 
diesem  von  Peter  Squenz  aufgeführet  worden,  von  Tobias 
und  der  Schwalbe".  Ob  Weise  den  Sommernachtstraum 
gekannt,  erscheint  sehr  fraglich.  Feststeht,  daß  er,  von 
Gryphius  angeregt,  ganz  ohne  Anleihen  an  Shakespeare 
sein  Zwischenspiel  verfaßt  hat,  das  aber  nach  Ideen  und 

71  Fulda,  S.  LV1I. 
292 


dem  Gang"  der  Handlung1  sein  unstreitbares  Eigentum  ist. 
Seinen  Inhalt  hier  mitzuteilen,  erübrigt  sich,  da  es  in  sehr 
guter  Übertragung  durch  Reclams  Universalbibliothek  all- 
gemein zugänglich  gemacht  ist. 

„Der  politische  Quacksalber"  führt  alle  nur  erdenklichen 
Charlatantypen  vor. 

Von  Ludwig  Fulda  wieder  aufgefunden  wurde  die  Ko- 
mödie vom  Kuriositätenkrämer  (1686),  deren  Nachspiel 
ganz  in  unser  Fach  schlägt. 

„Negro,  ein  alter  reicher  Mann,  liegt  im  Sterben  und  wird 
von  Serpente,  einer  alten  Verwandten,  und  deren  Sohn 
Basilisko  gepflegt.  Er  macht  vor  den  versammelten  Hono- 
ratioren des  Ortes  sein  Testament,  in  dem  er  Serpente  zur 
Erbin  einsetzt,  dagegen  seinen  Bruder  Albino,  der  sich 
lange  nicht  um  ihn  gekümmert  hat,  mit  nur  einem  win- 
zigen Legat  bedenkt.  Inzwischen  trifft  Albino  ein  und  ist 
verzweifelt,  als  er  von  dem  Testament  hört;  ein  Schuster 
namens  Jean  verspricht  ihm,  dieses  nach  seinen  Wünschen 
umzuändern.  Zu  diesem  Zweck  schaffen  sie  erst  den  Ba- 
silisko beiseite,  den  sie  nach  einem  provozierten  Streit 
arretieren  lassen,  und  sperren  die  Serpente  im  Keller  ein; 
darauf  legt  sich  Jean  ins  Bett  des  inzwischen  verstorbenen 
Negro  und  spielt  dessen  Rolle,  als  sei  er  wieder  zur  Be- 
sinnung gekommen  und  wolle  sein  Testament  ändern.  Wie- 
derum versammeln  sich  die  Honoratioren,  die  Täuschung 
gelingt,  und  Albino  erwartet  mit  Spannung  das  Testament 
des  falschen  Negro.  Dieser  hat  nichts  eiligeres  zu  tun  als 
Serpente  wieder  zu  enterben  und  fährt  dann  fort: 

Darnach  hab  ich  einen  lieben  Bruder,  ach  die  edle  Seele ! 
Ich  kann's  nimmermehr  verbeten,  daß  ich  ihn  so  schändlich 
übergangen  habe,  den  vermache  ich  — 

Ubique  (Rechtskonsulent):   Die  ganze  Erbschaft? 

Albino:  Der  Schulmeister  hat  meines  Kopfes  viel;  nun 
wird  das  Wort  kommen,  das  mich  zum  reichen  Manne  macht. 

Jean:  Ja,  den  vermach  ich  mit  guten  Bedacht  (er  ver- 
gißt allmählich,  daß  er  ein  totkranker  Patiente  ist,  fängt 

293 


mit  den  Armen  an  zu  fechten),  mit  guten  Bedachte  zwei- 
hundert Thaler. 

Albino  (ad  spectatores) :  Je  du  Schelme,  du  bringst 
mich  zum  andern  Mal  um  meine  Wohlfahrt.  Laß  die  Herren 
wegkommen,  ich  will  dich  bezahlen  1 

Jean:  Und  darnach  hab'  ich  einen  guten  Freund,  der 
hat  mich  einmal  aus  Leib-  und  Lebensgefahr  errett',  der 
heißt  Schuster  Jean  in  der  Viehgasse,  den  will  ich  zur 
schuldigen  Dankbarkeit  zu  meinen  rechtmäßigen  Erben 
eingesetzt  haben. 

Dabei  bleibt  es  natürlich  nicht.  Albino  schlägt  Lärm, 
der  Betrug  wird  aufgedeckt,  und  es  kommt  zu  einer  höchst 
drolligen  Gerichtsverhandlung.  Vorher  hat  sich  Albino  von 
der  wieder  befreiten  Serpente  noch  glücklich  500  Taler 
ausgeschwindelt  und  sich  damit  aus  dem  Staube  gemacht. 
Jean  aber  wird  zum  Tod  verurteilt  und  aufgehängt;  da 
versammeln  sich  alle  um  den  Galgen  und  verspotten  ihn. 

Jean:  Ihr  Leute,  macht  mir's  erleidlich,  sonst  komm  ich 
nunter  und  will  ein  bezahlen,  daß  er  an  mich  denken  soll. 

Serpente:  Ei  komm'  doch  runter!  (Sie  fangen  alle  an 
zu  lachen.) 

Jean  (kommt  herunter) :  Ihr  Schelmen,  so  will  ich  euch 
weisen,  wie  ihr  einen  redlichen  Kerlen  in  seinem  Berufe 
respektiren  sollt.  (Sie  fallen  übereinander  und  schlagen 
sich.) 

Also  mit  der  obligaten  Prügelei  schließt  auch  dieser 
ausgelassene  Schwank,  der  einer  der^ witzigsten  ist,  die 
Weise  geschrieben  hat73." 

Eine  ziemlich  matte  Groteske  ist  „Der  betrogene  Be- 
trug". - 

Ein  Bauer  ist  dem  Verwalter  Geld  schuldig,  und  dessen 
Drohungen  bewirken,  daß  er  dem  Gelde  nachforscht,  das 
seine  Frau  versteckt  haben  soll.  Dies  Geld  hat  die  Mutter 
eines  armen  Mädchens,  der  Braut  des  Verwalters,  vor  Zei- 
ten der  Frau  zur  Verwahrung  gegeben,  und  diese  hat  es 

78  Fulda,  S.  LXI  f. 
294 


unterschlagen.  Die  ganze  Handlung  beruht  darauf,  daß 
zuerst  der  Bauer  seiner  Frau  das  Geld  stiehlt,  worauf  es 
ihm  von  dem  Hofnarren  des  Verwalters  und  diesem  wieder 
von  der  rechtmäßigen  Besitzerin  heimlich  weggenommen 
wird.  Mit  einer  Schlägerei  der  drei  Geprellten  endet  der 
Schwank. 

Denselben  Stoff  wie  Shakespeare  in  „Der  Widerspen- 
stigen Zähmung"  behandelt  Weise  in  seiner  „bösen  Ca- 
tharina". 

Der  angesehene  Baptista  hat  zwei  Töchter,  Catharina 
und  Bianca;  die  ältere,  Catharina,  ist  wegen  ihres  bos- 
haften und  zanksüchtigen  Wesens  allgemein  gefürchtet  und 
gehaßt,  während  die  jüngere,  Bianca,  die  gar  viel  von  ihr 
zu  leiden  hat,  sanft  und  bescheiden  ist.  Um  sie  wirbt  Mako, 
wird  aber  vom  Vater  abgewiesen,  weil  zuerst  die  ältere 
Tochter  verheiratet  werden  soll.  Mako  sucht  sich,  als  Holz- 
schläger verkleidet,  der  Geliebten  zu  nähern,  während  seine 
Freunde  sich  bemühen,  Catharina  einen  Freier  zu  ver- 
schaffen. Einen  solchen  finden  sie  in  Heyno,  der  aber  von 
ferne  zusieht,  wie  Catharina  einige  Bauern  durchprügelt, 
und  sich  deshalb  schleunigst  zurückzieht.  Energischer  ist 
der  viel  gewanderte  Härmen ;  er  läßt  sich  nicht  abschrecken 
und  verlobt  sich  mit  Catharina,  die  sich  ihm  im  vorteil- 
haftesten Lichte  zeigt,  um  ihn  nach  der  Hochzeit  besser 
tyrannisieren  zu  können.  Diese  soll  auf  dem  Lande  statt- 
finden, weil  die  Braut  in  der  Stadt  doch  gar  zu  verrufen 
ist.  In  einigen  sehr  witzigen  Szenen  beraten  die  Bauern 
über  die  Art,  wie  das  Hochzeitsfest  zu  veranstalten  sei;  die 
Beratung  endet  selbstredend  mit  einer  großen  Prügelei. 
Sowie  die  Hochzeit  vorüber  ist,  beginnt  Härmen  seine  Kur; 
zuerst  überbietet  er  seine  Frau  im  Schelten,  dann  hungert 
er  sie  aus  und  verbietet  sogar  den  Bauern,  ihr  irgend  et- 
was zu  essen  zu  geben;  schließlich  läßt  er  sie  nicht  schlafen. 
Sie  geht  bereits  in  sich,  als  eine  alte  Frau  sie  wieder  auf- 
hetzt, und  nun  greift  Härmen  zu  noch  energischeren  Mit- 
teln. Er  läßt  sie  in  eine  Wiege  legen  und  ihr  die  Fußsohle 

295 


bürsten,  bis  sie  Besserung  gelobt.  Baptista  hat  inzwisch< 
so  entsetzliche  Dinge  über  die  Grausamkeit  seines  Schwieger 
sohnes  vernommen,  daß  er  an  Scheidung  denkt  und  das 
Verlöbnis  von  Bianca  und  Mako  wieder  aufheben  will.  Da 
treffen  Härmen  und  Catharina  ein,  und  diese  zeigt  sich  zu 
allgemeiner  Freude  und  Verwunderung  völlig  umgewandelt 
und  als  eine  liebende  und  gehorsame  Gattin. 

Weise  hat  den  Stoff  ganz  auf  deutsche  Verhältnisse  zu- 
geschnitten und  durch  deutsche  groteske  Zutaten  seinem 
Publikum  mundgerecht  gemacht.  So  ist  das  Wiegen  des 
bösen  Weibes  ein  deutscher  Zug,  der  sich  bereits  in  „Cunae" 
des  Harlemer  Rektors  Schonaeus  (f  1611)  findet. 

Weises  Verdienste  um  die  Entwicklung  des  deutschen 
Dramas  sind  unbestritten.  Aber  auch  die  deutsche  Schau- 
spielkunst ist  ihm  zu  großem  Dank  verpflichtet,  ihm  viel- 
leicht noch  mehr  als  all  den  andern  Dichtern  und  Ver- 
anstaltern von  Schuldramen,  zu  denen  insbesonders  die  Je- 
suiten zählten. 

Diese  Geistlichen  schufen  sich  für  ihre  Schulen  ein  eige- 
nes Genre,  die  sogenannten  Jesuitenkomödien,  das  die  Form 
des  gelehrten  oder  Schuldramas  und  die  höfische  Kon- 
venienz  aufgegeben  hatte,  und  sich  den  alten  Misterien 
näherte !  Auch  hier  zeigt  sich  jener  eigentümliche  frische 
und  bewegliche  Geist  des  Ordens,  der  nicht  exklusiv  wir- 
ken wollte,  sondern  sich  gerne  den  wechselnden  Erschei- 
nungen des  Volksgeistes  anschloß,  weder  die  heidnische 
Mythologie  noch  den  Sinnenreiz  des  Ballettes  oder  die  der- 
ben Witze  der  komischen  Figuren  scheute  und  dadurch 
mit  bewunderungswürdiger  Elastizität  seinen  Zauber  auf 
alle  Stände  der  Gesellschaft  zu  übertragen  verstand. 

Die  Jesuiten  besaßen  fast  in  jedem  Kollegium  ein  Thea- 
ter, wo  am  Ende  des  Schuljahres  anfangs  von  der  stu- 
dierenden Jugend,  später  von  anderen  Personen,  unter  der 
Leitung  der  geistlichen  Lehrer  Schauspiele  aufgeführt  wur- 
den. In  den  Zwischenspielen  dieser  Komödien,  die  ganz 
im  Geschmack  der  wandernden  Truppen  gehalten  waren, 
296 


trockneten  Pickelhering,  Hanswurst  oder  Harlekin  die 
Tränen  der  Zuschauer74. 

Aus  den  Darstellern  der  Schulkomödien,  aus  Studenten 
und  Schülern,  hat  sich  zu  Beginn  des  neuen  deutschen 
Theaters  der  Nachwuchs  der  Schauspieler  rekrutiert. 

So  erschien  1622  in  Berlin  die  Komödiantengesellschaft 
von  Carl  Treu.  Bei  ihr  befand  sich  anfangs  ein  früherer 
Studiosus  Theologiae,  Magister  Johann  Lassenius,  der  sich 
aber  bald  von  Treu  trennte  und  eine  eigene  Truppe  bil- 
dete. Dieser  Magister  ist  als  der  erste  jener  Theaterprin- 
zipale anzusehen,  die  aus  dem  Lehrstande  hervorgingen 
und  reisende  Studentengesellschaften  bildeten,  die  die 
ersten  Schritte  taten,  um  die  Kunst  der  dramatischen  Dar- 
stellung aus  dem  Sumpf  der  Pöbelhaftigkeit  zu  heben75. 

Dieser  Lassenius  spielte  später  wiederholt  in  Berlin,  wo 
er  die  Gunst  des  Kurfürsten  Georg  Wilhelm  errang.  Auf 
dessen  Vorstellungen  entsagte  Lassenius  dem  Schauspieler- 
stand und  wurde  Prediger  in  Pommern  und  Danzig. 

Im  Jahre  1646  kam  der  Schauspielunternehmer  Andreas 
Gärtner  mit  seiner  aus  Studenten  bestehenden  Gesellschaft 
aus  Königsberg  in  Preußen  nach  Hamburg,  um  dort  Vor- 
stellungen zu  geben. 

Erst  Student,  dann  Wanderkomödiant,  Gelegenheits- 
dramatiker und  endlich  Skribent,  dieser  Werdegang  so  vieler 
Talente  an  der  Wende  des  siebzehnten  Jahrhunderts  und 
darüber  hinaus,  war  auch  der  Christian  Reuters.  Als  Ver- 
fasser des  Schelmenromans  „Schelmuffsky"  ist  Reuter  un- 
sterblich geworden,  als  Autor  köstlicher  Hanswurstiaden 
ist  er  vergessen.  Sehr  zu  unrecht.  Zwei  seiner  Komödien, 
„Die  ehrliche  Frau  nebst  Harlequins  Hochzeit-  und  Kind- 
betterinschmaus"  und  „Der  ehrlichen  Frau  Schlampampe 
Krankheit  und  Tod"  zählen  zu  dem  Besten,  was  das  deutsche 
Lustspiel  nach  Weise  geleistet  hat.  Eine  weitere  Bedeu- 
tung gewinnen  die  Komödien  noch  dadurch,  daß  in  einer 

74  Karl  Weiß,  Die  Wiener  Haupt-  und  Staatsaktionen,  Wien  1854,  S.  34. 
—  7i  Genee,  S.  285. 

297 


von  ihnen  der  „Schelmuffsky"  vor  seinem  Erscheinen  im 
Roman  sich  mit  seiner  ganzen  Sippe  auf  der  Bühne  vor- 
stellte. „Eine  nicht  geringe  Wichtigkeit  kommt  ferner  den 
beiden  Stücken  für  die  Erkenntnis  der  Entwicklung  des 
deutschen  Dramas  zu,  weil  sich  in  ihnen,  deutlicher 
als  in  irgend  einem  anderen  Denkmal  der  Zeit,  die  Ein- 
flüsse der  verschiedenen  Richtungen  verfolgen  lassen,  die 
sich  im  deutschen  Drama  am  Ende  des  siebzehnten 
und  gegen  Anfang  des  achtzehnten  Jahrhunderts  geltend 
machten76." 

Reuter  arbeitete  seine  Figuren  direkt  nach  der  Natur. 
Daher  ihre  Frische  und  die  Echtheit,  die  selbst  durch 
die  dick  aufgetragene  groteske  Bemalung  immer  wieder 
ins  Auge  springt.  Überall  sind  Persönlichkeiten  und  Zu- 
stände, mit  denen  Reuter  innig  vertraut  war,  festgehalten, 
so  daß  alles  wohl  übertrieben,  aber  niemals  unnatürlich 
erscheint. 

Der  Hochzeitsschmaus  erhält  noch  dadurch  reliquiarische 
Bedeutung,  daß  er  Goethe  zu  dessen  Drama  „Hanswursts 
Hochzeit"  angeregt  hat.  Zwei  Verse  des  Reuterschen  Hoch- 
zeitsschmauses sind  wörtlich  in  Goethes  kleine  Dichtung 
übergegangen. 

In  der  Eingangsszene  des  Hochzeitsschmaus  sagt  Teneso 
zu  seiner  Tochter  Lisette,  daß  er  sie,  da  er  schon  alt  und 
gebrechlich  sei,  dem  reichen  Monsieur  Lavantin  versprochen 
habe.    Lisette  ist  damit  einverstanden: 
Lavantin  ist  mir  schon  recht, 
Wenn  ich  ihn  bekommen  möcht, 
Zu  stillen 
Mein  Willen: 
Dieweil  er  jung  und  reich. 
Teneso  will  freudig  zu   dem  Vater  des  Jünglings  laufen, 
um   den    Hochzeitstag    festzusetzen.     Da    erscheint   Har- 
lequin. 


Georg  Ellinger  in  Braunes  Neudrucke  Nr.  90—91,  Halle  1890,  S.  III. 


298 


Hanswurst  im  17.  Jahrhundert 


Caltigo  Ridendo  Mores. 


Valete  6c  Fave'te.N 

[o&  taufenb  ©eblavperment,  tvie  tvirbö  im  SSeufl  tyntibw, 
€ö  fommt  betrübte  3cif ,  top  id).von  tyer  muß  f<${ftctb 
Unb  tvaä  ba$  fcblimmfte  ift ,  cö  fcbjenr  bic  gan$e  SBelt: 
JDu  voberer  :£annö;2Burfr,  tvie  ftebetö  um  bein©elb?. 
iöor  2Bein,  &ter  unb  SSranbtvem  foll  idt>  bic  Ballung  geben , 
Unb  ber  Jperr  firebit  ift  in  meinem  £eib  unb  geben; 
Jperr  Sorgeöborf  ift  tobt;  .sperr  J£>abe~nid)t$  ben  mir, 
Unb  9J?onfieur  3ahlau$  piagt  mia)  all  Sage  tyer; 
Paupertas  ift  mir  gar  $ur  (£t)e  anvertrauet, 
SBooon  Jherr  hungrig  mir  aus  allen  £o$ern  flauet. 
HDtum  mujj  ich,  tvohl  aübier  #err  ©Jiferabel  fenn, 
Unb  «Jflabam  £lenb  mad)f  mir  rechte  Rollen --^ein; 
JDod)  bin  fct>  genereux  unb  toill  noct;  tvaö  verfetyenefest, 
2ßaö  i(!$?  gm  @d)arfemverf,  jeboer;  ein  2wgebenfen, 
JDeö  J£)annS?2Burfreö  Portrait:  ob  ben  il)r  oft  gelad)f, 
SBenn  er  auf  ferner  35üf)n  tvaö  ndrrifct)cö  gemacht. 
5ißoüt  ß(X  uu«:  röi  präfent  barvor  gilt:  IKeife  geben, 
<5o  münfd)  id)  £ud;  vergnügt  in  spleiß  .-Sitten  ju  leben, 
3«*  £"«  Stufen*©»)  vergnüg  <£ud)  $ag  unb  tRa0t, 
$&i$  £üel)  (Belel;rfamfeit  $um  £icr;tber  20elt  gebraut 
SDieö  ifr,  tvaö  i#  julejf  €u$  ivünfd)  vor  (Eure  ©abe, 
3?$t  bin  irj)  J£>ann$;28urft;  fonfl  ab« 

l;eip  td)  (Schabe. 

Abschiedsgruß  eines  Hanswursts  aus  Leipzig 
18.  Jahrhundert 


Entree  II. 

Harlequin.     Lisette. 

Harlequin: 

Mein  süßer  Bienen-Korb,  mein  klares  Urin-Glaß, 
Verzeihe,  daß  ich  dich  anrenn  auf  dieser  Straß. 
Ich  bin  gantz  verschammieret, 
Weil  niemand  als  mir  gebührt 
zu  üben 
das  Lieben, 
mit  dir  du  Raben-Aas. 
Lisette  versichert  Harlequin : 
Ich  liebe  dich  so  sehr, 

Daß,  wenn  es  nicht  allhier  auf  freyer  Gassen  wäre 
küßt  ich  dich  wohl  tausendmal, 
so  sieht  man  es  überall, 
drum  borgen, 
bis  Morgen, 
Mustu,  was  wilstu  mehr. 

Harlequin : 

Der  kleine  Bettschelm  liegt  mir  gar  in  meinem  Sinn, 
Ich  schwere,  daß  es  wahr,  daß  ich  vom  Adel  bin, 

wird  sie  mir  nicht  bald  zu  theil, 
erstich  ich  mich  mit  dem  Beil. 

O  Schade, 
Gott  Gnade 
alsdann  dem  Harlequin  1 
Dem  Ersten,  den  ich  seh  bei  meiner  Liebsten  stehn, 
dem  soll  ein  grimmig  Schwerdt  durch  Leib  und  Seele 
biß  er  werde  so  zerstückt,  gehn, 

daß  kein  Schneider  ist  geschickt 
zu  flücken 
die  Stücken, 

denn  ists  mit  ihm  geschehn. 

299 


Ich  bin  schon  von  Statur,  von  Haut  subtil  und  zart, 
von  Hertz  und  Muth  ein  Held,  man  siehts  an  meinem 


sechse,  fünfe  oder  vier 
jag-  ich  alle  hinter  mir, 

courage, 
courage, 
Ich  bin  von  Helden  Art. 
(Tritt  beyseite.) 

Entree  III. 

La  van  t  in,  Lisette,  Harlequin. 

Lavantin: 

Nun,  meine  Liebste  bleibet  sie 

wie  gestern  noch  gesonnen? 
Lisette: 

Ja  mein  Schatz  er  glaube  mir, 

Er  hat  mein  Hertz  gewonnen. 
Lavantin: 

Ey  so  nehm  sie  dann  darauff 
diesen  Kuß  zum  süßen  Kauff. 

O  Wonne,  O  Wonne,  O  Wonne. 
Lisette: 

So  nehm  er  dann  mein  Liebster  an 
den  Kuß  von  meinem  Munde. 
Harlequin: 

Küß  daß  du  erstickst  daran. 
Lavantin: 

O  längst  gewünschte  Stunde, 

Augen  küß  ich  Mund  und  Kinn. 
Harlequin: 

Küß  du  sie  wo  anders  hin, 

Auffm  Podex,  auffm  Podex,  auffm  Podex. 

(Lavantin,  Lisette  gehen  ab.) 
300 


Barth, 


Entree  IV. 

Ursel.     Harlequin. 

Ursel: 

Nimm  diesen  Kuß  mein  Schatz  von  meinen  Lippen  an. 

Harlequin: 

Ich  wollte,  daß  dir  war  ein  Dreck  ins  Maul  gethan. 
Pfuy  der  schönsten  Courtesie, 
Die  ich  mir  gewünschet  nie. 
Ich  wette, 
Lisette 
Kriegt  Lavantin  zum  Mann. 
Jetzt  bin  ich  brav  vexirt,  von  hinten  und  von  forn, 
Ick  bin  gantz  rasend  toll,  und  berste  schier  vor  Zorn. 

Ursel: 

Sage  mir,  was  dich  anficht, 

Harlequin,  weil  dein  Gesicht 
so  dunkel. 
Harlequin: 

Runckunkel, 

lass  mich  itzt  ungeschorn. 

Ursel: 

Ich  bin  ja  ziemlich  jung. 

Harlequin: 

Ja  ziemlich  eselgrau. 

Ursel: 

Reich, 

Harlequin: 

rauch. 

Ursel: 

Schön,  roth  und  weiß, 

Harlequin: 

Die  Lippen  himmelblau. 

Ursel: 

Ich  bin  auch  gescheut  und  klug, 


301 


Harlequin: 

wie  ein  alter  Essigkrug. 
Ursel: 

manierlich, 

Harlequin: 

natürlich 

wie  eine  Becker-Sau. 
Ursel: 

Wie  ist  es  denn,  mein  Kind, 

willst  du  mich  gar  nicht  lieben? 
Harlequin: 

O,  wenn  ich  wäre  blind, 

Ursel: 

Ich  will  dich  nie  betrüben. 
Ich  bin  ja  so  hübsch  und  fein, 
Und  will  gern  dein  Weibgen  seyn. 

Harlequin: 

Pfuy  Teufel  :/:  :/: 
Ursel: 

Meinstu  mich  Affen-Maul, 

Langnäsichter  Krummschnabel. 
Harlequin: 

Ja,  dich  du  Karren-Gaul, 

Madame  von  der  Gabel. 
Ursel: 

Schweig,  ich  brech  dir  das  Genick, 
du  verfluchter  Galgenstrick, 
du  Esel  :/:  :/: 
Harlequin: 

Was  fragstu  wilde  Wasser-Mauß, 

du  heßlicher  Pfuy  Teufel, 
wilstu  nicht  heute  fahren  aus, 

aufn  Besen  ohne  Zweifel, 
302 


ßch    Sh-oKfackJhhz     hitr    rr,    Kupfe-r     aba  eflo  chert  . 

Courage   ^Te'iki  mir-  ~iara\i.f  u^il    uh  ru'cfrt  pochtn., 
Sich    lUib  ihr  ServilrZr  -in  Jußlaktit  urH>  Jchrrt\f    , 

Hanswurst  des  18.  Jahrhunderts 
Kupfer  von  Elias  Back 


ich  lauff  dir  bald,  schweigstu  nicht, 
mit  dem  Marsche  ins  gesicht, 
du  Hexe  etc.  :/:  :/: 

Entree  V. 
Claus,  der  Ursel  Vater.    Ursel.    Harlequin. 
Claus: 

Du  Flegel,  darffstu  dich  mein  Kind 

zu  schmähen  unterstehen, 
Ertzbengel,  lauffe  nur  geschwind, 

sonst  solstu  blutig  gehen, 
Sie  ist  vor  dich  viel  zu  gut, 
du  verlauffner  Funfzehn-Hut, 
Haluncke  etc.  :/:  :/: 
Harlequin: 

Du  wilder  wüster  Ziegenbart, 
du  alter  Hosenscheißer, 
Claus: 

Du  Vogel  von  der  Galgen-Art, 
du  Narr,  du  Possenreißer. 

Harlequin: 

Alter  Hudler,  gehst  du  nicht, 
werff  ich  dir  bald  ins  Gesicht 
Ohrfeigen  etc.  :/:  :/: 
Claus: 

So  nimm  denn  diß  von  meiner  Hand, 
es  soll  dir  seyn  verehret, 

(schlägt  Harlequin). 
Harlequin: 

Un  du  nimm  dieses  Liebes-Pfand, 
daß  dir  das  Glück  bescheret, 

(schlägt  Clausen). 
Claus: 

Ursel  schlage  wacker  drein, 
brich  dem  Schelme  Hals  und  Bein. 
Courage  :/:  :/: 
(Sie  fallen  übereinander  und  machen  ein  Gepolter.) 

303 


Entree  VI. 

Die  Richter  mit  den  Häschern  und  die  Vorigen. 

Richter: 

Halt  ein,  du  loses  Volck,  was  soll  denn  dieser  Streit? 
laßt  ab,  sag  ich,  wo  nicht,  so  sollet  ihr  noch  heut 

kommen  in  das  Narren-Hauß, 
Kein  Bitten  soll  euch  helfen  drauß, 

ihr  Häscher, 

ihr  Drescher 
mit  Flegeln  sie  entscheid. 

(Sie  Iauffen  davon.) 

Entree  VII. 
Lisette: 

Wie  lang   fällt  mir  die  Zeit,  seither  ich  eine  Braut, 
Ich  zehle  Stund  und  Tag,  biß  dann  man  mich  vertraut 
mit  dem  jungen  Lavantin, 
es  regirt  ein  Hertz  und  Sinn 
uns  beyde 
O  Freude! 
wie  jucket  mir  die  Haut. 
Komm  werther  Bräutigam,  komm  liebstes  Seelen-Kind, 
Mein  Hertz  ersticket  fast,  weil  es  dich  nirgend  find, 
weil  mein  Lavantin  mich  liebt, 
bin  ich,  die  sich  ihm  ergiebt, 
von  Hertzen 
mit  Schmerzen, 
mein  Schatz  komm  fein  geschwind. 

Entree  VIII. 

Harlequin.    Lisette. 
Harlequin: 

Hier   steh   ich   schon  vor   dir  mein  Schatz  mit  Seel 

und  Leib, 
Du   hast   mich  ja  gerufft,  mein  süßer  Zeit- Vertreib. 
304 


Wenn  ich  schaue  dein  Gesicht, 
Weiß  ich  nicht  wie  mir  geschieht, 
Ich  schwitze 
vor  Hitze, 
sag,  wiltu  seyn  mein  Weib? 
Lisette: 

Dieweil   ich  endlich  doch  muß  nehmen  einen 

Mann, 
So  stündest  du  mir  wohl  für  allen  andern  an, 

wüst  ich  nur  wie  reich  man  dich 
schätzet,  sage,  kanst  du  mich 
mit  Ehren 
ernehren, 
da  liegt  am  meisten  dran. 
Harlequin: 

Gar  recht,  ich  habe  gar  ein  trefflich  Heyraths- 

Gut, 
erst,  ein  schön  Seiden-Kleid,  dann  einen  neuen 

Hut, 
einen  silbern  Biesem-Knopff, 

einen  küffern  Wasser-Topff, 
vier  Wannen, 
zwey  Kannen, 
verzieh,  es  kommt  noch  mehr. 
Ein  blaues  Hochzeit-Kleid  mit  rothen  Fleck 

geflickt, 
ein  Gürtel  um  den  Leib,  mit  Schwantzen  schön 

gestickt, 
einen  Mantel  trage  ich, 

einen  Mantel  trage  ich, 

Ellenlang,  daß  stutzt  warlich, 

ein  Rantzen, 

mit  Frantzen 

schickt  sich  wohl  darzu. 
20  305 


Ein  Diamanten  Ring,  ein  zinnern  Brunfz-Geschirr, 
so  noch  gar  nicht  gebraucht,  das  dienet  mir  und  dir, 

ein  Kackstuhl  von  Elffenbein, 

und  ein  wohlgemästet  Schwein, 

zwey  Wiegen, 
sechs  Ziegen, 
verzieh,  es  kommt  noch  mehr. 
Ein  Taschen-Messer,  und  ein  starker  Hackenlock, 
ein  Blasebalck  gantz  neu,  auch  Eyer  neunzig 

Schock, 
töpffern  Schüsseln  hab  ich  vier, 
und  ein  Faß  voll  Zerbster  Bier 
im  Keller, 
sechs  Teller 
von  Holtz,  es  kommt  noch  mehr. 

Ein  Schau-Stück  pur  von  Bley,  wohl  18  Pfennig 

werth, 
ein  Hünerkorb  von  Stroh,  ein  schönes  blindes 

Pferd, 
und  zwey  Schinken  hab  ich  auch, 
die  noch  hangen  in  dem  Rauch, 
drey  Tiegel,  zwey  Spiegel, 
verzieh,  es  kommt  noch  mehr. 
Mein  eigen  Contrefait,  und  einen  neuen  Schranck, 
ein  steiffes  Mangel-Holtz,  wohl  einer  Spannen  lang, 
dies  alles  geb  ich  dir, 
du  hingegen  giebest  mir, 
mein  Schätzgen, 
dein  —  —  — 
Courage  mon  ami. 
Lisette: 

Du  bist  ein  reicher  Kerl,  ich  muß  es  traun 

gestehn, 
Ich  will  ietzunder  gleich  zu  meinem  Vater  gehn. 
306 


Harlequin: 

Ey  so  lauff  mein  Tausend-Schatz, 
daß  dirs  keine  Katz  zukratz, 

courage, 

courage, 
der  Tantz  wird  bald  angehn. 

Entree  IX. 
Claus: 

Ursel  meine  Tochter  thut 

vor  Liebe  fast  verzagen, 

ihre  Sach  steht  gar  nicht  gut, 

darffs  doch  dem  Artzt  nicht  klagen, 

wenn  ich  eine  Suppe  will, 

bringt  sie  mir  den  Besenstiel 

O  Jammer!  etc.  etc. 

Ach  es  liegt  ihr  doch  der  Dreck 
so  nahe  bey  dem  Hertzen, 
hole  mich  der  Guckguck  weg, 
ich  sag  es  ohne  Schertzen, 
kriegt  sie  nicht  bald  einen  Mann, 
thut  sie  selbst  ein  Leid  ihr  an, 
O  Jammer!  etc. 

Art  von  Art  last  nimmer  nicht, 
es  ist  ihr  nicht  angebohren, 
wenn  ihr  nicht  ihr  Recht  geschieht, 
so  ists  mit  ihr  verlohren, 
sie  sieht  schon  gantz  blaß  und  bleich 
nicht  mehr  einer  Jungfer  gleich, 
O  Jammer! 

Ich  halts  ihr  vor  übel  nicht, 
dieweil  ich  muß  gestehen, 
wenn  ein  Mägdgen  mein  Gesicht 
nur  freundlich  thut  ansehn, 
20»  307 


so  werd  ich,  ich  alter  Mann, 
also  bald  gefochten  an, 
vom  Kützel  etc. 


Ent 


ree 


X. 


Harlequin  (mit  einer  Leiter  und  Laternen): 

Ein  Ständchen  hat  mein  Schatz  Lisette  gern  bey  Nacht, 
drum  hab  ich  heute  schon  ein  trefflich  Stück  erdacht, 

Das  will  ich  vor  ihrer  Thür 

singen,  dazu  müssen  mir 

die  Geigen 

nicht  schweigen 
das  wird  gefallen  ihr. 

(Er  lehnt  die  Leiter  an  das  Cammer-Fenster  und  singet 
folgendes  Lied.) 

Aria. 

1. 

Lisette,  liebster  Rosenstock, 

meines  Hertzens  Zuckerstengel, 
Du  meines  Leibes  Unter-Rock, 

Mein  Schatz  und  tausend  Engel, 
vernimm  den  Klang, 
und  schönen  Gsang, 
die  säubern  Rittornellen, 
so  klingen  wie  Kuhschellen. 

2. 
Und  dies  geschieht  zu  Ehren  dir, 
weil  ich  dich  hertzlich  liebe, 
das  Hertz  in  Hosen  zittert  mir, 
aus  lauter  Liebes  Triebe, 
du  wirst  ja  auch 
nach  Handwerks-Brauch, 
mich  recht,  von  Hertzen  meynen, 
sonst  müst  ich  mich  todt  greinen. 
308 


3. 
Ich  thät  dirs  gerne  siebenmahl 

mit  Geigen  musicieren, 
damit  ich  nicht  bestehe  kahl, 
will  ich  die  Stimme  zieren 
met  re,  mi,  fa, 
fa,  mi,  sol,  la, 
und  schönen  Tremulanten, 
Trotz  allen  Musicanten. 

4. 
Ach!  mache  mir  doch  auf  geschwind, 

Du  wertheste  Lisette, 
Ach  lasse  mich  doch  ein  mein  Kind, 
mein  Schatz,  zu  dir  ins  Bette, 
denn  Harlequin, 
dein  Hertz  und  Sinn, 
erwartet  dein  mit  Schmertzen, 
thu  auf,  und  laß  dich  hertzen. 

Die  ersten  Zeilen  dieser  Aria  sind  offenbar  eine  Parodie 
auf  Hofmannswaldaus  berüchtigtes  Sonett:  „Amanda,  lieb 
stes  Kind,  du  Brustlatz  kalter  Herzen  .  .  ." 

Der  Ruhm,  die  erste  Truppe  gebildet  zu  haben,  die  den 
Namen  Schauspieler  zu  Recht  und  in  Ehren  trugen,  gebührt 
dem  Magister  Hans  Veiten,  auch  Velthen,  Veitheim  oder 
Velthem  genannt.  Veiten  soll  als  Student  1669  bei  einer 
von  Leipzigs  Universitätshörern  veranstalteten  Aufführung 
von  Corneilles  Polieuct  als  Darsteller  so  großen  Beifall 
gefunden  haben,  daß  er  das  Studium  an  den  Nagel  hing 
und  fortan  als  Schauspieler  und  dann  als  Leiter  eines 
Thespiskarrens  durch  die  Lande  zog.  In  Breslau,  Leipzig, 
Dresden,  Nürnberg,  Braunschweig  und  Hamburg  war  Vel- 
tens  Truppe,  die  später  den  Titel  Kursächsische  Komö- 
diantenbande erhielt,  ein  gerne  gesehener  und  mit  Aus- 
zeichnung   behandelter    Gast.     Veiten    brachte    Zug    und 

309 


Anstand  in  seine  Gesellschaft,  bei  der  schon  Frauen  tätig 
waren.     In  Veltens  Personal   finden   sich  vier  Schauspie 
lerinnen,  darunter  seine  Frau  und  Schwester. 

Diese  Neuerung  verursachte  den  Frommen  viel  Arger. 
Abraham  a  Sta.  Clara  macht  seinem  Grimm  über  die 
„Comoediantinnen"  in  dem  Abrahamischen  „Gehab  Dich 
wohl"  "  Luft. 

„Frau  Mutter!  sagt  jene  Tochter,  und  vor  Heunt  bitt 
ich  um  Erlaubnis  in  die  Comoedi  zu  gehen,  denn  man 
spielt  den  Doctor  Faust,  ist  gantz  und  gar  nichts  ver- 
liebt's," „ja,  ja  meine  liebe  Lisette,  sagt  die  Mutter,  du 
gehest  mit  mir,  ich  gehe  auch  in  die  Comoedi,"  und  ob 
man  schon  .den  Doctor  Faust  spielet,  so  kommen  doch 
allerley  verliebte  Intriguen  hinein;  der  Aufputz  deren 
Comoediantinnen,  die  süße  und  glatte  Wort,  die  freche 
Gebärden,  mit  welchen  man  die  Herzen  der  Mannesbilder 
bezwingen  kan,  diese  geben  der  Jungfrau  Lisette  die 
schönste  Gelegenheit  zu  verschiedenen  schmutzigen  Ge- 
danken, und  ob  der  Teuffei  schon  keinen  Lehrmeister  ab- 
gibt, so  ist  doch  die  Gelegenheit  in  der  Comoedi  genug, 
die  Liebe  nach  allen  Haupt-Stücken  zu  lernen." 

Die  ersten  Schauspielerinnen  standen  wohl  1589  in  Berlin 
auf  der  Bühne.  Allerdings  waren  es  Dilettantinnen  und 
Kinder.  Im  genannten  Jahre  wurde  am  Hofe  des  Kurfürsten 
Johann  Georg  die  „Kurtze  Comoedien  von  der  Geburt  des 
Herrn  Christi"  von  Georg  Pondo 78  aufgeführt.  Das  Christ- 
kindlein stellte  der  achtzehn  Monate  alte  Markgraf  Friedrich 
dar.  Sein  Bruder,  der  achtjährige  Christian  und  der  sieben- 
jährige Joachim  Ernst  waren  zwei  der  heiligen  Könige. 
Im  Engelchor  sangen  zwei  Markgräfinnen  mit.  In  die  an- 
deren Rollen  teilten  sich  Kinder  des  Hofadels  und  einiger 
Berliner  Patrizier. 

In  Italien  finden  sich  vereinzelt  seit  etwa  1560  Frauen 
als  Darstellerinnen. 

77  Wien  und  Nürnberg,  1737,  S.  97.  —  78  Herausgegeben  von  Gottlieb 

Friedländer,  Berlin,  1839. 

310 


In  Deutschland  haben  sie  bereits  zu  Anfang  des  sieb- 
zehnten Jahrhunderts  in  den  Zwischenspielen  ihre  Gauke- 
leien gezeigt.  Darauf  deutet  eine  Stelle  in  einer  der  dick- 
leibigen Strafpredigten  von  Agidius  Albertinus  hin: 

„Weil  auch  der  heilige  Geist  uns  verbeut,  ein  lieder- 
liches und  springendes  oder  tanzendes  Weib  anzuschauen 
oder  anzuhören,  damit  wir  nicht  fallen  in  ihre  Stricke,  wer 
darf  denn  so  gar  vermessen  und  ruchlos  sein,  daß  er  sich 
wider  das  Gebot  des  Heiligen  Geistes  setze,  in  solche 
öffentliche  Gefahr  und  mitten  in  solcher  hellischen  Glut? 
Denn  weil  solche  kommödiantischen  Weiber  gemeinlich 
schön  und  geil  sind  und  ihr  Ehrbarkeit  allbereits  verkauft 
ist,  so  pflegen  sie  mit  den  Sitten,  Gebärde  und  Bewegnussen 
des  ganzen  Leibes  und  mit  der  zarten,  lieblichen  und  süßen 
Stimme  und  mit  den  zierlichen  Leibskleidern  wie  die  Sirenen 
die  Menschen  zu  bezaubern  . .  .  Daher  man  dann  sich  billig 
wundern  kann,  warum  dieses  hochschädliche  Ungeziefer 
allenhalben  von  den  Obrigkeiten  in  den  Städten  wird  auf- 
genommen, geliebt  und  zugelassen  und  sogar  von  etlichen 
eitlen  Fürsten  und  Herren  an  ihren  Höfen  unterhalten,  be- 
soldet und  in  Ehren  gehalten79." 

In  der  Schweiz  versprach  1654  Joris  Jophilus,  der  Direk- 
tor einer  Wandertruppe,  das  Baseler  Publikum  „mit  guten 
Manieren,  oftmaliger  Veränderung,  kostbaren  Kleidern  und 
in  italienischer  Manier  verziertem  Theater,  schöner  eng- 
lischer Musik  und  mit  echtem  Frauenzimmer  zu  konten- 
tieren". 

Von  der  Mitte  des  siebzehnten  Jahrhunderts  ab  hatte 
die  Verwendung  von  Frauen  beim  Komödienspiel  immer 
mehr  überhand  genommen,  und  Veiten  war  es  besonders, 
der  die  vorher  nur  in  vereinzelten  Fällen  vorgekommene 
Besetzung  weiblicher  Rollen  durch  Frauen  zur  Regel  erhob. 

Mit  seinen  talentvollen  Darstellerinnen  und  einem  Her- 
renpersonal wie  Holzhüter,  Geisler,  Judenbart,  Hubert  und 
Elendsohn    hätte    Veiten    noch    Ersprießlicheres    für    die 

78  Haußpolizei,  München  1602,  S.  149.  151  b— 152. 

311 


deutsche  Bühne  leisten  können,  wenn  er  über  passende 
Stücke  verfügt  hätte.  Was  er  vorfand,  war  abgespielter, 
überlebter  Kram.  Das  Neue  bestand  neben  Singspielen 
und  Balleten  aus  schlecht  verdeutschten,  blutrünstigen  Ko- 
mödien und  Tragödien  der  Engländer  und  in  Grund  und 
Boden  hinein  übersetzten  und  „verbesserten"  französischen 
Stücken.  Der  Geist  Molieres  wurde  in  einem  Wust  roher 
Zutaten  der  pedantischen  Bearbeiter  erstickt,  und  Shake- 
speares Meisterwerke  erlagen  den  Pritschenschlägen  des 
Pickelherings,  der  z.  B.  nach  jeder  ernsten  Szene  von  Romeo 
und  Julia  seine  banalen  Zoten  vorbrachte. 

Da  verfiel  Veiten  auf  einen  Ausweg,  der  dem  deutschen 
Theater  länger  als  ein  Jahrhundert  seine  Signatur  geben 
sollte. 

Auf  der  Suche  nach  Neuem  fiel  sein  Blick  auf  die  itali- 
enische Comedia  dell'arte,  das  Stegreifstück.  Er  führte  sie 
kurz  entschlossen  ein,  und  der  Erfolg  gab  ihm  recht.  Das 
Publikum  bejubelte  die  Improvisationen  des  Hanswurstes, 
und  auch  die  Gunst  der  Mächtigen  blieb  nicht  aus.  1685 
erhielt  Veiten  durch  den  Kurfürsten  Georg  III.  die  An- 
stellung als  Theaterdirektor  in  Dresden.  Sie  bezeichnet 
die  Entstehung  des  ersten  deutschen  Hoftheaters  und 
des  ersten  deutschen  Hoftheaterleiters.  Veiten  erweiterte 
nun  sein  Repertoir  und  begann  mit  „Haupt-  und  Staats- 
aktionen", als  deren  Zwischenspiele  die  Stegreifkomödien 
besonders  angebracht  schienen. 

Der  Harlekin  war  aber  keineswegs  aus  den  Haupt- 
aktionen selbst  verbannt.  Auch  in  ihnen  mußte  er  seine 
Improvisationen  vom  Stapel  lassen,  denn  die  Dichter  wuß- 
ten nur  zu  genau,  daß  er  witziger  war  als  sie.  Sie  be- 
gnügten sich  daher,  ihm  nur  kurze  szenische  Anweisungen 
zu  geben.  In  dem  von  den  Mecklenburg-Schwerinschen 
Hofkomödianten  in  Rostock  1702  gespielten  Stück  „Das 
von  Ihrer  Kgl.  Maj.  zu  Schweden  durch  hochdero  glorieuse 
Waffen  glücklich  entsetzte  Narva,  nebst  dem  herrlichen, 
fast  unerhörten  Sieg  wider  den  Zaren  in  Moskau"  heißt  es: 
312 


Scena  4.    Arlequin  will  die  plapperliche  heirathen. 

Lieutnant  will  nicht,  es  würde  sich  schön  schicken; 

sie   reissen   ihn  beide   herum;    endlich   befiehlt   der 

Lieutnant,  er  solle  sich  Marsch  fertig  machen;  alle  ab. 

Dann  im  dritten  Akt: 

Scena  5.    Arlequin    als  Dragoner   gekleidet,   pru- 
dalisiret,  will  nichts  bezahlen,  es  stünde  mit  in  seiner 
Caputilation,   Markedänerin   will   bezahlt   sein,   gibt 
ihm  eine  Ohrfeige.   Arlequin  zieht  den  Degen,  Mar- 
kedänerin schreit.  Arlequin  erschrickt,  läßt  ihn  fallen, 
sie  nimmt  den  Degen   und  will  Arlequin  erstechen, 
solcher  schreit,    sie   erschrickt   und   läßt  den  Degen 
ebenfalls   fallen;    endlich    schmeißt   Arlequin  Töpfe 
und  Alles  in  Stücken.     Ab80. 
Sieben  Jahre  hindurch  behielt  Veiten  seinen  Titel  und  seine 
Stellung  in  Dresden,  dann  zog  er  wieder  hinaus.   Sein  Ruhm 
war  verblichen,  er  und  seine  Leistungen  in  Vergessenheit  ge- 
raten.  Wo  und  wann  er  gestorben,  ist  unbekannt  geblieben. 
Zahlreiche  deutsche  Harlekins,  meist  zugleich  die  Direk- 
toren  ihres  Ensembles,   machten   um   diese  Zeit  Deutsch- 
land unsicher.    Ich  nenne  von  allen  den  vielen  nur  Julius 
Elensohn  oder  Elendsohn,  von  dem  eine  Tochter  erst  ins 
Kloster  ging  und  dann  Schauspielerin  wurde81  —  es  kam 
beim  deutschen  Theater  auch  manchmal  umgekehrt  vor  — 
und  seinen  Sohn,  den  Barbier  Haack  aus  Dresden,  den  Ham- 
burger Denner,  Haßcarl  oder  Haßkerl,  den  Waldeckschen 
Hofkomödianten   Johann   Ferdinand   Beck,    den    Hessen- 
Kasselschen  Hofkomödianten-Direktor  Johann  Heinrich  Bru- 
nius  (Pranius).   Sie  alle  hatten  nur  eine  kurze  Glanzepoche, 
die  spurlos  vorüberging.  Sie  setzten  zu  den  hundert  Flicken 
der  Jacke  einen  neuen  auf,  aber  den  Schnitt  zu  verändern, 
dazu  reichte  ihre  Gestaltungskraft   nicht  aus.    Das   blieb 
einem  originelleren  als  sie  ausnahmslos  waren,  vorbehalten, 
dem  „Wienerischen  Hanns  Wurst". 

10  Genee,  S.  351.  —  8l  Joh.  Friedr.  Löwens,  Geschichte  des  deutschen 
Theaters,  1766,  herausgegeben  von  Heinrich  Stiimcke,  Berlin  o.J.,  S.  19. 

313 


DER  WIENERISCHE  HANSWURST  UND  DIE  WIENER 

POSSE 

Der  wirklich  deutsche  Hanswurst,  der  sich  nun  die  Bühne 
erobern  sollte,  fand  seine  erste  Gestaltung  in  Wien.  Dort 
hatte  er  sich  von  den  aus  dem  Auslande,  besonders  aus 
Italien  überkommenen  Zügen  emanzipiert  und  aus  dem 
Arlechino  einen  nationalen  Hanswurst  gemacht. 

Der  Name  ist  alt,  die  Figur  aber  neu. 

In  dem  heftigen  Schriftwechsel  zwischen  Heinrich  dem 
Jüngeren  von  Braunschweig  und  dem  Kurfürsten  Johann 
Friedrich  von  Sachsen  bediente  sich  der  erstgenannte  in 
seiner  „Duplica  wider  des  Kurfürsten  von  Sachsen  andern 
Abdruck"  1540  der  Wendung,  daß  er  „den  von  Sachsen 
(welchen  Martinus  Luther,  sein  lieber  Andächtiger,  Hans 
Worst  nennt)  zu  seinen  Schriften  keine  Ursach  gegeben". 
Dieser  persönliche  Angriff,  der  ihn  der  Verletzung  der 
Ehrerbietung  und  Dankbarkeit  gegen  seinen  Landesherrn 
beschuldigte,  entfesselte  Luthers  Grimm,  und  die  Gegen- 
schrift „Wider  Hans  Worst«,  Wittenberg  1541  gedruckt 
durch  Hans  Lufft,  war  die  Folge1. 

Der  Ausdruck  ist  nicht  von  Luther  geprägt.  Er  sagt 
selbst:  „das  dies  wort,  Hans  Worst,  nicht  mein  ist,  noch 
von  mir  erfunden,  Sondern  von  anderen  leuten  gebraucht 
wider  die  groben  tolpel,  so  klug  sein  wollen,  doch  vnge- 
reimt  vnd  vngeschickt  zu  Sachen  reden  vnd  thun.  Also 
hab  ichs  auch  offt  gebraucht,  sonderlich  und  allermeist 
in  der  Predigt2." 

Durch  Luther  ist  aber  die  Bezeichnung,  die  man  wohl 
ursprünglich  einem  gefräßigen  Bauerntölpel  beilegte,  po- 
pulär geworden.  Auf  die  Bühne  kam  sie  verhältnismäßig 
spät.  In  dem  Fastnachtsspiel  von  Peter  Probst:  „Vom 
kranken  Bauern  und  einem  Doktor"  aus  dem  Jahre  1553 
ist  wohl  der  erste  Hainns  Wurst  vertreten. 

Als  Josef  Anton  Stranitzky  den  Wiener  Hanswurst  schuf, 

1  Herausgegeben  von  J.  K.  F.  Knaake  (Braunes  Neudrucke),  Halle  1880. 

—  '  Knaake,  S.  7. 

314 


dDrÖjluitnrii  Mirlinrifriü IPini  nnfi  irfj  HffMöfifld 
•H  Infi  mfui  *i»m'lii|t/jui-fjuit'i»v  tßaridc  \d)rcw^ 


Stranitzky  als  Hanswurst 
Aus:  „Hanswursts  lustiger  Reisbeschreibung"  1717 


ihm  Bauerngewand  anzog,  ihm  die  traditionellen  Eigen- 
schaften des  Bauern  aus  den  Fastnachtsspielen  beilegte, 
war  auch  der  Name  Hanswurst  naheliegend,  denn  alle 
anderen,  bisher  von  den  Spaßmachern  getragenen,  waren 
importiert.  Aber  auch  das,  was  sonst  noch  Fremdes,  Ein- 
gewandertes dem  Scherzbold  anhaftete,  streifte  Stranitzky 
ab  und  ersetzte  es  durch  Österreichisch-Wienerisches. 

Josef  Antoni  Stranitzky  ist,  wie  jetzt  feststeht,  Oster- 
reicher  und  wahrscheinlich  aus  Steiermark,  sein  Geburts- 
jahr 1676.  Erst  Zahn-  und  Wundarzt,  wird  er  bereits  1699 
als  Schauspieler  erwähnt.  In  Wien  tauchte  er  um  1705 
auf.  Ein  Jahr  später  erhielt  er  die  Spielerlaubnis  und  bald 
darauf  die  Genehmigung,  als  Zahnarzt  praktizieren  zu  dürfen. 
1712  pachtet  er  das  „Comoedienhaus  am  Platze  nechst 
dem  alten  Kärnerthor",  das  er  vierzehn  Jahre  mit  größtem 
künstlerischen  und  materiellen  Erfolg  leitet.  Er  starb  am 
12.  Mai  1726  als  Hof-Zahn-  und  Wundarzt  und  hinterließ 
seiner  Frau  und  seinen  zwölf  Kindern  ein  auch  für  jetzige 
Verhältnisse  sehr  ansehnliches  Vermögen8. 

Vor  allem  ersann  sich  Stranitzky  ein  neuartiges  Kostüm, 
das  er  dem  der  Salzburger  Bauern  nachbildete.  Ein  spitzer, 
breitkrämpiger,  bebänderter  grüner  Hut  deckte  den  Haar- 
knoten, der  von  der  Mitte  des  Kopfes  hochstand.  Ein 
kurzgeschnittener  Vollbart  umrahmte  das  Gesicht.  Die 
offene  Jacke,  am  Halse  mit  einem  großen  Knopf  festge- 
halten, fiel  über  die  handbreite  gefaltete  Halskrause.  Unter 
der  Jacke  war  ein  roter  Brustfleck,  auf  den  ein  großes 
Herz  mit  den  Buchstaben  H.  W.  gestickt  war.  Die  langen 
gelben  Hosen  waren  an  der  Naht  und  unten  mit  der 
gleichen  Stickerei  versehen  wie  der  Saum  der  Jacke.  In 
dem  Ledergürtel   steckte  die   säbelförmige  Holzpritsche4. 

So  sah  der  Wiener  Hanswurst  aus,  ganz  gleich,  was  er 
auch  immer  darstellte,  ob  Herrn  oder  Diener,  Liebhaber 
oder  Gatten,  Soldaten  oder  Bürger. 

8  A.  v.  Weilen  in  der  Allgem.  Deutschen  Biographie,  37.  Bd.,  S.  773  f. 
—  *  Karl  Ed.  Schimmer,  Alt-  und  Neu-Wien.  Wien  1904,  2.  Bd.,  S.  206. 

315 


Nur  in  den  Haupt-  und  Staatsaktionen  war  der  Hans- 
wurst der  alte  Pickelhering  geblieben.  Er  hatte  nur  den 
Namen  gewechselt.  Er  wurde  jetzt  mehr  denn  je  eine  der 
Hauptpersonen  des  Stückes.  „Während  in  der  Erscheinung 
des  Salzburger  Bauern  immer  ein  tüchtiger  Teil  von  Dumm- 
heit, Derbheit  und  Unbeholfenheit  ausgedrückt  sein  mochte, 
hatte  der  Hanswurst  der  Staatsaktionen  schon  eine  andere 
Aufgabe.  Hier  trat  er  mit  den  Waffen  der  Ironie  und  des 
Spottes  auf,  überlistete  gewöhnlich  seine  Kollegen  und 
scheute  es  selbst  nicht,  die  Leitung  der  Intrige  des  Stückes 
zu  übernehmen.  Das  Hauptverdienst  Stranitzkys  bei  dem 
Hanswurst  der  Staatsaktionen  besteht  daher  darin,  daß 
er  ihn  mit  der  Haupthandlung  des  Stückes  vollständig 
verflochten  hat5." 

Stranitzky  hatte  die  gänzliche  Gestaltung  seiner  Rolle 
stets  in  der  Hand,  da  er  entweder  der  Bearbeiter  oder 
Verfasser  der  von  ihm  aufgeführten  Stücke  war  und  seinen 
Part  immer  aus  dem  Stegreif  sprach.  Er  schrieb  sich  da- 
her alle  Rollen  auf  den  Leib,  wie  der  schöne  Terminus 
technicus  lautet. 

Von  Stranitzkys  Haupt-  und  Staatsaktionen  haben  sich 
nichts  als  die  Titel  erhalten.  Sie  verraten  leider  allzuwenig 
von  dem  Anteil,  den  der  Wiener  Hanswurst  an  ihnen  hatte. 

Hingegen  bewahrt  die  Wiener  Hofbibliothek  einen 
reichen  Schatz  von  derartigen  Dramen,  die  von  deutschen 
Wandertruppen  nach  Osterreich  gebracht  worden  sind. 

Besondere  Beachtung  unter  den  „heroischen  Comoedien" 
darf  das  Drama  beanspruchen,  das  Dr.  Anton  Schlossar 
in  Graz  wiederfand,  da  es  die  Dramatisierung  eines  der 
berühmtesten  Romane  jener  Epoche,  die  der  Asiatischen 
Banise  von  Heinrich  Anshelm  von  Ziegler  und  Kliphausen 
(1653 — 1697),  enthält.  Dieses  unerträglich  schwülstige  und 
von  entsetzlichen  Grausamkeiten  strotzende  Romanun- 
geheuer6  wurde   als  Operntext  und    1733  von   Friedrich 

6  Karl  Weiß,  Die  Wiener  Haupt-  und  Staatsaktionen,  Wien  1854,  S.  48. 
—  6  Neu  herausgegeben  von  Felix  Bobertag,  Kürschners  Nat.  Lit.,  37.  Bd. 
316 


Wilhelm  Grimm  zu  einer  Tragödie  verarbeitet.  Wilhelm 
Meister  ließ  den  Tyrannen  Chaumigrem  auf  seiner  Puppen- 
bühne agieren.  Aber  lange  vorher,  schon  1722,  stand 
dieser  blutwürstige  Dieterich,  wie  Nestroy  solche  Holo- 
fernesse  genannt,  auf  der  Grazer  Bühne. 

Der  Titel  des  Stückes  lautete:  „Die  siegende  Unschuld 
in  der  Person  der  Asiatischen  Banise."  Als  Verfasser  zeich- 
nete Johann  Heinrich  Brunius  Churfürstlich  -  Pältzischer 
Hof-Comoedianten-Principal. 

Hier  die  von  Schlossar  mitgeteilte  Szenenfolge: 

Unterredende  Persohnen. 

Banise,  Käyserliche  Printzessin  von  Pegu. 

Balacin,  Printz  von  Ava. 

Ximindo,  Käyser  von  Pegu. 

Ximin,  dessen  Printz. 

Savadi,  eine  vertribene  Printzessin. 

Zorang,  Printz  von  Tangu. 

Talemon,  Reichs-Schatz-Meister  von  Pegu. 

Chaumigrem,  Tyrann,  hernach  Käyser  von  Pegu. 

Abaxa        \     ,  n  , 

,.  >    dessen  Ueneralen. 

Mortang     J 

Rolim,  Ober-Priester. 

Hans  Wurst,  Balacin's  lustiger  Diener. 

Currier  von  Martabana. 

Hauptmann  deß  Printzen  Zorangs. 

Actus  I. 

Scena  I. 

Balacin    entschläffet   nebst  dem  Hannß -Wurst  vor   der 

Porten    deß  Tempels    deß    Oraculs   Appolitae,    sihet    im 

Traum   die   unvergleichliche   Banise,   und   erhaltet  Befehl, 

seine  Reyß  nacher  Pegu  zu  nehmen. 

Hanns -Wurst  erzöhlet  gleichfalls  seinen  Traum. 

Scena  II. 
Der  von  etlichen,  durch  Chaumigrem  erkaufften,  Mördern 
verfolgte  Ximindo  wird  von  Balacin  entsetzet,  die  Mörder 
erleget,  und  Balacin  nebst  dem  Hannß- Wurst  (der  sich  bey 

317 


diser   Passage   auf   einen  Baum   salviret)  als   ein  Erretter 
deß  Kaysers  nach  Hof  genohmen. 


Scena  III. 
Die  scklaffende  Banise  sihet  im  Traum  das  Unglück  ihres 
Vatters,  wird  von  einem  solchen  loßgerissenen  Löwen  an- 
gefallen, von 

Scena  IV. 
Balacin   aber   auß    der  Gefahr   durch   die  Niderlag  der 
Bestiae  gerissen.    Hannß-Wurst  hat  seine  Lustbarkeit  mit 
dem  todten  Löwen. 

Scena  V. 
Die  vor  disem  auch  von  dem  Löwen  verfolgte  Ximindo, 
Zorang  und  Ximin  kommen  voller  Angst,  finden  aber  mit 
Vergnügen  die  Printzessin  ausser  Gefahr,  da  sich  Ximindo 
mit  gröster  Eyfersucht  deß  Zorang  dem  Balacin  verbunden 
erkennet. 

Scena  VI. 
Talemon  forschet  auß  dem  Hannß-Wurst  die  Herkunfft 
seines  Printzen,   die  er   auß  dem  Mund  deß  Balacins  bey 
Schwörung  ewiger  Treue  erfahret. 


Scena  VII. 
Ximin,  da  er  das  an  Balacins  Brust  hangende  Bildnu 
der  Savadi  erblücket,  gerathet  mit  selbigem  auß  Eyfer- 
sucht in  einen  Zweykampf,  welchen  Streit  aber  die  Print- 
zessin arthig  beyleget,  indeme  sie  beyde  Printzen  ihres 
Conterfaits  beraubet,  und  also  ihres  Liebes-Zwistigkeit  in 
Freundschafft  verwandlet. 

Scena  VIII. 
Zorang  haltet  vergeblich  bey  Banise  umb  Liebe  an,  ver- 
stosset  derowegen  die  Flamm  der  ihn  äusserst  anbettenden 
Savadi. 

Actus  II. 
Scena  I. 
Balacin  und  Hannß-Wurst   haben   eine  curieuse  Unter- 
redung von  der  Liebe,  worüber  beyde  entschlaffen. 
318 


UD 


s  S 


3 


C/2 


br; 
G 


0) 

tu 


<u    .2 

C      u 

■3  ^ 


p 


Scena  II. 
Banise  erkennet  auß  dem  an  der  Brust  deß  schlaffenden 
Balancis  hangenden  Bildnuß,  daß  er  der  Printz  von  Ava, 
sie  rühmet  ihre  glückliche  Wahl,  und  entweichet,  das  Bild- 
nuß raubend.  Der  erwachende  Balacin  betauret  den  Ver- 
lurst  des  Conterfaits  seiner  Schwester,  indem  er  auß  der 
Beyschrifft  förchtet  erkannt,  und  seiner  angebetteten  Banise 
beraubet  zu  werden. 

Scena  III. 
Wird  von  Talemon  zur  Käyserl.  Tafel  eingeladen. 

Scena  IV. 
Dise   wird   prächtig   mit  allerseithiger  Vergnügung  ge- 
halten, die  aber  unterbricht  die  unvermuthete  Ankunfft. 

Scena  V. 

Eines  Curriers,  welcher  mit  jedermanns  Bestürtzung  be- 
richtet, wie  Chaumigrems  Tyranney  den  Königlichen  Stam- 
men von  Martabana  außgerottet;  Balacin  munteret  den 
König  zur  Rache  an,  seine  Hülf  anbietend,  da  aber  Zorang 
solche  verlachet,  gerathen  beyde  erbitterte  Printzen  in 
einen  Säbel-Kampff,  der  von  dem  König  eingestellet,  und 
beeden  der  Hof  untersaget  wird;  Zorang  entschliesset  sich, 
mit  seinen  Völkern  zu  Chaumigrem   überzugehen. 

Bald  hierauf  kommet 

Scena  VI. 
Hannß-Wurst,  daß  sein  Printz  den  Zorang  besiget,  gehet 
solches  dem  Käyser  zu  hinterbringen. 

Scena  VII. 
Nachdem  Ximindo  den  Balacin  bewogen,  seinen  eigent- 
lichen Stand  ihnen  zu  entdecken,  erkläret  er  ihm  vor  seinen 
Eydam;  dessen 

Scena  VIII. 
Banise  verblümter  Weise  verständiget,  und  artig,  doch 

vergnügt  mit  Balacin  verbunden  wird. 

319 


Actus  III. 
Scena  I. 
Chaumigrem  rüstet  sich,  nebst  denen  Seinigen,  zum  Streit; 
er  sieget 

Scena  II. 

Und  nihmet  Talemon  gefangen. 

Scena  III. 
Ximindo  wird  gleichfalls  gefässelt  vor  dem  Tyrann  ge- 
bracht. 

Scena  IV. 
Die  Banise,  welche  ihren  Vatter  mit  einem  Trunck  Wasser 
zu  laben  kommet,  befihlet  der  Tyrann  niderzusäblen,  welches 
Abaxar  durch  Abführung-  der  Printzessin  verhindert. 

Scena  V. 
Der  bestellte  Balacin  ist  zweiffelhaftig,  ob  Banise  todt 
oder  lebendig*. 

Scena  VI. 
Kan  solches  von  dem  durch  Offenbahrung  etlicher  Schätze 
sich  frey  gemachten  Talemon  nicht  erfahren. 

Scena  VII. 
Biß  ihm  Abaxar  versichert,  daß  er  den  unmenschlichen 
Befehl  deß  Tyrannen  zu  Trotz  Banise  in  seinem  Pallast  ver- 
wahret, wird  von  Mortang  auf  Käyslerl.  Befehl  gefänglich 
abgeführet. 

Scena  VIII. 
Der  fast  verzweiflende  Balacin  will  sich  ermorden,  wel- 
ches Talemon  verhindert,  und  den  rassenden  Prinzen  ab- 
führet. 

Scena  IX. 
Hannß- Wurst  eylet  seinen  Herrn  zu  retten. 

Scena  X. 
Nachdem  Chaumigrem  von  Abaxar  vernohmen,  daß  ihm 
die  Schönheit  der  Banise  seinen  Befehl  ungehorsamb  ge- 
machet, so,  daß  er  statt  ihrer  eine  Sclavin  auf  den  Marckt 
320 


werffen  lassen,  geräth  er  in  noch  grössere  Wuth,  und  läßt 
den  vor  seinem  Ende  sich  zu  dem  Christenthumb  bekennen- 
den Ximindo  stranguliren. 

Scena  XI. 
Banise  wird  vor  Chaumigrem  gebracht,  der  ihr  sechs 
Tage  zur  Bedenck-Zeit,  ihm  zu  lieben,  und  in  Talemons 
Verwahrung"  gibet;  sie  will  sich  hierüber  entseelen,  wird 
aber  vonTalemon  verhindert,  entschließt  sich  endlich,  solches 
ihrem  geliebten  Printzen  zu  schreiben,  dem  sie  noch  im 
Leben  zu  seyn  erfahret. 

Actus  IV. 
Scena  I. 
Balacin  ist  bestürtzt  über  das  Schreiben  seiner  geliebten 
Printzessin,  gerathet  fast  ausser  sich  selbst,  da  ihm 

Scena  II. 
Der  mit  Talemon  ankommende  Hannß- Wurst  auch  zwei 
Briefe  überreichet,  deren  einer  ihm  von  dem  Hintritt  seines 
Herrn  Vatters,  der  andere  aber  die  Wahl  zur  Arracanis. 
Cron  entdecket;  worauf  ihm  Talemon  den  Außpruch  des 
Oraculs  erkläret,  indem  das  meiste  allbereits  erfüllet;  und 
weil  Balacin  höret,  daß  Banise  noch  lebet,  entschliesset  er 
sich,  auf  Einrathen  des  Hannß-Wurst,  in  verkleydter  Ge- 
stalt selbe  zu  entführen. 

Scena  III. 
Banise  entdecket  der  Savadi  ihre  Sorge  wegen  der  Treu 
ihres  geliebten  Printzen,  wird  aber  derselben  bald  befreyet, 
da  sie 

Scena  IV. 
Von  Talemon  erfahret,  daß  sie  Balacin  ehestens  in  Ge- 
stalt eines  Portugesischen  Kaufmanns  besuchen  wolle. 

Scena  V. 
Solches  geschihet  mit  höchsten  Vergnügen  der  Printzessin, 
da  ihr  Balacin  einen  vergifften  Schlaf-Trunck  vor  dem  rassen- 
den Chaumigrem  eingehändiget. 
21  321 


Scena  VI. 

Disen  überreichet  Banise  unter  schmeichlenden  Liebko- 
sungen dem  verliebten  Tyrannen,  und  nachdem  er  ent- 
schlaffen, wechselt  sie  ihre  Kleyder  mit  denen  seinigen,  und 
nihmet  die  Flucht. 

Scena  VII. 

Talemon  ist  begierig  zu  erfahren,  ob  der  Banise  ihr  An- 
schlag gelungen,  erfahret  von  dem  erwachenden  Chau- 
migrem,  das  er  durch  den  Schlaf-Trunck  betäubet  statt 
der  Banise  einen  leeren  Schatten  umarmbet,  ertheilet  Be- 
fehl, selbe  geschwind  zur  Straffe  aufzusuchen. 

Scena  VIII. 
Balacin   fraget   den  Hannß-Wurst,  ob   zur  Flucht   alles 
parat  stehe?  gehet  seine  Banise  zu  suchen. 

Scena  IX. 
Da  aber  dise  indessen   bey  dem  Hannß-Wurst  einge- 
troffen, und  nach  Balacin  gefraget,  werden  beyde 

Scena  X. 
Von  Mortang  gefangen  genohmen. 

Scena  XI. 
Chaumigrem  ist  entschlossen  (nachdem  Banise  sich  auf 
keine  Weise  zu  seiner  Liebe  verstehen  will)  selbe  hinrich- 
ten zu  lassen,  übergibet  sie  dem  Rolim,  mit  Befehl,  sie  ent- 
weder zu  seiner  Gunst,  oder  zu  dem  Tode  zu  befördern. 


Actus  V. 
Scena  I. 
Der  in  die  Banise  entbrannte  Rolim  suchet  bey  selber 
mit  Gewalt  die  Kühlung  seiner  Flamme,   die  er  aber  von 
der  hierdurch  höchst-beleydigten  Printzessin  mit  einem  töd- 
lichen Stich  erhaltet.    Der  hierzu  kommende 

Scena  II. 
Chaumigrem    schwöret    der    Banise    den    grausambsten 
Todt,  befihlet  den  Mortang  selbe  wohl  zu  verwahren,  dem 
Talemon  aber  deß  Rolims  Stelle  zu  ersetzen;  nach  dessen 
322 


Abtritt  seynd  Abaxar  und  Talemon  auf  die  Rettung  der 
Banise  folgender  Gestalt  bedacht:  Balacin  solle  mit  ver- 
stellten Gesicht  deß  Rolims  Stelle  vertretten,  Abaxar  aber 
bey  dem  Opffer  auf  der  Printzessin  Rettung  bedacht  sein. 

Scena  III. 
Hannß-Wurst  als  ein  Offizier  gekleydet,  gehet  seinen 
Herrn  zu  suchen,  welchen  Abaxar  einen  Brieff  in  einem 
hollen  Pfeil  ins  Lager  geschossen,  daß  er  mit  verstellten 
Gesicht  als  ein  gemeiner  Soldat  auß  dem  Lager  gehen, 
und  deß  Rolims  Stelle  vertretten  solle,  zu  welcher  Wahl 
Talemon  den  Chaumigrem  beredet. 

Scena  IV. 
Balacin  als  Rolim  haltet  sich  im  Tempel  zum  Opffer 
fertig,  deme  Chaumigrem  beyzuwohnen  ankommet,  befihlet 
dasselbe  in  Schlachtung  der  Banise  zu  vollziehen,  welche 
mit  erbärmliche  Worten  der  Welt  Adieu  saget,  da  sich 
aber  Balacin  den  Streich  zu  vollziehen  weigert,  will  zwar 
Chaumigrem  selbst  Hand  anlegen,  wird  aber  von  Balacin 
mit  einem  Strick  erwürget,  worauf  ein  helles  Freuden- 
Gethön  erschallet,  welches  den  Heldenmüthigen  Printzen 
Balacin  mit  seiner  unvergleichlichen  Banise  vor  wahre  Be- 
herrscher des  Kayserthums  Pegu  erkläret,  wobey  die  Liebe 
dise  zwey  gequälte  Hertzen  mit  Ehelicher  Liebe  zu  deß 
gantzen  Reiches  Vergnügen  entzückt  verknüpffet,  endlich 
machet  deß  Hannß-Wurst  arthiger  Hochzeit- Wunsch  der 
Action  ein  lustiges 

Ende. 

Am  Schlüsse  erscheint  die  übliche  Bemerkung  beigefügt: 

Nach  diser  vortrefflichen  Haubt  Action  folget  ein  Ballet, 

Und 
Extra  Lustige  Nach-Commödie. 

Aus  der  Inhaltsangabe  ist  ersichtlich,  daß  der  Hans- 
wurst im  Stück  nicht  zu  kurz  gekommen  ist  und  sich  aus- 
toben konnte. 

21*  323 


Und  dennoch  entfaltete  sich  das  Hanswursttalent  erst 
voll  und  ganz  in  den  Nachspielen,  wo  er  nicht  allein  der 
lustigste  und  der  erste  unter  so  vielen  anderen  Komikern 
war,  deren  Spiel  ihn  zu  immer  ausgelassenen  Spaßen  an- 
regte. 

Was  da  auf  der  Bühne  angestellt  wurde,  war  oft  jen- 
seits von  Zucht  und  Sitte. 

Lady  Mary  Wortley  Montague  (1689—1762)  berührte 
auf  ihrer  berühmten  Reise  von  London  nach  Konstanti- 
nopel 1716  Wien.  Hier  hatte  sie  ein  Theatererlebnis,  das 
sie  dem  Dichter  des  Lockenraubes,  Alexander  Pope,  nach 
London  berichtete: 

„Es  ist  nur  ein  Schauspielhaus  vorhanden,  in  das  mich 
die  Neugierde  trieb,  ein  deutsches  Stück  zu  sehen.  Ich 
freute  mich,  daß  man  die  Geschichte  Amphitryons  gab. 
Ich  war  begierig,  zu  erfahren,  was  der  österreichische  Dich- 
ter aus  diesem  Stoff  gemacht  hatte,  den  schon  lateinische, 
französische  und  englische  Poeten  behandelt  haben.  Ich 
bin  der  deutschen  Sprache  genügend  mächtig,  um  die  Haupt- 
sache zu  verstehen,  nahm  überdies  eine  Dame  mit,  die  so 
gütig  war,  mir  jedes  Wort  zu  verdolmetschen. 

Man  nimmt  gewöhnlich  eine  Loge.  Sie  hat  Raum  für 
vier  Personen:  den  Besitzer  und  seine  Gäste.  Der  feste 
Preis  dafür  ist  ein  Dukaten  in  Gold.  Ich  halte  das  Haus 
für  niedrig  und  finster.  Aber  das  Spiel  läßt  diese  Mängel 
vollkommen  vergessen.  In  meinem  ganzen  Leben  habe 
ich  noch  nicht  so  viel  gelacht.  Die  Komödie  beginnt,  daß 
sich  Jupiter  durch  ein  Guckloch  in  den  Wolken  verliebt, 
und  endet  mit  der  Geburt  des  Herkules.  Das  Tollste  ist 
der  Gebrauch,  den  Jupiter  von  seinen  Verwandlungen 
macht.  Kaum  erscheint  er  als  Amphitryon,  so  schickt  er, 
statt  begeistert  zu  Alkmene  zu  eilen,  wie  es  Dryden  vor- 
schreibt, nach  Amphitryons  Schneider,  betrügt  ihn  um  ein 
bordiertes  Kleid,  einen  Bankier  um  einen  Beutel  mit  Geld, 
einen  Juden  um  einen  Brillantring,  dann  läßt  er  ein  so- 
lennes Abendessen  in  Amphitryons  Namen  zurichten.  Der 
324 


CbmJdi-wis)  Oj^enz—tfea-rr* 


tut  yaar  utt^oar  ^m£  üJraT'gfeflSii . 


ajstren*. 
:,..-     -», Jourtefircn. 


Aus  Abr.  a  St.  Claras  „Centifolium" 


größte  Teil  der  Posse  dreht  sich  nun  darum,  daß  der 
arme  Amphitryon  von  diesen  Leuten  wegen  seiner  Schulden 
gequält  wird.  Merkur  macht's  mit  Sofia  ebenso.  Nur  ver- 
mochte ich  es  dem  Dichter  nicht  zu  verzeihen,  daß  er  sein 
Stück  mit  einer  solchen  Menge  gröbster  Zoten  untermengt 
hatte,  die  sicherlich  unser  Pöbel  nicht  einmal  bei  einem 
Marktschreier  dulden  würde.  Außerdem  ließen  noch  die  bei- 
den Sosias  den  Logen  gegenüber  ihre  Hosen  ganz  unbefan- 
gen niederfallen,  und  die  zuschauenden  Herrschaften  schienen 
an  solcher  Unterhaltung  nichts  auszusetzen  zu  haben,  son- 
dern versicherten  mir  noch,  wie  bedeutend  das  Stück  sei7." 
Auch  der  Augustinerpater  Abraham  a  Santa  Clara  (1644 
bis  1709),  der  Grotesk-Komiker  auf  der  Kanzel,  geht  mit 
seinem  Konkurrenten  auf  der  Bühne  scharf  ins  Gericht, 
wenn  er  im  „Centifolium  stultorum"8  sagt:  „Es  seynt 
zwar  die  Comoedien  ins  gemein  nicht  zu  verwerffen,  alß 
auß  welchen  man  öffter  viel  zu  seiner  Aufferbauung  sehen 
und  lernen  kann ;  Aber  wo  der  Hanss  Wurst  dreinschneizt 
oder  wider  die  Erbarkeit  lauffender  Sachen  präsentiret 
werden,  die  seyn  nicht  verantwortlich.  Wie  offt  kommt 
manche  aus  der  Comoedie,  wo  sie  gesehen  hat  die  Diana 
praesentiren,  die  dem  Actaeon  die  Hörner  aufgesetzt  und 
zu  einem  Hirschen  gemacht  hat,  vermeinet,  es  wäre  eben 
so  unrecht  nicht,  wenn  sie  ihren  Mann  auch  ein  paar 
Gewey  anhenckt.  Manche  sieht  die  Comoedie  von  wider- 
willigen Ärzten  und  nimt  daraus  keinen  anderen  Nutzen, 
als  wie  sie  auch  ihren  Mann  eins  anhenken  und  Stöss  bey 
anderen  anfrimen  (bestellen)  möge.  Manche  sieht  die 
Ancos  der  beste  Arzt  intitulirt  und  meint,  sie  darf  sich 
ebenso  närrisch  geberden  wie  diese  und  macht  statt  einer 

Comoedi  eine  Kuhmedi Dreyerley  Leuth  bringen 

manchen  ehrlichen  Mann  um  die  rechte  Zeit;  nemblich 
die  Comoedianten,  die  Possenreißer  oder  Schalcksnarren 
und  die  Markschreier  oder  Zahnbrecher." 

7  Reisebriefe.  Übersetzt  und  eingeleitet  von  Max  Bauer,  Berlin  o.  J. 
S.  23  f.  -  8  Wien  1709. 

325 


Diese  Berichte  stehen  nur  in  scheinbarem  Widerspruch 
mit  der  Ehrbarkeit  und  Ehrenhaftigkeit,  die  selbst  von 
amtlicher  Stelle  Stranitzky  nachgerühmt  wurden.  Denn 
auch  die  Schriften  Stranitzkys  wimmelten  von  Stellen,  die 
auf  eine  sonderbare  Auslegung  des  Anstandsbegriffes 
seitens  der  hohen  Obrigkeit  schließen  lassen.  Man  braucht 
nur  in  Stranitzkys  Hauptwerk,  der  „Ollapatrida  des  durch- 
getriebenen Fuchsmundi"  zu  blättern,  um  zahllosemale  auf 
ausgesprochenen  Sexual-  und  Fökalwitz  zu  stoßen.  Aber 
ebenso  viele,  aus  denen  noch  heute  eine  frische,  derbe 
Komik  und  der  gute  „Weaner  G'spaß"  hervorsprudelt. 
Dieser  Spaß,  diese  Spassetteln  gleichen  die  Rüdheiten 
wohl  nicht  aus,  aber  sie  bemänteln  sie,  nehmen  ihnen  das 
Abstoßende,  das  Ekelerregende.  Ich  kann  es  mir  nicht 
versagen,  die  prachtvolle  Definition  über  den  Wiener 
Spaß  in  der  deutsch-österreichischen  Literaturgeschichte 
von  Nagl-Zeidler  hier  einzufügen,  da  sie  vielerlei  Erschei- 
nungen in  der  süddeutschen  Volks-  und  Lokalposse  und 
eigenartige  Äußerungen  des  österreichisch  -  bayrischen 
Volkshumors  erklärt: 

„Der  Spaß,  diese  speziell  österreichisch-bayrische  Form 
des  Komischen,  geht  nicht  wie  der  Witz  vom  Verstand 
aus,  sondern  von  der  Vorstellung,  der  Phantasie  und  dem 
Gemüt.  Seine  Grundlage  bildet  das  Genrebild,  die  Vis 
comica  der  Erscheinung.  Er  beruht  auf  der  Fähigkeit  und 
Neigung,  die  komische  Seite,  die  jeder  Sache,  selbst  der 
ernstesten,  bei  ihrem  Eintritt  in  diese  unvollkommene  Welt 
anhaftet,  zu  erkennen  und  ohne  Bitterkeit  mit  in  den  Kauf 
zu  nehmen  ....  Man  schwingt  sich  über  die  Jämmerlich- 
keiten des  Daseins  empor,  indem  man  sie  verlacht.  Dieser 
Sinn  für  Humor  und  Spaß  bildet  einen  Grundzug  der 
österreichischen  Volksseele  und  hat  sich,  trotz  aller  frem- 
den Einwirkungen  und  Niederschläge,  die  ihr  Wesen  be- 
einflußten, durch  alle  Jahrhunderte  erhalten  ....  Dem 
echten  Spaß  wohnt  aber  nicht  nur  eine  befreiende  und 
sänftigende,  sondern  auch  eine  reinigende  Kraft  inne.  Wo 
326 


£>et  f  ttr&tüeifiae 

SATYRICUS, 

toefc&er 

£>ie  (Sitten  5er  Deuten  SBelt 

auf  eine  Cdc^erCtc^e  9Ttt  toirdfe  aller* 

&miD  luftige  ©efprätfje,  un&curieufe©^ 
tJancfcU/  in  t\ntv  ansenetymen 

OLLAPATRIDA 

uftftnunft 

juröergnugten®emfit(jfc@rgo0lic§* 

feitiwSfagengelWIet. 
#n  twe  .fctc&t  gc0eben 

»oit  eintm 

COSMOPOLI; 

2lttfÄ0(Ient)«tSociet4t. 

£agwrounMfei(n)ar. 

Sfono  1728. 


sein  Szepter  waltet,  kommt  höchstens  als  roh,  derb  und 
ungeschlacht  heraus,  was  im  Banne  des  Witzes  gemein 
und  zynisch  erscheint.  So  oft  die  österreichische  Posse 
auch  unter  fremden  Einflüssen  zur  Frivolität  und  Lüstern- 
heit geführt  wurde,  der  gesunde  Sinn  !für  den  Spaß  lenkte 
sie  immer  wieder  auf  reinere  Bahnen,  die  alte  Tradition 
war  niemals  zu  verdrängen,  selbst  die  vielbeklagten  und 
vielbelachten  Natürlichkeiten  offenbaren  sich  hier  mehr 
als  rohe  Freude  am  Spaß,  der  nun  einmal  in  ihnen  liegt, 
denn  als  Lust  an  der  Zote." 

Hier  als  Beweis  ein  Bruchstück  aus  der  „Ollapatrida", 
dem  Vorlagenwerk  der  damaligen  Komiker,  aus  dem  auch 
die  norddeutschen  Hanswürste  hauptsächlich  ihre  Szenen 
und  Witze  schöpften.  Der  etwas  langatmige  Titel  des 
Buches  —  mir  liegt  die  Ausgabe  von  1728  vor  —  lautet: 

„Der  kurzweilige  Satyricus,  welcher  die  Sitten  der  heu- 
tigen Welt  auf  eine  lächerliche  Art  durch  allerhand  lu- 
stige Gespräche  und  curieuse  Gedanken,  in  einer  ange- 
nehmen 

Ollapatrida 

des 

durchgetriebenen 

Fuchsmundi, 

zur  vergnügten  Gemüths-Ergötzlichkeit  vor  Augen  gestellet. 

An  das  Licht  gegeben   von   einem  lebendigen  Menschen. 

Cosmopoli:  Auf  Kosten  der  Societät.  In  dem  Jahr  da 
Fuchsmundi  feil  war,  Anno  1728." 

Ich  entnehme  ihm  das  VII.  Kapitel,  „Fuchsmundi  ist  ver- 
liebt in  die  Jungfer  Anna  Baberl,  und  haltet  mit  ihr  einen 
ärtlichen  Discurs",  weil  in  ihm  auch  eines  jener  Wiener 
Kuplets  enthalten  ist,  das  zum  wichtigsten  Bestandteil  der 
Wiener  Posse  und  Operette  werden  sollte. 

Fuchsmundi:  Madame!  Mein  Herz  ist  schon  geraume 
Zeit  her  von  der  Tapezerei  ihrer  unbeweglichen  Person 
über  und  über  bezogen,  also  daß  von  allen  Seiten  nichts 

327 


als  ihr  Ebenbild   zu   sehen   ist.     Cupido   ist  Polierer  ge- 
wesen, welcher  ihre  vortrefflichen  Gaben,  ihre  auserlesene 

Schönheit  und  im   übrigen ä  propos  Madame,   sie 

wird  es  mir  doch  ohne  Zweifel  ansehen  können,  daß  ich 
sie  liebe. 

Anna  Baberl:  Es  fällt  mir  sehr  schwer  darauf  zu  ant- 
worten, und  alles,  was  ich  dazu  sagen  kann  ist,  daß  ich 
mich  nicht  erinnern  kann,  etwas  liebenswürdiges  an  mir 
zu  haben. 

Fuchsmundi:  Sie  macht  es  wie  alle  Frauenzimmer, 
die  nicht  gestehen  wollen,  daß  sie  verliebt  sind,  ob  ihnen 
schon  Lung  und  Leber  in  voller  Flamme  stehen.  Aber 
ehe  ich  weiter  gehe,  Madame!  so  muß  ich  sagen,  daß  ich 
gern  Nachkommen  haben  möchte,  aber  nichts  anders  als 
schöne,  lange,  hohe,  wohlgewachsene  Cavalier. 

Anna  Baberl:  Was  will  der  Herr  damit  sagen? 

Fuchsmundi:  Es  ist  schade  darum,  daß  sie  nicht 
17  Hand  hoch  ist. 

Anna  Baberl:  Es  scheinet,  der  Herr  ist  entweder  ein 
Roßhändler  oder  ein  Schneider. 

Fuchsmundi:  Ach  wie  glücklich  möchte  ich  sein,  wenn 
ich  von  ihrem  engelischem  Leib  ein  Maß  nehmen  dürfte; 
aber  sie  verstehet  mich  schon,  ist's  nicht  wahr? 

Anna  Baberl:  Ich  habe  die  Gabe  nicht,  etwas  zu  erraten. 

Fuchsmundi:  So  will  ich's  dann  kurz  sagen:  Ich  bin 
in  sie  verliebt,  aber  in  allen  Ehren,  denn  ich  gedenke  mich 
mit  ihr  zu  verheiraten,  und  meinem  Ermessen  nach,  so 
sollte  sie  wohl  nicht  unrecht  für  mich  sein  usw. 

Anna  Baberl:  So  meinet  der  Herr  gleichwohl,  daß 
ich  zum  Ehestand  nicht  untüchtig  sei? 

Fuchsmundi:  Ha,  so  tüchtig,  so  geschickt,  so  vor- 
trefflich zu  allen  Ehestandssachen,  wie  ich  wünschen  möchte. 
Aber  muß  sie  nicht  gestehn,  daß  sie  gern  Hochzeit  mit 
mir  machen  möchte?  Ich  weiß,  daß  ich  ihr  von  Herzen 
gefalle  usw.  Sie  sehe  mich  nur  hinten  und  vorn  so  gut 
an,  wie  unten  und  oben. 
328 


Anna  Baberl:  Wer  wollte  eine  so  angenehme  Person 
nicht  lieb  haben? 

Fuchsmundi:  Ich  habe  zwar  ein  wenig  einen  dicken 
Hintern,  aber  mein  Doctor  hat  mir  versprochen,  daß  er 
mir  solchen  vertreiben  wolle,  und  zwar  mit  einer  Ziegen- 
Molken. 

Anna  Baberl:  Das  ist  sonst  eine  gute  Arznei. 

Fuchsmundi:  Er  versichert  mich,  daß  es  nur  gewisse 
humors  acres  sind,  welche  sich  durch  das  Diaphragma  und 
Mesenterium  ausbreiten  und  endlich  hinunter  in  das  Sitz- 
brett fallen,  und  ihm  eine  etwas  unförmige  Gestalt  geben. 
Jedoch  ist  es  besser,  daß  wir  vorher  von  dem  Vergnügen 
reden,  das  wir  im  Ehestand  genießen  wollen. 

Anna  Baberl:  Man  betrügt  sich  in  diesem  Stück  oft 
in  seiner  Rechnung  und  findet  nicht  so  viel  Freude,  wie 
man  sich  einbildet. 

Fuchsmundi:  Mit  mir  kann  ein  Weib  nicht  anders  als 
vergnügt  leben,  denn  ich  bin  still,  bequem,  fromm  und 
weiß  mich  in  alle  Köpfe  zu  schicken.  Mit  meinem  ersten 
Weib  hab  ich  sechs  Jahr  gelebt,  ohne  daß  ich  mich  nur 
ein  einzigesmal  mit  ihr  gezankt  hätte. 

Anna  Baberl:  Dergleichen  Exempel  sind  rar. 

Fuchsmundi:  Einige  kleine  Widerwärtigkeiten  haben 
wir  miteinander  gehabt,  denn  wie  ich  vom  Schnupftobak 
einmal  nießen  wollte,  so  verstörte  sie  mich  darin.  Über 
diesen  Verdruß  ergriff  ich  meinen  Leuchter  und  schmiß 
ihr  damit  die  Hirnschale  in  Stücken.  Eine  Viertelstunde 
darauf  starb  sie. 

Anna  Baberl:  Ei  was  hat  der  Herr  gemacht? 

Fuchsmundi:  Das  ist  auch  der  erste  und  letzte  Streit 
gewesen,  es  währte  auch  nicht  sonderlich  lange.  Es  war 
bald  beigelegt  usw. 

Anna  Baberl:  Ich  gestehe,  daß  er  nur  allzu  geschwind 
beigelegt  war. 

Fuchsmundi:  Je  nun,  wenn  eines  Weibes  Zeit  und 
Stunde  um  ist,  so  stirbt  sie  doch  viel  rühmlicher  von  ihres 

329 


Mannes  Hand  als  von  des  Medici,  der  noch  dazu  bezahlt 
sein  will,  ob  er  sie  schon  ein  halbes  Jahr  oder  ein  ganzes 
gemartert  hat.  Ich  mache  meine  Sache  gern  ohne  Weit 
läufigkeit  und  verdiene  das  Geld  lieber  selber,  als  daß  ici 
es  dem  Doctor  geben  sollte. 

Anna  Baberl:    Und   der  Herr   macht   sich   kein   Ge 
wissen,  daß  er  sein  eigen  Weib  totgeschlagen  hat. 

Fuchsmundi:  Ganz  und  gar  nicht,  denn  ich  bin  von 
meiner  Jugend  an  des  Bluts  gewohnt.  Mein  Vater  hat  mehr 
als  tausend  Gefechte  gehalten  und  hat  immer  jedweden 
seinen  Mann  gewiß  ums  Leben  gebracht.  Ach!  es  ist  ein 
braver,  ansehnlicher  Mann,  ganze  zweiunddreißig  Jahr  hat 
er  gedient. 

Anna  Baberl:  Zu  Land  oder  zu  Wasser. 

Fuchsmundi:  Nein,  sondern  in  der  Luft. 

Anna  Baberl:  Wie,  in  der  Luft?  Mein  Lebtag  hab  ich 
von  keinem  Offizier  gehört,  die  ihre  Feldzüge  in  der  Luft 
getan  hätten. 

Fuchsmundi:  Ein  jeder  kommt  auch  nicht  zu  der- 
gleichen Bedienung.  Mein  Vater  war  ein  frommer,  gut- 
herziger Mann.  Wenn  nun  ein  armer  Sünder  zum  Strang 
verdammt  war,  so  war  er  so  gütig  und  setzte  sich  nicht 
allein  zu  ihm  auf  den  Schind-Karren,  sondern  er  stieg  auch 
vor  ihm  die  Leiter  hinauf  und  verkürzte  ihm  die  Schmerzen 
mit  einer  unvergleichlichen  Geschicklichkeit. 

Anna  Baberl:  Ach,  es  graust  mir  schon. 

Fuchsmundi:  Alle  seine  Kollegen  mußten  bekennen, 
daß  er  um  ein  Gutes  gescheiter  war  als  sie.  Und  wäre  er 
nicht  gestorben,  so  hätten  sie  ihn  noch  zu  ihrem  Ober- 
haupt gemacht. 

Anna  Baberl:  Das  wäre  gleichwohl  keine  geringe 
Ehre  geworden. 

Fuchsmundi:  Ich  sage  im  rechten  Ernst.  Madame, 
wenn  sie  ihn  hätte  das  Seinige  mit  solcher  admirablen 
Behändigkeit  verrichten  sehen,  sie  würde  Lust  bekommen 
haben,  sich  von  keinem  andern  als  ihn  henken  zu  lassen. 
230 


" 


it 


Anna  Baberl:  Ich  wundere  mich,  daß  der  Herr  Sohn 
nicht  seines  Herrn  Vaters  Profession  fortsetzt,  vielleicht 
sind  solche  Gaben  angeerbt. 

Fuchsmundi:  Ich  hatte  zwar  so  ziemlich  Lust  dazu. 
Aber  sie  weiß  ja  wohl,  daß  ein  Kavalier  wenig-  aestimiret 
wird,  wenn  er  sich  nicht  in  der  Welt  umsieht.  Ich  bin 
also  sieben  Teile  der  Welt  durchreist,  und  jetzo  such  ich 
mein  Vergnügen  zu  dero  Füßen.  Mein  Herz  liegt  schon 
auf  dem  Brat-Rost  der  Liebe,  und  wenn  ich  nicht  bald  mit 
ihr  copuliert  werde,  so  hänge  ich  mich  unfehlbar  auf. 


*  * 

* 


Der  Ehstand  plagt  mich  oft, 
daß  ich  mich  unverhofft 
Ins  Wesen  nein  verliebe, 
denn  hab  ich  lange  Zeit, 
so  denk  ich  allbereit, 
Ach  hätt  ich  eine  Frau,  die  mir  die  Zeit  vertriebe. 

*  * 
* 

Früh  morgens  steh  ich  auf, 

und  wenn  ich  meinen  Lauf 

bald  hier,  bald  da  betrachte, 

da  rumpelt  mir  der  Bauch, 

deshalben  denk  ich  auch, 

Ach  hätt  ich  eine  Frau,  die  mir  ein  Süpplein  machte. 

*  * 
* 

Und  wenn  ich  meinen  Bart 

recht  nach  der  neuen  Art, 

gern  in  die  Falten  schraubte, 

so  kommen  Federn  drein, 

da  muß  ich  traurig  sein, 

Ach  hätt  ich  eine  Frau,  die  sie  vom  Barte  klaubte. 

*  * 
* 

Bisweilen  bin  ich  krank, 

da  lieg  ich  auf  der  Bank, 

und  bete  meine  Sprüche. 

331 


Doch  in  dergleichen  Qual, 
da  denk  ich  hundertmal, 

Ach  hätte  ich  eine  Frau,  die  mir  den  Rücken  striche. 

*  * 

* 

Im  Bette  kommt  ein  Floch, 

der  hupft  mir  gar  zu  hoch 

und  macht  so  krumme  Sprünge, 

daß  ich  mit  Überdruß 

vom  Herzen  wünschen  muß, 

Ach  hätt  ich  eine  Frau,  die  mir  die  Tierlein  finge. 


Im  Winter  war  es  zwar 
kein  Wunder,  wenn  ich  gar 
mich  gar  zu  Tode  härmte. 
Doch  seh  ich  dies  noch  an 
dieweil  ich  wünschen  kann, 

Ach!  hätt  ich  eine  Frau,  die  mir  das  Bette  wärmte. 

*  * 
* 

Wenn  ich  in  meinem  Sinn 
rechtschaffen  böse  bin 
und  meine  Lust  nicht  büße, 
so  denk  ich  vielerlei, 
doch  dieses  auch  dabei, 

Ach  hätt  ich  eine  Frau,  die  sich  erschlagen  ließe. 

*  * 
* 

In  Summa:  was  ich  tu, 
da  kann  ich  nicht  dazu, 
als  wie  der  Hund  im  Schilfe, 
es  ist  mir  alles  leid, 
drum  wünsch  ich  allezeit: 
Ach  hätt  ich  eine  Frau,  die  mir  aus  Nöten  hilfe! 

Den  Tod  im  Herzen,  suchte  Stranitzky  einen  Erben  für 
seine  Pritsche.    Er  fand  keinen  würdigeren  als  den  jungen 
Prehauser,   der  wenige  Monate   vorher  zu  seiner  Truppe 
gekommen  war. 
332 


Aus  Nagl-Zeidler,  Deutsch-österreichische  Literaturgeschichte 


Als  Stranitzky  zum  letztenmal  auf  der  Bühne  stand  und 
mit  herzlichen  Worten  vom  Publikum  Abschied  nahm, 
Prehauser  vorstellte  und  für  ihn  die  Gunst  erbat,  die  man 
ihm,  dem  ersten  Hanswurst,  erwiesen  hatte,  lag  Eiseskälte 
über  dem  Hause.  Vielleicht  waren  die  Zuhörer  von  den 
schmerzlichen  Worten  des  todkranken  Mannes  bewegt, 
oder  zu  taktvoll,  um  den  neuen  Hanswurst  zu  begrüßen, 
da  der  alte  neben  ihm  stand.  Da  nahm  Prehauser  die 
Pritsche  aus  der  Hand  seines  Direktors,  drückte  sie  an  die 
Brust,  ging  bis  an  die  Öllampen  vor,  sank  dort  auf  die 
Knie  nieder,  flehte  mit  gefalteten  Händen:  „Bitt'  schön, 
lachen  S'  doch  über  mich!"  und  dies  klang  so  hinreißend 
komisch,  daß  helles  Gelächter  und  lauter  Beifall  das  Haus 
durchbrausten. 

Der  neue  „Pritschenmeister  des  wienerischen  Stadt- 
theaters" war  gemacht! 

Gottfried  Prehauser  wurde  als  Sohn  eines  Hausmeisters 
—  Portier  sagt  der  Berliner  —  am  8.  November  1699  in 
Wien  geboren.  Erst  ward  er  Diener  zweier  Schauspieler, 
dann  selbst  Wanderkomödiant.  1725  kam  er  zu  Stranitzky 
nach  Wien.  Nach  dem  Urteil  J.  H.  F.  Müllers  war  er  „einer 
der  ersten  komischen  Schauspieler".  Selbst  der  grimme 
Hanswurstfeind  und  Stegreif spielverächter  Josef  von  Sonnen- 
fels, der  den  österreichischen  Geschmack  ä  la  Gottsched 
reformieren  wollte,  muß  bei  der  Charakteristik  Prehausers 
zugeben :  „Unsere  lustige  Person  ist  wenigstens  mehr  wert 
als  alle  Arlechine  in  ganz  Welschland.  Wo  in  der  ganzen 
Welt  werden  sie  eine  schicklichere  Person  finden  für  die 
niedrig  komischen  Väterrollen  als  Prehauser  ?  Dieser  Schau- 
spieler verkennt  sich  selbst,  wenn  er  den  Beifall,  den  er 
ganz  für  sich  zu  fordern  berechtigt  ist,  mit  seiner  Jacke 
teilt." 

Am  29.  Januar  1796  starb  Prehauser,  beinahe  vergessen, 
unbeachtet  und  längst  verarmt.  Als  Darsteller  stand  er 
weit  über  Stranitzky,  den  er  aber  als  Autor  nicht  erreichte. 
In  einem  sehr  selten  gewordenen  Büchlein:  „Ein  historischer 

333 


Lustspielabend" 9  findet  sich  eine  Komödie  von  Prehauser, 
die  in  dieser  Bearbeitung  im  Wiener  Stadttheater  aufge- 
führt wurde.     „Hanswurst  der  traurige  Küchelbäcker  und 
sein  Freund  in  der  Not"  ging  in  Wien  1729  zum  erstenmal 
in  Szene.   Die  Hanswurstrolle  scheint  in  der  Neuausgab 
stark  gereinigt  zu  sein,  trägt  aber  noch  so  viele  eigenartig 
Züge,  daß  sein  Bild  unverwischt  erscheint  und  die  Wiede 
gäbe  von  ein  paar  Szenen  hier  gerechtfertigt  sein  dürft 
Die  Personen  sind :  Gutherz,  ein  reicher  Mann ;  Leni,  sein 
Wirtschafterin;  Gretle,  die  schwäbische  Magd,  und  Hans- 
wurst, den,  wenn  mich  mein  Gedächtnis  nicht  trügt,  Karl 
von  Bukowicz  spielte. 


Dreizehnte  Szene. 

Gutherz.  Hanswurst  (tritt  schüchtern  ein.  Er  ist  im  Ornat  eines  da- 
maligen Hochzeitbitters.  Schwarzer  Rock  und  Hose,  rote  Strümpfe  und 
Weste  mit  Goldborten.  Große  Halsschleife  und  Manschetten,  weiß- 
baumwollene Handschuhe  und  bordierten  Hut,  roten  langen  Mantel, 
weiße  Allong-Perücke,   eine  Zitrone  und  einen  Rosmarinstengel  in  der 

Hand). 

Gut  herz:  Ja,  was  Teufel  1    Wie  sieht  er  denn  aus? 

Hanswurst:  Wie  a  Bräutigam,  drum  steck  i  a  in  an 
Hochzeitslader-Kleid,  und  kum  halt  schon  wieder  in  er- 
gebenster Demuth  als  Bittsteller. 

Gutherz:  Hat  er  g'wiß  wieder  einmal  kein  Geld,  und 
ich  soll  ihm  zum  zweiundsiebzigstenmal  aus  der  Not  hel- 
fen ?  Punktum  einmal.  Geh'  er  zum  Teufel,  er  kommt  mir 
zu  oft. 

Hanswurst:  In  meiner  heutigen  Angelegenheit  komm' 
i  zum  erstenmal.  A  Geld  kann  mir  heut  net  allan  helfen; 
i  bin  nit  nur  Bräutigam  g'wesen,  sondern  a  Gatte  (wischt 
sich  mit  dem  Mantel  die  Augen  und  sagt  gerührt):  Die 
süßen  Vaterfreuden  sind  mir  heut'  Nacht  durch  den  Storch 
zu  Teil  geworden  und  i  komm'  halt  demütig  zu  G'vatter 
zu  bitten. 

8  Wien,  L.  Rosner. 
334 


Gut  herz:  Was?  Zu  G'vatter?  Ja,  was  Teufel  ist  er 
denn  verheiratet? 

Hanswurst:  Ja,  schon  über  acht  Wochen. 

Gutherz:  Über  acht  Wochen? 

Hanswurst  (verbessert  sich) :  Will  ich  sagen  acht  Monate. 

Gutherz:  Ei,  ei,  ei. 

Hanswurst  (für  sich):  Langt  no  net.  (Laut)  Ach,  was 
sag  i  denn?    Über  acht  Jahre. 

Gutherz:  Ja,  das  is  ja  das  allerneueste.  Warum  hat 
er  denn  das  immer  so  g'heim  g'halten. 

Hanswurst:  Weil  mein  Weib  a  Schönheit  is  —  die 
nix  anz'leg'n  hat,  also  gar  nie  unter  d'Leut  kommen  darf. 

Gutherz:  Ist  sie  jung?  — 

Hanswurst  (verwirret):  Jünger  als  ich,  und  älter  als 
der  Herr.  Aber  i  bitt',  fragts  net  so  viel,  die  Sach  is 
dringend.    Wollts  mein  gnüdiger  G'vatter  sein? 

Gut  herz:  In  Gottesnamen.  Aber  er  wird  vielleicht 
schon  g'hört  haben,  daß  i  nit  selber  das  Werk  verrichte, 
seitdem  mir  drei  so  kleine  Wesen  nacheinander  g'storben 
sind  (greift  nach  der  Brusttasche,  Hanswurst  sieht  voll 
Freude  darauf). 

Hanswurst:  Recht  hat  der  Herr !  Hat  a  gar  nix  zum 
sag'n,  ich  weiß  schon  jemand  andern,  der  mir  für  a  klans 
Trinkgeld  den  G'fallen  thut. 

Gut  herz:  Da  sieht  er,  daß  ich  nicht  lüg,  da  ist  der 
Zettel  mit  dem  Namen  der  drei  Kinder  (sucht  wieder  in 
der  Brieftasche). 

Hanswurst  (glaubt  er  sucht  Geld) :  O,  i  bitt,  es  muß 
ja  net  gleich  sein.    Derweil  die  Hälfte. 

Gutherz:  Und  hier  hab  ich  — 

Hanswurst:  No  jetzt  wird  doch  endlich  einmal  's  Geld 
kommen. 

Gutherz  (zieht  wieder  einen  Zettel  hervor):  Die  Liste 
von  all'  den  Kindern,  die  ich  hab'  heben  lassen  und  die 
alle  noch  leben  und  frisch  und  gesund  sind  (legt  den  Zettel 
wieder  in  die  Brieftasche). 

335 


Hanswurst  (bemerkt  es  und  hält  schnell  den  Hut 
unter):  Gott  sei  Dank,  jetzt  kommt's  Geld. 

Gutherz:  Und  doch  ist  es  ein  lächerliches  Vorurteil.  Bei 
ihm  mach'  ich  jetzt  wieder  die  erste  Ausnahme,  weil  ich 
heut'  grad  so  besonders  gut  aufgelegt  bin.  Freu'  er  sich, 
ich  werd'  bei  ihm  persönlich  G'vatter  sein. 

Hanswurst  (taumelt  vor  Schreck  zurück):  Was? 

Gutherz:  Gelt,  das  freut  ihn? 

Hanswurst  (vernichtet):  Zum  Schlag  treffen. 

Gutherz  (fröhlich):  Es  macht  mir  selber  Spaß,  und 
weil  ich  grad  Zeit  hab',  so  geh'n  mir  auch  gleich!  (Ruft 
im  Abgehen  durch  die  Mitte)   Die  Schimmel  einspannen. 

Hanswurst  (retiriert  sich  in  die  rechte  Ecke  der  Bühne): 
Das  is  net  übel,  und  i  hab  weder  Weib  no  Kind!  Was 
thu  i  denn  jetzt?  Wann's  herauskommt,  laßt  er  mi  wenig- 
stens einsperren. 

Gutherz  (tritt  wieder  ein,  den  Hut  in  der  Hand):  Ich 
glaub',  ich  seh'  so  sauber  g'nug  aus.  Der  Sonntagsrock 
wird  wohl  nicht  nötig  sein. 

Hanswurst  (in  Verzweiflung) :  Gnädigster  Gönner  und 
unterthänigster  Gevatter  in  der  Noth,  es  nutzt  nix,  wenn  der 
Herr  selber  geht,  sintemalen  und  alldieweilen  es  kein  Bub', 
sondern  was  maßen  es  ein  Madel  is. 

Gutherz:  Ein  Madel,  das  is  noch  schöner!  Da  kann 
ja  meine  Leni  aushelfen.  (Ruft  in  die  Türe  links)  Leni, 
komm  doch  g'schwind  heraus. 

Hanswurst  (erschrocken  für  sich):  Sein  Lenerl!  Was 
ist  das?  (Zieht  Gutherz  am  Rockschoß  zurück.)  Verehr- 
tester Gönner!  Halt!  I  —  i  (verwirrt)  das  kann  ja  net 
sein  —  die  Leni  kann  das  Kind  net  heben  —  i  bitt  — 
es  ist  a  ka  Madel  (wischt  sich  den  Schweiß). 

Gutherz:  Na  zum  Teufel,  was  ist  denn? 

Hanswurst  (in  der  größten  Verzweiflung) :  Man  weiß 
es  no  net. 

Gutherz:  O  er  Talk,  er! 


336 


usw. 


Bereits  unter  Prehauser  fing  das  Publikum  an,  der  Prit- 
schenschläge müde  zu  werden.  Sollte  das  Interesse  nicht 
völlig  erlahmen,  so  mußte  eine  neue  Variante  des  Hans- 
wurstes geschaffen  und  die  alte  Figur  modernisiert  werden. 
Man  brauchte  eine  Zugkraft  für  das  stagnierende  Hanswurst- 
theater, und  sie  fand  sich  in  Johann  Joseph  Felix  von  Kurz. 

Kurz  wurde  in  Wien  am  22.  Februar  1717  geboren. 

Sein  Vater  war  der  aus  Landshut  in  Bayern  stammende 
Joseph  Felix  von  Kurz,  der  als  „Comicus"  der  Stranitzky- 
schen  Gesellschaft  angehörte.  Stranitzky  und  der  Comicus 
Johann  Baptist  Geferding  waren  die  Paten  des  Kleinen. 
Im  folgenden  Jahr  verließ  der  alte  Kurz  Wien  und  kam  nach 
Berlin  zu  Johann  Karl  von  Eckenberg,  dem  starken  Mann 
(1685 — 1748).  Er  und  seine  Frau  wurden  unter  den  Namen 
Felix  und  die  Felixin  beliebte  Mitglieder  der  Truppe  dieses 
Taschenspielers  und  Athleten,  dem  wir  das  erste  deutsche 
Variete-Theater  verdanken.  In  seiner  Bude  am  Dönhoffs- 
platz und  darauf  im  Operntheater  im  Marstallgebäude  in 
der  Breiten  Straße  wurden  kurze  Schauspiele,  wie  „Die 
artige  Grundsuppe  der  Welt"  oder  „Doctor  Fausts  Höllen- 
fahrt", daneben  Ballette  und  gymnastische  Produktionen 
vorgeführt10. 

Kurz- Vater  machte  sich  dann  selbständig  und  besuchte 
mit  seiner  „Bande"  durch  zwei  Dezennien  Brunn  und 
Olmütz.  Sein  Spielplan  bestand  aus  einer  Anzahl  „gutt 
geistlicher  und  moralisch  ausgearbeiteter  Comoedien",  und 
dann  natürlich  aus  Burlesken,  „mit  scandalosen  Liebes- 
intriguen  angefüllt  und  sonsten  mit  ander  zur  ärgernus 
gereichenden  Zotten  untermischet". 

Ob  der  kleine  Felix,  das  älteste  von  sieben  Kindern,  in 
der  Truppe  seines  Vaters  tätig  war,  ist  nicht  erwiesen.  Er 
tritt  erst  hervor,  als  er  1737  von  Prehauser  engagiert  wird. 

Seine  Kollegen  wurden  Franz  Anton  Nuth,  der  Harlekin 
und   „Compositeur"    zahlreicher  Zauberpossen,   in   denen 

10  Der  Bär,  9.  Jahrgang,  Berlin  1883,  S.  66. 

22  337 


seine  Frau  Maria  Anna,  geborene  Viertel  (1708 — 1754)  die 
weibliche  Hauptrolle  spielte.  Die  anderen  Stützen  waren: 
Johann  Leinhaas  (f  1767)  als  Pantalon,  Andreas  Schröter 
(1696 — 1761)  als  Liebhaber  und  Bramarbas,  und  Fried- 
rich Wilhelm  Weiskern,  der  Sohn  eines  sächsischen  Ritt- 
meisters11, wie  Nuth  ein  fleißiger  Übersetzer  und  Bear- 
beiter von  Lust-  und  Singspielen  meist  aus  dem  Italie- 
nischen. 

Der  Spielplan  der  Truppe  bestand  aus  ernsten  Dramen 
und  Hanswurstiaden.  Die  Dramen  mußten  möglichst  kurz 
sein,  um  zu  gefallen,  deshalb  wurden  den  Titelangaben 
die  Bemerkungen  angefügt:  „in  der  ganzen  Comoedie  seynd 
nur  6  serieuse  Scenen",  oder  „diese  ganze  serieuse  Action 
spielet  nicht  länger  als  eine  Stunde".  Die  Hauptsache 
blieb  das  Groteske,  das  meist  in  dem  Satze  angekündigt 
wurde:  „Hanswurst,  Finette  und  Scapin  werden  mit  mo- 
dester Lustbarkeit  eine  angenehme  Veränderung  machen." 
Jedermann  wußte  nun,  daß  Prehauser,  Frau  und  Herr  Nuth, 
unter  die  sich  bald  Kurz  als  Bernardon  mischte,  ihre  saf- 
tigen Spaße  vorbringen  würden. 

Prehauser  nahm  das  neue  Mitglied  freundlich  auf,  ohne 
zu  ahnen,  daß  aus  ihm  ein  gefährlicher  Nebenbuhler  wer- 
den sollte.  Vorerst  aber  hatte  in  dem  Quartett  Hans- 
wurst-Prehauser,  Harlekin-Nuth,  Bernardon-Kurz  und  Pan- 
talon-Leinhaas  die  Stegreifkomödie  eine  Höhe  erreicht, 
die  selbst  den  Gegnern  Bewunderung  abzwang.  Der  Löwen- 
anteil des  Erfolges  fiel  dem  jungen,  flotten,  frischen,  witzi- 
gen, vor  keiner  Zote  zurückbebenden  Kurz  und  seinen 
Bernardoniaden  zu. 

Von  Kurz'  Erscheinung  auf  der  Bühne,  von  seiner  Spiel- 
und  Redeweise  gibt  einer  seiner  Zeitgenossen  ein  sehr 
anschauliches  Bild: 

„Nun  stelle  man  sich  ein  hochansehnliches,  hochgeneigtes 
Auditorium  vor.    Vierzig  vollgepfropfte   Logen,   ein  Par- 

11   Chr.   Heinr.   Schmids    Chronologie   des   deutschen   Theaters.      Neu 

herausgegeben  von  Paul  Legband,  Berlin  1902,  S.  49. 

338 


terre  zum  erdrücken  und  die  Gallerien  zum  einbrechen. 
Die  Gardinen  aufgezogen,  Bernardon  kommt  aus  den  Cou- 
lissen  mit  ein  paar  Seitensprüngen  und  einer  lächerlichen 
Reverenz  hervor: 

„Ich  habe  Apetit;,  denn  der  Tambour  meines  Magens 
schlägt  schon  Rebell  und  Vergatterung,  aber  meine  Oc- 
casions-Laterne  Colombine  wird  wohl  wieder  im  Finstern 
auf  der  Treppe  an  einen  Heyducken  angestoßen  seyn, 
daß  sie  einen  Geschwulst  bekommt,  der  erst  in  dreyviertel 
Jahren  aufgeht." 

Bravo,  Bravo,  schreit  das  hochansehnliche,  hochgeneigte 
Auditorium  und  klatscht  3  Minuten  45  Secunden,  die  Gal- 
lerie  eine  Minute  weniger,  ein  paar  Logen  aber  zwei  Se- 
cunden länger.  St.  —  st.  und  eine  allgemeine  Stille  zeigt 
die  Begierde  den  Verfolg  zu  hören. 

„Was  ist  zu  machen",  fährt  Bernardon  in  seinem  Mono- 
loge fort.  „Ich  werde  zu  Mamsel  Isabellen  gehen  um  den 
Tambour  meines  Magens  sowie  meine  äußerste  Liebe  zu 
befriedigen  und  zu  krönen.  Aber  da  kommt  sie  eben.  Jetzt 
Bernardon  nimm  deine  ganze  Beredsamkeit  zusammen,  er- 
wünschtere Gelegenheit  einen  Liebes-Antrag  zu  formieren, 
kann  unmöglich  erdacht  werden.  Wir  sind  hier  überdies 
neben  meinem  Schlafzimmer  und  hier  steht  ein  bequemes 
Sopha. 

Schönste  Gebieterin!  nachdem  sintemalen,  alldieweilen 
und  demnach  die  Sterblichkeit  aus  dem  Firmament  der 
Sterne,  gleichwie  die  hellglänzende  Sonne  in  der  Morgen- 
röthe  und  Julius  Caesar,  der  berühmte  Philosoph,  nicht 
minder  der  Alexander,  der  stoische  Lehrer  die  Wolken, 
wie  die  Sonnenstrahlen  von  der  sterblichen  Sterblichkeit, 
Glückseligkeit,  Freude,  Entzücken,  Wollust  und  Vergnügen 
der  Innerste  meines  verliebten  Herzens  durch  die  Liebe 
und  Zärtlichkeit  auf  der  Reitbahn  des  Cupido  allezeit  und 
jederzeit  auf  dem  Mistbeete  meines  Herzens  liebe  und  ver- 
ehre, habe  gesagt,  sage  und  wollte  sagen  und  verstummte 
und  sprach." 

22»  339 


• 


Bravo,  bravo,  abermal  ein  Donner  von  3  Minuten!" 
In  Wien  wie  auf  vielen  Gastspielreisen  erzielte  Kurz  mit 
dem  Bernardon  und  den  von  ihm  verfaßten  Bernardoniaden 
Triumphe,  und  viele  seiner  Witzworte  und  Kehrreime  wur- 
den zu  geflügelten  Worten.    Noch  im  letzten  Viertel  d 
verflossenen  Jahrhunderts  sang  man  in  Wien  die  Stroph 
aus  seiner  „Judenhochzeit" : 

Bin  i  nit  a  g'steiftes  Madel 
Kurze  Fuß  und  dicke  Wadel 
So  schön,  so  rund  als  wie  a  Radel 
Fett  als  wie  a  Schweine  Pradel! 

Bernardon  beherrschte  die  Wiener  Bühne  gänzlich,  und 
Sonnenfels  beklagte  griesgrämig  diese  Geschmacksverirrung 
seiner  Mitbürger: 

„Eine  ganze  sehr  geraume  Zeit  war  nun  nichts  auf  der 
Bühne  als  Bernardons  Unglücksfälle,  Bernardon  der  drei- 
ßigjährige ABC-Schütz,  Bernardons  Leben  und  Tod,  wo 
manchmal  sich  die  besten  Dichter  in  den  erbärmlichsten 
Parodien  mußten  verhunzen  lassen,  war  der  ewige  Inhalt 
der  Theatervorstellungen  —  und  die  Schaubühne  war  immer 
zum  Erdrücken  voll.  —  Den  Vortheil  der  Schauspieler  in 
Erwägung  gezogen,  waren  die  Bernardonischen  Komödien 
nach  den  Grundsätzen  Überdachtester  Oekonomie  verfertigt. 
Denn  Fliegen,  Arien,  eine  Maulschelle  wurden  dem  Schau- 
spieler unter  dem  Namen:  „Nebengefälle"  besonders  be- 
zahlt. Es  war  also  natürlich,  daß  ein  Schauspieler  sich 
und  den  Seinigen  viel  zu  singen,  viel  zu  fliegen  gab  und 
seine  Stücke  auf  Maulschellen  arbeitete,  wovon  er  sich 
gewiß  die  meisten  zuschrieb12." 

Einen  Treffer  erzielte  Kurz  mit  seiner  „Prinzessin  Pum- 
phia",  da  das  Publikum  sofort  die  satirische  Absicht  be- 
griff, die  sich  gegen  das  regelmäßige  Drama  richtete.  Die 
ganze  Hohlheit  der  Haupt-  und  Staatsaktionen,  ihre  Ge- 
schraubtheit  und  Unnatur   wurden   hier  witzig   parodiert. 

11  Josef  v.  Sonnenfels,  Briefe  über  die  deutsche  Schaubühne,  Wien  11t 
340 


Bernardon  als  kölnischer  Stadtsoldat 
Holzschnitt  von  einem  Kurzschen  Theaterzettel 


Kurz  sagt  selbst  im  Avertissement:  „Ich  nenne  dieses  kleine 
Werk  eine  Critique  oder  Parodie,  über  die  sonst  von  vie- 
ten  Teutschen  Trouppen  sehr  übel  vorgestellten  Tragödien." 

Ein  besonderer  Reiz  wurde  dieser  Prinzessin  Pumphia 
dadurch  verliehen,  daß  Kurz  wieder  zu  der  außer  Übung 
gekommenen  Gepflogenheit  griff,  die  Frauenrolle  selbst  zu 
spielen.  Die  von  ihm  erzielte  Wirkung  ist  noch  jetzt  be- 
greiflich, wenn  man  sich  den  langen,  mageren  Kurz  mit 
dem  ausdrucksvollen  Raubvogelgesicht  in  der  überladenen 
Staatsrobe  einer  persischen  Prinzessin  vorstellt. 

Die  „Actores"  der  Pumphia  waren  außer  Kurz-Pumphia: 

Kulican,  Befehls-Haber  der  Tartarey:  Herr  Gottfried  Prehauser. 
Cyrus,  König  von  Persien:  Herr  Friedrich  Wilhelm  Weiskern. 
Faustibus,  der  Pumphia  heimlicher  Gemahl :  Herr  Joseph  Carl  Huber. 
Sigelvax,  des  Cyrus  Groß-vezier:  Herr  Carl  Gottlob  Heydrich. 
Mortong,  des  Kulicans  Groß-vezier:  Herr  Wilhelm  Meyburg. 

und  noch  viele  andere  Nebenpersonen. 

Den  Gipfel  erreichte  die  Groteskkomik  natürlich  in  je- 
nen Szenen,  wo  Hanswurst  Kulican  und  Bernardon  Pumphia 
zusammen  auf  der  Bühne  standen,  wie  in  der  Liebesszene 
des  ersten  Aktes: 

Dritter  Auftritt. 

Pumphia. 
(Diese  kommt  ganz  hinten  an  der  linken  Seiten  heraus.) 

Pumphia: 

Grausamer  Anblick  von  Verwundten  und  von  Todten, 
Sie  sind  vom  Blut  so  roht,  wie  Krebse,  die  gesotten, 
Schlägt  dann  des  Himmels  Zorn  nur  allzeit  auf 

uns  zu, 
Thron,  Krön,  und  Reich  ist  weg,  uns  bleibt  nicht  ein 

paar  Schuh. 
Muß  wegen  meiner  dann  ein  ganzes  Land  ver- 
derben ? 
Muß  wegen  meiner  dann  die  halbe  Welt  fast  sterben? 
Achl  meiner  Schönheit  Glanz  hat  es  dahin  gebracht, 
Daß  alles  wird  zerfleischt,  daß  alles  zupft,  und  kracht. 

341 


Der  Himmel  hat  mir  auch  so  viele  seltne  Gaben 
Gegeben,  daß  man  mich  zum  Fressen  lieb  muß  haben. 
Ein  Herz  von  Stahl,  und  Eisz  wird  weich  durch 

meinen  Blick, 
Mit  einem  Wort,  ich  bin  der  Natur  Meister-stück. 
Das  weiß  auch  Kulican,  drum  denkt  er  mich  zu  fischen, 
Allein  bey  meiner  Treu,  mich  wird  er  nicht  erwischen. 
Nein,  nein,  da  wird  nichts  draus,  geh,  spare  dir 

die  Müh, 
Weil  Pumphia  gescheit,  o  die  bekommst  du  nie. 
Die  Treue,   die  ich  dir  mein  Faustibus  geschworen, 
Bleibt  unveränderlich,  die  ist  mit  mir  geboren. 
Und  so  wird  allezeit  mein  Herz  das  deine  seyn, 
Und  du,  herzliebster  Schatz,  wirst  mein  stäts 

seyn  allein. 
Ja,  herziger  Gemahl!  das  Pfand  von  deiner  Liebe 
Mein  junger  Micketey  vermehret  meine  Triebe, 
Und  so  verfluch  ich  dich,  grausamer  Wütterichl 
(Kulican  hat  ruckwerts  zugehöret,  und  kommet  bey  dem  letzten 
Vers  hervor.) 

Kulican: 

Prinzeßin!  fluche  nicht,  erstaun,  betrachte  mich 
Pumphia  (voll  Schröcken): 

O  Himmel,  ich  vergeh,  man  lasse  mir  zur  Ader. 

(Sie  will  in  Ohnmacht  fallen.) 

Kulican: 

Prinzeßin!  tröste  dich,  hier  steht  dein  treuer  Bader. 

Dein  Unglück  hat  ein  End,  dein  Glücke  steht  bey  dir. 
Pumphia: 

Geh,  du  bist  mir  verhast,  als  wie  das  saure  Bier. 
Kulican: 

Dein  Zucker-süßer  Blick  kann  alles  gleich  versüssen. 

(Will  sie  umarmen.) 
Pumphia: 

Und  ich  will  also  gleich  dein  schwarzes  Blut  vergiessen. 

(Zornig-,  ziehet  einen  großen  Taschen-feidel  aus  dem  Sack  und  will 
Kulican  ermorden.) 
342 


K  u  1  i  c  a  n  (ängstig) : 

Holla!   entwaffnet  sie.     (Die   Soldaten   nehmen   der 

Pumphia,   welche  sich  widersetzet,   den  Taschen- 

feidel  weg.     Zärtlich):   Was  hab  ich  dir  gethan? 

Pumphia  (zornig): 

Wie,  du  befragst  mich  noch  ?  du  grausamer  Tyrann, 

Hast  du  mein  ganzes  Reich  nicht  völlig  aufgerieben, 

Mir  ist  von  meinem  Schatz  nichts  als  der  Rock 

geblieben. 

Mein  armer  Vatter,  ach !  der  sorgt  jetzt  in  der  Flucht, 

Wie  er  sein  Stücklein  Brod  bey  fremden  Völkern 

sucht, 

Und  du,  du  darffst  annoch,  was  du  gethan,  mich 

fragen  ? 
(Sie  weinet.) 

Kulican: 

Prinzessin!  hemme  doch  dein  Heulen  und  dein 

Klagen. 
Dein  Thron,  dein  Königreich,  und  alles  ist  ja  da, 
Nur  stille  deinen  Schmerz,  Prinzessin  Pumphia! 
Auch  den  geraubten  Schatz,  den  will  ich  dir 

gleich  geben. 

(Nimmt  die  Kleider,  so  er  von  dem  Großvezier  bekommen,  und  indessen 

einen  Soldaten  zum  halten  gegeben,  wieder  von  ihm,  und  gibt  sie  der 

Prinzessin,  diese  stellt  sich  ganz  vergnügt,  gibt  die  Kleider  dem  alten 

Weib,  welche  ihr  den  Schlepp  nachtraget.) 

Pumphia: 

Ach!  dieser  giebet  mir  aufs  neu  ein  andres  Leben. 

Du  aber  packe  dich. 
Kulican: 

—  —  —  O  das  ist  wol  zu  grob, 

Was  ich  anjetzt  gethan,  verdienet  Preis,  und  Lob. 
Pumphia: 

Wie?  was?  du  willst  noch  Lob,  du  wilst,  ich  soll 

dich  preisen 

Für  deine  Grausamkeit,  ich  will  dir  gleich  was 

weisen. 

(Hebt  die  Hand  auf,  dem  Kulican  eine  Ohrfeigen  zu  geben.) 

343 


Kulican  (Vor  sich;  halt  die  Hand  vor  das  Gesicht): 
Was  grosser  Heldenmut!  ach  Pumphia!  ach  sieh! 
Wie  ich  als  Herr  und  Sclav  auf  meinen  Knien  knie. 

(Er  kniet.) 
Pumphia  (zärtlich): 

Du  hast  mein  Krieges-heer  ja  gänzlich  aufgerieben. 
Mein  Vatter  ist  zugleich  von  deiner  Faust  geblieben. 

Geh  weg  — 

Kulican: 

—  —  —  Ach  schweige  doch!  ich  habe  nichts 

gethan, 
Kein  Hund  ist  von  mir  tod,  viel  weniger  ein  Mann. 
Ich  war,  so  lang  die  Schlacht,  in  meinem  Zelt 

verstecket. 
Pumphia  (hebt  ihn  freundlich  auf): 

Steh  auf  und  lasse  mich,  eh  sich  mein  Zorn 

erwecket. 
Ich  will,  ich  mag  dich  nicht,  ich  kann  nicht  Deine 

seyn, 
Ich  hab  ja  nur  ein  Herz,  und  das  ist  nicht  mehr 

mein. 
Und  wer  dasselbe  hat,  das  will  ich  dir  nicht  sagen. 
Kulican: 

Ach!  ja  ich  hoffe  doch,  wann  ich  dich  solte 

fragen  ? 

Wenn  auch  das  Stück  selbst  wie  sein  Autor  längst  ver- 
gessen sind,  die  Namen  Pumphia  und  Kulikan  leben  dauernd 
im  Wiener  Volksmund  fort13. 

Während  Prehauser  und  Kurz  in  Wien  im  Zenithe  ihres 
Ruhmes  standen,  waren  draußen  im  Reiche  und  in  anderen 
österreichischen  Städten  Hanswurste  nicht  minder  beliebt 
als  in  der  Donaustadt.  In  Graz  spielte  um  1760  ein  ge- 
wisser Moser  den  Hanswurst,  dem  er  den  ständigen  Namen 
Lipperl  gegeben  hatte.  In  Wien  hatte  ein  gewisser  Gott- 
lieb, der  sich  Jackerl  nannte,  einigen  Erfolg.   Später  spielte 

11  Wiener  Neudrucke,  herausg.  von  Dr.  Aug.  Sauer,  Nr.  2,  Wien  1883. 
344 


er  „Bediente,  Bauern  und  niedrigkomische  Charaktere"  in 
dem  regelmäßigen  Schauspiel,  aber  „das  schlechte  Memo- 
riren  hängt  ihm  aus  den  extemporirten  Stücken  an14". 

Gegen  Ende  des  achtzehnten  Jahrhunderts  hatte  in  der 
Wiener  Leopoldstadt  der  Kasperl  großen  Zulauf.  Selbst 
der  Hof  besuchte  ihn,  wie  aus  der  Erlanger  Real-Zeitung 
vom  14.  Februar  1786  ersichtlich  ist:  „Der  Kaiser  mit  seinen 
erhabenen  Gästen  begab  sich  zu  dem  berühmten  Casperle 
in  der  Leopoldstadt  und  sah  ihn  im  Schusterfeierabend 
spielen." 

Diesen  Kasperl  spielte  Johann  Laroche.  Nicolai  sah  ihn 
in  Baden  bei  Wien. 

In  Berlin  hielt  Vornehm  und  Gering  einen  Theaterabend 
ohne  Hanswurst  für  einen  verlorenen.  Erst  Johann  Friedrich 
Schönemann  schaffte  ihn  ab,  trotzdem  er  früher  selbst  den 
Hanswurst  gespielt  hatte.  So  führte  er  1749  in  Breslau 
das  Possenspiel  von  der  Banise  auf,  in  dem  er  als  Hans- 
wurst den  Bedienten  des  Prinzen  Balacin  vorstellte.  Als 
Banise  geopfert  werden  sollte,  erschien  er  in  einem  Hemde, 
das  hinten  mit  Leim  beschmiert  war. 

Einen  großen  Namen  als  Harlekin  besaß  Franz  Schuch, 
der  aus  der  Wiener  Schule  hervorgegangen  war.  Seine 
Frau,  geborene  Rademannin,  wie  ihr  Mann  aus  Wien  ge- 
bürtig, war  eine  sehr  gute  Kolombine. 

Floegel  schreibt  von  Schuch:  „Ich  habe  ihn  zur  Zeit  des 
Siebenjährigen  Krieges  in  Breslau  oft  spielen  sehen,  wo 
er  bei  Hohen  und  Niedrigen  allgemein  beliebt  war.  Er 
hatte  zur  Hannswurstrolle  ein  nicht  gemeines  Talent  und 
war  im  Extemporiren  mit  dem  sehr  geschickten  Schauspieler 
Stenzel10,  der  gemeiniglich  den  Anselmo  vorstellte,  ein 
Meister.  Er  durfte  sich  nur  auf  dem  Theater  sehen  lassen, 
so  fing  alles  an  zu  lachen.  Außer  der  Bühne  war  er  ein 
finsterer  ernsthafter  Mann,  der  wenig  sprach;  er  sagte  oft: 
sobald  er  die  Hannswurstjacke  anzöge,  wäre  es  nicht  anders, 
als  wenn  der  Teufel  in  ihn  führe.  Dieser  Franz  Schuch 
14  Schmid-Lesband,  S.  141.  —  ,8  Schmid-Legband,  S.  64  f. 

345 


war  1716  geboren  und  hat  zuerst  die  Ballete  mit  der 
deutschen  Komödie  verbunden.    Er  starb  1764." 

Aber  trotzdem  sich  Kurz  noch  im  Vollbesitze  seiner 
Kräfte  befand,  weder  in  Wien  noch  in  Deutschland,  das  er 
fleißig  durchzog,  einen  Rivalen  hatte,  war  sein  Stern  im 
Verblassen.  Die  Stegreifkomödie,  mit  der  sein  Bernardon 
stand  und  fiel,  zog  nicht  mehr. 

In  Leipzig  hatte  der  Kampf  gegen  den  Hanswurst  ein- 
gesetzt. Die  tolle,  von  Gottsched  und  der  Neuberin  in- 
szenierte Hanswurstiade  spielte  sich  1737  in  der  Bude 
bei  Bosens  Garten  ab,  wo  der  Harlekin  feierlich  verbrannt 
wurde.  Die  ganze  Farce  hatte  anfänglich  nur  den  Erfolg, 
daß  man  den  Namen  Harlekin  nicht  mehr  aussprach,  „ihn 
in  Hännschen  oder  Peter  umtaufte,  und  ihm  ein  weißes 
Jäckchen  statt  eines  bunten  anzog.  Die  Schauspieler 
schämten  sich  nachher  Harlekin  zu  heißen,  wenn  sie  es 
gleich  in  ihrem  Spiele  noch  immer  blieben16." 

Nur  in  den  Pantomimen  konnte  man  den  Harlekin  nicht 
entbehren  und  behielt  ihn  offen  bei. 

Dem  verbannten  Harlekin  erstanden  gewaltige  Helfer 
in  Justus  Moser  (1720 — 1794)  und  Lessing. 

In  seinem  „Harlekin,  oder  Verteidigung  des  Grotesk- 
Komischen"  (1761)  läßt  Moser  den  Harlekin  selbst  seine 
Rechtfertigung  gegenüber  den  Anschuldigungen  gelehrter 
Pedanten  führen. 

Wie  warm  Lessing  in  seiner  Hamburgischen  Dramaturgie 
für  den  Verfemten  eintrat, '  ist  bekannt.  Aber  alles  war 
vergebens,  sein  Stündchen  hatte  geschlagen. 

In  Wien  agitierte  Josef  von  Sonnenfels  gegen  das  Steg- 
reifspiel. Infolge  seiner  Eingabe  an  den  Kaiser  Josef  IL, 
„Ueber  die  Notwendigkeit,  das  Extemporiren  abzustellen", 
war  dieses  streng  verboten  worden.  Kurz,  den  dieser  Be- 
fehl besonders  hart  traf,  rächte  sich  an  dem  mächtigen 
Minister  in  seiner  Art.  „Als  eines  Tages  das  Bildnis  Son- 
nenfels' in  den  Schauläden  Wiens  erschien,  ließ  Kurz  das 

16  Schmids  Chronologie  S.  50  f. 
346 


^/luulOr  un2SBtrUvnur    CoTTVLCAJUS  u*U*r   den.  ff/ahmen 
LD&m,   cjclbtn.    qmui2mcc  von,  Jtuterv 
Gonnwn/ 


£3  eA~ricuroQru. 


Siehe  Seite  346 


seinige  in  völlig  gleicher  Ausstattung  neben  das  des  Mini- 
sters hängen.  Sonnenfels  ärgerte  sich  über  die  Frechheit, 
Kurz  hatte  für  einen  Augenblick  die  Lacher  auf  seiner 
Seite,  aber  für  seine  Sache  nichts  gewonnen17." 

Nicht  die  Obrigkeit  allein,  auch  die  jüngere  Generation 
der  Schauspieler  machte  gegen  den  Stegreif  Front  und 
nicht  zuletzt  das  Publikum.  Dies  hatte  sich  bereits  an 
das  regelrechte  Schauspiel  gewöhnt  und  mochte  die  wüsten 
Spaße  des  Bernardon  nicht  mehr. 

Nach  langen  Gastspielfahrten  war  Kurz  1769  nach  Wien 
zurückgekehrt.  Anfangs  hatte  die  Neugier  sein  Haus  ge- 
füllt. Alles  wollte  den  berühmten  „Vater  Bernardon" 
sehen,  bald  aber  ließen  ihn  auch  seine  früheren  Freunde 
im  Stich.  „Die  Judenhochzeit",  einst  das  Repertoirestück 
der  Kurzschen  Gesellschaft,  wurde  beinahe  ausgepfiffen18. 

Kurz  schüttelte  den  Staub  seiner  undankbaren  Vater- 
stadt von  den  Füßen  und  zog  nach  Warschau,  wo  er  von 
1771 — 1781  als  Leiter  des  Theaters  blieb  und  in  den 
polnischen  Freiherrnstand  erhoben  wurde.  Dann  fand  er 
auch  dort  kein  Publikum  mehr.  Verlassen  von  den  Seinen, 
kehrte  der  arme  Bernardon  nach  Wien  zurück,  wo  er  am 
2.  Februar  1783  starb. 

Der  letzte  Hanswurst  der  Stegreifkomödie  war  mit  ihm 
dahingegangen,  der  Hanswurst  der  regelmäßigen  Possen 
trat  seine  Erbschaft  an. 

Vorher  vegetierte  der  Improvisator  aber  noch  geraume 
Zeit  auf  dem  Wiener  Vorstadttheater. 

In  Baden  bei  Wien  und  in  der  Leopoldstadt  spielte 
unter  dem  Direktor  Karl  von  Marinelli  der  tüchtige  Grotesk- 
Komiker  Johann  Laroche,  von  dem  ich  schon  sprach. 

Laroche  war  ein  sehr  beleibter  Mann,  der  durch  sein 
Äußeres  und  beim  Erscheinen  auf  der  Bühne  unwider- 
stehlich komisch  wirkte.    Wenn   er  mit  einem  gestöhnten 

17  K.  v.  Görner,  Der  Hanswurst-Streit  in  Wien  und  Joseph  von  Sonnen- 
fels, Wien  1884.  —  18  Ferdinand  Raab.  Johann  Joseph  Felix  von  Kurz, 
Frankfurt  a.  M.  1899,  S.  179. 

347 


„Auwedll  Auwedl!"  aus  den  Kulissen  trat,  entfesselte  er 
Lachstürme.    Er  schuf  den  Kasperl. 

Kasperl,  der  stets  im  urwüchsigen  Wiener  Dialekt  sprach 
und  kaum  zu  überbietende  Derbheiten  vorbrachte,  kann 
als  Typus  eines  verschmitzten  Dummkopfes  bezeichnet 
werden,  der  die  Worte  und  Redensarten  verdreht,  tausend 
Narrheiten  begeht,  sich  schließlich  aber  doch  mit  heiler 
Haut  aus  allen  Fährlichkeiten  zu  ziehen  weiß. 

Der  Prinzipal  Marinelli  war  gleichzeitig  der  Verfasser  der 
zahlreichen  Kasperliaden,  Ritterstücke,  Feenmärchen  und 
Gespensterstücke,  in  denen  der  Kasperl  mitwirkte19. 

Als  Marinellis  Schöpferkraft  zu  erlahmen  begann,  holte 
er  sich  in  Hensler  und  Perinet  zwei  Gehilfen  heran. 

Karl  Friedrich  Hensler  (1761 — 1825)  schrieb  mehr  als 
zweihundert  Bühnenstücke,  darunter  die  zu  einer  gewissen 
Berühmtheit  gelangten  Volksmärchen  „Das  Donauweibchen" 
und  „Die  Teufelsmühle  am  Wienerberg".  In  dem  letzt- 
genannten spielt  Kasperl  einen  feigen  und  konfusen  Knap- 
pen, der  bei  Bestrafung  der  Missetäter  und  Erlösung  der 
Gespenster  mitwirken  muß. 

Nach  Marinellis  Tod  übernahm  Hensler  das  Kasperl- 
Theater.  Er  fesselte  den  talentvollen  Lumpen  Joachim 
Perinet  (1765 — 1816),  den  Erfinder  der  Singspielkasperlia- 
den  und  der  Karikaturoper,  den  Sänger  von  „Wer  niemals 
einen  Rausch  gehabt,  der  ist  kein  braver  Mann",  noch 
fester  an  sein  Theater,  als  es  sein  Vorgänger  getan  hatte. 

Noch  unter  Marinelli  war  zu  Laroche  als  zweiter  Komiker 
Anton  Hasenhut,  der  Schöpfer  des  „Thaddädl"  getreten, 
zu  dem  später  Ignatz  Schuster  als  dritter  kam.  Kasperl  und 
Thaddädl  sind  die  Flügelmänner  der  echt  Wiener  Bühnen- 
typen, deren  Namen  stets  mit  der  wienerischen  Verkleine- 
rungssilbe „erl"  endet.  Lipperl,  Klapperl,  Kratzerl,  Zweckerl, 
Gisperl  und  Fisperl,  Purzerl,  Pauxerl  und  der  berühmteste 
von  allen,  der  Parapluimacher  Staberl  sind  die  vornehm- 
sten Vertreter   dieser  Lieblinge   des   vormärzlichen  Wien. 

19  Schirmer,  Alt-  und  Neu-Wien,  IL  S.  558. 
343 


Die  meisten  dieser  stehenden  Typen  trugen  zur  Ver- 
flachung der  Wiener  Posse  bei. 

Die  ersten  schüchternen  Anfänge  der  Wiener  Posse 
finden  sich  bei  dem  Pater  Maurus  Lindemayr  (1723 — 1783). 
Als  ihr  Vater  aber  hat  Philipp  Hafner  zu  gelten. 

Lindemayrs  Komödien  sind  im  Dialekt  geschrieben  und 
für  bäuerische  Darsteller  berechnet  und  wohl  auch  von 
solchen  aufgeführt  worden.  Echt  volkstümliche  Motive 
sind  von  leicht  sangbaren,  volkstümlichen  Liedern  durch- 
zogen. Die  Charaktere  sind  gut  gezeichnet  und  der  Hans- 
wurst durchaus  vermieden.  Am  deutlichsten  spricht  sich 
Lindemayrs  Art  in  dem  dreiaktigen  Lustspiel:  „Die  reisende 
Ceres"  (1788)  aus,  dessen  Inhalt  ich  nach  Nagl-Zeidler s0 
hier  wiedergebe. 

Die  Göttin  Ceres  ist  mit  ihrer  Magd  Phöbe  bei  einer 
Bauernfamilie  eingekehrt,  wo  sie  gute  Pflege  findet.  Aber 
der  Sohn  Juri  verhöhnt  sie  lachend,  wofür  er  in  eine  Kröte 
verwandelt  wird,  bis  er  seine  Fehler  bereut.  Alles  im  Dorf 
ist  von  diesem  Ereignis  erschüttert.  Endlich  stellt  Ceres 
den  Gebesserten  wieder  als  Menschen  seinen  Eltern  und 
seiner  Braut  zurück.  Die  Hauptwirkung  des  Lustspiels  be- 
ruhte darauf,  daß  die  mythologischen  Personen  hochdeutsch, 
die  Bauern  hingegen  in  der  „ob  der  ennserischen  bäueri- 
schen Mundart"  sprachen. 

Wie  Lindemayr  war  auch  Philipp  Hafner  Dialektdichter, 
doch  ist  bei  ihm  der  Dialekt  nicht  Dekoration,  ziseliert 
und  stilisiert  wie  bei  Lindemayr.  Hafner  muß  so  schreiben 
wie  er  schreibt,  weil  er  so  spricht,  so  empfindet.  Er  ist 
Wiener,  mit  Wiener  Gespaß  bis  obenhin  voll,  und  sein 
ganzes,  leider  nur  sehr  kurzes  Leben  ist  geteilt  zwischen 
Arbeit  und  dem  echt  wienerischen  Drahn!  Hafner  wurde 
1731  geboren,  und  1764  ging  der  talentvolle  und  witzige 
Mann  dahin,  ein  Opfer  des  schweren  Daseinskampfes  und 
einer  allzu  großen   Daseinsfreude.    Hafner   ist  ein  treuer 

10  a.  a.  O.,  I.  Bd.,  S.  765. 

349 


Anhänger  des  Hanswurstes,   den  er  zum  Träger  des  ge- 
sunden Volksgeistes  macht: 

„Kein  Mensch  auf  dieser  Welt  ist  allen  recht 

geboren, 
Der  ist  des  Klugen  Spott,  und  der  ein  Spott 

des  Toren. 
Hannswurst  bleibt  doch  Hannswurst,  wenn  man 

auch  auf  ihn  schmählt, 
Für  alte  Gönner  nur,  nicht  für  die  junge  Welt." 

Für  die  wenigen  Jahre,  die  ihm  vergönnt  waren,  hat 
Hafner  erstaunlich  viel  produziert.  Ich  nenne  nur  die 
Possen  und  Singspiele,  die  den  Autor  überlebt  haben  und 
die  noch  auf  Jahre  hinaus  für  viele  „eine  tüchtige  Kuh 
waren,  die  sie  mit  Butter  versorgte21."  So  „Megära,  die 
fürchterliche  Hexe"  (1764),  „Etwas  zum  Lachen  im  Fa- 
sching" oder  „Burlins  und  Hanswursts  seltsame  Karnevals- 
zufälle" (1771). 

In  der  letztgenannten  Burleske,  in  der  ein  liebenswür- 
diger Taugenichts,  der  alles  bis  aufs  Hemd  verjuxt,  auf 
die  Bühne  gebracht  wird,  findet  sich  die  charakteristische 
Arie: 

1.  Es  sagt  die  ganze  Stadt,  d'Nannerl  ist  schön 
Weil  sie  zwei  Handel  hat, 

Fett  wie  ein  Specksalat, 

Weiß  wie  ein  Kren  (Meerrettig) 

Füßerl  wie  Elfenbein, 

Augerl  wie  Kohln : 

Ich  hab  ihrs  Herzl  mein 

Oft  angetragen  fein, 

Sie  hat  net  wolln. 

2.  Aber  die  Nanerl  die  laß  i  nit  aus, 
Ist  sie  gleich  jetzt  nicht  mein, 
Wird  sies  doch  künftig  seyn, 
Die  kleine  Maus! 

11  Schloß,  Volkstheater,  S.  111. 
350 


Nicht  nur  Vernunft  und  Sinn 
Hat  sie  mir  geraubt; 
Die  schöne  Schnipferin 
Nahm  mir  auch  's  Herzerl  hin, 
Ist  das  erlaubt? 
3.  Nanerl,  o  Nanerl !  geh  heirath  mich  g'schwind  I 
Nanerl,  ach  sey  vergwisst, 
Dass  Du  mein  Nanerl  bist, 
Nanerl  mein  Kind! 
Nanerl!  o  Nanerl  mein, 
Nanerl,  nicht  scherz ! 
Nanerl,  es  fallt  mir  ein, 
Nanerl,  dein  Mann  zu  seyn, 
Nanerl,  mein  Herz." 

Dann  das  nicht  allein  durch  seinen  Titel  berühmt  ge- 
wordene „lustige  Trauerspiel"  „Evakathel  und  Schnudi", 
das  seine  Zugkraft  noch  bis  über  Raimund  und  Nestroy  be- 
wahrte. In  ihm  eint  sich  echt  wienerisch  lachender  Schmerz 
und  weinende  Freude,  wie  in  jeder  Wiener  Posse  und 
in  jedem  Wiener  Walzer  von  echtem  Gepräge. 

Die  Sonderstellung  Hafners  in  der  Geschichte  des  Wiener 
Lokalstückes  kennzeichnet  sein  Biograph:  „Der  mit  Recht 
bewunderte  Plautus  nahm  den  Stoff  seiner  Lustspiele  aus 
griechischen  Dichtern.  Moliere  selbst,  obwohl  er  Hafner 
an  Kultur  weit  übertrifft,  steht  ihm  an  Originalität  nach, 
und  wenn  er  denn  verglichen  sein  müßte,  so  könnte  man 
Hafner  nur  den  originellen  Holberg  an  die  Seite  setzen, 
der  so  wie  er  alles  aus  sich  selbst  schöpfte,  wie  er  un- 
mittelbar für  die  vaterländische  Bühne  schrieb ;  wie  er  sich 
selbst  von  der  üblichen  Form  losmachte,  wie  er  den  ganzen 
freien  Weg  des  Geistes  ging.  Ein  Vorzug,  den  Hafner 
vor  jenem  behauptet,  ist  die  strengere  Beobachtung  der 
Sittlichkeit;  unflätige  Stellen  wird  man  hier  und  dort  finden, 
aber  keine  Zoten  "." 

"  Dr.  Ernst  Baum,  Phil.  Hafners  Anfange,  Friedeck  1908. 

351 


Hafner  ist  auch  als  klassisches  Vorbild  des  Wiener  Volks- 
sängertums  in  seiner  Glanzzeit  anzusprechen. 

Hafner  hat  mit  seinen  Possen  den  Nachfolgern  nich 
allein  Material  in  Fülle  geliefert,  sondern  auch  Fingerzeig 
gegeben,  den  öden  Wort-  und  Situationswitz  fallen  zu 
lassen,  dafür  eine  wirkliche  lustige  Handlung  auf  die  Bühn 
zu  bringen.  Und  es  erschien  ein  wohlgezähltes  Dutzen 
berufener  Männer,  die  Hafners  Beispiel  folgten  und  das 
Zeug  in  sich  hatten,  „ihrem  Publikum  das  letzte  Lachträn- 
chen  aus  den  Augenwinkeln  hervorzulocken". 

Nach  ihrer  Anciennität,  wie  Schlögl  sagt,  sind  diese  zwölf 
Dichter : 

Paul  Weidmann  (1746 — 1810),  der  Verfasser  des  ersten 
Wiener  Volksdramas  von  Doktor  Faust.  Seine  Posse  „ßettel- 
student  oder  das  Donnerwetter"  (1775)  gefiel  sehr.  Die- 
ses „Original-Lustspiel  in  zwei  Aufzügen"  ist  nichts  weiter 
als  ein  Abklatsch  des  Fastnachtsspiels  „Der  fahrent  Schüler 
mit  dem  Teufelspanner"  von  Hans  Sachs.  Weidmanns 
Lustspiel  hat  Albrecht  (1795)  für  das  sächsische  Hoftheater 
in  Dresden  bearbeitet,  das  wieder  Louis  Schneider  in 
Berlin  (1805 — 1878)  als  Vorlage  für  „Der  reisende  Student 
oder  das  Donnerwetter",  einem  musikalischen  Quodlibet  in 
zwei  Akten,  diente,  das  bis  in  die  achtziger  Jahre  auf 
deutschen  Bühnen  die  Runde  machte.  Der  durch  diese 
Wandlungen  interessant  gewordene  Stoff  kam  dann  noch 
auf  die  Puppenbühne. 

Emanuel  Schikaneder  (1751 — 1812),  unvergeßlich  ge- 
worden durch  sein  schlechtes  Textbuch  zu  Mozarts  „Zauber- 
flöte". Von  seinen  sonstigen  zahlreichen  Arbeiten  sind  be- 
merkenswert: „Das  abgebrannte  Haus",  „Der  Tyroler 
Wastel",  „Die  Fiaker  in  Wien",  „Die  bürgerlichen  Brüder", 
durch  Hasenhuts  meisterhaftes  Spiel  lange  Zeit  hindurch 
ein  Zugstück.     Schikaneder   starb   verarmt  im  Wahnsinn. 

Friedrich  Hensler  (1761—1825),  der  Nachfolger  Mari- 
nellis  als  Direktor  des  Leopoldstädter  Theaters,  schrieb 
an  zweihundert  Stücke,  von  denen  viele  auch  heute  noch 
352 


I 


: 


nichts  von  ihrem  Wert  eingebüßt  haben.    Berühmt  wurden 
das  „Donauweibchen"  und  „Die  Teufelsmühle". 

Zu  Henslers  Truppe  gehörte  der  Klassiker  des  Volks- 
stücks, der  unglückselige  Ferdinand  Raimund. 

Joachim  Perinets,  des  schlechten  Schauspielers,  aber  wit- 
zigen Schriftstellers,  ist  bereits  gedacht  worden. 

Matthäus  Stegmayr  (1771—1820)  war  vielseitig  gewandt 
und  überaus  talentvoll.  Unter  seinen  Possen  wurde  „Ro- 
chus Pumpernickel"  berühmt.  Für  Weidmann  und  Hasen- 
hut geschrieben,  bot  sie  später  Louis  Devrient,  Ochsen- 
heimer  und  Küster  Paraderollen. 

Josef  Alois  Gleich  (1772 — 1841),  der  Schwiegervater 
Raimunds,  war  ein  unermüdlicher  Schauerromanfabrikant 
und  ein  ebensolcher  Theaterdichter.  Er  soll  das  groteske 
Quantum  von  dreihundert  Bänden  Romane  und  dreihun- 
dertfünfzig Dramen,  Schauspiele,  Zauberspiele  und  Possen 
verfaßt  haben.  Er  starb  bettelarm  in  einer  Dachkammer. 
Goedeke  rühmte  an  seinen  Stücken  den  unerschöpflichen 
Frohmut,  die  bunte  Erfindung  und  Herzlichkeit.  Seine 
Possen  „Die  Musikanten  am  Hohen  Markt",  „Adam  Krat- 
zerl",  dem  er  mehrere  Fortsetzungen  gab,  „Der  Berggeist", 
„Eheteufel  auf  Reisen",  „Herr  Josef  und  Frau  Baberl"  er- 
hielten sich  lange  auf  dem  Spielplan  der  Wiener  Volks- 
bühne. 

Franz  E.  Gewey  (1774 — 1819),  ein  Künstler  des  Wiener 
Dialekts,  trefflicher  Parodist  und  Satiriker,  lieferte  der 
Wiener  Volksbühne  wertvolle  Gaben,  wie  die  „Modesitten", 
den  „Seltenen  Parnaß"  u.  a.  m. 

Karl  Meisl  (1775 — 1853),  ein  Großer  auf  dem  Gebiete 
der  Komik,  starb  gleichfalls  in  tiefster  Dürftigkeit.  Seine 
Possen  und  Zauberspiele  machten  zu  ihrer  Zeit  Aufsehen 
und  erlebten  zahllose  Wiederholungen.  „Der  Kirchtag  in 
Petersdorf",  „Das  Gespenst  auf  der  Bastei",  „Arsenius, 
der  Weiberfeind",  „Julerl",  „Die  schwarze  Frau"  gehörten 
zu  dem  Besten,  was  das  Volksstück  vor  und  neben  Rai- 
mund hervorgebracht  hat. 

23  353 


Franz  Josef  Korntheuer  (1779 — 1829),  der  „Hogarth  des 
Leopoldstädter  Theaters",  der  witzige  Improvisator,  schrieb 
einige  Stücke,  in  denen  sein  Kollege  Raimund  in  den 
Hauptrollen  glänzte,  so  in  „Alle  sind  verheiratet". 

Von  F.  Rosenau  ist  Schlögl  nichts  weiter  bekannt,  als 
daß  er  Theaterdirektor  und  Possendichter  war.  Zu  seinen 
Schlagern  zählten  „Der  Geist  am  Hafnerberg",  „Vizlipuzli", 
„Sküs,  Mond  und  Pagat"  —  die  drei  Matadoren  des  Wiener 
Tarockspiels  — ,  und  „Die  Gunst  der  Kleinen  oder  die 
Hintertreppe",  das  in  David  Kaiisch'  Berliner  Gesangs- 
posse „Doktor  Peschke  oder  kleine  Herren"  vorläufig  noch 
weiterlebt. 

Über  Kriegsteiner  weiß  man  noch  weniger.  Nicht  einmal 
sein  Name  steht  fest,  obgleich  seine  Possen  „Der  Zwei- 
händler" (1801),  „Othellerl,  der  Mohr  in  Wien"  (1806), 
„Die  Ballnacht"  (1807)  und  viele  andere  noch  viele  Jahre 
zum  festen  Bestand  der  österreichischen  Bühne  gehörten. 

Den  Schlußpunkt  dieses  Dutzend  bildet  der  witzigste 
von  allen,  der  Urwiener  Adolf  Bäuerle  (1786 — 1859). 

Fast  ein  Menschenalter  hindurch  war  Bäuerle  der  Thea- 
terherrgott der  Phäakenstadt  an  der  Donau.  Er,  den 
sein  Zeitgenosse  Julius  Seidlitz  (1814 — 1857)  ein  „über- 
schäumendes Gefäß  von  lebenslustigem  Spaße"  nennt,  galt 
über  seine  Epoche  hinaus  als  das  „inkarnierte  Prototyp 
des  Wiener  Frohsinns  und  der  Gemütlichkeit,  der  alle  Feh- 
ler und  Tugenden,  alle  lobenswerten  und  schlimmen  Eigen- 
schaften des  Altwienertums  in  sich  vereinigte  und  sozu- 
sagen repräsentierte."  „Bäuerle,  Meisl  und  Gleich  waren 
die  Hauptvertreter  der  Wiener  Volksbühne  ohne  ideale 
Ansprüche",  wie  sich  Goedeke  ausdrückt. 

Der  Geburtstag  seines  Ruhmes  war  der  23.  Oktober 
1813,  an  dem  in  der  Leopoldstadt  „Die  Bürger  von  Wien" 
mit  Ignatz  Schuster  als  Parapluimacher  „Staberl"  in  Szene 
ging.  Dieser  Staberl,  der  allerneueste  Hanswurst,  den 
Goedeke  „eine  des  besten  Komöden  würdige  Figur"  nennt, 
wurde  nun  zum  Mittelpunkt  der  zahlreichen  Staberliaden. 
354 


„Wenn  Staberl  wieder  mit  unerschöpflicher  Geschwätzig- 
keit seine  Abenteuer  schildert,  wenn  er  über  angebliche 
Liebesabenteuer  renommiert,  wenn  er  satirische  oder  kau- 
stische Bemerkungen  hinwirft  und  in  seiner  Kostümierung 
vor  allem  grotesk-komisch  erscheint,  denken  wir  häufig 
an  Kurz-Bernadon  —  nur  daß  Staberl,  gleich  den  Figuren 
Prehausers,  immer  in  den  Grenzen  des  Anstandes  bleibt  .  .  . 
Erinnert  so  der  komische  Patron  mit  seinen  Parapluies  unter 
dem  Arm  oder  in  seiner  Bürgeruniform  an  die  übrigen 
komischen  Typen  des  Volkstheaters  —  nach  Goedekes 
Ausdruck  die  Personifikation  „des  wahren  lustigen  Volks- 
elements der  Wiener  mit  all  seinen  unzähligen  Spielarten 
des  Drolligen,  Satirischen,  Jokosen,  Jovialen,  Hausbackenen, 
Mutterwitzigen,  Kaustischen,  Derben,  Grotesk-Komischen"—, 
so  besitzt  er  dennoch  seine  scharf  umrissene  Eigenart  und 
ist  nicht  nur  eine  komische  Maske,  sondern  eine  indivi- 
duelle Persönlichkeit . . .  Staberl  ist  der  Typus  jener  eigen- 
artigen Wiener  Gescheitheit,  die  sich  aus  der  psychologi- 
schen Grundlage  der  österreichischen  Natur  als  Produkt 
jahrhundertlanger  städtischer,  ja  großstädtischer  Entwick- 
lung der  Kaiserstadt  herausgebildet  hatte  und  dem  Wiener 
ein  Gefühl  der  Überlegenheit  .  .  .  dem  heimatlichen  und 
deutschen  Kleinstädter  gegenüber,  verlieh.  Diese  wirkliche 
und  eingebildete  Gescheitheit  ist  der  Grundzug  in  Staberls 
Wesen.  ...  Er  hat  alle  Ereignisse  von  Kulm  bis  Paris  vor- 
ausgesagt. Mit  dieser  Gescheitheit,  mit  diesem  weiteren 
Blick  tritt  nun  alle  Augenblicke  die  Beschränkung,  ja  Be- 
schränktheit des  Kleinbürgers  in  Widerspruch  und  läßt  ihn 
alle  Erscheinungen  unter  dem  Gesichtspunkt  seines  „Metiers" 
projizieren.  Hier  liegt  der  Born  seiner  eigenartigen  Komik23." 
„Berühmt  war  der  Ausspruch  Staberl-Schusters:  „Ich  bin 
ein  kleiner  Mensch,  ich  bin  ein  guter  Mensch,  wenn  ich 
aber  anfang',  so  bin  ich  ein  Viech!  So  ein  Mensch,  der  nicht 
einmal  weiß,  was  ein  grünes  Parapluie  für  eine  Färb'  hat, 
der  kann  mich  nicht  beleidigen!" 
*»  Nagl-Zeidler,  IL  Bd.  S.  527  ff. 

23«  355 


Bis  zum  Jahre  1831  gingen  die  „Bürger  von  Wien"  un- 
zählige Male  über  die  verschiedenen  Wiener  Bühnen. 

Aber  schon  1816  hatte  sich  Direktor  Carl  der  Staberl- 
figur bemächtigt,  die  er  in  „Staberls  Hochzeitstag",  „Sta- 
berls  Reiseabenteuer",  „Staberl  in  Floribus",  „Staberl  als 
Krampus",  „Staberl  als  Freischütz"  und  in  anderen  Bur- 
lesken darstellte. 

Aus  dem  g'spaßigen,  aber  ehrenwerten  Leopoldstädter 
Spießbürger  wurde  in  Carls  Spiel  ein  Possenreißer,  eine 
Erneuerung  des  alten  Hanswurstes,  der  nur  statt  der  bunt- 
scheckigen Jacke  einen  langschössigen  Frack  und  statt  des 
spitzen  Hutes  einen  malträtierten  Zylinder  aufgesetzt  hatte, 
wie  Friedrich  Kaiser  schrieb24. 

Außer  den  Staberliaden  schüttelte  Bäuerle  noch  eine 
ganze  Menge  anderer  Stücke,  etwa  achtzig,  gleichsam  aus 
dem  Ärmel.  Bis  Ende  der  zwanziger  Jahre  boten  diese 
Farcen  und  Possen  den  damaligen  Wiener  Lieblingen  Schu- 
ster, Korntheuer,  Raimund,  Landner,  Fermier,  Tomaselli, 
Sartori,  der  Therese  Krones,  Babette  Enökl,  Hüber  u.  a.  m. 
dankbare  Partien. 

Bäuerles  Lieder,  wie  „'s  gibt  nur  a  Kaiserstadt,  's  gibt  nur 
a  Wien!",  die  zum  ersten  Male  das  Urbild  der  graziösen 
Wiener  Soubrette,  Therese  Krones,  Raimunds  unvergessene 
»Jugend",  sang,  verblieben  im  Wiener  Volksliederschatz. 

Bäuerles  Ruhm  wurde  vorerst  nicht  abgeschwächt  als 
ein  ganz  Großer  sich  neben  ihn  stellte,  der  Größten  einer, 
die  Österreichs  Parnaß  aufzuweisen  hat,  der  einstige  Kon- 
ditorlehrling und  Backwerkhausierer  Ferdinand  Raymann, 
genannt  Raimund. 

Er  war  Schauspieler  wie  Shakespeare  und  Moliere  und 
stand  vielleicht  an  natürlicher  Begabung  nicht  weit  hinter 
ihnen  zurück25.  So  viel  ihm  aber  das  Volksstück  zu  dan- 
ken hat,  für  das  Grotesk-Komische  blieb  der  Dichter 
Raimund  ohne  oder  von  nur  ganz  untergeordneter  Bedeu- 


356 


„Theater-Direktor  Carl.    Sein  Leben  und  Wirken",  Wien  1854  S.  22. 
15  Scherer,  Literaturgesch.,  S.  699. 


Direktor  Carl  als  Staberl 


tung.  Der  poetisch  verklärte  Humor  seiner  Feerien  wurde 
niemals  zur  Drastik,  und  als  diese  plötzlich  wieder  erschien 
und  sich  prasselnd  entlud,  da  warf  der  arme  Raimund  ver- 
zweifelt die  Flinte  ins  Korn.  Aus  Furcht  vor  der  Wasser- 
scheu infolge  eines  Hundebisses  erschoß  er  sich  am  5.  Sep- 
tember 1836.  Schlögl  zitiert  einen  Ausspruch  des  Direktors 
Marinelli:  „ah  was,  Hund!  Der  Raimund  hätt'  sich  so  wie 
so  erschossen;  den  hat  ein  ganz  anderer  'bissen!  Hat  er 
doch  selber  g'sagt:  Neben  'n  Nestroy  bin  ich  nichts  mehr 
—  no,  machen  m'r  halt  Platz26!" 

Das  Lob  des  goldenen  Weaner  Herzens,  das  gemütliche 
Spießertum,  das  in  harmlos-wohlwollenden  Spassetteln  be- 
lächelt wurde,  die  ungetrübte  Selbstgefälligkeit  und  Selbst- 
zufriedenheit, die  aus  den  Witzen  Gleichs,  Bäuerles,  Meisls 
und  selbst  Raimunds  durchklang  und  in  einschmeichelnden 
Melodien  in  allen  Variationen  die  einzig  dastehende  Ge- 
mütlichkeit der  geliebten  Kaiserstadt  besang,  fand  eine 
jähe  Unterbrechung.  „Urplötzlich  ergoß  sich  über  die 
Stadt  der  spezifischen  Sorglosigkeit  und  Gemütlichkeit  ein 
Schwefelregen  von  infernalischem  Witz,  eine  Sturmflut 
ätzender  Lauge  brauste  heran,  ein  Wirbelwind  dialektischer 
Bravouraden  erfaßte  sie,  ein  glühender  Lavastrom  von  un- 
barmherzigen Kontroversen  und  teuflischen  Einfällen  wälzte 
sich  verheerend  über  den  kürzlich  kunstvoll  angelegten  und 
mühselig  gepflegten  Blumengarten  sinnigster  Empfindung 
und  romantischer  Träumereien,  ein  Hagelwetter  von  ver- 
blüffenden Gedanken  und  pessimistischer  Logik  prasselte 
auf  sie  nieder,  und  das  aus  seinem  Taumel  leichtester  An- 
regung und  Vergnügung  aufgescheuchte  Wien  riß  Augen 
und  Ohren  auf  und  —  lachte  zu  der  überraschenden  Wen- 
dung, ja  es  jubelte  laut.  Und  der  Mephisto  des  Volks- 
stücks, der  literarische  Abgesandte  der  Hölle,  wie  ein 
frommgläubiges  Poetchen  ihn  nennen  könnte,  schmunzelte 
sardonisch  und  rieb  sich  boshaft  zufrieden  die  Hände27." 

26  Schlögl  S.  141.  —  27  Nestroys  Werke,  herausgeg.  von  Otto  Rommel, 
Berlin,  S.  XII. 

357 


Und  dieser  Mephisto  war  Johann  Nestroy  (1801 — 1862), 
für  uns  von  ebenso  großer  Bedeutung-  als  Dichter  wie  als 
Schauspieler. 

Nestroys  erste  Stücke  verschwanden  sehr  schnell  von 
der  Bühne.  Mehr  Erfolg  hatte  er  mit  „Dreißig  Jahre  aus 
dem  Leben  eines  Spielers",  einem  volkstümlichen  Zauber- 
und  Besserungsstück,  mit  einer  wirkungsvollen  Thaddädl- 
rolle  des  Verfassers.  Aber  auch  diese  Posse  konnte  sich 
nicht  dauernd  erhalten;  auch  von  den  vierzehn  Stücken 
seiner  ersten  Schaffensperiode  von  1832 — 1834  faßten  nur 
einige  wenige  festen  Fuß.  So  der  nach  Louis  Angelys 
„Klatschereien"  gearbeitete  Einakter  „Tritschtratsch",  in 
dem  Nestroy  als  der  schwatzhafte  Tabakskrämer  Sebastian 
Tratschmiedl  Sensation  erregte.  Nestroy  hatte  noch  nicht 
ganz  seine  Sonderart  entdeckt  und  schwankte  zwischen 
der  auf  eine  fast  fünfzigjährige  Tradition  zurückblicken- 
den Posse  und  der  werdenden  realistischen  Komödie. 
Aus  der  erstgenannten  nimmt  er  den  ganzen  Apparat  der 
Kasperliaden,  das  Zauberwesen,  Götter  und  Feen,  aus  der 
letztgenannten  schon  die  Volkstypen  echt  Nestroyschen 
Gepräges  vorweg.  Da  brachte  im  April  1833  die  Zauber- 
posse „Der  böse  Geist  Lumpazivagabundus  oder  das  lieder- 
liche Kleeblatt"  nach  anfänglich  kühler  Aufnahme  den 
ersten  großen  Erfolg. 

Was  Nestroy  aus  der  Weißpflogschen  Novelle  „Das 
große  Los"  gemacht  hat,  darf  ich  als  bekannt  voraussetzen. 
Unverstaubt  und  unveraltet  wirkt  der  „Lumpazi"  jetzt  wie 
ehedem,  auch  wenn  nicht  Männer  wie  Kainz  oder  Girardi 
ihre  reife  Kunst  in  den  Dienst  Nestroys  stellen.  Im  Lum- 
pazi erprobte  Nestroy  zum  ersten  Male  seine  große  Ge- 
staltungskraft. Die  Personen  sind  Menschen,  hart  und 
scharf  charakterisiert,  nicht  Puppen,  denen  ihr  Herr  seine 
Stimme  leiht.  Sie  lachen  und  weinen,  und  das  Publikum 
lacht  und  weint  mit  ihnen. 

Der  Erfolg  des  „Lumpazi"  bewog  Nestroy,  eine  Fort- 
setzung zu  schreiben,  „Die  Familien  Zwirn,  Knieriem  und 
358 


Johann  Nestroy 
Nach  der  Lithographie  von  J.  Kriehuber 


Leim  oder  der  Weltuntergangstag".  Sie  fiel  verdienter  Ver- 
gessenheit anheim. 

Neue  Lorberen  holte  sich  Nestroy  auf  seiner  wie  eigens 
für  ihn  geschaffenen  Domäne,  der  Parodie. 

Parodien  und  Travestien  gehörten  von  jeher  zum  festen 
Bestand  des  Wiener  Volkstheaters.  Alle  geistigen  Strö- 
mungen, die  die  Zeit  bewegten,  wie  die  Empfindsamkeit 
und  das  Werthertum,  dann  alle  ernsten  Dramen,  das  Ritter- 
stück, die  Schicksalstragödie,  die  Oper,  wurden  von  den 
Parodisten  aufgegriffen.  Sie  hatten  leichtes  Spiel.  „Mittel 
der  Parodie  ist  seit  Joachim  Perinet  fast  immer  Versetzung 
in  das  Wiener  Milieu  und  Umwandlung  der  hochgestimmten 
Denkweise   in   gemein  menschliche,   allzu  menschliche28." 

Goedeke  gibt  diesen  Parodien  das  Zeugnis,  daß  die 
ernsten  Originale  unter  den  Händen  der  Wiener  Volks- 
dichter oft  „ein  heiteres,  jenem  ernsten  nicht  unebenbürtiges 
Leben"  gewannen.  Bäuerles  „Aline",  Meisls  „Lustiger  Fritz" 
und  viele  andere  sind  Beweise  dafür.  Sie  lebten  noch,  da 
von  den  Originalen  niemand  mehr  wußte. 

Von  diesen  gemütlichen  Parodien  seiner  Vorgänger,  zu 
denen  noch  Nestroys  „Nagerl  und  Handschuh"  und  „Der 
Zauberer  Sulphurelektromagnetikophosphoratus"  gehörten, 
heben  sich  die  eigentlichen  Parodien  des  „Wiener  Ari- 
stophanes"  scharf  ab.  Sie  sind  immer  Kritiken,  oft  ver- 
nichtende. 

So  wenn  er  in  „Zampa,  der  Tagdieb,  oder  Die  Braut 
von  Gips"  nach  Herolds  Oper  „Zampa,  oder  die  Marmor- 
braut" Szene  für  Szene  jede  Übertreibung,  jede  Effekt- 
hascherei des  Originals  bis  ins  Unendliche  steigert,  jede 
Romantik  ausmerzt  und  das  Schauerliche  ins  Groteske 
wandelt. 

In  „Robert  der  Teuxel"  ist  die  Handlung  bereits  nach 
Wien  verlegt.  Sie  ist  nach  Rommels  Urteil  die  Meister- 
parodie aus  Nestroys  erster  Epoche.  Ein  Witzfeuerwerk, 
wie  es  Nestroy  im   „Robert   der  Teuxel"   abbrannte,  war 

"  Rommel,  S.  XXXII. 

359 


bis  dahin  selbst  im  lustigen  Wien  unerhört  gewesen.  Es 
mußte  den  Zuschauern,  die  Meyerbeers  Oper  besser  kannten 
als  das  Publikum  unserer  Zeit,  Lachkrämpfe  verursachen. 
Otto  Rommel  gibt  in  seiner  schönen  Nestroy-Ausgabe  einen 
detaillierten  Auszug  dieser  Parodie,  auf  die  ich  verweise 29. 

Womöglich  noch  ätzender  als  in  den  ebengenannten 
Parodien  war  die  Verspottung  von  Holteis  Rührdrama 
„Lorbeerbaum  und  Bettelstab". 

Sehr  interessant  ist  darin  Nestroys  Selbstcharakteristik, 
die  er  der  Holteischen  Auffassung  des  Dichterberufes  ent- 
gegenhält. Nestroys  Poet  ist  ein  Wiener  Volksdichter,  der 
nicht  nach  dem  Lorbeer  strebt.  „Wollen  Sie  mich  foppen  ? 
Oder  halten  Sie  mich  wirklich  für  so  dumm?  Bis  zum 
Lorbeer  versteig  ich  mich  nicht.  G'fallen  sollen  meine 
Sachen,  unterhalten,  lachen  sollen  d'  Leut,  und  mir  soll  die 
G'schicht  a  Geld  tragen,  daß  ich  auch  lach',  das  ist  der 
ganze  Zweck.  G'spassige  Sachen  schreiben  und  damit  nach 
dem  Lorbeer  trachten  wollen,  ist  grad  so,  als  wenn  einer 
ein'n  Zwetschgenkrampus  macht  und  gibt  sich  für  einen 
Rivalen  von  Canova  aus."  Der  Dichter  Leicht  geht  auch 
nicht  am  Idealismus  zugrunde  v/ie  Holteis  Heinrich,  son- 
dern wird  Volkssänger,  Harfenist,  wie  der  liebe  Augustin 
anno  1683  einer  gewesen. 

An  diese  glänzende  Parodie  schlössen  sich  zunächst  die 
Travestien  von  FJotows  „Martha"  und  Wagners  „Tann- 
häuser." Als  vor  einigen  Jahren  im  Berliner  Centraltheater 
die  „Tannhäuser-Parodie"  mit  Rudolf  Ander  als  Landgraf 
Purzel  gegeben  wurde,  da  merkte  man  noch  nichts  von 
Runzeln,  da  erschien  jeder  Witz,  jeder  Hieb  so  frisch  und 
kräftig  wie  damals  in  Wien,  als  der  Verfasser  selbst  noch 
den  Purzel  verkörpert  hatte.  Die  Tannhäuser -Parodie 
brachte  es  damals  in  Berlin  auf  eine  stattliche  Anzahl  von 
Wiederholungen. 

Aber  die  Krone  aller  Nestroyschen  Parodien  ist  die  des 

Hebbelschen   Dramas    „Judith   und  Holofernes".    „Sie  ist 

29  Seite  XXXIV  ff. 
360 


geradezu  ein  Musterbeispiel  der  Parodie,  musterhaft  in  der 
Ausnutzung  aller  komischen  Elemente  des  Stoffes,  der  Auf- 
deckung aller  Schwächen  der  Behandlung,  musterhaft  auch 
in  der  Zusammenziehung  der  fünf  Akte  in  einen  einzigen, 
denn  eine  Parodie  muß  kurz  sein,  soll  ihr  der  Atem  nicht 
ausgehen 30. 

Mit  diesem  Stück  ist  Nestroy  zum  Klassiker  der  deut- 
schen Parodie  geworden.  „In  dieser  Parodie",  erklärt  Lud- 
wig Speidel31,  „steht  Nestroy  zwar  nicht  der  Kunst  und 
dem  Schönheitssinn,  aber  dem  sicheren  Treff  nach  auf 
gleicher  Höhe  mit  den  genialsten  Komödiendichtern.  Aristo- 
phanes  hat  den  Euripides  nicht  bitterer  gezüchtigt,  Moliere 
die  Preziösen  nicht  schärfer  gehechelt,  als  Nestroy  der 
Hebbelschen  Gestalt  des  Holofernes  zugesetzt  hat."  Der 
Hanswurst  Holofernes  ist  hier  zum  Uberhanswurst  gewor- 
den, der  nicht  nur  Lazzi  macht,  sondern  auch  ehrlich  kriti- 
siert, indem  er  mit  Witzpfeilen  die  Achillesferse  des  Geg- 
ners trifft. 

Als  eine  Parodie  ist  auch  Nestroys  „Freiheit  in  Kräh- 
winkel" anzusprechen,  eine  Satire  auf  die  Volkserhebung 
im  Jahre  1848. 

Mit  Kotzebues  vielgespieltem,  auf  Picards  „Petite  ville" 
zurückgehendem  Lustspiel,  „Die  deutschen  Kleinstädter" 
(1803)  und  seiner  Kette  von  Nachahmungen  hat  „Die  Frei- 
heit" nur  den  Namen  gemein,  wenn  auch  schon  vor  Nestroy 
die  Krähwinkeliaden  als  ein  Gefäß  für  scharfe,  das  politische 
Gebiet  streifende  Satire  erscheinen.  Schon  der  zahme  und 
loyale  Bäuerle,  der  sogar  vor  der  Hof-Feuerspritze  seinen 
Hut  in  tiefster  Devotion  schwenkte,  gebraucht  in  seiner  „Fal- 
schen Primadonna  in  Krähwinkel"  (1818)  verhältnismäßig 
freie  Worte,  die  natürlich  vom  Zensor  beseitigt  worden 
waren.  Nestroy  hatte  1848,  mitten  im  Revolutionstrubel, 
freie  Hand  und  ließ  seiner  Laune  die  Zügel  schießen.  Das 
ganze  Sturmjahr  1848  zog  über  die  Bühne  und  entfesselte 
einen  Beifallsorkan,  gegen  den  sich  die  kleinen  Geister  mit 

80  Rommel,  IL  Bd.,  S.  9.  —  "  Wiener  Stammbuch,  Wien  1898,  S.  145  ff. 

361 


dem  großen  Maul,  wie  z.  B.  der  platte  und  fade  Kalauerfabri- 
kant M.  G.  Saphir,  vergeblich  stemmten,  wie  ja  immer  gegen 
geistige  Überlegenheit  mit  Gift  und  Geifer  vorgegangen  wird. 

Den  großen  Erfolg,  den  manche  der  Stücke  Nestroys 
erzielten,  hatten  sie  dem  Darsteller  Nestroy  zu  danken. 
Denn  viele,  vom  Augenblick  geboren,  auf  Bestellung  in 
unglaublicher  Schnelligkeit  auf  das  Papier  geworfen,  wur- 
den nur  durch  die  Schauspielkunst  Nestroys  und  seines 
Kollegen  Wenzel  Scholz  genießbar. 

Wie  Nestroy  als  Schauspieler  war,  das  faßt  ein  Zeit- 
genosse dahin  zusammen: 

„Erst  durch  Beobachtung  und  Erfahrung  gelangte  Nes- 
troy dahin,  aus  seiner  widerstrebenden  Persönlichkeit  Ka- 
pital zu  schlagen  und  grade  die  Hindernisse,  die  sich  in 
ihm  selbst  entgegenstellten,  zuletzt  in  ebenso  viele  neue 
wirksame  Hilfsmittel  zu  verwandeln.  Durch  seine  lange 
Gestalt,  die  er  nach  Belieben  bald  verlängerte,  bald  ein- 
knickte, durch  seine  schlotternden  Bewegungen  und  mittelst 
frappanter  Wechsel  zwischen  Schwerfälligkeit  und  Agilität, 
überraschte  und  elektrisierte  er  sein  Publikum.  Großen 
Vorteil  zog  er  aus  seiner  eminenten  Zungenfertigkeit,  und 
in  Rollen  seiner  eigenen  Stücke  überschüttete  er  den 
Hörer  gleichzeitig  mit  einem  Schwall  von  Worten  und 
mit  einem  Feuerregen  glänzender  Einfälle.  Aber  beinahe 
beredter  noch  als  seine  Dialektik  war  sein  stummes  Spiel, 
mit  welchem  er  alle  Voraussetzungen  des  Zensors  durch- 
kreuzte. Durch  ein  Aufzucken  der  Stirne  und  der  Augen- 
brauen, verbunden  mit  einem  Niederzucken  der  Oberlippe 
und  des  Kinns  —  ein  Mienenspiel  das  sich  nicht  schildern 
läßt  —  gab  er  seiner  Rolle  einen  Zusatz  von  allerhand 
Gedankenstrichen,  aus  welchem  sich  noch  ganz  anderes 
heraushören  ließ,  als  was  wirklich  gesprochen  wurde,  und 
da,  wo  die  Darsteller  der  einstigen  italienischen  Kunst- 
komödie mit  Worten  improvisiert  hatten,  improvisierte  er 
noch  weit  drastischer  durch  —  Schweigen32." 

82  Romrael,  S.  XXXIL  ff. 
362 


Johann  Nestroy 
als  Sansquartier 


Dieses  Improvisationstalent,  nicht  die  Lust,  sondern  der 
Drang  zum  Extemporieren,  diese  Welle  echten  Hanswurst- 
blutes in  Nestroy,  brachte  ihn  gar  oft  in  Zwistigkeiten  mit 
der  hohen,  mehr  als  tyrannischen  Polizeibehörde  des 
finsteren,  absolutistischen  Capuas  der  Geister. 

Aber  auch  einen  großen  Teil  seines  Schauspielerruhmes 
hatte  er  seiner  allzeit  paraten  Schlagfertigkeit  zu  danken. 
In  einem  Stücke  hatte  er  mit  einem  lebenden  Esel  auf- 
zutreten. Er  irrte  sich  scheinbar  und  sprach  das  Grautier 
mit  dem  Namen  eines  der  ärgstgehaßten  Polizeigewaltigen 
an.  Ein  Strafmandat  wegen  Extemporierens  war  die  Folge. 
Am  nächsten  Abend.  Alles  horcht  gespannt,  was  Nestroy 
heute  improvisieren  wird.  Er  schweigt.  Da  stellen  sich 
plötzlich  bei  seinem  Esel  Verdauungserscheinungen  ein. 
Nestroy  tritt  tiefernst  bis  an  die  Rampe  vor  und  sagt  ruhig 
auf  den  Esel  deutend:  „Hat  extemporiert,  zahlt  fünf  Gulden!" 

Nestroy-Knieriem  und  Scholz-Leim  legten  sich  im  sechsten 
Auftritt  des  Lumpazivagabundus  auf  das  Stroh,  in  dem 
schon  Direktor  Carl-Zwirn  entschlafen  war.  „Drah  di  um, 
Leim,  du  stinkst  aus  dem  Maul",  sagte  Knieriem  zu  Leim. 
Aber  das,  was  er  für  den  Mund  gehalten  hatte,  war  ein 
ganz  anderer  Körperteil.  Scholz-Leim  lag  verkehrt  auf 
dem  Stroh. 

In  der  Burleske  „Zwölf  Mädchen  in  Uniform"  hatte 
Nestroy  seinen  ersten  großen  Erfolg  als  Komiker,  ebenso 
durch  sein  Spiel  und  seine  Bernardon-Maske  wie  durch 
seine  Improvisationen. 

Er  hatte  in  dem  Stücke  in  einem  Buche  zu  lesen.  Nestroy 
wählte  sich  dazu  Werke,  von  denen  man  gerade  sprach, 
las  aus  ihnen  Stellen  vor  und  begleitete  diese  durch  allerlei 
satirische  Glossen.  „Die  Jungfrau  von  Orleans"  mußte 
sich  z.  B.  die  bissigen  Bemerkungen  gefallen  lassen : 

„Spricht :  Jetzt,  das  ist  eigentlich  keine  Komödie,  sondern 
mehr  dramatische  Fabel.  —  Na  ja  —  man  weiß  halt  nix 
G'wiss's  —  und  jetzt  kommt  auch  nix  mehr  auf  —  es  is 
schon  z  lang  her  —  und  die  Nachbarschaft  is  schon  alle  tot. 

363 


Liest:  König  (zu  Johanna):  Mein  sei  die  Sorge,  Dich 
einem  edlen  Gatten  zu  vermählen. 

Spricht:  Kurios,  dieser  König  will  partout  eine  verhei- 
ratete Jungfrau  von  Orleans  haben  —  na,  das  is  halt  so 
eine  fixe  Idee  von  ihm. 

Liest:  Agnes  Sorel:  Laß  uns  weiblich  erst  das  Weib- 
liche bedenken. 

Spricht :  Jetzt,  das  nennt  sie  was  Weibliches,  wenn's  ihr 
ein'  Mann  auffidisputieren  —  ah,  das  ist  nicht  schlecht. 

Liest:  Johanna:  Die  reine  Jungfrau  nur  kann  es  voll- 
bringen, keinem  Manne  kann  ich  Gattin  sein. 

Spricht:  O  du  Teufi,  du  —  aber  da  mirkt  man  den 
Fanatismus  des  Alterthums  —  das  nimmt  man  jetzt  nicht 
mehr  so  genau. 

Liest:  Johanna:  Die  Stirne  meines  königlichen  Herrn 
ist  noch  nicht  gekrönt. 

Spricht:  Ja  das  beweist,  daß  die  Agnes  Sorel  eine  ganz 
honette  Person  ist.  —  Ich  bin  nur  neugierig,  was  das  noch 
für  ein  Ende  nimmt  mit  dieser  d'Arkischen  Jeannett'.  (Blättert 
einige  Male  um.) 

Liest  dann  weiter:  Lionel. 

Spricht :  Aha,  is  schon  da  —  derjenige  welcher  —  Lionel 
—  das  is  eigentlich  englisch  und  heißt  auf  deutsch:  Leahnl. 

Liest:  Nicht  beide  verlassen  wir  lebendig  den  Platz! 

Spricht:  Aha!  —  geht  scharf  d'rein,  der  edle  Brite. 

Liest:  Johanna:  Fliehe. 

Lionel:  Ha! 

Johanna  (mit  abgewandtem  Gesicht):  Weh'  mir! 

Spricht:  Aber  g'rad  die  nämlichen  Spomponaden  wie 
heutzutag  haben's  schon  g'habt  —  anno  dazumal  —  wie 
noch  der  Aberglaube  im  Schwung  war. 

Liest:  Dunois. 

Spricht:  Aha,  da  kommt  schon  der  Viersitzige  —  will 
ich  sagen  der  Batar  von  Orleans. 

Liest :  Was  ist  der  Jungfrau  ?  sie  erbleicht  —  sie  sinkt ! 
364 


Spricht  (aufstehend):  Aber  hab'  ich  mir  's  nicht  gleich 
denkt  —  so  viele  Engländer  und  eine  einschüchtige  Jungfrau 
—  die  G'schicht  muß  ja  ein  traurigen  Ausgang  nehmen. 
(Geht  ab.)"  3S 

Dem  Dichter  Nestroy  war  nur  der  halbe  Erfolg  be- 
schieden, wenn  nicht  eine  der  Hauptrollen  in  den  Händen 
Wenzel  Scholz'  lag. 

Scholz  kam  1826,  drei  Jahre  vor  Nestroy,  nach  Wien, 
dem  er  bis  zu  seinem  Tode  treu  blieb.  Er  und  Nestroy 
waren  zeitlebens  die  beiden  komischen  Dioskuren  von 
Wien,  die  keine  Rivalität  entzweite,  kein  Kulissenhader 
trennte.  Der  Nervosität  Nestroys  stand  die  natürliche 
Komik  von  Wenzl  Scholz  gegenüber,  der  Wort  und  Geste 
nicht  nötig  hatte,  um  Lachstürme  zu  entfesseln.  „Der 
Mensch  hat  eine  unaussprechliche  Kraft!  Er  kann  die  fade- 
sten Sachen  drei-  und  viermal  wiederholen  —  sie  werden 
nie  langweilig,  im  Gegenteil,  er  trägt  einen  und  denselben 
Einfall  oder  eine  Bemerkung  so  verschieden  in  seinen  Ton- 
arten vor,  daß  die  Lachlust  immer  gesteigert  wird",  schrieb 
ein  Kunstgenosse,  der  Wiener  Hofschauspieler  K.  L.  Coste- 
noble,  über  ihn. 

Für  Scholz  verfaßte  Nestroy  die  tölpelhaften  Bedienten, 
die  Moralpredigten  halten,  alle  Mädchen  in  sich  verliebt 
glauben  und  überall  gründlich  abblitzen.  Der  Melchior  in 
„Einen  Jux  will  er  sich  machen"  war  eine  jener  Rollen,  die 
Nestroy  seinem  Freunde  auf  den  Leib  schrieb.  In  diesem 
Genre,  das  Jahrzehnte  nach  ihm  noch  seinen  Namen  trug, 
war  und  blieb  er  unerreicht,  bis  sich  in  Josef  Matras  ein 
ebenbürtiger  Nachfolger  fand.  Auf  derselben  Leopold- 
städter Bühne,  auf  der  Scholz  gewirkt,  stand  auch  Matras, 
klein,  kugelrund,  von  bezwingender  Komik  wie  sein  Vor- 
gänger, und  in  der  Glanzrolle  von  Scholz,  als  Melchior  im 
„Jux",  ereilte  ihn  sein  Geschick.  Er  wurde  auf  offener 
Szene  wahnsinnig.  Der  große  Komiker,  der  als  Volks- 
sänger  bei  Johann  Fürst  im  Prater  begonnen  und  unter 
••  Aus  Nestroy  (von  L  Rosner)  Wien  1885,  4.  Aufl.,  S.  54  ff. 

365 


den  Direktoren  Ascher,  Jauner  und  Tewele  der  echt  Wiener 
Komik  in  jeder  neuen  Rolle  zum  Siege  verholfen  hatte, 
der  urwüchsigste  des  weltbekannten  Komikertrios  Wilhelm 
Knaack,  Carl  Blasl  und  Matras,  brach  vor  den  Augen  des 
Publikums  zusammen.    Armer  Bajazzo! 

Ich  war  an  jenem  Abend  im  Theater. 

Doch  wieder  zu  Scholz. 

Außer  ihm  gehörte  noch  der  drollige  Friedrich  Hopp 
und  der  trockene  Alois  Grois  zu  dem  Ensemble,  in  dem 
auch  der  quecksilberne  Direktor  Carl  seinen  Mann  stellte. 

Scholz  war  der  erste,  der  aus  diesem  Künstlerkreise  weg- 
starb, die  andern  folgten  bald,  und  damit  war  die  Aera 
Nestroy  zu  Ende.  Carl  war  schon  früher  (1854)  dahin- 
gegangen. Nach  ihm  übernahm  Nestroy  die  Direktion, 
ihm  folgte  wieder  der  glänzende  Komiker  Karl  Treumann. 
Unter  Treumann,  im  Carltheater  wie  in  dem  1863  abge- 
brannten Treumanntheater,  herrschte  die  Offenbachiade, 
mit  der  reizenden  Soubrette  Anna  Grobecker.  Doch  auch 
Nestroy  war  schon  als  Jupiter  und  als  Prinz  von  Arka- 
dien im  „Orpheus  in  der  Unterwelt"  der  neuen  Zeitströmung 
gefolgt. 

Talente  nicht  ersten  Ranges,  aber  immerhin  weit  über 
den  Durchschnitt,  schlössen  sich  als  Satelliten  der  Sonne 
Nestroy  an.  Der  begabte  Friedrich  Kaiser,  Anton  Langer, 
der  der  Gallmeyer  Glanzrollen  wie  „Die  Pfarrersköchin" 
schrieb,  Karl  Elmar,  Alois  Berla,  der  pudelnärrische  Fried- 
rich Hopp,  Julius  Findeisen,  Leopold  Feldmann,  Karl  Haff- 
ner, der  lustige  Bittner,  Carl  Costa,  Grandjean,  O.  F.  Berg 
u.  a.  hatten  alle  mehr  oder  minderen  Erfolg  mit  ihren  gut 
durchdachten  Possen  voll  netter  oder  doch  erträglicher 
Witze,  und  eine  Korona  von  tüchtigen  Darstellern  focht 
und  siegte  unter  ihren  Fahnen.  Ich  nenne  nur  als  die  be- 
deutendsten: Karl  Rott,  Karl  Treumann,  Karl  Friese,  den 
Vater  der  immer  lustigen  Josefine  Dora  vom  Berliner 
Theater,  die  als  Kind  auf  Gastspielreisen  die  Gallmeyer 
parodierte,  Albin  Swoboda,  den  eleganten  Paris,  den  un- 
366 


■  <>r, 


%%2 


''Mfei 


Auf  einem  Pariser  Opernball  während  des  zweiten  Kaiserreiches 
Zeichnung-  von  Marcelin 


10      jj 


"0 

c 
c 

0) 
Bl 

c 

+■> 

.J> 

a 

c 

"C 

_a 

tu 

H 

k 

pS 

B 

3 

a 

"O 

1 — i 

0) 

Vi 

c 

|5 

CO 

i.M 

Ü 

C 

4)  Q\ 

_G 

-13  00 

«     « 

u 

N 

c 

E  a 

"3  c 

9 

U 

C    4> 

5  M 

B   i) 

HS 

c 

-    > 

n      ■> 

t/3 

u 

2  « 

s 
> 

^    3 

o     . 

cd 

N     CCJ 

d 

.   J* 

•öS 
5 

■M 

D  «~ 

N 

o  — r 

i3  « 

■""' 

NÄ 

cgS3 

J 

_:  :3 

T3  iw 

.   vT 

O 

>    V 

aj 

4)    bo 

■*-> 

-o 

-C    c 

c/i 

n 

PJ 

to"«3 

^  i 

— 

ö-S 

i> 

O    </] 

v   cd 

.£ 

>    </> 

9 

kpg 

1 

o 

C 

cd 

£ 

3 
C 

c 

Im 

a 

'5 

(U 

J^ 

^~ 

"73 

e 

'.So 

s 
o 

> 

"C 

Q  O 

Ludwig  Gottsleben 
der  letzte  Wiener  Hanswurst 


verwüstlichen  Carl  Blasl,  Wilhelm  Knaack,  Josef  Matras,  den 
später  so  berühmten  Anzengruber-Spieler  Martinelli,  Grois, 
Grün,  Röhrich.  Dazu  die  Damen  Schiller,  Marie  Geistinger, 
Gallmeyer,  Frau  Meilin,  Frau  Herzog  und  den  dicken  Lud- 
wig Gottsleben. 

Gottsleben  war  der  allerletzte  Wiener  Hanswurst,  den 
er  auch  in  der  Wiener  Internationalen  Ausstellung  für  Musik- 
und  Theaterwesen  im  Jahre  1892  einen  ganzen  Sommer 
hindurch  verkörperte,  assistiert  von  Kräuser,  dessen  vir- 
tuose Nachahmung  des  tschechisch-wienerischen  Dialektes 
bis  jetzt  unerreicht  ist,  und  des  fidelen  delli  Zotti.  Die 
asthmatische  Sprechweise  Gottslebens,  die  in  den  Fett- 
polstern des  schwammigen  Antlitzes  kaum  sichtbaren  Augen, 
der  breite,  sinnliche  Mund,  das  spitze  Bäuchlein,  das  auf 
zu  kurz  geratenen  Beinen  ruhte,  machten  ein  Ensemble 
von  unwiderstehlicher  Komik  aus.  Gottsleben  war  keine 
allererste  Nummer  als  Künstler,  aber  ein  Groteskkomiker 
von  Natur,  der  der  Kunst  entraten  konnte,  um  komisch 
zu  wirken. 

Was  jene  Koryphäen  leisteten,  ist  jetzt  nach  mehr  als 
einem  Menschenalter  noch  in  aller  Erinnerung  und  wurde 
auch  nicht  durch  die  neueren  Stars,  die  vergötterten  Wiener 
Lieblinge  Felix  Schweighofer  (1842 — 1912)  und  Alexander 
Girardi  (geb.  1850)  verdunkelt,  auf  deren  Schultern  die 
Hauptlast  bei  den  klassischen  Wiener  Operetten  von  Jo- 
hann Strauß,  Carl  Millöcker  und  Franz  von  Suppee  ruhte. 
Die  Allerneuesten  haben  an  Stelle  des  echten  Humors  und 
der  grotesken  Komik,  wie  sie  noch  der  Szupan  im  „Zigeuner- 
baron", der  Enterich  im  „Bettelstudent",  der  Kantschukoff 
in  der  „Fatinitza"  entfalteten,  den  sinnlosen  Tanz  gesetzt. 
Die  Operette  und  die  Posse  sind  fein  geworden.  Die  erste 
ist  heute  im  günstigsten  Fall  ein  musikalisches  Lustspiel,  die 
letzte  ein  Trikot-  und  Ausstattungsstück.  Heute  lächelt  man 
höchstens  vornehm,  wo  man  sich  einst  vor  Lachen  wälzte. 

Eine  kurze  Zeit  rivalisierte  das  Theater  in  der  Josef- 
stadt  mit   der  Leopoldstädter  Bühne,   um   dann   in   einen 

367 


Dauerschlaf  zu  sinken,  aus  dem  es  erst  durch  Josef  Jarno 
und  seine  Gattin  Hansi  Niese  erweckt  wurde.  Die  Niese  ist 
eines  der  größten  Soubrettentalente,  das  Wien  je  gehabt. 
Sie  spielt  auf  derselben  Bühne,  auf  der  einst  eine  andere 
Wiener  Soubrette  die  ersten  Talentproben  abgelegt  hatte: 
Josefine  Gallmeyer.  Die  Gallmeyer,  die  Eduard  von  Bauern- 
feld das  größte  theatralische  Genie  Wiens  genannt  hat34, 
der  Urtypus  einer  Wienerin,  war  in  Leipzig  geboren.  Mit 
ihrem  Namen  ist  die  Nachblüte  der  Wiener  Posse  anf  das 
innigste  verknüpft.  Sie  war  ein  Sprühteufel  voll  unberechen- 
barer Launen,  die  einen  mißliebigen  Kritiker  von  der  Bühne 
herunter  einen  Esel  nannte,  ihre  Direktoren  ohrfeigte,  dann 
wieder  gutherzig  bis  zur  Verschwendung.  Auf  der  Bühne 
nahm  sie  wie  Nestroy  durch  einen  Blick,  durch  eine  Geste, 
durch  ein  tollkühnes  Extempore  das  kühlste  Publikum  blitz- 
artig gefangen.  Wenn  sie  auf  den  Brettern  stand,  war  sie 
Alleinherrscherin,  und  geniale  Künstler  wie  ihre  Kollegen 
Knaack,  Blasl,  Matras  und  der  geistreiche  Franz  Tewele 
traten  weit  zurück  gegen  die  Macht  ihrer  Persönlichkeit, 
die  selbst  dem  größten  „Schmarrn"  Leben  verlieh.  Erst  als 
sie  nicht  mehr  war,  sahen  die  Kritiker  und  Kritikaster  ein, 
was  die  Gallmeyer  gewesen,  und  daß  Unersetzliches  mit 
ihr  dahingegangen  sei.  Die  arme  Pepi,  die  so  vieles  an- 
gestellt, aber  auch  bitter  dafür  gebüßt,  war  gerächt. 

*  * 

* 

Auch  für  Berlin  sind  die  Zeiten  der  wirklichen  Burleske 
vielleicht  für  immer  vorüber.  Figuren,  wie  Friedrich  Beck- 
mann (1803 — 1866)  eine  in  seinem  Eckensteher  Nante  im 
ersten  Viertel  des  vorigen  Jahrhunderts  verkörperte,  sind 
jetzt  kaum  mehr  auf  der  Volksbühne  möglich,  und  doch 
war  dies  eine  Lokaltype,  die  den  Wiener  Staberl  an  Le- 
benswahrheit übertraf.  Über  20  Jahre  gehörte  der  ur- 
berlinerische Beckmann  als  erster  Komiker  dem  Wiener 
Burgtheater  an,  wie  später  sein  Landsmann  Theodor  Reusche, 

34  Max  Waldstein,  Aus  Wiens  lustiger  Theaterzeit,  Berlin  1885,  S.  148. 
368 


Josephine  Gallmeyer 
in  ihrer  Glanzzeit  in  Offenbachs  „Prinzessin  von  Trapezunt" 


der  jedoch  in  Wien  nicht  so  festen  Fuß  zu  fassen  ver- 
mochte, wie  vor  ihm  Beckmann. 

Auf  dem  Königstädtischen  Theater,  mit  Schmecke  und 
Plock  als  Partnern,  erlebte  Beckmann  Triumphe  über 
Triumphe  als  Nante,  der  zur  stehenden  Figur  wurde  und 
eine  ganze  Literatur  hervorbrachte,  die  Meister  wie  Theodor 
Hosemann  und  Ludwig  Löffler  illustrierten. 

Der  Ton,  auf  den  Nante  gestimmt  war,  mögen  einige 
Strophen  eines  seiner  Auftrittslieder  zeigen,  die  1823  als 
das  Allerhöchste  der  Komik  galten: 

Det  beste  Leben  hab'  ick  doch, 

Ick  kann  mir  nich  beklagen, 

Pfeift  och  der  Wind  durch's  Ermelloch, 

Det  will  ick  schon  verdragen. 

Det  Morgens,  wenn  mir  hungern  duht, 

Eß  ich  'ne  Butterstulle; 

Dazu  schmeckt  mich  der  Kümmel  jut 

Aus  meine  volle  Pulle.  (Trinkt.) 

Ein  Eckensteher  führt  auf  Ehr' 

Det  allerschönste  Leben, 

Man  friert  anjetzt  zwar  manchmal  sehr, 

Doch  bald  is  det  zu  heben. 

Von  außen  hau  ick  mit  de  Faust 

Mir  in  de  Seit'  und  Rücken, 

Und  wenn  en  Schneegestöber  saust, 

Muß  Kümmel  mir  erquicken.  (Trinkt.) 

Ick  seh'  manchmal,  wenn  große  Herrn 

Hinein  ins  Wirtshaus  gehen, 

Da  steh  ick  denn  so  still  von  fern, 

Duh  uf  den  Kümmel  sehen 

Un  denk  bei  mir,  's  is  ganz  ejal, 

Ob  Wein,  ob  Schnaps  im  Glase, 

Von  beeden  kriegt  man  allemal 

Doch  ene  rote  Nase.  (Trinkt). 

24  369 


Derartige  Harmlosigkeiten,  die  nur  durch  die  groteske 
Aufmachung  des  Vortragenden  grotesk  wirkten,  hielten  bis 
zum  Revolutionsjahr  vor.  Allerdings  hatten  schon  vordem 
vereinzelte  Wiener  Possen  den  Weg  nach  Berlin  gefunden 
und  entweder  in  Berliner  Lokalisierung  oder  in  der  Original- 
fassung die  Berliner  erfreut.  Berlin  konnte  damals  Wien  noch 
nichts  Ebenbürtiges  gegenüberstellen.  Louis  Angely  (1787 
bis  1830),  der  manchen  guten  Einfall  und  deshalb  auch  man- 
chen Schuß  ins  Schwarze  zu  verzeichnen  hatte,  war  schließ- 
lich zum  Handwerker  geworden,  der  gewerbsmäßig  Possen 
und  Lustspiele  zusammenleimte.  Den  Zeitraum  von  Angely 
bis  zu  Kaiisch  kann  ich  überspringen.  Er  zeigt  einen  Sumpf, 
auf  dem  viele  bunte,  aber  übel  riechende  Blümlein  em- 
porwuchsen. Die  Komik  war  mit  ansteckend  wirkender 
Laszivität  und  einem  gut  Teil  Langeweile  durchsetzt.  Erst 
David  Kaiisch  zerstreute  durch  echt  norddeutschen,  oft 
sehr  scharfen  Witz  die  Miasmen  und  brachte  gute  Haus- 
mannskost, manches  Mal  stark  gepfeffert,  aber  immer  noch 
genießbar,  auf  die  Berliner  Tafel.  Die  feinere  und  groteske 
Komik  seiner  vielen  Possen  und  Burlesken  war  oft  mit 
Sentimentalität  durchschossen,  die  aber  gerade  das  Leben 
dieser  sonst  kerngesunden  Stücke  verlängerte.  „Dr.  Peschke", 
„Berlin  wie  es  weint  und  lacht",  „Hunderttausend  Taler", 
„Der  Aktienbudiker",  „Der  gebildete  Hausknecht",  „Ber- 
lin bei  Nacht"  verfehlen  auch  jetzt  noch  niemals  ihre 
Wirkung  auf  der  Berliner  Volksbühne,  und  sie  waren 
Schlager,  als  Kräfte  wie  Anna  Schramm,  Wollrabe,  Stoll, 
Karl  Heimerding,  Theodor  Reusche,  August  Neumann, 
Ernestine  Wegener,  Georg  Engels,  Guthery  und  Meißner 
die  Träger  der  Hauptrollen  waren,  nicht  zu  vergessen  den 
sarkastischen  Emil  Thomas,  das  Prototyp  des  Berliner 
Komikers. 

Ebenso  fleißig,  aber  auch  ungleich  weniger  originell  und 
erfindungsreich  als  Kaiisch  waren  Hermann  Salingre  (1833 
bis  1879),  Emil  Pohl,  August  Weirauch,  Eduard  Jacobson, 
Benno  Jacobson  und  der  Dresdener  Schauspieler  Gustav 
370 


Louis  Schneider  als  Bertram  in  Raeders  „Robert  und  Bertram" 
Th.  Hosemann  1841 


Räder,  dessen  lustige  Zauberposse  „Robert  und  Bertram" 
noch  nichts  von  ihrer  Zugkraft  eingebüßt  hat.  Der  vielge- 
wandte Louis  Schneider  (f  1878),  Schauspieler,  Historiker, 
Romanschriftsteller,  Vorleser  König  Wilhelms  kreierte  am 
Berliner  Hoftheater  den  Bertram. 

Der  Schuß  Spottsucht  und  Schärfe  im  norddeutschen, 
spezifisch  Berliner  Witz  neigte  noch  mehr  zur  Parodie  und 
Travestie  als  der  gemütlichere  Wiener  Hamur.  Deshalb 
schössen  auf  deutschem  Boden  wie  in  Wien  diese  Spott- 
und  Scheltdichtungen  üppig  empor. 

Bereits  während  der  Zeit  des  Klassizismus  verspritzten 
kleine  Geister  ihr  Gift  über  die  eigene  Impotenz  an  die 
Gewaltigen.  Es  genügt  flüchtig  zu  streifen,  daß  ein  Julius 
von  Voß  und  Rotter  die  „Jungfrau  von  Orleans",  ein  Un- 
genannter den  „Nathan",  ein  anderer  den  „Faust"  lächer- 
lich zu  machen  versuchten.  August  von  Platens  „Verhäng- 
nisvolle Gabel"  richtet  sich  vornehmlich  gegen  Müllners 
„Schuld",  traf  aber  auch  mit  scharfem  Hieb  die  Gesamt- 
erscheinung des  Schicksalsdramas  mit  seinen  unmöglichen 
Schauerlichkeiten.  Kotzebues  Modedramen,  am  meisten 
„Menschenhaß  und  Reue",  wurden  in  Wien  und  Berlin  durch- 
gehechelt, ebenso  verfiel  Kotzebues  berufenste  Nachfol- 
gerin, die  Birch-Pfeiffer,  mit  allen  ihren  großen,  nach 
Romanen  zusammengebastelten  Dramen  der  verdienten  Tra- 
vestierung, die  zum  Teil  besser  war  als  die  öden  Blau- 
strumpfeleien.  Die  Gallmeyer  parodierte  in  der  „Eleganten 
Tini"  die  „erste  Tragödin  der  ersten  deutschen  Schau- 
bühne", Charlotte  Wolter,  als  Titelheldin  in  Mauthners 
„Eglantine"  und  versetzte  der  Sarah  Bernhard  und  ihren 
Mätzchen  in  einer  Kameliendame-Parodie  kräftige  Nasen- 
stüber. Ein  Parodietheater  bestand  bis  vor  wenigen  Jahren 
in  Berlin.  Die  zum  Teil  recht  witzigen  Stücke  wurden  aber 
von  unzulänglichen  Kräften  in  einem  Lokal  niederen  Ranges 
aufgeführt  und  fanden  deshalb  nur  kurze  Zeit  ihr  Publikum. 

Nur  kurz  berühren  will  ich  hier  den  berühmten  und 
berüchtigten    „Geschundenen    Raubritter"    von    Friedrich 

24«  371 


Gerstäcker35,  den  der  alte  Schauspielprinzipal  Magnus  in 
Dresden  oft  vier-  und  mehrmals  an  einem  Tage  zur  Auf- 
führung brachte.  Das  Stück  scheint  leider  nicht  gedruckt 
worden  und  so  der  Nachwelt  verloren  gegangen  zu  sein. 

Seitdem  das  Berliner  Metropol-Theater  die  großen  Re- 
vuen nach  Pariser  und  Londoner  Muster  pflegt,  werden  in 
ihnen  nicht  nur  die  markantesten  Ereignisse  des  Jahres,  son- 
dern auch  die  bedeutendsten  Theatererfolge  in  meist  sehr 
geistreicher  Weise  parodiert.  Julius  Freund  (geboren  1862 
in  Breslau),  der  Dichter  dieser  mit  verschwenderischer  Pracht 
ausgestatteten  Stücke,  schreibt  seinen  Darstellern  beiderlei 
Geschlechts  die  Rollen  auf  den  Leib.  Sie  sind  meist  das 
einzige,  womit  die  darin  auftretenden  Damen  bekleidet 
sind.  'Die  ersten  komischen  Kräfte  dieser  Bühne  sind  der 
geniale  Charakterkomiker  Josef  Giampietro  und  der  tol- 
patschige Guido  Thielscher.  Den  burlesken  Henry  Bender, 
durch  viele  Jahre  eine  der  Stützen  des  Metropol-Ensem- 
bles, hat  der  junge  Wiener  Artur  Gutmann  ersetzt. 

Der  kleine  Guido  Thielscher  ist  einer  der  populärsten 
Komiker  Berlins.  Seine  Beliebtheit  rührt  von  seinem  Wir- 
ken bei  Adolf  Ernst  her,  wo  er  der  Mittelpunkt  der  von 
Ernst  in  Berlin  eingeführten  Possen  war,  vielbildrigen 
Stücken  mit  Gesang  und  Tanz.  Der  gänzliche  Mangel 
jeder  vernünftigen  Handlung  wurde  durch  sehr  hübsche 
und  sehr  stark  dekolletierte  Mädchen  in  Trikots  ersetzt. 
Heute  pflegen  das  Thalia-  und  das  Berliner  Theater  dieses 
Genre.  Hier  verhilft  ihm  der  noch  sehr  junge,  mit  kräf- 
tigen Strichen  gestaltende  und  zwingend  komische  Ur- 
berliner  Arnold  Rieck,  dort  der  Wiener  Karl  Sabo,  gleich 
tüchtig  als  Sänger,  Schauspieler,  Tänzer  und  Geiger  und 
der  besonders  in  Dialektrollen  hervorragende  Karl  Mein- 
hardt  zu  nachhaltigem  Erfolg. 

Die  deutsche  drastische  Operette,  deren  Geburtsort  und 
Stätte  höchster  Triumphe  Wien  war,  hat  ihren  bedeutend- 
sten Groteskkomiker,  Max  Pallenberg,  an  Berlin  abgegeben. 

86  Herbert  König  in  der  Gartenlaube,  1872,  S.  421. 
372 


Max  Pallenberg 


Karl  Heimerding  in  „Ein  gebildeter  Hausknecht"  von  Kaiisch 


Pallenberg  ist  wohl  die  eigenartigste  Komiker-Indivi- 
dualität der  Gegenwart.  Ein  Original  durch  und  durch, 
eine  Persönlichkeit,  die  zum  Lachen  zwingt,  auch  wenn 
man  sich  mit  Händen  und  Füßen  dagegen  stemmt  und 
mit  der  Art  ihrer  Komik  nicht  einverstanden  ist.  Pallen- 
berg  entwaffnet  jeden  Kritiker  durch  das  Groteske  seiner 
Erscheinung,  durch  die  Art  seines  Vortrages,  die  kein 
Vorbild  hat,  sondern  den  eigenen  Eingebungen  folgt.  Er 
ist  kein  komischer  Schauspieler,  sondern  eine  zwerchfell- 
erschütternde Persönlichkeit,  der  man  selbst  die  größte 
Kulissenreißerei  glaubt.  Pallenberg  ist  heute  der  berufenste 
deutsche  Vertreter  der  Grotesk-Komik  auf  der  Bühne.  Er 
ist  jetzt  das,  was  Konrad  Dreher,  der  übermütige  Mün- 
chener Darsteller,  noch  vor  wenigen  Jahren  war. 

Niederdeutschland,  dem  Sterne  des  Humors  wie,  um  nur 
einige  aus  vielen  herauszugreifen,  Lauremberg,  Fritz  Reuter, 
Claus  Groth  und  Justus  Brinckmann  strahlten,  hat  auch 
das  seine  zur  Groteskkomik  auf  dem  Theater  beigetragen. 
An  der  Waterkant,  in  Hamburg,  erstand  der  Komiker, 
dem  die  plattdeutsche  Posse  alles  verdankte.  Mit  ihm 
kam  ihre  Blüte,   nach  seinem  Scheiden   ihr   Dahinwelken. 

Carl  Schultze,  die  letzte  Säule  der  großen  plattdeutschen 
Schauspielerperiode,  starb  am  14.  Dezember  1812  im  Alter 
von  83  Jahren. 

Die  Glanzzeit  der  plattdeutschen  Komödie  währte  von 
1860  bis  in  den  Anfang  der  achtziger  Jahre.  Sie  wurde 
durch  das  Dreigestirn  Carl  Schultze,  Lotte  Mende  und 
Heinrich  Kindler  und  deren  Trabanten  Caßmann,  Krilling, 
Mansfeldt,  Monhaupt  und  Schatz  bezeichnet. 

Anläßlich  des  Todes  von  Schultze  schrieb  das  „Ham- 
burger Fremdenblatt":  „Einer  der  Hervorragendsten  war 
unstreitig  selbst  unter  den  Sternen  am  plattdeutschen  Thea- 
terhimmel Carl  Schultze,  der  es  wie  kein  anderer  ver- 
standen hat,  ein  Interpret  dieses  Idioms  zu  sein  und  seinen 
Zuhörern  die  Schönheiten,  die  Kraft  und  den  Humor  un- 
seres geliebten  Plattdeutsch  zu  übermitteln.    Carl  Schultze 

373 


gehört  mit  zu  der  Literatur,  denn  das  geschriebene  Dia- 
lektwort bleibt  tot,  wenn  es  nicht  gesprochen  und  mit 
dem  eigentümlichen  Leben,  dem  warmen  Ton  erfüllt  wird, 
den  eben  nur  das  Idiom  besitzt. 

In  dem  kleinen  Theater,  das  Schultze  an  der  Grenze 
von  Hamburg- Altona  gegründet  hatte,  erwachten  all  die 
plattdeutschen  Stücke  wieder  zu  neuem  Leben,  denen  das 
zum  Thalia-Theater  gewordene  frühere  Steinstraßen-Theater 
nun  seine  Pforten  verschlossen  hatte.  Hier  schuf  der  junge 
Schultze  die  hamburgischen  Figuren  in  „Gustav  oder  der 
Maskenball",  in  Davids  „Nacht  auf  Wache",  in  Volge- 
manns  Volksstücken  und  in  Bärmanns  lustigen  Lokalpossen. 
Der  erste  eigene  Schlager  der  neuen  Bühne  war  Lyfers 
Parodie  auf  die  Oper  „Dinorah". 

Das  bekannte  Schlagwort  „Wo  kannt  angahn!",  das 
aus  Schultzes  Munde  viel  belacht  wurde,  stammt  aus  dieser 
Posse.  Durch  „Dinorah"  war  die  Schultzesche  Bühne  mit 
einem  Schlage  modern  geworden.  Es  gehörte  zum  guten 
Tone,  „Dinorah"  gesehen  zu  haben.  Und  so  blieb  es  für 
die  Folge.  Im  Mittelpunkt  dieses  Erfolges  aber  stand  Carl 
Schultze,  der  in  allen  Stücken  die  Hauptrolle  spielte,  so 
namentlich  den  Klas  Melkmann,  bald  darauf  (1862)  den 
„Deubel"  in  Louis  Schöbeis  „Faust  und  Margarethe",  einer 
Parodie  auf  Gounods  Oper.  Daneben  wurden  andere 
Possen  aufgeführt,  wie  Krügers  „Ein  alter  Seemann", 
Volgemanns  „Leiden  und  Freuden  eines  Hülfsmannes", 
„Der  letzte  Schilling  Torsperre",  und  endlich  „Vor  und 
nach  der  Gewerbefreiheit",  alles  Stücke,  die  Themen  be- 
rührten, die  damals  in  Hamburg  en  vogue  waren.  „Trotz 
mangelhafter  Form  und  Konzeption",  urteilt  Karl  Theodor 
Gaedertz,  „traf  die  frische  Ursprünglichkeit  des  platt- 
deutschen Mutterwitzes  auch  hier  die  Achillesferse  des  zu 
parodierenden  Tonwerks  mit  vielem  Geschick."  Ein  Jahr 
darauf,  am  24.  Mai  1863,  ließ  Schöbel  „Die  Rose  von 
Schwerin",  Parodie  der  Oper  „Die  Rose  von  Erin"  folgen. 
Dann  kamen  Volgemanns  „Hamburger  Spiegelbilder"  und 
374 


dessen  in  Gemeinschaft  mit  Wilkens  abgefaßte  politische 
Farce  „Wilhelm  Keenich"  und  „Fritze  Fischmarkt".  Das 
letztere  Stück  war  so  populär,  daß  Jean  Müller,  der  Dar- 
steller des  Wilhelm  Keenich,  von  der  Hamburger  Jugend 
auf  der  Straße  angerufen  wurde:  „Willem,  Du  hest  jo 
Dien  Krön  nich  opp'n  Kopp!"  So  ging  es  eine  Reihe 
von  Jahren  fort.  Der  letzte  große  parodistische  Erfolg 
der  Carl-Schultze-Bühne  kam  1866,  es  war  die  „Afrikanerin" 
von  dem  bekannten  Märchendichter  C.  A.  Goerner,  der 
damals  Schauspieler  am  Thalia-Theater  war. 

So  hatte  Carl  Schultze  der  plattdeutschen  Muse  eine 
Heimstätte  an  seiner  Bühne  bereitet,  und  noch  manches 
Jahr  wirkte  sein  Erfolg  nach,  so  daß  die  Bühne  sich 
über  die  flaueren  Kriegszeiten  hinweghelfen  konnte  und 
noch  eine  Nachblüte  erlebte,  die  wohl  zu  beachten  ist. 
Dichter  wie  Schreyer  und  Hirschel,  Julius  Stinde,  Mans- 
feldt,  Ludolf  Waldmann,  Wilhelm  Biel,  lieferten  Schultze 
die  Stücke,  in  denen  er  noch  immer  die  Anziehungskraft 
war.  Auch  jüngere  Schauspielkräfte  standen  ihm  zur 
Seite,  so  besonders  Ottilie  Eckermann,  Wilhelm  Biel  und 
Mansfeldt. 

Von  „Klipp  und  Klapp"  (1882)  bis  „Amors  Droschke" 
(1892)  ist  ein  Dezennium  lustigster  plattdeutscher  Komödie. 
Aber  leider  hat  Carl  Schultze  eines  nicht  verstanden,  was 
so  viele  bedeutende  Künstler  durchgesetzt  haben.  Er  hat 
nicht  Schule  gemacht!  Die  eigene,  besondere  hambur- 
gische Komik  hat  keiner  von  denen,  die  ihm  nachge- 
folgt sind  und  unter  ihm  gelernt  haben,  nachzuahmen  ver- 
mocht. Und  das  ist  im  Interesse  der  Kunst,  die  Schultze 
bis  zu  seinem  Rücktritt  vom  Bühnenleben  vertrat,  lebhaft 
zu  bedauern.  Hätte  er  auch  nur  einen  ebenbürtigen  Nach- 
folger gehabt,  so  wäre  der  Verfall  der  plattdeutschen  Ko- 
mödie nicht  so  schnell  eingetreten,  wie  er  tatsächlich  er- 
folgt ist86. 

86  Arthur  Obst  im  Hamburger  Fremdenblatt  vom  15.  XII.  1912. 

375 


DIE  NIEDERLANDER 

„Wenn  man  mit  dem  dem  Niederländer  eigenen  Sinn  für 
Beobachtung  die  Aufmerksamkeit  auf  die  Vorfälle  des 
täglichen  Lebens  wendete,  so  lockten  die  darin  bemerkten 
Torheiten  mehr  zum  Darstellen  als  zum  Erzählen  heraus, 
weil  das  Komische  der  Natur  plastisch  ist.  Und  so  wurde 
neben  dem  Abele  spei,  dem  ernsten  romanischen  Drama, 
auch  die  Sotternie,  das  Lustspiel,  die  Posse  geboren,  die 
meistens  eine  treue  Abspiegelung  des  Volkslebens  und 
also  echt  national  ist1." 

Wie  überall,  so  ist  auch  hier  der  Anfang  des  Dramas 
auf  die  Misterien  zurückzuführen.  Bereits  im  elften  Jahr- 
hundert fing  die  Geistlichkeit  an,  „Mirakel-spelen"  in  der 
Weihnachtszeit  darzustellen.  Ein  Jahrhundert  später  be- 
teiligten sich  schon  Laien  an  diesen  Vorstellungen,  die  nun 
nicht  mehr  im  Kircheninnern,  auf  Markt  und  Platz  statt- 
fanden. Die  weltlichen  Darsteller  hießen  in  den  offziellen 
Berichten  „Ghesellen"  oder  „Ghesellen  van  den  speie". 
Ob  unter  diesem  Namen  die  Mitglieder  einer  Brüderschaft, 
einer  Gilde  oder  einer  Schauspielergesellschaft  gemeint 
sind,  ist  unentschieden. 

Die  Bühne  auf  offener  Straße  glich  vollkommen  der  in 
England  und  Deutschland.  Die  Abele  speien  und  Sot- 
ternien  wurden  aber  auch  vielfach  im  oberen  Stockwerk 
oder  auf  dem  großen,  offenen  Boden  eines  Hauses  zur  Auf- 
führung gebracht. 

Unter  den  aus  alter  Zeit  erhaltenen  Stücken  befinden 
sich  auch  sechs  Possen.  Sie  stammen  aus  der  Mitte  des 
vierzehnten  Jahrhunderts.  In  ihnen  sind  die  Sitten  der 
Bürgerschaft  verspottet,  während  in  den  ernster  gehaltenen 
Abele  speien  die  Fehler  der  höheren  Stände  gegeißelt 
werden. 

Bei   der  Aufführung   folgte   gewöhnlich   auf   das  Abele 

1  W.  J.  A.  Jonckbloets  Geschichte  der  niederländischen  Literatur.    Über- 
setzt von  Wilh.  Berg,  Leipzig  1870,  I.  Bd.,  S.  303. 
376 


Albert   Blumenreich 

als  das  Feiste  Lachen  in  Maurice  Maeterlincks  „Blauer  Vogel" 

im  Berliner  Deutschen  Theater 

Hans  Böhm  phot. 


speien  eine  der  Possen,  Klucht  genannt.  Es  ist  dies  die 
Abkürzung  für  sötte  Klucht,  d.  h.  die  komische  Abteilung 
der  Vorstellung2. 

Die  sechs  vorhandenen  Possen:  „Die  bussenblaser",  „Die 
sotternie  van  Lippijn",  „Die  hexe"  „Drie  daghe  here", 
„Die  truwante"  und  „Rubben"  schildern  Szenen  aus  dem 
untersten  Volksleben.  Sie  sind  höchst  einfach  erfunden, 
da  meistens  nur  ein  einziger  Vorfall,  eine  einzige  Torheit 
auf  die  Bühne  gebracht  wird,  wobei  es  sich  weder  um  in- 
dividuelle Charakterzeichnung  noch  um  die  Aufstellung 
und  Lösung  einer  verwickelten  Intrige  handelt.  Ihr  Ver- 
dienst liegt  nicht  in  ihrem  Inhalt,  sondern  beschränkt  sich 
ebenso,  wie  es  mit  der  echten  Volksproke  —  dramatisch 
vorgetragenen  Gedichten  —  der  Fall  ist,  ganz  und  gar  auf 
die  Lebendigkeit  der  Darstellung  und  die  Frische  des  Ko- 
lorits, womit  die  aus  dem  Leben  gegriffenen  Zustände 
geschildert  werden.  Ich  teile  den  Inhalt  des  „Rubben" 
mit,  um  eine  Idee  von  dem  in  allen  herrschenden  Ton  zu 
geben. 

Ein  Bauer  beklagt  sich,  daß  er  erst  seit  drei  Monaten 
verheiratet  sei  und  daß  ihm  doch  schon  seine  Frau  einen 
Nachkommen  geschenkt  habe.  Als  er  darüber  mit  seinem 
Schwiegervater  spricht,  rechnet  ihm  dieser  vor,  wie  er  voll- 
kommen unrecht  habe,  sich  zu  beunruhigen.  Er  müsse  die 
drei  Monate  seiner  Freierei  rechnen,  dann  die  Nächte  seiner 
Ehe,  die  wiederum  drei  Monate  ausmachten.  Das  gibt  zu- 
sammen neun.    Der  Narr  fühlt  sich  nun  sehr  glücklich. 

Diese  Posse,  deren  Inhalt  in  die  deutschen  Schwank- 
bücher übergegangen  oder  aus  ihnen  entnommen  ist,  hat 
sich  in  einer  späteren  Bearbeitung  noch  Jahrhunderte  lang 
auf  der  holländischen  Bühne  erhalten. 

Es  kam  für  die  Niederlande  die  Zeit,  in  der  spanischer 
Glaubenseifer  jedes  Lächeln  von  den  Lippen  der  unter 
dem  Kreuzeszeichen  mit  Schwert  und  Feuer  verfolgten 
Holländer  scheuchte.     Nur   das  geistliche  Drama  tauchte 

*  Jongbloet,  S.  310. 

377 


hier  und  da  auf,  mit  recht  schüchternen  Ansätzen  zur  Komik, 
die  auch  hier  mit  der  Person  des  Teufels  verknüpft  war. 

Sowie  der  feste  Druck  nachgelassen  und  die  Fanatiker 
mit  ihren  Henkern  das  Land  verlassen,  regte  sich  allüberall 
die  fast  erstorbene  Lebenslust.  Das  gewaltsam  niederge- 
beugte Volkstum  richtete  sich  wieder  auf,  und  die  Daseins- 
freude, nicht  überschäumend  und  laut  wie  beim  impulsiven 
Südländer,  sondern  behäbig,  wie  es  dem  etwas  pedantisch 
veranlagten  Holländer  entspricht,  betätigte  sich  durch 
Gründung  von  Vereinen,  in  denen  das  Nationale  scharf 
betont  wurde.  Gleich  den  Meistersinger-Schulen  auf  deut- 
schem Boden  schlössen  sich  allenthalben  in  Holland  Hand- 
werker und  Bürgersleute  zusammen,  um  die  Dichtung  zu 
pflegen  und  zum  Ruhme  des  Vaterlandes  und  zum  eigenen 
zu  singen  und  zu  sagen. 

Jede  Stadt,  fast  jedes  Dorf  hatte  eine  solche  „gilde  van 
Rethorijcke",  deren  Mitglieder  sich  einerseits  als  Schützen 
im  Gebrauch  der  Waffen  übten,  dann  die  Schützenfeste 
und  sonstige  Gelegenheiten  benutzten,  um  Tragödien,  Ko- 
mödien, Esbattements,  Balladen,  Lieder  und  Refrains  zu 
dichten  und  aufzuführen.  Die  Mitglieder  dieser  Gilden 
wurden  „Rederijkers"  genannt. 

Einzelne  dieser  „Kammern  von  Rhetorica"  ließen  bald 
das  Schlepptau  der  Schützengilden  fahren  und  veranstal- 
teten nur  literarische  Feste  in  ihrem  Wohnort  und  den 
Nachbarstädten.  Häufig  fand  sich  zu  einer  solchen  Tagung 
eine  beträchtliche  Anzahl  von  Kammern  selbst  aus  ent- 
fernten Gegenden  zusammen,  um  ein  „Landjuweel",  dies 
der  Name  solcher  Bundestage,  abzuhalten. 

Bei  den  Auf-  und  Umzügen  an  solchen  Festen  fehlte 
der  Narr  niemals.  Wie  sein  französischer  Kollege  hieß  er 
„Sot"  oder  „Zot".  Er  hatte  nicht  selten  einen  Teil  des 
Programms  bei  den  Aufführungen  zu  bestreiten. 

Bei  einem  Landjuweel  in  Amsterdam  hatte  der  Zot  der 
Violieren  alle  anderen  Narren  auf  die  Bühne  oder  in  das 
378 


Spielhaus  einzuladen,  um  zu  erproben,  wer  den  Preis  im 
Trinken  davontragen  würde.  Dabei  führten  die  Narren 
dann  ihre  Possen  auf. 

Die  Rederijker  selbst  stellten  Singspiele,  Possen,  Balladen 
und  Refrains  dar. 

Die  „Comedien  ofte  esbattementen"  sind  die  fidelen 
Nachfolger  der  alten  Possen  des  vierzehnten  Jahrhunderts, 
von  denen  sie  weder  in  Analogie  noch  in  Tendenz  ab- 
weichen. 

„Man  führte  noch  immer  Bilder  aus  dem  Volksleben 
auf.  Sie  sind  sämtlich  ohne  viel  Verwicklung  verfaßt, 
eigentlich  nur  dramatisierte  Sproken,  in  denen  Mißbräuche 
und  Mängel  in  naiver  Unverhülltheit  ans  Licht  gezogen, 
aber  eben  dadurch  scharf  hergenommen  werden.  Sie  mögen 
deshalb  wohl  oft  von  sehr  zügellosem  Inhalt  und  unzarter 
Behandlung  sein,  aber  man  erhält  auch  bei  ihnen  den  Ein- 
druck, daß  nicht  Erregung  der  Leidenschaft,  sondern  Sitten- 
geißelung, also  Besserung  das  Ziel  der  Dichter  war3." 

Die  meisten  dieser  Possen  sind  verloren  gegangen  und 
die  Namen  der  Verfasser  vergessen. 

Zu  den  wenigen,  die  bekannt  blieben,  zählt  Kornelius 
Everaert  aus  Brügge.  Er  schrieb  von  1509  an  Esbatte- 
menten und  Aafelspelen  (Tischspiele),  die  bei  Gast- 
mählern zwischen  den  einzelnen  Gängen  aufgeführt  wur- 
den. Ungefähr  dreißig  von  ihnen  haben  sich  handschrift- 
lich erhalten. 

Um  dieses  Genre  kennen  zu  lernen,  gebe  ich  hier  eine 
flüchtige  Übersicht  eines  dieser  Stücke  des  „Stout  ende 
Onbescaemt"  („Keck  und  unverschämt"). 

Das  Stück  beginnt  mit  dem  Monolog  einer  Frau,  die 
über  ihren  Mann  klagt. 

Die  juecht  noch  vruecht  er  heift  in  tlijf,  während  sie 
selbst  sich  als  „een  wel  lustich  wijf"  bezeichnet.  Sie  will 
sich  gern  von  einem  anderen  unterhalten  lassen,  und  wäre 
er  „coster  of  clerc".     In   dieser  Stimmung  trifft   sie   der 

1  Jongbloet,  S.  397. 

379 


Küster  des  Dorfes,  und  beide  werden  bald  einig-,  nachts 
in  der  Scheuer  zusammen  zu  kommen,  wo  ein  „aerdich 
chierken"  von  gutem  Essen  und  Wein  bereit  stehen  soll. 
Unterdessen  bricht  der  Abend  herein.  Zwei  Spielleute, 
Stout  und  Onbescaemt,  suchen  Nachtherberge.  Sie  klopfen 
bei  der  Frau  an,  werden  aber  mitleidlos  abgewiesen.  Die 
beiden  schleichen  darauf  in  die  Scheuer  und  legen  sich 
dort  zur  Ruhe.  Gegen  zehn  Uhr  kommt  das  verliebte 
Paar,  und  nun  spielt  sich  eine  Szene  ab,  gegen  die  der 
fünfte  Auftritt  im  vierten  Akt  von  Molieres  „Tartüff"  ganz 
harmlos  ist.  —  „My  dunct,"  sagt  der  eine  Musikant,  „tsal 
gaen  bruloft  wesen."  „Ja,"  flüstert  der  andere  »en  ic  zal  de 
bruloft  pypen."  Und  wirklich  fangen  sie  zu  pfeifen  und 
zu  trommeln  an,  daß  die  Scheuer  erbebt.  Weib  und 
Küster  fliehen  vor  Schreck  auf  und  davon,  denn  sie  meinen, 
daß  es  der  „necker  is  öfte  eenich  an  der  ghedrochte". 
Darauf  verschmausen  die  zwei  Landstreicher  wohlgemut  die 
zurückgelassenen  Leckerbissen.  Am  andern  Tag  gehen  sie 
zu  der  Frau  und  heischen  Bezahlung-  für  die  Brautmusik. 
„Uut  ontsienisse  by  bedwanghe"  (aus  Furcht  vor  Zwang) 
ist  sie  genötigt,  ihnen  den  Willen  zu  tun.  Das  Stückchen 
schließt  mit  Onbescaemts  Moralisation : 

„Ofse  alle  zo  voeren,  die  zijn  van  dien, 

Sen  zouden  sulc  werck  niet  so  lichte  ghetemen!" 

Die  Begründer  des  holländischen  Lustspiels  sind  Ger- 
brand Adriaanse  Brederoo  und  der  Arzt  Dr.  Samuel  Coster, 
beide  aus  Amsterdam. 

Brederoo  (1585 — 1618)  war  von  Beruf  Maler,  aber  er 
bekennt:  „ich  habe  von  Kindesbeinen  an  die  liebliche 
Poesie  jedem  andern  süßen  Zeitvertreib  vorgezogen". 

Nach  fremdem  Muster  belebte  Brederoo  seine  Trauer- 
spiele durch  komische  Figuren,  die  als  Kontraste  zur  Haupt- 
handlung wirkten.  Sie  gehören  meist,  wie  Nieuwen-Haan 
und  Juffrou  Griel  Smeers  in  dem  Drama  Roderich,  dem 
Amsterdamer  Pöbel  an,  sind  aber  auch  dem  Bauernstand 
entnommen. 
380 


Sprechen  die  tragischen  Personen  in  Alexandrinern,  so 
brauchen  die  komischen  zwanglose  Verse,  die  sich  nur 
durch  den  Reim  von  Prosa  unterscheiden,  denn: 

Daß  nie  ein  echter  Schwank  im  strengen 

Versmaß  sei, 
Der  Schwank  muß  sein  wie's  Volk,  ganz 

ungeniert  und  frei. 
Was  man  im  Drama  lobt,  das  wird  gerügt 

im  Schwank; 
Ein  Schwank  ohn'  festes  Maß  ist  erst  dem 

Volk  zu  Dank. 

Brederoo  nahm  das  komische  Element  in  den  Organis- 
mus des  Stückes  auf  und  machte  dadurch  im  Gebiete  der 
Dramatik  einen  großen  Schritt  vorwärts.  Die  ersten  Früchte 
dieser  neuen  Richtung  sind  einige  kleinere  Possen,  die  1612 
und  1613  erschienen,  nämlich:  de  Klucht  van  de  Koe, 
Symen  sonder  soeticheyt  und  Van  de  Meilenaer. 

In  der  ersten  Klucht  läßt  sich  ein  Bauer  von  einem 
Dieb  seine  eigene  fette  Kuh  entwenden,  die  er  selbst, 
ohne  sie  zu  erkennen,  für  seinen  neuen  Kameraden  zum 
Markt  bringt  und  verkauft.  Das  Komische  entsteht  durch 
die  hohe  Meinung,  die  der  betrogene  Bauer  von  seiner 
Weisheit  hat,  indem  er  alles  und  alles  von  oben  herab 
kritisiert. 

Symen  sonder  soeticheyt  behandelt  die  Liebeleien  eines 
angejahrten  Burschen  mit  Tochen  Rührmichnichtan,  einer 
überschlauen  Dirne.  Das  Zwiegespräch  des  altmodischen, 
geizigen  Galans  mit  seiner  Angebeteten  ist  voll  unge- 
künstelter Natur  und  dem  Leben  in  den  niederen  Bürger- 
klassen getreulich  abgelauscht. 

Endlich  die  Klucht  van  de  Meulenaer:  Trine  Jans,  eine 
Bürgerin,  findet  abends  das  Stadttor  geschlossen.  Da  sie 
in  keine  der  verrufenen  Herbergen  gehen  will,  ruft  sie  die 
Gastfreundschaft  des  Müllers  Schlaupeter  und  dessen  Frau 
an.    Bei  der  ersten  Begrüßung  der  Frauen  fehlt  natürlich 

381 


eine  zungenfertige  Abhandlung  über  die  Männer  und  die 
Dienstbotenplage  nicht.  Peter,  für  Seitensprünge  sehr  ein- 
genommen, macht,  da  seine  Frau  die  Kinder  zu  Bett  bringt, 
Trine  krampfhaft  den  Hof.  Erst  weist  sie  ihn  wortreich 
ab,  dann  geht  sie  scheinbar  auf  sein  Verlangen  ein  und 
verspricht,  ihm  die  Türe  zu  öffnen,  wenn  seine  Frau  schläft. 
Nun  kommt  die  Verwechslungskomödie.  Die  Müllerin  nimmt 
Trines  Platz  ein,  und  der  Knecht  tut  auf  Veranlassung 
Schlaupeters  allerlei,  daß  ihn  der  Müller  Knall  und  Fall 
wegjagen  muß. 

Ebenso  nachhaltigen  Einfluß  auf  die  Entwicklung  der 
niederländischen  Literatur  wie  Brederoo  hat  Dr.  Samuel 
Coster  ausgeübt. 

Bald  durch  sein  Trauerspiel  zerschmilzt  die  Menge 

in  Tränen, 
Dann  jubelt  man  vor  Lust,  wenn  seine  Feder  lacht. 

Der  Schwerpunkt  seines  Könnens  lag  im  Komischen,  das 
er  ebenso  für  seine  kirchlich-politischen  Ideen  wie  für  seine 
humanen  Bestrebungen  ausnützte.  Seine  „Akademie",  das 
Institut,  in  dem  er  seine  und  anderer  Autoren  Stücke 
herausbrachte,  war  ganz  in  den  Dienst  der  Wohltätigkeit 
gestellt. 

Eine  seiner  ersten  Possen,  1612  aufgeführt,  war  „Boero- 
klucht  van  Teeuwis  de  Boer  en  men  Juffer  van  Grevelinck- 
huysen",  eine  Paraphrase  über  das  Sprichwort:  Das  schlechte 
Holz  brennt  auch,  wenn  es  nur  ans  Feuer  kommt. 

Der  Inhalt,  dem  wir  gleichfalls  in  deutschen  Schwank- 
büchern begegnen,  ist: 

Die  Frau  sieht  des  Mannes  Fahrt  mit  Holz  nach  dem 
Haag  nicht  gern,  denn  sie  weiß  es: 

„Er  hat  'ne  schwache  Seit'. 
Er  sieht  die  Frau'n  zu  gerne"; 
und   mit  leichten  Dirnen,   sagen    ihr   die  Nachbarweiber, 
„wird  er  sein  letztes  Geld  verthun".   Deshalb  gibt  sie  ihm 
den  Jungen  zum  Aufpassen  mit. 
382 


Junker  Berent  van  Grevelinckhuyzen,  für  den  des  Bauern 
Holz  bestimmt  war,  ist  ein  Drenthenscher  „Flegel",  der 
sich  in  einem  halbdeutschen  Dialekte  mit  seinem  Adel 
und  seinen  feinen  Sitten  großtut,  während  er  doch  in  Wirk- 
lichkeit aufbrausend  und  ungeschlachtet  ist.  Seine  Frau  hat 
ihn  nur  wegen  seiner  Batzen  geheiratet  und  sich  darin 
schmählich  betrogen ;  er  ist  überdies  ein  viel  zu  „melancho- 
lischer" Mann  für  seine  lustige  Frau. 

Während  der  Junker  auf  der  Jagd  ist,  kommt  der  Bauer 
mit  seiner  Fuhre  Holz  an  der  Hintertüre  an,  wo  er  seinen 
Jungen  warten  läßt,  um  sich  selbst  an  der  Vordertüre  an- 
zumelden. Er  sieht  Vrouw  Meyken  am  Fenster  und  findet 
solches  Wohlgefallen  an  ihr,  daß  er  „Roß  und  Wagen" 
dafür  geben  wollte,  wenn  er  nur  ein  Weilchen  bei  ihr  sein 
könnte.  Sie  hört  dies  und  läßt  ihn  zu  sich  rufen.  Es  wird 
bald  deutlich,  daß  sie  ihn  beim  Worte  genommen  hat, 
denn  sie  schickt  nach  Jean  Soetelaar,  dem  Roßhändler; 
sie  wolle  ihm  ein  Gespann  Pferde  verkaufen,  er  möge 
schnell  kommen  und  bares  Geld  mitbringen. 

Der  Bauer  bereut  gar  bald  den  Handel,  bei  dem  er 
Pferd  und  Wagen  eingebüßt  hat;  denn  nun  muß  er  sich 
„von  seinen  eigenen  Untertanen"  nach  Hause  tragen  lassen. 
Dennoch  wagt  er  über  das  Vorgefallene  nicht  zu  mucksen, 
kann  er  ja  sogar  deswegen  noch  beim  Amtmann  verklagt 
werden!  Und  Pferde  verloren,  Wagen  verloren!  . .  .  Wie 
würde  seine  Frau  toben !  Er  überlegt,  was  zu  tun  sei  und 
faßt  den  Entschluß,  seinen  Advokaten  Mr.  Bartelt  um  Rat 
zu  fragen. 

Der  Advokat,  der  etwas  an  ihm  verdienen  will,  macht 
ihm  erst  vor  der  Strafe  angst,  die  auf  seinem  Verbrechen 
steht,  und  droht  ihm,  seinem  Neffen  van  Grevelinckhuyzen 
alles  wieder  zu  sagen.  Während  sie  noch  vor  des  Junkers 
Türe  stehen,  kommt  dieser  von  der  Jagd,  und  der  Bauer 
verspricht  dem  Rechtsgelehrten  „ein  Paar  alte  Nobels", 
wenn  er  schweigt.  Da  ihm  der  Junker  sehr  nahe  auf  den 
Leib  rückt,  fleht  der  schlaue  Bauer: 

383 


„Meister  Bartelt,  Meister  Bartelt,  nehmt  meine  Geld- 

tasch'  hin,  nur  sprecht  nicht  von  der  Frau; 
Die  ganze  Geldtasch'  nehmt,  sag'  ich;  in  acht  Tagen 

hol  ich  sie  wieder  weg 
Und  nehm'  den  Rest  zurück;  nur  sprecht  zur  Gut' 

ein  Wort, 
Nur  laßt  mich  zu  meinem  Herrn  gehn,  ich  will  ihm 

einen  Possen  spielen." 

Und  nun  macht  er  dem  Junker  weis,  daß  Mevrouw, 
weil  etwas  Krüppelholz  unter  seiner  Ladung  gewesen,  so 
böse  geworden  sei,  daß  sie  ihm  Pferd  und  Wagen  fort- 
genommen habe,  und  daß  er  eben  mit  dem  Advokaten 
gesprochen,  um  sie  auf  andere  Gedanken  zu  bringen.  Die 
gnädige  Frau  wird  gerufen  und  erklärt,  daß  sie  dem  Bauer 
nur  hat  bang  machen  wollen;  sie  wolle  aber  in  Zukunft 
nichts  mehr  von  seiner  Ware  haben. 

„Ihr  werdet's  noch  bereuen,  daß  Ihr  Euch  nicht  mit  mehr 
verseht",  sagt  Teeuwis  keck,  und  der  Junker  stimmt  ihm  bei: 

„Ja,  wahrlich,  Teeuwis,  dein  Holz  ist  gut,  wir  wollen 
noch  mehr  davon." 

Der  Bauer  läßt  sich  von  dem  Advokaten,  der  doch 
seine  Tasche  zum  Pfände  hat,  einen  halben  Gulden  geben 
und  macht  sich  aus  dem  Staube.  Dr.  Bartelt,  der  sich 
sehr  darüber  freut,  daß  sich  hier  so  mancher  hat  betrügen 
lassen,  bemerkt  bald,  wie  auch  er  angeführt  ist,  denn  in 
der  Tasche  sind  nur  Steine. 

Die  Moral  ist  nicht  schwer  zu  finden: 

Denn  es  ist  wohl  ein  gut  Ding,  dem  Volke 

zu  lehren 
Wie  die  Schelmerei  doch  bringet  Schand' 

und  Unehren, 
Und  daß  der,  der  And're  will  täuschen 

durch  List, 
Von  denen,  die  er  will  betrügen,  der 

Betrogene  istl 
384 


Fastnachtstreiben   mit   Comedia   dell'arte 
Kupfer  von  Adrian  Collaert  nach  Josse  de  Momper 


An  Jan  Steens  Gemälde,  die  ernste  Gedanken  durch 
lustige  Szenen  hervorschimmern  lassen,  erinnert  Costas 
„Tijsken  van  der  Schilden". 

Ein  Kapitän  und  seine  Frau  verschlemmen  ihr  Vermögen. 
Um  weiter  gut  leben  zu  können,  wird  der  Kapitän  zum 
Räuber  und  stirbt  am  Galgen. 

„Aber  es  ist  nicht  genug,  den  Schauspielern  zuweilen 
einige  Witze,  unfein  oder  nicht,  in  den  Mund  zu  legen  oder 
irgendeine  zweideutige  Geschichte  zur  Zwerchfellerschütte- 
rung der  niederen  Bürgerschaft  dienen  zu  lassen.  Der 
wahre  Komiker  verschmäht  diese  Art  des  Realismus  nicht, 
aber  er  gibt  ihm  die  Kunstweihe,  indem  er  die  komischen 
Situationen  aus  dem  Charakter  und  dem  Handeln  der 
lebensvollen  Figuren  entwickelt.  Und  wie  Coster,  aber 
zumal  Brederoo  sich  darin  auszeichneten,  wird  erst  recht 
klar,  wenn  man  ihre  Arbeit  mit  ähnlichen  Werken  ver- 
gleicht, die  zur  selben  Zeit  in  Amsterdam  aufgeführt 
wurden4."  So  z.  B.  die  berühmte,  am  21.  Januar  1629  zum 
erstenmal  gespielte  Posse  Claes  Kloet  von  C.  Biestkens. 

Claes  ist  ein  eitler  Schmied.  Eine  alte  Jungfer  sucht 
ihm  durch  Zauberkünste  Liebe  für  sich  einzuflößen,  aber 
er,  der  durchaus  keine  Lust  hat,  sich  von  ihr  fangen  zu 
lassen,  erschreckt  sie,  als  Teufel  verkleidet,  daß  sie  ins 
Wasser  läuft. 

Im  zweiten  Teil  lockt  sie  ihn  ins  Haus,  indem  sie  vorgibt, 
er  werde  darin  ein  Mädchen  finden,  das  in  ihn  verliebt  sei. 
Dort  erhält  er  aber  nur  eine  gehörige  Tracht  Prügel. 

Im  dritten  Teil  finden  wir  ihn  mit  einem  Mädchen  aus 
der  anrüchigen  Lepelstraße  in  Antwerpen  verheiratet.  Diese 
verläßt  in  der  Nacht  sein  Haus,  um  mit  einem  Freier  eine 
Nachtpromenade  zu  machen.  Als  Claes  dahinter  kommt, 
schiebt  er  den  Riegel  vor  die  Tür  und  sperrt  „Belle-Mayken" 
(Schön-Mariechen)  aus.  Das  schlaue  Weib  wirft  einen  Stein 
ins  Wasser,  um  Claes  weiß  zu  machen,  sie  sei  selbst  hinein- 
gesprungen und  ihn  dadurch  aus  dem  Haus  zu  foppen. 
4  Jongbloet  II,  S.  127. 

25  385 


Kaum  ist  er  draußen,  schlüpft  sie  selbst  hinein  und  schließt 
hinter  sich  ab.  Er  lärmt  und  wird  vom  Nachtwächter  aufge- 
griffen.   Endlich  kommt  aber  die  galante  Aufführung  de 
Frauenhäuslerin  ans  Licht,  und  sie  wird  dem  Amtmann  übe 
liefert. 

In  diesem  überaus  beliebten  Stück  zeigte  sich  schon  d 
Verfall  der  Posse.  Der  überwiegende  Teil  der  Gebildete 
sah  ohnehin  hochnäsig  auf  sie  herab.  Sie  galt  als  Zeitver 
treib  für  das  gemeine  Volk,  den  Pöbel,  dem  sie  Augen 
weide  bot,  im  Gegensatz  zur  noblen  Komödie,  die  den  Vor 
nehmen  zum  Ohrenschmaus  diente. 

Dem  Geschmacke  der   feinen  Welt  huldigte  Joost  va 
den  Vondel  (1587—1679),  Hollands  größter  Dichter.    Er 
mußte  sich  als  Strumpfhändler  nähren.    Van  den  Vondel 
hat  dem  Groteskkomischen  keinerlei  Konzessionen  gemacht. 
Seine  Stücke  sind  durchweg  pathetisch. 

Volkstümlicheres  lieferten  die  beiden  folgenden  Autoren. 

Der  Glaser  Jean  Vos  (etwa  1620—1667)  in  Amster- 
dam führte  das  Spektakelstück  auf  der  niederländischen 
Bühne  ein. 

Von  dem  höfischen  Konstantin  Huygens,  geboren  1596 
im  Haag  (f  1687)  ist  die  „Klucht  van  Tryntje  Cornelis" 
berühmt  geworden.  Er  betrachtete  sie  selbst  als  „Pfuscherei, 
die  er  nur  auf  wiederholtes  Andringen  aller  guten  Freunde" 
veröffentlicht  habe.  Sie  hatte  ihm  kaum  drei  Tage  Zeit 
gekostet,  „und  er  hatte  sie  angeblich  nie  für  die  Bühne 
bestimmt.  Er  hoffe,  daß  sie  ein  Kammerspiel  für  die 
Freunde  und  in  deren  Kammern  bleiben  möge5."  Der 
Inhalt  dieses  Kammerspiels  —  ich  betonte  den  Ausdruck, 
der  jetzt  in  Berlin  wieder  zu  neuem  Leben  erweckt  wurde 
—  ist  ziemlich  schlüpfrig. 

Claes  Gerritez,  ein  Saardamer  Schiffer,  fährt  nach  Amster- 
dam und  hat  seine  junge  Frau  Tryntje  Cornelis  mitgenom- 
men.  Während  er  die  Ladung  löscht,  geht  seine  Frau  in 

*  JongbloetS.  311. 
386 


e- 

i 


ihrem  reichen  Brautstaat  und  mit  wohlgefüllter  Börse  durch 
die  Stadt,  um  deren  Sehenswürdigkeiten  in  Augenschein 
zu  nehmen.    Sie  kommt  durch 

Die  Löffelstraß',  dem  Gäßchen  von  der  Minnen, 

Wo  nichts  als  Freude  wohnt,  und  freundliche  Huldinnen. 
Dort  fällt  sie  in  die  Hände  einer  der  „geschliffensten" 
dieser  Dirnen,  die  unter  dem  Beistand  ihres  Geliebten  die 
Unerfahrene  trunken  macht  und  glatt  ausplündert.  Schließ- 
lich glückt  es  der  resoluten  Frau,  den  Klauen  dieses 
Gesindels  zu  entschlüpfen. 

Der  Kontrast  zwischen  der  einfachen,  unerfahrenen  Nord- 
holländerin und  den  Prahlereien  der  pfiffigen  Brabanter 
Raubvögel  bildet  das  Groteskkomische  dieser  Posse. 

Mit  diesen  Dichtern  ist  das  nationale  Schaffen  vorläufig 
abgeschlossen.  Was  nun  folgte,  war  nichts  als  ein  Ab- 
klatsch von  Fremdem,  das  für  den  holländischen  Geschmack 
umgemodelt  wurde.  Französische  Sitten  breiteten  sich  in 
den  Niederlanden  immer  weiter  aus,  und  was  Erfolg  haben 
sollte,  mußte  nach  französischen  Schnitten  gearbeitet  sein. 
Die  bis  dahin  hochgehaltene  spanisch-romantische  Schule 
und  ihre  Wortführer,  wie  Lope  de  Vega,  unterlagen  den 
französischen  Dramen.  Man  war  überdies  prüde  geworden 
oder  tat  so  und  zuckte  über  das  Alte  die  Achseln. 

„Wenn  man  die  alten  Possen  jener  Zeit  liest,  sind  die 
nicht  so  schmutzig  und  skandalös  geschrieben, 

Daß,  böte  man  sie  jetzt  dem  Theater  an,  alle  ungespielt 
wären  geblieben?" 
sagt  Pieter  Langendijk  in  einem  seiner  Lustspiele  von  den 
Stücken  früherer  Tage.  Und  dieser  Pieter  Langendijk 
(1683 — 1750),  der  in  Harlem  als  Zeichner  für  Fabriken 
tätig  war,  wäre  der  richtige  Mann  für  ein  holländisches 
Nationallustspiel  gewesen,  wenn  er  nur  etwas  mehr  Eifer 
im  Suchen  nationaler  Stoffe  aufgewendet  hätte.  Der  Witz 
war  vorhanden.  So  aber  können  seine  Possen  und  Lust- 
spiele überall  entstanden  sein.  In  ihnen  ist  nichts  mehr  von 
dem  frischen  Hauch  der  Kampfeszeit  zu  spüren,   der   die 

25*  387 


Werke  Costers,  Brederoos  und  Vondels  durchzieht.  Sie 
suchen  absichtlich  so  gut  wie  die  ausländischen  zu  sein, 
von  denen  sie  die  Figuren  und  die  Szenenfolgen  entlehnen. 
Auch  die  englischen  Komödianten,  die,  wie  in  den  Nach- 
barländern, auch  in  Holland  ihre  Kunst  übten,  sind  nicht 
ohne  Einfluß  auf  Langendijk  und  die  dramatische  Pro- 
duktion der  ganzen  Epoche  geblieben. 

Im  Volke  behielt  der  Hanswurst  seine  eifrigen  und  treuen 
Bewunderer,  während   die  Gebildeten   nur  für  Frankreich 
und  dessen  Klassiker  schwärmten.   So  reich  auch  die  hol- 
ländische Literatur  des  achtzehnten  Jahrhunderts  an  drama- 
tischen Werken  war,   das  ausländische  Gut  überwucherte 
sie,  besonders  seit  der  französischen  Revolution,  die  auch 
in  den  Niederlanden  lebhaften  Widerhall  weckte. 
„Laßt  uns  die  Franzosen  zum  Vorbild  sein: 
Wie  schön  die  Sprache  dort!  wie  sittenreich,  wie  fein 
In  Anordnung,  in  Leidenschaft,  Gedanken, 
predigte  schon  der  pedantische  Andries  Pels,  der  Haupt- 
vertreter der  „dichtliebenden  Genossenschaft  Nil  volentibus 
arduum",  ein   niederländischer   Literaturdiktator   im  Sinne 
Gottscheds. 

Auch  die  großen  Deutschen  und  Engländer  fanden  viel- 
fach in  vortrefflichen  Übersetzungen  Einlaß  auf  der  hol- 
ländischen Bühne,  die  sich  erst  im  neunzehnten  Jahrhundert 
wieder  auf  ihr  Volkstum  besann  und  nationale  Dichter  zu 
Worte  kommen  ließ. 


SKANDINAVIEN 
Die  markanteste  Erscheinung  der  komischen  Bühnen- 
literatur Skandinaviens  ist  Ludwig  Holberg.  Die  Dänen 
betrachten  ihn  gern  als  den  Ihren,  während  die  Norweger 
ihn  eifrig  als  Landsmann  reklamieren.  In  dem  kleinen 
Bergen  ist  er  geboren,  doch  sein  Lebenswerk  entstand  in 
Kopenhagen,  dessen  typische  Gestalten  er  auf  die  Bühne 
brachte.  „Wäre  Kopenhagen  in  die  Erde  gesunken  und  nur 
Holbergs  Komödien  wären  zurückgeblieben,  so  würden  wir 
388 


das  Leben,  wie  es  sich  damals  innerhalb  seiner  Wälle  be- 
wegte, nicht  nur  im  großen  ganzen,  sondern  in  vielen 
seiner  kleinsten  Züge  gekannt  haben",  sagte  einer  der 
Nachfolger  Holbergs. 

Holbergs  (1684 — 1754)  ist  nicht  immer  originell.  Moliere 
ist  sein  Meister,  der  ihm  oft  die  Feder  führt.  Aber  die 
Tendenz  seiner  Stücke  ist  sein  Eigentum,  und  den  trockenen 
Humor  hat  er  vor  Moliere  voraus. 

Holberg  schöpfte  aus  drei  Quellen:  der  inneren  Beach- 
tung, der  Beobachtung  der  Umgebung  und  der  gedruckten 
Literatur1,  und  diese  drei  Quellen,  die  einander  nicht  nur 
ergänzen,  sondern  eine  die  andere  voraussetzen,  verliehen 
den  Holbergschen  Figuren  die  Ähnlichkeit  guter  Photo- 
graphien. Er  macht  das  Lächerliche  seiner  Landsleute  noch 
lächerlicher  in  der  deutlichen  Absicht,  „eine  gute  und  nütz- 
liche Moral  zu  geben",  die  sich  aber  niemals  pedantisch 
aufdrängt.  „Der  Feenwagen  des  Humors  ist  nicht  zugleich 
als  Packetpost  für  Moral  und  gute  Sitte  benutzt2." 

Wie  treulich  Holberg  die  Verhältnisse  seiner  zweiten 
Heimat,  die  Schäden  und  Unsitten  nachzeichnet,  hat  Georg 
Brandes  zum  Gegenstand  einer  kulturgeschichtlichen  Unter- 
suchung gemacht,  die  er  mit  den  Worten  abschließt :  „So 
sehen  wir  denn  Holberg,  ohne  sich  imponieren  zu  lassen, 
ohne  entrüstet,  betrübt  oder  gerührt  zu  werden,  ohne 
sich  in  Empfindelei  zu  verlieren  —  kraft  der  Unerschrocken- 
heit  und  Kaltblütigkeit  seines  heiteren  Humors  alles  zur 
Komik  zu  verwandeln8." 

So  viele  literarische  Vorlagen  auch  Holberg  benutzt, 
von  Plautus  und  Aristophanes  bis  Shakespeare,  Moliere 
und  die  italienische  Harlekinade,  der  er  lachenerregende 
Theaterfinten,  Motive  zu  Prologen  und  Episoden,  Lazzi, 
Sprachvermengungen,  symetrischen  Redewechsel,  Hervor- 
hebungen durch  Wiederholungen,    parodistische    und   un- 

1  Georg  Brandes,  Ludwig  Holberg  und  seine  Zeitgenossen.  Berlin  1885, 
S.  163.  —  2  Holberg,  Komödien,  herausgeg.  von  Robert  Prutz,  Hild- 
burghausen und  Leipzig,  Vorwort.  —  3  A.  a.  O.,  S.  183  ff. 

389 


wahrscheinliche  Züge,  Übertreibungen  usw.  entnahm  —  all 
dies  ist  nur  Material.  Er  beachtet  nur  den  Fingerzeig,  die 
Art,  wie  er  ihm  folgt,  ist  sein  unbestreitbares  Eigentum. 
Holberg  ist  zweifellos  das  größte  Lustspiel  -  Genie 
der  Skandinavier,  und  es  entbehrt  nicht  der  Tragik,  daß 
„der  starke  Mann",  Herr  v.  Eckenberg,  der  in  der  Ber- 
liner und  Frankfurter  Theatergeschichte  eine  Rolle  spielte, 
Holbergs  Wirken  ein  Ende  machen  sollte.  Er  zog  mehr 
als  Holbergs  Meisterwerke.  Wie  dieser  Akrobat  machten 
Ghewardis  italienisch-französische  Farcen  dem  dänischen 
Theater  Konkurrenz,  und  pfäffischer  Zelotismus  tat  das 
seine,  die  junge  dänische  Schaubühne  zu  vernichten.  Auch 
der  Hof  Christian  VI.  schlug  sich  zu  den  Gegnern  des 
Theaters.  Am  30.  August  1755  schrieb  der  König  einen 
Brief,  in  dem  es  heißt:  „In  Glückstadt  sollen  Komödianten 
seyn,  die  den  Leuten  Geld  aus  der  Tasche  ziehn,  es  wäre 
wohl  gut,  daß  der  Magistrat  befehlen  würde,  Selbige  fort- 
zuschaffen; denn  es  kommt  doch  nichts  Gutes  dabei  her- 
aus4." Daß  der  Geschmack  des  Königs  und  seine  religiösen 
Prinzipien  nunmehr  den  absoluten  Verfall  der  dramatischen 
Poesie  in  Dänemark  herbeiführten,  das  war,  wie  ein  Be- 
wunderer Christian  VI.,  Jens  Möller,  selbst  zugesteht, 
„umsomehr  ungelegen,  als  Dänemark  damals  sein  größtes 
komisches  Genie  besaß,  und  Holberg  damals  (1730)  noch 
in  dem  Alter  war,  daß  er  manch  ein  unsterbliches  Lust- 
spiel hätte  hervorbringen  können." 

Als  nach  zwanzigjähriger  Pause  das  dänische  Theater 
wieder  eröffnet  wurde,  war  Holbergs  Kraft  gelähmt.  Seine 
ersten  Stücke  galten  als  zu  plump  und  altmodisch,  und 
die  neuen,  die  er  jetzt  schrieb,  nahmen  zu  viele  Rück- 
sichten auf  den  Geschmack  des  Publikums,  enthielten  zu 
viele  Mache,  um  den  Wert  der  alten,  ohne  Hemmungen 
entstandenen,  zu  erreichen.  Man  vergleiche  mit  den  Stücken 
der  alten  „Schaubühne"  einmal  den  „Plutus".  Dort  heißt 
es  im  zweiten  Akt,  Szene  5  und  6: 

*  Brandes,  S.  233  f. 
390 


„Die  Prozession  schreitet  3 mal  ums  Theater  nach  dem 
Takt  der  Musik.  Zwischen  jedem  Rundgang  bleibt  der 
Zug  ein  wenig  stehen  und  singt :  Vivat  Plutus !  unter  Be- 
gleitung von  Trommeln  und  Trompeten.  Endlich,  wenn 
der  dritte  Umzug  vorüber,  führen  drei  Tänzer  einen  kunst- 
vollen Tanz  auf.  Diogenes,  der  von  einem  Winkel  aus  zu- 
sieht, schneidet  Grimassen  und  ahmt  die  Tänzer  nach.  End- 
lich holt  er  eine  Karbatsche,  womit  er  sie  prügelt  und  sie 
forttreibt.  Sie  schreien  kläglich.  —  Diogenes  tanzt  höchst 
possierlich  mit  seinen  Holzschuhen  nach  der  traurigen  Me- 
lodie eines  Dudelsackes  oder  einer  Drehorgel.  Mitten  unter 
dem  Tanz  kommt  Plutus  herein,  und  das  Spiel  hört  auf. 
Aber  Diogenes  fährt  fort  zu  tanzen!" 

Der  große  Dramatiker  ist  bei  der  Hanswurstiade  ge- 
strandet.   Wie  mag  sein  Herz  geblutet  haben! 

Holberg  steht  einzig  da  in  der  Literatur  des  skandina- 
vischen Nordens.  Peters  Anders  Heiberg  (1758 — 1841) 
und  Johann  Ludwig  Heiberg  (1791 — 1860),  beide  fein- 
komische Lustspieldichter,  haben  an  dem  Wiederaufbau 
der  dänischen  Lustspielbühne  wacker  gearbeitet.  Aber  ein 
zweiter  Holberg  ist  ihr  niemals  wieder  erstanden. 

SCHWEDEN 
In  den  ältesten  erhaltenen  schwedischen  dramatischen 
Spielen  tritt  schon  das  Drama  in  seiner  Dreiteilung,  als 
Bibel-  oder  Heiligenspiel,  Allegorie  und  Posse,  auf.  Ge- 
meinsam ist  ihnen  ihr  Charakter  als  Schulkomödien,  indem 
sie  nämlich  an  den  Schulen  und  Universitäten  entstanden 
und  für  das  Fassungsvermögen  und  den  Witz  der  Schüler 
berechnet  waren,  denn: 

Man  sei  nicht  immer  bös'  oder  bang, 
Man  schlag  auch  zuweilen  über  den  Strang, 
Gelehrsamkeit  mit  Lust  zu  schmücken, 
Gehört  zu  den  alten  gesetzlichen  Stücken  *. 

1  Ph.  Schweitzer,  Geschichte  der  skandinavischen  Literatur,  2.  Abteilung, 
Leipzig  o.  J.,  S.  106  f. 

391 


Der  Zweck  all  dieser  Stücke  war,  „die  Masse  des  Volkes 
verstehen  zu  lassen,  was  gute  Sitte  und  ein  ehrliches  Leben 
verlangen",  sagt  Olaus  Petri  in  der  Vorrede  zu  seiner 
„Tobiae  comedia",  die  zu  den  besten  schwedischen  Stücker 
des  sechzehnten  Jahrhunderts  gehört. 

Die  Possen  dieses  Zeitalters  sind  roh  und  derb  und  01 
kaum  genießbar.  Die  plumpen  Spaße  des  Hanswurste 
repräsentieren  das  volkliche  Element. 

Erst  im  folgenden  Jahrhundert  treten  vereinzelte  Komö- 
dien aus  den  Schulsälen  hinaus  unter  das  Volk,  indem  sie 
ihre  Stoffe  nicht  in  der  Bibel,  sondern  in  der  weltlichen 
Geschichte  und  der  Sage  suchen.  Es  ist  dies  die  verdienst- 
volle „Lustigh  Comödia  vidh  nampn  Tisbe"  des  Rektors 
Magnus  Olai  Asteropherus  (f  1647)  und  das  der  schwedischen 
Geschichte  entnommene  Drama  „Disa"  von  Johannes  Mes- 
senius  (1579—1637),  Professor  in  Upsala.  Messenius  hat 
sich  für  die  Form  Hans  Sachs  zum  Vorbild  genommen, 
ohne  ihn  erreichen  zu  können.  Seine  Komödien  sind  das 
Originellste  und  Nationalste,  was  Schwedens  Literatur  vor 
Stjernjelm  hervorgebracht  hat.  Besonders  glücklich  ist  der 
Dichter  in  einzelnen  Schilderungen  aus  dem  schwedischen 
Volksleben. 

Bald  darauf  fand  das  französische  klassische  Drama 
seinen  Weg  nach  dem  Norden  und  unterbrach  die  Ent- 
wicklung einer  nationalen  Dramatik. 

Im  Jahre  1737  wurde  ein  feststehendes  schwedisches 
Theater  gegründet  und  mit  der  Moliere  und  Holberg  nach- 
gebildeten lustig  satirischen  Originalkomödie  „Den  Svenska 
Sprätthöken"  (der  schwedische  Modenarr)  des  Grafen  Carl 
Gyllenberg  (f  1746)  eröffnet. 

Die  dramatische  Literatur  wuchs  nun  schnell  an,  bestand 
aber  meist  aus  Nachahmungen  und  Übersetzungen  fran- 
zösischer Vorlagen.  Auch  Holberg  stand  anfangs  in  hoher 
Gunst,  doch  bald  erschien  er  dem  besseren  Publikum  zu 
derb  und  unfein.  Die  bis  dahin  bevorzugten  deutschen  Vor- 
bilder traten  immer  mehr  hinter  den  englischen  und  fran- 
392 


zösischen  zurück,  denen  sie  bis  zum  Beginn  des  neun- 
zehnten Jahrhunderts  ganz  das  Feld  überlassen  mußten. 
Auch  von  diesem  Zeitpunkt  an  hat  Schweden  für  das 
Grotesk-Komische  nichts  Eigenartiges  und  Bemerkenswertes 
zu  liefern  vermocht. 

DIE  SLAWEN 
POLEN 

In  der  Vorzeit  war  das  Drama  in  Polen  das  Stiefkind 
der  Nationalliteratur.  Noch  im  sechzehnten  Jahrhundert 
gab  es  kein  slawisches  Drama,  weder  in  Polen  noch  in 
Böhmen.  Misterien  nach  internationalen  Mustern  und  schema- 
tische Schuldramen  genügten  den  literarischen  Ansprüchen. 
Im  Wallfahrtsort  Czenstochowa  wurden  bis  über  die  Mitte 
des  achtzehnten  Jahrhunderts  Osterspiele  aufgeführt.  Ab 
und  zu  focht  man  konfessionelle  Streitigkeiten  auf  drama- 
tischem Boden  aus,  doch  beschränkte  man  sich  hierbei  auf 
bloße  Dialogisierungen. 

Eigenartiger  war  die  sogenannte  „ Bettlertragödie",  die 
1552  ins  Tschechische  übersetzt  und  noch  im  siebzehnten 
Jahrhundert  nachgeahmt  wurde.  Sie  schildert  kraß  und 
drastisch  das  gottlose  Treiben  der  betrügerischen  Bettler. 

Der  Humanismus  machte  vergebliche  Anstrengungen, 
das  klassische  Drama  in  Polen  einzubürgern.  Nur  Cie- 
klinski  versuchte  mit  Glück  eine  antike  Komödie  Lemberger 
Verhältnissen  anzupassen,  wobei  er,  im  Gegensatz  zu  an- 
deren Humanisten,  ohne  Scheu  die  Laszivitäten  des  Terenz 
und  Plautus  beibehielt.  So  entstand  die  beste  polnische 
Farce  ihrer  Zeit. 

Von  1590  bis  1630  blühte  eine  Literatur,  die  in  volks- 
tümlicher Form  zu  belehren  suchte,  die  Leiden  des  Volkes 
offen  verhandelte  und  zu  religiösen  Fragen  Stellung  nahm. 
„Diese  ganze  Literatur  mußte  naturgemäß  in  Satiren  und 
Komödien  auslaufen,  und  ihr  bester  Vertreter,  Jurkowski, 
war  in  beiden  tätig:  sein  „polnischer  Scilurus"  (Vater, 
Söhne,  die  verschiedene  Lebenswege  einschlagen,  und  wie 

393 


es  jedem  ergeht)  zerflattert  zwar  in  Einzelszenen,  die  noch 
durch  komische  Intermedien  gesprengt  werden.  In  einem 
von  ihnen  unterhalten  sich  Diebe  in  der  Gaunersprache, 
die  wohl  zum  erstenmal  auf  die  Bühne  gebracht  worden 
ist.  Im  anderen  wurde  der  Gutsherr  persifliert,  der  fü 
den  Unterricht  seiner  Söhne  geizte,  für  seine  Hunde  d 
Geld  wegwarf1." 

Mit  dem  Wachstum  der  Jesuitenschulen  nahm  die  Bil 
düng  unter  dem  Adel  zu.  Ob  im  Norden  in  Riga,  oder 
an  der  Steppengrenze  in  Bar,  oder  am  Fuße  der  Kar- 
pathen  in  Krosno,  überall  waren  Sprache  und  Schulplan  in 
diesen  Anstalten  gleich.  Nur  in  den  grotesken  Zwischen- 
spielen wechselten  nach  der  Gegend  die  agierenden  ko- 
mischen Personen  aus  dem  Volke. 

Durch  mehr  als  ein  Säkulum  blieb  das  Drama  auf  die 
Schule  beschränkt,  denn  die  Städte,  die  berufensten  Pfleger 
eines  jeden  Dramas,  sanken  materiell  immer  tiefer.  Bei  den 
Jesuitendramen  entwickelte  sich  eine  feste  Form,  in  der 
den  Zwischenspielen  ein  breiter  Raum  zugeteilt  war. 

„Man  berührte  in  ihnen  Themen,  die  einem  Schuldrama 
völlig  fernbleiben  müßten.  In  der  Regel  begnügte  man 
sich  mit  der  Versifizierung  bewährter  Anekdoten  und 
wählte  dazu  Typen  aus  der  nächsten  Umgebung.  So  kamen 
die  litauischen  und  weißrussischen  Bauern,  der  russisch- 
polnisch radebrechende  Jude,  der  diebische  Zigeuner,  die 
auf  einen  Braten  lauernden  „Hofleute",  der  verschuldete 
Herr,  der  deutsche  Kolonist  mit  seinem  entsetzlichen  Pol- 
nisch, der  verschmitzte  Diener  oder  der  einfältige  Masure 
auf  die  Schaubühne.  In  der  Regel  wirkten  sie  durch  Ka- 
lauer und  Handgreiflichkeiten  aller  Art." 

Neben  diesem  ex  offo  gepflegten  Schuldrama  tauchten 
während  des  ganzen  Jahrhunderts  dramatische  Versuche 
anderer  Art  auf,  die  aber  meist  aus  Übersetzungen  und 
Nachahmungen  italienischer  und  französischer  Arbeiten  be- 
standen. 

1  Prof.  Dr.  A.  Brückner,  Gesch.  der  poln.  Literatur,  Leipzig  1901,  S.  125  ff. 
394 


en 


Nur  Stanislaus  Lubomirski  versorgte  das  Privattheater 
auf  seinem  Lustschloß  mit  Originalstücken,  in  denen  eine 
gewisse  dramatische  Ader  zu  finden  ist.  Er  zeigte  einen 
lebhaften  Sinn  für  derbe  Komik  und  stellte  sogar  in  die 
Schäferspiele  seinen  Vielfraß,  Lügner  und  Faulpelz  von 
Diener  hinein,  ebenso  in  die  von  ihm  dramatisierten  No- 
vellen Boccaccios. 

Weder  die  englischen  Komödianten,  die  der  alles  Deutsche 
liebende  Sigismund  III.  (1587 — 1632)  nach  Warschau  be- 
rief, noch  Italiener  und  Franzosen  vermochten  den  völlig 
unentwickelten  Sinn  der  Polen  für  das  Drama  zu  beleben. 
Es  blieb  bei  den  Versuchen  meist  bürgerlicher  Skribenten, 
die  den  Jesuitenschulen  nahe  standen. 

Als  beste  Arbeit  dieser  Art  ist  die  „Neue  Ribalden- 
komödie"  (um  1615)  eines  Ungenannten  zu  bezeichnen, 
„ein  ganz  vorzügliches  Stück  mit  geschlossener  Handlung, 
Einheit  von  Ort  und  Zeit,  mit  trefflicher  Charakteristik 
aller  Personen,  von  dem  lateinische  Brocken  einmengen- 
den Magister  bis  zum  Dialekt  von  Bauer  und  Frau." 

Magister  und  Kantor  leiden  Hunger  und  betteln  beim 
Bauer.  Da  kommt  ein  Soldat,  um  zu  plündern.  Der  Bauer 
ist  anfangs  trotzig,  wird  dann  aber  mürbe  vor  der  Über- 
zahl, die  noch  ein  Bettler,  eine  sehr  charakteristische  Er- 
scheinung, vergrößert.  Man  will  eben  zu  Tätlichkeiten 
übergehen,  als  der  „Albertus"  eintritt  und  alle  versöhnt. 
„Das  Stückchen  wäre  auch  heute  nicht  besser  zu  schreiben. 
Nur  die  Chöre  zwischen  den  Szenen  und  die  überflüssige 
Teufelsszene  mit  der  Bettlerin  mahnen  an  das  siebzehnte 
Jahrhundert2." 

Der  „Ribaldenkomödie"  entsprach  ganz  trefflich  Barykas 
„Aus  Bauer  ein  König"  (1637).  Sie  ist  die  uns  schon  so 
oft  begegnete  Schluck  und  Jau-Geschichte,  aber  unter  pol- 
nische Soldaten  und  Bauern  versetzt  und  mit  grotesken 
Zwischenspielen  ausgeziert. 

s  Brückner  S.  183. 

395 


Die  immer  tiefer  eingreifenden  politischen  Wirren  zogen 
einen  beispiellosen  Verfall  des  polnischen  Volkslebens  und 
damit  der  schöngeistigen  Betätigung  herbei. 

Die  Literatur  erstarb.  Die  Groteskkomik  fand  bei  den 
Geistlichen  gastliche  Aufnahme,  denn  sie  allein  standen 
unantastbar  über  dem  Wirrsal  der  Zustände.  In  Predigten 
flüchtete  sich  die  ungeschminkte  oder  grotesk-übertriebene 
Darstellung  des  Lebens.  Sie  quollen  über  von  heftigen  An- 
klagen, Satiren  und  saftigen  Schwänken,  „denn  der  altpol- 
nische Geistliche  liebte  den  jovialen  Ton  und  war  ein  gern 
gesehener  Gesellschafter,  besonders  die  Barfüßermönche, 
die  Bernhardiner,  die  sich  mit  dem  Bruder  Adel  um  die 
Wette  disziplinierten  und  betranken".  Der  „Questar"  mit 
seinen  Facetien  war  auf  seiner  Bettelfahrt  im  Lande  in 
jedem  Edelhofe  ein  gern  gesehener  Gast.  Er  verkörperte 
die  altpolnische  Lustigkeit,  die  selbst  den  gewagtesten 
Scherz  hinnahm,  wenn  er  nur  witzig  war. 

Dieser  nationale  Frohmut  schwand  aus  den  Schuldramen 
mehr  und  mehr  und  wurde  durch  komische  Szenen  aus 
Moliere  und  Regnier  recht  unvollkommen  ersetzt. 

Die  Versuche  der  Fürstin  Radziwill  und  ihres  Verwandten, 
des  Fürsten  Udalryk  Radziwill,  die  nationale  Dramatik  zu 
heben,  blieben  eben  nur  Versuche  und  ohne  Einfluß  auf  die 
Entwicklung  der  Literatur. 

Erst  von  Franz  Zablozki  rühren  die  Anfänge  des  echt  pol- 
nischen Lustpiels  her.  In  wenigen  Jahren  schuf  er  an  achtzig 
Stücke,  Eintagsfliegen,  durch  die  er  aber  der  langweiligen 
Unbedeutendheit  Durchdachtes  und  wirklich  Komisches 
entgegenzustellen  vermochte.  In  Possen  und  Farcen  hielt  er 
seinen  Landsleuten  scharfe  Spiegel  vor,  die  nicht  schmei- 
chelten. Mit  drastischen  Derbheiten,  selbst  Roheiten  sparte 
er  niemals,  wenn  es  der  Stoff  gebot. 

Beinahe  ebenso  fruchtbar  wie  Zablozki  war  der  frühere 
Offizier,  dann  Schauspieler  und  Theaterdirektor  Wojziech 
Boguslawski,  dessen  Volksstück  „Wunder,  oder  Krakauer 
396 


und  Gebirgsleute"  (1794)  als  das  erste  seiner  Art  das 
Publikum  geradezu  enthusiasmierte. 

Bald  darauf  brach  die  Zeit  der  „Klassiker"  Polens  an, 
die  für  das  Volkstümliche  nichts  übrig1  hatten. 

Erst  mit  Graf  Alexander  Fredro  (f  1876)  begann  eine, 
und  diesmal  die  richtige  Blüte  der  ernsten  polnischen 
Komödie.  Er  war  ihr  Schöpfer  und  zugleich  ihr  vorzüg- 
lichster Repräsentant.  Seine  Stücke  haben  bis  jetzt  nichts 
von  ihrer  Popularität  eingebüßt.  In  der  gesamten  Slaven- 
literatur,  sagt  Brückner,  ist  nur  noch  einer,  dessen  un- 
widerstehliche Vis  comica  man  mit  der  Fredros  verglei- 
chen könnte,  das  ist  Gogol.  Fredro  brachte  echte  Grotesk- 
komik auf  die  Bretter,  nahm  es  mit  Wahrscheinlichkeit 
und  Natürlichkeit  nicht  genau,  erreichte  aber  immer  sein 
Ziel,  Stürme  der  Heiterkeit  zu  erwecken.  Fredro  war  der 
größte,  vielleicht  der  einzige  echte  Bühnenhumorist  Polens. 

RUSSLAND 

Die  Geschichte  des  Grotesk-Komischen  auf  der  russi- 
schen Bühne  beansprucht  nur  geringen  Raum,  denn  sie  ist 
arm  an  bemerkenswerten  Ereignissen. 

In  Nowgorod  im  Norden  und  in  Kijew  im  Süden  war 
es  seit  dem  zehnten  Jahrhundert  im  Gebrauch,  in  der  tollen 
Woche,  der  Butterwoche,  sowie  am  Tage  des  Iwan  Kupalo 
öffentliche  Vorstellungen  zu  veranstalten,  in  denen  die 
heidnische  Vergangenheit  mit  ihren  Sitten  und  Göttern 
wieder  auflebte.  Durch  die  Wiederholungen  bildeten  sich 
Typen:  der  Gevatter  Lustigmacher,  die  Gevatterin,  der 
Zar  Rote  Sonne,  der  Hexenmeister,  die  Baba-Jaga,  der 
Hausgeist  Domowoj,  der  Waldteufel,  der  Wassergeist1. 

Im  Jahre  1672  wurde  von  dem  Zaren  Alexej  das  erste 
Theaterstück  in  russischer  Sprache  aufgeführt.  Der  pro- 
testantische Pastor  Gregory  hatte  „Esther  oder  die  Aktion 
vom   Artaxerxes"   nach  einem   Stück  der   englischen  Ko- 

1  Bernhard  Stern,  Geschichte  der  öffentlichen  Sittlichkeit  in  Rußland, 
Berlin  1907,  I,  S.  405. 

397 


mödianten  bearbeitet,  dem  weitere  folgten.  Vorher  war 
die  nordrussische  dramatische  Kunst  auf  drei  von  Geist- 
lichen in  der  Oster-  und  Weihnachtszeit  dargestellte 
kirchliche  Spiele  mit  den  üblichen  grotesken  Zutaten  be- 
schränkt gewesen.  Den  deutschen  Stücken  folgten  nach 
dem  bekannten  Schema  zusammengebaute  südrussische 
Misterien  von  Simeon  von  Polozk  und  Dimitrij  von  Ro- 
stow. 

Das  Theater  konnte  in  Rußland  niemals  ein  National- 
vergnügen im  guten  Sinne  werden,  weil  man  das  Volk  von 
ihm  fast  immer  ferngehalten  hat.  Die  Hoftheater  waren 
nur  den  Vornehmsten  und  den  Offizieren  zugänglich,  und  in 
den  Volkstheatern  fanden  die  Zuschauer  statt  Unterhal- 
tung politische  Kost,  der  sie  sich  oft  mit  allen  Mitteln  zu 
entziehen  suchten. 

Da  bleibt  der  Russe  lieber  bei  seinem  Hanswurst  der 
Butterwoche,  der  mit  seinen  obszönen  Gesten  und  zyni- 
schen Reden  die  Sprache  spricht,  die  das  Volk  ver- 
steht, die  dem  Volk  gefällt  und  die  das  Volk  nicht  ver- 
lernt2. 

„Für  diese  Komödien  hat  man  nirgends  ein  bestimmtes 
Gebäude.  Die  Schauspieler  wandern  von  Platz  zu  Platz, 
schlagen  für  einen  Tag  hier,  für  einen  anderen  dort  ihr 
Heim  auf,  legen  eine  Matte  auf  den  Boden,  dekorieren 
die  Wände  mit  buntem  Papier,  und  Bühne  und  Zuschauer- 
raum sind  fertig.  Zuweilen  mietet  die  Gesellschaft  einen 
Stall.  Dann  hängt  man  abends  eine  Laterne  vor  die  Tür, 
und  der  Ton  eines  Waldhorns  verkündet,  daß  hier  ein 
Schauspiel  stattfinden  soll.  Der  vornehmste  Platz  kostet 
vier  Kopeken. 

Der  Inhalt  der  Stücke  ist  einfach  blöd.  Er  bringt  Ab- 
schnitte aus  der  biblischen  Geschichte  in  einer  Fassung, 
die  selbst  einem  Mitteleuropäer  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts zu  kindisch  erschienen  wäre." 

2  Stern,  I.  Bd.,  S.  420. 
398 


UNGARN 

Die  ungarische  Literatur  ist  verhältnismäßig  jung.  Ihre 
ununterbrochene  Entwicklung  begann  erst  in  der  Mitte 
des  achtzehnten  Jahrhunderts.  Um  diese  Zeit  blühte  das 
magyarische  Schuldrama  mit  der  traditionellen  Handlung 
und  den  überall  üblichen  komischen  Figuren  und  Episoden. 
Allerdings  übten  diese  Dramen  nur  geringen  Einfluß  auf 
die  breiten  Schichten  des  Volkes,  ebensowenig  wie  das 
nationale  Kunstdrama,  das  mit  Karl  Kisfaludy  entstand. 
Erst  das  neunzehnte  Jahrhundert  brachte  Ungarn  echt 
nationale  dramatische  Produkte,  die  sich  auch  an  das  Volk 
wandten.  Possen  und  Vaudeville  schrieben  Karl  Gero, 
Ladislaus  Beöthy  und  andere.  Das  ungarische  Volksstück 
kultivierten  Tihamir  Almany,  Ladislaus  Ratkay,  Stephan 
Geczy  und  Geza  Gärdonyi.  Manche  echt  dem  Leben  ab- 
gelauschte Figur,  voll  drastischen  Humors,  haben  diese 
Männer  auf  die  Bühnen  ihrer  Heimat  gebracht.  Und  das 
Volk,  dessen  Sprache  keinen  Dialekt  kennt,  nimmt  mit 
einer  naiven  Freudigkeit  ohnegleichen  die  Gaben  seiner 
Dichter  entgegen,  wie  es  sich  von  Herzen  über  die  Streiche 
des  Paprika- Janczi  freut,  des  Hanswurstes  seiner  Jahr- 
märkte und  Puppenkomödien. 


399 


ZIRKUS  UND  VARIETE 

Den  Fahrenden  von  einst  baut  man  heute  Paläste.  Die 
Friedlosen,  die  außerhalb  des  Gesetzes  standen,  auf  einer 
Stufe  mit  den  Dirnen  des  Frauenhauses  und  dem  Henker, 
denen  die  Ehre  nicht  genommen  werden  konnte,  da  sie 
keine  besaßen,  sie  sind  jetzt  vortrefflich  organisiert  und 
Staatsbürger  geworden,  mit  Rechten  und  Pflichten  wie 
jeder  andere  ehrsame  Spieß-  und  Pfahlbürger. 

Mit  berechtigtem  Stolz  dürfen  sie  auf  eine  fast  lücken- 
lose, mehr  als  dreitausend  Jahre  zählende  Entwicklung 
zurückblicken.  Auf  den  Reliefs  der  ägyptischen  Grab- 
kammern sehen  wir  sie  ihre  Künste  treiben.  Hellas  und 
Rom  ergötzen  sich  an  ihren  Gaukeleien.  Alle  Umwälzun- 
gen im  Volks-  und  Staatsleben  haben  sie  überdauert,  und 
das  Possenspiel  des  alten  Mimus  unter  dem  blauen  Him- 
mel des  Südens  wiederholen  sie  heute  noch  auf  dem  Va- 
riete und  in  der  Zirkusmanege,  denn  ihr  Urahn  in  gerader 
Linie  ist  der  Mimus,  und  seine  Groteskkomik  schafft  vielen 
unter  ihnen  jetzt  noch  ihr  Brot. 

Die  Wandlungen,  die  sie  durchgemacht,  sind  im  Grunde 
genommen  nur  äußerliche.  Wenn  der  Exzentriker,  der 
moderne  Groteskkomiker,  die  Lumpen  des  amerikanischen 
Tramps  trägt,  so  hat  er  nur  die  Bettlermaske  des  Mimus 
modernisiert,  dessen  Sprünge  und  Tollheiten,  ohne  Sinn 
und  ohne  Zusammenhang  mit  dem  dargestellten  Akt,  in 
seiner  „Arbeit"  wiederkehren.  Der  August  im  Zirkus  ist 
der  ungeschickte  Diener,  der  Tollpatsch  der  Fastnachts- 
komödie und  der  Comoedia  dell'arte. 

Das  Motiv  war  das  längst  vorhandene,  nur  die  Ausfüh- 
rung ist  zeitgemäß.  Noch  immer  ist  es  der  alte  Hans- 
wurst, Arlechino,  Scaramuz,  Karogöz,  doch  in  modischer 
Kleidung,  und  selbst  dies  nicht  immer.  Wie  sich  einst 
der  Hanswurst  eine  Bauerntracht  zurecht  machte,  so  tritt 
400 


heute  der  Exzentriker  in  dem  Gewände  der  bayerischen 
Bauern,  der  Landstreicher  oder  in  einem  Phantasiekostüm 
auf,  dessen  einzelne  Stücke  zu  lang  oder  zu  weit  den  Körper 
des  Trägers  umschlottern. 

Diese  Ur-Urenkel  des  Mimus  haben  begründeten  An- 
spruch darauf,  in  der  Geschichte  des  Grotesk-Komischen 
gebührend  gewürdigt  zu  werden. 

Wohl  der  hervorragendste  Kenner  und  Schilderer  der 
zehnten  Muse,  Signor  Saltarino,  sonst  auch  H.  W.  Otto 
geheißen,  gestattet  mir  freundlichst  die  Ausführungen  zu 
benützen,  die  er  in  seinem  grundlegenden  Werke  „Das 
Artistentum  und  seine  Geschichte"  über  den  Werdegang 
des  Zirkus-Clowns  niedergelegt.    Er  sagt: 

Die  Clownfigur  des  deutschen  Zirkus  ist  verhältnismäßig 
jungen  Ursprungs.  Erst  die  französischen  Zirkusdirektoren 
brachten  in  den  vierziger  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts 
den  grotesken  Manegenkomiker  der  englischen  Schule  zu 
uns.  Der  berühmteste  Pantomimenclown  war  Joe  Grimaldi 
(1779 — 1837),  aus  einer  alten  italienischen  Gauklerfamilie, 
der  auch  weitern  Kreisen  durch  die  von  Charles  Dickens 
verfaßten  „Memoiren"  bekannt  wurde.  Sein  Schüler  Tom 
Matthews,  1805  geboren,  war  von  1829  bis  1865  der  be- 
liebteste Clown  der  Weihnachts-Harlekinaden  im  Covent- 
Garden-  und  Drury-Lane-Theater  in  London.  Er  starb  am 
12.  März  1889  in  Brighton. 

Auf  dem  Festlande  tauchten  die  ersten  englischen  „Gro- 
tesk-Clowns" mit  dem  Kunstreiter  Andrew  Ducrow  zwar 
schon  1819  auf  (sie  hießen  Derwin,  Blinchard  und  Gart- 
waeth),  aber  erst  Chadwick,  geboren  1838  zu  Manchester, 
gestorben  1889  in  Paris  sollte  berufen  sein,  die  englische 
Clownfigur  im  Zirkus  so  volkstümlich  zu  machen,  daß  sie 
sich  bis  heute  in  der  Gunst  des  Publikums  behauptet  hat. 

Der  alte  deutsche  Hanswurst  ist  für  immer  gestorben. 
Zwar  hat  ihn  schon  die  Neuberin  1737  feierlichst  verbrannt 
und  für  tot  erklärt,  aber  bei  den  Kunstreitern  lebte  diese 
komische  Figur  in   Ermangelung  einer  bessern  noch  weit 

ifl  401 


über  die  Jahre  weiter,  und  erst  der  englische  Grotesker 
sollte  den  „Bajatz"  endgültig  abtun. 

Der  letzte  deutsche  Bajatz  war  Wilhelm  Qualitz,  1819 
in  Berlin  geboren.  Er  war  ursprünglich  Stubenmaler,  brannte 
seinem  Meister  durch  und  ging  mit  dem  Panoramabesitzer 
Suhr  aus  Hamburg  auf  die  Reise.  Dann  trieb  er  sich 
einige  Jahre  bei  kleinen  Kunstreiterbanden  herum,  kam 
1842  zu  Wollschläger  und  1846  zu  Ernst  Renz.  Sein 
Kostüm  war  nach  alter  Hanswurstart  das  schellenbesetzte, 
buntscheckige  Narrenkleid  oder  der  weiße  weite  Anzug 
des  Pierrot  mit  dem  hohen  trichterförmigen  Filzhut.  Seine 
Stärke  lag  im  derben  Volkswitz  und  in  naturwüchsiger 
Komik.  Er  war  immer  bereit,  seiner  Umgebung  Possen  zu 
spielen.  Die  Statisten  fand  er  bei  der  Straßenjugend  und 
unter  den  Leuten  der  Galerie.  Besonders  berühmt  wurde 
sein  köstliches  pantomimisches  „Baden"  in  dem  nicht  vor- 
handenen Wasser,  das  zu  kalt  ist,  sein  fingiertes  Schlitt- 
schuhlaufen mit  verfrorenen  Händen  und  den  Schlittschuhen, 
die  ihn  drücken,  und  sein  „Pepita-Tanz".  Qualitz  starb 
1870  als  Bierverleger  in  Berlin. 

Ein  bekannter  deutscher  Bajazzo  in  den  dreißiger  Jahren 
war  auch  Wrowl,  der  Spaßmacher  des  Zirkus  Wollschläger. 
Er  soll  ursprünglich  Budiker  in  Potsdam  gewesen  und 
durch  irgendeine  Schicksalsverketturfg  auf  den  heißen 
Sand  der  Manege  geworfen  worden  sein.  Wrowl  bezog 
die  für  damalige  Zeit  ganz  außerordentlich  hohe  Gage 
von  300  Talern  im  Monat,  kam  aber  in  den  letzten  Jahren 
seines  Lebens  arg  herunter  und  starb  in  den  sechziger 
Jahren  irgendwo  hinter  der  Hecke. 

Ein  Schüler  von  Chadwick  war  der  einst  vielgenannte 
Little  Wheal,  geboren  am  10.  Oktober  1822  zu  London. 
Bevor  er  Clown  wurde,  war  er  Student  der  Theologie, 
entlief  einer  schönen  Reiterin  zuliebe  der  Universität  und 
tauchte  um  1850  bei  Renz  auf.  James  Wheal  war  ein 
Mann  von  tüchtiger  klassischer  Bildung;  das  Studium  der 
altgriechischen  und  altrömischen  Literatur  bildete  die  Freude 
402 


Les  Yosts,  französische  Modelleure 
Zander  &  Labisch  phot. 


seiner  Mußestunden;  er  schrieb  Briefe  in  fließendem  Latein, 
war  aber  sonst  das  Musterbild  des  leichtsinnigen  Vaganten. 
Er  verdiente  stets  viel  Geld,  war  aber  immer  in  Not.  Er 
starb  vor  ungefähr  zehn  Jahren  hochbetagt  in  Mailand.  Ein 
Kollege  von  ihm  bei  Renz  war  lange  Zeit  der  Engländer 
Tony  Grice,  der  zuletzt  in  Lissabon  Zirkusdirektor  war; 
auch  William  Henny  Kemp  (1817—1891)  arbeitete  einige 
Jahre  mit  Wheal  zusammen.  Sein  Vater  Thomas  Kemp 
(1789—1833),  vielleicht  ein  Nachkomme  von  Shakespeares 
Schauspieler-Kollegen,  gehörte  zur  Schule  Grimaldis. 

Mit  Alessandro  Guerra,  dem  „Furioso"  in  Holteis  Vaga- 
bunden, kam  1845  der  italienische  Clown  Ludovico  Viol, 
geboren  1800,  nach  Deutschland.  Dieser  Viol  wurde  be- 
sonders in  Rußland  ungemein  populär,  und  der  russische 
Millionär  Jakowlew  schenkte  ihm  eines  Tages  200000  Rubel, 
damit  er  sich  einen  eigenen  Zirkus  bauen  könne.  Der 
Clown  kaufte  sich  aber  Staatspapiere  und  wurde  Rentner. 
Er  starb  am  12.  März  1890  in  St.  Petersburg.  Im  Zirkus 
de  Bach-Soullier  war  der  elegante  Italiener  mit  dem  eng- 
lischen Clown  Widdicombe  angestellt,  der  als  Schöpfer 
der  „August-Figur"  gilt.  Wenigstens  hat  Widdicombe  zu- 
erst den  komischen  Stallmeister,  den  der  Berliner  Galerie- 
witz „Aujust"  taufte,  in  der  Uniform  der  damaligen  Zeit 
dargestellt. 

Der  volkstümlichste  Vertreter  dieser  Figur  war  jahrzehnte- 
lang Tom  Belling,  1835  als  Sohn  eines  Kunstreiters  im 
Wohnwagen  geboren.  Sein  Leben  war  abenteuerlich  wie 
wohl  kaum  ein  zweites  Vagantendasein.  Er  durchquerte 
die  ganze  Welt,  beherrschte  elf  Sprachen,  war  verschwägert 
mit  so  ziemlich  allen  bekannten  europäischen  Zirkusfamilien 
und  —  russischen  Fürstenhäusern,  spielte  vor  Tausenden 
von  Zuschauern  in  Paris  und  Berlin  und  erbettelte  in 
sibirischen  Dörfern  einige  Kopeken  für  Produktionen,  die 
man  in  den  Großstädten  mit  Gold  bezahlte,  war  ein 
glänzender  Kunstreiter,  Drahtseilkünstler,  Jongleur,  Violin- 
virtuose, Taschenspieler,  und  —  ein  Spieler,  der  in  einer 
26«  403 


Nacht  seine  ganze  Gage  bei  Champagner  und  Karten 
durchbrachte.  Heute  mit  Brillanten  übersät,  konnte  er 
uns  morgen  nicht  sagen,  wieviel  die  Uhr  zeigt.  Geld  hatte 
er  überhaupt  nie,  außer  in  der  Stunde,  wo  er  es  gerade 
bekommen.  ...  Im  Alter  von  18  Jahren  brannte  er  seinem 
Vater  in  Fünfkirchen  durch,  bereiste  mit  kleinen  Kunstreiter- 
truppen Rußland  und  Sibirien  bis  zur  chinesischen  Grenze, 
nahm  Anstellung  im  Zirkus  Hinne,  entführte  in  Petersburg 
die  Solotänzerin  Katharina  Stafford,  die  Schwester  des 
englischen  Clowns  William  Stafford,  die  später  seine  Frau 
wurde,  und  kam  endlich  zu  Renz  nach  Berlin.  Nach  einem 
Streit  mit  dem  alten  Renz  ging  Tom  Belling  zu  Franconi 
nach  Paris.  Hier  wäre  er  bei  seinem  ersten  Auftreten 
beinahe  durchgefallen.  Die  Pariser  wollten  von  dem  „Prus- 
sien"  nichts  wissen.  „August  aus  Berlin !  Werft  den  ver- 
dammten Preußen  hinaus!"  Lärm,  Droh-  und  Schimpfreden 
ertönten.  Franconi  wollte  den  Clown  aus  der  Manege 
ziehen,  doch  dieser  gab  dem  Publikum  durch  Gesten  zu 
verstehen,  daß  er  sprechen  wolle.  Die  Neugier  siegte  und 
es  trat  Ruhe  ein.  „Meine  Damen  und  Herren!"  hub  Belling 
mit  seiner  Stentorstimme  an.  „Ich  bin  ein  Sohn  der  freien 
nordamerikanischen  Republik,  geboren  auf  der  Durchreise 
meiner  Eltern  in  Paris,  auf  dem  Faubourg  Montmartre,  ich 
bin  ein  Neffe  des  alten  Auriol  ....!"  Weiter  kam  Belling 
nicht.  „Vive  Auguste!  Vive  Pere  Auriol!"  schrien  die 
Besucher  begeistert,  und  Tom  Belling  hatte  sich  fein  her- 
ausgelogen ! . . . 

Auch  die  Clownfamilie  Lee  ist  englischer  Herkunft.  Am 
populärsten  wurde  in  Deutschland  der  Clown,  Dresseur, 
Mimiker  und  Springer  Lavater  Lee,  eine  Attraktion  des 
Zirkus  Renz.  Geboren  am  20.  Dezember  1868  in  Berlin, 
blieb  er  bis  zu  seinem  12.  Lebensjahre  bei  Renz,  bereiste 
mit  seinem  Vater  ganz  Europa,  kam  1887  zu  Herzog,  1889 
zu  Franconi  und  1890  wieder  zu  Renz.  Ein  anderes  Mit- 
glied der  Lee-Familie  von  Renommee,  Eugene  (Jack)  Lee, 
geboren  am  27.  Dezember  1846  in  London,  starb  nach 
404 


Jeden  Abend £9  Uhr 


^/tt.(V£R  -4.' 


Biercabaref 

im  Lichtprunksaaleder  Ffessage 


FUNCKE 


Kabarett-Plakat 
von  Joseph  Steiner,  Berlin 


einem  vielbewegten  Leben  im  Dezember  1889  in  Penang 
(China).  Er  soll  der  Gatte  einer  Dame  der  hohen  eng- 
lischen Aristokratie  gewesen  sein.  Einige  Jahre  nach  der 
Heirat  soll  der  Clown  vor  der  exzentrischen  Dame  in  einen 
kleinen  Zirkus  geflüchtet  sein,  der  die  Länder  um  den  stillen 
Ozean  bereiste. 

Dieser  Fall  steht  nicht  vereinzelt  da.  Eine  angesehene 
Dame  der  Gesellschaft  von  Birmingham  heiratete  vor  einiger 
Zeit  einen  Zirkusclown  einzig  allein  aus  dem  Grunde,  weil 
die  lustigen  Scherze  und  die  groteske  Bewegungskomik 
des  Artisten  bei  einer  Vorstellung  ihre  Neigung  zur  Me- 
lancholie zu  zerstören  vermocht  hatten.  Der  „Mery  Andrew" 
wurde  ihr  Gatte,  allerdings  unter  der  Bedingung,  täglich 
mindestens  eine  Stunde  zu  Hause  zu  „arbeiten"  und  seine 
Lebensgefährtin  so  angenehm  zu  erheitern.  .  .  . 

Louis  Auriol,  der  berühmteste  Clown  aller  Zeiten,  wurde 
am  11.  August  1806  in  Toulouse  als  Sohn  eines  Seiltänzers 
geboren.  Er  war  schon  dadurch  eine  Merkwürdigkeit,  daß 
er,  der  Clown,  einer  der  schönsten  Männer  seiner  Zeit 
gewesen  ist.  Die  Männer  bewunderten  ihn,  und  die  Frauen 
beteten  ihn  an.  Nachdem  Auriol  mit  verschiedenen  Kunst- 
reitergesellschaften das  südliche  Frankreich  und  Spanien 
durchwandert,  durchstreifte  er  mit  Baptiste  Loisset  Holland 
und  kam  anfangs  der  40  er  Jahre  zum  ersten  Male  nach 
Berlin.  Ungefähr  10  Jahre  später  holte  Renz  ihn  nochmals 
in  die  preußische  Hauptstadt.  Doch  das  eigentliche  Ar- 
beitsfeld Auriols  war  Paris.  Das  erste  Auftreten  von  Auriol 
bei  Franconi  brachte  alles  außer  Rand  und  Band.  Er 
zeigte  aber  auch  eine  solche  Beweglichkeit  und  Gelenkigkeit, 
daß  die  ganz  verdutzten  Zuschauer  nicht  wußten,  was  sie 
mehr  bewundern  sollten:  seine  Equilibristik  oder  seine  toll- 
kühnen Saltomortales.  Seine  Produktionen  begleitete  er 
stets  mit  einem  eigenartigen  Kreischen  der  Fistelstimme, 
das  an  eine  Kindertrompete  erinnerte.  Nie  hat  ein  späterer 
Clown  die  verblüffende  und  doch  so  graziöse  Drehgeschwin- 
digkeit   Auriols    wieder    erreicht.    Bei    jeder  Vorstellung 

405 


improvisierte  er  immer  neue  Tricks,  neue  Überraschungen. 
Zuletzt  sprang-  er  im  Doppelsalto  über  12  Pferde,  auf  denen 
Reiter  saßen,  setzte  über  24  Soldaten  mit  aufgepflanztem 
Bajonett,  durch  zischendes  Feuerwerk  und  durch  einen 
Kranz  von  Pfeifen,  ohne  eine  einzige  zu  zerbrechen.  Alle 
Zeitungen  berichteten  von  den  Erfolgen  Auriols,  sein  Bild 
wurde  in  Hunderttausenden  von  Exemplaren  verkauft,  und 
Charles  Vernet  malte  den  Clown  in  Ol.  Nachdem  sich 
Auriol  1852  zurückgezogen  hatte,  erschien  er  1860  wieder 
im  Zirkus  und  fand  die  alte  Liebe  des  Publikums  und  den 
alten  Beifall  wieder.  Er  zeigte  sich  natürlich  nicht  mehr 
als  Springer,  sondern  ergötzte  nur  durch  seine  graziöse 
Komik.    Der  berühmte  Clown  starb  1869  in  Passy. 

Der  bedeutendste  Konkurrent  Auriols  bei  seinen  Lands- 
leuten war  Claude  Gontard,  geboren  1805  in  Saint  Germain- 
Laval,  Departement  Loire,  engagiert  1837  bei  Franconi  in 
Paris,  1845  Professor  der  Gymnastik  in  Tournai.  Er  starb 
1870.  Sein  Sohn,  der  Clown  Jean  Joseph  Gontard,  ist  1839 
in  Wesel  geboren. 

1861  tauchten  in  Berlin  bei  Renz  die  ersten  Geigen- 
clowns auf,  die  Gebrüder  Daniels.  Ein  Nachkomme  dieser 
ist  der  1864  in  London  geborene  erfindungsreiche  Alfred 
Daniels,  der  Schöpfer  des  „Gigerl-Clown".  Ein  bekannter 
Clown  der  Auriolschen  Schule,  der  besonders  mit  dem 
Spiel  mit  der  Pfauenfeder  brillierte,  war  Alfred  Delbosq. 

Vor  etwa  30  Jahren  wurden  in  Deutschland  besonders 
beliebt  die  Dänen  Gebrüder  Olschansky,  der  graziöse  Pole 
Godlewsky,  heute  der  erste  Mimiker  der  Wiener  Hofoper, 
die  Berliner  Francois  (Müller),  Bimbo  und  Eugen  (Skla- 
danowsky),  der  Clown  und  Dresseur  Jean  Clermont  aus 
Aachen,  dann  Otto  Pohlmann,  Tom-Tom  und  endlich  der 
spätere  Zirkusdirektor  Anton  Lobe. 

Aber  auch  der  westfälische  Uradel  ist  in  einer  renom- 
mierten Clownfamilie  vertreten  und  noch  dazu  bei  den  — 
Niggerclowns.  Eduard  Freiherr  von  Bockum-Dolffs,  geboren 
1808,  gestorben  1889,  gründete  die  „White-Star-Minstrel- 
406 


In  der  Clowngarderobe 

(Rechts  [auf  dem  Tisch]  der  französische  Zwergclown  Francois,  in  der  Mitte 

[auf  dem  Bock]  der  Gig-erlclown  Alfred  Daniels) 

Zander  &  Labisch,  Berlin 


P&ul 
Becker/ 


Plakat  von  Paul  Haase-Biesental 


Troupe",  mit  der  der  alte  Baron  ganz  Amerika  und  Eu- 
ropa bereiste.  Die  Enkelkinder  sind  unter  dem  Namen 
Dolffs  in  den  Vereinigten  Staaten  als  Clowns  tätig. 

Als  Schöpfer  der  Niggerclown-Figur,  die  durch  ein  rie- 
siges zinnoberrotes  Maul,  weiße  Hosen  und  fliegende  Frack- 
schöße charakterisiert  wird,  gilt  George  Washington  Moore, 
genannt  Ponny-Moore,  der  1909  im  Alter  von  90  Jahren 
in  London  starb.  Bereits  mit  12  Jahren  kam  Moore,  in 
New  York  als  Sohn  eines  Invaliden  aus  den  Befreiungs- 
kämpfen geboren,  als  Kutscher  in  einen  Zirkus.  Als  solcher 
lenkte  er  einen  mächtigen  Ponny-Reklamezug  durch  die 
Straßen  New  Yorks ;  er  erhielt  infolgedessen  den  Beinamen 
„Ponny-Moore",  der  ihm  später,  als  er  ein  reicher  Mann 
war,  Champagner-Frühstücke  gab,  seltene  Stiche  und  altes 
Porzellan  sammelte,  noch  treu  geblieben  ist.  Im  Zirkus 
lernte  er  das  Banjo  spielen,  das  Lieblingsinstrument  der 
Nigger.  Weiter  sah  er  dort  den  Sachsen  Gottlieb  Graupner, 
der  bereits  um  1800  als  Negerparodist  auftrat,  ohne  es  ver- 
standen zu  haben,  die  rein  komischen  Seiten  der  Neger- 
gesänge und  -tanze  zu  erfassen.  Moore  schuf  sich  nun  eine 
ganz  neue  Nummer,  den  „Nigger-Minstrel",  trat  erst  in 
New  Yorker  Kneipen  und  Museen  auf  und  ging  1859  nach 
England,  wo  er  eine  Gesellschaft  „Nigger-Minstrels"  bildete, 
die  1862  für  ein  kurzes  Gastspiel  in  die  St.  James-Hall  in 
London  engagiert  wurde. 

Der  Beifall  war  so  groß,  daß  das  kurze  Gastspiel  30  Jahre 
dauerte.  Moore  zog  sich,  nachdem  er  ein  Vermögen  erworben, 
1894  von  der  Truppe  zurück,  die  seitdem  allmählich  verfiel. 

Neben  Little  Fred  gilt  der  erwähnte  Jean  Clermont  als 
der  hervorragendste  Dressurclown  der  Gegenwart.  Als 
Sohn  eines  Eisenbahnbeamten  in  der  Klosterschule  erzogen^ 
war  im  Rate  der  Familie  beschlossen,  daß  Clermont  — 
Lokomotivführer  werde.  Da  führte  ein  Zufall  die  wandernde 
Künstlerfamilie  Lorch  in  die  alte  Krönungsstadt,  mit  Pfer- 
den, Hunden  und  Ziegen  —  das  brachte  Jean  aus  dem 
Häuschen.    Er  sagte  dem  Studium  Valet   und  folgte  dem 

407 


Karren  des  Direktors  Lorch.  Unter  den  schlimmsten  Müh 
Seligkeiten  machte  er  die  Lehrzeit  durch.  Im  grünen  Wohn- 
wagen war  nur  Platz  für  die  direktoriale  Familie  mit  engere 
Gefolge.  Clermont  mußte  unter  dem  Wagen  auf  de 
Rasen  übernachten.  Daneben  waren  die  gelehrigen  Ziege 
an  Holzpflöcke  gebunden.  Und  guckte  ein  Rockzipfel 
des  armen  Bankisten  hervor,  so  faßten  die  Genäschigen 
das  als  willkommenes  Dessert  auf.  In  einer  Nacht  bemäch- 
tigten sich  die  Ziegen  der  besseren  Hälfte  von  Jean  Cler- 
monts  einzigem  Rock.  Sechs  Monde  vergingen,  bevor  Ersatz 
geschaffen  war  ....  Wie  das  „Quartier",  so  hatte  Jean 
damals  die  „Kost"  frei,  das  heißt  man  hinderte  ihn  nicht, 
zuzugreifen,  wenn  die  Tiere  Weißbrot  und  Schmalz  mit 
heißem  Wasser  zu  einem  trüben  Brei  angerührt  erhielten  . . . 
In  solch  harter  Schule  wurde  er  Kunstreiter,  Akrobat  und 
Clown.  Besonders  aber  widmete  er  sich  der  Dressur  zah- 
mer Tiere,  die  er  dann  als  Spezialität  ausbaute.  Nach 
einigen  Jahren  gab  Direktor  Lorch  dem  wackeren  Jean 
die  Hand  seiner  Tochter.  Der  hoffnungsvolle  Artist  zog 
in  die  Welt  hinaus,  um  allein  sein  Glück  zu  versuchen. 
Künstlerfreud  und  Künstlerleid  wurden  ihm  zuteil.  Einmal 
—  es  war  in  Hamburg  —  mußte  er  auftreten,  ein  hoch- 
verehrtes Publikum  mit  tausend  Mätzchen  unterhalten,  als 
ihm  das  Herz  vor  Weh  springen  wollte.  Hinter  der  Szene 
lag  sein  Kind  aufgebahrt;  scheue  Pferde  hatten  das  Kleine 
an  demselben  Tage  zusammengetreten.  Der  Zirkus  war  über- 
voll. Die  Leute  lachten,  daß  ihnen  die  hellen  Tränen  über 
die  Backen  liefen.  Draußen  flackerte  der  Kerzenschein  um 
das  Antlitz  eines  stillen  blonden  Kindes,  das  mit  lächelnden 
Lippen  vom  väterlichen  Clown  geschieden  war;  drinnen 
aber  spielte  Papa,  daß  das  Haus  im  Beifallssturm  erdröhnte. 
Als  drastischer  und  witziger  Dresseur  von  Hunden,  die 
in  Masken  von  allerlei  wilden  Tieren  stecken,  sei  des  Deut- 
schen Walter  Barons  gedacht.  Einer  der  erten  Gänse-  und 
Schweinedresseure  war  Hans  Stosch,  jetzt  der  große  Zirkus- 
direktor Sarrasani. 
408 


\ 


In  der  Geschichte  des  Grotesk-Komischen  spielen  auch 
der  mitteldeutsche  „Kasperle"  und  das  rheinische  „Hännes- 
chen"  eine  nicht  unbedeutende  Rolle,  besonders  nachdem 
das  letztgenannte  nicht  mehr  allein  als  Gelenkpuppe  auf 
der  Bühne  erschien,  sondern  auch  ins  Menschliche  umgewan- 
delt wurde  und  unter  die  Künstler  der  Spezialitätenbühne 
gegangen  ist.  Der  erste,  der  den  kühnen  Schritt  wagte, 
war  der  Kölner  Wilhelm  Millowitsch,  ein  hervorragender 
Hänneschenspieler.  Er  starb  1909  im  Alter  von  54  Jahren 
in  Elberfeld. 

Um  das  verschmitzte,  immer  zu  tollen  Streichen  aufgelegte 
Hänneschen  gruppieren  sich  beim  rheinischen  Volkstheater 
die  zänkische  „Marizibill"  (Maria  Sibylla),  ihr  Mann,  der 
biedere  alte  „Bestevader",  der  „Schäl"  (Schielende),  ein 
verschlagener  Geselle  voller  Intrigen,  und  endlich  der  Hans- 
wurst der  Gesellschaft,  der  „Tünnes"  (Anton).  Er  zeichnet 
sich  durch  eine  unförmliche,  große  rote  Nase  in  einem 
blöden  Gesicht  aus  und  ist  der  Sündenbock  für  alle  mög- 
lichen Verwicklungen  und  komischen  Situationen.  Dabei 
besitzt  er  aber  nach  Art  des  Bajazzo  einen  recht  gesunden 
Mutterwitz  und  gebietet  über  eine  derbe   Gemütlichkeit. 

Eine  neue  komische  Figur  wurde  vor  ungefähr  fünf- 
zehn Jahren  von  dem  Dänen  Bagessen  geschaffen.  Es 
ist  die  des  „komischen  Jongleurs",  der  mit  Tellern  und 
sonstigen  zerbrechlichen  Gegenständen  zu  jonglieren  ver- 
sucht und  dabei  einen  Haufen  Scherben  auf  der  Bühne 
zurückläßt.  Als  die  besten  komischen  Jongleure  gelten  der 
Österreicher  Leo  Billward,  ein  Sohn  des  einst  sehr  popu- 
lären Wiener  Volkssängers  Karl  Kampf,  der  Deutsche  Zeno 
und  der  Amerikaner  Great  Weiland. 

Nur  eine  Variation  der  Zirkusclowns  sind  die  komischen 
Akrobaten.  Sie  rekrutieren  sich  aus  Artisten  aller  Nationen 
und  bringen  im  Grunde  nur  Altbekanntes  in  neuer  Auf- 
machung. Eine  wirklich  neue  Figur,  den  komischen  Faller, 
arbeitete  der  eine  Partner  der  deutschen  Gymnastiker 
Pipifax  und  Panlo  in  dem  Humpti-Bumpti-Akt  aus. 

409 


Der  überraschende  Aufschwung,  den  das  Spezialitäten- 
theater in  einer  verhältnismäßig  kurzen  Zeit  genommen,  ist 
in  erster  Linie  das  Verdienst  der  Artisten.  Sie  brachen  mit 
dem  Hergebrachten,  schufen  neue  Arbeit  für  neu  ersonnene 
Typen  und  hoben  das  ganze  Niveau,  indem  sie  das  Tingel- 
Tangel  in  das  Hintertreffen  brachten  und  mit  ihm  die  Hand- 
werker und  Taglöhner  ihrer  Kunst.  An  Stelle  der  beim 
Theater  und  im  Leben  verkrachten  Existenzen,  denen  das 
Variete  die  letzte  Rettung  war,  traten  wirkliche  Künstler, 
wahre  Meister  in  ihrem  Fache. 

Der  groteske  Tanzkomiker  mit  den  schlanken  Beinen 
und  dem  gepolsterten  Bauch,  eine  der  vielen  in  Deutsch- 
land erstandenen  Typen,  wie  sie  seit  bald  vierzig  Jahren 
Paul  Britton  bei  den  Stettiner  Sängern  in  Berlin  allabend- 
lich in  künstlerischer  Vollendung  darstellt,  kommt  nur  noch 
vereinzelt  im  Variete  zu  Wort,  denn  außer  Paul  Corradini, 
dem  Mann  mit  der  schlechtsitzenden  Weste,  der  das  geist- 
reiche Lied  sang: 

Mensch,  hast  du  'ne  Weste  an, 
Du  bist  ja  sonst  so  bong, 
Die  sitzt  ja  nicht,  die  zieht  man  aus, 
Die  hat  ja  kein  Fassong! 

treibt  er  sich  nur  noch  bei  den  wandernden  Sängergesell- 
schaften herum  und  kopiert  Britton.  Der  monströse  Leib, 
einst  auch  Mimus'  Attribut,  reizt  nur  noch  die  untersten 
Volkskreise  zum  Gelächter. 

Ebenso  ist  die  Verunstaltung  des  Gesichtes  durch  eine 
Kittnase  auf  dem  Aussterbeetat.  Nur  der  Kölner  Tünnes 
in  seiner  volkstümlichsten  Aufmachung  trägt  sie  noch,  wäh- 
rend der  verfeinerte,  wie  ihn  Wilhelm  Hartstein  dem  bes- 
seren Publikum  vorführt,  die  grotesken  Gesichtsmasken  ab- 
gelegt hat. 

Mit  vielen  derartigen  Überlieferungen  bei  den  Variete- 
Gesangshumoristen  aufgeräumt  zu  haben,  ist  das  Ver- 
dienst von  Robert  Steidl  aus  Hamburg  (geb.  1865),  der  am 
410 


Robert  Steidl  im   „Humpelröckchen" 
Ernst  Schneider  phot.,  Berlin 


16.  November  1912  sein  fünfundzwanzigjähriges  Künstler- 
jubiläum feiern  konnte.  Steidl  war  einer  der  ersten  Brettl- 
Komiker,  der  das  traditionelle  groteske  Kostüm  mit  einem 
hochmodernen,  eleganten  Anzug  vertauschte  und  von  jeder 
komischen  Maske  absah.  Er  stülpte  höchstens  einmal  zu 
einer  gewissen  Szene  eine  Perücke  auf.  Seine  Absicht  ist, 
nur  durch  grotesk-komische  Lieder  und  Tänze  Wirkungen 
zu  erzielen,  die  er  durch  die  Liebenswürdigkeit  des  Vor- 
trages noch  zu  erhöhen  weiß.  Sein  talentierter  Bruder 
Fritz,  ein  brillanter  Charakteristiker  und  witziger  Kuplet- 
sänger,  hat  das  Brettl  mit  den  Brettern  vertauscht. 

Die  Reformierung  der  deutschen  Tanzkomik  war  das 
Werk  Heinrich  Littke  Carlsens.  Wie  Steidl  schaffte  er 
die  herkömmliche  Tracht  ab  und  trat  in  übermoderner 
Toilette  auf.  Dadurch,  daß  er  seinem  Frack  die  Schöße 
abnahm,  erfand  er  den  Smoking.    Er  schreibt  mir  darüber: 

„Sie  wollen  wissen,  wie  ich  in  den  „Smoking"  kam.  Das 
kam  über  Nacht.  Ich  fand,  daß  mein  Kostüm  nicht  dem 
Charakter  angebracht  war,  den  ich  darstellte,  ich  mußte 
Vornehmes,  Originelles  in  Kostüm  bringen  und  erfand 
durch  den  Zufall  das  Kostüm,  in  dem  ich  populär  wurde. 

Daß  ich  von  allen  kopiert  und  imitiert  wurde,  zeigte 
mir,  daß  ich  das  Richtige  getroffen  hatte.  All  die  heutigen 
Schiebe-  und  Volkstänze  stammen  ab  vom  „Rixdorfer",  da 
ich  der  erste  Darsteller  war,  der  diese  Art  und  Weise,  in  gro- 
tesker Eleganz  zu  tanzen,  auf  der  Varietebühne  einführte." 

Im  alten  Fahrwasser  fährt  der  drastische  Bayer  Jean 
Paul.  Sein  Kostüm,  dessen  Hauptstück  eine  verkehrt  an- 
gezogene Hose  bildet,  und  der  blühende  Blödsinn  seiner 
Vorträge  schaffen  ihm  eine  Sonderstellung  auf  der  deut- 
schen Spezialitätenbühne,  die  er  mit  den  Bayern  Karl 
Maxstadt  und  Bacchus  Jacobi,  dem  echten  Sachsen  Bern- 
hard Mörbitz  und  dem  imitierten  Sachsen  Paul  Beckers 
teilt.  Beide  Sachsen  arbeiten  gleich  Jean  Paul  mit  über- 
mäßig aufgetragener  Drastik,  an  der  aber  noch  immer  ein 
Schimmer  von  Naturwahrheit  wahrzunehmen  ist. 

411 


Als  ihr  weibliches  Gegenstück  kann  Frau  Lene  Land- 
Flashar  gelten,  ein  parodistisches  Talent,  wie  es  seit  der 
Gallmeyer  nicht  mehr  vorhanden  war. 

Hier  sei  auch  des  Meisters  des  Berliner  Kalauers,  Martin 
Bendix  (geboren  1843  in  Berlin)  gedacht,  der  ein  halbes 
Jahrhundert  schon  seinen  Mitbürgern  mit  blutigen  Au- 
Witzen  aufwartet.  Die  Stätte,  die  er  und  die  ihn  populär 
gemacht,  das  American-Theater,  ist  der  Spitzhacke  zum 
Opfer  gefallen,  und  der  Vater  so  vieler  Urberliner  Redens- 
arten, „der  Urkomische",  hat  seine  große  Gemeinde  von 
einst  verloren.  Berlin  ist  internationaler  geworden,  das 
Ausländische  hat  mehr  Geltung  als  der  eingeborene  Volks- 
witz. Trotz  seiner  Derbheiten  ist  Bendix  der  Neuzeit  zu 
harmlos  geworden;  die  Frivolität  hat  die  Zote  gestürzt. 

Heute  ist  der  Cabaretkomiker  mit  seinen  scharfgewürzten 
Sachen  die  große  Mode.  Als  ihr  Wortführer  kann  Theodor 
Francke  aus  Kamenz  gelten.  In  seinen  Vorträgen  zeigt  sich 
gute  alte  Theaterschule  und  eine  souveräne  Beherrschung 
aller  Mittel  der  Komik. 

Als  groteske  Parodisten  der  Varietedarbietungen  haben 
sich  Carl  und  Camillo  Schwarz  einen  internationalen  Namen 
gemacht. 

Carl  und  Camillo  Schwarz  sind  echte  Theaterkinder.  In 
Kiel,  in  dessen  Stadttheater  die  Eltern  als  Opernsänger 
beschäftigt  waren,  traten  sie  zum  ersten  Male  1870  vor 
die  Öffentlichkeit.  Der  Erfolg  war  ein  großer,  so  daß  die 
beiden  Kinder  ihre  Gastspiele  als  Vaganten  eröffneten. 
Als  später  das  aufstrebende  Variete  sich  die  besten  ar- 
tistischen Kräfte  sicherte,  gehörten  auch  in  erster  Linie 
die  Schwarz  zu  den  Glanznummern,  und  es  gibt  wohl, 
so  weit  die  deutsche  Zunge  klingt,  kein  erstklassiges  Va- 
riete, in  dem  sie  nicht  herzlich  belacht  wurden.  Sie  waren 
Schauspieler,  Gesangsduettisten,  Grotesktänzer,  Mimiker, 
Akrobaten,  Exzentriker,  Verwandlungskünstler,  Reck-  und 
Barrenturner  und  mehr.  Das  Genre  der  Parodie  berühm- 
ter Variete-Sterne  ist  ihre  Erfindung.  Ihre  Vielseitigkeit 
412 


Der  Grotesk-Tänzer  Litke  Carlsen 
der  Erfinder  des  Smokings 


erlaubte  es  ihnen,  ein  vollständiges  Variete-Programm  zu 
parodieren  und  immer  dasjenige,  in  dem  sie  selbst  mit- 
wirkten. So  brachten  sie  unter  anderem  Parodien  auf 
Variete-Größen  wie  die  Otero,  Saharet,  5  Sister  Barrison, 
Otto  Reutter  u.  a.  m.  Die  Parodien  auf  Ringkampf-Kon- 
kurrenzen, Handequilibristen,  Tiroler-  und  Russentruppen, 
Trapez-  und  Drahtseilkünstler,  Koloratursängerinnen  und 
lebende  Bilder  sind  ihre  Originalschöpfungen. 

Mitschreitend  mit  der  Geschmacksrichtung  des  Publi- 
kums wandten  sich  die  Schwarz  später  der  Schauspiel- 
kunst am  Variete  zu.  Ihr  burlesker  Einakter  „Der  zerbro- 
chene Spiegel"  ist  ein  Wendepunkt  in  der  Groteskkomik 
auf  dem  Variete. 

Eine  Abart  der  sogenannten  Salonhumoristen  sind  die 
jüdischen  Komiker.  Ferdinand  Semmel  war  der  erste,  der 
mit  seinen  Jargonliedern,  unter  diesen  das  „klassisch  ge- 
wordene" 

Eins,  zwei  drei, 

An  der  Bank  vorbei, 

dieses  Genre  pflegte,  und  schier  unabsehbar  ist  der  Reigen 
aller  der,  die  in  seine  Fußtapfen  traten  und  sich  Namen 
und  Gold  erwarben.  Nathan  Schwarz,  Emil  Schnabel,  Donat 
Herrnfeld,  Rott,  Heinrich  Eisenbach,  Paul  Jülich,  der  Wiener 
Volkssänger  Hirsch,  Fleischmann,  Behrisch  und  viele,  viele 
andere  in  Budapest,  in  Wien  und  im  Reich,  die  das  Genre 
des  „Budapester"  pflegen,  brillieren  heute  in  der  saftigen 
Komik,  deren  höchster  Trumpf  die  jüdische  Posse  „Die 
Klabbriaspartie"  von  Bergmann  war,  einem  katholischen 
Schriftsteller. 

Bei  dem  internationalen  Charakter  der  Spezialitätenbühne 
ist  ein  Stagnieren  unmöglich,  denn  das  Ausland  bringt 
durch  seine  artistischen  Kräfte  immer  neues  Blut,  neue 
Anregung. 

Mit  England,  Amerika  und  Frankreich  findet  in  der  ge- 
gebenen Reihenfolge  der  größte  Kräfteaustausch  statt.  Eng- 
lische und  amerikanische  Exzentricks  haben  der  Variete- 

413 


Groteskkomik  eine  eigene  Note  gegeben  und  den  deutschen 
Hanswurst  zum  Clown  gemacht.  Wie  im  Zirkus,  so  auf  der 
Spezialitätenbühne. 

Frankreich,  das  Exportland  der  lustigen,  pikanten  und 
frivolen  Soubretten,  hat  an  der  Groteske  auf  dem  Variete 
nur  einen  geringen  Anteil. 

Unter  den  französischen  Groteskkomikern  ragte  Ganivet 
hervor.  Seine  langen  Arme,  mit  denen  er  sich  selbst  um- 
armen konnte,  die  extravaganten  Tänze,  ein  Gemisch  von 
Kankan  und  Rundtanz,  die  grotesken  Bewegungen  wurden 
vorbildlich  für  die  Komiker  des  französischen  Cafekonzerts. 
Ein  Artist,  der  sich  Ganivet  II.  nennt,  kopiert  heute  noch 
genau  sein  Vorbild. 

Die  Nigger-Minstrels,  echte  oder  nur  angetünchte,  haben 
sich  in  den  letzten  Jahren  als  Spezialitäten  überlebt.  Sie 
kommen  nur  noch  selten  nach  Europa,  da  sie  der  alten 
Arbeit  keine  neuen  Seiten  abzugewinnen  vermochten.  Ihre 
Erbschaft  haben  zum  Teile  die  Neger-  und  Mulatten-Paare 
angetreten,  die  groteske  Tänze  vorführen.  Sie  brachten 
die  nord-  und  südamerikanischen  Nationaltänze,  wie  Cake- 
walk, Matchiche,  Tango,  Boston,  Turkey  trott,  Teddy,  dann 
die  Niggertänze  auf  die  europäischen  Bühnen  und  von  da 
in  die  Ballsäle,  wo  sie  aber  ihre  grotesk-komische  Eigen- 
art verloren  und  nur  das  Ungraziöse  behalten  haben. 


414 


Theodor  Francke 


DAS  GROTESKE  IM  KINO 

Die  Lichtbildbühne,  diese  allerneueste  Errungenschaft  der 
Schaustellung,  rechnet  viel  zu  sehr  mit  den  niederen  In- 
stinkten und  der  Sensationslust  ihrer  Besucher,  um  das  Gro- 
teskkomische entbehren  zu  können.  Wo  sich  Sentimenta- 
lität in  ihren  ältesten,  für  längst  überlebt  gehaltenen  Aus- 
wüchsen breit  macht,  da  muß  auch  die  Komik  ihre  auf- 
dringlichsten Formen  annehmen,  um  als  Gegengewicht  zu 
dienen.  Der  Kinodarsteller  kann  nur  mit  den  gröbsten 
Mitteln  arbeiten,  wenn  er  wirken  soll.  Ihm  fehlt  das  ver- 
mittelnde, abtönende  Wort.  Seine  Gebärden,  seine  Mimik 
müssen  den  Geist  des  Dialoges  ersetzen.  Die  Situation, 
sonst  eines  der  vielen  Requisiten  des  Schauspielers,  ist 
hier  das  Um  und  Auf.  Als  daher  die  Kinodichter  und  Re- 
gisseure daran  gingen,  Humoresken  zu  bearbeiten,  mußten 
sie  notgedrungen  auf  die  Effekte  der  einstigen  Pantomime 
verfallen,  für  die  ja  auch  die  Situationskomik  die  einzig 
mögliche  war.  So  hielt  das  Schlagen,  Werfen,  Fallen,  zu 
denen  als  neuester  Trick  auch  noch  das  Nachlaufen  kam, 
seinen  Einzug  auf  die  weiße  Leinewand.  Bergan,  bergab, 
durch  Feuer  und  Wasser,  über  die  unmöglichsten  Hinder- 
nisse hinweg  ging  die  wilde  Jagd  nach  dem  Komiker,  und 
Prügeln,  Fallen,  Werfen,  Umreißen  von  Gerüsten,  Naß- 
machen und  Naßwerden  bildeten  die  Intermezzis  auf  diesen 
Rennbildern.  Der  Kinokomiker  war  der  Hanswurst  in  mo- 
derner Kleidung  und  wie  dieser  stets  mehr  Akrobat  als 
Schauspieler. 

Der  erste,  der  sich  in  dieser  Mimusrolle  im  Film  einen 
internationalen  Namen  gemacht  hat,  war  Max  Linder,  trotz 
seines  deutschen  Namens  ein  Vollblutfranzose  aus  Bordeaux. 
Eine  seiner  ersten  Rollen  stellt  eine  Szene  auf  dem  Eise 
dar.  „Max"  hat  zum  ersten  Male  Schlittschuhe  an,  und  seine 
Versuche,  sich  zum  Meisterläufer  auszubilden,  richten  die 
fürchterlichsten  Verwirrungen  und  Zwischenfälle  auf  der 
glatten  Fläche  an.    Seitdem  ist  er  in  hunderten  Filmrollen 

415 


aufgetreten,  eine  immer  grotesker  als  die  andere.  Viele  der 
von  ihm  dargestellten  und  meist  selbst  verfaßten  Stücke 
nehmen  es  an  Ausgelassenheit  mit  den  Hanswurstiaden 
auf.  Er  läßt  sich  in  einer  Wanne  badend  über  die  Straße 
tragen,  verliert  die  Unaussprechlichen,  nimmt  aus  dem 
Maitre  Pathelin  das  Nadelmotiv,  setzt  sich  in  alle  erdenk- 
lichen Flüssigkeiten  und  bringt  sich  und  andere  in  die 
heikelsten  und  peinlichsten  Situationen.  Wie  Robert  Steidl 
auf  der  deutschen  Varietebühne,  so  repräsentiert  Max  Linder 
auf  der  Leinewand  den  immer  elegant  und  modern  auf- 
tretenden Groteskkomiker. 

Sein  Rivale  darin  ist  der  Pariser  Schauspieler  Maurice 
Prince,  dem  nur  die  Jugend  und  die  Lebhaftigkeit  Linders 
fehlen,  um  ihn  zu  erreichen,  denn  auch  er  verfügt  über 
eine  bedeutende  Vis  comica,  dabei  aber  über  ein  größeres 
Charakterisierungsvermögen  als  Linder. 

Neben  diesen  männlichen  Vertretern  der  französischen 
Filmkomik  glänzen  als  weibliche  Stars  die  drastische  Mistin- 
guette  und  die  burleske  komische  Alte  „Rosalie".  Der 
kleine  Fritz  Abelard,  „Fritzchen"  genannt,  ist  ein  Dreikäse- 
hoch mit  lustig  und  listig  funkelnden  Augen,  bei  dem  schon 
vieles  eigen,  ebensoviel  aber  angelernt  ist. 

Die  italienische  Filmindustrie  verfügt  über  die  beiden  Ex- 
zentriker Andre  Deed,  wahrscheinlich  ein  Gymnastiker  eng- 
lischer Herkunft  und  den  Italiener  Tontolini,  beides  pos- 
sierliche Kerlchen  von  quecksilberner  Gewandtheit.  Ihre 
Komik  ist  unfeiner  als  die  der  Franzosen  und  mit  brüsken 
akrobatischen  Lazzi  durchsetzt.  Beide  haben  wahrschein- 
lich vor  ihrer  Laufbahn  im  Filmatelier  dem  Zirkus  oder  dem 
Spezialitätentheater  angehört. 

Aus  den  deutschen  Filmdarstellern  fällt  bis  jetzt  nur  ein 
einziger  durch  wirklich  komisches  Talent  auf:  Leo  Peukert. 
Eine  Mimik,  die  jedes  Wort  klar  auszudrücken  versteht, 
wirklicher  Humor  und  sehr  gute  Einfälle,  wenn  auch  grotesk, 
so  doch  niemals  ordinär,  wirken  bei  Peukert  zusammen, 
ihn  zum  ersten  Filmkomiker  zu  machen.  In  Marie  Grimm- 
416 


Robert  Steidl 


Einödshofer  haben  wir  die  drastische  komische  Alte  der 
deutschen  Kinematographie. 

Amerika  ist  glücklicher  Besitzer  eines  Komikers,  der  in 
seinem  Wesen,  seinem  Äußern  und  in  seiner  Manier  an  die 
letzten  großen  Wiener  Groteskkomiker  Matras  und  Gotts- 
leben gemahnt.  Mr.  John  Bunny,  ein  älterer  feister  Herr 
mit  kleinen  verschmitzten  Augen,  die  in  den  Fettpolstern 
der  Wangen  fast  verschwinden,  einem  dumm-pfiffigen  Aus- 
druck um  den  Mundwinkeln,  hat  alle  seine  Konkurrenten 
im  alten  Europa  geschlagen  und  ist  heute  der  ausgespro- 
chene Liebling  aller  Kinobesucher  von  Ostasien  bis  Por- 
tugal, von  Kanada  bis  Australien.  Das  tönt  voll,  entspricht 
aber  ganz  der  Wahrheit.  Bunny  ist  eben  ein  Komiker  ersten 
Ranges.  Jede  seiner  Bewegungen,  jedes  Zwinkern  seiner 
Auglein,  sein  Lachen,  sein  Ernst,  seine  Scheinheiligkeit, 
sein  Übermut  erschüttern  das  Zwerchfell.  Er  ist  heute  der 
einzige  unter  all  den  Größen  der  Filmkomik,  der  in  seinem, 
wenn  auch  nur  eng  begrenzten  Rollenfach,  auch  den  ver- 
wöhntesten Geschmack  befriedigt,  der  Spaßmacher  von 
Gottesgnaden,  der  nur  zu  erscheinen  braucht,  um  allge- 
meine Heiterkeit  auszulösen. 

Noch  ist  der  Entwicklungsgang  der  Kinodarstellung  jung 
und  sprunghaft.  Die  Meinungen,  ob  sie  ihren  Höhepunkt 
schon  erreicht  oder  überschritten  hat,  sind  geteilt  und  auf 
beiden  Seiten  hypothetisch.  Die  Kinoschauspieler  arbeiten 
selbständig,  die  hohen  Vorbilder  fehlen.  Jeder  einzelne 
der  hier  genannten  Schauspieler,  mit  Ausnahme  Bunnys, 
lernt  von  dem  anderen,  sucht  sich  das  ihm  Zusagende  aus 
der  Manier  des  andern  anzueignen,  so  daß  jeder  von  ihnen 
Schule  macht,  der  aber  bis  jetzt  noch  der  Meister  fehlt. 
Ob  er  überhaupt  jemals  erstehen  und  die  Kinokunst  nicht 
in  ihrem  Weiterschreiten  noch  mehr  verflachen  wird,  als  sie 
bis  jetzt  getan  —  darüber  läßt  sich  noch  nichts  sagen.  Dies 
steht  aber  leider  zu  befürchten,  wenn  nicht  neben  der  Regie- 
kunst und  der  Kunst  der  Darstellung  wirkliche  Kinodichter 
zu  Worte  kommen.    Ich  halte  dies  für  eine  Frage  der  Zeit. 


INHALT 

SEITE 

VORREDE  ZUR  AUSGABE  VON  1788    ...         VII 
EINLEITUNG IX 

ERSTES  HAUPTSTÜCK:  VOM  GROTESK-KOMI- 
SCHEN AUF  DEM  THEATER i 

ZIRKUS  UND  VARIETE 40o 

DAS  GROTESKE  IM  KINO     . 415 


D 


1ESES  WERK  WURDE  IM  AUFTRAGE  VON  GEORG  MÜLLER 
VERLAG    IN    MÜNCHEN    IN    DER    BUCHDRUCKEREI    VON 
M.  MÜLLER  &  SOHN  IN  MÜNCHEN  HERGESTELLT. 
HUNDERT  EXEMPLARE  WURDEN  IN   GANZ- 
LEDER GEBUNDEN  UND  NUMERIERT. 


389065 


PLEASE  00  NOT  REMOVE 
CARDS  OR  SLIPS  FROM  THIS  POCKET 


UNIVERSITY  OF  TORONTO  LIBRARY