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GESCHICHTE
DES
JÜDISCHEN VOLKES
IM
ZEITALTER JESU CHRISTI
VON
D. EMIL SCHÜRER
ORDENTI-. PUOFESSOR DER THEOI.OOIE ZU GÖTTINOEN
DRITTE UND VIERTE AUFLAGE
ERSTER BAND
EINLEITUNG UND POLITISCHE GESCHICHTE
0r^
LEIPZIG
J. C. HINRICHS'SCHE BÜCHHANDLUNG
1901
Das Recht der Übersetznng vorbehalten.
Vorwort.
Das Verhältniss dieser neuen Auflage zur früheren ist bei
dem vorliegenden ersten Bande ein ähnliches wie beim zweiten und
dritten. Der Text hat keine durchgreifende Umgestaltung erfahren.
Aber die Ergänzungen, welche nöthig wurden, sind doch so zahl-
reich, dass der Umfang um mehr als hundert Seiten gestiegen ist.
Anla-ss zu den Ergänzungen gaben theils eigene theils fremde
Arbeiten. Nicht gering ist aber auch der Zuwachs an Material,
welches durch neue Funde von Inschriften und Papyrustexten dar-
geboten wurde. In letzterer Hinsicht darf ich namentlich auf
S. 65—70 (zur Geschichte der alexandrinischen Judenverfolgungen)
und 514 ff. {djcoyQacpai in Aegypten) verweisen.
Wie beim zweiten und dritten Bande, so sind auch bei diesem
die Seitenzahlen der vorigen Auflage am inneren Rande in eckigen
Klammern [ ] angegeben; ein senkrechter Strich im Texte bezeichnet
die Stelle, wo in der früheren Auflage die neue Seite beginnt
Auf Wunsch des Herrn Verlegers ist diese neue Auflage als
dritte und vierte bezeichnet, da sie in einer erheblich grösseren
Anzahl von Exemplaren als die früheren gedruckt wurde.
Das Register zu allen drei Bänden wird als besonderes Heft
ausgegeben werden.
Göttingeu im October 1901.
E. Schürer.
Digitized by the Internet Archive
in 2009 with funding from
University of Toronto
http://www.archive.org/details/geschichtedesj01sch
Inhalt.
Einleitung*.
Seite
§ 1. Aufgabe und Literatur 1
§ 2. Hülfswissenschaften 10
A. Archäologie 10
B. Geographie 12
C. Chronologie 17
D. Numismatik 20
E. Epigraphik . . 25
t; 3. Quellen 31
A. Die beiden Makkabäerbücher 32
B. Nicht-erhaltene Quellen 40
Jason von Cyrene 40. Die Geschichte des Johannes Hyrkanus
40. Posidonins aus Apamea 41. Timagenes aus Alexandria 43.
Asinius Pollio 44. Hypsikrates 45. Dellius 4G. Strabo 46.
Herodes' Denkwürdigkeiten 48. Ptolemäus 48. Nicolaus Da-
mascenus 50. Vespasiau's Denkwürdigkeiten 57. Antonius
Julianus 58. Justus von Tiberias 58. Aristo von Pella 03.
Papyrus-Fragmente 65. Teucer Cyzicenus 70. Verschiedene
Werke nsgl 'lovöalwv 71. Die Chronographen (ApoUodorus,
Castor) 73.
C. Josephus 74
D. Griechische und römische Schriftsteller 106
E. Die rabbinische Literatur 111
L Die talmudische Literatur 113
II. Die Midraschim 138
III. Die Targumim 147
IV. Geschichtliche Werke 156
Erster Tlieil.
Politische Geschichte Palästina's vom J. 175 vor Chr. bis 135 nach Chr.
Erste Periode.
Von Antiochus Epiphanes bis zur Eroberung Jerusalems
durch Pompejus (175—63 v. Chr.).
Uebersicht über die Geschiclite von Syrien 165
§ 4. Die Keligionsnoth und die Erhebung (175—165 vor Chr.) .... 179
VI Inhalt.
Seite
§ 5. Die Zeit Judas' des Makkabäers (165—161) 210
§ 6. Die Zeit Jonathan's (161—143) 223
§ 7. Simon (143—135) 241
§ 8. Johannes Hyrkanus I (135—104) 256
§ 9. Aristobul I (104—103) 273
§ 10. Alexander Jannäus (103—76) 276
§ 11. Alexandra (76-67) 286
§ 12. Aristobul H (67—63) 291
Zweite Periode.
Von der Eroberung Jerusalems durch Pompejus bis zum
hadrianischen Kriege (63 vor — 135 nach Chr.).
Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien .... 302
§ 13. Hyrkan II (63—40); Emporkommen Antipaters und seiner Söhne
Phasael und Herodes 338
§ 14. Antigonus (40-37) 354
§ 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.) 360
§ 16. Die Wirren nach Herodes' Tod (4 vor Chr.) 418
§ 17. Die Söhne des Herodes 425
a. Philippus (4 v.— 34 n. Chr.). Sein Gebiet römisch (34—37 n. Chr.) 425
b. Herodes Antipas (4 v.— 39 n. Chr.) 431
c. Archelaus (4 v.— 6 n. Chr.) 449
Judäji unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.) .... 454
Staatsrechtliche Stellung des Procurators 455. Residenz 457.
Militärverhältnisse 458. Richterliche Gewalt, jus gladii 466.
Finanzverwaltuug 473. Beschränkung der Selbständigkeit der
Juden 479. Geschichte der Procuratoren von 6—41 n. Chr.
485. Pilatus 488.
Die Wirren unter Caligula in Alexandria 495
„ in Judäa 503
Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1— 5 . . . 508
Anhang 2. Das sog. Zeugniss des Josephus von Christo . . 544
§ 18. Herodes Agrippa I (37, 40, 41—44 u. Chr.) 549
§ 19. Die römischen Procuratoren (44—66 n. Chr.) 564
Cuspius Fadus 565. Tiborius Alexander 567. Cumanus 568.
Felix 571. Festus 579. Albinus 583. Florus 585.
Anhang. Agrippa II (50—100 n. Chr.) 585
g 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.) 6(X)
1. AuMbnuh und Sieg der Revolution (66 u. Chr.) 601
2. Der Krieg in Galiläa (67 n. Chr.) 610
U. Von der Unterwerfung Galilfia's bis zur Belagerung Jerusalems
(68-09 n. Chr.) 617
4. Belagerung und P>obcruDg JeruHalem's (70 u. Ohr.) 624
6. Dm Nachspiel de« Krieges (71-73 n. Chr.) 634
§ 21. Von der Zentöruog Jerusalems bis zum Untergang Barkocheba's 642
I. Die Znstftnde in Palästina von VcHiuisian bis Hudriun . . . 642
VerteichniM der 8tatthalt<>r 643. HtädUtgründnngcii (iU). inno-
n§ I^ben des jfldiMchen Volkes (i52. Aufhören des Opfer-
Inhalt. VII
Seite
cultus 652. Alleinherrschaft der Rabbinen G5G. Messianische
Hoffnung 659.
II. Die Kriege unter Trajan (115—117) 061
III. Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135) 670
Beilagen.
Beilage I. Geschichte von Chalcia, Ituräa und Abilene .... 707
Beilage II. Geschichte der nabatäischen Könige 726
Beilage III. Grundzüge des jüdischen Kalenders 745
Beilage IV. Die jüdischen Sekel- und Aufstandsmünzen .... 761
1. Die Sekelmünzen 7ül
2. Die Aufstandsmünzen 705
Beilage V. Parallel- Jahre der griechischen, syrischen, römischen
und christlichen Aera 773
Beilage VI. Genealogie der Seleuciden 778
Beilage VII. Genealogie der Hasmonäer 779
Beilage VIII. Das Haus des Herodes 780
Zusätze und Berichtigungen 781
Einleitung.
Literatur und Quellen.
Einleitung.
§ 1. Aufgabe und Literatur.
Aus dem Schoosse des Judenthums ist in der Fülle der Zeiten
die christliche Religion entsprungen, zwar als eine Thatsache der
göttliclien Offenbarung, aber doch durch unzählige Fäden mit der
tausendjährigen Geschichte Israels verknüpft. Keine Thatsache der
evangelischen Geschichte, kein Wort in der Verkündigung Jesu
Christi ist denkbar ohne die Voraussetzung der jüdischen Geschichte
und der ganzen Vorstellungswelt des jüdischen Volkes.
Daraus ergiebt sich von selbst für den christlichen Theologen
die Aufgabe, jenen Boden zu erforschen und zu beschreiben, auf
welchem die christliche Weltreligion erwachsen ist. Und zwar ge-
nügt es nicht, nur jene ältere Literatur zu kennen, welche in dem
Kanon des Alten Testamentes zusammengefasst ist. Vielmehr knüpft
das Evangelium Jesu Christi gerade in erster Linie an die Ver-
hältnisse der Gegenwart und an ihren Vorstellungskreis an. Diese
Krkenntniss hat verschiedene Forscher veranlasst, der ».Zeitge-
schichte" Jesu Christi besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Abgesehen von solchen Gelehrten, welche die Greschichte Israels
in grösserem Zusammenhang bis auf die Zeit Jesu Christi und der
Apostel fortgeführt haben, haben namentlich Schneckenburger
und Hausrath unter dem Titel einer „Neutestamentlichen
Zeitgeschichte" jene Periode behandelt. Auch das vorliegende
Werk ist in der ersten Auflage unter diesem Titel ausgegangen.
Indem auf denselben wegen seiner Unbestimmtheit (und auch wegen
seiner sprachlichen Incorrectheit) verzichtet wird, wird doch die
Aufgabe im Wesentlichen festgehalten. Allerdings aber ist die Auf-
gabe, die wir uns stellen, eine beschränktere als die von Schnecken-
burger und Hausrath in Angriff genommene. Während Schnecken-
burger die Zustände der jüdischen und heidnischen Welt im Zeit-
alter Christi schildern will, und Hausrath damit auch noch die
Geschichte des Urchristenthums selbst verbindet, soll hier nur die
„Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu
Christi" dargestellt werden; denn nur sie bildet zunächst und im
eigentlichen Sinne die Voraussetzung für die älteste Geschichte
des Christenthums. |
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 1
2 § 1. Aufgabe und Literatur. [2]
Das Charakteristische dieser Periode ist die H e r r s c h a f t de s
Pharisäismus. Die gesetzliche Richtung, die einst Esra begründet
hatte, ist jetzt weit über das von Esra geforderte Maass hinaus
gesteigert. Man begnügt sich nicht mehr, die Forderungen der
schriftlichen Thora zu erfüllen. Dieselben sind in eine Unzahl der
peinlichsten und minutiösesten Einzelvorschriften zerlegt, deren ge-
naue Beobachtung zur heiligen Pflicht, ja zur Bedingung der Selig-
keit gemacht wird. Und diese gesteigerte Gesetzlichkeit hat die
unbedingte Herrschaft über die Gemtither erlangt, so dass alle
anderen Richtungen in den Hintergrund gedrängt sind.
Ihren Ausgangspunkt hat diese Richtung in den Kämpfen
der makkabäischen Zeit. Durch deren Verlauf hat die gesetzliche
Richtung nicht nur den Sieg über die griechenfreundliche, sondern
überhaupt die unbedingte Herrschaft über das Volk errungen, und
damit auch den Antrieb zur ungemessenen Steigerung ihrer An-
sprüche empfangen. Die Schriftgelehrten regieren nun das Volk.
Keine andere, sei es geistige oder politische Macht ist mehr im
Stande, ihrem Einfluss das Gleichgewicht zu halten. — Die Kämpfe
der Makkabäerzeit sind aber auch für die politische Geschichte
epochemachend. Durch sie wurde der Grund gelegt zur Bildung eines
selbständigen jüdischen Staatswesens und zur Loslösung desselben
vom Reiche der Seleuciden. Diese Loshisung ist dann infolge der
Schwäche des syrischen Reiches wirklich gelungen. Judäa wurde
ein unabhängiger Staat unter einheimischen Fürsten, und ist dies
bis zur Eroberung durch die Römer geblieben. — So rechtfertigt
es also sowohl die innere Entwickelung als die politische Geschichte^
dass wir unsere Darstellung mit der G-eschichte der Makkabäerzeit
beginnen.
Auch für die Wahl des Endpunktes ergiebt ein Blick auf
die innere wie auf die äussere Geschichte dasselbe Resultat. Die
politische Selbständigkeit hat auch unter den Rinncrn in gewissem
Maasse zunächst noch fortbestanden. An Stelle der priosterlichen
Dynastie der Makkabäer trat die neugeschaffene der Herodianer.
Nach deren Fieseitigung durch dU\ Römer ist dann Palästina eine
Zeit lang dur<^h kaisciliche Procuratorcii veiwaltet worden. Aber
selbst unter ihnen hat noch ein einheimisdier aristokratischer Senat,
da« sogenannte Synedriuiu, die meisten Regierungsb(;fugnisse aus-
geübt. Erst infolge des grossen Aufstandes unter Nero und Ves-
pasian ist dem jüdischen Volke jede politische Selbständigkeit ge-
Domnien worden; nnd «a-st die Unterdrückung des grossen Auf-
standes unter Hadrian hat diese /JMiatsache zu einer delinitiveu
gemacht — Wenn es sich sonach empfiehlt, die Darstellung bis
zur Zeit Hadrian'« fortzufüln-en, so spricht eben dafür auch der
[2. 3] § 1. Aufgabe und Literatur. 3
Gang der inneren Entwickelung. Denn gerade zur Zeit Hadrian's
haben die jüdischen | Gelehrten zum ersten Male das bisher niu*
mündlich fortgepflanzte traditionelle Recht schriftlich aufgezeichnet
und dadurch den Grund zum Codex des talmudischen Rechtes ge-
legt. Mit der Zeit Hadrian's beginnt also auch für die innere
Entwickelung eine neue Epoche, die talmudische, in welcher nicht
mehr die Thora Mosis, sondern der Talmud die Grundlage für die
weitere juristische Discussion bildet. Zugleich ist dies auch die-
jenige Periode, in welcher der Pharisäismus infolge des Unter-
gangs des jüdischen Staatswesens zu einer rein geistigen Grösse wird,
eben damit aber nur noch unbeschränkter die Herrschaft erlangt.
Denn mit dem Untergang des Tempels ist die sadducäische Priester-
schaft beseitigt; und in der Diaspora vermag das inconsequente
hellenistische Judenthum sich nicht auf die Dauer gegenüber dem
consequenteren pharisäischen zu behaupten.
Die Beschaffenheit der Quellen macht es nicht möglich, die
innere Entwickelung während dieses Zeitraumes Schritt für Schritt
zu verfolgen, namentlich nicht für die einzelnen Institutionen, die
dabei in Betracht kommen. Es ergiebt sich daher von selbst die
Nothwendigkeit, auf die Darstellung der politischen Geschichte eine
Schilderung der inneren Zustände folgen zu lassen. Die poli-
tische Geschichte zerfallt in zwei Perioden: die Zeit der Un-
abhängigkeit und die Zeit der Römerherrschaft. In Betreff der
inneren Zustände werden hauptsächlich folgende Punkte in's
Auge zu fassen sein. Es sind zunächst die allgemeinen Cultur-
verhältnisse, welche damals in Palästina herrschten, zu schildern,
wobei namentlich zu erwägen ist, welche Verbreitung der Helle-
nismus an den Grenzen des jüdischen Gebietes und im Innern
desselben gefunden hat (§ 22). Zur Ergänzung der politischen
Geschichte ist dann die Gemein de -Verfassung sowohl der heid-
nischen Communen Palästina s als des jüdischen Volkes darzustellen,
was insofern zur inneren Geschichte gehört, als hierbei die Selbst-
verwaltung der Communen im Unterschied von den politischen
Schicksalen des ganzen Landes in Betracht kommt. Die Darstel-
lung der jüdischen Communalverfassung giebt Gelegenheit, auch
die Geschichte des Synedriums und der jüdischen Hohenpriester
einzufügen (§ 23). Die beiden Hauptfactoren für die innere Ent-
wickelung sind aber einerseits die Priesterschaft und der Tempel-
cultus (§ 24), andererseits die Schriftgelehrsamkeit (§ 25).
Da die vornehmen Priester in der griechischen Zeit mehr die
Aveltlichen und politischen Interessen als die religiösen verfolgten,
so traten die gesetzesstrengen Kreise unter Führung der Schrift-
gelehrten vorwiegend in einen Gegensatz zu ihnen. Um die vor-
1*
4 § 1. Aufgabe und Literatur. [3. 4]
nehmen Priester gruppirte sich die Partei der Sadducäer, um
die Schriftgelehrten ] die Partei der Pharisäer (§ 26). Zur Ver-
breitung und Erhaltung der Gesetzeskenntniss in den weiteren
Kreisen des Volkes dienten die Einrichtungen der Schule und
Synagoge (§ 27). Um eine Anschauung von den Resultaten zu
geben, zu welchen die Bestrebungen der Schriftgelehrten und Pha-
risäer führten, ist in einem weiteren Abschnitt das Leben unter
dem (resetz zu schildern (§ 28). Der Eifer für das Gesetz hat
aber seinen Lebensnerv in der messianischen Hoffnung. Denn
der Gnadenlohn Gottes, dessen man durch einen gesetzlichen
Wandel sich würdig zu machen trachtet, wird vorwiegend als ein
zukünftiger und jenseitiger gedacht (§ 29). Gesetzlicher Eifer und
messianische Hoifnung sind also die beiden Mittelpunkte, um welche
sich das Leben des Israeliten bewegt. Nachdem mit ihrer Be-
schreibung die Darstellung der inneren Zustände des vulgären
palästinensischen Judenthums in den Hauptpunkten erschöpft ist,
erübrigt es noch einen Blick zu werfen auf den jüdischen Mönchs-
verein der Essener (§ 30) und auf das viel einflussreichere, na-
mentlich auch für die Urgeschichte des Christenthums ungleich
wichtigere Judenthum in der Diaspora (§ 31). An der Hand
der erhaltenen jüdischen Literatur unserer Periode ist endlich zu
zeigen, wie trotz der Vorherrschaft des Pharisäismns doch die
geistigen Interessen und Bestrebungen des Judenthums noch sehr
mannigfaltige sind. Es zeigt sich das schon bei der palästinen-
sischen Literatur (§32); in noch höherem Maasse aber bei der
hellenistischen Literatur (§ 33), innerhalb welcher der jü-
dische Philosoph Philo um seiner besonderen Bedeutung willen
eine specielle Darstellung erfordert (§ 34).
Literatur*).
Prideaux, The Old and New Testament connected in the historii of tlic Jews
and nrif/li/)intrlnf/ nations from the declenaion of ihr kwgdimi of Isrnel and
JuiUdt to the time of Christ, 2 Bde. Lmdon 1716—1718. 10. Aufl. 1749. —
Eine neue verbesserte Auflage, bearbeitet von J. Talboys Wheoler, er-
schien in 2 Bdn. 1858. — Deutsche UebcrHctzung u. d. Titel: Alt- und
Neues Testament in eine Connexion mit der Juden und benai^hbartcn
Völker Hi»torie gebraclit, vom Verfall dor Reiche Israel und .Inda an bis
auf Christi Himmelfahrt, 2 ThU«. 17'Jl, 2. Aufl. 1726. — Das einst bo-
rfihmte (aiicii in's FranrOsische übersetzte) Werk ist noch heute mit Nutzen
XU gehrauehon.
Kwald, Geschichte den Volke» Inrael. 7 »de. 3. Aufl. 1804-1868. - Bd. TV:
G«Mhiohte Ezra's und der Hcilighcrrschad in Israel bis Christus. Bd. V: Go-
1) Die mit einem * versehenen Werke sind von jüdischen Verfassern.
[4, 5] § 1. Aufgabe und Literatur. 5
schichte Christus' und seinerzeit. Bd. VI: Gresch. des apostolischen Zeit-
alters bis zur Zerstörung Jerusalem's. Bd. VII: Gesch. der Ausgänge des
Volkes Israel und des nachapostolischen Zeitalters. — Verbindet mit der
Gesch. des Volkes Israel die Geschichte Christi und der Apostel. |
Schneckenburg er, Vorlesungen über Neutestamentliche Zeitgeschichte. Aus
dessen Nachlass herausgeg. von Löhlein. 1862.
Holtzmann, Heinr. Jul., Judenthum und Christenthum im Zeitalter der
apokryphischen und neutestamentlichen Literatur. Auch u. d. Titel: Gesch.
des Volkes Israel von Weber und Holtzmann, 2. Bd. 18ö7. — Reicht
von der Zeit Alexanders des Grossen bis Hadrian, in ähnlicher Weise wie
Ewald, doch bedeutend kürzer, die Gesch. des Urchristenthums mit der
Gesch. des jüdischen Volkes verknüpfend.
Hausrath, Neutestamentliche Zeitgeschichte, 3 Bde. 1868—1874. 2. Aufl. in 4
Bdn. 1873—1877. Der 1. Bd. in 3. Aufl. 1879. — Behandelt die jüdische
Geschichte von Pompejus bis Hadrian, einschliesslich des Lebens Jesu und
der Gesch. des Urchristenthums ; auch vieles aus der römischen Geschichte
ist mit hineingezogen.
Hitzig, Geschichte des Volkes Israel von Anbeginn bis zur Erobenmg Masada's
im J. 72 nach Chr. 2Thle. 18(39. — Behandelt die spätere Geschichte (seit
Alexander d. Gr.) verhältnissmässig ausführlich.
Wellhausen, Die Pharisäer und die Sadducäer. Eine Untersuchung zur inneren
jüdischen Geschichte, 1874. — Die kurze Monographie bietet für die innere
Geschichte des Judenthums in unserer Periode mehr als manches umfang-
reiche Werk.
Reuss, Die Geschichte der heiligen Schriften alten Testaments, 1881. 2. Aufl.
1890. — Eigentlich eine Gesch. der Literatur, aber in Verbindung mit der
Gesch. des Volkes.
Seinecke, Geschichte des Volkes Israel, 2. ThI., vom Exil bis zur Zerstörung
Jerusalems durch die Römer, 1884.
Holtzmann, üskar. Das Ende des jüdischen Staatswesens und die Entstehung
des Christenthums , 1888 (= Stade, Gesch. des Volkes Israel, 2. Bd.
2. Hälfte).
Renan, Histoire du peuple d' Israel, t. IV, 1893. /. V, 1893. Deutsch: Renan,
Geschichte des Volkes Israel, Bd. IV— V, 1894. — Bd. IV geht von der
Rückkehr aus dem Exil bis zum Makkabäer Jonathan, Bd. V vom Makka-
bäer Simon bis zur Zeit Jesu Christi.
Wellhausen, Israelitische und jüdische Geschichte, 1894. 4. Aufl. 1901. Geht
bis zur Zerstörung Jerusalems; die Darstellung der inneren Entwickelung
seit dem Exil bildet den Glanzpunkt des Werkes.
Holtzmann, Oskar, Neutestamentliche Zeitgeschichte, 1895 (Grundriss in
knappster Form).
Cornill, Geschichte des Volkes Israel von den ältesten Zeiten bis zur Zer-
störung Jerusalems durch die Römer, Chicago 1898 (32*5 S.).
Guthe, Geschichte des Volkes Israel [Grundriss]. 1899.
Schlatter, Israels Geschichte von Alexander dem Grossen bis Hadrian. Calw
und Stuttgart, 1900 (342 S.).
*Jost, Geschichte der Israeliten seit der Zeit der Makkabäer bis auf unsere
Tage. 9 Bde. 1820—28. — Für uns kommen die ersten 4 Bde. in Betracht.
*Jost, Geschichte des Judenthums und seiner Secten, 3 Bde. 1857—59. — Giebt
eine Geschichte der inneren Entwickelung des Judenthums von der Zeit
ß § 1. Aufgabe und Literatur. [5. 6]
des Exils bis auf unsere Tage. Der erste Bd. geht bis zur Zerstörung
Jerusalems.
♦Herzfeld, Geschichte des Volkes Jisrael von der Zerstörung des ersten
Tempels bis zur Einsetzung des Makkabäers Schimon zum hohen Priester
und Fürsten [oder vielmehr bis zu dessen Tode im J. 135 v. Chr.]. 3 Bde.
1847—1857 (Bd. 2 und 3 auch u. d. Titel: Gesch. d. V. Jisr. von der Vol-
lendung des zweiten Tempels bis zur Eins. d. Makk. Schimon zum hohen
Priester und Fürsten , 2 Bde. 1855 — 57). — Für uns kommen die beiden
letzten Bde. in Betracht. Bd. II behandelt die politische Geschichte von
der Vollendung des zweiten Tempels bis z. J. 135 v. Chr., Bd. III die
innere Entwickelung während dieser Zeit. — Ein Auszug aus diesem grösseren
Werke ist: Herzfeld, Gesch. des V. Jisrael v. der Zerstörung d. ersten
Tempels bis zur Einsetzung des Makkabäers Schimon zum hohen Priester
und Fürsten, ans seinem dreibändigen Werke des gleichen Titels kürzer
dargestellt und überarbeitet. Leipzig 1870 (350 S.).
*Grätz, Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart.
Bd. 3—11. 1853—1870. — Reicht vom J. 160 v. Chr. bis 1848 n. Chr.
Bd. III, 3. Aufl. 1878, 4. Aufl. 1888 (stark erweitert), auch u. d. T.: Ge-
schichte der Juden von dem Tode Juda Makkabi's bis zum Untergang des
jüdischen Staates, Bd. IV, 2. Aufl. 18G6, auch u. d. T.: Gesch. d. Juden
vom Untergang des jüdischen Staates bis zum Abschluss des Talmud. —
Später erschienen: Bd. I— II (letzterer in zwei Hälften) 1874 — 1876. Die
zweite Hälfte des zweiten Bandes geht vom babylonischen Exile bis zum
Tode des Juda Makkabi.
♦Geiger, Urschrift und Uebersetzungen der Bibel in ihrer Abhängigkeit von |
der innern Entwickelung des Judenthums. 1857. — Sucht namentlich zu
zeigen, wie die innere Entwickelung des Judenthums in der nachexilischen
Zeit von wesentlichem Einfluss auf die Gestaltung des alttestamentlichen
Textes gewesen ist.
♦Geiger, Das Judenthura und seine Geschichte. Bd. 1 — 3. 1864—1871. — Be-
schreibt nur die Hauptmomente der innern Entwickelung des Judenthums.
Bd. I gellt bis zur Zerstörung des zweiten Tempels, Bd. 11 bis zum Ende
de» zwölften Jahrhunderts, Bd. III bis zum Ende des sechszehnten Jahr-
hunderts. Der beabsichtigte IV. Bd. ist nicht erschienen. — Vgl. auch:
Innere Geschichte der zweiten Tempelperiode und deren Behandlung (Jüd.
Zeitschr. f. Wissensdi, u. Leben 1868, S. 247—277).
*äack, Die altjQdische Religion im Uebergange vom Bibelthume zum Tal-
mudismuH, 18K9.
*Salvador, Jlistoirc de la (lonn'ncUion Romaine eti Judie et de la ruine ilr
Jerusalem. 2 voll. I'aris 1847. Auch deutsch u. d. T.: Salvador, Gesch.
d. RönierlierrHcliaft in .ludiia und der Zerstörung Jerusalems. 2 Bde. 1847.
— Geht von der Zeit des PompcjuK Ms zur Zerstörung JernHalems; bietet
aber ftuit nichtH uIm eine weitschweiiige Repruduction der Quellen.
*Jiaphall, Post-Inhlical Jlisttrrif of tJie jeu'8, froin Ihe dose ofthe old Testament
(üxmt Ihe year 420 tili thc destruction of the sccoiid tcniplc in ihe year 70.
2 Bde. iMtidtm \m\.
*Dercnhour<j, K»Mai nur PhUtnirc et In ii<'"ti,'i,hir ih In J'itirstiiir, (raprh les
Thalmwlii rt li-g aiUres auurccJi rabhini<jii> s /', /, llisloirc d« la 1'ale.ttine
difjniig Cifritn jtuqu^ ä Adrien, I'aris 1807. — Will nicht eine ÜeHcliichte des
VolkuK Iftmel in dorn gennnnton Zeitraum geben, sonderu nur eine Zu-
[G. 7] § 1. Aufgabe und Literatur. 7
sammenstellung der rabbinischen Traditionen hinsichtlich dieser Ge-
schichte.
*Montefiore, Lectures an the origin and growih of religion as illtistrated hy
the reliffion of the ancient Hehretvs, London 1892. — Behandelt S. 355 — 552
die Zeit von Nehemia bis zu den Makkabäern, Vgl. Budde, Theol. Litztg.
1894, Nr. 1.
Miiman, The History of the Jews. From the ear liest period down to modern
times. Svoll. 3. ed. London \8ß3. — Der 1 . Bd. schliesst mit der Abschaffung
des jüdischen Gottesdienstes durch Antiochus Epiphanes, der 2. geht vom
Auftreten des Mattathia« bis ins dritte Jahrh. n. Chr.
Stanley, Lectures on the History of the Jewish Church. 'i^d series, from the
Captivity to the Christian Era. London 1876.
Morrison, The Jews linder rornan rule, 1890 (426 S.).
Latimer, Judea from Gyrus to Titus. Chicago 1899 (382 S.).
Mathews, Ä History of New Testament times in Palestine 17.5 Ä C. — 70 J.. D.
New York 1899 (218 S.).
Riggs, History of the Jewish people during the Maeeabean and Roman periods.
New York 1900 (320 S.).
Bost, VEpoque des Maceabees, histoire du peuple juif deptiis le retour de Cexil
JHsqü" ä la destruction de Jerusalem. Strassbourg 1862.
Ledrain, Histoire d' Israel. 2 Bde. Paris 1879—1882. — Behandelt die griechisch-
römische Zeit verhältnissmässig ausführlich, s. Bursian's Jahresbericht über
die dass. Alterthumswissensch. Bd. XXXII, 522 f.
De Sauley, Histoire des Machabees ou prinees de la dynastie asmoneenne,
Paris 1880.
Stapf er, La Palestine au temps de Jisus- Christ d^apris le Nouveau Testament,
Vhistorien Flavius Josephe et les Talmuds. Paris 1885. 5. ed. 1892. — Mehr
Archäologie als Geschichte. Vgl. Theol. Litztg. 1886, 51.
Champagny, Rome et la Jtulee au temps de la chute de Neron {ans 66—72 apres
Jesus- Christ). 2 voll. Paris 1865.
Looman, Geschiedenis der Israeliten van de babylonische ballingschap tot op de
körnst van den Heere Jexus Christus. Met een aanhangsel . inhoudende de
geschiedenis der Israeliten van den dood van Herodes I tot op de verwoesting
van Jenixfdem, Amsterdam 1867, 3» druk, 1891.
Himpel, Politische und religiöse Zustände des Judenthums in den letzten
Jahrhunderten vor Chr. (Tüb. Tlieol. Quartalschrift 1858, S. 63—85).
Baumgarten, Der nationaljüdische Hintergrund der neutestamentlichen Ge-
schichte nach Flavius Josephus (Jahrb. für deutsche Theologie 1864—1865). —
In vier Abschnitten: I. Der schriftstellerische Charakter des Josephus (1864,
S.610 — 648). IL Das idumäisch-röraische Regiment in Judäa (1865, S. 605 —
635). III. Letzter Widerstand und Untergang der jüdischen Nation (1865,
S. 636—668). IV. Grundzüge der Wechselwirkung zwischen den letzten
Zuständen und Kämpfen der jüdischen Nation einerseits und der neu-
testamentlichen Geschichte andererseits (1865, S. 668—693).
Keim, Geschichte Jesu von Nazara, 3 Bde. 1867—1872. — Behandelt im 1. Bde.
auch die Geschichte des Herodes und der römischen Procuratoren und die
inner-jüdischen Zustände während jener Zeit.
Wieseler, Beiträge zur neutestamentlichen Zeitgeschichte (Studien und Kritiken
1875, S. 516 — 556). Vgl. auch dessen chronologische Werke (§ 2, C) und:
Beiträge zur richtigen Würdigung der Evangelien und der evangelischen
Geschichte, 1869.
8 § 1. Aufgabe und Literatur. [7. 8]
Schlatter, Zur Topographie und Geschichte Palästinas, 1893 (26 Studien über
einzelne Fragen, s. Theol. Litztg. 1893, 321—328).
Döllinger, Heidenthum und Judenthum. Vorhalle zur Geschichte des Chri-
stenthums. Kegensburg, 1857 (885 S.). — Die Darstellung des Judenthums
ist allerdings weit kürzer als die des Heidenthums. In letzterer beruht der
Hauptwerth des Buches,
Ueber die Lehren und Anschauungen des Judenthums im Zeitalter Christi
handeln besonders:
Hartmann, Die enge Verbindung des Alten Testamentes mit dem Neuen.
Hamburg. 1831 (840 S.). — Will zeigen wie das Alte Testament im Zeit-
alter Christi behandelt und ausgelegt wurde, wobei gelegentlich auch über
Synedrium und Synagogen ausführlich gehandelt wird.
Gfrörer, Das Jahrhundert des Heils. 2 Bde. 1838. Auch u. d. T.: Gesch.
des Urchristenthums, Bd. 1 u. 2. — Giebt eine systematische Uebersicht
der jüdischen Theologie zur Zeit Christi.
Lutterbeck, Die Neutestamentlichen Lehrbegriffe oder Untersuchungen über
das Zeitalter der Keligionswende, die Vorstufen des Christenthums und
die erste Gestaltung desselben. 2 Bde. 1852. — Der erste Band handelt
vorwiegend über die religiösen Zustände des Judenthums im Zeitalter
Christi.
Noack, Der Ursprung des Christenthums. Seine vorbereitenden Grundlegungen
und sein Eintritt in die Welt. 2 Bde. 1857. — Der 1. Bd. handelt von
den vorbereitenden Grundlegungen (aber sehr oberflächlich).
Nicolas, Des doctrines religieuses des Juifs pendant les deux siecles anterieurs
ä fhre chretienne. Paris 1860.
Langen, Das Judenthum in Palästina zur Zeit Christi. 1866. — Giebt ähnlich
wie Gfrörer eine systematische Darstellung der jüdischen Theologie im Zeit-
alter Christi, unterscheidet sich aber von Gfrörer dadurch, dass er die spätere
jüdische Literatur (Talmud und Midraschim) nicht mit als Quelle benützt.
lieville, Le petiple Juif et le juda'isme au temps de la formation du Talmud
{Revue des deux Mondes, 1867, Novemberheft, S. 104—137). — Ders.,
Le judaisme dejmis la captivite de BalryUme, d' apres Kuenen [Revue des deux
Mondes, 1872, Märzheft, S. 114—141).
Kuenen, De ffodsdienst ran Israi'l tot den ondergami van den joodschen Staat
(„Die Religion Israels bis zum Untergang des jüdischen Staates"). 2 Thle.,
Haarlem 1869-1870 (504 u. 563 S. Lex.-8.). — Für uns kommt in Betracht
Bd. n, Cap. 10: Das Judenthum in Palästina unter der griechischen Ober-
herrnchaft und den hasmonäischen Fürsten (S. 276— 381). Cap. 11: Die Juden
in der ZerHtrctmng; der Hellenismus (8. 382—444). Cap. 12: Das letzte |
Jahrluindert des jOdiscIien Staate« (S. 445—515). Cap. 13: Die Geschichte
de« JutienthumH nach dem Falle JeniHalem« (8. 516-563)
Stapfer, Lfn idfen rr/iz/irmtrs cn l'alcstiur i'i l'vpoquv, de J{:sus-Christ, 2n'e idition.
I'ari» 1H7H. Vgl. Tlicol. Litztg. 1878, 410.
Weber (Fcrd.), Kyntom der altsynagogalen palästiniHclien Theologie ausTarguin,
Midraitch und Talmud dargcHtellt. Nach <leM VerfusserB Tode heniusgeg.
von DelitXHch und Htlmecjermann, Leipzig, 1880. — Neue unveränderte
AuMgahe unter dorn Titel: Die Lehren des Talmud, f|uellenmÄHHig, systc-
mattMch lind gemcinverHtündlich dargestollt, Leipzig lSH»i. - - Wieder anders
betitelt int die „zweite verbenserte" [d. k. von Kaluiii nnd Schncdormanu
[8] § 1. Aufgabe und Literatur, 9
revidirte] Auflage: Jüdische Theologie auf Grund des Talmud und ver-
wandter Schriften gemeinfasslich dargestellt, Leipzig 1897. — Weber giebt
eine gute, selbständig aus den Quellen geschöpfte Darstellung der jüdi-
schen Theologie im talmudischen Zeitalter.
Bacher, Die Agada der Tannaiten, 2 Bde. 1884—1890. — Ders., Die Agada
der palästinensischen Amoräer, 3 Bde. 1892—1899. — Ist nicht systematisch,
sondern chronologisch-biographisch geordnet.
Holtzmann, Heinr. Jul., Lehrbuch der neu testamentlichen Theologie, Bd. I,
1897, S, 28—110: Die religiöse und sittliche Gedankenwelt des gleich-
zeitigen Judenthums,
Cheyne, Jewish reliffious life äff er the exile, 1898. — Deutsch: Das religiöse
Leben der Juden nach dem Exil, 1899.
Einzelne Beiträge zur jüdischen Geschichte in unserer Periode geben auch
folgende Wörterbücher, Eucyklopädien und Zeitschriften (über die Bibel-
wörterbücher 8, noch mehr in dem Artikel von Mangenot „Dictionnairea
de la Bible" in: Vigouroux, Dictionnaire de la Bible II, 1411 — 1428):
Winer, Biblisches Real Wörterbuch, 2 Bde. 3. Aufl. 1847—1848.
Bibel-Lexikon. Realwörterbuch zum Handgebrauch fürGeistliche und Gemeinde-
glieder. Herausgeg. von Schenkel. 5 Bde. 1869—1875.
Handwörterbuch des biblischen Alterthums für gebildete Bibelleser, herausg. von
Riehm, 2 Bde. [1874— ]1884. 2, Aufl. von Baethgen, 1893-1894,
*Hamburger, Real-Encyklopädie für Bibel und Talmud. Abtheilung I.
Die biblischen Artikel, 1870. Abtheilung IL Die talmudischen Artikel,
1883. Dazu Supplementbd. I (zu beiden Abtheilungen) 1886. Suppl. II,
1891. Suppl. III, 1892. Suppl. IV, 1697.
A Cyclopaedia of Biblical Literature. Originally ed. by Kitto. 3. ed. In 3 vols.
Ed. by Alexander. London 1869 — 1876.
Smith, A IHctionary of the Bible, comprising its antiquities, biography, geo-
graphy and natural history. 3 coli. London 1860—1863. — Die amerikanische
Ausgabe dieses Werkes (besorgt von Hackett und Abbott, 4 Bde. New
York 1871) ist vielfach vermehrt und verbessert.
Hostings and Selbie, A Dictionary of the Bible, dealing tcith its language,
läeraftire and Contents, including the Biblical Theology, vol. I, 1898. II, 1899.
HI, 1900.
Cheyne and Black, Encyelopaedia biblica, a eritical dictionary ofthe literary,
political and rely/ious history, the arehaeology, geography and natural history
of the Bible. vol. I. .1 to I) 1899, vol. II, E to K. 1901.
Vigouroux, Dictionnaire de la Bible, contenant tous les noins de personnes, de
lieux, de plantes, d^animaux, mentionnes dans les Saitdes Ecritures, les que-
stions fheologiques, arc/ieologiques, scientifiques, eritiques relatives ä l' Anden
et au Nouveau Testament ei des notices sur les commentateurs anciens et
modernes, t. I, A—B, Paris 1895 (1984 col. 4"), t. II, C—F, 1899 (2428 col.\.
Real-Encyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft, herausg. von Pauly.
6 Bde. 1839—1852. Bd. I erschien in neuer Auflage in zwei Abtheilungen
1864 — 1866. — Eine völlige Neubearbeitung unter Redaction von Wissowa
erscheint seit 1894.
Real-Encyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, Herausgeg. von
Herzog, 22 Bde. 1854 — 1868. — Eine neue Bearbeitung erschien unter
Redaction von Herzog, Plitt und Hauck in 18 Bdn. 1877 — 1888, —
Eine dritte Auflage unter Redaction von Hauck erscheint seit 1896.
10 § 1- Aufgabe uud Literatur. [8. 9]
*The Jetcish Eneyclopedia, comprising ihe history, religion, literature and customs
of the Jeui^h People from the earliest times tn the present day, Nerv York,
Funk d- Wagnalls Company, vol. I. 1901. — Diese grosse, von Singer be-
gründete Encyklopädie ist im ganzen auf 12 Bände berechnet.
* Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie, herausgeg. von Geiger,
6 Bde. 1835—1848 (von Bd. 6 nur drei Hefte).
*Der Orient. Berichte, Studien und Kritiken für jüdische Geschichte und
Literatur. Nebst dem „Literaturblatt des Orients", herausgeg. von Fürst.
12 Bde. 1840-1851.
♦Zeitschrift für die religiösen Interessen des Judentliums, herausgeg. von
Frankel, 3 Bde. 1844-1846.
♦Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthuras, herausgeg.
von F r a n k e 1 1851—1868. Später (1869—1887) von G r ä t z. — Neue Folge,
herausgegeben von Brann, erscheint seit October 1892.
♦Jüdische Zeitschrift für W^issenschaft und Leben, herausgeg. von Geiger»
11 Bde. 1862-1875.
♦Jahrbücher für jüdische Geschichte und Literatur, herausgeg. von N. Brüll.
I. Jahrgang [sie!) 1874. II. 1876. III. 1877. IV. 1879. V. u. VI. 1883.
VII. 1885. VIII. 1887. IX. 1889. X. 1890.
♦Magazin für die Wissenschaft des Judenthums, herausgeg. von Berliner uud
Hoffmann, Jahrg. III— XX, 1876 — 1893 (der factische erste Jahr gang 1876
ist als dritter gezählt, indem zwei Bände einer anderen Zeitschrift als
erster und zweiter gerechnet sind).
*Revue des etudes jiiives. Publicaiion trimestricUe de la Societe des etudes juives.
Paris 1880 sqq. (erscheint in vier Heften oder zwei Bänden jäiirlich).
*The Jeicish (juarterly Review, edited by Ahrahams and Montefiore, London
1888 sqq.
§ 3. Hülfswisseuschafteu.
Zur Ergänzung der in § 1 genannten Literatur nennen wir
hier noch die wichtigeren Werke aus denjenigen Disciplinen, welche
zu der unserigen im Verhältniss von H ülfswissenschaften stehen.
Dahingehören: 1, die biblische und jüdische Archäologie, welche
die r<!ligiösen und bürgerlichen Institutionen, Sitten und (rebräuehe
des jüdischen Volkes darzustellen hat, 2, die Geographie, 3, die
Chronologie, 4, die Numismatik, 5, die Epigraphik. Die
Geographie und Chronologie stellen den ürtliclien und ziMtlichen
Rahmen für di«' zu behandehide Ge.schichtt^ djir, die Nuinisniatik
und Epigraphik liefern urkundliches Material.
A. Archäologie.
Eine reiclu; Saninilung älterer Monograpliiiai zur biblischen
und jüdischen Archäologie enthalten die .'J4 Foliobände von Ug<>-
lini'H T/ie^aurwi. Die kürzeren Hand- niid iichrbücher behandeln
{9. 10] § 2. Hülfswissenschaften. A. Archäologie. 1 \
entweder das ganze Gebiet der „Alterthünier" oder nur einzelne
Theile, wie namentlich den religiösen Cultus oder das bürgerliche
Eecht. Der Stoif der Archäologie ist auch in den biblischen Wörter-
büchern behandelt. Ergänzendes Material bieten endlich die Dar-
stellungen der jüdischen Satzungen und Gebräuche in der nacli-
talmudischen Zeit.
Ein reichhaltiges Verzeichniss der älteren Literatur giebt Meusel, Biblia-
tlieca historica I, 2, 118 — 207, eine Uebersicht der neueren Literatur:
Winer, Handb. d. theol. Literatur I, 133 ff. Rüetschi in Herzog's Real-
Enc. 2. Aufl. I, 608 f. Kittel ebendas. 3. Aufl. I, 776. Nowack, Lehrb.
der hebr. Archäologie I, 15—24.
Ufjolini Thesaurus antiquitahim sacrarmn, 34 Bde. Fol. Venetiis 1744 — 1769.
— Inhaltsverzeichnis» der einzelnen Bde. bei Meusel, Biblioth. hist. I, 2,
118—142.
JReland, Antiquitates sacrae reterum Hebraeorum. Uttraj. 1708. Jen. 1713. —
Notas adj. Eh. Ran, Herbotti 1743. — A Blasio Ugolino amplissimu cotii-
mcntario iUustratae, in UgoUni Thes. t. II, 1744. — Mit den Noten von Rau
und Ugolini herausgeg. von Vogel, Halle 1769.
Iken, Antiquitates heltr. seeundum triplieem Judaeonim statum, ecelesiastieiim
politicum et oeconomieum, Bremen 1730 und öfter.
Waehner, Antiquitates Ebraeorum de Israeliticae yentis origine, fatis, rebus
sacris civiiilms et domesticis etc. 2 Bde. Göttingen 1743. 1742. |
Carpzov (Joh, Qottloli), Apparatus historico eriticus antiquitatmn saeri eodici.s,
1748 (eigentlich Abdruck eines älteren Werkes von Qoodicin, Moses et
Aron 1616 mit Anmerkungen, die aber den ursprünglichen Text an Umfang
und Werth weit überragen).
J. D. Michaelis, Mosaisches Recht, 6 Thle. 1775—1780.
Jahn, Biblische Archäologie, 3 Thle in 5 Bdn. 1796—1805. Thl. 1—2 in
2. Aufl. 1817—1825.
Rosen müller, Handbuch der biblischen Alterthumskunde, 4 Bde. in 7 Thln.
1823-1831 (unvollendet).
De Wette, Lehrbuch der hebräisch-jüdischen Archäologie nebst einem Grund-
riss der hebräisch-jüdischen Geschichte. (1. Aufl. 1814.) 4. Aufl., bearbeitet
V. Räbiger 1864.
Ewald, Die Alterthümer des Volkes Israel (Anhang zum 2. u. 3. Bd. seiner
Gesch. d. V. Isr.) 3. Aufl. 1866.
Keil, Handbuch der biblischen Archäologie, 2 Thle. 1858 — 59. 2. Aufl.* in
einem Bande, 1875.
Saalschütz, Das Mosaische Recht, nebst den vervollständigenden Talmu-
disch-Rabbinischen Bestimmungen. 2. Aufl. 2 Thle. Berlin 185-1 — Ders.,
Archäologie der Hebräer. 2 Thle. Königsberg, 1855—56.
Scholz, Die heiligen Alterthümer des Volkes Israel. 2 Abthlgn. Regensburg,
1868.
Haneberg, Die religiösen Alterthümer der Bibel. 2. grösstentheils umgear-
beitete Aufl. des „Handbuchs der biblischen Alterthumskunde". Mün-
chen, 1869.
Schegg, Biblische Archäologie, herausgeg. von Wirthmüller, Freiburg 1887.
Benzinger, Hebräische Archäologie, Freiburg 1894 [= Grundriss der theol.
Wissenschaften 6. Abth.l.
12 § 2. Hülfswissenschaften. ß. Geographie. [10. 11]
Xowack, Lehrbuch der hebräischen Archäologie, 2 Bde. 1894.
Die Wörterbücher von Winer, Schenkel, Riehm, Hamburger, s. oben S.O.
Bodenschatz, Kirchliche Verfassung der heutigen Juden, sonderlich derer
in Deutschland, 4 Thle. in 2 Bdn. 1748—49.
J. F. Schröder, Satzungen und Gebräuche des talmudisch-rabbinischen Juden-
thums, Bremen 1851.
B. Geographie.
Die Erforschung des heiligen Landes ist in unserem Jahr-
hundert mit solchem Eifer betrieben worden, dass es schwer ist,
aus der unabsehbaren Literatur das wichtigere hervorzuheben.
Wir unterscheiden zwei Classen: 1) die zusammenfassenden Be-
arbeitungen solcher Autoren, welche nicht selbst an Ort und Stelle
gewesen sind, und 2) die Forschungen im heiligen Lande selbst.
Aus der ersteren Kategorie ragen zwei Werke durch deu Reich-
thum des Stoffes über alle anderen hervor: das ältere von Reland
und das neuere von Ritter, beide wohl noch auf lange unent-
behrlich. Zweckmässige Handbücher sind die von Raum er und
Buhl. Von den Forschungen sind vor allem die des Amerikaners
Robinson durch den Reichthum neuer Ergebnisse epochemachend
gewesen. Noch vollständiger und systematischer hat der franzö-
sische Gelehrte Guerin das ganze Westjordanland von Ort zu |
Ort erforscht und beschrieben. Beide geben bei der Mittheilung
ihrer Resultate auch das historische Material mit grosser Voll-
ständigkeit. Nur eine Beschreibung des heutigen Palästina geben
die Memoirs, welche der grossen englischen Karte zur Er-
läuterung beigegeben sind. — Eine Wissenschaft für sich bildet
die Topograpliie von Jerusalem. — Zwei Zeitschriften, eine
englische und eine deutsche, dienen jetzt als Organ für die neueren
Forschungen. — Unter den historischen Atlanten, welche die po-
litische (ieschichte Schritt für Schritt anschaulich maclien, ist der
von Menke besonders zu empfehlen. — Auf dem Gebiet der
Kartographie sind alle früheren Leistungen in den Schatten
gestellt worden durcli die grosse englische Karte in 20 Jiliittern,
welche der englische Palästina- Verein auf Grund der in den Jahren
1872 — 1877 veranstalteten genauen topographischen Vermessung
de» Westjordanlandes herausgegeben hat. Die Vermessung des
Ostjordanlandes ist von den Engländern nach einem kleinen
Anfang wieder aufgegeben worden. Dafür ist sie von Schumacher
im Auftrag des deutschen Palästina-Vereins, zuiiiiclist durch Ver-
messung einiger nördliciien Districte, fortgesetzt worden. — Für
die Topographie von Jerusalem haben ebenfalls die Engländer die
zuverlässigsten (-»rundlagen g('li('fert. In den .laliren 1864—1865
[11. 12] § 2. Hülfswissenschaften. B. Geographie. 13
hat Wilson das heutige Jerusalem topographisch aufgenommen,
und in den Jahren 1867 — 1870 hat der englische Palästina-Verein
am Tempelplatz die umfassendsten Vermessungen und Nachgra-
bungen vornehmen lassen, wozu die deutschen Arbeiten zunächst
nur eine Nachlese liefern konnten.
Ein ausführliches Verzeic'.iniss der älteren Palästina-Literatur hat bereit»
Mensel geliefert [BibliotJieea historiea I, 2, 70 — 118); eine gute Uebersicht bis
zum J. 1840: Robinson, Palästina Bd. I S. XVI— XXXIX. — Ein erdrückend
reichhaltiges Verzeichniss der Palästina- Literatur giebt: Tobler, Bibliographia
(jeo^iraphiea Palaedinae, Leipzig I8ü7. Noch eingehender, als es hier geschehen
ist, hat Tobler die älteren Reisebeschreibungen bis zum zehnten Jahrhundert
n. Chr. behandelt in der: Bibliographia (leo^iraphica Palaestitiae ab avtio
CCCXXXIII usfjtie ad annum M. Dresdae 1875 (Separatabdr. aus Petzholdt's
Neuem Anzeiger für Bibliographie und Bibliothekwiss, 1875). — Fortsetzungen
und Nachträge zu Tobler's Werk haben geliefert: Ph. Wolff in den Jahrbb.
für deutsche Theologie 1868 und 1872, Röhricht und Meisner, Deutsche
Pilgerreisen nach dem heiligen Lande (Berlin 1880), S. 547—648. — Eine
neue, noch vollständigere Zusammenfassung des Materiales giebt: Röhricht,
Bibliotheca f/eographica Palacstinae. Chronologisches Verzeichniss der auf die
Geographie des heiligen Landes bezüglichen Literatur von 333 bis 1878 und
Versuch einer Cartographie. Berlin 1890 (XX, 744 S.). — Die Jahresberichte,
welche Socin, Jacob und Benzinger in der Zeitschrift des deutschen
Palästina- Vereines 1878—1895 geliefert haben, haben leider seitdem aufgehört.
— Eine Uebersicht der Literatur auch bei Fr. W. Schultz, Art. „Palästina"
in Herzog's Real.-Enc. 2. Aufl. Bd. XI (1883) S. 800—804. — Eine Bibliography
of Eastern Palestine giebt Ö. A. Smith, Historical Geography of the Holy
Land, 1894, p. 665— 667. Eine ähnliche Zusammenstellung: Fischer, Zeitschr.
des DPV. XIL 248 ff". XIII, 44 ff.
Bearbeitungen:
Reland, Palaestina ex monunientis veteribus illustrata, Ultraj. 1714. Norimh.
1716.
Ritter, Die Erdkunde im Verbal tniss zur Natur und zur Geschichte des
Menschen. 2. stark vermehrte und umgearbeitete Ausg. Thl. XIV— XVII,
Berlin 1848—1855. — Inhalt der einzelnen Theile: XIV (1848): Die Sinai-
Halbinsel. XV, 1 (1850): Die grosse Einsenkung des Jordanthaies, das
Stromsystem und Stromgebiet des Jordans. XV, 2 (1851): Das Land im
Osten des Jordan und des todten Meeres (Peräa). XVI (1852): Judäa,
Samaria, Galiläa. XVII, 1 (1854): Phönizien, Libanon und gebirgiges
Nordsyrien. XVII, 2 (1855): Das Stromsystem des Orontes und das flache
Nordsyrien mit der Amanuskette.
Raumer, Palästina, 4. Aufl. Leipzig 1860.
Quandt, Judäa und die Nachbarschaft im Jahrhundert vor und nach der
Geburt Christi (auch unter d. T.: Chronologisch-geographische Beiträge
zum Verständniss der heiligen Schrift II, 1), Gütersloh 1873. — Zwar
kurz, aber selbständig.
Smith, George Adam, The historieal geography of the Holy Land especially in
relatio^i to the history of Israel and of the early church. London 1894,
14 § 2. Hülfswissenschaften. B. Geographie. [12. 13}
neue Ausg. 1897. — Sucht hauptsächlich zu zeigen, wie die Geschichte
des Landes bedingt ist durch seine physische Beschaffenheit. Hinsicht-
lich der Ortskunde bietet das Werk nur eine knappe Auswahl.
Buhl, Geographie des alten Palästina, 1896 (Grundriss).
Boettger (Gustav), Topographisch-historisches Lexicon zu den Schriften des
Flavius Josephus, Leipzig 1879. — Stellt das Material aus Josephus zu-
sammen.
Neubauer, La f/eographie du Talmud. Paris 186S. — Stellt das Material aus
der rabbinischen Literatur zusammen, freilich nicht vollständig.
Le Strange, Palestine under the Moslems: a dcscription of Syria and tlie
Holy Land from A. D, 650 — 1500, translated front the uorks of the nie-
diaeval Arab Qeographers. London 1890.
In den biblischen Wörterbüchern von Winer, Schenkel, Eiehm und An-
deren sind die in der Bibel vorkommenden Ortsnamen behandelt.
Forschungen:
Robinson, Palästina und die südlich angrenzenden Länder. Tagebuch einer
Reise im J. 1838 in Bezug auf die biblische Geographie unternommen v.
E. Robinson und E. Smith. 8 Bde. Halle 1841-42. — Ders., Neuere
Biblische Forschungen in Palästina und in den angrenzenden Ländern. Tage-
buch einer Reise im J. 1852. Von E. Robinson, E. Smith und Anderen.
Berlin, 1857. — Ders., Physische Geographie des heiligen Landes. Aus
dem Nachlass des Verf Leipzig, 1865.
Tob 1er, Bethlehem in Palästina. 1849. — Golgatha. Seine Kirchen und Klöster.
1851. — Die Siloahquelle und der Oelberg. 1852. — Denkblätter aus
Jerusalem. 1853. — Zwei Bücher Topographie von Jerusalem und seinen
Umgebungen. 2 Bde. 1853 — 54. — Dritte Wanderung nach Palästina im
Jahre 1857. Ritt durch Philistäa, Fussreiseu im Gebirge Judäas und
Nachlese in Jerusalem. 1859. — Nazareth in Palästina. 1868.
De Sau leg, Voyage en Terrc Sainte, 2 Bde. Paris 1865. — Ders., Jerusalem ^
Paris 1882 (s. Zeitschr. d. DPV. VI, 174). — Ueber frühere Werke de
Saulcy's b. Tobler, Bibliographia geographica S. ]80f
Sepp, Jerusalem und das heilige Land, Pilgerbuch nach Palästina, Syrien
und Aegypten. 2 Bde. 2. Aufl. 1873-76.
Ouirin, Dencripliim gcographiquc, historique et archiologtque de la Palestine,
L JiuUe, 3 Bde. Paris 18(58—1869. IL Snmarie, 2 Bde. Paris 1874—1875.
JII. Galilee, 2 Bde. Paris 1880. — Ders., Jerusalem, so7i hisfoire, sn. de-
KCription, ars fiahlissenieuts religieua; Paris 1889.
Baedeker, PaiÜHtina und Syrien, Handbuch für Reisende [bearbeitet von
Socio], L<!ipzig, 1875. 2. Aufl. 1880. 5. Aufl. liHK).
The Survey of Western Palestine [Dies der Gesammt-Titel des Werkes,
deUHcn einzelne Abtheilungen folgende Specialtitel haben]. Special Papers
Ott lopography, arohaeolof/g , inanners awt rustoms etc. contrihutcd by
Wilson, Warren, (Jonder, Kilclicner, l'atmrr, (leorge Smith, (Irrvillr ehester,
Clermont-Oarmeau etc. Ijondon 1881 (einzelne Abluindluiigcn über verschie-
deoe QegeiUltiDde). — Arabic and english Name Lists, cullerted by
Conder and Küehener, transliterated and vjrjdaincd hg l 'almer, London 1881. — |
Metnoir» of the lopography, orography hgdmgraphg and arrharology, hg
Oonder and Kitehmer, vol. I Ijondwi 1881, vol. II 1882, vol. III 1883. —
Jeruealem, by Warren and Conder, London 1884. — The Fauna and
[13] § 2. Hülfswissenschaften. B. Geographie. 15
Flora of Palestine, by Tristram, London 1884. — Memoir of the Physical
Oeof/raphy and Oeology of Ärabia, Petraea, Pantine and adjoining di-
striets by Hüll, London 1886. — General Index, London 1888. — Zusammen
9 Bde., wozu noch die unten genannte grosse Karte {Map etc.) und die
grossen Pläne über die Ausgrabungen und Vermessungen in Jerusalem
{Plans, elevations, sections etc.) gehören.
The Survey of Eastern Palestine. Metnoirs of the Topography, Orography,
Hydrography, Archaeology etc. vol. L The 'Adwän Country, by C.R.Conder,
London 1889 (nicht fortgesetzt).
Topographie von Jerusalem:
Eingehende Darstellungen der Topographie von Jerusalem enthalten die bereits
genannten Werke von Ritter (Bd. XVI), Raumer, Buhl (S. 132-155,
gute Orientirung über den Stand der Forschung bis 1896), Robinson
(Palästina Bd. II und Neuere bibl. Forschungen), Tobler, de Saulcy,
Sepp, Bädeker-Socin.
Dazu kommen noch Monographien von Olshausen, Williams, E. G. Schultz,
K rafft, Fergusson, Thrupp u. A. (s. die Titel in Tobler's Bibliogr.
geogr., auch in Herzog's Real.-Enc. 1. Aufl. XVIII, 620 f., 2. Aufl. VI, 575),
und verschiedene Aufsätze in der Zeitschr. des deutschen Palästina-Ver-
eins, von Schick (Jalirg. I, 15— 23, VIII, 259 ff., XII, 10— 18, XIII, 31— 36,
XIV, 41—62), von Alten (I, 61-100, II, 18—47, 189—200, IIT, 116—176),
Klaiber(III, 189—213, IV, 18—56, XI, 1—37), und Spiess (XI, 46—59),
unter welchen besonders die von Klaiber hervorzuheben sind.
Materialien zur Topographie, namentlich in der Umgebung des Tempelplatzes
lieferten: de Vogüi, Le tempte de Jerusalem, 1864, Rosen, Das Haram
von Jerusalem (1866), de Saulcy, Memoires de rAcademie des Inner, et
Belles-lettres t. XXVI, 1, 1867, und besonders die englischen Ausgrabungen,
deren Resultate in dem oben genannten Bande von The Survey etc. (1884)
niedergelegt sind. Einen vorläufigen Bericht enthielt: The recoverg of
Jerusalem, by Wilson, Warren etc., ed. by Morrison, London 1871. Eine
eingehende Beschreibung der heutigen Beschaffenheit des Tempelplatzes
lieferte: Schick, Beit el Makdas oder der alte Tempelplatz zu Jerusalem
wie er jetzt ist, Jerusalem 1887. Dasselbe fast wörtlich abgedriickt in:
Schick, Die Stiftshütte, der Tempel in Jerusalem und der Tempelplatz
der Jetztzeit, Berlin 1896. — Ueber die von Guthe geleiteten deutschen
Ausgrabungen hat dieser im V. Bde. der Zeitschr. des DPV. Bericht
erstattet. — Ueber die für die Feststellung des Mauerlaufes im Süden
wichtigen englischen Ausgrabungen vom J. 1894 s. Zeitschr. des DPV.
XVIII, 1895, S. 221. Guthe in: Mittheilungen und Nachrichten des
DPV. 1895, S. 10—15. Bliss, Excavations at Jerusalem 1894—1897,
London 1898. — Archäologische Einzelheiten giebt Clermont- Ganneau,
Archaeolor/ical Researches in Palestine I. 1899. — Ueber die Karten und
Pläne 8. unten.
Kürzere Zusammenfassungen des historischen Materiales geben die Artikel
über „Jerusalem" in den biblischen Wörterbüchern von Win er, Schenkel
(bearb. von Für r er), Riehm (bearb. von Müh lau), ferner: Arnold,
Art. „Zion" in Herzog's Real-Enc. 1. Aufl. Bd. XVIII (1864) S. 592-649.
Fr. W. Schultz, Art. „Jerusalem" in Herzog's Real-Enc. 2. Auflage
Bd. VI (1880) S. 538-575. In der 3. Aufl. ist der Art. von Guthe bear-
16 § 2. Hülfewissenschaften. B. Geographie. [13. 14]
beitet (VIII, 66G — 693). Spiess, Das Jerusalem des Josephus,
Berlin 1881.
Zeitschriften:
Palest ine Exploration Fund. Quarterly Statement. — Erscheint seit 1869.
Zeitschrift des Deutschen Palästina- Vereins, herausgegeben von dem geschäfts-
tuhrenden Ausschuss unter der verantwortlichen Redaction von Hermann
Guthe. — Erscheint seit 1878. — Seit 1895 sind der „Zeitschrift" auch
„Mittheilungen und Nachrichten" beigegeben.
Atlanten, Karten und Pläne*):
Kiepert, Bibelatlas, Berlin 1847. 3. Aufl. 1854.
Menke, ßibelatlas in acht Blättern, Gotha 1868.
Riess, Bibelatlas in zehn Karten, nebst geographischem Index. 3. Aufl. 1895.
Smith and Grove, Atlas of ancient gcor/raphy, biblical and classical, intended
to illustrate Smith's Classical Dictionaries and especially the Dictionary of
the Bihle, 1875 (43 mups fol). \
Oort, Atlas voor bijbelsche en kerkelijke geschiedenis, Oroningen 1884 (vgl. die
Anzeige in der Zeitschr. des DPV. VIII, 338).
Spruner und Sieglin, Hand- Atlas zur Geschichte des Alterthums, des
Mittelalters und der Neuzeit, I. Abth. Atlas antiquiis hearh. von Sie glin,
1893 ff".
Van de Velde, Karte von Palästina, deutsche Ausgabe nach der zweiten
Auflage der Map of the holy land, Gotha 1866 (vor dem Erscheinen der
grossen engl. Karte war van de Velde's Karte die beste). — Beachtenswerth
ist auch das beigegebene Memoir to accompany the Map of the holy land,
Gotha 1858.
Map of Western Pal est ine in 26 sheets from surveys conducted for the
Ortnmittee of the Palestine Exploration Fund hy C ander and Kitchencr
during tfie years 1872—1877. Photoxincographcd for the Cotn mittel . . .
at tlui ordnance survey ofßce Southampton. London 1880. — Bei dem hohen
Werth dieser Karte ist es um so melir zu bodauorn, dass die Zeichnung
an Klarheit und Schärte sehr zu Avünschen übrig lässt. Eine Ausgabe in
kleinerem Maaasstab erschien unter dem Titel:
1) Die älteste erhaltene Karte ist die der sogenannten Peutingcr'schen
Tafel (Ausgabe: Weltkarte des Castorius, genannt die Peutinger'sche Tafel,
in den Farben des Originals herauHgegeben und eingeleitet von Konrad
Miller, 1888. Untersuchungen über ihren Ursprung ; Schweder, Jahrbb, für
clasM. Philol. 1893, 8. 485—512, Cuntz, Hermes XXIX, 1894, S. 5S6 fV.). —
Von eigenartigem Interesse ist eine in Mosaik -Arbeit ausgeführte Karte,
welche den Fussboden einer Kirche in Medaba (im Ostjordunland) schmückt
und dort im December 1890 entdeckt wurde. S. Lagrange, La ntosciiqne
gio'fraphiquc de Moulaha {Revue bibliqnc VI, 1897, p. 106—184). Stevenson,
Nuovo Inüleltino di archeologia cristiana 1897, p. 45—102. Ausgabe: La carte
moaaUque de MadaJta, tUcouvrrte imporloutr , 1H97, Paris, nimson de la bonne
pre*M (12 Tafeln In LichUlruck mit Prolcgomcna von Gerraer-Durand).
richulten, Die Mosaikkarte von Madaba und ihr Verhiiltniss zu den
llteittun Karten und ßcNchreihungcn <leH lu'iligcn Landes (Abhandlungen der
OöUingcr Oet. der WiMenich., phil.-hist. Kl. N. F., Bd. IV, Nr. 2, 1900).
(14] § 2. HülfswissenBchaften. B. Geographie. 17
Map of Western Palestine from mrveys condticted for the Committee of
tlie Palestine Exploration Fund by Conder and Kitdiener, reduced from
the on inch map. Scale 3/g inch tho one mite. London 1881. — Diese
kleinere Ausgabe in 6 Blättern (zum Aufziehen berechnet) ist jetzt für den
Handgebrauch am empfehlenswerthesten. Leider steht sie an Uebersicht-
lichkeit der Zeichnung weit hinter van de Velde zurück.
Eine vou Fischer und Guthe bearbeitete Handkarte von Palästina iu
kleinem Maassstabe erschien bei Wagner und Debea, Leipzig 189U (auch dem
XHL Bande der Zeitschr. des DPV. beigegeben). — Ueber andere Hand-
karten 8. Zeitschr. des DPV. XV. 179. XVII, 235.
Eine Karte der näheren Umgebung von Jerusalem lieferte Schick,
Zeitschr. des DPV. XVIII, 1895; eine Karte der weiteren Umgebung
derselbe, ebendas. XIX, 1896.
Für das Ostjordanland (das auf der grossen engl. Karte fehlt) sind hervor-
zuheben: 1. Karte des Dscholan von Schumacher, Zeitschr. des DPV\
IX, 1886; ergänzt ebendas. XXII, 1899. — 2. Karte der Hauran-Gegend
von Fischer, Zeitschr. des DPV. XII, 1889 (in einigen Hauptpunkten zu
berichtigen, s. Mittheilungen und Nachrichten des DPV. 1899, S. 12 f.). —
3. Karte des nördlichen Adschlun und südlichen Hauran vou Schumacher,
Zeitschr. des DPV. XX, 1897. — 4. Ein Stück im Süden des Ostjordan-
landes giebt: Portion of Eastern Palestine, snrreyed by Conder and
Mantell (gehört zu: The Survey of Easttni Palestine. Memoirs by Conder
1889).
Wilson, Ordnancc Surtey of Jerusalem \SM — 1865 [erschien 1866?]. — Dieser
mit äquidistanten Curven versehene Plan des heutigen Jerusalem
übertrittt an Genauigkeit alle früheren. Gleichzeitig erschien ein iu
Schraflirung ausgeführter Plan iu kleinerem Maassstab unter dem Titel:
Ordmmee Survey of Jerusalem (ohne Wilson's Namen und ohne Jahreszahl).
Zimmermann und Socin, Plan des heutigen Jerusalem mit Umgebungen,
nach Wilson's Aufnalime vou 1864 — 65 und Schick 's Ergänzungen bis
1879 bearbeitet. [1880, Leipzig, Karl Baedeker in Commission].
Zimmermann, Karten und Pläne zur Topographie des Alten Jerusalem,
Basel 1876. — Vortreft'liche Hülfsmittel zur Topographie des alten Jeru-
ijalem, theils die ursprünglichen Höhenverhältnisse, theils die Hypothesen
der neueren Gelehrten über den alten Stadtplan darstellend.
Plans, Elevations, Seetions etc. shewiny the results of the Excavations
at Jerusalem 1867 — 70 executed for the Committee of the Palestine Ex-
ploration Fund hy War reu [auf dem Deckel der Mappe die Jahreszahl
1884J. — Enthält 50 Pläne grössten Formates mit den minutiösesten
Details über die Topographie des Tempelplatzes.
C. Chronologie.
Die verschiedenen Methoden der Zeitrechnung aller Völker
und Zeiten sind zusammenfassend dargestellt in dem Handbuche
von Ideler, das auch durch die neueren Specialforschungen noch
nicht antiquirt ist. — Für die römische Chronologie bieten bekannt-
lich den sichersten Anhaltspunkt die Fasti consulares. — Chro-
nologische Uebersichten der hellenistischen und römischen G-e-
schichte, unter Mittheiluiig der Quellenstellen, geben die Zeittafeln
Schür er, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 2
18 § 2. Hülfswissenschaften. C. Chronologie. [15}
von CliiitOD, Fischer und Anderen. — Bei der nahen Berührung"
unserer Geschichte mit der biblischen konunen auch die der
letzteren gewidmeten chronologischen Bemühungen für uns in
Betracht.
Ideler, Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie, 2 Bde.
Berlin 1825—1820. — Derselbe, Lehrbuch der Chronologie, Berlin 1831.
Gumpach, Hülfsbuch der rechnenden Chronologie. 1853.
Bouchet, Hemerologie, Paris 1868.
Lersch, Einleitung in die Chronologie oder Zeitrechnung verschiedener Völker
und Zeiten, nebst christl. und jüd. Festkalender, 1889 (184 S.). — 2. Aufl.
in 2 Thln. 1899.
Wislicenus, Astronomische Chronologie. Ein Hilfsbuch für Historiker,
Archäologen und Astronomen, 1895 (164 S.).
E. Müller, Art. aera in Pauly's Eeal-Enc. der class. Alterthumswissensch.
I, 1, 2. Aufl. S. 404—422.
Kubitschek, Art. aera in Pauly-Wissowa's Keal-Enc. der class. Alterthums-
wissensch. I (1894) col. 606—666.
Mommsen, Die römische Chronologie bis auf Cäsar, 2. Aufl. Berlin 1859.
Matzat, Römische Chronologie, 2 Bde. Berlin 1883—1884.
Soltau, Komische Chronologie, 1889.
ünger, Zeitrechnung der Griechen xmd Römer, 2. Aufl. 1892 (= Handb. der
klass. Alterthumswissensch. I, 711 — 831).
Wachsmuth, Einleitung in das Studium der alten Geschichte (1895) S. 287— 312^
632 ff", (an letzterer Stelle über die Consularfasten).
Hübner, Bibliographie der klass. Alterthumswissensch. (1889) S. 286—290
(bibliographische Nachweise).
Marquardt, Römische Staatsverwaltung Bd. HI (2. Aufl. bes. von Wissowa
1885) S. 281—298 u. 567 ff", (gute üebersicht über das römische Kalender-
wesen).
Ueber den jüdischen Kalender s. Beilage HI am Schluss dieses Bandes.
FasH consulares ad a. U. e. DCCLXVI cura Wilh. Henxen et Chrn. Huelsen
(Corp. Inscr. Lat. vol. I j)ar.<^ 1, cd. 2, 1893, p. 79 — 167; in der ersten Aufl.
war dieser Abschnitt von Mommsen bearbeitet).
Job. Klein, Faati consulares inde a Caesaris nece usqtie ad imperium Dio-
cletiani. Lipu. 1881.
Asbach, Die Consularfasten der Jahre 68 — 96 nach Chr. (Jahrbücher des
Verein« von Alterthumsfreunden im Rheinlande, Heft LXXIX, 1885,
8. 106--177).
Asbach, Die ConsularüiHten vom Tode Domitians 96 n.Chr. bis zum dritten
ConMulatc Hadriane 119 (.Iiilirbücher des Vereins von Altorthumsfri'undcu
im Rhcinlandf, Heft LXXH, 1882, 8. 1—64).
Auch in den »of:leich zu nennenden Werken von Clinton, Fischer, Peter,
Zuinpt und Löwin Hind die römlBclicn Consuln für jedes Jahr an-
gegeben.
Olititnn, FnMi Ilrllmici. The civil antl litrrarif rfiroiioldifi/ of Orcece and rfi>mr,
vol. Jll, from thr CXXJVUi ohjnipiad tu (he dcuth <>/' Augiistus, öjford
1830, nccond cd. 18Ö1.
[15. 16] § 2. Hülfswissenschaften, C. Chronologie. ig
Clinton, Fasti Romani. The civil and literary chronology of Rojne and Con-
stantinople from the death of Atigustus to the death of Justin IL 2 Bde.
Oxford 1845—1850.
Ernst Wilh. Fischer, Römische Zeittafeln von Roms Gründung bis auf
Augustus' Tod. Altona 1846.
Peter, Zeittafeln der römischen Geschichte zum Handgebrauch. 4. Aufl. Halle
1867 (erheblich kürzer als Fischer).
vi. W. Zumpt, Annales veterum regnorum et poputorum imprimis Romano-
rum, ed 3., Berol. 1862 (knappe Uebersicht ohne Quellenbelege).
Seyffarth, Chronologie der römischen Kaiser von Cäsar bis Titus in Bezug
auf das Neue Testament (Zeitschr. f. luth. Theol. 1873, S. 50—76). |
Ueber die Art, wie Josephus die Kaiserjahre rechnet, s. die Arbeiten von
Knaake, Wieseler, Niese, Unger (unten bei Josephus).
Zur biblischen Chronologie:
Die ältere Literatur s. bei Hase, Leben Jesu §.26, Anger, De temporunt
in actis apostolorum ratimie p. 4^—5*, Credner, Einleitung in das N. T.
S. 328 f. Neudecker, Einleitung in das N. T. S. 409 f.
Leivin, Fasti Sacri, or a Key to the Chronology of the New Testament, Lottdan
1865. — Eine treffliche, annalistisch geordnete Uebersicht nicht nur der
biblischen, sondern auch der jüdischen und römischen Geschichte vom
J. 70 vor bis 70 nach Chr. mit wörtlicher Mittheilung der wichtigeren
Quellenstellen, ähnlich wie bei Clinton.
Röckerath, Biblische Chronologie bis auf das Jahr der Geburt Jesu. Münster
1865 (kritiklos).
Wieseler, Art. „Zeitrechnung, neutestamentliche" in Herzog's Real-Enc.
1. Aufl. Bd. XXI, 1866, &. 543—570.
Turner, Chronology of the New Testament, in: Dictionary of the Bible, ed. l/y
Hastings and Selbie, vol. I, 1898, p. 403 — 425.
Soden, Chronology, New Testament, in: Encyclopaedia Biblica ed. by Cheyne
and Black vol. I, 1899, col. 799—819.
Wurm, Astronomische Bey träge zur genäherten Bestimmung des Geburts-
und Todesjahres Jesu (Bengel's Archiv für die Theologie, zweiten Bandes
erstes Stück 1816, S. 1—39, zweites Stück 1817, S. 261—313).
Wieseler, Chronologische Synopse der vier Evangelien, Hamburg 1843 (hier
auch S. 16—19 einige ältere Literatur). — Derselbe, Beiträge zur richtigen
Würdigung der Evangelien und der evangelischen Geschichte, Gotha 1869.
Seyffarth, Chronologia sacra, Untersuchungen über das Geburtsjahr des Herrn
und die Zeitrechnung des Alten und neuen Testamentes, Leipzig 1846.
Caspari, Chronologisch-geographische Einleitung in das Leben Jesu Christi,
Hamburg 1869.
Quandt, Zeitorduung und Zeitbestimmungen in den Evangelien (auch unter
d. T. : Chronologisch-geographische Beiträge zum Verständniss der heiligen
Schrift I, 1), Gütersloh 1872.
Seviu, Chronologie des Lebens Jesu, 2. Aufl. Tübingen 1874.
Ljungberg, Chronologie de la vie de Jesus, deux etudes, Paris 1879 (1. über den
Todestag Jesu, 2. über das Geburtsjahr Jesu, s. Lit. Centralbl. 1879, 537).
Memain, La connaissance des temps evangeliques. Paris 1886. (543 S.). — Ein
französisches Seitenstück zu Wieselers Chronologischer Synopse.
9 *
20 § 2. Hülfswissenschaften. C. Chronologie. [16. 17]
Bebber, Zur Chronologie des Lebens Jesu, eine exegetische Studie. Münster
1898 (187 S).
üeber das Geburtsjahr Jesu (und das Todesjahr des Herodes) handeln
speciell: Sanelemenie, De vulgaris aerae emeiidaiione, Romae 1793
(Hauptwerk). — Rösch, Zum Geburtsjahr Jesu (Jahrbb. für deutsche Theol.
1866, S. 3 — 48). Vgl. auch dessen Anzeigen der Werke von Caspari, Zumpt
und Sevin in den Stud. und Krit. 1870, S. 357—388. 1871, S. 515-538, 1875.
5. 585—596. — Zumpt, Das Geburtsjahr Christi, Leipzig 1869. — Riess
(S. J.), Das Geburtsjahr Christi, Freiburg 1880. — Schegg, Das Todes-
jahr des Königs Herodes und das Todesjahr Jesu Christi, 1882. — Riess,
Nochmals das Geburtsjahr Jesu Christi, 1883.
Wurm, Ueber die Zeitbestimmungen im Leben des Apostels Paulus (Tübinger
Zeitschrift für Theologie 1833, 1. Hft. S. 3-103).
Anger, De tetnporutn in actis apostolorum ratione, Lips. 1833.
Wieseler, Chronologie des apostolischen Zeitalters, Göttingen 1848 (hier auch
6. 6—9 einige ältere Literatur).
Lehmann, Chronologische Bestimmung der in der Apostelgeschichte, Cap.
13—28, erzählten Begebenheiten (Theol. Stud. und Krit. 1858, S. 312—339).
Aberle, Zur Chronologie der Gefangenschaft Pauli (Theol. Quartalschr. 1883,
S. 553—572). 1
Ueber die Zeit der Procuratoren Felix und Fes tu s s. die Specialliteratur
unten § 19.
D. Numismatik 1).
Ein reiches Material an Münzen, das noch immer durch neue
Funde vermehrt wird, ist uns erhalten: 1) für die Geschichte der
Seleuciden, 2) für die Geschichte der phönicischen und helle-
nistischen Städte, 3) für die jüdische Geschichte. Nament-
lich die jüdische Numismatik ist seit dem Jahre 1854, in welchem
de Saulcy's JRecherches sur la Numismatiquc juda'ique erschienen, eifrig
gepflegt worden.
1. Beleuciden-Münzen.
Die älteren Werke von Foy-Vaillant und Frölich siehe unten bei der
UebcTHi( lit ül)er die GeHcliichte von Syrien.
Eekhel, Doclrimi numoruvi veterum t. HI (1794) ;;. 209—249 (Hauptwerk).
Mionnet, DcHcripHon dv niiulnHIrs nntitjuen t. V (IHll) p. 1—109. Supplhncnt
t. VIII (1837) /;. 1— Hl (Hauptwerk).
{Oougfi), Ctnm of Ute Stleiicidfic, Kings uf Si/nti; from tJte eatahlishment of
Üusir reign nnäer Schucns Nirator, io ihr tletermination of it nndir Antio-
ehwf ÄHiaticuH. Willi historiral vinnoirs of ench reign. Illmtratrd wUh
Itoenly four ptatc« of viihta, from llie. ratmiel of (he late Mallhnr Diiniiv.
London 1803.
TrSior de numümatique et de glyptiqm (iierauHgegobcn imln Ltitim;: v.m
1) Vgl. auch die LltiTuturnucliweiMo lu'i Hühner, Hililiograpliie der
klnitiilwhnn AlterthumflwiHHi'riHcliuft (IHHÜ) 8. 344—350.
[17. 18] § 2. Hülfswissenschaften. D. Numismatik. 21
Lenormaut), Nwnismatiqtie des rois grecs, Paris 1849, p. 83 — 114, plan-
clies XXXIV— LV (Folio).
Leake, Numismata Hellenica (1854) p. 21 — 38.
De Saulcy, Memoire sur les mommies cUitees des Seleucides, Paris IST 1 [publi-
cation de la Soeiete fran(;mse de Numismatique et d' archeologie).
De Saulcy, Monnaies des Seleucides munies de contremarques {Melanges de
Numismatiqtie t. I, 1875, p. 45—64).
De Saulcy, Monnaies inedites de Tryphon, frappees dans les villes maritimes
de la Phenicie [Melam/es de Numismatiqtie t. II, 1877, p. 76 — 84).
Friedländer und Sali et, Das königliche Münzkabinet [zu Berlin]. Geschichte
und Uebersicht der Sammlung nebst erklärender Beschreibung der auf
Schautischen ausgelegten Auswahl (2. Aufl. 1877), S. 122—131.
Gatalogue of the greek coin^ in fhe British Museum. The Seleucid Kinga
of Syria, by P. Q ardner. With twenty-eight plates, London 1878 (reich-
haltig und werthvoU; die 28 Tafeln geben gute Photographien mit Münz-
porträts sämmtlicher Seleuciden).
Friedländer in Sallet's Zeitschr. für Numismatik VI, 1879, S. 7. VII, 1880,
S. 224—227 (über Münzen Antiochus' VIII und IX).
Bunbury, Rare and unpublished coins of the Seleucidan Kings of Syria
[Ntimisniatic Chronicle 1883, p. 65—107, pl IV— VI).
Imhoof-Blumer, Monnaies greeqties (= Verhandelingen der koninkl. Aka-
demie van Wetenschappen, Afdeeling Letterkunde, reertiende deel, Amsterdam
1883) p. 422-438.
Imhoof-Blumer, Porträtköpfe auf antiken Münzen hellenischer und helleni-
sirter Völker, Leipzig 1885, S. 28—32, Tafel III n. 8-28, IV n. 1—13 (vor-
treffliche Photographien).
Head, Historia Numorum, a manual of greek Numismaiics (1887) p. 637—649.
Gatalogue des monnaies grecques de la Bibliotheque nationale. Les rois
de Syrie, d'Armenie et de Commagetie, par E. Babelon, Paris 1890 (von
gleichem Reichthum und Werth wie der Catalog des britischen Mu-
seums).
Noch mehr Special-Literatur bei Koner, Repertorium über die v. J. 1800 :
bis zum J. 1850 auf dem Gebiete der Geschichte erschienenen Aufsätze
II, 586—588, und Friedländer, Repertorium zur antiken Numismatik
(1885) S. 330—333.
2. Münzen der autonomen Städte,
a. Phönicische:
Brandis, Das Münz-, Maass- und Gewichtswesen in Vorderasien. Berlin 1866
(daselbst S. IX— X noch mehr Literatur).
Reich ardt, Beiträge zur phönicischen Numismatik (Wiener Numismat. Zeit-
schrift II, 1870, S. 1—16).
Six, Observations sur les monnaies pheniciennes {Numismatic Chronicle 1877,
p. 177—241). — Umfassende Behandlung des Gegenstandes.
The international Numismata orientalia vol. I {London 1878), darin Abth. III:
Coinoge of Lydia and Persia by Head, und zwar S. 31 ft". über die
phönicischen Münzen mit persischen Königstypen.
Imhoof-Blumer, Monnaies grecques (1883) p. 440—449.
Babelon, Les monnaies des Satrapes dans l'empire des Perses Achemenides
{Pevue Numismatique Illme Serie, X, 1892, p. 277—328, 413—463).
Rouvier, s. unten, b.
22 § 2. Hülfswissenschaften. D, Numismatik. [18. 19]
L. Müller, Xinnis7natique d'Alexandre le Grand. Gopenlmf/iie 1855. — Die
zweisprachigen Münzen Alexander's bilden den üebergang von den phö-
nicischen zu den griechischen. — üeber die Alexandermüuzen von Akko
8. Bd. n S. 112.
b. Griechische und römische:
Die älteren Werke von Noris und Belley s. Bd. II, S. 72.
Eckhel, Doctr. mim. vet. III, 328—455.
Musei Sanelementiani Numismata selecta Pars II, RotTiae 1809, Lib. IV
De epochis sive de tiotis chronologicis numismattim impei-ialiiim.
Mionnet, Description de medailles antiques V, 281—552. Supplement VIII,
192-377.
Reichardt, UnpublisJied greek imperial coins (Niimismatic Chroniele 1862,
p. 104—122).
Hub er, Unedirte Bronzemünze in Tiberias Galilaeae unter Commodus ge-
prägt (Wiener Numismat. Zeitschr. Bd. I, 1869, B. 401—414).
De Saidcy, Numismatiqtie de la Terre Sainte, Description des monnaies auto-
nomes et imperiales de la Palestine et de VArabic Petree, Paris 1874. — ^
Hauptwerk über die Münzen der palästinensischen Städte.
Read, Historia Numorum (1887) p. 662—681.
Catalogue des motmaies grecques de la Bibliotheque nationale. Les
Perses Achemenides {les Satrapes et les Di/nastes tributaires de leur empire),
Cypre et Phe niete, par E. Babelon, Paris 1893 (zwei Drittel des
Werkes behandeln die Münzen der phönicischen Städte).
Rourier, Xnmismatiqne des rilles de la Phenicie {Journal international
(rarfhi'ologie numismaiiqtie 1900, p. 125—168, 237—312). Will das ganze
Material, mit Eiuschluss der phönicischen Münzen, zusammenfassen. Der
vorliegende Anfang behandelt Aradus und Berytus.
3. Jüdische Münzen.
Zahlreiche ältere Schriften sind gesammelt in Ugolini Thesaurus t. XXV^III,
1764.
Beachtenswerth ist auch: Froclich, Annales compcndiarii reguni et renim
Sjfriae {ed. 2. 1750) Prolrg. p. 74—02.
Eine umrangreiche Literatur über die althebräischen Münzen wurde hervor-
geruTen durch den Streit über die Echtheit derselben zwischen Tychsen
und Bayer 1779—1794. S. darüber die ausführiichen Mittheilungeu bei
A. Th. Hort mann, Oluf Gerhard Tychsen, Bd. II Abth. 2 (1820) S.
295—495. — Die wichtigste ältere Literatur auch bei Reusw, Gesch. der
heil. Schrifti-n Alten Testament« S 11.
Die neuere Literatur seit 1849 verzeichnet am vollständigsten Mnddvn, Nuniis-
rmitic Chroniclr. 187U, p. 222-234, Derselbe, Coin.s of the Jcirs (1881) p.
317—324. — Wir unterscheiden die zuBttnunenfassenden Werke und die
eiDcelnen Beiträgt?. |
a. ZuHummen tas sende Werke.
Kekhel, Dootritui num. rd. III, 455-498.
Mionnet, Deseripfinn de nndaiUea antiquM V, 562—670, Supplhnent VIII,
877-38L
[19. 20] § 2. Hülfswissenschaften. D. Numismatik. 23
Tresor de numismatiqtie et de glyptique (herausgegeben unter Leitung von
Lenormant), Numismatique des rois grees, Paris 1849, p. 118-130,
planches LVII— LXII.
Cavedoni, Biblische Numismatik oder Erklärung der in der heil. Schrift er-
wähnten alten Münzen, aus dem Italienischen übers, von Werlhof. 2 Thle,
Hannover 1855—1856.
De Sauleij, Rccherclies sur la Numismatique juddique, Paris 1854. — Bietet
viel neues Material.
Levy, Geschichte der jüdischen Münzen, Leipzig 1862.
M ad den, History of Jewisli Coinage and of Money in tfie Old and New Testa-
ment. London 1864.
De Saide y, Gatalogue raisonne de Monnaies Judaiqiies recueiUies ä Jerusalem
en Novemhre 1869 (Numismatic Chronicle 1871, p. 235 — 255).
Madden, Jewish Numismatics, being a Supplement to the „History of Jewish
Coinage e<c." {Numismatic Chronicle pol. XIV, 1874, p. 281—316. XV,
1875, p. 41-80, 101-139, 169-195, 298—333. XVI, 1876, 45—70, 81—132,
177—234).
Merzbacher, Untersuchungen über althebräische Münzen (Zeitschr. für Nu-
mismatik, herausg. von Sallet, Bd. III, 1876, S. 183— 215, IV, 1877, S.350—
365. V, 1878, S. 151—176, 292—319).
Madden, Coins of the Jews, London 1881. — Jetzt das Hauptwerk über
jüdische Numismatik, eine Neubearbeitung der History of Jeivish
Coinage mit Verwerthung alles seitdem hinzugekommenen Materiales.
ByjtaroB'L, ^peBHeeBpeHCKia MOHexbi, [Bulatow, Die althebräischen Münzen].
Kiew, Kortschak-Novizki 1886. (193 S. m. 8 Tafeln). [In russischer
Sprache]; nichts Neues; kennt nicht einmal Madden's Werk von 1881].
b. Einzelne Beiträge und kürzere Uebersichten.
Bertheau, Art. „Jüdische Münzen" in: Ersch und Gruber, Allgem. Encyklop.
Sect. II, Bd. 28 (1851) S. 1—17. —Vgl. auch: Zur Geschichte der Israeliten
(1842) S. 1-49.
De Sanlcy, Lettre ä M. de la Saussaye sur les mantmies de cuivre frappees ä
Jerusalem par l'ordre des gouvemenrs romains de la Judee depuis le regne
d Auguste jusquä celui de Neron {Revue Numismatique 1853, p. 186 — 201).
Ewald, Recension von de Saulcy's Becherches in den G^tt. gel. Anzeigen
1855, S. 641—655. — Derselbe, Ueber das Zeitalter der ächten
Münzen althebräischer Schrift, in den Göttinger „Nachrichten" 1855,
S. 109—122.
Arnold, Art. „Geld" in Herzog's Real.-Enc. 1. Aufl. Bd. IV (1855) S. 763 ff.
(in der 2. Aufl. revid. von Rüetschi V, 32—37).
De Vogüe, Monnaies Juives, Eleaxar (Revue Numismatique 1860, Tp.2&)— 292).
Reichardt, Inedited Coins of Judaea (Numismatic Chronicle 1862, p. 268 — 277).
Zuck er mann, Ueber talmudische Gewichte und Münzen, 1862.
Herzfeld, Metrologische Voruntersuchungen zu einer Geschichte des ibräi-
schen resp. altjüdischen Handels, Thl. I, 1863 (im Jahrb. für Gesch. der
Juden). I
Poole, Art. „Money" in Smith^s Dietiotmry of the Bible, 1863 (reichhaltig).
Reichardt, Remarks on some Jewish Coins and on some inedited Coins of
Phoenicia, Judaea etc. (Numismatic Chronicle 1864, p. 174 — 189).
De Sa II leg, Nouvelles ohservations sur la Numismatique Juddique (Revue
24 § 2. Hülfswissenschaften. D. Numismatik. [20. 21]
Nttm. 1864, p. 370—400). — Lettre ä M. J. de Witte sur la Numismatiqtte
Judaique {Revue Num. 1865, ^j. 29—55).
Garrucci, Monete delle due rivolte gnulaiche (Dissertaxioni arcJieohgiche di
vario argomento vol. II, Roma 1865, p. 31 — 39).
Madden, Coins of the tico Revolts of the Jews (Num. Chroniclc 1866,
p. 36-65).
Cavedoni, Neuere Untersuchungen über die antiken jüdischen Münzen,
übers, von Werlhof (Münzstudien, herausg. von Grote, Bd. V, 1867,
S. 9—37).
Reichardt, Ueber die Münzen Simons des Makkabäerfürsten (Wiener
Numismat. Monatshefte, herausg. von Egger, Bd. II, 1866, S. 137 — 143). —
Der 8., Ueber die Münzen der Makkabäerfürsten (ebendas. III, 1867,
S. 103—116).
De Saulcy, Etüde ehronologique de la vie et des vionnaies des rois juifs
Affrippa I et Ägrippa II (Mimoires de la SociSti franqaise de Niimismati-
que et d' Archäologie, Section d' histoire et d''ethnographie, 1869; das betreffende
Heft enthält S. 3 — 25 zwei andere Abhandlungen, S. 26 — 56 die oben-
genannte; sonst sind die einzelnen Memoires in der Regel separat unter
eigenem Titel erschienen).
De Saulcy, Note sur quelques monnaies d'Ascalon (Annuaire de la SociHi
fran^aise de Numismatique et d' Archäologie t. III, 1868 — 1873, p. 253 — 258).
— Notes sur les monnaies de Philippe le tStrarque {ibid. p. 262 — 265). —
Numismatique de Tibiriade (ibid. p. 266 — 270).
Madden, Art. „Money'^ in Kitto's Cyclopaedia of Biblical Literature.
Reichardt, Drei merkwürdige Münzen der Könige Agrippa I und II (Wiener
Numismat. Zeitschr. Bd. III, 1871, S. 83-90).
Mommsen, Zu den Münzen Agrippa's I und II (Wiener Numismat. Zeitschr.
Bd. III, 1871, S. 449-457).
De Saulcy, Numismatique des Macchabics (Revue arch^ologique, Nour. SMe
vol. XXIII, 1872, p. 1-19).
Merzbacher, De siclis nummis antiquiasimis Jttdaeorum. Berat. 1873.
Merzbacher, Jüdische Aufstandsmünzen aus der Zeit Nero's und Hadrian's
(Zeitschr. für Numismatik Bd. I, 1874, S. 219—237).
Tke Acailemy vol. VI (July — December 1874). p. 211 (5. Sept.), 296 (12. Sept.),
321 (19. Sept.), 459 (24. Oct.), 486 (31. Oct.), 536 (14. Nov.). — Corrospon-
denzen über die Echtheit eines bei Jericho gemachten Fundes jüdischer
Sekel, von Besant, Evans, Conder.
Merzbacher, Jüdische Sekel (Zeitschr. für Numismat. Bd. 111, 1876,
8. 141—144).
Lewis, Shekel of the year fite {Num. Chronicle 1876, p. 322).
De Saulcy, Degcrtption de quelques monnaies judmques nouvelles et insuffisam-
ment eonnue» (Milanges de Numismatique t. II, 1877, p. 85—94).
SftUet, Die Silbermanzen des Barcochba (Zeitschr. für Numismatik Hd. V,
1878, 8. 110-114).
Madden, Rare or unpublished jewiah coins (Num. Ohrmiole 1870, p. 13—22).
Renan, L'lglise ehrttieime (1879) p. 546—661 (über die Münzen Harcochba's).
Reichard, UnpubUshed coin of John Hyreanus (Num. (Virmiiclf 1K82,
p. 806-807). I
Hultich, Griecbiacbe und römische Metrologie (2. Bearb. 18HJ s i m ii. (lOL'il.
J.Hamburger, Roal-Encyclopädie fflr Bibel und Talmud, II. Abtii. lss.{, Aii
,^flnrpn".
[21] § 2. Hülfswissenschaften. D. Numismatik. 25
Eevillout, Note siir les plus anciennes monnaies hibrciiques {Annuaire de la
Societe fran^aise de Nmnismatique et d' Ärcheolor/ie t. VIII, 1884, p, 113 —
146 [revidirter Abdruck aus der Revue Eyyptologique\). — Sucht zu zeigen,
dass der hebräisch-phönicische Sekel im Werth von vier Drachmen erst
durch die Ptolemäer eingeführt worden sei, während der althebräisclie
Sekel nur halb so schwer gewesen sei (= zwei Drachmen). — Vgl. auch
die Verhandlungen zwischen Lenormant und Revillout im Anmuiire
t. VIII, 1884, p. 210 sqq. IX, 1885, p. S9sqq.
Stickel, Jüdische Münzen aus Jerusalem (Zeitschr. des deutschen Palästina-
Vereins VII, 1884, S. 211—214).
Grätz, Bedeutung der jüdischen Münzen mit dem Feststrauss (Lulab) und
dem Portale (Monatsschr. für Gesch. und VVissensch. des Judenth. 1887,
S. 145 — 176). Auch englisch in Numismatie chroniele 1888, p. 165—198.
Head, Ilistoria Nutnormn, a manual of greek Xumismatics (1887) />. 681 — <J85.
Reinach {Thhd.), Une monnaie hybride des insurrections juives {Revue des
äudes juives t. XV, 1887, p. 56—61).
Reinach [Thiod.), Les monnaies juives (Actes et eonfireiices de la Sociiti des
äudes juives 1887 [Beilage zur Revue des äudes juives 1887] p. CXXXl —
CCXIX). — Auch separat, Paris 1887.
Grätz, Les monnaies de Simon du temps de l'insurreetion des juifs sous Adrien
[Revue des äudes juives t. XVI, 1888, p. 161 — 169).
Grätz, Geschichte der Juden Bd. III, 4. Aufl. 1888, S. 819—841: Die judä-
ischen Münzen in der nachexilischen Zeit.
Reinach, Les monnaies de Simon [Revue des äudes juives XVII, 1888, p. 42
—45). — Dagegen: Graetz ebendas. XVIII, 1889, p. 301— 304. — Dagegen
Rein ach ebendas. p. 304—306.
Leop. Hamburger, Die Silber-Münzprägungen während des letzten Auf-
standes der Israeliten gegen Rom nach einem in der Nähe von Chebron
gemachten Münzfunde dassificirt (Zeitschr. für Numismatik XVIII, 1892,
S. 241—348).
Spurrell, Notes an early siekles [Archaeoloyical Journal XLIX, 1893, p. 53 — 68).
ßenzinger, Art. „Geld" in Herzog-Hauck's Real.-Enc. 3. Aufl. Bd. VI, 1899,
S. 477-482.
Kennedy, Art. „Money" in Hastinys' Dictionary of the Bible III, 417 — 432
(sehr gute Zusammenfassung).
E. Epigraphik.
Die für unsere Geschichte in Betracht kommenden Inschriften
sind sehr mannigfaltiger Art: heidnische und jüdische, palästinen-
sische und ausserpalästinensische, in griechischer, lateinischer,
hebräischer und aramäischer Sprache. — 1) Die nicht-jüdischen
griechischen und lateinischen Inschriften aus Palästina und dessen
Grenzgebieten sind gesannnelt im Corpus Inscriptionum Graecarum t.
III und Corpus Inscriptionum Latinarum t. III. Beide Sammlungen,
namentlich die erstere, haben inzwischen reiche Ergänzungen er-
fahren durch die Mittheilungen von Wetzstein, Waddington
und Anderen. Die fraglichen Inschriften geben namentlich werth-
volle Aufschlüsse über die Culturverhältnisse in den heidnischen
26 § 2. Hülfswissenschaften. E. Epigraphik. [21. 22]
Gebieten Palästina's (s. § 22). Ausser den palästinensischen In-
schriften stehen auch manche an anderen Orten gefundene in Be-
ziehung zu unserer Geschichte, ebenso auch manche semitische in
und ausserhalb Palästinas, darunter besonders die von de Vogüe
und Euting gesammelten nabatäischen. — 2) Von den jüdischen
Inschriften sind die in hebräischer Quadratschrift abgefassten
von Chwolson zusammengestellt worden. Zahlreicher sind die
griechischen und lateinischen, meist Grabschriften, in- und ausser-
halb Palästina's, am zahlreichsten und wichtigsten die aus den
jüdischen Katakomben in Rom. |
1. Nicht-jüdische Inschriften.
Corpus Inscriptionum Crraecarwn t. III (1853), n. 4444—4669.
Corpus Inscriptionum Lcäinarum t. III (1873) n. 86—211 und 6027 — 6049. Da-
zu Suppl. ad t. III n. 6638-6729.
Addüional inscriptiotis from tfie Haurän and the eastern desert of Syria , com-
municated by 0. C. Oraham, and edited with a preface and noles by John
Hogg {Transactions of the Royal Society of Literature, second Series vol. VI,
London 1859, p. 270—323).
Wetzstein, Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, gesammelt
auf Reisen in den Trachonen und um das Haunvngebirge (Abliandlungeu
der Berliner Akademie 1863, philol.-histor. Classe, S. 255—368). — Vgl.
auch rWetzstein, Reisebericht über Hauran und die Trachonen, Berlin 1860.
Renan, Mission de Phinicie, 1864 (greift auch nach Palästina hinüber).
Waddington in: Le Bas et Waddington, Inscriptions grecques et latines
recueiüies en Orece et en Asie Mineure. Die Inschriften von Syrien stehen
tome III (1870), und zwar P. \, p. 449—625 die Texte, P. 2, p. 435—631
die Erläuterungen. — Die Zahl der von Waddingtou neu mitgetheilten In-
schriften ist sehr bedeutend. — Einen sorgtaltigon Index lieferte, 26 Jahre
nach Erscheinen des Werkes, Chahot in der Revue orchSol. trois. Sirie
t. 28 und 29, 1896; auch separat im Format des Inschriftenwerkes.
Mordtmann, Griechische Inschriften aus Arabia (Trachoniti.n) (Rhein. Museum
XXVII, 1872, S. 146—148, 496). — Nur sechs, meist fragmentarische In-
schriften, wovon die beiden umfangreicheren bereits von Waddington
publicirt sind.
Clermont- Oanncau, Inscriptions grecques inddites du Hauran et des rdgimis
(U^uccntcs {Revue arrhdologiqtw , troisihne sirie t. IV, 1884, p. 260—284);
abgedr. in: licrueil (i'urchiologU' Orientale 1, 1888, p. 1 — 31.
Mordtmann, Griechische luHchriftcn aus dem Hauran (Archäol.-cpigr. Mit-
theilungcn aus Oesterreich VIII. 1884, S. 180-192).
Mordtmann, Beiträge zur Inschriftenkunde Syriens (Zeitschr. des deutschen
Palfintina-VcreiriH VII, 1884, S. 119-124).
Allen, OrceJc and lulin imoriptiotui from Paleatine {American Journal of phi-
lology VI, 1885, p. 190-216).
Oildenieiiter, BrmcTkungen zu den griechischen InHchrifUn Prei's und
Schumachcr'H (Zi-iiMchr. df>. (h-utsilicn Palästina -VcrciiiH XI, 1888,
8. 38-46).
Gtorg* Adam Smitli, Cummuti,-,^.",! ',u .-.mv un/uihlislird inscriptions frotn
:[22] § 2. Hülfswissenschaften. E. Epigraphik. 27
the Hauran mul Gilead [Critical Review of theolog ieal and philosophical
L-iterature vol. II, 1892, p. 55—64).
Ewiny, Greek and other inscriptions collected in the Hauran {Palestine Ex-
ploration Fund, Quarterly Statement 1895, p. 41—60, 131-160, 265—280,
346—354).
Schumacher, Dscherasch (Zeitschr. des DPV. XVni, 1895, S. 126—140). —
Buresch, Schumachers Inschriften aus Dscherasch (ebenda«. S. 141— 148).
Fossey, Inscriptions de Syrie, II. Djolan et Hauran, III. Plaine de Damms
et Antiliban [Bulletin de corresp. hellinique XXI, 1897, p. 89 — 65).
Clermont-Ganneau bringt zahlreiche Beiträge zur Inschriftenkunde Palä-
stina's in folgenden Werken: 1) Recucil d'archioloyie Orientale t. I, 1888,
II, 1898, III, 1899 (wird fortgesetzt). 2) Etudes d'areheolugie Orientale
t. I, 1895, II, 1897 (= Bibliotheque de Pecole des hautes äudes fasc. 44 und
113). 3) Archaeoloyical Researches in Palestine vol. II, 1896, vol. I,
1899 (im Verlag des Palestine Exploration Fund). 4) Album d'antiquitis
orientales 1897 fl'. (Abbildungen).
{3 ermer- Durand und Andere haben in der seit 1892 erscheinenden Revue
biblique fast in jedem Jahrgang Beiträge zur Inschriftenkunde Palästina's
geliefert.
Auch die Zeitschrift des DPV. und die Quarterly Statements enthaXten
ausser den oben schon genannten noch einzelne Beiträge. Seit 1895 auch
die der „Zeitschrift" beigegebenen „Mittheilungen und Nachrichten" des
DPV^. — Die in der Revue archiologique und in den Comptes ren-
dus de PAcademie des Inscriptions et Beiles- Lettres erschienenen Artikel
Clermont-Ganneau's sind grüsstentheils in dessen Rectdeil d'archdologie
Orientale wieder abgedruckt.
Eine Uebersicht der in The Siirvey of Western Palestine mitgetheilten In-
schriften giebt Co n der, Quarterly Statements 1885, p. 14—17. Auch in
anderen Reisewerken über Palästina finden sich epigraphische Mitthei-
lungen zerstreut.
Kurze Mittheilungen über neue Funde giebt S. Reinach, Chroniques d' Orient
1 {de 1883 ä 1890) 1891. II {de 1891 ä 1895) 1896 (abgedr. aus den be-
treffenden Jahrgängen der Revue areh^ologique).
Die auf die herodianischen Fürsten bezüglichen Inschriften habe ich zu-
sammengestellt in Hilgeufeld's Zeitschr. für Wissenschaft!. Theologie 1873,
S. 248 — 255. — Hinzuzufügen sind noch: Corpus Inscr. Attiearum t. III
pars 1 (1878) n. 550. 551. 556. Corp. Inscr. Qraec. n. 2502 (Herodes Antipas
in Kos). Bulletin de correspondance hellinique t. III, 1879, p. 365 sq. (Hero-
des Antipas in Delos). Archäol.-epigr. Mittheilungen aus Oesterreich VIII,
1884, S. 189 f. = Zeitschr. des deutschen Palästina -Vereins VII, 1884,
S. 121 f. = Critical Review of theol. and phil. Lit. 1892, p. 56 = Quarterly
Statement 1895, p. 58 {Af/rippa II). Quart. Stat. 1895, p. 138 {Ägrippa H).
Clermont-Ganneau, Archaeoloyical Researches in Palestine I, 499 — 501
(Ayrippa).
Die auf die jüdisch^ Geschichte von Vespasian bis Hadrian bezüglichen
römischen Inschriften hat Darmesteter zusammengestellt, Revue des
4tiides juives t.l, 1880, p. 32 — 55; abgedr. in: Darmesteter, Reliques sci-
entifiques vol. I, 1890, p. 67—90.
Die semitischen Inschriften werden dereinst am vollständigsten ge-
sammelt sein in dem seit 1881 zu Paris erscheinenden Corpus Inscriptionwn
28 § 2. Hülfswissenschaften. E. Epigraphik. [22. 23]
Semiticanim. (Unter | den phönicischen giebt die Inschrift Esclimunazar's
wichtige Daten zur Geschichte von Jope und Dora, s. Bd. II, S. 100, 109).
Zur Ergänzung dieses Inschriftenwerkes dient das seit 1901 erscheinende
Repertoire d^epif/raphie semitiqiie publie par la commission du Corpus
Insfiriptionum Semiticarum sous la direction de Ch. Clerinont-Oanneau
avec le concoiirs de J.-B. C habet.
Eine zusammenfassende Orientirung giebt: Lidzbarski, Handbuch der nord-
semitischen Epigraphik nebst ausgewählten Inschriften, 1898. — Hier
S. 4 — 88 eine erschöpfende Bibliographie von 1163 Nummern').
Im Begriff „nordsemitisch" ist Palästina und das peträische Arabien ein-
geschlossen. — Fortlaufende Kunde von neuen Funden giebt die seit 1900
erscheinende „Ephemeris für semitische Epigraphik" von Lidz-
barski.
Die obengenannten Arbeiten von Glermont-Oanneaii enthalten auch vieles
auf die semitische Epigraphik Bezügliche.
Von den nicht-jüdischen semitischen Inschriften bieten für uns das meiste
Interesse die nabatäischen, um deren Bekanntmachung sich namentlich
de Vogü^ (1868) und Euting (1885) verdient gemacht haben. Sie sind
gesammelt im Corp. Inscr. Sem. P. II. Näheres hierüber s. in Beilage II
am Schluss dieses Bandes.
Nur in entferntem Zusammenhang mit unserem Gebiet stehen die zahlreichen
aramäischen und griechischen Inschriften von Palmyra (Grundlegende
Ausgabe von de Vogüi, Syrie Centrale, Inscriptions simitiqucs , Paris
1868; seitdem zahlreiche Publicationen von Anderen, verzeichnet bei Cook,
Olossary of the Aramaic Inseriptions 1898, p. 4—5). Hervorzuheben ist
besonders der im Jahre 1881 entdeckte umfangreiche zweisprachige Zoll-
tarif von Palmyra zur Zeit Hadrians (der aram. Text am besten herausgeg.
von Schröder, Sitzungsber. der Berliner Akad. 1884, S. 417—436, der
griechische von Dessau, Hermes Bd. XIX, 1884, S. 486— 533).
2. Jüdische Inschriften.
Chwolson, Corpus Inscriptionum Hebraicarum, enthaltend Grabschriften aus
derKrim und andereGrab- und Inschriften in alter hebräischer Quadratschrift^
sowie auch Schriftproben aus Handschriften vom IX.— XV. Jahrhundert.
Petersburg 1882. — Giebt ausser den Grabschriften aus der Krim eine Zu-
sammenstellungallerlnschriften in hebräischer Quadrat Schrift
biH zum elften Jahrh. nach Chr. — Ein VcrzeicliniHS auch bei Maddcii,
Coins of tlie Jetrs (1881) p. 34 — 39; einiges bei Merx, Archiv für wissen-
»chnftl. Erforschung des A. T. I, 360—362.
Unter ilen von CliwolHon zusammengestellten ältesten Insdiriftcn sind nament-
lich folgende aucli anderwärts eingehend behandelt: 1) Die Grabsdirift der
beni Chem'r aiii sogonannten Grabe des heiligen Jacob bei Jerusalem, etwa
SU« herodiiitiischer Zeit {de Vogüe, Rente arcliioloyique Nouv. 6Vr/e t. IX,
1864, p, 2(Xj- 209; der«., Le temple dr Jhvsalem />. Jß, 130 sq., pl. XXXVII
n. 1, de Saulcy, Revue archM. N. S. t. X\, 1865, p. 137—163, 398-405.
1) Fortgeietste blbliograplilHchc NachweiHc giebt die im J. 1887 von Aug.
Mfiller begründete, »cit<k'ni von Anderen weitergeführte „Orientulische Biblio-
gT^>hie"; detgleiehen Stade 'h „ZeitHchrift für diu alttt^Htamentliche Wissen-
•cluft".
[23. 24] § 2. Hülfswissenschaften. E. Epigraphik. 29
Merx, Archiv für wissenschaftl. Erforschung des A. T. I, 360 sq.). —
2) Einige Synagogen-lui<cliriften im nördlichen Galiläa, aus der römischen
Kaiserzeit {Renan, Mission de Phinicie p. 701—783). Hierzu kommt noch
eine ähnliche aus Palrayra, welche den Anfang des jüdischen Schma Deut.
6, 4—9 enthält (Landauer, Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1884,
S. 933 f.). — 3) Die zahlreichen jüdischen Grabschriften. Unter letzteren
sind die aus der Krim viel jünger als Chwolson, auf Grund der von
Firkowitsch gefälschten Daten, früher meinte (s. darüber die Literatur
Bd. III, S. 18 f.).
Bibliographische Nachweise über sonstige Publicationen hebräischer Inschriften
s. bei Lidzbarski, Handbuch der nordsemitischen Epigraphik 1898.
Ueber die palästinensisch-jüdischen Grabschriften, sowohl die hebrä-
ischen als die griechischen, handeln speciell:
Glermont-Ganneau, Nomcmtx ossuaires jiiifs avec inseriptiotis grecques et
hibräiqiies {Revue archM. Nouv. S^rie t. XXV, 1873, p. 398-414).
Clermont- Oanneau, Ossuaire juif de Joseph fils de Jean [Revue archiol. N. S.
t. XXXVI, 1878, p. 305-311). Hebräisch.
Viktor Schnitze, Sarkophage und Grabinschriften aus Jerusalem (Zeitschr.
des deutschen Palästina- Vereins IV, 1881, S. 9—14).
Grätz, Die jüdischen Steinsarkophage in Palästina (Monatsschr. liir Gesch.
und Wissensch. des Judenth. 1881, S. 529—539). — Handelt nicht sowohl
über die Inschriften als über die Bestimmung der Ossuarien, auf welchen
sie sich finden. |
Clermont- Oanneau, Epigraphes liebraiques et grecques sur des ossuaires juifs
inMits {Revue arcMol. 'JVoisihne Sirie t. I, 1883, p. 257—276).
Clermont- Oanneau, Un nonveau titnlus funhaire de Joppe {Revue eritique
1885, Nr. 27, p. 14 sq.). Griechisch.
Euting, Epigraphische Miscellen (Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1885,
S. 609—688, Tafel VI— XII). — Hauptsächlich palmyrenische Inschriften
und hebräisch-griechische Grabschriften aus Palästina.
Clermont- Oanneau, Archaeological Researches in Palesiine vol. I, 1899,
p. 381—454: Jexisft ossiuiries and sepulchres in the ■ neighbourhood of Jeru-
salem (zusammenfassend).
Auch die oben S. 26/27 genannten Arbeiten von Renan, Clermont-Ganneau,
Germer-Durand und Anderen bieten manches hierher Gehörige, Ein-
zelnes auch noch zerstreut in den Zeitschriften, z. B. Quarterly Statements
1891, S. 241—243. 1893, S. 288—291. 1900, S. 110—120.
Abgesehen von den Grabschriften sind griechische Inschriften jüdischen
Ursprungs in Palästina äusserst selten, die interessantesten jedenfalls die
Warnungstafel am Eingang des Tempel-Vorhofes s. Bd. II, S. 273, und
die griech. Inschrift unter den Trümmern der Synagoge zu Kasiun [Renan,
Mission de Phinicie p. IIA. = Ouh-in, Oalilie II, 447 sq.).
Die ausserpalästinensischen griechischen und lateinischen In-
schriften sind, soweit sie irgend von Belang sind, in § 31, I u. II, 1 an-
geführt (Bd. III, S. 10 — 27, 34 — 55, beachte besonders die grosse Inschrift
von Berenike Bd. III, S. 42 f., vgl. auch S. 66, 88, 91, 117, 118, 124).
Einiges auch bei Caspar i, Quellen zur Geschichte des Taufsymbols III,
1875, S. 268 — 274. — Auch unter ihnen bilden die Grabschriften die Haupt-
masse. Am zahlreichsten sind die Inschriften aus den Katakomben
30 § 2. Hülfswissenschaften. E. Epigraphik. [24. 25]:
von Rom und Venosa, welche, nebst einigen anderen, an folgendeö
Orten gesammelt sind :
Greppo, Xotice sur des inscriptions antiques tirecs de quelques tombcaxx juifs
ä Borne, Lyon 1835 (war mir nicht zugänglich).
Corpus Inscriptionum Graecarum t. IV n. 9894—9926 (bearbeitet von Kircli-
hoff).
Levy, Epigraphische Beiträge zur Geschichte der Juden, in: Jahrbuch für
die Geschichte der Juden [herausg. v. Goldschmidt] Bd. II, 1861, S. 259—324.
Burgen, Letters from Eome 18C2, p. 168—174 (mir nur durch da.s Citat bei
Madden, Coins of the Jews p. 36 bekannt).
Lenormant, Essai sur la propagation de V Alphabet Phiniei&n dans Vancien
monde vol. I, p. 264 — 267 (nach Madden l. c).
Garrueei, Cimitero degli antichi Ebrei scoperto recetifemetite in Vigna Ran-
danini, Roma 1862. — Diese Inschriften aus der neuentdeckten Katakombe
in der Vigna Randanini haben das Material sehr wesentlich bereichert.
Garrueei, Disserfaxioni archeologiehe de vario argomento, vol. 11, Roma 1865»
p. 150 — 192. — Werthvolle Nachträge zum vorigen.
Hirsehfeld, Bulldtino delV Insiituto di corrisp. archeol. 1867, p. 148—152. — |
Erste Notiz über die schon 1853 entdeckte Katakombe von Venosa (Venusia
in ünteritalien).
Fiorelli, Catalogo del Museo Naxionale di Napoli. Raceolta cpif/raßca.
II. Iscrixioni Latine [Napoli 1868) n. 1954 — 1965. — Beschreibt die jetzt
im Museum zu Neapel befindlichen Inschriften aus den römischen Kata-
komben.
Engeatröm, Om Judame i Rom under äldre tider och deras Katakomber^
Upsala 1876.
Schürer, Die Gemeindeverfassung der Juden in Rom in der Kaiserzeit nach
den iDschriften dargestellt. Nebst 45 jüdischen Inschriften. Leii)zig 1879.
Aaeoli, Iscrixioni inedite o mal note greche, latine, ebraicfie di antichi sepolcri
giudaici del Napolitano. Torino e Roma 1880. — Giebt die Inschriften aus
der Katakombe von Venosa, von den griechischen und lateinischen jedoch
nur diejenigen, welche auch eine hebräische Beischrift haben. Vgl. Theol.
Litztg. 1880, 485—488, Grätz, Monatsschr. 1880, S. 433-4.51, Chirolson,
Corp. Inner. Ilcbr. col. \A^ sqq.; auch Bd. III, S. 37 f.
Corpus Inscriptionum Latinarum t. IX (1883), n. 647—648, 6195—6241. — Die
griechischen und lateinischen Inschriften aus Venosa vollständiger als bei
Ascoli.
Lenormant, La cataci/mfte juive de Venosa (Revue des efudes juii'cs t. VI, 1883,
p. 2^)0—207). — Giebt einen Theil der Insclirifton nach neuen Co]>ieii.
Nie. Müller, Ia- catacomlte degli Ebrei pres.v) la ria Appia IHgnatelli (Mit-
theilungen doH kainerlich deutschen archäolog. Instituts, Römische Abthei-
lung Bd. I, 188<j, 8. 49-56). — Mitthcilmig über eine neuentdeckte
jüdische Katakoinbo. Nach einer Notiz auf S. 49 liat der Verf. die Ab-
sicht, eine Monograpliii« licrauH/.ugebcu über ,,Die altjüdischcM Oöuioterien
In Italien". — Zur ICrkläruiig der von Müller mitgctlu-iltcii luMciiriften
vgl. auch die Bemerkungen von Gompcrz in: Arcliiiologiscrh-epigraphische
Mitthellungcn aus OcHterreich-Ungaru Jahrg. X, ISSd, S. 231 f.
Marueehi, Di un nuovo cimitero giudaico scoperto sulla Via Labicana,
Roma 1887.
Dorenbourg hat In den M6langcs Renier 1887, p. 437—441, nach Mittheilungen
[25. 26] § 2. Hülfswissenschaften. E. Epigraphik. 31
de Kossi's fünf Inschriften aus dem jüdischen Coemeterium zu Porto ver-
öffentlicht, darunter vier bis dahin unbekannte.
Berliner, Geschichte der Juden in Rom Bd. I, 1893, 8. 90— 92 (die Inschriften
aus dem Coemeterium der Vigna Cimarra).
Vogelstein und Rieger, Geschichte der Juden in Rom Bd. I, 1896, S.
459—483 (Zusammenstellung der Inschriften aus den jüdischen Coemeterien
in Rom).
Inschriften aus einer jüdischen Begrab nissstätte bei Tell-el-Jehudijeh in Unter-
Aegypten giebt: Naville, The mound of the Jen- and the cUy of Onias
{Seventh Memoir of the Egypt Kr/)lor(/tiou Fwvl), Ixtndon 1890.
§ 3. Qnellen.
Für die Kenntniss des geistigen Lebens des jüdischen Volkes
in unserer Periode sind selbstverständlich die Hauptquellen die in
dieser Zeit entstandenen und uns erhaltenen jüdischen
Literaturwerke, in Betreß' deren hier einfach auf § 32 — 34 ver-
wiesen werden kann. Ihnen schliesst sich das Neue Testament
an, soweit es von jüdischen \'erfassern herrührt oder auf jüdische
Verhältnisse Bezug nimmt. Unmittelbare Urkunden sind ferner die
Münzen und Inschriften, über welche die in § 2 genannte Lite-
ratur Aufschluss giebt.
Alle diese Werke und Urkunden würden uns aber nicht in
den Stand setzen, eine Geschichte unserer Periode zu schreiben,
wenn uns nicht die beiden Makkabäerbücher und die Werke
des Josephus erhalten wären, welche den Gang der Ereignisse
in den Hauptmomenten, oft auch mit sehr speciellen Einzelheiten,
erzählen. Sie bilden die wichtigste, ja fast einzige Quelle für die
politische Geschichte. Zu ihrer Ergänzung dienen einerseits die
griechischen | und römischen Schriftsteller, welche in um-
fassenderer Weise die Geschichte jener Zeit darstellen, anderer-
seits die rabbinische Literatur (Mischna, Talmud, Midrasch,
Targum), welche das Resultat und den vorläufigen Abschluss der
in unserer Periode in vollem Fluss befindlichen Arbeit der Schrift-
gelehrten darstellt, und insofern wenigstens ein indirecter Zeuge
für unsere Zeit ist. — Den Mittheilungen über Josephus schicken
wir eine Uebersicht der nicht-erhaltenen Quellen voraus, theils um
einen Ueberblick des früher Dagewesenen zu gewähren, theils
und namentlich um eine Grundlage zu schaffen für die Beant-
wortung der Frage nach den Quellen des Josephus. So ergeben
sich folgende fünf Abschnitte: 1) Die beiden Makkabäerbücher,
32 § 3. Quellen. A. Die beiden Makkabäerbücher. [26. 27]
2) die nicht- erhaltenen Quellen, 3) Josephus, 4) griechische und
römische Schriftsteller, 5) die rabbinische Literatur.
A. Die beiden Makkabäerbücher.
Das erste Makkabäerbuch ist die Hauptquelle für die ersten
vierzig Jahre unserer Geschichte (175 — 135 v. Chr.). Das zweite
behandelt nur die ersten vierzehn Jahre derselben (175 — 161 v.Chr.),
steht aber an Glaubwürdigkeit dem ersten bedeutend nach und ist
fast nur für die Vorgeschichte der makkabäischen Erhebung von
selbständigem Werthe. Ueber den Charakter beider Werke und
ihre Entstehungsverhältnisse ist in § 32 und 33 (Bd. III, S. 139 ff.,
359 ff.) das Nüthige bemerkt. Es bleibt hier nur die Frage zu
untersuchen, welches der Anfangspunkt der seleucidischen
Aera ist, nach welcher beide die Ereignisse datiren. Die gewöhn-
liche Seleuciden-Aera beginnt im Herbst 312 v. Chr. Es ist aber
fi-aglich, ob beide Makkabäerbücher oder auch nur eines derselben
diesen gewöhnlichen Anfangspunkt voraussetzen. Wir stellen zur
Orientirung zunächst sämmtliche Monatsdaten zusammen,
welche im ersten Makkabäerbuche vorkommen:
1, 54 : TS nevrexaiösxdzji rjfitQn XaafXev.
1,59 : zy ns/xnty xal elxäöi xov fxrjvöq.
4,52 : Ty ntfxJiT^ xal eixäöi zov fxrjvbq xov ivväxov, ovzoq o fXT]v
XaaeXev.
7, 43 : zy zQiaxttiöexäxy zov fxrjvoq lAöäg.
7, 49 : zr^v ZQiaxaiSsxäzrjv zov 'ASäg.
9, 3 : zov (iTjvoq zov ngcazov ezovq zov öevzhQOv xal nsi'zrjxoazov xal bxazoozov.
9, 54 : fiTjvl ziv ösvziQot.
10,21 : zip hßööijuo fji-rjvl ezovg e^tjxoazov xal kxazoazov iv koQzy axtj-
vonrjylaq.
13,51 : zy tqIzjj xal dxäöi zov ösvzf-Qov fitjvoq erovq tvbq xal bßöofirj-
xoazov xal kxazoarov (die Majillat/i Taanith giebt für dasselbe Er-
dgnisH da« Datum des 28. Ijjar). |
14,27 : 6xx(uxaiötxäiy ^EXovl, hovq öfvztQov xal kßöofiijxoazov xal bxa-
toazov.
1»), 14 : iv fitivl i-vöexazif), abzog h (irjv Saßdz.
Nach diesen Daten unterliegt es zunächst kcünem Zweifel, dass
der Verfaa.ser die Monate vom Krülijalii- an zählt. Der Ijjar ist
ihm der zweite Monat (13, 51), der Monat des Laubhütteiifestes
alHO der TiHchri der siebente (10, 21), der Kislev der neunte
(4, 52), derSchebat der elfte (Ki, 14). Die Zählung beginnt also
mit dem NJHan, d. h. im Friilijalir (vgl. die Liste Heiliig»^ III).
Hiernach Bclieint es HelbstverHtändlicIi, dass auch die Jahre, nach
welchen der VerfaHser rechnet, im Erülijahi- beginnen. Allein die
Seleuciden-Aera, nach welcher er rechnet, wird sonst allgemein
[21. 281 § 3. Quellen. A. Die beiden Makkabäerbücher. 33
vom Herbst an datirt'), wie überhaupt in SjTien der Jahresanfang
gewöhnlich in den Herbst gesetzt wurde. Auch bei den Juden ist
die Sitte, das Jahr im Herbst zu beginnen, sehr alt (s. Exod. 23.
16; 34, 22), wahrscheinlich älter, als der Jahresanfang im Früh-
jahr"^). Jedenfalls haben in der nachexilischen Zeit stets beide
Jaliresanfänge neben einander bestanden. Der Cyclus der reli-
giösen Feste beginnt im Frühjahr; von da an werden, wie im
Priestercodex, so auch im ersten Makkabäerbuch die Monate gezählt.
Wie aber der Priestercodex trotzdem nicht umhin kann, den Neumond
des Tischri durch eine religiöse Feier auszuzeichnen {Lev. 23,
23—25; JVum. 29, 1—6), so ist auch später das Fest des Jahres-
anfangs (nsiön OKI) stets an diesem Tage gefeiert worden; ja die
Mischna sagt bestimmt, dass „für die Jahre" schlechthin, also für
die Zählung derselben, der Jahresanfang am l. Tischri massgebend
sei^). Auch nach Josephus gilt der von Moses verordnete Jahres-
anfang mit dem Nisan nur in Bezug | auf die religiösen Dinge;
dagegen „für Verkäufe und Käufe und andere Geschäfte" beginnt
das Jahr mit dem Tischri nach der älteren, vormosaischen Ord-
nung^). Unter diesen Umständen wäre es wohl möglich, dass auch
l! Vgl. Ideler, Handbuch der Chronologie I, 444 ff". Clintun, Fasti
Hellen ici lll, S12sqq. Kubitschek in Pauly-Wissowa's Real-Ene. I, 632 f.
(Art. aera). Uuger, Sitzungsberichte der Münchener Akademie, philos.-philol.
und histor. Classe 1895, S. 238—243. Wachsmuth, Einl. in das Studium
der alten Geschichte S. 307.
2) Die Stellen Exod. 23, 16; 34, 22 gehören zu den ältesten Schichten des
Pentateuches, während der Priestercodex die Monate durchweg vom Frühjahr
an zählt, und diese Zählung ausdrücklich fordert {Exod. 12,2). Die Frage,
welche von beiden Zählungen älter sei, ist daher auch für die Pentateuchkritik
von Belang. S. einerseits Well hausen, Geschichte Israels I, 111 ff"., Nowack,
Lehrbuch der hebr. Archäologie I, 1894, S. 218 — 220, andererseits Dillmann,
Exeget. Handbuch zu Exod. 12, 2; 23, 16. I^r. 23, 23. Derselbe, Ueber das
Kalenderwesen der Israeliten vor dem babylonischen Exil (Monatsberichte der
Berliner Akademie 1881, S. 914—935). Lotz, Art. „Jahr" in Herzog-Hauck,
Real-Enc. 3. Aufl. VIII, 1900, S 524—529.
3) Mischna Rosch fiaschana I, 1: ,^8 giebt vier Jahresanfänge: Am ersten
Nisan ist Neujahr für die Könige und für die Feste. Am ersten Elul
ist Neujahr lur die Verzehntung des Viehes ; R. Elieser und R. Simon sagen :
am ersten Tischri. Am ersten Tischri ist Neujahr für die Jahre (fi''3"3),
für die Sabbathjahre und für die Jobeljahre; für Baumpflanzungen und Kräuter.
Am ersten Schebat ist Neujahr für die Baumfrucht ; so die Schule Schammai's ;
die Schule Hillel's sagt: am fünfzehnten desselben Monats".
4) Joseph. Antt. I, 3, 3: avveßri 6h xovxo to nä&og xaxa rb SqaxoaioaTOv
evog Tjör] Naixov t^? aQxfJQj ^*' /i^vl SfvzsQu), /licp /xsv imo Maxfdövcov ).eyofxev(p
MaQOovavy S" vnb ''Eßgaliov ovta) yag [also mit dem Jahresanfang im Herbst]
iv Aiyvnru) tov ivtavrbv raav öiaxsxaxoxeq. Miova^g 6s xov Niaäv, og iaxc
Aav^ixög, fxfva tcqwxov inl xaZg soQxalg wQias, xaxa xovxov i§ Alyvnxov xoig
Schür er, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 3
34 § 3. Quellen. A. Die beiden Makkabäerbücher. [28. 29]
das erste Makkabäerbuch trotz der Monatszählung vom Frühjahr
an doch die Jahre vom Herbst an datirte; und man müsste, wenn
nicht entscheidende Gründe dagegen sprechen, dies als das wahr-
scheinliche annehmen, da die Seleuciden-Aera in der Eegel vom
Herbst an datirt wird (so Wernsdorff, Clinton und ich selbst
in der 1. Aufl. dieses Buches). Es sprechen aber allerding»
gewichtige Gründe dafür, dass die Aera unseres Buches
im Frühjahr beginnt.
1) Nach I Makk. 7, 1 entwich Demetrius I im Jahr 151 aer.SeL
aus Rom und wurde König in Syrien. Es folgt dann im ersten
Makkabäerbuche keine weitere Zeitbestimmung bis Cap. 7, 43. 49^
wo wir erfahren, dass Nikanor am 13. Adar gegen Judas Schlacht
und Leben verlor. Das Jahr wird dabei nicht angegeben. Dagegen
heisst es weiter Gap. 9, 3, dass im ersten Monat des Jahres 152
aer. Sei. ein neues Heer von Demetrius nach Palästina gesandt
wurde. Nach dieser Darstellung muss doch angenonmien werden,,
dass die Niederlage des Nikanor auf den 13. Adar des Jahres 151
aer. Sei fällt. Da nun unter dem „ersten Monat" des Jahres 152
nach dem früher Bemerkten sicher der Nisan 152 zu verstehen ist^
da ferner der Nisan unmittelbar auf den Adar folgt, so würde^
wenn wir den Jahreswechsel nicht am 1. Nisan, sondern am
1. Tischri annehmen, zwischen beiden Ereignissen ein Zeitraum
von dreizehn Monaten liegen. Nach dem Zusammenhang der Er-
zählung ist es aber viel wahrscheinlicher, dass beide fast unmittel-
bar aufeinander folgen, dass also der Jahreswechsel am 1. Nisan
stattgefunden hat.
2) Nach I Makk. 10, 1 erhob sich. Alexander Balas im Jahr 160
aer. Sei. zum König. Nach Cop. 10, 21 legte Jonathan „im sieben-
ten Monat" desselben Jahres 160 aer. Sei beim Laubhüttenfest,,
also am 15. Tischri, zum erstenmale das hohepriesterliche Gewand
an. Wenn also das Jahr am 1. Tischri begonnen hätte, so bliebe
für alle in IM. 10, 1 — 21 erzählten Ereignisse nur ein Zeitraum
von 14 Tagen, was unmöglich ist. Wollte man den Jahresanfang
im I Herbst festhalten, so müsste man ihn nach dem Laubliüttcn-
fest setzen, so dass dieses an den Schluss des alten Jahres fiele
(wie allerdings in An- alten (Hsri/<jr]iiii)i: Fn,,/. 23, 16 voraus-
gesetzt wird, njlDn rxxSj. Alhin nacli (Irin uhcii über die Neu-
jahrsfeier am 1. Tischri Bemerkten kann, wenn überhaupt der
Jalir« ,;uif;inL' ;iiif den Herbst zu setzen ist, für unsere Periode nur
der I. TiM-liii in Krag«« kommcMi.
* Bßgalovq npoayaytuv. ühtoq d' avtip xal Tut^g unäaaq taq el^ xh Qtlov xi(xaz
^(fX^v inl fiivrot yt npäaei(; xal oivat xal r^v &X.Xijv ötolxtjaiv rov
itffiitov x6aftov öififivXttSe (Text nach Nieec).
[29. 30] § 3. Quellen. A. Die beiden Makkabäerbücher. 35
3) Als im J. 150 aer. Sei. (dieses Jahr ergiebt sich aus / M.
6, 20 vgl. 7, 1) Antiochus V Eupator und Lysias mit einem grossen
Heere nach Palästina kamen, musste die Besatzung von Bethzur
sich ihnen ergeben, und kamen die auf dem Tempelberg Belagerten
in grosse Bedrängniss {IM. 6, 48 — 54), beides deshalb, weil in-
folge des Sabbathjahres die Lebensmittel ausgegangen waren
(/ 31 6, 49. 53). Das Sabbathjahr geht von Herbst zu Herbst (s.
die oben citirte Stelle Bosch haschana I, 1). Mangel an Lebens-
mitteln kann aber immer erst in der zweiten Hälfte des Sabbath-
jahres eintreten, nachdem der Vorrath des vergangenen Jahres ver-
braucht ist und im Frühjahr und Sommer keine neue Ernte statt-
gefunden hat. Andererseits war zur Zeit jener Ereignisse das
Sabbathjahr noch nicht abgelaufen (6, 49: aaßßaxov t'jv rfj y^j, 6, 53:
dia t6 tßdofiov hog slvai). Sie fallen also jedenfalls in die Zeit
zwischen Frühjahr und 1. Tischri. Nun wissen wir aber, dass auch
zur Zeit der Belagerung Jerusalems durch Herodes und Sosius
ein Sabbathjahr stattfand [Joseph. Antt. XIV, 16, 2, vgl. XV, 1, 2).
Diese Belagerung fällt aber sicher in den Soiumer 37 vor Chr.
(s. unten § 14). Demnach war das Jahr 38/37 v. Chr. ein Sabbath-
jahr. Rechnet man von hier zurück, so ergiebt sich, dass auch
das Jahr 164/163 v. Chr. (von Herbst zu Herbst) ein Sabbathjahr
gewesen ist. Die fraglichen Ereignisse müssen demnach in den
Sommer 163 v. Chr. fallen. Das Jahr 150 aer. Sei. ist aber =
163/162 V. Chr. Würde dies vom Herbst an gerechnet, so würde
die Rechnung nicht stimmen. Sie stimmt nur, wenn das Seleuciden-
jahr vom Frühjahr an gerechnet wird.
Zur Bestätigung unserer Ansetzung der Sabbathjahre dient auch die, frei-
lich spätrabbinische Notiz, dass es n'^r'^attj "'X^jin war, als der Tempel durch Titus
zerstört wurde [Seder Olam ed. Meyer p. 91 sq.; kritischer Text bei Neubauer,
Mediaeval Jeu-ish Chronieles II, 1895, p. 66, und Ratner, Seder Olam rahba
1897, p. 147: nn'^n p'^s'^ac "ix^n^i rr^n mir •'xsn'a tj^'n ipix. Ebenso Arachiu
11*, Taanith 29«, letztere Stelle bei Derenbourg, Hist. de la Pal. p. 291). Unter
niy'^nu: ''SSio ist nämlich nach feststehendem Sprachgebrauche das Jahr nach
dem Sabbathjahr zu verstehen (s. Scfiebiith \ , 5- VI, 4. iSoto VII, 8. Maeh-
sehirin II, 11 ; vgl. mo "'Xisia = der Tag nach Sabbath, wie rnttJ a-ir = der
Tag vor Sabbath, Chullin I fin.). Hiernach war das Jahr 68/69 n. Chr. ein
Sabbathjahr. Und wenn man von da zurück rechnet, so ergiebt sich, dass auch
die Jahre 164/163 und 38/37 v. Chr. Sabbathjahre waren.
Nur ein geschichtliches Datum über ein Sabbathjahr steht scheinbar im
Widerspruch | mit den bisherigen Ansätzen. Nach I Makk. 16, 14 starb Simon
der Makkabäer im Monat Schebät des Jahres 177 aer. Sei. Da der Schebät
etwa unserem Februar entspricht, so ist das Datum, mag man nun das Seleu-
cidenjahr vom Frühjahr oder vom Herbst an rechnen, jedenfalls = Februar
135 V. Chr. Nach der Erzählung des Josephus hat aber Johannes Hyrkan
nach der Ermordung Simon's den Mörder desselben in der Feste Dagon be-
lagert und ist dann nach einiger Zeit zur Aufhebung der Belagerung genöthigt
3*
36 § 3. Quellen. A. Die beiden Makkabäerbücher. [30. 31]
worden, da das Sabbathjahr eintrat, in welchem die Juden zu ruhen pflegen
{Bell. Jtid. I, 2, 4: insoxrj xo ixQybv ezog, o xaxa hnxasriav agyslxai nagd
'lovöaioig o/ioiwg xaZg hßSofiäaiv TjfieQaig. Anü. XIII, 8, 1 : ivlaxaxai xb f'xoc
ixeZvo xa&' o avfxßaivet xoTg 'loväaloig apyav xaxä 6s enxa ext} xovxo naga-
TTiQOvotv <og iv xaZg sßdofidaiv i^fxsQaig). Hiernach müsste das Jahr 135/184
V. Chr. ein Sabbathjahr gewesen sein, während nach unseren Voraussetzungen
für 136/135 ein solches zu erwarten wäre. Die Notiz des Josephus ist aber
auch aus einem anderen Grunde verdächtig. Die Nothwendigkeit der Auf-
hebung der Belagerung wird damit motivirt, dass für das siebente Jahr die
Kühe ebenso geboten sei wie für den siebenten Tag. Dies war in der That
die Meinung der heidnischen Schriftsteller {Tacitus Hist. V, 4: dein blandiente
inertia septiniuni quoqtie annum ignaviae datum). Im Pentateuch ist aber für
das siebente Jahr keineswegs Ruhe im allgemeinen geboten, sondern nur die
Bestellung der Felder untersagt (s. bes. Lev. 25, 1 — 7). Und auch die spätere
Rechtsentwickelung ist in ihren Forderungen nicht weiter gegangen (vgl. Herz-
te Id, Gesch. des Volkes Jisrael II, 460; Philo, Hypotfietica bei Euseb. Praep.
erang. VIII, 7, 15 p. 360: ov yuQ avxol xcüv egycDV d<peaxäaiv, wansp
raZg eßööfiaig ixsivaig rj/iigaig, dkXä xtjv yfjv dgy^v dfpiäaiv). Es
ist also höchst wahrscheinlich, dass Josephus, der hier jedenfalls (wie aus an-
dern Gründen sicher ist) einer heidnischen Quelle folgt, deren Auffassung un-
besehens nachgeschrieben hat; und dass der wahre Grund der Aufhebung der
Belagerung nicht der Eintritt des Sabbathjahres war, sondern der infolge des
laufenden Sabbathjahres eingetretene Mangel an Lebensmitteln. Dann ist ganz
in Uebereinstimmung mit den übrigen Daten für 136/135 ein Sabbatlijahr an-
zusetzen. — Wieseler, der ebenfalls das Sabbathjahr auf 136/135 v. Chr. an-
setzt, setzt deshalb den Tod Simon's schon in den Schebät (Februar) 136 vor Chr.
und lässt, da dies nach unsern Voraussetzungen erst der Schebat 176 aer. Sei.
sein würde, das Seleucidenjahr des ersten Makkabäerbuches nach römischer
Weise bereits im Januar beginnen, eine Absonderlichkeit, die nicht ernsthaft
in Frage kommen kann.
Gegen den hier angenommenen Cyclus der Sabbatlijahre habe icli in der
ersten Auflage dieses Buches noch geltend gemacht, dass das Jahr 40/41 n. Chr.
kein Sabbathjahr gewesen sein könne, wie nach unserm Cyclus der Fall sein
müsste. Denn die Juden unterliessen in den letzten Monaten vor Caligula's
Tod, etwa November 40 n. Chr., die Bestellung der Saat, nicht weil es
Sabbathjahr war, sondern weil sie wochenlang in grossen Massen mit ihren
Klagen wegen der dem Tempel drohenden Schändung vor Petronius lagen
(A7ill. XVIII, 8, 3. B. ./. II, 10, 5). Darnach scheint es allerdings, als ob für
diese« Jahr die Bestellung der Felder zu erwarten gewesen wäre. Man wird
aber sagen dürfen, das« dieses indirecte Argument, gegenüber welchem doch
noch andere Möglichkeiten offen bleiben, nicht stark genug ist, um die über-
lieferten positiven Daten in Betreff der Sabbathjulire umzustossen'*). |
Vgl. filxrrliaupt über die Berechnung der gescliiclitlich bezeugten Sabbath-
jabrc in unMcrcr Periode (die von Manchen um jf ein .hilir Hj)äter als von uns
angesetzt werden); Anf/er, De tcmporum in actis (ipnsloInmiH rnlione, Lips. 1833,
p. 38 (und die hier citirten älteren Werke von öcaliger, Potavius, u. A.). —
6) WicNeler (Stud. u. Krit. 1876, 8. 629 f.) nimmt an, dass die Ereignisse
in den Herbst 39 n. Chr. fallen. Dann würde allerdings jede Schwierigkeit
gehoben sein. Allein nach dorn Znsamniciiliang der lOrzählung müsMcn die Er-
eignisse wenige Monate vor Caligula's Tod fallen.
[31. 32] § 3. Quellen. A. Die beiden Makkabäerbücher. 37
Gumpach, lieber den altjüdischen Kalender, Brüssel 1848. — Herzfeld,
Geschichte des Volkes Jisrael IJ, 458 ft". — Zuckermann, Ueber Sabbathjahr-
cyklus und Jobelperiode Breslau 1857 (hier S. 2 — 3 auch ältere Literatur). —
Grätz, Gesch. der Juden Bd. III (3. Aufl. 1878) 8. 630-639 (Note 7). 4. Aufl.
S. 652—655 (Note 8). — Wieseler, Art. „Aere" in Herzog's Real-Enc. 1. Aufl.
I, 159 f. Derselbe, Stud. und Krit. 1875, S. 527 flf". — Caspari, Chronologisch-
geographische Einleitung in das Leben Jesu Christi 1869, S. 21 — 25. Derselbe,
Die geschichtlichen Sabbathjahre (Stud. und Krit. 1877, S. 181—190). — Rösch,
Stud. und Krit. 1870, S. 361 f. und 1875, S. 589 ft". — Sevin, Chronologie des
Lebens Jesu, 2. Aufl. 1874, S. 58 ff". — Riess, Das Geburtsjahr Christi (1880)
S. 45 f. 229 — 236. — Unger, Sitzungsberichte der Münchener Akademie, philos.-
philol. und histor. Classe, 1895, S. 268-281.
Ausser den zuletzt angeführten Gründen für den Anfang des
Seleucidenjahres unseres Buches im Frühjahr ist doch auch die
Thatsache von Gewicht, dass es die Monate vom Frühjahr an
zählt. Wenn es auch nicht unmöglich wäre, dass trotzdem seine
Jahres-Aera im Herbst begänne, so würde diese Annahme doch nament-
lich bei denjenigen Stellen grosse Schwierigkeiten haben, an welchen
der Name des Monats nicht genannt ist, sondern nur die Zahl des
Monats und das Jahr („im ersten Monat im Jahr 152" etc., s. 9, 3.
9, 54. 10, 21. 13, 51). Diese Ausdrucksweise wäre sehr seltsam,
wenn damit nicht wirklich der so und so vielte Monat des be-
treffenden Jahres gemeint wäre.
Wir nehmen also mit der grossen Mehrzahl der Kritiker an,
dass die Seleuciden-Aera des ersten Makkabäerbuches
nicht im Herbst, sondern im Frühjahr beginnt. So auf-
fallend es scheinen könnte, dass man in Palästina eine Seleuciden-
Aera gehabt hat, die um ein halbes Jahr von der im übrigen
Syrien geltenden differirte, so wenig auffallend ist dies in der That
für den, der die Verhältnisse kennt. Fast jede grössere Stadt in
der Nachbarschaft Palästina's hat in der griechisch-römischen Zeit
ihre eigene Aera, ja ihren eigenen Kalender gehabt (s. § 23). Es
ist also ganz begreiflich, dass die Juden bei Annahme der Reichs-
Aera dieselbe nach ihrem Kalender modificirten. Ja von der
Stadt Damaskus ist uns genau dieselbe Aera bezeugt.
Auch in Damaskus und in der römischen Provinz Arabien begann
man die Jahre im Frühjahr (s. Ideler, Handbuch der Chronologie I,
413, 437). Die Münzen von Damaskus sind aber nach der Seleu-
ciden-Aera datirt (s. die Literatur Bd. II, S. 119). Wenn demnach
auf einer in neuerer Zeit gefundenen Inschrift eine specifisch damas-
cenische Aera erwähnt wird, so kann damit nichts anderes ge-
meint sein, als die | seleucidische, aber mit dem Anfang im Frühjahr,
ganz wie in unserem Buche*').
6) Eerue archeologique , troisieme Serie t. IV, 1884, p. 267: xara Ja/xa-
38 § 3. Quellen. A. Die beiden Makkabäerbücher. [32]
Mit allem Bisherigen ist die Frage noch nicht erledigt, ob die
Aera unseres Buches ein halbes Jahr vor oder nach der gewöhn-
lichen beginnt, also Frühjahr 312 oder 311. Ersteres ist die ge-
wöhnliche Annahme; für letzteres ist der französische Gelehrte
Gibert und in neuerer Zeit Unger eingetreten. An sich ist das
eine ebensogut möglich wie das andere. Aber die Gründe, welche
fiir den späteren Ansatz zu sprechen scheinen, beruhen meist auf
unsicheren Voraussetzungen ^). Eine festere Basis bietet die Chrono-
logie der Sabbathjahre. Wenn das Jahr 150 Sei = 162/161 v.Chr.
wäre (wie Gibert und Unger annehmen), dann müssten nach dem
oben Bemerkten auch die Sabbathjahre um je ein Jahr später
angesetzt werden; es müsste z. B. nicht 38 37 v. Chr. ein Sabbath-
jahr gewesen sein, sondern 37/36 v. Chr. Dieser Ansatz würde aber
der sicheren Chronologie der Belagerung und Eroberung Jerusa-
lems durch Herodes widersprechen, wonach im Sommer 37 ein
Sabbathjahr lief^).
axov erovg &7ix' [689]. Hierzu die Erläuterungen von Clermout-Ganneau,
S. 267—269; wieder abgedruckt in dessen Recueil (Varcheologie Orientale I, 188S,
p. 8 sqq.
7) Eines der bestechendsten Argumente bei Unger (Sitzungsberichte
8. 247 f.) stützt sich auf die Chronologie der ägyptischen Feldzüge des Anti-
ochus Epiphaues. Das I. Makkabäerbuch erwähnt eine Rückkehr des Antiochus
aus Aegypten im J. 143 aer. Sei. (I. Makk. 1,20). Dies wäre nach der gewöhn-
lichen Annahme 170/169 v. Chr., von Frühjalir zu Frühjahr. Antiocliu.« war
aber im Sommer 169 noch in Aegypten. Also, so schliesst Unger, ist 143 Sei.
= 169/l(i8 V. Chr. Allein der Feldzug vom J. 1G9 ist wahrsclicinlich ein an-
derer als der vom J. 170 (Wilcken in Pauly-Wisaowa's Heal-Enc. I, 2473);
jedenfalls ist die Chronologie dieser Feldzüge sehr unsicher. Das Gleiche gilt
von den Olyrapiadenjahren des Porphyrius. die viel zu schlecht überliefert sind,
als dass sie eine sichere Basis für eine solche Untersxichung bieten könnten.
8) Unger (S. 277) beruft sich für den Ansatz des Sabbatlijalires auf 37/3tJ
V. Chr. auf Jos. Antt. XV, 1, 2, wo es von der Zeit unmittelbar nacli der Ein-
nahme Jerusalems durch Herodes heiest: nf:Qa(i xe xuxiLv ovdev ijV xa filv
yuQ Tj nXfovf^ltt rov XQarovvxn^ ir XQ^^ff ycytvtjfitvov Stttpogei, xtjv de ;utw(>«v
ßhttv dyewpyijxov xb ißöofiaxtxov rjvdyxa^ev txoi' ivsaxyxei yug xöxi'
xal anilQfiv iv ixflvu) xijv yfjv dnrjyofevfxivov i'axlv rjfjilv. Daraus gehe her-
vor, dusH das Sabbathjahr erst im Herbst 37, nicht 38 begonnen habe. Aber
Unger itelbiit Qberaetzt (wenn iclj ihn recht verstehe) iveax^xei oder ivsiaxt'jxti
richtig: „es war im (Jang befindlicii". Also hat es nicht erst im Herbst 37 be-
gonnen, sondern war zur Zeit der Eroberung .lerusalems (Sommer 37, s. unten
g 14 K. fin.) «clion „im Oang bcliiKilich". Nacli der anderen .losepliiiH-Stelle
{Antt. XIV, 16, 2) kann darüber olmchitj kein Zweifel sein. Unger erkennt dies
auch als Meinung des .losepluiH an; aber .lose])lius liabe irrig das Sal)batl)jaiir
von Frfll^ahr zu Frühjalir gerceimet (H. 271) und ül)erl'ülire sich durcli die
Notiz Antt. XV, 1, 2 Molbst de» Irrtlmmsl Also ein PaliistincnHer, der selbst
eine Anzahl Hatibatlijahre mit erlobt hat, soll nicht gewusst liid)en, diiss dic-
»•Hben von Herbit zu Herbst liefen!!
[82. 33] § 3. Quellen. A. Die beiden Makkabäerbücher. 39
Noch streitiger als die Aera des ersten Makkabäerbuches ist
die im zweiten Makkabäerbuch vorausgesetzte. An die
Feststellung derselben knüpft sich auch ein apologetisches Inter-
esse, da einige Daten des zweiten Buches nur dann mit solchen
des ersten vereinbar sind, wenn beide die Jahre nach verschie-
denen Aeren berechnen; und zwar scheint die des zweiten einen
späteren Anfangspunkt zu haben als die des ersten; um wie viel,
darüber gehen die Ansichten auch wieder auseinander. Man nimmt
bald ein halbes, bald ein ganzes, bald anderthalb Jahre Differenz
an (letzteres Ideler, der die Epoche des ersten vom Frühjahr 312,
die des zweiten vom Herbst 311 datirt). Die Daten, auf welche
man sich stützt, sind freilich sehr spärlich, nämlich nur folgende
zwei: 1) Der Tod des Antiochus Epiphanes wird I Makk. 6, 16 in
das Jahr 149 aer. Sei. verlegt, dagegen nach II Makk. 11, 33 muss
er spätestens 148 aer. Sei. fallen, da liier ein Schreiben seines Nach-
folgers Eupator bereits von diesem Jahre datirt wird. 2) Der zweite
Feldzug des Lysias fällt nach I Makk. 6, 2U ff. in das Jahr 150
aer. Sei., dagegen nach II Makk. 13, 1 in das Jahr 149 aer. Sei.
(vgl. Wiese 1er in Herzogs Real-Enc. 1. Aufl. Art. „Aere" I, 159).
Allein in Betreff" des ersten Datums verhält sich die Sache anders
als es zunächst scheint. Es handelt sich ja II Makk. 11, 33 nicht
um das Datum des Todes des Antiochus P^piphanes, sondern in
Wahrheit um das Datum des ersten Feldzuges des Lysias. Wenn
dieser II Makk. 11, 33 in das Jahr 148 aer. Sei. verlegt wird, so
ist dies ganz übereinstimmend mit I Makk. 4, 2S. 52. coli. 3, 37.
Die Differenz besteht also nicht in verschiedener Zeitrechnung,
sondern darin, dass | das zweite Makkabäerbuch den ersten Feld-
ziig des Lysias (welchen beide übereinstimmend in das Jahr 148
aer. Sei. verlegen) irrthümlich erst nach dem Tode des Antiochus
Epiphanes stattfinden lässt (vgl Grimm zu II Makk. 13, 1). —
Eine wirkliche Verschiedenheit des Datums findet demnach nur in
einem einzigen Falle statt, nämlich I Makk. 6, 20 ff. = II Makk.
13, 1. Mit Recht aber bemerkt Grimm (zu 11 M. 13, 1, mit Zu-
rücknahme seiner eigenen früheren Ansicht), dass man „dem so
vieler historischer und chronologischer Verstösse überwiesenen Ver-
fasser des zweiten Buches gewiss zu viel Ehre anthut, wenn man
die chronologische Differenz zwischen ihm und dem ersten Makka-
bäerbuch durch gi'ossen Aufwand von Combination entweder aus-
zugleichen oder durch Annahme eines verschiedenen Anfangs der
seleucidischen Aera zu erklären sucht". — Es liegt somit kein
zureichender Grund vor, für das zweite Makkabäerbuch eine be-
sondere Aera zu statuiren. Und man hat die Wahl, ob man seine
Aera für die durch das erste Makkabäerbuch bezeugte palästi-
40 § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. [33. 34]
nensische Seleiiciden-Aera oder für die im übrigen Syrien geltende
Seleuciden-Aera halten will. Unger nimmt auch für die Aera des
zweiten Makkabäerbuches das Frühjahr 311 als Ausgangspunkt an.
Vgl. über die Acren der beiden Makkabäerbücher: Froeliek, Annales
eompendiarii regum et rerum Syriae [ed. 2, 1750) Proleg. p. 22 sqq. — Werns-
dorff, De fide historiea librorum Maceabaicorum, 1747, p. 18 — 31 (bekämpft
die bereits von Scaliger, Petavius, Usher, Prideaux, Foy-Vaillant, des-Vignoles,
Frölicb und Anderen aufgestellte Ansicht, dass die Aera des 1. Makkabäer-
buches im Frühjahr beginne). — Oibert, Memoire sur la Chronologie de
Vhistoire des Machabees {Memo-ires de rAacademie des Itiscriptions et Belles-
Leitres, alte Serie t. XXVI, 17.59, p. 112—156). — Clinton, Fasti Helleniei,
III, 375—382. — Ideler, Handbuch der Chronologie I, 531—534. — Wieseler,
Die 70 Wochen und die 63 Jahrwochen des Propheten Daniel (1839) S. 110 ft".
Derselbe, Chronologische Synopse (1843) S. 451 ft'. Derselbe, Art. ,,Aere"
in Herzog's Eeal-Enc. 1. Aufl. I, 159 f. Derselbe, Theol. Stud. und Krit.
1875, S. 520—532; ebendas. 1877, S. 510 f. — Grimm, Exegetisches Handbuch
zu den Apokryphen III, 11 f. IV, 186 f. — Wellhausen, Israelitische und
jüdische Geschichte, 1894, S. 208, 2. Aufl. S. 243, 4. Aufl. S. 258 f. (wie Werns-
dorfl"). — Unger, Die Seleukidenära der Makkabäerbücher (Sitzungsberichte
der Münchener Akademie, philos.-philol. und histor. Classe, 189.5, S. 236— 316).
B. Nicht-erhaltene Quellen.
Die folgende Uebersicht umfasst: 1) alle, uns nur durch Citate
oder Fragmente bekannten Specialwerke zur jüdischen Ge-
schichte in unserer Periode, gleichviel ob sie von Josephus be-
nützt sind oder nicht, 2) von den verloren gegangenen, allgemei-
neren Geschichtswerken nur diejenigen, auf welche nachweislich,
direct oder indirect, die Darstellung des Josephus zurückgeht.
Unter eine dieser beiden Kategorien gehören alle im Folgend<Mi
aufgezählten Werke.
1. Jason von Cyrene.
Er schrieb ein Werk in fünf Büchern über die Geschichte der
makkabäischen Erhebung von deren Beginn bis zum Siege des
Judas I über Nikanor (161 v. ('hr.), welches in unserem soge-
genannten zweiten Makkabäerbuche in ein Buch zusammengezogen
ist (// Makk. 2, 2Ii: ra vno 'laOcovoQ rov KvQtjpaiov öeöijXofiiva
6ia Jtivte jiißXlcov jrtutaöofnOa 6i trug owrayfiaTog ijTiTfi(ilr).
Vemiuthlich lebte er nicht lange nach den erzählten Ereignissen,
etwa um die Mitte des zweiten .lahrhunderts v. Ohr. (vgl. M. 111,
8. 359—364).
2. Die Geschichte des Jolianncs ilyrkiuius.
Dem Verfasser des ersten Makkabäerbuches war eine Ge-
schichte des Johannes Hyrkanus bekannt (/ Makk. 16, 24: ßißXlou
[34, 35] § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. 41
TinEQmv aQXiEQcoovvifi avTou), welche wohl in ähnlichem Stile wie
das erste Makkabäerbuch seine langjährige und verdienstvolle Re-
gierung beschrieb. Sie scheint früh verloren gegangen zu sein; denn
schon Josephus hat sie offenbar nicht mehr gekannt. Vgl. Bd. III,
S. 146 f.
3. Posidonius aus Apamea.
Der berühmte stoische Philosoph und Historiker Posidonius
stammte aus Apamea in Syrien, lebte aber hauptsächlich in Rhodus,
wo er eine stoische Schule leitete (daher .auch o ^Pböioq genannt).
Da er noch ein Schüler des Panätius war, welcher spätestens um
110 V. Chr. gestorben ist, so kann er nicht später als um 130 v.
Chr. geboren sein. Im siebenten Consulate des Marius, 86 v. Chr.,
kam er als Gesandter nach Rom und sah dort noch den Marius,
kurz vor dessen Tode {Plutarch. Marius c. 45). Unmittelbar nach
Sulla's Tod, 78 v. Chr., hörte ihn Cicero in Rhodus {Plutarch.
Oicero c. 4). Pompejus besuchte ihn wiederholt daselbst. Unter
dem Consulate des Marcus Marcellus, 51 v. Chr., soll er noch
einmal nach Rom gekommen sein (Suidas Lex., s. v. Ilootiömviog).
Seine Blüthezeit fällt also um 90 — 60 v. Chr. Nach Lucian. Macroh.
c. 20 erreichte er das hohe Alter von 84 Jahren. — Von seinen
zahlreichen Schriften interessirt uns hier sein historisches
Hauptwerk, die häufig von Athenäus, Strabo, Plutarch und An-
deren citirten lazogiat. Nach den Citaten bei Athenäus hat es
mindestens neunundvierzig Bücher umfasst. Es ist daher nicht zu
bezweifeln, dass Suidas (Lex. s. v. IIoösiöcovioc) dieses Werk im
Auge hat, wenn er irrthümlich von dem Alexandriner Posidonius
bemerkt: tygatpev ^laxoQiav t?jv fieza üoXvßiov iv ßißlioiq v^.
Auch die erhaltenen Fragmente machen es wahrscheinlich, dass
das Werk da einsetzte, wo Polybius aufhörte (143 v. Chr.). Wie
weit es die Geschichte fortführte, ist ungewiss. Nach Suidas l. c.
ging es t(oq rov jtoXe'fiov tov KvQr/pa'ixov xal ÜToZef/aiov. Müller
{Fragm. hist graec. III, 250) glaubt, dass dafür zu lesen sei toc
rov nroXsfiaiov rov KvQi]vatxov, nämlich bis auf Ptolemäus Apion
von Cyrene, welcher 96 v. Chr. starb. Hiermit 1 würde annähernd
stimmen, dass die Fragmente aus dem 47. und 49. Buch sich auf
die Zeit um 100—90 v. Chr. beziehen. Allein nach einem grossen
Fragment bei Athenäus {Müller fr. 41) steht fest, dass Posidonius
auch die Geschichte des atheniensischen Demagogen Athenio oder
Aristion (87 — 86 v. Chr.) ausführlich erzählt hat. Ja nach einer
Notiz bei Strabo {Müller fr. 89 = Straho XI, 1,6 p. 492) hat er
auch die Geschichte des Pompejus behandelt (t^j; iorogiav ovvt-
ygaipB r/jv jisqI avrov). Müller nimmt daher an, dass Posidonius
42 § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. [35]
die Zeit nach 96 in einem „zweiten Theile" oder einer Fortsetzung
des Hauptwerkes behandelt habe {Müller, Fragm. hist. graec. III, 251).
Diese künstliche Hypothese hat aber an den Worten des Suidas
keine hinreichende Stütze. Die 52 Bücher können die Zeit von
87—86 V. Chr. recht wohl noch umfasst haben; und das Werk
wird eben bis in diese Zeit gegangen sein (nach Scheppig, De Posi-
donio p. 27 — 31, bis zum J. 86 v. Chr.; diesen Endpunkt hat Unger,
Philologus LV, 1S96, recht wahrscheinlich gemacht auf Grund der
Angabe des Suidas scag rov jtoXefiov rov KvQrjvaXxov, indem er
darunter die von Josephus Antt. XIV, 7, 2 erwähnten Kämpfe des
LucuUus in Cyrene versteht, welche in das Jahr 86 fielen. Andere
nehmen SuUa's Dictatur, 82 v. Chr., als Endpunkt an, so Arnold,
Jahrbb. für class. Philologie 13. Supplbd. S. 149, Susemihl II, 140,
Wachsmuth S. 651). Jedenfalls kann es nicht viel weiter gereicht
haben, wenn bereits im 47. und 49. Buch die Zeit um 100 — 90 be-
handelt war (also sicher nicht bis zum J. 67 v. Chr., wie Toepel-
nmnn, De Posidonio p. 24 — 32 annimmt). Die Greschichte des Pom-
pejus wird daher ein besonderes Werk gebildet haben, wenn die
betreffende Notiz überhaupt Glauben verdient (Wachsmuth S. 651
Anm. 4: Die Worte Strabo's tragen deutlich den Charakter eines
Zusatzes, wie sie öfters ein arger Halbwisser zum strabonischen
Text gemacht hat).
Das grosse Werk des Posidonius stand bei den späteren Histo-
rikern in hohem Ansehen und scheint von ihnen, ähnlich wie Poly-
bius, als Haupüjuelle für die darin behandelte Zeit benützt worden
zu Sein. Sicher ist, dass Diodor aus ihm geschöpft hat (vgl. z. B.
Müller, fr. 15 ^ Diodor. XXXIV, 2, 34, überh. Müller, Fragm. hist.
graec. t. II p. XX, t. III p. 251, Susemihl II, 142 f.). Aber auch Trogus
Pompejus geht auf ihn zurück (s. Heeren, De Trogi Pompeji fontibus et
auctoritate, in: Commentationes Societ. scient. Gotting. t. XV', 1804, chssis
hist. et phil. p. 185—245, bes. p. 233—241; und überliaupt die bei
Teuflei, Gesch. der röm. Lit. § 258, 4 erwähnte Literatur); und so
vermuthlich die Meisten, welche diese Zeit behandelt haben. Es
ist daher sehr wahrsch»M*nlich, dass auch di(^ betreffenden Ab-
schnitte bei Josephus, zwar nicht direct aber indirect (durch
\'erniittelung des Strabo und Nicolaus Damascenus), wesentlich auf
Posidoniu« beruhen.
JoHephiiH liiit für rlio frugliche Zeit in erster Linie den Strnho und
N icolauH DamuBcunuH hcnützt (s. dicBC). DasB Stmbo in seinem GeHchiclits-
werk Mich un I'osidoniuM angeHcliloHHCD liiit, (hirf als HcIhHtvcrstiindlich gölten,
da er ihn in Moincr Geognipliie hilufig und mit groHwcr Achtung citirt (s. bes.
II, p. \()2, XVI, p. 7'/}). Auch bei NicohiUH DanuiHccriUH finden hIcIi deutliche
Spuren «ln«r Bcnütxting de« PoHidonius {Müller, Fraf/rn. /ii,it, graec. III, 415
fr. 79). — .Josei)luii« erwähnt den PoHidoniuM nur einmal (contra Apion. II, 7).
[35. 36] § 3 Quellen. B. Mcht-erhaltene Quellen. 43
Starke sachliche Berührungen finden sich aber zwischen seiner Darstellung
uud der des Diodorus und Trogus | Pompejus (= Justinus). Vgl. z. B. Jos.
Antt. XIII, 8, 2—3 = Diodor. XXXIV, 1 (Eroberung Jerusalems durch An-
tiochus Sidetes); Jos. Antt. XIII, 5, 11 = Justin. XXXVI, 1, 3 (Partherkrieg
des Demetrius II). Wenn also jene beiden auf Posidonius zurückgehen, dann
auch Josephus. Näheres s. bei Nussbaum, Observationes in Flavii Josephi
Antiquitates Hb. KU, 3 — XIII, 14 (1875) p. 28—43 (hierzu: Theolog. Literatur-
zeitung 1876, 333). Vgl. auch: Destinon. Die Quellen des Fl. Josephus (1882)
S. 52. J. G. Müller, Theol. Stud. und Krit. 1843, S. 893 ff. und dessen Com-
mentar zu Josephus' Schrift gegen Apion (1877) S. 214 ff. 258 f. Adolf Kuhn,
Beiträge zur Gesch. der Seleukiden (Altkirch in E. Progr. 1891) S. 6 f.
Die historischen und geographischen Fragmente des Posidonius sind ge-
sammelt bei C. Müller, Fragmenla historiconirn Graecorum III, 245 — 296. —
Vgl. überhaupt: Fabricius, Biblioth. graec. ed. Hartes III, 572 — 574. IV, 34.
— Bake, Posidonii Rhodii reliquiae doctrinae, Ludg. Bat. 1810. — Clinton,
Fasti Hellenici t.lll, ad ann. 143, 86, 78, 62, 60, 51. — Forbiger, Handbuch
^er alten Geographie I (1842) S. 357— 363. — Westermann in Pauly's ßeal-
Enc. V, 1928 ff. — Toepelmann, De Posidonio Rhodio rerum scriptore, Bonnae
1867. — Seheppiff, De Posidonio Apamensi rerum gentium terrarurn scriptore,
Halts Sax. 1869. — Nicolai, Griechische Literaturgesch. II, 182 f. 242 f. —
Blass, De Oemino et Posidonio, Kiel 1883. — Arnold, Untersuchungen über
Theophanes von Mytilene und Posidonius von Apamea, in: Jahrbb. für class.
Philologie, 13. Supplementbd. 1884, S. 75 — 150 (sucht hauptsächlich nachzu-
weisen, dass Appian in seinen Mithridatica jene beiden benützt hat). —
Schuh lein, Studien zu Posidonius Rhodius, Freising 1886 (sorgfältige Fest-
stellung des biographischen Details). — Zimmermann, Posidonius und Strabo.
in: Hermes Bd. XXIII, 1888, S. 103-130 (über die Benützung des Posidonius
in der Geographie des Strabo). — Ad. Bauer, Posidonius und Plutarch über
die römischen Eigennamen (Philologus Bd. XLVII, 1889, S. 242—273). —
Diels, Sibyllinische Blätter, 1890, S. 21—23 (über den superstitiösen Charakter).
— Schühlein, Zu Posidonius Rhodius, Freising, Progr. 1891 (Prüfung der
Ueberlieferung bei Suidas). — Susemihl, Geschichte der griech. Literatur
in der Alexandrinerzeit Bd. II, 1892, S. 128—147, 687, 70S ff. — Wachsrauth,
Einleitung in das Studium der alten Geschichte, 1895, S. 648—654 (gute
Charakteristik von Posidonius' Geschichtswerk). — Unger, Umfang und An-
ordnung der Geschichte des Poseidonios (Philologus Bd. LV, 1896, S. 73 — 122,
245—256). — Ueber Posidonius als Philosophen s. Schmekel, Die Philosophie
der mittleren Stoa (1892) S. 9—14, 85—154, 238—290, und die allgemeineren
Werke über die Geschichte der Philosophie von Zeller (Philosophie der
Griechen, III. Tbl. 1. Abthlg 3. Aufl. 1880, S. 572-584) und Anderen; auch:
Wendland, Posidonius' Werk negl Q^twv (Archiv f. Gesch. der Philos. Bd I,
1888, S. 200 — 210). — Von der Literatur über die naturwissenschaftlichen
Leistungen des Posidonius sehe ich hier ab.
4. Timagenes aus Alexandria.
Timagenes, von Geburt vielleicht ein Syrer, wurde von Gabinius
bei dessen ägyptischem Feldzug (55 v. Chr.) in Alexandi'ia gefangen
genommen und nach Rom gebracht, wo er fortan lebte (Suidas, Lex.
s. V, Tifiaysvric). Er war berüchtigt durch seine lose Zunge, um
44 § 3. Quellen. B. Nicht- erhaltene Quellen. [36. 37]
derentwillen ihm Augustus das Haus verbot. Trotzdem war er all-
gemein geachtet und genoss namentlich den vertrauten Umgang des
Asinius PoUio {Seneca, de ira III, 23: Timagenes in contubemio
Pollionis Asinii consenuit, ac tota dvitate dilectus est: nulluni Uli
Urnen praeclusa Caesaris domus ahstulit). — Seine zahlreichen Werke
[Suidas: ßißXia ö'eyQatpe jioXXa) waren wegen ihrer Grelehrsamkeit
und ihrer eleganten rhetorischen Form geschätzt {Ammian. MarcelUn.
XV, 9: Timagenes et diligentia Graecus et lingua). Ja Quintilian
(X, 1, 75) nennt ihn unter den berühmtesten Historikern. Die
wenigen erhaltenen Fragmente gestatten kein bestimmtes Urtheil
über Inhalt und Anlage seiner Werke. — Die Citate bei Josephus
beziehen sich auf die Geschichte des Antiochus Epiphanes {contra \
Ajpion. II, 7), des jüdischen Königs Aristobulus I {Antt. XIII, 11, 3)
und des Alexander Jannäus {Antt. XIII, 12, 5). Offenbar hat aber
Josephus den Timagenes nicht selbst benützt, sondern die Citate
aus anderen Historikern entnommen {Antt. XIII, 11, 3: fiaQzvQst
xovTO xal SxQaßwv sx zov Tcjiayevovg ovofiarog liycov ovtcoq.
Auch das Citat Antt. XIII, 12, 5 stammt wohl aus Strabo, welcher
unmittelbar darauf Antt. XIII, 12, 6 citirt wird).
Die Fragmente des Timagenes sind gesammelt bei Müller, Fragmenta
liistoricorum f/raecorum III, 317 — 323. — Vgl. auch Clinton, Fasti Helleniet
t. III, ed. 2. p. 573 sq. — Westermann in Pauly's Eeal-Enc. VI, 2, 1971,
und die daselbst erwähnte Literatur. — Nicolai, Griech. Literaturgesch. II,
188. — Gutschmid, Trogus und Timagenes, in: Rhein. Museum Bd. XXXVII,
1882, 8. 548— öSf), wieder abgedruckt in: Gutschmid, Kleine Schriften V, 218—227
(sucht zu zeigen, dass Trogus Pompejus „nur eine lateinische Bearbeitung
eines griechischen Originalwerkes" sei und nimmt an, dass letzteres das des
Timagenes war). — Wachsmuth, Timagenes und Trogus (Rhein. Museum
Bd. XLVI, 1891, S. 465—479). Ders., Einleitung in das Studium der alten
Gesch. S. 114 f. (gegen Gutschmid). — Susemihl, Gesch. der griech. Literatur
in der Alexandrinerzeit II, 377—381. — Hirschfeld, Timagenes und die
gallische Wandersage (Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1894, S. 331 — 347).
— Kaerst, Untersuchungen über Timagenes von Alexandria (Philologus LVI,
1807, 8. 021—657). — Ad. Bauer, Die Forschungen zur griech. Geschichte
1888-1898 (1899) S. 310 f.
5. Asinius Pollio.
C. Asinius I'ollio, der bekannte Freund des Cäsar und Augustus,
verfasste unt«u- anderem eine Geschichte des Bürgerkrieges
zwischen Cftsar und Pompejus in 17 Büchern in lateinischer
Sprache (dies ist wenigstens der wahrscheinliche Sinn der confusen
Abgaben bei Suidan Lex. 8. V. IlmXlmv und \4olvioq, s. Teuftel,
Gesch. der röm. Lit.8221,a; (iroebe in Pauly-Wissowa's Re«l-Knr.
II, 1696). Plutarch, Appian und Andere haben das Werk benützt
[37. 38] § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. 45
(Plutarch. Pompejus e. 72, Caesar c. 46; Appian. Civ. II, 82). —
Da es als Werk eines betheiligten Zeitgenossen eine Quelle ersten
Ranges war, hat natürlich ein Forscher wie Strabo dasselbe sich
nicht entgehen lassen. Aus einer Notiz bei Josephus ist zu er-
sehen, dass er es z. B. in der Geschichte des ägyptischen Feld-
zuges Cäsar's citirt hat {-los. Antt. XIV, 8, 3: fiagrvQil dt fiov rät
Xbyco l^rgaßcov o KaJiJtaöo^ Xtycov £$, 'Aoiviov ovofiaTog ovrcoc).
Vgl. über Asinius Pollio überhaupt: Teuf fei in Pauly's Real-Enc. I, 2
(2. Aufl.) S. 1859—1865. Teuffei, Gesch. der röm. Literatur § 221, und die
an beiden Orten citirte Literatur. — Groebe, Art. „Asinius Pollio" in Pauly-
Wissowa's Real-Enc. II, 15S9— 1602. — Korneniann, Die historische Schrift-
stellerei des C. Asinius Pollio (Jahrbb. für class. Philol., 22. Supplbd. 1890,
S. 555 — 692). — Noch einiges bei Hüb n er, Grundriss zu Vorlesungen über
die romische Literaturgesch. (1878) S. 181. — Ueber die Geschichte des
Bürgerkrieges speciell: Thoiiret, De Cicerone. Asinio Pollione, C. Oppio rerum
Caesariwmrum seriptoribus (Leipziger Studien zur classischen Philologie, Bd. L
1878, S. 303—360, über Asinius Pollio S. 324—346). — In den neueren Ver-
handlungen über die Quellen Appian's ist die Frage, in wieweit Appian das
Werk des Asinius Pollio benützt hat, vielfach erörtert, eine Gewissheit darüber
jedoch nicht erreicht worden. Vgl, auch Schwartz, Art. „Appianus" in
Pauly-Wissowa's Real-Enc. II, 216 ff
6. Hypsikrates.
Ein sonst wenig bekannter Schriftsteller Hypsikrates wird
in Strabo's Geographie zweimal citirt. Das eine Citat bezieht sich
auf die Geschichte des Asander, eines Statthalters des Königs Phar-
naces II im Bosporus zur Zeit Cäsars {Strabo VII, 4, 6 p. 311, über
Asander s. Pauly's Knc. I, 2, 1838; Pauly-Wissowa's Enc. II, 1516 f.).
Das andere Citat betriftt die Ethnologie der kaukasischen Völker
{Strabo XI, 5, 1 p. 504). Vielleicht ist auch an einer dritten Stelle,
über die Naturgeschichte von Libyen, statt des überlieferten
Ipliikrates zu lesen Hypsikrates (XVII, 3, 5 p. 827). Nach Lueian.
Macroh. c. 22 stammte Hypsikrates aus Amisus im Pontus und er-
reichte ein Alter von 92 Jahren. Da er die Zeit Cäsar's behandelt
hat, kann er nicht viel älter als Strabo gewesen sein. — Nach
einer Notiz bei Josephus hat Strabo auf diesen Hypsikrates auch
in seiner Darstellung des ägyptischen Feldzuges Cäsars Bezug
genommen {Jos. Antt. XIV, 8,3: o ö' avrbq ovtog Stgaßcov xal tv
trsQm nalLv sS. VrpixQarovg ovofiazog Xiyu ovrcog).
Vgl, überhaupt: Müller, Fragmenta historicorum graecorum III, 493 sq.
— Bälir in Pauly's Real-Enc. III, 1560. — Ueber einen Grammatiker Hypsi-
krates, welcher von Varro benützt wird, s. Susemihl, Gesch. der griech. Lit.
II, 178.
46 § 3. Quellen, ß. Nicht-erhaltene Quellen. [38. 39]
7. Dellius.
Delliiis, ein Freund des Antonius, hat ein Werk über den par-
thischen Feldzug des Antonius geschrieben, an welchem er selbst
theilgenommen hat {Strabo XI, 13, 3 ;;. 523: oj? <prjOiv 6 AiXXioq a
rov 'ApTcoviov cpiXog, ov/ygärpaq rrjv ejcl Uag&vaiovg avzov orga-
xeiav, hv 7j Jcagriv xal avrog i)y£^oviav ^X^^- Plutarch. Anton. c.b9:
j(0?.?.ovg 6h xal rcöv aXXoov cpiXcov ol KXEo:itargaq xoXaxsg h^tßaXov
.... <DV xal Magxog tjv 2iXav6g xal AiXXiog o lozogixog). Es ist
möglich, wie Bürcklein und Gutschmid vermuthen, dass auf dieses
Werk alle Berichte der späteren Historiker über die Parther-Feld-
züge der Jahre 41 — 36 v. Chr., und so auch der des Josephus,.
direct oder indirect zurückgehen. Josephus erwähnt den Dellius
(nicht als Historiker, sondern nur als Feldherrn des Antonius) Bell
Jud. I, 15, 3. Antt. XIV, 15, 1. XV, 2, 6.
Vgl. Bürcklein, Quellen und Chronologie der römisch-parthischeu Feld-
züge in den Jahren 713—718 d. St. Inaugural-Dissert. 1879 (über Josephus:
S. 41— 43j. — Gutschmid, Geschichte Irans und seiner Nachbarländer (1888)
S. 97. — üeberhaupt: Haakh in Pauly's Real-Enc. II, 899. — Teuffei,
Gesch. der röm. Literatur § 255, 3. — Fabricius, Theophanes von Mytilene
und Quintus Dellius als Quellen der Geographie des Strabon. Strassburg 1888.
8. Strabo.
Strabo hat ausser der uns erhaltenen „Geographie" (s. hierüber
unten § 3, D) auch ein grosses Geschichtswerk geschrieben, welches
bis auf wenige Spuren verloren gegangen ist. Es war bereits voll-
endet, als Strabo seine Geogi-aphie begann, in deren Einleitung er es
selbst erwähnt (I, 1, 22—23 j). 13: AioxEg rifielg Jtsjiot/jxortg vjco-
(iVTjfiara larogixa xQ'^^^tfia, (og vsioXafjßdrofiev, elg X7)v i)d-ixrjv \
xal jtoXixixiiv (piXooo(piav). Aus einem andern Selbstcitate erhellt,
dass das fünfte Buch dieses Werkes da begann, wo Polybius auf-
höi-te, also 143 v.Chr. {Strabo^ Oeogr. XI, 9, 3 p. 515: slgTjxoteg
de JtoXXh Jttgl rmv Uagd-ixrov vofilftmv Iv t(j ?xt^ To3r lotogi-
xmv vjto/itvTjfidrmv ßlßXco, öevr^ga dt tätv (mrct IJoXvßiov).
Die Doppelzählung spricht dafür, dass der (Hiarakter der vier ersten
Bücher ein anderer war, als der dei- Bücher (IBTci IloXvßtor. jene
wohl summarischer, di<'S(i ausfülirlicliei-. In ersteren muss auch die
Zeit Alexanders des Grossen behandelt gewes(^n sein; denn Strabo
sagt an einer drillen Stelle, dass er die Unznverlässigkeit der Be-
richte über Indien des Näheren erkannt habe, als er die Geschichte
Alexanders des (tI rossen behandelte (Oeogr. II, 1, 9 ;>. 70: xal f)(itv
d* vx^Q^tif ixl :tXiov xatiötttf xavra vJtofiifTiftarc^ofiipotg tag
[39. 40] § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. 47
'AX£S,avÖQov jtga^Big). Nach einer Glosse bei Suidas [Lex.s. v.
noXvßioq) uinfasste das Werk „nach Polybius*' 43 Bücher {tyQarpe
ÖS xal ^TQttßtov 'jifiaotvg xa fitra LfoXvßiov bv ßißXioig fiy'), das
(janze demnach deren 47. Aus den Citaten bei Josephus geht her-
vor, dass es mindestens bis zur Eroberung Jerusalems durch Hero-
des (37 V. Chr.) ging; es mag also etwa mit der Begründung der
Alleinherrschaft des Augustus abgeschlossen haben. — Die meisten
Citate verdanken wir dem Josephus, der es offenbar für die Ge-
schichte der Hasmonäer von Johannes Hyrkan bis zun« Untergang
des Antigonus (135—37 v. Chr.) als eine Hauptquelle benützt hat,
indem er aus dieser grossen Weltgeschichte die auf die Geschichte
Palästina's bezüglichen Abschnitte und Notizen excerpirte (Antt.
XIII, 10, 4. 11, 3. 12, 6. XIV, 3, 1. 4, 3. 6, 4. 7, 2. 8, 3. XV, 1, 2.
Vgl. auch die auf Antiochus Epiphanes bezügliche Notiz contra
Apimt. II, 7). Ausserdem citiren es Plutarch. Sulla c. 26, Luculi. c.
28, Caesar c. 63, und Tertullian. de anima c. 46. — So sehr auch
der Verlust des Werkes zu bedauern ist, so ist es doch eine gün-
stige Fügung, dass Josephus neben Nicolaus Damascenus gerade
dieses Werk als Hauptquelle benützt hat. Denn Strabo war ein
gründlicher Forscher, der mit Umsicht und Kritik die besten Quellen
benützt hat. Selbst in den wenigen bei Josephus erhaltenen Frag-
menten citirt er dreimal seine Gewährsmänner (Timagenes, Asinius
Pollio und Hypsikrates). Dass er das grosse Werk des Posidonius
benützt hat, ist nicht zu bezweifeln. Und wie manches uns nicht
einmal dem Namen nach bekannte Specialwerk mag er für seine
umfassende Darstellung verwerthet haben. — Josephus hebt mehr-
mals die Uebereinstimmung des Strabo und Nicolaus Damascenus
hervor {Antt. XIII, 12, 6, und bes. XIV, 6, 4: jieqX öe riy? /7o/t/-
jt7]iov xal raßiviov orgarsiag kjtl lovöaiovg yQag)8i NixoXaog o Aa-
(laoxfjvog xal ^^rgaßcov o Kajtnaöo^ ovdlvBtBQogtxiQOV xaiv6xtQov\
Xiycov). Es ist aber nicht wahrscheinlich, dass einer den anderen
benützt hat, da beide etwa gleichzeitig schrieben. Nicolaus Damas-
cenus wird von Strabo in dessen Geographie bereits citirt (XV, 1,
72—73 p. 719). Andererseits ist das Geschichtswerk des Strabo
eher älter als das des Nicolaus. Die von Josephus hervorgehobene
Uebereinstimmung beruht also wohl auf Benützung derselben Quellen.
Ein entschiedener Missgriff" war es, wenn Lewitz (Quaest. Flav. specimen
1835, p. 1 — 10) den von Josephus citirten Historiker Strabo und den Geographen
für zwei verschiedene Personen erklärt hat. Allerdings nennt Josephus seinen
Gewährsmann stets den „Kappadocier", während der Geograph aus Amasia
im Pontus stammte. Allein die Landschaft Pontus hiess auch ^ UQoq xw
Ilovtip Kannaöoxia {Strabo XII, 1, 4 p. 534); und Plinius nennt gerade
Amasia unter den Städten Kappadociens {Eist. Nat. VI, 3, 8). Mithridates,
der König von Pontus, heisst auf einer Inschrift Mi^Qaöäxriq KannaSoxilac
48 § 3. Quellen, ß. Nicht-erhaltene Quellen. [40]
ßttai?.£vq] {Le Bas et Waddington, Inscriptions t. III n. 136<^ liii. 3). Vgl. auch
Waddlngton's Anm. zu der eben genannten Inschrift. Kuhn, Die städtische
und bürgerl. Verfassung des röm. Reichs II, 148. Mendelssohn in Ritschl's
Acta soeietatis philol. Lipsiensis V, 159 not.
Die Fragmente von Strabo's Geschichtswerk sind gesammelt bei Müller,
Fra/imenta histaricorum graecorum III, 490 — 494. — Viel Unsicheres ist auf-
genommen von Otto, Strabonis laxoQixcöv xmofivrjfiäiwv fraginenta coUegit
et enarravit adiectis quaestionibus StraboJiianis (Leipziger Studien zur class.
Philologie, XI. Bd., Supplementheft 1889); hier speciell über Josephus' Ver-
hältniss zu Strabo: S. 225 — 244. — Vgl. überhaupt: Wachsmuth, Einleitung
S. 654 f. — Schwartz in Pauly-Wissowa's Real-Enc. II, 235 f. (^Art. Appianus;
gegen die Vermuthung, dass Strabo eine Hauptquelle Appian's gewesen sei).
— Ad. Bauer, Die Forschungen zur griech. Geschichte 1888—1898 (1899) S.
29S— 302. — Münzer, Deutsche Litztg. 1900, 2983 (Verhältniss zu Nicolaus
Damascenus).
9. Herodes' Denkwürdigkeiten.
Wie andere fürstliche Personen jener Zeit (z. B. Augustus und
Agrippa, s. Teuflfel, Gesch. der röm. Lit. § 220), so hat auch Hero-
des der Grosse „Denkwürdigkeiten" geschrieben, welche bei Jose-
phus einmal erwähnt werden {Antt. XV, 6, 3: ravxa 6e yQa<pon£v
f/fielg cog kv rolg vxofiv^fiaoi xolg rov ßaOiXimg ^Hqwöov
jrsQielxsTo). Ob Josephus sie selbst eingesehen hat, ist sehr frag-
lich, da er in der Geschichte des Herodes dem Nicolaus Damas-
cenus als Hauptgewährsmann folgt, und ausser ihm wohl nur eine
dem Herodes ungünstige Quelle benützt hat. Auch das Praeteritum
jttQulxsro erweckt die Vorstellung, dass das citirte Werk dem
Schreiber nicht mehr vorgelegen hat, sondern ihm nur aus zweiter
Hand bekannt war.
Ueber die philosophisclien, rhetorischen und historischen Studien de»
Herodes h. das Fragment aus der Selbstbiographie des Nicolaus Damascenus
bei Müller, Fragm. bist, graec. III, 350 s^. fr. 4. — vnofivt'jfiaTa sind „Auf-
zeichnungen zur Erinnerung", nicht wesentlich verschieden von vno/xvTj/xauofiol
und dnofivijftovevfiaTa (doch bedeutet letzterer Ausdruck eigentlich: Auf-
zeichnungen aus der Erinnerung). Ueber die vno/iVTj/iaxiafioi der Ptolemäer
n. Wilcken, Philologus Bd. LUX, 1894, S. 80-126. Ueber dno/xvrjfxovevfjtara
überhaupt: Schwartz in Pauly-Wissowa's Real-Enc. II, 170 f. — Eine directe
Benützung der Denkwürdigkeiten des Herodes durch Josephus, wclclie ich
früher Helbst angenommen habe (Theol. Litztg. 1879, 570 f.; ebenso Bloch,
Die Quellen des FlaviuB Jo»ephus 1879, 8. 107 f. 140 H") scheint mir aus den
angedeuteten Gründen doch nicht wuhrsclieiiilich. Abgelehnt wird diese An-
nahme z. B. auch von Deitinou, Die Quellen dos Fhivius Josephus, 1882,
8. 121 fl*. Ein Hicheres Resultat ist freilich niclit erreichbar.
10. Ptolemäus.
In dem Werk des Ammonius, De adßnium vocabulorum diffe-
rmüa {edd. Valckenaer 1739; Ammon 1787; Kulenlcamp 1822) findet |
[41] § 3. Quellen, ß. Nicht-erhaltene Quellen. 49
sich s. V. 'löovfialoi folgende Notiz: 'löov/ialoi xal %v6aloc 6ia(pi-
Qovöiv, ojg (fijOi ÜToXtiialog ev JtQcotm oieq! Hqcoöov tov
ßaaiXscog. %vöaloi fihv yaQ tlöiv ol £g a(>X^? (pvoixoi. 'löovfialoi
ÖS ro /lEV aQXvi^tv ovx 'lovöaloi aXXa ^olvixtg xal Svqoi. KQarrj-
d-ivTf^q 61 vji avxmv xal avayxaöQ-ivxtq JttQitifipead^ai xal ovvtb-
Xelv elq ro sd-oq [l. td-voq'i] xal xa avxa pofiifia r/ytlod^ai exX-^d-ijöav
'lovöaloi. — Das hier erwähnte Werk eines Ptoleniäus über He-
rode s ist sonst völlig unbekannt. Die angeführten Aeusserungen
über das halbe Judenthuui der Idumäer sind ohne Zweifel aus
einer unbefangenen Erörterung über die wahre Herkunft des He-
rodes entnommen, wie sie ein Hofhistoriograph sich nicht hätte
erlauben dürfen (vgl. Jos. Antt. XIV, 1, 3). Der Verfasser kann
daher nicht zu den Hofbeamten des Herodes gehört haben, unter
welchen allerdings zwei Männer Namens Ptolemäus erwähnt
werden (der eine, ein Bruder des Nicolaus Damascenus, nach dem
Tode des Herodes auf Seite des Antipas stehend, Antt. XVII, 9, 4,
Bell. Jud. II, 2, 3; der andere, nach dem Tode des Herodes mit
Nicolaus Damascenus auf Seite des Archelaus stehend, Antt. XVII,
8, 2. 9, 3. 5. Bell. Jud. I, 33, 8. II, 2, 1. 4). Es liegt vielmehr nahe,
an den Grammatiker Ptolemäus aus Askalon zu denken, den
einzigen Schriftsteller Namens Ptolemäus, der bei Ammonium, De
odßn. vocab. di/f'erentia, abgesehen von der citirten Stelle noch er-
wähnt wird (s. V. xQiexsq und 6\ v. oxa(pvXrjp). Allerdings bezeichnet
StepJianus Byxantinus {s. v. ^AoxdXcov) diesen Ptolemäus als einen
Zeitgenossen des Aristarchus (Aqioxccqxov yvcoQifiog), wornach er
im zweiten Jahrlumdert vor Chr. gelebt liaben müsste. Allein
Baege (De Ptolemaeo Ascalonita 1882, p. 2 — 6) hat es wahrscheinlich
gemacht, dass die Angabe des Steph. Byz. irrig ist, und Ptolemäus
vielmehr an der Schwelle des ersten Jahrhunderts nach Chr.
gelebt hat. Dann würde er der Zeit nach sich vortretFlich eignen
für einen Biographen des Herodes.
Den Ptolemäus aus Askalon halten für den Verfasser der Herodes-Biogra-
phie z.B. auch: Fabricius-Harles Biblioth. graec. V, 296, Ammon in seiner
Annu'rkuug zu der Stelle desAmmouius, Westermsinn in: Vossius, Dehistoricis
i/raccLs ed. Wcstcnu. p. 226. — Vgl. über ihn überhaupt die in Bd. II, S. 40
genannte Literatur. — Müller, Fragm. hist. yraec. JII, 348 iwt. IV, 486 denkt
iiu einen der Höflinge des Herodes.
Die obige Notiz über die Idumäer findet sich in verkürzter Form auch in
einer dem Ptolemäus au.s Askalon zugeschriebenen Schrift nsgl 6ia<poQäq
Af'^ftüv, welche theihvei.se ychon Fabricius {Biblioth. graec. ed. Hartes VI,
l.')7— 1G3) und neuerdings vollständig Heylbut (Hermes Bd. XXII, 1887,
S. 38S — 410) herausgegeben haben. Sie lautet hier {Fabricins VI, 161 = Hermes
XXII. 397): 'lovöalot xal^dov/xaloi 6ia<fCQ0vaiv 01 fisv yag^IovSaloi i§ «QXÜ'if
löovßaloi 6s x6 (xbv dQ/^&ev ovx ^lovöatoi «AA« ^oivixeg xal Svgoi. Allein
ScLüier, Gesuhichte I 3. u. 4. Aufl. 4
50 § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. [42]
wie dieser Artikel, so beweisen auch alle anderen, dass dieses angebliche Werk
des Ptoleraäus vielmehr ein Auszug aus Ammonius ist, der seinerseits den echten
Ptolemäus aus Askalon citirt. Vgl. Baege, p. 15 sqq.
11. Nicolaus Damascenus.
Kein Schriftsteller ist von Josephus für die nachbiblische Zeit
in so ausgiebigem Maasse benützt worden, wie Nicolaus von
Damascus, der vertraute Freund und Rathgeber des Herodes.
Kr stanunte aus einer angesehenen nicht-jüdischen Familie in Da-
mascus '). Sein Vater Antipater bekleidete daselbst die ersten
Ehrenämter (Suidas, Lex. s. v. ^AvxLTcaxQoq = Müller fr. 1: ägxctg
XB jtäoag öis^TJX&^e xag syxojQiovo). Da Nicolaus unmittelbar nach
dem Tode des Herodes im J. 4 v. Chr. sich als etwa sechzigjährig
bezeichnet (i/w/fer /r. n. 5 p. 353: xal yccQ ijv jceql ^ £xi]), so muss
er um das J. 64 v. Chr. geboren sein. Er eignete sich eine um-
fassende gi'iechische Bildung an, und folgte in seinen philosophi-
schen Anschauungen hauptsächlich dem Aristoteles (daher NixoXaog
6 LfsQiJcaxtjxixog Müller fr. n. 11. 78. 79. 83, ug xcöv äico xov jcsqi-
jidxov (piXooocpojp Müller fr. n. 84. 89). Nach dem Patriarchen So-
phronius von Jerusalem (Anfang des 7. Jahrh. n. Chr.) soll er
der Lehrer der Kinder des Antonius und der Kleopatra gewesen
sein [Sophron. Narraiio miraculorum SS. Oi/ri et Jolmnnis c. 54 bei
Mai, Spidleg. Roman. IIJ, 550 == Migne, Patrol. graec. t. 87, 3 col. 3621
= Müller, Fragm. hist. graec. t. IV, p. II). Als Augustus im J. 20
V. Chr. in Syrien weilte, sah Nicolaus in Antiochia die dorthin
gekommenen indischen Gesandten (Müller fr. 91 = Strabo XV, 1, 73
p. 719). Vielleicht schon damals, spätestens vom J. 14 v. Chr. an,
lebte er in der vertrautesten Umgebung des Königs Herodes, von
welchem er auch zu wichtigen diplomatischen Diensten verwendet
wurde. Im J. 14 befand ersieh im Gefolge des Herodes, als dieser
den Agrippa in Kleinasien besuchte. Später ging er mit Herodes
nach Rom. Als Herodes aus Anlass der arabischen Angelegen-
heiten bei Augustus in Ungnade gefallen war, wurde Nicolaus als
(jesandter nach Rom gesandt. Auch bei den Conflikten des Königs
mit seinen Söhnen Alexander, Aristobul und Antipater stand Ni-
1) Dft NicolauH in der Rede Antt. XVI, 2, 4, in welcher er die InteroHnon
und Anschnuungen der .luden vertritt, hjcIi der «THton l'erHon l'lurnlis bedioiit
iTijv te ißdSfi^v xwv TjfitQ(üv dvlf/itv xy fioi^tjaet ttüv 7j[iexi(twv i{}(üv xal
vSfiwv u. ». w.), HO könnte nuui geneigt Hein, ihn für einen .luden zu huiten.
Al>cr nach Stiültm h'x, «. v. 'Avxlnax{Wi hat Hein Vater Antipater kurz vor
Hoinem Tode ihn (den Ni<'olauH) und Heiiicn Hrnder rtohmiäuH l)cauflnigt. dem
Zcuil ein KAuchcrgeniHH, dan er dem (lottc lirrcitN geloht liiitte, uiif'ertig(^ii /u
IflJMen, wenn er gentorben nei (rtp dd &rft(axt'nuov, önn) l(pi}ri avxoq nifovnta-
XriiUvoi x^ Oiip, xatttoxevuaai ineiöav teXevxi^at/).
[42] § 3. Quellen, ß. Nicht-erhaltene Quellen. 51
colaus als- Ratligeber im Vordergrunde. Nach dem Tode des He-
rodes vertrat er die Interessen des Archelaus vor dem Kaiser in
Rom (dies alles nach den Angaben der Selbstbiographie Müller fr.
3 — 5 und den betreffenden Abschnitten bei Josephus). Seine letzte
Lebenszeit scheint er in Rom zugebracht zu haben (nach den An-
deutungen in der Selbstbiographie Müller fr. 6 s. fin.).
Um die Beziehungen zu Augustus zu pflegen, soll Nicolaus dem Kaiser
öfters von den trefllichen Datteln, die in Palästina wuchsen, geschickt haben.
AuguHtuH nannte daher diese Art „Nicolaus-Dattelu"; und der Name hat
sich allgemein eingebürgert. Afficnaciis XIV, p. {i52 A: IlfQtöh T(üv NixoXumv
xalovfxh'wv (poivlxwv xoaovxov vfilv flnelv sxo) xöiv und ttjg ^vQiaq xaxayo-
fiivwv, oxi tavzTjq x^q nQoarjyopiaq i^^tüj&Tjaav vno xov Sfßaaxov uvxoxQaxoQOq
0(pöSQa ■/^alQOVxoq xm ßQiu/xaxi, Nixo}.üov xov dufiaaxrjvov hxatgov ovxoq avxdi
xa\ Tt^finovxoq (polvixaq avvsx<öq. Tcüv dno xov neginäxov ä'uiv o Ntxö)Moq
xal laxoQtav avviyQaips noXXi]v. Bei I'lularck. Quacst. conviv. VI II, 4, 1 ist
nicht Augustus, sondern 6 ßaaiXsvq, also wohl Herodes, als Namengeber ge-
nannt, und gesagt, er habe die Datteln deshalb so genannt, weil Nicolaus an
.SÜHsigkeit, schlanker Gestalt und röthlicher Gesichtsfarbe diesen Datteln (resp.
Palmen) glich. Nach Plinius waren diese Datteln besonders gross (//««/. Nat.
XIII, 4, 45: siceiores ex hoc genere Nicolai, sed amplitiidinis praeci/mae, qua-
terni cubitanim longitiidinem efficiunt). In einer aus dem vierten Jahrhundert
n. Chr. stammenden üescriptio totius orfns (s. darüber unten Bd. II, S. 37
u. 56 f.) werden sie als ein Haupt-Erzeugniss Palästinas erwähnt (§ 31 : Nico-
laitm vcro paimulam inrenirs ahundftrc in Palcstina riyioue, in loco qiii dicitur
Hiericho). Nach dem Palästina-Pilger Theodosius (0. Jahrhundert n, Chr.)
wuchsen sie auch in der Gegend von Livias, jenseits des Jordan {Thcodosiiis
ed. Gildcnieister 1882 J; (55: ibi fiabet daftulnm Nieolaum majorem). Auch im
Edicinm Diocieliani VI, 81 {Corp. Liscr. Lat. vol. III. Snppl. p. 1934) werden
sie erwähnt. Vgl. überh. Müller, Frayni. hist. yraec. III, 343. Gildemeister in
seiner Ausg. des Theodosius a. a. (). Blümner, Der Maximaltarif des Diocletian
(1893) S. 101. — Zu diesen Zeugnissen kommen noch rabbinische. In der
Mischna Ahoda sara I, 5 werden unter den Producten, welche man den Heiden
nicht verkaufen darf, weil sie beim heidnischen Cultus verwendet werden, auch
oa'^lsps oder D'^abp3 (so die Cambridger Handschrift) genannt, und zwar neben
aa bpi (feinen Datteln). Schon Buxtorf {Lexicon Chaldnicum col. 1389) hat
die richtige P>klärung des Wortes gegeben. Derselbe weist auch noch andere
rabbinische Stellen nach, an welchen diese Dattel-Art vorkonmit. Vgl. auch
Levy, Neuhebr. und chald. Wörterb. s. r. und Krauss, Griechische und
lateinische Lehnwörter im Talmud, Midrasch und Targum II, 1899, S. 306 f.
(letzterer nennt imtiaerMischnaAhodn sara 1, 5 noch folgende Belegstellen :jer. Aboda
sara 30'^, 4()rf, hab. Ahoila sara 14*, jer. Schabbath 14^, Midrasch zu Ps. 92, 11,
Bamidbar rahba c. 3, 1, aramäisch: jer. Berachoth lO, jer. Demai 22», jer. Maaser
scheni 54^). Besser als die obige Schreibung in unserem Mischna-Text ist
die ebenfalls vorkommende Dbp3 oder DllbpD. — Die bei Suidas und einigen
Anderen sich findende Notiz, dass Augustus nicht Datteln, sondern Kuchen
nach Nicolaus benannt habe [Müller, Fraf/m. III, 343) ist hiernach zu verwerfen.
Von den Tragödien und Kommödien, welche Nicolaus angeblich
gedichtet hat {Suidas Lex. s. v. IVtxoXaog = Müller fr. 2), hat sich
4*
52 § 3. Quelleu. B. Nicht-erhaltene Quellen. [42. 431
keine Spur erhalten (s. Müller III, 344, Dindorf, Jlist. gr. min. I I
p. III, Susemihl II, 309). Auch von seinen philosophischen Lei-
stungen ist nicht viel auf uns gekommen. Am werthvollsten waren
ohne Zweifel seine historischen Werke, über welche Sicidas
Lex. s. V. NixoXaog folgendes bemerkt: ^ygatpsv lorogiav xa&o-
Xix?]v SV ßißXioiq oydorpcovra, xal rov [ßiov] KcdaaQog dycoyrjv
tyQarps xal srtQL rov lölov ßiov xal rrjg tavrov dycoyfjg (statt des
überlieferten ßiov im Titel der zweiten Schrift ist wohl zu lesen
viov). Ausser diesen drei Werken schrieb er nach Photius Bihlioth.
cod. 189 auch eine jcagaöo^mv £&cöv övvaymyy). Von allen vier
Werken sind uns mehr oder weniger umfangreiche Fragmente er-
halten.
Die Hauptmasse der erhaltenen Fragmente verdanken wir dem grossen
Unternehmen des Kaisers Constantinus Porphyrogennetus (912—951)
n. Chr.), welcher aus den alten Historikern das Wissenswertheste nach ge-
wissen Rubriken geordnet zusammentragen liess. Es waren im Ganzen drei-
undfünfzig Eubriken, unter welche der massenhafte Stoft' vertheilt wurde. Nur
wenige dieser 53 Bücher sind uns erhalten, und von den erhaltenen kommen
hier nur zwei in Betracht: 1) die Excerpte De virtutibus et vitiis, von
Valesius 1634 herausgegeben, nach dem früheren Besitzer der Handschrift auch
Excerpta Peiresciana genannt, und 2) die Excerpte De insidiis, erst im
J. 1848 — 55 von Feder nach einem codex Escvrialetisis herausgegeben {Excerpta
c Polybio, Diodoro, Diunysio HalicmTiassensi atqiie Nicoiao Damasceno etc. ed.
Feder, 3 Thle. Darmstadt 1848—1855). Gleichzeitig und unabhängig von
Feder hat Müller nach derselben Handschrift die Fragmente des Nicolaus
Damascenus in seine Sammlung aufgenommen (Fragmenfa historicorum Orae-
corum eil. Müller, t. III, 1849). — Vgl. über das Unternehmen des Constan-
tinus Porphyrogennetus überhaupt: Fabricius- Hartes Biblioth. graec. VIII,
p. 7—9. Bälir in Pauly's Keal-Enc. II, 615f. Nicolai, Griech. Literaturgesch.
III, 03 — G6. 72f. Erneut. Schidxe, De exccrptis constantinianis quacstioties cri-
ticae, Bonn 1866. De Boor, Zu den Excerptensammhmgen des Konstantin
PorphyrogennetoB (Hermes Bd. XIX, 1884, S. 123—148). Krumbacher, Ge-
schichte der byzantinischen Literatur, 2. Aufl. 1897, S. 258—261 (hier auch
noch mehr Literatur). Wachemuth, Einleitung in das Studium der alten
Geschichte (1895) 8. 70—75.
1) Das grosse Geschichtswerk des Nicolaus umfasste 144
Bücher (Athe7taen.s VI p. 249 = Müller fr. n. 89: h r^ JioXvßlßXo-)
löTOQla' Ixarov yitg xal xEaaaQäxovtd doi Jtgog xutc. rtöüagoi).
Wenn Suida« nur von achtzig Büchern spricht, so liegt entweder
ein Felller ihn- Suidas-HandscliriftiMi vor oder Suidas, resp. sein
(■Jewülirsinann, hat wirklich nur achtzig Hücher gekannt. Die um-
fangreiclien Fragmente in den ('onstantin'schen Kxcerpten de vir-
tutilms und dr insidiis stumiiM'ii sftiiMiitlicli ans d(^n siebell ersten
Büchern, und bezi(.'lieii sich auf die iilteste Cieschichte der Assyrer,
Meder, (kriechen, Lyder und Perser, bis zur Zeit des Crösus und
Cyrus. Von Buch 8—95 ist so gut wie nichts erhalten. Von Buch
[43. 44] § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. 53
96 an sind uns Fragmente namentlich durch Josephus und Athe-
näus erhalten. Es werden bestimmt citirt Buch 96, 103, 104, 107,
108, HO, 114, 116, 123, 124. In den Büchern 123 und 124 waren
die Verhandlungen vor Agrippa in Kleinasien zu Gunsten der
dortigen Juden erzählt, wobei Herodes und Nicolaus Damascenus
die jüdischen Interessen vertraten {Joseph. Antt. XII, 3, 2, vgl XVI,
2, 2 — 5). Diese Verhandlungen fallen | in das Jahr 14 v. Chr.
Die übrigen zwanzig Bücher liaben ohne Zweifel noch die folgen-
den zehn Jahre bis zum Regierungsantritt des Archelaus, 4 v.
Chr., behandelt. Denn mau darf nur den Josephus im Zusamuien-
hang lesen, um sofort einzusehen, dass die ungemein ausführliche
Quelle, welcher er für die Geschichte des Herodes in Buch XV —
XVII folgt, mit dem Beginn der Regierung des Archelaus abbricht.
Was er von da an erzählt (Buch XVIIl), ist so unsäglich dürftig,
dass ihm hiefür eine annähernd ähnliche Quelle wie in Buch XV —
XVII nicht mehr vorgelegen haben kann. Diese ausführliche Quelle
kann aber nur Nicolaus Damascenus sein, welcher Antt. XVI, 7, 1
citirt wird (vgl. auch Antt. XII, 3, 2. XIV, 1, 3) und welcher in
seiner Selbstbiographie {Müller fr. 3 — 6) eine Darstellung giebt, die
sich vielfach wie ein Auszug aus Josephus liest, also ofienbar die
in dem grossen Geschichtswerk ausführlicher erzählten Erlebnisse
des Autors kürzer zusammenfasste. — Das Geschichtswerk des
Nicolaus ist aber von Josephus nicht nur für die Geschichte des
Herodes, sondern auch für die Geschichte der Hasmonäer benützt,
in ähnlicher Weise, wie das verwandte Werk des Strabo {Antt. XIII,
8, 4. 12, 6. XIV, 4, 3. 6, 4). Ausserdem citirt es Josephus auch
für die Geschichte der Urzeit {Antt. I, 3, 6. 3, 9. 7, 2), für die
Geschichte David's {Antt. VII, 5, 2) und die des Antiochus Epi-
plianes {contra Apion. II, 7).
2) Von der Biographie des Augustus, Bioq Kaiaagog, sind
uns zwei grosse Bruchstücke erhalten, von welchen das eine, in
den ('onstantin'schen Excerpten de virhitibus, die Jugend- und Bil-
dungsgescliichte Octavian's behandelt, das andere besonders um-
fangreiche, in den Coustantin'schen Excerpten de insidiis, sich auf
die Zeit unmittelbar nach der Ermordung Cäsar's bezieht, dabei in
Form eines Excurses (c. 19—27) auch die Verschwörung gegen
Cäsar und die Vorgänge bei dessen Ermordung ausführlich dar-
stellend. Erst dieses zweite Fragment, das durch die Publicationen
von Feder, Müller und Piccolos bekannt geworden ist, ermöglicht
eine gerechte Würdigung des Werkes, das trotz aller höfischen
Schmeichelei doch nicht ohne Werth ist, denn es bietet „die aus-
führlidiste zusammenhängende Geschichtserzählung von den ersten
Anfängen der \'erschw(>rung gegen Cäsar bis zur Aushebung der
54 § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. [44. 45]
Legion in Campanien durch Augustus" (Gutscliniid, Kleine
Schriften V, 540, vgl. Wachsiimth S. 698).
3) Die Selbstbiographie, von welcher uns mehrere Bruch-
stücke durch die Excerpte de virtutibiis erhalten sind, und auf
welche wahi'scheinlich indirect auch die Artikel bei Suidas Lex. s. v.
^AvxiJcaxQoq und NixoXaoq zurückgehen, ist interessant wegen des
ungenirten Selbstlobes, das sich der Autor hier ertheilt. Wegen
desselben schreiben Manche das Werk nicht dem Nicolaus, sondern
einem Verehrer desselben zu (z. B. Asbach, Wachsmuth).
4) Die Sammlung von „Merkwürdigen Sitten und Ge-
bräuchen" (bei verschiedenen Völkern), üagaöo^cov £{hcöv ovvaycoyTj,
welche dem Photius {Biblioth. cod. 189) noch vorgelegen hat, ist uns
nur durch die Auszüge in dem Florilegium des Stobäus bekannt.
Zur Bestreitung der Echtheit (Trieber) liegen keine durchschlagen-
den Gründe vor. Dümmler glaubte, dass die Schrift auf die v6-
fti(ia ßüQßagixa des Aristoteles zurückgehe, während Reimann den
Kphorus als Quelle nachzuweisen suchte. |
Sammlungen der Fragmente des Nicolaus Damascenus sind veranstaltet
worden von Orelli, Nicolai Damasceni historiarum exccrpta et fragmeiita qnae
supersunt, Lips. 1804, hierzu: Supplement um editionis lApsiciisis Nicolai Davias-
ceni eil. Orelli, Lips. 1811, und von Koraes {Coray), IJQoÖQOfjioq'Ey.Xrivixi'jq
ßißXio&i^XTjg, Paris 1805 (enthält Aelian's Variae historiac uud die Fnigiiionte
dcH Heratrlides Ponticus und Nicolaus Damascenus). — Hier fehlen aber noch
die Fragmente aus den Constantin'schen Excerpten de insidUs. Letztere sind
publicirt worden von Feder, Excerpta c Polylrio, Diodoro, IHonysi^t Hai. alqae
Nicalao Dam. (3Thle. 1848— 55) ;j. 61— 180. — Vereinigt ist alles bei C. Müller,
Fraymenta historicormn graccorum t. III, 1849, p. 343 — 464, hierzu Ad^lenda
t. IV, p. 6(J1 — 668; und (ohne latein. Uebersetzung) bei Dindorf, llistorici
yraeci minores vol. I, 1870, p. 1—153 (hierzu IVidcy. p. !I1— XXVJI). — Bei
Allen (von Orelli bis Dindorf) fehlen die philosophischen Fragmente, welche
am vollHtiindigHt<!n von liöper gesammelt worden sind (s. unten). — Einige
Text-Emendationen giebt: Iferwerdcn, Mnemosyne XVII, 1889, p. 12—16.
Vgl. überhaupt: Bahr in Pauly's Real-Enc. V, 629f. — Clinton, Fasti
Ilrllritici cd. 2. /. III, p. hlAsq. — Creuzcr, lieber neue Beiträge zur jü-
(liMchen (JoHcliichte ans griccliisclieri Historikern (Theo!. Stud. un<l Kril,. 1S50,
8. 5.%~Ü53). — (Srätz, Gesch. der .luden 111, 2. Aull. S. IS;{, Note 20 (Nacli-
wiMM, «luMH NicolauH nicht Jude war). — Nicolai, (iriecli. Litcratnrgcsch. II,
fj:«»f. — Dindorf, in: .lahrbb. für clasH. Philol. Bd. 99, 1869, tS. 107- 119. —
AMbach, in: Kheln. Museum IM. 37, I8ö2, S. 295-298. — Patsch, Zu Nico-
laUM v<.n DnniaMi'UH (Wiener Studien XIT, 1890, 8. 231-239) [Nnchweis, dass
NieolauN nicht .lüde warj. — Susemihl, Gesch. der griech. Ijitcratur in der
Alcxandrinerzeit Hd. II, 1892, 8. .3(K)-.321. ~ (hjtschmid, Kleine! Sciliriftcn
V, 18tM, K 530 — 542. — WacliHninth, Einhfitung in das Studium der alten
Ü«itrhldit45 (IM1>5) ö. 104—107, 697 f. — Arnold in: Neue Cl.riMlotcrpc, 1K97
(|N)|MilAr). — H. Petur, Die gCMchh-htlichi' Mlrriitur über die riuiiiMclic Kaiscr-
xflt, 1kl, 1. 1M07, 8. 401-404.
[45. 46] § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. 55
Ueber seine Darstellung der ältesten Geschichte (Buch 1—7): Steinmetz,
Herodot und Nicolaus Damascenus, Lüneburg, Progr. 1861. — Jacoby, Zur
Beurtheilung der Fragmente des Nikolaus von Damaskus {Commentaiiones
pfdlologae, seripserunt seminarii phil. Lips. sodales, 1874, p. 191 — 211). — Tietx,
De Nicolai Damasceni fontibus quaestiones selectae, Dtss. Marburg. 1896. —
Witte, De Nicolai Damasceni fragmentorum Romanorum fontibus. Diss. 1900.
Ueber Nicolaus als (Quelle des Josephus: Bloch, Die Quellen des Flavius
Josephus (1879) S. 106—116. — Destinon, Die Quellen des Flavius Josephus
(1882) S. 91—120. — Otto, Leipziger Studien zur class. Philol., XL Bd.,
Suppleraentheft 1889, 8. 225 — 244. — Büchler, Jewish Quarterly Rev^iew vol. IX,
1897, p. 325-339.
Der Bloq KalaaQoq ist (ausser bei Feder, Müller und Dindorf) auch
herausgegeben worden von Piceolos, Nicolas de Damas, vie de Cesar, frag-
menf recemment dicouvert etc. Paris 1850. — Ueber denselben handeln: Bürger,
De Nicolai Damasceni frngmento Escorialensi quod inseribitur Bloq Kalaagoq,
Bonnae 1869. — Egger, Memoire sur les histariens offieiets et les panegyristes
des princes dans Vantiqiiite grecque {Mevioires de PÄcad. des inscriptions
t. XXVII, 2, 1873, p. 1—42, über Nicolaus: p. 20-36). — Asbach, Rhein.
Mus. 1882, S. 297 f. — Otto Eduard Schmidt, Die letzten Kämpfe der rö-
mischen Republik, 1. Capitel: Nicolaus Damascenus und Suetonius Tranquillus
(Jahrbb. für class. Philologie, 13. Supplementband 1884, S. 666—687) [tritt
gegen Bürger für den historischen Werth des Bioq Kaiaagoq ein und sucht zu
zeigen, dass Suetonius ihn benützt hat, s. dagegen Schiller in Bursian's Jahres-
ber. Bd. 44, S. 79f.]. — Gutschmid, Wachsmuth (S. 697f.), Peter a. a. O.
— Schwartz, Hermes Bd. 33, 1898, S. 182—184 (Text-Emendationen) und
211—213 (historische Würdigung). — Witte, De Nicolai Dam. fragmentorum
Romanorum fontibus, 1900; hierzu: Münz er, Deutsche Litztg. 1900, 2983 f.
Die Fragmente der llaQaSöBiov ^&wv awayotyTj sind (ausser bei Orelli,
Koraes, Müller und Dindorf) auch gesammelt bei Westermann, JlaQttöo^o-
yQ(x(poi (1839) p. 166—177. — Ueber das die Lacedämonier betreffende Stück
handelt: Trieber, Quaestiones Lacotiieae, pars I: De Nicolai Damasceni La-
cmiicis, Berol. 1867 (die ebenso betitelte Göttinger Doctordissertation 1866 ent-
hält nur einen Theil des Ganzen). — Ueberhaupt: Dumm 1er, Rhein. Museum
Bd. 42, 1887, S. 189 — 195. — Reimann, Quo ex fönte fluxerit Nicolai Damas-
ceni naQttöö^wv id^(üv avvayotyri (Philologus Bd. LIV, 1895, S. 654 — 709) [die
unter etwas anderem Titel erschienene Berliner Dissertation 1895 ist nur ein
Stück dieser Arbeit, bis S. 686 des Druckes im Philologus].
Von den philosophischen Schriften des Nicolaus sind uns nur eine
Anzahl Titel und wenige Fragmente erhalten. S. Clinton, Fasti Hellenici t. III,
2. ed. p. 074 sq. {l.ed. p.c^sq.). — Roeper, Lectiones Abulpharagianae, Danxig
1844, p. 27, 35 — 43 (vollständigste Sammlung des Materiales). — Müller,
Fra(/m. hist. graec. III, 344. — Zell er, Die Philosophie der Griechen III, 1
(3. Aufl. 1880) S. 629f. — Zell in Pauly's Real-Enc. I, 2, 2. Aufl. S. 1679 f.
(Artikel „Aristoteles"). — Diels , Doxographi \ gracci, 1879, p. 84 Anm. 1. —
Susemihl II, 317—321. — Soweit die Citate und Fragmente es erkennen
lassen, schlössen sich die philosophischen Schriften des Nicolaus eng an die-
jenigen des Aristoteles an und wJiren nicht sowohl selbständige Arbeiten, als
vielmehr kurze Darstellungen und Erläuterungen der entsprechenden Theile
der aristotelischen Philosophie (Usener in: Bernays' Ges. Abhandlungen IT,
281 f). Erwäluit werden, nanientlich von späteren Commentatoren des Aristo-
teles, Werke negl B^edtv, tcsqI rol navvog, negt ^giaToze^ovq <pikoao<piag, Werke
56 § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. [46]
zur Psychologie, Naturgeschichte, Metaphysik und Ethik. Von den arabischen
Philosophen citirt ihn namentlich Averroes in seinem Commentar zur Meta-
physik des Aristoteles {Nicolmi^ Peripateticus in sua prima philosophia oder
bloss Nicolaus, einmal auch bestimmt Nicolaus Damascenus). S. überhaupt
ßoeper a. a. O. Ueber die arabischen Ueberlieferungen in der Kürze auch:
Steinschneider, Die arabischen Uebersetzungen aus dem Griechischen
(12. Beiheft zum Centralblatt für Bibliothekswesen) 1893, S. 100—102.
Vielleicht darf dem Nicolaus die pseudo-aristotelische Schrift de planus
zugeschrieben werden. Dieselbe ist uns in einer aus dem Arabischen ge-
flossenen lateinischen Uebersetzung erhalten. Die Ueberschrift lautet (in
der von Meyer benützten Baseler Handschrift): Ldber Arisfoteli^ de vegetahili-
bus, iranslattis de Arahico in Latinum a magistro Alvredo. In einer anderen
von Jourdain eingesehenen Handschrift heisst der Uebersetzer Alfredns de
Sarchel (Sarcell in der Normandie, s. Meyer, Gesch. der Botanik I, 320). Er
lebte spätestens im 13. Jalirhundert. Gedruckt ist dieser lateinische Text
zuerst 1496 zu Venedig und in neuerer Zeit nach drei Handschriften von
Meyer [Nicolai Danmsceni de plantis libri duo Aristoteli vulgo adscripti, ex
Isaaci ben Honain versione arabica laline vertit Alfredns, ad codd. Mss. ßdem
ree. E. H. F. Meyer, lAps. 1841). — Aus diesem lateinischen Text ist der
unter den Werken des Aristoteles gedruckte griechische Text geflossen
(neuere Ausgabe : Aristotelis quac feruntur de plantis, de miralrilibus ausculta-
tionilnis, meclianica etc. etc. ed. Apelt, Lips. Tetibner 1888), der auch wieder
ins lateinische übersetzt worden ist. — Dass das Werk nicht von Aristoteles
stammt, hat bereits Scaliger erwiesen [Jul. Caes. Scaligeri in lihros de plan-
us Aristoteli inscriptos commentar ii, lAtgd. 1566). Ernst H. F. Meyer hat aber
auf Grund der arabischen Ueberlieferuug wahrscheinlich zu macheu gesucht,
dass NicolauH Damascenus der Verfasser sei (s. die Prolegomena zu seiner
Ausgabe, deren Resultate kürzer zusammengefasst sind in seiner: Geschiclite
der Botanik, 1. Bd., 1854, H. 324111). Ma.ssgebend ist für ihn vor allem, dass
Abd-Allatif in seinem Berichte über Aegypten zwei Stellen, die sich in
unserem Buche finden, unter dem Namen eines Nicolaus citirt (Mrgrr, l'ro-
Icj/amena p. XTl — XV). Ferner bezeugt Abu Ifarag, dass der Philosopii Nico-
hiUB ausser einem Werk de summa philosophiac Ärislotelicae aucii ein Buch dv
plantis geschrieben habe [Meyer, Proleg. p. XIX). Endlich heisst es bei
HadHchi-Chalfa: I Alter planlanim: Ab Aristotele Iracfattis sunt, dtw; in quem
NicijlauH cmnnumtatns est, qnemque Jsaac. ben- Ilona in vertit, cum, corrertione
ThalMti Iteti-Qorra [Proleg. p. XH). Dass liier überall Nicolaus Damascenus
gemeint ist, kann nicht wohl zweifelhaft sein, obwohl Abulfanig irrtliüiulich
Laodicca al» seinen Geburtsort ungiebt. Es ist daruiii in der That sehr wjilir-
Hcheinlicli, dass die Araber unser Buch unter dem Nam«;n des Niccdaus D.i-
inaMcenuH liiitteii. Die Notiz des ilaiischi-l 'halfa ist woiil dahin /.u verstt'hcn,
ihiHH inun vH für ein Werk des Aristoteles in einer Itearbttitung durch Nico-
Ihuh DaniuM(;enuH hielt. Die KiitHcheidung über die iiiclitigkeit dieser Tra-
dition wird wcHeritlich davon abhängen, ob man dem Nicolaus eine schwache
Compilalion wir di*- uiiscrigc zutrauen darf. „Bis auf <>iii Gering«>s sind die
lM-id)-n Küclier von den Pflanzen hiin dcru^n des Theophrustos und ein/.ciiuMi
Hl<'neii dcM AriHlotelcH, di«- wir ukcIi licsitzen, zusanun(ingeliickl, und jiulge-
Htutzt mit allerlei Klellen älterer riiilosophttn" (Meyer, Gesch. der Botanik I,
'i2i)). Bt-denklicli für Meyer's Hypothese ist <laH Hell)st<;itat I. II c. 2: prarmi-
MimuM nutem gruiratiinifM /outinm et lluvinrum iu libro 7ueteororum. Da
der (iegfuiMtund in AriHt^ituluM' Metuorologica behandelt wird, so selieint es,
46. 47] § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene QiieUen. 57
dass der Verfasser für Aristoteles gelten will. Doch kann auch ein Werk des
Nicolaus über denselben Gegenstand gemeint sein (so Meyer in s. Ausg. S. 108,
Roeper S. 38).
Eine andere pseudo-aristotelische Schrift ne^l xoafxov ist nach dem Vor-
gange Aelterer (s. Fabricius, Bihlinth. fjraee. ed. Harles III, 233) von Bergk
(Rhein. Museum Bd. 37, 1882, S. 50—53), Bücheier (ebendas. S.53, 294 f.)
und Asbach (ebendas. S. 295—297) ebenfalls dem Nicolaus Damascenus zu-
geschrieben worden. Die Gründe hierfür sind jedoch sehr unzureichend. S.
dagegen: H. Becker (Zeitschr. für die Österreich. Gymnasien Bd. 33, 1882,
583—587), Bernays (Ges. Abhandlungen II, 278—281, nebst den Bemerkungen
von Usener S. 28lf.), Zeller (Sitzungsber. der Berliner Akademie 1885,
S. 399—415), und das Referat von Suseraihl in Bursian's Jahresbericht über
die Fortschritte der class. Alterthumswissensch. XXX, 33—35 und XLII, 236
—238. lieber die Schrift negl xöafiov überhaupt: Zell er, Die Pliilosophie
der Griechen III, 1, 3. Au«. S. 631—647; Susemihl, Gesch. 11, 326—328, und
über die lateinische Bearbeitung derselben von Apu/eius (2. Jalirh. n. Clir.):
Teuf fei, Gesch. der röm. Literatur § 367, 6.
12. Vespasian's Denkwürdigkeiten.
In seiner Vita c. 65 beruft sich Josephus für die Richtigkeit
seiner Darstelhing auf die „Denkwürdigkeiten" Vespasians {ed. Niese
§ 342: ravta de ovx tyco Xiyio ^ovog, aXXa xal iv rolg Oveo-
MaOiavov rov avToxQaTOQog vjto/iPTjfiaöiv ovrcag yiyQajcxai),
während er seinem Gegner Justus von Tiberias vorwirft, dass er
diese Denkwürdigkeiten nicht gelesen haben könne, da seine Dar-
stellung mit derjenigen des Kaisers im Widerspruch stehe ( Vita c
65 ed. Niese § 358: ovxs yaQ jtoXtiicp jcagtrvxsg ovre t« Kaioa-
Qog aviyvcog vjtoftvr'Kiara- fityiörov öh rtxfir'jQiov, rolg yag
Kaiaagog vjtofiprjfiaaiv svavriav jtsjtolrjOai ttjv yQa<priv). In
der Schrift gegen Apion polemisirt er gegen solche, welche seine
Geschichte des jüdischen Krieges abschätzig beurtheilten, und
spricht ihnen das Recht zu solcher Kritik ab. „Denn wenn sie
auch behaupten, die Denkwürdigkeiten der Imperatoren gelesen
zu haben, so sind sie doch nicht aucli bei unserer, der Gegner,
Thaten zugegen gewesen {contra Apion. I, 10: ot xav rolg rmv
uvroxitaroQcov vjrofiv/jfiaöiv ivrvx^lv Xsycociv, dXX^ ov ys xcä
rolg tjfieri-QOig rmv avrijroXtfHwvrmv Jt(>dy(iaOi JiaQtrvxov). Diese
Denkwürdigkeiten „der hnperatoren" sind wohl identisch mit den
in der Vita erwähnten Denkwürdigkeiten Vespasians. Näheres
darüber ist jedoch nicht bekannt (vgl. Teuffel, Gesch. der röm.
Lite I ratur § 311, 2. Pauly-Wissowa's Real-Enc. IV, 737 s.v.com-
mentarii). Josephus hat sie offenbar erst nach Abfassung seines
Werkes über den jüdischen Krieg kennen gelernt, da er sie unter
den Quellen desselben nicht erwähnt {c. Apion. I, 0 — 10).
58 § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. [47]
13. Antonius Julianus.
Minucius Felix, Octav. c. 33, 4 beruft sich zum Beweise dafür,
dass die Juden durch ihre Uebelthaten ihr Unglück selbst ver-
schuldet haben, auf ihre eigenen Schriften und die der Eöuier:
Scripta corum relege, vel si Romanis magis gaudcs, ut transeamus veteres,
[Flavi Josephi vel] Antonii Juliani de Judaeis require: jam scies,
nequitia sua hanc eos meruisse fortunam. Die eingeklammerten Worte
können niclit echt sein, da sie dem Zusannuenhang widersprechen.
Das Werk des Antonius Ju Hanns hat vermuthlich den vespa-
sianischen Krieg behandelt. Denn ein Mdgxog 'Avrmviog %vhav6g
wird auch von Josephus als Procurator Judäa's (o t^$ %vöaiac
imxQOJcoq) zur Zeit des vespasianischen Krieges erwähnt [Dell.
Jud. VI, 4, 3).
Bernays (Ueber die Chronik des Sulpicius Severus 1861, S. 56) vermuthet,
dass dieses Werk des Antonius Julianus von Tacitus benützt worden sei, auf
welchen wiederum die Darstellung des Sulpicius Severus zurückgehe. Das ist
möglich. Aber man darf nicht vergessen, dass es auch noch andere Werke
über den vespasianischen Krieg gegeben hat. Josephus unterscheidet
sogar zwei Classen derselben. Die Einen haben, ohne selbst bei den Ereig-
nissen zugegen gewesen zu sein, nur vom Hörensagen zufällige und wider-
sprechende Berichte gesammelt und in Sophisten-Manier dargestellt, die Anderen,
die dabei waren, haben aus Schmeichelei gegen die Römer oder Hass gegen
die Juden die Thatsachen gefälscht [Bell. Jud. Prooem. c. 1: oi /lev ov
napavvxdvtsq roig n^ay/iaoiv «AA* axo^ avXX^yovreg elxala xal dovfitpwva
ötijyij/xttza, aoifioTixwg dvayQÜipovaiv, ol naQayevöfievoi 6h i) xokaxda xy
n(fbg Pwfiaiovg i] fxlasi rdJ ngog 'lovöaiovg xataxpfvöovxai xwv ngayfiuimv).
Vgl. auch die Andeutungen Avtt. Prooem. 1 /?»., contra Apion. I, 8 /in., und
den Brief Agrippa's bei Joseph. Vita c. 65 ed. Niese §. 365.
Seh latter (Zur Topographie und Geschichte Palästinas, 1893, S. 97— 119,
344—403) ist der Meinung, dass das ganze Bellum Judaicum des Josephus
eigentlich eine Arbeit des Antonius Julianus sei, an welcher Josephus nur
ein bischen herumcorrigirt habe. Irgendwelche Gründe für diese Phantasie
giebt es nicht. S. dagegen Theol. Litztg. 1898, 326.
Ein Ulietor Antonius Julianus, der um die Mitte des zweiten Jahr-
hunderts n. Chr. lebte, wird von (lelHus öfters erwähnt (Teullel, Gesch. der
röm. Literatur 8 -^^jG, 1. Prosnpotjrapliid impcrii lioniani 11, 100). Munter,
Der jüdiHche Krieg untt?r den Kaisern Tnyan und Iladrian 18'J1, S. 12, bi^/.ieht
die Notiz des Minucius Felix auf diesen, und meint, er luibe eine Geschichte des
linrkcK-hba-KriegeH geschrieben. Das wäre möglich. Aber die Combinjition
mit d<mi AiittmiuM Julianus des Josephus liegt doch viel lu'iher.
14. Justus von Tiberias.
üeber das Leben des JuRtuH von Tiberias wissen wii- nnr,
wftH Jow'phUH in seiner Vita (c. 9. l2. 17. 3r). 37. fii. ()5. 70. 71)
andeutet. Kr war «'in fnde von gricrhisclicr Hihlnng {r. 9: ovo'
[47. 48] § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. 59
ajtsiQog riv jtaiöüaq xriq jiag "EXXrjOiv) und nahm samnit seinem
Vater Pistus während des jüdischen Krieges im J. 66/67 n. Chr.
eine hervorragende Stellung in seiner Vaterstadt Tiberias ein. Als
ein Mann der gemässigten Richtung schloss er sich mehr ge-
zwungen als freiwillig der Eevolution an, verliess aber noch vor
der Unterwerfung Galiläa's durch Vespasian seine Vaterstadt und
flüchtete zu Agrippa (c 70). Von Vespasian zum Tode verurtheilt
und dem Agrippa zur Bestrafung übergeben, wurde er von diesem
auf I Verwendung der Berenice zu längerem Gefängniss begnadigt
(Vita c. 65 und 74, ed. Kiese § 341—343, 355, 410). Fortan scheint
er wieder in Tiberias gelebt zu haben; führte aber nach Josephus
einen wenig musterhaften Lebenswandel. Agi'ippa bestrafte ihn
zweimal mit Gefängniss, so und so oft mit Verbannung aus seiner
Vaterstadt; einmal verurtheilte er ihn zum Tode und begnadigte
ihn nur auf Bitten der Berenice. Trotz alledem übertrug ihm
Agrippa dann die ra^ig kxtotoXmv. Aber auch hierbei erwies sich
Justus als unbrauchbar und wurde schliesslich von Agrippa für
immer entlassen {Jos. Vita c. 65 ed. Niese § 355 — 356). Er lebte
noch im Anfang des zweiten Jahrhunderts n. Chr.; denn seine
Chronik reichte bis zum Tode Agrippa's im dritten Jahre Trajan's
(100 n. Chr.) Wegen der Bedenken, welche gegen dieses Datum
erhoben worden sind, s. unten die Bemerkungen über Josephus'
Vita. — Seine Werke sind: 1) Eine Geschichte des jüdischen
Krieges, gegen welche die Polemik des Josephus in seiner Vita
sich richtet. Die späteren Schriftsteller, welche dieses Werk er-
wähnen {Euseb. Bist. eccl. III, 10, Hiercmymus, De viris illustr. c. 14
und dessen Uebersetzer Sophronius, endlich Snidas Lex. s. v. 'lovotog),
schöpfen ihre Kunde nur aus Josephus. Auch bei Sieph. Byx. s. v.
TißsQiag ist es sehr unsicher, ob er eine selbständige Kenntniss
davon gehabt hat. — 2) Eine Chronik der jüdischen Könige
von Moses bis Agrippa IL Sie hat dem Photius noch vorgelegen
und wird von ihm kurz beschrieben {Biblioth. cod. 33). Auch Julius
Africanus, auf welchen die Citate in der Chronik des Eusehius und
bei Synccllus zurückgehen, hat sie benützt. Eine Notiz bei Dio-
genes Laert. II, 5, 41 scheint darauf zu deuten, dass das W^erk eine
Welt-Chi'onik war, nicht nur eine solche der jüdischen Könige.
Dann hat dem Photius also nur ein Ausschnitt daraus vorgelegen.
— 3) Die Existenz der von Hieron. de viris illustr. c. 14 erwähnten
commentarioli de scrip iuris ist sehr fragwürdig, da sonst kein
Autor etwas davon weiss.
Ueber die Parteistellung des Justus während des jüdischen
Krieges sind auf Grund der irreführenden Angaben des Josephus noch sehr
schiefe Meinungen verbreitet. Man hält ihn meistens für einen extremen
60 § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. [48. 49]
„Patrioten" und Römerfeind (so bes. Baerwald, Josephus in Galiläa, 1877;
aber auch Wachsmuth, Einl. in das Studium der alten Gesch. S. 438). Aber
eine kritische Erwägung aller Mittheilungen des Josephus liefert uns ein
wesentlich anderes Bild. Einerseits schildert ihn Josephus allerdings ' als
einen Hauptagitator für den Krieg und behauptet, dass gerade er seine Vater-
stadt Tiberias zum Abfall von Agrippa und den Römern bewogen habe {Vita
9. 65 [ed. Niese §. 344]. 70). Als Beweis dafür führt Josephus an: seinen
Kriegszug gegen die Städte der Dekapolis, Gadara und Hippos, wegen dessen
er von den Vertretern dieser Städte bei Vespasian verklagt und von diesem
dem Agrippa zur Bestrafung übergeben wurde, so dass er nur infolge der
Fürsprache der Berenice dem Tode entging (c. 9 fin. 65 [ed. Niese §. 341—343,
355]. 74) ; ferner seine Verbindung mit den Revolutionsmännern Johannes von
Gischala (c. 17) und Jesus Sohn des Sapphias (c. 54). Aber trotz dieses Be-
strebens, dem Justus eine Hauptschuld an der Revolutionirung Galiläa's auf-
zubürden, ist Josephus doch naiv genug, gleich im Anjfang zu gestehen, dass
Justus weder der römischen noch der Revolutionspartei angehört habe, sondern
einer Mittelpartei, welche „vorgab, Bedenken zu hegen wegen des Krieges"
(c. 9: vnexQLvexo ivöoid^^eiv 'nQOQ xbv noXefzov). Und eine Reihe von That-
sachen beweisen, dass Justus keineswegs Itir den Krieg schwärmte. Seine
nächsten Angehörigen in Gamala wurden von der Revolutionspartei ermordet
(c. 35. 37). Er selbst war einer der Vornehmen, welche sich der Zerstörung
des Herodes-Palastes in Tiberias widersetzten (c. 12). Ja er gehörte zu den
Rathsherren, welche Josephus, gerade weil sie die Revolution nicht mit-
machen wollten, gefangen setzen Hess, und welchen er dann vorstellte, dass
freilich auch er die Macht der Römer kenne, dass aber gegenwärtig nichts
anderes übrig bleibe, als sich den „Räubern" d. h. den Revolutiousmännern
zu fügen (c. 35, vgl. Bei/. .lud. H, 21, 8—10, Vita 32—34). Justus verliess
auch Tiberia.s, als dort die Revolution noch in voller Blüthe stand, und ging
zu Agrippa und den Römern über (c. 65 [Niese §. 354, 357] und 70). Er hatte
daher wohl ein Recht, in seiner Darstellung der Kriegsgeschichte dem Josephus
eine Hauptschuld an der Revolutionirung von Tiberias zuzuschreiben, und zu
behaupten, dass Tiberias nur widerwillig dem Aufstande sich angeschlossen
habe (ß. 05, Niese §. 340, 350, 351). — Der wirkliche Sachverhalt ist also völlig
klar. Justus war ein Mann von ganz derselben Richtung wie
Josephus. Beide haben den Aufstand mitgemacht; aber beide
nur unter dem Druck der Umstünde. Nachträglich will es keiner
von Beiden gethan haben und so schiebt nun Einer die Schuld
auf den Andern.
Da» Werk, gegen welclies Josephus in seiner Vita polemisirt, kann nicht
identisch sein mit der von l'hotius beschriebenen Chronik. Denn letztere war
nft<;h Photius„sehr knapp im Ausdruck, und sehrvielesNothwendige übergehend";
erst<»res aber ging offenbar »ehr ins Einzelne, und wird von JoH«'plius stets mir
als ein« üescli iciite des Krieg<'s clnirukterisirt. I7<a9: xal ya^ ovd' änfi-
(foq T/V natdiloQ tr/c 7ta()"7i'AA»/(;/v, ij i}aQ(^iüv i^ntxn'^'jOf xal t/)v laxo(iiav
xuip TCfftty/iüxtuv xovxwv (Ivaypäiptiv. Viid, r. 65 *////. 'lovuxov xal avx6%>
xijv ni (fl xnvxu)V TiQuyiJiaxfluv yeygatpoxa. Il>i(t. lovarof yovv avyy(>a(/nv xäg
ntQlxovxwv intxei(ffiaaqnQdieiqxttlxf>v nökfuov. In demselben C'apitel
{Vüu 05 ril. Nirne ft 357 — 35H) spricht Josephus sciiu' Verwunderung aus über
die FrcehhoU des Justus, (hir »ich für <len iM-stcn Berichterstatter über diese
Dinge nuMgebe und «loch wed«^ iWw.r die Vorgütige in («iililüii noch über die
Belagern ngJotapata's noch über dir Bflagerung Jerusalems etwas Zuverlässiges
[49. 50] § 3. Quelleu. B. Nicht-erhaltene Quellen. 61
wisse. Offenbar war also die ganze Kriegsgeschichte in dem Werke behandelt.
Es wurde von Justus erst zwanzig Jahre nach seiner Vollendung veröffentlicht,
als Vespasian, Titus und Agrippa II bereits todt waren (Vita 65 ed. Niese
^ 359—360). Da es hiernach noch bei Lebzeiten Agrippa's vollendet wurde,
kann es auch aus diesem Grunde nicht mit der Chronik identisch sein, welche
bis zum Tode Agrippa's ging. — Aus Josephus schöpfen ihre Angaben: Euse-
hius Hist. eccl. III, 10, 8: ^loiaxov TißeQisa b/xotioq avrdi rä xtitä Tovq autov?
laropijaai xqovovq nsnetpafitvov, und Hieronymus, de viris illiistr. e. 14 {(/pp.
ed. Vallarsi II, 853 sq.): Justus Tiheriensis de proeinoia Galilaea coruttus est
et ipse Judaicarum rerum historiarn texere et qwjsdani ctmimentariolus de serip-
turis componere ; sed himc Josephus aryuit mendac'ii. dmstat autern illtim eo
tempore scripsisse quo et Josephus. — Der Artikel bei Suidas, IjCX. s. v. 'lovaxoQ
ist wörtlicli aus Sophroniics , dem griechischen Uebersetzer des Hieronymus
entnommen. — Vielleicht beruht auf Josephus auch die Notiz bei Sti-ph. Bijx,
(ed. Meineke) s. v. TißtQiäq' ix tavTTjg 7]v 'lotorog o rov %v6a'ix6v nöXe/xov
Tov xaxtt Oveanaaiavov laxoQiqaaq.
Ueber die Chronik der jüdischen Könige bemerkt Ph o t i u s , Bildiuth.
coli. 33 folgendes: kvfyvtüa&Tj^IovaxovTißgQituigxQovtxov, ob rj iniYQa<pij 'lovaxov
TißfQitwg ^lovöaiwv ßaaikecüv xwv iv xoZg oxe/n/iaoiv. Ovxog uno nöXscog
x^g iv raXi).ala TißeQiäöog (OQfiüxo. 'l4();ufra< 6h xijg iaxoglag ano Miovatiug,
xaxakt'iyei de t'wg xsXsvxijg'AyQlnna xov ißööfxov fitv xcHv and xF^g oixiag'Hgo't-
6ov, vaxccxov de iv xoTg 'lovöalwv ßaatXevaiv, og nagiXaße f4£v xtjv oQXfj*' i^^
Kkavölov, ijv^t}&t] 6e inl Nipwvog xal exi fjiäXXov vno Ovfanaatavov, xfXevxn
6h £xei xqIxio Tga'iavov, ov xal rj loxoQia xaxiXTj^tv. ^Eaxi 6h t^v ipQaoiv awxo-
fiwxaxog xt xal xä nXtlaxa xüJv dvayxaioxdxwv nafjaxQtxav- — Auf dieses
Werk beziehen sich auch die Citate in der Chronik des Eusebius und bei Georgius
Syncellus, die ohne Zweifel durch Vermittelung des Julius Africanus dem
Eusebius uud Syncellus zugeflossen sind. Im Vorwort zum zweiten Buch seiner
Chronik sagt Eusebius folgendes (Chron. eil. Sciwene t. II p. 4, der griech.
Text ist erhalten durch Syncellus ed. DindorfJ, 122): Mtovaia .... xolg XQO^oig
dxfiaaai xaxu "Ivaxov tlQrixaoiv dvÖQig iv 7iat6evafi yvcigifiot, KXrjfiTjg, ]A(pQi-
xavög, Taxtttvög, xov xa^' ^f^äg Xoyov, Xiüv xs ix negixofxfjg ^idoTjnnog xal
lovoxog l6i(og e'xaaxog xtjv d7i66eiqiv ix naXaiäg vnooywv laxoQiag. Diese
Stelle des eusebianischen Vorwortes wird von Syncellus nicht nur ausdrück-
lich citirt [ed. Dindorf I, 122), sondern auch sonst noch an mehreren Stellen
benützt {ed. Dindorf I, IIB; 228; 280; vgl. auch I, 116 f.); desgleichen von
Eustathius Antiochentis , In Hexaemeran cmnmentariua ed. Ijeu Allatius, lAtgd.
Bat. 1629 p. 1 (= Miijne Patrol. yraec. XVIII, 707 sq.). — Eusebius erwähnt den
Justus ferner in der Chronik cui ann. Abrah. 2113, zur Zeit des Kaisers Nerva
{cd. Schoene II, 162 [nach dem Armenischen]: Jostus Tiber icnsis .hidacitrum
scriptor cognoscebatur, ibid. p. 163 [nach Hieronymus] : Justus a Tiberiade Judae-
orum scriptor aynoscitur). Bei Syncellus steht dieselbe Notiz im Anfang der
Regierung Trajan's {ed. Dindorf 1, 655: 'lovaxog Ttßfitievg^lov6aiog avyyQaqtig
iyviuQiXsxo). Letzteres ist wohl die ursprüngliche Stellung in der Chronik des
Julius Africanus. Denn der Ansatz beruht ohne Zweifel darauf, dass die
Chronik des Justus eben bis in den Anfang der Regierung Trajan's gegangen
ist. — Die Notiz bei Scaliyer, Thesaurus tcntpormn, laxoQtwv awayioyi^ ad
Ol. Sie, d {ed. Lugd. Bat. 1606 p. 345, ed. Anist. 1658 ;;. 341): ivxav&a
Xriysi xo ^lovaxov Tißegiiwg xQOVtxov, beruht nur unt' Pkotius Bib/iofh. cod. 33.
— Wenn es nach Obigem sicher ist, dass Julius Africanus die Chronik des
Justus benützt hat, so ist allerdings die Vermuthung gestattet, dass gewisse
62 § 3. Quellen, ß. Nicht-erhaltene Quellen. [50. 51]
Notizen bei den von Africanus abhängigen Chronisten über die jüdische Ge-
schichte, welche nicht aus Josephus stammen, eben auf Justus zurückgehen
(s. unten § 10 und Geiz er, Julius Africanus Bd. I, 1880, S. 265, überhaupt
S. 246—265; auch Gutschmid, Jahrbb. für class. Philol. 1860, S. 708 == Kleine
Schriften II, 203, hat bereits eine Benützung des Justus durch Julius Africanus
vennuthet, aber freilich gerade an einer Stelle, wo dazu kein Grund vorliegt,
vgl. Bd. III, S. 410).
Vielleicht hat auch Philostorgius diese Chronik des Justus erwcähnt.
In einer cormmpirten Stelle des Suidas wird bemerkt: „Philostorgius sagt,
dass N. N. (dessen Name eben durch Text-Verderbniss untergegangen ist) die
jüdischen Geschicke ausführlicher berichtet als Phlegon, da Phlegon und Dio
sie nur kurz erwähnen in Excursen ihrer Werke. Jedoch theilt auch dieser
(der uns Unbekannte) von dem auf die Religion und Moral Bezüglichen gar
nichts mit ebenso wie jene, während im Gegentheil Josephus sich ängstlich
bemüht, den Hellenen keinen Anstoss zu geben" {Snidns, Lex. s. v. ^Xeyiov).
Da, wo der Name des Betreffenden zu erwarten ist, steht im überlieferten
Suidas-Text ooov. Es ist eine höchst ansprechende Conjectur von Valesius,
dass dafür zu lesen sei 'lovazov (gebilligt von Gutschmid, Kleine Schriften
IV, 349; Wachs muth, Einleitung S. 438). Wichtig ist in diesem Falle für
uns die Bemerkung: töJv ys slg svaißeiav xal r^v aXXriv ccQezTjv hXxovTcov ovS"
oxiovv ovo' ovToq öeixvt/iai nscpQOvrixüjg.
Bei Diogenes Laerfius II, 5, 41 (in der Biographie des Sokrates) findet sich
folgende Notiz: Kgivofisvov rf' avrov <pT]aiv 'lovoxoq o TißsQievg ^v nö
^xl-HIxaxi ID.uxüJVce dvaßfjvai Inl xo ßrjfia xal tinüv „recoxaxoc: aJv, lu avÖQfg
'A'f^Tjvttloi, Xüjv inl x6 ßrjfxa dvaßävrtov" , xovg 6h öixaoxaq exßo^tjai' Kaxdßa,
xatäßa. Es ist sehr uuwaiirscheinlich, dass eine so specielle Notiz über die
Geschichte des Sokrates und Plato in einer kurzen Chronik der jüdischen Könige
gestanden haben soll. Aber auch der Wortlaut des Titels bei Photius, verglichen
mit demjenigen bei Diogenes liaertius, führt auf die Vennuthung, dass Justus
nicht bloss eine Chronik der jüdischen Könige geschrieben hat. Der Titel
(I'lidtiuH Bil)ii()th. rorf. 33) 'loväaluiv ßaaiXktov xtüv iv xoig axtfifiaoiv \iniu\ nicht
heissen: „Geschichte der gekrönten Könige der Juden" (so z.B. Bahr in Pauly's
Kcal- I Enc. IV, 686; Creuzer, Theol. Stud. und Krit. 1853, S. 57), obwolü
axiftfttt allerdings Krone heisst. Es ist vielmehr, da axifxfJLa auch Stammtafel
lieisHt, zu übersetzen: „Geschichte der in den Stammtafeln verzeichneten Könige
der Juden". Aber welche ax^fifiaxa sind gemeint? Die Chronik des Castor
(Mitte des ersten Jahrh. v. Chr., s. unten Nr. H), 2) bestand zu einem grossen
Thcile aus Königslisten; ebenso dio des Juliiis Africanus, dem wiederum Eu-
Hcbins folgte. Es scheint mir kaum zweifelhaft, dass das ij> dieselbe Kategorie
gehörige Werk d('s Justus ebenso angelegt war, also verschiedene oxift/^axa
(HtJinim tafeln) nnifassto. Dann bildott; das axt'/jifia der jüdischen Könige, wel-
che« dem Photius vorgelegen hat, nur ein Stück dos GesamnUwerkes. Das
Citftt dcM Diogenes Laertius aber bezieht sich auf ein anderes ax^fifjia, also
einen anderen Theil dtw Gesammtwerkes.
Vgl. über Justus ülx'rhaupt; Viiuxihh, DehiftUtrioi» graccia cd. Wesfcrmmm
1H3H, />. 241 Mfi. FnhriviuH, lUbImth. grmc ed. Hallen V, (il. X, 6i)l. —
Bahr in Pauly's Jt4)al-Enc. IV, 686. — Müller, Fragin. ///«/. graee. IM, 523,
— Vaillant, J)e /lüloriris ijui ante Juse/ihnnt .hulairas tr» sen'jisere {/'aris 1851)
;>. H3-^7. — Creuzor, Theol. Htud. und Krit. 1853, S. 57-5». — Griitz,
Dn» I^jtH'nNendo den Ki'mign Agrippa H, des Justus von Tiberiiis und des Flavius
JosephuN und die Agrippa- Münzen (MonutsBchr. für Üosdi. un<l Wisseusch. des
[51. 52] § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. 63
Judenth. 1877, S. 337 ff.) [giebt eine unmögliche Erklärung der Photius-Stelle].
Ders., Gesch. der Juden Bd. III, 4. Aufl. S. 554—557. — Baerwald, Josephus
in Galiläa, sein Verhältniss zu den Parteien, insbesondere zu Justus von Ti-
berias und Agrippa 11, Breslau 1877 (hierzu Theol. Literaturzeitung 1878,
208—210). — Schlatter, Der Chronograph aus dem zehnten Jahre Antonius
(Texte und Untersuchungen von Gebhardt und Harnack XII, 1, 1804) S. 37— 47
[meint, dass Josephus in der Archäologie den Justus benützt habe]. — Wachs-
muth, Einleitung S. 438. — Niese, Histor. Zeitschr. Bd. 76, 189(5, S. 227 f.
(stimmt in Betreff" der politischen Parteietellung des Justus mir bei).
15. Aristo von Pella.
Ueber Aristo von Pella und seine literarische Thätigkeit haben
wir nur zwei selbständige Zeugen: Eusebius und Maximus Confes-
sor. — 1) Nach Eusebius llist. ccd. IV, 6, 3 war in einer Schrift
des Aristo von Pella erwähnt dass nach der Eroberung Beth-thers
und dem Untergange Barkochba's „dem ganzen jüdischen Volke von
da an das Betreten der Umgebung Jerusalems gänzlich verboten
wurde durch Gesetzesbestimmung und Verordnungen Hadrians, wel-
cher wollte, dass sie nicht einmal von der Ferne den väterlichen
Boden sehen sollten" (to ütäv l&voq kB, exthov xat rrjg jceQl ra
ItQoOoXvfia yriq jrafijcav Ijtißaivtiv HQy^xai, vofiov öoyfiaTi xai 6ia-
ra^töiv 'AÖQiavov, mg av firjö* t| djiojtrov d^tmQoltv xo JtaxQwov
töatpoq iyxtXtvöafitvov. 'Agiarcov 6 IltXXaloQ laxoQ€l). Auf dieser
Stelle des Eusebius beruht das, was im Chronicon ])aschale und bei
dem armenischen Geschichtsschreiber Moses von Chorene über Aristo
von Pella bemerkt wird. — 2) In den Schollen des Maximus Con-
fessor (um 630 — 650 nach Chr.) zu Dionysius Areojtagit. De
mijstica theologia c. 1 s. fin. {Dionysii Areoj)agit. ojjj). ed. Corder t.
II, 1756, p. 234 = Mifine, Patrolog. graec. IV, 421) findet sich fol-
gende Notiz: Avtyvoov öh xovxo „tjtxa ovQavovg^' xal tv ry ovyye-
yQafifisvfj 'Aqiotcovi xm nelXalco öiaXt^si Uajtiaxov xai 'laöovog, tjv
KXi^firjg o 'AXs^avÖQevg sv txrqj ßißXirp xmv ^ Y.toxvnoaCecov top dyi-
ov Aovxäv (prjoiv dvaygd^pai. Nach Maxiuius Confessor war also
Aristo der Verfasser des Dialoges zwischen Jason und Papiscus,
der auch sonst citirt wird, aber stets als anonymes Werk. Kr war
bereits dem heidnischen Philosophen Oelsus bekannt, desgleichen
dem Origenes (contra Cels. IV, 52) und dem Hieronymus (com-
ment. ad Gal. 3, 13 = ojrp. ed. Vallarsi VII, 1, 436, und Quaest.
Hehr, in Genesin 1, 1 = Vallarsi III, 1, 305). Am meisten Auf-
schluss giebt uns das noch erhaltene Vorwort zu einer lateinischen
Uebersetzung, welche ein gewisser Celsus (nach Harnack wahr-
scheinlich im fünften Jahrhundert nach Chr.) angefertigt hat (er-
halten in einigen Handschriften der Werke Cyprian's, Cyj^iani o])j).
ed. Ilartcl 111, 119—132, die Hauptstelle c. 8, der Verf. nennt sich
64 § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. [52. 53]
selbst am Schlüsse Celsus). Hiernach war Jason der Vertreter der
christlichen Anschauung, Papiscus der Vertreter des Judenthunis.
Der Christ bewies aber dem Juden so überzeugend die Messianität
Jesu, dass letzterer sich alsbald bekehrte und getauft ward.
Da der Dialog dem Celsus, Origenes, Hieronymus und dem la-
teinischen Uebersetzer offenbar anonym vorgelegen hat (denn keiner
von ihnen nennt den Verfasser), so ist es sehr fraglich, ob das Zeug-
niss des Maximus Confessor für Aristo als Verfasser Glauben ver-
dient. Woher soll ein Schriftsteller des siebenten Jahrhunderts die
richtige Kunde über den Verfasser haben, wenn alle älteren Zeugen
nichts darüber gewusst haben? Trotzdem ist die Angabe des Ma-
ximus nicht unwahrscheinlich. In Tertullian's Schrift adversus Ju-
daeos c. 13 inü. wird des kaiserlichen Edictes, welches den Juden
das Betreten der Umgebung Jerusalems verbot, fast wörtlich eben-
so, wie in der von Eusebius aus Aristo citirten Stelle gedacht (m-
terdictum est ne in confinio ijisius regionis demoretur quisquam Jtidne-
orum .... post eoqmgnationem Hierusalem jj^rohibiti ingredi in terram
vestram de longinquo eam ocidis tantum videre permissum est). Da
TertuUian, oder wer sonst der Verfasser der Schrift ist, dies in
einer antijüdischen Streitschrift vorbringt, so ist es wohl wahr-
scheinlich, dass er die Notiz aus einer ähnlichen antijüdischen
Streitschrift geschöpft hat. Eine solche war aber der Dialog
zwischen Jason und Papiscus (vgl. auch Harnack's Texte und Unter-
suchungen 1, 1—2, S. 127 ff.).
Wenn liiernach zu verinuthen ist, dass die Notiz bei Eusebius
aus dem Dialog zwischen Jason und Papiscus stammt, so darf dem
Aristo nicht eine Specialgeschichte über den hadriani-
schen Krieg zugeschrieben werden; und es ist niclit wahr-
scheinlich, dass die übrigen Angaben des Eusebius über den hadri-
anischen Krieg aus Aristo stammen, der vielmelir nur jenes einen
Edictes beiläufig gedacht hat. — Was die Zeit Aristo's betrifft, so
ist er wolil um die Mitte des zweiten Jahrhunderts zu setzen.
Im Ghriiu. paschalc ed. Dimhirf I, 477, ist zum Jahr 134 ii. Chr. biincrkt:
Tovxttt xiji TtH 'Antkk^t xal 'A(tlaTCDV, cur /xkfiVTjTat Evntßioq b llafnpIXov iv t^ \
ixxX^aiaazixy avzov laiopin, ini6l6<ootv dnoXoyiaq avvia^iv nt()l xijg ;?«.'>'
r//itfc i>eoaeßtla(i %\Havi» xo> ßaaiXtt. Du der VcrfuHSor 8id> ausdrücklicl» auf
KiiHchiuH hcrufi, mo kommt Boinen» ZcüiKniHH kein selhHtündiiri'r Wortl» /u. Der
Hingiilnr fniAlömoiv macht e» walirHchtiiilich, dass er b lliXXaloq /i()liixwv go-
Hchricben hat, woraiiH kntkXfji xal 'AqIoxwv diircli Otrruptioii cntHtiindoii int.
— KhenralU auM KiiMohiuM Mcliöpf'l hiüim! Kunde «Icr arnicnischo GcHcliiolitH-
M;hrei)>er Monen von ('horenc, wchlu-r zwar behauptet, dass Arinto den
Trid den Kfmig« AnlaMchcH, eine» ZeitgcnoHMen lladriiuiH erwähne, dann aber
ledlglirh nach EuHchiu« die (ii'Hchichte de« Barkocld)a er/ählt (s. Routh,
/ieldquiae $aera» I, 101 iqq. Lnnt/liiis, CaUcrdon den historinis de l'Armhiic
[53] § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. 65
t, I [= Müller, Fragm. hist. f/raec. V, 2] p. 391 sqq. Harnack, Texte und
Untersuchungen I, 1 — 2, S. 126).
Der Dialog zwischen Jason und Papißcus ist wahrscheinlich benützt in
der von Marlene {Thesmirus novtis anecdolanim l. V, Paris 1717) heraus-
gegebenen und von Harnack wieder aus der VergesBcnheit hervorgezogenen
Altereatio Simonis Judaei et Thcophili Christiani. 8. Harnack, Texte und
Untersuchungen Bd. I, Heft 3, 1883, bes. S. 115—130. Corssen, Die Alter-
catii) Simonis Jtidaei et Thcophäi Christiani auf ihre Quellen geprüft, 18!K)
(Tlieol. Litztg. 1890, 024). Zahn, Forschungen zur Gesch. des ueutestameutl.
Kanons, Tlil. IV, 1891, S. 308—329. — Corssen und Zahn halten eine Benützung
jenes älteren Dialoges in diesem jüngeren auch für wahrscheinlich, aber nicht
in so starkem Maasse, wie Harnack angenommen hatte. Ihnen stimmt
Harnack selbst im Wesentlichen bei: Gesch. der altchristl. Literatur I, 94 f.
Gonifbeare, The diaioyues of Athanasius aml Zacchaeus and of Timothy
and Aquila, edited icith Prolegomcna and Facsimiles (Aneedota Oxonieiisia,
Clnssical Scrks, Part VHI), Oxford 1898, meint, das» auch diese beiden von
ihm herausgegebenen griechischen Dialoge auf den Dialog des Jason und
Papiscus zurückgehen. Dafür giebt es aber keine stichhaltigen Gründe (s.
Hennecke, Theol. Litztg. 1899, 566 fi".). Die frühere Publication Conybeare's
im Expositor 1897, April p. 300 — 320, Jtiyie p. 443 — 463: A neto seeondcentury
Christian dialoffiie, giebt nur eine englische Uebersetzung der armenischen
Uebersetzung des Dialoges zwischen Athanasius und Zacchaeus.
Ueber Aristo vgl. überhaupt: Fabrieius, BilUioth. gracc. eil. Hartes VH,
156 sqq. — Grabe, Spicilc/ium Patruin H, 127 — 133. — Routh, Retiquiac
sacrae I, 91-109. — Gieseler, Kirchengesch. I, 1, 4. Aufl. S. 209. — Pauly's
Real-Enc. I, 2, 2. Aufl. S. 1597. — Mütter, Fragvi. hist. graee. IV, 328. —
Corpus apologetarum ed. Otto t. IX, 1872, p. 349 — 363. — Harnack, Die
Ueberlieferung der griechischen Apologeten des zweiten Jahrhunderts in der
alten Kirche und im Mittelalter [== Texte und Untersuchungen zur Gesch. der
altchristl. Literatur, Bd. I, Heft 1—2] 1882, S. 115—130 — Zahn, Forschungen
zur (Jesch. des ncutestsimentl. Kanons, Thl. HI, 1884, S. 74. — Harnack,
(^esch. der altchristl. Literatur I. 1893, S. 92— 95. II, 1, 1897, S. 268 f Ders.
in Herzog-Hauck, Real-Enc. 3. Aufl. II, 47 f. — 8 ch latter, Die Kirche Je-
rusalems vom Jahre 70—130 (Beiträge zur Förderung christlicher Theologie
11, 3) 1898, S. 08 — 78. — Ehrhard, Die altchristliche Literatur und ihre Er-
forschung von 1884— 1!KX) (1900), S. 212—217.
16. Papyrus-Fragmente.
Auf die Gescliiclite der alexandrinischen Juden beziehen sich
einige Papyrus-Fragmente, die erst in neuerer Zeit bekannt ge-
worden sind (vgl. die Zusammenstellung von Reinach, Revue des
etudes juives t. XXXVII, 1898, jk 218—225).
1. Ein Fragment im Louvre zu Paris, zu welchem auch ein
kleines Londoner Fragment gehört, scheint sich auf den Juden-
Aufstand unter Trajan zu beziehen. Der Text hat die Form
eines Protocolles über eine Unterredung, welche der Kaiser per-
sönlich mit jüdischen und alexandrinischen Abgeordneten geführt
hat. Die Reden werden in der ersten Person wiedergegeben. Die
Schür er, (ieschichte I. 3. u. 4. Aufl. 5
66 § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. [53]
Formel KaloaQ 'lovöaiotg kommt zweimal vor (II, 1. III, 16). Es
scheint, aber, dass nicht nur eine jüdische Gesandtschaft mit dem
Kaiser spricht (wie Wilcken angenommen hat), sondern eine jüdische
lind eine alexandrinische (wie Reinach sehr wahrscheinlich ge-
macht und Wilcken selbst später anerkannt hat). Der Text be-
ginnt damit, dass ein gewisser Theon ein Edict des Lupus vor-
liest, der höhnisch befohlen hat, den Theaterkönig vorzuführen
{ßtcov . . öiäxayua avtyvo} Aovjcov cog jiQoayeiv avrovg exeXtvs
X^sva^cov TOP ccjTo oxrjvrjg xal sx (itifiov ßaöiXm). Die Namen
Theon und Lupus kommen auch in dem Londoner Fragment vor
(bei Wilcken IV, 2—3). Da der grosse Juden-Aufstand zur Zeit
Trajan's ausbrach, als Lupus Statthalter von Aegypten war, so
ist höchst wahrscheinlich an diesen zu denken. Für die Zeit
Trajans spricht auch die Erwähnung des dacischen Krieges (1, 13).
Der „Theaterkönig" ist dann der jüdische Revolutions-König.
Wie es scheint, ist Theon ein Alexandriner, der das feindliche
Vorgehen der Alexandriner gegen die Juden damit rechtfertigt,
dass es ja vom Statthalter selbst befohlen sei. Der weitere Gang
der Verhandlung ist aus dem fragmentarischen Texte nicht zu er-
kennen. Es scheint, dass einer der Alexandriner zum Tode ver-
urtheilt wurde. Denn der Paulus, der am Schlüsse sagt, er
wolle, da er morgen doch sterben müsse, furchtlos die Wahrheit
sagen, ist höchst wahrscheinlich ein Alexandriner. — Der Name
des Kaisers ist nicht genannt. Da auch der Name Antoninus
vorkommt (aber nicht als der des Kaisers), so wollte Reinach an
die Zeit der Antonine denken, etwa an Commodus, der auch dacische
Kriege geführt hat. Später hat Reinach diese Ansicht zurückge-
nommen, aber festgehalten, dass die Verhandlung erst unter dem
Nachfolger Trajan's, also Hadrian, stattgefunden liabe {Revnc des
ettules juives XXXYU, 218). Das ist möglich, aber nicht noth-
wendig; denn der xvqioq, unter welchem der .luden- Aufstand aus-
brach und von dessen „Abgang" {ajtoörjiila, seil, aus Aegypten oder
Tod?) die Rede ist (II, 5—7), ist nicbt nothwendig der Kaiser, kann
vielmehr auch der Statthalter sein ■^). Die Verhandlung kann etwa im
Frühjahr 117 nach Trajans Rückkehr aus dem fernen Osten in
Antiochia stattgefunden liaben (so Wilcktni). Möglich ist freilich
auch, das» sie ei'ttt unter Hadrian stattgefunden hat.
Dbm I'iiriMt'r Fragment int zuerMt (hIh I'npijrus Paris, n. ()8) vcröfl'entlicht
von Brunei de Prcalv in: Wofirrs et cxtraits dca Manuacrün .... publivs
2) Ueber den Qobratich von xi\uo<; uucli uIh Titel der Htuttlmltor h.
OrenftU and Hunt, Tfic Ooayrhynchm J'api/ri I (181)8) n. 72 lin. !) (!K) n Clin),
ib. II (1890) h. 283, Un. 18 (40 n. Ohr.).
[53] § 3. Quellen. B. Niclit-erhaltene Quellen. 67
par l' Institut de Frame, tome XVIII, ^rfe/jar^ie (Paris 1865) p. 383— 390; hierzu
im Atlas planehe XLV. — Das Londoner Fragment von: Forshall, Deserip-
tiim of the greek papyri in the British Museum (1839) n. 43, und von Kcnyon,
Oreek papijri in the British Museum I (1893) n. 1. — Auf neuer I^esung,
welche erst eine Deutung ermöglichte, beruht die Untersuchung von Wilcken,
Ein Actenstück zum jüdischen Kriege Trajans (Hermes XXVII, 1892, S. 464 —
480). — Abermals neu verglichen ist der Text von Th. Rein ach, Juifs et
grecs devant tm empereur romain {Revue des etudes Juives, t. XXVII, 1893, p.
70 — 82). Hiernach auch in: Th. Rein ach, Textes d'auteurs grecs et rornains
relatifs au Judcüsvie (1895) p. 218 — 226. — Ein kleines Bruchstück eines etwas
anders gefassten Berichtes über dieselben Vorgänge enthält ein Berliner
Papyrus (Aegyptische Urkunden aus den königlichen Museen zu Berlin,
Griechisclie Urkunden, Bd. I, 1895, n. 341. Wilcken, Hermes XXX, 1895,
S. 481 — 485). — Reinach's letzte Bemerkung s. in: Revue des etudes Juives,
t. XXXVII, 1898, p, 218.
2. Zwei zusammengehörige Fragmente, von welchen das eine
in Berlin, das andere in Gizeh sich befindet, geben uns Kunde
über ähnliche Verhandlungen vor Kaiser Claudius. Die
Reden werden auch hier in der ersten Person wiedergegeben ; und
es ist in diesem Falle deutlich, dass wir es mit einer solennen,
vom Kaiser selbst geleiteten Gerichtsverhandlung zu thun haben.
Der Name KXavöioq KaiaaQ kommt mehrmals vor. Das Berliner
Fragment beginnt damit, dass zwei Beisitzer des kaiserlichen
Consiliums (ovfißovXtiop) das Wort ergreifen: ein gewisser Tar-
quinius und ein gewisser Aviolaos ^). Der Sinn ihrer Reden
lässt sich kaum errathen. Es werden dann Gesandte —
denn .... ßtig ist von Wilcken gewiss richtig zu [jtQta]ßtig er-
gänzt — hereingerufen und auf den andern Tag beschieden. Die
Verhandlung des zweiten Tages fand statt [iv rolg . . . .] Xiavolq
xrjjtoic, was Wilcken in AovxovXXiavolq ergänzte; es kann aber
ebensogut SsQoviXiavolq ergänzt werden (so Reinach, Revue XXXIV,
297); also in den Gärten des LucuUus oder Servilius. Es war
eine glänzende Versammlung. 25 Senatoren, darunter 16 Consu-
laren, waren anwesend. Ausserdem werden auch Matronen er-
wähnt, was darauf schliessen lässt, dass in einer Textlücke auch
die Kaiserin als anwesend genannt war. Das Wort ergreift zu-
nächst der Gymnasiarch Isidorus von Alexandria, um gegen König
Agrippa Klage zu erheben. Der Kaiser antwortet, dass er damit
seinen (des Kaisers) Freund angreife (nach xaxa rov i/iov ergän-
3) Der Beiname Aviola kommt in der gens Äcilia und in der gens Cal-
purnia vor. Reinach {Revue des etudes juives XXXI, 172) denkt an M' Aeilius
Aviula, Consul im J. 54 und Proconsul von Asien 65 —66 ( Waddiw/tou, Fastes
n. 93; Prosopographia imperii Romani I, 6). Wenn aber die Verhandlung in
die erste Zeit des Claudius fällt, so liegt es viel näher, an C. Catpurnius
Aviola zu denken, consul suff. 24 n. Chr. und Proconsul von Asien i. J. 38—39
n. Chr. {Waddington, Fastes n. 79; Prosopogr. imp. Rom. I, 275).
68 § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. [53]
zen Wilcken und Reinach wohl mit Recht (plXov). — In dem Frag-
ment von Gizeh, das sich vernmthlich hier anschliesst, spricht
zuerst ein gewisser Lampon ein paar Worte. Als hierauf der
Kaiser dem Isidorus bemerkt: jtoXXovq fiov (piXovq djrsxreivag
loidojQs, wird der Ton immer erregter. Es sprechen : Isidorus, der
Kaiser, Isidorus, Lampon, der Kaiser. Obwohl der Text nur ge-
ringe Lücken aufweist, ist der Sinn der kurzen Sätze doch ziem-
lich dunkel. Es scheint, dass sich Isidorus und Lampon darauf be-
rufen, dass sie einfach dem Befehl des früheren Kaisers, also
Caligula's gefolgt sind (Isidorus: ßaoiXsoq r]xovaa rov rors jiqoö-
ra^avToc, später Lampon: zoiyaQ aXXo exofisv si naga^QovovvTi
ßaciXei xojtov öeöevai, wo unter dem „wahnsinnigen Kaiser" un-
möglich der anwesende Claudius, sondern nur der verstorbene
Caligula verstanden werden kann ; statt roiyaQ und ei ist mit
Reinach ri yaQ und // zu lesen; ö^ö^vat ist nicht = öiöovai, wie
Reinach will, sondern Schreibfehler für öeöcoxsvai). Mit den Worten
des Claudius oig jcQosxsXevaa rov d^avarov rov Ioiöcoqov xai Aaf/jrco-
voq bricht das Fragment ab. Die beiden sind also zum Tode ver-
urtheilt worden; und das Urtheil ist, wie uns der unten zu er-
wähnende Papyrus von Oxyrhynchus lehrt, auch vollzogen worden. —
Durch diese Nachrichten wird der Bericht Pliilo's über die Vor-
gänge unter Caligula und Claudius nicht nur bestätigt, sondern
auch ergänzt. Isidorus und Lampon sind uns nämlich aus
Philo wohlbekannt. Sie werden von ihm als zwei Unruhestifter
schlimmster Sorte geschildert, welche auch bei der Hetze gegen
die Juden an der Spitze standen (m Flaccum § 4 und 15 — 17).
Durch die Papyrusfragmente erfaliren wir, wie sie von Claudius
zur Verantwortung gezogen wurden. Höchst wahrscheinlich fallen
diese Verhandlungen also in die erste Zeit des Claudius. Wegen
Erwähnung der lucullischen (i arten, welche frühestens im J. 47
in kaiserlichen Besitz gekommen sind , wollte Wilcken an die
spätere Zeit des Claudius denken, und daher unter Agrippa nicht
Agi'ippa 1 (was zweifellos am nächsten liegt), sondern Agrippa II
verstehen. Jenes Argument erledigt sich aber durch die Ergän-
zung ^fQoviXiuvolq, wie Wilcken selbst später anerkannt liat
{lievuc XXXIV, 298).
Auf dem Horliner Fragment ullcin benilit die Unternuchuiig von Wih^ken,
AlüX.indrinUeho OeHnndtHchuften vor Kainer ClaudiuH (Hermes XXX, 1895,
8. 481— 41MS). — Der Text de» FragmenteH aiicli in: AogyptiHche Urkunden
aUM don köuigl. Muncen ku lierlin, griccluHclie Urkunden, Bd. I n. 51 1. —
Dan Berliner und dan von Jouguet entdeckte Fragment von (li/ch Hind ver-
einigt hei: Tli. Hei nach, L^nnipcrcur (Uniulr. rt Iva (fiitisniiitcs A/cxatitlrins
fPapri» un Wfuecmi jHi/ftffn4ii (Itcmic ik» 6/mlcn juiirn t. XXX 1, IWin, y^ KJl- 17H).
Vgl. Thcol. LitKtg. 18ÜÜ, 2öli f. — Ergttnzungen und Uerichtigungen geben!
[53] § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. 69
Reiuach, Revue des Hudes juives XXXII, 1896, p. 160. XXXIV, 1897, p.
296—298, und Wilcken, Berliner pliilol. VVochenschr. 1896, 1617 ff. 1897,
410 f.
3. Auch unter den von Grenfell und Hunt in Oxyrhynchus
ausgegrabenen Fragmenten hat sich ein Stück ähnlicher Art, wie
die oben besprochenen gefunden. Die Verhandlungen werden hier
geführt zwischen einem gewissen Appianus, der sich yvfivaaiuQxop
xal jtQeoßsvT^v 'AXs^avögecop nennt (III, 10—1 1), und einem Kaiser
aus der Zeit der Antonine, denn Appianus sagt ihm: zm yaQ ^bcö
^AvTcoveivm rm yiargi oov tJtQejis avtoxQaxoQ^veiv (II, 7 — 9). Der
divus Antoninus kann Antoninus Pius oder Marc Aurel sein, der
verhandelnde Kaiser also Marc Aurel oder Commodus. Die
Frechheit, mit welcher Appianus dem Kaiser begegnet, lässt darauf
schliessen, dass er nichts mehr zu verlieren hat. Jüdische Be-
ziehungen finden sich in dem Stücke zwar nicht; aber Appianus
erwähnt rovq jcqo sfiov rsXsvT^oavrag Secova rs xal loiöcoQov
xdi AafiJtmpa (IV, 5—7). Isidorus und Lampon sind ohne Zweifel
die uns bekannten Antisemiten aus der Zeit des Caligula und
Claudius. Sie sind also wirklich hingerichtet worden; und der
Gymnasiarch Appianus scheint ein würdiger Nachfolger von ihnen
zu sein. Auch der Name Theon kommt in den Claudius-Frag-
menten vor. Da aber dort nur Isidorus und Lampon als zum Tode
verurtheilt erwähnt werden, ist vielleicht an den in den Trajan-
Fragmenten erwähnten Theon zu denken.
Ausgabe des Textes in : Egypt. Exploration Fund, Graeco - Roman
Bratich, The Oxyrhynchus Papyri, Part I, ed. by B. P. Grenfell and A. S.
Hunt, London 1898, n. XXXIII. — Vgl. Deissmann, Theolog. Literaturzeituug
1898, col. 602-606. — Weil, Revue des etudes f/recques XI, 1898, p. 243 sq.
— Th. Reinach, Revue des etudes juives XXXVII, 1898, p. 221 — 224. —
Monnnseu, Sitzungsber. der Berliner Akad. 1898, S. 498. — Wilamowitz,
(;ött. gel. Anz. 1898, S. 690. — Mitteis, Hermes XXXIV, 1899, S. 88—91.
— Mom rasen, Rom. Strafrecht, 1899, S. 265.
Räthselhaft ist die literarische Form aller dieser Documente. Die
l)rotocollarische Genauigkeit ist so gross, dass man sie für gleichzeitige
Aufzeichnungen von Ohrenzeugen halten möchte. Andererseits fällt die
formelle und sachliche Aehnlichkeit der Fragmente auf. Diese ist
um so merkwürdiger, als sie sich auf zeitlich weit auseinander-
liegende Vorgänge beziehen; auch paläographisch nicht zusammen-
gehören und an verschiedenen Orten (Fajjum, Oxyrhynchus) ge-
funden worden sind. Deissmann (Theol. Literaturzeituug 1898,
GOG) hat vermuthet, dass wir hier Bruchstücke eines einheitlichen
Werkes haben, welches die Geschichte der alexandrinischen Juden-
hetzen unter Benützung von mehr oder weniger autlientischen
Protocollen behandelte. Reinach will eher an eine Leidensge-
70 § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. [53]
schichte der Gymnasiarchen von Alexandria denken {Revue des
etudes juives XXXVII, 224). Auch Mit t eis (Hermes a. a. 0.)
meint, dass es sich um Berichte von alexandrinischer Seite handelt,
welche mit der Todesmuthigkeit ihrer Leute renommirten. Letzteren
Gesichtspunkt hat Ad. Bauer, Heidnische Märtyreracten (Archiv
für Papyrusforschung I, 1, 1900, S. 29—47), weiter verfolgt, indem
er zu zeigen versuchte, dass wir hier ein heidnisches SeitenstUck
zu den christlichen Märtyrer- Acten haben. Die Aufzeichnungen
dienen „der Verherrlichung der ünerschrockenheit und des Todes-
muthes griechischer Angeklagter vor dem Richterstuhl des Macht-
habers in Rom" (S. 39). Das ist in der That der Fall. Bauer
hält die Acten aus der Zeit des Claudius für „echt", d. li. für eine
getreue protocoUarische Wiedergabe der wirklich geführten Ver-
handlungen; die aus der Zeit der Antonine wegen ihrer starken
Uebei-treibungen für erdichtet, die aus der Zeit Trajans für ver-
dächtig. Sie mögen „in der Hauptsache auf authentische Auf-
zeichnungen zurückgehen und nur die Scene, in der Paulus sich
als Todescandidat an den Kaiser wendet, ausgeschmückt sein"
(S. 45, vgl. S. 32 f.). Ich möchte vermuthen, dass dieser Gesichts-
punkt auch für die Acten aus der Zeit der Antonine ausreicht.
Der Auffassung als heidnisclier „Märtyreracten" hat Mitteis (Aus
den griechischen Papyrusurkunden, \ortrag, 1900, S. 10—12) zu-
gestimmt.
4. Möglicherweise hängt mit den eben besprochenen auch ein
von Nicole herausgegebenes Papyrus-Fragment zusammen, welches
das Bruchstück eines Erlasses des Avloq AvoviXXioq ^Xaxxoc;
(dieser volle Name ist erhalten) aus dem 21. Jahre des Tiberius
enthält. Flaccus, der uns als Statthalter Aegyptens und .luden-
verfolger aus Philo bekannt ist, schärft hier das in Aegypten
längst bestehende Verbot des Waftentragens (fiax((i{)o<poQa) ein.
Nach Philo in Flacc. § 11 wurden aber bei der damaligen Juden-
verfolgung eben die Häuser der Juden nach Waffen durclhsucht,
Nicole, AviUitis FUtccua j)r&fet iCEgyptc ei Philon d'Alexandric {Jirviie de
phiUdogü XXII, 181)8;). 18—27). — Wiickcn, Archiv für PiipyruH-ForHclnmfr
I, 108—172.
6. lieber andere Papyrus-Fragmenten, auf welclien Juden oder
jüdische Namen V(»rkonnn(Mi, s. wwU'W lid. 111, S. 23, Anni. 43u.4n;
und Reinucli, lirnur (ks clmlcH juivfx XXW'll, 1898, p. 219— 221,
224 sq.
17. Teucer Cyzicenus.
Suidas Lex. h. v. TnncQfn; o KvCixijVoq, o y{ta\paa ///(>} ;f(»i)(Jo-
<f>6{fOV yfj^, tli(fl tov BvC,avxlov, Miiy^uÖarixmv jr^d^tmv ßißXla t ,\
[54] § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene (Quellen. 71
Uhq) Tvqov 8 , 'jQaßixcöv e'/lovöaCxr/v lOTOQiav tv ßißXioiq c;,
'EfpTjßoiv rwv iv KvClxo) aoxtjOtv y xai t« Xoijrd. „In diese
scheinbar ganz diftiise Schriftstellerei kommt sofort Einheit, wenn
man annimmt, dass der Verf. bald nach den Thaten des Pompejus
schrieb" (Gutschmid, Kleine Schriften II, 710; überh. ebendas.
II, 708—711). — Erhalten sind von Teucer Cyzicenus nur zwei
kleine Fragmente (über die Etymologie zweier Ortsnamen in Epirus
und Eubüa). Sonst ist nichts über ihn bekannt. Ob er mit einigen
anderen Schriftstellern Namens Teucer, welche gelegentlich er-
wähnt werden, identisch ist, muss dahin gestellt bleiben. Vgl.
Müller, Fraym. hist. graec. IV, 508. Susemihl II, 376.
18. Verschiedene Werke xeqX 'lovöalmv.
Special werke über die Geschichte der Juden haben auch die
jüdischen Hellenisten Demetrius, Eupolemus, Artapanus,
Aristeas, Kleodemus-Malchus und der Epiker Philo verfasst.
Sie kommen aber hier kaum in Betracht, da sie vorwiegend, wo
nicht ausschliesslich die ältere biblische Zeit behandelt haben
(s. Bd. III, S. 349 ff.). — Mehr als diese scheint das Buch des
Fseudo-Hekatäus über die Juden auf die Zustände des Volkes
zu seiner Zeit Bezug genommen zu haben is. Bd. III, S. 461— 466).
— Eine wichtige Quelle für die Geschichte seiner Zeit waren die
fünf Bücher Philo's über die Verfolger der Juden, welche
deshalb hier zu nennen sind, weil sie uns nur theilweise erhalten
sind (s. Bd. III, S. 525-531).
Heidnische Autoren haben schon seit alter Zeit gelegent-
lich der Juden gedacht (s. die Zusammenstellung bei Freudenthal,
Alexander Polyhistor S. 177—179; Willrich, Juden und Griechen
vor der makkabäischen Erhebung, 1895, S. 43—63. Abdruck der
Texte bei Reinach, Textes d'auteurs grecs et romains relatifs au Juda-
isme, 1895. Vieles steht bei Joseph, contra Apion. I, 14 — 23). Seit
dem Anfang des ersten Jahrhunderts v. Chr. giebt es aber auch
Specialwerke über die Juden von nichtjüdischen Ver-
fassern: 1) Das älteste uns bekannte ist die ovöxbvij xara %v-
daicov \on Apollonius Molon (s. Bd. III, S. 400—403). — 2) Nicht
viel jünger ist die gelehrte Compilation des Alexander Poly-
histor jreQt ^lovöalmv , welcher wir die werthvollen Excerpte aus
den Schriften der jüdischen Hellenisten verdanken (s. Bd. III,
S. 346—349). — 3) Zur Zeit Hadrian's lebte Philo Byblius, auch
Ilercnnius Philo genannt, welcher ausser anderen Werken auch eine
Schrift jts{H 'lovöaicov geschrieben hat. In derselben hat er nach
dem Zeugniss des Origenes das Buch des Pseudo-Hekatäus über
die Juden erwähnt und dabei die Ansicht ausgesprochen, dass ent-
72 § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. [54. 55]
weder das Buch nicht von dem Historiker Hekatäus heiTühre, oder
Hekatäus, wenn er der Verfasser sei, ganz und gar der jüdischen
Lehre beigetreten sei {Orig. contra Gelsum I, 15, s. den Wortlaut
der Stelle in Bd. III, S. 463). Angeblich aus derselben Schrift
mQL 'lovöaicov stammen zwei Fragmente bei Eusebius, Praep. evang. I,
10 p. 40 {ed. Gaisford 1, 10, 42 — 44: kv xq> x£Ql 'lovöai<x)v övyyQafi-
fiari). Der Inhalt dieser Fragmente bezieht sich aber lediglich
auf die phönicische Mythojlogie; und das zweite derselben wird
von Eusebius an einer anderen Stelle {Praep. evang. IV, 16 p. 156 sq.
[ed. Gaisford IV, 16, 11]) noch einmal citirt mit der Formel ix ös
Tov JCQcorov övy/Qafifiarog rr^q ^iXcovoq 0oivixixrjg loroQiag. JVIan
hat hiernach angenommen, dass der Tractat jtEQl ^lovöaioiv nur
einen Excurs in der grossen ^oivixixi] lorogla des Philo gebildet
habe (so z. B. Freudenthal, Alexander Polyhistor S. 34). Das ist
aber nach dem Inhalt der eusebianischen Fragmente nicht wahr-
scheinlich. Es scheint vielmehr, dass Euseh. I, 10 nur aus Ver-
sehen die aus der phönicischen Geschichte entnommenen Stücke
der ihm auch bekannten Schrift jr^Qt %v6aioov zugeschrieben hat.
Vgl über Philo überhaupt: C. Müller, Fragm. hist. graec. III, 560 —
576. Baudissin, Art. Sanchuniathon in Herzog's Real-Enc. 2. Aufl.
XIII, 364 ff". (Gruppe, Die griechischen Culte und Mythen I, 1887,
S. 350— 409. Gutschmid, Kleine Schriften I, 292. 310. 381. II, 21 f.
36 f. (wechselnde Ansichten). Wachsmuth, Einleitung in das Stu-
dium der alten Geschichte S. 406. Ueber seine Zeit: Gutsdunid II,
21 f. (gegen Baudissin). — 4) Eine Schrift jcsqI 'Jovöalmv liat auch
ein gewisser Damoeritus geschrieben. Aus der kurzen IVfittliei-
lung darüber bei Suidas {Lex. s. v. /iafioxQirog, vgl. aucli Müller,
Fragm. hist. graec. IV, 377; lieinach l. c. p. 121) erhellt nur soviel,
dass ihr Standpunkt ein judenfeindlicher war. — 5) Das gleiche
gilt von der Schrift, eines gewissen Nikarchus jceqX ^lovöauor
{Uekker, Anecdota p. 380 == Müller, Fntgni. hist. grnrc. III, 335 = Rei-
naeh p. 122). — 6) Als Schriftsteller über jüdische Dinge erwäliiit
Alexander Polyhistor auch einen gcswisscn Theophilus {hhmh.
Praep. evang. IX, 34 /iw.), einisn Tiniochares iv rolg jcn>l Uvtwxov
(Kuh. IX, 35) und eine anonyme SvQlag oxoivofit'TQtjiUg {Kns. IX,
'M\). Alb' dnM sind aber ollrnbür nui- gch-gcnilich auf jiKÜschc^
Ding«? zu Hpr«'<-h('n gckcuiimfin. Thc^ophilus handelt iüx^r Salonio's
Beziehung zum König von Tyrus; die beiden anderen gt^ben int(M--
»jHHttnt^? Details üImm- (['w 'i'opDgrjiphie von .let iisahMii. Der Ver-
fuHKer der syrischen Schoinometiie ist vielh'icht identisch mit dem
von Alexander Polyhintor ein andermal citirten Xenophon {Sevo-
ifättf Iv Tuta */1i'aiiir{r/i<n<H twv «(«m/», frngni. 00 bei Müller, Fr. Hist.
Gr. III. 1'M ii;i(|i üitph. ]i>r-. ». r. 'il^toind^). Welchen Müller wieder
[55. 56] § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. 73
mit dem von Plinius erwähnten Xenophon von Lampsacus identi-
flciren will. Vgl. über die obigen drei überhaupt: Müller, Fragm.
hist. graec. III, 209; IV, 515 sq. Reinach p. 51 — 54.
19. Die Chronographen.
Für die Thatsache der Tempelplünderung durch Antiochus
Epiphanes beruft sich Josephus contra Apion. II, 7 unter Anderen
auf die Chronogi-aphen Apollodorus und Castor. Dem Castor
entnimmt er auch die Bestimmung des Datums der Schlacht bei
Gaza, contra Apion. I, 22 ed. Niese § 184 — 185. Da es möglich ist,
dass er auch sonst gelegentlich chronologische Bestimmungen aus
diesen Handbüchern schöpft, so ist hier über beide das Nöthigste
zu bemerken.
1) Apollodorus aus Athen, lebte in der zweiten Hälfte des
zweiten Jahrhunderts v. Chr. und sciirieb ausser anderen Werken
auch Xqovixcc in metrischer Form, welche in chronologischer Ord-
nung die wichtigsten Ereignisse der Weltgeschichte bis zur Zeit
des Königs Attalus II von Pergamum (Mitte des zweiten Jahr-
hunderts V. Chr.) behandelten. | Da der Inhalt vermöge der me-
trischen Form sich leicht dem Gedächtniss einprägte, wurde das
Werk ein weitverbreitetes und beliebtes Lehr- und Handbuch.
Sammlung der Fragmente dieBes historischen Werkes (das mit der unter
Apollodor's Namen erhaltenen BißXio&rjxTj nicht zu verwechseln ist) bei
C. Müller, Fragmcnta historicurum graecorum t. I p. 435 — 449. — Unter-
suchungen: Westermann in Pauly's Real-Enc. I, 2, 2. Aufl. S. 1302 f. —
Diel 8, Chronologische Untersuchungen über ApoUodor's Chronika (Rhein.
Museum Bd. 31, 1876, S. 1 — 54). — Ungar, Die Chronik des Apollodorus
(Philologus Bd. 41, 1882, S. 602— G51). — Susemihl, Gesch. der grieeh. Lite-
ratur in der Alexandriuerzeit II, 33 — 38. — Wachsmuth, Commenfatio verna-
culo sernione cunscripta de Eratosthene, Apolloduru, SosU>io chronograpkis, Lips.
18S)2. Ders., Einl. in das Studium der alten Geschichte S. 131 — 130. —
Schwär tz in Pauly-Wissowa's Real-Enc. I, 2856 if.
2) Castor. Dessen Chronik ist uns namentlich durch die Citate
bei den christlichen Chronisten Eusebius und Syncellus näher be-
kannt. Besonders das nur in armenischer Uebersetzung erhaltene
erste Buch der eusebianischen Chronik giebt werth volle Aufschlüsse.
Es steht hiernach fest, dass das Werk des Castor bis zum Con-
sulate des M. Valerius Messalla und M. Piso, 61 v. Chr., gegangen
ist, d. h. bis zu dem Jahre, in welchem Pompejus seinen asiatischen
Triumph feierte, durch welchen die Unterwerfung Vorder- Asiens
besiegelt wurde {nostra/i regio)u's reff praeclaraqice gesta cessarunt).
Da der Verf. mit diesem Zeitpunkte abschliesst, wird sein Werk
nicht viel später, also um die Mitte des ersten Jahrhunderts v. Chr.,
74 § 3. Quellen. B. Nicht-erhaltene Quellen. [56]
geschrieben sein. Bestätigt wird dies dadurch, dass es bereits von
Varro (44 v. Chi\) citirt wird. Es umfasste nach Eusebius sechs
Bücher. — Männer Namens Castor kommen zur Zeit des Cäsar und
Cicero mehrfach vor. Da es aber fraglich ist, ob der Chronograph
mit einem derselben identisch ist, so lässt sich über seine Lebens-
umstände nichts sicheres sagen.
Die Fragmente sind gesammelt von C. Müller im Anhang zu seiner
Ausgabe des Herodot [Herodot. ed. C. Malier, Paris, Dülof, 1844, Append. p.
153 — 181). — Eusebius erwähnt das Werk im Verzeichniss seiner Quellen
(Chron. ed. Schoe)ie I, 265) in folgender Weise : E Kastoris VI libris, in quilnts
a Nino ac deorsum olijmpiades CLXXXl collegit. — Der Endpunkt ergiebt
sich aus folgenden von Eusebius wörtlich citirten Stellen. Ens. Chron. ed.
Sekoene I, 295: seorsum consules disponemus, incipientes a Leukio Junio Bruto
et o Ijeukio Tarkino Collatino et in Markum Valerium Messaliam et Marcum
Pismiem desinentes, qui tempore Theophemi Athenicnsiiim arehontis consules
fuerunt. — Ibid. I, 183: [archontes Atßieniensium] desinunt sitb Theophemo,
cujus aetate omnino quidem nostrae regionis res pracclaraqiie gesta cessanint.
Vgl. überhaupt: C. Müller l.c.p. 153 — 155. — Westermann in Pauly's
Real-Enc. II, 207 f. — Bornemann, De Castoris chronicis Diodori Siculi fönte
ac norma, Lübeck 1878. — Stiller, De Castoris libris chronicis, 1878 [erst
1880 in den Buchhandel gekommen, Berlin, Mayer und Müller]. — Geiz er,
Julius Africanus II, ThI., 1. Abth. 1885, S. 03—79 und sonst (über die Person
des Castor: S. 70 ft"). — Susemihl, Gesch. der grieeh. Lit. in der Alexan-
drinerzeit II, 365—372 (identificirt unsern Castor mit dem gleichnamigen
Schwiegersohn des Galaterkönigs Deiotarus). — Schwartz, Die Königslisten
des Eratoathenes und Castor (Abhandlungen der Göttinger Gesellsci». der
Wissensch. Bd. 40, 1894/1895). — Wachsmuth, Einl. in das Studium der
alten Geschichte S. 1.S9— 142 (bestreitet die Identität mit dem Schwiegersohn
des Deiotarus).
C. Josephus*).
Jüsepims, dessen Werke die Hauptquelle für unsere Geschichte
bilden, giebt in seiner Vita und in der Geschichte des jüdischen
Krieges folgende Data über sein Leben. Va- war geboren im
ersten Jahre der Regierung Caligula's 37/38 n. ('lir."^) zu Jerusalem.
1) Der Name lautet grieeh. 'Fmaijnog (Nie-tc, Josephi opp. 1 p. V). So luu^h
auf (iincm in Theben In Obcracgypten gefundenen Ostrakon (Steuerquittung)
uuH dem zweit<!n Jalirh. vor Chr. (Wilcken, GriechiHihc Ostraka II, n. 721), auf
einem anderen 'IwaTjnio^ (Wilcken II n. 729). ^ItooTinaq auch auf der Inschrift
von BiTcnike, ('itrp. Inner. Grner. n. 5301 //;;. 8, s. den Wortlaut dieser Iii-
Nchrirt Bd. III, S. 42 f
2) Dum (TMle Jahr Ciiligjila's geht vom 10. März 'M bis daliin HS. Da .lo-
NepliUH am HcIiIuhh clor Arcliüologio sein .'')(). iicbcnsjalir mit dem 1:5. .lulirc
Domitinn'M gleh-hHctzt, welclies vom 1.3. Scptendwr iCl bis dahin i)4 geht, ho
kann er nicht vor dem l.'{. Bept. 37 gebori'H sein. .Seine Geburt fällt also
zwindien 13. 8cpt 37 und 10. März 3H. Vgl. Wieseler, Chronologie des
ApofiU>liNcben Zeitalter« B. 98.
[56. 57. 58] § 3. Quellen. C. Josephus. 75
Sein I Vater hiess Matthias und stammte aus angesehenem, priester-
lichen Geschlechte, dessen Stammbaum Josephus bis in die Zeit
des Johannes Hyrkan zurück verfolgen kann. Einer seiner Vor-
fahren Namens Matthias hatte eine Tochter des Hohenpriesters
Jonathan (= Alexander JannäusPj zur Frau ( Vita 1, vgl. Bell. Jud.
j)rooem.. 1, Antt. XVI, 7, 1). Der junge Josephus erhielt eine sorg-
fältige rabbinische Erziehung und will schon als vierzehnjähriger
Knabe sich durch Gesetzeskunde so sehr ausgezeichnet haben, dass
die Hohenpriester und die ersten Männer der Stadt zu ihm kamen,
um von ihm im Gesetz sich näher unterrichten zu lassen. Doch
begnügte er sich damit nicht, sondern machte, als er 16 Jahre ge-
worden war, der Reihe nach die Schulen der Pharisäer, Saddu-
cäer und Essäer durch. Aber auch damit war sein Wissensdurst
nicht befriedigt; sondern er begab sich jetzt in die Wüste zu einem
Einsiedler, Namens Banus, um von ihm die letzte Weihe zu em-
pfangen. Nachdem er drei Jahre bei diesem zugebracht hatte,
kehrte er nach Jerusalem zurück und schloss sich im Alter von
19 Jahren öflfentlich den Pharisäern an {Vita 2). Als er 26 Jahre
alt war {(iet eIxootov xal txrov kviavTov), im Jahre 64 n. Chr.^),
machte er eine Reise nach Rom, um die Freilassung einiger ihm
nahestehender Priester, welche um geringer Ursache willen als
Gefangene dorthin gebracht worden waren, zu erwirken. Da er
durch Vermittelung eines jüdischen Schauspielers Alityrus sich bei
der Kaiserin Poppäa in Gunst zu setzen wusste, so gelang es
ihm, seinen Zweck zu erreichen, worauf er reich beschenkt nach
Judäa zurückkehrte { Vita 3). Bald nach seiner Rückkehr kam der
Krieg gegen die Römer zum Ausbruch (66 n. Chr.). Josephus will
anfangs entschieden vom Kriege abgerathen haben {Vita 4), und es
ist dies immerhin möglich, da überhaupt die jüdische Aristokratie
nur gezwungen dem Aufstande beitrat. Thatsache ist aber, dass
er, nachdem einmal die ersten entscheidenden Schläge gefallen
waren, sich dem Aufstande anschloss, ja zu den Häuptern desselben
gehörte. Er wurde von den Leitern des Aufstandes mit dem wich-
tigen Posten eines Befehlshabers von Galiläa betraut {Bell. Jud.
II, 20, 4. Vita 7). Von nun an sind seine Thaten und Schicksale
enge mit denen des jüdischen Volkes verknüpft und werden darum
in der Geschichte des jüdischen Krieges zur Sprache kommen
(vgl. VUa 1—14, Bell. Jud. II, 2Ü, 4—21, 10. III, A, 1. 6, 3—8, 9.
9, 1. 5. 6). Seine Thätigkeit als | Befehlshaber von Galiläa endigte
damit, dass er nach dem Falle der Festung Jotapata im J. 67 in
die Gefangenschaft der Römer gerieth {Bell. Jud. III, 8, 7 — 8). Als
er vor Vespasian geführt wurde, weissagte er diesem seine künf-
3) S. Wiesel er, Chronol. des apostol. Zeitalters S. 98.
76 § 3. Quellen. C. Josephua. [58. 59]
tige Erhebung zum Kaiser {B. J. III, 8, 9. Sueton. Vesp. c. 5. Dio
Cass. LXVI, i.Appian. bei Zonaras XI, 16), was für ihn die günstige
Folge liatte, dass er von Anfang an mit Schonung und Auszeich-
nung behandelt wurde [B. J. III, 8, 9. Vita Ib). Als aber zwei
Jahre später im J. 69 Vespasian in der That von den Legionen
in Aegypten und Judäa zum Kaiser ausgerufen wurde, und so die
Weissagung des Josephus sich erfüllte, erinnerte sich Vespasian
des Gefangenen und schenkte ihm zum Danke dafür die Freiheit
(R J. IV, 10, 7). Von nun an führte Josephus, wie es die Sitte
forderte, den Familiennamen Vespasian's „Flavius" neben dem sei-
nigen. Vespasian eilte nach seiner Ausrufung zum Kaiser zunächst
nach Alexandria {B. J. IV, 11, 5), wohin Josephus ihn begleitete
{Vita 75). Von hier kehrte Josephus im Gefolge des Titus, wel-
chem Vespasian die Fortsetzung des Krieges übertragen hatte, nach
Palästina zurück und blieb in der Umgebung des Titus bis zun»
Ende des Krieges {Vita Ib. c. Apion. I, 9). Während der Belage-
rung Jerusalems musste er im Auftrage des Titus oftmals unter
C^efahr seines eigenen Lebens die Juden zur Uebergabe auffordern
{Bell. Jud. V, 3, 3. 6, 2. 7, 4. 9, 2—4. 13, 3. VI, 2, 1—3. 2, 5 init.
7, 2. Vita 75). Einmal wurde er dabei von einem Steine getroffen,
so dass er bewusstlos weggetragen wurde {B. J. V, 13, 3). Als
nach der Einnahme der Stadt Titus ihn aufforderte ,,zu nehmen
was er wolle", nahm er nur einige heilige Bücher (ßißXlcov Isqcöv),
und erbat die Freilassung vieler ihm befreundeter Gefjingenen,
darunter seines eigenen Bruders. Selbst drei schon Gekreuzigte
wurden auf seine Bitte wieder abgenommen, wovon einer genas
{Vita 75). Da seine Aecker bei Jerusalem für die römische Be-
satzung gebraucht wurden, gab ihm Titus dafür andere in der Ebene
{Vita 76). Nacli Beendigung des Krieges ging er mit Titus nach
Itom, wo er fortan im (Jenusse kaiserlicher Gunst seinen Studien
und schriftstellerischen Arbeiten lebte. Der ehemalige jüdische
Priester wurde ein griechischer Literat. Vespasian wies ihm
eine Woiniung in sein«;m eigenen frülieren Palaste an, verlicili ihm
das römisciie Bürgerrecht und setzte ihm einen jährlichen (be-
halt aus {Vita 76, vgl. Stieton. Veajh 18: primtm e fisco Latinis
firardgqnc rfirtoribiis nnnua rcntena ronatitnit). Auch schenkten er iliiii
ein ansehnlicheH Grundstück in .Judäa. Bei der Unti^rdrückung
de« Juden-Aufstjindes in Cyrene gab der gefangene Anführer
döHHelben, .loniithan, viele vornehme .luden, djirunter auch den .lo-
HephuM, als seine Mitschuldigen an: .losephns habe iiim Waffen und |
Geld geHchickt. Vespasian 8chenki<' aber diiwir unwahren lie-
hanfitiing keinen (ilaul)en und bewahrte? dem .losephus seine (innst
{Vita 7ü, UcU. Jud. VII, 11, 1—3). Der gleichen (^nnst erfreute
[59. 60] § 3. Quellen. C. Josephus. 77
sich Josephiis bei Titus (79—81 n.Chr.) und Domitian (81— 96).
Letzterer verlieh ihm Abgabenfreiheit für seinen Grundbesitz in
Judäa ( Vita 76). Von seinem Verhältniss zu den späteren Kaisern
ist nichts bekannt. Ebensowenig wissen wir etwas Näheres über
die Zeit seines Todes. Nur so viel ist sicher, dass er im ersten
Decennium des zweiten Jahrhunderts noch gelebt hat. Denn die
Selbstbiogi-aphie ist nach dem Tode Agrippa's II geschrieben
( Vita 65). Agrippa starb aber im dritten Jahre Trajan's, 100 n. Chr.
(Pfiotius, Bibliotheca cod. 33). — Nach einer Angabe des Eusebius
{[Est. Eccl. 111, 9) wurde Josephus in Rom durch Errichtung einer
Bildsäule geehrt.
Ueber seine Familien-Angehörigen theilt Josephus Folgendes mit.
Zur Zeit des Johannes Hyrkan lebte sein Vorfahre Simon „der Stotterer"
(o xpeXkdg). Er gehörte der ersten der vieruudzwanzig Priesterelassen, also der
Classe Jojarib, an. Simon's Sohn war Matthias 6 ^HipXiov [Niese 'H<paiov),
welcher eine Tochter des Hohenpriesters Jonathan (= Alexander Jannäus?)
heirathete. Aus dieser Ehe stammte Matthias „der Bucklige" (o xv^tdo),
geboren im ersten Jahre Hyrkan's (II ?). Matthias des Buckligen Sohn war
Joseph, geboren im neunten Jahre der Alexandra (??). Dessen Sohn war
Matthias, der Vater unseres Josephus, geboren im zehnten Jahre des Arche-
laus ( Vita 1)*). — Die Eltern unseres Josephus lebten noch zur Zeit des grossen
Krieges. Während er Befehlshaber in Galiläa war, erhielt er durch seinen
Vater Nachrichten aus Jerusalem ( Vita 41). Während der Belagerung Jeru-
salems befanden sich seine Eltern in der belagerten Stadt und wurden, da
man ihnen nicht traute, von den Aufständischen gefangen gehalten (der Vater:
Bell Jiid. V, 13, 1. die Mutter: Bett. Jtid. V, 13. 3, vgl. auch V, 9, 4 fin. ed.
Niese § 419). | Für seinen Bruder (es ist wohl sein leiblicher Bruder Matthias
gemeint, mit welchem er gemeinsam erzogen worden war Vita 2) erwirkte er
4) Die Genealogie, wie sie der überlieferte Text von Vita 1 bietet, enthält
mehrere Unmöglichkeiten. Wenn des Josephus Vater Matthias im zehnten
Jahre des Archelaus (6 n. Chr.) geboren ist, so kann dessen Vater Joseph nicht
im neunten Jahre der Alexandra (67 v. Chr.) geboren sein. Hier liegt ent-
weder eine Nachlässigkeit des Josephus oder eine Text-Corruption vor. Neh-
men wir an, dass Joseph, der Grossvater unseres Josephus, etwa um 30 v. Chr.
geboren ist (im neunten Jahre des Herodes?), so wird unter dem Hyrkan, in
dessen erstem Jahre „Matthias der Bucklige" geboren ist, Hyrkan II zu ver-
stehen sein, welcher im J. 76 v. Chr. Hoherpriester wurde. Des Buckligen
Mutter kann dann nicht eine Tochter des ersten Makkabäer's Jonathan (f 143/142
v. Chr.) gewesen sein, sondern nur eine Tochter des Alexander Jannäus (f 76
v. Chr.), welcher auch Jonathan hiess. Freilich hat Josephus nach ^wvd&ov
d^X^fQswg den erläuternden Zusatz tov nQwtov ix raiv liaafxiuvalov naiöwv
ysvovg d^/isQaTSvaavzoq, xoi) dSeX(poZ ^ifjoovoq xov «()z<f ()«'<«?. Alleines liegt
der Verdacht nalie, dass Josephus diese erläuternde Bemerkung irrthümlich
zu dem in der urkundlichen Liste seiner Vorfahren vorgefundenen Namen des
„Hohenpriesters Jonathan" hinzugefügt hat. Ist Alexander Jannäus gemeint,
dann stimmt auch die Angabe, dass „Simon der Stotterer" unter Johannes
Hyrkan gelebt hat.
78 § 3. Quellen. C. Josephus. [60]
uach der Einnahme Jerusalems die Befreiung aus römischer Kriegsgefangen-
schaft {Vita 75). Nach Bell. Jud. V, 9, 4 fin. befand sich auch seine Frau
während der Belagerung in der Stadt. Vermuthlich war dies seine erste Frau,
von welcher sonst nicht die Rede ist. Als Kriegsgefangener Vespasian's hatte
er auf dessen Befehl eine gefangene Jüdin aus Cäsarea geheirathet. Diese ver-
licss ihn aber, während er mit Vespasian sich in Alexandria befand. Er hei-
rathete dann in Alexandria eine Andere [Vita 75). Von letzterer erhielt er
drei Söhne, von welchen zur Zeit der Abfassung der Vita nur noch einer, der
im vierten Jahre Vespasian's geborene Hyrkanus, lebte [Vita 1 und 76).
Noch zur Zeit Vespasian's schied sich Josephus von dieser Frau und heirathete
eine vornehme Jüdin aus Kreta, welche ihm zwei Söhne gebar; Justus ge-
boren im siebenten Jahre Vespasian's und Simonides mit dem Beinamen
Agrippa, geboren im neunten Jahre Vespasian's. Beide lebten noch zur Zeit
der Abfassung der Vita [Vita 1 und 76).
Der schriftstellerischen Müsse des Joseplius in Rom verdanken
wir jene Werke, ohne welche unsere Geschichte überhaupt nicht
geschrieben werden könnte. Erhalten sind folgende vier:
1) „Ueber den jüdischen Krieg", IleQl rov 'lovöaixov jio-
kt(jov, wie Josephus selbst das Werk betitelt^). Es ist in sieben
Bücher eingetheilt, eine Eintheilung, die, wie z. B. aus Antt. XIII,
10, 6, XVIll, 1, 2 erhellt, von Josephus selbst herrührt. Der
eigentlichen Ki'iegsgeschichte geht eine sehr ausführliche P^inleitung
vorher, welche das ganze erste Buch und die Hälfte des zweiten
einnininit. Das erste Buch beginnt mit der Zeit des Antiochus
Kpiphanes (175 — 164 v. Chr.) und geht bis zum Tode des Herodes
(4 V. Chr.). Das zweite setzt die Geschichte fort bis zum Aus-
bruch des Krieges (6G n. Chr.) und umfasst noch das erste Kriegs-
jahr üü;ö7 n. Chr. Das dritte behandelt den Krieg in Galiläa
5) Antt. XX, 11 cd. Nioic % 258: xalq vn i(iov negl xov 'lovöa'ixov
noXi/xov ßlßXoiq ytypafjfxiyai<;. Vita 74: iv zaig tisqI rov ^lovöa'ixov
noXf-fxovßißXoiq. A('hiili(rhi4?///. XVIII, 1,2: iv tf/ fifiri-Qn ßiflXoi rov 'lovöa'ixov
no).i(AOv. Im rod. I'nrisin. 1425 lautet die UcbcrHchrift: *I>kaviov Iwajjnov
'iCßffttlov 'iaxo(ilu 'lovöa'ixov noh'fAOv 7iQoq 'Pwfiaiovg (diesen Titel iiält Niese,
.hm. opp. VI p. III für den ursprüiigliclieii). Acliiilich Stqdianns Byx. s. i\
'PaaariXlq' 'Ituarjnoq iv a' roü n()6g'Pw/xaiov<; noXi'/iov. Vgl. auch Thcophilus ad
Aulol. III c. 23 cd. Otto p. 248. Kusch. Uiül. ccel. I, 5, G. II, G, 4. — In den
mciHtcn HamlH(;liriften lautt^t die UeberHchrift tibqI aXwoBtoq (h. Niese's Aus-
pibo Bd. I prolcif. p. VI und Bd. VI p. 3). Dieser sicher nicht von Josephus
iKrrrfllirctide Titrl findet sich zuerst bei ürigenes, ScJccta in Thirnos, ad
Thrrn. 4, 14 {ojrp. cd. de ta liar III, 3'IK, IjommatKsrh XIII, 211): 'Iwat^nnog
yuQ ivxolq nn>l üXoiatwq laxo(H:L Dann bei Mierony inus, z. B. comincid.
in .leMaiam c, Ü4 a. fin. (opp. cd. Vallarai IV, 7GG): (jnac Josephus Judaicae
Hcriptar hiätoriac scptetn explieat rohiminiltus, quilnis iniposuit tHutmn Capti-
ritalia Judaieae iti e»l nn>l aXtuatutg. Vgl. cpist. 22 ad Kustoclnimi c. 35
{Vnlinriti I, 120), adv. .hmninn. II, 14 (VaUarsi II, 343), de riris illustr. c. 13
( Vullarni II, Hol). Foniüf Chronicon pnschalc [cd. IHiidorf I, ■lü3); 'ivjo^nnog
lutofftt iv ttf nifinxtp Xoytp TfjQ äXtöaeats.
[GO. Gl] § 3. Quellen. C. Josephus. 79
67 11. Chr.; das vierte den weiteren Verlauf des Krieges bis zur
völligen Isolirung Jerusalems; das fünfte und sechste die Be-
lagerung und Eroberung Jerusalems; das siebente das Nachspiel
des Krieges bis zur Vernichtung der letzten Reste der Aufstän-
dischen. — Aus der Vorrede des Werkes (c. 1) erfahren wir, dass
es ursprünglich in der Muttersprache des Josephus, also | aramäisch,
geschrieben und erst später von ihm griechisch umgearbeitet wor-
den ist. Bei der Umarbeitung bediente er sich des griechischen
Stiles wegen einiger Mitarbeiter {contra Apion. I, 9). Als Quelle
für die eigentliche Kriegsgeschichte diente ihm vorzugsweise die
eigene Erfahrung, da er ja bei den erzählten Ereignissen entweder
handelnd betheiligt oder doch als Augenzeuge zugegen war. Schon
während der Belagerung Jerusalems hatte er sich schriftliche Auf-
zeichnungen gemacht, für welche er auch die Angaben der Ueber-
läufer über die Zustände im Innern der Stadt verwerthete (c Apion.
I, 9). Als das Werk vollendet war, übergab er es dem Vespasian
und Titus und hatte die Genugthuung, von diesen, wie auch von
König Agrippa II und von vielen Römern, welche am Kriege
theilgenommen hatten, das Zeugniss zu erhalten, dass er die That-
sachen richtig und wahrheitsgetreu dargestellt habe (c. xipion. 1, 9.
Vita 65). Titus befahl eigenhändig die Veröffentlichung der Bücher
( Vita 65 : ;fa()ag«c r(] savrov X^^Q'- ^^ ßißXia dijfinoimöai xqoö-
tra^Bv). Agrippa schrieb zweiundsechzig Briefe, in welchen er
die Richtigkeit der Darstellung bezeugte. Noch während der Ab-
fassung hatte ihm Josephus die einzelnen Bücher übergeben und
von ihm günstige Urtheile erhalten ( Fj7<z 65). — Da das vollendete
Werk dem Vespasian übergeben wurde (c. Ap. I, 9), muss es
noch während dessen Regierung (69--79 n. Chr.) geschrieben sein;
aber jedenfalls erst gegen Ende derselben, da dem Werke des
Josephus bereits andere Schriften über den jüdischen Krieg vor-
hergegangen waren (ß. /. Vorw.c. \.Antt.\oYVf.c. 1). Bestätigt wird
dies auch dadurch, dass B. J. VII, 5, 7 der Bau des Tempels der Pax
{EiQi'ivt]) als vollendet erwähnt wird; dieser wurde nach Dia Cass.
LXVI, 15 erst i. J. 75 n. Chr. eingeweiht t^).
2) Die „Jüdische Archäologie", %vöaixTj ^AQXccioXoyia (An-
tiquitates Judaicae), behandelt in 20 Büchern die (Teschichte des
jüdischen Volkes von Anbeginn bis zum Ausbruch des Krieges gegen
die Römer im J. 66 n. Chr. Die Eintheilung in 20 Bücher rührt
von Josephus selbst her {Antt Schluss). Josephus will damit ein
Seitenstück liefern zu der ebenfalls aus 20 Büchern bestehenden
^Poüfiaixtj ccQxaioXoyia des Dionysius von Halikarnassus "). Die ersten
6) Giitschmid, Kleine Schriften IV, 344. Niese, Jos. opp. VI p. IV.
7) Gutschmid, Kleine Schriften IV, 347. Auch Joh. Weiss hat, unab-
80 § 3. Quellen. C. Josephus. [61. 621
zehn Bücher laufen der biblisch eü Geschichte parallel nnd reichen
bis zum Ende der babylonischen Gefangenschaft. Das elfte geht
von Cyrus bis Alexander d. Gr.; das zwölfte von Alexander d. Gr.
(t 323 V. Chr.) bis zum Tode des Judas Makkabäus (161 v. Chr.);
das dreizehnte bis zum Tode der Alexandra (67 v. Chr.); das
vierzehnte bis zum Regierungsantritt Herodes' des Grossen (37
V. Chr.); das fünfzehnte, sechzehnte und siebenzehnte be-
handeln die Regierung des Herodes (37 — 4 v. Chr.); die drei letz-
ten gehen von da bis zum Jahr 66 n. Chr. — Das Werk ist nach
manchen Unterbrechungen (Vorw. c. 2) im 13. Jahre Domitian's und
im 56. Lebensjahre des Josephus, also 93 oder 94 n. Chr. vollendet
(ÄnU. XX, 11 Schluss). Zur Vollendung hatte ihn namentlich ein
gewisser Epaphroditus, ein Mann, dessen lebhaftes Interesse für
die Wissenschaften Joseplius ] rühmend hervorhebt, ermuntert^). —
Dass das ganze Werk in erster Linie nicht für jüdische, sondern
für griechisch-römische Leser bestimmt ist und besonders
auch den Zweck verfolgt, der gebildeten Welt einige Achtung vor
dem vielverleumdeten Volke der Juden abzunöthigen, geht aus
der Haltung desselben hinlänglich hervor und wird zum Ueberfluss
von Josephus selbst ausdrücklich gesagt (Antt. XVI, 6, 8).
Als Quellen dienten dem Josephus für die ältere Zeit (bis
aufNehemia um 440 v. Chr.) so gut wie ausschliesslich die kano-
nischen Bücher des Alten Testamentes. Als geborener Pa-
hängig von GutHchinid, auf diese Parallele mich aufmerksam gemacht. Sic
ist fiir die Bcurtlioilung von Josephus' Geschichtswerk nicht unwichtig.
S) Diesem Epaphroditus uhergal) Josephus iuu-h seine Vita {]'ita 76) und
«lie HfKther gegen Apion [contra Apion. 1,1. 11, -11). — Männer Nnmens Epa-
phroditus sind aus damaliger Zeit zwei bekannt. Der eine war ein Freige-
lassener und Secretär (a lihdlix) Nero's und wurde von Doniitian hingerichtet
{TncU. Annal. XV, 55. Siidon. Nero 49, Dojnit. 14. Dw Cas.s. lAIU, 29. liXVlI,
14. Suidas Ijex. s. v. 'Enlxxrjroq). Der andere war ein Grammatiker, der von
der Zeit Nero's bis Nerva's in Ilom lebte und eine grosse Bibliothek /usanuncn-
brachte (Suvlas Lecc. a. v. ^Ena^gothrof . . . . ^v Pw/jttj (Sn'nQfxpei' ^nl NiQtavoq
xal fi^XQ* Nfpfta .... (ovov/asvoq 6h ufl ßißUa ^xirioato /iv^intSac: t()h<; xal
Tovrwp anovöattuv xal avaxf-xtoQtjxorwv. Vgl. auch Faliririns, liihliolh. r/rarc
rä. Ilar/cs \, 512. 582. 111, H15. Bühr in i'auly's Real-Enc. III. IGO). Viele
halt4'ii clrui Erstgenannten für identisch mit dem (Jönner des Josephus (so z. B.
ValtririuM-Uarlcit V, 5 u. Ö5. Gutschmid, Kleine Schriften IV, HKü. Niese,
JoH. <^t. V ;>. III. Ders., Historische Zeitschr. Bd. 7(), 1H9(), S. 199. Erbes,
Zi'itMchr. nir wJMM. Theol. 1H90, S. 429 f.). Das ist aber urunögl ich, da letzterer
noch über <lic Z(Mt Domitian's hinaus gelebt haben muss. Viel eher kann
man an di*ri (irammatilcer denken; aber aneli dicM nur unter d(<r Voraussetzung,
duMH er bis in den Anfang der lt<'gierung Trajairs ^relelit hat. Der Nnine Epii-
phroditUM ist nicht »elteu. S. die römischen (irabscliril'ten Otrit. luxer, l^at. I.
VI w. 17181—17194. Kaibel, Imcript. Oraerae Siciliac et Itatiae, Im/r.r
p. 716 «. 9.
[Ö2. 63] § 3. Quellen. C. Josephiis. 81
lästinenser zeigt er bei deren Benützung vielfach Kenntnis« des he-
bräischen Grundtextes; doch ist vorwiegend die griechische Ueber-
setzung der LXX benützt, so sehr, dass Josephus bei den Büchern
Esra und Esther auch diejenigen Stücke benützt, welche nur in den
LXX stehen (s. unten Bd. III, S. 328, 331, Bloch, Die Quellen des
Josephus S. 69—79). — Die Bearbeitung der biblischen Geschichte
ist nach folgenden Gesichtspunkten vollzogen: 1) Im apologetischen
Interesse werden nicht selten Modificationen vorgenommen, An-
stössiges ausgelassen oder umgestaltet und die Geschichte in mög-
lichst hellem Glorienscheine dargestellt. 2) Für letzteren Zweck
hatte dem Josephus bereits die ältere Legende, die sogenannte
Haggada, vorgearbeitet. Der Kinfluss derselben zeigt sich na-
mentlich in der Geschichte der Patriarchen und des Moses. 3) Wie
es scheint, hat Josephus diese haggadische Ausschmückung nicht
lediglich aus der mündlichen Tradition geschöpft, sondern zum
Theil schon aus den älteren hellenistischen Bearbeitungen der bib-
lischen Geschichte von Demetrius, I Artapanus und Anderen ^). 4) Bei
der Darstellung der Gesetze folgt er der palästinensischen Halacha
(Beispiele s. Bd. II, S. 247 ö".). 5) Auch der Einfluss Philo's ist
mehrfach bemerkbar ">). 6) Zur Ergänzung und Bestätigung der
biblischen Geschichte, werden zuweilen auch Berufungen auf ausser-
biblische Autoren eingeschaltet, namentlich in der Geschichte der
Urzeit und in der späteren Geschichte da, wo sich dieselbe mit
derjenigen der Nachbarvölker berührt").
9) Ueber den Einfluss des Demetrius s. Freudenthal, Alexander Polyhistor
S. 46, 49 not,, 61 not., 63, über den des Artapanus: Freudenthal, S. 16() not.,
169—171. Uebor Beide: Bloch, Die Quellen des Fl. Josephus S. 53—62. Josephus
kennt sie wohl nicht direct, sondern durch Vermittelung des Alexander Poly-
histor, s. Bd. III, S. 346ft: — Gutschmid, Kleine Schriften II, 182 (= Anz.
von Freudentliiil's Alexander Polyhistor im Lit. Centralbl. 1875) stellt in Ab-
rede, dass Josephus bei Abfassung der Archäologie den Alexander Polyhistor
gekannt habe ; erst in contra Äpionem verrathe er eine flüchtige Bekanntschaft.
10) S. Siegfried, Philo von Alexandria S. 278--281. Freudenthal,
Alexander Polyhistor S. 218. Wendland, Jahrbb. für class. PhiloL, 22. Supp-
lementbd. 1896, S. 712 f. (in der Abh. über die Therapeuten). Anders: Bloch,
Die Quellen des Fl. Josephus S. 117—140.
11) In den ersten zehn Büchern werden folgende nichtbiblische Autoren
citirt: I, 3, 6: Berosus, Hieronyinus. Mnaseas, Nicolaus Damascenus. — I, 3, 9:
Msinetho, Berosus, Mochus, Hestiäus, Hieronymus, Hesiod, Hecatäus, Hellanicus,
Acusilaus, Ephorus, Nicolaus. — 1,4,3: Sibylla, Hestiäus. —1,7,2: Berosus,
Hecatäus, Nicolaus. — I, 15: Malchus, nach Alexander Polyhistor. — VII, 3, 2:
Homer. — VII, 5, 2: Nicolaus. — VIII, 5, 3: Menandros, Dios. - VIII, 6, 2-
Herodot. —VIII, 10, 2-3: Herodot. —VIII, 13, 2: Menandros. — IX, 14,2:
Menandros. — X, 1, 4: Herodot, Berosus. — X, 2, 2: Bero.sus. — X, 11, 1:
Berosus, Megasthenes, Diocles, PJiilostratus. — Ueber die Frage, ob Manetho
Schüler, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 6
82 § 3. Quellen. C. Joaephus. [63. 64]
lieber die uachbiblischeZeit ist Josephus äusserst ungleich-
massig orientirt. Die gi'osse Lücke zwischen Neheraia und Antio-
chus Epiphanes (440—175 v. Chr.) wird fast nur durch ein paar
legendarische Stoife ausgefüllt, namentlich durch Alexander-Sagen
und einen langen Auszug aus Pseudo-Aristeas (XII, 2). Für
die Zeit von 175— 135 v. Chr. ist das erste Makkabäerbuch die
Hauptquelle, welche freilich gegen Schluss so summarisch benützt
ist, dass man zweifeln kann, ob dem Josephus das Buch vollstän-
dig vorgelegen hat (s. Bd. 111, S. 142) '2). Ergänzt ist es durch
Polybius (XII, 9, 1)'^) und von der Zeit an, wo Polybius auf-
hört (143 V. Chr.), durch dieselben Quellen, aus welchen dann über-
haupt die Geschichte der Hasmonäer seit 135 v. Chr. geschöpft
ist. Für diese hat nämlich Josephus augenscheinlich keine schrift-
liche jüdische Quelle mehr gehabt. Er gewinnt daher seinen Stoff
dadurch, dass er aus den universalhistorischen Werken der Griechen
die auf | die Geschichte Palästina s bezüglichen Notizen excerpirt.
Seine Hauptgewährsmänner waren für die Zeit von 135—37 v. Chr.
die von ihm oft, und fast ausschliesslich citirten Historiker
Strabo (XIII, 10, 4. 11, 3. 12, 6. XIV, 3, 1. 4, 3. 6, 4. 7, 2. 8, 3.
XV, 1, 2) und Nicolaus Damascenus (XIII, 8, 4. 12, 6. XIV, 1,
3. 4, 3. 6, 4). Es ist zwar in neuerer Zeit mehrfach die An-
sicht ausgesprochen worden, dass gerade diese von Josephus am
häufigsten citirten Autoren nicht seine Hauptquelle gebildet hätten,
da die Citate nur zur Ergänzung in den Text der von ihm be-
nützten ungenannten Hauptquelle eingeschaltet seien"). Allein
man lässt sich dabei von einem trügerischen Scheine leiten. Jo-
sephus entnimmt jenen Autoren sein ganzes Material, beruft sich
aber an einzelnen Stellen, die ihm von Wichtigkeit sind, darauf,
dass sie auch so sagen wie er. Dieses Verfahren lässt sich auch
in der Archäologie benützt ist, s. Wie de mann, Theol. Litztg. 1901, 186 f.
(in der Anzeige von: Sethe, Sesostris 1900).
12) üeber die Frage, oh Josi-phus uiiHercn griechischen Text des ersten
MnkkabficrbuciicH benützt liat, h. die in IUI. 11 1, S. 142 genannte Literatur;
über die Art der Hcnütziing: Grinnn, Exeget. Ilandl). zum ersten IMakkuhäerb.
ö. XXVlll H(|. Drüner, UuterHUcliungeu über Jo8e|)lius (Marburg, Dias. 1896)
8. 86-ßO.
13) 8. NuHHbaum , Ohacrvntwue.'* in Flavü JaHrphi. Anli(iiiUatvs Lih, XTT, 3 —
Xlir, 14 (I87Ö) 8. 8—28. Hloeli, Die Cinellen des Fi. JoHeplitiH S. U(i-100.
DcNtinon, Die Quellen dos Fl. JoHepiius S. 4MI.
14) So NioH«, HcrmeH XI, 1876. 8. 470 f. HIoeli, Die Quellen doH Fl.
JoMphttN 8. Ö2fr. Dentinon, Die Quellen des Fl. JosephuH R. 53 fl". Otto,
Strahonis laxofnxüiv imo/itv^fnurwp frnymcriln (Leipziger Studien zur (ilass.
Phllol. 11. ild. Kupplemcntlieft 1H8Ü) 8.225—244. WacliHuiuth, Einleitung
in dM 8tudium der alten üeHcbichto (1805) 8. 442—444.
[(j4J § 3. Quellen. C. Josephus. 83
bei anderen Schriftstellern nachweisen. Zonaras z. B. excerpirt
in den ersten sechs Büchern seiner Annalen durchweg den Jose-
phus, ohne ihn zu nennen. An ein paar Stellen aber, die ihm be-
sonders wichtig sind, citirt er den Josephus ausdrücklich (VI, 4:
Zeugniss von Christo, VI, 6: Zeugniss über Johannes den Täufer).
Der sogenannte Hegesippus, der nichts anderes ist als eine latei-
nische Bearbeitung des Bellum Judaicum^ citirt einmal eben dieses
Werk, als ob er nur ausnahmsweise eine Notiz daraus gebe (I, 1,
8 : ut Josephus avbctor est). Ebenso macht es also Josephus selbst
mit Strabo und Nicolaus. Wo die Citate wirklich eine Einschal-
tung in den gegebenen Text sind, da folgt Josephus eben dem
Einen und ergänzt ihn durch den Andern. Aus diesem Verfahren
erklären sich auch einzelne Inconseiiuenzen zwischen dem Text und
dem eingeschalteten Cit^t. Dass die Citate mit dem im Text Ge-
sagten „vielfach in schreiendem Widerspruch stehen", wie Wachs-
muth sich ausdrückt'^), ist eine arge Uebertreibung einer nur in
sehr beschränktem Maasse richtigen Beobachtung. Sie trift't eigent-
lich nur für die Geschichte Aristobul's I zu, wo Josephus im Text
wahrscheinlich überhaupt keiner schriftlichen Quelle, sondern jü-
dischen Legenden folgt, mit welchen das dann citirte Urtheil Strabo's
über jenen Fürsten (XIII, 11, 3) allerdings in schroffem Wider-
spruch steht. Ein zureichender Grund, eine ungenannte Haupt-
(luelle zu statuiren, liegt also nirgends vor. Die vorsichtig ab-
wägende Methode Strabo's, die aus dessen Geogi-aphie bekannt ist,
lässt sich an einzelnen Stellen, wo er nicht genannt ist, noch deut-
lich erkennen (so bei den verschiedenen Zahlenangaben XIII, 12,
5)'^). Selbstverständlich gehen Strabo und Nicolaus wieder auf
15) Einleitung in das Studium der alten Geschichte S. 444.
16) Vgl. gegen die „Anonymus-Hypothese" auch meine Anzeigen über Bloch
und Destinon in der Theol. Literaturzeitung 1879, 567 ff. 1882, 388 ff., und
die treffenden Ausführungen von Drüner, Untersuchungen über Josephus,
(Marburg, Diss. 1896) S. 70 — 81. Die Hypothese beruht hauptsächlich auf der
für manche Gelehrte als Axiom geltenden Voraussetzung, dass die alten Hi-
storiker immer nur je eine Quelle ausgeschrieben haben. Gegen diese Ein-
Quellen-Theorie s. Gutschmid, Kleine Schriften I, S. 8. Peter, Die ge-
scijiichtliche Literatur über die römische Kaiserzeit II, 1897, S. 264 f. — Niese
selbst hat später seine Ansicht zurückgenommen und als Hauptquelle der
Archäologie die eigene frühere Darstellung des Josephus im Bellnm Judaicum
angenommen (Historische Zeitschr. Bd. 70, 1896, S. 218 ff.; vgl. auch Drüner,
Untersuchungen S. 51 — 56). Diese Auffassung ist aber nur für einzelne Par-
tien durchführbar. In anderen Abschnitten ist es augenfällig, dass Josephus
bei der viel ausführlicheren Darstellung der Archäologie selbständig wieder
auf seine Quellen zurückgeht. Genauer ist wohl zu sagen: eine der in der
Archäologie ausgiebiger benützten Quellen (vermuthlich Nicolaus Damascenus)
liegt auch schon der kürzeren Darstellung des Bellum Judaicum zu Grunde. —
6*
{^ § 3. Quellen. C. Josephus. [64. 65]
ältere Quellen ziu-ück. Für die erste Hälfte des genannten Zeit-
raumes (etwa 135—85 v. Chr.) bildet höchst wahrscheinlich Posi-
donius die Grundlage (s. oben S. 41 f.). Citirt werden noch Ti-
magenes (XIII, 11, 3. 12, 5), Asinius Pollio und Hypsikrates
(XIV, 8, 3), sämmtlich in Stellen, die aus Strabo entnommen sind.
Den nur einmal (XIV, 4, 3) genannten Livius hat Josephus sonst
schwerlich benützt. Das in dieser Weise aus Strabo und Nicolaus
gewonnene Material ergänzt aber Josephus für die innere jüdische
Geschichte durch Erzählungen, die sich durch ihren Inhalt als
Legenden charakterisiren und sich deutlich als solche von dem
sonstigen Rahmen der Erzählung abheben (z. B. XIII, 10, 3.
10, 5 — 6. XIV, 2, 1). Diese sind offenbar aus der mündlichen
Tradition entnommen. — Für die Geschichte des Her ödes
ist anerkanntermassen Nicolaus Damascenus die Hauptquelle
(vgl. XII, 3, 2. XIV, 1, 3. XVI, 7, 1 und oben S. 52f.). Aus-
schliesslich aus ihm scheint die kurze Darstellung im Bellum
Judaicum geschöpft zu sein. Auch in der Archäologie macht
die ausführliche Darstellung in Buch XVI— XVII einen durch- 1
aus einheitlichen Eindruck. Dagegen sind in Buch XV Fugen und
Nähte bemerkbar, welche auf die Benützung zweier Quellen hin-
weisen; und zwar ist ausser Nicolaus Damascenus augenscheinlicli
noch eine dem Herodes ungünstige Quelle benützt. Ob Josephus
die XV, 6, 3 erwähnten „Denkwürdigkeiten des Königs Herodes'*
{vjtofivf'iftara rov ßaoiXtmq ^HQmöov) selbst eingesehen hat, ist minde-
stens sehr fraglich (vgl. oben S. 48). — So ausführlich die Geschiclite
des Herodes behandelt ist, so mangelhaft ist die Geschichte seiner
unmittelbaren Nachfolger. Es scheint fast, als ob deui Josephus
hier alle schriftlichen Quellen gefehlt haben. Erst von der liegierung
Agrippa's 1 an ^41 — 44 n. Chr.) geht die Erzählung wieder etwas
mehr in's Detail. Jedenfalls flössen ihm hier bereits mündliche
Quellen; wie er denn über die Regierung Agrippa's 1 durch dessen
Sohn Agi'ippa II unterrichtet sein konnte. Für die Geschichte der
letzttjn Decennien vor dem Kriege kam ihm auch schon seine eigene
Erinnening zu Hülfe. Höchst auffällig ist die ganz unvcThältniss-
mä88ige AuHführlichkeit, mit welcher die Ereignisse in Rom bein»
Zu CrwAbnen ImI noch liüdilcr, Li.s niiiircr.s <lf hlmiKs .IdsijiIic (l(t)is sm Aiiti-
qmU$ XII, ß— XIII, 7 {Ih'vur >lrs rlmlrs jiiirrs I. XXXII, Is'.Kl, p. 17!)— 1{)<),
XXXIV, 1H»7, />. 60— 1)3). DoTH., Thr smirrrs ,,/ .lns(p/iN.'< für Ihr ///'s/ori/ of
St/ria m Anti(/Hilien XU, 3— XIII, 14 {.Inrish (,hi,trhrl,i h'rmir IX, l.SS)7,
p. 311 — ^141*). Hüchlcr iiiiiiiiit für dir jüdiHclic (it'hcliiclitit uiiHHur (l(>iii 1. Mukka-
blerbuch«! no«-h dm- N(;h<!ii«|ii(!l!t- im (lirvur </rs >■/. jnirr» XXXIV, 1)3), liir
dio NyriMche GüHchichtc uIh HiiupUiuollu Ni«<iluiiH XhuwmwmxH [{Qtinrterly Re-
view IX 346).
[65. 06] § 3. Quellen. C. JoHephus. 85
Tode Caligiila's und beim Regierungsantritt des Claudius im Jahre 41,
die gar nicht zur jüdischen Geschiclite gehören, erzählt werden
(XIX, 1—4). Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass dieses Stück
aus einer Specialquelle von der Hand eines Zeitgenossen entnommen
ist. Bestimmtere Vermuthungen darüber schweben aber, bei dem
Mangel sicherer Anhaltspunkte, in der Luft"). — Ein besonderes
Augenmerk hat Josephus auf die Geschichte der Hohenpriester
gerichtet. Aus seinen Angaben lässt sich die ununterbrochene
Reihenfolge der Hohenpriester von der Zeit Alexander's des Grossen
bis zur Zerstörung des Tempels durch Titus herstellen. Man darf
vermuthen, dass ilim hiefür, mindestens von der Zeit Herodes des
Grossen an, priesterliche Urkunden zu Gebote gestanden haben.
Denn auf die Erhaltung der priesterlichen Geschlechtsregister ist
ja grosser Werth gelegt und grosse Sorgfalt verwendet worden
{contra Apion. I, 7) ^% — Von grossem Werthe sind endlich die
Acten stücke, welche Josephus mehrmals seiner Erzählung ein-
verleibt hat (XIII, 9, 2. XIV, 8, 5. XIV, 10. XIV, 12. XVI, 6. XIX, 5.
XX, 1, 2). Am zahlreichsten sind diejenigen aus der Zeit des Cäsar \
und des Augustus, durch welche den Juden die freie Ausübung
ihrer Religion gewährleistet wurde '^).
17) Mommsen (Hermes IV, 1870, S. 322, 324) uud nach ihm Schemann,
(Die Quellen dee Fl. Josephus in der jüdischen Archäologie Buch XVIII — XX,
1887, 8.52) und Gutschmid, Kleine Schriften IV, 351 vermuthen als Quelle
das Geschichtswerk des Cluvius Rufus, der allerdings nach Antt. XIX, 1,
13 ein Augenzeuge war. Die erhaltenen Citate aus diesem Werke beziehen
sich indessen nur auf die Zeit des Nero und die Vorgänge des Jahres 69.
S. Ten fiel, Gesch. der röm. Literatur § 314, 2.
18) Vgl. Bloch, Die Quellen des Josephus S. 147 ff. Destinon, Die
(Quellen des Josephus S. 29 ff.
19) Woher Josephus diese Actenstücke entnommen hat, ist dunkel. Er
giebt sich den Anschein, als ob er sie sämmtlich in dem grossen Archiv auf
dem Capitol gesehen hätte [Antt.XW, 10, 26: inel ya^ ivaQyij xal ßXsnöfiSva
texf/TjQia naQfxöf^i^a t//? nQog'^Ptofiaiovg i](üv <piXiag yevofievrjg, hciöeixvvvrsq
avzcc xf^lxalq oxi\Xaiq xal dsXroig iv toJ Kanftcu/.iu> ftixQt vvv öia/xivovxtt xal
öittfjisvovvxa X. X. A., vgl. auch XIV, 10, 1). Allerdings ist dieses Archiv, nach-
ilem CS in den Kämpfen des Jalires 69 n. Chr. durch Brand zerstört worden
war [Tadt. Hist. III, 71—72. Sueton. Vitell. 15. Dio Cass. LXV, 17. Joseph.
Bell. Jud. IV, 11, 4), von Vespasian wieder hergestellt worden {Sueton. Vesp.
c. 8: Ipse restitutionem Capitolii adgressus, ruderibus purgandis manus primus
admuvit ae siio collo qtiaedam extulit; aerearumque tabularum tria milia, quae
simul con/lagraverant, restituenda stiscepit, undique investigatis exemplarilms :
instrumentum imperii pulcherrimwn ac vetustissimum, quo continebantur paene
ah exordio urbis s&natus eonsulta, plebiscita de societnte et foedere ac privilegio
cuicumque concessis). Allein in jenem Archiv kann sich nur ein kleiner Theil
der von Josephus mitgetheilten Urkunden befunden haben, nämlich nur die
römischen, wahrscheinlich nur die Seuatsconsulte; sicher nicht die Be-
86 § 3. Quellen. C. Jpsephus. [66]
3) Die „Selbstbiographie". Sie ist weit entfernt, eine wirk-
liche Lebensbeschreibung des Josephus zu geben, sondern handelt
Schlüsse {tpfj^iafiata) kleinasiatischer Städte, deren Josephus aucli eine grössere
Anzahl mittheilt (vgl. überhaupt: Mommsen, Sui modi usati da^ Romani nel
conservare e pulMicare le leggi ed i se7iatusco7isuUi, in den Annali dcW Instituto
di corrisp. archeol. t. XXX, 1858, p. 181 — 212. Derselbe, Corp. Inscr. Lat.
t. I, p. 112, Anm. zu Nr. 203. Derselbe, Römisches Staatsrecht III, 2, 1888,
S. 1004 — 1021. Pauly's Real-Enc. Art. lex, senatus consuUum, tabulurium.
Dziatzko, Art. „Archive" in Pauly-Wissowa's Real-Enc. II, 553 ff.). Die
Urkunden sind ohne Zweifel von verschiedenen Orten her zusammengebracht :
aus Rom, Kleinasien, vielleicht auch Palästina. Durch den regen Verkehr,
der zwischen den jüdischen Gemeinden bestand, konnte Josephus sicli leicht
von den auswärtigen Gemeinden die auf sie bezüglichen Actenstücke ver-
schaffen. Die jüdischen Gemeinden hatten ilire Archive, in welchen solche
Actenstücke aufbewahrt wurden (Alterthümer von Hierapolis, heran sg. von
Humann, Cichorius, Judeich, Winter = Jahrbuch des deutschen archäo-
logischen Instituts, 4. Ergänzungsheft, 189S, Inschr. n. 212: jüdische Grab-
schrift, welche dem unbefugten Benutzer des Grabes eine Geldstrafe androht;
am Schlüsse die Bemerkung: avtlyQaipov dnets&rj iv tw ccqx^V xuiv^Iovöalwv).
— Da in der Rede, welche Nicolaus Damascenus vorM. Agrippa bei dessen
Aufenthalt in Kleinasien zu Gunsten der dortigen Juden aus Anlass ihres
Conflictes mit den städtischen Communen hielt {Jos. Äntt. XVI, 2, 4), auch
auf die älteren römischen Actenstücke zu Gunsten der Juden Bezug ge-
nommen wird, so vermuthet Niese (Hermes XI, 1876, S. 477—483), das« die
von Josephus mitgetheilten Urkunden bereits damals von Nicolaus Damas-
cenus gesammelt und aus dessen Werk von Josephus entnommen worden
seien. So auch Viereck, Sermo r/raccus quo senatus populusqiie Rovianiis cic.
usi sunt, üott. 1888, p. 91 sj. Wachsmuth, Einleitung in das Studium der
alten Geschichte S. 107 Anm. 4, 245 Anm. 2, 444. Diese Vermutbung ist aber
nicht haltbar, denn: 1) ein erheblicher Theil der Urkunden bezieht sich auf
die Befreiung vom römischen Kriegsdienst (XIV, 10, 11—19), welche bei dem
Streit der städtischen Communen KU'iuasiens mit den Juden überliaui)t nicht
in Betracht kam; 2) ein anderer Thcil bezieht sich auf Judaoa (XIV, 10,
2 — 10), desHcn Verhältnisse bei jenem Coiiflict ebcnfiilis iiiclit in Frage kamen;
3) eine Urktinde (XVI, 6, h) l)ezieht sich auf die .luden von Cyrene, ist also
nir die kleinaHiatischcn Verhältnisse ebenfalls gleichgültig; 4) zwei Urkunden
(XVI, 0, 2 und 7) haben zur Zeit jenes Conflictes überhaupt noch nicht
exiHtirt, da sie jüngeren Datums sind. Niese selbst drückt sich in seiner
«pStiTen Arbeit (Histor. Zeitschr. Bd. 7Ü, 8.222) etwas zurückhaltender aus. —
Willrich (Judnira 1900, S. 40-48) glaubt Niese's Ansicht zu verbessern,
indem er auf Grund von l'liilo. Leg. ad (Jajaw S 28, Mang. II, 572, uniiimiiit,
«Ihm« die Hnmudnng von König Agrippa I zusnnimengebniclit worden s(>i, als
dioMi^r bei (/aligula zu (iunsten der alexandriiiiseheii .luden intxMveniite.
liOliler entliält aber die Hamnilung <les Josephus gerudi^ für Alexundrin gar
k«ln«' Urkunden, <lagegen recht viele für Kleiuasien, die den Alexandrinern
nielitM helfen konnt^'n. |HinMiehtHeh den Inlinltes der von Agrippa dem Cali-
giitn flbiTHandt4-n Hclirifl wäre übrigens auch noch in Flacnmi S 12, Mavg.
II, r>31 M'/. zu ber(lekHie|itigen|. — Ueber die Echtheit der Urkunden, welche
Im AtlgeniHnen heut/titage Niemand mehr b(«zweifelt, n.'/..\\.Kggvr, Khidcs hislo-
[66. 67] § H. Quellen. C. JosephuB. 87
fast au.sscliliesslich über seine Tliätigkeit als Befehlshaber von Galiläa
im .1. 66/67 n. Chr., und zwar nur über seine vorbereitenden Maass-
regeln daselbst vor dem feindlichen Zusammenstoss mit den Römern |
(c. 7—74). Zu dieser Hauptmasse des Inhalts verlialten sich die
kurzen biogi-aphischen Notizen am Anfang und Ende der Schrift
(c. 1—6. 75—76) nur wie Einleitung und Schluss. Nach den Be-
merkungen am Schlüsse der Archäologie hatte Josephus damals im
Sinne gehabt, noch eine Darstellung des Krieges und „unserer Er-
lebnisse" (also der jüdischen Geschichte) „bis auf den gegenwärtigen
Tag" folgen zu lassen {A7itt. XX, fin. xav ro d-tlov entxQtJti,], xaxa
jiSQiÖQüfirji^ vjrofiiff]0(o Jiahv rov xt JtoXtfiov xät xcöp ov/ißeßrpco-
xcov rifilv (itxQi xrjg vvv kveoxcaörjg rjfiiQaq). In der That giebt
sich die Vita als einen Nachtrag zur Archäologie. Sie beginnt mit
einem anknüpfenden öt [efiol de yivog iatlv ovx aar/fiov) und schliesst
mit den Worten : ool ö' djioötömxcog, xQaxioxt uvöqwv ^EjtacpQoöixt,
x/jv jtäoav x^g aQxaioXoyiag a.vayQU(fiiv, km xov jiagovxog tvxavi^a
xaxajcavoa xov Xoyov. Auch in der handschriftlichen Ueberlieferung
hat die Vita stets den Schluss der Archäologie gebildet Eusehius
{Ilist. eccl. in, 10, 8 f.) citirt eine Stelle aus der Vita mit der Be-
merkung, die Worte stünden tjt' avxov xr/g agxaioXoyiag xov xtXovg,
und in allen erhaltenen Handschriften (mit einer einzigen Ausnahme)
ist die Vita mit der Archäologie verbunden (s. Niese's Ausgabe
t. I, Prolegom. ]>. V sq.). Trotzdem würde man sehr irren, wenn
man die Vita für die Ausführung des am Schlüsse der Archäologie
angedeuteten Vorhabens hielte. Damals hatte Josephus im Sinne,
die jüdische Geschichte bis zur Gegenwart fortzusetzen. Die
Vita ist aber nichts weniger als dieses. Sie ist augenscheinlich ver-
anlasst durch die Darstellung des jüdischen Krieges von Seite des
Justusvon Tiberias (s. über diesen oben S. 5 8 ff.). Derselbe hatte
darin den Josephus als den eigentlichen Organisator des Aufstandes
in (Traliläa dargestellt Das war dem Josephus bei seiner späteren
Stellung in Rom höchst unbequem. Und so schreibt er nun eine
Gegenschrift, in welcher er alle Schuld auf Justus abwälzt und sich
selbst als Römerfreund hinstellt. Der Versuch ist kläglich schwach;
denn Josephus kann nicht umhin, selbst Thatsachen zu erwähnen,
welche das Gegentheil beweisen. Mit dieser erregten Selbstver-
riques sur les traites publics chex les Orecs et ehex les Romains, nouv. ed. Paris
1806,/;. 163 sqq. Gutschraid (Kleine Schriften IV, 351 f.) erklärt sie geradezu
für „die werthvollsteu Urkunden, welche schriftstellerisch aus dem Alterthuni
auf uns gekonnnen sind". Leider sind sie in sehr schlechtem Zustande über-
liefert. Offenbar ist schon bei der Sammlung mit grosser Nachlässigkeit ver-
fahren worden. Zuweilen sind es nur Fragmente, die Josephus mittheilt.
88 § 3. Quellen. C. Joseplius. [67. 68]
theidigiing verbindet Josephus am Anfang und am Schluss ein paar
biographische Notizen, und veröffentlicht nun das Ganze als einen
Anhang zur Archäologie. Der frühere Plan ist also aufge-
geben, und an dessen Stelle tritt etwas ganz anderes.
Trotz des anknüpfenden 6s muss daher die Vita erst län-
gere Zeit nach der Archäologie geschrieben sein. Nun
setzt die Vita den Tod Agrippa's II bereits voraus {Vita 65).
Agrippa starb aber nach Photius cod. 33 im dritten Jahre Trajan's,
100 n. Chr. (s. oben S. 61). Wenn hiernach die Abfassung der
Vita erst nach 100 n. Chr. angesetzt werden kann, so steht dies
also in vollkommenem Einklang mit dem übrigen That|bestand,
und es liegt kein Grund vor, die Richtigkeit der Angabe des
Photius zu bezweifeln oder sie durch Umdeutung zu beseitigen,
weil die Vita unmittelbar nach der Archäologie geschrieben sein
müsse 2®).
20) Die Richtigkeit der Angabe ist vielfach bezweifelt worden, z. B. durch
Braun, Monatsschr. fiir Gesch. und Wissensch. des Judeutli. 1871, S. 20— 28.
Eine Umdeutung versucht Grätz {Monatsschr. für Geacli. und Wissensch. des
Judenth. 1877, S. 337 ff"., ehenso Gesch. der Juden Bd. III, 4. Aufl. S. 555),
in der Weise, dass er die Worte rsXevrä 6h h:si xqixu> Tgaiavov nicht auf
Agrippa, sondern auf Justus von Tiberias bezieht, was nach dem Zusammen-
hang ganz unmöglich ist. Auch Niese [Josephi opp. 1. 1, Proleg. p. V, Historische
Zeitschrift Bd. 76, S, 226 f.), Schlatter (Texte und Untersuchungen von
Gehhardt und Harnack XII, 1, 1804, S. 40—44), Gutschmid (Kleine Schriften
IV, 354 f.), Wachsmuth (Einl. in das Studium der alten Geschichte S. 448)
neiimen an, dass die Vita unmittelhar nach der Arclu'iologic, also 93/04 n. Chr.,
geschrieben «ei. Schlatter und Niese berufen sich zum Erweise dessen,
dass Agrippa II damals bereits todt war, auch auf Anit. XVII, L', 2. Aus
dieser Stelle folgt aber niclit, dass Agrippa damals todt war, sondern nur,
dasH er nicht mehr die Herrschaft Aber Batanäa hatte (wie ich bereits in der
1. Aufl. dieses Buches 1874 8. 321 bemerkt luibe; die Stelle ist also nidit,
wie Niese meint, bisher übersehen worden). Gutsclimid, der anerkennt,
<laHs Agrippa II erst 1(K) n. Chr. gestorben ist, liut /n der eigenartigen Aus-
kunft gegrifTen, dass Agrippa Itei Abfassung der Vita in Irrsinn verfiillen war,
also für Josephus nicht mehr cxistirt«. Dies wicU-rstreitiit aber sclih'clilliin
den Worten des Josepluis Vita 65. Andererseils kann an der späteren
AbfaMHung der Vitn, wie oben gezeigt worden ist, schon wegen der
HehluMHWorte der Archnologi«' nicht gezweifelt werden. Für die
Uichtigkeit der Angabe des Photius über das Todesjaiir des Agrippa giebt es
auch noch einen |)ositiv«'n Beweis. Hyncellns setzt das literarischem Auf-
treten d<!M JnstUK in den Anfang der Itepierung Trajan's, (h»<rh oiinc Zweifel
dcMhalb, weil seine (/lironik bis dahin gegangen ist (s. «»ben S. 61; wenn Eu-
sebiuH den Justus in die Zeit Nerva's setzt, so macht dies für unsere l'^-age
keinen erheblichen Untiirsehied). Die (Chronik ging alx^r \\\w\\ IMiotius bis
zum Tode Agrippa's. Also hat Agnppa bis in «len Anfang d«'r Kegierung
Trajan's gelebt. Aueli seine Münzen beweisen, dass er niin«b'st(!ns bis zum
Jahre % gelebt hat. Vgl. überhaupt g 19, Anhang.
[68. 69] § 3. Quellen. C. Josephus. 89
4) „Gegen Apion oder über das hohe Alter des jüdi-
schen Volkes", 2 Bücher. Die Schrift ist nicht nur, nicht einmal
vorzugsweise, gegen den Grammatiker Apion und dessen Verläum-
dung des jüdischen Volkes, sondern überhaupt gegen die mancherlei
zum Theil recht albernen Vorurtheile und gehässigen Angritte ge-
richtet, unter welchen die Juden in damaliger Zeit zu leiden hatten.
Sie ist recht eigentlich eine planvoll angelegte, gut und geschickt
geschriebene Apologie des Judenthums. Besonderu Werth ver-
leihen ihr die zahlreichen Auszüge aus Schriftstellern, deren Werke
uns verloren sind. Ueber die von Josephus bekämpften Autoren s.
Bd. 111, S. 398—412. — Der Titel „Gegen Apion" ist sicher nicht
ursprünglich. Porjjh/rius, De abstineniia IV, 11 citirt das Werk
unter dem Titel jtQog rovg "EXXijvag, die ältesten Kirchenväter
{ürigenes contra Gels. 1, 16; IV, 11. Eusehius Hist. ecel. III, 9. Praep.
evang. ed. Oaisford VllI, 7, 21; X, 6, 15) unter dem Titel jttQi rtjg
rwv ^lovöalmv ccQxciiorrjrog. Beide Titel sind vielleicht gleich
alt und gleichberechtigt, da der Nachweis des Alters des jüdischen
N'olkes in der That ein Hauptmoment in der Apologie desselben
bildet. Im cod. Peirescianus der Excerpte des Constantinus Por-
phyrogennetus de virtutihus (vgl. oben S. 52) findet sich die Ueber-
schrift x8qI Jtavtog rj xaxa ^EXX^vcov (s. Wollenberg, Recensentur
LXXV II loci ex Flavi Josephi scriptis excerpti etc., Berol. 1871, ;>. 34),
wohl infolge einer Verwechselung mit der unten zu nennenden
Schrift jtBQi xov xavxog. Die Ueberschrift contra Apionem hat
zuerst Hieronymus {epist. 70 ad Magnum oratmem c. 3 = ojyp. ed.
Vallarsi I, 428, de viris illustr. c. 13, adv. Jomnian. II, 14; an letzterer
Stelle schreibt er die oben citirte Stelle des Porphyrius ab, ersetzt
aber den von Porphyrius | gebotenen Titel durch den ihm geläu-
figen, s. den Wortlaut Bd. II, S. 569)^'). — Da Josephus in dem
Werke die Archäologie bereits citii-t (I, 1 und 10), so ist es jeden-
falls nach dieser, also nach dem Jahre 93 n. Chr. geschrieben. Es
ist wie die Archäologie und die Vita, dem Epaphroditus ge-
widmet (I, 1. II, 41).
Ausser diesen vier Werken wird dem Josephus von manchen
Kirchenvätern auch das sogenannte vierte Makkabäerbuch oder
die Schrift n^Qi avxoxQaxoQog loyiopiov zugeschrieben. Die Geistes-
richtung desselben ist allerdings derjenigen des Josephus nahe ver-
wandt: jüdisch-pharisäisch mit etwas griechisch-philosophischem
Anstrich. Doch darf es als sicher gelten, dass Josephus nicht der
Verfasser ist (s. Bd. III, S. 393—397).
L>1) Vgl. über deu Titel auch: Beruays, Theophrastos' Schrift über
Fröimiiigkeit (1860) S. 154 f. J. G. Müller, Des FI. Josephus Schritt gegen
den Apiou S. 17. Niese, Jos. opp. t. V p. JI\
90 § 3. Quellen. C. Josephus. [69J
Die von Photius Bibliotheca cod. 48 besprochene Schi'ift 'imorjjtov
Usq! xov JtavroQ oder nEQi rrjc rov jtavrog altiag oder ff^Ql rtjQ
rov jtavTOc ovoiac (alle drei Titel giebt Photius als handschrift-
lich bezeugte an) ist christlichen Ursprungs und gehört dem Ver-
fasser der Philoso2)hnmena an, der sie Philos. X, 32 als seine eigene
citirt (unter dem Titel jisql tTjc rov jtavrog ovölag). Schon
Photius hat dieses Selbstcitat und den christlichen Charakter der
Schrift bemerkt. Auch erwähnt er, dass die Schrift, da sie anonym
war, nicht nur dem Josephus, sondern auch dem Justin, Irenäus
und dem römischen Presbyter Cajus zugeschrieben werde. Er
selbst neigt zu letzterer Annahme. In Wirklichkeit ist der Ver-
fasser höchst wahrscheinlich Hippolytus, unter dessen Werken
(in dem Verzeichniss derselben auf der Hippolytus-Statue) auch eine
Schrift jcsQL rov jcavxög genannt wird. S. Volkmar, Hippolytus
und die römischen Zeitgenossen (1855) S. 2 ff. 60 ff. — Ausser Photius
citii-en die Schrift unter dem Namen des Josephus auch Johannes
Philoponus {De opificio mundi III, 16 ed. Keichardt 1897, in: Scriptores
sacri et profani fasc. 1), Johannes Damascenus {Sacra paralL, opp. ed.
Lequien II, 789 sq., vollständiger bei Holl, Fragmente vornicänischer
Kirchenväter S. 137 — 143) und Johannes Zonaras {Annal. VI, 4).
Das umfangreiche Fragment, welches in den Sacra paraUcla mit-
getheilt wird, ist auch noch in anderen Handschriften erhalten und
wird hier ebenfalls dem Josephus zugeschrieben.
Ueber die Handschriften dieses Fragmentes s. bes. die Mittheilungen von
AcheÜH bei Harnack, Geschichte der altchristlichen Literatur 1, (')22 f.
Gedruckt ist es an folgenden Stellen:
1) Nacii einer bisher nicht identificirteu Handschrift von David Höschel
in seiner Ausgabe der Bibiiolhcca des Photius lÜOl, hiernach von Le Moync
(in seinen Varia sacra I, 53 ft'.; er vindicirt es bereits dem Hii)i)olytu8), Ittig
(im Anhang zu seiner Ausgabe des Josephus), Havercanip (in seiner Ausg.
des JoscpliuH II, 2, 145—147), Fabricius [IHppolyti opp. I, 220 — 222), Gal-
land i (Bihlinlh. patr. II, 451—454), Migne {Potnll. <jr. X, 795— S02).
2) Nach einem cnd. liarocciamis in: lAber niger Scaccarii nee nou
Wilhdvii WorccHtrii annaics verum Aiujlienmm cum pracfatione et appeiidüe
Tht/mne Ilearnii, editio altera, vol. II, London 1771, p. 394—405. Nach
derselben Handschrift auch von Wordsworth (»SV. llippolytiis aml the chure/t
of Itome, 1K53, im Anhang), Bunseu [Analccla Anie-Nicaena 1, 393—402),
Lttgnrde {lUppolijli t/iiae /crimtur, 1858, p. 08—7.3). — Das Fragment ist in
di(>Hcm Codex überschrieben: ^Ituatjnnov ix xov Xoyov xov fruytyQafifiivov
xatit IDmziuvoq ntQl xfj^ xov nttvroi ulxlaq. Es ist scheinbar vollstiiiidigor
als das von HöhcIicI herausgcgobene. In Wahrheit ist hier das Fragnuiit
durch «'inige Htücke aus Clemens Alexandrinus ergänzt (O verbock, Qiuw.sf.
Ilippolyl. nprcimen 18()4, p. 5. Zahn, Forsciiungtin zur Gesch. des neutest.
KnnonH IIJ, 31. Harnack a. a. O.).
3j Niurh einigen vatikanischen Handschrilt(*n liiil IMtra ßruchstücke
hcfttUMgegeben (AmUcda nacra t. U, 1884, p. 20ü aq.).
[69. 70] § 3. Quellen. C. Josephus. 91
4) Ueber die Ueberlieferung in den Sacra paralleta des Johannes Damas-
cenus hat erst Ho 11 vollständigen Aufschluss gegeben (Fragmente vorni-
cänischer Kirchenväter aus den Sacra paraUela, herausg. von Holl, 1899,
S. 137—143). a) an einer Stelle wird das Fragment vollständig in demselben
Umfang, in welchem es Höschel und seine Nachfolger herausgegeben haben,
mitgetheilt unter dem Namen des Josephus Clwar^nnov ix tov ).6yov tov
iniyeyQaßfiävov xata Ilkccziuvog negl Tfjg tov navioQ altiag, so eine Hand-
schrift, ähnlich zwei andere); b) an einer anderen Stelle wird ein Stück des-
selben Fragmentes (Zeile 56 — 76 bei Holl) mitgetheilt unter dem Namen des
Irenäus; c) an einer dritten Stelle wird die Fortsetzung dieses Stückes
(Zeile 76 — 100 bei Holl, das Ganze hat 137 Zeilen) mitgetheilt unter dem
Namen des Meletius von Antiochia. Der cod. Rupefucaldinus hat alle drei
Stellen (die erste aber nur bis dahin, wo das zweite Stück beginnt), andere
Hundschriften bald die eine, bald die andere. Offenbar haben die Sacra
parallda in ihrer Urgestalt das Ganze nur an einer Stelle unter dem Namen
des Josephus gegeben; die Zertheilung in drei Stücke und die Vorsetzung
der irrigen Lemmata Ecqtjvoiov und MeXsiiov sind das Werk späterer Bear-
beiter. Ich zweifle nicht, dass die ganze Ueberlieferung, auch in den
Handschriften, welche das Fragment separat geben, auf die Sacra paralleta
zurückgeht. Bewiesen wird dies namentlich dadurch, dass die Stücke aus
Clemens Alexandrinus, welche im codex Baroccianus an unser Fragment
angehängt sind, in zwei Handschriften der Sacra parallda {Paris, f'ol. 385
und Marc. fol. 78) mit demselben zusammenstehen (Holl, Fragmente Nr. 296,
297, 187, vgl. mit Lagarde S. 73). Auch Zonaras [Annal. VI, 4) hat aus den
Sacra paraUela geschöpft. NurPhotius und Johannes Philopouus sind selbständig.
Vgl. überhaupt: Ittig's Prolegomena zu Josephus s. fin.; Fabricius, Biblioth.
f/ruec. ed. Hartes V, 8*9. VII, 192; Oaltandi, Biblioth. pair. II l^oleg. p. XLVII;
liaulh, Itetiqiiiae sacrae ed. 2, II, 157 sq.; Bunsen, Änalccta Ante-Nicaena I,
344 ff.; Caspari, Quollen zur Geschichte des Taufsymbols III, 395 fi". Salmon,
Art. Hipi)<»lytus in: Smith and Wacc, Dictionary of christ. biogr. III, 100.
Lightfoot, The apostotic fathers, part I: S. Clement of Borne, vol. II, 1890, p.
395—397. Harnack, Geschichte der altchristl. Literatur 1, 1893, S.622f. Holl. a.a.O.
Am Schlüsse der Archäologie sagt Josephus, er habe die Ab-
sicht zu schreiben xata rag ruiETtQaq, 66B,aq xätv luvöaicop tv \
xiaoaQöt ßißXoiQ jreQi {^sov xal rrjg ovoiaq avrov xal jcbqI tcöp
vof/cov, öia ri xar avrovg ra fisv t^sorcv rjfilp jtoielv ra de xtxco-
XvraL. Er meint damit wohl nicht verschiedene Werke (wie von
Manchen die Worte verstanden worden sind), sondern nur ein Werk,
welches über Gottes Wesen und über den vernünftigen
Sinn der mosaischen Gesetze handeln sollte, in ähnlicher Weise
wie etwa Philo's systematische Darstellung der mosaischen Gesetz-
gebung (vgl. Bd. 111, S. 511—523). Auch in den ersten Büchern
der Archäologie verweist er häufig auf dieses von ihm beabsichtigte
Werk. Vgl. unten Bd. 111, S. 419. Er wollte darin u. A. die
Gründe für die Beschneidung angeben {Antt. I, 10, 5) und die
Gründe, weshalb Moses die einen Thiere zu essen erlaubt habe,
die anderen aber nicht {Antt. 111, 11, 2). Vgl. auch Antt. prooem. 4.
92 § 3. Quellen. C. Josephus. [70. 71]
1, 1, 1. III, 5, 6. 6, 6. 8, 10. IV, 8, 4. 44. Das Werk scheint aber
nicht zur Ausführung gekommen zu sein.
Räthselhaft sind manche Verweisungsformeln in der Archäo-
logie, welche darauf zu deuten scheinen, dass Josephus auch ein
Werk über die Geschichte der Seleuciden geschrieben hat. Kr
bemerkt nämlich öfters, dass das von ihm kurz Erwähnte auch
anderswo behandelt sei^^). Wo dies mit der passivischen Formel
xa&coq xal ev aXXoig 68Öi)Xa)TaL geschieht, können natürlich Ge-
schichtswerke Anderer gemeint sein (so Antt. XI, 8, 1. XII, 10, 1.
XIII, 4, 8. 8, 4. 13, 4. XIV, 6, 2. 7, 3 init. et fin. 11, 1). Nicht selten be-
dient sich aber Josephus dabei der ersten Person: xa&cbg xal hv
alXoiq ösörjXmxafiEV (so Antt. VII, 15, 3. XII, 5, 2. XUI, 2, 1.
2, 4. 4, 6. 5, 11. 10, 1. 10, 4. 12, 6. 13,5). Von diesen Citaten lassen
sich vier als Verweisungen auf andere Abschnitte der uns bekannten
Werke des Josephus begreifen. Antt. VII, 15, 3 = Bell Jud. I, 2, 5.
Antt. XIII, 10, 1 = XIII, 7, 1. Antt. XIII, 10, 4 = Bell. Jud. VII, 10
und Antt. XIII, 3. Antt. XIII, 13, 5 = III, 10, 4. Für die übrigen aber
sind keine derartigen Parallelen nachweisbar. Sie beziehen sich
sämmtlich auf die Geschichte des seleucidischen Reiches von Antiochus
Kpiphanes bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts v. Clir. {Antt.
XII, 5, 2. XIII, 2, 1. 2, 4. 4, 6. 5, 11. 12, 6). Da nun nichts davon
bekannt ist, dass Josephus auch eine Geschichte der Seleuciden
geschrieben hat, so nimmt Destinon (Die Quellen des Josephus S.
21 — 29) an, dass alle diese Verweisungsformeln schon in der Quelle
des Josephus gestanden haben und von ihm unverändert aufgenom-
men worden sind. So seltsam diese Annahme auch scheint, so ist
sie doch nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Sie ist
nicht ohne Analogie in der alten Geschichtschreibung. Bei Diodor
kommt mehrnmls ein /}//£fg vor, das nicht ihm, sondern nur seiner
Quelle angeliören kann •'='). Berühmt ist das iinslg in der Apostel-
geschichte, das sicher von dem Verfasser derselben aus seiner
(Quelle aufgenommen ist. Zu Gunsten von Destinon's Auffassung kann
besonders noch angeführt werden, dass einigemal sowohl in der Arcliäo-
logie als in der Parallelstelle des Eß//?^m »/wt/aic-ww sich d(!rartige Ver-
weJHungHformeln finden, obwohl btiide Werke unabhängig von ein-
ander aus der gemeinsamen Quelle geschöpt sind | {Anlt. XiV, 7, 3
init. — IkU. Jud. J, 8, 8. ^. XIV, 7, 3 fin. = B. J. I, 8, 9. Vgl.
22j Di« voIlutttndJgBU'ii Uobensichton dicHcr Htellon geben: Dostinon,
Die Quellen <leM FluviuH .loHepliUH H. 21 — 2'.i, und Drüner, UnterHn(rlnMi<;('ii
flhcr JimepliUM H. H2— 1*4. Eine IJcrichtigung zu DcHtinou ». bei llnger,
HiUungMborieliU* der Münclionor Akudemio, pliiloH.-philol. und lÜHt. Cl. 1S07,
B. 228.
23; Wftübiimuth, Einleitung in da« Studium dttr ulten Gcochielito 8.9(3.
[71] § 3. Quellen. C. Josephue. 93
Niese, Hermes XI, 469; die Gegenbemerkungen von Unger
S. 233 scheinen mir nicht dnrchschlagend). Andererseits ist an
einigen der fraglichen Stellen der unmittelbar nachher oder vorher
in der ersten Person sprechende Schriftsteller sicher Josephns
selbst (so XII, 5, 2 und XllI, 12, 6). Auch lauten die verdächti-
gen Formeln genau so wie die sicher von Josephus herrührenden
(XIII, 10, 4 und 13, 5). Es hält daher schwer, über ein non liquet
hinauszukommen. Immerhin dürfte Destinon's Annahme sich als
die wahrscheinlichste empfehlen, wobei nur an Stelle seines
„Anonymus" einfach Nicolaus Damascenus oder Strabo als Quelle
des Josephus zu setzen sein würde '^*).
üeber den Charakter des Josephus und seine Glaubwürdig-
keit als Geschichtschreiber sind die widersprechendsten Urtheile
gefällt worden. In der alten Zeit und im Mittelalter hat man ihn
in der Regel sehr überschätzt, wie denn Hieronymus ihn gar den
„griechischen Livius" nennt ■^^; in neuerer Zeit ist er dafür um so
schlimmer von der Kritik mitgenommen worden. Es gilt auch
hier, das richtige Maass zu halten. Seinen Charakter wird Nie-
mand in Schutz nehmen wollen. Eitelkeit und Selbstgefälligkeit
sind die Grundzüge seines Wesens. Und wenn er auch nicht der
ehrlose Vaterlandsverräther war, als welchen er später in seiner
Vita sich selbst geschildert hat, so hat er doch den Uebergang
zu den Römern und den innigen Anschluss an das flavische Kaiser-
haus mit mehr Gewandtheit und Gleichmuth vollzogen, als es einem
um den Untergang seines Volkes trauernden Israeliten geziemt
hätte. Auch als Schriftsteller hat er seine grossen Schwächen.
Aber man muss, um billig zu sein, doch sagen, dass gerade das,
worin seine Hauptsch wache liegt, ihm schliesslich nicht zur Un-
24) An Destinon haben sich angeschlossen: Otto, Leipziger Studien zur
cluss. Philologie, 11. Bd. Suppleraentheft S. 231 fi". Wachsmuth, Einl. iu
das Studiupa der alten Gesch. S. 443 f. Buch 1er, Jeicish Qarterly Review IX,
1897, j9. 318— 325. — Anders entscheiden sich: Gutschinid, Kleine Schriften
IV, 372 f. (hat früher an eine Schrift des Josephus über die 70 Jahrwochen
des Daniel gedacht; hielt es aber später für möglich, dass Josephus auf eine
Vorstudie zur Archäologie verweist). — Niese, Hist. Zeitschr. Bd. 76, 8.
234—236 (hält die Verweisungen „lediglich für eine Phrase"). — Drüner,
Untersuchungen über Josephus S. 70 — 94 (die Verweisungen beziehen sich
auf eine Arbeit des Josephus, die nicht publicirt worden ist, sondern nur als
Vorarbeit für die Archäologie gedient hat). — Unger, Sitzungsberichte der
Münchener Akademie, philos.-philol. und histor. Classe 1897, S. 223—244
(Josephus hat ein Werk über die Geschichte von Syrien, nicht nur über die
der Seleuciden geschrieben).
25) Episf. 22 ad Enstochmm c. 35 {opp. ed. Vallarsi I, 120): Josephm,
Graeeus Limits.
94 § 3. Quellen. C. Josephus. [71. 72]
elire gereicht: er schreibt zur Verherrlichung seines Volkes.
In diesem Interesse wird die ältere Geschichte im Glorienscheine
dargestellt. Dasselbe Interesse hat auch die Darstellung der spä-
teren Zeit beeinflusst. Die Pharisäer und Sadducäer sind philo-
sophische Schulen, welche sich mit den Problemen der Freiheit
und Unsterblichkeit beschäftigt haben. Die messianische Hoffnung,
welche um der politischen Ansprüche willen, die sich daran
hefteten, die tiefste Triebfeder zum Aufstand gegen Rom war, wird
todtgesch wiegen , denn das Volk soll nicht als römerfeindlich er-
scheinen. Nicht das Volk hat den Krieg gegen die Eömer gewollt,
sondern es ist nur von einigen Fanatikern dazu verführt worden.
Nach allen diesen Richtungen hin giebt die Darstellung des Josephus
allerdings ein schiefes Bild. Im übrigen sind seine verschiedenen
Werke von sehr verschiedenem Werthe. Der „Jüdische Krieg"
ist ohne Frage viel sorgfältiger gearbeitet, als die Archäologie.
Er giebt eine in's kleinste Detail gehende Darstellung der Ereig-
nisse, an deren Zu verlässigkeit zu zweifeln kein Grund vorliegt.
Die langen Reden, welche Josephus seinen Helden in den Mund
legt, sind natürlich freie rhetorische Leistungen; und mit den
Zahlen wii'd man es auch nicht zu genau nehmen dürfen. Abei-
diese Schwächen theilt Josephus mit vielen alten Geschicht-
schreibern; und sie beeinträchtigen nicht die Zuverlässigkeit des
Uebrigen. Nur was er über die Vorgänge bei seiner Gefangen-
nahme in Jotapata sagt (B. J. III, 8), ist von diesem günstigen
Urtheile auszunehmen. — Erheblich anders steht es mit der Archäo-
logie. Sie ist vor allem viel nachlässiger gearbeitet, als der
jüdische Krieg, namentlich in den letzten Büchern, welchen man
es anmerkt, dass sie in der Ermüdung geschrieben sind. Und
nicht nur nachläs.sig, sondern auch mit grosser Freiheit und Will-
kür sind oft die Quellen benützt, wenigstens da, wo wir es con-
troliren können (s. z. B. Grimm, Kxeget. Handb. zum ersten Makka-
bäerbuch S. XX VIII f.), woraus sich kein günstiges Vorurtheil
für das Uebrige ergiebt. Doch finden sich auch einzelne Beweise
kritisch<;n N'erlialtens gegenüber den (Quellen (Antt. X\\\ 1, 3.
XVI, 7, 1. XIX, 1, 10. 1, 14). Natürlich ist der Werth in den ver-
Kcliiedenen Abschnitten ein sehr verschicidener je nach den Quellen,
welche Inmützt sind. — Die schwächste Leistung ist ohne Zweifel
die Selbstbiographie, ein in seltsamer \'erl)len(liing gesclnie-
bener Versuch, die 'i'hatsachen auf den Kopf zu st(;llen durch den
Nachweis, dass er, wälii-eiid er den Aufstand in (Jaliläa zu organi-
siren hatte, vh eigentiieii init^ dt-n Ivöniern gt^lnilten habe.
In der ciirivtlichuti Kirche iht JoHnphu« von Anriui^ im lUüsHig gc'h'scn
worden, d« noine Worke dnc zweck mÜHsige Ucboruicht über dio Goachichtu
[72. 73] § 3. Quellen. C. Josephus. 95
des jüdischen Volkes gaben. Die testimonia veterum über Josephus sind
zusammengestellt in Havercamp's Ausgabe, in den Vorbemerkungen zum
ersten Bande.
Im Abendlande ist er durch eine lateinische Uebersetzung seiner
sämmtlichen Werke (mit Ausnahme der Vita) und ausserdem durch eine freie
lateinische Bearbeitung des Bellum Judaicum verbreitet worden. Ueber
die Entstehungsgeschichte dieser Texte liegen folgende äussere Zeugnisse vor :
1) Hieronymus, cpist. 71 ad Lucinium c. 5 {opp. ed. ValUirsi I, 434): Porro
Josephi l'ibros et sanctorum Papiae et Pulycarpi Volumina falsus ad te rumnr
pertulit a me esse translata : quin nee otii mei nee virium est, tantas res eadem
in alteram linr/uam exprimere venustate. — Hieraus folgt nicht nur, dass
Hieronymus keine Uebersetzung des Josephus angefertigt hat, sondern auch,
dass es zu seiner Zeit von den Werken des Josephus oder wenigstens einem
Theil derselben noch keine Uebersetzung gegeben hat; denn sonst hätte das
Bedürfniss nach einer solchen ja gar nicht vorgelegen. — 2) Cassiodorus
[ho, nicht Cassiodorius, ist zu schreiben, s. Mommsen, Muuum. Germ., Auetures
antiquissimi t. XII], De institutione div. lit. c. 17 {opp. ed. Garetitis II, 520):
Ut est Josephus, paene seeundus Livius, in Hbris antiquitatum Judaicarum täte
diff'usiis, quem pater Hieronymus scribens ad Lucinum Baetieum propter ttiayni-
tudinetn prolixi ojieris a se })erhd)et non potuisse transferri. Hüne tarnen ah
amvHs nostris, qiioniam est sti/dilis nimis et multiplex, magno labore in lihris
rif/inti diwbus (nänd. 20 I Bücher Alterth. und 2 Bücher gegen Apion) converti
fccivius in Latinum. Qui etiam et alios septem iibros captiritatis Jiuiaicae
inirabili nitore conscripsit, quorum translatianem alii Hieronymo, aiii Ambrosio,
alii deputant Rußno; quae dum talilnis ascribitur, omnino dictionis eximiae
merita declarantur. — Hiernach darf als sicher angenommen werden, dass die
uns erhaltene lateinische Uebersetzung der Alterthümer und der
Bücher gegen Apion auf Veranlassung des Cassiodorus, also im
sechsten Jahrhundert nach Christo, angefertigt worden ist. Ganz
unmotivirt ist es aber (wie seit Bernard vielfach geschehen i8t\ diese Ueber-
setzung einem gewissen Epiphanius zuzuschreiben, lediglich deshalb, weil Cas-
siodorus zwei Sätze später sagt, dass er durch diesen die historia tripartita
habe bearbeiten lassen. — Ungewiss ist, ob die Bemerkungen des Cassiodorus
in Betreff des Bellum Judaicum sich auf die lateinische Uebersetzung be-
ziehen, welche man dem Rufin zuzuschreiben pflegt (so versteht sie z. ß. Niese,
Jos. opp. VI, p. XX not. 5), oder auf die freie lateinische Bearbeitung,
welche in den Ausgaben den Namen des Hegesippus trägt (so z. B. Vogel,
De Hcgcsippo p. 33). Die Bezeichnung der Arbeit als einer translatio lässt
beide Deutungen zu. Denn auch die freie Bearbeitung ist als eine Ueber-
setzung angesehen worden (vgl. die Unterschrift im cod. Ambrosianus: Am-
brosius epi de greyo transtutit in latinum). Für die Beziehung auf Hegesipp
spricht aber, was Cassiodor über den Stil sagt. Denn wenn auch Rufin in
gutem Latein geschrieben ist, so lassen sich dictionis eximiae merita doch nur
der in Sallust'schem Stile geschriebenen Arbeit Hegesipp's nachrühmen. Ist
letztere gemeint, so würde aus den Worten Cassiodor's zweierlei folgen : 1) dass
diese Arbeit anonym war, denn Cassiodorus kennt nur Vermuthungen in Be-
treff des Verfassers; 2) dass die wörtliche Uebersetzung zur Zeit des Cassio-
dorus noch gar nicht existirt hat; denn sonst hätte er nicht von dieser schweigen
und nur die freie Bearbeitung erwähnen können, da er doch sagen will, dass
für Uebertragung des Bell. Jud. iu's Lateinische bereits gesorgt sei. Um die
Frage mit Sicherheit entscheiden zu können, müsste untersucht werden, ob die
96 § 3. Quellen. C. Josephus. [73. 74]
älteren lateinischen Scliriftsteller bis zum neunten Jahrhundert (aus welchem
die ältesten Handschriften des sog Rufin herrühren) das Bell. Jud. in der
Form des sog. Rufin oder in der Form des sog. Hegesipp benützen. Die Her-
kunft der wörtlichen üebersetzung von Rufin ist auf alle Fälle unwahrschein-
lich, da in dem Katalog der Rufin'schen Uebersetzungsarbeiten bei Oennadius,
De mris illustr. e. 17 [Hieronymi opp. ed. Vallarsi II, 978) keine Üebersetzung
des Josephus erwähnt wird.
Die freie lateinische Bearbeitung Ae9> Bellum Judaicum trägt in
den Ausgaben den Namen des Egesippus oder Hef/esippus. Das ist sicher
nur Corruption aus Josephus, griech. ^IcjoTjnog 'IwOTjnnog ^Iwamnoq, lat. Joscpus
Joseppus Josippus (dies die ältesten Formen, erst seit dem 9. Jahrh. findet sich
in den Handschriften Josephus, s. Niese's Ausg. des Josephus t, I proleff. p. V).
Denn in den ältesten Anführungen wird das Werk einfach unter dem Namen
des Josephus citirt, so bei Eucherius im 5. Jahrh. und noch bei Widukind,
dem Geschichtsschreiber der Sachsen, im 10. Jahrhundert (s. Vogel, De Her/e-
sippo p. 32 — 49, Theol. Litztg. 1881, 545). Auch in den ältesten Handschriften,
einem Ämbrosianus saec. VII/VIII und einem Cassellan. sacc. VIII/IX, wird
in den Columnen-Ueberschriften lediglich Josepjms Josephus als Verfasser
genannt. In einem eod. Neapol. saec. IX lautet die Unterschrift des 3. Buches:
cxplicit htstoriarum iosepi liber tertius, incipit ciusdem liher quartus [Niese
t. VI p. XIX not). Daneben werden allerdings auch schon frühe die Namen
des Ambrosius und Hegesippus genannt. In dem etwas jüngeren ersten
Theile des cod. Ämbrosianus {saec. VIII/IX) lautet die Unterschrift des ersten
Buches: Josippi [von jüngerer Hand corrigirt in Egesippi] liber primus cxplicit.
Incipit scciindus. \ Atnlrrosius epi de grcgo transtulit in lalinum. Ein cml.
Bemens. saec. IX nennt den Hegesippus, ein Palat.-Vatican. saec. IX/X den
Ambrosius; noch jüngere Handschriften bald den einen, bald den anderen
(s. überhaupt: Reifi'erscheid, Sitzungsber. der Wiener Akad. ])hilo8.-liist. Cl.
Bd. 50, 18Ü7, S. 441 f. Bd. Ü7, 1871, S. 473— 47G. Caesar, Obscrmtiones p. IV,
VIT. Vof/el, De Hegesippo p. 4 — 8. Der«., Zeitschr. für die österr. Gymnas.
1883, 8. 244. Niese, Joscphi opp. I p. XXVII not.). Interessant ist eine von
Traube (Rhein. Museum, Bd. XXXIX, 1884, S. 477 f.) mitgetlieilte Stelle in
einem Briefe des Spaniers Alvar (neuntes Jahrh.), worin dieser seinem Gegner
sagt: .icito quia nihil tibi ex Egesippi posui lurbis, sed ex Josippi vestri doctoris,
dabei aber eine Stelle unseres Hegesippus meint! Es kennt also dieses Werk
nur unter dem Namen des Josephus, sein Gegner aber bereits unter dem des
Hegesippus. — Bei diesem Thatbestand kann von einer sicheren Bezeugung
der Autorschaft des Ambrosius (für welche besonders ReiHerscheid, Sitzuiigs-
berichto der Wiener Akad, philos.-hist. Cl., Bd. 50, 1807, S. 442, eingetreten
ist) nicht die Iltuie sein. Sie ist eine blosse Vennnthung, auf welche man
gerathcn ist, weil auch Ambrosius, wie Hieronyinus und Uufinus, ein Haupl-
Vcrinittlcr griechisch-tlK'ologischer liiteratur für das Abeiullaiul war. Aller-
<liiigH Htaninit nun das Werk aus der Zeit des grossen Mailänder IJischofs
(zwcit<! Hälfte des vierten Jahrhunderts), aber höchst walirsclieinlich nicht von
ihm, wie nunuintlicli durch die eingehenden Untersuchungen von Vogel (/>r
IlrjfcjiipjHt IHHl, vgl. das Referat in der Theol. T^lteraturztg. 1881, 544 fl.) dar-
gotlinn worden iHt. Klebs setzt die Abfassung um .'195 n. Chr. (Festschrift
für Frie«liander 189.5, H. 233-237). — Das Werk ist, obwoiil die Alten es als
eine Ui'horHetzung dos JoHophuH angesithen hiilxin, tliutHäcliIich v'iuo freie Be-
arbeitung doHHolbon. Dor Text des Josephus ist vieltiicli gekürzt, zuweilen
durch Zuthaten orgftnzt (die unifangruichste Einschaltung ist diu über Simon
[74. 75] § 3. Quellen. C. JoHephuH. 97
Magus III, 2; sonst sind besonders geographische Bemerkungen hinzugefugt).
Die sieben Bücher des Josephus sind in fünf zusammengezogen.
Im Vorwort erwähnt der Bearbeiter ein früheres Werk über die Geschiclite
der jüdischen Könige nach den vier Königsbüchern. Seinen christlichen
Standpunkt bringt er wiederholt zur Geltung {II, 12. V, 2. 32. 44). Josephus
wird von ihm wie ein fremder Autor citirt (I, 1 § 8. II, 12, an letzterer Stelle
dreimal: lin. 11, 18, 49 cd. Wefjer). Er fühlt sich also nicht als Uebersetzer,
sondern als Autor (s. bes. Klebs a. a. O.). — Die erste Ausgabe erschien zu
Paris 1510. Seitdem ist das Werk oft gedruckt worden, unter anderem auch
bei Qallamli, Biblioth. patrum t. VII (unter dem Namen des Ambrosius) und
bei Migne, Patroi. Lat. t. XV. Die beste Ausgabe ist: Henesippus qui dicitur
sive Egeaippus de hello Judaieo ope oodicis Casellani reeognitus, ed. Weber,
opus im/rtc Weberi intcmiptum absolvit Caesar, Marburg 1864 (vorher in 9
üuiversitätsprogrammen, Marburg 1857 — 1863. Die Programm-Ausgabe ist un-
vollständig, indem beim Uebergang von einem Programm zum andern jedes-
mal ein kleines Stück fehlt!!). — Ein Abdruck des Weber'schen Textes findet
sich in SancH Ambrosii opera omnia ed. Ballerini t. VI (Medial. 1883) eol.
1—276. — S. überhaupt: Joh. Fred. Gro novit Obserratorum in seriptoribus
ecclesiasticis Monobiblos {Daventriae 1651), capp. 1, 6, 11, 16, 21, 24. — Oudin,
De Script, ecel. t. II (1722) col. 1026—1031. — Fabricius, Biblioth. lat. mediae
et infimac netatis t. III (1735)/). 582—584. — Mensel, Biblioth. bist. I, 2, '2ß2sq.
— Maxochins, Dissertatio qua Egesippi sive eeriits Ex-Josij»pi de exfiUlio
Ilicrosolymitano historia S. Avibrosio restituitur (verkürzt bei GallamU, Biblioth.
patr. t. VII proleg. p. XXVIII sqq.). — Cäsar's Abhandlung am Schluss der
Weber'schen Ausgabe. — Teuffei, Gesch. der röm. Literatur (4. Aufl. 1882)
§ 433, 5 — 6. — Mayor, Bibli^jraphical Cltte to laiin literature (1875) p. 179.
— Frid. Vogel, ''Oixoioxrixeq Sallustianae (in: Ada seminarii philolof/iei
Erlangensis I, 1878). — Caesar, Observationes nonnullae de Josepho latino
qui Hegesippiis coeari solet emeudando, Marburgi 1878 [Imi. lect.). — Frid.
Vogel, De IJegesippo qui dicitur Josephi interprete, Erlang. 1881. — Ders.
in: Zoitsihr. für die österr. Gymnas. 1883, S. 241— 249. Ders. in: Romanische
Forh<cliuiigcn Bd. I, 1883, S. 415—417. — Cäsar, Anzeige von Vogel's Disser-
tation in: Jiüirbb. für dass. Piniol. Bd. 125, 1882, S. 65— 75. — Ron seh. Die
kwikalischen Eigenthümlichkeiten der Latinität des sog. Hegesippus (Ro-
manische Forschungen Bd. I, 1883, S. 256— 321). Ders., Ein frühes Citat aus
dem lat. Hegesippus (Zeitschr. für wissensch. Theol. 1883, S. 239—241). Beide
Aufsätze wieder abgedr. in: Rönsch, Collectanea philologa, 1891, p. 32 — 89
und 256 f. — Traube, Zum latein. Josephus (Rhein. Museum Bd. XXXIX,
1884, S. 477 f'). — Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostel-
legendeu II. Bd., 1. Hälfte (1887) S. 194—200. | — Bardenhewer in Wetzer
und Weite's Kircheulex. 2. Aufl. V, 1585 f. — Ihm, Studia Ambrosiana
(Jahrbb. für class. Philol. 17. Supplbd. 1. Heft 1889) S. 61—68 [tritt wieder
für die Autorschaft des Ambrosius ein]. — Klebs, Das lateinische Geschichts-
werk über den jüdischen Krieg (Festschr. zum fünfzigjährigen Doctorjubiläum
Ijudwig Friedländer dargebracht von seinen Schülern 1895, S. 210—241).
Die lateinische Uebersetzung der Werke des Josephus erschien
zuerst gedruckt bei Johann Schüssler in Augsburg 1470. Von da bis zum
Erscheinen der ersten griechischen Ausgabe ist sie fast unzähligemal gedruckt
worden; zum letztenmal meines Wissens 1617 (denn die lateinischen üeber-
setznngen, welche den meisten Ausgaben des griechischen Textes beigegeben
sind, sind moderne Arbeiten; nur die in ihren Anfängen steckengebliebene Aus-
Schüier, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 7
98 § 3. Quellen. C. Joseplius. [75]
gäbe von Bemard hat den Vet. Lat.). Die beste Ausgabe des Vet. Lot. ist
(nach Niese, Josephi opp. I p. LVIII, vgl. Gutschmid, Kleine Schriften IV,
380 f.) die Baseler von 1524. Die späteren sind vielfach nach dem griechischen
corrigirt. Eine auf umfassender Handschriften-Benützung beruhende kritische
Ausgabe hat erst in neuester Zeit Boysen begonnen als vol. XXXVII des
Wiener Catpus scriptorum ecclesiasticonim latinorum. Erschienen ist bisher
nur die Ausgabe der Bücher contra Apionem, die besonders nothwendig war,
weil die früheren Drucke derselben einen lückenhaften Text boten [Flavii
Josephi opera ex versione latirm antiqua edidit . . Carolus Boysen, pars VI:
De Jtidaeorimi vetustate sive contra Apionem libri II, Wien 1898). — Näheres
über den Charakter der alten lateinischen Uebersetzung und über die Aus-
gaben s. in den Prolegomenis von Ittig und Havercamp (II, 2, 57 ff.); ferner
bei Fontanini, Eistoria literaria Aquileiensis, 1742, p. 392 — 403 (cit. von
Fabrie.-Harl. V, 22); Fabricius, BibHoth. graec. ed. Hartes V, 22 f., 27 ff.;
Fürst, Biblioth. Jud. II, 118 ff. Gutschmid, Kleine Schriften IV, 378—380.
Niese, Prolegomena zu den einzelnen Bänden seiner Ausgabe. Boysen
a. a. O. — Eine durch ihr Alter {saec. VI/VII) und ihr Material (Papyrus)
merkwürdige Handschrift der lat. Uebersetzung von Antt. VI— X (mit Lücken)
befindet sich auf der Ambrosiana in Mailand. S. über diese: Muratari, Antiqiii-
tates Italicae III, 919 s^-.; Reifferscheid, Sitzungsberichte der Wiener Akademie,
philos.-hist. Kl. Bd. 67 (1871), S. 510—512. Niese, Josephi opp. I p. XXVIII.
Eine syrische Uebersetzung von Bell. Jud. Buch VI enthält die grosse
Peschittho-Handschrift der Ambrosiana in Mailand [B. 21 inf.), und zwar als
fünftes Makkabäerbuch. Den Anfang davon hat Ccriani herausgegeben in:
Monum. sacra et prof. t. V fasc. 2 (1871) p. 181 — 192. Der vollständige Text ist
enthalten in der photolithographischen Nachbildung der ganzen Handschrift:
Translatio Syra Pescitto Veteris Testamenti ex codice Ambrosiano sec. fere VI
photolithographice edita curante et adnotante Antonio Maria Ceriani, 2 Bde.
in 4 Thln., Mailand 187Ü— 1883 (Theol. Literaturzeitung 1884, col. 27). — Vgl.
Kottek, Das sechste Buch de» Bellum Judaicum, nach der von Ceriani photo-
lithographisch edirten Peschitta-Handschrift übersetzt und kritisch bearbeitet,
Berlin 188(i (meint, dass diese syrische Uebersetzung nicht aus dem griechischen,
sondern aus dem aramäischen Original des Josephus geflossen sei; dagegen:
Th. N. im Lit. Centralbl. 1886, 881—884). Niese, Jos. opp. vol. VI, p. XXI
sq. LXII.
Ueber die unter dem Namen des Josippon oder Joseph Sohn Gorion's
bekannte freie hebräische Bearbeitung des Josephus s. unten bei der rabbi-
II Ischen Literatur.
Ueber die Handscliriften des griechischen Textes geben die Prole-
gomena zu den bislierigei» AuHgabcn nur sehr ungenügende Auskunft. Erst
durch Nieso ist das liandHchriftliche Material in erschöpfender Weise durch-
forHcht worden. Die Prolegomena zu den einzelnen Bänden seiner Ausgabe
geben darüber reichhaltigen AiifHcliluHH. Die folgende üebersicht über die
wichtigsten Handschriften HÜmmtlichcr Werke ist, mir von Niese
zum Abdruck an dieser Stolle vor Vollendiinj; s( ine r Aus^^iilic frciiiullichBt
Oberlmuaen worden. Ich lasse sie hier Btehen, du sie das Nolhwendigste kurz,
xuMinmenfaiiHt.
, J)io einzelnen Werke des Josephus sind gesondert üborliofert; die jüdischen
Altcrthttmer verfallen wicthTiitn in zwei HÄlften, deren Jede ilire bcsondore
Ueborlicrcriutg hnt."
„Die zahlreichen Uaudschrilii n il( - H'/Inm Judaicum zerfallen in zwei
[75. 76] § 3, Quellen. C. Josephus. 99
Hauptclassen, Die wichtigsten Vertreter der ersten sind der Parisinus gr. 1425,
Amhrosianus D. super. .50 (beide aus dem elften Jahrhundert), und Marcianus 383
aus dem zwölften Jahrhundert. Die zweite Classe hat drei verschiedene Typen.
Als Vertreter des einen Typus mag der Vatican. 148, der Palatino - Vaiic. 284 |
und der Lipstensis genannt werden ; dem zweiten gehört der Laurent, plut. (39
cod. 19 an; dem dritten der Urbinas «.84; alle diese Handschriften, die nam-
haftesten Exemplare ihrer Gattung, gehören dem elften, nur der Palatino-
Vatic. 284 dem zwölften Jalirhundert an. Von den beiden Classen ist die
erstgenannte die bessere. Neben dem griechischen Texte kommt dann die alte
lateinische, vulgo dem Rufin zugeschriebene und jedenfalls vorcassiodorische
Uebersetzuug in Betracht, die keiner von beiden Classen ausschliesslich an-
gehört, sich aber in vielen Stücken der besseren zugesellt. Auch die noch
ältere lateinische Bearbeitung des Ambrosius, der sog. Hegesippus, kommt für
Kritik und Textgeschichte in Betracht."
„Auch die Handschriften der Bücher I — X der Antiquitäten zerfallen in
zwei Classen: die erste bessere, in zwei Exemplaren erhaltene, dem Paris in.
1421 und Bodleianus miscelt. gr. 180, und die zweite, welche alle übrigen
Handschriften umfasst, von denen der Marcianus gr. 381, Vindoban. hist. gr. 2,
Parisin. 1419 und Laurent, plut. 69 cod. 20 genannt sein mögen."
„Weniger ausgeprägt sind die Classenunterschiede im zweiten Theile der
Alterthümcr (Buch XI— XX nebst Vita). Die älteste und beste ist der Palatino-
Vatiean. n. 14, snec. X, in welchem leider die Bücher XVHI — XX ausgefallen
sind, während die Vita noch erhalten ist. Es folgt der Ämbrosianus F. 128
sup., saec. XI, der Latirent. plut, 69 cod. 10, saec. XV, der Laurent, plut. 69
cod. 20 und der Leidensis F. 13 [soll heissen 16 J., s. Theol. Litztg. 1892, 515].
Letztere beide haben nur die Bücher XI— XV. In diesen Handschriften
sind die Urkunden in Buch XIV, 10 vollständig erhalten. Die übrigen, unter
wekihen der Vatican. 147 Erwähnung finden mag, haben dieselben ganz oder
zum Theil ausgelassen."
„Für die Ueberlieferung der Antiquitäten ist dann noch eine in mehreren
Handschriften erhaltene und von Zonaras benützte Epitome von Bedeutung,
die etwa im neunten oder zehnten Jahrhundert angefertigt sein mag. Sie gehört
für den ersten Theil der schlechteren Classe an, und nimmt für den zweiten
Theil eine Mittelstellung ein. [Der Text dieser Epitome ist jetzt von Niese
herausgegeben: Flavii Josephi Antiqtiitatum Judaicarum Epitoma, ed B. Niese,
Marburg, 9 Uuiv.-Programme, 1887—1896. Ueber die Benützung der Epitome
durch Zonaras s. ausser Niese's Prolegomena zu vol. lund III auch Büttner-
Wobst in: Gommentationes Fleckeisen ianae 1890, p. 126 sq.]. — Auch die
Antiquitäten sind, und zwar auf Veranlassung Cassiodor's, ins Lateinische
übersetzt worden. Der dieser Uebersetzung zu Grunde liegende Text war
für die erste Hälfte ein Vertreter der schlechteren Classe : im zweiten Theil
berührt sie sich bald mit dieser bald mit jener Handschrift. Die Vita ist
weder in die Epitome noch in die Uebersetzung mit inbegriffen worden."
„Endlich von den Büchern contra Apionem giebt es nur eine in Betraclit
kommende griechische Handschrift, Laurentianus plut. 69 cod. 22, saec. XI.
Neben dieser hat die ebenfalls cassiodorische lateinische Uebersetzung, die in
allen gedruckten Exemplaren [ausser der neuesten Ausg. von Boysen] lücken-
haft ist, eine sehr grosse kritische Bedeutung. Neben ihr dann besonders
noch die Anführungen des Eusebius, die freilich nur einzelne Stücke dieser
wichtigen Schrift wiedergeben".
100 § 3. Quellen. C. Josephus. [76. 77J
Ausgaben und Literatur.
Die erste Ausgabe des griechischen Textes der Werke des Josephus er-
schien bei Frobenius und Episcopius zu Basel 1544 (besorgt durch Arnold
Peraxylus Arien). — Ihr folgten die Genfer Ausgaben von 1611 und 1634. —
Diesen wieder die mit gelehrten Prolegomenis versehene Ausgabe von Ittig
(Leipzig, 1691, auf dem Titel steht fälschlich Coloniae). — Unvollendet blieb
die auf neuer Handschriftencollation beruhende und mit einem reichhaltigen
exegetischen Apparat versehene Ausgabe von Bernard {Antiquitatum Jud.
libri qtiatuor priores et pars mofpia quinfi, De hello Jucl. Über primus et pars
secundi, Oxoniae 1700). — Einen nach | Handschriften verbesserten Text der
sämmtlichen Werke gab erst Hudson (2 Bde. Fol, Oxonü 1720). — Ein
Repertorium alles bis dahin Geleisteten, auch neue CoUationen, jedoch keinen
verbesserten Text, gab Havercamp (2 Bde. Fol., Ämstelaedami, lAu/d.-Bat.,
UÜrajeeti 1726). — An ihn schlössen sich an die Handausgaben von Ober-
thür (3 Bde. 8o, Lipsiae 1782—1785) und Richter (6 Bdchen. gr. 12», Lips.
1826 — 1827). — Auf Grund des Havercamp'schen Materiales ist der Text hier
und da verbessert bei Dindorf (2 Bde. Lex.-8o, Paris 1845—1847). — Diesem
folgt die Handausgabe von Bekker (6 Bdchen. 8", Lipsiae, Teuhier 1855 — 1856).
— In keiner dieser Ausgaben, auch nicht bei Hudson und Havercamp, ist der
handschriftliche Apparat in irgend genügender Weise herangezogen. Seit
Havercamp hat überhaupt keiner der genannten Herausgeber sich wieder um
die Handschriften gekümmert. Nur für das Bellum, Judai<nim lieferte Card-
well eine achtungswerthe Separat- Ausgabe, für welche wenigstens ein Theil
der besseren Handschriften verglichen wurde {Flavii Josephi De hello Jiulnico
libri Septem ed. Cardio eil, 2 Bde. S**, Oxonii 1837). — Eine umfassende
CoUation aller besseren Handschriften ist erst in neuester Zeit durch Niese
vorgenommen worden. Als Resultat seiner Beraühiingen liegt jetzt eine
kritische Ausgabe vor, welche durch die Reichhaltigkeit des mitgetheilten
Apparates alles Bisherige weit übertrifll, wenn auch zu bedauern ist, dass
Niese in der Constituining des Textes zuweilen zu einseitig einer Hand-
schriflenclasse folgt [Flavii Josephi opera cdidif et ai>paratu critico itistruxit
Benediclus Niese, 6 Bde. gr. S», Bcrolini 1887, 1885, 1892, 1890, 1889, 1894
[dieser 6. Bd. in Gemeinschaft mit Destinon]; dazu als 7. Bd. ein sorgfältiger
Index 1895) — Hieraus eine Handausgabe des Textes ohne kritischen Apparat:
Flavii Josej)hi opera reeotjiiovit B. Niese, 0 Bde. 8", Bcrol. 1888 1895. — Auf
Grund von Niese's Apparat giebt eine eigene Recension: Flavii Josephi opera
omnia recAxjuovil Naher, 6 Bde. 8", lApsiac, 'Ihilmer 1888 — 1896 (Ersatz für
Bekker'H Ausgabe]. — Die Vita erschien in einer Soparat-Ausgabe von Henke
(HruunKcliweig 1786). — S. überh. über die Ausgaben; Faln-idus, Bihlioth. (rracc.
vd. Jlarles V, 31 fl". Fürst, Biblioth. JuJaica II, 117 1". Graessc, Tresor de livres
rare» et pr6cicux t. III (1862) p. 480—484. Gntschmid, KieÄe Schriften IV,
380—382. NicKC, Prolegomena zu Bd. I, V und VI seiner Ausgabe.
Zur Textkritik und Sprache: Krtusti, Obscrvatianes philoloyico-
criticae in Aritit(/j)hanis huIk-h et Flav. Josephi untiq, Jiid, Lips. 1795. —
llolwcrda, JOmcwUUionuvi Flaviannrum spccinicn, (loritic.hmtii\S\l. — Der«.,
Ohaerva/iimcM critiefiti in Flarii ,/osephi Aidif/nilatuni .luddinariim librum XVIII
(MnemoHifnn \^'Ä, p. 111 — 141). - Hekkcr, Varianten zum Josephus (uns
einom Berliner rod. pajnjr., Fragmente von Buch M — 19 dcT Arciiäologie ent-
haltend), in den MoruitHber. der Berliner Akademien 1860, 8. 224—230. —
{Wetlcrnia nti), I-'k , i i^ln, um > i tilbliothenic Fnuliiiw: lApsivnsis liltris mann
[77. 78] § 3. Quellen. C. Josephus. 101
scriptis pars altera, Ldps. 1866 (CoUation zu Bell. Jud. Buch V aus cod. Lips.).
— L. Diu dort", Ueber Josephos und dessen Sprache (Neue Jahrbb. für
rhilol. und Pädag. Bd. 99, 1869, S. 821—847). — Wollenberg, Recementur
LXXVII loci ex Flavi Josephi scriptis exccrpii qui ex conlectaneis Constantini
Aitgusti Porphyr ofienetae nsgl dQezTJg xal xaxiag in codice Petresciano extant.
Berlin 1871. — Naber, übservationes criticae in Flavium Josephum (Mnemo»yiie
Xin, 1885, p. 263—284, 352-399). — Destinon, De Flavii Josephi bello
Jiulaico recensendo ad Benedictum Niese epistula erüica, Kiel, Progr. 1889. —
C. Raab, De Flavii Josephi eloctihhne qiuiestiones criticae et observationes
f/rammaticae, Erlaiigae Diss. 1890. — Erh. Jahn, Ofjservationes criticae in
Flavii Josephi antiquitaiibus Jtidaieis, Erlangae Diss. 1891 [zu Buch I — II]. —
Wilh. Schmidt, De Flavii Josephi eloeutione observationes criticae (Jahrbb.
für class. Philol. XX. Supplbd. 1893, S. 345—550). — Herwerden, Gammen-
tafiones Flavianae {Mneniosyne XXI, 1893, S. 225—263). — Enthoven, Ad
Flavii Josephi antiquitates Jtulaicas {Mnemosyne XXII, 1894, S. 15 — 22). —
Krenkel, Josephus und Lucas, der schriftstellerische Einfluss des jüdischen
Geschiditschreibers auf den christlichen, 1894 (hierin bes. S. 283—336: Jo-
sephus' Einfluss auf Lucas' Sprache). — Drüner, Untersuchungen über
Josephus, 1896 (hierin: S. 1—34: Josephus als Nachahmer des Thukydides)
— Liexenberg, Sttidia Flaviana, Observationes criticae in Flavi Josephi Anti-
quitates Jwlaieas, Schiedam 1899 (hauptsächlich zu den zehn ersten Büchern,
s. die Anz. von Wen dl and, Berliner philol. Wochenschr. 1900, Nr. 9).
Uebersetzungen. Ueber die alten Uebersetzungen s. oben S. 95ft". —
Neuere lateinische Uebersetzungen sind enthalten in den Ausgaben von
Hudson, Havercamp, Oberthür und Dindorf. — Eine deutsche Ueber-
setzung erschien bereits vor der ersten griechischen Ausgabe nach dem
Lateinischen von Caspar Hedio, Strassburg 1531; dann von demselben nach
dem Griechischen revidirt, Strassburg 1561. Ueber andere deutsche Ueber-
setzungen aus dem 16. — 18. Jahrhundert s. Fabridus, Bihlioth. Graec. ed.
Hartes V, 31, 38, 48; Fürst, Biblioth. Jud. II, 121—123. Es seien hier nur
noch genannt die Uebersetzungen der sämmtlichen Werke von: Ott (zuerst
in 0 Octavbänden Zürich 1735, dann etwas vermehrt in 1 Folioband Zürich
1736), Cotta (Tübingen 1736), Demme (Josephus' Werke, übers, von | Cotta
und Gfrörer; das Ganze von neuem nach dem Griechischen bearbeitet etc. etc.
durch C. R. Demme, 7. Aufl. Philadelphia 1868—1869, Schäfer und Koradi);
die Uebersetzungen der Alterthümer von K. Martin (2 Bde., Köln 1852—1853,
2. Aufl. von Kaulen 1883, 3. Aufl. 1892), von Clementz (2 Bde., Halle 1900),
des 11. und 12. Buches der Alterthümer von Horschetzky (Prag 1826), des
13. Buches der Alterthümer von Horschetzky (Gross-Kanisa 1843); des
jüdischen Krieges von Friese (mit Vorrede von Oberthür, 2 Thle., Altona
1804—1805), von Gfrörer (2 Thle., Stuttgart 1836), von Paret (6 Bdchen.,
Stuttg. 1855) und von Kohout (Linz 1901, mit sachlichen Erläuterungen);
der Selbstbiographie von Eckhardt (Leipzig 1782), von Friese (Altona 1806)
und von M. J. in der Bibliothek der griechischen und römischen Schriftsteller
über Judenthum und Juden, Bd. 2 (Leipzig 1867, Oskar Leiner); der Schrift
gegen Apion von Frankel (Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Juden-
thums 1. Jahrg. 1851/52, mit einigen Kürzungen), von Paret (Stuttgart 1856)
und von M. J. in der Biblioth. der griech. und röm. Schriftsteller über Juden-
thum und Juden, Bd. 2 (1867). — Unter den Uebersetzungen in andere mo-
derne Sprachen ist besonders geschätzt wegen ilirer Beigaben die englische
Uebersetzung der Vita und des jüdischen Krieges von Traill {The Jewish
102 § 3. Quellen. C. Josephus. [78. 79]
War of Flarius Josephiis, a new Translaiion by R. Traill, edited by J. Taylor,
London 1862 und öfters). Erwähnt seien noch: The Works of Flavüis Josephus,
Whiston's translation revised by Shilleto, 3 vols. Lo»«?»« 1890? (die Revision
ist mangelhaft, s. The Äcademy 1890, 15. Febr. Nr. 928, p. 116). Oeuvres
eompletes de Flavius Josephe, avee tme notier biographiqiie par Buchon, Paris
1894? (Abdruck der alten Uebersetzung von d'Andilly, s. Berliner philol.
Wochenschr. 1894, 715 f.). Von einer neuen französischen Uebersetzung, welche
unter Theod. Reinach 's Leitung erscheinen soll, liegt der erste Band vor:
Oeuvres eompletes de Flavius Josephe traduites en fran^is sous la direetion de
Theodore Reinach, t. I, Äntiquites Judaiques, livres I — V, tradiietimi de
Julien Weill, Paris 1900. — Ueber andere Uebersetzungen in's Englische,
Französische, Italienische etc. s. Fabrieius, Bibl. Gr. ed. Harles V, 30 ft". ;
Fürst, Bibl. Jud. U, 123—127.
Allgemeine Literatur über Josephus (die ältere s. bei Fabricius-
Harles,Bibl. Qr. V,49— 56; Fürst, Bibl. Jud. II, 127—132). — Gerh. Joh. Vossius,
De historieis Qraeois [ed. 1. 1624) II, 8, ed. Westerm. 1838 p. 238—243. —
Havercamp's Ausgabe II, 2, S. 57 ff. — Ceillier, Histaire generale des
auteurs saeres et eeclesiastiques I, Paris 1729, p. 552 — 580. — Gave, Scriptorum
ecclesiasticorum historia literaria I, Oxon. 1740, p. 32 — 36. — Mensel, Biblio-
theca historica I, 2 (1784) p. 209 — 236. — Oberthür in: Fahn'cius, Bibliotheca
graeca ed. Harles t. V, 1796, p. 1 — 64. — Jost, Geschichte der Israeliten 11
(1821) Anhang S. 55—73. — Scholl, Gesch. der griech. Literatur II (1830) S.
383 — 389. — Lewitx, Quaestionu7n Flarlanarum speeiinen, Regioni. Pr. 1835.
Ders., De Flavii Josephi fide atqiie auctoritate, Königsberg 1857. — Hoevell,
Flavii Josephi vita; quatenus per vitae opportunitates ad conscribendam historiam
atque antiquitatcm Hebraieam idoneus fuit? etc. Traj. ad. Rh. 1835. — Ghasles,
De l'auiorite historique de Flavius-Josiphe. Paris 1841. — Egger, Examen
critique des historiens anciens de la vie et du regne d'Äuguste (Paris 1844) p.
189—209. — Bahr, Art. Josephus in Pauly's Real.-Enc. der class. Alterthums-
wissensch. II (1846), S. 242 — 244. — Creuzer, Josephus und seine griechischen
und hellenistischen Führer (Theol. Stud. und Krit. 1853, S. 45—86). Ders.,
Rückblick auf Josephus etc. (ebendas. 8. 906—928). — Paret, Art. Josephus
in Herzog's Real-Enc. 1. Aufl. Bd. VII (1857) S. 24—29. — Reuss, Art. Jo-
sephus in Ersch und Gruber's Encykl. der Wissensch. und Künste, II. Section,
31. Thl. (1855) 8. 104—116. Ders., Flarius Joseph, in der Strassburger Reruc
de ThSologte 1859, p. 253—319. Ders., Gesell, der lieil. Schriften A. T.'s 1881
§ 16. — Farrar, Art. Josephus in Killo'.^ Cyrln/iaedia, of Bibiical lAlerature.
— Terwogt, Ilet leren van den joodschen geschirdscliriji'cr Flavius Josephus,
t7/rccA/ 1863. — Baunigarten, Der Hchriftsteih'riHche Charakter des Josephus
(Jnhrbb. für doutsche Theol. 1864, S. 616— (WH). - Huiisrath, Ueber den
jfldiMchen OcHchichtsciireiber und Staatsmiuui Flav. Jo8cj)hus (SyboPs Histor.
Zoltochr. Bd. XII, 18<M, 8. 285—314). Ders., NcutcHtanumtl. Zoitgcsch. 2. Aufl.
IV, ÖG-74. — Ewald, GeHch. des Volke« Israel 3. Aufl. VI, 7(K) n. VII,
80—110. — Nicolai, Griech. I-itcniturgeHcli., neue Bearb. II, 2 (1877) S.
663 — 659. — Baerwald, | .JoHcphuH in Galili'la, seiii Verhältniss zu den l'nr-
tden inftbemmdore fu Justus von Tiberius und Agrippa II, Breslau 1877. —
lienan, /y« fratuftlen {1H77) p. 131 sqq. 2'.V.) nqq. — Kdershoim, Art. .losephus
in: Smith and Wnce, IHrllonary of Christian hiitgra/ihy rol. III, 1882, p. 441 —
400. — Reich, Zur GnncMiH des Tuliniid, derTalnmd und die Iliuuor (2. Aufl.
1808, 8. Ö9-W)). — OutHchniid, Kl.-ine SrliriClcri Md. IV, 1H93, 8. 336— 384
{über JoMophuN im Atigemeinen, als Kinleitimg zur Hrklärung der Bücher
[79] § 3. Quellen. C. JoHephus. 103
gegen Apion). — Korach, Ueber den Werth des Josephus als Quelle für die
römische Geschichte, Thl. I: bis zum Tode des Augustus, Leipziger Diss. 1895.
— Wachsmuth, Einleitung in das Studium der alten Geschichte, 1895, S.
438—449. — Niese, Der jüdische Historiker Josephus (Historische Zeitschr.
Bd. 76, 1896, S. 193— 237). — Vogelstein und Rieger, Geschichte der Juden
in Rom, Bd. I, 1896, S. 100—108. — Unger, Zu Josephos [fünf Artikel über
Einzelfragen] (Sitzungsberichte der Münchener Akademie, philos.-philol. und
histor. Classe 1895, S. 551—604. 1896, S. 357—397. 1897, S. 189-244). —
Peter, Die geschichtliche Literatur über die römische Kaiserzeit Bd. I, 1897,
S. 394—401.
Ueber den theo!, und philos. Stjandpunkt des Josephus: Bret-
schneider, Capita tJieologiae Jtulaeointm dogniaticae e Flavii Josephi seriptis
collecta, Viteh. 1812. — Gfrörer, Philo II, 356—367. — Dähne, Jüd.-alex.
Religionsphilosophie II, 240—245. — Lutterbeck, Die neutestamentl. Lehr-
begriflfe I, 1852, S. 410— 412. — Paret, Ueber den Pharisäismus des Josephus
(Theol. Stud. und Krit. 1856, S. 809— 844). — E. Ger lach. Die Weissagungen
des A. T.'s in den Schriften des Fl. Josephus (1863) 8. 6—19. — Langen,
Der theologische Standpunkt des Flavius Josephus (Theol. Quartalschr. 1865,
S. 3—59). — Poznanski, Ueber die religionsphilosophischen Anschauungen
des Flavius Josephus, Breslau 1887. — Lewinsky, Beiträge zur Kenntniss
der religionsphilosophischcn Anschauungen des Flavius Josephus, Breslau 1887.
— Bertholet, Die Stellung der Israeliten und der Juden zu den Fremden,
1896, S. 291—294.
Ueber den alttestaraentl. Kanon, welchen Josephus voraussetzt (bes.
contra Apion. I, 8), s. die Einleitungen in's Alte Testament von Eichhorn,
Betholdt, Hävernic k, Keil, De Wette- Schrader, Bleek-Well-
hausen und Anderen, die Abhandlungen über die Geschichte des alttestamentl.
Kanon's von Movers [Loci quidam historiae canonis Vet. Test, illustrati 1842),
Weite (Theol. Quartalschr. 1855), Dill mann (Jalirbb. für deutsche Theol.
1858), Strack (Art. Kanon des A. T. in Herzog's Real-Enc. 3. Aufl. Bd. IX,
1901), Schmiedel (Art. Kanon in Ersch und Grubers Encykl. Section II, Bd.
32, 1882), Buhl, Wildeboer und Anderen (s. die Literatur unten Bd. II, 8.
305 f.), ferner: Christ. Fried. Schmid, Enarratio sententiae Flav. Jos. de libris
V. T. Viteh. V211. — Treuen fels in Fürst's Literaturblatt des Orients, Bd.
X, 1849, und XI, 1850. — Reuss, Nouvelle Revue 1859, p. 284—289. — Deren-
bourg, Histoire de la Palestine p. 478—480.
Ueber die Benützung des hebräischen Grundtextes und der
Septuaginta (hebräische Sprachkenntnisse): Joh. Gottl. Carpxov, Oritiea
Sacra, Lips. 1748, p. 945 — 954. — Ernesti, Exercitationum Flavianarum
prima, Lips. 1756. Mit zwei coroUariis auch in dessen Opuscc, phil. erit.
Lugd. Bat. 1776. — Michaelis, Oriental. und exeget. Bibliothek V, 1773,
Nr, 84; VII, 1774, Nr. 116. — Gesenius, Gesch. der hebr. Sprache und
Schrift 1815, S. 80 — 82. — Spittler, De ttsu versionis Alexandrinae apud
Josephum, Qotting. 1779. — Scharfenherg, De Josephi et versionis Aleocan-
drinae consensii, Lips. 1780. — Bloch, Die Quellen des Flavius Josephus
(1879), S. 8—22. — Siegfried, Die hebräischen Worterklärungen des Jo-
sephus (Stade's Zeitschr. für die alttestamentl. Wissensch. 1883, S. 32 — 52). —
A. Mez, Die Bibel des Josephus, untersucht für Buch V — VII der Archäo-
logie. Basel 1895. — Ein Verzeichuiss der hebr. Etymologien des Josephus
auch in Vallarsi's Ausgabe des Hieronymus III, 745 — 752.
104 § 3. Quellen. C. Josephus. [79. 80]
üeber die Behandlung der biblischeu Geschichte (Verhältniss
zur Haggada und Halacha, freie Umbildung): Zunz, Die gottesdienstlichen
Vorträge der Juden S. 120. — Anton Theod. Hartmann, Die enge Ver-
bindung des A. T.'s mit dem Neuen (1831) S. 464 — 514. — Burg er, Essai sur
l'usage que Fl. Jos. a fait des livres canvniques de l' A. T. Strasb. 1836. —
Ger lach, Die Weissagungen des A. T. in den Schriften des Fl. Jos. 1863. —
Duschak, Josephus Flavius und die Tradition, Wien 1864. — Plaut, Flavius
Josephus und die Bibel, Berlin 1867. — Tachauer, Das Verhältniss des
Flav. Josephus zur Bibel und zur Tradition, Erlangen 1871. — Bloch, Die
Quellen des Fl. Josephus (1879) S. 23— 53. — Edersheim, Art. Josephus in:
Smith atid Wace, Dictimutry of ehrist. hiogr. III, 454 — 457. — Ranke, Welt-
geschichte ni. Tbl, I 2. Abth. (1883) S. 12—41. — Olitzki, Flavius Josephus
und die Halacha, 1. Tbl. 1885. Ders., Flavius Josephus und die Halacha,
2. Tbl. (Magazin für die Wissensch. des Judeuth. XVI, 1889, S. 169—182).
Ders., Der jüdische Sklave nach Josephus und der Halacha (ebendas. S.
73—83). — Grünbaum, Die Priestergesetze bei Flavius Josephus, 1887.
Ueber die Chronologie und den Kalender des Josephus: Brineh,
Chronologiae et hisloriue Fl. Josephi exanien, Hafniac 1701 (auch in Havercamp's
Jo.sephu8 II, 2, 287—304). — Spanheim in Havercamp's Jos. II, 2, 407 f. —
Garpxov, Oritica sacra p. 954—957. — Junker, Ueber die Chronologie des
Flavius Josephus, Conitz 1848. — Journal of Saered Literature vol. V, 185U,
p. 60 — 81. — Journal of Sacred Literature and BUdical Record vol. VII, 1858,
p. 178—181. — M. Niebuhr, Gesch. A.ssurs und Babel's (1857) S. 105—109,
347— 361). — Ewald, Gesch. des Volkes Israel II, 524 f. — Preuss, Die
Zeitrechnung der Septuaginta vor dem vierten Jahre Salomos, Berlin 1859
(angez. von Gutschmid, Lit. Centralbl. 1861 = Kleine Schriften II, 291). —
Kuenen, De stammboom van doi masoretischen tekst des 0. Testanu^its {Ver-
slagen en Mededcelingen der hminkl. Akademie van Wetenschappen, Afdeeliug
Ijelierkunde, Tweede reeks, deel HI, 1873, p. 289—339, über Josephus: 321 fl'.).
Deutsch in: Gesammelte Abhandlungen von Kuenen, 1894, S. 82—124.
Dazu Bousset, Zeitschr. für die alttest. Wissensch. 1900, S. 136-147. —
Destinon, Die Chronologie des Josephus, Kiel 1880. — Schlatter, Eupo-
lemu8 als Chronolog und seine Beziehungen zu Josephus und Manetho (Theol.
Stud. und Krit. 1891, S. 633—703). Ders., Zur Topographie und Geschiclite
I'ahlstinas 1893, S. 360— 367 (über den Kalender). — Niese, Zur Chronologie
des J<>He|)huH [über den Kalender, die K'iilHcrjuhre und die Clironologie der
Hasnionäerl (Hermes XXVIII, 1893, S. ÜM-229). Unger, Die Tagdatu des
JoHeph<»M (Sitzungsbc^richte (Wr Münchener Akademie, pliilos.-pliih)!. und liistor.
(JlaMKe 189:{, IUI II, S. 4.'»3— 492). — Unger, Zu .losephos, 11: Die Uegiennigs-
jahre <h5r makkal)äiHchen Fürsten (Sitziingsbericlitt! 1896, S. H57— :J82). 111:
Kt'giuniiigHJahro der Kaisorzoit, 1. Kaiserjahre, 2. Fürsteiijahre (ebendas. S.
38:^—397). — Uolier die Art, wie Josc^phuH <lie Kuiserjalire rechnet, h. ausser
NlfHo und Unger auch Knaake, Zeitschr. für iutli. Theol. 1871, S. 224—247,
und Wli'Hi'ler, ebenchis. 1872, H. 55—63.
Ueber die (inclijdi der zweiten Hälfte der Archäologie: Nuss-
hnnm, OlimrralioiicH in Flavii Josrpbi Antiquitales l.ib. XII, 3 -- Xill, 14.
tH*$ert. itmw/. 1875 (vgl. Theol. Utztg. 1876 Nr. 13). HIoch, Die (.iuclleu
tlen FlavhiN JcwephuH in «eintfr Anhäologi««, li(!ii)/,ig 1879 (vgl. 'J'heol. Litztg.
1870, Nr. 24). — DuHtinon, Diu C^uellen des Flavius .losephuH in der .lud.
Ar«h. BiM-h XII- XVn - Jüd. Krieg ilueh I. Kiel 1882 (vgl. Theol. I.itztg.
1882, Nr. 17). — Bctiomnnn, Die Quellen des Flavius JosephuH in der jüdi-
[80] § 3. Quellen. C. Josephus. 105
sehen Archäologie Buch XVIII— XX == Polenios II, cap. VII— XIV, 3. Dissert.
1887. — Otto, StraJjotns taiOQixdJv imofivtjfidxcuv fra{/7tieiita (Leipziger &itudien
zur clasH. Pliilol. 11. Bd., Öupplementheft 1889) S. 225—244. — Will rieh,
Juden und Griechen vor der makkabäischeu Erhebung, 1895. — Drüner,
Untersuchungen über JoHephus, Marburg, Diss. 1890. — Büchler, Les sources
(le Flavius Josephe tlans ses antiquites XII, 5, 1 — XIII [soll heissen: XII, 5 —
XIII, 7J {Revue des etudes juives t. XXXII, 1896, p. 179—199. XXXIV, 1897,
p. Ü9 — 93). Der 8., The sources of Josephus for the history of Syria in Änli-
quüies XII, 3— XI1I,14 {Jewish Quarterly Review IX, 1897, p. 311—349),
Ueber die mitgetheilten Actenstücke (bes. aus der Zeit des Cäsar
und Augustus); Oronovius, Decreta Roniatui et Asiutica pro Judaeis etc., Lugth
li(it. 1712. — Krebs, Decreta Roriuvwrum pro Judaeis facta e Josepfio collecta
et eommenfario ülustrata, Lips. 17G8. — Egyer, Examen critique des historietis
anciens de la vie et du rhgne d^ Auguste 1844, p. 193 — 200. — Ders., Etudes
historiques sur les traites publies 1860, p. \Qi'i sqq. — Bonnetty, Atmales de
Philosophie chretienne t. IX, 5« serie (cit. von Deluunay, Phihu d'Alexaudrie p.
Wi'i sq.). — Mendelssohn, Seuati consutta Rotuanorum qua? sunt in Josephi
Antiquitatibus [Acta Societatis philol. Lips. ed. Ritsc/ielius t. V, 1875, p. 87 — 288).
Vgl. Theol. Literaturzeitung 1870 Nr. 15 (woselbst auch die specielle Literatur
üher Antt. XIV, 8, 5 zusammengestellt ist). — Niese, Bemerkungen über die
Urkunden bei Josephus Archäol. B. XIII, XIV, XVI (Hermes Bd. XI, 1870,
8. 400 — 488). Hierzu die Replik von Mendelssohn, Rhein. Museum Neue
Folge Bd. XXXII, 1877, S. 249—258. — Wieseler, Einige Bemerkungen zu
den römischen Urkunden bei Josephus Antt. 12, 10; 14, 8 und 14, 10 (Theol.
Stud. und Krit. 1877, S. 281—298). — Rosenthal, Die Erlässe Cäsars und
die Senatsconsulte im Josephus Alterth. XIV, 10 nach ihrem historischen In-
halt untersucht (Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. 1879,
8. 170—183, 210—228, 300-322). — Kiudlmann, Utrum litterae quae ad
(Jlaudiwn Tiberium iviperatorem apud Josephum referuntur, ad eum referetuUte
sint riecne, quaeritur. Mährisch-Neustadt, Progr. 1884. — Judeich, Cäsar im
Orient, 1885, 8. 110 — 141. — Grätz, Die Stellung der kleiuasiatischen Juden
unter der Römerherrschaft (Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Juden-
thums 1880, S. 327—340). Ders., Gesch. der Juden Bd. III (4. Aufl. 1888)
S. 055—071. — Viereck, Serrno graeciis qiuj senatus populusque Romanus
niayistratusque popuU Rontani usque ad Tiberii Caesaris aetatem in scriptis
piddicis usi sunt examinatur [Oottingae 1888) p. 91 — 110. — Schlatter, Zur
Topographie und Geschichte Palästina's 1893, S. 1—28, 321—324 (Gesch. von
Jope). — Unger, Zu Josephos, I : Die unpassend eingelegten Senatusconsulte
[Antt. XIV, 8, 5. XIII, 9, 2. XIV, 10, 22] (Sitzungsberichte der Münchener
Akademie, philos.-philol. und histor. Classe 1895, S. 551 — 004). — Buch 1er,
Die priesterlichen Zehnten und die römischen Steuern in den Erlässen Cäsars
(Festschr. zum 80. Geburtstage M. Steinschneiders 1890, S. 91 — 109).
Die Literatur über das sogenannte Zeugnissvon Christo (J.«rt.XVIH,
3, 3), welche in der Regel auch Allgemeineres über Josephus bietet, s. unten § 17.
Ueber die geographischen Angaben des Josephus (und deren nur
relative Zuverlässigkeit): Robinson, Palästina II, 53 Ö". und sonst. — Raumer,
Palästina (4. Aufl. 1800) S. 400—471. — Berggren, Flavius Josephus der
Führer und Irreführer der Pilger im alten und neuen Jerusalem, Leipzig 1854.
— Arnold, Die Bibel, Josephus und Jerusalem; Sammlung und Beleuchtung
aller Stellen der Bibel und des Josephus, welche auf die Topographie Jerusa-
lem's Bezug nehmen, 2 Abthlngn. Halle 1865 — 66. — Zur Erläuterung der!
106 § 3. Quellen. C. Josephus. [81]
geographischen Angaben: Gust. Boettger, Topographisch-historisches Lexicon
zu den Schriften des Flavius Josephus, Leipzig 1879.
Zur Erläuterung der Schrift gegen Apion: Cruice, De Flavii Jo-
sephi in atictoribus contra Apionem afferendis fide et auctoritate, Paris 1844.
— Creuzer, Theol. Stud. und Krit. 1853, S. 64 ff". — Kellner, De fragmentis
Manethonianis quae apud Josephum contra Apionem I, 14 et I, 26 sunt. Mar-
burgi 1859. — Zipser, Des Flavius Josephus Werk „Ueber das hohe Alter
des jüdischen Volkes gegen Apion" nach hebräischen Originalquellen erläutert,
Wien 1871. — J. G. Müller, Des Flavius Josephus Schrift gegen den Apion,
Text und Erklärung, Basel 1877. — Gutschmid, Kleine Schriften Bd. IV,
1893, S. 336—589 (Commentar zu contra Apion. I, 1 — 22 nebst einer allge-
meinen Einleitung über Josephus). — Rühl, Die tyrische Königsliste des
Menander von Ephesus (Rhein. Museum N. F. Bd. 48, 1893, S. 565—578).
D. Griechische und römische Schriftsteller.
Es kann hier nicht unsere Absicht sein, alle diejenigen grie-
chischen und römischen Schriftsteller aufzuzählen, welche irgend-
wie einen Beitrag zu unserer Geschichte geliefert haben; sondern
nur diejenigen werden zu nennen sein, deren Beiträge von einigem
Belang sind. Für die eigentliche Geschichte des jüdischen Volkes
liefern die uns erhaltenen griechischen und römischen Historiker
nur wenige Notizen. Von grösserem Werth ist, was wir zur all-
gemeinen Charakteristik des Judenthums aus den gleichzeitigen
Autoren, besonders den Satirikern (Horaz, Juvenal) entnehmen
können. Die Texte der einen, wie der anderen Art sind gesam-
. melt bei Rein ach, Textes dauteurs grecs et romains relatifs au Ju-
ddistne 1895. Ausser diesen direct auf die Juden bezüglichen.
Texten kommen aber namentlich in Betracht diejenigen Historiker,
aus welchen die Geschichte von Syrien während der seleucidischen
und römischen Herrschaft zu schöpfen ist. Denn die Geschiclite
Palästina's hängt in unserem Zeitraum aufs engste mit der allge-
meinen Geschichte von Syrien zusammen. Die Historiker, welche
diese behandeln, gehören darum auch zu den Quellen unserer Ge-
schichte. Die wichtigeren von ihnen sind folgende'):
1) Sänimtlicho hier genannte Autoren liegen in neueren Toxt-AuHgabcn vor,
namentlich in den Bammlungen von Didot in Paris (liier die griecliiHciieii mit
InU'iniRcher UcborHetziing) und Teubner in Leipzig. - - Bibliographische Vorzeich-
niMH« der AuHgaben und d<'r Literatur über Jeden giebt: Engelmann, liililü>-
thrra neriptonmi rtasHtcoruni, 8. Aufl., bearb. von l'reuHS, 2 Bde. 1S8() — 1882.
Die fortlauft^nde Literatur verzeiclinet die vierteljälirlicii bei ('.•ilvury in Herliu
erMchoinunde UMinifura jihilologira rlasnira, — Zur iiäriisteii (Jriciitiriing (liciu-ii
die iM'treH'enden Artik(fl in I'auly'H Real-Encyc,l<»|»ä(li(' der <biHsiMclicii Aiter-
tliiimNwiMMMiHchnfl, und flie Werke von Ni<'<»lai ((IrieciiiHclieLitcrHlurgcHcliicIite,
3 «<l«. lH7;t~lH7H) undTiMiffe! ((ieMch. der römiHclien Literatur, \. Atill. beurb.
von Hrbwnb... 1HH2; 0. Aufl. 18JMt).
[81. 82] § 3. Quellen. D. Griechische und römische Schriftsteller. 107
I. Griechische Schriftsteller.
1. Polyhius aus Megalopolis in Arkadien. Er war einer der
tausend vornehmen Achäer, welche im J. 166 vor Chr. unter der
Anklage' römerfeindlicher Gesinnung nach Eom weggeführt und
dort (beziehungsweise in Italien) sechzehn Jahre lang zurückge- |
halten wurden. Während seines langen Aufenthaltes in Rom und
Italien reifte in ihm die Ueberzeugung von der inneren Berechti-
gung und Nothwendigkeit der römischen Weltherrschaft. Diese
hat er auch in seinem grossen Geschichtswerke zum Ausdruck ge-
bracht, das in 40 Büchern die allmähliche Ausbildung der römi-
schen Weltmacht vom J. 220—144 vor Ohr. darstellte. Erhalten sind
davon nur die ersten fünf Bücher vollständig, von den übrigen
nur mehr oder weniger umfangreiche Fragmente, namentlich in den
Kxcerptensammlungen des Constantinus Porphyrogennetus (vgl.
oben S. 52). Für unsere Geschichte kommen nur die letzten
15 Bücher, XXVI— XL, in Betracht. Buch XXVI c. 10 gedenkt
er zuui erstenmale des Antiochus Kpiphanes.
2. Diodorus. Geb. zu Agyrium in Sicilien (daher Siculus)]
lebte zu Cäsars und Augustus' Zeit. Er schrieb eine grosse Uni-
versalgeschichte aller Zeiten und Völker, welche er BißXiod-rjxii
nannte. Sie bestand aus 40 Büchern, umfasste einen Zeitraum von
elfliundert Jahren und reichte bis zur Unterwerfung Galliens und
Britanniens durcli ('äsai'. Erhalten sind: Buch I— V (die Urge-
schichte Aegyptens und Aethiopiens, der Assyrer und der anderen
Völker des Orients, sowie der Griechen), Buch XI — XX (vom Be-
ginn des zweiten Perserkrieges 480 vor Chr. bis zur Geschichte der
Nachfolger Alexanders des Grossen 302 v.Chr.); von den übrigen
Büchern nur Fragmente, hauptsächlich in den Excerptensammlun-
gen des Constantinus Porphyrogennetus (vgl. oben S. 52). Ein Theil
der letzteren ist erst durch neuere Publicationen bekannt geworden
{Excerpta Vaticana bei Mai, Script, vet. nov. coli. t. II, und Excerpla
Escurialensia bei Müller, Fragm, hist. graec. t. II, p. VII — XXVI und
Feder, Excerpta e Polyhio, Diodoro, Dionysio Hai. atque Nicoiao Dam..
3 Thle. 1848—1855), daher auch erst in die neueren Gesammt-
Ausgaben aufgenommen. — Für uns kommt Diodor in Betracht
von Buch XXIX, 32 {ed. Mülle)-) an, wo er zum erstenmale des
Antiochus Epiphanes gedenkt.
3. Strabo aus Amasia (Afidaeia) im Pontus, lebte um 60 vor
bis 20 nach Chr. (genau lässt sich weder das Geburts- noch das Todes-
jahr bestimmen). Von seinen Werken sind nur die gegen Ende
seines Lebens geschriebenen rea)yQag)ixa (in 17 Büchern) erlialten,
bekanntlich eine Hauptquelle für die alte Geographie. Unter den
1Ö8 § 3. Quellen. D. Griechische und römische Schriftsteller. [82. 83]
zahlreich eingestreuten geschichtlichen Notizen befinden sich auch
manche, welche für die Geschichte von Syrien von Werth sind.
In der Beschreibung Palästina's (XVI, 2, 25—46 p. 758—765) hat
Strabo, ausser anderen, eine Quelle benützt, welche die Zustände
der vorpouipejanischen Zeit darstellte; denn er bezeichnet das
durch Alexander Jannäus zerstörte Gaza als (isvovaa sQrjftog
(XVI, 2, 30), I ohne die durch Gabinius, wenn auch an etwas an-
derer Stelle, erfolgte Neugi'ündung zu erwähnen (vgl. Bd. II, S. 86 f.);
auch ist für seinen Gewährsmann die gewaltsame Judaisirung von
Jope und Gazara (Gadara) noch in frischer Erinnerung (XVI, 2,
28 — 29). Vielleicht stammen die Angaben aus Posidonius, welchen
Strabo hier öfters citirt {p. 750, 755, 757, 764).
4. Plutarchus. Geb. um 50 nach Chr. zu Chäronea in Böotien.
Trajan verlieh ihm die consularische Würde und Hadrian ernannte
ihn zum Procurator von Griechenland. Ausserdem wissen wir, dass
er in seiner Vaterstadt das Amt eines Archon verwaltet und mehr-
mals die Leitung der Feste des pythischen Apollo geführt hat. Er
starb um 120 nach Chr. — Von seinen Werken kommen für uns
in Betracht die Biographien {ßioi jtaQaXXrjXoi) ausgezeichneter
Männer Griechenlands und Roms, von welclien meist zwei, ein
(h-ieche und ein Römer, neben einander gestellt werden. Erhalten
sind davon etwa 50, worunter besonders die des Crassus, Pom-
pejus, Cäsar, Brutus und Antonius sich mit unserer Geschichte
berühren.
5. Appianus. Von Appian's Leben ist nur wenig bekannt.
Er selbst sagt von sich am Schlüsse der Vorrede seines Geschichts-
werkes'^): „Ich bin Appianus, aus Alexandria, gelangte zu den
ersten Ehrenstellen jn meinem Vaterlande, und führte als Rechts-
anwalt Processe zu Rom vor den Gerichtshöfen der Kaiser, bis diese
mich für würdig erachteten, ihr Procurator zu werden". Aus ver-
Hcliiedeiien Stellen seines Werkes geht hervor, dass er unter Trajan,
Hadrian und Antoninus Pins gelebt hat. Die Abfassung seines (le-
schichtswerkes fällt unter Antoninus Pius, um 150 nach Chr. Es
behandelt die Geschieht«; Roms in 24 Büchern. Jedoch wählte Appian
statt der gewöhnlichen synchronistischen Methode die cthnogra-
phiKche, „indem er die (jeschichte der Ereignisse eines jeden ein-
/A'\\un\ LandcK ununterbrochen bis zu sein(!r Vereiiiignng mit Rom
liindureji führte, nnd damit also die Geschichte lloms in eine Rc^ihe
von 8pecialgeHchichten der einzelnen mit dem i-ömischen Reich
vereiiiJj(t,<Mi Länder und Völker zerlegte, deren Geschichte er von
2) f^nniavbq 'Akt^avdffv^, ^s To npütttt rixcav <?v tQ natQlfU, xal dlyaii
ir'l*tSfiii OfvayopevaaQ inX ttüv (iaatXfatv, fi^xp^ /'^ ayaJv inixifonfvHV tj^ltaauv".
[83. 84] § 3. Quellen. D. Griechisc-he und rüniische Schriftsteller. 109
ihrem ersten Berührungspunkte mit Rom bis zu ihrer Unterwerfung
durchgeht, indem er zugleich kurz die Geschichte der früheren
Zeit vorangestellt hat" (Bahr in Pauly's Real-Enc. 1. Aufl.). Kr-
lialten sind von den 24 Büchern folgende: Von I — V und IX nur
Bruchstücke. Vollständig dagegen: VI 'ißr/Qixi^ (seil. lotoQia),
VII ^Avvißa'ix'^, VIII Aißvxrj xal KaQxr^öovixri , XI HvQiaxrj xdi
UaQd^ixri (hiervon | ist aber die parthische (leschichte verloren),
XII Mi&Qiöartiog, XIII— XVII 'E(jg)vXia d. h. die Bürgerkriege,
XXIII Aaxixri oder 'UXvqixi^. Die erhaltenen 5 Bücher der Bürger-
kriege (XIII — X\'II) werden gewöhnlich als A])j)ian. Civ. I, II, III,
IV, V citirt, die übrigen Bücher nach ihrem Inhalte: Libyca
(oder Punica), Syriaca etc.
6. Dio Cassius (oder richtiger Cassius Dio). Geb. zu Nicäa
in Bithynien um 155 n. Chr.; betrat in Rom die öffentliche Lauf-
bahn, wurde nach einander Aedil, Quästor, Prätor und um 221
Consul. Als Proconsul vei^waltete er die Provinz Afrika. Im
.1. 229 zog er sich vom öifentlichen Leben zurück. Ueber sein
späteres Leben, wie auch über die Zeit seines Todes fehlen uns
alle Nachrichten. — Die Ausarbeitung seines grossen Werkes über
die römische Geschichte fällt wahi;scheinlich um 211—222 n.Chr.;
es wurde jedoch von ihm noch bis z. J. 229 fortgeführt. Es be-
stand aus 80 Büchern und umfasste die ganze römische Geschichte
von der Ankunft des Aeneas in Latium bis z. J. 229 n. Chr. Er-
halten sind: von den 34 ersten Büchern nur kleine Fragmente;
bedeutendere Stücke von B. XXXV u. XXXVI, sodann B. XXXVII—
LIV incl. vollständig (von den Kriegen des Lucullus und Pompejus
mit Mithridates bis zum Tode des Agrippa im J. 12 vor Chr.); von
B. LV — LX incl. wieder bedeutendere Bruchstücke ; vom Uebrigen
aber (B. LXI— LXXX) nur der von Xiphilinus im 11. Jahrh. ge-
fertigte Auszug (für die 34 ersten Bücher fehlt auch dieser).
IL Lateinische Schriftsteller.
1. Cicero. Geb. den 3. Januar 106 zu Arpinum; gest. den
7. December 43, als Opfer der Proscriptionen des Antonius und
Octavianus. Cicero's Reden und Briefe sind bekanntlich eine
Hauptquelle für die Geschichte seiner Zeit und so insonderheit auch
für die Geschichte von Syrien während der Jahre 57 — 43 vor Chr.
2. Livius. Geb. zu Patavium (Padua) 695 a. U. = 59 v. Chr.,
gest. ebendaselbst 770 a. ?7. = 1 7 n. Chr. Sein grosses Geschichts-
werk behandelte die Geschichte Roms vom Ursprung der Stadt bis
zum Tode des Drusus in 142 Büchern. Erhalten sind nur 35 Bücher,
nämlich die erste, dritte, vierte Dekade und von der fünften
110 § 3- Quellen. D. Griechische und römische Schriftsteller. [84. 85]
die erste Hälfte. Für ims kommt nur die erste Hälfte der fünften
Dekade Buch XLI— XLV in Betracht, welche die Jahre 178—167
V. Chr. umfasst. Doch sind auch die Inhaltsangaben der späteren,
verloren gegangenen Bücher von Werth.
3. Monumentum Ancyranum. Augustus hinterliess bei
seinem Tode unter Anderem eine Uebersicht seiner wichtigsten
Regierungshandlungen, welche auf eherne Tafeln übertragen und vor |
seinem Mausoleum aufgestellt werden sollte {Sueton. Aug. 101:
indicem rerum a se gestarum, quem vellet incidi in aenacis tabtdis,
quae ante Mausoleum statuerentur). Diese Uebersicht ist uns fast
vollständig dadurch erhalten, dass sie, im lateinischen Text und in
griechischer Uebersetzung, auch auf die Marmorwände des Au-
gustus-Tempels zu Ancyra in Galatien eingegraben wurde. Was
hier vom lateinischen Texte fehlt, wird durch die Bruchstücke der
griechischen Uebersetzung soweit ergänzt, dass nur unbedeutende
Lücken bleiben. Ein anderes Exemplar des griechischen Textes
befand sich in einem Tempel zu Appollonia in Pisidien, wovon
ebenfalls Bruchstücke erhalten sind. — Dieses umfangreiche in-
schriftliche Denkmal ist neben Dio Cassius und Suetonius unsere
Hauptquelle für die Geschichte des Augustus. — Die neuesten und
correctesten Ausgaben sind: 1) Ferro t, Exploration archeologiqne
de la Gaiatie et de la Bithynie etc. [1862— ] 1872, pl. 25—29. 2) Corp.
Inscr. Lat. t. III, 1873, p. 769—799, 1054, 1064. 3) Bergk, Augusti
rerum a se gestarum indicem ed., 1873. 4) Mommsen, Res gestac
divi Augusti, ex monumentis Ancyrnno et Apollonicnsi iteruni cdidit\
aecedunt tahulae undecim, Baiol. 1883 (mit reichhaltigem, sachlichem
Commentar).
4. Tacitus. Geb. um 55 nach Chr., wurde im Jahre 88 Prätor
und 97 Consul (nicht 98, s. Wachsmuth, Va\\\. in das Studium der
alten Gesch. S. 677 Anm.). Die Zeit seines Todes ist unbekannt.
Doch scheint er den Anfang von Hadrian's Regierung noch erlebt
zu haben, also etwa um 120 gcistorben zu sein. - \'on sein<'n
hist4)ri8chen Werken sind bekanntlich die Annalen, welche in
16— 18 Büchern (der Umfang ist nicht sicher bekannt) die Zeit des
Tiberius, (.'aligula, (Üaudius und Nero (also die Jahre 14—68 n. V\\y.)
behandeln, die wichtigste Quelle für die Geschichte dieser Zeit
und so uucli für di(; Geschichte von Syi'ien. Sie sind annalistiscli
geordnet, ho dass sie eine sichtM'e Festst(dlung dei* (Hironologii^
ermiiglichen. Leider fehlt in der Mitte ein grosses Stück. Krluiltcn
sind: I— IV ganz, V und VI tlieilweisfs XI W\ (jedoch am An-
fang lind Knde verstümmelt). Das Ki'lialtene umfjisst di(! Zeit des
Tiberius, die zweit<j Hälfte der Kcgierung des Claudius und die
de8 Neru (mit AuKnahme des ScIiIussüb). — Auch von dem anderen
[85. 86J § 3. Quellen. D. Griechische und römische^ Schriftsteller. m
Hauptwerke, den Historien, welche in 12—14 Büchern die Zeit
des Galba, Otho, Vitellius, Vespasianus, Titus und Doniitianus (also
die Jahre 68 — 96 n. Chr.) umfassten, ist nur ein Stück, näiulich
Buch I— IV und ein Theil von Buch V erhalten, die Jahre 68—70
behandelnd. Von Interesse für uns ist darin besonders V, 1 — 13,
wo Tacitus in wenigen Zügen eine Uebersicht über die Geschichte
des jüdischen Volkes bis auf den Krieg des Titus giebt.
5. Suetonius. In Betreff' seiner Lebenszeit wissen wir, dass
seine Jugend in die Regierungszeit Doniitian's (81—96 n. Chr.) fällt,
dass er unter Trajan (98—117) die Würde eines Tribun bekleidete
und unter Hadrian (117 — 138) magister epistolarum wurde, von dem-
selben aber wieder seine Entlassung erhielt. Unter seinen Schriften
kommen für uns nur die Vitae XII Imperatomm in Betracht. Die
XII Imperator es sind: Caesar, Augustus, Tiherius, Caligula, Clau-
dius, Nero, Galba, Otho, Vitellius, Vespasianus, Titus, Domitianns.
6. Trogus Pomp ejus (Justinus). Trogus Pompejus schrieb
unter Augustus eine Universalgeschichte von Ninus bis auf seine
Zeit in 44 Büchern, unter besonderer Berücksichtigung der Ge-
schichte Macedoniens und der Diadochenreiche, stoftreich, sorgfältig
und nach guten griechischen Quellen. — Das Werk selbst ist ver-
loren. Erhalten sind nur die Inhaltsverzeichnisse (prologi) der 44
Bücher, und ein Auszug, welchen ein gewisser Justinus, wahr-
scheinlich im Zeitalter der Antonine, angefertigt hat. Selbst dieser
kurze Auszug ist noch so inhaltreich, dass er für uns eine wich-
tige Quelle für die Geschichte der Seleuciden bildet.
E. Die rabbinische Literatur.
Vgl. bes. Zunz, Die gottesdienstlichen Vorträge der Juden, 1832 (grund-
legendes Hauptwerk für die Geschichte der Midrasch-Literatur). 2. Aufl. hrsg.
von Brüll, 1892. — Steinschneider, Art. „Jüdische Literatur" in Ersch
und Gruber, Allgem. Encyklop. Section II, Bd. 27, 1850. — Winter und
Wünsche, Die jüdische Literatur seit Abschluss des Kanons, eine prosaische
und poetische Anthologie mit biographischen und literargeschichtlichen Ein-
leitungen, 3 Bde. 1894—1896 [Chrestomathie aus dem Gebiete der gesammten
jüdischen Literatur seit Abschluss des Kanons]. — Strack, Einleitung in den
Thalmud, 3. Aufl. 1900. — Für das Bibliographische: Jo. Christoph Wolf,
Bibliotheea hebraea, 4 Bde. 1715 — 1733. — Fürst, Bibliotheca Judaica, 3 Bde.
1849 — 1863. — Steinschneider, Catalogus libronitn hebraeoruni in Bibliotheca
Bodleiana, Berol. 1852 — 1860. — [Zedner), Catahgue of tfie hebreiv books in thc
lihrary of the British Museum, London 1867. Dazu: Catalogtie uf hebrew books
in the British Musemn acquired during the years 1868 — 1892, by van Straalen,
London 1894 (532 p. A"). — Löwy, Catahgue of Hehraica and Judaica in the
library of tlie Corporation of the city of London, London 1891 (,232 p. 8). —
Wiener, BibliotJieca Friedlandiana. Catalofjus librorum impressorum hebrae-
oruni in Museo Asiaiico imperialis Academiae scientiaruiu Petropolitanae asser-
112 § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [86. 87]
vatorum. 1893 fl'. (in hebr. Sprache). — M. Schwab, Repertoire des artides
relatifs ä Vhistoire et ä la litterature juives parus dans les periodiques de 1783
«1898. Vf^partie, Paris, Durlacher, 1899. 2. et 3. partie idOO [en autographie).
— Strack, Bibliographischer Abriss der neuhebr. Literatur, in: Lehrb. der
neuhebr. Sprache und Lit. von Siegfried und Strack (1884), S. 93 ff.
Unter „rabbinischer Literatur" verstehen wir diejenige Litera-
tur, welche aus der berufsmässigen Arbeit der „Eabbinen", d. h.
der Schriftgelehrten erwachsen ist. Diese Arbeit bestand, zwar
nicht ausschliesslich aber doch vorwiegend, in gelehrter Bearbei-
tung des Textes der heiligen Schrift; und zwar hat eine solche
Bearbeitung in zweierlei Hinsicht stattgefunden. Einerseits hat
man das Gesetz durch juristische Discussion immer feiner ausge-
bildet; andererseits hat man auch die heilige Geschichte und die
religiösen und ethischen Vorstellungen durch gelehrte Combina-
tionen bereichert und weiter entwickelt. Aus der Thätigkeit der
ersteren Art entstand die Halacha oder das traditionelle
Recht, aus der Thätigkeit der anderen Art erwuchs die Hag-
gada oder die nicht-juristische Lehre (Legende, Dogmatik,
Ethik). Näheres über beide siehe § 25, III.
Die Halacha und die Haggada sind jahrhundertelang nur
mündlich fortgepflanzt worden, wobei für jene die strenge Forde-
rung unveränderter Weiterüberlieferung bestand, während bei dieser |
der subjectiven Einsicht und Phantasie ein grösserer Spielraum
verstattet war. Die schliessliche Fixirung beider in um-
fangreichen und mannigfaltigen Literaturwerken ist eben
die rabbinisclie Literatur. Die Entstehung dieser Literatur
fällt fast ausnahmslos erst jenseits des von uns behandelten Zeit-
raumes. Nur die haggadische Bearbeitung der (icnesis, welche
unter dem Namen der „Jubiläen" bekannt ist, gehört noch unserer
Zeit an; ebenso die ältesten, aber uns nicht erhaltenen, Aufzeich-
nungen der Halacha. Fast die gesammte uns erhaltene „rab-
binische Literatur" reicht aber nicht weiter als bis in die
letzten Decennien des zweiten .lahrliunderts n.Chr. hinauf.
TrotzdcMU ist sie eine unschätzbare QucUc fiir das Zeitalter Cliristi;
denn die Grundlagen des hier lixiiicn Tiaditions-Stromcs gehen
niciit nur in die Zeit Christi, sondern noch weit hinter dieselbe
zurück.
Die Halacha ist theils in engem Anschluss an den
Schrifttext, also in Form von Commentaren zu diesem aufgezeichnet
worden, fln'ils in sysirniHtisclicr Oidnnng, indem die Kcchts-
materien nacii Haciiliciien Gesiciitspunklcii giiippiri wurden. I)i(^
"Werke der letzteren Art liaben selir bald die llcnschaft erlangt,
nämlich: l)DieMiHChna, 2)dieToaei)lita, 3)der jerusaL mische
[87. 88] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. 113
Talmud, 4) der babylonische Talmud. Man kann sie unter
dem Gresammtbegritt" der talniudischen Literatur zusammen-
fassen. In allen ist mit der Halacha auch Haggada gemischt, am
wenigsten in der Mischna, am meisten im babylonischen Talmud.
Die Haggada ist vorwiegend in Form von Commentaren zum
Schrifttext aufgezeichnet worden. Sowohl die halachischen als die
haggadischen Commentare fasst man unter dem Gesammtbegriff der
Mi drasch im zusammen.
Die traditionelle Auffassung des Schrifttextes ist auch in den
aramäischen Uebersetzungen oder den Targumim zum Aus-
druck gekommen. Auch sie sind daher hier zu nennen, obwohl sie
in der uns erhaltenen Form wahrscheinlich um Jahrhunderte von
der Zeit Christi getrennt sind.
Endlich sind als Niederschlag historischer Tradition noch einige
geschichtliche Werke zu erwähnen, welche auf die von uns
behandelte Periode Bezug haben.
I. Die talmudische Literatur.
1. Die Mischna.
Das Wort nstpia {stat. constr. n?BT3, verschieden von nstjp stat.
constr. SiSTöü) wird von den Kirchenvätern stets durch öevtegmoic
wiedergegeben '). Dies ist richtig, insofern das Verbum nsü seiner
1) Eine reiche Sammlung patristischer Stellen findet man bei Hody, De
bihliormn textibus originalibus etc. (1705) p. 238—240. — Ich hebe folgendes
hervor: Hieronymus, epist. 121 ad Algasiani, qiiaest. X {opp. ed. Vallarsi I,
883 s^.): Quantae tradititmes Pharisaeoriwi sint, quas hfxlie vocant SevtSQoiasig,
et qtia)ii aniles fabulae, evolvere neqiieu. Xeque enim Hbri patitur magnitiulo,
et pleraqtie tarn turpia sunt, ut erubescani dicere. — Idem, epist. 18 ad Dania-
»um c. 20 {Vallarsi I, 62): Sed ne rideamur aliquid praeterisse earum, quas
Jiidaei vocant öevtSQojaeiQ, et in quibus unicersam scientiam ponunt. — Idein,
comment. in Jes. 8 {Vallarsi IV, 123): Sammai ifiitur et Hellel .... qtiorum
prior dissipator interpretatur, seqvens profanus; eo quod per traditiones et ötv-
TSQtüaeig suas legis praecepta dissiparerit afque maeulaverit. — Idem, in Jes. 59
( I 'allarsi IV, 709) : contemnentes legem dei et seqnentes traditiones hominum, quas
Uli öevTSQüiaetg voeant. — Idem. in Exeeh. 36 {VaJlarsi V, 422): Neqiie enim
juxta Juilaicas fabulas, quas Uli SevxfQioaeiq appellaut , gemmatam, et auream
de caelo exspectamus Jerusalem. — Idem in Hos. 3 {Vallarsi W, 29): Traditiones
bomimim et öemsgcöascav somnia diligentes. — Idei7i in Matth. 22, 23 (T a//«rs« VII,
177): Pharisaei traditionum et obserrationum, quas Uli dsvTSQwastg vocant, justi-
tinm praeferebant. — Die Stellen aus Epiphanius s. unten, Anm. 24. — In
den Consta. apostol.l,^',l\,b\ VI, 22 heisst der rituelle Theil des mosaischen
Gesetzes öevxsQwaiq, im Unterschied vom wahren vöfjioq oder dem Sittengesetz.
Jene 6svTSQ(oaiq ist den Juden erst auferlegt worden, nachdem sie das goldene
Kalb augebetet hatten (irrig ist es. unter öevxhQwatq hier das Deuteronomium
Schür er, Geschichte I. 8. u. 4. Aufl. 8
\l^ § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [88. 89]
Grundbedeutung nach allerdings öevTegovv „wiederholen" heisst-').
Allein im späteren Sprachgebrauch ist „rep et iren" geradezu so
viel wie .,das mündliche Gesetz lehren oder lernen" {traditiones
docere oder discere); denn die Einübung dieses Lehrstoffes geschah
in der Weise, dass der Lehrer mit den Schülern die Materien immer
wieder und wieder durchsprach, also repetirte, oder auch dadurch,
dass der Schüler sie für sich repetirte ^). Daher ist nDilJtt (eigentlich
„Repetition"') ohne weiteres = „Gesetzeslehre", und zwar die münd-
liche Gesetzeslehre im Unterschied von der geschriebenenThora*).|
Das mit dem Namen „Mi seh na" schlechthin bezeichnete Werk
ist die älteste uns erhaltene Codification des traditionellen jüdischen
Rechtes. Der Stoif ist hier sachlich geordnet, in sechs „Ordnungen"
(CTip) eingetheilt, mit zusammen 60 „Tractaten" (nins©^, Sing.
zu verstehen : so nach demVorgang mancherKirchenväter auch noch C.Schmidt,
>'achrichten der Gott. Ges. der Wissensch. 1898, S. 185 flf.).
Die Lehrer der ösvrsQiöasig heissen ösvzeQooTal, Euseb. Praep. ev. XI, 5, 3;
Xn, 1, 4 ed. Gaisford (p. 513c, 574« ed. Viger). — Hieronymus indes. 3 {opp.
ed. Vallarsi TV, 58). Idem in Jes. 10 {Vallarsi IV, 141). Idem in Halme. 2
{Vallarsi VI, 023): Ätidim Liddae quendam de Hebraeis, qui sapiens apnd illos
et (Jfrr6()Cür>/$ rocabatur, narrantem hujusmodi fabidam.
2) So im biblischen Hebräisch. Vgl. auch Sanliedrin XI, 2 (= etwas
wiederum thun).
3) njffi = „lehren", z. B. Taanith IV, 4: nsiüJ S\i5inn 'n r\^r\ -p „so pflegte
R. Josua zu lehren". Vgl. Hieronymus, epist. 121 ad Ah/asiam qtiaest X
{ed. Vallarsi I, 884 sq.) : si qtiando certis diebtts traditiones sttas exponunt disci-
pulis suis, solent dicere: ol oo<pol öevregwaiv, id est, sapientes docent
traditiones. — In der Bedeutung „lernen" z. B. Aboth III, 7: „wer auf
dem Wege geht und repetirt (nsiici) und seine Repetition unterbricht (p'^Dtai
inattJio) und sagt: Wie schön ist dieser Baum, wie schön ist dieser Acker! dem
rechnet es die Schrift an, als liätte er sein Leben verwirkt". — Aboth II, 4:
„Sage nicht: Wenn ich Zeit habe, will ich lernen (nsujx); denn vielleicht wirst
du keine Zeit haben". — Noch einige Beispiele bei Strack, Einl. in den
Thalmud (2. Aufl. 1894) S. 1. — Richtig erklärt auch Lagard e (Mittheilungen
IV, 1891, S. 190 f.): nsir eigentlich: noch einmal sagen, daher = lehren, und
— lernen. Bacher, Die älteste Terminologie der jüdischen Schriftauslegung,
1899, 8. 193 f.
4) Zuweilen, wie an der in Anm. 3 citirten Stelle Abotk III, 7, lässt sich
nswxs mit „Repetition" übersetzen ; zuweilen mit „Unterricht", m Aboth III, 8:
„Wer ein Stück von seinem Gesetzesuntcrricht (nrsmia« nriK nai) vergisst, dem
rechnet es die Schrift an, als ob etc." In der Regel aber heisst es einfach die
traditionelle Gesetzeslehre, namentlich im Unterschied von Kip« (dem
Schrilttext), Kidduachin I, 10; Aboth V, 21. In Fällen, wo man später anders
lehrte als früher, heisst die frühere Lehre njittJttn "?«?«, Kefhidjofh V, 3;
N<uir VI, 1; Oittin V, 6; Sanhedrin III, 4; Mt^joth VII,' 2. Von Halacha
untenobeidet sich MiHchna so, dass enteres die GcHctzostradition int, .sofern
•ie rechtliche Geltung hat, letzteres dieselbe, Hofcrn sie GegetiNtand des Unter-
richtet ist Vgl. auch Bucher, Die älteste Terminologie der jüdischen Sclirifb-
«otlegUDg, 1890, 8. 122 f.
[89. 90] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. 115
n^ött). In unseren gedruckten Ausgaben ist deren Zahl durch Thei-
lung einiger auf 63 erhöht^). Jeder Tractat ist wieder in „Capitel"
(D''pnB) eingetheilt; jedes Capitel in „Lehrstücke" (ni"?»»). Die
Capiteleintheilung ist sehr alt; die Abtheilung und Zählung der
„Lehrstücke" aber jung, und in den gedruckten Ausgaben vielfach
anders als in den Handschriften. — Die Sprache der Mischna ist
hebräiscli; ihr Inhalt, wie sich von selbst versteht, fast nur hala-
chisch. Nur zwei Tractate {Aboth und Middoth) sind haggadisch;
und ausserdem findet sich Haggada in geringem Umfang zuweilen
am Schluss der Tractate oder zur Erläuterung einzelner Halacha's ^).
Namen und Inhalt der 63 Tractate sind folgende'):
Erster Seder, z^lfy, '0.
1. Berachoth, risna, von den Segenssprüchen und Gebeten.
2. Pea, nxB, von der Ackerecke, die bei der Ernte für den Armen
unabgeerntet stehen bleiben muss, und überhaupt vom An-
recht des Armen an den Bodenertrag (nach Lev. 19, 9 — 10.
23, 22. Deut. 24, 19—22).
3. Demai, "'Ktt^, von der Behandlung der Früchte, hinsichtlich
deren es zweifelhaft ist, ob sie schon verzehntet sind oder
nicht.
4. Kilajim, S'^xbs, von der widergesetzlichen Mischung des Hetero- 1
genen im Bereich der Thiere, der Pflanzen und der Kleidung
(nach Lev. 19, 19. Beut. 22, 9—11). Vgl. Hamburger, Real-
Enc. Suppl. II, 1891, S. 136-138: „Mischung der Arten".
5. Schebnth, n'^^'^ntt?, vom Sabbathjahre.
6. Terumoth, nhtJ'^nn, von den Heben an die Priester.
7. Maaseroth, n'Tite^tt, vom Zehnt an die Leviten.
S. Maaser scheni, "^2© 1©?^, vom zweiten Zehnt, welcher nach Ab-
gabe des ersten ausgesondert und (nach Deut. 14, 22flF.) zu
Jerusalem verzehrt werden musste.
5) Nach der ursprünglichen, z. B. im cod. de Rossi 138 erhaltenen Anord-
nung, bilden Baba kamma, Baba mexia und Baba bathra zusammen nur einen
Tractat, ebenso SanJiedrin und Makkoth zusammen nur einen. Vgl. auch Strack
in Herzog's Real-Enc, 2. Aufl., XVIII, 300 f. Ders., Einleitung in den Thal-
raud S. 7.
6) Vgl. Zunz, Die gottesdienstlichen Vorträge der Juden, S. 86 f. —
Eine Uebersicht sämmtlicher Haggada's, die in der Mischna vorkommen, s. in
Pinner 's Uebersetzung des Tractates Berachoth, Einl. Fol. 1«.
7) Eine genauere Inhaltsangabe giebt Pressel in Herzog's Real-Enc,
1. Aufl., XV, 620-639. Strack, ebendas. 2.' Aufl. XVIII, 305—328. Ders.,
Einleitung in den Thalmud S. 13 — 44. — Die obigen Inhaltsangaben sind
grossentheils dem „Erklärenden Verzeichniss" in Delitzsch 's Römerbrief (1870)
S. 113 — 118 entnommen.
8*
Uß § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [90. 91]
9. Ghalla, n^H, von der Teighebe (dem 24tei beim Backen für den
Hausbedarf, dem 48*«^ beim Backen für den Verkauf), welche
nach Num. 15, 17 ff. den Priestern gegeben wurde.
10. OrJa, nbny, vom Verbot, die Früchte neugepflanzter Bäume in
den ersten drei Jahren zu geniessen (nach Lev. 19, 23 — 25).
11. Bikkurim, D'^n^iSS, von Darbringung der Erstlinge des Land-
baues.
Zweiter Seder, i^h« 'o.
1. Schabbath, natD, von der Sabbathfeier.
2. Erubin, V?^"i?» '^^^ ^^^ Verbindung getrennter Räumlichkeiten
für den Zweck freierer Bewegung am Sabbath.
3. Pesachim, DH'^DB, von der Passafeier.
4. Schekalim, D'^bpTö, von der Halbsekel- oder Didrachraensteuer
{Exod.dO, iiflf. Matth. 17. 24).
5. Joma, Xül'', von dem „Tage", d. h. dem grossen Versöhnungs-
tage.
6. Sukka, nSD, vom Laubhüttenfest.
7. Beza, ns'^a, oder Jörn, tob, Sit3 DT^, ob man ein an einem Feier-
tage gelegtes Ei essen dürfe? sowie über Feiertags- und
Sabbathheiligung überhaupt.
8. Bosch haschana, nSTJSn ü«l, vom Neujahrsfeste.
9. Taanith, n*^??!?, von den Fast- und Trauertagen.
10. Megilla, nsaiG. vom Lesen der ,.Rolle", d. i. des Buches Esther
und überhaupt von der Feier des Purimfestes.
11. Moed katan, "jüp 'iT\'ü, von den Zwischenfeiertagen zwischen
dem ersten und letzten Feiertage der Hauptfeste. Der Zu-
satz katan dient dazu, den Tractat vom ganzen Seder 3foi'd
zu unterscheiden {Derenbourg, Revue des Müdes juives XX,
1890, p. 136 sq.).
12 Chagiga, na'^sn, von der Pflicht, an den drei Haui)tfesten opfernd
in Jerusalem zu erscheinen.
Dritter Seder, D"«©; 'o.
1. ./rh'imoih, niioa';', von der Levirats- oder Schwagerehe (nach
Deut. 25, 5—10).
2. Krthuboth, niniPis, von den Eheverträgen.
3. Nedarim, D''ll3, von den (iclllbden, besonders von deren Gültig-
keit bei Frauen (nach Lev. '11 und Sunt. 30). |
4. Na»ir, TT3, vorn Nasiräat (nacli Num. 6 und 30).
5. Sota, nc'io, vom Verfahren geg(;n die des Ehebruchs Verdäoli-
tige (nach S'um. 5, 11—31).
[91] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. 117
6. Gittin, 'j'^CDa, vom Scheidebrief (t:a) und dem, was in der Ehe-
scheidung Eechtens ist.
7. Kidduschin, "J'^löl'np, von der Verlobung.
Vierter Seder, i^pvs '0.
1. Baba kamma, XTSp «23, „die erste Pforte" (=die erste Abthei-
lung, näml. des dreitheiligen Gesammtwerkes von den Schä-
digungen), handelt von den Rechtsfolgen der mannigfachen
Arten von Schädigung des Einen durch den Andern.
2. Baha mexia, »Ti'a »na, „die mittlere Pforte", handelt von
Klagen u. Forderungen, besonders in dem Verhältnisse des
Abmiethers zum Miethsherrn, des Arbeiters zum Arbeitgeber,
des Entlehners zum Leiher.
3. Baba bathra, »Hfin «23, „die letzte Pforte", von den im Ge-
sellschaftsleben einflussreichsten bürgerlichen Rechtsverhält-
nissen.
4. Sanhedrin, "j'^ninso, vom Synedrium und der Criminaljustiz.
5. Makkoth, ms73, von der Strafe der Geisselung.
0. Schebuoth, m:?imij, vom Eide und Vergehungen am Heiligen.
7. Edujoth, n'T^iy, „Zeugnisse", enthält streitige Lehrsätze aus
allen Gebieten, deren traditionelle Geltung von berühmten
Autoritäten „bezeugt" ist®).
8. Aboda sara, HIT !Ti'l3y, vom Götzendienst und überhaupt vom
Heidenthume.
8) Der Name dieses Tractates soll nach Levy (Neuhebr. Wörterb. III, 620)
Edijoth ausgesprochen werden, und Strack (in Herzog's Real-Enc, 2. Aufl.,
XVIII, 319) hat sich verleiten lassen, dieser Forderung zu folgen. Allein das
einzige Beispiel, auf welches sich Lev-y beruft, nämlich malkijoth, trifll nicht
zu, da auch in diesem Falle die richtige Aussprache malktijoth lautet. Ebenso
ist für chamäh die Pluralform chanujoth handschriftlich gesichert (z. B. cod. de
h'ossi 138 hat Abada sara I, 4 und Tohoroth VI, 3 mii:n). Strack selbst
schreibt in der Einleitung in den Thalmud (2. Aufl. 1894) S. 33 wieder Edujjoth.
— Da viele Sätze des Tractates Edujoth auch in anderen Tractaten wieder-
kehren, so entsteht die Frage, ob sie aus den anderen Tractaten hier zusam-
mengestellt oder umgekehrt aus Tractat Edujoth in die anderen Tractate auf-
genommen sind. Für ersteres z. B. Lewy, Ueber einige Fragmente aus der
Mischna des Abba Saul (Berlin 1876) S. 13; für letzteres: Schwartz, Die
C^ontroversen der Schammaiten und Hilleliten, I (Wien 1893) S. 71—73; Klüger,
Ueber Genesis und Composition der Halacha-Sammlung Edujoth, 1895 (hier
S. 115 — 117 auch ein Verzeichniss der Parallelstellen). — Dünner (Monats-
schr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. 1871, S. 33—42, 59—77) meint,
dass unser Tractat nur eine Auswahl aus einer ursprünglich viel reicheren
Sammlung sei.
118 § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [91. 92]
9. Aboth, rriax, oder Pirke Aboth, nilS ''pis. eine Sammlung von
Sentenzen der berühmtesten Schriftgelehrten etwa vom -L
200 vor Chr. bis 200 nach Chr.^).
10. Eorajotk, n'i''n'in, „Entscheidungen", von unvorsätzlichen Ver-
gehungen, die durch irrige Entscheidungen des Synedriums
herbeigeführt werden, und von unvorsätzlichen Vergehungen
des Hohenpriesters und Fürsten. |
Fünfter Seder, a^ü-p: 'o.
1. Sebachim, D'^nnr. von den Schlachtopfern.
2. Menachoth, nina^, von den Speisopfern.
3. Chullin, '}''^in, von der richtigen Methode beim Schlachten nicht
zu opfernder Thiere und vom Genuss derselben.
4. Bechoroth, PiTTiD^, von der Heiligung der Erstgeburt bei Men-
schen und Vieh.
5. Arackin, V?"^?» „Schätzungen", handelt nach Lev. 27 vom Aus-
lösen der Personen und Dinge, die für den Dienst des Heilig-
thums sich selbst geweiht hatten oder von Andern geweiht
worden waren.
6. Temura, ny\'ü'r\, vom Austausch gottgeweihter Dinge (Ler.
27, 10). '
7. Kerithotk, Din'^'ns, von der Strafe der Ausrottung, oder vielmehr:
was die zu thun haben, welche unvorsätzlicherweise ein mit
Ausrottung bedrohtes Verbot übertreten haben.
8. Metla, nb'^^tt, von Veruntreuung gottgeweihter Dinge (nach
Num. 5, 6—8).
9. Tamid, l'^'QT-}, vom täglichen Morgen- und Abendopfer und über-
haupt vom täglichen Tempeldienst.
10. Middothj T\^l% von den Maassen und Kinriclitungen des Tempels.
11. Kinnim, O'^Jp, vom Taubenopfer der Armen (nach Lev. 5, 1 bis
10 und 12, 8).
Sechster Seder, niiniD 'o
1. KeUm, D'^bi, von den Hausgeräthen und deren Reinigung. Vgl.
Oraubart, Le viriiable auieur du Tratte K6lim (Revue des itudcs
juivea t. XXXI 1, 1806, p. 200—225).
2. Ohaloth, nlbn«, von Verunreinigung der Zelte und Häuser, ins-
besondere durch einen Todten (nach Num. 19).
3. Ntgcrim^ B**^, vom Aussatze.
9) Kein Traotat der MincliDa ist so oft godruckt und Obersetzt worden, wie
4ieMr. Einige neuere Ausgaben sind in Md. 11 1, S. 1«i*; f. genannt.
[92. 93] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. HQ
4. Para, nnß, von der rotheii Kuh, d. i. von der Entsündigung der
durch Leichen Verunreinigten (nach Num. 19).
5. Tohoroth, fTilrtü, von den geringeren Arten von Unreinigkeit
6. Mikwaoth, nixipJlD, von dem zum Baden (Mikwa, Bassin, Tauche)
und Waschen geeigneten Wasser.
7. Nidda, m?, von den ünreinigkeiten des weiblichen Geschlechts-
lebens.
8. Machschirin, T'n'^üDTO, eigentlich ^tauglich Machendes", handelt
von den Flüssigkeiten, welche auf Früchte fallend sie zur
Unreinigkeitsannahme oder nicht dazu qualificiren (nach Lev.
11, 34. 38).
9. Sabim, 0*^31, von den Eiter- und Blutflüssigen.
10. Tehul jom, QT^ bl2p, „Gebadeter des Tages**, handelt von der
Unreinigkeit, welche weggebadet wird, aber bis Sonnenunter-
gang haftet
11. Jadajim,ü'^'V, von der Verunreinigung und reinigenden Waschung
der Hände.
12. Ukzin, 'j'^spi^, von der Verunreinigung der Früchte durch ihre
Stiele und Schaalen oder Hülsen.
Ueber das Alter und die Entstehungsverhältnisse dieses
Werkes lassen sich aus den im Texte selbst gegebenen Anhalts-
punkten noch annähernd sichere Resultate gewinnen. In unzäh-
ligen Fällen, wo die Ansichten der Gelehrten über einzelne Ge-
setzesfragen auseinander gingen, wird nicht nur die Ansiclit der
Majorität, sondern auch die Ansicht des oder der dissentirendeu
Gelehrten unter Nennung ihres Namens angeführt. Auf diese
Weise werden etwa 150 Autoritäten in der Mischna citirt; die
meisten allerdings nur ganz selten, einige aber fast durch alle
Tractate hindurch. Die am häufigsten citirten Autoritäten sind
folgende 10).
Erste Generation (um 70—100 nach Chr).
Rabban ' ') Jochanan ben Sakkai (23 mal). — R. Zadok oder
Zadduk (?) 12). — R. Chananja, Vorsteher der Priester, D'^SHsn po
(12 mal). — R. Elieser ben Jakob (?)>3).
10) Da die Ausgaben in Betreff" der Namen hier und da schwanken, so be-
merke ich, dass die von mir gegebenen Zählungen auf dem Texte der soge-
nannten Jost'schen Mischna- Ausgabe (Berlin, Lewent 1832—1834) beruhen.
11) Ueber den Titel Rabban s. Bd. II, S. 316. Das blosse R. bedeutet Rabbi.
12) Der Name R. Zadok oder richtiger Zadduk kommt 16mal vor. Wahr-
scheinlich sind aber ein älterer und ein jüngerer Träger dieses Namens zu
unterscheiden.
13) Der Name R. Elieser ben Jakob kommt 40mal vor. Wahrscheinlich
sind auch hier zwei gleichnamige Träger desselben zu unterscheiden.
120 § ^- Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [93. 94]
Zweite Generation (um 100—130 nach Chr.).
A. A eitere Gruppe: Eabban Gamaliel [II] (84 mal). — R.
Josua [ben Chananja] '^) (146 mal). — E. Elieser [ben Hyrkanos]
(324 mal). — R. Eleasar ben Asarja (38 mal). — R. Dosa ben Ar-
chinos (19 mal). — R. Eleasar, Sohn des R. Zadduk (?)'&).
B. Jüngere Gruppe: R. Ismael (71 mal). — R. Akiba [ben
Joseph] (278 mal). — R. Tarphon (51 mal). — R. Jochanan ben
Nuri (38 mal). — R. Simon ben Asai oder Ben Asai schlechthin i
(4 + 21 mal). — R. Jochanan ben Beroka (11 mal). — R. Jose
der Galiläer (26 mal). — R. Simon ben Nannos oder Ben Nannos
schlechthin (5 + 5 mal). — Abba Saul (20 mal). — R. Juda ben
Bethera (16 mal).
Dritte Generation (um 130—160 nach Chr.).
R. Juda [ben Hai oder richtiger Elai] (609 mal). — R. Jose
[ben Chalephta] (335 mal). — R. Meir (33 1 mal). — R. Simon [ben
Jochai] (325 mal). — Rabban Simon ben Gamaliel [II] (103 mal).
— R. Nehemia (19 mal). — R. Chananja ben Antigonos (13 mal).
Vierte Generation (um 160—200 n. Chr.).
Rabbi [d. h. R. Juda ha-Nasi oder ha-kadosch] (37 mal). — R.
Jose, Sohn des R. Juda [ben Elai] (14 mal).
Die hier vorausgesetzte Chronologie ist zwar nicht in allen
einzelnen Fällen, aber doch in ihren Grundzügen vollkommen sicher.
Zunächst lässt sich die Gleichzeitigkeit der Männer je einer Gene-
ration daraus constatiren, dass sie in der Mischna mehr oder weniger
häufig mit einander disputirend eingeführt werden. So finden wir
z. B. Rabban Gamaliel 11, R. Josua, R. Klieser und R. Akiba häufig
im Verkehre miteinander, und zwar in der Weise, dass R. Akiba
als ein jüngerer Zeitgenosse der drei zuerstgenannten erscheint'^').
Ebenso disputiren R. Juda, R. Jose, R. Meir und R. Simon oft mit
einander. Und so lässt sich auch von den anderen hier genannten
Gelehrten mit mehr oder weniger Sicherheit die Zugehörigkeit zu
einer der vier (jenerationen nachweisen. — Ferner ist aber auch
die Aufeinanderfolge der Generationen durch ähnliche Angaben
14) Dmenigen Vater-Namon , wulcliu iu der MiHchuu iu der llo^cl nidit
geoaimt werden, lind \n Klnmtncra geseut
16) In BetrefT dienen Namenn, welcher 22inal vorkommt, gilt dasselbe wie
bei R. Zmdduk.
16) Die Belege n. M. II, S. 370 u. 371 (§ 25, Anm. 80 u. 88).
[94. 95] g 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. 121
der Mischna gesichert. R. Josira und R. Elieser waren Schüler
des Rabban Jochan'an ben Sakkai^'); auch R. Akiba wird noch
als solcher bezeichnet '*^). Mit den Männern der zweiten Gene-
ration hängen wiederum die der dritten durch persönliche Beziehun-
gen zusammen'^), u. s. w. — Endlich sind auch zur Feststellung
der absoluten Chronologie ausreichende Anhaltspunkte vorhanden,
Rabban Jochanan ben Sakkai hat verschiedene Anordnungen ge-
troffen, „nachdem der Tempel zerstört war" •^); er hat also un-
mittelbar I nach diesem Ereigniss gelebt. Hiermit stimmt, dass der
um eine Generation jüngere Akiba als Zeitgenosse Barkochba's
und Märtyrer im hadrianischeu Kriege erwähnt wird. Und daraus
ergiebt sich dann das Weitere 2').
Mit unserer Statistik ist nun schon der Beweis geliefert, dass
die Mischna gegen Ende des zweiten Jahrhunderts n. Chr.
redigirt sein muss; denn bei späterer Abfassung wäre zu er-
warten, dass auch noch spätere Autoritäten angefüln-t würden.
In der That wird die Abfassung des Werkes dem R. Juda ha-
Nasi oder ha-kadosch (auch „Rabbi" schlechtweg genannt)
gegen Ende des zweiten Jahrhunderts n. Chr. zugeschrieben 22). —
17) Äboth II, 8. Vgl. Edujoih VIII, 7. Jadojitn IV, 3 fin.
18) Sota V, 2.
19) R. Jose trifft eine Entscheidung in Gegenwart des R. Akiba {Therumoth
IV, 13). — R. Juda hörte noch den R. Tarphon [Nedartm VI, 6). — R. Simon
uimmt Theil an einer Disputation gegen R. Akiba (Machschirin VI, S). —
R. Jose, Juda und Simon berichten über die Ansichten des R. Elieser und
R. Josua [Keritlwth IV, 2-3).
20) Sukka III, 12. Rosch haschana IV, 1. 3. 4. Menachoth X, 5.
21) Die Belege für alle obigen Ansätze mitzutheilen , würde hier zu weit
führen. In einigen Fällen, wo die Mischna keinen Aufschluss giebt, sind die
übrigen Quellen (Tosephta und Talmude) heranzuziehen. Ueber die Männer
der ersten und zweiten Generation s. näheres in Bd. II, S. 36G — 380; über die
der dritten und vierten Generation s. die in Bd. II, S. 351 erwähnte Literatur,
namentlich die Artikel in Hamburger's Real-Enc. für Bibel und Talmud,
Abthl. II, auch Strack in Herzog's Real-Enc. 2. Aufl. XVIII, 348—350. Ders.,
Einleitung in den Thalmud, 2. Aufl. S. 83 ft". — Ich bemerke noch, dass ich
die beiden Gruppen der zweiten Generation mit Absicht nicht als zwei „Gene-
rationen" bezeichnet habe; denn sie hängen unter sich näher zusammen, als
beide insgesammt mit der ersten und dritten „Generation". Strack, welcher
noch in Herzog's Real-Enc. a. a. O. fünf Generationen gezählt hatte, ist in
der Einl. in den Thalmud 2. Aufl. meiner Zählung beigetreten.
22) Vgl. über ihn: Bodek, Marcus Aurelius Antoninus als Zeitgenosse und
Freund des Rabbi Jehuda ha-Nasi (auch unter dem Titel: Römische Kaiser in
jüdischen Quellen, Thl. I) 1868. — Gelbhaus, Rabbi Jehuda Hanassi und die
Redaction der Mischna, Wien 1876 [soll heissen: 1880]. Vgl. hierzu Strack,
Theol. Literaturzeitung 1881, 52 ft". — Hamburger, Real-Enc. für Bibel und
Talmud, Abth. II, S. 440—450 (Art. „Jehuda der Fürst"). — Fürst, Antoninus
122 § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [95. 96]
Unsere Statistik lehrt aber noch ein Weiteres. Es ist klar, dass
ein paar tausend Angaben über die Ansichten einzelner Gelehrter
nicht gedächtnissmässig überliefert werden konnten. Wenn in
einem gegen Ende des zweiten Jahrhunderts redigirten Werke
von den verschiedensten Gelehi-ten früherer G-enerationen noch je
ein paar hundert einzelne Entscheidungen niitgetheilt werden (von
K. Juda ben Elai über sechshundert!), so müssen dafür schriftliche
Vor [lagen zu Gebote gestanden haben. Der Befund der Statistik
macht es aber wahrscheinlich, dass der abschliessenden Re-
daction bereits zwei ältere Schichten schriftlicher Auf-
zeichnungen vorangegangen sind, eine aus der Zeit der
zweiten Generation und eine aus der Zeit der dritten Generation.
Zu Gunsten dieser Vermuthung sprechen auch noch gewisse Er-
scheinungen im Texte der Mischna selbst ^s), sowie einige, freilich
dunkle und verworrene üeberlieferungen ■^*). Die noch von man-
und Babbi (Magaziu für die Wissensch. des Judenth. XVI. Jahrg. 1880,
S. 41—45). — Bacher, Die Agada der Tannaiten Bd. II, 1890, S. 454—486. —
D. Ho ff mann, Die Antoninus-Agadot im Talmud und Midrasch (Magazin
für die Wissensch. des Judenth. XIX. Jahrg. 1892, S. 33—55, 245—255). —
Noch einige Literatur bei Strack in Herzog's Real-Enc. 2. Aufl. XVIII, .349.
Einl. in den Thalmud S. 86. — Ueber die Zeit und das Todesjahr des R. Juda
ha-Nasi haben eingehende Verhandlungen stattgefunden zwischen ßapoport
und Jost (in der hebr. Zeitschrift Kerem Chemed und anderwärts, s. Fürst's
Bihlioth£ca Judaica II, 48, und die ausführliche Darlegung bei Bodek a.a.O.
S. 11 — 64, auch Jost. Gesch. des Judenthuras und seiner Secten II, 118 f.).
Rapoport nimmt 192 n. Chr. als Todesjahr an, Jost 219/220. Die Gründe für
beides sind nicht sehr sicher, doch dürfte Rapoport's Ansicht die wahrschein-
lichere sein, während freilich der von ihm behauptete freundschaftliche Ver-
kehr zwischen Juda und Marc Aurel sehr problematisch ist. Vgl. wegen des
letzteren Punktes Geiger's Jüdische Zeitschrift 1869, S. 150—159; Fürst
und Hoffmann a. a. 0.
23) Kelim f'in. „R. Jose sagte: Heil dir Kelim (ö'^bs ";''"iu:i<), dass du mit
Unreinheit anfängst und mit Reinheit endigst!" Hieraus erhellt, dass eine
Redaction des Tractates Kelim zur Zeit des R. Jose (ben Chalephta] stattge-
funden hat. — Auf verschiedene Schichten in der (sei es mündlichen oder
Hchriftlichen) Fixirung der Tradition deuten auch solche Stellen, wo über den
Sinn der von älteren Gelehrten aufgestellten Sätze verhandelt wird, z. B.
Ohalnth II, 3. Tuhm-oth IX, 3.
24) Epiphaniua haer. 33, 9 ip. 224 erl. Petav.): AI yuQ nttgadooetq rwv
TiQtaßvxhQtov ötvxfQ(üaei(i napa toTq '[ovSalotq Xfyovrai. lilal «J^ avrai xüoi^agfc:'
filtt fihv t) fiq ovofiu Ma)vai(oq (pepo/ikP^' 6fvTi\>a 6h i] xov xalovßt'vov 'Paßßl
/ixtßd' tgltt) )idAa f/toi 'lovia' Tfrapri/ xiöv doJv /iaaftwvalov. Fast glcicli-
laut«nd äussert Mich Epiphanius noch an einer Hridcrcn Stelle, /mcr. 15 (/;. 33 eii.
Peinv.): äemtQ(oafi(; Sh na(t' avtolq xfuaaQK; i,aav fila (xlv flq ovofxa Mcuvaiwq
to6 npo'pijtov, devx/pa öl flg xov öuhlaxalov avtdiv lixlßav o'vxo) xakovfjievov
1j BoQttxlßav &XXtj «5J- ^Iq xov livöav i] "Avvav zbv xal 'lo!öav Itiq« öh tiq xoig
vioi/i kaafdatvttlov. Ganz verworren ist eine dritte Stolle, /lurr. 12 {/>. 332 ed.
[96] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. 123
chen jüdischen Gelehrten festgehaltene Ansicht, dass schriftliche
Aufzeichnungen nicht vor der Zeit des Juda ha-Nasi, ja selbst
unter diesem noch nicht stattgefunden hätten, stützt sich auf das
angebliche Verbot einer schriftlichen Aufzeichnung der Halacha.
dessen Alter und Tragweite aber selbst fraglich isf^^). — Jeden-
Petav.): /näd^s . . . nöis öh >] napäSoaig avToZ<; yiyovs tüJj' nQeaßvxeQwv, xal
evQTjaeiq oxi tov (xiv daßlä fxexa xt/v ix BaßvXdivoi; inävoSov, xov de 'Axißü xal
ngo x<5v Baßvlcuvtxwv aiyfia?.(oaiwv, ysyivrjxai, x<Lv 6s vlütv^Aaaufnuvalov iv -iQO-
voiQ l4?.s§äväQov xal kvxiüxov. — Unter der „Deuterose des Moses" ist das Deute-
ronomium zu verstehen, unter der „Mischna der Hasmonäer" vermuthlicli die
Anordnungen des Johannes Hyrkanus, welcher die pharisäischen Satzungen
beseitigte und dadurch ein neues Recht schuf. Ein Ck)dex dieses hasraonäischen
Rechtes wird, wie es scheint, Megillath Taauith § 10 erwähnt; vgl. hierzu
Derenbourfj, Histuire de la PaJestine p. 103. — Von einem „Ordnen" der
Halachoth durch R. Akiba ist auch Tosephta Sabiyn I die Rede {ed. Zucker-
mandel p. 076, 33 : Q'^T^a^rb msbn -no^ vorp:i 'n n'^najs), während unter der
„Mischna des R. Akiba" Satihedrin III, 4 wohl nur dessen mündliche Lehre
zu verstellen ist. Vgl. überhaupt über Akiba's Thätigkeit als Redactor: Zunz,
Die gottesdienstlichen Vorträge der Juden, S. 46. Jost, Gesch. des Juden-
thums II, 112. Grätz, Gesch. der Juden IV, 430 f. Schlatter, Der Chro-
nograph aus dem zehnten Jahre Antonius (Texte und Unters, von Gebhardt
und Harnack XII, 1) 1894, S. 87-89.
25) Genaueres hierüber s. bei Strack in Herzog's Real-Enc. 2. Aufl. XVIII,
331—337. Einleitung in den Thalmud 2. Aufl. 8.49—62. Nach Grätz (Monats-
schrift für Gesch. und Wissensch. des Judenth. 1873, S. 35) war die Mischna
im vierten Jahrhundert (!!) noch nicht niedergeschrieben (I!). — Für die
Annahme schriftlicher Mischna-Sammlungen vor derjenigen des R.
Juda ha-Nasi ist in neuerer Zeit vor allem Franke 1 eingetreten [Hodegetica
in Mischnam 1859), welcher eine Mischna des R. Akiba und eine solche des
R. Meir statuirte. Vgl. ferner: Lewy, Ueber einige Fragmente aus der
Mischna des Abba Saul, Berlin 1876 (Programm der Hochschule für die
Wissenschaft des Judenthums in Berlin); hierzu die Anzeige in: Magazin für
die Wissensch. des Judenth. IV, 1877, S. 114—120. — Derenbourg, Histoire
de la Palest ine p. 399— 401. — Derenbourg, Essai de restüufion de Vancienve
redaction de Massechet Kippoiirim {Reime dex etudesjuives t. VI, 1883, jö. 41—80).
— D. Hoff mann, Die erste Mischna und die Controversen der Tannaim
(Jahresbericht des Rabbiner-Seminares in Berlin 1882) — Derselbe, Be-
merkungen zur Kritik der Mischna (Magazin für die Wissensch. des Judenth.
VIII, 1881; IX, 1882; XI, 1884). — Lern er. Die ältesten Mischna-Composi-
tionen (Magazin für die Wissenschaft des Judenth. XIII, 1886). — Strack in
Herzog's Real-Enc. 2. Aufl. XVIII, 335—337. Ders., Einl. in den Thalmud
2. Aufl. S. 59 — 62. — Derenbourg fasst seine Ansicht folgendermaassen zu-
sammen (Pevue VI, 41): Chi sait qu' il y eiit, depuis la destruetion du second
femple jusqu' au commencement du troisieme siede apres l'ere vulgaire, diffe-
rentes redactions de la Mischnäh. La premiere redaction complete parait avoir
ete entreprise par R. Akiba avant la guerre d'Adrien. Lors de la reouverture
des Ecoles sous le premier Antonin, R. Meir reprit le metne travail; enfm
R. Jehouda, le patriarche, descendant de la celebre famillc de Hillel, eomposa le
Code qui devait servir de base ä toutes les etudes rabbiniques posterieures.
124 § 3. Quellen. E, Die rabbinische Literatur. [96. 97. 98]
falls ist soviel | sicher, dass in der Mischna das jüdische Eecht in
derjenigen Ausbildung codificirt ist, welche es vom Ende des ersten
bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts nach Chr. in den Schulen
Palästina's erhalten hat.
2. Die Tosephta.
Die Mischna des R. Juda ha-Nasi ist allgemein zu kanonischem
Ausehen gelangt und hat als Grundlage für die weitere Rechts-
entwickelung gedient. Nicht zu demselben Ansehen gelangte eine
andere uns erhaltene Sammlung, die sogenannte Tosephta (xnäpoin,
additamentum) '^% Auch der hier gesammelte Stoif gehört im Wesent-
lichen noch dem Zeitalter der Tannaim an (ö''S?3n aram. = öev-
TSQorai, die Gelehrten des Zeitalters der Mischna). Die Anordnung
ist ganz dieselbe wie in der Mischna. Von den 63 Tractaten der
Mischna fehlen in der Tosephta nur Aboth, Tamid, Middoth und
Kinnim. Die übrigen 59 Tractate (nicht bloss 52, wie Zunz, Die
gottesdienstlichen Vorträge S. 50 t angiebt) haben ihre genaue
Parallele in der Tosephta. Beide sind also nahe verwandt. Die
Art dieses Verwandtschaftsverhältnisses ist zwar noch nicht hin-
reichend aufgehellt. Es darf aber zweierlei als ziemlich sicher
bezeichnet werden: 1) dass die Tosephta nach dem Plane der
Mischna angelegt ist und eine „Ergänzung" derselben sein will|
(wie ihr Name besagt), und 2) dass den Redacteuren für ihr Untei--
nehmen Quellen zu Gebote gestanden haben, welche älter sind als
unsere Mischna. Daher werden einerseits in der Tosephta bereits
Autoritäten der nachmischnischen Zeit citirt, während andererseits
die Tosephta nicht selten den ursprünglichen und vollständigen
Wortlaut erhalten hat, wo die Mischna schon einen abgekürzten
Text giebf^'). Die Haggada tritt in der Tosephta viel stärker auf
als in der Mischna.
Eine vollständige Separat-Ausgabe der Tosephta ist erst in neuerer Zeit
von Zuckermandel veranstaltet worden: Toscfta nach den Erfurter und Wiener
HandHchriften mit ParallelHtellen und Varianten, herausgegeben von M. S.
Zuckermandel, Pasewalk 1880. Supplement, enthaltend Uebersicht, Register,
20) Nicht zu verwechseln mit den Tosapfwth, den Erläuterungen des baby-
loniHchen Talmuds aus den franKÖHiHchon Ual)l)in(>iischuleii des Mittelalters;
H. üb«r diese Tosaphisten Zunz, Zur GcHcliicIite und Literatur (1845) S. 29 fl'.
27) Dieser Thatbestand hat Zuckeruiutidol zu der sicher unrichtigen
Annahme veritihrt, dass „die uns erhaltene ToKcphta die urH|>rünglichen Tlieilu
der paUitinensischen Mischna enthalte, welche den Text zur jerusalomischen
(«emarabildetei während unmTc MiHchrui aus derToHcphta iti den babylonischen
Amoraachulen all theÜH verkürzter, theils atneudirtcr gültiger neuer Codex
hervorgegangen i«t'< (MooataBchr. 1874, S. 189).
[98. 99] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. 125
und Glossar, Trier 1882—1883. Hierzu die Recension von Schwarz in der
Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. 1881, S. 85 — 95. — Zwei
andere in neuerer Zeit begonnene Ausgaben sind meines Wissens nicht zum
Abschluss gekommen, nämlich: 1) La Tosephta, Hvraison Serdim, avec le com-
mentaire Hosek Schlomoh etc. etc. par Lev. Friedlaender, Presbourg 1889.
Dasselbe, Hvraison Naschim 1890. 2) Tosifta juxta Mischnarum ordiiiem re-
composita et commentario instructa auctore Adolpho Schwarx, Pars I, ordo
Sera'im, Vilna, impr, liomni, 1890 (hierüber: Magazin für die Wissensch. des
Judenth. XVIII, 1891, S. 145—154). — Auf den zweiten Seder beschränkt sich:
M. Friedmann, Die Toseftoth zu den Mischna-Tractaten Seder Moed, Thl.
1—3, 1899—1001. — Ueber die Erfurter Handschrift (jetzt in Berlin): Zucker-
mandel, Die Erfurter Handschrift der Tossefta, Berlin 1876, und Lagarde,
Symmicta I, 1877, S. 153—155. — Früher war die Tosephta, abgesehen von
Separat-Ausgaben einzelner Theile, nur gedruckt in den Ausgaben des Alfasi.
S. hierüber und über unvollständige Separat-Ausgaben: Fürst, Bibliotheca
Judaica I, 34—36, 173. Steinschneider, Catalofjus libroruvi hebr. in hiblioth.
Bodleiana col. 647 sq. 1087 sqq. {Zedner) Catalof/ue of the liebrew books in the
librarif of the British Museum p. 366 sq. 1hl.
Ein grosser Theil der Tosephta (zu 31 Tractaten) ist in Ugolini Thesaurus
antiquitatum sacrarnm in's Lateinische übersetzt; nämlich t. XVII:
Schabbath, Erubin, Pesachim; t. XVIII: Die übrigen neun Tractate des zweiten
Seder; t. XIX folgende acht Tractate des fünften Seder: Sebachim, Menachoth,
Chullin, Bechoroth, Temura, Me'ila, Kerithoth, Arachin; t. XX: Die sämmtlichen
elf Tractate des ersten Seder.
Ueber die Tosephta überhaupt: Zunz, Die gottesdienstlichen Vorträge
der Juden (1832) S. 50 f. 87 f. — Dünner, Halaehisch-kritisohe Forschungen
(Monatsschr, für Gesch. und Wissensch. des Judenth. 1870, S. 298—308, 355—
364). — Dünner, Die Theorien über Wesen und Ursprung der Tosephta
kritisch dargestellt, Amsterdam 1874. — Zuckermandel, Verhältniss der
Tosifta zur Mischna und der jerusalemischen Gemara zur babylonischen
(Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. 1874—1875). — Schwarz,
Studien über die Tosifta (Monatsschr. 1874 — 1875). — Zuckermandel, Tosefta-
Varianten (Monatsschr. 1880—1881). — Schwarz, Die Tosifta des Tractates
Sabbath in ihrem Verhältnisse zur Mischna kritisch untersucht, Karlsruhe 1879
(hierzu die Anzeige in: Magazin für die Wissensch. des Judenth. IX, 1882,
S. 105—112). — Schwarz, Die Tosifta des Tractates Erubin in ihrem Ver-
hältnisse zur Mischna kritisch untersucht, Karlsruhe 1882 (hierzu: N. Brüll,
Jahrbb. für jüd. Gesch. und Lit. VII, 1885, S. 140—144). — D. Hoffmann,
Mischna und Tosefta | (Magazin für die Wissensch. des Judenth, IX, 1882,
S. 153—163). — Hamburger, Real-Enc. für Bibel und Talmud Abth. II,
S. 1225—1227 (Art. „Tosephta"). — N. Brüll, Begriff und Ursprung der
Tosefta (Jubelschrift zum neunzigsten Geburtstag des Dr, L. Zunz, Berlin 1884,
S. 92—110). — Pick, Die Tosefta-Citate und der hebräische Text fZeitschr.
für die alttestamentl. Wissensch. 1886, S. 23—29). — Strack in Herzog's
Real-Enc. 2. Aufl. XVIII, 298 f. Ders., Einl. in den Thalmud 2. Aufl. S. 58.
3. Der jerusalemische Talmud.
Auf Grund der Mischna wurde die juristische Discussion in den
Schulen Palästina's, besonders in Tiberias, im dritten und vierten
126 § 3. Quellen. E. Die rabbinisclie Literatur. [99. 100]
Jahrhundert mit imermüdlichem Eifer fortgesetzt. Durch Codificirung
des hierdurch aufs neue angesammelten Stoffes entstand im vierten
Jahrh. nach Chr. der sogenannte jerusalemische, richtiger palästi-
nensische Talmud'^^). In demselben wird der Text der Mischna
Satz für Satz vorgenommen und durch immer weiter sich verlie-
rende casuistische Distinction erläutert. Zur Erläuterung werden
nicht nur die Ansichten der „Amoräer" (der Gelehrten der nach-
mischnischen Zeit), sondern vielfach auch noch Lehrsätze aus dem
Zeitalter der Mischna herangezogen. Solche Sätze aus älterer Zeit,
welche in der Mischna keine Aufnahme gefunden haben, nennt
man Barajtha's (Kn'^'ia, ,,extranea'' seil, traditio). Sie werden im
Talmud in hebräischer Sprache citirt, während im Uebrigen die
Sprache des Talmud die aramäische ist. — Die Abfassungszeit des
palästinensischen Talmud ergiebt sich daraus, dass zwar noch die
Kaiser Diocletian und Julian erwähnt werden, aber keine jüdischen
Autoritäten, die später als um die Mitte des vierten Jahrhunderts
anzusetzen wären 2^). — Neben der Halacha, welche den Haupt-
Inhalt bildet, findet sich auch reichlich haggadischer Stoffe«). — |
Ob der palästinensische Talmud sich je über die ganze Mischna
erstreckt habe, ist streitig. Erhalten ist uns derselbe nur zu den
vier ersten Sedarim (mit Ausnahme der Tractate Edujoth und Aboth)
und zum Tractat Nidda-*').
28) "Tsna^ri ist = „Lehre", z. B. Sota V, 4—5; VI, 3. nnitn i>inbri Peal,\\
Kethnhoth V, 6; Kerithoth VI, 9. Vgl. Bacher, Die älteste Terminologie
der jüdischen Schriftauslegung S. 94 — 96, 199 — 202. — Die beiden ßestand-
theile des Talmud, nämlich den zu Grunde liegenden Mischna-Text und die
erläuternde Discussion, pflegt man auch als „Mischna" und „Gemara" zu
unterscheiden (»"^ttS, von "i^s vollenden). Dieser Spracligebrauch ist aber dem
jüdischen Alterthum noch fremd. Im Talmud selbst heisst die sogenannte
Gemara immer „Talmud", s. Strack, Theol. Literaturzeitung 1880, 388 (in
der Recension von Wünsche, Der jerusalemische Talmud), Herzog's Real-Enc.
2. Aufl. XVIII, 299 (nach Laties, Sat/gio tli giwite e correxioni al lessico talmu-
ilico, Turin 1879). Einl. in den Thalmud S. 3.
29) 8. bes. Z u n z , Die gottesdienstlichen Vorträge S. 52 f. Die Stellen
über Diocletian au(^h bei Lif/htfoot, Ccniwia chorogr. Matthaeo praeniissa
f. 81 {opp. II, 228). KrauBH, Griechische und lateinische Lehnwörter im
Talmud etc. II, 1899, 8. 212.
30) Die haggadiHchcn Stücke sind zusammengestellt in dem Werk Jepho
mar eh (nxnij ni^) des Samuel Japhe (10. ,Fuhrh). 8. hierüber: Wolf,BHMofh.
Jleftr. I, n(i4. Ili', 1109. IV, 995. Füml, BUtlioth. .lud. II, \). 90. Stein-
»ehneider, Catal. col. 2427. {Zedner) Gatal. of thr British Mn.smm p. 750 «7.
Strack in Henog'i Real-Enc. 2. Aufl. XVIII, 3(Wf. Einl. in den Thalmud 8.122. —
Eine dentcche Uebersetcang der haggadischcn 8tüike giebt: WihiHche, Der
Jemaalemifche Talmnd in seinen haggadischcn Bcstandthcilen zum erst( u
Male in't Deutoche flbertragen, Zürich 1880.
31) Hpurcn von dem Vorliandensein anderer Theile s. bei Zunz, Die
[100] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. 127
4. Der babylonische Talmud.
Durch Abba Areka, genannt Rab, einen Schüler des K,
Juda, soll die Mischna nach Babylonien gebracht worden sein ^•).
Auch in den dortigen Schulen wurde sie als Grundlage für die
fortschreitende juristische Discussion benützt. Das unabsehbare
Anschwellen des Stoffes führte auch hier allmählich zur Codifi-
cirung. Dieselbe ist wahrscheinlich im fünften Jahrhundert nach
Chr. unternommen, aber erst im sechsten Jahrhundert zum Ab-
schluss gebracht worden. — Auch im babylonischen Talmud wer-
den häufig Aussprüche älterer Gelehrter in hebräischer Sprache
citirt. Die Sprache des Talmud selbst ist der aramäische Dialect
Babyloniens. — Die Haggada ist hier noch reichlicher vertreten
als im palästinensischen Talmud •^^). — Auch der babylonische Tal-
nmd erstreckt sich nicht über die ganze Mischna. Es fehlen darin:
Der 1. Seder ganz ausser Berachoth; im 2. Schekalim; im 4. Edujoth
und Aboth; im 5. Middoth und Kinnim und die Hälfte von Tamid;
der 6. ganz ausser Nidda (s. Zunz S. 54). Er erstreckt sich also
nur über 36 V2 Tractate, während im palästinensischen 39 Tractate
behandelt sind. Trotzdem hat der babylonische mindestens den
vierfachen Umfang des palästinensischen, ist in Europa seit dem
Mittelalter eifriger studirt worden und steht in weit höherem
Ansehen 3*). |
gottesdienstlichen Vorträge S. 54. Strack in Herzog's Real-Enc. XVIII,
337 f. Einl. in den Tlialmud S. 63-65.
32) S. über ihn: Mühlfelder, Rabh ein Lebensbild zur Geschichte des
Talmud, Leipzig 1871.
33) S. Zunz S. 94. — Gesammelt ist die Haggada aus dem babylonischen
Talmud in dem Werk En Jakob (n'lp?^ 'p?) oder En Jisrael (bjtnil";! 'pr) des
Jakob Chabib (15. Jahrb.). S. hierüber: Wolf, Bibliuth. Hehr.l\'b^\ III,
456 f. IV, 806 f. Zunz S. 94. Fürst, Biblioth. Jud. I, 151 f. Steinsehneider,
Catal. col. 1196 ff. (Zedner), Catalogue of the British Museum p. 746. Strack
in Herzog's Real-Enc. XVIII, 364 f. Einl. iu den Thalmud S. 122. — Eine
deutsche Uebersetzung der Haggada's im babylonischen Talmud giebt:
Wünsche, Der babylonische Talmud in seinen haggadischen Bestandtheilen
wortgetreu übersetzt und durch Noten erläutert, 1. Halbbd. 1886, 2. Halbbd.
in 4 Abtheilungen 1887—1889.
34) Da der erste und letzte Seder mit Ausnahme je eines Tractates
[Berachoth und Niddxi) keine Gemara haben, so zählte man zuweilen nur vier
Sedarim (s. Loeb, Revue des ettules juives t. XVI, 1888, p. 282— 2S6). — In
Betreff der Citationsweise ist zu merken, dass die Tractate der Mischna
nach Capiteln und Mischna's, die des palästinensischen Talmud's ent-
weder ebenso oder nach den Seitenzahlen der Krakauer Ausgabe, die des
babylonischen Talmud's nach den in allen Ausgaben identischen Seiten-
zahlen citirt werden. Es bezieht sich demnach z. B. M. Berachoth IV, 3 (auch
128 § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [101]
Auch nach Abschluss des Talmud hat die juristische Discussion
niemals geruht. Sie ging fort im Zeitalter der Geonim (7. bis
10. Jahrb.), und wurde weiter gepflegt in den Schulen der arabi-
schen und europäischen Juden des Mittelalters und der neueren
Zeit Unter den zahlreichen Werken, welche der Bearbeitung und
Darstellung des jüdischen Rechtes in dieser späteren Zeit gewidmet
sind, mögen zwei wegen des grossen, fast kanonischen Ansehens,
das sie gewonnen haben, hier noch genannt sein: die Mischne
Thora oder Jad ha-chasaka des Moses Mairaonides (geb. 1135,
gest. 1204) und der Schulchan Aruch des Joseph Karo (geb.
1488, gest. 1575). Eine gute Uebersicht über die Geschichte dieser
ganzen jüdisch-rechtlichen Literatur nebst kurzen Textproben geben
Kaminka und Back in: Winter und Wünsche, Die jüdische
Literatur seit Abschluss des Kanons Bd. 11, 1894, S. 1—63, 341—605.
Vgl. auch Steinschneider in Krsch und Grubers Encycl, Section II,
Bd. 27, 1850. S. 361 ft". 387 ft'. (im Artikel: Jüdische Literatur).
Die Literatur zur Mischna und den beiden Talmuden (Ausgaben, Ueber-
setzungen, Erläuterungsschrifteu) verzeichnen: Wolf, Bihlioth. Hebr. II,
700-724, 882— ni3, IV, 321—327, 437—445. Winer, Handb. der theol. Lite-
ratur I, 523—525. Fürst, Biblioth. Jiidaica II, 40—49, 94—97 (Mischna und
paläst. Talmud). Steinschneider, Catalogiis librorwn liebraeorum in Biblio-
theca Bodleiana (1852-18(30) col. 209—294. {Zedner) Catalogue of the hebrew
Imoks in the library of the British Museum. (1867) p. 545—555, 739—751. Raph.
Rabbinovicz, Kritische Uebersicht der Gesammt- und Einzelausgaben des
babylon. Talmud's seit 1484, München 1877 (hebr. geschrieben). Strack in
Herzog's Real-Enc. 2. Aufl. XVIII, 342 ft'., 357— 368. Ders., Einl. in den
Tlmlmud, 2. Aufl. S. 72 ft". 10<3— 130. Max Freudenthal, Zum Jubiläum des
ersten Talmuddrucks in Deut.*ichland (Monatsschrift für Geschichte und
Wissensch. des Judenth. 1898, S. 80 fl". 134 ft". 180 ft". 229 ft". 278 ft".). Bischoff,
Kritische Geschichte der Thalmud-Uebcrsetzungen aller Zeiten und Zungen.
Frankf. a. M. 1899. — Wir heben nur Folgendes hervor:
Ausgaben und Uebersetzungcn der Mischna:
Mischna sive totiiu Hebraeorum juris, rittium, antiquitatum ac Icyum oralium
syatema cum ela/riasimoruni linlMnorum Maimonidis et Bartetiorae eommen-
tariis intrgris etc. Latin itate donavit ac notis illustrnvit Ouil. Suren-
husiuM. V) voll. fol. Arnstnlaed. 1698—1703.
MiHciina etc., aus dem TI<0»r. übersetzt, umHchricbcn und mit Anmerkungen
erlÄuUirt von Joh. Jak. Rabe. (J Thlc., Onol/.lmch 17()0-17()3 (ohne
hebr. Text). — Die Ucbersotzung ist oft zu paraphraBtisch.
'iri ns«« •'i-jD neu:, 6 Thie., Berlin, J. Lewent, 1882-1834 [herausgegeben
Auf VcrRtiHtaltung der GesellHchafl von Freunden der Thora und Wissen-
bloM: Beraeholh IV, 3) auf die Mischna, /er. Berachoth IV, 3 auf den i)alästi-
Denninchen Talmud, hob. Berachoth 28^ (auch bloss Berachoth 28'*) auf den
babylooUcben Talmud.
[101. 102] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. 129
Schaft zu Berlin unter Leitung von J. M. Jost]. — Punktirter Text mit
deutscher Uebersetzung in hebräischer Schrift und einem
kurzen hebr. Commentar.
The Mishna on which the Palestinian Talmud rests, edited from Oie uniqtie
manuscripl preserved in the University Library of Cambridge Add. 470, 1
by Lowe. Cambridge 1883 (genauer Abdruck einer werthvollen Cambridger
Handschrift, die jedoch nicht die „einzige" in ihrer Art ist, da cod. de
Rossi 138 zu Parma denselben Text, vielleicht noch besser, darbietet).
Mischnajoth, Die sechs Ordnungen der Mischna. Hebräischer Text mit
Punktation, deutscher Uebersetzung und Erklärung, von A. Sammter.
Thl. I, Ordnung Seraim, Berlin 1887, Thl. II, Ordnung Moed, fortges.
von Baneth, 18S7 ft". Thl. III, Ordnung Naschim, herausgeg. von Petu-
chowski, 189G ft", Thl. IV, Ordnung Nesikin, hrsg. von D. Hoffmann,
1893—1898 (wenn diese noch in der Fortsetzung begriffene Ausgabe voll-
endet sein wird, wird sie für den Handgebrauch des christlichen
Theologen am empfehlenswerthes ten sein; die deutsche Ueber-
setzung schliesst sich eng an die Jost'sche an, ist aber mit deutscheu
Lettern gedruckt).
Ausgaben des hebräischen Textes mit kurzen hebräischen Commentaren sind
zu allen Zeiten in grosser Zahl erschienen, in neuerer Zeit z. B. bei Sitten-
feld in Berlin 1863, Cohn in Berlin 1876, und anderwärts.
des palästinensischen Talmud:
Die editio prineeps erschien bei Bomberg in Venedig, fol., ohne Jahreszahl
(nach Wolf, Bihl. Hei»-. IV, 439 im J. 1523 oder 1524).
Ausserdem erschienen nur noch drei vollständige Ausgaben zu Krakau 1609, ]
zu Krotoschin 1866, und zu Shitomir in 4 Bden. fol. 1860—1867. — Einige
andere sind in den Anfangen stecken geblieben (Herzog's Real-Enc.
XVIII, 343).
Eine lateinische Uebersetzung eines grossen Theiles des palästinensischen
Talmud (19 Tractate) s. in Ugolini Tfiesaurus antiqq. saer., nämlich
t. XVII: Pesachim, t. XVIII: Schekalim, Joma, Sukka, Bosch ha^chaua,
Taanith, Megilla, Chagiga, Beta, Moed katan; t. XX: Maaseroth, Challa,
Orla, Bikkurim; t. XXV: Sanhedrin, Makkoth; t. XXX: Kidduschin, Sota,
Kethuboth.
Eine französische Uebersetzung ist in neuerer Zeit von M. Schwab
unternommen worden. Bd. I erschien zuerst unter dem Titel: Trait^
des Berachoth du Talmud de Jimsaletn et du Talmud de Babylone,
tradtcit pour Ja premiire fois en fran^ais par M. Schwab, Paris 1871.
Die folgenden Bände unter dem Titel: Le Talmud de Jerusalem, fraduif
puitr la premiere fois par Moise Schwab, und zwar t. II 1878 (Pea, Demai,
Kilajim, Schebiith), III 1879 iTerumoth, Maaseroth, Maaser scheni, Challa,
Orla, Bikkurim), IV 1881 (Schabbath, Erubin], V 1882 (Pesachim, Joma,
Schekalim), VI 1883 (Sukka, Roseh haschana, Taanith, Megilla, Chagiga,
Moed katan), VII 1885 (Jebamoth, Sota), VIII 1886 (Kethuboth, Nedarim.
Gittin), IX 1887 (Gittin Schluss, Nasir, Kidduschin), X 1888 (Baba
kamma, Baba mezia, Baba bathra, Sanhedrin 1—6). XI 1889 (Sanhedrin
Schluss, Makkoth, Schebuotli, Aboda sara, Horajoth, Xidda) [hiermit voll-
ständig]. Bd. I in neuer Aufl. u. d. T.: Le Talmud de Jerusalem etc. f. I.
nouvelle Mition, TraitS des Berakhoth, Paris 1890.
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 9
130 § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [102. 103
Wünsche , Der jerusalemische Talmud in seinen haggadischen Bestandth eilen
in's Deutsche übertragen, Zürich 1880 (giebt nur die haggadischen Stücke!).
des babylonischen Talmud:
Die editio princeps erschien bei Bomberg in Venedig in 12 Eden. fol. 1520 ff.
(mit dieser Ausgabe stimmen alle folgenden in den Seitenzahlen genau
überein).
Unter den zahlreichen späteren Ausgaben ist keine, welche kritischen Grund-
sätzen genügte; namentlich hat die christliche Censur arge Verwirrung-
angerichtet (s. in der Kürze: Strack in Herzog's Eeal-Enc. XVIII, 343 f.
Einl. in den Thalmud S. 73 ff.).
Gut ausgestattete Drucke erschienen in neuerer Zeit z. B. bei Sittenfeld in
Berlin, 12 Bde. fol. 1862—1868, in Wien 1864—1872, in Warschau
1876—1878, und anderwärts.
Eine Octav-Ausgabe besorgte M.J.Landau: Talmud Babli, mit Raschi,
Tosaphot und allen bekannten Zugaben herausgeg. von M. J. Landau.
Neue Ausg. 24 Bde. 8. Prag 1840—1846 (vgl. über diese Ausg. Fürst' s
Literaturbl. des Orients 1841, Nr. 36. 47—48).
Eine Ausgabe in gr. 4. mit deutscher Uebersetzung hat L. Goldschmidt
begonnen (Der babylonische Talmud, hrsg. nach der ed. princeps nebst
Varianten etc., möglichst wortgetreu übersetzt und mit kurzen Erklärungen
versehen von Laz. Goldschmidt, Berlin 1896 ff. ; von Bd. III an, Sukkah etc.,
1898 ff., auch die Uebersetzung für sich allein). Ausgabe und Ueber-
setzung leiden aber an starken Mängeln, s. Theol. Litztg. 1896, 477.
1898, 631.
Uebersetzungen in abendländische Sprachen giebt es bis jetzt (so lange
Goldschmidt's und Rodkinson's Ausgaben nicht vollendet sind) nur zu
einzelnen Tractaten oder ausgewählten Stücken.
In Ogolini Thesaurus sind drei Tractate des babylonischen Talmud in's
Lateinische übersetzt: /. XIX: Sebachim und Mcnachoth, f. XXV: Sanhedrin.
Der Talraudische Tractat Brachoth von den Lobsprüchen als das erste Buch
in» ersten Theil, nach der HieroBolymitan. und Babylon. Gemara. Uebers,
und erläutert von Rabe, Halle 1777.
Le Talmud de Bnhylone Iraduit en langue franfaise et compliti par cehii de
Jinisalem et par d' autrea numuments de l'antiquitö jnda'iqtw, par fabM
L. Chiarini, vol. I. (Berarhoth), Leipxic 1831.
Talmud Babli. Tractat Berachoth. Mit deutscher Uebersetzung etc. von
PinniT, Berlin 1842. |
Aboda Sara oder der Götzendienst. Ein Tractat aus dem Talmud. Die
Mischna »ind die Gemara, letztere zum erstenmalo vollständig übersetzt etc.
von Ford. (^lir. Ewald, Nürnberg 1856 (Neue Titel-Ausg. 18(>8).
Talmud linhyltmirum, Tractat Baba Mezia. Mit deutscher Uebersetzung und
Erklaning von A. Hammter. Berlin 1876 [— 1879].
Der Tractat Taanit des babylonischen Talmud zum eratonmale ins Deutsche
flhertraKon et<'. von PtraHcliun, Halle 1883.
Der Traktat Mcgilia nclmt Tosafat voIlständiK in's Deutsche übertragen von
Rawicz, Frankftjrt a/M. 1HK3 (wisHciiBchartlich kaum branchbar).
Der Traktat Rone h ha-Schanah, mit BcrückMichtigung der meisten Tosafot
In'i Deutliche übertrajr<'n von Uawicz, Frankftjrt a/M. 1886 (etwas bosser
al» da« Torige).
[103] § 3. Quellen. E. Die rabbinieche Literatur. 131
A Translation of thc Treatise Chag igah from the Babylmiian Talmud, tcith
introduction, notes, ylossary and indices, by Streune, CambrüUje 1891.
New edition of thc Bahylonian Talmud, original text, edited, corrected, farmtdated
and tran><lated into cnglish by Rodkinson. Neic York, New Talmud Publi-
shing Company. Bis 1900 erschienen 10 Bde. (bis Baba kamma incl.).
Der Tractat Sanhedrin, in's Deutsche übertragen und mit erläuternden An-
merkungen versehen von Rawicz, Frankfurt a/M. 1892.
Der Tractat Kethuboth, unter steter Berücksichtigung der französ. Ueber-
setzung von Rabbinowicz in's Deutsche übertragen und kommentirt von
Eawicz, 2 Theile, Frankfurt a/M. 1898-19(X).
Ueber die Uebersetzung von Goldschmidt e. oben bei den Ausgaben.
Die civil- und criminalrechtlichen Abschnitte giebt in französischer Ueber-
setzung: J. M. Eabbinotcicx, Legislation civile du Thalmud, traduit et
annote. Traite Kethouboth, Paris 1873. — Derselbe, Legislation crimi-
nelle du Thalmud (Sanhedrin und Makkoth), Paris 1876. — Derselbe,
Legislation civile du Thahmtd, Bd. I 1880 (die civilrechtlichen Stellen aus
26 Tractaten von Berachoth bis Kidduschin), Bd. II III IV, 1877 1878
1879 (die Tractate Baba kamma, mezia und bathra), Bd. V 1879 (die ci\il-
rechtlichen 'Stellen aus 30 Tractaten von Baba bathra bis ükzin).
Wünsche, Der babylonische Talmud in seinen haggadischen Bestandtheilen
wortgetreu übersetzt ete, 1. Halbbd. 1886, 2. Halbbd. in 4 Abtheilungen
1887—1889 (nur die haggadischen Stücke!).
Zur Textkritik.
Paph.Rabbinovicx , Variae lectiones in Mischnam et in Talmud Babylonicum
quum ex aliis libris antiquissimis et seriptis et impressis tum e codice Mo-
nacensi praestantissimo collectae annotatianibus instrudae (hebr. geschrieben),
M— XV, München 1867-1886. Nach dem Tode des Verf. (tl888) fortges.
von Ehrentreu, t. XVI, 1897.
Lebrecht, Handschriften und erste Gesammtausgaben des Babylonischen
Talmud (Wissenschaftliche Blätter des Beth ha-Midrasch in Berlin 1862,
Nr. 1) [nur über die Handschriften].
Ueber die Handschriften vgl. ferner: Pinner, Uebersetzung des Tract. Berachoth,
Vorrede S. 9 f. — Beer in Frankel's Monatsschr. 1857, S. 456-458. —
Steinschneider, Hebräische Bibliographie Bd, VI, 1863, S. 39 ff. —
Strack in Herzogs Real-Enc. 2. Auti. XVIII, 340—342. Einl. in den
Thalmud S. 67—72.
Ueber die Ausgaben s. die oben S. 128 genannte Literatur, bes. Rabbinovicz
und Strack.
Sprachliche Hülfsmittel:
Buxtorf, Lexicon Chaldaicnm, Talmudicum et Rabbinicum, Basileae, /bZ., 1640.
— Einen neuen Abdruck veranstaltete B. Fischer, Leipzig 1874.
Levy, Chaldäisehes Wörterbuch über die Targumim und einen grossen Theil
des rabbinischen Schriftthums, 2 Bde. 1867 — 1868.
Levy, Neuhebräisches und Chaldäisehes Wörterbuch über die Talmudim und
Midraschim, Bd. I 1876 ('x-t\ II 1879 (n-b), III 1883 (a— S), IV 1889.
(B-n).
Aruch complefum sive Lexicon rocahula et res quae in libris Targum,ieis , Tal-
■ 9*
132 § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [103. 104J
mudids et Midraschicis continentur, explieans Nathane filio Jechielis
.... eritice illtistrat et edit A. Kohut (in hebr. Sprache). 8 Bde.
1878—1892. — Hierüber: Bacher, Zeitschr. der DMG. XLVII, S. 487-514.
Jastrotc, Ä Dictionary of the Tarqumim, the Talmud Babli and Yeriishalmi
and tlie Midrashic Ldterature. Thl. 1 — 9, 1886 — 1897. — Vgl. die Anzeige
in der Retme des etudes juives t. XVI, 1888, p. 154 — 159. |
Dal man. Aramäisch -neuhebräisches Wörterbuch zu Targum, Talmud und
Midrasch, mit Vokalisation der targum. Wörter nach südarabischen Hand-
schriften und besonderer Bezeichnung des Wortschatzes des Onkelostargum,
unter Mitwirkung von Schärf bearbeitet, 1. Theil, 1898.
Ant. Theodor Hartmann, Thesauri linguae Hebraicae e Mischna au{jendi par-
ticula I. II. III. Rostochii 1825 — 1826 (eine fleissige Sammlung des nicht-
biblischen Sprachmateriales der Mischna).
Fürst, Olossarium (jraeeo-hehraeum oder der griechische Wörterschatz der
judischen Midraschwerke, 1891.
Krau SS, Griechische und lateinische Lehnwörter im Talmud, Midrasch und
Targum, 2 Thle. 1898—1899. — Vgl. überhaupt die unten Bd. II, S. 44
genannte Literatur.
Bacher, Die älteste Terminologie der jüdischen Schriftauslegung. Ein Wörter-
buch der bibelexegetischen Kunstsprache der Tannaiten. 1899.
Geiger, Lehrbuch zur Sprache der Mischna. Breslau 1845.
Dukes, Die Sprache der Mischna, lexikographisch und grammatisch betrachtet.
Esslingen 1846.
Weiss, nssrisn ',1©^ aBUJ^a, Studien über die Sprache der Mischna, Wien 1867
(hebr.).
Strack und Siegfried, Lehrbuch der neuhebräischen Sprache und Literatur.
Karlsruhe 1884 (daselbst S. 107 ff. noch mehr hierher gehörige Literatur).
Stein, Das Verbiim der Mischnasprache, Berlin 1888.
Hill ei. Die Nominalbildung in der Mischnah, Frankfurt 1891.
Siegfried, Beiträge zur Lehre von dem zusammengesetzten Satze im Neu-
hebräischen (Semitic Studies in niemory of Alex. Kohut, Berlin 1897,
p. 543-556).
Sachs, Die Partikeln der Mischna, 1898.
Mannes, Ueber den Einfluss des Aranulischen auf den Wortschatz der Mischna
an Nominal- »ind Vorbnlstämmen, 1. Theil, Posen 1899.
Luxxatto, Ehmenti grammaticali del Caldeo Biblicn e dcl dialetto Tahniidiro
Babiionese, I'adua 1865. — Deutsch unter dem Titel: Grammatik der
bibliHch-chaldäischen Sprache und d«'H Idioms des Talmud Babli. Aus
dem Italien, heraiisg. von Krüger, Breshju 1873.
Dal man, Graniniatik des jüdisch-palästiniHchen AramäiHch. Nach den Idio-
men deH palÜHtin. Talmud und Midrasch, des Onkelostargum {Cod. Socini S4)
und der jeruHulcnilHrlicn Targume zum rcntntiMicii. Leipzig 1894.
Rosen herg, Da« aramälMche Vcrbum im bnbylotiiHchcn Talmud, Ticipziger
DlsM. 1887, Marburg 1H88 (auch im Magazin für die WisHonsch. des .ludciitli.
XIV, 1887, 8. Ü1-H9, l.')4-lKi>).
Schlesinger, Dan arartiäiHche Verbum im jcruHulciuischcii Talmud, Strass-
burger Dis«. 1H80 (auch im Magazin für die Wisscnsch. des Judenth. XVI.
1880, 8. 1-40, 84—116, 156-168).
Lieberroann, Das Pronomen und duH Adverbium (Ich babylonisch-talmudiscluti
Dialekte«, 1^.
[104. 105] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. 133
Allgemeine Literatur über die Mischna.
Am eingehendsten sind die Entstehungsverhältnisse der Mischna behandelt in
folgenden drei hebräisch geschriebenen Werken:
Frankel, riJü^sn "ism, Hodegetica in Mischnam librosque cum ea conjunctos
Toseßa, Mechllta, Sifra, Sifrt. P. I. Introductio in Mischnam. Lips. 1859. —
Hierzu: n:^^n "^s^rt '^BOb nrBBI niCDir, Additamenta et index ad librum
Hodegetica in Mischnam, Lips. I8(i7.
Jak. Brüll, nrr?2n S12?3, Einleitung in die Miscbnah, enthaltend das Leben
und die Lehrmethode der Gesetzeslehrer von Esra bis zum Abschlüsse der
Mischnah, Frankf. 1870. — Derselbe, Einleitung in die Mischnah, IL
Plan und System der Mischnah, Frankf. 1884.
Weiss, i'^ir-iini -in-i -m, Zur Geschichte der jüdischen Tradition. L Thl. Von
den ältesten Zeiten bis zur Zerstörung des zweiten Tempels, Wien 1871. —
II. Thl. Von der Zerstörung des zweiten Tempels bis zum Abschluss der
Mischna, 1876. — IIl. Thl. Vom Abschluss der Mischna bis zur Vollendung
des babylonischen Talmuds, 1883. — IV. Thl. Vom Abschluss des Talmuds
bis Ende des 5. Jahrtausends jüd. Z. R., 1887. — V. Thl. Vom Anfang
des sechsten Jahrtausends jüd. Zeitrechnung bis zur Vertreibung der Juden
aus Spanien, 1891.
Jost, Gesch. der Israeliten seit der Zeit der Makkabäer IV, 103 ff. — Der-
selbe, Gesch. des Judenthums und seiner Secten II, 114—126.
Zunz, Die gottesdienstlichen Vorträge der Juden (1832) S. 45 f. 86 f. 106 f.
Grätz, Gesch. der Juden (2. Aufl.) IV, 210—240, 419—422, 430 f., 479-485.
494 f. — Derselbe, Beiträge zur Wort- und Sacherklärung der Mischna
(Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. 1871). — Derselbe,
Die Mischna in mündlicher üeberlieferung erhalten (Monatsschr. 1873,
S. 35—41).
Dünner, Veranlassung, Zweck und Entwickelung der halachischen und
halachisch-exegetischen Sammlungen während der Tannaim-Periode, im Um-
risse dargestellt (Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. 1871).
Dünner, R. Juda ha-Nasi's Antheil an unserer Mischnah (Monatsschr. 1872,
S. 161— 178, 218—235). — Derselbe, Der Einfluss anderer Tannaiten auf
R. Jehuda Hanassi's Halachah-Feststellung (Monatsschr. 1873, S. 321 ff.
361 ff.).
Schiller- Sxinessy, Art. Mishnah in der Encyclopaedia Britannica «0/. XVI
(1883) p. 502-508. |
Hamburger, Real-Encyclopädie für Bibel und Talmud, Abth. H, 188!^,
S. 789—798 (Art. „Mischna").
Rosenthal, Ludw., lieber den Zusammenhang der Mischna, ein Beitrag zu
ihrer Entstehungsgeschichte. 1. Thl. Die Sadducäerkämpfe und die Mischna-
sammlungen vor dem Auftreten Hillel's, 1890. 2. Thl. Vom Streite der
Bet Schammai und Bet Hillel bis zu Rabbi Akiba, 1892.
Die oben S.123 genannten Abhandlungen von Lewy (1876), Derenbourg(1883),
D. Hoffmann (Progr. 1882, Magazin 1881—1884), Lern er (1886).
lieber die in der Mischna citirten Gelehrten (die „docfores Misnici") s. die
Literatur in Bd. II S. 351 (§ 25, IV).
Geiger, Einiges über Plan und Anordnung der Mischna (Geiger's Wissen-
schaft!. Zeitschr. für jüdische Theologie Bd. II, 1836, S. 474—492).
134 J; 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur, [105]
Cohn, Aufeinanderfolge der Mischnaordnungen (Geiger"s Jüdische Zeitschr. für
Wissenscb. und Leben Bd. IV, 1S66, S.126-140).
Landsberg, Plan und System in der Aufeinanderfolge der einzelnen Miscbna's
(Monatsschr. 1873, S, 208—215).
Derenbourg, Les seetions et les traites de la Mischnah {Revue des ettules juives
t. m, 1881, p. 205—210).
lieber die verschiedene Reihenfolge der Tractate in einigen Haupt-Handschriften
und Ausgaben s. die tabellarische Uebersicht von Strack in Herzogs
Real-Enc. 2. Aufl. XVHI, 302-304. Ders., Einleitung in den Thalmud,
2. Aufl. S. 9—12.
Dünner, Einiges über Ursprung und Bedeutung des Tractates Edajoth
(Monatsschr. 1871, S. 33—42, 59—77).
Klüger, Ueber Genesis und Composition der Halacha - Sammlung Edujot.
Breslau, 1895.
Jellinek, Die Composition der Pirke Aboth (Fürst's Literaturbl. des Orients
1S49, Nr. 31. 34. 35).
Frankel, Zum Tractat Aboth (Monatsschr. 1858, S. 419—430).
N. Brüll, Entstehung und ursprünglicher Inhalt des Tractates Abot (Jahrbb.
für jüd. Gesch. und Literatur VII. Jahrg. 1885, S. 1—17).
Graubart, Le reritable auteur du traite Kelim {Revue des etudes juives t. XXXII,
1896, p. 200-225).
Riege r, Versuch einer Technologie und Terminologie der Handwerke in der
Mi§näh, 1. Theil: Spinnen, Färben, Weben, Walken, 1S94.
VogeUtein, Die Landwirthschaft in Palästina zur Zeit der Miänäh, 1. Theil:
Der Getreidebau, 1894.
Löwy, Die Technologie und Terminologie der Müller und Bäcker in den
rabbinischen Quellen. Bern, Diss. 1898.
Kren gel, Das Hausgerät in der Misnah, 1. Theil, 1899.
Ein Verzeicbniss sämmtlicher in der Mischna citirten Stellen des Alten
Testamentes s. bei Pinner, Tract. Berachoth, Einl. Fol. 2\^.
Ueber den palästinensischen Talmud:
Argumente gegen die allgemein angenommene Meinung, als hätte der Jeru-
Bchalmi der Redaction des babylonischen Tulmuds vorgelegen, in Fürst's
Literaturbl. des Orients 1.S43, Nr. 48-51.
Frankel, Einiges über die gegenseitigen Beziehungen des jerusalemischen
und babylonischen TalmudH (Monatsschr. ftlr Gesch. und Wissenscb. dos
Judenth, 1851/52, S. 30— 40. 70-80).
Frankel, •'«^»inTi 6tl3i3 (hebräisch) mit dem lateinisclien Titel: Tntrodurlio
in Talmud Jlicrosolymüanum. Breslau, 1870 (Vom Verf. angez. in der
M«»nntH8*hr. 1870, 8. 40—44).
Geiger, J>ie jeruHulomische Gomara im GeMannntorgnnismUH der talmudischen
Literatur ( Jüdinc he Zeitschr. f. Wisscnsch. und Lel)en, 1870, S. 278—300).
— Vgl.: Der jerusulemiw lie Talmud im Liclitc Geiger'scher Hypothesen
(MonaUtchr. für (i. und W. dos J. 1H71, S. 120-137).
Wifiocr, OibcHh JcriiHchnlaim, Eine Studie über Wchi-u, Quellen, Entstehung,
AbtchluHR und über rion Verf. de» jeruHalemit. Talmud». Hrsg. und mit
krit. Bemerkungen verHchen von Smolensky. Wien, Horzfeld und Bauer.
1872 (84 8. gr. B).
[105. 106] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur, 135
Ueber die beiden Talmude überbaupt:
Wolf, BiblioÜieca Hebraea II, 657—993. IV, 320—456.
Waehner, Antiquitates Ebraeonim Vol. I (1743) p. 231—584. |
Jost, Gescb. der Israeliten seit der Zeit der Makkabäer, Bd. IV (1824), S. 222 f.
323—328, nebst dem Excurs „Ueber den Talmud als historische Quelle",
im Anhang S. 264—294.
Zunz, Die gottesdienstl. Vorträge S. 51 — 55. 94.
Pinner, Compendium des hierosolym. und babylon. Talmud. Berlin 1832.
Pinuer, Einl. in den Talmud, vor seiner Ausg. und Uebers. des Tractates
Berachoth (24 Bl. in Fol.). — Daselbst Fol. 1—12 auch die Vorrede des
Maimonides zum Seder Seraim (hebr. und deutsch).
Fürst, Die literarischen Vorlagen des Talmuds (Literaturbl. des Orients 1850,
Nr, 1 und fF.). — Vgl. auch Fürst, Kultur- und Literaturgesch. der Juden
in Asien. 1. Th. 1849.
Franke 1, Ueber den Lapidarstyl der talmudischen Historik (Monatsschr.
1851/52, S. 203—220. 403-421).
Grätz, Die talmudische Chronologie (Monatsschr. f. G. u. W. des Judenth.
1851/52, S. 509—521).
Grätz, Gesch. der Juden IV, 384. 408—412 (und überh. d. ganze 4. Bd.).
Jost, Gesch. des Judenthums II, 202—212.
Frankel, Beiträge zur Einl. in den Talmud (Monatsschr. 1861, S. 186—194.
205—212. 258—272).
Pressel, Art. „Thalmud" in Herzog's Real-Enc. 1. Aufl. Bd. XV (1862)
S. 615—664.
Deutsch, Der Talmud. Aus dem Engl. (72 S. 8) Berlin 1869.
Bedarride, Etüde sur le Talmud (142 />. 81. Montpellier 1869.
Auerbach, Das jüdische Obligationenrecht, Bd. I, 1870. — Giebt in der
ausfuhrlichen Einleitung u. a. S. 62—114 eine Entstehungsgeschichte des
Talmud.
N. Brüll, Die Entstehungsgeschichte des babylonischen Talmuds als Schrift-'
Werkes (Jahrbb. für jüd. Gesch. und Literatur 11. Jahrg. 1876, S. 1—123).
Davidson, Art. „Talmud" in Kitto's Oyclopaedia of Biblical Literature.
Derenbourg, Art. „Talmud" lu'Lichicnherger's, Encyelopedie des scienees reli-
gieuses t. XII, p. 1009—1038.
Hamburger, Real-Encyclopädie für Bibel und Talmud Abth. II (1883) Art.
„Talmud, Talmudlehrer, Talmudscliulen" (S. 1155—1164) und die zahlreichen
Artikel über die einzelnen Lehrer.
Weiss, Zur Gesch. der jüd. Tradition, III. Th. 1883 (s. oben S. 133).
Bloch, Einblicke in die Geschichte der Entstehung der talmudischen Literatur,
Wien 1884 (hierzu Brüll's Jahrbb. für jüd. Gesch. und Lit. VII, 1885,
S. 101—106).
Grätz, Zur Chronologie der talmudischen Zeit (Monatsschr. 1885, S. 433—453,
481—496).
Strack, Art. „Thalmud" in Herzog's Real-Encyklopädie 2. Aufl. Bd. XVIII,
S. 297—369 (mit reichhaltigen und sorgfältigen Literaturangaben).
Strack, Einleitung in den Thalmud, 2. Aufl. 1894 (erweiterter Abdr. aus Her-
zog's Real-Enc). 3. Aufl. 1900 (anastatischer Neudruck mit 2 S, Nachträgen).
Pressel, Die Zerstreuung des Volkes Israel, 3. Heft. Der Thalmud, 1888.
Darmesteter, Le Tahnnd {Actes et conßrences de la Sociiti des etudes juires
136 § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [106. 107]
1889 [Beilage zur Revue des etudes juives 1889] p. CCCLXXXI sqq), abge-
druckt in: Dor7nesteter, Beliques scientiftques vol. I, 1890, j)- 1 — 53.
Reich, Zur Genesis des Talmud, der Talmud und die Römer, 2. Aufl. 1893.
Mielxiner, Introduction to the Talmud. Historical and literary introduction.
Legal hermeneutics ofthe Talmud. Talm,udical term,inology andmethodohgy.
Oiälines of talmudical ethics. Appendix: Key to the abbreviations iised in
the Talmild and its eommentaries. Oincinnati 1894 (293 S.)- Vgl. Theol.
Litztg. 1894, (536.
Stein, Materialien zur Ethik des Talmud. 1. Die Pflichtenlehre des Talmud,
1894.
L iv i, La cloture du Talmud et les Saboraim {Revue des etudes juives t. XXXIII,
1896, p. 1—17. XXXIV, 1897, p. 241—250) [am Schluss des zweiten Ar-
tikels nennt sich der Verf. Halivi\.
Bernfeld, Der Talmud, sein Wesen, seine Bedeutung und seine Geschichte,
1900 (120 S.).
In den Ausgaben des babylonischen Talmud's (Bd. IX, am
Schluss der vierten Ordnung) befinden sich noch einige Stücke, die
nicht zum Codex gehören, aber z. Th. noch aus talmudischer Zeit
herrühren:
a) Die Ahoth derabbi Nathan, eine Erweiterung der Pii'ke
Abothy mit mancherlei Nachrichten über das Leben der Weisen und ]
anderen haggadischen Abschweifungen. Ihre jetzige Fassung haben
sie erst in nachtalmudischer Zeit erhalten.
Eine von dem gewöhnlichen gedruckten Texte abweichende Recensiou dieses
Tractates ist herausgegeben worden von S. Taussig BiIj\ü ms [Neweh Schalom)
I. Thl. enthaltend Aboth di R. Nathan in einer von der gedruckten abweichen-
den Recension, Seder Tannaim w'Amoraim und Variauten zu Pirke Aboth,
aus Handschriften der köuigl. Hof- und Staatsbibliothek zu München heraus-
gegeben und erläutert, München 1872. — Beide Recensionen giebt; Schechtcr,
Aboth de Rabbi Nathan, hujus libri reccnsiones duas collatis variis apud biblio-
tliecOrS et publicas et privatas cudicibus cdidit, Wien, Lippe 1S87 (hierzu die An-
zeige in der Monatsschr. für (Sesch. und Wissensch. des Judenth. 1887, S. 374
blB 383, und Brüll, Jahrbb. für jüd. Gesch. und I.itteratur IX, 1889, S. 133 bis
139). — Eine lateinische Uebersetzung des gewöhnlichen Textes ist: Tractatus
de I'atrilms: Rabbi Nathane auctorc, in lingnam Latinam translatus opera
Franciaei Tailcri, Landint 1G54. — Vgl. übcrluiupt: Wolf, Biblioth. Hebt: II,
S.'iS— 867. — Zunz, Die gottcKdienstliclien Vorträge S. 108 f — Geiger's
WisHcnschaftl. Zcitschr. für jüdische Theol. VT, 20fl". — Fürst, Biblioth. Mi-
dnica III, 19f. — Steinachneider, Catal. Biblioth. Bodl. col. 2032ft'. — [Zedner),
CiUalugue of the British Museum p. 748. — Cahn, Pirke Aboth (1875) 8. VIII f.
— Hamburger, Real-Enc. Supplementband S. 5 f. — Strack in Herzog's
Re»l-Enc. 2. Aufl. XVIII, 328. Dcfh., Eitil. in den Thalmud 2. Aufl. S. 44f. —
Proben in deutHcher Uebersetzung bei Winter und Wünsche, Die jüdische
Littontnr leit AbBchluMS de« Kanons I, (ilU— 630.
b) Die sogenannten kleinen Tractate (über diese: Jost,
(tesch. des Judenth. U, 237 f. Steinschneider, Catal col. 278.
Zedner, Catal. p. 748 «7. Strack in llrrzogs Real-Knc. XVIII, 328.
[107. 108] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. 137
Ders. Einl. in den Thalnmd 2. Aufl. S. 44—46. Uebersetzungsproben
bei Winter und Wünsche, Die jüdische Litteratur seit Abschluss
des Kanons Bd. I, 1894, S. 601— 650):
1. Sopherim, über Schreibung der Gesetzesrolle und verschie-
dene Synagogengebräuclie. Aus nachtalmudischer Zeit.
Separat- Ausgabe : Masechet Soferim. Der talmudische Tractat der Schreiber,
nach Handschriften herausgegeben und commentirt von Joel Müller, Leipzig
1878 (angez. von Strack, Theol. Litztg. 1878, 626ft'.). — Vgl. überhaupt: Zunz
S. 95f. Steinsehneider, Catal. col. 270. 278. Zedner, Gatal. p. 749. Ham-
burger, Real-Enc. Supplementband S. 104. Strack a. a. O. Winter und
Wünsche I, 603—609.
2. Ebel rabbathi oder euphemistisch Semachoth [nicht Sim-
choth], Über Leichenbestattung und dabei zu beobachtende Ge-
bräuche. Schon im Talmud citirt. Zunz S. 90. Brüll, Jahrbb.
für jüd. Gesch. und Lit, I. Jahrg. 1874, S. 1 — 57 (bestreitet, dass
der im Talmud citirte Tractat identisch sei mit dem uns erhaltenen).
Hamburger Suppl. S. 51—53. Klotz, Der talmudische Tractat
Ebel rabbathi oder S'machoth, nach Handschriften und Parallel-
stellen bearbeitet, übersetzt und mit erläuternden Anmerkungen
versehen, Königsberg, Diss. 1890. Winter und Wünsche I, 609
bis 614.
3. Kalla, über ehelichen Umgang und Keuschheit überhaupt.
Nach Zunz S. 89 f. wahrscheinlich älter als der jerusalemische
Talmud.
4. Derek erez rabba, über gesellige Pflichten. Zunz S. 110 f.
Hamburger Supplementband S. 50 f. Goldberg, Der talmudische
Tractat Derech Erez Eabba. 1. Heft, Breslau 1888. Winter und
Wünsche I, 630—634. Krauss, Le traite talmndique „Derech Ere^''
(Revue des etudes juives XXXVI, 1898, />. 27—46, 205—221. XXXVII,
1898, p. 45-64).
5. Derek erez siita, Vorschriften für Gelehrte. Zunz S. 110
bis 112. Hamburger Suppl. S. 50 f. Separat-Ausgabe : Der tal-
mudische Tractat Derech Erex Sutta nach Handschriften und sel-
tenen I Ausgaben mit Parallelstellen und Varianten, kritisch be-
arbeitet, übersetzt und erläutert von Abr. Tawrogi, Königsberg
1885. Winter und Wünsche I, 634—646. Krauss a. a. 0.
6. Perek schalom, Über Friedfertigkeit. Zunz S. 110, 112.
Winter und Wünsche I, 647—650.
Sieben ähnliche kleine Tractate hat in neuerer Zeit Eaphael
Kirch heim herausgegeben unter dem Titel ni:t2p ninDOü ynü
m'^'abTÖTl'', Septem lihri Talmudici parvi Hierosolymitani , Frankfurt
138 § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [108. 109]
aM. 1851. Es sind folgende: 1. Massecheth Sepher Thora; 2. 31.
Mesusa; 3. M. Tephillin; 4. M. Zizith; 5. M. Abadim; 6. M.
Kuthim; 7. M. Gerim. — Der 6. Tractat erschien noch besonders
erläutert unter dem Titel yniZIÜ "^"CTQ, Introductio in lihrum Talm.
de Samaritanis, Frankfurt a. M. 1851. — Ueber den Tractat Gerim,
der schon früher bekannt war, vgl, Zunz S. 90. Winter und
Wünsche I, 616—618. Er ist jünger als der Talmud. — Ueber
alle sieben: Hamburger, Real-Enc. Supplementband S. 95 (Art.
„Kleine Tractate"). Strack, in Herzogs Eeal-Enc. XVIII, 328 f.
Ders. Einl. in den Thalmud S. 46.
n. Die Midraschim.
In der Mischna und den beiden Talmuden ist das jüdische
Recht (die Halacha) in systematischer Ordnung codificirt. Eine
andere Classe rabbinischer Schriftwerke schliesst sich eng an den
Schrifttext an, denselben Schritt für Schritt commentirend. Diese
Commentare oder Midraschim (c^icnitt) sind theils halachi-
schen, theils haggadischen Inhaltes. In den älteren (Mechilta,
Siphra, Siphre) wiegt die Halacha vor; die jüngeren (Rabboth und
folgende) sind fast ausschliesslich haggadisch. Jene stehen nach
Alter und Inhalt der Mischna sehr nahe ; diese gehören einer spä-
teren Zeit an und sind nicht das Product der juristischen Dis-
cussion, sondern der Niederschlag der in den Synagogen gehaltenen
erbaulichen Vorträge. Eine Gruppe für sich bilden also zunächst
die folgenden drei Werke:
1. Mechilta, «nb-^Dü, über einen Theil des Exodus.
2. Siphra, «nso, über Le Vitien s.
3. Siphre oder Siphri, ''ito, über Numeri und Deuterono-
mium.
Alle drei werden im Talmud liäufig benützt, Siphra und
Siphre auch ausdrücklich citirt (Zunz, Die gottesdienstl. Vorträge,
S. 46, 48; über Mechilta s. Geiger's Zeitsdir. 1860, S. 125). Sie
rühren ihrer Grundlage nach wohl nocli aus dem zweiten .lahrli.
nach Chr. her, sind aber später überarbeitet worden. Die Mechilta
wird dem R. Ismael zugeschrieben (s. über ilin lid. II, S. 374 f).
Dies beruht jedoch nur darauf, dass in der Mechilta wie in
Siphre besonders häufig Aussprüche R. IsmaeVs und seiner Schule
citirt werden. Probh-maiisch ist die Meinung ricjger's dass die j
(Grundlage von Mechilta und Siplire. (une. ältere lialiichische Hich-
tuug repräHentire, welche bereits von Mischna, iSiphra und Tosephta
verlassen sei (Geigers Zeitschr. 1860, S. 99). Die liuggada, ist
in Siphra nnr Hchwach veilreten; stärker in Mec.liilla; und in Siphre
[109] § 3. Quellen. E. Die rabbiniscbe Literatur. I39
„sind beträchtliche Stücke fast ausschliesslich Haggada, welche
zusammen drei Siebentheile dieses Werkes ausmacht" (Zunz,
S. 84 f.). — Die Sprache dieser, wie der übrigen Midraschim , ist
hebräisch.
Ueber die älteren Ausgaben dieser drei Midraschim s. Wolf, Bibliotheca
Hebraea II, 1349—1352, 1387—1389. IV, 1025, 1030 f. - Fürst, Biblioth. Jii-
daica II, 7()f. III, 125 — 126. — Steinschneider , Catalogns l ihr orum Hehr, in
Bibliotheca Bodleiana (Berol. 1852—1860) col. 597 sq. 627 sq. — (Zedner), Cata-
logue of tlie hebrew books in the library of the British Museum (1867) p. 515 sq.
699 sg. — Neuere Ausgaben sind:
jtnb'^STa. Mechilta. Der älteste halachiscbe und hagadische Commentar
zum zweiten Buch Moses. Krit. bearbeitet v. J. H. Weiss. Wien 1865
"isi riTSU: -ISO br bxyia^'' *inm xr^'^sia nco, Mechilta de Rabbilsmael,
der älteste halachiscbe und hagadische Midrasch zu Exodus. Nach den ältesten
Druckwerken herausgegeben, mit kritischen Noten, Erklärungen, Indices und
einer ausführlichen Einleitung versehen v. M. Fried mann. Wien 1870 (hierzu
die Anzeige in der Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. 1870,
S. 278-284).
Eine lateinische Uebersetzung diet Mechilta s. in ügolini, Thesau-
rtts antiqq. sacr. t. XIV.
"131 D''3n3 HTir ^BD xin n-i "«m K-ito mit Commentar {„Hatora vehamitva")
herausgeg. v. M. L. Malbim. Bucharest, 1860. 4.
"131 öi3n3 nnir -iBD Xin 2-1 im xibo, auch unter dem Titel: Sifra,
Barajtha zum Leviticus, mit dem Commentar des Abraham ben David etc.
herausgeg. von J. H. Weiss. Wien 1862.
Eine lateinischeUebersetzung de» Siphra s. in Ugolini, Thesaurus
t. XIV.
"^nsD. Sifre debi Rab, der älteste halachiscbe und hagadische Midrasch zu
Numeri und Deuteronomium. Herausgeg. v. M. Friedmann. Wien 1864.
Eine lateinische Uebersetzung des StpAre s. in Ugolini, Thesauruji
t. XV.
Vgl. über die genannten drei Midraschim überh.: Wolf, Bibl. Hehr. II,
1349s(7?. \^S-sqq. III, 1202, 1209. IV, 1025, lOSOsy. — Zunz, Die gottes-
dienstlichen Vorträge S. 46—48, 84f — Frankel, Hodegetica in Mischnam
p. 307 sqq. — Derenbourg, Histoire de la Palestine p. 393—395. — Joel,
Notizen zum Buche Daniel. Etwas über die Bücher Sifra und Sifre, Breslau
1873. — Weber, System der altsynagogalen palästinischen Theologie (1880)
S. XIX «5^5-. — Strack, Art. „Midrasch" in Herzog's Real-Enc. 2. Aufl. IX,
1881, S. 752f. — Hamburger, Real-Enc. Abth. II, S. 721-724, 1166f. (Art.
„Mechilta" und „talmudische Schriften"). — Schiller-Sxinessy, Art. Mishnah
in der Encyclop. Britamm-a vol. XVI, 1883, p. 507 sq. — D. Hoff mann, Be-
merkungen zur Kritik der Mischna (Magazin für die Wissensch. des Judenth.
XI. Jahrg. 1884, S. 17-30). — D. Hoffmann, Zur Einleitung in die halachi-
schen Midraschim. Beilage z. Jahresbericht des Rabbiner-Seminars zu Berlin
1886— 18S7 (verzeichnet S. 24 die am häufigsten im Siphra vorkommenden
Autoritäten, S. 38-40 die in der Mechilta, S. 54 die im Siphre zu Numeri;
ein vollständiges Register der Tannaim in Mechilta, Siphra und Siphre s.
S. 82—90). — Königsberger, Die Quellen der Halacha, 1. Tbl. Der Midrasch,
1800 (handelt über unsere drei halachischen Midraschim und deren ältere
140 § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [109. 110]
Grundlagen). — Bacher, Die Agada der Tannaiten II, 78f. — Strack, Einl.
in den Thalmud 2. Aufl. S.56f.
Ueber Mechilta und Siphre: Geiger, Urschrift und Uebersetzungen der |
Bibel S. 4S4 — 450. — Derselbe, Jüd. Zeitschr. für Wissensch. und Leben
1866, S. 96-126. — Ebendas. 1871, S. 8—30. — Pick, Text -Varianten aus
Mechilta und Sifre (Zeitschr. für die alttestamentl. Wissensch. 1886, S. 101 —
121). — Blau, Beiträge zur Erklärung der Mechilta und des Sifre (Festschrift
zum 80. Geburtstage M. Steinschneider's 1896, S. 21—40).
Ueber Mechilta: Frankel, Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des
Judenth. 1853, S. 388—398. 1854, S. 149—158, 191—196. — Rosenthal,
Einiges über die Agada in der Mechilta {Semitie Studics in mcmory of Alex.
Kohut, Berlin 1897, p. 463—484).
Ueber Siphra: Frankel, Monatsschr. 1854, S. 387—392, 453—461. —
Geiger, Jüd. Zeitschr. XI, 1875, S. 50—60.
Ausser diesen drei uns erhaltenen Midraschim hat es noch ähnliche hala-
chische Midraschim gegeben, welche nur durch Auszüge in späteren Midrasch-
werken, namentlich dem (in einer Berliner Handschrift erhaltenen) Midrasch
Haggadol, bekannt sind; nämlich:
1. Eine Mechilta des R. Simon ben Jochai zum Exodus. S, darüber:
Lewy, Ein Wort über die Mechilta des R. Simon (Jahresbericht des jüdisch-
theologischen Seminars zu Breslau) 1889. Dazu: Magazin für die Wissensch.
des Judenthums XVI, 1889, S. 63—72.
2. Ein zweiter oder kleiner Siphre zu Numeri (Siphre siita, staiT ''"iB'iG).
Hierüber Zunz, Die gottesdienstlichen Vorträge S, 48. N. Brüll, Der kleine
Sifre (Jubelschrift zum siebzigsten Geburtstage des Prof. Dr. H. Grätz,
Breslau 1887, S. 179—193). D. Hoffmann, Zur Einleitung in die halachischen
Midraschim S. 59— 66. Königsberger, Die Quellen der Halacha S. 111— 127.
Sehechter, Fragment ofthe Sifre xuta {Jewish Qhiarterly ReviewYI, 1894, p. 656 —
663). Königsberger, xant "^-ibD, Sifr^ Siita d.i. e\g. SifrSNmneri (in 2. Biecen-
sion) zum ersten Male nach dem handschriftlichen Midrasch ha-gadol, Jalkut
Simeoni u. a. gesammelt und mit Anmerkungen versehen, nebst einer aus-
führlichen Einleitung herausgegeben, 1. Lfrg. Frankf. 1894. Dazu Epstein,
Revue des etndes juivcs XXIX, 1894, p. 316 «<?. Bacher, Jetvish Quarterly
Review VIH, 1896, p. 329—333.
3. Ein Midrasch z>im Deuteronomium, welchen Hoflmann wegen seiner
Verwandtscluift mit der Mechilta als „Mechilta zum Deuteronomium" be-
zeichnet hat. Hierüber: D. Hoffmann, Magazin für die Wissensch. des
Judenth. XVI, 1889, 8. 193—197. Ders. in: Jubelsc^lirift zum 70. Geburtstage
de« Dr. Hildesheimer, Berlin 1890, 8. 83—98.
Die nun folgenden Midraschim enthalten alle fast nur Haggada.
4. Jiahhoth, man, oder Midrasch Rnbbolh, Plim ©"litt.
Eine Sanuiilung von Midraschim zum Peiitateuch und den fünf
Megilloth (Hohesli(id, Ruth, Klagelieder, Koheleth, Ksther), welche
/u sehr verschifdeuen Zeiten entstanden sind; später aber unter
obigem Namen zu einem Ganzen vereinigt wurden.
a) Jhretichith rabba, zur Genesis. Nach Zunz im 6. Jahrh.
In Palästina redigirt. Die letzten fünf Kapitel (zu Gen. 47, 28 if.,
daher nach dem Anfangswort '^rt*;'^ auch Vaicchi rabba genannt)
[110. 111] § 3, Quellen. E. Die rabbinische Literatur. 141
sind bedeutend jünger, nach Zunz S. 255 f. im 11. oder 12. Jahrh.
entstanden. Vgl. überhaupt: Zunz S. 174—179, 254—256. Dazu
die kritischen Bemerkungen von Theodor, Monatsschr. für Gesch.
und Wissensch. des Judenth. Bd. 38, 1894, S. 517—523. Lerner,
Anlage des Bereschith rabba und seine Quellen (Magazin für die
Wissensch. des Judenth. Bd. VII, 1880 und VIII, 1881 ; auch separat
1882). Theodor, Der Midrasch Bereschit rabba (Monatsschr. für
Gesch. und Wissensch. des Judenth. Bd. 37 — 39, 1893—1895).
Wünsche, Der Midrasch Bereschit Rabba, ins Deutsche übertragen,
Leipzig 1881.
Verscliieden von Bereschith rabba ist ein viel jüngerer Midrasch Bereschith-
rabbathi, über welchen zu vgl. Epstein, Magazin tür die Wissensch. de»
Judenth. XV, 1888, S. 65-99.
b) Schemoth rabba, ZU Exodus. Verdankt seine Entstehung
einer ähnlichen Feder wie Vaiechi rabba, also etwa im 11. oder 12.
Jahrh. entstanden. Zunz S. 256—258. Wünsche, Der Midrascii
Schemot Rabba, in's Deutsche übertragen, Leipzig 18S2.
c) Vajjikra rabba, zu Leviticus. Nach Zunz etwa um die
Mitte des 7. Jahrh. in Palästina redigirt. Zunz S. 181 — 184.
Theodor, Zur Composition der agadischen Homilien (Monatsschr.
für Gesch. und Wissenschaft des Judenthums 1881, S. 500—510).
Wünsche, Der Midrasch Wajikra Rabba, in's Deutsche übertragen,
Leipzig 1884.
d) Bamidbar rabba, zu Numeri. Nach Zunz von zwei ver-
schiedenen Verfassern, welche beide bereits Pesikta, Tauchuma.
Pesikta rabbathi und Werke noch späterer Rabbinen benützten.
Den zweiten Verfasser setzt Zunz in's 12. Jahrh. Vgl. überhaupt
Zunz S. 258—262. Wünsche, Der Midrasch Bemidbar Rabba, in's
Deutsche übertragen, Leipzig 1885. |
e) Debarim rabba, zu Deuteronomium. Nach Zunz um das
J. 900 redigirt. Zunz S. 251—253. Wünsche, Der Midrasch De-
barim Rabba, in's Deutsche übertragen, Leipzig 1882.
f) Schir haschirim rabba, zum Hohenliede, auch Agadath
Chasith genannt (nach einem Stichworte des Anfangs). Gehört zu
den jüngeren Midraschim, ist aber „vermuthlich älter als Pesikta
rabbathi". Zunz S. 263 f. Chodowski, Observationes criticae in Midrasch
schir haschirim secundum cod. Monac. 50 Orient. Halle 1877. Theo-
dor, Zur Composition der agadischen Homilien (Monatsschr. 1879.
S. 337 ft"., 4U8ft'., 455 ff. 1880, S. 19 ff.). Wünsche, Der Midrasch
Schir ha-Schirim, ins Deutsche übertragen, Leipzig 1880.
. Verschieden hiervon ist eine A>/adath Shir hashirim, welche Schechter
herausgegeben hat [Je/rish Quarterlij Review VI, 1S94, p. 672—697. VII,
142 § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [111]
1895, p. 145 — 163, auch separat 1896; dazu Corrections and Notes, JQS. VII,
1895, p. 729—754, VIII, 1896, p. 289—320). Derselbe Text, nebst ähnlichen
über Ruth, Echa und Koheleth, ist auch herausgegeben von Buber, Midrasch
Suta, Berlin 1894. Vgl. dazu die Kritik von Schechter, Monatsschr. für
Gesch. und Wissensch. des Judenth. Bd. 39, 1895, S. 562—566. — Wieder
einen anderen Midrasch Schir haschirim hat Grünhut, Jerusalem 1897,
herausgegeben. Vgl. über diesen Bacher, Revue des ätides juives XXXV , 1897,
p. 230—239.
g) Midrasch Ruth, etwa gleichzeitig mit dem vorigen. Zunz
S. 265. Wünsclie, Der Midrasch Ruth Rabba, iii's Deutsche über-
tragen, Leipzig 1883. Hartmann, Das Buch Ruth in der Midrasch-
Literatur, Frankf. a. M. 1901.
h) Midrasch Echa, ZU den Klageliedern, auch Echa rabbathi
genannt. Nach Zunz in der zweiten Hälfte des 7. Jahrh. in Pa-
lästina redigirt. Zunz S. 179 — 181. J. Abrahams, The sources of
the Midrash Echah Babbah, Leipziger Dissert. 1881. Winkler, Bei-
träge zur Kritik des Midrasch Threni, Giessen, Diss. 1894. Krit.
Ausgabe: Midrasch Echa Rabbathi, hrsg. von Buber, Wilna 1899.
Wünsche, Der Midrasch Echa Rabbati, in's Deutsche übertragen,
Leipzig 1881.
i) Midrasch Koheleth oder Koheleth rabba, etwa aus derselben
Zeit wie der Midrasch zum Hohenliede und zu Ruth. Zunz S. 265 f.
Grünhut, Kritische Untersuchung des Midi*asch Koheleth, L 1892.
Wünsche, Der Midrasch Koheleth, in's Deutsche übertragen,
liCipzig 1880.
k) Midrasch Esther oder TIagadath Megilla. Benützt bereits
den (nach Zunz S. 151 f.) im 10. Jahrh. geschriebenen Josippon und
wird erst seit dem 13. Jahrh. citirt. Zunz S. 264 f. Wünsche, Der
Midrasch zum Buche Esther in's Deutsche übertragen, Leipzig
1881.
Nahe verwandt hiermit, nach Jellinek und Buber ursprünglicher, ist der
,.Midra«ch Abba Gorion" (herausgeg. von Jellinek, Bet ha-Midrasch J, 1853,
!5. 1 — 18, und von Buber, Sammlung agadiwcher Commentare zum Buche Ester,
Wilna 1886; vgl. auch N. Brüll, Jahrbb. für jüd. Gesell, und Literatur VIII.
Jahrg. 1887, 8. 148—154, welcher sich gegen Jellinek's und Buher's Ansicht
auMpricht). — Eine andere, au« Südarabien Htammcmlt' Midruschcompilation
zum Buche Esther hat Ruber 1897 herauHgcgcben (vgl. darüber: Bacher, Mo-
natMHchr. für OcHch. und WisnenHcli. deH .Tudcntli. IM. II, 1S97, S. 350-356).
~ Wieder eine andere (Kanter in: Srmilir Sludirs n, im monj of Alex. Kohul
1S97, ;;. 167—178 (Ganter hält dieHcn von ihm licrhn ■ i :■. hcncii Midrasch für
(Ion <«Mtcn Midraach zu EHther; die ilaudsclirift .sUuiinii iiikIi ihtn huh dem
10. Jabrfa.). — Auch da» Hog. Targum Hcheni zu EhIIh i i-i iIlm ntlich ein
Midniicb. 8. die Literatur darüber unten bei denTargiiniiin.
U«b«r •Itnmtlicho liahholh und deren AuBgaben vgl. überhaupt: Wolf,
BihUoth. //«6r. II, 1423-1427. 111,1215. IV, 1032 »17. 105K «7. Steinschnridcr,
[111. 112] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. 143
Catalogus libr. Hebr. in Biblioth, Bodl. col. 589—594. (Zedner), Catalogue of
the hebrew books in Üie library of the British Museum p. 539—542. — Strack,
Art. „Midrasch" in Herzog's Real-Enc. 2. Aufl. Bd. IX, 1881, S. 753—755.
— Schiller- Sxinessy , Art. Midrash in der Encyclop. Britcmnica vol. XVI,
1883, p. 285 sqq. — Theodor, Die Midrasciiim zum Pentateuch und der drei-
jährige palästinensische Cyclus (Monatsschr. für G. u. W. des J. 1885, 1SS6,
1887) [sucht zu zeigen, dass die Capitel- Abtheilung der Midraschim auf dem
dreijährigen palästinensischen Cyclus beruht]. — Hamburger, Real-Enc.
Supplementband S. 107 — 111 (Art. „Midrasch Rabba"). — Ausgaben mit hebr,
Commentaren sind auch in neuerer Zeit mehrfach erschienen, z. B. Warschau
1S74, Wilna 1878.
5. Pesikta, xrip-^OB.
Die Pesikta behandelt nicht ein ganzes biblisches Buch, son-
dern die biblischen Lectionen der Festtage und der bedeutenderen
Sabbathe des ganzen Jahres, und zwar bald die pentateuchischen,
bald die prophetischen Lectionen dieser Tage (Zunz S. 190). —
Da das Werk in der späteren Literatur häufig citirt wird, so konnte
bereits Zunz, ohne einen zusaininenhängenden Text zu kennen,
die Anlage desselben im Wesentlichen richtig reconstruiren. Der
vollständige Text ist erst durch Bub er 1868 herausgegeben
worden. — Bei den vielfachen Berührungen mit Bereschith rabba,
Vajjikra rabba und Echa rabbathi glaubte Zunz (S. 195) den Text
der Pesikta als den abhängigen ansehen zu müssen und setzte
daher ihre Abfassung erst um 700 nach Chr. an. So auch noch
Geiger, Weiss (Zur Gesch. der jüd. Trad. III) und Hamburger.
Umgekehrt halten Buber, Berliner und Theodor die Pesikta für
älter als jene Midraschim. — Ursprünglich muss sie mit der Lec-
tion zum Neujahrstag begonnen haben (Zunz S. 191, Geiger,
Zeitschr. 1869, S. 190), während sie in den Handschriften, welchen
Biiber folgt, mit dem Chanukafeste beginnt. — Die Bezeichnung
unseres Werkes als „Pesikta des Rab Kahana" ist nur irrthümliche
Abkürzung von „Pesikta des R. Abba b. Kahana"; und diese Be-
zeichnung ruht hinwieder nur darauf, dass die Pesikta nach der
ursprünglichen Anordnung mit einem Ausspruch des R. Abba b.
Kahana begonnen hat (Bacher, Die Agada der paläst. Amoräer
III, 609).
Ausgabe: xrp'^bB, Pesikta. Die älteste Hagada, redigirt in Palästina von
Rab Kahana. Herausgeg. nach einer in Zefath vorgefundenen und in Aegypten
copirten Handschrift durch den Verein Mekixe Nirdamim. Mit kritischen Be-
merkungen, Verbesserungen und Vergleichungen der Lesearten anderer drei
Handschriften in Oxford, Parma und Fez, nebst einer ausfuhrlichen Einleitung
von Salomon Buber. Lyck 1868. — Deutsche Uebersetzung: Wünsche, Pe-
sikta des Rab Kahana, nach der Buber'schen Textausgabe in's Deutsche über-
tragen, Leipzig 1885. — Bloch, Uebersetzungsprobe aus der Pesikta derab
Kahana (Festschrift zum 80. Geburtstage M. Steinschneiders 1896, S. 41—71).
144 § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [112. 113j
Vgl. überhaupt: Zunz S. 185—226. — Carmoly, Pesikta (Monatsschr. f.
G. u. W. d. J. 1854, S. 59-65). — Grätz, Gesch. der Juden IV, 495 f. —
Geiger, Jüdische Zeitschr. für Wissensch. und Leben 1869, S. 187 — 195. —
Berliner, Anzeige von ßuber's Ausgabe in: Monatsschr. f. G. u. W. d. J.
1873, S. 182—189. — Theodor, Zur Composition der agadischen Homilieu
(Monatsschr. 1879, S. 97 ff. 164 ft'. 271 ff.). — Weber, System der altsynag.
paläst. Theol. S. XXIL — Strack, Art. „Midrasch" in Herzog's Real-Enc.
2. Aufl. Bd. IX, 1881, S. 755 f. — Bloch, Studien zur Aggadah (Monatsschr.
1885 und 1886). — Hamburger, Real-Enc. Supplementband S. 117 fl'. (Art.
„Pesikta").
Ausser dieser Pesikta de-Eab Kahana oder „Pesikta" schlecht-
hin giebt es noch zwei Werke desselben Namens:
a) Pesikta rabbathi, welche ähnlich wie die ältere Pesikta
die biblischen Lectionen gewisser Festtage und Sabbathe des jü-
dischen Jahres behandelt. Entstehungszeit: zweite Hälfte des
9. Jahrh. (Zunz S. 244). Vgl. überhaupt: Zunz S. 239—251. |
b) Pesikta sutarta. Ein Midrasch zum Pentateuch und den
fünf Megilloth von R. Tobia ben Elieser aus Mainz im Anf. des
12. Jahrh. Den Namen Pesikta hat man diesem Werk ganz mit
Unrecht beigelegt, da es mit den beiden anderen Werken dieses
Namens keine Aehnlichkeit hat. — Vgl. Zunz S. 293—295. Eine
lat. Uebersetzung s. in Ugolini Thesaurus antiqq. sacr. t.
XV. XVI.
üeber beide Werke und deren Ausgaben: Wolf, Biblioth. Eehr. I, 391,
720 «7. IV, 1031. Fürst, IMlioth. Jud. II, 160. III, 427. Steinschneider,
Catal. Uhr. Hebr. in Biblioth. Bodl. cot. 631 sq. 2674 sq. {Zedner), Catal. of the
hebrew books in the library of the British Museum p. 633. 758. — Strack in
Herzog's Real-Enc. 2. Aufl. IX, 756 f. (daselbst auch über neuere Ausgaben).
— Hamburger, Real-Enc. Supplementband S. 119—122 (Art. „Pesikta").
— Livi, Im Pesikta rabbati et le 4» Kxra {Perue des etudes jiiives t. XXIV,
189:.', p. 281—285). — Bacher, Die Agada der paläst. Amoräer III, 1899,
8. 493 ff. (Verhältniss der Pesikta rabbathi zu Tanchuma).
Ueber die in Pesikta rabbathi <: 28 erwähnte Stadt Bari, wohin Israeliten
durch Nebukadnezar (=- Titas?) deportirt wurden (ob Bari in Unteritalien?)
«. LSci, Remie des 6tudcs jui/es t. XXXII, 1896, p. 278—282, Bacher, ebendas.
XXXIII, 1890, p. 40—45, Krauss, Monatsschr. für Gesch. und Wissensch.
de» Judenth. Bd. 41, 1897, 8. 654—564 (Bari -» Berytus), Bacher, ebendas.
8. 604-612. - Sonstige Einzelheiten: Bacher, RdMJ. XXXIII, 45 .s</. Levi
ibid. XXXV, 224 sqq.
Eine „Neue Pesikta", welche sich an Pesikta nihbutlii anschliesst, aber
kürzer und volksthünilicher ist als diese, hat Jcilint^k in soineni Bet ha-
MldrwKjh Tbl, VI, 1877. 8. 36-70, hcniusgegc^ben.
6. Pirke derahhi Elieser, ITy^bK 'm ''pit, oder Barajthn
derabbi Klieaer, "iT^b« '11 Xn'^'^ia.
Ein haggadisches Werk in 54 Capitoln, welches im Wesent-
lichen dem (4ang der pentateuchischen (»eschichte folgt, besonders
[113. 114] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. 145
ausführlich bei der Schöpfung und dem ersten Menschen und dann
wieder bei den Patriarchen und der mosaischen Zeit verweilend.
— Es ist frühestens im 8. Jahrh. geschrieben (Zunz S. 277).
Vgl. Wolf, Bibl Hebt: I, 178 s?. III, 110. IV, 1032. — Zunz S. 271— 278.
— Sachs, Bemerkungen über das gegenseitige Verhältniss der ßeraita des
Samuel und der Pirke de R. Elieser (Monatsschr. für Gesch. und Wissensch.
desJudenth. 1851/52, S. 277— 282). — Strack in Herzog's Real-Enc. IX, 759 f.
— Hamburger, Real-Enc. Suppl. S. 122 f. — Levi, Elements chretiens dans
le Pirke Rabbi Eliexer {Remie des etwles ßiives t. XVIII, 1889, p. 83—89). —
Eine Inhaltsübersicht giebt P inner in der Ein!, zu seiner üebersetzung des
Tract. Berachoth (1842) fol. 16*. — Verzeichniss der Ausgg. etc. bei Fürst,
Bibiioih. Jiul. I, 232. Steinschneider, Catal. col. 633 sq. Zedner, Catal. p. 221.
— Eine lat. Üebersetzung gab Guil. Henr. Vorstius, Capitula R. Elieser ex
Hebraeo in Latinum trunslata, Liujd. Bat. 1644. — Proben in deutscher Üeber-
setzung: Winter und Wünsche, Die jüdische Literatur I, 656 — 665. —
Ueber die Verschiedenheit der Barajtha derabbi Elieser von der Barajtba
R. Samuel's s. Zunz in Steinschneider's Hebr. Bibliographie Bd. V (1862)
S. 15 ff.
7. Tanchuma KÄ'in:^ oder Jelamdenti "^rittb^.
Ein Midrasch zum Pentateuch. Zunz setzt die Abfassung des-
selben, wie er in dem gedruckten Vulgärtext vorliegt, in die erste
Hälfte des 9. Jahrhunderts und nimmt an, dass er in Europa,
etwa in Griechenland oder im südlichen Italien entstanden ist
(S. 236 f.). Den Namen Jelamdenu erhielt er, weil in ihm häufig
die Formel gebraucht ist: „Es belehre uns unser Lehrer" {jelamdenu
rabbenu). — Dass beide Bezeichnungen, Jelamdenu und Tanchuma,
sich ursprünglich auf denselben Midrasch beziehen, hat Zunz
S. 226—229 nachgewiesen. Doch haben dem Verfasser des | Jalkut
zwei verschiedene Recensionen vorgelegen, welche er als Jelamdenu
und Tanchuma unterscheidet (Zunz S. 229 f.). Und der gedruckte
Vulgärtext ist wieder von beiden zu unterscheiden als eine ver-
kürzte Bearbeitung des „Tanchuma", so dass also im Ganzen
drei Recensionen bekannt sind (s. Theodor, Monatsschr. 1885,
S. 38 f. Hamburger. Real-Enc. Suppl. S. 154 f.). Den älteren Text
des „Tanchuma" hat Bub er 1885 herausgegeben. Von „Jelamdenu"
ist bis jetzt kein vollständiger Text bekannt. Gegen Bubers An-
sicht, dass der von ihm herausgegebene Tanchuma älter sei als
Bereschith rabba, Pesikta und babylonischer Talmud s. Neubauer,
Eevue des etudes juives XIII, 225 sq. N. Brüll, Jahrbb. für jüd. Gesch.
und Litteratur VIII, 121 ff. Immerhin ist Tanchuma der älteste
haggadische Midrasch zum ganzen Pentateuch (Zunz S. 233).
Ja Bacher hat es wahrscheinlich gemacht, dass wirklich Tanchuma,
der letzte bedeutende palästinensische Aggadist (um 400 n. Chr.),
den Grund zu diesen Midraschwerken gelegt hat.
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 10
146 § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [114. 115]
Ueber den gedruckten Vulgärtexf und dessen Ausgaben: Wolf, Biblioth.
Eebr. I, 1159 sg. III, 1166 s?. IV, 1035. Fürst, Bibl.Jud., III, 409. Stein-
sehneider, CataL col. 596 s^. Zedner, Gatal. ;x 543. — Neuere Ausgaben er-
schienen z. B. in Stettin 1864, Warschau 1875.
Midrasch Tanchuma. Ein agadischer Commentar zum Pentateuch von
Rabbi Tanchuma ben Rabbi Abba. Zum ersten Male nach Handschriften aus
den Bibliotheken zu Oxford, Rom, Parma und München herausgegeben etc. von
Salomon Buber, 3 Bde. Wilna 1885.
Fragmente des Jelamdenu und Tanchuma giebt J ellin ek, Bet ha-Midrasch
Thl. VI, 1877, S. 79 — 105. Fragmente des Jelamdenu: Neubauer, Le midrasch
Tanchuma et extraits du Yelamdinu et de petits midraschim {Revue des etudes
juires t. XIII, 1886, p. 224—238, t. XIV, 1887, p. 92-113). Grünhut, Scfcr
ha-likk-utim, Thl. 1—5, Jerusalem 1898—1901 (Frankfurt a. M., Kauftmann);
enthält in Thl. 1—2 unter Anderem: Kritische Untersuchungen über Tanchuma
und Jelamdenu [in hebr. Sprache], in Thl. 4 — 5: Collectaneen aus Jelamdenu
zum 4. und 5. B. M. — Proben aller drei Recensionen in deutscher Uebcr-
setzüng: Winter und Wünsche, Die jüdische Literatur seit Abschluss des
Kanons I, 1894, S. 411—432.
Ueberhaupt: Zunz S. 226—238. — Weber, System S. XXIV f. —
Strack in Herzog's Real-Enc. 2. Aufl. IX, 757 f. — Theodor, Buber's Tan-
chuma (Monatsschr. f. G. u. W. d. J. 1885, S. 35—42, 422—431). — Bacher,
Zu Buber's Tanchuma-Ausgabe (Monatsschr. 18S5, S. 551— 554). — Theodor,
Die Midraschim zum Pentateuch und der dreijährige palästinensische Cyclus
(Monatsschr 1885, 1886, 1887, s. oben S. 143). — Hamburger, Real-Enc,
Supplementband S. 154 f. (Art. „Tanchuma"). — N. Brüll, Jahrbb. für jüd.
Gesch. und Litteratur VIIL Jahrg. 1887, S. 121—144. — Bacher, Die Agadu
der paläst. Amoräer III, 1899, S. 500-514.
8. Jalkut Schimoni, *>i'ü^'tO ülpb"' (von 'Jpb sammeln).
Ein grosses midrasisches Sammelwerk über die ganze hebrä-
ische Bibel, in welchem nach Art der patristischen Catenen zu
jeder einzelnen Stelle die auf dieselbe beziigliclicn Auslegungen
älterer Werke zusammengestellt werden. Nach Zunz S. 299f. ist
das Werk in der ersten Hälfte des 13. Jahrh. verfasst. — Als Verf.
wird ein R. Sinn'on haddarsclian genannt, als Vaterland oder
Wohnsitz desselben Frankfurt a. M. Zunz V(a-niutlit't, dass es Simcon
Kara war, der im Anfang des i[\. Jahrh. im südlichen Deutsch-
land lebte. I
V^i. Wolf, liihl. llvhr. 1, \\2^)8q. in, 1138. — Zunz S. 295-303. -
Rapoport im Kerem Clietiied WM, 4 ft'. (hebr. gcsclir). — Fürst, Bihtioth.Jud.
III, 327 «9. — SteinHchncidcr, GaJaL rol. 2600—2604. — Zedner, CataL
p.KU. — Struck in Herzog'« Rfal-Enc. IX, 7')8. — Epstein, xnp -(lyau: "n
•»31713» öipb-Tii, Krakau 1891 (angoz. in: Jewish QuartrHi/ lirrinr IV, 1H!)2,
p. \hl Kq. Thcol. Litztg. 1892, 257). — Oantcr, Im sourrc de Yalhoid II (Herne
den HudM juivcH t. XXV, 1892, p. U-M) [Yalkout II — der zweite Thoil (Ich
Jalkut, Aber die Proplieten und Hagingraplicn]. — Epstein, Le Yalkout
Srhiineoui et le Yalkout Ita-Makhiri [UdFJ XXVI, 1893, p. 75-82). - Neuere
Auiig. t. B. Warnchau 1870—77.
[115. 116] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. 447
III, Die Targumim.
Auch die Targum im oder die aramäischenUebersetzungen
des Alten Testamentes gehören zur „rabbinischen Literatur",
insofern auch in ihnen die traditionelle Auffassung des Schriftt6xtes
zum Ausdruck gebracht ist. Namentlich gilt dies von denjenigen,
welche nicht eine streng wörtliche, sondern eine paraphrastische
Wiedergabe des Textes bieten. — Wir erwähnen hier nur die Tar-
gume zum Pentateuch und zu den Nebiim, da die Targume zu den
Kethubim wegen ihres späten Ursprungs für uns von geringerer
Wichtigkeit sind.
1. Onkelos zum Pentateuch. Die wenigen Notizen, welche
sich im Talmud über die angebliche Person des Onkelos finden,
lassen ihn bald als einen Schüler und Freund des älteren Gamaliel
erscheinen, wornach er um die Mitte des ersten Jahrhunderts nach Chr.
gelebt haben würde; bald als einen Zeitgenossen des R. Elieser
und R. Josua, wornach er in der ersten Hälfte des zweiten Jahr-
hunderts gelebt hätte. Nur darin stimmen sie überein, dass er
Proselyte gewesen sei^^). Die aramäische Pentateuch-Uebersetzung,
welche ihm zugeschrieben wird, unterscheidet sich von allen andern
Targumen durch ilu-e fast peinliche Wörtlichkeit ^s). Nur an wenigen,
meist dichterischen Stellen {Gen. 49, Xum. 24, Deut. 32—33) wird sie
durch bildliche Auslegung zur Haggada^'). Sonstige Abweichungen
vom Texte haben nur den Zweck, die Anthropomorphismen und
überhaupt unwürdig scheinende Ausdrücke und Vorstellungen von
Gott zu beseitigend'^). Die Sprache des Onkelos ist nach Geiger 39)
und Frankel^®) das Ostaramäische (Babylonische). Nöldeke hat sie
früher^*) für „eine etwas jüngere Entwickelung des schon in einigen
Büchern des Alten Testaments angewandten palästinischen Ara-
35) S. die Stellen bei De Wette-Schrader, Einl. in das A. T. S. 124 f.
Frankel, Zu dem Targum der Propheten S. 4.
36) Nöldeke, Die alttestamentl. Literatur S. 257 f.
37) Zunz, Die gottesdieustl. Vorträge S. 02. — Proben der üebersetzung
bei Volck, Art. „Thargumim" in Herzog's ßeal-Enc. 2. Aufl. XV, 366—369.
Winter und Wünsche, Die jüdische Literatur seit Abschluss des Kanons
I, 65-67.
38) Vgl. Volck S. 369. Langen, Das Judenthum in Palästina S. 209 ff.,
268 ff. Maybaum, Die Anthropomorphien undAnthropopathien bei Onkelos etc.
Breslau 1870. Geiger, Jüdische Zeitschr. für Wissensch. und Leben 1871,
S. 96—102. Ginsburger, Jahrbb. für prot. Theologie 1891, S. 262—280,
430—458.
39) Jüdische Zeitschrift 1871, S. 93.
40) Zu dem Targum der Propheten S. 5 f.
41) Die alttestamentl. Literatur S. 257.
10*
148 § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [116]
mäismus" erklärt, seine Ansicht aber später dahin präcisirt, dass
Onkelos ein palästinisches, in Babylonien redigirtes Erzeugniss sei,
„dem sprachlich im Allgemeinen der altpalästinische Character be-
wahrt ist, während im Einzelnen sehr viel von babylonischer Mund-
art eingedrungen ist"^-). Dalman bestreitet diesen Einfluss babylo-
nischer Mundart oder will ihn doch auf ein Minimum reduciren^ 3).
Schon frühzeitig gelangte Onkelos zu hohem Ansehen. Der babylo-
nische Talmud und die Midraschim führen häufig Stellen aus ihm
an ^^). Und später hat man ihm sogar eine eigene Masora gewidmet '*^).
Gedruckt wurde er sehr oft; z. B. in den rabbinischen Bibeln von
Bomberg und Buxtorf und in der Londoner Polyglotte. Eine Separat-
Ausgabe hat Berliner veranstaltet^*^). Dieselbe giebt den Text
der Ausgabe von iSabionetta v. J. 1557 wieder, welche „bei der
Umsetzung und zugleich Uebertragung der babylonischen Vocali-
sation in das bei uns übliche System die wesentlichsten Eigen-
thümlichkeiten der babylonischen Weise bewahrt hat" (Berliner
11, 133). Bei dieser Uebertragung ist jedoch sehr willkürlich ver-
fahren worden. Eine sichere Grundlage für die Herstellung einer
richtigen Vocalisation bieten erst die in neuerer Zeit bekannt ge-
wordenen, aus Süd- Arabien stammenden Handschriften mit „babylo-
nischer' (oberer, supralinearer) Vocalisation. Vgl. darüber die unten
genannten Arbeiten von Merx, Landauer, Kautzsch, Barn-
stein u. A.
2. Jonathan zu den Propheten. Jonathan ben Usiel soll
ein Schüler Hillel's gewesen sein, und würde demnach in den
ersten Decennien unserer Zeitrechnung gelebt haben ^'). Das ihm
zugeschriebene Targum erstreckt sich über sämmtliche Nebiim, also
über die historischen Bücher des Alten Testamentes und die eigent-
lichen Propheten. Von dem Targum des Onkelos unterscheidet es
sich dadurch, dass es weit mehr paraphrastisch ist, als jenes.
42) Lit Centralbl. 1877, Sp. 305.
43) Die Worte Jchu I, 1898, S. 67.
44) S. die Stellen bei Zunz S. 63 f.
45) Vgl. darüber Zeitschr. der Deutschen M()rjj;ciiläud. QeBellscli. 1864,
8. 648—657 (Mittbeilung Geiger's über eine Abhandlung Luzzatto'e). — Aus-
gab«: Berliner, Die .Massorah zum Tnrgtim Onkelos. Leipzig 1877 (hierzu
die Anzeige in der Tlu-ol. IJtztg. 1877, 137 f.). — Landauer, Die Masorah
znm Onkelos, auf Grund neuer Quellen lexikalisch geordnet und kritisdi he-
Irachtet, Amsterdam lH(Ki.
46j Targum Onkelon. Heruungegrben und erläutert von A. Berliner.
1. ThL Text, 2. Tbl, Noten. Einleitung und Rtigister. Berlin 1884. Vgl. Tiieoi.
Litztg. 1884, 401-405.
47; B. die Stellen bei De Wette-ßchrader 8. 126. Volck 8. 30» f.
[116. 117] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. 149
„Schon ZU den historischen Büchern macht Jonathan oft den Aus-
leger: zu den eigentlichen Propheten geht diese zu wirklicher Hag-
gada werdende Auslegung fast ununterbrochen fort" *'*). Von seiner
Sprache gilt dasselbe, was oben von Onkelos gesagt worden ist.
Auch Jonathan gelangte bald zu grossem Ansehen, und wird eben-
falls in Talmud und Midraschim häufig citirt^'^). Gedruckt ist er
gleich Onkelos sehr oft; z. B. in den Rabbinen-Bibeln von Bomberg
und Buxtorf und in der Londoner Polyglotte. Eine Hand-Ausgabe
auf Grund eines codex Reuchlinianus hat Lagarde veranstaltet*®). |
Nach den obigen traditionellen Anschauungen würden die Tar-
gume des Onkelos und Jonathan etwa um die Mitte des ersten
Jahrhunderts nach Chr. geschrieben sein, in welche Zeit sie in der
That Zunz und noch manche Neuere setzen. Aber diese Meinung
ist besonders von Geiger erschüttert worden. Eine Reihe von Mo-
menten deutet nämlich darauf hin, dass beide in Babylonien redigirt
worden sind, wo eine gelehrte Thätigkeit der Rabbinen erst im
dritten Jahrhundert nach Christo begann. Geiger nimmt daher an,
dass beide Targume erst im vierten Jahrhundert in Babylonien ver-
fasst oder richtiger redigirt wurden'^'); und Frankel stimmt ihm
im Wesentlichen bei, indem er nur den Onkelos etwas früher, in's
dritte Jahrhundert verlegt^^). Letzteres möchte aus dem Grunde
richtig sein, weil Onkelos bereits von Jonathan benützt wird*^).
Die Ansicht, dass das Prophetentargum im vierten Jahrhundert
redigirt ist, wird auch durch die Tradition bestätigt; denn der
babylonische Talmud citirt dasselbe stets als das „Targum des R.
Joseph", eines babylonischen Lehrers aus dem vierten Jahrhundert *<).
Was aber Onkelos betrifft, so scheint er nicht einmal existirt, ge-
schweige denn das nach ihm benannte Targum verfasst zu haben.
Denn die Notiz, welche der babylonische Talmud (Megilla 3a) über
48) Zunz S. 63. — Ueber den Charakter der üebersetzung und Paraphrase
des Jonathan s. bes Frankel, Zu dein Targum der Propheten S. 18-40.
49) S. die Stellen bei Zunz 63 f.
50) Prophetae Chaldaice. Paulus de Lagarde e ßde codicis Reuchliniani
edidit. Lips. 1872. — Proben des Textes mit babylonischer Punktation s. bei
Marx, Chrestomathia targumica, 1888.
51) Urschrift S. 164. Jüdische Zeitschrift 1871, S. 86. 1872, S. 199.
52) Zu dem Targum der Propheten S. 8—11.
53) Zunz S. 63. De Wette-Schrader S. 126 f. Frankel S. 13 f.
54) Frankel, Zu dem Targum der Propheten S. 10: „Alle Stellen, die
im bab. Talmud unter dem Namen des R. Joseph angeführt werden, finden
sich in unserem heutigen Targum Jonathan", Diese Versicherung Frankel's
und die daraus gezogenen Schlüsse scheinen mir nicht entkräftet durch die
Gegenbemerkungen von Schiller-Szinessy, Eneyclopaedia Britaimica XXIU,
64«, und Dalman, Grammatik des jüdisch-palästinischen Aramäisch S. 10 f.
150 § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [117. 118]
Onkelos und dessen aramäische Pentateucli-Uebersetzung giebt,
findet sich in der Parallelstelle des jerusaleniischen Talmud in Be-
zug auf Aquila und dessen gi-iechische Uebersetzung 0er. Mecjilla
I, 9). Und Letzteres ist jedenfalls das Ursprünglichere. Auch sonst
werden oibpr» und ob'^py mit einander verwechselt ^% Es scheint
daher, dass man in Babylonien die alte und richtige Kunde von
einer Pentateuch-Uebersetzung des Proselyten Aquila fälschlich
auf das anonyme aramäische Targum übertrug, und dass der Name
ci5pD1S5 nur durch Corruption aus ob'^ps? entstanden ist ^^). — Wenn
sonach die beiden Targume erst im dritten und vierten Jahrhundert
redigirt sind, so ist doch kein Zweifel, dass sie auf älteren Arbeiten
ruhen und nur den Abschluss eines Processes von mehreren -Jahr-
hunderten bilden. Die Mischna kennt bereits aramäische Bibel-
Uebersetzungen 5"). Das Neue Testament stimmt zuweilen in der
Auffassung alttestament lieber Stellen auffallend mit den Targumen
überein (vgl. z. B. Eph. 4, 8), ein deutlicher Beweis, dass die letz-
teren ihrem Stoife nach bis in die apostolisclie Zeit hinaufreichen.
Auch wird eines Targums zum Hiob ausdrücklich aus der Zeit
vor der Tempelzerstörung gedacht'''^). Ja selbst aus der Zeit des
Johannes Hyrkanus haben sich Bruchstücke in unseren Targumen
erhalten*^). Aus alledem erhellt, dass in unseren Targumen ein
Material verwerthet ist, an dessen Herbeischaffung viele Genera-
tionen gearbeitet haben; und dass auch schriftliche Aufzeichnungen
den jetzt uns vorliegenden Arbeiten bereits vorangingen. Bei
dieser Entstehungsgeschichte würde sich auch der sprachliche
Charakter, falls Nöldeke in Betreff desselben Recht hat, genügend
55) De Wette-Schrader S. 124.
50) Vgl. Herzfeld, Gesch. des Volkes Ji.>*racl III, 61—64. Grätz, Gesch.
der Juden IV, 438. Geiger, Jüdische Zeitsclir. 1871, S. 86 f. Frankel, Zu
dem Targum der l*ropheten S. 4, H f. Berliner, Targum Onkelos II, 98. —
Die Existenz eines von Aquila verschiedenen Onkelos ist neuerdings wieder
von Friedmann vertheidigt worden (Onkelos und Akylas, Jahresbericht der
Uraelitisch-theol. Lehranstalt in Wien, ISÜü), während Hausdorff die grie-
chische Bibelübersetzung und das aramäist-he Pentateu(;htargum einem und
demselben Aquila ziiH(lirci))cn möchte, der nodi im ersten Jahrhundert nach Chr.
gelebt haben «oll und darum mit dem im Neuen Testamente erwähnten, nur
flitchlich fllr einen Christen gcluiltenen A(|uihi identisch sein soll!! (Monats-
»chrifi 1804, 8. 246 ff. 280 M'.). Heide haben aber gtsgen die obigen durch-
schlagenden Argumente nichts Triftig<'s vorzubringen gewusstund lassen in ihren
eigenen Aufstellungen kritische BcbärJe und Nücliterulieit vormissen. Gegen
Friedmann a. auch Blau, Jmüh Quarterly Jicrüw IX, 1897, p. 727—740.
57) Ja(U0im IV, 5.
68) Zun E, Die gottetdienitl. Vorträge B. 61 f.
59) Nöldeke, Die altteitamentl. Literatur 8. 256.
[118. 119] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. 151
erklären. Denn es kann nun trotz der Kedaction in Babylonien
der palästinensische Sprachcharakter nicht mehr auffallend sein.
3. Pseudo-Jonathan und Jeruschalmi zum Pentateuch.
Ausser Onkelos giebt es noch zwei Targume zum Pentateuch, von
welchen das eine sich über den ganzen Pentateuch, das andere
nur über einzelne Verse und oft über abgerissene Woi-te erstreckt.
Ersteres wird dem Jonathan ben Usiel zugeschrieben; letzteres
in den Ausgaben als Targum Jeruschalmi bezeichnet. Dass
ersteres nicht von dem Verfasser des Propheten-Targums herrühren
könne, ist längst anerkannt. Zunz^^) hat zu zeigen versucht, dass
Pseudo-Jonathan und Jeruschalmi nur zwei verschiedene Eecen-
sionen eines und desselben Targums sind: dass beide von älteren
Autoritäten {Aruch und Elia) unter dem Namen „Targum Jeru-
schalmi" citirt werden; und dass auch die jetzt fragmentarische
Recension den älteren Autoren noch vollständig vorgdegen hat.
Geiger glaubt, dass das Fragmenten-Targum von Anfang an nur
„eine Sammlung einzelner Glossen", nicht etwa zu Pseudo-Jonathan,
sondern zu der Ur-Recension war*»'). Nach Seligsohn und Volck
wäre Jeruschalmi „nicht Fragment einer früher vollständigen Para-
plirase, sondern ein haggadisches Supplement und eine Sammlung
von Marginalglossen und Varianten zu Onkelos; Pseudo Jonathan
aber eine auf dieser Basis im Ganzen mit derselben Tendenz ver-
fasste spätere Redaction des Jeruschalmi" ^2)_ Bacher hält das
Fragmenten-Targum für eine Sammlung von Bruchstücken des
ältesten palästinensischen Targum's. Auf Grundlage des letzteren
sei einerseits Onkelos entstanden, andererseits Pseudo-Jonathan,
und zwar dieser bereits unter Benützung des Onkelos ^^j. Bass-
freund kommt auf Grund umsichtiger Untersuchung zu dem Resul-
tate, dass sowohl dem Fragmententargum als dem Pseudo-Jonathan
ein „Targum Jeruschalmi" zu Grunde liegt (das übrigens auch erst
nachtalmudischen Ursprungs sei), dass aber beide auch den Onkelos
zur Voraussetzung haben, indem das Fragmenten-Targum nur Zu-
sätze zu Onkelos aus dem Jeruschalmi gebe, während Pseudo-
Jonathan auf Grund von Onkelos und Jeruschalmi gearbeitet sei^*).
Im Wesentlichen zu denselben Resultaten ist auch Ginsburger
gekonmien '''^). Jedenfalls sind Pseudo-Jonathan und Jeruschalmi
60) Die gottesdienstl. Vorträge S. 6ö— 72.
61) Urschrift uud üebersetzungen der Bibel S. 455.
62) Herzog's Real-Enc. 1. Aufl. XV, 681. 2. Aufl. XV, 372.
63) Zeitschr. der deutschen morgenl. Geaellsch. 1874, S. 60.
64) Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. Bd. 40, 1896.
65) Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. Bd. 39, 1895,
97 ft". Bd. 41, 1897, S. 289 ff.
152 § 3. Quellen. E. Die rabbinisclie Literatur. [119]
aufs nächste mit einander verwandt und werden am besten als
Jeruschalnii I und II bezeichnet. Denn die Zurückfühnmg- des
vollständigen auf Jonathan ist wahrscheinlich nur aus irriger Auf-
lösung der Abbreviatur v'n (= ^^abOlT^ aia-in) entstanden ^'0. Zum
Targum des Onkelos verhält sich dieses in doppelter Recension
überlieferte Targum „wie Midrasch zum schlichten Wortverständ-
niss. Onkelos ist nur zuweilen Ausleger; der Hierosol5'mitaner
nur zuweilen Uebersetzer" (Zuuz S. 72). „Seine Sprache ist ein
palästinensischer Dialekt des Aramäischen; daher müssen wir ihm
Syrien oder Palästina als Vaterland zuweisen, was auch die
älteste ihm ertheilte Benennung [bsnt?') fi« Diann] ^ ') rechtfertigt"
(Zunz S. 73) Was die Zeit betrifft, so kann Pseudo- Jonathan, da
bereits die Namen einer Frau und Tochter Muhammed's vorkommen,
nicht früher als im siebenten oder achten Jahrhundert redigirt wor-
den sein*^^). Aber neben diesen späten Bestandtheilen enthält er
auch, wie die anderen Targume, ja vielleicht noch mehr als diese,
Stücke aus ältester Zeit, wie er denn überhaupt „eine Vorraths-
kammer von Ansicliten der verschiedenen Jahrhunderte" ist*^^). —
Beide Recensionen sind öfters gedruckt worden; unter anderem
auch in der Londoner Polyglotte.
Die Literatur über die Targume und deren Ausgaben s. bei Wolf,
Biblioth. Hebr. II, 1189 sqq. Le Long, Bibliotheca sacra ed. Maseh Part. II
vol. 1 (1781) p. 23—49. Rosenmüller, Handbuch für die Literatur der bibl.
Kritik und Exegese Bd. III (1799) S. 3— lü. Fürst, Biblioth. Jiul. II, 105-107.
III, 48. Steinschneider, Catal. libr. Hebr. in Biblioth. Bodl. cot. 165—174.
Berliner, Targum Onkelos (1884) II, 175-200. Volck in Herzog's Real-
Enc. 2. Aufl. Bd. XV (1885) 8. 375—377. Buhl, Kanon und Text des A. T.
(1891) 8. 168 ft". Dal man, Grammatik des jüdiaoh-paläHtinisdien Aramäiath
1894, 8. 8-12. Nestle in Herzog-Hauck's Keal-Enc. 3. Auti. Bd. III, B. 103 H.
— Wir heben nur folgendes hervor.
Ueber die Targume überhaupt:
Ilelrtcus, De chcUdaieis Iribliorum paraphrasibus, Giessen 1612. (Nach Winor,
Grammatik des bibl. und targum. Chaldnismus 8. 1 Anm., ist das, was die
neueren Werke über Einl. in's A. T. ül)er die Targume enthalten, grossen-
theils auH Hclvicus und Curj)z<)V geschöpft).
Carpxov (J„h. aottlol,), Criticn sacra Vet. Test. (1728) ;). 430-481.
Wolf, Bibliotheca IMmiea vol. II, 1135-1191. IV, 730—734.
Eichhorn, Einleitung in «Ihm Alte Testament Bd. II (4. Aufl. 1823), S. 1—123.
Zunz, Die gottcMdicnstlichcn Vorträge der Juden (1832) 8. 61—83. |
Oe) Zunc 8. 71.
87) Zun» a 0Ö. Geiger, Urschrift 8. KW.
68) Zun« 8. 75—77. Geiger H. 165. Nöldoke, Die alttestamentliche
Literatur 8. 269.
69) NOldeke, Die ulttt-Htamentliciie Literatur 8. 259.
[120] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. 153
Hävernick, Handb. der histor.-krit. Einl. in das A. T. I, 2 (1837), S. 73—89.
— 2. Aufl. von Keil Bd. I (1854), S. 387—402.
Gfrörer, Das Jahrhundert des Heils (1838) I, 36—59.
Fürst's Literaturbl. des Orients 1840, Nr. 44—47.
Frankel, Einiges zu den Targumim (Zeitschr. für die religiösen Interessen
des Judenth. 1846, S. 110—120).
Hcrzfeld, Gesch. des Volkes Jisrael Bd. III (1857) S. 61 ff. 551 ff.
Geiger, Urschrift und Uebersetzungen der Bibel (1857) S. 162—167.
Volck, Art. „Thargumim" in Herzog's Real-Enc. 1. Aufl. XV (1862) S. 672—683.
2. Aufl. XV (1885) S. 865—377.
Etheridge, The Targums of Onkelos and Jonathan ben Uxxiel on the Penta-
teuch; with the fragmeiits of Jerusalem Targum: from the Chaldee, 2 Bde.
London 1862—1865.
Langen, Das Judenth. in Palästina (1866), 8. 70-72, 209—218, 268 ft'. 418 ff.
Nöldeke, Die alttestauientliche Literatur (1868) S. 255—262.
Deutsch, Art. „Versions Ancient^^ in Smith' s Dictionary of the Bihle, amerikau.
Ausg. IV, 3395—3424.
Davidson, Art. „Targum" in Kitto's Cyclopaedia of Biblical Literatur. Eben-
das. auch die Artikel „Onkelos" und „Jonathan" von Ginsburg.
De Wette-Schrader, Lehrb. der histor.-krit. Einl. in die kanon. und apokr.
Bücher des A. T. (1869) S. 123—129. — Ueberhaupt die Einll. in's Alte
Testament, z. B. von Keil, Kaulen, Bleek-Wellhausen, Beuss
(Gesch. der heiligen Sehr. A. T.'s) u. A.
ßöhl, Forschungen nach einer Volksbibel zur Zeit Jesu (1873) S. 140— 168.
Siegfried, Philo von Alexandria (1875) S. 281 ff.
Weber, System der altsynagogalen palästinischen Theologie (18S0) S.XI — XIX.
Hamburger, Real-Enc. für Bibel und Talmud, Abth. H, S. 1167— 1195 (Art.
„Targum etc.").
Merx, Bemerkungen über die Vocalisation der Targume (Abhandlungen und
Vorträge des fünften internationalen Orientalisten-Congresses zu Berlin 1881,
II, 1 : Abhandlungen und Vorträge der semitischen und afrikanischen Sec-
tion, Beriin 1882, S. 142—225).
Merx, Johannes Buxtorfs des Vaters Targumcommentar Babylonia (Zeitschr.
für wissenschaftl. Theol. 1887, S. 280—299, 462—471. 1888, S. 41—48).
Merx, Chrestomathia Targumica , quam . . , ad Codices rocalibus Babylonicis
instructos edidit. Berlin 1888 (umfangreiche Textproben mit supralinearer
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Landauer, Studien zu Merx' Chrestomathia Targumica (Zeitschr. für Assyrio-
logie III, 188S, S. 263—292).
Schiller-Szinessy, Kri. „Targum" in: Encyclopaedia Britannica «0/. XXIII,
p. 62-65.
Buhl, Kanon und Text des A. T. (1891) S. 168-184.
Ginsburger, Die Anthropomorphismen in den Thargumim (Jahrbb. für prot.
Theologie 1891, S. 262—280. 43u— 458).
Hausdorff, Zur Geschichte der Targumim nach talmudischen Quellen (Mo-
natsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. Bd. 38, 1894, S. 203 ft".
241 ff. 289 ff).
Nestle, Art. „Bibelübersetzungen, jüdisch-aramäische" in Herzog-Hauck's
Real-Enc. 3. Aufl. Bd. III, 1897, S. 103—110,
Die Lexika und Grammatiken über die Sprache der Targume s. oben S. 131 1.
154 § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [120. 121]
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Pressel, Art. „Onkelos" in Herzog's Eeal-Enc. 1. Aufl. X (1858) S. 613 f.
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31aybaum, Die Anthropomorphien und Anthropopathien bei Onkelos und
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in der Jfldiaohen Zeituchr. 1872, H. 198-201).
[121] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. ^55
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hange über das gegenseitige Verhältniss der pentateuchischen Targumim
(Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft Bd. XXVIII, 1874,
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(ebendas. S. 319 f.).
Cornill, Das Targum zu den Propheten (Zeitschr. für die alttestamentl.
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Adler, A specimen of a commentary and collated iext of the Targum to the
propkets. Nahum (Jewish Quarterly Review VII, 1895, />. 630— 657).
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1899. Hierzu die Anz. von Bacher, Theol. Litztg. 1900, 164.
Praetorius, Das Targum zum Buch der Richter in jemenischer Ueberliefe-
rung, Berlin 1900. Hierzu Bacher, Theol. Litztg. 1901, 131.
Ueber Jonathan und Jeruschalmi zum Pentateuche:
Winer, De Jonathanis in Pentateuchum paraphrasi chatdaiea. Erlang. 1823.
Petermann, De dtiabus Pentateucki paraphrasibiis chaldaicis. P. I. De indole
paraphraseos quae Jonathanis esse dicitnr. Berolin. 1829.
Bär, Geist des Jeruschalmi (Pseudo- Jonathan), in: Monatsschr. für Gesch.
und Wissensch. des Judenth. 1851/52, S. 235-242.
Seligsohn und Traub, Ueber den Geist der Uebersetzung des Jonathan
ben Usiel zum Pentateuch und die Abfassung des in den Editionen dieser
Uebersetzung beigedruckten Targum Jeruschalmi (Monatsschrift 1857,
S. 96—114, 138—149).
Geiger, Das jerusalemifeche Thargum zum Pentateuch (Urschrift etc.
S. 451—480).
Seligsohn, De duabus Hierosolymitanis Pentateucki paraphrasibus. Breslau
1858.
Bacher, Das gegenseitige Verhältniss der pentateuchischen Targumim
(Zeitschr. der DMG. 1874, S. 59-71).
Gronemann, Die Jonathan'sche Pentateuch-Uebersetzung in ihrem Verhält-
nisse zur Halacha, Leipzig 1879.
Lagarde, Eine vergessene Handschrift des sogenannten Fragmententargums
(Nachrichten von der königl. Gesellsch. der Wissensch. zu Göttingen 1888,
S. 1-3).
Ejistein, Tosefta du Targoum Yeroiischahni {Revue des etudes jiiives t. XXX,
1895, p. 44-51).
Ginsburger, Die Thargumim zur Thoralection am 7, Pesach- und 1. Scha-
buoth-Tage (Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. Bd. 39,
1895, S. 97 fl: 167 ff. 193 ff.).
Rass freund, Das Fragmenten-Targum zum Pentateuch, sein Ursprung und
Charakter und sein Verhältniss zu den anderen pentateuchischen Tar-
gumim (Monatsschr. f. G. u. W. d. J. Bd. 40, 1896, S. 1 ff. 49 ff. 97 ft: 145 ff.
241 ff. 353 ff. 396 rt.; auch separat).
156 § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [121. 122]
Ginsburger, Zum Fragmententhargum (Monatssehr. f. G. u. W. d. J. Bd. 41,
1897, S. 289 fF. 340 ft'.).
Ginsburger, Das Fragmententhargum (Thargum jeruschalmi zum Pentateuch).
Berlin 1899 (XVI, 122 S.).
Dal man, Die Handschrift zum Jonathantargum des Pentateuch, Add. 27031
des Britischen Museum (Monatssehr. f. G. u. W. d. J. 41, 1897, S. 454—
456). — üeber dieselbe Handschr. auch Barnstein, JQR. XI, 1899,
p. 167—171.
üeber das Targum scheni zu Esther:
Reis, Das Targum scheni zu dem Buche Esther, Verhältniss des edirten
Textes desselben zu dem eines handschriftlichen Codex (Monatssehr. f.
G. u. W. d. J. 1876, S. 161 ft". 276 ft'. 398 ff.).
ßeiss. Zur Textkritik des Targum scheni zu dem Buche Esther (Monatssehr.
1881, S. 473-477).
Munk, Targum scheni zum Buche Esther, nebst variae lectiones nach handschr.
Quellen erläutert und mit einer literarhistor. Einleitung versehen, 1876.
Gas sei. Das Buch Esther, ein Beitrag zur Gesch. des Morgenlandes, aus dem
Hebr. übersetzt, historisch und theologisch erläutert, 1. Abth. Im An-
hang: Die Uebersetzung des zweiten Targum, 1878 (vgl. Theol. Litztg.
1879, 220). — Ders., Aus Literatur und Geschichte, Abhandlungen, 1885
(hierin auch eine Ausg. des Targum scheni zu Esther).
Gelbhaus, Die Targumliteratur, vergleichend agadisch und kritisch philo-
logisch beleuchtet, 1. Hft. Das Targum scheni zum Buche Esther, 1893.
David, Das Targum scheni, nach Handschriften herausgegeben und mit
einer Einleitung versehen, 1898.
üeber dieTargume zu den anderen Hagiographen s. die Literatur bei Nestle,
Herzog-Hauck's Real-Enc. 3. Aufl. III, 109 f. I
IV. Geschichtliche Werke.
Ausser Talmud, Midraschim und Targumiiii sind noch folgende,
in den Kreisen des rabbinischen Judenthunis entstandene Werke
hier zu nennen, da sie zu unserer (beschichte irgendwie in Beziehung
stehen. Als historische Quelle ist freilich nur das zuerst genannte
von Werth.
1. Megillath 'I'aanith, eigentlich „das Fastenbuch", ein Ver-
zeichnisa derjenigen Tage, an welclien w<'gen der Erinnerung an
irgend ein freudiges Ereigniss (bes. aus der Makkabäerzeit) nicht
gefastet werden durfte. Die Feststellung solclier Tage ist schon
Judith 8, 0 vorausgesetzt"^), llnst^r Verzeicliniss wird bereits in
d«*r Mischna {Tnanith 11, 8) citirt. und scheint im ersten Jahrh.
70) Judith S, (5: tvr]axtvtv näaa(i raq ^fdipai; r»/,' /^Qfvaewg avzfjq x^Q^i
nQn(taßfldx<uv xul aa(i(iäxtuv xal n{)ovovf4Tivi<5v xal vov/htivköv xal bo()Ttüv xal
XaQfioavvuiv nüxov ^lupai^i..
[122. 123] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. 157
nach Chr. redigirt zu sein. Der Text ist aramäisch; der weit spä-
tere Comnientar hebräisch. — Das früher wenig beachtete Werk-
chen ist besonders von Grätz und Deren bourg historisch ausge-
beutet worden.
Ausgabe mit lat. Uebersetzung: Joh. Meyer, Tractatus de temporibus s.
etfestis diebus Hehraeonim etc. Accedit r'^rrn rbjia volumcn de jejunio. Amste-
laedami 1724. — Eine Ausg. des aramäisch-hebräischen Textes nach der ed.
prineeps und der Amsterdamer Ausgabe von 1711, unter Vergleichung des
cod. de Rossi 117 (zu Parma) und einiger Handschriften-Fragmente der bodle-
janischen Bibliothek zu Oxford gab Neubauer, Mediaecal Jeuish Chroniclesll
(= Anecdota Oxoniensia, Semit ic Series col. I pari VI) Oxford 1895,^.3 — 25. —
Nur den aramäischen Text mit französ. Uebersetzung geben: Derenbourg ,
Histoire de la Palestine (18Ü7) p. 439 — 446, und Schwab (s. unten); den
aramäischen Text mit deutschen Anmerkungen: Dal man, Aramäische Dia-
k'ctproben 189G, S. 1—3, 32—34.
Vgl. überhaupt: Wolf, Biblioth. Hebr. I, 68 f. 384 f. II, 1325 ft". III,
1195 fi: IV, 1024. — Fürst, Bibl. Jud. I, 9 (unter Abraham ha-Lewi). —
Steinschneider, Catal. libr. Hebr. in biblioth. Bmll. col. 582. — {Zedner),
Catal. of the British Museum p. 517. — Zunz. Die gottesdienstl. Vorträge der
Juden S. 127— 128. — Pinuer in der Einl. zu seiner üebers. des Traci. ßera-
choth fol. 12«. — Herz fei d, Gesch. des Volkes Jisrael I, 266. — Ewald,
Gesch. des Volkes Israel IV, 497 f. VII, 402 f. — Grätz, Gesch. der Juden
Bd. III, 3. Aufl. S. 597-615 (Note 1) und 685 «". (Note 26). 4. Aufl. S. 559—
577 (Note 1). — Wellhausen, Die Pharisäer und die Sadducäer (1874)
S. 56 — 63. — Schmilg, Ueber Entstehung und historischen Werth des
Siegeskalenders Me'/illath Taanith, Leipzig 1874. — Joel Müller, Der Text
der Fastenrolle (Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. 1875,
S. 43—48, 139—144). — Brann, Entstehung und Werth der Megillat Taanit
(Monatsschr. 1876, S. 375 ff. 410 ft". 445 ft".). — P. Cassel, Kritisches Send-
schreiben über die Probebibel. II. Messianische Stellen des Alten Testaments.
Angehängt sind Anmerkungen über Megillath Taanith, Berlin 1885. — Ham-
burger, Real-Enc. für Bibel und Talmud, Supplementband S. 104—107 lArt.
„Megillath Taanith"). — M. Schu-ab, La Megillath Taanith ou „Annirersaires
historiqties" [Actes du onxihne conf)res international des Orientalistes, Paris
1897, quatrie-me Seetion, Paris 1898, p. 199 — 259, auch separat). Ders., Quel-
ques notes sur la Meghillath Taanit [Revue des etudes juives t. XLI, 1900,
p. 266-268).
2. Seder olam, auch Seder olam rabba genannt, eine Erläu-
terung der biblischen Geschichte von Adam bis auf die Zeit
Alexanders des Grossen, mit einigen Notizen über die spätere Zeit.
— Es wird im Talmud citirt und dem R. Jose ben Chalephta
(um 130—160 nach Chr.) zugeschrieben; letzteres nur deshalb, weil
R. Jose darin 9 mal als Autorität citirt wird.
Viel jünger, frühestens im 8. Jahrh. geschrieben, ist das Seder
olam sutta, ein genealogisches Werk, das zunächst die biblische
Zeit behandelt und dann die ununterbrochene Reihe der babylo-
nischen Exilfürsten geben will.
158 § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [123]
Ausgabe beider mit lat. Uebersetzung: Ghronicou Hehraeorum majus et minus,
tat ine vertit et contmentar. perpet. illustravit J. Meyer. Acced. ejusd. dissertt. 3.
Amstelaedami lü99. — Neue Ausgaben des Seder Olam rabba: 1) nach der
Amsterdamer Ausgabe von 1711 und einer bodlejanischen Handschrift vom J.
1315 unter Vergleichung einiger anderer Handschriften von Neuhauer, Me-
diaeval Jeicish Chronieles H (= Anecdota Oxoniensia, Semitic Series vol. I, part
VI) Oxford 1805, p. 26—67. 2) Von Eatner, Seder Olara rabba, die grosse
Weltchronik, nacli Handschriften und Druckwerken herausgegeben, mit kriti-
schen Noten und Erklärungen versehen, Wilna 1897 (dazu dessen „Einleitung",
s. unten). Vgl. ^JQR. IX, 740. Revue des etudes juives XXXVI, 118 sq. —
Einen Abdruck des Seder olam sutta giebt auch Neubatier, Mediaeval Jeicish
Chronieles II p. 68 — 73 (das Folgende gehört, trotz der Columnen-Ueberschrift,
nicht mehr dazu), und nach einem fehlerhaften cod. de Rossi: Schechter,
Monatsschr. f. G. u. W. d. J. Bd. 39, 1895, S. 23—28; ein Stück des Textes
(soweit er sich auf die Exilsfursten bezieht) in kritischer Bearbeitung:
F. Lazarus in BrüU's Jahrbb. für jüd. Geschichte und Litteratur X, 1890,
S. 157—170.
Vgl. überhaupt: Wolf, Biblioth. Hebr. I, 492—499. IV, 1029 s?. — Fürst,
Biblioth. Jud. II, 107 s?. — Steinschneider, Catal. Bodl. col. 1433 — 1437. —
{Zedner), Catal. of the Brit. Mus. p. 689 sq. — Zunz, Die gottesdienstlichen
Vorträge S. 85. 135 — 139. — Ewald, Göttinger gel. Anzeigen 1858, S. 1456 ft".
Gesch. des Volkes Israel I, 290 f. VII, 71. — Fürst, Literaturbl. des Orients
1846, S. 547—552. — Grätz, Gesch. der Juden IV, 200. — Hamburger,
Real-Enc. Supplementbd. S. 132 f. — Ratner, nni obis? -lönVi xin^a [auf der
Rückseite des inneren Titels: Einleitung zum Seder Olam], Wilna 1894 (in
hebr. Sprache; werthvoU, s. RdEJ. XXVIII, 301-304. JQR. VII, 348 sq.). —
Winter und Wünsche, Die jüdische Literatur seit Abschluss des Kanons
III, 299 ft". 304 ff". (Proben in deutscher Uebersetzung). — Rühl, Der Ursprung
der jüdi.schen Weltära (Deutsche Zeitschr. für Geschichtswissensch. Neue
Folge II, 1897/98, S. 185-202 und Nachtr. S. 342—344) [zeigt, dass das Seder
Olam bereits nach der jüdischen Weltära vom J. 3760 vor Chr. rechnet].
3. Mcgilloth Antioehus, richtij^er '^SSIttOn •>:! rhyn, eine kurze
legeiidarische Gescliichte der Bedrückungen des Antioclius Kpiplianes
und der Siege der Hasmonüer; aus nachtalnnidischer Zeit, histüriscli
wertlilos. — Der ursprüngliche aramäische Text ist erst in neuerer
Zeit gedruclit worden; die zahlreichen älteren Drucke geben eine
hebräische Uebersetzung, die sich aucli noch handscliriftlich er-
halten hat.
Ueber die Haudsclirilicn des aramäischen und des h«'l)räi^tlM'n 'icxtcs s.
Curtitß, The Naniu Machnbee (Leipzig 1876) ;>. 36 «77. Mrrx, ChrtstonKithia
tartjumiea 1888 p. XVI (verzeichnet zwei HandHcliriftcn des Britisclicn .Museums
[Orient, 23111, 2212], welche den anuu. T<'.\t mit luihyloniHclicr l'unctution ent-
halten). Oaiitcr in Heiner Ausg. S. 15 f. Uelxjr die Ausgaben: (iawtcr
ebendfti. Dalmun, Grammatik des jüdisch-palÜHtinischen Aramäisch 1894,
8. 0. — Den hehr. Text mit lat. Uebersetzung giebt Bartolocci, Biblioth.
rabbin. I, 'Mi tqq. Hieraus die lat. Uebersetzung allein: Fahrte ins, Codcr,
paeudepigr, Vet. Tut. I, 1105 «77. — Neuere Au«g. des hebr. Te.xte»: Jellivek,
Bei ha-Midra»ch, I, 18.'S3, p. 142—146. — Der animäiBclie Text ist zuerst lienuis-
[123. 124] § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur, 159
gegeben worden von Filipowski 1851 {The chaice ofpearls . . . to which is
adde/l tlie book of Antiochus, published for the first time in Äramic, Hebrew aud
Engh'sh hy H. Filipowski, London 1851). Ferner von: 2) Toprower nach
einer Leipziger Handschrift in : Kebod fiu-Lebanon X, 1874, S. 17 — 28. 3) Jelli-
nek, Bet ha-Midrasch VI, 1877, i). 4 — 8. 4) Gaster in: Tramactions of the
ninth internationul Congress of Orient alists, held in London 1892, vol. II, London
1893, p. 1—32 (nach sechs Handschriften, mit Einleitung und engl. Uebersetzung).
5) Abrahams, Jewish (^arterly Review XI, 1899, p. 291—299 (kürzerer Text
in abweichender Recension).
Vgl. überhaupt: Wolf, Biblioth. Hebr. I, 204 sg. III, 130. — Fürst,
Bihlioth. Jiul. II, 317. — Steinschneider, Catal. Bodl. col. 206 sq. — {Zedner),
Catctl. of the Brit. Mns. p. 51. — Zunz S. 134. — Ewald, Gesch. IV, 375. —
Josephson, Die Sagen über die Kämpfe der Makkabäer gegen die Syrer,
Leipziger Dissert., Breslau 1889. — Harkavy, Studien und Mittheilungen aus
der Kaiserlichen Bibliothek zu St. Petersburg V. Tbl. Leben und Werke des
Saadjah Gaon, 1. Heft 1891, S. 205—209 (iu hebr. Sprache, in den Schriften
des Vereins Mekixe Nirdamim). — Gaster in seiner Ausg.; dazu Neubauer,
JQR. VI, 1894, p. 570—576. — Grünhut, Das Buch Antiochus, kritisch unter-
sucht, erläutert und übersetzt, Jerusalem, 1894. — Krauss, Le livre des
Asmoneens {Revue des Stitdes juives t. XXX, 1895, p. 214 — 219).
4. Josippon oder Joseph hen Gorion (Josephus Oorionides).
Unter diesem Namen existirt ein in hebräischer Sprache ge-
schriebenes Werk, welches nach dem gewöhnlichen, am häufigsten
gedruckten Texte eine Geschichte des jüdischen ^'olkes von Adam
bis zur Zerstörung des Tempels durch Titus giebt. Daneben
existiren aber noch drei andere Recensionen: 1) ein hebräischer
Text, in welchem gi'osse Stücke des Vulgärtextes fehlen; er ist
nach der editio princeps wieder herausgegeben worden von Seb.
Münster 1541. 2) Eine abkürzende arabische Uebersetzung, welche
im Wesentlichen mit dem Vulgärtexte parallel geht. 3) Das im
4. Bande der Londoner Polyglotte gedruckte sog. arabische Makka-
bäerbuch. Letzteres beginnt mit der Tempelberaubung durch
Heliodor, wie sie das zweite Makkabäerbuch erzählt, und endigt mit
der Ermordung sämmtlicher Mitglieder der hasmonäischen Familie
durch Herodes den Grossen. Aber auch die von Münster nach-
gedruckte editio princeps des hebräischen Textes schliesst eben
hiermit. Da auch der arabische Auszug, obwohl er bis zur Zer-
störung Jerusalems durch Titus geht, betitelt ist „Das Buch der Mak-
kabäer", so vermuthet Wellhausen wohl mit Recht, dass das ur-
sprüngliche Werk wirklich nur eine Geschichte der ..Makkabäer".
d. li. der hasmonäischen Dynastie war, in dem Umfang, wie er
durch das arabische Makkabäerbuch geboten wird. Was der Vulgär-
text vorher und nachher hat, scheinen spätere Zuthaten zu sein,
wofür auch der Charakter der Einleitung spricht, welche nur
dürftige Bruchstücke der jüdischen (und römischen) Geschichte
160 § 3. Quellen. E. Die rabbinische Literatur. [124]
bis zur Makkabäerzeit giebt, und zwar mit starken Abweichungen
in den verschiedenen Recensionen. Die Quellen des ursprünglichen
Werkes waren das zweite Makkabäerbuch und Josephus in latei-
nischer üebersetzung. Trieb er meint freilich, dass der Verfasser
noch das echte Werk des Jason von Cyrene und das grosse Ge-
schichtswerk des Nicolaus Damascenus benützt habe; es ist aber
handgreiflich, dass der Verfasser nur aus den obengenannten ab-
geleiteten Quellen geschöpft hat. Die Fortsetzung des Werkes
bis zur Zerstörung des Tempels durch Titus ist aus derjenigen
lateinischen Bearbeitung von Josephus' Bellum Judaicum, welche
man „Hegesippus" zu nennen pflegt, entnommen, während für die
vorangestellte Einleitung (bis zur Makkabäerzeit) trübe Legenden
wie der Alexander-Roman, daneben auch Daniel, Esra und Esther
mit den apokryphen Zusätzen benützt sind. Die überschwänglichen
Elogien des Joseph ben Gorion als Verfassers des Buches finden
sich nur im hebräischen Vulgärtext; sie fehlen in den drei anderen
Recensionen (Wellhausen S. 46). Die Verwechselung des Flavius
Josephus, Sohn des Matthias, mit Joseph ben Gorion erklärt sich
aus der Benützung des Hegesippus. Im echten Josephus ist näm-
lich in dem Verzeichniss der Befehlshaber für den jüdischen Krieg
[Bell. Jud. II, 20, 3—4) an der Spitze Joseph Sohn Gorion's und
am Schlüsse Joseph Sohn des Matthias genannt, worauf dann des
letzteren Thaten in Galiläa erzählt werden. Im Hegesippus (III,
3, 2 — 3) ist aus Versehen Joseph Sohn des Matthias ausgelassen,
so dass der Schein entstehen konnte, als ob der Befehlshaber
Galiäa's (Flavius Josephus) mit jenem Joseph Sohn Gorion's iden-
tisch sei"). Das Vaterland, sowohl des ursprünglichen Werkes
als der Ueberarbeitung, ist sicher Italien, wie besonders die Namens-
formen und geographische Notizen beweisen. Die Entstehung der
vulgären (überarbeiteten) Recension setzt Zunz S. 150 — 152 in die
erste Hälfte des zehnten Jahrh. nach Chr.
Unter den zahlreichen Ausgaben de« Vulgfirtextes ist besonders hervor-
saheben: Josephus Oorionides s. Josephus Hchrairits juxta rcndam cdit. latine
eer»U9 et cum exemplari Cimstantinop. vallatun atqiie »u/is iUnsIrattts a J. F.
lireithaupto, Qothac 17U7 (hebr. und lat.). Dieselbe mit neuem Titel Oothac
et lApa. 1710. — Eine lut. Üebersetzung dieses Textes mit einleitenden Unter-
HUcbungen gab auch Joh. Oagnier, Josippon sirc Josephi bcu (lorionis bistorUie
JwUtietie lH/ri 8CC, ex hehraco Inline vertit etc. Chron. 1706. — Die editio priiieeps,
wcleho den kürzeren Text giebt (ohne Ort und Jahreszahl, Mantua vor 1480?)
ist DAcbgcdnickt von Heb. Münster (Josephus Ifebrairus diu dcsidvratissimua
71) Diesen Ha«liverlialt hat zuerst Kapoport erkannt, s. Zunz, Die
gOttc'sdieDstlk'ben Vorträge der Juden 8. 149; dann Trieber S. :W(1 f. Well-
bansen 8. 49.
[124] § 3. Quellen. E. Die rabhinische Literatur, ißl
opera Seb. Münster i, Basti. 1541), jedoch mit Weglassung der einleitenden
Capitel (Trieber S. 381). — lieber eine in Beirut gedruckte Ausgabe der ara-
bischen Version {Tarih Yusifus el-Yahudi, Beirut, 1872) s. Vogelstein und
Rieger, Gesch. der Juden in Rom I, 485 f, — Eine ausführliche Inhaltsan-
gabe der arabischen Version (nach einer Pariser Handschrift) nebst Unter-
suchungen über die Entstehung des Werkes giebt: Wellhausen, Der ara-
bische Josippus (Abhandlungen der Göttiuger Gesellsch. der Wissensch., phil.-
hist. Classe, Neue Folge Bd. 1, No. 4, 1897). — Ueber eine aethiopische Version,
von welcher es Handschriften in London , Berlin und Frankfurt a. M. giebt,
s. Gold Schmidt, Die abessinischen Handschriften der Stadtbibliothek zu
Frankfurt a. M. (1897) :^. 5-9.
Vgl. über das Werk und dessen Ausgaben überhaupt: Otidin, De seript.
eceles. t.U,col. 1032—1062. — Wolf, Bibliotk. Hehr. I, 508—523. IH, 387—389.
— Mensel, Biblioth. hist. I, 2 (1784) p. 230—239. — Fabricins, Biblioth.
(jraee. ed. Hartes V, 50—59. — Fürst, Biblioth. Jtul. II, 111—114. — Stein-
schneider, Catal. Bodl. cot. 1547—1552. — {Zedner), Catal. of the Brit. Mus.
{j. 344 «(/. — Zunz, Die gottesdienstlichen Vorträge der Juden S. 146—154.
— Delitzsch, Zur Gesch. der jüd. Poesie (1830) S. 37—40. — Külb, Art.
„Josephus Gorionides" in Ersch und Gruber's Allg. Encycl. Sect. II, Bd. 23
(1844) S. 184. — Levi, Le Yosippon et le Roman d' Alexandre {Revue des etiutes
juives t. XXVIII, 1894, p. Ul sq.). — Trieber, Zur Kritik des Gorionides
(Nachrichten der Göttinger Gesellsch. der Wissensch., phil.-hist. Classe, 1895,
S. 381—409); vgl. auch Monatsschr. f. G. u. W. d. J. Bd. 39, 1895, S. 143 f.
— Gunxboiirg, Quelques tnofs sur le Yosippon [Revue des etndes juives t. XXXI,
1895, p. 283—288). — Vogelstein und Rieger, Gesch. der Juden in Rom
Bd. I, 1896, S. 185-200, 483 ft". — Winter und Wünsche, Die jüdische
Literatur seit Abschluss des Kanons III, 1896, S. 309—314 (Proben in deutscher
Uebersetzung). — Fraenkel, Die Sprache des Josippon (Zeitschr. der DMG.
Bd. 50, 1890, S. 418—422). — Büchler, Das apokryphische Esrabuch (Monats-
schrift f. G. U.W. d. J. Bd. 41, 1897, S. 1 ff. 49^. 97 ff.). — Wellhausen
a. a. O. — Neubauer, Pseudo-Josejihus, Joseph ben Gorion iJeivish Quarterltj
Review XI, 1899, p. 355—364). — Willrich, Judaica, 1900, S. 170— 174.
Benützt ist Josippon auch in einer hebräischen Chronik, welche sich
handschriftlich seit 1887 in der bodlejanischen Bibliothek zu Oxford befindet,
und deren erste Hälfte (bis zum Tode des Judas Makkabäus reichend) von Gaster
in englischer Uebersetzung herausgegeben worden ist [Oriental Transtation
Fund, New Series IV: Ttie Chronicles of Jerahmeet or tlie Hebreiv Bibte historiale
etc. transtated . . . Inj M. Gaster, London, Royal Asiatic Society 1899). Der
Compilator der Chronik ist nicht, wie man nach dem von Gaster gewählten
Titel meinen sollte, Jerachmeel, sondern ein gewisser Eleasar ben Ascher,
der Levite, der nach einem Kalenderfragment im Anfang des Bandes im J.
1325 n. Chr. geschrieben zu haben scheint. Er hat aber allerdings die Chronik
eines gewissen Jerachmeel ben Schelomoh benützt, der etwa im 11. oder
12. Jahrh. gelebt haben mag. Beide benützen den Josippon, und zwar Je-
raclimeel, wie es scheint, ohne die einleitenden Capitel. Vgl. auch Neubauer,
JQR. XF, 1899, p. 304—380. Bousset, Theol. Litztg. 1900, col. 262—266.
Fraenkel, Theol. Litztg. 1900, cot. 452.
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 11
Erster Theil.
Politische Geschichte Palästina's
vom J. 175 vor Chr. bis 135 nach Chr.
Erste Periode.
Von Aiitiochus Epiplianes bis zur Eroberung
Jerusalem's durch Ponipejus.
Die makkabäische Erhebung und die Zeit der Freiheit
175—63 V. Chr.
Da die Geschichte Israel's in dieser Periode vielfach mit der
Geschichte von Syrien verflochten ist, geben wir zunächst eine
Uebersiclit über die Geschichte von Syrien
im letzten Jahrhundert der Seleucidenherrsehaft
(175-65 V. Chr.).
Quellen:
Exiscbi Chromconim lihri duo ed. Alfr. Schoene rol. II Berol. 1860, rnl. I
1875 (hierin namentlich der Abschnitt aus Porphyrius, s. darüber unten).
Eine gute Orientierung über Eusebius' Chronik giebt Wachsmuth, Ein-
leitung in das Studium der alten Geschichte (1895) S. 163 — 176; über die
Bearbeitung durch Hieronymus: Schöne, Die Weltchronik des Eusebius
in ihrer Bearbeitung durch Hieronymus, Berlin 1900. — Auch die Chronik
des Sulpicius Severus {ed. Halm 1866) enthält einiges Beachtenswerthe,
s. Bernays, Ueber die Chronik des Sulpicius Severus 1861, S. 61— <;3
(= Bernays, Ges. Abhandlungen II, 181 — 185).
Zerstreute Nachrichten bei Polyhiiis, Diodorus, Livius, Jusfimts. —
Eine gedrängte Uebersicht giebt Appiafius.
Buch Daniel c. 11 und dazu der Commentar des Hieront/mus [Opp. ed.
Vallarsi V, 701 — 724). Kommt nur noch für Antiochus Epiphanes in
Betracht.
Die beiden Makkabäerbücher, besonders das erste. Den Bericht desselben
ergänzt Josephus {Antt. XII und XIII) namentlich für die Geschichte
der Seleuciden durch werthvoUe Notizen aus anderen Schrittstellern.
Von Wichtigkeit sind endlich die zahlreichen datirten Münzen. Die Literatur
darüber s. oben S. 20 f. Hervorzuheben sind bes.: Eck hei, Mionnet,
de Saulcy, der Katalog des Britischen Museums von Gardner und der
des Pariser Münz-Cabinets von Babelon.
106 Uebersicht über die Geschichte von Syrien. [127. 128]
Literatur:
Foy- Vaillant, Sekucidarum imperium sive Historia regum Syriae ad fidem
nunmmatum accomodata, Paris 1681.
Froelich, Annales compendiarii regum et renim Syriae numis veteribus illu-
strati, Viennae 1744, editio altera 1750. |
Clinton, Fasti Hellenici. The civil and literary chronology of Oreece and Rome,
vol. III, from the CXXIV'ä olympiad to ihe death of Äugtistus, Oxford
(1830), second ediiion 1851, p. 310—350.
Schlosser, Universalhistorische Uebersicht der Geschichte der alten Welt
und ihrer Cultur. II, 2. 1829.
Niebuhr, Vorträge über alte Geschichte. III. 1851. (Vgl. auch: Niebuhr,
„Historischer Gewinn aus der armenischen Uebersetzung der Chronik des
Eusebius", in den Abhandlungen der Berliner Akademie aus den Jahren
1820—21, hi8t.-phiIol. Klasse S. 37—114; auch in Niebuhr's Kl. Schriften
I, 179—304).
Fiat he, Geschichte Macedoniens und der Reiche, welche von macedonischen
Königen beherrscht wurden, Bd. II, 1834.
[Droysen, Geschichte des Hellenismus, 2 Bde., 1836—1843. Zweite Auflage,
mit Einschluss der Gesch. Alexanders des Grossen, in 6 Halbbänden
1877 — 1878. — Dieses Hauptwerk über die Geschichte des Hellenismus
kommt für uns nicht mehr in Betracht, da es mit dem J. 221 vor Chr.
abbricht.]
Stark, Gaza und die philistäische Küste (auch unter dem Titel: Forschungen
zur Geschichte und Alterthumskunde des hellenistischen Orients) 1852.
Adolf Kuhn, Beiträge zur Geschichte der Seleukiden vom Tode Antiochos'
VII Sidetes bis auf Antiochos XIII Asiatikos 129— 64 v.Chr. Altkirch i. E.,
Gymnasialprogramm 1891.
Holm, Griechische Geschichte von ihrem Ursprünge bis zum Untergange
der Selbständigkeit des griechischen Volkes, 4. Bd. : Vom Tode Alexanders
bis zur Einverleibung der letzten makedonischen Monarchie in das römische
Reich [30 vor Chr.]. Beriin 1894.
Niese, Geschichte der griechischen und makedonischen Staaten seit der
Schlacht bei Chaeronea, 1. Thl.: bis 281 v. Chr. 1893. 2. Thl: bis 188
V. Chr. 1899 [eingehendste Darstellung nächst Droysen].
Eine gute Uebersicht des Quellenmateriales giebt Clinton
a. a. 0. — Für die Feststellung des chronologischen Rahmens sind
di«' Hauptquellen: 1) Der Abschnitt aus Porphyrius in der
Chmnik des Eusebius und Eusebius' eigene Ansätze in seiner
Chronik. 2) Einzelne Angaben des ersten Makkabiierbuches.
Die seleucidische Aeni, n.irii wt-lchrr dasselbe daiirt, bc/j^innt wahr-
scheinlich nicht im llcilj.^i., .sniidmi im Frühjahr 312 vor Ciir. (s.
obenS.32ff.). 3) Die Münzen, i\<'yri\ Daten übersichtlich zusammen-
gestellt sind bei de Saulcy, lA ///- / v .sur Ics monnaies dnt6ca des
SÜeudden. /'"/^ l^7l mul h«'i Uabdun, Cataloyuc des monnaies yrccqnes
de la Hihh , Les rois de Syrie etc. Paria 1890 (in der
ausfUhrlfchen EiulciUiiig).
[128. 129] Uebersicht über die Geschichte von Syrien. 157
Porphyrius, der bekannte neuplatonische Pliilosoph (3. Jahrh. nach Chr.),
hat ein chronologisches Werk geschrieben, für welches er die besten Quellen
sorgfältig benützt hat. Aus demselben theilt Eusebius in seiner Chronik die
Geschichte der Ptolemäer {Ens. Chron. ed. Schoene I, 159 sqq.) und der mace-
(lonischen Könige mit (Fiis. Chron. ed. Schoene I, 229 sqq.). Aus derselben
Quelle stammt aber ohne Zweifel, obwohl Porphyrius hierbei nicht genannt
ist, der ganz gleichartige Abschnitt über die Geschichte der Seleuciden [Euseb.
Chron. ed. Schoene I, 247—264). Der Text der eusebianischen Chronik ist uns
für dieses Stück vollständig nur in armenischer Uebersetzung erhalten (zuerst
herausgegeben von Äuche'r, Eusebii Chron. vol. I, 1818, für Schöne's Ausgabe
aufs Neue von Petermann in's Lateinische übertragen). Bruchstücke des griechi-
schen Textes enthält eine Pariser Handschrift, aus welcher sie bereits Scaliger
im Anhang zu seinem Thesaurns temporum 1606 und neuerdings Gramer
{Aneedota Oraeca e eodd. manuscriptis Bibliothecae regiae Parisiensis vol. II,
1839, p. 115 sqq.) publicirt haben. Den armenischen und griechischen Text
(ersteren nach Aucher's Uebersetzung) nebst historischem Commentar giebt auch
Carol. Müller, Fragmcnta historicorum Graecorum III, 706 — 717 (unter den
Fragmenten des Porphyrius).
Porphyrius fixirt in diesem Abschnitt die Chronologie der Seleuciden nach
der Olympiaden-Aera, und zwar in der Weise, dass er nur ganze Jahre
rechnet, daher das Jahr, in welchem ein Regierungswechsel stattgefunden hat,
noch als volles Jahr dem Vorgänger anrechnet, und die Regierung des Nach-
folgers erst mit dem folgenden Jahre beginnen lässt. Wenn er also z. B. die
Regierung des Antiochus Epiphanes mit Ol. 151, 3 beginnen lässt, so hat sie
factisch Ol. 151, 2 begonnen. (Etwas anders, aber zu künstlich, beurtheilt die
Sache Unger, Sitzungsberichte der Münchener Akademie, philos.-philol. und
bist. Classe, 1895, Heft II S. 300 ff.). Zu bemerken ist ferner, dass er bei
dem häufigen Auftreten von Thronprätendenten die Regierung des siegreichen
Prätendenten erst von dem Jahre an rechnet, in welchem sein Gegner unter-
legen ist.
Aus welchen Quellen Porphyrius geschöpft hat, lässt sich aus folgender
Mittheilung des Hieronyraus schliessen, die freilich nicht auf die Chronik des
Porphyrius, sondern auf dessen Buch über Daniel Bezug nimmt, Hieran,
praefat. in Daniel, {opp. ed. Vallarsi V, 621 sq.): Ad intelligendas autem extre-
mas partes Danielis multiplex Oraecorum historia necessaria est: Sutorii videlicet
Callinici, Diodori, Hieromjmi, Polyldi, Posidonii, Claudii Theonis et Amlroniei
coqnomento Alipii, quos et Porphyrius esse sequiitum se dicit; Josephi
qtioque et corum quos ponit Josephus, praecipueque nostri Livii et Pompeii Trogi
atque Justini, qui omnem extraemae visionis narrant historiam.
So werthvoll die Arbeit des Porphyrius auch ist, so darf sie andererseits
doch nicht überschätzt werden. Seine Olympiadenangaben sind augen-
scheinlich „erst durch Rechnung aus den Regierungsjahren ge-
funden" (Gutschmid, Geschichte Iran's und seiner Nachbarländer 1888,
S. 77 Anm.), und haben daher nicht den Werth unmittelbarer traditioneller
Zeugnisse. Ueberdies sind im armenischen Texte die Ziffern nicht selten
corrumpirt. Zur Controle dienen die eigenen Ansätze des Eusebius in seinen
Canones (Buch II der Chronik). Um ein ürtheil über den Werth beider zu
ermöglichen, stellen wir die Angaben des Porphyrius und die Ansätze' in
den Canones des Eusebius neben einander, und zwar letztere nach der Ueber-
lieferung des Hieronymus, welche besser ist, als die der armenischen Ueber-
setzung.
168
Uebersicht über die Geschichte von Svrien.
!120]
Porphyrius
{Euseb. Chron. l. c.) Olymp.
Seleucus I 32 Jahre, erstes 117,1
letztes 124,4
Antiochus I 19 Jahre, erstes 125,1
letztes 129,3
Autiochus II 19 Jahre, erstes 129,4
[im Index 15] letztes 135,3
Seleucus II 21 Jahre, erstes 133,3
letztes 138,2
Seleucus III 3 Jahre, erstes
letztes 139,1
Antiochus III 36 Jahre, erstes 139,2
letztes 148,2
Seleucus IV 12 Jahre, erstes 148,3
letztes 151,1
Antiochus IV 11 Jahre, erstes 151,3
letztes 154,1
Antiochus V IV2 Jahre, erstes
letztes
Deraetrius I 12 Jahre, erstes 164,4
letztes 157,4
Alex. Balas 5 Jahre, erstes 157,3
(im Index 15] letztes 158,4
Deraetrius II 3 Jahre, erstes 100,1
letztes 160,3
Antiochus VII 9 Jahre, erstes 100,4
letztes 162,4
Deraetrius II 4 Jahre, erstes lö2,2
[nach der Gefangensch.j letztes 164,1
AntiochusVIII 11 Jahre, erstes 164,2
[Index 26] letztes 166,4
Antiochus IX 18 Jahre, erstes 167,1
letztes 17 1,1
Philippus |2 Jahre erstes 171,3
nach Index griech.] [griech. Text]
Eusebius
{Ch-on. II, 117—133). Olymp.
Seleucus I 32 Jahre, erstes 117,1
letztes 124,4
Antiochus I 19 Jahre, erstes 125,1
letztes 129,3
Antiochus II 15 Jahre, erstes 129,4
letztes 183,2
Seleucus II 20 Jahre, erstes 133,3
letztes 138.2
Seleucus III 3 Jahre, erstes 138,3
letztes 139,1
Antiochus III 36 Jahre, erstes 139,2
letztes 148,1
Seleucus IV 12 Jahre, erstes 148,2
letztes 151,1
Antiochus IV 11 Jahre, erstes 151,2
letztes 153,4
Antiochus V 2 Jahre, erstes 154,1
letztes 154,2
Deraetrius I 12 Jahre, erstes 154,3
letztes 157,2
Alex. Balas 10 Jahre, erstes 157,3
letztes 159,4
Deraetrius II 3 Jahre, erstes 16'^,!
letztes 160,3
Antiochus VII 9 Jahre, erstes 160,4
letztes 162,4
Deraetrius II 4 Jahre, erstes 163,1
letztes 163,4
AntiochusVIII 12 Jahre, erstes 164,1
letztes 166,4
Antiochus IX 18 Jahre, erstes 167,1
letztes 171,2
Pliilippus 2 Jahre, erstes 171,3
letztes 171,4
Die Abweichungen beider Tabellen sind ira Texte des Porphyrius durch fette
Ziflern hervorgehol)en. An manchen Stellen sind aiigcnsdioinlich die Zifl'ern des
Porphyrius corrumpirt. Eine wirkliche Abweichung findet aber statt vom
TodoHJahr des Antiochus III an bis zu dem des Deraetrius 1.
W<!nn rann liier die Feliler der Text-Ueberlieforung corrigirt, so sind durch-
gängig die Ansätze des Porphyrius um lin .lahr später als die des
Kusebiu»«. Wülirend nun die meisten Gch'lirtcn (audi ich in der 2. Aufl.
dh'HCH Buclu'h) biMhcr dem Porphyrius gefolgt sind, liat Niese in seiner
,JCritik der beiden Makkabäerbücher" 1!MK), S. 78-81 ( ^ Hermes Bd. 3;.,
H. 491— 497) durch Ileruuziehung anderweitig<'r Daten überzeugend dargethnii.
dwn an dicHeni Punkte di«- Ansätze des EuHel)ius den Vorzug ver-
dionon. Nur wird rann nicht, wie Nicwe thut, «He Abweichung bei Porpliyrius
nun einer nncliträ>;liehen Bedaetinn seine» Textes zu erklären hoben (was
»olltc zu eluor »olehen veranloMst haben?). Vielmehr sind <lie Ansätze in deti
[120. 130] Uebersicht über die Geschichte von Syrien. 169
Conones des Eusebius offenbar unabhängig von dem im ersten Buch seiner
Chronik mitgetheilten Texte des Porphyrius. Eine ähnliche Differenz
findet auch statt bei Demetrius II und Antioclius VIII (bei ersterem
ist 162,2 Textfehler für 103,2).
Antioclius IV Epiphanes (175—164 vor Chr).
Er war der Solin Antioclius' III des Grossen und Bruder des
Seleucus IV Philopator (187—175 vor Chr.). Während der Regie-
rung des letzteren lebte er als Geisel in Rom. Seleucus ermög-
lichte ihm die Rückkehr, indem er seinen Sohn Demetrius als Geisel
nach Rom sandte. Noch ehe aber Antiochus in der Heimath an-
kam, war Seleucus durch Heliodor ermordet worden. So bemäch-
tigte sich Antiochus des Thrones, der eigentlich seinem Neffen De-
metrius gebührt hätte {Appian. Syr. 45). — Antiochus starb nach
elfjähriger Regierung wälirend eines Feldziiges gegen die Parther
164 V. Chr.
Die elf Regierungsjahre sind bezeugt durch Porphyrius [Bus. Chron. ed.
Schoene I, 253, 263*5.), Hieronymus (ad Daniel. 11, 21 sq.) und Sulpicius Seve-
rüs { Chron. II, 22). — Den Regierungsantritt setzt das erste Makkabäerbueh
(I M. 1,10) auf 137 aer. Sei. = 176/175 vor Chr. Porphyrius rechnet als erstes
Jahr Ol. 151, 3, Eusebius 151, 2- Da nach dem oben Bemerkten Eusebius vor-
zuziehen ist, und da auch er wie Porphyrius als erstes volles Jahr eines Re-
genten immer dasjenige rechnet, welches auf den Regierungswechsel folgt, so
fällt der Regierungsantritt Ol. 151, 1 = 176/175 vor Chr., was mit dem ersten
Makkabäerbuche stimmt. — Der Tod des Antiochus fallt nach Eusebius Ol.
153, 4 = 165/164 vor Chr., nach dem ersten Makkabäerbuche (I M. 6, 16) 149
oer. Sei. = 164/163 vor Chr., wornach er, wenn die Angaben genau sind, in das
zweite Viertel des Jahres 164 v. Chr. zu setzen sein würde. Für diese An-
setzung spricht auch die Dift'erenz zwischen Eusebius und Porphyrius, die
daraus zu erklären sein wird, dass man nach den Quellen zweifelhaft sein
konnte, ob der Tod Ol. 153, 4 oder Ol. 154, 1 (== 164/163 vor Chr.) zu setzen sei. —
Datirte Münzen des ^ Antiochus giebt es aus den Jahren 138—149 Sei. {de
Satdq/ p. 13, Babelon p. CIX, CX sq.). Da die Münze vom J. 149 keine Auf-
schrift hat, ist es nicht sicher, ob auch sie noch dem Antiochus IV gehört
(Niese S. 82 = Hermes 35, 495).
Die Chronologie der ägyptischen Feldzüge des Antiochus, die auch
für die jüdische Geschichte in Betracht kommt , ist streitig. Sicher ist nur,
dass der letzte 168 v. Chr. fällt; aber die Zahl der Feldzüge und die Zeit des
ersten ist kaum mit Sicherheit zu ermitteln. Auch das Buch Daniel, welches
nur von zwei Feldzügen spricht (11, 25 ö'.), hilft hier nichts, denn es erwähnt
selbstverständlich nur die, welche mit einer Digression nach Jerusalem endigten.
Die Beschränkung der Feldzüge auf die Jahre 169—168 scheint mir durch
Niese nicht erwiesen zu sein. Vielmehr dürfte mit der Mehrzahl der Forscher,
z. B. auch Wilcken, als wahrscheinlich anzunehmen sein, dass der erste Feld-
zug 170 zu setzen ist. Hiermit stimmt, dass das erste Makkabäerbueh einen
ägyptischen Feldzug zuerst für das Jahr 143 aer. Sei. = 170/169 vor Chr.
voraussetzt (I M. 1, 20), und zwar die Rückkehr von demselben noch für den
170 Uebersicht über die Geschichte von Syrien. [130]
Herbst 170 vor Chr. Nnr das zweite Makkabäerbuch weicht ab, insofern es
denselben Feldzug bereits als den zweiten bezeichnet (II M. 5, 1). Bei der
UnZuverlässigkeit dieser Quelle giebt uns dies aber nicht die Berechtigung,
schon für das J. 171 einen Feldzug anzunehmen. Vgl. überhaupt über diese
Frage: Droysen, De Lagiday-um regno Ptolemaeo VI Philometore rege, 1831,
p. 56-69 (= Droysen, Kleine Schriften II, 1894, S. 405—418), Jo. Christ.
Conr. Hofmann, De bellis ab Antioeho Epiphane adversus Ptolemaeos gestis,
Erlangae 1835, Hitzig, Das Buch Daniel S. 202—208, Stark, Gaza und die
philistäische Küste S. 430 — 434, Grimm, Das erste Buch der Maccabäer S. 15 f.
Job. Friedr, Hoff mann, Antiochus IV Epiphanes, 1873, S. 36—58. Grätz,
Geschichte der Juden II, 2 (1876) S. 436— 443. Wilcken in Pauly-Wissowa's
Real-Enc. I, 2472 ff. und Anmerkungen zu Droysen (Kleine Schriften II, 440 f-)-
Niese, Kritik der beiden Makkabäerbücher S. 89— 93 = Hermes 35, 502 — 506.
lieber Antiochus überhaupt vgl. ausser der oben S. 166 genannten Lite-
ratur auch die Artikel in Pauly-Wissowa's ßeal-Encyclopädie der class.
Alterthumswissen Schaft, Herzog's Real-Enc. und in den biblischen Wörter-
büchern von Win er und Schenkel. Noch einiges s. bei § 4.
Antiochus V Eupator (164—162).
Der Sohn des vorigen ; beim Regierungsantritt erst neun Jahre
alt (so Appian. Syr. 46 und 66; die Angabe des Porphyrius, dass er
zwölf Jahre alt war, ist mit Wilcken zu verwerfen, weil dann sein
Vater als Geisel in Rom geheirathet haben müsste). Während
seiner nur 1 '/j bis 2jährigen Regierung war er nur ein Werkzeug in
der Hand seines Feldherrn und Vormundes Lysias und wurde
nebst diesem auf Befehl seines Vetters Demetrius 162 vor Chr.
ermordet.
Die Angaben über die Regierungsdauer schwanken zwischen anderthalb
(ßo Porphyrius im Summarium Eus. C/iru7i. cd. Schoetie I, 263 sq.) und zwei
Jahren (m Joseph. Antt. XII, 10, 1. Eusch. Chron. II, 126 sq. adann. Ahrah. 1852).
Anfangs- und Endtermin ergeben sich aus der Chronologie des Vorgängers
und Nachfolgers. — Vgl. im Allgemeinen auch die Artikel in Pauly-Wisso-
wa's und Herzog's Real-Enc. und in den Wörterbüchern von Winer und
Schenkel.
Demetrius I Soter (162—150).
Der Sohn des Seleucus Philopator. Er war von diesem als
Geisel nach Rom geschickt worden, entfloh aber von dort und be-
mächtigte sich, indem er seinen Vetter Antiochus Eupator er-
morden liess, der Herrschaft 162 vor Chr.
Im Jahre 153 erhob sich gegen ihn als Thr()ni)räti'ndeiit
Alexander Balas, der sich für einen Sohn des Antiochus i^'.pi-
pbanes ausgab und demnach der rechtmässige Erbe des syrischen
Thrones zu sein beanspruchte. Demetrius flel im Kampf gegen
diesen 150 v. Chr. I
[131] Uebersicht über die Geschichte von Syrien. 171
Die Flucht des Demetrius aus Rom und was ihr vorherging, beschreibt
sehr anschaulich Polybius, der als Freund des Demetrius dabei selbst zu den
handelnden Personen gehörte {Polyh. XXXI, 12. 19—22). — Sowohl Polybius
(III, 5) als Porphyrius (Eus. Chron. ed. Schoene I, 255. 203 sq.) und Eusebius
schreiben dem Demetrius eine zwölfjährige Regierung zu, Josephus eine elf-
jährige {Äntt. XIII, 2, 4). Den Beginn setzt das erste Makkabäerbuch (I 3/.
7,1) 151 aer. Sei. = 162/161 vor Chr. Porphyrius giebt als erstes volles Re-
gierungsjahr Ol. 154, 4, demnach als Jahr des Regierungsantrittes Ol. 154, 3
= 162/161 vor Chr., Eusebius je ein Jalir früher, also Regierungsantritt 163/162
vor Chr. Die datirten Münzen gehen angeblich (nach de Satilcy p. 18 sq.) von
150 bis 162 aer. Sei. Indessen können als sicher gelesen nur die vom J. 154 bis
162 aer. Sei. = 159 158 bis 151 150 vor Chr. gelten {Babelanp.CXiX, CXXII).—
Ueber das Jahr der Erhebung des Alexander Balas s. unten. — Als Todes-
jahr des Demetrius giebt der überlieferte Text des Porphyrius Ol. 157, 4.
Da dies eine dreizehnjährige Regierungsdauer ergeben würde, so ist zu lesen
Ol. 157, 3 = 150/149 vor Chr. Eusebius hat Ol. 157, 2 = 151/150 vor Chr.
Nach I Makk. 10, 50 u. 57 fällt der Tod des Demetrius nicht später als
162 aer. Sei. = 151/150 vor Chr. — Vgl. über Demetrius im Allgemeinen auch
die Artikel in Pauly's Real-Enc. der class. Alterthumswiss., Win er 's Real-
wörterb. und Schenkel's Bibellexikon.
Alexander Balas (150—145).
Wie Alexander dem Demetrius die Herrschaft entrissen hatte,
so erhob sich gegen ihn liinwiederum der Sohn des Demetrius,
ebenfalls Demetrius mit Namen. Mit diesem (Demetrius II) ver-
band sich Ptolemäus Philometor von Aegypten. Alexander ward
von letzterem bei Antiochia besiegt, floh nach Arabien und wurde
dort meuchlings ermordet 145 v. Chr. Schon am fünften Tage
nach jener Schlacht brachte man dem Ptolemäus das Haupt Alexan-
ders {Jos. Antt. XIII, 4, 8).
Die Münzen Alexander's gehen angeblich (nach de Saulcy p. 26 sq.) von
160 bis 168 aer. Sei.; sicher sind nur die Daten von 162 bis 167 aer. Sei. =
151/150 bis 146/145 vor Chr. [Bahelon p. CXXIII sq.). — In das Jahr 160 Sei.
= 153/152 v. Chr. setzt das erste Makkabäerbuch sein Auftreten gegen Deme-
trius I (I M. 10, 1), und zwar wird 153 vor Chr. anzunehmen sein, da es noch
vor dem Laubhütten fest des genannten Jahres war (I M. 10, 21). — Seine
eigentliche Regierung berechnen Porphyrius und Josephus {Antt. XIII, 4, 8)
zu fünf Jahren. Den Anfang setzt der überlieferte Text des Porphyrius Ol.
157, 3, das Ende Ol. 158, 4. Da dies nach der Rechnungsweise des Porphyrius
sechs Jahre ergeben würde, so ist statt ersterer Zahl wahrscheinlich zu lesen
157, 4 (also factisch 157, 3 = 150/149 vor Chr.). Eusebius setzt ihn ein Jahr
früher (151/150 vor Chr.). — Den Tod Alexander's setzt das erste Makkabäer-
buch 167 Sei. = 146/145 vor Chr. (I M. 11, 19). Das Datum des Porphyiius
Ol. 158, 4 ist = 145/144 vor Chr. Das Jahr 145 vor Chr. als Todesjahr des
Alexander Balas ist sicher wegen des fast gleichzeitig erfolgten Todes des
Ptolemäus Philometor (Strack, Die Dynastie der Ptolemäer 1897, S. 184, 198.
172 üebersicht über die Geschichte von Syrien. [131. 132]
Niese, Kritik S. 81 = Hermes 35, 494). — Vgl. über Alexander im Allgemeinen
auch die Artikel bei Pauly-Wissowa, Herzog, Winer und Schenkel.
Demetrius II Nicator (145—138).
Antiochus VI (145—?). Tryplio (?— 138).
Dem Demetrius machte wiederum einer der Feldherrn Alexan-
der's, Diodotus, genannt Tryplio, im Namen des unmündigen
Sohnes des Alexander, Antiochus VI, die Herrschaft streitig. ]
Trypho trachtete indess selbst nach dem Thron, liess seinen
Mündel Antiochus ermorden und machte sich zum König. Bald
darnach (nach anderen Quellen noch vorher) unternahm Demetrius
einen Feldzug gegen die Parther, in dessen Verlauf er von den
Parthern gefangen genommen wurde, 138 v. Chr. Trypho aber
wurde von Antiochus VII Sidetes, dem Bruder des Demetrius,
bekämpft, in Dora, dann in Apamea eingeschlossen und gezwungen,
sich selbst den Tod zu geben {Straho p. 668, Jos. Anft. XIII, 7, 2,
Appian. Syr. 68).
Die Erhebung des Demetrius gegen Alexander Balas fallt nach 1 Makk.
10, 67 in das Jahr 165 Sei. = 148/147 vor Chr., sein Regierungsantritt 167 Sei. =
146/145 V. Chr. (I M. 11, 19). Die Münzen gehen von 167 bis 173 Sei. = 146/145
bis 140/139 vor Chr. {Babelon p. CXXXI sq.). — Von Antiochus VI giebt es
Münzen aus den Jahren 167 l)is 170 Sei. = 146/145 bis 143/142 vor Chr. {Babelon
p. CXXXV), von Trypho solche mit den Jahreszahlen HI (de Saukn p. 42,
Melan/jes de Xumisviatiqiie t. II, 1877, p. 82 sq.) und IV {0 ardner, Catal. of
Orccii Cuins p. 60, Tiahelon p. CXXXVIII). Josephus giebt die Regierungszeit
de» Antiochus VI auf vier Jahre an, die des Trypho auf drei Jahre (-<4h^^ XIII,
7, 1—2). Hiernach würde erstore 145—141, letztere 141 — 138 vor Chr. fallen, oder
auch, was nacli den Münzen nälier liegt, 145 — 142 und 142—138 v. Chr. Hiermit
Btinirat im Allgemeinen, dass Porphyrius und Eusebius dem Demetrius nur
eine dreijäiirige Regierungszeit geben (nändich vor seiner Geiangenschaft, Eus.
Chron. ed. Schnenc I, 257. 2(53 sq.), und zwar von Ol. 160, 1 (also (sutisrch 159,
4 — 141/140 vor Chr.) bis Ol. 160, 3 — 138; 137 vor Chr. Augenscheinlich rechnen
Poq)hyriu8 und Eusebius die Regierung des Demetrius erst von der Beseitigung
(B«;»iegung oder Ermordung) des Antiochus VI an. Annähernd harmonirt mit
dem Hishcrigcn auch die Clironologie des ersten Makkubäerbuches, welches die
Ermordung des Antir»cl)us durch Tryidio ungelahr um 170 Sri. - v. 143/142 vor
Chr. erwähnt (I M. 13, 31 vgl. mit 13, 41). Keine belangreiche Differenz ist
CM endlich, wenn im ersten Makkubäerhuche (I M. 14, 1) der partliisclu' Feldzug
den Demetrius vom J. 172 Sei. — 141/140 vor Chr. an datirt wird, bei Por-
pliyriu« dagegen von Ol. 160, 2 -• 139,130 vor Chr. an. In starkem Wider-
ipnicii mit dem BiMlierigen steht es dagegen, wenn nuinchc Schriftsteller
(Jo$. Ann. XIII, ö, 11. 7, 1. Appim. Stjr. 67. 68. Juxlin. XXXVI, 1) die Er-
mordung de» AntiorhuM VI durch Trypho erst in die Zeit des parthisclien
Fetdzugrs de« Deuirtrius, ja nmli der (}efiingennnhme d('ssell)en, setzen. Hier-
gegen «pricht nicht nur die Chronologie des ersten Mukkabäcrbuches, sondern
[132. 133] Uebersicht über die Geschichte von Syrien. 173
auch der Umstand, dass dann für Trypho keine 3 — 4jährige Regierung bliebe,
die doch nach Josephus und den Münzen anzunehmen ist. Denn Trypho's
Tod fällt etwa gleichzeitig mit der Gefangennahme des Demetrius durch die
Parther 138 vor Chr. (s. unten bei Antiochus Sidetes). Es scheint mir daher
nicht richtig, wenn manche neuere Kritiker den zuletzt genannten Quellen den
Vorzug vor I Makk. geben. — Vgl. über diese Frage und über Antiochus VI
und Trypho überhaupt: Sanclemente, De vulgaris aerae emendatione 1793,
p. 269—274. Clinton, Fasti Hellenici III, 331. Müller, Frcu/m. /lisf. Graee.
t. II 2^. XX. Mendelssohn in Ritschl's Ada soeietatis philol. Lipsiensis t.
V, 1875, yj. 105 — 112. Nussbaum, Obscrrationes in Flavii Josephi Antiquitatea
1875, p. 43—49. Gutschmid, Geschichte Iran's (1888) S. 51-53. Die Artikel
bei Pauly-Wissowa, Herzog, Winer und Schenkel. — Ueber die Kämpfe
zwischen Demetrius und Antiochus VI auch: Wilcken, Hermes Bd. 29, 1894,
S. 441 f. I
Antiochus VII Sidetes (138—129).
So lange Demetrius Gefangener der Parther war, hatte nun
Antiochus VII unbestritten die Herrschaft in Syrien. — Im J. 130
unternahm er einen Feldzug gegen die Parther, auf welchem er
im J. 129 V. Chr. seinen Tod fand. Noch während des Krieges
hatte der Partherkönig den Demetrius aus der Gefangenschaft ent-
lassen, damit er die Herrschaft in Syrien an sich reisse und da-
durch den Antiochus zur Rückkehr zwinge.
Ueber den Beinamen Sidetes vgl. Porphyrius {Eus. Chron. ed. Schoene I, 255) :
in Sida iirle educatus, quapropicr Sidetes iitique vocahatitr. Die Stadt Side liegt
in Pamphylien. — Das Auftreten des Antiochus VII gegen Trypho tallt nach
I Makk. 15, 10 in das Jahr 174 Sei. = 139/138 vor Chr. Porphyrius und Eu-
sebius rechnen seine Regierung von Ol. 160, 4 an (also factisch Ol. 160, 3
= 138/137 vor Chr.). Die Münzen beginnen mit 174 Sei. = 139/138 vor Chr.
und gehen bis 183 Sei. = 130/129 vor Chr. {Bahelon p. CXL sq.; das Datum
184, welches de Sauley p. 46 giebt, ist wahrscheinlich falsch gelesen). — Der
Beginn des parthischen Feldzuges kann nach Livius nicht später als 130 vor
Chr. fallen {Liv. Epit. 59 erwähnt unmittelbar vorher den Consul M. Peperna
COS. 130, unmittelbar nachher den Consul C. Sempronius cos. 129). Porphyrius
und Eusebius setzen den Tod des Antiochus nach neunjähriger Regierung Ol.
162, 4 = 129/128 vor Chr. Nach Justin. XXXVIII, 10 fällt er in den Winter,
nach Diodor. XXXIV, 15 sq. in das Frühjahr, also, wenn wir Livius folgen,
Anfang 129 (so mit Recht Gutschmid, Wilcken bei Pauly-Wissowa u. A.). —
Bei diesem Sachverhalt haben einige Münzen des Antiochus mit den angeb-
lichen Jahreszahlen 185 und 186 Sei. (letztere = 127/126 vor Chr.) den Histo-
rikern grosse Schwierigkeiten gemacht. Man hat theils die Echtheit ihres Datums
bezweifelt (so Tochon d'Ännecy, Dissertation sur l'epoque de la mort d'Än-
tiochus VII Erergetes Sidetes, roi de Syrie, sur deux medailles antiques de ce
prince, et sur un passage du 11« liv^re des Maccliabies, Paris 1815, p. 61—64),
theils angenommen, dass auch nach dem Tode des Antiochus noch Münzen
mit dessen Namen geprägt worden sind (so Niebuh r. Kl. Schriften I, 251 f.).
Man darf als sicher annehmen, dass das Datum falsch gelesen ist (s. Xuss-
174 Uebersicht über die Geschichte von Syrien. [133. 134]
bäum, Obserrationes p. 51). — Vgl. überhaupt: Gunipach, Ueber den alt-
jüdischen Kalender, 1848, S. 316—334. Ders., Hülfsbuch der rechnenden
Chronologie, 1853, S. 81 — 89. Mendelssohn in Ritschl's Acta societatis j)Jnlol.
Lipsiensis t. V, 1875, f». 205— 280- Nussbaum, Observationes in Flavii Josephi
Antiquitates, 1875, p. 49 — 54. Gutschmid, Geschichte Irans, Tüb. 1888, S.
70—17. Die Artikel bei Pauly-Wissowa, Herzog, Winer und Schenkel.
Deraetrius II Nicator zum zweiten male (129—125).
Alexander Zabinas (128—122?).
Nach zehnjähriger parthischer Gefangenschaft (so Porphyrius
bei Euseb.) war nunmehr DemetriusII wieder König von Syrien.
Gegen ihn wurde alsbald durch Ptolemäus Physkon ein Gegen-
könig aufgestellt in der Person des Alexander Zabinas, eines
angeblichen Sohnes des Alexander Balas. Demetrius wurde von
ihm bei Damaskus besiegt, musste fliehen und wurde, als er in
Tyrus landen wollte, ermordet. |
Von Demetrius existiren angeblich Münzen mit den Daten 180 bis 187
aer. Sei. = 133 132 bis 126/125 vor Chr. {de Saulcy p. 51-52). Wenn die Lesung
Oberall richtig wäre, so würde anzunehmen sein, dass noch während der par-
thischen Gefangenschaft des Demetrius Münzen mit seinem Namen geprägt
wurden (so de Sauley p. 55). In Wahrlieit sind die Daten 180—182 höchst
zweifelhaft; sicher nur die von 183—187 Sei. = 130/129 bis 126/125 vor Chr.
{Nussbaum, Observationes p. 52 sq. Gardiier, Catal. of greek coins p. 76 sq.
Bunbury, Num. Chroniele 1883, p. 100 sqq. Babelon p. CXLI, CXLV). — Por-
phyrius und Eusebius schreiben dem Deraetrius nach seiner Gefangenschaft
noch eine vierjährige Regierung zu. Als Beginn hat der überlieferte Text des
Porphyrius Ol. 162, 2, wofür sicher zu lesen ist Ol. 163, 2 (also faetisch Ol.
163, 1 — 128/127 vor Clir.), als Todesjahr Ol. 164, 1 = 124/123 vor Chr. Eu-
HebiuH hat je ein Jahr früher, als Todesjahr deumach 125/124 vor Chr. Dass
dies richtig ist, wird durch die Münzen bestätigt; denn die Münzen des An-
tiochu» VII r Grypos und der Kleopatra beginnen bereits mit d. J. 187 Sei. —
120/125 vor Chr. {de Saulcy p. 61 sq. IMwlon p. CLIII, 172 f.) — Vgl über
Demetrius auch die Artikel bei Pauly, Winer und Schenkel. — Für
Alexander Zabinas geben Porphyrius und Eusebius keine directen Daten.
Seine Münzen gehen von 184 bis 190 Sei. — 129/12S bis 123/122 vor Chr. [de
Saulcy p. 57, Gardner, Catal. of greek coina p, 81—84, linnhury, Num. Ghnmictr
1883, p. 103 sq. Babelon p. GL).
Seleucus V (125).
F'olgte Keint'in Natcr Demetrius in der R('gi('nin<r; w.ird aber
bald nach «einem UegicningsHiitritt auf Anstiflcn seiner eigenen
MniU'v entiordet.
[134. 135] Uebersicht über die Geschichte von Syrien. 175
Antiochus VIII Grypos (125—113).
Der Bruder des vorigen. Er hatte noch mit dem Gegenkönig
Alexander Zabinas zu kämpfen, besiegte ihn aber im dritten
Jahre seiner Eegierung (also 123/122 v. Chr.) und Hess ihn hin-
richten (so Justin. XXXIX, 2, vgl. auch Diodor. XXXIV, 28; nach
Porphyrius brachte er sich selbst durch Gift um's Leben.)
Nach elf- bis zwölfjähriger Regierung, 113 vor Chr., wurde
Antiochus VIII Grypos aus der Herrschaft verdrängt durch
Antiochus IX Kyzikenos, der väterlicherseits sein Vetter, müt-
terlicherseits sein Bruder war. Antiochus Grypos zog sich nach
Aspendos zurück.
Daa Verwandtschaftsverhältniss zwischen beiden ist folgendes. Kleopatra,
die Tochter des Ptolemäus Philonietor von Aegypten, die bereits die Gemahlin
des Alexander Balas gewesen war I Makk. 10, 58, hatte sich von diesem wieder
getrennt und den Demetrius II Nicator geheirathet I Makk. 11, 12. Aus dieser
. Ehe stammten Seleucus V und Antiochus VIII Grypos. Während aber Deme-
trius sich bei den Parthern befand, heirathete Kleopatra dessen Bruder, An-
tiochus VII Sidetes, Joseph. Antt. XIII, 7, 1. Aus dieser Ehe stammte An-
tiochus IX Kyzikenos, Joseph. Antt. XIII, 10, 1, Appian. Syr. 68. Por-
phyrius bei Etiseb. Chron. ed. Schoene I, 260: tw ofio/irjTQit}) d6fX<p(5 kvriöxttt
xai &v£\pio) xtt ix nargog. — Vgl. überhaupt über die Genealogie der Seleueiden
die Stammtafel am Schluss dieses Bandes.
Die Regierungszeit des Antiochus VIII bis zu seiner Verdrängung durch |
Antiochus IX berechnet Porphyrius zu elf Jahren, und zwar von Ol. 164, 2
(also factisch Ol. 164, 1 = 124/123 vor Chr.) bis Ol. 166, 4 = 113/112 vor Chr.
Eusebius giebt zwölf Jahre, indem er den Beginn mit Recht ein Jahr früher
setzt (125/124 vor Chr.). — Auf den Münzen erscheint Antiochus VIII, so lange
seine Mutter Kleopatra lebte, als deren Mitregent, später allein. Die Münzen
der ersteren Art gehen von 187 bis 192 Sei. = 126 125 bis 121/120 vor Chr.
{de Saulcy p. 61 sq. Babelon p. CLIII, 172—176). Die eigenen Münzen des
Antiochus VIII beginnen angeblich mit 190 Sei. = 123 122 vor Chr. [de Saulcy
p. 65 sq.). Indessen sind die Zahlen 190 und 191 höchst wahrscheinlich falsch
gelesen; das erste sichere Datum ist 192, so dass sich diese Münzen an die
der ersteren Art anschliessen {Babelon p. CLV). Vgl. überh.: Adolf Kuhn,
Beiträge zur Geschichte der Seleukiden 1891, S. 14 ff. Wilcken in Pauly-
Wissowa's Real-Euc. I, 2480 ff.
Antiochus IX Kyzikenos (113—95).
Antiochus VIII Grypos (111—96).
Zwei Jahre lang war nun Kyzikenos alleiniger Regent. Aber
im J. 111 kehrte Grypos zurück und entriss seinem Vetter den
grössten Theil von Syrien. Nur Cölesyrien blieb dem Kyzikenos
[Porj)hyr. bei Euseh. I, 260: xgarsl fiev avToq ZTJg ^vglag, 6 öh KvCi-
xTjvog rrJQ KoiXfjg). So war das Reich getheilt; und die beiden
Vettern (und Brüder) bekämpften sich nun gegenseitig.
176 Uebersicht über die Geschichte von Syrien. [135. 136]
Antiochus Grypos starb 15 Jahre nach seiner Rückkehr, 96
vor Chr. (nach Jos. Antt. XIII, 13, 4 durch Meuchelmord). Seine
Rechte und Ansprüche vererbten sich auf seinen Sohn Seleucus VI.
Dieser erhob sich sofort gegen Antiochus Kyzikenos und besiegte
denselben bei Antiochia. Um der Gefangenschaft zu entgehen, nahm
sich Antiochus noch während der Schlacht selbst das Leben 95
vor Chr. {Forphyr. bei Euseb. I, 260).
Dem Antiochus IX Kyzikenos giebt Porphyrius achtzehn Regienings-
jahre, von Ol. 167, 1 (also ' factisch Ol. 166, 4 = 113/112 vor Chr.) bis Ol.
171, 1 = 96/95 vor Chr. Statt der letzteren Ziffer ist wahrscheinlich zu lesen
171, 2 = 95/94 vor Chr., wie Eusebius hat. — Die sicheren Daten der Münzen
gehen von 199 bis 216 Sei. = 114 113 bis 97/96 vor Chr. [Babclou p. CLXII).
Die Daten 196 und 197, welche de Saiilcy p. 72 sq, giebt, sind unsicher [Ba-
belon l. c). Nach ihnen würde das Auftreten des Antiochus IX schon 196 Sei.
= 117/116 vor Chr. zu setzen sein. Dass es einige Zeit vor 113 vor Chr. fällt,
ist allerdings wegen Liv. epit. 62 anzunehmen (Kuhn S. 19, Wilcken a. a. O.).
Das Jahr 113 ist also das Jahr des entscheidenden Sieges des Antiochus IX
über Antiochus VIII. — Die Kückkehr des Antiochus VIII Grypos setzt
Porphyrius Ol. 167, 2 = 111/110 vor Chr. und giebt ihm von da an noch fünf-
zehn Regierungsjahre bis Ol. 170, 4 = 97/96 vor Chr. Josephus schreibt dem
.Vntiochus Grj'pos im Ganzen eine 29jährige Regierung zu, also 125—96 vor Chr.
(Jos. Antt. XIII, 13, 4). — Das Jahr 111 wird bestätigt durch eine in Paphos
auf Cypern gefundene In.schrift, aus welcher Wilcken den Nachweis ge-
führt hat, dass Antiochus VIII damals eine neue Zählung seiner Regierungs-
jahre begonnen hat (Hermes Bd. 29, 1S94, S. 436 ff.). Die Inschrift enthält
ein Schreiben des Antiochus an den König Ptolemäus Alexander von Cypern,
in welchem Antiochus mittheilt, dass er eben jetzt, und zwar im dritten
Jahre seiner Regierung, der Stadt Seleucia Pieriae die Freiheit verliehen
habe. Seleucia hat aber, wie anderweitig feststeht, die Freiheit im J. U'8
vor Chr. erhalten. — Vgl. überhaupt über Antiochus VIII und IX: Ad. Kuhn,
Beiträge zur Gesch. der Seleukiden S. 18—31. Wilcken in Pauly-Wissowa's
Real-Enc. I, 2480—2484; auch „Hern>es" ßd. 29, S. 436-450.
Während der nächsten 12 Jahre (95—83 v. Chr.) folgten nun
fast ununterbrocluMir Kämpfe zwischen den fünf Söhnen des An-
tiochus (irypos (nämlich: Seleucus VI, Antiochus XI, Thi-
lippus, Denietrius III Eukärus und Antiochus XII) und dem
öohne de.s Antioclius Kyzikenos: Antiocliu.s X Kusebes {Joseph.
Antt. XIII, 13, 4. 14, 3. 15, 1. rurphijrius bei Euscb. C/iron. cd. Scliocnc
I, 259— 2(>2. Appian. Syr. ü9; dazu Clinton p. 340—342. Kulm,
liciiriiKii S. 32—39. Wilcken in I'auly-Wissowa's Real-Enc. Art.
Antiochus X bis XII).
Sie endigten damit, dass Tigranes, der Krmig von Armenien,
sich des syrischen Reiches bemächtigte. Dessen Herrschaft über
Syrien währte 14 .lahre (83- üü v. Chr.). |
Die EinzeIhdt«D n\ntl (nach JoHephuM, der hier am auHführlichsten ist)
folKcode. Antiochu« X EanebeM bekriegte, um seinen Vater zu rächen, den
[136] Uebersicht über die Geschichte von Syrien. \'jf
Seleucus VI, besiegte ihn und trieb ihn nacli Cilicien, wo er von den Bürgern
von Mopsvestia wegen Erpressungen getödtet wurde. Darauf übernahm dessen
Bruder AntiochueXI den Kampf gegen Antiochus Eusebes, verlor aber gegea
ihn Schlacht und Leben. Nun trat der dritte Bruder, Philippus, gegen An-
tiochus Eusebes auf und wusste sich wenigstens eines Theiles von Syrien zu
bemächtigen, während der vierte Bruder, Demetrius Eukärus, einen andern
Theil mit der Hauptstadt Damaskus an sich gerissen hatte. Da Porphyrius
und Eusebius das Jahr Ol. 171, 3 = 94/93 vor Chr. als erstes volles Jahr des
Philippus rechnen, sein Auftreten also in's vorhergehende Jahr setzen, und
da es von Demetrius Münzen aus dem J. 217 Set. = 96/95 vor Chr. giebt
(s. unten), so wird das Auftreten beider noch 95 v. Chr. stattgefunden haben
(Kuhn S. 34 f.). Die beiden Brüder, Philippus und Demetrius,
herrschten nun eine Zeit lang über je einen Theil von Syrien.
Auch Antiochus Eusebes, der nach Josephus schon damals im Kampf
gegen die Parther gefallen sein soll, scheint in Wahrheit in einem Theile von
Syrien sich behauptet zu haben (s. unten). Nach einiger Zeit (88 oder 87 vor Chr.)
bekriegte Demetrius den Philippus, belagerte ihn in Beröa (östlich von An-
tiochia), ward jedoch selbst gefangen genommen und starb in der Gefangen-
schaft. Nun war ausser Antiochus Eusebes noch Philippus und der jüngste
Bruder Antiochus XII übrig, die sich nun ebenfalls gegenseitig bekämpften.
Antiochus aber fiel in einer Schlacht gegen den Araberfürsten Aretas, worauf
letzterer sich Cölesyriens bemächtigte. Schliesslich fiel dann ganz Syrien in
die Hände des Tigranes. (Nacli Appian. Syr. 48. 69 lebte und regierte An-
tiochus X Eusebes noch, als sich Tigranes Syriens bemächtigte, ja nach
Justin. XL, 2 und Porphyrius bei Euseb. I, 262 lebte er sogar noch, als Pom-
pejus dem syrischen Reich ein Ende machte. Letzteres beruht jedenfalls auf
einer Verwechselung des Antiochus X Eusebes und Antiochus XIII Asiaticus,
welche beide Appian genau unterscheidet. Ersteres aber ist allerdings wahr-
scheinlich, da Appian hier gute Quellen gehabt zu haben scheint. Es wird
also anzunehmen sein, dass Antiochus Eusebes einen Theil, Philippus und
Aretas andere Theile von Syrien inne hatten, als Tigranes sich des Reiches-
bemächtigte).
Für die Chronologie der Jahre 95 — 83 geben die Münzen einige Anhalts-
punkte [de Sanlcy p. 75 — 80, Gardner, Catal. of yreek coins p. ^ö sqq., Babelon
p. CLXIX, CLXXII). Doch lässt sie sich nicht mehr in allen Einzelheiten
fixiren. Von Philippus giebt es datirte Münzen aus den Jahren 221 bis
229 Sei. = 92/91 bis 84/83 vor Chr. {de Sanlcy p. 78\ von Demetrius solche
aus den Jahren 217 bis 224 Sei. = 96,95 bis 89/88 vor Chr. {Gardner p. 101,.
Eckkel III, 245, Babe/on p. CLXXII), von Antiochus XII solche vom J. 22&
Sei. = 87/86 vor Chr. {Xumismatic Ckrmicle 1890, p. 327 sq.) und vom J. 227
Sei. = 86/85 vor Chr. (Imhoof-Blumer, Monnaies grecques 1883, p. 437). Räthsel-
haft sind Münzen des Philippus, die in Antiochia geprägt sind und die Jahres-
zahlen 19, 20, 21, 22, 24, 30 tragen {de Sauley p. 79, Babelon p. CLXIX, 202 f).
Sie können nicht Regierungsjahre des Philippus bedeuten, da dieser nicht so
lange regiert hat. Zwar setzt Porphyrius voraus, dass Philippus bis zur Zeit
des Pompejus gelebt hat [Euseb. Chron. I, 262). Allein nach Diodor. fr. 34
(bei Müller, Fraym. hist. yraee. t. II p. XXIV sq.) ist dieser Philippus, der
zur Zeit des Pompejus als Prätendent auftrat, ein Sohn unseres Philippus,
also Enkel des Antiochus Grypos (s. auch Müller a. a. O.). Es bleibt dem-
nach nur die Annahme übrig, dass jene Zahlen Jahre einer localen antioche-
nischen Aera bedeuten, welche etwa 113 vor Chr. begonnen hat.
Schüler, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 12
"178 Uebersicht über die Geschichte von Syrien. [136. 137]
Die Zeit des T ig ran es ergiebt sich daraus, dass er nach Appian. Sy?-. 4S.
70 und Justin. XL, 1 — 2 (nach richtiger Lesart) vierzehn Jahre über Syrien
herrschte. Das Ende seiner Regierung, nämlich seine Besiegung durch Lucullus,
fällt aber, wie aus der römischen Geschichte bekannt ist, in d. J. 69 v. Chr.
Nach der Besiegung des Ti graues durch Lucullus wurde
Syrien noch nicht sofort von den Körnern in Besitz genommen.
Lucullus überliess es einem Sohne des Antiochus Eusebes, An-
tiochus XIII Asiaticus (69—65 v. Chr.). Erst Pompejus machte
auf seinem Siegeszuge durch Asien der Herrschaft der Seleuciden
definitiv ein Ende, 65 v. Chr. {Amnan. Syr. 49; 70. Justin. XL, 2.
Clinton p. 344—348). Syrien wurde nun römische Provinz {Plutarch.
Pomp. 39).
Appian. Syr. 70 sagt, dass Pompejus den Antiochus abgesetzt habe, nach-
dem er während der Behinderung des Pompejus nur ein Jahr regiert habe
{ßaai/.svoavra iv raig dayoUaiq xaiq UofinTjiov inl h> fxovov erog). Auf Grund
dessen nimmt Kuhn (Beiträge S. 44 f.) für Antiochus nur eine einjährige Re-
gierung an und zwar 68—67 v. Chr. Aber Antiochus war zunächst König von
Lucullus' Gnaden, und Pompejus ist erst 66 nach Asien gekommen. Appian 's
Notiz ist also dahin zu verstehen, dass Antiochus nach der Ankunft des Pom-
pejus noch ein Jahr lang König war (Wilcken, Art. Antiochus XIII in Pauly-
Wissowa's Real-Enc).
Pompejus sandte zunächst im J. 65 von Armenien aus seine Legaten nach
Syrien; im J. 64 kam er selbst; die definitive Ordnung der dortigen Verhält-
nisse fallt erst 63/62 vor Chr. {Clinton, Fasti Hcllenici III, S4ö sq. Fischer,
Römische Zeittafeln S. 215 ff.). — In das Jahr 65 oder 64 fallen wahrscheinlich
die Wirren, von welchen Diodor fr. 34 (l)ei Müller, Fraijni. //ist. graec. t. II,
p. XXIV «^.) berichtet. Antiochus XIII Asiaticus suchte sich mit Hülfe
des Sampsigeram (von Emesa) in der Herrschaft zu behaupten. Gleichzeitig
wurde ihm dieselbe von Philippus, dem Sohne des Philippus und Enkel des
Antiochus Grypos, streitig gemacht, der zu diesem Zwecke die Untcrstützutig
des Araberfürsten Azizus nachsuchte. Aber Antiochus wurde von Sanipsigeram
gefangen genommen und sj)äter getödtet, und Philippus entging nur durch die
Flucht den Nachstellungen des Azizus.
Durch diese Nachricht des Diodor von dem Ende des Antiochus Asia-
ticus fällt auch von selbst die Vernuithung älterer Forscher, dass Antiochus
Asiaticus da« kleine Königreich (^Jonunagene erhalten habe und der Stifter der
Dynastie von Commagene geworden sei (s. dagegen Clinton />. 346— 348).
Richtig ist aber, das« die Dynastie von Conunngcnc durch Verscliwägcrung \\\\i
den Helcuciden zUHammenhängt. S. hierüber die Inschriften Corp. Inscr. Graec.
n. .'JÜ2 — Corp. Inner. Lnt. t. HI n. 552 — ('orp. Inser. Atticarnm f. III, 1 //.
657, und bcHon<lers Le Bati et Wnddinyton , Insrription.^ t, III, 2n. 13(1'' (zu
EphcHUK). Letztere er^vühnt einen ßaaiXiu ItU'xloyov Ofov Jlxaiov ^Ennpavij
4>tXo(fwnatov xal ^»lUXX^va, x6v iy ßuaiUwQ Mt&paöäxov KaXhvixov xal
ßaoiXlaarii Aaodlxriq (ifüq 'luXmUXtpov rJ/C iy ßaatXtwi llvnoxov 'KnupavoZi;
^iXofi^TOQOS KaXXivlxov. Derselbe Antiochus mit (h^rscilx'n (iciicalo^ic auch
Ulf dem von ihm selbst errichteten priiciitvollfu (inihdciikmal in Ncninid-
Dagh, wo die Titulatur auf verschiedenen Inschriften wiederholt wird (II u-
maoD und Puchstein, Reisen in Kloinnsien und Nordsyrien, 1890, S. 232—353,
[137. 138] Uebersicht über die Geschichte von Syrien. 179
vorher: Puchstein, Bericht über eine Reise in Kurdistan, Sitzungsberichte
der Berliner Akademie 1883, S. 49 ft'.). Der Antiochus, welchem diese In-
schriften gelten, ist ein König von Commagene, der andere Antiochus, der
Vater der Laodike, ohne Zweifel ein Seleucide, nach Waddington Antiochus
XIII Asiaticus, nach Mommsen Antiochus VIII Grypos; letzteres sicherlich
richtig, denn Antiochus VIII Grypos heisst auf Münzen 'Ennpav^q, bei Por-
phyrius und Josephus Äntt. XIII, 12, 2 <Pt}.o/^j]Tw(), und der Beiname KaX).mxoq,
welchen Mommsen noch nicht nachweisen konnte, ist seitdem auch bestätigt
worden durch Inschriften von Delos {Bulletin de correspondance hellemque t.
VII, 1883, p. 346; VIII, 1884, p. 105s?.). Die Vermuthung Gutschmid's
(Geschichte Iran's, 1888, S. 80 Anm.), dass seine Tochter Laodice identisch
sei mit der von Josephus Antt. XIII, 13, 4 erwähnten Laodice, ist nicht wahr-
scheinlich (Kuhn, Beiträge S. 36, Anm. 6). — Vgl. überh. Mommsen, Die
Dynastie von Commagene (Mittheilungen des deutschen archäologischen In-
stitutes in Athen, Bd. I, 1876, S. 27 — 39). Marquardt, Römische Staats-
verwaltung Bd. I, 2. Aufl. 1881, S. 39Sfr. Babeluti l. c. p. CCVIII— CCXVIII,
217 — 223. Humann und Puchstein a. a. O. T/ieod. Reinach, La dijnastie
de Commaf/me {Revue des etudes grecques t. III, 1890, j>. 362 — 380). Wilcken
in Pauly-Wissowa's Real-Enc. I, 2487 ff". (Art. Antiochus Nr. 37—40). Proso-
jwgraphia imperii Roniani I, 82*5. II, 166. Wroth, Catalogue of the greek
Coins of Oalatia, Cappadocta and Syria [in the Brit. Mus.] 1899, p. 104 — 111
u. Introd. p. XLIII sqq. \
§ 4. Die Religrioiisnoth und die Erhebung
(175-165 vor Chr.).
Quellen: I Mahk. 1—4. II Makk. 4—11.
Josephus Antt. ym, 5 — 7. Auszug daraus: Zotiaras Annal. IV, 19—20.
Buch Daniel c. 11, 21 — 45 und dazu der Commentar des Hieronymus
{Opp. ed. Vallarsi V, 711—724).
Einige Data aus Megillath Taanith bei Derenbourg, Histoire de la
Palestine p. 59 — 63.
Literatur: Die oben (S. 166) genannten Werke über die syrische Geschichte
von Foy-Vaillant, Froelich, Clinton, Flathe. Starku.A.
Die Untersuchungen und Commentare über die Makkabäerbücher
von Wernsdorff, Michaelis, Grimm, Keil u. A, (s. Bd. HI,
S. 145).
Ewald, Geschichte des Volkes Israel (3. Aufl.) IV, 372—407.
Herzfeld, Geschichte des Volkes Jisrael II, 219—261.
Hitzig, Geschichte des Volkes Israel IL 367—395.
Grätz, Geschichte der Juden Bd. II, 2, S. 268-3.52.
Reu SS, Gesch. der heil. Schriften Alten Testaments § 451—460.
Hoff mann (Joh. Friedr.), Antiochus IV Epiphanes, König von
Syrien. Leipzig 1873.
Wiederholt, Antiochus IV Epiphanes nach der Weissagung Dan. 11,
12*
180 § -i- Die Religionsnotli und die Erhebung. [138]
21—12, 3 und der Geschichte (Tüb. Theol. Quartalschr. 1874,
S. 5ö7— 031).
Wilcken in Pauly-Wissowa's Real-Enc. der class. Alterthums-
wissensch. I, 1894, col. 2470—2476 (Art. Antiochos IV).
Renan, Histoire du peuple iV Israel IV, 1893, p. 297—368.
Wellhausen, Israelitische und jüdische Geschichte 2. Ausg. 1895,
S. 230—245. 4. Ausg. 1901, S. 241—261.
Willrich, Juden und Griechen vor der makkabäischen Erhebung
(1895) S. 115— ]25. Dazu Wellhausen, Gott. Gel. Anz. 1895,
S. 947—957.
Bertholet, Die Stellung der Israeliten und der Juden zu den
Fremden (1896) S. 208 flf.
Buch 1er, Die Tobiaden und die Oniaden im IL Makkabäerbuche
und in der verwandten jüdisch-hellenistischen Litteratur, 1899.
Vgl. Theol. Litztg. 1900, 364.
Niese, Kritik der beiden Makkabäerbücher nebst Beiträgen zur
Geschichte der makkabäischen Erhebung, 1900 (Separat- Abdruck
aus: Hermes Bd. 35, S. 268-307, 453—527).
Menke's Bibelatlas, Bl. IV Specialkarten über „Judäa und PhÖ-
nicieu zur Zeit des Antiochus Epiphanes" u. A.
Seit den Eroberungen der Assyrer und Chaldäer hatte das
jüdische Volk seine politische Selbständigkeit verloren. Das nörd-
liche Zehnstännne-Reich war schon den Assyrern erlegen, das süd-
liche Reich Juda den Chaldäern. Von den Chaldäern war die
Herrschaft auf die Perser übergegangen; von den Persern nach
zweihundertjähriger Dauer auf Alexander den Grossen ')• In den |
1) Nach Josep/ius Antt. XI, 8, 4—5 soll Alexander auch in Jerusalem
geopfert haben. Die Erzählung ist im Detail jedenfalls unhistorisch. Die
Sache an sich wäre nicht unmöglich. Vgl. überliaupt: Fiat he, Gesch. Mace-
donien» I, 310 AT. Henrichsen, Das Verhältnis« der Juden zu Alexander
dem Grossen (Stud. und Krit. 1871, S. 458—480). Blümmer, Alexander der
Großse in Jerusalem. Festschr. Büdingen 1872. Reuss, Gesch. der heil.
Schriften A. T.'s § 426. Bois, Alexandre le Grand et les Juifs eti Palestine
(Revue de ihiol. et de phi/os. Laumnne, 1890—1891). Willrich, Juden und
Griechen S. 1 — 13. Büchler, La rclation de Josbphe concemant Alcjceindre le
Orarul (Rerue des (tudes juirca t. XXXVI, 1898, p. 1—26). — Auch die später©
jüdiMclie Legende hat sicli viel mit Alexander beschäftigt. S. Vogclstein,
Beiträge zur Al('Xan<lerHage (Moiiatf<Hclir. f. Gesch. und Wissenscli. des Judenth.
Bd. XV, \m\, S. 121—134, 161—178). Donath, Die AlexanderHHge in Tal-
mud und Midrafch mit HückHicht auf JosepliUH Flavius, Pseudo-Callisthenes
und die mohammedanisclie Alexandersage, Fulda 1873 (Rostocker Dissert.).
Hamburger, Keal-Enc. für Bibel und Talmud, Abtli. II, Art. „Alexander
der OronM!". lAri, La fjqciule d* Alexandre dana le Talmud (Renie des efiulcs
juire* I. II, 1881, p. 293—300). L6ri, Les tradnetiona Idlmiiquea de /' Imioire
Ugendairr tP Aleraudre {Rente des iludes jitirea f. III, 1881, p. 238-275). Leri,
hl Uf/endc d' Alexandre dana le Talmud et le Midratich (Ifevuc di'n Hudcs juircu
I. VII, 1883, fi. 78—0.3). LUvi, I^e royat/e r/' Alexandre au Paradia {Revue des
ilude$ Jttireti l. XII, 188*1, />. 117 »7.). injOsV« r'»*»bnn '0, hebräischer Text mit
{139] § 4. Die Religionsnoth und die Erhebung. 181
Stürmen der Diadochenzeit bildete Palästina ein Hauptstreitobject
zwischen Ptoleinäus Lagi und dessen Gegnern und hatte daher
bald diesen bald jenen Herrn. Während des dritten Jahrhunderts
gehörte es mit geringen Unterbrechungen zum Reiche der Ptole-
mäer. Im Anfang des zweiten Jahrhunderts aber gelang es An-
tiochus dem Grossen, Phönicien und Palästina dauernd an sich zu
reissen. An Stelle der Ptolemäer traten nun die Seleuciden als
Oberherren des jüdischen Volkes"-).
Schon im Anfang der persischen Herrschaft war den Juden
gestattet worden, sich als religiöse und politische Gemeinde
neu zu organisiren. Die Form aber, in welcher das jüdische Staats-
wesen nach dem Exil wiederhergestellt wurde, war eine wesentlich
andere als ehedem. Es war von nun an ein Priesterstaat. Wie
es in erster Linie die religiösen Interessen gewesen waren, welche
den Antrieb zur Neubegründung gegeben hatten, so war auch die
Form des neuen Staatswesens mehr die einer religiösen als die
einer politischen Gemeinde. Die Priester hatten hier den mass-
gebenden Eiufluss, mindestens seit der Zeit Esra's. Ja ein Prie-
ster bildete auch das politische Oberhaupt der Gemeinde.
Denn der sogenannte „Hohepriester*' ist keineswegs nur der oberste
Cultusbeamte, sondern zugleich auch das Staatsoberhaupt, soweit
eben die Staatshoheit nicht durch den Grosskönig und dessen Be-
amte ausgeübt wurde. Die Würde des Hohenpriesters war
lebenslänglich und erblich^). Ihm stand — vermuthlich schon
Einleitung von Levi, in: l'^hs ^Sp, Sammelband kleiner Beiträge aus Hand-
schriften, Jahrg. II, Berlin 188G, Verein Mekixe Nirdamim (s. Revue des etudes
jtnves t. XIV, 1887, p. 299 sq. Brüll, Jahrbb. für jüd. Gesch. und Litteratur IX,
1889, S. 144). Levi, Revue des etiides juives t. XXVIII, 1894, p. 147 «g. Levi,
Un nouveau Roman d' Alexandre (Festschr. zum 80. Geburtstage M. Stein-
schneiders 1896, S. 235-237, und hebr. Text S. 142—163). Vogelstein und
Rieger, Gesch. der Juden in Rom Bd. I, 1896, S. 189 f. 483 ft". — Diese jüdi-
schen Legenden sind z. Th. Abzweigungen des fast bei allen Culturvölkern
verbreiteten Alexander -Romanes, über welchen zu vgl. Zacher, Pseudo-
Kallisthenes, 1867. Krumbacher, Gesch. der byzantinischen Literatur, 2. Aufl.
1897, S. 849—852 und die dort genannte Literatur.
2) S. das Nähere in den oben (S. 166) genannten Werken über die syrische
Geschichte. Dass seit der Schlacht bei Panias (198 v. Chr.) Phönicien und
Palästina dauernd im Besitz der Seleuciden geblieben ist, hat namentlich Stark
(Gaza S. 403 ft". 423 fl".) gezeigt. Vgl. auch Wilcken in Pauly-VVissowa's Real-
Enc. I, 2466. 2471 f. Ders. in: Droysen, Kleine Schriften II, 433. Niese,
Gesch. der griech. und makedonischen Staaten II, 674.
3) S. das Verzeichniss der Hohenpriester von Josua, dem Zeitgenossen
Serubabel's, bis Jaddua bei Nehem. 12, 10 — 11. Jaddua war ein Zeitgenosse
Alexander's des Grossen {Joseph. Antt. XI, 7, 2. 8, 7). Die Nachfolger Jaddua's
waren nach Josephus:
182 •!• Die Keligiousnoth und die Erhebung. [139. 140]
in der ] persischen Zeit, jedenfalls seit Beginn der griechischen
Herrschaft — ein Aeltesten-Eath, die ysQovola, zur Seite, als deren
Haupt und YoUzugs-Organ eben der Hohepriester zu betrachten
ist Wie weit die Verwaltung und Rechtsprechung in der Hand
dieser einheimischen Behörde lag, und wie weit sie durch die per-
sischen resp. griechischen Oberherren ausgeübt wurde, das entzieht
Onias I, Sohn Jaddua's {A7itL XI, 8, 7, nach I Maid: 12, 7. 8. 20 ein Zeit-
genosse des Königs Areus von Sparta 309—265 v. Chr.).
Simon I der Gerechte, Sohn des vorigen {Antt. XII, 2, 4; vgl. Bd. II,
S. 352, 355).
Eleasar, Bruder des vorigen {Antt. XII, 2, 4, nach dem Aristeasbuch ein
Zeitgenosse des Ptolemäus II Philadelphus 283 — 246 v. Chr.).
Manrasse, Oheim des vorigen {Antt. XII, 4, 1).
Onias 11, Sohn Simon's des Gerechten {Antt. XII, 4, 1—2, zur Zeit des
Ptolemäus III Euergetes 246— 221 ; doch fehlt in einigen guten Hand-
schriften Antt. XII, 4, 1 die nähere Bezeichnung des Ptolemäus; vgl.
überh. die folg. Anm.),
Simon II, Sohn des vorigen {Antt. XII, 4, 10, vgl. Sirach 50, 1 ff. III
Makk. 2, 1).
Onias III, Sohn des vorigen {Antt. XII, 4, 10, zur Zeit des Seleucus IV
und Antiochus Epiphanes 175 v. Chr., daher in der Vorgeschichte der
makkabäischen Erhebung erwähnt II Makk. c. 3—4, Jos. Antt. XII, 5, 1).
Der von Pseudo-Hekatäus (bei Jos. contra Apio?i. I, 22 ed. Niese § 187)
als Zeitgenosse des Ptolemäus Lagi erwähnte Hohepriester Ezekias wird von
Josephus in seiner Geschichtsdarstellung nicht berücksichtigt. Zur Kritik der
ganzen Liste vgl. Willrich, Juden und Griechen S. 107 ff., der zwar über
das Ziel hinaus schiesst, aber darin Recht haben wird, dass dieselbe nicht
als sichere und lückenlose Ueberlieferung gelten kann. Seltsam ist nament-
lich das genealogische Verhältniss von Eleasar, Manasse und Onias II zu ein-
ander. Auch die Verflechtung in den Aristeus-Roman und in die legendarische
Geschichte vom Steuerpächter Joseph macht die Liste unsicher. — Die christ-
lichen Chronisten {Eusebitis, Denmnstr. ecang. ed. Oaisford VI 11, 2, 62 — 72,
£u8ebiu8, Chron. cd. Schoene II, 114—124, Chronicon paschale cd. Din-
dorf I, 302—339, 356 sq., 390 sq., Syncellus cd. Dindorf I, 484, 512, 525,
X(fovoYQa(pBlov aivtofiov bei Fktscb. Chron. ed. Schoene t. I, append. col. 95,
und Andere) lial)en diesen jüdinchen Hohenpriestern besondere Aufmerksam-
keit gewidmet und dabei, wie es die chroniHtiHiIio Anordnung erforderte, die
Zfit eint!« Jeden genau ü.xirt. Man sieht über aus ihren Angaben, dass ilinen
krine andere Quelle zu Gebote gestanden hat als Josephus. Ihre Ansätze
HJnd daher rein willkürlich; und jeder Versuch, mit Hülfe derselben die
Chronologie genauer festzustellen, von vornherein verfehlt (ganz besonders der
von H«Tzfeld, Gesch. II, 308 tl"., der sogar das pseudoplülonischo breviurium
tnnjtornm benützt, über weleiies zu vgl. Fabricius, liHtlioth, graec. cd. Hartes IV,
743, und die Artikel über Anniiis von Vitt^rbo von Fahririits, liihlioth. (jrncc.
1. AuMg, XIV, 211—219, und Wiidder in Ernch und CJriiher's Allg. Encykl.
ftectioD I Bd. 4, 8. 183— 1H5). — Eine eingehende Untersucliiiug über die
HohenprieMt«r listen der byzantiniselieu Chronisten giebt: Gel/.er, Julius Afri-
canu» Bd. II, 1886, S. 170—176.
[140. 141] § 4. Die Religionsnoth und die Erhebung. 183
sich unserer näheren Kenntniss. Unter den griechischen Ober-
herren wird die politische Selbständigkeit der jüdischen Commune
nicht geringer, sondern eher grösser gewesen sein als früher (vgl.
überhaupt § 23, IIIj. Die Hauptsache war ohne Zweifel die Zah-
lung von Steuern. Dieselben sollen bis Onias II vom Hohenpriester
persönlich (ßx rmv iöicov) in einer Pausch-Summe von zwanzig
Talenten entrichtet worden, später an einen Unternehmer verpachtet
gewesen sein^).
Der Umfang dieses — relativ doch ziemlich selbständigen —
jüdischen Staatswesens beschränkte sich wahrscheinlich auf das
eigentliche Judäa, d. h. die südlich von Samarien gelegene
Provinz, welche annähernd dem Umfang des früheren Reiches Juda
entsprach. Ausgeschlossen waren davon die sämmtlichen Küsten-
städte, welche vorwiegend heidnische Einwohner hatten und ihrer-
seits selbständige Communen bildeten (?. § 23, I). Wie weit diese
heidnischen Gebiete in das Binnenland hereinreichten, sieht man
namentlich daraus, dass auch Ekron und Gazara nicht zu Judäa
gehörten. Ekron ist erst zur Zeit Jonathan's (I Makk. 10, 88—89),
Gazara erst zur Zeit Simons (I Makk. 13, 43 — 48) mit dem jüdischen
Gebiete vereinigt und judaisirt worden (über die Lage beider s
unten § 6 und 7). Auch das ganze Ostjordanland gehörte nicht
zum jüdischen Gebiete. Wir finden dort theils ebenfalls helle-
nistische Communen (s. § 23, I), theils unabhängige Völkerschaften
unter einheimischen Führern ^). Im Westjordanland bildeten gegen
4) Joseph. Antt. XII, 4, 1 ft". — Der Unternehmer, der sie damals pachtete^
heisst Joseph, Sohn des Tobias. Der Beginn seiner Pacht wird nach dem
herkömmlichen Text von Antt. XII, 4, 1 in die Zeit des Ptolemäus III Euer-
getes verlegt; aber der Beiname des Königs fehlt in einigen guten Hand-
schriften und ist wahrscheinlich interpolirt, denn: 1) Josephus erwähnt schon
vorher die Hochzeit des Ptolemäus V Epiphanes mit Kleopatra, der
Tochter des Antiochus d. Gr. von Syrien. 2) Die Gemahlin des K<)nigs heisst
in der ganzen Erzählung von der Steuerpacht des Joseph stets Kleopatra
[Antt. XII § 167. 185. 204. 217 ed. Niese). Eine solche hat es aber in Aegypten
erst seit jener Heirath des Ptolemäus V 193/192 gegeben (Strack, Die Dy-
nastie der Ptolemäer S. 183, 196). Darnach würde freilich die ganze Steuer-
pacht des Joseph, welche 22 Jahre dauerte {Antt. XII, 4 § 186 u. 224), in die
Zeit fallen, als Palästina bereits zu Syrien gehörte und Kleopatra nur gewisse
Gefiille von dort als Mitgift bezog (s. oben Anm. 2), während die Erzählung
voraussetzt, dass Palästina zu Aegypten gehörte. Der historische Hintergrund
der Erzählung ist also unmöglich, und auch die Details derselben sind offen-
bar legendarisch. Sofern ihr historische Thatsachen zu Grunde liegen, sind
sie in die Zeit vor 198 v. Chr. (Eroberung Palästina'« durch Antiochus d. Gr.)
zu setzen. Vgl. auch die unten Bd. II, S. 75 genannte Literatur.
5) Als ein solcher ist wohl jener Timotheus, rjyoinsvoq der Ammoniter.
zu betrachten, gegen welchen Judas der Makkabäer kämpfte (I i/oAJfc. 5, 6. 11.
184 § 4- I^i^ Eeligionsnoth und die Erhebung, [141]
Ende des dritten und im Anfang des zweiten Jahrliuuderts „Judäa"
und „Samarien-' je einen besonderen Verwaltungsbezirk neben
„Cölesyrien'" und „Phönicien'"^). Galiläa wird nicht als solcher
erwähnt; es gehört-e also zu einem der vier eben genannten; aber
schwerlich zu Judäa, von dem es örtlich geschieden war. Nun be-
hauptet freilich Pseudo-Hekatäus, dass Alexander der Grosse den
Juden Samarien als steuerfreies Gebiet verliehen habe'). Allein
selbst wenn diese Angabe zuverlässiger wäre als sie ist, so gilt
sie jedenfalls nicht mehr für die Zeit der Seleucidenherrschaft, da
noch unter dem makkabäischen Hohenpriester Jonathan es als be-
sondere Gunstbezeugung des Königs Demetrius II erwähnt wird,
dass er drei vo,uoi von Samarien abgetrennt und mit Judäa
vereinigt, und dieses ganze Gebiet den Juden steuerfrei überlassen
habe^). Herkömmlicherweise hat also das Gebiet des jüdischen
Hohenpriesters nur Judäa umfasst. Und zwar Judäa im engeren
Sinne (ohne Galiläa); denn so ist es augenscheinlich an den an-
geführten Stellen des ersten Makkabäerbuches gemeint^). |
34. 37. 40). Denn dass er ein über die Ammoniter gesetzter Strateg dea
Königs von Syrien war, ist bei der Unabhängigkeit der dortigen Stämme,
welche uns die Erzählung I Makk. 9, 35-42 sehr deutlich illustrirt, nicht
wahrscheinlich. — Auch Aretas, der zvQavvog der Nabatäer (II Makk. 5, 8),
gehört hierher.
6) Dies sieht man aus den beiden ganz gleichartigen Angaben Jos. Anit.
XII, 4, 1 u. XII, 4, 4.
7) Pseudo-Hecataeus bei Joseph, contra Apion. II, 4 (Niese § 43): t^v
SafittQfLTiv y^oQav ngoai&Tjxev tyjtv aitolg ttifOQO?.6yi]rov.
8) I Makk. 11, 34: kardxafifv ovv avroiq tcc ts oQta tfjg^Iovöafaq xal rovg
rpelg vo/iovg lAtpalgefia xal Avööa xal ^Pafta&t/jt' nQOOSTb&tjoav tj7 ^Jovöain
uno xFig Safiapektöog. Vgl. 11, 28. Versprochen, aber nicht ausgeführt, war
diese Schenkung schon früher (I Makk. 10, 30. 38), bestätigt wurde sie durch
Antiochus VI (I Makk. 11,57).
9) „Judäa" nel)en „Samarien" kann nur Judäa im engeren Sinne, also
die sQdlichc Provinz sein. Dies entupriclit auch dem sonstigen Sprachgebrauch
de« ersten .Makkabäerbuches, in welchem, so viel ich sehe, stets unter yfi^Ioida
oder 'JovSala das eigentliche Judäa zu verstehen ist (s. z. li. I M. 12, 46— .'')2].
Der bei Josephus, im Neuen Testamente und in der Mischna herrschende
Sprachgebrauch, welcher „Judaa", „Samarien" und „Galiläa" als drei be-
Honchfrc Landschaften unterscheidet (s. § 22. I), ist also schon in der Makka-
bäerzeit fest ausgebildet. Erkennt man aber an, dass an den angefüiirten
Steilen (I Makk. 10, 30. 38. 11, 28. 34) Judäa im engeren Sinne gemeint ist,
•O ergiebt sich die Consequenz, dass nicht nur vor IJeginn der makkabäischen
Erhebung, nonclcrn auch noch unter den mukk!il)äiscli(>n Iloiienpriestern Jo-
nathan xnul Simon die Landschalt (Jalilüa niciit zum (Sebiet des jü-
«ÜHchen Hohenpriesters gehört hat. Denn es ist immer nur von Judäa
und den drei dazu geüchlagcnen vofiol von Samarien die ]led(!. Nur I Makk.
10, 30 heisst es, dass mit Judfia drei vofiol von „Saniari<>n und Galiläa"
vereinigt werden sollen. Aber einerseits ist dies diimals gur iiidit zur Aus-
[142. 143] § 4. Die Religionsnoth und die Erhebung. 185
Mit dem Umfang Jiidäa's im politischen Sinn fiel nicht zu-
sammen die Ausdehnung der jüdischen Bevölkerung. Eben
der Umstand, dass man in der Makkabäerzeit Werth legte auf die
Vereinigung der drei genannten südlichen Districte Samarien's
(I Makh. 11, 34: Ephraim, Lydda und Ramathaira) mit .Tudäa,
lässt uns vermuthen, dass die Bevölkerung in diesen Districten
eine vorwiegend jüdische war, mit anderen Worten, dass sie nicht
mit den schismatischen Samaritanern auf dem Garizim opferten, son-
dern in Jerusalem, und in religiöser Gemeinschaft mit den dortigen
Juden standen'''). Aber auch in der Landschaft Galiläa und
ebenso in Gilead, also im Ostjordanland, muss im Anfang des
zweiten Jahrhunderts eine beträchtliclie Anzahl Juden gewohnt
haben, welche in religiöser Gemeinschaft mit Jerusalem standen;
denn es war eine der ersten Thaten der makkabäischen Brüder
nach Wiederherstellung des Cultus, dass sie ihren Glaubensgenossen
in Galiläa und Gilead, welche von den Heiden bedrängt wurden.
Hülfe brachten: Simon zog nach Galiläa, Judas nach Gilead (I Makk.
5, 9—54). Die Art, wie sie Hülfe brachten, zeigt uns jedoch an-
dererseits, dass damals noch nicht die compacte Masse der
Bevölkerung jener Landschaften jüdisch war. Denn weder
Simon noch Judas brachten die Landschaften als solche unter jü-
dischen Schutz. Sondern nachdem Simon die Heiden in Galiläa
geschlagen hat, führt er die sämmtlichen Juden aus Galiläa
und Arbatta (wohl = n^an?, die Niederungen am Jordan) sammt
Weibern und Kindern und aller Habe mit sich nach Judäa, um
sie dort sicher zu bergen (I Makk. \ 5, 23) ' •). Und ebenso verfährt
führung gekommen; und sodann können nach der genauen Parallele der an-
deren Stellen auch hier nur die drei vofioi im Süden Samaria's gemeint sein.
Es ist also entweder ra?.i}.aiag Interpolation, oder „Samarien und Galiläa"
bezeichnen als Landschaftsuamen zusammen die Provinz Samarien. Es ist
demnach erst durch die Eroberungen des Johannes Hyrkanus und
seiner Nachfolger, wie Samarien und SkythopoliS; so auch Galiläa politisch
mit dem jüdischen Gebiete vereinigt worden.
10) Beachte, wie gerade in der Stelle I Makk. 11, 34 das „opfern in Jeru-
salem" als Charakteristicum derer hervorgehoben wird, welchen die Steuer-
freiheit verliehen wird.
11) Ueber den Sinn von I Mokk. 5, 23 bemerkt Keil in seinem Commen-
tar: ,,In rovc iv Fa).. x. iv ^Agß liegt nicht, dass er alle bundestreuen Juden
jener Landschaften nach Judäa übergeführt habe, da ndvxaq nicht dabei steht.
Joseph. {Antt. XII, 8, 2) hat daher die Worte nur auf die von den Heiden ge-
fangen gehaltenen Juden bezogen, wofür aber der Wortlaut keinen Anhalt bietet.
Wahrscheinlich sind nur die gemeint, welche aus Furcht vor neuen Angriffen
der Heiden nach Judäa übersiedeln wollten und diesen Wunsch dem Simon
zu erkennen gegeben hatten". Das mag insofern richtig sein, als Niemand
zur Uebersiedelung gezwungen wurde. Jedenfalls aber sind alle ge-
meint, denen es mit ihrem Judenthum Ernst war. Dies beweist die
185 § 4. Die Eeligionsnoth und die Erhebung. [143. 144]
Judas mit den in Gilead wohnenden Juden, nachdem er dort die
Heiden besiegt hat (I Makk. 5, 45—54). Man sieht also deutlich,
dass die Juden in Galiläa und Gilead noch eine Diaspora unter
den Heiden bildeten; und die ersten Makkabäer sind keineswegs
darauf ausgegangen, jene Landschaften zu judaisiren, sondern sie
haben umgekehrt die jüdische Bevölkerung aus denselben heraus-
gezogen. Erst seit Johannes Hyrkanus oder einem seiner Nach-
folger (wahrscheinlich seit Aristobul I) ist dies anders geworden.
Die innere Entwickelung des Judenthums von der Zeit
Esra's bis zur Makkabäerzeit, ja bis zur Begründung des Talmud,
lässt sich nur in sehr allgemeinen Umrissen skizziren. Genauer
bekannt ist uns nur der Ausgangspunkt: das durch Esra eingeführte
priesterliche Gesetz (5. Jahrh. vor Chr.); und dann wieder der End-
punkt: die Codificirung des jüdischen Rechtes in der Mischna
(2. Jahrh. nach Chr.). Zwischen beiden Grenzen liegt ein Zeit-
raum von sechs Jahrhunderten. In welchem Stadium der Ent-
wickelung stand das Judenthum beim Ausbruch der makkabäischen
Erhebung? Wir können nur sagen: es befand sich bereits auf
dem Weg zu den Resultaten, die uns in der Mischna fertig vor-
liegen; und die Makkabäerzeit war eben die Zeit der grössten
Krisis, welche es je wälirend dieses ganzen Zeitraums zu bestehen
gehabt hat. Es wurde der Versuch gemacht, die Grundlagen der
bisherigen Entwickelung zu vernichten, das jüdische Volk zu den
heidnischen Culten überzufüliren. Das Resultat war die erneute
Befestigung der durch Esra | begründeten Richtung, die emsige
Fortarbeit am theoretischen Ausbau des Gesetzes und an der prak-
tischen Durchführung des.selben. — Das Gesetz, welches Esra
eingeführt hatte, war im Wesentlichen Cultusgesetz. Die Reli-
gion Israels ist hier in feste gesetzliche Formen gebracht, um sie
sicher zu stellen gegen Beeinflussung durch das Heidcnthum. In der
Form eines von Gott selbst gegebenen (Gesetzes wurde dem Juden
gesagt, was er als treuer Diener Jahve's zu thun habe: welche
Festtage er zu feiern, welche Opfer er darzubringen, welche Ab-
auHfÜhrlichere parullcle Erzählung über dtiH VerfahreQ de» Judas in Oilend
(I M. 5, 45—54; da« Fehlen von nävtai in I .1/. 5, 23 iiiacht natürlich keinen
Unterschied). Vgl. J. D. MichaeÜH, Deutseho UeborHctzung dew «THten JJnclis
der Maccabäer S. 108: „So wie ich den Vors verstehe, ist die Meinung: Simon
nahm alle in Galiläa wohnende Juden mit Hieb nneli Judiia, weil h'w mich
Hfinem Abzüge neuer Gefahr und Ueberfall der Heiden uuHguHet/t gewcHiMi
»cyo würden. Eben so verstand ihn auch der Syrer". Griunn, Exegot. Ilandb.
8. 83: ,>Der Vera macht keinen anderen Eindruck, als duHH .luduH Hümtliehe
geseUestreuen Juden aui Galiläa und der Jordatumc! mit Hieli muh .Jndäii
genommen habe, um sie nach seinem Wegzuge nicht neuen Gelahruu uuhzu-
■etoen".
[144. 145] § 4. Die Religionsnotli und die Erhebung, igy
gaben er au die den Cultus vollziehende Priesterschaft zu leisten,
welche religiösen Ceremonien er überhaupt zu beobachten habe.
Die Pünktlichkeit in der Beobachtung aller dieser Vorschriften
war von nun an ein Gradmesser der Frömmigkeit. Und um solche
Pünktlichkeit zu ermöglichen, wurde für authentische Interpretation
gesorgt. Männer von Fach, die „Schriftgelehrten" widmeten sich
berufsmässig dem Studium und der immer subtileren Auslegung
des Gesetzes. Die Fronnnen aber sahen ihr höchstes Verdienst
darin, das so ausgelegte Gesetz mit Eifer und Gewissenhaftigkeit
zu erfüllen. Dass man auf diesem Wege im zweiten Jahrhundert
vor Chr. schon ziemlich weit gekommen war, zeigt uns eben die
Geschichte der makkabäischen Erhebung. Es gab Kreise, welche
das Sabbathgebot so streng nahmen, dass sie sich lieber wehrlos
niedermachen Hessen, als dass sie durch Ergreifen des Schwertes
das Sabbathgebot verletzt hätten (I Makk. 2, 32—38). Zu dem Ideal
der Frömmigkeit, welches der Verfasser des Buches Daniel eben
damals seinen Glaubensgenossen vor Augen führte, gehört in erster
Linie auch dies, dass man sich nicht durch den Genuss heidnischer
Speise verunreinige {Daniel c. 1).
Neben dieser gesetzlichen Eichtung gingen aber in Palästina
seit der Zeit Alexanders des Grossen Einflüsse und Bestrebungen
ganz anderer Art einher, welche sich je länger desto deutlicher als
der gefährlichste Feind jener erwiesen: die Tendenzen des
Hellenismus. Es war der grossartige Plan Alexanders gewesen^
ein Weltreich zu stiften, das nicht nur durch die Einheit der Herr-
schaft, sondern auch durch die Einheit der Sprache, Sitte, Bildung
zusammengehalten würde. Alle \'ölker des Orients sollten mit
hellenischer Cultur gesättigt und durch diese geistige Macht zu
einem grossen Ganzen verbunden werden. Daher trug er Sorge
dafür, dass seinen Heeren überall griechische Colonisten auf dem
Fusse folgten. Neue nur von Hellenen bewohnte Städte wurden
gegründet, und auch die alten wurden mit griechischen Colonisten
versorgt. So wurde über halb Asien ein Netz griechischer Cultur
ausgespannt, welches dazu bestimmt war, alles dazwischen liegende
Gebiet in seine Gewalt zu bekommen. Alexanders Nachfolger
setzten sein | Werk fort; und es ist ein glänzendes Zeugniss für
die Macht der griechischen Cultur, dass sie die Mission, welche
Alexander ihr zugewiesen hat, in hohem Maasse erfüllt hat. Ganz
Vorderasien ist in der That, wenn auch nicht in den breiten Massen
der Bevölkerung, so doch in den höheren Schichten der Gesell-
schaft hellenisirt worden. Auch in Palästina war dieser Process
um den Anfang des zweiten Jahrhunderts in vollem Gange. Es
lässt sich zwar nicht nachweisen, dass alle diejenigen Städte, die
18§ § 4. Die Eeligionsnoth und die Erhebung. [145. 146J
wir Inder römischen Zeit als hellenistisclie Städte kenneu lernen
(s. § 22, II und 23, I), schon im Beginn der Makkabäerzeit helle-
nisirt waren. Von der Mehrzahl derselben darf dies aber als sicher
angenommen werden. Manche sind bereits von Alexander dem
Grossen, andere von seinen Nachfolgern hellenisirt worden; überall
war das Griechenthum im Vordringen begriffen '2). Gaza stand,
wie seine Münzen beweisen, schon in vorhellenistischer Zeit in
lebhaftem Handelsverkehr mit Griechenland; seit der Eroberung
durch Alexander war es ein macedonischer Waftenplatz; Josephus
bezeichnet es als jt6Xig^EXXt]vig^^). Anthedon verräth sich schon
durch den Namen als griechische Gründung. In Askalon sind
Münzen Alexanders des Grossen geprägt worden ^^). Jope ist der
alte Sitz des Mythus von Perseus und Andromeda und war in der
Diadochenzeit ein macedonischer Waffenplatz. Apollo nia ist,
obwohl es auch einen gleichbedeutenden semitischen Namen hat
(Arsuph, s. Bd. II S. 103 f.), doch vermuthlich erst in griechischer
Zeit gegründet, denn Apollo war der Stammgott der Seleuciden
(s. Bd. II, S. 28). Stratons-Thurm hat zwar griechischen Namen,
ist aber wohl eher eine Gründung der Sidonier. Dagegen war
Dora möglicherweise schon im fünften Jahrhundert vor Chr. vor-
übergehend den Athenern tributpflichtig. In Ake, dem späteren
Ptolemais, befand sich schon zur Zeit des Isäus und Demosthenes
eine griechische Handelsniederlassung; die dort geprägten Alexander-
Münzen sind sehr zahlreich; in der Diadochenzeit war es ein wich-
tiger Waffenplatz; seine eigentliche Hellenisirung und Neugründung
als Ptolemais ist ein Werk des Ptolemäus II Philadelphus. —
Zu diesen Küstenstädten kommen auch noch eine Anzahl von
Städten im Binnenlande. Bestimmt wissen wir von Samaria, dass
es bereits durch Alexander den ('irossen colonisirt | wurde. Sky-
thopolis kommt schon im dritten .lahrhundert unter diesem grie-
chischen Namen vor; ebenso früh das Paneion (die Grotte am
Ursprung des .lordan als Heiligthum des Pan). Mit Skythopolis
zu.sainmen erwähnt Polybius (V, 70) für die Zeit Antiochus' des
(irossen (218 vor Clir.) eine unter diesem Namen sonst nicht be-
kannte bedeutende Stadt Philoteria am See (Jenezareth, die ihren
Namen walirsclieinlicli w'w, die gh-iclinjimigc Sfadf in (^berägypten
von einer Schwester des Ptolemäus 11 Pliihidelphus hatte'-'). —
12) ft. die Nachweine in § 22, II und 23, I. Ueber die Gründungeu
Alexünden* den OrosRcn und Heiner Nachfolger auch; Droysen, Geschichte
det Hellenlnnnn 2. Aufl. Thl. III, 2 8. 202ff. Bn'JfV. I^tnrk, Gnza und dio
pbiliiitiiiiichc KüHte 8. 447— 459.
13) Jon. Jkll. Jud. II, 0, 3. Für du« Uebrige h. IJd. II S. 84 f.
14) Die NachwciHO für diene und viele der fidgenden Angaben s. in § 23, I.
15^ lieber da« obcrfigyptiNehe Philotera («o wird dieHCH geschrieben) n.
[146. 147] § 4. Die ßeligionsnoth und die Erhebung. Jgg
Von den Städten des Ostjordanlandes werden Hippus und Gadara
bestimmt als jioXaiq 'EXJLrji'iötg bezeichnet'^). Pella und Dium
sind nach macedonischen Städten benannt und vielleicht schon von
Alexander dem (grossen, spätestens in der Diadochenzeit gegründet.
Die Zurückführung Gerasa's auf die ytQovnq (Veteranen) Alexan-
ders des Grossen ist freilich nur eine et3'niologische Spielerei. Sicher
aber ist die alte Hauptstadt der Ammoniter unter dem Namen
Philadelphia von Ptolemäus 11 Philadelphus hellenisirt worden.
Im Allgemeinen spricht endlich das zweite Makkabäerbuch von
jcoXtiq 'EXXririösg in der Unigebung Judäa's (II 3Iakk. 6, 8).
Mitten in diesem Kranz hellenistischer Städte konnte sich
natürlich auch das kleine Judäa dem Einfluss gi'iechischen Wesens
nicht entziehen. Mehr und mehr drang auch hier der Hellenismus
ein. Schon die Bedürfnisse des täglichen Lebens nöthigten dazu,
sich die griechische Weltsprache anzueignen; wie wäre sonst Handel
und Verkehr mit dem Auslande möglich gewesen? Mit der Sprache
kamen aber auch die Sitten und Gewohnheiten, ja die ganze Cultur
der Griechen. Im Anfang des zweiten Jahrhunderts müssen die
Fortschritte des Hellenismus in Palästina schon ziemlich erhebliche
gewesen sein. Denn nur so lässt es sich erklären, dass ein Theii
des Volkes, namentlich die Höherstehenden und Gebildeten, bereit-
willig auf die Hellenisirungspläne des Antiochus Epiphanes ein-
gingen, ja ihm selbst damit entgegenkamen *'). — Hätte man diesem
Process seinen ruhigen Fortgang gelassen, so hätte vermuthlich
auch das Judenthum in Palästina mit der Zeit eine Gestalt ange-
nommen, in welcher es kaum noch zu erkennen gewesen wäre, noch
Straho p. 769. Unser Philoteria in Palästina hat diesen Namen wohl nur vor-
übergehend geführt und wird mit irgend einer sonst unter anderem Xameu
bekannten Stadt identisch sein. Eine Spur seiner Existenz finden wir noch
unter Alexander Jannäus (s. § 10 am Schluss).
16) Jos. Bell. Jiul. II, 6, 3.
17) Vgl. über die Verbreitung griechischer Bildung in Palästina zur Mak-
kabäerzeit, und zwar auch bei gut jüdisch-gesinnten Männern: Freudenthal,
Alexander Polyhistor (1875) S. 127 — 129. Freudenthal macht namentlich auf
folgendes aufmerksam: 1) Das Aristeasbuch setzt als selbstverständlich voraus,
dass die palästinensischen Gelehrten, welche zur Uebersetzung des Pentateuches
nach Alexaudria berufen werden, des Griechischen mächtig sind. 2) Der Enkel
des Jesus Sirach, welcher dessen Sprüche in's Griechische übersetzt hat, ist von
Geburt Palästinenser. 3) Auch der griechische Uebersetzer des Buches Esth( r
ist Palästinenser (laut der Unterschrift des Buches bei den LXX). — Nament-
lich aber scheint sogar der jüdische Hellenist Eupolemus, von dessen Werk
uns noch Bruchstücke erhalten sind is. Thl. 111,351—354), mit jenem Palästi-
nenser Eupolemus identisch zu sein, welchen Judas der Makkabäer als
Führer einer jüdischen Gesandtschaft nach Rom schickte (I Makk. 8, 17.
II Makk. 4, 11).
190 § -i- ^^^ Religionsnoth und die Erhebung. [147. 148]
viel synki-etistischer als dasjenige eines Philo. Denn es gehört zum
Wesen des Hellenismus, auch der religiösen Culte sich zu bemäch-
tigen und diese wenigstens in griechisches Gewand zu kleiden. So
sehen wir es in Syrien wie in Aegypteu. Auch in Judäa wäre es
vermuthlich nicht anders gegangen, wenn die Dinge ihren ungestör-
ten Verlauf genommen hätten. Zwar hat sich, je vollkommener das
gesetzliche Judenthura einerseits und der Hellenisnnis andererseits
sein inneres Wesen zur Entfaltung brachte, desto schärfer der
Gegensatz zwischen beiden gespannt. Es bildeten sich innerhalb
des jüdischen Volkes selbst zwei entgegengesetzte Par-
teien: die Partei der Griechenfreunde und die Partei der
„Frommen" (c'^i'^Dn, \4oi6alot I 3Iakk. 2, 42. 7, 13), welche an
dem strengen Ideal der Schriftgelehrten festhielten. Aber die ganze
Vorgeschichte der makkabäischen Erhebung macht es wahrschein-
lich, dass die ersteren bereits die Oberhand hatten. Es war alles
auf dem besten Wege, dem Hellenismus Thür und Thor zu öffnen.
Den ., Frommen" schien nichts anderes übrig zu bleiben als zur
Sekte zu werden. Da erfolgte der Umschwung gerade dadurch,
dass ein unverständiger Despot, Antiochus Epiphanes, das
Werk des Hellenismus radical und mit roher Gewalt zur Vollendung
bringen wollte. Der jüdische Cultus sollte gänzlich abgeschafft,
rein griechische Culte eingeführt, alle jüdischen Ceremonien mit
einemmale verboten werden. Eben dieser radicale Versuch hat
das genuine Judenthum gerettet. Nun erhob sich niclit nur die
strenge Partei der Chasidim, sondern die breite Masse des Volkes
zum Kampf für den alten (Tlauben. Und die weitere Entwickelung
der Dinge hat dann zur völligen Verdrängung des Hellenismus vom
jüdischen Boden wenigstens in religiöser Beziehung geführt. So
weit unsere Kenntniss reicht, ist dies das einzige Beispiel, dass ein
orientalischer ( "ult die Beeinflussung durch den Hellenismus völlig
von sich fern gehalten liat.
Antiochus IV Epiphanes, der Sohn Antiochus des Grossen,
war seinem Bruder Seleucus IV, nachdem dieser durch seinen |
Minister Heliodor ermordet worden war, in der Regierung von Syrien
gefolgt (175—164 v. Chr.) '^). Er war eine echte Despoten-Natur,
18) Ucber die nülioren UinHtätidc, unter welclicn AiitiocIiUH IV zur Kegio-
rang knru, h. Apjiian. Sijr, 40. JohmincH Antinrh, hei Müller, Fragtii. Iiisl, yr^
IV, Ö5S (fr. 58 1. I)tt7.u (lUtschniid, Der zcihnte Orlcclienkönig im Jauche
Daniel (Ubcin. Muhcuui N. F. Bd. XV, l«Oü, S. 31(5—318 - Kleine ISelirilten
n, 175—179). — Nncli App^ian. St/r. 4.') war die Vertreibung!; llelindorH und
die EinaetzuDg do> AntiochuH IV durch den König KunuuicH von IVrgmnuiu
bewirkt worden. Ein lOlircudocrct, wcIcIich uuh dicMcni AiiIiihh die Antiocliener
dem Eumencn nuHMtdlteti, int durch die dcutDchen AuHgruliungen in l'ergniuuin
148. 149] § 4. Die Religionsuoth und die Erhebung. 191
«xcentrisch und unberechenbar, bald verschwenderisch freigebig und
in affectirter Weise mit dem gemeinen Mann fraternisirend, dann
wieder grausam und tyrannisch, wie sein Verfahren gegen Judäa
uns zeigt. Die Charakteristik, welche Polybius von ihm ent-
wirft, schildert ihn namentlich nach der ersteren Seite hin. Es
heisst hier !'■*):
„Gleich als ob er zuweilen aus dem Palaste den Dienern ent-
wischte, erschien er bald da bald dort in der Stadt in Gesellschaft
von Einem oder Zweien einherschlendernd. Besonders oft fand man
ihn in den Werkstätten der Silber- und Goldschmiede, wo er den
Formgiessern und den anderen Arbeitern vorschwatzte und seine
Kunstliebe ihnen zu erkennen gab. Dann liess er sich wieder zu
vertraulichem Verkehr mit den nächsten besten Leuten aus dem
Volke herab und zechte mit den gemeinsten Fremden, die eben an-
wesend waren. Wenn er aber erfuhr, dass junge Leute irgendwo
ein Gelage hielten, so kam er, ohne sich angemeldet zu haben, mit
Horu und Dudelsack schwärmend dahergezogen, so dass die Meisten,
durch den seltsamen Anblick erschreckt, sich auf und davon mach-
ten. Oft auch legte er sein königliches Gewand ab und eine Toga
an und ging als Bewerber um ein Amt auf das Forum. Er nahm
dann die Einen bei der Hand, die Anderen umarmte er und bat sie,
ihm doch ihre Stimme zu geben, bald für das Amt eines AediVs,
bald für das eines Volkstribun's. Wenn er dann das Amt erlangt
hatte, und nach römischer Sitte auf dem elfenbeinernen Stuhle sass,
so nahm er Kenntniss von den Verträgen, welche auf dem Forum
abgeschlossen wurden, und sprach Recht mit viel Eifer und Gewissen-
haftigkeit. Die verständigen Leute wussten daher nicht, was sie
1885 zu Tage gefordert worden. S. Fränkel, Die Inschriften von Pergamon
(1890) S. 86 f.
19) Polyb. XXVI, 10: 'ßg ttnoöiögdaxvjv ix x^q «vArJs ivioTS zovq &SQa-
novrag ov xvxoi tfjq noXswq dkvcov iipalvsxo SevxsQoq xal xgixoq. MuXiaxa
6h TCQoq xoZq UQyvQOxonsiotq evQiaxexo xal x(>^t?o;rof/o/s, evQT]OikoY<5v xal
ipi?.oxsxvwv TiQoq xovq xogevxäq xal xovq aXXovq xe'/(yixaq. ^Ensixa xal fxexu
öi]^oxo)V dv^QCüTKüv ovyxaxaßaivcüv wfxlkei (p xv-/oi, xal fisxa x(öv nagsTiiör]-
ßovvxcov Sevwv ovvstiivs xüjv svxsXeaxäxcov. Oxe ös xwv vswxtQoav ata&oixo
xivaq avvevcoxovfjievovq onov ötjnoxe, ovöifiiav sfxtpaaiv noiijaaq nuQfjv STiixio-
fiai^wv /usxa xsgaxlov xal ai/xtputviaq, aiaxe xovq noXkovq 6iä x6 napäöo^ov
dvtoxa/xivovq (psvyeiv. IloXXdxiq 6h xal xtjv ßaaiXixrjv aTiod-sf^evoQ iad-Tjxa
XTjßevvav avaXaßwv nsgajSL xaxa xtjv dyoQav dQxaiQ£iJidL,(ov, xal xoiq fihv
Se^iovfxevoq, xovq 6h xal nfQinxiaacov nagsxaXfi (phQeiv avxv) xtjv rpTJipov,
Tioxh /uhv wq dyoQavöfioq yhrjxai, noxh 6h xal wq 6i]ßaQxoq- IV/cuv 6h xijq
ciQXV'i ^«i xa&laaq inl xov iXecpävxivov öUfQOv xaxa xo naga '^Pwfxaloiq s&oq,
6i?'jxove xwv xaxa xtjv dyogav ycyvofisvwv ovvaXkayfiäxcDV xal 6isxgiv£ fxszu
TioXkfjq anovö^q xal TtQoS-vfxiaq. 'E^ wv sie dnogiav riye xcüv dvS-gwntov xovq
192 § ^- I^ie Religionsnoth und die Erhebung. [149. 150]
Über ihn sagen sollten. Die einen meinten, er sei ein einfacher
und schlichter Mann, die anderen, er sei wahnsinnig. Denn auch im
Austheilen von Geschenken war er ähnlich. Den Einen gab er
beinerne Würfel, den Anderen Datteln, wieder Anderen Gold. Und
wenn er zufällig welchen begegnete, die er noch niemals gesehen
hatte, so gab er ihnen unerwartete Geschenke. In den Opfern aber,
welche er in den Städten darbringen liess, und in den Ehren, welche
er den Göttern erwies, übertraf er alle anderen Könige. Beweis
dafür sind der Zeus-Tempel zu Athen und die Bildsäulen um den
Altar zu Delos. Er pflegte auch in den ööentlichen Bädern zu
baden, wenn sie von gewöhnlichen Leuten ganz voll waren, wobei
ihm dann Gefässe mit den kostbarsten Salben gebracht wurden.
Als nun einst Einer sagte: Glücklich seid ihr Könige, da ihr solche
Salben habt und so herrlich duftet, da ging er, ohne etwas zu dem
Menschen gesagt zu haben, am folgenden Tage dahin, wo jener
badete und liess ihm ein grosses Gefäss mit der kostbarsten Salbe»
der sogenannten stacte, über das Haupt giessen; worauf Alle sich er-
hoben und herbeistürzten, um mit der Salbe sich zu waschen. Wegen
der Schlüpfrigkeit des Bodens aber fielen sie nieder und erregten
Gelächter. Auch der König selbst war darunter". — So weit
Polybius. Aehnliches berichten Diodor und Livius. Besonders
heben sie auch seine Prachtliebe und seine Freigebigkeit her-
vor. Glänzende Spiele, prachtvolle Bauten, königliche Geschenke»
das waren seine Liebhabereien -"). Li allem aber neigte er zu sinn-
losen Extremen, weshalb schon Polybius ihn ijtifiavTjg statt t-jti-
(puvTjq nannte 21).
imfixtZq' ol fikv yag dfpeXfj xtvä atzov iivai inekafißccvov, ol ök (laivöfjifvov^
Kai yuQ nfpl zag öwQeaq ^v naQan}.r)aioq' ^öiöov yuQ zolg fxhv daz()ayä?.ovg
SoQxaÖdovq, zoTg dh (poLVixoßakuvovq, u).).oig dh y_Qvaiov. Kcü i^ (xTtarvt'iatwg
6i ziaiv ivtvyxavwv, ovg ftrj boQuxti nozi, idlöov äwQfdg unQoaöox^xovq. '£V
d« xatg npog zug noXsig d-valatg xal zaig ngoq zoig Btovg zifxaTg Tcävzag ine^)-
ißuXt zovg ßißuailtvxoiaq. Tovzo d' uv rtg z(x/ut'jQaizo ex ts zov TcaQ* *1Ö;/-
valoig 'OXvfinieiov xal nSv nifjl zöv iv Jjjhi) ßiu/adv ('v6()iäviu)v. 'MXovto dt xup
xolg irjfioaloig ßa).aviioig, oxe ÖTj/ioxcüy t,v zu ßakavfla ntnkrjQWfx^va, xiQUfAiwv
tlatptQOfikvuiv avz(p (xvqwv zwv no).ixtltax((x<ut>. "Ote xal zivog tinövtog,
MuxÜqioI iaxe vfitlg ol ßaaiXilg xal ol xoioixoig xQt^t^^'^-oi xal uöioäöisg ijöv,
xal HTjöiv xbv up&ptonov n()00tmwv, onov ixtlvog xy t^rig ikovxo, innatli^wv
inoi^aiv avioü xuiuyvOfivai xfjg xe<fukf,g fiiyiazov xe()clfiioy nokvxtkeozäxov
UVifOv, z^g axaxtijg xakovf^kvtjg, (ug Ttuvtag avaaxavtag xrkltaitcu ?.oi/xtvovi
tip nv(ft[>, xal öiä xfjv y?.i(r/QÖx^xa xazanlnxovzag yilwxa nuQ^x^iv, xa^dnf(>
xal ttvziv xov ßaoiXia.
20) Vgl. überhaupt aucli I'u/i/Ij. XXVIU, 18, 3. XXIX, 9, 13. XXXI, 3i'. —
Diodor. XXIX, 32. XXXI, 10 (ed. Müller). — Livius XLI, 20. — l'toltnmcm VII
bei Müller, Fragm. hinl.f/r. III, 180. — Ileliodir. ki Miilkr, Fragni. hlst.f/r. 1V,425.
21) AlhenaeUM litf. X p. 430 (in den AuHgabcn dcw l'vlybim XXVI, 10):
Ilohi/ßioq h xi Sxtfi xal tlxoax^ x<üv 'laioQiwv xaktl uvzdv 'EnifAuv^ xal otx
[150] § 4. Die Religionsnoth und die Erhebung. 193
Bei einem solchen Charakter darf man die Motive seines Vor-
gehens gegen Judäa nicht allzutief suchen. Im Wesentlichen hat
sie Tacitus richtig beurtheilt, wenn er sagt, Antiochus habe den
Juden ihren Aberglauben nehmen und griechische Sitten beibringen
wollen, sei aber durcli den Krieg mit den Parthern verhindert
worden, „das widerliche Volk cultivirter zu machen" '^-). Sein Be-
streben war, überall den Glanz griechischer Cultur zu befördern.
In Judäa kam ihm dabei eine einheimische Partei entgegen. Es
war selbstverständlich, dass er diese unterstützte und ihr das Regi-
ment in Judäa überliess. Als aber das jüdische Volk diesen Be-
strebungen theilweise Widerstand entgegensetzte, reizte das nur
die Laune des Despoten. Das widerspenstige Volk wurde zunächst
gezüchtigt durch die Plünderung der reichen Schätze seines Tem-
pels, die dem geldbedürftigen König ohnehin sehr verlockend sein
mussten. Dann, als der Widerstand fortdauerte, wurde radical
durchgegriffen: der jüdische Cultus gänzlich abgeschafft, alle jüdi-
schen Ceremonien schlechthin verboten und die völlige Hellenisirung
mit roher Gewalt durchzusetzen versucht.
^Eni(pavrj 6ia Tuqngä^fiq. — Der Beiname 'ß'TTi^eviy'ff ist eigentlich Abkürzung
von Qtoq ^ Em<pavi]q, wie Antiochus auf Münzen sich nennt, und bedeutet „der
Gott, der in die Erscheinung tritt, sich oflenbart". Auf ägyptischen Texten
wird er übersetzt „der Gott, der herauskommt, hervortritt" seil, wie die Morgen-
sonne, Horos, am Horizont (Wilcken in: Droysen's Kleine Schriften II, 1S94,
S. 440). Der Beiname identificirt also den König mit dem als siegreichem
Gott in die Erscheinung tretenden jungen Horus (so Ed. Meyer, Berliner
philol. Wochenschr. 1895, Sp. 333). Der erste, der ihn gefülirt hat, ist Ptole-
mäus V von Aegypten; dann Antiochus IV von Syrien. Seitdem ist er bei
den Seieuciden häufig. Er ist nachweisbar bei Alexander Balas, Antiochus VI,
VIII, XI, XII, Seleucus VI, Philippus; auch bei den commagenischen Königen
Antiochus I und IV (siehe die Belege bei Babelon, Catalogue des monnaies
yrecques de la Bibliotheque nationale, Les rois de Stjrie, 1890). Gutschmid,
Kl. Schriften IV, 108 f. weist darauf hin, dass die ersten Träger dieses Bei-
namens „lauter Könige sind, die durch ihre Thronbesteigung einem herrschen-
den Nothstande ein Ende machten oder doch ein Ende zu machen vorgeben
konnten". Er erklärt daher: „der sichtbare Hilfe bringende Gott". Vgl. über-
haupt über die Beinamen der hellenistischen Könige: Gutschmid, Kleine
Schriften IV, 107 — 122 (dazu: Ed. Meyer a. a. 0.). Kaerst, Rhein. Museum
Bd. .52, 1897, S. 65 ff", (in der Abhandlung über den Alexander- und Ptolemäer-
kult). Strack, Die Dynastie der Ptolemäer 1897, S. 110—145. Zu der Vor-
stellung, dass der König eine Epiphanie der Gottheit ist, auch: Hu mann und
Puchstein, Reisen in Kleiuasien und Nordsyrien 1890, S. 338, 342 (die hier
mitgetheilte grosse Inschrift des Königs Antiochus I von Commagene zeigt,
dass der König mit diesem Gedanken vollen Ernst macht). Kornemann in:
Beiträge zur alten Geschichte, herausg. von Lehmann I, 1, 1901, S. 83, 95, 97.
22) Tacit. Hist. V, 8: rex Antiochus demere superstitionem et mores Orae-
corum dare adnisus, qitominus taeterrimam gentem in melius rnutaret, Partborum
hello prohibitus est.
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 13
194 § "i- ^^® Religionsnoth und die Erhebung. [150. 151]
Au der Spitze der altgläubigen Partei iu Judäa stand beim
Regierungsantritt desAntiochusEpiplianes der damalige Hohepriester
OniasIII. Das Haupt der Grieclienfreunde war sein eigener Bruder
Jesus, oder, wie er sich lieber mit griechischem Namen nannte,
Jason ■-^). Die Neigung zu griechischem Wesen war in Jerusalem
bereits so stark, dass die Grriechenfreunde den Versuch wagen
konnten, die Herrschaft an sich zu reissen und ihre Bestrebungen
mit Gewalt durchzuführen. Jason versprach dem König grosse
Geldsummen (ob als einmalige Gabe oder als regelmässige Steuer,
ist nicht ganz deutlich), wenn er ihm das Hohepriesterthum über-
tragen, ihm die Errichtung eines Gymnasiums und eines Ephebeion's
gestatten und endlich genehmigen wolle, „die Einwohner Jerusa-
lem's als Antiochener aufzuschreiben" {tov? ev ^ leQoooXvfioig \ivri-
oxBl? dvaygatpai, d. h. ihnen Titel und Rechte von Antiochenern zu
verleihen)-^). Bereitwillig ging Antiochus auf alles ein. Onias :
wurde verdrängt, Jason wurde Hoherpriester^^). Die Hellenisirung
wurde nun mit Energie betrieben. Zwar ist nicht davon die Rede,
dass der jüdische Cultus angetastet worden wäre. Im Uebrigen
aber wurden „die gesetzlichen Einrichtungen abgeschafft und un-
gesetzliche Gewohnheiten eingeführt" (II M. 4, 11). Ein Gym-
nasium wurde unterhalb der Burg erbaut; die Jugend von Jeru-
salem übte sich in den gymnastischen Künsten der Griechen. Selbst
Priester verliessen ihren Dienst am Altar und nahmen an den
Wettspielen in der Palästra Theil. Die Verachtung jüdischer Sitte
ging soweit, dass manche künstlich ihre Beschneidung beseitigten-'').
23) Dass Jason ursprünglich Jesus hiess, sagt Jo.sep/ms Antt. XII, 5, ].
24) Ueber die Bedeutung der Formel s. die Commentare von Grimm und
Keil zu II Makk. 4, 9. Vgl. auch die Geschichte von Ptolemai8§23, I
rBd. II 8. 113 f.).
25) II Makk. 4, 7—10. — Abweichend ist die Erzählung des Josephus.
Während nämlich nach II Makk. Onias abgesetzt und später, als auch Jason
die hohepriesterliche Würde wieder verloren hatte, ermordet wurde (II Makk.
4, .33—34), berichtet Josephus einfach, dass nach dem Tode des Onias sein
Bruder Jesus die hohepriosterliche Würde erhalten habe {Antf. XII, 5, 1:
dno&avovTOQ ^Ovlov xov uQxifQioii T<p ddeX^ip avrov 'Iijoov z^v d()xteQU)avvtjv
'Avxio/of didwatv). Aber die Erzählung des Josephus ist oflenlmr »elir ^<unlmu-
riiK:h und ungenau, und die des 2. Makkabäerbuches wird bestätigt durch
Daniel 9, 20; 11, 22, insofern diese Stellen wahrscheinlich auf Onias 111 zu
deuten sind.
26) H. nb.Th. II Makk. 1, 11-17, I Makk. 1, 11—15. Joscp/i. AnH. XII, h, 1.
— Die Bencitigung der Beschneidung (I M, 1, 15: hnoltjaav havxolt: ttXQoßvoritti)
hat den Zweck, Mich dem Spott der Heiden in den Bädern und RingNchulcu zu
entziehen. Sie scheint nach mancherlei Andeutungen auch H])äter noch i'ifters
vorgekommen zu »»ein. S. bes. Paulus I Kor. 7, 18. K/iip/Kuiiiut, De tncnofiritt
et pondtrUms g 10. Mit Unrecht läugnet Hieronymus die Möglichkeit der Ope-
[151. 152] ö 4. Die Religionsnoth und die Erhebung. 195
In echt hellenistischer Weitherzigkeit sandte Jason sogar eine Bei-
steuer zu den Festopfern für Herakles bei Gelegenheit der vier-
jährigen Spiele in Tyrus, was freilich den jüdischen üeberbringern
so anstössig war, dass sie baten, das Geld zum Schiffsbau zu ver-
wenden-").
Drei Jahre lang (also wohl 174—171) verwaltete Jason in
dieser Weise sein Amt. Dann fiel er durch die Umtriebe eines
Nebenbuhlers, der sein Werk in schlimmerer Weise fortsetzte. Ein
gewisser Menelaus (nach II MakK: 4,23 vgl. mit 3,4 aus dem
Stamme Benjamin, also nicht aus priesterlichem Geschlecht)
wusste es durch noch grössere Geldversprechungen dahinzubringen,
dass Jas(tn vertrieben und ihm das hohepriesterliche Amt über-
tragen wurde 28). Er erregte namentlich dadurch die Erbitterung
ration {aäv. Jovinian. I, 21 = opp. ed. Vallarsi II, 270; comm. in Jes. 52, 1 —
opp. ed. Vall. IV, 601 sq.). — Vgl. flberh. Buxtorf, Lex. Chald. col. 1274 sqq
{s. V. T^IC»). Lossius, De epispasmo Judaico (auch in Ugolini Thes. .XXII).
Groddek, De Judaeis praepiiHum attrahentibtts (bei Schoettgen, Horae hebr. I,
1159—1177, und in Uf/olini Thes. XXII). Lightfoot, Horae hebr. zu! Kor. 7,
18 {opp. II, 899). Wolf, Ciirae phil. in Nov. Test, zu I Kor. 7, 18. Wet-
stein, Nov. Test, zu I Kor. 7, 18. Fabricius, Biblioth. graee. ed. Hartes III,
695 (über Symmachus). Lübkert, Der jüdische imanaofioi; (Stud. und Krit.
1835, S. 657-664). Win er RWB. Art. „Beschneidung" gegen Ende. Grimm,
Commentar zu I Makk. 1, 15. Steiner in Schenkel's Bibellex. I, 410.
27) II Makk. 4, 18—20. — Analog dem Verhalten Jason's ist das eines ge-
wissen NixiJTag ^lüaovog ^leQoaoXvftixrjg in Jasus, an der Küste Kariens zwischen
Milet und Halikarnassus, der um die Mitte des zweiten Jahrh. vor Chr. die
Feier der diovvaia durch einen Geldbeitrag unterstützte {Le Bas et Wadiliugton,
Inscriptions t. III n. 294). Er könnte sogar ein Sohn unseres Jason ge-
wesen sein.
28) II Makk. 4, 23—27. — Nach Josephus Antt. XU, 5, 1 (vgl. XV, 3, 1 ;
XIX, 6, 2; XX, 10, 3) hiess Menelaus eigentlich Onias und war ein Bruder
des Jason. Wenn aber ersteres richtig ist, dann ist letzteres sehr unwahr-
scheinlich, denn dann hätten zwei Brüder Onias geheissen. Also wird das
II. Makkabäerbuch in Betreff' der Herkunft des Menelaus Recht haben. — Auf
Seite des Menelaus standen nach Jos. Antt. XII, 5, 1 und Bell. Jud. I, 1, 1
Ol Tcoßiov nalöSi;. Daraus folgt aber nicht, wie Manche meinen, dass er selbst
„Tobiade" war. Im Gegentheil, die Art, wie Josephus „die Söhne des
Tobias" neben Menelaus nennt, spricht gegen diese Vermuthung. Nach
Joseph. Antt. XII, 4, 2 war der Begründer der Tobiadenfamilie mit einer
Schwester des Hohenpriesters Onias II vermählt. Sie waren also mit der
alten, von Menelaus verdrängten hohenpriesterlichen Familie verwandt. Auch
noch Onias III war einem „Hyrkanus, Sohn des Tobias", der im Tempel
Gelder deponirt hatte, freundlich gesinnt (II Makk. 3, 11). Jetzt aber gehörten
„die Söhne des Tobias" zu den extremsten Griechenfreunden. Sie waren, wie
schon II Makk. 3, 11 zeigt, liervorragende Geldmänner. Der Reichthum der
Familie war begründet worden durch Joseph, den Sohn jenes Tobias, der
mit der Schwester des Onias II vermählt war {Antt. XII, 4, 2). Er hatte
13*
196 § 4- Die Religionsnoth und die Erhebung. [152]
des Volkes, dass er sich au den Tempelgeräthen vergriff. Auch
war er der Urheber der Erniorduug des früheren Hohenpriesters
Onias III, der das Asyl des Heiligthums zu Daphne aufgesucht
hatte, von dort aber herausgelockt und meuchlings ermordet wurde '■^■*).
Jason hatte indess noch nicht auf das Hohepriesterthum ver-
zichtet. Im J. 170, als Antiochus auf seinem Zuge gegen Aegypten
begriffen war, gelang es ihm durch einen Handstreich, sich Jeru-
salem's zu bemächtigen, und seinen Nebenbuhler zur Flucht auf die
Burg zu nöthigen. Eben dieser Erfolg Jason's soll (nach der Dar-
stellung des zweiten Makkabäerbuches) die Veranlassung gewesen
sein zu dem directen Einschreiten des Königs gegen Jerusalem.
Antiochus sah darin einen Abfall von seiner Hoheit und beschloss,
die abtrünnige Stadt zu züchtigen 3'').
22 Jahre lang von den Ptolemäern die Steuern von Coelesyrien, Phoenieien,
Judäa und Samarien gepachtet (vgl. oben S. 183). Sein Sohn Hyrkanus
erregte durch seine Verschwendung das Missfallen des Vaters und zog sich
ins Ostjordanland zurück, wo er sich eine Burg baute {Antt. XII, 4, 2—11 ;
über die erhaltenen Eeste dieser Ansiedelung, auf welchen auch der Name
Tobia inschriftlich vorkommt, s. die Literatur unten Bd. II, S. 49). Wenn man
annelimen darf, dass Joseph auch einen Sohn Namens Tobias hatte, so würde
der Stammbaum der Familie folgendermassen herzustellen sein:
Tobias, verh. mit der Schwester des Onias II.
Joseph
7 Söhne (darunter Tobias?) Hyrkanus
{Ann. XII, 4, 6) 1
Hvrkanus ol Twßiov naiöeg
(II ^lakk. 3, 11)
29) S. überh. II Makk. 4, 27—50. Für die Geschichtlichkeit der Erzählung
vom Tode des Onias: Niese, Kritik der beiden Makkabüerbüchor S. OGf. = Her-
mes Bd. 35, S. 609f. (gegen Willrich und Wellhausen). Zur Erläuterung auch:
Gutflchmid, Kleine Schriften II, 177f. (in dorn Aufsatz über den zehnten
Griechenkönig im Buche Daniel). — Auf die Ermordung des Onias III 1)1-
zieht «ich wahrscheinlich Daniel 9, 20. 11, 22. Vgl. dazu bes. Fell, Ein
exegetisches Riithscl des A. T. (Theol. Quurtalschr. 1892, S. 355—395). Marti,
Dm Buch Daniel, 1901 (zu 9, 26). Fell schaltet nach -px "("iNt ein und übcr-
»etzt: „Eh wird ausgerottet ein Gesalbter, während ihm doch keine Ungesetz-
lichkeit eignete". Freilich sieht F. darin einen Beweis, dass die Stelle iiuC
Christti« gehe.
30) 11 Afakk. 6, 1 — 11. — Da« zweite Makkabäerbuch, nach welchem oben
die VorgcBcliichte der inukkabäisclien Krliebuiig dargeKtellt ist, ist eine trübe
Quelle, deren Bericht nur in Erniangelnng einen besseren hier eine Stelle
floden durfte. Man bat neuerdings diese; irül»; (iuelle durch eine mehr oder
weniger hypothcHonreiehe Kritik klarer zu maelien versucht (Scli latter,
ZdUchr. für die alttost, WisHenHeh. XIV, 1891, S. 145fr. Willrich, Wcll-
hauNen, BQchter in den oben S. ISO imgeführtcn Werken). I>;i aber die
[152. 1531 § 4. Die Religionsnoth uud die Erhebung. 197
Als er gegen Ende des Jahres 170 aus Aegypten zurück-
kehrte 3'), marschirte er selbst mit seinem Heere nach Jerusalem,
richtete dort ein grosses Blutbad an, und plünderte die unermesslichen
Schätze des jüdischen Tempels, wobei ihm Menelaus selbst behülf-
lich gewesen sein soll. Alle Kostbarkeiten, darunter auch die drei
grossen goldenen Geräthe im Inneren des Tempels: den Räucheraltar,
den siebenarmigen Leuchter und den Schaubrodtisch (s. über diese
Thl. II S. 285f.) schleppte er mit sich nach Antiochia32).
Der Leidenskelch der gläubigen Israeliten war aber noch nicht
geleert und das Schlimmste stand noch bevor. Zwei Jahre später
im J. 1G8 hatte Antiochus abermals einen Zug gegen Aegypten
unternommen. Diesmal aber waren ihm die Römer entgegengetreten.
Der römische Feldherr Popilius Laenas hatte ihm einen Senats-
beschluss überbracht, in welchem er aufgefordei-t wurde, falls er nicht
der Feind der Römer sein wollte, seine Pläne auf Aegypten ein für |
allemal aufzugeben; und als Antiochus erklärte, sich die Sache über-
legen zu wollen, hatte ihm Popilius jenes bekannte kurze Ultimatum
gestellt, indem er mit dem Stabe einen Kreis um ihn beschrieb, und
ihm ein gemessenes Jvravda ßovXtvov'^ zurief. Wohl oder übel
hatte Antiochus sich den Forderungen der Römer fügen müssen ^^).
Mit diesem Scheitern seiner ägyptischen Pläne scheint es zusam-
menzuhängen, dass Antiochus gerade jetzt den vernichtenden Schlag
gegen die jüdische Religion unternahm ^*). War in Aegypten nichts
Basis dieser Kritik noch unsicherer ist, als die Erzählung des II. Makkabäer-
buches selbst, so glaube ich nicht, dass auf diesem Wege unsere historische
Einsicht bereichert wird. Eine wichtige Rolle spielen bei diesen Hypothesen
die oberflächlichen Noti/en im Bell. Jud. I, 1, 1, wo der innere Zwist in
Judäa lediglich als ein Streit der jüdischen Svvaxoi um die Herrschaft {ntgl
övvaarsiag) dargestellt wird. Die einen stützen sich auf den König von Syrien,
die anderen auf den von Aegypten. Die Anhänger des Ptolemäus {ol ÜToki-
ßalcp TiQoaixovzeq) werden auf Betrieb der Anderen durch Antiochus IV ge-
stürzt. Dies alles beweist freilich, dass hier eine griechische, vomll. Mak-
kabäerbuche unabhängige Quelle benützt ist, zugleich aber auch,
dass ihr Verfasser die Dinge nur sehr aus der Ferne durch die Brille des
heidnischen Beobachters kennt und von den inneren Vorgängen in Judäa
nichts weiss.
31) Nach I Makk. 1, 20 == Joseph. Antt. XII, 5, 3 im Jahre 143 aer. Sei. =
170/169 vor Chr.
32) I Makk. 1, 20-24. Josephus XII, 5, 3. II Makk. 5, 11—21. — Für die
Thatsache der Tempelplünderung beruft sich Josephus contra Apionem II, 7 auch
auf das Zeugniss des Polijbius, Strabo, Nicolaus Damascemts, Timagenes, Castar,
Apollodoriis.
33) Polyb. XXIX, 11. Diodor. XXXI, 2 {ed. Müller). Livius XLV, 12.
Appian. Sijriaca c. 60. Justin. XXXIV, 3. Vgl, Daniel 11, 29 f.
34) Dieser Zusammenhang ist namentlich im Buch Daniel angedeutet,
Dan. 11, 30 f.
198 § 4- Die Religionsnoth und die Erhebung, [153]
mehr zu erreichen, so wollte er um so energischer seine Pläne in
Judäa durchsetzen. Er sandte einen Obersteuereinnehnier nach
Judäa (sein Name wird I Makk. 1,29 nicht genannt; nach II Makk.
5, 24 hiess er Apollonius), mit dem Auftrag, Jerusalem radical zu
hellenisiren^^). Die jüdische Einwohnerschaft, die sich nicht fügen
wollte, wurde mit Gewalt ausgerottet: die Männer hingemordet,
Weiber und Kinder als Sklaven verkauft. Wer konnte, verliess die
Stadt, An Stelle der vernichteten jüdischen Bevölkerung siedelten
Fremde sich daselbst an. Jerusalem sollte fortan eine grie-
chische Stadt sein^^). Um die Durchführung der Massregel
auf die Dauer zu sichern, wurden die Mauern der Stadt niederge-
rissen; die alte Davidstadt aber neu befestigt und zu einer starken
Burg umgebaut, in welcher fortan eine syrische Besatzung lag.
Diese Besatzung blieb auch während aller späteren Er-
folge der Makkabäer im Besitze der Burg und hielt die
Oberherrschaft der syrischen Könige in allen Wechselfällen auf-
recht. Erst 26 Jahre später (142141 vor Chr,) gelang es Simon,
sich der Burg zu bemächtigen und damit die Unabhängigkeit der
Juden zu besiegeln 3'). |
35) Die Sendung dieses Apollonius fällt nach I M. 1, 29, verglichen mit
1, 20 und 1, 54, in das Jalir 145 aer. Sei. = 168/167 vor Chr.
36) I Afakk. 1. 29—40. II Makk. 5, 23—26. Joseph. Antt. XII, 5, 4. —
Dass es hauptsächlich auf eine Vernichtung der jüdischen Bevölkerung und
auf eine Besiedelung mit griechischen (oder gräcisirendeu) Einwohnern
abgesehen war, sieht man aus I M. 1, 38, vgl, auch I M. 1, 30—32, II M. 5,
24. Es war also ganz dasselbe Verfahren, das die Juden später selbst gegen
Jope und Gazara eingeschlagen haben (I Makk. 13, 11 u, 43 — 48), Ueber den
Erfolg der Massregel s, I M. 2, 18, 3, 35, 45,
37) Eine axQOTCohq von Jerusalem wird schon in den vorhergehenden Jahren
Afters erwähnt (II Makk. 4, 12, 27. 5, 5). Diese kann aber nicht identiscli sein
mit der erst jetzt durch Antiochus Epiphaues erbauten Burg. Vielmehr wird
die Akropolis des II. Makkabäerbuclies die unmittelbar beim Tempel, und
zwar nördlich von demselben gelegene Burg sein, die wir bereits aus Nehetn.
2, 8. 7, 2 kennen. Sie ist auch gemeint in der Beschreibung des Aristeas
(ed. Wendtand § 100—104) und in der Geschichte des Antiochus d, Gr. {Jos.
Antl. XII, 3, 3 § 13.3, 138). Sputer wurde sie von den ITusnumücrn neu gebaut
(Antt. XV, 11, 4 g 403, XVIII, 4, 3 § 91), und dann wi.dcruiu von Herodes,
der sie Antouia nannte. VcrHchiedou von di('^< i I < mpclburg ist
aUo die Burg, welche Autiochus jetzt bauen lii -^s, I .]A//./, 1, 33— 36,
Joaeph. Antt. XII, 5, 4, während die Mauern der Stadt niedergerisscti wurden
I M. 1, 31, Ueber die Einnahme der Akra durcli Sinmn s. I Makk. 13, 49—52.
In der Zwi«>lienzelt wird sie oft erwähnt (I Makk. 2, 31. 3, 45. 4, 2. 4, 41. 0,
18-21. 20. 32. 7, 32. 9, 52-53, 10, 0-9. 10, 32. 11, 20f. 11, 41. 12, 30. 13, 21).
— Die Lage dieHcr Akra ist eine der vieluniHtrittensten Fragen in der
Topographie von Jerusalem. Es scheint mir aber ein sichcrcM Kcsultat der
neueren Unteniuchutigeu, dni«H hIc auf dem Hüdliclicn Ausläufer des
[154] § 4. Die Religionsnoth und die Erhebung. 199
Die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Jerusalem's war
nur ein Mittel zu dem Hauptzweck, auf welchen es dem Antiochus
ankam. Im ganzen Lande sollte die jüdische Religion ausgerottet
und griechische Götterculte eingeführt werden. Die Beobachtung
östlichen Hügels, also südlich vom Tempelberg gelegen hat. Zunächf^t
steht ausser Frage, dass sie an Stelle der alten Davidsstadt erbaut war (I Makk.
1, 33. 2, 31. 7, 32. 14. 36). Die Davidsstadt hat aber nach Nehem. 3, 15 oflfen-
bar in der Nähe des Siloah gelegen, also südlich vom Tempel, und zwar nicht
auf dem grossen Westhügel, auf welchem noch heute die Hauptmasse der
Stadt liegt, sondern auf einer selbständigen Erhebung des östlichen Höhen-
zuges, d. h. des Tempelberges. Denn der Zion, auf welchem die Davidsstadt
lag (n Sam. 5, 7. I Reg. 8, 1), ist nicht, wie die spätere christliche Tradition
will, der Westhügel, sondern derjenige Höhenzug, auf welchem auch der Tempel
lag, also der üsthügel. Das beweist gerade der Sprachgebrauch des ersten
Makkabäerbuches, für welches „Zion" und „Tempelberg" identische Begrifte
sind. S. I Makk. 4, 37—60. 5, 54. 6, 48-62. 7, 33. Die Beweiskraft dieser
Gründe wäre gewiss längst anerkannt, wenn nicht die heutigen Terrainver-
hältnisse entgegenzustehen schienen. Denn gegenwärtig ist südlich vom Tem-
pelplatz keine Bodenerhebung mehr wahrzunehmen, welche für eine Burg
geeignet wäre. Dass es aber früher anders war, ist durch die Nachgrabungen
Gut he' 8 bestätigt worden, wornach „eine ziemlich tief eingeschnittene, aller-
dings noch nicht vollständig nachgewiesene Einsattelung, die von Nordwest
nach Südost streicht, den südlichen Ausläufer vom übrigen Tempelberg trennte,
so dass eine Festung auf dem Rücken dieses Ausläufers von Natur nach allen
Seiten geschützt war" (Furrer in der Anzeige von Güthe's „Ausgrabungen
bei Jerusalem" in der Theol. Literaturzeitung 1884, 378). — Die hier vor-
getragene Ansicht über die Lage der Akra ist vertreten durch: Olshausen
Zur Topographie des alten Jerusalem, Kiel 1833, S. 6fl". Caspari, Theol.
Stud. und Krit. 1864, S. 309 — 328. Ders., Chronologisch-geographische Ein-
leitung in das Leben Jesu Christi (1869) S. 232ft'. Menke, Bibelatlas (1868)
Blatt V. Riess, Tüb. Theol. Quartalschr. 1870. S. 181—215. Ders., Biblische
Geographie (1872) S. 95—97. Klaiber, Zeitschr. des deutschen Palästina-
Vereins Bd. in, 1880, S. 189—213. IV, 1881, S. 18-56. XI, 1888, S. 1—37.
Spiess, Das Jerusalem des Josephus (1881)8.32—42. Guthe, Zeitschr. des
DPV Bd. V, 1882, S. 313—332. Mühlau, Art. „Zion" in Riehm's Wörterb.
Stade, Gesch. des Volkes Israel I, 267 f. Birch, Palest ine Exploration Fumt
Quarterly Statements 1877 ft". bes. 1893. Buhl, Geographie des alten Palästina
S. 142f. — Gegen obige Ansicht haben sich noch erklärt: Gatt, Theol.
Quartalschr. 1884. S. 34-84. Ebendas. 1889, S. 77—125. Ders., Die Hügel
von Jerusalem, 1897. Rückert, Die Lage des Berges Sion, 1898 (Biblische
Studien von Bardenhewer HI, 1). Ders., Art. „Sion" in Wetzer und Weite's
Kirchenlex. 2. Aufl. XI, 1899, S. 347—355. Alfons Schulz, Theol. Quartal-
schr. 1900, S. 356 — 389. Gatt, Sion in Jerusalem, wie es war und wo es lag.
Nach den Angaben der alten Urkunden mit Bezug auf die diesbezüglichen
Ansichten der Gelehrten, 1901 (142 S.). — Sonstige Literatur s. oben S. 15
und bei Arnold, Art. „Zion" in Herzogs Real-Enc. 1. Aufl. XVIII, 620—622.
Schultz, Art. „Jerusalem" ebendas. 2. Aufl. VI, 575. Köhler, Lehrb. der
bibl. Gesch. II, 1, 274. Rückert, in Wetzer und Weite's Kirchenlex.
XI, 355.
200 § •!• I^ie Religionsnoth und die Erhebung. [154. 155]
aller jüdischen Satzungen, namentlich auch des Sabbaths
und der Beschneidung, wurde bei Todesstrafe verboten;
der jüdische Cultus abgeschaift. In allen Städten Judäas musste !
den heidnischen Gröttern geopfert werden. Für die Durchführung
der königlichen Befehle sorgten Aufseher, welche überallhin ge-
schickt wurden. Wo man sich nicht freiwillig fügte, wurde der Ge-
horsam mit Gewalt erzwungen. Je einmal im Monat wurde Controle
geübt: bei wem ein Gesetzbuch gefunden wurde, wer ein Kind hatte
beschneiden lassen, verfiel der Todesstrafe. In Jerusalem wurde
am 15. Kislev des Jahres 145 aer. Sei., also im December 168 vor
Chr., auf dem grossen Brandopferaltar ein heidnischer Altar gebaut
und am 25. Kislev zum erstenmale auf demselben geopfert (I M.
1, 54 u. 59; dies ist der „entsetzliche Gräuel", ümi'ü f^ftü^ oder
zr© l^lp©, LXX: ßöekvyfia ttjc SQrjficoöewg, von dem das Buch
Daniel spricht, Dan. 11, 31; 12, 11). Das Opfer galt nach der An-
gabe des zweiten Makkabäerbuches dem olympischen Zeus,
welchem der Tempel zu Jerusalem geweiht wurde ^s). Am Fest der
Dionysien mussten die Judeu mit dem Epheu bekränzt in bacchan-
tischem Aufzug einherschreiten^ä).
Von dem freudigen Märtyrermuthe, mit welchem damals ein
Theil des Volkes für den alten Glauben eintrat, erzählt das zweite
Makkabäerbuch wunderbare Dinge. In breiter Rhetorik schildert
es, wie ein neunzigjähriger Greis Namens Kleasar und sodann
sieben Brüder nach einander unter den Augen ihrer Mutter und zu-
letzt diese selbst den Zeugentod erlitten ^*^). Man kann diese Einzel-
heiten dahingestellt lassen. Thatsache ist, dass weite Kreise des
Volkes trotz aller Gewaltmassregeln dem Glauben und der Sitte
ihrer Väter treu blieben. Zu ihrer Stärkung hat eben damals ein
unbekannter Verfasser unter dem Namen Daniel's eine Mahu-
38) Bevan (Journal of Hetlcnic Studies XX, 1900, p. 2G— 30) verrauthot,
da«8 der Cultas in Wahrheit dem Antiochus selbst gegolten habe, der sich
aU ZeuB OlympioH habe verehren lassen.
39) 8. überhaupt I Mulck. 1, 41-64. II Makk. 6, 1—11. Josq>//its .1////. XII,
5, 4. Daniel 7, 25. 8, 11 f. 0, 27. 11, 31 ff 12, 11. — Der Kislev des Jahns
145 aer. Sei. (I M. 1, 54) ist nicht, wie man zuweilen angegeben iindct, = De-
cember lfJ7, nondern — December KiS v. ('hr. — Nach II Makk. 0, 7 wurden
die .luden auch bei der monatlichen Feier des königlichen (reburtstngcs zum
OpferscIiinauH gezwungen; wegen der monatlichen (Teburtstagsl'cicr vgl.
meinen Aufsatz in der Zeitschrift für die neutestamontliche Wissenschaft 1901,
f*. 4R— 52.
10) 11 Makk. 6. 18—7, 42. Die Geschichte bildet auch das Thema de»
I. .MakkiibfuTbuche» fs. Bd. 11 1 S. 303—397), und ist auch in der sj)!iteren
jiidi-< li( II Literatur behandelt worden, s. Zunz, Die gottesdionst liehen Vor-
iiiiirr (l< r .Fii(I<n 8. 124. Ucber ihre Verwendung in der christlich-asketischen
l,it«r(ifiir H. J'.d. ni 8. 302.
[155. 156] § 4. Die Religionsnoth und die Erhebung. 201
und Trostschrift ausgehen lassen, in welcher er seinen Glaubens-
genossen theils Geschichten der Vorzeit zur Mahnung und Er-
munterung vorhält, theils in kühner Glaubenszuversicht den baldigen
Sturz der Heidenherrschaft und den Uebergang des Weltregiraents
auf das Volk Gottes in Aussicht stellt (s. B. III, S. 186—190). Die
Wirkung dieser Schrift wird man nicht gering anschlagen dürfen.
Zu dem passiven Widerstand gesellte sich bald die offene
Empörung — menschlich angesehen, ein tollkühnes Unternehmen;
denn | wie konnte das kleine Volk der Juden auf die Dauer der
Macht des Königs die Spitze bieten? Aber der religiöse Enthu-
siasmus fragt nicht nach der Möglichkeit des Erfolges. Die An-
regung zum Aufstand gab ein Priester der Classe Jojarib Namens
Mattathias und dessen fünf Söhne (Johannes, Simon, Judas,
Eleasar, Jonathan) in dem Städtchen Modein**). Als dorthin
41) I Makk. 2, 1-5. Josephtts Antt. XII, G, 1. — Die Familie ist nicht
erst damals nach Modein übergesiedelt, wie es nach 2, 1 scheinen könnte,
sondern hatte längst daselbst ihren Wohnsitz (13,25). Der Name des Ortes
lautet im ersten Makkabäerbuclie nach überwiegender Bezeugung Mwdssiv oder
MwÖsiv (so Fritzsche I MiiÄ-. 2, 1. 15. 23. 70. 13, 25. 30; nur 9, 19: Mcoäesi/i),
bei Josephus giebt Niese Afitt. XII, 6, 1: iv Mwöai, ö, 2: rijv Mwödiv, 6, 4:
ivMcaöat, 11, 2: rr^v Mwössiv, XIII, 0, 5 §210: ^v MiuÖeei, Bell.Jud. I, 1, 3: dno
xitifii]q Mwösftv vvofia (also in den-4«/^deklinirt, aber mit starkem Schwanken der
Handschriften; es kommen auch die Formen autTals Acc.vor). In Eusebius' Ono-
masticou haben die Ausgaben MTjöffi'fi, Hieronymus Modeim (so gewiss auch Eu-
sebius ursprünglich!. Hieroiiymus, Conim. adJes. 30, 2 opp. ed. VallarsilY, 402:
Modim. Mit den Formen auf im, in und i verhält es sich wie bei Sepphoris
(s. Bd. II, S. 1G3). Der Plural ist bald auf hebräische, bald auf aramäische
Weise gebildet, bald abgeschlitlen. In der Mischna Pesachim IX, 2 und Cha-
giga III, 5 schwankt die Lesart zwischen Q'^r'^Ti'a und r'^?''TiB, und zwar so,
dass letztere Form an beiden Stellen überwiegend bezeugt ist. Sie hat eine
überraschende Bestätigung erhalten durch die Bemerkung der Mosaikkarte von
Medaba: Mcoössi/^ tj vvv M(oSi&a {Reine biblique VI, 1897, p. 174, Schulten,
Abhandlungen der Göttinger Ges. der Wissensch., philol.-hist. KL, N. F. Bd. IV
Nr. 2, 1900, S. 18, 94). Aus Moditha ist das moderne Medije geworden, wie
aus Susitha Susije (Hippos, s. Bd. II, 120). Vgl. Clermont-Qanneau,
Reciieil d'archeologie Orientale II, 170. Ein Mann aus Modein heisst Aboth III,
11 "^STl^an (der hier erwähnte Elieser aus Modein kommt häufig in der Mechilta
vor, s. das Verzeichniss der Stellen bei D. Hoffmann, Zur Einleitung in
die halachischen Midraschim, 18S7, S.83; auch Bacher, Monatsschr. für Gesch.
und Wissensch. des Juden th. 1882, S. 529—554 = Die Agada der Tannaiten I,
194 — 219). — Für die Bestimmung der Lage ist entscheidend: 1) die That-
sache, dass man das dort von Simon für seine Eltern und seine vier Brüder
erbaute prachtvolle Grabdenkmal vom Meere aus sehen konnte (I Makk. 13,
27 — 30: sig x6 &s(oQsIa&ai inö nairwv xtüv nXiövtwv xrjv &äXaaaav, die von
Le Camus, Revue biblique I, 109 ft'. und Buhl, Geogr. S. 198 bestrittene gewöhn-
liche Auffassung dieser Worte scheint mir doch die richtige). 2) Die Angabe
des Eusebius, welcher den Ort noch gekannt hat, Onouiast. ed. Lagarde p. 281:
202 § 4. Die Religionsnoth und die Erhebung. [156. 157]
der königliche Beamte kam, um zur Darbringung des heidnischen
Opfers aufzufordern, weigerte sich Mattäthias, dem Befehl zu ge-
horchen. ,,Wenn auch alle Völker, sprach er, im Reiche des Königs
von dem Dienst ihrer Väter abfallen, so will doch ich mit meinen
Söhnen und Brüdern in dem Bund unserer Väter wandeln. | Gott
behüte uns, dass wir das Gesetz und die Gebote verlassen." Als
er sah, wie ein jüdischer Mann opfern wollte, erschlug er den-
selben an dem Altar. Auch den königlichen Beamten tödtete er
und zerstörte den Altar '*^).
MrjSselß, xwßT] n?.rjaiov dioa7i6?.fü)g, o&ev i^aav ol MaxxaßaToi, (bv xalra
juvTjfxara slq IVt vvv dfixvwrai, ebenso Hierovyymis, Onomast. ed. Laf/arde p. 140:
Modeim, vicus juxta Diospolim, wide fuerunt Maccabaei, quoriim hodieque
ibidem sepidcra monstrantur. Es hat also in der Nähe von Lydda (Diospolis)
gelegen, und zwar in hoher Lage, also gegen das Gebirge zu. Hiernach kann
keine Rede davon sein, dass es mit dem heutigen Soba, 2V2 St. westlich von
Jerusalem, identisch wäre, wohin es die Mönchstradition verlegt (Tob 1er,
Topographie von Jerusalem II, 896 ft'.). Es darf vielmehr jetzt als ausgemacht
gelten, dass das heutige Dorf el-Medljeh, östlich von Lydda, am
Eingang des Gebirges, die Lage des alten Modein bezeichnet. So zuerst
der Franziskaner Emmanuel Forner (in Je Monde 1866, nach Gu^rin's An-
gabe), femer: Neubauer, Geographie du Talmud 1868, p. 99. Fritzsche in
Schenkel'» Bibellex. IV, 233. Sandreczkiim „Ausland" 1871, Nr. 86. Onerin
Description de la Palestine, Samarie II, 55 — 64, 395, 404 — 413, 415 — 426, Qalilee I,
46—57. Mühlau in Riehm's Handwörterb. des bibl. Alterthums S. 1009 f.
The Survey of Western Palestine, Memoirs brj Conder and Kitchener II, 297 sq.
341—352; dazu Bl. XIV der grossen englischen Karte. Clennont-Oanneau ,
Archaeolof/ical liesearches in Palestine vol. II, 1896, p. 358 — 376.
42) I Makk. 2, 15—26. Joseph. Antt. XII, 6, 2. Zum Bericht des Josephus
über Mattäthias : Büchler, Rente des etu/ies juives t. XXXIV, 1897, p. 69 — 76.
Niese, Kritik der beiden Makkabäerbücher S. 100 ft". = Hermes Bd. 35, S. 513 ft".
— Imll.Makkabäerbuche wird Mattäthias nicht erwähnt. Niese ist
daher geneigt, seine Existenz zu bestreiten (Kritik S. 44—47 = Hermes 35,
457—460), wie er überhaupt dem zweiten Makkabäerbuch den Vorzug
vor dem ersten giebt (Kritik S. 52 f. = Hermes 35, 465 f.). Er sieht im
ernten Makkabäerbuche, soweit es mit dem zweiten parallel geht (c. 1 — 7), nur
eine tendentiöse, im dynastiHchen Interesse zurecht gemaclite Bearbeitung der-
»elben Quelle, welche auch dem zweiten zu (irunde liegt, nämlich des Jason
von Cyrene (Kritik S. 94 — Hermes 35, 507). Ich halte es für ganz unmög-
lich, durch diesen Gesichtspunkt die starken Dillerenzen zwischen dem ersten
und zweiten Makkabücrbuclie zu erklären. Sie sind nur verständlich unter
der Voraussetzung, dass beide uiuibliängig von einander sind und auf ganz
voncliicdenc Bericht-Erstattung zurückgehen. Dabei mag in einzelnen Fällen
die des zweiten den Vorzug vor der andern verdienen, im Grossen und
Ganzen nljer scheint mir die bisherige Meinung von dem hiilieren
Werth des ersten Buches durch Niese'H Kritik nicht erschüttert
cn »ein. Die Abweichungen sind aber von der Art, dass eine eklektiwclie
B«nfltzung beider Bericlito unmöglich ist. Die Darstellung kann daher nur
nn vorfalircM, dass sie clem einen folgt und an den wichtigeren Punkten di(f
Abweichungen des Anderen anmerkt.
[157. 158] § 4. Die Religionsnoth und die Erhebung. 203
Nunmehr floh er mit seinen Söhnen in's Gebirge. Aber bald
zeigte ihm ein trauriger Vorfall, dass blosse Flucht so viel wie
Untergang bedeute. Zahlreiche Gesinnungsgenossen hatten sich
ebenfalls in die Schlupfwinkel der Wüste zurückgezogen. Hier
wurden sie von einer Abtheilung der syrischen Besatzung von
Jerusalem aufgesucht, am Sabbath angegriffen und, da sie wegen
des Sabbath's keinen Widerstand leisteten, mit Weibern und
Kindern bis auf den letzten Mann niedergemacht ^3). Ein solches
Martyrium schien dem thatkräftigen Mattathias ein schlechter
Dienst für die Sache Gottes zu sein. Er und die Seineu beschlossen,
zur That zu schreiten und nöthigenfalls auch am Sabbath den
Kampf nicht zu scheuen. Jetzt schlössen sich ihm auch die
„Frommen" (AoLÖaloi = S'^*7''pn) an, d. h. eben jene Gesetzestreuen,
die bisher nur im Dulden ihre Stärke gesucht hatten **). Mattathias
sammelte nun alle streitbaren Männer, die zum Kampf für den
Glauben bereit waren, zog mit ihnen im Lande umher, zerstörte
die Altäre, tödtete die abgefallenen Juden, beschnitt die unbe-
schnittenen Knaben, und 1 ermuthigte allenthalben zu offenem Wider-
stand gegen die heidnischen Verfolger^ ^).
43) I Makk: 2, 27-38. Joseph. Änit. XII, G, 2.
44) Die Lesart awaycoyt] katSalatv I M. 2, 42 ist von Fritzsehe mit Kecht
in den Text aufgenommen worden. Dass die Asidäer nicht mit dem Kreise
des Mattathias identisch sind, ist namentlich von Wellhausen (Pharisäer und
Sadducäer S. 78—8(5) richtig betont worden. Sie haben zwar damals mit den
Makkabäern gemeinsame Sache gemacht, sich aber später (I M. 7, 13) wieder
von ihnen getrennt. Vgl. auch Lucius, Der Essenismus, 1881, S. 91 f., und
Bd. 11 S. 403f. dieses Werkes. Uebertrieben ist die richtige Beobachtung Well-
liausens bei Montet, Essai sur les origines des partis saduceen et pharisien
1883, p. 139—142, 161 fi: bes. 177—188. — Das Wort n-i-i-^cn ist schon im Alten
Testamente häufig (z. B. Ps. 30, 5. 31, 24. 37, 28) und " heisst einfach „die
Frommen"; bezeichnet aber insonderheit diejenigen, die es mit der Frömmigkeit,
d. h. Gesetzlichkeit, besonders ernst nahmen (so auch Mischna Berachoth V, 1.
Sukka V, 4. Chagiga II, 7. Sota III, 4. IX, 15). Es ist daher im Wesentlichen
derselbe Kreis, der später den Parteinameu der „Pharisäer" erhielt. — Aus der
Literatur ist noch zu nennen : Drusius, De Hasidaeis, quorum mentio in Ubris
Machahaeorum, libellus, \GOS. Serarius, Trihaeresion, 1004:. Scaliger, Elen-
dms Trihacresii Serarii, 1605 (alle drei zusammen in: Triglandius, Triton
scriptorum i/hisfnum de tribus Judfteorum sectis si/ntagma, 2 Bde. Delphis 1703;
vgl. den Bericht über die Controverse bei Daniel, Art. „Pharisäer" in Ersch
und Gruber's Encykl. Section III, Bd. 22, S. 18, und Bernays, Jos. Justus
Scaliger S. 82 f. 206 fl'.) Carpxov, Apparafus historico-crifieus p. 165—172.
Herzfeld, Gesch. des Volkes Jisrael Bd. IH, S. 357 ü\, 384, 395 f. Ham-
burger, Real-Encyclop. für Bibel und Talmud, Abth. II S. 132 ft". (Art.
„Chassid"). Lehmann, Hassidim rischonim {Rente des etndes juives t. XXX,
1895, p. 182—187).
45) I Makk. 2, 39—48. Joseph. Antt. XII, 6, 2.
204 § 4. Die Eeligionsnoth und die Erhebung. [158
Nicht lange sollte es ihm vergönnt sein, in dieser Weise zu
wirken. Bald nach dem Beginn der Erhebung, im J. 167/166 vor
Chr. (I Jf. 2, 70: 146 aer. Sei.) starb Mattathias, nachdem er zuvor
noch seine Söhne zur Fortsetzung des Werkes ermahnt und den
Simon als Mann des Rathes, den Judas als Führer im Kampf
empfohlen hatte. Unter grosser Trauer wurde er zu Modein be-
stattet ^ 6),
So trat nun Judas an die Spitze der Bewegung. Sein Beiname
o Maxxaßaioq, nach welchem man die ganze Partei die „makka-
bäische" zu nennen pflegt, bezeichnet ihn wahrscheinlich als schlag-
fertigen Krieger (= nii^'ö, der Hammer?) ^ '). „Er glich dem Löwen
46) I Makk. 2, 49—70. Joseph. Antt. XII, 6, 3—4.
47) Ueber die verschiedenen Deutungen des Namens s. Conr. Iken, De
Juda Maccabaeo (in: Symbolae literariae, tom. Ipars 1, Bremae 174:4, p. 170 — 194),
Winer RWE. I, 631 f. (Art. „Judas"),. Grimm, Exeget. Handb. zu I Makk.
S. IX f. Die früher (bes. im 17. Jahrh.) herrschende Ableitung des Namens
aus den Anfangsbuchstaben von üin';' ß^^*? '^?^? "^^ [Exod. 15, 11) würde
ernstliche Erwägung verdienen, wenn das Wort zunächst Losung der Partei
gewesen wäre, wie das christliche Ix^vg. Es ist aber zunächst Beiname des
Judas (6 Mttxxaßaloq). In neuerer Zeit erkhirt man gewöhnlich = ti3;3n
„Hammer". Gegen diese Deutung hat namentlich Ctirtiss Bedenken erhoben
(The Name Machahee, Leipzig 1876; vgl. Theol. Literaturztg. 1876, 436 f, Her-
zog's Real-Enc. 2. Aufl. I, 505 f). Er schreibt "^2313 und erklärt nach Jes. 43,
17 the exlinguisher, „der Auslöscher" d. h. Vemichter seiner Feinde. Das ist
mlDdestens sehr problematisch. Von Curtiss' Bedenken sind die aus der Ortho-
graphie hergenommenen hinfällig, da wir die ursprüngliche hebräische Form
nicht mehr kennen. Denn alle späteren Texte, sowohl die rabbinischen (welche
übrigens bald '^ns^s bald "^ap^ schreiben), als die lateinischen gehen auf den
griechischen Text des ersten Makkabäerbuches (d Muxxaßaloq) zurück. Curtiss
meint freilich, dass Hieronymus eine hebräische Form "»a:^ gekannt haben
müsse, weil er Mnchabaeus schreibe. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass
Hieronymus so geschrieben hat. Im Onomasticon s. v. Modchn giebt Lagarde
Maccabaei (s. oben Anm. 41); und in der Schrift de viris illudribus c. IJJ
liat Bernoulli (1895) nach den b(^Hten Hundscliriften ebenfalls Mnccabeorum.
Auch sonst ist das Alter der Form Machnhaeus sehr fniglicii. In der späteren
Ueberlieferung der lateinischen Texte scheint sie allerdings vorherrschend zu
«ein (ho z. B. Vet. Lat. bei Joseph, ed. Niese vol. III p. 117, 19. 121, 6. 128,
24. 130, \\: ul acmper; vgl. Zahn, Gesch. des neutest. Kanons II, 167); aber
Mufcabetia int vermiithlich älter (s. die NachweiHC von Jülicher, Theol. Litztg.
1891, 221, in der Anzeige von Zahn'« Gesch. des neutest. Kiinons; dnzn Bcrc/er,
Noticf» et extrait« den M(niiincrita de In liibliothhiue Nationale t. XXX IV, 2, 1893,
p. 147 «77.). Das griechiHche Maxxafittloi spricht alter eher für licbr. "^Dp^S,
al» für ■'SS«, obw<»hl auch letzteres nicht unmöglich ist. JU>achtenswerth ist
dagegen der Einwand von OurtisH, dass n^jr^j im A. T. (I Itet/. 6, 7; Jes. 44,
12; Jer, 10, 4; auch Jndic. 4, 21) nicht den grossen Streit- oder Schmiede-
hammer (der sonst yoij oder yt^ oder «J'^MB heisst), sondern den kleineren
Arbeitulmromer bezeichnet. Aber sollte dies Bedciikiii cnfscliciihwHl sein?
[158. 159] § 4. Die Religioasnoth und die Erhebung. 205
in seinem Tliun und war wie ein junger Löwe, der nach Beute
brüllt", so cliarakterisirt ihn das erste Makkabäerbuch (I M. 3, 4) —
ein ritterlicher Held, kühn und thatkräftig, nicht die Möglichkeit
des Erfolges erwägend, sondern mit Begeisterung Gut und Blut für
die grosse Sache einsetzende^). Die Erfolge, die er errungen hat, |
konnten freilich bei den ungleichen Machtverhältnissen doch nur
vorübergehende sein. Und die Sache, die er vertrat, wäre verloren
gewesen, wenn es nur auf das Schwert angekommen wäre.
Zunächst nahm die Erhebung den glücklichsten Verlauf. Schlag
auf Schlag erfocht Judas entscheidende Siege, bis zur Wiederher-
stellung des jüdischen Cultus auf dem Zion. Eine syrische Streit-
macht unter Führung des Apollonius (es ist wohl derselbe, von
welchem oben S. 198 die Rede war), wurde von Judas geschlagen ;
Apollonius selbst getödtet. Das erbeutete Schwert desselben führte
Judas von nun an in allen Kämpfen e^). Auch ein zweites syrisches
Heer, welches Seron, der „Oberbefehlshaber der syrischen Macht",
dem Judas entgegenführte, wurde von ihm bei Beth-horon (nord-
westlich von Jerusalem) siegi'eich zurückgeworfen^**).
Der König sah sich genöthigt, zur Bekämpfung des Aufstandes
in Judäa energische Massregeln zu ergreifen. Während er selbst
im J. 166/165 vor Chr. (I M. 3, 37 : 147 aer. Sei) einen Feldzug
gegen die Parther unternahm ^i), Hess er den Lysias als Reichs-
verweser und Erzieher des unmündigen Antiochus V. in Syrien
zurück und ertheilte ihnl den Auftrag, ein grosses Heer nach Judäa
zu senden, um die rebellischen Juden zu vernichtend'^). Lysias
sandte drei Feldherren, den Ptolemäus, Nikanor und Gorgias,
mit zahlreicher Truppenmacht nach Judäa. Die Niederlage der
Juden schien so zweifellos, dass bereits fremde Kaufleute in das
syrische Lager kamen, um die zu erwartenden jüdischen Sklaven
zu kaufen ^^).
48) Vgl. überhaupt die Charakteristik I Makk. 3, 1—9.
49) I Makk. 3, 10—12. Joseph. Äntt. XII, 7, 1.
50) I Makk. 'S, 13—26. Jos. l. c. — BaiQ^toQwv ist das alttestamentliche
"inh n^a, nacli Eiiseb. Onomast. ed. Lagarde p. 233 zwölf m. p. von Jerusalem
in nordwestlicher Richtung, daher identisch mit dem heutigen Beit-ur. S. Ro-
binson, Palästina III, 273—283. Raumer, Palästina 8.180. Ouirin, Deserip-
tion de la Palestim, Judee I, 338—344. lieber die alte und die heutige Namens-
form: Kampf fmej^er, Zeitschr. des DPV. XVI, S. 23. Ueber die Lage:
Schick' 8 Karte der weiteren Umgebung von Jerusalem, Zeitschr. des DPV.
XIX, 1896.
51) 1 M. 3, 31. Jhcit. Eist. V, 8.
52) I Makk. 3, 27—37. Joseph. Äntt. XII, 7, 2.
53) I Makk. 3, 38—41. Joseph. Äntt. XII, 7, 3. II Makk. 8, 8-11. Nach
dem zweiten Makkabäerbuche war Ptolemäus der Statthalter von Cölesvrien
206 § 4. Die Eeligionsnoth und die Erhebung. [159. 160]
Inzwischen waren auch Judas und die Seinen nicht unthäti^
gewesen. Da Jerusalem von den Heiden besetzt war, sammelte
Judas seine Streitkräfte in Mizpa, dem alten Vorort Israel's in
der Richterzeit, nicht weit von Jerusalem 5^). Es war jetzt nicht
mehi" bloss | eine kleine Schaar begeisterter Kämpfer, sondern ein
stattliches jüdisches Heer, das er hier in militärischer Weise
organisirte: „er bestellte als Führer des Volkes Obersten über je
tausend und je hundert und je fünfzig und je zehn." Durch Gebet
und Fasten bereitete man sich auf den ungleichen Kampf. In der
Gegend von Emmaus, westlich von Jerusalem, am Ausgang des
Gebirges, traten die Heere einander gegenüber ^^).
Während das syrische Hauptheer im Lager bei Emmaus blieb,
suchte Gorgias mit einer starken Abtheilung desselben das jüdische
Heer auf. Als Judas davon hörte, wich er ihm aus und griff in-
zwischen das Hauptheer bei Emmaus an. Sein ermunternder Zu-
spruch trieb die Juden zu solcher Tapferkeit an, dass das syrische
Heer vollständig geschlagen wurde. Als die Abtheilung des Gorgias
zurückkam, sah sie bereits das Lager in Brand und die Juden bereit,
den Kampf auch mit ihnen aufzunehmen. Ohne einen solchen zu
wagen, flohen auch sie auf philistäisches Gebiet. Der Sieg der
Juden war ein vollständiger (166/165 v. Chr.) ^^).
und Phönicien, der die militärischen Operationen dem Nikanor und Gorgias
übertrug. — Jüdische Sklaven wurden in den folgenden Jahren in der
That bis nach Griechenland verkauft, s, Bil. III, S. 27.
54) Maaot}(pa I M. 3, 46 ist das alte n^ar, das in der Richterzeit der reli-
giös-politische Mittelpunkt Israel's gewesen war [Jndic. c. 20 — 21, I Sam. 7, 5 ti".
10, 17 ff.). Nach I Makk. 3, 46 lag es xartvavri ^leQovaaXrj/Lt, also nicht weit
von Jenisalera. Genauer ist die Lage nicht mehr mit Sicherheit zu bestimmen.
8. flberh.: Robinson, Palästina II, 356—362. Raumer, Palästina S. 213.
Smend in Riehm's Handwörterb. des bibl. Alterth. S. 1003 f. Guerin, JiaUe I,
39.'> — 402. Tleidet, Htriic Inblique III, 1804, ;>. 321 sqq. Verschiedene neuere
Hypothesen über die Lage verzeichnet Benzinger, Zeitschr. des DPV. XVIII,
1895, 8. 224 t.
55) I MakL 3, 42—60. Joseph. Antt. XII, 7, 3. — 'Efifiaovfx I M. 3, 40 u.
57, in der römischen Zeit Hauptort einer Toparchie, existirt noch heute unter
dem Namen Amwda (das neutestumcntliche Emmaus ist wahrscheinlich ein
anderer, nahe bei Jerusalem gelegener Ort). Vgl. ülx-rh. IJd. II S. lS3f., und
die dort genannte Literatur.
56) 1 Makk. 4, 1—25. Joncph. Autt. XII, 7, 4. II Makk. s, 12 n; — Die
Chronologie crglebt »«ich durch Combination von I M. 3, 37 (147 acr. Sei.) mit
4, 28 (iv Tif) fxoß^^H' ivtavtip oder was dasselbe ist (•v xtj» ^Q'/^onhw ivtavxip —
im folgenden Jahre) und 4, 62 (148 aer. Sei). Die erwälintcn Ereignisse fallen
aluo no<-h in «la« Jnhr 147 aer. Sei. — 1ÖÖ/165 v. Chr., ob aber 166 oder 105
V. Chr. lÜHnt »ich nicht entscheiden. — Als feindlichen Feldiierrn iietmt das
ernte Ifakkablerbuch nur den Gorgias, das zweite nur den Nikanor,
[160. 161] § 4. Die Religionsnoth und die Erhebung. 207
Im folgenden Jahre (165,164 v. Chr., und zwar wie der weitere
Verlauf zeigt, noch im Herbst 165 v. Chr.) führte Lysias selbst
ein neues, noch stärkeres Heer nach Judäa. Er griff nicht direct
vom Norden her an, sondern kam vom Süden, von Idumäa aus
(I M. 4, 29), gegen Judäa angezogen. Er muss also Judäa um-
gangen haben, sei es nun, wie Hitzig (S. 393) vermuthet, im
Osten um das todte Meer herum, oder, was wahrscheinlicher ist,
im Westen, indem er an der philistäischen Küste entlang und um
das Gebirge herum gezogen war. Bei ßeth-zur, südlich von
Jerusalem an der Strasse nach Hebron^'), kam es zum Treffen.
Obwohl das syrische | Heer weit überlegen war, erfocht Judas
auch diesmal einen vollständigen Sieg, so dass Lysias sich ge-
nöthigt sah, nach Antiochia zurückzukehren, um neue Streitkräfte
zu sanmieln^^).
beides vermuthlich richtig, insofern ersterer die Streifschaar, letzterer das
Hauptheer befehligte, lieber sonstige Dirterenzen zwischen I und II Makk.
in Betreff' dieses Feldzuges 8. Niese, Kritik S. 53—55 = Hermes 35, 466—468.
57) Bai^aovga Oi undr«) I M. 4, 29. 61. 6, 7. 26. 31. 49. 50. 9, 52. 10, 14.
11, 65. 14, 7. 33, ist das auch im A. T. häufig erwähnte "1S r*^?, nach Euseb.
Onmnast. ed. Lagarde p. 235 sq. zwanzig m. p. yfidlieh von Jerusalem in der
Richtung nach Hebron [xal exi vvv xcu/ui] Btj&owqu} xaXiTrai i/.&ovTtov dno
AiXiag eig Xsßgwv iv sl'xoai arjfxeloig), was durch die Lage des heutigen Be^ä-
Sur in der Nähe von Hulhut annähernd bestätigt wird (die Entfernung ist
f actisch etwas geringer). Die Entfernung zu 4 + 2+14 mit. pass. giebt auch
der Pilger von Bordeaux [Itinera Hierosolymitana ed. Geyer 1898 p. 25). Der
Ort heisst bei ihm Bethasora, auf der Mosaikkarte von Medaba Bs&aovpu
(Schulten, Abhandl. der Gott. Ges. der Wissensch. phil.-hist. Cl. N. F. IV, 2
1900 S. 22, 98). Ueber die heutige Namensform: Kampffmeyer, Ztschr. d. DPV.
XVI, 24. Ueberhaupt: Robinson, Neuere Forschungen S. 362 f. Raumer,
Pal. S. 181 f. Guerin, JiaUe III, 288—295. The Stirvey of Western Palestine,
Memoirs by Conder and Kitchener III, 311 «</. 324 sj., dazu Bl. XXI der
grossen englischen Karte.
58) I Makk. 4, 26—35. Joseph. Antt. XII, 7, 5. II Makk. 11, 1—15. — Die
Identität von II M. 11, 1 — 15 mit I M. 4, 26—35 kann nicht wohl zweifelhaft
sein (s. Grimm zu beiden Stellen). Aber die Berichte weichen freilich in zwei
Hauptpunkten stark von einander ab. 1) Das erste Makkabäerbuch weiss
nichts von einem Friedensschluss nach diesem Feldzug, während das zweite
von einem solchen berichtet, und zum Belege dafür vier Briefe (des Lysias,
des Königs und römischer Gesandter) mittheilt, II M. 11, 16 — 38. Die Echt-
heit dieser Briefe und damit die Geschichtlichkeit der Darstellung wird noch
von N i e s e vertheidigt (Kritik S. 63 fl'. 76 = Hermes 35, 476 ff". 489); unter etwas
anderen Gesichtspunkten auch von ünger, Sitzungsberichte der Münchener Aka-
demie, philos.-philol. und bist. Cl. 1895, Heft II S. 285 ff". — 2j Das IL Makka-
bäerbuch setzt diesen Feldzug des Lysias erheblich später, erst nach
derWiedereinweihung des Tempels, und giebt die Ereignisse der folgenden
Zeit auch sonst in anderer Reihenfolge. Die Abweichungen beider Erzählungen
hat Niese (Kritik S. 56 = Hermes 35, 469) durch folgende Tabelle veranschaulicht:
208 § 4. Die Religionsnoth und die Erliebung. [161]
Nach diesem zweifachen glücklichen Erfolge nahm Judas auch
wieder Besitz von Jerusalem und richtete sein Augenmerk auf die
Wiederherstellung des Gottesdienstes. Die Burg von Jerusalem
war zwar noch von syrischen Truppen besetzt. Allein Judas liess
sie durch seine Leute fortwährend in Schach halten, so dass die
Arbeiten am Tempel durch sie nicht gestört werden konnten. So
geschützt ging man an s Werk. Alles Unreine wurde aus dem
Tempel hinausgeschafft. Der Brandopferaltar, der durch heidnische
Opfer entweiht worden war, wurde gänzlich niedergerissen und ein
neuer an seiner Stelle erbaut s^). Die heiligen Geräthe wurden
I. Makk. c. 4 ft: II. Makk. c. 8 ff.
Sieg über Gorgias und Nikanor. Sieg über Gorgias und Nikauor.
1. Feldzug des Lysias. Besetzung Jerusalems.
Besetzung Jerusalems Tod des Epiplianes (c. 9).
und
Reinigung des Tempels. Reinigung des Tempels (c. 10).
Nachbarkämpfe (c. 5). Regierungsantritt Eupators.
Tod des Epiphanes Nachbarkämpfe.
und
Regierungsanfang Eupators (c. 6). 1. Feldzug des Lysias
und Friede (c. 11).
2. Feldzug des Lysias mit Eupator. Neue Nachbarkämpfe (c. 12).
2. Feldzug des Lysias mit Eupator.
Friede mit den Juden. Friede mit den Juden (c. 13).
Die abweichende Reihenfolge geht, wie Niese S. 60 f. = Hermes 35, 473 f.
hervorhebt, in der Hauptsache darauf zurück, dass: 1) die kleineren Kriegs-
züge gegen die Nachbarn, welche im IL Makkabäerbuch auf verschiedene Zeit-
punkte vertheilt sind, im I. Makkabäerbuche c. 5 zusammengerückt sind,
2) der Tod des Antiochus Epiphanes im I. Buch etwa ein Jahr später füllt als
im anderen, 3) der erste Angriff des Lysias um etwa ebensoviel früher gesetzt wird,
„also diese beiden Ereignisse, der Tod des Antiochus und das
Unternehmen des Lysias in den beiden Makkabäerbüchern unge-
fähr den Platz getauscht haben". Niese giebt in allen drei Punkten
dem II. Makkabäerbuche den Vorzug. Aber der Versuch, die Abweichungen
des I. Buche« als absichtliche, durch bestimmte Reflexionen des Verf. hervor-
gerufene zu erklären (8. 55—63 --= Hermes 35, 468—476), scheint mir nur in
B(!treff des ersten gelungen, und auch hier nur insoweit, als die Zusammen-
legung des zeitlich Auseinanderiiegenden durch ein gewisses schriftstellerisches
Interesse nahe gelegt war.
69) Die Steine von dem heidnischen Opfcraltur (oder vielleicht von mehre-
ren solclieii Altären) wurden „an einen unreinen Ort" getragen, also aus dem
Terapelbezirk hinaUHgoHchufll (I M. 4, 43). Die Steine des clienmligen jüdischen
Brandopfürultars dagegen wurden auf dem Tompell)erg an (jinen i)assenilen Ort
gelegt „bis ein Prophet aufstünde, der über sie Bescheid gäbe" (I M, 4, 46).
Mach Mitcfuut MiMdh I, 6 wurden die Steine des jüdischen Altars in einer
AD der Grenze den inneren Voriiofe», aber nicht mehr auf „heiligem" Boden
gtlegeneo Kammer niedergelegt. Mit I M. 4, -l.'J u, 46 <H)ml)itiirt Dcroihoiint
[IGl. 162] § 4. Die Religionsnoth und die Erhebung. 209
neu angefertigt, und nachdem alles vollendet war, wurde der Tempel
unter grossen Festlichkeiten aufs Neue eingeweiht. Es geschah
dies (nach I Makk. 4, 52) am 25. des Monats Kislev im Jahre 14&
aer. Sei = December 165 v. Chr., gerade an demselben Tage, an
welchem drei Jahre zuvor zum erstenmale der Altar durch heid-
nisches Opfer entweiht worden war ^'^). Acht Tage hindurch dauer-
ten die Festlichkeiten; und es ward beschlossen, alljährlich durch
Wiederholung der Feier das Andenken an jene Ereignisse zu er-
neuern^'). I
Die Wiedereinweihuug des Tempels bildet den ersten Abschnitt
in der Geschichte der makkabäischen Erhebung. Bisher waren die
p. 60—61 zwei dunkle Stellen in Megillath Taanith (§ 17 u. 20), wornach die
Steine des jüdischen Altares am 23. Marcheschwan (November), die des heid-
nischen etwas später am 3. Kislev (Dezember) w^eggeschaff't worden wären.
Die Erklärung beider Stellen ist jedoch fraglich. Vgl. auch Schwab, Actes
du onxieme Congrcs international des Orientalistes , Paris 1897, IV«« Section,
Paris 1898, p. 213—215.
60) Das Datum des 25. Kislev als des Tages der Tempelweihe giebt auch
Megillath Taanith § 23. Vgl. Derenbourg p. 62. Schwab l. c. p. 216 s?.
61) Vgl. überhaupt: I Makk. 4, 36—59. Joseph. Antt. XII, 7, 6—7. II Makk.
10, 1—8. — Von hier an datirt also das „Fest der Tempelweihe", xa
iyxaivia Ev. Juh. 10, 22. Vgl. Joseph. Antt. XII, 7, 7: xal i^ ixslvov fiixQt
öevQO TTjV soQTTjv uyoftev xaXovvxeq avrrjv (pöira (weil man an demselben
Lichter anzuzünden pflegte, vgl. Baha kamma VI, 6 und Maimonides). Nach
II Makk. 10, 6 wurde es nach Art des Laubhüttenfestes gefeiert und heisst daher
II Makk. 1, 9 geradezu „das Laubhüttenfest des Monats Kislev". Zur Feier
desselben werden in den beiden dem zweiten Makkabäerbuch vorangestellten
Briefen auch die ägj'ptischen Juden aufgefordert (die Literatur darüber s. Bd. III
S. 363 f.). Hebräisch heisst es ns:n Megillath Taanith § 23 (acht Tage lang
zu feiern). Bikkurim I, 6. Posch haschana I, 3. Taanith II, 10. Megilla III,
4. 6. Mocd kutan III, 9. Baba kamma VI, 0. Eine ausführliche Beschreibung
der Feier in nachtalmudischer Zeit giebt Maimonides, Hilchoth Megilla tca-
Chanukha c. III— IV (im dritten Buche seines grossen Werkes Jad ha-chasaka
oder Mischne Tora, deutsche Uebersetzung, Petersburg 1850—1852, Bd. II,
5. 532-542); Bodenschatz, Kirchliche Verfa.ssung der heutigen Juden II,
248 — 251; Schröder, Satzungen und Gebräuche des talmudisch-rabbinischen
Judenthums (1851) S. 159—163. — Beim Synagogen-Gottesdienst wurde am Cha-
nukafest Num. 7 gelesen [Megilla III, 6), der Fest-Psalm ist Ps. 30 (Tractat
Soferim XVIII, 2, dazu Joel Müller, Masechet Soferim 1878, S. 251). Daher
ist Ps. 30 überschrieben T'^'zTi n:3n~iiir. — Vgl. überh. S. Kr aus s, La fite
dt Hanoucca [Revue des etudes jtiives t. XXX. 1895, p. 24—43, 204—219). Dazu
Lcvi, ebendas. XXX, 220—231. XXXI, 1895, p. 119 s^. Krauss, ebendas.
XXXII, 1896, p. 39—50. Die Artikel „Kirchweihfest" in Win er 's EWB.,
Schenkel's Bibellex. (von Dillmann) und Riehm's Handwörterb. des Bibl.
Altertums; auch Oehler Art. „Feste der Juden" in Herzog's Real-Enc. 1. Aufl.
IV, 389, 2. Aufl. IV, 543 f., und die Commentare zu I Makk. 4, 59 (Michaelis,
Grimm, Keil) und Ev. Joh. 10, 22 (L i ght foo t Bbrae hebr., Wetstein Am-.
Test., Wolf Curae phil. u. A.).
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Anfl. 14
210 § 5. Die Zeit Judas' des Makkabäers (165-161). [162. 163]
Kämpfe der Glaubenstreueu stets von Erfolg gekrönt gewesen. Von
Sieg zu Sieg hatte Judas die Seinen geführt. Die Zukunft musste
nun beweisen, ob ihre Kraft ausreichend und ihre Begeisterung
nachhaltig genug war, um das in raschem Lauf Errungene dauernd
zu behaupten.
§ 5. Die Zeit Judas' des Makkabäers (165—161 v. Chr.).
Quellen: I Makk. 5—9, 22. II Makk. 12—15.
Josephtis, Antt. XII, 8 — 11. Auszug daraus: Zonaras, Annal. IV,
20—22.
Megillath Taanith § 30 bei Derenhourg , Histoire p. 63.
[Die dem Judas von de Saulcy, Recherchcs p. 84 sg. zugescliriebe-
nen Münzen gehören vielmehr Aristobul I, s. § 9].
Literatur: Die Werke über die syrische Geschichte von Foy-Vaillant,
Froelich, Clinton, Flathe, Stark u. A.
Die Untersuchungen und Commentare über die Makkabäerbücher
von Wernsdorff, Michaelis, Grimm, Keil u. A. |
Ewald, Geschichte des Volkes Israel IV, 407-422.
Herzfeld, Geschichte des Volkes Jisrael II, 272—290.
Hitzig, Geschichte des Volkes Israel II, 395—421.
Grätz, Geschichte der Juden Bd. II, 2 S. 352—376.
Renan, Histoire riu peuple d' Israel IV, 1893, p. 369 sqq.
Wellhausen, Israelitische und jüdische Geschichte 2. Aufl.
S. 245—250. 4. Aufl. S. 261-266.
H.Weiss, Juda.s Makkabäus, ein Lebensbild. Freiburg 1897, Herder.
Art. „Judas Makk." in Wiuer's RWB. und Schenkels Bibellex.
(letzterer von Fritzscbe).
Während der nächsten anderthalb Jahre nach der Wieder-
einweiliung des Tempel's (bis Sommer 103 v. Ohr.) blieb Judas
Herr von Judäa. Die syrische ( 'entralgewalt kümmerte sich nicht
um die dortigen Dinge, da sie anderweitig in Anspruch genonmien
war. So konnte Judas ungehindert auf Befestigung seiner Herr-
schaft bedacht sein. Der Tempelberg wurde mit stjirken Fest-
ungswerken versehen. An der Slldgrenze Judäa's wurde Beth-zur,
das den Schlüssel zu Judäa bildete, ebenfalls stark befestigt und
mit ein<tr jüdischen Besatzung belegt'). NumenMich aber wurden
KriegHzüge in die angrenzenden Gebiete unternommen, theils
\] I Makk. 4, 00-61. Joneph. Aitit. Xll, 7, 7. - Both-zur wird in der
folgenden Gotchichte noch oft uJh wiciitigcr Punkt erwähnt. 8. die oben S. 207
dtirton Stellen.
(1(53. 164] § 5. Die Zeit Judas' des Makkabäers (165—161). 211
,zum Schutze der dort wohnenden Juden, theils zur Befestigung der
eigenen Macht. Die Edomiter, Bajaniter und Amnioniter,
die sich alle feindlich gezeigt hatten, wurden nach einander ge-
züchtigt 2).
Bald kamen auch Klagen aus Gilead (also dem Ostjordan-
land) und aus Galiläa über Verfolgungen, welchen die dort woh-
nenden Juden von Seite der Heiden ausgesetzt waren. Es wurde
beschlossen, Beiden Hülfe zu bringen. Nach Galiläa zog Simon
mit dreitausend Mann, nach Gilead Judas mit achttausend Mann^).
In beiden Fällen war es nicht auf eine dauernde Eroberung jener
Landschaften abgesehen. Sondern nachdem Simon gegen die Heiden
in Galiläa „viele Schlachten" geliefert hatte, nahm er die dortigen
Juden sammt Weibern, Kindern und aller Habe, und führte sie
unter grossem Jubel nach Judäa, wo sie sicher geborgen waren ^).
Ebenso verfuhr Judas in Gilead. In einer Reihe siegreicher Kämpfe,
namentlich im Norden des Ostjordanlandes, warf er die dortigen
Stämme, als deren Führer ein gewisser Timotheus erscheint, nieder, \
sammelte dann alle Israeliten in Gilead, Gross und Klein, Weiber
und Kinder mit aller Habe, und führte sie wohlbehalten, nachdem
er sich noch bei Ephron (einer sonst nicht bekannten Stadt des
Ostjordanlandes) den Durchzug hatte erkämpfen müssen, über Beth-
sean (Skythopolis) nach Judäa ^).
Für die Zeit der Abwesenheit des Simon und Judas aus Judäa
war die Leitung der dortigen Dinge einem gewissen Joseph und
Asarja übertragen worden. Beide unternahmen gegen die aus-
2) I Makk. 5, 1—8. Joseph. Antt. XII, 8, 1. — Die edoiuitische Landschaft
Ak rabattine I M. 5, 3 hat ihren Namen von dem Höhenzug Akrabbim
Nwn. 34, 4; Josua 15, 3; Jtidic. 1, 36, und ist nicht zu verwechseln mit der
bekannteren, im Norden Judäa's gelegenen Toparchie Akrabattene. S. darüber
Bd. II S. 182.
3) I Makk. 5, 9-20. Joseph. Antt. XII, 8, 1—2.
4) I MaJck. 5, 21—23. Joseph. Antt. XII, 8, 2. Zur Erklärung von I M. 5,
23 vgl. oben S. 185.
5) I Makk. 5, 24-54. Joseph. Antt. XII, 8, 3-5. Vgl. II Makk. 12, 10-31.
Für das Geographische vgl. auch Grätz, Gesch. der Juden II, 2, S. 4.53—459.
Furrer, Zeitschr. des DPV. XII, 1889, S. 151. Buhl, ebenda«. XIII, 1890,
S. 41—43. Furrer, das. S. 198ft". van Kasteren, das. S. 212ff. Buhl
Studien zur Topographie des nördlichen Ostjordanlandes, Leipzig 1894. —
Ephron ist, wie Grätz richtig bemerkt, wohl identisch mit dem von An-
tiochus d. Gr. eroberten rs(p(}Ovq oder retpQovv [Polyb. V, 70, 12). So auch
Buhl, Studien S. 17f., der den Namen in dem heutigen Wad el-Ghafr
wiederfindet und die Stadt Ephron in der Nähe von Irbid sucht, wo noch
heute ein Wachtthurm [Kasr Wad el-Ohafr) die Stelle beherrscht, an welcher
die grosse Hauran- Strasse das Thal überschreitet {Schumacher, Northern
Adjhin 1890, p. 179, 181).
14*
•212 § 5. Die Zeit Judas' des Makkabäers (165-161). [164. 165]
drückliche Weisung des Judas einen Kriegszug gegen Janinia,
wurden aber von Gorgias (der also seit seiner Niederlage bei
Emmaus in Pliilistäa geblieben war) mit empfindlichen ^'erluste^
zurückgeschlagen. Das erste Makkabäerbuch unterlässt nicht, bei
dieser Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass es eben die Familie
der Makkabäer war, „durch deren Hand die Rettung Israels ge-
schehen sollte"^).
Judas aber setzte seine Kriegszüge weiter fort. Er zog wieder
gegen die Edomiter, belagerte und zerstörte Hebron; zog dann
über Marissa (so ist I M. 5, 66 statt Samaria zu lesen) ins Land
der Philistäer, überfiel Asdod, zerstörte die dortigen Altäre und
Götterbilder und kehrte mit reicher Beute nach Judäa zurück").
Es handelt sich, wie man sieht, schon nicht mehr um den Schutz
des jüdischen Glaubens, sondern um Befestigung und Ausdehnung
der jüdischen Macht.
Unterdessen hatten sich auch die Dinge im syrischen Reiche
geändert. Antiochus Epiphanes hatte mit seinen Unterneh-
mungen im Osten des Reiches ebensowenig Glück gehabt, wie seine
Feldherren in Judäa. Er war bis in die Landschaft Elymais vor-
gedrungen, war aber, nachdem er einen vergeblichen Versuch ge-
macht hatte, I die reichen Scliätze eines dortigen Tempels der Ar-
temis sich anzueignen, zum Rückzug nach Babylon gezwungen
worden und unterwegs in der persischen Stadt Tabä im J. 164
vor Chr. (I M. 6, 16: 149 aei-. Sei. = 164,163 V. Chr.) gestorben^).
6) I Makk. 5, 18—19, 55—62. Joseph. Äntt. XII, 8, 6. Ueber Jamnia s.
Hd. n, S. 98 f.
7) I Makk. 5, 63—68. Statt Zanugftav I M. 5, 66 hat Joseph. Antt. XII,
8, 6 MuQiaaav, ebenso der lateinische Text des codex Sanf/cttnanensis. Vgl.
auch II ^fnkk. 12, 35. Marissa, im A. T. HCia, ist eine sehr bekannte Stadt
im Süden Judäa'.s, damals edoraitisch {Anff. XIII, 9, 1), nach Euseh. Onomast.
ed. Lagardc p. 279 in der Nfihe von Eleuthoropolis, d. h. gerade zwischen
Hebron und Asdod. Es ist dalier die vf)n Joscplius gebotene Lesart sicher
die richtige, wie z. B. schon Grotius, Rclnnd. Michaeli« angenommen haben.
Grimm findet zwar die Erwälinimg eines blossen Diirclizugcs durch Marissa
unmotivirt. Dieser Durchzug wird aber, wie Keil mit Hecht bemerkt, deshalb
erwähnt, weil dort eine Anzahl Priester in unüberlegtem Kampf ihren Tod
fanden (5, 67). Ueber Asdod s. Bd. II. S. 96 f.
8) I Makk. 0, 1—16. Joseph. Antt. XII, 9, 1. Poltjb. XXXI, 11. rorphi/rim
bei Hieron. zu Daniel 11, 44—45 {Iliernn. opp. ed. Vallarsi V, 722). — Statt
der Artemis iPohjh.) nennt Appinn. Syrinca r. 06 die Aphrodite. Wegen der
Chronologie vgl. oben H. 169. — Die Erzählungen des zweiten MakkabäcrbuclieH
(1, 13—16 und r. 9) sind Mngenluift. Vgl. darüber Niese a. a. 0. 8. Kl f. --
Herme« 35, 407f. Willrich, Judnicn 1900, S. 142—144. — Einen gewagten
Vemuch, y.ur Bestimmung de» Orte«, wo Antiochus starb, dio Angaben bei
Daniel 11, 45 herniiziiziehen, macht GrÄtz, Monatsbchr. für Geschichte und
WiMenioh. den Judenth. 1S83, H. 241-254.
[165. 166] § 5. Die Zeit Judas' des Makkabäers (165-161). 213
Er hatte noch vor seinem Ende einen seiner FeldheiTen, Phi-
lip.pus, zum Reichsverweser und Vormund seines Sohnes An-
tiochus V Eupator ernannt. Statt dessen aber bemächtigte sich
Lysias der Person des jungen Königs und der obersten Gewalt
im Reiche^).
Zum Einschreiten gegen die abtrünnigen Juden wäre es viel-
leicht noch lange nicht gekommen, wenn nicht direct von Judäa
aus die dringende Aufforderung dazu nach Antiochien gelangt
wäre. Judas belagerte jetzt (I M. 6, 2U : 150 aer. Sei. = 163 162 vor
Chr.) die syrische Besatzung in der Burg von Jerusalem. Einige
von der Besatzung entkamen trotz der Belagerung und begaben
sich in Verbindung mit Vertretern der griechischen Partei unter
den Juden zum König, um ihm die Nothwendigkeit des Ein-
schreitens vorzustellen. Namentlich die Vertreter der griechisch-
jüdischen Partei klagten darüber, wie viel sie von ihren feindlichen
Volksgenossen zu leiden hätten: dass Viele von ihnen getödtet, ihre
Habe geraubt worden sei*^).
Erst jetzt rattte man sich in Antiochia wieder zu energischem
Handeln auf. Lysias selbst, in Begleitung des unmündigen Königs,
stellte sich an die Spitze eines gewaltigen Heeres, mit welchem
er nach Judäa zog. Er griff wieder von Süden her an und be-
lagerte zuerst Beth-zur. Judas sah sich genöthigt, die Belagerung
der Burg von Jerusalem aufzuheben und dem König entgegen-
zuziehen. Bei Beth-sacharja, zwischen Jerusalem und Beth-zur,
trafen die Heere zusammen ^ ^). Es zeigte sich alsbald, dass gegen-
über ernstlichen Anstrengungen der syrischen Macht die Juden
auf die Dauer trotz aller Tapferkeit nicht im Stande waren, sich
siegreich zu behaupten. Muthig gingen sie in den Kampf. Der
eigene Bruder des Judas, Eleasar, that sich vor Allen hervor:
er glaubte den Elephanten entdeckt zu haben, auf welchem der
junge König sich befand, drängte sich vor, stach den Elephanten
nieder und wurde von der Last des zusammenstürzenden Thieres
erdrückt. Seine Selbstaufopferung und alle Anstrengungen der Juden
9) I Makk. 6, 14—17. Joseph. Antt. XII, 9, 2.
lOj I Makk. 6, 18—27. Joseph. Antt. XII. 9, 3.
11) BaiS-^ax«Qicc I 3/. 6, 32, nach Joseph. Antt. XII, 9, 4 siebzig Stadien
von ßetli-zur (nach Norden), noch, heute Beit-Sakaria. S.Robinson, Neuere
Forschungen S. 371 f., Eaumer, Palästina S. 181. 6 uerin, Judde III, 316—319.
The Survey of Western Palestine, Memoirs hy Conder and Kitcliener III, 35 sq.
108, dazu Bl. XVII der grossen engl. Karte. Schick' s Karte der weiteren
Umgebung von Jerusalem J 2 (Zeitschr. des DPV. XIX, 1896 1, dazu Text
a. a. 0. S. 175. — Unrichtig identificirt Ritter, Erdkunde XVI, 205—207
Beth-sacharja mit edh-Dholieriyeh, wornach es südwestlich von Hebron liegen
würde.
214 § 5. Die Zeit Judas' des Makkabäers (165—161). [166. 167]
waren aber umsonst. Das jüdische Heer wurde geschlagen, und
zwar so entscheidend, dass das königliche Heer bald darauf vor
den Mauern Jerusalems erschien und den Zion (d. h. den Tenipel-
berg) belagerte '^j.
Auch Beth-zur musste sich ergeben und erhielt eine syrische
Besatzung. Die auf dem Zion Belagerten litten aber bald Maugel
an Lebensmitteln, da wegen des Sabbathjahres keine Vorräthe
vorhanden waren i^). Die völlige Unterwerfung der Juden schien
nahe bevorstehend, als plötzlich Lysias wegen der Vorgänge in
Syrien sich veranlasst sah, den Juden unter milden Bedingungen
Frieden zu gewähren. Jener Philipp us nämlich, welchen Antiochus
Epiphanes zum Eeichsverweser und Vormund des unmündigen
Antiochus V eingesetzt hatte, war im Anzug gegen Antiochia,
um sich der Herrschaft zu bemächtigen. Um gegen ihn freie Hand
zu haben, gewährte Lysias den Juden eben das, worum
bisher gekämpft worden war: die freie Ausübung ihrer
Religion. Es sollte ihnen fortan gestattet sein, „nach ihren
Satzungen zu wandeln wie früher". Unter dieser Bedingung zogen
die auf dem Zion Belagerten ab; die Befestigungen desselben
wurden geschleift (angeblich gegen das eidliche Versprechen des
Königs). Die Unterwerfung der Juden war wiederher-
gestellt, aber mit Erreichung des Zieles, um dessent-
willen sie fünf | Jahre zuvor sich gegen die syrische
Herrschaft erhoben hatten'^).
Das Zugeständniss, das Lysias und Antiochus V den Juden im
eigenen Interesse gemacht hatten, ist von keinem der folgenden
Könige aufgehoben worden. Keiner ist auf den tlua-ichten Ein-
fall des Antiochus Epiphanes, die Juden gewaltsam zu ethnisiren,
12) I Makk. G, 28—48. Joseph. Antt. XII, 9, 3—6. Bi'U. Jud. I, 1, 5;
II Makk. 13, 1—17. Die Niederlage wird im ersten Makkabäerbuohe (6, 47)
nnr sehr schüchtern angedeutet; im zweiten Makkabäerbuch ist sie sogar in
einen Sieg verwandelt II S. darüber Grinnn, Exeget. Handb. zu I Makk.
8. 103, zu II Mnkk. S. ini f. Dass hier das erste Makkabäerbuch den Vorzug
verdient, erkennt auch Niese an (Kritik 8. 77 — Hermes 35, 490).
13) I Makk. 6, 49-64. Joseph. Antt. XII, 9, 5. II Makk. 13, 18-22. Die
Erwähnung des Sabbathjahres (I .V. 0, 49: oxi adßßaxov ^v xtj yy, 0, 53:
Ata x6 VßSofiov hog tlvai) zeigt uns, dass die ErcigniHHc noch in das J. 163
V. Chr. fallen. Denn das Jahr 150 aw. Set. (in welchem wir uns nadi I .1/. Li,
20 Vgl. mit 7, 1 befinden) läuft nach der Rechnung des ersten Miikkuhäcrbuches
von Frtilijalir 103 bis Frühjahr 162 v. Chr. Das Sabbathjalir nhvr beginnt
immer im Herbint (Müehna Rasch haschana I, 1). Da nun Ixnits Mangel im
Lebensmitteln eingetreten war, so muss es die zweite Hälfte des SnhbutlijaliroH
ggweeen mId, nachdem im Winter und Frühjahr die Felder nicht bestellt worden
waren; also Sommer 103 v. Chr.
14) I yiakk. 8, 65-02. Joseph. Amt. XII. l», 0-7. II Mnkk. 13, 23-20.
[167. 168] § 5. Die Zeit Judas' des Makkabäers (165—161). 215
zurückgekommen. Der jüdische Cultus, der durch Judas den
Makkabäer wiederhergestellt worden war, hat auch in allen
Wechselfällen der folgenden Zeit im Wesentlichen unangetastet
fortbestanden. Dies ist wohl zu beachten, um ein richtiges Urtheil
über die folgenden Kämpfe zu gewinnen. Das Ziel des Kampfes
ist jetzt ein anderes, als bisher. Es handelt sich nicht
mehr um den Bestand der Religion, sondern — wie einst
in der Vorgeschichte der raakkabäischen Erhebung — um die
Herrschaft der griechenfreundlichen oder der nationalen
Partei innerhalb des jüdischen Volkes selbst. Es ist
wesentlich ein innerjüdischer Kampf, an welchem sich die
syrischen Oberherren nur insofern betheiligten, als sie bald diese,
bald jene der beiden jüdischen Parteien unterstützten und an die
Spitze der Landesregierung stellten. In gewissem Maasse kamen
dabei freilich auch die religiösen Interessen in Betracht. Denn
die griechische Partei ging in ihrer Befijrderung des griechischen
Wesens weiter, als es ihren nationalen Gegnern mit der Religion
Israels vereinbar schien. Aber das Fundament stand doch nicht
mehr in Frage *^).
Durch die Ereignisse der letzten Jahre war die griechenfreund-
liche Partei in Judäa von der Leitung der Geschäfte verdrängt,
ja überhaupt unterdrückt worden. Thatsächlich stand Judas an
der Spitze des jüdischen Volkes '^). Es ist begreiflich, dass die
Gegen partei diese Thatsache nicht ruhig hinnahm, sondern ihrer-
seits wieder Anstrengungen machte, an's Ruder zu kommen. Es
geschah das aber erst, nachdem in Syrien abermals ein Thron-
wechsel eingetreten war. Antiochus V und Lysias hatten
zwar jenen Philippus, der ihnen die Herrschaft streitig machen
15) Vgl. Wellhausen, Pharisäer und Saddueäer S. 84: „Das Jahr 162
ist das eigentliche Ende des jüdischen Religionskrieges. Hinterher ward nicht
mehr um den Glauben, sondern um die Herrschaft gestritten."
16) Wer seit Wiederherstellung des Cultus das hohepriesterliche Amt
verwaltet hat, geht aus dem ersten Makkabäerbuch nicht hervor. Nominell
war noch Menelaus Hoherpriester, der erst von Antiochus V Eupator eben
damals, als dieser den Juden die entscheidenden Concessionen machte, hin-
gerichtet worden sein soll, und zwar deshalb, weil Menelaus durch seine
schlechten Rathsehläge indirect die Empörung der Juden verschuldet habe
{Joseph. Antt. XII, 9, 7. Vgl. II Makk. 13, 3—8). Menelaus konnte aber natür-
lich während der factischen Herrschaft des Judas keine hohenpriesterlichen
Functionen ausüben. Sollte etwa Onias IV, der Sohn Onias' III, fungirt
haben, der nach Josephus beim Tode seines Vaters noch unmündig gewesen
war [Antt. XII, 5, 1), und der eben jetzt nach Aegypten ging, weil nach der
Hinrichtung des Menelaus nicht ihm, sondern dem Alkimus das hohepriester-
liche Amt übertragen wurde {Antt. XII, 9, 7)?
216 § ö. Die Zeit Judas' des Makkabäers (165—161). fl68]
wollte, nach kurzem Kampfe überwältigt i'). Aber bald wurden
sie selbst durch einen neuen Thronprätendenten aus dem Wege
geschafft. Demetrius I, nachmals mit dem Beinamen Soter —
der Sohn des Seleucus IV Philopator, also Neffe des Antiochus
Epiphanes und Vetter des Antiochus Eupator — der bisher als
Geisel in Rom gelebt und den römischen Senat vergeblich um die
Erlaubniss zur Rückkehr in seine Heimath ersucht hatte, wusste
von dort heimlich zu entkommen und landete in Tripolis an der
phönicischen Küste ^^). Es gelang ihm bald, sich einen Anhang
zu verschaffen^^); ja die eigenen Kriegsleute des Königs Antiochus
lieferten diesen und seinen Vormund Lysias dem Demetrius aus.
Auf dessen Befehl wurden beide ermordet und Demetrius ward
König, 162 v. Chr."^^). Der römische Senat war anfangs über die
Flucht des Demetrius sehr bestürzt; doch wusste sich Demetrius
auch von seiner Seite bald die Anerkennung als König zu ver-
schaffen ^i).
Bald nach dem Regierungsantritt des Demetrius machten nun
die Häupter der hellenistisch-jüdischen Partei, an ihrer Spitze ein
gewisser Alkimus (oder wie sein hebräischer Name eigentlich
lautete Jakim)^-^) Vorstellungen beim König wegen ihrer Unter-
drückung durch die Partei des Judas. Judas und seine Brüder
hätten gerade die Anhänger des Königs getödtet oder aus dem Lande
vertrieben. Dieser Gesichtspunkt schlug natürlich bei Demetrius
durch. Alkimus wurde zum Hohenpriester ernannt, und
gleichzeitig ein syrisches Heer unter Führung des Bacchides nach
Judäa geschickt, um den Alkimus nöthigenfalls mit Gewalt in sein
Amt einzusetzen 23).
17) I MaJck. 6, 03. Joseph. AtUt. XII, 9, 7.
18) FmscI). Cfirm. ed. Schoene I, 254 (— = SyncelL ed. Dindorf I, 550 sqX
II Makk. 14, 1.
19) Justin. XXXIV, 3: Delatus in Syriam secumio farore omnium excipitur.
20) I ^fnkk. 7, 1-4. Joseph. Ayitt. "xil, 10, 1. IT Makk. 14, 1-2. Livius
Epit. XLVI. Appian. Syr. c. 47. Wegen der Chronologie s. oben S. 170 f.
21) Polyh. XXXI, 23. XXXII, 4.
22) Joseph. Antt. XII, 9, 7: ''Akxt(AO<: o xal 'laxetfiOi; xk7]{hi<:. In der Ueber-
»k'ht Antt. XX, 10 nennt JosephuH ihn nur 'Idxitxoq. Auch im Text des ersten
MÄkkabfierbucbe« I M. 7, 5. 12. 20. 21. 23. 25, und e. 9, 54-57, sowie II Makk.
14, 3, haben verHchiedcne HundHchriften den Zusatz b xal ^laxifioi.
23; I Makk. 7, 5—9. Josqth. Anlf. XII. 10, 1-2. II Makk. 14, 3-lU. —
Vtu:h Joseph. AtUt. XII, 9, 7 wäre AlkimuH «cbon von Antiochus V Euputor
tum Uohenprie«ter ernannt worden. Nach II Makk. 14, 3 (f. soll er l)ereitH
früher einninl Hohcrf)rieMter geweuen »ein. Vgl. Ober ihn überh. Wilckon in
I'nuly-WJHHowu'H Hcal-Knc I, 1643. Hvf/y in; Cheyuc aml Black, Kncyclopaedia
JMiiru I, Klüfl.
[169. 170] § 5. Die Zeit Judas' des Makkabäers (165-161). 217
Es ist für die Bestrebungen der Makkabäer sehr charakteristisch,
wie die Dinge sich nun weiter entwickelten. Der Widerstand gegen
Alkimus von Seite der streng-jüdischen Partei war keineswegs
ein allgemeiner. Infolge der beruhigenden Zusicherungen, welche
ergab, wurde er gerade von den Vertretern der strengsten
Eichtung, von den Schriftgelehrten und den „Frommen"
(Aoiöaioi IM. 7, 13) als legitimer Hoherpriester aus dem
Geschlechte Aaron's anerkannt. Nur Judas und sein An-
hang verharrten im Widerstände. Sie trauten den Zusagen des
Alkimus nicht und glaubten ihre religiösen Interessen nur dann
gesichert, wenn sie auch die Herrschaft hätten 2^).
Der Erfolg hat gezeigt, dass sie nicht Unrecht hatten. Eine
der ersten Thaten des Alkimus war, dass er sechzig Mann von der
Partei der Asidäer hinrichten liess. Das flösste zwar Furcht und
Schrecken ein, schärfte aber auch wieder den Gegensatz. Trotz-
dem hielt Bacchides seine Anwesenheit in Judäa nicht mehr für
nüthig. Indem er eine Militärmacht zum Schutze des Alkimus in
Judäa liess, kehrte er selbst nach Syrien zurück. So waren nun
Alkimus und Judas im Wesentlichen darauf angewiesen, ihre
eigenen Kräfte gegen einander zu messen. Der ofiene Kampf
zwischen beiden Parteien, der nun begann, schien aber mehr und
mehr sich zu Gunsten der Makkabäer zu neigen, so dass Alkimus
sich genöthigt sah, zum König zu gehen und um neue Unterstützung
zu bitten 2^).
Demetrius sandte nun einen andern Feldherrn, den Nikanor,
abermals mit einem grossen Heere nach Judäa. Nikanor suchte zu-
nächst durch List sich der Person des Judas zu bemächtigen. Allein
Judas erhielt davon Kunde, und der Anschlag misslang. Darauf
kam es bei Kapharsalama^*^) zu einem Trefl'en, das für | Nikanor
24) I MaJck. 7, 10—15. Joseph. Antt. XII, 10, 2. Das zweite Makkabäer-
buch (II M. 14, 6) identificirt fälschlich die Asidäer mit der Partei des Judas.
S. darüber Wellhausen, Pharisäer und Sadducäer S. 79 fF.
25) I Makk. 7, 16—25. Joseph. Antt. XII, 10, 2—3. Ueber das I M. 7, 19
erwähnte Bezeth s. Schlatter, Zeitschr. des DPV. XIX, 225.
26) Die Lage des Ortes ist unbekannt. Die Ausleger des ersten Makka-
bäerbuches (Michaelis, Grimm, Keil zu I M. 7, 31) setzen ihn südlich von
Jerusalem, „da Nikanor nach dem Verluste der Schlacht sich nach Jerusalem
und dann nach Beth-horon zurückzieht" (Keil). Dieser Grund ist aber nicht
zwingend. Eine wirkliche Niederlage hat Nikanor bei Kapharsalama gar nicht
erlitten, da sein Verlust nur 500 Mann betrug (so ist I M. 1, 32 zu lesen statt
vulfj. 5000). Man kann sich die Sache daher so vorstellen, dass Nikanor, nach-
dem er bei Kapharsalama nichts Entscheidendes gegen Judas ausgerichtet
hatte, sich zunächst Jerusalems versichern wollte, wo er an der Besatzung der
Burg einen Rückhalt hatte. Unter diesen Umständen steht nichts im Wege,
218 § 5. Die Zeit Judas' des Makkabäers (165—161). [170]
ungünstig verlief. Er kam dann nach Jerusalem und liess dort
seine Wuth an den unschuldigen Priestern aus. Während sie
ihn ehrerbietig begrüssten, verspottete und verlachte er sie und
drohte, wenn ihm nicht Judas und sein Heer ausgeliefert würden,
bei seiner siegreichen Wiederkehr den Tempel den Flammen preis-
zugeben 2").
Darauf rückte er wieder aus in die Gegend von Beth-horon
(nordwestlich von Jerusalem), wo er Verstärkungen aus Syrien an
sich zog. Judas lagerte ihm gegenüber bei Adasa^s). Am 13. Adar
161 vor Chr. kam es zum Entscheidungskampf, der mit einer
völligen Niederlage der Syrer endigte. Nikanor selbst fiel im Ge-
tümmel. Als seine Leute dies sahen, warfen sie die Waffen weg
und ergriffen eilig die Flucht. Die Juden jagten ihnen nach, um-
ringten sie und machten sie (wie wenigstens das erste Makkabäer-
buch behauptet) bis auf den letzten Mann nieder. Jedenfalls muss
der Sieg ein gewaltiger und entscheidender gewesen sein. Denn
zum Andenken an denselben wurde von der Zeit an der 1 3. Adar
(ungefähr unserm März entsprechend) alljährlich als „Nikanor stag'^
festlich begangen '^^). \
Kapharsalama nordwestlich von Jerusalem zu setzen und es mit dem im
11. Jahrhundert erwähnten Carvasalim bei Ramleh, nicht weit von Lydda, zu
identificiren (so Robinson, Pal. II, 255; Ewald IV, 419). Ein ö^ü "iBD auch
im Talmud {Reland, Pal. p. 690; Neubauer, O^of/raphie du Talmud p. 173), und
bei arabischen Geographen (Gildemeister, Zeitschr, des DPV VIT, 170. Guij
le Strange, Palest ine under the Moslems p. 471 59.).
27) I Makk. 7, 26—38. Joseph. Antt. XII, 10, 4-5. II Makk. 14, 11—36.
28) *Adaad I M. 7, 40. 45, nach Joseph. Antt. XII, 10, 5 dreissig Stadien
von Beth-horon, vermuthlich identisch mit demkrfaaa in der Nähe von Gophna,
welches Eusebius kennt {Onomast. ed. Lagarde p. 220: xal ^avt vvv xatfirj iyyvg
rov<fv<5v). Es lag also nordöstlich von Beth-horon. Verschieden davon
ist das gleichnamige nt^nn im Stamme Juda (Jbswa 15, 37, Mischna ErulnnY, 6),
dji«, eben weil es zum Stamme Juda gehörte, nicht in der Nähe von Gophna
gelegen haben kann, wie Eusebius irrig annimmt (s. dagegen schon Hieronymus,
Onomast. ed. Lagarde p. 93). V^gl. die Artikel „Adusa" und „Hadasa" in den
Wörterbüchern von Winer, Schenkel und Itiehm. — Mit unserem Adnsa
wird von Manchen eine RuinenBtätte Khirbd Adasa an der grossen Strasse
nördlich von Jerusalem identiflcirt [Oufrin, Jtulie III, 5—6, The Sttrvcg uf
Wettern Palestine, Memotrs l»/ Conder and Kitchener III, 30. 105 s^., dazu
Bl. XVII der engl. Karte. G. A. Smith, Historical Oeographg jk 291). Die
Identität »cheint mir sehr fraglich, da Khirbet Adasa etwa sechzig Stadien
von Beth-horon, und nicht gegen Gophna, sondern in südöstlicher Richtung
Hegt. — Clermont-Oanneau, Archacological Uesearches in Palestine II
p. 1ü$q. sucht AdoKa in Hadetheh, zwischen Beth-horon und Gcser, 3(t Stadien
voD'enterem entfernt, unter Berufung auf 1 M. 7, 45. Aber aus dieser Stelle
folgt nicht, dniis Adnua zwischen Beth-horon und Gesor lag.
29) I Makk. 1, 89-50. Jo$eph. Antt. XII. 10, 5. II Makk. 15, 1-36.
[171] § 5. Die Zeit Judas' des Makkabäers (165—161). 219
Judas war hiermit aufs Neue Herr der Situation. In
diese Zeit verlegt Josephus den Tod des Alkimus und datirt von
da an das Hohepriesterthuni des Judas. Allein der Tod des Alki-
mus fällt nach dem ersten Makkabäerbuche erheblich später; und
dass Judas überhaupt hohepriesterliche Functionen ausgeübt hat,
ist sehr uuAvahrscheinlich ^o).
Das Richtige an der Auffassung des Josephus ist aber dies,
dass Judas nun thatsächlich an der Spitze des jüdischen Gemein-
wesens stand. Und es war sein bewusster Plan, sich oder wenigstens
seine Partei dauernd in dieser beherrschenden Stellung zu be-
haupten. Die Ereignisse hatten ihn aber gelehrt, dass dies nur
möglich sei unter völliger Loslösung vom syi'ischen Reiche. Der
syrische König hatte ja eben mit Waffengewalt der gegnerischen
Partei die Herrschaft in Judäa sichern wollen. Es galt also, das
syrische Joch überhaupt abzuschütteln. Um dies zu erreichen,
wandte Judas sich an die Hülfe der Römer. Diese waren
seit den Kämpfen mit Antiochus dem Grossen (192 — 189 v. Chr.)
an den Vorgängen im syrischen Reiche aufs Lebhafteste inter-
essirt und überwachten dieselben mit argwöhnischem Auge. Wieder-
holt griifen sie mit ihrem Machtspruch in die Angelegenheiten
Syriens ein ^i). Alle centrifugalen Bestrebungen daselbst konnten
Megillath Taanith § 30 (bei Derenbonrg p. 63; Schwab, Actes du onxieme
Congres des Orientalistes, IVwe Seetion, 1898, p. 219 sq.). — Das Jahr, in wel-
ches die Niederlage des Nikanor fällt, wird im I. Makkabäerbuch nicht direct
angegeben, kann aber nach I M. 7, 1 vgl. mit 9, 3 nur das Jahr 151 aer. Sei.
= 162/161 vor Chr. sein. Der Adar 151 «er. Sei. ist aber = März 161 vor Chr.
Das Bedenken, welches gegen diese Datirung in der 1. Aufl. dieses Buches
geltend gemacht wurde (dass dann für die Ereignisse seit dem Regierungs-
antritt des Demetrius der Zeitraum zu kurz sei), kann ich nicht mehr als
stichhaltig anerkennen.
80) Ueber den Tod des Alkimus s. I 'Slalh. 9, 54—56. Ueber das Höh e-
priesterthum des Judas: Joseph. Antt. XII, 10, 6. 11, 2. An sich wäre
es nicht undenkbar, dass Judas auch die hohenpriesterlichen Functionen usur-
pirt hätte. Aber das erste Makkabäerbuch sagt davon nichts; auch war in der
Person des OniasIV (s. oben S. 215) ein legitimer Prätendent vorhanden, der
doch wohl von Judas als solcher respectirt worden ist. Josephus selbst sagt an
einer anderen Stelle ausdrücklich, dass nach dem Tode des Alkimus das hohe-
priesterliche Amt sieben Jahre lang unbesetzt geblieben sei {Antt. XX, 10:
öieös^axo 6a ovötlq avxov, dXXu öiexäXeoev rj nöXiq ivtavroig knrä x<"qIq «Vz'f*
(}e(og ovaa). Hiermit fallen von selbst auch die Ausführungen von Wieseler
(Stud. u. Krit. 1877, S. 293— 298) und Grätz (Gesch. der Juden II, 2 S. .365 fi".
Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. 1883, S. 1—6).
31) So wurde Antiochus Epiphanes durch Popilius Länas zum Auf-
geben Aegypten's genöthigt (s. oben S. 197). Nach dem Tode des Antiochus
Epiphanes verlangte der römische Senat von Antiochus Eupator und seinem
220 § 5. Die Zeit Judas' des Makkabäers (165—161). [171. 172]
von vornherein ihrer Unterstützung gewiss sein. Es war daher
sehi' naheliegend, dass Judas den Versuch machte, mit Hülfe der
Kömer die momentan errungene Freiheit sich dauernd zu sichern.
In anschaulicher Weise schildert uns das erste Makkabäerbuch,
wie Judas von den Thaten und der Macht der Römer gehört hatte ;
und wie ihn dies veranlasste, um ihre Hülfe nachzusuchen. Gerade
die Incorrectheiten, die dabei mit unterlaufen, vergegenwärtigen
uns deutlich das Maass dessen, was man damals in Judäa von den
Römern wusste. Judas sandte also zwei Männer seiner Partei, den
Eupolemus, Sohn des Johannes, und den Jason, Sohn des Eleasar,
als G-esandte nach Rom (ersterer vielleicht identisch mit dem
Eupolemus, den wir als hellenistischen Schriftsteller kennen, s. Bd.
III S. 351 — 354). Das Ziel, welches er dabei im Auge hatte, war
ausgesprochenermassen die Abschüttelung des syrischen Joches
(I M. 8, 18: rov agai xov ^vyov ajc avrcäv). Der römische Senat
schenkte den jüdischen Gesandten gerne Gehör; und es kam ein
Freundschaftsvertrag zu Stande, dessen wesentlichste Be-
stimmungen die waren, dass die Juden den Römern und ebenso
die Römer den Juden im Kriegsfalle Beihülfe leisten sollten, jedoch
nicht unter ganz gleichen Bedingungen, und in jedem Falle, „wie
es die Umstände erforderten" (I M. 8, 25 u. 27: oog av 6 xaiQog
vjtoyQa^fj). Es lag also ziemlich im Belieben der Römer, wie weit
sie sich dadurch gebunden erachten wollten-'-).
Vormunde Lysias bedeutende Reduction der syrischen Streitkräfte [Pohjb.
XXXI, 12. Ajrpian. Syriaca c. 46).
32) I MaJck. c. 8. Joseph. Antt. XII, 10, 6. — Ein älinlicher Freundschafts-
vertrag zwiHcheu Rom und Astypalüa vom J. 105 vor Clir. ist durcli eine
Inschrift bekannt, Corp. Inscr. dracc. n. 2485 -^ Ini^criptiones Oraecac insu/a-
rum fnsc. III, 1898, n. 173 (auch bei Ricks, Manual of greek historicaliiiscn'p-
tions, Oxford 1882, p. 347—349). — Zur Erläuterung und Beurthciluug von
I Makk. 8 vgl. ausser den Commentareu (Michaelis, Grimm, Keil) bes.:
Grimm, Zeitschr. für wissenschaftl. Theol. 1874, 8. 231—238 (mit Mittheilungen
von Mommsen) und Mendelssohn in llitschl's Acta societatis philologae
Lipsieruis t. V, 1875, p. 91 — 100. — Während noch Mommsen und Men-
delssohn keine Bedenken gegen die Echtheit des Vertrages I .1/. 8, 23—30
hutt<;n, wird dicselbo neuerdings bestritten. Am weitesten geht in der radi-
kalen Kritik Will rieh, indem er alle diplomatischen nczicliungiMi zwischen
Juden und lÜinirrn zur Zeit der drei makkabüisciicn Hrüder Judas, Jonathan
und Bimon aus der (tcHchichte streicht und dioselben erst unter Johannes
Hyrkan I beginnen lässt (Judaica 19(X), S. 62—85). Dies ergiebt sich für ihn
auH der Bemerkung in dem Erlasse Cäsars (^Antt. XIV, 10, 6), dass die Juden
Jope liesassen, seitdcni sie mit den It<"tniern in frcnndsciiaftlicher Beziehung
Mtnnden i'lonnrjv re noXtv, ijv on' dQx^i<i l'ox"^ ^^ 'lonialoi noiovfxtvot xijv rtQog
^IhitfialovQ <n).luv, avxujv flvai xaOux; xal r6 Tutuitov). Jope ist nun allenlingM
erst nnt<'r Jonathan in jüdisciien Besitz gekonunen. Eben darum aber trid't
dan Argument für die Zelt äimons jedenfalls nicht zu. Es trifft aber über-
[172. 173] § 5. Die Zeit Judas' des Makkabäers (1G5-161). 221
Gleichzeitig mit dem Abschluss dieses Vertrages erliessen die
Römer ein Schreiben an Demetrius, worin sie ihm jedes feind-
liche Vorgehen gegen die Juden, als die Bundesgenossen der Römei-,
untersagten ^^). Ihr Machtspruch kam zu spät. Demetrius handelte
so rasch und energisch, dass die Katastrophe des Judas bereits
vollendet war, ehe von einem Einschreiten der Römer die Rede sein
konnte ^^). Unmittelbar nachdem er die Nachricht von dem Tod
und der Niederlage des Nikanor erhalten hatte, sandte er eine
grosse I Streitmacht unter Bacchides nach Judäa, welche bereits
im ersten Monat des Jahres 152 aer. Sei = April 161 vor Chr.
(I M. 9, 3), also nur ein bis zwei Monate nach dem Falle des
Nikanor, in der Nähe von Jerusalem eintraf 3^). Bacchides lagerte
bei Berea (Beerzath, Berzetho), Judas bei Elasa (auch Eleasa
haupt nicht zu, denn jene Stelle beweist nur, dass die Juden dem Cäsar vor-
stellten, Jope sei ihr alter und rechtmässiger Besitz. Subtile historische
Untersuchungen über die Berechtigung dieses Anspruchs wird Cäsar, der
Judenfreund, schwerlich angestellt haben. Andererseits entspricht die Er-
zählung des I. Makkabäerbuches über die Beziehungen des Judas zu den
Römern so sehr der geschichtlichen Situation, dass zu Zweifeln darüber kein
Anlass vorliegt. Etwas anderes ist die Frage nach der Echtheit des Vertrages
I M. 8, 23 — 30. Diese wird z. B. auch von Niese bestritten, der im Uebrigen
die Beziehungen des Judas zu den Römern für historisch hält (Kritik S. 88 f.
= Hermes 35, 501 f.). Wenn man aber bedenkt, dass zwischen dem Original
und dem uns vorliegenden Wortlaut das Zwischen-Glied einer hebräischen
Uebersetzung liegt, so sehe ich nicht, welche Gründe gegen die Echtheit ent-
scheiden sollen. Für dieselbe dürfte namentlich sprechen, dass die Vertrags-
bestimmungen zum Nachtheil der Juden ungleich sind (Grimm,
Zeitschr. f. w.Th. 1874, 234). Will rieh selbst hält übrigens die Urkunde für
echt, setzt sie aber, weil sie bei Josephus {Äntt. XII, 10, 6) nach dem „Hohen-
priester Judas" datirt ist, in die Zeit des Aristobul I, der auch Judas hiess
(Judaica S. 71 ff.). Das heisst dem Josephus, der hier nur das I. Makkabäer-
buch benützt, viel Ehre erweisen.
33) I Makk. 8, 31—32.
34) Nach dem Zusammenhang des ersten Makkabäerbuches ist anzu-
nehmen, dass Judas die Gesandtschaft erst nach dem Sieg über Nikanor
abgeordnet hat. Unter dieser Voraussetzung kann er die Rückkehr der Ge-
sandten gar nicht mehr erlebt haben. Denn sein Tod fällt nur ein bis zwei
Monate nach dem Sieg über Nikanor. Vgl. Grimm, Exeget. Handb. zu
I Makk. S. 131.
35) Wegen der Berechnung des Datums vgl. oben S. 34. — Da Nikanor
am 13. Adar (= d. letzten Monat des jüdischen Jahres) fiel (I ^f. 7, 43. 49),
Bacchides aber „im ersten Monat" 152 aer. Sei. vor Jerusalem erschien (I 3/.
9, 3), so bleibt für das [Anrücken des syrischen Heeres ein Spielraum von
IV2 Monaten, was wohl genügt. „Sollten aber doch jemanden die 45 Tage
zu wenig dünken, so könnte ich ihm noch mit 30 oder 31 anderen zu Hülfe
kommen. Das Jahr dürfte nur ein Schaltjahr gewesen seyn, d. i. den einge-
schalteten Mond Veadar gehabt haben" (Michaelis, Anni. zu I J/. 9, 3).
222 § 5. Die Zeit Judas' des Makk^bäers (165—161). [173]
und Alasa geschrieben) ^6). Die Uebermacht der Syrer war so
augenfällig, dass man in den Reihen des Judas selbst kein Ver-
trauen auf den Sieg mehr hatte. Massenweise liefen seine Leute
davon. Mit wenigen Getreuen wagte Judas trotzdem todesmuthig
den Verzweiflungskampf. Der Ausgang war vorherzusehen: die
Schaar des Judas wurde aufgerieben, er selbst fiel im Kampfe.
Seinen Brüdern Jonathan und Simon blieb nur die Genugthuung,
ihn im Grabe seiner Väter in Modein bestatten zu können 3').
Mit dem Untergang des Judas war endgültig der Beweis ge-
liefert, dass es ein aussichtsloses Unternehmen der Nationalpartei
war, sich mit Gewalt der syrischen Uebermacht entgegenzustemmen.
So glänzend auch die vorübergehenden Erfolge des Judas gewesen
waren: er hatte sie doch in erster Linie dem Leichtsinn und der
Selbstüberhebung der Gegner zu danken. An dauernde kriegerische
Erfolge war nicht zu denken, so lange die syrische Macht noch
einigermassen festgefügt war. Die folgende Zeit hat auch nicht
einmal vorübergehende Waffenerfolge in der Art, wie Judas sie er-
rungen hat, aufzuweisen. Was die makkabäische Partei schliess-
lich erreicht hat, hat sie durch freiwillige Zugeständnisse der ein-
ander bekämpfenden syrischen Thronprätendenten und überhaupt
infolge der inneren Zerrüttung des syrischen Reiches erlangt. ]
36) Beide Orte sind nicht sicher nachweisbar. Statt BtQ^av haben einige
Handschriften Be7]Q'C,tt&, Josephus Ana. Xll, 11, 1 Btig'Qrid-o), BaQL,T}&w, Bi^^tjU-w
(vgl. Schlatter, Zeitschr. des DPV. XIX, 225). Es ist dalier wohl mit Furrer
(brieflich) Bir ez-Zeit bei Gophna (nordwestl.) zu vergleichen, s. über dieses:
Guerin, JtuUe III, 33—34, The Survey Metnoirs II, 329, dazu die grosse engl.
Karte BI. XIV Mr. — Elasa kann das heutige Ilasa sein, nahe (nordwest-
lich) beim oberen Beth-horon, s. The Survey Memoirs III, 115, dazu die grosse
engl. Karte Bl. XVII Ls. — Die Notiz I M. 9, 15 t(oq ^ÄC,<öxov oQovq giebt
keinen Anhaltspunkt, da hier sicher nicht an das bekannte Azotus zu denken
ist, sondern höchst wahrscheinlich Text-Corruption vorliegt. Josephus Äntt.
XII, 11, 2 hat M^XQ^i ■'^?'* (oder 'ü^o) opovg. Furrer (brieflich) vermuthet, dass
der Berg gemeint sei, auf welchem BrjQt,T}ihu) lag, so dass also in der zweiten
Hälfte diese» ürtsnamena der Name des Berges stecken würde. Zu der An-
nulime, das« kiuq lil^wxov durch Uebersetzungsfehler aus "inn n'.iirx („bis au
den FuHM des Berges") entstanden sei (Michaelis), liegt augesiclits der
»clilechton Tcxt-Ueberlieferuug kein ausreichender Grund vor.
87) I Makk. 9, 1-21. Joseph. Anlt. XII, 11, 1—2.
[174j § 6. Die Zeit Jonathan's (161—143). 223
§ 6. Die Zeit Jonathan's (161-143 vor Clir.).
Quellen: I Makk. 9, 23—10, 30.
Josephus Antt. XIII, 1 — 6. Auszug daraus : Zonaras Ännal. IV, 22 — 24.
[Die dem Jonathan von de Saulcy, Recherches p. 85 — 93 zuge-
schriebeaen Münzen gehören dem Alexander Jannäus, s. § 10].
Literatur: Die Werke über die syrische Geschichte von Foy- Vaillant,
Froelich, Clinton, Flathe, Stark u. A.
Die Untersuchungen und Comnientare über die Makkabäerbücher
von Wernsdorff, Michaelis, Grimm, Keil u. A.
Ewald, Geschichte des Volkes Israel IV, 422-434.
Herzfeld, Geschichte des Volkes Jisrael 11, 296—320.
Grätz, Geschichte der Juden Bd. III, 4. Aufl. (= Gesch. der Ju-
däer von dem Tode Juda Makkabi's etc. 1888), S. 1—23.
Hitzig, Geschichte des Volkes Israel II, 421 — 450.
Benan, Histoire du peuple d' Israel IV, d&o sqq.
Wellhausen, Israelitische und jüdische Geschichte 2. Aufl.
S. 250—256. 4. Aufl. S. 206—272.
Art. „Jonathan" in Winer's RWB. und Schenkel's Bibellex.
(letzterer von Fritzsche).
Die Kraft der jüdischen Nationalpartei war durch die Niederlage
und den Tod des Judas völlig vernichtet. Die griechenfreundliche
Partei, an ihrer Spitze der Hohepriester Alkimus, konnte die vom
König ihr zuerkannte Herrschaft ungehemmt ausüben. Soweit sich
noch Widerstand regte, wurde er gewaltsam unterdrückt. Die
Freunde des Judas wurden aufgesucht und zu Bacchides gebracht,
der „an ihnen Rache nahm". Die „Ungerechten" und „Gottlosen"
(so nennt das erste Makkabäerbuch die Gegner der Makkabäer)
hatten das Regiment in Judäa^).
Die Freunde des Judas waren aber noch nicht gewillt, auf
allen Widerstand zu verzichten. Sie wählten den Jonathan, den
Bruder des Judas, zu ihrem Anführer, „auf dass er ihren Streit
führe" 2). An ernsthafte Unternehnmngen war freilich zunächst
nicht zu denken. Man musste erst allmählich wieder die Kräfte
sammeln und die günstige Gelegenheit abwarten. Die Thaten, von
denen wir zunächst hören, lassen die Gefährten Jonathan's mehr
im Lichte einer Freibeuterschaar als in dem einer religiösen Partei
erscheinen. Da ihre bewegliche Habe in Judäa nicht sicher war,
sandten sie dieselbe unter Führung des Johannes, eines Bruders
Jonathan's, zu den befreundeten Nabatäern. Unterwegs wurde
Johannes mit seinem Tross bei Medaba (im Ostjordanland) von dem
räuberischen Stamm der „Söhne Jambri's" überfallen, weggeschleppt
1) I Makk. 9, 23—27. Josej^h. Antt. XIII, 1, 1.
2) I Makk. 9, 28—31. Joseph, l. c.
224 § ö. Die Zeit Jonathan's (161—143). [174. 175]
und getödtet^). Um dafür Rache zu nehmen, zogen Jonathan und
Simon über den Jordan und überfielen die Söhne Jambri's, als
diese eben mit einem grossen Hochzeitszuge unter festlichem Ge-
pränge I daherkamen. Viele wurden erschlagen, die Uebrigen flohen
in's Gebirge. Bei der Rückkehr wurden Jonathan und die Seinen
am Jordan von Bacchides und einer syrischen Streitmacht
empfangen und in schweres Gedränge gebracht, retteten sich aber
durch Schwimmen über den Jordan^).
Bacchides traf inzwischen Anstalten, um die Unterwerfung
Judäa's unter die syrische Oberhoheit besser als bisher zu sichern.
Er befestigte die Städte Jericho, Emmaus, Beth-horon,
Bethel, Thamnatha, Pharathon, Tephon, und versah sie mit
syrischen Besatzungen. Desgleichen verstärkte er die Befesti-
gungen von Beth-zur, Gazara und der Burg von Jerusalem.
Endlich nahm er die Söhne angesehener Juden als Geiseln, und
verwahrte sie in der Burg von Jerusalem^).
3) Statt viol ^Aßßg'i, wie Michaelis, Grimm und Fritzsche I M. 9, 36 — 37
mit Compl. Syr. und Jos. [ol /ifza^alov TialAsg) lesen, ist wohl die vulgäre LA.
viol 'lafißgl beizubehalten. Nach Swete haben co(i. Alex. ^lafißgdv, 'lufißgir,
Yen. 'lufißQsi, 'lafißgi, Sin. ^Afißgei, 'lafißgi corr. in jl/ußgi Clermout-Gan-
neau vergleicht den Eigennamen "117:5% der auf einer in der Nähe von Medaba
gefundenen aramäischen Inschrift vorkommt {Journal Asiatique VIII»"« Serie
t. XVII, 1891, p. 538 sqq. und bes. Rccucil d' archeologie Orientale II, 207 — 215).
4) I Makl: 9, 32—49. Joseph. Antt. XIII, 1, 2—4. — Der Kampf mit
Bacchides hat auf dem östlichen Ufer des Jordan stattgefunden. Denn der
Bericht I M. 9, 43—49 nimmt, nach der eingeschalteten Erzählung I M. 9, 35—42,
die Notiz I M. 9, 34 {Baxxi^v: • • V^-^^^ • • Ttigav tov 'logöävov) wieder auf.
Wenn also Jonathan und die Seinen sich durch Schwimmen über denFluss
retteten, so kamen sie an das westliche Ufer und blieben wohl in der Wüste
Judäa's (vgl. 0, 33). Es ist daher irrig, wenn z. B. Hitzig (II, 422 f.) die Sache
HO auffasst, als ob Jonathan von Bacchides in's Oatjordanland verdrängt wor-
den sei. Vgl. Keil's Commentar S. 160.
5) I MaJck. 9, 50-53. Joseph. Antt. XIII, 1, 3. — Die meisten der ge-
nannten Städte sind auch sonst bekannt. Ueber Emmaus s. Bd. II S. 183 f.,
über Beth-horon oben S. 205. — Bethel ist die bekannte altisraelitische
Cultstatte, nach Euscb. Onomast. ed. Loyarde p. 209 zwölf röm. /////. pass. nörd-
lich von Jerusalem. — Tamnatha ist hebr. nr:BP oder nsrPi, Name dreier
TT I . T \ • '
Orte im Süden Palästina'«, h. Bd. II, S. 182 f. Am bekanntesten ist darunter
n*D"r:T2ri, wo das Grab JoHua's sich befand. Nach dem überlieferten Texte
von I -U. 9, r/) Märe Tamnuthu-Pharathon als ein Ortsname zu bctrnclitcii.
Wahrscheinlich haben aber Josrjdt., Syr. und Yd. Ltit. das Eiclitige, intlciii
nie zwiMchcn beiden Namen xal lesen. Pharathon ist hebr. 'irrio, eine
Stadt im Stamme Ephraim, .///(/«c. 12, 13. 15, vielleicht das heutige Fcrata süd-
wcKtlich von Nablus (llobinsoD, Neuere biblische Forschungen 8. 175. On6rin,
Satnnrie 11, 179 f. KanipfTmcycr, Ztschr. des DPV. XVI, 00). Sowohl dieses
Pirathon als Thimnath-Scrach geliörten aber zu Saniarien (nach I Makk. 11,
31) Es int daher fraglich, ob nicht andere, gleichnamige Orte in .liidän gc-
[175. 176] § 6. Die Zeit Jonathan's (IGl— 143). 225
Um diese Zeit, im zweiten Monat des Jahres 153 aer. Sei. =
Mai 160 vor Chr. (I 31. 9, 54), erregte der Hohepriester Alkimus
durch ein gottloses Unternehmen das Aergerniss der gesetzlich Ge-
sinnten. Er riss die Mauer des inneren Vorhofes nieder und „zerstörte
so die Werke der Propheten". In seinem bald darauf einge tretenen
Tode sah man die gerechte Strafe Gottes für solchen Frevel *^). Das
meint sind. Furrer (brieflich) vergleicht Fara zwischen Jerusalem und Jericho,
„wo man den Aufgang durch den Wadi Kelt sperren konnte". — Ts^wv oder
Tscpoj hält man gewöhnlich für hebr. racn. Wenn dies auch sicherer wäre als
es ist, so wäre doch noch ungewiss, welche unter den alttestamentlichen Städten
dieses Namens gemeint ist (s. Mühlau in Kiehm's Wörterb. S. 1612, Art.
„Tappuah", und S. 185, Art. „Beth-Tappuah"). — Ueber Beth-zur s. oben
S. 207, über Gazara unten § 7 (Geschichte Simon's).
6) I Makk. 9, 54—56. Joseph. Äntt. XII, 10, 6 (Josephus setzt den Tod
des Alkimus noch vor den Tod des Judas, s. oben S. 219). Die Niederreissung
kam nach 9, 54 nur theilweise zur Ausführung. — Es ist streitig, was unter
dem Tel/og rfjg avlr/g rtüv ayiwv rfjq iawxtQaq I M. 9, 54 zu verstehen sei.
Im Tempel der herodianischen Zeit war der innere Vorhof (d. h. der „Vorhof '
im eigentlichen und engeren Sinne) zunächst von einer starken Mauer um-
geben. Ausserhalb dieser lief eine schmale Terrasse herum (der sogenannte
Chet), von welcher Stufen in den äusseren Vorhof hinabführten. Unterhalb
der Stufen lief noch eine niedrige Brustwehr herum (der sogenannte Soreg,
a*!"!©), welche die Grenze bezeichnete, über die hinaus kein Heide nach innen
vordringen durfte. Da das erste Makkabäerbuch von einem rsTxoq spricht,
80 scheint es zweifellos, dass die wirkliche Mauer des Vorhofes gemeint ist.
Andererseits finden wir in der Mischna die Tradition, dass der Soreg von den
griechischen Königen ('(T^ ^zb^) an dreizehn Stellen eingerissen worden sei,
und dass man diese dreizehn „Lücken" (ni^'ne) später geschlossen und zum
Andenken daran die dreizehn Verbeugungen gegen dieselben angeordnet habe
{Middoth II, 3). Es liegt nahe, diese Tradition mit unserem Factum zu com-
biniren, in welchem Falle XH^oq als ungenaue Uebersetzung von aiio zu be-
trachten wäre (so z. B. Grätz, Gesch. der Juden III, 4. Aufl. S. 10 f. 564 f.
Mouatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. 1876, S. 395 ff".; dagegen:
Herzfeld, Gesch. des Volkes Jisrael II, 348 Anm. 111, Derenbourg, Histoire
p. 65 not. 3). Allein es ist sehr fraglich, ob bei den einfacheren Verhältnissen
des vorherodianischen Tempels überhaupt Mauer und Soreg bereits neben
«inander existirt haben. Jedenfalls lag das Anstössige in dem Unter-
nehmen des Alkimus darin, dass er die Grenze zwischen dem „hei-
ligen" Vorhofsraum und dem unheiligen Aussenraum beseitigte,
und dadurch den Heiden auch den Zutritt zu ersterem freigab. —
Sicher irrig ist die Meinung, dass unter dem „inneren Vorhof nur der soge-
genannte Priestervorhof zu verstehen sei, also unter dem rst/oq die Schranke,
welche innerhalb des eigentlichen Vorhofes wieder den Raum für die Priester
von dem Raum für die Israeliten trennte (so z. B. Keil und Büchler, Jeuish
Quarterly Review X, 1898, p. 708 sq.). Denn diese Schranke war kein xelxoq,
sondern ein ÖQvcpaxxoq {Antt. XIII, 13, 5) oder ysiaiov {Bell. Jud. V, 5, 6, vgl.
Antt. VIII, 3, 9), und hat vor Alexander Jannäus wahrscheinlich gar nicht
existirt (die Ausdrucksweise Antt. XIII, 13, 5 ist allerdings undeutlich). Die
€cv).i] iacDZSQa ist vielmehr ohne Zweifel dasselbe, was bei Josephus »/ svöov
Schür er, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 15
226 § 6- Die Zeit Jonathan's (161—143). [176. 177J
hohepriesterliche Amt scheint zunächst nicht wieder besetzt worden
zu sein').
Bald nach dem Tode des Alkimus kehrte Bacchides, da er
die Unterwerfung Judäa's gesichert glaubte, nach Syrien zurück s).
Es folgt nun ein Zeitraum von sieben Jahren (160 — 153|
vor Chr.), über welchen das erste Makkabäerbuch fast
nichts berichtet. Diese sieben Jahre müssen aber von grosser
Bedeutung für das Wiedererstarken der makkabäischen
Partei gewesen sein. Denn am Schlüsse dieses Zeitraums er-
scheint sie als die eigentlich regierungsfähige Partei, welche that-
sächlich Judäa in Händen hat, um deren treue Ergebenheit sich
daher die einander bekämpfenden syrischen Könige bemühen. Nur
durch eine Episode wird das Dunkel dieses Zeitraumes in dem
Bericht des ersten Makkabäerbuches erhellt. Zwei Jahre nach dem
Abzug des Bacchides, also 158 vor Chr., machte die herrschende
griechenfreundliche Partei der Juden dringende Vorstellungen am
königlichen Hofe wegen des Wiedererstarkens der makkabäischen
Partei. Dies hatte zur Folge, dass Bacchides wieder mit einer
grösseren Militärmacht kam, um den Jonathan und die Seinen zu
vernichten. Deren Anhang war aber bereits wieder so stark, dass
Bacchides nicht leicht mit ihnen fertig wurde. Ein Theil verschanzte
sich unter Simon's Führung in Bethbasi in der Wüste (einem
sonst nicht bekannten Orte), und wurde hier von Bacchides ver-
gebens belagert. Mit einem anderen Theile unternahm Jonathan
Streifzüge im Lande. Als Bacchides merkte, wie schwierig die
ihm zugemuthetete Aufgabe sei, wurde er unwillig über die
gi'iechisch-jüdische Partei, die ihn in solche Verlegenheiten ge-
bracht habe, machte mit Jonathan Frieden und kehrte nach Syrien
zurück ^).
Die jüdischen Parteien mochten nun zusehen, wie sie sich mit
einander vertnigen. Das scheint denn die Folge gehabt zu haben,
dass Jonathan mehr und mehr wieder die Herrschaft an sich riss.
„Es ruhte das Schwert in Israel, und Jonathan wohnte
in Michmas; und er begann das Volk zu richten, undver-
«i^;.jy {BeU. Jud. V, 6, 6 fin.\ b ivöoxtQO^ neglßoXot (Bell. Jud. V, 1, 2), o ivroq
ntelßoXo{ (Avtt. XV, 11, 6), to hSoxiQoi Uqov {B. ./. IV, 5, 1. V, 3, 1 fin.
VI, 1, 8), rd l'vSov Uqov {B. ./. VI, 4, 4 fin.), x6 el'aoj lepdv (B. J. VI, 2, 7),
t6 iaw^tv UqSv (B. ./. VI, 4, 1) heisHt, hIho dor Vorliof im oigciitliclK'n und
engeren Binne, zu welchem alle iHraclitcn, aber keine Ueidon, Zutritt linttcn.
Vgl. auch Bd. II, 8. 272 f. u. 285-288.
7) Die« nimmt aueli JoHophuH nn, Antt. XX, 10.
8) I Makk. 0, ß7. Joseph. Antf. XIII, 1, ö.
9) I Makk. 0, 67—72. Joaeph. Antt. XIII, 1, 5—6.
[177. 178] § 6. Die Zeit Jonathan's (161—143). 227
tilgte die Gottlosen aus Israel", mit dieser lakonischen Notiz
geht das erste Makkabäerbuch über die folgenden fünf Jahre
hinweg 1^). Das kann nur heissen, dass Jonathan, während das
officielle Synedrium von Jerusalem noch mit Griechenfreunden be-
setzt war, in Michmas eine Art von Nebenregierung etablirte,
welche allmählich den Haupteinfluss im Lande gewann, so dass sie
sich sogar erlauben durfte, die „Gottlosen" d. h. die Griechenfreunde
zu „vertilgen" (äcpavi^eiv). Die Griechenfreundschaft hatte eben
keinen | Boden im Volke. Letzteres hatte doch ein deutliches Be-
wusstsein davon, dass der Hellenismus, wenn er auch die Religion
Israels bestehen liess, mit dem Ideal der Schriftgelehrten unver-
träglich sei. Sobald daher der Druck von oben aufhörte, wandte
sich die Masse des Volkes den national-jüdischen Bestrebungen zu.
Die Makkabäer hatten daher bald wieder das Volk hinter
sich. Und dies ist der Grund, weshalb während der nun
beginnenden syrischen Thronstreitigkeiten die einander
bekämpfenden Prätendenten sich wechselseitig um die
Gunst der Makkabäer bemühten. Die syrischen Könige hatten
nicht mehr die Kraft, dem Volke eine hellenistische Regierung zu
octroyiren, sondern mussten darauf bedacht sein, die Juden sich
günstig zu stimmen. Das war aber nur möglich unter Führung
der Makkabäer. Freilich beförderte man durch deren Begünstigung
zugleich die Bestrebungen, die thatsächlich auf eine Loslösung vom
syrischen Reiche ausgingen.
Im Jahre 160 aet: Sei. = 153/152 V. Chr., und zwar, wie das
Folgende zeigt, noch 153 v. Chr. (I M. 10, 1 u. 21) trat Alexander
Balas, ein Jüngling niedriger Herkunft und lediglich ein Werk-
zeug der gegen Demetrius verbündeten Könige, ß\s Prätendent
gegen letzteren auf ^'). Der despotische Demetrius war im Lande
10) I Makk. 9, 73. Joseph. Antt. XIII, 1, 6. — Maxfiaq ist das alttestament-
liche D'crri, nach Etiseb. {Onomast. ed. Lagarde p. 280) neun röm. mil. pass.
nördlich von Jerusalem in der Nähe von Rama, noch heute Makhmas. S.
Robinson, Palästina 11, 327—329. Raumer, Pal. S. 212. Ouirin, Jvdie
III, 63 — 65. The Survey of Western Palestine, Memoirs by Conder and
Kitchener III, 12 u. 149, dazu Bl. XVII der engl. Karte. Kampffmeyer,
Zeitschr. des DPV. XVI, 50. Schick, Karte der weiteren Umgebung von
Jerusalem, Zeitschr. des DPV. XIX, 1896.
11) Das Nähere ist Folgendes: In Smyrna lebte ein Knabe (jtfiQaxlaxoq
Diodor.) Namens Balas (Justin.), der mit Antiochus Eupator grosse Aehnlich-
keit hatte und sich für einen Sohn des Antiochus Epiphanes ausgab, in
Wahrheit aber von niedriger Herkunft war [sortis cxtremae juvenis, Justin.).
Diesen liess Attalus II, König von Pergamum, zu sich kommen, setzte ihm
das königliche Diadem auf, gab ihm den Namen Alexander und stellte ihn
als Thronprätendenten gegen Demetrius auf {Diodor. bei Müller, Fragm.
15*
228 § 6- Die Zeit Jonathan's (161—143). [178. 179]
selbst I unbeliebt, um so grösser daher die Gefahr, die demselben
von der Macht der verbündeten Könige drohte. Auch von den
Juden war zu befürchten, dass sie dem Gegner zufallen würden,
wenn dieser ihnen die Einsetzung einer nationalen Eegierung be-
willigen würde. Dieser Gefahr suchte nun Demetrius dadurch zu-
vorzukommen, dass er dem Jonathan selbst Anerbietungen machte.
Er gab ihm Vollmacht, Kriegsvölker zu sammeln, um damit dem
König beizustehen, und bewilligte dafür die Auslieferung der
jüdischen Geiseln, die noch in der Burg von Jerusalem verwahrt
wurden. Mit dieser Yollmacht versehen kam Jonathan nach
Jerusalem. Die Geiseln wurden in der That ausgeliefert und den
Eltern zurückgegeben. Jonathan aber ergriff nun formell
Besitz von Jerusalem und befestigte die Stadt und den Tempel-
berg. Auch die syrischen Besatzungen der meisten von Bacchides
erbauten Festungen wurden zurückgezogen. Nur in Beth-zur und
in der Burg von Jerusalem blieben dieselben^^)
Demetrius war in seinen Anerbietungen an Jonathan aber doch
nicht weit genug gegangen. Er wurde sofort von Alexander
Balas überboten. Dieser ernannte den Jonathan zum Hohen-
priester der Juden und sandte ihm zum Zeichen fürstlicher
Würde den Purpur und das Diadem. Jonathan zögerte nicht, diese
neuen Anerbietungen zu ergreifen. Am Laubhüttenfest des Jahres
160 aer. Sei, also im Herbst 153 v. Chr., legte er das heilige Ge-
wand an*'). Er war nun mit einemmale auch formell das
Hut. Oraee. II praef. p. XII, n. 14. Justin. XXXV, 1). Unter Führung des
Heraklides, des ehemaligen Finanzministers des Antiochus Epiphanes,
welchen Demetrius aber vertrieben hatte {Appian. Si/r. 45. 47), begab sich
Alexander nach Rom und bewarb sich um die Anerkemnuig dos römischen
Senates. Obwohl der Betrug ott'enbar war, ging der Senat doch darauf ein
und sagte ihm seine Unterstützung zu [Polyb. XXXIII, 14 und 16). Ausser-
dem ward Alexander nidit nur von Attalus II von Pcrpamum, sondern auch
von PtoleniäuH VI Philonictor von Aegypten und Ariaratht's V von
Kappadocien unterstützt {.Itmtw. XXXV, 1. Strabo XIII, 4, 2 /*. 024. Appian.
Syr. 67. Euseb. Chrun. cd. Schoene I, 255); und das Volk in Syrien selbst war
wegen des flbermüthigeii und uiürrisciicn W. . n- ilr< !)t'im'trius dem neuen
Pritendenten entschieden günstig gestiiiiini /'/ / / und .Justin, a. a. O. vgl.
Joteph. Anil. XIII, 2, 1). So begann Alex n 1 i n 1 '. metrius den Krieg
„Mikui ferme orienli» viribtu auhcindm" \.lii.->ii„.). — Au?^ dieser Darstellung
(Tgl. bet. Jiutin,) geht auch hervor, dass es unrichtig ist, wenn man nach dem
Vorgang des Jotephua {Antt. XIII, 4, S: 'AXv^(tvA^o(i o HüXa<: Xeyö/xfvoi)
,3*i**" *!■ Beinameii des Alexander betrachtet. Vielmehr war ersteres sein
eigentlicher Name, wie ihn denn Strabo XVI, 2, 8 p. 751 richtig rbv Bukav
*4Xif9v6^oif nennt.
12) I Makk. 10, 1-14. Joseph. Avil. XITI, 2, 1.
13) I Makk'. 10, 15-21. Joseph. Antt. XIII. 2. 2-:{.
[179] § 6. Die Zeit Jonathan's (161—143). 229
Oberhaupt des jüdischen Volkes. Die griechische Partei
war von der Regierung in Judäa verdrängt und ist nie
wieder zu derselben gelangt. Denn Jonathan hat seine
Stellung auch in allen Wechselfällen der folgenden Jahre behauptet.
Durch die Gunst der Verhältnisse war ihm zugefallen, was Judas
mit aller Tapferkeit nicht zu erringen vermocht hatte.
Als Demetrius von Jonathan's Uebergang zur Partei des
Alexander Balas hörte, versuchte er, durch noch grössere Ver-
sprechungen ihn wieder auf seine Seite zu locken. Die Gnaden-
erweise, die er ihm in Aussicht stellte, waren unglaublich: die
Steuern sollten erlassen sein, die Burg von Jerusalem den Juden
übergeben werden, das jüdische Gebiet durch drei Bezirke von
Samarien vergrössert werden, der Tempel mit reichen Schenkungen
und Privilegien ausgestattet, der Bau der Mauern Jerusalems aus
königlichen Mitteln bestritten werden i*). |
14) I Makk. 10, 22—45. Joseph. Antt. XIII, 2, 3. — Obwohl es an sich
sehr glaublich ist, dass Demetrius damals mehr versprochen hat, als er zu
halten gesonnen war, so gehen die Anerbietungen , welche der Brief I M. 10,
25 — 45 enthält, doch über alles wahrscheinliche Maass hinaus: Freilassung
aller kriegsgefangenen jüdischen Sklaven im ganzen Reiche des Demetrius
(10, 33), Schenkung der Stadt Ptolemais an den Tempel (10, 39), reiche Bei-
steuer für den Tempel aus königlichen Geldern (10, 40), Erneuerung des Tem-
pelbaues und der Stadtmauern auf königliche Kosten 1 10, 44 — 45). Auffallend
ist auch die Parallele von 10, 36—37 mit dem Aristeas-Brief {ed. Wend-
land § 13). Wie nach letzterem Ptolemäus Lagi 30,000 Juden als Besatzungs-
truppen in den Festungen verwendet hat, so verspricht Demetrius a. a. 0.,
30,000 Juden (dieselbe Zahl!) in sein Heer aufzunehmen und zu Festungs-
Besatzungen zu verwenden. Die Vermuthung, dass dies aus der Feder eines
jüdischen Autors stammt, der den Aristeas-Brief gekannt hat, ist kaum ab-
zuweisen. Man wird also annehmen dürfen, dass es sich mit dem Brief ähn-
lich verhält, wie mit den Reden, welche die alten Autoren ihrer Geschichts-
darstellung einverleiben. Der jüdische Verfasser lässt den Demetrius das
schreiben, was der damaligen Situation angemessen war, und wovon er wohl
allgemeine Kunde hatte. Insoweit scheint mir die Kritik Willrich's (Judaica
1900, S. 52—58) berechtigt. Vgl. auch Kautzsch, Uebers. der Apokryphen
S. 20 ff. Dagegen liegt m. E. kein Grund vor, den Brief als späteren Ein-
schub in das erste Makkabäerbuch zu betrachten, und ihn als Fälschung aus
römischer Zeit, ja erst aus der Zeit Caligula's anzusehen (Willrich S. 56).
Für die Fälschung in römischer Zeit soll nach Willrich die Erwähnung der
Kopfsteuer 10, 29 entscheidend sein, die erst durch Augustus eingeführt
worden sei, wie Wilcken (Griechische Ostraka I, 245 f.) nachgewiesen habe.
Letzteres wird für die äg}'ptische „Kopfsteuer" zutreffend sein (Wilcken giebt
die Vermuthung mit aller Reserve). Für die syrischen Verhältnisse ist damit
schlechterdings nichts bewiesen. Es ist im Gegentheil sicher bezeugt (worauf
Ed. Meyer mich aufmerksam gemacht hat), dass es im Seleucidenreiche eine
„Kopfsteuer" gegeben hat. In Ärisfotelis Occonmn. II, 1, 4 (Didot'sche Ausg.
Bd. I, S. 639) heisst es, die Einkünfte der oaxQamxrj otxovofxla seien folgende
230 § 6- Die Zeit Jonathan's (161—143). [180]
Jonathan war klug genug, auf die Anerbietungen des Demetrius
nicht einzugehen. Es war vorauszusehen, dass Demetrius der
Macht seiner Gegner erliegen werde. Sollte er aber als Sieger
aus dem Kampfe hervorgehen, so war nicht zu erwarten, dass er
weit gehende Versprechungen halten würde. Jonathan blieb also
auf Seite des Alexander Balas, und hatte dies nicht zu bereuen.
Demetrius ward i. J. 150 vor Chr. von Alexander und seinen Ver-
bündeten besiegt und verlor in der Schlacht selbst das Leben.
Alexander ward Königin).
Noch in demselben Jahre, 150 vor Chr. (I M. 10, 57 : 162 aer.
Sei.), bot sich eine Gelegenheit, bei welcher Jonathan von
Alexander mit den höchsten Ehren und Auszeichnungen bedacht
wurde. Alexander hatte nämlich bei König Ptolemäus Philo metor
von Aegypten um die Hand von dessen Tochter Kleopatra an-
gehalten. Ptolemäus hatte sie ihm zugesagt; und beide Könige
kamen nun in Ptolemais zusammen, woselbst Ptolemäus seine
Tochter dem Alexander zuführte und die Hochzeit mit grossem
sechs: dno yfjg, and näv iv xy x^Q^ lälwv yivofiivwv , dno iftnoQOJv, and
xs/.üiv, dno ßoaxTjfidzcuv, dno zwv akkwv. Ueber letztere wird dann noch
näher bemerkt: e'xri] Sh tj dno rtüv a?.Xu)v inixEipdkaiöv rs xal x^i^Qc^vü^tov
nQOoayoQEvofisvT]. Die „Kopfsteuer" ist also hier gleichbedeutend mit „Ge-
werbesteuer", und war sicherlich nicht, wie die ägyptisch-römische, eine für
ganze Kategorien der Bevölkerung gleiche, sondern eine prozentual verschiedene
„Personalsteuer" (wie denn der Ausdruck auch sonst in diesem allgemeinen
Sinne gebraucht wird, vgl. Marquardt, Römische Staatsverwaltung Bd. 11,
1870, S. 191—19(3, und meine Bemerkungen Theo!. Litztg. 1900, 588). Die
angeführte aristotelische Schrift „stammt aber aus dem 3. Jahrh. v. Chr. und
zwar aus Asien, und ist in ihren kurzen allgemeinen Angaben die wichtigste
Quelle für die Kenntniss des Finanzwesens im Seleucidenreich" (Ed. Meyer;
Wilcken setzt ihre Grundlage sogar in die Zeit Alexanders des Gr., s. Hermes
Bd. 80, 1901, S. 187—200). Damit ist also eine „Kopfsteuer" für das Seleuci-
denreich direct bezeugt. Im 1. Makkabüerbuch 10, 29 ist übrigens der Aus-
druck „Kopfsteuer" gar nicht gebraucht (sondern nur in dem Paralleltext des
JosephuH, welchen Willrich S. 53 fälschlich für den ursprünglichen hält,
Antt. XIII, 2, 3 § 50: vnhp xi(paXi\<i). Immerhin ist es wegen der Parallele
mit einer verwandten Stelle im Briefe Antiodius' des Gr. {Jos. Antt. XII, 3, 8)
wahrHcheinlich, dass unter den (poQOi eine PersonalHteuer oder „Kopfsteuer"
in jenem allgemeinen Sinne zu verstehen ist. Aber ein Beweis für Abfassung
in röuiiHclier Zeit liegt in ihrer Krwähnung nach allem Bisherigen in keiner
Weise. Eine „Fftlschung" des Briefes des Denietriijs erst in dieser Zeit ist
Mchon wegen der Beleuchtung, in welcher hier der Kriegsdienst im königliclien
Heere erscheint, unmöglich. Unter den llömern haben die Juden den Kriegs-
dienst nicht mehr als etwas Ehrenvolles angesehen.
16) I Mnkk. 10, 40-50. Jo$ephu» Antt. XIII, 2, 4. Polyb. III, 5. Justin.
XXXV, 1. Appiau. St/r, e. 67. — Am ausführlichsten ist der Tod des Deme-
trius erz&hlt von Josophus a. a. 0., dessen Schilderung bestätigt wird diinii
Justin: invieto animo inter eonfertissimoa fortisatme di'micans cecidit.
[180. 181] § 6. Die Zeit Jocathan's (161—143). 231
G epränge gefeiert wurde. Dorthin lud Alexander auch den Jonathan
ein und empfing ihn mit grosser Auszeichnung. Zwar fanden sich
auch Abgesandte der griechenfreundlichen Partei in Judäa ein,
die gegen Jonathan klagten. Aber der König schenkte ihnen kein
Gehör, sondern überhäufte den Jonathan nur noch mehr mit Aus-
zeichnungen. Er Hess ihn, mit dem Purpur bekleidet, neben sich
sitzen, und ernannte ihn zum axQaxrjyoq und (itQiöaQxrjc,
vermuthlich für das Gebiet von Judäa, womit also die bereits
thatsächlich ausgeübten politischen Befugnisse formell bestätigt
wurden ' ^).
Während der nächsten Jahre wurde Jonathan in der errunge-
nen Stellung von keiner Seite her gefährdet. Die griechische Partei
war zum Schweigen gebracht. Alexander Balas war ein unfähiger,
nur den sinnlichen Genüssen ergebener Regent, der nicht daran
dachte, die dem jüdischen Hohenpriester gemachten Zugeständnisse
wieder zu beschränken*"). Die syrische Oberhoheit bestand zwarj
noch fort. Da aber Jonathan und seine Partei in Judäa regierten,
so waren die bisherigen Ziele der Makkabäer thatsächlich erreicht.
Bald brachten jedoch die syrischen Thronumwälzungen neue Ge-
fahren, zugleich aber auch neue Gelegenheit zur Erweiterung der
politischen Macht. Wir sehen den Jonathan nun als Partei-
gänger bald des einen bald des anderen der syrischen
Thronprätendenteu, in geschickter Weise die Schwäche
des syrischen Reiches zur Stärkung der jüdischen Macht
ausnützend. Die Ziele der makkabäischen Bestrebungen
werden abermals höher gesteckt. Es genügt nicht mehr, dass
die Partei Jonathan's im Inneren unangefochten regiert. Die Ver-
legenheiten des syrischen Reiches werden dazu benützt, die Gren-
zen des jüdischen Gebietes theils durch Schenkung sich erweitern
zu lassen, theils mit eigener Gewalt zu erweitern und endlich mit
zäher Beharrlichkeit auf die völlige Loslösung des jüdischen Staates
vom syrischen Reiche hinzuarbeiten.
16) I Makk. 10, 51—66. Joseph. Anit. XIII, 4, 1—2. — axQuxrjySq und
pLSQiöaQxrjq etwa so viel wie Militär- und Civilgouverneur. Das Nähere bei
Grimm zu I M. 10, 65. Zu beachten ist übrigens, dass trotz der Ernen-
nung Jonathan's zum ox Qaxriyöq doch noch eine syrische Be-
satzung in der Burg von Jerusalem blieb.
17) Ueber Alexander's Charakter, s. Diodor., bei Müller, Frctgm. Hist.
Graec. II, praef. p. XVI, n. 19 (er spricht von einer ;ravTfA^? dövvafxla t^q
tpvx^q avTOv). — Livius Epit. 50: In Syria, quae eo tempore stirpe generis
parem regi Maceclonum, inert ia socordiaqiie siviilem Prusiae regem habebat, jacente
eo in ganea et histris, Ammonius regnabat. — Justin. XXXV, 2: Alexandrum
insperatae opes et alienae felicitatis omamenta velut captwn inter scortorinn
f/reges desidem in regia tenebant.
232 § 6- Die Zeit Jonathan's (161—143). [181. 182]
Gegen den unwürdigen Schwächling Alexander Balas erhob
sich im J. 147 vor Chr. (I M. 10, 67 : 165 aer. Sei.) Demetrius II,
ein Sohn Demetrius' I, als Gegenkönig. Auf seine Seite trat als-
bald auch der Statthalter Cölesyriens Apollonius, während Jo-
nathan auf Seite Alexanders blieb. Darüber kam es zwischen
Apollonius und Jonathan zum Kampf, in welchem Jonathan Sieger
blieb. Er vertrieb eine Besatzung des Apollonius aus Jope, schlug
dann ein Heer unter Führung des Apollonius in der Nähe von
Asdod, zerstörte Asdod und den dortigen Tempel des Dagon und
kehrte mit reicher Beute nach Jerusalem zurück'^). Zum Danke
für diese Unterstützung schenkte ihm Alexander Balas die Stadt
Ekron und deren Gebiet*^).
Aber Jonathan war der Einzige, der dem Alexander gegen}
Demetrius beistand. Die Bewohner von Antiochia und die eigenen
Soldaten Alexander's erklärten sich für Demetrius ^o). Ja selbst
sein Schwiegervater Ptolemäus stellte sich auf des Letzteren
Seite, nahm dem Alexander die Kleopatra wieder und gab sie dem
neuen Prätendenten zur Gemahlin"^'). Auch führte Ptolemäus ein
starkes Heer gegen Alexander, mit welchem er ihn am Fluss
Oen oparas in der Ebene von Antiochia besiegte. Alexander floh
nach Arabien und endigte dort durch die Hände von Meuchelmör-
dern. Unmittelbar darauf starb auch Ptolemäus an den in der
Schlacht erhaltenen Wunden^'-). So wurde Demetrius König
145 vor Chr. (I M. 11, 19 : 167 aer. Sei., vgl. dazu oben S. 171 f.).
Als Verbündeter des Alexander Balas hatte Jonathan dem
Demetrius feindlich gegenübergestanden. Wie es scheint, fühlte er
18) I Makk. 10, 67—87. Joseph. Äntt. XIII, 4, 3-4. Josephus stellt die
Sache irrig so dar, als ob Apollonius auf Seite des Alexander Balas
gestanden hätte. — Ueber Jope und Asdod s. Bd. II, S. 9Ü W. 96 f.
19) I Makk. 10, 88—89. Joseph. Äiitl. XIII, 4, 4 (Josephus motivirt die
Schenkung damit, dass Alexander Balas sich den Anschein habe geben wollen,
als ob sein Feldherr Apollonius gegen des Königs Willen den Jonatlian ange-
griflen habe!), — ^x;<apüJv ist da» altphilistiiische 'inp?, nach Euscl). {Onojtit ist.
ctl. Lof/arde p. 218) zwischen Asdod und Janinia gegen Osten zu, daher
wahrsclicinlich idt-ntisch mit dem licutigeu Akir östlich von Jamnia. S. Ro-
biniou, Palästina III, 230—233, Raumer, Pal. S. 185. Oucrin, Jiulcc II,
3ö — 44. The Survey of Western Palestine, Memuirs by Gonder and Kitchencr
IT, 406; dazu Bl. XVI der engl. Karte. Kampffmeyer, Zeitschr. des DP V.
XVI, 68.
20) Jmiin. XXXV, 2.
21) I Makk. 11, 1—13. Joseph. Äntt. XIII, 4, 5—7. IHodor. bei Müller,
Pragm. hint. f/racc. II, p. XVI n. 19, Lirhcs Epit. 52.
22) I Makk. 11, 14-19. Joseph. Antt. XIII, 4, 8. Ihodor. bei Müller,
Fraißn. II /;. XVI n. 20. Ldviua Epit. 52. — Die Oertlichkeit der Schlacht
giebt >' ■'- XVI, 2, 8 /;. 751.
[182] § Ü. Die Zeit Jonathan's (161—143). 233
sich jetzt stark genug, den Versuch einer gewaltsamen Loslösung
vom syrischen Eeiche zu wagen. Er belagerte in aller Form die
Burg von Jerusalem, in welcher noch eine syrische Besatzung lag.
Wiederum, wie so oft in ähnlichen Fällen, war es die Gegenpartei
im eigenen Volke (die avögeq jraQccvofioi und avofioi, wie sie I M.
11, 21. 25 heissen), welche den syrischen König auf das revolutionäre
Unternehmen aufmerksam machte. Demetrius lud infolge dessen den
Jonathan zur Verantwortung nach Ptolemais vor. Aber Jonathan
war kühn genug, sich Zugeständnisse von Demetrius zu ertrotzen.
Er liess die Belagerung zunächst noch fortsetzen, begab sich mit
reichen Gescheuken nach Ptolemais und forderte von Demetrius
Ueberlassung di'eier Bezirke Samariens an Judäa und Steuerfi'eiheit
für dieses ganze Gebiet. Es waren dies einige der wesentlichsten
Punkte unter den Anerbietungen, die bereits Demetrius I dem
Jonathan gemacht hatte. Demetrius wagte nicht, die Forderungen
abzulehnen. Er genehmigte die Vereinigung der drei sama-
ritanischen Bezirke Ephraim, Lydda undRamathaim mit
Judäa, überlies das so vergi*össerte Judäa dem Jonathan als steuer-
freies Gebiet und bestätigte ihn in allen Würden, die er bisher
gehabt hatte. Von der Burg von Jerusalem ist dabei nicht die
Rede. Augenscheinlich waren jene Zugeständnisse der Preis, um
welchen Jonathan die Aufhebung der Belagerung zusagte""). |
23) I Makk. 11, 20—37. Joseph. Antt. XIII, 4, 9. — Bestätigung der bis-
herigen Würden: I M. 11, 27. Die drei Bezirke: 11, 34 (vgl. 10, 30. 38. 11,
28. 57). Steuerfreiheit: 11,34—35. — ktpaiQS/jta ist höchst wahrscheinlich jenes
Ephraim, wohin Jesus kurz vor dem Passa sich zurückzog (Ev. Joh. 11, 54),
nach Josephus Bell. Jud. IV, 9, 9 in der Nähe von Bethel, nach Eu^eb. {Onomast,
ed. Lagarde p. 254) zwanzig röm. mil. pass. nördlich von Jerusalem [xal eoti
vvv xojfiT] 'EipQaslfi, fisyioTTj tisqI t« ßogsia AlXlag utg dno atjfislwv x), und
fünf m. p. östlich von Bethel (Hieron. Onoinast. eil. Lagarde p. 94: et est hodie
viciis Efreni in quinto miliario Bethelis ad ortefitem respiciens, der parallele
griech. Text des Euseb. p. 222 ist lückenhaft). Auch Di-iEx II Sam. 13, 23 und
•piES' II Chron. 13, 19 ist wohl derselbe Ort. Vermuthungen über seine Lage
8. bei Robinson, Palästina II, 333 — 338, Ouirin, Judielll, 45^51. Buhl,
Geogr. des alten Palästina S. 177. Hei d et Art. Ephrem in: Vigouroux, Dicti-
onnaire de laBiblell, 1885 sqq. — lieber Lydda, das heutige Ludd, s. Bd. II,
S. 183. — '^Pa(jLaM(i ist sicherlich die bekannte Stadt Samuel's I Sam. 1, 1
D'^Bis C^r52'^, sonst kurzweg frann genannt, deren Lage freilich noch sehr
streitig ist. Nach I Sam. 1, 1 lag sie auf dem Gebirge Ephraim. Eusebius
setzt sie in die Nähe von Diospolis-Lydda ( Onoinast. ed. La/u p. 225 sq. 'AQpLu^\pL
^eiipd' Tiohg '^Ekxavd xal Haßovrjk' xtlxai de avxri nXtjaiov JioanöXstuq, üS-sv
r/V ^Iu>OTj<p, iv evayyeXioiq dno !4pi/jia&iag. Bei Eieronymus Onom. ed. Lag. p. 96
lautet die Stelle: Armathem Sophim civitas Heleanae et Samuhelis in regione
Thamnitiea juxta Diospoliin, unde fuit Joseph, qui in evangeliis de Ari-
mathia seribitur). Für die Richtigkeit dieser Angabe spricht eben unsere
234 § G. Die Zeit Jonathan's (lül— 143). [183. 184]
Ein solches Zurückweichen des syrischen Königs vor den jüdi-
schen Forderungen wäre zehn Jahre früher noch undenkbar ge-
wesen. Aber jetzt war die Kraft der Seleuciden gebrochen. Keiner
der syrischen Könige war fortan seines Thrones sicher. Und
Jonathan wusste diese Schwäche mit ebensoviel Glück als Geschick
auszunützen. Auch die nächsten Jahre gaben ihm reichlich Ge-
legenheit zur Fortsetzung seiner Annexionspolitik. Demetrius hatte
kaum jene Zugeständnisse gemacht, als er sich zu neuen Ver-
sprechungen genöthigt sah, um in schwerer Gefahr die Unter-
stützung Jonathan's zu erlangen. Ein gewisser Diodotus, genannt
Trypho, aus Apamea'-^^), ein ehemaliger Feldherr des Alexander]
Balas, -wTisste sich der Person des unmündigen Sohnes Alexander's,
mit Namen Antiochus, der bei einem Araber Imalkue erzogen
wurde, zu bemächtigen und stellte ihn als Gegenkönig gegen
Demetrius auf 2=). Die Lage wurde für Demetrius höchst bedenk-
Stelle I M. 11, 34, wornach die Stadt bis zur Zeit Jonathan's zu Samarien
gehört hatte. Vielleicht ist sie identisch mit dem heutigen Beü Rima, nord-
östlich vonLydda, in der Nähe von Thamna (so Furrer in Schenkel's Bibellex.
Art. „Rama"). Verschieden davon ist ein anderes Rama im Stamme Benjamin,
das viel näher bei Jerusalem gelegen hat (gegen Graf, Stud. und Krit. 1854,
S. 858 ff. und Mühlau in Riehm's Wörterb. Art. „Rama", welche beide Orte
identificiren). Vgl. Oesenius, Thesati/nis p. 1275, Thenius, Die Bücher
Samuels, zu I Sam. 9, 4, derselbe in: Biblische Studien von Geistlichen des
Königreichs Sachsen, herausg. von Käuft'er, Bd. II (1843) S. 134 ff. Wiuer
RWß. Art. „Rama".
24) Joseph. Antt. XIII, 5, 1: ^Tra^ufvf xh yivoq. Genauer Strabo XVI,
2, 10 p. 752: 6t]Xoi 6h Tijv övvafiiv xairtjv {seil, rfjq l4nafielag) t] re xov TgtipcD-
voq imxXrjd-hxoti Jioöoxov naQav^T]ai(; xal hni&eaig ry ßaaiXeln x<äv ^vqvjv,
ivzev&ev oQ/AtjO^ivxoi. 'Eyeyivrjxo fzhv yag iv KaatavoZq, (fQovQltp
Zivi x^i ^nafiiwv yi}«;, xgaipeli S' iv x^ ^Anaixein xal avaxa&slq xw
ßuniXiZ xal rof^ negl avxöv, insiöti vewxegtXfiv wQfiTjosv, ix xi'jq nokewq xavttjg
^ayj T«c oiifOQfxuQ xal rwv negtoixlöwv, Aaglorjg xe xal xwv Kaatavwv xal
MfyÜQwv xal 'AnoXXu}vla(; xal aXXwv xoiovxcdv, dl avvetiXovy el<; X))t> llnd/ntiav
änaaai. — Die um ihrer Stärke willen berülimte Festung Apanieu lag am
Oronte«, BÜdlidi von Antiochia. Vgl. Strabo XVI, 2, 8—10 p. 751—753.
Ritter, Erdkunde XVII, 2, 1070. 1076—1080. Benzinger in Pauly-Wissowa's
Real-Enc. s. v.
25) I Makk. 11, 39—40. 64. Josephus Antt. XIII, 5, 1 u. 3. Diodor. hv\
Müller, Frwirn. hüt. graee, t. W p. XVII n. 21. Livius Epit. 52. — Irrthünilich
iH-nnt .l/>/>/an. i^r. 08 den jungen König Alexander. — Der Name (IcHAruhcrs
Elfiukxoval oder 'IfiaXxovi 1 M. 11, .'JD int — isb'a'', was auf piilmyronischcn
Inmhriftcu vorkommt, h. Nöldoke bei Euting, Nabatäischu Inschriften (1885)
H. 74. Jotepßtu», Syr. und der lat. Text des ood. Sangertn. setzen hier dafür
.MnlrhuH, Diodor. Jamblichu« (was auch nichts anderes ist als isb'a^
grierli. "lünXixoQ WadditifjUtn, Iiiscr. n, 2614, 'länuXiyoq ihiil 221(1«, 7a/i;.f;fo[{J
Quarttrty SteUemtnU 1806, p. 340 (im Hauran), 'IdiiXixo[(i\ Bulletin de corr. hell.
[184. 185] § 6. Die Zeit Jonathan's (161—143). 235
lieh, da seine eigenen Truppen deseiürten und die Einwohner
Antiochia's eine feindliche Haltung einnahmen. In dieser Gefahr
versprach er dem Jonathan die Uebergabe der Burg von Jerusalem
und der anderen Festungen Judäa's, wenn Jonathan ihm Hülfs-
truppen stellen wolle. Jonathan sandte alsbald dreitausend Mann,
welche gerade rechtzeitig kamen, um dem König bei dem nun aus-
brechenden Aufstand in Antiochia kräftige Unterstützung zu leisten.
Wesentlich durch ihre Mitwirkung wurde der Aufstand unterdrückt.
Mit dem Dank des Königs und mit reicher Beute kehrten die jüdi-
schen Truppen nach Jerusalem zurück'-^^).
Demetrius hielt aber die gegebene Zusage nicht. Auch hatte
es bald den Anschein, dass er dem neuen Prätendenten unterliegen
werde. Mit Hülfe der übergegangenen Truppen des Demetrius be-
mächtigten sich Trypho und Antiochus der Hauptstadt Antiochia
und gewannen somit die Herrschaft im Centrum des Reiches. Un-
verzüglich suchten sie auch den Jonathan auf ihre Seite zu ziehen :
Antiochus bestätigte ihn im Besitz alles dessen, was Demetrius ihm
verliehen hatte. Zugleich wurde sein Bruder Simon zum könig-
lichen Strategen von der tyrischen Leiter bis zur Grenze
Aegyptens ernannt-').
Angesichts der Treulosigkeit und der Schwäche des Demetrius
fand es Jonathan ebenso berechtigt als nützlich, zu Antiochus [
überzugehen. Er stellte sich also auf dessen Seite und unternahm
in Verbindung mit seinem Bruder Simon die Unterwerfung der
Judäa zunächstliegenden Reichsgebiete unter den neuen Präten-
denten. In erster Linie war es dabei auf diejenigen Gebiete ab-
gesehen, über welche Simon zum Strategos bestellt war. So zog
Jonathan an der Spitze jüdischer und syrischer Truppen gegen die
Städte Askalon und Gaza. Ersteres erklärte freiwillig seine
Unterwerfung unter Antiochus; letzteres erst, nachdem Jonathan
Gewalt gebraucht hatte. Er zwang die Stadt zur Stellung von
Geiseln und nahm diese mit nach Jerusalem ■^*^). Dann zog Jonathan
XXI, 1897, p. 59 (in der Gegend von Damaskus); lat. Jamlieus, Corp. Inser.
Bhenan. ed. Brambach n. 1233).
26) I Makk. 11, 38. 41—52. Joseph. Antt. XIII, 5, 2—3.
27) I Makk. 11, 53-59. Josejih. Antt. XIII, 5, 3—4. — Die xXlixa^ Tvqov
■oder TvQiwv ist nach Joseph. Bell. Jud. II, 10, 2 ein hoher Berg, hundert Sta-
dien nördlich von Ptolemais. Durch die Ernennung zum axgaxrjyoq über das
genannte Gebiet wurde Simon ein königlicher Beamter in hervor-
ragender Stellung, und zwar ausserhalb Judäa's. Die Stellung musste
freilich erst gegenüber den Strategen des Demetrius errungen werden. Vgl.
Stark, Gaza S. 491 f.
28) I Makk. 11, 60—62. Joseph. Antt. XIII, 5, 5. — Ueber Askalon und
Gaza s. Bd. II, S. 92iF. 84 ft'. Es ist wohl zu beachten, dass Jonathan hier als
236 § 6. Die Zeit Jonathan's (161-143). [185. 186]
nach dem nördlichen Galiläa und lieferte in der Ebene von Hazor
den Strategen des Demetrius eine Schlacht, die für ihn anfangs un-
günstig verlief, schliesslich aber mit einem Sieg endigte 29). Gleich-
zeitig belagerte Simon die Festung Beth-zur im Süden Judäa's,
wo noch eine dem Demetrius ergebene Besatzung lag. Nach längerer
Belagerung zwang er die Stadt zur üebergabe und legte eine Ju-
diths Besatzung hinein^^).
Ueber diesen Fortschritten in der Befestigung seiner Macht ver-
gass Jonathan nicht, sich auch durch diplomatische Beziehungen
mit auswärtigen Völkern weitere Stützpunkte zu schaffen. Er
schickte zwei Gesandte, Numenius und Antipater nach Rom,
um den schon zu Judas' Zeit geschlossenen Freundschafts-Ver-
trag mit den \ Römern zu erneuern^'). Dieselben Gesandten über-
brachten auch Schreiben des Hohenpriesters und Volkes der Juden
nach Sparta und an andere Orte, um freundschaftliche Be-
ziehungen mit ihnen anzuknüpfen und zu pflegen ^2). Bei dieser
Parteigänger des Antiochus und Trypho handelt. Es war also nicht darauf
abgesehen, diese Städte mit dem jüdischen Gebiete zu vereinigen,
sondern nur darauf, sie zum Anschluss an die von Jonathan ver-
tretene Partei zu zwingen.
29) I Makk. 11, 63—74. Joseph. Antt. XIII, 5, 6—7. — 'AaojQ I M. 11, 67
ist ni^in Josua 11, 1. 10—13. 12, 19. 19, 36. Judic. 4, 2. 17. I Sam. 12, 9.
I Eeg. 9, 15. II Reg. 15, 29, nach Joseph. Antt. V, 5, 1 (vgl. Josua 11, 5) in
der Nähe des See's Semechonitis oder Merom-See's {vniQxeitai ttjg
Stfxsxütvinöot klfivTji), also im äussersten Norden Palästina's. Der Name ist
wahrsclieinlich noch erhalten in dem heutigen MerJ lladlreh (Ebene Hadireh)
und Jebel Hadireh (Berg Hadireh), westlich vom Merom-See, an dem grossen
in den Merom-See laufenden Wady (s. Bi. IV der grossen engl. Karte). Das
in der Nähe liegende el-Khurcibeh „die Ruinen" betrachtet Robinson als die
Lage der Stadt Hazor. S. überh. Robinson, Neuere biblische Forschungen
8. 479 ff. Ouirin, Galilec II, 363-368. The Survey of Western Palestine,
Memoira by Conder and Kitchener I, 204. Auch Raumer, Pal. S. 127 f,
Buhl, Geogr. 8. 236, und die Artikel „Hazor". oder „Hasor" in den Wörter-
bQchem von Winer, Schenkel und Riehm. Verfehlt ist die Anualime von
Ritter, Erdkunde XV, 1, 260—265, welcher Hazor nordöstlich vom Merom-
See setzt. DasH es auf der westlichen Seite, ein wenig südlidi von Kedes,
gelegen hat, beweist I Ma/cU. 11, 63. 67. 73.
80) I Makk. 11, 66—66. Joseph. Antt. XIII, 5, 6.
31) I Makk. 12, 1—4; die Namen der Gesandten: 12, 16. Joseph. Antt. XIII,
5, 8. — Vgl. Mendelssohn in Ritschl's Acta Sooietatis phiiologae Lipsiensis^
t. V, 1876, p. 101-104.
32) I Makk. 12, 2: n^d^ SnapttaraQ xal xonovQ ixipovt. Das Schrei-
ben an die Spartaner speciell: I Makk. 12, 5—23. Joseph. Antt. XllI, 5,8. Die
Antwort der Spartaner: I Makk. 14, 16—23. — Die Authentio der Urkunden
unterliegt begkflndeten Zweifeln, s. Grimm, Das erste Buch der Maccabäer
8. 180—191, 211. Kautztch, Ucbers. der Apokryphen S. 28-30.
[186] § 6. Die Zeit Jonathan'« (161—143). 237
Oelegenlieit wird auch bemerkt, dass solche Beziehungen der Juden
zu auswärtigen Vljlkern nicht ohne Beispiel aus älterer Zeit
waren. In dem Schreiben an die Spartaner beruft sich Jonathan
darauf, dass schon der König Aren s von Sparta an den jüdischen
Hohenpriester Onias ein freundschaftliches Schreiben gerichtet
habe33). |
33) I Malck. 12, 7—8. 19—22. Joseph. Antt. XII, 4, 10. XIII, 5, 8. — Der
Name des spartanischen Königs ist in den Handschriften des 1. Makkabäer-
buches seltsam entstellt. I M. 12, 7 lautet er Ja^sTog, I M. 12, 20 'OviaQtjg
{wofür aber noch der cod. Sin. das bessere oviaagijg hat, d. h. 'Ov/« "Aqtjq, denn
der seltsame Name Oniares ist nur durch Zusammenziehung mit dem vorher-
gehenden Namen des Onias entstanden). An beiden Stellen hat, wie sich aus
Joseph, und Vet. Lat. constatiren lässt, ursprünglich ^Apeiog gestanden. Die
correctere Form ist Aqsvq (so die griechischen Schrift.steller und die Inschrift
Corpus Inscriptionum Atticarum t. II, 1 n. 332 == Hicks, Manual of greek hi-
■storieal inscriptions, Oxf. 1882, p. 286 sq. = Dittetiberger, Sylloge inso-ipt. graec.
n. 163). Spartanische Könige dieses Namens hat es zwei gegeben: Arcus I,
der nach Diodor. XX, 29 vierundvierzig Jahre lang regierte, und zwar 309—265
vor Chr., und Arcus II, der um 255 vor Chr. regierte, aber schon als Kind
von acht Jahren starb, Pausan. III, 6, 6 (s. über die spartanischen Könige:
Clinton, Fasti Hellenici II, 255—271, Niese in Pauly-Wissowa's Real-Enc.
Art. „Arcus", Schoeffer ebendas. Art. ,3a8ileus"). Da Onias II schwerlich
noch mit Areus II gleichzeitig war, so werden Arcus I und Onias I gemeint
sein (sicher irrig ist die Combination des Josephus Antt. XII, 4, 10, der das
Schreiben in die Zeit des Onias III herabrückt). Die Beziehungen zwi-
schen Beiden würden also in die Zeit der Diadochen fallen, wo
die Spartaner im Kampf mit Antigonus und dessen Sohn Demetrius Poliorketes
wohl auf den Gedanken kommen konnten, ihrem Gegner durch Agitationen
im Orient Schwierigkeiten zu bereiten. — Vgl. überh. über die Beziehungen
zwischen Juden und Spartanern: Qottl. Wernsdorf, Commentatio historieo-
eritiea de fide historiea lihrorum Maccabaieoritm 1747, p. 140 — 171. H. J. E.
Palmer, De epistolamm, quas Spartani atque Judaei invicem sibi misisse di-
cuntur, veritate. Darmst. 1828. Grimm, Exeget. Handb. zum 1. Makkabäer-
buoh S. 184 fl'. 210 f. Die Artikel „Sparta, Spartaner" in den biblischen Wörter-
büchern von Winer, Schenkel und Riehm. Originell ist der Einfall von
Hitzig, die Spartaner in Klein- Asien zu suchen (Zeitschr. der deutschen
morgenländ. Gesellsch. Bd. IX, 1855, S. 731—737, Gesch. des Volkes Israel II,
345 — 349), nicht minder der von Büchler, darunter die Griechen von Cyrenaica
•zu verstehen (Die Tobiaden und die Oniaden S. 126 ff.). — Die Fiction einer
Verwandtschaft zwischen Juden und Spartanern, mit welcher die
Spartaner ihr Schreiben motiviren (I M. 12, 6—7. 21; vgl. II M. 5, 9), ist im
Zeitalter des Hellenismus nicht unerhört. Vgl. P. E. Jablonski, De Lace-
■daemoniorum ciimJudaeis cognatione {opusc. III, p. 261—286). Schon Jablonski,
wie Freudenthal, Alexander Polyhistor S. 29 Anm., verweist zur Erläuterung
auf Steph. Byx. s. v. ^lovSaia . . . wq K).avöioq ^lovXioq, and OvSalov ^7taQX<ov
kvoq ix OrjßTjg (xfxu Jiovvaov iaxQaxevxöxog. (Ueber Ovöalog s. Pape-Benseler,
Wörterb. der gr. Eigennamen; Fränkel, Die Inschriften von Pergamon S. 66
n. 118). In einem Decret der Pergamener [Jos. Antt. XIV, 10, 22) ist auch
von freundschaftlichen Beziehungen der Juden und Pergamener zur Zeit Abra-
238 § 6. Die Zeit Jonathan's (161—143). [187
Die Kämpfe Jonathan's gegen Demetrius gingen inzwischen
fort und wurden von ihm so gefühi-t, dass er dabei nicht nur das
Interesse des Trypho und Antiochus, sondern auch sein eigenes im
Auge behielt. Bald nach der Niederlage, welche die Truppen des
Demetrius in der Ebene von Hazor erlitten hatten, kam ein neues
Heer des Demetrius gegen Jonathan angerückt. Dieser zog ihm
diesmal noch viel weiter nach Norden entgegen, bis in die Land-
schaft Hamath, nördlich vom Libanon. Es kam jedoch gar nicht
zum entscheidenden Kampfe, da das syrische Heer auswich 3*).
Jonathan wandte sich darauf gegen den arabischen Stamm der
Zabadäer, dann nach Damaskus und von da wieder südwärts.
Als er nach Jerusalem zurückgekehrt war, sorgte er für stärkere
Befestigung der Stadt und schnitt durch Errichtung einer hohen
Mauer die syrische Besatzung der Burg vom Verkehr mit der Stadt
ab^^). Schon vor Jonathans Eückkehr hatte Simon eine jüdische
Besatzung nach Jope gelegt; jetzt befestigte er auch Adida in
der „Sephela" d. h. in der Niederung im Westen Judäa's^*^). |
hams die Rede. Vgl. auch J. G. Müller, Die Semiten in ihrem Verhältnis»
zu Chamiten und Japhetiten (1872) S. 101.
34) I Makk. 12, 24—30. Joseph. Anit. XIII, 5, 10. — Auf das hier und im
Folgenden erzählte Factum will Derenbourg , Eütoire de la Palestinc p. 99 — 100
die Notiz in Megillath Taanith §33 beziehen: „Am 17. Adar, da sich die Hei-
den gegen das Häuflein der Schriftgelehrten im Bezirk von Chalcis und Zab-
däa erhoben hatten, ward dem Hause Israel Rettung." Diese Combination
scheint mir doch sehr gewagt, obwohl auch Wellhausen (Pharisäer und
Sadducäer S. 58) geneigt ist, ihr beizustimmen. — Ueber „Hamath" s. die
Wörterbücher von Win er, Schenkel, Riehm und Ritter, Erdkunde XVII^
2, 1031 ff.
35) I Makk. 12, 31—37. Joseph. Antt. XIII, 5, 10—11.
36) I Makk. 12, 33—34. 38. Joseph. Antt. XIII, 5, 10. — 2"f(/)jjAa (so auch
LXX Jerem. 32, 44. 33, 13. Obadja 19. II Chran. 26, 10) ist = n>Bd, die
Niederung westlich vom Gebirgslande Judäa's. In der Mischua Sdicbüth IX, 2
wird zwischen "^"h rbtUJ (Niederung bei Lydda) und Bi-nn nbcia (südliche
Niederung) unterschieden. Ebenso Ilicroni/mu.s, commcnt. in Obadj. 19 {»pp. «A
Vallarai VI, 381): qui autevi habitabant in Sephcla id est in campest ribus,
Liddam et Kmmaus, IHonpuUm scilicet Ntcopotimque, significans . . . Alii vero
putani cum Sephelam ül est campestrcm rcf/iancni, qtiac circa Eleuthcropotim est,
rcpromitti etc. Unbestimmter Euscbius, Onomast. ed. Lagardc p. 296: Se<p7]Xtt . .
xai tti tTt vlv Se(piji.ä xaXtltai . avxt] ^atlv näaa ij ntpi xt]v 'Ekev^^eQonohv
ntdivfi '^tüdo. npöt ßoQQÜv xul övaßüq. An unserer Stelle ist die Gegend von
Lydda g«;mfint. — 'Adidci 1 M. 12, 38 u. 13, 13 ist T^nn Ksrn 2, 33. Nch. 7, 37.
11, 31. Im der Mischna ArachinW, 6 wird T^nn als eine der alten Städte er-
wähnt, welche «clion zur Zeit Josua's mit Mauern umgeben waren. Ein R. Jakiui
au« Chndid kommt l'Alujuth Vil, 5 vor (der gedruckte Vulgürtext hat hier frei-
lich Tin odor inn, alle besseren Zeugen ab(!r T^"in). (JriechlHcli "Aäöida o(ler/l*(5«
•och bei Joaephus Antt. XIII, 0, 4. 15, 2. Ikll. .lud. IV, 9, 1. Nach letzterer
[188] § 6. Die Zeit Jonathan's (161—143). 239
Alle diese Operationen wurden von Jonathan und Simon an-
geblich im Interesse des unmündigen Königs Antiochus und seines
Vormundes Trypho unternommen. Der letztere scheint aber das
Erstarken der jüdischen Macht nachgerade doch bedenklich gefun-
den zu haben. Und nicht mit Unrecht. Denn je mehr die eigene
Kraft der Juden wuchs, desto näher lag die Gefahr ihrer völligen
Loslösung vom syrischen Reiche. Es ist daher sehr verständlich,
dass Trypho, sobald Demetrius ihm freie Hand liess, sich gegen
Jonathan wandte. Nach dem ersten Makkabäerbuche geschah
dies, weil Trypho sich selbst die Krone aufsetzen und Jonathan
dies nicht dulden wollte. Das mag wohl sein; nur werden die
Motive auf Jonathan's Seite nicht sowohl moralische als politische
gewesen sein^").
Trypho kam also mit einem Heere nach Palästina, um der
bedenklich um sich greifenden jüdischen Macht Schranken zu setzen.
Bei Beth-sean (Skythopolis) traf er mit Jonathan zusammen.
Die Begegnung war zunächst noch eine freundliche, obwohl Jonathan
wie Trypho ein gi'osses Heer bei sich hatte. Trypho suchte das
Misstrauen Jonathan's zu beseitigen, indem er ihn mit Ehrenbe-
zeugungen überhäufte. Er stellte ihm vor, dass ein grosses Heer
überflüssig sei, da sie nicht auf Kriegsfuss mit einander stünden.
Jonathan möge ihm nur mit weniger, auserlesener Mannschaft nach
Ptolemais folgen; dann werde er ihm diese Stadt und „die übrigen
Festungen und Truppen" (es sind wohl die zwischen der tyrischen
Leiter und der Grenze Aegyptens gemeint, über welche Simon als
Strategos gesetzt war) übergeben ^s). Jonathan liess sich durch
diese Vorspiegelungen wirklich täuschen ; er entliess sein Heer und
folgte dem Trypho mit nur tausend Mann nach Ptolemais. Aber
kaum war er dort eingezogen, als er in Gewahrsam genommen und
seine Leute meuchlings niedergemacht wui'den^^). |
Stelle beherrschte es die Hauptstrasse, welche (von Westen, also von Jope
aus) nach Jerusalem führte. Hierzu stimmt, dass es Esra 2, 33, Neh. 7, 37
mit Lydda und Ono zusammen genannt wird. Identisch ist daher wahrschein-
lich das von Euseb. und Hieron. erwähnte Aditha juxta Diospolim quasi ad
orientalem plagam respiciens {Onomast. ed. Lagarde p. 93), noch heute Haditheh
östlich von Lydda. S. die Wörterbücher von Winer, Schenkel, Riehm;
ferner: Raumer, Palästina S. 168f. Ou4rin, SamarieH, 64 — 67. The Sur-
vey of Western Palestine, Memoirs by Conder and Kitchener H, 297, 322;
dazu Bl. XIV der grossen englischen Karte.
37) I Makk. 12, 39—40. Joseph. Antt. XIII, 6, 1.
38) Ueber Beth-sean oder Skythopolis s. Bd. II, S. 134 ff".; über
Ptolemais: Bd. II, S. 111 ff.
39) I Makk. 12, 41-53. Joseph. Antt. XIII, 0, 1—3.
240 § 6- Die Zeit Jonathan's (161—143). [189]
Die Nachricht von diesem treulosen Vorgehen Trypho's erregte
in Judäa gi'osse Bestürzung. Es war naturgemäss, dass Simon,
der einzige überlebende der fünf makkabäischen Brüder, die Leitung
der Dinge übernahm. Durch Beschluss einer Volksversammlung
wurde er formell zum Führer gewählt. Seine ersten Thaten waren
die Beschleunigung der Befestigung Jerusalems und die defini-
tive Besitzergreifung von Jope. Letzteres hatte bisher noch
nie zum jüdischen Gebiete gehört. Aber schon in seiner Eigen-
schaft als Strateg über die Küstengebiete hatte Simon eine jüdi-
sche Besatzung dorthin gelegt (s.S. 238). Jetzt wurden die heid-
nischen Einwohner aus Jope vertrieben, die Stadt judai-
sirt und mit dem jüdischen Gebiete vereinigt^^).
Trypho kam nun, indem er den Jonathan als Gefangenen mit
sich führte, mit einem Heere nach Judäa. Bei Adida versperrte
ihm Simon mit seinen Truppen den Einmarsch in das Innere. Darauf
sandte Trj'pho an Simon Gesandte und Hess ihm wissen, dass er
den Jonathan nur deshalb gefangen halte, weil er das Geld für die
ihm übertragenen Aemter schulde. Wenn das Geld bezahlt und
zur Bürgschaft künftiger Treue die Söhne Jonathans als Geiseln
gestellt würden, werde er denselben freilassen. Obwohl nun Simon
alles Geforderte schickte, wurde Jonathan doch nicht freigelassen.
Trypho suchte vielmehr, indem er das Gebirge umging, über Adora
(in Idumäa) vom Süden her nach Jerusalem vorzudringen. Als er
auch daran durch starken Schneefall gehindert wurde, nahm er
seinen Marsch nach Gilead (also in's Ostjordanland), Hess den Jo-
nathan zu Baskama ermorden und kehrte nach Syrien zurück^').
Simon trat hiermit thatsächlich an die Stelle seines Bruders
als Hoherpriester der Juden. Er Hess die Gebeine Jonathan's aus
Baskama holen und begrub ihn neben seinen Eltern und seinen
drei Brüdern in der Heimath Modein. Ueber dem gemeinsamen
Grab Hess Simon später ein praclitvolles Denkmal erricliten^-). 1
40) I Makk. 13, 1—11. Joseph. Antt. XIII, 6, 3. — Ueber Jope s. Bd. II,
8. m fr.
41) I MakL 13, 12—24. Joseph. Antt. WU, (5, 4—5. Adora ist eine idu-
mftische Stadt, welche Hpäter von Joliamu'» Hyrkanue erobert wurde {Antt. XIII,
0, 1; 8. unten g 8). — Bankama, wofür JoHophus Baska hat, ist sonst unbe-
kannt. Nach dem Zunammcnhang der Erzälihing ist es im Ostjordnnhuid zu
«uchen. Furrcr (Zcitschr. des 1)PV. XII, 151) vergleicht teil l>a\iih; einen
iMolirten Hügel im Wadi ijoramajc, ÖHtlich vom Nord-Ende des Sch's (icneza-
reth (u. Schumachers Karte in der Ztschr. des DPV. XXil, 1899). Ein
sicherer Beweif für diese ZuHammeuHteliuug iat nicht zu i'Uhrcu (Buhl, Gcogr.
8. 241).
42) I Makk. 13, 26—30. Joseph. Antt. XIII, 0, 5. — Das Grabdenkmal zu
liodein iiat noch zur Zeit des EusebhiH oxistirt. S. oben 8. 201 f.
[190] § 7. Simon (142—135). 241
§ 7. Simon (142—135 TOr Chr.) 0-
Quellen: I Makk. 13, 31—10, 22.
Joseph. Antt. XIII, 6 —7. Auszug daraus: Zonaras Annal. IV, 24. V, 1.
Einige Data aus Megillath Taanith s. bei Derenhotirg j). 67—69.
lieber die Sekel-Münzen, welche von Vielen dem Simon zugeschrie-
ben werden, s. Beilage IV.
Literatur: Die Werke über die syrische Geschichte von Foy-Vaillant,
Froelich, Clinton, Flathe, Stark u. A.
Die Untersuchungen und Commentare über die Makkabäerbücher
von Wernsdorff, Michaelis, Grimm, Keil u. A.
Ewald, Geschichte des Volkes Israel IV, 434—446.
Herzfeld, Geschichte des Volkes Jisrael II, 320 — 334.
Grätz, Geschichte der Juden Bd. III, 4. Aufl. (= Gesch. der Ju-
däer von dem Tode Juda Makkabi's etc. 1888) S. 50—63.
Hitzig, Geschichte des Volkes Israel II, 450 — 459.
Well hausen, Israelitische und jüdische Geschichte 2. Aufl.
S. 256—258. 4. Aufl. S. 272—274.
Art. „Simon" in W ine r 's RWB und Schenkel'sBibellex. (letzterer
von Fritzsche).
Durch die Thaten und Erfolge Jonathan's war die makkabäische
Partei weit über ihre ursprünglichen Ziele hinausgeführt worden.
Ursprünglich hatte man ja nichts anderes gewollt als die Wieder-
herstellung des jüdischen Cultus und die Gewährung freier Aus-
übung der jüdischen Religion. Schon Judas war aber mit EiTeichung
dieses Zieles nicht mehr zufrieden gewesen. Er und seine Partei
wollten nun auch die Herrschaft im Innern des Landes. Zur Zeit
Jonathan's ist auch dieses Ziel vollständig erreicht worden. Durch
die Ernennung Jonathan's zum Hohenpriester wurde die Regierungs-
gewalt in die Hände der makkabäischen Partei gelegt, die griechen-
freundliche Partei verdrängt. Auch dies genügte aber jetzt nicht
mehr. Die Gunst der Verhältnisse, die Schwäche des syrischen
Reiches verlockte dazu, nach vollständiger Abwerfung der syrischen
Oberhoheit zu trachten. Die letzten Thaten Jonathan's sind schon
bedeutende Schritte nach diesem Ziele hin. Die Bedeutung der
Regierung Simon's besteht darin, dass er das Werk Jo-
1) Das Todesjahr Jonathan's wird im ersten Makkabäerbuehe (das überhaupt
zwischen 11, 19 und 13, 41 keine Jahreszahl nennt) nicht angegeben. Da aber
nach 13, 41 f. und 14, 27 die Jahre Simon's vom J. 170 aer. Sei. = 143/142
vor Chr. an gezählt wurden, so ist Jonathan's Tod wohl Ende 143 oder
Anfang 142 vor Chr. (in den Winter, I M. 13, 22) zu setzen. Hiermit
stimmt auch, dass Josephus dem Simon eine achtjährige Regierung (142 — 135)
zusehreibt, Antt. XIII, 7, 4, während die Angabe, dass Jonathan vier Jahre
Hoherpriester gewesen sei {Antt. XIII, 6, 5), irrig ist. Ebenso falsch sind die
sieben Jahre Antt. XX, 10, 3.
Schürer, Geschichte I. 3. u. t Anfl. 16
242 § 7. Simon (142—135). [190. 191]
nathan's vollendet und das jüdische Volk völlig unab-
hängig vom syrischen Reiche gemacht hat.
In Syrien standen noch DemetriusII undTrypho als Vor- [
mund des unmündigen Antiochus VI einander gegenüber. Trypho,
der bisher nur als Vertreter seines unmündigen Pfleglings aufge-
treten war, Hess um diese Zeit die Maske fallen, Hess den An-
tiochus VI ermorden und setzte sich selbst die Krone auf 2).
Für Simon war es nach dem letzten feindlichen Auftreten
Trypho's selbstverständlich, dass er sich wieder an Demetrius an-
schloss. Er that dies aber nur um den Preis, dass Demetrius die
Freiheit der Juden anerkannte. Während er eifrig an den Festun-
gen Judäa's bauen Hess, sandte er eine Gesandtschaft an Demetrius,
„um dem Lande Steuerfreiheit zu erwirken". Da Demetrius that-
sächlich im Süden des Reiches keine Macht mehr hatte, lag es in
seinem Interesse, den Grossmüthigen zu spielen und den Juden alle
Wünsche zu gewähren. Er bewilligte also nicht nur Erlass der
noch rückständigen Abgaben, sondern auch volle Steuerfreiheit
für die Zukunft 3). Damit war die politische Selbständig-
keitJudäa's anerkannt; es war, wie das erste Makkabäerbuch
sich ausdrückt, „das Joch der Heiden von Israel genommen". Um
dieser Thatsache Ausdruck zu geben, begann man jetzt (170 aer.
iSH = 143142 vor Chr.) auch, sich einer eigenen Zeitrechnung
zu bedienen. Man datirte Urkunden und Verträge nach Jahren
Simon's des Hohenpriesters und Fürsten der Juden^). |
2) I Mahk. 13, 31—32. Josephus Anit. XIII, 7, 1. Diodor. bei Müller,
Frof/m. hüt. graec t. II p. XIX n. 25. Ldvius Epit. 55. Appian. Syr. c. 68.
J?«/m. XXXVI, 1. — Die Ennordung geschah durch Wundärzte. Vgl. Livius:
Alexandri filius, rex Syriae, deeem annos admodttm hahens, a Diodoto, gut Try~
pfum coffnominabatur, tutore suo, per fraudem orcisus est eorrupti\<^ medicis, qui
illum calctäi dolore eoiisumi ad popuUnn mentiti, dum seeant, occidenmt. Jo-
stphus', Tov fthv (uf xftQiL,6(ievoq anof^ävoi öitJYysile. — Josephus und die
nichtjüdischen Quellen setzen die Ernionlnng des Aiitioduis VI etwns später,
nach der Qefangennahme des Demetrius II durch die Parther. Das erste
Makkflbfierbuch gedenkt derselben in dem obigen Zusammenhang, noch ehe
Demetrius seinen Feldzug gegen die Parther unternalim. Zu Gunsten seiner
Darstellung sprechen namentlich die Münzen. Vgl. über diese Differenz
oben B. 172 f.
3) Orfitz, Gesch. der Joden Bd. III, 4. Aufl. 8. 5G6, und Derenboury
p. 69 besiehen hierauf Meg. Taanith § (3. Damach wäre der 27. Ijjar (— Mai)
der Tag de« Steuererlasses.
4) I Makk. 18, 33—42; vgl. 14, 27. Joseph. Anlt. XIII, 0, 0. — In Justin's
AuMCtig auB Trogns Pompejus wird die Freiheit der Juden bereits von De-
metrius I an datirt. Er sagt von Antiochus VII 8i(letes {Justin. XXXVI,
1, 10): Judasot quoqtset qui in Maccdunieo imperio auh Dnnctrio palre armia se
in lib0rttU«m pindicavtrant, gubeyit istutt/^a/rcwill Mrrzbaclicr, Zcitschr. f. Num.
V, 310 frutre leten, well Demetrius II gemeint sei). Jbid. XXXVI, 3, 0: A De-
[192] § 7. Simon (142—135). 243
Mit dieser Notiz des ersten Makkabäerbuches pflegt man eine
numismatische Thatsache zu combiniren. Es giebt jüdische Sekel-
und Halb-Sekel-Münzen, welche nach Ansicht der meisten Numisma-
tiker zur Zeit Simon's geprägt sein sollen. Sie tragen auf der einen
Seite die Aufschrift msip nbülT' oder nOTipn 2'^bT0Ti\ auf der
anderen Seite je nach dem Gewicht entweder bsic bptt? (Sekel
Israel's) oder bpün "^in (halber Sekel). Sowohl die ganzen als die
halben Sekel sind mit einer Jahreszahl versehen, und zwar sind
von beiden Arten Exemplare mit den Jahreszahlen K, 3, 5, i (I,
11, in, IV), von den ganzen Sekeln auch ein Exemplar vom Jahr
n (V) bekannt^). Die hier vorausgesetzte Aera hält man eben für
die im ersten Makkabäerbuche erwähnte Aera Simon's. Nun sind
freilich diese Münzen, wenn sie überhaupt zur Zeit Simon's geprägt
sind, nicht eigentlich als Münzen Simon's, sondern als Münzen
der städtischen Commune von Jerusalem zu betrachten, indem Jeru-
salem analog den hellenistischen Communen als Beherrscherin von
ganz Judäa zu denken ist (vgl. § 23, I und II). Auch die Jahres-
zahlen auf den Münzen würden demgemäss nicht Jahre Simon's,
sondern Jahre einer städtischen Aera von Jerusalem sein,
wie ja auch andere Städte Phöniciens (Tyrus, Sidon, Askalon) gegen
Ende des zweiten Jahrhunderts vor Chr. zum Zeichen ihrer er-
rungenen Freiheit eigene Zeitrechnungen begonnen haben*^). Trotz-
dem wäre es möglich, dass die auf den Münzen angewandte Aera
mit den im ersten Makkabäerbuche erwähnten „Jahren Simon's"
identisch ist, denn das erste Jahr Simon's ist eben zugleich das
erste Jahr der jüdischen Freiheit^). Schwierigkeiten macht aber,
dass trotz der grossen Zahl der Sekelmünzen bis jetzt nur ein ein-
ziges Stück mit der Jahreszahl V nachgewiesen ist, und höhere
Jahreszahlen gar nicht, während die Aera Simon's nach IM. 13,
41 — 42 und 14, 27 im J. 170 aer. Sei. begonnen hat, und Simon erst
im J. 177 aer. Sei gestorben ist (I M. 16, 14), also auf seinen
Münzen mindestens noch die Jahreszahlen VI und VII zu erwarten
wären. Merzbacher hat daher angenommen, dass die Aera Simon's
im ersten Makkabäerbuche um zwei Jahre zu früh angesetzt sei.
metrio cum descivissent, amicitia Romanorwn petita primi omnium ex orienta-
libus libertatem accepenmt, facile tunc liomanis de alieno largientibtis.
5) Die Literatur über diese Sekel-Münzen s. unten Beilage IV.
6) Tyrus hat eine Aera vom J. 126 vor Chr., Sidon eine solche vom J. 111,
Askalon von 104. S. hierüber die in Bd. II S. 72 genannten Werke (bes. Noris
und Eckhel), über Askalon auch Bd. II S. 93 f.
7) Die betreffende Notiz des ersten Makkabäerbuches lautet (I M. 13, 42):
xal riQ^axo 6 Xabq 'laQarjX ygüifSiv iv ralg avyyQacpaXq xal avvak?.dyfiaaiv'
^'Erovq TtQwzov inl 2^lfiatvoqdQ)^ieQe<og ftsydkovxal axQaxTjyov xal^yovfievov
^lovöaltov.
16*
244 § 7. Simon (142-135). [192. 193]
Der wirkliche Anfangspunkt derselben sei das dritte Jahr Simon's
{172 aer. \ Sei. = 141/140 vor Chr.), in welchem Simon durch Yolks-
beschluss zum erblichen Hohenpriester erklärt worden ist
(I Makh. 14, 25 — 49). Eben damals erst habe auch Demetrius den
Juden die genannten Freiheiten verliehen. Der Verfasser des
ersten Makkabäerbuches habe aber irrthiimlich das officielle „erste"
Jahr Simons mit seinem factischen ersten Jahre verwechselt^).
Die Gründe für diese Hypothese sind von Merzbacher scharfsinnig
und bestechend entwickelt; sie erweisen sich aber bei näherer
Prüfung doch nicht als stichhaltig^). Die schlichte und bestimmte
Angabe des ersten Makkabäerbuches, dass man im J. 170 aer. Sei
begonnen habe, nach Jahren Simons zu zählen (13, 41 — 42. vgl.
8) Merzbacher in Sallet'sZeitscbr. fürNumismatik ßd.V, 1878, S. 292— 319.
Ibm folgt Madden, Coins of the Jeus (1881) p. 65—67,
9) Merzbacher beruft sich namentlich auf folgendes: 1) In dem Volks-
beschluss vom J. 172 aer. Sei. vravde unter Anderem bestimmt, dass alle Ur-
kunden in Simon's Namen geschrieben werden sollen (I M. 14, 43: onwi; yQÜcpwv-
rac inl xdj ovö/xazt avrov näaai avyyQacpal iv tj/ y,(ÖQn). Wenn dies damals
erst beschlossen wurde, könne mau nicht schon zwei Jahre früher begonnen
haben, die Urkunden und Verträge nach Jahren Simon's zu datiren, wie I M.
13, 42 behauptet wird (ygä^siv iv raig avyyQaipalg xal avva?.?.dyfiaaiv"Evovg
ngoitov inl I^lfiwvog x. r. ?..). Allein, auch wenn wir zugeben, dass yQccifSiv
inl T(p ovofxau so viel ist wie: nach Jahren Simon's datiren, so wird bei dieser
Argumentation doch die Bedeutung jenes Volksbeschlusses falsch beurtheilt.
Durch denselben ist überhaupt nichts Neues eingeführt, sondern nur das schon
Vorhandene feierlich bestätigt und sanctiouirt worden (vgl. unten S. 249).
2) Ein Hauptgewicht legt Merzbacher darauf, dass in der Motivirung des
Volksbeschlusses vom J. 172 aer. Sei. unter Anderem hervorgehoben wird, dass
der König Demetrius den Simon als Hohenpriester bestätigt und ihm grosse
Ehre erwiesen habe, weil er gehört hatte, dass die Römer die Ge-
sandten Simon's ehrenvoll aufgenommen hätten (I M. 14, 88—40).
Demnach falle der Freibrief des Demetrius später als Simon's Gesandtschaft
nach iiom, welche 172 aer. Sei. dorthin abging (I M. 14, 24 vgl. mit 14, 1).
Also könne jener Freibrief, aus dessen Anluss man eben begonnen habe, nach
Jahren Simon's zu datiren, nicht schon 170, sondern erst 172 or;-. &/. erlassen
worden sein, unmittelbar vor dem Volksboscliluss. ])ie8e Argumentation be-
weist aber zu viel. Zur Zeit des VolksbcHchlusses war Simon'« Gesandtschaft
nach Iiom noch unterwegs (vielleicht auch noch nicht einmal dieses; sie kam
erut im J. 174 aer. Sri. zurück, s, I M. 15, 15 vgl. mit 15, lU). Wenn also
durch ihren Erfolg der Freibrief des Demetrius veranlasst wäre, so müsste
dieiier noch Bi)uter fallen als der Volksbeschluss, was natürlich auch Merz-
bacbcr nicht annimmt. Die Angabe, das« der Freibrief des Demetrius durcii
den Erfolg der römiHcheii Gesandtschaft Simon's veraidasst sei, ist also über-
haupt nicht haltbar. Sie ist eine ungenaue Wiedcrgal)e der Thutsache, dass
fflr Denietrius' Verhalten gegenüber den Juden allerdings deren sclion lauge
beNtchcndcN freundHcliaftliches VerhültnisH zu den Hörnern massgebend war
{vgl Kcir« Commeiitar S. 233 Anm.). Damit fiillt aber dieses Argument zu-
Mmnien.
[193. 194] § 7. Simon (142—135). 245
14, 27), wird dadurch nicht erschüttert. Auch ist Merzbachers
Hypothese eben doch nur auf gestellt, um die obengenannte Schwie-
rigkeit, welche die Jahreszahlen der Sekel darbieten, zu beseitigen.
Ausser dieser Schwierigkeit erheben sich aber auch noch andere
Bedenken gegen die Annahme, dass die Sekel unter Simon geprägt
seien lö). Sie darf daher, obwohl sie von den meisten Numisma-
tikern gebilligt wird, als unwahrscheinlich bezeichnet werden^*).
Der Freibrief des Demetrius örtheilte Privilegien, die im Grunde
Demetrius gar nicht zu vergeben hatte. Es war Sache Simon' s,
dieselben zur That und Wahrheit zu machen gegenüber der ihm
gefährlicheren Macht Trypho's. Zur Befestigung seiner Stellung
suchte Simon vor allem noch in den Besitz zweier ihm wichtigen
Festungsplätze zu gelangen: der Stadt Gazara und der Burg von
Jerusalem, beidemal mit glücklichem Erfolge. Gazara, das alte
Geser, nicht weit von Emmaus-Nikopolis in westlicher Richtung,
am Ausgang des Gebirges, war bisher eine heidnische Stadt ge-
wesen. Sein Besitz war für die Juden von Wichtigkeit, weil es zu
den Plätzen gehörte, welche die Pässe des Gebirges und damit
die Verbindung zwischen Jerusalem und der von den Juden
bereits annectirten Hafenstadt Jope beherrschten. Simon er-
öffnete gegen die Stadt eine kunstgerechte Belagerung, er-
oberte sie, vertrieb alle heidnischen Einwohner aus derselben und
siedelte daselbst „Männer an, welche das Gesetz beobachteten"* 2)^
101 Nach I Makk. 15, 6 hat erst Antiochus VII Sidetes (174 aer. Sei
= 139/138 vor Chr.) dem Simon das Münzrecht verliehen. Immerhin ist auf
diesen Punkt kein Gewicht zu legen, da dies sehr wohl die nachträgliche Be-
stätigung eines schon früher usurpirten Rechtes sein kann. — Bedenklicher
ist, dass die Münzen von Simon's unmittelbarem Nachfolger Johannes Hyr-
kan von ganz anderer Art sind. Es würde also ein sehr schroffer Wechsel
in der Art der Münzprägung stattgefunden haben.
11) Näheres über die Sekelmünzen und deren Alter s. Beilage IV. — Ausser
den Sekeln werden von manchen Numismatikern auch die Kupfermünzen mit
der Aufschrift Obv. •p'^-.i nbxj?, Rev. rn-x r.'.-a (der Befreiung Zion's, Jahr IV)
in die Zeit Simon's gesetzt. Die Anhaltspunkte hierfür sind noch unsicherer
als die in Betreff der Sekelmünzen. Entschieden falsch und jetzt allgemein
aufgegeben ist die Meinung älterer Numismatiker, dass die Münzen, welche
den Namen Simon tragen, dem Makkabäer Simon angehören. S. über diese
beiden Kategorien ebenfalls Beilage IV.
12) I Makk. 13, 43—48; vgl. 14, 34. Joseph. Äntf. XIII, 6, 6. Strabo p. 759 t
iv ÖS T(p fifta^v xal y Fadagig s'oxiv, ^v xal avtrjv i^iöiäaavxo ol 'lovöalot
(das von Strabo hier erwähnte Gadaris ist eben das Gebiet von Gazara). — Die
Handschriften des ersten Makkabäerbuches haben an unserer Stelle (I M. 13, 43}
rdtiKv. Dass statt dessen rd'C,aQa zu lesen ist, beweist nicht nur der parallele
Text des Josephus, sondern auch der Text des ersten Makkabäerbuches an
den übrigen, auf unseren Bericht zurückblickenden Stellen (I 3/. 13, 53. 14, 7.
34. 15, 28. 35. 16, 1. 19. 21). Es ist das alttestamentliche nts, eine bedeu-
246 § 7. Simon (142-135). [194]
Zum Statthalter von Gazara wurde Simon's Soliu Joliaiines be-
steUt»3). I
tende kanaanitische Stadt, über deren hage Eusebius {(hiomast. ed. Lagat-de
p. 244) bemerkt: xal vvv xaksizai rat,äQa xüj/xtj Nixondlswg dneyovaa otj/xst-
oig (f iv ßopeloig. Diese Angabe des Eusebius hat sich durch die neueren
Forschungen bestätigt. Denn der von Clermont-Ganneau im J. 1873 ent-
deckte Tell-Dschezer, unmittelbar bei Abu Shusheh, liegt in der That vier
röm. mil. pass. von Emmaus-Nikopolis, wenn auch mehr in westlicher, als in
nördlicher Richtung. Zu dieser Ortslage stimmen auch die Voraussetzungen
des A. T.'s und des ersten Makkabäerbuches, namentlich I M. 4, 15, aber auch
I Jlf. 7, 45 (eine Tagereise weit von Adasa) und I M. 14, 34 (r^v Fd^aQu xtjv
inl Ttüv ogloov ^^oJrov, dass das Gebiet von Gazara an das von Asdod grenzte,
ist bei der grossen Ausdehnung dieser Stadtgebiete sehr wohl möglich). End-
lich sind in der Nähe von Tell-Dschezer in den Jahren 1874—1898 mehrere
Inschriften mit dem Namen von ^t5 entdeckt worden, welche wahrscheinlich
die Sabbathgrenze der Stadt bezeichnen, nämlich: 1) im J. 1874 entdeckte
Clermont-Ganneau zwei hebräisch-griechische: "iT5 öün AXxiov, und eine nur
hebräisclie, alle drei nicht weit von einander entfernt, etwa 800 Meter östlich
von Tell-Dschezer (die Lesung der nur hebräischen ist unsicher). 2) Im J. 1881
entdeckte Clermont-Ganneau eine dritte hebräisch-griechische, ebenfalls in der
Nähe der anderen, 3) Im J. 1898 entdeckte Lag ränge eine vierte hebräisch-
griechische, gleichlautend mit den anderen ("iT5 ünn Akxcov), aber südlich von
Tell-Dschezer, ungefähr in gleicher Entfernung davon, wie die anderen östlich.
"iTJ onn kann nur heissen „Grenze von GezeT",''AXxiog ist wohl der Name
des Beamten, der die Inschriften anfertigen Hess. Es darf somit als sicher
gelten, dass damit die Lage des alten Geser oder Gazara tixirt ist. Vgl.
Clermont-Oanneau, Bulletin de la Societe de geographie Scr. VT, t. 5,
Paris 1873, p. 123 sqq. (war mir nicht zugänglich). Clermont-Oanneau,
Comptes rendus de l' Acadimie des Inscriptions et Belles-Lcttres de Vatmie 1874,
p. 201. 213 sq. Palestine Exploration Fund Qiiarterly Staieiticnts 1873, p. 78 sq.
1874, p. 56; 27Q sqq. 1875,;). 5; "-isqq. Mühlau in Riehm's Wörterb. des
bibl. Altertums Art. „Geser". The Survey of Western Palestine, Memoirs hy
Conder and Kitchener II, 417; 428—440; dazu Bl. XVI der englischen Karte
(rechts oben, bei Abu Shusheh). Clermont-Ganneau, Revue critique 1881,
Nr. 50 p. 476. Ders. in: Archives des missions scicntißques, troisirmc siric
t. XI, 1885, p. 243 fij. Ebers und Guthe, Palästina II, 192 ff. 455. Chwol-
Bon, Corpus Insor. Hcbraicarum (1882) col. 58—60; 225; iab. 1 n. 2 u. 2«.
Clermont-Oanneau, Recueil d' Archäologie Orientale I, 1888 ;>. 351—391.
{Mont Qisart der Kreuzfalirer identlHcli mit Gczer). Clermont-Oanneav,
Archaeological Beaearehes in Palestine II, 1890, p. 224—275 (zuHiinuuciifuBsend).
Clermont-Oanneau, Comptea rendus de l' Acad. des Itiscr. et Bcltes-Lcltrea
1808, p. 080—694 (abgedr. in: Reeueil rf' Arcli. Orientale III, 1899, ;). 11(5— 126,
lievue biblique VIII, 1800, p. 100—117, englisch: Quarterhj Statcmmts 1899,
p. 118—127). Clermont-Oanneau, Recueil rf' Arch. or. 111, 264— 268 (mit
4 Tafeln und einem Bericht des P. Lagrange, der uudi nbifvilr. ist in: Com-
pie* rendu* de f Ae. de» Insor. 1800, p. 247—261 imd //»v" //W/V//» VI II,
422—427). — Aeltere Literatur über Geser: Winer'H i:\\i;. ini.l s.luMikcr.s
Bibellex. Art. „Geser". Grimm, Exeget. Handb. zu I i////. i, ii. Raumer,
Pallstina 8. 191. OuSrin, Judie 1, 26-20.
13) I Mnkk. 13, 63. 10, 1. 10. 21.
[195. 196] § 7. Simon (142-135). 247
Bald nach der Eroberung Gazara's zwang Simon auch die
syrische Besatzung der Burg von Jerusalem durch Hunger zur
Uebergabe. Schon lange waren die nationalen Bestrebungen der
Makkabäer auf dieses Ziel gerichtet; denn so lange die Burg in
den Händen der syrischen Könige war, waren die Juden die Unter-
thanen der letzteren. Jetzt gelang es dem. Simon, auch dieses Boll-
werkes Herr zu werden. Am 23. Tage des zweiten Monats
des Jahres 171 aer. Sei. = Mai 142 vor Chr. zog er mit grossem
Gepränge in die Burg ein*'*). |
Da die syrischen Könige den Vorgängen in Judäa keine Auf-
merksamkeit schenken konnten, so folgten für Judäa zunächst
einige Jahre ungetrübten Glückes und Friedens. Als eine
solche Zeit wird überhaupt die Regierung Simon's im ersten Makka-
bäerbuche charakterisirt. Dabei werden als seine Hauptverdienste
die Erwerbung Jope's als Hafen und die Eroberung von Gazara,
Beth-zur und der Burg von Jerusalem hervorgehoben*^). Ausser-
14) I Makk. 13, 49—52; vgl. 14, 7. 36-37. Joseph. Antt. XIII, 6, 6. Das
Datum des 23. Ijjar (dies ist der zweite Monat) giebt ausser I M. 13, 51 auch
MerjUlalh Taanith § 5. Vgl. Grätz, Gesch. der Juden Bd. III, 4. Aufl. S. 565.
Derenbourg p. 67. Schwab, Actes du onxieme Congres des orientalistes,
IV*»e Section, p. 222. Wenn die Voraussetzung richtig ist, dass die Seleuciden-
Aera des ersten Makkabäerbuches im Frühjahr (Nisan) beginnt, so ist der Ijjar
171 = Mai 142 vor Chr. — Mit dem Bericht von der Eroberung der Burg
verbindet Josephus Antt. XIII, 6, 6 (vgl. Bell. Jud. V, 4, 1) die merkwürdige
Notiz, dass nicht nur die Burg zerstört, sondern auch der ganze Hügel, auf
welchem die Burg gelegen habe, in dreijähriger ununterbrochener Arbeit
vom Volk abgetragen worden sei, damit der Tempelplatz höher sei als die
Stelle der ehemaligen Burg. Da das erste Makkabäerbuch nichts davon er-
wähnt, sondern im Gegentheil sagt, dass Simon die Burg befestigt und eine
jüdische Besatzung in dieselbe gelegt habe (I M. 14, 36—37; vgl. auch 15, 28),
so kann die Abtragung keinesfalls in die Zeit Simons fallen. In der Parallel-
stelle des Bell. Jud. V, 4, 1 ist sie aber auch nur allgemein als Werk der
Hasmonäer bezeichnet. In dieser Form ist die Notiz gewiss richtig, denn
die Stelle, wo die Burg gelegen hat, ist jetzt in der That fast eben, während
sie ehedem eine andere, zur Anlage der Burg geeignete Gestalt gehabt haben
muss. ünhistorisch ist also nur, dass Josephus Antt. XIII, 6, 6 die Abtragung
noch zur Zeit Simon's erfolgen lässt. Dies ist nach I Makk. 14, 36 — 37 und
15, 28 allerdings nicht möglich. Vgl. über die ganze Frage die oben (S. 198f )
genannte Literatur; auch Crome, Art. „Jerusalem" in Ersch und Gruber's
AUgem. Encyklop. Section II, Bd 15 (wo S. 291 — 295 die Geschichte der Akra
ausführlich dargestellt ist und die Gründe gegen den Bericht des Josephus,
aber zum Theil auf Grund falscher Prämissen, entwickelt sind); Grimm,
Exeget. Handb. zu I Makk., S. 22 f. 205.
15) I Makk. 14, 4 — 7. Vgl. auch die Motive in dem Volksbeschluss I M.
14, 33 — 37. An beiden Stellen wird zusammengestellt, was im Zusammenhang
der Erzählung des ersten Makkabäerbuches bereits früher berichtet ist; vgl.
248 § 7. Simon (142—135). [196. 197]
dem wird namentlich auch seine Sorge für die geistige und
materielle Wohlfahrt des Landes, für strenges Recht und
für Durchführung des jüdischen Gesetzes gerühmt. „Man
baute sein Land im Frieden und das Land gab sein Gewächs und -
die Bäume auf den Ebenen brachten ihre Frucht. Aelteste sassen
in den Strassen und beredeten sich über des Landes Bestes, und
die Jünglinge kleideten sich in Ehren und Gewänder des Krieges.
Die Städte versah er mit Lebensmitteln und rüstete sie aus mit
Befestigungszeug, so dass sein Name «und seine Ehre bis an das
Ende der Erde genannt wurden. Er schaffte dem Lande den
Frieden, und Israel freute sich mit grosser Freude. Und Jeder
wohnte unter seinem Weinstock, unter seinem Feigenbaum, und
Niemand war, der sie erschreckte. Und Niemand bekriegte sie
mehr im Lande und die Könige waren in jener Zeit gedemüthigt.
Und er half allen Elenden seines Volkes auf; er hielt über dem
Gesetze und vertilgte | jeglichen Abtrünnigen und Uebelthäter. Er
machte das Heiligthum herrlich und vermehrte die Geräthe des
Heiligthums" ^^).
In diesen Worten des ersten Makkabäerbuches konmit das
Gefühl der Befriedigung zum Ausdruck, welches die Mehrheit des
Volkes über Simon's Regierung empfand. Das letzte Ziel der makka-
bäischen Bestrebungen war erreicht. Die Regierung war in den
Händen der nationalen Partei, das Land war unabhängig von sy-
rischer Oberhoheit. So erntete Simon nun auch die letzte Frucht
der gemeinsamen Arbeit: die formelle Legitiuiirung seiner
Familie als der regierenden hohenpriesterlichen Familie
von Seite des Volkes. Es war ja ein Act der Usurpation ge-
wesen, durch welchen die Söhne des Mattathias zur Herrschaft ge-
langt waren. Bis zum Ausbruch der makkabäischen Erhebung war
die hohepriesterliche Würde in einer anderen Familie erblich ge-
wesen. Durch den Gang der Ereignisse war diese verdrängt wor-
den. Die makkabäischen Brüder hatten die Führung der natio-
nalen Partei übernommen, und die syrischen Könige Imtten ilinen
die hohepriesterliche Würde übertragen. Es war für den Bestand
der Herrschaft Simon's von gi'össter Bedeutung, dass die Recht-
mä«8igkeit seiner Regierung für seine Person und seine Nachkom-
ttbcr Bcth-zur 1 M. 11, ü5 f., über Jopc I M. 12. :« f. Ki 11, über Gazara
und die ßurg I M. 13, 43—52.
10) I Makk. 14, 8 — 16 (die Uebewetzunj!; nacl» JUmsi-iis liibolwerk). — Auf
das »treoge Verfaliren Bimon'i gegen die AbtrünniKtn beziehen Grätz (Bd. JII,
4. Aufl. 8 Wiö) und Derenbourg (HUtoire p, 08 «y.) die Notiz Metjülath
Taanith g 15.
[197. 198] § 7. Simon (142-135). 249
luen durch eiuen Volksbeschluss ausdrücklich anerkannt wurde.
Ein solcher Act erfolgte im dritten Jahre der Kegierung Sinion's.
Am 18. Elul des Jahres 172 aer. Sei. = September 141 vor Chr.
wurde in einer grossen Versammlung „der Priester und des Volkes
und der Oberen des Volkes und der Aeltesten des Landes" be-
schlossen, dass Simon Hoherpriester und Kriegsoberster
und Volksfürst {aQxt^Qivg, 0TQaxi)y6q und ed^i^apx^/s) der Juden
sein solle, und zwar „auf ewig, bis ein zuverlässiger Prophet auf-
stände" (I M. 14, 41)*'). Durch die letztere | Formel wird ange-
deutet, dass dieser Volksbeschluss so lange gelten solle, als nicht
durch eine authentische Kundgebung Gottes etwas anderes verfügt
werde. Bis dahin also wurden Simon's Würden für „ewig" d.h.
erblich erklärt. Die Bedeutung des Volksbeschlusses liegt nicht
sowohl darin, dass ihm neue Würden übertragen, als vielmehr
darin, dass die Würden, die er bereits hatte, legitimirt und für
erblich erklärt wurden. Es wurde damit eine neue hoheprie-
sterliche und fürstliche Dynastie, die der Hasmonäer be-
gründet'^). Der Wortlaut des Volksbeschlusses wurde auf eherne
17) S. überh. I Makk. 14, 25—49. Der Inhalt des Decretes 14, 41—46 wird
durch ein ort 14, 41 von dem vorhergehenden ^xovo&tj 14, 40 abhängig ge-
macht. Dass dieses ou nothwendig zu tilgen ist, haben die Ausleger längst
erkannt. — Die Titulatur Simon's ist dreitheilig, wie sich aus folgenden,
im Wesentlichen übereinstimmenden Stellen ergiebt, I M. 13, 42: inl JHfiotvoq
uQxiSQeioq fisyakov xal oxQaxi]yov xal rjyovfxsvov 'lovSaiiuv. I M. 14, 41 — 42:
Tov tlvai ttvxüJv ^ifxwva r,yovixtvov xal aQXUQka .... xal xov eivai ^n aiTtüv
axQarrjyöv. I -1/. 14, 47: ßpyf<fP*f^*''f'*' ^^^ eivai axpaxTjyoq xal iBvÜQyjiq xüiv
^lov^ai(i)v xal Uq6(ov. Weniger vollständig I J/. 15, 1: UgtT xal id-vag^y xdüv
'Iovöai<j)v, 15, 2: Uqh fieydlw xal i&vdgxQ. Auch in der Stelle I .V. 14, 27
inl Sificüvog aQyjeQiux; ivaaga/zt). gehören die räthselhaften Worte dvaa-
QUfit?. oder ivaaaQafit?. sicher zur Titulatur, aaga^iik ist vermuthlich bs er "ito,
also = id^vÜQ/Tjg. Räthselhaft bleibt das sv. Ich vermuthe, dass ursprünglich
0£yev== po dagestanden hat; denn dies entspricht dem griechischen axgaxTjyog
(vgl. Bd. II S. 265). Andere Erklärungsversuche s. bei Win er RWß. Art.
„Saramel", Schenkel's Bibellex. V, 179. Michaelis, Grimm und Keil
in ihren Commentaren zu I M. 14, 27. Derenbourg, Histoire p. 67. 450 sj'.
18) Vgl. über die Bedeutung des Volksbeschlusses namentlich auch Lu-
cius, Der Essenismus (1881) S. 86—88. — Der Familien-Name der
Dynastie ist ol liaafiotvalov nalösq {Jos. Vita 1; Äntt. XX, 8, 11. XX, 10),
x6 kaa/iia)vaiü)v ysvog [Äntt. XV, 11, 4), ol ^AaafiwvaZot [Bell. Jud. II, 16, 3;
V, 4, 1), nach dem im ersten Makkabäerbuche nicht erwähnten Ahnherrn
kaafziovaZog {Äntt. XII, 6, 1; XIV, 16, 4; XVI, 7, 1), in der Mischna Middoth I, 6
">X3lSTi;n "1:3 oder ilT^m 1:3 (letztere Form in der von Lowe herausgegebenen
Cambridger Handschrift), im Targum Jonathan I Sam. 2, 4 '^xn^^'n r^n; an-
dere rabbinische Stellen s. bei Levy, Chald. Wörterb. und Neuhebr. Wörterb.
s. V. 'i>^3l"2T!;n. — Wellhausen (Pharisäer und Sadducäer S. 94 Anm.) hat die
Vermuthung ausgesprochen, dassHasmon der Grossvater des Mattathias ge-
wesen sei, indem I Makk. 2, 1 statt xov Sv/jts<ov gestanden habe ben chaschmon.
250 § 7. Simon (142—135). [198]
Tafeln aufgezeichnet und diese im Vorhof des Tempels aufge-
stellt'9).
Zur Legitimirung durch das Volk kam bald auch die Aner-
kennung von Seite der Römer. Um die Zeit jenes Volks-
beschlusses sandte Simon eine Gresandtschaft unter Führung des
Numenius nach Eom, welche einen goldenen Schild von tausend
Minen Gewicht überbrachte und um Erneuerung des Bündnisses
bat. Die Gesandtschaft wurde vom Senat wohlwollend aufgenom-
men und erlangte einen Senatsbeschluss, welcher den Juden den
ungeschmälerten Besitz ihres Gebietes garantirte. Von dem Inhalt
des Senatsbeschlusses wurden die Könige von Aegypten, Syrien,
Pergamum, Kappadocien und Parthien und viele selbständige
kleinere Staaten und Communen Griechenland's und Kleinasiens in
Kenntniss gesetzt, indem ihnen zugleich aufgetragen wurde, die aus
Palästina zu ihnen geflüchteten Uebelthäter dem jüdischen Hohen-
priester auszuliefern -0). Der Wortlaut des Senatsbeschlusses liegt]
19) I Makk. 14, 27. 48—49. — Der im I. Makkabäerbuche mitgetlieilte
Wortlaut der Urkunde (14, 27 — 45) giebt sich als ein uvriyQa(pov des authen-
tischen Textes (14, 27). Hiebei fallt jedoch die Bemerkung 14, 38—40 auf,
dass Demetrius den Simon deshalb als Hohenpriester bestätigt habe, weil
er gehört hatte, dass die Eömer die Gesandtschaft Simon's ehrenvoll aufge-
nommen hätten. Der Freibrief des Demetrius für die Juden (I M. 13, 30 — 40
vgl. oben S. 242) fallt ja einige Jahre früher als die Gesandtschaft Simon's
an die Römer, die eben jetzt, etwa gleichzeitig mit unserem Volksbeschlusse,
erst abging und noch 8i)äter zurückkehrte. Wenn also in der sonstigen Er-
zählung unseres Buches die Thatsachen richtig angegeben sind, so kann das
angegebene Verhältniss nicht richtig, demnach der mitgetheilte Wortlaut des
Volksbeschlusses nicht in allen Einzelheiten authentisch sein. Er scheint
mehr eine freie Reproduction als eine diplomatisch genaue Abschrift zu sein.
S. Grimm, Das erste Makkabäerbuch 8. 219 f. Zu der Annahme, dass er
erst von einem späteren Interpolator eingefügt sei (Will rieh, Juden und
Griechen S. 69 f. Kautzsch, Uebers. der Apokr. S. 29), scheint mir kein
Anlass vorzuliegen.
20) Vgl. überh. I M. 14, 24 u. 15, 15—24. — Das erste Makkabäerbuch
spricht 80, als ob die Römer sclion vorher aus eigenem Antrieb ein Schreiben
an die Juden wegen Erneuerung des JJündnisses L'crichtet hätten (I Molch. 14,
16 ff.). Das ist schwerlich historisch. — Naeli I U. 1 1, 24 vgl. mit 14, 25 fl".
mflsHte man annehmen, dass die QesandtHchall >eli(iii vor dem Volkslieschluss
vom 18. Ehil 172 acr. Sei. — September Ml vor Chr. nli; . m .n wäre. Das
ist kaum denkbar, da sie erst im J. 174 aer. Sei. -- 13IV13S vor Clir. zurück-
kam (I M. 15, 10 U. 15). VlelU'icht hat der Verf. die Notiz vor» dem Al)gang
der Gcsnndtschaft dcMhalb vor dem llerieht ülnr den V()lksl)esehluss eiiigo-
schaltct, weil «-r naeh der »mgcnuuen Wiedergalic <lcs \ OlkHheKchhiHseH I .¥.14,
40 diesen bereits als eine Wirkung der (icHaiidtHchaft aiisali. — Zu beiiierketi
ist noch, dass das Verzeichniss der Htajiten, an welciie (bis röirüsciie Rund-
schreiben gerichtist ist (I 3/. 15, 16. 22—23), den damaligen Verlu'iltnisseii ent-
spricht. Denn fast alle einzelnen kleinen Stallten und ('onmiunen.
[199] ' § 7. Simon (142-135). 251
uns wahrscheinlich in dem von Josephus Antt. XIV, 8, 5 mitge-
theilten Senatsconsult vor, das Josephus erst in die Zeit Hyrkan's II
setzt. Die in dieser Urkunde vorausgesetzten Verhältnisse sind
nämlich ganz dieselben wie in I Makk. 14, 24 u. 15, 15 — 24: jüdische
Gesandte, deren einer Nu menius hiess, überbrachten einen golde-
nen Schild mit der Bitte um Erneuerung des Bündnisses, und der
Senat beschloss infolge dessen, die autonomen Städte und Könige
anzuweisen, dass sie die Integrität des jüdischen Gebietes respec-
tirten. Die betreifende Senatssitzung fand nach Josephus statt döoig
JexEfißQiaig = 13. December, unter Leitung des Prätors Lucius
Valerius. Möglicherweise ist daher letzterer identisch mit dem
„Consul Lucius", welcher nach IM. 15, 16 das Rundschreiben an
die Könige und Städte ausgefertigt hat^'). Doch kann damit auch
der eine der Consuln des Jahres 139 v. Chr., L. CalpurniusPiso
gemeint sein, der nach der richtigen Lesart bei Valer. Max. I, 3, 2
mit seinem Vornamen nicht Cneius, sondern Lucius hiess--). Jeden-
welche neben den Königen von Aegypten, Syrien, Pergamum,
Kappadocien und Parthien genannt werden, waren damals in der
That weder den Römern noch einem jener Könige unterthänig.
Vgl. die Nachweise bei Marquardt, Römische Staatsverwaltung Bd. I, 2. Aufl.
1881, S. 333 fl". und sonst; auch Gilbert, Handbuch der griech. Staatsalter-
thümer Bd. II, 1885, passim. Mommsen, Römisches Staatsrecht III, 1 (1887)
S. 670. Brandis in Pauly-Wissowa's Real-Enc. II, 1540 f. (s. v. Asia). Ungar,
Sitzungsberichte der Münchener Akademie, philos.-philol. und bist. Cl. 1895,
S. 563 flF. — Willrich, Judaica S. 76 erhebt gegen die Liste zweierlei Ein-
wände: 1) dass Demetrius von Syrien, an welchen das Schreiben nach I 3/. 15,
22 auch gerichtet war, sich damals schon in parthischer Gefangenschaft be-
funden habe, 2) dass Cypern und Cyrene, welche neben dem Könige von Aegypten
genannt werden, damals noch zu Aegypten gehörten. Aber Nr. 1 ist nicht
erweislich (vgl. oben S. 172 f.), und Nr. 2 ist nicht auffallend, da die Römer
sich wohl erlauben konnten, an die ägyptischen Gouverneure von Cypern und
Cyrene extra zu schreiben. Vgl. Unger a. a. O.
21) So Mendelssohn (in der unten angeführten Schrift, indem er an-
nimmt, dass aus dem „Prätor" infolge der Uebersetzung in's Hebräische und
aus dem Hebräischen wieder in's Griechische I M. 15, 16 irrthümlich ein
„Consul" geworden sei.
22) So Ritschi und Andere. — Die Identität des Senatsconsultes bei
Josephus Antt. XIV, 8, 5 mit dem durch die Gesandtschaft Simon's veranlassten
ist schon von Ewald (Gesch. des Volkes Israel 3. Aufl. IV, 438) und Grimm
(Exeget. Handb. zu I Makk. S. 226 f.) angenommen worden. Unabhängig von
ihnen ist Mendelssohn zu derselben Ansicht gelangt und hat sie näher be-
gründet. Durch seine Untersuchung über diese und die -damit zusammen-
hängenden Fragen ist in den Jahren 1873—1877 eine ganze Literatur hervor-
gerufen worden, S. Mendelssohn, De senati consulti Romanonim ab Josepho
Antiq. XIV, 8, 5 relati temporibus , Lips. 1873 (aufgenommen in Ritschl's Acta
soeiefatis philologae Lipsicnsis t. V, Lips. 1875). — Ritschi, Eine Berichtigung
der republicanischen Consularfasten, zugleich als Beitrag zur Geschichte der
252 § 7. Simon (142—135). . [199. 200]
falls I wird die Anwesenheit der jüdisclien Gesandten zu Rom in
das J. 139 vor Chr. fallen, denn sie kamen im J. 174 aer. Sei. =
römisch-jüdischen internationalen Beziehungen (Rhein. Museum Bd. 28, Jahrg.
1873, S. 586—614). — Eitschl, Nachtrag hierzu (Rhein. Museum, Bd. 29,
Jahrg. 1874, S. 337 ff.). — Grimm, Ueber I Makk. 8 und 15, 16—21 nach
Mommsen's und Ritschl's Forschungen (Zeitschr. für wissensch. Theol. 1874,
S. 231 — 238). — Lange, in Bursian's Jahresbericht über die Fortschritte der
class. Alterthumswissensch. Bd. I (für 1873) S. 872 — 876. — Mommsen, Der
Senatsbeschluss Jos. Antt. XIV, 8, 5 (Hermes Bd. IX, 1875, S. 281—291). —
Mendelssohn und Ritschi, Nochmals der römische Senatsbeschluss bei
Josephus Antt. XIV, 8, 5 (Rhein. Museum Bd. 30, Jahrg. 1875, S. 419—435). —
Keil, Commentar über die Bücher der Makkabäer (1875) S. 239 ff. — Wieseler,
Theol. Studien u. Krit. 1875, S. 524 ff. — Grimm, Die neuesten Verhandlungen
über den „Consul Lucius" I Makk. 15, 16 (Zeitschr. für wissensch. Theol. 1876,
S. 121—132). — Wieseler, Theol. Stud. u. Krit. 1877, S. 281—290. — Ju-
deich, Cäsar im Orient (1885) S. 129—136. — Viereck, Sermo Oraecus, quo
senatus popubisque Romanus etc. usisunt, Gotting. 1888, p. 103 — 106. — ünger,
Sitzungsberichte der Münchener Akademie, philos.-philol. und hist. Classe 1895,
S. 553—575. — Willrich, Juden und Griechen (1895) S. 71 f. — Josephus
bemerkt Antt. XIV, 8, 5, nachdem er den Wortlaut des Senatsconsultes mit-
getheilt hat, xavxa iyivixo inl '^Yqxgvov ägxiSQtojq xal i&vÜQXov hovq ivaxov
fiTjvcg Ilavefxov. Er meint damit Hyrkan II. Mommsen und nach ihm
Jude ich verlegen auf Grund dessen das Senatsconsult in das J. 47 vor Chr.,
als Cäsar die Dinge in Syrien ordnete; und Willrich versichert, dass Momm-
sen „unwiderleglich nachgewiesen" habe, dass die Urkunde in die Zeit Hyr-
kan's II gehöre. In Wahrheit ist Mommsen's Ansicht unmöglich, weil das
J. 47 nicht das neunte Jahr Hyrkan's II war, weder als d^x'^Q^^'? noch als
iS^väpxii' Ersteres war er schon seit 63 vor Chr. und letzteres ist er erst
durch Cäsar wieder geworden. (Die Datirung Mommsen's von den Verfügungen
des Gabinius an ist unmöglich, weil durch Gabinius dem Hyrkan nichts ge-
geben, sondern alle politische Macht genommen worden ist, s. Mendelssohn,.
Rhein. Museum Bd. 30, 1875, S. 424 f. Bd. 32, 1877, S. 256). Auch konnte
den Juden im J. 47 nicht die Sicherheit ihrer „Häfen" garantirt werden, wie
in dem SC geschieht, weil sie seit Pompejus keine mehr hatten (erst nach
dem J. 47 erhielten sie Jope wieder durch Cäsar's Gunst). Weit eher kommt
daher die Ansicht Scaliger's und Aelterer in Betracht, welche durch Viereck
und Unger erneuert worden ist, dass das neunte Jahr Hyrkan's I. gemeint
Hci. Aber die Gleichheit der Verhaltnisse von I M. 15, 16—21 und Jos. Antt.
XIV, 8, ß iMt 80 gross, daxs die Annahme der Identität nicht abzuweiseii sein
wird. Diese erkennt z. B. auch Willrich an. Die Frage dürfte sich denmach
(labin stellen, ob man in Betrefl' der Datirung dem I. Makkabäerbuche, welche»
in der Urkunde selbst den Namen Simou's nennt (15, 17), oder dem Joscphu»
den Vorzog geben hoII. Ist dem aber ho, dann scheint mir die Autorität des
letzteren allerdingH zu «chwach, um die des erstercn aiiHziiHtcilun. Für die
Zeit Simon'* Kpricbt auch, dass in dem Senatsconsult ,1«//. XIII, !), 2, weiches
in die erste Zeit Hyrlcans gebort, höchst wabrHcheinlieli auf unNcr Seiiatsi^on-
•alt Bezug genommen ist — Gegen die Ansetzuug unseres <b'C' auf das J. 139
vor Chr. macht Mommsen als entscheidenden Grund geltend, dass die be-
treflende Seoatssitzung nach Josephus im Tempo! der Cnncord ia ih t(^
[200] § 7. Simon (142-135). 253
139/138 vor Chr. nach Palästina zurück (1 M. 15, 10 u. 15). Mit
dieser Gesandtschaft wird auch das Auftreten einer jüdischen Pro-
paganda in Eom im J. 139 v. Chr. zusammenhängen, von welchem
wir durch eine Notiz des Valerius Maximus wissen 23).
Die Regierung Simon's sollte indess nicht ganz so ungestört
verlaufen wie bisher. Auch er wurde noch einmal in die syrischen
Angelegenheiten verwickelt. Dort trat eben um diese Zeit Dem e-
trius IL vorläufig vom Schauplatze ab. Er hatte sich in einen
langwierigen Krieg mit dem parthischen König Mithridates I
eingelassen, der damit endigte, dass Demetrius von letzterem im
J. 138 V. Chr. gefangen genommen wurde ■■^*). An Stelle des Demetrius
übernahm nun sein Bruder Autiochus VII Sidetes den Kampf
gegen Tryp ho. Wie alle syrischen Prätendenten, die ihren Thron
erst erobern mussten, beeilte sich auch Antiochus, die Juden mit
Gunstbezeugungen zu überhäufen. Er hatte in Rhodus von der
Gefangennahme des Demetrius gehört. Noch vor seiner Landung
an der syrisch-phönicischen Küste („von den Inseln des Meeres aus")
erliess er ein Schreiben an Simon, worin er ihm alle Privilegien
der früheren Könige bestätigte und ihm namentlich auch das Münz-
recht verlieh 25). Bald darauf, noch im J. 174 aer. Sei. = 139,1381
xfjg ^Ofiovolag vaip) stattgefunden habe, während der Concordia-Tempel, in
welchem die Senatssitzungen später gehalten zu werden pflegten, erst im J.
121 erbaut worden sei. Momnisen selbst erwähnt aber einen anderen Tempel
der Concordia, welcher schon im J. 366 vor Chr. durch M. Furius Camillus
erbaut {Plutarch. CatnilL 42) und durch Tiberius erneuert worden ist (On'd. Fasti I,
641 — 648); und Ritschi hat überzeugend dargethan, dass dieser zu einer Senats-
sitzung sehr wohl geeignet war (Rhein. Museum 1875, S. 428— 432). Vgl. auch
Art. Concordia in Pauly-Wissowa's Real-Enc. IV, 831—833 (wo aber die ver-
schiedenen Localitäten nicht genügend auseinander gehalten werden).
23) Valerius Maximiis I, 3, 2: Ide?)i (nämlich der Prätor Hispalus) Judaeos,
qui Sahaxi Joris cidtu Romanos inficere mores conati erant, repetere domos suas
coepit. Vgl. hierzu Bd. III, S. 28 f. — Die durch den Prätor ausgewiesenen
jüdischen Proselytenmacher können freilich nicht die Gesandten selbst sein,
wohl aber Leute aus ihrem Gefolge. Damit erledigen sich die Bemerkungen
von Wellhausen (Israelit, und jüd. Gesch. 2. Ausg. S. 258) und Willrich
(Judaica S. 63). Es kann doch nicht zufallig sein, dass beide Thatsachen
genau in dasselbe Jahr fallen.
24) I Makk. 14, 1—3. Josephus Antt. XIII, 5, 11. Äppian. Syr. 67. Justin.
XXXVI, 1. XXXVIII, 9. Fuseb. Chronic, ed. Schoene I, 255 sq. Syncell. ed.
Dindorf I, 554. Ueber die Chronologie s. oben S. 172 f. — Fast sämmtliche
Quellen nennen den Partherkönig A r s a c e s , was nach Strabo XV, 1, 36 p. 702
und Justin. XLI, 5 der gemeinsame Name aller parthischen Könige war. Nach
Justin. XXXVIII, 9 wurde aber Demetrius gefangen genommen von dem Vor-
gänger jenes Phraates, der ihn nachmals wieder frei Hess. Der Vorgänger
des Phraates war aber nach Justin. XLI, 6; XLII, 1 Mithridates I.
25) I Makk. 15, 1—9. — Zur Erläuterung von dno rojv vt]amv VTJq ^aXäoarjq
I M. 15, 1 dient Appian. Syr. c. 68: nvd^ö/uevog tv 'Pööio negl rTJq al/falwatai;.
254 § 7. Simon (142-135). [201]
V. Chr. (I M. 15, 10), landete Antiochus in Syrien und gewann rasch
die Oberhand über Trypho. Letzterer musste nach Dora, der
starken Festung an der phönicischen Küste, fliehen und wurde hier
von Antiochus belagertes). Zwar gelang es dem Trypho, von da
wieder zu entkommen. Er floh über Ptolemais^'^) und Orthosias^s)
nach Apamea. Aber hier wurde er aufs Neue belagert und kam
bei der Belagerung um's Leben^^).
Sobald Antiochus auch nur einigen Erfolg gegen Trypho er-
rungen hatte, nahm er gegen die Juden eine andere Haltung an.
Noch während der Belagerung von Dora schickte ihm Simon zwei-
tausend Mann Hülfstruppen und ausserdem Silber und Gold und
Waifen zur Unterstützung. Antiochus wies aber das Anerbieten
zurück, widerrief alle früheren Zusagen und sandte einen seiner
Vertrauten, den Athenobius, nach Jerusalem, um von Simon die
Herausgabe der eroberten Städte Jope und Gazara und der Burg
von Jerusalem, sowie aller anderen von den Juden in Besitz ge-
nommenen Orte ausserhalb Judäa's zu verlangen. Wenn Simon sie
nicht zurückgeben wolle, so solle er für alles zusammen die Summe
von tausend Talenten (als einmalige Abfindungssumme) bezahlen.
Die Forderungen waren durchaus berechtigte, da die Juden für
ihre Eroberungen keinen Rechtstitel geltend machen konnten. Aber
Simon weigerte sich, darauf einzugehen; er erklärte sich nur zur
Zahlung von hundert Talenten bereit. Mit diesem Bescheid kehrte
Athenobius zum König zurück ^o).
Antiochus war entschlossen, seine Forderungen mit Gewalt
durchzusetzen. Während er selbst noch mit Trypho zu thun hatte.
26) I Makk. 15, 10—14. Josephus Antt. XIII, 7, 1—2. — Ueber Dora s.
Bd. II, S. 108-110.
27) Charax bei Steph. Byx. s. v. dwgoq (hiernach: Müller, Fragm. hist. graec..
III, 644 n. 40).
28) I Makk. 15, 37. — Orthosias liegt nördlich von Tripolis nn der phö-
niciBchen Künte. S. Ritter, Erdkunde XVI I, 1, 805 «". Winer RWIJ. s. t\,
Kneucker in Schenkel'« ßibellex. IV, 370 f. Gildemeister, Zeitschr. des
DPV. III, 247 f.
29) Josephus Antt. XIII. 7, 2. — Vgl. auch Appian. St/r. 68 und Straho XIV,
5, 2 p. (368. Letzterer sagt von Trypho: tovrov fthv ovv ^vtloxot b Jrjfitjrplov
xatttxhlaaQ «?(? u /«'p/"*' ijväyxaae öifQyäaaa&ai xo acöfxa.
'df)) I Mftkk. 15, 25—36. Joscj)//. Antl. XI 11, 7, 2—3. Die K«'fordertc Siimnie
von taUHcnd Talenten kann nur aln ciiiiiiiilif^f^ AbfiiKluiifjssuninui fi;cnu'int Hciii.
Abtretungen einzelner Städte gegfu grosHc Qeldzulihin^'cii kiimcn aucli HoiiHt
vor (vgl. die luMchrift EB(tlimunazar'a über die Ahtrcttmg V(tn .Toim; und Dora
an die Kidonier, unten Bd. II, 8. 100). Ein dauernder Tribut von tauHCMid
Talenten für ein paar Städte wfiro auRHer allem VerhältiiiHH gewesen, da z. W.
ipfitcr «lau ganze Gebiet de» Arclielau«, welche« grüHser war als dasjenige
Bimon'«, nur ü(X) Talente jährlich abwarf {Anll. XVII, 11, 4).
[201. 202] § 7. Simon (142—135). 255
Übertrug er seinem Feldherrn Kendeb aus die Bekämpfung Simon's.
Kendebäus schlug sein Hauptquartier in Jamnia auf, befestigte
Kedron (wahrscheinlich das heutige Katra in der Nähe von Jamnia)
und machte Einfälle in Judäa^'). Simon ] war durch sein Alter
verhindert, persönlich noch einmal zu Felde zu ziehen. Er sandte
daher seine Söhne Judas und Johannes mit einem Heere gegen
Kendebäus. Beide rechtfertigten das Vertrauen, das ihr Vater in
sie gesetzt hatte. In einer entscheidenden Schlacht wurde Kende-
bäus vollständig besiegt. Da Judas verwundet war, übernahm
Johannes die Verfolgung und jagte die Feinde bis Kedron und bis
in das Gebiet von Asdod. Als Sieger kehrte er nach Jerusalem
zurück ^2).
So lange Simon lebte, wurde der Angiüff von Seite des An-
tiochus nicht wiederholt.
Es schien somit, dass dem Simon ein ruhiges Ende im Frieden
beschieden sei. Allein es sollte dem nicht so sein. Wie alle seine
Brüder, so starb auch er eines gewaltsamen Todes. Sein eigener
Schwiegersohn Ptolemäus, welcher Strateg über die Ebene von
Jericho war, hatte hochfahrende Pläne. Er wollte sich der Herr-
schaft bemächtigen und sann darauf, mit List Simon und seine
Söhne aus dem Wege zu schauen. Als daher Simon im Monat
Schebat des Jahres 177 aer. Sei. = Februar 135 vor Chr. (I M. 16,
14) auf einer Rundreise, auf welcher er die Städte des Landes be-
sichtigte, auch den Ptolemäus in der Feste Dok bei Jericho be-
suchte, veranstaltete Ptolemäus ein grosses Gelage und liess während
desselben den Simon und zwei seiner Söhne, welche bei ihm
waren, Mattathias und Judas, meuchlings ermorden^').
So wurde auch der letzte von den Söhnen des Mattathias zu
seinen Vätern versammelt.
31) I Makk. 15, 38—41. Joseph. Antt. XIII, 7, 3. Ueber Kedron s. Buhl,
Geogr. S. 188. — KsvSfßaloq i.st wohl so viel wie Kavövßevq, von der Stadt
Kdvövßa in Lycien, Steph. Byx. s. v., Plin. Hist. nat. V, 101. Benndorf und
Niemann, Reisen in Lykien und Karlen (1884) S. 133.
32) I Mahk. 16, 1—10. Joseph, l. c.
33) I Makk. 16, 11—17. Joseph. Antt. XIII, 7, 4. — Jdx I 31. 16, 15 ist jeden-
falls identisch mit Jaywv Joseph. Atitt. XIII, 8, 1 ; Bell. Jud. I, 2, 3. Der Name
hat sich noch erhalten in dem Namen der Quelle Ain ed-Duk, nördlich von
Jericho am Rande des Gebirges, an einer zur Anlage einer Festung sehr geeig-
neten Stelle. S. Robinson, Palästina II, 559. Ritter, Erdkunde XV, 1, 460.
Raumer, Palästina S. 184. Mühlau in Riehm's Wörterbuch, Art. „Doch".
Ouirin, Samarie I, 218 — 222. The Survey of Western Palestine, Memoirs by
Conder and Kitehener III, 173; 190; 209; dazu Bl. XVIII der grossen eng-
lischen Karte. Clermont- Ganneau, Archaeological Rescarches in Palestine
vol. II, 1896, p. 20—23. van Kasteren, Revue biblique VI, 1897, p. 99—104.
256 § 8. Johannes Hyrkanus (135-104). [202. 203]
§ 8. Jollannes Hyrkanus I (135-104 Yor Chr.) ')•
Quellen: Nicht erhalten ist die I MahJc. 16, 23—24 erwähnte Geschichte des
Johannes Hyrkanus.
Joseph. .In«. XIII, 8—10. Bell. Jiid. I, 2. Zonaras Annal.Y, 1-2
(Auszug aus Jos.). |
Mischna Maaser scheut V, 15; Sota IX, 10. Sonstige rabbinische
Traditionen bei Derenbourg p. 70 — 82.
Die Münzen am vollständigsten bei Madden, Coins of the Jens
(1831) p. 74—81.
Literatur: Ewald, Geschichte des Volkes Israel IV, 446—502.
Grätz, Geschichte der Juden III, 4. Aufl. 1888, S. 64—117.
Hitzig, Geschichte des Volkes Israel II, 459—472.
Werner, Johann Hyrkan, ein Beitrag zur Geschichte Judäas im
zweiten vorchristlichen Jahrhundert. Wernigerode 1877.
Hamburger, Real-Enc. für Bibel und Talmud, Abth. II S. 421—426.
Wellhausen, Die Pharisäer und die Sadducäer (1874) S. 89—95.
1) lieber die Chronologie derHasmonäer vgl. Niese, Hermes Bd. 28,
1893, S. 216 — 228. Unger, Sitzungsberichte der Münchener Akademie, philos.-
philol. und bist. Gl. 1896, S. 357—382. Es ist hierüber Folgendes zu bemer-
ken. Josephus giebt als Regierungszeit der Fürsten von Johannes Hyr-
kanus I bis Alexandra inclus. folgende Data:
Johannes Hyrkan . . 31 Jahre [Anit. XIII, 10, 7).
Aristobul I 1 - [Änti. XIII, 11, 3).
Alexander Jannaus . 27 - [Antt. XIH, 15, 5).
Alexandra ..... 9 - (^w«. XIII, 16, 6).
Dieselben Zahlen giebt Jos. noch an zwei anderen Orten, Antt. XX, 10
und Bell. Jud. I, 2 — 5. Für Hyrkan haben zwar an der einen Stelle [Antt.
XX, 10) die Ausgaben von Hudson bis Bekker nur 30 Jahre {xQiäxovxa ö" iv
eieai). Aber Niese giebt nach entscheidendem Zeugniss der Handschriften
auch hier 31 {cod. Ambr. XQiaxovcahv hi], cudd. Med. u. Vat. TQiaxovzahv
hof, 80 auch die Ausgaben vor Hudson). Eine Ditterenz liegt nur Bell. Jud.
I, 2, 8 vor, wo für Hyrkan 33 Jahre gegeben werden. Vielleicht ist aber auch
dies nur ein alter Schreibfehler, denn die lat. Bearbeitung des Hegesippus hat
dafür trigesimo et prhno anno (cd. Weber 1, 1, 10). S. Niese, Hermes 28,
8. 217, schwankender in der Ausg. des Jkll. Jud. Prulcg, p. LXII. Jedenfalls
ist 31 das Richtige, da JoHephus, wenn er überiiaupt 33 geschrieben hat, dies
in den Antt. auf Grund besserer KeuntnJHs corrigirt hat.
Als feste Punkte geben «ich; 1) Der Tod Simon's im Monat SchebAt
d. J. 177 aer. Sei. — Febr. 135 v. Clir. (I Makk. 16, 14) und 2) der Beginn des
Bruderkrieges zwischen Aristobul 11 und Hyrkun II, unmittelhnr niicli dem
Tode der Alexandra, nach Jos. Antt. XIV, 1, 2 im 3. Jahre der 177. Olym-
plade ■— SouirAer 70—09 v. Chr., und zwar unter den Consuln (J. Ilnrlnisius
und Q. MeteUua Creticua. Diese waren Consuln i. J. 69 v. Chr. Der Beginn
Jene« Bruderkrieges und Homlt auch der Tod Alcxnndra's würde hieriuich in
die erstt! Hallte dos Jahren 09 v. Chr. fallen. Nur» mIikI aber vom J. 135 bis
fVi nur (Mi Jahre, wfihrcnd wir <lurch Addition der ol)igen liegierungsjahre 68
[203] § 8. Johannes Hyrkanus (135—104). 257
Da das Hohepriesterthum und Fürstenthum in Simon's Hause
für erblich erklärt worden war, so war sein überlebender dritter
erhalten würden. Ich habe daher in der 1. und 2. Aufl. dieses Buches ange-
nommen, dass Josephus, indem er vom Zeitpunkt des Regierungsantrittes an
ohne Rücksicht auf das Kalenderjahr rechnet, den letzten Jahresbruchtheil
immer als volles Jahr genommen habe, so dass also factisch für jeden Re-
genten ein gewisser Jahresbruchtheil in Abzug zu bringen sein würde. Dies
entspricht indessen nicht der bei den alten Historikern und Chronographen
üblichen Rechnungsweise, welche volle Jalire in der Weise rechnen, dass das
Kalenderjahr, in welchem ein Regierungswechsel stattgefunden hat, entweder
dem abgehenden oder dem antretenden Regenten voll angerechnet wird (vgl.
oben S. 168 die Listen des Porphyrius und Eusebius). Aus diesem Grunde
glaubt Niese a. a. O., dass die von Josephus gegebenen Regentenjahre ein-
fach zu addiren seien, demnach der Tod der Alexandra in das J. 67 v. Chr.
zu setzen sei. Eine Bestätigung dafür findet er darin, dass Alexandra den
Abgang des Tigranes aus Syrien (69 v. Chr.) um einige Zeit überlebt haben
müsse, und darin, dass Josephus für Alexandras Nachfolger Hyrkan II und
Aristobul II zusammen nur 3 Jahre und 9 Monate rechnet (Hyrkan 3 Mo-
nate Äntt. XV, 6, 4, Aristobul 3 Jahre 6 Monate Antt. XIV, 6, 1 § 97). Damit
werde der Zeitraum zwischen Alexandra's Tod und Aristobuls Absetzung durch
Pompejus (67—63 v. Chr.) eben ausgefüllt. Diesen Ansätzen steht nun freilich
die Angabe des Olympiaden- und Consulen-Jahres Antt. XIV, 1, 2 entgegen.
Man wird aber mit Niese diese Instanz nicht als entscheidend ansehen dürfen.
Denn Josephus ist in seinen Synchronismen, die er vermuthlich einem chrono-
graphischen Handbuch, etwa dem Castor (s. oben S. 73 f.) entnimmt, nicht
immer glücklich ; entschieden falsch ist es z. B., wenn er Antt. XHI, 8, 2 das
erste Jahr des Johannes Hyrkanus in die 162. Olympiade (= Sommer 132 bis
128 v. Chr.) setzt. So scheint auch der fragliche Ansatz auf einer irrigen
Combination zu beruhen, vielleicht der Gleichsetzung von Alexandra's Tod
mit der Besiegung des Tigranes durch LucuUus (69 v. Chr.). Die Chronologie
der Hasmonäer wird demnach folgendermassen herzustellen sein:
Johannes Hyrkan. . . 135 — 104.
Aristobul I 104—103.
Alexander Januäus . . 103 — 76.
Alexandra 76 — 67.
Statt der hier vorausgesetzten Berechnung der Regentenjahre ist freilich
noch eine andere möglich. Es können, unter Zugrundelegung des Kalender-
jahres, die Regierungsjahre in der Weise gerechnet sein, dass der Bruchtheil
des Kalenderjahres am Anfang und am Schlüsse der Regierung immer als
volles Jahr gerechnet ist. Nach dieser Rechnungsweise giebt Josephus z. B.
die Regierungsjahre des Herodes (s. die Bemerkungen am Schluss von § 15).
Dann würde aber, um bei der Addition die richtige Gesammtsumme zu er-
halten, für jeden Regenten ein Jahr in Abzug zu bringen sein; und man
müsste, um auf den von Josephus angegebenen Endpunkt 69 vor Chr. zu
kommen, für Johannes Hyrkan 33 Jahre in Ansatz bringen (nach Bell. Jiul.
I, 2, 8). Diesen Weg schlägt Unger ein. Aber schon die Bevorzugung des
Bell. Jud. ist sehr bedenklich. Ueberdies muss Unger die für Aristobul II
angegebenen 31/2 Jahre durch Textverbesserung in 6V2 Jahre verwandeln, um
Schür er, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 17
"258 § 8- Johannes Hyrkanus (135—104). [203. 204]
Sohn Johannes Hyrkanus, der sich als Statthalter in Gazara|
befand, sein rechtmässiger Nachfolger 2). Gegen ihn waren daher
die nächsten Unternehmungen des Prätendenten Ptolemäus, der
den Yater und die beiden Brüder ermordet hatte, gerichtet. Un-
mittelbar nach jener That sandte Ptolemäus Meuchelmörder nach
Gazara, um den Johannes aus dem Wege zu schaffen. Dieser war
indess durch befreundete Boten bereits gewarnt und Hess die
Mörder sofort bei ihrer Ankunft niedermachen. Dann eilte er
nach Jerusalem, und es glückte ihm auch hier, dem Ptolemäus zu-
vorzukommen. Als letzterer ankam, fand er die Stadt bereits in
der Gewalt des Hyrkanus 3).
Ptolemäus zog sich darauf in die Feste Dagon (jedenfalls
identisch mit Dok) in der Nähe von Jericho zurück. Hier belagerte
ihn Hyrkan und würde auch ohne Zweifel die Stadt bald erobert
und den Mörder seinem verdienten Schicksal überliefert haben, wenn
nicht die Eücksicht auf seine Mutter ihn daran gehindert hätte.
Diese befand sich nämlich in der Gewalt des Ptolemäus. Und so
oft nun Hyrkan zum Sturm schreiten wollte, liess Ptolemäus sie
auf die Mauer führen und drohte, sie herabzustürzen, falls Hyrkan
nicht von seinem Vorhaben abstände. Dies lähmte sein Vorgehen.
Und so zog sich die Belagerung in die Länge, bis sie wegen des
Sabbathjahres von selbst aufgehoben werden musste. Ptolemäus
alle Angaben des Josephus zu retten. Damit ist doch thatsächlich anerkannt,
dass ohne Verwerfung der einen oder der anderen Angabe des Josephua nicht
zum Ziel zu kommen ist. Unter diesen Umständen dürfte Niese's Auflassung,
welche nicht die ofhcielle, sondern die für historische Schemata übliche Kech-
nungHweise voraussetzt, die wahrscheinlichste sein,
2) Den Beinamen Hyrkanus erklären Eusebius und Andere daraus, dass
Johannes die Hyrkanier besiegt habe {Ktiseb. Chroti. ed. Schoene II, 130 sq.,
griechisch bei Syncell. I, 548: 'i'pAfavovg vixi}aa(;'^YQxavbq (ovofxda^ri, latein. bei
liier onymua: adversum Hyrcanos bellum (/crcns Jlyrcani nomai accepit; hier-
nach Sulpiciua iSeverus II, 2G: qui cum adversum Hyrcano.'t, yentetn rali-
disaiinam, cyregie puynasset, Jlyrcani coynomcn accepit). 7a\ (tunHton dieser
Erklärung kann man anführen, das» JolianncH in der That an dem Feldzuge
de« AntiochuH VII Sidetes gegen die Parther theilgenommen hat (s. untt'n).
Allein HJe scheitert nn der Thatsache, dass der Name Hyrkanus in jüdischen
KreiHcn «chon lange vor JohuuncH Hyrkanus auftaucht [Joseph. Antt. XII, 4,
0—11. II Makk. 3, 11). Vermuthlich ist er also zu erklären nacii Analogie
von •'^ain ?i|'n? Baba mexia VII, », "^nj^n D^nj Schabbath II, 1. Nasir V, 4.
Baba Itathra V, 2. Nach Hyrkafiien sind Juden namentlich durch Artuxerxes
OcbUM deportirt worden (». Bd. III H. Ü). Ein von dort stammendcfr. lüde, der
•ich in Palictina uiedergclasHen liatte, wurde zunächst für seine Person 6'Y(fxa-
pSf geoAOot. Und dadurch hat sich der Name dann cingcbtlrgert.
Si T Makk. 10, 10—22. .hscph. Antt. XIII, 7, 4.
[204. 205] § 8. Johannes Hyrkanus (135—104). 259
war dadurch befreit, Hess aber trotzdem Hyrkan's Mutter ermorden
und entfloh dann*).
So hatte Hyrkan durch ihn Eltern und Geschwister verloren,
ohne dass es ihm gelungen wäre, an ihm Rache zu nehmen.
Es kam jedoch noch Schlimmeres über ihn. Antiochus VII
Sidetes hatte bisher — wir wissen nicht weshalb, vermuthlich
weil die syrischen Angelegenheiten ihn in Anspruch nahmen —
nichts weiter gegen Judäa unternommen. Er war aber nicht
Willens, auf die einst an Simon gestellten Forderungen zu ver-
zichten. Noch im ersten Jahre Hyrkan's (135,134 vor Chr.) fiel er
in Judäa ein, verheerte das ganze Land und belagerte schliesslich
den Hyrkan in der Hauptstadt Jerusalem ^). Er liess um die ganze
4) Joseph. Amt. XIII, 8, 1. Bell. Jud. I, 2, 3—4. — Wegen des Sabbath-
jahres vgl. oben S. 35 f.
5) In Betreff des Datums stimmen die Angaben der Quellen nicht überein.
Nach Josephus Antt. XIII, 8, 2 fand der Einfall des Antiochus statt xexÖQxw
ixhv STfi tfjq ßaaiXslag avTOv, nQwxtp de xfjg'^YQxavoii dgxfiQ, oXvfnuäöi kxaxoaxy
xal e^Tjxoai^ ötvxeQa. Das vierte Jahr des Antiochus und das erste des Hyr-
kanus sind beide = 135/134 vor Chr., die 162. Olympiade dagegen geht von
132-128 V. Chr. In die letztere Periode, und zwar Ol. 162, 3 = 130/129 vor Chr.
setzt Porphyrius die Einnahme Jerusalem 's durch Antiochus {Euseb. Chron.
cd. Schoene I, 255: Jiidaeosque hie stibegit, per obsidionem muros urbis evertebat,
atque electissimos ipsorum trucidabat anno tertio CLXII. olympiadis). Eine Ver-
einigung dieser Angaben wäre nur möglich durch die Annahme, dass der Krieg
sich vier Jahre lang hingezogen hätte, was nicht wahrscheinlich ist. Mehr
als ein Jahr wird allerdings für denselben angenommen werden müssen, da
allein die Belagerung Jerusalems über ein Jahr gedauert zu haben
scheint. Denn Josephus gedenkt im Beginn derselben des Untergangs der
Plejaden {Antt. XIII, 8,2: 6vo(iivrjqnXeiaöoq\ der im November stattfindet
{Plinius Ilist. Nat. II, 47, 125: post id aequinoctium diebus fere quattuor et
quadrof/inta vergiliarum occasus hiemeni inchoat, quod tempus in III. iduus
Novembres incidere consuevit). Und die Belagerung war noch nicht aufgehoben,
als das folgende Laubhüttenfest herankam, also October (vgl. Clinton,
Fasti Helletiici III, 333). Einjährige Belagerungen sind in der Geschichte
jener Zeit nichts Seltenes, s. Samaria {Antt. XI II, 10, 3), Gaza {Antt. XTTT,
13, 3), Gadara (zehn Monate, Antt. XIII, 13, 3). — Die Uebereinstimmung des
Josephus und Porphyrius hinsichtlich der 162. Olympiade scheint die Richtig-
keit dieser Angabe zu verbürgen. Andererseits spricht für das erste Jahr
Hyrkan's die innere Wahrscheinlichkeit der Sache (es ist schwer glaublich,
dass Antiochus erst 130, d. h. acht Jahre nach seinem Regierungsantritt, gegen
die Juden vorgegangen sein soll), sowie der Umstand, dass die richtige Gleich-
setzung des 1. Jahres Hyrkan's und des 4. Jahres des Antiochus aus einer
guten Quelle stammen muss. Auch würde bei dem Ansatz des Porphyrius
130/129 V. Chr. die Belagerung Jerusalems in dasselbe Jahr fallen, in welches
höchst wahrscheinlich der Feldzug des Antiochus gegen die Parther fällt (s.
oben S. 173). Ich glaube daher, dass das nur durch den unzuverlässigen ar-
menischen Text des Eusebius gebotene Jahr Ol. 162, 3 zu verwerfen ist.
17*
260 § 8- Johannes Hyrkauus (135—104). [205. 206]
Stadt herum einen Wall und Graben ziehen und schnitt den Be-
lagerten alle Zufuhr ab. Hyrkan seinerseits suchte durch Ausfälle
die Belagerer zu beunruhigen. Um mit den Lebensmitteln länger
auszureichen, Hess er den nicht waffenfähigen Theil der Einwohner
aus der Stadt weisen. Allein Antiochus Hess sie nicht durch und
jagte sie wieder zurück, so dass sie zwischen der Stadt und dem
Kreis der Belagerer umherirren mussten und Viele durch Hunger
umkamen. Erst zum Laubhüttenfest nahm Hyrkan sie wieder in
die Stadt auf. Für dieses Fest liess er zugleich bei Antiochus um
siebentägigen Waffenstillstand bitten. Antiochus gewährte nicht
nur diesen, sondern schickte sogar noch Opfergaben in die Stadt,
damit sie im Tempel dargebracht würden. Diese glimpfliche Be-
handlung machte dem Hyrkan Muth und er hoö'te nun bei etwaiger
Capitulation auf günstige Bedingungen. Er schickte daher eine
Gesandtschaft au Antiochus und liess sich nach denselben er-
kundigen. Nach mehrfachen Verhandlungen kam ein Ueberein-
kommen zu Stande. Darnach mussten | die Juden die Waffen aus-
liefern, für Jope und die übrigen ausserhalb Judäas gelegenen
Städte, welche sie erobert hatten, Steuern entrichten, Geiseln stellen
und ausserdem noch 500 Talente bezahlen. Die Bedingungen waren
immerhin unerfreulich. Nach Lage der Dinge musste Hyrkan
jedoch froh sein, um diesen Preis die Aufhebung der Belagerung
und den Abzug des syrischen Heeres zu erlangen. Auch die
Mauern der Stadt wurden geschleift'').
In die Zeit dieses Krieges gehört wahi-scheinlich das römische
Dagegen ist es wohl möglich, dass der Krieg sich von 134 bi.s 132, d. h. bis
in den Anfang der 162. Olympiade hingezogen hat.
6) Joseph. Antt. XIII, 8, 2—3. Diodor. XXXIV, 1 cd. Müller. PorphyHus
bei Euseb. Chron. ed. Schoeue I, 255. Justin. XXXVI, 1 : Judacos qiioqtie, qui
in Macedonico inipcrin suh Dcmefrio paire annis se in lihertatcm rindicaverant,
Btiljcgit. — Die Worte des Joseplius xaihlks öe xal xijv aretfävrjv xFjg nö^ecag
wollen Manche (z. B. Winer IIWB. 1, 05 Anni., ürätz, Gesch. ill 4. Aufl.
8. 67 f.) nicht von einer Zerstörung der ganzen Mauer, sondern nur von einer
solchen der Mauerkrone verstehen, in welchem Falle die Darstellung des .To-
«ephuB von der des Diodor und Porphyrius abweichen würde. Eine solche
Deutung ist ab(T nicht nothwendig. .jctleiifiills ist nach Diodor und Poiphy-
rius die Mauer selbst geselileifl worden. Unter den späteren N'eidiensten
Johannes Ilyrkan's wird I Makk. IG, 23 naiuentlicli der Wiedcraiifbnu der
Mauern hervorg»'hoben. — Die von Antioelius gelbnli rtc Stiiuiiie soll Hyrkan
dadurch aufgebracht haben, dass er aus demGr.ilir I »i vid 's dreitausend
Talente entnehmen liess (so Josephm Aiitt. VII, lä, ii, witluciid ./ow/)/«/.'» .!««.
XIII, 8, 4 nur davon spricht, dass Hyrkan die geraubte Summe zur Unter-
haltung einen Höldncrlieeros verw('ndet habe). \'gl. über das (iral) David'«
auch Sehern. 3, 10. Jos, Aufl. XV], 7, 1. Apostolgescli. 2, 29. Nach Xc/icm.
d, 16—16 lag M im Baden der 8tudt, nicht weit vom tSiloali.
[206] g 8. Johannes Hyrkanus (135-104). 261
Senatsconsult, welches Josephus Antt. XIII, 9, 2 mittheilt. Es wird
darin vorausgesetzt, dass ein König Antiochus den Juden Jope,
Gazara und andere Städte im Widerspruch mit dem Willen des
Senates im Kriege entrissen habe {jioXeiicöv tXaßev 'Avrioxog
jtaQci To Ttjg övyxXrjTov doy/ia), weshalb von dem jüdischen Volke
(vjto örjfiov Tov 'lovöcucov) eine Gesandtschaft nach Rom geschickt
worden war mit der Bitte, der Senat möge dahin wirken, dass
den Juden das von Antiochus ihnen Entrissene wieder zurückgegeben
werde. Der Senat beschloss darauf zwar, die fpiXia und ovfi/iaxict
mit den Juden zu erneuern ; die Entscheidung über ihre Bitte aber
verschob er, bis die eigenen Angelegenheiten ihm Zeit Hessen (orav
djio Tcöv lölcov Tj ovyxXTjTog evöxoX/jorj). Da die Juden die Städte
Jope und Gazara unter einem früheren Antiochus nicht besessen
haben, und da die Herausgabe beider Städte die Haupt-
forderung war, welche Antiochus YII noch zur Zeit
Simons an die Juden gestellt hatte (I MakL: 15, 28), so ist
kaum daran zu zweifeln, dass eben er in unserem Senatsconsulte
gemeint ist. Er muss also, was auch an sich wahrscheinlich ist,
den Krieg mit Wegnahme dieser Städte begonnen haben; und die
Juden suchten, noch während der Krieg im Gange war, um die
Unterstützung der Römer nach unter Berufung auf den schon zur
Zeit Simon's gefassten Senatsbeschluss. — Da die Römer trotz der
zugesicherten <piXla und ovfifiaxla die Juden zunächst sich selbst
überlassen haben, so ist es einigermassen auffallend, dass Antiochus
beim Friedensschluss den Juden die bereits weggenommenen Städte
gegen Zahlung eines Tributes zurückgegeben hat. ^'ielleicht ist
dieser relative Verzicht daraus zu erklären, dass doch noch vor
dem Friedensschluss ein Eingreifen der Römer stattgefunden hat.
Es liegt nämlich nahe, in diese Zeit auch noch ein anderes Senats-
consult zu setzen, welches (wohl irrthümlich) in einen Volks-
beschluss der Pergameuer eingeschoben ist und von Josephus
Antt. XIV, 10, 22, mitgetheilt wird. Dieses Senatsconsult ist ver-
anlasst durch eine von „dem Volk der Juden und dem Hohenpriester
Hyrkan" abgeschickte Gesandtschaft und lautet dahin, dass der
König Antiochus, der Sohn des Antiochus, den Juden die Festungen
und Häfen und das Land, das er ihnen abgenommen habe, zurückgeben
müsse, und dass Niemand aus dem jüdischen Gebiete etwas zoll-
frei ausführen dürfe ausser der König Ptolemäus, der Bundes-
genosse und Freund der Römer, und dass die Besatzung aus Jope
zu entfernen sei (rijv ev 'l6:jtJt7] (pQovQav axßaXelv). Da auch hier
die Wegnahme jüdischer Städte und Häfen durch einen Antiochus
vorausgesetzt wird und Jope ein Haupt-Streitobject bildet, so ist
die Vermuthung berechtigt, dass dieses Senatsconsult sich auf die-
262 § 8. Johannes Hyrkanus (135—104). [207]
selben Verhältnisse bezieht, wie das vorige. Es würde sich daraus
erklären, dass Antiochus die bereits eroberten Städte den Juden
gegen Zahlung eines Tributes zurückgegeben hat. Freilich niüsste
dann hinsichtlich des Namens eine Textcorruption angenoiiinien
werden, denn Antiochus VII Sidetes war nicht ein Sohn des
Antiochus, sondern des Demetrius. Diese an sich missliche An-
nahme ist deshalb nicht unstatthaft, weil keiner der späteren
Seleuciden (es könnte nur noch Antiochus IX Kyzikenos in Betracht
kommen) den Juden gegenüber mit solcher Machtentfaltung auf-
getreten ist, wie es von dem hier erwähnten Antiochus voraus-
gesetzt wird. Die Angaben passen, soweit wir durch Josephus
unterrichtet sind, nur auf Antiochus VII. Immerhin ist angesichts
des überlieferten Textes eine sichere Entscheidung nicht möglich.
Wenn beide Senatsconsulte noch in die Zeit des Krieges zwischen
Antiochus VII und Hyrkan I fallen, so muss eine längere Dauer
desselben angenommen werden').
7) Die obige Combination, wonach die beiden Senatsconsulte in die Zeit
dieses Krieges fallen würden, ist empfohlen worden durch Mendelssohn in
Bitschl's Acta soeietatis philologae Lipsiensis t. V, 1875, p. 123 — 158 (vorher
separat: Mendelssohn, De setiati eonsiätis Romanorum ab Josepho Äntiq.
Xni, 9, 2; XIV, 10, 22 relatis commentatio, Leipzig 1874); vgl. das Referat in
der Theol. Literaturzeitung 1876, 392 f.; auch Mendelssohn, Rhein. Museum
1875, S. 118 f. (gegen Gutschraid). Zur Emendation der Namen in J^««. XIII,
9, 2: Mommsen's Bemerkungen zum Senatscousult von Adramyttium, Ephe-
meris epigr. IV, 217. — Mendelssohn's Combinationen sind von Allen, welche
seitdem die beiden Senatsconsulte behandelt haben, abgelehnt worden. S.
GutBchmid's Recension im Lit. Centralblatt 1874, Nr. 38 (= Kleine Schrif-
ten II, 303 — 315). — Viereck, Sermo graecns, quo scnafiis populiisqiie Roma-
nua etc. tisi sunt, 1888, p. 93 — 96. — Adolf Kuhn, Beiträge zur Gesch. der
Seleukideu, 1891, S. 26 f. — Schlatter, Zur Topographie und Gesch. Palä-
Htinaa, 1893, S. 3— 14. — Wellhausen, Israelitische und jüdische Geschichte,
2. Aufl. 1895, 8. 259, 262. — Unger, Sitzungsberichte der Müncheuer Akademie,
philos.-philol. uud bist. Gl. 1895, S. 575—604. — Th. Reinach, Revue des
äudea juives t. 38, 1899, p. 161—171. — Willricli, Judaica 1900, S. 09—71.
— Zur geographischen Erläuterung von Antt. XIII, 9, 2 s. auch J. L6vy,
Aiiiiviq et Ilrjyal {Revue des itudcs juives t. 41, 19(X), p. 170—180). — Die
MeiMten beziehen nur Antt. XIII, 9, 2 auf Antiochus VII Sidetes, dagegen
Antt. XIV, 10, 22 auf Antiochus IX Kyzikenos, lleinach und Willricli
beide öenatHconsulte auf letzteren. Bei Antt. XIII, !), 2 denken die Meisten
nicht nn «lie Zeit wfiliirntl .1.- Kri. ■■..-, .,,11. Im, nn <\\r Zi ii luicli demselben.
EntMchcidcnd »liirilr -ull -(in. .i.i^~ .ii> lu.ii-. Iü u (h-:iih1iiii r« xazu rov nö-
Xt/iov ixtlvov y>T]<pia&ivra vno ^Avxwyj)r rückj^iin^^i^' -^ciniiclil li.ilxn wollen.
Aber stHtt yfrfipuj&iyta hat eine gute Clusse von JlandHciirirtcn <i:i^ srli\vi(>riu;o
V^Aarff^^^vra („angetastet, angerührt" — verBuchsweise untmi ihhh n, vrl. i A\
Nakum 3, 1), wa« noiit den filteren Herausgebern, Hn<hnti 11 iv, i imp, oImi-
thflr, aufzunehmen sein wird (der alte Lateiner hm (in in \n-
netzung nach dem Friedensschlusi spricht, dass beim I ih InisscIiliiHK den
[207. 208] § 8. Johannes Hyrkanus (135—104). 263
Die Kämpfe dieser ersten Jahre Hyrkan's hatten aufs Neue
gezeigt, dass der kleine jüdische Staat nur so lange von syrischer \
Oberhoheit sich frei machen konnte, als das syrische Reich in sich
selbst ohnmächtig war. Bei dem ersten kräftigen Auftreten des
Antiochus war die einst von Simon errungene Freiheit wieder
verloren gegangen. Hyrkan's Abhängigkeit von Antiochus VII
nöthigte ihn auch, an dem Feldzuge desselben gegen die Parther
im J. 130 V. Chr. theilzunehmen. Doch ist er in die Katastrophe
desselben nicht verwickelt worden®).
Juden Jope und die anderen Städte gegen Tributzahlung zurückgegeben wurden,
während sie zur Zeit, als die jüdische Gesandtschaft sich beim Senat beschwerte,
in den Händen des Antiochus waren. Daher nehmen z. B. Gutschmid und
Schlatter an, dass Antiochus sie factisch gar nicht herausgegeben habe, was
bei der gerühmten svasßeia des Antiochus doch eine sehr missliche Auskunft
ist. Das Senatsconsult scheint mir also vortrefflich für die Zeit des Krieges
zu passen, wenn man nur annimmt, dass der Krieg schon einige Zeit gedauert
hat, ehe es zur Belagerung Jerusalems gekommen ist. — Viel schwieriger ist
die Entscheidung über Ätitt. XIV, 10, 22. Ein schwerwiegendes Argument
gegen Mendelssohn's Combination ist hier die Bezeichnung des Königs als
„Antiochus, Sohn des Antiochus". Wenn dies richtig ist, so kann in
der That nur Antiochus IX Kyzikenos gemeint sein (denn Antiochus VII Si-
detes war ein Sohn des Demetrius I, und Antiochus VIII Grypos ein Sohn
des Demetrius II). Nun wird aber von diesem Antiochus vorausgesetzt, dass
er den Juden „Festungen und Häfen und Land abgenommen habe", (Antt.
XIV, 10, 22: (pQOVQia xal Xifxivaq xal pftüpa»» xal si' xi aXko d^pelXsto
ccvrdiv), und dass er insonderheit im Besitz von Jope war. Wenn man auch
letzteres mit Gutschmid noch aus der Zeit des Antiochus VII herleiten wollte,
so müsste doch auf alle Fälle Antiochus IX selbst sehr bedeutende Eroberungen
in Palästina gemacht haben und so mächtig aufgetreten sein, dass die Juden
sich veranlasst sahen, römische Unterstützung nachzusuchen. Das widerspricht
aber allem, was wir über Antiochus IX wissen. Josephus betont in den
stärksten Ausdrücken, dass er nichts gegen Johannes Hyrkanus ausrichten konnte.
Wenn Antiochus etwas Schlimmes unternehmen wollte, „legte Hyrkan offen seineu
eigenen Willen an den Tag" und verachtete den Antiochus IX wie seinen
Bruder Antiochus VIII {Ätitf. XIII, 10, 1). Mit ägyptischer Unterstützung
verwüstete Antiochus zwar das Land Hyrkan's nach Räuber-Art, wagte aber
keinen offenen Kampf gegen ihn, weil er dazu zu schwach war {Ä?itt. XIII,
10, 2), Man wird doch annehmen müssen, dass Josephus diese Schilderung
nicht selbst gemacht, sondern in seinen Quellen gefunden hat. Kann aber
von einem solchen Regenten das angenommen werden, was in dem Senats-
consult vorausgesetzt wird? Er müsste ein neuer Antiochus VII gewesen
sein und die Thaten seines Vaters wiederholt haben. Unwahrscheinlich ist
auch, dass Hyrkan gegen die Eroberungen des Antiochus IX den Rechtsschutz
der Römer zur Aufrechterhaltung des status quo nachgesucht haben soll,
während doch er selbst damals Eroberungen machte. Die Schwierigkeiten
scheinen mir hier also ebenso gross wie bei Mendelssohn's Combinationen, so
dass ich eine bestimmte Entscheidung nicht wagen möchte.
8) Äntt. XIII, 8, 4 (mit Berufung auf Nikolaus Damascenus).
264 § 8- Johannes Hyrkanus (135-104). [208]
Der Tod des Antiochus auf dem parthischen Feldzuge 129
V. Chr. war für Hyrkan eine günstige Fügung^). An seine Stelle
trat jetzt in Syrien wieder der schwache Demetrius II, der schon
zuvor von den Parthern aus der Gefangenschaft entlassen worden
war ^% Er wurde sofort in innere Kämpfe verwickelt, die ihn
nöthigten, die Juden sich selbst zu überlassen.
Alsbald machte Hyrkan die veränderte Lage sich zu Nutze.
Ohne sich um Demetrius zu kümmern, begann er beträchtliche Gre-
biete in der Nachbarschaft Judäa's an sich zu reissen: im Osten
Norden und Süden. Zuerst zog er in's Ostjordanland und eroberte
M e d ab a nach sechsmonatlicher Belagerung • ^). Dann wandte er sich
gegen Norden, nahm Sichem und den Berg Garizim ein, unter-
warf die Samaritaner und zerstörte ihren Tempel. Endlich zog
er gegen Süden, nahm die idumäischen Städte Adora und Maris sa
ein und zwang die Idumäer, die Beschneidung und das jüdische
Gesetz anzunehmen ^ -). Die Politik der Eroberung, welche
9) Ueber den Feldzug und Tod des Antiochus s. Justin. XXXYIII, 10.
XXXIX, 1. Dioclor. XXXIV, 15—17 cd. Mii/lcr. Livius Epit. 59. Appian.
Syr. 68. Josephus Äntt. XIII, 8, 4. Porphyr ius bei Euseb. Chron. ed. Schoene I,
255. — In Betreff der Chronologie vgl. oben S. 173.
10) Ueber Demetrius n vgl. Jitstin, XXXYl, 1: Demetrius, et ipse verum
successu corruptus, vitiis adulesceixtiae in segnitiam labitur tantumque contemptttm
apud omnes inertiae, qttantum odium ex stiperbia pater habucrat, contraxit. —
Andererseits spricht Justin. XXXIX, 1 auch von einer superbia regis, quae
conversatiime Parthicae cnidelitatis intolerabilis facta erat. — Ueber die Thaten
und Schicksale des Demetrius während seiner Gefangenschaft sowie seine
endliche Freilassung s. Justin. XXXVI, 1. XXXVIII, 9—10. Appian. Syr. 67. 08.
Joseph. Antt. XIII, 8, 4. Porphyrius bei Euseb. Chron. ed. Schocnc I, 255.
11) Modaba ist eiue bekannte, schon auf der Mesa-Insdirift erwähnte
Stadt des Ostjordanlandes, südlich von Hesbon, deren Name und Kuinen
noch heute erhalten sind; im Alten Testamente X2"iia Num, 21, 30. Josiia
13, ü. 10. JesQJa 15, 2. I Chrun. 19, 7. Vgl. I Mali: 9, 36. Jos. Antt. XIII,
1, 2. XIII, 15, 4. XIV, 1, 4. Ptokm. V, 17, 6. VIII, 20, 20. Stephanus Byx.
M, V. (über den von Steph. Byx. citirten Uranius s. Müller, Fragm. bist, yracc.
IV, 623 «77 ). Misrhna Mihcaoth VII, 1. Euseb. Onoviast. ed. lAtgardc /j. 279.
— Reland, PaJaent. p. 893. Seetzen, Reisen durch Syrien I, 407 f. IV, 223.
Ritter, Erdkunde XV, 2 S. 1181-1185. Winer KWB. s. v. Bädcker-
Socin, Pai. 3. Aufl. 8. 191 f. The surrey of Eastem Palestine rot. l, 1889,
p, 178—183. Benzinger, Ztschr. dos DPV. XIV, 1891, 8. 73. Sfjoitrni,
Revue Inbliquc I, 1892, p. 617—644. Kainpffmcyer, Ztschr. des DPV. XVI,
1893, B. 49 (Aber die alte und die heutige Namoiisform). Schumacher,
Zcitwchr. de» DPV. XVIII, 1895, S. 113— 125, mit IMan (Tafel II). Brünnow,
Mittheilungen und Nachrichten de« DPV. 1895, 8. 72. Ba beton, Lrs mon-
naic« de Medalta (Comptrs rcndiin de P Acad, des Insrr. et Betlrs-Lctlrcs 1898,
p. 388—804). — Ueber die in Mcdaba gefundene MoHaikkarto h. oben S. 10.
12) Joiieph. Antt. XIII, 9, 1. Bell. Jud. I, 2, ü. Vgl. .1////. XV, 7, 9. —
[208. 209] § 8. Johannes Hyrkanus (135—104). 265
schon Jonathan [ und Simon begonnen hatten, wurde so von Hyrkan
in der kräftigsten Weise fortgesetzt. Der rein weltliche Charakter
seiner Politik zeigt sich aber noch besonders darin, dass er diese
Kriege nicht mehr mit einem jüdischen A'olksheere, sondern — als
der erste der jüdischen Fürsten — mit einem gedungenen Söldner-
heere führte '3).
Ermöglicht wurde dem Hyrkan dieses selbstherrliche Auftreten
durch die innere Schwäche des syrischen Reiches. DemetriusII
beging gleich nach dem Wiederantritt seiner Regierung die Thor-
heit, den Ptolemäus VII Physkon von Aegypten mit Krieg zu
überziehen. Dafür stellte dieser nun einen Thronprätendeuten gegen
ihn auf in der Person eines jungen Aegypters, den er für einen
Adoptivsohn des Antiochus Sidetes, nach Anderen für einen Sohn
des Alexander Balas ausgab •^) und Alexander nannte (von den
Syrern erhielt derselbe den Beinamen Zabinas, d. h. der Er-
kaufte) ^^). Von letzterem wurde Demetrius bei Damaskus besiegt,
musste nach Ptolemais und von da zu Schiff nach Tyrus entfliehen
und wurde dort, als er eben landen wollte, ermordet, 125 v. Chr.**^).
Alexander Zabinas hatte aber seinerseits wieder mit dem
Sohne des Demetrius, Antiochus VIII Grypos, um die Herrschaft
zu ringen. So musste er schon aus Noth mit Hyrkan in Frieden
und Freundschaft leben ^'). |
Adora ist das heutige Dura, westlich von Hebron, s. Robinson, Palast. III,
206 ff. Oueriii, Jiidee III, 35Ssqq. Ueber Marissa s. oben S. 212 (zu I Makk.
5, 66). — Infolge der Judaisirung durch Johannes Hyrkanus haben sich die
Idumäer später ganz als Juden betrachtet (Ä"//. J»rf. IV, 4, 4). Die jüdische
Aristokratie freilich liess sie nur als ijfutovdaloi gelten und hat schon des-
halb den Idumäer Herodes als unebenbürtig betrachtet {Äntt. XIV, 15, 2:
Hq(ü6>j . . I6i(6xy xe ovxi xal TJoi/u«/^ rovxtaxiv Tjfiiiovdalü)).
13) Joseph. Antt. XIII, 8, 4.
14) Ersteres nach Justin. XXXIX, 1 ; letzteres nach Porphyritis bei Euseb.
Ckron. ed. Schoeftie I, 257 sq.
15) Den Beinamen Zabinas (sr'^rT auch Esra 10, 48) erklärt Purphyrius
bei Euseb. Cliron. ed. Schoene I, 258 richtig durch dyoQaaxöq. — Die Ortho-
graphie schwankt zwischen Zeßiväg {Joseph. Antt. XIII, 9, 3), Zaßiväq (Diodor.
ed. Müller XXXIV, 22, Pai-phi/rius bei Euseb. l. c, Inschrift bei fjetrotine, Re-
ciieil des inseriptioiis grecques et latines de tEgyptell, 61), Zabbinaeus {Jtistin.
Prolog. XXXIX). S. überhaupt Letronne l. e. II, Q2sq.
16) Joseph. Antt. XIII, 9, 3. Justin. XXXIX, 1. Porphyrius bei Euseb.
Ckron. ed. Schoene I, 257 sq. — Ueber seinen Tod bes. Justin a. a. O. : Cum
Tyruni religione se templi defensurus petisset, navi egrediens praefectijussu inter-
p,citur. — Nach Appian. Syr. 68 war seine Gattin Kleopatra die Urheberin
des Mordes. Vgl. Livius Epit. 60: Motus quoque Syriae refenintur, in quibus
Cleopatra Demetrium virum suum — interemit.
17) Joseph. Antt. XIII, 9, 3: (pO.iav TioiHxai ngbq Yqxuvov xov ugyiSQia.
266 § 8. Johannes Hyrkanus (135-104). [210]
Nach einigen Jahren, etwa 122 v.Chr., unterlag Alexander Zabinas
seinem Gegner. Antiochus YIII Grypos besiegte ihn und liess ihn
hinrichten (nach Anderen brachte er sich selbst durch Gift ums
Leben, s. oben S. 175). — Nun folgte zwar einige Zeit der Ruhe,
während deren Antiochus YIII Grypos unbestritten die Herr-
schaft in Syrien hatte ^^). Trotzdem unternahm auch er nichts
gegen Johannes Hyrkan. Er hatte nicht mehr den Ehrgeiz, das
syrische Reich in seinen alten Grenzen wiederherzustellen. Im
Jahre 113 wurde er durch seinen Vetter und Stiefbruder
Antiochus IX Kyzikenos verdrängt, der zunächst zwei Jahre
lang ganz Syrien beherrschte, und sodann, als ihm Antiochus
Grypos im J. 111 den grösseren Theil von Syrien wieder entriss,
sich gerade in dem an Palästina angrenzenden Theile, in Cöle-
syrien behauptete * 9).
Von Antiochus IX Kyzikenos, der also vom J. 113—95
v. Chr. die Herrschaft in Cölesyrien hatte, entwirft uns Diodorus
folgendes Bild ^o) : „Antiochus Kyzikenos, kaum zur Herrschaft ge-
langt, verfiel in Trunksucht und unwürdige Schwelgerei und in
Bestrebungen, die einem König durchaus nicht geziemen. Er hatte
nämlich Gefallen an Schauspielern und Komödianten und über-
18) Justin. XXXIX, 2, 9: Parta igitur regni securitaie Qrypus octo annis
quietem et ipse habuit et regno praestitit. — Justin erwähnt unmittelbar vorher
den unfreiwilligen Tod der Kleopatra, der Mutter und bisherigen Mitregentin
des Antiochus VIII (121/120 vor Chr. s. oben S. 175). Er meint mit seinen
acht Jahren also die Zeit von da bis zur Verdrängung des Antiochus VIII
durch Antiochus IX (113). Diese Zeit war aber nicht durchweg eine Zeit der
Ruhe, da Antiochus IX schon einige Zeit vor 113 gegen seinen Bruder aufge-
treten ist (s. oben S. 176, Kuhn, Beiträge zur Gesch. der Seleukiden S. 19,
Wilcken in Pauly-Wissowa's Real-Enc. I, 2481). Noch weniger richtig ist
es freilich, wenn Josephus so spricht, als ob Antiochus VIII während dieser
ganzen Zeit mit seinem Bruder Antiochus IX zu kämpfen gehabt habe {Äntt.
XIII, 10, 1). Vgl. übrigens zur Erläuterung von Äntt. XIII, 10, 1 auch Wil-
cken, Herme» Bd. 29, 1894, S. 448 f.
19) Porphyrius bei Euseb. Chron. cd. Schoene I, 260. .Joseph. Antt. XIII,
10, 1. Justin. XXXIX, 2—3. Appian. Syr. 69.
20) Diodor. XXXIV, 34 ed. Müller: 'O Uvrioxog 6 Kvt,ixt}Voq ägxlwq nuQfi-
Xijtptoq XTjv ßaaikilav, i^^neaev elq fji^&aq xal xQvtftiv dyervfj xal ^tjXwjunra
ßaaiXflaf dlXoTQUurara. 'Exaipe yag ulfioiq xal ngoöfixtatq xal xaOöXov näai
ToTf Ottvfiaxonoiotg , xal xd xovxtov iniXT]6tv/naxa fiaviydvt-iv l(piXoTin(lxo.
*ETitxtj6ivat dh xal vtvQOtmaaxdv xal 61 avxov xivitv ^(öa ntvxantjxr] xaxäQyv{)a
xal xaxuxQvaa xal VxtQa nkelova xoia^xa fiTjxavi'iftaxa. Ovx tlxt äh kXfnoXewv
oidh SpydvoßV noXioQXTixixöiv xaxaaxeväq, u xal öö^av fieydXrjv xal xpc/o« d^to-
Xöyovf äv napioxixo. *Evf&ovaltt oh xal nQoq xwijyfnlaq dxalQovQ, xal nol-
Xäxiq vixxwQ XdOQtf xtöv <f>lXatv ftfxd SvoTv ij xqiiDv olxexwv ^^(wv inl xt^v x<ÖQav,
imv^yti X/ovtaq xal nagSäXtiq xal hq dyplovf. IJaQaßdXwq 6h av(inXex6(ievoq
aXSyoiq UijQloiq, noXXdxiq r/A/>fv elq xovq ^axdxovq xiv6viovq.
[210. 211] § 8. Johannes Hyrkanus (135—104). 267
haupt an allen Gauklern und bestrebte sich, deren Künste zu
lernen. Auch trieb er eifrig das Marionettenspiel und bemühte
sich, fünfellenlange versilberte und vergoldete Thiere, die sich
von selbst bewegten, und andere derartige Kunststücke zu ver-
fertigen. Sturm- und Belagerungsmaschinen dagegen, die doch
grossen Euhiu und beträchtlichen Nutzen bringen, baute er nicht.
Aber leidenschaftlich liebte er auch abenteuerliche Jagden und
ging oft des Nachts ohne Wissen seiner Freunde mit zwei oder
drei Dienern hinaus auf's Land, um Löwen und Panther und Eber
zu jagen. Dabei kam er oft, indem | er sich in tollkühne Kämpfe
mit wilden Thieren einliess, in die äusserste Lebensgefahr".
Wir sehen, es sind die Traditionen von weiland Antiochus IV,
die hier in verschlechterter Auflage wieder auftauchen. Von einem
Herrscher, dessen Interesse an solchen Dingen hing, hatte Hyrkan
nicht viel zu fürchten. So ist denn thatsächlich seit dem Tode
des Antiochus Sidetes (129 v. Chr.) Judäa wieder völlig
unabhängig von Syrien gewesen. Die einst von Antiochus
Sidetes auferlegten Abgaben wurden an keinen der folgenden Könige
mehr entrichtet. „Weder als Unterthan noch als Freund hat ihnen
Hyrkan noch irgend etwas geleistet" ^ ')•
In den letzten Jahren seiner Regierung unternahm Hyrkan
abermals Eroberungszüge in die Nachbargebiete. Nachdem er schon
früher die Gegend um Sichern und den Berg Garizim unterworfen
hatte, richtete er jetzt seine Angriffe gegen die Stadt Samaria,
deren Einwohner ihm Anlass zu Klage gegeben hatten. Er Hess
sie durch Wall und Graben einschliessen und übertrug die Leitung
der Belagerung seinen Söhnen Antigonus und Aristobul. Die
bedrängten Samaritaner riefen den Antiochus Kyzikenos zu
Hülfe, der zwar bereitwillig kam, aber von den Juden zurückge-
schlagen wurde. Sodann ein zweites Mal zu Hülfe gerufen brachte
Antiochus ägyptische Hülfstruppen mit, welche PtolemäusLathu-
rus gestellt hatte, und verwüstete mit deren Hülfe das jüdische
Gebiet, ohne aber etwas Entscheidendes auszurichten. Nach grossen
Verlusten verliess Antiochus den Kriegsschauplatz, indem er die
Fortsetzung des Kampfes seinen Feldherren Kallimander und
Epikrates übertrug. Von diesen wurde der Eine von den Juden
geschlagen und verlor sein Leben, während der Andere, Epikrates,
21) Joseph. Antt. XIII, 10, 1 : ovxe cug vnrjxoog ovxe o)q (fikog ai^TOic ovSsv
STi naQsTxsv. — Ein anderes Bild würde sich freilich ergeben, wenn die Weg-
nahme jüdischer Festungen und Häfen durch einen Antiochus, welche
in dem Senatsconsult Antt, XIV, 10, 22 vorausgesetzt wird, durch Anti-
ochus IX erfolgt wäre. Er müsste dann den Juden gegenüber eine ähnliche
Macht entfaltet haben, wie sein Vater Antiochus VII. Vgl. hierüber oben S. 263.
268 § 8- Johannes Hyrkanus (135—104). [211. 212J
auch nichts ausrichtete, jaSkythopolis durch Verrath den Juden
übergab. So fiel Samaria nach einjähriger Belagerung in die Hände
der Juden und wurde völlig dem Erdboden gleichgemacht --). — |
Die jüdische Legende erzählt, dass am Tage des entscheidenden
Sieges des Antigonus und Aristobul über Antiochus Kyzikeuos das
Ereigniss dem Johannes Hyrkan beim Darbringen des Eäucher-
opfers im Tempel durch eine himmlische Stimme verkündigt
worden sei^»).
Das Bisherige ist alles, was uns an äusseren Ereignissen aus
der, wie es scheint, glänzenden Eegierung Hyrkan's bekannt ist.
Es ist wenig genug. Aber fast noch dürftiger sind die zuverlässigen
Nachrichten über die Verhältnisse im Innern. Einiges ist zu-
nächst zu schliessen aus den Aufschriften der Münzen 2^). Die-
22) Joseph. Antt. XIII, 10, 2-3. Bell. Jud. I, 2, 7. Im Bell. Jud. wird
nicht Antiochus Kyzikenos, sondern Antiochus Aspendios, d. h. Grypos,
als derjenige genannt, welchen die Juden zu Hülfe riefen. Dann müssten die
Ereignisse früher fallen, in die Zeit als Antiochus Grypos noch unbestritten
die Herrschaft in ganz Syrien hatte. Dazu passen aber nicht die Angaben
über Ptolemäus Lathurus (s. unten). — Nach dem Bell. Jud. wäre Skytho-
polis nicht durch Verrath den Juden überliefert, sondern von ihnen erobert
worden (vgl. über diese bedeutende Stadt Bd. II, S. 134 — 137). Auf die da-
malige Besitz-Ergreifung von Skythopolis durch die Juden bezieht sich wohl
auch Mef/illath Taanith § 8. Vgl. Grätz, Gesch. der Juden III, 4. Aufl.
S. 566 f. Derenbourg p. 74. Schwab, Actes du onxibme Congrcs des Orien-
talistes, IVme Seeliofi p. 227 sq. — Der Tag der Eroberung Samaria 's war
nach MegillcUh Taanith der 25. Marcheschwan {== November). S. Grätz III,
4. Aufl. S. 566; Derenbourg, Histaire p. 72 sq. Schivab l. c. p. 227. Das
Jahr ergiebt sich annähernd daraus, dass einerseits Antiochus Kyzikenos
bereits im ungestörten Besitze Cölesyriens war (seit 111 v. Chr.), andererseits
PtolemäuB Lathurus noch Mitregent seiner Mutter Kleopatra war (bis
107 v. Chr., 8. Strack, Die Dynastie der Ptolemäer, 1897, S. 185, 202 f.). Die
Eroberung Samaria's füllt also jedenfalls zwischen 111 — 107 v.Chr.,
wuhrscheinlich nicht lange vor 107, denn Kleopatra war über Ptolemäus wegen
der dem Antiochus geleisteten Hülfe so erzürnt, dass sie ihn „fast schon"
aus der Herrschaft vertrieben hätte [Jus. Antt. XIII, 10, 2; oaov ovnu) x^q
dgx^i uvtbv ixßfßkTjxvlai).
28) Joseph. Antt. XIII, 10, 3. Die rabbinischen Stellen bei Derenbourg p, 74.
24) 8. fliier die Münzen: De Saulcy, Recherches 1854, p. 95—102. —
Cnvedoni, Bibl. Numismatik II, 13—18. — I^evy, Gesch. der jüd. Münzen
8.46—63. — Maddcn, Ilistorg of Jeunsh Coinngc 1864 p. 51—61. — Keichardt
in den Wiener Numinmut. Monatsheften Bd. III, 1867, 8. 108— lOH. — De
Sautey, Numumtatic Chronicle 1H7\, p, 236 ."7. — Ders., Reime arckvologiqnc
Nouv. Sine XXIII, 1872, ;;. 8-13. — Merzbachcr, Zeitschr. für Numis-
matik III, 1876, 8. 100—195. — Madden, Coim ofthc Jcivh 1881 ;;. 74-81
(hier üiui 3faterial am volUtäudigsten). — Beichardt, Num, Chronicle 1882,
p. 806 «9.
[212. 213] § 8. Johannes Hyrkanus (135—104). 269
selben tragen — und analog auch die der nächsten Nachfolger
Hyrkan's — die Aufschrift:
D'^Tin^n nnm bian "jn^n ■jrnini
oder: ü'^TiiT'n inn oxi 5ian prn pmrr'
Die Lesung des vorletzten Wortes ist streitig. Wahrschein-
lich ist zu lesen: cheber hajjehudim; und unter cheber (wörtlich:
Gemeinschaft, Genossenschaft) wird nicht sowohl die ysQovoia, als
vielmehr die gesammte Volksgemeinde zu verstehen sein-^). Die
Umschrift lautet sonach: „Jochanan der Hohepriester und die
Gemeinde der Juden" oder „Jochanan der Hohepriester,
Haupt der Gemeinde der Juden". Dieser officielle Titel zeigt
uns, dass sich Johannes Hyrkan doch in erster Linie noch als
Priester fühlte. Wie in der vormakkabäischen Zeit, so ist auch
jetzt noch das jüdische Gemeinwesen ein Priesterstaat; und der
an der Spitze stehende Oberpriester ist nicht Autokrat, sondern
nur das Haupt der Gemeinde. Die Münzen, wenigstens die der
25) Die Vermuthungen, welche über die Bedeutung von nan aufgestellt
worden sind, sind zum Theil recht seltsamer Art. Eine Uebersicht giebt
Madden, Coins ofthe Jens p. 77 sq. Man hat erklärt "irt^ = „doctor, Gelehrter"
(Reichardt) oder = „Freund" (de Saulcy, Recherches p. 84, Beinie Num. 1864,
p. 382, später von ihm aufgegeben) oder "ish = „Feldherr" (Ewald, Gott. gel.
Anz. 1855, S. 043, Arnold in Herzogs Reäl-Enc. 1. Aufl. IV, 760; das Wort
wie seine Bedeutung ist erst von Ewald erfunden; auf den Münzen mit n^n UJXi
liest Ewald nani "axn und erklärt „oberster Feldherr", Gott. gel. Anz. 1862,
S. 844). — Die Aufschrift C^Tirr^n i^n irstn zeigt, dass ~2n nothwendig eine
Corporation ist, als deren Haupt sich Hyrkan bezeichnet. Es ist daher
(wie Hos. 6, 9. Prov. 21, 9) zu lesen isn, und es kann nur fraglich sein, ob
damit ein Collegium im engeren Sinne, also der jüdische Senat gemeint ist,
(so Geiger, Urschr. S. 121 f Levy, Jüdische Münzen S. 50. Madden, History
p. 54 — 50, ders. Coins of the Jeus p. 78, Derenbourg, Histoire p. 83, Wellhausen,
Pharisäer S. 28 f., de Saulcy, Melanges de Numisinatique II, 1877, p. 80, Well-
hausen, Israelit, und jüd. Geschichte 2. Aufl. S. 270. Renan, Histoire du peuple
d'Israä t. V, 1893, p. 40), oder die jüdische Gesammtgemeinde (so Cave-
doni, Bibl. Numismat. II, 14, derselbe in Grote's Münzstudien V, 19, Hitzig,
Gesch. S. 473, Reuss, Gesch. der heil. Sehr. A. T.'s § 503, Merzbaeher, Zeitschr.
für Numism. III, 1876, S. 190, 196 f Nestle, Zeitschr. für die alttest. Wissen-
schaft XV, 1895, S. 288—290 [inn = s»voq, mit unhaltbarer Begründung],
Kennedy, Art. Monney in Hastings' Dictionary of the Bible III, 425 [lan = to
xoivov]). Sowohl der Ausdruck „Gemeinschaft der Juden" als der sonstige
Sprachgebrauch {Mischna Beraehoth IV, 7, worüber Bd. II S. 432 zu vgl.)
spricht entschieden für letztere Bedeutung. Renan beruft sich zwar für die
Bedeutung senatus auf die grosse phönicische Inschrift von Marseille, Corpus
Jnscr. Semit, t. I u. 165 ; dort kommt aber n^n lediglich in der auch im Rab-
biuischen ganz gewöhnlichen Bedeutung coUega vor (lin. 2 und 19: die beiden
Sufleten a:~i2ni = et coUegae eonan, vgl. den Commentar p. 228«; es sind
höchst wahrscheinlich die übrigen Beamten gemeint, nicht der Senat). Die
Inschrift beweist also nichts.
270 § 8- Johannes Hyrkanus (135—104). [213. 214]
ersten Gattung, sind nicht nur in seinem Namen, sondern zugleich
in dem der Gemeinde geprägt. Andererseits ist es ein Beweis des
wachsenden fürstlichen Bewusstseins, dass Johannes seinen Namen
auf die Münzen setzen liess. Er ist unter den jüdischen Fürsten
der erste, der dies gethan hat. Ja auf den Münzen der zweiten
Gattung lässt er die „Gemeinde" weg und bezeichnet statt dessen
sich selbst nach seiner Doppelwürde als „Oberpriester" und als
„Haupt der Gemeinde der Juden".
In Betreff der inneren Politik Hyrkan's während seiner
dreissigj ährigen Regierung steht wenigstens eine Thatsache fest —
und zwar eine solche von grösster Bedeutung: der Bruch mit den
Pharisäern und die Anlehnung an die Sadducäer. Diese beiden
Parteien treten jetzt zum erstenmal unter diesen Namen auf den
Schauplatz der Geschichte. Ihre Anfänge liegen weit zurück;
ihre Consolidirung unter obigen Namen scheint eine Folge der
raakkabäischen Bewegung gewesen zu sein 2*^). Die Pharisäer
sind nichts anderes als die Partei der strengen Eiferer für das
Gesetz: im Wesentlichen dieselben Kreise, welchen wir im Anfang
der makkabäischen Bewegung unter dem Namen der Frommen
oder Chasidim begegnet sind. Den äussersten Gegensatz zu ihnen
bildeten damals die extremen Griechenfreunde, welche den
Hellenisirungsbestrefeangen des Antiochus Epiphanes so weit ent-
gegen kamen, dass sie nicht nur auf dem Gebiete des bürgerlichen
Lebens, sondern sogar auf dem des religiösen Cultus dem Helle-
nismus die Thore öffneten. Diese extremen Griechenft-eunde, welche
ihren Anhang besonders unter der vornehmen Priestersclmft liatten,
sind durch die Stürme der makkabäisdien Bewegung weggefegt
worden. Stimmen dieser Art durften fortan im Verbände des
jüdischen Gemeinwesens sich nicht mein* vernehmen lassen. Aber
die Grundlage, auf welcher jene Richtung erwuchsen war, war
darum doch geblieben: es war | die wesentlich weltliche, jedem
religiösen Enthusiasmus abgeneigte Richtung der vornehmen Priester-
Bchaft. Auf den Boden des mosaischen Gesetzes wollten sie sich
fortan wohl stellen. Aber was über den Buchstaben desselben
liinausging, lehnten sie mit kühler Vornehmheit ab. Ihre eigent-
lichen Interessen galten mehr dem Diesseits und der Gegenwart als
dem .Jenseits und der Zukunft. Dicjse Richtung, welche vorwiegend
unter den vornehmen Priestern, dcMi „Söhnen Zadok's" vertreten
war, hiess nun die der Zadokiten oder Sadducäer'-^").
2ü> J' rwiiliiit nie zuerst zur Zeit (Ich Jonnthan, Antt. XIII, 6, 0.
27) I^i.i..Mn ul>er Weueu un«l Urnprurif; der PliiiriHÜcr und Sadducäer
•. in § 2(5.
[214. 215] § 8. Johannes Hyrkanus (135—104). 271
Die Makkabäer gehörten von vornherein weder der pharisäi-
schen noch der sadducäischen Richtung an. Der Eifer für das
Gesetz, der ihnen das Schwert in die Hand gedrückt hatte, verband
sie zwar mit den Chasidäern, welche anfangs auch an dem Be-
freiungskampfe theilnahmen. Aber schon bald gingen beide ver-
schiedene Wege, mehr neben einander als mit einander. Den
Chasidäern lag nichts an der politischen Herrschaft und politischen
Freiheit. Den Makkabäern waren dies sehr wesentliche Punkte.
Ihr ursprüngliches Ziel, die Erhaltung der väterlichen Religion,
gaben sie zwar auch später nicht auf. Aber je länger desto mehr
verbanden sich für sie damit ganz andere politische Ziele. Eben
dies letztere brachte sie andererseits den Sadducäern nahe. Als
politische Emporkömmlinge konnten die Makkabäer es nicht wagen,
den einfluss reichen sadducäischen Adel zu ignoriren. Man darf
als selbstverständlich annehmen, dass in der ytQovoia der makka-
bäischen Zeit auch die „Sadducäer' vertreten waren. — Trotz
alledem standen doch in religiöser Beziehung die Makkabäer ur-
sprünglich den Pharisäern weit näher als den Sadducäern. Sie
waren die Beschützer des väterlichen Glaubens und väterlichen
Gesetzes. Noch von Hyrkan wird bestimmt vorausgesetzt, dass er
in der ersten Zeit seiner Regierung in der Gesetzesbeobachtung den
Pharisäern folgte. Denn die Abschaffung der pharisäischen Satzungen
bildete die Hauptanklage, welche das strengere Judenthum gegen
ihn erhob 28).
Diese Doppelstellung der Makkabäer macht den Umschwung
begreiflich, der im Laufe der Regierung Hyrkan's sich vollzog.
Je mehr die politischen Interessen bei ihm in den Vordergrund
traten, um so mehr traten die religiösen zurück. In demselben
Maasse aber musste Hyrkan sich den Pharisäern entfremden und
den Sadiducäern näher kommen. Ein inniges Zusammengehen mit
den Pharisäern war bei dem stark weltlichen Anstrich seiner
Politik auf die Dauer unmöglich. So ist es denn sehr glaublich,
dass er mit den Pharisäern offen gebrochen und sich
rückhalts los der sadducäischen Richtung hingegeben hat
Die äussere Veranlassung zum Bruche wird von Josephus und
dem Talmud übereinstimmend folgendermassen erzählt. Hyrkan
richtete einmal, als viele Pharisäer bei ihm zu Gaste waren, an
dieselben die Bitte, sie möchten doch, wenn sie sähen, dass er
etwas Ungesetzliches thue, ihn darauf aufmerksam machen und ihn
auf den rechten Weg weisen. Alle Anwesenden waren aber seines
28) Josephus sagt sogar Antt. XIII, 10, 5: ^o^j/r^s d" aixdiv xai YQxavog
iysyovst xat aipööga in avxuiv r'/yanüro.
272 § 8. Johannes Hyrkauus (135—104). [215. 216]
Lobes voll. Nur Einer, Eleasar, erhob sich und sagte: „Da du
die Wahrheit zu erfahren wünschest, so wisse: wenn du gerecht
sein willst, so lege die hohepriesterliche Würde nieder und begnüge
dich, über das Volk zu herrschen". Als Hyrkan nach der Ursache
fragte, erwiederte jener: „Weil wir von den Alten hören, dass
deine Mutter unter König Antiochus Epiphanes gefangen gewesen
ist". Diese Behauptung war aber unrichtig, weshalb Hyrkan höchst
aufgebracht wurde. Als dann Hyrkan den Pharisäern die Frage
vorlegte, welche Strafe Eleasar verdient habe, sagten diese:
„Schläge und Bande". Hyrkan, der glaubte, dass auf eine solche
Lästerung der Tod gehöre, wurde nun noch zorniger und glaubte,
dass Eleasar im Einverständniss mit seinen Parteigenossen die
Schmähung gegen ihn ausgesprochen habe. Fortan sagte er sich
ganz von den Pharisäern los, verbot bei Strafe die Beobachtung
der von ihnen aufgestellten Gesetze und schloss sich an die Sad-
ducäer an"^^).
Die Erzählung trägt zwar in ihrer anekdotenhaften Form den
Stempel der Legende auf der Stirne und ist von Josephus wohl
nur aus der mündlichen Tradition geschöpft. Trotzdem darf die
Thatsache als sicher betrachtet werden, dass Hyrkan sich ent-
schieden von der pharisäischen Eichtung abgewandt und die
pharisäischen Satzungen abgeschalft hat. Denn es war eine be-
wusste Reaction gegen die seit Hyrkan befolgte Politik, als
Alexandra die pharisäischen Gesetze wiedereinführte^**). Ein
paar einzelne durch Hyrkan beseitigte Satzungen werden in der
Mischna aufgezählt. Angesichts der Gesammt-Opposition Hyrkan s
gegen alles pharisäische Wesen | sind aber die von der Mischna
aufgezählten Stücke nur als zufällig herausgegrittene Einzelheiten
zu betrachten^').
29) Joseph. Ann. XIII, 10, 5-6. Dio nibbinische Tradition bei Grätz III
4. Aufl. 8. 684 fl". (Noto 11). Derenhoiirg p. 79—80. Montet, Lc prcim'er
eonflit enire Pfiarmens et Saduciens d' aprh trois documenls orimtatu [Jo-
sephuH, Talmud und der snniaritnn. Chronist Abulfath] {Journal asiatiqiie VIII»"«
Sirie t. IX, 1887, p. 415-423). Levi, Revue des iHmles juires t. XXXV, 1897,
p. 218 — 223. — Zur Surhc HclbHt vgl. bes. auch Well hausen, Die Pharisäer
und die Sadducäer (1874) 8. 89—05.
30) Jo$eph. Antt. XIII, 16, 2.
31) Macuw tcheni V, 15 — Sota IX, 10: „Jochanan der Hohepriester
■cbaflVB da« Bekenntnisa für den Zehnt ab. Derselbe Hchatllc das 8ingeu des
Vertet: Erwache (/V. 44, 24) und da» Verwunden (der OpCiTtliicrc?) nl). Ferner
war bis zu Heiner Zeit (an den Zwischcnfeiertagen?) der IlaiDincr in .TeruHulcin
in Thiitigkeit. Endlich briiuclite man in seiner Zeit nicht wegen Demai /,ii
fragen (d. h. nicht zu fragen, ob von gekauftem Getreide der Zehnt schon ent-
richtet wl)." — Ueber den zum Theil sehr dunkeln Sinn dieser Sätze s. die
[216. 217] § 8. Johannes Hyrkanus (135—104). 273
Beim Rückblick auf Hyrkan's Regierung preist Josephus ihn
glücklicli, dass er „dreier der grössten Dinge von Gott gewürdigt
worden sei: der Herrschaft über das Volk und der priesterliclien
Würde und der Prophetengabe". Alles in allem erscheint Hyrkan's
Regierung dem jüdischen Geschichtsschreiber als eine hervorragend
glückliche 32). Er hat Recht, wenn man politische Macht als den
Maassstab des Glückes betrachtet. Nachdem schon Hyrkan's Vor-
fahren durch die Erwerbung von Jope und Gazara und andere
Eroberungen im Westen das jüdische Gebiet bis an das Meer vor-
geschoben hatten, hat Hyrkan durch neue Eroberungen im Osten,
Süden und Norden und durch die Sicherung der Unabhängigkeit von
Syrien einen jüdischen Staat geschaffen, wie er seit dem Untergang
des Zehnstämmereiches, ja seit der Reichstheilung nach Salomo's
Tode nicht mehr bestanden hatte.
Unter den grossen Grabdenkmälern in der Umgebung Jerusa-
lem's wird von Josephus in seiner Geschichte des jüdischen Krieges
auch das des „Hohenpriesters Johannes" häufig erwähnt ^3).
§ 9. Aristobul I (104—103).
Quellen: Joseph. Antt. XIII, 11. Bell. Jud. I, 3. Zonaras Annal. V, 3 (Aus-
zug aus Josephus).
Die Münzen am vollständigsten bei Madden, Cains of the Jews
(1881) p. 81—83. I
Literatur: Ewald, Geschichte des Volkes Israel IV, 502—504.
Grätz, Geschichte der Juden III, 4. Aufl. S. 118—123.
Hitzig, Geschichte des Volkes Israel 11, 473—475.
Commentare in Surenhusius' Mischna I, 287 f. III, 295 fl'. Herzfeld,
Gesch. III, 249 f. Derenbourg, Histoire p. 71. Die obige, aus der Jost'schen
Mischna-Ausgabe entnommene Uebersetzung fusst auf den im Talmud gegebe-
nen Erklärungen, deren Richtigkeit aber sehr fraglich ist; s. bes. Herzfeld,
a. a. O. — Ueber das Bekenntniss für den Zehnt s. Deut. 26, 12—15. Joseph.
Antt. IV, 8, 22. Mischna Maa^er schmi V, 6—15. Hot fing er, De decimis
Judaeorum (1713) p. 204—227, — Erwähnt sei noch, dass Para HI, 5 Jochanan
unter denjenigen Hohenpriestern genannt wird, zu deren Zeit nach dem Gesetz
I\um. 19 eine rothe Kuh verbraunt wurde.
32) Joseph. Antt. XIII, 10, 7.
33) Joseph. Bell. Jud. V, 6, 2. 7, 3. 9, 2. 11, 4 {ed. Mese § 259. 304,
356, 468). VI, 2, 10.
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. lg
274 § 9- Aristobul I (104—103). [217. 218]
Johannes Hyrkan hinterliess fünf Söhne *). Nach seinem Willen
sollte aber die Regierung auf seine Gemahlin übergehen 2), während
für den ältesten Sohn Aristobul wohl nur das Hohepriesterthum
bestimmt war. Damit war jedoch dieser nicht zufrieden. Er stiess
seine Mutter in's Gefängniss, gab sie dort dem Hungertode preis
und übernahm selbst die Regierung 3). — Auch seine sämmtlichen
Brüder mit Ausnahme des Antigonus liess er in's Gefängniss
werfen. Nur zu letzterem hatte er solches Vertrauen, dass er ihn
an der Regierung Antheil nehmen liess. Gerade diese bevorzugte
Stellung wurde aber dem Antigonus verderblich. Sie zog ihm
viele Neider zu, deren Intriguen es schliesslich gelang, den
Aristobul zum Mörder des geliebten Bruders zu machen. Man
stellte ihm vor, dass Antigonus selbst nach der höchsten Gewalt
strebe. Aristobul wurde dadurch argwöhnisch und gab seiner
Leibwache den Befehl, falls Antigonus bewaifnet zu ihm komme,
ihn niederzumachen. Gleichzeitig forderte er seinen Bruder auf,
unbewaffnet zu ihm zu kommen. Die Feinde des Antigonus aber
bestachen den Boten und Hessen ihm statt dessen melden, Aristobul
habe vernommen, dass er sich neue Waffen und neues Rüstzeug
angeschafft und bäte ihn, bewaffnet zu ihm zu kommen, damit er
seine Rüstung sehe. So that Antigonus und ward, als er nichts
ahnend in die Burg einzog, von der Leibwache niedergemacht.
Aristobul soll nach geschehener That bittere Reue empfunden haben,
und diese Reue soll seinen Tod beschleunigt haben ^).
Diese ganze Familientragödie — wenn man sie für historisch
halten darf — lässt den Charakter Aristobul's in sehr dunkelm
Lichte erscheinen. Es ist lediglich das Interesse der Herrschaft,
das ihn beseelte. Alle Rücksichten der Pietät werden diesem ge-
opfert. Auch sonst entfernte sich Aristobul noch weiter als sein
Vater von den alten Traditionen der Makkabäer. Das monarchische
Selbstgefühl trieb ihn, den Königstitel anzunehmen, den von
nun an seine Nachkommen bis zur Zeit des Pompejus führten^). |
Die griechische Cultur, gegen deren Umsichgreifen einst die
Makkabäer aufgetreten waren, wurde von ihm direct begünstigt,;
1) Joseph. Antt. XIII, 10, 7.
2) Job. Antt. XIII, 11, 1: ixelv^v yap ''Ypxavos xdiv oXoiv xvqIuv xaxaXe-
).olmt. Ebenso Bell. Jud. I, 3, 1.
.3) Antt. XIII, 11, 1. BeU. Jud. 1, 3, 1. — Ueber die Chronologie s.
oben S. 266 f.
4) Antt. XIII, 11, 1-3. Bell, Jud. I, 3, 1—6.
6) Antt. XIII, 11, 1. BeU. Jud. I, 3, 1. — Wenn Strabo XVI, 2, 40,
p. 762 dlM von Alexander Jannäus berichtet, bo hat er eben die kurze
Begtemng Arlatobnrs fibenehen. — PricHtcrkönige gab es z. B. auch in
BidoD. Vgl. Bd. II, 8. 216.
[218. 219] § 9. Aristobul I (104—103). 275
ob er auch den Titel ^^tXeXXrjv geführt hat, ist aus den Worten
des Josephus nicht sicher zu entnehmen 6). Da schon sein Vater
Hyrkan seinen Söhnen lauter griechische Namen gegeben hat
(Aristobul, Antigonus, Alexander), so darf man annehmen, dass schon
er die von Aristobul eingeschlagene Richtung angebahnt hat.
Auf den Münzen hat Aristobul weder von dem Königstitel
noch von seinem griechischen Namen Gebrauch gemacht. Er nennt
sich hier „Juda, Hoherpriester". Denn die Münzen mit der
Aufschrift
gehören, wie zuerst Cavedoni erkannt hat, eben unserem Aristobul,
der mit seinem hebräischen Namen Juda hiess'). — Wie sehr
Aristobul trotz seiner Griechenfreundschaft doch noch auf jüdischem
Boden stand, zeigt uns die wichtigste Thatsache, die überhaupt
aus seiner kurzen Regierung berichtet wird: die Eroberung und
Judaisirung der nördlichen Districte Palästina's. Er
unternahm einen Kriegszug gegen die Ituräer, eroberte ein grosses
Stück ihres Landes, vereinigte dieses mit Judäa und zwang die
Einwohner, sich beschneiden zu lassen und nach dem jüdischen
Gesetze zu leben ^). Die Ituräer haben ihre Sitze am Libanon^}.
Da Josephus | nicht sagt, dass Aristobul „die Ituräer" unterworfen
habe, sondern nur, dass er ein Stück ihres Landes erobert und
6) Äntt. XIII, 11, 3: ;(()j;/MaT/<rac /tev (piXiXXriv. Nach dem Zusammenhang
heisst dies wahrscheinlich nicht „er nannte sich 4'iXei.XTjv", sondern „er benahm
sich als Griechenfreund". — Den Titel ^iU/.Xtjv führte z. B. Arsaces VII und
andere parthische Könige [Mionnet, Description de medailles antiqties V, 650 sqq.),
ein Antiochus von Kommagene (s. oben S. 178 f.), ein nabatäischer König Aretas
(s. Beilage II).
7) Äntt. XX, 10: 'lovöa x(p xal kgiatoßoikia xXjj&iyti. — Ueber die Münzen
(welche de Saulcy ursprünglich dem Judas Makkabäus zuschrieb) s. de Saulcy,
Becherches p. 84. Cavedoni, Bibl. Numismatik II, 18 f. Levy, Gesch. der
jüd. Münzen S. 53 — 55. Madden, Histary p. 61— ö3. Eeichardt, Wiener
Numismat. Monatshefte III, 1867, S. 108 f. De Saulcy, Numismatie Chronicle
1871, p. 238. Merzbacher, Zeitschr. für Numismatik III, 1876, S. 196.
Madden, Coins of the Jews p. 81 — 83. — Die griechischen Münzen, welche de
Saulcy, Becherches p. 102 — 104 dem Aristobul zugeschrieben hatte, gehören
der Julia (= Livia, Wittwe des Augustus), s. Cavedoni, Bibl. Numismatik II,
19. 50 f. Ders. in Grote's Münzstudien V, 19 f.
8) Joseph. Äntt. XIII, 11, 3: noXefxiqaaq ^xovQalav xal noXXrjv avräiv
z^g Xojgag xy 'lovöaicc nQoaxxTjadfiSvog x. r. X. — Strabo nach Kmagenes
(bei Joseph, l. c): ^(ÜQavxe yaQ avxolg TiQoaexxTJaaxo xal x6 /xeQog xov xwv
IxovQaiojv e&vovg ipxeiwaaxo x. x. X.
9) Strabo p. 753. 755. 756. Inschrift aus der Zeit des Quirinius, Ephemeris
epigraphica IV, 538 = Coiy. Inscr. Lat. III Suppl. n. 6687. [Ituraeos in Li-
bano monte). Vgl. auch Beilage I am Schlüsse dieses Bandes.
18*
276 § 9. Aristobul I (104—103). [219]
judaisirt habe, da ferner Graliläa bisher noch nicht zum Gebiet
des jüdischen Hohenpriesters gehört hatte (s. S. 183 f.; auch die
Eroberungen Hyrkan's hatten sich nördlich nur bis Samaria und
Skythopolis erstreckt), und da die Bevölkerung Galiläa's bisher
noch eine mehr heidnische als jüdische war (s. S. 185 f.), so ist
die Vermuthung gerechtfertigt, dass das von Aristobul eroberte
Stück in der Hauptsache eben Galiläa war, und dass erst durch ihn
die wirkliche Judaisirung Galiläa's bewerkstelligt wurde i^).
Jedenfalls hat er das Judenthum nach Norden hin weiter vor-
geschoben, wie es Hyrkan nach Süden hin gethan hatte.
Aristobul starb nach nur einjähriger Regierung an einer schmerz-
haften Krankheit ^1). Da das Urtheil der heidnischen Historiker
über ihn ein günstiges ist^^), so kann der Verdacht nicht unter-
drückt werden, dass die berichteten Grausamkeiten gegen seine
Verwandten ihm, dem Sadducäer und Griechenfreuud, von den
Pharisäern angedichtet worden sind.
§ 10. Alexander Jaunäus (103—76).
Quellen: Joseph. Antt. XIII, 12-15. Bell. Jtid. I, 4. Zonaras Ännal. Y, 4
(Auszug aus Josephus).
SynceUus ed. Dindorf I, 558 sq. (geht auf eine von Josephus unab-
hängige Quelle zurück).
Rabbinische Traditionen bei Derenbourg p. 95 — 102.
Die Münzen am vollständigsten bei Madden, Coins of the Jews
(1881) p. 83—90. I
10) Für obige Auffassung spricht auch, dass die Gebiete nördlidi und öst-
lich von Galiläa noch zur Zeit der Herodiancr vorwiegend heidnisch waren.
8ie können also nicht bereits durch Aristobul judaisirt worden sein. Dann
kann aber das von Aristobul judaisirte Stück kaum etwas Anderes als Galiläa
sein. Das» Josephus den ihm geläufigen Landschaftsnameu Galiläa nicht
nennt, erklärt sich aus der Benützung einer nicht-jüdischen Quelle. — Eine
Schwierigkeit könnte num höchstens darin finden, dass bereits Johannes
Hyrkan seinen Sohn Alexander Jannäus in Galiläa erziehen Hess
(Antt. XIII, 12, 1). Aber vielleicht soll damit gerade gesagt werden, dass
Hjrrkan seinen Sohn, der von der Thronfolge fern gehalten werden sollte,
ausser Laudos erziehen Hess. Möglich wäre auch, dass Hyrkan die süd-
lichen Theile Galiläa's bereits besessen hat. Dann würde das Obige nur von
den nördlichen gelten. Die Notiz über Alcxandcr's Erziehung in Galiläa ist
flbrigens durch den Zusammenhang, in welciiom sie steht, ohnehin verdächtig.
— Vgl. über die Judalulrung Galiläa's durch Aristobul auch IM. II S. (5 f.
11) Antt. XIII. 11, 3. Bell. Jud. I, 3, 0.
12) Straho nnrh Thnagenea (hei Joseph . .\ntt. XIII, 11, 3): inietxi^i re iyiveto
ohtos 6 dvinf xal nolla rotq 'lovöalotq •/Q'l'^'f^'^i-
[220] § 10. Alexander Januäus (103—76). 277
Literatur: Ewald, Geschichte des Volkes Israel IV, 504—512.
Grätz, Geschichte der Juden III, 4. Aufl. S. 123-135.
Hitzig, Geschichte des Volkes Israel II, 475—488.
Hamburger, Real-Enc. für Bibel und Talmud Abth. II, S. 430 — 434
(Art. „Janai, Alexander").
Menke's Bibelatlas Bl. IV, Specialkarte über „Judäa und Phönice
zur Zeit des Alexander Jannäus".
Als Aristobul gestorben war, entliess seine Gemahlin Salome
(oder Salma?) Alexandra die drei Brüder Aristobul's, welche der-
selbe gefangen gehalten hatte, aus dem Gteföngniss und erhob den
ältesten von ihnen Alexander Jannäus zum König und Hohen-
priester ^), indem sie ihm gleichzeitig ihre Hand reichte ^).
Alexander Jannäus (103— 76) 3) war während seiner 27
jährigen Regierung fast fortwährend in äussere und innere Kriege
verwickelt, die meist muth willig durch ihn provocirt waren und
keineswegs immer glücklich für ihn ausfielen.
Zuerst zog er gegen die Bürger von Ptolemais zu Felde ^),
besiegte sie und schloss die Stadt ein. Die Ptolemaiten wandten
sich an den ägyptischen Prinzen Ptolemäus Lathurus, der, von
seiner Mutter Kleopatra vom Throne gestossen, damals in Cypern
herrschte, um Hülfe. Ptolemäus kam mit einem Heere; und
Alexander hob aus Furcht vor ihm die Belagerung auf^). — Er
suchte nunmehr durch List den Ptolemäus sich vom Halse zu
schaifen, indem er offen mit ihm Friede und Freundschaft schloss,
mittlerweile aber heimlich dessen Mutter gegei; ihn zu Hülfe rief.
Ptolemäus ging anfangs bereitwillig auf das Bündniss ein. Als
er aber hörte, dass Alexander heimlich seine Mutter gegen ihn zu
Hülfe gerufen habe, brach er den Frieden und rückte mit einem
Heere gegen Alexander. Er eroberte und plünderte die Stadt
Asochis in Galiläa^) und stellte sich dann dem Alexander bei
1) Äntt. XIII, 12, 1. Bell. Jud. I, 4, 1.
2) Letzteres ist allerdings nirgends ausdrücklich bezeugt. Da aber Jo-
sephus die Gemahlin Aristobul's Salome (oder Salma?) Alexandra nennt
[Antt. XIII, 12, 1), welche beide Namen auch die Gattin des Alexander Jan-
näus führte, so ist an der Identität nicht zu zweifeln. Vgl. Ewald IV, 504.
Hitzig II, 476. lieber den hebräischen Namen der Alexandra s. unten § 11.
3) Ueber die Chronologie s. oben S. 25G f.
4) Ueber Ptolemais, das alte Akko, eine der bedeutendsten phönicischen
Küstenstädte in iinmittelbarer Nachbarschaft Galiläa'«, s. Bd. II, S. 111 — 115.
5) Antt. XIII, 12, 2—4.
6) Asochis wird von Josephus auch in seiner Vita öfters erwähnt ("^'^41.
45. 68). Es lag nahe bei Sepphoris [Antt. XIII, 12, 5: ixixqov anw&sv,
Vita 45: naQa öh SsTKptaQitcvv slgliacaxlv xaxaßävrsg), und zwar in der Ebene
{Vita 41. 45), also jedenfalls in der heutigen Ebene el-Battof. Vermuthungen
278 § 10- Alexander Jannäus (103—76). [220. 221]
Asophon (oder Asaphon) am ] Jordan'^) gegenüber. Alexander
hatte ein stattliches, treif lieh bewaffnetes Heer. Das des Ptolemäus
war weit weniger gut bewaffnet; allein seine Leute waren ge-
wandter und vertrauten auf die taktische Kunst ihres Feldherrn
Philostephanus. Da der Fluss die beiden Heere trennte, so
setzte das ägyptische Heer über denselben; und Alexander Hess
dies ruhig geschehen, indem er es um so sicherer aufzureiben hoffte.
Auf beiden Seiten wurde tapfer gefochten ; und das Heer Alexander's
gewann anfangs sogar Vortheile. Allein nun wusste der ägyptische
Feldherr durch geschickte Manöver einen Theil des jüdischen
Heeres zum Weichen zu bringen; und als einmal ein Theil floh,
konnten sich auch die übrigen nicht mehr halten. Das ganze
jüdische Heer ergriff die Flucht; die Aegypter jagten ihnen nach
und verfolgten sie unter stetem Morden, „bis das Schwert ihnen
vom Morden stumpf wurde und die Hände erlahmten" s).
Das ganze Land stand nun dem Ptolemäus offen. Aber nun
sandte Kleopatra ein Heer nach Palästina, um der wachsenden
Macht ihres Sohnes rechtzeitig zu begegnen. Während dieses
Heer in Palästina operirte, gelang es dem Ptolemäus, sogar bis
Aegypten vorzudringen. Er wurde aber von dort wieder ver-
trieben und musste sich nach Gaza zurückziehen; und Kleopatra
nahm Besitz von ganz Palästina. Als sie die Macht in Händen
hatte, riethen ihr einige ihrer Vertrauten, das jüdische Land wieder
mit Aegypten zu vereinigen. Aber den Vorstellungen ihres jüdischen
Feldherrn Ananias gelang es, sie von diesem Plane abzubringen
und vielmehr zu bewegen, mit Alexander ein Bündniss zu schliessen.
Ptolemäus konnte sich jetzt im jüdischen Lande nicht mehr länger
halten und zog sich wieder nach Cypern zurück. Ebenso nahm
auch Kleopatra ihr Heer aus Palästina zurück; und Alexander
war wiederum Herr im Lande ^).
Nun konnte er wieder an Eroberungen denken. Er begann
Aber seine Lage b. bei Bobinson, Neuere biblische Forschungen S. 143 f.
Ouirin, OaliUe T, 494—497. Vgl. auch Bitter, Erdkunde XVI, 760 f. Rau-
mer, Palästina 8. 121.
7) *Aato<puv oder *Aaa<piJiv (wie ein Theil der Handschriften hat), nicht
weiter bekannt. Violleicht — ^il)^ Joaita 13, 27. Vgl. Grütz III, 124. Hitzig II,
478. Seh latter, Zeitschr. des DPV. XIX, 1896, 8. 224. — Furrer (brieflich)
vergleicht Kirbeth Umm Sabony westlich vom Jordan zwischen Wadi el ßireh
nnd Wadi el Eschscheb {The Survey Memoirs II, 125, dazu die grosse engl.
Karte Bl. IX Qj).
8)'!Ba>c oh xal 6 al6ri(foq aikoTi; ^fißXiv^ xrelvovoi xal al x,^lQ£(i nagel-
BijOttv. Vgl. überhaupt: Jos. Antt. XIII, 12, 4—5.
9) Antt. XIII, 13, 1-3.
[221. 222] § 10 Alexander Jannäus (103—76). 279
damit im Osten des Jordan, indem er Gadara*<>) und die starke
Festung Aniathus am Jordan ^i) einnahm, ersteres erst nach zehn- !
monatlicher Belagerung. Dann wandte er sich gegen Philistäa, er-
oberte Raphia, Anthedon und zuletzt das altberühmte Gaza* 2).
Ein volles Jahr lag Alexander vor der Stadt und bemächtigte
sich schliesslich nur durch Yerrath derselben, worauf er sie der
Plünderung und den Flammen preisgab *=^).
Die Eroberung Gaza's muss im J. 96 v. Chr. stattgefunden haben,
da um dieselbe Zeit Antiochus VIII Grypos starb i*).
Kaum war nach aussen hin Ruhe eingetreten, so gab es Kämpfe
im Innern. Der unheilvolle Gegensatz der Parteien, der schon in
Hyrkan's Regierung hinein seine Schatten geworfen hatte, machte
Alexander s Regierung zu einer auch im Innern besonders bewegten
und kampfreichen. Die rabbinische Legende berichtet freilich von
Reibereien zwischen dem König und den pharisäischen Schul-
häuptern, die sehr harmloser Art waren, mehr kindische Neckereien
als ernsthafte Kämpfe. Ihre Erzählungen sind aber historisch so
völlig werthlos, dass sie hier nur als Zeugniss des absonderlichen
Geschmackes und der ebenso absonderlichen Moral des talmudischen
Judenthums eine Stelle finden können. Der Held ist Simon ben
Schetach, der berühmte Pharisäer, angeblich ein Bruder von
Alexander's Gemahlin. Von seinen Thaten am Hofe wird folgendes
erzählt'^). Es kamen einst 300 Nasiräer nach Jerusalem, um
dort die vorgeschriebenen Opfer darzubringen. Simon fand Mittel
und Wege, die Hälfte von ihnen davon zu dispensiren. Bei der
anderen Hälfte aber vermochte er es nicht und bat daher den
König, die Kosten dafür zu bestreiten, indem er vorgab, dass er,
10) Es ist das aus der evangelischen Geschichte bekannte Gadara, süd-
östlich vom See Genezareth, damals eine bedeutende hellenistische Stadt.
Näheres s. Bd. II, S. 122—126.
11) Äntt.XIII,l3,3: fityiatov SQVfiCc tdiv vnsQ tov ^oQÖdvijv xaTojXTjfiivwv,
später der Sitz eines der fünf von Gabinius errichteten Synedrien {Jos. Antt. XIV,
5, 4. Bell. Jud. I, 8, 5). Nach Eusebius lag es 21 mil. pass. südlich von Pella
{Euseb. Onomast. ed. Lagarde p. 219: Xsyezai de xal vvv lifxad-ovi; xcufii] iv Ty
IIsQala xy xattotegq:, üekkcSv öisatcüaa arj/xtloig xa elq votov). Diese Angabe
stimmt zu der Lage der heutigen ßuinenstätte Amatha in der Nähe des
Jordan, nördlich vom Jabok. S. überhaupt: Bitter, Erdkunde XV, 2, 1031 f.
Raum er, Pal. S. 242. Kuhn, Die städtische und bürgerl. Verfassung des
römischen Reichs II, 364 f.
12) Ueber Raphia, Anthedon und Gaza s. Bd. II S. 82—91.
13) Antt. XIII, 13, 3. Bell. Jud. I, 4, 2.
14) Antt. XIII, 13, 4.
15) S. Derenbourg p. 96 — 98 (bes. nach Bereschith rabba c. 91). Levi,
Bevtie des ettides jmves t. XXXV, 1897, p. 213—217. Vgl. auch Grätz III,
4. Aufl. S. 127. 703 f. (Note 13).
280 ^ 10. Alesander Jannäus (103—76). [222. 223]
Simon, die eine Hälfte bestreiten werde. Der König ging dar-
auf ein. Als er aber erfuhr, dass Simon ihn belogen habe, ward
er sehr aufgebracht; und Simon rausste, um seinem Zorne zu ent-
gehen, sich verborgen halten. Einige Zeit darauf kamen parthische
Gesandte an den königlichen Hof und wünschten den berühmten
Rabbinen zu sehen. Der König wandte sich an seine Gemahlin, |
die Simon's Versteck wusste, und bat sie, ihren Bruder zu bewegen,
dass er hervorkomme. Die Königin liess sich das Versprechen geben,
dass ihm nichts zu Leide geschehen solle und bewog ihn, zu kom-
men. Kaum eingetreten setzte sich Simon zwischen den König und
die Königin; worauf sich zwischen ihm und dem König folgendes
Gespräch entspann. Der König: Weshalb bist du entflohen?
Simon: Weil ich hörte, dass mein Herr und König gegen mich
erzürnt sei. Der König: Und warum hast du mich betrogen?
Simon: Ich habe dich nicht betrogen. Du hast dein Geld gegeben
und ich meine Weisheit. Der König: Aber warum hast du mir
dies nicht gesagt? Simon: Wenn ich es dir gesagt hätte, so hättest
du es mir nicht gegeben. Der König: Weshalb hast du Platz ge-
nommen zwischen dem König und der Königin? Simon: Weil im
Sirach geschrieben steht: Halte hoch die Weisheit und sie wird
dich erhöhen. Sie wird dich setzen zwischen Fürsten {Sir. 11, 1). —
Der König liess ihm darauf Wein reichen und bat ihn, das Tisch-
gebet zu sprechen. Simon begann: „Gepriesen sei Gott für die
Nahrung, welche Jannai und seine Genossen empfangen haben". —
„Du bleibst also noch immer starrköpfig, sagte der König, ich habe
noch niemals den Namen Jannai's im Tischgebet gehört". — „Konnte
ich sagen, erwiderte Simon, wir preisen dich für das, was wir ge-
gessen haben, da ich doch nichts empfangen habe?" — Der König
gab Befehl, dass man dem Simon zu essen bringe; und als dieser
damit fertig war, sagte er: „Gepriesen sei Gott für das, was wir
gegessen haben".
Die wirklichen Kämpfe Alexanders mit den Pharisäern und
dem von ihnen geleiteten Volke waren von ganz anderem tragischem
Ernste. Die tieferen Gründe derselben liegen in der Entwickelung,
welche die inneren Verhältnisse überhaupt seit Begininduiig der
liasnionäischen Dynastie genommen hatten. Beim Volke gewannen
die Pharisäer immer mehr an Macht und Einfluss. Die Politik der
Hasmunäer entfernte sich immer weiter von deren Bestrebungen
und stellte sich zu ihnen je länger desto schroffer in (legensatz.
Nur mit Ingrimm konnte man es sehen, dass ein wilder Kriegs-
inanii wie AlexuiMh-r .lannäus den Dienst um lleiligthuiii jils llolier-
priester v»'rsaii, gewiss nicht mit peinliciicr Beobachtung der von
den Pharisäern für göttlich gehaltenen Satzungen. Eben bei Aus-
[223. 224] § 10. Alexander Jannäus (103—76). 281
Übung seines priesterlichen Dienstes soll es zum erstenmal zur
(jifenen Empörung gekommen sein. Am Laubhüttenfeste, wo jeder
Theilnehmer einen Palmzweig (2b'b, (polvis) und eine Citrone (ai"in«,
xLTQiov) als Feststrauss zu tragen pflegte, wurde Alexander einst,
als er eben am Altar stand, um zu opfern, vom versammelten Volke
mit den Citronen geworfen. Zugleich verhöhnte man ihn durch den \
Zuruf, dass er der Sohn einer Kriegsgefangenen und des Opfer-
dienstes unwürdig sei. Alexander war nicht der Mann, dies ruhig
aufzunehmen. Er liess seine Soldtruppen einschreiten und sechs-
tausend Juden niederhauen 1^). Seitdem war die Erbitterung des
Volkes so gross, dass nmn nur auf passende Gelegenheit wartete,
um das verhasste Joch abzuschütteln.
Bald gerieth Alexander durch seine Kriegslust in neue Ver-
wickelungen. Er zog gegen die arabischen Stämme, welche östlich
vom Jordan wohnten, und machte unter ihnen die Moabiter und
Galaaditer tributpflichtig. Das schon früher einmal eroberte aber
nicht festgehaltene Amathus wurde jetzt zerstört. Dann begann
er Feindseligkeiten gegen den arabischen König Obedas; gerieth
aber während der Kämpfe mit ihm in der Landschaft Gaulani-
tis (?)'") einst in einen Hinterhalt, in welchem er so in's Gedränge
kam, dass er kaum das nackte Leben rettete. Als Flüchtling kam
er nach Jerusalem. Hier aber wartete seiner ein übler Empfang.
Die Pharisäer benützten den Zeitpunkt der politischen Schwäche
Alexander's, um seine Macht auch im Inneren zu brechen. Es er-
hob sich ein oftener Aufstand gegen ihn; und Alexander hatte
sechs volle Jahre lang mit fremden Miethstruppen gegen sein
eigenes Volk zu kämpfen. Nicht weniger als 50000 Juden sollen
in dieser Zeit der inneren Kämpfe um's Leben gekommen sein.
16) Jos. Antt. XIII, 13, 5. Bell. Jud. I, 4, 8. — Im Talmud [Sukka 48*)
wird erzählt, dass einst ein Saddncäer beim Laubhüttenfest die übliche
Wasserlibation nicht an den Altar, sondern auf die Erde gegossen habe, wofür
ihn das Volk mit den Citronen gcM-orfen habe. Alexander's Name wird nicht
genannt. Möglicherweise ist er gemeint. Aber „die Erzählung des Josephus
wird nicht verbessert, wenn man das Motiv ihres talmudischen Widerhalls ein-
flickt" (Wellhausen, Pharisäer und Sadducäer S. 96). So Grätz III, 4. Aufl.
S. 128 f. 704 f. (Note 13). Derenbourg p. 9S sq. not.
17) Die Ortsangabe lautet Bell. Jud. I, 4, 4 xazä ttjv FavXdvjiv. Dies ist
das alte "i^iä, die Hauptstadt der Landschaft Gaulanitis, östlich vom See
Genezareth. In den Antt. XIII, 13, 5 hat die beste Handschrift xaxa Fadaga
xitifitjv TTj^ Xovöäviöoq. Statt FdSaQfx haben andere Handschriften Fagaöa oder
XaQaÖQii, statt lovddviöoq die meisten Falaadixiöo:;. Schon wegen der Be-
zeichnung als xiüfiT] kann nicht die bekannte Stadt Gadara gemeint sein. Die
richtige Form des Landschaftsnamens ist wohl (wegen B. J. I, 4, 4) FavXa-
vlxiSog.
282 § 10. Alexander Jannäus (103—76). [224. 225]
Als Alexanders Macht endlich erschöpft war, bot er die Hand
zum Frieden. Allein die Pharisäer wollten diese Lage der Dinge
zu einem vollständigen Sieg ihrer Partei ausbeuten. Als daher
Alexander fragte, was sie von ihm verlangten und unter welchen
Bedingungen sie sich zur Ruhe und zum Gehorsam verstehen wür-
den, sagten sie, sie verlangten nur seinen Tod. Zugleich riefen
sie den Demetrius III Eukärus, einen Sohn des Antiochus
Grypos und damals Beherrscher eines Theiles von Syi'ien, zu Hülfe '^)
— etwa um d. J. 88 v. Chr.i^). \
Demetrius kam mit einem Heere. Die jüdische Volks-
partei vereinigte sich mit ihm bei Siehe m; Alexander
wurde vollständig geschlagen, verlor alle seine Miethstruppen
und musste in's Gebirge flüchten^*'). Aber nun scheint doch
bei manchen der mit Demetrius verbündeten Juden der na-
tionale Gedanke wieder erwacht zu sein. Sie wollten lieber in
einem freien jüdischen Staate einem hasmonäischen Fürsten unter-
than sein, als dem Reiche eines seleucidischen Epigonen einver-
leibt werden. Sechstausend Juden gingen zu Alexander über; und
Demetrius zog sich infolge dessen wieder in sein Land zurück. Die
übrigen Juden, die noch im Aufruhr verharrten, versucliten zwar
allein mit Alexander fertig zu werden. Sie wurden aber von ihm
in mehreren Schlachten besiegt und viele von ihnen getödtet. Die
Häupter des Aufstandes flüchteten zuletzt nach Bethome oder
Bemeselis'^'), wo sie von Alexander belagert wurden. Nach Er-
oberung der Stadt brachte sie Alexander als Gefangene nach Jeru-
salem und liess dort — wie wenigstens Josephus berichtet — mitten
in der Stadt, während er mit seinen Buhlerinen einem Gelage
sich hingab, vor seinen Augen etwa 800 der Gefangenen kreuzigen
und während sie noch lebten, vor ihren Augen ihre Kinder und
Weiber hinschlachten. Seine Gegner in Jerusalem geriethen da-
rüber in solchen Schrecken, dass sie — 8000 an der Zahl — bei
18) Äntt. Xlir, 13, 6. BeU. Jud. I, 4, 3—4.
19) Nämlich mehr als aechs Jahre nach der Eroberung Gaza's (96 v. Chr.),
aliio nach JK) v. Chr., aber noch vor 86 v. Chr., da ew von Antiochus XII,
welcher erHt nach den» Sturze des Demetrius III Eukürua als IFerrfichcr
auftrat, eine Münze vom J. 228 a^. Sei. — 87/86 vor Chr. giebt {Nnmi'stnatir
ChrottirJr, 181X), p. 327 «7.), wie auch eine solche vom J. 227 «w-r. Sri. ^ 80/85
vor Chr. (Imhoof-Blumer, Monnaies grecques 1883 p. 437). Vgl. überhaupt
flbor die Chronologie oben 8. 177.
2(J) Antt. XIII. 14, 1-2. BeU. Jud. I, 4, 4—5.
21) Enteret nach Antt. XIII, 14, 2; letzteres nach BeU. Jud. I, 4, 6. KcincH
Ton beiden ist nachweisbar. Allerlei Vermuthungen bei Ewald IV, 500.
Oritz in, 131. Hitzig II, 482. Furrer brieflich: „Bethome ist Betuni
auf dem gleichen Höhenrücken wie Nebi Schamwil".
[225. 226] § 10. Alexander Jannäus (103—76). 283
Nacht sich flüchteten und, so lange er lebte, das jüdische Land
mieden ^■'^).
Von nun au hatte Alexander, so lange er noch regierte, im
Inneren Frieden. Nicht so nach aussen.
Das Reich der Seleuciden lag zwar damals schon im Todes-
kampfe. Seine letzten Zuckungen brachten aber doch auch Judäa
noch in Bewegung. Antiochus XII, der jüngste unter den fünf
Söhnen des Antiochus Grypos, lag gleichzeitig mit seinem Bruder
Philippus und mit dem Araberkönig in Krieg. Als er einst be-
absichtigte, seinen Weg nach Arabien durch Judäa zu nehmen,
wollte ihm dies Alexander Jannäus verwehren, indem er von
Jope bis Kapharsaba einen mächtigen Wall und Graben auf-
werfen und ersteren durch hölzerne Thürme befestigen Hess. Aber
Antiochus steckte das Ganze in Brand und zog darüber hinweg 23).|
Da Antiochus im Kampfe gegen den Araberkönig seinen Tod
fand und der letztere (er wird jetzt Aretas genannt) seine Herr-
schaft bis Damaskus ausdehnte, so war dieser von nun an der
mächtigste und gefährlichste Nachbar der Juden. Im Süden und
Osten grenzte Palästina an Gebiete, die im Machtbereiche der
Araber lagen. Alsbald bekam auch Alexander Jannäus ihre Macht
zu fühlen. Er musste vor einem Angriff des Aretas bis Adida
(mitten in Judäa) zurückweichen, erlitt hier eine empfindliche Nie-
derlage und konnte nur durch Zugeständnisse den Abzug des Araber-
königs erkaufen''^'').
Glücklicher verliefen die Feldzüge, welche Alexander Jannäus
während der nächsten drei Jahre (etwa 83 — SO v.Chr.) in 's Ost-
jordanland unternahm, um nach dieser Richtung hin seine Macht
zu erweitern. Er eroberte Pella, Dium, Gerasa, zog dann
weiter nördlich und nahm Gaulana, Seleucia und zuletzt die
starke Festung Gamala ein. Als er nach solchen Thaten nach
Jerusalem zurückkehrte, wurde er diesmal mit Freuden vom Volke
empfangenes).
22) Antt. XIII, 14, 2. Bell. Jud. I, 4, 5—6.
23) Antt. XIII, 15, 1. Bell. Jud. I, 4, 7. — Kapharsaba (xao -iB3), noch
heute Kefr Saba, nordöstlich von Jope, ist das spätere An tipatris. S. Bd. II,
S. 156 f.
24) Antt. XIII, 15, 2. Bell. Jud. I, 4, 8. — Ueber Adida (n^nn) s. oben
S. 238 f. (zu I Makk. 12, 38). Es lag östlich von Lydda und beherrschte die
Strasse von Jope nach Jerusalem. — Ueber Aretas und die arabischen Könige
überhaupt s. Beilage II am Schlüsse dieses Bandes.
25) Antt. XIII, 15, 3. Bell. Jud. 1, 4, 8. — Die genannten Orte liegen
sämmtlich östlich vom Jordan. Ueber Pella, Dium und Gerasa s. Bd. 11,
S. 137—144. Josephus nennt Bell. Jud. I, 4, 8 nur Pella und Gerasa, AtUt.
XIII, 15, 3 nur Dium und Essa, letzteres sicher Text-Corruption für Gerasa,
284 § 10. Alexander Jannäus (103—76). [226. 227]
Nicht lange darnach fiel er infolge von Trunksucht in eine
Krankheit, die ihn während der drei letzten Jahre seines Lebens
(79 — 76) nicht verliess. Trotzdem liess er von kriegerischen Unter-
nehmungen nicht ab, bis er endlich mitten im Kriegsgetümmel
während der Belagerung der Feste Ragaba der Krankheit und den
Anstrengungen erlag, 76 vor Chr. -^). Sein Leichnam wurde nach
Jerusalem gebracht, wo er unter grossem Gepränge bestattet
wurde '-').
Unter den von ihm geprägten Münzen sind vor allem von
Interesse die zweisprachigen mit der Aufschrift:
^b^n inrin^ H BA^IAES>^ AAESANAPOY
Sie waren schon den älteren Numismatikern bekannt; aber erst
de Saulcy hat die richtige und seitdem allgemein gebilligte An-
sicht ausgesprochen, dass die hebräische Aufschrift uns den hebräi-
schen Namen Alexanders giebt-^^). Jannai ist also Abkürzung aus
da die näheren Angaben in Betreff beider Orte ganz identisch sind. Für Dium
haben die Handschriften an unserer Stelle die Form Jia, die auch sonst vor-
kommt (s. Bd. II, S. 141). — Gaulana ist das alte ')Vi5, östlich vom See
Genezareth, wovon die Landschaft Gaulanitis ihren Namen hat {Deut. 4, 43.
Josua 20, 8. 21, 27. I Chron. 6, 56). Eusebius kennt es noch als grosses Dorf
(Ono)nast. ed. Lagarde p. 242: xal vvv FavXoyv xaXeTxaL xcifxt] fzeyiazt] iv rff
Baxavain). Seine Lage ist aber nicht mehr nachzuweisen. Eine unsichere
Vermuthung darüber- bei Furrer, Zeitschr. des DPV. XII, 1889, S. 151.
Buhl, Geogr. S. 247. — Seleucia wird von Josephus auch in der Geschichte
des jüdischen Krieges öfters er^vähnt [Bell. Jiid. II, 20, 6. IV, 1, 1. Vita 37).
Nach Bell. Jud. IV, 1, 1 lag es am See Semechonitis ; noch heute Selukije
südöstlich vom Hule-See. — Ueber Ganiala, dessen Eroberung durch
Vespasian von Josephus Bell. Jud. IV, 1 ausführlich erzählt wird, s. § 20.
26) Atitt. XIII, 15, 5. Bell. Jud. I, 4, 8. — Ragaba lag nach Josephus
im Gebiete von Gerasa {iv toTg rtQaatjvütv oqok;), also östlicli vom Jordan.
Es kann identisch sein mit dem in der Mischna {MenacJioth VIII, 3) erwähnten
a5"i in Peräa, welches treffliches Oel lieferte; aber nicht wohl identisch mit
'£'(>ya 15 mtl. pas8. westlich von Gerasa [Eusch. Onomast. ed. Lagarde p. 216),
wie Raumer will (Pal. S. 255), denn letzteres muss längst in der Gewalt des
Alexander Jannäus gewesen sein. Aus demselben Grunde verbietet sich auch
die Identificirung mit dem heutigen Ragib in der Nähe von Amathus. Vgl.
überhaupt auch Ritter, Erdkunde XV, 2, 1041 f. Buhl, Geogr. S. 259.
27) Antt. XIII, 10, 1. Das Grabmal Alexanders erwähnt Josephus BelL
Jiul. y, 1, 3.
2H) 8. überhaupt über die Münzen des Alexander Jannäus: J^oA;Ae/, Podr.
Siim. Vet. III, 477—480. — Mionnet, Description de mMaillea antiques V,
5<»2 «7. Sitppl. VIII, 378. — De Sanlcg, liecherches mr la Numismatiqne
jiulaüjue p. 85—93, 105 sq. (schreibt die Münzen des Hohciipricstcrs Jonatliau
dem Makkabfier Jonatlinn zu). — Cavedoni, Bibl. NumiHUiatik 11, 19—22. —
Lcvy, Gench. der jtid. Münzen 8. 56—60. — Madden, Iliddnj of Jewish
Coinaf/rp. 68—70. — Üavedoni in Grote's Münzstudien V, 20 f. — Ucichurdt,
[227. 228] § 10. Alexander Jannäus (103—76). 285
Jonathan, nicht wie man früher meinte aus Jochanan-^). Steht
aber der Name Jonathan für Alexander fest, dann sind ihm auch
die Hohenpriestermünzen zuzuschreiben mit der Aufschrift:
Dnn^n "um biyn )ran ^nsini (oder inD-i)
Der Typus dieser Hohenpriestermünzen ist derselbe wie bei
den Münzen des Johannes Hyrkan und Aristobul. Die zweisprachigen
Königsmünzen sind eine Neuerung Alexanders ^o).
Durch die Eroberungen Alexanders waren die Grenzen des
jüdischen Staates jetzt weit über den schon unter Johannes Hyrkan I
erreichten Umfang hinausgeschoben. Im Süden waren die Idumäer
unterworfen und judaisirt. Im Norden reichte Alexanders Macht
bis Seleucia am Merom-See. Die Meeresküste, an welcher einst
Jope die erste Erwerbung der Makkabäer gewesen war, stand nun
fast ganz unter jüdischer Herrschaft. Mit alleiniger Ausnahme von
Askalon, das seine Unabhängigkeit sich zu erhalten gewusst hatte,
waren alle Küstenstädte von der Grenze Aegyptens bis zum Karmel
von Alexander erobert '^ '). Aber auch das Ostjordanland vom Me-
rom-See bis zum todten Meere stand ganz unter seiner Botmässig-
keit; darunter eine Anzahl bedeutender Städte, welche bisher ein
Sitz der griechischen Cultur gewesen waren, wie Hippos, Gadara,
Pella, Dium und andere^-).
Wiener Numismat. Monatshefte III, 1867, S. 109— 111. — De Saulcy, Numis-
matic Ghroniele 1871, j). 238 sq. — Madden, Niim. Chron. 1874, 306—308. —
Merzbacher, Zeitschr. für Numismatik III, 1876, S. 197—201 und 201—206
(s. unten Anm. 30). — Madden, Coins of tfie Jews p. 83 — 90. — Stickel,
Zeitschr. des deutscheu Pal.-Ver. VII, 1884, S. 212.
29) Vgl. Ewald, Gott. gel. Anz. 1855, S. 650. Ders., Gesch. IV, 504.
Levy S. 115. Derenbourg p. 95 not. Madden, Coins of the Jetcs p. 83 not.
30) Von den Hohenpriester-Münzen mit der contrahirten Namensform '\rz^
sind manche auf Königs-Münzen Alexander's aufgeprägt. Merz-
bacher schreibt daher alle mit der Namensform ')ri3'^ dem Nachfolger Alexan-
ders, Hyrkan II, zu. So sehr diese Hypothese auch durch den Befund der
Münzen begünstigt wird, muss sie doch dahingestellt bleiben, da für Hyrkan II
der Name Jonathan nicht nachweisbar ist.
31) Josephus Antt. XIII, 15, 4 nennt ausdrücklich als damaligen Besitz
der Juden: ßinokorura (an der ägyptischen Grenze, südlich von Raphia),
Eaphia, Gaza, Anthedon, Azotus, Jauinia, Jope, Appollonia, Stra-
tonsthurm (hierzu Bd. II S. 82—108). Aber auch Dora muss zum Gebiet
Alexanders gehört haben. Denn Stratonsthurm und Dora hatten früher einem
Tyrannen Zoilus gehört, der von Alexander unterworfen worden war {Antt.
XIII, 12, 2 u. 4). Dagegen ist es nicht zufallig, dass Askalon fehlt. Es
war seit dem J. 104 vor Chr. eine unabhängige Stadt, wie die von ihm ge-
brauchte Aera und die Anerkennung seiner Freiheit durch die Römer beweist
(s. Bd. II S. 93 f.)
32) Eine Uebersicht über den Umfang des jüdischen Gebietes beim Tode
286 § 10. Alexander Jannaus (103—76). [228. 229]
Dieses Eroberimgswerk war aber zugleich ein Zerstörungswerk.
Es galt nicht, wie einst die Eroberungen des grossen Alexander, der
Förderung, sondern der Vernichtung der griechischen Cultur. Denn
darin war Alexander Jannäus noch immer Jude, dass er die eroberten
Gebiete, soweit es ging, den jüdischen Sitten unterwarf. Wenn die
eingenommenen Städte sich dazu nicht verstehen wollten, wurden
sie I verwüstetes). Namentlich wurden von diesem Schicksal die
grossen, bisher blühenden Küstenstädte und die griechischen Städte
im Ostjordanland betroffen. Erst die Römer, Pompejus und Gabi-
nius, haben diese Trümmerstätten wieder aufgebaut und ihnen zu
neuer Blüthe verholfen.
§ 11. Alexandra (76—67).
Quellen: Joseph. Antt. Xin, 16. BeU. Jud. I, 5. Zonaras Anncd. V, 5 (Aus-
zug aus Josephus).
Rabbinische Traditionen bei Derenbourg p. 102 — 112.
Die Münzen bei Madden, Coins of the Jews (1881) p. 91 sq.
Alexanders giebt Josephus Antt. XIII, 15, 4. Vgl. dazu: Tuch, Quaestiones
de Flavii Josephi libris historicis [Lips. 1859) p. 12—19. Zur Ergänzung dient
das Verzeichniss der den Arabern abgenommenen Ortschaften Antt. XIV, 1,
4 fin. — Eine ähnliche Uebersiclit, nach einer von Josephus unabhängigen
Quelle, giebt der byzantinische Chronist Oeorr/ius Syncellus cd. Dindorfl,
658 aq. Ueber den Werth dieses Berichtes s. Geizer, Julius Africanus Bd. I
(1880) 8. 250 — 258. Syncellus geht zunächst auf Julius Africanus zurück, dieser
aber auf eine ältere jüdische Quelle, wahrscheinlich Justus von Tiberias (s.
oben 8. 61 f.). Er nennt mehrere Städte, die bei Josephus fehlen, z. B. Abila,
HippoB, Philoteria. Bedeutsam ist namentlich die Erwähnung von Philo-
teria, da dieser Ortsname in der späteren Zeit ganz unbekannt ist. Nach
Polyhiu» V, 70 war es zur Zeit Antiochus' des Grossen eine der bedeutendsten
8tädte am See Genezareth (^ 6k <t>iXoxepla xtlxat ■nag' avxriv xi]v Xlfivrjv, elg ^v
d xaXovßivoq 'loQSdvrjii noxaßoq elaßaXXatv x. x. A.). Sonst kommt es nur
noch vor bei Stephanus Byx. s. v. {hoxi xal KoiXijg Svgiag ^ukwxiga, wq Xäga^
iv SyöStft xpov<;fc5i', über Oharax s. Müller, Frngm, Uta'. Uracc. III, i^SÜ .^qq.).
Vgl, auch oben 8. 188. — Eine kartographische Uebersiclit des jüdischen
Gebietes zur Zeit des Alezander Jannäus h. bei Menke, Bibohitlus Bl. IV.
SS) Die« ist wenigstens von Pella ausdrücklich ])czeugt Antt. XIll, 15, 4:
xavxtjv 6e xuxlaxaxpav, ovx imoaxofthatv x<5v ivoixovvxcov eiq ra ndxQia xdiv
'lovdalutv l&ri fiexaßaXfa&ai. (Das von Niese getilgte, aber von fast allen
Handschriften gebotene ovx ^'^^ vnoaxofxi'vwv ist Hi<'hcr bci^ubchulten, da Honst
der Text sinnlos wird). — Die Tbatsachc der Zerstörung wird auch bei manchen
anderen Stftdten erwfthnt, oder sie folgt doch daraus, dass Pompejus und Ga-
binius sie wieder aufbauen Hessen (Antt. XIV, 4, 4. 5, :{. Ikll. Jud. I, 7, 7.
8, 4. 8. bes. Antt. XIV, 6, S: tAc n6kti(; noXvv XQ^vov ^gij/iovq yevoiiivaq).
[229] § 11. Alexandra (76—67). 287
Literatur: Joh. Müller (praeside G. G. Zetttier), De Alexandra Judaeorum
regina tanquam specimine sapientis ex hac gente foeminae. Att-
dorffi 1711.
Ewald, Geschichte des Volkes Israel IV, 512—515.
Grätz, Geschichte der Juden III, 4. Aufl. S. 136—150.
Hitzig, Geschichte des Volkes Israel II, 488—490.
Wellhausen, Die Pharisäer und die Sadducäer (1874) S. 97—99.
Deutsch, Die Regierungszeit der judäischen Königin Salome
Alexandra, 1901.
Nach Alexander's letztwilliger Verfügung ging das Königthum
an seine Gemahlin Alexandra über, die hinwiederum ihren ältesten
Sohn Hyrkan zum Hohenpriester ernannte'). Alexandra, mit
hebräischem Namen Salome oder vielleicht Salma (76—67 v. Chr.)
war in allen Stücken das Gegentheil ihres Gemahles 2). Während
1) Antt. XIII, 16, 1—2. Bell. Jiid. I, 5, 1. — Münzen sind von Alexandra
nur ein paar mit der Aufschrift BA2JAIS. AAEaäNJ. bekannt. S. de Sautcy,
Recher ches p. 100. Cavedoni, Bibl. Numismatik II, 23. Levy, Gesch. der
jüd. Münzen S. 61. Madden, Eistory p.lQ—12. Reichardt, Wiener Numis-
mat. Monatshefte III, 1867, S. Ulf. Madden, Num. Chrmiete 1874, 308-310.
Merzbacher, Zeitschr. für Numismatik III, 1876, 201. Madden, Coins Ql sq.
2) Ueber die Chronologie s. oben S. 256 f. — Der hebräische Name der
Alexandra ist nicht mit Sicherheit festzustellen. In rabbinischen Quellen wird
sie inaV»«:, •jlJ'^isblü, ns^bus genannt {Derenbourg p. 102). Vielleicht sind alle
diese Formen Verstümmelungen eines ursprünglichen 'p'^SobB, was inschrift-
lich als jüdischer Frauenname vorkommt [Clermont-Ganneau, Archaeologicat
Researches I, 1899, p. 386 — 392, eine Tochter des Herodes heisst ^alafixpia
Joseph. Antt. XVIII, 5, 4). Bei Eusebius Chron. ad ann, Abr. 1941 heisst sie
Alexandra quae et Salina (so übereinstimmend die armenische Uebersetzung
und Hieronymus, s. Euseb. Chron. ed. Schoene II, 134, 135). Ebenso bei den
Nachfolgern des Eusebius, Chron. pasckale ed. Dindorf I, 351 (^Af ^avrfpag XTJq
SaXlvaq), Syncellus ed. Dindorf 1, 559 {SaXiva fj xal kXt^dvdQa). Hiernach
ist auch bei Euseb. Chron. ed. Schoene I, 130 statt des überlieferten ^aaXiva
nicht mit Gutschmid JSaXllva, sondern SaXiva zu lesen. Vgl. auch Hierony-
mus, Comment. ad Daniel 9, 24 sqq. {opp. ed. VallarsiY, 687): Alexandra qtiae
et Salina vocabatur (Hieronymus übersetzt hier Euseb. Demonstr. evang. VIII,
2, wo aber unser griechischer Text gerade diese Worte nicht hat). Dieselbe
Form auch in den von Eusebius-Hieronymus abhängigen lateinischen Chro-
niken; so bei Prosper, Chronica minora ed. Mommsen I, 403 [Alexandra quae
et Salina), Chronik von 511, Chronica minora ed. Mommsen I, 638 (ebenso),
Pseudo-Isidor, Chronica minora II, 499 marg. (Salina Alexandra). — Eusebius
hat den Namen sicherlich aus Josephus Antt. XIII, 12, 1 geschöpft, wo die
Gemahlin Aristobul's I, die ohne Zweifel mit der Gemalilin des Alexander
Jannäus identisch ist, in zwei Handschriften ^aUva heisst, währisnd die
übrigen mit Epitome und Vet. Lat. 2ttX(öfirj haben {2!akwfiT] ^ yvvTj avxov,
XsyofxevTj de vno ''EXXtjvojv 'AXe^ävöga). Da Josephus den hebräischen Namen
der Alexandra sonst nirgends nennt, ist das Material für eine sichere Ent-
scheidung nicht ausreichend. Die späten und schlecht überlieferten rabbi-
nischen Texte helfen nichts. Es liegt nahe, mit Wellhausen (Israelitische
288 § 11- Alexandra (76—67). [229. 230]
er die Pharisäer hasste und von ihnen gehasst wurde, war sie
mit ihnen befreundet und Hess ihnen die Zügel der Regierung.
Während er ein Despot war nach orientalischem Muster, war sie
eine gottesfürchtige Regentin nach dem Herzen der Pharisäer;
ihre Regierung nach pharisäischem Maassstab gemessen untadelig.
Alexander soll auf dem Sterbebette seiner Gemahlin gerathen
haben, mit den Pharisäern Frieden zu schliessen ^). Mag dies Wahr-
heit sein oder nicht, Thatsache ist jedenfalls, dass Alexandra vom
Beginn ihrer Regierung an sich ganz und gar auf die Seite der
Pharisäer stellte, ihren Forderungen und Wünschen G-ehör schenkte
und insonderheit allen seit Johannes Hyrkan's Zeit abge-
schafften pharisäischen Satzungen wieder Gesetzeskraft
verlieh. Die Pharisäer waren zu ihrer Zeit thatsächlich die Herren
im Lande. „Den Namen des Königthum's hatte sie; die Macht
aber hatten die Pharisäer. Sie riefen Flüchtlinge zurück und be-
freiten Gefangene, und waren mit einem Worte in Nichts von un-
beschränkten Herrschern verschieden" ^). Solche Machtfülle konnten
sie nur ausüben, wenn sie in der obersten Behörde, der Gerusia,
ein ausschlaggebender Factor waren. Diese muss also damals
eine wesentliche Umgestaltung erfahren haben. Während sie bis-
her eine Vertretung des Adels und der Priester war, musste sie
jetzt auch die pharisäischen Schriftgelehrten in ihren Schooss auf-
nehmen ^). — In diese Zeit der pharisäischen Reaction mag auch
eine Reihe von Triumphen der Pharisäer fallen, von welchen die
rabbinische Ueberlieferung zu berichten weiss. Allein die authen-
tischen Nachrichten, welche darüber der „Fastenkalender" {Megil-
lath Taanith, d. h. das Verzeichniss der freudigen Gedenktage, an
und jüdische Geschichte, 2. Aufl. S. 268) als ursijrüngliche Form Saliua zu
vermuthen. Da dies aber im A. T. nur als Mäunernanie v(^rk(immt (Vater
des Boas, Euth 4, 20, 1 Chron. 2, 11), so ist auch dies problematisch.
3) Äntt. XIII, 15, 5. — Nach dem Talmud [Sota 22b bei Derenbourg
p. 101) soll er ihr gerathen haben: „Fürclite weder die Pharisäer, noch die,
welche es nicht sind; sondern fürchte die Heuchler, die sich den Schein von
Pharisäern geben; deren Thateu sind wie die Simri's und die einen Lohn
fordern wie Pinehas".
4) Ault. XIII, 16, 2: Ilävxa rofc ^'UQiaaioiq inixQi'nfi noiuv, oii xul tö
nXtj&ot ixi'ktvae ntt&apxf^v, xal ei' xi dt xal twv vofAi(Ji(ov'YQxuvoq 6
ntvBe(fh(; avr^ff xaxilvaev wv elai]veyxav ol 'PcQiaaToi xaxa xijv
natftffav nufuSoaiv, xovxo nuXiv dnoxaxi'axrioe. To /jihv ovv ovo/na
tiji ßaaiXelaq elxev avxij, xtiv Jh dvvafiiv o\ <I>aQioaloi' xal yccQ <pvyttö«^ ovxoi
xaxfiyov xal öea/icixag lAiov, xal xa9äna^ ovöiv öianoxdiv öinpegov. Vgl.
auch Ball. Jud. I, ö, 2.
6) Die Bedeutung der Regierung Alexandra*» für die Umgestaltung des
Syoedriami bat WellluiuMen, Israelit, und jüd. Gesch. 2. Aull. S. 209—272
treflbnd hervorgehoben.
[230. 231] § 11. Alexandra (76—67). 289
welchen nicht gefastet werden durfte) giebt, sind so kurz und
räthselhaft, dass sie keine wirklichen Aufschlüsse geben. Und der
ganz späte hebräische Conimentar dazu giebt lediglich werthlose
Phantasien 6). Auch die Notiz der | Mischna, dass Simon ben
Schetach einst in Askalon 80 Weiber habe erhängen lassen, ist
schon deshalb unbrauchbar, weil dieser berühmte Rabbine in As-
kalon überhaupt nichts zu sagen hatte'). Geschichtliche Kunde
ist also lediglich aus Josephus zu schöpfen. Und das Bild, das
uns dieser entwirft, lässt an Anschaulichkeit nichts zu wünschen
übrig. Die Pharisäer gingen im Bewusstsein ihrer Machtfülle so
weit, dass sie die ehemaligen Rathgeber des Königs Alexander
(welche diesem zur Ermordung der 800 Aufständischen gerathen
hatten) hinrichten Hessen. Dieses despotische Gebahren Hess sich
denn doch der Adel von Jerusalem nicht gefallen. Eine Gesandt-
schaft desselben, darunter der eigene Sohn der Alexandra, Aristo-
bul, begab sich zur Königin und bat sie, dem Treiben der Phari-
säer Einhalt zu thun; und die Königin musste sich wohl oder übel
dazu verstehen^).
In der äusseren Politik bewies Alexandra Umsieht und Energie ^).
Doch sind keine bedeutenderen politischen Ereignisse aus ihrer
Regierungszeit zu verzeichnen. Das bedeutendste ist ein Kriegszug
ihres Sohnes Aristobul nach Damaskus, der jedoch resultatlos ver-
lief i^). Das syrische Reich war damals in den Händen des armeni-
schen Königs Tigranes. Dieser nahm allerdings gegen Ende der
Regierung Alexandra's eine bedrohliche Haltung an. Der gefürch-
tete Einfall in Judäa unterblieb jedoch, theils weil Alexandra durch
reiche Geschenke sich den Frieden erkaufte, theils und noch mehr,
weil eben damals die Römer unter Lucullus in das Reich des
Tigranes einfielen, wodurch dieser genöthigt wurde, seine Pläne
auf Judäa aufzugeben i^).
0) lieber die Megillath Taanith s. oben S. 156 f. — Die etwa in Betracht
kommenden Notizen sind Megillath Taanith §§ 1. 2. 10. 19. 24. Dazu Grätz,
Gesch. der Juden Bd. III, 4. Aufl. S. 567—572 (Note 1). Derenhotiry p. \02sq.
Seh IV ab, Actes du o?ixievie Congres des Onentalistes, IV»»« Sectian p. 2Z^ sq.
Zur Kritik bes. Wellhausen, Die Pharisäer und die Sadducäer S. 56—63.
7) M. Sanhedrin VI, 4. — Derenbourg bezieht dies p. 69 auf Simon den
Makkabäer, dann aber im Widerspruch hiermit p. 106 doch auf Simon ben
Schetacli. Vgl. auch Jost, Gesch. des Judenthums I, 242. Grätz, Gesch.
der Juden III, 146 f. — Askalon gehörte gar nicht zum jüdischen Reiche.
S. oben S. 285.
8) Antt XIII, 16, 2—3. Bell. Jud. I, 5, 3.
9) Antt. XIII, 16, 2 u. 6. Bell. Jud. I, 5, 2.
10) Antt. XIII, 16, 3. Bell. Jtid. I, 5, 3.
11) Antt. XIII, 16, 4. Bell. Jud. I, 5, 3.
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 19
290 § 11- Alexandra (76—67). [231. 232]
Im Ganzen wurde Alexandra's Eegierung vom Volke als eine
Zeit des Glückes empfunden. Wie nach aussen, so war auch im
Inneren Ruhe. Die Pharisäer waren zufriedengestellt; und da sie
das Volk in der Hand hatten, so war auch dieses der gottesfürch-
tigen Königin günstig gestimmt. In der pharisäischen Tradition
werden selbstverständlich die Tage Alexandra's als ein goldenes
Zeitalter gepriesen, in welchem selbst der Boden des Landes —
wie um die Frömmigkeit der Königin zu belohnen — von einer |
wahrhaft wunderbaren Fruchtbarkeit war. „Unter Simon ben Sche-
tach (und der Königin Salome) fiel der Regen an den Sabbath- Vor-
abenden, so dass die Weizenkörner so gross wurden wie Nieren,
die Gerstenkörner wie Olivenkerne und die Linsen wie Golddenare;
die Schriftgelehiten sammelten solche Körner und bewahrten Proben
davon auf, um den künftigen Geschlechtern zu zeigen, wohin die
Sünde führt" i^).
Die Pharisäer waren aber doch nicht so ausschliesslich im Be-
sitze der Macht, dass es ungefährlich für die Königin war, sich allein
auf sie zu stützen. Noch war die Macht des sadducäischen Adels
nicht gebrochen. Und die Unzufriedenheit dieser Kreise war um
so bedenklicher, als an ihrer Spitze Alexandra's eigener Sohn
Aristobul stand. Auf welchem schwankenden Boden die Königin
sich befand, musste sie selbst noch gegen Ende ihres Lebens er-
fahren. Als sie im Alter von 73 Jahren ernstlich erkrankte, und
zu erwarten war, dass ihr älterer Sohn Hyrkan in der Regierung
ihr folgen werde, erachtete Aristobul die Zeit für gekommen, die
Fahne des Aufruhrs zu entfalten. Als die Zahl seiner Anhänger
rasch wuchs, geriethen die Aeltesten des Volkes ^ 3) und Hyrkan
in grosse Besorgniss und machten der Königin Vorstellungen, wie
nöthig es sei, Maassregeln gegen ihn zu ergreifen. Die Königin
gab die nöthigen Vollmachten hierzu, starb aber, noch ehe es zum
Kampfe kam, im J. 67 v. Chr. '*).
12) Taanith 23a, bei Derenbourg p. 111; Wünsche, Der babylonische
Talmud Bd. I, 1886, 8. 464. — Im Text von Taatntk 28a ist nur Simon ben
ßchetach genannt, nicht die Königin {Dercnhoury p. 102 not. 2). Die Commen-
tutori'n nehmen aber wohl mit Becht an, dass die Zeit der Alexandra ge-
meint HCi.
13) xüiv 'lovöaltuv ol nptaßvriQot.
14) Antl. XIII, 10, 5-ü. Bell. Jud. I, 5, 4. — Der Tod Alcxiiudra'H lullt
wahrMcheinlich 07 v. Chr. 8. oben 8. 257.
[232. 233] § 12. Aristobul II (67—63). 291
§ 12. Aristobul II (67-63).
Quellen: Josephtis Antt. XIV, 1—4. Bell. Jud. I, 6—7. Zonaras Annah V,
5 — 6 (Auszug aus Josephus).
RabbiniBche Traditionen bei Derenbourg p. 112 — 118.
Literatur: Ewald, Geschichte des Volkes Israel IV, 515—524.
Grätz, Geschichte der Juden III, 4. Aufl. S. 151 — 105.
Hitzig, Geschichte des Volkes Israel II, 490—500.
Korach, Ueber den Werth des Josephus als Quelle für die römische
Geschichte Thl. I (Leipzig, Diss. 1895} S. 16-33.
Menke's Bibelatlas, Bl. IV, Specialkarte über „Judäa und Phönice
nach den Einrichtungen des Pompejus und Gabinius".
Der Stern der Hasmoiiäer neigte sich seinem Untergange zu.
Nach Alexandras Tode begann sofort ein Bruderkrieg zwischen
ihren Sühnen Aristobul II und Hyrkan II, der schon nachj
wenigen Jahren damit endete, dass die Freiheit, welche man
gegen die Syrer erkämpft hatte, an die Römer verloren ging.
Alexandra war eben in dem kritischen Momente gestorben, als ihr
Sohn Aristobul im Begriffe stand, sich mit Gewalt der Herrschaft
zu bemächtigen. Ihr rechtmässiger Nachfolger war ihr ältester^)
Sohn Hyrkan, der schon während der Regierung seiner Mutter die
liohepriesterliche Würde bekleidet hatte. Er trat auch die Re-
gierung an. Allein sein Bruder Aristobul war keineswegs ge-
willt, auf seine Pläne zu verzichten. Er rückte mit einem Heere
gegen Hyrkan. Bei Jericho kam es zur Schlacht in welcher
viele von Hyrkan's Kriegern zu Aristobul übergingen und dadurch
dem letztern den Sieg verschafften. Hyrkan floh auf die Burg
von Jerusalem, musste sich aber hier dem Aristobul ergeben. Nun
kam es zwischen beiden Brüdern zu einem Friedensschlüsse nach
welchem Hyrkan, der ohnehin ein schwacher und unthätiger
Charakter war, auf die königliche und hohepriesterliche
Würde verzichtete und beide seinem Bruder Aristobul abtrat
Dafür wurde er von diesem im ungestörten Genuss seiner Ein-
künfte gelassen 2).
Damit war indess die Sache keineswegs erledigt. Denn nun
mischte sich der Idumäer Antipater oder Antipas, der Vater des
1) Antt. XIII, 16, 2. XIV, 1, 3. 3, 2.
2) Antt. XIV, 1, 2. Bell. Jud. 1, 6, 1. — Nach Antt. XV, 6, 4 hatte
Hyrkan's Herrschaft drei Monate gewährt. — Unrichtig ist es, wenn Grätz III,
154, Holtzmann, Gesch. des Volkes Isr. II, 212 und Der enbourg p. 113 an-
nehmen, Hyrkan habe die hohepriesterliche Würde behalten. Dass dies
nicht der Fall war, geht schon aus Antt. XIV, 1, 2 hervor {avzov ös ^f/v
dnQayfxövwg); und ist Antt. XV, 3, 1, XX, 10 ausdrücklich gesagt.
19*
292 § 12. Aristobul II (67—03). [233. 234]
nachmaligen Königs Herodes, in"s Spiel ^). Dessen Vater, der eben-
falls Antipater liiess, war von Alexander Jaunäus als Statthalter
{oTQarrjyoc) von Idumäa eingesetzt worden; und sein Sohn scheint
ihm in dieser Stellung gefolgt zu sein. Dieser aber sah wohl,
dass er sich bei der Eegierung des schwachen und unmännlichen
3) Ueber die Herkunft der Familie existiren die widersprechendsten Nach-
richten. Nach Nicolaus Damascenus (bei Joseph. Antt. XIV, 1, 3) soll
Antipater ein Nachkomme der ersten aus Babylon zurückgekehrten Juden ge-
wesen sein. Da dieser Behauptung alle anderen Quellen widersprechen, so
hat Josephus sicherlich Recht, wenn er darin lediglich eine Schmeichelei des
Nicolaus Damascenus gegen Herodes erblickt (/. c. : xavxa 6h Xtysi ■/aQiC,ifJLevoq
^Hqojö^). Nach Josephus war Antipater ein Idumäer von vornehmer Her-
kunft {Bell. Jud. I, 6, 2: yhoq ö' rjv ^löovfiaiog, TiQoyövcav xe evexa xal nXovxov xal
r^S äV.Tjg laxvoq ngwxevcav xov eS-vovg). Justinus Martyr dagegen führt als
Behauptung der Juden an, dass er ein Askalonite gewesen sei {Dial. c. Tryph.
c. 52: '^Hqüjötjv ^AaxaXwvixTjv ysyovsvai). Und diese Ansicht tritt bei Julius
Africanus in der bestimmteren Gestalt auf, dass Antipater's Vater Herodes
ein Hierodule des Apollo in Askalon gewesen sei und dass Antipater als Knabe
von den Idumäern bei der Plünderung des Apollotempels geraubt worden
und dann bei den räuberischen Idumäern als ihresgleichen aufgewachsen sei
{Jul. African. epist. ad Aristidem bei Euseh. Hist. eccl. I, 7, 11, vgl I, 6, 2—3;
ebenso in der aus der Chronik des Julius Africanus citirten Stelle bei Syncell.
ed. Dindorf I, 561). An Julius Africanus schliessen sich an: Eusch. Chron. ed.
Schoene I, 130. II, 134, 138. Chron. pasehale ed. Dindorf l, 351. 358. Sitlpicius
Severus II, 26. Epiphanius haer. 20, 1, und andere christliche Schriftsteller.
Josephus und Julius Africanus stimmen im Grunde in Betreft' der idumäischeu
Herkunft überein; nur dass diese nach Josephus eine vornehme, uacli Africanus
eine geringe war (er hebt ausdrücklich die Armuth hervor); auch nennt Jo-
sephus den Vater Antipater's ebenfalls Antipater, Africanus dagegen Herodes.
Für askalonitische Herkunft sprechen gewisse Beziehungen des Königs Herodes
zu dieser Stadt (s. Bd. II S. 94 f ). Audi ist es immerhin bemerkenswerth,
das» gerade die Namen Antipater und Herodes auch sonst in Askalon vor-
kommen (ein Antipatros aus Askalon auf einer Grabschrift zu Athen,
Cr/rp. Inscr. Semit, t. I n. 115 '= Corp. Inner. Aitic. II, 3 n. 2836, ein Herodes
au« Askalon auf einer (trabschrift zu Puteoli, Corp. Inscr. Lot. t. X n. 1746).
Im Uebrigeu aber hat die Erzählung des Julius Africanus so viel Gehässiges,
dasR der Verdacht jüdischer oder christlicher Erdichtung nicht unterdrückt
werden kann. Julius Africanus beruft sich für dieselbe auf die (jyyytvffc; Jesu
ChriHti {Euael}. IHM. eccl. I, 7, 11: xov yoiv owxfjQog oi xaxa oÜQxa avyytvelg ....
nuQldoauv xal xavxa, vgl. I, 7, 14: oi nQonQtjfit'voi önjnöawoi xakov/xevoi
dik xljV n(>6g x6 auiTr'/Qtov yt'vog avvd<piiuv), sclicint sie also aus christlicher
Quelle gcHchüpft zu hal)en. Für ihre (Jhiultwürdigkeit sind iM'sonders einge-
treten: Stark, Gaza und die philistäischc Küste S. 535 f. und Geizer, Julius
Africanu« I, 258—201. Vgl. überhaupt auch Ewald IV, 518. Keim in Schen-
keln Bibcllexikon III, 27. Hcnnn, Hvitoire du pcuple d' Israel V, H\. Wilcken
Id Tauly-WlsMowa'« R<>al-Enc. I, 250{> (Art. Antipatros). Schlatter, Der
ChroDOKrapii aus dem zelintcn Jahre Antonin'H (Texte und Untorsucliungen
von Oehhardt und Hartuick XII, 1, 1S!)4) H. 33 f. 37 H". [sehr gewagte llypo-
theten Ober die Quelle der Nachricht].
[234. 235] § 12. Aristobul II (67—63). 293
Hyrkan viel besser stehen würde als unter dem kriegerischen und
thatkräftigen Aristobul. Er setzte also alle Hebel in Bewegung,
um Aristobul zu stürzen und dem Hyrkan wieder zur Herrschaft
zu verhelfen. Zuerst wusste er sich unter den angesehensten
Juden selbst einen Anhang zu verschaffen, indem er ihnen vor-
stellte, dass doch Aristobul gegen alles Recht den Thron einnehme,
während Hyrkan der rechtmässige Herrscher sei. Dann machte
er sich an Hyrkan, spiegelte ihm vor, dass sein Leben in Gefahr
sei, so lange Aristobul die Herrschaft habe und dass er schon um
deswillen ihn wieder stürzen müsse. Der träge und gleichgültige
Hyrkan schenkte ihm Anfangs kein Gehör. Endlich aber hatten
Antipater's Umtriebe doch Erfolg. Er hatte nämlich auch den
arabischen Fürsten Aretas mit in's Bündniss gezogen und diesem
das Versprechen abgenommen, den Hyrkan, falls er zu ihm flüchte,
als Freund aufzunehmen. Nun endlich entschloss sich Hyrkan, den
Vorstellungen Antipater's nachzugeben. In Begleitung desselben
floh er bei Nacht aus Jerusalem und begab sich nach Petra, der
Hauptstadt des Aretas *). Diesem versprach er, er wolle ihm nach
Wiedererlangung der Herrschaft zwölf Städte, welche Alexander
Jannäus den Arabern [ abgenommen hatte, wieder zurückgeben,
wogegen Aretas ihm seine Unterstützung zur Wiedererlangung des
Thrones zusagte^).
Demgemäss zog also Aretas mit einem Heere gegen Aristobul
und besiegte ihn in einer Schlacht. * Infolge des Sieges ging ein
grosser Theil von Aristobul's Truppen zu Hyrkan über; ja das
ganze Volk schloss sich an letzteren au. Nur wenige blieben dem
Aristobul treu, so dass dieser sich auf den Tempelberg zurück-
ziehen musste, wo er von Aretas und Hyrkan belagert wurde.
Aus der Zeit dieser Belagerung erzählt Josephus einige P^pisoden,
welche für die damalige jüdische Frömmigkeit höchst charakteri-
stisch sind. Auf Seite Hyrkan's befand sich nämlich ein gewisser
Onias, der dadurch grosse Berühmtheit erlangt hatte, dass er einst,
als er bei grosser Dürre Gott um Regen gebeten hatte, sofort
erhört worden war. Diesen, oder vielmehr die unwiderstehliche
Macht seines Gebetes, wollte man dazu benützen, um die Be-
lagerten zu verderben. Man führte ihn in's Lager und forderte
ihn auf, über Aristobul und dessen Anhänger feierlich den Fluch
Gottes zu erflehen. Statt aber dies zu thun, trat Onias in die
Mitte und sprach: „0 Gott, du König aller Dinge, da die jetzt
um mich Stehenden dein Volk sind, die Belagerten aber deine
4) Ueber Petra als Hauptstadt des nabatäischen Reiches s. Beilage II am
Schhasse dieses Bandes.
5) Äntt XIV, 1, 3-4. Bell. Jud. I, 6, 2.
294 § 12. Aristobul II (67-63). [235. 236]
Priester, so bitte ich dich, du wollest weder jene gegen diese er-
hören, noch ausführen, was diese gegen jene erflehen". Das Volk
aber war mit dieser brüderlichen Gesinnung des Onias so wenig
einverstanden, dass es ihn sofort steinigte •'). Im Anschluss hieran
berichtet Josephus noch ein anderes Ereigniss, das ebenfalls auf
die Belagerer nicht gerade ein günstiges Licht wirft. Es kam
nämlich das Passafest heran'), an welchem die Priester, die sich
in Aristobul's Umgebung befanden, um jeden Preis die gesetzlichen
Opfer darbringen wollten. Es gebrach ihnen aber an Opferthieren
und sie wussten auf keine andere Weise sich welche zu verschafien,
als dadurch, dass sie die Leute Hyrkan's gegen Bezahlung um
welche bitten Hessen. Diese verlangten 1000 Drachmen für das
Stück. Der Preis war zwar unerhört. Aber trotzdem gingen die
Belagerten darauf ein und liessen das Geld durch eine Mauer-
öflfnung nieder. Die Belagerer jedoch nahmen das Geld zwar in
Empfang, behielten aber die Thiere für sich. Für diese Bosheit
traf sie denn auch, wie Josephus meint, ] bald die verdiente Strafe.
Es kam nämlich ein gewaltiger Sturm, der alle Feldfrüchte ver-
nichtete, so dass der Modius Weizen elf Drachmen kostete^).
Während dies in Judäa vorging, hatte Pomp ejus bereits
seinen Siegeszug durch Asien begonnen ^). Er hatte im J. 66 den
Mithridates besiegt und in demselben Jahre die freiwillige
Unterwerfung des Ti graues angenommen. Während er nun selbst
weiter in Asien vordrang, sandte er im J. 65 ^^) den Scaurus nach
Syrien. Als dieser nach Damaskus kam, hörte er von dem Bruder-
krieg in Judäa und zog daher unverzüglich dorthin, um aus dem
Streit der Brüder für sich Nutzen zu ziehen. Er war kaum in
Judäa angekommen, als vor ihm Abgesandte sowohl von Aristobul
als von Hyrkan erschienen. Beide baten ihn um seine Gunst und
Unterstützung. Aristobul bot ihm dafür 400 Talente; und Hyrkan
6) Antt. XIV, 2, 1. — Die Geschichte von der Erhörung des Onias, al«
er einHt um Regen betete, findet sich in sehr drastischer Auanialnng auch in
der Misehna Taanüh III, 8. Er lieisst dort bsran "«sin (bjy-a angeblich = der
Kreiszieher, weil er in einem Kreise stehend betete). Vgl. auch Derenbourg
p. 112 «7. Wünsche, Der babylonisclie Talmud I, 454 — 457.
7) Eb mu8R das Passafest des Jahres 05 v. Chr. gewesen sein. Denn un-
mittelbar darnach kam Scaurus nach Judäa.
8) Antt. XIV, 2, 2. — Vgl. auch die rabbinische Tradition bei Deren-
bourg p. llStq.
9) üeber den Krieg des Porapejus in Asien (60—62 v.Chr.) vgl. Clinton,
FomU hellenioi III, 174—180 {adann. 00-62). E. W. Fischer, Rom. Zeittafeln
8.212-220. 226 f. Mommsen, RiVmische Gesdi. (5. AuH.) 111, 113-154.
Peter, Geschichte Rom's (2. Aufl.) II, 101-108.
10) Clinton, Ftut. Thll. MI, Uh rrnt.
[236. 237] § 12. Aristobul II (67—63). 295
konnte nun nicht zurückstehen und bot ebensoviel. Scaurus aber
traute dem Aristobul eher zu, dass er im Stande sein würde, sein
Anerbieten zu erfüllen, und schlug sich auf seine Seite. Er befahl
dem Aretas, sich zurückzuziehen; sonst werde er ihn für einen
Feind der Römer erklären. Aretas wagte nicht, sich zu wider-
setzen und hob die Belagerung auf, worauf Scaurus nach
Damaskus zurückkehrte. Aristobul aber rückte dem abziehenden
Aretas nach und brachte ihm noch eine empfindliche Niederlage bei * •).
Die römische Gunst, um welche sich Aristobul so eifrig bemüht
hatte und unter deren Schutz er nun sicher zu sein glaubte, sollte
für ihn und das Land verhängnissvoll werden. Er selbst Hess es
zwar an nichts fehlen, um sich auch die Gunst des Pom pejus, wie
die des Scaurus zu erwerben. Er schickte dem Pompejus ein kost-
bares Geschenk, nämlich einen aus Gold gefertigten Weinstock im
Werth von 500 Talenten, welchen noch Strabo in Rom im Tempel
des kapitolinischen Jupiter aufgestellt gesehen hat '-). Allein | dies
alles konnte den Aristobul doch nicht retten, sobald Pompejus
es für gut fand, seine Gunst ihm zu eutzielien und sie dem Hyrkan
zuzuwenden. Pompejus brach im Frühjahr des Jahres 63 aus
seinen Winterquartieren in Syrien auf*=^), unterwarf die grossen
und kleinen Dynasten im Libanon ^^) und kam über Heliopolis und
11) Anit. XIV, 2, 3. BeU. Jud. I, 6, 2-3.
12) Äntt. XIV, 3, 1. — Die Worte tovto fiävtot zo ötÖQOv laroQi^xafisv
xal 7]fxslg dvaxelfxevov iv '^Pd/ufj x. z. k. sind nicht Worte des Josephus. sondern
gehören noch zu dem Citate aus Strabo, wie der weitere Verlauf zeigt (es wird
noch einmal der Werth des Weinstockes angegeben, den Josephus vorher be-
reits angegeben hat). Josephus könnte ihn zwar bei seinem ersten Besuche in
Rom im J. 64 — 65 nach Chr. noch gesehen haben. Er würde aber dann die
Bemerkung nicht unterlassen haben, dass dies vor dem grossen Brande ge-
wesen sei. Denn im J. 69 nach Chr. brannte das Capitol nieder [Tacit. Hut.
III, 71—72. Sueton. Vitell. 15. Dio Cass. LXV, 17).
13) Nach Diu Cass. XXXVII, 7 brachte Pompejus den Winter 64/63 in der
Stadt Aspis zu (die Lage derselben ist nicht bekannt).
14) Unter den unterworfenen Dynasten erwähnt Josephus Äntt. XIV, 3, 2
auch einen Juden Silas, Tyrann von Lysias. Ein ähnlicher kleiner Dynast
ist vermuthlich auch der Baechins Judaeus, dessen Unterwerfung durch eine
Münze des A. Plautius, Aedil im J. 54 v. Chr., verewigt ist. S. ßeinach, Actes
et Conferences de la societe des etudes juives 1887 (Beilage zur Revue des etudes
juives 1887) p. CXCVI s^. = Les monnaies juives p. 28 sq. Babelon, Revue
beige de Nwnismatique 1891, p. 5—24. Klebs in Pauly-Wissowa's Real-Enc.
n, 2789. Die Münze z.B. auch bei Babelon, Monnaies de la republique ro-
maine t. II, 1886, p. 324 sq. Die Meinung des Duc de Luynes, dass Bacchius
der hebräische Name des Aristobul II sei {Revue numismatique 1858 p. 384),
ist ganz unmöglich. In modificirter Form hat Babelon diese Hypothese auf-
genommen {Revue beige de Numismatique 1891). Er übersetzt Bacchius Ju-
daetis „der jüdische Bacchus-Priester" und glaubt, dass Aristobul so genannt
296 § 12. Aristobul II (67—63). [237. 238]
Chalcis nach Damaskus ^^). Hier erschienen vor ihci gleichzeitig
drei jüdische Parteien; nicht nur Aristobul und Hyrkan,
sondern auch eine Gesandtschaft des Volkes. Hyrkan klagte, dass
Aristobul gegen alles Kecht die Herrschaft an sich gerissen habe;
Aristobul vertheidigte sich damit, dass er auf die Unfähigkeit
Hyrkan's hinwies. Das Volk aber wollte von beiden nichts wissen,
verlangte Abschaffung des Königthums und Wiederherstellung der
alten priesterlichen Verfassung ' ^). Pompejus hörte sie an, ver-
schob aber vorläufig die Entscheidung und erklärte, alles ordnen
zu wollen, wenn er mit dem beabsichtigten Zug gegen die Nabatäer
fertig sein würde. Bis dahin möchten sich alle Parteien ruliig
verhalten*'). |
Aristobul war jedoch hiermit keineswegs zufrieden und ver-
rieth seine Unzufriedenheit dadurch, dass er in Dium, bis wohin
er den Pompejus auf dem Zug gegen die Nabatäer begleitet hatte,
worden sei auf Grand der Meinung, dass die Juden den Bacchus verehrten
{Phitarch. Syinpos. IV, 5. Tacit. Eist V, 5, vgl. unten Bd. III S. 103). Auch
dies ist doch sehr künstlich und unwahrscheinlich, denn 1) auf der ganz gleich-
artigen Münze des Scaurus über die Unterwerfung des Aretas wird dieser einfach
und deutlich als Rex Aretas bezeichnet (beide Münzen haben dasselbe Bild,
einen knieenden Orientalen, welcher bittend die Hand erhebt und ein Kameel
am Zügel hält); 2) von einer Betheiligung des A. Plautius bei der Unter-
werfung Aristobul's ist nichts bekannt. Eher könnte der Jude Bacchius iden-
tisch sein mit dem von Josephus Antt. XIV, 3, 2 erwähnten Dionysius von
Tripolis, wie Reinach vermuthet.
15) Antt. XIV, 3, 2. Der Text der meisten Handschriften lautet hier:
SifX&üiv öh Toc TiöXeig tjJv xe^H).iovno).iv xal xfjv XaXxiSa xal tu öieiQyov ogog
vnepßa?.u)v t>jv xoUtjv jtQoaayoQEVofxivtjv 2^vgiav dno xf\q Ü^XItjq siq dafiaaxdv
rjxev. Hieraus würde sich die unmögliche Marschroute: Heliopolis-Chalcis-
Pella-Damaskus ergeben. Mit Recht hat daher Niese das von der besten
Handschrift [eod. Palat.) gebotene aXXrji statt ütXkTjg aufgenommen („das Ge-
birge überschreitend, welches Coelesyrien vom übrigen Syrien trennt"). 'H aXXt]
SvqIu im Unterschied von xolXri auch XIV § 79 (nach Niese) und Philo, Le-
ijat. (ul Cajmn § 36 ed. Mang. II, 587. Vgl. Niese, Proleff. zu Bd. III, p. XXII.
— Noch ist zu bemerken, dass der goldene Weinstock Aristobul's erst
in DamaskuH dem Pompejus überreicht wurde {Antt. XIV, 3, 1). Jo-
MCphuii erwähnt dies freilich schon, ehe er den Vormarsch des Pompejus aus
Syrien über Heliopolis und Chalcis gegen Damaskus berichtet, wodurch der
Schein entHteht, als ob Pompejus zweimal nach Damaskus gekommen wäre
('J4 und (13). Allein augenscheinlich verhält sich die Bache so, dass Josephus
die Noiix über den goldenen Weinstock aus einer anderen Quelle,
und nicht ganz am richtigen Orte, in den Zusammenhang der
H«upt-Er«fthlung eingefügt hat. Vgl. Niese, Hermes Bd. XI, 1876,
8. 471.
lö) Antt. XIV, 3, 2. Diodor. XL. 2 ed. Müller.
17) Antt. XIV, 3, 3.
[238] § 12. Aristobul II (67-63). 297
sich plötzlich von diesem trennte ^^). Pompejus schöpfte Verdacht,
verschob den Zug gegen die Nabatäer und marschirte sofort gegen Ari-
stobul. Er berührte Pella, überschritt bei Skythopolisden Jordan
und betrat bei Korea {Kogiai) den Boden des eigentlichen Judäa '^).
Von hier aus schickte er Boten nach Alexandreion, wohin Aristobul
sich geflüchtet hatte, und forderte ihn auf, die Feste zu übergeben.
Nach längerem Zögern und mehrfachen Unterhandlungen that dies
Aristobul, ging aber gleichzeitig nach Jerusalem, um sich hier zum
Widerstand zu rüsten'-^). Pompejus folgte ihm über Jericho und
erschien alsbald in der Nähe von Jerusalem. Aber nun verlor
Aristobul den Muth. Er begab sich iu's Lager des Pompejus, be-
schenkte ilin auf's Neue und versprach, ihm die Stadt zu übergeben,
falls Pompejus die Feindseligkeiten einstellen wolle. Pompejus war
dess zufrieden und schickte seinen Feldherrn Gabin ius ab, um
von der Stadt Besitz zu nehmen, während er den Aristobul im Lager
zurückbehielt. Allein Gabinius kehrte unverrichteter Dinge wieder
zurück, denn die Leute in der Stadt hatten ihm die Thore ver-
sperrt. Darüber war Pompejus so erbittert, dass er den Aristobul
gefangen nehmen liess und nun unmittelbar vor die Stadt rückte 2*).
In Jerusalem waren jetzt die Meinungen getheilt. Die Anhänger
Aristobul's wollten von Frieden nichts wissen und sich bis aufs
Aeusserste vertheidigen. Die Anhänger Hyrkan's dagegen sahen in
Pompejus ihren Bundesgenossen und wollten ihm die Thore öffnen.
18) üeber die Lage von Di um und die Lesart an unserer Stelle s. Bd. II
S. 140. Ueber die Marschroiite des Pompejus überhaupt: Menke's Bibel-
atlas Bl. IV.
19) Ueber die Lage von Korea s. bes. Gildemeister, Zeitschr. des deut-
schen Palästina- Vereins IV, 1881, S. 245 f. Grätz, Monatsschr. für Gesch.
und Wissenseh. des Judenth. 1882, S. 14 — 17. G. A. Smith, Historical Geo-
graphy of fhe Holy Land p. 853 (der über Zschokke ungenau berichtet;
Zschokke, Beiträge zur Topographie der westliehen Jordans'au 1866, S. 69
identificirt Koreae nicht mit Karawa, sondern mit Kariut). Clermont- Gan-
neau, Archaeological Besearches in Palestine II, 45 not. — Gildemeister iden-
tificirt Koreae mit Kecht mit dem heutigen Karaua am Wadi Faria in der
Jordan-Ebene, kaum zwei Stunden nördlich vom Berg Sartaba. Die nahe ge-
legene Festung Alexandreion muss dann eben der Berg Sartaba sein. Auch
auf der Mosaikkarte von Medaba ist Kogeovq südlich von Skythopolis ge-
zeichnet (Schulten, Abhandlungen der Göttinger Ges. der Wissensch., phil.-
hist. Kl. N. F. IV, 2, S. 5). Pompejus marschirte also von Skythopolis in der
Jordan-Ebene direct südlich bis Jericho. Hiernach ist auch die auf älteren
Hypothesen beruhende Zeichnung der Marschroute in Menke's Bibelatlas zu
berichtigen.
20) Antt. XIV, 3, 3—4. Bell. Jiid. I, 6, 4-5.
21) Antt. XIV, 4, 1. Bell. Jnd. I, 6, 6-7, 1. Das Lager des Pompejus
wird auch Bell. Jud. V, 12, 2 erwähnt.
298 § 12. Aristobul II (67-63). [238. 239]
Letztere waren iu der Mehrzahl und führten ihr Vorhaben aus.
Die Stadt wurde dem Pompejus übergeben, der seinen
Legaten Piso hineinschickte und ohne Schwertstreich
von derselben Besitz nehmen Hess. Aber die Kriegspartei
hatte sich schon zuvor auf dem Tempelberg gesammelt und rüstete
sich dort zum Widerstand-^-).
Der Tenipelberg war damals wie auch später der festeste Punkt
in Jerusalem. Nach Osten und Süden fiel er steil ab. Auch im
Westen war er durch eine tiefe Schlucht von der Stadt getrennt.
Nur im Norden verlief das Terrain eben; aber auch hier war durch
starke Befestigungswerke der Zugang fast unmöglich gemacht. In
diesem mächtigen Bollwerk also hatten sich die Anhänger Aristobul's
verschanzt; und Pompejus musste sich wohl oder übel zu einer regel-
rechten Belagerung entschliessen. Wie es die Natur der Dinge mit
sich brachte, ersah er sich die nördliche Seite als Angriffspunkt
aus. Ein Wall wurde aufgeworfen, und auf demselben die grossen
Belagerungsmaschinen, die man von Tyrus hatte kommen lassen,
aufgestellt. Lange Zeit widerstanden die mächtigen Mauern dem
Anprall der Geschosse. Endlich nach dreimonatlicher Belagerung
gelang es, an einer Stelle Bresche zu schiessen. Ein Sohn des
Dictator's Sulla war der erste, der mit seiner Mannschaft durch
dieselbe eindrang. Andere folgten nach. Es entstand ein furcht-
bares Blutbad. Die Priester, die eben mit Opfern beschäftigt waren,
wollten sich in Ausübung ihres Berufes nicht irre machen lassen
und wurden am Altare niedergehauen. Nicht weniger als 12000
Juden sollen in dem allgemeinen Gemetzel umgekommen sein. Es
war im Spätherbst des Jahres 63, unter Cicero's Consulat, nach
Josephus gerade am Versöhnungstag (?), nach Dio Cassius an einem
Sabbath, als die heilige Stadt vor dem römischen Imperator ihr
Haupt neigte"). |
22) Antt. XIV, 4, 2. Bell. Jud. I, 7, 2.
23) Antt. XIV, 4, 2-4. Bell. Jtid. I, 7, 3-5. Dio Gaas. XXXVII, 16.
Im Allgemeinen auch Sfrafjo XVI, 2, 40 p. 762 sq. Livius Rpit. 102. Taeitus
Hut. V, 9. Appian. Syr. 50. Mührülat. 106. — Versühnungstng, xy tijf
vtiartlai f/ft/^Qn: Antt. XIV, 4, 3. Sabbath, ^v r^ rov Kqovov rjn^Qn: Dio
data. XXXVII, 16, Vgl. Strabo a. a. ü. Der VerHÖiinuiigstag fällt auf den
10. Tischri {— October). Dehh .ToscpliuH rlicacn mit dem „Fa»ttiigo" meint,
kann nach dem feststehenden jfldiflchen .Spraehgcbraucho nicht /wcifcllmft Hein
(i. Apoitelgesch. 27, 9. Joseph. Antt. XVII, 6, 4. XVII 1, 4, 3, § 94. Philo,
Vita Mob. Itb. II § 4, de victimi» § 3, de septenario i} 23 [IlauptHtoUe], legnf.
ad Ck^um | 89 [ed. Mangey II, 138. 239. 296. 591]. Mischua Mcmwhoth XI //«.
Wt ef, im Talmud «an vmrt Dalman, Grammatik (U>h jü(lis(h-i)alä»t. Ara-
mliach 8. 196). — Der dritte Monat 'nt^l xqIiov fi7,va Antt. XIV, 4, 3) ist
nicht der dritte Mooat den Jahr de» jüdiHchen oder den griechiHchen,
[240] § 12. Aristobul II (67—63). 299
Pompejus selbst drang in das Allerheiligste ein, das sonst nur
der Fuss des Hohenpriesters betreten durfte. Doch liess er die
Schätze und Kostbarkeiten des Tempels unberührt und trug auch
Sorge dafür, dass der Gottesdienst ungestört seinen Fortgang nahm.
Ueber die Besiegten hielt er strenges Gericht. Die Urheber des
Krieges wurden mit dem Beile hingerichtet; die Stadt und das Land
tributpflichtig gemacht (ry x^Q9 '^f^^ ^<>^? 'leQoooXvfioig (-jciraTrsi
<poQov) ^^). Die Grenzen des jüdischen Landes wurden stark redu-
cirt. Säramtliche Küstenstädte von Raphia bis Dora wur-
den den Juden abgenommen; ebenso alle nicht -jüdischen Städte
im Ostjor dan lande wie Hippos, Gadara, Pella, Dium und andere;
ferner Skythopolis und Samaria mit ansehnlichem Gebiet«. Alle
diese Städte wurden unmittelbar dem Statthalter der neugegründe-
ten römischen Provinz Syrien unterstellt ^s). Das verkleinerte
sondern der dritte Monat der Belagerung, wie Josephus ausdrücklich sagt,
IMl. Jvd. I, 7, 4: rpizo) yaQ nrjvl Trjq noXiOQXiaq. Bell. Jiid. V, 9, 4: zgial
yovv fxtjal noXiogxriO'hxsq. — Herzfeld (in Frankel's Monatsschr. für Gesch.
und Wissensch. des Judenth. 1855, S. 109—115) vermuthet mit Recht, das
Datum des Versöhnungstages beruhe auf einem Irrthum des Josephus. der in
seinen heidnischen Quellen gefunden habe, dass die Eroberung an einem
Fasttage stattgefunden habe, womit aber im Sinne der Quellen nicht der
Versöhnungstag, sondern (nach dem in der griechisch-römischen Welt ver-
breiteten Irrthum, dass die Juden am Sabbath zu fasten pflegten, s. Siieton.
Aug. 76. Justin. 36, 2, 14. Petron. fragm. 37 ed. Büeheler, auch bei Reiimch,
Textes d'auteurs grecs et romains 1895, p. 266) der Sabbath gemeint sei. Dies
wird dadurch fast zur Gewissheit, dass Josephus Antt. XIV, 4, 3 unter seinen
Gewährsmännern den Strabo (nämlich dessen Geschichtswerk) citirt, der in
seiner Erdbeschreibung XVI, 2, 40 p. 763 sich über die Eroberung Jerusalem's
also äussert: xaxeXccßexo {seil. Ilofxnjjiog) 6* wq (paai, TTjg^aag ttjv rt^g vtjazsiai
^/iSQuv, Tjvlxa dnelxovro ol ^lovöaToi navrdg SQyov. Hier haben wir in der
That den Sabbath-Fasttag. Aber auch wenn hiemach der Versöhnungstag
nicht bezeugt ist, so ist doch daran festzuhalten, dass die Eroberung in den
Spätherbst fällt. Denn die lange Reihe von Ereignissen, die zwischen dem
Aufbruch des Pompejus (im Frühjahr 63, A?itt. XIV, 3, 2) und der Eroberung
der Stadt in der Mitte lag, kann sich nicht innerhalb weniger Monate abge-
sponnen haben. Es ist also schlechterdings unmöglich, dass die Eroberung
schon im Juni soll stattgefunden haben (M'ie Grätz III, 162 und Hitzig II,
498 f. meinen infolge ihrer irrigen Auffassung des „dritten Monates").
24) A7itt. XIV, 4, 4. Bell. Jud. I, 7, 6. — Vgl. Cicero pro Ftaeco 67:
Chi. Pompejus captis Hierosolymis victor ex illo fano nihil attigit.
25) Vgl. über diese Städte und ihre Stellung unter den Römern § 23, I
(Bd. II, S. 72—153). Das Verzeichniss bei Josephus Antt. XIV, 4, 4, Bell. Jud. I,
7, 7 ist nicht vollständig. Er nennt nur die wichtigsten. Ohne Zweifel haben
nicht nur sämmtliche Küstenstädte ihre Freiheit erhalten, sondern auch alle
diejenigen Städte des Ostjordanlandes, welche seitdem die soge-
nannte Dekapolis bildeten. Denn bei fast allen Städten der Dekapolis
lässt sich aus den Münzen nachweisen, dass sie die pompejanische Aera führ-
300 § 12- Aristobul II (67—63). [240. 241]
jüdische Gebiet erhielt Hyrkan II als Hoherpriester ohne den
Königstitel ^ß). |
Nachdem Pompejus so die Verhältnisse in Palästina geordnet
hatte, liess er den Scaurus als Statthalter in Syrien zurück,
während er selbst wieder nach Kleinasien, zunächst nach Cilicien
eilte. Den Aristobul nahm er als Kriegsgefangenen mit sich.
Ebenso dessen beide Töchter und die Söhne Alexander und Au-
tigonus, wovon jedoch der erstere unterwegs zu entkommen
wusste^'). — Als im J. 61 Pompejus unter grossem Gepränge in
Rom seinen Triumph feierte, musste auch der jüdische Priester-
könig, der Nachkomme der Makkabäer, vor dem Wagen des Trium-
phator's einherschreiten ^s). Ausser Aristobul und seiner Familie
führte Pompejus noch eine grosse Zahl jüdischer Gefangener mit
sich, die, später freigelassen, die römische Judengemeinde zu einer
zahlreichen und blühenden machten ^9).
Mit den Anordnungen des Pompejus war die Freiheit des jü-
dischen Volkes nach kaum achtzigjährigem Bestände (wenn wir
von 142 an rechnen) wieder zu Grabe getragen. Pompejus war
zwar klug genug, in den inneren Verhältnissen des Landes nichts
Wesentliches zu ändern. Er liess die hierarchische Verfassung
unangetastet und gab dem Volke den von den Pharisäern begün-
stigten Hyrkan II zum Hohenpriester. Aber die Unabhängigkeit
des A'olkes war dahin, und der jüdische Hohepriester war ein
Vasall der Römer. Dies Resultat war freilich unvermeidlich, so-
ten; vgl. hierüber die Bd. II S. 72 genannten Werke von Noris, Belleij,
Eckhel, Sanclemente, Mionnet, de Saulcy. Pompejus ist also der Be-
gründer der Dekapolis. Alle zu ihr gehörigen Städte, ferner Saraaria und
Hämintliche Küstenstädte, verdankten dem Pompejus die Wiederherstellung ihrer
coramunalen Freiheit, die ihnen einst von den Juden geraubt worden war.
26) Ann. XIV, 4, 4. Bell. Jud. I, 7, ü— 7. Vgl. Äntt. XX, 10, § 244: tc5 61
*Ypxttvtö ndXiv T^v ciQXifQtoaivriv dno6ov(; tj}v (ihv xov Mvovq ngoaxaalav
inixQixpt, diäSrjfia 6h <poQ(lv ixciXvaev.
27) Antt. XIV, 4, 6. BeU. Jud. I, 7, 7.
28) Vgl. die ßesehreibuDg de» Triumphes bei Plutarch. Pomp. 45.
Appian. MUhridnt. 117. Pliniua Iltst. Nat.yiI,dS. Drumanii, Geschichte
RomH IV, 484 — 489. Schön, Das <apitolini8che Verzeichniss der röinischen
Triumphe (1893) S. 57 f. — Irrthüinlirii meint Appian a. a. 0., Aristobul sei
nach dem Triumpli gctödtet worden, während er vielmehr erst im J. 49 um-
kam (s. den Iblgeuden §).
29) Vgl. Philo, De Icgationc ad Cajum § 23 {Opp. ed. Matvjetj II, 568).
Die AnAoge der Jfldischen Gemeinde in Born liegen vor dem J. Ol; denn
•obon all FUccna Htatthalter von Asien war (62—01 vor dir.), wurden jüdische
Gelder «un Italien aungeftihrt {Oicero pro Flacco 28. vgl. Bd. III, S. 29f.).
[241] § 12. Aristobul II (67—63). 301
bald einmal die Römer in Syrien Fuss gefasst hatten. Denn ihre
Macht war eine andere, als die der seleucidischen Epigonen. Und
selbst der kräftigste und bei dem Volke beliebteste Fürst hätte
auf die Dauer der Uebermaeht der Römer nicht Widerstand leisten
können. Aber erleichtert wurde den Römern ihr Eroberungswerk
dadurch, dass das Land in sich selbst uneinig und die streitenden
Parteien verblendet genug waren, den Schutz und die Hülfe der
Fremden anzurufen. Von dem Geiste, der hundert Jahre zuvor
das Volk in den Kampf geführt hatte, war hier nichts mehr zu
spüren. |
Zweite Periode.
Von der Eroberung Jerusalem's durch
Pompejus bis zum badrianiscben Kriege,
Die römisch-herodianische Zeit, 63 v. — 135 n. Chr.
Palästina stand fortan, wenn es auch nicht unmittelbar der
Provinz Syrien einverleibt war, doch unter der Oberaufsicht des
römischen Statthalters von Syrien. Es theilte daher in dieser Pe-
riode noch viel mehr als in der vorigen die Geschicke von Syrien,
weshalb wir auch hier wieder einen Ueberblick über die Geschichte
dieses Landes voranschicken.
Uebersicht über die Greschichte der römischen Provinz
Syrien vom J. 65 v. Chr. bis 70 n. Chr.
Quellen:
Für die Zeit der Republik und der Bürgerkriege (65—30) sind die Hauptquellen
Josephus, Dio Cassius, Appianus, Cicero und Plutarchus.
Für die Kaiserzfit (30 V. Chr. — 70n. Chr.): Josephus, Dio Cassius, Taci-
tus und Suetonius.
Literatur:
Noria, Cenotaphia Pisana Caii et Lucii Caesarunt disscrtationibtis illiistrata^).
Venetiis 1081. — Giebt Diss. II, cap. 16, p. 267—335 ein Verzeichniss der
Statthalter von Syrien vom J. 707—822 a. V. (47 a. Chr. — 69 p. Chr.).
Schopf iin, Chronologin liomanorum Syriae praefectorum etc. in: Cofnnictitationcs
hintoricue et rriticac. Basileac, 1741, p. 465—497. — Behandelt die jraiize
Zeit von PompejuH bin zum jüdischen Krii-j^' unter Vcspasian und Titus.
Saiiclemente, De vulf/aris aerac emcndutionc lihri quaiuor, lioninc 1793, Fol. —
SanclemenUt beHpricht lib. III, 3—4 {p. 330—349) die Statthalter Syrienw
von M. TitiuM (unter Augustus) bis Cn. Piuo (unter TibcriuH); auHHcrdem
lib. IV, 3—6 ip. 418—448) specieJl noch denQuiriniuö und desKcn Schätzung.
1) Die beiden Caetaru sind die Söbao Agrippa'H und Julia's, alHo
Enkel det Anguatus. Der ältere, Ca^xnn, starb 4 j». C, der jüngere, Lucius, 2 p. C.
[242. 243] Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. 303
Bor(jhesi, Sul preside della Syria cd tempo della morte di N. S. Gesa Cristo,
1847 (abgedr. in: Oeuvres complites de Bcirtolomeo Borghesi vol. V, 1869,
p. 79—94).
Zumpt, De Syria Romanoruni provincia cd) Caesare Augusto ad T.Vespasiamtm,]
in: Commentationes epigraphicae F. II, 1854, p. 71 — 150. Vgl. auch: Zumpt,
Das Geburtsjahr Christi, 1869, S. 20—89.
Gerlach (Hermann), Die römischen Statthalter in Syrien und Judäa von 69
vor Christo bis 69 nach Christo. Berlin 1865.
Mommsen, De P. Sulpicn Quirini titido Tibiirtino, in: Res gestae divi Attgtisti,
2. Aufl. 1883, p. 161—182.
Marquardt, Römische Staatsverwaltung Bd. I (2. Aufl. 1881), S. 415—422
(giebt eine kurze Liste der Statthalter).
Kellner, Die römischen Statthalter von Syrien und Judäa zur Zeit Christi
und der Apostel (Zeitschr. f. kathol. Theologie 18S8, S. 460-486). — Be-
handelt die Statthalter von Syrien vom J. 44 vor Chr. bis zur Zerstörung
Jerusalems.
Liebenam, Forschungen zur Verwaltungsgeschichte des römischen Kaiser-
reichs, 1. Bd. Die Legaten in den römischen Provinzen von Augustus bis
Diocletian, 1888 (S. 359-389: Syrien).
Ganter, Die Provinzialverwaltung der Triumvirn, Strassb. Diss. 1892 (S. 40
bis 44: Die Statthalter Syriens vom J. 41—27 vor Chr.).
Kor ach, Ueber den Werth des Josephus als Quelle für die römische Ge-
schichte, Thl. I (Leipzig, Diss. 1895) S. 34—54, 88—105.
Ueber die Organisation und Geschichte der Provinz Syrien im
Allgemeinen s. Kuhn, Die städtische und bürgerliche Verfassung des röm.
Reichs Bd. II, 1865, S. 161 — 201. — Marquardt, Römische Staatsverwal-
tung I, 2. Aufl. S. 392—430. — Mommsen, Römische Geschichte Bd. V,
1885, S. 446 — 552. — Vgl. auch Bormann, De Syriae provinciae Rornanae
partibus capita nonnulla, Berol. 1865.
Ueber die römische Provinzialverfassung überhaupt handeln: Rein,
Art. provincia in Pauly's Real-Enc. VI, 142 — 155. — Kuhn, Die städtische
und bürgerliche Verfassung des römischen Reichs bis auf die Zeiten Ju-
stinians, 2 Bde. 1864—1865. — Marquardt, Römische Staatsverwaltung I,
2. Aufl. 1881, S. 497-567. — Herzog, Geschichte und System der rö-
mischen Staatsverfassung, 2. Bd. 2. Abth. System der Verfassung der
Kaiserzeit, 1891. — Vgl. auch Mommsen, Römisches Staatsrecht III, 1
(1887) S. 590—832.
Im Zusammenhang mit der römischen, jüdischen und neutesta-
mentlichen Geschichte ist die Geschichte der Provinz Syrien behan-
delt in dem Regestenwerke von Lewin, Fasti Sacri, London 1865 (geht
vom J. 70 vor bis 70 nach Chr.; vgl. oben S. 19). — Hier im Index s. v.
Syria auch eine Liste der Statthalter.
Die römische Geschichte überhaupt behandeln in Form von Regesten
(Quellennachweisen mit Chronologie): Clinton, Fasti Hellenici vol. III.
Derselbe, Fasti Romani vol.l. — Ernst Wilh. Fischer, Römische Zeit-
tafeln von Roms Gründung bis auf Augustus' Tod, Altona 1846. — Vgl.
auch die bekannten Werke von: Mommsen, Röm. Geschichte Bd. III
(5. Aufl. 1869), von SuUa's Tode bis zur Schlacht von Thapsus (78—46 v.
Chr.). Peter, Gesch. Roms Bd. II, 2. Aufl. 1866, Bd. III, 1867, Bd. III,
2, 1869 (bis zum Tode Marc Aureis 180 n. Chr.). Ihne, Römische Ge-
304 Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. [243. 244]
schichte Bd. VII: Die Bürgerkriege bis zum Triumvirat, 1890. Bd. VIII:
Das Triumvirat bis zum Kaiserthum, 1890. — Für die Zeit der Republik :
Drumann, Gesch. Eoms in seinem Uebergange von der republikanischen
zur monarchischen Verfassung, oder Pompejus, Cäsar, Cicero und ihre Zeit-
genossen, 6 Bde. 1834—1844 (2. Aufl. von Groebe 1. Bd. 1899). Ludw.
Lange, Römische Alterthümer, Bd. III, 2. Aufl. 187G (^behandelt die Ge-
schichte des üebergangs von der Republik zur Monarchie). — Für die
Kaiserzeit: Hock, Rom. Gesch. vom Verfall der Republik bis zur Voll-
endung der Monarchie unter Constantin, Bd. I in 3 Abthlgn. 1841 — 50 (geht
nur bis zum Tode Nero's). Schiller, Geschichte der römischen Kaiser-
zeit Bd. I in 2 Abthlgn. 1883 (bis Diokletian), Bd. II, 1887 (bis Theodosius
d. Gr.). Gardthausen, Augustus und seine Zeit, 2 Bde. in 4 Abthlgn.
1891—1896.
Die Geschichte Syriens in dieser Periode zerfällt naturgemäss
in zwei Abtheilungen, wovon die eine die Zeit der Republik, die
andere die Kaiserzeit umfasst. 1
I. Die Zeit des Untergangs der Republik, 65—30 v. Chr.
1. Syrien unter dem vorwiegenden Einfluss des
Pompejus (65 — 48).
M. Aemilius Scaurus 65. 62.
Er kam, von Pompejus gesandt, im J. 65 nach Damaskus, das
schon zuvor von LoUius und Metellus besetzt worden war {Joseph.
Antt. XIV, 2, 3. Bell. Jud. I, 6, 2. CUnton, Fast. Hell. III, 346).
Vom J. 64 — 63 war Pompejus selbst in Syrien (Ankunft im J.
64, C0S8. L. Jul. Caesar, C. Mareius Figulus, nach Dio Cass. XXXVII,
6. Ueberwintert in Aspis: Dio Cass. XXXVII, 7. Erobert i. J. 63
Jerusalem und kommt i. J. 62 nach Italien, Clinton und Fischer
ad ann. 62). Bei seinem Weggang liess Pompejus den Scaurus
in Syrien {Ajypian. Si/r. 51. Joseph. Antt. XIV, 4, 5). Dieser brachte
den schon von Pompejus beabsichtigten Feldzug gegen den Araber-
könig Aretas zur Ausführung {.Joseph. Antt. XIV, 5. 1. Bell. Jud.
I, 8, 1). Hierauf bezieht sich die Münze mit der Aufschrift Rex
Aretas, M, Seaur. Aed. cur., ex S. C. {Echhel, Doctr. Num. V, 131 ==
Bahelon, Monnaies de la r6pnhlique romaine t. I, 1885, ]>. 120 .S7.). —
Ein Khrendecret der Tyrier für Scaurus hat Renan mitgetheilt
(Mission de PhSnicie j). 533 sq.). Aus Jope nahm Scaurus das Skelett
de8 Mecrungclieuers mit, welchem Andromeda ausgesetzt gewesen
war {Plm. lli.st. Nal. IX, 5, 11). — Vgl. über ihn überhaupt: Dru-
mann, (jeschichte Roms I, 28—32, Borghesi, Oeuvres II, 185 ft'.
Gauinitz, Leipziger Studien zur class. Philol. Bd. II (1879) S.
249—28«, bes. S. 250. I'anly-Wissowa, Real-Enc. 1, 5SSf.
Mareius Philippus 61 — 60.
Zwischen Scaurus und Gabinius waren nach Appian. Sijr. 51
[244. 245] Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. 305
Marcius Pliilippus und Leiitulus Marcellinus je zwei Jahre
lang Statthalter von Syrien {xmvdt (liv Ixatigo) öisryq iTQi(pO-t]
XQovog), beide mit prätorischeni Rang. Da G-abinius Anfang 57
nach Syrien kam, müssen auf Marcius Philippus die Jahre 61—60,
auf Lentulus Marcel linus die Jahre 59 — 58 kommen. Vgl. Clinton III,
346 gegen Noi-is p. 223 und Schäpflin p. 466, welche für beide zu-
sammen nur zwei Jahre, 59 und 58, rechnen. Das Eichtige auch
bei: Lewin, Fasti sacri n. 101 U. 103, Godt, Quomodo j^rovinciae Ro-
manae per decennium hello civili Caesariano antecedens administratae sint
(Kiel 1876) p. 7—8.
Lentulus Marcellinus 59 — 58.
Vgl. zum Vorigen. Auch er, wie sein Vorgänger, hatte noch
mit den Arabern zu kämpfen (Appian. Syr. 51). Vgl. über ihn:
Münzer in Pauly -Wisse wa's Real-Enc. IV, 1389 f. s. v. Cornelius
n. 228. I
A. Gahinius 57 — 55.
Wegen der steten Beunruhigung Syriens durch die Araber
wurde im J. 58 beschlossen, fortan Proconsuln dorthin zu schicken
{Apjnan. Syr. 51); und zwar sandte man zunächst den A. Gabini us,
den einen der Cousuln des Jahres 58 {Plutarch. Cicero c. 30), der
demnach Anfang 57 nach Syrien kam -). — Er benützte seine Ge-
walt vor allem zu ungeheuren Erpressungen (Dio Cass. XXXIX,
55. 56. Auch Cicero spricht oft von seiner grenzenlosen Habsucht;
z. B. pro Sestio c. 43: Es sei bekannt „Gabinitim liaurire cotidie ex
jyaratissimis atque opulentissimis Syriae gaxis inumerabile pondus auri,
hellimi infetre quiesceniibus, ut eorum veteres illibatasque divitias in pro-
fundissimum libidinum suarum gurgitem profunda^''. De provinciis
consularibus e. 4: ,Jn Syria imperatore illo nihil aliud [neque gestum]
neque actum est nisi jjactiones pecuniarum cum tyrantiis, decisiones,
direptiones, latrocinia, caedes^'). — Gabinius war ein Günstling und
unbedingter Anhänger des Pomp ejus und trat daher, wo Pompejus
mit dem Senat in Couflict kam, auf des ersteren Seite, wie u. a.
sein ägyptischer Feldzug beweist. Er war nämlich i. J. 56 ^) bereits
auf einem im Staatsinteresse entschieden wünschenswerthen Zug
gegen die Parther begriffen, als er von Pompejus den Auftrag er-
2) Denn die Consuln und Prätoren gingen damals unmittelbar nach Ablauf
ihres Amtes in die Provinz. Erst im J. 52 wurde dies dahin geändert, dass
immer fünf Jahre dazwischen liegen mussten. Vgl. Marquardt, Römische
Staatsverwaltung I (2. Aufl. 18S1) S. 522. *
3) Diese Zeitbestimmung ergiebt sich daraus, dass die Einsetzung des
Ptolemäus Anfang 55, etwa im März oder April stattfand. Fischer S. 247.
Strack, Die Dynastie der Ptolemäer (1897) S. 187, 209 f.
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 20
306 Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. [245. 246]
hielt, den durch einen Volksaufstand aus Alexandria vertriebenen
König Ptolemäus Auletes wieder einzusetzen. Ptolemäus selbst
gab diesem Auftrag durch ein Geschenk von 10,000 Talenten den
nöthigeu Nachdruck. Diese beiden Gründe wogen für Gabinius
schwerer, als der entgegenstehende Wille des Senates und das be-
stehende Eecht, welches dem Proconsul strenge verbot, die Grenzen
seiner Provinz zu überschreiten. Er stellte den Zug gegen die
Parther ein, zog nach Aegypten, besiegte das ägyptische Heer, wobei
sich namentlich der junge M. Antonius, der nachmalige Triumvir,
auszeichnete, und setzte den Ptolemäus wieder als König ein, An-
fang 55 V. Chr. {Dio Cass. XXXIX, 56—58. Cicero in Pison. c. 21.
Joseph. Äntt. XIV, 6, 2. Plutareh. Anton, c. 3. Appian. Syr. 51.
Fischer, Eöm. Zeittafeln, S. 244. 247.). In Rom wurde er deshalb,
besonders auf Cicero's Betrieb, noch i. J. 55 „dfe majestate^^ ange-
klagt. Der Process war bereits im Gange, als er im Septbr. 54 —
nachdem inzwischen Crassus die Provinz erhalten hatte — in Rom
ankam {Cicero ad Quint. fr. III, 1, 5—7). Seinem Gelde und demj
Einfluss des Pompejus gelang es zwar, in dieser Sache ein frei-
sprechendes Urtheil zu erwirken. Aber seiner grenzenlosen Er-
pressungen wegen wurde er, obwohl jetzt Cicero selbst, durch
Pompejus dazu bestimmt, seine Vertheidigung übernahm, zur Ver-
bannung verurtheilt {Dio Cass. XXXIX, 59 — 63 cf. 55. Appian. Syr.
51. Civ. 11, 24. Cicero ad Quint. fr. III, 1 — 4; pro Rabirio Postumo
c. 8 und 12). — Vgl. über ihn überhaupt: Drumann, Gesch. Roms
III, 40—62. Pauly's Real-Enc. 111, 565—571.
M. Licinius Crassus 54 — 53.
Im J. 60 hatten Cäsar, Pompejus und Crassus das sog.
erste Triumvirat geschlossen. Im J. 56 war dasselbe bei einer Zu-
.sammenkunft zu Luca erneuert worden. P^ine Folge davon war es,
dass im J. 55 zwei der Triumvirn, Pompejus und Crassus, das
Consulat erlangten. Während sie das Consulat bekleideten, liess
hieb Pompejus die Verwaltung von Spanien, Crassus die von
Syrien, jeder auf fünf Jahre, ertlieilen {Dio Cass. XXXIX, 33—36.
Liv. Epit. 105. Plutareh. Pomp. 52. Crass. 15. Appian. Civ. 11, 18).
Crassus verliess noch vor Ablauf seines Consulates im Novbr. des
J. 55 (h. Clinton ad ann. 54. Fischer, Zeittafeln S. 250) Rom und
ging nach Syrien*). — Im J. 54 unternahm er einen Feld zu g
gegen die Parther und drang bis über den Kuplirntvor, kehrte
4) Er kann Jedoch nicht mit HcKitm des Jnhre« in Kyrion eingetroffen
«ein, da er einen Uuterfeldherm vorauMHchickte, um von Gubinius die Provinz
XQ flbemehmen — , der flbrigen« von Gabinius abgewicHun wurde [Dio Cass.
XXXIX, (KJ).
[246. 247] Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. 307
aber wieder zurück, um in Syrien den Winter zuzubringen. Im
Frühjahr 53 erneuerte er den Feldzug, ging bei Zeugma über den
Euphrat, erlitt aber eine empfindliche Niederlage und musste sich
nach Karrä zurückziehen. Da er auch hier sich nicht halten konnte,
.setzte er den Rückzug weiter fort und war schon bis an die arme-
nischen Gebirge gelangt, als der parthische Feldherr Suren a ihm
Frieden anbot unter der Bedingung, dass die Römer auf das Ge-
biet jenseits des Euphrat verzichteten. Crassus war geneigt, auf
die Verhandlungen einzugehen, wurde aber, als er sich unter geringer
Bedeckung zu Surena begeben wollte, von parthischen Schaaren
verrätherisch überfallen und ermordet, 53 v. Chr. (nach Ovid. Fast. VI,
465 : V Idiis Junias = 9. Juni. S. Clinton und Fischer ad ann. 53).
Viele seiner Leute geriethen in parthische Gefangenschaft: einem
Theil gelang es, zu entfliehen; ein anderer Theil war schon früher,
unter Führung des Quästors CassiusLonginus, nach Syrien ent-
kommen {Dia Cass. XL, 12—27. Plutarch. Crass. 17—31. Liv. Epit.
106. Justin. XLII, 4). — Vgl. über Crassus überhaupt: Drumann,
Gesch. Roms IV, 71—115. Pauly's Real-Enc. IV, 1064—1068. üeber
den parthischen Feldzug: Gutschmid, Geschichte Irans und seiner
Nachbarländer (1888) S. 87—93 und die von Gutschmid S. 171 f.
erwähnte Literatur. Regling, De belli Parthici Crassiani fontibus.
Diss. 1899.
C. Cassius Longinus 53 — 51.
Nach dem Tode des Crassus übernahm Cassius Longinus
den Oberbefehl in Syrien. Die Parther machten jetzt Einfälle in
das römische Gebiet, drangen im J. 51 sogar bis Antiochia vor.
wurden aber von Cassius im Herbst d. J. 51 glücklich wieder zurück-
geschlagen {Dio Cass. XL, 28—29. Joseph. Antt. XIV, 7, 3. lAv.
Epit. 108. Justin. XLII, 4. Cicero ad Atticum V, 20; ad Familiär.
II, 10; Philipp. XI, 14. Drumann II, 117 ff. Pauly-Wissowa's Real-
Enc. III, 1727 ff. lieber die Chronologie bes. Fischer, Zeittafeln
S. 260 f.) s).
M. Calpurnius Bihulus 51 — 50-
Auf Cassius Longinus folgte (nach Cicero ad Familiär. II, 10; ad
Attic. V, 20. Dio Cass. XL, 30) ein Bibulus. Appiayi. Syr. 51 nennt
denselben Aevxiog BvßXog. Allein durch das Zeugniss des Cicero
ad Familiär. XII, 19, XV, 1 und 3, Livius Epit. 108 und Caesar
Bell. Civ. III, 31 steht vielmehr fest, dass es M. Bibulus war, der
5) Cicero war damals (August 51— Juli 50; vgl. Fischer, Zeittafeln S. 263.
209) Proconsul von Cilicien und rühmt sich, auch zur Vertreibung der Parther
mitgewirkt zu haben (vgl. bes. ad Familiär. XV, 1—4).
20*
308 üebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. [247. 248]
College Cäsar's im Consulat im J. 59. — Er kam im Herbst d. J.
51 nach Syrien {Cicero ad Attic. V, 18 und 20). — Auch er hatte
noch mit den Parthern zu thun (vgl. Cicero ad Familiär. XII, 19),
wusste sich derselben aber dadurch zu entledigen, dass er sie gegen
einander in Streit brachte (nach Dio Cass. XL, 30 noch im J. 51,
coss. M. Marcellus, Sul2). Rufus). Vgl. Cicero ad Attic. YII, 2 suh
fi?i.: Partlii reinnte Bibulum semivivum reliquerunt. — Cicero, der
-gleichzeitig die benachbarte Provinz Cilicien verwaltete, nennt ad
Atticum VI, 1, 13 den Bibulus unter denjenigen, welche in Ver-
waltung ihrer Provinz ,;valde honeste se gerunf. — Vgl. auch Fischer,
Zeittafeln S. 264 f. lieber Bibulus überhaupt: Drumann, Gesch.
Koms II, 97—105. Pauly-Wissowa's Real-Enc. III, 1368 f.
Vejento 50/49.
.^Bibulus de provincia decessit, Vejentonem jjraefecit^'' schreibt Cicero
Anfang Decbr. d. J. 50 (ad Attic. VII, 3, 5).
Q. Metellus Scij^io 49 — 48.
Als in den ersten Tagen des Jahres 49 der Bürgerkrieg
zwischen Cäsar und Pompejus zum Ausbruch kam, wurden von
der I pompejanischen Partei die Provinzen neu vertheilt und u. a.
4em Schwiegervater des Pompejus, Q. Metellus Scipio, der
i. J. 52 das Consulat bekleidet liatte, die Provinz Syrien über-
tragen {Caesar Bell. Civ. I, 6. Vgl. Cicero ad Atticum IX, 1). — Er
führte noch gegen Ende des J. 49 zur Unterstützung des Pompejus
zwei Legionen aus Syrien herbei und überwinterte mit denselben
in der Gegend von Pergamum {Caesar Bell Civ. III, 4 und 31). Im
folgenden Jahre setzte er nach Macedonien über und vereinigte
sich kurz vor der Schlaclit bei Pharsalus mit Pompejus {Caesar
Bell. Civ. III, 33. 78—82). In der Schlacht bei Pliarsalus befehligte
er das Centrum des pompejanischen Heeres {Caesar Bell. Civ. III, 88).
— Vgl. über ihn überhaupt: Drumann, Gesch. Roms II, 44—49.
Pauly's Real-Enc. II, 32—34.
2. Die Zeit (Täsar's (47-44).
Sextus Caesar 47 — 46.
Nach der Sclilacht bei Pharsahis (9. Aug. 48) folgte Cäsar
4ein Pompejus zur See nach Aegyptcn und traf dort Anfang Octobci-
ein, nachdem kurz zuvor (28. S(;ptbr.) Pompejus ermordet worden
war. Wider Erwart«Mi wurde er in Aegypten in einen Krieg mit
König PtohiinJlUH vt-rwickelt, (h*r ihn 9 Monate lang {Appian. Cm 11, 90)
dort zuriic.khielt. Krst Anfang Juni 47 konnte er von Aegypten
aufbrecht'M und ging nun «-iligst (Diu Cnss. X\Al, 41: rax^i noXlo)
XQt]Oa(i^voii) über tSyrien nach Kleinasicn, nni den l'linniaces, den
[248. 249] Uebersicht über die Geschichte der röinischeu Provinz Syrien. 3Q9
König von Pontus, zu bekriegen {Auct. de Bell. Alexandr. c. 33. 65 ff.
Plutarch. Caesar 49. 50. Sueton. Caesar 35. Äppian. Civ. II, 91)^).
— Bis dahin war Syrien, wie es scheint, ziemlich sich selbst über-
lassen gewesen. Erst jetzt, während seines kurzen Aufenthaltes
daselbst (nach Cicero ad Attic. XI, 20 war Cäsar Anfang Juli 47
[nach damaligem röm. Kalender] in Antiochia) ordnete Cäsar die
Verhältnisse in Syrien, indem er einen seiner Verwandten, den
Sextus Cäsar, zum Statthalter einsetzte {Bell. Alexandr. c. 66.
Dio Cass. XLVII, 26. Vgl. Josefph. Antt. XIV, 9, 2). — Manche Städte
Syriens erhielten damals durch Cäsar werthvoUe Privilegien und
begannen deshalb eine neue Zeitrechnung {aera Caesariana), so Anti-
ochia, Gabala, Laodicea, Ptolemais (s. Xoiis, Annus et epochac
Syromacedonum ed. Lips.p. \ 162 sqq. 270 sqq. 293 sqq. 424 sqq. Eckhel,
Doctr. Num. Vet. III, 279 sqq. 313 sqq. 315 sqq. 423 sqq.). Vgl. Bell.
Alexandr. 65: commorattis fere in omnibus civitatibus, qiuie majore sunt
dignitate, praemia hene meritis et viritim et publice trihuit. Marquardt,
Römische Staatsverwaltung I, 397. Ueberhaupt: Judeich, Caesar
im Orient, kritische Uebersicht der Ereignisse vom 9. Aug. 48 bis
October 47. Leipzig 1885. Zur Chronologie: Otto Ed. Schmidt,
Der Briefwechsel des M. TuUius Cicero (1893) S. 224 f.
Caecilius Bassus 46.
Während Cäsar im Jahre 46 noch mit der pompejanischen
Partei in Afrika zu kämpfen hatte, suchte ein Pompejaner, Cäcilius
Bassus, sich der Herrschaft in Syrien zu bemächtigen. Er wurde
zwar von Sextus geschlagen, wusste aber diesen durch Meuchel-
mord aus dem Wege zu schaffen, die Soldaten fiir sich zu gewinnen
und sich so zum Herrn von Syrien zu machen [Dio Cass. XLVII,
26—27. Liv. Epit. 114. Joseph, ^n«. XIV, 11, 1. Etwas abweichend
Appian. Civ. III, 77. IV, 58; hierzu Drumann, Gesch. Roms II, 125 bis
127. Pauly-Wissowa's Real-Enc. III, 1198 f.).
C. Antistius Vetns 45.
Gegen Cäcilius Bassus führte Antistius Vetus die Sache
der cäsarianischen Partei "). Er belagerte im Herbst 45 den Bassus
6) Den Weg von Aegjpten nach Syrien und von Syrien nach Cilicien legte
Cäsar zur See zurück; vgl. Joseph. Antt. XIV, 8, 3. 9, 1. Atict. de Bell.
Alexandr. 66: „eadem classe, qua venerat, p?-oficiscittir in Cilieiam". An der
früheren Stelle, Bell. Alex. 33: „s«c rebus omnibus confectis et collocatis ipse
itinere terrestri profectus est in Syriam^' sind die Worte „itinere terrestri^^ wohl
zu streichen.
7) Aus Cicero ad Familiär. XII, 19 ersehen wir, dass Cäsar einst den
Q. Cornificius zum Statthalter von Syrien bestimmte (Cicero schreibt dem
Cornificius: „Belhim, quod est in Syria, Syriamque provinciam tibi tributam
310 Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. [249. 250]
in Apamea; konnte indess nichts Entscheidendes gegen ihn aus-
richten, da die Parther dem Bassus Hülfe brachten {Dio Cass.
XLVn, 27. Vgl. Joseph. Antt. XIV, 11, 1. Die Zeitbestimmung nach
Cicero ad Ätticum XIV, 9, 3 und Dio Cass. L c: öia rov ^tLiicöva).
Vgl. Pauly-Wissowa's Real-Enc. I, 2558. Prosopographia imperii
Bomani I, 88.
L. Statius Murcus 44.
Zur Bekämpfung des Cäcilius Bassus schickte Cäsar (wohl An-
fang 44) den L. Statius Murcus mit drei Legionen nach Syrien.
Derselbe wurde unterstützt durch den Statthalter von Bithynien
<^. Mar eins Crispus, der ebenfalls drei Legionen zur Verfügung
hatte. Von beiden wurde Bassus aufs Neue in Apamea belagert
(Appian. Civ. III, 77. IV, 58. Dio Cass. XLVII, 27. Joseph. Antt. XIV,
11, 1. Vgl. Strabo XVI, p. 752).
3. Syrien unter der Verwaltung des Cassius (44— 42).
G. Cassius Longinus 44 — 42.
Eine neue Wendung der Dinge brachte die Ermordung Cäsar's
am 15. März 44. Unter den Verschworenen, welche die That voll-
brachten, war neben M. Brutus der hervorragendste C. Cassius
Longinus, derselbe, der in den Jahren 53—51 Syrien glücklich
gegen die Angriffe der Parther vertheidigt hatte. Er war von
Cäsar bereits für das Jahr 43 zum Statthalter von Syrien designirt
worden {Appian. Civ. III, 2. IV, 57). Nach Cäsar's Tod aber wusste
es M. Antonius dahin zu bringen, dass Syrien dem Dolabella,
dem Cassius dagegen eine andere Provinz (Cyrene?) übertragen
wurde {Appian. Civ. III, 7—8. IV, 57). Cassius fügte sich jedoch
nicht diesen Anordnungen, sondern ging in die von Cäsar ihm be-
stimmte Provinz Syrien, wo er gegen Ende des Jahres 44 an-
kam, noch ehe Dolabella eingetroffen war {Appian. Civ. III, 24.
IV, 58. DU) Cass. XLVII, 21. 26)^). — Zur Zeit seiner Ankunft
•MM a Caesare ex tuia litterit oognovi^*). Da der Brief nicht datirt ist, so hi^st
»ich in Betreff der Zeit nichts Sicheres sagen. Ganter, in seiner sorgfältigen
Monographie über Cornificiu» (Philologus Bd. Uli, 1894, S. 132— 140), setzt
den Brief in den Sommer 40 und nimmt an, dass CornificiuH thatsächlich
in der zweiten Hfilile des J. 46 Statthalter von Syrien gewesen sei (a. a. 0.
S.138f.). Da aber unsere, fQr diese Zeit reichlich fliexHCuden, hlHtoriHclHMi (Quellen
nichts davon erw&bnen, so bleibt die Suche prohlonuitisch. Es kann auch ein
Plan gewesen sein, der nicht zur AiiHriilirnng ifckommcn ist.
8) Ueber dio Vorhaudlungen in iJctrclV der Provinzen wäiircnd des Jahres
U •. NIheres bei Dramann, OeHch. Komih I, i:i9— 144; II, 123 f. L'auly's
Bttü'Enc. 1. Aufl. TI, IOC f. Lauge, UüniiHchu Alterthünicr III, 2. Autl.
[250. 251] Ueberßicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. 311
wurde Cäcilius Bassus noch von Statins Murcus und Marcius
Crispus in Apamea belagert. Es gelang ihm, die beiden letzteren
für sich zu gewinnen, worauf auch die Legion des Bassus zu ihm
überging (wie Cassius selbst im März und Mai 43 an Cicero be-
richtet, Cicero ad Familiär. XII, U und 12. Vgl. ad Brut. II, 5.
Philippie. XI, 12, 30. Äppian. Civ. III, 78. IV, 59. Bio Cass. XL VII, 28.
Joseph. Antt. XIV, 11, 2. Drumann II, 128). — So hatte Cassius
beträchtliche Streitkräfte zur Verfügung^), als Dolabella, der
sich im Interesse des Antonius mittlerweile Kleinasiens bemächtigt
hatte, im J. 43 auch in Syrien einfiel und bis Laodicea (am Meere,
südl. von Antiochia) vordrang (Appian. Cic III, 78. IV, 60. Dio
Cass. XL VII, 29—30). Cassius belagerte ihn dort {Cicero ad Familiär.
XII, 13—15) und zwang ihn zur Uebergabe, worauf Dolabella sich
durch einen Soldaten seiner Leibwache den Kopf abschlagen Hess
{Appian. Civ. IV, 60—62. Dio Cass. XL VII, 30. Drumann II, 129 ff".,
574 ff". Wegehaupt, P. Cornelius Dolabella, 1880. Gardthausen,
Augustus und seine Zeit I, 1, S. 151 ff'. II, 1, S. 63 f. Münzer in
Pauly-Wissowa's Real-Enc. IV, 1300 ff". *. v. Cornelius n. 141). —
Nach Besiegung des Dolabella wollte Cassius sich nach Aegypten
wenden, wurde aber statt dessen von Brutus dringend nach Klein-
asien gerufen, 42 v. Chr. '<^). | Er Hess also seinen Neffen^')
mit einer Legion in Sj'rien zurück {Appian. Civ. IV, 63), kam mit
S. 498 ff". P. Krause, Appian al^ Quelle für die Zeit von der Verschwörung
gegen Cäsar bis zum Tode des Decimus Brutus Thl. I, 1879, S. 12ff". Schiller,
Gesch. der röm. Kaiserzeit I, 22 ff". Otto Eduard Schmidt, Jahrbb. für class.
Philol. 13. Supplementband, 1884, S'. 700—712. Gardthausen, Augustus und
seine Zeit I, 1, S. 56 0". II, 1, S. 25 f. P. Oroebe, De legibus et senattisconsul-
tis anni 710 quaestiones ehr onolog icae, IHss. Berol. 1893. Fröhlich in Pauly-
Wissowa's Real-Enc. III, 1731. Schwartz, Hermes Bd. 33, 1898, S. 185
bis 244.
9) Von den genannten drei Feldherrn hatte Cassius den Crispus und
Bassus auf ihren Wunsch entlassen, den Statins Murcus aber, mit Belassung
seiner bisherigen Würde, bei sich behalten (IHo Cass. XLVII, 28).
10) Van der Chijs, De Herode M. ;>. 18 hat gegen Fischer, Röm. Zeit-
tafeln S. 328 richtig gezeigt, dass der Ruf des Brutus an Cassius nicht schon
43, sondern erst 42 erging, nämlich erst geraume Zeit nach Cicero's Tod.
t 7. Decbr. iS {Plutarch. Brut. 28), und als bereits Octavian und Antonius
im Begriffe waren, nach Griechenland überzusetzen [Ajipian. IV, 63). Dagegen
irrt er, wenn er den Cassius im J. 43/42 in Aegypten überwintern lässt, da
vielmehr aus Appian. IV, 63 das Gegentheil erhellt. Das Richtige hat Hitzig II,
517. Vgl. auch Mendelssohn in Ritschl's Acta Societatis philol. Lipsiensis V,
1875, p. 251 sq.
11) Der Name desselben ist nicht genannt. In der Schlacht bei Philippi
fiel ein Neffe des Cassius, Namens L. Cassius (.lj>pm«. IV, 135). Vielleicht
ist der letztere mit jenem identisch, wie Noris, Cenot. Pis. p. 280 annimmt.
312 üebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. [251]
Brutus in Smyrna zusammen, unternahm dann einen Zug gegen
Ehoclus. vereinigte sich in Sardes wieder mit Brutus und zog nun
mit ihm nach Macedonien, wo im Spätherbst des J. 42 bei Philippi
die Heere der Verschworenen von M. Antonius und Octavian
besiegt wurden, und Cassius, wie sein Gefährte Brutus, durch
Selbstmord endete {Appian. Civ. IT, 63 — 138. Dio Cass. XL VII,
31—49. Plutarch. Bruhis 28—53).
4. Syrien unter der Herrschaft des M. Antonius (41—30).
Decidius Saxa 41 — 40.
Nach der Schlacht bei Philippi ging Octavian nach Italien,
während sich Antonius zunächst nach Griechenland und dann nach
Asien wandte {Plutarch. Anton. 23 — ^4). Auf seinem Zug durch Asien
traf er im J.41 in Tarsus zum erstenmalemitKleopatra zusammen,
die ihn durch ihre Reize so zu fesseln wusste, dass Antonius ihr
nach Aegypteu folgte, wo er den Winter 41/40 in Unthätigkeit und
Schwelgerei zubrachte {Plutarch. Anton. 25—28). — Ehe er nach
Aegj'pten ging, ordnete er im J. 41 die Verhältnisse in Syrien i^),
trieb allenthalben ungeheuren Tribut ein {Appian. Civ. V, 7) und Hess
den Decidius Saxa als Statthalter zurück {Dio Cass. XLVIII, 24.
Liv. Epit. 127).
Im Frühjahr 40 verliess Antonius Aegypten und kam im
Sommer d. J. nach Italien, in der Absicht, den Octavian zu
bekämpfen-, schloss aber nach einigen unbedeutenden Plänkeleien
mit ihm zu Brundisium einen Vertrag, wornach die Provinzen
zwischen Octavian und Antonius in 'der Art getheilt wurden, dass
jenem der Westen, diesem der Osten zufiel {Appian. Civ. V, 52 — 65.
Dio Cass. XL VIII, 27—28. Die Grenze bildete Scodra, jetzt Sku-
tari, in Illyrien, Ajjjmm. V, 65) '3). Antonius blieb etwa noch ein
Jahr in Italien, während welcher Zeit er verschiedene Vasallen-
könige, u. a. auch den Herodes, ernannte'^), und ging dann |
12) Wo er bereitH unter Gabinius gedient hatte. S. oben S. .306.
13) Ueber die Zeit: Kromayer, Die Zeit des BrundiBinischen Friedens
und AntODin» Abreise nach Griechenland im Jahre 39 (Hermes Bd. 2U, 1894,
8. 606—663) [Fricden8«chlu88: Sept. 40, Abreise nadi Griechenland: früliostons
Ang./8ept. 30].
14) Appian. Civ. V, 75: "at^ di ng xal ßaaiXiaq, ov^ Soxi/naaeisv, inl
»f>6fOii iQtt xttayfilvoii, IJuvxov (ilv JuQtlov xov 4'a^vaxovf toi MiQqiSÜzov,
iSovnattuv 61 xal 2ttnaQi<ov^HQipöi}v,^Afivvtav 6h niat6cliv, xal UoXi'nwva
ßigovi KiXtxlaQ, xal iripovq ii IktQa f&vtj. — Noch einiKe Ernonnungdn aus
«piterer Zelt (86/36) bei Dio Gaaa. XLIX, 32. Vgl. Plutarch. Anton. .30: noX-
XoXq ixuffCiino xtxQOQxifii xo^ ßaadtla^ if^vcüv ftfyäkwv, i6itirai^ olai, nokXovq
i d^gptTto ßadtXiluq.
[252. 253] Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. 313
im Herbst 39 nach Athen {Appian. V, 75 — 76. Dio Cciss. XL VIII, 39),
wo er, jedoch mit Unterbrechungen, bis zum Frühjahr 36 verweilte
(Urumann, Gesch. Roms I, 441 f. 447 f.).
Zu der Zeit, als Antonius sich von Octavian die Herrschaft
über den Osten zusichern Hess, war bereits ein grosser Theil des
östlichen Gebietes, namentlich die ganze Provinz Syrien, an die
Parther verloren gegangen. Dieselben waren im J. 42 (um die-
selbe Zeit als Cassius Syrien verliess, Appian. Civ. IV, 63) von
Cassius zum Bündniss gegen Antonius und Octavian aufgefordert
worden. Es kam aber damals nichts zu Stande, da bei Philippi
die Entscheidung fiel, ehe die lange hingezogenen Verhandlungen
zum Abschluss gediehen. Allein Labienus, das Haupt jener Ge-
sandtschaft, blieb am parthischen Hofe und wusste durch seine
unablässigen Vorstellungen den König Orodes endlich zu einem
Angriff auf das römische Gebiet zu bewegen. Vielleicht noch im
Herbst 41, spätestens im Frühjahr 40 fiel ein grosses parthisches
Heer unter Anführung des Labienus und Pacorus, des Sohnes
des Königs Orodes, in Syrien ein, besiegte den Decidius Saxa
— der selbst getödtet wurde — , eroberte ganz Syrien, Phönicien
(nur mit Ausnahme von Tyrus) und Palästina und drang schliess-
lich nach Kleinasien, ja bis an die jonische Küste vor {Dio
Cass. XLVIII, 24—26. A2rpian. Syr. 51. Civ. V, 65. Plutarch. Anton. 30.
Liv. Epit. 1 27). — üeber die Chronologie s. bes. Bürcklein, Quellen
und Chronologie der römisch-parthischen Feldzüge in den Jahren
713—718 d. St. (Leipz. Dissert. 1879) S. 49—51. Ueberhaupt:
Mommsen, Römische Geschichte V, 357 ff. Gutschmid, Geschichte
Irans und seiner Nachbarländer (Tüb. 1888) S. 93 ft". und die von
Gutschmid S. 171 f. erwähnte Literatur. Gardthausen, Augustus
und seine Zeit I, 1, S. 224 ff II, 1, S. 107 ff'.
P. Ventidius 39—38.
Antonius sandte gegen Ende des Jahres 40 (so Bürcklein; nach
gewöhnlicher Annahme erst 39) den P. Ventidius mit einem Heere
nach Asien. Dieser trieb (im J. 39) den Labienus bis an den
Taurus zurück, besiegte ihn hier in einer entscheidenden Schlacht
(worauf Labienus selbst gefangen und getödtet wurde), eroberte
Cilicien, besiegte am Amauus, dem Grenzgebirge zwischen Cilicien
und Syrien, auch den Pharnapates, den Unterfeldherrn des
Pacorus, und nahm nun ohne Mühe von Syrien und Palästina Be-
sitz I {Dio Cflss. XLVIII, 39—41. Liv. Epit. 127. Plutarch. Anto7i. 33)^^).
— Im J. 38 wiederholten die Parther ihren Einfall, erlitten aber
15) Dass dies alles noch im J. 39 geschah, erhellt aus Dio Cass. XLVIII,
43 inif.
314 Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. [253]
in der Landschaft Kj'rrestike durch Ventidius eine völlige Nieder-
lage, bei welcher auch Pacorus seinen Tod fand, an demselben
Tage, an welchem 15 Jahre zuvor Crassus gefallen war, also V. Mus
Junias = %.J\mi (Dio Cass. XLIX, 19—20. Liv. Epit. 128. Plutarck.
Anton, di. Vgl. Dio Cass. XLIX, 21: h rf] avry riniga kxatSQov
Tov sTovg d{ig)6rsQa ovifrjvsx^^)- — Ventidius wandte sich nun
gegen Antiochus von Komagene. Während er denselben in
Samosata belagerte, kam Antonius selbst an, entliess den
Ventidius und setzte die Belagerung fort. Er richtete aber nicht
viel aus, begnügte sich mit einer scheinbaren Unterwerfung des
Antiochus und kehrte nach Athen zurück, indem er den C. Sosius
als Statthalter in Syrien zurückliess {Dio Cass. XLIX, 20—22.
Plutarch. Anton. 34). Ventidius feierte am 27. November 38 in Eom
einen Triumph ex Tauro monte et Partheis ^^). — Ueber die Chronologie
s. Bürcklein a. a. 0. S. 51—61.
G. Sosius 38. 37.
Sosius vollendete die Unterwerfung von Syrien, indem er
namentlich den jüdischen König Antigonus, den Schutzbefohlenen
der Parther, besiegte und Jerusalem eroberte, um den von Antonius
zum König ernannten Her ödes daselbst einzusetzen (Dio Cass.
XLIX, 22 verlegt dies noch in d. J. 38, coss. Ap. Claudius Pulcher,
C. Norhanus Flaccus. Vgl. aber unten § 14). Sosius erhielt dafür
den Imperator-Titel und einen Triumph {ex Judaea) bewilligt, den
er aber erst am 3. September 34 feierte^'). Vgl. überhaupt Pro-
sopographia imperii Botnani III, 253 sq.
Im J. 36 kam wieder Antonius selbst in den Orient. Er
wollte einen entscheidenden Schlag gegen die Parther führen,
zog mit grosser Heeresmacht gegen sie, richtete aber nichts aus
und musste nach Beginn des Winters unter ungeheuren Verlusten
wieder zurückkehren (vgl. Gutschmid, Geschichte Irans, S. 97 — 101.
Gardthausen, Augustus I, 1, S. 290 if. II, 1, S. 149 ff. Kromayer,
Hermes Bd. 31, 1896, S. 70—104). — Noch ehe er gegen die
Parther aufgebrochen war, im Frülijahr 36, war er in Syrien
wieder mit Kleopatra zusammengekommen. Und nach der Rück-
16) 8. die römischen Triumplial-Fast.n /.mn J. 710: P. Ventidius P. f.
procoi, ex Tauro . . monte et Partlnix r. A', Ihcnu. [Corp. Itiscr. Lat. I, 1, ed.
2. p. CO, 76—77, 180. G. Schön, Da» capiinlinis. lic Verzeichniss der römischen
Triomphe, 1893, S. 61).
17) Imperator-Titel nach den Münzen Hu/"/"//, Monuaies de la repul)lique
romaim II, 1880, p. 404). — Triumi.lml-l'astrri zum J. 720: C. Sosius 0. f. T.
n, proeoi. §x Judaea an. DCOXIX J/I. Noim.s Septeiuhr. ( Corp. Inscr. Lat. /. c
ScliOn «. a. O.).
[253. 254] Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. 3 1 5
kehr von dem unglücklichen Zug-, gab er sich in Lenke Konie
(zwischen Sidon und Berytus) abermals mit ihr den gewohnten
Schwelgereien hin {Dio Cass. XLIX, 23—31. Plutarch. Anton.^^—h\).
— Er folgte ihr dann (noch vor Ende des J. 36, s. Fischer, Zeit-
tafeln S. 358 f.) nach Aegypten und blieb dort bis zum J. 33, den
ausgesuchtesten Genüssen und Ausschweifungen ergeben, welche
nur durch ein paar kurze Feldzüge nach Armenien (in den
Jahren 34 und 33) unterbrochen wurden [Dio Cass. XLIX, 33.
39 — 41. 44. Plutarch. Anton. 52—53. Drumann, Gesch. Roms I,
461—467. Pauly's Real-Enc. I, 1, 2. Aufl. S. 1178. Gardthausen I,
1, 331 ff. II, 1, 165 ff. Pauly-Wissowa's Real-Enc. I, 2608). 1
Aus dieser und der nächstfolgenden Zeit (bis zur Schlacht bei
Actium) sind uns noch zwei Statthalter von Sj'rien bekannt.
L. Munacius Plancus 35.
Im J. 35 [coss. L. Cornificiits und Sext. Pompejus, Dio Cass.
XLIX, 18) wurde Sextus Pomp ejus, der von Octavian besiegt
nach Klein-Asien geflohen war, daselbst getödtet. Appian. Civ. Y,
144 erwähnt, es sei ungewiss, ob den Befehl dazu Antonius selbst
oder Plancus, der Statthalter von Syrien, gegeben habe {slol ^ di
nXayxov, ovx Avtcovlov XtyovOiv tJtiaxBlXai, agxovra ^vQtag). Wir
sehen aus dieser gelegentlichen Notiz, dass damals L. Munacius
Plancus Statthalter von Syrien war. Er gehörte zu den ver-
trautesten Freunden des Antonius, ging aber noch vor Ausbruch
des Krieges zwischen Octavian und Antonius im J. 32 zu ersterem
über (Dio Cass. L, 3). — Vgl. über ihn überhaupt: Drumann, Gesch.
Roms IV, 207—213. Pauly's Real-Enc. V, 204—208. Borghesi,
Oeuvres II, 83 ff. Prosopogr. imperii Romani II, 390 — 392.
L. Calpurnius Bihulus 32. 31?
Appian. Civ, IV, 38 erwähnt unter den Proscribirten, die sich
später mit Antonius und Octavian aussöhnten, gelegentlich auch
den L. Bibulus: „Bibulus aber versöhnte sich [mit Antonius und
Octavian] zur selben Zeit wie Messala und leistete dem Antonius
als Schiffsbefehlshaber Dienste und überbrachte oft dem Antonius
und Octavian gegenseitig Friedensverträge und wurde von An-
tonius zum Statthalter von Syrien ernannt und starb,
während er noch Statthalter war"^^). Da Bibulus hiernach
als Statthalter von Sj'rien starb, nach dem Zeugniss seiner Münzen
aber mindestens im J. 33 noch gelebt hat (Drumann II, 106), so
18) BlßovXoq 6h ianslaazo afxa toJ Msaadka, xat evavtxQxtiosv jIvtwvIw,
SiaXXayäg re noXXdxiq 'Avrwvüo xal KalauQi ig d).Xi]Xovq inoQd^fisvae, xal
oxQazTjyoq dneSsix^^ Sv^iag in livrcoviov, xal azQartjywv szi
avT^g UTif&avev.
316 Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. [254. 255]
setzen Xoris, Cenot. Pis. p. 286, Schöpflin p. Vll und Andere mit
Recht diese Statthalterschaft in die Zeit des Krieges zwischen
Antonius und Octavian. Tgl. auch Drumaun II, 105 f. Borghesi,
Oeuires II, 92 tf. Lewin, Fasti sac?7 n. 581. Ganter, Die Proviuzial-
verwaltung der Triumvirn, 1892, S. 43 f. Pauly-Wissowa's Eeal-
Enc. III, 1367 f. Die Münzen bei Babelon, Monnaies de la repuhlique
romaine t. I, 1885, p. 304 sq.
Antonius war mittlerweile immer mehr der Sklave von
Kleopatra's Launen geworden. Er hatte sich sogar bestimmen
lassen, ihr und ihren Kindern römisches Gebiet zu schenken. So
erhielt Kleopatra Cölesyrien oder, wie Dio Cassius statt dessen
sagt, einen gi'ossen Theil des Landes der Ituraeer, deren König
Lysanias getödtet wurde, ferner Phönicien bis zum Eleutherus
mit Ausnahme von Tyrus und Sidon, Stücke von Judäa und
Arabien, welche deren Königen Herodes und Malchus abgenommen
wurden | {Joseph. Antt XY, 3, 8. 4, 1—2. Bell. Jud. I, 18, 5. Dio Cass.
XLIX, 32. Plutarch. Anton. 36; über die Zeit dieser Schenkungen
s. unten § 15). Kleopatra s Sohn Ptolemäus, den sie dem Antonius
geboren hatte, erhielt etwas später Syrien bis zum Euphrat und
Phönicien, während Cölesyrien seiner Mutter verblieb (so Plutarch.
Anton. 54, vgl. Dio Cass. XLIX, 41). S. überhaupt: Mommsen, Res
yestae divi Augusii 2. Aufl./). 118. Gardthausen, Augustus und seine
Zeit I, 1, 336 f II, 1, 168 f Kromayer, Hermes 29, 1894, S. 571
bis 585. — Diese Schenkungen wurden freilich vom Senate nicht
bestätigt {Dio Cass. XLIX, 41). Und die Herrlichkeit des Antonius
ging jetzt bald zu Ende. Nach dem letzten armenischen Feldzug
v. J. 33 ging er nach Griechenland. Während er dort war, kam
im J. 32 der Krieg zwisclien ihm und Octavian zum Ausbruch,
und schon im folgenden Jahre wurde durch die Schlacht bei Actium
(2. Septbr. 31) der Herrschaft des Antonius für immer ein Ende
gemacht
II. Die Kaiserzeit.
30 V. Chr. — 70 n. Chr.
1. Octavian US Augustus (30 vor bis 19. Aug. 14 nach Chr).
Q. DidiuB 30 V. Chr.
Nach der Schlacht bei Actium floh Antonius nach Aegypten.
Octavian folgte ihm, musste aber wegen vorgerückter Jalireszeit
in Samos überwintern {Sucton. Atiy. 17). Erst im .1. 30 zog er auf
dem Landwege durch Asien und Syrien [Asiae Syriaeque drcuitu
Aefjyptum petit, Suetm. Aug. 17) nacli Aegypten, wo es am 1. Aug.
d. J. 30 vor den Tlion-n Alcxjindrin's nocli cinninl zu einem Treifen
[255. 256] Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. 317
kam, in welchem Antonius geschlagen wurde, während gleichzeitig
seine Flotte zu Octavian überging. Infolge dessen gaben Antonius
und Kleopatra sich selbst den Tod; und Octavian war nunmehr
unumschränkter Gebieter im römischen Reiche {Dio Cass. LI, 1 — 14.
Phitarch. Anton. 69—80. Vgl. Clinton ad ann. 30. Fischer, Zeit-
tafeln S. 370 f.).
In dieser Zeit, zwischen der Schlacht bei Actium und dem Tode
des Antonius (Septbr. 31 — Aug. 30), wird ein Q. Didius als Statt-
halter von Syrien erwähnt, der die arabischen Stämme aufreizte,
die Schiffe, welche für Antonius im arabischen Meerbusen erbaut
worden waren, zu verbrennen; und die Gladiatoren, welche von
Kyzikus aus dem Antonius zu Hülfe eilen wollten, am Durchzug
nach Aegypten verhinderte, wobei auch der König Herodes ihm
Hülfe leistete {Dio Cass. LI, 7. Joseph. Antt. XV, 6, 7). — Es scheint,
dass dieser Didius noch von Antonius eingesetzt worden war, aber
nach der Schlacht bei Actium, als er sah, dass die Sache des
Antonius verloren war, die Partei des Octavianus ergriff ^3). |
Gegen Ende des Jahres 30 kam Octavian auf der Rückkehr
aus Aegypten wiederum nach Syrien und ordnete wohl jetzt erst
die Verhältnisse daselbst {Dio \Cass. LI, 18. Den Winter 30/29
brachte Octavian in Asien zu).
M. Messalla Corvinus 29.
Jene Gladiatoren, welche Didius am Zug nach Aegypten ver-
hindert hatte, wurden von Messalla (d. h. M. Messalla Cor-
vinus, dem Cons. d. J. 31) nach verschiedenen Orten hin vertheilt
und gelegentlich getödtet {Dio Cass. LI, 7). Messalla muss also nach
Didius Statthalter von Syrien gewesen sein. Wegen Appian. Civ. IV,
38 meint Ganter (Die Provinzialverwaltuug der Triumvirn S. 44),
dass Messalla's Verwaltung von Syrien erst nach seiner gallischen
Statthalterschaft (28—27) fallen könne, weil nämlich Appian dort
nach Messalla's Theilnahme an der Schlacht bei Actium zunächst
seine Sendung nach Gallien erwähnt. Aber dies schliesst nicht
aus, dass seine Verwaltung von Syrien dazwischen fällt. \'gl. über
ihn überh. Prosopogr. imperii Jlomani III, 363 — 368.
M. Tullius Cicero 28?
Aus A^ypian. Civ. IV, 51 wissen wir, dass M. Tullius Cicero
(der Sohn des Redners), nachdem er im J. 30 das Consulat bekleidet
19) Diese Vermuthung wird von Ganter (Die Provinzialverwaltung der
Triumvirn S. 44) abgelehnt. Sie ergiebt sich aber als wahrscheinlich aus dem
Umstände, dass Didius schon sehr bald nach der Schlacht bei Actium als
Herr von Syrien erscheint.
318 üebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. [256]
hatte, auch Statthalter von Syrien gewesen ist. Allein über die
Zeit seiner Verwaltung ist nichts Sicheres bekannt. Schöpflin 2h 478
und Zumpt II, 74 s$., lassen ihn unmittelbar auf Messalla folgen.
Mommsen war früher geneigt, ihn erst in die Zeit nach dem J. 741
a. U. = 13 V. Chr. zu setzen {Res gestae divi Augusti l.Aufl. S. 114 f),
lässt aber jetzt die Zeit seiner Statthalterschaft unbestimmt {ibid,
2. Aufl. S. 165). Die Worte Appian's sind der Ansicht Schöpflin's
und Zumpt's mindestens günstig-^). Die Inschrift, auf welcher
Cicero als Statthalter von Syrien erwähnt wird {Oi'elli Inscr. laL
n. 572), gilt jetzt für unecht (Corj). Inscr. LaL t X, falsae n. 704*,
Mommsen, Res gestae Aug.p. 165 not). — Vgl. überhaupt Drumann VI,
711—719. Pauly's Eeal-Enc. VI, 2, 2232ff. Prosopogr. imperü Romani
III, 338—340.
Im J. 27 fand die bekannte Theilung der Provinzen
zwischen Augustus und dem Senate statt. Augustus hatte
nämlich bis dahin alle Provinzen durch seine Legaten verwaltet.
Nun aber gab er einen Theil derselben an den Senat zurück, indem
er nur die wichtigeren, namentlich diejenigen, deren Behauptung
noch schwierig war, für sich behielt. Unter den letzteren befand
sich auch Syrien, das an und für sich eine der wichtigsten Pro-
vinzen war und wegen der steten Bedrohung seiner Ostgrenze eines
starken militärischen Schutzes nicht entbehren konnte^'). |
20) ^Enl «J* ixelvoig avxov o Kalaag, iq dnoXoylav tfjq Kix^Qcavog ixSSaecog,
lep^a re evd-vg an^cpTjvs xal vnarov ov TtoXv votsqov xal HvQi'ag arQccTTjyov. —
Es lag dem Augustus daran, das dem Vater zugefügte Unrecht an dem Sohne
möglichst bald und gründlich wieder gut zu machen. Er wird ihm also bald
nach dem Consulat, nicht erst 17 oder mehr Jahre nachher, die Provinz über-
tragen haben.
21) Vgl. Ober diese Theilung der Provinzen bes. Dio Cass. LIII, 12; auch
Strabo XVII, ;>. 840. Sueton. Awj. 47. — Die näheren Bestimmungen,
welche Augustus über die Verwaltung der Provinzen tlicils jetzt, theils
später (nach Fischer, Rom. Zeittafeln S. 380, bezüglich der westlichen Provinzen
in den Jahren 27—24, bezüglich der östlichen in den Jahren 22—19) traf, sind
im Wesentlichen folgende (h. bes. l>io Cass. LIII, 13—15. Marquardt, llü-
miscbe Staatsverwaltung Bd. I, 2. Aufl. 1881, S. 543-r)57; luuh Mommsen,.
Kömische« Staatsrecht 1. Aufl. II, 1, 217-240, vgl. I, 303-308);
a. Für die senatoriHchcn Provinzen. Sic zerflelon in zwei Classen,
in solche, welche von gewesenen Consu In, und soh-hc, wcldic von gewesenen
Pr&to reo verwaltet wurden. ConsulariHch waren nur Afrika und Asien,
alle flbrigen waren prätorisch. — Alle Statthalter wurden, je auf ein Jalir,
durch's Loos gewfthlt; jedoch rauHsten, wie es die; lex Pompcja vom J. 52 be-
■timmt hatte, «wischen der Verwaltung des Mtädtischen Amtes und dem Abgang
in die Provinz mindestens fünf Jahre in der Mitte liegen; häufig war die Frist
eine Iftngcro. Die beiden zunächst berechtigt (ui (y'onsuln looKten um die beiden
consulariscben Provinzen, Afrika «uid Asien idie ruühstberechtigten waren nicht
[257. 258] Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. 319
Varro bis 23.
Unmittelbar vor Agrippa s Sendung nach dem Orient (23 v. Chr.)
wird ein Varro als Statthalter von Syrien erwähnt {Joseph. Äntt.
XV, 10, 1. Bell. Jud. I, 20, 4). Ob dies einer der sonst bekannten
Varronen war, lässt sich nicht bestimmen ; ebensowenig, wann erj
nach Syrien gekommen ist. — Ztimpt, Commentt. epigr. II, 75 — 78
identificirt unsern Varro mit dem von Dio Cass. LIII, 25 und
Strabo IV, 6, 7 p. 205 erwähnten Terentius Varro, der im J. 25
als Legat des Augustus die Salasser (eine Völkerschaft in Gallia
Transpadand) unterwarf und, wenigstens nach der Vermuthung von
Zumpt, im J. 24 starb. Zumpt setzt deshalb seine Verwaltung von
Syrien in die Jahre 28 — 26 ^2). Allein aus Josephus geht mit Be-
stimmtheit hervor, dass unser Varro noch in Syrien war, als Augustus
immer die ältesten, s. Zippel, Die Losung der konsularischen Prokonsuln in
der früheren Kaiserzeit, Königsberg, Progr. 1883); ähnlich die nächstberechtigten
Prätoren um die prätorischen Provinzen (sicheres ist jedoch hierüber nicht
bekannt). — Die Statthalter sämmtlicher senatorischen Provinzen
hiessen proconsules, gleichviel ob sie gewesene Consuln oder nur gewesene
Prätoren waren; doch hatten die procotisules Afrieae et Asiae 12 Lictoren, die
übrigen deren 6. — Keiner der Statthalter in den senatorischen Provinzen
hatte ein Heer zur Verfügung, sondern nur ein kleines Commando, soweit es
zur Aufrechterhaltung der Ordnung nöthig war. Eine Ausnahme machte nur
Afrika, wo eine Legion stand, die aber später dem Legaten von Numidien
übergeben wurde.
b. Für die kaiserlichen Provinzen. Auch sie zerfielen in solche, die
von gewesenen Consuln, und solche, die von gewesenen Prätoren verwaltet
wurden, wozu dann noch einige kamen, die von blossen Rittern verwaltet
wurden. — Alle Statthalter wurden selbstverständlich vom Kaiser ernannt, von
dessen Ermessen allein es auch abhing, wie lange sie ihr Amt behielten. —
Sowohl die Statthalter der consularischen, als die derprätorischen
Provinzen (zu den ersteren gehörte Syrien) hiessen legati Augusti pro
praetore {Dio Cass. LIII, 13: rovg äe extQOvq vnö re havxov alQSIa&at xal
TCQeaßevxäq avxov dvxiaxQaxriyovq xs 6vofiät,£a&ai, xav ix xdiv vnaxsv-
x6x<üv wat, öiexa^e. Auf Inschriften: LEG • AVG • PR • PR • lieber spätere
Abweichungen von dieser Regel s. Waddington, Inscriptions de la Syrie, Er-
läuterungen zu n. 2212 und 2602) und hatten sämmtlich fünf Lictoren (nicht
sechs, wie man früher auf Grund einer falschen Lesart bei Dio Cassius meinte,
s. dagegen Mommsen, Staatsrecht I, 308, Marquardt, Staatsverwaltung I,
550). — Im Unterschiede von den Statthaltern der senatorischen Provinzen
hatten sie, als Zeichen der militärischen Gewalt, das paludamentum und zogen
cum gladio aus.
22) In die hierdurch entstehende Lücke zwischen'jVarro und Agrippa setzt
Zumpt den C. Sentius Saturninus. Da nämlich Z. die tiburtinische In-
schrift (s. unten bei Quirinius) auf Saturninus bezieht, nimmt er für diesen eine
zweimalige Statthalterschaft in Syrien an, wovon eben die erste in die Jahre
26 — 28 fallen soll. — Sämmtlichen Combinationen Zumpt's ist Wandel bei-
getreten (^Theol. Stud. und Krit. 1892, S. 109—115).
320 Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. [258. 259]
dem Herodes die Landschaft Trachonitis schenkte-^), was Zumpt
mit Recht iu das Ende des Jahres 24 oder Anfang 23 verlegt.
Damals muss also Varro noch in Syrien gewesen sein, weshalb
er mit jenem nicht identisch sein kann. — Andererseits ist auch
die Ansicht Mommsen's {Res gest. 7;. 165 sq.) unwahrscheinlich,
dass Varro ein Legat des Agrippa gewesen sei. Denn Josephus
setzt den Varro in die Zeit, ehe Agrippa nach dem Orient ge-
sandt wurde.
M. Agrippa 23 — 13.
Im J. 23 schickte Augustus den M. Agrippa, seineu ver-
trauten Freund und Rathgeber — der bald darauf im J. 21 auch
sein Schwiegersohn wurde — nach Syrien {Dio Cass. LIII, 32).
Josephus bezeichnet ihn als den „Stellvertreter des Cäsar
in dem Gebiete jenseits des jonischen Meeres" (Äntt. XV,
10, 2: rmv jisgav 'loviov öidöoxog Kaioagi). Er hatte also jeden-
falls sehr ausgedehnte Vollmachten; mehr, als ein gewöhnlicher
legatus Caesaris. Nach Joseph. Antt. XVI, 3, 3 hatte er diese Stellung
(die öiolxrjoig rcöv sjtl T?jq ^Aaiaq) zehn Jahre lang, also bis
zum J. 13 V. Chr. — Agi'ippa ging freilich im J. 23 gar nicht
nach Syrien, sondern verweilte vom J. 23—21 in Mytilene auf der
Insel Lesbos und kehrte dann nach Rom zurück {Dio Cass. LIII, 32.
LIV, 6. Sueton. Aug. 66. Vgl. Joseph. Antt. XV, 10, 2. Fischer,
Rom. Zeittafeln S. 388. 392). Dann war er vier Jahre lang im
Abendlande thätig und kam erst im J. 17 oder 16 wieder in den
Orient, wo er bis zum J. 13 verblieb {Dio Cass. LIV, 19. 24. 28.
Joseph. Antt. XVI, 2, 1—3, 3 fin. Fischer, Zeittafeln S. 402— 408) •-^^).
Er war also während der 10 Jahre keineswegs innner im Orient, |
geschweige denn in Syrien. Allein da — mit Mommsen zu reden —
Agrippa's Stellung zu Augustus mehr die eines cnllega minor, als
die eines adjutor war {Res gest. p. 164), so konnte er seine Amts-
gewalt wohl auch in absentia durch Legaten ausüben, wie er denn
in der That gleich im J. 23 von Lesbos aus seine Legaten {rovg
23) AugusttiH befahl dem Varro, die Räuberbanden in Trachonitis zu ver-
nichten, und Hchenkte gh'ichzeitig die LiiiidHchaf't dem Herodes. Vgl. bes.
Antt. XV, lU, 1 : KalauQ öh dvtvtx^kvimv zovzwv dvikyQatfiv i^tketv t« XyotTj-
(fta, z^v öh yatqav 'Hgipdg nQoahtifJLtv.
24; im Juni d. J. 17 war Agrippa bei der Feier der tudi meculurcs noch
in Ilom {Ephemerin epii/raphica VIII, 2, 1892, p. 225—274). Dagegen ist es
niciit richtig, dass Agrippa noch bei der Feier der actiuclien Spiele im Herbst
lö in Il<)m gowosen »ei (Oardthausen , Augustus II, 2, 485). Nadi l>io Casx.
LIV, 19 fin. bentritt Agrippa nur die Kosten. Im Vorhcrj^clu'iidcii wird g(>-
imde getagt, dMs Augustus ihn sclioti nucii Syrien gesandt liuiic \z6v zeyug
*Ay(flnnttv ig tfjv Xvflav ttv&iq ioxd).xti).
[259] Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. 32 1
vjioöTQaxriyovq Bio Cass. LIII, 32) nach Syrien sandte. Er ist also
für diese Zeit, mindestens für die Jahre 23—21 und 17—13, als
Statthalter von Syrien zu betrachten ^s).
Indie Jahre 21—19 v. Chr. fällt der zweijährige Aufenthalt
des Augustus im Orient {Dio Cass. LIV, 7 — 10. Fischer, Zeit-
tafeln S. 392-396. Vgl. Joseph. Äntt. XV, 10, 3. Bell. Jud. I, 20, 4).
M. Titius, um 10 v. Chr.
Um die Zeit, als Herodes zum drittenmal nach Rom reiste
(wahrscheinlich im J. 10 v. Chr., s. unten § 15 die Chronologie
des Herodes), wird als Statthalter von Syrien M. Titius erwähnt
(Joseph. Äntt. XVI, 8, 6). Er war Cousul im J. 31 V. Chr. — Näheres
über die Zeit seiner Verwaltung lässt sich nicht festsetzen. Vgl.
über ihn auch Strdbo XVI, 1, 2% p. 748, Mommsen, Res gest. div.
Äug. p. 166, Pauly's Real-Enc. VI, 2, 2011 f. Prosop. imp. Rom. III,
328 sq.
C. Sentius Saturninus 9 — 6.
Auf Titius folgte Sentius Saturninus {Josejjh. XVI, 9, 1), der
im J. 19 das Consulat bekleidet hatte. Josephus nennt neben ihm
noch den Volumnius als KaiouQog 7]ysficov. Aber letzterer muss
dem ersteren untergeordnet gewesen sein, da der Oberbefehl in
einer Provinz stets in einer Hand war. Sentius Saturninus wird
noch erwähnt Jos. Äntt. XVI, 10, 8. 11, 3. XVII, 1, 1. 2, 1. 3, 2.
— In die Zeit seiner Amtsführung setzt TertuUian den Census,
wälirend dessen Christus geboren wurde, TertuUian. adversus Mardon.
W, 19: sed et census constat actos sub Äugusto nunc in Judaea per
Sentium Saturninum, apud quos genus ejus inquirere potuissent. Die
Notiz ist mit der Darstellung des Josephus unvereinbar und sicher
irrig. Vertheidigt wird sie von Wandel, Der römische Statthalter
C. Sentius Saturninus (Theol. Stud. und Krit. 1892, S. 105—143).
Vgl. auch dessen Bemerkungen in: Neue kirchl. Zeitschr. 1892,
S.732— 735. — Ueber Sentius Saturninus überh.: Prosopogr.imp. Rom.
III, 199 s?.
25) Mommsen (Res gestae p. 163—165) hält die im Obigen wiederge-
gebene Darstellung des Josephus insofern für ungenau, als Agrippa für das
ganze Reich eine Art von Mitregentschaft besessen habe, für den Occident
nicht weniger als für den Orient. Doch erkennt auch Mommsen an, dass
Agrippa diese Mitregentschaft im Auftrag des Kaisers und an Stelle kaiser-
licher Legaten bald im Orient, bald im Occident ausgeübt habe. Insofern sei
die Darstellung des Josephus nicht ganz unberechtigt [aliquatenus excusatiir).
— Vgl. über Agrippa überh. auch Dessau, Prosopographia imperii Romani
III, 439 sqq.
Schürer, Geschichte I. 3. n. 4, Aufl. 21
322 Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. [259. 260]
P. Quintilius Varus 6 — 4 V. Chr.
Der unmittelbare Nachfolger des Saturninus war Quintilius
Yarus {Joseph. Antt. XYII, 5, 2), Consul im J. 13 v. Chr., derselbe,
der später den unglücklichen Feldzug gegen Deutschland unternahm.
Durch das Zeugniss von Münzen (bei Eckhel, Doctr. Num. vet. III,
275, Mionnet Y, 156, Mtisei Sanclementiani Numismata selcda Pars II,
1809 lih, lY p. 71 sq. Leake, Numismata Hellenica, 1854, Äsiatic Greece,
p. 15, 143, Catalogue of the greek coins in the British Museum, Galatia^
Cappadocia and Syi'ia 1899, p. 158 sq) steht fest, dass Yarus in den
Jahren 25, 26, 27 der aera Actiaca Statthalter von Syrien war. Das
25. Jahr der actischen Aera geht — da dieselbe mit dem 2. Septbr.
31 beginnt — vom Herbst 7 bis Herbst 6 v. Chr. ^ß). Yarus muss
also vor, Herbst 6 v. Chr. nach Syrien gekommen sein. Er blieb
aber daselbst bis nach dem Tode des Herodes {Joseph. Antt. XYII,
9, 3. 10, 1. 10, 9. 11, 1) d. h. bis in den Sommer des Jahres 4 v. Chr.
oder länger. Ueber seine Amtsführung in Syrien sagt Vellejus II,
117, 2: Varus . . . pecuniae vero quam non coniemptor, Syria cuiprae-
fuerat declaravit, quam pauper divitem ingressus dives pauperem reliquit.
Ygl. über ihn auch Mommsen, Pes gestae p. 166. Prosopogr. imp.
Pom. III, 118—120.
P. Sulpieius Quirinius 3—2 V. Chr.(?).
Aus den Jahren 3 — 2 v. Chr. ist uns kein Statthalter von Syrien
direct bezeugt. Es lässt sich aber durch Combination, auf Grund
einer Stelle des Tacitus, ziemlich wahrscheinlich machen, dass um
diese Zeit P. Sulpieius Quirinius (Consul im J. 12 v. Chr.) Statt-
halter von Syrien war. Tacitus gedenkt nämlich Annal. III, 48 des
Todes des Quirinius im J. 21 n. Chr. {coss. Tiber. lY, Di-us. II)
und giebt bei dieser Gelegenheit folgenden Bericht über ihn : Con-
sulatum 8ub dito Augu^to, mox expugnatis per Ciliciam Ilomonadensium
caateUis insignia triumjM adeptus, datusque rector Oaio Caesari Armeniam
optinenti'^''). Des Krieges gegen die Homonadenser gedenkt auch
Strabo XII, 6, 5 p. 569 mit folgenden Worten: 'Exelvovg öh {rovg
'Ofiovadiag) KvQlviog lS,BJt6QihrjO£ Xifim xaX rer QaxioxiXlovg avÖQag
i^ooyQT/ce xal cvvcpxioev elg rag lyyvg JtoXeig, trjv 6h x^Q^^ ajriXi3tBv
iQtlfiov rmv Iv dxft(]. Quirinius besiegte also (;iiist die Honiona-
20) Ueber den Gebrauch der actiHchcii Aera in den syriHclicn Städten vgl.
auch Kaestner, De aeria quae ab imperio Caeaaria Ootavtani constäuto ini-
tium fluxerint. Dü$. Lip*. 1800. üeber ihren Gebrauch in Phönicien: Gler-
mottl-Oanneau, lieeueü tPareMologie Orientale II, 1808, />. 207—299.
27) Die folgenden Worte „!Piberium — colucrat" sind nach MoniiuHoii,
Jies ge$t. p. 174 $q. nicht mit dem Vorhergehenden, sondern mit dem Folgenden
tu verbinden.
260. 261] Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. 325
denser, wofür ihm die Ehrenzeichen des Triumphes zuerkannt
wurden, und zwar geschah dies nach seinem Consulate (12 v. Chr.),
aber noch ehe er dem C. Cäsar bei dessen Aufenthalt in Armenien
als Rathgeber beigegeben wurde (3 nach Chr., s. Fischer, Rom. Zeit-
tafeln S. 430). Nun konnte aber ein Krieg immer nur von dem
Statthalter derjenigen Provinz geführt werden, in welcher oder
von welcher aus der Krieg zu führen war. Quirinius muss also
damals Statthalter derjenigen Provinz gewesen sein, zu welcher
die Homonadenser gehörten oder von welcher aus der Krieg gegen
sie zu führen war. Da die Homonadenser im Taurusgebirge wohnten,
könnte man an die Provinzen Asien, Pamphylien, Galatien,
Cilicien, Syrien denken. Hie von kommen aber die di-ei ersten
sofort in Wegfall, da sie keine Legionen hatten, mithin die Statt-
halter derselben überhaupt keinen Krieg führen konnten ■^^). Cilicien
aber war in jener Zeit wahrscheinlich (nach dem übereinstimmenden
Urtheile von Zwnpt, Cotnmentt. epigr. II, 95 — 98, Geburtsjahr Christi
S. 57— 61, I Viüd Mo7nmsen, lies gest. p. 112 sq.] bestritten von A. Hilgen-
feld, Zeitschr. f. wissensch. Theol. 1892, S. 509. 1893, 1. Bd. S. 199 ff.)
nur ein Theil der Provinz Syrien, jedenfalls wie auch Pamphylien
und Galatien, keine consularische Provinz, während Quirinius den
Krieg gegen die Homonadenser als gewesener Consul geführt hat
(ein gewesener Consul aber wurde nie in eine prätorische, d. h.
von gewesenen Prätoren verwaltete Provinz gesandt). Es bleibt
somit nur übrig, dass Quirinius zur Zeit jenes Krieges
mit den Homonadensern Statthalter von Syrien war^^).
Da aber diese Statthalterschaft in die Zeit vor dem Jahre 3 nach
Chr. fällt (nämlich in die Zeit, ehe er dem C. Cäsar in Armenien
als Rathgeber beigegeben wurde), so kann sie nicht identisch sein
mit der von Josephus erwähnten vom J. 6 nach Chr. (s. unten).
Es bleibt vielmehr für dieselbe nur der Zwischenraum zwischen
Varus und C. Cäsar, also die Jahre 3—2 vor Chr., übrig ^o).
28) Vgl. in Betreff Asiens auch Joseph. B. J. II, 16, 4 {ed. Niese § 366).
29) In welchem Verhältniss zu den Römern die Homonadenser vor ihrer
Unterwerfting durch Quirinius gestanden haben, ist schwer zu entscheiden und
für unsere Frage ohne Belang. Wahrscheinlich standen sie schon vor jener Zeit
unter der Oberaufsicht des Statthalters von Cilicien resp. Syrien (sofern jenes
mit diesem vereinigt war). Aber auch wenn dies nicht der Fall war, so hat
doch Quirinius von Syrien aus und als dessen Statthalter den Krieg gegen
sie geführt.
30) In die Zeit zwischen Agrippa und Titius (wenn überhaupt zwischen
beiden eine Lücke ist) kann sie deshalb nicht wohl fallen, weil wenigstens in
der Regel auch die kaiserlichen Provinzen erst geraume Zeit nach Verwaltung
des städtischen Amtes (also hier des Consulates) ertheilt wurden.
21*
324 Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. [261. 262]
Auf diese Combination (in welcher Zumpt, Commentt. epigr. II,
90—98, Geburtsjahr Christi S. 43 — 62, und Mommsen, Bes gest. div.
Äug. p. 172 sq. vollkommen übereinstimmen) ist allein die Annahme
einer früheren Statthalterschaft des Quirinius, vor der von Josephus
erwähnten vom J. 6 n. Chr., zu gründen. Denn die Inschrift,
welche man in dieser Frage beizuziehen pflegt, kann hiefür nichts
beweisen. Sie beweist zwar, dass der Betreffende, dem sie gilt,
zweimal Statthalter von Syrien war 3'). Ob sie aber auf Quirinius
zu beziehen ist, ist eben die Frage, da der Name auf der Inschrift
nicht erhalten ist. Der Hauptgrund, weshalb Mommsen und
Andere sie auf Quirinius beziehen, ist eben der, dass sie die dop-
pelte Statthalterschaft des Quirinius aus anderweitigen Quellen
(Tacitus und Josephus) für erwiesen halten. Es | ist also nicht die
Annahme einer doppelten Statthalterschaft des Quirinius auf die
Inschrift zu stützen, sondern umgekehrt die Beziehung der Inschrift
auf Quirinius auf den anderweitig erbrachten Nachweis seiner
doppelten Statthalterschaft =^2)
31) Doch ist selbst dies bezweifelt worden. S. Strauss, Die Halben und
•die Ganzen S. 75f. Wieseler, Beiträge zur richtigen Würdigung der Ew.
S. 41 f. Rud. Hilgenfeld, Zeitschr. für wissenschaftl. Theologie 1880, S. 98—114.
A. Hilgenfeld ebendas. 1892, S. 509 f. 1893, 1. Bd. S. 215 f. Namentlich die
beiden letzteren suchen zu zeigen, dass das iterum nur mit leg. pr. pr. divi
Augusti zu verbinden sei, und demnach nur besage, dass der Betreflende, als
er zum zweitenmal leyaius Äugtisti geworden sei, die Verwaltung von Syrien
«rlialten habe. S. dagegen Mommsen, Res gest. p. 162.
32) Die Inschrift wurde im J. 1764 in der Nähe von Tibur gefunden und
im J. 1765 zum erstenmale bekannt gemacht. Bereits Sanclemente {Dr vul-
garis aerae eviendatione 1793, p. 414—426) bezog sie auf Quirinius; nach ihm
Borghesi, Henzen, Nipperdey, Bergmann, Mommsen, Gerlach,
Liebenam, Marucchi. Dagegen bezieht Zumpt {Comm. ep. 11, 109 — 125,
Geburtsjahr Christi S. 72—89) dieselbe auf C. Sentius Saturninus. Zumpt
macht gegen Quirinius hauptsächlich geltend, dass er Proconsnl von Afrika
gewesen sei {Comm. cp. H, 115 sq. Geburtsj. 80—83). Mommsen bestreitet
dies und sucht umgekehrt nachzuweisen, dass Sentius Siituniinus Proconsul
vou Afrika gewesen sei (Res gest. dir. Aug. p. 168. 170 s(].). Jenes würde aller-
dings gegen Quirinius entscheiden, dieses gegen Saturninus, da nie ein und
derselbe Proconsul von Afrika und von Asien gewesen sein kann (s. o])en
8. 318f.), welch' letzteres der auf der Inschrift Genannte war. A. Hilgenfeld
<Z«it«chr. f. wissensch. Theol. 1893, 1. Bd. 8. 190-222) hält zwar di(> Beziehung
der Inschrift auf (Quirinius auch für sehr wahrscheinlich, nimmt aber nicht
«Ine cwefmalige Statthalterschaft desselben von Syrien, sondern eine Statt-
haltenchAft 1) von Cilicien, 2) von Syrien an (vgl. Anm. 31 1. Wir können
dlMe Fragen hier füglicii m suspenso lassen, geben aber der Vollständigkeit
halber den Text der Inschrift (s. denselben auch Corj), Inscr. Lat. t. XIV' n.
3013; ein schönes Fn«Himilc bei Marucchi, Art. Ogrimis in: Vigouroux, Dic-
tionnaire de In BUdr II, 1187 f.) mit den Ergänzungen Mommsen's:
[262. 263] Uebersicht über die Geßchichte der römischen Provinz Syrien. 325
C. Caesar 1 vor Chr. — 4 nach Chr. (?).
Im J. 1 V. Chr. (753 a. U.) sandte Augustus seinen erst acht-
zehnjährigen Enkel C. Cäsar (den Sohn des Agiüppa und der Julia)
nach dem Orient, um die Parther und Armenier, welche die römische
Autorität nicht mehr anerkennen wollten, wieder zur Unterwerfung
zu zwingen. Cäsar ging zunächst nach Aegypten, dann, wahrschein-
lich noch vor Ende des Jahres 1 v. Chr., nach Syrien (ohne Palä-
stina zu berühren, Sueton. Äug. 93). Hier blieb er wahrscheinlich
während des Jahres 1 n. Chr., und ging dann erst weiter gegen
die Parther (2 n. Chr.) und Armenier (3 n. Chr.). Nachdem er die
Angelegenheiten geordnet hatte, rief ihn Augustus nach Rom zu-
rück. Er starb aber auf der Rückkehr am 21. Febr. des J. 4 nach
Chr. zu Limyra in Lycien {Zonaras X, 36. Dio Cass. LV, 10* nebst
dem Auszug des XiphiUnus. Vellejus Paterculus II, 101 — 102. Tac.
Ann. I, 3. Das Datum des Todes nach dem Cenotaphium Pisanum,
Corp. Inscr. Lat. XI, n. 1421. Vgl. Clinton ad ann. 1 a. C. — Ap. C.
Fischer, Rom. Zeittafeln S. 426—431. Prosopographia impeni Romani
II, 174 sq.). — Nach Zonar. X, 36 hatte C. Cäsar proconsularische
Gewalt {Tr}v tS,ovaiav amm t/jv dp^vJiarop töcoxEp); nach | Orosius
VII, 3 war er gesandt ad ordinandas Aegypti Syriaeque provincias;
nach Sueton. Tiber. 12 war er Orienti praepositus. Er wird also
während dieser Zeit auch die Verwaltung von Syrien gehabt haben.
Vgl. Mommsen p. 165.
Zumpt (Geburtsjahr Christi S. 32—40) bestreitet dies ent-
schieden, indem er annimmt, dass neben C. Cäsar ordnungsmässige
legati Auyusti in den kaiserlichen Provinzen sich befanden, nur
dass Cäsar selbstverständlich überall, wohin er kam, höhere Gewalt
hatte, als die Statthalter der betreffenden Provinzen. Zumpt macht
für seine Ansicht hauptsächlich geltend, dass im andern Falle
Augustus sich aller Macht im Orient begeben haben würde, was
nicht anzunehmen sei. Allein dieser Grund ist nicht stichhaltig;
denn dann müsste ebenso anzunehmen sein, dass neben Agi'ippa
sich ordnungsmässige legati Caesaris in den Provinzen befanden,
was doch auch Zumpt nicht annimmt. Für Mommsen's Ansicht
(die übrigens schon von Baron ins in seinen Atinal. und von Schöpf -
bellum gessit cum f/etite homonaden-
sium quae interfecerat amyntam
/EGEM . QVA • REDACTA . IN • VOIestatem imp. caesaris
AVGVSTI . POPVLIQVE • ROMANI • SENATV« dis immortalibus
SVPPLICATIONES • ßlNAS . OB • EES - PEOSPere ab eo gestas et
IPSI . ORNAMENTA • TRlVMPHa/m decreuü
PRO • CONSVL . ASIAM • PROVINCIAM • OFtinuit legatus pr. pr.
DIVI AVGVSTI «TERVM • SYRIAM ■ ET • THoenicen optinuü
326 Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. [263. 264]
lin vertreten ist) spricht theils der Umstand, dass uns keine
Jegaii Äugusti aus jener Zeit bekannt sind (wiewohl dies bei der
Dürftigkeit der Quellen allerdings erklärlich wäre), theils und be-
sonders das Zeugniss des Orosius VII, 3, dass C. Cäsar gesandt
wurde ad ordinandas Aegyjyti Syriaeque provincias. Man sieht nicht
ein, weshalb Augustus ihm die Ordnung der Verhältnisse in Aegyp-
ten und Syrien übertragen haben sollte, wenn doch zugleich kaiser-
liche Legaten in jenen Provinzen sich befanden ^^^^
Abgesehen hiervon sind auch die positiven Vermuthungen
Zumpt's über die damaligen Legaten von Syrien sehr gewagt. Er
nimmt an, dass die dem jungen Cäsar beigegebenen Rathgeber
(rectores) immer zugleich Statthalter von Syrien waren. Solche
rectores waren nach Zumpt zuerst P. Sulpicius Quirinius {Tae.
Ann. III, 48); nach diesem M. Lollius {Sueton. Tiber. 12); und zu-
letzt C. MarciusCensorinus {Vellejus Paterc. II, 102). Vgl. Cotrim,
epigr. II, 98—104. 107 sq. Geburtsjahr Christi S. 40—43. 62—71. —
Allein Quirinius war nicht vor, sondern nach Lollius Rath-
geber des Cäsar, nämlich erst im J. 3 n. Chr., als Cäsar bereits in
Armenien war {Tac. Ann. III, 48: datusque rector Gaio Caesari Är-
meniam optinenti), nachdem Lollius bereits während des parthi-
schen Aufenthaltes im J. 2 n. Chr. gestorben war {Vell. a. a. 0.).
Vgl. Mommsen, lies gest. ;;. 173—175. Ueber die Chronologie Fischer,
Zeittafeln S. 428—430. — Ausserdem ist es fraglich, ob auch Cen-1
sorinus unter diese rectores Caesaris zu rechnen ist. Er wird
wenigstens nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet 3^). — Und
schliesslich schwebt überhaupt die Hypothese, dass diese rectores
zugleich die Statthalter von Syrien waren, völlig in der Luft.
L. Volusius Saturninus 4 — 5 u. Chr.
Consul suffeclus im J. 12 V. Chr. — Durch eine Münze wissen
wir, dass er im J. 35 der actischen Aera = Herbst 757—758 a. U.
oder 4 — 5 n. Chr. Statthalter von Syrien war {Eckhel, Doctr. Num. III,
33) Bei Germanicus (h. unten 17—19 n. Chr.) fand allerdings ein solches
Verhältni«» statt. Allein die Parallele mit diesem triftt deshalb nicht zu, weil
der nUHHtrauischc TiberiuH die Macht des Germanicus durch seine Legaten
paraly»ircn wollte, wozu Augustus keinen (irund hatte.
34) Die ganze ötelle bei Vell. II, 102 lautet: Quo tempore M. Lolli, quem
vehUi modertUorem Juventac flli stti Augustus esse vuluerat, pcrfula et pleim suh-
doli 00 vernUi auimi nrnsilia, per Parthuvi iudicata Caesari, fama vohjavit.
Omfm mor» iulra pauojs dies furfuita au nduntaria fuerit ii/uuro. Sed quam
htme d$eei$U$e laetati homiuea, taui paulo post ul>isse Crusoriuum in iisdem
pro9imcii$ graviier tulit civüas, riruvi dcmcrcudU hüminibus (jcuitmn. — Die
Worte „in iüdem provinciü" aind allerdings der Annahme günstig, dass Cen-
•orinus daMelbe Amt hatte, wie LoIUum.
[264] Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. 327
275 sq. Mionnet V, 156. Musei Sanclementiani Numismata selecta Pars
II, 1809 Üb. IV, p. 73. Catalogue of the greek coins in the British Mu-
seum, Galatia, Caj^adocia and Syria 1899, ^;. 159. Auch im Berliner
Museum). Vgl. Prosoj^ographia imp)erii Romani III, 482 sq.
P. Sulpicius Quirinius 6ff. ^^).
Nach der Verbannung des Archelaus, des Ethnarchen von
Judäa, im J. 6 n. Chr. kam P. Sulpicius Quirinius nach Syrien
und nahm unmittelbar nach seiner Ankunft den Census in Judäa
vor {Josei^h. Antt. XVII, 13, 5. XVIII, 1, 1. 2, 1). Wie lange er
Statthalter von Syrien geblieben ist, lässt sich nicht bestimmen. —
Auf seine Thätigkeit in Syrien nimmt auch eine Inschrift Bezug,
welche lange Zeit für unecht gegolten hat, deren Echtheit aber
jetzt, nachdem die zweite Hälfte im Original wieder aufgefunden
worden ist, als zweifellos gilt (s. bes. Mommsen, Eiiliemeris epi-
graphica vol. IV, 1881, p. 537 — 542 = Corj). Inscr. Lat. III Suppl. n.
6687; auch Leeoultre, De censu Quiriniano, LausannaelSS3,p.AS — 51;
ein Facsimile des wiederaufgefundenen Stückes bei De Rossi,
Bullettino di archeologia cristiana 1880, tav. IX, vgl. p. 174). — Auf
der Inschrift sagt ein Q. Aemilius Q. f. Pal. Secundus von sich unter
anderem: jussu CJuirini censum egi Apamenae cit^itatis millium homi-
n{um) civium CXVII. Idetn missu Quirini adversus Ituraeos in Libano
monte castellum eorum cepi. — Vgl. über Quirinius überhaupt: Lie-
benam, Forschungen I, S. 364—368. A. Hilgenfeld, Zeitschr. für
wissensch. Theol. 1893, 1. Bd. S. 196—222. Prosqjogr. imp. Rom.
III, 287—289.
Q. Caecilius Greticus Silanus 12 — 17.
Consul im J. 7 n. Chr. — Dass er spätestens im J. 12 n. Chr.
als Statthalter nach Syrien gekommen ist, beweisen seine Münzen,
auf welchen die Jahreszahlen 42, 43, 44, 45, 47 der actischen Aera
vorkommen {Eckhel, Docir. Num. III, 276. Miomiet V, 156—159. 276.
Musei Sanclementiani Xum. sei P. II Hb. IV, p. 73 sq. Leake, Xumis-
mata Hellenica, Asiatic Greece, p. 15. Catalogue of the greek coins in
the British Museum, Gal. Capp. and Sijr. p. 159, 169, 273 [die vom
J. 42—45 sind in Antiochia, die vom J. 47 in Seleucia geprägt;
die vom J. 45 haben den Kopf des Tiberius und das Datum A =
erstes Jahr des Tiberius, die vom J. 47 den Kopf des Tiberius
und das Datum F = drittes Jahr des Tiberius]. Das Berliner
Museum besitzt solche aus den Jahren 43, 44, 45, 47). Das J. 42
35) Dies ist die am besten bezeugte Namensform (z. B. Corp. Inscr. Lat.
VIII n. G8). Vgl. über dieselbe überhaupt: Woolsey, Bibliotheea sacra 1S18,
p. 499-513. Prosop. imp. Rom. III, 288.
328 Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. [264. 265]
aer. Act. ist = Herbst 764—765 a. U. oder 11—12 n. Chr. Sancle-
mente, De vulgaris aerae emendat. p. 348 nennt auch eine Münze vom
J. 41. Da er a;ber selbst in seinem späteren Werke {3Ius. Sand.
Num. sei.) diese Münze nicht mehr erwähnt, und da sie unter den
zahlreichen Münzen des Silanus sonst nirgends vorkommt, so wird
ihre Existenz von Klebs mit Eecht bezweifelt {MA Lesefehler für
MA). Die letzte Münze des Silanus (47 aer. Act.) ist aus dem J.
16—17 p. Chr. Uebereinstimmend damit berichtet Tacitus Ann. II, |
43 die Abberufung des Silanus durch Tiberius im J. 17 n. Chr. —
Vgl auch Tac. Ann. II, 4. Joseph. Antt. XVIII, 2, 4. Mommsen, Res
gestae p. 166. Klebs, Prosopogr. imp. Rom. I, 250—252. Groag in
Pauly-Wissowa's Real-Enc. III, 1212.
2. Tiberius (19. Aug. 14 bis 16. März 37).
Cn. Calpurnitis Piso 17 — 19.
Im J. 17 (wohl gegen Ende des Jahres) sandte Tiberius seinen
Neffen und Adoptivsohn Germanicus nach dem Orient, um ver-
schiedene Angelegenheiten daselbst zu ordnen. Derselbe erhielt eine
höhere Macht als die Statthalter der Provinzen, in welche er kam
(decreio patrum permissae Germanico provinciae quae mari dividunhir,
majusqtie imperium, quoquo adisset, quam iis qui sorte aut missu prin-
cipis ohtinerent. Tac. Ann. II, 43). Gleichzeitig wurde Silanus ab-
berufen und an seine Stelle Cn. Calpurnius Piso (Cons. im J. 7
v. Chr.) zum Statthalter von Syrien ernannt, ein Mann von herrsch-
süchtigem und unbeugsamem Charakter {ingenio violentus et ohscquii
ignarus, Tac. Ann. II, 43).
Germanicus ging zunächst nach Griechenland, wo er zu Anfang
des Jahres 18 sein zweites Consulat antrat, dann über Byzanz,
Troja, an der jonischen Küste entlang nach Rhodus und von hier
nach Armenien. Nachdem er dort die Angelegenheiten geordnet
hatte, kam er nach Syrien, wohin ihm bereits Piso vorausgeeilt war
{Tac. Ann. II, 53 — bl)^% Bei dem herrschsüchtigen Charakter
Piso's konnten Feindseligkeiten zwischen beiden niclit ausbleiben.
Doch hatten dieselben zunächst keine weiteren Folgen {Tac. Ann. II,
57 — 58). Im J. 19 unternahm Germanicus eine Reise nach Aegyp-
ten, hauptsächlich um die Alterthümer des Landes zu erforsclien
{Tac Ann. II, 59—61). Als er nach Syrien zurückkam, erkrankte
er bald und starb am 10. Octbr. d. J. 19. Allgemein gab man dem
Piso Schuld an seinem Tode {Tac. Ann. II, 69—73. Clinton, Fasti
86) Doch kann Pitto auch erst im J. 18 nach Syrien gekommen sein, da
er aaf der Hioreive in RboduH mit Germanicua zusammengetroffen war {Tac.
Ann. II, 55).
[265, 266] Uebersicht über die Geschiebte der römischen Provinz Syrien. 329
Romani I, p. 4). Bereits vor dem Tode des Germanicus war Piso
aus Syrien abgereist, da ihm Germanicus befohlen hatte, die Provinz
zu verlassen {Tac. Ann. II, 70). Vgl. über Piso überh. Prosopogr.
imp. Rom. I, 281 sq. Pauly-Wissowas Real-Enc. III, 1380 f. (Calpur-
nius n. 70).
Cn. Sentius Saturninus 19 — 21.
Nach dem Tode des Germanicus übertrugen seine Feldherren
dem Cn. Sentius Saturninus (Consul im J. 4 n. Chr.) den Ober-
befehl in Syrien {Tac. Ann. II, 74). Piso aber erhielt auf der Rück-
reise in der Nähe der Insel Kos die Nachricht von Germanicus'
Tod und beschloss nun, sich Syriens mit Gewalt zu bemächtigen.!
Er landete in Cilicien, bemächtigte sich der Feste Kelenderis
{KEXivötQig, Strabo p. 670. 700; vgl. Joseph. Antt. XVII, 5, 1. Ä J. I,
31, 3), musste sich aber hier dem Sentius ergeben unter der Be-
dingung, nach Rom zurückzukehren {Tac. Ann. II, 75 — 81). — Er
kam zu Anfang des Jahres 20 nach Rom, wurde hier von den
Freunden des Germanicus angeklagt, entzog sich aber durch Selbst-
mord der Verurtheilung {Tac. Ann. III, 8 — 15).
Wie lange Sentius Saturninus noch in Syrien blieb, ist
nicht bekannt. Er wird als legalus Caesaris erwähnt auf einer in
Nikopolis (an der Grenze von Syrien und Cilicien, am Meerbusen
von Issus) gefundenen Inschrift, welche frühestens aus dem Jahre
21 nach Chr. {Tiber. IV cos.) herrührt {Ephenieris epigraph. vol. V,
1884, j5. 573 n. nZ^ = Coip. Inscr. Lat. III Svppl. n. 6703). Hier-
nach scheint er auch formell zum Statthalter von Syrien ernannt
worden zu sein ; denn in diesem Sinne ist der Titel leg. Caes. wahr-
scheinlich zu verstehen (s. Mommsen's Bemerkungen a. a. 0.). Vgl.
Rrosop. imp. Rom. III, 200.
L. Aelius Lamia bis 32.
Aus Tac. Ann. I, 80, Sueton. Tiber. 41. 63, wissen wir, dass Ti-
berius mehrmals Legaten ernannte, ohne sie wirklich in ihre Pro-
vinz abgehen zu lassen {Tac: qua haesitniione poslremo eo provectus
est, ut mandaverit quibusdam provincias, quos egredi urbe non erat pas-
surus). Von dieser Maassregel wurde unter anderen auch L. Ae-
lius Lamia betroffen, über welchen Tacitus Ann. VI, 27 gelegent-
lich seines Todes Folgendes berichtet: Extremo anni (33 p. Chr.)
mors Aelii Lamiae funere censorio celebrata, qui administrandae Su-
riae imagine tandem exsolutus urbi praefuerat. Genus Uli decorum,
vivida senectus; et non permissa provincia dignationem addiderat.
Wir sehen hieraus, dass Aelius Lamia unmittelbar, nachdem er
von der imago administrandae Suriae, d. h. von der scheinbaren,
nicht wirklichen Verwaltung von Syrien befreit worden war, zum
330 Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. [266. 267]
praefectus urhi ernannt wurde- Das Amt des pracfedus iirhi erhielt
er aber erst nach dein Tode des L. Piso, s. Dio Cass. LVIII, 19:
rov re Iliocüva rbv JtoXiaQxov rsXevtrjöavra örmooia racp^ srifiT]Osv,
Öjcbq Jtov xal aXXoiq £/a()t^6ro • xal Aovxiov avz avrov Aafilav
avd-slXsTO, ov xQOJtaXai r^ ^vgla^'') ngoara^aq xazeixsv hv xy
^Pcofi^]. Da nun Piso nach Tac. Ann. VI, 10 und Dio Cass. a. a. 0.
im J. 32 starb, so ist Aelius Lamia in diesem Jahre zum j^rae-
fectus urhi ernannt worden und war somit bis dahin, wenigstens
dem Namen nach, Statthalter von Syrien {Ziimpt, Commentt. epigr.
II, 131 sq. Geburtsjahr Christi S. 184. 265). — 1 Dem scheint frei-
lich Josephus zu widersprechen. Er erzählt nämlich, dassA grippal,
ehe er König von Judäa wurde, einst den Pomponius Flaccus,
den Statthalter von Syrien und Nachfolger des Aelius Lamia (s.
unten), besuchte (Antt. XVIII, 6, 2—3), darauf nach mancherlei
Abenteuern nach Rom kam und hier, nachdem er bereits einige
Zeit in Rom gewesen war, seinen Freigelassenen Eutychus wegen
Diebstahls verklagte, worauf dieser vor Piso, den praefectus urbi,
geführt wurde {Aiitt. XVIII, 6, 5). Es scheint daraus hervorzugehen,
dass Flaccus bereits geraume Zeit vor dem Tode des Piso Statt-
halter von Syrien war; wornach Lamia nicht bis dahin dieses Amt
gehabt haben könnte. Allein in Wahrheit erweist sich bei genau-
erer Untersuchung diese Argumentation^^) nicht als stichhaltig.
Jener Piso nämlich, vor welchen Eutychus geführt wurde {Jos.
Antt. XVIII, 6, 5), kann unmöglich der im J. 32 verstorbene sein,
da der ganze Vorfall, wie später in der Geschichte des Agrippa
(§ 18) gezeigt werden wird, erst im J. 36 n. Chr. gespielt hat 3^).
37) So liest Dindorf statt arganä.
38) Sie ist bes. von Wieseler in seinem Streit gegen Keim 's Chrono-
logie des Lebens Jesu vorgetragen worden. S. Wieseler, Beiträge zur
richtigen Würdigung der Ew. S. 8 Anm. „Beweis des Glaubens", Jahrgang
1870, Aprilheft, S. 170 (hier nimmt Wieseler an, dass Flaccus „etwa im J.
27 n. Chr. Syrien angetreten habe"). Theo). Stud. und Krit. 1875, S. 533
bis 636.
39) Um seine Ansicht, dass der Aiitt. XVIII, 6, 5 erwähnte Piso der im
J. 32 verstorbene sei, aufrecht zu erhalten, muss Wie sei er zu sehr gewagten
Annahmen seine Zuflucht iiclmien. Er muss 1) annehmen, dass zwi.schon der
Ergreifung de« Eutychus und seinem Verhör vor Tiberius volle vier Jahre
In der Mitte l,i . n ; ' ;i, «l, im .l.i- Verliür liat zweifellos erst im Herbst
36, ein hallic- .l.iln mm dein Judr d<s Tiberius stattgefuiideu {Antl. XVIII,
0, 7. Bell. Jud. II, 0, 6). Mit Kecht erklärt Kein» (Protestant. Kinhenzei-
tODg 1809, Nr. 61, col. 1218) die» für ein Unding, während Wieseler (Beweis
des Glaubens 1870, 8. 109) cntHchieth-u daran festhielt. Er muss aber 2) eine
gewaltsame Textflndcrung im Josephus vomeiimen. Denn derselbe Piso wird
nnmfttelbar darauf [Antt. XVIII, (i, 10) noch einmal erwähnt, und zwar erst
nach dem Tode des Tiberius, Frühjahr 37. Hier streieiit daher Wicscler den
|267. 268] Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. 331
Wir haben es also hier mit einem andern Piso zu thun, der später
(36—37) ipraefectus M^•5^■ war'*^), weshalb seine Er wähnung zur Ent-
scheidung der Frage, wann Flaccus dem Laraia gefolgt sei, über-
haupt nichts austrägt. — Demnach haben wir uns einfach an die
Worte des Tacitus zu halten, wornach Lamia bis zum Antritt seiner
Stadtpräfectur, d. h. bis zum J. 32, die Scheinverwaltung von
Syrien hatte*'). Wann sie ihm übertragen wurde, lässt sich nicht
bestimmen. Jedenfalls hatte er sie lange Zeit, wie aus dem „tawrf«m"
des Tacitus und dem „oiQOJiaXai" des Dio Cassius erhellt*'-^). Vgl.
Namen (Beiträge S. 8 f. Beweis des Glaubens 1870, S. 168). Er muss aber
3) eine weitere Textänderung vornehmen. Denn Josephus sagt Antt. XVIII,
5, 3 ausdrücklich, dass Agrippa erst ein Jahr vor dem Tode des Tiberius
{iviavrüi ngorsgov 7/ xekfvxriaai TißeQiov) nach Rom gekommen sei, also nicht
32, sondern 36. Hier macht Wieseler aus dem einen Jahr durch Text-
änderung deren mehrere (Beiträge S. 13 f. Beweis des Gl. 1870, S. 169). S.
dagegen Keim, Prot. Kirchenzeitg., 1869, Nr. 51, col. 1217. Ueberhaupt gegen
Wieseler auch Sevin, Chronologie des Lebens Jesu 2. Aufl. 1874, S. 84—87.
40) Das Geschlecht der Galpurnii Pisones war um jene Zeit sehr zahlreich
(s. über sie: Mommsen, Ephemeris epigr. I, 143 — 151, 226 sq. Klebs, Pro-
sopographia imperii Pomanil, 279—288, Pauly-Wissowa's Real-Enc. III, 1374 ff.).
Da sie zur höchsten Aristokratie gehörten, sind nicht wenige von ihnen zu
hohen Aemtern gelangt. Es ist daher nicht auffallend, dass zwei Pisones kurz
nach einander das Amt des praefectus urbi bekleidet haben. Die Verschieden-
heit beider ist von allen competenten Forschem anerkannt. Der bekanntere
ist der im J. 32 verstorbene (s. über ihn Tae. Ann. VI, 10—11. Prosopogr.
imp. Rom. I, 286 n. 249. Pauly-Wissowa's Real-Enc. III, 1396 f. n. 99). Der
andere, welcher nach Jos. im J. 36 — 37 praef. urbi war, war ein Sohn des oben
S. 328 f. genannten, im J. 20 verstorbenen C/i. Calpurnius Piso und hiess ur-
sprünglich wie sein Vater 0)i., musste aber nach dessen Verurtheilung den
Vornamen Lucius annehmen (s. über ihn Borghesi, Oeuvres III, 325 sq.;
Mommsen, Index zu PHn. epist. ed. Keil p. 405; Henzen, Acta fratrttm
Arvalium (1874) Index p. 180 sq. Prosopogr. imp. Rom. I, 283 n. 237, Pauly-
Wissowa's Real-Enc. III, 1383 f. n. 76).
41) Gerlach (S. 49—52) nimmt an, dass Flaccus bereits im J. 22 nach
Syrien gekommen sei. Er stützt sich dabei auf Joseph. Antt. XVIII, 6, 1—3
und Suetofi. Tiber. 42. Allein aus ersterer Stelle folgt nicht, wie G. will, dass
der Besuch des Agrippa bei Flaccus bereits in das Jahr 24 (nämlich bald
nach dem Tode des Drusus f 23) fällt; und in der letzteren Stelle bezieht
sich das confestim nur auf die Worte: Püoni praef ecturam urbis detulit, womit
die Stelle ihre Beweiskraft verliert. Die Worte des Tacitus gestatten nicht,
die Amtszeit des Aelius Lamia auf ein bis zwei Jahre einzuschränken und
zwischen seiner Enthebung vom Statthalterposten und der Ernennung zum
Stadtpräfecten einen längern Zwischenraum anzunehmen. Gerlach hat
auch selbst jene Ansicht später aufgegeben (Zeitschr. für luth. Theol. 1869,
S. 48).
42) Aus der Thatsache, dass um das J. 30 factisch kein Statthalter in
Syrien war, ist vielleicht der Umstand zu erklären, dass Luc. 3, 1 kein solcher
genannt ist.
332 Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. [268. 269]
Über Aelius Laiuia überh.: Prosopogr. imp. Rom. I, 18 sq. Pauly-
Wissowa's Real-Enc. I, 522.
L. Pomponius Flaccus 32—35 (?).
Da Lamia im J. 32 des Statthalterpostens enthoben wurde, wird
Flaccus (Consul im J. 17 n. Chr.) in demselben Jahre ihm gefolgt
sein. Des Flaccus Tod berichtet Tacitus Ann. YI, 27 im unmittel-
baren Anschluss an die obige Stelle über Aelius Lamia mit folgen-
den WoKten: ,,exim [nämlich nach dem Tode des Ael. Lamia] Flacco
Pomponio Suriae pro praetore defuncio recitantur Caesaris literae, quis
incusabat egregium quemque et regendis exereitihus idoneum abnuere id
munus, seque ea necessiiudine ad preces cogi, per qiias consularium aliqui
capessere provincias adigerentur, oblitus Arruntium, ne in Hispaniam
pergeret, decumum jam annum attineri^'. Da Tacitus dies noch unter
den Ereignissen des Jahres 33 berichtet, so ist die nächstliegende
Annahme die, dass der Tod des Flaccus noch in dieses Jahr
fällt. Und dies ist auch fast allgemeine Ansicht. Indess ist doch
auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass Tacitus aus sach-
lichen Gründen die Berichte über Lamia und Flaccus zusammen-
gestellt hat und dass der Tod des Flaccus erst später fällt ^2). In
der That hat Keim^'') es zu einem ziemlichen Grad von Wahr- [
scheinlichkeit erhoben, dass Flaccus erst im J. 35 gestorben ist.
Dafür spricht nämlich 1) die Bemerkung des Tacitus, dass damals,
beim Tode des Flaccus, Arruntius bereits zehn Jahre lang am
Abgang in seine Provinz Spanien gehindert worden sei. Unter
Hispania kann nur Ilispania ciierior gemeint sein (denn die ulterior
war Senatsprovinz, s. Tac. Ann. IV, 13). Dieses war aber erst seit
dem J. 25 erledigt {Tac. Ann. IV, 45). Demnach kann das zehnte
Jahr des Arruntius erst in d. J. 35 fallen. 2) Agrippa I kam im
Frühjahr 36 {iviavtfo jtQortgov // raZEVT^cai Tißegtov, Jos. Anit.
XVIII, 5, 3) nach Rom, nachdem er nicht lange zuvor den Flaccus
in Syrien besucht hatte (Joseph. Antt. XVIII, 6, 2—3). Rechnen
wir für die allerdings mit Hindernissen verbundene Fahrt des
Agrippa vom Besuch des Flaccus bis nach Rom {Jos. Antt. XVIII,
6, 3—4) selbst ein volles Jahr, so müsste Flaccus immer noch im
J. 35 in Syrien gewesen sein. — Zu Gunsten des Jahres 35 als
Todesjahr des Flaccus spricht endlich noch, dass sich dann der
43) DaM Tacitus nicht Überali die Zeitfolge streng einhält, iut z. B. aus
Atm, XII, 23 zu sehen, wo der Tod (Ich Königs Agrippa I (f 44) unter den
EreigniiseD de« Jahres 49 erwähnt wird.
44) 8. bes. Protestant Kirchenzeitung 1800, Nr. 51, col. 1216f.; auch:
Gesch. Jesu I, 628. III, 400 f. Zustimmend äussert sich auch Liebenam,
ForschttDgeD zur Vorwaltungsgeschichte des röm. KuiHcrreicha, 1. Bd. Die
Legaten in den römischen Provinzen (188S) S. 267.
[269. 270] Uebersicbt über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. 333
Nachfolger Vitellius, der jedenfalls im J. 35 nach Syrien kam,
unmittelbar anschliesst, während im andern Fall eine Lücke ent-
stehen würde.
Eine Münze von Fl accus aus dem Jahre 82 der aera Cae-
sariana^^) = Herbst 786—787 a. U. oder 33—34 n. Chr. s. bei Eckhel,
Doctr. Kum. III, 279, Mionnet V, 167, Musei Sanclementiani Numis-
mata seleda P. II lih. IV, jj. 75; Catalogue of the greeJc coins in the
British Museum, Galatia, Cajjpadocia and Syria, p. 170; auch im
Berliner Museum. — Vgl. überhaupt auch Sueton. Tiber. 42. Pauly's
Real-Enc. V, 1878 f. Henzen, Ada fratrum Arvalium (1874) Index
p. 195. Prosop. imp. Rom. III, 76.
L. Vitellius 35—39.
Im J. 35 sandte Tiberius den L. Vitellius (Cons. im J. 34),
den Vater des nachmaligen Kaisers, als Legaten nach Syrien {Tac.
Ann. VI, 32)^6). Tacitus stellt ihm das Zeugniss aus, dass er, im
Gegensatz zu seinem spätem Leben, die Provinz tadellos verwaltet
habe {eo de homine haud sum ignarus sinistram in urhe famam, pleraque
foeda memorari, ceterum in regendis provinciis prisca virtute | egit). —
Im J. 39 wurde er von Caligula abberufen und erhielt als Nach-
folger den Petronius {Josej)h. Antt. XVIII, S, 2)^'). Vgl. über-
45) Dieselbe beginnt im Herbst 705 a. U. (18 Jahre früher als die actische
Aera); vgl. Noris, Annus et epochae Syromacedonum III, 4, ed. Lips. p. \&lsqq.;
Sanelemente, De vulgaris aerae emendatione p. 224—229; Eckhel, Doctr.
Kum. III, 279ff.; Ideler, Handb. der Chronol. I, 460 ff.
46) Nach den Worten des Tacitus „cunctis quae apud orientem parabantur
L. Vitelliuni praefeeit" ist vielleicht anzunehmen, dass Vitellius einen weiteren
Wirkungskreis als die Provinz Syrien erhalten hat. Doch nennt Tacitus selbst
ihn Ann. VI, 41 „praeses Suriae"; ebenso Joseph. Antt. XVIII, 4, 2 [Svplag
T^v -^ysfxoviav f^^'»'). Aehnlich Sueton. Vitell. 2. Dio Cass. LIX, 27. Plin.
Eist. Nat. XV, 83. Er war also jedenfalls Statthalter von Syrien, hatte aber
vielleicht ausserdem noch weitergehende Vollmachten.
47) Nach Josephus hat es den Anschein, als ob die Abberufung des Vitellius
und die Ankunft des Petronius erst in den Herbst 40 falle. Petronius be-
zieht nach seiner Ankunft Winterquartiere in Ptolemais {Antt. XVIII, 8, 2).
Die sofort begonnenen Verhandlungen mit den Juden fallen in die Saatzeit
{Antt. XVIII, 8, 3. 8, 6) d. h. November oder December, s. Win er RWB. II,
342. Darauf berichtet Petronius an Caligula, welcher den Brief kurz vor
seinem Tode (24. Januar 41) empfängt und beantwortet {Antt. XVIII, 8, 8-9:
xal TsXevzä /^hv ov /isza rtokvv yQÖvov ri yQatpai xm TIexQ(oviü) t^v — imaToXjjv).
Josephus also scheint die Ankunft des Petronius in den Herbst 40 zu setzen.
Nach dem entscheidenden Zeugnisse Philo's dagegen [Legat, ad Ca/. § 33, ed.
Mang. II, 583) war Petronius bereits zur Erntezeit (also April, s. Win er RWB.I,
340) in Palästina, und zwar mit Truppen, die er erst vom Euphrat abgerufen
hatte {Leg. ad Caj. § 31, M. II, 576). Er wird daher sicherlich schon im J. 39
nach Syrien gekommen sein. So auch Liebenam, Forschungen zur Verwal-
tungsgeschichte des römischen Kaiserreichs, 1. Bd. S. 374.
334 Uebersicht über die Geschiebte der römischen Provinz Syrien. [270. 271|
liaupt auch Sueton. Vitell 2. Dio Cass. LIX, 27. Plin. Ilist. Nat. XV, 83.
Pauly's Real-Enc. VI, 2, 2682 f. Liebenam, Forschungen zur Ver-
waltungsgeschichte des römischen Kaiserreichs, l.Bd. S. 373. Prosop,
imp. Born. III, 451.
3. Caligula (16. März 37 bis 24. Januar 41).
P. Petronius 39—42.
Petronius wurde im J. 39 von Caligula nach Syrien geschickt
(s. d. Vorigen). Durch eine Münze (bei Eckhel, Dodr. Num. III, 280,
Mionnet V, 167, Mus. Sanclement. l. c. p. 76; auch im Berliner Museum)
wissen wir, dass er nocli Statthalter war im J. 90 der cäsarischen
Aera == Herbst 794—795 a. ü. oder 41 — 42 n. Chr., also noch etwa
ein Jahr lang während der Eegierung des Claudius. — Vgl. über
ihn Joseph. Antt. XVIII, 8, 2 — 9. XIX, 6, 3. Philo, Legat, ad Caj.
§ 31—34, ed. Mang. II, 576—584. Pauly's Real-Enc. V, 1402. Prosop^
imp. Rom. III, 26.
4. Claudius (24. Januar 41 bis 13. Octbr. 54).
C. Vibius Marsus 42 — 44.
Als Nachfolger des Petronius sandte Claudius den C. Vibius
Marsus [Cons. suff. im J. 17 n. Chr.) nach Syrien [Joseph. Antt. XIX,,
6, 4). Er hatte mehrmals Gelegenheit, das römische Interesse
gegen König Agrippa zu wahren {Antt. XIX, 7, 2. 8, 1). Seine Ab-
berufung erfolgte bald nach dem Tode des Agrippa (f 44), also Ende
44 oder Anfang 45 {Antt. XX, 1, 1). — Vgl. auch Tac. Ann. XI, 10
(letztere Stelle beweist nicht, dass Marsus im J. 47 noch Statt-
halter von Syrien war; denn Tacitus holt dort, in der Geschichte |
des Jahres 47, die frühere parthische Geschichte nach. S. Zumpt,
Comm. IT, 137. Gerlach S. 67). Ueberhaupt: Pauly's Eeal-Enc.
VI, 2, 2571. Prosop. imp. Harn. III, 422.
C. Cassius Longinus 45 — 50.
Auf Marsus folgte C. Cassius Longinus {Joseph. Antt. XX,
1, 1), Cons. suff. im J. 30 n. Chr. Er war zu seiner Zeit als Rechts-
gelehrter berühmt {ceteros praeminebat peritia legum, Tac. Ann. XII, 12),
ja Begründer einer eigenen 3 urmtaniichulQ {Cassianae scholae princei)s
et jjarens, Plin. epist. Vll, 24, 8). Münzen von ihm aus den Jahren
94 und 96 aer. Caea. — 45/46 und 47/48 n. Chr. giebt Kcktiel, Dodr.
Num. III, 280, Mionnet V, 167; Mvs. Snndmi. l. c. j>. 76 (sicher ist
nur die vom J. 96, 8. Prosop. imp. llorn.). Tacitus erwähnt ihn noch
im J. 49 als Statthalter von Syrien {Ann. XII, 11-12). Niclit
lange darauf scheint er von C'luudius abberufen worden zu sein.
[271. 272] Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. 335
lieber seine späteren Schicksale s. Tac. Ann. XVI, 7 und 9. Sueton.
Nero 37. üeberhaupt: Digest. I, 2, 2, 51. Kudorff, Eömische Rechts-
gesch. I, 169 f. Teuffei, Eöm. Literaturgesch. § 298, 3. Mommsen,
Index zu Min. epist. ed. Keil p. 406. Lieben am, Forschungen zur
Verwaltungsgesch. 1. Bd. S. 375 f. Prosop. imp. Eom.l, 314 sq. Pauly-
Wissowa's Real-Enc. III, 1736 ff. {Cassius n. 60). Sammlung der
juristischen Fragmente: Lenel, Palingenesia juris cinlis I, 109 — 126.
Bvemer, JurisprudentiaeAntekadrianae quae supersunt 11, 2, 1901, p.9 — 79.
G. Ummidius Quadratus 50 — 60.
Im J. 51 wird von Tacitus {Ann. XII, 45) Ummidius Qua-
dratus als Statthalter von Syrien erwähnt. Er mag daher wohl,
wie Zumpt (II, 138) annimmt, im J. 50 dorthin gekommen sein.
Münzen von ihm aus den Jahren 104—108 aer. Caes. = b5l5Q bis
59/60 n. Chr. giebt Eckhel, Doctr. Num. III, 280, Mionnet V, 159.
Sicher sind nur die vom J. 104, 105 und 106. S. Mus. Sanclement.
l. c. p. 76, Leake, Numismata Helknica, Asiatic Greece,p. 16. Catalogtie
of the greek coins in the British Museum, Gal. Capp. and Syr. p. 160,
173; auch im Berliner Museum {Prosop. imp. Rom.). Er starb als
Statthalter von Syrien im J. 60 {Tac. Ann. XIV, 2ß)*^). — Seine
Laufbahn (er war schon im J. 14 n. Chr. Quästor ge-^^^esen) giebt
die Inschrift: ürelli Inscr. Lat. n. 3128 = /ws<t. Regni Neap. n. 4234 =
Corp. Inscr. Lat. X n. 5182. Sein voller Name G. Ummidius Durmius
Quadratus auch auf einer ehernen Tafel, welche den Eid der Ein-
wohner von Aritium in Lusitanien beim Regierungsantritt Caligula's
enthält {Oi-elU n. 3665= Gorp. Inscr. Lat. II n. 172= Ephemeris
epigr. V p. 155). — Vgl. über ihn auch Tac. Ann. XII, 54. XIII,
8—9. Joseph. Antt. XX, 6, 2. Pauly's Real-Enc. V, 743. Nipperdey
zu Tac. Annal. XII, 45. Prosopogr. imp. Rom. III, 468 f.
5. Nero (13. Octbr. 54 bis 9. Juni 68).
Gn. Domitius Gorbulo 60 — 63.
Nach dem Tode des Ummidius Quadratus im J. 60 kam Do-
mitius Corbulo als Statthalter nach Syrien {Tac. Ann. XIV, 26). |
Ueber seine Thaten daselbst s. Tac. Ann. XV, 1—17. Dio Gass.
LXII, 19 ff. Eine Verordnung von ihm erwähnt der Zolltarif von
Palmyra (Hermes Bd. 19, 1884, S. 514). Er behielt die Provinz
bis zum J. 63, in welchem Jahre ihm ein höheres Imperium ertheilt
wurde, während nach Syrien ein anderer Sattthalter geschickt
wurde, Tac. Ann. XV, 25: Suriae exsecutio Gitio [?], copiae militares
Gorbuloni permissae et quinta decuma kgio ducente Mario Gelso e Panno-
48) Zumpt II, 138 giebt das J. 61 an. Aber was Tac. Ann. XIV, 20—28
berichtet wird, fällt in d. J. 60, coss. Nero IV, Cornelius Cossus.
336 Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. [272. 273]
nia adjecta est. Scrihitur tetrarchis ac regibus praefeetisque et procu-
ratorihus et qui praetorum finitimas provineias regebant, jussis Corhulonis
obsequi, in tantum ferme modum auda jiotestate^ quem populus Romanus
Cn. Pompejo bellum, piraticv.yn gesturo dederat. Der Name des Be-
treffenden, welcher die Provinz Syrien erhielt, ist nicht mit Sicher-
heit festzustellen. Die Handschrift hat Citius. Die Herausgeber
vermuthen Cincius, C. Itius, Cestius. Am wahrscheinlichsten ist
Cestius, da wir diesen ohnehin im J. 65 als Statthalter von Syrien
vorfinden (so die Meisten, z. B. Zumpt, Comm. ep. II, 141). — Ueber
Corbulo's Tod (im J. 67) s. Dio Cass. LXIII, 17. Eine in Armenien
gefundene Inschrift vom J. 64 n. Chr., auf welcher er leg. Aug. pro
pr. heisst, S. Ephemeris epigr. V /). 25 = Corp. Inscr. Laf. III Suppl. n.
6741 — 6742. Seine Tochter Domitia wurde die Gemahlin Domitian's
{Dio Cass. LXVI, 3. Corp. Inscr. Lat. XIV n. 2795). Ueberhaupt :
Pauly's Real-Enc. II, 1218 f Teuffei, Rom. Literaturgesch. § 291,3
(und die hier erwähnten Monographien von Held 1862, und Wolff-
gramm 1874). Liebenam, Forschungen zur Verwaltungsgeschichte
1. Bd. S. 169 f. Prosopogr. imp. Rom. II, 20 sq. Zur Würdigung Cor-
bulo's: Gutschmid, Geschichte Irans und seiner Nachbarländer (1888)
S. 131 Anm.
C. Cestius Gallus 63 — 66.
Wenn die obige Vermuthung richtig ist, so kam Cestius
Gallus schon im J. 63 nach Syrien. Jedenfalls war er im J. 65
dort, da er Ostern 66 (im zwölften Jahre Nero's = Octbr. 65—66
Joseph. Antt. XX, 11, 1. Bell. Jud. II, 14, 4) nach Jerusalem kam.
nachdem er längere Zeit zuvor schon in Syrien gewesen war {Bell.
Jud. II, 14, 3). Münzen von ihm aus dem J. 114 und 115 der cä-
sarischen Aera = 65/66 und 66 67 n. Chr. s. bei EckM, Doctr. Num.
III, 281 sq. Mionnet V, 169. Suppl. VIII, 131. Leake, Numismata
Hellenica, Asiatic Oreece p. 16. Catal. of the Brit. Mus., Oal. Capp.
and Si/r. p. 175. — Unter ihm kam im Mai 66 (im Monat Artemisios,
Bell. Jufl. II, 14, 4) der jüdische Krieg zum Ausbruch, von welchem
Cestius Gallus nur das Vorspiel erlebte. Denn er starb noch
im Winter 66/67 „durch (beschick oder üeberdruss" {fato auf tacdio
oeeidü, Tac. Jlist. V, 10)^'). \'gl. überli. Prosojiogr. imp. Rom. 1, 340.
Pauly-Wissowa's Real-Enc. III, 2005 ff.
C. Licinius Mucianua 67 — 69.
Während Palästina zu einer selbständigen Pntvinz gemacht und
dem Vespasian übertragen wurde, wurde iSyricn dem C. | Licinius
49) OeitiuH GalluK war noch im Winter 0(5/07 in Syrien (.Joseph. Vita
6. 48. 66. 07. 71). Vor Desitin (Ich yrülijahr« über wurde die Führung de«
Krieget dem VespuHian übertrafen (/W/. Jn<l. 11 1. 1 2).
[273] Uebersicht über die Geschichte der römischen Provinz Syrien. 337
Mucianiis zugetheilt ^t^). Joseplius erwähnt ihn im J. 67 während
der Belagerung- von Gaiuala {Bell. Jud. IV, 1, 5) und im J. 69 bei
der Erwählung Vespasian's zum Kaiser {Bell. Jud. IV, 10, 5—6).
Vgl. auch Tac. Eist. I, 10. Jos. Antt. XII, 3, 1. Münzen von ihm
aus der Zeit des Galba (9. Juni 68 bis 15. Jan. 69) und des Otho
(15. Januar bis 16. April 69)^0 bei Eckhel III, 282, Mimnet \, 169.
Suppl. VIII, 131. Catal. of the Brit. Mus., Gal. Capp. and Syi: p. 176;
auch im Berliner Museum. — Im Herbst 69 führte er zur Be-
kämpfung des Vitellius ein Heer aus Syrien nach Rom (Joseph.
Bell. Jud. IV, 11, 1. Tac. Hist. II, 82 sq. Sueton. Vespas. 6. Dia
Cass. LXV, 9), wo er zwar erst nach dem Tode des Vitellius
(t 20. Decbr. 69) eintraf, dann aber eine Zeit lang die höchste Ge-
walt in Händen hatte {Joseph. Bell. Jud. IV, 11, 4. Tac. Hist. IV,
11. 39. 49. 80. Dio Cass. LXV, 22. LXVI, 2). — Vgl. über ihn auch:
Borghesi, Oewüre^IV, 345— 353. Pauly's Real-Enc.IV, 1069f. L. Brunn,
De C. Licinio Muciano, Lips, 1870. Teuffei, Rom. Literaturgesch.
§ 314, 1. Henzen, Acta fratrum Arvalimn, Index p. 190 s^. Liebeuam,
Forschungen zur Verwaltungsgeschichte I, 257 f. Prosop. imp. Rom.
II, 280 f.
Die folgenden Statthalter von Syrien kommen für uns nicht
mehr in Betracht, da Palästina nunmehr von Sji'ien getrennt blieb.
Die Statthalter Palästiua's von der Zeit Vespasians bis Hadrian
s. in 8 21.
50) Ueber die Erhebung Palästina'« zu einer selbständigen, von einem Be-
amten senatorischen Ranges verwalteten Provinz s. Kuhn, Die städtische und
bürgerliche Verfassung des römischen Reichs II, 179 f. 183 — 189. Marquardt,
Rom. Staatsverwaltung I, 419. — Tacit. Hist. I, 10: Suriam et qtiattuor legiones
obtinehat Licinius Muciamis . . . bellum Judaeicum Flavius Vespasianus [ducem
cum Nero delegerat) tribus legionibus administrabat. Tac. Hist. 11, 5: Ceterum
hie Suriae, ille Judaeae praepositus , vicinis provinciamm administrationibus
invidia discordes , exitu demum Neronis positis odiis in medium consuluere.
Auch Aurelius Victor, De Caesarib. c. 9, epit. c. 9 schreibt die Einrichtung der
Provinz Palästina dem Vespasian zu. — Im Gegensatz hierzu meint Pick (in
Sallet's Zeitschr. für Numismatik Bd. XIII, 1885, S. 197—200), Vespasian habe
nicht Palästina als besondere Provinz erhalten ; seine Competenz sei vielmehr
zu denken als „die eines legatus Augusti pro praetore höherer Ordnung ohne
bestimmte Provinz, der, mit der Führung eines Krieges beauftragt, den ge-
wöhnlichen Statthaltern übergeordnet ist". Diese Auffassung ist aber mit den
präcisen Worten des Tacitua nicht vereinbar.
51) Beide Münzen tragen das J. 117 aer. Caes. und bieten eben dadurch
einen sichern Anhaltspunkt für die Berechnung der Aera.
Schür er, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 22
338 §13. Hyrkanll (63—40); Antipater, Phasael und Herodes. [273.274]
§ 13. Hyrkan II (63—40); Emporkommen Antipater's
und seiner Söhne Phasael und Herodes.
Quellen: Joseph. Antt. XIV, 5—13. Bell. Jud. I, 8—13. Zonaras Ännal. V,
7 — 9 (Auszug aus Josephus). ]
Literatur: Ewald, Geschichte des Volkes Israel IV, 524—538.
Grätz, Geschichte der Juden III, 4. Aufl. S. 167—189.
Hitzig, Geschichte des Volkes Israel II, 500—523.
Schneckenburger, Neutestamen tl. Zeitgeschichte S. 166—173.
Hausrath, Neutestamentl. Zeitgeschichte 2. Aufl. I, 179—203.
Letcin, Fasti sacri p. 8 — 54.
Unger, Zu Josephos, Art. IV: Die Eepublik Jerusalem (Sitzungs-
berichte der Münchener Akademie, philos.-philol. und hist. Gl.
1897, S. 189—222). — Behandelt die Zeit von 57—47 vor Chr.,
will aber hierüber genaueres feststellen, als unsere Quellen
gestatten.
Bei der Dürftigkeit der Quellen ist es schwer, sich genaue
Rechenschaft zu geben über die Stellung, welche Palästina nun-
mehr zu den Römern einnahm. So viel ist gewiss, dass es tribut-
pflichtig war {Jos. Antt. XIV, 4, 4. Bell. Jud. I, 7, 6) und unter
der Oberaufsicht des römischen Statthalters von Syrien stand. Aber
die Frage ist, ob es unmittelbar der Provinz Syrien einverleibt wurde
oder nicht. Doch spricht für letzteres namentlich die spätere Be-
merkung des Josephus, dass durch die Maassregel des Gabinius, der
Palästina in fiinf Gebiete zertheilte, das Land „von der Herrschaft
Eines" befreit worden sei {doftevcog 6e rrjg Ig tvog kjtixgarelag
iktvd-eQCüi^tVTSg xo XoiJiov aQiOTOxgarla öicpxovvzo, B. J. I, S, 5).
Hyrkan wird demnach an der Spitze der Regierung des Landes
gestanden haben und nur der Oberaufsicht des römischen Statt-
halters unterworfen gewesen sein ')•
Nach dem Abzüge des Pompejus folgten zunächst für Palästina
einige Jahre der Ruhe. Scaurus sowohl als seine beiden Nach-
folger Marcius Philippus und Lentulus Marcellinus hatten
zwar noch mit den Arabern zu thun '^). Auf die (Tcschicke Palä-
stina's war dies von keinem Einflüsse. Im J. 57 aber suchte Ari-
stobnrs Sohn Alexander, der auf dem Wege nacli Rom aus der
Gefangenschaft entkommen war (s. oben S. 300), sicli der Herrscliaft
in Palästina zu bemächtigen. Es gelang ihm, «nn Hcjcr von 10000
Schwerbewaffneten und IfiOO l?<'it('rn zu sammeln und die Festungen
Alexandreion, Hyrkania und .M.icliiirus in seine Gewalt zu bekom-
l)8oftUChKuhn, Die »tädtiHclic und liürgcrl. Vcrrnssunpdos röm. Rt-iclis II,
163. MendeUiohn in RitHclil'« Ada soa'et. philnl. L/psi, iisis V, 102.
2) Jo$eph. Anit. XIV, ß, 1. Hell. .lud. I, ö. 1. Appian. iSyr. 51.
[274.275] §13. Hyrkan II (63—40); Antipater, Phasael und Herodes. 339
men^). Gabinius, der eben damals als Proconsul nach Syrien
gekommen war, sandte zunächst seineu Unterfeldherrn M. A ntonius,
den nachmaligen Triumvir, gegen ihn; und folgte bald mit dem
Hauptheere nach. Alexander wurde in einem Treffen bei Jerusalem
besiegt und zog sich in die Festung Alexandreion zurück. Hier
wurde er von Gabinius belagert und musste sich demselben ergeben,
scheint aber — gegen Uebergabe der Festungen, | die in seinem
Besitze waren — die Freiheit erlangt zu haben*). Gleichzeitig
nahm Gabinius eine wichtige Aenderung in den politischen Ver-
hältnissen Palästina's vor. Er Hess nämlich dem Hyrkan nur die
Sorge für den Tempel, nahm ihm aber seine politische Stellung,
indem er das Land in fünf Bezirke {ovvoöoi^ avviÖQia) zer-
theilte mit den Hauptstädten Jerusalem, Gazara, Amathus,
Jericho und Sepphoris^). Was unter diesen fünf ovvoöoi oder
3) Ueber Alexandreion s. S. 297. Die Lage von Hyrkania ist unbe-
kannt. Machärus, noch heute J/Arawr, lag östlich vom todten Meere. Näheres
über diese bedeutende Festung s. § 20.
4) Joseph. Äntt. XIV, 5, 2—4. Bell. Jud. I, 8, 2—5.
5) Joseph. Antt. XIV, 5, 4. Bell. Jud. I, 8, 5. — Ueber Amathus im Oßt-
jordanland s. oben S. 279; über Sepphoris in Galiläa s. Bd. II S. 162—167.
Die übrigen drei lagen im eigentlichen Judäa. Ueber Gazara s. oben S. 245 f.
Josephus hat sowohl Antt. XIV, 5, 4 als Bell. Jud. I, 8, 5 die Form Gadara.
Damit ist aber selbstverständlich nicht das hellenistische Gadara in Peräa ge-
meint, das eine vorwiegend heidnische Bevölkerung hatte und durch Pompejus
vom jüdischen Gebiete getrennt worden war; aber auch nicht ein von Schlatter
(Zur Topographie und Geschichte Palästinas 1893, S. 44— 51) statuirtes jüdisches
Gadara im Süden Peräa's, dessen Existenz durch Jos. B. J. IV, 7, 3 nicht er-
wiesen ist; sondern es ist das durch Simon den Makkabäer judaisirte Gazara,
für welches auch sonst die Form Gadara vorkommt; so Joseph. Antt. XII, 7, 4
in einem Theil der Handschriften (= I Makk. 4, 15). Auch bei Strabo XVI,
2, 29 p. 759 ist unter FuöaQlq, i]v xal avifjv i^iöiäaavxo 01 'lovSaZoi das Gebiet
von Gazara zu verstehen, das er freilich mit Gadara in Peräa verwechselt (aus
letzterem stammten die von ihm erwähnten berühmten Männer). In einer
Notitia episcopatuum findet sich "^Psysatv ruöÜQiov in der Nähe von Azotus, ver-
schieden von räöeiga zwischen Pella und Capitolias [Hieroelis Synecdemus et
notüiae graecae episcopat. ed. Parthey 1866, p. 144). Auf einer Synode zu Je-
rusalem vom J. 536 waren gleichzeitig anwesend ein Bischof ^ÄQÜ^ioq Paöagcov
und ein Bischof 6sö6(OQoq FaöaQwv. Es hat also zwei Gadara in Palästina
gegeben {Le Quien, Oriens christianus t. III, p. 595 sq.). Noch einige Belege
giebt Geizer, Zeitschr. des DPV. XVII, 1894, S. 38-41, gegen welchen
Schlatter ebendas. XVIII, 1895, S. 73—81 nichts Triftiges vorgebracht hat,
vgl. Geiz er XVIII, 106 f. Die Aussprache Gadara ist ein Aramaismus; denn
der Wechsel von hebr. T und aram. ^ ist nicht selten (Kautzsch, Grammatik
des Biblisch- Aramäischen 1884 § 10, 1 Anm. a). Vgl. überh. auch Kuhn,
Die städtische und bürgerliche Verfassung des röm. Eeichs II, 365 — 367.
Menke's Bibelatlas Bl. IV.
22*
340 § 13. Hyrkan II (63—40); Antipater, Phasael und Herodes. [275. 276]
awdÖQia zu verstehen sei, ist nicht ganz deutlich ^). Man kann an
Steuerbezirke oder an Gerichtssprengel {conventus juridici) denken "').
Für ersteres spricht der Ausdruck owteXeiv {B. J. I, 8, 5: oi (j*
iva ovvxEXmoiv de *Afja&ovvTa), für letzteres der Ausdruck ovvoöoi
{B. J. I, 8, 5). Möglicherweise fielen beide nicht aus;einander^).
6) Josephus sagt ÄntL XTV, 5, 4: nevrs 6s awsSgia xaxaoxr]oaq slq l'aag
fiolgaq öisveifis ro l'ö-vog, xal inokizsvovro oi fiiv iv '^leQoaoXvfioig ol 6s iv
ra6äQ0iq ol 6s iv jifia&ovvzi, xsTagzoi 6" rjoav iv IsQiy^ovvxi, xal x6 nsfiitxov
iv Sa7t<pwQ0ig x^q FaXilaiaq. Kai ol fisv dntjXXayfisvoi 6vvaaxsiaq iv aQioxo-
xgaxia 6ifiyov. — Bell. Jud. I, 8, 5: xa9-iaxaxo xfjv alktjv noXixdav [nämlich
ausser der Fürsorge für den Tempel] inl ngoaxaaicc xwv aQiaxwv. JieiXev
6s nüv x6 s&voq slg nsvxe avv66ovg, x6 (ikv ''IsQOooXvixoiq ngoaxä^aq, x6 6s
ra6dQ0tq, ol 6s 'Iva avvxeXdiaiv slg jifxa&ovvxa, xb 6s xsxagxov slg "^IsQixovvxa
xsx/.fjQwxo, xal X(p Tisfxnxw 2s7t<pa)Qig dne6slxB^7] noXig xfjg FaXiXaiag. jiofxsvcjq
6s XTJg i§ svbg inixQaxelag iXsvS^SQCoS-svxsg vö Xoinov uQioxoxQaxiq 6icoxovvxo.
7) Bei Einrichtung einer Provinz pflegten die Römer das Land in Steuer-
bezirke zu theilen, deren jeder um eine grössere Stadt gruppirt war. Die
Communalbehörde einer solchen Stadt diente zugleich den Eömern als Steuer-
behörde, indem sie für den Eingang der Steuern in ihrem Bezirk zu sorgen
hatte. Grösser als diese Steuerbezirke waren in der Regel die Gerichts-
sprengel (eonventtis juridici). Zum Zweck der Civilrechtspflege (nur um diese.
handelt es sich) wurde nämlicli von Zeit zu Zeit an gewissen Orten Gerichts-
tag gehalten, zu welchem die deputirten Richter des Bezirkes zusammenkamen,
um unter dem Vorsitz des Statthalters die seit dem letzten Gerichtstag auf-
gelaufenen Processe zu erledigen. S. Marquardt, Römische Staatsverwal-
tung I (1881) S. 500 f. Rudorff, Römische Rechtsgeschichte II (1859) S. 5. 13
Kornemann, Artikel conventus in Pauly-Wissowa's Real-Enc. IV, 11 73 ff. Eine
anschauliche Schilderung eines solchen convetitus giebt Dio Chrysost. XXXV, 15 tt".
8) Für eonventtis juridici hält die Synedrien des Gabinius z. B. Kuhn,
Die städtische und bürgerl. Verfassung des röm. Reichs II, 336, 367. Men-
delssohn (in Ritschl's Acta societatis philol. lApsicnsis V, 163) wagt keine
Entscheidung und erklärt nur das für sicher, dass den Juden durch die Maass-
regel des Gabinius der Rest von Freiheit, den Pompejus ihnen gelassen hatte,
genommen worden ist. Unger (Sitzungsberichte der Münchener Akademie,
philoB.-philol. und bist. Gl. 1897, S. 101—199) meint, die fünf Bezirke seien
weder Steuerbi'zirke noch Gerichtssprcngel, sondern ropul)licuniHchc Geniein-
wescn mit aristokratiBclier VcrfjiHsung; avvi6Qiov bezeicluie den regierenden
Senat, avvo6og dio zu gewissen Zeiten sich verHammelnde Bürgerschaft. Dio
MaasHregel bedeute nicht die Einverleibung in die Provinz Syrien, sondern die
Zertheiluog des jfldbchen Gebiete» in fünf „tributpflichtige Froistiuitcn". Für
diese AuffaMUDg «pricht ju nmnches in den Worten des .Tos(>i)hus {iv aQiaxo-
tCQtttUf difiyoVf inl nQoaxuala xüiv d{)laiujv, uQiaxoxQaxla dupxovvxo). Sic
scheitert aber m. E. an dem Ausdruck ovvo6og, der für VolksvcTsamnilungcn
stAdtischer GemeiuwoHcn meinüs Wisaena nicht vorkounnt. Kr wird gc-bmucht
ffir die Landtage politiaoher Verbände und ähnli(tli(> KcpräHcututiv-Vcrsaium-
Inngen; auch (tir die Fest-Vernammlungen religiöser Vereinig tiixl für diese
selbst (Kornemann, De civibus Jiunianis in provvnoiin iniprrü consistnitihus 1892,
p. 2\ $q. Ziebartli, Das griechische Vereinswesen 1896, S. 136—138. Pfiilo in
[276] §13. Hyrkan II (63— 40) ; Antipater, Phasael und Herodes. 34 1
Jedenfalls bedeutet die Maassregel des Gabinius die Beseitigung
des Restes politischer Macht, welche Hyrkan noch besessen hatte.
Nachdem schon Pompejus ihm den Königstitel genommen hatte,
wurde er jetzt aller politischen Befugnisse entkleidet und
auf seine priesterlichen Functionen beschränkt. Das Land
wurde in fünf Bezirke getheilt, die von Hyrkan's Herrschaft „be-
freit" wurden. Die Einrichtung ist freilich nicht von langer
Dauer gewesen. Durch die Anordnungen Cäsars ist sie wieder be-
seitigt worden.
Bald darauf, im J. 56, wurde das Land aufs Neue in Aufre-
gung versetzt durch Aristobul und seinen Sohn Antigonus, die
beide ebenfalls aus der römischen Gefangenschaft entkommen waren.
Aristobul war durch das misslungene Unternehmen seines Sohnes
Alexander so wenig gewitzigt, dass er vielmehr nun dasselbe
versuchte, was jenem misslungen war. Aber auch er war nicht
glücklicher. Eine römische Heeresabtheilung trieb ihn und das
kleine Heer, das er gesammelt hatte, mit leichter Mühe über den
Jordan zurück. Er versuchte sich in Machärus zu vertheidigen ;
musste sich aber schon nach zweitägiger Belagerung ergeben und
wurde aufs Neue als Gefangener nach Rom geschickt. Seine Kin-
der jedoch wurden vom Senat in Freiheit gesetzt ^). Eben damals
unternalim Gabinius gegen den Willen des Senates den Feldzug
nach Aegypten, um den Ptolemäus Auletes wieder zum König ein-
Flaccum § 17, Mangey II, 537: &iaaoi xaxa xtjv nöXiv slal noXvdv&gconoi —
avvoöoi xal xXlvat 7tpoaovofiäL,ovtai vno xdiv iy^iogimv. Zahlreiche Beispiele
bei Latyschev, Inscn'ptiones orae septentr. Ponti Euxini vol. II, 1890). Aber
für die von Unger angenommene Bedeutung hat auch er selbst keinen Beleg
beibringen können. Andererseits erklärt sich der Umstand, dass Josephus
das einemal von avviÖQia, das anderemal von avvoöoi spricht, am besten, wenn
es sich um „Gerichte" und „Gerichtsversammlungen" handelt. Dass die Römer
bei Einrichtung einer Provinz namentlich mit Organisation von Gerichts-
sprengeln vorgingen, sehen wir z. B. aus Strabo XIII, 4, 12 p. 629 (die Gebiete
von Phrygien, Karlen und Lydien sind schwer auseinander zu halten, da die
Römer die alten nationalen Grenzen nicht beibehalten haben, uXXa a'rsQOV
TQÖnov öiarä^ai tag öioixijaeig, iv alg rag dyoQalovg [seil, rifiegag == Gerichts-
tage] Ttoiovvxtu -xal rag öixaioöoaiag). Die Steuerbezirke waren in der Regel
kleiner. Das bestätigt sich auch für Judaea. Denn die sogenannten „To-
parchien" der römischen Zeit sind gewiss in erster Linie Steuerbezirke (s. Bd. II,
181 — 186). Einige von ihnen (Gophna, Emmaus, Lydda, Thamna) sind schon
für die Zeit des Cassius, 43 vor Chr., nachweisbar (Bd. II, S. 186). Diese
kleineren Bezirke können aber wieder in grössere zusammengefasst gewesen
sein. Insofern ist es also doch möglich, dass die fünf Gerichtssprengel zu-
gleich Steuerbezirke waren.
9) Joseph. Ann. XIV, 6, 1. Bell. Jud. I, 8, 6. Dia Cass. XXXIX, 56.
Plutarch. Anton. 3.
342 §13. Hyrkann (63-40); Antipater, Phasael und Herodes. [276.277]
zusetzen (s. oben S. 305 f.). Als er im J. 55 von dort zurückkehrte,
hatte er wiederum mit einem Aufstand in Judäa zu thun. Alexander
hatte einen neuen Versuch gemacht, sich der Herrschaft zu be-
mächtigen und wenigstens einen Theil des Volkes für sich gewon-
nen. Seinem Treiben wurde jedoch auch diesmal wieder ein baldiges
Ziel gesetzt 10).
Im J. 54 kam an Stelle des Gabinius der Triumvir M. Li ein ins
Gras SU s als Proconsul nach Syrien. Während schon Gabinius das
Land durch Erpressungen hart bedrückt hatte, so erlaubte sich
Crassus offenen Eaub. Pompejus hatte bei der Eroberung des
Tempels die reichen Schätze desselben unangetastet gelassen. | Diese
alle nahm nun Crassus in seinen Besitz: an baarem Gelde allein
2000 Talente: ausserdem an Werthgegenständen 8000 Talente i^). —
Palästina wurde indess bald von seiner Habgier befreit, da er im
J. 53 auf dem Zuge gegen die Parther seinen Tod fand.
Während der Jahre 53—51 hatte C. Cassius Longinus, der
Quästor des Crassus, die oberste Gewalt in Syrien. Er hatte nicht nur
die Parther abzuwehren, sondern auch die immer noch vorhandenen
aufständischen Elemente in Palästina zu unterdrücken. Aristobul
zwar befand sich in römischer Gefangenschaft; und seine Söhne
hatten vorläufig keine Lust, ihr Glück aufs Neue zu versuchen.
Aber ein gewisser Pitholaus übernahm nun ihre Rolle und sammelte
die unzufriedenen Elemente. Er gelangte freilich eben so wenig
wie jene zum Ziel. Denn das schliessliche Resultat seines Unter-
nehmens war dies, dass er selbst hingerichtet und 30000 der Unruh-
stifter als Sklaven verkauft wurden '2).
Mit dem J. 49 beginnt die für Italien, wie für die Provinzen
gleich verhängnissvolle Zeit der Bürgerkriege, für die Provinzen
hauptsächlich dadurch verhängnissvoll, dass sie die ungeheuren
Summen liefern mussten, deren die kriegführenden Parteien be-
durften. Wälirend dieser zwanzig .lahre, von Cäsar's Uebergang
über den Rubico bis zum Tode des Antonius (49—30), spiegelt
sich die ganze römische Geschichte in der Geschichte von Syrien,
und so auch in der von Palästina, wieder. Jede Wendung der
ersteren ist auch eine Wendung der letzteren; und nicht weniger
als viermal liat Syrien und Palästina in dieser kurzen Zeit den
Herrn gewechscdt.
Als im Anfang des Jahres 49 Pompejus und die Senatspartei
aus Italien geflohen waren, und Cäsar sich Ronfs beinächtigt hatte,
wollte dieser u. a. sich auch des gefangenen Aristobul für seine
10) Jo$eph. AtUl. XIV, 6, 2—3. Bell. Jud. I, 8, 7.
11) Jo$eph. Antt. XIV, 7, 1. BeU. Jud. I, 8, 8.
12) Joitph. Ault. XIV, 7, 3. Bell. Jud. I, 8, 9.
[277.278] §13. Hyrkan II (63—40); Antipater, Phasael und Herodes. 343
Zwecke bedienen. Er entliess ihn aus der Haft und gab ihm zwei
Legionen, damit er mit diesen in Syrien gegen die pompejanische
Partei kämpfe. Allein die in Rom zurückgebliebenen Anhänger
des Pompejus vereitelten das Unternehmen, indem sie den Aristo-
bul durch Gift aus dem Wege räumten. Gleichzeitig fiel auch der
eine von Aristobul's Söhnen, Alexander, als Opfer des römischen
Bürgerkrieges. Auch er mochte wohl als Anhänger Cäsar's auf-
getreten sein ; und wurde nun auf ausdrücklichen Befehl des Pom-
pejus von Q. Metellus Scipio, dem Schwiegervater des Pompejus
und damaligen Proconsul von Syrien (s. oben S. 308), zu Antiochia
enthauptet • 3). |
Nach der Schlacht bei Pharsalus (9. Aug. 48) und dem Tode
des Pompejus (28. Sept. 48) schlugen sich Hyrkan und sein alter
Freund Antipater sofort auf Cäsar's Seite *^). Sie begrifien wohl,
dass ihr Heil nunmehr von seiner Gnade abhänge und beeilten sich
daher, ihm ihre Dienstfertigkeit zu beweisen. Cäsar war nach
seiner Landung in Aegypten (Octbr. 48) in einen Krieg mit König
Ptolemäus verwickelt worden. Zu seiner Unterstützung führte
Mithridates von Pergamum im Frühjahr 47 ein Hülfsheer nach
Aegypten ^5). Als dieser bei Pelusium auf Schwierigkeiten stiess,
13) Joseph. Antt. XIV, 7, 4. Bell Jud. I, 9, 1-2. — Dass Cäsar den
Aristobul nach Palästina sandte, erwähnt auch Dio Cass. XLI, 18.
14) Antipater wird jetzt, noch vor dem Eingreifen Cäsar's in die Ver-
hältnisse Palästina's, als Procurator von Judäa bezeichnet; so nicht nur von
Josephus {Antt. XIV, 8, 1: 0 twv ^ovöalwv im/uslTjTijg} , sondern auch von
Strabo, der sich wieder auf Hypsikrates beruft {Jos. Antt. XIV, 8, 3: xov tfji;
'loväalaq inifisXrixriv). Möglicherweise hat er diese Stellung durch Gabinius er-
halten, der wegen Antipaters vielfacher Verdienste um die römische Sache, „die
Angelegenheiten Jerusalems nach Antipaters Willen ordnete" {Antt. XIV, 6, 4:
xaxaatTjaüf^evoq öh Faßivioq xa xaxä xi/v leQoaoXvfjiiXüiv n6).iv wq rjv hvxi'
ndxQu) &£kovxt, Bell. Jiul. I, 8, 7: Faßivioq ik&utv slg'lsQoaöXvfia n^og x6 'Avxi-
ndxQov ßovXrjfia xaxeaxijaaxo xtjv nohxsiav). Da dies eine Einrichtung sein
muss, die mit den übrigen Anordnungen des Gabinius nicht im Widerspruch
stand, so darf man vielleicht annehmen, dass dem Antipater die oberste Ver-
waltung der Steuern im jüdischen Gebiete übertragen wurde. Denn ini/AeXtjxijg
ist ein Verwaltungsbeamter, in erster Linie Finanzbeamter. Jedenfalls kann
Antipater nicht ein politischer Beamter im Dienste Hyrkan's gewesen sein,
da Hyrkan seit der Maassregel des Gabinius überhaupt keine politische Stellung
mehr hatte. Wenn er also handelt i^ ivxoX^g 'Yqxuvov [Antt. XTV, 8, 1), so ist
dies zu erklären aus der geistigen Autorität, die Hyrkan als Hoherpriester hatte
{Antt. XIV, 5, 1: xax' ivxoXtjv'YQxavov gehört in eine Zeit, wo Hyrkan noch
eine politische Stellung hatte). Ueber Antipater's Verdienste um die römische
Sache in der Zeit zwischen 63-48 v. Chr. s. Antt. XIV, 5, 1. 2. 6, 2. 3. 7, 3.
Bell. Jud. I, 8, 1. 3. 7. 9. Ueber Antipater überh.: Wilcken in Pauly-Wisso-
wa's Real-Enc. I, 2509 ff.
15) Bell. Alexandr. c. 26.
344 §13. Hyrkanll (63—40); Antipater, Phasael und Herodes. [278.279]
kam ihm Antipater im Auftrage Hyrkan's mit 3000 Mann jü-
discher Truppen (die wohl zu diesem Zwecke erst gesammelt wor-
den waren) zu Hülfe und veranlasste auch die benachbarten Dy-
nasten zur Stellung von Hülfstruppen. Mit seinen Truppen leistete
Antipater dem Mithridates nicht nur bei der Einnahme von Pelu-
sium, sondern auch während des ganzen ägyptischen Feldzuges sehr
wesentliche Dienste. Nicht geringere Verdienste erwarb sich Hyr-
kan dadurch, dass er die ägyptischen Juden veranlasste, sich auf
Cäsafs Seite zu schlagen ^^),
Als daher Cäsar nach Beendigung des alexandrinischen Krieges
im Sommer 47 nach Syrien kam, und die ihm huldigenden Dynasten]
durch Gnadenerweisungen belohnte i^), wurden auch Hyrkan und
Antipater reichlich bedacht. Zwar erschien auch Antigonus, der
noch übrig gebliebene Sohn des Aristobulus, vor Cäsar, klagte
über das gewaltthätige Sichvordrängen des Antipater und Hyrkan
und machte seine älteren und besseren Eechte geltendes). Aber
Cäsar schätzte die Zuverlässigkeit und Brauchbarkeit jener Beiden
höher als die des Antigonus, ignorirte des letzteren Ansprüche, und
wandte seine Gunst ausschliesslich den Beiden zu. Schon vor der
Intervention des Antigonus scheint Hyrkan als Hoherpriester be-
stätigt und dem Antipater das römische Bürgerrecht und Steuer-
freiheit verliehen worden zu sein'^). Jetzt wurde Hyrkan zum
i&paQxi]c der Juden ernannt, d. h. in die von Gabinius ihm
genommene politische Stellung wiedereingesetzt; Anti-
pater aber zum Procurator {kjtltQOJtoq) von Judäa ernannt (also
in der schon bisher von ihm bekleideten Stellung bestätigt). Gleich-
zeitig wurde die Erlaubniss zum Wiederaufbau der Mauern Jeru-
salems ertheilt^o).
16) Antt. XIV, 8, 1—3. Bell. Jml. 1, 9, 3—5. — In dem Decrete Cäsars
Antt. XIV, 10, 2 wird die Zahl der jüdischen Hülfstruppen nur auf 15()0 an-
gegeben.
17) Bell. Alexandrin. 65: reges, tyramios, dt/nastas prorinciae fhtitimos, qui
otnnes ad eum concurreraut, reccptos in fidem ewmlicionibus inpositis prorinciae
tuendae ac defendcndae dimUlit et aihi et popnlo Romano amicissimos.
18) Antt. XIV, 8, 4. Bell. Jud. l, 10, 1-2.
19) Antt. XIV, 8, 3: 'Ygxavtp (ikv xriv dQxiCQOiOvvriv ßeßaivjaaq, 'AvxinaxQip
Hk nolixtluv iv'^Paifiji dovq xal driXetav navTaxov. Ebonso Bell. Jnd. I, 9, 5.
20) Anll. XIV, 8. 5: 'YQxavhv fthv dnoSflxvvaiv dpyjfofa . . . ['AvT/natQOv]
inlxQonov anodhlxvvat t^c ^lovöulaq. 'EnixQlnfi 61 xal YQxavip xa xyi na-
Xifldoi dvanxT)aai xilx^. Aohnlich JML Jt/d. I, 10, 3. — DicHe Verfügungen
scbeiDen von den in der vorigen Aiiint-rkung orwjlhntcn vrrKcliicdcMi zu sein,
die einen vor, die anderen nach der Intervention den AntigontiM erlaHsen (ho
Mendelitohn in Ritachl'« Acta hoc. philo/. Ups. V, 100 «77. Judoicli, Cäsar
im Orient, 1886, 8. 123 f.; m. bcH. Bell. Jud. I, 10, 1: Uvriyovog . . . ylvexai
[279. 280] § 13. Hyrkan II (63—40); Antipater, Phasael und Herodes. 345
Näheres über die Verfügungen Cäsars erfahren wir durch die
von Josephus Antt. XIV, 10, 2 — 10 mitgetheilten Urkunden, die aber
leider so schlecht und lückenhaft überliefert sind, dass sich über
manche Stücke kein sicheres Urtheil mehr gewinnen lässt 2 1). Sicherj
ist, dass das Schreiben Cäsars an die Sidonier Antt. XIV, 10, 2 aus
dem Jahre 47 herrührt, und das eigentliche Ernennungsdecret
Cäsar's für Hyrkan vom J. 47 enthält 2'-'). Hiernach ist Hyrkan
zum erblichen e&vagx'jQ und ccQxisQsvg der Juden ernannt, in allen
Rechten, die ihm als Hohenpriester nach jüdischem Gesetze zu-
kamen, bestätigt, und den Juden die Gerichtsbarkeit in jüdischen
Angelegenheiten zugestanden worden. Auch wurde Hyrkan für
sich und seine Kinder zum „Bundesgenossen" der Römer ernannt,
und bestimmt, dass rönjische Truppen in seinem Lande nicht über-
wintern oder Contributionen erheben sollten -^3). — Ob in dasselbe
nagaöo^iog lAvrindtQa) /isi^ovoq ngoxon^g aiTtog). Jedenfalls ist, wie aus den
gleich zu besprechenden Decreten Cäsars erhellt, Hyrkan durch Cäsar zum
Hohenpriester mit politischen Befugnissen, aQXifQevq und i^väQXfl<i,
ernannt, also in die von Gabinius ihm genommene politische Stellung wieder
eingesetzt worden. — Das von Josephus Antt. XIV, 8, 5 mitgetheilte Senats-
consult gehört wahrscheinlich in eine viel frühere Zeit. S. oben S. 251 — 253.
21) Vgl. über sie bes. : Mendelssohn in. BAt^ahV?, Acta societatis philologae
Ldpsimsis t. V, 1875, p. 191—246 (hierzu das Referat in der Theol. Literatur-
zeitung 1876, Nr. 15, col. 394 f.) und Niese, Hermes Bd. XI, 1876, S. 483—488
(hiergegen: Mendelssohn, Rhein. Museum, Neue Folge Bd. XXXII, 1877,
S. 249—258); auch: Wieseler, Beiträge zur richtigen Würdigung der Evan-
gelien (1869) S. 75 ff. Derselbe, Theol, Stud. u. Krit. 1877, S. 290 ff. Rosen-
thal, Monatschr. für Gesch. u. Wissensch. des Judenth. 1879, S. 176 ff. 216 ff.
300 ff. M o m m s e n , Römische Geschichte V, 501 f. J u d e i c h , Cäsar im Orient
(1885) S. 119 — 141 (nur über die Vorgänge und Urkunden des Jahres 47,
wohin Judeich auch Antt. XIV, 8, 5 verlegt). Grätz, Gesch. der Juden
Bd. III, 4. Aufl. 1888, S. 660 — 671. Viereck, Sermo graecus qtio senatiis po-
pulusque Rommms . . . iisi stmt {Ootting. 1888) p. 96 — 103. Schlatter, Zur
Topographie und Geschichte Palästinas, 1893, S. 14—28, 321—324 [die desul-
torische Behandlung, welche die Decrete hier erfahren, entzieht sich jeder
Kritik]. Buch 1er, Die priesterlichen Zehnten und die römischen Steuern in
den Erlässen Caesars (Festschr. zum 80. Geburtstage M. Steinschneiders, 1896,
S. 91 — 109). — Die ältere Literatur s. oben S. 105, und bei Bloch, Die Quellen
des Flavius Josephus S. 144 ff.
22) Cäsar nennt sich in demselben avxoxQÜzmQ xal dQXKQBvq, öixzdxtoQ x6
ösvxeQOv [imperator et pontifex maximus, dictator II). Cäsar's zweite Dictatur
geht nach Mommsen {Corp. Inscr. hat. t. l ed. 2 p. 40—42) vom October 48
bis Ende 46, nach Ganter (Zeitschr. für Numismatik Bd. 19, 1895, S. 190— 195)
von October 48 bis April 46. Da der Titel Consul in der Titulatur fehlt,
während Cäsar in den Jahren 48, 46, 45 und 44 das Consulat bekleidet hat,
so muss das Schreiben in das J. 47 fallen.
23) Antt. XIV, 10, 2: öia ravxaq xuq atxlag ^Yqxuvov 'AXs^dvÖQOV xal xa
rsxvci avxov ^&väQxaq^lov6al(ov eivai, dQXiSQOjavvriv xs 'lovöoücov 6iä navxbq
346 §13. Hyrkanll (63— 40); Antipater, PhasaelundHerodes. [280. 281]
Jahr noch andere Urkunden gehören, ist ungewiss; sicher dagegen,
dass Hyrkan nicht lange vor Cäsars Tod, wohl gegen Ende des
Jahres 45 vor Chr., eine Gesandtschaft nach Rom schickte, welche
einen Senatsbeschluss mit neuen Vergünstigungen für die
Juden erwirkte. Der Anfang dieses Senatsbeschlusses (unter Cä-
sars vierter Dictatur und fünftem Consulate, also 44 vor Chr.)
liegt Antt. XIV, 10, 7 vor. Das Datum desselben ist wahrschein-
lich erhalten in Antt. XIV, 10, 10: jcqo jtivrs eiöcöv ^aßQovaQicov
= 9. Februar. Da er nicht sogleich im Aerarium niedergelegt
worden war, so wurde nach Cäsars Tod, unter den Cousuln Anto-
nius und Dolabella, ry jcqo tqicöv slöätv 'AjtqüMcov , also am
11. April 44 vor Chr., ein neuer Senatsbeschluss gefasst, durch
welchen die Niederlegung des früher gefassten Beschlusses im Ae-
rarium angeordnet wurde {Antt. XIV, 10, 9 — 10). Da der neue
Beschluss rein formeller Art ist, erfahren wir dadurch nichts über
den Inhalt der den Juden zugestandeneu Rechte. Auch | das Bruch-
stück des früheren Beschlusses Antt. XIV, 10, 7 enthält nur die
formelle Einleitung. Höchst wahrscheinlich sind uns aber andere
Bruchstücke desselben unter den Fragmenten Jos. Antt. XIV, 10,
3—6 erhalten. Doch beginnen eben hier die Schwierigkeiten der
Untersuchung. Es fragt sich, welche Stücke dem Senatsbeschluss
vom J. 44 angehören, und welche etwa aus früheren Jahren (47
oder sonst) herrühren. Bei der Verderbtheit der Texte wird ein
sicheres Resultat nie zu gewinnen sein 2^). Die Hauptmasse des
^XSiv xaxa'xu nargia 1'^, elval re avxov xal roiq nolöaq avxov ovfxfidxovq
rißlv, exi xe xal iv xolq xax' avÖQU (fiXoig dgiS-fisTaS-ai' öaa xs xaxa xovq lölovq
avxtöv vdfiovg iaxlv dgxi^Qo^xixä i] (piXäv&Qwna, xavxa xtXevio xaxtxfi-v avxov
xal xa xi'xva avxov. uv de fitxa^v yhrixai xiq t,TiXTjatq negl xtjg 'lovöalwv
dywyrjt, agtaxei fioi xglatv ylvta^ai nag' avxolq. nagax^ifiaaiav öl i] xgfjf^ccTcc
nguaaea&ai ov öoxifxa'C^o). — Zur Auslegung vgl. Mendelssohn a. a. O.
8. 195—197, Mommsen, Römische Geschichte V, 501 f.
24) Die Urkunden Antt. XIV, 10, 3—4 entlialten Huchlich kaum etwas an-
dere« als das Dekret Cüsars vom J. 47 {Antt. XIV, 10, 2). Da sie aus eiueni
Jahre herrühren, in welchem Cäsar Consul war (die Ziffer des Consuhito» fehlt),
aÜM) entweder aus dem Jahre 40, 45 oder 44, so hält sie MendelHsohn [Acta
Soc. phil. Ltpa. V, 206—211) wohl mit Recht für ßruchstücike eines Seuats-
consultes vom J. 46, welches die Verfügungen Cüsar's vom J. 47 einfach be-
Htfltigte (Ober die Bestätigung feldhorrlicher Verträge durch den Senat s. üher-
haupt: Mommsen, Rom. Staatsrecht 111, 2, 1888, S. IIÜO-IIOH). — Die Stücke
XIV, 10, 6—6 enthalten sehr specielle BeBtiinniungcn über das Abgabenwesen
und acbeinen zuMunmenzugehören. Nach dem Atifimg von XIV, 10, 5 gehören
Nie in da« J. 44 (Oifar's fOnftet Oonsulat). Ilicrmit steht aber im Wider-
spruch, dam darin die Erlaubnis« zum Bau der Mauern Jerusalems ertheilt
wird (XIV, 10, 6), die doch schon im J. 47 ertheilt worden ist {Antt. XIV, 8, 5.
Beti. Jud. !, 10. H>; wie denn auch thatsftchlich bereits damals der Bau aus-
[281.282] § 13. Hyrkanll (63—40); Antipater, Phasael und Herodes. 347
inhaltreichen Stückes Atitt. XIV, 10, 6 gehört höchst wahrschein-
lich in das Jahr 44 v. Chr. Unter den hiernach den Juden ge-
währten Zugeständnissen sind die wichtigsten die, dass ihnen Jope,
„welches die Juden von Anfang an besessen hatten, | seit sie mit
den Kömern Freundschaft geschlossen hatten", als Eigenthum über-
lassen wurde, dass ihnen ferner die Dörfer in der grossen
Ebene, welche sie früher besessen hatten, abgetreten wurden, und
dass ihnen endlich auch noch andere Ortschaften, welche „den mit
den Römern verbündeten Königen von Syrien und Phönicien gehört
hatten", übergeben wurden ^s). Verrauthlich waren dies lauter
geführt worden ist (Äntt. XIV, 9, 1. Bell. Jitd. I, 10, 4). In das Jahr 47 führt
ferner das Datum Antt. XIV, 10, 6: Fatog Kalaag, avtoxQäxatQ x6 ÖevxsQOv
(soll heissen avxoxQäxwQ, öixxaxiog xb SevxsQov). Endlich finden sich in Äntt.
XIV, 10, 6 verschiedenartige Bestimmungen über Jope, welche verschiedenen
Zeiten anzugehören scheinen. Auf Grund alles dessen nimmt Mendelssohn
(Acta Soc. phil. Lips. V, 197 sqq.) an, dass die Stücke XIV, 10, 5 — 6 zwar dem
Senatsconsult vom J. 44 angehören, dass aber im Anfang desselben (XIV, 10,
5 und 6a) ein Decret Cäsars aus dem Jahr 47 citirt werde. Dieses Decret
unterscheidet Mendelssohn von dem in Antt. XIV, 10, 2 mitgetheilten. Das
eine (XIV, 10, 2) sei vor der Intervention des Antigonus, das andere (XIV,
10, 5 und 6a) nach derselben erlassen. (Diese Combination ist schwerlich zu-
lässig, da nach dem Ernennungsdecret Atitt. XIV, 10, 2 Antigonus nicht mehr
wagen konnte, Gegenvorstellungen zu machen. Im Uebrigen aber ist Mendels-
sohn's Hypothese, dass die Stücke Antt. XIV, 10, 5 und 6a in das Jahr 47 ge-
hören, sehr ansprechend). Die neuen Beschlüsse des Senatsconsultes vom J. 44
findet Mendelssohn nur in der zweiten Hälfte von Antt. XIV, 10, 6 (etwa von
den Worten oaa xs nexä xavxa eaxov an). — Niese (Hermes XI, S. 483 ff.)
schreibt sämmtliche Stücke Antt. XIV, 10, 3—6 dem Senatsconsult vom J. 44
zu, indem er annimmt, dass die früher etwa von Cäsar mündlich gegebene Er-
laubniss zum Bau der Mauern erst jetzt vom Senat formell ertheilt worden
sei, und indem er Antt. XIV, 10, 6 statt x6 dsvxegov liest xö d* (zum vierten
male). — Viereck {Sermo f/raecus etc. p. 101) stimmt wieder mehr mit Men-
delssohn überein. Er setzt XIV, 10, 3—4 und 6a in das J. 47 (XIV, 10, 3
Senatsconsult, XIV, 10, 4 und 6a Edict Caesars), XIV, 10, 5 in das J. 44 (Edict
Caesars), und hält wie Mendelssohn XIV, 10, 6b— 7 für Fragmente des Senats-
consultes vom Februar 44, auf welches in dem Senatsconsult vom April 44
(XIV, 10, 10) Bezug genommen wird.
25) Antt. XIV, 10, 6. — Wenn es richtig ist, dass der Anfang von XIV,
10, 6 einem Decret vom J. 47 angehört, so würde schon damals ein Theil der
Steuern Jope's den Juden überlassen worden sein (es ist nämlich mit dem alten
Lateiner zu lesen: öncjq xeXüiaiv insQ XTjg'^IfQoao?,vfzixwv noJ.ecjg'IoTirjvoi,
ine^ciiQOVftevov xov kßdofiov sxovg). Jedenfalls haben sie es im J. 44 ganz als
Eigenthum erhalten {'lonijv öh noXiv, iqv dn dgxv? fö;fov 'lovöaioi notov-
fisvoi XTjv ngög Pwfxaiovq <piUav, avxtüv sivat, xa&wg xal xb tiqwxov, ■qfüv
dQsaxer (pögovq xs [vnsQ zu tilgen] xavxriq xfjq nöXiwq ^Ygxavbv s^^iv [dies
beizubehalten] x. x. L). — Völlig dunkel ist, wer unter „den mit den Römern
verbündeten Königen von Syrien und Phönicien", welche einige der den Juden
jetzt übergebenen Gebiete früher besessen hatten, zu verstehen sei. Möglicher-
348 § 13. Hyrkan II (63—40); Antipater, Phasael und Herodes. [282.283]
Gebiete, welche einst Pompejus den Juden abgenommen hatte. Unter
den zurückerstatteten Orten war besonders Jope als Hafeuplatz
von grossem Werthe.
Durch Cäsar's Gunst erhielten auch die Juden ausserhalb
Palästina's wichtige Privilegien. Die alexandrinischen Juden wurden
im Besitze des Bürgerrechtes geschützt 2^); den Juden Kleinasiens
wurde die ungehinderte Ausübung ihrer Religion verbürgt'-"). Es
war überhaupt Cäsar's Bestreben, die Provinzialen zufrieden zu
stellen, um das Eeich zu sichern. Aber von keinem der auswär-
tigen Völker wurde nachmals sein Tod so sehr beklagt, wie von
den Juden 28).
Der schwache Hyrkan, der in Palästina zum „Ethnarchen"
der Juden eingesetzt worden war, hatte nur dem Namen nach die
Eegierung. In Wahrheit übte dieselbe der kluge und thätige An-
tipater. Ja er ernannte jetzt sogar seine beiden Söhne Phasael
und Herodes zu Statthaltern {oTQaTrjyoi), den einen in Jerusalem,
den andern in Galiläa 29). Herodes, der uns hier zum erstenmale
begegnet, war damals ein junger Mann von 25 Jahren 3°). Aber
schon jetzt gab er Beweise jener Energie, die ihn nachmals auf
den Thron gebracht hat. In Galiläa machte ein Räuberhauptmann
Namens I^zechias mit einer zahlreichen Bande das Land unsicher.
Herodes bemächtigte sich seiner Person und Hess ihn nebst vielen
seiner Gesellen hinrichten^')- Mit diesem summarischen Verfahren
weise sind es Dynasten, welchen Pompejus jüdisches Gebiet geschenkt hatte.
Vielleicht ist aber auch der Text verdorben, wie überhaupt auch andere Un-
klarheiten auf die schlechte Ueberlieferung des Textes zurückzuführen sein
werden. Vgl. zur Auslegung von Äntt. XIV, 10, 5 — 6: Mendelssohn in
Ritschl's Acta societatis philol. Lipsiaisis t. V, p. 199 sqq. 234 sqq. Mommsen,.
Römische Geschichte V, 501 f. Viereck a. a. O. S. 100.
26) 8. Bd. III, 8. 80.
27) Antt. XIV, 10, 8 und' 20—24. — Die hier zusammengestellten Decrete
Hind zwar nicht direct von Cäsar erlassen, gehen aber höchst wahrscheinlich
auf seine Anregung zurück. S. auch Bd. III, 8. G7 f.
28) Siieton. Caea. 84: In summo puhlico luctu cxterarum gentium multüudo
eirciilndm suo quoeque more lamctitata est, praecipueque Judaciy qui etiam
noetihiis corUinuis huatum frcqnentarunt.
29) Antt. XIV, 9, 2. B. J. I, 10, 4.
.SO) Der überlieferte Josephustext Antt. XIV, 9, 2 hat 16. Die Zahl 25,
welche Dindorf »ind Bekker in den Text gesetzt haben, ist lediglich Conjoctur.
DieHcIlN; iitt aber nothwendig: 1) weil ein Knabe von 15 Jahren uniuiiglich
Hchon die Bolle npielen konnte, die Herodes bereits spielte, 2) weil Herodos
bei »einem Tode als ungefiihr siebzigjährig bezeichnet wird [Antt. XVII, (i, 1:
Mul yuQ nt(fl hoQ hßöofirjxoaxov tiv, liell. Jttd. I, 33, 1 : ^v nhv ycep ^örj axeöov
kOv ißdofii^xona). Vgl. Havercamp's Anm. zu Anff. XiV, 9, 2, van der (MiiJH,
D» Htrodf Maf/7iii p. 1.
81) Antt. XIV, 9, 2. B. ./. I, 10, 5.
[283.284] § 13. Hyrkan II (63—40); Antipater, Phasael und Herodes. 349
war man freilich in Jerusalem wenig einverstanden. Die dortige
Aristokratie sah darin einen Eingrift' in die Rechte des Synedriums,
dem allein es zustehe, Todesurtheile zu fällen; und verlangte
daher von Hyrkan, dass er den jungen Herodes zur Verantwortung
ziehe. Hyrkan ging darauf ein und lud den Herodes vor das
Synedrium zu Jerusalem. Herodes erschien zwar; doch nicht, wie
es einem Angeklagten geziemte, im Trauergewande, sondern im
Purpur und von einer Leibwache umgeben. Als er so vor das
Synedrium trat, verstummte die Anklage, und Herodes wäre ohne
Zweifel freigesprochen worden, wenn nicht der berühmte Pharisäer
Sameas (Schemaja?) sich erhoben und seinen CoUegen das Ge-
wissen geschärft hätte. Nun war man geneigt, dem Rechte seinen
Lauf zu lassen und den Herodes zu verurtheilen. Allein Hyrkan
hatte von Sextus Cäsar, dem Statthalter von Syrien, Befehl er-
halten, den Herodes freizusprechen. Als er daher sah, wie die
Dinge eine gefährliche Wendung nahmen, hob er die Sitzung auf
und rieth dem Herodes, sich heimlich aus der Stadt zu entfernen.
Herodes that dies; kam aber bald darauf mit einem Heere gegen
Jerusalem angezogen, um für die ihm widerfahrene Schmach sich
zu rächen. Nur den di'ingendsten Vorstellungen seines Vaters Anti-
pater gelang es, seinen Groll zu beschwichtigen und ihn von
oiFener Gewaltthat zurückzuhalten. Er kehrte nach Galiläa zurück,
indem er sich damit tröstete, wenigstens seine Macht gezeigt und
seinen Gegnern einen heilsamen Schrecken verursacht zu haben.
— Während dieses Conflictes mit dem Synedrium war er | von
Sextus Cäsar zum Statthalter von Cölesyrien {azQaxriybq rrjg
KoiXrjg UvQiag) ernannt worden 3^).
Dies alles geschah noch im J. 47 oder Anfang 46. Im Jahr 46,
während Cäsar gegen die Pompejaner in Afrika zu kämpfen hatte,
wusste sich ein Pompejaner, Cäcilius Bassus zum Herrn von
Syrien zu machen, indem er den Sextus Cäsar durch Meuchelmord
aus dem Wege schaifte. Er wurde wiederum von den Cäsarianern
unter Führung des C. Antistius Vetus im Herbst 45^^) in Apamea
belagert (s. oben S. 309 f.). Bei dem Heere des Letzteren befanden
sich auch Truppen Antipater 's, welche dieser als einen neuen
Beweis seiner Ergebenheit gegen Cäsar der cäsarischen Partei zu
32) Joseph. Antt. XIV, 9, 3—5. Bell. Jwl. I, 10, 6—9. Die Scene vor dem
Synedrium kennt auch die rabbinische Tradition. Nur sind dort die Namen
durchweg andere. Statt Hyrkan: Jannai, statt Herodes: ein Sklave Jan-
nai's, statt Schemaja: Simon ben Schetach. S. Derenbourg, Eist, de la
Palestine p. 146—148.
33) Nicht 47, wie Hitzig II, 514 annimmt. S. dagegen Cicero ad Atticum
XIV, 9, 3.
350 §13. Hyrkanll (63-40); Antipater, Phasael und Herodes. [284.285]
Hülfe gesandt hatte 3*). Der Kampf der beiden Parteien ging in-
dess unentschieden fort; und auch der neue Statthalter L. Statius
Murcus, der Anfang 44 nach Syrien kam und durch den Statt-
halter von Bithynien MarciusCrispus unterstützt wurde, richtete
nichts Entscheidendes gegen Cäcilius Bassus aus.
Mittlerweile war am 15. März 44 Cäsar ermordet worden.
Seinen Tod zu rächen und sein Werk fortzusetzen, war M. An-
tonius entschlossen. Aber die anfänglich zurückhaltende Stellung
desselben hielt auch die Verschworenen von entscheidenden Schritten
• ab. Erst als er mit offener Feindschaft gegen sie hervortrat, gingen
die Häupter der Verschwörung nach dem Orient, um dort Streit-
kräfte zu sammeln: M. Brutus nach Macedonien, C. Cassius nach
Syrien. Als Letzterer gegen Ende des Jahres 44 nach Syrien
kam, wurde noch Cäcilius Bassus von Statius Murcus und
Marcius Crispus in Apamea belagert. Obwohl die Letzteren
bisher der Partei Cäsar's angehört hatten, stellten sie doch ihre
Heere dem Cassius zur Verfügung, Statius Murcus auch seine
Person. Auch die Legion des Cäcilius Bassus ging zu Cassius über ^s).
So war Cassius Herr von Syrien und im Besitz einer beträcht-
lichen Streitmacht. Aber zum Unterhalt des gi'ossen, bald noch
mehr anwachsenden Heeres waren ungeheure Geldmittel nöthig.
Und dazu musste auch das kleine jüdische Land seinen Theil bei-
tragen. Es wurde ihm eine Abgabe von 700 Talenten auferlegt, bei
deren Aufbringung sich Antipat:er und sein Sohn Herodes be-
sonders dienstfertig zeigten. Denn mit demselben Eifer, mit
welchem sie sich einst die Gunst Cäsar's erwarben, suchten sie
sich nun die des Cassius zu verdienen. Wie nützlich dieser Eifer
war, zeigten abschreckende Beispiele in Judäa selbst. Die Ein-
wohner der Städte Gophna, Emmaus, Lydda und Thamna wurden,
da sie ihren Antheil nicht aufbrachten, von Cassius als Sklaven
verkauft 3<i). Der junge Herodes aber wurde zum Lohne für die
geleisteten Dienste von Cassius, wie früher schon von Sextus Cäsar,
zum Statthalter {atQarrjyog) von Cölesyrien ernannt 3').
Um diese Zeit (43 v. Chr.) wurde Antipater das Opfer per-
si'mlicher Feindschaft. Ein gewisser Malichus^'^) strebte, älnilich
34) Antt. XIV, 11, 1. Bell. Jud. I, 10, 10.
'{.O) Die Nftchweiue b. oben 8. 310 f.
:{f>) Anlt. XIV, 11, 2. Bell. Jud. I, 11, 1-2.
:{7) Antt. XIV, 11, 4. Bell. Jud. I, 11, 4.
.iH) Sr-iri Nninc wird von Josephas durchweg MdXixoq geBchrieben (fast
oliiif Viirianti-n in den HanclHchriftcii). wiihrciid in iinderon Füllen, z. K für
die gleiclinaniigcn nHlMitiÜMtlii-n Könige, die Scliroibuiig MüXxo(i die vorlicrr-
Rchendc ixt. hiKcliriftlich kommen ixMd«* Formen nicht selten vor, aueserdeni
[285. 286] § 13. Hyrkan II (63-40); Antipater, Phasael und Herodes. 351
wie Antipatei', nach einer einflussreichen Stellung in Judäa. Hierbei
stand ihm aber vor allem Antipater im Wege. Er musste daher,
wenn anders er zum Ziele gelangen wollte, sich dieses entledigen.
Durch Bestechung gewann er den Mundschenk Hyrkan's, der den
Antipater, als er einst bei Hyrkan speiste, durch Gift tödtete^^).
Herodes übernahm es, den Tod seines Vaters zu rächen. Als
Malichus eben damit umging, seine Pläne zu verwirklichen und
sich zum Herrscher in Judäa aufzuwerfen, ward er einst von
Meuchelmöderu, die Herodes im Einverständniss mit Cassius ab-
gesandt hatte, in der Nähe von Tyrus ermordet^*).
Nachdem Cassius Syrien verlassen hatte (42 v. Chr.), brachen
noch schlimmere Zeiten über die Provinz herein. Hatte Cassius
unerschwingliche Summen erpresst, so entstand jetzt in der sich
selbst überlassenen Provinz ein Zustand völliger Anarchie, in
welchem nur das Eecht des Stärkeren galt. In dieser Zeit machte
auch Antigonus einen Versuch, mit Unterstützung des Ptole-
mäus Mennäi von Chalcis sich der Herrschaft in Palästina zu be-
mächtigen. Diesen Versuch schlug zwar Herodes mit Glück und
Geschick zurück, er konnte aber nicht hindern, dass Marion, der
Tyrann von Tyrus, einzelne Stücke galiläischen Gebietes an sich
riss4<). I
Eine neue Krisis für Palästina und insonderheit für die beiden
Idumäer Phasael und Herodes trat ein, als im Spätherbst des
Jahres 42 Brutus und Cassius bei Philippi von Antonius und
Octavianus besiegt worden waren. Ganz Asien fiel damit in
die Hände des Antonius. Die Lage war für Phasael und He-
rodes um so bedenklicher, als in Bithynien (wohl Anfang 41) eine
Gesandtschaft des jüdischen Adels vor Antonius erschien und
sich über die Beiden beklagte. Doch wusste Herodes durch sein
auch MaXf^oQ- InWaddington's Inscriptions greeques et latines de la Syrie
findet sich (nach Chabot's Index) MäXixog n. 2022», 2123, 2133, 2578, 2613, 2614,
2615, MäXxog n. 2041, 2043, 2072, 2077, 2115, 2130, 2177, 2217, 2272, 2513, 2547,
2598, 2608, 2627, 2645, MäXfxo<; n. 1964, 2026, 2195, 2196, 2226, 2230.
39) Antt. XIV, 11, 4. Bell. Jud. I, 11, 4.
40) Antt. XIV, 11, 6. Bell. Jud. I, 11, 8. — Die Ermordung An tipater's
fand vor der Eroberung Laodicea's (Sommer 43, s. oben S. 311) statt, die des
Malichus unmittelbar nach derselben, beides also im J. 43 (Antt.XTV, 11, 6.
Bell Jud. I, 11, 7).
41) Antt. XIV, 12, 1. Bell. Jud. I, 12, 2-3 — In der Darstellung des
Josephus, welche auf Nicolaus Damascenus zurückgeht, ist der Umstand ver-
schleiert, dass Herodes die Eroberungen der Tyrier nicht liindern konnte. Er
erhellt aber aus dem späteren Schreiben des Antonius, welches den Tyriern die
Herausgabe der eroberten Ortschaften befahl (s. unten Anm. 43).
352 § 13. Hyrkan II (63—40); Antipater, Phasael und Herodes. [286. 287]
persönliches Erscheinen die Klage vorläufig zu vereiteln ^2). Bald
darauf, als Antonius in Ephesus weilte, erschien vor ihm eine Ge-
sandtschaft Hyrkan's, welche darum bat, dass Antonius die Frei-
lassung der von Cassius als Sklaven verkauften Juden und die
Herausgabe der von den Tyriern eroberten Ortschaften befehlen
möge. Antonius übernahm bereitwillig die Rolle des Beschützers
aller Rechte und erliess, unter kräftigen Ausfällen auf das wider-
rechtliche Gebahren des Cassius, die entsprechenden Befehle^ 3). —
Später (im Herbst 41), als Antonius nach Antiochia gekommen
war, erneuerten die vornehmen Juden ihre Klagen gegen Phasael
und Herodes. Allein auch diesmal hatten sie keinen Erfolg. An-
tonius war schon vor vielen Jahren, als er unter Gabinius in
Syrien gedient hatte (57 — 55), der Gastfreund Antipater's gewesen.
Dieser Freundschaft erinnerte er sich jetzt. Und da überdies
Hyrkan, der auch nach Antiochia gekommen war, den beiden
Brüdern ein günstiges Zeugniss ausstellte, so ernannte Antonius den
Phasael und Herodes zu Tetrarchen des jüdischen Gebietes^*).
Hyrkan war damit, was er jedenfalls nicht bedauerte, seiner po-
litischen Stellung enthoben. Er hatte sie ohnehin schon längst
nur dem Namen nach gehabt.
Die Zeit der Anwesenheit des Antonius in Syrien war für
die Provinz eine Zeit schweren Druckes. Sein schwelgerisches
Leben verzehrte erstaunliche Summen; und diese mussten die Pro-
vinzen liefern. So wurden denn überall, wohin Antonius kam, j
schwere Abgaben eingetrieben; und auch Palästina hatte dabei
seinen Antheil zu tragen ^^).
Im J. 40, während Antonius theils von Kleopatra in Aegypten
festgehalten wurde, theils durch die italisclien Angelegenheiten
in Anspruch genommen war, erfolgte der grosse Einfall der
Parther, der ganz Vorderasien mit ihren wilden Schaaren über-
42) Antt. XIV, 12, 2. Dell. Jud. J, 12, 4.
43) ArUt. XIV, 12, 2. Die Actenstücke (ein Schreiben des Antonius au
Hyrkan und zwei Schreiben an die Tyrier): Antt. XIV, 12, 8—5. Das eine
Schreiben an die Tyrier {Antt. XIV, 12, 4) bezieht sich namentlich auf die
Herausgabe der eroberten Ortschaften, das andere {Antt. XIV, 12, 5) auf die
Freilassang der jfldischen Sklaven. Auch an die Städte Sidoii, Antiocliia und
AraduN ergingen ähnliche Schreibon {Anlt. XIV, 12, (5). \f\. zu den Acten-
stflcken: Mendelssohn in Ritschl's Ada Socictatis pkibloyac lApsknsis t.V,
1875. p. 254-263.
44) Antt. XIV, 13, 1. Ikll. Jud. I, 12, 6.
45) Appian. Oiv. V, 7: ^EmnaQiwv öh 4>QX/ylav te xal Mvolav xal FaXaraq
xolq iv kaln, KannaSoxlav xe xal KiXixluv xal ^i^rQlav rr/v xollrjv xal llaXat-
axivTiv xal r^v 'Ixavpalav xal '6aa &XXa yivri Ji!vQ(oy, unaatv iotf^opuQ inißakXt
ßttQtlaq.
[287.288] § 13. Hyrkan II (63—40); Antipater. Phasael und Hemdes. 353
schwemmte. Und bei dieser Gelegenheit gelangte auch Antigonus,
wenigstens auf einige Zeit, an das Ziel seiner Wünsche.
Als die Parther unter Pacorus und Barzaphranes (ersterer
war der Sohn des Königs Orodes, letzterer ein parthischer Sa-
trap) ^ß) bereits das nördliche Syrien besetzt hatten, wusste sie
Antigonus durch grosse Versprechungen dazu zu bewegen, ihm
zur Erlangung des jüdischen Thrones behülflich zusein. Pacorus
zog an der phönicischen Küste entlang, Barzaphranes im Innern
des Landes gen Süden. Pacorus sandte eine Abtheilung unter
Anführung eines königl. Mundschenkes, der ebenfalls Pacorus
hiess, nach Jerusalem. Ehe diese dorthin kam, war es bereits
dem Antigonus gelungen, unter den Juden sich einen Anhang zu
sammeln und mit diesem in Jerusalem einzudringen, wo es nun
zwischen ihm und Phasael und He rode s tägliche Gefechte gab*').
Mittlerweile kam die parthische Schaar unter Pacorus. Dieser
gab vor, Friede stiften zu wollen, und forderte den Phasael auf,
sich zu Barzaphranes zu begeben, damit dieser den Streit schlichte.
Obwohl Herodes seinen Bruder ernstlich warnte, ging Phasael
doch in die Falle und begab sich sammt Hyrkan und Pacorus
(dem Mundschenk) in das Lager des Barzaphranes. Eine kleine
Abtheilung parthischer Reiter blieb in Jerusalem zurück*"). Im
parthischen Lager warf man bald die Maske ab und legte die
Beiden, Phasael und Hyrkan, in Fesseln*^). Als Herodes davon
hörte, beschloss er, da er zum offenen Widerstände zu schwach
war, aus Jerusalem zu entfliehen. Ohne dass die Parther es
merkten, führte er den weiblichen Theil seiner Familie nebst den
Kindern aus der Stadt und brachte sie auf die Festung Masada,
die er seinem Bruder Joseph zur Vertheidigung übergab ^"^). Unter-
wegs hatte I er an der Stelle, wo er später die Festung Herodeion
baute, noch einen Kampf mit den ihm feindlich gesinnten Juden
zu bestehen. Doch erwehrte er sich glücklich ihres Angriffes.
46) Die Schreibung BaQ^a^Qavrji; scheint mir durch das überwiegende,
freilich stark variirende Zeugnis» der Handschriften geboten, obwohl man nach
Analogie anderer persischer Namen Bag^atpagvi^g erwarten sollte. Die von
Niese bevorzugte Schreibung Ba^atpQavtjg ist durch die handschriftliche Ueber-
lieferung nicht gerechtfertigt.
47) Anit. XIV, 13, 3. Bell. Jud. I, 13, 1—2.
48) Antt. XIV, 13, 4—5. Bell. Jud. I, 13, 3.
49) Antt. XIV, 13, 5-6. Bell. Jud. 1, 13, 4—5.
50) Masada lag auf einem steilen Felsen am westlichen Ufer des todten
Meeres. Im vespasianischen Kriege war es die letzte Zufluchtsstätte der Auf-
ständischen, die erst nach mühevollen Belagerungsarbeiten von den Römern
bezwungen wurde (73 nach Chr.). Ueber ihre Lage und Geschichte s. unten
§ 20 gegen Ende (woselbst auch die neuere Literatur verzeichnet ist).
Schürer, Geschichte I 3. u. 4. Aufl. 23
354 § 13. Hyrkan II (63—40) ; Antipater, Phasael und Herodes. [288. 289]
Nachdem er so seine Angehörigen in Sicheriieit gebracht hatte,
setzte er selbst seine Flucht weiter nach Süden fort, zunächst nach
Petra in Arabien ^*).
Die Parther Hessen sich durch die Freundschaft mit Anti-
gonus nicht abhalten, das Land nebst der Hauptstadt zu plündern.
Phasael und Hyrkan aber wurden dem Antigonus zur Verfügung
gestellt. Dem Hyrkan wurden, damit er zum Hohenpriester ein
für allemal untauglich sei, die Ohren abgeschnitten. Phasael da-
gegen entzog sich den Händen seiner Feinde dadurch, dass er sich
den Kopf an einem Felsen zerschmetterte, nachdem er zuvor noch
die freudige Kunde von der glücklichen Flucht seines Bruders er-
halten hatte.
Darauf führten die Parther den Hyrkan als Gefangenen mit
sich und setzten den Antigonus zum König ein ^2),
§ 14. Antigonus (40-37).
Quellen: Joseph. Antt. XIV, 14—16. Bell. Jud. I, 14—18, 3. Zonaras Annal. V,
10 — 11 (Auszug aus Josephus).
Literatur: Ewald, Geschichte des Volkes Israel IV, 538—543.
Grätz, Geschichte der Juden III, 4. Aufl. S. 190—197.
Hitzig, Geschichte des Volkes Israel II, 523 — 533.
Schneckenburger, Zeitgeschichte S. 173—175.
Hausrath, Zeitgesch. 2. Aufl. I, 200-210. |
Lewin, Fasti sacri p. .52—62.
Bürcklei n, Quellen und Chronologie der römisch-parthischen Feld-
züge iu den Jahren 713—718 d. St. Dissertat. 1879.
Darmestet'er, Les Parthes ä Jerusalem {Journal asiatiqiw, IX*"« Serie,
t. IV, 1894, p. 43—54) [allgemeine Betrachtung darüber, dass
die Parther damals den Juden als Freunde erschienen].
ßl) Antt. XIV, 13, 6—9. Bell. Jud. I, 13, 6—8.
52) Antt. XIV, 13, 9—10. Bell. Jud. I, 13, 9—11. — Irrthünilich nennt Dio
Om». XLVIIl, 20 den Aristobul statt des Antigonus. — Uehcr die Ereig-
niHHC der Jahre 43—40 giebt Julius Africanus bei Oeonj. Syncell. ed. Din-
dorf l, 581 sq. und Byncellus selbst cd. Dindorf I, 576 sq. und 579 je einen
kurzen Bericht, der einiges von Josephus abweichende enthält und wulirschein-
lich auf eine andere Quelle (Justus von Tibcrias?) zurückgeht. Am bemerkcns-
worthcHt«n ist, djiss liiernHch Phasael niclit als Gefangener sich selbst das
I>oben nimmt, sondern in der Schlacht fällt (Jul. Afric. bei Synccll. 1, 581:
^»aauTikoq 6h Iv xy fiäxv uvaigeltai). Auch wird die Summe, welche Oassius
in PaÜittina eintrieb, nicht auf 700, sondern auf K(X) TahMite angegeben (Si/u-
eelL I. 676). Vgl, überhaupt: Golzer, Julius Africanus I, 201- -205. Man Jial
Jedo<rh kein Ilocbt, dieüo kurzen Notizen dem Hehr eingehenden Bcrichto des
Jonephii- v..r/i!yi.'hcn.
[289. 290] § 14. Antigonus (40—37). 355
Antig 011 US oder, wie er nach dem Zeugniss der Münzen mit
seinem hebräischen Namen hiess, Mattathias hatte somit durch
parthische Gnade das erreicht, was sein Vater und Bruder vergeb-
lich erstrebt hatten. Wie seine Ahnen seit Aristobul I, so nannte
auch er sich nunmehr „König" und „Hoherpriester" (auf Münzen:
BAGIAE2C ANTirONOY blÄH pDri JT'nntt) i).
Des Herodes Hoffnungen ruhten einzig und allein auf römi-
scher Hülfe. Ohne Petra zu berühren — denn der Araberfürst
Malchus hatte sich seinen Besuch verbeten — ging er nach Ale-
xandria und schiffte sich von da, obwohl bereits die Herbststürme
begonnen hatten, nach Rom ein. Unter mancherlei Gefahren ge-
langte er über Rhodus und Brundusium nach Rom, wo er alsbald
dem Antonius sein Leid klagte 2). Was etwa an der Gunst des-
selben noch mangelte, wusste Herodes durch Geld zu gewinnen.
Und so geschah es, dass er, nachdem auch Octavian seine Zu-
stimmung gegeben hatte, in feierlicher Senatssitzung zum König
von Judäa erklärt wurde. Durch ein Opfer auf dem Capitol und
Festmahl bei Antonius wurde die Ernennung gefeiert 3).
Von der Ernennung bis zum wirklichen Besitz war nun frei-
lich noch ein weiter und schwerer Schritt. Vorläufig waren die]
Parther und ihr Schützling Antigonus noch im Besitz des Landes.
Die Ersteren wurden zwar im J. 39 durch Ventidius, den Legaten
des Antonius, aus Syrien vertrieben (s. oben S. 313 f.). Allein von
1) Vgl. über die Münzen des Antigonus: Eckhel III, 480 — 481. Mionnet
V, 563 «9. De Sa'jtlcy, Eecherches p. \0Q — 113. Ca v edon i, Bibl. Numismatik
II, 23—25. Levy, Gesch. der jüdischen Münzen S. 65—67. Madden, History
of Jewish Coinage p. 76 — 79. Keichardt in den Wiener Numismat. Monats-
heften Bd. III, 1867, S. 114—116. De Saulcy, Xumismafic Chronicle .1871,
p. 243 sq. Madden, Numismatic Chronicle 1874, p. 314 — 316. Merz|bacher,
Zeitschr. für Numismatik III, 1876, S. 209—213. Madden, Coins of the Jetcs
p. 99—103.
2) Antt. XIV, 14, 1—3. Bell. Jud. I, 14, 1—3.
3) Antt. XIV, 14, 4—5. Bell. Jud. I, 14, 4. Vgl. Appian. V, 75 (s. oben
8. 312). — Die Ernennung fällt noch in das J. 40, unter das Consulat des
On. Dom\itius Calvinus und C. Asinius Pollio (J.m//. XIV, 14, 5). Aber
jedenfalls ziemlich au das Ende des Jahres, da es bereits Spätherbst war, als
sich Herodes in Alexandria einschiffte {A. XIV, 14, 2. B. J. I, 14, 2). Die An-
gabe des Josephus, dass die Ernennung noch in der 184. Olympiade geschehen
sei {A. XIV, 14, 5), ist demnach unrichtig, denn diese lief im Sommer 40 ab.
Auch die gleichzeitige römische Geschichte verlangt, die Ernennung in den
Herbst zu setzen, da Antonius und Octavianus nicht früher nach Rom
kamen. Vgl. Sanclemente, De vulgaris aerae emendatione p. 360 — 366; van
der Chijs, De Herode Magno p. 31 — 35. — Dagegen ist es sicher unrichtig,
wenn Gumpa'ch, Ueber den altjüdischen Kalender S. 238—250, die Ernennung
erst in den Herbst 39 setzt.
23*
356 § 14. Antigonus (40-37). [290]
Antigonus trieb Veutidiiis nur hohen Tribut ein und Hess ihn im
üebrigen ungestört. Und ein G-leiches that nach dem Abzug des
Yentidius dessen ünterfeldherr Silo^).
So standen die Sachen, als Her ödes im J. 39 in Ptolemais
landete. Er sammelte rasch ein Heer; und da nun auch Ventidius
und Silo im Auftrag des Antonius ihn unterstützten, machte er
bald Fortschritte. Zuerst fiel Jope in seine Hände. Dann auch
Masada, wo die Seinen bisher belagert worden waren. Mit dem
Erfolg wuchs auch die Zahl seiner Anhänger; und so konnte er
selbst daran gehen, Jerusalem zu belagern. Doch richtete er dabei
vorläufig nichts aus, da die römischen Truppen Silo's, welche ihn
unterstützen sollten, eine schwierige Haltung annahmen und in die
Winterquartiere entlassen werden raussten^).
Im Frühjahr 38 erneuerten die Parther ihren Einfall in Syrien.
Während nun Ventidius und Silo gegen sie zu kämpfen hatten,
suchte Her ödes das Land sich vollends zu unterwerfen und von
den zahlreichen Abenteurern zu säubern. Namentlich Galiläa barg
in seinen unzugänglichen Höhlen grosse Schaaren von Briganten.
Aber selbst dieser wusste Herodes habhaft zu werden, indem er
seine Soldaten in grossen Kasten (^.dQvaxeo) von der Höhe der
Felswände herabliess und ihnen so den Zugang zu den Höhleu er-
möglichte ^).
4) Ana. XIV, 14, ü. Bell Jnd. 1, 15, 2. Dio Cass. XLVIII, 41.
5) Antl. XIV, 15, 1—3. Bi'U. Jud. I, 15, 3—6.
(j) Antt. XIV, 15, 5. Bell. Jud. I, 16, 4. — Nacli Anit. XIV, 15, 4, B. J.
I, 16, 2 befanden sich diese llölilen in der Nahe von Arbela. Der dortigen
Höhlen gedenkt Josephus auch .sonst noch öfters {An/t. XII, 11, 1. Uta 37).
Die BeHchreibiing. welche er Aiitl. XIV, 15, 5 -- Jl. J. I, 16, 4 giebt, stimmt
genau mit der Besehaflenheit der Höiilen, welche sich noch heute in der Nähe
von Jrbid (Arbed), nicht weit vom See Genezareth nordwestlicli von Tibcrias,
beßnden. Es kann daher kein Zweifel sein, dass Irbid mit Arbela identisch
ist, und die dortigen Höhlen mit den von Josephus beschriebenen. Darum
sind wir aber nicht berechtigt, gegenüber der vielfach bezeugten ITcberlicftM-ung
Arbcda zu schreiben, wie Wellhauscn wollte (2. Aufl. H. 250, anders 4. Aufl.
S, 266). S. dagegen Schlatter, Zeitschr. des DPV.XIX, 185)6, S.222f. Die Form
A rbela hat JoHcplius ftlnfmal, dazu kommt I .l/fl/.A-.O, 2 und rabbinisch b^ix, denn
der Ort mit der alten Synagoge {Carmolt/, Itineraircs 1847, ;). 131, 259) ist
Mchcr unser Arbel '- Jrbid (vgl. Bd. II 8. 445 f.); auch in anderen Fällen ist
wahrscheinlich diese» gemeint (Neubauer, Oiographic du Talmud p. 219). Der
Uebergang von / in d ist allerdings auffallend, aber nicht ohne Analogie; vgl.
»ram. *ltK neben ^t« (Kautzsch, Grammatik des Biblisch-Animüischen S. 63,
Kamplftneyer, ZeltHchr. des DPV. XV, 1S92, S. 32 f.), üdysseus und Ulysses.
Ueber anser Arbela überhaupt s. Ilobinaon, Palästina III, 532(1'. Guirin,
OtMU» I, 1Ö8— 203. The Survcy of Western Paleatine, Metmirs hy Condcr and
Kilehener I, 409—411 (Beschreibung von Kulat Ihn Man, wie die Felsen-
burg bei den Höhlen jetzt hcisst); dazti Blatt VI der grossen englischen Karte.
[290. 291] § 14. Antigonus (40—37). 357
Mittlerweile wurden die Partlier abermals von Ventidius be-
siegt (9. Juni ;}8). Und dieser wandte sich nun gegen Autiochus
von Komniagene und belagerte ihn in seiner Hauptstadt Samosata.
Während der Belagerung kam Antonius selbst vor Samosata an.:
Diese Gelegenheit, seinen Gönner zu sprechen, konnte Herodes nicht
vorübergehen lassen. Denn er hatte guten Grund, sich über die
bisher ihm widerfahrene Unterstützung zu beklagen. Er begab
sich also nach Samosata, um dem Antonius seine Aufwartung zu
machen. Dieser nahm ihn sehr gnädig auf; und da bald darauf die
Uebergabe von Samosata erfolgte, so beauftragte Antonius den
Sosius, den Nachfolger des Ventidius, dem Herodes kräftigen Bei-
stand zu leisten^).
In Palästina war es während der Abwesenheit des Herodes übel
hergegangen. Joseph, der Bruder des Herodes, welchem dieser
mittlerweile den Oberbefehl übertragen hatte, war von einem Heere
des Antigonus geschlagen worden und selbst im Kampfe gefallen,
worauf Antigonus ihm das Haupt hatte abschlagen lassen. Infolge
dessen hatten sich auch die Galiläer wieder gegen Herodes erhoben
und hatten dessen Anhänger im See Genezareth ertränkt^).
Herodes erfuhr den ganzen Hergang in Antiochia und eilte
nun, den l'od des Bruders zu rächen. Galiläa wurde ohne Mühe
wieder unterworfen. Bei Jericho traf er auf das Heer des Anti-
gonus, wagte indess, wie es scheint, keinen Kntscheidungskampf.
Krst als Antigonus sein Heer getheilt und den einen Theil unter
Papp US nach Samaria entsandt hatte, suchte Herodes diesen auf.
Bei Isana traf er mit ihm zusammen. Pappus griff zuerst an,
wurde aber von Herodes vollständig geschlagen und in die Stadt
geworfen, wo nun alles, was nicht durch die Flucht sich retten
konnte, zusammengehauen wurde. Pappus selbst fand dabei seinen
Tod. Mit Ausnahme der Hauptstadt fiel dadurch ganz Palästina
in die Hand des Herodes. Und nur der Anbruch des Winters hin-
derte ihn, die Belagerung Jerusalem's sofort zu beginnen^).
Frei, Zeitsclir. des deutsehen Palästina- Vereins IX, 1886, S. 108 fl'. Legendre
in Viyouruux, IHctiunnaire de l<i Bible I, 884 — 886 (mit Abbildung).
7) Antt. XIV, 15, 7—9. Bell. Jud. 1, 16, 6—7.
8) Anit. XIV, 15, 10. Bell. Jud. I, 17, 1—2.
9) Anit. XIV, 15, 11—13. Bell. Jud. I, 17, 3—8. — Statt I:EANA [A.XIY,
15, 12) hat B. J. I, 17, 5 KANA, was wohl nur Textverderbniss ist. Nach dem
Zusammenhang der Erzählung lag der Ort entweder im südlichen Samarien oder
im nördlichen Judäa; denn Pappus war nach Samarien entsandt worden, He-
rodes aber traf mit ihm zusammen, indem er von Jericho her kam. Ohne
Zweifel ist daher unser Isana identisch mit !^!l?j'^, welches II Chron. 13, 19
neben Bethel genannt wird ibei Josepkus, Antt. VIII, 11, 3 'laavd). Wahrschein-
358 § 14. Antigonus (40—37). [291. 292]
Im Frühjahr 37, sobald die Jahreszeit es erlaubte, lagerte sich
Herodes vor der Hauptstadt und begann mit den Belagerungsarbeiten. |
xlls dieselben im Gange waren, verliess er auf kurze Zeit das Heer
und begab sich nach Samaria, um dort seine Hochzeit mit Ma-
ri amme, einer Enkelin Hyrkan's, mit welcher er schon seit fünf
Jahren (42 v. Chr. s. Antt XIV, 12, 1. B. J, I, 12, 3) verlobt war,
zu feiern 1*^).
Nach Beendigung der Hochzeit kehrte er wieder in's Feldlager
zurück. Nun traf auch Sosius mit einem starken Heere vor Jeru-
salem ein; und Beide leiteten jetzt gemeinsam den Angriif auf die
Stadt. Wie Pompejus so griffen auch sie vom Norden her an. Hier
erhoben sich die mächtigen Wälle; und hier begannen die Wurf-
maschinen ihre Arbeit. Vierzig Tage nach Beginn der Beschiessung
wurde die erste Mauer genommen; nach weiteren fünfzehn Tagen
auch die zweite. Aber immer war der innere Vorhof des Tempels
und die Oberstadt noch in den Händen der Belagerten. Endlich
wurden auch diese erstürmt; und die Sieger mordeten nun in der
Stadt, was ihnen in die Hände fiel. Antigonus selbst fiel dem
Sosius zu Füssen und flehte ihn um Gnade. Dieser hatte seinen
Scherz mit ihm, nannte ihn Antigene und Hess ihn in Fesseln legen.
Des Herodes grösste Sorge war es, sich seiner römischen Freunde
baldmögliclist zu entledigen. Denn das Morden und Plündern in
seiner nunmehrigen Hauptstadt konnte ihm nicht erwünscht sein.
Durch reiche Geschenke wusste er endlich den Sosius nebst seinen
Truppen zum Abzug zu bewegen * '). |
lieh ist, wie Clermont-Ganneau vermuthet, der Name noch erhalten in dem
heutigen Ain Sinia, nur wenig nördlich von Bethel. Vgl. Clermont-Gan-
neau, Journal asiatiquc, Scptihne Serie, t. IX, 1877, p. 490—501. Quarterly
Statements \%11, p. 20G sq. Zeitschr. des DPV. I, 41 f. Quer in, Snmarie II,
.38. The Survey etc. Mcmoirs II, 291. 302; dazu ßl. XIV der grossen engl. Karte
(rechte unten). Clerraont-Qanneau, Archacological Jicsearches in Palcstiue
vol. II, 1800, p. 287- 294.
10) Antt. XIV, 15, 14. B. J. I, 17, 8. — Mariamme {MaQiäfi/xri, niclil.
MuQiauvTi ist zu schreiben) war eine Tochter Alexander'«, des Sohnes Ari-
stobul's II, und der Alexandra, einer Tochter Hyrkan's TI {Antt. XV,
% 6). — Sie war übrigens schon die zweite Gemahlin des Herodes. Seine erste
hiesi Doris, von welcher er einen Sohn Namens Antipater hatte [Antt.
XIV, 12, 1).
11) Antt. XIV, 16, 1—3. Bell. Jud. I, 17, 9. 18, 1—3. Dio Gass. XLIX, 22.
Seneca Suas. II, 21: Sosio Uli qui Judaeoa suhegerat. Taoit. JTist. V, 9: Jndaros
0. 8o»iui iubegü. lieber den Imperator-Titel und den Triumph dos Sosius rx
Judaea i. oben 8. 314. — Der Zeitpunkt der Eroberung Jcrusalcin's
wird von den beiden Quellen, die uns zu Gebote stcOicn, verschieden ange-
goboo. Dio Chi». XLIX, 22 setzt sie noch in das Consulat des Olaudius
und Norbanns, 88 v. Chr. Ihm folgen Clinton, Faati Hell, III p. 222 ^q.
[293] § 14. Antigonus (40—37). 359
Damit war Herodes, fast drei Jahre nach seiner Ernennung,
in den wirklichen Besitz der Herrschaft gelangt. Antigonus]
{ad ann. 38), p. 299 sq. und Fischer, Rom. Zeittafeln S. 350, indem sie den
December 38 als Zeitpunkt der Eroberung annehmen. Josephus dagegen sagt,
sie sei geschehen unter den Consuln M. Agripp a und Caninius Gallus,
37 V. Chr. {Antt. XIV, 16, 4). Ihm folgen fast alle Neueren; und es kann in
der That keine Frage sein, dass der kurze und summarische Bericht des Dio
Cassius gegenüber der ausführlichen und detaillirten, auf oflenbar sehr guten
Quellen ruhenden Erzählung des Josephus gar nicht in Betracht kommen
kann. Aus letzterer geht aber unzweifelhaft hervor, dass die Eroberung erst
im J. 37 stattgefunden hat. Wir wissen, dass Pacorus am 9. Juni 38 von
Ventidius besiegt worden war. Ventidius wandte sich darauf gegen An-
tiochus von Kommagene und belagerte ihn in Samosata. Erst als die Be-
lagerung im Gange war (vgl. bes. Plutarch. Anton. 34), also frühestens im Juli
38, kam Antonius vor Samosata an. Er empfing dort den Besuch des Herodes
und Hess, als Samosata nach langer Belagerung {Flut. Anton. 34: xfjq de no-
hoQxlag fi^xog Xafxßavovarjq) capitulirt hatte und er selbst wieder nach Athen
zurückkehrte, den Sosius mit dem Befehl zurück, den Herodes zu unter-
stützen {Atitt. XIV, 15, 8—9). Es war also bereits Herbst 38, als Herodes
diese Unterstützung empfing; imd der Bericht des Josephus lässt keinen Zweifel
darüber, dass noch ein Winter dazwischen lag, ehe die Eroberung Jerusalem's
erfolgte (Antt. XIV, 15, 11: noXXov Y^eifioivoq xaxaQgayivxoq. 15, 12: ;(«^<«»'
sneaxe ßa&vg. Hierauf 15, 14: Xi^^avzoq 6s toü ;f f t ^(övo?. Und endlich
IG, 2: &£Qog xs yag riv). Demnach kann die Eroberung Jerusalems erst im
Sommer 37 stattgefunden haben (vgl. Sanclemente, De vulgaris a,era£ emen-
datione p. 366—371; Ideler, Handb. der Chronologie II, 390; gegen Clinton
bes. vati der Chijs, de Herode Magno p. 35—41; auch Ewald IV, 646; Le-
win, Fasti sacri p.b^ sq.; Bürcklein, Quellen und Chronologie der römisch-
parthischen Feldzüge, 1879, S. 61—65; Kellner im „Katholik" 1887, zweite
Hälfte S. 65—75. Gardthausen, Augustus und seine Zeit I, 1 (1891) S.
239 f. II, 1, S. 118—121. Kromayer, Hermes Bd. 29, 1894, S. 563-571.
Gardthausen, Rhein. Museum 1895, S. 311—314. Unger, Sitzungsberichte
der Münchener Akademie, philos.-philol. und bist. Cl. 1895, S. 273—277 (in
der Abh. über die Seleukidenära der Makkabäerbücher). Korach, Ueber den
Werth des Josephus als Quelle für die römische Geschichte, Theil I, Leipzig,
Diss. 1895, S. 47 — 50). — Aber nun gehen die Meinungen wieder auseinander.
Joseph, Antt. XIV, 16, 4 sagt, die Eroberung sei geschehen x^ soqx^ XTJg
VTjaxeiag, womit er ohne Zweifel den grossen Versöhnungstag (10. Tischri =
üctober) meint. Ihm folgen van der Chijs, Ewald, Lewin, Kellner,
Gardthausen, Unger u.a. Dagegen hat besonders Herzfeld („Wann war
die Eroberung Jerusalem's durch Pompejus, und wann die durch Herodes?"
in Frankel's Monatsschrift f. Gesch. u. Wissensch. des Judenth. 1855, S. 109
bis 115), zu zeigen versucht, dass die Eroberung schon früher, im Sommer,
müsse stattgefunden haben, und man wird ihm in der That beistimmen müssen.
Herodes hat jedenfalls die Belagerung begonnen, sobald es die Jahreszeit
irgend erlaubte [Xij^avTog xov x^^f^^^^og), also wahrscheinlich im Februar,
spätestens im März. Sie kann daher, obwohl sie nach Bell. Jud.l, 18, 2 fünf
Monate gedauert hat, sich schwerlich bis in den October hingezogen haben.
Vielmehr wird etwa im Juli 37 die üebergabe erfolgt sein (so auch
360 § 14. Antigonus (40—37). [294]
wurde von Sosius nach Antiochia abgeführt und dort — dem
Wunsche des Herodes entsprechend — auf Antonius' Befehl mit
dem Beile hingerichtet. Es war das erstemal, dass die Römer an
einem Könige ein solches Urtheil vollzogen*-).
Der Herrschaft der Hasmonäer war hiermit für immer ein
Ende gemacht.
§ 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.).
Quellen: Joseph. Antt. XV. XVI. XVII, 1—8. Bell. Jud. I, 18—33. Zonaras
Annal. V, 12—26 (Auszug aus Josephus).
Ueber die nicht erhaltenen Werke des Herodes, Ptolemüus,
Nico laus Damascenus und Justus von Tiberias s. oben
S. 48-63.
Kromayer). Die hoQX^ trjq vrjazslag, welche Josephus in seinen heidnischen
Quellen vorfand, wird also wieder, wie bei der Eroberung durch Pompejus,
nicht der Versöhnungstag, sondern ein gewöhnlicher Sabbath gewesen sein,
wie denn Dio Cassius auch hier wieder sagt, dass die Stadt iv xy xov KqÖvov
Tj/itQtt genommen worden sei (XLIX, 22). — Noch ist der Angabe des Jo-
sephus zu gedenken, dass die Einnahme erfolgt sei xo) xqItu) (xrivl {Antt. XIV,
in, 4). Damit ist jedenfalls nicht der dritte Monat des Olynipiadeujahres ge-
meint (so V. d. Chijs p. 35 und Gardthausen), denn die griechischen Monate
werden niemals gezählt; sondern entweder der dritte Monat des jüdischen
Kalenders oder der dritte Monat der Belagerung. Ersteres nehmen Grätz
III, 4. Aufl. S. 196 und Hitzig II, 532 an und setzen daher die Eroberung
in den Juni 37. Aber jedenfalls kann dies nicht die Meinung des Josephus
sein, da er ja zugleich die Eroberung auf den Versöhnungstag verlegt. Es
ist daher vorzuziehen, darunter den dritten Monat der Belagerung zu ver-
Htehen. Die drei Monate sind dann wohl vom Beginn der Beschicssung {Atitt.
XIV, IG, 2) an gerechnet, die fünf Monate den Bell. Jml. dagegen vom Beginn
der Schanzarbeiten an (Antt. XIV, 15, 14). Vgl. Herzfeld a. a. (). S. 113 f
Unger 8, 270. (Lewin schwankt; Kromayer nu'int, das T(</r<;> /irjvl sei von
Josephus gedankenlos ans dem Bericlit über die Eroberung Jerusalems durch
Pomi»ejuH herüberg(!nommen). — Auf vhwr argen Ueberseiiätzuiig des Josip-
pon (Josephus Gorionides) beruht es, wenn Trieber (Naeliriciiten von der
Göttinger GesellHch. der Wissensch., i)liil.-liist. Cl. 1895, 8. 402—405) nach
dieHem raittelaltt-rlichen Fabulanten die Eroberung auf den Fasttag des vierten
Bionat«, d. h. den 17. Tharnnrns, setzen will.
Kntffcliicden falsch, weil allen sichern elironologiselien Daten wider-
Nprechend, i«t die Mtiiniing von (iumpacli (Ueber den alljüdiselieii Kiih'iider
H. 268—277) und (Jaspari (Chronologiseh-ge.ographiHelie Isinleilung in das
Ivcben Jena Cliristi H. 18 If.), dass dio Eroberung erst im J. 71H a. ('. 36
V. Chr. erfolgt «lei.
12) Antt. XIV, 16, 4. XV, 1, 2 (wo Josephus auch einc^ Stelle aus dem
verloren gegangenen GeHclilchtHworko des Straho mittheilt). Bell. Jud. T, 18,3.
IMo Ca»$. XMX, 22. Plutnrch. Antntt. .36.
[294. 295] § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). 36I
Rabbinische Traditionen bei Derenbourg p. 149—165.
Die Münzen am vollständigsten bei Madden, Coins of Ifie Jews
(1881) p. 105—114.
Literatur»): Ewald, Geschiclite des Volkes Israel IV, 543—585.
Grätz, Geschichte der Juden III, 4. Aufl. S. 197—245.
Hitzig, Geschichte des Volkes Israel II, 534—559.
Schneckenburger, Zeitgeschichte S. 175 — 200.
Hausrath, Zeitgeschichte 2. Aufl. I, 210-275.
Winer, Realwörterbuch I, 481—483.
Arnold in Herzog's Real-Enc. 1, Aufl. VI, 8—14.
Keim, Geschichte Jesu T, 173—189.
— , Schenkel's ßibellexikon III, 27-38.
Van der Chijs, Dissertatio ehronologico-historica de Herode Maffno,
Judaeorum rege. lAiyd. Bat. 1855.
De Sau leg, Histoire d'HSode, rot des Jui/s. Paris 1867.
Lew in, Fasti sacri or a key to tlie chronxjhtgy uf the New Tesiatnefit,
1865, p. 62—127.
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Kellner, Die Regierungszeit des Herodes und ihre Dauer (Katholik
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A. Röville, Herodes der Grosse, ein Kapitel aus der jüdischen
Geschichte (Deutsche Revue, 18. Jahrg. 1893, 2. Bd. S. 83-99,
221—230, 361—376, 3. Bd. S. 78-89).
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religions t. 28, 1893, p. 283—301, t. 29, 1894, p. 1—24).
Renan, Histoire du peuple d'Israel V, 1893, p. 248—304.
Wellhausen, Israelitische und jüdi.sche Geschichte. 2. Aufl. S.
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Menke's Bibelatlas, ßl. IV, Specialkarte über „Judäa und Phüuice
nach den Einrichtungen des M. Antonius" und Bl. V, Special-
karte über „Judäa und Nachbarländer zur Zeit von Christi
Geburt". I
v.Chr.«. U.
37 (717)
Chronologische Uebersicht-).
Eroberung Jerusalems (etwa im Juli).
Hinrichtungen, Antt. XV, 1, 2, vgl. XIV, 9, 4 fin.
B. J. I, 18, 4.
1) Die ältere Literatur, unter welcher bes. Noldii Historia Idumaea her-
vorzuheben ist, s. in Winer 's RWB. I, 483. 485 f.
2) Wir schicken diese voraus, da im Folgenden die chronologische Ord-
nung nicht überall festgehalten ist.
362
§ 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.).
[295. 296]
v.Chr.a.C7.
36 (718)
35 (719)
34 (720)
Hyrkan II kehrt aus der parthischen Gefangenschaft
zurück, Antt. XV, 2, 1—4.
Anfang des Jahres: Aristobul III, der Bruder Ma-
riamme's wird auf Betrieb seiner Mutter Alexandr.a
von Herodes zum Hohenpriester ernannt, Antt. XV,
2, 5-7; 3, 13).
Ende d. J.: Aristobul III wird auf Veranstaltung des
Herodes (bald nach dem Laubhüttenfest) zu Jericho
im Bade ertränkt, rrjv aQxtsQcoövvrjv xaraoxfoi' svl-
avrov, Antt. XV, 3, 3. B. J. I, 22, 2.
Herodes wird von Antonius nach Laodicea vorge-
laden, um sich wegen des Todes Aristobul's zu ver-
antworten; wird aber von Antonius gnädig entlassen,
Antt. XV, 3, 5 und 8—9^).
Joseph, der Gemahl von Herodes' Schwester Salome,
hingerichtet, Antt. XV, 3, 9.
Antonius schenkt der Kleopatra das phönicische Küsten-
land, mit Ausnahme von Tyrus und Sidon, und Stücke
von Arabien und Judäa (von letzterem namentlich |
das Gebiet von Jericho), Antt. XV, 4, 1—2. B. J. I,
18, 5^). 1
3) Die Ernennung erfolgte, nachdem Alexandra einige Zeit zuvor die Bild-
nisse des Aristobul und der Mariamme dem Antonius nach Aegypten ge-
sandt hatte {Antt. XV, 2, G. B. J. I, 22, 3: üq AXymxov). Da nun Antonius
erst Ende 30 nach Aegypten gekommen ist (s. oben 8. 314 f.), kann die Ernen-
nung nicht wohl früher als Anfang 35 erfolgt sein.
4) Da Aristobul nach dem Obigen Ende 35 gestorben ist, so fällt diese
Vorladung nach Laodicea in das Frühjahr 34, als Antonius den Feldzug
gegen Armenien unternahm {JHo Casn. XLTX, 39); also nicht, wie Viele an-
nehmen, in das Jahr 30, als Antonius gegen die Parther zog. Das Richtige
hat van der Ghija. — Wenn Josephus sagt, Antonius sei damals gegen die
Parther gezogen {Antt. XV, 3, 9), so ist dies zwar ungenau, aber nicht gerade
unrichtig. Denn Antonius gab in der That vor, gegen die Parther zu ziehen
M. IHo Cass. a. a, O. Uebrigcns sagt Josephus auch B. J. I, 18, 5 irrthümlich
„Parther" statt „Armenier". — Der Antt. XV, 3, 9 erwähnte Feldzug {inl
nÜQ^ovq) ist demnach identisch mit dem Antt. XV, 4, 2 erwähnten {^n /Ip^uf-
vlttv).
6) Diese Schenkungen erwähnen auch Plutarch. Anton. 3(5 {4>otvlxrjv, xol-
Ai/y Svglttv, KvTtQOv, KtXixlaq noXX^v, l'ti 6h rfj(: re 'lovöalwv ti/v to ßäkattfiov
ipigovoav xal tfjf Nafiaxalwv 'ÄQaßlaq oarj ngbi i^v ivTtiq dnoxklvei {tükaoaav),
und IHo CaKS. XLIX, 32 {noXXa fthv zfjq liQußlaq r^C Tf MäXxov xal TTjq twv
IxvQulmv, tov yig Avaavlav . . , uni'xxtivtv . . ., noXka dl xal xi/Q <I'otvlx^<:
tijt XI flaXaiaxlvtji, KpTitrjq xt xiva xal h'vQtjvriv xr'jv xf Kvkqov). Heide; ver-
logen nie io da« Jahr 30, und zwar Plutarch noch vor J3egiiin des purtliiHclicii
FeldsugfM, DIo ütt«»luH nach der Kütkkelir von rlcmHcll)en (vgl. Kroinuycr,
[297] § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). 363
v.Chr.a.Z7.
Kleopatra bei Herodes in Jerusalem, Antt. XV, 4, 2.
B. J. I, 18, 5.
Hermes 1894, S. 571 f.). Nach Josephus dagegen hat die Schenkung der
Stücke von Arabien, Judäa und Phöuicien im J. 34 stattgefunden, als Anto-
nius im Begriff war, gegen Armenien zu ziehen. Denn dass dieser Feldzug
AiUt. XV, 4, 1—3, B. J. 1, 18, 5 gemeint ist, kann bei Vergleichung mit Dio
Gass. XLIX, 39—40 nicht zweifelhaft sein. Die Zeitbestimmung des Plutarch
und Dio Cassius erhält eine scheinbare Bestätigung durch die Notiz des Por-
phyrius. dass Kleopatra ihr sechzehntes Regierungsjahr auch als erstes gezählt
habe, weil ihr Antonius in diesem Jahre, nach dem Tode des Lysimachus
(soll heissen Lysanias), das Königreich Chalcis verliehen habe (Porphyr, bei
Euseb. Ghron. ed. ScJioene I, 170: xb ö' exxaiötxazov (ovofida&t] xb xal ng(Zxov,
ineiSri xekevxi^oavxoQ Avaiftä/ov [1. ytvaaviov] xtjq iv J^vQia XalxlSoq ßaatlecag,
MaQXoq kvxwviog o avxoxQaxioQ xrjv xs XaXxiöa xal xovq ntgl avxijv xonovq
naQiöwxe xy KXeonäxQo). Diese doppelte Zählung der Regierungsjahre der
Kleopatra ist auch bezeugt durch zwei Münzen und zwei Inschriften. Auf
einer Münze der Kleopatra findet sich auf der Rückseite der Kopf des Anto-
nius und das Datum txovq xa xov xal : &i:ä vetoxspa (so Feuardent, Collections
Giovanni di Demetrio, Numismatique, Egtjpte aneienne P. I, Paris s. a. [1870]
p, 135; andere Herausgeber lesen nach dem Datum ^eäq vewt^Qaq, s. Mionnet,
Description de medailles t. VI, p. 33 n. 267, Suppl. VIII, p. 321 sq. n. 410,
Letronne, Itevue numismatique 1843, p. 178, Sallet, Zeitschr. für Numismatik
XIV, 1887, S. 379 f.; Exemplare mit beiden Lesarten giebt Forrer, Revue
beige de Numismatique 1900, p. 279 sq.; sonstige Literatur über die Münze s.
bei Feuardent a. a. 0.). Auf einer anderen Münze mit dem Kopf der Kleo-
patra [findet sich auf der Rückseite BH (Berytus) und das Doppeldatum LE
und LAK, d. h. Jahr 6, Jahr 21 (Feuardent a. a. O. S. 128. Forrer, Hernie beige
de Num. 1900, p. 284 sq.). Eine Inschrift trägt das Datum LK xov xal E
{Letronne, Bectieil des inscriptions greeques et latines de VEgypte II, 125 = Gorp.
Inscr. Graec. n. 4931 — 4932 = Lepsius, Denkmäler aus Aegypten, Bd. XII,
Blatt 88, Inscr. Gr. n. 264, dazu Krall, Wiener Studien Bd. V, 1883, S. 313f.).
Eine andere Inschrift, deren Lesung freilich nicht ganz sicher ist, ist datirt
LIB xov xal d, Jahr 19 = Jahr 4 (Strack, Die Dynastie der Ptolemäer 1897,
S. 272 n. 158). Da nun das 16. Jahr der Kleopatra nach der gewöhnlichen
Zählung ihrer Regierungsjahre gleich 36 vor Chr. ist (nach Letronne II, 98:
Herbst 37 bis Herbst 36), so beginnt mit eben diesem Jahre ihre neue Aera.
Ob Porphyrius den Grund derselben richtig angegeben hat, wird von Neueren
bezweifelt (Feuardent S. 135, Kromayer, Hermes 1894, S. 582—585, Strack S.
211 — 213). Imraerliin wird durch seine Angabe bestätigt, dass Kleopatra das
Reich des Lysanias im J. 36 erhalten hat. Bei näherer Betrachtung spricht
aber diese Notiz des Porphyrius nicht zu Gunsten des Plutarch und Dio
Cassius, sondern vielmehr zu Gunsten des Josephus. Weshalb nennt Porphy-
rius nur das Königreich Chalcis, nicht auch Phönicien und die anderen Ge-
biete, die viel bedeutender sind als Chalcis? Offenbar weil Chalcis die
erste Schenkung war und die anderen erst später nachgefolgt
sind. Eben dies ist aber auch die Voraussetzung des Josephus. Als Herodes
sich vor Antonius in Laodicea verantwortet hatte, berichtet er alsbald nach
Hause: Antonius habe der Kleopatra ihre Bitte um Verleihung von Judäa
abgeschlagen, da sie durch Verleihung von Cölesyrien abgefunden sei (Antt.
364 § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [297]
V. Chr. a.U.
32 (722)
Krieg des Herodes mit den Arabern (nacli Ausbrncli
der Feindseligkeiten zwischen Antonius und Octavian),
Antt. XV, 5, 1. B. J. I, 19, 1—3.
XV, 3, 8 fin.). Kurz darauf hat dann Kleopatra ihr Verlangeii wenigstens
theilweise durchgesetzt: sie erhielt Stücke von Judäa und Arabien und einen
Theil Phöniciens {Antt. XV, 4, 1). Hiernach ist sicher, dass die Verleihung
von „Cölesyrien", womit eben das Gebiet des Lysanias gemeint ist, den anderen
Schenkungen vorausgegangen ist. Plutarcb und Die Cassius fassen
zeitlich auseinander Liegendes zusammen. Die genauere Dar-
stellung hat Josephus. — Im Gegensatz zu dieser Auffassung hat Kro-
mayer, Zeit und Bedeutung der ersten Schenkung Marc Antons an Cleopatra
(Hermes Bd. 29, 1894, S. 571 — 585) wieder sämmtliche von Plutarch und Dio
Cassius a. a. O. erwähnte Schenkungen in das Frühjahr 36, vor Beginn des
parthischen Feldzuges, gesetzt. Entscheidend hiergegen scheint mir: 1) Die
Schenkungen sind aus obigen Gründen sicher nicht alle gleichzeitig erfolgt.
2) Nach dem detaillirten, offenbar nus guter Quelle geschöpften Bericht des
Josephus ist die Schenkung eines Stückes von Judäa an Kleopatra erst einige
Zeit nach der Ermordung Aristobul's erfolgt; sie hatte noch nicht statt-
gefunden zu der Zeit, als Herodes wegen dieser That sich vor Antonius ver-
antworten musste {Antt. XV, 3, 8 fin.). Die Ermordung Aristobid's setzt aber
auch Kroraayer (S. 573) in den Winter 35/34, und Herodes' Heise nach Lao-
dicea ins Frühjahr 34. Es ist hiemach unmöglich, die Schenkung schon ins
Frühjahr 30 zu setzen. 3) Von Kromayers Argumenten für seine Aulfassung
iBt nur eines bestechend (S. 578): Der Araberkönig, welchem gleichzeitig mit
Herodes ein Stück abgenommen wurde, hat seinen Tribut eine Zeit lang
{xqÖvov xivu) richtig bezahlt; dann wurde er säumig, bis endlich Herodes von
Antonius den Befehl erhielt, im Interesse Kleopatra's gegen ihn kriegerisch
einzuschreiten {Antt. XV, 4, 4. 5, 1). Da dies geschah, als der Krieg zwisehen
Antonius und Octavian zum Ausbruch kam, so sei zur Entwickelnng dieser
Dinge nicht genügend Spielraum, wenn nuin die Schenkung erst 34 setze. In
der That bleiben nur zwei Jahre (Frülijahr 34 bis Frühjalir 32). Diese dürften
aber doch genügen. Jedenfalls kann man elier in diesem Punkte den Bericht
des Josephus für ungenau erkh'iren, als alles Andere bei ihm unistosseii. Nod»
weniger durclischhigend sind die anderen Argumente Kromayer's (S. 574 f).
Kleoputru war um jene Zeit, als Antonius ihr Stücke von Judäa, Arabien und
Phönieien schenkte, bei Antonius in Syrien und luit ilin dann bis an den
Euphrat begleitet {Antt. XV, 4, 1—2). Daraus folgt aber nicht, dass dies der
Feldzug vom J. 30 war; es kann (tbonso gut beim Feldzug vom J. 34 der Fall
gewcHen sein, wenn auch Antonius damals nicht lange in Syrien verweilte
und niclit über d(>n Euphrat, HotnUtm an deniselixtn entlang mich Nikopolis
in Klein-Armenien ging {l>io Cans. XLIX, \Vd). .IcdcnCnlls meint .losepims den
Feldzug vom J. 34. In diese Zc^it verlegt (fr auch die Jlinriclitung des I^ysa-
diaM (Antt. XV, 4, 1 : dnoxxivvvaiv), also später als die Verschenkung seines
GebictcH. Wenn andere Quellen beid(;H zusammen in das ,f. 30 setzen, so ist
diuN kein miNreictheuder Grund, «h^n detaillirteren Bericht des Josephus zu
verwürfen und anzunehmen, dusH er cigiuitlich in diesem Zusammenhang von
KreigtiiNNen dei Julires .'{<i spreche. -- Vgl. im Allgemeinen über dic! Sclien-
kuogen de« Antoniu« an Kleoputru auch oben S. 310.
[297. 298]
§ 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.).
365
v.Chr.«. r/.
31 (723) Erdbeben in Palästina, Anlt. XV, 5, 2. B. J. I, 19, 3:
xar eroq fitv ZTJq ßaciXsiag kßöo/jov, dxftdC^ovrog 6h
Tov jteQl AxTiov jtoXtfiov, aQXf^l^tPov eaQoq^).
Herodes besiegt die Araber, Antt. XV, 5, 2 — 5. B. J.
I, 19, 3-6.
Nach der Schlacht bei Actiura (2. Sept.) ergreift He-
rodes die Partei des August us, indem er den Di-
dius im Kampfe gegen die Gladiatoren des Antonius
unterstützt, Antt. X\', 6, 7. B. J. I, 20, 2. Vgl. oben
S. 317.
30 (724) Frühjahr: Hyrkan 11 hingerichtet, Antt. XV, 6, 1—4.
B. J. I, 22, 1, jcXiico (ilv fj oyöo^xovra ysyovmq
Irvyyiavkv tri] {Anlt. XV, 6, 3) ').
Herodes reist zu Augustus nach Rhodus und wird
von ihm als König bestätigt, Antt. XV, 6, 5—7. B. J.
I, 20, 1—3.
Er empfängt den Augustus auf dessen Marsch nach
Aegypten in Ptolemais, Antt. XV, 6, 7. B. J.
I, 20, 3.
Herbst: Herodes reist zu Augustus nach Aegypten
und erhält von ihm Jericho zurück, ausserdem
Gadara, Hippos, Samaria, (Taza, Anthedon,
Jope, Stratonsthurm, Antt. XV, 7, 3. B.J. 1,20,3.
Ende d. J.: Er geleitet den Augustus auf der Rück-
kehr aus Aegypten bis Antiochia, Antt. XV, 7, 4.
29 (725) Ende d. J.: Mariamme hingerichtet, Antt. XV, 7,
4—6. />'. ./. I, 22, 3—5 (J. XV, 7, 4: ? xh v.jtoipia
\ TQEfponivy} jTaQtrsivtv tviavrov firjxoc, t| ov jraQa
I KaioaQog IlQfoörjo. vJto<nQS<f)£i).
28 ? Alexandra hingerichtet, Antt. XV, 7, 8.
25 (729) Kostobarus, der zweite Gemahl der Salome, und die
Söhne des Babas hingerichtet, Antt. XV, 7, 10
(die Zeit ergiebt sich aus der Angabe der Salome:
OTi öiaOco^oivTO Jtao' «vrrä ;f()oroJ' Iviavrcöv r/dr/
6) Das 7. Jahr des Herodes ist = 31/30 vor Chr. und zwar vom 1. Nisan
bis 1. Nisan gerechnet. S. die Anm. am Schluss des §. — Das Erdbeben wird
demnacli in den Nisan d. Jahres 31 fallen. Auch sonst wird der Nisan als Früh-
lings-An fang betrachtet. S. Bell. Jud. IV, 8, 1 {vtco ttjv uq-/Jj^ ^ov saQog)
vgl. mit IV, 7, 3 {rfTQÜöi diaxQOv). Nach Mischna Taanith I, 2, Nedarim
Vin, 5, Baba mexia VIII, 6 rechnete man die Regenzeit vom Laubhüttenfest
bis Passa, also bis Mitte Nisan, oder auch bis Ende Nisan.
7) Zonaras Annal. V, 14 /?«. : jjv iraiv oySorjxovTa ngog Ivi. Auch ein
Theil der Josephus-Handschriften hat 81.
366 § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [298]
v.Chr.a.t7;
öcoöexa [al. öexaövo]., nämlich seit der Eroberung Je-
rusalem's im J. 37).
Vierjährige Kampfspiele eingeführt. In Jerusalem
Theater und Amphitheater erbaut, Antt. XV,
8, 1. •
? Verschwörung gegen Herodes, Antt. XV, 8, 3—4.
(27=727) Samaria neu gebaut und zu IChren des Augustus Se-
baste genannt, Antt. XV, 8, 5. B. J. I, 21, 2 8). |
8) Die Neugründung von Saraaria wird von Noris [Annvs et epochae
Syromacedmium V, 5, 1, ed. Lips. p. 531 — 536) und Eekhel [Doctr. Num. III,
440 sq.) in das Jahr 729 a. U. == 25 v. Chr. gesetzt (vorsichtiger Sanclemente:
nicht früher als 727, nicht später als 729, s. Musei Sanclementiani numismata
selecta P. II, Hb. IV, p. 303—308). Nach Josephus hat es allerdings den An-
schein, als ob die Neugründung 729 falle. Denn unmittelbar nachdem er XV,
8, 5 von ihr berichtet hat, fährt er XV, 9, 1 fort: xccra xovxov fihv ovv rov
iviavröv, XQiaxaiS^xaxov ovxa xrjg '^Hq(Ö6ov ßaoi^siag. Das 13. Jahr des He-
rodes begann aber am 1. Nisan 729 a. U. = 25 v. Chr. Allein die Münzen
von Samaria (s. bes. Mionnet, Deseription de midailles antiques V, 513 — 516,
Supplement VIII, 356 — 359, und de Saule'y, Numismatiquc de la Terrc Sainte
p. 275—281) setzen eine frühere Epoche voraus. Schon die Münze Caracalla's
mit der Jahreszahl 242 {Mionnet, Stippl. VIII, 358 = de Saiäcy p. 280) niHhigt,
über das Frühjahr 729 zurückzugehen ; denn Caracalla wurde im April 970 a.
U. ermordet. Noch weiter rückwärts führt eine Münze Nero's mit der Jahres-
zahl 94 {Mionnet, Suppl. VIII, 357). Aus ihr erhellt, dass die (Epoche von
Samaria vor dem Juni 728 a. U. begann; denn Nero starb im Juni 821 a.
U. Die Lesung der Jahreszahl 94 ist allerdings nicht sicher (s. de Sanlci/ p.
276 sq.); doch ist ein Hauptgrund, weshalb de Saulcy die Richtigkeit der
Lesung bezweifelt, eben der, dass die Jahreszahl 94 mit der vorausgesetzten
Epoche von 25 v. Chr. nicht vereinbar ist. Andererseits darf auch nicht viel
weiter zurückgegangen werden, nämlich nicht weiter als bis zum IG. Januar
727 a. U., an welchem Tage Augustus erst den Titel Seßaaxdq — wornach
die Stadt genannt wurde — annalira (s. Cot-p. Inscr. Lat. t. I cd. 2, p. 307 sq.,
Mommsen, Res geslae divi Augusti cd. 2, p. 149, dcrs., lUmiischcs Staatsrecht
II, 2, 706. Neumann, Art. „Augustus" in Pauly-Wissowa's Real-Enc. II, 2370).
Ohnehin beweist eine Münze der Julia Domna, der Gemahlin des Septimius
ScveruM, mit der Jahreszahl 220 {Mionnrt V, 514]f. •= de ISaulcf/ p. 279), dass
«lio Epoche der Stadt jedenfalls nacl» dem Sommer 726 a. V. bogunii, da
nämlicli Septimiu» Severus erst im Sommer 946 a. U. zur Kegicrung kam.
Hetzen wir nun vorauH, dass die Epoche von Samaria wie die der nicisten sy-
riBchen Städte im Herbst begann, so wird der Herbst 727 a. U. als
Epoche unziiituiinion Kein. Die Neugriitidung von Sainuria fand also
wuhrHcheinlicii im J. 727, jedenfalls vor dem Frühjahr 729, d. h. vor dem
llj. Jahre de» Herodes statt.
Aber diet»er Widerspruch dcir Münzen mit der scheinbaren Chronologie des
JoNcphuH ist nicht die einzige Schwierigkeit, di(t uns hier begegnet. Schon die
Hinrichtung Kowtobur'M XV, 7. 10 fiel ja in da» 13. Jalir des Herodes. Hierauf
wird XV, B, 1—0 eine gunzo Ileiho von EreiguisBcn erzählt, iVw umnüglich alle
[299]
§ 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.).
367
v.Chr. a.?7.
25 (729)
25 (729)
Hungersiioth und Pest (xara xovrov (ilv ovv xov evi-
avxüv, TQioxaiödxarov ovru rrjg ^HqojÖov ßaOiXtiag =
25/24 V. Chr., von Nisan zu Nisan), Antt. XV, 9, 1.
Die Hungersnoth dauert auch im folgenden Jahre,
24/23 V. Chr., nocli fort (Antt. XV, 9, 1), als Petro-
nius Statthalter von Aegypten war {Antt. XV, 9, 2).
Herodes stellt 500 Mann Hülfstruppen zu dem Feldzug
des Aelius Gallus nach Arabien, Antt. XV, 9, 3,
vgl. Strabo XVI, 4, 23, p. 780: avfj/jaxcop, <dv ijöav
^lovöaloi fiep jtevraxootoi. — Der Feldzug endete im
folgenden eJahre, 24 v. Chr., verlustreich und ohne
greilbare Resultate^). \
in ein Jahr zusammenfallen können. Und darauf befinden wir uns XV, 9, 1
noch immer im 13. Jahre des Herodes. Dazu kommt, das« der ganze Abschnitt
XV, 8, 1—5 offenbar nach sachlichen Gesichtspunkten gearbeitet ist, indem
Josephus hier zusammenstellt: wie Herodes durch gesetzwidrige Handlungen
Anstoss und Aergerniss erregte, wie die Missstimmung des Volkes in Worten
und Thaten sich äusserte, und welche Vorkehrungen Herodes traf, um die
zum Aufruhr geneigten Massen im Zaume zu halten. Beachten wir dies alles
und erinnern wir uns, dass Josephus nach mehreren Quellen gearbeitet hat,
(s. oben S. 84), so wird es im höchsten Grade wahrscheinlich, da;8s in der
Hauptquelle des Josephus der Abschnitt XV, 9, 1 sich unmittel-
bar an XV, 7, 10 anschloss, dass dagegen XV, 8, 1—5 aus einer an-
dern Quelle eingeschaltet ist, und dass die Worte xaxä z'ovrov
fisv ovv xov ivLavxov Qic. von Josephus aus sein^er Hauptquelle
unverändert herübergenommen wurden und sich in deren Texte nicht
auf die Zeit der Neugründung Samaria's. sondern auf die Zeit der Hinrich-
tung Kostobar's bezogen. Auf diese Weise finden alle Schwierigkeiten ihre
Lösung.
9) Die eingehendste Beschreibung des Feldzuges giebt Strabo XVI, 4,
22-24 p. 780—782; kürzer Dio Cassius LIII, 29. Plinius Eist. Nat. VI, 28,
160 sq. Monnmenttim Ancyranum V, 18 sq. (bei Mommsen, Res gestae divi
Augusti cd. 2, p. 105). — Vgl. überhaupt: H, Krüger, Der Feldzug des Ae-
lius Gallus nach dem glücklichen Arabien unter Kaiser Augustus (62 S. 8),
Wismar 1862. Mommsen, Res gestae divi Aiigiisti ed. 2. 1883, p. 105—109.
Ders., Römische Geschichte V, 608 ff. Schiller, Gesch. der röm. Kaiserzeit
Bd. I, 1883, S. 198-201. Joh. Schmidt, Philologus Bd. XLIV, 1885, S. 463
bis 469. Schiller, Jahresbericht über die Fortschritte der class. Alterthums-
wisfc-ensch. Bd. 48, S. 251—257. Gardthausen, Augustus und seine Zeit I,
2 (1896) S. 788 ff. II, 2 (1896) S. 447 ff. Für das Geographische ausser den bei
Schiller (Kaiserzeit I, 201) genannten Werken von Forster, Mannert und
Ritter auch noch: Fresnel, Journal asiatique, troisieme serie t. X, 1840, p.
83—96, 177—181, Forbiger, Handb. der alten Geographie II, 748 ff. Sprenger,
Journal of the royal asiatic society, New Series vol. VI, 1873, p. 121—141, Ders.",
Die alte Geographie Arabiens, 1875, S. 226—229. Kiepert, Lehrb. der alten
Geographie, 1878, S. 187. Glaser, Skizze der Geschichte und Geographie
368 § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [300]
v.Chr. a.J7.
?
Herodes baut sich einen königlichen Palast und hei-
rathet die Priesterstochter Mari am nie, Äntt. XV,
9, 3 (der Name: B. J. I, 28, 4. 29, 2. 30, 7).
Die Erbauung Cäsarea's wird begonnen, Antt. XV, 9,
6. Da die Erbauung nach zwölfjähriger Arbeit im
Arabiens, Bd. II, 1890, S. 43—73 (vgl, die Anz. von Aug. Müller, Göttinger
gel. Anz. 1891, S. 369—380). D. H. Müller, Art. „Arabia" in Pauly-Wisso-
wa's Real-Enc. II, 344—359. Socin, Art. „Arabien" in Herzog-Hauck's ßeal-
Enc. 3. Aufl. I, 762—770. — Dio Cassius verlegt den ganzen Feldzug in das
zehnte Consulat des Augustus 24 vor Chr. = 730 a. U. Nach Strabo aber
hat der eigentliche Feldzug erst stattgefunden, nachdem Aelius Gallus schon
im Jahre zuvor unter grossen Verlusten nach Leuke Korne übergesetzt war
und hier wegen der zahlreichen Erkrankungen in seinem Pleere den Winter
hatte zubringen müssen {Strabo XVI, 4, 24, p. 781: r,vayxdaQ^)] yovv z6 zs
dfc'pos xal xov ysifidiva 6iavs?Jaai avTo&i zovg dad-svovvzaq dvaxz(u/isvoi).
Der ganze Feldzug umfasste also die Jahre 25 — 24 v. Chr. Dies darf als
sicher gelten. Streitig ist dagegen, ob Aelius Gallus den Feldzug als Statt-
halter Aegypten's gemacht hat, und Petronius in dieser Würde ihm gefolgt
ist, oder ob umgekehrt zur Zeit des arabischen Feldzuges Petronius Statthalter
von Aegypten war und Gallus ihm gefolgt ist. Wir wissen bestimmt, dass
beide das Amt eines pracfectus Acffi/pti bekleidet haben (s. über Aelius Gallusi
Strabo p. 118 u. 800, Dio Cass. LIH, 29, über Petronius: Strabo p. 788 u. 819,
Dio Cass. LIV, 5, Plinius VI, 29, 181). Wir wissen ferner, dass Petronius
mehrere Feldzuge gegen Aethiopien unternommen hat, welche ungefähr in
dieselbe Zeit fallen wie der Zug des Gallus nach Arabien {Motmni. Äncyran.
V, 18 sq.'. Meo jussu et auspicio durli sti7it duo excrcitus codetn fcre temporein
Aclkiopiam et in Arahiam quac appMatur ciidacnunt, Stral>o XVII, 1, 54 p. 820 sq.
Dio Cass. LIV, 5. Plinius Ilist. Nat. VI, 29, 181 .s-*^. ; nach Strabo waren die
Aethiopier in die Tliebais eingefallen, als die Besatzung Aegypten's durch den
Wegzog des Aelius Gallus geschwächt war; hierdurch wurde die Expedition
des Petronius nothweudig. Dio Cassius setzt dieselbe in das Jahr 22 v. Chr.).
Krüger und Schiller nehmen nun au, dass Aelius Gallus den Feldzug nach
Arabien nicht als Statthalter Aegypteus, sondern in besonderer Mission unter-
nommen hat, und erst nach der Rückkehr von dem Feldzug in der Statthalter-
schaft Aegyptens auf Petronius gefolgt ist; Mommsen, Schmidt, Gardt-
hauHcn dagegen nehmen an, dass Aelius Gallus den arabischen Feldzug als
Statthalter Aegyptcns gemacht hat, und dass Petronius sein Nachfolger in
Aegypten war. Für letztere Combination spricht: 1) Dio Cassius LIII, 29
bezeichnet den Gallus zur Zeit des arabischen Feldzuges ausdrücklich als o
xfiQ AlyvJiTOv &QX<ov. 2) Dio Cassius setzt den äthioj)i8chen Feldzug zwei
Jahre später als den arabischen (diesen 24, jenen 22 v. Chr.). Da nach Strabo
sicher zwei äthiopische Feldzüge des Petronius zu unterscheiden sind, so fiiilcn
dicwdben ;wohI 23—22, vielleiciht 24— 22 v. Chr. In der zweiten Hälfte
(Ich Jahres ^24 wird Petronius auf Gallus als Htattlnilter Aegyp-
ten« gefolgt sein, nachdem er wohl zuvor schon dessen Stellvertreter ge-
wesen war (so auch Haakh In Pauly's Enc. V, 1401). Vgl. auch Prosopoffr.
imperü Ilomani n. v. Aitlitis n. 135, Petronius n. li)ü.
[301]
S 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.).
369
Y.Ghr.a.U.
23 (731)
22 (732)
20 (734)
J. 10 V. Chr. vollendet wurde (s. unten), so müssen
die Arbeiten im J. 22 begonnen haben.
Die Söhne der ersten Mariamme, Alexander und Ari-
stobul, werden zur Erziehung nach Rom geschickt,
Antt. XV, 10, 1.
Augustus schenkt dem Herodes die Landschaften Tra-
chon, Batanäa und Auranitis, Antt. XV, 10, 1,
B. J. I, 20, 4 {B. J.\ ntxa Ttjv xqcotijp 'AxTid6a)^%
Herodes besucht den Agrippa in Mytilene auf Les-
bos, Antt. XV, 10, 2i')-
Augustus kommt nach Syrien und schenkt dem He-
rodes das Gebiet des Zenodorus, Antt. XV, 10,
3: ^]6tj avTOV rrjg ßaOiXtiag ejCTaxaiÖExarov jtagsXQ^ov-
Tog erovc (das 17. Jahr des Herodes ging am 1. Nisan
d. J. 20 V. Chr. zu Ende), B. J. I, 20, 4: Ixu ötxaxm
jcaXiv eX&mv elg rr/p kjtaQxiav (nämlich vom Ende
d. J. 30 an gerechnet). — Dio Cass. LIV, 7 setzt die
Reise des Augustus nach Syrien in das Consulat des
M. Appulejus und P. Silius (734 a. U.) — Auch Bio
Cass. LIV, 9 gedenkt jener Schenkung.
Pheroras zum Tetrarchen von Peräa ernannt, Antt. XV,
10, 3, B. J. I, 24, 5, vgl. 30, 3.
Herodes erlässt ein Drittel der Steuern, Antt. XV,
10, 4.
Beginn des Tempelbaues, Antt. XV, 11, 1: oxtco-
xitiöexccTov rrjg ^Hgcodov ßaOiXelag ysyovoroc EViavrov
(=20 19)'2). I
10) Die actischen Spiele wurden am 2. Sept. gefeiert, zum erstenmale im
J. 28, dann in den Jahren 24, 20, 16 etc. Jene Gebietserweiterung fand also
statt „nach Ablauf der ersten Actiade", d. h. Ende 24 oder Anfang 23. S.
Zumpt, Comnientt. epif/raph. II, 76.
11) Josephus sagt nur, Herodes habe den Agrippa nsQl Mvzikrivrjv xfif^tc-
^ovra besucht. Da Agrippa vom Frühjahr 23 bis Frühjahr 21 in Mytilene
war, kann dies der Winter 23/22 oder 22/21 gewesen sein.
12) Nach B. J. I, 21, 1 im 15. Jahre, was entweder unrichtig ist, oder sich
auf die ersten Vorbereitungen zum Bau bezieht. Dass der Tempelbau im J.
20/19 begann, ist darum völlig sicher, weil er ja in demselben Jahre begann,
in dessen Anfang der Kaiser nach Syrien kam, was nach Dio Cass. LIV, 7
im Frühjahr oder Sommer des Jahres 20 vor Chr. geschah. — Der Bau der
Vorhöfe dauerte acht Jahre, der Bau des eigentlichen Tempelhauses andert-
halb Jahre {Antt. XV, 11, 5—6; es ist nicht deutlich, ob diese 8 + IV2 Jahre
zu addiren sind oder ob letztere mit den ersten anderthalb Jahren der ge-
sammten Bauzeit identisch sind). Nach Vollendung des Tempelhauses wurde
eine grosse Festlichkeit veranstaltet. Da diese mit dem Tage des Regierungs-
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 24
370 § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [302]
v.Chr. a.U. '■
18 od. 17 ! Herodes holt seine Söhne Alexander und Aristobul
aus Koni heim (erste röm. Eeise d. H.) ^^), Antt. XVI,
I, 2. — Da Herodes den Augustus in Italien traf,
Augustus aber erst im Sommer 19 dorthin zurück-
kehrte, so fällt die Reise des Herodes jedenfalls nach
Mitte des Jahres 19; aber noch vor Sommer 16, da
Augustus vom Sommer 16 bis Frühjahr 13 in Gallien
war '4).
15 (739) Agrippa besucht den Herodes in Jerusalem, Antt.
XVI, 2, 1 {Philo, Legat, ad Cajum § 37, ed. Mang.
II, 589). — Er verlässt Judäa wieder vor Ende des
Jahres: BJtißaivovrog xov x^tficöi^og^^).
antrittes des Herodes zusammenfiel (Antt. XV, 11, 6), so begann der Tempel-
bau — wofern wir den Regierungsantritt richtig in den Juli gesetzt haben
(S. 359) — im Winter, also Ende des Jahres 20 (784) oder Anfang 19 (735). —
Wenn es demnach Ev. Jok. 2, 20, zur Zeit eines Passafestes, heisst, dass der
Tempel in 46 Jahren gebaut worden sei [xeaasQÜxovxa xal f| ersotv wxoöo-
fiTjO^T] o vaoq ovtoq), so führt dies, jenachdem das 46. Jahr als laufend oder
als abgelaufen betrachtet wird, auf das Passa 780 (= 27 n. Chr.) oder 781 (= 28
n. Chr.). Letzteres ist wohl das Richtige. S. Wieseler, Chronolog. Synopse
S. 165 f. Beiträge S. 156 ff. Sevin, Chronologie des Lebens Jesu, 2. Aufl.
S. 11—13.
13) Nämlich seit seiner Thronbesteigung, also abgesehen von der Reise
im J. 40/39.
14) Noris, Cenotaphia Pisana, Diss. 11, cap. 6,/). 150 — 153, setzt die frag-
liche Reise des Herodes in d. J. 737 = 17 v. Chr. Für die Chronologie der
Geschichte des Augustus s. die Nachweise bei Ernst Wilh. Fischer, Römische
Zeittafeln 8. 395 ff.
15) Fischer, Röm. Zeittafeln 8. 402 und van der Chijs p. 55 setzen
den Besuch des Agrippa in das J. 17 und den Gegenbesuch des Herodes in
das J. 16, indem sie von der Voraussetzung ausgehen, dass Agrippa gleich
nach seiner Ankunft im Orient nacli Palästina gekommen sei. Aber Joscphus
sagt dies keineswegs; und nicht einmal dies ist sicher, dass Agrippa schon im
J. 17 in den Orient gekommen ist, da nach der unbestimmten Angabe des
Dio Cass. LIV, 19 dies ebensogut im J. 16 wie 17 geschehen sein kann. Dass
aber Agrippa erst im J. 15 nach Palästina kam und Herodes erst im J. 14 zu
Agrippa nucli Kleinasien, ergiebt sich daraus, dass Herodes den Agri|)j)a da-
mals in SiDopo traf auf desHcn Feldzug nach der Krimm, welcher Zug nach
Dio CasB. LIV, 24 (vgl. Kuseb. Chnm. ad ann. Al/r. 2ÜU3) in das J. 14 fällt.
6o auch Letoin, Fastiaacrip. 97, Hitzig II, 548, Keim im Bibellex. 111,33.
Sehr Hcbwach sind die (Jrüridc, um derentwillen Voigt die Expedition des
Agrippa na<;h dem Bosporus in das Jahr 15 setzen wollte. S. W. v. Voigt,
(,/ao nntu) Agrippa cxpalitiimctn ßosponiiKrm fcrcrit (Griechische Studien, JJer-
mnnii Lip»iuM zum Mci-lizigHtcn GchiirtHtago «hirgcltruciit, 1894, 8. 127 — 134).
FQr doM J. 14 auch: GurdtliauHcn, AugustiiH und seine Zeit I, 2, 840fr.
H. 2, 4ÖK d' D-'Hmiii J\ns,. ,,(„,)■. hni>riii h'oniiiiii III, 111.
[302. 303]
§ 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.).
371
V. Chr. a.U.
14 (740)
13 (741)
12 (742)
Herodes bei Agrippa in Kleinasien, Antt. XVI, 2,
2 — 5 {eaQog rjJtdyEXO övpzvxtW avtw). Vgl. auch
Antt. XII, 3, 2 ; Nicolaus Damasc. bei Müller, Fragm.
Hist. Graec. III, 350.
Nach der Rückkehr er las st er ein Viertel der Steuern,
Antt. XVI, 2, 5. 1
Beginn des Zerwürfnisses mit den Söhnen der Mari-
amme, Alexander und Aristobul. — Antipater
an den Hof gezogen, Antt. XVI, 3, 1 — 3. B. J. I,
23, 1.
Antipater wird mit Agrippa nach Rom gesandt,
um sich dem Kaiser vorzustellen, Antt. XVI, 3, 3;
B. J. I, 23, 2 (über die Zeit vgl. Dio Cass. lÄV, 28.
Fischer, Zeittafeln S. 408).
Herodes geht mit seinen Söhnen Alexander und Ari-
stobul nach Rom, um sie beim Kaiser zu verklagen
(zweite röm. Reise d. H.). Er trifft den Kaiser in
Aquileja, Augustus versöhnt die Streitenden. —
Antipater kehrt mit nach Judäa zurück, ^n^.XVI,
4, 1—6. B. J. I, 23, 3-5 i^). |
16) Schon Noris, Cenotaphia Pisana, Diss. II, eap. 6, p. 153—157, und
Sanelemente, De vulijaris aerae emendatione p. 334 sq. haben diese Reise
des Herodes mit Recht in das J. 12 vor Chr. (742 a. U.) gesetzt; ebenso z.
B. Zumpt [Caesaris Atiyusti index rerum a se gestarum sive Monumentuiii
Ancyranum edd. Franx et Zumpt, 1845, p. 59), Mommsen {Res gestae divi
August i ed. 2. 1883, p. 61), Kor ach (Die Reisen des Königs Herodes nach
Rom, Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. Bd. 38, 1894, S.
529 — 535). Entscheidend ist die Thatsache, dass während der damaligen An-
wesenheit des Herodes in Rom Augustus Spiele veranstaltete und „Ge-
schenke an das römische Volk vertheilte" {Jos. Antt. XVI, 4,5:
'^HQiüSriq fihv iöwQelxo Kaiaaga XQiccxoaloiq zaXdvxoig &sag xe xal öiavofiag
71010V fisvov x(p ''PwfzaicDV ö'^fiip). Im Monumentum Ancyranum 111, 7 — 21
(bei Mommsen, Res gestae etc. ed. 2., p. 58 sq.) giebt nämlich Augustus ein
vollständiges und chronologisch geordnetes Verzeichniss der Spenden {eongi-
aria), welche er während seiner Regierung an das Volk hat vertheilen lassen
(vgl. über diese Congiarien der römischen Kaiser: Marquardt, Römische
Staatsverwaltung Bd. II, 1876, S. 132 ff., Rostowzew, Art. congiarium in
Pauly-Wissowa's Real-Enc. IV, 875 fl".). Es sind im Ganzen acht. Die fünfte
fand statt während des zwölften tribunicischen Jahres des Augustus {tribu-
nicia potestate duodecimum, d. h. zwischen Juni 742 und Juni 743 a. U.; vgl.
über die Berechnung der tribunicischen Jahre des Augustus: Mommsen,
Römisches Staatsrecht II, 2, S. 753 ft'.), die sechste erst im achtzehnten tribu-
nicischen Jahre und zwölften Consulate des Augustus {tribunieiae potestatis
duodevicensirnum, consid. XII, letzteres = 749 a. ?7. = 5 vor Chr.). Zwischen
diesen beiden Terminen hat also überhaupt keine derartige
24*
372
§ 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.).
[304]
v.Chr. a.Z7.
10 (744)
10?
Die Einweihung von Cäsarea fällt sig oyöoov xal
elxoorov eroq xrjq aQxrjg (= 10/9), Antt. XVI, 5, 1;
nachdem zwölf Jahre daran gebaut worden war, Antt.
XV, 9, 6: s^STsXso&^r] öcoösxasrel XQovm (XVI, 5, 1
wohl irrig: zehn Jahre), lieber den Bau vgl. auch B.
J. I, 21, 5-8.
Der Zwist in Herodes' Familie wird immer schlimmer
und complicirter, Antt. XVI, 7, 2—6, B. J. I, 24,
1—6.
Herodes sucht durch Folterung der Anhänger Alex an-
der's dessen Schuld festzustellen; Alexander ge-
fangen gesetzt; Antt. XVI, 8, 1—5. B. J. I, 24, 7—8.
Archelaus, König von Kappadocien, der Schwieger-
vater Alexander's, bringt noch einmal eine Versölinung
Schenkung stattgefunden. Das Datum der ersteren lässt sich noch ge-
nauer fixiren, und zwar auf das Jahr 742, denn in diesem Jahre erwähnt sie
sowohl Dio Cassius LIV, 29, als ein Inschriften-Fragment (Fasti Rijiatranso-
nenses, s. Cor]). Inscr. Lat. t. I ed. 2, p. 62, fr. e = t. IX n. 5289). Sie fällt
also in die zweite Hälfte des Jahres 742 a. U. = 12 vor Chr. Ihr Betrag war
sehr erheblich. An mindestens 250000 Bürger wurden je 400 Sesterze == 100
Denare vertheilt, im Ganzen also mindestens 25 Millionen Denare (nahe an
20 Millionen Mark deutscher Reichswährung). — Da in unserem Falle die
Schenkung vom Jahre 5 nicht in Betracht kommen kann, kann es sich nur
um diejenige vom J. 12 handeln. Dass in diesem Jahre Augustus nach Aqui-
leja gekommen ist, ist zwar nicht direct bezeugt. Es kann aber sehr wohl
der Fall gewesen sein, aus Anlass des pannonischen Feldzuges des Tiberius,
der in dieses Jahr fällt (Dio Cass. LIV, 31, vgl. Stteton. Atoj. 20: h'cliqna [bella]
per legatos administravit, ut tarnen quilmsdam Pavnonicis atque Oermanicis
aut interreniret aiit non longa abesset Rnvemtam vel Mediolanium vcl Aqnileiam
usque ab nrbe progrcdiens). Die Spiele, welche Josepkus Antt. XVI, 4, 5
neben den öiavofxal erwähnt, sind wohl nicht diejenigen, welche Augustus im
J. 742 am Feste der römischen „Panathenäen" [qiänqtiatrus), im März gegeben
hat {Dio Cass, LIV, 28), da die von Joscphus erwähnten später falh>n müssen.
Wie vielmehr nach I>i» Cass. LIV, 29 die Congiarien dieses Jaliros durch
Agrippa's Tod veranlasst sind, so sind wolil auch unter den Spielen die zu
Agrippa'HTodtcnfeier veranstalteten, freilich erst fünf Jahre später ausgeführten,
aber doch sicherlich schon damals vorbereiteten, zu verstehen (so Monunsen,
nach Dio Oaas. LV, 8). — In der 1. Aufl. dieses Buches habe ich die fragliche
Reise de» Herodes nach Rom, im AnHchluss an van der Chijs, in das Jahr
10 gesetzt, well Dio Casaius LIV, .'Jö in diesem Jahre, nicht aber im J. 12,
aasdrArklich eine Abwesenheit des Augustus von Rom erwähnt (durch welche
der Atifcntlialt in Aquilcja veranlasst sein kann). Dieses Argument kann aber
gcgunflb<>r dem aus den Kchenkungen entnommenen nicht in Hetraciit koninien.
EbenHO wenig Icommt in Betracht, das» Josephus Atitt. XVI, 5, 1 sagt, um
diese Zeit {ntgl xov XQ^^o^ rovtov) sei Cäsarea eingeweiht worden, was
allerdings erst im J. 10 geschehen ist.
[304. 305]
§ 15. Herodeß der Grosse (37 — 4 v. Chr."
373
\. Chr. a.U.
9?
8?
7?
zwischen Herodes und seinen Söhnen zu Stande, Antt,
XVI, 8, 6, B. J. I, 25, 1-6.
Herodes' dritte Reise nach Rom, Anit. XVI, 9, 1 1'). |
Kriegszug gegen die Araber, Anit XVI, 9, 2.
Herodes in Ungnade bei Augustus, Anit XVI, 9, 3.
Herodes erpresst durch Folterungen abermals belastende
Aussagen gegen Alexander und Aristobul, lässt
beide gefangen setzen und verklagt sie bei Augustus
wegen Hochverrathes, Antt XVI, 10, 3—7. B. J. I, 26,
3. 27, 1.
Augustus, durch Nicolaus Damascenus wieder für He-
rodes gewonnen {Antt XA'l, 10, 8—9), giebt ihm Voll-
macht, mit den Söhnen nach eigenem Ermessen zu
verfahren, Antt XVI, 11, 1. B. J. I, 27, 1.
Alexander und Aristobul zu Berytus zum Tode ver-
urtheilt und zu Sebaste (Samaria) erdrosselt, Antt
XVI, 11, 2—7. B. J. I, 27, 2—6 '«).
17) Die Zeit dieser dritten Reise lässt sich nicht sicher bestimmen. In
der ersten Aufl. dieses Buches habe ich sie mit Noris und van der Chijs
in das J. 8 v. Chr. gesetzt. Für Noris (welcher Cenotaphia Pisana, Diss. II
e. 6 p. 157 sq. eine genauere Zeitbestimmung für unmöglich erklärt, dann aber
Diss. II c. 16 § 9 p. 302 sich für jenes Datum entscheidet) ist das Maass-
gebende, dass Herodes den Augustus in Rom getroffen habe, Augustus aber
in den Jahren 10 und 9 von Rom abwesend gewesen sei. Allein er war in
jenen Jahren keineswegs immer von Rom abwesend. Van der Chijs S. 57 f.
entnimmt das Haupt- Argument aus Belt Jiid. 1, 21, 12. Hiernach ist Herodes
einst, als er nach Rom reiste, bei den olympischen Spielen als Kampfrichter
aufgetreten. Die olympischen Spiele wurden gefeiert in den Jahren 20, 16,
12, 8 etc. v. Chr. Da nun die früheren Reisen des Herodes nach van der
Chijs in keines dieser Jahre fallen, so könne es sich nur um die letzte Reise
handeln, welche demnach in das J. 8 falle. Wir haben aber in der vorigen
Anmerkung gezeigt, dass die zweite Reise in das J. 12 fallt. Die eingehendste
Untersuchung hat Sancleviente, De vulgaris aerae emendatione p. 338 sqq.
angestellt. Er kommt zu dem Resultate, dass die fragliche Reise des Herodes
schon in d. J. 10 v. Chr. zu setzen sei, hauptsächlich deshalb, weil die Er-
eignisse, welche sich von da an bis zum Abgang des syrischen Statthalters
Sentius Saturninus abgespielt hätten, einen Zeitraum von mindestens drei
vollen Jahren erforderten (jo. 340a: ad minus integrum triennium exposcunt).
Saturninus ist aber nicht später als in der ersten Hälfte des Jahres 6 abge-
gangen (s.oben S.321 f.). Die Ansätze Sanclemente's sind in derThat ansprechend,
aber freilich nicht zwingend. Es bleibt auch das J. 9 für diese Reise des
Herodes möglich. — Korach, Monatsschr. f. G. u. W. d. J. 1894, S. 533—535,
bestreitet überhaupt die dritte Reise des Herodes. Seine Gründe sind aber
wenig überzeugend.
18) Da zur Zeit der Verurtheilung {Antt. XVI, 11, 3) und auch noch einige
Zeit darnach [Antt. XVII, 1, 1. 2, 1. 3, 2) Saturninus Statthalter von Syrien
374
§ 15. Herodes der Grosse (37 — 4 v. Chr.).
[305. 306]
v.Chr. a.t7:
6?
5 (749)
4 (750)
Antipater an Herodes' Hof allmächtig, Antt. XVII, 1,
1. 2, 4. B. J. 1, 28, 1. 29, 1.
Hinrichtungen verdächtiger Pharisäer, Antt. XVII, 2, 4.
Antipater geht nach Eom, Antt. XVII, 3, 2. B. J. I,
29, 2.
Erstes Testament des Herodes, worin er den Anti-
pater oder, wenn dieser vor ihm sterben sollte, den
Herodes, den Sohn der zweiten Mariamme, zum
Nachfolger ernennt, Antt XVII, 3, 2. B. J. I, 29, 2. |
Anfang d. Jahres: Pheroras^, des Herodes Bruder, stirbt,
Antt. XVII, 3, 3. B. J. I, 29, 4.
Herodes erfährt Antipater's feindliche Anschläge, Antt.
XVII, 4, 1—2. B. J. I, 30, 1—7.
Antipater kehrt nach Judäa zurück, Antt. XVII, 5,
1 — 2. B. J. I, 31, 3—5; sieben Monate nachdem He-
rodes jene Entdeckung gemacht hatte, Antt. XVII, 4,
3. B. J. I, 31, 2.
Antipater vor Gericht; sucht sich vergeblich zu ver-
theidigen und wird in I'esseln gelegt, Antt. XVII, 5,
3—7. B. J. I, 32, 1—5.
Herodes erstattet Bericht an den Kaiser, Antt. XVII,
5, 7—8. B. J. I, 32, 5.
Herodes erkrankt und macht ein zweites Testament,
in welchem er seinen jüngsten Sohn Antipas zum
Thronfolger ernennt, Antt. XVII, 6, 1. B. J. I, 32, 7.
Volksaufstand unter Führung der Rabbinen Judas und
Matthias, von Herodes streng geahndet, AnttXXll,
6, 2-4. B. J. I, 33, 1—4.
Herodes' Krankheit wird schliinmer. Antt. XVIl, 6, 5.
B. J. I, 33, 5.
Antipater nach eingetroffener Krlaubniss des Kaisers
hingerichtet, Antt. XVII, 7. B. J. I, 33, 7.
Herodes ändert abermals das Testament, indem er den
Arclielaus zum König, den Antipas und Phi-
lip pus dagegen zu Tetrarchen «"rnciint. Antt. X\'ll,
8, 1. B. J. I, 33, 7.
Herodes stirbt, flinf Tage nach (h-r llinricliluiig Anti-
pater's, ßaOiXtvoaq fitO' o (uv aviTlbv Urrlyoror, ittj
war, HO fSlIt die Vonirtlicihinp; wohl in dun .hilir 7, denn .Surtmiiinus giiijj;
nicht iipftter aU in «Icr cTHtcn Hälft»' (Ich .lulircH (1 nun Hyricn nl» (n. oben S. 321 f.).
8o tirthoilt mvU Sanolemente (De viilgariH aerar etnrtKlationr p. MQ): Beryti
eonoüium Jiabüum fuil tabenU anno U. c. Varr. 747.
[306. 307] § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). 375
v.Chr. a.U. \
TtooaQa xcu TQiaxovra, -wed^' o dh vjto Pcoy.ai(ov
äjteötöeixTO. tjtza xal roidxovTa, Anif. XVII, 8, 1.
' B. J. I, 33, 8''*).
Herodes-^") war wie zum Herrscher geboren. Von Natur er-
freute er sich eines kräftigen, ausdauernden Körpers, den er früh |
an Strapazen aller Art gewöhnt hatte. Er war ein ebenso treff-
licher Reiter, wie gewaltiger Jäger. Im Wettkampf war er ge-
fürchtet. Seine Lanze traf sicher und sein Pfeil fehlte selten das
Ziel 21). Im Kriegshandwerk war er von Jugend an geübt. Schon
als Fünfundzwanzigjähriger hatte er sich Ruhm erworben durch
seinen Feldzug gegen die Räuber in Galiläa. Und noch in den
19) üeber das Todesjahr des Herodes s. die Anmerkung am Schluss des §.
20) Der Name '^HQwSijg (von >)()ö>?) kommt auch sonst vor, s. Corp. Inscr.
Qraec. Index p. 92, Pape-Benseler, Wörterb. der griech. Eigennamen s. v.,
Win er, RWB. I, 481 Anm. 4. Von dem attischen Redner Antiphon, 5. Jahrh.
vor Chr., besitzen wir eine berühmte Rede ntQl tov "^HgiäSov (povov (s. Pauly-
Wissowa's Real-Enc. I, 2528). Im Jahr 60 vor Chr. finden wir einen Archon.
Herodes in Athen {Clinton, Fasti Hell. III, 182. Pauly-Wissowa's Real.-Euc. II,
592). In Cicero's Briefen wird öfters ein Athenieuser Herodes erwähnt, welcher
der Lehrer von Cicero's Sohn war [Cicero ad Atiieum II, 2, 2. XIV, IG, 3.
XV, 10, A). Im zweiten Jahrlxundert nach Chr. lebte der berühmte Herodes
Atticus, der Lehrer des Kaisers Marc Aurel (s. über ihn : Pauly's Real-Enc. I,
2, 2. Aufl. S. 209(3 — 2104; Prosoporjr. imperii Rom. I, 353 — 360 s. v. Claudius).
— Da der Name ohne Zweifel aus '^HQioiöijg contrahirt ist, so ist die Schrei-
bung mit Jote «»/ftscr/p^?«« ('//^wJj;?) sicher vorzuziehen. Auf Inschriften findet
sich HQwiSrjq {Corp. Inscr. Oraec. h. 3155; 4893; Le Bas et Waddington, In-
scriptions t. III, n. 3; Corp. Inscr. Attic. II, 3 //. 1672. Bulletin de corr. liell.
XII, 359; Inscr. graec. Graeciae septentrioimlis t. I ». 314; Fränkel, Die In-
schriften von Pergamon 1890, S. 140), HQwiSaq {Corp. Inser. Oraec. n. 2197« [t.ll
p. 1028]; n. 571410110 = Kaibel, Inser. Graec. Sicil. et Ital. n. 645 lin. 180;
Inscr. Graec. Insularuni Rhodi etc. n. 112, lin. 3; n. 329; Dittenberger, Syllofje
ed. 2 n. 514 lin. 7, 845 lin. 12, 859 lin. 19. Bulletin de corr. hell. XVII, 349);
HQCJiSeioq {Corp. Inscr. Graec. n. 5774/5775 = Kaibel, Inscr. Sicil. et Ital. n.
645 lin. 15, 42, 55, 87, 89, 114). Von den Josephus-Handschriften hat
der sehr correct geschriebene cod. Atnbrosianus durchgängig
HQWiÖTjg {Niese III p. VII). Das Etymolof/icuni magnum ed. Gaisford p. 437,
56 sagt s. V. Hqwiöijq' "E^ei to i TiQoaysyga/ufihov etc. Gebilligt wird diese
Schreibung von Lobeck, Paralip. grannn. graec. p. 229, Pathologiae graeci
Sermons elementa I, 280. Durchgeführt ist sie von Weste Ott und Hort in
ihrer Ausgabe des Neuen Testamentes. Vgl. deren Bemerkung II, 314 (HQwörjq
is icell supported by inscriptions and manifestly right) und Gregory's Prole-
gomena zu Tischendorfs Nov. Test. ed. crit. oetava major p. 109. Dass die
jüngeren Inschriften (s. die Nachweise im Corp. Inscr. Graec. Index p. 92) und
die Münzen durchgängig HQcoörjg schreiben, bildet keine Gegen-Instanz , da
diese das Jota subscriptum überhaupt nicht auszudrücken pflegen.
21) Vgl. überhaupt die Schilderung B. J. I, 21, 13.
376 § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [307. 308]
letzten Jahren seines Lebens, als hoher Sechziger, führte er per-
sönlich den Kriegszug gegen die Araber 22). Selten versagte ihm
der Erfolg, wo er selbst ein kriegerisches Unternehmen leitete.
Von Charakter war er wild und leidenschaftlich, hart und un-
beugsam. Feinere Gefühle und zartere Regungen waren ihm fremd.
Wo nur immer sein Interesse es zu fordern schien, griff er mit
eherner Hand durch, und mochte es auch Ströme Blutes kosten.
Selbst die nächsten Verwandten, selbst das leidenschaftlich geliebte
Weib schonte er nicht, sobald „die Sache es wollte*'.
Dabei war er klug und gewandt und in den Mitteln erfinde-
risch. Meisterhaft verstand er es, die zu ergreifenden Massregeln
den jedesmaligen Verhältnissen anzupassen. So hart und uner-
bittlich er gegen alle war, die in seiner Gewalt standen, so bieg-
sam und geschmeidig war er gegen Höherstehende. Sein Blick
war umfassend und sein Urtheil scharf genug, um einzusehen, dass
bei der damaligen Weltlage nur durch die Gunst und mit Hülfe
der Römer etwas auszurichten war. Darum war es unverbrüch-
licher (jrundsatz seiner Politik, an der römischen Freundschaft
festzuhalten unter allen Umständen und um jeden Preis, Und er
wusste diesen Grundsatz mit Glück und Geschick durchzuführen.
So paarte sich in seinem Wesen Klugheit mit Thatkraft.
Aber diese vornehmsten Herrschergaben wurden in Bewegung
gesetzt durch einen unersättlichen Ehrgeiz. All' sein Dichten und
Trachten, all' sein Denken und Thun war stets auf das eine Ziel
gerichtet: Erweiterung seiner Macht, seiner Herrschaft, seines
Ruhmes 23j. Dieser mächtige Hebel erhielt all' seine Kräfte in rast-
loser Thätigkeit. Schwierigkeiten und Hindernisse waren für ihn
nur ebenso viele Reizmittel zu erhöhter Anstrengung. Und diese
Beweglichkeit, dieses unermüdliche Streben hat ihn bis in sein
hohes Alter nicht verlassen.
Nur durch Vereinigung all' dieser Eigenschaften war es mög-
lich, unter so schwierigen Verhältnissen in seiner Art so Grosses
zu leihten, wie er unläugbar geleistet hat 2-*).
22) Antt. XVI, 9, 2.
23) Vgl. die scutrettende Charakteristik von JoHcplius Antt. XVI, 5, 4.
24) Ein Portrfit HerodcB' d. Gr. besitzen wir leider nieht. Im Tempel
zu 8ia bei Kannwat muB» »ich eine Porträt-Stntuo des llerodoH befunden Imben;
CM ist aber nur die ßaüis dernelben erhalten {Lc Bas et W'addini/Ion, fnsrrip-
tioru t. III 11. 2304, ». unten Anm. Ol). Im J. 1H94 hrnehte die JSutiormlzeituug
V. 5. Juli, .Morgen- AuHgabe (und vermutlilieh andi andere Zcitim^jen) foljrende
Notiz: „Die kaiaerliche Kremitage in PeterHhnrg ist in dicHen Tnu;en um ein
werthvollcM Kunntwurk bereichert worden (siel). Eine \MUU\ den KiWiij^s
llcroden dex (trosiien wird («tc!i aus dem in .TeruHalem bcOndlie.iien ureliäo-
logi"'-!" '> ^I<iM«.tun der ru«»itchon Pal&atinu-MiHMion in die liekuuutu Peter»-
[308] § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). 377
Seine Regierimg lässt sich in drei Perioden theilen^^). Die
erste Periode, die etwa von 37—25 reicht, ist die Periode der Be-
festigung seiner Herrschaft. Er hat noch mit mancherlei feind-
lichen Mächten zu kämpfen, geht aber schliesslich aus dem Kampfe
mit allen siegreich hervor. Die zweite Periode von 25—13 ist
die Zeit der Blüthe. Die römische Freundschaft steht auf dem
Höhepunkt. Agrippa besucht den Herodes in Jerusalem. Herodes
wird wiederholt vom Kaiser empfangen. Es ist zugleich die Zeit
der gi'ossen Bauten, überhaupt der Arbeiten des Friedens. Die
dritte Periode von 13—4 ist die Zeit des häuslichen Elendes.
Alles andere tritt hier zurück hinter den Wirren im eigenen Hause
des Herodes.
I.
In der ersten Zeit seiner Regierung hatte Herodes mit viererlei
feindlichen Mächten zu kämpfen: dem Volk, dem Adel, der has-
monäischen Familie und — Kleopatra.
Das Volk, das ganz in den Händen der Pharisäer war, ertrug
die Herrschaft des Idumäers, des Halbjuden und Römerfreundes,
nur mit innerem Widerstreben 2^). Es rausste des Herodes erste
Sorge sein, sich seines Gehorsams zu versichern. Durch äusserste
burger Kunstsammlung übergeführt. Die Büste war vor einigen Jahren vom
Archimandriten Antonius, dem Vorsteher der genannten Mission, bei einer
archäologischen Forschung gefunden und nach wissenschatitlicher Untersuchung
derselben als die des Königs Herodes erkannt worden. Dasselbe ist um so
werthvoller, als es bisher die einzige Büste jenes Herrschers ist, die überhaupt
existirt". — Die Erwähnung des russischen Archimandriten Antonius als früh-
eren Besitzers macht es zweifellos, das« hier derselbe Porträt-Kopf gemeint ist,
über welchen Clermont-Ganneau, Archaeological JResearches in Falestine
vol. I, 1899, p. 259—266, ausführlich handelt (mit Abbildung). Der Kopf scheint
allerdings eine fürstliche Person darzustellen, da er mit einem Lorbeerkranz
geschmückt ist, welcher über der Stirne durch ein rundes Medaillon, auf wel-
chem ein Adler in Bas-Relief zu sehen ist, zusammengehalten wird. Aber der
Fundort Jerusalem macht es (wie Clermont-Ganneau richtig bemerkt) unmög-
lich, dass es sich um Herodes oder einen seiner Nachkommen handelt, da
diese in Jerusalem selbst nicht so stark das jüdische Bilder- Verbot verletzt
haben würden. Clermont-Ganneau wollte ursprünglich an Hadrian denken,
hat dies aber wegen der starken Verschiedenheit des Porträt wieder aufge-
geben. Der Kopf ist auch nicht in die Eremitage nach St. Petersburg ge-
kommen (jedenfalls nicht bis 1898), soll sich vielmehr in der russischen Ge-
sandtschaft in Constantinopel befinden (Clermont-Ganneau a. a. 0. S. 259 Anm.).
25) Vgl. Keim im Bibellexikon, der jedoch die Perioden etwas anders ab-
grenzt. Auch Ewald macht drei Abschnitte: S. 551— 560, 560—570, 571—585.
26) '^H/xtiovöaiog heisst Herodes Anit. XIV, 15, 2. Die Idumäer waren erst
durch Johannes Hyrkan bekehrt worden. S. oben S. 264. Ueber die Her-
kunft des Herodes s. S. 292.
378 § lö. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [308. 309]
Strenge wusste er die widerstrebenden Elemente niederzuhalten ;
die fügsameren durch Gunst- und Ehrenbezeugungen zu gewinnen.
Gute Dienste leisteten dem Herodes dabei selbst zwei Pharisäer,
Polio (Abtaljon) und dessen Schüler Sameas (Schemaja oder
Schammai?). Sie sahen in der Herrschaft des Fremdlings eine Zucht-
ruthe Gottes, die man eben als solche willig tragen müsse"). —
Unter dem Adel von Jerusalem gab es noch zahlreiche Anhänger
des Antigonus. Herodes entledigte sich ihrer, indem er 45 der
Vornehmsten und Reichsten hinrichten liess. Durch Einziehung
ihres Vermögens kam er zugleich in den Besitz reicher Geldmittel,
deren er, um seinen Gönner Antonius bei guter Laune zu erhalten,
so sehr bedurfte 2^).
Unter den Mitgliedern der hasmonäischen Familie war es be-
sonders des Herodes Schwiegermutter Alexandra, die Mutter
Mariamme's, die ihm mit unverholener Feindschaft begegnete. Der
alte Hyrkan war zwar aus der parthischen Gefangenschaft zurück-
gekehrt 29); er hatte aber von jeher auf gutem Fusse mit Herodes
gestanden. Und dies Einvernehmen dauerte auch jetzt noch un-
gestört fort. Da er seiner körperlichen Verstünmielung wegen das
hohepriesterliche Amt nicht wieder übernehmen konnte, erwählte
Herodes einen ganz unbekannten und unbedeutenden babylonischen
Juden aus priesterlichem Geschlecht Namens Ananel zum Hohen-
priester'"). Aber eben dies betrachtete Alexandra als eine Ver-
letzung hasmonäischer Privilegien. Nach ihrer Ansicht wäre ihr
junger Sohn Aristobul, der Bruder Mariamme's, der allein zum
Hohenpriesterthura Berechtigte gewesen. Sie setzte daher alle
Hebel in Bewegung, ihr Recht durchzusetzen. Namentlich wandte
sie sich an Kleopatra, damit diese durch ihren Kinfluss bei An-
tonius dahin wirke, dass Herodes zur Einsetzung des Aristobul
gezwungen werde. Auch Mariamme lag ihrem Gatten mit Bitten
zu Gunsten des Bruders an. So sali sich Herodes endlich gencithigt,
den Ananel abzusetzen (was ungesetzlich war, da der Hohepriester
sein Amt lebjjnslüiiglidi verwaltete) und den jungen, erst siebzehn-
jährigen Aristobul zum Holieiipriester einzusetzen (Anfang 35)^').
27) AnU. XV, 1, l; vgl. XIV, 9, Aßn. Ueber Polio und Sameas s. Bd. 11,
S. 368 f.
28) AnU. XV, 1, 2; vgl XIV, 9, 4 ßn. B. ./. I, 18. 4.
29) AnU. XV, 2, 1—4.
iJO) AnU. XV, 2, 4. — Herodes selbst konnte die Würde nicht übernolimen,
da er nicht einmal vollbürtiger Judo, geschweige denn aus priüstcrliclicm Go-
loblechtr war.
81) AnU. XV, 2, 5—7. 3, 1. — In Betreff der Chronologie verweise ich
ein nir iiii......,i .Ml«' -li" nt.iirn Ucbersicht.
[309. 310] § 15. Herodes der Gro.«se (37—4 v. Chr.). 379
Der Friede war indess nicht von langer Dauer. Herodes sah
— I und nicht mit Unrecht — in allen Gliedern der hasmonäischen
Familie seine natürlichen Feinde. Namentlich des Argwohns und
Misstrauens gegen Alexandra konnte er sich nicht entschlagen
und Hess dieselbe sorgfältig bewachen. Dies fand hinwiederum
Alexandra unerträglich und sann darauf, sich der Beaufsichtigung
durch die Flucht zu entziehen. Die Särge waren schon bereit, in
denen sie sich und ihren Sohn Aristobul des Nachts zur Stadt
hinaustragen lassen wollte, um dann zur See nach Aegypten zu
Kleopatra zu entfliehen. Aber das Vorhaben wurde verrathen und ver-
eitelt und diente nur dazu, das Misstrauen des Herodes zu schärfen '^'^).
— Als nun vollends beim nächsten Laubhüttenfest (35 v. Chr.) das
Volk dem jungen Aristobul, während er als Hoherpriester fun-
girte, ofien zujubelte, da stand bei Herodes der Entschluss fest,
sich zunächst einmal des Aristobul als seines gefährlichsten Neben-
buhlers zu entledigen. Bald bot sich die Gelegenheit dazu. Herodes
war einst zu Jericho von Alexandra zu einem Gastmahl geladen
worden. Als nun nach dem Mahle der junge Aristobul sich mit
Andern im Bade ergötzte, wurde er von einigen Gefährten, die
Herodes gedungen hatte, wie zum Scherze untergetaucht und so
lange unter Wasser gehalten, bis er ertrunken war. Nach ge-
schehener That heuchelte Herodes die tiefste Trauer und vergoss
Thränen, die aber kein Mensch für aufrichtig hielt ^3).
Alexandra, die den wahren Sachverhalt wohl durchschaute,
agitirte wieder bei Kleopatra, damit Herodes für die That von
Antonius zur Verantwortung gezogen würde. Antonius, der seit
dem Frühjahr 36 sich wieder im Orient und in den Schlingen der
Kleopatra befand, unternahm eben damals (Frühjahr 34) einen neuen
Zug nach dem Osten, angeblich gegen die Parther, in Wahrheit
gegen den Armenierkönig Artavasdes. Als er nun nach Lao-
dicea (wohl Laodicea am Meere, südlich von Antiochia) kam,
wurde dorthin — denn Alexandra hatte durch Kleopatra wirklich
ihren Wunsch durchgesetzt — auch Herodes vorgeladen, um
Eechenschaft zu geben wegen der That. Herodes wagte nicht,
sich zu widersetzen und stellte sich, wenn auch schweren Herzens,
bei Antonius ein. Selbstverständlich kam er aber nicht mit leerer
Gasse. Dieser Umstand und seine gewandten Vorstellungen ver-
mochten bald alle Wolken zu zerstreuen. Er wurde freigesprochen
und kehrte nach Jerusalem zurück 3*).
32) Antt. XV, 3, 2.
33) Antt. XV, 3, 3—4. Bell. Jud. I, 22, 2.
34) Antt. XV, 3, 5. 8—9.
380 § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [310. 311]
Seine Abwesenheit war Veranlassung zu neuen Missheilig- \
ketten. Er hatte bei seinem Weggang seinen Oheim Joseph (der
zugleich sein Schwager war, da er seine Schwester Salome zur
Gattin hatte) zum ßeichsverweser bestellt und ihm auch die Sorge
für Mariamme übertragen. Da er seinen Gang zu Antonius für
gefährlich hielt, hatte er dem Joseph befohlen, falls er nicht zurück-
kommen sollte, auch die Mariamme zu tödten; denn seiner leiden-
schaftlichen Liebe war der Gedanke unerträglich, dass die Geliebte
je ein Anderer erhalten könnte. Als er nun zurückkehrte, ver-
läumdete die Salome ihren eigenen Gatten, als habe er sich un-
erlaubten Umgangs mit Mariamme schuldig gemacht. Herodes gab
der Verläumdung anfangs, da Mariamme ihre Unschuld betheuerte,
kein Gehör. Als er aber erfuhr, dass Mariamme um jenen ge-
heimen Befehl wusste, den der geschwätzige Alte ihr als Beweis
der besonderen Liebe des Herodes mitgetheilt hatte, glaubte He-
rodes darin eine Bestätigung jener Anklage zu finden und liess den
Joseph, ohne ihn gehört zu haben, hinrichtend^).
Die vierte feindliche Macht in dieser ersten Zeit des Herodes
war Kleopatra. Sie hatte schon bisher durch ihre Verbindung
mit Alexandra dem Herodes trübe Tage bereitet. Noch schlimmer
aber war, dass sie nun ihre Macht über Antonius auch dazu be-
nützen wollte, sich Gebietszuwachs zu verschaffen. Antonius gab
anfangs ihren Forderungen kein Gehör. Endlich aber, noch während
jenes Zuges gegen Armenien im J. 34, liess er sich docli herbei,
ihr die ganze phönicische und philistäische Küste südlich vom
Eleutherus, nur mit Ausnahme von Tyrus und Sidon ^^) und ausser-
dem einen Tlieil des arabischen (lebietes und den schönsten und
fruchtbarsten Theil von dem Königreiche des Herodes, die be-
rühmte Landschaft von Jericho mit ihren Palmen- und Balsam-
pflanzungen zu schenken ^"). An Widerstand von Seite des Herodes
35) AnU. XV, 3, 5-0. 9. Ueber die Parallelstelle B. J. l, 22, 4—5 e. unten
Anm. 51.
36) Vgl. die Karte in Menke's Bibelatlas.
37) Die Landschaft von Jericho war damals die fruchtbursti' und au Er-
trägniitiicn reichste Gegend von Palästina. Am beBtimmtostcu wird dies von
Strabo XVI, 2, 41 p. 7ö3 und Jusrpints lirll. Jud. IV, 8, 3, hervorgehoben. Bei
7fp/xop5 befand sich nach Ktrabo der Palmen wald (o (poivixwv) in einer Aus-
dehnung von hundert Btadien, und der Balsamgarten {o xov ßakaafiov
nuQuAnaoq), welcher das kostbare als Heilmittel gebrauchte BnlHaiu-Hiirz lieferte.
Aueh .ToHephtiH hebt die I)att<;lpalme und die BalsamKlmide mIh die beiden
HHUpt-CuIturgewäeliHe der Gegend liervor. Das infolge seines WuHHerreich-
thuniH und M-irieH heissen Klinuis besonders ertragr(>iehe Gebiet Mehät/.t.IoHephus
auf zwari/.ig Htadien Breite unci siebzig .Stadien Länge. Da beide Erzeugnisse
ho«-li im l'reiNe xtanden (vgl. Stniln, XVll, 1, 15 p. H(K)i, nennt JoHc^pliu« mit
[312] § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). 381
Recht diese Gegend ein &£Tov yjaglov, iv (p datpi^rj xa anavi(6xaxa xal
xäXXioxa yevväxai {Bell. Jud. IV, 8, 3). Auch sonst hebt er bei jeder Gelegen-
heit die Fruchtbarkeit der Gegend von Jericho mit ihren Palmen- und Balsam-
pfianzungen hervor {Antt. IV, 6, 1. XIV, 4, \ = B. J. I, 6, 6. Antt. XV, 4,
2 = -B. /. I, 18, 5). An einer Stelle nennt er sie bestimmt, die fruchtbarste
von Judäa {B. J. I, 6, 6: xb xijg ^lovöaiaq nioraxov). Herodes dehnte später
die Palmenpflanzungen bis Phasaelis aus (s. Bd. II, S. 158). Archelaus baute
bei Jericho eine neue Wasserleitung zur Bewässerung des dortigen Palmen-
waldes {Antt. XVII, 13, 1). — Auch bei Trogus Pompejiis ist nach der richtigen,
von Rühl hergestellten Lesart, Jericho als Mittelpunkt der Palmen- und Balsam-
pflanzungen des Jordanthaies genannt (Justin's Auszug XXXVI, 3): Opes genti
ex vectigalibus opobalsami crevere, quod in bis tantwn regionibus gignitur. Est
namque vallis, qtiae eontinuis montilnis velut muro quodam ad instar hortorum
clauditur. Spatium loci ducenta jugera; nomine Ericus dicitur. In ea silva est
et ubertate et amoenitate insignis, siquidem palmeto et opobalsameto distin-
guitur (folgt eine Beschreibung der Balsamstaude, welche ähnlich wie der
Weinstock gezogen werde und jährlich zu bestimmter Zeit den Balsam aus-
schwitze). — Diodorus Sic. verlegt die Palmen- und Balsampflanzungen im
Allgemeinen in die Nähe des todten Meeres, indem er nach Beschreibung des
letzteren also fortfährt (II, 48, 9; fast wörtlich ebenso XIX. 98, 4): ^AyaS^ri d^ iaxl
(poivix6(pvrog .... rivtxai 6h negl xovg xonovg xovxovg iv avi.(üvi xivi xal x6 xa-
kovfxtvov ßttXaafiov, ig ov rcQoaoöov ka/nngav [XIX, 98, 4: aSgav] Xaußdvovaiv,
ovöa/jov /ihv xfjg «AAi/^ otxovutvrjg svgiaxofihvov xoi/ <pvxov xovxov, xijg 6' i^
avxov '/CQtiag stg (pagfxaxa xoig taxQoZg xaik' VTiSQßokf^v sv&exovaT/g. — Nach
Plinitis waren die Datteln von Jericho die vorzüglichsten der Welt, Hist. Kat.
XIII, 4, 44: sed ut copia ibi [in Aethiopiae fine] atque fertilitas, ita nobilitas
in Judaea, nee in tota, sed Hiericunte maxume, quamquam laudatae et Archelaide
et Phaselide atque Liviade, gentis ejusdem convallibus. Vgl. XIII, 4, 2ö: Jiidaea
rei'O incluta est vel magis palmis. XIII, 4, 49: Servantur hi demum qui nas-
cuntur in salsis atque sabulosis, iit in Judaea atque Cyrenaica Africa. Die
ausführliche Erörterung des Plinius über den Balsam [Bist. Nat. XII, 25, 111
bis 123) beginnt mit folgenden Worten : Sed omnibus odorUnis praefertur
balsamum, uni terranim Judaeae concessum, qnonüam in duobus tantum horti^,
uiroque regio, altero jw/erum XX non amplius, altera pauciorum. Die Ge-
winnung des Balsam's geschieht dadurch, dass die Rinde mit steinernen, nicht
eisernen, Instrumenten geritzt wird, worauf der dicke Saft hervorquillt und in
kleinen Gefässen aufgefangen wird. — Auch Tacitus Hist. V, 6 nennt als
eigenthümliche Erzeugnisse Palästina's balsamum et palmae. Die Gewinnung
des Balsam's beschreibt er ähnlich wie Plinius (vgl. auch Strabo p. 763 und
Josephus XIV, 4, \ ^ B. J. I, (>, 6). — Dass die Palmen in Palästina „immer"
(d. h. in jedem Jahre) eine geniessbare Frucht geben, hebt auch Pausanias
als besonderen Vorzug hervor (er sagt IX, 19, 8 vom Heiligthum zu Mykalessus
in Böotien.- <Poivixfg öe npo xov isgov 7i6(pvxaaiv ovx ig unav iöwöifiov
naQexöfzsvoi xagnov, wansQ iv x^ TlaXaiaxiv^). Auch dem Horatius war der
materielle Werth dieser Plantagen bekannt. Um ein Beispiel besonders fetten
und ertragreichen Grundbesitzes anzuführen, spricht er von Herodis palmetis
pinguilms [Epist. II, 2, 184). — Nach Dioscorides I, 18 wuchs der als Heil-
mittel verwendete Balsam nur in Judäa und Aegypten (ßäXaafzov . . . yevvw-
fxsvov iv fJiövy 'lovöaicc xaxä xtva avXaiva xal iv Atyvnxcp). — Die Existenz der
Palmenwälder von Jericlio lässt sich durch etwa zwei Jahrtausende hindurch
verfolgen. Schon im Alten Testamente heisst Jericho „die Palmenstadt"
382 § 15. Herodes der Grosse (37-4 v. Chr.). [313]
war 1 nicht zu denken, und er niusste nun sein eigen Land von
Kleopatra in Pacht nehmen ^s). Ja er nmsste noch gute Miene
zum bösen Spiel machen und die Kleopatra, als sie auf der Rück-
kehr vom Euphrat, bis wohin sie den Antonius begleitet hatte, in
Judäa vorsprach, mit allen Ehren empfangen und königlich be-
wirthen. Als sie aber auch ihn in ihre Netze zu ziehen suchte,
war er klug genug, sich nicht näher mit ihr einzulassen ^9;.
(C'iTQrin n*'5, Deut. 34, 3; Judic. 1, 16; 3, 13; II Chron. 28, 15). Von griechischen
Schriftstellern erwähnt bereits Theophrastus, der Schüler des Aristoteles, die
Palmen- und Balsampflanzungen des Jordanthaies. Von den Piümen sagt er,
dass nur an drei Orten Cölesyriens mit salzigem Boden solche wachsen, deren
Früchte zum Aufbewaliren geeignet sind {hist. plant. II, 6, 2: r^e Svfjiag 6s
rijg Koü.7]q, iv ;) y' oi nltlazoi zvyx«voiatv, iv tqioI /lövoig zönoig akfxwöeaiv
tlvai xovg övvafikvovg S-T]aavQiL,saS-ai, II, 6, 8: d-7]aavQit,eo&ai 6h fiövovg 6vvaai}al
<paai Twv iv JS'tp/ß rovg iv zw aikwvi. Dieser avkwv Syriens, wo die Palmen
wachsen, erstreckt sich nach II, 6, 5 bis zum rothen Meere). Ueber den Balsam
sagt er hist. plant. IX, 6, 1; Tb 6s ßä?.oa/j.ov yhszai f^sv iv ziö avXwvi z(5
nsgl 2vQiav. TIuQa6elaovg rf' tlvai (paai 6vo [lovovg, zbv ßsv öaov si'xoai
nXiÜ^Qwv xov d' sxsqov noXliö iläxxova (hiernach Plinius an der oben an-
geführten Stelle). In der Mischna wird erwähnt, dass die Einwohner Jericho's
die Palmen zu pfropfen pflegten {Pesachim IV, 8). Den reichen Ertrag hebt
auch eine Descriptio orbis aus dem vierten Jahrhundert nach Chr. hervor
{Müller, Geographi gr. minores II, 513 sqq. c. 31: Nicolaum vero palmulam
invenies abnndare in Palaestina rcgione, in loco qui dicitur Hiericho). Die
Existenz der dortigen Palmenwälder bezeugen noch die christlichen Pilger
Arculfus im siebenten Jahrhundert (s. Tobler et Molinier, Itinera Ilierosolymitana
I, 1879, p. 176 •= Geyer, Itinera Hierosol. 1898, p. 263 sq.) und Saewulfus im
Anfang des zwölften Jahrhunderts (s. GiiMn, Samarie I, 49). Im Jahre 1838
«ah Robinson dort noch einen (!) Palmbaum (Robinson, Palästina II, 537),
welcher im Jahre 1888 nur noch ein Stumpf war (Zeitschr. dos DPV. XI, 98).
— Vgl. überhaupt die Artikel „Balsam", „Dattelpalme", „Jericho" in Winer's
RWB. Ritter, Erdkunde, XIII. Tbl. S. 760—858 (geogr. Verbreitung der
Dattelpalme). Theobald Fischer, Die Dattelpalme, ihre geographische Ver-
breitung und culturhistor. Bedeutung, 1881 (= Petermanu's Mittheilungen, 64.
Ergänzungsheft). Anderlind, ZeitsClir. des deutschen Palästina- Vereins
Bd. XI, 1888, S. 97—99 (Vorkommen der Dattelpalme im heutigen Syrien).
Fonck, Ktreifzügc durch die biblische Flora (Biblische Studien, herausg. von
Banienhewer V, 1, IIKK)) S. 6-10: Palmen, 152—155: Balsam. Wagler, Art.
„Balsambaum" in PuuIy-VVissowa'B Real-Enc. II, 2836»; Benzinger, Art.
,3alsam" in Ilcrzog-Uauck, Rt;al-Ene. 3. AuÜ. II, 374 f. — Ueber Jericho und
Uragcbung: RobinHon, Palübtina II, 516—555. Ritter, Erdkunde XV, 1,
5<J0— 534. Tobler, Topographie von Jerusalem 11,642—669. Sepp, Jerusalem
und da» heilige Land 2. Aufl. I, 720—734. Gudrin, Samarie, I, 46—53.
Bädeker-Socin, PalÜHtinu 3. Aufl. 8. 166 f. The Surrtg af Western Palcsline,
McmuirM hy Conder and Kitchener III, 222 (Plan der VVusHerleitnngon bei
Jericho aiiH römiHchcr Zeit); dazu Bl. XVIII der grossen englischen Karte.
38) AuU. XV, 4, 1—2. ß. J. I, 18, 5. — • Ptularck. Anton. 3() und Vio (V/.s.w.
\IAX, 32 verlegen diene Schenkung in eine frühere Zeit. Vgl. oben 8. 362 f.
3Ü) Antf. XV, I " fi J. I. IH, 5.
[313. 314] § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). 3g3
So verstrichen die ersten 4—5 Jahre des Herodes unter man-
nigfachen Kämpfen um die eigene Existenz. Neue Sorgen brachte
im J. 32 der Ausbruch des Krieges zwischen Antonius und
Octavianus. Herodes wollte mit einer stattlichen Streitmacht demj
Antonius zu Hülfe eilen; erhielt aber statt dessen auf Betrieb
Kleopatra's von Antonius den Auftrag, den Araberkünig zu be-
kriegen. Dieser hatte nämlich in der letzten Zeit den Tribut an
Kleopatra nicht mehr regelmässig bezahlt und sollte nun dafür
gezüchtigt werden. Und Kleopatra wollte, "dass der Krieg dem
Herodes übertragen werde, damit die beiden Vasallenfürsten sich
gegenseitig schwächen und aufreiben möchten. So zog also He-
rodes statt gegen Octavian vielmehr gegen den Araberkönig. An-
fangs war er glücklich. Als aber Athenio, der Strateg der Kleo-
patra, den Arabern zu Hülfe kam, erlitt er eine empfindliche Nieder-
lage und sah sich genöthigt, den grossen Krieg einzustellen und
sich nur auf Raub- und Plünderungszüge zu verlegen^'*).
Währenddem kam im Frühjahr 31 ein neues Unglück über ihn,
indem ein furchtbares Erdbeben das Land heimsuchte, durch welches
30ÜÜ0 Menschen um's Leben kamen. Herodes wollte nun mit den
Arabern wegen des Friedens unterhandeln. Diese aber tödteten
die Gesandten und erneuerten ihren Angriff. Herodes musste all'
seine Beredsamkeit aufbieten, um seine entmuthigten Truppen zu
einem abermaligen Kampf zu bewegen. Aber diesmal bewährte sich
wieder sein altes Kriegsglück. Er schlug das arabische Heer voll-
ständig in die Flucht und zwang auch den Rest desselben, der sich
in eine Festung geflüchtet hatte, bald zur Uebergabe. Stolz auf
diesen glänzenden Erfolg kehrte er nach Hause zurück ^').
Bald darauf (2. Sept. 31) fiel bei Actium die Entscheidung,
durch welche Antonius für immer die Herrschaft verlor. Es war
zugleich ein schwerer Schlag für Herodes. Aber mit der ihm
eigenen Gewandtheit ging er rechtzeitig in das Lager des Siegers
über und fand bald Gelegenheit, seinen Gesinnungswechsel durch
die That zu bekunden. In Kyzikus befand sich eine Schaar von
Gladiatoren des Antonius, die sich im Voraus auf die Spiele ein-
übten, durch welche Antonius seinen Sieg über Octavian verherr-
lichen wollte. Als diese nun von der Niederlage und Flucht des
Antonius hörten, wollten sie nach Aegypten ihrem. Herrn zu Hülfe
eilen. Aber Didius, der Statthalter von Syrien, verwehrte ihnen
den Durchzug und Herodes leistete ihm hierbei eifrigen und er-
folgreichen Beistand^-).
40) Antt. XV,- 5, 1. ß. J. I, 19, 1—3.
41) Antt. XV, 5, 2-5. B. J. I, 19, 3—6.
42) Antt. XV, 6, 7. B. J. I, 20, 2. Diu Cass. LI, 7.
384 § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [314. 315]
Nachdem er so einen Beweis seiner Gesinnung abgelegt hatte,
konnte er sich dem Augustus vorstellen. Um aber auf alle Fälle
sicher zu sein, Hess er zuvor noch den alten Hyrkan, den Ein-
zigen, der ihm als näher zum Thron Berechtigter gefährlich sein
konnte, aus dem Wege schaffen. Dass Hyrkan durch Conspiration
mit dem Araberkönig seinen Tod verschuldet habe, wie in den
eigenen Jahrbüchern des Herodes behauptet war, ist bei dem Cha-
rakter und dem hohen Alter Hyrkan's sehr unwahrscheinlich.
Andere gleichzeitige Schriftsteller haben ausdrücklich seine Un-
schuld behauptet. Für Herodes war bei seiner kritischen Lage
das blosse Dasein Hyrkan's ein hinreichendes Motiv zu der blutigen
That. So fiel auch der letzte Hasmonäer, ein Denkmal vergangener
Zeiten, mehr als achtzigjährig als Opfer des Argwohn's und Ehr-
geizes des Herodes ^^^j.
Nun machte sich Herodes auf den Weg zu Augustus, der den
Winter 31/30 grössteutheils in Samos zugebracht hatte *^). Er traf
ihn (Frühjahr 30) in Rhodus. Bei der Zusammenkunft spielte
Herodes den Kühnen, rühmte sich seiner Freundschaft mit Anto-
nius und der Dienste, die er ihm geleistet und wollte dadurch be-
weisen, wie nützlich er denjenigen sei, deren Partei er einmal
ergriffen habe. Augustus gab auf diese Reden wohl nicht allzu-
viel, fand es aber doch nützlich, den ebenso klugen und thatkräf-
tigen, wie römerfreundlichen Idumäer für sich zu gewinnen. Er
war sehr gnädig gegen ihn und bestätigte ihn als König. Mit diesem
frohen Bescheid kehrte Herodes in die Heimath zurück*^).
Bald darauf, im Sommer, zog Augustus von Klein- Asien kom-
mend an der phönicischen Küste entlang gen Aegypten, und Herodes
versäumte nicht, ihn in Ptolemais mit allem Pomp zu empfangen
und dafür zu sorgen, dass das Heer während des Marsches bei der
heissen Jahreszeit keinen Mangel leide***).
Nachdem Augustus in Aegypten mit Antonius bald fertig
geworden war, und dieser, wie Kleopatra, sich selbst den Tod ge-
gegeben hatte (Aug. 30), besuchte Herodes abermals den Augustus,
ohne Zweifel, um ihm (ilück zu wünschen und dafür womöglich
belohnt zu werden. Letzteres gt^lang ihm aucli. Denn Augustus
gab ihm jetzt nicht nur das Gebiet von Jericho zurück, sondern
dazu auch (iadara, Hippos, Samaria, Gaza, Anthedon, Jope
und ötratonsthurm*').— Als Beweis seiner Erkenntlichkeit gab
43) Äntt. XV, 0, 1-4. B. J. I, 22, 1.
44) Sueton. Aug. e. 17.
46) Antt. XV, 6, 6-7. B. ./. I, 20, 1—3.
46) Atül, XV, 0, 7. B. J. I, 20, 3.
47) Antt. XV, 7, 3. B. ./. I, 2<), 3. — Ucbor alle diese Städte s. § 23, T.
[315. 316] § 15. Herodes der Grosse (37-4 v. Chr.). 385
Herodes seinem Gönner bei dessen Eückkehr aus Aegypten (Ende
30) abermals das Geleite bis Antiochia *s). |
Wälirend so die äussere Gefahr sich in Glück verwandelte,
erlebte Herodes im eigenen Hause nichts als Jammer. Schon als
er nach Rhodus reiste, hatte er die Mariamme der Obhut eines
gewissen Soemus anvertraut und diesem wieder denselben Befehl
ertheilt, wie einst dem Joseph ^9). Mariamme hatte es auch diesmal
wieder erfahren und dem Herodes nach dessen Rückkehr unver-
holene Beweise ihrer Abneigung gegeben •^*^). Der Mutter des He-
rodes (Kypros) und seiner Schwester Salome, welche beide der
stolzen Mariamme schon, längst abhold waren, war dieses Miss-
verhältniss sehr erwünscht, und sie wussten es durch die schänd-
lichsten Verläumdungen zu steigern. Schliesslich bestach Salome
den Mundschenk des Königs, damit er angebe, Mariamme habe ihm
einen Gifttrank gegeben, um ihn dem Herodes zu reichen. Als
Herodes dies vernahm, Hess er den Eunuchen Mariamme's darüber
auf der Folter verhören. Dieser wusste zwar nichts von dem Gift-
trank, bekannte aber, dass Marianmie ihren Gemahl hasse wegen
des Befehles, den er dem Soemus gegeben habe. Als nun Herodes
hörte, dass auch Soemus, wie einst Joseph, den Befehl verrathen
habe, sah er darin wieder einen Beweis unerlaubten Umgangs und
schrie wie rasend, nun habe er ja einen Beweis der Untreue seines
Weibes. Soemus ward sofort hingerichtet; Mariannne durch ein
gerichtliches Verfahren verurtheilt und ebenfalls hingerichtet
(Ende 29)5«). |
48) Anit XV, 7, 4.
49) Änit. XV, 6, 5.
50) Äntt. XV, 7, 1—2.
51) Antt. XV, 7, 3—6. — Eine fabelhafte talmudische Nachricht über den
Tod der Mariamme s. bei Deretibourg p. 151. — Zur Kritik der von uns wieder-
gegebenen Erzählung des Josephus bemerkt Destinon (Die Quellen des Flavius
Josephus 1882, S. 113): „Es ist auffallend, wie gleichmässig die Vorgänge ver-
laufen, welche sich an die beiden Reisen des Königs zum Antonius und Augustus
knüpfen [Antt. XV, 3, 5— G u. 9, XV, 6, 5; 7, 1—6). Beide Male lässt er seine
Gemahlin unter der Obhut eines Vertrauten zurück, mit dem Befehle, sie zu
tödten, wenn ihm selbst etwas zustossen würde; beide Male theilen die Wächter
in wohlgemeinter Absicht ihr das Geheimniss mit; der König kehrt heim, er-
fährt es, vermuthet grössere Vertraulichkeit und lässt die Schuldigen hin-
richten Dazu kommt, dass im Jüd. Krieg der zweite Bericht gänzlich
fehlt {B. J. I, 22, 4—5) : hiemach tödtet Herodes den Joseph sowohl als auch
Mariamme gleich nach seiner Rückkehr vom Anontius. Man möchte glauben,
dass der Doppelbericht in der Archäologie auf ein und dasselbe Ereigniss
sich beziehe; Josephus fand den zweiten Bericht vielleicht in einer Neben-
quelle, hielt ihn in Folge der abweichenden Angabe des Namens Soemus für
verschieden von demjenigen seiner Hauptquelle und knüpfte ihn, um sich
Schürer, Geschiebte I. 3. u. 4. Aufl. 25
386 § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [317]
In Herodes' Verhältniss zu Mariamme offenbarte sich die ganze
Wildheit und Sinnlichkeit seines Wesens. Unbändig und leiden-
schaftlich wie seine Liebe war auch sein Hass, sobald er sich von
seinem Weibe betrogen glaubte. Aber ebenso unbändig und leiden-
schaftlich war nun auch seine Sehnsucht nach der Geliebten, die
er selbst gemordet. Um seinen Schmerz zu betäuben, suchte er
Zerstreuung in wilden Vergnügungen, Trinkgelagen und Jagden.
Aber selbst sein starker Körper ertrug die übermässige Aufregung
nicht. Während er in Samaria jagte, erkrankte er und musste
daselbst krank liegen bleiben. Da man an seinem Aufkommen
zweifelte, sann Alexandra darauf, für den Fall seines Todes sich
die HeiTSchaft zu sichern. Sie wandte sich an die Befehlshaber
der beiden Burgen von Jerusalem und suchte dieselben für sich zu
gewinnen. Aber diese machten dem Herodes davon Anzeige, und
Alexandra — die es schon längst mehr als Andere verdient
hätte — ward nun ebenfalls hingerichtet (etwa 28 v. Chr.) ^^).
Allmählich genas Herodes wieder und fand bald Gelegenheit
zu neuer Blutarbeit. Ein vornehmer Idumäer Kostobarus war
von Herodes bald nach seinem Regierungsantritt zum Statthalter
von Idumäa eingesetzt und später mit Salome, deren erster Ge-
mahl Joseph im J. 34 hingerichtet wurde, verheirathet worden.
Schon in dieser ersten Zeit hatte er insgeheim mit Kleopatra gegen
Herodes conspirirt, war aber von Herodes auf Bitten der Salome
wieder begnadigt worden ^^). Jetzt aber wurde Salome selbst ihres
Gemahles überdrüssig, und um sich seiner zu entledigen, griff sie
zum Mittel der Denunciation. Sie wusste, dass ihr Gemahl die
Sühne des Babas^^), wie es scheint, weitläufige Verwandte des
nichts entgehen zu lassen, an die Eeise des Herodes zum Augustus an". —
Man würde dieser Auffassung ohne weiteres beizustimmen haben, wenn nicht
andererseits feststünde, dass das Bellum Judaicum vielfach dieselbe Quelle,
di<' au(;h in den Antiquitates benützt ist, in stark verkürzter Form wiedergiebt,
un«l wenn nicht ausdrücklich in der zweiten Erzählung der Antiquitates die
erste vorausgesetzt würde (XV, 7, 1 : xaq ^Iwarj-no) äoihiaaq ^rtoXcti drffivt]-
ßdvtvtv). Dass sich dieselbe Geschichte fast in der gleichen Form wiederholt
hat, ist allerdings tjnwahrscheinlich. Aber es scheint mir wnhrschcinlicli, dnss
beide Erzählungen schon in der Hauptquelle des Joscplius gestanden haben,
namentlich auch deshalb, weil an beiden Stellen die Erzählung der häuslichen
Vorgänge enge mit der Darstellung der politischen (leschichto verbunden ist
(an beiden BU'llen ist die politische Geschichte zwischen Anfang und Ende
der häuMlichen Vorgänge «'ingeschoben).
W) Anlt. XV, 7, 7-K.
5.3) Antt. XV, 7, !).
64) Statt ßaßaq liest Niese mit nxl. I'al. 2^af{ßai, sagt über selbst: utrum
teriu» diffirilr. tlirtu. Der Name liaßaq lindcit sich inschriftlich bei Euting,
8it«ungiibcrichte der Berliner Akademie IHHn, H. (185, Tafel XI n. HO. — Ein
[317. 318] § 15. Herodes der Grosse (37-4 v. Chr.). 387
liasiuonäisclien Hauses, denen Herodes leit der Eroberung Jerusa- 1
lems vergeblich nachgespürt hatte, bei sich verborgen habe. Dies
meldete sie ihrem Bruder. Herodes war, als er es hörte, kurz ent-
schlossen. Kostobarus wurde saramt seinen Schützlingen, deren
Versteck Salome verrathen hatte, ergriffen und hingerichtet
(25 V. Chr.). Und Herodes konnte nun beruhigt sich sagen, dass
aus der ganzen Verwandtschaft des alten Hyrkan keiner mehr
übrig sei, der ihm den Thron streitig machen könnte ^^). — Damit
schliesst die erste Periode, die Periode des Kampfes mit den feind-
lichen Mächten.
IL
Die Zeit von 25—13 ist die Zeit des Glanzes und Genusses,
wenn auch nicht des ungestörten und ungetrübten Genusses.
Zum Glänze der Zeit gehörten vor allem gi'ossartige Bauten.
In allen Provinzen wetteiferte man damals in der Pflege des Kaiser-
cultus und in der Feier vierjähriger Festspiele zu Ehren des Cäsar s.
Zu ersterem Zwecke wurden Kaiser-Tempel {Kaioageia) errichtet;
zu letzterem Theater, Amphitheater, Stadien und Hippodrome. Auch
neue Städte gründete man zu Ehren des Cäsar s und nannte sie
nach seinem Namen. Provinciarum pleraeque super templa et aras
ludos quoque quinquennales paene oppidatim constituerunt. Reges
amici atque socii et singuli in suo quisque regno Caesareas urbes con-
diderunt'"^). Alle diese Bestrebungen ergriff Herodes mit der ihm
eigenen Energie. Aber auch in Errichtung anderer Bauten zu
Nutz- und Luxuszwecken und in Neugründung ganzer Städte war
er unermüdlich^').
In Jerusalem erhob sich ein Theater; in der Ebene (bei Jeru-
''ain '{2 xna Kerithoth VI, 3; ein «33 p mirf^ Erubin II, 4—5; Jebamoth
XVI, 3. 5. 7. Edujoth VI, 1. VIII, 2 (die Cambridger Handschrift hat viermal
xnn 13, dreimal X3X p).
55) Äntt. XV, 7, 10. Am Schlüsse der Erzählung sagt Josephus ausdrück-
lich: (ü'ffTf slvai fiTjöev vnöXomov ix x^q ''Yqxkvov avyysvsiag. Es ist damit
wohl nur die männliche Verwandtschaft gemeint. Denn nach Antt. XVII, 5, 2 fin.
lebte noch etwa zwanzig Jahre später die Tochter des Antigonus, des letzten
hasmonäischen Königs, welche mit Herodes' ältestem Sohne Antipater ver-
mählt war.
5G) Sueton.Äur/.ö9—Q0. Vgl. überhaupt über den Elaisercultus Bd. II, S. 26f.,
über die Festspiele ebendas. S. 35 — 40.
57) Ueber die Bauten des Herodes vgl. Hirt, üeber die Baue Herodes des
Grossen überhaupt, und über seinen Tempelbau zu Jerusalem insbesondere
(Abhandlungen der histor.-philol. Klasse der Berliner Akademie aus den Jahren
1816—17, S. 1 — 24); van der Chijs, de Herode Magno, p. 55 — 57. Drüner,
Untersuchungen über Josephus (Marburg, Diss. 1896) S. 57 — 69: Die Ueber-
lieferung über die Bauten des Herodes.
25*
388 § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [318. 319]
salem) ein Ainpliitheatei»^^). Einige Zeit später (um 24) baute
sich Herodes einen königliclien Palast, bei welchem Marmor und
Gold in Menge verschwendet waren. Er war mit starken Be-
festigungen versehen und diente so zugleich als Castell für die
Oberstadt ^^). Schon zur Zeit des Antonius hatte er die Burg
nördlich vom Tempel umbauen lassen und zu Ehren seines Gönners
Antonia genannt ^ö). — In den nichtjüdischen Städten seines Reiches
und weiterhin in der Provinz Syrien baute er zahlreiche Tempel,
58) Antt. XV, 8, 1: xal S^saxQOv iv''hQoaoXv(ioi(; ipxoöofiTjOiv, ai&ig x iv
TU* neSlo) fieyiazov dfjicpid-suxQOv. Auch das Hippodrom in Jerusalem, das
gelegentlich erwähnt wird [Antt. XVII, 10, 2; B. J. II, 3, 1), ist wohl von
Herodes erbaut; desgleichen das Theater, Amphitheater und Hippodrom in
Jericho (s. hierüber Bd. II S. 40). — Interessante Mittheilungen über ein
von ihm entdecktes Theater bei Jerusalem macht Schick in: Palestine
Exploration Fund, Quarterly Statement 1887, p. 161 — 166 (mit Plänen). Das-
selbe liegt südlich von der Stadt (südsüdwestlich vom Bir-Ejub, nördlich vom
Wadi Jasul; die Entfernung vom Wadi Hinuom ist nicht viel grösser, als die
des letzteren von der heutigen Stadtmauer). Der halbkreisförmige Zuschauer-
raum ist noch mit Sicherheit zu erkennen; er ist in den natürlichen Felsen
eingehauen an der Nordseite eines Hügels, so dass die Zuschauer den Blick
auf die Stadt hatten. Der Durchmesser unterhalb der Sitzreihen beträgt 132
engl. Fuss; die Sitzreihen steigen in einem Winkel von 37 Grad regelmässig
an. Seltsam ist nur, dass Schick seine interessante Entdeckung ein Amphi-
theater nennt, da seine Zeichnung und Beschreibung keinen Zweifel lassen,
das» 68 sich vieiraehr um ein Theater handelt (das Amphitheater war stets _
ein geschlossener länglicher Kreis, in dessen Mitte sich die Arena für
Gladiatorenkämpfe und Thierhetzen befand; das Theater dagegen ein Halb-
kreis, an dessen offener Seite sich die Bühne für dramatische Darstellungen
befand). Schick ist zu seiner irrigen Benennung dadurch veranlasst worden,
dass nach Josephus das Theater des Herodes sich iv 'IeQoaolvfxo<g befand,
während der von Schick entdeckte Platz ausserhalb der Stadt liegt. Er selbst
muBH aber zugeben, dass seine Entdeckung sich auch keineswegs ^v xiö neSUp
befindet, was nach Josephus beim Ami)liitlieater des Herodes der Fall war.
Wenn also iv 'ifQoaokvfioig bedeutete „iruicrlialb der Stadtmauer", dann könnte
der von Scliick entdeckte Platz weder das Theater noch das Ampliithcater des
Herode« sein. Jene Erklärung ist aber keineswegs nothwendig; und daher
die Identificirung des Schick'schen Tlicatcrs mit dem des Herodes sehr wohl
möglich und walirscheinlich. Auch bei der Restauration der Stadt durch
Hadrian wird man den von Herodes einmal hcrgerlclitctcn Platz nicht vcr-
laMHcn haben.
WO Antt. XV, U, 3. /?. J. I, 21, 1. Vgl. die ncHchrcibiing li. J. V, 4, 3-4. --
Ein Thunn vom I'alaHto des Heroili >- i-t noch licutc (licilwcisc (^halten, der so-
genannte DavidHtliurm. 8. li i. ilmiig von Schick, Zcitschr. des
deutlichen PalfiMtinavoreins I, Ih. , . . ^j.u Z',1.
ÖO) Antt. XV, 8, ß. 11, 4. XVIII, 4, 3. B. ./. I, 21, 1. Vgl. die Beschrei-
bung D. J. V, 5, 8. Tacü. Hut. V. 11 fm. Uobcr die ältere Geuchichtf dicHcr
Burg M. oben 8. 106 Aom.
[319. 320] § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). 389
naiiientlicli solche zu Ehren des Cäsar's (Kaioagtia), und liess sie
aufs Herrlichste mit Bildwerken ausschmücken^'). |
Eine ganze Anzahl neuer Städte erhob sich auf sein Geheiss
aus dem Boden. Das alte Samaria, das seit der Zerstörung durch
Johannes Hyrkan bereits durch Gabinius wieder aufgebaut worden
war, baute er aufs Glänzendste um und gab ihm den Namen Se-
baste^2j_ Damit nicht zufrieden ging er um das J. 22 an ein noch
grossartigeres Unternehmen, indem er an der Küste an Stelle des
bisherigen Stratonsthurm's eine neue Stadt im grossartigsteu Maass-
stabe anlegte, welcher er den Namen Cäsarea gab. Als besonders
merkwürdig erwähnt Josephus den grossartigen Hafen der Stadt.
Um die einlaufenden Schiffe vor den Stürmen zu sichern, wurde
weit ins Meer hinein ein gewaltiger Damm aufgeworfen, wozu das
Material aus erheblicher Ferne herbeigeschaö't werden musste. Auf
dem Damme wurden Wohnungen für die Schiffer errichtet und vor
denselben Anlagen für die Spaziergänger. Mitten in der Stadt
war ein Hügel, auf welchem ein Tempel für den Kaiser erbaut
wurde, der schon weit vom Meere aus gesehen werden konnte.
Zwölf v(jlle Jahre wurde an der Stadt gebaut. Und als sie vol-
lendet war, wurde sie im 28. Jahre des Herodes (= 10/9 v. Chr.)
mit grossem Pompe eingeweihte^).
Aber Herodes' Baulust hatte sich noch nicht genug gethan.
An Stelle des alten Kapharsaba legte er eine Stadt an, welche er
zu Ehren seines Vaters Antipatris nannte. Bei Jericho baute
er eine Burg, welche er nach seiner Mutter Kypros nannte. Im
Jordanthale nördlich von Jericho gründete er in einer bisher un-
bebauten aber fruchtbaren Gegend eine neue Stadt und nannte sie
nach seinem Bruder Phasaelis e^). Das alte Anthedon stellte er
. 61) Äntt. XV, 9. 5. B. J. I, 21, 4. Vgl. Antt. XV, 10, 8. B. J. I, 21, 3
(Tempel zu Paneion). Auch die neugebauten Städte Sebaste und Cäsarea er-
hielten je einen Augustus-Tempel. — De Vogüe und Waddington fanden zu
Sia (V2 Stunde von Qanawät, am westlichen Fusse des Hauran) die Trümmer
eines Tempels aus der herodianischen Zeit (abgebildet bei de Vogüe, Syrie
Centrale, Architecture Civile et Religietise, pl. 2 et 3). Unter denselben fand sich
auch folgende Unterschrift einer ehemaligen Bildsäule des Herodes: [Ba]aiXsZ
Hqwösi xvQÜp ^Oßaloaxoq Saoöov ^B-ijxa zov dvögtävza xaZq iftaig 6a7iävai[q].
Le Bas et Waddington, Inseriptions Orecques et Latines f. III, n. 2364.
62) Antt. XV, 8, 5. B. J. I, 21, 2. Strabo XVI, p. 760. Näheres s. Bd. II,
S. 149—153; über die Zeit der Erbauung s. oben S. 366.
63) Antt. XV, 9, 6. XVI, 5, 1. Ä J. I, 21, 5-8. Vgl. auch Antt. XV, 8, 5.
Plinim Eist. Nat. V, 13, 69. Ueber die sonstige Geschichte von Cäsarea s.
Bd. II, S. 104—108; über den Augustustempel : Bd. II, S. 27.
<J4) Antt. XVI, 5, 2. B. J. I, 21, 9. Ueber Antipatris und Phasaelis
8. Bd. II, S. 156—158.
390 § 15- Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [320. 321]
neu her und nannte es zu Ehren Agrippa's Agrippeion^^). Sich
selbst zu Ehren nannte er zwei neue Festungen Herodeion; die
eine lag im Gebirge gegen Arabien zu; die andere an der Stelle,
wo er einst nach seiner Flucht aus Jerusalem den Kampf mit den
ihm nachsetzenden Juden zu bestehen gehabt hatte, drei Stunden
südlich von Jerusalem. Letztere war auch mit prachtvollen Wohn-
räumen für den König ausgestattet ''*^). Die schon von den Has-
monäern erbauten, aber durch Gabinius zerstörten Festungen
Alexandreion und Hyrkania versah er mit neuen Befestiguugs-
werken^^); desgleichen die Festungen Machärus und Masada,
65) B. J. 1, 2\, 8. Vgl. Antt. XIII, 13, 3. B. J. I, 4, 2 (an den beiden
letzteren Stellen lautet der Name Agrippias). Ueber die sonstige Geschichte
der Stadt s. Bd. II, S. 90 f.
66) B. J. I, 21, 10. üeber die zweitgenannte bedeutendere Festung s. auch
Antt. XV, 9, 4; vgl. Antt. XIV, 13, 9. B. J. I, 13, 8. In der römischen Zeit
war sie Hauptort einer Toparchie [B. J. III, 3, 5, Plin. Hist. Nat. V, 14, 70;
Herodium cum oppido inlustri 0usdem nominis), im vespasianischen Krieg eine
der letzten Zufluchtsstätten der Aufständischen [B. J. VII, 6, 1). Nach B. J.
IV, 9, 5 lag Herodeion in der Nähe von Thekoa {aT^aronsSsvaccf/evog de
xard tiva xwfiTjv, dexovh xakeTzai, ngog zovg iv 'HgwSflio tpQovQovq, oneg t]v
n).Tialov), nach Antt. XIV, 13, 9; XV, 9, 4; B. J. I, 13, 8; I, 21, 10 sechzig
Stadien südlich von Jerusalem. Da nun das heutige Tekua mehr als sechzig
Stadien von Jerusalem entfernt ist, muss Herodeion etwas nördlich davon
gelegen haben. Vgl. auch Petrus Diaconus (bei Geyer, Itinera Hierosolymitana
1898, p. 110): in quo itinere (von Jerusalem nach Thekoa) contra mons est,
qitem excavavit Erodes et fecit sibi palatium supe)- hcremnm contra marc mor-
tuum. Hiernach kann kein Zweifel sein, dass der steile Kegel, welcher jetzt
von den Europäern der Frankenberg, von den Einheimischen Dschebol-
el-Fureidiß (Paradies, ßaumgarten) genannt wird, mit Herodeion identisch
ist. Die Entfernung von Jerusalem beträgt in der Luftlinie nach der grossen
engl. Karte genau 8 röra. mit. pass. = 64 Stadien. Auf dem Hügel sind noch
lieute die Reste der runden Thürme erhalten, welche Herodes nach der Be-
schreibung des Josephuö (Antt. XV, 9, 4 = 5. J. I, 21, 10) daselbst erbaut
hat. Auch die Spuren der steinernen Treppe, welche nadi Joscphus hinauf-
führte, sind noci» nachweisbar. Vgl. überhaupt: Robinson, Palästina II,
392—398. Tobler, Topographie von Jerusalem II, 565— 572. Sepp, Jenisu-
lem 2. Aufl. I, 643 f. De Sautcy, Voyage en Terre Sainte I,\i\S sqq. Guörin,
JutUe III, 122—132. ßädekcr-Socin, Palästina 3. Aufl. S. 136. Schick.
Zeit«chr. de» deutschen Palästina- Vereins III, 1880, 8. 88—99 (mit Plänen).
The Survey of Western Paleatine, Mmioirs l»f Conder and Kitchener III,
316 fg. 330— 332. Ebers und Gutlie, Palästina T, 158f. Öhlmann.Dle
Fortochrittc der Ortskunde von Palästina, 1. Thl. (Norden 1HH7) 8. 17f. Seh lat-
ter, Zur Topographie und Oeschiehte Palästina's (189.'}) H. 12011". Iliiiil. Oeo-
grapbie S. 167. Schick's Karte der wtüteren Umgebung von .leruHalem,
Zeitwhr. (k-s DPV. XIX, 1H96.
67) Beide FevtUDgon werden /,ii<r.si zur Zeit der Alexandra erwälint (.1»//.
Xni, 16, 3). In Alezandreion erwartete Aristobul die Ankunft des PonqH'jns,
muMte ihm aber die Festung übergcilKiu {Anit. XIV, 3, 4. B. ./. I. (;, 5). Beide
[321. 322] § 15. Herodes der Grosse (37-4 v. Chr.). 391
welche beide er auch mit königlichen Palästen schmückte ^^). Mi-!
litärischen Zwecken diente auch die Neugründung von Gaba in
Galiläa und Esbon in Peiäa, wohin er Militärcolonien legte ^^1.
Auch weit über die Grenzen von Palästina hinaus verkündigten
Bauwerke die Freigebigkeit des Herodes. Den Rhodiern baute
er auf seine Kosten den pythischen Tempel. Der Stadt Nikopolis,
die von Augustus bei Actium gegründet worden war, half er die
meisten öifentlichen Gebäude aufführen. InAntiochia liess er zu
beiden Seiten der Hauptstrasse Säulengänge errichten'^). Als er
einst nach Chios kam, spendete er eine gi-osse Summe zur Wieder-
erbauung der im mithridatischen Kriege zerstörten Säulenhalle'').
In Askalon baute er Bäder und Brunnen. Auch Tyrus und Sidon,
Byblus und Berytus, Tripolis, Ptolemais und Damaskus
wussten von dem Glänze des herodischen Namens zu erzählen. Ja
bis nach Athen und Lacedämon reichten die Spuren seiner
Freigebigkeit "-).
Festungen wurden von Gabinius geschleift, da sie dem Alexander bei dessen
Aufstand als Bollwerke gedient hatten [Antt. XIV, 5, 2-4. B. J. I, 8, 2—5).
Alexandreion wurde von Pheroras wieder befestigt {Antt. XIV, 15, 4. B. J. I,
16, 3). Hyrkania diente lange Zeit der Schwester des Autigonus als Zu-
fluchtsstätte; erst kurz vor der Schlacht bei Actium brachte es Herodes in
seine Gewalt {B. J. I, 19, 1). Die neuen Befestigungen, welche Herodes an
beiden Plätzen anlegte, waren so bedeutend, dass er sie dem Agrippa bei
dessen Besuch als Merkwürdigkeit zeigte {Antt. XVI, 2, 1). — Die Lage von
Hyrkania ist nicht bekannt. Alexandreion ist wahrscheinlich identisch mit
dem heutigen Berg Sartaba am Rande der Jordan-Ebene nördlich von Je-
richo (s. oben S. 297).
68) Machärus war zuerst durch Alexander Jannäus befestigt worden
{B. J. VII, 6, 2). Die Neubauten des Herodes beschreibt Josephus ausführ-
lich B. J. VII, 6, 2. — Masada soll schon von dem Hohenpriester Jonathan
befestigt worden sein (B. J. VII, 8, 3), was aber kaum möglich ist, da das
jüdische Gebiet zur Zeit Jonathans sich nicht bis Masada erstreckte. Ueber
die Neubauten des Herodes s. B. J. VII, 8, 3. — Beide Festungen spielten
noch einer wichtige Rolle im vespasianischen Kriege. Ueber ihre Lage und
Geschichte s. Näheres § 20 gegen Ende.
69) Antt. XV, 8, 5. Vgl. B. J. III, 3, 1. Näheres über beide s. Bd. II,
S. 153—156.
70) A?ttt. XVI, 5, 3.
71) Antt. XVI, 2, 2.
72) B. J. I, 21, 11. — Auf einer Inschrift zu Athen {Corp. Itiser. Oraec. n.
361 = Corp. Inscr. Attie. III, 1 n. 556) wird Berenike, die Tochter Agrippa's I,
genannt: ^fyaAtwv ßaaiXsojv svsgysxwv xfjg nöXewq sxyovog. — Vielleicht be-
zieht sich auf Herodes den Grossen auch die Inschrift Corp. Inscr. Attic. III,
1 n. 550: '0 dTjfiog ßaai^a ^Hqwötjv gjikoQcofiaiov svegysoiag svsxsv xal evvoiag
xfig sig havTov (zu Athen). Eine andere ähnliche {CIA. HI, 1 n. 551) ist wegen
abweichender Titulatur wohl auf einen anderen Herodes (Herodes von Chalkis ?)
zu beziehen.
392 § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [322]
Das grossartigste aber unter all" seinen Bauwerken war der
Neubau des Tempels von Jerusalem. Der alte von Seru-
babel erbaute Tempel entsprach nicht mehr dem Glänze der neuen
Zeit. Die Paläste in seiner Nähe übertrafen ihn an Pracht. Aber
er sollte nun, wie es sich gebührte, dieser glänzenden Umgebung
angepasst werden. Der Umbau begann im 18. Jahre des Herodes
(= 20/19 V. Chr. oder 734/35 a. U). Nachdem das Tempelhaus
vollendet war, wurde er vorläufig eingeweiht; doch wurde noch
lange Zeit darnach daran gebaut; und erst wenige Jahre vor
seiner Zerstörung, zur Zeit des Albinus (62 — 64 nach Chr.) wurde
er wirklich vollendet. Seine Pracht war sprichwörtlich. „Wer
nicht den Bau des Herodes gesehen hat, hat nie etwas Schönes
gesehen" lautete ein Sprichwort der damaligen Zeit^^)^ |
73) Ueber die Geschichte der Erbauung s. Antt. XV, 11. B. J. I, 21, 1. An
der ersteren Stelle giebt Josephus auch eine eingehende Beschreibung des
ganzen Tempelplatzes mit seinen prachtvollen Säulenhallen. (Ein Bruchstück
einer wahrscheinlich von Herodes' Bau stammenden Säule s. bei Clennont-
Ganneau, Arckaeological Researches in Palestine vol. I, 1899, p. 254 — 258). Die
inneren Vorhöfe und das eigentliche Tempelhaus sind am genauesten be-
schrieben Bell. Jud. V, 5. Mit dieser Beschreibung des Josephus stimmt im
Wesentlichen überein die in der Mischna im Tractat Middoth gegebene. Eine
ganz kurze Beschreibung s. bei Philo, De monarchia Hb. II § 2 [ed. Matu/ey
II, 223 sq.). — Das jüdisclie Sprichwort und andere rabbinische Traditionen
8. bei Dercnbourg p. 152 — 154. — Bei aller Pracht stand der Tempel doch
dem Palast des Herodes nach (B. J. I, 21, 1). — Ueber die Zeit der Erbauung
g. oben S. 369 f. Vollendung zur Zeit des Albinus: Antf. XX, 9. 7. — Ueber
die Muassregeln, mittelst deren man eine Störung dos Cultus wälirend des
Baues zu verhüten wusste, s. Edujoth VIII, 6: „R. Elieser sagte: Ich habe
gehört, das», als man den Tempel (^s'^n) baute, mau Vorhänge (C^^^P) um
den Tempel machte und Vorhänge um den Vorhof; und zwar baute man die
Mauer beim Tempel ausserhalb der Vorhänge, beim Vorhof aber innerhalb
der Vorhänge". — Während am Tempel gebaut wurde, soll es immer nur
Nachts geregnet haben {Jos. Antt. XV, 11, 7. Dcrcnboim/ p. 152 .sr?.). - Auf
Grund der von Josephus und im Tractat Middr)t/i gegebenen RcHclircibimg ist
der Tempel dcH Herodes in der neueren Literatur unzäliligcnuil bcluindelt
worden. Die wichtigste ältere Literatur verzeichnet Haneberg, Die religiösen
Altcrthümer der Bibel, 2. Aufl. 18Ö9, 8. 2(30—205. Zusammenfassende Dar-
stellungen geben die Artikel über den Tempel in Win er 's Realwörtcrb. (11,
678—591), Schonkera Bibellex. (V, 479—484) und Ilielnu's Handwörterb.
(8. 103Ö— 164Ö), «owie die Handbücher über die jüdisclien Altcrthümer von
De Wette, Keil, Haneberg und Andern (s. oben S. 11). Die Angaben
des Josephuf sind gut zuHaninHüigcHtellt bei Spiess, Das Jerusalem des Jo-
wfphus, 1881, S. 46-94; dazu Zeitschr. des DPV. XV, 1892, S. 234-250 (über
die königliche Halle). Vgl. auch die oben S. 387 genannte Abhandlung von
Hirt. Die DifTcrcnzen zwiHchen JosephuH und der Mischna untersucht:
Hildcshcimcr, Die Beschreibung des herodianlHchcn TompclH im Tractate
Middoth und bei Flaviu« JoHcphuM (JahroKbcricIit des HiilibiiicrScmiuarH für
dflj» orUiodoxc Judcnth. Berlin 1870/77). HpekiiJatioiirn üImt .lic Maassvcr-
[323. 324] § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). 393
Neben den Bauten gehörten zum Glänze der augusteischen
Zeit auch pomphafte Spiele. Auch in dieser Beziehung blieb
Herodes nicht hinter den Anforderungen der Zeit zurück. Nicht |
nur in dem vorwiegend heidnischen Cäsarea, sondern auch in
Jerusalem stiftete er vierjährige Kampfspiele '^). In den Augen
des gesetzlichen Judenthums waren diese heidnischen Schau-
stellungen mit ihrer Nichtachtung des Lebens von Menschen und
Thieren ein schweres Aergerniss, das nur unter dem Drucke der
äusseren Gewalt ertragen wurde '^). Der Kifer des Königs ging
aber soweit, dass er sogar die alten olympischen Spiele freigebig
unterstützte '6).
Wie unermüdlich und verschw^enderisch er auch sonst Cultur
und Luxus jeder Art pflegte, können wir aus gelegentlichen Mit-
theilungen des Josephus entnehmen. Sehr verdienstlich war die
Colonisirung der bisher nur von räuberischen Nomaden durch-
streiften Landschaften östlich vom See Genezareth''). Mit grossem
hältnisse stellt an: 0. Wolff, Der Tempel von Jerusalem und seine Maasse.
Graz 1887. — Für Entscheidung der topographischen Einzelfragen, nament-
lich in Betreff" des äusseren Tempelplatzes und seiner Thore ist auch eine
Kenntniss des heutigen Zustandes unerlässlich. Genaue Beschreibungen
desselben geben: De Vogiie, Le temple de Jerusalem, 18()4, und Schick, üeV^
cl Makdas oder der alte Tempelplatz zu Jerusalem, wie er jetzt ist, 1887 (wieder
abgedruckt in: Schick, Die Stiftshütte, der Tempel in Jerusalem und der
Tempelplatz der Jetztzeit, 1896). Eine Untersuchung des Alters der verschie-
denen ßestaudtheile der heutigen Umfassungsmauer s. bei Perrot et Cki-
piex, Histoire de V art dans l' antiquite t. IV, 1887, p. 17ü — 218. Werthvolle
Materialien zur Topographie des heutigen Tempelplatzes enthalten die Arbeiten
von Rosen, de Saulcy, der Band über ,, Jerusalem" in The Survey of Western
Palestine (1884) nebst den zugehörigen, im grössten Maassstabe ausgeführten
Plans, Elevations, Sections (1884). und überhaupt fast alle oben S. 13—17 an-
geführten Werke über die Topographie von Jerusalem. — Der gewöhnlichen
Ansicht, dass der heutige Umfang des Tempelplatzes sich mit dem von Herodes
hergestellten decke, widersprechen Fergusson, The temples of the Jeics and
the other buildinf/s in the Haram Area at Jerusalem, Landoti 1878, und Robert-
son Smith in seinem Artikel Temple in der Encyclopaedia Britannica t. XXIII,
1888, p. 168—171.
74) In Cäsarea: Aiitt. XVI, 5, ]. B. J. 1, 21, 8. In Jerusalem: Ätitt.XY,
8, 1. — Die Ausdrücke xatä nevxaixriQiöa {Antt. XVI, 5, 1), nevraexriQixol
äywvsg [B. J. I, 21, 8) und nav^yvgtg xfjq nevxaexTjglSog {Antt. XV, 8, 1) wollen
nicht besagen, dass die Spiele alle fünf Jahre, sondern dass sie alle vier Jahre
gefeiert wurden (nach unserer Ausdrucksweise). S. Bd. II, S. 38.
75) Ueber die Beurtheilung der Spiele von Seite des gesetzlichen Juden-
thums s. Bd. II, S. 45 f. und die dort genannte Literatur.
76) Antt. XVI, 5, 3. B. J. I. 21, 12.
77) Antt. XVI, 9, 2 (Ansiedelung von dreitausend Idumäem). Antt. XVII,
2, 1 — 3 (Ansiedelung einer Colonie babylonischer Juden \ Vgl. auch unten
§ 17a und 22, I (Bd. II, S. 13).
394 § lö. Herodes der Grosse (37—4 v, Chr.). [324. 325]
Luxus stattete er die Parkanlagen in seinem Palaste zu Jeru-
salem aus. Spaziergänge und Wasserkanäle durchzogen den Garten:
überall sah man Wasserbehälter mit ehernen Kunstwerken, durch
welche das Wasser ausströmte. In der Nähe derselben standen viele
Thürme mit gezähmten wilden Tauben 'S). Die Taubenzucht
scheint eine besondere Liebhaberei des Königs gewesen zu sein;
sie ist sogar die einzige Veranlassung, um derentwillen sein Name
in der Mischna erwähnt wird. „Herodianische Tauben" sind hier
so viel, wie Tauben, welche in der Gefangenschaft gehalten
werden'^). | Es scheint also, dass Herodes zuerst in Judäa wilde
Tauben in geschlossenen Behältern gehalten und gezüchtet hat.
Um in den Augen der griechisch-römischen Welt sich als Mann
von Bildung auszuweisen, umgab sich Herodes — der im Innern
seines Herzens stets ein Barbar blieb — mit einem Kreise grie-
chisch-gebildeter Männer. Die obersten Staatsämter waren griechischen
Rhetoren anvertraut; bei allen wichtigeren Angelegenheiten bediente
er sich ihres Rathes und ihrer Beihülfe. Der bedeutendste unter
ihnen war Nicolaus Damascenus, ein Mann von umfassender
Gelehrsamkeit, in Naturwissenschaften bewandert, mit Aristoteles
vertraut und als Geschichtsschreiber weitberühmt ^o) j^j. genoss
78) B. J. V, 4, 4: TtolXol . . . nvQyoi neXstüöwv rifiigoav (daselbst überhaupt
die Beschreibung des Parkes).
79) In der Mischna kommt der Name des Herodes nur an folgenden zwei
Stellen vor: Schabbath XXIV, 3: „Man darf am Sabbath den Bienen und Tau-
ben im Taubenschlag nicht Wasser vorsetzen, wohl aber den Gänsen und
Hühnern und herodianischen Tauben (niiDinn '^3l'>)". — Chidlin XII, 1 : Das
Gesetz Deut. 22, 6 — 7 (dass man aus einem Vogelnestc nur die Jungen aus-
nehmen dürfe, die Mutter aber fliegen lassen müsse) gilt nur von solchen
Vögeln, die im Freien nisten, z. B. Gänsen und Hülinern, aber nicht von solchen,
die im Hause nisten, z. B. herodianischen Tauben (nT^on-in '^l^^). — An beiden
Stellen sind „herodianisclie Tauben" so viel wie Tauben, die in Gefangenschaft
gehalten werden im Unterschiede von den frei herumfliegenden. Die Josephus-
»telle (J3. ./. V, 4, 4) zeigt uns, dass es sich um wilde Tauben {neXeiäösq), nicht
um Haus-Tauben {nfQiaxeQul] handelt. Die Lesart nT^onin [hachrc^ijoth) wird
Hchon im babylonischen Talmud zu ChuHtn XII, 1 neben der anderen crwülint,
ist aber siclier falsch. — Der .\rueh (das rabbinischc Lexikon des Nuthan ben
Jechicl) gii'bt ». v, yr^ folgende Erkhirung: „Der König Herodes Hess Taul)on
auM der Wüste kommen und zü(;htetc sie an bewohnter Stätte". Bei Lcctüre
dietter Stelle ist dem gclehrtcui Drusius das MissguHchick passirt, 9,tni% jonim
(Tauben) zu lesen jevanim (Ctrieclien), wornacth er die ''HQu)6iavol Mattk. 22, 10
erklärte als die Griechen, welche jder König Herodes aus d(T Wüste geholt
und an bewohnter Stätte gezüchtet hat. Vgl. Buxtorf, Lct. Cha/d. nol. »)3()
bii (532 («. p. "»OTin;. — Ueberhaupt: Winer's RWB., Sehen kcTs Bn)ellex.
un<I Kichnrs Handwftrterb. Artt. „Taube", Leyrer in Horzogn Rc.-il-Eiic.
Art. „Tauben in Pttlästlna" (2. Aufl. XV, 215-218). Lorcntz, Die Taube im
Alt43rthumc, Leipzig 1880.
80) Vgl. über ihn oben 8. 5U-67.
[325. 326] § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). 395
das unbedingte Vertrauen des Herodes und wurde von ihm mit
allen schwierigeren diplomatischen Missionen betraut. Neben ihm
stand sein Bruder Ptolemäus, gleichfalls ein vertrauter Freund
des Königs. Ein anderer Ptolemäus stand an der Spitze der
Finanzverwaltung und hatte den Siegelring des Königs ^^). Ferner |
finden wir in der nächsten Umgebung des Königs zwei Griechen
Andromachus und Gemellus, welch' Letzterer der Erzieher von
Herodes' Sohn Alexander war*^^). Endlich begegnet uns in den Ver-
handlungen nach Herodes' Tode ein griechischer Rhetor Iren aus'*').
Auch vornehme (j riechen weilten vorübergehend als Oäste am
Hofe des Königs; soder Koer Euaratus^^) und der übelberufene
Lacedämonier Eurykles, der nicht wenig dazu beitrug, das Zer-
würfniss des Herodes mit seinen Söhnen zu steigern ^5).
81) Dass am Hofe des Herodes zwei Männer Namens Ptolemäus zu
unterscheiden sind, erhellt mit Sicherheit aus den Vorgängen unmittelbar nach
seinem Tode. Damals stand Ptolemäus, der Bruder des Nicolaus Damascenus,
auf Seite des Antipas {Antt. XVII, 9, 4; Ä J. II, 2, 3), während gleichzeitig
ein anderer Ptolemäus die Interessen des Archelaus vertrat (Äntt. XVII, 8, 2
= B. J. I, 33, 8; Antt. XVII, 9, 3 u. 5 = B. J. II, 2, 1 u. 4). Durch letzteren
Hess Archelaus in Rom dem Kaiser die Rechnungen des Herodes und dessen
Siegelring überreichen {Äntt. XVII, 9, 5: Kalaag dsliQXi^Mov elanefxipavroQ . . . .
Tovq XoyiOfiovq rdiv'^Hgojdov XQrjudxtav avv tö» arjfiavz^Qi xofilt,ovTa TIxoXffialov,
B. J. II, 2, 4: kpx^^-f^og .... xov öaxxvXiov xov naxQOii xal xovg Xoyovg flantfi'
nee Sia TlxoXsfialov). Derselbe hatte bei Lebzeiten des Herodes dessen Siegel-
ring in Verwahrung und las bei seinem Tode das Testament vor [Antt. XVII,
8, 2 = J5. J. I, 33, 8). Identisch mit ihm ist wohl der dioixjjTJjg xmv xfiq
ßaaiXsiag ngayfiäxoDV [Antt. XVI, 7, 2—3) und der an der Parallelstelle hierzu
B. J. I, 24, 2 erwähnte. Vgl. auch Antt. XVI, 8, 5.
82) Antt. XVI, 8, 8.
83) Antt. XVII, 9, 4. B. J. II, 2, 3.
84) Euaratus (so ist Antt. XVI, 10, 2, Bell. Jud. I, 2ß, 5 zu lesen) ist
vielleicht identisch mit Pdioq ^lovXiog Evagäxov v\6g Evdgaxog, der in einer
Liste von Priestern des Apollo in Halasarna auf der Insel Kos um 12 vor
Chr. vorkommt (Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1901, S. 484, 488j.
Der Name Evdgaxog kehrt allerdings in dieser Liste öfters wieder und kommt
in Kos auch sonst vor [Paton and Ricks, Inseriptions of Cos, 1891, Index p. 371).
85) Antt. XVI, 10, 1. B. J. 1, 26, 1—4. — Eurykles wird von Josephus
als vornehmer Mann bezeichnet (Antt. l. c. ovx aarj/nog xwv ^xeZ). lieber seine
späteren Schicksale sagt Josephus A?itt. XVI, 10, 1 fin., dass er in Lacedämon
sein intrigantes Treiben fortgesetzt und darum wegen vieler Uebelthaten
schliesslich aus seinem Vaterlande verbannt Avorden sei. Im Bell. Jud. I, 2(j,
4 heisst es genauer, dass er zweimal beim Kaiser verklagt worden sei, weil er
ganz Achaia in Aufruhr brachte und die Städte plünderte {inl xö) axdasatq
i(i7iXfjaai XTjv kxcciav xal negiöveiv xag noXsig), und darum verbannt worden
sei. Er ist also wohl identisch mit jenem Eurykles, welcher nach Strabo
die Lacedämonier „in Unruhe versetzte, indem er meinte, die Freundschaft
des Kaisers über das Maass zu ihrer Beherrschung missbrauchen zu dürfen;
396 § 15- Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [326]
Mit dem Judenthum des Herodes war es nach alledem sehr
schwach bestellt. Sein Ehrgeiz ging darauf, Bildung und Cultur
zu fördern. Eine andere Bildung als die hellenistische hat aber die
damalige Welt kaum gekannt. So hat er auch für seine Person
unter Leitung des Nicolaus Damascenus in die Philosophie, Rhe-
torik und Geschichtsschreibung der Griechen sich einführen lassen,
und sich gerühmt, den Hellenen näher zu stehen, als den
Juden ^<^). Die Cultur aber, die er über sein Land auszubreiten sich
bemühte, war im Wesentlichen die heidnisch-griechische. Selbst
heidnische Tempel hat er in den nicht-jüdischen Städten seines
Reiches errichtet. — Unter diesen Umständen ist es von Inter-
esse zu beobachten, welche Stellung zum Gesetz und zu den
nationalen Anschauungen seines Volkes er einnahm. Die phari-
säisch-nationale Richtung war, besonders seit der Reaction unter
Alexandra, zu einer so starken Macht herangewachsen und im
Volke so fest gewurzelt, dass Herodes unmöglich an eine gewalt-
same Hellenisirung im Stile des Antiochus Epiphanes denken konnte.
Er war klug genug, in vielen Punkten die Anschauungen der
»eine Herrschaft hörte aber bald auf, indem jener (Augustus) starb und sein
Sohn (Tiberius) von dieser ganzen Freundschaft sich abwandte" (Strabo VIIT,
5, 5 p. 306: vewazl d' EvQvxXtjg avtovq irdga^s öö^ag dnoxQVf^aai^ai ry h'al-
auQoq (piXiic nsga xov fiergiov uqoq zt/v iniataaiav avzwv, inavaazo (J* t} UQxh
zaytwg, ixflvov fxhv 7iaQax(ü(itjoavzog tig xb ;u()ffüv, xov rf* xAov zfjv ipiklav
untaxQaßuhov zrjv xotavzTjv nüaav, die richtige Erklärung der öfters miss-
verstandenen Stelle hat Diüoibei-f/er, Syllofie inscr. gr. ml n. 300 gegeben; die
Alleinherrschaft des Eurykles in Sparta fällt hiernach in die letzten Jahre
des Augustus). Au einer andern Stelle nennt ihn Strabo (VTII, 5, 1 p. 3ü3)
0 xwv Aaxeöttifxovlwv riytfiwv. Auch auf Münzen erscheint sein Name wie
der eines Fürsten. Seinen vollen Namen C. Julius Euryklos giebt die In-
Rchrift Dittenber;/er, Syllogc ed. 2 n. 360; vgl. auch 31)1. 3ö2. In Korinth erbaute
er ein Bad, in Sparta ein Gymnasium {Patisaii. JI, 3, 5. III, 14, (5). Spiele,
die von ihm oder ihm zu Eliren gestiftet waren, wurden no(;h später gefeiert
(Corp. Inscr. Or. n. 1239, 20. n. 124Ü, 32. n. 1378, .ö: Kaiaägna xal Ki\nxkeia,
n, 1425, 5: z& ßeyäXa Kv{>vxXhu). Vgl. über iiin überhaupt: Weil, Mitthcil-
ungeu des archäol. Instituts in Athen VI, 1881, S. 10 If. Dessau, /Vüäojuo^/'.
imjierii Uomani II, 189 {.luiius n. 19H).
8«}) Antt. XIX, 7, 'A'."E}.XTiai nXfov ij lovSaloig olxflwg fxf'^- --Heber die
humHiiiHtiHclicn Studien, die Herodes unter Anleitung des Nicolaus DniuiiscenuH
inncht<!, H. NirotnuH DmndsrvniiH bei Müller, Frai/m. 1li'<t. (iiave. \\\,'Mi^) sq.:
'H(i<;fö^g naXtv AmtitUtlg xhv (piXooo^lug fptuT« , inti^vftTjoe nuXtv ^tjxo-
fix^^, xal TiiMoXaov T/vctyxagf avQ{trizoQeveiv avzal, xal xoivi^ iQQyizÖQivov.
AiUii rf* laroplag avtov [^pmg] iXaßhv, ^naiviaarTog NixoXäov zo n{)&yfm xal
nitXixtxutxttzov ilvai Xfyovzoi, XQf'i<'iMov rfJ- xal ßamXfl, wg zä zt5v nQoxfQ(Dv
((tya xal niffi^nQ taropolij. -- — 'lix xovzov nXiwv tlg Pw/aiy lOQ Kataaim
'llini]Atj<i inf,ytxo x6v NixoXuov ö/uoC inl t^/C aviJ}« >''/«''V xal xoivi^ lipiXo-
oöipow.
[32(J. 327] § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). 397
pharisäischen | Partei zu respectiren. So ist es vor allem be-
merkenswerth, dass seine Münzen kein Menschenbildniss tragen,
sondern nur unschuldige Symbole, ähnlich denjenigen der Makka-
bäermünzen; höchstens eine, vielleicht der letzten Zeit des Herodes
angehörige Münze hat das Bild eines Adlers^''). Beim Tempelbau
war er ängstlich bemüht, alles Anstössige zu vermeiden. Das
eigentliche Tempelhaus Hess er nur von Priestern bauen, und er
selbst wagte es nicht, den Innern Tempelraum zu betreten, zu
welchem der Zutritt nur den Priestern gestattet war^'*). Auf
keinem der vielen Prachtgebäude in Jerusalem waren Bilder an-
gebracht. Und als das Volk einst die kaiserlichen Siegestropäen,
die im Theater zu Jerusalem aufgestellt wurden, mit Misstrauen
aufnahm, indem es dieselben für Statuen hielt, die mit \\'aäen be-
kleidet seien, liess Herodes in Gegenwart der angesehensten
Männer die Tropäen abnehmen und zeigte ihnen zu allgemeiner
Heiterkeit die leeren Holzgerüste ^'^j. Als der Araber Sylläus
sich um die Hand von Herodes' Schwester Salome bewarb, wurde
von ihm verlangt, dass er die jüdischen Gebräuche annehme {eyyQa-
(pTjvai Tolg xmv 'lovöaimv iO^toi), woran dann die Heirath scheiterte ^^).
Einige der angesehensten Pharisäer, unter welchen besonders Polio
und Sameas genannt werden, hielt Herodes sogar in hohen Ehren
87) Ueber die Münzen des Herodes s. Eckhel III, 483—486. Mionnet
V, 565. Cavedoni, Bibl. Numismatik I, 52 f. 54— .07. De Sauley, Recherches
sur la Numismatique judmqve p. 127 — 133. Cavedoni, Bibl. Numism. II,
25 — 31. Levy, Gesch. der jüd. Münzen S. 67 — 72. Madden, History of Je-
wish Coinage p. 81—91. Cavedoni in Grote's Munzstudien V, 21 — 25. De
Sauley, Numismatic ChronielelSll, p. 245 — 247. Madden, Num, Chron. 1875,
p. 43—45. Madden, Coins of the Je/es p. 105 — 114. — Die Münzen haben die
einfache Aufschrift BASIAESiS HPS2J0Y und verschiedene Embleme; einige
die Jalireszahl III (L F). Die Jalireszahl 15 (EI), welche von einigen Nurais-
matikern angegeben wird, beruht wahrscheinlich auf falscher Lesung (s. Madden,
Histot-y p. 86 sq. Coins p. 109 not.). Ein Porträt findet sich auf keiner der-
selben; dagegen ist es wahrscheinlich, dass eine kleine Kupfermünze mit einem
Adler, welche in verschiedenen Exemplaren zu Jerusalem gefunden wurde,
Herodes dem Grossen angehört, nicht dem Herodes von Chalcis, der nie in
Jerusalem regiert hat (s. de Sauley, Recherches p. 131, Wieseler, Beiträge zur
richtigen Würdigung der Evangelien S. 86—88, Madden, Coins p. 114; für He-
rodes von Chalcis: Cavedoni II, 35, Levy S. 82, und Madden früher, Histon/
p. 111 — 113). Reinach nimmt an, dass sie in die letzte Zeit des Herodes ge-
höre, wo er die jüdischen Gefühle weniger geschont habe als früher (Reinach,
Les monnaies juives 1887, p. 32 = Actes et Conferences de la Societe des etudes
juives [Beilage zur Rcvtte des etudes juives] 1887, p. CXCVIII).
88) Antt. XV, 11, 5—6.
89) AntL XV, 8, 1-2.
90) Antt. XVI, 7, 6.
398 § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [327. 328]
und I Hess ihnen selbst die Verweigerimg des Unterthaneneides un-
gestraft hingehen ^ ').
Aber freilich eine strenge Beachtung pharisäischer Anschau-
ungen war bei seinen Culturbestrebungen nicht möglich und lag
auch nicht in seiner Absicht. Zuweilen hob er, was er mit der
einen Hand gegeben hatte, mit der andern wieder auf. Nachdem
er beim Tempelbau ängstlich den pharisäischen Forderungen genügt
hatte, Hess er schliesslich wie zum Spott einen Adler über dem
Tempelthore anbringen ^-l Theater und Amphitheater waren
an sich schon heidnische Gräuel. Die griechische Umgebung des
Königs, die Verwaltung der Staatsgeschäfte durch Männer grie-
chischer Bildung, die Entfaltung heidnischen Glanzes mitten im
heiligen Lande, die Beförderung hellenistischer Culte an den
Grenzen Judäa's, im eigenen Lande des Königs, dies alles wog jene
Concessionen an den Pharisäismus reichlich wieder auf und verlieh
trotz derselben der Regierung des Herodes einen mehr heidnischen
als jüdischen Charakter. Das Synedrium, das nach der An-
schauung des Volkes die einzige zu Eecht bestehende Behörde war,
verlor unter Herodes alle Bedeutung, so dass man selbst an seiner
Existenz gezweifelt hat ^3). Die Hohenpriester, die er nach
Gutdünken ab- und einsetzte, waren seine Oreaturen und überdies
zum Theil Alexandriner, also von der Cultur beleckt und darum
den Pharisäern anstössig^^. Die Behandlung des Hohenpriester-
thums ist geradezu typisch für die innere Politik des Königs. Wie
er einerseits den alten sadducäischen Adel wegen seiner liasmo-
näischen Gesinnung mit rücksichtsloser Roheit bei Seite gestossen
hat (s. oben S. 378), so hat er doch andrerseits auch die Phari-
säer nichts weniger als zufriedengestellt. Deren Ideale gingen
weit über die Concessionen des Königs hinaus, und die pharisäischen
Freundschaften waren nur Ausnahmen •'•^). ^
Bedenkt man, dass zu dieser Missaclitung der Anschauungen
und der wirklichen oder vermeintlichen Rechte des Volkes noch
der Druck schwerer Steuern kam, so ist es begreiflich, dass
seine Herrschaft nur mit Murren ertragen wurde. Aller
91) Ann. XV, 1, 1. 10, 4.
02) Antt. XVII, 0, 2. 7?. J. I, 33, 2.
93) Doch darf dicHcIbe nU sicher nagenommen wtirden. S. Bd. II, S. 194 f.
04) Vgl. über die Hohonpriostcr: Studien uikI Kritiken, 1872, 8. 698—600;
und unten § 23, IV (Bd. II, 8. 210 f.).
05) Wellhaunen, Die Phuriuäer und die ÖiKiducii.r S. U);'— 10!), Imt zwiir
mit llficht hervorgehoben, dnSH die PhariHäor noeli ciicr mii lIcnMleH ziifrieden
«ein koniit«o alH die BaddueUcr. Aber er hat dienen rielitigen (iidiinkin (l<i< li
SU Rtark turcentuirt.
[328. 329] § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). 399
äussere ] Glanz konnte dem Volke nur zuwider sein, solange er
durch Bedrückung der Bürger und mit Hintansetzung der väter-
lichen Satzungen gewonnen war. Die meisten Pharisäer er-
kannten die Regierung des römischen Vasallenkönigs überhaupt
nicht als zu Recht bestehend an und verweigerten zweimal
den Eid der Treue, den Herodes zuerst für sich und dann auch
für den Kaiser forderte ^<^). Die allgemeine Missstimmung machte
96) Die beiden Fälle der Eid Verweigerung, welche Antt. XV, 10, 4 und
XVII, 2, 4 berichtet werden, scheinen verschiedene zu sein. An der ersteren
Stelle heisst es, dass Herodes seine Feinde auf alle Weise verfolgt habe; „das
übrige Volk aber erlaubte er sich mittelst Eides zur Treue anzuhalten und
zwang es, ihm eidlich zu geloben, während seiner Regierung die Ergebenheit
zu bewahren" (Antt. XV, 10, 4: to cJ' äkXo nkrj^oq ogxotg tj^Iov ngbq xtjv
nlaxtv vnuyea&ai, xccl avvijväyxa^ev ivw/nozov avxw t//v evvoiav ij /a^v öta-
(pvXd^eiv inl XTjq aQX^iQ o/ioloyslv). Es handelte sich also um einen Eid der
Treue für den König. Die Pharisäer, welche ihn verweigerten, gingen ans
Rücksicht auf Polio und Sameas straflos aus; desgleichen die Essäer; die
andern Eidverweigerer wurden bestraft. An der anderen Stelle wird berichtet,
dass, als das ganze jüdische Volk dem Kaiser und dem König eidlich Ergeben-
heit gelobte, mehr als 6000 Pharisäer nicht schwuren {Antt. XVII, 2, 4: navxog
yovv xov 'lovSaixov ßfßaiwaavxoq 6i opxwv r] fitjv sivofjaai Kaiaagi xal xoZq
ßuailttoq TiQäyfxaat, o'iös ot avdgsq ovx wfioaav, ovxeq vnhg k^axia^iXioi). Hier
scheint der Eid für den Kaiser die Hauptsache gewesen zu sein. Die sich
weigernden Pharisäer wurden mit einer Geldstrafe belegt, welche die Gattin
des Pheroras bezahlte. — Die letztere Stelle ist meines Wissens der älteste
Beleg dafür, dass in der Kaiserzeit nicht nur Soldaten und Be-
amte, sondern auch das Volk in Italien und in den Provinzen dem
Kaiser den Eid der Treue zu leisten hatte. Nur wenige Jahre jünger
ist der erst im J. 19C0 entdeckte Eid der Paphlagonier für Augustus. Weitere
Belege haben wir aus der Zeit des Tiberius, Caligula und Trajan. 1) Der Eid
der Paphlagonier für Augustus, dessen Wortlaut durch eine von Cumont
im J. 1900 entdeckte Inschrift erhalten ist, ist datirt vom 12. Consulate des
Augustus, 5—3 vor Chr., und vom 3. Jahre der Provinz (exovg xqIxov, da
Paphlagonien im Herbst 6 vor Chr. Provinz wurde, ist das Datum = 43
vor Clir., s. Revue des etudes f/reeqves 1901 p. 37). Die Einwohner haben ihn
also wenige Jahre, nachdem Paphlagonien Provinz geworden war, geleistet.
Die Eidesformel zeigt nahe Verwandtschaft mit den in den asiatischen Mon-
archien üblichen; der römische Kaiser ist auch in dieser Hinsicht der Nach-
folger der einheimischen Herrscher (s. Cumont, Comptes rendns de l'Acad. des
Inscr. et Belles-Lettres 1900, p. 087—691, Bezne des etudes f/recqiies 1901, p. 26—45).
2) Beim Regierungsantritt des Tiberius schwuren zuerst die obersten Be-
amten in verba Tiberii Caesaris, sodann senatus milesque et populus {Tac,
Annal. I, 7). In Betreff der Provinzen vgl. Tac. Annal. I, 34: Oermanicus
.... Sequauos, proximas et Belgarum civitates in verba ejus [Tiberii] advjit.
3) Beim Regierungsantritt des Caligula wurde alsbald allen Provinzialen der
Eid der Treue gegen den neuen Kaiser abgenommen. In Palästina geschah
es durch den syrischen Statthalter Vitellius, der eben in Jerusalem anwesend
war, als die Nachricht vom Tode des Tiberius eintraf [Joseph. Antt. XVIII, 5, 3:
wQxiae XTjv nkrjS^vv in svvoia xy Faiov). Denselben Eifer entfaltete man
400 § 15. Herodes der Grosse (37-4 v. Chr.). [329. 330]
sich auch ein mal, noch in der früheren Zeit seiner Regierung (uui
das J. 25?), in einer Verschwörung Luft. Zehn Bürger ver-
schworen sich, den König im Theater zu ermorden. Ihr Plan
schlug freilich fehl, da er vorher verrathen wurde. Als sie eben
zur That schreiten wollten, wurden sie ergriffen, vor Herodes ge-
führt und sofort zum Tode verurtheilt^^).
Um das widerspenstige Volk im Zaume zu halten, griff Herodes
seinerseits zu Mitteln der Grewalt; und so wurde seine Regierung
je länger desto mehr despotisch. Die Festungen, die er theils
neu gründete, theils stärker befestigte, dienten nicht nur zum
Schutze gegen äussere Feinde, sondern ebenso zur Niederhaltung
des eigenen Volkes. Die wichtigsten waren Herodeion, Alexan-
dreion, Hyrkania, Machärus, Masada, wozu noch die Militär-
colonien zu Gaba in Galiläa und Esbon in Peräa kamen (vgl.
oben S. 390 f.). Besonders nach Hyrkania wurden viele politische
Verbrecher transportirt, um dort auf immer zu verschwinden ^'^). —
Als Stütze seiner Regierung gegen innere wie äussere Feinde hatte
Herodes ein zuverlässiges Söldnerheer, in welchem sich zahl-
reiche Thracier, Germanen und Gallier befanden ^^). — Kndlich
abersuchteerdurchstrengePolizeimaassregeln jeden Aufstands-
versuch im Keime zu ersticken. Alles müssige Einherschlendern
gleichzeitig in ßoeotien (Inschrift von Akraephia, Corp. Insor. Or. Qraeoiae
Septentrion. I n. 2711) und im fernen Spanien. Die Formel des Eides, welchen
am 11. Mai 37 n. Chr., also kaum zwei Monate nach dem Tode des Tiberius,
die Bürger des Städtchen.'* Aritium in Lusitanien dem Caligula geschworen
haben, ist uns durch eine eherne Tafel noch erhalten {Corp, Inscr. Lut. t. II
n. 172, dazu Mommsen's Erläuterungen in: Epheineris epvir. t. V p. 154—158).
Im Wesentlichen übereinstimmend mit dieser lateinischen Eidesformel ist der
griechische Eid der Bürger von Assus in Troas für Caligula, welcher durch
eine i. J. 1881 daselbst gefundene Erztafel bekannt geworden ist. Auch er
trägt noch das Datum der Consuln der ersten Hälfte des Jahres 37. Der Kern
dieser griechischen Formel lautet: 'O/AW/aev .... evvoi^asiv Fakp lialaagi
SeßaaTtfi xal r<» ovfinavrc ol'xw avrov, xal iplkovq xe xglveiv, ovg av avrog
nQoaiQfjZtti, xal iyßQOVQ ovq uv avtnq nQo[iäXXr}xai {Epliemcris cpvjraphica V,
164 — 168). 4) Für die Zeit Trajan's erfahren wir gelegentlich durch Plinius,
das« damals die Provinzialen alljährlich am Tage des Regierungsantritts des
Kaisera dlesüm den Eid der Treue erneuerten [Plin. epist. ad Trojan. 52 [«/. ÜO];
dient f domine, quo aervanti imperium, dum suscipia, quanta mereris lactUia
cMtravimuH .... praeivimua et PommilUonibuH jus jurandum moir so/lrtmn,
eadem provincialihus cerlante pietalc jurantihus. Ihvl. 103 \nl. 104] Traümus
PHnno'. Digm imperii mei debita laetitia ot rrlnjümr nimmi/ilonihus et prnrin-
eialibui praeeunte te celebratum Mtenter coi/novi lilir.ri» tuU). — Vgl. über-
haupt MommHen, Itöm. Staatsrecht 3. Aufl. II, 703.
Ö7) Äutt. XV, 8, 3-4.
Ü8) Amt. XV, 10, 4
00) Autt. XVn, V, :; /; ./. |, :;!, ♦).
[330. 331] § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). 401
auf den Strassen, alle Zusammenkünfte, ja selbst das Zusammen-
gehen auf den Strassen war untersagt. Und wo etwa dawider ge-
handelt wurde, erhielt der König sofort durch geheime Spione davon
Nachricht. Ja er soll zuweilen in höchst eigener Person das Ge-
schäft des Spionirens übernommen haben "^'').
Um gerecht zu sein, muss aber doch anerkannt werden, dass
seine Regierung auch ihre guten Seiten hatte. Unter den Bauten
waren gar manche nützliche. Man denke nur an den Hafen von
Cäsarea. Durch seine starke Hand wurden geordnete Zustände | gc-
schaifen, unter deren Schutz Handel und Wandel gedeihen konnten.
Auch machte er wenigstens zuweilen Versuche, durch Beweise von
Grossmuth seine Unterthanen zu gewinnen. So erliess er einmal,
im J. 20, ein Drittel der Abgaben 'O'), ein andermal, im .T. 14, ein
Viertel derselben "^2). Geradezu bewundernswerth war die Energie,
mit welcher er der grossen Hungersnoth, welche im Jahre 25 über
das Land hereinbrach, zu steuern suchte. Selbst sein eigen Tafel-
geschirr soll er damals in die Münze geschickt haben '^^).
Aber das Volk hatte für dergleichen Wohlthaten angesichts
der sonstigen Uebel nur ein sehr schwaches Gedächtniss. Und so
war seine Regierung im Grossen und Ganzen zwar glänzend, aber
nicht glücklich.
Der Glanzpunkt seiner Regierung war die äussere Politik;
in dieser Beziehung hat er unläugbar Grosses geleistet. Er wusste
sich das Vertrauen des Augustus in solchem Maasse zu erwerben,
dass ihm durch kaiserliche Gunst der Umfang seines Landes etwa
verdoppelt wurde.
Es ist hier der Ort. die staatsrechtliche Stellung eines
rex so eins im damaligen römischen Reiche in ihren wesentlichsten
Punkten zu charakterisiren '<**). Die Abhängigkeit, in welcher alle
Könige diesseits des Kuphrat von der römischen Macht standen,
kam vor allem darin zum Ausdruck, dass keiner die königliche Ge-
walt ausüben und den Kfinigstitel führen durfte, ohne ausdrück-
liche Genehmigung des Kaisers (mit oder ohne Bestätigung durch
100) Äntt. XV, 10, 4.
101) Antt. XV, 10, 4.
102) Äntt. XVI, 2, 5.
103) Äntt. XV, 9, 1-2.
104) Vgl. darüber: Kuhn, Die städtische und bürgerliche Verfassung des
römischen Reichs Bd. II, 1865, S. 21—33. Bohn, Qua condicione juris reges
socii populi Romani fuerint, Berolini [1877]. Mommsen, Rönaisches Staats-
recht III, 1, 1887, S. 645—715. — Die Schrift von W. T. Arnold, Roman
System of provincial administration, London 1879 (citirt von Marquardt, Rom.
Staatsverwaltung I, 2. Aufl. S. 500), war mir nicht zugänglich.
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 26
402 § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [331. 332]
deu Senat) ^^^). Der Titel wurde in der Eegel nur solchen Fürsten
zugestanden, die ein Gebiet von etwas grösserem Umfang be-
herrschten; die kleineren mussten sich mit dem Titel eines Tetrarchen
oder ähnlichen begnügen. Die Verleihung galt nur der
Person des jeweiligen Inhabers und erlosch mit dessen
Tode von selbst. Erbliche Monarchien hat es im Bereiche der
römischen Machtsphäre überhaupt nicht gegeben. Auch der vom
Vater zum Nachfolger eingesetzte Sohn durfte sein Eegiment erst
dann antreten, wenn er vom Kaiser bestätigt war. Diese Bestä-|
tigung wurde, wenn Gründe dazu vorhanden waren, versagt, und
es wurde dann das väterliche Gebiet entweder dem Sohne nur in
verkleinertem Umfange und mit geringerem Titel verliehen, oder
einem Andern gegeben oder auch unter unmittelbare römische Ver-
waltung genommen (zur Provinz geschlagen). Dies alles lehrt ge-
rade die Geschichte der herodianischen Dynastie, wird aber auch
durch alle übrigen Nachrichten bestätigt. — Der Titel socius et
amicus popnli Romani {(piXoq xal ovififiaxog Pofiaicov) scheint als
besondere Auszeichnung nur Einzelnen verliehen worden zu sein,
so dass nicht alle, welche thatsächlich diese Stellung einnahmen,
auch formell diesen Titel führen durften ^^o) Der Besitz des rö-
mischen Bürgerrechtes ist zwar nur für wenige ausdrücklich
bezeugt, aber bei allen als wahrscheinlich anzunehmen. Die Familie
des Herodes besass es bereits durch Antipater, den Vater des He-
rodes'®'). Seit Caligula wurden auch senatorische Ehrenrechte
(prätorischer und consularischer Eang) zuweilen an ver-
bündete Könige verliehen i"^). — Beschränkt war ihre Gewalt
105) Herodes hatte sein Königthum öooei KalaagoQ xal ööyßaxi ^Poifialwv,
Antt. XV, 6, 7.
106) Auch bei Herodes, welcher Antt. XVII, 9, 6 tflXoq xal ovfi/uaxoQ heisst,
bezweifelt Bohn p. 14 not. 29, ob ihm der Titel officiell zukam. Aber die
av/i/iaxia des Königs Agrippa I (des Enkel» des Herodes) mit dem römischen
Benato und Volke zur Zeit des Kaisers C'laudiua ist durch eine Münze bezeugt
{Madden, Coins of thc Jctcs p. 13i5 sq.; vgl. unten § 18). Da dessen Macht-
Htellung sicher keine grössere war, als die seines Grossvaters, so wird auch
letzterer officiell als av/n/iaxog der Römer anerkannt gewesen sein. Selbst in
Bezug auf Hyrkau II, der von Caesar doch nur zum i&vd(>XT]g eingesetzt wurde,
beiüMt es in desHcu Ernennungsdecret Antt. XiV, 10, 2: slval rt avrov xal
Tovi natöat avtoü av/ifidxovg tj/jiIv. — Ueber den Titel aviicus populi lio-
niani s. Pauly-WisHowa'H Ileal-Enc. I, 1832 f. Ferrenbach, Die amici pojin/i
lOnnani republicanischer Zeit, tjtraasburg, Diss. 1805.
107) Antt. XIV, H, 3. B. J. I, 9, 5.
108) AKripi)a I erhielt zuerst prätorischen Rang {Philo in Flacc. § 6,
Mang. II, r>23), sptttcr <!ouHulariBclien (Dio Cnsg. LX, 8); Horodes von Chalcis
prItoriMcbcn {Dia Qua. Und.), Agrippa II ebenfalls pr&toriBohen (/>/o Cos«.
LXVI, 16). — Die Verleihung senatoriHcher Ehrenreehte {omamenta, tt/iat) an
[332. 333] § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). 403
iianientlich in folgenden Punkten. 1) Sie durften weder Bündnisse
mit anderen Staaten abschliessen, noch selbständig Krieg führen,
also überhaupt Hoheitsrechte nur innerhalb der Grenzen ihres
eigenen Landes ausüben. 2) Sie hatten das Kecht der Münz-
prägung nur in beschränktem Umfange. Die Prägung von Gold-
münzen scheint fast allen verboten gewesen zu sein; manchen auch
die Prägung von Silbermünzen. Zu den letzteren gehörten Hero-
des und seine Nachfolger; wenigstens sind uns von sämmtlichen
herodianischen Fürsten nur Kupfermünzen erhalten. Diese That-
sache ist besonders lehrreich, da sie uns zeigt, dass Herodes keines-
wegs, wie es nach manchen Wendungen bei Josephus scheinen
könnte, zu den bevorzugtesten unter diesen Königen gehörte '*'^).
3) Eine wesentliche | Verpflichtung war die Stellung von Hülfs-
truppen im Falle eines Krieges, sowie die Sicherung der Reichs-
grenze gegen auswärtige Feinde. Auch Leistungen in Geld wurden
bei besonderen Veranlassungen wohl verlangt. Ein regelmässiger
Tribut scheint aber während der früheren Kaiserzeit von den
Königen nicht erhoben worden zu sein. Nur von Antonius ist es
bezeugt, dass er Könige einsetzte exl (pogoiq rsrayfiiifoig. Auch
später ist Aehnliches wieder vorgekommen. Eine feste Regel
scheint es aber nicht gegeben zu haben. Dass Herodes unter
Augustus einen Tribut gezahlt hat, ist nach allem, was wir wissen,
nicht wahrscheinlich*'"'). — Die Hoheitsrechte, welche den ab-
Nicht- Senatoren ist zuerst unter Tiberius vorgekommen (Moramsen, Rom.
Staatsrecht 1. Aufl. I, 375 f.). Es handelt sich dabei lediglich um das Recht,
bei öffentlichen Gelegenheiten unter den Senatoren Platz nehmen und mit
den Insignien der betreuenden Beamtenclasse auftreten zu dürfen (Mommsen
a. a. O. I, 373 f. 377 f.).
109) Vgl. über das Münzrecht der reges socii: Mommsen, Geschichte des
römischen Münzwesens, 1800, S. 661 — 736. Ders., Römisches Staatsrecht III, 1,
S. 709 — 714. Bahn, Qua condicione juris etc. p. 42 — 49.
110) Ueber das Verfahren des Antonius s. Appian. Civ. V, 75. Aus der
späteren Kaiserzeit ist zu erwähnen, dass zur Zeit Lucian's der König Eupato r
von Bosporus einen jährlichen Tribut an den Statthalter von Bithynien zahlte
{Lucian. Alexander c. 57: ev&a iyih naganXeovraq ftptbv Boanogiavoig rivag
TiQsaßfiq nag' EvndroQog xov ßaaiXicog ig zfjv Bi&vviav dniövxag inl xofitäy
TTJg insreiov owrä^ecog). Ueber Herodes und seine Nachkommen s. Näheres
unten in dem Excurs über die Schätzung des Quirinius (§ 17, Anhang I).
Für die Annahme, dass die reges socii einen regelmässigen Tribut entrichten
mussten, ist besonders Huschke eingetreten (Ueber den zur Zeit der Geburt
Jesu Christi gehaltenen Census, 1840, S. 99 — 116). Ihm folgt Marquardt,
Römische Staatsverwaltung I, 1881, S. 405 — 408 (in Betreft" Judäa's). Dagegen:
Bahn, Qiia condicione juris etc. p. 55— 64. — Mommsen, Staatsrecht III, 1, 683
beschränkt sich auf die Bemerkung, dass die abhängigen Fürstenthümer „schon
unter der Republik" feste Jahrtribute zahlten; erkennt aber an, dass „nach
der älteren römischen Auffassung" das Bundesgenossenrecht die Geldleistung
26*
404 § 15. Herodea der Grosse (37—4 v. Chr.). [333. 334]
hängigen Königen belassen wurden, umfassten, unter den ange-
gebenen Einschränkungen, die gesammte innere Verwaltung und
Eechtspflege. Sie hatten unbeschränkte Gewalt über Leben und
Tod ihrer Unterthanen. Ihr gesammtes Gebiet wurde überhaupt
nicht als zur Provinz gehörig betrachtet. Sie konnten an ihrer
Landesgrenze Zölle nach Belieben erheben und die Steuerverwal-
tung selbständig ordnen. Auch ihr Militär stand unter ihrem
eigenen Befehl und wurde von ihnen selbst organisirt.
Die hierdurch angewiesene Stellung, welche dem Eifer des
Einzelnen hinreichenden Spielraum Hess, hat Herodes nach allen
Kräften ausgebeutet. Er benützte, wie auch Andere zu thun pflegten,
jede Gelegenheit, sich dem Kaiser vorzustellen und ihm seine Er-
gebenheit zu beweisen'*'). Schon im J. 30 hatte er mehrmals den
Augustus aufgesucht *' 2). Zehn Jahre später, im J. 20, kam Augustus
wieder nach Syrien, und Herodes versäumte nicht, ihm abermals
seine Aufwartung zu machen'*^). Im J. 18 oder 17 holte Herodes
seine beiden Söhne, Alexander und Aristobul, die in Rom zur Er-
ziehung waren, von dort ab und wurde bei dieser Gelegenheit
auch vom Kaiser huldvoll empfangen **^). Und später war er noch
zweimal [ bei Augustus (in den Jahren 12 und 10,9 v. Chr.)""^).
Auch mit Agrippa, dem vertrauten Freunde und Schwiegersohn
des Augustus, stand Herodes in freundschaftlichem Verhältniss
und Verkehr. Während Agrippa in Mytilene verweilte (23—21 v.
Chr.), empfing er dort den Besuch des Herodes*"^). Im J. 15 kam
Agrippa selbst nach Judäa und opferte im Tempel zu Jerusalem
eine Hekatombe. Das Volk war über den judenfreundlichen Römer
80 entzückt, dass es ihn unter Segenswünschen bis zum Schiff ge-
leitete, ihm Blumen streuend und seine Frömmigkeit bewundernd "').
ausBchliesBt (S. 681), und daas aiuh später die Tributzahlung der Bundesge-
noBHcn „weniger durch allgemeine Regelung, als durch Festsetzung von Fall
zu Fall" herbeigeführt wurde (S. 683).
111) Vgl. Sudan. Aug. 60: Ifeffes amici cUque aocii .... saepe regnis re-
lielis, mm lütmae modo sed et provincias pcraf/ranti cotidiana officm foffati ac
sine regio inaigni, morc clieniitim praestitcrwit.
112) 8. oben 8. 3S4 f.
113) Anlt. XV, 10, 3. — Nach Judäa scheint Augustus nicht gekoninion
m sein.
114) Amt. XVI, 1, L'.
llß) Amt. XVI, 4, 1-6 uuil n, 1. Vgl. oben 8. 371 ff.
116) Amt. XV. 10, 2.
117) Amt. XVI, 2. 1. Philo, Legat, ad Cajum g 37 {ed. Mang. II, 589):
n*<pri/irj^tl<; ßvQla na(ftnift^^ ßixQ^ hfilvtav, ovx vnft fiiäQ ndXfwg, aXX' vnt)
xFiq x*"C«5 anuaijq, «pvXXoßoXovfitvvi; xt xnl l>itvfin^6fitvo<i i-n* tvotßt/n. — In
Betreff der Hekatombe Tgl. Bd. II, 8. 302 (dagelbst 8. 300-305 überhaupt über
[334. 335] § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). 405
Im folgenden 'Frühjahr (14 v. Chr.) erwiederte Herodes den Besuch
des Agrippa; und da er wusste, dass Agrippa einen Zug nach der
Krimm beabsichtigte, brachte er sogar eine Flotte mit, um ihm
Beistand zu leisten. In Sinope traf er seinen hohen Freund und
durchzog dann mit ihm, nachdem die kriegerische Angelegenheit
erledigt war, einen grossen Theil von Kleinasien, überall Gaben
spendend und Bittgesuche erledigend ""*). — Die Beziehungen zu
Augustus und Agrippa waren so innige, dass Schmeichler behaupteten,
Herodes sei dem Augustus nach Agrippa und dem Agrippa nach
Augustus der Liebste'*^).
Diese römischen Freundschaften trugen denn auch ihre Früchte.
Schon im J. 30, als Herodes bei Augustus in Aegypten war, hatte
er von ihm bedeutenden Gebietszuwachs erhalten (s. oben
S. 384). Neue Schenkungen kamen später dazu. Herodes hatte
im J. 25 zu dem Feldzuge des Aelius Gallus nach Arabien fünf-
hundert Mann auserlesene Hülfstruppen gestellt '^o). Möglicherweise
steht damit im Zusammenhang, dass er bald darauf, im J. 23, um
die Zeit, als er seine Söhne Alexander und Aristobul zur Erziehung
nach Rom schickte, die Landschaften Trachon, Batanäa und
Auranitis erhielt, die bisher von räuberischen Nomaden bewohnt
waren, mit welchen der benachbarte Tetrarch Zenodorus gemein-
same Sache gemacht hatte *^'). Als einige Jahre später im J. 20
Augustus nach Syrien kam, schenkte er dem Herodes auch noch die!
eigene Tetrarchie des Zenodorus, die Landschaften Ulatha
und Panias und das umliegende Gebiet, nördlich und nordöstlich
vom See Genezareth '22j. Gleichzeitig erhielt Herodes die Erlaub-
niss, seinen Bruder Pheroras zum Tetrarchen von Peräa zu er-
nennen'^^j Und wie unbedingt das Vertrauen war, das Augustus
in ihn setzte, erhellt besonders daraus, dass er (vielleicht nur für
die Zeit der Abwesenheit Agrippa s vom Orient, s. oben S. 320) den
Procuratoren von Syrien (Cölesyrien?) den Befehl gab, in allen
Angelegenheiten den Rath des Herodes einzuholen '-*).
das Opfern von Heiden in Jerusalem). — Ueber Agrippa und Herodes s. auch
Gardthuusen, Augustus und seine Zeit I, 2, 838 ff'. II, 2, 486 ff'.
118) Antt. XVI, 2, 2—5. Vgl, Nieolaiis Damase. bei Müller, Fragm. Eist.
Oraec. III, 350.
119) Antt. XV, 10, 3. B. J. I, 20, 4.
120) Antt XV, 9, 3. Sfrabo XVI, 4, 23 p. 780. Näheres s. oben S, 367 f.
121) Antt. XV, 10, 1. B. J. I, 20, 4. — Die genannten Landschaften liegen
sämmtlich östlich vom See Genezareth. Vgl. über sie § 17»; über Zenodorus:
Beilage I.
122) Antt. XV, 10, 3. B. J. I, 20, 4. Bio Cass. LIV, 9.
123) Antt. XV, 10, 3. B. J. I, 24, 5.
124) Antt. XV, 10, 3. B. J. I, 20, 4. Die etwas dunkeln Worte in Betreff
406 § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [335. 336]
Nicht unerwähnt darf bleiben, dass Herodes seinen Einfluss bei
den römischen Herren auch dazu benützte, die Juden in der
Diaspora gegen alle Bedrückung und Schmälerung ihrer Rechte
von Seite der nicht-jüdischen Welt sicher zu stellen ^^s). go kam
die Machtstellung des jüdischen Königs auch denjenigen Juden zu
Gute, die nicht unmittelbar unter seinem Regimente standen.
Die Zeit um 20—14 war die glänzendste seiner Regierung.
Trotz der Abhängigkeit von Rom braucht seine Regierung, was
äussern Glanz betrifft, einen Vergleich mit den besten Zeiten des
Volkes nicht zu scheuen. Im Innern freilich war Vieles faul. Nur
widerwillig ertrug das Volk das halb-heidnische Regiment des Idu-
mäers, und nur seine eiserne, despotische Faust vermochte einen
Ausbruch der gährenden Masse zu hindern.
III.
Die letzten neun Jahre des Herodes (13 — 4) sind die Zeit des
häuslichen Elendes. Besonders sein unheilbares Zerwürfniss mit
den I Söhnen der Mariamme wirft in diese Zeit einen tiefen, dunklen
Schatten ^-^^).
Herodes hatte eine zahlreiche Familie. Im Ganzen hatte
er zehn Frauen, was allerdings, wie Josephus hervorhebt, nach dem
Gesetz gestattet, aber doch auch ein Beweis seiner Sinnlichkeit
war '27^^ Seine erste Gemahlin war Doris, von welcher er einen
der Procuratoren lauten Antt.XV, 10, 3: iyxaTa/ilyvvai 6' avvhv [Niese avTfiv]
xolq iniTQonsvovai t;]« Svgla<; ivrstXdfifvoq /aeta Trjg ixsivov yvcifjitjQ xä nävia
notfZv. Etwas anders B. J. I, 20, 4: xattazTjas öh avxov xnl SvQi'icg oXijq inl-
XQonov, . . . cüc pirjöhv i^ely Slxa x^g ixtlvov ovfißovXlicg xoiq iniXQÖnoiq
öioixtlv. — Es kann sich der Natur der Sache nach niclit um eine fbrineUe
Unterordnung der I'rocuratoren von Syrien unter Herodes handeln, sondern,
wie auch der Ausdruck avfißovXlnq an der letzteren Stelle zeigt, nur darum,
daitfl die Procuratoren (die Finanzbeamten der Provinz) angewiesen wurden,
sich des Rathes des Herodes zu bedienen. Auch ist statt 2v()laq oXrjq (resp.
£vptaq) vielleicht zu lesen ^vglaq xoiXriq. Vgl. Miiniuardt, Römische Staats-
verwaltung I, 1881, S. 408. — Allzu ernsthaft wird man die Notiz überliaupt
nicht nehmen dürfen, da sie augenscheinlich der glorificirenden Feder des
NicolauH Damascenus entstammt.
125) Antl. XVI, 2, 3-5. Vgl. auch XVI, 6, 1-8. XI 1, 3, 2.
120) Es fiillt in diese Zeit noch manches, was schon im vorigen Absclmitt
behandelt ist. Aber die Abgrenzung der Perioden kann überhaupt keine feste
sein. Im Allgemeinen ist jedenfalls richtig, dass die liiiusliclKMi Kiim]>i(> in
den Jahnui 13—4 das vorherrschende Moment sind.
127) Job. B. ./. I, 24, 2 fin. Anfl. XVll, 1, 2: nnt(>tov y(\(t nÄn'oaiv hxavxip
riiilv avvoixtlv. Nach Mi$ohna Sanhedrin II, 4 waren dem Ki'mig aclitzelin
Frauen gestattet. Wie viel ein Privatmann haben dürfe, wird in d(!r Mischiui
nicht ausdrOcklich gesagt; es wird aber vorausgesetzt, dass er vier \m fünf
h«boii dürfe (vier: JebamöthlV,\\\ Kelhuhoth\, 1-0; fttnf: KeHthoth Ml, 7;
[336. 337] § 15. Herodes der Grosse (37-4 v. Chr.). 407
Sohn Antipater hatte '^s). Beide waren von Herodes Verstössen
und Antipater durfte nur zu den hohen Festen in Jerusalem er-
scheinen *29j^ Ijii j^ 37 hatte Herodes die Mariamme, die Enkelin
Hyrkan's, geheirathet (s. oben S. 358), welche ihm fünf Kinder
gebar, drei Söhne und zwei Töchter. Von den Söhnen starb der
jüngste in Rom '^^X die beiden älteren Alexander und Aristobul
sind eben die Helden der folgenden Geschichte ' ^ •). Die dritte Ge-
mahlin, welche Herodes um d. J. 24 heirathete, hiess ebenfalls Ma-
riamme. Sie war die Tochter eines angesehenen Priesters, der
aus Alexandria stammte und von Herodes zu eben der Zeit, als
er die Tochter heirathete, zum Hohenpriester ernannt wurde *32),
Von dieser hatte er einen Sohn Namens Herodes 'ä^). Von den
übrigen sieben Frauen, die Josephus Antt. XVII, 1, 3 und B. J. 1,
28, 4 sorgfältig verzeichnet, sind von Interesse nur noch die
Samariterin | Malthake, die Mutter des Archelaus undAntipas,
und Kleopatra aus Jerusalem, die Mutter des Philippus.
Um das J. 23 sandte Herodes die Söhne der ersten Mariamme,
Alexander und Aristobul, zur Erziehung nach Rom, wo sie im
Hause des Asinius PoUio gastliche Aufnahme fanden''^). Etwa
fünf Jahre später, im J. 18 oder 17, holte er sie selbst von dort
wieder ab und behielt sie von nun an am Hofe zu Jerusalem * 3^).
Sie mochten jetzt etwa Jünglinge von 17 — 18 Jahren sein. Wie
die Sitte der Zeit und des Landes es mit sich brachte, wurden sie
vgl. im allgemeinen auch Kidduschin II, 7 ; Bechoroth \lti, 4). Hiermit stimmt
merkwürdig Justin. Dial, c. Tri/ph. c. 134: ße).xiöv iativ, vfiäg t<p d^eiö mea&ai
jj xolg dovvetoig xul TV(pXoig äiöuaxdXotg v/lköv, oitiveg xid ßsxi^i vvv xal
xiaau{mg xal nivrs s^^iv vfxäg yvviäxug (xaazov avyx(ii(JOvai. Vgl. dazu Otto'ß
Anmerkung und Winer, Realwörterb. Art. „Vielweiberei". Noch im deut-
schen Mittelalter kam bei den Juden Polygamie vor, s. über die Geschichte
derselben bei den Juden: Leop. Low, Gesammelte Schriften Bd. III, 1893,
S. 33—86.
128) Antt. XIV, 12, 1. — Nach Antt. XVII, 5, 2 war Antipater mit einer
Tochter des letzten Hasmonäers Autigonus vermählt.
129) Antt. XVI, 3, 3. B. J. I, 22, 1.
130) B. J. I, 22, 2.
131) Die beiden Töchter hiessen Salampsio und Kypros. Ihre Nach-
kommenschaft verzeichnet Josephus Atitt. XVIII, 0, 4. — Der Name SaXa/uxpici
ist gleich hebr. -(liijabaj, was inschriftlich als hebräischer Frauenname vorkommt
{Clennont-Oanneau, Archaeologiml Researches I, 1899, p. 386—392).
132) Antt. XV, 9, 3. Der Name Mariamme : B. J. I, 28, 4 und sonst. Jo-
sephus nennt Antt. XV, 9, 3 den Vater Simon, den Grossvater Boethos.
Nach andern Stellen sclieint Boethos selbst der Vater gewesen zu sein. S.
Stud. und Krit. 1872, S. .099 f. und unten § 23, IV (Bd. II, S. 217).
133) Antt. XVII, 1, 2.
134) Antt. XV, 10, 1.
135) Antt. XVI, 1, 2.
408 § 15- Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [337. 338]
bald verheirathet. Alexander erhielt eine Tochter des kappa-
docischen Königs Archelaus Namens Glaphyra, Aristobul eine
Tochter von Herodes' Schwester Salome mit Namen Berenike ^^^).
Obwohl somit die hasmonäische und die idumäische Linie des hero-
dischen Hauses durch Verschwägerung auf's Engste mit einander
verbunden waren, standen sie sich doch wie zwei feindliche Lager
gegenüber. Die Söhne der Mariamme mochten wohl im Bewusst-
sein ihres königlichen Blutes mit einigem Stolz auf die idumäische
Verwandtschaft herabsehen, und diese, voran die würdige Salome,
vergalt den Hochmuth jener durch gemeine Verläumdung. So be-
gann schon jetzt, nachdem die Söhne kaum in's Vaterhaus zurück-
gekehrt waren, der Knoten sich zu schürzen, der nachmals immer
unlösbarer sich verwirrte. Doch liess Herodes sich vorläufig
durch jene Verläumdungen in der Liebe zu seinen Söhnen nicht
beirren'^').
Das böse Gewissen des Königs war indess für eine solche Saat
von Verläumdungen ein zu fruchtbarer Boden, als dass dieselbe
nicht allmählich hätte Wurzel schlagen und Früchte bringen sollen.
Er musste sich ja sagen, dass es das natürliche Erbtheil der Söhne
war, den Tod der Mutter zu rächen. Und wie nun Salome immer
wieder und wieder ihm die Gefahr schilderte, die von den Beiden
ihm drohe, da fing er schliesslich doch an, es zu glauben und die
Söhne mit Argwohn zu betrachten ^^%
Um ihrem aufstrebenden Sinn ein Gegengewicht entgegenzu-|
stellen und ihnen zu zeigen, dass noch ein Anderer vorhanden sei,
der möglicher Weise den Thron erben könne, rief er den verstossenen
Antipater wieder zu sich und sandte ihn bald darauf in Beglei-
tung des Agrippa, der eben damals im J. 13 den Orient verliess,
nach Rom, damit er sich dem Kaiser vorstelle '='^). Damit aber gab
er dem schlimmsten Feinde seines häuslichen Friedens das Heft in
die Hand. Denn Antipater war von nun an unablässig bemüht,
durch Verläumdung seiner Stiefbrüder sich den Weg zum Thron
136) AnU. XVI, 1, 2. ßerenike war eine Tochter der Salome und des
KoMlobar (Antt. XVIII, 6, 4). Sie wird auch von Stralto XVI, 2, 46 p. 766
erwähnt. — Der König Archelaun von Kuppadocien regierte von 30 vor Chr.
biM 17 nach Chr. {Dio Ccuif. XLIX, 32. LVIl, 17. Tacit. Amml. II, 42. Cli?i-
lon, FuMti Ilellmici III, 448. Marciuardt, RömiHche ' Staatsverwaltung I,
1881, 8. 365 f. Reinach, Remir Nionismniiquc 1880, p. 402—400. Wilcken
in Pauly-WiNROwa'i Boal-Enc. II, 451. Klebe, Prosopogr. impeni Uoniani I,
12'i. MQnzcn auch Rente Numietnatique 1898, p. 601 )■
137) Antt. XVI, 1, 2.
188) Antt. XVI, 3, 1-2.
199) Antt. XVI, 3. 3. B. J. I, 23, 1-2.
[33S. 339] § 15. Herodes der Grosse (37-4 v. Chr.). 409
»
ZU bahnen. Bei Alexander und Aristobul ging der Wechsel
in der Stimmung ihres Vaters auch nicht spurlos vorüber. Seinen
Argwohn erwiederten sie mit unverholener Abneigung und klagten
bereits öffentlich über den Tod der Mutter und über die kränkende
Behandlung, die ihnen widerfahre ^^^). So wurde die Kluft zwischen
Vater und Söhnen immer tiefer, bis endlich Herodes im J. 12 den
Entschluss fasste, die Söhne beim Kaiser zu verklagen. Er
machte sich selbst mit den beiden auf den Weg und erschien
zu Aquileja vor dem Kaiser als Ankläger seiner Söhne. Dem
milden Ernst des Augustus gelang es diesmal noch, die Streitenden
zu versöhnen und den Hausfrieden wieder herzustellen. Mit Dank
gegen den Kaiser kehrten Vater und Söhne zurück; und auch An-
tipater schloss sich ihnen an und heuchelte Freude über die Ver-
söhnung'^').
Kaum war man zu Hause, so begann das alte Spiel von Neuem.
Antipater, der jetzt wieder in der Umgebung des Königs war,
setzte das Verläumdungswerk unermüdlich fort, und von den Ge-
schwistern des Herodes, Salome und Pheroras, wurde er darin
getreulich unterstützt. Auf der anderen Seite nahmen auch
Alexander und Aristobul eine immer feindseligere Haltung
an'''"^). So war der Friede zwischen Vater und Söhnen bald
wieder dahin. Der Argwohn des Königs, der von Tag zu Tag
neue Nahrung erhielt, wurde immer krankhafter und grenzte nach-
gerade an Gespensterfurcht '^3)^ Er liess jetzt die Anhänger
Alexander's auf der Folter verhören, zunächst ohne Erfolg, bis
endlich Einer unter den Qualen der Folter belastende Aussagen
machte. Daraufhin wurde Alexander gefangen gesetzt'**). —
Als der kappadocische König Archelaus, der Schwiegervater
Alexander's, von den wüsten Zuständen am jüdischen Hofe hörte,
begann er für Tochter und | Schwiegersohn zu fürchten und begab
sich nach Jerusalem, um, wenn irgend möglich, Versöhnung zu
stiften. Er stellte sich vor Herodes sehr erzürnt über den un-
gerathenen Schwiegersohn, drohte seine Tochter wieder nach Hause
zurückzunehmen, und that überhaupt so grimmig, dass Herodes
selbst die Partei seines Sohnes ergriff und ihn dem Archelaus gegen-
über in Schutz nahm. Durch solche List brachte der schlaue
Kappadocier die gewünschte Versöhnung zu Stande und konnte
140) Äntt. XVI, 3, 3.
141) Antt. XVI, 4, 1—6. B. J. I, 23, 8—5.
142) Antt. XVI, 7, 2 ft". B. J. I, 24, 1 tf.
143) Vgl. bes. Antt. XVI, 8, 2. 5. B. J. I, 24, 8.
144) Antt. XVI, 8, 4. B. J. I, 24, 8.
410 § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [339. 340]
befriedigt wieder heimkehren '^^). — So wurde noch einmal durch
eine kurze Windstille der wilde Sturm unterbrochen.
In dieser bewegten Zeit hatte Herodes auch noch mit äussern
Feinden, ja mit kaiserlicher Ungnade zu kämpfen. Die raublustigen
Trachoniten wollten sich seinem straffen Regimente nicht mehr
fügen, und etwa vierzig der schlimmsten Störenfriede fanden in dem
benachbarten Arabien, wo ein gewisser Sylläus au Stelle des
schwachen Königs Obodas die Herrschaft führte, willige Aufnahme.
Als Sylläus die Auslieferung derselben verweigerte, unternahm
Herodes mit Bewilligung des syrischen Statthalters Saturuinus
einen Kriegszug nach Arabien und erzwang sich sein Eecht ^^^). —
Aber nun agitirte Sylläus in Rom, stellte die Sache als unerlaubten
Landfriedensbruch dar und wusste es wirklich dahin zu bringen,
dass Herodes beim Kaiser ernstlich in Ungnade fieP^T^ _Ujjj gj^b
wegen seines Verfahrens zu rechtfertigen, schickte Herodes eine
Gesandtschaft nach Rom, und als dieselbe nicht vorgelassen wurde,
noch eine zweite, letztere unter Führung des Nicolaus Damas-
cenus '^*).
Mittlerweile ging der Familienzwist seinem tragischen Ende
mit raschen Schritten entgegen. Die Versöhnung war selbstver-
ständlich nicht von langer Dauer. Um das Unglück voll zu machen,
kam jetzt auch ein intriganter Lacedämonier Eurykles an den
Hof, der den Vater gegen die Söhne und die Söhne gegen den
Vater aufhetzte ^*^). Daneben setzten die übrigen Mächte der Ver-
läumdung ihr Werk fort. Endlich gedieh die Sache so weit, dass
Herodes den Alexander und Aristobul gefangen setzte und sie
beim Kaiser wegen hocliverrätheri scher Pläne verklagen liess^^^^).
Nicolaus Damascenus hatte unterdessen seine Aufgabe ge-|
löst und den Kaiser wieder für Herodes gewonnen'^'). Als daher
die Boten mit der Klage nach Rom kamen, fanden sie Augustus
bereits in günstiger Stimmung und übergaben sofort ihre Acten.
Augustus gab dem Herodes ^'()llmacht zu eigenem Vorgehen in der
Sache, rieth ihm jedoch, zu Berytus einen Gerichtshof aus
römischen Beamten und seinen eigenen Freunden niederzusetzen
und von diesem die Schuld der Söhne untersuchen zu lassen''^).
14Ö) AnH. XVI, 8, 6. B. J. I, 25, 1-6.
146) ArUt. XVI, 9, 1-2.
147) Antl. XVI, 9, .1. Vgl. Nicolnua Damme, bei Müller, tVagm. Eist.
Oraeo, III, 301. Feder, Excorpta Kscurialenaia p. fW.
148) Antl. XVI, 9, 4.
149) Anlt. XVI, 10, 1. B. J. I, 26, 1—4. üebor EurykleH h. oben S. 395 f.
160) Antl. XVI, 10, 5-7. B. ./. I, 27, 1.
löl) Anlt. XVI, 10, 8—9. Nieolcma Dama$c. a. a. 0.
152) Antl. XVI, 11, 1. li. J. 1, 27, 1. — BerytUH wunlo von Augustus
[340] § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). 411
Herodes befolgte den Rath des Kaisers. Der Gerichtshof sprach
fast einstimmig das Todesurtheil. Nur der Statthalter Satu minus
und seine drei Söhne waren dagegen. — Noch konnte es zweifelhaft
sein, ob Herodes das Urtheil vollziehen lassen würde; ein alter
Soldat, Teron, wagte es sogar, öffentlich zu Gunsten der Verur-
theilten aufzutreten. Aber der Alte und noch 300 Andere, die als
Anhänger Alexander's und Aristobul's denuncirt waren, büssten da-
für mit dem Leben; und das Urtheil wurde nun ohne Säumen voll-
zogen. Zu Sebaste (Samaria), wo dreissig Jahre zuvor Mariamme's
Hochzeit gefeiert worden war, wurden ihre Söhne durch den Strang
hingerichtet (wahrscheinlich im J. 7 v. Chr.)^^'). |
wohl deshalb empfohlen, weil es römische Colonie, also ein Hauptsitz
römischen Lebens in der Nähe Palästina'» war. Nach Straho XVI. 2, 19 p.
755 sq. hat Agrippa in ßerytus zwei Legionen angesiedelt (d. h. die Veteranen
von solchen). Dies wird im J. 15 bei Gelegenheit von Agrippa's Besuch in
dortiger Gegend geschehen sein (vgl. oben S. 370 f.). Eusebius setzt die Grün-
dung der Colonie Berytus (nach dem Text des Hieronymus, der dem arme-
nischen vorzuziehen ist) in das Jahr 2003 Abr. oder das 30. des Augustus
[Euseb. Chron. ed. Schoette II, 143), d. h. 14 vor Chr. (denn Eusebius rechnet
das J. 43 vor Chr. als erstes Jahr des Augustus). Augustus sagt im Monu-
mentum Äncyranian III, 22 sqq., dass er im J. 14 vor Chr., consulibiis M.
Grosso et On. Lentulo, an Municipien grosse Summen bezahlt habe für Län-
dereien, welche er Veteranen angewiesen habe {Monimsen, Res gestae divi Au-
gusti ed. 2. p. 62—65). Die beiden Legionen waren die leg. V Mac. und VIII
Aufi. [Eekhel, Doetr. Num. III, 356, Mommsen, l. c, p. 119, Babelon, Catalot/tie
p. CLXIV). Der volle Name von Berytus als Colonie lautet: Colania Julia
AiMfiista Felix Berytus {Corp. Itiscr. Laf. f. III n. 161. 165. 166. 6041). Vgl.
auch Plin. Eist. Nat. V, 20, 78. Joseph. Bell. Jud. VII, 3, 1. Digest. L, 15,
1, 1. 7. 8, 3. Die Münzen bei Eekhel, Doetr. Num. 111,354—359; Mionnet,
Descr. de midailles ant. V, 334—351, Suppl. VIII, 238—250; Babelon, Cata-
logtie des monnaies grecques de la Bibltotheque yiationale, Les Perses Ächeme-
nides etc., 1893, p. 166—191; Rouvier, Journal international d'arclieologie nu-
mismatique 1900, p. 263 — 312; über die autonomen Münzen: Rouvier, Revue
numisrn. 1898, p. 437—456, 640—658). — Robinson, Palästina HI, 725 ff'.
Ritter, Erdkunde XVII, 62—64, 432—456. Zunipt, Commentt. epigr. I, 379.
Marquardt, Römische Staatsverwaltung I, 2. Aufl. S. 427 f. Pauly-Wisso-
wa's Real-Enc. III, 321 f. Gardthausen, Augustus und seine Zeit I, 2,
839 f. II, 2, 487 f. — In der späteren Kaiserzeit, mindestens seit dem dritten
Jahrhundert nach Chr., war in Berytus eine berühmte Hochschule für
römisches Recht [Codex Justin. I, 17, 2, 9. X, 49, 1. Robinson S. 726,
Ritter S. 436 f. Marquardt S. 428). Deren Anfange können recht wohl schon
zur Zeit des Augustus vorhanden gewesen sein (Hitzig, Gesch. des Volkes
Israel II, 554).
153) Antt. XVI, 11, 2—7. B. J. I, 27, 2-6. Nicol. Damasc. bei Müller,
Fragm. hist. graec. III, 351 sq. Feder, Excerpta Eseurialensia p. 65. — Vgl.
überhaupt: Delitzsch, Jüdisches Handwerkerleben zur Zeit Jesu, 2. Aufl.
1875 (S. 51—69: „Ein Junitag aus dem letzten Jahrzehnt des vorchristlichen
412 § 15- Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [341]
Aber der Friede kehrte damit nicht iu Herodes' Haus zurück.
Antipater war nun zwar am Hofe allmächtig und genoss das
unbedingte Vertrauen seines Vaters. Aber dies genügte ihm nicht.
Er wollte die Herrschaft ganz haben und konnte den Tod des
Vaters kaum erwarten. Einstweilen suchte er sich durch reiche
Geschenke einen Anhang zu verschaffen und hielt geheime Zu-
sammenkünfte mit Herodes' Bruder Pheroras (dem Tetrarchen
von Peräa), hinter welchen man nichts Gutes vernmthete. Salome,
die alte Schlange, hatte dies bald ausgekundschaftet und hinter-
brachte es wieder dem König '^^). So wurde allmählich auch das
Verhältniss zwischen Herodes und Antipater ein gespanntes;
und Antipater fand es für gut, um dem Conflict auszuweichen, sich
nach Rom schicken zu lassen. Dass indess Herodes noch kein ernst-
liches Misstrauen gegen ihn hegte, geht aus dem Testamente hervor,
in welchem er eben damals den Antipater zum Thronfolger er-
nannte; nur für den Fall, dass Antipater vor Herodes stürbe, war
Herodes, der Sohn der Hohenpriesterstochter Mariamme, als Nach-
folger genannt ^^^j.
Während Antipater in Rom war, starb Pheroras *^"). Damit
erfüllte sich auch Antipaters Geschick. Peinige Freigelassene des
Pheroras kamen zu Herodes und zeigten ihm an, es sei zu
vermuthen, dass Pheroras vergiftet worden sei; Herodes möge die
Sache doch näher untersuchen. Bei der Untersuchung ergab sich,
das allerdings Gift vorhanden war, dass dieses aber von Anti-
pater herrühi-te und nicht für Pheroras bestimmt war, sondern
diesem von Antipater nur übergeben war, damit er es dem Herodes
beibringe. Auch erfuhr Herodes jetzt durch die Sklavinen von
Pheroras' Haus alle Aeusserungen, die Antipater bei jenen ge-
heimen Zusammenkünften gethan hatte, seine Klagen über das
lange Leben des Königs, über die Unsicherheit seiner Aussichten
und anderes mehr'"). Nun konnte Herodes über die feindlichen
Anschläge seines Lieblingssolines nicht mehr im Zweifel sein. Unter
allerlei Vorspiegelungen rief er ihn aus Rom zurück, um ihn zu
Hanse vor Gericht zu stellen. Antipater, der nichts Arges alinte,
kam und wurde zu seiner grossen Ueberraschung — denn obwohl
JcruMaloiiiM"), — Ueber die ötrafe der KrdrosHelun>^ bei (\ou Juden: Mhrhna
Sanhidrin VII, 1. 3; auch: Terumolh VII, 2; Kcthuholh IV, \\\ Sanhcdrin VI,
6 fin. IX, 3. 6. XI, 1; bei den Itömern: Kein, Art. Inqucus in Pauly's Real-
Enc. IV, 771.
164) Antt. XVII, 1, 1. 2, 4. B. J. I, 28, 1. 2i), 1.
165) Amt. XVII, 3, 2. B. J. I, 2fi, 2.
156) Atttt. XVII, 3. 3. B. J. I, 2», 4.
167) Antt. XVII, 4, 1-2. B. ./. I, 30, 1-7.
[341. 342] § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). 413
seit der ] Entdeckung seiner Anschläge sieben Monate verstrichen
waren, hatte er doch niciits davon erfahren — beim Eintritt in
den königlichen Palast gefangen genommen''^**). Andern Tags
wurde er unter Anwesenheit des syrischen Statthalters Varus
vor Gericht gestellt. Da er angesichts der thatsächlichen Beweise
nichts zu seiner Vertheidigung vorzubringen wusste, Hess Herodes
ihn in Fesseln legen und erstattete hierauf Bericht an den Kaiser i^^).
Herodes war jetzt nahe an siebzig Jahren. Auch seine Tage
waren gezählt. Er litt an einer Krankheit, von welcher er nicht
mehr genesen sollte. In einem neuen Testamente, welches er jetzt
machte, ernannte er seinen jüngsten Sohn Antipas, den Sohn der
Samariterin Malthake, zum Nachfolger *^<>).
Während seiner Krankheit musste er auch noch erfahren, wie
sehnlich das Volk nach Befreiung von seinem Joche seufzte und den
Augenblick herbeiwünschte, wo es sein halb-heidnisches Regiment
abschütteln konnte. Als sich die Nachricht verbreitete, dass die
Krankheit unheilbar sei, wiegelten zwei Rabbinen, Judas, Sohn des
Sariphäus, und Matthias, Sohn des Margaloth, das Volk auf, damit
es den anstössigen Adler vom Tempelthore herunterreisse*^'). Nur
zu leicht fanden sie Gehör; und unter grossem Tumult wurde das
gottgefällige Werk vollbracht. Herodes indess war trotz seiner
Krankheit immer noch stark genug, Todesurtheile zu fällen, und
Hess die Haupträdelsführer lebendig verbrennen '^-).
Die Tage des alten Königs gingen nun zu Ende. Die Krank-
heit wurde immer schlimmer und führte rasch die Auflösung herbei.
Auch die Bäder von Kallirrhoe, jenseits des Jordan, wohin der
König sich begab, brachten keine Heilung mehr'^^)^ ^js er nach
158) Antt. XVII. 4, 3. 5. 1—2. B. J. I, 31, 2-5.
159) Antt. XVII, 5, 3-7. B. J. I, 32, 1—5. — Vgl, überhaupt auch Nieo-
latis Damasc. bei Müller III, 352 sq. Feder p. 66 sq.
160) Antt. XVII, 6, 1. B. J. I, 32, 7.
161) Die Namen der Rabbinen lauten Antt. XVII, 6, 2: ^lovdaq o ^uqi-
tpaiov xa) Mat&iag o MaQyaX<v9^ov {Niese MfQya}.(ö^ov\, dagegen B. J. I, 33,
2: ^oiöaq xe vloq 2eTC(po)Qaiov [Niese SsiKpsgaiov] xal Max&lag irsgoq Muq-
yakov.
162) Antt. XVII, 6, 2—4. B. J. 1, 33, 1—4.
163) Antt. XVII, 6, 5. 5. J. I, 33, 5. — Kallirrhoe wird auch erwähnt
von Plin. Hist. Nat. V, 16, 72; Ptolem. V, 16, 9; Hieronymus, Quaest. in Gen.
10, 19; auf der Mosaikkarte von Medaba {^eg/xa xaXXiQorjg, s. Schulten,
Abhandlungen der Göttinger Ges. der Wissensch.. philol.-hist. Kl. N. F. IV,
2, 1900, S. 13) und in der rabbinischen Literatur (Krauss, Griech. und lat.
Lehnwörter im Talmud etc. II, 550: nnlsp). Die jüdische Tradition identificirt
Kallirrhoe und biblisch r'3 Oen. 10, 19 (Targum Jenis. zu Oen. 10, 19, Bere-
schith rabba c. 37); hiernach Hieronymus, Quaest. Eebr. in Qenes. 10, 19 [opp.
ed. Vallarsi III, 321) : hoc tantum. adnotandum videtur, quod Lise ipsa sit quae
414 § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [342. 343]
Jericho zurückgekehrt war, soll er noch den Befehl gegeben haben,
die angesehensten Männer des Volkes, die er in der Rennbahn da- 1
selbst hatte einsperren lassen, bei seinem Tode niederzuschiessen,
damit er eine würdige Todtenklage habe ^^*). Unter allen Schmerzen,
die seine Krankheit ihm bereitete, erlebte er noch die Genugthuung,
seinen Sohn An tipat er, den Hauptanstifter seines häuslichenElendes,
zum Tode zu befördern. Noch in den letzten Tagen seines Lebens
traf die Erlaubniss des Kaisers zur Hinrichtung Antipater's ein,
die auch bald dai'auf vollzogen wurde i*^^).
Wenige Tage vor seinem Tode änderte Herodes noch einmal
sein Testament, indem er den Archelaus, den älteren Sohn der
nunc CaUirhoi' dicihii; iibi aquae calidae prorwnpentes in mare moriuum de-
fluunt. — Für die nähere Bestimmung der Lage kommen zwei noch heute
existirende warme Quellen (oder Quellen-Gruppen) in Betracht: 1) Die Quellen
im Wadi Zerka Main, einige Stunden oberhalb von dessen Mündung in das
todte Meer; s. über diese: Seetzen, Reisen II, 336—338. Robinson, Phy-
sische Geographie S. 176 f. Kersten, Zeitschr. des DPV. II, 208 f. Conder,
The Survey of Eastem Palestine vol. I, 1889, p. 102. Buhl, Geogr. S. 50 f.
Legendre Art. Callirrhoe in Vir/ouroux, Dictionnaire de la Bible II, 69 — 72.
2) Die Quellen von Es-Sara, am todten Meere, eine halbe Stunde südlich von
der Mündung des Wadi Zerka Main; über diese: Dechent, Zeitschr. des
DPV. VII, 196 fl'. Buhl S. 41. Die Meisten identificiren Kallirrhoe mit
ersteren, namentlich deshalb, weil diese nach Ausweis der erhaltenen Strassen-
züge im Alterthum die berühmteren waren (Buhl S. 123). Dechent hingegen
sucht Kallirrhoe in den Quellen von Es-Sara (Zeitschr. des DPV. VII, 1884,
8. 196 — 201), wohl mit Recht; denn 1) nur von diesen kann gesagt werden,
dass sie in das todte Meer fliessen, wie Josephua und Hieronymus von den
Quellen von Kallirrhoe sagen (die anderen fliessen in den Wadi Zerka, der
erst ein paar Stunden später in das todte Meer mündet). 2) Die Quellen im
Wadi Zerka, ein paar Stunden oberhalb von dessen Mündung, sind otlenbar
identisch mit dem Orte BaaQaq, welclieu Josepiius Bell. Jtid. VII, 6, 3 be-
schreibt (in der Schlucht nördlich von Machärus, mit verschiedenen heissen
Quellen). Diese Quellen von Baaru werden auch erwähnt von Hieronymus
{Eusel). Onomast. ed. La//arde p. 102: juxta Baani in Ar ab ia, itbi aqua« calidas
«jxmtc humuH eifert), in der Lebensbeschreibung Petrus' des Ibcrer's (Rauhe,
Petrus der Iberer 1895, S. 82 u. 87), und auf der Mosaikkarte von Modaba
(denn das verstümmelte . . agov, welches durch die beigefügte Vignette als
Ort warmer Quellen charakterisirt ist, ist sicher zu Baapov zu ergänzen, s.
Hchultcn a. u. 0. 8. 12 f.). Nach der Mosaikkarte sind aber Baiiru
und Kallirrhoe versciiiedeu, was oiineliiii schon deshalb wahrscticiiilicli
ittt, weil JosepliUH bei der Beschreibung von Biuiras den Namen Kullirrhoe
nicht erwähnt Also wird letzteres mit den Quellen südlich von der Mündung
de« Zerka identisch sein.
l«4) Antt. XVII, 6, 6. B. J. I, 33, Ü. Der Befehl wurde nicht ausgeführt
(Anlt. XVII, 8, 2. n. J. I, 33, 8). — Vgl. die fthnliclu« rabbinisrhe Tradition
bei Derenhuurg p. 1(J4 aq.
165) AfUt. XVII, 7. B. ./. I, 33, 7. Mcolat^ Damanc. a. ii. < ).
[343] § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). 415
Malthake, zum König ernannte, dessen Bruder Antipas zum Te-
trarchen von Galiläa und Peräa, und den Philippus, den Sohn
der Jerusalemiterin Kleopatra, zum Tetrarchen von Gaulanitis,
Trachonitis, Batanäa und Panias'^'').
Endlich, fünf Tage nach der Hinrichtung Antipater's, starb
er zu Jericho, unbetrauert von den Seinen und gehasst vom
ganzen ^'olke (4 v. Chr.)^^'). — Ein pomphafter Leichenzug ge-
166) Äntt. XVII, 8, 1. B. J. I, 33, 7 u. 8.
167) Änit. XVII, 8, 1. B. J. I, 33, 8. — üeber den Zeitpunkt seines
Todes s. Fröret, Eclaircissement sur Vannee et siir le ternps precis de la mort
d'Herode le Oratid, roi de Judee {Mimoires de l'Academie des inscriptions et
helles-lettres alte Serie t. XXI, 1754, p. 278—298). Sanclemente, De vulgaris
(terae emendatione 1793, p. 307—394 (Hauptwerk). Wurm in Bengel's Archiv,
Zweiten Bandes erstes Stück, 1816, S. 26 — 39 (werthvoll wegen der astrono-
mischen Mittheilungen). Ideler, Handbuch der Chronologie II, 389 — 393.
W lese 1er, Chronologische Synopse S. 50— 57. Seyffarth, Ckronologia sacra
S. 80—85. Gumpach, Ueber den altjüdischen Kalender (1848) S. 236—238.
Van der Chijs, De Herode Magno p. 62 sq. Lewin, Fasti sa,cri (1865) p.
IX — XXII. Caspari, Chronologisch-geogr. Einleitung in das Leben Jesu
Christi (1869) S. 26— 30. Quandt, Zeitordnung und Zeitbestimmungen in den
Evangelien (1872) S. 4-12. Sevin, Chronologie des Lebens Jesu (2. Aufl. 1874)
S. 54— 70. Riess, Das Geburtsjahr Christi (1880) S. 6— 57, 189— 224. Schegg,
Das Todesjahr des Königs Herodes und das Todesjahr Jesu Christi, 1882.
Riess, Nochmals das Geburtsjahr Jesu Christi (1883) S. 1—68. Sattler,
Das Jahr 749 nach Erbauung Roms das wahre Geburtsjahr Jesu (Allgem. Zei-
tung 1883, Beilage Nr. 72). Mimain, La connaissanee des temps evangeliques
(1886) p. 53—59. Kellner im „Katholik" 1887, Zweite Hälfte S. 75—82,
166—182.
Herodes starb kurz vor einem Passa {Antt. XVII, 9, 3. B. J. II, 1, 3), also
im März oder April. Da Josephus sagt, er habe 37 Jahre nach seiner Er-
nennung, 34 nach der Eroberung Jerusalems regiert {Antt. XVII, 8, 1. B. J. I,
33, 8), so könnte es scheinen, als ob er (vom Jahre 40, resp. 37 an gerechnet)
im J. 3 V. Chr. gestorben wäre. Allein wir wissen, dass Josephus auch sonst —
nach unsern Begriffen — ein Jahr zu viel rechnet. So zählt er von der Er-
oberung Jerusalems durch Pompejus bis zu der durch Herodes 27 Jahre {Antt.
XIV, 16, 4), während es nur 26 sind (63—37); von der Eroberung durch He-
rodes bis zu der durch Titus 107 Jahre {Aiitt. XX, 10), während es nur 106
sind (717—823 a. V.); im Frühjahr 31 zählt er bereits das siebente Jahr des
Herodes {Antt. XV, 5, 2. B. J. I, 19, 3), während es erst das sechste war ^^von
Juli 37 an). Es geht daraus hervor, dass er die Jahresbruchtheile für volle
Jahre zählte; und zwar rechnete er wahrscheinlich (wie es auch die Mischna
voraussetzt, vgl. Bosch haschana I, 1: D'^sbab njirn ttJK"i 'll5''32i 1^X2) die Re-
gierungsjahre der Könige von Nisan zu Nisan (so z. B. auch Nöldeke bei
Gardthausen, Augustus II, 1, 120; Unger, Sitzungsberichte der Münchener
Akad , philos.-philol. und bist. Cl. 1896, S. 361, 391 ff.). Ist dies der Fall, so
würde das 34. Jahr des Herodes am 1. Nisan des Jahres 4 v. Chr. beginnen,
und Herodes müsste demnach, da er vor dem Passa starb, zwischen 1. und 14.
Nisan d. J. 4 v. Chr. gestorben sein. Dass dies in der That die richtige
416 § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [344]
BechnuDg ist, wird bestätigt durch ein astronomisches Datum
und durch die Chronologie der Nachfolger des Herodes.
1. Kurz vor Herodes' Tod war eine Mondfinsterniss eingetreten {Anft.
XVII, 6, 4). Dies passt nur auf das Jahr 4 v. Chr., in welchem in der Nacht
vom 12.— 13. März in Jerusalem eine Mondfinsterniss statt hatte, während es
in den Jahren 3 und 2 v. Chr. in Palästina überhaupt keine solche gegeben
hat (Wurm S. 34 f. Ideler S. 391 f. Ginzel, Specieller Kanon der Sonnen-
und Mondfinsternisse für das Ländergebiet der klassischen Alterthumswissen-
schaften und den Zeitraum von 900 vor Chr. bis 600 nach Chr., Berlin 1899
[Hauptwerk über diesen Gegenstand] S. 195 — 196). Nur im J. 5 vor Chr.,
15. Sept., und im J. 1 vor Chr., 9. Januar, haben auch Mondfinsternisse, die
in Jerusalem sichtbar waren, stattgefunden (Ginzel a. a. 0.). Aber an diese
kann wegen der übrigen Daten nicht gedacht werden (für das J. 1: Riesa
a. a. O.). — Das Passa (15. Nisan) fiel im J. 4 vor Chr. auf den 11. April
(Ginzel a. a. O.).
2. Die Chronologie zweier Nachfolger des Herodes, des Archelaus und
Antipas, fordert das J. 4 v. Chr. = 750 a. TL als Todesjahr des Herodes.
a) Ar che laus. Er wurde nach Bio Cass. LV, 27 im J. 759 a. f". (unter
den Consuln Aemilius Lepidus und L. Arruntius) von Augustus abgesetzt, im
zehnten Jahre seiner Regierung (so Antt. XVII, 13, 2, vgl. Vita e. 1, wodurch
die frühere Angabe B. J. II, 7, 3: „im neunten" corrigirt wird). Also Re-
gierungsantritt: 750 a. U.
b) Antipas. Er wurde im Sommer 39 nach Chr. = 792 o. U. (s. unten
§ 17b) von Caligula abgesetzt. Da wir noch Münzen von ihm aus dem 43.
Jahre seiner Regierung haben, fällt sein Regierungsantritt spätestens in das
J. 750 a. U.
Es liefern somit alle Data das Resultat, dass Herodes im J. 4 vor Chr.
"= 750 a. U., kurz vor dem Passa, gestorben ist. — Für dieses Resultat, wenig-
stens in Betreff des Jahres, haben auch die meisten neueren Forscher sidi
entschieden (unter den obengenannten: Freret, Sanclemente, Ideler, Wieseler,
Gumpach, van der Chijs, Lewin, Sevin, Schegg, Sattler, Moniain); nahe kom-
men ihm: Wurm (4 oder 3 vor Chr.), Quandt und Kellner (3 vor Chr.); stärker
weichen ab: Caspari, Riess (1 vor Chr.) und Seyffarth (1 nach Clin).
Im Einzelnen sei noch bemerkt: 1) Die Sitte, einen Bruchtheil des Ka-
lenderjahres am Anfang und Ende der Regierung, selbst wenn er noch so
klein war, als volles Regier» iigHJahr zu zählen, steht für Aegypten ausser
Zweifel. Nicht nur die Jahre der Ptolemäer, sondern auch die der römischen
Kaiser wurden in Aegypten in dieser Weise gezählt (Ideler, Handb. der Chro-
nologie I, 117 ff. Momnisen, Römisches Staatsrecht 1. Aufi, II, 2, 758 fl'.). Später
wurde dies au«h HUSHerhalb Aegyptens für die Zählung der Kaiserjahro üblich
(Mommseii I, 501 f. H, 2, 756 f!'.). Unger glaubt, da8.s Joseplius auch die Re-
gieningNJHhre der HasmonSer in dieser Weise gezählt hat (s. oben S. 256 f.).
Schwach begründet Ist der Widerspruch, welchen Gumpach 8. 223—236 gegen
die von uos vertretene Auffassung erhoben hat. — 2) Von der Münze des
Antipas vom J. 43 [MF) sind jetzt drei Exempluro bekannt {MmMen, Goina
of the Jetc» 1881, p. 121 sq., zwei nach Letu)nnnnt, 'IVhor fie Ni(»n'stn<iliqitr p.
125 pl. LIX n, 10 u. 20, eines nach rfß Saulcij, M^ilaivics ih: Nin/tisni<i(i(iiu; t.
\l, 1877, p. 02). Ihre Existenz steht also atiHHcr Zweifel. H( liwicrigkcilcm
machen aber Münzen mit den angeblichen Daten 44 (MJ) und 45 (iW/i'). Die
Münze vom J. 44 (MJ) ist nicht nur von dem wenig zuvi-rläHsigcn Vaillant
bettcbriehon worden, sondern aucli in einem lnindHcliriftlicIicn RiMHcbcridit von
[343. 345] § 15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). 417
leitete die | königliche Leiche von Jericho acht Stadien weit in
der Richtung nach Herodeion, wo die Beisetzung stattfand*^®).
Galand, der sie im J. 1G74 bei Jericho gefunden hat (mitgetheilt bei Friret,
Memoires de V Academie des inscr. et belles-lettres t. XXI, 1754, p. 292 sq^]. Ein-
gehend haben sich mit ihr namentlich Sanclemente p. 315—319 und Eekhel,
Doctr. Niim. III, 487 sq. beschäftigt. Beide vermuthen, dass das Datum un-
richtig gelesen sei (es heisse wohl Ad = 34). Vgl. pro und contra auch:
Ideler S. 391, Madden, History p. 99, ders. Coins p. 122, Riess 1880 S. 55—57,
Sattler a. a. O., Memain S. 448 f. Kellner S. 176. Die Gründe Eckhel's sind
sehr einleuchtend ; er weist namentlich darauf hin, dass die von Galand be-
scliriebene Münze nach ihrer sonstigen Beschaffenheit mit denjenigen vom J.
34 übereinstimme, aber nicht mit denjenigen vom J. 43. Misslich ist nur, dass
es bei Fröret S. 293 in Bezug auf Galaud's Beschreibung heisst: les lettres de
Pepoque Md soiit tr^-nettemeiit fifiuries dans son mauuscrit et absolument
siparSes Vtine de l'autre. Aber die Zeichnung iu Galand's Manuscript ist
doch nicht entscheidend; die Münze selbst ist im Originale nicht mehr nach-
weisbar. Neuerdings ist aber sogar eine Münze mit der Jahreszahl 45 (ME)
aufgetaucht, welche Sattler. Gymnasial-Prof. in München, im J. 1886 er-
worben hat (s. darüber die Mittheilung von Wandel, Neue kirchl. Zeitschrift
1894, S. 302 f.). Nach einer von Wandel mir mitgetheilten Abbildung ist sie
verwandt mit der Münze vom J. 43, denn sie hat auf der Rückseite die Auf-
schrift raicD KaiaaQi Feg Ss. Wenn das Datum ME wirklich, wie versichert
wird, deutlich zu lesen ist, so dürfte hier eine Fälschung vorliegen. Auf keinen
Fall kann der Tod des Herodes früher als 750 a. U. angesetzt werden. Eher
würde man sich entschliessen müssen, die Regierungszeit des Antipas bis 793
auszudehnen, womit man freilich der Münze vom J. 45 auch noch nicht ge-
recht würde. — 3) Die Versuche, den Todestag des Herodes mit Hülfe der
jüdischen Tradition näher zu bestimmen, sind haltlos. In der alten Mef/illath
Taanith werden allerdings der 7. Kislev und der 2. Schebät als Freudentage
bezeichnet (s. Text und Uebersetzung bei Derenbourg, Histoire jo. 442 — 446,
§ 21 u. 25). Aber erst der ganz späte und von jeder wirklichen Tradition
verlassene Commentar dazu bemerkt, dass der 7. Kislev der Todestag des
Herodes und der 2. Schebät der Todestag des Jannai sei (über die Werth-
losigkeit des Commentares s. bes. Wellhausen, Pharisäer und Sadducäer
S. 56—63, vgl. auch oben S. 156 f.). Den 7. Kislev nimmt z. B. Kellner
an (Katholik 1887, zweite Hälfte, S. 180—182). Da aber zum 2. Schebät von
Jannai erzählt wird, dass er die vornehmsten Juden gefangen gesetzt und be-
fohlen habe, nach seinem Tode sie hinzurichten, so nehmen manche jüdische
Gelehrte eine Verwechselung mit Herodes an und setzen den Tod des letzteren
auf den 2. Schebät (so Grätz, Gesch. der Juden Bd. III, 4. Aufl. S. 572 f.
[Note 1]. Brunn, De Herodis qui die itur Maf/ni filiis 1873, p. S sq.). Die eine
Notiz ist so werthlos wie die andere.
168) Äntt. XVII, 8, 3fin.: tjsaav öi inl ^Hgcpösiov ardSia oxzw. Bell. Jvd.
I, 33, 9/?w.: axa6lov(i ob ixonlaO^ri x6 adifia öiaxoaiovq siq'^HQwdeiov. —
Erstere Stelle besagt, wie weit der feierliche Zug mitging, letztere giebt die
Entfernung von Jericho bis Herodeion an. Die LA. sßöofi^xovra, welche B.
J. 1, 33, 9 von zwei Handschriften geboten wird, will die Entfernung von Je-
rusalem angeben und kann eben darum nicht die ursprüngliche sein. Es ist
ohne Zweifel die bedeutendere der beiden gleichnamigen Festungen gemeint
Schür er, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 27
418 §15. Herodes der Grosse (37—4 v. Chr.). [345. 346]
Blutig, wie der Anfang, war auch das Ende seiner Regierung.
Die bessere Zeit liegt in der Mitte. Aber auch in den besseren
Tagen war er ein Despot und im Ganzen, bei allem Glänze seiner
Regierung, „doch nur ein gemeiner Mensch" (Hitzig II, 559). Der
Beiname des „Grossen", durch welchen man ihn von seinen macht-j
loseren Nachkommen gleichen Namens zu unterscheiden pflegt, ist
nur berechtigt, wenn er eben in diesem relativen Sinne genommen
wird »«9).
§ 16. Die Wirren nach Herodes' Tod (4 vor Chr.).
Quellen: Joseph. Antt. XVII, 9—11. Bell. Jud.U, 1— G. Zonaras Ännal. VI,
1 — 2 (Auszug aus Josephus).
Nicolaus Damasce^ms bei Müller, Fragm. Hist. Oraec. III, 353 sq.
Feder, Excerpta Escurialensia p. 67 sq.
Literatur: Ewald, Geschichte des Volkes Israel IV, 585—594.
Grätz, Geschichte der Juden III, 4. Aufl. S. 246—253.
Hitzig, Geschichte des Volkes Israel II, 559 — 562.
Schneckenburger, Zeitgeschichte S. 200 — 203.
Hausrath, Zeitgeschichte 2. Aufl. I, 275—283.
Lew in, Fasti saeri, ad ann. 4.
Brann, De Herodis qui dicitur Magni fUiis patrem in imperio se-
ctttis, pars I, 1873 (behandelt nur die Ereignisse des Jahres 4
V. Chr.).
Menke's Bibelatlas Bl. V: „Judäa und Nachbarländer zu Christi
und der Apostel Zeit".
Durch das letzte Testament des Herodes war Archelaus zum
Nachfolger im Königthum ernannt worden. Ks musste nun dessen
erste Sorge sein, vom Kaiser die Bestätigung der väterlichen An-
ordnung zu erwirken; und zu diesem Behufe gedachte er sich nach
Rom zu begeben. Aber ehe er dorthin abgehen konnte, hatte er
noch einen Aufstand in Jerusalem zu dämpfen. Das Volk konnte
(s. oben 8. 390), deren Entfernung von Jericho nahe an zweihundert Stadien
betrigt. Da Herodes hier bestattet wurde, »o ist das /xvtjfxhTov des Herodes
bei JcruRalem {B. J. V, 3, 2; 12, 2) nur ein Denknuil, nicht das eigentliche
Grab. Schick glaubt da« fivrj/ieTov des HerodcH gefunden zu haben, und
midnt, es kannten lii<'r die Frauen des Herodes bestattet gewesen sein (Zeit-
sclirift des DVV. XVI, 1H93, 8. 202—206). Ebenso Scjourne, h'cvue biblique
lÖiJ'J, p. 207-273 (vgl. Zeitschr. des DPV. XVIT, 223 f.).
1(50) In dicseni Shine ist der BciiuniH; b ft^yet^ wohl auch schon von Jo-
iie)ihus gemeint an der einzigen 8tclle, an welcher er ihn gebraucht (Antt*
XVIIT, r. 41.
[346. 347] § 16. Die Wirren nach Herodes' Tod (4 v. Chr.;. 419
die Hinrichtung der beiden Rabbineu Judas und Matthias nicht
so leicht vergessen und verlaugte von Archelaus stürmisch die Be-
strafung der Rathgeber des Herodes. Archelaus versuchte zunächst
in Güte, sie von ihrem Verlangen abzubringen. Als aber dies nichts
half, sondern nur eine Steigerung des Tumultes zur Folge hatte,
Hess er — da die Sache wegen des eben bevorstehenden Passa-
festes, wo immer eine grosse Volksmenge sich in Jerusalem zu ver-
sammeln pflegte, bedenklich war — eine Abtheilung Soldaten gegen
die im Tempel Versammelten vorgehen, um den Tumult mit Gewalt
zu unterdrücken. Aber die Abtheilung war zu schwach, um gegen
die erregten Massen etwas auszurichten. Ein Theil der Soldaten
wurde vom Volke gesteinigt; die übrigen ergriffen sammt dem An-
führer die Flucht. Jetzt luusste Archelaus seine ganze Streitmacht
aufbieten; und erst mit Hülfe dieser gelang es, unter gi-ossem Blut-
vergiessen den Aufstand zu unterdrücken '). |
Nachdem so Archelaus durch Gewalt sich Ruhe verschafft hatte,
eilte er nach Rom, indem er seinen Bruder Philippus als Verweser
des Reiches zurückliess. Kaum war er fort, so umchte sich auch
Antipas auf den Weg nach Rom, um ebenfalls seine Ansprüche
geltend zu machen. Er hatte durch das letzte (dritte) Testament
des Herodes nur Galiläa und Peräa erhalten, während er im früheren
(zweiten) als eigentlicher Thronfolger eingesetzt gewesen war. Da-
her wollte er nun dem Kaiser vorstellen, dass eigentlich ihm, nicht
dem Archelaus das Königthum gebühre. Gleichzeitig mit Archelaus
und Antipas waren auch viele Angehörige des herodianischen
Hauses in Rom anwesend, und diese traten nun ebenfalls gegen
Archelaus auf und wünschten am liebsten, dass Palästina unter
unmittelbar römische Verwaltung komme; oder wenn dies nicht
geschehe, wollten sie jedenfalls den Antipas lieber als den
Archelaus '^).
So agitirten die Söhne des Herodes in Rom gegen einander.
Augustus, in dessen Hand die Entscheidung lag, berief einstweilen
in seinen Palast eine berathende Versammlung, in welcher die feind-
lichen Brüder ihre beiderseitigen Ansprüche geltend machen sollten.
Für Antipas sprach ein gewisser Antipater, während für Archelaus
der ehemalige Minister des Herodes Nicolaus Damascenus das Wort
führte. Ein jeder suchte den Kaiser theils durch Gründe, theils
durch Verdächtigungen des Gegners auf seine Seite zu bringen.
Als Augustus die beiden Parteien vernommen hatte, neigte er sich
1) Antt. XVII, 9, 1—3. B. J. II, 1, 1—3.
2) Antf. XVII, 9, 3—4. B.J. II, 2, 1—3. Xicolaus Damascenus bei Müller
III, 353.
27*
420 § 16. Die Wirren nach Herodes' Tod (4 v. Chr.). [347. 348]
mehr auf Seite des Archelaus und erklärte diesem, dass er der
Würdigste sei, den königlichen Thron zu besteigen. Doch wollte
er die Sache noch nicht sofort entscheiden und entliess daher die
Versammlung, ohne ein endgültiges ürtheil gefällt zu haben 3).
Ehe aber in Rom die Frage wegen der Thronfolge entschieden
wurde, brachen in Judäa neue Unruhen aus. Schon bald nach des
Archelaus Abreise hatten die Juden wieder tumultuirt, waren aber
von Varus, dem Legaten von Syrien, zur Ruhe gewiesen worden.
Varus war dann nach Antiochia zurückgekehrt, indem er zur Auf-
rechterhaltung der Ruhe eine Legion in Jerusalem zurückliess.
Allein kaum war er fort, so brach der Sturm abermals los. Der
Kaiser hatte nämlich nach Herodes' Tod bis zur Ordnung der Thron-
folge einen Procurator, Sabinus^ nach Palästina geschickt. Dieser
bedrückte das Volk auf alle Weise und benahm sich in jeder Be-
ziehung rücksichtslos. Daher kam es unmittelbar nacli dem Abzug
des Varus wieder zu einem Aufstand. Es war gerade das Pfingst-
fest und deshalb viel Volk in Jerusalem anwesend. Sie theilten
sich in drei Haufen, und griffen an drei Stellen die Römer an: im
Norden des Tempels, südlich bei der Rennbahn und im Westen der
Stadt beim königlichen Palaste. Zum heftigsten Kampfe kam es
zunächst beim Tempel. Die Römer drangen siegreich gegen den
Tempelplatz vor; aber die Juden leisteten hartnäckigen Widerstand,
stiegen auf die Dächer der Hallen, welche den Tempelplatz rings
umgaben, und warfen von hier aus Steine auf die Soldaten herab.
Die letzteren mussten zum Feuer ilire Zuflucht nehmen, steckten
die Hallen in Brand und bemächtigten sich auf diese Weise
endlich des Tempeiberges. Als erwünschte Beute fiel ilineii der
Tempelschatz in die Hände, wovon Sabinus selbst 40U Talente für
8ich wegnahm^).
Allein diese erste Niederlage der Aufständischen war nur das
Signal zu einer weiteren Ausdehnung des Aufruhrs. In Jerusalem
schlug sich ein Tlieil der Soldaten des Herodes zu den Aufstän-
dischen; und infolge dessen gelang es diesen, den Sabinus sammt
s«?iner Streitmacht förmlich im Palast des Herodes zu belagern-').
In der Nähe von Sepphoris in Galiläa sammelte .ludas. der Sohn
jenes Ezj'chiu.s niit welchen» Jlerodcs einst zum Aerger des Syne-
driunis so kurzen IM-ocess geuuicht hatte (s. oben S. 'MS), eine Schaar
um sicii, bfinächtigte sich der im königlichen Arsenal .lufhcwaliiteu
Wttft'en, theilte diese unter seine (gesellen ;nis und machte damit
8) AfUt. xvn, ü, 5-7. n. j. n,2, 4-7.
4) Ann. xvn, 10, 1—2. B. J. II, 3, 1-3.
6) '"" yV!l, 10, 3. B. J. H, H, 4.
[348. 349J § 16. Die Wirren nach Herodes' Tod (4 v. Ctir.). 421
ganz Galiläa unsicher. Ja er soll nach der Königskrone getrachtet
haben '^). In Peräa sammelte ein gewisser Simon, ein ehemaliger
Sklave des Herodes, eine Bande und Hess sich von dieser zum König
ausrufen, wurde aber bald darauf von einer römischen Abtheilung
besiegt und büsste mit dem Leben '). Endlich wird von einem ehe-
maligen Hirten Namens Athronges berichtet, dass er sich die
königliche Krone aufgesetzt habe und mit seinen vier Brüdern
längere Zeit hindurch das Land unsicher gemacht habe^). — Es
war eine Zeit allgemeiner Verwirrung, aus welcher jeder für sich
möglichst viel Vortheil zu ziehen suchte.
Als Varus von diesen Vorgängen Kunde erhielt, brach er
mit den beiden Legionen, welche er noch hatte, von Antiochia auf,
um 1 die Ordnung in Palästina wiederherzustellen. Unterwegs
schlössen sich auch arabische Hülfstruppen, von König Aretas ge-
sandt, sowie andere Hülfstruppen ihm an. Mit dieser Streitmacht
säuberte er zunächst Galiläa. Sepphoris, wo jener Judas sein Un-
wesen getrieben hatte, ward in Brand gesteckt und die Einwohner
als Sklaven verkauft. Darauf zog Varus nach Samaria, das er
aber verschonte, da es sich am Aufstande nicht betheiligt hatte,
und rückte dann vor Jerusalem, wo noch immer die dort stationirte
Legion von den Juden im königlichen Palast belagert wurde.
Varus hatte hier leichtes Spiel. Denn als die Belagerer die starke
römische Macht heranrücken sahen, verloren sie den Muth und er-
griffen die Flucht Damit war Varus Herr der Stadt und des
Landes. Sabinus aber, der wegen des Tempelraubes und anderer
Uebergriffe kein gutes Gewissen hatte, machte sich eiligst aus dem
Staube. Varus Hess nun seine Truppen das Land durchstreifen,
um die Aufständischen, die sich noch überall in kleinen Schaaren
umhertrieben, einzufangen. Zweitausend von ihnen Hess er an"s
Kreuz schlagen, während er der Masse des Volkes Verzeihung
widerfahren Hess. Nachdem er so den Aufstand unterdrückt hatte,
kehrte er nach Antiochia zurück^).
6) Antt. XVII, 10, 5. B. J. II, 4, 1.
7) Antt. XVII, 10, U. B. J. II, 4, 2.
8) Antt. XVII, 10, 7. B. J. II, 4, 3.
9) Antt. XVII, 10, 9—10. 11, 1. B. J. II, 5, 1—3. — Dieser Krieg de»
Varus wird als einer der verheerendsten auch contra Apion. I, 7 erwähnt
(zwischen dem des Pompejus und dem des Vespasian). Der Name des Varus
ist daher wahrscheinlich auch herzustellen in einer corrumpirten Stelle des
Seder olam s. fin., in welcher es heisst, dass „vom Kriege des Asveros bis
zum Kriege des Vespasian achtzig Jahre" seien, Dl^abis "is Oi^^lDi« hia DlB^lEa
njf n*i3'2ir öir'^DEGX bir. Obwohl die Zahl achtzig etwas zu hoch gegriöen ist
und obwohl die besten Textzeugeu DTi'ilcx bieten, ist doch höchst wahrschein-
lich zu lesen Ci^', Varos (so Grätz, Gesch. der Juden III, 4. Aufl. S. 2-19 u.
422 § 16. Die Wirren nach Herodes' Tod (4 v. Clir.). [349. 350]
Während dies Id Judäa vorging, harrten in Rom Archelaus
und Antipas noch der Entscheidung des Kaisers. Ehe diese er-
folgte, erschien vor dem Kaiser auch noch eine Gesandtschaft
des Volkes aus Judäa, welche verlangte, dass keiner der Hero-
dianer zum König eingesetzt werde, sondern dass ihnen nach ihren
eigenen Gesetzen zu leben gestattet werde. Und um dieselbe Zeit
fand sich endlich auch Philippus, der letzte der drei Brüder, die
von Herodes mit einem Gebiete bedacht worden waren, in Rom
ein, um ebenfalls seine Ansprüche geltend zu machen und zugleich
diejenigen seines Bruders Archelaus zu unterstützen ^^). Diesen
vielerlei | Ansprüchen gegenüber musste Augustus endlicli eine
Entscheidung trelfen. In einer Versammlung, welche er eigens zu
diesem Zwecke im Tempel des Apollo anberaumte, hörte er zu-
nächst die Gesandten des jüdischen Volkes. Diese zählten ein
langes Register all' der Schandthaten auf, welche Herodes sich er-
laubt hatte, und suchten dadurch ihre Forderung zu begründen,
dass überhaupt kein Herodianer mehr in Palästina zur Herrschaft
gelange, sondern dass ihnen gestattet werde, unter römischer Ober-
herrschaft nach ihren eigenen Gesetzen zu leben. Als sie geendet
hatten, erhob sich Nicolaus Damascenus und führte für seinen
Herrn Archelaus das Wort*'). Nachdem so Augustus beide
Theile angehöi-t hatte, traf er nach einigen Tagen seine Ent-
scheidung. Durch dieselbe wurde das Testament des Herodes in
allen wesentlichen Punkten bestätigt. Archelaus erhielt das ihm
zugedachte Gebiet: Judäa, Samaria, Idumäa; nur die Städte Gaza,
Gadara und Hippos wurden davon abgetrennt und zur Provinz
•714 ff, [Note 18]; Dercnhourg, Uistoire p. 194. Brann, De Ifcnxlis qui di-
etiur Magni filiis p. 24 sq.). In Botreff der Textüberlieferuiig vgl. Salzer,
Magazin für die Wissensch. des Judenth. IV, 1877, S. 141—144, und die neu-
eren Ausgaben des Seder ülani von Neubauer, Mediacral Jewisli Chronicles,
II {Anecdola Oxom'ensia, Semitic tierics vol. 1, Part VI) 1895, p. U6, und Rat-
ner, Seder Oluin, die grosse Weltchronik, Wilnu 1897, S. 145. Hiernach ist
die ganze Stelle unten (§ 21, II Anhang) im Zusammenhang niitgetlieilt.
10) Atitt. XVII, 11, 1. B. J. II, 0, 1. — Die hier erzählten Tliutsaclien
iinben unverkennbar den äusseren Rahmen für das Glcichuiss von den anver-
trauten Pfunden {Iaw.. 19, 12 ff.) geliefert. Vgl. bes. Vers 12: „Ein Edler
[Archelaus] zog fern in ein Land [Rom], dass er ein Reich [Judäa) eiiiiu'ihmi",
und «lanri wiederkäme". 14: ,, Seine Hürger aluT wiircn ilim friud, und schick-
ten HotMchaft liintcr ihm her, uufl liessen sagen: Wir wollen iiidit, dass dieser
Über unH herrsche". — Mit Unrecht will Sevin (Chronoh)gie des Leliens Jesu.
Ih74, 8. 128—130) an die von Josephus Antt. XVI II, f), 1 erwälnite Reise des
AntipaH denken. Denn bei dieser fehlt gerade ein IIanpti)unkt: die (lesandt-
Mchaft und der Protest des Volkes. Ja wir wissen üb(>rhau])i nicht (>inniii1,
waM der Zweck jener Reise war.
11) Ana. XVII, ! II. ./. II, (J, 2.
[350] § 16. Die Wirreu nach Herodes' Tod (4 v. Clir.). 423
Syrien geschlagen; und statt des Königstitels erhielt er den Titel
Ethnarch. Antipas erhielt Galiläa und Peräa mit dem Titel
Tetrarch; Philipp us ebenfalls als Tetrarch die Landschaften
Batanäa, Trachonitis und Auranitis. Archelaus bezog aus seinen
-Ländern ein Einkommen von 600 Talenten, Antipas 200 Talente
und Pliilippus 100. Auch Salome, die Schwester Herodes des Gr.,
erhielt den ihr zugedachten Antheil, die Städte Jamnia, Azotus,
Phasaelis und 500,000 Silberstücke; dazu noch den Palast in
Askalon^-). — Salome lebte im Genüsse dieser Besitzungen!
12) Antt. XVII, 11, 4—5. B. J. II, 6, 3. Im Allgemeinen auch Nicolaus
Damascenus bei Müller, Fragm. III, 354. Strabo XVI, 2, 46 p. 765. — Ueber
die im Obigen genannten Städte (Gaza, Gadara, Hippos, Jarania, Azotus,
Phasaelis) s. § 23, I. — Der Titel idvaQxrjq bezeichnet oftenbar einen etwas
höheren Rang als der Titel xexQtxQyriq. Ersteren führten z. B. die hasmonäischen
Fürsten vor Annahme des Königstitels (I Makk. 14, 47. 15, 1—2). Er wurde
auch dem Hyrkan II durch Caesar verliehen [Antt. XIV, 10, 2); vgl. über-
haupt: Winer'.s Real-Wörterb. s. f. und Weiss in: Herzog-Hauck, Real-Enc.
3. Aufl. V, 558—560. Viel häufiger ist der Titel tstqüqx^?- Herodes der
Grosse und sein Bruder Phasael hatten ihn bereits durch Antonius erhalten
(Antt. XIV, 13, 1. B. J. I, 12, 5). Im J. 20 v. Chr. wurde Pheroras zum
Tetrarchen von Peräa eingesetzt {Antt. XV, 10, 3. B. J. I, 24, 5). — Der Aus-
druck TfTQaQX'a ist zuerst bei Euripides in Bezug auf Thessalien nachweis-
bar. Dieses war von Alters her in vier Bezirke getheilt {Harpocration, Lex.
ed. Dindorf s. i\ TexQaQxia .... xal 'Agiaioxllric; 6s iv r^ xotv^ OsxxaXaiv
TcoXixeiq inl l4Xeva xov Uvqqov öijiQfja&al (pTjaiv eig 6' fioigag x^v OixxaUav.
Ueber das Alter des Aleuas und über die Verfassungsgeschichte von Thessa-
lien überhaupt s, Gilbert, Handbuch der griechischen Staatsalterthümer Bd.
II, 1885, S. 5-17. Toepffer Art. „Aleuadai" in Pauly-Wissowa's Real-Enc.
I, 1372 f.). Euripides lässt daher am Schlüsse seiner Alcestis den Admetus
sagen: „Den Bürgern und jeder Tetrarchie befehle ich nun, Tänze aufzuführen
und Opfer darzubringen etc." (Eurip. Alcest. 1154: ^arot? de näa^ r' iwtnat
xfXQaQx^f} etc.). Als König Philipp von Macedonien ganz Thessalien unter
seine Herrschaft brachte, setzte er über jede xsxQÜg einen äQX<^^ [Harpocration
l. c. oxi äh 4*iXin7ioq xa9-^ sxdaxrjv xovxiuv xäv fxoiQuJv agxovxa xaxsaxrjaf
SeörjXcaxaaiv uXXoi xs xal GsönofiTiog iv xy n6'). Mit Bezug hierauf sagt De-
mosthenes, Philippus habe in Thessalien Tetrarchien eingesetzt (Demosth.
Philipp. III, 26: äkXa ßexxaXla nöiq eyjt; ovxl xag noXixeiag xal xaq noXeiq
avTtöv TiaQ^grixai xal xsxgagx^'^? xarsaxTjatv). Bei Euripides und Demosthenes
bedeutet also xexgaQxia eine „Viertelsherrschaft" (Regierung über eine xexQÜq,
weshalb auch xsxQaöaQxla vorkommt). Ebenfalls in diesem ursprünglichen
Sinne kommt der Ausdruck in Galatien vor. Ueber dieses herrschten, nach
der Beschreibung Strabo's, zwölf Tetrarchen, nämlich je vier über jeden
der drei Stämme der Trokmer, Tolistobogier und Tektosagen [Strabo XII, 5,
1 p. 566 sq. ; ungenauer Plin. H. N. V, 146). Als die Mehrzahl derselben durch
Mithridates ermordet worden war [Appian. Mithridat. 46), ordnete Pompejus
die Verhältnisse so, dass er über jeden der drei Stämme je einen Tetrar-
chen setzte. Später wurde deren Zahl auf zwei, zuletzt auf einen, den Dejo-
tarus, reducirt [Strabo XII, 5, 1 p. 567, dazu die ausführliche Darstellung
424 § 16- I>ie Wirren nach Herodes" Tod {A v. Chr.). [351. 352]
noch etwa 12—14 Jahre. Sie starb um d. J. lo nach Chr. (zur
Zeit des Procurators M. Ambibulus) und vermachte ihre Besitzungen
der Kaiserin Livia'^).
dieser Verhältnisse bei Niese, Rhein. Museum Bd. 3S, 1883, S. 583-600, und
Zwintscher, De Oalatarum tetrarehis et Amynta reqe qiiaestiones, Lips. 1892,
;>. 1—26). Obwohl aber der Titel Tetrarch so seine ursprüngliche Bedeutung
ganz verloren hatte, wurde er doch beibehalten; denn der Königstitel, welchen
einige daneben führten, bezog sich nicht auf Galatien, sondern auf andere
Besitzungen {Strabo XII, 3, 13 p. 547; XIII, 4, 3 p. 625; Niese a. a. O.). Mit
völliger Abstreifung seines ursprünglichen Sinnes begegnet uns
aber der Titel xetgägyrriq auch sonst sehr häufig in der römischen Zeit. Er
bezeichnet jetzt einfach einen kleinen abhängigen Fürsten, dessen
Rang und Machtstellung geringer ist als die eines Königs. Solche
Tetrarchen scheint es besonders in Syrien sehr viele gegeben zu haben.
Vgl. Plinms, Hist. Nat. V, 74: intercursant cinguntque hos urbes [Decapoleos]
ietrarchiae, re{/norum instar sinffulae; ibid. 11: Deeapolitana regio praedictaeque
cum ea ietrarchiae; ibid. 81: Kaxerinorum tetrarchia; ibid.: tetrarchias duas quae
Granucomatitae vocantur; ibid. 82: tetrarchiam quae Mammisea appellatur; ibid.:
tetrarchias in regna descriptas barbaris tiominibtts XVJtl. Joseph. Vita 11:
sxyovog ^osfxov xov nsgl zov Aißavov xfXQagxovvxoq. Antonius verschenkte
„Tetrarchien und Königreiche" {Phit. Anton. 3(5: no'/.Xolq iya()i'C,exo xexQüQx^aq
xal ßaaiXslag i&v<üv fieydXwv). Zu dem Heere des Varus, 4 v. Chr., gehörten
auch Hülfstruppen, welche rj ßuoiXeTg i} xivsc xexpaQyai xoxs naQsTxov {Joseph.
Antt. XVII, 10, 9 init.). Zur Zeit Nero's wurden „die Tetrarchen und Könige"
in Asien angewiesen, den Befehlen des Corbulo zu gehorchen [Tacit. Anna!.
XV, 25: scribitur tetrarehis ac regibus praefectisque et procuratoribus . . .ju^sis
Corbiäonis obsequi). Und so werden überhaupt in der römischen Zeit sehr
oft neben den reges auch die tetrarchae als kleine Fürsten untergeordneten
Banges erwähnt (z. B. Cicero, in Vatinimn 12, 29; pro Bnlbo 5, 13; pro Milone
28, 76; Philipp. XI, 12, 31. Caesar, Bell. Civ. III, 3. Ikll. Alex. 78. Horat.
Sat. I, 3, 12. Noch mehr Beispiele in der unten angeführten Literatur). Nälier
bekannt sind uns ausser den galatischen Tetrarclien und den herodia-
n lachen Fürsten namentlich die Tetrarchen von Chalcis oder Ituräa: Pto-
lemäuH, Lysanias, Zenodorus (s. über diese: Beilage I). Bei der geringen
Bedeutung dieser kleinen P^ürsten ist es nicht zu verwundern, dass der Titel
tetpcpzjyc auf luHchriften und Münzen verhältnissmässig selten vorkommt.
Von InHcliriften vgl. Corp. Inscr. Oraec. «.4033; 4058; liidlettino dell' Instituto
di corrixp. nrclieol. 1873, p. 227 — Hermes XIV, 475 (sümnitlicli auf gahitisclie
Tetrarchen bezüglich); Corp. In-fcr. Graec. n. 2502; liiillctiti de rorrespondnnce
htllenif/ur. t. III, 1879, p. 365 «q. (beide auf HcrodcH Antipan ])c/,üglich); (>orp.
Inacr. (Jraec. n. 4521; 4523 — Uenau, Mittsion de Phfiilricp. 317—319 (Dynastie
von Chalciff). Von Münzen kommen auHHcr denjenigen desPhilippus und Herodes
Antipa» nur die den Ptolemäus, Lysanins und Zenodorus in Bctnuht (s. Beilage II.
— Vgl. Oberhaupt: Strphanus, Thesaurus s. v. TtX()cci>XTiii und Ttxpai>xta,
Forrnttini, lAsxiemt h. v. Irtrarrhcn und tetrarchia, Wiiier, Realwörter!). II,
003. Keim in Schenker« Hibellex. V, 487— 4W). Boiin, (,hia r audio ione juris
rtg$$ $oeii popull limnanl f'iirriut (1H77) p. 9—11. NicHc, Oalution und seine
Tttrarchen (Khcin. MuH.inn IM. :!S, 1KS:{. 8.583—600). Zwintscher a.a.O.
13) Anit. XVIU, 2,
[352. 353] § 16. Die Wirren nach Herodes' Tod (4 v. Chr.). 425
Das ehemalige Reich des Herodes war demnach jetzt in drei
Gebiete zertheilt, von welchen zunächst jedes seine eigene Ge-
schichte hat.
§ 17. Die Söhne des Herodes.
a. Philippus (4 V.— 34 n. Chr.). Sein Gebiet römisch
(34-37 n. Chr.).
Quellen: Joseph. Äntt. XVIII, 2, 1. 4, 6. 6, 10. B. J. II, 9, 1. 6.
Ueber die Münzen s. unten.
Literaturl): Ewald, Geschichte des Volkes Israel V, 95—97. VI, 319.
Win er, RWB. II, 250.
Leyrer in Herzog's Real-Enc. 2. Aufl. XI, 618.
Keim, Geschichte Jesu I, 206 f. Schenkel's Bibellex. III, 40—42.
Lewin, Fasti sacri (s. Index p. 408).
Brann, Die Söhne des Herodes, 1873 (Separat- Abdruck aus der
Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth.) S. 77 — 87.
Der Umfang des Gebietes, welches Philippus erhalten hatte,
wird von Josephus an den verschiedenen Stellen verschieden an- 1
gegeben^). Fassen wir alles zusammen, so umfasste es die Land-
schaften Batanäa, Trachonitis, Auranitis, Gaulanitis,
Panias; nach Ev. Luc. 3, 1 auch Ituräa^). Die genannten Land-
1) Das Gründlichste über „Herodes' Söhne und Enkel" sind die betreflen-
den Artikel von Keim in SchenkeTs Bibellexikon. — Aeltere Literatur s.
auch bei Reuss, Gesch. der heil. Schriften A. T.'s § 558.
2) Antt. XVII, 8, 1. 11, 4. XVIII, 4, 6. B. J. II, 6, 3. An der letzteren
Stelle folgt nach Batanäa, Trachon und Auranitis noch ixigri xiva xov Zrivatvoq
oi'xov ra nsgl ^afjivsiav. So der gedruckte Vulgär-Text mit zwei Handschriften ;
statt 'Idfivsiav haben drei Handschriften 'Iwarw, zwei 'Ivav. Es ist sicherlich
IlavsidSa zu lesen, nach Ä7iU. XVII, 8, 1.
3) Batanäa entspricht dem alttestamentlichen Basan ("^^S), Euseb. Ono-
mast, ed. Lagardc p. 232 oben: Baadv .... avTij Baaavlxiq ij vvv xaXovfiivrj
Baravaia. Doch hatte das alte Basan einen weiteren Umfang als das spätere
Batanäa. Man verstand unter jenem das ganze Gebiet jenseits des Jordan
zwischen dem Hermon im Norden und der Landschaft Gilead im Süden, mit
östlicher Aiisdehnung bis Salcha (am Süd -Abhang des Hauran), s. Deut. 3,
10. 13. Josua 12, 4. 13, 11 f. 13, 30 f. 17, 1. 5. I Chran. 5, 23. Innerhalb
dieses Gebietes liegen aber auch die späteren Landschaften Trachonitis, Aura-
nitis und Gaulanitis; so dass also Batanäa nur ein Theil des alten Basan ist.
Doch wird der Ausdruck auch von Späteren zuweilen noch im weiteren Sinne
gebraucht, z. B. Joseph. Vita 11 med. /asxcc xwv iv Baxavala TQaxavixwv. Da
als die Hauptstädte von Basan die Städte Astaroth und Edrei genannt
426 § 17. a. Philippus (4 v.— 34 u. Chr.). Sein Gebiet römisch (34—37). [353. 354]
schafteil ] waren säinintlicli keine alten Stammlande des jüdischen
Volkes, sondern grösstentheils erst in späterer Zeit mit dem jüdischen
werden (Josua 12, 4; 13, 11 f. 13, 30 f.), so wird man aunelimen dürfen, dass
diese auch den Mittelpunkt des späteren Batanäa bezeichnen. Edrei, später
Adraa, heute Der'a, liegt fast genau in der Mitte zwischen der Südspitze
des See's Genezareth und dem südlichen Ende des Hauran-Gebirges. Dass
Astaroth und Adraa in Batanäa liegen, hebt auch noch Eusebius hervor (0??o-
ttiast. ed. Lagarde p. 209, 213, 268, Artikel lAoTaQü>9- KaQvaeiv, 'AoTagcöd- und
KuQvaslfi ^araQoJd^). Das griechische Bazavala auch bei Polyh. XVI = Joseph.
Antt. XII, 3, 3 und Ptolem.Y, 15, 26. — Eine auf genauen Vermessungen be-
ruhende Karte des südlichen Batanäa (nördlichen Adschlnn) mit Einschluss
des westlichen Hauran giebt Schumacher, Zeitschr. des DPV. XX, 1897.
Trachonitis oder auch 6 Tqccx(ov (so Joseph. Antt. XIII, 16, 5; XV, 10, 1.
B. J. II, 6, 3, und die Inschrift von Mismie) ist das rauhe Plateau südlich
von Damaskus bis gegen Bostra hin, welches heute dieLedscha heisst. Es
liegt also nordöstlich von dem eigentlichen Batanäa. Beweisend hiefür sind
folgende Daten. Auf einer Inschrift zu Mismie, dem alten Phäna im Norden
der Ledschä, wird dieser Ort als //.TjzQOxwßla xov Tgaxfnvoq bezeichnet {Corp.
Inscr. Oraec. n. 4551 == Le Bas et Waddington, Inscriptions t.Wl n. 2524).
Strabo erwähnt die Tgöxatveg als zwei Hügel in der Nähe von Damaskus
(Strato XVI, 2, 20 p. 756: vK^pxstvrat d' avz^g ovo ksyo/jevoi Xötpoi TQtixoävsg,
vgl. auch XVI, 2, 16 p. 755). Eusebius setzt Trachonitis stets iu die Nachbar-
schaft von Bostra {Onomast. s. v. 'Ivovgaia ed. Lagarde p. 268: T()ax(ovlTig 6h
xaXfirai r] nagaxeifiivT] x^Q'^ ^Ü ^OVf^tp ^Ü xaxa BöaxQav xfjq lioaßlag. Und,
8. V. KavdO- p. 269: xeTxat de xal sxi xal vvv ^v TQaxöivi nXrjaiov lioaz^xöv.
Ibid. s. V. TQaxcovZxiq p. 298: Boxiv 6h xal inixeiva BooxQÖiv xaza rfjv e^rj/iov
ngoq voxov wq inl Ja/ncaxöv). Auch in einer rabbinischen Erörterung über
die Grenzen Palästina's kommt „Trachon in der Nähe von Bostra" vor {jer.
Schebiith VI, 1 fol. 36t, Tosephta Schebiith IV ed. Ziickermandd p. 66, 10, Siphre
Abschnitt Ekeb gegen Ende; der jerus. Talmud hat nnsiab nnnian X3i3"i:3
[„Trachon, welches an Bostra grenzt"], ebenso eine Haudsclirift der Toaephta;
eine andere: nnaa BiPirm S«l3ia [„Tracliou an der Grenze Bostra's"] ; vgl. zu
der ganzen Stelle: Xeubauer, Geographie du Tahmui p. 10 — 21, und bcson-
derH HildcHheimer, Beiträge zur Geographie Palästinas, Berlin 1886 [über
Trachon: S. 55—57]); die rubhiniBchen Stellen überhaupt bei Krauas, Grie-
chische und lateinische Lehnwörter im Talmud etc. II, 275. Die Targume
Hetzen K3l3ia für das biblische Argob {Onkelos Detä. 3, 4. 13 f.). Plinius er-
wälint Trachonitis in der NachbarHchaft von Panias {Plin. IL N, V, 74), Ptolc-
müuH die T^axuivlztct 'Agaftsq östlich von Batanäa (Plolem. V, 15, 26; letztere
Htelle erklärt freilich Waddington, Comptot remlus de l' Acad. des inscr. 1865,
p. 102 sq., in der Weise, dass vrclmchr umgekelirt das oigcntliclic Batanäa öst-
lich von Trachonitis liegen würde; aber seine Erklärung ist schwerlicl» zu
billigen). — Für die Bourtheilung von Ev. Lno. 3, 1 ist von Interesse, dass
I'bilo, oder vielmehr Agrippa in dem von Philo mitgetheilten Briefe, für
MÜmnitliclK! Landschafti'n des Philippus die abgekürzte Bezeichnung ztiv
Tquxo>vIxiv Xtyouhtiv gebrauclit (wie für die Landschaften des llerodes Anti-
ptts die B<'Z«'lcluiung xi)v r((XtXal(cv, beides « parte putiori wie bei Lucas,
n. Philo, hgai. ad (Jajuin g 41, cd. Mang. 11, .593 ////.). Kbcnso auch Josephus
HelbMt Aldi. XVIII, 5, 4: 'PiUnnt^ . . . T(;7 xtXQd{>x^ rr/f Tpaxtovlxt6oq, unmittel-
bar vorher von Antipa«: xifv 6h PaXikaiuji' xerpnpxiav ovroq elxev.
[354. 355] § 17. a. Pliilippus (4 v.— 34 n. Chr.). Sein Gebiet römiscii (34—37). 497
Lande vereinigt worden. Die Bevölkerung war eine gemischte;
und das | nicht-jüdische (syrische oder griechische) Element sogar
Auranitis ist das von Exechiel 47, 16. IR erwähnte "i'^'H, das auch in der
Mischna Bosch haschaiia II, 4 als eine der Stationen für die Feuersignale von
Judäa nach Babylon vorkommt (die Handschriften haben hier theils ■■'.l''rT,
theils "psri). Da Ghmvran nach dem Zusammenhang der Mischna ein Berg
sein muss, so ist Auranitis ohne Zweifel die Umgebung des Gebirgsstockes,
der noch heute Dschebel Hau ran heisst. — Eine Karte des Hauran-Ge-
bietes, nach Stübel's Messungen und anderen Quellen, giebt H. Fischer.
Zeitschr. des DPV. XII, 1889 (die Karte bedarf der Berichtigung, s. Mitthei-
lungen und Nachrichten des DPV. 1899, S. 12 f.).
Gaulanitis hat seinen Nameu von dem Ort Golan," der in der Bibel zu
Basan gerechnet wird {JDeut. 4, 43. Josxia 20, 8. 21, 27. I Ghron. 6, 56. Euseh.
Onomast. ed. Lagarde p. 242). Josephus unterscheidet Ober- und Unter-Gau-
lanitis, und bemerkt, dass in letzterem die Stadt Gamala liege {Be/l. Jud. IV,
1, 1; nach derselben Stelle lag Gamala östlich vom See Genezareth). Nach
Bell. Jiul. III, 3, 1 bildete Gaulanitis die östliche Grenze von Galiläa. Hier-
nach ist Gaulanitis im Wesentlichen derselbe Landstrich, der noch heute der
Dscholan heisst, nämlich die Niederung östlich vom Jordan von dessen Ur-
sprung bis zur Südspitze des See's Genezareth. — Eine auf genauen Ver-
messiingen beruhende Karte des Dscholan mit Einschluss von Panias, giebt
Schumacher, Zeitschr. des DPV. IX, 1886. Ergänzungen dazu, mit Wieder-
holung der Karte, Bd. XXII, 1899.
Die Landschaft Panias an den Quellen des Jordan (s. über den Ort Panias
Bd. II, S. 158—161) hatte früher dem Zenodorus und vor diesem zum Reich
der Ituräer gehört (s. Beilage I am Schluss dieses Bandes). Insofern ist
die Angabe des Lukas nicht ganz unrichtig, dass Philippus auch überlturäa
geherrscht habe. Aber jene Landschaft bildete freilich nur ein kleines Stück
des ehemaligen Ituräer-Reiches. Die eigentlichen Ituräer hatten ihre Wohn-
sitze im Libanon (s. Beilage I) und standen in den Jahren 38 — 49 nach Chr.
unter der Herrschaft eines gewissen Soemus [Dio Cass. LIX, 12. Taeit. XII,
23), während gleichzeitig Agrippa I die ganze Tetrarchie des Philippus in Besitz
hatte (Joseph. Antt. XVIII, 6, 10. XIX, 8, 2). Die Hauptmasse des ituräischen
Gebietes kann also nicht zum Gebiet des letzteren gehört haben (s. Keim,
Bibellex. III, 41). Sicher unrichtig ist Wetzstein's Meinung, dass Ituräa
am Ost-Abhang des Haurau zu suchen sei.
Vgl. überhaupt über die genannten Landschaften: Bei and, Palaestina
^>. 106— 110, 193-203. Oesenius, Tfiesaunis p. 2i9 sq. 4ö8 sq. 26Ö sq. Ritter,
Erdkunde XV, 800—1001. Raumer, Palästina S. 226 fl". Die Artikel über
Basan, Trachonitis, Havran oder Hauran und Golan in den biblischen Wörter-
büchern von Winer, Schenkel und Riehm. Fr. W. Schultz in Herzog's
Real-Enc. 2. Aufl. II, 112-116 (Art. Basan). Cless in Pauly's Real-Enc. VI,
2, 2038 f. (Art. Trachonitis). Kuhn, Die städtische und bürgerl. Verfassung
des röm. Reichs II, 381 f. 384 f. Porter, Historico-geofjraphical history of
Bashan (Joiirnal of Sacred Literature, New Series vol. VI, 1854, p. 281—313).
Derselbe, Five years in Da?nascus, 1855, II, 250—275. Wetzstein, Reise-
bericht über Hauran und die Trachonen, 1860, S. 36 f. 82—92. Ders. im
Anhang zu Delitzsch's Hiob-Commentar. Waddington, Comptes rendus de
/' Äcademie des inscriptions et helles-lettres 1865, p. 82—89, 102—109. (Die Ab-
428 §1'^- «• Pliilippus (4 V.— 34 n. Chr.). Sein Gebiet römisch (34—37). [355J
vorwiegend *). Philippus selbst war unter den Söhnen und Enkeln
des Herodes eine wahre Ausnahme. Während alle andern, dem
handlung von Nöldeke, Zeitschr. der DMG. 1875, S. 419 ff. bezieht sich auf
das sechste Jahrh. nach Chr.). Schumacher, Across the Jordan: being an
exploration and surveij of pari of Hauran and Jaulan , London 1886. D e r s. ,
Northern Äjlmi, London 1890.. Schumacher, Der Dscholan, zum ersten Male
aufgenommen und beschrieben, mit Karte (Zeitschr. des DPV. IX, 1886,
S. 165—363; Ergänzungen dazu Bd. XXII, 1899, S. 178— 188). Schumacher,
Das südliche Basan, zum ersten Male aufgenommen und beschrieben, mit Karte
(Zeitschr. des DPV. XX, 1897, S. 65—227). Guthe, Zeitschr. des DPV. XII,
1889, S. 230 ff. Hans Fischer, ebendas. S. 248 ff. (gute Uebersicht der neueren
Arbeiten zur Erforschung des Hauran-Gebietes). Buhl, Studien zur Topo-
graphie des nördlichen Ostjordanlandes, Leipzig 1894. George Adam Smith,
Historical Qeography of the Holy Land, 1894, p. 538—547, 554, 665 sqq. (mit
Bibliographie). Ewing, Quarterly Statements 1895, p. 73—82 (über die Grenze
zwischen Auranitis und Arabia). Rindfleisch, Die Landschaft Hauran in
römischer Zeit und in der Gegenwart (Zeitschr. des DPV. XXI, 1898, S. 1—46).
Guthe, Art. „Basan" in Herzog-Hauck's Eeal-Enc. 3. Aufl. II, 422—425. Ders.,
Art. „Gaulanitis" ebendas. VI, 378 — 382. Ders., Art. „Ituräa" ebendas. IX,
543 f. Benzinger, Art. „Batanaia" in Pauly-Wissowa's Real-Enc. III,
115 — 118. Driver, Art. „Bashan'' in: Cheync and Black, Encyclop. Biblica I,
495—498.
In Betreff der Südgrenze der Tetrarchie des Philippus lässt sich con-
statiren, dass die Gegend des heutigen Bosra und Salkhat (südl. vom Hauran)
nicht mehr zu seinem Gebiete gehörte, wie die in diesen Städten aufgefundenen
Inschriften mit den Namen der arabischen Könige Mal chus und Aretas be-
weisen. S.de Vogüe, Syrie centrale, Inscriptions semitiques (1868), p. 103.107
— Corp. Inscr. Semit. P. II Aram. n. 174. 182. Dagegen gehörte Hebrdn
am südlichen Abliange des Hauran noch zu seinem Gebiete. Denn eine da-
selbst gefundene aramäische Inschrift ist nicht nach den Regierungsjaliren
eines arabischen Königs, sondern nach Jahren des Claudius datirt („im Monat
Tischri im siebeuten Jahre des Kaisers Claudius" = 47 nacl» Chr., s de
Vogüe p. 100 == Cmp. Inscr. Semit. P. II Aram. n. 170). Man darf daraus
schliessen, dass Hebrau zum Gebiete des Philippus gehörte, weh-hes im J. 37
an Agrippa I kam und nach dessen Tod unter römische Verwaltung genom-
men wurde. Vgl. <lie Bemerkungen bei Le Bas et Waddington, Insvrip-
tiom t. III, zu n. 2286.
4) In Batanäa hatte Herodes d. Gr. in den letzten Jahren seiner Regie-
rung jüdiHche CoIoiuHten aus Babylon unter Führung eines gewissen Zaniaris
angesiedelt und sie mit dem Privilegium vollständiger Abgabenfreiheit ausge-
stattet, das auch von Phili|)puH nocli im Wesentlichen respeetirt wurde. 8. Antt.
XVII, 2, 1—3. Zur GcKchielite dieser Colonie vgl. auch Jos. Vita 11. De
Saulcy, Mottnaie» des Znmaridca {Nuiiiismatic Chronicle 1871 , /;. 157 — 161)
[diene „Münzen der Zuniariden" sind üusserst problematisch]. — In Tradio-
nitis hatte cbcnrallH Herodes d. Gr. 3(KX) Idumäer angesiedelt, welche die
Aufgabe hatten, die Sicherheit des Landes gegenüber den räuberischen Ein-
wolmera aufrecht zu erhalten. S. Antt. XVI. 9, 2. — Die Mehrheit der Be-
w<»hner war aber eine lieidniMclii', wie schon die grosse Anzahl der jetzt nod»
dort vorhandenen griechischen Inschriften beweist. Vgl. im Allgemeinen auch
[355. 356] § 17. a. Pliilippus (4 v.-34 n. Chr.). Sein Gebiet römisch (34—37). 429
Vater und Grossvater nachschlagend, ehrgeizig, herrschsüchtig,
gegen die Unterthanen hart und tyrannisch waren, wird von
Philippus nur Rühmliches berichtet Seine Regierung war eine
milde, gerechte und friedliche. Den Traditionen seines Vaters blieb
er nur darin treu, dass auch er seinen Ruhm in gi-ossartigen Bauten
suchte. Namentlich wird von ihm die Erbauung zweier Städte be-
richtet. Das alte Panias an den Quellen des Jordan nördlich vom
See Genezareth baute er in grösseren Dimensionen aus und gab
ihm zu Ehren des | Kaisers den Namen Cäsar ea. Es wurde im
unterschied von dem bekannteren Cäsarea am Meere Cäsarea
Philipp! genannt, unter welchem Namen es bekanntlich auch in
der evangelischen Geschichte erwähnt wird {Mt. 16, 13. Mc 8, 27).
Die andere Stadt, welche er neu baute, war das am Einfluss des
Jordan in den See Genezareth gelegene Bethsaida^), das er zu
fahren der Tochter des Augustus Julias nannte^). Gelegentlich
erzählt Josephus von ihm, dass er zuerst entdeckt und nachgewiesen
habe, dass die vermeintliche Jordanquelle bei Panias ihr Wasser
mittelst eines unterirdischen Zuflusses aus der sogenannten Phiala
erhalte. Philippus bewies dies dadurch, dass er in die Phiala Spreu
werfen liess, welche dann bei Panias wieder herauskam').
Sonst wissen wir über seine Regierung nur noch, was Josephus
bei Gelegenheit seines Todes bemerkt^): „Er bewies bei seiner Re-
B. J. III, 3, 5: oixovai de avrriv (itydöeq *Iovdalol zs xal 2^vgoi, und Bd. II,
S. 13.
5) Wahrscheinlich verschieden von dem neutestamentlichen ; doch s. Bd. II,
S. 162.
6) Antt. XVIII, 2, 1. B. J. II, 9, 1. — Ueber beide Städte, die Zeit ihrer
Erbauung und ihre sonstige Geschichte s. Bd. 11, S. 158—162.
7) B. J. III, 10, 7. Nach der Beschreibung des Josephus kann die „Phiala"
kaum etwas anderes sein als der heutige Birket Kam. Dann aber ist die
von ihm erzählte Geschichte nach den Niveau- Verhältnissen nicht möglich.
S.Ritter, Erdkunde XV, 1, 174—177. Robinson, Palästina III, 614 ft'.
Derselbe, Neuere biblische Forschungen S. 522 ft". Ouerin, Oalilee II,
329—331. Schumacher, Zeitschr. des DPV. IX, 1886, S. 256 f. (mit Karte).
8) Antt. XVIII, 4, 6: Tskswä — ntxgiov iv olq ^qx^ nagaaxufv tbv xqö-
nov xal dnQayfiOva. dlaixav fxhv yag xb nüv iv x^ yl x^ vnoxeXeT inoisTxo-
TiQooöoi S' rjaav avröj avv 6).lyoiq X(Dv inilexzcov, xal zov ^gotov eiq ov exQive
xa&eL,6fxevog fv xaZg oSoTg hnofihov, onöre xiq vTiavxiäaag iv ZQSia yivoixo
ttvTw inißorjQüv, oidsv ek dvaßokaq rliX ix xov o^tog idQvaewg xov &q6vov
y xal xvxot ytvo/uivtjq xa&st,6fxsvoq i^XQoäro, xal xifxwgiaq xi inexlfia xoZq
alovoi xal ^(pin xovq döixwq iv iyxXi^fiaai yevoßivovq. — Das Sitzen des
Richters auf der sella war eine nothwendige Formalität, ohne welche der
Spruch nicht rechtskräftig war. Beispiele: Ev. Matth. 27, 19. Joh. 19, 13,
Act. 25, 6. Josephus Bell. Jiui. II, 9, 3 (Pilatus); II, 14, 8 (Florus); III, 10, 10
(Vespasian). Ueberhaupt über die sella eiinilts und das Sitzen der Magistrate:
430 § 1 '• "• Ptilippus (4 V. — 34 n. Chr.). Sein Gebiet römisch i34 — 37). [356. 357]
gieruug eine bescheidene und friedliebende Gesinnung. Sein ganzes
Leben brachte er in seinem eigenen Lande zu. Wenn er ausging,
war er nur von wenigen Auserwählten begleitet und hatte stets
den Sessel, auf welchem er Recht sprach, bei sich. Su oft ihm
Einer begegnete, der seiner Hülfe bedurfte, liess er ohne Aufschub
sofort, wo immer er sich befinden mochte, den Sessel niedersetzen,
hörte den Fall an, verurtheilte die Schuldigen und entliess die un-
schuldig Angeklagten". — Aus seinem Privatleben wissen wir nur,
dass er mit Salome, der Tochter der Herodias, verheirathet war,
ohne dass aus dieser Ehe Kinder entsprossten ^). — Seiner politi-
schen Gesinnung nach war er ein entschiedener Freund der Kömer
und legte Werth auf die Gunst der Kaiser. Es erhellt dies nicht
nur aus den Städtenamen Cäsarea und Julias, sondern auch daraus,
dass auf seinen Münzen das Bildniss des Augustus und Tiberius
geprägt war — zugleich der erste Fall, dass Münzen eines jüdischen
Fürsten überhaupt ein Bildniss trugen *^).
Rein in Pauly's Real-Enc. VI, 1, 9ü0. Moni rasen, Römisches Staatsrecht I,
315 ff.
9) Antt. XVIII, 5, 4.
10) Dabei ist freilich zu bedenken, dass das Gebiet des Philippus vorwiegend
heidnisch war. — Vgl. über die Münzen: L'ckhcl 111, A^O sq. MionnctV,
5üO sq. Letiormaiit, Tresor de numisniatiqne p. 126 jo/. LX ni 1 — 2. 3Ia dcleti ,
History p. lUO— 102. De Saulcy, Notes sur /es momtaies de Philippe le ietrarquc
(Äntiuaire de la Soctete fran^aise de Niimismatiqtie et d^ Archeologie t. 111,
I8(i8 — 1873, p. 262—265). Madden, Numismatie Chronicle 1875, ;;. 52 — 5b.
Madden, Coiiis of thc Jeics, 1881, p. 123 — 127 (hier am vollständigsten). De
Saulcy, Monnaie inedite de Philippe le tetrarqtie [Ämniaire de la Societe fr. de
Num. et d'Arch. t. V [= Seconde Sirie t. IJ fasc. 3, 1879, p. 181 sq.). — Die
Mün7-en haben auf der einen Seite den Namen des Philippus 4>lAinilOY
TETPAPXÜY, mit dem Bilde eines Tempels und den Jahreszahlen 12, 10, 19,
33, 37 (die Jahreszahl lli = 12 bei Madden, Coins p. 125 und auf einem von
Madden noch nicht erwähnten Exemplare bei de Saulcy, Anmiaire V, 3, 181 sq.).
Die von Mionnet angegebenen Jahreszahlen 26 und 29 hält de Saulcy für
falxch gelcHCD. Die Münze vom J. 37 (zuerst mitgetlieilt von Madden, Uistury
p. 102) int aUH dem letzten Jahre des Philippus -= 33/34 nach Chr. Die Mün-
zen vom J. 12 und 16 (— 8/9 und 12/13 nadi Chr.) haben auf der anderen
beltc den Kopf des Augustus und die Aufschrift KAICAPI CEliACTil
(fragmcntariHcliJ, die vom J. 19, 33 und 37 den Kopf des Tiberius mit äiiu-
licher Aufschrift; die vom J. 37 den vollon Namen TlUEinOC CEliACTüC
KAICAP. — Der auf allen Münzen abgebildete Tempel ist wohl der Augustus-
tempel zu PaniiiH, welchen Uerode» d. Gr. erbaut hatte {Aiitf. XV, 10, 3. Ji.J. 1,
21, 3). Der Typus int aUo ganz heidnisch. — JJild und Namen des
KaiHcrM findet »ich, auch auf den Münzen mandier aiidcrcii abhängigen Könige
ih;Uou von der Zeit den AugUMtus an; doch giebt es auch solche, auf weichen
noch jeder HinweiH auf die höhere kaiserliehe Autorität fehlt. S. Hohn, (,ht(t
condiciuuc 'uris reges aocii populi Uomuni fucrinl, 1S77, p. 45—49.
[357. 358] § 17. a. Philippus (4 v.— 34 n. Clir.). Sein Gebiet römisch (34—37). 43 1
Philippus starb nach 37 jähriger Regierung im 2u. Jahre des
Tiberius (=33/34 nach Chr.), und wurde in dem von ihm selbst
erbauten Grabmal beigesetzt ^ i). Sein Gebiet wurde der Provinz
Syrien zugetheilt, behielt aber seine eigene Steuerverwaltung ^ 2),
und wurde schon nach wenigen Jahren wieder einem Herodäer ver-
liehen. Kaiser Caligula schenkte nämlich unmittelbar nach seinem
Regierungsantritt (März 37 n. Chr.) die Tetrarchie des Philippus
dem Agrippa, einem Sohne des von seinem Vater Herodes hin-
gerichteten Aristobul, also Enkel des Herodes und der Mariamme ^^).
b. Herodes Aiitipas (4 v.— 39 u. Chr.j.
Quellen: Joaeph. Antt. XVIII, 2, 1 u. 3. 4, 5. 5, 1-3. 7, 1—2. B. J. II,
9, 1. 6.
Im N. T.: Matth. 14, 1—11. Marc. 6, 14—28. Luc. 3, 19 f. 9, 7—9.
13, 31 f. 23, 7—12.
Ueber die Münzen s. unten.
Literatur: Ewald, Geschichte des Volkes Israel V, 99—108. VI, 320—322.
Hausrath, Zeitgeschichte 2. Aufl. I, 284 fl'. 325 fl'. II, 207 ff. 221 ff.
Winer, Realwörterb. I, 484.
Wieseler in Herzog's Real-Enc. 2. Aufl. I, 465 f. Ders., Chronolog.
Synopse S. 55. 174. 238 ff.
Keim in Schenkel's Bibellex. III, 42—46. Geschichte Jesu I,
203—206. 574 ff 621 ff. II, 509 ff. 615. III, 379 ff 484 ff.
Ger lach in d. Zeitschr. f. luth. Theol. 1869, S. 32-53.
Leiviii, Fasli sacri (s. Index p. 408).
Brann, Die Söhne des Herodes, 1873 (Separatabdruck aus der Mo-
uatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth.) S. 17—76.
Einen bessern Antheil als Philippus hatte bei der Theilung
des väterlichen Erbes sein Stiefbruder Antipas oder, wie er von
Josephus häufig, auf Münzen und im Neuen Testamente stets ge-
nannt wird, Herodes erhalten, ebenfalls wie jener mit dem Titel
eines Tetrarchen ^). Sein Gebiet (Galiläa und Peräa) war zwar
11) Antt. XVIII, 4, 6. — Das 20. Jahr des Tiberius beginnt d. 19. Aug.
33 n.Chr.; das 37. des Philippus endigt (wenn wir v. Nisan zu Nisan rechnen,
vgl. S. 415 f.) im Frühjahr 787 a. U. = 34 p. Chr. Philippus starb also im Winter
33 34 n. Chr.
12) Antt. XVIII, 4, 6.
13) Antt. XVIII, 6, 10. B. J. II, 9, 6.
1) So wird er richtig auch Matth. 14, 1, Ltic. 3, 19 genannt; dagegen
Marc. 6, 14 ungenau ßaaiXevq. — Da Herodes Antipas der einzige Herodes
ist, welcher den Titel Tetrarch führte, so beziehen sich ohne Zweifel auf ihn
432 § l"?- ^- Herodes Antipas (4 v.— 39 n. Chr.). [358. 359]
durch I die sogenannte Dekapolis, welche sicn zwischen Galiläa
nnd Peräa wie ein Keil hineindrängte, in zwei Theile gespalten ^).
Aber dafür wurde er reichlich entschädigt durch den Umstand,
dass die Hälfte davon das schöne, fruchtbare und dichtbevölkerte
Galiläa bildete mit seinen kräftigen und tapfern, freilich auch die
Freiheit liebenden Einwohnern 3). Seinem Charakter nach war
Antipas ein ächter Sohn des alten Herodes, klug, ehrgeizig und
prachtliebend, nur weniger thatkräftig als der Vater ^). Für seine
Schlauheit haben wir ein vollgültiges Zeugniss aus dem Munde
Jesu, der ihm bekanntlich einst das Prädikat eines „Fuchses" er-
theilte'). Es war allerdings Klugheit nöthig, um die Galiläer im
Zaume zu halten und die Grenzen Peräa's gegen die raublustigen
Araber zu schützen. Zur Sicherheit Galiläas baute er das von
den Soldaten des Varus durch Feuer zerstörte Sepphoris (s. oben
S. 421) wieder auf und umgab es mit festen Mauern. Und zum
Schutze von Peräa befestigte er Betharamphtha und nannte es
die beiden folgenden Inschriften, welche zugleich von seinen Reisen in's Aus-
land Zeugniss geben:
a) Auf der Insel Kos {Corp. Inscr. Graec. n. 2502 = Paton atul Hieks ,
Inscriptions of Cos n. 75, vgl. Herzog, Sitzungsberichte der Berliner Akademie
1901, S. 494):
'^HqiÜSov tov ßaaiX^(oq vlov,
xexQUQxnVy
4>iXla)v lly^MOV, (pvasi 6s Nlxcavog,
TOV avTOv ^ivov xal (piXov.
b) Auf der Insel Delos {Bulletin de correspondance helleniqtie t. III, 1879,
p. 365«?.):
'O 6fjfj.oq 6 'A[d^Tjvala)v xal ol]
xaToixo[vvT6g t^v vrjaov]
'^HQiödrjv ßaaiXk[o)q ''Hqwöov vlbv]
TfXQÜQxrjv a()fT^[c evsxev xal evvol-]
aq x^q elq kavxov[q . . . dvt&rjxav].
2) Vgl. die Karte in Menke's Bibelatlas. — Ueber die Dekapolis [Matth.
4, 25. Marc, ö, 20. 7, 31) b. Bd. II, S. 116—148.
3) Vgl. die BeHchreibung Galiläa's Bell Jiid. III, 3, 2-3. 10, 8. Gut he,
Art. „Oalilüa" in Ilerzog-IIauck's Rcal-Enc. 3. Aufl. VI, 336—344. — Ueber die
Grenzen von Galiläa und Peräa h. Bd. II, 8. 5— H.
4) Jodcphus nennt ihn {Ayüt. XVIII, 7, 2) dyandiv xt/v t/avxlav.
6) Luc. 13, 32. — Den Fuch» wollen Hofinann (Schriftboweis II, 1,315),
Gerlach (ZeitHchr. f. liith. Thcol. 1K09, H.:W) und Volk mar (Die FA-aiigrlion,
1870, 8. 4Ö9f.) nicht aln Symbol der Schlauheit, sondern der oll'enen Räuberei
betrachten. 8. dagegen Keim, Gesell. Jesu II, 615, und JlamburgtM-, Real-
Encyklop, f. Bibel und Talmud Abth. I (1870), Art. „Fuchs". Im Talmud wird
der Fueh» aJindrüeklieh als der bezeichnet „den nuin nennt den Listigsten unter
den Thieren" nnTiauj np» y^by ')'<naiHu; {b. livrarholk 611').
[359. 360] § 17. b. Herodes Antipas (4 v.— 39 n. Chr.). 433
nach des Kaisers Gemahlin Li vi as, später Julias^). Auch waren
es sicherlich politische Motive, die ihn zur Heirath mit der Tochter
des Araberkönigs Aretas bestimmten'). Er glaubte dadurch besser
als durcli alle Befestigungen sein Land vor den Einfällen der
Araber sicher zu stellen; und vielleicht war es Augustus selbst,
der ihn zu dieser Heirath bewogen hat*^).
Wie alle Herodäer liebte auch Herodes Antipas luxuriöse Bauten.
Besonders hervorragend in dieser Beziehung war der Bau einer
glänzenden Hauptstadt, welchen er zur Zeit des Tiberius unter-
nahm^). Er wählte dazu „die beste Gegend Galiläas" {Jos. rolg
XQaxioroiq .... trjq FaXikaiag), das Westjufer des See's Genezareth,
in der Nähe der warmen Quellen von Emmaus. Die Wahl des
Platzes war freilich in einer Beziehung keine glückliche. Denn
giirade der Platz, an welchem die Stadt gebaut wurde, war, wie
sich bei den Grabarbeiten herausstellte, eine alte Begräbnissstätte,
deren Bewohnung — da jede Berührung von Gräbern auf sieben
Tage verunreinigte ^^) — den gesetzestreuen Juden unmöglich war.
Herodes musste daher, um nur Bewohner für die Stadt zu be-
kommen, viele Fremde, Abenteurer und Bettler zwangsweise an-
siedeln, wodurch die Bevölkerung eine sehr gemischte wurde. An
prachtvollen Gebäuden aber liess sie nichts zu wünschen übrig.
Sie hatte u. a. ein araöiov ' ') und einen königlichen Palast, der
freilich durch seine Thierbilder Anstoss erregte und zur Zeit des
Krieges mit den Römern dem jüdischen Fanatismus zum Opfer
fieP'"^). Auch eine jüdische jrQooevx^, ein (leyiorov otxjjfia, fehlte
nicht ' 3). Die Verfassung der Stadt war ganz nach hellenistischem
Muster. Sie hatte einen Rath {ßovXri) von 6U0 Mitgliedern mit
einem aQxmv und einem Ausschuss der öixa jigcörot, auch Hyp-
archen und einen Agoranomos. Zu Ehren des Kaisers erhielt die
neue Hauptstadt den Namen Tiberias^*).
6) Änit. XVIII, 2, 1. B. J. II, 9, 1. — Ucber beide Städte und über den
Wechsel der Namen Livias und Julias s. Bd. II, S. 102—169.
7) Äntt. XVIII, 5, 1. — Ueber Aretas und die nabatäischen Könige über-
haupt 8. Beilage II.
8) Vgl. Sueton. Äug. c. 48: Reges soeios etiam inter semet ipsos necessitu-
dinibus midttis junxit, promptissimus affinitatis cujusque atque ainicitiae conci-
liator et fautor.
9) Ueber die Zeit der Erbauung von Tiberias s. Bd. II, S. 170 f.
10) Num. 19, 16. Jos. Äntt. XVIII, 2, 3. Die näheren Bestimmungen
über Verunreinigung durch Gräber s. Mischna Olutloth XVII. XVIII.
11) B. J II, 21, 6. III, 10, 10. Vita 17. 64.
12) Vita 12.
13) Vita 54.
14) Vgl. über die Erbauung von Tiberias überhaupt: Äntt. XVTII, 2, 3.
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 28
434 § 17. b. Herodes Antipas (4 v.— 39 n. Chr.). [360. 361]
Zur Zeit des Pilatus (26 — 36 n. Chr.) betheiligte sich Antipas
saninit seinen Brüdern mit Erfolg an einer Klage gegen Pilatus
wegen Aufstellung anstössiger Weiheschilde im Palaste zu Jeru-
salem ' ^). Und wie er hier die jüdischen Forderungen vertrat, so
wagte er auch sonst, trotz der heidnischen Bauten zu Tiberias,
doch nicht, sich den Ansprüchen des Judenthums völlig zu ent-
ziehen — auch in diesem Punkte ein ächter Sohn des Herodes.
Aus dem Evangelium wissen wir, dass er zu den Festen nach
Jerusalem kam ] {Luc. 23, 7), und seine Münzen tragen so wenig
ein Bildniss, wie die des alten Herodes'*^).
Die Klage gegen Pilatus fand wahrscheinlich erst nach dem
J. 31 statt''). Auch was wir sonst noch von Herodes Antipas
wissen, fällt in die spätere Zeit, etwa in die letzten zehn Jahre
B. J. n, 9, 1. Vita 9. Näheres über die Stadt und ihre Verfassiingsverhält-
nisse s. Bd. II, S. 109-174.
15) Philo, Legat, ad Cajum § 38 (ed. Mang. II, 589 sq.). — Pliilo nennt
zwar den Namen des Antipas nicht, erwähnt aber, dass „oi ßaaiX^wg ['Hqw-
öov] vielg xiTTageg ovx aTtoösovreq x6 xe ft^twfia xal xaq xvxctQ xcöv ßaaiXswp"
sich vor allem der Sache annahmen. Es sind damit jedenfalls zunächst Plii-
lippus und Antipas gemeint (Archelaus befand sich seit d. ,1. G n. Chr.
nicht mehr in Palästina), Fraglich bleibt aber, wer die beiden andern sind.
Wir kennen nämlich aus Antt. XVII, 1, 3. B. J. I, 28, 4 noch drei Söhne des
Herodes, welche in Betracht kommen können: 1) Herodes, S. der Mariamme;
2) Herodes, S. der Kleopatra; 3) Phasael, S. der Pallas.
16) Ueber die Münzen des Herodes Antipas vgl. Eckhel III, 486—490.
Mionnet V, 566. Lenormant, Träsor de Nuinismxitique p. 125 pt. LIX n.
l(i — 20. Cavedoni, Biblische Numismatik I, 53; 58-60. Levy, Gesch. der
jOd. Münzen S. 80. Maddcn, Jlistory p. 95 — 99. De Saulcg, Numismatik
Chronicle 1871, p. 254. Madden, Num. Chronide 1875, p. 47—49. De Sau leg,
Melanges de Numismatique t. II, 1877, p. 92. Maddcn, Coins of the Jeirs,
1881, p. 118 — 122 (hier am vollständigsten). — Die Miinzcn zerfallen in zwei
ClasBen: 1) Die eine hat die Aufschrift HPSidOY TETPAPXOY mit den
Jahreszatilen 33, 34, 37, 38; auf der anderen Seite den Namen der Stadt
TIBEPIAS. 2) Die andere Classe hat die Aufschrift HPSi^HS TETP.APXHH,
auf der anderen Seite rAJü KAICAPI FliPMANIKSi. Von dieser Classe
flind nur drei Exemplare Hicher nachgewiesen, sämmtlich mit der Jalireszahl
Afr — 43 (d. h. 39 40 nach Chr.). Da (lies höclist wuhrMchcinlich das letzte
Jahr de» Hermleg AntipaH war, ho ist die Existenz von Münzen mit den .liihres-
ZAhlen 44 und 45, welclie Einige geben, höchst fraglich. S. hierüber oben
8. 417. — Die Münzen des Antipas mit dem Namen des Kaisers (ohne
Bild) Ht<!hen in der Mitt*; zwischen den«n Herodes des Grossen, welche weder
Nanu-n noch Bild des Kaiwers haben, und denen des I'hilippus, welche beides
hallen.
17) Wie aus Philo, lAigat, ad Cajtim § 24 (ed. Mangeij 11, 509) zu schliessen,
wonitti'h Tiberius bei Lebzeiten Sejan's (t 31) den .Juden ungiluHtig ge-
Htimmt war, dagegen nacli dem Tode desselben strenge mif Schomin^ ihrer
rellgf^M'n Eigenthflmlichkeiten hielt.
[361. 302] § 17. b. Herodes Antipas (4 v.— 39 n. Chr.). 435
seiner Regierung. Er stand in dieser Zeit fast ganz unter der Ge-
walt einer Frau, die für ihn die Ursache einer Reihe unheilvoller
Verwickelungen wurde. Als er einst — wir wissen nicht, zu welchem
Zwecke, auch nicht genau zu welcher Zeit — eine Reise nach Rom
machte, besuchte er vor der Abreise seinen Stiefbruder Herodes,
den Sohn der Hohenpriesterstochter Marianime, der im ersten Testa-
mente des Herodes zum eventuellen Thronfolger bestimmt gewesen
war (s. oben S. 412). Dieser war verjuählt mit Herodias, einer
Tochter des im J. 7 v. Chr. hingerichteten Aristobul '^). Aus der
Ehe beider stammte Salome, die Gemahlin des Tetrarchen Philip-
pus, der demnach nicht, wie die Evangelien wollen, de# erste Ge-[
mahl, sondern der Schwiegersohn der Herodias gewesen ist'^). Als
nun Antipas im Hause seines Bruders einkehrte, fand er Gefallen
an Herodias und machte ihr einen Heirathsantrag, auf welchen
die ehrgeizige Frau bereitwilligst einging. Es ward verabredet,
dass Antipas nach der Rückkehr von Rom seine Gemahlin, die
Tochter des Aretas, Verstössen und mit Herodias Hochzeit machen
solle. Mit diesem Versprechen reiste er nach Rom. Als er zurück-
kehrte, bat ihn seine Gemahlin, die mittlerweile von den Ab-
macliungen Kunde erhalten hatte, er möge sie nach Machärus
bringen lassen, der starken Festung östlich vom todten Meere.
Da Antipas nicht ahnte, dass seine Gemahlin von seinen geheimen
Plänen wisse, erfüllte er ihren Wunsch. Aber kaum war die
18) Vgl. über Herodias: Winer, RWB. I, 480. Keim in Schenkei's ßibel-
lexikon III, 46—49.
19) Antt. XVIII, 5, 4. — Als erster Gemahl der Herodias istPhilippus
genannt: Mare. 6, 17. An der Parallelstelle Matlh. 14, 3 fehlt der Name im
God. D und ist von Tischendorf {ed. VIII) eingeklammert, vielleicht mit Recht.
Bei Lue. 3, 19 dagegen, wo ihn der textus receptus ebenfalls hat, ist er sicher
zu streichen. — Da nach Josephus nicht der Tetrarch Philipp us, sondern
der oben genannte Herodes der erste Gemahl der Herodias war, so ist die
Angabe des Marcus ein entschiedenes Versehen. Freilich wollen Viele (da-
runter selbst Winer, RWB. Art. „Philippus") dieses Versehen dadurch besei-
tigen, dass sie diesem Herodes den Namen Herodes Philippus geben, der
demnach — von dem Tetrarchen wohl zu unterscheiden — von Marc, gemeint
sei. Allein es wäre schon auffallend, dass Josephus und das N. T. sich in
die beiden Namen gerade getheilt haben sollten; noch sonderbarer, dass der
alte Herodes zwei Söhne Namens Philippus gehabt haben sollte. Wenn man
als Analogie hiefür den Namen Herodes beizieht, welchen mehrere seiner
Söhne führten, so trift't dies nicht zu; denn dies war Familienname. Und
ebensowenig zutreffend ist die Analogie der beiden Brüder Antipater und
Antipas; denn dies sind ja wirklich verschiedene Namensformen. Es bleibt
nichts anderes übrig, als das Versehen des Evangelisten al.«; solches anzuer-
kennen. Vgl. Volkmar, Theol. Jahrbb. 1846, S. 363-383. Ewald V, 103.
Keim, Gesch. Jesu I, 585. Bibellexikon III, 47.
28*
436 § 17. b. Herodes Antipas (4 v.— 39 n. Chr.). [362. 363]
Aretas-Tochter in Machärus angelaügt, so entfloh sie von dort zu
ihrem Vater und theilte ihm mit, welche freundschaftlichen Ge-
sinnungen ihr Gemahl gegen sie hege. Von da an stand der Araber-
könig mit Herodes Antipas auf gespanntem Fusse ^o). | Dieser
aber scheint die Heirath mit Herodias alsbald in's Werk gesetzt
zu haben.
In die Zeit dieser Heirath oder bald darnach fällt das Auf-
treten Johannes des Täufers und Jesu Christi, welche beide
auch im Gebiete des Antipas ihre Wirksamkeit entfalteten, der
Täufer in Peräa ''''), Jesus in Galiläa. Ueber Johannes den Täufer
giebt Josephus folgenden Bericht '^^j. „Er war ein trefflicher Mann
20) Antt. XVIII, 5, 1. — Ueber Machärus s. oben S. 390f. und § 20 gegen
Ende. Nach dem herkömmlichen Josephus-Texte soll Machärus damals dem
Araberkönig gehört haben ; denn es heisst, dass die auf Flucht sinnende
Fürstin schon zuvor (Boten) gesandt habe elq xov MaxaiQovvxa xoxs naxQl
ttvxrlq vnoxeX^ (so alle Ausgaben seit ed. prine. bis Hudson, Havercamp und
Dindorf inclus., nur Bekker conjicirt xov t^ statt xoxe). Das wäre höclist
auffallend, da Machärus sonst immer, vorher und nachher, zum jüdischen Ge-
biete gehört hat (schon Alexander Jannäus hat es befestigt, desgleichen He-
rodes der Grosse, B. •/. VII, 6, 2; Herodes Antipas setzte Johannes den Täufer
dort gefangen; im vespasianischen Kriege war es eine der letzten Zufluchts-
stätten der Aufständischen, B. J. II, 18, 6. VII, 6). Auch in unserer Geschichte
wäre 68 merkwürdig, wenn Herodes so arglos seiner Gemahlin die Reise nach
einer ihm nicht gehörigen Festung gestattet hätte. Hitzig (Gesch. des Volkes
Israel S. 567) hat dalier die Notiz für einen Einschub erklärt. Andere haben
über die Gründe des mehrmaligen Bositzwechsels die verschiedensten Ver-
muthungen aufgestellt. In Wahrheit steht im Josephus-Text gar nichts davon,
dass Machärus damals dem Araberkimig gehört hat; denn alle Handschriften
haben (nach Niese) elq xöv MaxaiQOvvia x<p xs naxQl avx^Q vnoxeXei (nicht
vnoxfXfj). Das kann nur heissen: „nach Machärus und an das ihrem
Vater Untertbänige" (an die ihrem Vater unterthänigen Stämme), vgl.
Tlieol. Litztg. 1890, 044. Damit ist alles in Ordnung. Die von Naber auf-
genommene Conjectur Loman's {Theol. TijiUchr. 1891 p. .304) tlq xöv Maxai-
Qotvta X(f) '^HQiööy xöi xe natgl aixTq vnoxekfj ist nocli unglücklicher als die
der ed. jrrinc. — Bei der Reise durch das arabische Gebiet wurde die Tochter
den AretaH unterstützt von den „Strategen" ihres Vaters. Der Titel KSPndst
kommt auch auf nabatäischen Inschriften häufig vor, s. Bd. 11, S. 44, An-
merkung llü.
21) Der Schauplatz der Wirksamkeit des Täufers mag allerdings, wie
Keim (GcHch. Jesu 1, 404~49<5) annimmt, vorwiegend das diesseitige Jordan-
ufer, also Judfia, gewesen sein. Aber JedcnfullH hat er auch aiif dem jensei-
tigen Ufer in Poräa gewirkt, wie nicht nur der viertem Evangelist (1, 28. 3,26.
10. 40), «ondern auch die Thatsachc der OefangeiMichmutig durch Antipas
verlangt. Dies giel)t auch Keim ((iesrh. .Jesu 1, .'^221'.) zu.
22) Antt. XVIII, ö, 2: Kxflvn xovrov 'HiKpfirjq dyador /Jj^Jj;«, xal xoiq
*IoiSaloti XBktvovra, dQtviiv inaaxoxxuv xal xa nQiq nlkt/kovq öixaioavv^ xal
npht t6v Ofiv fvatßtln xQ^»ß^votq, ßanxinfi(p avvihai- o'vxo) yug rf>) xal x^v
ßänxiniv tinodtxx^v avxtp tpavulalkat, /lii in) rivdiv ufjiaQtäAujv naQatxtjan xq(i>-
[3ö3. 364] § 17. b. Herodes Antipas (4 v.— 39 n. Chr.). 437
und ermahnte die Juden, sich der Tugend zu befleissigen und Ge-
rechtigkeit gegen einander und Frömmigkeit gegen Gott zu üben
und zur Taufe zu kommen. Denn also werde auch die Taufe ihm
angenehm sein, wenn man sie nicht gebrauche, um Vergehungen
abzubitten, sondern zur Reinigung des Körpers, indem nämlich die
Seele schon zuvor durch Gerechtigkeit gereinigt ist. Als nun auch
andere sich zu ihm wandten (denn sie wurden durch das Hören
seiner Reden aufs höchste gehoben), so fürchtete Herodes, es möchte
sein so gewaltiger Einfluss auf die Menge einen Aufstand herbei-
führen (denn alles schienen sie auf seinen Rath zu thun); und er
hielt es darum für besser, seinen etwaigen Neuerungsplänen durch
Hinrichtung zuvorzukommen, als nach geschehenem Umsturz den
erlittenen Unfall bereuen zu müssen. So ward Johannes infolge des
Argwohns des Herodes gefesselt in die vorhin erwähnte Festung
Machärus gebracht und daselbst getödtet". — Dieser Bericht des|
Josephus, wenn anders er von ihm herrührt, und die Nachrichten
des Neuen Testamentes über den Täufer und sein Verhältniss zum
Tetrarchen Herodes ergänzen sich gegenseitig. Was Josephus über
den Inhalt der Busspredigt des Täufers sagt, ist freilich sehr dem
Geschmack der gebildeten griechisch-römischen Welt angepasst. In
dieser Hinsicht sind die kurzen Angaben der synoptischen Evan-
gelien getreuer und zuverlässiger -^ä). Dagegen ist es sehr wahr-
scheinlich, dass der eigentliche Grund der Gefangensetzung des
Täufers durch Antipas (wie Josephus angiebt) Furcht vor politischen
Unruhen war. Der gewaltige Volksprediger hat ja ohne Zweifel
(ihwv, dkk' ^(p ayveta tov aci/naroQ, are öt] xai XTJq ^>vxfj<i Sixaioavp^ nQOfx-
xexai^aifßivriq. Kai xwv akXvov avozQfipondvwv \xal yay ^qS^ijouv inl nktlaxov
x^; dxQodast xwv Xöywv) Seiaaq ''ügwöriq xd inl xoaovöe mbavbv avioi xotq
ävd-Qüjnoiq /urj inl dnoaxäaei xivl (pigoi [nävxa yäg iu'xeaav ov/ußovX^ xy
ixeivov nQÜ^ovzeq), noXv xqbIxxov ^ysZxai, n(jiv xi vevixtQOv i^ avxov ysvka&ai,
nQoXaßCov dveXtiv xov fitxaßoXfjg ygyofxivTjg sie: ngay^axa i^neawv fisxavotiv.
Kai o (xhv vnoxpltt xy H(}iö6ov öio/uiog si<; xov Maxuiyotpxa ntft<pd-elq, xb
nQoeiQtjßSvov ipQovQiov, xaviy xxlvvvxai.
23) Vgl. zur Erläuterung der Josephusstelle : Volkmar, Jesus Nazareuu»
(1882) S. 332 — 334. Klöpper, Ein paar Bemerkungen zu dem Urtheil des
Josephus über Johannes den Täufer (Zeitschr. für wissensch. Theol. 1885,
S. 1 — 20). Loman, Het berieht van Flatdus Josephus aangaande de oorxaak en
het datum der executie van Johannes den dooper, vergeleken met de verhalen der
sytioptiei {Theol. Tijdsehr. 1891, p. 293—315). — Auch in der sonstigen, fast
nuabsehbaren Literatur über Johannes den Täufer wird auf die Josephusstelle
in der Regel irgendwie Rücksicht genommen. S. bes. Keim, Gesch. Jesu I,
4()9-523. Belser, Ueber Johannes den Täufer (Theol. Quartalschr. 1890,
S. 355—399). Die ältere Literatur bei Win er, Realwörterb. Art. „Johannes
der Täufer". Hase, Leben Jesu § 42 und 75. Reuss, Gesch. der heil.
Schriften Alten Testaments (1881) § 561.
438 § 1~- ^'- Herodes Antipas (4 v.— 39 n. Chr.). [364. 365]
eine mächtige Bewegung hervorgerufen, die zwar zunächst religiöser
Art war. aber sicherlich nicht ohne Beimischung eines politischen
Momentes. Denn die Masse des ^ olkes vermochte damals religiöse
und politische Hoffnungen nicht streng zu sondern. Es ist darum
sehr glaublich, dass Antipas von der Wirksamkeit des Täufers
politische Unruhen befürchtete und ihn, als er seine Wirksamkeit
nach Peräa ausdehnte, gefangen setzen Hess. Daneben können doch
auch die Evangelien {Matth. 14, 3 f Marc. 6, 17 f. Luc. 3, 19 f.)
Kecht haben, wenn sie sagen, er habe dies gethan, weil Johannes
seine Ehe mit Herodias tadelte. Beide Angaben schliessen sich
nicht gerade aus -*). — Den Ort, wo Johannes eingekerkert wurde,
nennen die Evangelien nicht. Aus Josephus erfahren wir, dass es
Machärus war, die starke Festung im Osten des todten Meeres '^^).|
Nach Josephus könnte es scheinen, als ob der Gefangensetzung des
Täufers die Hinrichtung unmittelbar gefolgt sei. Aus den Evan-
gelien aber sehen wir, dass Herodes den Täufer längere Zeit ge-
fangen hielt, unschlüssig, was er mit ihm thun solle 2^). Die Ent-
24) Die Josephusstelle ist dem Origenes bekannt {contra Geis. I, 47). Eu-
»ebius citirt sie vollständig {Hist. eccL I, 11, 4—6. Demonstr. cvang. IX, 5, 15).
Ihre Echtheit ist nur selten angefochten worden (auch Volk mar setzt sie
ohne weiteres voraus; gegen dieselbe: J. Chr. K. v. Hofmann, Die heil.
S'.hrift Neuen Testaments, VII. Thl. 3. Abth. Der Brief Jakobi 1876, S. 4 f.).
Zu ihren Gunsten spricht allerdings, dass die Motive für die Gefangensetzung
und Hinrichtung des Täufers so ganz anders angegeben werden als in den
Evangelien. Da aber Josephus an anderen Stellen sicher von christlicher
Hand interpolirt worden ist, so darf man auch hier nicht allzusehr auf die
Echtheit vertrauen. Bedenken erweckt namentlich das günstige Urtheil über
Johannes, der doch nur nach gewissen Seiten hin dem Josephus sympathisch
sein konnte, nämlich als Asket und Moralprediger, aber nicht als der das
Volk mächtig aufregende Prophet des kommenden Messias.
25) Diejenigen Forscher, welche auf Grund des herkömmlichen Joscphus-
tcxtes annehmen, dass Machärus noch kurz zuvor dem Aretas gehört habe.
Buchen zu erklären, wie es nun in den Besitz des Antipas gekommen ist.
Keim (Geeeh. Jesu I, 622. Protestant. Kirchenzeitg. 1869, Nr. 51, co\. 1218 f.)
nimmt an, das« Antipas die Festung im Beginn des noch zu erwähnenden
KriegcB gegen Aretas erobert habe. Wiesel er meint (Chronolog. Synopse
8. 244 f. Beiträge S. 5. 13. Beweis des Glaubens 1870, S. 166), dass Aretas
die Festung dorn Herodes auf Geheiss des Tibcrius habe abtreten müssen. —
Gcrlach (Zeituchr. f. luth. Th. 186!», S. 49-51) glaubt, dass die Festung
überluiupt nie dem Aretas gehört habe, sondern nur die Stadt Machärus ihm
eine Zeit lang Tribut bezahlt habe;. — Am seltsamsten ist Sevin's Ansicht,
duMM MucbäruM »ich noch im Besitz des Aretas befunden habe, als Herodes
AntipaM den TÄufor io dieser Burg seines Schwiegervaters gefangen setzen und
hinrichten liensü (Kevin, Chronologie des Lebetis Jesu 2. Aufl. S. 96, überii.
8. Wi-Ü«).
26) Malth. 14, 0. Marc. 6, 2(). Matth. U, 2—6. Vgl. K(!im, Gesch. Jesu
I. :>H3f. HauHratb, Zeitgcsch. 2. Aufl. I, 331. Weiss, Murcusev. S. 217 f.
[3ö5. 3Ü6] § 17. b. Herodes Antipas (4 v.— 39 n. Chr.). 439
Scheidung führte schliesslich Herodias herbei, die Hauptfeindin
des strengen Busspredigers. Als einst zur Feier des Geburtstages
des Antipas 27) im ] Palaste zu Machärus — denn dorthin ist der
27) Die Bedeutung von ytviaia {Mt. 14, 6. Mc. 6, 21) ist streitig. S. Wolf,
Curae phil. et crit. in N. T., ad Matth. 14, 6 (ausführliches Referat über die
Ansichten Aelterer), Kuinoel, Gomm. in Ev. Matth., ad Matth. 14, 6, über-
haupt die Ausleger zu Mt. 14, 6. Me. 6, 21; ferner: Wieseler, Synopse S.
2!i2ff. Beiträge S. 182f. Keim II, 51(3. Hausrath I, 334. Statt der ge-
wöhnlichen Bedeutung „Geburtstag" wird nämlich von manchen Auslegern die
Bedeutung „Tag des Regierungsantrittes" angenommen. Diese Bedeutung ist
aber im Bereiche der griechischen Literatur schlechterdings nicht nachweisbar.
Denn wenn gelegentlich der Tag des Regierungsantrittes yivt^XioQ öiaörtiiaxoq
(Inschr. des Antiochus von Commagene bei Humann und Puchstein, Reisen in
Kleinasien und Nordsyrien S, 274) oder natalis imperii {Spartian. Vita Hadr.
4, Capitolin. Vita Pertinac. 15, beide in den Scriptores Historiae Atu/ustae) ge-
nannt wird, so ist damit nicht bewiesen, dass ytvib^Xioq oder yevtaioq ohne
Zusatz auch diese Bedeutung haben kann (für natalis resp. natalicia ist dieser
Gebrauch erst in einem Kalender des vierten Jahrh. nach Chr. nachweisbar,
s. Mommsen, Staatsrecht II, 2, 3. Aufl. S. 812 f.). Auch das rabbinische Ma-
terial, auf welches man sich stützt, ist sehr schwach. Die Grundstelle ist
Mischna Ähoda sara I, 3: „Folgendes sind die Feste der Heiden: Die Calendae
und die Saturnalia und die xQaxriaeiq \p^nXT\p] und der Tag der ytviaia der
Könige (D'^sbt: bö X'<D'>3'^a OT^) und der Tag der Geburt und der Tag des Todes.
So R. Meir. Die Gelehrten sagen: Nur ein Sterbefall, wobei öflentlich ein
Verbrennen stattfindet, ist mit Götzendienst verbunden; wo aber dies nicht
der Fall ist, ist kein Götzendienst." Eine Erklärung der Ausdrücke wird in
der Mischna nicht gegeben. Im palästinensischen Talmud (jer. Aboda sara I
fol. 39c) wird if^D'^S'^a Di'' erklärt durch JTT'bn DT« „Geburtstag". Im babylo-
nischen Talmud {bab. Aboda sara 10a) wird ausführlich über die Bedeutung
discutirt, dabei Gründe zu Gunsten der Erklärung „Geburtstag" angeführt,
aber schliesslich der Erklärung T^bo 13 ")'^T''QrT2T!5 DT' „Tag, an welchem man
den König eingesetzt hat", der Vorzug gegeben (s. Levy, Neuhebr. Wörterb.
I, 349a, und den Wortlaut der ganzen Discussion in deutscher üebersetzung
in: Abodah Sarah übers, von Ferd. Chr. Ewald, 2. Ausg. 1868, S. 70 f.). We-
sentlich hierauf stützt sich die von vielen Neueren angenommene
Erklärung „Tag des Regierungsantrittes". Da aber die Palästinenser
in solchen Dingen ohne Zweifel besser Bescheid wussten als die Babylonier,
die meistens nur ratlien, ohne etwas zu wissen, so kann die Erklärung der
letzteren gegenüber allen anderen Instanzen nicht in Betracht kommen (so
auch Dal man, Theol. Literaturzeitung 1889, 172, in der Anzeige von Strack 's
Aboda sara). Auch der Zusammenhang der Mischna spricht für die Erklärung
„( Jeburtstag". Denn D*'0'^ti"\p ist höchst wahrscheinlich der Tag der Erlangung
der Herrschaft. Also muss X'^D'^S'^a davon verschieden sein. Der daneben ge-
nannte „Tag der Geburt" ist aber, wie die weitere Erörterung in der Mischna
zeigt, nicht der Jahrestag der Geburt, sondern nur der eine Tag, an welchem
ein Kind geboren worden ist. Auch im Targum jer. zu Qen. 4U, 20 steht Dl"^
X'^O'^Di in der Bedeutung ,, Geburtstag". Vgl. über den rabbinischen Sprachge-
brauch überhaupt: Grätz, Monatsschr. 1871, S. 228 ff', [irrig: Feier des Todes-
tages]. Krauss, Byzantinische Zeitschr. II, 538f. Ders., Griechische und
440 § 17. b. Herodes Antipas (4 v— 39 n. Chr.). [366]
lat. Lehnwörter im Talmud u. s. w. II, 1809, S. 180. Blau, Revtie des etudes
juires XXVII, 1893, p. 298 sq. Lewy, Philologus LH, 1893, S. 733—735.
Die Sitte der Geburtstagsfeier von Fürsten und Privatpersonen ist
sehr alt. Schon die Genesis erwähnt den Geburtstag Pharao's {Oen. 40, 20;
dazu Dillmann). König Amasis von Aegypten soll einst, als er noch ein
Privatmann war, seinem Vorgänger dem König Patarmis bei dessen Geburts-
tagsfeier iyevB^Xia intveJ.ovvTt IlardQfiiöi) einen prachtvollen Blumenkranz
überreicht haben {Hellam'cus bei Athenamis XV p. 680 = Müller, Fragm. bist.
gr. I, 60). Plato erwähnt, dass ganz Asien den Geburtstag des Perserkönigs
feiere (Plato. Alcih. I, p. 121: ßaaü.stoq yeved-Xta ccnaoa &vei xal hoQxoQei ^
kala). Vgl. überh. Wetstein, Nov. Test. I, 411 (zu Mattk. 14, 6). K. F. Her-
mann, Lehrbuch der griech. Privatalterthümer 3. Aufl. von Blümner, 1882,
8. 235f. 501. P au ly 's Real-Enc. Art. iVato/ts rfVes. Marquardt, Das Privat-
leben der Römer Bd. I, 1879, S. 244 f. Ernst Curtius, Geburtstagsfeier im
Alterthum, Festrede (Monatsberichte der Berliner Akademie 1876, S. 31—37 =
Alterthum und Gegenwart, Gesammelte Reden und Vorträge Bd. II, 15 — 21).
Da in der Bibel die Geburtstagsfeier durch ein grosses Mahl nur bei Pharao
und Herodes Antipas erwähnt wird, so sind Origenes und Hieronymus der
Meinung, dass nur böse Menschen dergleichen thun [Origenes in Matth. tom.
X c. 22, Hieronymus, Opp. ed. Vallarsi VII, 101, beide in ihren Bemerkungen
zu Matth. 14, 6). — Die herodianischen Fürsten haben ausser dem Geburtstag
(vgl. ausser Herodes Antipas auch Agrippa I, Jos. Äntt. XIX, 7, 1) auch den
Tag des Regierungsantrittes gefeiert (Äntt. XV, 11, 6). Auch diese Doppelsitte
war sehr verbreitet. Das Decret von Canopus (unter Ptolemäus III, 230/238
vor Chr.) ist beschlossen von Priestern, welche zusammengokominen waren
tlg r^v nifinzTjv xov Jiov, iv y äyetat t« yev^&ha xov ßaaiXtwq, xal dq xriv
ni/anxTjv xal fbcaöa xov aixov fXTjvoq, iv tj nagekaßev xi]v ßaaiXelav naga xofi
naxftoq (Lepsius, Pas bilingue Decret von Kanopus, 1866 = Strack, Die Dynastie
der Ptolemäer 1897, S. 227 ff. lin. 5—6). Das Decret von Rosette (unter PtolemäusV,
196 vor Chr.) erwähnt xi}v XQiaxdSa xov MeaoQTj, iv jj xd yfit&Xia xov ßaotXewq
dyexai, öfiolwq 6h xal [xf;v xov Tlaw(pi 'enxaxaiöexdxjjv\,iv y naQ^kaßsvxfjv ßaotkelav
naga xov naxQÖq {Ijitronne, Rccueil des inscr. grecques et lat. de i'E;iypte I,
241 sqq. = Strack S. 240 ff. lin. 46—47, vgl. zu beiden Decreten auch Niese,
Gesch. der griech. und makedon. Staaten II, 171, 673). Nach beiden Decreten
wurden die Tage nicht nur jährlich, sondern auch monatlii-h gefeiert (Cano-
pus lin, 33—34, dazu Lepsius, Einl. S. 9, Rosette lin. 48). Der König Antio-
chu8 T von Commagene (1. Jahrh. vor Chr.) sagt uns in der selbstverfassten
Inf^chrift auf seinem Grabmal : Sci/xaioq fxhy yag ifxov yeviS-Xiov Avövaiov
ixxaiSfxäxT]v, diairinaxoq 6h Amov dsxäxrjv difi^gwaa fxeydkwv daifxovlwv int^a-
vtittiq (Humaiin und Puchstcin, Reisen in Klciiuisien und Nordsyrien 1890, S.
274, InHchr. II b lin. 13 tt".). Auch die Feier dieser Tage war nicht nur jähr-
lich, Monderu au<"h monatlich (III a lin. 8 — 14; vgl. über monatliche Gcburts-
tagHfeler auch II Makk. 6, 7, Puchstein a. a. 0. S. 337, Rohde, Psyche 2. Aufl.
1, 235, und meinen Aufsatz in der Zeitschr. für die ncutestam. Wissenscli. 1901,
8. 48— .'i2, W()rnH<li die Ausführungen von Willrich, Juduica S. 104 zu ergänzen
reap. zu berichtigen Bind). In Rom wurden die Geburtstage derKaiscr wie dieTage
ihrex RegieningNantrltt(>n als «(flV.-ntlicIic Festtag«» gefeiert (Cor/^ Inscr. Lat. 1. 1 ed.
2, p. 301—303, MomniHcn, IWmiHcheH Staatsreclit II, 2, 3. Aufl. 1K87, S. 812 f)
Auch die (}eburtMtag<f ViTstorbcjicr wurden geA'icrt. S. über die Häu-
figkeit diener 8itt<* die angeführte Literatur und Rolide, Psyche I, 235 f Auf
der eben geuaonten Ffi-chriO dc" AntificIiiiM I vrm ConiniMfcne trifl't der König
[366] § 17. b. Herodes Antipas (4 v.— 39 n. Chr.). 441
ganze Vorgang zu verlegen-^) — ein grosses Gelage gehalten wurde,
erregte die Tochter der Herodias, Salome (sie war noch ein xoqccoiov
ML 14, 1 1. Mc. 6, 22. 28, also noch nicht mit Philippus verheirathet),
durch ihren Tanz so sehr das Wohlgefallen des Tetrarchen, dass
dieser ihr jeden erdenkbaren Wunsch erfüllen zu wollen versprach.
Sie forderte, von ihrer Mutter dazu aufgestachelt, das Haupt des
Täufers. Und Herodes war schwach genug, den Wunsch alsbald
zu erfüllen und den Täufer ira Kerker zu Machärus enthaupten zu
lassen ^^).
genaue Bestimmungen über die Art, wie nach seinem Tode für alle Zeiten
sein Geburtstag jährlich und monatlich gefeiert werden soll (III b, lin. 10 fl'.).
Der attische Sprachgebrauch hat ytvt&Xia und ysviata so unterschieden,
dass ersteres in Bezug auf Lebende, letzteres in Bezug auf Verstorbene ge-
braucht wurde {Ammonius: yevid^Xia xäaatxai ^nl xdJv t.ainwv . . . yfvsaia 6h
inl xöiv xe&vfjxotwv, iv ^ txaaxoq rifjitQa xsxBlsviijxe [diese Grundangabe ist
falsch; sie trifft nur für den christlichen Sprachgebrauch zu], vgl. überh. die
Bemerkungen der Grammatiker bei Wetstein, Nov. Test. I, 411 ; Stephamis,
Thes. s. V. yevsaiog). Im späteren Griechisch wird aber yfvtaia auch von
Lebenden gebraucht (Alciphron Hb. III epist. 18 u. 55, in: Epistolographi gr.
ed. Hercher. Joseph. An/t. XII, 4, 7 § 196, XII, 4, 9 § 215, an letzterer Stelle
haben einige codd. yeve&Xttj)). Bei Philo de opif. mundi § 30 ed. Mang. I, 21
hat eine Handschr. und die Aiisgaben vor Mangey xov xoapiov ytv(aiov, die
richtige Lesart ist hier ytvi&Xiov. Dio Cassius gebraucht ysviaia nur in Be-
zug auf Verstorbene (47, 18. 56, 46. 57, 14. 59, 11. 24. 60, 5. 67, 2. 77, 12),
während er in Bezug auf Lebende stets ytvt&lia sagt (44, 4. 51, 19. 54, 8. 26.
30. 34. 55, 6. 56, 25. 29. 58, 2. 60, 12. 17).
28) Die Evangelien (Matth. und Marc.) setzen augenscheinlich voraus, dass
das Gelage an dem Orte stattfand, wo der Täufer gefangen lag (s. Meyer zu
Mt. 14, 10 ff.) Dies war aber Machärus. Und hier kann in der That das Ge-
lage stattgefunden haben. Denn Machärus hatte einen prachtvollen Palast,
welchen Herodes d. Gr. einst hatte erbauen lassen [Bell. Jud. VII, 6, 2). Es
ist also kein Grund vorhanden, den Vorgang — wie Wieseler (Synopse S. 250f.
Beiträge S. 5) thut — nach Julias zu verlegen. Die Evangelien schweigen
überhaupt in Betreff des Ortes. Denn aus Marc. 6. 21 ist nicht nothwendig
zu schliessen (wie Keim, Gesch. II, 511. Bibellex. III, 48, und Volk mar.
Die Evang. S. 369, wollen), dass Marcus Galiläa, d. h. Tiberias, als Schauplatz
voraussetze.
29) Matth. 14, 6—11. Mare. 6, 21—28. Luc. 9, 9. — Bei Marc. 6, 22 haben
sehr gewichtige Text-Zeugen xfjq &iyaxQ6g avxov "Hgiaöiddoc (gebilligt von
Volkmar und Westcott-Hort). Hiernach hätte das Mädchen selbst Herodias
geheisseu und wäre eine Tochter des Herodes Antipas, niclit bloss der He-
rodias gewesen. Allein ein Kind aus der Ehe des Antipas mit Herodias hätte
damals höchstens ein paar Jahre alt sein können; andererseits wissen wir aus
Josephus Antt. XVIII, 5, 4, dass Herodias aus ihrer ersten Ehe eine Tochter
Namens Salome hatte. Auch erscheint ja in der evangelischen Erzählung
selbst das Mädchen sonst nur als Tochter der Herodias. Die Notiz, welche
sich nach jener Lesart bei Marcus ergeben würde, ist daher auf keinen Fall
historisch richtig, mag die Lesart auch noch so alt sein. — Ueber die Gr-
442 § 17. b. Herodes Antipas (4 v.— 39 n. Chr.). [366. 367]
Noch ehe Johannes vom Schauplatze abgetreten war, war bereits
djr „Stärkere", auf welchen er hingewiesen hatte, aufgetreten und
hatte begonnen, in Galiläa das Evangelium zu verkündigen. Auch
er konnte von dem Landesherrn nicht unbemerkt bleiben. Doch
erfühl' Antipas von den Thaten Jesu erst, als der Täufer bereits
hingerichtet war. Daher wähnte der von seinem bösen Gewissen
Gepeinigte, dass der Täufer wieder auferstanden sei und sein ge-|
waltiges Werk fortsetze ^ö). Um Gewissheit zu erhalten, wünschte
er den Wundermann zu sehen, der in Kapernaum predigte und
alles Volk gewann ^^). Doch suchte er mit der Zeit sich auch
seiner zu entledigen; aber nicht durch Gewalt, sondern durch List.
Er gewann die Pharisäer für sich, damit diese Jesum durch die
A orspiegelung, dass Herodes ihm nach dem Leben trachte, zum
fangensetzung und Hinrichtung des Täufers im Allgemeinen vgl.: Keim, Gesch.
Jesu I, 574 ff. II, 509 ff. Sevin, Chronologie S. 124—128; und die oben Anm.
23 genannte Literatur. — Die Erzählung der Evangelien enthält manches, was
Bedenken erregen kann; namentlich dass Salome noch als p^opaöiov bezeichnet
wird, während man nach Josephus meinen sollte, dass sie um 28—30 nach Chr.
längHt mit dem im J. 4 vor Chr. zur Regierung gelangten und im J. 34 n. Chr.
verstorbenen Tetrarchen Philippus vermählt war (s. oben S. 430). Aber gerade
dieser schwächste Punkt erweist sich bei genauerer Untersuchung als nicht
unwahrscheinlich. Die aus Josephus sich ergebenden Thatsachen fasst Gut-
schmid Iblgendermassen zusammen (Literarisches Centralblatt 1874, Sp. 522
= Kleine Schriften II, 318, in der Anzeige von Braun, Die Söhne des Herodes):
„Aristobulos, Salome's zweiter Gemahl, war ein Sohn des Herodes voji Chalkis
von Mariam, der Tochter Joseph's und der Olympias, einer Schwester des
Archelaos, die nach 7, aber vor 4 v. Chr. geheirathet hatte. Also konnte Ma-
riam frühestens 5 v. Chr., ihr Sohn Aristobxilos kaum vor 14 n. Chr. geboren
ßein. Dies giebt einen ungefähren Anhalt für die Bestimmung des Alters der
Salome, die wir, da ihre zweite Elie, aus der drei Söhne entsprossen, offenbar
eine rechtzeitige gewesen ist, nicht ohne Noth viel älter als Aristobulos werden
machen dürfen, Philippos, ihr erster Gemahl, war 4 oder doch 3 v. Chr. in
regierungsfähigem Alter, also spätestens 21 v. Chr. geboren. So gross der
Altersubstand beider unzweifelhaft war, so werden wir ihn doch ohne Un-
wiihrHcheinlicIikoit nicht zu mehr als 30 Jahren veranschlagen dürfen: dies
würde als Hpätesten Termin für die Geburt der Salome das Jahr 10 n. Chr.
ergeben," Gntschmid nimmt diihcr etwa 10 n. Clir. als Geburtsjahr der Sa-
lome an, und hält es wohl für möglich, dass sie im J. 28 noch ein xognaiov
war, und darauf als etwa 19jährige den 49jäiirigen geheirathet iiat. — Auf
einer Münze Aristoburs ist uns auch das Bild seiner Gemahlin Salome
erhalten. 8. unten Beilage I gegen Schluss.
30) Mt. 14, If. Mr.. 0, 14-16. Iaic. 9, 7-9.
31) Lue. 9, 9. — Unter den Jüngerinen Christi befand sich audi die Frau
eines Beiimten des Antipas [Imc. H, 3: 'Iwdvva yvv^ Xovt,ä iniT()dnnv'HQ<üdov).
Der Name MTIS au(;h auf einer nabatäischen Grabschrift {Burkitt, Exposüor
1WM. F.i-r j, im 122).
[367. 368] g 17. h. Herodes Antipas (4 v.— 39 n. Chr.). 443
freiwilligen Verlassen des Landes bewegen sollten 3-). Der Plan
war zwar schlau augelegt, verfehlte aber doch seine Wii'kung,
da Jesus ihn durchschaute. Später freilich verliess Jesas ohne-
hin Galiläa, um seinen Todesweg nach Jerusalem anzutreten. Und
hier erlebte auch Antipas, der zum Passafeste in Jerusalem sich auf-
hielt, 1 noch die Befriedigung, den räthselhaften Unterthan kennen
zu lernen. Pilatus sandte ihm den Gefangenen zu, damit er als
Landesherr das von der jüdischen Hierarchie geforderte Todes-
urtheil spreche. Aber Antipas Hess sich nicht darauf ein, sondern
begnügte sich damit, Jesum zu verspotten und ihn wieder an Pilatus
zurückzusenden '^^).
Die Chronologie der Wirksamkeit des Täufers und Jesu Christi,
die man bisher besonders auf Luc. 3, 1, auch Joh. 2, 20 baute, ist in neuerer
Zeit von Keim 3*) völlig aus den Angeln gehoben worden. Während man
früher fast nur darüber stritt, ob das Jahr 30 oder 31 als Todesjahr Christi
anzunehmen sei, setzt Keim die Hinrichtung des Täufers Ende 34 (Gesch.
Jesu III, 489. 493), den Tod Christi auf Ostern 35 (ebendas. III, 493). Sein
Hauptgrund ist folgender. Josephus bemerkt Äntl. XVIII, 5, 2, dass die
Niederlage, welche Herodes Antipas im Kriege mit dem Araberkönig A ra-
ta s im J. 36 erlitt (s. unten), vom Volke als Strafe für die Hinrichtung Jo-
hannes' des Täufers betrachtet worden sei. Demnach, sagt Keim, müsse die
Hinrichtung möglichst in die Nähe des Jahres 36 gesetzt werden ; und da nun
Jesus wegen der Absetzung des Pilatus vor Ostern 36 nicht später als Ostern
35 gestorben sein könne, sei der Tod Jesu Ostern 35, die Hinrichtung des
Täufers Ende 34 anzusetzen. Auch noch ein anderer Grund erfordere diese
späte Ansetzung. Der Angriff des Aretas gegen Antipas war die Rache
für die Verstossunji- der Tochter des Erstereu durch Letzteren. Demnach
müssen beide Ereignisse in möglichste Nähe gerückt werden. Und da nun
die Hinriditung des Täufers jedenfalls erst nach der Verstossung der Aretas-
Tochter und der Heirath mit Herodias stattfand, könne auch aus diesem
Grunde der Tod des Täufers und Christi nicht schon 29 resp. 30 erfolgt sein.
Gegen diese Berechnung hat bes. Wieseler (a. a. 0.) eine Reihe von Grün-
den geltend gemacht, die freilich nicht alle glücklich sind. Er sucht nament-
32) So wenigstens wird Luc. 13, 31—32 von vielen Auslegern verstanden,
und wohl mit Recht; vgl. auch Keim II, 615.
33) Luc. 2.3, 7—12. Vgl. Gerlach, Zeitschr. f. luth. Tli. 1869, S. 40—42.
Keim III, 379 ff.
34) S. Der geschichtliche Christus (3. Aufl. 1866), S. 224—240. Geschichte
Jesu von Nazara I ^1867), S. 621 ff. III (1872), S. 484 ff. Protestantische Kirchen-
zeitung 1869, Nr. 49 und 51. — Zustimmung fand Keim bei Holtzmann,
Hausrath, Sevin, Schenkel, Giemen; im Wesentlichen auch bei Hitzig,
WL'k'her sogar das Jahr 36 als Todesjahr Jesu berechnet (s. das Verzeichniss
der Nachfolger bei Keim III, 489. 502; hierzu noch: Sevin, Chronologie des
Lebens Jesu, 2. Aufl. 1874; Giemen, Die Chronologie der paulinischen Briefe
1893, S. 181—187). — Gegen Keim s. bes. Wieseler, Beiträge (1869) S. 3—16.
Beweis des Glaubens, Jahrg. 1870, S. 163—173; auch Bratke, Zur Frage
nach dem Todesjahre Christi (Stud. und Krit. 1892. S. 734—757).
444 § 17- b. Herodes Antipas (4 v.-39 n. Chr.). [368. 369]
lieh aus dem Aufenthalte Agrippa's bei Antipas (s. unten § 18) die frühere
Heirath der Herodias zu beweisen. Als nämlich Agrippa von Antipas als
Agoranomos von Tiberias angestellt wurde, war Antipas bereits mit Herodias
vermählt. Später wurde dann Agrippa von Antipas Verstössen, hielt sich
darauf eine Zeit lang bei Flaccus, dem Legaten von Syrien, auf und kam
dann nach Rom, wo er, oder vielmehr sein Freigelassener Eutychus, mit dem
Stadtpräfecten Piso in Berührung kam [Äntt. XVIII, 6, 2—5). Da nun — so
argumentirt Wieseler — Flaccus im J. 83, Piso sogar schon 32 starb, müsse
die Heirath der Herodias mindestens vor dem J. 32 (nach W. im J. 29) statt-
gefunden haben. Allein wir sahen bereits, dass jener Piso nicht der im J. 32|
verstorbene, sondern ein späterer war, und dass Flaccus möglicher- ja wahr-
scheinlicherweise erst 35 gestorben ist (s. oben S. 330—333). Hiermit ist also
nichts zu beweisen.
Die Hauptklippe aber, an welcher Keim 's Chronologie scheitern wird, ist
die bestimmte Angabe Luc. 3, 1, dass der Täufer im 15. Jahre des Tiberius
(= August 28 bis August 29 n. Chr.) aufgetreten sei, welche Angabe freilich
Keim als unglaubwürdig verwirft. Man braucht nun die Zuverlässigkeit des
Lucas nicht zu überschätzen (und in Betreff der Schätzung des Quirinius hat
er sich allerdings bedeutend geirrt). Aber das ist doch wohl unmöglich, dass
hier ein Irrthum von vollen fünf Jahren vorliegen soll. Augenscheinlich hat
Lucas auf Erforschung dieses Zeitpunktes grosse Sorgfalt verwendet. Wir
haben also hier nicht sowohl seine Ansicht, als vielmehr die der gesammten
Christenheit seiner Zeit vor uns 3*). Sollte es möglich sein, dass diese über
das Todesjahr ihres Herrn um volle fünf Jahre im Irrthum war? Es müssten
stärkere Gründe vorliegen, als die aus Josephus entnommenen, um uns zu
dieser Annahme zu berechtigen.
Die Gründe des Josephus sind ja nichts weniger als zwingend. Das ist
allerdings richtig und auch allgemein anerkannt, dass die Niederlage des An-
tipas im J. 36, etwa ein halbes Jahr vor dem Tode des Tiberius (März 37)
stattfand. Dass aber das Volk darin nicht ein göttlitrhes Strafgericht für die
Hinrichtung des Täufers habe erblicken können, wenn diese 7 Jahre zurück
lag, wird sich nicht behaupten lassen. Ein paar Jahre mehr thun hier nichts
zur Sache. Denn der Pharisäismus wusste solche Causalzusammenhängc auch
bei grosser zeitlicher Entfernung aufzudecken. Sodann: dass die Verstossung
der Aretaa-Tochter (nebst Heirath der Herodias) und der Krieg mit dem
Araberkönig einander unmittelbar gefolgt sein müssten, ist wiederum nicht
zu beweisen, Josephus sagt ausdrücklich, dass von ersterer nur der Anfang
der Feindschaft zwischen Antipas und Aretas datirte (Antt. XVIII, 5, 1: o 6h
dQxh'*' ^Z^C<*C tavtrjv notTjaanfvoqu und da.'^s später noch andere Ursachen,
35) WahrHrlieinlich war (hin Resultat der Forschungen des Lucas dies, dass
GhriHtufl Ostern 30 gestorben ist. Von hier an rechnet er nun, indem er wohl
nur ein Jalir für seine ö(Ieritli<'hc Wirksamkeit annahm {Luc. 4, 19 — 21), ein
Jahr zurück und findet so das 15. Jalir des Til)crius als Zeit des öflentlichen
Auftretens des Täufers und Ciiristi (über die Rechnung der Regieruiigsjahre
de« Tiberius s. uucli Kucstncr, De aeria quuc ab inipcrio Cavaaris Ocluriaid
etmntüuto initium diuxrint, IHss. lAps. 1890, p, \%8q.). — Ebenfalls auf das
J. 30 aln Tode»«jahr Christi führt uns Jnh. 2, 20; nur dass Johannes, der eine
zwnljfthrige Wirksamkeit Christi voraussetzt, (his Auftreten in das J. 28
vrrh'Kt. Vgl. oben 8. 370.
[3G9. 370] § 17. b. Herodes Antipas (4 v.— 39 n. Chr.). 445
nämlich Grenzstreitigkeiten hinzukamen. Ja Keim selbst giebt die Möglich-
keit zu, die Heirath in's J. 32—33 zu setzen (Geschichte Jesu I, 6301 Warum
also nicht in's Jalir '29, wenn doch einmal ein Zwischenraum mehrerer Jahre
angenommen werden muss? Hausrath, der im üebrigen Keim beistimmt,
setzt sie sogar in's J. 27 und hebt damit den Hauptgrund, auf welchen seine
Ansicht sich stützt, selbst wieder auf (Zeitgesch. 1. Aufl. I, 331, 334; in der
2. Aufl. I, 320, 328 ist das Resultat beibehalten, die Begründung aber weg-
gelassen).
Nach alledem werden wir uns an's N. T. zu halten und den Tod Christi
auf Ostern 30, den des Täufers in's J. 29, und die Heirath der Herodias etwas
früher, vielleicht noch 29, vielleicht einige Jahre früher zu setzen haben (Gut-
echmid, Lit. Centralbl. 1874, Sp. 523 = Kleine Schriften H, 319 setzt sie
etwa 26 n. Chr.)
Die Verbindung mit Herodias brachte dem Antipas wenig
Segen. Der Araberkönig Aretas konnte es nicht vergessen, dass
Antipas um ihretwillen seine (des Aretas) Tochter Verstössen hatte.
Die hieraus entsprungene Feindschaft erhielt durch Grenzstreitig-
keiten in Galaaditis — denn so ist statt Gamalitis oder Gamalike
wohl zu lesen 36) — neue Nahrung. Endlich im J. 36 kam es
zwischen beiden Nachbarn zum Krieg, der damit endigte, dass das
Heer des Antipas völlig geschlagen wurde ^''). Der Besiegte wusste
sich nicht anders zu helfen, als den siegreichen Gegner beim Kaiser
Tiberius zu verklagen 3^).
Als Tiberius von dem kühnen Beginnen des Araberfürsten ver-
nahm, gab er dem Vitellius, dem Statthalter von Syrien, alsbald
gemessenen Befehl, den Aretas lebendig oder todt in seine Gewalt
zu bekommen. Vitellius entschloss sich zwar nur ungern zu dem
Unternehmen, da er dem Antipas nicht sehr gewogen war. Aber
dem kaiserlichen Befehl konnte er sich nicht widersetzen und rüstete
daher zum Krieg gegen Aretas. Während er sein Heer mit Um-
gehung Judäa's gegen Petra marschiren liess, kam er selbst zum
Besuche nach Jerusalem, wo eben ein Fest, wahrscheinlich das
Passafest ^^), gefeiert wurde. Drei Tage verweilte er daselbst. Am
86) Die Gegend von Gamala gehörte zu der ehemaligen Tetrarchie des
Philippus, kann also nicht zwischen Aretas und Antipas streitig gewesen sein.
Dagegen lag die Landschaft GalaadLtis (Gilead) auf der Grenze ihres Ge-
bietes. Aus rAAAA/IITIi: konnte aber leicht PAMAAITIS werden. Das
von Niese aufgenommene FafxahxTj scheint eine noch weitere Corruption zu
sein Der Text ist ohnehin an der fraglichen Stelle {Änit. XVIII, 5, 1) defect.
Vgl. Ke^m in der Prot. Kirchenzeitung 1869, Nr. 51, col. 1218.
37) Die Zeitbestimmung ergiebt sich daraus, dass die Niederlage des An-
tipas, wie das Folgende lehrt, nicht lange, etwa ein halb Jahr vor dem Tode
des Tiberius (März 37) stattfand.
38) Atitt. XVIII, 5, 1.
39) Vgl. Keim, Gesch. Jesu III, 486 f. Sevin, Chronologie des Lebens
Jesu 2. Aufl. S. 75—77.
446 § 17. b. Herodes Antipas (4 v.— 39 n. Chr.). [370. 371]
vierten erhielt er die Nachricht vom Tode des Tiberius (f 16. März
37). Er glaubte damit seines Auftrages entbunden zu sein und
kehrte sammt seinem Heere nach Antiochia zurück ^^). Die Nieder-
lage des Antipas blieb somit ungerächt.
Um diese Zeit finden wir unsern jüdischen Tetrarchen auch
einmal am Euphrat anwesend bei wichtigen Verhandlungen zwischen
Vitellius und dem König der Parther. Es scheint aber, dass
der Bericht des Josephus hierüber nicht frei von Irrthum ist. Wir
wissen | nämlich, dass in den Jahren 35 und 36 der parthische
König Artabanus den Römern wiederholt zu schaffen machte.
Eine günstige Wendung schien einzutreten, als er durch die
Drohungen des Vitellius und den Abfall seiner eigenen Unter-
thanen zur Flucht in die entlegeneren Provinzen bewogen wurde,
worauf Vitellius im Sommer 36 mit dem von den Römern auf-
gestellten Prätendenten Tiridates am Euphrat zusammenkam und
ihm die Herrschaft über das Partherreich übertrug. Aber noch
vor Ende desselben Jahres kehrte Artabanus zurück, verdrängte
den Tiridates und bemächtigte sich wieder der Herrschaft'*')- —
Später veranstaltete Vitellius eine Zusammenkunft mit Artabanus
am Euphrat, bei welcher Artabanus mit den Römern Frieden schloss
und zur Bürgschaft dafür seinen Sohn Darius als Geisel stellte^-).
Bei dieser Zusammenkunft war nach Josephus auch Herodes
Antipas anwesend. Er bewirthete den Vitellius und Artabanus in
einem auf der Euphratbrücke errichteten kostbaren Zelte und be-
eilte sich nach Abschluss der Verhandlungen, das günstige Resultat
derselben dem Kaiser zu melden — eine Dienstfertigkeit, welche
ihm Vitellius sehr übel anrechnete, da er liierdurch seinem officiellen
Berichte zuvorkam ••3). — Joseplius verlegt nun diese Zusammen-
kunft noch in die Zeit des Tiberius und betrachtet die hieraus
entstandene Spannung zwischen Vitellius und Herodes Antipas als
die Ursache, weshalb Ersterer nach dem Tode des Tiberius den
Feldzug gegen Aretas sofort wieder einstellte. Allein Suetonius
und Die Cassius sagen ausdrücklich, und das Schweigen des Tacitus
40) Antt. XVIII, ß, 1. 3. — Da die kaiserlichen Legaten ihr Amt nur diircli
perHf)!) liehen Auftrag des KaiHorH Imtten, so erlosch, strong gciioinnien, jeder
Auftrug mit dem Tode den Kaisers. S. MouniiHCMi, Rümisches Stuutsrocht
1. Aufl. II, 1, 2;J5. II, 2, 873.
41) Tncit. Annal. VI, 31—37. 41— 44 (wegen der Zoitbestimnmnp: vgl. auch
VI, 3S Auf.), Dio Canii. LVIII, 26. Joseph, Anll. XVI II, 4, A. — Dii- Zeit-
beMtimmuug ergiebt nieh nun TacitUB.
42) Suctim. Caligtä. 14. VUell. 2. Dio Oasa. LIX, 27. Joseph. Antt. XVIII,
4, &. — I)(*n DariuH erwähnen (ausser Josephus) uucli fh'u Caaa. LIX, 17 und
Suei<m. Caliy. 10 als im J. 89 in Rom anwesend.
48) Joaeph. Antt. XVIII, 4, 6.
[371. 372] § 17. b. Herodes Antipas (4 v.— 39 n. Clir.). 447
im 6. Buch der Aniialen beweist es indirect, dass die Zusainmen-
kunft zwischen Vitellius und Artabanus erst unter Caligula statt-
fand. Josephus ist also jedenfalls in einer Beziehung im Irrthum;
nur könnte es fraglich sein, in welcher Beziehung. Ist es richtig,
dass Herodes Antipas sich bei parthischen Verhandlungen am
Euphrat in der Zeit des Tiberius betheiligte, so müsste es bei der
Verhandlung zwischen Vitellius undTiridates im Sommer 36 {Tac.
Ann. VI, 37) gewesen sein. Ist es aber richtig, dass er bei den
Verhandlungen zwischen Vitellius und Artabanus betheiligt war,
so kann es erst in der Zeit des Caligula gewesen sein. Letzteres
ist höchst wahrscheinlich der wahre Sach verhalt. Denn im Sommer
36 war Herodes durch den Krieg mit Aretas in Anspruch ge-
nommen'**).
Hatte Antipas schon die Einbusse durch Aretas im letzten
Grunde seiner Leidenschaft für Herodias zu danken, so brachte ihn
schliesslich der Ehrgeiz seiner Frau auch noch um Herrschaft und
Freiheit. Es war eine der ersten ßegitrungshandlungen des neutn
Kaisers Caligula, dass er dem Agrippa, dem Bruder der Hero-
dias, die ehemalige Tetrarchie des Philippus verlieh nebst dem
Königstitel. Agrippa blieb anfangs noch in Rom. Aber im zweiten
Jahre Caligula's (März 38—39) kam er nach Palästina und trat
daselbst als König auf. Das Glück des einst tief verschuldeten
Abenteurers, der selbst einmal hülfesuchend vor Antipas erschienen
war, erregte den Neid der Herodias, die daher in ihren Gatten
drang, doch auch beim Kaiser um den Königstitel anzuhalten.
Herodes Antipas war nicht sehr geneigt, darauf einzugehen.
Endlich aber musste er dem Drängen seiner Gemahlin nachgeben
und den Bittgang nach Rom antreten, auf welchem Herodias ihn
begleitete. Ihnen folgte aber auf dem Fusse ein Abgesandter
Agrippa's, Fortunatus, mit einer Anklageschrift gegen Herodes
Antipas, worin dieser alter und neuer Vergehungen, des Einver-
ständnisses mit Sejan (t 31) und mit dem Partherkönig Artabanus,
44) Vgl. Hitzig, Gesch. d. Volkes Isr. II, 568. Hausrath, Zeitgescli.
2. Aufl. II, 209—211. Auch Usserius und Tillemont {Histoire des Empereurs
Vol. I, Venise 1732, p. 139 sq. und Note 4 zu Caligula) urtheilen schon ebenso.
— Vgl. über die parthische Geschichte überhaupt: Gutschmid, Geschichte
Irans und seiner Nachbarländer, 1888, und die daselbst S. 171 f. genannte
Literatur. Eine Uebersicht des Quellenmaterials bei Clinton, Fasti Romani II,
1850, />. 243—263. Ueber die römisch-parthischen Beziehungen auch Schiller's
Gesch. der röm. Kaiserzeit Bd. I und Mommsen's Rom. Geschichte Bd. V,
S. 339 ff. Ueber die parthischen Könige der römischen Kaiserzeit (z. B. Arta-
banus, Tiridates) auch die betr. Artikel in der Prosopographia imperii
Romani, und in Paul v-Wissowa's Real-Enc. (hier über Artabanus Bd. II,
S. 1293 ff.).
448 § 17. b. Herodes Antipas (4 v. -39 n. Chr.). [372. 373. 374]
beschuldigt wurde. Zum Beweise dafür wurde auf seine Waffen-
vorräthe hingewiesen. Beide Theile kamen gleichzeitig in Bajä
bei Caligula an. Als dieser Bitte und Anklage vernommen hatte,
fragte er den Antipas, wie es sich mit den WaiFenvorräthen ver-
halte. Und als Antipas dieselben nicht in Abrede stellen konnte,
schenkte Caligula auch den übrigen Beschuldigungen Glauben, ent-
setzte den Antipas seiner Tetrarchie und verbannte ihn nach
Lugdun um in Gallien^ ^). Der Herodias wollte er, als einer Schwester
Agrippa's, ihren Privatbesitz lassen. Aber die stolze Frau ver-
schmähte die kaiserliche Gnade und folgte ihrem Gatten in die
Verbannung. Die Tetrarchie erhielt als neuen Beweis kaiserlicher
Gnade der Kläger Agrippa-*^). Herodes Antipas ] starb in der
45) So Jos. Antt. XVIII, 7, 2; dagegen Bell. Jud. II, 9, 6 dq Snavlav
oder ^lanavlav (was Niese gegen alles handschriftliche Zeugniss in FakUav
corrigirt). Da es in Gallien ausser dem bekannten Lugdunum (= Lyon) noch
ein anderes Lugdunum am Nord-Abhang der Pyrenäen im Gebiete der Gon-
veime, daher lAigdunum Convenarum, gegeben hat, so könnte dieses gemeint
sein. Dann würde sieh, weil es an der spanisclien Grenze lag, am leiclitesten
die irrige (in den Antiquitates corrigierte) Angabe des Bell. Jud. erklären. In
diesem Sinne entscheiden sich z. B. Schiller, Gesch. der röm. Kaiser-
zeit I, 383. O. Hirschfeld, Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1895,
S. 399, Anm. 1. Ueber die Hypothese von Lewin s. die nächste Anm.
46) Antt. XVIII, 7, 1—2. B. J. II, 9, 0. NaA letzterer Stelle wäre Agrippa
selbst dem Herodes Antipas auf dem Fusse gefolgt, nacli Antt. hat er vielmehr
den Fortunatus gesandt^ Ueber die Ditlerenz hinsichtlich des Ortes der Ver-
bannung s. die vorige Anm. Lewin {Fasli saeri n. 1561) meint, dass das
definitive Urtiieil von Caligula erst bei dessen Aufenthalt in Lyon im J. 40
gesproclien worden sei, und dass Josephus den Ort der Urtheilssprcchung und
den Ort der Verbannung verwechselt habe, eine künstliche Hypothese, welche
dem Josephus nur gröbere Fehler aufbürdet, um die kleineren zu heben. —
Die Zeit der Absetzung des Antipas ergiebt sich tlieils aus Antt. XVIII, 7,
1 — 2 vgl. mit (i, 11, theiis aus XIX, 8, 2. An letzterer Stolle heisst es von Agrippa :
TfttaQaq fihv ovv inl Patov Kalaagoq ißaalkevaev iviavrovg, tfjq fPiXlnnov fihv
n-rQapyJaq fiq rgutlav UQ^aq, r<ü rfrdprw 6^ xal triv H^iodov TCQnaeiXrjipiöq.
Da nun Caligula von März 37 bis Jaiuuir 41 regierte, so erliiolt Agrippa die
Ti'trarchie dos Antipas Anfang 40. — Nach Antt. XVIII, 6, 11 aber war Agrippa
im zweiten Jahre Caligula's (März 38—39) nach Palästina zurückgekehrt, und
zwar mit ßeuQtzuug der Passatwindo (ivrjalai, Philo in Flaootim § 5. ed.
Man//. II, 521), wc^lche vom 20. Juli an 30 Tage lang wehen {P/miu.s, Hi\st.
Not. II, 47). Dfinnach mag er, da or sich unterwegs noch in Aloxandria auf-
hielt {Philo a. a. 0.), etwa Ende September 38 in Palästina finget rollen sein.
Dh nun die AbsetzuDg des Antipas damit in engem Zusammenhange stand,
■<» Mcheint sie, wenn auch nicht mehr 38, so doch 39 (erfolgt zu sein. In der
That lässt sich beweisen, dass sie nicht früher und nicht später
alt Sommer 39 erfolgt ist. Nicht früher; denn das 4.3. Jahr des Antipas,
aUR welchem wir noch Münzen haben, begann erst am 1. Nisan 792 a. U.
"» 30 D. Chr. Aber auch nicht später. Caligula war uämlicli vom Herbst 39
HIh 31. AugUHt 40 von Rom abwesend auf einem Feldznge mich Gallien,
[374] § 17. h. Herodes Antipas (4 v.— 39 n. Chr.). 449
Verbannung. Eine verworrene Notiz bei Dio Cassius scheint zu
besagen, dass er von Caligula hingerichtet wurde*').
c. Archelaus (4 t.— 6 n. Chr.). Sein Gebiet unter römischen
Procuratoren (6—41 n. Chr.).
Quellen: Joseph. Antt. XVII, 13. XVIII. 1—4. 8. Bell. Jud. II, 7-10.
Philo, De le//atione ad Cajum {Opp. ed. Matif/ey II, 545 — 600).
lieber die Münzen s. unten.
Germanien und Britannien {üio Cass. LIX, 21 — 25. Stieton. Calig. 17. 43 — 49:
Einzug in Rom „natali suo", d. h. 31. Aug. s. Stieton. Califj. 8. Vgl. überhaupt
Riese, Der Feldzug des Caligula an den Rhein, Neue Heidelberger Jahrbb. VI,
189(3, S. 152 — 162). Da nun die Absetzung des Antipas geschah, während
Caligula in Bajä sich befand, da sie ferner wegen Joseph. Antt. XIX, 8, 2,
wornach Agrippa noch unter Caligula ein Jahr regiert hat, nicht erst nach dem
germanischen Feldzug stattgefunden haben kann (was auch deshalb unmöglich
ist, weil Agrippa vom Herbst 40 bis zum Tode Caligula's sich wieder in dessen
Umgebung befand. Philo, Legat, ad Caj. § 35 ff. ed. Mang. II, 584 tf. Joseph.
Antt. XVIII, 8, 7 ff. Dio Cass. LIX, 24 (vgl. § 17 c. und § 18], während er
zur Zeit der Absetzung des Antipas in Palästina war, sowie deshalb, weil er
nach Philo, Legat, ad Caj. §, 41, ed. Mang. II, 593 im Herbst 40 bereits im
ßes'itze von Galiläa war [vgl. auch Joseph. Antt. XVIII, 8, 4 Anf , woraus zu
schliessen, dass Tiberias damals nicht mehr dem Herodes Antipas gehörte]), —
so muss sie nocli vor den germanischen Feldzug, d. h. vor Herbst 39 fallen.
Im J. 39 war Caligula zweimal in Campanien [Bajä, Puteoli), einmal nach Dio
Cass. LIX, 13 und sodann nach Dia Cass. LIX, 17. Sueton. Calig. 19. Doch
war er nach der zweiten Anwesenheit schon zur Zeit seines Geburtstages
(31. August) wieder in Rom {Dio Cass. LIX, 20. Sueton. Calig. 26), worauf
dann der germanische Feldzug folgte. Die Absetzung des Antipas in
Bajä fällt demnach vor den 81. Aug. 39 n. Chr. Da aber Agrippa die
Tetrarchie des Antipas erst Anfang 40 erhielt {Jos. Antt. XIX, 8, 2), so ist
wohl mit Noris {Opp. II, 062 sg.) und Wieseler (Chronologie des apostol.
Zeitalters S. 130) zwischen der Absetzung des Antipas und der Verleihung
seiner Tetrarchie an Agrippa ein mehrmonatlicher Zwischenraum anzunehmen,
und letztere erst in die Zeit des gallisch-germanischen Feldzuges Caligula's
zu setzen. — Vgl. überhaupt Noris, De nummo Eerodis Antipae [Opera II,
col. 646 — 665); Sanclemente, De vulgaris aerae emendatione p. 307 — 315. —
Ueber die Münze des Herodes Antipas mit der angeblichen Jahreszahl 44,
welche eine Fortdauer seiner Regierung bis zum J. 40 n. Chr. beweisen
würde, s. oben 8. 416 f. und 434. Wäre ihre Existenz sicher, so müsste man
mit Lewin die Absetzung des Antipas nicht in die Zeit von Caligula's
Aufenthalt in Bajä, sondern in die Zeit seines gallischen Feldzuges verlegen,
also einen starken Fehler bei Josephus annehmen. Noch stärkere Correcturen
der überlieferten Geschichte würde die ebenfalls oben erwähnte Münze vom
J. 45 des Herodes Antipas erfordern, wenn ihre Echtheit sicher wäre.
47) Dio Cass. LIX, 8: {Caligula) lAy^imiav xov xov ''H^mSov eyyovov Xvaaq
TS ... . xal r^ xov nunnov ag^^ ngoaxä^ag, xov aöeX(p6v rj xal xov viov ovx
Schür er, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 29
450 § 17. c. Archelaus (4 vor— 6 nach Chr.), [374. 375]
Literatur: Ewald, Geschichte des Volkes Israel IV, 594. V, 49— 95. VI, 319,
322—332. 343.
Grätz, Geschichte der Juden III, 4. Aufl. S. 253-271, 315-317,
341—344.
Hitzig, Geschichte des Volkes Israel II, 562 f. 573—583.
Hausrath, Zeitgesch. 2. Aufl. I, 287—308. II, 199—270.
Keim, Geschichte Jesu I, 194—202. III, 3590". 447 ft'. 485 ff. uud
Art. „Archelaus" in SchenkePs Bibellexikon III, 38-40.
Gerlach, Zeitschrift f. luth. Theol. 1869, S. 30-32. — Ders., Die
römischen Statthalter in Syrien und Judäa S. 44—48. 53—65.
Winer, RWB. I, 82 f. (Archelaus) und II, 261-263 (Pilatus).
Brann, Die Söhne des Herodes, 1873 (Separatabdr. aus der
Monatsschr. f. Gesch. u. Wissensch. d. Judenth.) S. 1 — 16.
Lew in, Fasti sacri, ad ann. 4 ante Chr, — 41 p. dir.
Mommsen, Römische Geschichte V, 508 ff.
Kellner, Die römischen Statthalter von Syrien und Judäa. 2. Art.
Die kaiserlichen Procuratoren von Judäa (Zeitschr. f. kathol.
Theol. 1888, S. 630 ff".). |
Kellner, Politische und administrative Zustände von Palästina
zur Zeit Christi (Der Katholik 1888, I, S. 47 — 63) [summarische
Uebersicht seit Pompejus].
Menke's Bibelatlas Bl. V, Specialkarte über „Judäa und Nachbar-
länder zur Zeit des Pontius Pilatus".
Das eigentliche Judäa nebst Samaria und Iduiiiäa (mit den
grossen Städten Cäsarea, Samaria, Jope und Jerusalem, aber ohne
Gaza, Gadara und Hippos) war bei der Theilung dem Arclielaus,
dem älteren*) Bruder des Antipas, zugesprochen worden, zwar nicht,
wie Herodes es bestimmt hatte, mit dem Königstitel, sondern nur
mit dem eines Ethnarchen -). Doch hatte Augustus ihm auch
das Königthum versprochen, falls er sich dessen würdig erweisen
werde 3). Auch Archelaus nannte sich, wie Antipas, auf Münzen
und sonst mit dem Familiennamen Herodes^).
'ini x<5v naxQwwv dneari^tjaev, ukka xal xaria^a^e. Obwohl das Verwandt-
scbaftsverhältniisH nicht stimmt, kann damit doch nur Herodes Antipas gemeint
Bein. Verbannte liinzurichten, war ül)crhau])t Caligula's Gewohulieit, Sueton.
Calif/. 28. Dio Casa. LIX, 18. Philo in Flaccum § 21 cd. Mang. II, 543 fin.
Lewin, Fasti sacri n. 1562. — Nach Josep/ms Bell, Jud. II, 9, 6 starb Antipas
in der VerbannuDf;. Ueber den Widerspruch hinsichtlich des Ortea zwischen
B. J. II, 9, 6 und Antl. XVIII, 7, 2 s. oben S. 448. Da luich B. J. Antipas
von Tornliercin nach Spanien verbannt worden und dort gestorben ist, ho hat
man kein Recht, die widersprechenden Angaben des •loscphu.'* so zu combi-
niren, danH nuin eine spätero Versetzung des Verbannten von Lyon nach
Spanien annimmt.
1) jy. J. i, 32. 7. 33, 7.
2) Ungenau hoiiiHt er Matth. 2, 22 und Jos. Antt. XV IH, 4, 3 ßaailti^. —
Ueber den Titel iltvdpxfj'i »• "'»e» ^- 423.
3) Antl. XVII, 11, 4. B. ./. II, 6, 3.
4) ]^i Joitephut lioiHHt er zwar nirgends IIcrodeH, wnlil aber bei Pio Üa.s.s.
[375] § 17. c. Archelaus (4 vor— 6 nach Chr.). 451
Unter den Söhnen des Herodes geniesst er den schlechtesten
Ruf. Seine Herrschaft war loh und tyrannisch '"). Die Hohenpriester
setzte er nach Belieben ab und ein^). Besondern Anstoss erregte
seine Heirath mit Glaphyra, der Tochter des kappadocischen
Königs Archelaus. Diese war in erster Ehe mit Alexander, dem
im J. 7 V. Chr. hingerichteten Stiefbruder des Archelaus, vermählt
gewesen (s. oben S. 408). Nach dessen Tode nahm sie Juba, der
König von Mauritanien'), zur Ehe. Nach Auflösung dieser
LV, 27. Und dass die Münzen mit der Aufschrift HP^JOY EBNAPXOY
ihm augehören, kann nicht zweifelhaft sein; denn ausser ihm führte kein Hero-
däer den Titel i&vuQx^Q- Es ist dies zuerst erkannt worden von Scipto Maff^us
Antt. Qall. p. 113 (citirt von Eckhel III, 484). Eckhel ist wenigstens geneigt,
ihm beizustimmen {„Forte verlor est eonjectura Scipionis Maff^i etc."). Gegen-
wärtig ist es allgemein anerkannt. — Bemerkenswerth ist, dass auch die Mün-
zen des Archelaus kein Bildniss tragen. — Vgl. über dieselben überhaupt:
Cavedoni, Bibl. Numismatik I, 53. 57 f. II, 32 f. De Sauley, I^echerclies
p. 133 sq. Levy, Gesch. der jüd. Münzen S. 73 f. Madden, History p. 91—95.
Cavedoni in Grote's Münzstudien V, 25 f. De Sauley, Numismattc Cftro-
nicle 1871, p. 248 — 250. Madden, Num. Chron. 1875, ^h sq. Madden, Coitis
of the Jeivs p. 114—118.
5) 'Sinoxriq xal xvgavviq wird ihm Antt. XVII, 13, 2 vorgeworfen. Vgl. auch
B. J. II, 7, 3.
6) Antt. XVII, 13, 1.
7) Es ist derselbe, der als Schriftsteller sich bekannt gemacht hat. Die
Nachrichten über ihn und die Fragmente seiner Schriften sind gesammelt bei
Müller, Fraym. Eist. Graec. III, 4(35—484. Vgl. auch Clinton, Fasti Hell.
2. ed. III, 578««?. Pauly's Real-Enc. IV, 345. Nicolai, Griech. Literatur-
gesch. II, 185 f. La Blanchere, De rege Jnba regis Juhue filt'o, Paris 1883
(hier noch mehr Literatur). Suse mihi, Gesch. der griech. Literatur in der
Alexandrinerzeit Bd. II, 1892, S. 402—414 (mit reichen Literaturangaben).
Prosopographia imperii Romani II, 156. — Juba war als Kind (ßgeipog App.,
xofiiöij vjjnioq Plut.) im J. 4ü v. Chr. von Cäsar im Triumphe mit aufgeführt
worden [Appian. II, 101. Plutarch. Caesar, c. 55). Im J. 29 v. Chr. erhielt er
von Augustus sein väterliches Reich Numidien {Dio Cass. LI, 15). Vier Jahre
später, 25 v. Chr., gab ihm Augustus statt dessen die Länder des Bocchus
und Boguas {Mauritania Tinfjitana und Caesariensis) und einen Theil von
Gätulien {Dio Cass. LIII, 26). Er lebte noch im J. 18 nach Chr. {Müller III,
466) und ist, wie sich auf Grund der Münzen feststellen lässt, erst im J. 23
n. Chr. gestorben {Mommsen, Ephemeris epitjr. I, 278. Marquardt, Römische
Staatsverwaltung I, 1881, S. 482. Rühl, Jahrbb. f. class. Philol. 117. Bd.,
1878, S. 542—544 [vertheidigt das Jahr 23 n. Chr. als Todesjahr Juba's gegen
Niese's Bestreitung im Hermes XIII, 1878, S. 35 f. Anm.]. Schiller in Bursian's
Jahresber. XV, 497 f. Paul Meyer, Leipziger Studien zur class. Philol. II,
1879, S. 72. Vogel, Philologus Bd. 41, 1882, S. 517. La Blanchere, De rege
Juba p. 85. Susemihl II, 405 [sämmtl. für 23 n. Chr.]). — Die Ehe mit Gla-
l>hyra tallt wahrscheinlich in die Jahre 1 vor bis 4 nach Chr., wofern die Ver-
muthung Müller's (a. a. O.) richtig ist, dass Juba den C Caspar auf desscu
orientalischer Expedition begleitet und bei dieser Gelegenheit Glaphyra keu-
29*
452 § 17. c. Archelaus (4 vor— 6 nach Chr.). [376. 377]
Ehe ^) lebte Glaphyra im Hause ihresVaters. Hier lernte Archelaus sie
kennen, verliebte sich in sie und nahm sie zur Frau, indem er seine
Gemahlin Mariamme verstiess. Da Glaphyra von Alexander
Kinder hatte, war die Ehe ungesetzlich und erregte darum grossen
Anstoss^). Freilich war die Ehe nicht von langer Dauer; denn
Glaphyra starb bald nach ihrer Ankunft in Judäa'*'), nachdem sie
zuvor noch einen merkwürdigen Ti-aum gehabt hatte, in welchem
ihr erster Gatte Alexander ihr erschienen war und ihren bevor-
stehenden Tod ihr angekündigt hatte ^i).
Fast selbstverständlich ist es, dass Archelaus als Sohn des
Herodes auch auf Bauunternehmungen sich verlegte. Der Palast
von Jericho wurde aufs prachtvollste restaurirt. Eine Wasser-
leitung musste den Palmenpflanzungen, welche er in der Ebene
(nördlich von Jericho) neu anlegte, von dem Dorfe Neara aus das
nöthige Wasser zuführen. Sich selbst zu Ehren gründete er einen
Ort Namens Archelais ^^^^ |
Aber diese schönen und nützlichen Unternehmungen konnten
nen gelernt habe. — Auf Glaphyra bezieht sich vielleicht eine Inschrift zu
Athen, welche Mommsen folgendermassen zu ergänzen vorschlägt {Ephemeris
epigr. I, 277 sq. = Corp. Inscr. Attic. III, 1 n. 549) :
'H ßovXij xai [o 6f]iJLoq[
ßaaü.caaav [FkarpvQav]
'Aqx^^^ov d-vylatiga, 'loßa]
yvvaZxa [dgexiiq evexa].
8) Josephus sagt „nach dem Tode des Juba", was aber unrichtig ist. S.
die vorige Anm.
9) Vgl. aberliaupt Antt. XVII, 13, 1 und 4. B. J. II, 7, 4.
10) Met* oXlyov TTjg d(pl^swq X9^*'<^^ ^- •^- H» 7> ^•
11) Antt. XVII, 13, 4. B. J. II, 7, 4.
12) Antt. XVII, 13, 1. — Ueber die Palraenpflanzungen bei Jericho
8. oben 8. 380 f.; über da« Dorf Archelais Bd. II, S. 149. Es lug nach der
taf/ula Pcutinger. {cd. Konr. Miller 1888) an der Strasse von Jericho nach Sky-
thopolis', [12 mtl. pass. nördlich von Jericho, 12 + 12 mil. pass. südlich von
SkythopoÜB. Da die wirkliche Entfernung zwischen Jericho und Skythopolis
etwa fünfzig mil. pass. beträgt, so steckt in den Zalilen irgendwo ein Felder.
Nimmt man die Entfernung von 12 mil. pass. zwischen Jericho und Archelais
aln richtig an, so kommt letzteres ein wenig südlich von Phasaclis (nicht nörd-'
lieh, wie vielfach angenommen wird) zu liegen. Für diese Ansctzung spricht
FolgeodeR. Archelais war, wie rhasaeÜH, durcli seine Palmciiptliin/.iingeu
berühmt (Jb». Antt. XVHl, 2, 2. 1'liniti.s llist. NaI. Xill, 4, 44). .Mim wird
aluo die von Archelaus neu angelegti-n Pflanzungen, für welche er das Wasser
von Neara herleiten Hchh, eben in der Umgt'bung des von ihm gegründeten
Archelais zu Buchen haben. Nun ist alter Neara höchst wahrscheinlich iden-
tlx'h mit dem von EuHcbius (Onomasl. ed. Ijoyardc p. 283) erwähnten NooqüQ;
welche» nur 6 mil. paaa. von Jericho entfernt war. Also wird auch Archelais
nicht allzuweit davon gelegen haben.
[377. 378] § 17. c. Archelaus (4 vor— 6 nach Chr.). 453
die Unterthanen mit seiner Missregierung nicht aussöhnen. Nach-
dem man über neun Jahre lang sein Regiment ertragen hatte, begab
sich eine Deputation der jüdischen und samaritanischen Aristokratie
nach Rom, um bei Augustus Beschwerde gegen ihn zu führen. Die
Klagepunkte müssen sehr gravirend gewesen sein. Denn der Kaiser
sah sich veranlasst, den Archelaus nach Rom zu berufen und ihn,
nachdem er ihn verhört hatte, seiner Regierung zu entsetzen und
nach Vienna in Gallien zu verbannen, im J. 6 nach Chr. Auch
ihm war, wie seiner Gemahlin, durch einen bedeutsamen Traum
sein Schicksal vorherverkündigt worden i').
Das Oebiet des Archelaus wurde unter unmittelbar
römische Verwaltung genommen, indem es, als ein Annexum
der Provinz Syrien, einen eigenen Statthalter aus dem Ritter-
stande erhielt'"*). Mit dieser Thatsache wurde die Lage Judäas
eine wesentlich andere als zuvor. Herodes der Grosse und seine
Söhne hatten trotz aller römischen Freundschaften doch so viel
Verständniss für | die Eigenthümlichkeiten des Volkes, dass sie —
einzelne Ausnahmen abgerechnet — seine heiligsten Gefühle nicht
nmthwillig verletzten. Schon die Klugheit gebot in diesem Punkte
Vorsicht und Zurückhaltung. Den Römern dagegen fehlte fast alles
Verständniss des eigenthümlich-jüdischen Wesens. Wie ihnen die
religiösen Anschauungen der Pharisäer und die Fülle von Satzungen,
welche das tägliche Leben wie ein Netz umspannten, unbekannt
waren, so hatten sie auch keine Ahnung davon, dass ein ganzes
Volk um äusserlicher und scheinbar gleichgültiger Dinge willen
des äussersten Widerstandes selbst bis zum Tod und zur Selbst-
vernichtung fähig sein könne. Die Juden hinwiederum sahen in
den einfachsten Verwaltungsmaassregeln, wie gleich Anfangs in der
Vornahme des Census, einen Eingriff in die heiligsten Rechte des
Volkes und kamen von Tag zu Tag mehr zu der Einsicht, dass
die unmittelbar römische Verwaltung, die sie noch beim Tode des
13) Äntf. XVII, 13, 2—3. B. J. II, 7, 3. Dio Cass. LV, 27. Ohne den
Namen des Archelaus zu nennen, sagt Strabo XVI, 2, 46 p. 765, dass ein Sohn
des Herodes iv (pvy^ öitxekei naga xoTq l4X?.6ßQi^i FaXäraiq Xaßwv oi'xrjaiv.
Vienna, südlich von Lyon, war die Hauptstadt der Allobroger. — Was die
Chronologie betrifft, so setzt Dio Cass. LV, 27 die Verbannung des Arche-
laus in das Consulat des Aemilius Lepidus und Lucius Arruntius, 6 nach Chr.
Hiermit stimmen die Angaben des Josephus {Äntt. XVII, 13, 2: im zehnten
Jahre des Archelaus, B. J. II, 7, 3: im neunten). — Nach einer Notiz des
Hieronymus zeigte man bei Bethlehem das Grab des Archelaus {Ono-
mast, ed. Lagarde p. 101 : sed et propter eandem Bethleem regis quondam Jiidaeae
Arehelai tumulus ostendüur). Hiernach würde er in Palästina gestorben sein.
14) Amt. XVII, 13, 5. XVIII, 1, 1. B. J. II, 8, 1.
454 § l''- <?. Judäa unter römischen Procuratoren (6 — 41 n. Chr.). [378.379]
Herodes gewünscht hatten '^), mit den Rechten der Theokratie un-
vereinbar war. So war selbst beim besten Willen von beiden
Seiten Spannung und Feindschaft unvermeidlich. Dieser gute Wille
war aber nur theilweise vorhanden. Die obersten Spitzen der
Regierung waren zwar (mit Ausnahme der Zeit Caligula's) bereit,
Zugeständnisse zu machen und Schonung zu üben, zum Theil in
sehr weitgehendem Maasse. Aber ihre guten Absichten wurden
immer wieder durchkreuzt durcli den Unverstand der Procuratoren,
nicht selten auch durch grobe Rechtsverletzungen von Seite der-
selben. Diese Beamten niederen Ranges waren, wie alle kleinen
Herren, vor allem erfüllt von dem Bewusstsein ihrer selbstherrlichen
Gewalt, und haben durch ihre Uebergriffe die ohnehin gereizte
Stimmung des Volkes schliesslich so weit gesteigert, dass es sich
in wilder Verzweiflung in den Vernichtungskampf stürzte.
Da die politischen Verhältnisse Judäa's in den Jahren
6—41 n. Chr. im Wesentlichen dieselben waren, wie diejenigen
ganz Palästina's in den Jahren 44 — 66 n. Chr., so fassen wir
in der folgenden Darstellung beide Perioden zusaiunien und ent-
nehmen das Material sowohl aus der einen als aus der anderen
Periode ^^).
Judäa (und später ganz Palästina) wurde nicht im eigentlichen j
Sinne der,Provinz Syrien einverleibt, sondern erhielt einen eigenen
Statthalter aus dem Ritterstande, der nur in einem gewissen
Abhängigkeitsverhältnisse vom kaiserlichen Legaten von Syrien
stand"). Es gehörte also in die dritte Classe der kaiserlichen Pro-
vinzen, nach Strabo's Aufzählung'^). Und diese dritte Classe ist
als eine Ausnahme von der Regel zu betrachten. Denn die meisten
kaiserlichen Provinzen wurden, wie diejenigen des Senates, von
Männern senatorischen Ranges verwaltet, die grösseren (wie Syrien)
16) Antl. XVll, 11, 2. B. J. TI, 6, 2.
16) Vj?l. Hihr allda, De statu Jiuiaeae provinciae auh proouratoribus, Frmiecq.
1098 (auch in: Th^snunia novus thcol.-philol. rdd. Hase et I/crn II, 520 sqq.). —
Krt'nkel, Art. „Verwaltung" in Sclienkcl's Bibellex. V, (K)l f. — llieliin's
Handwörterb. Art. „Ilönior". — MoniniHca, Rom. Gesch. V, 609 fr.; nnd ühcr-
Itaupt die obeo 8. 449 f. genannto Literatur.
17) Jo». B. J. II, 8, 1 : xf\<i ik kQXf^dov xt^l'^t f ^? inuQxlav neQiyQaqjelarn
inlxQonoq rfjf Innixfji noQU 'Pwfialoti rd^ewi Kutniuvioi ni'fjnexai. —
Antt. XVIII, 1, 1: Koindvioq ... xayixaroq xwv Inn^tov, iiytioofjifvoQ 'lov-
Satwv x(j inl näaiv ^^ovalff.
18) Slraho XVII, H, 26 p. 840: tlq Ä'c M^v ninnn xoiq ^nifAektjao/nivovQ
vTttxixoiq &vd(ftiq, «ic uq (Ä axQttxtiyixoiq, elq aq öh xal )n7tixovi.
[379. 380] § 17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (G— 41 n. Chr.). 455
von gewesenen Consiiln, die kleineren von gewesenen Prätoreu ' ^).
Nur einzelne Provinzen wurden ausnahmsweise unter Statthalter
ritterlichen Ranges gestellt, nämlich diejenigen, in welchen wegen
einer besonders zähen und eigenartigen Oultur oder wegen Uncultur
eine strenge Durchführung der gewöhnlichen Ordnungen unthun-
lich erschien. Das bekannteste Beispiel ist Aegypten. Sonst sind
es namentlich Gebiete mit einer noch halb-barbarischen Bevölke-
rung, welche in dieser Weise verwaltet wurden '^'^).
Der herrschende Titel dieser ritterlichen Statthalter ist pro-
curator, ejtizQOjrog'^^). Es scheint zwar, dass Augustus wie in
Aegypten so auch anderwärts den Titel praefectus (= tjcaQXog) ge-
wählt hat^^). Sehr bald, mindestens seit Claudius, ist aber — mit
Ausnahme Aegyptens — der Titel procurator vorherrschend ge-|
worden. Josephus nennt den Statthalter Judäas in der Regel
BjÜTQOjcog, zuweilen ejtagxog oder ^yeficov ^'■^). Im Neuen Testamente
ist ^yeficov {= praeses) herrschend 2*). Dass sjtltQojeog {procurator)
19) Näheres s. oben S. 318 f. — Die Bezeichnung des kaiserlichen Statt-
halters von Syrien als „Proconsul", deren sich manche Theologen bedienen
(z. B. Gerlach, Hausrath, Krenkel), ist ein Verstoss gegen das A-B-C der
römischen Alterthüraer. Nur zur Zeit des Pompejus, bis 48 vor Chr., wurde
Syrien von „Proconsuln" verwaltet.
20) Die wichtigsten, ausser Aegypten, nennt Taeit. Hist. I, 11 : duae Mauri-
tantae, Eaetia, Norieuni, Thracia et qmte aliae procurator ihus cohibentur. Ein
vollständiges Verzeichniss giebt Hirschfeld, Sitzungsberichte der Berliner
Akademie 1889, S. 419—423. — Vgl. auch: Marquardt, Römische Staats-
verwaltung I, 1881, S. 554 f., Liebenam, Beiträge zur Verwaltungsgeschichte
I, 188Ü, S. 26-30.
21) Vgl. über die Präsidial-Procuratoren überhaupt: Mascovius, De pro-
curatore Caesaris, Altorf. 1724 (auch in dessen opusc. jurid. et philol. 1776,
p. 1—30). — Rein, Art. procurator Caesaris in Pauly's Real-Enc. VI, 1, 88—90.
— Winer, Bibl. Realwörterbuch II, 276 f. (Art. Procuratoren). — Marquardt,
Römische Staatsverwaltung Bd. I, 1881, S. 554 ft". — Am eingehendsten: Hirsch-
feld, Die ritterlichen Provinzialstatthalter (Sitzungsberichte der Berliner
Akademie 1889, S. 417—442).
22) S. hierüber: Hirschfeld, Sitzungsber. 1889, S. 425—427.
23) inixQonog an folgenden Stellen: B. J. II, 8, 1. 9, 2. 11, 6 (in der
Parallelstelle Antt. XIX, 9, 2 hiaQxoq). Antt. XX, 6, 2. B. J. II, 12, 8. ini-
Xitoneiwv Antt. XX, 5, 1. imxQonrj Antt. XX, 5, 1 ßn. 11, 1 s. fin. B. J. II, 12, 1.
14, 1. — 'inuQxoq Antt. XVIII, 2, 2. XIX, 9, 2 (in der Parallelstelle B. J. II,
II, 6 tniTQonoq). XX, 9, 1. B. J. VI, 5, 3 (§ 303: inl rov nagä 'Pw/xai'oiq
enuQXO'^'} §305: zov 6" AXßivov öieQoncüvrog, oirtog yag magxoq riv). — ^yTjao-
fievoq Antt. XVIII, 1, 1. rjyefxwv Antt. XVIII, 3, 1. nQoaztiaofievoq Antt. XX,
7, 1. — miiifXrii^q Atüt. XVIII, 4, 2. — Inndgxnq ^ntt. XVIII, 6, 10 fin.
24) Ev. Matth. 27, 2. 11. 14. 15. 21. 27. cap. 28, 14. Lue. 3, 1. 20, 20. Actor.
23, 24. 26. 33. cap. 24, 1. 10. cap. 26, 30. — TJyefxwv heisst überhaupt praeses,
und wird daher auch von den Statthaltern anderer Kategorien gebraucht.
456 §17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6 — 41 n. Chr.). [380.381]
der correcte Titel ist, wird aucli durch anderweitige Zeugnisse be-
stätigt ^s). Im Allgemeinen wird dieser Titel für alle kaiserlichen
Finanzbeamten gebraucht (während praefectus mehr ein militärischer
Titel ist). Solche Finanzprocuratoren gab es auch in allen anderen
Provinzen, sowohl den kaiserlichen, als denen des Senates ^6), Sie
wurden nicht nur aus dem Ritterstande, sondern auch aus der Zahl
der kaiserlichen Freigelassenen genommen 2^). Diejenigen Procura-
toren dagegen, welche eine Provinz zu verwalten hatten, wurden
wegen des damit verbundenen militärischen Commando's nur aus
dem Ritterstande genommen. Es war eine unerhörte Neuerung, als
unter Claudius die Procuratur von Judäa einem Freigelassenen,
dem Felix, übertragen wurde (s. unten § 19).
Dem Legaten von Syrien scheinen die Procuratoren Judäa's]
nur insofern untergeordnet gewesen zu sein, als ersterer das
Recht und die Pflicht hatte, in Fällen der Noth mit seiner höheren
Gewalt einzugreifen 28). Zwar drücken sich die Schriftsteller zu-
weilen so aus, als ob Judäa der Provinz Syrien einverleibt worden
sei. Aber sie bleiben sich dabei nicht constant 29). Die Ausrüstung
25) Schreiben des Kaisers Claudius bei Joseph. Antt. XX, 1, 2: Kovanl^t
«Pttöio T(ö ifi(p iniXQÖiKp. — Tacit. Ännal. XV, 44: Christus Tiberio imperi-
tante per procuratorem Pontium Pilatum supplicio adfectus erat. ibid. XII, 54:
praedas ad procuratores referre . . .Jus statiiendi etiam de procuratoribus
(es sind Cumanus und Felix geraeint).— Das von Hirschfeld, Sitzungsber.
S. 425 f., beigebrachte Material scheint mir nicht ausreichend, um die Ver-
muthung zu begründen, „dass auch in Judäa in der ersten Kaiserzeit der
Titel praefectus gelautet habe", obwohl man dies als möglicli zugeben muss.
26) Marquardt I, 555 f.
27) Vgl. über diese Finanzprocuratoren (ausser der in Anm. 21 genannten
Literatur): Eichhorst, Quaestionum epigraphicarum de procuratoribus impera-
torum Romanorum apecimm, 1801. — Hirschfeld, Untersuchungen auf dem
Gebiete der römischen Verwaltungsgeschichte, 1. Bd. Die kaiserlichen Ver-
waltungsbeamten bis auf Diocletian, 1877 (erschöpfendste Behandlung). —
Liebenam, Beiträge zur Verwaltungsgeschichtc des römischen Kaiserreichs. I.
Die Laufbahn der Procuratoren bis auf die Zeit Diocletians, 188(5. — Viel
Material geben die Indices zum Corp. Inscr. Lat. Vgl. auch Corp. Inscr. Oraee.
Index p. 36 (». v. inlzQOnoq Stßaatof}). Ilaencl, Corpus Legum, Indcn- s. v.
procuraior. Dirksev, Manuale latinitatis fotitium riiris rlr. Rom. (1837) s. v.
procuraior.
28) Vgl. zum Folgenden: Mommsen, Köm. (Jescli. V, .')()!) Anin. ITirsch-
feld, SitzungHbcrichto der Berliner Akademie 1889, 8. 440—442.
29) JoMephuM Bagt Antt. XVII fhi. t^c ^^ 'Aex^^hcov zo5('«C vnoTt-Xovi Tuwa-
vtfiTi^tlaiiq xy Xvpmv. Da er aber gleich darauf (Antt. XVili, 1, 1) .ludäa eine
nfooBijxtj T^c ^VQlaq nennt, ho will er es wohl nicht als eigentlichen Bestand-
tbcil, sondern nur hIk Appendix der Provinz Syrien bezeichnen. Nach B. J.
n, 8, 1 ist daM Land deH Arehelaiis zu einer Provinz (also einer selbständigen)
gemacht worden, t»Jc di *AQX(>aov xci^<>ßC f^C ina^x^av THQiyQa<pflariq. Ja in
[381.382] §17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). 457
des Procurators mit einem militärischen Commaudo und mit selb-
ständiger Jurisdiction verlieh ihm ohne Weiteres eine Stellung,
vermöge deren er unter gewöhnlichen Verhältnissen inner-
halb seiner Provinz ebenso selbständig war, wie die Statthalter der
anderen Provinzen. Dagegen hatte allerdings der Legat von
Syrien nach freiem Ermessen einzugreifen, wenn Unruhen zu be-
fürchten waren oder sonst ernstere Schwierigkeiten sich ergaben.
Kr verfügte dann in Judäa selbständig, als dem Procurator Ueber-
geordneter 3*^). Ob ditse höhere Gewalt so weit ging, dass er auch
den Procurator zur Verantwortung ziehen konnte, erscheint frag-
lich, da in den beiden Fällen, in welchen dies geschah, der be-
treifende Legat wahrscheinlich mit besonderer Vollmacht aus-
gerüstet war 31). I
Die Residenz des Procurators von Judäa war nicht Jerusalem
sondern Cäsarea^-). Da die Wohnung des Oberfeldherrn oder
Statthalters praetorium hiess, so ist das jiqcuxcoqiov xov 'IIqojöov
in Cäsarea (Apgesch. 23, 35) wohl nichts anderes als ein von Herodes
Bezug auf die Verhältnisse nach Agrippa's Tod behauptet Josephus sogar be-
stininit; der Legat von Syrien sei nicht über das Künigreicli des Agrippa
gesetzt worden {Äntt. XIX, 9, 2), während er freilich unmittelbar darauf be-
richtet, dass derselbe doch in die dortigen Verhältnisse einzugreifen hatte
{Antt. XX, 1, 1). — Tadtus erwähnt im J. 17 n. Chr. Syrien und Judäa als
zwei Provinzen neben einander [Anna!. II, 42: promnciae Suria atque Judaea),
und sagt von der Ordnung nach König Agrippa's Tod, Hist. V, 9: Claudius ....
Judaeam proviticiam equitibus Ronianis aut libertis permisit. Wenn er daher
dieselbe Thatsache an einer andern Stelle {Annal. XII, 23) mit den Worten
berichtet: Ituraeique et Judaei defunctis regibus, Sohaemo atque Agrippa, pro-
vinciae Suriae additi, so ist das additi wohl ebenso zu verstehen, wie die
TiQoad^^XT} des Josephus. Auf keinen Fall wird man, weil Tacitus diese No-
tiz erst im J. 49 nachholt, während er sie schon beim J. 44 hätte bringen
sollen, daraus auf eine Aenderung der Verhältnisse im J. 49 schliessen dürfen,
wie Bor mann gethan hat (s. unten § 18/?«.). — Auch Suetonius bezeichnet
Judäa schlechtweg als „Provinz" {Sueton. Claud. 28 : Felicetu, quem cohortibus
et alis provinciaeque Judaeae praeposuit).
30) Beispiele: Petronius {Antt. XVIII, 8, 2—9. B. J. II, 10, 1—5); Cas-
sius Longinus {Antt. XX, 1, 1); Cestius Gallus [B. J. II, 14, 3. 16, 1.
18, 9 ff.).
31) Von Vitellius, welcher den Pilatus absetzte {Antt. XYllI, 4,2), sagt
Tacitus Annal. VI, 32: eunctis quae apud orientem parabantur L. Viteltium
praefecit. Von Ummidius Quadratus, welcher den Cumauus nach Rom
schickte {Jos. Antt. XX, 6, 2; B. J. II, 12, 6), heisst es ausdrücklich Tacit.
Annal. XII, 54: Claudius . . .jus statuendi etiam de pi-ocuratoi-ibus dederat.
32) Antt. XVIII, 3, 1. B. J. II, 9, 2 (Pilatus). Antt. XX, 5, 4. B. J. II,
12, 2 (Cumanus). Apostelgesch. 23, 23—33 (Felix), ibid. 25, 1—13 (Festus).
Jos. B. J. 14, 4 fin. 15, 6 fin. 17, 1 (Florus). — Tacit. Hist. II, 78: Caesaream
. . . Judaeae caput.
458 §1'^- c. Judäa unter römischen Procuratoren (6 —41 n. Chr.). [382.383]
erbauter Palast, welcher dem Procurator als Wohnung diente. —
Bei besonderen Veranlassungen, namentlich an den hohen jüdischen
Festen, wo wegen der in Jerusalem zusammenströmenden Volks-
massen besondere Vorsichtsmaassregeln nöthig waren, kam der
Procurator nach Jerusalem und wohnte dann in dem ehemaligen
Palaste des Herodes^^). Das Prätorium zu Jerusalem, in welchem
Pilatus zur Zeit der Verurtheilung Jesu Christi residirte {Malth.
27, 27. Marc. 15, 16. Joh. 18, 28. 33. 19, 9), ist also eben der uns
wohlbekannte Palast des Herodes an der Westgrenze der Stadt ^*).
Er war nicht nur eine fürstliche Wohnung, sondern zugleich ein
starkes Kastell, in welchem mehrmals (bei den Aufständen im J. 4
vor Chr. und im J. 66 nach Chr.) grössere Truppenabtheilungen
sich gegen anstürmende Volksmassen vertheidigen konnten^^). Daher
wird bei der Anwesenheit des Procurators auch die ihn begleitende
Truppenabtheilung hier ihr Quartier gehabt haben (vgl. Matth. 27, 27.
Marc. 15, 16).
In Betreff der Militärverhältnisse ist vor allem daran zu
erinnern, dass das römische Heer der Kaiserzeit in zwei streng
geschiedene Kategorien zerfiel: die Legionen und die Auxiliar-
truppen^^). Die Legionen bildeten die eigentlichen Kerntruppen,
nur aus römischen Bürgern bestehend (Provinzialen, welche in die
Legionen eingereiht wurden, erhielten das Bürgerrecht). Jede
Legion bildete ein geschlossenes Ganze zu 10 Cohorten oder 60
Centurien, zusammen etwa 5000—6000 Mann 37). Die Auxiliar-
truppen bestanden aus Provinzialen, welche, wenigstens in der
früheren Kaiserzeit, in der ] Regel nicht das Bürgerrecht hatten.
Ihre Bewaffnung war leichter und weniger einheitlich als die der
Legionen; vielfach wurden die nationalen Eigenthümlichkeiten hier
beibehalten. Das Fussvolk derselben war in Cohorten formirt,
deren Stärke verschieden war (entweder zu 500 oder zu 1000 Mann),
die Reiterei in alae, ebenfalls von verschiedener Stärke 3^). Cohorten
33) B. J. II, 14, 8. 15, 5. Philo, Legat, ad Caj. S 38 {Mang. II, 585» sq.).
34) Vgl. den Artikel „Richthau«" in Winer's Realwörterb. und Riehm's
Handwörterbuch.
36) ÄfUt. XVII, 10, 2—3. B. J. II, 3, 1—4. 17, 7—8. Vgl. die Beschrei-
bung B. J. V, 4, 3—4.
30) Vgl. über dn« rttmische Heerwesen überhaupt: Marquardt, Römiache
ßtaatMverwaltung II. 3<)7— 501.
37) Marqimr«lt II, .359. 441. — Ueber die Frage, seit wann Provinzialen
unter Verleihung de« Bürgornsclitvs in die Legionen eingereiht wurden, a.
ßeeck, Die Zusanimensetzuug '1<t l\Mi«('rl«>i'ionf>Ti iHlwin. Mnm'iim N. F. Bd.
48, 189.% 8. Ö(yi-Ö21).
88) Marquardt II, 453-457.
[383] §17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). 459
und alae wurden nach der Völkerschaft henannt, aus welcher sie
ausgehoben waren ^^j.
Für die von Procuratoren verwalteten Provinzen lässt sich
nun als Regel feststellen, dass in denselben, und unter dem Com-
mando der Procuratoren, nur Auxiliartruppen standen^**).
Diese Regel wird auch durch die Verhältnisse Judäa's bestätigt.
Nur in Syrien standen Legionen, zur Zeit des Augustus drei, seit
Tiberius vier^*). In Judäa aber standen bis zur Zeit Vespasians
nur Auxiliartruppen, und zwar zumeist solche, die im Lande selbst
ausgehoben waren'*-). Die Ehre und die Last dieser Aushebungen
fiel allein der nicht-jüdischen Bevölkerung Palästina's
39) So, um nur einige Beispiele aus Palästina und Syrien zu nennen: cohors
Asealonitarum, Cauathenormn, Damascenorum, Ituraeorum, Sebastenorum, Tyrio-
nim. Andere Beispiele in reicher Fülle geben die Indices zum Corp. Inscr.
Lat. Eine Zusammenstellung des Materiales bei Mom rasen, Ephemer is epigr.
V, 164 — 200. Noch vollständiger: Cichorius, Art. ala in Pauly-Wissowa's
Real-Encyclop. I, 1224—1270. Ders., Art. cohors ebendas. IV, 231— S.': 6.
40) Hirschfeld, Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1889, S. 431 bis
437. Marquardt II, 518.
41) Drei Legionen unter Augustus: Jos. Antt. XVII, 10, 9. B. J. II, 3, 1.
5, 1; vier unter Tiberius: Tacit. Annal. IV, 5. (Da in Aegypten unter Au-
gustus drei, unter Tiberius nur zwei Legionen standen, s. Strabo XVII, 1, 12,
p. 797, Tac. Annal. IV, 5, so ist inzwischen wohl eine der ägyptischen Legi-
onen nach Syrien verlegt worden; Pfitzuer S. 24 vermuthet: die leg. XII Fulm.).
— Von den vier syrischen Legionen sind zwei sicher bekannt, die leg. VI
Ferrata {Tac. Amial. II, 79. 81. XIII, 38. 40. XV, 6. 26) und leg. X Fre-
tensis {Tac. Annal. II, 57. XIII, 40. XV, 6). Die beiden anderen sind wahr-
scheinlich leg. III Gallica {Tac. Annal. XIII, 40. XV, 6. 26; sie hatte nach
Tac. Hist. III, 24 schon unter M. Antonius gegen die Parther gekämpft), und
leg. XII Fulminata {Tac. Annal. XV, 6. 7. 10. 26). — S. bes. Mommsen,
Res gestae Augtu^ti 2. ed. 1883 p. 68 not. 2. Ueberhaupt: Grotefend Art.
legio in Pauly's Real-Enc. IV, 868— 901. Marquardt, Rom. Staatsverwaltung
II, 43011". Stille, Historia legionum auxiliorumque inde ab excessu divi Au-
gusti usque ad Vespasiani tempora, Kiliae 1877. P fitzner, Geschichte der
römischen Kaiserlegionen von Augustus bis Hadrianus, Leipzig 1881. Do-
maszewski, Die Dislocation des römischen Heeres im J. 66 n. Chr. (Rhein.
Museum N. F. Bd. 47, 1892, S. 207—218).
42^ Vgl. über die Besatzungs Verhältnisse Judäa's bis Vespasian: Schürer,
Zeitschr. für wissensch. Theol. XVIII, 1875, S. 413—425. Egli, ebendas.
XXVII, 1884 [auf dem Titel irrthümlich 1883], S. 10—22. Mommsen, Her-
mes XIX, 1884, S. 217 Anm. Hirschfeld, Sitzungsberichte der Berliner
Akademie 1889, S. 433 f. Der Aufsatz von Samuel Krauss, Die römischen
Besatzungen in Palästina (Magazin für die Wissensch. des Judenth. XIX, 1892,
S. 227—244, XX, 1893, S. 105—133) handelt nicht über die Truppen, sondern
über die Orte, au welchen Besatzungen lagen, und berücksichtigt nur die
spätere Kaiserzeit; giebt auch über diese mehr rabbinische Phantasien als
haltbare Resultate. '
460 § 1^- <'• Judäa imter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). [383. 384]
ZU. Die Juden waren davon befreit. Dies ist wenigstens | für die
Zeit Cäsar's bezeugt '*^) und darf auch für die Kaiserzeit als sicher
angenommen werden nach allem, was wir Positives über die
palästinensischen Truppen bis Vespasian wissen. So auffallend
uns diese ungleiche Behandlung der Bevölkerung erscheint, so ent-
spricht sie doch vollkommen dem, was uns sonst über das Con-
scriptionsverfahren der Römer bekannt ist. Je nach der Brauch-
barkeit der Einwohner und dem Vertrauen, das man ihnen schenkte,
wurden die Provinzen in sehr verschiedener Weise und verschie-
denem Maasse zum Heeresdienst herangezogen^^).
Für die Jahre 6—41 n. Chr. fehlen uns directe Nachrichten
über die in Judäa liegenden Truppen. Es ist aber sehr wahrschein-
lich, dass die „Sebastener" (d. h. die im Gebiet von Sebaste ==
Samaria ausgehobenen Soldaten), welche uns später begegnen, schon
damals einen wesentlichen Bestandtheil der Besatzung bildeten. In
den Kämpfen nach dem Tode des Herodes, 4 vor Chr., focht auf
Seite der Römer der tüchtigste Theil der Truppen des Herodes,
nämlich ^sßaozTjvol tqloxLXioi, unter dem Befehl des Rufus und
Gratus, von welchen jener die Reiter, dieser das Fussvolk befehligte ^5).
Die so bewährten Truppen hat Archelaus ohne Zweifel beibehalten,
und es ist sehr wahrscheinlich, dass sie nach dessen Absetzung 6
nach Chr. von den Römern übernommen wurden, dann vom J. 41—44
von Agrippa, und nach dessen Tode wieder von den Römern. Da-
für spricht nämlich Folgendes. Beim Tode Agrippa's 44 n. Chr.
gaben die in Cäsarea liegenden Truppen des Königs, es waren
KaiaaQBiq xal ^^eßaazrjvol, in sehr ungeziemender Weise ihre Freude
über den Tod des judenfreundliclien Herrschers zu erkennen. Um
das Andenken Agi-ippa's zu ehren, wollte der Kaiser diese Truppen,
nämlich ttjv IXrjv tööv Kaioagtov xal xcov 21eßaOT?]v<av xal rag
jtivTB öjttlgaq (also eine alu Reiter und fünf Cohorten) zur Strafe
43) Antt. XIV, 10, 6: xal öncji /nrjöslg nrjxe äQX<"*' /"'/^f aT(>aTr]ydg ^
TtfeaßtvzfiQ iv roTg öpotf x<5v 'lovSalwv dviaxä arftfiaxluv [dn/Ai Moiimisen,
BAm. Geecb. V, 501 Anm.). Dit-Hen von allen Haudscliriftcn miHser cod. Pal.
gebotenen Text giebt auch der alte Lateiner wieder (ut nulltts vel prcscs vel
dux vel legaiua in fhiibttn Judeonmi atixüia coUigat). Der von Niese aufge-
nommene Text, welcher nur die Autorität des cod. Pal. für sich hat, ist iiier-
D»ch »chwerlieh zw billigen. - Die kleinasiatisehen Juden wurden bei den
Conicriptionen der l'ompcjaner im J. 4i> vom Kriegsdienst befreit {Jos. Antt.
XIV, 10, 1.3. 14. 1(J. 18. 19), und diese Befreiung ihnen sechs Jalire npüter,
48 V. Ohr., durch Dolabella l)eBtätigt (Jos. Antt. XIV Ki, 11—12). Vgl. Bd.
III, ö. 73.
44) Vgl. Mommsen, Die Conscriptionsordnunf: iin iDinischen Kaiserzeit
(Herme« Bd. XIX, 1H84, 8. 1—79, 210-284).
46) B. J. II, .% 4. 4, 2-3. Vgl. Antt. XVII, Kl, 8 (f.
[384. 385] § 17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). 461
nach dem Pontus verlegen. Durch eine Petition setzten sie es aber
durch, dass sie in Judäa bleiben durften, von wo sie erst durch
Vespasian entfernt wurden ^^). Hieraus erhellt, dass die Truppen j
Agrippa's ohne Weiteres von den Römern übernommen wurden^').
Man darf daher annehmen, dass in derselben Weise auch nach der
Absetzung des Archelaus verfahren worden war. Und es stimmt
merkwürdig, dass die ala Reiter und die fünf Cohorten Fussvolk
(wenn wir die letzteren zu 500 Mann rechnen) zusammen 3000
Mann ergeben, also dieselbe Zahl sebastenischer Soldaten, die für
das Jahr 4 vor Chr. bezeugt ist. — Während der Jahre 44 — 66
n. Chr. werden diese Truppen noch öfters erwähnt. Der Procurator
Curaanus führte von Cäsarea aus gegen die Juden die ala Sehaste-
norum und vier Cohorten Fussvolk ^^). Bei den Streitigkeiten
zwischen den jüdischen und heidnischen Einwohnern Cäsarea's
pochten die letzteren darauf, dass die römischen Truppen in Cäsarea
zum grössten Theil aus Cäsareensern und Sebastenern bestanden ■*^).
Endlich, im J. 67 konnte Vespasian zu seinem Heere aus Cäsarea
fünf Cohorten und eine ala Reiter heranziehen^^), also dieselben
Abtheilungen, die schon im J. 44 dort gestanden hatten. Wahr-
scheinlicli sind mit unseren sebastenischen Truppen auch die auf
Inschriften öfters erwähnten Sebasteni identisch**). Auch die ojisIqu
4ö) Äntt. XIX, 9, 1—2.
47) Analoge Fälle sind auch sonst bekannt. S. Mommsen, Hermes XIX,
51. 217 f.
48) Äntt. XX, (3, 1: t^v zdiv Ssßaarijvdiv t?.Tjv xal nel^cSv ziaaaQa xdyfiaTU.
B. J. II, 12, 5: fxiav t'Aj/v \miswv xaXov/nsvtjv Sfßaarijvcöv.
40) Äntt. XX, 8, 7: /iiya (pQovovvreg ^nl x(5 xovi; nkelorovg xiöv vno '^Pto-
fiaiovQ ixetas axQaxsvo/iivwv Kaiaageig slvai xal ^(ßaaxrivovq. In der Paral-
lelstelle B. J. II, 13, 7 ist nur von „Syrern" die Rede.
50) B. J. III, 4, 2.
51) Es kommen vor: ala I Flavia Sabastenorum [Ephemeris epigr. V, p. 390
n. 699), ala gemina Sebastenorum [Corp. Inscr. Lat. t. VIII n. 9358. 9359), ala
Sebastenorum {Ephem. epigr. V p. 4ö9 n. 1000), cohors I Sabastenorum (Corp.
Inscr. Lat. t. III n. 2916, ob die Ziffer I auf richtiger Lesung beruht, ist nach
einer anderen Copie zweifelhaft, s. Ephem. IV p. 113 n. 370 = Corp. Inscr.
Lat. III Stippl. n. 9984). Eine coh. I Seb{astenorum) miliaria stand im J. 139
in Palästina (Militärdiplom, Revue biblique VI, 1897, p. 598—604 =^ Retnie
archeol. 3. Serie t. 31, 1897, p. 442 — 444). — Obwohl es auch noch andere
Städte Namens Sebaste gegeben hat, ist es doch wegen des aus Josephus be-
kannten Materiales wahrscheinlich, dass diese Truppen aus dem palästinen-
sischen Sebaste stammen. So auch Mommsen, Hermes XIX, 217. Zur Be-
gründung dieser Ansicht macht Cichorius (Pauly-Wissowa's Real-Encycl. I,
1260) noch geltend, dass zwei der genannten Inschriften die Anwesenheit der
ala Sebastenorum in Mauretanien beweisen, während eine ala I Thracum Mau-
retana vor dem J. 86 n. Chr. nach Palästina gekommen ist (s. unten Anm. 68.).
Die Regimenter scheinen also ausgetauscht worden zu sein. — Die von Momm-
462 § ^^- ^- Judäa unter römischen Procuratoren (6 — 41 n. Chr.). [385. 386]
SEßaoxT}, die zur Zeit der Gefangenschaft Pauli um 60 n. Clir. in
Cäsarea lag (Apgesch. 27, 1), ist ohne Zweifel eine der fünf Cohorten,
die wir aus Josephus kennen. P^in Irrthuni ist es aber, wenn manche
Theologen gemeint haben, auch der Ausdruck ojislga Ueßaoz'^ sei
gleichbedeutend mit OTcüga Usßaorrpöjv. Das ist nicht möglich.
Zsßaorri ist vielmehr genaue Uebersetzung von Augnsta, einem sehr
häufig bei Auxiliartruppen vorkommenden Khrenprädicat. Die | be-
treffende Cohorte hiess also wahrscheinlich cokors Augusta Sebaste-
narum. In Cäsarea nannte man sie schlechtweg cjtelQa I^eßaoT'^,
da dies zur Unterscheidung von den übrigen genügte ^2). — Auf-
fallend ist dagegen nach unseren Resultaten, dass in Cäsarea um
das Jahr 40 u. Chr. eine ajtslQa 'iraXixrj gelegen haben soll (Apgesch.
10, 1), worunter wahrscheinlich eine aus römischen Bürgern Italiens
gebildete Cohorte zu verstehen ist^^). Eine solche kann natürlich
sen ausgesprochene Vermuthung, dass unter den fünf Cohorten in Cäsarea
sich auch eine coh. Äscaloniiarum und eine coh. Canathenonim befunden habe
(Hermes a. a. O., Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1805, S. 501 f.), ist
mit den bestimmten Angaben des Josephus unvereinbar, denn dieser sagt von
der gesammten Garnison Caesarea's, dass sie zum grossten Theile aus
Caesareensern und Sebastenern bestanden habe {Antt. XX, 8, 7, s. den Wort-
laut oben Anm. 49; das Gleiche erhellt auch aus Antt. XIX, 9, 1 — 2). Also
kann unter den fünf Cohorten sich nicht eine Cohorte von Askaloniten und
eine solche von Canathenern befunden haben.
52) Näheres hierüber s. in der Zeitschr, für wissensch. Theol. 1875, S. 416
bis 419. — Das Ehrenprädicat Augusta wird bei den drei Legionen, welche es
führten, von dem Geographen Ptolemäus durch J^eßaaxrj wiedergegeben {Ptol.
II, 3, 30. IV, 3, 30. II, 9, 18). Es ist also niclit auflallend, dass dasselbe
Prädicat bei einer Auxiliar- Cohorte ebenso wiedergegeben wird. — Da die von
Josephus erwähnte ala, obwohl sie aus Cäsareensern und Sebastenern bestand
{Antt. XIX, 9, 2), doch nur ala Scbastenonim hiess {B. J. II, 12, 5), so wird
auch bei den Cohorten unter den gleichen Verliältnissen dieselbe Benennung
vorauszueetzen sein, also cohortes Sel>astenoruni. Dafür sprechen auch die In-
Bchriften. — Die Polemik Monimsen's gegen die obigen Aufstellungen
(Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1895, S. 501 f.) beruht in erster Linie
darauf, da»» er infolge eines schlimmen Missverständnisses mir gerade diejenige
Annicht zuBcbrcibt, die ich bekämpfe (Seßaaiij sei — Seßaaxijvdiv). Sie ist
hIho in der IlaiiptMache gegenstandslos. Für die von mir angenommene ver-
kürzt«^ Tituhitur [^fßaaxi •-" Augusta ohne Nennuog der Vülkerscluift, aus
weli'hcr die Cohorte gebildet ist) bringt Mommseii selbst einig(! tredendc Be-
lege: cohorn II Auguula, [liramhach, Corp. hiscr. lihcti. 1450), rohor.s III Augusta
{Corp, hiHrr. ImI. VI n. 3508). Insofern seine Tolemik sich auch gegen Au-
dcrcH richtet, kann i(rh nicht finden, dass meine durch die (Quellen begrüiuleteii
Aufittellutigen da<lurch entkräftet worden sind. Vgl. die vorige Anm.
53) Vgl. Z«'itHchr. für wisHonsch. Theol. 1875, 8. 422-425. — Auf Inschrifteii
kommen vor (m. die Nuchweise bei Mommsen, Kphetnerü cpigr. V p. 2-li> und
Oichoriu» in Pnuly-WiHHOwa'« lical-Enc. IV, 304): coh, I Halioa civium Roma-
[386] §17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). 463
unter dem jüdischen König Agrippa, also 41 — 44 n. Chr., nicht in
Cäsarea gedient haben. Aber auch vorher ist es nach den obigen
Ausführungen nicht wahrscheinlich. Die Erzählung vom Haupt-
mann Cornelius steht also auch in dieser Hinsicht unter dem Ver-
dacht, Verhältnisse einer späteren Zeit in eine frühere zurück ver-
legt zu haben. Dass längere Zeit hindurch, wenigstens von b9
bis 157 n. Chr., eine cohors Italica in Syrien gestanden hat, ist aller-
dings durch drei Inschriften bezeugt (s. Anm. 53).
Wir haben bisher nur die Besatzungsverhältnisse Cäsarea's
kennen gelernt. Auch in anderen Städten und Orten Palästinas
lagen kleine Besatzungen. Beim Ausbruch des jüdischen Krieges
im J. 66 finden wir z. B, eine römische Besatzung in der Burg von
Jericho und in Machärus^^); in ganz Samarien waren solche
norum voluntariorum [Corp. Inscr. Lat. t. XIV n. 171), coh. II Italica öivium
Romanarum . . . exercitus Syriaci (Arohäologisch-epigr. Mittheilungen aus üester-
reich-Ungarn XVIII, 1895, S. 218 = Corp. Inscr. Lat. III Suppl. n. 13483«),
coh. II Italica civium Ronianorttm, erwähnt unter den Cohorten qtiae sunt in
Suria sub Aitidio Comeh'ano legato, 157 n. Chr. (Militärdiplom vom J. 157 n.
Chr., gefunden in Bulgarien, mitgetheilt von Bormann, Jahreshefte des öster-
reichischen archäologischen Institutes Bd. III, 1900, S. 21 f, dazu die Bem. S. 29),
cohors miliaria Italica voluntarioi~um quae est in Syria [Gruter p. 434 n. 1 ==
Corp. Inscr. Lat. XI n. 0117), coh. II Italica {Corp. Inscr. Lat. t. VI «. 3528).
Die letzten vier sind höchst wahrscheinlich identisch (Cichorius und Bormann).
— In einer Stelle Arrian's (Aeies contra Alanos in: Arriani Scripta minora
ed. Hercher 1854) wechselt der Ausdruck jJ aneiQU r} 'it'aXixij mit ol ^Ixa).ol {ed.
Blancard p. 102 u. 99). Hiernach, und nach den drei erstgenannten Inschriften
ist eswahrscheinlich, dass eine coh. Italica vorwiegend aus römischen Bürgern Ita-
liens bestand. — Von besonderem Interesse unter den obigen Inschriften ist die
von Bormanu in den Arch.-epigr. Mitth. XVIII, 218 mitgetheilte Grabschrift
aus Carnuntum in Pannonien, an der Donau unterhalb Wien's. Sie lautet
vollständig: Proctilns Rabili f(ilitis) Col{lina) Philadehphia) mil{es) optio co-
h{ortis) II Italic{ae) cyimum) R{omanoruni centuria) F[aus]tini, ex vexil{lariis?)
sagit{tariis?) exer{citus) Syriaci stip{endiorum) VII. vixit an{nos) XXVI. Apu-
leius frate{r) ({aciundum) c{tiravit). Da Proculus im syrischen Heere gedient
hat, und da der Name Rabihis syrisch ist {Rabulas, Fabel), so ist ohne Zweifel
das palästinensische Philadelphia gemeint. Verschiedene Umstände machen
es sehr wahrscheinlich, dass die Grabschrift vor 73 n. Chr. gesetzt ist, dass
also die vexillatio zu den Truppen gehörte, welche Mucianus Ende 69 aus
Syrien nach dem Abendlande geführt hat (Bormann a. a. 0. S. 223 f.). Nach
Ramsay {Eocpositor, Sept. 1896, p. 194 — 201) sollen damit meine Zweifel hin-
sichtlich Act. 10, 1 widerlegt sein. Da aber nicht einzusehen ist, inwiefern
die Existenz einer cohors Italica in Syrien um 69 n. Chr. auch die Existenz
einer solchen in Judaea um 40 n. Chr. beweisen soll, so ist Ramsay's Be-
hauptung nur ein Beweis für die Blindheit apologetischen Eifers. Vgl. auch
meine Entgegnung im Expnsitor Dec. 1896, p. 469 — 472.
54) B. J. II, 18, G.
464 § 1^- ^- Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.1. [386. 387]
vertheilt*^); in der grossen Ebene stand ein decurio^^); in As-
kalon (das aber wohl nicht zum Gebiet des Procurators gehörte)!
eine Cohorte und eine ala ^'). Vespasian legte im Winter 67/68 in
alle unterworfenen Dürfer und Städte Besatzungen, in jene unter
Decurionen, in diese unter Centurionen ^®). Dies war freilich eine
aussergewölmliche Maassregel, die wir für Friedenszeiten nicht vor-
aussetzen dürfen.
In Jerusalem lag nur eine Cohorte. Denn der in der Apostel-
geschichte so oft erwähnte x«>i<«(>Xo? (genauer Act. 21,31: ;ft-i/a()xog
TTJg ö.7r£/();y§ = „Befehlshaber der Cohorte") erscheint durchweg als
der Höchst-Commandirende in Jerusalem ^9). Hiermit stimmt auch
die Angabe des Josephus, dass in der Antonia stets ein ray/ia der
Römer gelegen habe^**), denn rdyfia ist hier nicht, wie sonst oft,
eine Legion, sondern wie in der oben Anm. 48 citirten Stelle eine
Cohorte. Die Burg Antonia, welche Josephus als Standquartier
bezeichnet, lag nördlich vom Tempel. An zwei Stellen führten
Stufen {xavaßaösig) von der Antonia nach dem Tempelplatz hinab ^ ').
Eben diese Situation ergiebt sich auch aus der Apostelgeschichte.
Denn als Paulus bei dem Tumult im Tempel von den Soldaten in
Gewahrsam genommen worden war und von da in die Kaserne
(jraQEfjßoXrj) abgeführt werden sollte, wurde er wegen des Volksge-
dränges von den Soldaten die Stufen (rovg avaßad-fiovq) hinaufge-
tragen und hielt dann mit Einwilligung des Chiliarchen von den
Stufen aus [noch eine Ansprache an das Volk (Act. 21, 31 — 40)^^).
Der Befehlshaber der Antonia, der wohl mit dem Chiliarchen
identisch ist, heisst bei Josephus auch (pQovQaQxoc^'^). Die directe
Verbindung der Burg mit dem Tempelplatz war wichtig, da letzterer
stets überwacht werden musste. An den hohen Festen wurden
auf den Säulenhallen, welche den Tempelplatz umgaben, Wachen
aufgestellt*^). — Aus einer Stelle der Apostelgeschichte (23, 23)
sehen wir, dass der jerusalemischen Cohorte auch eine Abtheilung
66) B. J. III, 7, 32: (fQOVQaJq i S^afiagelrtq oXr] SielXijnro.
60) Jot. Vita 24: Alßottioq b dfxdSapx<*i o tov fisyalov ntSlov tfjv hqo-
axualav ntniaxivßhoq.
57) li. J. III, 2, 1.
68) n. J. IV, 8, 1.
69) ApKCHch. 21, 31—37. cap. 22, 24-29. eap, 23, 10. 16—22. cap. 24, 7. 22.
6(») Jo». B. J. V, 6, 8: xaB^^ato yap äel in' avrry? tdyfta ^PoD/aalojv.
61) n. J. V, 5, 8.
62) Die naptfißoX^ — „Kanerne" wird erwähnt: Ar.L 21, 34. 37. oap. 22, 24.
oap. 23, 10. lü. 32.
63) Antt. XV, 11, 4. XVIII, 4, 3.
64) //. J. V, 6, 8. Antt. XX, 5, .^. 7?. J. TI, 12, 1. Anft. XX, 8, 11.
[387. 388] § 17. e. Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). 465
Reiter beigegeben war, was sehr häufig vorkam ^^). Räthselhaft
sind aber die an derselben Stelle (23, 23) neben den gewöhnlichen
Soldaten und den Reitern noch erwähnten öe^ioXdßoi (von Xaß^
der Griif, also: „die auf der rechten Seite den Griff haben oder
machen"). ] Da der Ausdruck in der sonstigen Literatur nur noch
zweimal, und zwar ebenfalls ohne Erläuterung vorkommt, so sind
wir nicht mehr im Stande, ihn zu erklären. Nur soviel scheint
sicher, dass er eine besondere Art von Leichtbewaffneten (Wurf-
spiessschützen oder Schleuderern?) bezeichnete^).
Nach dem grossen Krieg vom J. 66 — 73 n. Chr. wurden die
ßesatzuugsverhältnisse Palästina's wesentlich andere. Der Statt-
halter war jetzt nicht mehr ein Procurator ritterlichen Standes,
sondern ein Legat senatorischen Ranges (in der ersten Zeit ein ge-
wesener Prätor, später ein gewesener Consul). Auf der Stätte des
zerstörten Jerusalems hatte eine Legion, die kgio X Fretensis, ihr
Standquartier (s. unten § 20 gegen Ende). Die einheimischen
Truppen, welche Jahrzehnte lang die Besatzung Cäsarea's gebildet
hatten, wurden von Vespasian in andere Provinzen verlegt e'). An
ihre Stelle traten Auxiliartruppen fremden Ui-sprungs, zum Theil
aus dem fernsten Westen ^'^). — Die späteren Kriege brachten wieder
manche Veränderungen. Nach dem hadrianischen Kriege wurde
die Besatzung Palästina's wesentlich verstärkt. Statt einer Legion
erhielt es jetzt deren zwei^^), und die Zahl der Auxiliar-Truppen
wurde ebenfalls bedeutend vermehrt'").
65) Man unterschied hiernach cohortes pedttatae und eqidtalae. S. Mar-
quardt, Staatsverwaltung II, 455. Cichorius in Pauly-Wissowa's Real-
Enc. IV, 235.
66) Was man darüber weiss, oder vielmehr nicht weiss, ist gut erörtert in
Meyer 's Commentar zur Apostelgeschichte. Eine gewagte Erklärung versucht
Egii, Zeitschr. f. wiss. Theol. 1884, S. 21.
67) Jos. Antt. XIX, 9, 2.
68) Auf einem Militärdiplom vom J. 86 n. Chr. {Corp. Insci: Lat. t. III
p. 857 Dipl. XIV) werden Veteranen erwähnt, die in Judäa gedient haben,
und zwar in alis duahus quae appellantur veterana Gaetulorum et I Thraeum
Mauretana et cohortibus qnattuor I Augusta Lusitanonim et 1 et II Thraeum
et 11 Gantabrorum. — Thracische Truppen hatte übrigens schon Herodes der
Grosse gehabt {Antt. XVII, 8, 3. B. J. I, 33, 9).
69) Kohden, De Palaestina et Arabia provincns Romanis 1885, p. 31, vgl.
unten § 21, I Anfang.
70) Auf einem in Palästina gefundenen Militärdiplom vom J. 139 n. Chr.
{Revue biblique VI, 1897, p. 598 — 604 == Revue archeologiqtie 3. Sdrie t. 31, 1897,
p. 442—444, dazu die ergänzende Notiz Comptes rendus de l'Acad. des Inscr.
1897, p. 680) werden erwähnt alae III (IUI?) et cohortes XII quae . . . sunt in
Syria Palaestina, nämlich 1) die alae Qallorum et Thraeum et Antoniniana
Gallorum et VII Phrygum, und 2) die cohortes I Thraeum müiaria et I Sebaste-
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Anfl, 30
466 § 17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 u. Chr.). [388. 389}
Neben den Truppen des stehenden Heeres wurde von den Pro-
vinzialstatthaltern zuweilen auch ein „Landsturm" organisirt; d.h.
es wurde für besondere Bedarfsfälle vorübergehend die waffen-
fähige Bevölkerung zum Kriegsdienst aufgeboten, ohne dauernd
organisiii: zu werden. Ein Fall dieser Art ist die Bewaffnung der
Samaritaner durch Cumanus zum Zweck des Kampfes gegen die
Juden").
Wie die Statthalter senatorischen Ranges, so hatten auch die
Procuratoren ausser dem militärischen Commando zugleich die oberste
Gerichtsbarkeit in ihrer Provinz "2). Dieselbe ist von den Pro-j
curatoren Judäa's nur in ausserordentlichen Fällen gehandhabt
worden. Denn die gewöhnliche Rechtspflege, sowohl in Criminal-
als in Civilsachen, lag in der Hand der einheimischen Gerichte (s.
Bd. II, S. 208— 2 10) '3). — Die richterliche Competenz der Statt-
halter umfasste auch das Recht über Leben wn^^o^, jus gladü
oder potesias gladii ' ^). Dass dies auch von den procuratorischen
norum miliaria et I Damascenorum et I Montanonim et I Flavia eivium Boma-
norum et I et II Oalatarum et III et IUI Braearum et IUI et VI Petraeontm
et V Gemina eivium Riynianorum.
71) Antt. XX, 6, 1: äva).aß(hv t?/v xwv ZeßaaTTjvwv D.tjv xal 7itt,(jJv räo-
oaga Tay/ittta, zoig xs Safiagsiraq xa&orckioaf. Andere Beispiele bei
Marquardt, Staatsverwaltung II, 520 f. — Mit diesen zeitweiligen Forma-
tionen ist nicht zu verwechseln die besonders in der späteren Kaiserzeit vor-
kommende Provinzialmiliz, welche eine dritte Kategorie des stehenden Heeres
neben den Legionen und Auxilien bildete. S. über diese: Mommsen, Hermes
XIX, 1884, S. 219 fr. Ebendas. XXII, 1887, S. 547 ff.
72) S. in Betreff der Procuratoren: Hirschfeld, Sitzungsberichte der
Berliner Akademie 1889, S. 437—439. Ucber „das statthalterliche Strafrecht"
überhaupt s. Mommsen, Kömisches Strafrecht (1899) S. 229—250.
73) In irgend welchem Maasse gilt das Gesagte überhaupt von der Rechts-
pflege in den Provinzen, e. Mommsen, Staatsrecht II, 1, S. 244: „Die ordent-
liche Criminaljiirisdiction steht in den Provinzen bei den einzelnen Gemeinden,
während die Htatthalterliche, gleich der consularischen in Italien, wenigstens
formell, als ausKerordentliche zu betrachten ist."
74) Dtfjcst. I, 18, G, 8 (aus Ulpian, Anfang des 3. Jalirh. ii. ('hr.): Qui nni-
versag provincias rcgunt, jus gladii habent et in metallian dandi potestas eis
permissa est, — Der technische Ausdruck ^ms gladii auch bei Lamprid. Vita
Aleceandri Severi c. 49 {honorca juris gladii), Firmicus Mntenius Mathes, III,
4, 13 (edd. Kroll et Hkutsch fasn. I, 1897: in magnis administrationilms juris
gladii deeemit potestaiem) und an den in der nächsten Anm. angeführten
Stellen; noch Einige« bei Forccllini Jjcx. s. v, gladius. Sonst auch potcstan
gladii (Digest. I, 10, ü ;;r. — L, 17, 70. II, 1, .'i fsäiuiiitlich uns Ulpian]). —
Der technische Gebrauch beider Ausdrücke scheint vor dem Anfang des dritten
Jahrhunderts n. Chr. nicht nachweisbar zu sein (die Acten der l'erpetna und
FeUcita« gehören in die Jahre 201—209 n. Chr., ß. Herzog's Eeal-Enc. Artikel
Perpetua. Au«1j die Inschriften reichen kaum höher hinauf). — Literatur
über dM Jus gladii i. in Pauly'H Keal-Enc. Artikel f/lidlius und imperium mciKf».
[389.390] §17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (G— 41 n. Chr.). 457
Statthaltern gilt, ist durch einige Inschriften bezeugt"^). In Betreff
Judäa's sagt Josephus ausdrücklich, dass der Procurator iitxQt xov
xxeivuv e^ovaiav erhalten habe'^). Dieses Recht des Statthalters
über Leben und Tod erstreckte sich seit dem dritten Jahrhundert )
n. Chr. aucli über die römischen Bürger; jedoch mit der Ein-
schränkung, dass gegen das Urtheil des Statthalters an den Kaiser
appellirt werden konnte"). In der früheren KaLserzeit stand, wie
es scheint, dem auf Leib und Leben angeklagten römischen Bürger
das weitergehende Recht zu, schon im Beginn des Processes und
in jedem Stadium desselben den Kaiser „anzurufen", d. h. zu ver-
langen, dass die Untersuchung in Rom geführt und das Urtheil
vom Kaiser selbst gesprochen werde '^). Die unbedingte Strafgewalt
75) S. die Zusammenstellungen bei Marquardt, Staatsverwaltung I, 1881,
S. 557 Anm. 3, Mommsen, Staatsrecht II, 1, 1874, S. 246. Hirschfeld,
Sitzungsberichte 1889, S. 438. Mommsen, Römisches Strafrecht S. 244. —
Es gehören eigentlich nur zwei Inschriften hierher: Orelli luscr. Lat. n.
3388 = Corp. Inscr. Lat. IX n. 5439: proc. Alpium Atractianar{tirn) et Poeni-
nar{um) jur{e) glad{ii), und Corp. Inscr. Lat. VIII n. 9367 vgl. Ephem. epigr. V
p. 461 n. 968: praeses {seil. Mauretaniae Caesariensis) jure gla[dii\. — Von
anderer Art sind die folgenden beiden Fälle: Orelli n. 3664 = Corp. Inscr.
Lat. II 11. 484: proc. prov. M[oe]siae inferioris, ejusdem provineiae jus gladii,
und Corp. Inscr. Lat. III n. 1919 (nebst Add.): proc. centenarnis provineiae
Li[bu)niae jure?] gladi. Da Mösien und Liburnien sonst einen Statthalter
höheren Ranges hatten, so haben die hier erwähnten Procuratoren „ohne
Zweifel nur ausnahmsweise Capitaljurisdiction ausgeübt" (Hirschfeld). Voll-
kommen deutlich ist dies bei dem (Finanz-)Procurator von Africa, welcher
zur Zeit des Martyriums der Perpetua und Felicitas interimistisch für den
verstorbenen Proconsul das jus gladii ausübte, s. Acta Perpetuae et Felicitatis
c. 6 (bei Puitiart, Acta Martynmi ed. 2. 1713, p. 95, und Munter, Primordia
ccclesiae Africanae 1829, p. 234; neue Ausgaben von Robinson in den Texta
and Studies I, 2 ,1891, und von Franchi de' Cavalieri in der Römischen Quartal-
schrift, 5. Supplementheft 1896): Hilarianus procurator, qui tunc loco procon-
sulis Minnci Timiniani defuticti jus gladii acceperat. In dem zuerst von Harris
und Giöbrd, London 1890, herausgegebenen griechischen Text lautet die Stelle:
IkaQiavog rig inlxQonoi oq xöxe xov äv^vnäxov ÜTio&avcvxog Mivovxiov
^Onmavov i^ovalav et^ipsL [xaxaigaq (die Frage, ob der lateinische oder der
griechische Text Original sei, ist controvers, s. den Bericht von Ehrhard, Die
altchristliche literatur, 1. Abth. 1900, S. 582—586). — Auf den beiden erst-
genannten Inschriften hält Hirsch fei d den Zusatz jure gladii wohl mit Recht
für „pleonastisch" (da alle Provinzialstatthalter das^ws «//«^/«Vbesassen), während
Mommsen (Strafrecht a. a. O.) aus dem Vorkommen des Zusatzes schliesst,
dass die procuratorischen Statthalter dieses Recht nicht eo ipso besassen.
76) Jos. B. J. II, 8, 1.
77) Vgl. die in Bd. III S. 87 genannte Literatur, zu welcher noch hinzu-
zufügen ist: Mommsen, Rom. Strafrecht (1899) S. 242 f.
78) Apgesch. 25, 10 ft: 21. 26, 32. Plin. Epist. X, 96 [al. 97): Ftierunt alii
similis amentiae, quos quia cives Romani erant adnotavi in urbem remütendos.
.30*
468 § 17- c. Judäa unter römischen Procuratoren (G— 41 n. Chr.). [390. 391]
des Statthalters erstreckte sich also nur auf die Provinzialen. Es
war I eine grobe Eechtsverletzung, als Florus im J. 66 in Jerusalem
Juden, welche die römische Eitterwürde besassen, an's Kreuz schlagen
liess"9). Auch Provinzialen konnten aber vom Statthalter zur Ab-
urtheilung nach Rom geschickt werden, wenn derselbe wegen der
Schwierigkeit des Falles die Entscheidung dem Kaiser überlassen
wollte®"). — Die aus den Evangelien bekannte Thatsache, dass der
Mommsen, Staatsrecht II, 1, 244—246. Ders., Strafrecht S. 242 f. Ders.,
Zeitschr. für die neutestamentl. Wissensch. Jahrg. II, 1901, S. 90—96 (in der
Abhandhiug über „Die Rechtsverhältnisse des Apostels Paulus"). — Trotz der
geringen Zahl der Beispiele kann die obige, auch von Mommsen vertretene
Auffassung kaum einem Zweifel unterliegen. Das Verfahren geht darauf zurück,
dass zurZeit der Republik der römische Bürger befugtwar, „jeden ausserhalb Rom
fungirenden Magistrat in einem solchen Process als Ricnter zu recusiren und
denselben demnach vor die hauptstädtischen Behörden zu bringen; weiter
darauf, dass mit dem Beginn des Principats für den republikanischen Magistrat
und die Comitien theils wahrscheinlich die Consuln und der Senat, theils der
neue Herrscher substituiert wurden" (Mommsen, Zeitschr. für die neutest.
Wissensch. 1901, S. 95). Der deutlichste Fall ist der des Apostels Paulus.
Aus demselben ist zu schliessen, dass der Statthalter nicht unter allen Um-
ständen verpflichtet war, den angeklagten römischen Bürger zur Aburtheilung
nach Rom zu schicken; denn der Procurator nimmt den Process Pauli selbständig
in die Hand, obwohl er über dessen römisches Bürgerrecht (nach Apgescb.
22, 25 ff. 23, 27) orientirt war; und Paulus lässt sich dies ruhig gefallen, ohne
dagegen zu protestireu. Erst nach zwei Jahren spricht Paulus das für den
weiteren Verlauf entscheidende Wort: Kaiaaga inixaXovfiai (Apgesch. 25, 11).
Man muss hiemach annehmen, dass der Procurator auch einen römischen
Bürger aburtheilen konnte, insofern dieser nicht dagegen protestirte. Nur
wenn der Angeklagte selbst das Verlangen stellte, in Rom abgeurtheilt zu
werden, rausste der Statthalter diesem Verlangen Folge geben. Dass der
Statthalter aber jene Befugniss hatte, ist vollkommen begreiflich. Denn er
war in jeder Hinsicht Beauftragter des Kaisers; auch sein Gericht war also
„kaiserliches Gericht" (Apgesch. 25, 10: haxux; inl xov ß/j/aazog KalaaQoq sl/xi).
Eben darum ist es auch ganz verständlich, dass ein angeklagter römischer
BQrger sich diesem Gericht freiwillig unterwerfen konnte, wie es Paulus zu-
nächst that; denn das kaiserliche (Tcricht des Statthalters bot ihm unter nor-
malen Verhältnissen denselben Schutz, wie das kaiserliche Gericht in Rom;
und die Verzögerung des Processes durch eine Reise nach Rom war keine
Annehmlichkeit. Nur wenn der Angeklagte der Unparteilichkeit des Statt-
halters nicht traute, hatte er ein Interesse daran, die Verlegung des Processes
nach Rom zu verlangen. Von diesem Rechte macht Paulus Gebrauch, als er
sieht, das» der Procurator ihn nach jüdischen Maassstäben riciitcii will. —
Das« dieses Recht nur dem römiHchcn Bürger, nicht auch jedem rrovinzialen
zustand, darf als sicher gelten, obwohl Paulus bei seiner Appellation sein
Bflrgerrw'lit gar nicht erwähnt (Apgesch. 25, 10 ff.). Provinziahsu werden ohne
welt^Tes vom Procurator gerichtet {Jos. Anit. XX, 1, 1. ß, 2. B. J. II, 13, 2.
Kreuzigung Jesu Christi durch Pilatus).
7») Ji. J. 11, 14, 9.
80) Beiipielc: Jok. Antl. XX, ü, 2. 11 J. IT, 12, 0 (Ummidius Quadratus
[391] §17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). 469
Procurator von Judäa zum Passafeste einen Gefangenen fi-eizugeben
pflegte, beruhte wohl auf einer Spezial-Ermächtigung des Kaisers.
Denn das Recht der Begnadigung kam sonst den Statthaltern
nicht zu^').
Obwohl der Statthalter als Einzelrichter zu entscheiden hatte,
bediente er sich doch häufig des Beirathes seiner comites. Es waren
dies theils die höheren Beamten seines Gefolges, theils jüngere Leute,
welche im Interesse ihrer eigenen Ausbildung den Statthalter be-
gleiteten. Sie unterstützten ihn nicht nur in den Verwaltungsge-
schäften, sondern dienten ihm auch bei der Eechtsprechung als
consilium, övfißovXiov (Apgesch. 25, 12)^2j_ |
schickte die Vornehmsten der Samaritaner und Juden nach Rom); Äntt. XX,
8, 5. B. J. II, 13, 2 (Felix den Eleasar und andere Zeloten) ; Jos. Vita 3 (Felix
einige jüdische Priester). Apgesch. 27, 1 (Festus den Paulus xal xivaq kreQOVQ
ösafiüJTai).
81) S. Hirschfeld, Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1889,8.439.
— Ueber das Begnadigungsrecht überhaupt: J. Merkel, Abhandlungen aus
dem Gebiete des römischen Rechts, 1. Heft, 1881.
82) Einen solchen Beirath finden wir bei Beamten verschiedener Kategorien
und in Ausübung verschiedener Functionen. Der Proconsul Q. Fabius Maxi-
mus schrieb 144 vor Chr. an die Behörden von Dymae, C(ny>. Inscr. Graee.
n. 1543: nepl (ov tu xaxa nigoq ön^l^ofiev iv HdxQaiq fiixa xov tiuqovxoq
ovvßovXiov. — Sulla traf in Griechenland eine Verfügung zu Gunsten des
Tempels des Amphiaraos in Oropus dnb avvßovXlov yvw/irjg {Hn. 39, 42—43,
55—56 des sogleich zu nennenden Actenstückes). Als diese von den römischen
Steuerpächtern nicht beachtet T^nirde, schritt der Senat ein. Dessen Beschluss
v. J. 73 vor Chr. ist vorbereitet durch einen Spruch der Consuln unter Zu-
ziehung eines Beirathes von 15 Senatoren (Hn. 6: iv avvßovXitp jiaQrjoav, Hn.
29: dno owßovXiov yvci/^Tjq, Hn. 58: iv xw owßovXiip noQf/aav, s. Mommsen,
Hermes XX, 1885, S. 268—287). — Das Ernennungsdecret Cäsars für Hyrkan
beginnt {Jos. Antt. XIV, 10, 2): ^ovXioq KaXaaQ .... ßexa avfxßovXiov yvoißtiq
inexQiva. — Sueton. Tiber. 33: magistraHbiis pro tribimaU cognoscentihiis ple-
mmque se off'erebat consHiarium. — Den Verlauf einer Berathung, welche Pe-
tronius als Statthalter von Syrien mit seinen assessores hielt, schildert Philo
Legat, ad Gajuni § 33, ed. Mang. II, 582 sq. (§ 33 == II, 582: ine^avdaxag 6h
ftsrä xdv avviSQO)v ißovXevsxo xä ngaxxea .... xiveq ovv rjoav al yvai/jiai
§ 34 mit. = II, 583 /?n.: dnoös^afASvwv de xf/v inivoiav xwv ovvtÖQcov xsXsvei
ygäiptad-ai xaq imaxoXäq). — Ein avfißovXiov des Statthalters von Aegypten
wird erwähnt in einem Edict aus der Zeit des Antoninus Pius (Aegyptische
Urkunden aus den königl. Museen zu Berlin, Griechische Urkunden Bd. I
Nr. 288). — Lamprid. Vita Alexandri Scveri c. 46: Adsessoribiis salaria instituit.
-— Corp. Inscr. Lat. t. II n. 2129: co?nes et adsessor legati ad [census accip.'l],
coDies et adsessor procos. provinciae Galliae [Xarbon.]. — Eine deutliche Vor-
stellung von der Zusammensetzung eines solchen Consiliums giebt uns ein
Urtheilsspruch des Proconsuls von Sardinien vom J. 68 n. Chr. (erhalten auf
einer Bronzetafel, mitgetheilt von Mommsen, Hermes II, 1867, S. 102—127
= Cotp. Inscr. Lat. X n. 7852). Derselbe enthält die protocoUarische Bemer-
470 § 17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). [392]
Die Vollstreckung der Todesurtheile geschah in der Regel
durch Soldaten. Zwar hat Le Blant in einer gelehrten Abhand-
lung nachzuweisen versucht, dass die damit Beauftragten nicht
Soldaten gewesen seien, sondern, wie in Rom zur Zeit der Republik,
Clvilpersonen, dass sie also in die Kategorie der apparitores, d. h.
der nichtmilitärischen Dienerschaft des Statthalters gehörten ^^).
Allein die entgegengesetzte Ansicht darf mindestens in Betreff der
von kaiserlichen Statthaltern gefällten Todesurtheile als sicher be-
trachtet werden s^). Die kaiserlichen Statthalter waren Militär-
gouverneure; ihre richterliche Gewalt daher ein Ausfluss der mili-
kung: In consilio fuet-unt M. Julius Romulus leg. pro pr., T. Atilius Sabinus
q. pro pr., M. Stertinius Rufus f., Sex. Aelius Modestus, P. Lucreihis Clemens,
M. Domitius Vitalis, M. Lusitis Fidus, M. Stertinius Fiifus. Also ausger
dem Legaten und dem Quästor noch sechs andere Beisitzer. — Aehnliclie
Verzeichnisse der Beisitzer geben auch der obengenannte Senatsbeschluss für
Oropus (Hermes XX, 268 ff.) und das Edict des Statthalters von Aegypten aus
der Zeit des Antoninus Pius (Berliner Urkunden n. 288). — Auch die Kaiser
bedienten sich eines solchen Beirathes, Jos. Antt. XVI, 6, 2 (Augustus) : eSo^B
fioi xttl r(p ifi(p avfißovXiq). Ueber ein Consilium unter dem Vorsitz des
Claudius, an welchem 25 Senatoren theilnahmen, s. oben S. 67 f. — Vgl. über-
haupt: Geib, Gesch. des röm. Criminalprocesses (1842) S. 243 ff. Mommseu,
Hermes IV, 1870, S. 123. Marquardt, Römische Staatsverwaltung I, 1881,
S. 531 ff. Mommsen, Hermes XX, 1885, S. 287 Anm. Ders., Römisches
Strafrecht S. 137—141. D eis s mann. Neue Bibelstudien 1897, S. 65. Hitzig,
Die Assessoren der römischen Magistrate und Richter, 1893. Secck, Art.
Adsessor in Pauly-Wissowa's Real-Enc. I, 423 ff. und Art. Comites ebendas. IV,
623 ff. Liebenam, Art. Consilium ebendas. IV, 915 ff. Die Ausleger zu
Apgesch. 25, 12, und die Lexica zum N. T. s. v. avfißovXiov.
83) Le Blant, Recherches sur les bourreatix du Christ et sur Ics ageuts
charges des executions capitales chex les lioinains {Memoires de V Acadeniie des
insor. et Mlcs-lettres XXVI, 2, 1870, p. 127—150). — Ueber die apparitores über-
haupt H. Mommsen, De apparitorifnts magistratuum Romanorum (Rhein. Mu-
seum N. F. VI, 1848, S. 1 — 57). Naudet, Mimoire sur la cohorte du preteur
et le personuel administratif dans les provinces romaines [Memoires de PAcad.
des inscr. XXVI, 2, p. 499-555). Mommsen, Staatsrecht 1. Aufl. I, 250-293.
Marqnardt, Staatsverwaltung I, 533. Habcl, Art. apparitores in Pauly-
Wissowa's Real-Enc. II, 101—194. — In die Kategorie dieser apparitores ge-
hören dig acribae, lictores, accensi, nomcnclatorcs, vialores, praecones.
84) Gegen Le Blant s. Naudet, Memoire sur cette double question: 1. thhe
partieuMre, Sont-ee des soJdata qui ont cruciße Jesus- ChriM? 2. thbsc g^ih-ale,
Le$ $oldat$ romairu prentUent-ils wie part active dans les supjilices? {Memoires
de VAead. de» ituor. XXVI, 2, 1870, p. 151-187). — Auch: Geib, (iesch. dos
röra. Criminalprocesses 8. 671 f. Rein in Pauly's Real-Enc. VI, 1, 1()4() (Ar-
tikel «m/m/üi). Mommsen, RömiHchoH Strafrecht S. 915 u. !t23 f.: „Unter dem
Principat . . . rerschwinden bei der Leitung der Exccutionen die hürgerlic lnii
OfBcialen und wird da« Icriegsrechtiiche Vorfahren auf den bürgerlichen Straf-
procpsH abertragen". 024: „Die Leitung dos Acten hat ein h<"»hcrcr oder nie-
derer OfRzior, die Vollstreckung in der Regel der spcculator".
[392. 393] § 17. c. Judäa unter röniischeu Procuratoren (6—41 u. Chr.). 47 1
tärischen^-'^). Nun ist aber zweifellos, und auch von Le Blant nicht
bestritten, dass die Todesurtheile an Soldaten durch Soldaten voll-
zogen wurden ^6). Nach Le Blanfs Ansicht würde sich demnach
ergeben, dass der Statthalter die Urtheile an Soldaten durch andere
Organe hätte vollziehen lassen als an Civilpersonen. Das ist an-
gesichts des militärischen Charakters seiner richterlichen Gewalt
äusserst unwahrscheinlich; und es giebt auch positive Gründe für
die andere Ansicht. Die vielen Hinrichtungen vornehmer Männer
und Frauen zur Zeit des Claudius und Nero sind durchweg durch
Militärpersonen, zum Theil höhere Offiziere, vollzogen worden s^).
Zahlreiche Beispiele ähnlicher Art bietet die Geschichte der folgen-]
den Kaiser^^). Wenn es sich dabei auch nicht um ordentliche Ge-
richte handelt, so erhellt daraus doch so viel, dass eine derartige
Verwendung von Soldaten das Nächstliegende war. Sodann wer-
den nicht selten spcculatores als Vollstrecker von Hinrichtungen
erwähnt ^^). Diese waren sicherlich Soldaten; denn 1) die specw/a-
85) Dio Cass. LIII, 13. Momuisen, Staatsrecht II, 1, 245.
86) S. z. B. Sueton. Galiff. 32: Saepe in conspectu prandeutis lel comissan-
tis . . . miles decollaiidi artifex quibuscwnque e custodia capita amputabat. —
TertuUiau fragt in seiner Schrift de corona viilitis c. 11, um die Unvereinbar-
keit des christlichen Glaubens mit dem Soldatendienst darzuthun: et vincula
et carcerem et tortnenta et supplicia administrabit, nee suarum lätor ityitnat'um i
Die Stelle beweist mindestens, dass Soldaten zur Vollstreckung von Todes-
urtheilen verwendet wurden, selbst wenn man hier mit Le Blant nur an Hin-
richtung von Soldaten denken will.
87) Tac. AmiaL XI, 37 f. XII, 22. XIV, 8. 59. XV, 59 fl'. 64 f. 67. 69.
Auch schon früher: Tac. Ännal. I, 53.
88) Naudet l. c. p. 171.
89) Ev. Marc. 6, 27: dnoaxaikaq 6 ßaaiXevi; OTiexovXdzoQa iTthagev iviyxai
vfjv x£(pa}Lt]v avzov. — Seneca, De ira I, 18, 4: Tunc centurio suppticio prae-
positus condere gladium speculatorem jubet. — Idem, De benefieiis III, 25: spe-
culatoribus occurrit nihilque se deprecari, quominus imperata peragerent, dixit
et deinde cervicem porrexit. — Firmicus Maienius Mathes. VIII, 26 {ed. Basil.
1533, p. 234): spiculatores faciet, qui nudatu gladio homimon amputeiit cervices-
— Digest. XL VIII, 20, 6 (aus Ulpian): neque spcculatores tdtro sibi vindicent
neqice optiones [optio in der militärischen Sprache = der Diener eines Centurio
oder Decurio] ea desiderent, quibus spoliatur, quo momento quis punittis est (die
bei der Hinrichtung beschäftigten Soldaten durften also später nicht mehr,
wie zur Zeit Christi, die Kleider des Hingerichteten unter sich vertheilen). —
Hieronymus, Epist. 1 ad Innocentium c. S: jam spiculator exterritus et non cre-
dens ferro, mucroiiem aptabat in jugidum etc. — Acta Cypriani c. 5 (bei Rui-
nart, Acta martyrum ed. 2., 1713 p. 218): cum venisset aiitem spiculator etc. —
Acta Claudii, Asferii et alior. c. 4 {Ruinart p. 268) : Euthalius commentariensis
dixit .... Archelaus spiculator dixit. Beide auch c. 5 s. fin. {Ruinart p. 269).
— Acta Rogaiiani et Donatiani c. 6 {Ruinart p.2S>2): adhuc ministris imperans,
lü post expensa supplicia a spiculatore capite triincarentur. Tunc lictoris insa-
472 § 17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). [393. 394J
tores kommen überhaupt häufig als militärische Charge vor^^j, und
2) an verschiedenen der angeführten \ Stellen werden die erwähnten
ia .... lancea militari perfossas cervices heatissiniorwn gladio vibrante prae-
cidit. — Linus, De passimie Petri et Pauli lib. II s. fin. [Bibliotheca maxima
patruin Lugd. t. II p. 73) : Spiculator vero in altum brachia elevans eum tota vi
percussit et caput qjus abscidit .... statimqtie de eorpofre ejus unda laetis in
vestimenta militis exiluit. — Vita Bacchi junior is martyris ed. Combefis. p. 114
(ich gebe das Citat nach Du Gange Glossar.): AvoxtiqoxsqÖv ze rov onsxov-
XäxoQa v7ioßXs\pd/ievog stfTj' Ts/ive xQixaxägaxs. — Aiich in der rabbinischen
Literatur kommt "ii::^pBD öfters in der Bedeutung „Scharfrichter" vor. S. bes.
die in extenso mitgetheilten Stellen bei Levy, Neuhebr. Wörterb. III, 573;
auch Buxtorf, Lex. Ghald., Levy, Chald. Wörterb. s.v., Sehoettgen, Hoirte
hebr. ad Marc. 6, 27. Krauss, Griech. und lat. Lehnwörter im Talmud etc.
II, 1899, S. 409. — In einigen Glossarien wird ansxovXäxwQ durch diioxe<ptt'
li^tov, dnoxstpaXiax^g wiedergegeben (Wetstein, Nov. Test, zu Marc. 6, 27,
Schleusner Lex. in N. T. s. v.). — Die Form spiculator ist Corruption aus spe-
culator, was durch zahlreiche Inschriften als die correcte Form bezeugt ist.
Von spiculum kann es nicht abgeleitet werden, da dann spiculatus zu erwarten
wäre, nach Analogie von pilatus, loricatus, hasfatus {Fritxsche, Ev. Marc.
p. 232 s?.).
90) Speculator heisst zwar überhaupt „Späher, Wächter" (z. B. Tertul-
lian. adv. Marcion. II, 25: spcculatorem vineae vel horti fui; häufig auch in
Hieronymus' Bibel-Uebersetzung z. B. Jesaia 56, 10. Jerefni. 6, 17. Exech. 33,
7. Hos. 9, 8). Am häufigsten aber kommen speeulatores im Militärwesen vor,
als Spione (Livius XXII, 33. Caesar Bell. Galt. II, 11. Suefon. Äug. 27) und
Eilboten {Sueton. Calig. 44. Ta^it. Eist. II, 73; den Zusammenhang beider
Bedeutungen sieht man am besten aus I/ivius XXXI, 24: ni speculator — he7ne-
rodromos rocant Oraeci, ingens die uno cursu einefientes spatium — contempla-
ttis regium agmen ex specula quadam praegressus nocte media Athenas pei'-
venisset), sowie als Leibwache der Kaiser {Sueton, Clattd. 35. Tacit. Ilist. II,
11. 33, daher bei Suidas durch dopi;^o()05 wiedergegeben). In letzterer Eigeu-
Hchaft bildeten sie noch zur Zeit Vespasian's ein besonderes Corps neben den
anderen Prätorianer-Cohorten {Tac. Ilist. II, 11. 33. Cotp. Inscr. Lat. t. III
p. 853 Dipl. X); später wurde jeder Prätorianer-Cohorte eine Anzahl speeula-
tores beigegeben (Cauer, Ephemeris epigr. IV, 464, Hirsch feld, Sitzungs-
berichte der Berliner Akademie 1891, S. 854—856), wie denn auch jede Legion
fehn specnJatores liatte. Auf Inschriften kommen häufig speeulatores vor, die
entweder in den Legionen oder in den Prätorianer-Cohorten dienten (zusam-
mengeHtellt bei Caner, Ephemeris epigr. lY, 459—466). Ihre Verwendung als
Scharfrichter (h. die vorige Anm.) scheint auf ilirer Eigenschaft als Sicher-
hcit«wächter zu beruhen. — Vgl. Oberhaupt: Laur. Lundii Diss. de specula-
tftre, Ilafn. 1703. Juh. Wilh. Oollingii Diss. de speculator ibus vctcrum Ro-
mamn-mn, pracside Chr. (Hotll. Schwartxio, AUorfti 1726 (ancii in* Thesaurus
noeus theol.-philol. edd. Hase et Ikcn II, 405—412). Du Cangc, Olossariuni.
med. et inf. Lat. und Forcellini IjCx. lat. s.v. Scheiffele in Pauly's Rcal-
Knc. VI, 1, 13ü4f. Schleusner Lex, in Nov. Ihst. s. v. Die Ausleger zu iJV'.
Marc 6, 27 (bcH. WetHtein iS'o». TeM., W o\{ Ourae philol. in N. 7'., Kuiuoel,
FritKNchc). Mar(|uardt, llömiHche Staatsverwaltung I, 560. II, 530.
Hiricbfcld, Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1891, S. 866.
[394. 395] § 17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). 473
sjjeeulaiores bestimmt als Soldaten charakterisirt ^ ') ; also werden die
mit demselben Titel und denselben Functionen anderwärts erwähnten
doch auch Soldaten gewesen sein. Wenn Le Blant sich nament-
lich darauf beruft, dass an manchen Stellen der Ausdruck speculator
mit dem Ausdruck lictor und anderen, die ein nichtmilitärisches
Amt bezeichnen, wechsele ^^j^ so beweist dies nur eine Laxheit
des Sprachgebrauches. Man kann daher mit demselben Rechte
umgekehrt sagen: jene Ausdrücke werden nun auch zur Bezeich-
nung von Militärpersonen verwendet ^3). Jm Neuen Testamente
werden sowohl bei der Kreuzigung Christi | als bei der Gefangen-
nahme Pauli die Vollzugsorgane otgaricörai genannt und auch
deutlich als solche charakterisirt^^).
Die dritte Hauptfunction der procuratorischen Statthalter —
neben Truppen-Commando und Jurisdiction — war die Finanz-
verwaltung. Ja von ihr haben diese ritterlichen Statthalter ihren
Titel. Denn „Procuratoren" heissen überhaupt die kaiserlichen
Finanzbeamten. Da über die Arten der Steuern und den Modus
der „Schätzung" das Wesentliche in dem Anhang über den Census
des Quirinius (§ 17, Anhang 1) bemerkt werden wird, so sei hier
nur hervorgehoben, dass die Steuern aus Judäa als einer kaiser-
91) So nicht nur Seneca De ira I, 18, 4 (wo es sieh um Hinrichtung eines
Soldaten handelt), sondern auch Acta Rogatiani et Donatiani c. 6 {lancea mili-
tari) und Linus De passione Petri et Pauli s. fin. (vestimenia militis). —
Militärische Chargen sind auch — zwar nicht ausschliesslich aber doch vor-
wiegend — die neben den speculaiores als Vollzugsorgane bei Hinrichtungen
erwähnten optiones und commentarienses (erstere Digest. XLVHI, 20, 6; letztere
Acta Claiidii, Asterii et alior. c. 4 — 5). S. Marquardt II. 527. 529 f. Cauer,
Ephemeris cpigr. IV, 441—452. 424 sj. — Theophylact erklärt in seinem
Commentar zu Marc. G, 27 speculator durch aTgariwzTjg oq TiQog z6 (povtv-
fiv titaxtai.
92) Speculator und lictor gleichbedeutend : Hieronymus epist. 1 ad lunoceu-
tium c. 7 — 8; ebenso Acta Rogatiani et Donatiani c. 6 [Rtiinart p. 282).
93) Der lictor war allerdings kein Soldat, sondern gehörte in die Classe
der apparitorea, (9. die oben Anm. 83 genannte Literatur). Er hatte aber schon
in der älteren Zeit die Todesstrafe nur an römischen Bürgern zu vollziehen
und in der Kaiserzeit wahrscheinlich überhaupt nicht mehr (Pauly's Eeal-Enc.
s. V. Mommsen, Staatsrecht 1. Aufl. I, 301 f.).
94) axQaxKÖtai Ei\ Matth. 27, 27. Marc. 15, 16. Luc. 23, 36. Joh. 19, 2.
2^ sq. 32. 34. Act. ap. 21, 35. 23, 23. 27, 31 f. 42. 28, 16. — Jesus mit einer
Lanze durchbohrt [Joh. 19, 34). — Ein Centurio bei der Kreuzigung Jesu
{Marc. 15, 39. 44 f. Matth. 27, 54. Luc. 23, 47); desgleichen bei der Geisselung
Pauli [Act. 22, 25 f.). Die ganze Haft Pauli war eine militärische. Daher stets
Centurionen als Aufseher (,1c/. 23, 17. 24, 23. 27, Iff.) Vgl. über die mili-
tärische Gestaltung des Gefangnisswesens in der Kaiserzeit den ganzen Ab-
schnitt der Digesten de custodia et exhibitione reorum [Digest. 48, 3) und Hirsch-
feld, Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1891, S. 858.
474 § 17. c. Judäa unter römischen Procuraloren (6—41 n. Chr.). [395. 396]
liehen Provinz niclit in die Senatscasse (das aerarium), sondern in
die kaiserliche Casse (den;?sci^) flössen ^^). Judäa hat also im eigent-
lichen Sinne seine Steuern „dem Cäsar" entrichtet {Ev. Mt. 22, 17 ff.
Mc. 12, 14 ff. Luc. 20, 22 ff.), was von den Senatsprovinzen nur in
gewissem Maasse gesagt werden kann. — Dem Zwecke der Steuer-
erhebung diente wahrscheinlich die Eintheilung Judäa's in elf
Toparchien (s. Bd. II S. 181—186). Bei der Eintreibung scheinen
die Eömer sich der Yermittelung der jüdischen Behörden bedient
zu haben, wie das auch sonst üblich war (s. Bd. II S. 187). —
Dass die Steuern drückende waren, sieht man aus der Beschwerde,
welche die Provinzen Syrien und Judäa im J. 17 n.Chr. erhoben ^^).
Von den Steuern im eigentlichen Sinne sind zu unterscheiden
die Zölle, d. h. die unregelmässigen, indirecten Abgaben, besonders
die Abgaben auf Waaren bei deren Ueberführung über die Landes-
grenze ^'). Solche gab es in allen Provinzen des | römischen
Reiches. Das eigentliche Musterland in dieser Hinsicht war
Aegypten, welches das Steuerwesen mit einer Subtilität ausgebildet
95) Ueber den Unterschied beider s. Marquardt, Römische Staatsver-
waltung II, 292 ft". — Die Trennung hat ohne Zweifel von Anfang an bestan-
den, auch wenn, wie Hirschfeld annimmt, die Centralisirung der kaiserlichen
Gassen, also die Begründung eines einheitlichen Fiscus, erst unter Claudius
erfolgt ist (Hirschfeld, Untersuchungen etc., 1. Bd. Die kaiserlichen Ver-
waltungsbeamten, 1877, S. 1 ff.).
96) Tac. Annal. II, 42: provinciae Syria atque Judaea, fessae oneribus, de-
rninutionem trilmti orahant.
97) Vgl. hierüber: Wetstein, Nov. lest. I, 314—316 {ad Matth. 5, 46). —
Pauly's Real-Enc. Artikel portorium, ptiblicani, vectigal. — Marquardt, Rö-
mische Staatsverwaltung II, 261 ff. 289 ff. — Winer, Real wörterb. Art. „Zoll".
— Leyrer in Herzog's Real-Enc. Art. „Zoll" (1. Aufl. XVIII, 652f. 2. Aufl.
XVn, 551f.). — Herzfeld, Handelsgesch. der Juden des Alterth. (1879) S.
159—162. — Hamburger, Real-Enc. für Bibel und Talmud IL Abth. Art.
„Zoll". — Levy, Neuhebr. Wörterb. III, 113—115 (Art. Dsia, xos?3 etc.). —
Goldechmid, Les impots et droits de douane en Jttdee saus Ics h'omains {Revue
des itudes juivea t. XXXIV, l'S97, p. 192—217) [bes. über die verschiedenen
Arten von Abgaben: oars, nbia^ns, äijftöata, annona, äyyaQSta, DDp = ceiisus].
— Naquet, Des impots indirecta chcx les Romaitis sous la rfpiibliquc et sous
fempire, Paris 1875 (Bur«ian'8 Jahresbericht Bd. 19, S. 466ff.). — Cagnat,
Atttde hiatoriquc sur les impots indirects chex les Romains jusqu' aux invasions
de» barlmre», Paris 1882 (BurHian'« Jaliresber. Bd. 36, 8. 245 ft'.). — Vigi6,
6ttide$ sur ies impöts imlircda rumaiiiH; des douanes dans Pevipire romain,
1884. — Thibaut, Ijes douane» chex les Romains, Paris 1888 {Revue eritique
1880, Nr. 7). — RoHtowzew, Eine neue Inschrift aus Halikarnass (Archäo-
logisch-epigr. Mitthcilungen aus Oesterreich-Ungarn XIX, 1896, S. 127—141)
[mit UntcrKiichungen über dos ZollwcBcn der Kaiscrzeit]. — Inschriftliches
Material über die vectvjalia geben die Indi(*eH zum Corpus fusor. Lat. Son-
•tigM Material h. bei Haenel, Corpus Ixigum, Index p. 271.
[396. 397] § 17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (0—41 n. Chr.). 475
liat, die alle luoderne Findigkeit liinter sich lässt; kein Gegen-
stand und keine Function des Erwerbslebens war hier unbesteuert;
auch seine Lage als nothwendiger Durchgangspunkt für den leb-
haften indisch- europäischen Handel hat es vortrefflich auszunützen
verstanden ^^). Aber auch in Palästina kannte man bereits in der
persischen Zeit indirecte Abgaben, z. B. das „Wegegeld" ('sfbri^
Esra 4, 13. 20. 7, 24). — Der Umfang der Zollgebiete war je
nach den Umständen gewiss verschieden. Im Allgemeinen wird
man annehmen dürfen, dass jede Provinz des römischen Reiches
ein eigenes Zollgebiet bildete ^^). Aber auch die von den Römern
als autonom anerkannten Staaten und Connuunen — und deren
Zahl war ziemlich gross — hatten das Recht, selbständig Zölle an
ihren Grenzen zu erheben ^^^). Zu den schon früher bekannten
Beweisen hierfür ist in neuerer Zeit ein weiterer hinzugekommen:
eine grosse Inschrift (griechisch und aramäisch), welche den Zoll-
tarif der Stadt Palmyra zur Zeit Hadrians enthält '<")• Man sieht
daraus, dass Palmyra — obwohl es damals eine römische Stadt | war
in demselben Sinne wie manche andere autonome Communen inner-
halb des römischen Reiches — doch seine Zölle selbständig ver-
98) Ein überreiches Material über das ägyptische Steuerwesen in der grie-
chischen und römischen Zeit geben die noch zu tausenden erhaltenen Steuer-
quittungen auf Ton-Scherben (Ostraka). Vgl. die erschöpfende, auch die No-
tizen der Schriftsteller und die Papyrustexte verwerthende Darstellung von
Wilcken, Griechische Ostraka aus Aegj'pten und Nubien, 2 Bde. 1899.
99) Wenigstens für manche derselben lässt sich dies nachweisen. S. Mar-
quardt, II, 263 ff.
100) Marquardt I (1881) S. 79. Mommsen, Römisches Staatsrecht III,
1, 691. — S. bes. Livius XXXVIII, 44: senatus consultum factum est, ut Am-
braciensibus suae res omnes redderentiir ; in Über täte essetü ac legibus suis iite-
reiitur; portoria quae vellent terra marique caperent, dum eorum in-
mtines Romani ac socii nominis Latini essent. — Plebiscit für Termessus in
Pisidien vom J. 71 vor Chr. {Coty. Inscr. Lot. t. I n. 204) col. II lin. 31 sqq.:
Qiiam legem portorieis terrestrihus maritumeisque Termenses majores Phisidae
eapiundeis intra suos flneis deixserint, ea lex ieis portorieis capiundeis esto, dum
neiquid porforl ab ieis eapiaiur, quei publica p'opuli Romani vectigalia redempta
habelnmt.
101) Die Inschrift ist im J. 1881 von dem Fürsten Lazarew entdeckt
worden. — Der aramäische Text ist am besten herausgegeben von Schroeder
(Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1884, S. 417—436), der griechische
mit reichhaltigem sachlichem Commentar von Dessau (Hermes XIX, 1884,
S. 486—583), beide nach einem Abklatsch von Euting. — Beide Texte, mit
deutscher Uebersetzung und Erläuterungen zum aramäischen Text, auch von
Reckendorf (Zeitschr. der deutschen morgenländ. Gesellsch. 1888, S. 370—415).
— Weniger correct sind die früheren Publicationen von De Vogüe {Journal
asiatique Vlllme serie f. I, 1883, p. 231—245, t. II, 1883, p. 149—183) und
S ach au (Zeitschr. der deutschen morgenländ. Gesellsch. 1883, S. 562 — 571).
476 § 1^- ^- Jiidäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). [397]
waltete und den Ertrag derselben genoss. Es versteht sich daher
auch von selbst, dass die mit Eom „verbündeten" Könige und
Tetrarchen an ihren Grenzen im eigenen Interesse Zölle erheben
durften '^^), nur mit der Einschränkung, dass die römischen Bürger
{Romani ae sodi nominis Laiini, wie es bei Livius heisst) davon
eximirt waren ^^^^^ Die zur Zeit Jesu Christi in Kapernaum, an
der Grenze Galiläa's, erhobenen Zölle (J/^. 9, 9. Jfc. 2, 14. ivc.5,27)
flössen daher ohne Zweifel nicht in den kaiserlichen Fiscus, sondern
in die Casse des Herodes Antipas. Dagegen in Judäa wurden
damals die Zölle im Interesse des kaiserlichen Fiscus erhoben.
Wir wissen aus den Evangelien, dass in Jericho, also an der
östlichen Grenze Judäa's, ein aQxtreXmvfjg war {Luc. 19, 1 — 2). In
der Hafenstadt Cäsar ea wird im J. 66 n. Chr. unter den einfluss-
reichen Männern der dortigen Judenschaft ein reXcovtjg Johannes
erwähnt -^^). Durch Plinius ist bekannt, dass die Kaufleute, welche
den Weihrauch aus dem Inneren Arabiens über Gaza exportirten,
nicht nur den Arabern beim Durchzug durch deren Gebiet, sondern
auch den römischen Zollpächtern (letzteren vermuthlich in Gaza)
hohe Zölle zu entrichten hatten i^^). — Ausser den Eingangs- und
Ausfuhrzöllen hat es natürlich, wie anderwärts so auch in Judäa,
noch indirecte Abgaben anderer Art gegeben, z. B. einen Markt-
zoU in Jerusalem, welcher durch Herodes eingeführt, aber im
J. 36 n. Chr. durch Vitellius abgeschafft wurde i^c).
102) Von Caligula sagt Sueton. Cal. lü: si quibtis regna restituit, adjedt et
omnem fmclum vectigalionim et reditiim medii temporis. Das Ungewöhnliche
war wohl nur das Letztere.
103) S. Mommsen, Staatsrecht III, 1, 691 und die in Aum. 100 citirten
Stellen. — Auch zu Gunsten Anderer haben die Römer zuweilen willkürliche
Ausnahmen festgestellt So wird in dem Senatsconsult Jos. Antt. XIV, 10, 22
(wahrscheinlich für Hyrkan I, s. oben S. 262f.) den Juden zwar gestattet, au
iliren Grenzen Zölle zu erheben, aber mit der Bedinguug, das.s der König vou
Aegypten davon eximirt sei.
104) Jos. Jkll. Jtul. II, 14, 4.
105) Plinius Ilist. Nat. XII, 63—05: Keehi non potest niai per Oebaiiitas,
it<iqtte et horum regi penditur vectir/al .... lam quaeumquc Her est aliubi pro
aqua atiubi pro pahulo atit pro mansionibus varüsqiic portoriis pendimt, ul
$umptua in aingulos eameloa X DCLXXXVIII ad nostrmn litus (nämlich bis
Gaza) coUigat, iterumque imperi noafri pnbticauis penditur. — Zölle,
die von uncultivirten Volkgstämmen erhoben wurden, kommen nucli Hoiist vor.
8o mtiMton die Kuuflcute, die von Syrien nach Babylonicii Hmidcl trieben,
di-n duzwlMcrhen woiuicnden Stämmen Zölle entrichten, und zwiir waren die
(ixr]vlTat, d. h. die Zfltbcwohner der Wüste, darin gemässigter als die (pvXuQXO^
zu beiden Holten des Kuphrat {Strcüm p. 748).
100) Jos. Ann. XVII, 8, 4 ßn. Ibid. XVIII, 4, .•}: Oj/r/AA/Of xa ri'kt] xwv
uivovfjihoiv xatfnütv (tvirjaiv tli; xo nup Toff Terry xaroixovai. Vgl. auch die
oben Anm. 97 genannte Abhandlung von GoldHclimicl.
[397.398] §17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6 — 41 n. Chr.). 477
Die Erhebung der Zölle geschah nicht durch staatliche
Beamte, sondern durch Pächter, die sogenarmten publicani, welche
den Zoll eines bestimmten Bezirkes gegen eine feste jährliche Summe
pachteten, wobei sie den etwaigen höheren Ertrag als Gewinn ein-
zogen, während sie umgekehrt bei Minder-Ertrag den Schaden zu
tragen hatten 1^^). Dieses System war im ganzen Alterthum sehr
verbreitet und kam vielfach nicht nur bei Zöllen, sondern sogar
bei den eigentlichen Steuern zur Anwendung. So wurden z. B. zur
Zeit der ptolemäischen Herrschaft in Palästina die Abgaben jeder
Stadt jährlich an den Meistbietenden verpachtet ^'^^). In der römischen
Kaiserzeit wurde das System der Verpachtung bei den Steuern
(Grund- und Personalsteuer) nicht mehr angewandt. Diese wurden
jetzt durch staatliche Beamte eingezogen, in den Senatsprovinzen
durch den Quästor, in den kaiserlichen Provinzen durch einen
(dem Statthalter beigegebenen) kaiserlichen Procurator^*^^); in den
von einem Ritter verwalteten Provinzen, wie Judäa, war der
Statthalter selbst zugleich Procurator. Die Zölle dagegen wurden
auch in der Kaiserzeit noch allgemein am publicani verpachtet'"');
107) Vgl. Rein, Art. jmblicani in Pauly's Real-Enc. — Marquardt,
Römische Staatsverwaltung II, 289 ff". — Conr. Gottfr. Dietrich, Beiträge zur
Kenntniss des römischen Staatspächtersystems, 1877. — Prax, Essai stir les
societes vectifjaliennes precidi d'un expose sommaire du Systeme fiscal des Romains,
Montauban 1884. — Rimondiere, De la levie des impöts en droit romain,
Paris 1886. — Dietrich, Die rechtlichen Grundlagen der Genossenschaften
der römischen Staatspächter, I u. II, Meissen, Progr. 1889 u. 1898. — Deloume,
Les manieurs d'argent ä Rome Jusqu' ä rempire. Les grandes compagnies de
Publicains etc. 2ine Mition, Paris 1892. — Ziebarth, Das griechische Vereins-
wesen, 1896, S. 19-26. — Wilcken, Griechische Ostraka I, 513-G30.
108) Jos. Antt. XII, 4, 3: bxvxs Ss xav' ^xslvov tov xaiQOv ndvtag dvaßai-
veiv roig ix x<öv nöXetov xüiv tTjg HvQtag xal «Poivixrjg nQioxovg xal agyovxag
inl xfiv tüiv xiXdiv ö>V?Jv xax^ sxog öe zavxa xoig övvaxolg x<5v h hxäaxy
noXei inlnQuaxev 6 ßaatXsvg. Ibid. XII, 4, 4: ivaxdorjg 6e xfjg riixtgag xaQ-'
Tjv sf/sXXs xcc xiXri ningdaxeod^ai xäiv Ttölswv. — Vgl, auch XII, 4, 5. Aus
letzterer Stelle erhellt deutlich, dass es sich nicht um Zölle, sondern um
Steuern {(poQOi) handelte. Die wichtigste davon war die Kopfsteuer {Antt.
XII, 4, 1: rag lölag e'xaotoi xwv imarinwv (Jvotvxo naxQiöag (poQoXoyelv, xal
avva&Qoli^ovrsg xb ngoaxiray/xsvov xE(pdXaiov xolg ßaaiXsvaiv ixsXovv). Aber
es gab auch noch andere Steuern ; denn die jerusalemische Priesterschaft war
durch Antiochus den Grossen befreit worden <Lv vnsg xijg xs(paX^g xeXovai
xal xov ors<pttvixixov (poQOv xal xov vnsQ xwv dXXcav [ßAtöv?] {Antt. XII, 3, 3),
— Wegen Erwähnung der Kopfsteuer will Willrich diese Texte erst der
römischen Zeit zuweisen; s, dagegen oben S. 229 f,
109) Marquardt, Staatsverwaltung II, 303.
110) Marquardt II, 302f. — Das Gesagte bestätigt sich auch für Aegypten;
in der Ptolemäerzeit wurden alle Abgaben verpachtet; in der Kaiserzeit
herrschte ein gemischtes System : Verpachtung und directe Erhebung (Wilcken,
Griechische Ostraka I, 515—555, 572—601).
478 § 17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). [398. 399]
SO ohne Zweifel auch in Judäa. Die entgegengesetzte Meinung
Wieselefs beruht lediglich auf Missverständniss ^ ^ '). In der oben
(Anm. 105) citirten Stelle des Plinius ist ausdrücklich gesagt, dassj
für den aus Arabien über Gaza ausgeführten Weihrauch auch an
die römischen puhlicani ein Zoll entrichtet werden musste. Bei der
Allgemeinheit des Systems darf man annehmen, dass auch die Landes-
fürsten wie Herodes Antipas sich desselben bedienten. Selbst
städtische Communen wie Palmyra Hessen die Zölle nicht durch
städtische Beamte erheben, sondern verpachteten sie an Unter-
nehmer •!-). — Die Pächter hatten selbstverständlich wieder ihre
Unterbeamten, die wohl durchgängig aus der einheimischen Be-
völkerung genommen wurden. Aber auch die Generalpächter
mussten keineswegs nothwendig Eömer sein. Die oben (S. 476) er-
wähnten Zolleinnehmer von Jericho und Cäsarea hiessen. Zacchäus
und Johannes, waren also Juden. Da sie als wohlhabende und
angesehene Leute geschildert werden, haben sie sicherlich nicht
zu der untersten Classe der Zöllner gehört i' 3). — Die Höhe des
zu erhebenden Zolles war zwar von der Behörde vorgeschrieben.
Da aber diese Tarife, wie uns das Beispiel von Palmyra zeigt, in
der älteren Zeit oft sehr unbestimmt waren, so blieb der Willkür
und Habsucht der Zolleinnehmer ein weiter Spielraum oifen. Die
Ausnützung dieses Spielraumes und die auch nicht seltene Ueber-
111) Wieseler (Beiträge zur richtigen Würdigung der Evangelien 1869,
S. 78 f.) stützt sich für seine Ansicht auf Jus. Antt. XIV, 10, 5 ijirixe i^yoXa-
ß(5ai Tivei). Hier handelt es sich aber gar nicht um Zölle, sondern um Ab-
gaben vom Bodenertrag. Ueberdies waren diese speciellen Verfügungen Cäsar's
in der Kaiserzeit durch die inzwischen erfolgten Umwälzungen längst antiquirt.
112) In dem Beeret des Rathes von Palmyra an der Spitze des Zolltarifes
der Stadt zur Zeit Hadrian's (Hermes XIX, 490, vgl. oben Anm. 101) heisst
es: in dem älteren Zolltarif seien sehr viele Gegenstände nicht iuifgeführt ge-
wesen; man habe daher in den Pachtvertrag [rt] fxia&waft) immer die Be-
stimmung aufgenommen, der Einnehmer {xov teXwvovvta) solle den Zoll er-
heben nach Tarif und Herkommen. Darüber sei es aber zwischen den
Kaiif leuten und den Einnehmern oft zu Streitigkeiten gekommen. Daher habe
nun der Ratl» beschloHsen, dass die Behörden der Stadt die fehlenden Gegen-
stände ermitteln und in d('n nächsten Pachtvertrag (ry ^vyiaza fxia&waei) auf-
nehmen sollen, unter Hinzu fügung der „herkömmlichen" Taxe (die also da-
durch fixirt werden soll). Wenn dieser Tarif von dem l'ächter {nö /uia&ov-
Hivtf) ttcceptirt sei, dann »olle er, wie der frühere Tarif, durch Eingrabuug
auf eine steinerne Tafel zur öflentlichen KcnntniHH gcliracht werden. Die Be-
br»rdcn aber sollen dafür sorgen, dass der l'ächler [xov fuaDox'furov) niclits
widerrechtlich fordere.
113) Die Behauptung Tertullian's, dass allo /üllticr llcidrn i^'cwosin
seien (fie. pudioit. c. !)), ist sclion von Hieronymus mit Iteciit l)istiittcn wor-
den (epist. 21 ad Datncuium c. 3, opp, ed. Vallarsi I, 72).
[399. 400] § 17, c. Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). 479
schreituug desselben hat sie bei der Bevölkerung zu einer ver-
hassten Classe von Menschen gemacht. Es ist noch milde aus-
gedrückt, wenn der Jambendichter Herondas sagt, dass „jede Thüre"
vor den Zolleinnelimern schaudere ^'^). Im Neuen Testamente ist
„Zöllner und Sünder'' fast gleichbedeutend, und bei heidnischen
Schriftstellern finden sich ähnliche Urtheile"^); auch in der
rabbinischen Literatur erscheinen die Zolleinnehmer (]'^ppi'a) in
wenig günstigem Lichte ^'^). — Andererseits war auch das Publikum
in I Ersinnung von Mitteln und Wegen zur Defraudirung des Zolles
damals schon ebenso erfinderisch wie heutzutage ^''j.
Innerhalb der Schranken, welche mit den dargestellten Ein-
114) Herondas [ed. Crusius 1892) VI, 64: zoi-q yiiQ nXatvaq nüaa vvp &vqij
(pQiaaei. Vgl. Wilcken, Griechische Ostraka I, 5ö8.
115) Lueian. Necyomant. 11: Moiyol xal noQvoßoaxol xul ze?.divai xal
xoXaxeq xal ovxo(pävzai xal b xoiolxoq ofiilog xwv nävra xvxiuvxtuv iv r^ ßitp.
Noch mehr Material dieser Art bei Wetstein, Nor. Test.l, 314—316. Winer
RWE. Art. „Zoll".
116) Nach Baba kamma X, 1 darf man nicht Geld einwechseln aus der
Kasse der Zolleinnehmer, auch nicht Almosen von ihnen annehmen (weil näm-
lich ihr Geld als geraubtes Gut gilt). Haben dagegen Zolleinnehmer Einem
den Esel weggenommen und einen anderen dafür gegeben, oder Räuber ihm
sein Gewand geraubt und ein anderes dafür gegeben, so darf man dies be-
halten, weil der Eigenthümer es schon aufgegeben hat [Baba kamma X, 2). —
Nach Nedarim III, 4 darf man Räubern und Zolleinnehmem mittelst Gelübdes
versichern, eine Sache sei Eigenthum der Priester oder des Königs, auch wenn
dies nicht wahr ist (!). — Durchweg erscheinen also die Zolleinnehmer ("pDr^o)
auf gleicher Stufe mit den Räubern. Vgl. auch Wünsche, Neue Beiträge
zur Erläuteriiug der Ew. 1878, S. 71 f. Herzfeld, Handelsgesch. der Juden
S. 161 f. Hamburger, Real-Enc. Art. „Zoll", Levy, Neuhebr. Wörterb. III,
114. — Dass unter 'pcsi« Zolleinnehraer im eigentlichen Sinne zu verstehen
sind, sieht man auch aus dem Gebrauche desselben Wortes (XO:^, ^t*^0:^) auf
dem Zolltarif von Palmyra. D2a = „Abgabe" auch schon im Alten Testa-
mente {N'um. 31, 28. 37—41).
117) Kelim XVII, 16 wird erwähnt „ein Stock mit einem Behälter für
Perlen", nämlich zum Zweck der Zolldefraudation. — Bei Erörterung des Ver-
botes, Kleider anzuziehen, die aus Leinen und Wolle gemischt sind {Lev. 19,
19. Deut. 22, 11), wird Kilajim IX, 2 bemerkt, dass dies unter keinen Um-
ständen erlaubt sei, „auch nicht um den Zoll zu defraudiren" (02^ri 3i35^). —
Anhangsweise sei hier noch auf die Stelle Schabbath VIII, 2 hingewiesen, wo
als Beispiel eines kleinen Stückes Papier, das am Sabbath nicht aus einem
Bereich in einen andern getragen werden darf, ein "ilä;? der Zolleinnehmer
erwähnt wird. Die Ausleger verstehen darunter eine Quittung, die an einer
Zollstätte ausgestellt wird, damit man an der nächsten (etwa auf der andern
Seite des Flusses) frei passiren kann. Die sprachliche Erklärung ist freilich
schwierig, da n^^p sonst „Verbindung" bedeutet (z. B. ein Knoten am Strick,
oder ein Gelenk am menschlichen Körper). Sollte es etwa ein Zettel sein,
durch welchen eine „Verbindung" zwischen zwei Zollstätten hergestellt wird?
480 § 1^- '^- Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 u. Chr.). [400. 401]
richtungen von selbst gegeben waren, geuoss das jüdische Volk
doch noch ein erhebliches Maass von innerer Freiheit und
Selbstverwaltung^ 'S). — Der Eid der Treue, welchen das
Volk dem Kaiser, vermuthlich beim jedesmaligen Kegierungswechsel
zu leisten hatte, bewegte sich — wenn wir nach Analogien ur-
theilen dürfen — in ziemlich allgemeinen Formeln, wie er ja auch
schon zur Zeit des Herodes geleistet worden ist^'^). Die innere
Verfassung zur Zeit der Procuratoren charakterisirt Josephus,
im Gegensatz zum monarchischen Regiment des Herodes und
Archelaus, mit den Worten'-*^): dQioroxQaria (ihv t]v ?) jtoXirsia,
ri]v öh jtQooraoiav rov 'i&^vovg ol ccQXisQ^l? sjtsjriöravpTo. Er sieht
also in dem Wechsel, der nach der Absetzung des Archelaus ein-
trat, einen Uebergang von der Monarchie zur Aristokratie, indem
er — und nicht mit Unrecht — den römischen Procurator nur als
Aufsichts behörde, das aristokratische Synedrium aber als die eigent-
lich regierende Behörde betrachtet. Der jeweilig fuugirende Ober-
priester, welcher zugleich den Vorsitz im Synedrium führte, ist
ihm der jiQooraxrjq rov Idvovq. Allerdings sind gerade diese
Hohenpriester von der Aufsichtsbehörde nach freiem Ermessen
ab- und eingesetzt worden. Aber auch hierin haben die Römer
sich gewisse Beschränkungen auferlegt. Nachdem in den Jahren
6—41 n. Chr. die Ernennungen durch die römischen Statthalter
(entweder den Legaten von Syrien oder den Procurator von Judäa)
vollzogen worden waren, ist in der Zeit von 44—66 n. Chr. das
Recht der Ernennung an jüdische Fürsten (Herodes von Chalcis
und Agrippa II) übertragen worden, obwohl diese nicht in Judäa re-
gierten. Und in beiden Perioden ist bei den Ernennungen nicht
rein willkürlich verfahren, sondern dabei der Vorrang gewisser
Familien (Phiabi, Boethos, Ananos, Kamith) respectirt worden'-').
Wichtiger ist, dass das Synedrium die Gesetzgebung und
Jurisdiction in sehr weitem Umfang ausgeübt hat, wohl in weiterem,
als es im Durchschnitt bei den nichtautonomen Gemeinden des
römischen Reiches der Fall war'*'*'^). Die Rechtslage war im all-
118) Vgl. zum Folgenden: Mommsen, Rom. Oesch. V, 511 tf.
IIÜ) Vgl. ül)tThftiipt oben S. 399 f. — Sicher bezeugt ist die Eidesleistung
beim liegierungHuntritt Culigula's, Jos. Antt. XVIII, 5, 3.
120) Antt. XX, 10 A".
121) Die Holego h. IJd. II, ö. 214—224, und in meiner Ablinudlung über
die dgxtunl^ im Neuen Testamente (Stud. und Krit. 1872, S. 593— (iü7). —
Uebor den VorHitz der Hohenpriester im .Synedrium: Bd. II, S. 202—206.
122) Ueber die Stellung der nichtiuitonomen Unterthiinon 8. Mommsen,
Rftmlucheii WtuatHreeht III, 1, 71ü— 7Ü4, bes. 744 IK Mittcin, Reiehsreclit und
Volk«recht in ilen ÖHtllclien Provinzen deH römiHclien KaiHorreichs (1891)
H. 9Uff. Izeigt, danN auch die unterthänigen titüdte ihre eigenen Gerichte hatten].
[401. 402] § 17. c. Jiidäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). \^\
gemeinen die, dass den von Rom als „frei" oder „autonom" an-
erkannten Gemeinden ihre eigene Gesetzgebung und Jurisdiction
ausdrücklich garantirt war, im Princip sogar auch über die dort
wohnenden römischen Bürger. In den unterthänigen, nichtautouomen
Gemeinden (zu welchen Judäa gehörte) war der factische Zustand
annähernd derselbe '^Sj^ aber mit der doppelten Einschränkung:
1) dass dieser | factische Zustand nicht verbürgt war, und 2) dass
die dort wohnenden römischen Bürger ihr eigenes Recht und ihre
eigene Gerichtsbarkeit hatten. Das Wichtigste war der erste Punkt.
Die römischen Behörden grift'en infolge dessen sowohl in die Gesetz-
gebung als in die Jurisdiction der nichtautonomen Gemeinden nach
Belieben ein. In Judäa scheint dies nur in geringem Maasse ge-
schehen zu sein. Man darf annehmen, dass die Civilrechtspflege
ganz in den Händen des Synedriums und der einheimischen Be-
hörden lag: jüdische Gerichte entschieden nach jüdischem Gesetz.
Aber auch beim Criminalrecht war dies fast ganz der Fall, nur
mit der Einschränkung, dass Todesurtheile der Bestätigung durch
den römischen Procurator bedurften. Dabei entschied auch dieser,
wenn es ihm beliebte, nach dem Maassstabe des jüdischen Rechtes,
wie die Verurtheilung Jesu Christi zeigt '''^^). Selbst römische Bürger
waren von den Anforderungen des jüdischen Gesetzes nicht ganz
eximirt. Zwar als der Procurator Festus den Apostel Paulus nach
jüdischem Rechte aburtheilen wollte, scheiterte dies an dem Wider-
spruch des Apostels (vgl. oben S. 4 67 f.). Aber das jüdische Gesetz,
dass ein Heide den inneren Vorhof des Tempels nicht betreten
— Die singulare Stellung Judäa's hebt Geib (Gesch. des römischen Criminal-
processes S. 485 f.) viel zu einseitig liervor: „Bios eine Provinz, .... Judäa
nämlich, machte, wenigstens in der früheren Kaiserzeit, von allen bisher be-
schriebenen Einrichtungen eine Ausnahme. Während nämlich in den übrigen
Provinzen die gesammte Criminaljurisdiction in den Händen des Statthalters
vereinigt war, und blos in den allerwichtigsten Fällen die obersten Reichs-
behörden, sowie in den allerunbedeutendsten Sachen die Municipalbeamten zu
■entscheiden hatten, war es hier Grundsatz, dass wenigstens wegen Religions-
verbrechen der Hohepriester mit dem Synedrium selbst Todesurtheile aus-
sprechen durfte, zu deren Vollziehung jedoch wieder die Bestätigung des rö-
mischen Procurators erfordert wurde". — Diese Darstellung von Geib ist des-
halb unzutreffend, weil er die Lage Judäa's in der früheren Kaiserzeit ver-
gleicht mit den allgemeinen Zuständen der späteren Kaiserzeit. Vgl. da-
gegen Mommsen und Mitteis a. a. O.
123) Mommsen, Römisches Staatsrecht HI, 1, S. 748: „Dem materiellen
Umfange nach ist die Competenz der einheimischen Behörden und Gerichte
in den Unterthanengemeinden schwerlich enger bemessen gewesen als in den
fÖderirten; wie in der Verwaltung und der Civiljurisdiction finden wir die-
selben auch im Administrativprocess und in Crimiualsachen thätig".
124) Näheres s. Bd. II, S. 208-210.
Schürer, Gescbiclite I. 3. u. -4. Aufl. 31
482 § 1'^- c. Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). [402. 403]
dürfe, war von der röniisclien Behörde anerkannt; und ein Jeder,
der es übertrat, wurde mit dem Tode bestraft, selbst wenn er
römischer Bürger Avar^-^). — Eine Einschränkung dieser weit-
gehenden Competenz — freilich eine sehr wesentliche — lag nur
darin, dass der Procurator und dessen Organe jederzeit nach eigenem
Ermessen eingreifen konnten.
Der jüdische Cultus wurde nicht nur geduldet, sondern stand,
wie die ebengenannte Bestimmung in Betreif des Tempels zeigt,
unter staatlichem Schutz '26). Der kosmopolitische Zug, welcher |
die damalige heidnische Frömmigkeit charakterisirt, machte es sogar
möglich, dass vornehme Eömer für den jüdischen Tempel Weih -
gesc henke stifteten und Opfer daselbst darbringen Hessen '-'). —
Die staatliche Aufsicht über den Tempel, namentlich auch über
die umfangreiche FinanzverAvaltung desselben, scheint in den Jahren
6—41 n. Chr. durch die römischen Behörden geführt worden zu
sein. In den Jahren 44 — 66 n. Chr. war sie denselben jüdischen
Fürsten übertragen, welche auch das Eecht hatten, die Hohen-
priester zu ernennen, nämlich dem Herodes von Chalcis und dann
125) Jos. Bell. Jud.y 1,2, A; bestätigt durch die von Clermont-Ganneaii
gefundene Inschrift. Vgl. Bd. II, S. 200, 272 f. — Dieser Punkt ist auch für
die Beurtheilung des Processes Pauli von Wichtigkeit. Denn eine
Hauptanklage der Juden war eben die, dass Paulus einen „Griechen", den
Trophimus, mit in den Tempel genommen habe (Apgesch. 21, 28 — 29). Man
suchte also wohl dem Procurator begreiflich zu machen, dass Paulus auch
nach römischem Rechte straffällig sei, da er gegen jene Specialbcstimmung
sich verfehlt habe (vgl. bes. Apgesch. 24, 6: oq xal xo uqov ^nelgaasv ßeßrj-
küjotti). Die Behauptung war freilich nicht zutreffend, da jene Gesetzesbe-
stimmung nur den Trophimus, nicht den Paulus getroffen haben würde.
Ueberdies scheint Paulus den Trophimus in Wahrheit gar nicht mit in den
Tempel genommen zu haben (vgl. iv6fitt,ov Apgesch. 21, 29).
12Gj Dieser Schutz erstreckte sich auch auf den SynagogencuUus und die
heiligen Schriften. Als in Dora heidnisclie Einwohner in der jüdiscliou Syna-
goge eine Statue des Kaisers aufgestellt hatten, wurde dem Rathe der Stadt
durch den Legaten Petronius befohlen, die Schuldigen auHZulieforn und da-
für zu sorgen, dass solche Störungen in Zukunft nicht wieder vorkämen {Jos.
Antt. XIX, G, 3). — Ein Soldat, welcher eine Thora-llolle muthwillig zerrissen
hatte, wurde durch den Procurator Cumanus hingerichtet (Jos. Antt, XX, 5, 4.
Bell. Jud. II, 12, 2).
127) öelbnt der Kaiser Augustus und seine Gemahlin schenkten dem
Tempel zu Jerusalem eherne Weiukrüge, dx^iazoipopoi {Bell. Jud. V, 13, G)
und andere kostbare Weihgeschenke (Philo, Let/at. ad Cojitni 8 23 u. 40, cd.
Mang. II, 5(J9 init., 592 fin.). — Marcus Agrippa stiftete bei seinem Besuche
10 Jerusalem Weihgeschenke (Philo, Leg. ad Citjtim g 37, Mang. II, 589), und
Hess ein Opfer von hundert Rindern darbringen {Jon. Antt. XVI, 2, 1). Auch
Vltelliu» opferte daselbst I.Jos. Antt. XVIII, fi, 3). Vgl. (Iberhaupt Bd. II,
8. 300-3CXi.
[403. 404] § 17. c. Judäa unter römiechen Prociiratoren (6—41 n. Chr.). 483
dem Agrippa II i'^^). Eine Beschränkung der Cultusfreiheit, die an
sich sehr liarmlos war, aber von den Juden drückend empfunden
wurde, wurde im J. 36 beseitigt. In den Jahren 6—36 nach Chr.
war nämlich das Praclitgewand des Hohenpriesters im Gewahrsam
des römischen Commaudauten der Burg Antonia und wurde nur
viermal im Jahre (an den drei Hauptfesten und am Versöhnungs-
tage) zur Benützung ausgeliefert. Auf die Bitten der Juden ver-
fügte Vitellius im J. 36 n. Chr. die Freigebung des Gewandes. Und
als der Procurator Cuspius Fadus im J. 44 das Gewand wieder
unter römischen Verschluss bringen wollte, erwirkte eine jüdische
Gesandtschaft in Rom ein Rescript des Kaisers Claudius, durch
welches die Verfügung des Vitellius bestätigt wurde •'-^).
Auf die religiösen Anschauungen der Juden wurde weit-
gehende Rücksicht genommen. Während in allen anderen
Provinzen der Kaisercultus eifrig betrieben und dieser Beweis
der Ehrerbietung auch als selbstverständlich vom Kaiser bean-
sprucht 1 wurde, ist an die Juden ein dahingehendes Ansinnen —
mit Ausnahme der Zeit Caligula's — niemals gestellt worden. Man
begnügte sich damit, dass täglich zweimal im Tempel zu Jerusalem
„für den Cäsar und das römische Volk'' geopfert wurde.
Das Opfer bestand (für den Tag im Ganzen) aus zwei Lämmern
und einem Rind, und ist nach Philo von Augustus selbst Ix xmv
i6i(av jiQoooöwv gestiftet worden, während Josephus der Meinung
ist, dass es auf Kosten des jüdischen Volkes dargebracht werde '^o).
Auch bei ausserordentlichen Veranlassungen bethätigte das jüdische
Volk seine loyale Gesinnung durch grosse Opfer für den Kaiser'^').
In der Diaspora sind auch in den Vorhöfen der Synagogen Ehren-
geschenke für die Kaiser aufgestellt worden '^^^^ — Nächst dem
128) Herodes von Chaleis: Jos. Aiitt. XX, 1, 3 (t^v i^ovaiav tov veai xal
rcüp is^div xQ^ßai^ov). — Agrippa II : Äntt. XX, 9, 7 (t^v im/xiXecav xov Isqov).
— Ueber die Finanzverwaltung des Tempels s. Bd. II, S. 266—271.
129) Jos. Äntt. XVIII, 4, 3. XX, 1, 1—2. Vgl. XV, 11, 4. — Vgl. über
dieses Praclitgewand des Hohenpriesters Bd. II, S. 263 f. Bei der Eroberung
Jerusalems durch Titus fiel es in die Hände der Römer (Jos. Bell. Jud. VI, 8, 3).
130) Philo, Legat, ad Cajum § 23 und 40 {Mang. II, 569. ö92). Joseph.
Bell. Jud. II, lü, 4. 17, 2-4. Cmtra Apion. II, 6 fin. Näheres s. Bd. II,
S. 303 f.
131) So dreimal zur Zeit Caligula's, Philo, Legat, ad Cajum § 45 {Mang.
II, 598); vgl. auch § 32, M. II, 580 (Opfer beim Regierungsantritt).
132) Philo, Legat, ad Cajum § 20 {Mang. II, 565): Mit den Synagogen haben
die Alexandriner zugleich zerstört raq xwv avroxQdxÖQwv rtfxäg aaniömv xal
axeipavwv mr/Qvavjv xal axrjXwv xal iniyQatpwv. Li Flaccum § 7 {ed. Mang.
II, 524): „Wenn man die Juden der Proseuchen (Synagogen) beraubt, so macht
man ihnen auch unmöglich t^v dq xovq (vf^ytiag fvaeßeiav .... ovx sxovxeg
iSQoig nfQißöXovg oiq ivöiaS^ijoovxai x6 svx^Qtaxov Man giebt nicht, sondern
31*
484 §1^- c. Judäa unter römischen Procuratoren (6 — 41 n. Chr.). [404]
Kaisercultus waren für die Juden besonders austössig die Kaiser-
bilder auf den Münzen und den Feldzeichen der Soldaten.
Auch hierin sind sie mit Schonung behandelt worden. Es war
zwar nicht zu vermeiden, dass römische Denare mit dem Bilde
des Kaisers in Judäa circulirten {Ev.Mt.22,20. il/c. 12, 16. Lc. 20, 24),
denn Silber- und Goldmünzen wurden in Judäa nicht geprägt.
Aber die im Lande hergestellten Kupfermünzen trugen auch zur
Zeit der römischen Herrschaft wie unter den Herodianern kein
menschliches Bild, sondern nur den Namen des Kaisers und un-
schuldige Embleme '3^). Die Truppen pflegten in Jerusalem ohne!
raubt dadurch roiq xvgloig rtfujv. Denn die Proseuchen sind für alle Juden
OQfiTjti^Qicc TTJq flg xbv asßaaxov olxov oai6xr}xo<; .... twv rifüv dvaiQs&eiacüv
xig STSQoq dnoXelnexai xonoq ?} XQonoq xififjq;" Vgl. über die Aufstellung von
Ehrengeschenken in den Vorhöfen der Synagogen auch unten Bd. III, S. 52 f.
133) Vgl. über die in Judäa zur Zeit der Procuratoren geprägten Münzen :
Eckhel, Doctr. Num. III, iQl sq. — Mionnet, Descript. de medailles V, 552
bis 555. Suppl. VIII, 377. — Cavedoni, Bibl. Numismatik I, Ü4-73, 150—162.
— De Saulcy, Revue Numismatique 1853, p. 186—201. — Ders., Recherches etc.
(1854) p. 138—146, 149s«?. pl. VIII— IX. — Cavedoni, Bibl. Numism. II, 39
bis 53. — Mommsen, Gesch. des röm. Münzwesens (1860) S. 719. — Levy,
Gesch. der jüd. Münzen S. 74—79. — Madden, History p. 134—153. — Ca-
vedoni in Grote's Münzstudien V, 27—29. — De Saulcy, Numismatique de
la Terre Sainte (1874) p. 69—78, pl. III— IV. — Madden, Numismatic Ckro-
nicle 1875, p. 169—195. — Madden, Coins of the Jeics p. 170—187. — Stickel,
Zeitschr. des deutschen Palästina- Vereins VIT, 1884, S. 212—213. — Pick,
Zeitschr. für Numism. Bd XIV, 1887, 8. 306—308. — Kaestner, De aeris
quae ab imperio Caesaris Oetaviani constituto initium dnxerint, Diss. Lips. 1890,
p. 28 — 34. — Auf den Münzen des Augustus mit der Aufschrift KalaccQoq
finden sich die Jahreszahlen 33, 30, 39, 40, 41. Wenn die Zalil 33 richtig ge-
lesen ist, so muHs man, wie zuerst Mommsen vermuthet hat, die augusteische
Vera vom 1. Januar 727 a. U. = 27 vor Chr. als Ausgangspunkt annehmen.
xiiernach fallen die Münzen in die Jahre 759—767 a. U. = 6 — 14 nach Chr.,
WHH genau zu den liistoriHchen Verhältnissen stimmt. Wegen der Uugewöhn-
Hchkeit dieser Aera bezweifelt Pick (Zeitschr. f. Numism. XIV, .306-308) die
Existenz von Münzen mit der Zahl 33 und nimmt, wie schon ältere Numis-
matiker, die actisclie Aera vom Herbst 723 a. U. als Ausgangspunkt an. Dann
iMt 30—758/759 a. U. Die Existenz der Jahreszalil 33 scheint aber gesichert.
8. heu. Mad<len und Stickel a. a 0. Am unwahrHchcinlicIisteii ist die
Meinung von Kaestner, dass die Prägung dieser Münzen sdion unter Arche-
lans begonnen hal)e fa. a. O. 8. 33), denn wir haben von diesem Fürsten ja
eigene Münzen. — Die Münzen des Tiberius (mit dem meist in Abkürzung
genchriclicncn Namen TißtQlov KahaQoq) sind nach Regierungsjahren des
TilieriuK datirt; es finden sieh <lie Zahlen 2, 3, 4 bis 18. Auf numchen er-
Nchcint der Name der Julia nebc-ti dem des Tilxtrius, und zwar bis zum
10. Jahre des Til)eriuH — 2!» n. (üir., (hm Todesjahre der Julia (Livia) Maiuhe
Mflnzen trng«-rj nur den NauHiU <l(;r Julia. Münzen des Claudius giebt es
▼om 13. und 14. Jnliro seiner Regierung, Münzen des Nero vom 5. Jahre.
[405. 406] § 17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6 - 41 n. Chr.). 485
die Feldzeichen mit den Kaiserbildern einzuziehen. Der muth-
willige Versuch des Pilatus, diese Sitte zu durchbrechen, scheiterte
au dem zähen Widerstand des Volkes; Pilatus sah sich selbst ge-
nothigt, die Kaiserbilder wieder aus Jerusalem zurückzuziehen *3^).
Als der Legat von Syrien Vitellius gegen den Araberkönig Aretas
zu Felde zog, richtete er auf die dringenden Vorstellungen der
Juden seine Marschroute so ein, dass die Truppen mit den Kaiser-
bildern den Boden Judäa's nicht berührten ^^s^i
Soweit es sich um die staatlichen Einrichtungen und die An-
ordnungen der höchsten Behörden handelte, konnten sich also die
Juden über Mangel an Rücksichtnahme nicht beklagen. Anders
gestaltete sich freilich die Praxis. Der römische Durchschnitts-
beamte war immer wieder geneigt, über diese zarten Rücksichten
sich hinwegzusetzen. Und das Unglück wollte es, dass Judäa, be-
sonders in den letzten Decennien vor dem Kriege, mehr als einen
Statthalter erhielt, dem die Begrifl'e von Recht und Unrecht ab-
handen gekommen waren. Ueberdies waren auch bei der peinlich-
sten Schonung der jüdischen Anschauungen und Gefühle die Ver-
hältnisse an sich nach jüdischen Begriffen ein Hohn auf alles höhere
göttliche Recht des auserwählten Volkes, das — anstatt dem Cäsar
in Rom den Zins zu zahlen — vielmehr dazu berufen war, über
die Völkerwelt zu herrschen '^^).
Welch schwierige Aufgabe die Römer sich selbst mit der Ein-
verleibung von Judäa gestellt hatten, mussten sie gleich bei der
Auf letzteren steht nur der Name des Kaisers, auf denen des Claudius auch
der seiner Gemahlin Julia Agrippina.
134) Jos. Antt. XVIII, 3, 1. B. J. II, 9, 2—3. — In Betreff der militäri-
schen Feldzeichen sind, wie namentlich Domaszewski gezeigt hat (Doraa-
szewski, Die Fahnen im römischen Heere, Abhandlungen des archäol.-epigr.
Seminares der Universität Wien, 5. Heft 1885), zwei Kategorien zu unterschei-
den: 1) diejenigen, welche taktischen Zwecken dienten, und 2) diejenigen, welche
nur symbolische Bedeutung hatten. Erstere bildeten die Hauptmasse; zu letz-
teren gehören die Adler der Legionen und die signa mit den Kaiserbildem.
[Den Adlern glaubt indessen Mommsen auch eine gewisse taktische Bedeu-
tung zuschreiben zu sollen, s. Archäologisch-epigraphische Mittheilungen aus
Oesterreich-Uugarn Jahrg. X, 1886, S. 1 ff.]. Die Kaiserbilder hatten die Form
von Medaillons und waren an gewöhnlichen signis befestigt. Sowohl bei den
Legionen als bei den Auxiliar-Cohorten werden imaginiferi erwähnt (Verzeich-
niss bei Cauer, Ephemeris epi[ir. IV, p. 372—374). — Die früheren Procura-
toren hatten also nur die nicht mit Kaiserbildern versehenen signa (d. h. die
gewöhnlichen, zu taktischen Zwecken dienenden) mit nach Jerusalem genom-
men; Pilatus aber auch die Kaiserbilder.
135) Jos. Antt. XVIII, 5, 3.
13G) Dies war wenigstens die populäre Anschauung. An sich konnte man
486 § ^7. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). [406. 407]
ersten Verwaltimgsmaassregel, welche sie daselbst vornahmen, er-
fahren. Der Kaiser hatte gleichzeitig mit dem ersten Procurator
von Judäa Coponius auch einen neuen Legaten Quir in ius nach
Syrien gesandt. Des letzteren Aufgabe war es nun, in dem neu-
gewonnenen Gebiet einen Census der Bevölkerung vorzunehmen,
damit die Abgaben nach römischer Weise festgestellt werden konnten.
Aber kaum hatte Quirinius (im J. 6 oder 7 n. Chr.) mit der Aus-
führung dieser Maassregel begonnen, als ihm auch allenthalben
Widerstand entgegentrat. Nur den beschwichtigenden Vorstellungen
des Hohenpriesters Joazar, der wohl einsah, dass oifener Aufruhr
zu Nichts führen würde, war es zu danken, dass der anfängliche
Widerstand allmählich aufgegeben wurde und man mit stummer
Resignation sich in das Unvermeidliche fügte, so dass der Census
schliesslich doch vorgenommen werden konnte '3^). Aber es war
kein dauernder Friede, sondern nur Waftenstillstand auf unbe-
stimmte Dauer. Judas aus Gamala in Gaulanitis, genannt der
Galiläer ] (sicherlich identisch mit jenem Judas, Sohn des
Ezechias, den wir oben S. 420 f bereits kennen lernten), machte es
sich in Gemeinschaft mit einem Pharisäer Namens Sadduk zur
Aufgabe, das Volk zum Widerstand zu reizen und im Namen der
Religion Abfall und Aufruhr zu predigen. Sie hatten zwar un-
mittelbar keinen durchschlagenden Erfolg. Aber sie erreichten
doch so viel, dass sich von nun an von den Pharisäern eine
strengere, fanatische Partei abzweigte, die der patriotisch Ent-
schiedeneu oder, wie sie sich selbst nannten, der Eiferer oder
Zeloten, welche nicht in stiller Ergebung abwarten wollten, bis
durch Gottes Fügung die messianische Hoifnung Israels sich er-
fülle, die vielmehr zu deren Verwirklichung das Schwert ergreifen
und den Kampf mit dem gottlosen Feind aufnehmen wollten '^^).
freilich von denselben religiösen Prämissen aus auch zu dem entgegengesetzten
Resultate kommen: nümlich dass auch das heidnische Regiment von Gott ge-
sandt sei und das« man sich ilim fügen müsse, so lange es Gott gefalle. Aber
diese Betrachtung ist in den Jahren 6—06 n. Chr. je länger desto mehr zum
(ilaubon einer Minderheit geworden. Vgl. überhaupt über die Stellung des
FhariMäiHmus zur Politik: Bd. II, S. 805 f.
137) Nach Anit. XVIII, 2, 1 im 37. Jahre der aera Aetiaca — Herbst 769/700
a. U. oder 0/7 nach Chr. Die actische Aera beginnt d. 2. Sept. 723 o. V. «
31 V, Chr. Vgl. über ihren Gebranch in Syrien oben 8. 322. — Die Zeit-
angabe des JosepliUH wird dadurch l)estätigt, daHH nach DIo Cass. LV, 27
Arc'hulftUH im J. 0 n. Chr. abgesetzt wonh^n war (s. oben 8. 453).
138) ZtjXmval, vgl. /w/o. 6, 16. Act. 1, 13. Bell. Jud. IV, 3, 9. 5, 1. 6, 3.
VII, 8, 1. — Für bibiisch-bebr&isch «yp findet sich im späteren Hebräisch auch
•«IP und l^pp (•. Buxiarf, Lex. ChcM., Levy, Chahl. Würtcrb., Dcrs., Ncuh(!br.
Wört«rb.). Von letzterer Form Ut durch Vormittelung des Pltaal. i<*3K3p das
[407,408] §17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (G— 41 n. Chr.). 487
Ihren Umtrieben ist es zuzuschreiben, dass das Feuer des Auf-
ruhrs von jetzt an ununterbrochen unter der Asche fortgliiunite,
bis es endlich 60 Jahre später zur mächtigen Flamme empor-
loderte'39).
Von Coponius und seinen Nachfolgern ist uns zum Theil
nicht mehr als der Name bekannt. Im Ganzen waren es sieben
Procuratoren, welche vom J. 6 — 41 n. Chr. Judäa verwalteten:
l) Coponius etwa 6 — 9 nach Chr., 2) Marcus Ambibulus {codd.
Ufißißovxogy^^) etwa 9—12 n. Chr., 3) Annius Rufus etwa 12—15
n. Chr., 4) Valerius Gratus 15—26 n, Chr., 5) Pontius Pilatus
26—36 n.Chr., 6) Marcellus 36-37 n.Chr., 7) MaruUus 37— 41
n. Chr.^^'). Die lange Amtszeit des Valerius Gratus und Pontius
griechische KavavaZoq gebildet, wie Mt. 10, 4, Mc. .3, 18 zu lesen ist statt rec.
KavavlzTjQ. — In der Mischna Sanhedrin IX, 0 und Aboth der abbi Nathan c. G:
*pX3p oder B'^SSj?. Doch sind an ersterer Stelle nicht politische, sondern reli-
giöse Eiferer gemeint. — Vgl. überhaupt: Oppenheim, Die Kannaim oder
Zeloten (Fürst's Literaturblatt des Orients 1S49, co/. 289— 202. Press el Art.
„Zeloten" in Herzog's Real-Enc. 1. Aufl. XVIII, 485 — 489. Derenbourr/,
Histoire de la Palest ine p. 238. Holtzmann in Schenkel's Bibellex. V, 707
bis 709. Reuss, Gesch. der heil. Schriften A. T.'s § 560. Hamburger,
Real-Enc. für Bibel und Talmud II. Abth. S. 12SG-1296. Sieffert in Her-
zog's Real-Enc. 2. Aufl. XVII, 488—491. Wolf, Curae phil., Kuinoel,
Fritzsche, Meyer, Bleek und andere Ausleger zu Mt. 10, 4.
139) Vgl. überhaupt: Äntt. XVIII, 1, 1 und G. B. J. II, 8, 1. Apgesch.
5, 37. Art. „Judas" in den biblischen Wörterbüchern. Chr. Alfr. Körner,
Judas von Gamala (Jahresbericht der Lausitzer Prediger-Gesellschaft zu Leip-
zig 1883/84, S. 5—12). — Auch die Nachkommen des Judas thaten sich als Ze-
loten hervor. Seine Söhne Jakobus und Simon wurden durch Tiberius
Alexander hingerichtet {Antt. XX, 5, 2); sein Sohn Menachem (Manaim) war
einer der Hauptführer beim Beginn des Aufstandes im J. 66 (B. J. II, 17,
8—9). Ein Nachkomme des Judas und Verwandter des Menachem Namens
Eleasar leitete die Vertheidigung von Masada im J. 73 (B. J. II, 17, 9. VII,
8, Iff.). — Ein literarisches Denkmal der zelotischen Anschauungen und
Hoflnungen ist die um jene Zeit entstandene Assumptio Mosis (s. Bd. III,
213—222).
140) Das von den Handschriften überlieferte Afxßißovxoq ist sicher verderbt.
Casaubonus hat Ambivius vermuthet, was fast alle Herausgeber, auch noch
Naber, aufgenommen haben. Näher liegt Niese's Vermuthung Ambibulus.
Ueber das Vorkommen dieses Namens s. Pauly-Wissowa's Real-Enc. s. v. (ein
C. Egrjkis Ambibulus war Consul im J. 126 nach Chr., ein Varius Ambibuhis
wird als Consul erwähnt Corp. Inser. Lat. X n. 3864).
141) Vgl. Antt. XVIII, 2, 2. 4, 2. 6, 10 fin. — Die Amtszeit der drei ersten
lässt sich nur ungefähr bestimmen. Die der beiden folgenden ergiebt sich
daraus, dass Valerius Gratus 11 Jahre (XVIII, 2, 2), Pontius Pilatus
10 Jahre (XVIII, 4, 2) im Amte war. Pilatus aber wurde abgesetzt, ehe Vi-
tellius zum erstenmale in Jerusalem war, d. h. kurz vor Ostern 36 (wie sich
aus der Vergleichung von Antt. XVIII, 4, 3 mit 5, 3 ergiebt). Die Amtszeit
488 §17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (G — 41 n. Chr.). [408.409]
Pilatus entspricht den allgemeinen Grundsätzen, nach welchen
Tiberius überhaupt bei Ernennung von Statthaltern verfuhr. Er
liess sie im Interesse der Provinzen möglichst lange auf ihren
Posten, weil er meinte, dass die Statthalter es machen, wie die
Fliegen am Körper eines Vei'wundeten : wenn sie sich einmal voll-
gesogen haben, sind sie dann massiger in ihren Erpressungen,
während die Neuen damit immer wieder von vorne anfangen ^^^).
Unter den Genannten ist besonders Pontius Pilatus für uns
von Interesse, nicht nur als Richter Jesu Christi, sondern auch
weil er der Einzige ist, über welchen wir durch Josephus und
Philo einiges Nähere erfahren ^^3). Philo (oder vielmehr Aprippa I
in dem Briefe, welchen Philo als von ihm geschrieben mittheilt)
nennt ihn | „von Charakter unbeugsam und rücksichtslos -hart"
(tt]V (pvGLV axaf/JcT]g xai fura rov av&aöovg ccf/elXiXTog) und stellt
ihm ein sehr übles Zeugniss über seine Amtsführung aus. „Be-
stechlichkeit, Gewaltthaten, Eäubereien, Misshandlungen, Kränk-
ungen, fortwährende Hinrichtungen ohne Urtheilsspruch, endlose und
der beiden letzten endlich ergiebt sich daraus, dass Marullus unmittelbar
nach dem Regierungsantritte Caligula's (März 37) eingesetzt wurde {Antt.
XVIII, 6, 10/?«.). — Eusebius behauptet {Hist. eccl. I, 9), dass Josephus den
Amtsantritt des Pilatus in das 12. Jahr des Tiberius (25/26 n. Chr.) setze, was
nur insofern richtig ist, als dieser Ansatz sich aus Josephus erschliessen lässt.
In der Chronik setzt Eusebius den Amtsantritt des Pilatus in das 13. Jahr
des Tiberius. Vgl. dazu meine Bemerkungen Zeitschr. für wissensch. Theol.
1898, 8. 31 f. (überh. über die Benützung des Josephus durch Eusebius ebendas.
S. 21-42).
142) Jos. Antt. XVIII, 6, 5. — Die Fürsorge für die Provinzen bezeugt
auch Buetonius {Tiber. 32: praesidibus onerandas iributo provincias suadentibus
rescripsit : boni pastoris esse tondere pccns, non def/lubcre) ; die langen Verwal-
tungen auch Tacitus {AnTtat. I, 80. IV, G). Zur Würdigung des Tiberius vgl.
auch Keim's Artikel in Schenkel's BibcUexikon V, 528—535.
143) Vgl. über ihn ausser der oben (S. 450) genannten Literatur: Moti-
vier, De Poniii Pllati in causa servatoris agendi ratioiie, Ltigd. Bat. 1825. —
Leyrer, Art. „Pilatus" in Herzog's Beal-Enc. — Klöpper in Schcnkors
Bibellcx. IV, 581—585. — Renan, Leben Jesu 8. 338 f. — Warneck, Pon-
tius PilatUK der Richter Jesu Christi. Ein Gemälde aus der Leidcnsgoscliichte.
(210 S. gr. 8.) Gotha, Perthes, 1867. — Woltjcr, Pimtim Pilatus, ecnc stndie,
Amsterdam 1888. — Arnold. Die neronische Christcnverfolgung 1888, H. llö
bin 120 (Ober die Erwähnung de« Pilatus bei Tacit. Annal, XV, 44). — Gustav
Adolf Müller, Pontius Pilatus der fünfte Procurator von Judiiii und Richter
Jewi von Nazari'tli, Htuttg, 1888 (gicbt 8. V— VIII ein Vcrzcit liniss der Spc-
7.iHilit4THtur ül)er Pilatus, vom Beginn der BuchdruckcrkiiuHl l)iH zur Gegen-
wart, mehr aln hundert Nummern!). — Hcluial», J'oiitiuH IMlatus, ein Zeit-
bild, 18iJ2, (118 8.). — Purves, Art. J'ilate in Ihstings' Jh'ctionar;/ of (hr IHhlr
IM, Hirirt,
[409] § 17. c. Judäa unter römißchen Procuratoren (6—41 n. Chr.). 4g9
unerträgliche Grausamkeiten'' wirft er ihm vor^*^). Gleich die
erste Handlung, mit welcher sich Pilatus in sein Amt einführte,
war charakteristisch für ihn, den Verächter jüdischer Sitten und
Privilegien. Es war von den früheren Procuratoren stets beob-
achtet worden, die Truppen ohne die Feldzeichen mit den Kaiser-
bildern in Jerusalem einziehen zu lassen, um nicht durch die-
selben die religiösen Gefühle der Juden zu verletzen (vgl. hierüber
oben S. 484f.). Pilatus dagegen, dem solche Schonung als unwürdige
Schwäche erscheinen mochte , liess die Besatzung von Jerusalem
bei Nacht mit den Kaiserbildern in die Stadt einziehen. Als das
Volk die Sache gewahr wurde, zog es in hellen Haufen nach
Cäsarea und bestürmte den Procurator fünf Tage und Nächte lang,
den Gräuel zu beseitigen. Endlich am sechsten Tage beschied
Pilatus das Volk in die Rennbahn, in welche er gleichzeitig eine
Abtheilung Soldaten beorderte. Als nun die Juden auch hier
wieder ihre Klagen fortsetzten, gab er ein Zeichen, auf welches
hin die Soldaten von allen Seiten die Menge mit gezücktem Schwerte
umringten. Aber die Juden blieben standhaft, entblössten ihren
Nacken und erklärten, lieber sterben zu wollen, als die Gesetzes-
verletzung zuzugeben. Da mochte dem Pilatus weiterer Wider-
stand doch bedenklich erscheinen, und er gab Befehl, die anstössigen
Bilder aus Jerusalem zu entfernen ^^^).
Einen neuen Sturm erregte es, als er einst zu dem jedenfalls
sehr nützlichen Bau einer Wasserleitung nach Jerusalem die
reichen Schätze des Tempels verwendete. Ein solcher Eingriff in
den heiligen Schatz war nicht minder anstössig, als die Aufstellung
der Kaiserbilder. Als er daher während des Baues einst nach
Jerusalem kam, wurde er wieder von einer klagenden und schreien-
144) Philo, De legatione ad Cajum § 38 ed. Mang. II, 590: raq öwgoSoxlaq,
taq vßgetg, tag aQnayaq, zug ulxiag, tag inTjQfiag, rovg dxQixovg xal inaXXr^-
/.oig (fövovg, xljV dvi]vvxov xal dQya?.t(uTdtTjv cjfxotrjxa.
145) Äntt. XVIII, 3, 1. B. J. II, 9, 2—3 = Euseb. Hist. eccl. II, 6, 4. —
Nach Euseb. Demonstr. evanff.YllJ p. A03 ist diese Geschichte auch von Philo
berichtet worden in den uns nicht erhaltenen Partieen seines Werkes über die
Judenverfolgungen unter Tiberius und Caligula [avxu örj xavxa xal 6 4>lXwv
ovfxuoQXVQH, rüg arjfiaiag (päaxwv ras ßaaihxdg xov HiXüxov vvxxwq av xoj
\tQM uraütlvai). Vgl. hierzu Bd. III, S. 528. Dass die Aufstellung der Kaiser-
bilder iv xif Uqw geschehen sei, ist dem philonischen Bericht eigenthümlich
(Josephus spricht nur von Jerusalem). — Nur auf ungenauer Eeminiscenz be-
ruht es sicher, wenn Origenes von Pilatus sagt, er habe, wie später auch
Caligula, das Volk zwingen wollen dvÖQiävxa Kaloagog dvai>tlvtti iv xw
vaiü {ccmm. in Matth. ic7n. XVII, f. 25, zu Matth. 22, 15 fl'.). So auch Hiero-
nymus zu Matth. 24, 15 [Vallarsi VII, 194): puiest atdtm simph'cii^r aut de
Äntickrisio accipi aut de imagine Caesan's quam Pilahis posuit in iemplo.
490 § 1^' ^' Judäa unter römischen Procuratoren (G —41 n. Clir.). [409. 410]
den Menge umringt. Er hatte aber von dem beabsichtigten Sturm
schon vorher Kunde erhalten und seinen Soldaten Befehl gegeben,]
in bürgerlicher Tracht mit Knütteln bewaffnet sich unter das
"^'olk zu mischen. Als nun die Menge von Klagen und Bitten zu
Schimpfreden überging, gab er das verabredete Zeichen, worauf
die Soldaten die unter dem Oberkleid verborgenen Knüttel hervor-
zogen und unbarmherzig auf die Menge einhieben. Viele kamen
dabei um's Leben. Der Widerstand gegen das nützliche Unter-
nehmen war zwar hiermit gebrochen; aber auch der Hass gegen
Pilatus auf's Neue gesteigert ^^^). \
146) Aiitt. XVIII, 3, 2. B. J. II, 9, 4 = Euseb. Eist ecel. II, 6, 6—7. —
Die Länge der Wasserleitung giebt Josephus Äntt. XVIII, 3, 2 auf zwei-
hundert Stadien an, B. J. II, 9, 4 auf vier hundert; so hat wenigstens unser
Josephus-Text, die lat. Uebers. und Eusebius {H. E. 11, 6, 6) haben dagegen
bei Wiedergabe der letzteren Stelle dreihundert Stadien. Nach diesen
Maassangaben kann wohl kein Zweifel sein, dass es sich um eine Wasser-
leitung von den sogenannten Salomonsteichen südwestlich von
Bethlehem her handelt. Von dort nach Jerusalem sind im Alterthum zwei
Wasserleitungen erbaut worden, von welchen die eine noch in Trümmern nach-
weisbar, die andere im Wesentlichen vollständig erlialten ist. 1) Die erstere
ist kürzer und läuft in höherem Niveau; sie beginnt südlich von den Salomons-
teichen im Wadi Bijar, geht dann durch die Teiche, und von diesen ohne
stärkere Krümmungen nach Jerusalem. Die Zeit ihrer Erbauung oder Er-
neuerung lässt sich jetzt mit ziemlicher Sicherheit bestimmen, da Germer-
Durand auf einem von ihr herrührenden Steine die Inschrift cos. J. Clement.
entdeckt hat {Clermont- Oauneau, Comptes rendiis de l'Acad. (Us Iiiscr. d
Beiles -Lettres 1900, p. 683—687 = Recueil d' arcMologie Orientale t. IV,
p. 200—210. lievue bibliqtie 1901, p. 106—109). Damit kann nur der Consul des
Jahres 195 nach Chr., Tineius Clemens, gemeint sein. Die Erbauung oder
Erneuerung lallt also erst in die Zeit des Septimius Severus, Ende des
zweiten Jahrh. nach Chr. 2) Die erhaltene ist länger und liegt tiefer; sie
beginnt noch viel weiter südlich im Wadi Arrub, geht dann ebenfalls durch
die Teiclie und von diesen in grossen Windungen nach Jerusalem. Letztere
Leitung hält Schick für die jüngere, denn man habe eben wegen der weiteren
Herleitung des Wassers die in höherem Niveau laufende nicht mehr benützen
können und daher eine neue daneben gebaut. liire Länge beträgt wegen der
Htarken Windungen nahe an 400 Stadien, ol)Wohl die directe Linie viel weniger
hIh die Hälfte l)etrngen würde. Als sie schadhaft geworden war, hat man
Mpäter (wohl im Mittelalter) Thonröhren in dieselbe gelegt. Wenn Schick's
A»ffa«Mung richtig ist, würden wir in keiner der beiden Leitungen das Werk
(Ion niatuM zu erblicken haben. Aber seine Argumentation ist nicht zwingend.
Die mit geringerer Ktuistfertigkeit angelegte längere Leitung kann auch die
ältere »ein. Möglich ist auch, dass die Arbeit vom J. 195 n. Chr. nur die
Erneuerung einer älteren war. Auf alle Fälle darf nach der Natur der Dingo
angenommen werden, daas e« sictli auch bei dem Werk des Pilatus um eine
I.«oitung von den Balomoniiteichon her gehandelt hat. — Im jerusalemisclicn
Talmud findet sich die Notiz, dass eine WaBserlei tung von Etam aus
nach dem Tempel führte (j'-r- •f<»nn III ful. 41, bei Liffhffoot, De.icriptio
[411] § 17. e. Judäa unter römischen Procuratoren (G— 41 n. Chr.). 491
Auch das Neue Testament enthält Andeutungen über Volks-
aufstände in der Zeit des Pilatus. .,Es kamen einst — so berichtet
Luc. 13, 1 — zu Jesus Leute, welche ihm Kunde brachten in Be-
treff der Galiläer, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern gemischt
hatte". Es ist daraus zu entnehmen, dass Pilatus eine Anzahl
Galiläer, während sie eben mit Darbringung von Opfern in Jeru-
salem beschäftigt waren, niedermachen Hess. Doch ist etwas Näheres
über diesen Vorgang nicht bekannt. Ebenso wenig wissen wir über
„die Aufrührer, die im Aufruhr einen Mord begangen hatten" [Marc.
15, 7; wg\. Luc. 23, 19), zu welchen u. a. auch jener Barabbas ge-
hörte, dessen Freilassung die Juden von Pilatus forderten.
Wahrscheinlich in die spätere Zeit des Pilatus fällt ein Ereig-
niss, über welches wir durch den Brief Agrippa's I an Caligula.
welchen Philo mittheilt, Nachricht erhalten. Pilatus hatte aus dem
Vorfall in Cäsarea zwar gelernt, dass die Aufstellung von Kaiser-
bildern in Jerusalem gegen die Hartnäckigkeit der Juden nicht
durchzusetzen sei. Er wollte es nun wenigstens mit bildlosen
Weiheschilden, auf welchen der Name des Kaisers geschrieben war,
versuchen. Solche Schilde, reich vergoldet, Hess er „weniger um
den Tiberius zu ehren, als um das Volk zu betrüben" in dem ehe-
maligen Palaste des Herodes, welchen er zu bewohnen pflegte, auf-
stellen. Aber das Volk ertrug auch dies nicht. Man wandte sich
zunächst im Verein mit dem Adel von Jerusalem und den vier
Sühnen des Herodes (welche wohl eines Festes wegen in der Stadt
anwesend waren) an Pilatus, um ihn zur Entfernung der Schilde
zubewegen. Als dies keinen Erfolg hatte, richteten die angesehensten
Männer, darunter gewiss auch jene vier Sühne des Herodes, ein
Bittgesuch an den Kaiser, damit dieser die f]ntfernung der an-
stössigen Schilde befehle. Tiberius, der wohl einsah, dass es sich
templi c. 23, opp. I, ül2). In der That lag Etam (03*^5) nach II Chron. 11, (j
zwischen Bethlehem imd Thekoa, ohne Zweifel bei der Quelle, die noch heute
Ain Atan heisst, in unmittelbarer Nähe der Salomonsteiche (vgl. Mühlau in
Kiehm's Handwörterb. Art. Etam, Schick, Zeitschr. des DPV. I, 152 f.). —
Die genaueste Beschreibung des heutigen Zustandes der beiden Wasser-
leitungen giebt Schick, Die Wasserversorgung der Stadt Jerusalem (Zeitschr.
des deutschen Palästina- Vereins I, 1878, S. 132—176, mit Karte und Plänen .
— Vgl. auch: Ritter, Erdkunde XVI, 272 ff. Tobler, Topographie von
Jerusalem II, 84—95 (viel historisches Material). Eine anonyme Abhandlung:
Water Supply of Jerusalem, ancient and modern (Journal of Sacred Literatare
aml Biblical Becord, New Series vol. V, 1864, p. 133—157). Zschokke, Die
versiegelte Quelle Salomos (Theol. Quartalschrift 1867, S. 420—442). The Be-
covery of Je?'usalem, 1871, p. 233—267. Ebers und Guthe, Palästina I,
110 — 126, 150—154. Lesetre, Art. Aquediie in: Vigouroux, Dictionnaire de la
Bible I, 797—809, Cook, Art. Conduiis and Beservoirs in: Cheyne and Black,
Eneyclopaedia Biblica, und die oben S. 15 genannte geographische Literatur.
492 § 17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6 — 41 n. Chr.). [411. 412]
nur um eine nmthwillige Herausforderung von Seite des Pilatus
handelte, befahl diesem alsbald unter Bezeugung seines äussersten
Missfallens, die Schilde aus Jerusalem wegbringen und im Augustus-
tempel zu Cäsarea aufstellen zu lassen. Dies geschah denn auch.
„Und so wurde beides gewahrt: die Ehre des Kaisers und die ur-
alte Sitte der Stadt'" ^'). \
Schliesslich bereitete Pilatus durch seine Rücksichtslosigkeit
sich selbst den Untergang. Es war ein alter samaritanischer Glaube,
dass auf dem Berge Garizim seit Mose's Zeiten die heiligen Tempel-
geräthe vergraben seien ^^*). Ein samaritanischer Pseudo-Prophet
erbot sich einst (im J. 35 n. Chr.), diese Geräthe zu zeigen, wenn
das Volk auf dem Garizim erscheinen wolle. Die leichtgläubige
Menge schenkte ihm Gehör; und in grossen Schaaren sammelten
sich die Samaritaner bewaffnet in dem Dorfe Tirathana am Fusse
des Garizim, um von hier aus den Berg hinauf zu wallfahrten und
das heilige Schauspiel zu sehen i^^). Aber ehe sie ihr Vorhaben
ausfiihi'en konnten, wurden sie von Pilatus im Dorfe mit starker
Macht angegriffen, ein Theil getödtet, ein Theil in die Flucht ge-
jagt, wieder ein anderer Theil gefangen genommen. Auch von
diesen liess Pilatus die Mächtigsten und Angesehensten hin-
richten ^^*>). Die Samaritaner waren sich aber bewusst, dass ihrer
Garizim- Wallfahrt keine aufrührerischen Absichten zu Grunde ge-
legen hatten und verklagten deshalb den Pilatus bei Vitellius,
dem damaligen Legaten von Syrien. Ihre Klage hatte wirklich
den Erfolg, dass Vitellius den Pilatus zur Verantwortung nach
Rom schickte, indem er die Verwaltung Judäa's dem Marcellus
übertrug •*•). |
147) Philo, Legat, ad Cajicm § 38, ed. Mangey II 589 s(?. — Dass das Er-
eigniss in die spätere Zeit des Pilatus fallt, ist wahrscheinlich wegen des ent-
schiedenen Einschreitens des Tibcrius. Denn nach Philo, Leg. ad Caj. § 24,
Mang. II, 500, hat Tiberius erst seit dem Tode des Sejanus (f 31 n. Chr.)
eine freundlichere Stellung zu den Juden eingenommen. Sejanus
war nach Philo ein Hauptfeind der Juden. Auf seinen Einfluss ist sowohl
die Austreibung der Juden aus Rom im J. 19, als das brüske Auftreten des
Pilatus in Judäa zurückzuführen.
148) Vgl. auch Petermann in Herzog's Rcal-Enc. 1. Aufl. XIII, 373.
Kautzüch, ebenda«. 2. Aufl. XHI, 340. 348.
149) Tirathana ist vielleicht das heutige Tire (Buhl, Geogr. S. 200, 203).
Vi)) Atitf. XVI 11, 4, 1.
151) Antt. XVIII, 4, 2. Pilatus Hcbh sich etwa ein Jiilir Zeil zu der Heise
von Judfia na(th Itoni, denn er traf in Rom erst ein, als Tibcrius gestorben
war (Antt. l. c). Heine weiteren Schicksale erwähnt Joseplius nicht. — Die
christliche Legende lässt den Pilatus entweder durch Si'lbstmord enden
oder vom Kaiwer zur Strafe für sein Verfahren gegen ChristUK hingerichtet
werdoD. 1) Für die ThatHache des Selbstmorde» beruft sich Eusebius in
[413] § 17. c, Judäa unter römischen Procuratoren (6 — 41 n. Chr.). 493
Bald darauf, zum Passafeste des Jahres 36 n. Chr. '^-), kam
Vitellius selbst nach Jerusalem und erwarb sich bei dieser Ge-
der Kirchengeschichte anf die griechischen Chronisten, welche „die Olympia-
den nebst den jeweiligen Ereignissen" aufgezeichnet haben [Hist. eccl. II, 7:
laxoQOvaiv ''EkXrivcDV oL täq ^Okv/iniäöag ufia toTg xaxa /qovov^ nengayfiivoiq
dvayQÜtpavteg). In der Chronik nennt er als Quelle „die römischen Historiker"
(Euseb. Chron. ed. Sc/ioene II, 150 s?.: a) nach dem Armenischen : Pontus Pila-
tus in varias calamitates impHeitus sihi ipsi manus inferebat. Narrant autem
qiii Romanorum res seriptis mandaverunt. b) nach Syncell. ed. DindorfX, 624:
növTiog tliXüroq enl Faiov KaiauQoq noixÜ.aiq nsQineawv avfitpoQalq, ojq
(faaiv Ol XU "^Pojfiakov avyyQaxpüfievoi, avxoipovetrcTjq kavtov iytvfxo. c) nach
Hieronyraus: Pontius Pilatus in miiltas incidens calamitates propria se manu
interficit. Scribunt Romanorum historici). Die wörtliche Uebereinstimmung
der Chronik mit der Kirchengeschichte (vgl. H. E. II, 7: Toaavxccig nsQineafTv
.... avfKfOQalq .... avxo<povevxriv) zeigt, dasa Eusebius beidemale dieselbe
Quelle benützt. Anf Eusebius fussen (direct oder indireet) Cedrenus ed. Bekker
I, 843 und Oros. VII, 5, 8. Weiter ausgeschmückt ist die Legende vom Selbst-
morde des Pilatus in der Apokrj'phen-Literatur, z. B. in der Mors Pilati bei
Tischendorf, Erangelia apocrypha 1876, p. 456—458 (die in seinem Leichnam
hausenden Dämonen verursachen überall Schrecken, weshalb der Leichnam
von Rom nach Vienna an der Rhone, von da nach Laus^anne transportirt wird,
bis ihn endlich die Leute von Lausanne a se remorerunt et in quodam puteo
montibus cireumsepto immerserunt , ubi adhuc .... diabolicae machinationes
ebullire dieuntur). — 2) Nach einer anderen Gestalt der christlichen Legende
ist Pilatus von Nero hingerichtet worden. So Malalas ed. Dindorf p. 2r)0
bis 257. Johannes Antiochenus bei MiUler, Fragmenta histarieorum Graecorum
IV, 574 (auch bei Faltrie. Cod. apocr. N. T. III, b04 sq.). Suidas Lex. s. r.
Nsg(i}v. Chronieon paschale ed. Dindorf I, 459. Nach der apokryphischen
llagdSoaig UiXdxov war es Tiber ins, der den Pilatus hinrichten Hess. s. den
Text bei Thilo, Codex apocr. N. T. p. 813—816, Tisckendorf Evang. apocr. p.
449 — 455 (Pilatus stirbt hier als reumüthiger Christ). Eine syrische und zwei
arabische Recensionen der üagüdooiq sind von Marf/aret Dunlop Oibson
]i erausgegeben worden (Sttcdia sinaitica No. V, London 1896, s. Theol. Litztg.
1896, 370). — Vgl. Oberhaupt zur Pilatus-Sage die oben S. 488 genannte Litera-
tur und Keim, Gesch. Jesu III, 450; über die verschiedenen Pilatus-Apo-
krypha: R. Hofmann, Art. „Apokryphen" in Herzog-Hauck, Real-Enc. 3. Aufl.
I, 658—660. LipsiuB, Die Pilatus-Acten, 2. Ausg. 1886. Harnack, Gesch.
der altchristl. Literatur I, 21—24, 907—909, II, 1, 603—612. James, Apo-
crypha anecdota II (= Texts and studies ed. by Robinson V, 1) 1897,^3. XLVs??.
65—81. V. D ob schütz, Christusbilder 1899 (Texte und Unters, von Gebhardt
und Harnack N. F. Bd. III) S. 205 ff. Ehrhard, Die altchristliche Litteratur
und ihre Erforschung von 1884-1900, 1. Abth. S. 144—146. — Für die That-
sache, dass Pilatus in der That eines gewaltsamen Todes gestorben
ist, spricht nicht nur die Quellen-Angabe bei Eusebius [oi zu '^Pm/xaltov avyypa-
rpdfxevoi), sondern auch der Umstand, dass Philo in seiner Schrift über die
Verfolger der Juden ihn besonders behandelt hat; denn Philo behandelt
hier diejenigen Verfolger der Juden, welche durch einen gewaltsamen Tod von
Gott gestraft worden sind (s. Bd. III, 527 f.).
152) Dass es zur Zeit eines Passafestes war, sagt Joseph. Antt. XVIII, 4, 3.
494 § 17. c. Judäa unter römischen Procuratorei; (6—41 ii. Chr.). [413]
legenlieit die Zuueiguiig der Bewolmer der Hauptstadt, indem er
die Abgaben für die in der Stadt verkauften Früchte erliess und
das hoLepriesterliclie Gewand, das seit dem Jahre 6 in römischem
Gewahrsam lag, zu freiem Gebrauche herausgab ^^^j.
Nachdem er inzwischen durch die parthischen Angelegenheiten
in Anspruch genommen war (s. oben S. 446), führte ihn im Früh-
jahr 37 der von Tiberius befohlene Feldzug gegen Aretas aber-
mals nach Jerusalem (vgl. S. 445 f.). Auch diesmal bewies er wieder
seine verständige Gesinnung gegenüber den jüdischen Eigenthüm-
lichkeiten. Der Weg von Antiochia gegen Petra hätte ihn nämlich
sammt seinem Heere eigentlich durch Judäa geführt. Aber die
römischen Feldzeichen waren den Juden bekanntermasseu ein
Gräuel. Und so schickten sie dem Yitellius bis Ptolenmis eine
Gesandtschaft entgegen, welche ihn flehentlich bat, er möge doch
das Heer nicht mitten durch das heilige Land führen. Vitellius
war so vernünftig, ihre Gründe einzusehen; liess das Heer durch
die grosse Ebene marschiren und kam allein nach Jerusalem. Am
vierten Tage seines dortigen Aufenthaltes erhielt er die Nachricht
vom Tode des Tiberius, worauf er sammt seinem Heere nach Anti-
ochia zurückkehrte'^^). |
Dass es dasjenige des Jahres 36 war, ergiebt sich theils daraus, dass Vi-
tellius erst im Sommer oder Herbst 35 nach Syrien kam {Tac. Annal. VI, 32),
theils daraus, dass bei der zweiten Anwesenheit des Vitellius in Jerusalem
gerade die Nachricht vom Tode des Tiberius (t 10. März 37) eintraf (Jos. Antt.
XVIII, 5, 3). Zwischen der ersten und zweiten Anwesenheit des Vitellius in
Jerusalem muss aber jedenfalls einige Zeit in der Mitte gelegen haben. Vgl.
bes. Kei m, Gesch. Jesu III, 485—487; Sevin, Chronologie des Lebens Jesu
(2. Aufl. 1874) S. 75-80; auch Letcin, Fasti sacri p. LXVII u. 247 n. 1493.
Bohden, De Palaestina et Aralia provinciis Bomanis 1885, p. 33 5*7.
153j Amt. XVIII, 4, 3. XV, 11, 4.
154) Antt. XVIII, 5, 3. — Die Bezeichnung „die grosse Ebene" schlecht-
hiu wurde für zwei Ebenen Palästina's gebraucht, wie in erschöpfender Weise
Bcliou lieland, Palaestina p. 359—370 gezeigt hat. 1) Am häufigsten ist diese
Bezeichnung für die Ebene, welche bei Ptolcmais beginnt und von da am
Nord- Abhänge des Karmel entlang in der Richtung nach Süd-Ost sich hinzieht.
An ihrem südÜHtlichcn Ende liegt das sclilachtcnbcrühnite Jesreel (Jisrcil,
ixrnT*;, auch Esdrelom), nach welchem die Ebene auch beiuinnt wurde. Vgl.
Judith 1, 5, ibid. ], S: zo fAi'ya ntdiov 'EadiiTjXwfx. I Ma/dc. 12, 49. Joseph.
Bell. Jud. II, 10, 2: Ptolcmais xaxu xo fifya nsöiov ixziofitvr]. Antt. V, 1, 22.
VIII, 2, 3. XV, 8, ö. XX, ü, 1. Jkll. Jud. III, 3, 1. 4, 1. Vita 24. 20. 02.
WIner, RcalwJirterb. I, 680f. (Artikel „Jisreel"). Robinson, ralästina III,
470fr. Ritter, Erdkunde XVI, OfcOH'. 0. A. Smith, Ilistorical (Icogniphii
of the Holy Land p. 377—410. Gutlic, Art. „JoHrccl" in Herzog-Hauck, Ucal-
Enc. 3. Aufl. Vllf, 731—733. Lcgcndre, Art. Esdnlon in: Vixjouroux, Die-
lionnaire dv h liihh II, 1045—1949. — 2) DicHclbc Ik'zeichnung wurde über auch
für da* Jordan-Thal zwiKchen dem See Genczarcth und <lt'iu todtcn Meere
[414. 415] § 17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (G— 41 n. Chr.). 495
Die Regierung Caligula's (37—41 n. Chr.) wurde, nach dem
Regimente des Menschenfeindes Tiberius, im ganzen Reiche und so
auch von den Juden zunädist freudig begrüsst. Da Yitellius gerade
in Jerusalem weilte, als die Nachricht vom Regierungswechsel ein-
traf, so waren die Juden unter den Völkerschaften Syriens die
ersten, welche dem neuen Kaiser den Eid leisteten und Opfer für
ihn darbrachten '5'^). Auch die ersten anderthalb Jahre seiner
Regierung verliefen noch ruhig für die Juden 1^*^). Im Herbste
des Jahres 38 n. Chr. brach aber in Alexandria eine blutige
Juden jverfolgung aus, die zwar vom alexandrinischen Pöbel in
Scene gesetzt wurde, deren indirecter Urheber jedoch der Kaiser
war'^'). In seiner Selbstüberhebung und geistigen ümnachturg
gebraucht, Jos. B. J. IV, 8, 2: xo niya niöiov xaXtixai, dno xtufiTjq Ftwußiiv
öifjxov fitXQi T^i ^Äa<pa).xlxi6oq ?.i(xvi]q (Ginnabrin ist ohne Zweifel derselbe Ort,
welcher B. J. III, Ü, 7 Eunabris oder Seunabris heisst, in der Nähe von Ti-
berias, s. Tuch, (Juaestio de Fl. Josephi loco B. J. IV; 8, 2, Lijjs. iSöO, und
Gust. Boettger, Topogr.-hist. Lexicou zu den Schriften des Fl. Josephus
1879, S. 136, 228). Antt. IV, (j, 1: ini xtp'lopödtu) xaxu xo yiLyu nidiov'^hQi-
Xovvxog dvxixQV. Das Jordan-Thal ist auch gemeint I Makh. 5, 52 (= Jos.
Antt. XII, 8, 5): (Iq xo ntÖlov xo filya xaxä ngcawnov Baibaüv (wo Keil,
gegen Grimm, die richtige Erklärung giebt; die Ebene Jesreel wurde nicht
bis Beth-sean = Skythopolis gerechnet, vielmehr lag nach Jos. B. J. IV, 1, 8
der Berg Tabor „zwischen Skythopolis und der grossen Ebene"). — Eine dritte
Ebene, nämlich die von Asochis, nördlich von Sepphoris (vgl. oben 8. 277),
scheint Vita 41 fin. auch als ,.grosse Ebene" für sich bezeichnet zu sein. Aber
diese hing mit der Ebene Jesreel zusammen und ist wohl zu ihr gerechnet
worden; denn nur unter dieser Voraussetzung ist die eben genannte Stelle
B. J. IV, 1, 8 verständlich. — In unserem Falle ist die bei Ptolemais begin-
nende Ebene gemeint. Vitellius Hess das Heer durch dieselbe in südöst-
licher Richtung marschirtn, dann vermuthlich über den Jordan, und jenseits
desselben weiter nach Süden.
155) Philo Legat, ad Caji.m § 32 {oj)p. cd. Mangey II, 580): ruiu} na^a-
Xaßövxi XJ,v riyefiovlav riixjüxoi tü5v xaxu ^v^iav dnüvxwv rifitlq avvjjaS-rjfifv,
OinekXiov xoxe . . . iv x^ n6).ft aiaxQlßovxoq, w xa ne^l xoixwv ixofxiaOr]
yQUf/fiuxa .... ÜQwxov xo rintxfQOv Uqov i6t§axo xag ineQ X7,q uqx^I? raiov
i^votag. Vgl. über die Opfer auch § 45 M. II, 598. Ueber den Eid: Jos.
Antt. XVIII, 5, 3; dazu oben S. 399 f.
15Ü) Jos. Antt. XVIII, 7, 2 fin.: rüiog dh xov fitv nQüixov inavxov xal
xvv 6^?7s Tidvv fxeyaXo^Qovwq <^;j(>^to xoJq TiQÖyf/ccat xal /uixQiov nagr/wv av-
xov fiq evvoiav noXXriv ngov^wg^i naQu x( "^Pwfxaioiq avxolq xal xoTq vtitj-
xöoiq.
157) Vgl. über die Judenverfolgungen unter Caligula: Tillemont, Histoire
des empereurs t. I [Venise 1732) p. AM — 462, €29 — 632. — Lew in, Fasti sacri
{London 1865), ad ann. 38 — 41. — Delaunay, Pfiilon d' Alcxandrie, ecrits histo-
riques, inflnence, lüttes et persectäions des Juifs dans le monde romain, 2. ed.
Paris 1870. — Huidekoper, Judaism at Borne, Netc York 1876, p. 199—222. —
Hausrath, Neutestamentliche Zeitgeschichte Bd. II, 2. Aufl. S. 225—251. —
Grätz, Präcisirung der Zeit für die, die Judäer betreflenden Vorgänge unter
496 § 1^' ^' Jidäa unter römischen Procuratoren (6 — 41 n. Chr.). [415. 416]
machte er mit dem Gedanken der göttlichen Würde des Cäsars
furchtbaren Ernst, Für ihn war der Kaisercultus nicht eine
Foim der Huldigung, welche die Kaiser als ein Erbtheil der
griechischen Könige überkommen hatten; sondern er glaubte wirk-
lich an seine Gottheit und sah in der Weigerung des Cultus einen
Beweis der Feindschaft gegen seine Person '^^). Während des
zweiten Jahres seiner Regierung scheint dieser Glaube bereits feste
Gestalt in ihm gewonnen zu haben und in den Provinzen bekannt
geworden zu sein. Die Provinzialen entfalteten einen dem ent-
sprechenden Eifer. Die Juden, welche nicht zu folgen vermochten,
kamen in den Ruf der Feindschaft gegen den Cäsar. Für die
judenfeindliche Bevölkerung Alexandria s war dies ein willkommenes
Motiv, ihrem Judenhass freien Lauf zu lassen; denn man durfte
voraussetzen, durch Verfolgung der Juden den Beifall des Kaisers
zu ernten. Der damalige Statthalter Aegypten's A. Avillius
Fl accus war schwach genug, um seines eigenen Interesses willen
auf die Pläne der Judenfeinde einzugehen. Er war schon unter
Tiberius fünf Jahre lang (32—37 n. Chr.) Statthalter von Aegypten
gewesen und hatte in dieser Zeit nach dem Zeugnisse Philo's sein
Amt tadellos verwaltet ' ^^). Unter ] Caligula verlor er mehr und
dem Kaiser Caligula (Monatsachr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. 1877,
S. 97 ff. 145 ff.., abgedruckt in: Gesch. der Juden Bd. III, 4. Aufl. S. 759—769).
— Mommsen, Römische Geschichte V, 515—519. — Noch einige Literatur
8. ßd III, S. 530.
1.58) Philo, Legat, ad Cajum § 11—15 [ed. Manq. II, 556—561). Joseph. Antt.
XVIII, 7, 2 ßn. Si 1. XIX, 1, 1 ff. Dio Cass. LIX, 26. 28. Sueton. Calig. 22. —
Hausrath, Zeitgesith. II, 225 ff. — Ueber den Kaisercultus überhiiupt s. die
in Bd. II, S. 27 genannte Literatur (zusammenfassend: Drexler, Art. „Kaiser-
kultus" in Roscher'a Lex. der griech. und röm. Mythologie II, 901—919, und
Korneman n, Zur Geschichte der antiken Herrscherkulte, in: Beiträge zur alten
Geschichte, herausg. von C. F. Lehmann I, 1, 1901, S. 51—146).
159) Philo, in Flaecum § 3 iriit. ed. Mangel/ II, 518: ^E^aftlnr yciQ tijv
inixQUTfiav ).ttßuiv nhte fihv tzt] tu nQüixa, t.ö}VTO^ TißfQlov KulaaQog, f^v
Tf ilQTivrjv öietpvXa^e xal o'vttuq (vtövioQ xal ^QQwfAbvwq. ntptjy^aaTO , a»c rovc
TtQÖ aviov nuvxaq vitfgßaXfTv. Vgl. § 1—2, jXInngrg II, 517—518. — Der Name
des FlaccuH lauUjt bei Philo in Flacc. § 1 'i'kuxxoq !4ovi?.Xtog. Ebenso bei
Euseb. Chron. etl. Schoene II, 150«7. (ni^ch Ilicronynms: Flaccus Aviliiis, nach
Syncelliis ed. IHndorf I, 620: <Pkuxxo<: IXßthoq, (^orrnmpirt I, 615: *I*XHXXoq
^Aai)Mioq). Den vollen Namen giebt eine InHchrift zu Tentyra in Aegypten aus
der Zeit den Tiberius {Letmnne, Rccueil des inscriplions gr. et lat. de l' Kgyptc
I, Hl nqq. — 0)rp. Inner. (Iraee. v. 4716 • - Lepsius, Denkmäler aus Aegypten
und Aethiopien Bd. XII, Blatt 76, Inner, (h: n. 27): inl AvXov linviXklov 'l>lüx-
xov ^yfudyoq. Dio Lesung ist zwar an vcMscliiedenen Stellen unsicher. Der
Vorname Allov ist aber nach dem FacHimilc bei Lepsius gesicliert (so auch
•chon Letronne, während dn» Cot-p. Imer. Av[xlov] liest). Bestätigt wird dies
durch da« ol)en B. 70 orwähnte Papyrusfragmcnt, welches ein Bniclistnek
[4lGj § 17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). 497
mehr jeden Halt. Als naher Freund des Tiberius stand er von
vornherein bei Caligula in Ungnade. Mit dem Tode des jungen
Tiberius (des Enkels des Kaisers Tiberius) und des Prätorianer-
Präfecten Macro, welche beide von Caligula zum Selbstmorde ge-
zwungen wurden, veilor er vollends jede Stütze bei Hof. Seitdem
gab es für ihn kein anderes Ziel mehr als dies: durch jedes Mittel
sich die Gunst des jungen Kaisers zu sichern. Dadurch wai' auch
sein Verhalten gegenüber den Juden bedingt ^"^'O.
Den äusseren Anlass zum Ausbruch der Judenverfolgung gab
die Anwesenheit des jüdischen Königs Agrippa in Alexandria. Er
kam auf der Heimreise von Rom nach Palästina im August des
Jahres 38 nach Alexandria. Obwohl er nach Philo's Versicherung
jedes herausfordernde Auftreten vermied, war doch der blosse
Anblick eines jüdischen Königs für den Pöbel Alexandria's ein
Aergerniss. Agrippa wurde im Gymnasium zuerst mit Spottredeu
verhöhnt, dann auch durch Aufführung einer Pantomime lächerlich
gemacht: ein Geisteskranker Namens Karabas wurde mit nachge-
ahmten königlichen Insignien bekleidet und spottweise als König
begrüsst, indem man ihn auf syrisch MaQiv, Herr, anredete^**').
Der einmal in Erregung gebrachte Pöbel war aber damit nicht zu-
frieden: man verlangte jetzt, dass in den jüdischen Synagogen (Philo
nennt sie stets jiQootvxai) Statuen (nämlich des Kaisers) aufgestellt
würden. Flaccus wagte nicht zu widersprechen; er ging vielmehr
auf alle Forderungen der Judenfeinde ein. Und diese wurden, je
nachgiebiger der Statthalter sich zeigte, desto frecher. Nach ein-
ander gestattet Flaccus die Aufstellung der Bilder in den Syna-
eines Erlasses des Flaccus aus dem 21. Jahre des Tiberius enthält (mitgetheilt
von Nicole, Revue de philologie XXII, 1898, p. 18—27). Der volle Name des
Flaccus lautet hier ebenfalls AvXoq AvoviX)Aoq [sie\] fpkaxxoq. — Erwähnt wird
Flaccus auch in dem Edict des Tiberius Alexander, Corp. Inscr. Chraec. n.
4957 lin. 27, und auf einem Ostrakon, welches seine Anwesenheit in Theben
für das J. 33 bezeugt, Wilcken, Griechische Ostraka aus Aegypten und
Nubien (1899) Bd. II n. 1372: siq ttjv nagovalav *PXäxoq [sic\] TjyTjficiv [siel]
Lx TtßfQiov KaiaaQoq l'eßaaTov, MeaoQrj is (= 9. August 33 n. Chr.). Das
Datum giebt eine willkommene Bestätigung der Angaben Philo's über die
Amtszeit des Flaccus.
löO) Phiio, in Flaccum § 3—4, opp. ed. Mangey II, 518 — 520. — lieber den
Tod des jungen Tiberius s. auch Philo, Leg. ad Caj. § 4 — 5 M. II, 549 »j.
Dio Cass. LIX, 8. Suetou. Calig. 23. lieber den Tod des Nävius Sertorius
Macro (seit dem Sturze des Sejanus 31 n. Chr. praefectus praetorio, s. Pauly's
Real-Enc. V, 402, Prosopographia imperii Roniani II, 390): Philo, Legat, ad
Caj. § 6—8 Mang. II, 550—554. Dio Cass. LIX, 10. Sueton. Calig. 2ü. — Der
Tod des Tiberius fällt nach Dio Cass. a. a. O. noch in das Jahr 37, der des
Macro in das Jahr 38.
161) Philo, in Flaccum § 5-6, M. II, 521 sq.
Schür er, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 32
498 § 1^- <^- Judäa unter römischen Procuratoren (0—41 n. Chr.). '416. 417]
gogen, erklärt die Juden durch ein Edict für Nichtbürger und ge-
stattet schliesslich die allgemeine Verfolgung derselben ^^'^). Furcht-]
bare Leiden brachen nun über die jüdische Bevölkerung Alexandria's
herein. Ihre Häuser und Kaufläden wurden geplündert, die Juden
selbst misshandelt, ermordet, ihre Leichname verstümmelt, andere
öffentlich verbrannt, wieder andere lebendig durch die Strassen
geschleift Die Synagogen wurden theils zerstört, theils durch
Aufstellung von Caligula's Götterbild geschändet; in der grüssten
Synagoge stellte man das Bild Caligula's auf eine alte, schadhafte
Quadriga, die man aus dem Gymnasium herbeischleppte^''^). Der
Statthalter Fl accus Hess nicht nur alles ruhig geschehen, sondern
ging auch seinerseits mit strengen Maassregeln gegen die Juden
vor, für welche nach Philo's Darstellung kein anderer Grund vorlag,
162) Philo, in Flaccum § 6—8, M. II, 523—525. — Philo unterscheidet in
dem Verhalten des Flaccus drei Stadien: 1) § 6/?n.: imxQmentoi^aaadai xriv
ävä&Tjatv. 2) § 8 init.: oXlyaiq varfgov rifiegaiq rl^rjai nQoyQaf/fxa, 6i' ov
^evovq xal hnijXvöaq rjnüq dnsxaXei, 3) ibid. (ha oval rolq nQoxfQOiq xal rgitov
7iQoat&r]xsv, iq'slq wq iv aXmasi xolq i&iXovai tioq&hv 'loröaiovq. — In der
Schrift De somniis Hb. II § 18 (Mang. 1 , 675) erwähnt Philo einen Statthalter
von Aeg}'pten zu seiner Zeit {yßfq d' ov tiqwtjv avÖQa XLva olöa xcäv tjysfjio-
vtxdiv, Sq TT]v TTQoaxaoiav xal ^nifjskstav slxev Aiyvnxov), welcher die Juden
zwingen wollte, die Feier des Sabbaths, insonderheit des sabbathlichen Gottes-
dienstes, aufzugeben xal xä ä?.Xa noitlv naQu xo xaS((jx6q s&oq. Er theilt
auch eine Ansprache mit, welche der tyrannische Statthalter zu diesem Zwecke
an die Juden hielt. Obwohl sich keine specielleren Hinweisungen auf die
Verfolgung unter Caligula finden, nimmt Lumbroso doch wohl mit Recht
an, dasB Flaccus gemeint sei (Archiv für Papyrusforschung I, 291 f.).
163) Plünderung der Häuser: Philo, in Place. § 8 M. II, 525 = Legat, ad
Cßjum § 18 M. II, 663. — Ermordung der Juden: in Place. § 9 M. II, 526 sq. =
Legat, ad Cajum § 19 M. II, 564. — Zerstörung und Schändung der Synagogen
iProseuchen): Let/at. ad Cajum §20 M. II, 565. — Die Plünderung erstreckte
»ich nach Philo in Place. § 11 M. II, 531 init. auf vierhundert Häuser. — In
der 2. Aufl. diese» Buches Bd. II, S. 858 habe ich (durch Mangey II, 564 Anni.
und KöHtlin, Theol. Jahrbb. 1854, .398 verleitet) mich dahin ausgesprodien,
dflss die in der Leg. ad Cajum geschilderte Verfolgung eine andere sei als
die in der Schrift adv. Placcum beschriebene. Eh ist aber sicher, dass beide
identisch sind, wie ich mit vielen Anderen schon in der 1. Aufl. dieses Buches
angenommen hatte. Die Einzelheiten sind so vcillig dieselben, das« nuui an
der Identität nicht zweifeln kann. Vgl. bes. in Place. § 9 «= Leg. ad Cajum
{$ 10. Zuweilen ist die Uebercinstimmnng eine wörtliche. So in Place, g 9
M. 627: ipQvyavn avkkhyovztq xanvtp xo nXiop i} nvQl 6u<p'>Fipov •»» Ijcgat. ad
Ckufum g 19 M. 564: oi dh rinhpXtxxot xannö tA nXtov i] nv(d 6ififi>tlQovxo
Tflc {ftffvyttvtudovq vkr^q. Trotzdem hat man nicht den Kindnick litcruriHcher
AbbäDgigkeit. Die Verwandtschaft ist vielmehr in literarischer Beziehung eine
Mhr freie, wie sie sich von selbst ergicbt, wenn derselbe Schriftsteller die-
•elben Ereignisse zu vers«hiedcnen Malen darstellt, lieber den (inind der
Wiederholung s. Bd. III, S. 629.
[417, 418] § 17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6 — 41 n. Chr.). 499
als dass die Juden den Kaisercultus verweigerten. Er Hess acht-
unddreissig Mitglieder der jüdischen Gerusia gefesselt in's Theater
schleppen und hier vor den Augen ihrer Feinde geissein, so dass
ein Theil unter den Geisseihieben starb, andere in langes Siech-
thum verfielen *'^^). Ein Centurio erhielt Befehl, mit auserlesener
Mannschaft die Häuser der Juden nach Waffen zu durchsuchen ^^=).
Jüdische Frauen wurden vor den Zuschauern im Theater zum
Genuss von Schweinefleisch gezwungen '*^*'). Flaccus hatte auch
schon vorher seine feindliche Gesinnung gegen die Juden dadurch
bewiesen, dass er ein Schreiben der jüdischen Gemeinde an den
Kaiser, in welchem | sie die ihm von jüdischer Seite zuerkannten
Ehrenbezeugungen darlegte, nicht, wie er versprochen, abgesandt,
sondern zurückbehalten hatte. Dieses Schreiben wurde jetzt durch
Agrippa übersandt, unter Angabe des Grundes der Ver-
zögerung'^').
Wie die Lage der alexandrinischen Gemeinde nach der acuten
Verfolgung vom Herbst 38 bis zum Tode Caligula's (Januar 41)
sich weiter gestaltete, wissen wir nicht. Flaccus wurde noch im
Herbst 38 plötzlich auf kaiserlichen Befehl als Gefangener nach
Rom abgeführt und nach der Insel Andros im ägäischen Meere
verbannt, wo er später, gleichzeitig mit anderen vornehmen Exi-
lirten, auf Befehl Caligula's getödtet wurde •^®). Sein Nachfolger
war C. Vitrasius PoUio"^^). Als höchst wahrscheinlich darf an-
164) Phüo in Flace. § 10 M. II, 527—529.
1(55) Das in Aegypten längst bestehende Verbot des Waflentragens {(/.«xai-
QOipoQla) war von Flaccus einige Jahre vorher auf's neue eingeschärft worden,
8. das oben S. 70 erwähnte Papyrusfragment.
16ö) Philo in Flacc. % \\ M. II, 529-531.
167) Philo in Flacc. § 12 M. II, 531—532.
168) Philo in Flacc. § 12—21, .¥. II, 532—544. — Die chronologischen
Daten für die bisher erzählten Ereignisse führen sämmtlich auf den Herbst
38 (vgl. Lewin, Fasti sacri n. 1534 — 1538). Agrippa kam nach Alexandria mit
Benützung der Passatwinde {ixtjaioi, in Flacc. § 5 M, II, 521), welche
vom 20. Juli an 30 Tage lang wehen {Plin. Hist^r. nat. II, 47, 124. XVIII, 28,
270). Die Geisselung der achtunddreissig Mitglieder der jüdischen Gerusia fand
am Geburtstage Caligula's statt [in Flacc. § 10 M. II, 529), d. h. am
31. August {Suetan. Calvj. 8). Die bald darauf erfolgte Wegführung des Flaccus
fiel in die Zeit des jüdischen Laubhüttenfestes {in Flacc. § 14 init. M. II,
534), also September October. — Das Jahr 38 ergiebt sich aus folgenden zwei
Daten: 1) Agrippa kehrte im zweiten Jahre Caligula's aus Rom nach Palä-
stina zurück [Joseph. Antt. XVIII, 6, 11). 2) Die jüdischen Kaufläden wurden
geplündert, als sie gerade wegen der Trauerfeier für Drusilla, die Schwester
Caligula's, geschlossen waren {Philo in Flacc. § 8 itf. II, 525). Diese starb
aber im J. 38 n. Chr. [Dio Cass. LIX, 10—11. Prosopogr. imp. Rom. II, 228).
169) Nach Dio Cass. LIX, 10 hatte Caligula den Macro zum Statthalter
32*
500 § 1^- ^' Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). [ 418. 419]
genoTiimen werden, dass die Juden bei Caligula's Lebzeiten ihre
Synagogen nicht wieder zurückerhielten und dass die Frage des
Kaisercultus fortdauernd eine brennende und die Juden bedrohende
blieb. Aus dem Umstände aber, dass der von Caligula ernannte
Statthalter Yitrasius Pollio auch noch unter Claudius im Amte
blieb, darf geschlossen werden, dass eine acute Verfolgung unter
ihm nicht mehr stattgefunden hat; denn sonst würde Claudius, der
den Conflict zu Gunsten der Juden entschied, ihn nicht im Amte
gelassen haben. Im Jahre 40 n. Chr., wahrscheinlich im Frühjahr,
ging aus Anlass der noch fortdauernden Streitigkeiten zwischen
der heidnischen und jüdischen Bevölkerung Alexandria's je eine
Gesandtschaft beider Parteien an den Kaiser, um sich
gegenseitig zu verklagen und den Kaiser für sich zu gewinnen.
Der Führer der jüdischen Gesandtschaft war Philo, der Führer
der Gegner der Literat Apion. Der Erfolg war für die Juden
ungünstig. Sie wurden vom Kaiser ungnädig empfangen und
mussten unverrichteter | Dinge wieder abziehen. So berichtet in
der Kürze Josephus *'<>). Einzelne Erlebnisse dieser Gesandtschaft
erwähnt auch Philo in seiner Schrift über Caligula. Es ist aber
schwer, die fragmentarischen Notizen genauer zu fixiren. Ohne
die Absendung einer der beiden Gesandtschaften erwähnt zu haben,
hebt Philo zunächst hervor, dass die Gesandten der Alexandriner
den Sklaven Helikon, einen Günstling Caligula's, ganz für ihre
Interessen gewannen. Als die Juden dies merkten, machten sie
von Aegypten ernannt. Dieser wurde aber, noch während Flaccus Stattlialter
von Aegypten war, zum Selbstmorde gezwungen [Philo in Flacc. § 3 — 4 M. II,
519), kam also gar nicht zum Antritt seiner Statthalterschaft. Den wirklichen
Nachfolger des Flacciis kennen wir durch zwei Inschriften und einen Papyrus-
Text. 1) Auf einer zu Assuan in Syene gefundenen Inschrift wird C. Vitrasius
Pollio als praef. Acg. erwähnt; sie ist datirt: atmo III C. Caesnris Awfusti
Oermanici III [Sayce: IUI] Kai. Maias, d. h. 20. [Saycc 28.] April 39 n. Chr.
{Revue archiol. trois. ti^rie t. XXVIII, 1896, p. 252, nach einer andern, von
Sayce angefertigten Copie in: Procecdings of tfie Society of Bibl. Archacol.
XVI IT, 1S9(J, p. 108). 2) Corp. Imcr. Gracc. n. 4963: hovi; 6 [Falov] KaiaaQoq
AvxoxQttXOQO(i Seßaaxoii inl Ovitgaalov FlwXlwyoq ijyffiovog. Wegen der Er-
gänzung Falov, nicht Tifleplov h. Prosopmjraphia imperii liom. III, 45(5. 3) Eine
IJittHchrifl auf Papyrus vom J. 40 oder 41 n. Chr. ist gerichtet Vaitai Ovirga-
atwi IlwXlttovi (Kr.nyon, Ureek Papyri in Ihc BritiKh Muscwn ral. II, 1898, p. 168).
4) Aus Pliti. liint, Na(. 36, r>7 erhellt, dass Vitrasius Pollio auch noch unter
ClaadiuR im Amt« war (stalua» rx co (Jtaudio Car.mri procm-ator eins inurbcm
nx Aegypto advexit Vitrasius Polio). — Vcrscliicdcn v«»i) ihm int der von Dio
Ca$s, 68, 19 erwähnte (f 32 n. Ohr.).
170) Jos. Antt. XVIII, 8, 1. — Nacli .loscjihns Ixstandcn beide (iesHiidt-
Nch«ftcn aus je drei Manu; nach Philo {I,eg. nd Qijinn § 4(5 M. II, 6()Ü) da-
gegen die JfidiHche auH fflnf Mann.
[419] §17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (G— 41 n. Chr.). 50I
auch ihrerseits die gleichen Anstrengungen, aber vergebens •"').
Sie beschlossen dann, eine schriftliche Darlegung (welche in der
Hauptsache dasselbe enthielt, wie die „vor Kurzem" durch König
Agrippa übersandte Schrift) dem Kaiser zu überreichen. Caligula
empfing die jüdischen Gesandten zunächst auf dem Marsfelde bei
Rom und versprach, sie bei gelegener Zeit zu hören ^'^'^). Die Ge-
sandten folgten dann dem Kaiser nach Puteoli, wo sie aber nicht
empfangen wurden *"). Erst später, wir wissen nicht, um wie viel
später, fand die versprochene Audienz in Rom in den Gärten des
Mäcenas und Lamia statt, bei welcher der Kaiser, indem er seine
Bauten besichtigte und darauf bezügliche Anordnungen traf, die
Juden immer- hinter sich herziehen Hess und ihnen ab und zu,
unter dem Beifall der gleichfalls anwesenden gegnerischen Ge-
sandten, eine höhnische Bemerkung zuwarf, bis er sie endlich ent-
liess mit der Aeusserung: sie seien mehr thörichte als bösartige
Menschen, da sie nicht an seine Gottheit glauben wollten ''^^). |
171) Philo, Legat, ad Cajmn §.25-26 M. II, 570 (Helikon); ibid. § 27 M.
II, 571 (die Gesandten der Alexandriner); ilrUI. § 27— 28 JtT. II, 571 s^'. (die ver-
geblichen Bemühungen der jüdischen Gesandten um Gehör bei Helikon).
172) Philo, Legat, ad Cajum § 28 M. II, 572 (der Berichterstatter spricht
hier gelegentlich in der ersten Person von sich).
173) Philo, Legat, ad Cajum § 29 M. II, 573.
174) Philo, Legat, ad Cajum § 44—46 M. II, 597—600. — In dem Berichte
des Philo ist auffallend, dass er von den Bemühungen der alexandrinischen und
jüdischen Gesandten in Rom spricht, ohne ilire Absendung überhaupt erwähnt
zu haben. Möglicherweise hat der uns erhaltene Text eine Lücke (so Masse-
hieau, Le classement des oeuvres de Philan [Bibliotkeque de l'Ecole des Hautes
Etudes, Section des Sciences religieuses, vol. I, Paris 1889] p. bosqq.). Doch scheint
mir diese Annahme nicht unbedingt nothwendig. Denn Philo will keineswegs
die Geschichte dieser Gesandtschaft erzählen (wie man nach dem falschen,
nicht von Philo herrülirenden Titel in der Regel meint). Sein Thema ist viel-
mehr dasselbe, wie in Lactantius' Schrift de mortibus persecutorum: dass die
Verfolger der Frommen von Gott bestraft werden (so richtig Massebieau). Wie
bei Flaccus, so werden auch bei Caligula zuerst dessen Frevelthaten dargestellt,
und dann das göttliche Strafgericht (nur ist diese zweite Hälfte der Schrift
über Caligula uns nicht erhalten). Die Juden sind also hier nicht die Haupt-
personen, sondern Caligula; vollends die jüdische Gesandtschaft von Alexandria
nach Rom ist gänzlich Nebensache. Hieraus erklären sich vielleicht auch
andere Schwierigkeiten. Caligula war vom Herbst des Jahres 39 bis
zum 31. August 40 von Rom abwesend auf einem Feldzuge nach
Gallien und Germanien (s. oben S. 448 f.). Hat der zweimalige Empfang
der Gesandtschaft vor oder nach dem Feldzuge stattgefunden? Nach Philo,
Leg. ad Cajum § 29 M. II, 573 fin. haben die Gesandten die Seereise gemacht
während des Winters (xsifxwvog /neaov). Da die Angelegenheiten, um welche
es sich handelte, schon durch die grosse Verfolgung vom Herbst 38 brennend
geworden waren, so denkt man zunächst an den Winter 38 39. Dafür scheint
auch zu sprechen, dass es von der schriftlichen Apologie, welche die Ge-
502 § 17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). [420. 421J
Die Dinge blieben in Alexandria wohl in der Schwebe bis zum
Tode Caligula's. Eine der ersten Thaten des neuen Kaisers Clau-
dius war es, dass er ein Edict erliess, durch welches den alexan-
drinischen Juden alle ihre früheren Privilegien bestätigt und die
ungehinderte Ausübung ihres Gottesdienstes aufs neue verbürgt
sandten dem Kaiser überreichten, heisst, sie sei ähnlichen Inhalts gewesen,
wie die ngb oXiyov durch Agrippa bei Gelegenheit seines Aufenthaltes in
Alexandria übersandte {Leg. ad Cajuni § 28 M. II, 572), was sich ohne Zweifel
auf die oben S. 499 erwähnte Thatsache bezieht. Aus diesen Gründen setzt
Lewin den Abgang der Gesandtschaft noch Ende 38 {Fasti sacri n. 1539—1540),
den ersten Empfang auf dem Marsfelde und die Uebersiedelung nach Puteoli
Anfang 39, vor dem gallisch-germanischen Feldzug {ibid. n. 1551; 1557), die
zweite Audienz in den Gärten des Mäcenas und Lamia aber erst nach dem
Feldzug, Herbst 40 {ibid w. 1600). Ebenso, wie es scheint, Keim, Gesch. Jesu
I, 235. Diese Anordnung ist aber deshalb unmöglich, weil die Gesandten in
Puteoli die erste Nachricht davon erhielten, dass Caligula die Aufstellung
seiner Statue im Tempel zu Jerusalem angeordnet habe {Philo, Legat, ad Cajum
§29 M. II, 573). Dies kann, wie die folgende Darstellung zeigen wird, nicht
vor Frühjahr 40 der Fall gewesen sein. Man ist also genöthigt, auch den
ersten Empfang und die bald darauf folgende Uebersiedelung nach Puteoli
nach dem gallisch-germanischen Feldzug, Herbst 40, zusetzen. Dass
Caligula in dieser Zeit noch einmal in Puteoli war, darf man auch aus Plin.
Histor. nat. XXXII, 1, 4 schliessen (wo von einer Rückfahrt Caligula's „von
Astura nach Antium" nicht lange vor seinem Tode die Rede ist). Die zweite
Audienz in den Gärten des Mäcenas und Lamia fand jedenfalls nach dem
Feldzug statt; denn die Gesandten berufen sich hier darauf, dass die Juden
für den Kaiser geopfert haben xaxa ztjv O.nlöa xfiq FsQfxavixTiq vlxrjq (Le//. ad
Caj. § 45 M. II, 598). Sind demnach die Audienzen der Juden bei Caligula
erst in den Herbst 40 zu setzen, so ist zu erwägen, ob etwa ihre winterliche
Seereise erst in den Spätlierbst 40 fällt? (so namentlich Grätz in der oben
ö. 495 f. genannten Abhandlung). Dieser Ansatz wäre aber zu spät, da es dann
unerklärlich würde, dass die Gesandten erst in Pnteoli von den Vorgängen
in Palästina hörten, die dort schon seit Anfang des Sommers spielten. Es
wird somit anzunehmen sein, dass die Gesandten noch Ende des Winters 39/40
reisten, dann in Rom auf die Rückkehr Caligula's warteten, und im Herbst
von ihm empfangen wurden (so Tillemont, llistoirc des ernpcreurs t. I p. 457,
Dclattnay, P/nltm d' Alej-andrie ji. 180; auch Noris, Ojrp. II, 659s</. und
Sattclcmente, De viUf/aris aerac cnicndatümc p. 313 [gegen Noris' Annahme,
dass die von Philo g 44—45 geschilderte Audienz v or die § 29 erwälmte Ucber-
siedelung nach Puteoli falh;, s. Sunclentente S. 313f.]). Ob num aber zu dieser
oder jener (Kombination greift: auf aUc Fälle vermisst man in Philo's Dar-
stellung nicht nur einen Hericht über die Absenciuiig der jüdisch-alexandriniHchen
GesandtHchaft, Hondern auch einen zuHan)menhäiigendi'n iJcricht ühcr ihre Er-
lebnisse in Rom. Noch auffanerKh'r int, das« Pliilo über die Lu^^e in Aicxandrin
selbst vom Herbst 38 bis zum 'i'ocU! Caligula's gar nichts mittiicilt, ho dass
man auch nicht erfährt, weHhalh die GcHandtsehaft erst etwa IV2 Jahre nach
der grossen Verfolgung abging. Wenn sich auch Manches hiervon aus dem
oben angegebenen /we< kc seiner Sihrift erklärt, so bleibt doch der V^erdacht
berofbtigt, dass uns dieselbe nicht iutact erhalten ist.
[421.422] §17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6 — 11 n. Chr.). 593
wurde ''^j. Die Haupt-Anstifter der alexandrinisclien Judenhetze
wurden zur Verantwortung gezogen. Philo nennt als solche einen
Isidorus und Lampon. Durch die neueren Papyrusfunde wissen
wir, dass ersterer Gyninasiarch war, und dass beide unter Claudius
zum Tode verurtheilt und hingerichtet wurden (s. oben S. 67 f.).
Während die Gesandtschaft der Alexandriner zu Rom auf die
kaiserliche Entscheidung harrte, zog auch über das Mutterland
Palästina ein schweres Unwetter herauf. Seinen Ursprung hatte
es in Jamnia, der philistäischen Küstenstadt, die damals vor-
wiegend von Juden bewohnt war. Als dort die heidnischen Ein-
wohner, um ihren Eifer für den Cäsar zu zeigen und zugleich die
Juden zu ärgern, dem Kaiser einen rohen Altar errichteten, wurde
dieser von den Juden sofort wieder zerstört. Dies berichtete der
kaiserliche Procurator der Stadt, Herennius Capito*'^), an den
Kaiser; und dieser gab nun, um Rache an den widerspänstigen
Juden zu nehmen, den Befehl, dass sein Bildniss im Tempel
zu Jerusalem aufgestellt werde"'}. Da vorauszusehen war,
dass ein solches Verlangen auf heftigen Widerstand stossen würde,
erhielt der Statthalter von Syrien, P. Petronius, Befehl, die
Hälfte der „am Euphrat" (d. h. in Syrien) stehenden Armee "^)
nach Palästina zu führen, um mit ihrer Hülfe den kaiserlichen
Willen durchzuführen. Nur schweren Herzens gehorchte der ver-
ständige Mann dem knabenhaften Verlangen (Winter 39/40). Wäh-
rend er die Statue einstweilen in Sidou anfertigen Hess, beschied
er die Häupter der Judenschaft zu sich und suchte sie in Güte
zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Aber vergeblich "*). |
Bald verbreitete sich die Kunde von dem, was bevorstand,
über ganz Palästina; und nun zog das Volk selbst in grossen
175) Jos. Antt. XIX, 5, 2.
170) Er war nicht, wie Philo ihn nennt, ^6qwv ixXoytvg twp t^s 'Iov-
öaiag, sondern nur 0 XTJg 'la/xveiag inlvQonoq {Joseph. Antt. XVIII, (3, 3).
Jamnia war nämlich kaiserlicher Privatbesitz [Antt. XVIII, 2, 2). — Sollte nicht
auch im Texte Philo's 'lafxvtiag statt 'lovöaiag zu lesen sein?
177) Philo, Legat, ad Caj. § 30, M. II, blbsq.
178) Nach Joseph. Antt. XVIII, 8, 2 zwei Legionen; nach B. J. II, 10, 1
drei. Ersteres ist das Richtige; denn in Syrien standen vier Legionen (s. oben
S. 459). Wenn also Philo § 31 sagt „die Hälfte", so stimmt dies mit Jos. Antt.
XVIII, 8, 2.
179) Philo § 31, M. II, 576—579. — Die Zeit ergiebt sich daraus, dass die
folgenden Verhandlungen zu Ptojlemais in die Zeit der Ernte, also zwischen
Passa und Pfingsten, und zwar des Jahres 40 (wie der weitere Verlauf lehrt)
fallen. Da aber nach Antt. XVIII, 8, 2 Petronius in Ptolemais Winterquartiere
bezogen hatte, muss er im Winter 39/40 dorthin gekommen sein. Freilich er-
weckt Josephus vielmehr den Anschein, als habe dies erst im Winter 40/41
stattgefunden. S. oben S. 333.
504 § 1'^' c- Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). [422. 423]
Schaaren nach Ptolemais, wo das Hauptquartier des Petronius
sich befand. „Wie eine Wolke bedeckte die Menge der Juden
ganz Phönicien". Wohl geordnet, in sechs Haufen getheilt (Greise,
Männer, Knaben; Greisinen, Frauen, Mädchen), erschien die Massen-
deputation vor Petronius. Ihr klägliches Jammern und Flehen
machte auf Petronius solchen Eindruck, dass er beschloss, alles
zu versuchen, um vorläufig wenigstens die Entscheidung hinaus-
zuschieben ^^ö). Die volle Wahrheit — dass er nämlich wünschte,
die ganze Unternehmung einzustellen — durfte er freilich dem
Kaiser nicht schreiben. Er schrieb ihm vielmehr, dass er um
Aufschub bitte, theils weil die Anfertigung der Statue Zeit
brauche, theils weil die Ernte bevorstehe, welche abzuwarten
räthlich sei, da sonst die erbitterten Juden am Ende die ganze
Ernte zerstören möchten. Als Caligula diesen Brief erhielt, war
er sehr ungehalten über die Saumseligkeit seines Statthalters.
Doch wagte er nicht, seinen Zorn merken zu lassen; sondern
schrieb ihm einen anerkennenden Brief, in welchem er seine Um- .
sieht lobte und ihn nur ermahnte, mit der Aufstellung der Statue
doch möglichst bald vorzugehen, da ja die Ernte bereits zu Ende
sein könne '^1).
Petronius machte aber auch jetzt noch nicht Ernst mit der
Sache, sondern liess sich aufs Neue in Verhandlungen mit den
Juden ein. Ja noch im Spätherbst, zur Zeit der Saat (November),
finden wir ihn in Tiberias 40 Tage lang von einer nach Tausen-
den zälilenden Volksmenge umlagert, welche ihn fiehentlicher als
je zuvor bat, er möge doch den drohenden Gräuel der Tempel-
schändung vom Lande abwenden. Als endlich auch noch Aristo-
bulus, der Bruder des Königs Agrippa, und andere Verwandte
desselben ihre Bitten mit denen des Volkes vereinigten, entschloss
sich Petronius zu dem entscheidenden Schritte, den Kaiser um
Zurücknahme des Befehles zu ersuchen. Er fülirte sein Heer von
Ptolemais nach Antiochia zurück und stellte in einem Briefe,
welchen er zu diesem Zwecke an Caligula schrieb, ihm vor, wie
aus Gründen der Billig keit und der Klugheit die Verzichtleistung
auf jene Maassregel empfehlenswerth sei '^2).
Mittlerweile hatten die; Dinge an der entscheidenden Stelle zu
Rom von selbst eine günstigere Wendung genommen. Der König
IKO) Philo g 32 f. J»f. II, 679-582. Joseph. Antt. Will,?,,'!. 7?. .7. II, 10, 1-3.
181) Philo li 33—34, M. II, 582—584. Dit'Hcr Bricl\vo(liBi>l .•^clioiiit nicht
idenÜHch zu Hoin mit dem von JoHcplniH Antt.WW], 8, 2 crwahiitfii. Donii
lctzt<;n'r fililt noch vor die Verimndlutigen in l'tolciimiH.
182) JoKcph. Antl. XVIII, 8, 3— »5. li.J. II, 10. 3-5. Die Zurückfillirung
dM Ho<!n!M wird nur U. .f. FI, 10, 5 erwülint.
[423. 424] § 17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). 505
Agrippa I, der im Frühjahr (d. J. 40 n. Chr.) Palästina verlassen
hatte, traf im Herbste bei Caligula in Rom (oder Puteoli) ein, als
dieser von seinem germanischen Feldzuge bereits " zurückgekehrt
war'^^). Er hatte von den Vorgängen in Palästina noch nichts
vernommen. Aber das Augenrollen des Kaisers verrieth ihm, dass
geheimer Zorn in seinem Innern kochte. Als er vergebens nach
einer Ursache desselben suchte, bemerkte der Kaiser seine Ver-
legenheit und theilte ihm in höchst ungnädigem Tone mit, was der
Grund seines Zürnens sei. Der König gerieth über das Gehörte
dermassen in Schrecken, dass er in eine Ohnmacht tiel, von welcher
er sich erst am Abend des folgenden Tages wieder erholte '^*).
Nach seinem Erwachen war sein erstes Geschäft, ein Bittgesuch
an den Kaiser zu richten, in welchem er ihn namentlich durch den
Nachweis, dass keiner seiner Vorfahren je etwas Aehnliches ver-
langt habe, zur Zurücknalime seines Befehles zu bestimmen suchte ^^^).
Wider alles Erwarten hatte der Brief Agrippa's die gewünschte
Wirkung. Caligula Hess dem Petronius schreiben, dass
im Tempel zu Jerusalem nichts geändert werden solle.
Freilich war die Gnade keine ungemischte. Denn gleichzeitig wurde
verfügt, dass Niemand, der ausserhalb Jerusalems dem Kaiser Altäre
oder Tempel errichten wolle, daran gehindert werden dürfe. Es
war damit ein gut Theil der gemachten Concession wieder zurück-
genommen; und nur dem Umstände, dass Niemand von dem einge-
räumten Rechte Gebrauch machte, war es zu danken, dass daraus
183) Dass Agrippa schon im Frühjahr Palästina verlassen hatte, ist darum
anzunehmen, weil er von den Vorgängen daselbst bei seiner Ankunft in Rom
noch nichts wusste. Er kann aber nicht schon in Gallien mit Caligula zusam-
mengetroffen sein (wie Dio Cass. LIX, 24 voraussetzt), sondern erst in Rom
oder Puetoli, einige Zeit nach der Rückkehr Caligula's von seinem Feldzuge
(31. Aug. 40). Denn hätte die von Erfolg gekrönte Intervention Agrippa's schon
in Gallien stattgefunden, so hätten die alexandrinischen Gesandten nicht erst
nach Caligula's Rückkehr, und nachdem sie dem Kaiser nach Puetoli gefolgt
waren, dort von den schlimmen Nachricliten über die palästinensischen An-
gelegenheiten überrascht werden können, wie es doch der Fall war (PAV/o § 29,
II, 573). Die Intervention Agrippa's muss also erst nach dieser Zeit stattge-
funden haben. Es folgt dies ohnehin daraus, dass Petronius noch im Spät-
herbst (zur Zeit der Saat, und nicht lange vor Caligula's Tod, also etwa No-
vember) um Aufhebung des Befehles bittet. Er kann also die dahin lautende
Entscheidung Caligula's damals noch nicht in Händen gehabt haben; und
diese kann demnach nicht früher als etwa Septbr. oder Octbr. in Rom erfolgt
sein. — Dass die Intervention Agrippa's in d. J. 40 tällt, erhellt im Allge-
meinen auch aus dem Inhalt seines Bittschreibens, in welchem er sich bereits
als Besitzer von Galiläa bezeichnet {Philo § 41, II, 593 unten).
184) Philo § 35. II, 584—580.
185) Philo § 36—41. II, 586-594.
506 § 1' • "• Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). [424]
keine neuen Unruhen entstanden. Ja bald gereute es den Kaiser
überhaupt, jenes Zugeständniss gemacht zu haben. Und er liess
nun, indem er von der in Sidon angefertigten Statue keinen weiteren
Gebrauch machte, zu Rom eine neue anfertigen, welche er bei seiner
in Aussicht genommenen Reise nach Alexandria selbst im Vorbei-
weg an der Küste von Palästina absetzen und heimlich nach Jeru-
salem bringen lassen wollte ^^^). Nur der bald darauf eingetretene
Tod des Kaisers verhinderte die Ausführung dieses Unternehmens.
Wie für das Land Judäa, so war auch für die Person des Pe-
tronius der Tod des Kaisers eine günstige Fügung. Als nämlich
Caligula nachträglich, nachdem er selbst bereits die Einstellung des
Unternehmens verfügt hatte, den Brief des Petroniiis mit dem darauf
bezüglichen Wunsche erhielt, gerieth er über den Ungehorsam des
Beamten in die äusserste Wuth und liess ihm sofort den Befehl zu-
gehen, zur Strafe dafür sich selbst das Leben zu nehmen. Bald
darauf wurde vielmehr Caligula ermordet (24. Januar 41 n. Chr.);
und die Nachricht davon erhielt Petronius 27 Tage bevor die Boten
mit dem Selbstmordbefehl eintrafen. Denn diese waren infolge un-
günstiger Fahrt drei volle Monate unterwegs gewesen. Von Aus-
führung des Selbstmordbefehls war nun ebenso wenig mehr die Rede
wie von Aufstellung der Statue iru Tempel zu Jerusalem i«^). |
186) Phih § 42—43. II, 594—595 (die beabsichtigte Reise nach Alexandria
wird auch § 33, II, 583 und Sueton. Galig. e. 49 erwähnt). — Etwas anders
erzählt Josephus (Antt. XVIII, 8, 7—8) die Intervention Agrippa's. Kach
ihm wurde Agrippa einst, als er durch ein glänzendes Gastmahl sich die be-
sondere Zufriedenheit Caligula's erworben hatte, von diesem aufgefordert, sich
eine Gnade zu erbitten ; worauf er den Kaiser eben um Zurücknahme des Be-
fehls zur Aufstellung seiner Statue im Tempel zu Jerusalem bat. Das Resultat
war auch nach Josephus dasselbe: dass die Bitte gewährt wurde.
187) Joseph. Antt. XVIII, 8, 8—9. B. J. II, 10, 5. — Vgl. überhaupt auch
die jüdische Tradition bei Derenbourg p. 207 sq.
Die zeitliche Aufeinanderfolge der berichteten Ereignisse werden wir uns
etwa folgendermassen zu denken haben (wobei vorausgesetzt wird, dass die
>i"achrichten von Rom resp. Gallien, bis Jerusalem und umgekehrt im Durch-
schnitt etwa zwei Monate brauchten):
Winter 39/40; Petronius erhält von Caligula den Befehl, seine ötatue
im Tempel zu Jerusalem aufzustellen, und kommt mit
zwei Legionen nach Palästina.
April/Mai 40: (als die Ernte bevorstand) Verhandlungen in Ptolemais.
Erster B<'riclit des Petronius an Caligula {Philo § 32 — 33.
JoH. Anll. XVIII, 8, 2. B. J. H. 10, 1—3).
Juni: (Jaligula erliält den ersten Bericht des Petronius und ant-
wortet ilim, indem er ihn zur Eile maluit {Philo g 34).
August: PutroniuH erhält die Autwort Caligula's, zögert aber noch
mit der Entscheidung.
[425] §17. c. Judäa unter römischen Procuratoren (6—41 n. Chr.). 597
Der neue Kaiser Claudius, der von den Soldaten auf den
Thron erhoben wurde, schenkte unmittelbar nach seinem Regierungs-
antritt deniAgrippa ausser dem Gebiete, welches er schon durch
Caligula erhalten hatte, auch noch Judäa und Samaria, so dass
nun wieder ganz Palästina in demselben Umfang, in welchem es
einst Herodes d. Gr. besessen hatte, in der Hand eines Herodäers
vereinigt war^^^). |
Ende September: Agrippa trifft bei Caligula in Rom (oder Puetoli) ein, er-
fahrt das Geschehene und intervenirt. Caligula sendet
an Petronius die Weisung, das Unternehmen einzustellen
{Philo § 35-42. Jos. Antt. XVIII, 8, 7-8).
Anfang November: Verhandlungen in Tiberias (zur Saatzeit): Petronius
bittet den Kaiser, auf die Aufstellung der Statue zu ver-
zichten {Antt XVIII, 8, 3—6. B. J. II, 10, 3—5).
Ende November: Petronius empfangt die Weisung, das Unternehmen ein-
zustellen.
Anfang Januar 41: Caligula erhält die Bitte des Petronius, auf die Auf-
stellung der Statue zu verzichten, und lässt ihm den Be-
fehl des Selbstmordes zugehen (.4««. XVIII, 8, 8).
24. Januar 41: Caligula ermordet.
Anfang März: Petronius erhält die Nachricht vom Tode Caligula's.
Anfang April: Petronius erhält den Brief mit dem Befehl des Selbst-
mordes [Antt. XVIII, 8, 9. B. J. II, 10, 5).
Das Schema bleibt im Wesentlichen richtig, auch wenn man die Zeit,
welche ein Brief von Italien, resp. Gallien nach Palästina und umgekehrt
brauchte, in einzelnen Fällen etwas kürzer anschlägt. Als Durchschnitt wür-
den 1 — 2 Monate anzunehmen sein. Es ist aber zu bedenken, dass Caligula
im Sommer noch in Gallien war. und dass im Winter die Nachrichten lang-
sam und unregelmässig gingen. Die Hauptschwierigkeit für unsere Chrono-
logie ist die, dass sowohl Agrippa als die jüdisch-alcxandrinische Gesandt-
schaft erst etwa im September von Caligula's Befehl in Betreff" des jeru-
salemischen Tempels hörten (s. oben S. 501 f. u. S. 505), während nach Philo die
Sache schon seit der Erntezeit (April/Mai) in Palästina öffentliches Aufsehen
erregt hatte. Schon Tillemont hat aus diesem Grunde die letztere Notiz
Philo's als unhistorisch preisgegeben {Histoire des empereurs t. I, Venise 1732,
j). 030 s^. [Notes sur la ruine des juifs, «o^e IX]), ebenso in neuerer Zeit Gr ätz
(Monatsschr. 1877, S. 97 ff", 145 ff". = Gesch. der Juden Bd. III, 4. Aufl. S. 7590".).
Die Angaben Philo's sind aber in diesem Punkte so bestimmt und detaillirt
(§ 33 M. II, 583: h dx/uy fxhv yag xbv xov aiiov xaQnov elvai u. s.w., vgl.
§ 34 fin. M. II, 584), dass diese gewaltsame Lösung sehr gewagt erscheint.
188) Antt. XIX, 5, 1. B. J. II, 11, 5.
508 § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. [426]
Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1 — 5.
Literatur*):
Greswell, Dissertations upon the principles and arrangernent of a Hannony of
the Qospels, 3 voll. Oxford 1830, ro/. I, jo. 443— 524. Ders., Supplementary
Dissertations, Oxford 1834, p. 114 sgg. (waren mir nicht zugänglich).
*Huschke, Ueber den zur Zeit der Geburt Jesu Christi gehaltenen Census.
1840. (125 S.).
♦Wieseler, Chronolog. Synopse der vier Evang. 1843, S. 73 — 122.
Hock, Eömische Geschichte I, 2 (1843), S. 392-426.
*Huschke, Ueber den Census und die Steuerverfassung der früheren römischen
Kaiserzeit. 1847. (208 S.).
Winer RWB. Art. „Quirinius" und „Schätzung".
Gumpach, Die Schätzung (Stud. und Krit. 1852, S. 663—684).
Lichtenstein, Lebensgesch. des Herrn Jesu Christi 1856, S. 78 — 90.
Köhler, Art. „Schätzung" in Herzog's Eeal-Enc. l.Aufl. XHI, 1860, S.4ü3— 467.
Bleek, Synoptische Erklärung der drei ersten Ew. (1862) I, 66—75.
Meyer zu Luc. 2, 1—2; auch die Neubearbeitung von Weiss und überhaupt
die Comm, zu d. St.
Strauss, Leben Jesu 1864, S. 336— 340. — Ders., Die Halben und die Ganzen
1865, S. 70—79.
Aberle, Ueber den Statthalter Quirinius (Tüb. Theol. Quartalschrift 1865,
S. 103—148. Ebendas. 1868, S. 29—64. Ebendas. 1874, S. 663-687).
Hilgenfeld, Quirinius als Statthalter Syriens (Zeitschr. f. wissenschaftl. Theol.
1865, S. 408—421. Ebendas. 1870, S. 151—167).
Gerlach, Die römischen Statthalter in Syrien und Judäa 1865, S. 22—42.
Lutteroth, Le recensement de Quirinius en Judee, Paris 1865 (134 J9.).
Wallen, De la croyance due ä l'evangilc etc. 2« edit. Paris 1866 (mir nur
aus Desjardins bekannt).
Deajardins, Le recenseinent de Quirinitis [Revue des quest. hist. 1« annee t. H,
1867, p. 1 — 65) [mit Bezug auf Lutteroth, Walion, Aberle u. Mommsen].
RodbertUB, Zur Geschichte der römischen Tributsteuern seit Augustus
(Hildebrand's Jahrbb. für Nationalökonomie und Statistik Bd. IV, 1865,
8.341-427; Bd.V, 1865, S. 135-171, 241— 315; Bd. VHI, 1867, S. 81-126,
385-475) [über die Lucasstelle: V, 155 tt".].
Ewald, Gesch. des Volkes Israel Bd. V (3. Aufl. 1867), S. 204—207.
Keim, Gesch. Jesu I, 398—405.
Ebrard, WiMHenschnftl. Kritik der ev. Gesch. (3. Aufl. 1868) 8. 198-234.
♦Wiese 1er, Beiträge zur richtigen Würdigung der Ew. 1869, S. 16—107. —
Der«., Stud. u. Krit. 1875, 8. 535-549.
Catpari, Chronol.-geogr. Einlcit. in das Leben Jesu Christi 1869, 8. 30—33.
•Zumpt, Das GfburtHJulir ChriHti 1869, S. 20—224.
1) Die aUHlühriichstrii Moiiiiv'riipliicti hIihI diircli einen * hervorgehoben. —
Die ältere LiU-ratiir h. bei lla>-r. Ld.eii Jchu i^Zi,h. lluseiiko IS-IO p. VIIL
WlnerRWB. II, :'" ' <t /u Luc. 2, 2. Gumpacl», Stud. u. Krit.
1802, 8. ü<>3 f. I)i' . auch hv\ Leroultrc, Ik rmmi Qiiin'iiiaiio
(1883);». 7 Mq., Hieffert in iierzog's lU-uI-Enc. 2. Aufl. XIH, 45.^ Marucchi
in: Vigouroux, JJictionnairc de la Bible II, löÜÜ, col. 1190 f.
[426. 427] § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1 — 5. 509
Woolsey, Historieal credibility ofLuke 2, 1—5 [New Englander 1869, p. 674 — 723)
[war mir nicht zugänglich]. — Ders., Anzeige von Zurapt's Geburtsjahr
Christi [Bibliotheca sacra 187(», p. 290—336) [sorgfältig]. |
Steinmeyer, Die Geschichte der Geburt des Herrn und seiner ersten Schritte
im Leben (Apologetische Beiträge IV) Berlin 1873, S. 29—41.
Sevin, Chronologie des Lebens Jesu (1874) S. 20—39.
Schenkel's Bibellexikon Bd. V, S. 23—27 (Art. „Quirinius" von Weizsäcker)
und S. 398-405 (Art. „Steuern" von Kneucker).
Hehle, Theol. Quartalschrift 1875, S. 666-684, 1876, S. aö— 101 (Anz. von
Zumpt's Geburtsjahr Christi).
Patrixi, Dclla descrixione unieersale mentovaia da San Luca e delV anno in
che renne esegnita nella Giudea, Rom 1876 (war mir nicht zugänglich).
Marquardt, Römische Staatsverwaltung Bd. H, 1876, S. 198—216 (= 2. Aufl.
besorgt von Dessau und Domaszewski 1884, S. 204—223).
Keil (1879), Schanz (1883) und Hahn (1892) in ihren Commentaren zu Lucas.
Riess, Das Geburtsjahr Christi (1880) S. 66—78. — Ders., Nochmals das Ge-
burtsjahr Jesu Christi (1883) S. 59-68.
Hofmann (J. Chr. K. v.).. Die heilige Schrift Neuen Testaments zusammen-
hängend untersucht, Thl. VHI, 1 (1878) S. 46 ft". X (1883) S. 64 ff.
Lecoultre, De censu Quiriniano et anno natiiitaiis Christi secundinn Lucatii
evunfielistam , Lausannac 1883 (100 p.). Hierzu die Anzeige in der Theol.
Litztg. 1883, 481.
Pölzl, Art. „Census" in Wetzer und Weite's Kirchenlexikon 2. Aufl. Bd. HL
1884, Sp. 1-7.
Sieffert, Art. „Schätzung" in Herzog's Real-Enc. 2. Auflage. XHI, 1884,
S. 446—455.
Mommsen, Res gestae divi Augusti, ed. 2. 1883, p. 175—177. — Ders., Römi-
sches Staatsrecht II, 1 (1874) S. 391—394.
Unger, De censibus provinciarum Romanarum (Leipziger Studien zur class.
Philologie Bd. X, 1887, S. 1 — 76) [hauptsächlich Zusammenstellung der In-
schriften, auf welchen Schatzungsbeamte erwähnt werden].
Wandel, Der römische Statthalter C. Sentius Saturninus (Theol. Stud. und
Krit. 1892, S. 105-143). —Ders., Neue kirchl. Zeitschr. 1892, S. 732— 744.
Nebe, Die Kindheitsgeschichte unseres Herrn Jesu Christi nach Matthäus
und Lukas ausgelegt (1893) S. 256—272.
Zuhn, Die syrische Statthalterschaft u. d. Schätzung d. Quirinius (Neue kirchl.
Zeitschr. 1893, S. 633-654). — Ders., Einl. in das N. T. II, 395 f. 415 f.
B eiser, Theol. Quartalschrift 1896, S. 1—24.
Gardthausen, Augustus und seine Zeit I, 2 (1896) S. 913— 924. II, 2(1896)
S. 531—540.
Vigouroux, Le Nouveau Testament et les decouvertes archeologiques modernes,
2« edit. 1896, p. 89—130 (war mir nicht zugänglich).
Marne chi, L'iserixione di Quirinio nel Museo Lateranense ed il censo di S.
Luca, Siena 1897. — Ders., Art. Cyrinus in: Vigotironx, Dictionnaire de
In Bible II, 1899, col. 1186—1191.
Bour, V inscription de (Juirinius et le recensement de St. Lue, Rome 1897 (mir
nur durch Ramsay 1898 S. 248 bekannt).
Ramsay, The census of Quirinius [Expositor 1897, I, p. 274—286, 425-435).
Ramsay, Was Christ born at Bethlehem? 1898 (280 S.). Vgl. Theol. Litztg.
1899, 079 und Grenfell and Hunt, Oxyrhynchus Papyri II, 1899, p. 211—214.
Kubitschek, Art. census in Pauly-Wissowa's Real-Enc. III, 1914—1924.
510 § ^'^- Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1 — 5. [427. 428]
Es ist oben (S. 486) erwähnt worden, dass nach der Verbannung
des Archelaus der kaiserliche Legat Quirinius nach Judäa
kam und daselbst (im J. 6 oder 7 nach Chr.) eine Schätzung vor-
nahm, d. h. eine Aufzeichnung der Einwohner und ihres Vermögens
zum Zwecke der Steuererhebung. Einer solchen von Quirinius
vorgenommenen Schätzung gedenkt auch der Evangelist Lucas 2,
1 — 5, indem er sie jedoch in die letzte Zeit Herodes des Gr.,
also um etwa 10—12 Jahre früher verlegt. Es fragt sich, wie
sich diese Nachricht zu der ähnlichen des Josephus verhält: ob
wirklich zwei verschiedene von Quirinius geleitete Schätzungen
in Judäa stattgefunden haben oder ob Lucas die Schätzung vom
J. 7 nach Chr. irrthümlich in die letzte Zeit Herodes d. Gr. verlegt
hat? Um über diese vielverhandelte Frage und überhaupt über
die Glaubwürdigkeit der Nachricht des Lucas ein sicheres Urtheil
fällen zu können, ist es nöthig, zunächst das römische Steuer -
wesen während der Kaiserzeit wenigstens in seinen allge-
meinsten Umrissen kennen zu lernen.
Der ursprüngliche römische Census, wie er sich in der Zeit
der Republik ausgebildet hat 2), war eine Einrichtung, welche]
sich nur auf die römischen Bürger erstreckte. Er bestand in einer
Aufzeichnung der römischen Bürger und ihres Vermögens zu dem
doppelten Zweck: 1) Der Regelung des Kriegsdienstes und 2) der
Erhebung der directen Steuern. Der zu Schätzende hatte sich selbst
beim Censor zu melden und sein Vermögen anzugeben; doch war
es Sitte, dass der Familienvater die Angaben für sich und die ganze
Familie machte. Für die Unterthanen des römischen Volkes gab
es zur Zeit der Republik keine einheitlich geregelte Schätzung.
Es wurden zwar da und dort Schätzungen gehalten. Aber diese
standen weder unter sich, noch mit dem Census der römischen
Bürger in einem nähern Zusammenhangt).
In der Kaiserzeit, wie schon in der letzten Zeit der Republik,
hatte der Census der römischen Bürger seine ursprüngliche
Bedeutung vollständig verloren; denn die römischen Bürger (d. h.
also ganz Italien und die Colonien italischen Rechts) leisteten nicht
mehr Kriegsdienst und bezahlten auch keine directen Steuern
2) Vgl. über den BürgercenBUs zur Zeit der Republik: Reiu, Art. ccimts
in Pauly's Real-Enc. II. 247-267. Zumpt, Das Geburtsjahr Chrinti 8.!)7— 110.
De Boor, Fasli cenaorii, ßerol. 1873. Momnisen, Höiiii«» Ikh StnatHreclit 11,
1 (1874) 8. 304—442. E. Herzog, Geschichte und SyHtcm der römischen
StaatHverfMSung Bd. I, 1884, 8.754—707. Kubitschelc, Art. retmus in Tauly-
WiRMowa'« Real-Enc. III, 1U14-1018.
3) Vgl. Ober den ProvincialreniiuB zur Zeit der Republik: Zumpt a.a.O.
8. 114—110. Marquardt, KömiHchü KtaatHverwaltiing II, 176— 1»7 (— 2. Aufl.
besorgt ron DcnHau und DoroaHzewHki K. löü— 2ü4).
[428. 429] § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. 511
mehr*). Wenn daher Au gustus, Claudius und Vespasianus noch
Schätzungen römischer Bürger vornahmen, so geschah dies nur zum
Zwecke der Statistik oder wegen der damit verbundenen religiösen
Feierlichkeiten, nicht aber zum Zwecke der Steuererhebung. Grund-
verschieden hiervon war der Ce usus der Provinzen, dessen Haupt-
zweck gerade die Regelung der Steuererhebung war^). Auch in
dieser Beziehung bestand zwar in der früheren Kaiserzeit noch eine
gi'osse Verschiedenheit*'). Im allgemeinen aber werden doch schon |
(Jamals jene Grundsätze maassgebend gewesen sein, welche in den
späteren juristischen Quellen {Digest. L, 15: De cmsihus) als überall
herrschend vorausgesetzt werden. Aus diesen sehen wir, dass es
für die Provinzen zwei Arten directer Steuern gab: 1) Die
Abgabe vom Bodenertrag, tributum soli oder agri, und 2) die
Personalsteuer, tributum capitis''). Die erstere wurde theils in
Naturallieferungen, theils in Geld entrichtet^). Unter letzterer (dem
4) Vgl. über den Bürgercensus in der Kaiserzeit: Zumpt S. 116—129.
De Boor, i''as^iee«sornjo. 30— 33, 96— 100. Mommsen, Römisches Staatsrecht
(1. Aufl.) II, 1, S. 310—312, 391 f. II, 2 S. 1012 f. — Der letzte Bürgercensus,
welcher überhaupt abgehalten wurde, war derjenige Vespasian's v. J. 74 u. Chr.
5) Vgl. über den Provinzialcensus in der Kaiserzeit die oben genannten
Werke und Abhandlungen von Huschke (1847), Rodbertus, Zumpt
(S. 147—175), Marquardt, Unger, Kubitschek, ferner: Rein, Art. tri-
butum in Pauly's Real-Enc. VI, 2, S. 2125—2129. Zachariä von Lingen-
thal, Zur Kenntniss des römischen Steuerwesens in der Kaiserzeit (Memoires
de l'aeademie imperiale des sciences de St. ■ Peter sbourg, VII. Serie, t. VI, N. 9,
Petersb. 1863). Beruh. Matthiass, Die römische Grundsteuer und das Vecti-
galrecht. Erlangen 1882 (die beiden letzteren besonders für die spätere Kaiser-
zeit). Seeck, Die Schatzungsordnung Diodetians (Zeitschr. für Social- und
Wirth Schaftsgeschichte von Bauer und Hartmann Bd. IV, 1896, S. 275—342).
— Für Aegypten haben die Papyrusfunde ein überreiches Material geliefert.
S. darüber die unten Anm. 21 genannte Literatur.
6) Zumpt S. 156. 176. 187. 211 f. Vgl. auch Marquardt, II, 185—196.
7) Dass es nur diese beiden Arten directer Steuern gab, erhellt aus Digest.
L, 15, 8, § 7 (aus Paulus, Anf. d. 3. Jahrb.): Divus Vespasianus Caesarienses
colonos fecit, non adjecto, ut et juris Italici essent; sed tributum his remisit ca-
pitis; sed Divus Titus etiam sohim immune factum inierpretatus est. — Vgl.
Äppian. Ldbtjca 135: tolq 6h XontoTq (poQov wgiaav inl xy yy xal inl xoiq a(a-
fxaaiv. Dio Cass. LXII, 3. Tertullian. Apologet. 13: agri tribiäo onustiviliores,
hominum capita stipendio censa ignobiliora. Pauly's Real-Enc. VI, 2, 2126.
8) Nach Joseph. B. J. II, 16, 4 § 382s<?. 386 lieferte „der dritte Welttheil",
d. h. das nördliche Afrika mit Ausnahme Aegj-ptens, jährlich so viel Getreide,
dass davon der Bedarf der Stadt Rom auf 8 Monate gedeckt wurde ; die Stadt
Alexandria den Bedarf von 4 Monaten, — Dass die Grundsteuer theils in
Naturalien, theils in Geld entrichtet wurde, gilt auch für Aegypten, über
welches wir am genauesten unterrichtet sind. S. Wilcken, Griechische
Ostraka aus Aegypten und Nubien Bd. I, 1899, S. 194—215. — Mit welcher
Sorgfalt in Aegypten schon unter den ersten Ptolemäem die Grundstücke zum
Zwecke der Besteuerung aufgezeichnet und geschätzt wurden, zeigt z. B. ein
512 § 1^' Anhang 1. Die Schätzung des Quiriniue, Luc. 2, 1—5. [429. 430]
tribuhim capitis) hat man verschiedene Arten persönlicher Steuern
zusamniengefasst, nämlich sowohl die Einkommensteuer, welche je
nach der Höhe des Einkommens verschieden war, als auch die
eigentliche Kopfsteuer, welche für alle copita gleich hoch war^).
In Syrien wurde z. B. zur Zeit Appian's eine Personalsteuer er-
hoben, welche ein Procent der Schatzungssumme betrug i^). In
Aegypten dagegen ist eine Kopfsteuer erhoben worden, welche
zwar nicht ("wie man bisher auf Grund des Josephus angenommen
hat) für alle Einwohner schlechthin, aber doch für ganze Kategorien
der Bevölkerung gleich war * ^). Die Abgaben waren in j der früheren
von Grenfell herausgegebener grosser Papyrus aus der Zeit des Philadelphus
{Grenfell, Revenue Laus of Ptolemy Philadelphus, Oxford 1896).
9) Huschke. Census der Kaiserzeit S. 175 ff". Marquardt a. a. O.
10) Appian. Syr. 50: no/j.nijiog — ttjv fxeylarriv nöhv 'lsQoa6?,vfia xal
ayiofXuvTjv avzoTg xartoxaxl>ev, rjv örj xal nro?.s,uaioq o npcäroq Alyvnxov ßaai-
P.fr5 xad^ijQTjxsi, xal Oieanaoiavbq av^iq olxiai^eXoav xaztaxaips, xal ^AöQiavbg
avBig in ifiov. Kai dia tuvv* iatlv 'lovöaioiq anaoiv 6 tpÖQoq rüp owfiäxwv
ßagvTfQoq tf/c u?.?.rjq nf()iovaiaq. ^Eaxi 6e xal ^vgoiq xal KiXi^iv ixriaioq,
kxaxooxii xov xiurjfiaxoq hxdoxu). — Was Appian hierin Betreff" der
Juden sagt, ist dunkel. Statt des von den Handschriften gebotenen nsQiov-
aiaq haben Viele, auch ich früher, nach Musgrave ntQiotxiaq lesen wollen, so
dass der Sinn wäre: Die Juden haben eine liöhere Kopfsteuer zu bezahlen
als ihre Nachbarsdiaft, weil nämlich für sie seit dem vespasianischen Kriege
noch das öISqoxmov liinzukam [Joseph. B. J. VII, 6, (i, Dio Cass. LXVI, 7).
Aber die Ausdrucksweise bleibt auch so auff"allend. Wilamowitz sucht daher
durch stärkere Textänderung zu helfen (Hermes 35, S. 540 f.). Behält man
den überlieferten Text mit ntgiovaiaq bei, so muss der (p6(ioq rtüv awfzäxwv
eine Vermögenssteuer sein, nämlich die Steuer auf beweglichen Besitz, im
Unterschied von der Besteuerung der ukkrj negiovaia, d. h. des Grundbesitzes.
Jedenfalls ist im Folgenden gesagt, dass die Syrer und Cilicier eine Per-
»onalstcucr von einem Procent der Schatzungssumme zu bezahlen haben.
Denn als Subject ist hier nothwendig (fögoq xcöv aw/näxiov zu ergänzen,
nicht bloHH (poQoq, wie Wilcken vorschlägt (Griechische Ostraka I, 247). Auch
bei den Juristen umfasst ja der Ausdruck trilndum capitis alle Arten persön-
licher Steuer im Unterschied von der Besteuerung des Bodens, Irihidum soii.
11) Ueber die Kopfsteuer in Aegypten vgl. bes. Wilcken, (iriechische
Ostraka I, 230 — 249, und dazu die Ergänzungen: Archiv für Papyrus-Forschung
I, 135 — 139 (nach Kenyun, Orcck Papyri in thc British Museum vol. II, 1898,
p. 17 — 05). — Wilcken hat auf Grund der Ustraka nachgewiesen, dass dio
Kopfüteuer nicht in ganz Aegypten die gleiche war, sondern dass die Höhe
derselben für jede GeJiioinde besonders festgesetzt wurd* (Ostraka 1, 234).
Ja nach einem Papyrus aus der Zeit Vcspasians haben in Arsinoe nicht alle
Kinwohner die gleiche Kopfsteuer bezahlt (Archiv I, 139: 330 zahlten je 20
Drachmen, 3 je 4(J u. s. w.j Vgl. auch Orm/rtl, Hunt and Ihxjarth, Faynin
toten» atul Iheir pajtyri, 1!MK), p. MAsq. Hicriiacli ist zu berichtigen, was man
hiither auf Grund des JoMephuH nngcnommen hat. Dieser sagt B. .7. 11, 1(3,4
g 385: AtyvnxoQ — ntvxtixovxu n{>6g talg knxaxoalaiq l'xovaa fxvinru^aq av&pw-
ntttv A/^a xüiv 'AXt^üvÖQUuv xaxoixoivxtov, tuq Yvtaxiv ix xf/q xaO-* hxäaxrjv
[430] § 17. Auhangl. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. 513
Kaiserzeit noch sehr mannigfacher Art^^j, oi^ Kopfsteuer hatten
auch die Frauen und die Sklaven zu entrichten. Nur Kinder und
Greise waren ausgenommen. In Syrien waren z. B. die Männer
vom 14., die Frauen vom 12. Jahre au, beide bis zum 65., zum
Zahlen der Kopfsteuer verpflichtet ^^j j^ Aegypten dauerte die
Verpflichtung vom 14. bis 60. oder 61. Lebensjahre '•). — Was nun
die Provinzialschatzung, d. h. die Anfertigung der Listen zum
Behufe der Steuererhebung betriöt, so geschah sie in ähnlicher
Weise, wie einst die Schätzung der römischen Bürger'*). Wie von
dieser, so werden auch von jener die Ausdi-ücke edere, deferre cen-
sum, profiteri gebraucht; woraus erhellt, dass der Pflichtige selbst
die erforderlichen Angaben zu machen hatte, die von den Be-
xeipaXriv elacpoQäq tex/i^Quad-at. Man hat dies bisher allgemein dahin ver-
standen, dass Josephus aus dem ihm bekannten Gesammt-Ertrag der Kopf-
steuer durch einfache Division die Bevölkerungszahl (T'/a Millionen) ermittelt
habe (so auch noch Wilcken, üstraka I, 239, der darum deu Josephus scharf
kritisirt). Dies wäre nicht nur wegen der eben erwähnten Ungleichheit der
Kopfsteuer, sondern auih darum thüricht, weil Kinder und Greise von der-
selben befreit waren. Andererseits haben die neueren Untersuchungen ergeben,
dass Joseplius in der Rede B. J. II, 10, 4 eine höchst zuverlässige statistische
Quelle benutzt hat (Domuszewski, lihein. Museum XL VII, 1892, S. 207— 218);
und die Papyrusfunde haben uns gelehrt, dass die römischen Behörden damals
auf Grund der periodischen Volkszählungen die Einwohnerzahl Aegyptens
genau kannten (s. die unten Anm. 21 u. 22 genannte Literatur). Es schejnt
mir daher sehr wahrscheinlich, dass Josephus die Zahl von "Va Millionen
direct aus einer amtlichen Quelle geschöpft hat, und dass nur seine Ausdrucks-
weise eine nachlässige ist. Statt zu sagen: „wie sich aus der Kopfsteuer er-
giebt" hätte er sagen müssen: „wie sich aus den für die Kopfsteuer angefer-
tigten Bevölkerungslisten ergiebt". So urtheilt, wie ich nachträglich sehe,
auch Wilamowitz (Hermes Bd. 35, 1900, S. 545 f.).
12) Vom nördlichen Afrika sagt Josephus B. J. II, 1(3, 4 § 383: xwqXqxGiv
iiTjaiiuv xaQTKÜv, dl ni]alv oxz<v x6 xata trjv '^Pcifxrjv nXfjit^og XQecpovai, xal
ۤu}&sv navxoLwq <poQo?.oyovvxai, xal xaig XQelaiq xrjq ^ys/iovlaq nagi-
Xovaiv bxoifxwq xäq £ca(f-0(jüq.
I3j Digest. L, 15, 3 pr. (aus Ulpianus, Anf. d. 3. Jahrb.): Aetatem in cen-
sendo significare necesse est, quia quibusdam aetas tribiiit, ne tributo onerentur;
veluti in Syriis a qtiaiiiordecim annis masciäi, a duodeeim feminae tisque ad
seocagesirnum quintum annum tributo capitis obligantur; aetas autem spectatur
censendi tempore.
14) Wilcken, Archiv für Papyrusforschung I, 136 (auf Grund von Ä'e-
nyon, Greek Papyri in tlic Brit. Mus. II). — Da sich bisher unter den zahl-
reichen Kopfsteuerquittungen keine solche gefunden hat, die für eine Frau
ausgestellt wäre, so nimmt Kenyon an, dass die Frauen in Aegj'pten von
der Kopfsteuer befreit waren. Wilcken hält dies trotz jenes gewichtigen
Argumentes doch für unwahrscheinlich.
15) Vgl. überhaupt: Huschke, Census der Kaiserzeit S. 192 ff. Zumpt
S. 170-175.
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aiitt. 33
514 § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. [430]
amten nur controlirt wurden '^). Die Angaben hatten in den Haupt-
orten der einzelnen Steuerdistricte zu geschehen i'); und zwar
mussten die Grundstücke in derjenigen Gemeinde zur Besteuerung
angegeben werden, in deren Gebiet sie lagen '§). In welcher Weise
die Erneuerung der Schätzung geschah, ist nicht mehr mit
Sicherheit zu bestimmen. Husch ke nimmt eine zehnjährige
Schatzungsperiode an, ähnlicli der fünfjährigen Periode beim ehe-
maligen Census der römischen Bürger *^). Zumpt bestreitet die
Richtigkeit dieser Annahme und glaubt, dass durch ständige Steuer-
bureau's für fortlaufende Berichtigung der Listen gesorgt war^o).
Eine deutliche Vorstellung von der periodischen Erneuerung der
Steuerlisten können wir uns nur in Betreff Aegypten's machen
auf Grund des reichen Materiales, welches die dortigen Papyrus-
funde zu Tage gefördert haben. Es fanden dort in der römischen
Zeit zwei Arten von periodischen „Aufzeichnungen" {ajroyQag)ai)
statt, zu welchen die Einwohner selbst das Material liefern
mussten'-^'). 1) Alle vierzehn Jahre musste jeder Hausbesitzer eine
Liste sämmtlicher Einwohner seines Hauses, und zwar für das
vergangene Jahr, bei der Behörde einreichen. Diese Aufzeich-
nungen, welche xaz olxiav djtoYQa<pai hiessen, dienten wohl haupt-
16) Huschke S. 193. Zumpt S. 173.
17) Zumpt S. 174.
18) Digest. L, 1.5, 4, § 2 (aus Ulpianus, Auf. d. 3. Jahrh.): Is rero, qui
agrum in alia civitate habet, in ea civitate profiteri dcbct, in qiia affer est; agri
enim tributiim in eam civitatem debet levare, in Otitis territorio possidetur.
19) Census der Kaiserzeit S. 57 ff.
20) Geburtsjahr Christi S. 168—170. 189. 205—201). Vgl. Hock, Rom.
Gesch. I, 2, 406.
21) Vgl. Wilcken,il;ro}'(>ayat (Hermes Bd. XXVHI, 1893, S. 230-251).
— Viereck, Die ägyptische Steuereinschätzungs-Commission in römischer
Zeit (Philologus Bd. LH, 1893, S. 219—247). - Wilcken, Zn Acn xux' olxiav
dnoypa<pai (Philologus LH, 564 — 567). — Kenyon, Classical Ecincir 1893, p.
HO (hat gleichzeitig mit Wilcken und Viereck den vierzehnjährigen Cydus
erkannt). — Wilcken, Griechische Ostraka aus Aegypten und Nulnon Bd. I,
1899, 435—469 (ZuHammenfassung der Resultate, mit reicherem Material als
in der Abhandlung vom J. 1893). — Neues Material, das in Wilcken's Ostraka
noch nicht benfitzt werden konnte, bieten: Kenyon, Oreek Papyri in t he Bri-
H$h Musetun vol. U, 1898, p. 17—65 (iiicrzu: Wilcken, Archiv für l'apyrus-
fornchung I, 135—139). — ürcn feil and Hunt, The Oxyrhynrhits Papyri, Part
U, 1H99, p. Ml sqq., 207 sqq. ~ (Jren/ell, Ihm fand Iloynrth, Faymnloicns
and thcir pajn/ri, London 19(X), Index p. 353 .s. r. dnoyprupfoOai, dnoyQUiii]. —
Dio Fortitctzungcn de» Werkes: „Aegyptische Urkunden aus den königlichen
Museen zn Berlin, Griechische Urkunden" (dio beiden ersten Bände sind 1895
und 1898 abgeschlossen). — Ein Verzeichnis« der niehr oder weniger erhaltenen
und bis 1899 publicirten dnoyQa<pal giebt Wilcken, Archiv für Papyrim-
rorschung I, H. 15.
[430] § 17. AuhaDg 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. 515
sächlich zur Veranlagung der Kopfsteuer und zur Aushebung für
den Kriegsdienst'-'-^). Der Grund der vierzehnjährigen Periode ist
vermuthlich der, dass im Alter von 14 Jahren die Verpflichtung
zur Kopfsteuer begann. Eine Ergänzung der Listen durch Geburts-
Anzeigen war darum innerhalb der Periode nicht erforderlich.
Andererseits scheinen Todesfälle regelmässig bei der Behörde an-
gezeigt worden zu sein "^3). Auf Grund der Listen erfolgte auch
die Prüfung der Steuerpflichtigkeit {ijcixQioig)'-*). 2) Jedes Jahr
niusste jeder Besitzende, und zwar für das laufende Jahr, sein
bewegliches \'ermögen, namentlich den Besitz an Vieh, Schiffen
und Sklaven schriftlich angeben. Auch diese „Steuerobjects-Dekla-
rationen" hiessen unoyQMpcd-^). Auf Grund der Selbst-Anzeigen,
welche von der Behörde controlirt wurden, wurde dann die Steuer
festgesetzt. — Aus dem 14jährigen Cyclus der Volkszählungen ist
vielleicht in Verbindung mit einer fünfjährigen Censusperiode, von
22) Wie es scheint, sind diese regelmässigen Volkszählungen erst durch
Augustus eingeführt worden. Ueber eine wahrscheinlich auf das J. 19/20
n. Chr. bezügliche s. Qrenfell and Hunt, Oxyrhynchus Papyrill p. 2Q1 sqq.
Belege für die Jahre Gl/62, 75/7ü, 89/90, 103/104, 117/118, 131/132, 145/14(3, 159, 160,
173 174,187/188, 201/202 nach Chr. verzeichnet Wi Icke n. Griechische Ostraka
I, 438 f. (vieles auch schon: Hermes XXVIII, 244 f.).
23) Vgl. über die Todes-Anzeigen: Wilcken, Griechische Ostraka I, 454 f.
Kenyon, Oreek Papyri in the Brit. Mus. II, jo. 65— 1)8. Wilcken, Archiv für
Papyrusforschung I, 139f. Grenfell, Hunt and Hoyarth, Fayüm towns and
tlieir papyri p. 138 — 140. — Anzeigen über die seit der letzten änoyQatpjj er-
folgten Geburten scheinen nicht regelmässig eingefordert worden zu sein, s.
Wilcken, Ostraka I, 451 ff. Unbestimmt: Qrenfell, Hunt and Hogarth l. e.
p. 137 sq.
24) Wessely, Epikrisis, eine Untersuchung zur hellenistischen Amts-
sprache (Sitzungsberichte der Wiener Akademie, philos.-hist. CI. Bd. 142, 1900,
Nr. IX). — Zeigt, dass inixQiatq in verschiedener Beziehung gebraucht wird,
namentlich auch als Prüfung der Verpflichtung oder NichtVerpflichtung zur
Kopfsteuer.
25) Wilcken hat noch in seinen „Ostraka" I, 456 — 469 angenommen, dass
die jährlichen Vermögens-Anzeigen sich auch auf den Grundbesitz, nicht nur den
beweglichen Besitz, erstreckten. Dagegen haben Qrenfell and Hunt, Oxy-
rhynchiis Papyri II, 177 sqq. auf Grund eines Edictes des Marcus Mettius Ru-
fus vom J. 90 {Oxyrh. Pap. II n. 237 VIII, 27 ft".) gezeigt, dass dieselben nur
den beweglichen Besitz betrafen. Allgemeine Aufnahmen des Grundbesitzes
fanden nur statt, wenn ein Bedürfniss dazu vorlag, und wurden in jedem ein-
zelnen Falle besonders angeordnet, wofür eben jenes Edict ein Beispiel liefert.
Im Uebrigen wurden die amtlichen Verzeichnisse des Grundbesitzes auf Grund
der bei jedem Besitzwechsel zu erstattenden Anzeigen auf dem Laufenden
erhalten. Dieser Auflassung hat Mitteis zugestimmt (Archiv für Papyrus-
forschung I, 187—189). Auch Wilcken hält (nach brieflicher Mittheilung)
den von Grenfell und Hunt erbrachten Beweis für überzeugend.
33*
516 § 1^- Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. [431]
welcher sich Spuren finden, der zuerst in Aegypten nachweisbare
15jährige Indictionen-Cyclus entstanden^'').
Die Aufgabe des Quirinius im J. 6/7 nach Chr. bezog sich
nicht nur auf Judäa, sondern auf ganz Syrien. In Judäa musste
aber gerade in diesem Jahre eine römische „Schätzung" {axoTifitjoig)
vorgenommen werden, weil diese Landschaft nun, nach der Ab-
setzung des Archelaus, zum erstenmale unter direct römische Ver-
waltung genommen wurde ^'j. Die Ausdehnung des Census über
ganz Syrien ist auch bezeugt durch die oben S. 327 erwähnte In-
schrift des Aemilius Secuudus, welcher auf Befehl des Quirinius
den Census in Apamea vorgenommen hat {jussu Quinni censum
egi Apamenae civitatis millium homin{um) eivium GXVII). — Das
Jahr 6/7 nach Chr., in welchem der Census in Judäa vorgenommen
wurde (s. oben S. 486), trifit merkwürdig zusammen mit dem vier-
zehnjährigen Volkszählungs-Cyclus in Aegypten. Wenn wir näm-
lich diesen Cyclus bis in die Zeit des Augustus zurückführen
dürfen, so würde eben im J. 6/7 auch in Aegypten eine Volks-
26) So Seeck, Die Entstehung des Indictionencyclus (Deutsche Zeitschrift
für Geschichtswissenschaft Bd. XII, 1896, S. 279— 296); ebenso: Mitteis, Aus
den griechischen Pap5'rusurkunden, Vortrag (1900) S. 12 — 15. — Ueber die
Spuren einer fünQührigen Censusperiode und den Ursprung des Indictionen-
Cyclus 8. auch: Marquardt, Staatsverwaltung II, 236— 238 (= 2. Aufl. S. 243
bis 245). — Aus dem in dem Edict des Tiberius Alexander Corp. Inscr. Oraec.
4957 lin. 49 vorkommenden Ausdruck nevrasxia darf jedoeh nicht auf eine
schon damals in Aegypten übliche fünQährige Censusperiode geschlossen wer-
den. S. dagegen Pauly-Wissowa's Real-Enc III, 1921 und Wilcken, Ostra-
ka I, 451.
27) Ich stelle hier alle Aeusserungen des Joscphus über die Schätzung
des Quirinius zusammen. Antt. XVII, 13, 5: tf/g rf' 'Aqx^^^ov Z"'?«? wroTf-
Xoif 7iQoavffXT]i>flar}q ty Svpwv n^/unsrai Kvg^vioq vno Kaloagoq dvi]Q vnazi-
xoQ, dnoTifiTjaofisvog te ta iv £vgi(x xal xov l/\QX(^äov unoöwaonfvoq
olxov (der Privatbesitz des Archelaus wurde zu Gunsten des kaiserlichen Fis-
CU8 verkauft oder verpachtet). — An diese Bemerkung am Schlüsse des 17.
Buchen scbliesst sich unmittelbar folgende am Anfang des 18. an, Antt. XVIII,
1, 1: KvQTjviog dh . . inl Svglaq nagfjv, vno KalauQoq öixaiodöxrjq xov ^9-vovg
dneaxaXfiivog xal zi/XTjttjg xwv ovoiwv yfVTjaöfierog, Kwnwvtdg xe aiixw
avyxaxanifintxai . . . i/yriadf^fvog *Iov6alwv . . . JlaQtjv öh xal Kvqijvioq elg
XTjV 'lovdalav npoaOijxtjP xF/q Svfflaq yevofju'vtjv dnoxt/jiTjaofxsvöq xf avxcüv
zag oiolaq xal dnodwad/ufvoQ xä 'A()xtXäov xi'WO^xa. ich habe die Stelle
in diesem Umfang hicrlu-rgcHctzt, weil aucli aus ilir, wenn man sie im Zu-
Mmmenhftog licnt, hervorgeht, (Iuhh (^uiriniuH in ganz Syrien den Census
voreunehmeD hatte. Ueber die Ausführung in Judäa hiÜHst es an derselben
Stelle weiter: iv detvtp «pfgovreq tr/v inl xalq dnoyQatpalq dxQoaaiv (es
haben alfm bei den Aufzeichnungen „Verhöre" Htattgefundon). — Antt, XVIII,
2, 1 : Kvpt/vioq «Ä . . . tvjv dnoxifujaewv nlQuq ^x'^''"^"^- — Antt. XX, 5, 2:
hvgrjvlov xfjq lovSalag tturjxtvovxoq (ul xißrjxov Svxoq). — Hell. .hui. VII, 8, 1 :
[431] § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. 517
Zählung stattgefunden haben 2^). Geht man noch einen Schritt
weiter zurück, und nimmt man an, dass der Cyclus auch für
Syrien gilt, so würde sich auch für die letzte Zeit des Herodes
eine Volkszählung in Syrien ergeben (freilich nicht für die letzten
Jahre des Herodes, sondern für d. J. 9/8 vor Chr.). Diesen Com-
binationen ist Ramsay (in den oben S. 509 genannten Abhand-
lungen) nachgegangen, und er meint, darin eine Rettung des Lucas
finden zu dürfen. Es kann darüber aber nur dasselbe gesagt
werden, was oben bei der cohors Italica bemerkt werden musste
(S. 462 Anm. 53). Denn wenn auch alle diese Combinationen zu-
treß'end wären, so würden darum doch alle Bedenken, welche wir
sogleich gegen Lucas vorzubringen haben, in voller Kraft bleiben,
da eine Volkszählung im Gebiete der römischen Provinz Syrien
nicht beweisen würde, dass eine solche auch im Gebiete des Königs
Herodes stattgefunden hat, und eine Volkszählung im J. 9/8 vor
Ohr. unter keinen Umständen in die Zeit des Quirinius, sondern
in die des Sentius Saturninus fallen würde. Jene Combinationen
sind aber auch sehr unwahrscheinlich. Der vierzehnjährige ägyp-
tische Cyclus ist schwerlich auch für Syrien anzunehmen, da der
Census des Quirinius nicht auf einem festen Cyclus, sondern auf
einer besondern Mission des Quirinius beruhte, wie die Aeusserungen
des Josephus deutlich zeigen. Die Sendung nach Judäa im J. 6 7
n. Chr. war aber direct durch die Absetzung des Archelaus ver-
anlasst. Das zeitliche Zusammentreffen mit dem ägyptischen Cyclus
wird daher zufällig sein. Ueberdies beginnen die directen Zeug-
nisse für den ägyptischen Cyclus, nach dem bis jetzt vorliegenden
Material, erst mit dem J. 19/20, resi). 20/21 n. Chr.
Lucas sagt nun an der angeführten Stelle (2, 1 — 5) 2^), es sei
um die Zeit der Geburt Jesu Christi, also jedenfalls noch während
der Regierung Herodes des Gr. {Luc. 1, 5. Matth. 2, 1—22), eine
Verordnung [öoy/ja) vom Kaiser Augustus ausgegangen, dahin
lautend, dass „die ganze Welt aufgezeichnet werde", ajroyQd(p80&ai
jtäoav T?]v oixovnivTjv. Unter der „ganzen Welt" kann nach be-
kanntem römischem Sprachgebrauch nichts anderes verstanden
Eleasar, ein Sohn des Judas xov nelauvroq ^lovöaiovg . . . . firj noiüod^ai tag
dnoyQttcpdq, ore KvQTjviog zifiTjxTjg slg ttjv 'lovöalav ine/u'pS^rj.
28) Die oben Anm. 22 genannten Jahre sind die Jahre, für welche die
Angaben zu machen waren. Die dnoygaipai selbst aber haben immer im
folgenden Jahre stattgefunden. Demnach muss, wenn wir so weit zurück-
gehen dürfen, im Jahre 6/7 eine dnoyQa<fi^ für das Jahr 5 0 stattgefunden
haben.
29) Vgl. zur Erklärung ausser den Comnientaren auch: Wieseler, Bei-
träge S. 18—32. Zumpt, Geburtsjahr S. 90-90. 188 ff. Lecoultre, De censu
Quiriniano p. 11—27.
518 § !"• Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. [431. 432]
werden, als das ganze römische Reich, der orbis liomanus. Streng
genommen umfasst dieser Begriff sowohl Italien als die Provinzen.
Doch wäre es eine verzeihliche Ungenauigkeit des Ausdruckes,
wenn es sich etwa factisch dabei nur um die Provinzen gehandelt
haben sollte 3^). Ganz unmöglich ist die von früheren Auslegern
zuweilen beliebte Beschränkung des Ausdruckes auf Palästina ^i).
Das Yerbum aTcoyQafpuv heisst zunächst nur „aufzeichnen''; ist
also allgemeiner als das bestimmte änorifjav „abschätzendes).
Es ist aber nicht wohl ein anderer Zweck der „Aufzeichnung"
denkbar, als der der Besteuerung (denn vom Kriegsdienst waren
wenigstens die Juden frei); und jedenfalls hat Lucas das Wort so
verstanden, da er diese „Aufzeichnung" V. 2 in Verbindung bringt
mit dem bekannten Census des Quirinius, sei es nun sie mit ihm
identificirend oder von ihm unterscheidend. Er fährt nämlich V.
2 fort: avxrj [ry] ajtoyQacpr] jtqcoti] eysvsro ■^ysfJovsvovTog rrjc ^vgiac:
KvQi]viov. Ob der Artikel vor ajtoyQa(p7] aufzunehmen ist oder
nicht, lässt sich schwer mit Sicherheit sagen, da für beide Les-
arten gewichtige Instanzen vorliegen '^^). Jedenfalls ist die Stellung
jtQcoxri lytvero gegenüber den vereinzelten Lesarten tytvero jtQcox)]
(K) und iysvETo ajioyQaq)?} jtQmTT) (D) festzuhalten. Für den Sinn
ist es fast gleichgültig, ob man den Artikel beibehält oder nicht;
denn im ersteren Falle ist zu übersetzen : „Diese | Schätzung fand
als erste statt", im anderen Falle: „Diese fand als erste Schätzung
statt '^), während Quirinius Statthalter von Syrien war". Aber es
fragt sich nun, in welchem Sinne sie Lucas als „erste" bezeichnet.
Will er damit sagen, es sei die erste allgemeine Reichsschatzung
gewesen 3'^), oder die erste römische Schätzung in Judäa^''), oder
es sei die erste gewesen unter mehreren, welche Quirinius hielt 3')?
Die erstere Fassung würde ergeben, dass Lucas an eine Mehrzahl
30) So Wiesel er, Beiträge S. 20—22.
31) So Paulus, Hug u. A.
.32) Vgl. Wiese 1er Bc-itr. S. 10 f. Zumpt S. 94-9G. Ucber den clas-
«ischcD (iebrnuch von anoypatf^ h. Tiialhoim in Pauly-Wissowa's Roal-Enc.
I, 2822; über die ägyptischen dnoyQuipal oben S. 514 f.
33) Die Mehrzahl der Handschriften hat den Artikel; er fehlt in BD, auch
in K. weh-hcr avxrjv annyQatprjv liest; verworfen wird der Artikel von Lach-
mann, Tregrlles. Tischendorf c^. VIII, Wieseler, Weiss, Westcott und Hort.
34) Biittmann, Cürainniatik des ncutestamentl. Sprachgcbraudis S. 105.
35) So HuHclike, Urbcr tU'U zur Zfit der (»eburt Jesu Cliristi gehaltenen
CenMUH, H. W»; Köhler in Herzog's Kcal-Hnc 1. Aufl. Xill, 400.
»J) 8o z. B, Wieseler, Jlcitrage H. 24. 27; Hilgenfeld, Zeitschr. 1870,
8. I.*i7; Hock, IWni. Gesch. I, 2, 417.
37) So J5. B. Meyer-WeisB z. d. St. und Zumpt, Geburtsjahr Christi
8. 188— ÜK).
[432. 433] § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. 519
allgenieiiier Reichsschatzungen glaubte. Wenn aber, wie sich zeigen
wird, schon die eine Reichsschatzung unter Augustus problematisch
ist, so ist eine mehrmalige Wiederholung derselben noch viel pro-
blematischer. Wir werden daher gut thun, dem Evangelisten nicht
unnöthigerweise diesen verschärften Irrthum unterzuschieben. Die
sodann zunächst sicli darbietende Fassung ist die oben an zweiter
Stelle genannte; und wir haben bei ihr zumal dann stehen zu
bleiben, wenn sich herausstellen sollte, dass Quirinius überhaupt
nur einmal eine Schätzung in Judäa gelialten, und auch Lucas
diese eine gemeint hat. A'orläufig betrachten wir daher als Sinn
der Worte den, dass die von Augustus angeordnete allgemeine
Reichsschatzung für Judäa die erste war, welche überhaupt von
den Rijmern daselbst vorgenommen wurde, und dass sie geschah,
während Quirinius Statthalter von Syrien war. — Im Folgenden
(V. 3—5) berichtet Lucas weiter, dass in Ausführung jenes Gebotes
Alle (im jüdischen Lande) gingen, sich aufzeichnen zu lassen, ein
Jeder dg xrjv eavrov jtoXiv^^), d. h. wer nicht ohnehin am Stamm-
sitz seiner Familie (seines o/xoc) sich befand, der begab sich nun
zum Behufe der Aufzeichnung dorthin. Und so ging auch Joseph
von Galiläa nach Bethlehem, darum weil er aus David's Hause
war, um sich aufzeichnen zu lassen sammt Maria seiner Verlobten
{üvv MuQia^i ist mit axoyQat\'ao&ai zu verbinden, nicht mit dem
viel weiter abliegenden ävtßrf). \
Dieser Bericht des Lucas erweckt nun aber folgende Bedenken:
L Von einem allgemeinen Reichscensus zur Zeit des
Augustus weiss die Geschichte sonst nichts.
Apologetisch: Huschke, Census z. Zeit d. Geb. J. Chr. S. 2 — 59. Wie-
seler, Synopse S. 75—93. Beiträge S. 50—64. Rodbertua, Jahrbb. für
Nationalökonomie und Statistik V, 145 ff. 241 ft". Zumpt, Geburtsjahr Christi
S. 147—160. Marquardt, Römische Staatsverwaltung II, 204 ft". (= 2. Aufl.
8. 211 ff".). Lecoultre, De censu Quiriniano p. 28—41.
Die Thatsache eines solchen Reichscensus hat namentlich
Huschke durch eine Reihe von Daten zu beweisen gesucht, deren
mangelnde Beweiskraft gegenwärtig auch von den entschiedensten
Vertheidigern des lucanischen Berichts wenigstens theilweise aner-
kannt wird. So beruft sich Huschke (S. 11 If.) und auch noch Wie-
seler "*^) auf das rationaHwn oder hreviariuvi totius impeHi., ein Ver-
zeichniss der Hülfsquellen des gesammten Reiches, welches Augustus
38) So ist nach i^i^BÜLS (mit Tischendorf cd. VIII, Weiss, Westcott und
Hort) zu lesen, statt liec. ftq r^v iöiav nöJuv.
39) Synopse S. 82 f. Beiträge S. 52. 93.
520 §17, Anhang 1. Die Schätzung des Quirinhis, Luc. 2, 1—5. [433.434]
als guter Finanzmann sich anlegte, um die arg zerrütteten finan-
ziellen Verhältnisse des Eeiches wieder in Ordnung bringen zu
können {Sueton. Äug. 28. 101. Dio Cass. LIII, 30. LVI, 33. Tac.
Änn.l, 11) •*o). Allein mit Recht bemerkt Zumpt * ^), dass dies zwar
für den geordneten Zustand der Staatsverwaltung spricht, nicht
aber eine Reichsschatzung beweist ^2) — Noch unglücklicher ist
die Berufung Huschke's (S. 37—45) auf Dio Cass. LIV, 35 und LV,
13 ; denn an ersterer Stelle ist lediglich gesagt, dass Augustus wie
ein Privatmann sein ganzes Vermögen {jcavxa xa vjtaQxovxa ol)
dem Census unterworfen habe; und an der anderen ist nur von
einem Census der römischen Bürger die Rede^^). — Endlich ist
auch der Versuch Huschke's (S.45— 53), das Monummtum Am%jranum
(vgl. über dasselbe oben S. 110) zu einem Zeugen für den allge-
meinen I Reichscensus zu machen, vollständig misslungen; wofür es
genügt, auf Wieseler**) und Marquardt*^) zu verweisen.
Von den zahlreichen Zeugen für den allgemeinen Reichscensus,
welche Huschke zusammengebracht hat, bleiben daher nur Cassio-
dorus, Isidorus Hispalensis und Suidas*^). Sie sprechen aller-
dings zweifellos von einem allgemeinen Reichscensus zur Zeit des
Augustus*'). Allein ihr Zeugniss verliert dadurch erheblich an
Werth, dass sie alle drei Christen waren und in sehr später Zeit
(im 6., 7. und 10. Jahrhundert nacli Chr.) gelebt haben; wodurch
die Vermuthung sehr nahe gelegt ist, dass sie lediglich aus Lucas
geschöpft haben. Das confuse Gerede des Spaniers Isidorus be-
40) Tacüus beschreibt a. a. O. den Inhalt desselben folgendermassen : Opes
publieae continebantttr, quanfum civium sociorumque in armis, quot c/asses,
regna, provinciae, trihuta aiit rectigalia, et necessitates ac largitiones. Quae
cuncta 8ua manu perscripserat Aw/ustus aiklidcratqie consilium coercendi intra
terminoa imperii, incertum mctu an per invidiam.
41) Geburtsjahr Christi 8. 154.
42) Man hat aus der Angabe des Tacitus sogar herausgelesen, dass Au-
gustus auc;li in den Gebieten der reges sociV Schätzungen gehalten habe. Aber
wie man sieht, ist nicht einmal davon die Rede, dass die regna Tribut zahlten,
geschweige denn von Srhatzimgen in ihren Gebieten.
43) Vgl, Wiese 1er, Synopsc S. 85—90. Beiträge S. 57. Zumpt, Ge-
burt»). S. 120 155. — Die Stelle Dio Cass. LIV, 35 bezieht auch noch Rod-
bertuft Jahrbb. V, 169 fl". auf den Provinzialcensus, wenn auch mit etwas
anderer Deutung alii Huschke.
44) Bynopse 8. 90-92. Beiträge 8. 68—64.
45) BAm. Staatsverwaltung IT, 206.
46) Vgl. Huschke 8. 3 n: Wieso 1er, Synopse 8. 77 f. Beiträge 8. 63-50.
Rodbortus V, 241 fT. Zumpt H. 149—166. Marquardt II, 206f.
47) Die betreuenden Stellen lauten:
CaiMtodor. Variaruin III, 62: Augusti siquidem temporilnis orlns Bo-
manuM agri$ divitu» censugue deaen'ptus est, ut possessio sun nvili hnheretur
[434. 435] § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. 521
trachten auch Wieseler ^^) und Zumpt^^) nicht als selbständiges
Zeugniss. Bei Suidas liegt die Abhängigkeit von Lucas auf der
Hand. Cassiodorus endlich hat allerdings ältere Quellen, nament-
lich die Schriften der Feldmesser, benützt. Aber wer bürgt uns
dafür, dass er die Notiz über den Census nicht aus Lucas herüber-
genommen hat? Jedenfalls ist es misslich, bei dem Schweigen aller
älteren Quellen (des Monumentum Äncyranum, des Dio Casshts, des
Suetonius) die vereinzelte Notiz Cassiodor's als geschieh tliclies
Zeugniss zu betrachten^'*). — Das „Zeugniss" des Orosius, auf
welches ßiess wieder grossen Werth gelegt hat, nachdem es von
den Meisten längst aufgegeben war, ruht zweifellos auch nur auf
Lucas ^ 1).
Eine indirecte Stütze für die Annahme eines Reichscensus zur
Zeit des Augustus haben Manche in der angeblichen Reichsver-
messung des Augustus gefunden. Allein auch diese ist sehr proble-
matisch ^'^j. Wir wissen zwar, dass Agrippa, der Freund des
ineerta, quam pro tributorum susceperat quantitale sohenda. Hoc auetor Hy-
rwnmetrieus [so die edd., lies: gramaticus] rede(jit ad dogma conseriptwn, qtia-
tenus Studiosus legendo possit agnoscere, quod deberet oculis absolute ynonstrare.
Isidor. Etymologiaritm V, 36, 4 {Opp. ed. Äreralo III, 229«^.): Era sin-
gulorum annoinim constituta est a Caesare Augusto: quatido primum ce^isum
exegit, ae romanum orbcm descripsit. Dicta auteni era ex eo, quod omnis orhis
aes reddere professus est reipublicae. — lieber die spanische Aera vom J. 38
V. Chr., deren Ursprung Isidorus hier erklären will, s. Ideler, Handbuch der
Chronologie II, 422 fl'. Pauly's Real-Enc. I, 1, 2. Aufl. Ö. 420 f. (Artikel aera).
Heller in Sybel's Hist. Zeitschr. Bd. XXXI, 1874, S. 13-32. Pauly-Wis-
sowa's Real-Enc. I, 639 f.
Suidas, Lex. s. v. dnoygaip^: '0 Öh KalaoQ Avyovorog 6 (iovaQXÜoaq
ei'xoatv avÖQaq lolq uQiaxovq rbv ßlov xal rov rgönov inü.f-^äfifvoq inl näaav
TTjv yfjv rüjv i7iT]x6(ov i^inefiips, dt' wv unoyQatpaq inoitjouTO X(üv xt (cvi^pw-
nwv xal oxaiwv, aixäQxr} rivu ngoaxä^aq xöJ ötjfxoaluj fioi^av ix xoixiov iia-
(ptQtaöai. AvxT] ^ ilnoyQaipii ngföxr] iytvixo xdJv TtQO aixov xolc xexxr,fxhoiq
xi /XTj d^aiQOVfitvwv, wq eivai xolg evnoQOiq ÖTjfiöaiov tyxXrjfAa xbv nkoixov.
48j Synopse S. 78.
49) Geburtsjahr Christi S. 151.
50) Auch Moinmsen urtheilt, dass Cassiodor die Notiz über den Genius
aus Lucas geschöpft hat. S. dessen Abhandlung über „Die libri colomarum"
in: „Die Scliriften der römischen Feldmesser" herausgeg. v. Blume, Lachmann
und Rudorft; Bd. II (1852), S. 177.
51) Oros. VI, 22, 6: Eodem quoqiie anno [752 a. U.] tunc primmn idem
Caesar .... censum agi singulanim ubique provinciaruni et censeri omnes ho-
minis jussit, quando et Deus hämo videri et esse dignatus est. Tunc i'/itur nattts
est Christus. Romano censui statim adscriptus ut natus est. — Vgl. Riess,
Das Geburtsjahr Christi (1880) S. 09 ft".
52) Das Material hierüber ist in der Kürze gut zusammengestellt bei
Marquardt, Römische Staatsverwaltung Bd. II, S. 200—204 (2. Aufl. besorgt
von Dessau und Domaszewski 1884, S. 207—211). Daselbst S. 200 (2. Aufl.
522 § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1 — 5. [435. 436]
Augustus, Material für eine Weltkarte gesammelt hat, und dass
diese Weltkarte nach seinem Tode in Marmor ausgeführt in einer
Säulenhalle aufgestellt wurde. Jene commentarii Agrippa's waren
besonders wegen ilirer zahlreichen genauen Maassangaben werth-
voU ^3j. Sehr zweifelhaft ist aber, ob die Maassangaben Agrippa's
auf einer allgemeinen, durch Augustus vorgenommenen Reichs-
vermessung ruhten. Dass eine solche schon ^ unter Cäsar begonnen
und unter Augustus vollendet wurde, wird zwar in einigen späten
Cosraographien (Julius Honorius und Aethicus Ister) behauptet.
Es ist aber fraglich, ob diese Notiz auf alte Quellen zurückgeht^*).
Und I auch wenn Augustus eine allgemeine Reichsvermessung vor-
genommen hat, so hatte diese mit dem Census wahrscheinlich gar
nichts zu thuu. Es könnte sich dabei — wie alles geographisch-
statistische Material der folgenden Zeit beweist — im Wesentlichen
S. 207) ist auch die Specialliteratur angegeben, zu welcher noch hinzuzufügen
ist: F. Philippi, Zur Reconstruction der Weltkarte des Agrippa, 1880.
Schweder, Beiträge zur Kritik der Chorographie des Augustus, 8 Thle. 1876
bis 1883. Detlefsen, Untersuchungen zu den geographischen Büchern des
Plinius, 1. Die Weltkarte des M. Agrippa, Glückstadt 1884. Cuntz, Agrippa
und Augustus als Quellenschriftsteller des Plinius in den geogr. Büchern der
naturalis historia (Jahrbb. für class. Philol. 17. Supplbd. 1890, S. 473—526).
Traube, Zur Chorographie des Augustus (Sitzungsberichte der Münchener
Akademie, philos.-philol. und bist. Cl. 1891, S. 406— 409). Schweder, Ueber
die Weltkarte und Chorographie des Kaisers Augustus (Jahrbb. für class.
Philol. 1892, S. 113—132). Ders., Ueber die Weltkarte luid Chorographie des
Kaisers Augustus (Philologus LIV, 1895, S. 528-559. LVI, 1897, S. 130-162).
Vgl. auch Hübner, Grundriss zu Vorlesungen über die röin. Literaturgesch.
4. Aufl. 1878, S. 180 (Literaturverzeichniss). Teuffei, Römische Literatur-
geschichte § 220, 12—13.
53) Die daraus erhaltenen Notizen (besonders bei Plinius) sind zusammen-
gestellt von Riese, Oeographi Latini minores (1878) ;>. 1—8, vgl. auch dessen
Proleg. p. VII— XVII. — Das Hauptr.eugniss ist Plinius Jlist. Nat. 111,2, 17:
Af/rippam qiiidem in tanta viri dilvientia prcwterqiie in hoc opere ciira, cum
orbem terrarum orhi speclanduoi pro})osilunis esset, crrasse quis credat? et cum
eo dintm Auf/ustumY Is ncnnque conplcxam cum porticum e.r destinatiune et
commentariia M. Agrippae a sorore qjiis incfioatam peregit. — Die Notizen bei
Plinius sind wahrscheinlich nicht aus der Karte, sondern aus Agrippa's com-
mentarii entnommen. S. Riese p. IX. Doch sucht Detlefsen das erstero nach-
zuweisen.
64) Die Texte des Julius Honorius und Aethicus Ister s. bei Rie-
se, Oeographi iMtini minores (187H) p. 21—55 und 71—103. Die Notiz über
die ReicIiHVermesHung steht bei Beiden ganz im Anfang. — Julius Honorius
int iltcr als Cassiodor. Eh ist aber beinc-rivcnswerth, dass im cod. Parisin.
4808 iaec. VI, welcher die ülteste Recension seincH Werkes enthält (bei Riese
mit A bezeichnet), die Notiz über die Reichsvermessung fohlt. — Ueber Ae-
tliicu» Ister s, Outschmid, Kleine Schriften V, 418—425. Berger in Pauly-
NVIwwwa'i Real-Eoc. I, 697 fl.
[43G] § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. 523
nur um geographische Ermittelungen, vor allem um eine Ver-
messung der Strassen mit Distanzangaben von Ort zu Ort, ge-
handelt haben.
Wenn sonach feststeht, dass — von Lucas abgesehen — ein
allgemeiner Reichscensus des Augustus geschichtlich nicht bezeugt
ist, so bliebe immerhin die Möglichkeit, dass eben Lucas allein uns
die Kunde davon aufbewahrt hat. Allein auch diese Möglichkeit
bedarf wieder sehr der Einschränkung. Vor allem kann von einem
Reichscensus nicht die Rede sein, sondern höchstens von einem
Census der Provinzen, da Italien auszunehmen ist (vgl. S. 510 f.).
Aber auch hinsichtlich der Provinzen bestand wieder der grosse
Unterschied, dass die einen von Augustus durch seine Legaten, die
andern vom Senat verwaltet wurden. Es ist kaum denkbar, dass
der vorsichtige, die Rechte des Senates möglichst schonende Augustus
durch ein und dasselbe Edict in gleicher Weise einen Census für
seine Provinzen und für die des Senates angeordnet haben sollte ^^).
55) Im Allgemeinen ist wohl anzunehmen, dass die Kaiser von Anfang an
auch in den Senatsprovinzen das Recht, Schätzungen anzuordnen, für sich in
Anspruch genommen haben. Dio Cass. LIII, 17 rechnet es ganz allgemein
zu den Befugnissen der Kaiser, dass sie anoypa^aq noiovvtai. Sie mussten
dieses Recht schon deshalb sich reserviren, weil auch die Senatsprovinzen
gewisse Abgaben an den kaiserlichen Fiscus zu leisten Latten, weshalb es
auch in den Seuatsprovinzen kaiserliche Procuratoren gab (Marquardt, Staats-
verwaltung I, 2. Aufl. 1881, S. 555 f.). Es ist aber, trotz der Dürftigkeit des
Materiales, von Mommsen und Hirschfeld doch bemerkenswerth gefunden
worden, dass kaiserliche Schatzungsbeamte in Senatsprovinzen für das
erste Jahrhundert der Kaiserzeit bis jetzt nicht nachgewiesen sind. Unter
den von Marquardt II, 2. Aufl. 1884, S. 216 und Unger (Leipziger Studien
zur class. Philol. X, 1887, S. 1 ft".) zusammengestellten Beispielen finden sich
zwei lefiati ad census accipiendos in Senatsprovinzen, einer in Gallia Narbo-
nensis (Unger n. 1 = Orelli-Henzen Inser. Lat. n. 0153) und einer in Macedonien
(Unger n. G == Coi-p. Inscr. Lat. t. III n. 14Ü3). Der erstere war aber der
ordnungsmässige, vom Senat bestellte Proconsul und ist als solcher (vom
Kaiser) zugleich mit Abhaltung des Census beauftragt worden; bei dem an-
deren, der mit verkürzter Titulatur nur cens[itor) provinciae Macedoniae heisst,
war das Verhältniss vielleicht dasselbe (so Unger). Uebrigens stammt die In-
schrift erst aus dem zweiten Jahrhundert. Ein kaiserlicher /»rocwrator ök^ ee«-
sus accipiendos Macedoniae (also in einer Senatsprovinz neben dem Proconsul)
findet sich auf einer Inschrift zu Thysdrus in Afrika (Unger n. 31 = Corp.
Inscr. Lat. t. VIII n. 10500). Dieselbe stammt aber ebenfalls erst aus dem
zweiten Jahrhundert (Unger p. 58 sq.). Grosses Gewicht darf man freilich auf
diese Thatsachen nicht legen, denn es ist möglich, dass auch für die kaiser-
lichen Provinzen dasselbe Verhältniss gilt: dass nämlich in der früheren Kai-
serzeit die Statthalter mit dem Schatzungsgeschäft beauftragt wurden, und
erst später besondere Schatznngsbeamte neben den Statthaltern dasselbe zu
vollziehen hatten (so Unger, vgl. unten Anm. 137). Die Hauptsache ist, dass
Augustus nach allem, was wir von ihm wissen, das Bestreben hatte, die Se-
524 § l'if • Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. [436. 437. 438]
Dazu kommt, dass wir von einigen Provinzen bestimmt | wissen,
dass zur Zeit des Augustus noch kein römischer Census daselbst
stattgefunden hat ^^). Was wir zugeben können, ist daher lediglich
dies, dass zu Augustus' Zeit in vielen Provinzen Schätzungen vor-
genommen wurden^'). Und dies ist allerdings wahrscheinlich, da
das Bedürfniss hierfür nach den Wirren der Bürgerkriege vielfach
vorhanden gewesen sein wird, und Augustus es als seine Aufgabe
betrachtete, geordnete Zustände zu schaffen. Zumpt legt auch
grosses Gewicht darauf, dass die juristischen Quellen aus dem An-
fang des dritten Jahrhunderts {Digest L, 15) bereits eine grosse
Gleichförmigkeit in Betreff des Schatzungswesens voraussetzen ^s).
Wir sind aber durch nichts berechtigt, diese Uniformirung auf
Augustus zurückzuführen.
Ein weiteres Bedenken gegen den lucanischen Bericht ist aber:
IL Durch einen römischen Census konnte Joseph nicht zur
Reise nach Bethlehem und Maria nicht zur Mitreise
dorthin veranlasst werden.
Apologetisch: Husch ke, Census z. Zeit d. Geb. J. Chr. S. 116—125.
Wieseler, Synopse S. 105—108. Beiträge S. 65—69. 46—49. Zumpt, Ge-
burtsjahr Christi S. 193—196. 203 f. |
Beim römischen Census musste der Grundbesitz in der Gemeinde
zur Besteuerung angegeben werden, in deren Gebiet er lag (s. oben
S. 514). Im Uebrigen hatte der zu Schatzende sich an seinem Wohn-
orte oder am Hauptorte des Steuerdistrictes, innerhalb dessen er
wohnte, zum Census zu melden. Wenn dagegen Lucas berichtet,
natsprovinzen als selbständig erscheinen zu lassen. — Vgl. überluiupt über
das kaiserliche Sehatzungsrecht in den Senatsprovinzen (und zugleich gegen
die Annalmie eines Keiclisccnsus unter Augustus): Mo rumsen, Staatsrecht
1. Aufl. II, 1, S. 392-394. II, 2, S. 945 f. Hirschfeld, Untersuchungeu auf
dem Gebiete der römiHchen Verwaltungsgeschic-hte Bd. I, 1877, S. 17 — 19.
Unger, Leipziger Studien X, S. 48—59 (Hirsclifcld hält es sogar für wahr-
Mcheinlich, „da«H in der Augusteischen Verfassung dem Senate in seinen
Provinzen und in Italien dieses Hoheitsrecht belassen worden sei" S. 17).
50) Zumpt 8. 176 f.
bl) Darauf kommt im Grunde auch Zumpt hinaus; vgl. S. 147 f. 1631t'.
211 f. (nur da«» er die verschiedenartigen und zu verschiedenen Zeiten gehal-
tenen Provinzlalschatzungen auf ein Edict zurückführt). Ebenso Manjuardt,
8t«at«ver\vttltung II, 204 ü", Lecunltre, De censu Quiriniano p. 2^ sqq. und
Aberle, der nicht einmal ein Kdict, sondern nur einen Beschluss des Au-
gnitUH annimmt (Theol. Quartalschr. 1874, 8.664 (l.). Die Aniuilniio eines
BeichHconHUH, wclciic von den Genannten nngebli<ii vortheidigt wird, ist
damit thatHäcliüch aufgegeben.
W) Zumpt H. 166— IW.
[438.439] §17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. 525
dass Joseph nach Bethlehem reiste, weil er aus dem Hause David's
war, so ist vorausgesetzt, dass die Anfertigung der Steuerlisten nach
Stämmen, Geschlechtern und Familien geschehen sei, was keines-
falls römisch ist. Gewöhnlich wird daher angenommen (so auch von
Wieseler und Zumpt), dass bei jenem Census eine Anbequemung
an jüdische Sitte stattgefunden habe. Nun ist allerdings riclitig,
dass die Römer bei derartigen Maassregeln sich häufig an be-
stehende Einrichtungen anschlössen. Aber gerade in diesem Falle
wäre eine solche vermeintliche „Schonung" höchst auftällig, da diese
Art der Schätzung viel lästiger war und zu viel mehr Incon-
venienzen führen musste als die römische. Auch ist es sehr fraglich,
ob eine Aufzeichnung nach Familien und Geschlechtern überhaupt
möglich war, da bei \'ielen die Zugehörigkeit zu dieser oder jener
Familie nicht mehr nachweisbar war ^^). Auffällig ist ferner, dass
Lucas den Schein erweckt, als sei Maria um der Schätzung willen
genöthigt gewesen, mitzureisen (V. 5: djioyQaipaoi^ai ovv MaQiafi).
Eine solche Nöthigung konnte bei einem römischen Census nicht
vorliegen. Denn wenn auch die Frauen zur Kopfsteuer heran-
gezogen wurden (s. oben S. 513), so brauchten sie doch nicht per-
sönlich beim Census zu erscheinen ^^o)^ da die betreuenden Angaben,
wie aus der Analogie mit dem älteren römischen Census zu schliessen
ist, von den Familienvätern gemacht werden konnten.
III. Ein römischer Census konnte überhaupt in Palästina
zur Zeit des Königs Herodes nicht vorgenommen werden.
Apologetisch: Huschke, Census z. Zeit d. Geb. J. Chr. S. 99—11(3.
Wieseler, Synopse S. 93—98. Beiträge S. 79—94. Zumpt, Geburtsjahr
Christi S. 178—186. 212 f.
Wenn Quirinius im J. 7 nach Chr. einen Census in Judäa
vornahm, so war dies ganz in der Ordnung. Denn Judäa war da-l
mals eben zur Provinz gemacht worden. Nach Lucas dagegen soll
ein römischer Census in Palästina stattgefunden haben zu einer
Zeit, als Palästina unter Herodes d. Gr. noch ein selbständiges,
wenn auch unter römischer Oberhoheit stehendes Königreich war.
59) S. Bd. II S. 260 f. (der 15. Ab, an welchem nach Mischna Taanith IV,
5 „die von unbekannter Abstammung" das Holz für den Brandopferaltar
lieferten, wird anderwärts als der Tag der allgemeinen Holzlieferung be-
zeichnet. Nur einzelne Stammhäuser lieferten an besonderen Tagen. Auf
diese Stammhäuser beziehen sich auch die sonst [s. Bd. II S. 229] vorkom-
menden Spuren von der Erhaltung der Geschlechtsregister bis zum Zeitalter
Christi).
60) Wie noch Wieseler Beitr. 46 — 49 und Zumpt 203 f. annehmen.
526 § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. [439. 440]
Dies scheint nach allem, was wir über die Stellung- der reges socü
za den Römern, insonderheit über die Stellung des Herodes wissen,
unmöglich zu sein. Pomp ejus hatte zwar dem jüdischen Lande
einen Tribut auferlegt'''); und Cäsar hatte das x4.bgabenwesen durch
eine Eeihe von Edicten neu geordnet ^^^^ Auch Antonius hatte
dem Herodes bei dessen Ernennung zum König einen Tribut auf-
erlegt •^3). Aber gesetzt auch, dass Herodes diesen Tribut unter
Augustus fortzubezahlen hatte, so ist doch nicht denkbar, dass in
seinem Lande eine römische Schätzung sollte vorgenommen worden
sein. P^ine solche innere Verwaltungsmaassregel konnte Augustus
in Palästina anordnen, als es Provinz geworden war; nicht aber,
so lange es das Gebiet eines rex sociits war.
Man weist zwar, um dies denkbar zu machen, auf ähnliche
Fälle hin, in welchen angeblich im Gebiete eines rex socius eine
römische Schätzung stattgefunden hat. So auf eine Stelle des
Tacitus über einen bei den Cliten gehaltenen Census'^^j. Tac. Ann.
VI, 41: Pei' idem tempus Clitarum natio Gappadoci Ärchelao siibiecia,
quia nostrum in modum deferre census, pati tributa adigebatur, in iuga
Tauri moniis abscessü locorumque ingenio sese contra imbelles regis copias
tuiabaiur. Aber hier ist ja nicht gesagt, dass im Gebiete des Königs
Archelaus ein römischer Census gehalten worden sei, sondern nur,
dass Archelaus bei den ihm unterworfenen Cliten einen Census nach
römischem Muster {nostrum in modum) habe halten wollen *'^). —
Zumpt glaubt in dem Aufstande Judas des Galiläers aus An-
lass des quirinischen Census vom J. 7 nach Chr. einen Beweis zu
finden, dass dieser Census sich nicht nur über das damals zur
Provinz gemachte Gebiet des Archelaus (Judäa und Samaria),
sondern auch über Galiläa erstreckt habe, indem nämlich jener
seinen Beinamen vom Schauplatz seiner Thätigkeit erhalten habe*'*').
Aber Josephus nennt ausdrücklich nur das Gebiet des Archelaus als
das vom Census betrofiene'''); und jener Beiname wird umgekehrt
61) Amt. XIV, 4, 4. B. J. I, 7, ö.
(J2) Antt. XIV, 10, 6. Vgl. oben 8. 345 f.
Ü3) Appian. Oiv. V, 75: HaxT} 6i ng xal ßaaiXiaq, ov<i doxiixaatiev, inl
ifÖQoiq &pa Terayfiivotg, llovvov fihv JaQflov xbv *PaQVttxov<i xov Mii^Qi-
ddxov, ^Idovfialatv dh xal Safiapiwv 'HQifjötjv, x. x, X.
64) Huschle e 8, 102— 1()4. WicBclcr, Synopsc 8. 94. Beitrüge 8. 94.
66) üeber ArchelHUH vgl. die oben 8. 408 genannte Literatur.
66) GeburtBJuhr Chrinti 8. 191 Anm. — Ueber den lieinanion dos Judas
R. Ann. XVIII, 1, 6: b Vaktkaloq 'lov6a<:, ibitl. XX, 0, 2: 'loiöa xov rahXaiov.
Bell. Jud. II, 8, 1: U^ uvi)(f VakiXalo<i 'loiöai;. ibid. II, 17, 8: 'lovöa xov xa-
kovfitvov ra),i).ahv. ApgeHch. 5, 37: 'lovöa^ b rakikalOQ.
67) Anll. XVIII, 1, 1: noff^v dk xal Kv^Tivioi tlq xt/v lovöalav, nQoaf^t'/xtjv
tfii l'vfluq ytvoßhijv, dnoTifitjaufitvSg xt aiituiv xäq ovalaf xal dnoStuaC'
[440.441] § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. 527
gerade daraus zu erklären sein, dass Judas, der aus Garaala, also
Gaulanitis stammte ''^), was man wohl im weiteren Sinn zu Galiläa
rechnete, nicht in Galiläa, sondern in Judäa den Aufstand leitete
und nun von den Bewohnern Judäa s nach seiner Heimath „der
Galiläer" genannt wurde *^'^).
Um die Unterthanenstellung des Herodes und damit die Mög-
lichkeit eines römischen Census in seinem Gebiete zu beweisen,
erinnert man daran, dass er nicht selbständig Krieg führen durfte '^),
dass er die Erlaubniss des Kaisers zur Hinrichtung seiner Söhne
einholte"''), dass seine Unterthanen auch dem Kaiser den Huldigungs-
eid leisteten''^), dass sein Testament der Bestätigung des Kaisers
bedurfte''^); ja selbst die Kampfspiele zu Ehren des Augustus und
die Kaisertempel müssen die Möglichkeit eines Census beweisen
helfen'^). Als ob aus alledem etwas anderes erhellte, als die ohne-
hin zweifellose Abhängigkeit des jüdischen Vasallenkönigs von dem
römischen Kaiser. Auch aus den jüdischen Münzen glaubt Wieseler '
Kapital zur Vertheidigung des Lucas schlagen zu können '^l Hier-
von ist nur beachtenswerth, dass es palästinensische Münzen des
Augustus mit den Jahreszahlen 33, 36, 39, 40, 41 giebt, die unter
Voraussetzung der actischen Aera (723 a. U.) z. Th. noch in die Zeit
des Archelaus, also in die Zeit, da Judäa noch einen einheimischen
Fürsten hatte, fallen würden. Aber sie sind wahrscheinlich nach
der augusteischen Aera vom 1. Januar 727 a. U. zu berechnen, wo-
nach d. J. 33 = 759 a. U."^^). — Vollends verfehlt ist es, wenn man
sich darauf beruft, dass Augustus den Herodes „unter die Pro-
nevoQ XU ÄQXfXdov jf(>?//iara. Vgl. überhaupt die oben S. 516 angeführten
Stellen. Es ist auch wohl zu beachten, dass die Pharisäer von Judäa ea
sind, welche an Jesum die Frage wegen des Zinsgroschens stellten [Matth. 22,
17. Marc. 12, 14. Lnc. 20, 22). Galiläa bezahlte eben damals noch keinen
kaiserlichen x>,vaog oder (poQoq.
68) Antt. XVIII, 1, 1.
69) Dass dies richtig ist, erhellt bes. aus B. J. II, 8, 1, wo Judas ein ßV^(>
rahXaloq genannt wird, was nichts anderes heissen kann, als: der aus Galiläa
stammte.
70) Antt. XVI, 9, 3.
71) Antt. XVI, 10—11. XVII, 5, 7. XVII, 7.
72) Antt. XVII, 2, 4. Vgl. über diesen Eid oben S. 399. Er wird, wie
man nach Analogie einiger uns bekannten Eidesformeln annehmen darf, ziem-
lich allgemeinen Inhaltes gewesen sein.
73) Antt. XVII, 8, 4. 11, 4—5.
74) Wieseler, Beiträge S. 90—92.
75) Beiträge S. 83—89.
76) Vgl. über diese Münzen oben S. 484 und die dort genannte Literatur.
— Die angeblichen Jahreszahlen 30, 31, 34, 35 sind unsicher, die beiden erstereu
entschieden zu bezweifeln.
528 § l*^- Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. [441. 442]
curatoren von Syrien eingereiht habe, indem er befahl, alles nach
seiner Meinung zu thiin"^''). Denn hieraus erhellt nicht die Unter-
thauen Stellung des Herodes'^), sondern im Gegentheil das hohe
Vertrauen, dessen er bei seinem Gönner und Freunde genoss. Und
ähnlich verhält sich's mit der von Augustus bei vorübergehender
Ungnade einst ausgesprochenen Drohung „or« jcaXai xQ(^fif:Vog avrm
<piXa), vvp vjtrjxocp igriöExaC'' {Antt. XVI, 9, 3), welche Stelle
Wieseler seltsamerweise für seine Ansicht verwendet ^^).
Eine genaue Definition der staatsrechtlichen Stellung des
Herodes ist allerdings schwer zu geben, da uns Josephus an der
Stelle, wo man eine solche erwarten sollte, im Stiche lässf^^). Im
Jahre 30 wurde nämlich Herodes durch einen Senatsbeschluss in
seinem Königthume aufs Neue bestätigt^'). Aber über den Inhalt
dieses Beschlusses theilt Josephus nichts Näheres mit. Auch die
Bemerkung des Dio Cassius, dass Augustus, als er im J. 20 die
Verhältnisse in Syrien definitiv regelte, „das unterworfene Gebiet
nach römischer Weise einrichtete, die Bundesgenossen aber nach
ihrer väterlichen Sitte herrschen liess"^^) — ist zu allgemein, als
dass sich hieraus | etwas Bestimmtes folgern Hesse. Immerhin ist
sie der Annahme eines römischen Census im Gebiete des Herodes
nicht günstig. Und das Gleiche gilt von den Ausdrücken, mit
welche« Josephus die Einziehung Judäa's als Provinz berichtet.
Sie beweisen zur Genüge, dass nach der Anschauung des Josephus
Judäa erst von da an römisches, den Römern unterworfenes Gebiet
wurde ^3)
Weiter als diese allgemeinen Bemerkungen führt uns eine Be-
trachtung des Abgabenwesens in der Zeit des Herodes, soweit es
aus Josephus bekannt ist. Ueberall finden wir hier, dass Herodes
77) Anti. XV, 10, 3: iyxava/ilyvvai 6' avxdv rotq iniXQonsvovai tijQ 2:vQlag
ivvti^d/jievog (lexa x7iq ixtivov yvw/jrjg xa nävxa noiflv. Etwas anders B.JA,
20, 4: xaxtoxfiae öh avxov xal £vgiag ökrjg iniiQonov —, utg fitjöhv i^slrj ölx«
XTJ( ixelyov avfißovXlag xolg iniiponoig öioixelv. — Vgl. hierzu oben 8. 406.
78) Wie noch Wieseler Beitr. S. 89 f. will.
79) öynopHC 8. 9(3. Beiträge 8. 83.
80) Vgl. über die Btaatsrechtliche Stellung der reges sooii im Allgemeinen
oben 8. 401 ff.
81) Antt. XV, 6, 7. Vgl. B. J. I, 20, 2-3.
82) IHo Qua. LIV, 9: 'O 6h Atyovaxog xh fihv vni^xoov xaxä xa xvJv
'Pat/ialmv Itfhi ditpxet, xo ih Ivanovöov ry naxpltp otplai xQontijt ei'a
&(fXKH>ai.
83) Antt. XVII, 13, 6; 'i'fjc }iQxt>.dov xtÜQag vnoxekovq nQoafSfirj^elaiji
»jj lifftov. — B. J. II, 8, 1: T^c /IpzfAaou z^'p«« *'« fnagx^'^v nfQiyQa(pttaTjg
— n.J. 11,0, 1: xijg *AQXti^aov ii^vatfxiag ntxantaovayjq flg ina^x^av. — Anit.
XVIII, 4, 8: oh {Archelai) PwfAuIot nafade^äfiivoi xt)v d()X>v.
[442] § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc, 2, 1 — 5. 529
selbständig über die Steuern verfügt, und nirgends zeigt sich eine
Spur von Abgaben an die Römer. Herodes erlässt bald ein
Drittelst), bald ein Viertel ^^) der Abgaben. Ja die jüdische
Cülonie in Batanäa befreit er von aller und jeder Abgabe^^).
Nach seinem Tode verlangen die Juden von Archelaus Vermin-
derung der drückenden Steuern (über die also doch Archelaus
zu verfügen hat)^'), und die jüdische Deputation in Rom beklagt
sich über die Abgabenlast unter Herodes, um dadurch ihren Wunsch
zu begründen, dass nicht wieder ein Herodäer die Herrschaft über
Palästina erhalte. Aber von römischen Steuern ist keine Rede^^),
Man sieht: Herodes verfügt völlig unumschränkt über das Abgaben-
wesen in Palästina. Es wird daher — selbst wenn er einen Tribut
an die Römer entrichtet haben sollte — jedenfalls die Behauptung
aufrecht zu erhalten sein, dass ein römischer Census und römische
Besteuerung in seinem Lande nicht können eingeführt worden sein^^).!
84) Äntt. XV, 10, 4.
85) Äntt. XVI, 2, 5.
86) Antt. XVII, 2, 1: äieXTj)ts r^v x^9"^ inTjyyef.Xeto, xal aitovi
(latpoQwv dnriXXayfjisvovq. änaacüv.
87) Äntt. XVII, 8, 4. — Wie sei er ist freilich kühn genug, die Steuer,
über welche die Juden sich beklagen, zu einer römischen zu machen; Synopse
S. 102 f. Beiträge S. 98 f.
88) Äntt. XVII, 11, 2.
89) Die Frage, ob Herodes einen Tribut an die Römer entrichtet habe,
ist für unsere Frage (nach der Möglichkeit eines römischen Census) gleich-
gültig. Denn die Zahlung einer Pauschsumme als Tribut ist etwas ganz anderes
als die directe Besteuerung der einzelnen Bürger des Landes von Seite der
Eöraer. Auch jenes ist aber nicht wahrscheinlich; wenigstens giebt es keinen
Beweis dafür. Dass Antonius dem Herodes einen Tribut auferlegte (4joj[>ia«.
Civ. V, 75, 8. oben S. 526), beweist nichts für die Zeit des Augustus. Wenn
es von Caligula heisst, dass er bei Wiedereinsetzung von Königen in ihr
väterliches Reich diesen „sowohl den vollen Genuss der Einkünfte als auch
den Ertrag der Zwischenzeit" (während welcher das Königreich eingezogen
war) zugewiesen habe {Suefon. Calig. 16: si quibtts regna restituit, adjecit et
fruetum omnem veetigalionim et reditum medii temporis), so darf nicht ge-
schlos!<eu werden, dass sonst immer das Gegentheil von beidem stattgefunden
habe. Denn Sueton will damit nicht eine besondere Thorheit, sondern ein
Wohlverhalten Caligula's berichten. Das Aussergewöhnliche war wohl nur
die Ziirückerstattung des reditus medii temporis. Immerliin sieht man aus der
Stelle, dass es für diese Dinge keine streng bindende Regel gab. Zur Zeit
Luciau's zahlte der König Eupator von Bosporus einen jährlichen Tribut an
die Römer [Lucian. Alexander c. 57, s. den Wortlaut oben S. 403). Anderer-
seits gab es aber sogar nSXtiq avxövo/^wi re xal (fögwv dzeXsig {Äppian. Civ.
I, 102); und es ist nicht wahrscheinlich, dass die Könige schlechter gestellt
waren. Im Allgemeinen ist die Tributzahlung für die spätere Kaiserzeit, wo
die Machtstellung der reges socii mehr herabgedrückt war, wahrscheinliche^
als für die frühere. Vgl. überhaupt oben S. 401 ff.
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 34
530 § 1^- Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1 — 5. [443. 444]
IV. Josephus weiss nichts von einem römischen Census
in Palästina zur Zeit des Herodes; spricht vielmehr von
dem Census des Jahres 7 nach Chr. als von etwas Neuem
und Unerhörtem.
Apologetisch: Wieseler, Synopse S. 98 — 105. Beiträge S. 94—104.
Um das aus Josephus entnommene argumentum e silentio zu
entkräften, hat man zweierlei Wege eingeschlagen: entweder man
hat doch auch bei Josephus Spuren eines römischen Census zur
Zeit des Herodes zu entdecken gesucht oder man hat dem Schweigen
des Josephus alle Beweiskraft abgesprochen.
Eine Spur jener Art glaubt Wieseler in dem Aufstande des
Judas und Matthias kurz vor dem Tode des Herodes entdeckt
zu haben ^*'), dessen Ursache der Census gewesen sein soll; während
doch Josephus so deutlich wie möglich eine Ursache ganz anderer
Art angiebt^i). Eine weitere Spur sollen die detaillirten Angaben
über die Höhe der Einkünfte von Judäa, Galiläa und Trachonitis
sein, welche von Josephus bei Erwähnung der Theilung Palästina's
unter die drei Söhne des Herodes gemacht werden ^2); als ob, um
diese zu kennen, ein Census, vollends ein römischer nöthig gewesen
wäre! Weit eher beachtenswerth ist, dass bei jener Theilung
Augustus die Bedingung stellte, dass der Steueransatz für die
Samariter um ein Viertel erniedrigt werde, da sie sich nicht am
Krieg gegen Varus betheiligt liatten^^). beachtenswerth, weil es
das einzige Beispiel eines Eingriffs des Kaisers in das Steuerwesen
Judäa's vor seiner Einziehung als römische Provinz ist. Aber
freilich folgt | daraus niclit, wie Wieseler will^^), dass es sicli um
eine römische Steuer handelt. Im (^egentheil: es ist überall nur
von den Abgaben an die einheimischen Fürsten, Arclielaus, Antipas
und Philippus die Rede; und gerade die Nichterwähnung einer
römischen Steuer an diesem Orte spricht dafür, dass eine solche
damals noch nicht entrichtet wurde. — Besonders scharfsinnig ist
endlich die Argumentation, mittelst deren Zumpt den gesuchten
Census (vor dem bekannten vom J. 7 nach Chr.) im Josephus ent-
W)) Antt. XVII, 0, 2. Vgl. Wiesel er Synopse S. 100-105. noiträgo
8, 98— 1(>1.
91) S. oben H. 413.
92) Antt. XVII, 11, 4. B. J. 11, 0, 3. Vgl. Wieselcr, Beiträge S. 99.
93) Antt. XVII, 11, 4: Tixu(fXov /ifpovi [Niese: xn('{)iriv noiQnv\ ovxoi
xwv if^ofwv TiafaX^ktfvxo, KuiottQoq ttvtol^ xovtpioiv \p7jif laufitvov öia xi> fn)
avvanoaxfjyai xy kotny ni.t}&{i. Vgl. li. J. II, ü, 3.
94) Beiträge H, 99.
[444. 445] § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quiriuius, Luc. 2, 1 — 5. 531
deckt hat. Er sagt^^), aus dem Berichte des Josephus über die
Schätzung vom J. 7 n. Chr. folge, „dass Quirinius damals nur das
Vermögen der Juden schätzte, also diejenigen, welche arm und
ohne Vermögen waren, nicht berücksichtigte". Da nun aber die
zur Zeit Christi bestehende Kopfsteuer eine Aufzeichnung auch der
Vermögenslosen voraussetze, so müsse diese schon früher, eben
unter Herodes stattgefunden haben. Hierbei wäre nur dreierlei
noch zu beweisen, nämlich 1) dass Quirinius „nur das Vermögen"
*der Juden schätzte, 2) dass in Palästina zur Zeit Christi eine
Kopfsteuer auch für die Vermögenslosen bestand ^^j, und 3) dass
die Einführung der letzteren bereits unter Herodes geschehen sein
müsse.
In Wahrheit also weiss Josephus von einem römischen Census
zur Zeit des Herodes nichts. Man ist nun freilich geneigt, auf
argumenta e silentio kein Gewicht zu legen. In diesem Falle will
es aber doch etwas sagen. lieber keine Zeit ist Josephus so gut
unterrichtet, über keine so ausführlich, als gerade über die letzten
Jahre des Herodes. Es ist kaum denkbar, dass eine so tief in
das Mark des Volkes einschneidende Maassregel wie ein römischer
Census aus dieser Zeit von ihm übergangen sein sollte, zumal er
den Census vom J. 7 nach Chr. getreulich berichtet, der doch in
eine Zeit fällt, über welche Josephus so gut wie gar nichts weiss ^').
Man bedenke, dass ein römischer Census nicht spurlos vorüber-
gehen konnte, sondern so gut wie der vom J. 7, ja noch viel mehr
(denn letzterer wäre ja dann nichts Neues mehr gewesen) einen
Aufstand hervorrufen musste. Das letztere Argument glaubt nun
freilich Zumpt dadurch zu entkräften, dass er den Census zur Zeit
des Herodes zu einer unschuldigen Aufzeichnung {axoyQacpii) der
Bevölkerung zum Zwecke der Kopfsteuer macht, während der
Census vom J. 7 eine Vermögensabschätzung {djcorifirjaig) und eben ;
darum so anstössig gewesen sei^^). Die Kopfsteuer soll den an die
Römer zu zahlenden Tribut ergeben haben, während aus der Ver-
mögenssteuer die Kosten der inneren Verwaltung des Landes be-
stritten wurden ^^). Es widerspricht aber allen Thatsachen, dass
95) Geburtsjahr Christi S. 201 f.
9G) Nach Appian. Syr. 50 (s. oben S. 512) scheint es vielmehr, dass die
Kopfsteuer in Syrien nur in Form einer Einkommensteuer bestand.
97) Vgl oben S. 84.
98) So auch schon Eodbertus, Jahrbücher für Nationalökonomie und
Statistik V, 1865, S. 155 fl'.
99) Zumpt, Geburtsjahr Christi S. 19G-202. Auch Wieseler hat früher
sich dahin geäussert (Synopse S. 107 ; vgl. 95 f. 102 f.), während er später wieder
von Kopf- und Grundsteuer sprach (Beiträge S. 98 f.j.
34*
532 § l"^- Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. [445. 446J
der an die Römer zu entrichtende Tribut lediglich in einer für jedes
Caput gleich hohen Kopfsteuer bestanden habe. Sagt doch Appian
ausdrücklich, dass die Syrer eine Kopfsteuer von einem Procent
der Schatzungssumme bezahlten '•^^). Wenn also überhaupt eine
römische Steuer in Palästina eingeführt wurde, so war es sicher-
lich nicht eine reine Kopfsteuer. Und selbst dies zugegeben, so
war ja auch diese eine römische Steuer. Es müsste also eine
Zählung der Bevölkerung, welche die Einführung dieser zum Zweck
gehabt hätte, ebenso gut einen Aufstand erregt haben, wie eine
Schätzung der Bevölkerung. Endlich aber scheitert jene Unter-
scheidung zwischen der von Lucas 2, 2 erwähnten anoyQa(pr) und
der djioTifiTjöig vom J. 7 nach Chr. auch daran, dass die letztere,
welche den Aufstand des Judas Galiläus veranlasste, von Lucas in
der Apostelgeschichte 5, 37 mit demselben Worte wie die angeb-
liche Volkszählung zur Zeit des Herodes erwähnt und die «to-
yQa(pri schlechthin genannt wird, zum deutlichen Beweis, dass er
an beiden Stellen dieselbe Thatsache meint.
Das entscheidendste Argument gegen einen Census zur
Zeit des Herodes ist aber dies, dass Josephus den Census
des Jahres 7 nach Chr. als etwas völlig Neues und für die
Juden Unerhörtes charakterisirt. W^enn Zumpt das Neue
nur in der Vermögensabschätzung {djTorifnjoic) finden will, und
Wieseler vollends meint, nur die Form der Abschätzung, nämlich
das Verhör (i) dxQoaöic) und die Nöthigung zur Beschwörung der
Aussagen vor heidnischem Tribunal mittelst bestimmt vorgeschrie-
benen Eides, sei das Neue und Anstössige gewesen '<>'), so werden
diese feinen Distinctionen, die man etwa aus dem Bericht der Anti-
([uitäten herausspinnen kann, sofort zu nichte, sobald wir den
parallelen Bericht im Bellum Judaicum aufschlagen, wo Josephus (II,
8, 1) sich folgendermassen äussert: ^jtl tovtov (unter Coponius) ric
dvijQ raXiXaloq %v6ag ovofta dg djtooraocv ivfjye rovg ijnxojQtovg,
xaxlCmp el (poQov rt 'Pcofialoig teXeIv vjcofiBVovöi xal (dexa
TOP ^tov otoovat d^vrjTovg ötöjiorag. Das Anstössige war also nicht
die Vermögensabschätzung oder die Form derselben, sondern die
römische Steuer als solche. Dasselbe wird auch bei den sonstigen
gelegentlichen Krwähnungen des Aufstandes vorausgesetzt. Bell.
Jutl. VII, 8, 1: lovda rov yitloavrog 'lovöalmv ovx oXlyovg (lij
jtoitla&at rag djtoyQarpdg. Ibid. II, 17, 8: %v6ulotg optiöloag oti
100) Appian. Si/r. W) (n. oben 8. 512). Vgl. iiurli die Cietroidclii-ffrungcn von
Afrika und Alexandriu, oben B. ßll, Anin. 8.
101) Beitrage 8. 05-07. 8tnd. und Krit. 1875, 8. 54(5. Vgl. Aiitt. Will,
1,1: iv ötivi^ <f>t(fOvxtq Ttjv ini zali dnoyQmfaTi dxQÖaaiv („duH Vorhör
bei den AufKeicIinungen").
[446.447] § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1 — 5. 533
'Pcofiaioig vjceraoöovro (ieta rov d^tov. Dass überhaupt die Römer
eine Steuer in Palästina erheben wollten, das war ein novum et in-
auditum. Auch aus den oben schon citirten Worten, mit welchen
Josephus die Einziehung Judäa's als Provinz berichtet {Antt. XVII,
13, 5: xrjq öh'Agxe^aov xmQac, v:roTeXovg JtQoOiSfirid-eiOTjg ry Hv-
Qcov), wird man, wenn man es genau nimmt, schliessen müssen, dass
zur Zeit des Herodes und Archelaus keine Abgaben an die Römer
bezahlt wurden. Denn wenn Judäa erst nach der Verbannung
des Archelaus tributpflichtig wurde, so folgt, dass es dies vor-
her nicht gewesen ist. Das Gleiche ergiebt sich auch noch aus zwei
anderen Stellen. Die Tetrarchie des Philippus nämlich wurde nach
dessen Tode von Tiberius zur Provinz Syrien geschlagen, rovg nivxoi
(fOQOvg IxtXevot övXXeyofievovg tv rf] rsTQaQxia t^ ixsipov ytvo-
fjtpi;] xarati&^eo&ai {Antt. XVIII, 4, 6). Wenn selbst nach dem Tode
des Philippus aus seiner Tetrarchie keine Steuern in den römischen
Fiscus flössen, so wird dies noch viel weniger bei seinen Lebzeiten
der Fall gewesen sein. Ueber die jüdische Colonie in Batanäa aber,
welche Herodes mit dem Privilegium vollständiger Abgabenfreiheit
ausgestattet hatte, berichtet Josephus Antt. XVII, 2, 2 Folgendes:
Eyivtro rj x^^Q^ Ocpoöga jtoXvavd^gmjtog aöeia rov tjtl jtäoiv are-
Xovg. A jtaQ£fisiV£V avtotg ^IIqcoöov Ccöptog' ^iXiytJtog öh öevzsQog
[al. vlbg] kxdvov JtagaXaßmv r/jv ccQXV^ oXiya re xai eji oXiyov
uvTOvg ejrQa^axo. 'Aygijtjtag fiti>Toi ys o (liyag xai 6 Jtatg avzov
xal oficoi'Vfiog xai Jtavv i^ergvxcooav avrovg, ov (livroi ra rijg
iXevd-EQtag xivetv tjd-sXrjOav. IJag' cov PmfiaToi öe^afiEPOi rt/v uQyrjv
rov fihv eXev&tQOv xai avro) tfjQOvoi t?jv ä^iojOip, sjtißoXalg öh
ratv (pogmv sig t6 ütaiinav ijiieoav avrovg. Daraus erhellt doch
wohl zur Genüge, dass die Erhebung römischer Steuern in jenem
Gebiete erst begann, als es nicht mehr unter einheimischen Fürsten
stand, während vorher lediglich diese (Herodes d. Gr., Philippus,
Agrippa I, Agrippa II) Steuern erhoben oder nicht erhoben, je-
nachdem sie es für gut fanden.
Nach alledem ist zu urtheilen, dass römische Steuern in Palästina
zur Zeit des Herodes unmöglich können erhoben worden sein, womit
der römische Census von selbst hinwegfallt. ^^'^).
102) Schlatt er (Zur Topographie und Geschichte Palästina's 1893, S.23— 28)
meint, ich hätte im Obigen „das Steuergesetz Cäsars unbeachtet" gelassen.
Das ist ein Irrthum seinerseits, da ich dasselbe wohl beachtet habe (s. oben
S. 526 2. Aufl. S. 439). Aber die Ordnungen Cäsars waren durch die inzwischen
eingetretenen Umwälzungen längst umgestossen. Schlatter selbst ist mit Recht
der Ansicht, dass Antonius „das Werk Cäsars definitiv zerstört habe" (S. 23).
Xur für die Steuer-Ordnung soll das nicht gelten, weil es der Apologetik
so passt!
534 § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. [447. 448]
Das Haiiptbedenken gegen den Bericht des Lucas ist aber
endlich:
V. Ein unter Quirinius gehaltener Census konnte nicht in
die Zeit des Herodes fallen, da Quirinius bei Lebzeiten
des Herodes niemals Statthalter von Syrien war.
Nicht nur Matthäus (2, Iff.), sondern auch Lucas (1, 5) setzt
voraus, dass Jesus bei Lebzeiten des Herodes geboren ist; er setzt
also den von ihm erwähnten Census zweifellos in die Eegierungs-
zeit des Herodes. Ausserdem aber sagt er auch, dass der Census
gehalten worden sei ^ysfiovevovrog rrjg ZvQlaq Kvqtjviov, was nichts
anderes heissen kann als: „während Quirinius den Oberbefehl über
Syrien hatte", d. h. während er Statthalter von Syrien war^^^). Nun
wissen wir zwar, dass Quirinius im J. 6 n. Chr. als Statthalter
nach Syrien kam und dass er wahi-scheinlich schon früher, nämlich
3 — 2 V. Chr. dasselbe Amt bekleidet hatte. Aber zur Zeit des He-
rodes kann er nicht Statthalter gewesen sein. Denn vom J. 9—6
vor Chr. hatte dieses Amt Sentius Satu minus, vom J. 6 — 4
Quintilius Varus. Letzterer hatte den Aufstand zu bekämpfen,
welcher nach dem Tode des Herodes in Palästina ausbrach, war
also mindestens noch ein halb Jahr nach dem Tode des Herodes in
Syrien. Der Vorgänger des Saturuinus aber war Titius^^*). Für
Quirinius bleibt demnach in den letzten 5—6 Jahren des Herodes
— und nur um diese kann es sich ja handeln — schlechterdings
kein Raum.
Dieser Punkt hat denn auch den Vertheidigern des Lucas die
meisten Schwierigkeiten gemacht. Und ihre Ansichten, die bis dahin
ziemlich einstimmig sind, gehen hier sehr mannigfaltig auseinander.
Wir übergehen die älteren, z. Th. sehr willkürlichen Lösungsver-
suche (selbst die kühnsten Textänderung(}n liat man sich erlaubt),
und beschränken uns darauf, nur diejenigen zu erwähnen, welche
in der (Gegenwart noch vertreten sind'^*).
1. Lutte roth hat, um die obigen exegetisdien Thatsachen
gründlich zu beseitigen, folgende originelle Erklärung ersonnen.
Er sagt*"*'): Wenn es von Johannes dem Täufer Luc. 1, 80 heisst, |
dasH er in der Wüste blieb icog jjfitQag dvaötl^tcog cwtov jiqoc; top
*IOQa^k, 80 ist unter der dpdöei^ig nicht sein öffentliches Auftreten
103) Der offizielle Titel int: Icf/atua Aitguati pro practore. B. obeu S. 319.
KA) Die Belege s. olx'n H. 321 f.
106) Veracldinct «irid die älteren AuBichtcn bei Winer IIWB. II, 292-294.
Bleekf HynopHe I. 70H'. Meyer z. d. St.
106) /-'• rfrettnemeiU de Quirinius eii Judce, Paria 1865, p, 29—44.
[448. 449] § 17. Anhang I. Die Schätzung des Quirinius, Luc, 2, 1—5. 535
als Bussprediger zu verstehen, sondern seine „Vorstellung vor
dem Volk" als zwölfjähriges zur Gesetzesbeobachtung
verpflichtetes Kind. Auf diesen Zeitpunkt bezieht sich dann
die folgende Notiz, dass h ratq r/fitgaiq exdvaig das Schatzungs-
gebot des Kaisers erging und von Quirinius vollzogen wurde, wo-
durch auch Joseph zur Reise nach Bethlehem veranlasst wurde
(dazu wäre er freilich als Unterthan des Herodes Antipas gar nicht
verpflichtet gewesen, da die Schätzung nur Judäa betraf; aber er
wollte durch sein freiwilliges Erscheinen sein bethlehemitisches
Heimathrecht in Erinnerung bringen). Lucas setzt also ganz
richtig die Schätzung des Quirinius in die Zeit, da Jo-
hannes der Täufer zwölf Jahre alt war. Der Schluss von
Lucas 2, 5 ist zu übersetzen: um sich schätzen zu lassen mit Maria,
welche er einst geheirathet hatte, als sie schwanger war (also zwölf
Jahre vor der Schätzung). Auf diese frühere Zeit greift dann
Vers 6 wieder zurück: Eben dort in Bethlehem waren sie auch, als
Maria (zwölf Jahre vor der Schätzung) ihren ersten Sohn ge-
bar u. s. w. — Die Erklärung gehört zu denjenigen, die man um
ihres Scharfsinns willen bewundern muss, aber nicht zu widerlegen
braucht.
2. Huschke i»'), Wieseler i^^), E wald^*»»), Caspari ii») legen
dem Superlativ jrQwrog zugleich (oder ausschliesslich) comparative
Bedeutung bei und übersetzen: Diese Schätzung geschah als erste,
bevor (oder: eher als) Quirinius Statthalter von Syrien war.
Lucas unterscheide also ausdrücklich die unter Herodes gehaltene
Schätzung als frühere von der späteren unter Quirinius gehaltenen.
Dass diese Uebersetzung grammatisch zur Noth sich rechtfertigen
lässt, kann man zugeben (vgl. Kv. Joh. 1, 15. 30)^"). Aber damit
ist durchaus nicht bewiesen, dass sie auch die richtige ist. Es ist
ja schlechterdings nicht einzusehen, wozu Lucas die müssige Be-
merkung machen sollte, dass diese Schätzung eher stattfand, als
Quirinius Statthalter von Syrien war. Weshalb nennt er nicht deU;
Statthalter, unter welchem sie stattfand? Man sagt freilich, er
unterscheide den früheren Census unter Herodes von dem spätem
107) Census z. Zeit d. Geb. J. Chr. S. 78 ft".
108) Synopse S. 116—121. Beiträge S. 20—32. Stud. und Krit. 1875, S. 546 ff.
109) Gesch. d. V. Israel (3. Aufl.) V, 205.
110) Chronolog.-geogr. Einl. in d. Leben J. Chr. S. 31.
111) Freilich nur zurNoth; denn von den vielen Beispielen, welche Huschke
S. 83—85 für ngdiTog mit gm. compar. beigebracht hat, bleiben, wenn wir die
völlig unpassenden ausscheiden, nur solche, wo zwei parallele oder analoge Be-
griffe mit einander verglichen werden, nicht aber, wie hier, zwei völlig disparate
(die Schätzung unter Herodes und die Statthalterschaft dea Quirinius).
536 § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1 — 5. [449. 4öO]
unter Quirinius. Aber eben dies thut Lucas nach jener Uebersetzung
in Wahrheit nicht. Er sagt nicht: „Diese Schätzung fand eher
statt als die unter Quirinius gehaltene" (was etwa heissen inüsste:
avTTj i) djcoyQaq)?] jtQcor?] tytvero rtjq Kvq7]viov ^vgiag rjytfiovtvov-
Tog yevofievrjg), sondern: „Diese Schätzung geschah eher als Qui-
rinius Statthalter von Syrien war". So übersetzt auch Wieseler,
und die Analogie aller von ihm (Synopse S. 118 f. Beitr. S. 30—32)
beigebrachten Beispiele ^'^^ gestattet keine andere Uebersetzung.
Aber einen passenden Sinn wird schwerlich ein Unbefangener in
diesen Worten finden. Und dazu kommt, dass Lucas sich so miss-
verständlich und ungeschickt als möglich ausgedrückt hätte, während
doch sonst gerade Deutlichkeit und Glätte des Ausdrucks seine
Sache ist. Niemand, der nicht nach halsbrechenden Erklärungen
sucht, wird jiqcott) anders denn als Superlativ und ^ysfiovtvovrog
rriq ^vQiaq KvqtjvIov anders denn als genitivus ahsolukis nehmen
können; wie, um nur einige Autoritäten anzuführen, auch Winer^^^),
ßuttmannii^), Zumptii^), Bleekn«), Meyer (z. d. St.) geurtheilt
haben.
3. Gumpach»»^), Lichtenstein i'*^), Köhler 'i^), Stein-
raeyer*2*), J. Chr. K. v. Hofniann'^i) betonen kyivzxo und über-
setzen: Diese Schätzung ,.kam zur Ausführung" (Gumpach) oder
„wurde vollzogen" (Köhler, Steinmeyer, Hofmann), während Quirinius
Statthalter von Syrien war. Lucas unterscheide den Erlass des
Schatzungsbefehls unter Herodes und die Ausführung desselben
10 — 12 Jahre später unter Quirinius. Diese, scheinbar einfachste,
in Wahrheit freilich schwächste, Auskunft scheitert natürlich, wie
man sofort sieht, an der Erzählung von Joseph's und Marias |
Wanderung nach Bethlehem, wornach ja nicht nur der Schatzungs-
befehl, sondern auch dessen Ausführung noch in die Zeit des
112) Auch Soj)h. Antig. G37— 638:
ffiol yäg ovdflQ «'f/o/c ^otai yafiOf
fjifV^ov (f/Qea&ai aov xat-oig ijyovfxivov,
WM ZQ übersetzen ist: „mir wird mit Itecht keine Hochzeit nielir Wertli liiiheu,
als daM du mich wohl leitcHt (hIb deine edle Führung)".
113) Grammatik § :}.'), 4, Anm. 1.
114) Grammatik dcH nciiteHtamcntl. Sprachgobr. S. 74.
116) GeburtMJahr CliriHti S. 22.
116) Hynopt. Krkl. der drei crHten Ew. I, 71.
117) Stud. und Krit. IH.OS. W. (}06-<J«9.
118) Leben»g<'Mcli. d. Herrn J. Chr. S. 78 «'.
110) Herzog*« Keal-Knc. 1. Aufl. XIII, 4(;:{ (!'.
120) Die Getchichto der Geburt duH llurrii, 8. 3ij 11'.
121) Die heilige Schrift Neuen TeHtamentH zuHammcnhängend untcrsiulit
ThI. VTIT. 1. H. AW, Thl. X, 8. 04 IK
[450] § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1 — 5. 537
Herodes fällt. Einen Sinn hätte jene Erklärung höchstens dann,
wenn man die Kühnheit hätte, dem einfachen lytvETo die Bedeutung
unterzulegen: „kam zum Abschluss, zur Vollendung", was aber
doch auch die genannten Ausleger nicht wagen'--).
Eine vermeintliclie Verbesserung hat Ebrard '23] angebracht,
indem er avxri ri äjtoyQu(pi] accentuirt und übersetzt: die Steuer-
erhebung selbst aber geschah erst, als Quirinius Statthalter von
Syrien war. Lucas unterscheide also nicht, wie jene meinen, die
Anordnung und die Ausführung der Vermögensabschätzung, sondern
die Vermögensabschätzung (und zwar sowohl den Befehl dazu als
auch ihre Ausführung) einerseits und die darauf basirte Erhebung"
der Steuern andererseits. Es wird also dem Suhst. anoyQa<f)i] eine
völlig andere Bedeutung beigelegt, als dem Verb. djtoyQag:eod^ai,
was bei dem engen Zusammenhang der Stelle schlechterdings un-
möglich ist. Das eine wie das andere heisst nichts anderes als:
aufzeichnen, Aufzeichnung, und im engern Sinne werden beide be-
sonders von der Abschätzung und Aufzeichnung des Vermögens ge-
braucht. Die Behauptung, dass gerade der quirinische Census
gewöhnlich mit dem Ausdruck ajtoyQaq)?) bezeichnet wurde, und
infolge dessen dieses Wort (für diesen bestimmten einzelnen Fall)
den Sinn von Steuererhebung erhalten habe (S. 224 f. 229 f.), ist
rein aus der Luft gegiiffön, und zu einer Begründung derselben
auch nicht einmal der Versuch gemacht. Denn die Berufung auf
Apgesch. 5, 37 und Joseph. Äntt. XMII, Itf. wird doch nicht für
eine solche gelten sollen. Statt avTrj rj djtoygafprj müsste es etwa
lieissen: ?} de rmv (poQmv IxXoyr] oder eiojcgasi? oder dgl. Schliess-
lich widerspricht jene Ansicht auch der Geschichte. Denn Quirinius
hat ja im J. 7 n. Chr. nicht bloss auf Grund einer früheren Schätzung
die Steuern erhoben, sondern zunächst und vor allem selbst eine
djtoTi(it]Gig vorgenommen''^*). |
122) Vgl. gegen jene Ansicht bes. auch Wieseler, Synopse S. 114—11(3.
Beiträge S. 25 f.
123) Wissenschaftl. Kritik d. ev. Gesch. (3. Aufl.) S. 227—231.
124) Neu und originell ist die Entdeckung Godet's, der ebenfalls avz^
accentuirt, aber folgeudermassen erklärt {Conimentaire sur l'evangile de Saint
Luc. 1871, I, 100): Luc s' interromprait (laus so7i redt, pour faire reniarquer
que le dinambrement dont il parle ici a eu Heu anter ieurement ä celui qui porte
vulgairenietit le nom de premier. Cette epithete donnee, dans le langa;ie ordi-
naire, au cens de Quirinius, semblait en effet exclure tout cens precMent. Et
il importait ä Luc de faire ressortir qu'il y avait reellement eu un cens avant
celui quon appelait le premier, et qu' il n'ecrivait pas ä la legere en afßnnant
un pareil fait. — Demgemäss übersetzt Godet: „Quant au cens mi'nie ap-
pelS premier, il eu Heu sous le gouvernement de Quirinius^'^. — Die
Erklärimg ist auch in der 3. Aufl. (1888—1889, I, lö9— 171) noch beibehalten.
538 § ^^- Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. [4.51. 452]
4. Da somit durch exegetische Künste nichts zu erreichen ist,
so hat man endlich auch ohne solche die Notiz des Lucas als ge-
schichtlich zu rechtfertigen versucht, indem man zu historischeu
Combinationen seine Zuflucht nahm. Ja Hengstenberg hat ge-
meint, seit Entdeckung der berühmten Inschrift, welche eine doppelte
Prätur des Quirinius in Syrien bezeuge, sei nunmehr alles im
Eeinen'25). Dass die Inschrift in Wahrheit nichts beweist, wird
aus unserer obigen Darstellung von selbst hervorgehen (S. 324).
Aber auch mit der doppelten Statthalterschaft des Quirinius in
Syrien, die allerdings ganz abgesehen von der Inschrift wahrschein-
lich ist, ist für die Kechtfertiguug des Lucas nichts gewonnen.
Denn auch die erste Statthalterschaft des Quirinius kann frühestens
erst ein halb Jahr nach dem Tode des Herodes begonnen haben
(s. oben S. 534), während nach Lucas Quirinius schon zur Zeit des
Herodes Statthalter gewesen sein müsste. Zumpt'^'') und nach
ihm Pölzl'27) suchen nun dadurch zu helfen, dass sie, auf eine
Stelle TertuUian's ^^s) sich stützend, annehmen, der Census sei von
Sentius Saturninus (9—6 v. Chr.) begonnen, von Quintilius Varus
(6 — 4 V. Chr.) fortgesetzt und von Quirinius während seiner ersten
Statthalterschaft beendigt worden. Von letzterem als dem Vollen|der
des Werkes habe sie den Namen erhalten; weshalb auch Lucas
sage, dass sie unter ihm stattgefunden habe. Was nun TertuUian
125) Vgl. Evangel. Kirchenzeitung 1865, col. 5G f., wo er sich über Strauss
foIgenderma.S8en äussert: „Er ist so wenig orientirt in der jetzigen Lage der
Sache, dass er ganz zuversichtlicli den alten Einwand gegen die Schätzung
bei Lucas wiederholt, Quirinius habe erst mehrere Jahre nach Herodes Tode
die Statthalterschaft von Syrien übernommen, ohne eine Ahndung davon zu
haben, dass die Frage durch die Entdeckung einer lateinischen Inschrift, welche
eine doppelte Prätur des Quirinius in Syrien bezeugt, schon längst in ein
ganz anderes Stadium getreten ist. Diese Inschrift ist schon im J. 1851 in
einer besonderen Schrift von Bergmann besprochen und in einem so gangbaren
Buche, wie der Tacitus von Nipperdey abgedruckt worden. Strauss aber weiss
nichts davon". — Und Hengstenberg, fügen wir hinzu, scheint von Folgendem
nichts gewusst zu haben: 1) dass die Inschrift im J. 1865 gerade seit 100 Jahren
bekannt war, 2) dass sie schon von Sandemente (1793) zur Vortheidigung des
Lucas verwendet wurde, 3j dass sie ein Zeugniss für eine doppelte Prätur des
Quirinius schlechterdings nicht enthält, und 4) dass auch mit der doppelten
l'rütnr des Quirinius rär die Rechtfertigung des Lucas noch gar nichts ge-
wonnen ist.
126) üeburtnjahr Christi B. 207—224.
127) Wetzer und Weite's Kirchenlex. 2. Aufl. Bd. III Sp. 5—7.
128) ThrtttU. adr. Marcion. IV, 10: Hed et ccmws coiistat aoioa aub Augiisto
nunc in Jtidaea per Sentium Saluminum, apud qtwa ffenua ^'ua inquirere po-
Imtwnt.
[452] § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1 — 5. 539
betrifft, so sagt Zumpt selbst an einer andern Stelle ^'^^), dass die
Kirchenväter „überhaupt alles geschichtlichen Sinnes bei der Auf-
fassung der evangelischen Erzählung entbehrten". Auf ihre Notizen
ist daher sicherlich nichts zu bauen. Im Uebrigen aber ist die
Zumpfsche Ansicht doch nur ein Rückfall in die sub Nr. 3 erwähnte
Ansicht von Gumpach u. a. Verhielte sich die Sache so, wie Zumpt
meint, so müsste entweder statt tysptto ein Verbum wie ersXio&t]
stehen, oder es müsste statt des Quirinius derjenige Statt-
halter genannt sein, in dessen Amtszeit das von Lucas be-
richtete Factum (die Wanderung Joseph's und Maria's nach
Bethlehem) fällt i^o^. denn Lucas will ja doch durch Nennung des
Namens die Zeit bestimmen, von welcher er spricht So wie die
Worte lauten, liegt nothwendig die Vorstellung zu Grunde, dass
die Geburt Jesu Christi in die Zeit des Quirinius falle, was eben
unmöglich ist. Ueberdies ist es undenkbar, dass die äjioyQa^ri in
der Weise, wie Zumpt sie sich vorstellt, nämlich als einfache Auf-
zeichnung der Bevölkerung ohne Vermögensabschätzung, 3—4 Jahre
gedauert haben sollte, während doch die viel schwierigere djtori-
fitjoig vom J. 7, die noch dazu mit dem Widerstand der Bevölkerung
zu kämpfen hatte, im Verlauf von höchstens einem Jahre beendigt
wurde *^i).
Mit Zumpt stimmt Wandel insofern überein, als auch erden
Census unter Sentius Saturninus setzt. Er erkennt dabei aber
offen den Irrthum des Lucas an^^^j. ,,Er kannte die zweite quiri-
nische Schätzung, er wusste, dass Quirinius schon einmal um die
Zeit von Herodes' Tod in Syrien gewesen war; er wusste ferner,
dass Christus zur Zeit einer Schätzung geboren war, und kombi-
nirte irrig, dass diejenige Schätzung, unter welcher der Heiland
geboren war, ebenfalls von Quirinius abgehalten worden sei und
in dessen erste Prätur falle".
Den Schwierigkeiten von Zumpt's Auffassung entgeht man
allerdings, wenn man mit Gerlach ^33^^ Quandt'^^) und Hahn ^^^j
129) Geburtsjahr Christi S. 189, Anm. — Vgl. auch Wiese 1er, Synopse
S. 113, Anm.
130) Also nach Zumpt Sentius Saturninus.
131) Denn sie begann nach der Verbannung des Archelaus, frühestens im
Sommer 759 a. U., und wurde (nach Antt. XVIII, 2, 1) vollendet im J. 37 der
actischen Aera = Herbst 759/üO, also spätestens im Herbst 760 (7 nach Chr.).
132) Neue kirchliche Zeitschrift 1892, S. 743.
133) Die römischen Statthalter in Syrien und Judäa S. 33 — 35.
134) Zeitordnung und Zeitbestimmungen in den Evangelien (auch u. d.
Titel: Chronologisch-geographische Beiträge zum Verständniss der heiligen
Schrift. I. Chrouolog. Beiträge. 1. Abthlg. Gütersloh 1872), S. 18—25.
135) Das Evangelium des Lucas I, 177.
540 § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quiriuius, Luc. 2, 1 — 5. [452.453]
annimmt, dass Quirinius neben Quiutilius Varus (6—4) als ausser-
ordentlicher Legat nach Syrien gesandt worden sei und als solcher
den Census vorgenommen habe ^^^). Am besten und präcisesten hat
diese Ansicht schon San demente vertreten, indem er annimmt,
dass Quirinius als legatus ad census \ accipiendos nach Syrien geschickt
worden sei, und zwar mit einem höheren Imperium, als der da-
malige ordnungsmässige Legat von Syrien, Sentius Saturninus ^^').
Allein diese Auskunft erlauben die Worte des Evangelisten schlechter-
dings nicht, da rjye(iovEvovxoq xTJg 2vQiaq KvQi]viov nichts anderes
heissen kann, als „da Quirinius den Oberbefehl (oder, was dasselbe
ist, das Amt eines Statthalters) über Syrien hatte". Lucas be-
trachtet also ohne Zweifel den Quirinius als den ordnungsmässigen
Legaten von Syrien. Eben dieses Amt hatte aber, wie geschicht-
lich feststeht, in der letzten Zeit des Herodes nicht Quirinius
sondern Sentius Saturninus (9 — 6) und dann. Quintilius Varus
(6—4 vor Chr.) '38). _ Ein Rückschritt hinter Sanclemente ist es,
wenn Ramsay meint, die Gewalten seien so getheilt gewesen, dass
Saturninus, resp. Varus die innere Verwaltung von Syrien gehabt
habe, während gleichzeitig dem Quirinius wegen des Krieges gegen
136) Was Gerlach S. 33 f. über die Möglichkeit zweier Statthalter in
einer Provinz sagt, beweist nur grobe Unkenntniss der Verhältnisse. S. gegen
ilin Wieseler, Beiträge S. 43 f. — Besser ist es, wenn Quandt annimmt,
dass Varus unter Quirinius stand (a. a. 0. S. 22). Aber nach Josephus
und den Münzen kann kein Zweifel sein, dass Varus der oberste Befehls-
haber von Syrien war.
137) Sanclemente, üe vulgaris aerae emendatione IV, 6 (p. 443— 44S). —
Da« Material über die ler/ati und procuratores ad census accipiendos findet
man zusammengestellt bei Marquardt, Römische Staatsverwaltung Bd. II,
1876, 8. 209 (2. Aufl. von Dessau und Domaszewski 1^84, S. 215—216)
und Unger, De censibus provincianim liomanarum (Leipziger Studien zur
<;la88. Philo]. Bd. X, 1887, S. 1—76). — Es ist noch nicht ausgemacht, ob es
in der früheren Kaiserzeit überhaupt besondere Beamte dieser Art neben
den ordnungsmässigen Statthaltern in den Provinzen gegeben hat. Unger
betitreitot dies, indem er nachzuweisen sucht, dass in der früheren Kaisorzeit
die Statthalter selbst mit dem Scliatzungsgeschäft beauftragt wurden, und
dass erat vom zweiten Jahrhundert an zuerst in den Seniitsprovinzcn und
noch später in den kaiserlichen Provinzen besondere Beamte ritterlichen
Standes neben den Provinzialstattlmltern die Schätzungen vorzunehmen hatten.
Kür beide Fälle giebt es einzelne sichere Beispiele (für ersteren ist da« älteste
BoiHpiel eben Quirinius, der nach Josephus wie nach Lucas Stattliultcr und
("ensor zugleich war; vier andere Beispiele stellt Unger 8. 54 f. zusammen).
Da« Material {«t aber zu dürftig, um sichere Schlüsse allgemeiner Art zu ge-
statten.
13H) Vgl. gegen jene Ansicht auch Huschke, Uebcr den zur Zeit der
Geburt Jesu CliriHti gehaltenen Census 8. 75 f.
[453] § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. 541
die Honionadenser das militärische Commando übertragen war '3^).
Das wäre doch recht seltsam, wenn Lucas den Census gerade nach
demjenigen Statthalter datirt hätte, der mit der inneren Verwaltung,
also mit dem Census, nichts zu thun hatte!! — Die Notiz des
Lucas wäre nur dann als geschichtlich zu rechtfertigen, wenn sich
nachweisen Hesse, dass Quirinius schon zur Zeit des Herodes ord-
nungsmässiger und alleiniger Statthalter von Syrien gewesen ist.
Ein solcher Nachweis kann aber nie geführt werden, da — trotz
Aberle — das Gegentheil hiervon feststeht '*<>). |
Einen radicalen Weg zur Rettung des Lucas, den bisher m.
W. niemand gewagt hat, hat Zahn eingeschlagen: er verwirft ein-
fach die präcisen Angaben des Josephus*^*). Quirinius sei nur
einmal Statthalter von Syrien gewesen, aber nicht, wie Josephus
angiebt, im J. 6 7 n. Chr., sondern nach dem Tode des Herodes im
J. 4/3 vor Chr. (Beginn der Statthalterschaft: einige Monate nach
dem Tode des Herodes, Herbst 4 vor Chr., s. S. 647, 050). Das
Recht zu dieser Kritik des Josephus entnimmt Zahn aus folgenden
Beobachtungen. Josephus berichte eine zweimalige Absetzung des
Hohenpriesters Joasar: 1) durch Archelaus nach dem Tode des
139) The Expositor 1897, June p. 431. Was Christ hom ad Bethlehem (1898)
p. 238. Vgl. Theol. Litztg. 1899, 679.
140) Aberle (Quartalschr. 1865, S. 129 ft". 1868, S. 29 0".) ist durch „die
Wahrnehmung von der grossen, wir möchten fast sagen, canzleiraässigen Pünkt-
lichkeit, deren sich Lucas in solchen Angaben befleisst" (1865, S. 148) zu der
Entdeckung geführt worden, dass Quirinius in der That in der letzten Zeit
des Herodes Statthalter von Syrien war und nur von Augustus noch in Rom
zurückgehalten wurde. Quintilius Varus habe deshalb noch auf seinem Po-
sten bleiben müssen, so dass es gleichzeitig zwei Statthalter gab: Quirinius
war es de jure, Varus de facto. Jenen nenne Lucas, diesen Josephus. — Gegen-
über dieser scharfsinnigen Lösung genügt wohl die Bemerkung, dass Lucas
uns arg hinter das Licht geführt hätte, wenn er uns statt des factischen Statt-
halters, der doch den Census geleitet haben mOsste, nur den Statthalter de
jure genannt hätte. Die Worte des Lucas gestatten keine andere Erklärung,
als dass Quirinius factisch Statthalter von Syrien war.
Nur der Vollständigkeit halber sei hier noch erwähnt die Entdeckung von
Pfitzner (Programm des Gymnasiums zu Parchim, Ostern 1873, S. 8 — 13),
dass Varus zwar im Jahre G und 4 vor Christo Statthalter von Syrien gewesen
sei, dazwischen aber im Jahre 5 v. Chr., welches Jahr von Josephus über-
schlagen wird (!!), P. Quirinius. Wenn Pfitzner das Werk von Eckhel, Doctr.
Niim. III, 275 nicht nur citirt, sondern auch nachgeschlagen hätte, so würde
er sich dort eines Bessern belehrt haben. Die Angaben Eckhels über die
Münzen des Varus sind durch die neueren Publicationen durchaus bestätigt
worden. S. oben S. 322.
141) Zahn, Die syrische Statthalterschaft und die Schätzung des Quiri-
nius (Neue kirchliche Zeitschrift 1893, S. 633-654). Ders., Einl. in das Neue
Testament II, 395 f 415 f
542 § 17. Anhang 1. Die Schätzung des Quirinius, Luc. 2, 1—5. [454]
Herodes {Antt. XVII, 13, 1) und 2) durch Quirinius zur Zeit des
Census vom J. 6/7 nach Chr. {Antt XVIII, 2, 1). Kr berichte auch
einen zweimaligen Aufstand des Judas: 1) in den Wirren nach
dem Tode des Herodes {Antt. XVII, 10, 5, B. J. II, 4, 1, vgl. oben
S. 420 f.) und 2) aus Anlass des Census unter Quirinius im J. 6/7
nach Chr. {Antt. XVIII, 1, 1). In beiden Fällen habe Joseplms ein
einfaches Factum verdoppelt; beide hingen aber mit der Schätzung
zusammen. Diese falle also entweder 4/3 vor Chr. oder 6 7 n. Chr.
Lucas zeige uns, dass ersteres das Richtige ist. — Der Scharfsinn
dieser Kritik ist anziehend und bestechend. Trotzdem ist sie sicher
zu verwerfen. Josephus ist über die Geschichte der Hohenpriester
so genau unterrichtet, und die Erzählungen über den zweimaligen
Aufstand des Judas sind so verschieden, dass in beiden Fällen die
Annahme einer irrigen Verdoppehmg unberechtigt ist. Ebenso un-
berechtigt ist die Verwerfung des präcisen Datums über die Schä-
tzung (^/2/^. XVIII, 2, 1: im 37. Jahre der actischen Aera), welches
dadurch als richtig verbürgt wird, dass die Schätzung unbedingt
mit der Absetzung des Archelaus zusammenhängt, die auch nach
Bio Cass. LV, 27 in das J. 6 nach Chr. fällt. Aber auch wenn
alle Combinationen Zahn's richtig wären, so wäre damit apologe-
tisch gar nichts gewonnen. Denn auch nach Zahn ist Quirinius
erst einige Monate nach dem Tode des Herodes Statthalter
geworden und hat erst dann den Census vorgenommen. Das Re-
sultat ist denn auch bei Zahn, dass der Irrthuni des Lucas offen
anerkannt wird: „Lukas hat etwas, was vor dem März des J. 4
v. Chr. geschehen sein soll, mit einem Ereigniss, welches frühestens
am Ende desselben Jahres oder im Anfang des J. 3 v. Chr. sich
zugetragen hat, als gleichzeitig betrachtet und in innigste Beziehung
zu demselben gesetzt" (S. 653 f.). Den mit so grossem Kraftauf-
wand in Scene gesetzten apologetischen Bemühungen bleibt darum
nur der schwache Trost, dass „im Vergleich mit dem Irrthum des
Josephus das chronologische Versehen des Lucas ein geringes" ist.
Alle Auswege sind verschlossen, und es bleibt nichts anderes
übrig, als anzuerkennen, dass der Evangelist auf unbestimmte Kunde
hin eine Angabe gemacht hat, welche gegen die Thatsachen der
Geschichte verstösst. So haben u. a. auch Hock '^'^), Mommsen ''•^),
Hase««), Winer, Bleek, De Wette '<'^), Meyer, Strauss,
Hilgenfeld, Keim, Weizsäcker, Sevin, Lecoultre, imWesent-
142) BAm. QoRch. I, 2, S. 412 ff.
143) Ret gettae äivi Aw/usti ed. 2, p. 176 aq.
144) Leben Je»u g Zi.
140) Exegetifcheü Hundh. z. d. St.
[454. 455] § 17. Anhangl. Die Schätzung des Quiriniue, Luc. 2, 1—5. 543
liehen auch Sieffert geurtheilt '^^). Der Verstoss ist ein doppelter:
1) Lucas schreibt dem Augustus den Befehl zu, dass im ganzen
Reich ein Census veranstaltet werde. Von einem solchen Reichs-
census weiss die Greschichte nichts. Es ist möglich, dass Augustus
in vielen, vielleicht den meisten Provinzen Schätzungen hat vor-
nehmen lassen, und dass Lucas davon eine ungefähre Kunde hatte.
Aber diese mannigfaltigen, nach Zeit und Art verschiedenen Pro-
vinzialschatzungen lassen sich nicht auf ein einheitliches Edict
zurückführen. Lucas hat also hiÄ" in ähnlicher Weise generalisirt,
wie in Betreff der Hungersnoth unter Claudius. Wie er aus den
mehrfachen Hungersnöthen, welche zur Zeit des Claudius ver-
schiedene Reichsgebiete in ungewöhnlicher Weise heimsuchten, eine
kq) oXrjv rrjv oixovfitvrjv sich erstreckende Hungersnoth macht
(Apgesch. 11, 28, dazu unten § 19), so mögen auch die verschiedenen
Provinzialschatzungen, von welchen er wusste, sich in seiner Vor-
stellung zu einer Reichsschatzung gestaltet haben. Sollte die Nach-
richt von einer Reichsvermessung durch Augustus historisch sein
(s. oben S. 521 f), so könnte auch diese zur Erzeugung seines Irr-
thums mitgewirkt haben. 2) Er weiss ferner, dass ungefähr um
die Zeit der Geburt Jesu Christi ein Census in Judäa durch Qui-
rinius vorgenommen worden ist. Durch diesen Census erklärt er sich|
die Thatsache, dass die Eltern Jesu von Nazareth nach Bethlehem
wanderten, und verlegt ihn daher genau in die Zeit der Geburt
Christi, noch unter Herodes, d. h. um 10—12 Jahre zu früh. Denn
dass Lucas in der That diese bekannte Schätzung des Quirinius
meint und nur sie gekannt hat, wird bestätigt durch die Stelle in
der Apostelgeschichte (5, 37), wo er von ihr als „der Schätzung"
schlechthin spricht.
Wer etwa glaubt, solche „Irrthümer" dem Lucas nicht zutrauen
zu dürfen, der sei nur an die Thatsache erinnert, dass Justin der
Märtyrer, der doch auch zu den Gebildeten gehörte, den König
Ptolemäus, auf dessen Veranlassung die Bibel in's Griechische über-
setzt wurde, für einen Zeitgenossen des Königs Herodes gehalten
hat {Apol. 1 c. 31). Auch Lucas selbst wird von anderen Irrthümern
nicht frei zu sprechen sein. Denn der Theudas, welchen er vor
Judas dem Galiläer auftreten lässt (Apgesch. 5, 36 tf.), kann kaum
ein anderer Theudas sein, als der bekannte, welcher thatsächlich
etwa vierzig Jahre später gelebt hat (s. § 19).
146) Sämmtl. an den oben angeführten Orten. — Sieffert hält zwar an
der Annahme fest, dass noch unter Herodes auf Befehl des Kaisers ein Cen-
sus in Palästina gehalten worden sei, giebt aber zu, dass die beiden Sehatzungen
(die unter Herodes und die unter Quirinius) von Lucas ,, nicht deutlich chro-
nologisch auseinandergehalten, sondern für seine Vorstellung in eins zusam-
mengeflossen sind".
544 § 17. Anhang 2. Das Zeugniss des Josephus von Christo. [455. 456j
Anhang 2. Das sog. Zeugniss des Josephus von Christo
(Anif. XVIII, 3, 3).
Die Literatur darüber verzeichnen: Oberthür in Fabricius Biblioth.
Graec. ed. Hartes i.Y, 49—56. Fürst, Biblioth. Judaica 11, 127 — 132. Hase,
Leben Jesu § 9. Winer RWB. I, 558. Heinichen in seiner Ausg. v. Eiisebii
Scripta Histariea Vol. III (1870), 623'*sqq. — Die älteren Abhandlungen sind
abgedruckt in Havercamp's Ausg. d. Josephus II, 2, 186 — 286. — Einige
Streitschriften aus der Zeit Richard Simon's verzeichnet Bernus, Notice biblio-
graphique sur Riclmrä Simon (Bäle 1882) n. 110. 230. 238. 239.
Aus der unabsehbaren Menge heben wir nur folgende Neuere hervor:
1. Für die Echtheit:
Bretsehneider, Capita theologiae Judaeorum dogmaticae e Fl. Josephi seriptis
collecta (1812), p. 59—66.
Böhm er t, Ueber des Flavius Josephus Zeugniss von Christo. 1823.
Schödel, Flavius Josephus de Jesu Christo testatus. 1840.
Mayaud, IjC temoignage de Joseph. Strasb. 1858.
Langen, Theol. Quartalschrift 1865, S. 51 flf.
Danko, Historia revelationis divinae Novi Testamenti (1867), p. 30S — 314.
Mensinga, Zeitschr. f. wissenschaftl. Theol. 1889, S. 388 (echt „abgesehen von
möglichen aber noch nicht erwiesenen Verunstaltungen des Textes").
Bole, Flavius Josephus über Christus und die Christen in den jüdischen
Alterthümern XVIII, 3. Eine Studie. Brixen 1896 (72 S.). Vgl. Theol.
Jahresber. XVI, 158.
Kneller, Flavius Josephus über Jesus Christus (Stimmen aus Maria-Laach
53. Bd. 1897, S. 1-19, 161—174).
2. Für Interpolation:
Gieseler, Kirchengeschichte I, 1, 81 ff.
Hase, Leben Jesu § 9 („ganz, oder doch zum Theile, unächt")-
Ewald, Geschichte des Volkes Israel V, 181—186.
Paret in Herzog's Real-Encykl. 1. Aufl. VII, 27-29. |
Heinichen in seiner Ausgabe von Euseb. Script. Hist. Vol. III {ed. 2. 1870)
p. 023-654.
Wieseler, Des JoHcpliiiH Zeugnis.se über Christus und Jakobus, den Bruder
de» Herrn (Juhrbb. f. tleutsdie Theol. 1878, S. 86 11".).
Volk mar, Jesus Nnzarenus (1882) S. 335—345.
Ranke, Weltgeschichte III. Thl. 2. Abtlilg. (1883) S. 40 f.
Schölten, Theologiach Tijdschrifl 1882, p. 428— 4ßl (vgl. das Referat von van
Manen, Jahrbb. für prot. Theol. 1883, 8. 608 f.).
Men$inga, Thcoloijisch 'J\)dschrift 1883, />. 145-152 (van Manen, Jalirbb. für
prot. Theol. 1883, S. 61 Hj.
Gu»t. Ad. Müller, ChriHtus bei Josephus Flavius, Innsbruck 1890 (53 8.).
2. durch einen Nachtrag verni. Aufl. 1805.
Quttchmid, Klebe Schritten IV, 352-354.
[456] § 17. Anhang 2. J >a8 Zeugniss des Josephus von Christo. 545
Asrausseu, Josephus und das Cbristenthum (Deutsch-evangelische Blätter 1896,
S. 183—19]).
Reinach, Th., Josephe sur Jesus {Revue des etudes juives ^XXXV, 1897, p.l 18).
3. Gegen die Echtheit:
Eichstaedt, Flaviani de Jesu Christo testimonii avB^fvtla quo jure miper rttrsus
defensa sit quaest. I— VI. Jen. 1813—1841. Quaestionibus sex super Flaviano
de Jesu Christo iesti^nonio auctarium I— IV. Jen. 1841—1845.
Leicitx, Quaestio7ium Flavianarum specimen. Regiom. Pi-uss. 1835.
Retcss, Nouvelle Revue de Theol. 1859, p. 312—319.
Ernst Gerlach, Die Weissagungen des Alten Testamentes in den Schriften
des Flavius Josephus und das angebliche Zeugniss von Christo. 18G3.
Keim, Geschichte Jesu I, 11—15.
Höhne, Ueber das angebliche Zeugniss von Christo bei Josephus, Zwickau
1871, Gymnasialprogr.
D'Avis, Die Zeugnisse niclitchristlicher Autoren des ersten Jahrhunderts über
Christus und das Christenthura, Sigmaringen 1873, Gymnasialprogr. (S. 8;
„wahrscheinlich die ganze Stelle . . . eingeschaltet oder aber vielleicht . . .
durch Einschaltungen verderbt").
Loman, Theologisch Tijdschriß 1882, p. 593—601 (p. 596: echte Grundlage
möglich, aber „kaum wahrscheinlich", vgl. das Referat von van Manen,
Jahrbb. für prot. Theol. 1883, S. 593—595, 614).
Wandel, Der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus und das Cbristen-
thum (Neue kirchl. Zeitschr. 1891, S. 967—937).
Niese, De testimonio Christiano quod estapiul Josephum antiq.Jud. XVIII 63 sj.
[Marburgi, Index leetionum hibem. 1893/94).
In nnsern Handschriften und Ausgaben des Josephus findet
sich Äntt. XVIII, 3, 3 folgende Stelle über Christus:
rivBxai OB xaxa tovxov top xQOvov 'irjoovg, aog)6g avrjQ, d ye
avdga avrov Xiystv XQV- '^f^ y^Q JiaQaöo^cov tQycov jtoirjt^g, 6i-
öaCxaXog avdQcojicov xcöv rjöovii xaXijiyTj ötxofiivmv xal jcoXXovc
fiev Jovöaiovg jtoXXovg 61 xal xov 'EXXrjPixov ijirjyaysxo. 'O Xql-
oxog ovxog rjv. Kai avxov kvöei^ei x<x)V jvqcoxoov avÖQcöi^ jcüq t/ftlp
oxavQm ajtixsxiiirjxoxog üiXaxov, ovx sjcavoavxo ol x6 jtqcöxov
avxov ayajtrjOavxeg' kfpavrj yaQ avxolg xqixtjv excov rj^igav jtaXiv
^<x>v, xööv d^dmv jTQOcprjxcöp xavxd xs xal aXXa /jvgla d-avfiaOia
jrsQl avrov HQtjxoxmv. Eiöixi xe vvv xcöv Kgioxiavcöv äjco xovöe
wvofiaOfitvatv ovx ejteXiJte xo (pvXov.
Niese's Text weicht an folgenden Stellen ab. Z. 7 aviov om. — Z. 8—9
negl aviov ^avfiäaia. — Z. 10 wvo/iaafxevov. — An allen drei Stellen scheint
es mir fraglich, ob Niese's Lesarten aufzunehmen sind.
„Zu dieser Zeit lebte Jesus, ein weiser Mann, wenn anders
man ihn einen Menschen nennen soll. Er war nämlich ein Thäter
wunderbarer Werke, ein Lehrer der Menschen, die mit Freuden
die Wahrheit aufnehmen. Und viele Juden und viele Hellenen zog
er zu sich heran. Er war der Messias. Und als ihn auf Anklage
unserer ersten Männer Pilatus mit dem Kreuze bestraft hatte,
Schür er, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 35
546 § ^"- Anhang 2. Das Zeugniss des Josephus von Christo. [457]
Hessen nicht ab die, welche ihn zuerst geliebt. Denn er erschien
ihnen nach dreien Tagen wieder lebendig, nachdem die göttlichen
Propheten dieses und tausend anderes Wunderbare über ihn gesagt
hatten. Noch bis heute hat das Geschlecht derer nicht aufgehört,
die von ihm Christen genannt sind".
Die Echtheit dieser Stelle blieb vom vierten Jahrhundert an,
wo sie bereits Eusebius und Andere citiren {Euseh. Hist. eccl. I,
11. Demonstr, evang. III, 3, 105 — 106 ed. Gaisford. Pseudo-Hege-
sippus De hello Judaico II, 12), das ganze Mittelalter hindurch un-
angezweifelt; ja sie hat nicht wenig dazu beigetragen, das Ansehen
des Josephus in der christlichen Kirche zu erhöhen; man bediente
sich ihrer gerne zum Erweis der Wahrheit der evangelischen Ge-
schichte. Erst im 16. Jahrhundert regte sich die Kritik, und seit-
dem geht der Streit pro und contra bis auf den heutigen Tag fast
ununterbrochen fort. Man sollte billigerweise wenigstens darüber
einig sein, dass die Worte so, wie wir sie heute lesen, von Jose-
phus nicht geschrieben worden sind. Was etwa zu ihren Gunsten
angeführt wird, kommt gegenüber den sichern Indicien der Unecht-
heit gar nicht in Betracht. Unsere Handschriften haben sie aller-
dings einstimmig. Aber dies will wenig besagen. Abgesehen von
Vet. Lat. (aus der Zeit Cassiodors) und der Epitome (etwa aus dem
9. oder 10. Jahrb., s. oben S, 99) ist uns Buch XVIII bis XX der
Archäologie nur in drei Handschriften erhalten, deren älteste {Am-
hrosianns F. 128 sup.) erst aus dem elften Jahrhundert herrührt
(s. oben S. 99)'). Die Einstimmigkeit der Zeugen beweist also nur
das relative Alter der Einschaltung, das ohnehin durch Eusebius
verbürgt ist. Den alten Citaten seit Eusebius steht der Umstand
gegenüber, dass Or igen es oti'enbar die Stelle nicht in seinem
Josephustext gelesen hat; denn er verräth auch da, wo man es
erwarten sollte, keine Kenntniss von ihr 2). Schon die äussere Be-
1) Der gleichalterige Parisin. 1410, welchen Ger lach S. 107 als älteste
HandHchrift nennt, enthält nur die ersten zehn Bücher der Archäologie.
2) Eh kommen hier zwoi Stellen des Origenes in Botracht. 1) In der Er-
läuterung zu Matth. 13, 55 über Jakobus, den Bruder .Jesu Christi, hebt er
alH merkwürdig hervor, dass Josephus diesem ein schönes Zeugniss ausstelle,
obwohl er (Josephus) doch nicht an Jesum als den Christ geglaubt habe,
comm. in Matth. tom. X c. 17 (Lommatzsch III, 40): xal xu i^avfxaaxöv iativ,
öxi xdv 'I^aovv Ti/jtLv ov xaxadf^äfjitvoq flvai XQiaxuv\, ovS^v t/xxov 'laxwßtjt
dtxttioaivTip ^/xapxvQTjat xoauvxTjv. 2) In der StreitseliriCt gegen Celsus will
Origenes unter Anderem die Ulaubwürdigkeit des Berichtes über die Taufo
Jesu beweiMcn, die der von Celsus als Autorität angeluhrte .lüde bestritten
hat {contra Geh. I, 41). Zu diesem Zweck stellt er contra Crln. I, 47 alles
cusammcMi, was er an indirectem Beweismaterial im Josephus gefunden hat,
Dämlidi: o) die Aeussorung üImt Johannes den 'räuf'er, l)) die Aeusserung über
[457. 458] § 17. Anhang 2. Das Zeugniss des Josephus von Christo. 547
Zeugung ist also keine einwandfreie. Entscheidend sind aber die
inneren Gründe. Wenn man sich auf den echt josephinischen Stil
bernft, der übrigens von Niese bestritten wird, so ertheilt man da-
mit nur dem Interpolator das Lob, dass er seine Sache geschickt
gemacht habe. Gegenüber dem nicht-josephinischen Inhalt kommt
jedenfalls der Stil nicht in Betracht. Was nun den Inlialt betrifft,
so ist klar, | dass wer die Worte o XQioxog ovzog ijv geschrieben
hat, einfache in Christ war. Denn dass ijv nicht gleich ivofti^ero
ist und nicht heissen kann: er war der Christus des Volksglau-
bens, darüber ist kein Wort weiter zu verlieren. Ebenso ist aber
auch gewiss, dass Josephus kein Christ war. Ergo: ist die Stelle
mindestens interpolirt.
Worüber sich streiten lässt, ist lediglich dies: ob die Stelle
interpolirt oder völlig unecht ist. Versuchen wir einmal, das Xer-
dächtige auszuscheiden. Schon die Worte h ys avÖQa avrbv Xt-
yuv XQT} setzen offenbar den Glauben an die Gottheit Christi vo-
raus und verrathen den christlichen Interpolator^). Das Folgende
riv jtaQa6öB,cov SQymv Tcoirjxrjq könnte zur Noth Josephus gesagt
haben, wenn es nur nicht der Begründungssatz der unechten
vorhergehenden Worte wäre! Jedenfalls stammen wieder die Worte
öiöaoxaXoq avOQwjto^v rcöf i)6ov^] rdkr/t^^ij dtx<>litvcov aus christ-
licher Feder. Dass o Xgcorog ovxog ijv nicht von Josephus ist,
versteht sich von selbst. Und ebenso sicher hat er nicht geschrie-
ben: Ifpavri avrolg XQizrjv txcuv ?jfitQav jtaXiv Cätv, xcbv ^ticov
jtQO(pr}xä>v xavxa xt xal aXXa (ivgia {^avfiaota jtegl avrov €i()?jx6-
xcov. Endlich fehlt auch den Schlussworten der nöthige Halt,
sobald die Worte o XQioxog ovxog i/v aus dem Texte entfernt
sind.
Sehen wir uns nun die also beschnittene Stelle an, so finden
wir, dass so gut wie nichts bleibt: ein paar nichtssagende Phrasen,
die so, wie sie nach unserer Operation zurückbleiben, ebenfalls
nicht von Josephus geschrieben sein können. Will man also bei
Jakobus, den Bruder Jesu Christi. Letztere wird mit folgenden Worten ein-
geführt: o 6" ttVTog xaixoi ye dmaidiv itp *Ir}aov (og Xqiotij) x. t. A. So hätte
Origenes sich nicht äussern können, wenn er die berühmte Stelle gekannt
hätte, und er hätte dann auf ihren Gebrauch an der letzteren Stelle sicher
nicht verzichtet, da sie ihm doch viel mehr bot, als die beiden citirten.
3) Zahn, Forschungen zur Gesch. des neutestamentl. Kanons VI, 1900,
S. 302 Anm. macht auf eine verwandte Stelle in den Acta Pilati aufmerksam,
wo Joseph von Arimathia Jesum folgeudermassen im Geiste anredet {Evan-
gelia apocr. ed. Tischendorf IST Q p. 314): ol'fioi, ykvxvxaxs^Itjaov, ig dv&pojnwv
(pike e^aiaiiörars' et XQ^I M^^'^ ^«i av9 Qcanov ovo/jtdL,siv oe, xbv oia
ovSenote ntnolrjxev avd^Qwnoq &av/uaTa i(»yaaäftivov. Beachte die gleichartige
Begründung wie bei Josephus.
35*
548 § 1'^- Anhang 2. Das Zeugniss des Josephus von Christo. [458. 459]
Annahme der Interpolation stehen bleiben, so ist diese jedenfalls
nicht als einfache Einschaltung christlicher Zusätze, sondern —
mit Ewald, Paret und Anderen — als vollständige Umarbeitung
des ursprünglichen josephinischen Textes zu denken.
Wenn aber doch einmal feststeht, dass von dem gegenwärtigen
Text kaum ein paar Worte von der Hand des Josephus sind, ist
es dann nicht gerathener, auf völlige Unechtheit zu erkennen und
anzunehmen, dass Josephus überhaupt von Christo geschwiegen
habe? Dass Letzteres unmöglich sei, wird sich nicht behaupten
lassen. Man weiss, dass Josephus sein Volk in möglichst günstigem
Lichte erscheinen lassen will. Darum spricht er von der messia-
nischen Hoffnung so wenig als möglich, da sie seinen gebildeten
Lesern nur als Thorheit erscheinen musste und überdiess dem
Günstling der Cäsaren unbequem war. Denn in ihr lag ja die
Kraft des Widerstandes gegen Rom. Johannes des Täufers konnte
nun Josephus allenfalls gedenken, ohne der messianischen Hoffnung
Erwähnung zu thun. Bei Christo wäre dies nicht mehr möglich
gewesen. Er konnte weder Christum zu einem Tugendprediger
machen, wie den Täufer; noch die christliche Gemeinde zu einer
Philosophenschule, wie die Pharisäer und Sadducäer. Darum wird
er wohl überhaupt von dieser Erscheinung geschwiegen haben.
Wenn man sich zum Erweis des Gegentheils auf die spätere
Erwähnung des Jakobus, des Bruders Jesu Christi {Antt. XX, 9, 1 :
Tov äösX(p6v 'l?jOov Tov Xsyofitvov Xqiotov, laxcoßog ovofia avTm)
berufen hat, um daraus den Schluss zu ziehen, dass eine Erwäh-
nung Christi vorhergegangen sein müsse, so ist zu antworten, dass
auch die Echtheit dieser Stelle sehr fraglich ist. Ja man iiniss
umgekehrt sagen: gerade die Notizen, die wir in Betreff des Ja-
kobus haben, beweisen, dass Josephus von christlichen Händen
interpolirt worden ist. Denn Or igen es hat in seinem Josephus-
text eine Stelle über Jakobus gelesen, die sich in keiner unserer
Handschriften findet, die also ohne Zweifel eine singulare, in den
Vulgärtext des Josephus nicht übergegangene christliche Inter-
polation war^).
Wir werden also die Annahme völliger Unechtheit als die
einfachere der Annahme nur theilweiser Unechtheit vorzuziehen
haben.
Eine Spur davon, dass unser „Zeugniss" im christlichen Alter-
thum noch nicht allgemein verbreitet war, darf man vielleicht auch
in eiiHMii <'itate finden, auf welches Bratke aufmerksam gemacht
4) 8. unten § 19 (In dem AbHchnitt über l'oiciuM Fontu») und die du-
Mlb«t genannte Literatur.
[459] § 17. Anhaug 2. Das Zeugniss des Josephus von Christo. 549
hat. In einem apokryphen Berichte über eine angebliche Dispu-
tation zwischen Griechen, Juden und Christen, welche am persischen
Hofe stattgefunden haben soll (am besten herausgegeben von
Bratke, Das sogenannte Religionsgespräch am Hof der Sasaniden,
Texte und Untersuchungen von Gebhardt und Harnack, Neue Folge
IV, 3, 1899) werden auch jüdische Zeugnisse für Christus zusammen-
gestellt, zuletzt das des Josephus {ed. Bratke p. 36, lin. S— 11):
IcoOijtJtog o övyyga^evg v^mv, og £iqi]X£ Jttgi Xqioxov dvögog 61-
xaiov xal aya&ov, ex d^daq xaQiroq avaöeixd-ivtog orjfitioig xcd
xEQaöLV ev£Qy£TovvTog jroXXovg. In diesen Wollen glaubte Bratke
früher (Theol. Literaturblatt 1894, Nr. 16 — 17) den ursprünglichen
Wortlaut des echten Josephus-Zeugnisses erblicken zu dürfen. Im
Commentar zu seiner Ausgabe (S. 223—227) äussert er sich zurück-
haltender und ist zu der Annahme geneigt, dass uns hier ein un-
echter Zusatz zum Josephus-Text erhalten sei, welcher verschieden
ist von dem dann herrschend gewordenen. Für diese Annahme
spricht in der That die starke Abweichung des W^ortlautes dieses
„Zeugnisses" von dem uns sonst bekannten. Es ist schwer, in
ersterem nur eine freie Bezugnahme auf letzteres zu sehen. Dass
im christlichen Alterthum manche Josephus-Handschriften andere
christliche Einschübe aufwiesen als die in unseren Handscliriften
erhaltenen, beweisen die eben erwähnten Origenes-Citate über den
Tod des Jakobus. So ist es möglich, dass dem Verfasser jener apo-
kryphen Disputation nicht das uns erhaltene, sondern ein anderes
„Zeugniss" für Christus in seinem Josephus-Text vorgelegen hat.
§ 18. Herodes Agrippa I (37, 40, 41-44 n. Chr.).
Quellen: Joseph. Antt. XVIII, 6. XIX, 5—9. Bell. Jud. II, 9. 11. Zonaras
Ännal. VI, 7 — 11 (Auszug aus Josephus).
Im Neuen Testam.: Actor. 12.
Rabbinische Traditionen bei Derenbourg p. 205—219.
Die Münzen am vollständigsten bei Madden, Coins of the Jeics
(1881) p. 129—139.
Literatur: Ewald, Geschichte des Volkes Israel VI, 314—322. 340—361.
Grätz, Geschichte der Juden III, 4. Aufl. S. 318—361.
Hitzig, Geschichte des Volkes Israel II, 568—571.
Sehne ckenburger, Zeitgeschichte S. 211—215.
Hausrath, Zeitgeschichte 2. Aufl. II, 212-225. 266—283.
Lewin, Fasti sacri (1865) ad. ann. 31 — 44 (s. daselbst den Index
p. 389 sq.).
Winer, RVVß. I, 484 f.
550 § 18- Herodes Agrippa I (37, 40, 41-44 n. Chr.). [459. 460]
Keim in Schenkel's Bibellex. III, 49—56.
Hamburger, Real-Enc. Abth. II, Artikel „Agrippa".
De Saulcy, Etiide chronologique de la vie et des monnaies des rois
juifs Agrippa I et Äf/rippa II, 1869 (s. oben S. 24). |
Gerlach, Zeitschr. f. luth. Theol. 1869, S. 53—62.
Menke's Bibelatlas, ßl. V, Specialkarte über „Judäa und Nachbar-
länder in den letzten Jahren des Königs Agrippa I".
I.
Als Agrippa I') den Thron Herodes d. Gr. bestieg, hatte
er bereits ein wechselvolles abenteuerliches Leben hinter sich. Er
war geboren im J. 10 vor Chr. 2) als Sohn des nachmals im J. 7
hingerichteten Aristobul und der Berenice, einer Tochter Sa-
lorae's und Kostobar's ^). Kurz vor dem Tode des Grossvaters war
er als kaum sechsjähriger Knabe zur Erziehung nach Rom ge-
schickt worden. Seine Mutter Berenice wurde hier mitAntonia.
der Wittwe des älteren Drusus, befreundet, während er selbst sich
an den jüngeren Drusus, den Sohn des Kaisers Tiberius, anschloss.
Der p]influss der römischen Gesellschaft scheint nicht eben ein
günstiger gewesen zu sein. Er gewöhnte sich an Ueppigkeit und
Verschwendung, die besonders nach dem Tode seiner Mutter kein
Maass und Ziel mehr kannte. Sein Vermögen war bald verzehrt.
Die Schulden häuften sich. Und als er durch den Tod des Drusus
(t 2.3 n. Chr.) auch die Stütze bei Hofe verlor, sah er sich ge-
nöthigt, Rom zu verlassen und nach Palästina zurückzukehren *). Er
begab sich nach Malatha, einer Festung in Idumäa^), und dachte
an Selbstmord. Als dies seine Gattin Kypros erfuhr, schrieb sie
an Agrippa's Schwester Herodias, die damals bereits mit Antipas
vermählt war, und flehte deren Hülfe an. Herodes Antipas Hess
sich herbei, dem bedrängten Schwager wenigstens so viel zu geben,
1) Das Neue T OHtament {Actor. 12) nennt ilin achlechtweg Herodes. Bei
Joseplius und auf Münzen hcisHt er aber stets Agrippa.
2) Wie aus Antt. XIX, 8, 2 erheHt, womach er bei seinem Tode (44 n. Chr.)
im 54. Lebeusjahre stand.
3) An/t. XVIII, 5, 4.
4) Antt. XVIII, G, 1. — Wieseler (Beweis des Glaubens 1870, S. 168 f.)
•etzt die Reise Agrippa's von Rom nach Palästina in d. J. 29 oder .30, was
UDgefShr richtig «ein wird. Jedenfalls fand sie, wie das Folgende lehrt, erst
nach der Hoiratli der Ilcrodias mit Antipas statt.
ö) Malaga m\vt Malnai^u wird auch im Onomasticüu des Eusebius mehr-
mals erwähnt {ed. Laijardc ji. 214. 2')ü, 2(KJ). Ks lag 20 + 4 niü. pass. südlii'h
von Hebron, wahrHclieinlidi an der Stelle des heutigen Teil el-Milh. S. llo-
biOMOD, Palästina III, 184 f. (lu<\rin Judh III, 184-188. Tke Surveij of
Wettern Palesline, Mewoim l»j Conder and Kiichener III, 404, 416 «7.; du/u
Jilatt XXV der grossen englischen Karte.
[469. 4G1] § 18. Herodes Agrippa I (37, 40, 41 -44 n. Chr.). 551
als zum Leben nöthig war, und ihn überdies zum Agoranoraos
(Marktaufseher) der Hauptstadt Tiberias zu ernennen. Die neue
Lebensstellung dauerte freilich nicht lange. Bei einem Gastmahl zu ;
Tyrus geriethen die beiden Schwäger einst in Streit, der damit
endete, dass Agrippa seine Stellung in Tiberias verliess und sich
zum römischen Statthalter Flaccus nach Antiochia begab ^). Aber
auch hier war seines Bleibens nicht lange. In einer Streitigkeit
zwischen den Sidoniern und Damascenern verwandte sich einst
Agrippa zu Gunsten der letzteren, scheinbar uneigennützig, in Wahr-
heit aber von ihnen bestochen. Als dies Flaccus erfuhr, kündigte
er ihm die Freundschaft auf; und Agrippa sah sich nun abermals
aller Hülfsmittel beraubt. Er beschloss nun aufs Neue in Rom sein
Glück zu versuchen. Nachdem er unterwegs in Ptolemais bei einem
Freigelassenen seiner Mutter Berenice Namens Petrus eine An-
leihe gemacht, dann in Anthedon nur mit Mühe den Händen Ca-
pito's, des Procurators von Jamnia, der ihn als Schuldner des
Kaisers festhalten wollte, entgangen war, endlich in Alexandria
auf den Credit seiner Gattin abermals grosse Summen aufgenommen
hatte, kam er im Frühjahr 36 nach Italien") und machte bei Tibe-
rius auf der Insel Capri^) seine Aufwartung^). Der Kaiser ver-
traute ihm seinen Enkel Tiberius zur Aufsicht an. Ausserdem ver-
kehrte er besonders mit Cajus Caligula, dem Enkel seiner
Gönnerin Antonia und nachmaligen Kaiser. Aber aus den Schulden
kam er auch jetzt nicht heraus. Ja, um die alten Gläubiger zu
befriedigen, nmsste er immer neue und grössere Summen auf-
nehmen'<^). Es war daher begreiflich, dass er sehnlichst eine Ver-
besserung seiner Lage wünschte, wozu aber nur dann Aussicht
vorhanden war, wenn statt des alten Tiberius der befreundete
('aligula auf den Thron kam. Unvorsichtigerweise sprach er einst
diesen Wunsch in Gegenwart seines Kutschers Eutychus offen
gegen Caligula aus. Als er nun später selbst den Eutychus wegen
Diebstahls verklagte, und dieser vor den Stadtpräfecten Piso^^)|
6) Antt. XVin, 6, 2.
7) Anft. XVIII, 5, 3: iviavz(p uqoxsqov j] TsXsvTTjaai Ttßkgiov. — Wie-
seler verwirft dieses Datum und setzt wegen des im Folgenden erwähnten
Piso die Ankunft Agrippa's in d. J. 32 (Beiträge S. 13: „wahrscheinlich 31,
spätestens 32"; aber Beweis des Glaubens 1870, S. 169 bestimmt: „nicht
vor 32").
8) Wo Tiberius seit dem J. 27 {Tac. Ann. IV, 67) bis an seineu Tod fast
ohne Unterbrechung lebte.
9) Antt. XVIII, 6, 3.
10) Antt. XVIII, 6, 4.
11) Der hier erwähnte Piso kann nicht mit dem (nach Tac. Ann. VI, 10)
im J. 32 verstorbenen identisch sein (wie Wieseler, Beiträge S. 8 ff. will);
552 § 18. Herodes Agrippa I (37, 40, 41—44 n. Chr.). [462]
geführt wurde, meldete Eutychus, er habe dem Kaiser ein wich-
tiges Geheimniss mitzutheilen. Tiberius Hess die Sache anfangs
unbeachtet* 2). Als aber nach einiger Zeit'^) das Verhör stattfand
und Tiberius die Aeusserung Agrippa's erfuhr, Hess er ihn sofort
in Fesseln legen und in's Gefängniss abführen, wo Agrippa nun
bis zum Tode des Kaisers (113. März 37), sechs Monate lang, ver-
blieb'*).
Mit dem Tode des Tiberius und dem Regierungsantritt Cali-
gula's begann für Agrippa die Periode des Glückes. Caligula hatte
kaum die Bestattung des Tiberius abgewartet, als er auch schon
seinen Freund aus dem Gefängniss befreite und ihm die ehe-
malige Tetrarchie des Philippus und die des Lysanias
sanmit dem Königstitel verlieh; der Senat fügte die Verleihung der
Ehrenrechte eines Prätor's hinzu '^). Statt der eisernen Kette,
welche er getragen hatte, gab ihm Caligula eine gleich schwere
goldene'^). Agrippa blieb aber noch IV2 Jahre in Rom. Erst im
Herbst d. J. 38 kehrte er über Alexandria nach Palästina zurück,
um die Angelegenheiten seines Reiches zu ordnen ").
Bald darauf erhielt er durch kaiserliche Gunst noch bedeuten-
den Gebietszuwachs. Es ist oben (S. 448) bereits erzählt worden,
wie Herodes Antipas im J. 39 durch eigene Schuld seiner Te-
trarchie verlustig ging und Caligula dieselbe, doch wahrscheinlich
erst im J. 40, ebenfalls dem Agrippa schenkte.
Im Herbste dieses Jahres finden wir Agrippa abermals in Rom
(oder Puteoli), wo er durch seine Fürsprache es dahin brachte,
dass Caligula, wenigstens eine Zeit lang, von dem Verlangen nach
Aufstellung seiner Statue im Tempel zu Jerusalem abstand (s. oben
denn er wird noch nach dem Todo des Tiberius erwähnt, Antt. XVIII, (5, 10.
Vgl. über ihn oben S. 330 f. — Josephus' nennt ihn au beiden Stellen (pvXa^
Tfli n6?.ewi. lieber andere griechische Bezeichnungen des praefechis urbi s.
Mominsen, Rom. Staatsrecht II, 2, 981.
12) A»U. XVIII, 6, 5.
13) xQÖfOv iyyevofitvov (Antt. XVIII, 0, 6), woraus Wieseler vier Jahre
macht. S. Beweis d. Glaubens 1870, S. 169.
14) Antt. XVIII, 6, 6—7. R J. II, 9, 5.
16) PhUo in Flaccum 5} 6, ed. Mang. II, 523. Vgl. oben S. 4(^2. Die Vei-
leihuDg geHchaii nicht durch den Kaiser, sondern durch den Senat, s. Philo l. c. :
ßaadia tcal iplkov KulaaQoq xal vno r^c 'PwftaltDv ßovlijg xtxifirjulvov axQd-
TTjytxfxlf TiftaTg.
16) Antt. XVIII, ö, 10. B. J. II. 9, 0. Philo in FInrrum i f) liiit. cd.
Manif. II, r>20«7. IHo Casa. LIX, 8. — Aus der Insclirift zu Kl-Mimchennef
(bei IjC Hau et Waddington, lTisrn)diou.<i (hrcqtirs et iMtinen t. III,». 2211)
Nchen wir, daMH »ich Agrippa's Gebiet bis jenseits des llaurAn erstreckte.
17) Antt. XVIII, (J, 11. Philo in Fl. § 6, ed. Mang. TT, B21. Vgl. oben
8. 448 und 409.
[462. 463] § 18. Herodes Agrippa I (37, 40, 41—44 n. Chr.). 553
S. 505). Er blieb dann in der Umgebung Caligula's; war auch in
Rom anwesend, als sein Gönner am 24. Januar 41 von Chärea er-
mordet wurde; und trug nicht wenig dazu bei, dass der schwache
Claudius den Thron der Cäsaren bestieg 1^). Selbstverständlich
war er nicht der Mann, solche Dienste unentgeltlich zu leisten.
Der neue Kaiser musste ihm zum Lohne dafür nicht nur die bis-
herigen Besitzungen bestätigen, sondern auch noch Judäa und
Samaria dazu verleihen, so dass er nun das ganze Reich seines
Grossvaters in seiner Hand vereinigte. Ausserdem erhielt er con-
sularischen Kang. Zui' Besiegelung der Schenkung wurde nach
alterthümlicher Sitte ein feierliches Bündniss auf dem Forum ge-
schlossen, die Schenkungsurkunde aber in eherne Tafeln eingegi-aben
und auf dem Capitolium aufgestellt ^^).
IL
Die erste Handlung, mit welcher sich Agrippa bei seiner Rück-
kehr in Palästina einführte, ist bezeichnend für den Geist, in
welchem er fortan die Regierung seines Reiches führte. Es war
eine That der Frömmigkeit. Die goldene Kette, welche ihm Cali-
gula bei seiner Befreiung aus dem Gefängniss verliehen hatte, hing
18) Antt. XIX, 1—4. B. J. II, 11. Ueber die Vorgänge bei der Thron-
besteigung des Claudius s. Pauly-Wissowa's Real-Enc. III, 2786 f.
19) Antt. XIX, 5, 1. B. J. U, 11, 5. Dio Cass. LX, 8. Josephus drückt
sich so aus, als ob dem Agrippa die Tetrarchie des Lysania.s jetzt neu verliehen
worden wäre. Da er aber diese schon durch Caligula erbalten hatte, so kann
es sich nur um eine Bestätigung handeln. Höchst wahrscheinlich hat in der
Quelle des Josephus gestanden, dass Agrippa durch die Gunst des Claudius
ausser dem ganzen grossväterlichen Reiche auch noch die Tetrarchie des Ly-
sanias besass. — Die Schliessung des Bündnisses ist auf einer Münze abge-
bildet, deren Umschrift zwar nicht mehr vollkommen lesbar ist, auf welcher
aber jedenfalls von einer avfi/.taxia des Königs Agrippa mit dem römischen
Senate und Volke {ovvxXtjtoq xal örj/aog 'Pwiuaiwvj die Rede ist. S. bes. Rei-
chard t in der Numismat. Zeitschr. von Huber und Karabacek III, 1871,
S. 83 — 88. Mommsen ebendas. S. 449 f Madden, Numismatie Chronicle
1875, p. 69—76. Madden, Coins of the Jeus 1881, p. 136 sj. (unter den von
Madden hier mitgetheilten sechs verschiedenen Lesungsversuchen ist der von
Mommsen der glücklichste). — Dass Claudius überhaupt ein Freund solcher
alterthümlicher Bündnisse war, sagt Stmton. C/aud. 25: Cum regibus foedus in
foro icit porca caesa ac vetere fetialiiim praefatione adhibita.
Auf eine Rückkehr Agrippa's I oder II (möglicherweise" die damalige des
Agrippa I) bezieht sich die Inschrift von El-Muschennef bei Le Bas et Wad-
dington, InsGriptions Grecques et Latines t. III, n 2211:
'^YneQ awxTiQlaq xvgiov ßaai-
Xstuq lAyQlTCTca xal inavoSov xa-
r* fi'Xfjv dioQ xal nuxglov (?)...,
Ofxovotag xöv oixov loxoSö/nUjOSv].
554 § 18. Herodes Agrippa I (37, 40, 41-44 n. Chr.). [463. 464]
er „zum Andenken an sein früheres Unglück und als Zeugniss der
Umwandlung zum Bessern innerhalb des Tempels über der Schatz-
kammer auf, damit sie ein Beweis sei, sowohl dafür dass das
Grosse fallen | könne, als dafür, das Gott das Gefallene wieder
aufrichte" ^o). Zugleich brachte er Dankopfer dar, „indem er keine
Vorschrift des Gesetzes ausser Acht liess", und bestritt für eine
grosse Anzahl Nasiräer die Kosten, welche die Erfüllung ihres
Gelübdes erheischte ^ ').
Mit solchen Thaten begann der einstige Abenteurer die neue
Regierung; und derselbe Ton klingt fort durch die drei Jahre,
während deren ihm noch zu leben und zu regieren vergönnt war.
Es waren wieder goldene Tage für den Pharisäismus; ein neues
Zeitalter der Alexandra. Darum sind auch Josephus und der Tal-
mud einstimmig in der Verkündigung seines Lobes. „Gern und
fortwährend wohnte er zu Jerusalem und hielt pünktlich die väter-
lichen Satzungen. Sein Leben war tadellos rein, und kein Tag
verging ihm ohne das gesetzliche Opfer". So rühmt Josephus ^2);
und der Talmud weiss, dass er wie ein einfacher Israelite eigen-
händig die Erstlinge zum Tempel hinauftrug ^^j. Auch nach aus-
wärts vertrat er die Forderungen des Judenthuras. Als einst in
der phönicischen Stadt Dora eine Anzahl junger Leute eine Bild-
säule des Kaisers in der jüdischen Synagoge aufstellten, erwirkte
er beim Statthalter von Syrien P. Petronius, dass nicht nur für
die Zukunft solcher Gräuel strenge verboten, sondern auch die
20) Antt. XIX, 6, 1. — Die goldenen Ketten, welche nach Mischna Mid-
doth III. 8 an der Decke der Terapelvorhalle hingen, haben damit schwerlich
etwaH zu thun (gegen Derenbourf/ p. 209).
21) Antt. XIX, 6, 1.
22) Antt. XIX, 7, 3: ^Höela yoiv avttp öiana xal avvfyjjg iv xoiq'^leQoao-
Xvfioif i]v, xal rä narpta xa&apwg iiijQfi. Jiä naatji yovv uvxbv riytv ayvelag,
oi'di Tjfiipa Tig nagtaötvev avzw tjJc vofxlßrjg x^Qfvovaa &volag. — Statt t^?
vofilfiTjf (80 die Epitnme, unterstützt durch Vet. JmI.: hostiis viduala soUemnibtts)
haben unsere drei Handschriften r« vo/xi/ua, ebenso die älteren Ausgaben.
Hudson, Havercamp, Obertiiür lesen xfig vofxl/jiTjg, Dindorf und l^ckker haben
en ganz gestrichen (was schon Hudson als möglich andeutet, weil za vontfxa
gleich im Folgenden vorkommt), Niese xä vofxtfja, Naher xfjg vofxl/urjg.
23) Mischna Iiikknrim III, 4: Wenn der Zug mit den Erstlingen der
Feldfrüchte an den Tempelberg gelangte „nahm ein Jeder, selbst König
Agrippa, Keinen Korb auf die Schulter und zog hinauf, bis er in den Vor-
hof kam etc." — Hier, wie überhaupt bei den rabbinischen Traditionen, ist
freilich nicht sicher, ob Agrippa I oder II gemeint ist. — Ueber die Feier-
lichkeiten bei Darbringung dc^r Erstlinge n. axiHmr Mi.sc/ifia BUdurim III, 1— !•
auch riiilo's Tra<;tat de fentu cMphitn (upp. ed. liiclUer V, 48—50 - TLschcmhr/,
Phiioma p. 09—71), (irätz, Monatsschr. 1877, 8. 43311". und überhaupt die in
Bd. II, 8. 241) gcDaDDte Literatur.
[4G4. 465] § 18. Herodes Agrippa I (37, 40, 41—44 n. Chr.). 555
Schuldigen zur Rechenschaft gezogen wurden -*). Und als er seine
Tochter Drusilla mit Kpiphanes, dem Sohne des Königs Antiochus
von Kommagene verlobte, musste ihm jener geloben, die Beschnei-
dung anzunehmend^). Um solcher Frömmigkeit willen genoss er
denn auch die volle Zufriejdenheit des von den Pharisäern geleiteten
Volkes; was sich in glänzender Weise zeigte, als er im J. 41 am
Laubhüttenfest nach alter Sitte das Deuteronomium vorlasse) und
bei der Stelle „Du sollst keinen Fremdling als König über dich
setzen, der nicht dein Bruder" {Deut. 17, 15) in Thränen ausbrach,
weil er sich davon getroffen fühlte. Da rief das Volk ihm zu:
„Sei nicht bekünmiert, Agrippa! Du bist unser Bruder! Du bist
unser Bruder!" -').
Die sorgfältige Beobachtung pharisäischer Satzungen scheint
aber nicht der einzige Grund seiner Popularität gewesen zu sein.
Man wird ihm auch eine gewisse natürliche Gutmüthigkeit zuge-
stehen müssen. Josephus wenigstens schreibt ihm ein gütiges Wesen
und unbegrenzte Wohlthätigkeit zu-^). Dass er für geleistete
Dienste erkenntlich war, beweist die Ernennung des Silas, eines
treuen Gefährten seiner früheren Abenteuer, zum Oberbefehlshaber
seiner Truppen -^^j. Freilich nmsste er mit diesem Silas üble Er-
fahrungen machen, indem er von ihm häufig in unzarter Weise an
das frühere Elend und die geleisteten Dienste erinnert wurde. Um
24) ÄnU. XIX, 6, 3.
25) Antt. XX, 7, 1. — Epiphanes weigerte sich später, das Versprechen aus-
zuführen, weshalb es nicht zur Hochzeit kam.
26) Am Schlüsse jedes Sabbathjahres, d. h. im Beginn des 8. Jahres, musste
am Laubhüttenfest das Deuteronomium gelesen werden {Deut. 31, 10 ff. Sota
VII, 8). Da nun das Jahr 68/69 ein Sabbathjahr war (s. oben S. 35), so war
auch das Jahr 40/41 ein solches, und zwar nur dieses während Agrippa's Re-
gierung. Demnach fallt jenes Ereignis» in d. J. 41.
27) M. Sota VII, 8. Die Aeusserung des Volkes lässt sich auch nach
streng-pharisäischen Begriflfen rechtfertigen; denn wenn Edomiter (Idumäerj
zum Judenthum übertraten, so wurden deren Nachkommen schon im dritten
Gliede israelitische Vollbürger {Deut. 23, 8—9). — Hitzig (II, 571) bezieht
die Erzählung auf Agrippa II, und Brann (Monatsschr. f. Gesch. und Wissensch.
des Judenth. 1870, S. 541 — 548) giebt sich viel Mühe, die Richtigkeit dieser
Beziehung zu beweisen; während die Meisten (s. d. Verzeichniss bei Braun
S. 541) Agrippa I vorziehen; und mit Recht. Denn entschiedene Pharisäer-
freundschaft ist von Agrippa I weit mehr bezeugt, als von seinem Sohne. Für
Agrippa II wieder: Büchler, Die Priester und der Cultus im letzten Jahr-
zehnt des jerusalemischen Tempels (Wien 1895, Jahresber. der israelit.-theol.
Lehranstalt) S. 14 f.
28) Antf. XIX, 7, 3: ÜQavg 6 zponog 'AyQinna, xal UQÖq nävzaq x6 ev-
sgysTixov ofioiov.
29) Antt. XIX, 6, 3.
556 § 18- Herodes Agrippa I (37, 40, 41—44 n. Chr.). [465. 466]
den lästigen Schwätzer los zu werden, niusste Agrippa ihn in's
Gefängniss bringen lassen. Ein neuer Beweis seiner Gutniüthig-
keit war es aber, dass er bei der nächsten Feier seines Geburts-
tages den Gefangenen rufen Hess, damit er an den Freuden des
Gelages Theil nehme; allerdings ohne Erfolg, denn Silas wollte
von Gnade nichts wissen und musste darum im Gefängniss bleiben ^o).
Seine Sanftmuth bewies Agrippa einst dem Pharisäer Simon ^0>!
der in des Königs Abwesenheit eine Volksversammlung in Jeru-
salem berufen und den König wegen Gesetzesübertretung ange-
klagt hatte. Agrippa erhielt davon Nachricht in Cäsarea, Hess-
den Simon zu sich kommen, im Theater neben sich sitzen und
sprach zu ihm ruhig und sanft: „Sage mir doch, was geschieht
hier Ungesetzliches?" Beschämt blieb der Schriftgelehrte die Ant-
wort schuldig und wurde vom König mit Geschenken entlassen^-).
Zu einer pharisäisch-nationalen Politik gehörte auch Locke-
ning des Abhängigkeitsverhältnisses von Eom. Und auch hierin
machte Agrippa wenigstens ein paar schüchterne Versuche. Um
die Hauptstadt Jerusalem stärker zu befestigen, begann er im
Norden der Stadt eine neue gewaltige Mauer zubauen, die nach
Josephus' Ansicht, wenn sie vollendet worden wäre, die Stadt un-
einnehmbar gemacht haben würde. Aber leider konnte das Werk
nicht zu Ende geführt werden, da der Kaiser auf Anrathen des
syrischen Statthalters Marsus Einsprache dagegen erhob ^'•^). Noch
bedenklicher für Rom war die Fürstenversammlung, welche Agrippa
bald darauf nacli Tiberias einlud. Nicht weniger als fünf römische
Vasallenfürsten: Antiochus von Kommagene, Sampsigeram von
Emesa, Kotys von Klein- Armenien, Polemon von Pontus und
Herodes von Chalkis fanden sich zum Besuche bei Agrippa ein.
Aber auch dieses Unternehmen wurde von Marsus gestört. Der
.syrische Statthalter erschien ebenfalls in Tiberias und liiess die
übrigen Gäste unverzüglich nach Hause gehen ^^). |
30) Ana. XIX, 7, 1.
31) Frankel, Parke ha-Mischna p.b8 sq. hält ilin für identisch mit Simon,
dem angeblicben Sohne Hiilel's und Vater Gamulicl'H I. Aber die Existenz
dieses Simon int mehr als fragliel» (s. Bd. II, S. 364); überdioH würde luuli die
Chronologie nieht stimmen, da Qamaliel I schon vor der Zeit Agrippa's Sehul-
haupt war (Act. 6, 34).
82) Anit. XIX, 7, 4.
33) Anit. XIX, 7, 2. B. J. II, 11, 0. V, 4, 2. Vgl. uucii Derenbourg
p. 218 f. Die ursprüngliehe Nadisieht des KaiHcrs gegen den Bmi scheint
Agrippa durch HeHlechung scüner llutiigcbcr erliauft zu lud)en. Vgl. 'farit. Hist.
V, 12: per avnritiam ClawUdnoruvi tanjiorum nnplo jure vmniriuH slnixere
tnuroa in pacc tamquam ad bellum.
34) Antt. XIX, 8, 1. — Die genannten fünf Könige sind alle auch sonst
liekannt. Wir xtellen das Wesentliche über sl«^ hier zusammen:
[467] § 18. Herodes Agrippa I (37, 40, 41—44 n. Chr.). 557
Eine nothwendige Consequenz seiner jüdischen Politik war
es endlich, dass der sonst gutniüthige König zum Verfolger der
1) Ueber die Dynastie von Kommagene s. die oben S. 178f. genannte
Literatur. Im J. 17 nach Chr. war Kommagene zur römischen Provinz Syrien
geschlagen worden [Tac. Annal. II, 42. 56); im J. 38 schenkte es Caligula dem
Antiochus IV {Dio Cass. LIX, 8), der zwar später von Caligula wieder abge-
setzt, aber von Claudius im J. 41 aufs Neue eingesetzt wurde (Dio Cass. LX, 8.
Joseph. Antt. XIX, 5, 1) und nun bis 72 n. Chr. regierte. Er wird erwähnt
Tac. Ann. XII, 55. XIII, 7. 37. XIV, 26. Nach Tac. Eist. II, 81 war er re-
tiistis opibus ingens et mservtentium regum ditissimus. Zum jüdischen Kriege
unter Nero, Vespasian und Titus stellte er wiederholt Hülfstruppen [Joseph.
B. J. II, 18, 9. III, 4, 2. V, 11, 3). Die Geschichte seiner Absetzung wird
von Josephus ausführlich erzählt {B. J. VII, 7, 1—3). — Durch die Verlobung
seines Sohnes Antiochus Epiphanes mit Drusilla, der Tochter des Königs
Agrippa, sollten verwandtschaftliche Beziehungen zwischen beiden Königen
augeknüpft werden [Jos. Antt. XIX, 9, 11 Es kam aber nicht zur Heirath,
da der kommagenische Prinz sich weigerte, die Beschneidung anzunehmen
{Jos. Antt. XX, 7, 1).
2) Ueber die Dynastie von Emesa s. Marquardt, Römische Staats-
verwaltung I, 1881, S, 403f. — Ein Sampsigeram wird schon zur Zeit des
Pompejus und Caesar erwähnt. Ein Nachkomme von ihm ist ohne Zweifel der
an unserer Stelle [Jos. Antt. XIX, 8, 1) erwähnte, dessen Tochter Jotape den
Aristobul, den Bruder des Königs Agrippa heirathete [Jos. Antt. XVIII, 5, 4).
Er ist wohl auch gemeint auf der römischen Inschrift eines Freigelassenen:
C. Julio rcgis Samsicerami l[iberto) Qlago [Revue archeol. 3. Serie, t. 37, 1900,
p. 491). — Sein Nachfolger war Azizus, der sich mit Drusilla, der Tochter
Agrippa's, verheirathete {Jos. Antt. XX, 7, 1). — Diesem folgte im J. 54 n. Chr.
sein Bruder Soemus {Antt. XX, 8,4), der in den Jahren 66 — 72 den Römern
wiederholt Hülfstruppen zuführte [Jos. B. J. II, 18, 9. III, 4, 2. Taeit. Eist.
II, 81. Jos. B. J. VII, 7, 1). — Unter Domitian wurde Emesa römisch; der
Name Sampsigeram {J^anaiyt^afioq) kommt aber noch in einer Inschrift
vom J. 78/79 n. Chr. daselbst vor {Le Bas et Waddington, Inseriptions t. III,
«.2567, neue Copie in: Jahreshefte des österreichischen archäol. Institutes, III,
1900, Beiblatt col. 26), auch noch im J. 182/183 n. Chr. in dortiger Gegend
[Waddington n. 2564). Er ist = aram. B"iS\!:att3, de Vogüe, Syrie Centrale, In-
seriptions p. 54 {n. 75). Müller, Wiener Zeitschr. für die Kunde des Morgen-
landes VI, 1892, S. 318.
3) Ueber Kotys von Klein-Armenien s. Marquardt I, 369, Prosopographia
imperii Romani I, 477. Er war ein Bruder des gleich zu nennenden Königs
Polemon II von Pontus, und erhielt sein Reich gleichzeitig mit diesem durch
die Gunst Caligula's 38 n. Chr. (Inschr. von Kyzikus, s. unten, und Dio Cass.
LIX, 12\ Tacitus erwähnt ihn im J. 47 n. Chr. {Annal. XI, 9). — Im J. .54
wurde Klein-Armenien durch Nero dem Aristobul, dem Sohne des Herodes
von Chaleis verliehen (s. unten Beilage I).
4) Die Dynastie der Könige von Pontus iu der römischen Zeit geht auf
den Rhetor Zeno von Laodicea zurück, der sich beim Einfall der Parther
und des Labienus um die römische Sache verdient gemacht hatte {Strabo p. 660).
Wie es scheint zum Dank dafür wurde sein Sohn Polemon von Antonius
zum König gemacht {Strabo p. 578). Er erhielt zuerst ein Stück von Cilicien
558 § 18- Herodes Agrippa I (37, 40, 41—44 n. Chr.). [467]
jungen Christengemeinde, insonderheit der Apostel wurde. Jako-
bus der Aeltere, Zebedäi Sohn, wurde durch ihn zum Märtyrer,
[Appian. Giv. V, 75) ; einige Jahre später das Königreich Pontus {Dio Cass.
XLIX, 25); im J. 33 auch Klein-Armenien [Dio Cass. XLIX, 33. 44). Unter
Augustus wurde er als König von Pontus bestätigt {Dio Cass. LIII, 25) und
erhielt im J. 14 auch den Bosporus {Dio Cass. LIV, 24). Er wird von den
Schriftstellern auch sonst erwähnt (s. Prosopogr. imp. Rom. III, 57 sq.; auch
Mommsen, Ephemeris epigr. I, 274 sq.). Als er um d. J. 8 vor Chr. gestorben
war, folgte ihm seine Gemahlin Pythodoris in der Regierung (s. über diese
Mommsen, Ephemeris epigr. I, 270 — 276. Prosopogr. imp. Rom. III, 111 sg.).
Nach einer von Mommsen a. a. O. besprochenen Inschrift von Smyrna war
Pythodoris die Tochter einer Antonia, also vermuthlich Enkelin des Tri-
umvir's M. Antonius. Ihr Vater war Pythodorus, ein reicher Bürger von
Tralles {Strabo p. 555 sq. 649). Die weitere Genealogie der Familie lässt sich
mit Hülfe der beiden von Curtius herausgegebenen Inschriften auf einem Ehren-
denkmal der Kyzikener für Antonia Tryphaena, die Tochter des Polemon I
und der Pythodoris (Monatsberichte der Berliner Akademie 1874, S. 7 — 20)
folgendermassen herstellen:
Zeno Antonia verm. mit Pythodorus
I I
Polemon I verm. mit Pythodoris
Zeno von
Gross-Armenien Antonia Tryphaena verm. mit Kotys von Thracien
Tac. Ann. II, 56. |
^ ^1^^ . — , ■ ■ „ , s
Rhoemetalkes Polemon II Kotys von
von Thracien von Pontus Klein-Armenien.
und Bosporus
Vgl. hierzu bes. Mommsen, Ephemeris epigraphica II, 250 — 263; auch
Ramsay, The cities and bishoprics of Phrygia I, 1895, p- 42—46. — Pole-
mon II war hiernach nicht, wie Dio Cass.lAX, 12 angiebt, der Sohn, sondern
der Enkel Polcnion's I, und Tryphaena niclit, wie man früher auf Grund
der Münzen angenommen hat, seine Frau, sondern seine Mutter (vgl. über sie
Prosopogr. imp. Rom. I, 108 sq.; ohne Nennung des Namens erwülint sie Strabo
p. 556; in den Acta Pauli et Theclac c. 36 kommt eine Königin Tryphaena
eine Verwandte des Kaisers vor; offenbar hat der Verf unsere Tryphaena im
Sinne, die durch ihre Grossmutter Antonia mit dem kaiserlichen Hause ver-
wandt war, H. die Genealogie bei Mommsen, Ephemeris II, 263). — Ueber
Polemon II vgl. MoraniHen, E/thcmeris II, 259 «7. Prosop imp. Rom. III, 50
(hier auch die Literatur über seine Münzen, zu welcher noch liinzuzu-
fügen Bind: Calalogue of (he grrrk coins in tlie lirit, Mus., Pontus, Paphing. de.
1HS9, p. 46«J. Revue Numismatique 1897, p. 280. Zeitschr. für Numismatik XX,
1807, Ö.aü7— 2ÖÜ). DieAuHführuiigen von Gutflchmid über Polemon II (Khein.Mus.
18«4, ö. 174-179 — Kleine Schriften II, 351-357) sind jetzt mehrfach zu berich-
tigen. — Nach der zweiten Insdirift auf dem Ehrendcnkiual d(T Kyzikciior hat
Caligula die drei Söhne der Antonia 'rrypiiacna in ilirc vätcrlidicn Reiche
eingesetzt. Da nach den Münzen das 17. Jalir des Polemon II gleieii .^)4 n.(viir.,
•o wurde er im J. 38 n. Chr. Künig. Vgl. Dio Cass. LIX, 12. Statt des
BotponiH erhielt er (indem er Pontu« belnclt) im J. 41 einen Theil von Ci-
Helen (Diu Ca$a. lA' h ,b,l„.r Jos. Anit. XX, 7, 3 Kiktxlag ßaatXtvq). Nero
[4G7] § 18. Herodes Agrippa I (37, 40, 41—44 a. Chr.). 5^9
und Petrus entging nur durch ein Wunder seinen Händen ^^j. —
Uebrigens war er nicht nur ein Feind der Christen. Auch die
heidnischen Städte seines Gebietes hassten ihn wegen seiner jüdi-
schen Politik, wie der unverhohlene Jubel, mit welchem die Cäsa-
gab ihm im J. GO auch einen Theil von Kleiu-Armenien (Tac. Ann. XIV, 26).
Bald darauf, 63 n. Chr., wurde das Königreich Pontus concedente Polematie
römische Provinz (Sueton. Nero 18, über das Jahr: Marquardt I, 360). Die Be-
zeichnung növToq lloXeßfovtaxöq hat sich aber noch lange, bis in's byzantinische
Mittelalter, erhalten {Ptolem. V, 6, 4 u. 10; Corp. Inscr. Lat. III n. 291 =
Suppl. n. 6818 [hier Pontus Polemoniantis] ; Hierocles, Synecdemus ed. Biirckhardt
1893 p. 34 ; die Notitiae episcopatuum bei Geizer, Abhandlungen der Münchener
Akademie, I. Cl. XXI. Bd. III. Abth. 1900, S. 539, 554, 569, 585). Die von
Manchen aus Tacit. Hist. III, 47 gezogene Schlussfolgerung, dass Polemon im
J. 69 n. Chr. bereits todt gewesen sei, ist nicht begründet. Er hat jedenfalls
zur Zeit Galba's noch gelebt und in einem Theil von Cilicien regiert (Münze
aus der Zeit Galba's, in Cilicien gefunden, mit der Aufschrift IloXsfuwv ßaai-
Afv?, mitgetheilt von Prou, Melanges d'archeologie et d' histoire VI, 1886,
p. 284 — 286; ein anderes Exemplar in der Sammlung Waddington's, Retue
Numismatique 1898, p. 175 [hier M. Avx. llole/xcDV ßaailfvg]; über eine andere
cilicische Münze Polenion's s. Marquardt I, 386; Prosop. imp. Botn. III, 59;
Hill, Numismatic Chronicle 1899, p. 186). Nur eine kurze Episode in seinem
Leben war seine Elie mit Berenike, der Tochter Agrippa's I, die ihn selbst
zur Heirath beredete, nachdem sie seit dem Tode ihres zweiten Gemahles,
des Herodes von Chalkis (f 48 n. Chr.), lange Zeit Wittwe gewesen war. Pole-
mon entschloss sich zur Heirath hauptsächlich um ihres Reichthums willen,
und nahm zu diesem Zwecke sogar die Beschneidung an. Als aber Berenike
nach kurzer Zeit ihn wieder verliess, gab er auch die jüdischen Sitten wieder
auf (Jos. Antt. XX, 7, 3). Da Josephus ihn bei Gelegenheit dieser Heiratii
nur als Kihxlaq ßaotXevg bezeichnet, fallt dieselbe wohl erst nach 63 n. Chr.,
als Polemon das Königreich Pontus nicht mehr besass. — Ein Nachkomme
von ihm ist möglicherweise der durch Münzen bekannte M. Antonius Pole-
mon, Dynast von Olbe in Cilicien {dvvdoTTjg 'Okßiwv, s. Prosop. imp). Rom I,
103), welchen Viele in die Zeit des Triumvir M. Antonius setzen (so noch
Marquardt I, 385 f Gardthausen, Augustus und seine Zeit II, 1, S. 124 f.
Hennig, Symbolae ad Asiae minoris reyes sacerdotes, Diss. lAps. 1893, p. 26—49;
Raillard, Wiener Numismat. Zeitschr. XXVII, 1895, S. 23— 26; Collection Wad-
dington, Revue Numismatique 1S9S, p. 174 [einige von diesen identificiren ihn
mit dem Könige Polemon I von Pontus]); gegen diesen Ansatz: Mommsen,
Ephemeris epigr. I, 275. Eher könnte man jenen M. Antonius Polemon identi-
ficiren mit dem von Strabo p. 556 ohne Nennung des Namens erwähnten Sohn
des Polemon I (so Hill, Numismatie Chronicle 1899, p. 181 — 207; ders. Catal.
ofthe greek coins in the Brit. Mus., Lycaonia, Isauria and Cilicia, 1900, p. LH sqq.
119 sqq.). Ueber die Lage von Olbe s. Ramsay, Historieal geography of Asia
Minor, 1890, p. 364, Heberdey und Wilhelm, Reisen in Kilikien (Denkschriften
der Wiener Akademie, phil.-hist. Cl. Bd. 44, 1896) S. 84-91. Hill, Numis-
matic Chronicle 1899, p. 181.
5) Ueber Herodes von Chalkis, den Bruder Agrippa's I, s. unten Bei-
lage I.
35) Ap.-Gesch. 12, 1—19.
560 § 18. Herodes Agrippa I (37, 40, 41-44 n. Chr.). [467]
reenser und Sebastener die Botscliaft von seinem Tode aufnalunen,
beweist 3'^).
Dass Agrippas pharisäische Frömmigkeit Herzenssache war,
ist nach seinem früheren Leben mehr als unwahrscheinlich. Wer
fünfzig Jahre in Schlemmerei verbracht hat, von dem ist nicht
anzunehmen, dass er am Abend seines Lebens aus innerem Trieb
das pharisäische Joch auf sich genommen hat. Ueberdies haben
wir die sichersten Beweise, dass des Königs jüdische Frömmigkeit
nur bis an die G-renzmark des heiligen Landes reichte. Jenseits
derselben war er, wie sein Grossvater, ein freigebiger Förderer
griechischer Cultur. So wusste namentlich Berytus viel zu er-
zählen von dem heidnischen Glänze, den er dort entfaltete. Ein
prachtvolles Theater, ein Amphitheater, Bäder und Säulenhallen
Hess er auf seine Kosten daselbst errichten. Zur Einweihung der
Gebäude wurden Spiele aller Art gefeiert, unter Anderem im Amphi-
theater ein Gladiatorenkampf, bei welchem 1400 Verbrecher sich
gegenseitig abschlachten mussten^'^). Auch in Cäsarea Hess er
Spiele feiern 3^). Ebendaselbst standen Bildsäulen seiner Töchter 3^).
Auch die Münzen, die unter Agrippa s Regierung geprägt sind,
entsprechen dem bisher geschilderten Verhalten. Nur die in Jeru-
salem geprägten tragen kein Bildniss; die in anderen Städten ge-
prägten haben theils das Bild Agrippa's, theils das des Kaisers^").!
3ü) Antt. XIX, 9, 1. — Die Seßaartjvol sind Soldaten aus Samaria (8e-
baste), welche in Cäsarea in Garnison lagen. Vgl. oben S. 402.
37) Antt. XIX, 7, 5. — Die Begünstigung von Berytus erklärt sich daraus,
dass es römische Colonie war. Vgl. oben S. 411.
38) Antt. XIX, 8, 2.
39) Antt. XIX, 9, 1.
40) Vgl. über die Münzen Agrippa's überhaupt: Eckkel, Doctr. Num.Wl,
491 »j. — Mionnet, Deseription de mSdaitles V, 5ü7 — 509. — Lenormant,
Trisor de Numiamafique p. 120 sg. pl. LX n. 3—7. — Cavedoni, Bibl. Numis-
matik I, 58 f. 01—04 (schreibt alle dem Agrippa IT zu). — De Saiilcy, Uc-
cherchcK p. lilsq. — Cavedoni, Bibl. Numismatik II, 35 — 37. — Levy, Gesch.
der jüd. Münzen 8. 80 f. — Madden, llistory of Jcivish Coinatje p. 103—111.
— De Saulcy, £lude cfironolof/ü/tie de la vie et des nionnaies des rois jiiifs
Af/rippa I et Af/rippa II, 1809 (vgl. oben 8.24). — Rcichardt in der Wiener
Numismat. Zeituchr. Bd. III, 1871, S. 83 fl". — Mommsen, ebendas. 8. 449 fr.
— Madden, Numismatic Chronicle 1875, p. 58—80. — Madden, Coins of tfie
Jews 1881, p. 129—139. — 8tickel, Zoitschr. des deutsciu-n Palästina- Vereins
VII, 1884, 8. 213. — Am häufigsten sind unter den Münzen Agrippa's die bild-
loMcn, nur mit Kmblemen (Sonnenscliirm? und drei Achrcn) vcrHehenen, wolclie
fHMt ulle die Jahreszahl VI und die einfache Aufsc-hrift l>A( Wi 'X l)( .AI "j'll )A
tragen, öie sind von den ältere« NnmiHmatikern dem Agrippa 11 ziigesciiric-
b<'n worden, wer«lcu alMT seit dt" Kaiilcy W(fgen ihres Fundortes Jerusalem mit
Ii«cht dera Agrippa I ziigetheilt. I)i(( Existenz von Exemplaren mit anderen
(468. 469] § 18. Herodes Agrippa I (37, 40, 41—44 n. Chr.). 561
Die Titulatur Agrippa's ist dieselbe wie die anderer römischer
Vasallenfürsteii jener Zeit. Aus einer Inschrift wissen wir, dass
seine Familie in die gens Julia aufgenommen war* 0; und aus einer
anderen, dass er den Titel ßaoiXivg fjtyag fpiXoxatoaQ evöeßi/g xal
^iXoQcofiaiog führte ^^j. Aus alledem erhellt, dass seine Zugeständ-
jahreszahlen (V, VIT, VIII, IX) ist sehr fraglich. Vgl. bes. de Saulcy, Ntt-
mismatic Chronicle 1871 p. 255: »Tai eneore reeueilli un tris-gratid nombre de
mannaies d' Agrippa au parasol, cent au moins! Toutes Sans exeeption sont
datees de l'an VI. Je persiste donc plus que jamais ä nie mefier des autres dales
qui ont eti signalies. — Ausser dieseu eigenen Münzen Agrippa's sind unter
seiner Regierung geprägt worden: 1) In Cäsarea am Meere {Kaioagia t] ngoq
Seßaoid) Xifxevi) Münzen mit dem Bilde Agrippa's und der Aufschrift £aat-
Xevq fisyag AyQinnaq (piXoxaiaag. 2) In Cäsarea Panias Münzen mit dem
Bilde Caligula's und dem (mehr oder weniger defecten) Namen des Kaisers,
oder auch ohne solchen. 3) In Tiberias Münzen mit dem Bilde des Clau-
■dius, auf der Rückseite: eni ßaade. AyQin. TißsQtswv. Dazu kommen 4) die
oben Anm. 19 erwähnten Münzen zum Andenken an das „Bündniss" zwischen
Agrippa und dem römischen Volke. Ueber die angeblich in Anthedon ge-
prägte Agrippamünze s. Bd. II S. 91, und Imhoof-Blumer in Sallet's Zeitschr.
f. Numismatik Bd. XIII, 1885, S. 139 f.
41) Auf der Inschrift zu Athen Corp. Inscr. Qraec. n. 361 = Corp. Inscr.
Atticar. III, 1 n. 556 heisst seine Tochter Berenike lovXia BsQfveixrj ßaalhaaa
jLitydXT], ^ovXlov ^AyQinna ßaaiXiatq Q-vyaxiqQ. — Auch für andere Mitglieder
der herodianischen Familie ist der Gentilname der Julier bezeugt; für Agrippa
II durch die Inschrift bei Le Bas et Waddington, Inscriptions t. III n. 2112.
Ein Schwiegersohn Agrippa's I hiess 'lovXiog kgxeXaog [Jos. Antt. XIX, 9,
1 ; contra Apion. I, 9). Wahrscheinlich gehört der herodianischen Familie auch
an der auf einer Inschrift zu Ephesus erwähnte Fdioq ^lovXioq ßaaiXswg
jlXe^ttvögov vlog liyQinJtaq xafilag xal dyTiaTQäzTjyog t^i; kaiag (Hermes IV,
1870, S. 190 = Wood, Discoveries at Ephesus, hiscriptions from the Great
Theatre p. 50 «. 5 = Ancient greek inscriptions in the Brit. Mu.s. P. III Sect.
II, 1890, p. 187; vermuthlich derselbe ßaaiXevg l4.Xe§avÖQog wird als Consular,
■vnauxög, und Verwandter eines vornehmen Ancyraners, Julius Severus, auch
auf einer Inschrift von Ancyra aus der Zeit Trajan's erwähnt, Sitzungsberichte
der Berliner Akademie 1901, S. 25, dazu Mommsen S. 28). — Vgl. überhaupt
■über das häufige Vorkommen des Gentilnamens der Julier bei römischen
Vasallenfürsten der Kaiserzeit: Renan, Mission de PhSnicie p. 310. Bohn,
Qua condicione juris reges socii populi Romani ftierint, Berol. 1877, p. 2ösq. —
Bemerkt sei noch, dass sowohl der Name Julius als der consularische Rang,
welchen Agrippa besass, das römische Bürgerrecht voraussetzt, welches
die herodianische Familie bereits seit Antipater, dem Vater Herodes des
•Grossen besass (s. oben S. 344).
42) Die vollständigen Titel Agrippa's I und H giebt uns die interessante
Inschrift, welche Waddingtou zu Sta ('/j Stunde von Kanaudt, am westlichen
Fusse des Haurun) aufgefunden hat (Le Bas et Waddington, Inscriptions
Orecques et Latines, t. III, n. 2365; als später Ewing die Inschrift sah, war
sie bereits verstümmelt, s. Palestine Exploration Fund, Qiiarterly Statement
1895, p. 272). Sie lautet nach Waddington:
Schiirer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 36
562 § 18- Herodes Agrippa I (37, 40, 41-44 n. Chr.). [469]
nisse an den Pharisäismus lediglich Sache der Politik waren. Im
Ganzen war er doch ein ächter Nachfolger des alten Herodes,
„nur milder gerathen und etwas klüger" ^ 3^. Hatte doch auch der
Grossvater sich zu Concessionen an den Pharisäismus bequemen
müssen. Agrippa war darin nur consequenter, da er wohl wusste,
dass der Friede, den er liebte, auf andere Weise nicht zu er-
reichen war.
Nicht lange erfreute sich das Land seiner Herrschaft. Nach
kaum mehr als dreijähriger Regierung (wenn wir vom J. 41 an
rechnen) starb er im J. 44 zu Cäsarea eines plötzlichen Todes '*'*).|
'Eni ßaoiXswQ (leyaXov 'AyQinna (pikoxalaagoq siasßovg xal <piXoQa)fxa[l-]
ov, xov ix ßaacXicog ixeydkov ^AyQinna. (piXoxaiauQoq svaeßovg xal [^i-]
?.o^(ialov, AcpaQSvq dneXfv&eQog xal 'Ayplmiaq vidg ave^rjxav.
Die Titel cpiXoxaiaaQ und (pikoQWfxaioq kommen in damaliger Zeit sehr
häufig vor. Zahlreiche Beispiele giebt der Index des Corp. Inscr. Oraec. p, 165.
Vgl. auch Mionnet, Description de medmlles antiqucs, Tahles p. 187 (daselbst
p. 185, 186 auch Beispiele für ßaaiXevq fi^yaq und tvasß^g); Bohn l. c. p. 14.
— Am genauesten und vollständigsten stimmt mit der Titulatur der beiden
Agrippa diejenige der Könige von Bosporus, vom Anfang des zweiten bis zum
Ende des dritten Jahrhunderts nach Chr. S. die Zusammenstellung bei La-
ty sehet, Inscriptiones antiqtiae orae septentrionalis Ponti Euxini firaecae et
latinae vol. II, 1890, p. XL VI— LH. Z. B. Sauromates I, 117 n. Chr. [Laty-
schev n. 39): ßaatkea fiiyav TtßeQiov lovhov UaiQO//äxTjv .... (fdoxaioaga
xal (piXoQütfjiaiov evasßtj. Ebenso Latysehev n. 357 (diese vielleicht auf Sau-
romates II zu beziehen). Reacuporis IV, 250 n. Chr. {Latysehev v. 44): ßaai-
kia /iiyav TißeQiov^IovXiov'PriaxovTiOQiv (piXoxalaaga xal <piXoQ(ö[taiov evaeßJj.
Lateinisch {Latysehev n. 40 = Corp. Jnser. Lat. III n. 783 =■ Wihnanns, Exempla
Inscr. Lat. n. 2689): Regem Ti. Jul. Sauromaten amicum imp{eratoris) populi-
q[ue) R{omani) praestantissimum. — Ueber den Sinn der Titel s. Gutschmid,
Kleine Schriften IV, 116 — 119. Baadevg fx/yag drückt aus, dass sein Träger
mehr als ein Reich in seiner Hand vereinigte; <piX6xaiaaQ und (fikoipcifiaiog
Hind zunächst passivisch: welchem der Caesar und das römische Volk freund-
lich sind (vgl. Jos. Antt. XIX, 5, 3: ^lyglnna xal 'Hg^öov zwv (pdzäxwv fiot,
Reinach, Revue des ettides jnives XXXI, 1895, p. 174); doch ist die Freundschaft
natürlich eine gegenseitige.
43) Keim im Bibellex. III, .55.
44) Ueb(?r die Zeit von Agrippa's Tod handelt ausführlich Wieseler,
Chronologie den apostol. Zeitalters S. 129—136. Agrippa starb, nuclidein er
drei volle Jalire über ganz PulÜHtinu regiert hatte {Antt. XIX, H, 2: xqIxov 6h
hog avttp ßaoikeiovxt xfjg oXtj( *Iov6alag nenXt'nxoxo), also im J. 44, und zwar
bald nach dem PaHsafcHto (Arlor. 12, 3 ff.), als in Cäsarea Spiele zu Ehren des
KaittcfH {tlg xf/v Kalaagog xifiTjv, vnhp xf/g ixslvov awxriQlag, Jos. I. e.) gefeiert
wurden. Unter letzteren will Wieselor die von Herodes d. Gr. gegründeten
regolnifiMHigen Kampfitpiclo von Cnsurea, welche alh^ 4 .lahrc gefeiert wurden,
verHt4!heD; weshalb er, unter der VornuHHctzinig, dass sie am 1. August begannen,
den Tod Agrippa'» auf den 6. August setzt. Alxr schon die Voraussetzung,
da»« dicHC am 1, Augutt gefeiert wurden, ist eine ganz willkürliche; uusser-
dem zeigen «He Worte des JosepliUH {vrchf vfjq ixtlvov acttijQlag) deutlidi, dasn
[470] § 18. Herodes Agrippa I (37, 40, 41—44 n. Chr.). 563
Die beiden Berichte, welche wir darüber haben (Ap.-Gesch. 12,
19—23 und Joseph. Antt. XIX, 8, 2), stimmen bei manchen Ab-
weichungen im Einzelnen doch in den Hauptpunkten überein ^^).
Die Apostelgeschichte erzählt, dass er in Cäsarea, mit dem
königlichen Gewände angethan auf einer Tribüne {ßrjfia) sitzend,
eine Rede hielt an die Gesandten der Städte Tyrus und Sidon,
auf welche er, wir wissen nicht weshalb, erzürnt war. Während
er sprach, rief ihm das Volk zu: Das ist Gottes, nicht eines Men-
schen Stimme. Alsbald schlug ihn ein Engel des Herrn, darum
dass er Gott nicht die Ehre gab; und er ward von Würmern ge-
fressen und gab den Geist auf. Nach Josephus war er in Cäsarea
anwesend, als dort eben Spiele zu Ehren des Kaisers gefeiert
wurden. Am zweiten Tage erschien er im Theater in einem Ge-
wände, das ganz aus Silber gewirkt war. Als das Gewand in der
Sonne erglänzte, riefen die Schmeichler ihm zu, indem sie ihn Gott
nannten i&^eov jiQooayoQevovTsg) und ihn um seine Gnade anflehten.
Der König liess sich die Schmeichelei gefallen. Bald darauf sah
er auf einem Seile den Uhu sitzen, den ihm ein Germane als
Todesboten geweissagt hatte '**^). Er wusste nun, dass seine Stunde
geschlagen hatte. Alsbald stellten sich auch die heftigsten Schmerzen
im Unterleibe ein. Er niusste nach Hause getragen werden und
war nach fünf Tagen eine Leiche. — Man sieht, dass die Haupt-
punkte: Cäsarea als Schauplatz, das Prachtgewand, der schmeich-
lerische Zuruf, der plötzliche Tod, beiden Berichten gemeinsam
überhaupt nicht an regelmässige Spiele zu denken ist, sondern an ausser-
ordentliche, und zwar an die Spiele, welche zur Feier von Claudius' Rück-
kehr aus Britannien im Frühjahr 44 zu Rom {Dio Cass. LX, 23, Pauly-Wisso-
wa's Real-Enc. III, 2797) und darnach wohl auch in den Provinzen gefeiert
wurden. So auch Anger, De temporum in act. ap. ratione p. 40; Hausrath,
Zeitgesch. 2. Aufl. II, 278 f. Lew in, Fasti sacri p. 279 s^. n. 1674. (Die
regelmässigen vierjährigen — nicht fünfjährigen, s. oben S. 393 — Spiele von
Cäsarea würden überhaupt nicht in das J. 44, sondern 43 fallen, da sie nach
Antt. XVI, 5, 1 im 28. Jahre des Herodes = 744 a. U. eingesetzt worden
waren, also im J. 796 a. U. = 43 p. Chr. wiederkehrten).
45) Die wesentliche Uebereinstimmung hebt schon Eusebius Eist. Eecl. II, 10
hervor, indem er freilich den Uhu des Josephus zu einem Engel macht. Vgl.
auch: Raniseh, De Lucae et Josephi in morie Herodis Agrippae consensu. Lips.
1745. Aus neuerer Zeit: Gerlach, Zeitschr. f. luth. Theol. 1869, S. 57—62.
Krenkel, Josephus und Lucas, 1894, S. 203 ff", (bemüht sich trotz der Diffe-
renzen, die Abhängigkeit des Lucas von Josephus nachzuweisen). — Ueber
den in einen Engel verwandelten Uhu: Heinichen, Ehisebii Scripta histo-
riea III, 654—656.
46) Anlt. XVIII, 6, 7. — lieber den Uhu als Unglücksvogel s. Hinius,
Eist. Nat. X, 12, 34—35.
36*
564 § 18- Herodes Agrippa I (37, 40, 41—44 n. Chr.). [470. 471]
sind, wenn auch die Einzelheiten in der Ueberlieferung sich ver-
schieden gestaltet haben.
Agrippa hinterliess ausser drei Töchtern (Berenike, Mariamnie
und Drusilla) nur einen 17jährigen Sohp Namens Agrippa. Der
Kaiser Claudius wäre geneigt gewesen, diesem das Reich seines
Vaters zu übergeben. Aber seine Rathgeber hielten ihm das Be-
denkliche der Sache vor. Und so wurde ganz Palästina, wie
früher schon Judäa und Samaria, als römisches Gebiet einge-
zogen and einem Procurator, unter Oberaufsicht des Statthalters!
von Syrien, zur Venvaltung übergeben ^'^). Der junge Agi'ippa blieb
einstweilen im Privatstande.
§ 19. Die römischen Procuratoren (44—66 ii. Chr.).
Quellen: Joseph. Antt. XX, 1 u. 5—11. Bell. Jud. II, 11—14. Zonaras, Annal.
VI, 12 — 17 (Auszug aus Josephus).
Literatur: Ewald, Geschichte des Volkes Israel VI, 361—364. 540—563.
633—641.
Grätz, Geschichte der Juden III, 4. Aufl. S. 361 ff. 426 ff. 724 ff.
Hitzig, Geschichte des Volkes Israel II, 588—594.
Schneckenburger, Zeitgeschichte S. 215—224.
Hausrath, Zeitgesch. 2. Aufl. II, 362 ff. III, 331—374. 423—426.
Lew in, Fasti sacri (1865) ad ann. 44 — 66.
Gerlach, Die römischen Statthalter in Syrien und Judäa, 1865,
S. 67 ff
Grätz, Chronologische Präcisiruug der Reihenfolge der letzten rö-
mischen Landpfleger in Judäa etc. (Monatsschr. für Gesch. und
47) Antt. XIX, 9, 1—2. Ä J. II, 11, 6. — Bormann (De Syriae pro-
vineiae Jiomanae partibus capita nonntUla 1865, p. 3 — 5) nimmt nn, dass Palä-
MtiDA vom J. 44—49 durch einen, vom Legaten von Syrien unabhängigen Pro-
curator verwaltet wurde, aber im J. 49 n. Chr. zur Provinz Syrien geschlagen
wurde, weil nämlich Tacitua Ann. XII, 23 erst unter den EreigniHscii des Jahres
49 berichtet: Ituraci et Jwlaci defunctis regihu.'*, Sohacmo atquc Agrippa, pro-
vindae Suriae addili. Aber man Hiebt, das« der Bericht des Tacitus sehr
stunmariitch ist und zeitlich AuHcinanderliegcndes zusammenfaHst: weshalb
eine solche Folgerung ni(;ht aus ihm gezogen werden darf. (Jerade im J. 44
oder 4Ö, unmittelbar nach dem Tode Agrippa's I, hat der Legat von Syrien
CMtins LoDginuH in die VerhältniHse Judäa's eingegriffen. Die Solbstündig-
keit de« ProcuratorH von Judäa war also (lanials nicht grösser als später, und
sie war apiter niciit geringer als (lanialH. Vgl. im Ailgcinciticn oben S. 4.56 f
and apeciell gegen Ikirmann nucli Marquardt, KömiHciie Staatsverwaltung
Bd I, 2. Aufl. 1881, 8. 411, Anm. 11.
[471. 472] § 19. Die römischen Procuratoren (44—66 n. Chr.). 565
Wissensch. des Judenth. 1877, S. 401 ff. 443 ff".). Vgl. Gesch. der
Juden III, 4. Aufl. S. 724 ff", (wo die Abhandlung aus der Mon^ts-
schr. fast ganz abgedruckt ist).
Rohden, De Palaestina et Arabia provinciis Romanis quaestiones
selectae iBerol. 1885), p. 34—36.
Kellner, Die römischen Statthalter von Syrien und Judäa zur Zeit
Christi und der Apostel. Zweiter Artikel. Die kaiserlichen Pro-
curatoren von Judäa (Zeitschr. für kathol. Tlieol. 1888, S. 630 ff".).
Menke's Bibelatlas Bl. V, Specialkarte über „Judäa und Nachbar-
länder zur Zeit des Felix und Festus".
Wenn man die Geschichte der römischen Procuratoren, welchen
nunmehr Palästina anvertraut war, überblickt, so möchte man
meinen, dass sie alle wie nach geheimer Verabredung planmässig|
darauf hinarbeiteten, das Volk zum Aufruhr zu treiben. Selbst
die Besten unter ihnen — um von den andern, welche alles Recht
mit Füssen traten, ganz zu schweigen — hatten doch keine Ahnung
davon, dass ein Volk wie das jüdische vor allem Schonung seiner
Kigenthümlichkeiten verlangte. Statt Milde und Nachsicht zu
üben, hatten sie allen Lebensregungen des Volkes nur unerbittliche
Strenge entgegenzusetzen. — Verhältnissmässig am wenigsten gilt
dies von den beiden ersten Procuratoren, „welche, da sie keine der
väterlichen Sitten beseitigten, das Volk in Frieden erhielten" 0.
1. Der erste Procurator, welchen Claudius nach Palästina
sandte, war Cuspius Fadus (44— ?)"^). Er hatte gleich beim An-
tritt seines Amtes Gelegenheit, seinen Sinn für Ordnung an den
Tag zu legen. Als er nach Palästina kam, lagen die Bewohner
von Peräa in oft'enem Kampf mit der Stadt Philadelphia^).
Veranlasst war der Kampf durch Streitigkeiten über die Grenzen
ihres beiderseitigen Gebietes. Da die Peräer der schuldige Theil
waren, Hess Fadus von den drei Rädelsführern den einen hinrichten,
die beiden andern des Landes verweisen. — Dass aber Fadus bei
aller Rechtlichkeit kein Verständniss für die Eigenthümlichkeiten
des jüdischen Volkes hatte, beweist sein Verlangen, dass das
hohepriesterliche Prachtgewand, welches früher (6 — 36)
unter römischem Verschluss gelegen hatte, dann von Vitellius frei-
gegeben worden war (s. oben S. 494), wieder der römischen Obhut
anvertraut werde ^). So wurde ohne alle Noth durch kleine Plak-
kereien das in solchen Dingen äusserst zarte Gefühl des Volkes
verletzt! Glücklicherweise waren Fadus und der wegen dieser
1) B. J. II, 11, 6.
2) Antt. XIX, 9, 2.
3) Ueber Philadelphia s. Bd. II, S. 144—148.
4) Antt. XX, 1, 1.
566 § 19- Die römischen Procuratoren (44—66 n. Chr.). [472. 473]
wichtigen Angelegenheit nach Jerusalem gekommene syiische Statt-
halter Cassius Longinusso verständig, wenigstens zu gestatten,
dass eine jüdische Gesandtschaft nach Eom ging, welche durch
Vermittelung des Jüngern Agrippa bei Claudius den Befehl er-
wirkte, dass in der Kleiderangelegenheit alles beim Alten zu
bleiben habe 5). |
Schlimmer als dieser Conflict war ein späterer, bei welchem
es bereits zu offenem Kampf und Blutvergiessen kam. Ein angeb-
licher Prophet Namens Theu das sammelte eine grosse Schaar von
Anhängern um sich, mit welchen er an den Jordan zog unter dem
Vorgeben, dass er durch sein blosses Wort den Fluss theilen und
ihnen einen leichten Durchgang gewähren werde. Es sollte dies
wohl nur eine Probe seiner göttlichen Sendung sein, und die Haupt-
sache, nämlich der Kampf gegen Rom, erst folgen. Jedenfalls er-
schien dem Fadus die Sache bedenklich. Er schickte eine Abtheilung
Reiter gegen Theudas, welche ihn unversehens überfiel, einen Theil
seiner Anhänger tödtete oder gefangen nahm, und ihm selbst, nach-
dem er ebenfalls ergriffen worden war, den Kopf abhieb, welcher
als Zeichen des Sieges nach Jerusalem gebracht wurde'').
5) Anit. XX, 1, 1—2. Vgl. XV. 11, 4. — Das Schreiben des Claudius an
die Behörden von Jerusalem, worin ihnen diese Entschliessung des Kaisers mit-
getheilt wird {Joseph. Antt. XX, 1, 2), ist datirt vom 28. Juni 45 n. Chr., Claud.
tribtmic. potest. V, Consulat des Rufus und Pompeius Silvanus (über diese
C088. suff. 8. Klein, Fasti consulares S. 33). — Vgl. auch: Kindlmann, Utnun
litterae, qitae ad Clatidium Tiberium imperatorem apitd Josephum rcferuntur,
ad eum refcretidae sint necne, quaeritur. Mährisch-Neustadt, Progr. 1884 (war
mir nicht zugänglich).
6) Antt. XX, 5, 1 =» Euseb. Hist. eccl. II, 11. — Der Name Sivääq kommt
auch sonst vor {Corp. Inaor. Oraec. n. 2684. 3563. 3920. 5098, Bulletin de cor-
reap. hell. XI, 1887, p. 21.3, 214, 215. Wetstein, Nuv. Test, zu Act. 5, 36, Pape-
Benseler, Wörterb. der griech. Eigennamen s. ».). Er ist Verkürzung eines
mit &s6(: zusammengesetzten Namens {ßsoSoaioq, ßeöSoroc, ßföSwQOi oder
dgl.; die Contraction von fo in ev ist namentlich in den mit &s6g luid xkiof
zusammengesetzten Eigennamen sehr häufig). Auch im Rabbinischen findet
sich Oimn {Buaiarf, Ijcx. Chald. col. 2565 ä(/. Liffhtfoot, Opp. II, 704, Schoettgcn,
Horae hel/r. I, 423). Doch lautet der Name des Arztes omn Mischna Becho-
roth IV, 4 nach den besten Ilundschriftcn Diniin (so die Cambridger Ilandschr.
und cod. dt: liosai 138). — Unser Aufruhrer Tlieudas wird b(^kanntlich auch
in der ApostelgCHchlchte erwähnt (Act. 5, 3()). und zwar in einer Rede, wekihe
Gamaliel geraume Zeit vor dem wirklichen Auftrettiu des Tlieudas gehalten
haben «oll. Ja sein Auftreten wird dort noch vor das des Judas Galiläus
(ü n. Chr.) gesetzt. Da man ein so starkes Versehen dem Verfasser der
ApostelgcBchicht«; nicht zutrauen wollte, so haben viele Theologen zwei ver-
MChicdene Aufruhrer Namens Theudas angenommen, wozu aber die in solchen
Dingen Mcliwacho Autorität der Apostelgeschic-iite niciit berfchtigt. Vgl. hierüber
pro und conlra: Sonn tag, Theudas der Aufrührer (Stud. und Krit. 1837, 8. 622 ff.).
[473. 4741 § 19. Die römischen Procuratoren (44 — 66 n. Chi.]. 557
2. Der Nachfolger des Fadus war Tiberius Alexander (bis
48), der aus einer der vornehmsten jüdischen Familien Alexandria's
stammte, ein Sohn des Alabarchen Alexander und Nette des Philo-
sophen Philo '). Er hatte die Religion seiner Väter verlassen und
römische Dienste genommen. Zu seiner Zeit wurde Palästina von
einer grossen Hungersnoth heimgesucht % Das einzige Bemerkens-
Zuschlag, Theudas, Anführer eines 750 Ä. in Palästina erregten Aufstandes,
Cassel 1849. Wieseler, Chronologische Synopse S. 103 f. Ders., Beiträge
zur richtigen Würdigung der Evangelien S. 101 if. Winer, Realwörterb. II,
609 f. Keim in Schenkel's Bibellex. V, 510—513. Köhler in Herzog's Real-
Enc. 1. Aufl. XVI, 39-41. K. Schmidt in Herzog's Real.-Enc. 2. Aufl. XV,
553—557. Zeller, Die Apostelgeschichte, 1854, S. 132—137. Lewin, Fasti
saeri n. 903. 933. 1469. Seh latter, Zur Topographie und Gesch. Palästinas,
1893, S. 129. Krenkel, Josephus und Lucas, 1894, S. 162 ff". Die Commen-
tare zur Apostelgesch. von Kuinoel, De Wette, Meyer, Overbeck,
Wendt, Nösgen und Anderen. Aeltere Literatur bei Wolf, Giirae philol. in
Nov. Test, zu Act. 5, 36.
7) Antt. XX, 5. 2. XVIII, 8, 1. — Ueber das Amt des Alabarchen s. Bd.
III, S. 88 f.
8) Vgl. über diese ausser Antt. XX, 5, 2 auch Antt. III, 15, 3. XX, 2, 6.
Ap. Gesch. 11, 28 — 30. Anger, De temporum in actis apostolorum rat ione (1833)
p. 41—49. Wieseler, Chronol. des apostol. Zeitalters S. 156—161. Karl
Schmidt, Die Apostelgeschichte Bd. I, 1882, S. 157 — 164. — Josephus er-
wähnt die Hungersnoth zur Zeit des Tiberius Alexander, deutet aber an, das»
sie schon unter seinem Vorgänger begonnen hat: inl tovroiq 6h xa) xov
(leyav Xi/nov xarä r^v 'lovöaiav ovvißj] yfvsa&ai. Statt inl xovxoiq liest Niese
nach der Epitome inl xovxov. Aber das von allen Handschriften gebotene
ini xovxoiq wird bestätigt durch Euseb. Hist. eccl. II, 12, 1. Zu übersetzen
ist sicherlich nicht propter haee (so Credner, Einl. S. 3.30), auch nicht ad haec
oder post haec (so Keim, Aus dem Urchristenthum S. 19 Anm.), sondern horum
temporibus, wie der alte Lateiner hat (über diesen incorrecten Gebrauch von
inl c. Dat. statt Oen. s. Wahl, Clavis librorum V. T. apocr. s. v. inl, auf In-
schriften: inl Pafifilü) MaQXidki inixQX^ Alyvnxov Letronne, Reetieil des inscr.
I, 153 = Coi-p. Inscr. Oraec. n. 4713 f., inl Aovntoi inaQXfoi Alyvnxov Kaibel,
Inscr. Graecae Siciliae et Italiae n. 2421, 2). Hiermit stimmt es, wenn die
Apostelgeschichte die Hungersnoth ungefähr um die Zeit von Agrippa's Tod
(44 n. Chr.) erwähnt. — Als Bereich der Hungersnoth nennt Josephus an allen
drei Stellen -nur Judäa (XX, 5, 2: t^j» ^lovöaiav, III, 15, 3: xtjv x<^Q<xv rjfxwv,
XX, 2, 6: xrjv nöXiv). Der Verfasser der Apostelgeschichte lässt sie sich über
die ganze Welt erstreckenJll, 28: i(p* vXrjv xfjv olxovfxevrjv), was eine ebenso
ungeschichtliche Generalisirung ist wie beim Census des Quirinius. Allerdings
ist die Regierung des Claudius durch assidiuie sterilitates heimgesucht gewesen
{Suetun. Claud. 18), und zwar, abgesehen von der palästinensischen, 1) durch
eine Hungersnoth zu Rom im Anfang seiner Regierung [Dia Cass. LX, IL
Aiirel. Victor Caes. 4, Münzen bei Eckhel, Doctr. Num. VI, 238 s^.), 2) durch
eine solche in Griechenland im 8. oder 9. Jahre seiner Regierung (Euseb. Ckron.
ed. Schoene II, 152 s^'., nach dem Armenischen und nach Hieronymus), 3) durch
eine solche in Rom im 11. Jahre seiner Regierung (so Tacit. Annal. XII, 43,
568 § 19. Die römischen Procuratoren (44—66 n. Chr.). [474, 475]
werthe, was von ihm berichtet wird, ist, dass er die Söhne Judas'
des Galiläers Jakob iis und Simon an's Kreuz schlagen liess —
vermuthlich weil sie ähnliche Pläne hegten wie einst ihr Vater 9). j
Wenn schon die Zeit dieser ersten Statthalter nicht ohne
Störung verlaufen ist, so war dies alles doch noch unbedeutend im
Vergleich zu dem, was folgte. Schon unter dem nächsten Statt-
halter Cumanus gab es, nicht ohne Schuld von beiden Seiten,.
Volksaufstände in grösserem Maassstabe.
3. Der erste Aufstand, mit welchem Ventidius Cumanus
(48— 52)i<*) zu kämpfen hatte, war hervorgerufen durch den Muth-
nach Euseb. Chron. l. c. im 10. oder 9. Jahre, für das 10. Jahr auch Gros. VII,
ö, 17). Allein eine Ausdehnung über die ganze Welt ist, wie an sich unwahr-
scheinlich, 80 auch nirgends bezeugt.
9) Antt. XX, 5, 2. — Tiberius Alexander diente später unter Corbulo
gegen die Parther {Taeit. Ann. XV, 28), wurde dann Statthalter von Aegj'pten
{Joseph. B. J. II, 15, 1. 18, 7. IV, 10, 6. Tacit. Hist. I, 11. II, 74. 79. Sueton.
Vesp. 6) und war der hervorragendste Rathgeber des Titus bei der Belagerung
von Jerusalem [B. J. V, 1, 6. VI, 4, 3). Sein vollständiger Name lautet auf
einem Edict, welches er als Statthalter von Aegypten erlassen hat: Tiberius
Julius Alexander {Corp. Itiser. Qraec. n. 4957). — Die Vermuthiing von
Bernays, dass ihm die pseudo-aristotelische Schrift nsQi xoofxov gewidmet
sei, ist sehr unwahrscheinlich, obwohl sie von Mommsen, Rom. Gesch. V,
494, .566, als eine sichere Thatsache behandelt wird. Nach Zeller will jene
Schrift wirklich von Aristoteles herrühren, und der Augeredete ist Alexander
der Grosse (s. die Literatur hierüber oben S. 57). — Vgl. über Tiberius Alexander
überhaupt: Rudorff, Das Edict des Tiberius Julius Alexander (Rhein. Mu-
seum 1828, S. 64-84, 133-190). Franz, Corp. Insci: Oraec. zu ». 4957.
Haakh in Pauly's Real-Enc. VI, 2 (1852) S. 1943f. Renier in den Memoires
de l'Acadhnie des Imcr. et Belles-Letires t. XXVI, 1 (1867) p. 294-302. Lum-
hroso, liecherches sur l'economie politique de t' Kgypte sous les Lof/ides [Turin
1870) p. 216 »r/. Prosopographia impcrii Bomani II, 164 s^^. — Die Familie
des Tiberius Julius Alexander blieb auch später noch im römischen Sttuits-
dienst. Ein Julius Alexander, vielleicht ein Sohn oder Enkel des uusorigen,
diente als Legat unter Trajan im Partlierkrieg {Dio Cass. LXVIII, 30), war
CJoDHul im J. 117 und Mitglied des Priestercollogiums der Arvaleu 118—119
n. Chr. Seinen vollen Namen Ti. Julius Alexander Juliauus geben die
Acten der Arvalen (Corp. Iiutcr. Lat. t. VI n. 2078. 2079; vgl. lienzen, Acta
fratrmn Arvalium, Index p. ISH, Prosop.imp.Jiom.\\f\^hsq.). Ein TißiQioq
*IovXio<; 'AXi^avdfoq, BefelilHhubcr der coh. I F(aria und Agoninomo.s über
den zweiten Stadtbezirk von AKxuudria, hat im 21. Jalire des Antouinus Pius
der groHHcn GiHtiti Isis eine BildHäulo errichtet {Annalt dell' Instituto di cor-
ri»p. arcfteol. 1H75, p. 15).
10) VcntidiuH nach Tar. Ann. XII, 54; bei Josephus nur Cii maiius. —
Di«' Zeit de» AiiitHiintrittcH des CtimanuH crgicbt sich, freilich nur uiijrefiilir,
daraUM, danM JoHcplmn gleichzeitig den Tod des Hcrodes von Cliulkis im 8.
Jahre drM (Maudius •— 48 n. Chr. erwähnt {Antt. XX, ß, 2). Ohne liinreichen-
den Gnuid Hetzt Wleieler (Chronologie de» apostnl. Zeitalters S. dS. 126 f.)
[475. 476] § 19. Die römischen Procuratoren (44—06 n. Chr.). 56Ö
willen eines römischen Soldaten. Ein solcher Hess es sich nämlich
beikommen, beim Passafeste, wo der Sicherheit wegen immer eine
Abtheilung römischer Soldaten im Tempelvorhof aufgestellt war'*),
die festliche Versammlung durch eine unanständige Geberde zu
verhöhnen. Die aufgebrachte Menge verlangte vom Procurator
Genugthuung. Und da dieser zunächst Versuche machte, sie zu
beschwichtigen, ward auch er mit Schimpfreden überschüttet, bis
er endlich die bewaffnete Macht einschreiten und die erregte
Menge zu Paaren treiben Hess, und zwar so nachdrücklich, dass
(nach Josephus' Meinung) durch das Gedränge, welches infolge
der Flucht in den Strassen entstand, 20000 (!) Menschen um's Leben
kamen * -).
Lag hier die Schuld auf römischer Seite, so kam dagegen die
nächste Herausforderung vom Volke selbst. Ein kaiserlicher Diener,
Namens Stephanus wurde auf öffentlicher Strasse nicht weit von
Jerusalem angegriffen und all' seiner Habe beraubt. Zur Strafe dafür
wurden die Dörfer, welche in der Nähe des Schauplatzes der That
lagen, der Plünderung preisgegeben. Leider wollte es das Unglück,
dass aus dieser Plünderung beinahe neues Unheil entstanden wäre,
indem ein Soldat eine Thorarolle, welche er gefunden hatte, vor
Aller Augen unter Spott- und Hohnreden zerriss. Um für solche
Gotteslästerung Rache zu fordern, begab sich eine jener beliebten
Massendeputationen zu Cumanus nach Cäsarea; und dieser fand
es diesmal gerathen, den Uebelthäter sogar mit dem Tode zu be-
strafen ' ^).
Weit ernster und blutiger war ein dritter Vorfall unter Cu-
manus, der auch ihm selbst zwar nicht das Leben, aber doch das
Amt» kostete. Galiläische Juden, welche zum Feste nach Jerusalem
reisten und ihren Weg durch Samaria nahmen, waren in einem
samaritanischen Dorfe ermordet worden. Da Cumanus, der von
den Samaritanern bestochen war, sich nicht zur Bestrafung der
Schuldigen bewegen Hess, so grilf das jüdische Volk zur Selbst-
den Amtsantritt des Cumanus erst in das J. 50, während u. a. auch Auger,
De tetnporum in actis ap. ratione p. 44, Gerlach, Die röm. Statthalter S. 71,
Ewald, VI, 549, Hitzig II, 5S9, Lewin, Fasti n. 1719, Grätz, Monatsschr.
1877, S. 402—408 = Gesch. III, 4. Aufl. S. 725-728, ßohden, De Palaestina
p. 35 das Jahr 48 annehmen.
11) Vgl. B. J. V, 5, 8. Antt. XX, 8, 11.
12) Antt. XX, 5, 3. B. J. II, 12, 1. An letzterer Stelle hat der gedruckte
Vulgärtext, auch noch Naber, vneQ xovq fivQiovq, Niese nach guter Bezeugung
vnsQ TQiafivQlovg, dieselbe Zahl auch Fuseb. Chron. ed. Schockte 11, \b2 sq. \\n^
Eist. eccl. II, 19, 1, ein Beweis, ' dass Eusebius hier dem Bell. Jud. folgt, vgl.
meine Bemerkungen in der Zeitschr. für wissensch. Theol. 1898, S. 34.
13) Antt. XX, 5, 4. B. J. II, 12, 2.
570 § 19- I^Je römischen Procuratoren (44—60 n. Chr.). [476]
räche. Unter Anführimg zweier Zeloten Eleasar und Alexander
fiel eine grosse bewaffnete Schaar in Samaria ein, metzelte Greise,
Weiber und Kinder nieder und verheerte die Dörfer. Nun aber
fiel Cumanus mit einem Theil seiner Streitmacht über die Zeloten
her; viele wurden getödtet, andere gefangen weggeschleppt. Mittler-
weile erschienen samaritanische x\bgesandte vor Ummidius Qua-
dratus, dem Statthalter von Syrien, und beklagien sich bei ihm
wegen des Eaubzuges der Juden. Gleichzeitig klagte aber auch
eine jüdische Gesandtschaft bei Quadratus die Samariter und den
Cumanus an, der sich von ihnen habe bestechen lassen. Quadratus
kam darauf selbst nach Samaria und hielt strenges Gericht. Alle
von Cumanus gefangen genommenen Aufrührer wurden gekreuzigt;
fünf Juden, welche ausserdem der Theilnahme am Kampfe über-
wiesen waren, enthauptet; die Vornehmsten aber sowohl von den
Juden, als von den Samaritanern wurden sammt Cumanus selbst
nach Eom geschickt, um sich dort zu verantworten. Der Für-
sprache des jungen Agrippa, der gerade zu Rom anwesend war,
hatten es die Juden zu danken, dass sie zu ihrem Rechte ge-
langten. Die Entscheidung des Claudius lautete nämlich dahin,
dass die Vornehmsten der Samariter, welche sich bei ihm ein-
gefunden hatten, als die Schuldigen hingerichtet werden sollten,
Cumanus aber seines Amtes entsetzt und in die A'erbannung ge-
schickt werden solle '^). I
14) Äntt. XX, 6, 1-3. B. J. II, 12, 3—7. — Von dieser Darstellung des
Josephus weicht die des Tacitus Annal. XII, 54 in wesentlichen Punkten ab.
Nach ihm war Cumanu« nur Procurator von Galiläa, während gleichzeitig
Felix die Verwaltung von Samaria, uud wohl auch von Judäa, hfniie [Felix
.... jam pridem Jiidaeac impositus .... aetnulo ad deterrima Ventidio Oimmno,
cui pars provinciae habebaUir, ita divisae, ut htiic Qalüaeoriim natio, Felici Sa-
marUae parerent). An den blutigen Vorgängen trugen Felix und Cumanus die
gleiche Schuld. Quadratus aber verurtheilte nur den Cumanus und Hess den
Felix sogar als Richter au der Urtheilsaprechung theilneliincn. — Eine Aus-
gleichung der Widersprüche zwischen Tacitus und Josephus ist niclit m()glicli;
denn JosephuH lÜHSt darüber keinen Zweifel, dass nach seinen Voraussetzungen
Cumanus alleiniger Statthalter des jüdischen Gebietes war, und Felix erst als
Hein Nachfolger nach Pulästina kam. Vgl. bes. die bestimmte Notiz, dass der
Hoheprie8ter Jonathan, der bei der Absetzung des Cumanus in Rom war, den
Kaiser um Sendung des Felix gebeten habe (unten Anm. 15). Es scheint aber
kaum zweifelhaft, dass die sehr detaillirto Erzählung des Josephus den Vorzug
vor der unbe«timniter gchalteoen des Tacitus verdient. So auch Wurm, Tü-
binger Zelt«chr, für Theoh)gio 1833, 1. Heft. S. 14—21. Anycr, De tcmporuni
in actin apostolurum ralione p, 88—00. Wieselcr, Chronologie des apostol.
Zeitalter» 8.67. Winer, Realwörterb. Art. Felix, Letviu, Fasti sacrin.lTtl.
— Für Tacltu« im WcMontlichen: Nipperdey, Anm. zu Tac. Ann. XIl, 51.
';-"♦:' MonatHSchr. 1S77, S. 10311", — Gesch, der Juden Bd. 111, 4. Atifl.
[477. 478] § 19. Die römischen Procuratoren (44— 6G n. Chr.). 571
4. Auf Wunsch des Hohenpriesters Jonathan, eines der jüdischen
Vornehmen, welche Quadratus nach Rom gesandt hatte '^), übertrug
der Kaiser Claudius die Verwaltung von Palästina einem seiner
Günstlinge, dem Bruder des mächtigen Pallas, Namens Felix
(52 — 60)'^). Die Amtsführung dieses Mannes bildet augenscheinlich
den Wendepunkt in dem Drama, welches mit dem J. 44 begonnen
und im J. 70 seinen blutigen Abschluss erreicht hat. Während die
Zeit der beiden ersten Procuratoren noch verhältnissmässig ruhig |
verlaufen, unter Cumanus zwar grössere Volksunruhen, aber doch
nur einzeln und durch Einzelne veranlasst, vorgefallen waren, brachte
es Felix dahin, dass der Aufruhr permanent wurde.
Er war gleich seinem Bruder Pallas ein Freigelassener des
kaiserlichen Hauses*'), und zwar wahrscheinlich der Antonia, der
Mutter des Claudius, weshalb sein vollständiger Name Antonius
Felix lautet'^). Die Uebertragung einer Procuratur mit militäri-
S. 725—728. Roh den, De Palaestina et AraMa p.Zö. Kellner, Zeitschr. für
kathol. Theol. 1888, S. 639 f.
15) B. J. II, 12, 6. Vgl. Antt. XX, 8, 5: Ahrjaa/jievog ixslvov naQit xov
KalaoQog ns/i<pS-^vai tf^g 'lovöaiag inixQonov.
16) Antt. XX, 7, 1. B. J. II, 12, 8. Sueton. Claud. 28. — Dass Felix im
J. 52 sein Amt antrat, ist darum wahrscheinlich, weil Joeephus unmittelbar
darauf erwähnt, dass Claudius nach Ablauf seines 12. Jahres (rz/c uQxqg Swös-
xaxov erog i^öri nsJiXTjQwxcig), d. h. nach dem 24. Januar 53, dem Agrippa II
Batanäa und Trachonitis verliehen habe {Antt. XX, 7, 1). Freilich bleibt dabei
auch das Jahr 53, welches andere annehmen, als möglich offen. Aber für 52
spricht, dass auch Tacitus {Ann. XII, 54) die Absetzung des Cumanus unter
den Ereignissen dieses Jahres berichtet; allerdings mit der Voraussetzung, dass
Felix schon früher, gleichzeitig mit Cumanus, einen Theil Palästina's verwaltet
habe. Wenn auch diese Voraussetzung schwerlich richtig ist (s. Anm. 14), so
wird docli das Jahr 52 als Zeit der Absetzung des Cumanus festzuhalten sein
Vgl. über Felix überhaupt auch: C. W. F. Walch, De Feiice, Judaeae
procttratore, Jenae 1747. Haakh in Pauly's Real-Enc. III, 443 f. Win er,
EWB. I, 368 f. Paret in Herzog's Real-Enc. 1. Aufl. IV, 354 f. K. Schmidt,
ebendas. 2. Aufl. IV, 518 f, 3. Aufl. VI, 28 f. Kellner in Wetzer und Weite's
Kirchenlex. 2. Aufl. IV, 1311 ff". Overbeck in Schenkel's Bibellex. II, 263 f.
V. Rohden in Pauly-Wissowa's Real-Enc. I, 2616 fl'. {s. v. Antonius n. 54).
Prosopographia imperii Roinani I, 95.
17) T(ic. Eist. V, 9. Sueton. Claud. 28.
18) Antonius Felix bei Tacit. Hist. V, 9. — Dieser Name und der Um-
stand, dass Pallas, der Bruder des Felix, ein Freigelassener der Antonia war
{Jos. Antt. XVIII, 6, 6), spricht dafür, dass auch Felix nicht ein Freigelassener
des Claudius, sondern seiner Mutter Antonia war (s. Nipperdey zu Tac. Ann.
XI, 29 und XII, 54). — Dass Felix auch den Namen Claudius geführt habe
(so z. B. Winer RWB. Art. „Felix" und Rohden, De Palaestina et Arabia p. 35,
anders derselbe in Paulj'-Wissowa's Real-Enc. I, 2617), ist nicht wahrscheinlich;
denn sowohl bei Joseph. Antt. XX, 7, 1 als bei Suidas Lex. s. v. KXavöiog ist
statt K'/.avöiov 4>Ti).ixa wohl zu lesen KXavöiog ^ijhxa {seil, nsfinsi, resp.
572 § 19. Die römischen Procuratoren (44—66 n. Chr.). [478. 479]
schem Commando an einen Freigelassenen war etwas Unerhörtes und
ist nur aus dem Einfluss zu erklären, welchen die Freigelasseneu
am Hofe des Claudius überhaupt ausübten ^^). Felix hat denn auch
als Procurator von Palästina seine Herkunft nicht verläuguet. „In
aller Grausamkeit und Lüsternheit hat er königliches Recht mit|
sklavischer Sinnesart gehandhabt" : in diesen Worten fasst Tacitus
das üitheil über ihn zusammen-*').
Felix war dreimal verheirathet. Alle drei Gemahlinen — von
welchen uns zwei bekannt sind — stammten aus königlichem Ge-
schlecht ^i). Die eine war eine Enkelin des Triumvirs M. Antonius
und der Kleopatra, durch welche Felix sogar in verwandtschaft-
licher Beziehung zum Kaiser Claudius stand22). Die andere war
insoTTiasv). Bei Jos. l. c. haben zwar unsere drei Handschriften KXavöiov (so
auch Niese). Da aber die Upitome und Vet Lat. den nom. KXavöioq bieten,
und da der acc. neben <p]]lixa sich leicht einschleichen konnte, so haben mit
Recht alle Ausgaben seit Hudson (ausser Niese) KXavöiog hergestellt. Auch
bei Suidas ist statt des handschriftlich überlieferten KXavöiov die Conjectur
KXavöioq wohl mit Recht von Bernhardy gebilligt und von Bekker in den Text
aufgenommen worden. Vgl. im Allgemeinen über die Namen des Felix auch
Walch, De Feiice p. 2—7.
19) Das Ungewöhnliche hebt Sueton. Ctaud. 28 hervor: Felicem, quem co-
hortibus et alis provinciaeque Judaeae praeposuit. Vgl. dazu; Hirschfeld,
Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1889, S.423. — Neben den Freigelasseneu
hat in den letzten Jahren des Claudius (49 — 54) bekanntlich auch dessen Ge-
mahlin Agrippina einen unheilvollen Einfluss ausgeübt. Von iJirer Macht-
stellung geben auch palästinensische Münzen aus dem 13. und 14. Jahre des
Claudius Zeugnies, auf welchen ihr Name (lovXia lA-yginniva) neben dem des
Kaisers erscheint (Eckhe/, Doctr. Num. IH, 498, Mionnet, Descrij)tii)n de 7ne-
dailles V, 554, Cavedoni, Bibl. Numismatik I, 66. H, 52, De Saulcy, Re-
cherckes sur la Numismatique Judäique p. 149, Madden, History of Jewish
Coinage p. 151 sq.. De Saulcy, Numismatique de la Terre Saintep. liisq. Mad-
den, Numismatic Chro?ncle \815, p. \90 sq. Madden, Coinsofthe Jens p.lSisq.
Stickel, Zeitschr. des deutschen Palästina-Vereins VH, 1884, S. 213). —
Wahrscheinlich ist auch ein Ort im ÜHtjordiinland nach ihr benannt worden,
nämlich das zwischen dem Berg Sartaba und dem Hauran gelegene Ayr ippiii a ,
K:''I)'»n5S< (ho ist Mischita Rosch haschana 11, 4 nach der von Lowe herausge-
gebenen Cambridger Handschrift zu lesen; eine Hamburger Handschrift und
ed. princepa haben Agropina, der jerusalomische Talmud und cod. de /i'o*st 138:
Oripina, der gedruckte Vulgärtext Gropina). Der Ort kommt nur au jener
Btelle der Mischna vor. Die griechische Form wird Aygmmvaq gelautet liaben
(vgl, TißiQidQ — K^nau).
20) IIi$t. V, 9: per omnem aaevitiam ae libidinem jus regium servili inge^do
exereuit.
21) Sueton. Claud. 28 nennt iiin trium rrginarum maritum.
22) Tae. Hitt. V, 9: iMisilla Clcopatrae et Antonii ncpte in mulriiiionium
aeeepta, ut ejusdem Antonii Felix prvgencr, Claudius nepos esset. — Der Name
Dnuilla beruht wohl auf einer Verwechselang mit (hr aiKlcren Oemalilin des
[479. 480] § 19. Die römischen Procuratoren (44—66 n. Chr.). 573
die jüdische Prinzessin Drusilla, die Tochter Agrippas I und
Schwester Agrippa's II; und die Art, wie er zu ihr kam, dient dem
obigen Urtheil des Tacitus zur Bestätigung. Drusilla war beim
Amtsantritt des Felix etwa 14 Jahre alt -3). Bald darauf wurde
sie von ihrem Bruder Agrippa mit Azizus, dem Könige von Emesa,
verheirathet, nachdem ihr erster Verlobter, ein Sohn des Königs
Antiochus von Kommagene, die Heirath ausgeschlagen hatte, da er
die Beschneidung nicht annehmen wollte -^). Bald nach ihrer Hoch-
zeit sah Felix die schöne Königin, entbrannte von Begierde nach
ihr und wusste sie durch Vermittelung eines Magiers aus Cypern
Namens Simon zur Ehe zu bewegen. Mit Verletzung des Gesetzes,
das die Ehe einer Jüdin mit einem Heiden strenge verpönt, reichte
Drusilla dem römischen Procurator die fland-^).
Nicht besser als das Privatleben des Felix ist seine öffentliche
Wirksamkeit. Als Bruder des vielvermögenden Pallas „glaubte
er alle Schandthaten ungestraft verüben zu dürfen" '^^). — Es ist
begreiflich, dass unter einer solchen Regierung die Feindschaft
gegen Rom gewaltige Fortschritte machte; und es lassen sich die]
verschiedenen Stadien ihrer Entwickelung bis zur höchsten Höhe
gerade unter Felix und durch seine Schuld noch mit Deutlichkeit
verfolgen 2').
Zunächst gewannen infolge seiner Missregierung die Zeloten,
jene Fanatiker des Römerhasses, mehr und mehr Anhang unter
der Bürgerschaft. Mit welchem Rechte sie Josephus schlechtweg
als Räuber bezeichnet, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls waren
Felix. — M. Antonius hatte von der Kleopatra zwei Zwillings-Kinder: Alex-
ander und Kleopatra Selene, und einen Sohn Ptolemäus Pbiladelphus
{Dio Cass. XLIX, 32). Wir wissen nicht, wessen Tochter die Frau des Felix
war. Kleopatra Selene war mit König Juba von Mauretanien vermählt und
starb vor 5 vor Chr. {Prosopoffr. imp. Rom. I, 413).
23) Wie aus Antt. XIX, 9, 1 erhellt, wornach sie — die jüngste unter den
Töchtern Agrippa's I — beim Tode des Vaters sechs Jahre alt war.
24) Antt. XX, 7, 1.
25) Antt. XX, 7, 2. Vgl. Ap.-Gesch. 24, 24. Da Azizus im ersten Jahre
des Nero starb {Antt. XX, 8, 4), so fällt der Vorgang noch in die Zeit. des
Claudius, 53 oder 54 n. Chr. Vgl. Wieseler, Chronol. des ap. Zeitalters S. 80 f.
— Drusilla gebar dem Felix einen Sohn Namens Agrippa, der „stammt der
Frau" {avv xy yvvaixi, es ist wohl nicht Drusilla, sondern die Frau des Agrippa
gemeint) beim Ausbruch des Vesuv umkam [Antt. XX, 7, 2). — Vgl. über Dru-
silla ausser den Artikeln bei Winer, Herzog und Schenkel auch Gerlach,
Zeitschr. für luth. Theol. 1869, S. 68 f.
26) Taeit. Ann, XII, 54: cuncta malefacta sibi impune ratus tanta potentia
subnixo,
27) Besonders an der Hand des Berichtes im Bellum Judaicum (II, 13, 2—6),
der noch durchsichtiger ist, als der in den Antiquitäten (XX, 8, 5—6).
574 § 19- Die römischen Procuratoren (44 — 66 n. Chr.). [480
es, wie ihr Anhang unter dem Volke beweist, nicht Räuber ge-
wöhnlicher Art; und ihre Plünderungen galten wohl nur den poli-
tischen Gegnern. I'elix, der in seinen Mitteln nicht sehr wähle-
risch war, brachte das Haupt ihrer Partei, den Eleasar, durch
Verrath in seine Hand und schickte ihn sammt seinen Gefährten,
welche er ebenfalls gefangen hatte, nach Rom. „Unermesslich
aber war die Zahl der Räuber, welche er kreuzigen Hess, und
der Bürger, welche als Verbündete jener aufgespürt und bestraft
wurden" 28).
Solche verkehrte Strenge und Grausamkeit schuf nur neue
Uebel29). An Stelle der „Räuber", von welchen Felix das Land
gesäubert hatte, traten die Sikarier, eine noch fanatischere
Fraction der Patrioten, welche geradezu den Meuchelmord ihrer
politischen Gegner sich zur Aufgabe machten. Mit kleinen Dolchen
{sicae) bewaffnet — von welchen sie auch den Namen hatten '^^) — ,
mischten sie sich besonders an den Festen unter die Volksmasse
und stiessen unvermerkt im Gedränge ihre Gegner [rovq öiatpo-
Qovq, d. h. die Römerfreunde) nieder, nach geschehener That Trauer
heuchelnd und dadurch der Entdeckung sich entziehend. Diese
politischen Morde waren so häufig, dass bald Niemand mehr in
Jerusalem sich sicher fühlte. Unter andern fiel den Dolchen der
Sikarier auch der Hohepriester Jonathan zum Opfer, der als
Mann der Mitte den Sikariern ebenso verhasst war, wie dem Pro-
curator Felix, welchen er oft zu besserer Verwaltung seines Amtes
ermahnte, damit er (Jonathan) nicht vom Volke darüber getadelt
werde, dass er ihn vom Kaiser als Statthalter erbeten habe. Felix
wollte den lästigen Mahner sich vom Halse schaffen und fand, dass
dies am einfachsten durch Meuchelmord geschehe, zu welchem sich
die Sikarier, obwohl sonst des Felix Todfeinde, gern gebrauchen
Hessen^*). |
28) B. J. II, 13, 2. Ana. XX, 8, 6.
29) Tacü. Ann. XII, 54: intempestivia remediü delicia aooendebaf.
30) Anlt. XX, 8, 10.
31) B. J. II, 13, 3. Anit. XX, 8, 5. — Die Sikarier werden aiuh noch
wfihrcnd den Krieges erwähnt, wo «ie namentlich die FeHtunp Musadn in IJesitz
hatten, h. R J. II, 17, (5. IV, 7, 2. 9, 5. VII, H. 1 fK 10, 1. 11, 1. Audi der
VerfauHcr der ApontelgeHchichte kennt sie als politiBchc« Partei {Act. 21, 38:
rovg TtT^axtaydlovg ivSpaq raJv aixaQlwv). — Im Lateinischen ist sicarius
eine gewöhnliche Bezeichniinj!: für „Mörder". So heisst z. H. daH unter Sulla
erlaMNene Ü<?H('tz über die Mi: ("nnirliii. (k Sirariis (Pauly'.s Real-Enc.
IV, 9({9 und (ihcrh. d. Ami . , . i„ imIhh. VI, 1, 1153 f.). Auch in der
Mimhna kommt cm in diesem uliKemtiii«-!» Hinnc vor: liihJcvriiii I, 2; II, 3;
Oittin V, »J; Mnchiirhirin I, <». Denn an k(!in<'r di«'H(r Stellen iwt an die sicam
all politif*ch<- Partei zu denken. In der Stelle Machachirin I, 6 ist davon die
[431. 482] § 19. Die römischen Procuratoren (,44 — 66 n. Chr.). 575
Zu den politischen Fanatikern gesellten sich aber noch die
religiösen, „welche zwar reinere Hände, aber noch frevelhaftere
Gesinnungen hatten." Mit dem Ansprüche göttlicher Sendung auf-
tretend regten sie das Volk zu wilder Schwärmerei auf und führten
die gläubige Menge schaarenweis in die Wüste, um ihr dort „Vor-
zeichen der Freiheit" {ör]f/iia iXev&sQiag) zu zeigen, jener Freiheit,
die in Abwerfung des römischen Joches und in Aufrichtung des
Gottesreiches (oder mit Josephus zu reden: in Neuerung und Auf-
ruhr) bestand. Da religiöser Fanatismus immer der kräftigste und
nachhaltigste ist, so hat Josephus allerdings Recht, wenn er sagt,
dass jene Schwärmer und Betrüger nicht weniger als die ,.Räuber"
zum Untergang der Stadt beigetragen haben. Auch erkannte Felix
wohl das Gefährliche der Sache und trat überall solchen Unter-
nehmungen mit dem Schwerte entgegen32). — Das berühmteste Unter-
nehmen dieser Art war das jenes Aegypters, dessen auch die
Apostelgeschichte (21, 38) gedenkt. Ein ägyptischer Jude, der sich 1
für einen Propheten ausgab, sammelte in der Wüste eine grosse
Schaar von Anhängern um sich (nach der Ap.-Gesch. 4000, nach Jos.
30000), mit welchen er auf den Oelberg ziehen wollte, indem er ver-
hiess, dass aufsein Wort die Mauern Jerusalem»s einstürzen und ihnen
freien Einzug gestatten würden. Dann wollten sie die römische
Besatzung in ihre Gewalt bekommen und sich selbst der Herrschaft
Rede, dass einst Einwohner Jerusalems ihre Feigenkuchen aus Furcht vor den
D'^'ip'iO im Wasser versteckten. An den anderen Stellen wird der FaM voraus-
gesetzt, dass ein Raubmörder sich gewaltsam ein Grundstück angeeignet hat.
Es wird erörtert, wie es in diesem Fall in Betreff der Abgaben zu halten sei
{Bikkurim I, 2; II, 3), und ob man ein solches Grundstück von dem Raub-
mörder rechtskräftig erwerben könne {Oittin V, 6). In letzterer Beziehung heisst
es, dass seit dem Krieg (es ist wohl der hadrianische gemeint) verordnet wor-
den sei, dass der Kauf nur dann gültig sei, wenn man das Grundstück zuerst
vom rechtmässigen Eigeuthümer und dann vom Raubmörder erworben habe,
nicht aber, wenn man es zuerst vom Raubmörder und dann vom Eigenthümer
erworben habe. Hier sind unter den sicarii wohl eher nichtjüdische als jü-
dische „Raubmörder" zu verstehen. Vgl. überhaupt: Grätz, Gesch. der Juden
IV, 422 f. (der mit Unrecht an die sicarii als jüdisch-politische Partei denkt).
Derenbourg , Histoire de la Palestine p. 280, 475 sqq. Levy, Neuhebr. Wörterb.
III, 518. Grätz, Das Sikarikon-Gesetz (Jahresbericht des jüdisch.-theol. Se-
minares, Breslau 1892, S. 3—18). Rosenthal, Das Sikarikon-Gesetz (Mo-
natsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. Neue Folge 1. Jahrg. 1892/93,
S. 1—6,57-63,105—110). Krauss, Byzant. Zeitschr. II, 511. Ders., Griech.
und lat. Lehnwörter im Talmud II, 1899, S. 392. — Die correcte Form 0'^-ip''0
== sicarii findet sich Mackschirin I, 6 (z. B. in der von Lowe herausgegebenen
Cambridger Handschrift). Merkwürdig ist aber, dass an den übrigen Stellen
die besten Zeugen, z. B. die Cambridger Handschrift, constant "jlp'^lp'io, sica-
ricon, haben, und zwar als Sing. masc. = „der Mörder".
32) B. J. II, 13, 4. Antt. XX, 8, 6.
576 § 19- l^ie römischen Procuratoren (44—06 n. Chr.). [482]
bemächtigen. Felix Hess dem Propheten freilich nicht Zeit, das
Wunder in Scene zu setzen, sondern zog ihm mit seiner Streit-
macht entgegen, tödtete und zerstreute seine Anhänger oder nahm
sie gefangen. Der Aegypter selbst aber entkam aus der Schlacht
und verschwand 32).
Die Folge des misslungenen Unternehmens war eine abermalige
Kräftigung der antirömischen Partei. Die religiösen und die poli-
tischen Fanatiker (ot yorixeq xal Xijotqlxoi) verbanden sich nun zu
gemeinsamer Thätigkeit und „brachten Viele zum Abfall und er-
munterten sie zur Freiheit, indem sie denjenigen, welche der römi-
schen Herrschaft gehorchten, mit dem Tode drohten und sagten,
dass die, welche freiwillig die Knechtschaft wählten, mit Gewalt
daran gehindert werden würden. Indem sie sich nun rottenweise
durch das Land vertheilten, plünderten sie die Häuser der Vor-
nehmen, tödteten diese selbst und verbrannten die Dörfer, so dass
ganz Judäa ihres Wahnsinns voll wurde" 2*).
So hatte es die Missregierung des Felix am Ende glücklich
dahin gebracht, dass eine grosse Partei des Volkes von nun an
unablässig mit wildem Terrorismus den Kampf gegen Rom schürte
und nicht ruhte, bis sie endlich ihr Ziel erreichte.
Neben diesen wilden Agitationen der Volksmänner gingen innere
Streitigkeiten im Schoosse der Priesterschaft wie zur Ergänzung
neben her. Die Hohenpriester lagen im Kampf mit den übrigen
Priestern und konnten es sich bei dem rechtlosen Zustande, der
unter Felix' Regiment in Palästina herrschte, sogar erlauben, ihre
Knechte auf die Tennen zu schicken und mit Gewalt den Zehnten,
welcher den übrigen Priestern gebührte, wegnehmen zu lassen, so
dass manche der letzteren durch Mangel umkamen 2^).
33) B. J. II, 13, 5. Antt. XX, 8, 6: 0 6h Alyinxioq avxbq SiaÖQuq ix ttjq
fi<ixii t(<pcivi](; iyiveio. Ohne Zweifel glaubte das Volk an ein wunderbares
Entkommen und hofl'te auf eine Rückkehr, worauf auch Ap.-Gesch. 21, 38
hindeutet. — Vgl. auch Euseb. Hist. Eccl. II, 21. — Krenkel, Josephus uud
LucaH 6. 240 ti;
34) D. J. II, 13, (i. Antt. XX, 8, ü.
36) Antt. XX, 8, 8, Vgl. XX, 9, 2 (Ananias). — Ueber die Gewaltthätig-
keit der hohenpriesterlichen Familien in dieser Zeit klagt auch eine talmu-
ditche Tradition, bali. Pemchim Ö7a (etwas abweichend Ihscphta Menachoth XIII,
21, ed. Zuckcrmumlel p. h'A'ii iin. 'A'iaqq.), franz. bei Derenbourii, Jfistoire de la
Paleatine p. 232 «7., deutsch bei Geiger, Urschrift und Uebersetzungen der
Bibel 8. 110. Sie lautet: „Weh' mir ob des IIiuihch Hoc t hos', weh' mir
ob ihres Spiesiies! Weh' mir ob des Hauses KatharoH', weh' mir ob ihrer
Feder! Weh' mir ob des HauncH Ilanau'H, weh' mir ob iiircH Schlungengc-
xivchefl! Wob' mir ob den HauMeB iHmaer« ben Phabi, weh' mir ob ihrer
FauNt! öle »ind IIoheprieiit<!r, ilire 8öhno Schat/meiHter, ihre Schwiegersöhne
TempeUufieher, und ilirc Knechte Hchlagen dan Volk mit Stöcken!"
[482. 483] § 19. Die römischen Procuratoren (44—66 n. Chr.). 577
In die letzten zwei Jahre des Felix fällt auch die Gefangen-
schaft des Apostels Paulus zu Cäsarea, von welcher die Apostel-
geschichte (c. 23 — 24) berichtet. Bekanntlich hatte der Apostel auch '
eine persönliche Begegnung mit dem römischen Procurator und
seiner Gemahlin Drusilla, -wobei er nicht verfehlte, den beiden von
dem zu reden, was gerade für sie besonders nöthig war: „von
der Gerechtigkeit und von der Keuschheit und vom zukünftigen
Gericht" 36).
Während Paulus in Cäsarea gefangen lag, spielte daselbst ein
Kampf zwischen den jüdischen und den syrischen Einwohnern der
Stadt wegen der Gleichstellung im Bürgerrecht {ioojtoXiTsla). Die
Juden beanspruchten einen Vorzug, da Herodes die Stadt gegründet
habe. Die Syrer wollten begreiflicherweise ihnen diesen Vorzug nicht
einräumen. Längere Zeit hindurch gab es zwischen beiden Par-
teien üfi'ene Strassenkämpfe. Endlich als einmal die Juden im Vor-
theil waren, schritt Felix ein, brachte die Juden mit Gewalt zur
Euhe und gab einige ihrer Häuser den Soldaten zur Plünderung
preis. Da trotzdem die Unruhen fortdauerten, sandte Felix die An-
gesehensten von beiden Parteien nach Rom, damit durch den Kaiser
die Rechtsfrage entschieden werde 3'). Aber noch ehe die Sache
zum Austrag gebracht war, wurde Felix, wahrscheinlich im J. 60,
von Nero abberufen 3^). |
36) Ap.-Gesch. 24, 24 f.
37) Antt. XX, 8, 7. B. J. II, 18, 7.
38) üeber die Zeit der Abberufung des Felix und des Amtsantrittes des
Festus 9. die Erörterungen von Wurm, Tübinger Theol. Zeitschr. 1833, 1. Heft
S. 8—25. Anger, De temporum in actis apostolorum ratione p. 88 — 113, Wie-
seler, Chronologie des apostol. Zeitalters S. 66—115, Ders., Herzog's Real-
Enc. 1. Aufl. XXI, 553—558, Ders., Beiträge zur richtigen Würdigung der
Ew. S. 322—328. Ders., Zur Gesch. der neutestamentl. Schrift. (1880) 8. 93 ff.
Eine anonyme Abhandlung „St. Paul and Josephus" im Journal of Sa-
cred Literature, New Series vol. VI, 1854, p. 160—183. Lehmann, Stud. und
Krit. 1858, S. 313—330. Leicin, Fasti sacri p. LXXU sqq. J. Chr. K. von
Hofmann, Die heilige Schrift neuen Testaments zusammenhängend unter-
sucht, Thl. V, 1873, S. 13—16. Grätz, Monatsschr. 1877, S. 443 ff". = Gesch.
der Juden III, 4. Aufl. S. 729 ff. Aberle, Zur Chronologie der Gefangen-
schaft Pauli (Theol. Quartalschr. 1883, S. 553—572). Kellner, Art. „Felix"
in Wetzer und Weite's Kirchenlex. 2. Aufl. IV, 1311 ff. (1886). Ders. im
„Katholik" Jahrg. 1887, 1. Hälfte, S. 146—151. Ders., Zeitschr. für kathol.
Theologie 1888, S. 640—646. Schanz, Das Jahr der Gefangennahme des hl.
Apostels Paulus (Historisches Jahrbuch der Görres-Gesellsch. 1887, S. 199—222,
mit Nachtrag von Kellner S. 222—224). Wandel, Zeitschr. für kirchl.
Wissensch. und kirchl. Leben 1888, S. 169 ff". V. Weber, Kritische Geschichte
der Exegese des 9. Kapitels des Römerbriefes, 1889, S. 177—197. Kühn,
Letzte Reise und Todesjahr des Apostels Paulus (Neue kirchl. Zeitschr. 1896,
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 37
578 § 19- I^ie romischen Procuratoren (44—66 n. Chr.). [483. 484]
S. 271—277). Bamsay, A fixed date in the life of St. Paul [Expositor 1896,
May p. 336—345). Harnack, Gesch. der altchristl. Literatur II, 1 (1897)
S. 233—239. Belser, Zur Chronologie des Paulus (Theol. Quartalschr. 1898,
S. 353 — 379). Erbes, Die Todestage der Apostel Paulus und Petrus und ihre
romischen Denkmäler (Texte und Untersuchungen von Gebhardt und Harnack
N. F. IV, ], 1899). Zahn, Einleitung in das Neue Testament II, 634—689.
— Eine genaue und sichere Bestimmung des Jahres, in welchem Felix abbe-
rufen wurde, ist leider nicht möglich. Die Versuche, auf Grund der Tages-
Angaben Act. 20, 6—7 ein festes Datum für die Chronologie des Paulus und
damit auch des Felix zu gewinnen (Anger S. 106 — 113, Wieseler S. 99—115,
Ramsay a. a. O.), führen nicht zum Ziel, da die Voraussetzungen zu un-
sicher sind. Die meisten neueren Forscher nehmen das Jahr 60 als walir-
scheinlich an (so Wurm, Anger, Wieseler, der Anonymus im Journal of S. L,,
Lewin, Hofmann, Aberle, Schanz, Wandel). Einige gehen um ein oder zwei
Jahre weiter zurück (Grätz 59, Lehmann 58). In stärkerer Weise weichen
nach dem Vorgang einiger Aelteren (Bengel, Süskind, Rettig, angeführt von
Anger S. 96, Wieseler S. 72) namentlich Kellner, V. Weber und Harnack
ab, indem sie die Abbenifung des Felix ganz in den Anfang von Nero's Re-
gierung, 54, 55 oder 56 n. Chr., setzen. Die Gründe für diese Annahme sind:
1) In der Chronik des Eusebius wird, nach dem armenischen Text, die Ab-
berufung des Felix noch in das letzte Jahr des Claudius, 54 nach Chr , ver-
legt {Etis. Chron. ed. Schoene II, 152), nach dem Text des Hieronymus in das
zweite Jahr des Nero {Euseb. Chron. ed. Schoene II, 155). 2) Als Felix nach
seiner Abberufung in Rom von den Juden verklagt wurde, erwirkte ihm Pallas
Verzeihung {Jos. Antt. XX, 8, 9). Pallas hatte also damals noch grossen Ein-
fluss; er fiel aber bereits im Anfang von Nero's Regierung, 55 n. Chr., in Un-
gnade {Tacit. Ann. XHI, 14). Hiergegen ist zu bemerken: 1) Die Ansätze
in der Chronik des Eusebius für die Geschichte Judäa's in dieser Zeit
sind lediglich aus Josephus geschöpft, haben also keinen selbständigen
Werth (dies glaube ich in der Zeitsclir. für wissensch. Theol. 189?, S, 21—42,
durch Vorführung des gesammten Materiales bewiesen zu haben). Wo Euse-
bius bei Josephus keine bestimmten chronologischen Anhaltspunkte fand,
macht er den Ansatz, so gut es ging, nach eigenem Ermessen. Die Abberu-
fung des Felix setzt er in das zweite Jahr des Nero (denn Hieronymus, nicht
der Armenier, haben hier den echten Text des Eusebius, s. Zeitschr. für wiss.
Theol. 1898, 8. 35), vermuthlich deshalb, weil bei Josephus vorher [Antt. XX,
8, 4) das erste Jahr des Nero erwähnt war (diese Erklärung scheint mir walir-
Hcheinlicher, als die künstliche, welche Erbes gegeben hat). 2) Die Amts-
enthebung doB Pallas fand schon vor dem 13. Februar 55 nach Chr. statt
(Dämlicli vor dem Geburtstage des Britanniens Tacit. Annal. XIII, 15, vgl.
Zeitsciir. für wies. Theol. 1898, S. 39; das Jahr ist nach Tacitus ganz sicher);
also nur wenige Monate nach dem Regierungsantritte Nero's, 13. Oct. 54.
In diese kurze Zeit kann unmöglich Alles sich zusamnicndrüngen, was Jo-
sephuH aus der Amtsführung des Felix während der Regierung Nero's be-
richtet {Antl. XX, 8, 1— Ü. MI. Jud. II, 12, 8—14, 1). Der obige Schluss aus
der Oeschicbto des Pallas ist also falsch; es ist vielmehr umgckclirt aus der
Geschichte des Felix zu HchlieHsen, <1asH Pallas trotz seiner Aintsenthcbung
auch splter noch oder wieder ein Mann von KinflusH war, was mit der Dar-
■tellung dei Tacitus durcluius in Kinklang stellt (Zeitschr. f. wiss. Theol. 1898,
8. 40). — Eio enttcbeideiider Grund gegen jene früiie Ansetzung der Abbc-
rafbog des Felix ergiebt sicth aus dem Aufstände des Aegy ptcrs, welcher
[485] § 19. Die römischen Procuratoren (44—66 n. Chr.). 579
5. Als Nachfolger des Felix sandte Nero den Porcius Festiis
(60—62)^^), einen rechtlich gesinnten Mann, der aber nicht mehr
im Stande war, das durch seines Vorgängers Schuld unheilbar ge-
wordene Uebel zu heben.
Bald nach dem Amtsantritt des Festus wurde der Streit
zwischen den jüdischen und syrischen Einwohnern Cäsarea's
durch kaiserliches Rescript zu Gunsten der letzteren entschieden.
Die Abgesandten der Juden konnten in Rom mit ihrer Klage
gegen Felix nicht durchdringen, da Pallas sich für seinen Bruder
verwandte. Andererseits gelang es den beiden syrischen Ab-
nach Jos. Antl. XX, 8, 4—6, Bell. Jud. II, 13, 1—5 in die Zeit Nero's, und
wohl nicht ganz in die erste Zeit desselben fallt. Dieser Aufstand gehörte aber
bereits der Vergangenheit an, als Paulus unter Felix gefangen gesetzt wurde
{Act. 21, 38). Dann folgt die zweijährige Gefangenschaft Pauli und dann erst
die Abberufung des Felix. — Wie weit man mit letzterer herabgehen nuiss, lässt
sich nun freilich nicht sicher sagen. Mit einiger Bestimmtheit lässt sich nur
der terminus ad quem dafür angeben. Sie föUt jedenfalls in den Sommer,
da der Apostel Paulus, der nicht lange nach dem Abgange des Felix nach
Rom eingeschifft wurde, um die Zeit des grossen Versöhnungstages (October)
in Kreta anlangte {Act. 27, 9). Dieser Sommer kann aber nicht wohl ein
späterer als der des Jahres 60 sein. Da nämlich Felix' zweiter Nachfolger
Albinus spätestens im Sommer 62 nach Palästina gekommen ist (s. diesen),
so würde bei der Annahme, dass Felix erst im Sommer 61 abging, für Fes-
tus nur ein Jahr bleiben, was angesichts der aus seiner Zeit berichteten Er-
eignisse {Antt. XX, 8, 9—11) zu kurz erscheint. Sehr seltsam ist das zu
Gunsten des Jahres 61 aus Jos. ArUt. XX, 8, 11 entnommene Argument. Weil
nämlich hier bei einem Vorgang einige Zeit nach dem Amtsantritt des Festus
Poppäa als Frau des Nero bezeichnet wird, was sie erst im J. 62 geworden
ist {Tac. Ann. XIV, 60), so meint man den Amtsantritt des Festus nicht früher
als 61 setzen zu dürfen. Es hindert aber nichts, jenen Vorgang um mehr
als ein Jalir nach dem Amtsantritt des Festus zu setzen. Ueberdies Hillt die
Vermählung Nero's mit Poppäa erst etwa gleichzeitig mit dem Tode des Fes-
tus, vielleicht noch etwas später. Da jener Vorgang noch in die Zeit des
Festus fallt, so hat Josephus jedenfalls die Concubine Nero's proleptisch als
seine Frau bezeichnet. — Darf somit das Jahr 60 als terminus ad quem fest-
gehalten werden, so ist es andererseits nicht räthlich, viel weiter zurückzugehen.
Denn zwei Jahre vor dem Abgang des Felix beginnt die Gefangenschaft Pauli.
Zur Zeit der Gefangennahme Pauli wird aber Felix bereits als ix noD.div
ircüv im Amte befindlich bezeichnet {Act. 24, 10). Setzen wir die Gefangen-
nahme Pauli in das J. 58, so war Felix damals 6 Jahre im Amt. Viel weniger
können es nicht wohl sein. Auch die sonstige Chronologie des Lebens Pauli
gestattet nicht, seine Gefangennahme wesentlich früher zu setzen. Freilich
bleibt mindestens auch das Jahr 57, für den Abgang des Felix also das J. 59
als möglich offen. Am correctesten ist es, mit Wurm zu sagen: frühestens
58, spätestens 61, wahrscheinlich 60.
39) Antt. XX, 8, 9. B. J II, 14, 1. — Vgl. über Festus: Winer, EWß.
I, 372 f. Klaiber in Herzog's Real-Enc. 1. Aufl. IV, 394. Overbeck in
Schenkel's Bibellex. II, 275 f.
37*
580 § 19- Die römischen Procuratoren (44—66 n. Ciir.). [485. 486]
gesandten, einen gewissen Beryllus, welcher Nero's Secretär für
die griechische Correspondenz war"*^), durch Bestechung für sich
zu gewinnen und dadurch ein kaiserliches Rescript zu erwirken,
durch welches den Juden, die zuvor mit der Gleichstellung mit
den Syrern nicht zufrieden gewesen waren, sogar diese genommen
und die ,;Hellenen" für die Herren der Stadt erklärt wurden. Die
Erbitterung, die sich infolge dessen der Juden in Cäsarea bemäch-
tigte, brach wenige Jahre später, 66 n. Chr., in aufrührerische
Handlungen aus, die Josephus als den Beginn des grossen Krieges
betrachtet 41).
Den Apostel Paulus, welcher von Felix als Gefangener zurück-
gelassen worden war (Ap.-Gesch. 24, 27), Hess Festus nach mehr-]
maligem Verhör auf des Apostels eigenes Verlangen, als römischer
Bürger vor dem Kaiser gerichtet zu werden, nach Rom abführen
(Ap.-Gesch. c. 25. 26. 27, 1—2; vgl. dazu oben S. 462 u. 488).
Das Sikarier-Ünwesen blieb unter Festus auf derselben Höhe,
die es unter Felix erreicht hatte. Auch jetzt führte ein Gaukler
(wie ihn wenigstens Josephus nennt) das Volk in die Wüste, indem
er denjenigen, welche ihm folgen wollten, Erlösung und Befreiung
von allen Uebeln verhiess. Festus schritt mit aller Strenge da-
gegen ein. Aber einen bleibenden Erfolg konnte er nicht mehr
erzielen*^).
Ueber einen Conflict zwischen den Priestern und dem König
40) Statt des von allen Handschriften Antt. XX, 8, 9 gebotenen Beryllus
haben die Ausgaben seit Hudson und Haverkamp Burrus. Erst Niese hat
das überlieferte BtjqvXXov wieder hergestellt, während Naber wieder Bovqqov
liest. Diese Conjectur, auf welche man sogar wichtige chronologische Schlüsse
gebaut hat, ist darum besonders verfehlt, weil die gegebene Charakteristik
{nai6ayo)yb<i öh ovxoq t/v xov NiQwvog, ra^iv rfiv inl Tcüv'^ElXijvixäiv inioroXdiv
nentaxevfiivoQ) gar nicht auf Burrus, den bekannten praefectus praetor io, passt,
welchen Josephus sehr wohl als solchen kennt [Antt. XX, 8, 2). Dieses Ar-
gument bleibt auch gegenüber dem Versuch von Henze, die Conjectur Bur-
rus wieder zu vertlieidigen (Pauly-Wissowa's Real-Enc. III, 319 s. v. Beryl-
lus), in voller Kraft.
41) Antt. XX, 8, 9. B. J. II, 14, 4. — Die beiden Darstellungen des Jo-
sephus weichen in einigen Punkton von einander ab. Nach Antt. XX, 8, 9
wären die Abgesandten der Juden Cäsarea's erst nacli dem Amtsantritt des
FestOB nach Eom gereist, um den Felix zu verklagen. Nucli II ./. 11, 18, 7 /in.
sind aber Abgesandt«! beidc-r Parteien sclioii von Felix uadi Honi geschickt
worden, was deshalb walirsclicinlich ist, weil auch nach Antt. XX, 8, 9 sicii Ab-
gesandte der Syrer in Rom befanden. — Nach B. J. II, 14, 4 hat es den An-
schein, als ob die P^ntschciduDg dos Kaisers erst im J. 0(5 geföUt worden wäre.
Dies ist aber nicht möglich, da bei den Verhandlungen Pallas eine entscliei-
dende Rolle spielt«!, welcher im J. 62 starb {Tao. Annal. XIV, 05).
42) AtUl. XX, H, 10. D. J. II, 14, 1.
[486. 487] § 19. Die römischen Procuratoren (44 -Ü6 n. Chr.). 581
Agrippa II, in welchem Festus sich auf Seite Agrippas stellte,
wird unten in der Geschichte dieses Königs das Nähere berichtet
werden.
Nach kaum zweijähriger Amtsführung starb Festus während
der Verwaltung seiner Procuratur; und ihm folgten nun nach ein-
ander zwei Männer, welche — getreue Nachfolger des Felix — so
viel an ihnen lag, dazu beitrugen, den Conflict zu steigern und
seine endliche blutige Lösung herbeizuführen.
In der Zwischenzeit zwischen dem Tode des Festus und der
Ankunft seines Nachfolgers (62 n. Chr.) herrschte in Jerusalem
völlige Anarchie, welche der Hohepriester Ananos — ein Sohn
jenes älteren Ananos oder Annas, der aus der Leidensgeschichte Jesu
Christi bekannt ist — dazu benützte, um seine Feinde durch turaul-
tuarischen Spruch verurtheilen und steinigen zu lassen. Seine Will-
kürherrschaft war jedoch nicht von langer Dauer, da ihn der König
Agrippa noch vor Ankunft des neuen Procurators, nachdem er nur
drei Monate sein Amt bekleidet hatte, wieder absetzte^'). — Unter
den von Ananos Hingerichteten soll sich auch Jakobus, der
Bruder Jesu Christi (o döeXfpog 'fijöov rov Xsyofitvov Xqiotov) be-
funden haben. So steht wenigstens in unserem jetzigen Josephus-
texte; und die Worte sind genau so, wie sie unsere Handschriften
haben, schon von Eusebius bei Josephus gelesen worden ^^). Trotz-
dem liegt der Verdacht christlicher Interpolation nahe, zumal
Origenes bei Josephus eine andere Stelle über den Tod des Jakobus
gelesen hat, in welcher die Zerstörung Jerusalems und des Tempels
als Strafe Gottes für die Hinrichtung des Jakobus bezeichnet war.
Diese steht in keiner unserer Josephus-Handschriften, darf also
sicher als eine, unserem Vulgärtext ferngebliebene christliche Inter-
polation betrachtet werden^ ^). Auch in dem Bericht des Hege-
43) Antt. XX, 9, 1.
44) Euscb. Hist. eccl. II, 23, 21—24, wörtlich = Jos. Antt. XX, 9, 1.
45) Origenes nimmt dreimal auf diese Josephus-Stelle Bezug: 1) Comment.
in Matth. tom. X, c. 17 (zu Matth. 13, 55): „So sehr zeichnete dieser Jakobus
im Volk durch seine Gerechtigkeit sich aus, dass Josephus in seiner Archäo-
logie, indem er die Ursache der Zerstörung des Tempels darlegen will, sagt,
xaxa fiTJviv S^sov xavxa avxoTq dmjvxtjxivai, öiä xa elg 'läxwßov, xov aSskipöv
'Itjoov xov Xsyofxsvov XqioxoZ, vn avxwv xexoX/XTj/xsva .... Aeyei 6i, oxi xal
o Xaoq xavxa ivo/ni^e öiä xov 'Idxcaßov nsnovB-evac" . 2) Contra Celsum I, 47:
0 d' avioq . . . I^tjxwv xt/v alxiav xTjq xwv IsgoaoXvfxwv nxwaewq xal xfiq xov
vaov xa^aigiaeioq .... (priol xavxa avfißsßTjxsvai xoTq 'lovdaloiq xux* ixölxTjaiv
'laxwßov xov öixalov, oq i]v döeXiphq^Iriaov xov ?.eYOfi6vov Xgiaxov, insiö^Tiep
öixaioxaxov avxöv ovxa dntxxsivav. 3) Contra Celsum II, 13//«. Tkoq xa&eZXs
T/)v 'leQovoah'jfi' wq fiiv 'Icuotjtioq yQüipei, diä Idxwßov xov öixaiov, xov döe?.-
<p6v 'iTjaov xov Xeyofitvov Xgtaxov. „Das Urtheil Schlatter's (Der Chrono-
582 § 19- Die römischen Procuratoren (44—66 n. Chr.). [487]
sippus Über die Hinrichtung des Jakobus ist diese in enge Ver-
bindung mit der Zerstörung Jerusalems gebracht. Das Jahr 62
als Todesjahr steht also keineswegs fest^^). |
graph aus dem zehnten Jahre Antonios, 1894, S. 66—75), dass Orig. den Jos.
gar nicht selbst gelesen, sondern alles, was er auf Jos. zurückführt, aus der
angeblichen Chronik des Judas geschöpft habe ohne die Fähigkeit oder den
Willen, die Angaben des Jos. von den christlichen Ausdeutungen des Judas
zu unterscheiden, macht den grössten und gewissenhaftesten Gelehrten der
alten Kirche zu einem eitlen Windbeutel" (so bemerkt treffend Zahn, For-
schungen VI, 303 f.). — In derselben Form wie Origenes contra Gels. I, 47
(und vermuthlich nach ihm) citirt die Stelle Eusebins Eist. ecel. II, 23, 20.
Auf Eusebius gehen zurück die kurzen Angaben bei Hieronymus, De viris
iUustr. e. 2 und 13, adv. Jovinian. I, 39 {ppp. ed. Vallarsi II, 301). Die grie-
chische Uebersetzung von Hieron. de viris illustr. c. 13 ist reproducirt bei
Suidas Lex. s. v. 'IcaaTjnog. Gegen die Annahme Zahn's (Forschungen zur
Gesch. des neutest. Kanons VI, 301—305), dass auch Eusebius und der Verf.
des Chranicon paschale die Stelle bei Josephus selbst gelesen haben, und zwar
im fünften Buche des Bell. Jud. (Chron. pasch, ed. Bonn. I, 463), spricht 1) dass
Eusebius für diese Stelle den Fundort bei Josephus nicht angiebt, während
er für die andere, unmittelbar darnach citirte Stelle über Jakobus den Fund-
ort richtig angiebt {H. E. II, 23, 21; fV dxoatcü t^s dg^aioloyiaq), 2) dass
Origenes als Fundort nicht das Bell. Jud., sondern die Archäologie nennt.
Obwohl man die Interpolation eher im Bell. Jud. als in den Antiquitates er-
warten würde, wird dem Zeugnisse des Origenes doch mehr zu trauen sein
als dem des Chron. pasch. Die Notiz des letzteren lautet vollständig (I, 463) :
'lüjOTjnnoQ latOQiZ iv r<« nifxnzij) käyo) Tfjg tt).(aa£(oq oii Irof? xqIxov Ovea-
naaiavov rj SXcjaiq t<5»' 'lovöalujv ytyovsv, tog /uexcc f/ htj tj/S yevofikVTjq na^'
aviwv xvl/jiriq xaxu xov 'l^aov' iv <px(>övi]), (prjai, xal *Iccxa)ßov xov döe).(fiv xov
xv(n'ov xal inlaxonov %(JoaoXvfiwv ytvofJLivov vn avx(Jäv xqthxvio&Tivüi xal in
aviwv ävaiQS&ijvai hOoßof-rj&tvxa. Die Anfangsworte können sich nur auf das
sechste Buch des Bell. Jud. beziehen und sind auch insofern falsch, als Josephus
dieEinnahme dos Tempels und der Stadt nicht in das dritte, sondern richtig in das
zweite Jahr Vespawians setzt (VI, 4, 8. 10, 1). Was aber über Jakobus gesagt wird,
weicht 80 stark von Origenes ab, dass der Verf. unmöglich dieselbe Josephus-
Stelle im Auge haben kann wie dieser. Um so stärker ist die Uebereiustim-
mung mit Hegesippus (s. Ann». 46). Der Verf. scheint also aus dem Gedächt-
nisse citirt und sich in Betrell' des Fundortes beider Notizen geirrt zu haben.
46) Den Bericht Hegesipp'H hat uns im Wortlaut Eusebius erlialten {Ilist.
ecel. II, 23, 11—18). Nach ihm ist Jakobus von der Zinne des Tempels herab-
gcBtürzt, dann gesteinigt und zuletzt von einem Walker {yva(pevq) mit einem
Wulkcrholz to«lt gcHclilagen worden. Der Bericht schlieest mit den Worten:
Kul ev^vq Ovtanaaiavoq nohogxil avtovq. Auf Hegesippus gelten zurück:
Clemens Alex, bei FAtaeh. IL K. II, 1, 4 und Kpiphaniua hacr. 78, 14 (über die
Abhängigkeit beider von HegeHippus s. Zahn, Forschungen VI, 271—273,
268 M'.; anders in Betrefl" de» Epiphanius: Sclilatter a. a. O. S. 75—82). Den
naiien Zu»animcnliang der llinriclitung des Jakobus und (Icr Zerstörung Je-
ru»aIou)K setzt auch EusebiuB in seiner eigenen Darstcillung voraus. Bist. ecel.
III, 11, 1: fttxh, T^v 'laxüflov nagxvQiav xal xrjv avtlxa ytvofiivtjv äkwuiv
r^t 'h(fOVOaXtifi. So viel SngenhaftcH der Hericlit des Hegesippus iiucli ent-
[488] § 19. Die römischen Procuratoren (44—66 n. Chr.). 583
6. Dem neuen Procurator Albinus (62—64)*") stellt Josephus
das Zeugniss aus, dass er keine Art von Schlechtigkeit unversucht
gelassen habe. Das oberste Princip seines Handelns scheint jedoch
das gewesen zu sein: Geld zu nehmen, von wem er es bekommen
konnte. Oeffentliche wie Privatcassen waren seinen Plünderungen
ausgesetzt; und das ganze Volk hatte unter dem Druck seiner Auf-
lagen zu leiden'*^). Aber er fand es auch nützlich, von den beiden
politischen Parteien im Lande, den Römerfreunden wie ihren
Cregnern, sich mit Geld gewinnen zu lassen. Sowohl von dem
hält, Bo ist er doch in chronologischer Beziehung mindeetens ebenso beachtens-
wertli wie die Stelle bei Joseph. Antt. XX, 9, 1, welche dem Verdacht der
Interpolation ausgesetzt ist. — Noch sei bemerkt, dass das Herabstürzen von
einer Anhöhe vor Vollzug der Steinigung vom jüdischen Recht als Regel vor-
geschrieben wird (üfm-ÄHa *San/«erfrm VI, 4j. — Vgl. überhaupt über das Todes-
jahr des Jakobus und über die Echtheit der Notiz bei Jos. Antt. XX, 9, 1:
C/ericus, Ars critiea P. III Sect. I c. 14, Credner, Einleitung in das Neue
Testament S. 580—582 (gegen die Echtheit). Rot he, Die Anfänge der christl.
Kirche und ihrer Verfassung S. 274—276 (wie Credner). Gieseler, Kirchen-
gesch. I, 1, 4. Aufl. 1844, S. 125—127. Koessing , Disscttatio de anno quo
mortem obierit Jacohus frater Domini, Heidelb. 1857. Gust. Boettger, Die
Zeugnisse des Flavius Josephus von Johannes dem Täufer, von Jesu Christo
und von Jakobus, dem Bruder des Herrn, Dresden 1863. Gerlach, Die Weis-
sagungen des Alten Testaments in den Schriften des Flavius Josephus, 1863,
S. 117 ff. Ebben, Genuinum esse Flavii Josephi de Jacobo fratre Jesu testi-
monium, Cleve 1864. J. Chr. K. v. Hofmann, Die heil. Schrift neuen Testa-
ments zusammenhängend untersucht VII. Tbl., 3. Abth. 1876, S. 4 f. Wie-
seler, Jahrbb. für deutsche Theol. 1878, S. 99—109. Volk mar, Jesus Naza-
renus, 1882, B. 345—348. Wandel, Zeitschr. für kirchl. Wissensch. und kirchl.
Leben 1888, S. 142-144. Kellner, Der wahre Todestag [und das Todesjahr]
Jakobus des Alphäiden („Katholik" Jahrg. 1888, Erste Hälfte S. 394—399).
Zahn, Forschungen VI, 301—305.
47) Die Zeit des Amtsantrittes des Albinus ergiebt sich aus B. J, VI,
5, 3, § 300 fl". Darnach war Albinus bereits Procurator, als zur Zeit eines
Laubhüttenfestes 4 Jahre vor Ausbruch des Krieges und mehr als 7 Jahre
5 Monate vor Zerstörung der Stadt ein gewisser Jesus, Sohn des Ananos, mit einer
Uuglücksweissagung auftrat. Beide Data fuhren auf das Laubhüttenfest 62.
Also Amtsantritt des Albinus spätestens Sommer 62. — Der Ansatz von Ramsay
für den Tod des Festus (Herbst oder Anfang Winter 60) und den Amtsantritt des
Albiuus (Mai oder Juni 61, s. i>pos?Vor ] 900, Aug. p. 81 — 105) beruht auf einer
Reihe unbewiesenerVoraussetzungen, namentlich auf der, dass die Aera Agrippas II
vom J. Gl die städtische Aera von Neronias sei, also die Neugründung dieser Stadt
in d. J. Ol falle und das von Josephus vorher Berichtete [Antt. XX, 9, 1 — 3) noch
etwas früher. — Unser Albinus ist wohl identisch mit Lucceius Albinus,
der unter Nero, Galba und Otho Procurator von Mauretanien war und wäh-
rend der Kämpfe zwischen Otho und Vitellius, 69 n. Chr., von der Partei des
letzteren um's Leben gebracht wurde {Tacit. Eist. II, 58—59). Vgl. Pauly's
Real-Enc. IV, 1158. Rohden, De Pa/aestina et Arabia p. 36.
48) B. J II, 14, 1.
584 § 19- l^ie römischen Procuratoren (44—66 n. Chr.). [488. 489]
römisch gesinnten Hohenpriester Ananias, der, obwohl nicht mehr
im Amte, doch noch ein Mann von grossem Einfluss war, wie von
seinen Feinden, den Sikariern, nahm er Geschenke an und liess
sie dann beide ruhig gewähren. Er gab sich zwar den Anschein,
die Sikarier zu bekämpfen. Aber gegen Geld konnte jeder, der
etwa gefangen war, seine Freiheit wieder erlangen. „Nur wer
nichts gab, wurde als üebelthäter im Gefängniss gehalten" -»9). Ja
die Sikarier hatten bald noch ein anderes Mittel ausfindig gemacht,
ihre gefangen genommenen Parteigenossen in Freiheit zu setzen.
Sie brauchten nur Anhänger der Gegenpartei aufzugreifen. Dann
gab Albinus auf Wunsch der letzteren (von welcher er ja auch
bestochen war) gegen Loslassung der Römerfreunde ebenso viele
Sikarier fi-ei. Einmal ergriffen die Sikarier den Schreiber des
Tempelhauptmanns Eleazar (letzterer war ein Sohn des Ananias)^*')
und erhielten gegen Freilassung des Schreibers als Gegenpräsent
zehn der Ihrigen ausgeliefei-t^'). Unter solchen Verhältnissen ge-
wann die anti|römische Partei immer mehr an Boden oder, wie
Josephus sich ausdrückt, „die Kühnheit der Neuerungssüchtigen
wurde immer verwegener" ^^j Und da andererseits auch ihre
Gegner freien Spielraum hatten, so herrschte bald völlige Anarchie
in Jerusalem. Es war ein Krieg Aller gegen Alle. Am tollsten
trieb es der Hohepriester Ananias. Er liess durch seine Knechte
ganz offen den Priestern den Zehnten von den Tennen wegnehmen
und diejenigen, welche sich etwa widersetzten, mit Schlägen be-
handeln'^3). Auch zwei würdige Verwandte des Königs Agrippa,
Kostobar und Saul mit Namen, legten sich aufs Räuberhand-
werk^^), und mit ihnen wetteiferte der, der des Rechtes Schirm
und Schutz hätte sein sollen: der Procurator Albinus selbst").
Da war es denn nicht einmal etwas besonders Merkwürdiges,
dass einst ein Hoherpriester, Jesus Sohn des Damnäos, mit seinem
Nachfolger Jesus, Sohn des Gamaliel, förmliche Strassenkämpfe
aufführte, weil er ihm das heiligt; Amt nicht abtreten wollte »ß).
Als Albinus abberufen wurde, liess er, um den Bewohnern der
4») Antt. XX, 9, 2. B. J. II, 14, 1.
50) Statt *Avavov ist ohne Zweifel 'Avtuvlov zu lesen (bo auch Niese nach
cud. AmI/r. und Vet. Lat., wahrend Naber das falsche kvavov beibehalten hat).
Vgl. II ./. II, 17, 2. 20, 4. Dereribounj, Uistuire de la I'cUestino js». 248, not. 1.
51) Ana. XX, 9, 3.
52) n. J. n, U, 1.
63) Antt. XX, 9, 2. — Vgl. über die Qewaltthätigkeit der Hohenpriester
oben B. 676.
64) Antt. XX, 9, 4.
66) //. ./. II, 14. 1.
60) AtiU. XX, 9, 4.
[489. 490] § 19. Die römischen Procuratoren (44—66 n. Chr.). 585
Hauptstadt noch einen Gefallen zu tliun (und wohl auch um seinem
Nachfolger das Amt zu erschweren) alle Gefängnisse leeren, die
eigentlichen Verbrecher hinrichten, die übrigen Gefangenen aber
in Freiheit setzen. „So wurden die Kerker von Gefangenen leer,
das Land aber von Räubern voll"*').
7. Der letzte Procurator Gessius Florus (64—66)^^) war
zugleich auch der schlimmste. Er stammte aus Klazomenä und
hatte durch Vermittelung seiner Gattin Kleopatra, welche mit
der Kaiserin Poppää befreundet war, die Procuratur von Judäa
erhalten. Für die Nichtswürdigkeit, mit welcher er sein Amt ver-
waltete, weiss Josephus kaum Worte genug zu finden. Im Ver-
gleich mit ihm, meint er, sei Albinus noch ausnehmend recht-
schaffen (dixaiorarog) gewesen. So maasslos war seine Tyrannei,
dass die | Juden darüber den Albinus als Wohlthäter priesen.
Während Albinus seine Schandthaten wenigstens im Verborgenen
übte, war Florus fi-ech genug, damit öffentlich zu prahlen. Das
Berauben Einzelner schien ihm viel zu wenig. Ganze Städte
plünderte er aus und ganze Gemeinden richtete er zu Grunde.
Wenn die Räuber nur mit ihm theilten, so konnten sie ungestöi-t
ihr Handwerk ausüben*^).
Durch solchen Muthwillen ward endlich das Maass dessen, was
ein Volk zu tragen fähig ist, erschöpft. Der Zündstoff, der seit
Jahren angehäuft war, war zur ungeheuren Masse angewachsen.
Es bedurfte nur eines Funkens; und der Ausbruch erfolgte mit
furchtbarer, elementarer Gewalt.
Anhang. Agrippa II (50 — 100 n. Chr.).
Literatur: Ewald, Geschichte des Volkes Israel Bd. VI, S. 555 ft'. 558. 637 f.
und sonst. Bd. VII, S. 24 f.
Lew in, Fasti sacri, ad ann. 44—69 (s. daselbst den Index p. 390)
Winer, ßWB. I, 485.
Keim in Schenkel's Bibellexikon III, 56—65.
Derenbourg, Histoire de la Palestine p. 252—254.
57) Äntt. XX, 9, 5.
58) Da Florus nach Äntt. XX, 11, 1 im 2. Jahre seiner Verwaltung stand,
als im Mai 66 (JB. J. II, 14, 4) der Krieg ausbrach, so wird er im J. 64 sein
Amt angetreten haben. — Der Name Öessius Florus ist auch durch Taeit.
Eist. V, 10 bezeugt. In der Chronik des Eusebius ist er corrumpirt in riozioi
4>kQiQog (die griech. Form hei SyncelL ed. Dindorf I, 637, in der latein. Bear-
beitung des Hieronymus [Euseb. Chron. ed. Schoe?ie II, 157] Cestius Florus); in
der armenischen Uebersetzung ist daraus Cestius ßius Flori geworden {Euseb.
Chron. ed. Sckoene II, 156, zum 14. Jahre Nero's).
59) Ätitt. XX, 11, 1. B. J. II, 14, 2.
586 § 19- Anhang. Agrippa II (50—100 n. Chr.). [490. 491]
Hamburger, Eeal-Enc. Abth. II, Artikel „Agrippa",
De Sauley, Etüde chronologique de la vie et des monnaies des rois
juifs Agrippa I et Agrippa II, 1869 (s. oben S. 24).
Ger lach, Zeitschr. für luth. Theol. 1869, S. G2-68.
Brann, Biographie Agrippa's II (Monatsschr. für Gesch. und
Wissensch. des Judeuth. XIX, 1870, S. 433—444. 529—548. XX,
1871, S. 13-2S).
Baerwald, Josephus in Galiläa, sein Verhältniss zu den Parteien,
insbesondere zu Justus von Tiberias und Agrippa II. Bres-
lau 1877.
"«^ Grätz, Das Lebensende des Königs Agrippa II u. s.w. (Monats-
schr. 1877, S. 337 ff.). Ders., Agrippa II und der Zustand
Judäa's nach dem Untergange Jerusalems (Monatsschr. 1881,
S. 481 ff.).
Erbes, Das Todesjahr Agrippa's II, des letzten jüdischen Königs
(Zeitschr. für wissensch. Theol. 1896, S. 415-432).
Die auf Agrippa II bezüglichen Inschriften sind aus Waddington
zusammengestellt in der Zeitschr. für wissensch. Theol. 1873,
Sr 248—255. Ueber Ergänzungen hierzu s. oben S. 27.
Agrippa II, mit seinem vollständigen Namen, nach Münzen
und Inschriften, Marcus Julius Agrippa ^), der Sohn Agrippa's I, |
scheint wie fast alle Herodäer in Rom erzogen worden zu sein.
Dort finden wir ihn wenigstens, als im J. 44 sein Vater starb, und
Claudius ihn zum Nachfolger ernennen wollte ^j. Dass Letzteres
auf Betrieb der Rathgeber des Claudius wegen Agiippa's Jugend
1) Vgl. über die Münzen Agrippa's überhaupt: Eckhel, Doctr. Xuin.lll,
493—496. — Mionnet, Description de medailles V, 570-576. Suppl. VIII,
280 sq. — Lenormant, Tr^or de Nuviismatique p. 127—130, pl. LX— LXII.
— Cavedoni, Bibl. Numismatik I, 53 f. 61—64. II, 38 f. — Levy, Gesch. der
jüd. Münzen S. 82. — Madden, History of Jeicish Coinage p. 113—133. —
De Sauley, iCtude chronologique, 1869 (s. oben bei der allgera. Literatur). —
Beichardt in der Wiener Numismat. Zeitschr. Bd. III, 1871, S. 83 ff. —
Mommsen ebendas. 8. 449 ff. — Madden, Numismatic Chronicle 1875, j». 101
bis 139. — Madden, Coins of the Jews, 1881, p. 139—169 (hier am vollstän-
digsten). — Erbes, Zeitschr. für wissensch. Theol. 1896, S. 419 ff. — Der Name
Marcus auf einer Münze aus der Zeit Nero's: BaaiUoq {sie) Müqxov kyQinnov
(Mudden, Coins p. 146). Hiernach ist wahrKchcinlich amh eine Inschrift zu
Heibon, nicht weit von Abila Lysaniä, folgendermassen zu ergänzen: 'Eni
ßaatXkOt fteyuXov MttQxo[v .... Myp/nTio ^iXo]xalaaQOi xal tfiXopwfialwv {sie),
Le Bas et Waddington, Insoriptions /. III n. 2552. — Der Name Julius auf
ein«r Inschrift zu El-IIit, nördlich vom Hauran: 'Eni ßuatXiw[i .... 'Iov]Xlov
'AyQlnna, U Bas et Waddingttm, Imcriptiom <. 111 n. 2112. Die Beziehung
der InHchrifl auf Agrippa II int zwar nicht sicher aber sehr wahrHcheinlich
(s. ZeitMclir. f. wisHcnMcli. Theol. 1873, 8. 250). Auch olme dicHcs Zeiigniss
Word«! der Name JuliuH für Agrippa II als HolbBtverHtändlich vornuszusetzen
■ein, du die ganze Fuinilio ihn geführt hat. S. oben 8. 661.
2) Aldi. XIX, 9, 2.
[491. 492] § 19. Anhang. Agrippa II (50—100 n. Chr.). 557
nicht geschah, ist bereits oben erzählt worden. Der Jüngling blieb
einstweilen in Eom und fand dort mehrfach Gelegenheit, durch
seine Verbindungen bei Hof seinen Landsleuten nützlich zu sein.
So bei dem Streit über das hohepriesterliche Gewand^) und bei
dem Conflict zur Zeit des Cumanus^}. Ihm vorzüglich war es zu
danken, dass Cumanus der gerechten Strafe nicht entging. Mit
letzterem Vorfall sind wir bereits in's Jahr 52 geführt. Aber schon
vorher war ihm von Claudius zur Entschädigung für den Ausfall
des väterlichen Erbes ein anderes, wenn auch kleineres, König-
reich verliehen worden. Nach dem Tode seines Oheim's Her ödes
von Chalkis (s. über diesen Beilage I) erhielt er nämlich, doch
wahrscheinlich nicht sogleich, sondern erst im J. 50, dessen König-
reich am Libanon und zugleich — was jener ebenfalls gehabt
hatte — die Aufsicht über den Tempel und das Recht, die Hohen-
priester zu ernennen^). Von letzterem Rechte machte er durch i
häufige Ab- und Einsetzung von Hohenpriestern bis zum Ausbruch
des Krieges im J. 66 Gebrauch. Wahrscheinlich blieb Agrippa
nach jener Schenkung zunächst noch in Rom, wo wir ihn im J. 52
treffen, und trat erst nach dieser Zeit die Regierung seines König-
reiches thatsächlich an.
Er mag kaum, oder vielleicht noch nicht einmal, nach Pa-
lästina zurückgekehrt sein, als er im J. 53 (im 13. Jahre des
Claudius) gegen Herausgabe des kleinen Königreichs Chalkis ein
grösseres Gebiet erhielt, nämlich die Tetrarchie des Philippus
(Batanäa, Trachonitis, Gaulanitis), die Tetrarchie des Lysanias
(Abila) und den Bezirk des Varus^). Dieses Gebiet wurde ihm
3) AntL XX, 1 , XV,11, 4. Vgl. oben S. 565.
4) AntL XX, 6, 3. Vgl. oben S. 570.
5) AntL XX, 5, 2. B. J. II, 12, 1. Vgl. AntL XX, 9, 7: "Eninlaxivzo vno
KKavöiov Kaiaagoq r^v inifxiXsiav tov legov. Von der Uebertragung des
Kechtes, die Hohenpriester zu ernennen, ist zwar nirgends die Rede, wohl
aber von der thatsächlichen Ausübung desselben (vgl. unten § 23, IV). — Dass
die Schenkung erst in das J. 50 fällt, ist aus B. J. II, 14, 4 zu schliessen,
wornaoh Agrippa im 17. Regierungsjahre stand, als im Monat Arteniisios (Ijjar)
des J. 66 der Krieg ausbrach. Sein 17. Jahr begann also (wenn wir, Agrippa
als jüdischen König betrachtend, nach Mischna Bosch haschana I, 1 vom
1. Nisan zum 1. Nisan rechnen) am 1. Nisan 66, und sein erstes Jahr frühestens
am 1. Nisan 50, wahrscheinlich noch etwas später. Vgl. Wieseler, Chrono-
log. Synopse S. 53, Anm. 1. Chronologie des ap. Zeitalters S. 68.
6) Antt. XX, 7, 1. B. J. II, 12, 8. Zur Tetrarchie des Lysanias gehörte
ohne Zweifel auch Heibon (nicht weit von Abila Lysaniä), woselbst die oben,
Anm. 1, erwähnte Inschrift gefunden wurde. lieber die inuQyJa Ovagov giebt
uns Joseph. Vita c. 11 Aufschluss. Denn der hier erwähnte Varus (= Noarus
B. J. II, 18, 6), welchen Josephus als exyovog J^oefiov xov nsQi tov Aißavov
xiToaQXOvvxoq bezeichnet, ist höchstwahrscheinlich mit unserm Varus identisch.
588 § 19- Anbang. Agrippa II (50-100 n. Chr.). [492]
nach dem Tode des Claudius durch Nero's Gunst noch vergrössert
durch Hinzugabe bedeutender Stücke von Galiläa und Peräa, näm-
lich der Städte Tiberias und Tarichea nebst zugehörigem Gebiet
und der Stadt Julias nebst 14 umliegenden Dörfern^). |
Hinwiederum wird sein Vater Soemus kein anderer sein als der, welcher gegen
Ende des J. 38 von Caligula ttjv t(üv ^IxvQaiwv töjv li^aßcov erhielt {Dio Cass.
LIX, 12), welches Gebiet er bis zu seinem Tode im J. 49 beherrschte, worauf
es der Provinz Syrien einverleibt wurde {Tac. Ann. XII, 23). Man wird nun
annehmen dürfen, dass seinem Sohne Varus ein Theil des Gebietes am Libanon
vorläufig noch gelassen wurde, und dass dieses die änuQxia OvÖcqov ist, welche
Claudius dem Agrippa schenkte. — Da Agrippa das neue Gebiet erhielt im
13. Jahre des Claudius (24. Januar 53 bis dahin 54), nachdem er 4 Jahre über
Chalkis geherrscht hatte [ävvaaxevaaq ravtriq sztj reaoaQa); da ferner sein
viertes Jahr nach unserer obigen Rechnung am 1. Nisan 53 begann, so wird
die Schenkung gegen Ende 53 anzusetzen sein.
7) Antt. XX, 8, 4. B. J. II, 13, 2. An letzterer Stelle wird auch noch
Abila in Peräa genannt. Vgl. hierüber Bd. II, S. 127 f. Bei Julias denkt
Schlatter (Zur Topogr. und Gesch. Palästina's S. 50) nicht an Julias-Beth-
saida, sondern an Julias-Livias, in dessen Nähe es auch ein Abel oder Abila
gegeben hat (s. Bd. II, S. 128 Anm.). Dann wären diese Besitzungen also
Enclaven im Süden Peräa's gewesen, die weit vom übrigen Gebiete Agrippa's
getrennt waren. Zu Gunsten dieser Annahme scheint der Umstand zu spre-
chen, dass im südlichen Peräa, angeblich östlich von Philadelphia, ein In-
schriften-Fragment gefunden wurde, aufweichen! Agrippa's Name vorkommt
(Clermont-Ganneau, Comptes rendus de VAcad. des Insor. 1898, p. 811,
ders., Arehaeological Rcsearches in Palestine vol. I, 1899, p. 499—501). Aber
der Fundort ist nicht sicher (Wadi el Kittar? östlich von Philadelphia), und
ebensowenig die Beziehung der Inschrift auf König Agrippa II (sicher lesbar
sind nur <piXo . . . lov AyQin . . Koxxt]iov Ax, die Ergänzung <piXo[Qü)fxaiov]
ist nicht sicher und die Ergänzung [IovX]iov nach den vorhandenen Resten
unwahrscheinlich, denn vor lov steht nicht A, sondern N oder H). Wenn
überhaupt einer der beiden Könige dieses Namens gemeint ist, wird eher au
Agrippa I zu denken sein. Das Material ist also in keiner Weise ausreichend,
um düe Hypothese zu begründen, dass sich die Besitzungen Agrippa's 11 so
weit nach Süden erstreckt haben. — In welche Zeit die Schenkung Nero's
fällt, lässt sich nicht siclier ermitteln. Auf den späteren Münzen Agrippa's
Werden seine Kegieruiigsjalire nach einer Aera bereclmet, welche im .lahro (51
beginnt. Es ist möglich, (laus diese Aera ihren Grund eben darin hiit, dass
Agrippa in diesem Jahre dunli Nero jenen Gebietszuwachs erhielt (so z. B.
Keim, Bibellex. III, 58; anders Wiese 1er, Chrouol. des apostol. Zeitalters
8. 90—92). Dann würde die Abtrennung der betrell'enden Gebiete von Galiläa
und Peräa unmittelbar nach dem Abgang des Felix und dem Amtsantritt des
FettUB «tattgefundeu haben. Vielleicht darf in diesem Sinne eine gelegentliche
Notiz verstanden werden, wornach Tiberias unter römischer Herrschaft blieb
/M^XP* 'i^Xixoi nQoiaxaiihov xfiq 'lovöalaq (Vita 9). Doch heisst dieses f/i/Qi
an sich nicht „bis zum Endo der Amtszeit des Felix". Und die Vermutiiung
wird dadurch unsicher, dass es auch eine Aera Agrippa's gicbt, wcilciie im J. 5ü
beginnt. Auch lür diese könnte mau als Grund die Üebietserwciterung durch
Nero vermuthon (»o Grätz, MonatHsdir. 1877, B. 344—349, indem er als Grund
[493] § 19. Anhang. Agrippa 11 (50—100 n. Chr.). 5g9
Von Agrippa's Privatleben ist nicht eben Günstiges zu be-
richten. Seine Schwester Berenike^), welche seit dem Tode des
Herodes von Chalkis (48 n. Chr.) Wittwe war (s. unten Beilage I),
lebte seitdem im Hause des Bruders und hatte den schwachen
Mann bald so mit ihren Netzen umstrickt, dass man ihr — der
Mutter zweier Kinder! — das Schlimmste nachsagte. Als der
Skandal offenkundig geworden war, beredete Berenike, um allen
Übeln Nachreden den Boden zu entziehen, den König Polemon
von Cilicien, sie zu heirathen und sich zu diesem Zwecke be-
schneiden zu lassen. Die Heirath fällt wahrscheinlich erst nach
63 n. Chr.^). Berenike hielt es nicht lange bei Polemon aus, sondern
für die Aera vom J. 61 die Neugründung von Cäsarea-Philippi = Neronias an-
nimmt, was aber deshalb unwahrscheinlich ist, weil dieses Factum zwar für die
Stadt Neronias, aber nicht für Agrippa Anlass zum Beginn einer neuen Zeitrech-
nung werden konnte). — Die Äera vom J. Gl lässt sich mit Sicherheit berechnen
nach einigen Münzen, auf welchen das 26, Jahr des Agrippa mit dem 12. Con-
sulate des Domitian {Dom. Cos. XII) gleichgesetzt wird (bei Madden, Coins of
the Jews p. 157 sq.), und nach einer anderen , auf welcher das 25. Jahr des
Agrippa ebenfalls mit dem 12. Consulate des Domitian gleichgesetzt wird (bei
Madden, Coins p. 157). [De Saulcy glaubt freilich, es sei hier gar nicht das
25. und 26. Jahr des Agrippa gemeint, sondern das 25. und 26. Jahr einer stä-
dtischen Aera von Cäsarea Philippi, s. ^nde chronolofjique 1869 und Numisma-
tique de la Terre Sainte p. 315; aber das Datum lautet em ßa. AyQ. st. xs',
was nur heissen kann: unter König Agrippa in dessen 25. Jahre u s. w. Ueber
diese Art der Datierung vgl. den Prolog des Jesus Sirach und die dazu unten
Bd. III, S. 159 angeführten Parallelen]. Da das 12. Consulat Domitian's in
das Jahr 86 n. Chr. lallt, so begann das 26. Jahr des Agrippa eben in diesem
Jahre, und demnach die Aera, nach welcher er rechnet, im J. 61 n. Chr. —
Eine fünf Jahre früher beginnende Aera ist bezeugt durch zwei Münzen und
eine Inschrift. Die beiden Münzen tragen das Datum hovg ai xov xal W
(Zahlzeichen für VI), s. Madden, Coins ofthe Jews p. 146. Das 11. Regierungs-
jahr Agrippa's nach der einen Aera ist also identisch mit dem sechsten nach
der anderen Aera. Dieselben beiden Äeren sind angewandt auf einer in Sa-
nanien im Hauran gefundenen Inschrift: hovq X1^ xov xal Xß' ßaaiUioq^Aygimia
(Zeilschr. des deutschen Palästina- Vereins VII, 1884, S. 121 f. = Archäol.-
epigr. Mittheilungen aus Oesterreich VIII, 1884, S. 189 f. = Critieal Review
of theol. and philos. Literature IL, 1892 p. 56 = Palest. Expl. Fund, Quarterly
Statement 1895 p. 58). Auch hier beginnt die eine Aera um fünf Jahre früher
als die andere. Da man nun wohl annehmen darf, dass unter den verschie-
denen Aeren Agrippa's die jüngste in der späteren Zeit die gewöhnliche war,
da ferner nach den Münzen vom Jahre 86 die gewöhnliche die vom J. 61 war,
so muss die eine im J. 56, die andere im J. 61 begonnen haben.
8) Vgl. über sie Pauly's Real-Enc. I, 2, 2. Aufl. S. 2352. Hausrathin
Schenkel's Bibellex. I, 396-399. Wilcken in Pauly-Wissowa's Real-Enc. HI,
287 f. Wahl, De regina Berenice, Thesis, Paris 1893.
9) Polemon war von 38—63 n. Chr. König von Pontus. Im J. 41 erhielt
er dazu auch ein Stück von Cilicien, welches er behielt, als im J. 63 Pon-
590 § 19- Anhang. Agrippa II (50—100 n. Chr.). [493. 494]
kam wieder zu ihrem Bruder und scheint das alte Verhältniss
fortgesetzt zu haben. Wenigstens sprach man noch später in Rom
ganz offen davon '**). |
In der äusseren Politik hat Agrippa auch auf das geringe
Maass von Selbständigkeit, welches sein Vater zu erringen suchte,
verzichtet und war unbedingt der römischen Sache ergeben. Er
stellte Hülfstruppen für den parthischen Feldzug im J. 54 'i), und
als im J. 60 der neue Procurator Festus nach Palästina kam, be-
eilte er sich sammt seiner Schwester Berenike, unter Entfaltung
grossen Glanzes (fiera jtoXXrjg tpavrao'iaq) ihm die Aufwartung
zu machen '2). Seine Hauptstadt Cäsarea Philippi nannte er zu
Ehren des Kaisers Neronias, und die Stadt Berytus, in welcher
schon sein Vater heidnischen Glanz entfaltet hatte, hatte ihm
neue Gnaden zu danken '3). Seine Münzen tragen fast ausnahms-
los die Namen und Bildnisse der regierenden Kaiser: des Nero,
Vespasian, Titus und Domitian. Wie sein Vater, so liess auch er
sich ßaoiXevq fiiyag cpiXoxaioaQ svoeßi^q xal cptXoQcofiaiog nennen ^^).
Dass er im Ganzen mehr auf römischer, als auf jüdischer
tu8 römische Provinz wurde. In Cilicien regierte er mindestens bis zur Zeit
Galba'a (s. die Belege oben S. 558 f.). Da nun Josephus bei Gelegenheit der
Heirath Anit. XX, 7, 3 ihn nur Kihxlag ßaaiXsig nennt, so fällt dieselbe
wahrscheinlich erst nach G3 n. Chr. Dafür spricht auch, dass Berenike seit
dem Tode des Herodes von Chalkis (48 n. Chr.) bereits lange Zeit Wittwe
gewesen war {noXvv XQOvov iniXTjQsiGaaa). Allerdings finden wir Berenike
seit 6() n. Chr. wieder in Judaea. Aber für die nur kurze Zeit dauernde Ehe
genügt der Spielraum von 63—66 n. Chr. — Nach dem Zusammenhang bei
Josephus scheint es freilich, als ob die Heirath noch vor den Tod des
Claudius (54 n. Chr.) falle. Aber dieser Schein ist eben, wie sich nun zeigt,
ein trügerischer. Am wenigsten macht das Alter der Berenike Schwierigkeiten,
da sie ja noch im J. 70 den Titus in ihre Netze gezogen hat.
10) Anlt XX, 7, 3. Vgl. Juvenal. Sat. VI, 156-160:
adamas notiasimus et Berenices
In digito f actus pretiostor; hunc dedit olim
Barbaras inccstae, dedit hunc Agrippa sorori,
Obsertant ufti festa mero pedc sahbata reges,
Et vetus indulyet senibus dementia porcis.
11) Taeit. Ann. XIII, 7.
12) Ap.-Gesch. 25, 13. 23.
13) Antt. XX, 9, 4. Der Name der Stadt Neronias auch auf Münzen
{Eflkhet III, 343; Mionnet V, 316; Madden, IKstonj of Jetvish Coinage p. 116 bis
117; De Satäoy, Numismatique de la Tcrre Sainte p. 316, 318; Madden, Coim
of the J0U)$ p. 145—140). Dass nicht Tiberias — also sicherlich Neronias —
die Hauptstadt war, erhellt aus Vita o. 0.
14) 8o heiHHt er auf der Inschrift bei Waddington n. 2365 (S. oben 8. 562);
vgl. auch n. 26Ö2. ßaadiiq ftiy^'i ^"^'' ^' 2135 und Quarterly Statement 185)5
p. 188.
[494. 495] § 19. Anhang. Agrippa II (50—100 n. Chr.). 591
Seite stand, erhellt auch aus einer Episode, die noch in anderer
Beziehung, für seine Trägheit und Machtlosigkeit, charakteristisch
ist. Wenn er in Jerusalem sich aufhielt, pflegte er den ehemaligen
Palast der Hasmonäer zu bewohnen"^). Dieses an sich schon
hochgelegene Gebäude Hess er nun durch einen thurmartigen Auf-
bau noch bedeutend erhöhen, um von hier aus die Stadt und den
Tempel überblicken und in müssigen Stunden die heiligen Hand-
lungen im Tempel beobachten zu können. Den Priestern war
dieser träge Zuschauer unbequem, und sie verspen-ten ihm durch
Errichtung einer hohen Mauer die Aussicht Agrippa wandte sich
nun zwar an seinen Freund, den Procurator Festus, um Abhülfe;
und dieser wollte ihm auch beistehen. Allein eine jüdische Ge-
sandtschaft, welche eigens in dieser Angelegenheit nach Rom ging, |
setzte es durch Vermittelung der Kaiserin Poppäa durch, dass die
Mauer stehen blieb, so dass Agrippa fortan auf den angenehmen
Zeitvertreib verzichten musste'^).
Trotz seiner unbedingten Ergebenheit gegen Rom suchte
Agrippa doch auch mit dem Judenthume Fühlung zu halten. Seine
Schwäger, Azizus von Emesa und Polemon von Cilicien, mussten
sich bei der Heirath der Schwestern die Beschneidung gefallen
lassen''). Die rabbinische Tradition berichtet von gesetzlichen
Fragen, welche der Verwalter Agrippa s oder der König selbst an
den berühmten Schriftgelehrten Rabbi E lieser gerichtet habe'^).
Ja die ebenso lüderliche als bigotte Berenike finden wir sogar ein-
mal als Nasiräerin in Jerusalem 1^). Innere Herzenssache war
sicherlich Agrippas Judenthum so wenig, wie das seines Vaters.
Der Unterschied ist nur der, dass der Vater aus Politik sich ent-
schieden auf Seite der Pharisäer stellte, der Sohn dagegen seine
Gleichgültigkeit auch äusserlich mehr zu erkennen gab. Wenn in
der Apostelgeschichte erzählt wird, wie Agrippa und Berenike
aus Neugierde den Apostel Paulus zu sehen und zu hören wünschen,
der König aber auf des Apostels begeistertes Zeugniss von Christo
nichts anderes zu erwiedern weiss, als: „Mit Wenigem überredest
du mich, ein Christ zu werden" und dabei die Sache bewenden
15) Dieser Palast lag nach Antt. XX, 8, 11 und Bell. Jud. II, 16, 3 am
sogenannten Xystos, einem freien Platz, von welchem aus eine Brücke direet
nach dem Tempel hinüberführte {B. J. VI, 6, 2).
16) Antt. XX, 8, 11.
17) Antt. XX, 7, 1. 3.
18) Dercnbourg p. 252-254. Grätz, Monatsschr. 1881, S. 483—493. Die
Tradition nennt theils den Verwalter Agrippa's, theils den König selbst als
Fragenden.
19) B. J. II, 15, 1.
592 § 19- Anhang. Agrippa II (50—100 n. Chr.). [495. 496]
lässt, SO sieht man, wie er zwar von allem Fanatismus, aber
auch von aller Innern Theilnahme für religiöse Fragen weit ent-
fernt war 20).
Seine Sorgen für das Judenthum erstreckten sich nur auf
äusserliche, z. Th. recht geringfügige Dinge. Um den Tempel,
dessen Grund sich gesenkt hatte, zu stützen und um zwanzig
Ellen zu erhöhen, liess er mit grossen Kosten vom Libanon Bau- 1
holz von ungewöhnlicher Grösse und Schönheit herbeischaffen.
Das Holz kam aber wegen des inzwischen ausgebrochenen Krieges
nicht einmal zur Verwendung und diente später zur Errichtung
von Kriegsmaschinen 21). Den psalmensingenden Leviten gestattete
er auf ihr Ansuchen, leinene Gewänder zu tragen, was bis dahin
ein Vorrecht der Priester gewesen war. Für solchen Frevel wider
das Gesetz war dann, wie Josephus meint, der Krieg die gerechte
Strafe22). Als zur Zeit des Albinus der Bau des herodianischen
Tempels vollendet war, liess er, um die Menge der Bauleute nicht
unbeschäftigt zu lassen, die Stadt mit weissem Mä^'mor pflastern^^).
„So hatte er sich wenigstens noch als Kleiderkünstler, Holzhauer,
Pflasterer und wirklicher Tempelinspector um das sinkende Jeru-
salem verdient gemacht"^'!).
Als im Frühjahr 66 die Revolution ausbrach, war Agrippa
eben in Alexandria, um den dortigen Statthalter Tiberius Alexander
zu begrüssen, während seine Schwester Berenike wegen eines
Nasiräatsgelübdes in Jerusalem weilte 2^). Agrippa eilte sofort
eben dorthin, und beide Geschwister boten nun alles auf, um den
drohenden Sturm zu beschwichtigen. Aber vergebens. Es kam
in Jerusalem zum offenen Kampf zwischen der Kriegs- und
20) Ueber den Sinn der Worte des Agrippa (Ap.-Gesch. 26, 28) s. bes.
Overbeck z. d. 8t. Sie sind wohl nicht ironisch, sondern ernstlich zu nohmeu.
„Der König bekennt, mit den wenigen eben gesprochenen Worten habe ihn
Paulus geneigt gemacht, ein Christ zu werden". Aber eben darin, dass er
nichtH weiter darauf thut, zeigt sich sein Indift'erentismus. — Es darf freilich
nicht unerwähnt bleiben, dass statt yevia9ai sehr gute Zeugen (xAB) notijaai
haben, und statt nelf^fif eine HandHclirift (A) nfl&^, was zu übersetzen sein
würde: „Mit Wenigem glaubst Du mich zum Christen zu machen" (so z. B.
Blas» und Haussleiter in Herzog-Hauck's Real-Enc. 3. Aufl. I, 25(3). Allein
nel&g ist zu schwa(;h bezeugt, und ohne gleichzeitige Aufnahme dieser Lesart
liast sich noi^aai nicht überH(>tzen.
21) Ji. J. V, 1, f). Antt. XV, 11, 3.
22) Anil. XX, 9, 0. — Die Combinationen, welche Grätz (Monatsschr. 1886,
8 07 fr.) hieran anknflpft, sind mehr als gewagt.
•28) Ana. XX, \), 7.
24) Keim im Bibellex. III, 60.
25) li. J.W, lf>, 1.
[49Ü. 497] § 19. Anhang. Agrippa II (50—100 u. Chr.). 593
Friedenspartei, wobei namentlich auch des Königs Truppen, die
er zu Hülfe gesandt hatte, auf Seite der Friedenspartei kämpften.
Als die letztere unterlag, und u. a. auch Agrippa's und Berenike's
Paläste der Volkswuth zum Opfer gefallen waren -*'), war für ihn
die Wahl der Partei entschieden. Rückhaltslos stand er während
des ganzen Krieges auf Seite der Römer. Schon als Cestius
Gallus seineu unglücklichen Zug gegen Jerusalem unternahm, be-
fand sich in seinem Gefolge auch König Agrippa mit einer an-
sehnlichen Anzahl Hülfstruppen'^"). Bei dem weiteren für die
Juden günstigen Verlauf des Aufstandes büsste er einen grossen
Theil seines Gebietes ein. Die Städte Tiberias, Tarichea und Ga-
mala schlössen sich dem Aufstaude an. Aber der König blieb
unerschütterlich auf römischer Seite-^). Nach der Eroberung |
Jotapata's im Sommer 67 bewirthete er den Oberfeldherrn Yespa-
sian aufs Glänzendste in seiner Hauptstadt Cäsarea Philippi^s)
und konnte bald, nachdem er inzwischen bei der Belagerung Ga-
mala's noch eine leichte Verwundung davongetragen hatte^**), von
seinem Königreich wieder Besitz nehmen; denn gegen Ende des
Jahres 67 war der ganze Norden Palästina's wieder den Römern
unterworfen.
Als nach dem Tode Nero's (9. Juni 6S) Titus nach Rom
reiste, um dem neuen Kaiser Galba zu huldigen, fuhr aus der-
26) B. J. II, 17, a
27) B. J. II, 18, 9. 19, 3.
28) Das Nähere über Agrippa's Thätigkeit während des Krieges s. bei Keim,
S. 60—63. — Agrippa war in der Zeit zwischen der Niederlage des Cestiua
Gallus und dem Anmärsche Vespasian's nicht in Palästina anwesend. Er
übertrug die Verwaltung seines Reiches einem gewissen Noarus oder Varus,
und als dieser sich grobe Eigenmächtigkeiten erlaubt hatte, einem gewissen
Aequus Modius {Bell. Jucl. II, 18, 6. Vita 11 u. 36, vgl. 24). — Unter den
genannten drei Städten (Tiberias, Tarichea, Gamala) war Gamala als starke
Festung von besonderer Wichtigkeit. Es wurde Anfangs durch Philippus,
einen Offizier Agrippa's, in der Treue gegen den König erhalten (Vita 11). Als
aber Philippiis von Agrippa abgerufen wurde, trat die Stadt auf Seite der Auf-
ständischen {Vita 35—37. Bell. Jttd. II, 20, 4. 6. II, 21, 7). Agrippa beauf-
tragte nun den AequusModius, Gamala wieder zu nehmen ( F«Ya 24). Aber
eine siebenmonatliche Belagerung führte nicht zum Ziele {B. J. IV, 1, 2). Ein
anderer Offizier Agrippa's, Sulla, kämpfte gegen Josephus {Vita 71—73). —
Agrippa hielt sich bis zum Frühjahr 67 in Berytus auf ( Vita 36. 65 ed. Niese
§ 357), erwartete dann sammt seinen Truppen die Ankunft Vespasian's in An-
tiochia [B. J. III, 2, 4), zog mit Vespasian nach Tyrus {Vita 74) und Ptolemais
(Vita 65 ed. Niese § Bi2 sq., und e. 74), und scheint überhaupt stets in der
Umgebung Vespasian's geblieben zu sein {B. J. III, 4, 2. 9, 7—8. 10, 10.
IV, 1, 3).
29) B. J. III, 9, 7.
30) B. J. IV, 1, 3.
Schür er, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 38
594
§ 19. Anhang. Agrippa II (50—100 n. Chr.). [497. 498]
selben Ursache auch Agrippa mit ihm. Unterwegs erhielten sie
die Nachricht von Galba's Ermordung (15. Januar 69). Während
nun Titus eiligst zu seinem Vater zurückkehrte, setzte Agrippa
die Reise nach Eom foi-t, wo er zunächst auch blieb 3^). Nachdem
aber Yespasian im Juli 69 von den ägyptischen und syrischen
Legionen zum Kaiser ausgerufen war, beeilte sich Berenike —
die überhaupt eine mächtige Stütze der flavischen Partei war —
den Bruder zur Huldigung nach Palästina zu rufen ^ 2) y^jj^ ^un
an befand sich Agrippa in der Umgebung des Titus, welchem
Yespasian die Fortsetzung des Krieges übertragen hatte^^). Als
nach der Eroberung Jerusalem's Titus u. a. auch in Cäsarea Phi-
lippi glänzende Spiele gab, war ohne Zweifel auch König Agrippa |
zugegen und hat als ein Römer den Untergang seines Volkes
jubelnd gefeiert^^).
Nach Beendigung des Krieges ward Agrippa als treuer Bundes-
genosse von Vespasian in seinem bisherigen Königthum nicht nur
bestätigt, sondern mit bedeutendem Gebietszuwachs beschenkt, über
dessen Umfang wir freilich keine nähere Kunde haben 3^). Nur
gelegentlich erwähnt Josephus, dass Arkaia (Arka, am Nordende
des LibanoD, nordöstlich von Tripolis) zum Königreich des Agrippa
gehörte^^). Wir müssen daraus schliessen, dass seine neuen Be-|
31) B. J. IV, 9, 2. Tacit. Hist. II, 1—2.
32) Tacit. Hist. II, 81.
33) Tacit. Hut. V, 1.
34) B. J. VII, 2, 1.
35) Pfiotius giebt in seiner Bibliotheca cod. 33 folgenden Auszug aus Justus
von Tiberias über Agrippa: nagiXaßs fihv xt/v (xqxv*' ^^^ KXavSlov, tiv^rjO^rj 6h
inl N^Qwvog xal l'r t fiäkXov vno Oveanaoiavov, TfAfVT« 6h era xqIxio
TQaXavov.
3ö) B. J. VII, 5, 1. Josephus erzälilt hier, dass Titus auf dem Marsch von
Berytus nach Antiochia auch den sogenannten Sabbuthfluss berührte, wekher
fliesst fiiaof *Apxalaq x^q li-yglnna ßaaiXelaq xal '^Pacpavalag. Es ist also eine
Stadt gemeint, welche nördlich von Berytus lag, und daher siclier dasselbe
Arcae, welches nach den alten Itinerarien zwischen Tripolis und Autaradus
lag, 10 — la mil. pas8. nördlich von Tripolis und 32 mit. jiasn. südlich von Anta-
raduo (18 mtl. pass.: Itincrarium A?itonini edd. Parthey et Pinder, 1848, p. C8;
16 mü. paaa : Itinerarium Burdigalctise cbendus. p. 275 ■== Itincra llicrusolymi-
tana ed. Geyer, 1898, p. 18; in der Zahl 32 Btimmen beide überein). Der
Mane bat sich noch heute erhalten in einem Dorfe am Nordende des Libanon
an der Stelle, welche die Itinerarien angeben. Die Stadt war im Altcrtlniin
•ehr bekannt. Schon die Völkcrtafel der Genesis kennt die Arkitcr Cp"^? den.
10, 17). JoicphuK nennt nie Antt. I, C, 2 "Aqxtiv xiiv iv x(f> Aißävo) (verschieden
hiervon iht das Antt. V, 1, 22 erwähnte Arke, welches viel weiter südlich lag;
Antt. VIII, 2, 3 llcBt Niese /ixij, dafür aber Antt. IX, 14, 2 /1(»XJ/). Plinitis
Ilitt. Nai.y, 18, 74 und Ptolnn.W, 15, 21 nennen lediglich den Namen. Stephnmis
Byx. bemerkt: 'Aqxti, ndXiq fpoivlxrji, »J vCv'Aqxoi xaXovfihjj. Ilieronynuis
[499] § 19. Anhang. Agrippa II (50—100 n. Chr.). 595
Sitzungen sich sehr weit nach Norden erstreckten. Wenn Josephus
in der Beschreibung des Gebietes des Agrippa B. J. III, 3, 5 diese
nördlichen Besitzungen nicht erwähnt, so könnte dies darin seinen
Grund haben, dass zur Zeit der Abfassung des Bell. Jud. diese
Gebietserweiterung noch nicht erfolgt war; in Wahrheit erwälint
sie Josephus schon deshalb nicht, weil er an jener Stelle gar nicht
das ganze Königreich des Agrippa beschreiben will, sondern nur
diejenigen Gebiete, welche mehr oder weniger von Juden bewohnt
waren (vgl. Bd. II S. 4). Von den südlichen Besitzungen scheinen
dem Agrippa einzelne Gebiete später genommen worden zu sein.
Wenigstens gehörte zur Zeit, als Josephus seine Archäologie schrieb
(93/94 n. Chr.), die jüdische Colonie Bathyra in Batanäa nicht mehr
zum Gebiete Agrippa's^").
giebt zu Oen. 10, 17 die Erklärung: Aracaeus, qui Areas condidit, oppidum contra
Tripolim in radieihus Libani sittim (Qtiaest. Hebr. in Genesin, opp. ed. Vallai si
III, 321). In der Kaiserzeit wurde Arka namentlich bekannt als Geburtsort des
Alexander Severus [Lmnprid. Alexander Severus c. 1. 5. 13. Aurel. Victor Caes.
c. 24). Es hiess jetzt auch Caesarea {Lamprid. Alex. Sev. c. 13: apud Arcam
Oaesaream, Aurel. Victor Caes. 24: cui duplex, Caesarea et Area, nomen
est). Auf Münzen findet sich dieser Name schon zur Zeit Marc Aurel's [Kaiaa-
Qscav xo)v ev reo Aißavcj oder Kaiaapsiag Aißavov). Seit Elagabal, wenn nicht
schon früher, war es römische Colonie, auf Münzen: Col. Caesaria Iyib{ani). Eine
von Renan in der Nähe von Botrys gefundene Inschrift bezieht sich auf einen
Grenzstreit der Cäsareenser mit den Gigartenern {Corp. Inscr. Lot. t. III n. 183
== Renan, Mission de Pfienicie p. 149: Fines positi inter Caesarenses ad Libanum
et Oiffartenos de vico Sidonior[um] jussu ....), woraus indessen nicht geschlossen
werden darf, dass ihre compacten Gebiete sich berührt hätten (s. Mommsen's
Bemerkungen im CJL und bei Renan a. a. O.; die Lage von Gigarta ergiebt
sich aus der Aufzählung bei Plin. Hist. nat. V, 78: Botrys, Qigarta, Trier is,
Calamos, Tripolis). Die durch Stephanus Byz. bezeugte Pluralform "U^iifat wird
bestätigt durch die Itinerarien, Hieronymus, Socrates (Hist. eecl. VII, 3ö) und
Hierocles {Synecdemus ed. Parthey p. 43). — Vgl. überhaupt: Belley, Memoires
de l'Academie des inscriptiom et belles-lettres, alte Serie Bd. XXXII, 1768,
S. 685—694. Ritter, Erdkunde XVII, 1, 808 fl". 842. Robinson, Neuere
biblische Forschungen S. 746 f. 755—759. Forbiger, Handb. der alten Geo-
graphie II, 672. Pauly's Real-Enc. I, 2, 2. Aufl. S. 1423 f. Kuhn, Die
städtische und bürgerl. Verfassung des röm. Reichs II, 331 f. Gesenius, The-
saurus p. 1073. Win er RWB. I, 86. Baudissin, Art. „Arkiter" in Herzog's
Real-Enc. 2. Aufl. I, 645 f. 3. Aufl. II, 55 f. Pauly-Wissowa's Real-Enc. U,
1117f. Knobel, Die Völkertafel der Genesis, 1850, S. 327 f. Renan, Mission
de Pheniciep. Uösq. Furrer, Zeitschr. des deutschen Palästina- Vereins VIII,
1885, S. 18. Neubauer, La geographie du Talmud p. 299. — Ueber die Mün-
zen: Belley a. a. O. Eckhel, Doctr. Num. III, 360—362. Musei Sanclemen-
tiani numismata selecta Pars II lib. IV p. 197—202. Mionnet V, 356—358.
Suppl. VIII, 255—257. De Saulcy, Annuaire de la Societe fr. de Num. et
d'Areheol. t. III, 2, 1869, p. 270—275. Derselbe, Numismatique de la Terra
Sainte p. 117—120.
37) Antt. XVII, 2, 2. Im „Jüdischen Krieg" wird Batanäa noch zum Ge-
38*
596 § 19- Anliang. Agrippa II (50—100 n. Chr.). [499. 500]
Im Jahre 75 kam das Geschwisterpaar Agrippa und Bere-
nike nach Eom, und dort spann sich jenes weltgeschichtliche Liebes-
verhältniss Berenike's mit Titus weiter, das schon in Palästina
angeknüpft worden war ^^). Die jüdische Königin wohnte bei Titus
auf dem Palatin, während ihi' Bruder mit dem Rang eines Prätor's
bedacht wurde. Allgemein glaubte man an eine nahe Hochzeit, die
ihr Titus auch versprochen haben soll. Aber die Unzufriedenheit
darüber war in Rom so gross, dass Titus sich genöthigt sah, die
Geliebte zu entlassen^^). Nach dem Tode Vespasian's (23. Juni 79)1
kam sie abermals nach Rom. Aber Titus war zu der Einsicht ge-
langt, dass sich Liebschaften nicht mit der Würde eines Kaisers
vertragen, und liess sie unbeachtete^). Enttäuscht wird sie wohl
biete des Agrippa gerechnet, B. J. III, 3, 5. — Auf einer von Ewing in Sür
in Trachonitis gefundenen Inschrift kommt vor ein ^HQwÖTjg Avfiov axQaxoTie-
öuQxrioai Innswv xoXcovsitcüv xal azQaznorwv xal axQaxriy^aaq ßaaiXel
/isydXo) 'AyQinna xvgio) {Pal. Expl. Fund, Quarterly Statement 1895, p. 138, die
Inschrift ist datirt vom J. 20, nämlich des Agrippa). Man darf vermutheu,
dass die Innelq xoXwvlxaL eine ßeitertruppe sind, welche aus den Nachkommen
der von Herodes d. Gr. in Trachonitis und Batanaea angesiedelten Colouisten
gebildet war (s. oben S. 393, 428 und Bd. II, S. 13). Diese haben also auch noch
unter Agrippa II gedient.
38) Schon die Rückkehr des Titus nach Palästina auf die Kunde von Galba's
Tod schrieben die Spötter auf Rechnung der Sehnsucht nach Berenike {Ta/i.
Hut. II, 2).
39) Dio Cass. LXVI, 15. Sueton. Tit. 7: insignem reginae Berenices amo-
rem cui etiam nuptias pollicitus ferebatur. — Berenike hatte sich schon ganz
wie die Gemahlin des Titus benommen {nuvxa ijStj wq xal yurij avtov ovaa
inoisi, Dio Cass. l. c). Annäherungen an sie wurden von Titus eifersüchtig
geahndet {Aurel. Victor Epit. 10: Caecinam consularem adhibituin coenae, vix-
dum tridinio egressum, ob suspiciojiem stupratae Berenices nxoris suae, jugti-
lari jussit). — Vgl. auch Hau s rat h, Zeitgesch. 2. Aufl. IV, 52 — 55.
40) Dio Cass. LXVI, 18. Aurel. Victor Epit. 10: ut subiit pondtis regium,
Berenicen nuptias suas sperantem regrcdi domum .... praecepit. Sueton. Tit.
7: Berenicen statim ah urbe dimisit, invitus invitam. — Aurolius Victor und
Sueton sprechen nur von einer Entlassung der Berenike nach der Thronbe-
steigung des Titus (denn auch bei Sueton kann das statim nur in diesem
Sinne verstanden werden). Dio Cassius unterscheidet aber deutlich beide
Fälle; die unfreiwillige EntlasHung vor der Thronbesteigung und die Nichtbe-
achtung Berenike's nach der Tiironbesteigung. — Auf ihren Reisen zwischen
PalHstina und Rom Hchcint Ik-reniko auch in Athen Beziehungen angeknüpft
zu haben, welche Rath und Volk der Athener durch folgend»^ Inschrift ver-
ewigten {Corp. Inner. Uraec. n. 301 — Corp. Jnsor. Atticar. III, 1 n. 556; über
den Namen Julia s. oben S. 5(51):
^H ßovXf] 17 i^ kpelov ndyov xal
ri ßovXtj T(Sv X *<*^ "* i^HOf ^lov-
).lav litQhvtlxfjv ßualhaonv
fitydkrjv, 'lovXlov ky^lnna ßaai'
[500] § 19. Anhang. Agrippa II (50-100 n. Chr.). 597
nach Palästina zurückgekehrt sein. Der Name Julia Berenike
kommt auf lateinischen Inschriften ein paarmal vor. Es ist mög-
lich, dass die Trägerinen desselben irgendwie (durch Freilassung
oder durch Abkunft von Freigelassenen) mit dem Hause der jüdischen
Prinzessin zusammenhängen^ i).
Von ihrem, wie von Agrippa's späterem Leben ist so gut wie
nichts mehr bekannt. Wir wissen nur noch, dass Agrippa mit
Josephus über dessen Geschichte des jüdischen Krieges correspon-
dirte, sie um ihrer Zuverlässigkeit willen belobte und ein Exemplar
davon kaufte ^ 2).
Zahlreiche Münzen Agrippa's bestätigen die Fortdauer seiner
Regierung bis zum Ende Domitian's. Die mehrfachen Incorrect-
heiten, welche in Betreff der Kaisertitel auf diesen Münzen sich
finden, haben den Numismatikern viele Schwierigkeiten gemacht.
In Wahrheit sind gerade diese Incorrectheiten in verschiedener
Beziehung lehrreich^ ^).
kswq S^vyaxtga xal fieyaXwv
ßaaikiwv evegyeidiv tf/q nö-
Xecog sxyovov
41) Auf einer Grabschrift in Rom kommt neben anderen Freigelassenen
auch eine Julia L. l[iberta) Berenice vor {Corp. Inscr. Lat. I n. 1020 =.VI ;*.
10588, Facsimile bei Ritschl, Priscae latinitatis manumenta tab. XCII A). Eine
andere Julia Beronice in Rom : Corp. Inscr. Lat. t. VI n. 20394. — Ein Votiv-
stein in Apulum in Dacien ist von einem Tribun der leg. IUI Flavia gesetzt
pro Salute Julias Beroniees contugis (Jahreshefte des österreichischen archäo-
logischen Institutes III, 1900, Beiblatt col. 183 f.)
42) Vita 65. Contra Apion. I, 9.
43) Die Literatur über die Münzen s. oben S. 586. — Der Thatbestand
ist folgender. Ausser den Münzen aus der Zeit Nero's (s. darüber oben S. 586,
589) giebt es Münzen Agrippa's 1) vom Jahre 14, 18, 26, 27, 29 seiner Regie-
rung mit der Aufschrift AvxoxQa[xoQL) Ovsanaai{avip) Kaiaagi Seßaaxol,
2) vom Jahre 14, 18, 19, 20, 26, 27, 29 des Agrippa mit der Aufschrift Avxo-
xQ[dxü)Q) TlxoQ KaZaaQ 2:6ßaa{x6g), 3) vom Jahre 14, 18, 19, 23, 24, 25, 26,
27, 29, 35 des Agrippa mit dem Namen Domitian's, und zwar bis zum Jahr 23
incl. nur do(iixiav6q Kalaag, vom Jahr 24 an, wenn auch nicht constant,
mit dem Zusatz FeQfzavixog, im Jahr 35 Avxoxgd{xoQa) dofxtxia{v6v) Kaiactga
riQfxavi{x6v). S. die Belege am vollständigsten bei lfa*?rfe/?, Coins of the Jeivs,
1881, p. 148—159. — . Die Uebereinstimmung in den Jahreszahlen auf den
Münzen aller drei Flavier lässt es nicht zweifelhaft, dass auf allen diesen
Münzen dieselbe Aera angewandt ist, dass also Agrippa in seinem
14. Jahre gleichzeitig Münzen mit dem Namen des Vespasian, Titus und Do-
mitian geprägt hat u. s. f. Die angewandte Aera kann aber nur die vom J. 61
n. Chr. sein, welche auf zweisprachigen Münzen Agrippa's vom 25. und 26. Jahre
seiner Regierung (= Domitian. Cos. XII, d. h. 86 nach Chr.) gebraucht ist
(vgl. oben S. 589). Hiernach ergeben sich folgende Resultate: 1) Die Münzen
vom J. 26, 27 und 29 sind nach dem Tode des Vespasian und Titus geprägt;
trotzdem fehlt in der Titulatur beider Kaiser das Prädicat Divus, vielleicht
598 § 19- Anhang. Agrippa II (50-100 n. Chr.). [5C0]
In einer chronologischen Notiz, welche durch den sog. Chrono-
gi'aphen vom J. 354 n. Chr. erhalten ist, wird Agrippa' s Regierung,
wie es scheint, bis zum J. 85 oder 86 n. Chr. gerechnet. Obwohl
dieser Notiz schon wegen der schlechten Text-Ueberlieferung kein
grosses Gewicht zukommt, ist es doch möglich, dass sie auf gute
Ueberlieferung zurückgeht. Man würde aber dann das J. 85 oder
86 nicht als das Todesjahr Agrippa's^-*), sondern nur als das Ende
seiner Eegierung über jüdisches Gebiet zu betrachten haben, also
als das Jahr, in welchem ihm unter Anderem die jüdischen Colonien
genommen wurden, welche (nach Jos. Äntt. XVII, 2, 2) zur Zeit
der Abfassung von Josephus' Archäologie nicht mehr zu seinem
Gebiet gehörten*^). |
aus religiösen Gründen. 2) Die Münzen vom J. 14 und 18 sind noch bei Leb-
zeiten Vespasian's geprägt; trotzdem heisst Titus bereits Ssßaaiöc. So in-
correct dies ist, so bezeichnend ist es für die Meinung, die man im Orient
hinsichtlich der Stellung des Titus hegte. Er galt geradezu als Mitregent.
3) Die Titulatur Domitian's ist insoweit correct, als er auf den Münzen vom
J. 14 — 19 nur Kalaag heisst, und auf den Münzen seit dem J. 24 (= 84 ii.
Chr.) den Titel PeQfxavixöq führt, welchen er in der That im J. 84 angenommen
hat. Dagegen ist ein grober Verstoss das Fehlen des Titels üeßaaxöq, zum
Theil auch des Titels AmoxQdxojQ auf den Münzen vom J. 23 — 35, welche
sämmtlich in Domitian's ßegierungszeit fallen (83—95 n. Chr.). Die Münzen
zeigen also, „dass man in Galiläa mit dem Reiche dieser Welt durchaus nicht
auf dem Laufenden war" (Mommsen). Nur die zweisprachigen Münzen vom
J. 26 haben den correcten lateinischen Titel: Imp{erator) Caes{ar) divi Vesp.
tXilius) Domitian{n8) Au{gusttts) Ger[manicvs). — Manche Numismatiker, be-
sonders de Saulcy und M ad den, auch Erbes, Zeitschr. für wiss. Theol.
1890, S. 423, haben, um diesen Resultaten wenigstens theilweise zu entgeheu,
in äusserst gekünstelter Weise drei bis vier verschiedene Aeren iür diese
Münzen angenommen. Die richtigen Gesichtspunkte hat in überzeugender
Weise Mommsen dargelegt (Wiener Numismat. Zeitschr. III, 1871, S. 451
bis 457).
44) So Erbes, der in seiner Untersuchung über das Todesjahr Agrippu's
(ZeitBchr. für wiss. Theol. I89ü, S. 415-432) diese Stelle zu Grunde legt.
4Ö) lieber den Chronographen vom J. 354 s. Seeck in Pauly-Wissowa's
Real-£nc. III, 2477 iX. — lu diesem Sammelwerke steht am Schlüsse des liher
generutionis folgender cmnpvtus (Cfironica minora saec. IV. V. VI. VII ed.
Mommsen vol.l — Monum. (icmi., Auct. antiquiss. IX, 1, 1892, ;>. 140; die ver-
wandten RocensioDen de» iU}€i- yentrationis habe» dieses Stück nicht): Ex quo rrffo
mundut conatütdtu est uaque ad Oyrum regem Peraar um anni sunt Hill X'CCCXVI.
iUmde Judei reversi sunt in Jttdeam de Babilonia et servienint amius CCXXX.
deinde cum Alexander Mggnua Maoedo devicit Dariuvi et venu in Jiulcam et devicit
P»r»e$ et depoeuit reynum corum, et sub Macedonibus fticrunt Judei ann. CCLXX.
inde reverti »unt ä Macvdonibu» ei sub suis regibun fvcnnd usqtie ad Agrip-
pa m, qui fumssimu» ftiit rex Judaeorum ann. CCCXLV. ilomm ab Agrippa
UMf/ue ad L, Septimum Severum urbis conaulem anni snnt [ ]
VDCCCLXX. Heruv$ a Setero mqur nd Eviilaanum [sie] et Aquitinum conas.
[501] § 19. Anhang. Agrippa II (50-100 n. Chr.). 599
Nach dem Zeugnisse des Justus von Tiberias^^) starb Agrippa
im 3. Jahre Trajan's, 100 nach Chr.; und es ist nicht gerechtfertigt,
die Richtigkeit dieser Nachricht zu bestreiten, wie von Tillemont
und manchen Neueren geschehen ist^'). |
anni sunt LVII. ab Emüiano et Aqiiiiino usque ad Dioclecianum IX et Maxi-
mianum VIII cons. anni sunt LV. — lieber die verschiedenen Fehler in der
Text-Ueberlieferung dieses Stückes s. Mommsen a. a. O. An der durch
Punkte augedeuteten Stelle ist offenbar etwas ausgefallen. Da die vorher
genannten Jahre (4916 + 230 + 270 + 345) die Summe 5761 ergeben, als
Schlusszahl aber 5870 genannt ist, so muss die Ziffer 109 ausgefallen sein für
die Zeit von Agrippa bis zum Consulat des Septimius Severus,
welches 194 n. Chr. fallt. Das Ende von Agrippa's Regierung würde hiernach
85 n. Chr. fallen. Dies trifft nun merkwürdig zusammen mit dem Datum der
zweisprachigen Münzen aus dem 12. Consulate Domitian's, 86 n. Chr., welche
auf der Rückseite das Datum tragen: inl ßaa{iXea)q) AyQi{nna) eT(ovq) xc;, resp.
xe. Die Münzen tragen den Vermerk S C, sind also senatus eonsulto geprägt.
Das scheint allerdings dafür zu sprechen, dass damals in den Verhältnissen
Agrippa's irgend welche Veränderung eingetreten ist. Wenn ihm damals, wie
nach dem Chronographen vielleicht anzunehmen ist, die jüdischen Land-
schaften genommen worden sind, so muss er doch die Gegend um Trachonitis
behalten haben, denn die oben S. 589 erwähnte Inschrift vom J. 37 = 32
seiner Regierung ißxovq XC, xov xal Xß ßaaif.iatg 'AyQimia, also 92 n. Chr.), ist
in Sanamen an der Nordwestgrenze von Trachonitis gefunden worden.
4Ü) Bei Photius Bibliotheca cod. 33, s. oben S. 61.
47) Tillemont, Histoire des empereurs t. I [Venise 1732) p. 646—648, note
XLI. Jost, Gesch. der Israeliten Bd. II, Anhang S. 103 f. Brann, Monats-
schr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. 1871, S. 26 — 28. Grätz, Mo-
natsschr. 1877, S. 337—352. Brüll, Jahrbücher für jüd. Gesch. und Literatur
VII. Jahrg. 1885, S. 51 — 53. Seh latter, Der Chronograph aus dem zehnten
Jalire Antonius (= Texte und Unters, von Gebhardt und Harnack XII, 1)
1894, S. 40 ff. Erbes a. a. O. — Der Hauptgrund, weshalb man die Nach-
richt des Justus bei Photius theils verwirft, theils durch Textänderung oder
Umdeutung zu verbessern sucht, ist der, dass man meint, die Selbstbiographie
des Josephus sei unmittelbar nach dessen Alterthümern, also im J. 93 oder
94 geschrieben. Dann müsste allerdings Agrippa vor dem Jahre 93 gestorben
sein; denn als Josephus die Selbstbiographie schrieb, war Agrippa bereits
todt {Vita 65). Aber jene Voraussetzung ist ohnehin nicht haltbar, da Jo-
sephus beim Abschluss der Alterthümer die Absicht hatte, das Werk in an-
derer Weise fortzusetzen, als es dann später durch Anhängung der Vita ge-
schehen ist (s. hierüber oben S. 87 f.). Ausserdem hat man gemeint, aus Äntt.
XVII, 2, 2 gehe hervor, dass Agrippa bereits todt war, als Josephus die Archäo-
logie schrieb. Aber die Stelle beweist nur, dass ihm damals Batanäa nicht
mehr gehörte (s. oben S. 595). Endlich hat man geglaubt, die ungünstigen
Aeusserungen des Josephus über Agrippa in der Archäologie wären undenkbar,
wenn Agrippa damals noch gelebt hätte (so bes. Erbes, Zeitschr. für wiss.
Theol. 1896, S. 426 f.). Aber woher weiss man denn, dass Agrippa und Jo-
sephus bis an ihr Lebens-Ende gute Freunde waren ? — Die Münzen Agrippa's
vom 35. Jahre seiner Regierung bezeugen, dass er mindestens im J. 95 noch
600 § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). [502]
Wie es scheint, hinterliess Agrippa keine Kinder *s). Sein König-
reich wurde ohne Zweifel der Provinz Syrien einverleibt.
§ 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.).
Quellen: Joseph. Bell. Jud. II, 14 — VII Schluss. Vita c. 4—74. Zonaras,
Annal. VI, 18 — 29 (Auszug aus Jos.). — Ueber den sog. Hege-
sippus 8. oben S. 96 f..
Ueber die nicht erhaltenen Werke des Vespasianus, Antonius Julia-
nus und Justus von Tiberias s. oben S. 57 — 63.
Rabbinische Traditionen bei Derenbourg p. 255 — 295.
Ueber die möglicherweise aus der Zeit dieses Krieges stammenden
Münzen s. Beilage IV.
Literatur: Ewald, Gesch. des Volkes Israel VI, 641—813.
Grätz, Geschichte der Juden III, 4. Aufl. S. 448—557.
Hitzig, Geschichte des Volkes Israel II, 594—629.
Hausrath, Neutestamentliche Zeitgeschichte 2. Aufl. 111,421 — 477.
Renan, Der Antichrist (deutsche Ausgabe, Leipzig 1873) S. 180
bis 238, 382-436.
Schiller, Geschichte des römischen Kaiserreiches unter der Re-
gierung des Nero (1872) S. 205—261. — Ders., Gesch. der rö-
mischen Kaiserzeit Bd. I, 1883, S. 381—400.
Mommsen, Römische Geschichte Bd. V, 1885, S. 529—540.
Lewin, The siege of Jerusalem by Titus. With the Journal of a
recent Visit to the Holy Oity, and a general Sketch of tJie Topo-
graphy of Jeitisalem from the earliest times down to the Siege.
London 1863. (499 p. 8.). Vgl. Gott. gel. Am. 1864, S. 721 ff.
— Ders., Fasti saeri (1865) p. 338-362.
Ghampagny, Rome et la Judee au temps de la chute de Neron {ans
66 — 72 apr^ Jestis- Christ), 2. ed. Paris, 1865, t. I, p. 195—254,
t. II, p. 55—200.
De Sautcy, Les detmiers jours de Jerusalem. Paris, 1866 (448 p.
gr. 8.). — Vgl. Gott. gel. Anz. 1868, S. 899 ff". |
gelebt hat (vgl. wegen der Berechnung des Datum's Aum. 43). Die Insclirift
mit dem Datum hovq A?' rov xal Xff ßaaiXdiaq lAyQlrni« führt, wenn wir das
letztere Datum vom Jahr 61 an rechnen (vgl. oben Anm. 7), in das J. 92 n.
Chr. — Ueber die eigenartig vermittelnde Anschauung Gutschmid's s.
oben 8. 88.
48) Ob er verhelrathet war, wissen wir nicht. Im Talmud [hah. Sukka 27a)
wird erzählt, das« der Verwalter Agrippa's an R. Elieser eine Frage richtete,
bei welcher vorauBgesetzt wird, da«« der Fragende zwei Frauen hatte. Auf
Grund dcHHen «chrciben Manche dem Agrippa zwei Frauen zu, indem sie an-
nehmen, daiiH der Verwalter die Frage im Namen des Königs gestellt liabc (so
Derenhourtf p.2b2—2TA, Brann, Monntsschr. 1871, 8. 13 f.). Zu dieser Aiuiahme
Hegt aber kein Kuroichender Grund vor (». Grätz, Monatsschr. 18S1, 8. 483 f.).
[503]
§ 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). 601
1. Ausbruch und Sieg der Kevolution (66 nach Chr.).
Den äusseren Anlass zum Ausbruch der längst drohenden Em-
pörung gab eine That des Florus, die nicht eben schlimmer war,
als viele andere, aber darum empfindlicher, weil sie zugleich die
religiösen Gefühle des Volkes verletzte. Nachdem er bisher nur
die Bürger mit seinen Plünderungen heimgesucht hatte, liess er
einst es sich beikommen, auch den Tempelschatz um 17 Talente zu
erleichtern. Da hatte die Geduld des Volkes ein Ende. Es ent-
stand ein grosser Tumult; und ein paar witzige Köpfe kamen auf
den Einfall, die Geldgier des Procurators zu verspotten, indem sie
Körbe herumreichten und milde Gaben sammelten für den armen
unglücklichen Florus. Als dieser davon hörte, war er rasch ent-
schlossen, für solche Verhöhnung blutige Eache zu nehmen. Mit
einer Abtheilung Soldaten kam er nach Jerusalem und gab trotz
der flehentlichen Bitten der Hohenpriester und Vornehmen einen
Theil der Stadt seinen Soldaten zur Plünderung preis. Eine grosse
Anzahl Bürger, darunter selbst römische Ritter von jüdischer Ab-
kunft, wurden auf's Gerathewohl ergriffen, gegeisselt und an's Kreuz
geschlagen. Selbst die demüthigen Vorstellungen der Königin Be-
renike, welche zufällig in Jerusalem anwesend war, hatten nicht
vermocht, der Wuth des Procurators und seiner Soldaten Einhalt
zu thun*).
Dies geschah am 16. Artemisios (Ijjar, etwa Mai) des Jahres 66
nach Chr.'^).
Am andern Tag stellte Florus das Verlangen, dass die Bürger-
schaft zwei Cohorten, welche von Cäsarea her im Anzüge waren,
feierlich einhole, um dadurch einen thatsächlichen Beweis ihrer
Unterwürfigkeit und reumüthigen Gesinnung abzugeben. Obwohl
das Volk nicht sehr geneigt dazu war, brachten es doch die Hohen-
priester dahin, dass man sich, um Schlimmerem vorzubeugen, zu
dieser Demüthigung verstand. In feierlichem Zuge ging das Volk
den beiden Cohorten entgegen und entbot ihnen freundlichen Gruss.
Aber die Soldaten, angeblich von Florus dahin insfcruirt, unterliessen
es, den Gruss zu erwiedern. Da begann das Volk zu murren und
Schmähungen gegen Florus auszustossen. Die Soldaten griffen als-
bald zum Schwert und jagten die Menge unter stetem Morden in
1) B. J. II, 14, 6—9. 15, 1.
2) B. J. II, 15, 2; vgl. II, 14, 4. Antt. XX, 11, 1 (im zwölften Jahre Nero's).
Mit den macedonischen Monatsnamen bei Josephus sind factisch die jüdischen
Monate gemeint, welche nnr ungefähr den Monaten des julianischen
Kalenders entsprechen. Näheres s. Beilage III.
602 § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.j. [503. 504]
die Stadt zurück. Hier entspann sich nun ein hitziger Strassen- 1
kämpf, bei welchem es dem Volke gelang, sich des Tempelberges
zu bemächtigen und die Verbindung zwischen diesem und der Burg
Antonia abzubrechen. Florus mochte wohl einsehen, dass er zu
einer gewaltsamen Bezwingung der Massen zu schwach war. Er
zog sich also nach Cäsarea zurück, indem er nur eine Cohorte in
Jerusalem zurückliess und die Häupter der Stadt für die Beruhi-
gung des Volkes verantwortlich machte 3).
Der König Agrippa befand sich damals in Alexandria. Als
er von den Unruhen hörte, eilte er nach Jerusalem, entbot das
Volk zu einer Versammlung nach dem Xystos (einem freien Platze
vor dem Palaste der Hasmonäer, welchen Agrippa bewohnte) und
hielt nun von seinem Palaste aus eine lange und eindringliche Rede
an das Volk, um es zum Aufgeben des doch völlig aussichtslosen,
darum unvernünftigen und verwerflichen Widerstandes zu bewegen'*).
Das Volk erklärte sich bereit, zum Gehorsam gegen den Kaiser
zurückzukehren. Man begann, die Hallen zwischen dem Tempel-
berg und der Antonia, welche man eingerissen hatte, wieder aufzu-
bauen und die rückständigen Steuern einzusammeln. Als aber
Agrippa verlangte, dass man auch dem Florus wieder Gehorsam
leiste, war die Geduld des Volkes zu Ende. Mit Hohn und Spott
wurde er abgewiesen und musste unverrichteter Dinge in sein König-
reich zurückkehren^).
Mittlerweile war es den Aufständischen gelungen, sich der
Festung Masada zu bemächtigen. Auf Betrieb Eleasar's, des
Sohnes des Hohenpriesters Ananias, wurde nun auch beschlossen,
das tägliche Opfer für den Kaiser einzustellen und überhaupt keine
Opfer von NichtJuden mehr anzunehmen. Die Einstellung des Opfers
für den Kaiser war gleichbedeutend mit der offenen Erklärung des
Abfalls von den Römern. Alle Versuche der Vornehmen, sowohl
der Hohenpriester wie der Pharisäer, das Volk zur Zurücknahme
dieser tollkühnen Maassregel zu bewegen, waren vergebens. Man
beharrte bei dem einmal gefassten Beschlüsse*^).
3) B. J. II, 15, 3-6.
4) B. J. II, 16, 1 — 5; vgl. 15, 1. — Das statistische Detail über das rö-
mische Reich, üiiH JosepliUH in diese Rede Agrippa's verwoben hat, hat er wohl
nuB einem oHiciellen VerzeicliniBse geschöpft; vgl. Fricdlacnder, De fönte
quo Joaephus B. J. II, 16, 4 usiia ait. liet/imotUi {Index tecliamtm) 1873. Do-
maizewiki, Die DiHlokation dos römischen Heeres im J. 66 n. Chr. (Rhein.
MuMum N. F. 47, 1H!I2, 8. 207—218).
6) B. J. II, 17, 1.
6) B. J. II, 17, 2—4. — Ueber die Festung Masada s. unten (gegen Ende
dieses g). — Uobcr das tägliche Opfer für den Kaiser h. Bd. II, S. 303 f.
[504. 505] § 20. Der gro.«8e Krieg gegen Rom (06—73 n. Chr.). 603
Als die Friedenspartei — zu welcher so ziemlich alle einsich-
tigen Männer gehörten: die Hohenpriester, die angesehensten der
Pharisäer, die Verwandten des herodianischen Hauses — als diese |
sahen, dass in Güte nichts auszurichten sei, beschlossen sie, zur
Gewalt ihre Zuflucht zu nehmen. Man wandte sich zunächst an
König Agrippa um Unterstützung. Dieser sandte eine Abtheilung
von 3000 Reitern unter dem Befehl des Darius und Philip pus,
mit deren Hülfe die Friedenspartei sich der Oberstadt bemächtigte,
während die Aufständischen den Tempelberg und die Unterstadt
besetzt hielten. Es kam nun zum erbitterten Kampfe zwischen
beiden Parteien. Aber die königlichen Truppen waren zum Wider-
stand gegen die wüthende Volksmenge zu schwach und mussten
ihr die Oberstadt räumen. Um Rache an ihren Gegnern zu nehmen,
steckten die Aufständischen die Paläste des Hohenpriesters Ana-
nias, des Agrippa und der Berenike in Brand'j.
Wenige Tage darauf — es war im Monat Loos (Ab, etwa
August) — gelang es ihnen auch, sich der Burg Antonia zu be-
mächtigen; worauf sie den oberen Palast (des Herodes), in welchen
sich die Truppen der Friedenspartei geflüchtet liatten, zu belagern
begannen. Ein erfolgreicher Widerstand von Seite der Belagerten
war auch hier nicht möglich. Und so nahmen es die Truppen des
Agrippa gerne an, als ihnen freier Abzug gewährt wurde. Die
römische Cohorte flüchtete sich in die di-ei festen Thürme des
Palastes (mit Namen Hippikos, Phasael und Mariamme), während
der ganze übrige Theil des Palastes am 6. Gorpiaios (Elul, etwa
September) von den Aufständischen in Brand gesteckt wurde*^).
Am folgenden Tage wurde der Hohepriester Ananias, der sich bis
dahin verborgen gehalten hatte, in seinem Verstecke ergriffen und
ermordet^). Die einzige schwache Stütze, welche jetzt der Friedens-
partei noch übrig blieb, war die in den drei Thürmen des Herodes-
palastes belagerte römische Cohorte. Auch sie musste schliesslich
7) B. J. II, 17, 4—6. — Die von Agrippa gesandten Truppen standen vno
Aageuü fihv Xnnagx^o, arpaxTjyip öh xü> ^Jaxi/40v ^iXlnnt}} [B. J. II, 17, 4 fin.).
Philippus war also der Oberbefehlshaber. Er war der Enkel des Babyloniers
Zamaris, der zur Zeit Herodes des Grossen eine jüdische Colonie in Batanäa
begründet hatte {Antt. XVII, 2, 3). Vgl. über ihn auch BeU. Jud. II, 20, 1.
IV, 1, 10. Vita 11. 35. 36. 74. — Auf einer von Waddington mitgetheilten In-
schrift wird erwähnt ein dofxjjörjg [J]aQ7}ioq magxoq ßaaikiwg /xeyäXov 'Ayglmia
{Le Bas et Waddington, Inscriptions t. III n. 2135), der wohl mit unserem Da-
reios identisch ist.
8) B. J. II, 17, 7 — 8; vgl. V, 4, 4. — Der Anführer der Truppen des Agrippa,
Philippus, wurde wegen seines Verhaltens später zur Verantwortung gezogen
{Jos. Vita 74).
9) B. J. II, 17, 9.
604 § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). [505. 506. 507]
der Uebermacht weichen. Gegen Niederlegung der Waifen wurde
ihr freier Abzug gewährt. Aber die Aufständischen, die nunmehr
Herren der ganzen Stadt waren, krönten ihren Sieg durch ge-
meinen Mord. Die römi' sehen Soldaten waren kaum abgezogen
und hatten die Waffen niedergelegt, als sie von den Juden
meuchlings überfallen und bis auf den letzten Mann niedergemacht
wurden'^).
Während so der Sieg der Revolution in Jerusalem sich ent-
schied, kam es auch in vielen anderen Städten, wo Juden und
Heiden zusammen wohnten, besonders an den Grenzen Palä-
stina's, zu blutigen Kämpfen. Wo die Juden in der Mehrzahl waren,
machten sie ihre heidnischen Mitbürger nieder. Und wo diese das
Uebergewicht hatten, fielen sie über die Juden her. Selbst bis
Alexandria verbreiteten sich die Wirkungen des Aufstandes im
Mutterlandes').
Endlich nach langem Warten und Rüsten machte Cestius
Gallus, der Statthalter von Syrien, Anstalt, den Aufruhr in Judäa
zu dämpfen. Mit der zwölften Legion, 2000 auserlesenen Mann-
schaften aus anderen Legionen, sechs Cohorten und vier Alen Reiter,
sowie zahlreichen Hülfstruppen, welche die befreundeten Könige
(darunter auch Agrippa) hatten stellen müssen, brach er von An-
tiochia auf, rückte über Ptolemais, Cäsarea, Antipatris, Lydda —
wo er zur Zeit des Laubhüttenfestes im Monat Tischri (etwa
October) eintraf — endlich über Beth-horon nach Gabao (Gibeon),
50 Stadien von Jerusalem, und bezog hier ein Lager •'■'). Ein Aus-
fall, welchen die Juden von Jerusalem aus unternahmen, brachte
das römische Heer zwar in gi'osse Gefahr, wurde aber schliesslich
abgewiesen ' 3). Cestius rückte näher an die Stadt heran und lagerte
auf dem sog. Skopos, sieben Stadien von Jerusalem. Vier Tage
später am 30. Hyperberetaios (Tischri, etwa October) besetzte er,
ohne auf Widerstand zu stossen, die nördliche Vorstadt Bezetha
und steckte sie in Brand *•*). | Als aber ein hierauf unternommener
10) B. J. II, 17, 10. Vgl. Mcgillath Taanith § 14: „Am 17. Ehil zogen
sich die Römer jiuh Judn und Jerusalem zurück" {Derenbourg p. 443. 445.
Hitzig II, 600. Schwof), Ades du onxihme Conffrls international des Orienfalistes
IVw Sectum, 1888, p. 247 sq.).
11) B. J. II, 18, 1—8. Vita 6.
12) B. J. II, 18, 9—10. 10, 1. — raßttiü ist das im Alten Testamente
häufig orwtthntc Giboon, noch heute ol-Dschib nordwestlich von Jerusalem.
8. Winer, Realwörterh. Art. „Qibeon". Robinson, Palästina IT, 353 ff.
Ottfrin, JtuKe I, 385—301.
1.3) B. J. II, 10, 2.
14) B. J. II, 10, 4. — Der rp^onro« wird nocii erwähnt B. J. II, 19, 7. V,
2, 8. 3, 2. ArUt, XI, 8, 5: ttq xonov xiva l^tt<plv [so die besten Handschr.]
[507] § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). 605
Angriff auf den Tenipelberg nicht zum Ziel führte, gab er weitere
Versuche auf und trat uuverrichteter Dinge wieder den Rück-
marsch an* ^). Josephus weiss sich die Ursachen dieses Rückzuges
nicht zu erklären. Wahrscheinlich sah Cestius ein, dass seine
Kräfte zu schwach waren, um von einem Angriff auf die wohl-
befestigte und kühn vertheidigte Stadt wirklichen Erfolg hoffen zu
kimnen. Mit welcher Entschlossenheit und welchem Nachdruck
der Kampf von Seite der Juden geführt wurde, musste er jetzt
beim Rückzuge eifahreu. In einer Schlucht bei Beth-horon, durch
welche sein Weg ihn führte, sah er sich plötzlich auf allen Seiten
von den Juden umringt und mit solcher Macht angegriffen, dass
sein Rückmarsch sich in eine Flucht verwandelte. Nur unter
Zurücklassung eines grossen Theiles seines Trosses, namentlich
auch des werthvollen Kriegsmaterials, das den Juden später treff-
lich zu Statten kam, gelang es ihm, mit dem Kern des Heeres
nach Antiochia zu entkommen. Unter grossem Jubel zogen die
zurückkehrenden Sieger am 8. Dios (Marcheschwan, etwa November)
in Jerusalem ein**').
Xeyofifvov to de ovofia xovxo fiBTaipegöfiSvov el<; t^v EX).jjvtxr]v y^iSixav 2^xo-
nov [so die beste Handschr.] arj/xulvei. ']''£:£ ist araiuaisireude Aussprache für
ts'^sis, wie der Ort in der 'Mischna Pesachim 111, 8 heisst. Vgl. auch Light-
foot, Centnria Matthaeo praemissa e. 42 (Opp. II, 202). Man hatte von hier
einen schönen Blick auf die Stadt {Äiitt. XI, 8, 6. B. J. V, 2, 3). — Die Vor-
stadt Bstfed'ä wird noch erwähnt B. J. II, 15, 5. V, 4, 2. 5, 8 (die von Niese
II, 15, 5 u. 19, 4 aufgenommene Lesart BsQ^e^d ist nicht genügend bezeugt).
Sie ist die nördlichste, von der sogenannten Mauer des Agrippa eingeschlossene
Vorstadt {B. J. V, 4, 2). Die von Josephus gegebene Erklärung „Neustadt"
{B. J. II, l'J, 4. V, 4, 2) ist sprachlich nicht ohne Schwierigkeit; man sollte
eher erwarten „Olivenort" (Hn*^T n'^2). Da überdies an der ersteren Stelle die
Handschriften nicht ri^v xal KaivönoXiv sondern xal xijv Kaiv6no)uv haben
(ersteres ist Conjectur Rehind's), so hält Weil die betreffende Bemerkung an
der anderen Stelle (V, 4, 2: o /xs&SQ/xrjvsvöfisvov "EkXdöt yXwaay xaivrj Xeyoa
av nökiq) für eine spätere Glosse [Revue des eiudes grecques 1896, p. 2^ sq.).
Mir scheint es doch fraglicli, ob die Gründe dazu ausreichen.
15) B. J. II, 19, 5—7.
16) B. J. II, 19, 7—9. Auffallend ist, dass Josephus dieses Ereigniss noch
in das zwölfte Jahr Nero's setzt {B. J. II, 19, 9). Da bis zum Ende des 1. Jahrh.
n. Chr. die Regierungsjahre der Kaiser vom Tage des Regierungsantritts an
gezählt wurden (so nach Mommsen und Anderen auch ünger, Sitzungsber.
der Münchener Akad., philos.-philol. u. bist. Gl. 1896, S. 387), Nero aber am
13. October 54 zur Regierung kam, so ging das zwölfte Jahr Nero's nur bis
zum 13. Oct. 66 n. Chr. Der 8. Marcheschwan fällt aber, mit seltenen Aus-
nahmen, erst nach dem 13. Oct. Aus diesem Grunde hat Niese (Hermes
XXVIII, 1893, S. 208 ff.) jingenommen, dass Josephus die römischen Kaiser-
jahre in jüdischer Weise gerechnet habe, das Jahr immer mit dem Xanthikos
(Nisan), also im Frühjahr beginnend (dass Niese eigentlich nicht den jüdischen,
606 § 20- Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). [507]
Vor dem Siegestaumel, der sich jetzt Jerusalem's bemächtigte,
mussten alle Friedensmahuiingeii verstummen. An eine Umkehr
war nach solch entscheidenden Schlägen nicht mehr zu denken.
Auch die Widerstrebenden wurden von der Macht der Verhältnisse
mit fortgerissen. Die unverbesserlichen Kömerfreunde verliessen
die Stadt. Alle übrigen wurden von den Aufständischen theils durch
Gewalt theils durch üeberredung {rovg (isv ßia rovg de jteid^ol)
auf ihre Seite gezogen''). Man ging nun daran, den Aufstand
planmässig zu organisiren und sich auf den zu erwartenden An-
griff der Eömer zu rüsten. Charakteristisch ist, im Unterschied
von der späteren Periode des Krieges, dass die Männer, welche jetzt
noch die Gewalt in Händen hatten, durchaus den höheren Ständen
angehörten. Die Hohenpriester, die angesehensten Pharisäer sind
es, welche die Organisation der Landesvertheidigung leiteten. Eine
sondern den tyrischen Kalender voraussetzt, thut hier nichts zur Sache); und
zwar soll das erste Jahr Nero's erst vom Frühjahr 55 an {siel) gerechnet sein
(Niese a. a. O. S. 212), in der Weise, wie wir das allerdings z. B, bei dem
chronologischen Schematismus des Porphyrius und Eusebius beobachtet haben
(s. oben S. 167 f.: das auf den Eegierungsantritt folgende volle Kalenderjahr
wird erst als erstes gerechnet). Diese Annahmen sind aber im höchsten Grade
unwahrscheinlich, da man dem Josephus viel zu viel Ehre erweist, wenn man
ihm eine eigene äusserst künstliche Rechuungsweise zutraut; er wird sich ein-
fach an das damals Uebliche gehalten haben. Da die sonstigen Gründe, welche
Niese für seine Hypothese anführt, in keiner Weise durchschlagend sind, so
ist für unser Datum sicher eine andere Erklärung zu suchen. Die walir-
Hcheinlichste scheint mir die, dass eine Unachtsamkeit des Josephus vorliegt,
der beim Beginn des Aufstandes B. J. II, 14, 4 das zwölfte Jahr Nero's er-
wähnt hat und meint, dass dasselbe auch jetzt noch laufe. Das Datum liegt
ja noch ganz nahe an der Grenze des zwölften Jahres. Auf eine andere Mög-
lichkeit hat ünger in seiner Bestreitung von Niese's Aufstellungen (Sitzungs-
berichte der Münchener Akademie, philos.-philol. und bist. Gl. 1896, S. 383 ft".)
hingewiesen. Gerade für die letzte Zeit Nero's finden sich in der offiziellen
Zählung der Regieningsjahre Abweichungen von der sonst im ersten Jahr-
hundert herrschenden Weise, indem nicht vom Tage des Regierungsantritts
an, sondern vom bürgerlichen Neujahr 1, Januar an oder, was auch möglich,
vom Antrittstag der Volkstribunen 10. Dezember an, ein neues Regierungs-
jahr gezählt wurde; und zwar geschah auch dieses nicht ohne Schwanken,
denn es findet sich für Januar 60 sowohl die Zählung als 7., wie die als 6.
RegierungBJahr, tr. p. VII und tr. p. VI (Ungcr u. a. O. S. 388 f.). Unger hat
auf Grund densen angenommen, dass es auch eine Zählung gegeben habe,
womacli der erste Bmchtheil und ein volles Kalenderjahr zusammen nur als
ein Jahr gerechnet wurden. Nach dieser Weise würde sich das Datum des
Jotephtu erklären. Aber schon dieVorauHsctzungUngers ist sehr unwahrschein-
lich, das« lAngere Zeit (bis 66 n. Chr.) zwei Zählungen neben einander existirt
haben, und ebenso unwahrscheinlich, duHs Josephus einer Zählung, die jedcn-
fklla ganc singulär wftre, gefolgt sein solltd.
17) Ä J. II, 20, 1. 3.
[507. 508] § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). 607
Volksversammlung, welche im Tempel gehalten wurde, erwählte
die Befehlshaber für die Provinzen. Mit Vertheidigung der Haupt-
stadt wurden zwei Männer, Joseph Sohn Gorion's und der Hohe-
priester An an OS, betraut. Nach Idumäa sandte man Jesus Sohn
des Sapphiasund Eleazar Sohn des Ananias, beide aus hohen-
priesterlichem Geschlecht. Fast jede der 11 Toparchien, in welche!
Judäa getheilt war, erhielt ihren eigenen Befehlshaber. Nach Ga-
liläa endlich wurde Joseph Sohn des Matthias, der nachmalige
Geschichtsschreiber, geschickt ^®).
Es ist keine Frage, dass dem jungen Josephus damit die
schwierigste und verantwortungsreichste Aufgabe zugefallen war.
Denn hier in Galiläa war der erste Angi'iff der Römer zu erwarten.
Viel Gutes in kriegerischer Beziehung konnte man freilich von dem
dreissigjährigen Manne kaum erwarten ; und er hat seine Ernennung
gewiss weniger militärischen Fähigkeiten, als seiner Freundschaft
mit hochgestellten Personen zu danken. Eine seltsame Forderung
in der That, dass ein junger Mann, der neben angeborener Schlau-
heit höchstens rabbinische Bildung aufzuweisen hatte, nun plötzlich
aus der friedlichen Bevölkerung Galiläa's ein Heer bilden und da-
mit dem Angriff kilegsgeübter Legionen und in Schlachten er-
grauter Feldherren Stand halten sollte! Wenn man ihn selbst hört,
so ging er wenigstens mit Eifer an die Lösung der unlösbaren
Aufgabe. Für die Regierung von Galiläa ernannte er nach dem
Vorbilde des Rathes von Jerusalem ein Collegium von 70 Männern,
welches die schwierigeren Rechtsfälle zu entscheiden hatte, während
für geringere Streitsachen in jeder Stadt ein Rath von sieben
Männern ernannt wurde '^). Seinen Eifer für das Gesetz wollte er
durch Zerstörung des Palastes von Tiberias, der mit gesetzwidrigen
Thierbildern ausgeschmückt war, beweisen. Doch waren ihm darin
die Revolutionsmänner schon zuvorgekommen 20). Der militärischen
Seite seiner Aufgabe suchte er vor allem durch Befestigung der
Städte zu genügen. Alle ansehnlicheren Städte Galiläa's, Jota-
pata, Tarichea, Tiberias, Sepphoris, Gis-chala, der Berg
Tabor, auch Gamala in Gaulanitis, und viele kleinere wurden in
18) B. J. II, 20, 3—4. Vita 7. An der letzteren Stelle ist Josephus frech
genug, als Zweck seiner Sendung den anzugeben : Galiläa zu beruliigen ! (vgl.
auch Vita 14). — Wie aus Obigem schon erhellt, hatte die Leitung des Auf-
standes die Gemeinde von Jerusalem (to xotvbv t(Sv %QoaokvfiiT(öv Vita 12.
13. 38. 49. 52. 60. 65. 70) und als deren Vertretung das Synedrium (to avvi-
ÖQiov T(5v '^leQoaoXvnixüiv Vitä 12).
19) B. J. II, 20, 5. Vita 14.
20) Vita 12.
608 § 20. Der grosse Krieg gegen Eom (66—73 n. Chr.). [508. 509]
mehr oder weniger vertheidigungsfähigen Zustand versetzt"^'). Mit |
besonderem Stolz aber rühmt er seine Bemühungen um Organisa-
tion des Heeres. Nicht weniger als 100,000 Mann will er aufge-
bracht und nach römischem Vorbilde eingeübt haben^-^).
Während er so zum Krieg gegen die Römer rüstete, erhob
sich in seiner eigenen Provinz gegen ihn eine erbitterte, ihn offen
mit dem Schwert bekämpfende Opposition. Die Seele derselben
war Johannes von Gis-chala, ein kühner, rücksichtsloser Partei-
gänger, der von glühendem Hass gegen die Römer erfüllt und zum
Kampf auf's Aeusserste mit ihnen entschlossen war. Aber während
er den Tyrannen Tod und Untergang geschworen hatte, war er
selbst in seinem Kreise nicht minder ein Tyrann. Andere über
sich zu dulden war ihm unerträglich. Und am wenigstens mochte
er dem Josephus Gehorsam leisten, dessen zahme Art den Krieg
zu führen ihm nicht besser als Römerfreundschaft deuchte. So
setzte er alles daran, den ihm verhassten Mann zu beseitigen und
die Bevölkerung Galiläa's ihm abwendig zu machen ^ 3). Sein Miss-
trauen gegen Josephus war allerdings nicht unbegründet. Josephus
kannte die Römer zu gut, um an ein wirkliches und endgültiges
Gelingen des Aufstaudes zu glauben. Er war von vornherein nur
mit halbem Herzen bei der Sache, die er vertrat, und liess dies
zuweilen etwas unvorsichtig durchblicken. Einst hatten einige
Jünglinge aus dem Dorfe Dabaritta einem Beamten des Königs
Agrippa reiche Beute abgenommen. Josephus liess sich die Beute
aushändigen und hatte, wenn wir ihm glauben dürfen, die Absicht,
21) B. J. II, 20, 6. Vita 37. Vgl. hierzu Ritter, Erdkunde XVI, 757—771.
Robinson, Neuere Forsch. S. 105 fl". — Unter den obengenannten sieben wich-
tigeren Plätzen hat sich Sepphoris niemals der Sache der Revolution ange-
schlossen, sondern, so lange es ohne römischen Schutz war, eine lavirende
Stellung eingenommen, daher auch den Bau seiner Mauern selbst besorgt; und
sodann, als römische Truppen verfügbar waren, diese bei sich aufgenommen.
Nühercs s. Bd. II, S. 165 f. — Von den übrigen sechs Städten oder Festungen
gehörten drei, Tarichea, Tiberias und Gamala, zum Gebiete des Königs
Agripi)a, und sind zum Theil auch erst nach inneren Kämpfen auf die Seite
der Revolution getreten. S. bes. über Tiberias Bd. II, S. 173, über Gamala
oben 8. 6Ü3. — Eine Sonderstellung nahm Gis-chala ein, wo der nachmals
berühmt gewordene Revolutionsheld Johannes Sohn Lcvi's die Herrschaft
an sich riss. Er war mit der lauen Haltung des Josephus unzufrieden und
überlicH» daher nicht diesem die Befestigung der Stadt, sondern leitete sie
»elbst (licll. Jud. II, 20, 0. Vita 10. 38). S. überhaupt über die Haltung von
GlB-chala li. J. II, 21, 7. 10. Vüa 10. 13. 16-18. 20. 25. 38. — Alle hier ge-
nanoteD «icbcn Orte werden unten, in der Geschichte der Wiederbesötzung
Uiililäa'H durch die Römer, wituler erwähnt werden. S. daselbst auch die geo-
graphiHchcn Notizen.
22) B. J. II, 20, Ü-ö.
23) B. J. II, 21, 1—2. Vüa 13.
[509. 510] § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). 6o9
sie dem König bei günstiger Gelegenheit wieder zurückzuerstatten.
Als das Volk diese Absicht merkte, steigerte sich das Misstrauen,
das ohnehin durch Johannes von Gis-chala eiTegt war, zu offener
Empörung. In Tarichea, wo Josephus sich aufhielt, entstand ein
grosser Tunnilt. Man bedrohte den Verräther mit dem Leben. Nur
durch kläglichste Selbstdemüthigung und niedrige List wusste
Jo|sephus die drohende Gefahr zu beschwörend^). Einige Zeit
später entging er in Tiberias nur durch feige Flucht den von
Johannes von Gis-chala gegen ihn ausgesandten Mördern ^5). Schliess-
lich brachte es der letztere dahin, dass man in Jerusalem be-
schloss, den Josephus abzusetzen. Vier der angesehensten Männer
wurden zu diesem Zwecke nach Galiläa gesandt und ihnen eine
Abtheilung Soldaten von 2500 Mann mitgegeben, um nöthigenfalls
den Beschluss mit Gewalt durchzusetzen. Aber Josephus wusste
es dahin zu bringen, dass der Beschluss rückgängig gemacht und
die vier Gesandten wieder abberufen wurden. Als sie nicht Folge
leisten wollten, bemächtigte er sich ihrer Person und schickte sie
heim nach Jerusalem. Die Tiberienser, welche im Aufruhr be-
harrten, unterwarf er mit Gewalt, womit vorläufig die Ruhe wieder-
hergestellt war^*^). Als wenige Tage später Tiberias auf's Neue
abgefallen war — und zwar jetzt zu Agrippa und den Römern —
wurde es abermals durch List unterworfen-').
In Jerusalem war man während dieser Zeit nicht unthätig ge-
blieben. Auch dort rüstete sich alles zum Empfang der Römer.
Die Mauer wurde ausgebessert, Kriegsgeräth aller Art angefertigt;
die Jugend übte sich in den Waffen ^S).
Unter solchen Vorbereitungen war das Frühjahr 67 herange-
kommen und damit die Zeit, in welcher der Angriff der Römer
zu erwarten war, und die junge Republik ihre Feuerprobe zu be-
stehen hatte.
24) B. J. II, 21, 3—5. Vita 26—30.
25) B. J. II, 21, 6. Vita 16—18.
26) B. J. II, 21, 7. Vita 38—64, bes. 38—40, 60-64.
27) B. J. II, 21, 8—10. Vita 32—34. — Die Vita (c. 68-69) erzäiilt, dass
die nQiöxoi zfjg ßovX^q von Tiberias später noch einmal an Agrippa schickten
mit der Bitte um eine Besatzung. — Tiberias war, wie bei der gemischten
Bevölkerung vorauszusetzen ist und Vita 9 ausdrücklich bemerkt wird, theils
römisch, theils antirömisch gesinnt, weshalb es bald im Bunde mit König
Agrippa, bald im Bunde mit Johannes von Gis-chala erscheint. Ueber seine
Haltung im Einzelnen ist aber schwer etwas Sicheres zu sagen, da die Dar-
stellung in der Selbstbiographie des Josephus eine absichtlich entstellte ist.
Im Allgemeinen vgl. Bd. II, S. 173 und über Justus von Tiberias oben
S. 58 f.
28) B. J. II, 22, 1.
Schür er, Geschichte I. 3. n. 4. Aufl. 39
610 § 20. Der grosse Krieg gegen Korn (66—73 n. Chr.). [510. 511]
2. Der Krieg in Galiläa (67 n. Chr.).
Der Kaiser Nero hatte die Nachricht von der Niederlage des
Cestius in Achaia erhalten^^). Da dem besiegten Feldherrn die
Fortsetzung des Krieges nicht überlassen werden konnte — er|
scheint ohnehin bald darauf gestorben zu sein 3^') — , so ward der
bewährten Kraft Vespasian's die schwierige Aufgabe der Bändi-
gung des jüdischen Aufstandes übertragen. Vespasian traf noch
im Winter die Vorbereitungen für den Feldzng. Während er selbst
nach Antiochia reiste und hier das Heer zusammenzog, sandte er
seinen Sohn Titus nach Alexandria, damit er ihm von dort aus
die 15. Legion entgegenführe ^i). Sobald es die Jahreszeit erlaubte,
brach er von Antiochia auf und rückte nach Ptoleraais, wo er
die Ankunft des Titus erwarten wollte. Noch ehe dieser eintraf,
erschienen bei Vespasian Abgesandte der galiläischen Stadt Sep-
phoris und baten um eine römische Besatzung^^). Vespasian eilte,
29) B. J. II, 20, 1. m, 1, 1.
30) Fato aut taedio occidit, sagt Tacit. Eist. V, 10. — Im Winter 66/67
war Cestius Gallus noch in der Provinz. S. Vita 8. 43. 65. 67. 71.
31) Ä J. III, 1, 2-3. — Nach dem überlieferten Texte B. J. IIT, 1, 3
hätte Titus aus Alexandria zwei Legionen herbeizuführen gehabt, xb nefinxov
xal To Öixaxov. Allein bei der Rückkehr des Titus zu Vespasian heisst es
B. J. III, 4, 2: x&xeT (seil, zu Ptolemais) xaxaXaßoov xöv naxigct oval xolq
ttfia avT(j) xdyfiaaiv, j]v öh tä iTtiatjfioxaxa xd nsfinxov xal xb öexaxov, i^evy-
wat xb ux^iv im* avxov nevxexaiöixaxov. Dies kann nur heissen, dass er
mit den zwei bei Vespasian befindlichen Legionen, der 5. und 10., die von ihm
herbeigeführte 15. vereinigte. Hierzu stimmt auch, dass Titus nach Sueton.
Tit. 4 während des Krieges Befehlshaber einer Legion war [legicmi praeposittis),
also der fünfzehnten. Demnach ist B. J. III, 1, 3 zu verbessern xb nsvzexai-
öixttTOV (so R«nier, Memoires de VAcademie des inscr. et belles-lettres t. XXVI,
1 p. 298 not. 8). — Unter dem hier erwähnten Alexandria will Mommsen
(Böm. Gesch. V, 533) nicht das bekannte ägv-ptische, sondern Alexandria am
iHsischen Meerbusen verstehen. Ebenso Pick in Sallet's Zeitschr. für Numis-
matik XIII, 1885, 8. 200. Mommsen's Hauptgrund ist, „weil der Landmarsch
von Alexandria am Nil nach Ptolemais mitten durch das insurgirto Gebiet am
Anfang des jüdischen Krieges so von Josephus nicht hätte erzählt werden
können". Aber von den Küetenstädten war nur Jope „insnrgirt", und allen-
falls AzotUH und Jamnia unsicher (s. Bd. II, 8. 97—102). Daran vorbcizu-
marm-hiren, war für ein römisches Heer keineswegs so gefährlich, dass Jo-
sephns dies hntU'. erwähnen müssen. Andererseits ist „Alexandria" schlecht-
hin (so ß. J, 11 1, 1, 3. 4, 2) sicher das ägyptische. Ein anderes hätte näher
bezeichnet werden müssen.
32) //. J. HI, 2, 4. — Scpphoris hatte bereits vor der Ankunft Vespa-
«ian's «'Ine römiHche Besatzung erhalten {Vita 71. B. J. III, 2, 4). Ob dioso
inzwischen zurückgezogen worden war, oder jetzt nur abgelöst oder verstärkt
wurde, ist nicht ganc klar. Vgl. Bd. II, 8. 166.
[511. 512] § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). QU
ihrer Bitte zu willfahren. Eine Abtheiiung von 6000 Mann unter
Anführung des Placidus wurde als Besatzung in die Stadt gelegt.
So waren die Römer ohne Schwertstreich im Besitz eines der wich-
tigsten und festesten Punkte mitten in Galiläa 3^). Bald darauf,
traf auch Titus mit seiner Legion ein. Das Heer, welches jetzt
dem Vespasian zur Verfügung stand, bestand aus drei vollständigen
Legionen (der 5,, 10. und 15.), 23 Auxiliar-Cohorten, G Alen Reiterei,
endlich aus den Hülfstruppen des Königs Agrippa, der Könige
Antiochus von Kommagene, Soemus von Emesa und Malchus von
Arabien, im Ganzen etwa 60,000 Mann 3*).
Als alles geordnet war, brach Vespasian von Ptolemais auf
und schlug an der Grenze von Galiläa ein Lager. Josephus hatte
schon zuvor bei dem Dorfe Garis, 20 Stadien von Sepphoris {Vita
71), ein Lager bezogen, um hier den Angriff der Römer zu er-
warten. Die Kriegstüchtigkeit seines Heeres zeigte sich alsbald
in sehr zweifelhaftem Lichte. Als nämlich das Herannahen Vespa-
sian's bekannt wurde, entschwand der Mehrzahl der jüdischen
Truppen, noch ehe sie der Römer auch nur ansichtig geworden
waren, der Muth; sie flohen auseinander; und Josephus sah sich
genöthigt, mit dem Rest nach Tiberias zu eilen ^^). Ohne Schwert-
streich hatte man dem Vespasian das flache Land von Galiläa ge-
räumt. Nur die Festungen blieben ihm noch zu bezwingen.
Josephus berichtete alsbald nach Jerusalem und verlangte, falls
man überhaupt den Krieg fortsetzen wolle, ein Heer, das ,,den
Römern ebenbürtig" sei — eine Bitte, die nun freilich zu spät
kam^ß). Die Meisten von Josephus' Heer hatten sich nach der
starken Festung Jotapata geflüchtet'^). Auch er selbst traf am
33) B. J. III, 4, 1. Vita 74. — Ueber Placidus, welcher schon vor Ve-
spasian's Ankunft in Galiläa gestanden hatte, s. auch Vita 43.
34) B. J. III, 4, 2.
35) B. J. III, 6, 2—3,
36) B. J. III, 7, 2.
37) Jotapata kommt in der Mischna in der Form nSTi*' vor (Ärachin
IX, 6; die Cambridger Handschrift liat riBn*^ mit Resch, aber editio prineeps
und cod. de Eossi 138: rBm"^ Jodaphath, auch Aruch nsT' mit Daleth). Es wird
dort als eine alte Stadt bezeichnet, die schon seit Josua's Zeit mit Mauern
umgeben war (vgl. auch Neubauer, Geographie du Talmud p. 203 sq.). — Die
griech. Aussprache ^lazanaxa (oder ^(oxanäxri) mit x statt ^ ist wohl entstan-
den durch Analogie-Bildung nach ^Icoxcinrj, einem nicht seltenen griech. Frauen-
Namen. — Seine Lage ist durch E. G. Schultz im J. 1847 in dem heutigen
Jefat, direct nördlich von Sepphoris, wieder entdeckt worden. S. E. G.
Schultz, Zeitschr. der deutschen morgenländ. Gesellsch. Bd. III, 1849, S.49flf.
59 ff. Kitter, Erdkunde XVI, 764—768. Eobinson, Neuere bibUsche For-
schungen S. 137 ff. Guerin, Galilee I, 476—487. The Survey of Western
Palestine, Memoirs by Conder and Kitehenerl, 289; 311 — 313; dazu Blatt V
39*
612 § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). [512. 513]
(21.(?) Arteinisios (Ijjar, etwa Mai) dort ein, um in eigener Person
die Yertlieidigung zu leiten ^s). Sclion am Abend des andern Tages
langt« I Vespasian mit seinem Heere vor der Stadt an und es
begann nun die berühmte, von Josephus mit selbstgefälliger Breite
beschriebene Belagerung der immerhin nicht unwichtigen Bergfeste.
Die ersten Angriffe führten zu keinem Resultat. Es musste zu
einer regelrechten Belagerung geschritten werden. Ein hartnäckiges
Ringen machte die Entscheidung geraume Zeit zweifelhaft. Was
auf der einen Seite Kunst und Kriegserfahrung that, das that auf
der andern der Muth der Verzweiflung und die Schlauheit des Ober-
befehlshabers. Denn so wenig Josephus ein Feldherr im eigent-
lichen Sinn des Wortes war, so sehr war er ein Meister in den
kleinen Listen und Kniffen. Mit grosser Befriedigung erzählt der
eitle Mann, wie er den römischen Feldherrn über den Wassermangel
in der Stadt täuscht, indem er von Wasser triefende Kleider an
den Brustwehren aufhängen lässt; wie er für Lebensmittel sorgt,
indem er seine Leute des Nachts in Thierfelle gekleidet an den
römischen Wachen vorbeikriechen lässt; wie er die Gewalt des
Widders durch herabgelassene Spreusäcke bricht; wie er siedendes
Oel auf die Soldaten herabgiessen lässt oder gekochtes griechisches
Heu auf die Sturmbrücken schüttet, infolge dessen die Anstürmen-
den ausgleiten und zurückweichen müssen. Aber weder durch solche
Künste noch durch die Kühnheit der Ausfälle, wobei einmal sogar
A'espasian verwundet wurde, konnte das Schicksal der Stadt ab-
gewendet werden. Nachdem die Belagerten das Aeusserste geleistet
hatten, verrieth ein Ueberläufer, dass infolge der Ermüdung selbst
die Wachen am Morgen sich des Schlafes nicht mehr erwehren
konnten. Das machten die Römer sich zu Nutze. In aller Stille
erklomm Titus eines Morgens mit einer kleinen Abtheilung die
der grosHen englischen Karte, lieber die Belagerung auch: Aug. Parcnt,
Süge de Jotapata, 1866 (citirt von Renan, Der Antichriat 8. 220).
38) B. J. III, 7, 3. — Da nach B. J. IIT, 7, 38 und 8, 9 die Belagerung
47 Tage dauerte und nach B. J. 111, 7, 30 am ersten Panemos endigte, so kann
die Angabe deH 21. ArtemisioH nicht richtig sein. Niese (Hermes XXVIII,
1803, 8. 202 f.) bringt die 47 Tage heraus, indem er vom 17. Arteniisios an
rechnet, da die Belagerungs-Arboiten Vespasian 's schon vier Tage vor der
Ankunft de» JosephuH begonnen hätten (B. J. III, 7, 8), und indem er dem
ArtcmiHiofl und Daisios je 31 Tage giebt (so, wie es scheint, schon Gut-
«chmid, Kleine Hchrifton IV, 340, während Schlatter, Zur Topographie
und GcBchichtc PalÜHtinas 8. 301, ausserdem noch seine QuellcnHcIioidung zu
Hfllfe nimmt). Aber Ji. J. III, 7, 3 ist gar nicht von BclagertingHarbcilen,
HOodcrn von Iier»tolhing einer LandstrasHC vor Mcginn der llclagcrung die
Rede. Vgl. gegen Kiese auch Unger, 8itzungHbcric.litc der Münchener Aka-
demie, pliiloM..philoI. und bist. Ülasse 1893, Bd. II, 8. 487—491.
[513. 514] § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). 6I3
Mauer, stiess die schlafenden Wachen nieder und drang in die
Stadt ein. Die Legionen folgten nach; und die überraschte Be-
satzung merkte das Eindringen der Römer erst, als sie schon nicht
mehr zurückzudrängen waren. Was den Römern in die Hände fiel,
Bewafi'nete und Uubewafl'nete, Männer und Weiber wurden nieder-
gestossen oder zu Sklaven gemacht; die Stadt und die Festungs-
werke wurden dem Erdboden gleich gemacht. Es war am 1. des
Monats Panemos (Tammus, etwa Juli) im J. 67, als diese wichtigste
Festung Galiläa's den Römern in die Hände fieP^).
Joseph US hatte sich mit 40 Gefährten in eine Cisterne ge-
flüchtet, welche in eine Höhle mündete. Als er hier entdeckt wurde,
wollte er sich den Römern ergeben, wurde aber von seinen Ge-
fährten daran gehindert. Diese Hessen ihm nur die Wahl, entweder
durch ihre oder durch eigene Hand mit ihnen zu sterben. Durch |
irgend welchen Betrug — er will vorgeschlagen haben, dass mau
nach der Reihe des Looses sich gegenseitig niederstosse, und will
durch Zufall des Looses als der Letzte übrig geblieben sein —
wusste Josephus sich ihren Händen zu entziehen und führte seinen
Entschluss, sich den Römern zu ergeben, aus^^). Als er vor Vespa-
sian geführt wurde, nahm er Prophetenmiene an und weissagte dem
Feldherrn seine künftige Erhebung zum Kaiser. Das hatte für
ihn wenigstens den Erfolg, dass er, obwohl gefesselt, doch schonen-
der behandelt wurde'").
39) B. J. III, 7, 4-36.
40) B. J. III, 8, 1—8.
41) B. J. III, 8, 9. Dio Cass. LXVI, 1. Sueton. Vesp. e. 5. Nach Zonaras
Annal. XI, 16 hat auch Äppiamis im 22. Buche seiner römischen Geschichte
den auf Vespasian bezüglichen jüdischen Orakelsprucli erwähnt. — Unsere
Alten haben die Prophetengabe des Josephus ernsthaft untersucht. Vgl.
Olearius, Fl. Josephi de Vespasianis ad summum imperii fastigium advehen-
dis vatieinium. 1699. Strohbach, De Josepho Ve»pasiano imperium praedicetite.
Lips. 1748. Irgend etwas Wahres wird an der Sache wohl sein. Wahrschein-
lich hat Josephus ein paar allgemeine Phrasen nachträglich zu einer form-
lichen Weissagung umgestaltet. Merkwürdig ist, dass die rabbinische Tradition
dieselbe Weissagung dem R. JochananbenSakkai zuschreibt. S. Derenbourg
p. 282. — Holwerda {Verslagen en Medededingeti der koninkl. Akademie van
Wetenschappen, Afdeeling Letterkunde, Tueede Beeks deel II, 1872, p. 137 sq.) hat
darauf aufmerksam gemacht, dass ähnliche Orakel dem Titus und Vespasian
auch durch heidnische Priester zu Theil wurden. So hat Sostratus, der
Priester der Aphrodite zu Paphos auf Cypern, dem Titus, als er das dortige
Orakel befragte und günstige Zeichen erlangte, in geheimer Unterredung die
Zukunft geoöenbart [Tacit. Hist. 11, 4: petito secreto futura aperit. Noch deut-
licher Sueton. Tit. c. 5: aditoque Paphiae Vener^is oraeido, dum de navigatione
consultt, etiani de imperii spe conßrmaites est). Der Priester Basilides auf dem
Karmel verkündigte dem Vespasianus auf Grund der Opferzeichen: quidquid
est, Vespasiane, quod paras, seu domum extruere sen prolatare agros sive am-
614 § '^0. Der grosse Krieg gegen Eom (66—73 n. Chr.). [514. 515]
Am 4. Panemos brach Yespasian von Jotapata auf und mar-
scliirte zunächst über Ptolemais nach Cäsarea, wo er den Truppen
einige Rast gönnte*^). Während die Soldaten von den Anstren-
gungen der Belagerung sich erholten, reiste der Feldherr nach
Cäsarea Philippi zu dem befreundeten König Agrippa und feierte
dort 20 Tage lang glänzende Feste. Hierauf liess er durch Titus
die Legionen von Cäsarea (am Meere) holen und rückte vor Ti-
berias, das angesichts des römischen Heeres freiwillig die Thorej
öffnete und um Agrippa's willen glimpfliche Behandlung erfuhr'*^).
Von da ging's weiter nach Tarichea^^). Durch einen kühnen
pliare servitia, datur tibi magna sedes, ingentes f ermini, miiltum hominum {Tacit.
Eist. II, 78. Vgl. Sueton. Vespas. c. 5: Apnd Judaeam Carmeli dei oraculum
consulenfem ita confirmavere sortes, ut quidquid cogitaret voheretque animo
qttamlibet magnum, id esse proventurum pollicerentur). Freilich fallen diese
heidnischen Orakel in eine spätere Zeit als das angebliche des Josephus.
42) B. J. III, 9, 1.
43) B. J. III, 9, 7-8.
44) TaQixtai oder TaQtxea (beide Schreibungen kommen vor) hat seinen
Namen von dem Einsalzen der Fische, das dort betrieben wurde {Straho XVI,
2, 45 p. 764). Es wird zuerst erwähnt zur Zeit des Cassius, der bei seiner
ersten Verwaltung von Syrien im J. 52 51 vor Chr. die Stadt mit Gewalt ein-
nahm {Joseph. Antt. XIV, 7, 3. Bell. Jud. I, 8, 9) und bei seiner zweiten Ver-
waltung wieder dorthin kam (er schrieb im J. 43 an Cicero „ex castris Tari-
cheis", Cicero ad Famil. XII, 11). — Nach Joseph. Vita 32 lag es dreissig
Stadien von Tiberias, nach Bell. Jud. III, 10, 1 unmittelbar am See Gene-
zareth am Fuss eines Hügels [vnciQSiog), nach Plin. Bist. Nat. V, 15, 71 am
südlichen Ende des See 's (a meridie Tarichea). Hiernach ist es wohl in
der Nähe des heutigen Kerak beim Ausfluss des Jordan aus dem See zu
Buchen. So Robinson, Palästina III, 513. Ritter, Erdkunde XV, 1, 344fr.
Clesß in Pauly's Real-Enc. VI, 2, 1602 f. Caspari, Chronol.-geogr. Einlei-
tung, 1869, 8. 68. Co n der, Palestine Exploration Fund, Quarterly Staienicnts
1878, p. 190—192. Guerin, Galilce I, 275—280. Kasteren, Zeitschr. des
DPV. XI, 1888, S. 215 fl; 241 IK Buhl, Zeitschr. des DPV. XIII, 1S90, S. 38 tY.
Ders., üeogr. de» alten Palästina S. 227 f. Guthe, Zeitschr. des DPV. XIII,
8. 281—285. 0. A. Smith, Historical Oeography of the Holy Land p. Ab2his.
454 (schwankend). — Manche Neuere meinen, dass die Angaben des Josephus
nöthjgen, Tarichea nördlich von Tiberias zu suchen, etwa an der Stelle des
heutigen Medschdel. So Quandt, Jiidüu und die Nachbarschaft, 1873, S. 107 f.
Wilson, Quarlerhj Statements 1877, 10-13. Kitchcner cbendas. 1878, S. 79.
Furrer, ZeitHchr. des DPV. II, 1879, S. 55-57. XII, 1889, S. 145-148. Grätz,
MonatHHchr. für Gesch. und Wissensch. des Judcuth. 1880, S. 48-1— 487.
Spien», ZeitHchr. do» DPV. VIII, 1885, 8. 95-99. Frei, cbendas. IX, 1886,
H. 103-108. Ö hl mann, Die FortHchritte der ürtskunde von Palästina, 1. Thl.
(Norden 1887, Progr.) 8. 12—14. Allein die von Josephus angegebene Marsch-
route Vespwiian'» beweist keincHWcgs, das» Tarichea tiördlich von Tiberias ge-
legen hat. Vo»pu»iun kam allordiug» von Skyfhopolis, also vom Süden, nucii
Tlberia« (K •^- IH» ^\ 7). E» liegt aber kein (irtind vor, ihn von da den
[515. 516] § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (06—73 u. Clir.). 615
Handstreich des Titus fiel auch dieses im Anfang des Monats Gor-
piaios (Elul, etwa September) in die Hände der Römer ^^). |
In Galiläa war jetzt nur noch Gis-chala und der Berg Ta-
bor (Itabyrionj in den Händen der Aufständischen; ausserdem in
Gaulanitis das wichtige und starkbefestigte Gamala^^). Aufletz-
Marsch nach Norden fortsetzen zu lassen. Vielmehr bezog er nach der Ein-
nahme von Tiberias ein Lager bei dem durch seine warmen Quellen berühm-
ten Ammaus oder Ammathus (letzteres die bessere Lesart, rabbinisch Cham-
matha, s. Bd. 11, S. 170) „zwischen Tiberias und Tarichea" (wie aus
Vergleichung von Bell. Jtid. IV, 1, 3 mit III, 10, 1 erhellt). Da nun noch
heutzutage die berühmten warmen Quellen von Hammam südlich von Tiberias
liegen, so erhellt, dass Vespasian nach der Einnahme von Tiberias sich wieder
nach Süden gewandt hat. Es wird also gerade durch die Angaben des Jo-
sephus bestätigt, dass Tarichea südlich von Tiberias gelegen hat. Diejenigen,
welche Tarichea nördlich von Tiberias setzen, müssen auch Ammathus nörd-
lich von Tiberias setzen, und dann folgerecht die Identität des von Josephus
erwähnten Ammathus mit dem heutigen Hammam leugnen, die doch als sicher
betrachtet werden darf; vgl. Bd. II, S. 170.
45) B. J. III, 10. — Sueton. Tit. 4 schreibt dem Titus die Eroberung von
Tarichea und Gamala zu, letzteres mit Unrecht — Nach der üeberrumpe-
lung Tarichea 's war ein Theil der Einwohner in Nachen auf den See ent-
flohen. Vespasian liess sie auf Flössen verfolgen ; und die Flüchtlinge fanden
sämmtlich durch's Schwert oder in den Fluthen ihren Tod. Dies ist vermuth-
lich die „Vietoria nacalis", welche durch Münzen verherrlicht und beim
Triumphzug durch Schifte bemerklich gemacht wurde {B. J. VII, 5, 5: noXXal
öe xal v^ei htiovzo). Vgl. Eckhel, Doctr. Num. VI, 330. Stange, De Tüi
imperat. vita (1870) p. 22. Die Münzen bei Cohen, Medaüles imperiales ed.
2. t. I, 1880, p. 417 sq. n. 632—639 (Vespasianus), p. 460 n. 386—390 (Titus),
p. 522 sg. n. 636—638 (Domitian). Madden, Coins of the Jeus p. 223.
46) B. J. IV, 1, 1. — Gamala (K^t:») wird in der Mischna Ärachin IX,
6 unter den Städten erwähnt, welche angeblich seit der Zeit Josua's mit
Mauern umgeben waren. Geschichtlich nachweisbar ist seine Existenz seit
Alexander Jannäus [Joseph. Antt, XIII, 15, 3; B. J. 1,4, 8). Ueber seine Lage
6. verschiedene Vermuthungen bei: Furrer, Zeitschr. des deutschen Palästina-
Vereins II, 1879, S. 70—72. XII, 1889, S. 14S— 151. Quer in, GcUilee I, 317
bis 321. Merrill, East of the Jordan, 1881, p. 161, 164, 168. Gildemeister,
Zeitschr. des DPV. VIII, 242 f. (hierzu IX, 358—360). Frei, ebendas. IX,
121 rt: Kasteren, ebendas. XI, 220—235. Kasteren, ebendas. XIII, 1890,
S. 215—218. Benzinger, ebendas. XV, 1892, S. 175. Schlatter, Zur To.
pographie und Gesch. Palästinas 1893, S. 311. Buhl, Studien zur Topographie
des nördl. Ostjordanlandes 1894, S. 19. Ders., Geographie des alten Palästina,
S. 245 f. — Josephus bezeichnet Gamala Bell. Jud. IV, 1, 1 als eine Stadt im
imtcren Gaulanitis, und zwar Tagixtivv nvrixQvg vneg ztjv XI/xvjjv xei/jievTj.
Er giebt an, dass es auf einem Hügel liege, der nach beiden Seiten und nach
vorne steil abfalle und nur nach hinten ebener verlaufe; am südlichen Ab-
hänge seien die Häuser der Stadt dicht übereinander gebaut. Wegen dieser
Lage „gegenüber von Tarichea jenseits des See's" haben Viele Gamala mit
el-Hösn identificirt. Da dieses aber fast sicher mit Hippus identisch ist
616 § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). [516. 517J
teres richtete Vespasian zunächst seine Unternehmungen. Die Be-
lagerung schien bald Erfolg zu haben. Es gelang den Römern,
die Mauern zu stürmen und in die Stadt einzudringen. Aber hier
stiessen sie auf so erbitterte Gegenwehr, dass sie unter den schwer-
sten Verlusten wieder zurückweichen mussten. Die Schlappe war
so empfindlich, dass es des ganzen Ansehens Yespasian's bedurfte,
um den Muth der Soldaten wieder aufzurichten. Endlich am 23.
Hyperberetaios (Tischri, etwa October) drangen die Römer aufs
Neue in die Stadt ein und wussten sich diesmal ihrer vollständig
zu bemächtigen*'). "S^'ährend der Belagerung Gamala's war auch
der Berg Tabor (Itabyrion) durch eine dorthin entsandte Abthei-
lung eingenommen worden*^). 1
Die Einnahme Gis-chalas überliess Vespasian dem Titus mit
einer Abtheilung von 1000 Reitern. Er selbst führte die 5. und
15. Legion nach Cäsarea in die Winterquartiere, die 10. legte er
nach Skythopolis *^). Titus hatte mit Gis-chala leichtes Spiel.
Schon am zweiten Tage nach seinem Erscheinen vor den Mauern
der Stadt öffnete ihm die Bürgerschaft fi'eiwillig die Thore, nach-
dem in der Nacht zuvor Johannes mit seiner Zelotenschaar heim-
lich die Stadt verlassen hatte und nach Jerusalem geflohen war ^o).
(b. Bd. II, S. 121), so muss Gainala an anderer nicht zu nahe liegender Stelle
gesucht werden. Am ansprechendsten ist die Vermuthung von Furrer,
welchem Kasteren gefolgt ist, dass der Name Gamala's sich erhalten habe
in dem heutigen Dschamle am nähr er-nikkacl eine Tagereise östlich
vom See Genczareth. In unmittelbarer Nähe liegt ein Hügel, welcher jetzt
teil el-ehdeb oder ras el-hal heisst. Auf diesen passt die Beschreibung des
Josephus genau, namentlich auch darin, dass die Ruinen am südlichen Ab-
hänge liegen. Das Bedenken, welches ich früher geltend gemacht habe, dass
man von einer Stadt, welche eine Tagereise vom See entfernt ist, nicht sagen
könne, sie liege ineg zfjv Xlfivrjv, ist nicht entscheidend, da eine solche Aus-
drucksweise bei der dominirenden Lage der Stadt wohl möglich ist; der Boden
fallt von da nach dem See zu beständig ab. Die beste Karte der Gegend ist
jetzt Schumacher's Karte des Ostjordanlands, Blatt II (Zeitschr. des DPV.
XX, 1897). Beschreibungen der Lage von Dschamle und Umgegend geben:
Schumacher, Äcross thc Jordan 1886, p. ^sq. l^sq. ^sq. Kasteren,
Zeitschr. des DPV. XI, 2.'i3— 235 (hier noch gegen die Identität von Gninala
und Dscliamle); XIII, 215-218.
47) Ä J. IV, 1, 2-10.
48) B. J. IV, 1, 8. — Ueber die Lage des Tabor und seine «Icschichte
». KobinBon, Palüutiiia III, 451—470. Ritter, Erdkunde X\ . 1, :ii)l-404.
Winer, Rcalwörtcrb. Art. „Thabor". Quirin, Oalilie l, W' M-:. Thc Sur-
vey of Western Palestine^ Mc^tnoira l/jf Conder and Kitchenet 1, iiuSfl. 8H8ff.
(mit Plan: I, ;}88); dazu Blatt VI der groBsen engl. Karte.
49) n. J. IV, 2, 1.
60) n. ./. IV, 2. 2—5. — (4iB-chala heisHt hebräiHch Omch-Chalab, a^n u)n:,
und wird In der MiBchna auch unter den Städten genannt, die seit der Zeit
[517. 518] § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). 617
So war gegen Ende des Jahres 67 der ganze Norden Palästina's
wieder den Römern unterworfen.
3. Von der Unterwerfung Galiläa's bis zur Belagerung
Jerusalem's (68—69 n. Chr.).
Der Misserfolg des ersten Kriegsjahres war verhängnissvoll
für die bisherigen Leiter des Aufstandes. Von Seiten der fanati-
schen Volkspartei schrieb man — und nicht mit Unrecht — den
unglücklichen Verlauf der Dinge dem Mangel an Energie in der
bisherigen Leitung des Krieges zu. Die Männer des Volkes setzten
daher alles daran, sich selbst der Lage zu bemächtigen und die
bisherigen Führer zu verdrängen. Da diese nicht freiwillig ihre
Stellung räumten, so kam es im Winter 67/68 in Jerusalem zu
einem furchtbar blutigen Bürgerkrieg und zu Greuelscenen, wie sie
ausserdem nur die erste französische Revolution aufzuweisen hat.
Das Haupt der fanatischen Volkspartei oder, wie sie sich selbst]
nannten, der Zeloten war Johannes von Gis-chala. Er kam, nach-
dem er den Händen des Titus durch die Flucht sich entzogen
hatte, (etwa Anfang November 67) mit seiner Schaar nach Jeru-
salem und suchte das Volk für sich zu gewinnen und zu einer kräf-
tigeren und kühneren Fortsetzung des Krieges anzufeuern. Leicht
gelang es ihm, die Jugend auf seine Seite zu bringen. Und da
auch sonst noch allerlei kriegslustiges Gesindel vom Lande in die
Stadt zusammenströmte, so hatte die Partei der Zeloten bald die
Oberhand ^1). Man ging nun zunächst daran, die der Römerfreund-
Josua's mit Mauern umgeben waren (Äraehin IX, 6). Sein Name bedeutet
„fette Scholle". In der That lieferte es treffliches Oel (Joseph. Vita 13, Bell.
Jiid. II, 21, 2. Tosepfäa Menachoth IX, 5. Bab. Menachoth So''. Neubauer,
Geographie du Talmud p. 230sg.). Mach Hierouymus soll es die Heimath der
Eltern des Apostels Paulus gewesen sein [de viris illustr. c. 5; comment. in
epist. ad Philemonem vcrs. 23 = opp. ed. Vallarsi VII, 1, 762). In der jüdi-
schen Tradition des Mittelalters war es berühmt durch seine Rabbinengräber
und seine alte Synagoge [Carmoly, liineraires de la Terre-Sainte, 1847, p. 1336-j.,
156, 184, 262, 380, 452 sj.). — Es lag in der Nähe des Gebietes von Tyrus
{B. J. IV, 2, 3/^«.) und ist ohne Zweifel identisch mit dem heutigen el-
Dschisch im nördlichen Galiläa, etwa in gleicher geographischer Breite mit
der Südspitze des Meromsee's. Von der alten Synagoge daselbst sind noch
Trümmer erhalten. S. überh. Reland, Palaestina p. 812 sq. Robinson, Pa-
lästina III, 639f. Ritter, Erdkunde XVI, 770 f. Renan, Mission de Phenicie
p. 778—780. Guerin, Oalilee II, 94—100. Tfie Survey of Western Palestine,
Memoirs by Conder and Kitchener 1, 198, 224 — 226; dazu Bl. IV der grossen
engl. Karte. Krenkel, Beiträge zur Aufhellung der Gesch. und der Briefe
des Ap. Paulus, 1890, S. 14-16.
51) B. J. IV, 3, 1—3.
618 § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). [518. 519J
Schaft Verdächtigen zu beseitigen. Mehrere der vornehmsten Männer,
darunter Antipas, ein Angehöriger des herodianischen Hauses,
wurden eingekerkert und im Gefängniss ermordet ^^^^ Darauf wählte
.man einen neuen Hohenpriester durch's Loos; denn die bisherigen
gehörten alle der aristokratischen Partei an. Der neugewählte,
Phannias (auch Phanni, Phanasus u. dgl. geschrieben) aus Aph-
tha, verstand zwar nicht das Mindeste vom hohenpriesterlichen
Dienst. Aber er war ein Mann aus dem Volk; und dies war die
Hauptsache ^^).
Die Männer der Ordnung, Gorion Sohn Joseph's^^), der be-
rühmte Pharisäer Simon Sohn Gamaliers ^^), die beiden Hohen-
priester Ananos Sohn des Ananos und Jesus Sohn GamalieVs,
suchten ihrerseits sich der Zeloten mit Gewalt zu entledigen. Sie
ermahnten das Volk, ihrem wilden Treiben doch Einhalt zu thun ^•^).
In der That hatte eine Rede, welche Ananos zu diesem Zwecke
hielt 5"), den Erfolg, dass ein Theil der Bevölkerung sich zu offenem
Kampf gegen die Zeloten ermannte. Die letzteren waren in der
Minderzahl und mussten sich vor der üebermacht der Gegner in
den inneren Tempelvorhof zurückziehen, wo sie vorläufig, da
man die heiligen Thore nicht stürmen wollte, sorgfältig bewacht
wurden ^^).
Um Unterstützung zu erhalten, sandten die Zeloten heimlich
Boten an die kriegslustigen Idumäer und forderten sie unter dem
Vorwande, dass die herrschende Partei in Jerusalem es insgeheim
mit den Römern halte, zur Bundesgenossenschaft auf. Die Idumäerj
erschienen vor den Mauern der Stadt, wurden aber, da man von
ihrer Verbindung mit den Zeloten Kunde erhalten hatte, nicht ein-
gelassen'^^). In der Nacht nach ilirer Ankunft erhob sich ein
furclitbares Unwetter. Der Sturm heulte und der Regen goss in
Strömen. Unter dem Schutze dieses Unwetters gelang es den
Zeloten, ihren A'erbündeten heimlich die Tliore zu öffnen und sie
unbemerkt einzulassen ^^^). Kaum hatten die Idumäer in der Stadt
62) n. J. IV, 3, 4-5.
63) ß. J. IV, 3, 6—8. Vgl. Deienbourfj p. 269. Ueber das Schwanken der
Namensform den Hoheupriestera s. £d. II, 8. 220; es ist jedenfalls — hebr.
64) Bo nennt ihn Josephus hier. Er ist aber wohl identisch mit dem oben
(H. 007) erwälintt-n Joseph Sohn Gorion's. So auch Derenbottrg p. 270.
65) Vgl. ober ihn auch Vita'M. 39. 44. 00. Derenbourg p. 2:0 -212. ^14 sq.
m R J. IV, 3, 9.
67) B. J. IV, 3, 10.
68) It. J. IV, 3, 12.
69) n. J. IV, 4, 1-4.
ÖO) B. J. IV, 4, 6-7.
(519. 520J § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). Ö19
festen Fuss gefasst, als sie auch die Arbeit des Mordens und
Plünderns begannen, worin die Zeloten ihnen getreulich beistanden.
Die Ordnungspartei war zum Widerstände zu schwach. Der Sieg
der Schreckensherrschaft in Jerusalem war entschieden. Die Wuth
der Zeloten und der mit ihnen verbündeten Idumäer richtete sich
hauptsächlich gegen die V^ornehmen, Angesehenen und Wohlhaben-
den. Alle bisherigen Führer des Aufstandes wurden als angebliche
Eijmerfreunde aus dem Wege geschafft. Vor allem fielen die Hohen-
priester Ananos und Jesus ihrer Mordgier zum Opfer''')- Um
dem wilden Treiben gesetzlichen Schein zu verleihen, wurde ein-
mal auch die Komödie einer förmlichen Gerichtsverhandlung auf-
geführt. Als aber der hierzu berufene Gerichtshof den Angeklagten,
ZacliariaM Sohn ßaruch's, freisprach, wurde derselbe von ein
paar Zeloten unter dem höhnischen Zuruf: „Hier hast du auch
unsere Stimme*', niedergestossen'^-).
Als die Idumäer des Mordens satt waren und überdiess
merkten, dass der angeblich drohende A'errath nur verläumderischer-
weise den ordnungsliebenden Bürgern Schuld gegeben wurde, wollten
sie keine Gemeinschaft mehr mit den Zeloten haben und zogen
wieder von dannen^^j^ U„i g^ ungehinderter setzten die Zeloten
ihre Schreckensherrschaft fort. Auch Gorion fiel jetzt unter ihren
Streichen. Die Partei der Wohlhabenden und der Ordnungsfieunde
war bereits so eingeschüchtert, dass an Widerstand nicht mehr zu
denken war. Johannes von Gis-chala war allmächtiger Gebieter
in der Stadt e^).
In diese Zeit, wenn nicht schon früher, mag auch die Flucht
der christlichen Gemeinde aus Jerusalem fallen. Sie verliess
die Stadt „infolge göttlicher Weisung" und wanderte nach derj
heidnischen, und darum vom Kriege unberührten Stadt Pella in
Peräa aus*^^).
Vespasian's Feldherren waren der Ansicht, dass man diese
Zustände ausnützen und alsbald den Angriff auf die Hauptstadt
unternehmen müsse. Sie glaubten, bei den inneren Kämpfen in
der Stadt werde man sich ihrer mit leichter Mühe bemächtigen
Ol) B. J. IV, 5, 1-3.
62) B. J. IV, 5, 4. — Diesen Zacharias will man, aber seiir mit Unrecht,
auch Matth. 23, 35. Lue. 11, 51 wiedergefunden haben.
63) B. J. IV, 5, 5. 6, 1.
64) B. J". IV, 0, 1.
65) Euseb. Rist. ecnl. III, 5, 2—3. Epiphan. haer. 29, 7 ; de mensuris et pon-
deribus § 15. — Die Auswanderung erfolgte xuxd xiva xQV^fJ^ov zolq avtod-i
öoxlpoig öl' dnoxaXvxptwq ixöoHvxa x. x. A. {Euseb. H. E. III, 5, 3). — Ueber
Pella s. Bd. II, S. 137—140.
520 § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). [520J
können. Nicht so Vespasian. Er hielt es für gerathener, den
Kampf im Innern austoben und die Kräfte sich selbst verzehren
zu lassen^^). Um der Hauptstadt zu dieser Selbstvernichtung Zeit
zu lassen, richtete er seine nächsten Unternehmungen gegen Peräa.
Noch ehe die gute Jahreszeit eingetreten war, brach er von Cäsarea
auf, besetzte am 4. Dystros (Adar, etwa März) des Jahres 68
Gadara, das selbst zum Schutze gegen die römerfeindlichen
Elemente in der Stadt eine Besatzung erbeten hatte, und kehrte
dann wieder nach Cäsarea zurück^^). Eine Abtheilung von 3000
Mann zu Fuss und 500 Reitern, welche er unter Führung des
Placidus zurückliess, vollendete die Unterwerfung von ganz Peräa
bis auf M a c h ä r u s ^^). Mit Eintritt der bessern Jahreszeit ^ ^) brach
Vespasian abermals, jetzt mit dem grössten Theile seines Heeres,
von Cäsarea auf, besetzte Antipatris, nahm Lydda und Jamnia
ein, Hess vor Emmaus die fünfte Legion zurück, durchzog er-
obernd Idumäa, wandte sich dann über Emmaus wieder nörd-
lich, und zog durch Samarien an Neapolis (Sichern) vorbei über
Korea — wo er am 2. Daisios (Sivan, etwa Juni) eintraf — nach
Jericho'^). Nach Jericho und Adida legte er römische Be-
satzungen, während Grerasa(?) durch ein abgesandtes Detachement
unter Lucius Annius erobert und zerstört wurde").
Das Land war jetzt soweit unterworfen, dass man die Be-
lagerung der Hauptstadt beginnen konnte. Vespasian kehrte daher
nach Cäsarea zurück und war eben mit den Vorbereitungen für
66) B. J. IV, 6, 2-3.
67) B. J. IV, 7, 3—4. — Ueber Gadara s. Bd. II, S. 122—126. Wegen
der Bezeichnung als fxijzQonoliQ (B. J. IV, 7, 3) kann nicht wohl eine andere
Stadt als das bekannte Gadara gemeint sein, obschon der Zusammenhang
für eine südlichere Lage zu sprechen scheint, s. Bd. II, S. 125.
68) B. J. IV, 7, 4-0.
69) imö xfjv oqx^*' ^ov MafOf B. J. IV, 8, 1.
70) B. J. IV, 8, 1. — Ueber Korea s. oben S. 297. Die übrigen Städte
sind bekannt. Die fünfte Legion ist wahrscheinlich bis zum J. 70 in dem
befestigten Lager bei Emmaus geblieben, vgl. V, 1, 6. 2, 3. Die Inschriften
von Holdaten dieser Legion, welche bei Emmaus gefunden wurden, Htammen
daher vermuthlich aus dieser Zeit (Ephcmeris epigr. t. V, p. 620 v. 1446 -=>
Corp. Irmcr. hat. III Suppt. n. 6647; eine andere; lievue bibliqueW, 1897, /). 131;
eine dritte: Revue bibliqtie VII, 1898, p. 270 — Proceedinfjs of (he .S'oc. of Bibl.
Arrh. XX, 1898, p. 189). Vgl. über alle drei auch Glermmt-Oanncau, Archaeo-
loyical lieaearche» I, 1899, p. 468. Auf allen dreien ist der Betroffende als
mil(es) leg{üjniii) V Mao(edonioae) bezeichnet.
71) B. J. IV, 9, 1. — Ueber Adida s. oben S. 238f. Zur Bevorzugung der
Lesart dei Lateinen auuillam (Schlattcr, Zcitschr. des DPV. XIX, 221) liegt
kein Omnd vor. — Qeraea kann nicht die berühmte helleniHtischc Stadt der
DekiipoliH sein, da diese sicher auf römischer Seite stund.
[520. 521] § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). 621
die Belagerung Jerusalem's beschäftigt, als die Nachricht vom Todel
Nero's (f 9. Juni 68) eintraf. Damit war die ganze Lage plötz-
lich verändert. Die Zukunft des gesammten Reiches war unsicher.
Vespasian stellte daher alle kriegerischen Unternehmungen ein und
beschloss, die Weiterentwickelung der Dinge abzuwarten. Als
die Nachricht von Galba's Erhebung eintraf, sandte er — es war
mittlerweile der Winter 68/69 herangekommen — seinen Sohn
Titus nach Eom, um dem neuen Kaiser zu huldigen und seine
Befehle entgegenzunehmen. Aber schon in Korinth erhielt Titus
die Nachricht von Galba's Ermordung (f 15. Januar 69), worauf
er zu seinem Vater nach Cäsarea zurückkehrte. Vespasian beob-
achtete noch fortwährend eine zuwartende Haltung'^).
Bald nöthigten ihn die Verhältnisse wieder zur That zu schreiten.
Ein gewisser Simon Bar-Giora, d. h. Sohn des Proselyten'^),
ein Geistesverwandter Johannes von Gis-chala's, von ebenso wildem
Freiheitsdrange beseelt und ebenso wenig einen andern über sich
duldend, hatte die Zeit der Watfenruhe benützt, eine Schaar von
Anhängern um sich zu sammeln, mit welcher er raubend und
plündernd die südlichen Gegenden Palästina s durchstreifte. Ueber-
all bezeichnete \'erwüstung den Weg, den er mit seiner Horde ge-
zogen war. Unter anderem war es ihm auch gelungen, Hebron
zu überrumpeln und reiche Beute von dort wegzuschleppen"*).
Vespasian sah sich dadurch veranlasst, Judäa noch vollstän-
diger, als es bisher geschehen war, zu besetzen. Am 5. Daisios
(Sivan, etwa Juni) des Jahres 69 brach er, nachdem er ein volles
Jahr die Waffen hatte ruhen lassen, wieder von Cäsarea auf, unter-
warf die Bezirke von Gophna und Akrabata, die Städte Bethel
und Ephraim und kam bis in die Nähe von Jerusalem, während
sein Tribun Cerealis die Stadt Hebron, da sie Widerstand
leistete, eroberte und zerstörte. Bis auf Jerusalem und die Städte
Herodeion, Masada und Machärus gehorchte jetzt ganz Palästina
den ßömeru^^).
Noch ehe Simon durch diesen Zug Vespasian's sich an der
Fortsetzung seiner Raubzüge durch Idumäa verhindert sah, hatten
72) B. J. IV, 9, 2. Ausführlicher über die Reise des Titus: Tbcit. Eist.
II, 1-4.
73) Josephus sagt stets vlcg FidQU. Die Form BagyiOQäq, Bargiora haben
Dio Cass. LXVI, 7 und Tacit. Eist. V, 12 (der irrig dem Johannes diesen Bei-
namen ertheilt). X-)i''a ist die aramäische Form für 15, der Proselyte; s. Bd. III,
S. 125.
74) B. J. IV, 9, 3-8.
75) B. J. IV, 9, 9. — Ueber Gophna und Akrabata s. Bd. H S. 182.
Ueber Bethel und Ephraim oben S. 224 und 233.
622 § 23. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). [521. 522]
sich ihm bereits die Thore der Hauptstadt geöffnet. Hier hatte]
bis zum Frühjahr 69 Johannes von Gis-chala den allmächtigen
Tyrannen gespielt. Von der unter seinem Eegiment in Jerusalem
eingerissenen Unsittlichkeit erzählt Josephus schauerliche Dinge '^).
Die Bevölkerung, die seine Herrschaft längst verwünscht hatte,
erblickte in dem Auftreten Simon Bar-Giora's eine günstige
Gelegenheit, um sich des einheimischen Tyrannen zu entledigen.
Auf Anrathen des Hohenpriesters Matthias wurde Simon einge-
laden, in die Stadt zu kommen. Dieser ging bereitwilligst darauf
ein und hielt im Monat Xanthikos (Nisan, etwa April) des Jahres
69 seinen Einzug in Jerusalem. Aber während man gehofft hatte,
durch ihn von der Tyrannei des Johannes befreit zu werden, hatte
man jetzt vielmehr zwei Tyrannen in der Stadt, die sich zwar
gegenseitig bekämpften, aber die besitzenden Bürger als ihre ge-
meinsamen Feinde ansahen").
Vespasian war kaum nach Cäsarea zurückgekehrt, als die
Nachricht eintraf, dass Yitellius zum Kaiser erhoben worden sei.
Da kam den Legionen in Aegypten, Palästina und Syrien der Ge-
danke, dass Sie ebenso gut dem Reiche einen Kaiser geben könnten,
wie ihre Kameraden im Abendlande, und dass Vespasian des
Thrones würdiger sei als der Schlemmer Vitellius. Am 1. Juli 69
wurde Vespasian in Aegypten zum Kaiser ausgerufen. Wenige
Tage darauf folgten die palästinensischen und syrischen Legionen.
Noch vor Mitte Juli war Vespasian im ganzen Orient als Kaiser
anerkannt'^).
Nun hatte er andere Dinge zu thun, als den Krieg gegen die
rebellischen Juden fortzuführen. Nachdem er in Berytus die
Gesandtschaften vieler syrischen und anderer Städte empfangen
hatte, darauf nach Antiochia gereist war und von hier aus den
Mucianus mit einem Heer auf dem Landwege nach Rom gesandt
hatte '^), begab er sich nach Alexandria. Während seines dortigen
Aufenthaltes erhielt er die Nachricht, dass seine Sache in Rom
gesiegt hatte und Vitellius ermordet worden war (20. December
76) B. J. rV, 9, 10.
77) B. J. IV, 9, 11-12; vgl. V, 13, 1.
78) B. J. IV, 10, 2-6. Tacit. Eist. II, 79-81. Sueton. Vcsp. G. Das» die
figyptiscben Legionen die ersten waren, welche den VenpaBian zum Kaiser
ausriefen, tagen TacituH und Suetoniun; nacli JoBepbus wären die palüstinen-
HiBchen vorangegangen. Uebrigens fand die Procianiation in Palästina nach
TarituH „quintum Noruu Julüu", nach Suetouius „V. Jdus Jul." statt. — Nach
seiner Au8mf\ing znm Kaiser schenkte VcHpasian dem JoHcplius in dank-
barer Erinnerung an seine Weissagung die Freiheit {B. J. IV, 10, 7).
79) Ä J. IV, 10, «;. 11, 1. T(icit. Bist. II, 81-63.
[522. 523] § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). 623
69). Er selbst blieb noch bis zum Anfang des Sommers 70 in
Alexanidria^"), während sein Sohn Titus, dem er die Fortsetzung
des jüdischen Krieges übertragen hatte, ein Heer nach Palästina
führte^i)-
In Jerusalem war während dieser Zeit die innere Zerrüttung
wieder einen Schritt weiter gediehen. Statt der zwei Parteien
des Johannes und Simon gab es jetzt deren drei, indem von der
Partei des Johannes sich eine neue unter Eleasar Sohn Simon's
abgezweigt hatte. Simon hatte die Oberstadt und einen grossen
Theil der Unterstadt in seiner Gewalt, Johannes den Tempel-
berg und Eleasar den inneren Tempelvorhof. Alle drei lagen
unablässig mit einander im Kampf und machten die Stadt zu
einem fortwährenden Kriegsschauplatz. Dabei waren sie so thöricht,
die ungeheuren Getreide vorräthe, die in der Stadt angehäuft
waren, in Brand zu stecken, um sie sich gegenseitig zu entziehen,
nicht bedenkend, dass sie damit sich selbst die Mittel für die
Vertheidigung raubten^^)^ — "Während so Jerusalem in seinem
eigenen Fleisch wühlte, traf Titus die Vorbereitungen für die
Belagerung.
80) Nach Joseph. B. J. IV, 11, 5 wollte Vespasian nach Rom aufbrechen
Xij^avTog Tov x^i^ßfüvoq. Nach Tacitus wartete er in Alexandria die Zeit der
Bommerlichen Winde und die Sicherheit der Seefahrt ab {Hist. FV, 81: statos
aestivis flatibus dies et certa maris opperiebatur). Ueber seine Reiseroute s. bes.
Joseph. B. J. VII, 2, 1. Er kam aber erst in der zweiten Hälfte des Jahres 70
nach Rom. S. Schiller, Gesch. der röm. Kaiserzeit 1,500; Chambalu, Wann
ist Vespasian im J. 70, Titus im J. 71 aus dem Orient nach Rom zurück-
gekehrt? (Philologus Bd. XLIV, 1885, S. 502—517). Chambalu setzt die Ab-
reise Vespasians von Alexandria erst in den August, seine Ankunft in Rom in
den October des Jahres 70. Letzteres muss allerdings angenommen werden,
da Titus erst im November, als er in Berytus den Geburtstag Vespasian's
(17. Nov.) feierte, die Nachricht von der glücklichen Ankunft Vespasian's in
Italien erhielt {Joseph. Bell. Jttd. VII, 3, 1 vgl. mit 4, 1).
81) B. J. IV, 11, 5. Ueber den Marsch des Titus von Alexandria bis
Caesarea s. Chambalu, Philologus Bd. LI, 1892, S. 729 f. — Ueber die recht-
liche Stellung des Titus während des Krieges s. Pick, Der Imperatortitel
des Titus, in: Sallet's Zeitschr. für Numismat. Bd. XIII, 1885, S. 190-238
(behandelt auch die Zeit vor der Ausrufung des Titus zum Imperator).
82) B. J. V, 1, 1—5. Ta<dt. Hist. V, 12. Ueber die Vernichtung der Ge-
treidevorräthe auch die rabbinische Tradition bei Derenbourg p. 281. Ueber
die Verproviantirung während der Belagerung: Ad. Büchler, Zur Verpro-
viantirung Jerusalems im Jahre 69/70 n. Chr. (Gedenkbuch zur Erinnerung an
David Kaufmann, 1900) [auch über die Wasserversorgung; hinsichtlich der
Versorgung mit Lebensmitteln stützt sich Büchler auf die legendarische Er-
zählung der samaritanischen Chronik ed. Juynboll c. 47 über die Belagerung
Jerusalems durch Hadrianül.
624 § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). [523. 524]
4. Belagerung und Eroberung Jerusalem's (70 n. Chr.)^*).
Das Heer, welches Titus zur Verfügung hatte, bestand aus
vier Legionen. Ausser den drei Legionen seines Vaters, der 5., |
10. und 15., hatte er auch noch die 12., die schon unter Cestius
in Syrien gestanden und den Krieg so unglücklich eröffnet hatte.
Dazukamen die zahlreichen Hülfstruppen der verbündeten Könige^*).
Die Befehlshaber der Legionen waren: Sextüs Cerealis für die
5., Larcius Lepidus für die 10., Tittius Frugi für die 15. Legion;
der Befehlshaber der 12. wird nicht genannt. Als oberster Be-
rather (wir würden sagen, als Chef des Generalstabs) stand dem
Titus der ehemalige Procurator Judäas Tiberius Alexander
zur Seite^^). Während ein Theil des Heeres Befehl erheilt, vor
83) Der kurze Bericht des Dio Cassini LXVI, 4—6 über die Belagerung
Jerusalems giebt einige Einzelheiten, welche bei Josephus fehlen (s. die Be-
merkungen bei Beinach, Textes d'auteurs grecs et romains relatifs au Juda-
'isme, 1895, p. 189 sqq.). Sie sind indessen nur geringfügiger Art, und es lässt
sich nicht sicher ermitteln, wo sie in den Bericht des Josephus einzufügen
sind. — Ueber die Geschichte der Belagerung vgl. auch die Monographien
über Titus: Stange, De Titi imperatoris vitapart. I, Breslau 1870. — Double,
Vie de Vempereur Titus, Paris 1876 (angez. in der Revue archeol. N, S. XXXIII,
1877, 279 — 282). — Steinwenter, Titus Flavius Vespasianus mit besonderer
Berücksichtigung der Zerstörung Jerusalems, Graz 1876 (angez. in der Ztschr.
für die österr. Gymn. XXVIII, 1877, S. 70). — Otto Adalb. Hoffmann, De
imperatoris Titi temporibus rede definiendis, Marburg 1883 (gegen dessen An-
sicht, dass die Monatsdaten des Josephus nach dem julianischen Kalender
gegeben seien, s. unten Beilage III).
84) B. J. V, 1, 6. Tue. Eist. V, 1. Vgl. Cagnat, L'annee romaine au
siige de Jerusalem {Actes et Conferences de la Sociale des etudes juives 1891 [Bei-
lage zur lievue des Uudes juives t. XXII, 1891] p. XXVIII— LVIII).
85) B. J. VI, 4, 3. Ueber dio genannten Feldherren vgl. bes. Lion lie-
nier , Memoire aur les ofßciers qui assisth-ent au conseil de guerre tenu par
Titus, avant de livrer Fassaut du temple de Jerusalem (in den Mimoirc^ de V In-
stitut de France, Academie des Inscriptions et Bei/es- Ijcttres, t. XXVI, P. 1,
1867, p. 269— 321); auch die betreffenden Artikel in der Prosopographia imperii
Itf/mani (III, 415: Sex. Vettulenus Cerialis, 11,263: Larcius Lepidus, 111,330:
TittiuH Frugi). Ueber Tiberius Alexander h. oben S. 568. — Der Befehls-
liabj'f der 15. Legion heisst nicht Titus Frugi, wie unsere Handschriften
d('M Josephus hüben, sondern M. Tittius Frugi. 8. Lfon Ji'rnier p. 314. —
lUuiier's Bemerkungen über Cerealis sind zu berichtigen nach Monunsen,
Kphemeria epiffr. IV, 499, Corp. Jmrr. Lot, I. III Suppl. p. 1961 und Hohden,
De Palaestina et Arabia provinciis Jlomanis 1H85 p. 37 (Rcnier vermischt zwei
Cerealis mit uinandor; unspr Cerealis auch Inacr. liegni Neap. n. 46HÖ — Corp.
Inner. ImI. t. X n. 4862). — Tiberius Julius Alexander wird von Josephus
b«i:eichnflt als tcDv arfattvfiuttuv ai/ywv \lic.ll, Jiui. V, 1, 6), ndvtcuv xuiv öt()o-
xtvfiuxwv inuQXWv [B. J, VI, 4, 3). Ilicrmich ergänzt Monunmüi nuf der In-
[524. 525] § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). 625
Jerusalem zu ihm zu stossen, brach Titus selbst mit der Haupt-
macht von Cäsarea auf^^) und langte wenige Tage vor dem Passa-
feste (14. Nisan, etwa April) des Jahres 70 vor den Mauern der
heiligen Stadt an*^'). |
Titus war den Legionen mit 600 Reitern vorausgeeilt, um die
Gegend auszukundschaften, und hatte sich dabei so weit vorgewagt,
dass er durch einen Ausfall der Juden in die äusserste Gefahr kam
und nur seiner persönlichen Tapferkeit seine Rettung zu danken
hatte^^). Ueberhaupt hatten die Römer gleich bei ihrer Ankunft
von dem ungestümen Muth ihrer Gegner üble Erfahrungen zu
machen. Während die zehnte Legion, die von Jericho gegen
Jerusalem angerückt war, noch mit Befestigung ihres Lagers auf
dem Oelberg beschäftigt war, wurde sie mit solcher Wucht ange-
griffen, dass sie beinahe eine völlige Niederlage erlitten hätte. Nur
durch persönliches Eingreifen des Titus wurde die weichende Legion
zum Stehen gebracht und der Angriff abgeschlagen®^).
Die Parteikämpfe in der Stadt ruhten aber auch jetzt noch
nicht. Als die Römer schon vor den Thoren lagen, kam es beim
Passafeste abermals zu einem Gemetzel im Innern der Stadt. Die
Partei Eleasar's hatte für die Festbesucher die Thore des Tempel-
vorhofes geöffnet. Johannes von Gis-chala benützte dies, um seine
Leute mit versteckten Waffen sich einschleichen und Eleasar und
die Seinen unversehens überfallen zu lassen. Die Ueberraschten
Schrift von Aradus Corp. Inscr. Oraec. t. III p. 1178 n. 4536 f. = Hermes Bd.
XIX, 1884, S. 644: [Tißepio]v 'lovliov lll[e^dvSQOv i7i]agxov xov 'lovdai[xov
argatov]. Tiberius Julius Alexander war also „Generalstabs-chef. Die Stel-
lung dieses Beamten von Ritterrang in einem von einem senatorischen Feld-
herrn befehligten Heere war eine ähnliche wie die des praefectus praetorio in
der vom Kaiser selbst befehligten Armee. S. Momrasen. Hermes Bd. XIX,
1884, S. 644 ff". Der 8., Ephemeris epigraphiea t. V p. 578 zu n. 1344. Corp.
Inscr. hat. III Suppl. p. 1241 zu n. 6809. Pick in Sallet's Zeitschr. für Nu-
mismat. Bd. XIII, 1885, S. 207 f.
86) B. J. V, 1, 6.
87) Wie aus V, 3, 1 erhellt; vgl. V, 13, 7. — Im Heere des Titus befand
sich auch der ältere Plinius, und zwar als dvxfnixQonoq des Tiberius Julius
Alexander, nach Mommsen's glücklicher Ergänzung der Inschrift von Aradus
Corp. Inscr. Oraec. t. III p. 1178 n. 4536'". Mit Rücksicht hierauf sagt Plinius
in der Widmung seiner Naturgeschichte an Titus (§ 3): nobis quidem qttalis
in castrensi contiihemio. S. überh. Mommsen, Hermes Bd. XIX, 1884,
S. 644 — 648. Fabia, Plin l'ancien a-t-il assiste au süge de Jerusalem par Titus?
{Revue de philologie N. S. XVI, 1892, p. 149—155) [bejaht die Frage im An-
schluss an Mommsen, gegen Hirsch feld, Mittheilungen des deutschen archäol.
Instituts, römische Abth. Bd. II, 1887, S. 152].
88) B. J. V, 2, 1—2.
89) B. J. V, 2, 4—5.
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 40
626 § '^- I^er grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). [525. 526]
waren zum Widerstände zu schwach und mussten den Leuten des
Johannes den Yorhof räumen. Von nun an gab es in Jerusalem
wieder nur zwei Parteien: die des Johannes und des Simon^^).
Um die nun folgenden Belagerungsarbeiten zu verstehen, ist
es nöthig, sich wenigstens ein allgemeines Bild von der Lage der
Stadt zu verschaffen ^1). Jerusalem lag auf zwei Hügeln, einem
grösseren westlichen und einem kleineren östlichen, welche durch
eine tiefe von Norden nach Süden gehende Schlucht, das soge-
nannte Tyropöon, getrennt waren. Auf dem grösseren westlichen
Hügel lag die Oberstadt, auf dem kleineren östlichen die Unter-
stadt. Letztere hiess auch „Akra", weil hier früher die durch
Antiochus Epiphanes erbaute Burg von Jerusalem gelegen hatte^^^^
Nördlich von der | Akra lag der Tempelplatz, dessen Umfang
von Herodes bedeutend erweitert worden war. An den Tempel-
platz schloss sich wiederum im Norden die Burg Anton ia an.
Der Tempelplatz war auf allen vier Seiten von einer starken
Mauer umgeben und bildete so für sich allein eine kleine Festung.
Ober- und Unterstadt waren von einer gemeinsamen Mauer um-
geben, welche an die westliche Mauer des Tempelplatzes sich an-
schloss, dann zunächst nach Westen lief, hierauf in einem grossen
südlichen Bogen Ober- und Unterstadt umspannte, und endlich an
der südöstlichen Ecke des Tempelplatzes endigte. Ausserdem uuiss
aber auch die Oberstadt von der Unterstadt durch eine von Norden
nach Süden am Tyropöon entlang ziehende Mauer getrennt ge-
wesen sein. Denn Titus musste, als er bereits im Besitze der
90) B. J. V, 3, 1. ladt. Bist. V, 12 ßn.
91) Vgl. die Beschreibung B. J. V, 4. — Aus der fast unabsehbaren Lite-
ratur über die Topographie von Jerusalem ist das Bemerkcnswerthere oben
S. 15 hervorgehoben. Die Hypothesen der neueren Forscher über die alte
Topographie sind durch Specialkarten dargestellt in Menke's Bibelatlas Bl.V
und noch vollständiger bei Zimmermann, Karten und Pläne zur Topographie
des Alten Jerusalem, Basel 1876. Die besten Pläne des heutigen Jerusalem
sind die von Wilson und Zinimermann-Socin (s. oben S. 17). — Die
Resultate der neuesten Forschungen über den Lauf der Mauern, nament-
lich der sogenannten zweiten, giebt Buhl, Geographie des alten Palästina
8. Ißl ff", (dazu den Plan S. 136), hauptsächlich nach Schick, Zeitschr. des
DPV. VIII, 1885, 8. 245 fl". und Spies«, ebendas. XI, 1888, S. 46 ff.
92) Die Lage der Akra und Unterstadt ist der umstrittenste Punkt in
der Topograj)hie von JeruHalem. Bei einer methodischen Verwerthung der
Qnellen ücheint mir aber die obige Ansetzung sich mit Sicherheit zu ergeben.
Vgl. oben 8. 198 f. Gerade die Geschichte der Belagerung durcli Titus bestätigt
dleMlbe. Denn Titus, der vom Norden her vordringt, kommt erst nach Kiii-
nahme des Tempclplat/eH in <len Besitz der Unterstadt, die also südlich vom
Tempelplatc gelegen haben uiuhh. Hie erstreckte sich bis zum Siloa (7^. J.
VI, 7. 2).
[526. 527] § 20. Der grosse Krieg gegen Eom (66—73 n. Chr.). 627
Unterstadt war, erst noch seine Sturmböcke gegen die Mauer der
Oberstadt richten. — Die äussere Mauer stand im Westen, Süden
und Osten über steilen Abhängen; nur im Norden verlief der Boden
ziemlich eben. Hier schloss sich in einem nördlichen Bogen eine
zweite Mauer an, welche die ältere Vorstadt einschloss; und
dann in einem noch weiteren nördlichen Bogen eine dritte Mauer,
welche von Agrippa J begonnen und erst während des Aufstandes
nothdürftig vollendet worden war. Diese dritte Mauer schloss die
sogenannte Neustadt oder Vorstadt Bezetha ein^^j^
Wie es die Lage der Stadt von selbst erheischte, richtete Titus
seinen Angriff gegen die nördliche Seite, also zunächst gegen die
äusserste dritte oder, vom Standpunkt der Angreifer gesprochen,
erste Mauer. Erst jetzt, als die Sturmböcke an drei Stellen ihre
Arbeit begannen, verstummte der innere Krieg; und die beiden Par-
teien Johannes von Gis-chala's und Simon ßar-Giora's verbanden
sich zu gemeinsamen Ausfallen. Bei einem derselben kämpften sie
mit solchem Erfolg, dass nur dem Eingi-eifen des Titus (der selbst
zwölf der Feinde niederschoss) die Erhaltung der Maschinen zu
danken war^^). Nach fünfzehntägiger Arbeit hatte einer der ge-;
waltigen Sturmböcke eine Lücke in die Mauer gestossen, die Römer
drangen ein und wurden am 7. Artemisios (Ijjar, etwa Mai) Herren
der ersten Mauer ^^).
Es begann der Angriff auf die zweite Mauer. Fünf Tage
nach Einnahme der ersten musste auch diese dem Anprall des
römischen Sturmbockes weichen. Titus zog mit einer auserlesenen
Schaar ein, wurde zwar von den Juden wieder zurückgeworfen,
gewann sie aber vier Tage später aufs Neue und behauptete sie
jetzt endgültig^^).
Gleichzeitig Hess er nun gegen die Oberstadt und gegen die
Anton ia Sturmwälle aufwerfen, zwei gegen diese und zwei gegen
jene; jede der vier Legionen hatte einen zu bauen. Die Ver-
theidigung der Oberstadt leitete Simon Bar-Giora, die der Antonia
Johannes von Gis-chala^'). Während die Arbeiten im Gange
waren, musste Josephus — freilich erfolglos — die Stadt zur
Uebergabe auffordern ^S). Doch begann bereits Maugel an Lebens-
mitteln einzutreten, infolge dessen viele der ärmeren Einwohner
93) üeber Bezetha vgl. oben S. 605.
94) B. J. V, 6, 2—5. Stieton. Tit. 5: duodedm propttgnatores totidem sagit-
iarum eonfecit ictibus.
95) B. J. V, 7, 2.
96) B. J. V, 7, 3—4; 8, 1-2.
97) B. J. V, 9, 2; vgl. 11, 4.
98) B. J. V, 9, 3-4.
40*
628 § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). [527. 528]
vor die Stadt kamen, um sich Lebensmittel zu suchen. Wer von
ihnen den Römern in die Hände fiel, ward — um den Belagerten
Schrecken einzujagen — im Angesicht der Stadt gekreuzigt oder
mit verstümmelten Grliedern wieder zurückgejagt^^).
Am 29. Artemisios (Ijjar, etwa Mai) waren die vier Wälle
vollendet. Simon und Johannes hatten nur die Vollendung ab-
gewartet, um nun alle Kraft daran zu setzen, die Werke ange-
strengter, mühsamer Arbeit wieder zu zerstören. Die gegen die
Antonia gerichteten zerstörte Johannes von Gis-chala dadurch,
dass er einen unterirdischen Gang unter sie graben, diesen mit
Pfählen stützen und dann die Pfähle in Brand stecken Hess, wo-
durch die Wälle einsanken und mitverbranuten. Zwei Tage später
vernichtete Simon Bar-Giora auch die gegen die Oberstadt ge-
richteten durch Feuer**^'').
Ehe Titus den Bau neuer Wälle versuchte, griif er zu einem
andern Mittel. Er liess die ganze Stadt mit einem ununterbrochenen
Stein wall (relxog) umgeben, um jede Zufuhr abzuschneiden und die
Stadt auszuhungern. Mit wunderbarer Schnelligkeit war das Werk
in drei Tagen vollendet. Zahlreiche Streifwachen sorgten dafür,
dass Niemand hinauskam 'oi). Die Hungersnoth erreichte infolge
dessen | in der Stadt eine furchtbare Höhe; und wenn auch nur
die Hälfte dessen auf Wahrheit beruht, was die erfinderische
Phantasie des Josephus erzählt, so war sie iumier noch schrecklich
genug '®2). Dass unter solchen Umständen Johannes von Gis-chala
99) B. J. V, 10, 2-5. 11, 1-2.
100) B. J. V, 11, 4-6.
101) B. J. V, 12, 1—2. Ev.Iaic. 19, 43. Aehnliche Circuravallationen kamen
öfters vor. Am berühmtesten ist die von Alesia durch Cäsar {Bell. Oall. VII,
69: fossamque et tnaceriam sex in altittidinem pediim praednxerant; yus muni-
tionis, quae ah Romanis instituebatur, circuiius XI milium passuum tcucbat).
Auch Manada wurde, ehe man zum Angriffe schritt, durch eine solche Uni-
fasBungsmauer eingeschlossen {Jos. Bell. Jiid. VII, 8, 2). Grosse Reste der-
selben sind dort noch heute erhalten. Sie war aus unbehauenen Steinen ohne
Anwendung von Mörtel errichtet (s. The Survei/ of Western Palcstine, Menioirs
III, 421, und überhaupt die unten Anm. 137 genannte Literatur). Vgl, auch:
Marquardt, Römische Staatsverwaltung Bd. II, 1876, S. 509.
1(J2) B. .7. V, 12, 3. 13, 7. VI, 3, 3; vgl. Ahoth derabbi Nathan c. 6 (bei
Dertnbourg p. 2Hr)). Bekannt ist die Schauergcscliichti' von joncr Maria aus
Beth-EHÖb, welche vom Hunger getrieben ihr eigenes Kind verzehrte. 8.
Bell. Jud. VI, 3, 4; Euseb. IL K III, «5; Jlicrmt. ad Joel 1, 911'. (opp. cd. Vallarsi
VI, 178); und dio Stelen aus Talmud und Midrasch bei Grätz Bd. III, 4. Aufl.
8. 637 (2. Aufl. 8. 401). — UebrigenB gehört das Verzehren der eigenen Kinder
zur lierkömmlicbcn Bcenerio einer Schilderung des KriegHeleu<les; so als Droh-
ung: Up. 26, 29. Dmt. 28, 53. Jrrmi. 19, i). Excrh. 5, 10; als Geschichte:
II Rtg. 6, 28—29. Thren. 2, 20. 4, 10. Barurh 2, 3.
[528. 529] § 2U. Der grosse Krieg gegen Eom (66—73 n, Chr.). 629
das heilige Oel und den heiligen Wein zu profanen Zwecken ver-
wendete, kann nur ein Josephus ihm zum Vorwurf machen '^3).
Indessen liess Titus auch wieder Sturuiwälle bauen und zwar
jetzt vier der Antonia gegenüber. Das Bauholz dazu musste, da
die Umgegend vollständig entblösst war, aus einer Entfernung von
90 Stadien (4'/2 Stunden) herbeigeschafft werden ^"^). Nach 21tägiger
Arbeit waren sie vollendet. Ein Ausfall, den Johannes von Gis-
chala zu ihrer Zerstörung am 1. Panemos (Tammus, etwa Juli)
unternahm, misslang, da er nicht mehr mit der frühern Energie
ausgeführt war, während die Römer ihre Wachsamkeit verdoppelt
hatten ^"^). Kaum hatten die Juden sich zurückgezogen, so be-
gannen die Sturmböcke gegen die Mauer zu stossen; zunächst ohne
wesentlichen Erfolg. Doch war die Mauer durch die Stösse so er-
schüttert, dass sie bald darauf an der Stelle, wo die Mauerbrecher
gearbeitet hatten, von selbst einsank. Die Erstürmung war aber
auch jetzt noch schwierig, da Johannes von Gis-chala schon zu-
vor hinter ihr eine zweite errichtet hatte. Auf eine ermunternde
Ansprache des Titus hin machte am 3. Panemos (Tammus, etwa
Juli) ein syrischer Soldat, Namens Sabin us, mit elf Kameraden
den Versuch, die Mauer zu | erklimmen, fiel aber mit drei seiner
Gefährten im Kampf '<>ß). Zwei Tage darauf (5. Panemos) verbanden
sich etwa 20—30 andere, um den Versuch zu erneuern. Sie er-
steigen des Nachts heimlich die Mauer, stossen die ersten Posten
nieder; Titus drängt eiligst nach und jagt die Juden bis auf den
Tempelplatz. Von hier werden die Römer zwar wieder zurück-
geschlagen, behaupten aber die Antonia, die alsbald ge-
schleift wird^oT).
Trotz Krieg und Hungersnoth hatte man bisher noch immer
das tägliche Morgen- und Abendopfer regelmässig dargebracht. Am
17. Panemos (Tammus, etwa Juli) musste es endlich eingestellt
werden, auch jetzt nicht etwa der Hungersnoth wegen, sondern
„aus Mangel an Männern" ^ •'S). Da eine abermalige Aufforderung
des Josephus zur Uebergabe erfolglos blieb, und ein nächtlicher
Angriff eines auserlesenen Theiles des Heeres auf den Tempelplatz
resultatlos verlief <'9)^ so traf Titus nun die Vorbereitungen zu
103) B. J. V, 13, 6.
104) B. J. V, 12, 4.
105) B. J. VI, 1, 1-3.
106) B. J. VI, 1, 3-6.
107) B. J. VI, 1, 7—8. 2, 1.
108) B. J. VI, 2, 1. Mischna Taanith IV, 6: T^atj^! ^^3 nars nrr nrr^".-
Vgl. über das tägliche Morgen- und Abendopfer: Bd. II, »S. 288 ff". 294 ff.
109) B. J. VI, 2, 1-6.
630 § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). [529. 530]
einem regelrechten Sturm auf den befestigten Tempelplatz. Dieser
bildete ein ziemlich regelmässiges Viereck, das ringsum von festen
Mauern umgeben war, längs deren im Innern überall Säulenhallen
herumliefen. Innerhalb dieses grossen Platzes bildete der eben-
falls auf allen Seiten von starken Mauern umgebene innere Vorhof
einen zweiten vertheidigungsfähigen Raum, der den Belagerten
auch nach Verlust des äusseren Platzes noch Sicherheit bot. Titus
musste zunächst der äusseren Mauer Herr zu werden suchen.
Wieder wurden vier Wälle errichtet, zu welchen das Material nun
schon 100 Stadien (5 Stunden) weit hergeholt werden musste i^<^).
Während daran gearbeitet wurde, fand am 27. Panemos eine An-
zahl Römer dadurch ihren Tod, dass sie durch den Abzug der Juden
von der Höhe der westlichen 'Säuleuhalle sich verleiten Hessen,
dieselbe zu erklimmen. Sie war aber vorher von den Juden mit
brennbaren Stoffen angefüllt worden. Als nun die Römer oben
waren, steckten die Juden die Halle in Brand; und das Feuer
griff mit solcher Schnelligkeit um sich, dass die Soldaten sich nicht
mehr retten konnten und in den Flammen umkamen ''^).
Als die Wälle am 8. Loos (Ab, etwa August) vollendet waren,
wurden die Widder herbeigeschafft, und die Sturmarbeit begann.
Aber gegen die ungeheuren Mauern konnten sie nichts ausrichten.
Um I zum Ziele zu kommen, Hess daher Titus an die Thore Feuer
legen und öffnete so den Eingang zum äusseren Tempelplatz ^^ 2).
Am andern Tage (9. Ab), als die Thore vollends niedergebrannt
waren, hielt Titus Kriegsrath, in welchem beschlossen wurde, den
Tempel zu schonen '^ 3). Als aber Tags darauf (10. Ab) die Juden
rasch hintereinander zwei Ausfälle vom inneren Vorhof aus machten
und bei dem zweiten Ausfall von den Soldaten, welche mit dem
Löschen des Brandes der Säulenhallen beschäftigt ^ waren, bis in
den inneren Vorhof zurückgetrieben wurden, warf ein Soldat eine
Brandfackel nach einer Kanmier des eigentlichen Tempelhanses***).
Wie dies dem Titus gemeldet wurde, eilt er hinzu; die Feldherren
und Legionen ilim nach. Titus befiehlt zu löschen. Aber in dem
wilden Kampfe, der sich nun entspinnt, werden seine Befehle über-
hört, und das Feuer greift immer mehr um sich. Noch hoffte Titus
wenigstens das Innere des Tempelhauses zu retten und erneuert
HO) B. J. VI, 2, 7.
lllj ß. J. VI, 3, 1-2.
112) H. J. VJ, 4, 1—2. Die Anlegung des Feuers erwähnt auch Dio Gass.
LXVI, 0, »chroibt hIo aber den Juden zu, welche zu dioseni Mittel grillen,
um die Bönier am Vordringen zu hindern, Das klingt sehr iinwnlirHclwMiilich.
113) B. J. VI, 4, ^.
114) B. J. VT, 4, 4— ö.
[530] § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66-73 n. Chr.). 631
die Befehle zum Löschen. Aber die Wuth der Soldaten hört nicht
mehr anf seine Befehle. Statt zu löschen, legen sie neue Feuer-
brände an; und das ganze herrliche Werk wird rettungslos ein
Kaub der Flammen. Dem Titus war es eben noch gelungen, das
Innere zu besichtigen, ehe es von den Flammen ergriffen wurde •'^).|
115) B. J. VI, 4, 6 — 7. — Das Datum des Tempelbrandes ist nach Obigem
der 10. Leos = Ab, wie Josephus auch B. J. VI, 4, 5 ausdrücklich angiebt.
Die rabbinische Tradition setzt die Zerstörung des Tempels auf den 9. Ab
{Mischna Taanith IV, 6: n*3TS?n nrcxns r^an ann nsja nsirns) und zwar
auf den Vorabend desselben [b. Taanith 29" : -xa ns^n ans, Derenbourg p. 291),
d. h. nach unseren Begriffen auf den 8, Ab. Sie betrachtet also den Tag als
Zerstörungstag, an welchem Titus das Feuer an die Thore des Tempelplatzeß
legen Hess. Nach rabbinischer Tradition war es gerade Sabbath-Ausgang,
raa "^XSl^, als der Tempel zerstört wurde (s. oben S. 35 und Derenbourg
]). 291). Nach Dio Cass. LXVl, 7 wurde Jerusalem zertört iv aviy xy xov
KqÖvov yjfi^Qti.
Nach der Darstellung des Josephus, welche oben wiedergegeben ist, hatte
Titus das eigentliche Tempelhaus schonen wollen {B. J. VI, 4, 3). Abweichend
ist die Darstellung des Sulpieius Severus Ghron. 11,30: Fertur Titus adhi-
bito consilio prius deliberasse, an templum tanti operis ecerteret. Etenim non-
nuUis videbcUur, aedem sacratam ultra umnia mortaiia illustrem nan oportere
deleri, quae servata modestiae Bomanae testimoniwn, diruta perennem erudeli-
tatis notam praeheret. At contra alii et Titus ipse evertendum in primis
templum censebant, quo plenius Judaeorum et Christianorum relif/io tolle-
retur: quippe has religiones, licet contrarias sibi, isdem tarnen ab auctoribus
profectas; Christianos ex Judaeis extitisse: radice sublata stirpem facile peri-
turam. Mit etwas anderer Motivirung schreibt auch Orosius VII, 9, 5 — 6
die Zerstörung dem Titus zu. Da nun Sulpieius Severus, wie Bernays nach-
gewief<en hat, sonst aus Tacitus schöpft, so hat Bernays angenommen, dass
auch in diesem Punkte seine Darstellung auf Tacitus' Historien, die uns für
diese Zeit nicht erhalten sind, zurückgehe und den Vorzug vor Josephus ver-
diene, der den Titus von der «oto cr^«fe/^^a^^s habe befreien wollen (Bernays,
lieber die Chronik des Sulpieius Severus, 1861, S. 48—61 = Gesammelte Ab-
handlungen II, 159—181). Wie Bernays auch: Gutschmid, Jahrbb. für class.
Philol. 1863, S. 711 f. = Kleine Schriften V, 282 f. und ebendas. IV, 345.
Stange, De Tili imperatoris vita P. I, 1870, p. 39—43; Schiller, Gesch. der
röm. Kaiserzeit I, 399. Thiaucourt, Revue des etudes juives t. XIX, 1889,
p. ^ösqq. Harnack, Art. „Sulpieius Severus" in Herzog's Real-Enc. 2. Aufl.
XV, 64f. Niese, Histor. Zeitschr. Bd. 76, 1896, S. 203. H. Peter, Die ge-
schichtliche Litteratur über die römische Kaiserzeit Bd. I, 1897, S. 399 f. La-
vertujon, La Chroniqiie de Sulpice Severe, /m-e II, 1899, />. 394— 400. Schwan-
kend äussern sich: Renan, Der Antichrist S. 405—410, und Mommsen,
Röm. Gesch. V, 538 f. Gegen Bernays: Ewald, Nachrichten der Göttinger
Ges. der Wissensch. 1861, S. 252—260. Grätz, Gesch. der Juden III, 4. Aufl.
S. 538 f. und Hausrath, Zeitgesch. 2. Aufl. III, 474. Nur allgemeines Rai-
sonnement, ohne Eingehen auf die Quellenfrage, giebt: Illhardt, Titus und
der jüdische Tempel (Philologus Bd. XL, 1881, S. 189-196) [Titus habe die
Absicht gehabt, den Tempel zunächst zu erhalten, um ihn zu beschauen und
zu plündern, dann aber doch zu zerstören]. Zu einer vermittelnden Anschau-
632 § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). [531]
Während die Eöiiier alles, was ihnen in die Hände fiel, Kinder
und Greise, Priester und Nichtpriester, niedermetzeln und den
furchtbaren Brand noch absichtlich schüren, damit nichts von der
Flamme verschont bleibe, gelang es Johannes von Gis-chala
mit seiner Zelotenschaar in die Oberstadt zu entkommen. Noch
ehe der Tempel ausgebrannt war, pflanzten die Legionen im Vor-
hof ihre Feldzeichen auf und begrüssten ihren Feldherrn als
Imperator^ ^6).
ung ist Valeton auf Grund sehr eingehender Untersuchungen gelangt {I)e
bedoelingen van Keixer Vespasianus omtrent Jeruxalem en den tempel tijdens het
beleg [ Verslagen en Mededeelingen der Koninklijke Akademie van Wetenschappen,
Afdeeling Letterkunde, IV. reeks, deel 3, 1899, p. 87 — 116]. Derselbe, Hieroso-
lyma capta [Mnemosyne N. S. w^. XXVII, 1899, p. 78 — 139]). Valeton meint,
dass Josephus im Einzelnen nichts positiv Unrichtiges sage, aber doch durch
Verschweigen wichtiger Thatsachen einen falschen Schein erwecke. Er ver-
schweige: 1) dass im Kriegsrath ausdrücklich beschlossen wurde, den Tempel
zu besetzen, also im Nothfall mit Gewalt zvi stürmen, wenn auch nicht zu
zerstören, 2) dass der Tempel von den Juden besetzt war, also mit Gewalt
erstürmt werden musste. Beides gehe aus Dio Cass. LXVI, 6 und indirect
auch aus Josephus selbst (VI, 4, 5. 5, 1) hervor. Was die Quellen Verhältnisse
anlangt, so glaubt Valeton, dass der Bericht des Sulpicius Severus nicht
auf Tacitus, sondern seiner Grundlage nach auf Josephus zurückgeht. (Ta-
citus giebt Hisf. V, 13 die Zahl der Belagerten auf 6(X),000 an, Josephus B.
J. VI, 9, 3 die Zahl der bei der Belagerung Umgekommenen auf 1,100,000;
ebenso Sulpicius Severus II, 30). Sulp. Sev. habe aber den Josephus nicht
direct benützt, sondern durch Vermittelung einer Quelle, in welcher der Be-
richt des Josephus benützt und corrigirt war (Antonius Julianus?). Diese
Correctur entspreche zwar der „höheren Wahrheit", gebe aber doch auch nicht
genau die thatsächliche Wahrheit (Vers/, en Mededeel.p. 113). — Die Benützung
des Tacitus durch Sulp. Sev. scheint mir in der That in diesem Falle schon
wegen der angeführten Zahlen nicht wahrscheinlich. Ausserdem kann aber
auch die im Munde des Titus unmögliche Begründung seines Gutachtens nicht
so bei Tacitus gestanden haben. Die Thatsachen selbst dürften annähernd
so, wie Valeton es sich vorstellt, verlaufen sein. Jenachdem der Berichter-
statter das Hauptgewicht darauf legte, dass Titus den Tempel besetzen (nicht
als Ueiligtiium unberülirt lassen) wollte, oder darauf, dass er nicht die Ab-
sicht der Zerstörung hatte, konnte der Bericht so oder so gefärbt werden.
Eine bestimmte Directivc von Seite Vespasian's (welche Valeton annimmt)
kann aber nicht vorgelegen haben. Dann wäre ja die Berathung überflüssig
gewesen.
116) Ä J. VI, B, 1—2. BegrüSHung des Titus als Imperator: B. J. VI,
6, 1. Sueton. Tit. 6. Dio Caaa. LXVI, 7. Oroa. VII, ü, (5. Ueber die Bedeu-
taog des Vorganges bes. Sueton. l. c. (Titus kam in den Verdacht, dass er
von Vespasian abfallen und sich ziuii selhständigc^n Herrn des Orientes machen
wolle). — Näheres bei Teuffei in Pauly's Keal-Enc. VI, 2, 2490. — Momni-
■ en, Imperutortit«'] des Titus (Wiener Numisniat. Zeitschr. Bd. III, 1871,
8. 4ft8 — 478). — F. J. Hoff mann, (^omodo qtiandu Titus impcratur [actus ait,
Jiomme 1H83. — Chambalu, Der Verfflssungsstreit zwischen Titus und Ves-
(531. 532] § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). 633
Mit dem Untergange des Tempels war das Eroberungswerk
noch immer nicht vollendet. Noch galt es die Oberstadt, diese letzte
Zufluchtstätte der Belagerten, zu bezwingen. Aufs Neue forderte
Titus den Simon und Johannes zur Uebergabe auf. Die Be-
lagerten verlangten aber freien Abzug, dei" ihnen nicht gewährt
werden konnte i*'). Auf Befehl des Titus wurden nun die von
den Römern besetzten Stadttheile: der Ophla, das Archiv, das
Rathhaus, die Unterstadt bis zum Siloah, in Brand gesteckt,
während | gleichzeitig die Tyrannen in der Oberstadt mordeten
und plünderten ^'^).
Da an freiwillige Ergebung der Belagerten nicht zu denken
war, musste uoch einmal zur Errichtung von Wällen geschritten
werden. Sie wurden theils an der nordwestlichen Ecke der Ober-
stadt beim Herodespalast, theils an der nordöstlichen Ecke in der
Nähe des sogenannten Xystos angelegt. Am 20. Leos (Ab, etwa
August) begann der Bau; am 7. Gorpiaios (Elul, etwa September)
war er vollendet. Die Sturmböcke stiessen bald eine Lücke in
die Mauer, durch welche die Soldaten mit leichter Mühe eindrangen,
da die Belagerten in ihrer verzweifelten Lage keinen ernsten
Widerstand mehr leisteten''^). Ein Theil machte den Versuch,
sich durchzuschlagen und die Einschliessungsmauer beim Siloah zu
durchbrechen. Sie wurden aber zurückgewiesen und flüchteten
sich in die unterirdischen Ciänge. ünterdess wurde die ganze Ober-
stadt von den Römern besetzt. Die Feldzeichen wurden aufge-
pflanzt und der Siegesgesang angestimmt. Mordend, brennend und
plündernd durchzogen die Soldaten die Stadt. Nach fünfmonat-
licher Belagerung, nachdem man Schritt für Schritt mühsam vor-
dringend eine Stellung nach der andern hatte erringen müssen,
war endlich am 8. Gorpiaios (Elul, etwa September) die ganze
Stadt in den Händen der Sieger '^o).
Wer von den Einwohnern noch nicht dem Hunger oder Schwerte
zum Opfer gefallen war, wurde hingerichtet oder in die Bergwerke
geschickt oder zu Gladiatorenkämpfen bestimmt. Die schönsten und
kräftigsten Männer wurden für den Triumph auserlesen. Unter den
pasian (Philologus Bd. XLIV, 1885, S. 123— 131). — Pick, Der Imperatortitel
des Titus (Saliet's Zeitschr. für Numismatik Bd. XIII, 1885, S. 190-238).
Hierzu Schiller in Bursian's Jahresber. Bd. 52, S. 17— 25. — Mommsen, Zu
den Münzen des Titus (Saliet's Zeitschr. für Numism. Bd. XIV, 1887, S. 31
bis 35).
117) B. J. VI, 6, 2—3.
118) B. J. VI, 6, 3. 7, 2-3.
110) B. J". VI, 8, 1—5.
120) B. J. VI, 8, 5. 10, 1.
634 § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). [532. 533]
Flüchtlingen, welche vom Hunger getrieben aus den unterirdischen
Gängen hervorkamen, fand man auch Johannes von Gis-chala.
Da er um Gnade bat, schenkte man ihm das Leben, warf ihn
aber auf Lebensdauer ins Gefängniss. Erst geraume Zeit später
wurde auch Simon Bar-Giora ergrifi'en. Er wurde als Opfer
für den Triumph aufbewahrt ^^i). Die Stadt wurde dem Erdboden
gleichgemacht. Nur die drei Thürme des Herodespalastes : Hippi-
kos, Phasael und Mariamme, und einen Theil der Mauer liess man
stehen, erstere als Denkmäler der einstigen Festigkeit der Stadt,
letztere als Schutz für die zurückbleibende Besatzung. Durch eine
Lobrede auf das Heer, Belohnung hervorragender Waflfenthaten,
Dankopfer | und Festschmaus feierte Titus den schwer und mit
vielen Opfern errungeneu Sieg '22)^
5. Das Nachspiel des Krieges (71 — 73 n. Chr.).
Während die zehnte Legion als Besatzung in Jerusalem zurück-
blieb, zog Titus mit dem übrigen Theil des Heeres nach Cäsarea
(am Meere), wo die Beute niedergelegt und die Gefangenen in Ge-
wahrsam gebracht wurden'^s). Von da ging Titus nach Cäsarea
121) B. J. VI, 9, 2. 4. VII, 2, 1—2.
122) B. J. VII, 1, 1 — 3. — Von den drei Thürmen des Herodespalastes ist
noch heutzutage einer (nach gewöhnlicher Annahme der Hippikos, nach Schick
der Phasael) unter dem Namen „Davidstliurin" erlialten. Eine genaue Beschrei-
bung giebt Schick, Zeitschr. des deutschen Palästina-Vereins, I, 226 ff. Ab-
bildungen z. B. in Riehm's Handwürterb. I, 210 (Art. „Burg"); Ebers und
Gut he, Palästina Bd. I, S. 9.
123) B. J. VII, 1, 2—3. — Die zehnte Legion stand noch zur Zeit des Die
Caasius (Anfang des dritten Jahrhunderts n. Chr.) in Judäa, IHo Cass. LV,
23. Erst Eusebius erwähnt sie als Besatzung von Aela am rothen Meere {Euseb.
Onomast. ed. Lagarde p. 210). Inschriften, aufweichen sie erwähnt wird, sind
in neuerer Zeit mehrfach in JoruHalem gefunden worden. 1) Eine kurze und
fragmentarische ist um ausführiiclisten besprochen von Glcrmont- Ganneati,
Comptes rendtis de l'Acadimie des Insrriptwns et Bellcs-Lcttres de l'annie 1872,
p. 1(33 — 170. Dieselbe auch in: Palestine Exploration Fuiid Quarterly Statement.«
1871, 103. Ephemcria epigr. II p. 292 w. 345. Corp. Inscr, hat. 111 Suppl. v.
♦W38. The Surrcy of Western Palestine, Jerusalem p. 427. 2) Eine andere, et-
wa« nmfangreichcrc ist eingehend behandelt von Zangemeistor, Zeitschr.
dea DPV. X, 1887, S. 49-63. XI, 1888, S. 138. Dieselbe auch bei Merrill,
Quarterly Statements 1886,. 73. Gorp. Insor. Lat. 111 Suppl. n. ()641. Harris,
8ome interesting Syrian and Palestinian insoriptions, 1891, p. 7 (hier 8. (5—17
nach anderes Material zur Gesch. der 10. Legion). 3) Eine dritte: Quarterly
Statement» 1898, p. 36. 4) Auch Ziegel mit dem Stempel der J^g. X Fre-
tenei» sind unter dem Bchuttzum Vorschein gekoinineii. S. Glermont-Oan-
neau, Campte» rendu» de VAcad. des Insor. et Brllcs-Lcltres 1872, p. 158— 1(J3.
Ephemeris epigr. II, p. 203 n. 340. Und. I. V p. (ilH //. 1441. Corp. Imcr. Lat.
[533. 534] § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). 635
Philip pi, wo ein Theil der Gefangenen Thierkämpfe und Gladia-
torenspiele aufführen musste'^^). in Cäsarea aiu Meere, wohin er
sich wieder zurück begab, feierte er den Geburtstag seines Bruders
Domitian (24. October) abermals durch glänzende Spiele. Ebenso
in Berytus den seines Vaters Vespasian (17. November). Nach
einem längeren Aufenthalte in Berytus^^s) zogTitus nach Antiochia,
unterwegs in den Städten überall Spiele feiernd, bei welchen die
jüdischen Gefangenen als Gladiatoren sich gegenseitig abschlachten
nuissten. Nach kurzem Aufenthalt in Antiochia zog er weiter nach
Zeugma am Euphrat und von da wieder zurück nach Antiochia;
von hier nach Aegypten. In Alexandria entliess er die Legionen.
Von den Gefangenen wurden 700 von auserlesener Schönheit, sowie
die Anführer Simon und Johannes für den Triumph bestimmt» 2 6),
Nun segelte Titus nach Rom^^v), wurde von seinem Vater und
dem Volke mit Jubel empfangen und feierte gemeinsam mit seinem
Vater und Bruder (im J. 71) einen Triumph, obwohl der Senat
jedem von ihnen einen eigenen zuerkannt hatte ^^s). Bei dem
III Suppl. n. 6651. Gii the, Zeitschr. des DPV. V, 1882, Taf. X Fig. A. Merrill
Quarterly Statements 1885, 133. Bei neueren Grabarbeiten sind überliaupt
„eine Anzahl von Ueberresten der zehnten Legion" gefunden worden (a num-
ber of relics of the tenth legion, s. Merrill, Quarterly Statements 1886, 72).
Den reichsten Ertrag lieferte eine grosse, katakombenartige Grabanlage auf
dem Oelberge, in welcher zahlreiche Ziegel mit dem Stempel LXF oder
LXFre gefunden wurden, die als Deckel bei einzelnen Gräbern verwendet
waren (s. Schick, Zeitschr. des DPV. XH, 1889, S. 198—199). Ueber zwei
Ziegel mit Figuren (der eine mit einem Schiff, der andere mit einem Eber)
8. Michon, Revue biblique t, IX, 1900, p. 101—105. 5) Ueber eine Münze der
L. X. F., welche in Jerusalem gefunden wurde, s. de Saulcy, Eevtie archeol.
Nouvelle Serie t. XX, 1869, p. 251 — 260; ders., Numismatique de la Terre
Sainte p. 83 sj. pl. V w. 3, — Ausserhalb Jerusalems, aber in Palästina
kommen Erwähnungen der zehnten Legion vor: 1) Auf einer Inschrift zu
Amman (Philadelphia): [AJey ösxätTjg <P[qsz] Pogöiüvriq, The Survey of Eastern
Pal. I jo. 54, dazu Clermont-Ganneau, Revue archeol. trois. Serie t. XXVIII,
1896, p. 346. 2) Auf einer Inschrift, deren Fundort unsicher ist (nach neueren
Informationen Clermont-Ganneau's wahrscheinlich Gadara) : imp. Caes. Traian.
Hadriano Aug. P. P. leg. X fret. coh. I, s. Clermont-Ganneau, Comptes
rendus de l'Acad. des Inscr. 1894, p. 261. Ders., Etudes d'archeologie Orientale
t. I, 1895, p. 168—171. Ders., Recueil d' archeol. Orientale II, 299-302. Auf
dem Steine, welcher sich jetzt in Paris befindet, sind auch Figuren eingegraben,
u. A. Neptun mit dem Dreizack, woraus man schliessen darf, dass die Legion
ihren Beinamen vom Meere hat (Michon, Revue bibl. l. c.\
124) B. J. VII, 2, 1.
125) B. J. VII, 3, 1: ygoviatsgav inonjaaxo t^v miSrj(x.lav.
126) B. J. VII, 5, 1-3.
127) Die Ankunft des Titus in Eom setzt Chambalu (Philologus XLIV,
1885, S. 507—517) „etwa Mitte Juni 71".
128) B. J. VII, 5, 3—7. Dio Cass. LXVI, 7. Der Triumphbogen des Titus,
636 § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). [534. 535]
Triumphe wurde der feindliche Anführer Simon Bar-Giora nach
alter Sitte | vom Festzuge weg nach dem Carcer geschleppt und
dort hingerichtet ^ 29)^ Unter den Beutestücken, welche beim Triumph-
zuge einhergetragen wurden, befanden sich auch die beiden kost-
baren goldenen Geräthe aus dem Tempel zu Jerusalem: der Schau-
brodtisch und der siebenarmige Leuchter ^^o)^ Vespasian Hess sie
der noch heute steht, ist erst nach dem Tode des Titus divo Tito errichtet
worden. Eine Abbildung und Beschreibung desselben s. unter anderem bei
Reber, Die Ruinen Roms und der Campagna, 1863, S. 397 — 400. Beschrei-
bung auch bei S. Reinach, Uare de Titus {Ades et Conferences de la Societe
des etudes jiiives [Beilage zur Revue des etudes juives] 1890, p. LXV — XCI).
Berliner, Geschichte der Juden in Rom I, 108 — 110. lieber die Reliefs bes.
Philippi, Ueber die römischen Triumphalreliefe und ihre Stellung in der
Kunstgeschichte (Abhandlungen der philol.-hist. Classe der sächs. Gesellsch.
der Wissensch. Bd. VI, 1874, S. 245—306; mit Abbildungen: Tafel II— III).
— In der Aufschrift des Titusbogens {Corp. Inscr. Lat. t. YI n. 945) wird des
jüdischen Krieges nicht gedacht. Dagegen trug ein anderer, im 14./15. Jahr-
hundert zerstörter Titusbogen, welcher im Circus Maximus gestanden hatte,
folgende pomphafte und, soweit es sich um die frühere Geschichte Jerusalems
handelt, unwahre Inschrift (datirt vom J. 81 n. Chr., erhalten durch eine
Handschrift von Einsiedeln): Senatus populusque Romanus imp. Tito Caesari
divi Vespasiani f. Vespasiano Äugusto quod praeceptis patri{is) consiliis-
que et auspiciis gentern Jicdaeorum domuit et urbem Hierusolymam omnibus ante
se ducibus regilms gentibus aut frustra petitam aut omnino intemptatam delevit
(Piper, Jahrbb. für deutsche Theol. 1876, S. 52—54; Corp. Inscr. Lat. t. VI
«.944; Darmesteter, Revue des ettides juives t. I, 1880, p. 35 sq.; de Rossi,
Inscriptiones christianae urbis Romae vol. II, 1, 1888, p. 25 n. 31; über die
Echtheit: Mommsen, Berichte der sächs. Gesellschaft der Wissensch. philol.-
hist. Gl. 1850, S. 303). — Die Münzen des Vespasianus, Titus und Domitianus
mit der Aufschrift: lovöuiaq ealwxvcag, Judaca devicta, Jiidaea capta und ähn-
lichen 8. am vollständigsten bei Madden, Coins of the Jeirs 1881, p. 207—229.
Vgl. auch: De Sau leg, Recherches sur la Numismatique Judaique p. 155 sj.
Dera., Numismatique de la Terre Sainte p. 79 sq. Madden, Historg of Jeivish
Coinage p. 183—197. Ders., Numismatic Chronicle 1876, p. 45—55.
129) B. J. Vn, 5, 6. Dio Cass. LXVI, 7. — Simon wurde „nach dem
über dem Forum gelegenen Ort" geschleppt {B. J. VII, 5, 6: elq zdv inl rtjg
äyoQttt iavQtxo xonov). Hierzu bemerkt Havercamp richtig: seil, carcerem,
quem Livius dicit Foro imminere. Der carcer Mamertimis lag am Forum.
Hier, und zwar in dcHsen unterem Thoile, dem Tullianum, wurden z. B. aucli
Jugurtha und die catilinariHchen Verschworenen erdrosselt. Uoborliaupt i)flegte
man dort Kriegsgefangene durch den Strang liinzurichteii. IVcbcll. Putlio,
Tyranni triginta c. 22 (in: Scriptores Hisloriac Angustae cd. Peter): stratuju-
lalus in carcere captivorum veterum morc. Ueber den Carcer h. Pauly'sReal-
Enc. Art. Tullianum, Gs^ll-Fels, Rom (1. Aufl.) 11, 200fr. Die Werke von
Becker, Jordan, (iilbcrt übc^r die Topograpliio von Rom, Ilirsclifold,
Blteungiberichte der Berliner Akad. 1891, S. 857 f. Hülsen in Pauly-WiHso-
wa'N Real-Enc. HI, 1081 f. (Art. carcen.
180) B. .1. vn, '.. .',. Ein.' Abbildung (I<t Weiden Stücke ist noch iieuto
[535] § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). 637
nachher in dem von ihm erbauten Tempel der Friedensgöttin [Eiq/jv/],
Fax) aufbewahren ' ^ '), der unter Commodus niederbrannte '3'^). Ihren
späteren Aufbewahrungsort kennen wir nicht. Es ist aber wahr-
scheinlich, dass sie bei der Plünderung Roms durch die Vandalen
im J. 455 n. Chr. von Geiserich nach Afrika gebracht, und von
da durch Belisar, als dieser im J. 534 dem Vandalenreich ein Ende
machte, nach Constantinopel übergeführt wurden i^s).
Zur Feier des Triumphes gab dem Titus die Bezwingung der
Hauptstadt allerdings ein Recht. Aber völlig unterworfen war
Palästina nach nicht Denn noch waren die Festungen Herodeion,
Machärus und Masada in den Händen der Aufständischen. Sie
zu bezwingen wai- die Aufgabe des nunmehrigen Statthalters von
auf den Reliefs des Titusbogena zu sehen (s. über diesen die vorige Anm.).
Vgl. dazu: Eeland, De spoliü templi Hierosolymitani in areu TUiano Romae
conspicuis, Traj. ad Rh. 1716. Neue Ausgabe von Schulze 1775. (Auch in
Ugolini Thesaurus t. IX). Sonstige Literatur über den Schaubrodtisch und
den Leuchter s. unten Bd. II, S. 286 f.
131) B. J. VII, 5, 7. Der Tempel der Fax wurde erst im J. 75 eingeweiht
{Dio Gass. LXVI, 15). — Ein in Jerusalem erbeutetes Gesetzbuch und die
purpurnen Vorhänge aus dem Tempel Hess Vespasian in seinem Palaste auf-
bewahren {B. J. l. c.)
132) Herodian. I, 14, 2.
133) Vgl. über diese späteren Schicksale der Beutestücke: Reland l. c.
p. 133—138. Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter Bd. I,
2. Aufl. S. 201 — 204. Sal. Reinach, Actes et Conferences de la Societe des ettules
jtiives 1890, p. LXXXIW sqq. Berliner, Gesch. der Juden in Rom Bd. I, 1893,
S. 106 — 108. — Schon unter den Schätzen, welche Alarich in Carcasson auf-
gehäuft hatte, befanden sich „Kostbarkeiten des Königs Salomo", nämlich viele
mit Edelsteinen geschmückte Geräthe, welche die Römer einst aus Jerusalem
gebracht hatten [ngaaia yuQ Xi&og avtcüv xa noXXa ixalkvaniCev, aiteg i^
'^IspoaoXvfiOJV PwfiaZoi xo nakaibv elXov, Frocop. de hello Gothico I, 12, opp. ed.
Dindorf t. II p. 67). Aber anderes, und darunter wie es scheint die Tempel-
geräthe, muss in Rom geblieben sein, denn Geiserich nahm bei der Plün-
derung Roms im J. 455 unter Anderem mit: xsi/xi^lta bXoxQvaa xal diäXi&a
ixxXrjaiaaxixd, xal axevrj ^EßgaCxu, uneg o Oveanaatavov Tixog (leia xtjv aAö>-
aiv legoaokvfjKov eiq ''PwfXTjv Tjyayev, Theophanes, Chronographia rec. de Boor f.
I, 1883, p. 109, ebenso Qeorgius Cedremts ed. Bekker t. I p. 606. Änastasius
Biblioth. in de Boor's Ausg. des Theophanes II, 109. Eben diese Stücke
brachte Belisar im J. 534 aus Karthago nach Constantinopel [Frocop. de hello
Vandalico II, 9 opp. ed. Dindorf t. I, p. AAbsq.: iv xoTg xal xä 'lovSalcav xei-
fjiriXia tjv ansQ Ovsanaaiavov Tlxoq (Jtsxa xijv xwv ""IsgoaoXvfiiov aXwaiv ig
P(ufiT]v ^vv kxtQOig xialv rjveyxe, ebenso Theophanes, Chronogr. ed. de Boor I,
199, und Anastasius Biblioth. ebendas. II, 138). Als ein Jude diese sah, soll
er einen Vertrauten des Kaisers darauf aufmerksam gemacht haben, dass der
widerrechtliche Besitz der Stücke das Unheil Rom's und Karthago'.^ gewesen
sei, worauf Justinian sie alsbald nach Jerusalem [ig xwv Xgiaxiavwv xa iv
leQoaoXvftotg Uqu) bringen Hess. So erzählt Frocop. l. c.
g38 § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). [535. 536]
Palästina, Liicilius Bassus. Bei Herodeion scheint ihm dies
ohne Schwierigkeiten gelungen zu sein^^*). Länger währte die Be-
lagerung von Machärus^^^). Doch ergab sich auch dieses, noch
ehe es zum Sturm kam, gegen Gewährung freien Abzuges. Den
Entschluss zur Uebergabe soll zuletzt die Gefangennahme eines !
Jünglings, Namens Eleasar, der sich bei der Vertheidigung be-
sonders hervorgethan hatte, zur Reife gebracht haben. Bassus
drohte, ihn im Angesicht der Stadt zu kreuzigen; und um dies zu
verhindern, übergaben die Juden die Stadt i^^). Inzwischen start)
Lucilius Bassus. Seinem Nachfolger Flavius Silva fiel die Auf-
gabe zu, Masada zu nehmen' 3'). In dieser Festung hatten sich
134) B. J. VII, 6, 1. — Ueber die Lage von Herodeion s. oben S. 390.
135) Machärus, griech. MaxaiQovq (so Josephus, Strabo XVJ, 2, AO p. IdB,
Stephanus Byx. s. v.), heisst im semitischen Meehawar, "ni2?3 oder "nsr-a (in der
Mischna Tamid III, 8 haben editio princeps, Cambridger Handschrift und cod.
de Rossi 138 "ilisa, Aruch nnsa ; beide Formen kommen auch sonst vor, doch
ist "nisa das gewöhnlichere. Die Aussprache "ili?p, Meehawar, wie in cod. de
Rossi 138 punktirt ist, wird bestätigt durch die Lesart "i11N3^, welche eine
Münchener Handschrift Joma 39« hat, s. Levy, Neuhebr. Wörterb. III, 111 f.
üeberhaupt: Ldghtfoot, Opp. II, 582). Dieser semitischen Form kommen am
nächsten: MaxaßsQ(oq {Parthey, Hieroclis Synecdemus et Notitiae graeeae epis-
copatuum 1866 p. 93) und Machaveron (als Accusativform, Toller et Molinier,
Itinera Hierosolymitana 1879, p. 326). — Nach Bell. Jud. VII, 6, 2 war Ma-
chärus bereits von Alexander Jannäus befestigt worden, Gabinius schleifte
die Festung {Antt. XIV, 5, 4. B. J. I, 8, 5). Herodes d. Gr. befestigte es
aufs Neue (JB. J. VII, 6, 2). üeber seine Bedeutung s. Plinius, Hist. Nat. V,
16, 72: Machaerus, secunda quondam arx Judaeae ah Hierosolymis. —
Es lag an der südlichen Grenze von Peräa {B. J. III, 8, 3) gegen Arabien hin/
(Antt. XVIII, 5, 1). Ohne Zweifel ist es das heutige Mkaur östlich vom
todten Meere. S. Seetzen, Reisen durch Syrien II, 330 ff. IV, 378 f. Ritter,
Erdkunde XV, 1, 577f. Raumer, Palästina S. 264. Keim, Geschichte Jesu
I, 578 fr. Hausrath, Neutestamentl. Zeitgesch. 2. Aufl. I, 329 f. Parent,
Machaerous, Paris 1868 (227 p.). Tristram, The Land of Moab ed. 2., 1874,
p.2bZ8qq. Duc de Luynes, Voyage d' Exploration ä lamer niorte, ä Petra et
»ur la rive gauche du Jourdain, Paris s. a. [1874], Atlas, Tafel 36 — 39. Bä-
deker-Socin, Palästina 3. Aufl. 8. 192 f.
136) B. J. VII, 6, 1-4.
137) Ueber Masada (d. li. >Tisa Bergfeste, bei Strabo XVI, 2, 44 p. 764
(Orrumpirt Moaaada) h. bes. die eingehende Monographie von Tuch, Masada,
die herodiuiiiHche FolHcnfcHte, nach Fl. Josephus und neueren Beobachtungen,
Leipzig 1863 (39 8. 4). — Es soll schon von dem Iloliciipriestcr Joiuithan be-
festigt worden sein [B. J. VIT, 8, 3), was aber nicht möglich ist, da dessen
Herrschaft sich nicht so weit erstreckte; zur Zeit Ilyrkan's II um 42 v. Chr.
wird es uIh wichtige Festung erwähnt (Antt. XIV, 11, 7. B. J. I, 12, 1); bei
dem Einfall der l'arthcr in PalfisÜDa diente es den Angehörigen des Ilerodcs
hIm Michcrc ZufluchUstatto (,Antt. XTV, 13, 8 f. 14, 6. 15, 1 f. Bell. Jud. 1, 13,
7 f. 15, 1. 15, 3 f.). Herodes der Gr. befestigte es aufs Neue {B. J. VII, 8, 3).
— Na«li // ■/. VII, 8, 3 lag es nahe nni westlichen Ufer des todten Meeres,
[536. 537] § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66-73 n. Chr.). 639
gleich im Beginn des Krieges die Sikarier unter Führung Eleasar 's,
des Sohnes Jairi und Nachkommen des Judas Galiläus ^^8)^ fest-
gesetzt und seitdem behauptet. Die Belagerung war äusserst
schwierig, da der Fels, auf welchen die Stadt gebaut war, nach
allen Seiten so hoch und jäh abfiel, dass die Annäherung von Be-
lagerungsmaschinen fast unmöglich war. Nur an einer Stelle —
und auch hier nur nach schwierigen und kunstvollen Vorberei-
tungen — gelang es, einen Mauerbrecher aufzustellen. Als dieser
eine Lücke in die Mauer gestossen hatte, hatten die Belagerten
hinter derselben bereits ein anderes Bollwerk von Holz und Erde
errichtet, das wegen seiner Elasticität durch den Mauerbrecher
gar nicht zerstöribar war. Aber durch Feuer gelang es, auch
dieses Hinderniss zu beseitigen. Als Eleasar sah, dass der Sturm
nicht mehr abzuweisen sei, hielt er eine Ansprache an die Be-
satzung, in welcher er sie aufforderte, zuerst ihre Angehörigen zu
ermorden und dann sich selbst gegenseitig den Tod zu geben.
Also geschah's. Wie die Bömer einzogen, gewahrten sie mit Grauen,
dass ihnen keine Arbeit mehr übrig blieb. So war auch das letzte
Bollwerk des Aufstandes überwunden (April 73 n. riir.)*^').
nach B. J. IV, 7, 2 nicht weit von Engedi. Ebenso Piinius, Bist. Nat. V, 17,
73: Inde (seil, von Engedi aus) Masada castellum in rupe et ipsum haut proeul
Asphaliite. Hiernach, und nach der Beschreibung, welche Josephus B. J. VII,
8, 3 von der Oertiichkeit giebt, kann kein Zweifel sein, dass es mit dem heu-
tigen S ebb eh am westlichen Ufer des todten Meeres südlich von Engedi
identisch ist, wie zuerst Smith und Robinson erkannt haben. Die Belage-
rungsarbeiten der Römer vom J. 73 sind dort noch heute deutlich zu erkennen.
S. überhaupt: Robinson, Palästina II, 477 fl". Wolcottuud Tipping in der
Zeitschr. Bibliotheca sacra, New York 1843 (war mir nicht zugänglich). Ritter,
Erdkunde XV, 1, S. 655 ft". De Sauley, Vuyage autour de la mer morte, Paris
1853, Bd. I, S. 199 fr., nebst Atlas pl. XI— XIII. Rey, Voyafje dans le Haou-
ran et atix bords de la mer morte execute pendant les annees 1857 et 1858 {Paris
s. a.), Atlas pl. XXV — XXVI. Tuch a. a. O. Sepp, Jerusalem und das
heilige Land 2. Aufl. Bd. I, 1873, S. 821 ff. (mit Plan und Ansichten). Bä-
deker-Socin, Palästina 3. Aufl. S. 143 — 144 (mit Plan). The survey of Western
Palestine, Memoirs by Conder and Kitchener III, 418 — 421 (mit zwei Plänen
und einer Ansicht); dazu Bl. XXVI der grossen englischen Karte, v. Do-
maszewski, Die Principia des römischen Lagers (Neue Heidelberger Jahrbb.
IX, 1900, S. 141 ff.) [beschreibt das Lager des Silva nach eigener Aufnahme].
138) B. J. II, 17, 9. VII, 8, 1.
139) B. J. VII, 8, 1—7. 9, 1—2. — Nach VH, 9, 1 geschah der Selbstmord
der Besatzung von Masada am 15. Xanthikos (Nisan, etwa April). Das Jahr
wird nicht genannt. Da aber schon zuvor (VII, 7, 1) das vierte Jahr Vespa-
sian's erwähnt wird, welches am 1. Juli 72 begann (vgl. Tacit. Eist. II, 79), so
muss die Eroberung Masada's in das Frühjahr 73 fallen. Vgl. Ewald j VI,
811. — Niese (Hermes XXVIII, 1893, S. 211 f.) glaubt wegen des Zusammen-
hangs der Ereignisse die Einnahme Masada's in das Frühjahr 72 setzen zu
640 § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (60—73 n. Chr.). [537]
Nach dem Falle Masada's kam es auch noch in Alexandria
und in Cyrene zu jüdischen Unruhen; und die ersteren hatten die
Schliessung des Oniastempels in Leontopolis zur Folge i^*^). Aber
diese Nachzuckungen des grossen Aufstandes im Mutterlande sind
neben diesem kaum der Rede werth. Das Schicksal Palästina's war
mit Masada's Eroberung besiegelt. Das Land behielt Vespasian als
Privateigenthum und Hess es für eigene Rechnung verpachten*^').
Nur an 800 Veteranen vertheilte er Grundbesitz in Em maus bei
Jerusalem** 2). Die bisherige Terapelsteuer von zwei Drachmenl
müssen. Das 4. Jahr Vespasians gewinnt er, indem er annimmt, dass Jo-
sephus die Kaiserjahre. vom L Xanthikos an gerechnet habe, und indem er
für Vespasian nicht wie bei Nero eine Post-Datierung, sondern eine Ante-
Datierung annimmt (Beginn des 1. Jalires am 1. Xanthilios 69, während Ves-
pasian factisch erst am 1. Juli 69 zum Kaiser ausgerufen wurde). Diese
Rechnung ist nach dem oben Anm. 16 Bemerkten sehr unwahrscheinlich. Der
Zusammenhang aber nöthigt keineswegs, die Einnahme Masada's schon 72 zu
setzen.
140) B. J. VII, 10-11. Vita 76.
141) B J. VII, 6, 6: xeXeviov nüaav yijv dnoöoa&ai zwv 'Jovöaiwv ov yccQ
xatwxtaev ixsZ nokiv, iSlav avr<5 xfjv xcoQccv tpvXäxTwv. Mommsen (Rom.
Gesch. V, 539 f. Anm.) findet in diesen Worten einen Widerspruch. Ein
solcher würde aber nur bestehen, wenn man dnoöoa&ai in der Bedeutung
„verkaufen" nähme. Es heisst aber auch „verpachten". — Das Land in der
unmittelbaren Umgebung Jerusalems wurde der zehnten Legion angewiesen
{Jos. Vita 76).
142) B. J. VII, 6, 6: oxtaxoaloig de növoiq dnb xflq atgariäq öia<pftfiivoiq
X<oqIov iöioxiv flq xatolxTiaiv, 6 xaXeltai /xsv h/jtfiaovg, dnix^'^ 6h rwv
'^IfpoaoXvfiwv axaSlovq XQtdxovxa. Statt xQidxovta hat von den sieben
in Niese's Ausgabe benützten Handschriften nur eine h^r'xovxa. Da dieses
augenscheinlich Emendation nach Ev. Iaic. 24, 13 ist, so ist ersteres zweifellos
die richtige Lesart. Demnach kann unserEmmaus nicht identisch se in
mit dem sonst bekannten, etwa 160 — 170 Stadien von Jerusalem
entfernten Emmaus, welches seit der Zeit des Julius Africanus
(Anfang des dritten Jahrhunderts nach Chr.) Nikopolis hiess (s. über dieses
Bd. II, 8. 183 f. und die dort genannte Litteratur). Freilich behauptet Sozo-
menuB, dass das letztere schon fiexa xi/v aXotaiv ''legoaoXv/iojv xal rr/v
xttxa xwv *IovSa(o}V vlxijv den Namen 7, Nikopolis erhalten habe {Soxom. Bist,
eccl. V, 21); und die Münzen von Emmaus-Nikopolis haben angeblich eine
Aera von circa 70 nach Chr. (h. darüber Belley in den Mimoires de l'Acad.
des inscr. et hcllcs-lettres, alte Serie Bd. XXX, 1764, p. 294—306; Eckhcl,
Doctr. Num. III, 454; Mionnet, Dcscription de mSdaillcs ant, V, bbOsq. Suppl.
VIII, 370; De Sauley, Numismatiquc de la Terrc Sainte p. 172—175, 406, pl.
VI, .S — ß; der«, im Annuaire de la Soei6t6 fran^aise de Num. et d^Archiol. t.
III, 2, 1860, p. 276—278; dcrH. in Milanges de Numimtatiqm t. II, 1877,
p. \47 tq,). Auf (irund dcsHcn wird trotz der Distanzangabe des Josephus von
Violen die Militärcolonic^ VcHpasiaiiH mit Kiiimuus-NikopoliH idcntifi(nrt (z. B.
auch Kuhn, Die Htädt. und bürgerl. VerfusHung des rüm. Reidis II, 356 f.;
Marquardt, Kftm, Staatsverwaltung Bd. I, 2. Aufl. 1881, 8. 428; Geizer,
[537. 538] § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66-73 n. Chr.). 641
Julius Africanus I, S. 5 — 7; schwankeud: Grotefend in Pauly's Beal-Enc.
IIJ, 115). Allein der Behauptung des Sozomenus, welche dieser nur gelegent-
lich hinwirft und walirscheiulich nur aus dem Namen Nikopolis erschlossen
hat, steht das bestimmte Zeugniss des Eusebius und anderer Chronisten gegen-
über, wornach Nikopolis erst zur Zeit des Julius Africanus gegründet worden
ist und erst damals diesen Namen erhalten hat (nach Euseb. Chron. ad. ann.
Abr. 2237, ed. Schoene II, 178 s?. = Chron. paschale ed. Dindorfl, 499 zur Zeit
des Elagabal, nach Syncell. ed. Dindorfl, 670 zur Zeit des Alexander Severus;
vgl. überh. auch : Hieronymus, De viris illustr. c. 63 = opp. ed. Vallarsi II, 903,
und eine anonyme wahrscheinlich aus der Kirchengeschichte des Philippus
von Side um 430 n. Chr. stammende Notiz, welche de Boor nach einem Codex
Baroccianus herausgegeben hat [Texte und Untersuchungen zur Gesch. der
altchristl. Literatur, herausg. von Gebhardt und Hamack V, 2, 1888, S. 169,
174 f.]; noch anderes bei Reland, Palaestina p. 759; die Hauptstelle bei Eu-
sebius, Chron. ed. Schoene II, 178 s?. lautet nach dem Armenischen: In Pa-
lestina antiqua Emaus restaurata est Nicopoliscpie vocata eura [praefectura] et
interpellatione Julii Africani chronographi ad ref/em, nach Hieronymus: In Pa-
laestina Nicopolis quae prius Emmaus vocabatur urbs condita est, lefjationis in-
dustriam pro ea suseipiente Julio Africano scribtore temporum, nach dem ChrO'
nicon paschale: IlakaiatlvTjg NixonoXtg t] ngoxtQov ^Efifiaovg ixxia^ noXiq,
TiQeaßevovxoq vueg avrtjq xal nQo'iaxafi.evov 'lovXiov litpgtxavov xov ra xgovixi
ovyygaxpaixhov). Dass dies richtig, und die Angabe des Sozomenus falsch
ist, wird dadurch bestätigt, dass die Schriftsteller vor Elagabal nur den Namen
Emmaus kennen (so Plin. Hist. Nat. V, 14, 70; Ptolem. V, 16, 7; im Itinerar.
Antonini kommt es überhaupt nicht vor) ; auch Josephus, der dieses Emmaus
häufig erwähnt, macht nirgends die Bemerkung, dass es jetzt Nikopolis heisse,
während er sonst solche Bemerkungen nicht unterlägst. Die Existenz von Münzen
des palästinensischen Nikopolis vor Elagabal und mit einer Aera von circa 70
nach Chr. ist aber entschieden zu bezweifeln (s. die kritischen Bemerkungen
de Saulcy's in: Numismatique de la Terre Sainle p. 172 — 175, und Momm-
sen, Ephemeris epigraphiea t. V, 1884, p. 619; Corp. Inscr. Lat. III Suppl.
p. 1216 zu n. 6646 u. 6647; die von de Saulcy im Nachtrag S. 406 mitgetheilte
Münze ist von sehr unsicherer Lesung; in den M^langes de Numismatique II,
147 sq. theilt de Saulcy allerdings mit, dass er ein Ekemplar der schon von
Belley beschriebenen Münze vom J. 72 aer. Nicop., welche nach dem Tode
der Faustina, f 141 n. Chr., geprägt ist, aus Jerusalem erhalten habe. Allein
der Fundort Jerusalem beweist nicht, dass die Münze dem palästinensischen
Nikopolis angehört). Es fehlt also jedes zuverlässige Zeugniss für die Grün-
dung von Emmaus-Nikopolis um 70 nach Chr. Gegen die Identität der
Militärcolonie Vespasian's mit Emmaus-Nikopolis ist aber, ausser der Distanz-
angabe des Josephus, auch folgendes schlechthin entscheidend: 1) dass die
Militärcolonie Vespasian's von Josephus wie ein sonst unbe-
kannter Ort erwähnt wird (xatgiov o xakeitai 'A/ijuaovq), während das an-
dere Emmaus sehr bekannt war und auch von Josephus an früheren Stellen
des Bell. Jud. schon häufig erwähnt ist (I, 11, 2. 16, 6. H, 4, 3. 5, 1. 20, 4.
IV, 8, 1. V, 1, 6. 2, 3), 2) dass Josephus nichts davon sagt, dass die
Militärcolonie Vespasian's Nikopolis genannt worden sei, 3) dass
für Emmaus-Nikopolis jedes Merkmal einer Colonie fehlt. Unser
Emmaus {Bell. Jud. VII, 6, 6) ist vielmehr höchst wahrscheinlich identisch mit
dem neutestamentlichen {Iaic. 24, 13), indem die Distanzangaben in beiden
Fällen (30, resp. 60 Stadien) eben nur annähernd richtige sind. Eine an-
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 41
642 § 20. Der grosse Krieg gegen Rom (66—73 n. Chr.). [539]
musste fortan von allen Juden an den Tempel des capitolinischen
Jupiter abgeliefert werden ^^3). Die Bevölkerung Palästina's war
verarmt und durch den siebenjährigen Krieg furchtbar gelichtet.
Eine jüdische Obrigkeit (im bisherigen Sinne) gab es nicht mehr.
Der einzige Mittelpunkt, der dem Volke geblieben war, war sein
Gesetz, Um dieses sammelte es sich nun mit ängstlicher Treue und
mit der beharrlichen Hoffnung, dass es dereinst auch wieder in
einem staatlichen Gremeinwesen, ja in der Völker weit zu praktischer
Geltung und Anwendung kommen werde.
§ 21. Von der Zerstörung Jerusalems bis zum Untergang
Barkocheba's.
I. Die Zustände in Palästina von Vespasian bis Hadrian.
Während Judäa vor dem Kriege unter Statthaltern ritterlichen
Ranges (Procuratoren) gestanden hatte, erhielt es jetzt Statthalter
sprechende Vermuthung ist es, dass unser Emmaus, in welchem Vespa.sian
eine römische Colonie ansiedelte, identisch sei mit dem heutigen Kulouie
in der Nähe Jerusalems (so Sepp, Jerusalem 2. Aufl. I, 54 — 73; Ewald
Gesch. VI, 729, 808; Hitzig, Gesch. II, 623; Oaspari, Chronologisch-geo-
graphische Einleitung S. 207; Keim, Gesch. Jesu III, 555; Furrer in
Schenkels Bibellex. II, 107 f.; Fr. W. Schultz in Herzog's Real-Enc. 2. Aufl.
XI, 771. Buhl, Geographie des alten Palästina S. 166, 186). Ueher Kulonie
öberh. s. Robinson, Palästina II, 364. Ders., Neuere Forschungen S. 207.
Tobler, Topographie von Jerusalem II, 721 ff". Guirin, Judde l, 25'i sqq.
The Survey of Western Palestine, Memoirs III, 17. 40. 132. Schick 's Karte
der weiteren Umgebung von Jerusalem (Zeitschr. des DPV. XIX). Die xQ^vri
KoXittvelaq, 3 mit. pass. von Jerusalem, wird erwähnt in dem von pHi)adopulos-
KerameuH aus cod. Goisl. 303 herausgegebenen MaQzvgiov t(üv aylwv h^tjxovrtt
viwv ixuQxvQwv (St. Petersburg 1892, in den Schriften des russischen Palästina-
Vereins) 8. 4. Im Talmud wird allerdings behauptet, dass Kulonie mit dem
in der Mischna Sukka IV, 5 erwähnten «rti« identisch sei [jcr. Sukka 54 &,
hob. Sukka 4ß<», HildcHlieimer, Beiträge zur Geogr. Palästinas -1886, S. 27,
Kahan, Theol. Litztg. 1898, 032). Dieser Meinung kommt aber kein Gewicht
bei. — Die InHchriften von Soldaten der legio V Macaionica , welciie bei
Kmmaun-Nikopolis gefunden worden sind, sprechen nicht für, soiidern gegen
die AnDahme, das« dicseH eine Milltänolonio gewesen »ei, denn die Betreuen-
den sind nicht aU Veteraucn, Houdern nur als Soldaten bezeichnet. Die iii-
ichriflen ttammeD wahracbeinlich aus der Zeit, als sich bei Emmaus ein be-
festigtet Lager der fQnften Legion befand, n. oben Anm 70.
148) Bell. Juä. VII, ö, 6. Dio Oass. LXVI, 7. Vgl. Bd. H, S. 260 f.
[539.540] §21,1: Zustände in Palästina von Vespasian bis Hadrian. §43
aus senatorischeui Stande. Die frühere (wenigstens in einzelnen
Fällen zu Tage tretende) Unterordnung unter den Statthalter von
Syrien war damit beseitigt. Der officielle Name der Provinz war
auch jetzt, wie früher, Judäa')- Da es nur eine Legion, die
kg. X Fretensis, als Bejsatzung hatte (s. oben S. 634), ausserdem
nur Auxiliartruppen (s. oben S. 465), so war der Befehlshaber der-
selben zugleich Statthalter der Provinz. Es scheinen in der Regel
Männer prätorischen Ranges gewesen zu sein. Erst später, wahr-
scheinlich seit Hadrian, als auch noch die kg. VI Ferrata nach
Judäa gelegt wurde und nicht mehr ein Legionslegat zugleich
Statthalter war, wurde die Provinz von Männern consularischen
Ranges verwaltet^).
Aus der Reihe der Statthalter sind uns nur einzelne Namen
bekannt 3). Die ersten derselben, die noch während des Krieges
70 — 73 n. Chr. fungirten, sind schon oben kurz erwähnt, nämlich:
L
1) Der Name Judaea z. B. auf dem Militärdiplom vom J. 86 n. Chr.
(Corp. Inscr. Lat. t. III j). 857 Dipl. XIV), auf der Inschrift des Pompejus
Falco, s. uuten S. 645 f., auf der Inschrift des Julius Severus [Corp. Inscr.
Lat. t. III n. 2830), auf der Münze, welche Hadrian's Anwesenheit in
Judäa feiert {adventui Ätig. Judaeae, bei Madden, Coins of the Jeus 1S8\ p. 231),
auf der Inschrift eines sonst unbekannten proc{urator) Augiusti) provineia{e)
Jud{aeae) v{ices) a{<jens) l{egati) [Corp. hiscr. Lat. t. III n. 5776), auf der
Inschrift eines praef. cohort. IUI Bracarum in Judaea {Corp. Inscr. Lat.
VIII n. 7079), und anderwärts. Später wird die Bezeichnung Syria Palae-
stina, die sich schon bei Herodot findet (s. Bd. II, S. 562). herrschend. Den
ältesten Beleg für den amtlichen Gebrauch derselben bietet ein Militärdiplom
vom J. 139, welches in Palästina gefunden wurde, s. oben S. 465 (§ 17" Anm. 70).
Der Name Judäa ist aber auch dann nicht ganz verschwunden. Der Geograph
Ptolemäus stellt beide neben einander {Ptol. V, 16, 1). Vgl. Marquardt,
Römische Staatsverwaltung Bd. I, 2. Aufl. 1881, S. 421 Anm. 2. P. von
Ilohden, De Palaestina et Arabia provinciis Romanis quaestiones selectae,
1885, p. 1—3.
2) Die Belege für Obiges s. bei vonRohden, De Palaestina et Arabia
provinciis Roma?iis p, 30 sq. — Auf einer in neuerer Zeit in Jerusalem ge-
fundenen Inschrift aus der Zeit Caracalla's wird ein M. Junius Maximus
leg[atus) Augg. (d. h. duorum Augustorum) leg{ionis) X Frietensis) erwähnt.
Wegen der Bezeichnung als leg. Augg. hat Zangemeister bei seiner ersten
Besprechung der Inschrift (Zeitschr. des deutschen Palästina- Vereins X, 1887,
S. 49 — 53) angenommen, dass dieser Legionsbefehlshaber zugleich Statthalter
war. Mit Recht hat er aber selbst in einem Nachtrag (ebendas. XI, 138) be-
merkt, dass dann die Bezeichnung pro praetore nicht fehlen würde. Der Be-
treflende war also nur Befehlshaber der Legion.
3) Vgl. die Zusammenstellungen bei Kuhn, Die städtische und bürgerliche
Verfassung des röm. Reichs II, 184 f.; Marquardt, Römische Staatsver-
waltung Bd. I, 2. Aufl. S. 419 f.; von Rohden, De Palaestina et Arabia pro-
vinciis Romanis, 1885, p. 36 — 42; Li eben am, Forschungen zur Verwaltungs-
geschichte des röm. Kaiserreichs Bd. I, 1888, S. 239 — 244. — Grätz, Die rö-
41*
644 §21,1: Zustände in Palästina von Vespasian bis Hadrian. [540. 541]
1. Sex. Vettulenus Cerialis, der bei der Belagerung Jeru-
salems die fünfte Legion befehligte (s. oben S. 624). Er blieb nach
dem Abgange des Titus als Befehlshaber der Besatzungstruppen,
also der zehnten Legion und der ihr beigegebenen Abtheilungen,
zurück und übergab sie dem Lucilius Bassus {B. J. VII, 6, 1).
Seinen vollen Namen giebt die Inschrift Corp. Inscr. Lat. t. X n. 4862.
2. Lucilius Bassus, der die Festungen Herodeion und Ma-
ehärus einnahm {Jos. B. J. VII, 6, 1 — 6). Er starb als Statthalter
{B. J. VII, 8, 1). Ob er mit einem um dieselbe Zeit mehrfach vor-
kommenden Sex. Lucilius Bassus identisch ist, ist ungewiss, s. Dessau,
Prosopographia imperii Bomani II, 302 sq. — Der unter ihm dienende
Procurator L. Laberius (nicht AißaQiog) Maximus {B. J. VII* 6, 6)
wird auch erwähnt in den Acten der Arvalpriesterschaft: Corp.
Inscr. Lat. t. VI n. 2059, und auf dem Militärdiplom vom J. 83
n. Chr. Ephemeris epigr. Y p. 612 sq. = Corp. Inscr. Lat. t. III Suppl.
p. 1962 (nach letzterem war er damals Statthalter von Aegypten), |
s. Prosop. imp. Born. II, 257 sq.
3. L. Flavius Silva, der Bezwinger von Masada {Jos. B. J.
VII, 8—9). Er wurde im J. 81 n. Chr. Consul. Seinen vollen Namen
L. Flavius Silva Nonius Bassus geben die Acta Arvalium, Corp.
Inscr, Lat. t. VI n. 2059. Vgl. Henzeu, Acta Arvalium Index p. 186.
Dessau, Prosop. imp. Rom. II, 75.
4. M. Salvidenus, um 80 n. Chr., bezeugt durch eine palä-
stinensische Münze des Titus mit der Aufschrift £'/7/i¥. X4J0F-
IAHN{OY), Madden, Coins of the Jews p. 218. — Er ist wohl
identisch mit dem M. Salvidenus, der nach einer Münze Domitian's
Proconsul von Bithynien war {Mionnet Suppl. V p. 2).
5. Cn. Po m peius Longinus, 86n. Chr. — Auf einem Militär-
diplom Domitian's vom J. 86 n. Chr. werden die Veteranen von
zwei Alen und vier Cohorten erwähnt qui . . . sunt in Judaea sub
Cn. Pompeio Longino {Corp. Inscr. Lat. Ill p. 857 Dipl. XIV'). —
AuH einigen Angaben des Diplomes glaubte Henzen den Schluss
ziehen zu müssen, dass damals in Judäa kriegerisclie Unterneh-
mungen stattgefunden hätten. Die Schlussfolgerung ist indess
keine zwingende*). — Vielleicht ist unser Cn. Pompeius Longinus
identisch mit dem gleichnamigen cotis. suff. vom J. 90, und mit dem
mischen Legaten in .Tudüji tintcr Domitian und 'J'rujun nnd ilire BoKichnng
zu Juden und Clirinton (MonutHHclir. für Goscli. und VVissiuiHch. df» Judontli.
1886, 8. 17 — 34) giebt nur ruhbiniHchu Lugenden.
4) Henzen, Jahrbüclier den Vurcins von AltcrtliuiiiHinMitKlcn im lUiciu-
Undc XIII, 1848, S. 34—37. Ihm folgen: DurnicH toter, h'rrtw <lrs rtiuUs
[541.542] §21,1: Zustände in Palästina von Vespasian bis Hadrian. 645
Cn. Aemilius Cicatricula Porapeius Longinus, welcher im J. 93 Statt-
halter von Moesia superiornnö. im J. 98 Statthalter von Pannonien
war(Eitterling, Archäol.-epigr. Mittheilungen aus Oesterreich-Ungarn
XX, 1897, S. 13, und über die Statthalterschaft vom J. 93: Bormann,
Jahreshefte des österreichisch-archäol. Institutes I, 1898, S. 171, 174).
6. Atticus, um 107. — In zwei Fragmenten des Hegesippus,
welche Eusebius mittheilt, wird berichtet, dass Simeon, der angeb-
liche zweite Bischof der jerusalemischen Gemeinde, als Märtyrer
gestorben sei „unter dem Kaiser Traj an und dem Statthalter At-
ticus" (Kuseb. Jlist. eccl. III, 32, 3: exl Tgalarov KaloaQoq xal
vjiaxLxov Attixov, ibid. III, 32, 6: im 'Azrcxov tov vjtarixov). In
der Chronik des Eusebius wird dieses Ereigniss in das zehnte Jahr
Trajan's (107 n. Chr.) gesetzt {Euseb. Chron. ed. Schoene 11 p. 162 sq.\
im Chronicon paschale ed. Diridorf I, 471 in das Consulat des Can-
didus und Quadratus 105 n. Chr. Beide Ansätze haben freilich
nicht den Werth traditioneller Zeugnisse, am wenigsten der Ansatz
im Chronicon paschale, welches nur aus Eusebius schöpft. — Unser
Atticus ist vermuthlich identisch mit dem gleichnamigen Vater des
Herodes Atticus. Auffallend ist die Bezeichnung als vjtanxog,
da andere Statthalter Judäa's damals dieses Amt vor dem Consulat
bekleideten; doch vgl. den Folgenden. — Vgl. überhaupt: Wadding-
ton, Fastes des provinces asialiques p. 192 sq. Dittenberger, Hermes
XIII, 1878, S. 67—89. Klebs, Prosop. imp. Rom. I, 351—353. Groag
in Pauly-Wissowa's Real-Enc. III, 2677 f. (Art. Claudius n. 71).
Zahn, Forschungen zur Gesch. des neutest. Kanons VI, 242.
7. Q. Pompeius Falco, um 107 ff. — Den cursus honomm
dieses aus den Briefen des jüngeren Plinius bekannten Mannes
geben die Inschriften Corp. Inscr. Lat. t. X n. 6321 und Journal of
Hellenic Studies 1890 p. 253 = Dessau, Inscr. lat. sei, n. 1036. Auf
jener heisst er unter Anderem : legiatus) Aug{usti) pr(o) pr{aetore) pro-
vinc{iae) [Jndaeae] et leg{ionis) X Fret{ens^is), auf dieser: leg. Aug. leg.
XFret. etleg.pr.pr.provinciae Judaeae consulaHs (= vxaxixoq, s. Atticus).
juives I, 1880, p. 37—41. Schiller, Gesch. der römischen Kaiserzeit I, 532.
Dagegen: Roh den. De Palaestina et Arahia p. 38 (nach einer Mittheiliing
Mommsen's). Gsell, Essai sur le rlgne de l'emperetir Domifien, 1894
{Bibtiotheqne des ecoles fran^aises d'Athenes et de Borne fasc. 65) p. 287 — 289.
— Henzen's Gründe sind: 1) Die auf dem Diplom erwähnte coh. I Anf/usta
Lusitanonim stand kurz vorher noch in Pannonien. Sie muss also eben da-
mals zur Verstärkung der Garnison Judäa's dorthin geschickt worden sein.
2) Die Veteranen erhalten nach dem Diplom zwar die Civität, aber nicht die
Entlassung [honesta missio); man hat sie also noch nöthig gehabt. Letzteres
Argument ist nicht entscheidend, und die auf dem Diplom erwähnte eoh. I
Augusta Lusitanortim ist verschieden von der im J. 85 in Pannonien nach-
weisbaren coh. I Lusitanorum.
646 §21, 1: Zustände in Palästina von Vespasian bis Hadrian. [542.543]
Nach Plin. Epist. YII, 22 fällt die Statthalterschaft von Judäa wahr-
scheinlich um 107—110 n. Chr. Denn in dem um jene Zeit geschrie-
benen Briefe empfiehlt Plinius dem Falco einen Freund für die Stelle
eines Tribun. Dies kann aber nach den übrigen Daten des cursus
honorum wohl nur zur Zeit seiner Statthalterschaft von Judäa ge-
schehen sein. — Die von Plinius an Pompeius Falco gerichteten
Briefe sind Plin. epist I, 23; IV, 27, YII, 22; IX, 15. Vgl. über-
haupt: Mommsen, Hermes III, 1869, S. 51. Plin. epist ed. Keil p. 422
(Index von Mommsen); Waddington,, Fastcs des provinces asiatiques
p. 202 — 204; Bohden p. 39; Liebenam, Forschungen I, 94 f; Petersen
und Luschan, Reisen in Lykien (1889) S. 123. Bulletin de corresp.
Ml. XVII, 1893, p. 305—307 (zwei Ehren-Inschriften für Sossia
PoUa, die Frau des Pompejus Falco, des Proconsuls von Asien).
Prosop. imp. Rom. III, 134 {Roscius n. 68).
8. Tiber ian US, um 114. — Bei Johannes Malalas ed. Dindorf
p. 273 wird der Wortlaut eines Schreibens mitgetheilt, welches
Tiberianus, der Statthalter von Palaestina prima, an Trajan während
dessen Aufenthaltes in Antiochia, 114 n. Chr., gerichtet hat (ej; reo
de öiaTQißsiv xov avrov TQa'iavov ßaöiXia ev \4vTiox£ia rrjg JSvQtac
ßovXsvofievov ra jtBQi xov jtoXt'fiov sfirjvvoev avrov TißsQiavoq,
riyeinhv xov jtQcoxov IlaXaiöxivcov 'iO^vovg, xavra). Tiberianus stellt
darin dem Kaiser vor, dass die Christen in thörichter Weise sich
selbst zum Martyrium drängen, und bittet um Verhaltungsmaass-
regeln. Darauf befiehlt Trajan ihm und allen übrigen Behörden
im ganzen Reiche, die Verfolgungen einzustellen. Dieselbe G-e-
.schichte berichtet in etwas anderer Form auch Johannes Antiochemis
(bei Müller, Fragmenta hist graec. IV, 580 n. 111). Die Darstellung
des letzteren ist wörtlich abgeschrieben bei Suidas Lex. s. v. TQa'iavog.
Beide Berichte, die im Wesentlichen ganz übereinstimmen, sind
durch ihren Inhalt höchst verdächtig; auch hat die Theilung Pa-
lästina's in Palaestina jrrima und secunda nicht vor Mitte des vierten
Jahrhunderts stattgefunden (gegen die Geschichtlichkeit z. B.
Gieseler, Kirchengesch. I, 1, 4. Aufl. S. 129, Overbeck, Studien zur
Gesch. der altem Kirche I, 122, Görres, Zeitschr. für wissensch.
Theo]. 1878, S. 38 f. Keim, Rom und das Christenth. 1881, | S. 526 f.;
für dieselbe: Wieseler, Die Christenverfolgungen der Cäsaren 1878,
S. 126 ff.), — Die Berichte des Malalas und Johannes Antiocheiius
berühren sich liier und an vielen anderen Stellen so stark, dass
jedenfalls Einer aus dem Anderen geschöpft hat. Da Beide wahr-
Kcheinlich im sechsten oder um den Anfang des siebenten Jahr-
hunderts geschrieben haben, so ist es streitig, welchem die Priorität
zukommt Für die jetzt vorwiegende Ansicht; dass Malalas der
Aeltere sei, spricht auch der Befund an unserer Stelle; denn
[543.544] §21,1: Zustände in Palästina von Vespasian bis Hadrian. 647
Malalas tlieilt das Schreiben des Tiberianus im Wortlaute mit,
während Johannes Antiochenus nur dessen Inhalt umschreibt s).
9. Lusius Quietus, um 117 n. Chr. — Dieser hervorragende
Feldherr wurde, nachdem er den Aufstand der Juden in Mesopo-
tamien unterdrückt hatte, zum Statthalter von Judäa ernannt {Euseh.
Hist. eccl. IV, 2, 5: *Iov6aiaq riyeumv vjto rov avroxQdroQog ave-
ödxO^rj. Euseb. Ghron. ed. Schoene II, 164, zum 18. Jahre Trajan's
[2131 Abr.], griech. bei Syncellus ed. Dindorf I, 657: i^ysfKüv rrjg
'/ovöaiag öia tovto xa&iöTarai). Dio Cassius sagt nur, dass er nach
dem Consulat (115 n. Chr.) Palästina verwaltet habe {Dio Cass.
LXVIII, 32: vjiaxevöai xriq, xe IJaXaiöxhrjc aQ2.ai). Dass Trajan
einen Legaten consularischen, nicht bloss prätorischen Ranges nach
Palästina schickte, hat seinen Grund wohl in den damaligen schwie-
]-igen Verhältnissen. — Von Hadrian wurde Lusius Quietus abge-
setzt {Spartian. vita Hadriani c. 5: Lusium Quietnm cxarmavit)
und bald darauf hingerichtet {ibid. c. 7, Dio Cass. LXIX, 2). — Vgl.
überhaupt: Borghesi, Oeuvres I, 500 sqq. J'rosop. imp. Rom. II, 308 sq.
10. Tineius Rufus 132 n. Chr. — Als der Aufstand Bar-
kocheba's ausbrach, war ein Rufus Statthalter von Judäa {Euseb.
llist. eccl IV, 6, 1 : ^Povg)og ljcaQX(ov xr/g 'lovöalag). In der Chronik
des Eusebius heisst er Tinnius Rufus {Euseb. Chron. ed. ScJioene
II, 166 sq. ad ann. Abr. 2148, griech. bei Synceü. ed. Dindorf I, 660:
Tjyitxo 6e xrjg 'lovöaiag TivvLog 'Powpog, lat. bei Hieronymus: tenente
provinciam Tinnio Rufo); bei Hieron. ad Daniel. 9 s. fin. ed. Vallarsi
\ , 695: Timo Rufo; ad Sachar. 8, 16 sqq. ed. Vallarsi YI, 852: T. Annio\
Rufo (so die älteren Ausgaben; die Lesart Turannio Rufo ist nur
5) Vgl. G. Müller, Fragm. Hist. Crraec. IV, 536 (für die Priorität des
Joliannnes Antiochenus). — Gutschmid, Grenzboten 22. Jahrg. 18G3, I. Se-
mester 1. Bd. S. 345 f. = Kleine Schriften V, 415 f. (für die Priorität des
Malalas). — Moramsen, Hermes VI, 1872, S. 323—383. — Nicolai, Griech.
Literaturgesch. III, 56 f. 96 f. — Stokes in: Smith and Wace, Dictionary of
Christian Biofjraphy \\l, 1S7 sq. — Geiz er, Julius Africanus I, 74. 228 ff.
II, 129 (für die Priorität des MalaJas). — Sotiriadis, Zur Kritik des Jo-
hannes von Antiochia, in: Jahrbb. für class. Philol., IG. Supplementband 1888,
S. 1 — 126, bes. S. GS— 83 (hält wieder den Johannes Antiochenus für älter). —
Patzig, Unerkannt und unbekannt gebliebene Malalas-Fragmente, Leipzig,
Progr. 1891. Ders., Johannes Antiochenus und Johannes Malalas, Leipzig,
Progr. 1892 (die ersten 17 Bücher des Malalas bald nach 528 herausgegeben;
Johannes Antiochenus Anf. des 7. Jahrb.). — Wachsmuth, Einl. in das
Studium der alten Geschichte, 1895, S. 190—194 (wie Patzig). — Krumbacher,
Gesch. der byz. Litteratur 2. Aufl. 1897, S. 325-334 (Malalas: 6. Jahrb.),
334—337 (Johannes Antiochenus: Anf. des 7. Jahrb.). — Patzig, Die Ab-
hängigkeit des Job. Antiochenus von Job. Malalas (Byzantin. Zeitschr. X, 1901,
S. 40— 53\
648 §21,1: Zustände in Palästina von Vespasian bis Hadrian. [544]
Vallarsi's Conjectur). Die richtige Form ist zweifellos, wie Bor-
ghesi gezeigt hat, Tineius Rufus. Denn ein Q. Tineius Rufus, der
unter Commodus Consul war, ist durch mehrere Inschriften bezeugt.
Er kann der Sohn oder Enkel unseres Rufus gewesen sein. S.
Borghesi, Oeuvres 111, ^1 — 64; VIII, 189 s?.; Renan, V eglise chretienne
p. 192 sq.\ dazu Corp. Inscr. Lat. t. VI n. 1978. Prosop. imp. Rom.
III, 321.
Zur Bewältigung des Aufstandes wurde auch der bisherige
Statthalter von Syrien Publicius Marcellus nach Judäa geschickt
{Corp. Inscr. Graec. n. 4033 == Archäol. - epigi\ Mittheilungen aus
Oesterreich-Ungarn Jahrg. IX, 1885, S. 118: rivixa IJovßUxiog MaQ-
xeXXog öia ti]v xlv?]Oiv rrjv 'lovöaXxrjv (i£Taߣß7]X£i ajib ^VQiac, die-
selbe Angabe auch Corj). Inscr. Graec. n. 4034). Diese Verstärkung
der Streitkräfte Judäa's wird auch von Eusebius erwähnt (Euseh.
Hist. ecd. IV, 6, 1: OTQarimrixrjg avrm övfjfiaxiac vjtb ßaoiXemg
xs/iq)d-elöTjg, vgl. Ghron. ad ann. Abr. 2148).
11. Julius Severus 135 n. Chr. — Die Unterdrückung des
jüdischen Aufstandes gelang erst dem Julius Severus, der von
Britannien aus, wo er bisher Statthalter gewesen war, nach Judäa
gesandt wurde (Dio Cass. LXIX, 13). Den cursus honorum dieses
Mannes giebt die Inschrift Corp. Inscr. Lat. t. III n. 2830, wo die
höheren Aemter folgendermaassen aufgezählt werden: Ieg{aio) }n-{o)
pr{aetore) impieratoris) Traiani Hadriani Aug{itsti) provinciae Daciae,
COS., leg. pr. pr. provinciae Moesiae inferioris, leg. pr. pr. provinciae
Brittaniae, leg. pr. pr. provinciae, Judeae, leg. pr. pr. jyrovinciae
Suriae. Es wird hierdurch des Dio Cassius Angabe bestätigt,
dass er von Britannien aus nach Judäa kam. Dagegen beruht
die Angabe des Dio Cassius oder vielmehr seines ungeschickten
Epitomators Xiphilinus, dass er nach Beendigung des jüdischen
Aufstandes Statthalter von Bithynien wurde {Dio Cass. LXIX, 14),
auf Verwechselung mit einem anderen Severus. Unser Julius Se-
verus, welcher im J. 127 Consul war, heisst Sextus Julius Severus
{Corp. Inscr. hat. t. 111 p. 874 Dipl-. XXXT), der Statthalter von
Bithynien aber walirscheinlich r{aiog) 'l{ovhog) ^eovTJQog (so
Mominsen, Sitzungsb(!richte der Berliner Akad. 1901, S. 26; die
Copien der beiden Inschriften, aufweichen sein Vorname erhalten
ist, geben entwed<?r 7V. 2^hOVijQog [so Cor]). Inscr. Graec. n. 4033
und 4034] oder 77. ^^oviiQog \m Archäol-epigr. Mittheilungen aus
Ocflt<irrcich-lIngarn IX, 118«= Coip. Inscr. Graec. n. 4033|; da der
(teHchlechtsnaine nicht fehlen kann, hält Mommsen es für sicher,
da« r. 1. zu lesen ist; auf der neuen, von Mommsen a. a. 0. S. 25
niitgetheilten Inschrift ist der Vorname nicht erhalten). Vgl. über-
[544.545] §21,1: Zustände in Palästina von Vespasian bis Hadrian. 649
haupt: Marquardt, Römische Staatsverwaltung Bd. I, 2. Aufl. 1881,
S. 353. Rohden S. 42. | rrosojh imp. Rom. II, lUsq.
In die Liste der Statthalter Judäa's gehört auch ein Cl(audius) Patetiiius)
Clement{ianus) , welcher nach einer Inschrift {Corp. Inscr. Lot. t. III n. 5776)
proc[urator) Auf/{usti) provineia(e) Jud{aeae) v{ic.es) a{gens) l{egati) war, also Pro-
curator und Vertreter des (gestorbenen oder abberufenen) Statthalters. Seine)
Zeit ist aber unbekannt. Denn aus dem Umstände, dass die Provinz nicht
Syria Palästina, sondern Judäa genannt wird, kann nicht einmal mit Sicher-
heit geschlossen werden, dass die Inschrift vorhadrianisch ist, wie Rohden
S. 41 will. Vgl. über ihn auch Pauly-Wissowa's Real-Enc. III, 2840 f. (Art.
Claudius n. 262). — Ebenso wenig Aufschluss geben die rabbinischen Legenden
über einen römischen ^yefiwv, welcher verfängliche Fragen an Jochanau ben
Sakkai, Ende des ersten Jahrh. n. Chr., gestellt haben soll. Denn die schlechte
Textüberlieferung macht es unmöglich, auch nur seinen Namen festzustellen.
Er heisst jer. Sanhedrin 19'^ oben (Krakauer Ausgabe) C1U35K, Agnitos [Egna-
tius?), ebendas. 19'^ unten Antotiinus, ebendas. 19'' oben Antigonus. Anderwärts
finden sich noch andere Formen. Identisch mit ihm ist wohl der Hegemon
Agnitos ("jlTSSn Dlo'^Dax), welcher nach Sipkre zu Deut, g 351 eine ähnliche Frage
an üamaliel II, Anfang des zweiten Jahrh. n. Chr., gerichtet haben soll. S.
überh. Derenbourg, Histoire de la Palaestine p. 316 sj. Levy, Neuhebr.
Wörterb. I, 104^ 108" (Art. DiüJJS und t3'i3''3'iö3i<); Bacher, Die Agada der
Tannaiten, I, 1884, S. 39 f. = Monatsschr. f. Gesch. und Wissensch. des
Judenth. 1882, S. 159 f. Grätz, Monatsschr. 1885, S. 17 ff.
Die Residenz des kaiserlichen Statthalters war, wie schon
früher zur Zeit der Procuratoren so auch jetzt, nicht Jerusalem
sondern Cäsarea, die bedeutende vonHerodes dem Grossen erbaute
Hafenstadt*^). Sie wurde von Vespasian in eine römische Colon ie
umgewandelt und führte officiell den Namen coI{onia) prima Fl{avia)
Äug{ustä) Caesarensis oder Caesarea''). Jerusalem war so gründ-
lich dem Erdboden gleichgemacht, „dass es den Besuchern nicht
einmal den Glauben ermöglichte, es sei je bewohnt gewesen" ^). Es
war zunächst nur ein römisches Lager, in welchem wenn nicht
die ganze zehnte Legion so doch die Hauptmasse derselben mit
dem zugehörigen Tross ihr Standquartier hatte ^).
6) Nachdem Flavius Silva Masada erobert hatte, ging er zurück nach
Cäsarea {Bell. Jitd. VII, 10, 1). — Auch Tacitus bezeichnet Cäsarea als Jn-
daeae caput {Tae. Hist. II, 78).
7) Näheres s. Bd. II, S. 107 f.
8) B. J. VII, 1, 1: xov rf' ttkXov anavxa t^j noXeotq nsgißokov ovratq i^fo-
fiäXiaav ol xaxaaxanxovxeq wg /irjöh ncinox^ olx^&^vai niaxtv av sxi naQuo^eiv
xolq nQoaeXB^ovaL.
9) Vgl. die Ausführungen bei Gregorovius, Sitzungsberichte der philos.-
philol. und hist. Classe der Münchener Akadeoiie 1883, S. 477 ff. — Im J. 116
n. Chr. stand in Jerusalem auch ein Detachement der dritten Legion, vexülatio
leg. III Cyr. (Mittheilungen und Nachrichten des DPV. 1895, S. 21 f. Revue
biblique 1895, p. 239, Quarterly Statement 1895, p. 130). — Ueber die Besatzungs-
verhältnisse von Judäa im Allgemeinen s. oben S. 465.
l~^
650 § 21i I: Zustände in Palästina von Vespasian bis Hadrian. [545. 546]
Ueber sonstige Veränderungen in der Organisation der palästi-
nensischen Stadtgemeinden haben wir nur vereinzelte Nachrichten.
In welchem Umfang Vespasian das Land als Privatbesitz behielt,
geht aus der unbestimmten Angabe des Josephus nicht sicher her-
vor (s. oben S. 640). Es scheint sich nicht bloss um das eigent-
liche Stadtgebiet von Jerusalem, sondern um ganz Judäa — dieses
im eigentlichen und engeren Sinne genommen — zu handeln (jtäoav
yrjv ratv 'lovöaicov). Die einzige Neugründung, die Vespasian hier
vornahm, war die Militärcolonie Emmaus (s. oben S. 640 f.). In Sa-i
marien ist damals das rasch emporblühende Flavia Neapolis
gegründet worden. Denn dass dessen Gründung in die Zeit Vespa-
sian's fällt, beweist nicht nur der Name und die Erwähnung durch
Plinius, sondern auch die Aera der Stadt, deren Anfangspunkt um
72 n. Chr. zu setzen ist^*'). Es lag an der Stelle einer Ortschaft,
welche früher Mabortha oder Mamortha hiess, in unmittelbarer
Nähe von Sichem, weshalb es auch geradezu mit Sichem identiflcirt
wird * ^). In der späteren Kaiserzeit war es eine der bedeutendsten
10) Der volle Name bei Justin. Martyr. apol. I c. 1: dito 4>Xaovi'aq Neag
nöXeo)^ xriq 2vQiaq Uakaiarivrjq (hiernach Eusel). Eist. eccl. IV, 12). Ebenso
auf Münzen. Ueber letztere und über die Aera s. Noris, Annus et epochae
Syromacedonum V, 5, 2 {ed. Lips. p. .537 — 552). Eckhel, Doctr. Num. 111,433
bis 438. Musei Sanclementiani Numismata selecta Pars II lib. IV, p. 250
bis 258. Mionnet, Description de medailles V, 499—511. Suppl. VIII, 344
bis 355. De Sanlcy, Numismatiquc de la Terre Samte p. 244—274, p/. XII
bis XIV.
11) Joseph. Bell. Jud. IV, 8, 1: naga t^v Neäno^.iv xakoifitvrjv, MaßoQ&a
<ft imo TöJv inixwQi'fav, — Plinius Eist. Nat. V, 13, 69: Neapolis quod antea
Mamortha dicehatur. — Euseb. Onomast. ed. Laijarde p. 200: ^v'/kfJt ^ xal
Slxi/ia ij xal SaXi]fi' noXiq 'laxciß vvv ^QTj/xoq' öelxvvrai 6h 6 rönoq iv jiqo-
aazeioiq Niaq nöXswq. Ibid. p. 274 s. v. AovL,ä' naQaxeifihvrj Svxif* clno ^'
aTjfitlov Niaq nokecoq (wofür im Text des Hicronyraus p. 135 wohl richtiger:
in tertio lapide Neapoleos). — Pilger von Bordeaux {Itincra Eieroso lymitana ed.
Oeyer 1898. p- 19--20): Civitas Neapoli. Ibi est vions Aijaxaren [l. Argarixin]
inde ad pedem monti^ ipsius locus est, cid nomen est Sichern. — Auch
auf der Mosaik karte von Medaba sind NeanoXtq und Sv^ff* v xai Sixt/ia 7}
xat ZaXTjfi als zwei verscliiedene Orte gezeichnet, ebenso auf der sogenannten
HieronynniHkarte (Schulten, Abhandlungen der Göttinger Gcsellsch. der VVis-
MeoHch., phil.-hist. Gl. N. F. IV, 2, 1900, 8. 8—11, 83-87). — Anders dagegen:
Epiphan. fiaer. 78, 2'.\: iv Stxlfioiq xovvianv iv rg NeanoXet. Ebenso haer. 80,
1, — Hieronymus Percf/r. Paulae bei Ihblcr, Palaestinap descriptiones p. 23
(— ■ Hieron. opp. ed. Vallarai I, 703): Sichem, non ut plcriqiie vrrantes legunt
Siehar, quae nunc Neapolis appellatur. — Vgl. überhaupt: Jfcland, Palaestina
p. lOTM— 1010. — Robinson, Palästina IM, 336-352. Ders., Neuere bibl.
Fomchungen 8. 167 fl'. — Ritter, Erdkunde XVl, 6.37—658. — Kuhn, Die
RtSdtbcbe und bUrgorl. VorfaHHUiig des rüm. Reichs II, 56; 355; 'ii')(); 364. —
Sepp, Jerusalem 2. Aufl. II, 37-6Ö. — Oudrin, Samarie I, 3iK)— 424. —
[546.547] §21, I: Zustände in Palästina von Vespasian bis Hadrian. Q^l
Städte Palästinas 12). Die Einwohnerschaft war eine rein oder
voiwiegend heidnische, wie die durch die Münzen bezeugten Culte
beweisen. Auf nicht wenigen derselben (seit Hadrian) ist der Gari-
zini abgebildet und auf dessen Gipfel ein Tempel, der nach Dama-
scius dem Zevg vtpiorog geweiht war^^j^ j)ie Festspiele von
Neapolis gehörten im zweiten Jahrhundert, und gewiss auch noch
später, zu den berühmtesten in Palästina'^). — In die Zeit Nerva's
oder Trajans fällt die Gründung von Capitolias in der Dekapolis,
dessen Aera im J. 97 oder 98 n. Chr. beginnt'*). Hadrian gi-ündete
Bädeker-Socin, Palästina 3. Aufl. S. 218 ff. — The Survey of Western
Pulestine, Memoirs hy Conder and Kitehener II, 203—210, dazu Bl. XI der
engl. Karte. — Die Artikel über „Sichern" in den biblischen Wörterbüchern
von Winer, Schenkel und Riehni.
12) Von SeptimiuH Severus wurde ihm dasj«« civitatis entzogen {Spartian.
vita Severi c. 9), von demselben aber später wiedergegeben {Spartian. vita Se-
veri c. 14: Falaestinis poenam remisit, qtiam ob causam Niqri meruerant). Unter
Philippus Arabs wurde es römische Colonie (nach den Münzen). Ammianus
Marcellinus nennt es als eine der grössten Städte Palästina's [Ammian. XIV,
8, 11).
13) Auf den zahlreich erhaltenen Münzen (von Dömitian bis zur Mitte des
dritten Jahrhunderts) kommen Serapis, Apollo, die ephesinische Diana und
andere Gottheiten vor. Ueber den Tempel auf dem Garizim s. Damascitis bei
Photius, Bibliotheca cod. 242 ed. Bekker p. 345'' (auch bei Rehiach, Textes d'au-
teurs i/recs et romains relatifs au judäisme p. 211 sq.): iv w dioq vxplaxov
ayuöxaxov Ugov. Renan, L'iglise chritienne p. 222. Ueber die frühere und
spätere Geschichte des Cultus auf dem Garizim s. Eckhd, Doetr. Num. III,
434 und unten Bd. II, 8. 16. — Die Blüthe hellenistischer Culte in Neapolis
bezeugt auch eine in neuerer Zeit daselbst gefundene marmorene Drei-
fussbasis, auf deren Reliefs Kämpfe von Göttern und Heroen (namentlich
des Theseus und Herakles) abgebildet sind. Nach einer daselbst ange-
brachten Inschrift ist der Dreifuss, vielleicht auch die marmorene Basis, vom
Stifter aus Athen mitgebracht worden. S. Zeitschr. des deutschen Palästina-
Vereins VI, 230 f. VII, 136 f. — Ein weiteres Zeugniss ist eine Grabschrift,
welche lautet: ßägaei fiot awofiat/jie xaXrj, t,dxoQog yaQ vnÜQXfiQ Kovgaq
Ilkovz^og, nvaxriQiov riq yaQ'EXsvaeiv. Die Verstorbene darf also eines seligen
Lebens im Jenseits gewiss sein, weil sie an den eleusinischen Mysterien
theilgenonimen hat (dies ist doch wohl der Sinn, wenn auch das Verb, tjq
Schwierigkeiten macht, s. den Text in: Comptes rendus de l'Acad. des Inscr.
et Belles-Lettres 1898, p. öOsqq.).
14) S. die Inschrift aus der Zeit Marc-Aurel's bei Le Bas et Wadding-
ton, Inseriptions t. III, 2 n. 1620'* (im Wortlaut mitgetheilt: Bd. II S. 36).
15) Die Aera von Capitolias ergiebt sich aus seinen Münzen, s.Noris,
Ännus et epochae Syromacedonum III, 9, 4 {ed. Lips. p. 323—331). Eckhel,
Doctr. Num. III, 328 sg. Musei Sanc lerne ntiani Niimismata seleeta P. II
Hb. IV p. 220-222. Mionnet, Descr. de medailles V, 281—283. Suppl. VIII,
192. De Saulcy, Num. de la Terre Sainte p. 304-307, pl. XVI n. 9. Cata-
loyue of the greek coins in the British Museum, Galatia, Cappadoeia and Syria,
1899, p. 278. — Erwähnt wird Capitolias von Ptolem. V, 15, 22. Itinerar. An-
652 §21,1: Zustände in Palästina von Vespasian bis Hadrian. [547.548]
Aelia an der Stelle Jerusalem's, wovon unten in der Geschiebte
des Krieges die Kede sein wird. Andere Neugründungen palästi-
nensischer Städte fallen jenseits der von uns behandelten Periode,
so die von Diocäsarea = Sepphoris (unter dem neuen Namen seit
Antoninus Pius nachweisbar, s. Bd. II, S. 166 f.), Diospolis = Lydda,
Eleutheropolis (beide unter Septimius Severus)*^), Nikopolis =
Emmaus (unter Elagabal).
Eine gewaltige Umwälzung brachte die Zerstörung Jerusalems
für das innere Leben des jüdischen Volkes mit sich. Kein
Synedrium und kein Opferdienst mehr — das sind die beiden grossen
Thatsachen, mit welchen von selbst eine tiefgreifende Umgestaltung
der jüdischen Verhältnisse gegeben war. Doch ist zunächst fest-|
zustellen, dass wirklich der Opferdien st aufgehört hat^'). Nicht
tonini ed. Wesseling. p. 196 sq. 198. Tabula Peuting. Hieroclis Syneedem. ed.
Wesseling. p. 720. Patrum Nicaenorum nomina edd. Oelxer etc. 1898 {Index s. v.).
Geogr. Ravennas ed. Pinder et Parthey p. 84. Concilsacten bei Le Quien,
Oriens christianus III, 715 sq. Orelli, Inscr. Lat. n. 941 = Corp. Inser. Lat. t.
VI n. 210 Ihid. t. X n. 532. Ephemeris epigr. t. IV p. 331 (/> II), t. V p. 211
= 398 = Corp. Inscr. Lat. t. VIII Suppl. n. 18084 lin. 89. Münzen von
Marc Aurel bis Macrinus. — Irrthümlich beziehen Manche (z. B. Kuhn, Die
städtische und bürgerl. Verfassung II, 372) auf unser Capitolias die Notiz des
Juristen Paulus in Digest. L, 15, 8, 7: similes his Capituhnses esse videntur
(nämlich wie Cäsarea, welches als Colonie nicht das volle jus Italicum hatte).
Capitolias war nach den Münzen avrovofiog, also nicht römische Colonie. Pau-
lus meint Aelia Capitolina = Jerusalem, wie die parallele Stelle des Ulpian
Digest. L, 15, 1, 6 beweist: In Palaestina duae fuerunt coloniae, Caesariensis et
Äetia Capitolina, sed neutra jus Italicum habet. Das Richtige z. B. bei Noris
p. 32Ü. Deyling, Observationes sacrae V, 475 (der irrthümlich Noris als Ver-
treter der entgegengesetzten Ansicht nennt). — Ueber die Lage von Capito-
lias haben wir nur wenige sichere Anhaltspunkte. Nach der Peutinger'schen
Tafel lag es an der Strasse von Gadara nach Adraa, in der Mitte
zwisclum beiden. Das würde auf eine Lage direct östlich von Gadara führen.
Nach dem Itinerarium Antonini aber lag es an der Route von Gadara nach
DamascuH. Danach wäre eine mehr nordöstliche Lage zu vermuthen. Da-
für sprechen auch die astronomischen Bestimmungen des Ptolemäus, der es
unter gleicher geographischer Breite mit Hippus setzt. Es scheint mir darum
nicht möglich, es mit dem heutigen Beit Ras zu identificiron (so Schumacher,
Northern Ajiun, 1800, ;>. I.'i4— lüK, und Benzingi^r in PauIy-WisHowa's Real-
Enc); denn dieses liegt etwas südlich von der Linie Gadaru-Adnia. — Vgl.
Ober CapitoliaM überluiupt: lleland, Palaest. p. {'Msq. Ritter, Erdkunde XV,
356. 821. 1000. Raumer, Palust. S. 240. Scetzen, Reisen (lierausg. von
Kniie) IV, 18Ö ff". Kuhn, Die städtische und bürgerl. Verf. des röm. Reichs
II, 872. Benzinger in Pauly-Wissowa'» Real-Enc. III, 1529. Buhl, Geogr.
det Alten Palästina 8. 250, 25U.
16) 8. Stark, Gaza und die philistäischo Küste S. 553.
17) Vgl. den Horgflltigcu Nachweis bei Fri«'dmann und Grfitz, Die au-
gebUchc Fortdauer de« jüdischen OpfercultuB nach der Zerstörung des zweiten
[548.549] §21,1: Zustände in Palästina von Vespasian bis Hadrian. 653
nur der Hebräerbrief, dessen Abfassungszeit zweifelhaft ist, sondern
auch Clemens Romanus und der Verfasser des Diognetbriefes, welche
sicher nach der Zerstörung Jerusalems geschrieben haben, sprechen
so, als ob zu ihrer Zeit der jüdische Opfercultus noch bestanden
hätte IS). Ja auch Josephus drückt sich ganz ebenso aus. Nicht
nur, wo er im Anschluss an das Alte Testament den jüdischen
Opfercultus beschreibt i^), sondern auch, wo er scheinbar von den
Sitten und Einrichtungen seiner Zeit spricht, gebraucht er das
Präsens^o). Sogar bei Erwähnung des Opfers für das römische
Volk und den römischen Kaiser bedient er sich dieser Ausdrucks-
weise, obwohl dies doch lediglich spätere Sitte und nicht Vor-
schrift des Alten Testamentes war^*). Dazu kommt, dass auch
einzelne Notizen in der rabbinischen Literatur für eine Fortdauer
des Opferdienstes nach dem Jahre 70 zu sprechen scheinen ^^). Es
ist begreiflich, dass auf Grund dieses Materiales von Manchen die
Fortdauer des Opfercultus behauptet worden ist. An sich wäre
dieselbe wohl möglich. In einer interessanten Stelle der Mischna
bezeugt R. Josua^^): „Ich habe gehört, dass man Opfer darbringen
darf, auch wenn kein Tempel da ist; dass man Hochheiliges
[s. hierüber Bd. II, S. 247 f.] essen darf, auch wenn keine Scheide-
wand (um den Vorhof) da ist; dass man Heiliges geringeren Grades
[s. hierüber Bd. II, S. 253] und zweiten Zehnt essen darf, auch
wenn keine Mauer um Jerusalem ist; denn die erste Einweihung
hat geheiligt sowohl für ihre Zeit als auch für die zukünftige
Zeit". Es würde | demnach den Anschauungen der Rabbinen nicht
unbedingt widersprochen haben, wenn man nach der Zerstörung
Tempels (Theol. Jahrbücher 1848, S. 338—371). — Gegen diese: Friedenthal
in Fürst's Literaturblatt des Orients 1849, eol. 328—332. — Hiergegen wieder:
Friedmann, ebendas. 401, 433, 465, 534, 548. — Darauf: Friedenthal,
ebendas. 492, 524, 573, 702. — Derenbourg, Histoire de la Palestine p. 480
bis 483.
18) Clemens Rom. c. 41. Epist. ad Diognet. c. 3.
19) Antt. III, 9—10.
20) Contra Apion. II, 23.
21) Contra Apion. II, 6 s. fin.: facimus autem pro eis continua sacrificia;
et non solum quotidianis diebus ex impensa communi omnium Judaeorum talia
celebratnus, verum .... solis imperatoribus hunc honorem praecipuum pariter
exhibemus.
22) Am beachtenswerthesten ist Pesachim VII, 2, wo die Frage discutirt
wird, ob man das Passa-(Lamm) auf einem Rost braten dürfe. „R. Zadok
sagte: Einst sprach Rabban Gamaliel zu seinem Sklaven Tabi: Geh' und
brate uns das Passa auf dem Roste". Da ein Sklave Tabi sonst als Diener
Gamaliels des zweiten um 90—110 n. Chr. genannt wird [Berachoth 11, 7;
Sukka II, 1), so scheint auch hier dieser letztere gemeint zu sein.
23) Edujoth VIII, 6.
654 §21,1: Zustände in Palästina von Vespasian bis Hadrian. [549.550]
des Tempels fortgefahren hätte, an heiliger Stätte zu opfern.
Thatsächlich ist dies aber nicht geschehen. Bei Aufzählung der
Unglückstage Israels heisst es schlechthin, dass am 17. Tammus
das tägliche Opfer aufgehört habe (T^icrin büa)-^), ohne dass von
Wiedereinführung desselben irgendwo die Rede ist. Bei Be-
schreibung der Passafeier in der Mischna wird die Aufzählung
der Gerichte, welche auf den Tisch kommen müssen, geschlossen
mit der Bemerkung: „Zui* Zeit des Tempelbestandes trug man das
Passaopfer selbst auf'-^^); letzteres wurde also seit der Zerstörung
des Tempels nicht mehr dargebracht. In den gesetzlichen Be-
stimmungen über Feststellung des Neumondes heisst es: „So
lange der Tempel bestand, durften die, welche den Neumond er-
blickt hatten, jedesmal den Sabbath verletzen [um zur Bezeugung
desselben nach Jerusalem zu kommen] wegen der Anordnung der
Opfer [für die Neumondsfeier]" -^). Das übereinstimmende Zeugniss
dieser Stellen der Mischna wird bestätigt durch andere, womög-
lich noch directere im babylonischen Talmud, welche schon für
die Zeit des Eabban Jochanan ben Sakkai, Eabban Gamaliel II
und K. Ismael, also für die ersten Decennien nach der Zerstörung
des Tempels, das Aufhören des gesammten Opfercultus voraus-
setzen-^'). Endlich tritt auch Justin als Zeuge hierfür ein. Er^
sagt seinem Gegner Trypho: „Gott gestattet nirgends das Passa zu
opfern ausser an dem Ort, wo sein Name angerufen wird, wissend
dass nach der Passion Christi Tage kommen werden, da auch
Jerusalem euren Feinden übergeben werden wird und alle Opfer
aufhören werden" 2^). Und an einer anderen Stelle sagt Trypho
selbst auf Justin's Frage, ob es denn jetzt noch möglich sei, alle
mosaischen Gebote zu beobochten: „Keineswegs, denn wir wissen
wohl, dass man anderswo weder das Passalamm schlachten noch
die Böcke für den Versöhnungstag noch überhaupt irgendwelclie
andere Opfer darbringen kann"^^). — Wenn also christliche Schrift-
steller und I Josephus noch lange nach der Zerstörung des Tempels
von der Darbringung der Opfer im Präsens sprechen, so beschreiben
24) Taamth IV, 6. Vgl. oben 8. 629.
25) PetaeMm X, B.
26) Rosch hatchana I, 4.
27) Bosch haschana 31'', Peaachim 72^ Sebaohim 60'>, bei Friedmunii imd
Qrfttz, Theol. Jaiirbb. 1848, a 340 ff.
28) Justin. Dial. c. Tnjph. 0. 40: etädf oxi iXevaovtat i^/iigai fiexä zb nu'
Otlv xov XQiaxSv, cite xal 6 xonoe rr/c 'h^ovaaXii/x xoTq fx^QoXq vficäv naQU-
öoO^atxai xal navaovxai änuaut anXdii nQoa<poQal yivöfxfvai.
20) Justin. l>i(U. c. 'Jh/ph. c. 40: üii- yvwQl^o/iev yä(> ort, laq ^<p>j<:, ovxe
n(f6ßaxov toO itaaxa dkXaxöae &vtiv övvaxov oike rov« xy vriaxda xeXev-
oBivxuQ nQOOtpifia&ttt xifid^ovi oixe räc äXXat anXwQ andaa^ TiQoa(poQtt<;,
[550.551] §21,1: Zustände in Palästina von Vespasian bis Hadrian. (555
sie damit nur, was gültiges Recht ist, nicht was factisch ausgeübt
wurde. Ganz dasselbe geschieht in der Mischna von der ersten
bis zur letzten Seite, indem alle rechtsgültigen Satzungen als be-
stehende Sitte dargestellt werden, auch wenn ihre Ausübung in-
folge der Zeitverhältnisse unmöglich war^").
Zwei Thatsachen von grösster Tragweite stehen demnach lest:
Die Aufhebung des Synedriums und die Einstellung des
Opfercultus^*). Im Synedrium war der letzte Eest der poli-
tischen Selbständigkeit des Judenthums verkörpert gewesen, und
damit auch der letzte Rest der Macht des sadducäischen Adels. Der
Einfluss des letzteren war schon seit den Zeiten der Alexandra
von dem übermächtigen Pharisäismus zurückgedrängt worden.
Immerhin hatte er noch etwas zu bedeuten, so lange das Syne-
drium bestand. Denn die Competenzen dieses aristokratischen
Senates von Judäa waren zur Zeit der Procuratoren ziemlich weit-
gehende; und an der Spitze desselben standen die sadducäischen
Hohenpriester. Nun war mit dem Untergang Jerusalems diese
jüdische Behörde von selbst vernichtet: eine Commune von Jeru-
salem gab es nicht mehr. Damit verschwindet der Saddu-'
cäismus aus der Geschichte. — Der Untergang der Stadt-
hatte aber auch die Einstellung des Opfercultus und damit das
allmähliche Zurücktreten des Priesterthums aus dem
öffentlichen Leben zur Folge. Nur allmählich vollzog sich
dasselbe. Man glaubte noch lange nicht daran, dass der gegen-
wärtige Zustand ein definitiver sein werde. Es schien nur eine
Frage der Zeit, wann die Priester ihren Dienst wieder würden
aufnehmen können. Selbstverständlich wurden auch alle Abgaben
nach wie vor an sie entrichtet. Nur die Abgaben, welche direct
für den Unterhalt des Tempels und der öffentlichen Opfer bestimmt
waren, wurden von den Rabbinen für suspendirt erklärt Die für
den persönlichen Unterhalt der Priester bestimmten Leistungen
blieben nach wie vor gesetzliche Pflicht und wurden überall, wo
Priester | waren, diesen gegeben ^ 2), j^i^^y trotz alledem hatte das
30) In der Notiz über Gamaliel und seinen Sklaven Tabi ist wohl Gama-
liel I gemeint und Tabi hat sich nur irrthümlich eingeschlichen. Doch kann
man auch annehmen, dass Tabi als Jüngling dem Grossvater und als Greis
dem Enkel gedient hat (so Derenbourg), oder dass der Name Tabi in der
Familie des Sklaven sich ebenso vererbt hat wie der Name Gamaliel in der
Familie des Herren (so Friedmann und Grätz).
31) Ueber das Aufhören des Synedriums s. auch Sota IX, 11 (im Wortlaut
mitgetheilt Bd. II, S. 197).
32) Schekalim YIIl, 8: „Die Schekalim (Didrachmensteuer) und Bikkurim
(Erstlinge der Feldfrüchte) werden nur dargebracht, wenn der Tempel besteht ;
aber der Zehute des Getreides und der Zehnte des Viehes und die
656 §21, 1: Zustände in Palästina von Vespasian bia Hadrian. [551.552]
Priesterthiim jetzt, wo es seinen Dienst nicht mehr verrichten
konnte, auch seine Bedeutung verloren. Es war ein Denkmal ver-
gangener Zeiten, welches je länger desto mehr in Auflösung und
Verfall gerieth.
In das Erbe der Sadducäer und Priester traten die
Pharisäer und Rabb inen. Sie waren vortrefflich auf den An-
tritt dieser Erbschaft vorbereitet. Schon seit zwei Jahrhunderten
waren sie mehr und mehr zur führenden Macht geworden. Nun
fiel ihnen mit einem Male die Alleinherrschaft zu. Der Untergang
Jerusalems bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die Aus-
lieferung des Volkes an den Pharisäismus und die Rabbinen; denn
die Factoren, welche diesen bisher noch entgegen gestanden hatten,
waren zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken.
Ein Sammelpunkt schriftgelehrter Thätigkeit scheint nach dem
Untergang Jerusalems besonders Jamnia (Jahne) geworden zu sein.
Hier wirkte während der ersten Decennien nach der Zerstörung des
Tempels Rabban Jochanan benSakkai, am Ende des ersten und
im Anfang des zweiten Jahrhunderts Rabban Gamaliel II, um
welchen sich ein ganzer Kreis von Gelehrten gruppirte. Die be-
rühmtesten Zeitgenossen Gamaliel's waren R. Josua ben Chananja
und R. Eli es er ben Hyrkanos, welch' letzterer in Lydda seinen
Wohnsitz hatte. Jüngere Zeitgenossen und Schüler dieser Männer
waren R. Ismael, R. Akiba und R. Tarphon (s. über alle diese
Gelehrten und ihre Zeitgenossen Bd. II, S. 366—380).
Von diesen Männern und ihren zahlreichen Collegen und Schü-
lern wurde die Arbeit am Gesetz mit grösserem Eifer als
je fortgesetzt. Es war als ob nach dem politischen Untergang
die ganze Kraft der Nation sich auf ihre eigentliche und höchste
Aufgabe, die Pflege des Gesetzes, concentrirte. Alle Materien des-j
selben, Criminal- und Civilrecht und die mannigfaltigen religiösen
Satzungen, wurden von den Gelehrten mit der peinlichsten Sorgfalt
erörtert und von den Lehrern den Schülern eingeprägt. Dabei war
Erstgeburten werden dargebracht |gleichvicl ob der Tempel besteht oder
nicht besteht". — Diese drei Abgaben sind hier nur beispielsweise als die
wichtigsten genannt. E« blieb z. B. auch in Kraft die Teruina {Bikkurim
II, 3) und die Abgabe der drei Stücke beim Schlachten, nämlich des
rechten Vorderfusses, der Kinnbacken und des Magens (Chullm X, 1). Näh-
ere« über alle diese Abgaben s. Bd. II. S. 248—255. — Die Abgabe des rech-
ten VorderfuHses bezeugt als Sitte seiner Ztüt der Kaiser Julian bei Gyrill.
adv. Julian. p.'iGüA: xalx6v öt^idv tufiov diioaaiv dnafx^i ^of« lepeiatv, wo
nicht mit Kcumann (Kaiser Julians Bücher gegen die (Miristen 1880, 8. 39)
zu Qbersetzen ist „den rechten Sclienkel", sondern „den rc(;hten Bug (Vorder-
fuss)"; denn es liegt nicht Uv. 7, 32, sondern Deut, 18, 3 zu Grunde. Vgl.
auch Friedmann und Grfitz, Theol. Jahrbb. 1848, 6. 360 ff.
[552.553] §21,1: Zustände in Palästina von Vespasiau bis Hadrian. 657
es völlig gleichgültig, ob die Zeitverhältiiisse eine Aasübung dieser
Satzungen gestatteten oder nicht. Alle Subtilitäten des Tempel-
dienstes, das ganze Ritual des Opferwesens wurde ebenso tieissig
und ernsthaft discutirt, wie die Reinheitsgesetze, das Sabbathgebot
und andere religiöse Pflichten, deren Ausübung thatsächlich mög-
lich war. Nichts kann uns eine lebhaftere Vorstellung von dem
Glauben des Volkes an seine Zukunft erwecken, als die Gewissen-
haftigkeit, mit welcher von den Hütern des Gesetzes auch die Vor-
schriften über den Tempel- und Opferdieust behandelt wurden.
Mochte die Zeit der Verwüstung länger oder kürzer dauern: es
musste doch wieder einmal der Tag der Erneuerung anbrechen.
Daher wurde bei der schriftlichen Aufzeichnung des jüdischen
Rechtes im zweiten Jahrhundert in das corjjus juris (die Mischna)
auch eine Topographie des Tempels (Tractat Middoth) und eine Be-
schreibung der täglichen Dienstverrichtungen der Priester (Tractat
Tamid) aufgenommen: die Nachkommen, welchen die Wiederher-
stellung des Cultus vergönnt sein würde, sollten wissen, wie es einst
zur Zeit der Väter gehalten worden war.
Diese Gelehrten, welche in solcher Weise das höchste Gut
Israels pflegten, bildeten nun noch ausschliesslicher und unum-
schränkter als ehedem die höchsten Autoritäten des Volkes.
Die Priester, welche sonst die wichtigsten Vermittler bei Ausübung
der religiösen Pflichten gewesen waren, waren zur Unthätigkeit
verurtheilt. Aller Eifer der Frommen musste sich darauf beschrän-
ken, zu thun, was die Rabbinen ihnen vorschrieben. Es bedurfte
keines äusseren Zwanges. Was die angesehensten Lehrer festgestellt
hatten, das betrachteten die Frounnen ohne Weiteres als verbind-
lich. Ja man erkannte sie nicht nur als Gesetzgeber in geistlichen
und weltlichen Dingen an, sondern man unterwarf sich auch
ihrem Richterspruch in streitigen Fällen, selbst in den Fragen
des Mein und Dein. Es ist in dieser Zeit gar nichts Auffallendes,
wenn z. B. R. Akiba lediglich kraft seiner geistigen Autorität
einen Mann zu 400 Sus Schadenersatz verurtheilt, weil er einer
Frau auf der Strasse das Haupthaar entblösst hatte 3^).
Das höchste Ansehen genoss gegen Ende des ersten und im
Anfang des zweiten Jahrhunderts nach Chr. der Gerichtshof zu
Jamnia (Jahne), ein Collegium von Gelehrten, das schwerlich von
der römischen Behörde eine weitgehende Autorisation hatte, dasj
aber thatsächlich an die Stelle des alten Synedriums von Jerusalem
trat als oberster Gerichtshof von Israel. Die Anordnungen, welche
33) Baba kamma VIII, 6. — Vgl. überhaupt: Chajes, Les juges juifs en
Palesline de Pan 70 ä Van 500 {Reriie des etudes Juices t. XXXIX, 1899, p. 39—52).
Schürer, Geschichte I 3. u. 4. Aufl. 42
658 §21,1: Zustände in Palästina von Vespasiau bis Hadrian, [553.554]
Kabban Jochanan ben Sakkai (in Jabne) nach der Zerstörung^
des Tempels traf, um gewisse gesetzliche Bestimmungen den ver-
änderten Zeitverhältnissen anzupassen, wurden als maassgebend be-
trachtet 3^). Kabban Gamaliel II und sein Gerichtshof über-
wachte die richtige Handhabung des Kalenderwesens; seinen Ent-
scheidungen unterwarf sich sogar, obwohl er sie für irrig hielt,
der ältere R Josua^^). Ueberhaupt galten die in Jabne getroffenen
gesetzlichen Entscheidungen als normativ ^ß). Ja die Succession
Jabne's in die Rechte von Jerusalem wurde so sehr als die Regel
angesehen, dass man es als eine Ausnahme constatirte, wo dies
nicht der Fall war 3'). Auch in Betreff der Mitgliederzahl scheint
man das jerusalemische Synedrium nachgeahmt zu haben. Wenigstens
ist einmal davon die Rede, dass „die 72 Aeltesten" den R. Eleasar
ben Asarja zum Vorsitzenden ernannten ^^). — Man darf annehmen,
dass dieser „Gerichtshof von Jabne die von dem jüdischen Volk
ihm freiwillig zugestandene Autorität nicht nur auf dem Gebiete
des Ceremonialgesetzes, sondern auch auf dem Gebiete des Civil-
ja des Criminalrechtes zur Anwendung gebracht hat. Im Civilrecht
mag er dazu, nach Lage der allgemeinen Gesetzgebung, wirklich
befugt gewesen sein. Denn die römische Gesetzgebung hat, soviel
wir constatiren können, den jüdischen Gemeinden in der Diaspora
überhaupt die Befugniss zuerkannt, in Civilstreitigkeiten ihrer Mit-
glieder Recht zu sprechen, sofern die streitenden Parteien selbst
die Sache vor das Gemeindegericht brachten ^^). Aber in Criminal-
sachen wird diese Gerichtsbarkeit mehr eine usurpirte als eine
vom Kaiser zugestandene gewesen sein. Sehr anschaulich und zu-
gleich authentisch beschreibt uns diesen Zustand Origenes. Er
will in seiner Verjtheidigung der Geschichte von Susanna und
Daniel den Nachweis führen, dass die Juden recht wohl auch im
34) Sukka III, 12. Roseh haschana IV, 1. 3. 4. Mcnachoth X, 5. Deren-
bourg, IJütoire de la Palesiinc p. 304 sq.
35) Roach haschana II, 8-9. — Nach EJvjoth VII, 7 erklärte man einst
in Gamaliers Abwesenheit das Jahr für ein Schaltjahr unter der Bedingung,
das« er es nach seiner Rückkehr gcnclimigen werde.
36) Kelim V, 4. Para VII, G. Vgl. auch Bechoroth IV, 5. VI, 8 (wie man
in Jabne bei Besichtigung der Erstgeburten verfuhr).
37) Sanhedrin XI, 4. Posch haschayia IV, 2.
88) Sebachim I, 3. Jadqjim III, 5. IV, 2. Vgl. Bd. li, S. 370 f.
39) Joseph. Antt. XIV, 10, 17. Cf)dex Thcodosianus II, 1, 10: ex conseiisu
partium in civili duntaxat negntio. Vgl. Bd. III, 8. 72, 77 f. — Nach KdtQoth
VII, 7 rciHtc einst Gnmaliitl II zum Stattlialter (Hegemon) von Syrien (sollte
hciRHcn: Judäa), „um «'ine Erlaubniss von ihm zu erlangen" (iiBjna mi^n ^lab
«•nioa). E« ist möglich, daHS es sich dalxä um Verleihung oder Erweiterung
oder Ansfibung richterlicher BcfugnisHe handelte.
[554] §21,1: Zustände in Palästina von Vespasian bis Hadrian. 559
babylonischen Exil ihre eigene Gerichtsbarkeit gehabt haben
können. Zum Beweise dafür beruft er sich auf die Zustände in
Palästina zu seiner Zeit, die er aus eigener Anschauung kenne.
Die Macht des jüdischen Ethnarchen (so nennt ihn Origenes) sei
eine so grosse, dass er sich in nichts von einem König unterscheide
(ö5c fiTjÖev öia^tQeiv ßaoiXsvovTog rov t&vovg). „Es finden auch
heimlich Gerichtsverhandlungen statt nach dem Gesetz, und Manche
werden zum Tode verurtheilt, weder mit allgemeiner Ermächtigung
hierfür, noch auch so, dass es dem Herrscher verborgen ist"^**).
Dies die Zustände im dritten Jahrhundert. In den ersten Decen-
nien nach der Zerstörung Jerusalems wird man noch nicht so weit
gewesen sein. Aber man war doch auf dem Wege dazu. — An
diese jüdische Centralbehörde in Palästina, deren Vorsitzender
später den Titel Patriarch führte, flössen auch die Abgaben aus
der Diaspora, soweit diese eben nach der Zerstörung des Tem-
pels noch entrichtet wurden. Wenigstens für die spätere Kaiser-
zeit ist dies bestimmt bezeugt. Auch in diesem Punkte traten die
Rabbinen an die Stelle der Priester. Denn ehedem waren die Ab-
gaben an die priesterliche Centralcasse in Jerusalem geliefert
worden. Jetzt war es eine rabbinische Behörde, welche sie durch
ihre apostoli einsammeln liess und für ihre angemessene Verwen-
dung sorgte (s. Bd. III, S. 77, 101).
Aller Eifer für das väterliche Gesetz hatte in dieser späteren
Zeit wenigstens bei der grossen Mehrzahl der Frommen, seinen
Lebensnerv in dem Glauben an eine herrliche Zukunft des
Volkes. So war es schon vor der grossen Katastrophe; so in ver-
stärktem Maasse auch nach derselben. Wenn man jetzt eifiiger
als je um die peinliche Erfüllung der Gebote Gottes sich bemühte,
so war die stärkste Triebfeder hierzu eben der Wunsch, sich dadurch
der künftigen Herrlichkeit, an welche man zuversichtlicher als je
glaubte, würdig zu machen. Ueber diese religiöse Stimmung
in den ersten Decennien nach dem Untergang der heiligen Stadt
geben uns die damals entstandenen Apokalypsen des Baruch und
Esra einen ebenso lebendigen wie authentischen Aufschluss (s. über
dieselben Bd. III, S. 223—250). Die nächste Folge des furchtbaren
Schlages war freilich eine tiefe Erschütterung der Gemüther. Wie
konnte Gott über sein auserwähltes Volk dieses Unheil herein-
brechen lassen? Aber dieses grosse Räthsel war doch nur ein be-
sonderer Fall des allgemeinen Räthsels: wie ist überhaupt dasl
40) Origenes, Epistokt ad Africanum § 14 (im Wortlaute mitgetheilt
Bd. U, S. 197). Mommsen, Römisches Strafrecht (1899) S. 120, sieht hierin
„den merkwürdigsten Beleg für das Toleriren selbst den römischen Ordnungen
zuwiderlaufender Institutionen unter der Kaiserherrschaft".
42*
(560 §21,1: Zustände in Palästina von Vespasian bis Hadrian. [555]
Unglück der Gerechten und das Glück der Ungerechten möglich?
Durch das Dunkel dieser letzteren Frage hatte das fromme Be-
wusstsein Israels sich längst hindurchgerungen. So fand es auch
jetzt bald die lösende Antwort. Es ist eine Züchtigung, die Gott
über das Volk um seiner Sünde willen verhängt hat. Sie hat ihre
bestimmte Zeit. Wenn das Volk sich dadurch zurechtweisen lässt,
so wird ihm bald der verheissene Tag des Heiles anbrechen. Das
ist der Grundgedanke jener beiden Apokalypsen; und ihr Zweck
eben der, das Volk in seiner Noth zu trösten, seinen Muth und
seinen frommen Eifer zu beleben durch den Ausblick auf die sicher
und bald bevorstehende Erlösung. Der zuversichtliche Glaube an
diese wurde also durch die schweren Schläge der Zeit nur noch
verstärkt, befestigt, belebt. Aus der Trauer um den Untergang des
Heiligthums erwuchs der messianischen Hofinung neue Nahrung,
neue Kraft. Das war auch für die politischen Verhältnisse bedeut-
sam und verhängnissvoll. Denn diese messianische Hoffnung war
eine wunderbare' Mischung religiöser und politischer Ideale. Nie
hat man auf die letzteren verzichtet; und das Gefährliche war eben
ihre Verbindung mit religiösen Motiven. Die politische Freiheit
des Volkes, die man wünschte, wurde als das Ziel der Wege Gottes
angesehen. Je fester man dies glaubte, desto leichter setzte mau
sich über kühle Erwägungen des menschlich Möglichen hinweg,
desto kühner wurde der Muth, auch das Unmögliche zu wagen.
Diese Stimmung war es gewesen, die schon zur Zeit Nero's zum
Aufstande getrieben hatte. In ihr lagen auch jetzt wieder die
Keime zu neuen furchtbaren Katastrophen.
Unter den flavischen Kaisern (Vespasian, Titus, Domitian, bis
96 n. Chr.) scheint es zu Conflicten in grösserem Umfang nicht ge-
kommen zu sein. Anlass dazu wäre genügend vorhanden gewesen.
Denn das Gebot, die einstige Tempeisteuer an den capitolinischen
Jupiter nach Rom abzuliefern (s. oben S. 640 tf.), war eine Verhöli-
nung der religiösen Gi^iühle der Juden, die jedes Jahr bei Er-
hebung der Steuer aufs Neue als solche empfunden werden miisste.
Unter Domitian wurde diese Steuer mit grosser Strenge ein-
getrieben, wi(5 überhaupt dieser Kaiser als entschiedener (legner
der Juden auftrat: der Uebertritt zum Judiintlium wurde mit strenger
Strafe belegt" .
Von einer wirklidicn Verfolgung der .luden nach der Zer-
stiiiTing JeruHalcms, noch unter Vespasian's Regierung, spricht Ku-
sebius unter I3.;rufung auf Ilegesippus. Sowohl \ espasian als
41) Eintreibung der Steuer: SnrUm. Domitian, 12, Verbot des Uebortrittes
Jho Ca$$. LXVII, 14 (beide btollen im Wortlaut Hd. III, S. 70).
[555.55(5] §21, I: Zustände in Palästina von Vespasian bis Hadrian. gm
Doniijtian uud Trajan Hessen nämlich, so berichtet Hegesippus,
alle Juden aus Davids Geschlecht mit grossem Eifer aufspüren
und hinrichten, damit das königliche Geschlecht, auf welches die
Juden ihre Hoffnungen setzten, ausgerottet werde ^''^). Dieser Be-
fehl führte unter Vespasi an zu einer grossen Verfolgung der
Juden* 3). Es lässt sich nicht controliren, wie weit diese Erzäh-
lung historisch ist. Schwerlich ist sie ganz aus der Luft gegriffen;
denn dass man einen Messias aus David's Hause erwartete, ist
zweifellos. Die P^xistenz von Davididen konnte also wirklich als
eine politische Gefahr angesehen werden. Aber von grosser Aus-
dehnung und Bedeutung kann diese „Verfolgung" nicht gewesen
sein, da sonst kein Schriftsteller etwas davon weiss. — Ob unter
Domitian politische Unruhen in Judäa vorgekommen sind, ist
ebenfalls fraglich. Aus gewissen Andeutungen des Militärdiplomes
vom J. 86 n. Chr. hat man geglaubt, auf solche schliessen zu
müssen. Indess lassen sich diese Schlussfolgerungen nicht zur Ge-
wissheit erheben (s. oben S. 644 f.). — Von furchtbarer Gewalt und
Ausdehnung waren dagegen die Aufstände, welche unter Trajan
und Hadrian ausbrachen, erstere ausserhalb Judäa's, letztere in
Judäa selbst.
IL Die Kriege unter Trajan (115—117).
Quellen: Dio Cass. LXVIII, 32.
Euseb. Eist. Eccl. IV, 2. Ders., Chron. ed. Schuene II, IM sq.
Orosius VII, 12 (fast ganz nach des Hieronymus lateinischer Be-
arbeitung der Chronik des Eusebius).
Ueber Papyrus- Fragmente, welche sich auf die Juden-Verfolgung
in Alexandria unter Trajan beziehen, s, oben S. 65 f.
Literatur: Munter, Der jüdische Krieg unter den Kaisem Trajan uud
Hadrian (1821) S. 10—29.
Cassel, in Ersch und Gruber's Encyklopädie, Sect. II, Bd. 27,
1850, S. 12 f. (im Artikel „Juden").
Grätz, Geschichte der Juden Bd. IV, S. 123 ff.
Verenbourff, Ilistoire de la Palestine p. 402 — 412.
Neubürger, Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth.
1873, S. 386-397.
Ewald, Geschichte des Volkes Israel VII, 390—396.
Hausrath, Neutestamentliche Zeitgeschichte 2. Aufl. IV, 181 — 189.
Renan, Les evangiles (1877) p. 503 — 512.
42) Euseb. Eist, eccllll, 12 (Vespasian); ibid. III, 19— 20 (Domitian ; ihid.
III, 32, 3 — 4 (Trajan); sämmtliclie Angaben nach Hegesippus.
43) Euseb. E. E. III, 12: Oveanaaiavbv fjitxa Trjv tcüv '^TeQoao?.iu(ov a?.watv
Tiävrag xovg dno ycvovQ AaßlÖ dva'Qrjxela^ai ngoarä^ai, fikyiaxov
Xi 'lovöaioig ai:&ig ix xavxric. öitoyfxov inagxrjx)^f/vai xf,g aixiag.
662 § 21, 11: Die Kriege unter Trajan (115—117). [556. 557]
Volk mar, Zur Chronologie des Trajanischen Partherkrieges mit
Bücksicht auf die Ignatiustradition und eine neue Quelle (Rhein.
Museum Neue Folge Bd. XII, 1857, S. 481—511). |
Volkmar, Der parthische und jüdische Krieg Trajans nach den
Quellen (Zeitschr. für die Alterthumswissensch. XV. Jahrg. 1857,
Nr. 61—65).
Volkmar, Handbuch der Einleitung in die Apokryphen, I. Thl.
1. Abth. Judith. 1860.
Dierauer in Büdinger's Untersuchungen zur röm. Kaisergesch. I,
1868, S. 182 f.
De la Berge, Essai sur le regne de Trajan (1877) p. 182 — 184.
Schiller, Geschichte der römischen Kaiserzeit I, 2(1883) S. 561 f.
Mommsen, Römische Geschichte Bd. V (1885) S. 542—544, vgl.
397 ff.
Schlatter, Die Tage Trajans und Hadrians (Beiträge zur För-
derung christlicher Theologie I, 3, 1897, S. 1—100). Dazu:
Bacher, Erreurs ricentes etc. {Revue des Ütides juives t. XXXVI,
1898, p. 197—204).
Trajan war in den letzten Jahren seines Lebens (114 — 117)
fortwährend in Anspruch genommen durch die kühnen Eroberungs-
ziige im fernen Osten des Reiches*'*). Als er im J. 115 eben mit
der Eroberung Mesopotamiens beschäftigt war, begannen die Juden
in'Aegiypten und Cyrene, die Abwesenheit des Kaisers benützend,
„wie' von einem wilden Geist des Aufruhrs fortgerissen, sich gegen
ihre nichtjüdischen Landsleute zu erheben"*^). Der Aufstand ge-
wann im folgenden Jahre (116 n. Chr.) eine solche Ausdehnung,
44) Ueber Trajan's Kriege im Oriente vgl. ausser den oben genannten
Arbeiten von Volkmar besonders: H. Francke, Zur Geschichte Trajan's
(2. AuBg. 1840) S. 249 — 300. Dierauer, Beiträge zu einer kritischen Geschichte
Trajans S. 152—186 (in Büdinger's Untersuchungen zur römischen Kaiserge-
ßchichte, I. Bd. 1868). De la Berge, Essai siir le regne Je Trajan {Paris 1877)
p. 149— IflO. Schiller, Geschichte der römischen Kaiserzeit I, 2 (1883)
S. 6?5— 563. Mommsen, Römische Geschichte V, 397 ff. Gutschmid,
Geschichte Irans und seiner Nachbarländer (1888) S. 140 — 146.
4.0) Kusch. Ilist. Ercl. IV, 2: "Ev xt yccQ lAXf^avSgda xal xy Xoiny Aiyinx(p
xal nQOOkXi xaxu Kvqi'ivtjv wanfQ vno nvevfiaxoQ dsnov xtvog xal axaaiwöovq
dvaft^imaöhxti wQfitjvio ngo^ xoiq avvotxovq"EXXrjvaq aiaaiät,fiv. — Ueber
den Krieg in Aegypten ist das ältCHte, leider nur kurze, Zeugniss: Apjnan^
(Hb. II, 90. Appian berichtet hier, dass Cäsar dem Andenken des Pompejus
ein Heiligthum bei Ah'xandria geweiht habe, und fährt dann fort: önfQ in^
i/iOtJ xaztt 'Patfiaiwv avxoxQuxoQa T^aiavov, f^oXXvvxa xo iv Alyvnxip 'lov-
dalutv yhoq, vnf» xdiv ^lovdalwv ig xag xov noXifxov zpf'ßf xttxrn)tl(pf>T]. — Ohne
7jw6iM liezicht Hi<;h auf dicHe Zeit auch ein Fragment A ppiun'H, in wch'hcm
»er erzählt, wie er zur Zeit (Ich KriegoH mit den Juden uuh Aegypten liube
fliehen niÜHHcn iUrpiie arrlii'ologifjue, Noiir. Serie t. XIX, 1869, />. 101 — 110 —
Muller, Eragm. hint. gravc. t. W, 1, p. LXV — lirinarh, Tcdcs ä'autettrs grecs
M romainn relatifs au Jtuluitrme p. 163 sq.).
1557. 558] § 21, II: Die Kriege unter Trajan (115-117). 663
dass er den Charakter eines förmlichen Krieges annahm**^). Der
römische Statthalter von Aegypten, M. Rutilius Lupus, scheint
46) Die Chronologie steht nicht ganz fest. Dierauer und Schiller
nehmen für den jüdischen Aufstand nur das Jahr 117 an, Mommsen 116 — 117,
Clinton [Fasti Rotmini t. I), de la Berge und Andere 115 — 117 (erster An-
fang 115, weitere Ausdehnung 116). Letzteres wird das Richtige sein. Denn
Eusebius setzt in der Chronik den Beginn des Aufstandes noch in das 17. Jahr
Trajans oder ann. Abrah. 2130 [Eiiseb. Ghron. ed. Schoene II, 164 sq., im Texte
dos Hieronymus, der in der Regel die bessere Ueberlieferung giebt, steht die
Notiz bei ann. Abrah. 2130, ebenso in einer Handschrift der armenischen
Uebersetzung). Dies ist = 114 n. Chr. (nach der Reductionsregel, welche
Gutschmid gegeben hat. De temporum notis, quibus Eusebius utitur in Chro-
nicis canonibus p. 27 sq. = Kleine Schriften I, 481 f., vgl. Wachsmuth, Einl.
in das Studium der alten Gesch. S. 176). In der Kirchengeschichte drückt
sich Eusebius {H. E. IV, 2) so aus: ^<fjy yovv xov avxoxQäxoQoq flg ivtavxbv
cxtwxatdixarov iXavvovroq ai&iq 'lovöaliuv xivTjaiq inavaaräaa x. t. X. Er
setzt also hier den Beginn des Aufstandes gegen Ende des 17. oder Anfang
des 18. Jahres Trajans. Wenn dies auf genauer Ueberlieferung beruht, so
würden wir auf Ende 114 oder Anfang 115 n. Chr. geführt werden, denn das
18. Jahr Trajans ist im Wesentlichen gleich 115 n. Chr., mag man nun das
Jahr vom Tage seines Regierungsantrittes an rechnen (Ende Januar, s. über
den Todestag Nerva's Dierauer S. 27 f , Pauly-Wissowa's Real-Enc. IV, 148 f.)
oder vom tribunicischen Neujahr 10. December au, wie es seit Trajan im
officiellen Gebrauch üblich wurde (ähnlich wie man in Aegypten immer mit
dem Beginn des ägyptischen Kalenderjahres, 29. oder 30. August, ein neues
Kaiserjahr zu zählen begann). — Im folgenden Jalire, also im 19. Jahre Tra-
jans = 116 n. Chr. und zwar während Lupus Statthalter von Aegypten war,
nahm der Aufstand grössere Ausdelinung an {Euseb. H. E. IV, 2: av^^aavxeq
Tf ilq fxiya ttjv axdaiv xiö imövxi iviavxiji nöXeftov ov a/xixgov avv^tpay,
tjyovfitvov XTjvixatxa Aovnov x^q anclarjq Alyvnxov). Die Richtigkeit dieser
Angaben wird durch die Chronologie der Statthalter Aegypten's be-
stätigt, die sicli für diese Jahre ziemlich genau feststellen lässt, vgl. Franz
im Co}-p. Inscr. Oraec. f. III p. 312. P. Meyer, Zur Chronologie der praefecti
Aegypti im zweiten Jahrhundert (Hermes Bd. 32, 1897, S. 210 — 234). Ders.,
Das Heerwesen der Ptolemäer und Römer in Aegypten, 1900, S. 145 — 147.
1) M. Rutilius Lupus war schon vor dem Soraftier 115 Statthalter
von Aegypten, denn auf ein Rescript von ihm in Sachen einer Soldaten-Ehe
nimmt eine spätere richterliche Entscheidung Bezug, welche vom Juni 115, L
ij] TQaiavov, llavvi i, datirt ist [Bullettino deW Istituto di diritto romano, VIII,
1895, p. 157 [in dem hier S. 155 ff. mitgetheilten Papyrus sind fünf Urkunden
vereinigt, welche sich auf Soldaten-Ehen beziehen]). — Für das folgende Jahr
ist er als Statthalter Aegyptens bezeugt durch die Inschrift eines Tempels in
der Oase von Theben {Letronne, Reeueil des inscriptions grecques et latines de
PEgypte I, 120 sq. = Corp. Inscr. Graec. n. 4948: inl Mdgxov 'Povxiklov Aov-
nov inuQxov Alyvnxov . . . L i^ avxoxgdxoQoq Kalaagoq Negota T^aiavoü'. . .
7iax,u)v X, das Datum entspricht dem 24. Mai 110 n. Chr.; eine neuere Copie*
von Schweinfurth, Petermann's Mittheilungen 1875, S. 393, giebt statt naxcav
X vielmehr naxaiv a, was auf April führen würde). — In einem von Grenfell
und Hunt mitgetheilten Papyrus heisst es, dass eine Streitsache gebracht
664 § 21, 11: Die Kriege unter Trajan (115-117). [558]
der Macht der Juden nicht gewachsen gewesen zu sein. Diese be-
siegten in einem Treffen die „Hellenen" und zwangen sie zur Flucht
nach Alexandria. Hier in der Hauptstadt hatten allerdings die
worden sei ml rov xqccxioxov riysfiova'^Povxihov [Ao\vnov. Der Papyrus ist zwar
undatirt aber mit einem andern Dokument verbunden, welches vom 19. Jahre
Trajans datirt ist [The Oxyrhynchus Papyri ed. by Orenfell and Hunt P. I,
1898, n. 97). — Dass Lupus noch im Januar 117 n. Chr. Statthalter von
Aegypten war, lehrt ein Rescript von ihm, welches datirt ist L x f^eov
TQttiavov TZßi öexÜT^ = 5. Januar 117 n. Chr. (Aegj'ptische Urkunden aus
den königl. Museen zu Berlin, Griechische Urkunden Bd. In. 114). — Ob die
Inschrift bei Kaibel, Inser. Graecae Steil, et Ital. n. 2421, 2 inl Aovncoi inagiiot
AtyvTiTov sich auf unsern Lupus bezieht, ist ungewiss. Dagegen ist sicherlich
dieser gemeint in dem auf den Juden-Aufstand in Alexandria bezüglichen
Papyrus-Fragment, welches oben S. 65 f. besprochen ist. Auf eine dnöösi^ig
des Lupus wird Bezug genommen in einem fragmentarisch erhaltenen Docu-
ment aus späterer Zeit [Grenfell, Hunt and Hogarth, Fayüm towns and their
papyri, 1900, p. 311, n. 322).
2) Zur Bezwingung des Aufstandes in Aegypten und Cyrene sandte Trajan
den Marcius Turbo (Euseb. H E. IV, 2). Dass dieser als Statthalter von
Aegypten zu denken ist, ergiebt sich schon aus dem Umstände, dass der
Statthalter von Cyrene kein Heer hatte, Turbo also nur als Statthalter von
Aegypten den Aufstand in jenen Gegenden bekämpft haben kann. Aus Spar-
tian's vita Hadriani wissen wir aber auch direct, dass Hadrian ihm später
Dacien übertrug tHuIo Aeyyptiacae praefecturae, d. h. mit Belassung der Ehren-
rechte des Statthalters von Aegj'pten (Spartiati. Hadrian. c. 7, vgl. Letronne I,
164). Turbo war also der Nachfolger des Lupus, und zwar noch zur Zeit
Trajan's 117 n. Chr.
3) Schon S'/a Monate nach Trajan's Tod, nämlich für April 118 ist durch
eine Inschrift Rammius Martialis als Statthalter von Aegypten bezeugt
{Ijclronne, Rccueil des inscriptions I, 153 n. XVI = Corp. Inscr. Oraee. n.
4713'-: 6nl 'PafAfxlut MagriccXi iTXU{>X(f Alyinxov . . . ß' atxoxgdroQog KctlaaQoq
Tfaiavov kdi>tavov . . . (pag/uov&l xij', das Datum ist == 23. April 118 n. Clir).
Den vollen Namen Q. liammius Martialis gicbt eine in Bubastis gefundene
Inschrift {Revue archcol. trms. Serie t. 33, 1898, p. 436).
Marcius Turbo ist alHo Anfang 118 n. Chr. abgerufen worden (vgl. mich
Spartian. Ifadr. 5: Marrio Turhove Judaeis conprcssis ad deprintendniu tuvnil-
tum Maurdaiiinr dcHtinatn). Du er aber den Aufstand bewältigte noXktäg fiä-
yaiQ iv oi'x oh'y(i) xe XQ"*'V (/'•'"•■<*''• ^f- ^- IV, 2), ho wird seine Tiiätigkcit diis
Jahr 117 aungefüllt haben; und es bestätigt sich somit, dass der entscheidende
Hleg der AufHtändiHchon zur Zeit des i^iupus in das Juhr 116, der erste An-
fang der Bewegung in das Jahr 115 zu setzen ist. — V. Meyer meint, dass
der ZwiHclienrHtun zwIkcIumi Lupus und Ranunius Martialis für Turbo's krie-
gerJHcli« Thätigkeit zu kurz sei. Kr halt daher den Turbo nicht für einen
ordnungHnuiHHigcn Statthalter, Hondern für einen auHHcronlciitlicIicn liCgaten
nrhen Lnpim alM Htatthulter (JlernieH .32, H. 217 f). Zu dieser an sitih iiixlist
unwaiirnflu-inlichen Couibinution n«>thigt aber die Chronologie keiueswcgH.
Ein vnltc-M Jahr frenOgt doch auch für nollal /idyai
[558. 559] § 21, II: Die Kriege unter Trajan (115—117). ßß^
Grrieclieu die Oberhand: die dort wohnenden Juden -wurden er-
griffen und getödtet**'). |
Um so schlimmer wütheten die Juden in Cyrene. Von den
Grausamkeiten, welche sie hier an ihren nichtjüdischen Mit-
bürgern verübten, entwirft Dio Cassius ein schauerliches Gemälde:
sie assen ihr Fleisch, beschmierten sich mit ihrem Blut, durch-
sägten sie von oben bis unten oder gaben sie den wilden Thieren
zur Speise. Die Zahl der Ermordeten soll 220000 betragen
haben''^). So gewiss hier die ausschweifendste Phantasie den
Griffel geführt hat, so erhellt doch daraus der Umfang und die
Bedeutung dieses Aufstandes. Der Anführer der cyrenaischen
Judenschaft — welchen sie als ihren König ausriefen — wird von
Eusebius Lukuas genannt, von Dio Cassius Andreas^^).
Zur Bezwingung des Aufstandes sandte Trajan einen seiner
besten Feldherren: Marcius Turbo ^"). Durch langwierige und
47) Euseb. H. E. IV, 2. Chrun. ed. Schoene II, lü4 sq. [ad ann. Abr. 2130
nach HieronyrauB, oder 2131 nach dem Annen.) Gros. VII, 12: In Alexandria
autem commisso proetio vidi et adtriti sunt. Vgl. auch Btixtorf , Lex Chald.
col. 99 s. V. «"^rnjor^S«. Derenbourg p. 410 — 412. Wünsclie, Der jerusa-
lemische Talmud (1880) S. 125 f. — In der Chronik des Eusebius wird zum
1. Jahre Hadrian's bemerkt, dass dieser Kaiser das von den Juden (oder Römern ?)
zerstörte Alexandria wiederhergestellt habe {Eus. Chron. ed. Schoene II,
lG4s}., nach dem Armenischen: Adrianus Alexandriam a Judaeis subversam
restauravit, nach Hieronymus: Hadriatius Alexandriam a Romanis [sie] sub-
versam publicis instauravit expensis). Die Stadt muss also stark gelitten haben,
wenn auch eine eigentliche „Zerstörung" sicherlich nicht stattgefunden hat.
S. dagegen Munter S. 19 — 23. Die Vermuthung Mommsen's, dass die
Notiz im Text des Eusebius gar nicht gestanden hat und nur durch Miss-
verständniss des armenischen und lateinischen Uebersetzers hereingekommen
ist (Rom. Gesch. V, 543), lässt sich wegen der Uebereinstimmung beider nicht
aufrecht erhalten.
48) Dio Cass. LXVIII, 32. Vgl. Oros. VII, 12: Incredibili deinde motu sub
uno tempore Jiidaei, quasi rabie efferati, per diver sas terranim partes exar-
serunt. Nävi et per totam Libyam adversus incolas atrocissima bella f/esserunt :
quae adeo tuhc interfectis cultoribtis desolata est, ut nisi postea Jladrianiis im-
perator collectas illuc aliunde colonias deduxisset, vacua penitus terra, al>raso
habitatore, mansisset. Aef/yptum vero totam et Cyrenen et T/iebaidam cruenfis
seditionibus turbaverunt.
49) Euseb. IV, 2. Dio Cass. LXVIII, 32.
50) Sein voller Name lautet nach einer Inschrift zu Sarmizegethusa in
Dacien (Orelli, Inscr. Lat. n. 831 = Corp. Inscr. Lat. t. III«. 14G2): Q. Mar-
cius Turbo Fronto Publieius Severus. Derselbe, jedoch verstümmelt,,
auch Corp. Inscr. Lat. t. XIV n. 4243. — Marcius Turbo wurde nach Be-
zwingung des jüdischen Aufstandes von Hadrian na(!h einander zum Statt-
halter von Mauretanien, Pannonien, Dacien (Spartian. Iladrian. c. ofin. dfin. 7)
und zum praefcctus praetorio ernannt [Spartian. Hadrian. c. 9, Dio Cass. LXIX,
18, Corp. Inscr. Lat. III n. 1462), und wird als einer der tüchtigsten Männer
■QQQ § 21, II: Die Kriege uuter Trajau (115—117). [559. 560]
hartnäckige Kämpfe {jtoXXalg .udxaig hv ovx oXiyo) re xQovco) brachte
•dieser den Krieg zu Ende und tüdtete viele tausende von Juden, |
nicht nur aus Cyrene, sondern auch aus Aegypten, welche sich an
ihren „König" Lukuas angeschlossen hatten^ *).
Auch auf die Insel Cypern hatte sich der Aufstand ver-
breitet. Unter Anführung eines gewissen Artemio ahmten hier
die Juden das Beispiel ihrer cyrenaischen Glaubensgenossen nach
und mordeten 240000 nichtjüdische Einwohner der InseP^) Auch
•die Hauptstadt Salamis wurde von ihnen verwüstet ^^j Ueber
4ie Unterdrückung des Aufstandes haben wir keine Nachrichten.
Die Folge war, dass fortan kein Jude die Insel betreten durfte,
und wenn er durch Sturm an ihre Küste verschlagen wurde, sterben
musste^^).
Endlich, während Trajan bis nach Ktesiphon, der Hauptstadt
■des parthischen Reiches, vorgedrungen war, wurden in seinem
Eücken auch die Juden in Mesopotamien unruhig. Hier an der
Grenze des Reiches war die Sache am bedenklichsten. Trajan gab
•dem maurischen Fürsten Lusius Quietus — der zugleich römi-
scher Feldherr war — Befehl, die Aufständischen aus der Provinz
wegzufegen {exxa&ägai rtjg tjraQxiag avtovg). Mit barbarischer
•Grausamkeit kam Quietus der Weisung nach. Tausende von Juden
büssten mit dem Leben. So ward die Ruhe wiederhergestellt; und
Quietus wurde zum Lohne dafür zum Statthalter von Palästina er-
nannt* 5).
zur Zeit Hadrian's bezeichnet {Dio Cass. LXIX, 18, Frontonis epistulac ed.
Naber p. 165), der aber wie viele Seinesgleichen auch dem Misstrauen und
•der Feindschaft Hadrian's verfiel {Spartian. Hadrian. c. 15). Vgl. Prosopo-
f/raphia imperii romani II, 339 sq.
51) Euseb. H. E. IV, 2. — Nach Euseb. Chron. ed. Sc/iocne II, 164 s?., Oros.
VII, 12 hatte sich der Aufstand auch über die Thebais erstreckt.
52) Dio Cass. LXVIII, 32.
53) Eusel). Chron. ed. Schocne II, lG4s7. (zum 19. Jalire Trajan'e, 2132 Abr.),
nach dem ArmeniHclien: Sa/amiiiam Cipri insulac ttrbcm Judaci adorti sunt et
üraecos, quos ibi nacti sunt, trucidarunt, urbemque a ^undavtmiis subvertcrunt ;
griechisch bei Syncellus cd. Dindorf I, (557: Tovq iv 2^aXafilvi tfjg Kvtiqov
^'ßXXrjvag 'lovSalot dvt).6vtfq rr/v nöXiv xari'axaipav. — Orosnis VII, 12: >Sane
Salaminam, urbcni Cijpri, intcrfcctis omiiilnis nccolis (bicrcritnt.
64) IHo Qua. LXVIII, 32.
66) Euseb. llüt. Eccl. IV, 2. Chrun. cd. Schocne 11, 164 .sry. (/um 18, Jahre
Trajan'H, 2131 Abr.). Orosius VII, 12. IHo Cass. LXVIII. 32 (hier auch die
PerHonulicn über Quietus). — Ueber Lusius (Quietus v)j:1. auch oben S. 647.
Sein Name scheint im Text der Luscbianisciicn Chronik schon früh corrumpirt
worden zu sein, denn IIi«'ronymuB Uai Lynias (,>iiictnü, und Syncellus («/. X>m-
iltjrf I, 657; Avalitq Kvvroq, Dio richtige Form neben Eu.sch. Jh'st. eccl. ed.
Ileinichen, Dio Oa»». ed. Dindorf, hikIi Spartian. Hadrian. e. 5.
{5ü0. 5G1] § 21, II: Die Kriege unter Trajan (115—117). 667
Zum völligen Abschlu.ss scheint der jüdische Aufstand erst im
Anfang der Regierung Hadrian's (117 n. Chr.) gekommen zu sein.
Wenigstens spricht Eusebius von Unruhen, welche Hadrian in
Alexandria zu dämpfen hatte^^); und der Biograph Hadrian's be-|
richtet, dass auch Palästina sich rebellisch gezeigt habe 5^). Jeden-
falls scheint aber noch im ersten Jahre Hadrian's die völlige Ruhe
wiederhergestellt worden zu sein. — Aus einem Papyrusfragmente
wissen wir, dass wegen der Kämpfe in Alexandria auch
die dortigen Führer der griechischen Einwohner, die gewiss
mitschuldig an den Vorgängen waren, vom Kaiser zur Verant-
wortung gezogen wurden (s. oben S. 65 f.). Ob dies noch unter
Trajan oder erst unter Hadrian geschah, lässt sich aus dem Bruch-
stücke nicht ersehen.
Palästina scheint an dem Aufstande nicht in erheblichem
Maasse betheiligt gewesen zu sein. Es ist dies zwar von Volkmar
und Grätz im Interesse ihrer Auffassung des Buches Judith (das
sie in diese Zeit setzen) behauptet, aber von anderen, namentlich
Lipsius, wohl mit Recht bestritten wordenes). Die rabbinische
Tradition kennt allerdings einen „Krieg des Quietus" btD oittbltf
oi^ip^^); aber nichts nöthigt uns, darunter einen andern als den
wohlbekannten Quietus-Krieg in Mesopotamien zu verstehen.
In Megillath Taanith § 29 ist der 12. Adar als „der Tag des Trajanus",
56) Euseb. Chron. ed. Schoene II, 164s5. (zum 1. Jahre Hadrian's, 2133 Abr.),
nach dem Armenischen: Adrianus Judaeos subegit ter [tertio] contra Romanos
rebellantes, nach Hieronymus: Tladrianus Judaeos eapit seeundo contra Romanos
rehellantes, nach Syncelhis: *A6Qiav6q lovSalovq xaxa 'AXs^avdQtwv ataaiät,ovzag
ixökaatv.
57) Spartian. Hadr. c. 5: Lycia denique ac Palaestina rebelies animos
efferebant.
58) Volkmar, Theol. Jahrbb. 1857, S. 441-498, und bes.: Das Buch Ju-
dith (1860), S. 56 fl: 64 ß". 83 ff. 90 ff. Grätz, Gesch. der Juden IV, 439 ff.
Gegen sie bes. Lipsius, Zeitschr. für wissenschaftl. Theol. 1859, S. 81 — 111.
Im Allgemeinen auch Hilgenfeld, Zeitschr. 1858, S. 270 ff. und 1861, S. 338 ff.
Derenboiirg p. 405. Fritzsche in Schenkel's Bibellex. III, 448 ff. Renan,
Les evanr/iles p. 509. Gregorovius, Hadrian (3. Aufl. 1884) S. 27, 35 — 38.
59) Misckna Sota IX, 14 und Seder Olain sub fin. An beiden Stellen ist
nämlich statt der vulgären Lesart Di::*^a ^;r on^sbiB zu lesen: öu''p ^125 DIB^IB.
S. Grätz IV, 439 ff. Volkmar, Judith S. 83— 90. Lipsius, Zeitschr. für
wiss. Theol. 1859, S. 97-104. Derenbourg S. 404 f. Salzer, Magazin für
die Wissensch. des Judenth. IV, 1877, S. 141—144. Rühl, Deutsche Zeitschr.
für Geschichtswissenschaft, Neue Folge II, 1897 98, S. 194 ff. (in der Abhand-
lung über den Ursprung der jüdischen Weltära). Dazu Nachtrag S. 342 f. —
In der Mischnasteile haben cz^^p oder Oiu'^p: 1) eine Handschrift der königl.
Bibliothek zu Berlin (Mss. Gr. Fol. 567, früher im Privatbesitz ; es ist dieselbe,
auf welche sich bereits Grätz berufen hat); 2) die von Lowe 1883 herausge-
gebene Cambridger Handschrift {University Ädditional 470, 1). In der Stelle
6ö8 § 21, 11: Die Kriege uuter Trajan (115—117). [561. 562]
Dis'^'^niü ai'i, bezeichnet 60)^ iin(i ^^r Comraentar dazu erzählt, dass
dieser Tag gefeiert werde zum Andenken an folgende Begeben-
heit^ i): Zwei Brüder, Julianus und Pappus, wurden in Laodicea
von Trajanus ergriifen, worauf dieser ihnen höhnisch zurief: Ihr
Gott möge sie nun erretten, wie einst den Chananja, Mischael und
Asarja. Die beiden ] Brüder erwiderten, dass weder er noch sie
eines solchen Wunders würdig seien; wohl aber werde Gott ihr
Blut von ihm fordern, wenn er sie tödte. Noch ehe aber Trajan
den Ort verliess, kam ein Befehl von Rom, infolge dessen er hin-
gerichtet wurde. Diese Fabel (die schon darum gar keine Be-
achtung verdient, weil Trajan als abhängiger Beamter gedacht ist)
soll nun ein Hauptbeweis für den Trajanus-Krieg in Judäa seinJ
Aber man sieht, dass darin weder von Krieg, noch von Judäa
(sondern ausdrücklich von Laodicea) die Rede ist''^). — Das Ein-
zige, was zu Gunsten der Volkmarschen Ansicht spricht, sind die
oben citirten Worte des Spartianus, wornach Palästina im Anfange
von Hadrian's Regierung rehelks animos efferehat. Darnach scheint
es allerdings nicht völlig ruhig geblieben zu sein. Aber zu einem
wirklichen Kriege ist es schwerlich gekommen. Sonst würden
unsere Quellen doch etwas davon sagen.
Anhang. Der Text des Seder Olam über die letzten
jüdischen Kriege.
Die neuen Ausgaben des Seder Olam von Neubauer (1895)
und Ratner (1S97) — s. die Titel oben S. 158 — bieten für die
Herstellung eines kritischen Textes werthvoUes Material. N en-
de» Seder Olam haben ebenfalls erhebliche Zeugen diese Lesart (s. den unten
initgetheilten kritischen Apparat). An der letzteren Stelle ist Glü'^p auch durcb
den Zusammenhang gefordert, denn es werden hier vom Krieg des Veapasianus
bis zum Kriege des Dia'^p 52 Jahre, von da bis zum Kriege des Ben-Kosiba.
(Bar-Kochba) 16 Jahre gerechnet. Auch in der Mischnastelle folgt auf den
„Krieg des VeHpasianuH" der „Krieg des ÖB'^p" und auf diesen „der letzte
Krieg" (d. h. der des JJarIcochba).
(30) Derenbottrg p. 443. 446. Ueber die Namensform ClJ'^'i^tia, 'jl'^n'^a etc. s.
Derenhourg p. 4(j8. Die Form Cl5''*<"iia giebt auch Neufxiuer, Mcdiacval Jewish
ChronirJeH II, 1H95, p. lü, nach cd. Anislerd. 1711; ebenso bah. Tamiith 18ft.
I)ng«'gcn jtir. Mcgilla 7Üc, jer. Tamntk (16« 'il'^n'^a, wie Dalniuii, Araniiiische
l)iulcktprol)en (1806) S. 2, hiernach auch in Megillath Taauith losen will.
Ol) 8. Dcrcnhnnrg p. 4(M! f. Grütz IV, 445(1". Volknnir, Judith S. 90
bis KX). LipsluH, Zeitschr. 1H59, 8. 104—110. Text bei Nruhaucr l. c. p. 19.
62) Wahrsc'heinlich liegt der Hage <!ine dunkle Erinnerung daran zu Grunde,
<\tmn LusiuH (^uietuH, der Bedränger der Juden, von Hadrian abberufen und
«ipSt4>r hingerifht<'t wurde (Spnrfian. Iladr. f) und 7).
{562] § 21, II. Anh. Der Text des Seder Olam über d. letzten jüd. Kriege. ßöQ
bau er giebt den Text nach dem Amsterdamer Druck von 1711
und einer bodlejanischen Handschrift vom J. 1315 n. Chr. (im
kritischen Apparat mit 0 bezeichnet). Ausserdem vergleicht er,
wenigstens für unsere Stelle, noch fünf Handschriften (oder Hand-
schriften-Fragmente): zwei andere bodlejanische {d und e), zwei
Handschriften von Parma (P und p) und die schon durch eine
Mittheilung von Grätz (Monatsschr. f. G. u. W. d. J. 1866, S. 79 f.)
bekannte Handschrift Halberstamm's {h)^^). Ratner vergleicht
nur drei Handschriften (s. seine „Einleitung" 1894, S. 160—162),
nämlich: 1) die Haupthandschrift der Bodlejana, 2) die grosse
Münchener Talmud-Handschrift (w) und 3) die Handschrift Halber-
stamm's; zieht aber in weitem Umfang das Material heran,
welches die Auszüge aus unserem Werke bei späteren Autoren,
namentlich im Jalkut, liefern. Das neue Material begünstigt m. E.
für unsere Stelle durchweg die Lesarten, welche schon Salz er
(Magazin für die Wissenschaft des Judenthums IV, 1877, S. 141
bis 144), hauptsächlich nach der Handschrift Halberstamm's und
nach der von Asarja de Rossi, Meor Enajim c. 19 benützten,
empfohlen hatte. Der Text unserer Stelle (Neubauer S. 66, Ratner
S. 145 f.) lautet hiernach folgendermaassen:
,n3ü D131QO oiD-^osDii bü 2Q.,^u^r) -]3? ^ 011^*10« bo oiübica
,n3Tö ''D'^mD'i D'^üün ^oi^^p bo oi^bis i:? on3'^c£Ci< bü ciTabisr
,rT3« ®T"^ 'xmiD p '^riÄnbü ly ^vs'^zy b» oittbiEüi
'•^nsn^i D^30 ©b« KiniD p ^n^nbai
„Vom Kriege des Asverus (Varus? s. oben S. 421) bis zum
Kriege Vespasiaus sind achtzig Jahre, und zwar während der Tempel
noch stand. Vom Kriege Vespasians bis zum Kriege des Quietus
sind zweiundfünfzig Jahre, und vom Kriege des Quietus bis zum
Kriege des Ben-Kosiba sechzehn Jahre. Der Krieg des Ben-Kosiba
dauerte drei und ein halbes Jahr".
Variae leetiones (Unerhebliches und ganz Singuläres ist nicht berück-
sichtigt; über einige Fälle, in welchen ich über die Genauigkeit der Angaben
Neubaiier's Zweifel hegen musste, haben die Herren Cowley in Oxford und
Abb6 Perreau in Parma mir gütigst Auskunft ertheilt). 1. e CIT^IDX
(so Cowley), P h Dinnin (Neubauer giebt diese Variante zu GIS^DECX, oflen-
bar aus Versehen; nach Grätz, Monatsschr. 18G6, S. 80, und Ratner gehört sie
hierher). — 2. OinbiB 0, de Rossi und Jalkut add. Q'i?2l"\ bttj. — 3. Oehpm
0'>3'^a (dagegen d P DlC3*ip [wie Cowley und Perreau bestätigen], ebenso de Rossi
und der Druck von 1711). — 4. Die Lesart des Textes (auch n"3 geschrieben)
63) Grätz hat den Besitzer früher Mandel stamm genannt, und dies dann
a. a. O. in Halber stadt berichtigt, was eben so falsch ist! S. über die
Handschrift: Joel Müller in seiner Ausgabe der Masechet Soferim (1878) S.33ff.
670 § 21, II. Anh. Der Text des Seder Olam über d. letzten jüd. Kriege. [562]
ist gesichert durch 0 d h p, de Rossi, Jalknt. Dagegen m D'^riT''. ü'^u;P"r, c P
Hz. — 5. Die Zeugen für DiB'i:: und Dlir'ip sind hier, soweit aus den mir zu-
gänglichen Notizen zu ersehen ist, dieselben wie oben, nur dass 0 hier Sl:5'<p
hat (diese Handschrift hat also an beiden Stellen verschieden, wie mir Cowley
bestätigt). Eatner nennt als Zeugen für Clii^^p auch den Jalkut. Neubauer
giebt im Text C-'^p und nennt als Zeugen für Ol::'^^ nur e, was den falschen
Schein erweckt, als ob alle Anderen hier Glü'ip hätten. — 6. f^'OTib-o hier und
im Folgenden (9) bei Neubauer ohne Variante. Auch aus Eatner ist zu
schliessen, dass die verglichenen Handschriften so lesen; dagegen Easchi, de
Eossi und Jalkut ri:bn. — 1. m K2D3 "i2. — 8. Als LA von 0 h m, de Eossi,
giebt Eatner T"l3 , was wohl nur seine eigene Umschreibung für V'i ist. —
9. s. Anm. 6. — 10. So nach Eatner 0 h de Eossi und Jalkut (über h de
Eossi und Jalkut s. auch Salzer); die Eichtigkeit dieser Lesart wird durch
andere Zeugnisse bestätigt (s. unten in der Geschichte Hadrian's). Für ir^tü
nach Neubauer resp. Eatner auch jd und m, während der Druck von 1711 und
die codd. d und e (nach Cowley's Mittheilung) hsnai ü'^Sü: in;r haben. In m
fehlt nsHTSl; die Angaben Neubauer's erwecken den irrigen Schein, als ob diea
auch in den anderen Handschriften ausser d der Fall sei.
IIL Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135)
Quellen: Dio Cass. LXIX, 12—14.
Euseb. Hist. Eccl. IV, 6. Ders., Chron. ed. Schoene II, IGG— 1G9.
Ueber Aristo von Pella s. oben S. 63 — 65.
I
Eabbinische Traditionen bei Derenbourg p. 412—438. Zusaramen-
Btclhing der rabbinischen Texte, welche sich auf die Geschichte
Beth-thers beziehen, bei Lebrecht, Bether S. 43—50, vgl. eben-
das. 20 f.
Ueber die Münzen s. Beilage IV.
Literatur: Basnage, IJistoire des Juifs t.Yll (nach anderer Zählung ^ XI)
1716, p. 328—378.
Tillemont, Histoire des empereurs t. II {Venise 1732) p. 285 — 290.
Munter, Der jüdische Krieg unter den Kaisern Trajan und Ha-
drian, 1821 (eingehendste Monographie).
CasBcl, in Ersdi und Grnber's Eiicyklopädie, Sect. II Bd. 27, 1850,
8. 13—16 (im Artikel „Juden").
Herzfeld, Zur Geschichte des Barkochba (Monatsschr. für Gesch.
und Wissensch. des Judenth. 1856, S. 101—111).
Grütz, GcHchichtc der Juden Bd. IV, 2. Aufl. S. 138—183.
JoHt, Gt'Kchlchtc des Judenthums und seiner Sekten II, 75—83.
.Derenbourg, IlUloire de la Palcstine p. 412—438.
Neubürger, Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth.
1873, S. 43.'} 445, 529-536.
Robinson, rulÜHtina 11, 19H— 205.
The Jewüh War undcr Hadrian and Trajan [Journal of Saercd
lAtcralure, vol. VIT, 1851, p. 439—44(3). |
Ewald, Geschichte des Volkes Israel VU, 396—482.
[563] § 21, III: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132-135). 67t
Hausrat h, Neutestamentliche Zeitgesch. 2. Aufl. IV, 327 — 342.
Renan, L'efjlise chretienne (1879) p. 180—228, 541—553. — Ders..^
Revue historique t. II, 1876, p. 112 — 120.
Salzer, Der Aufstand des Bar-Cochba (Magazin für die Wissensch.
des Judenth. III, 1876, S. 121— 139, 173—190. IV, 1877, S.17— 38).
Hamburger, Keal-Enc. für Bibel und Talmud Abth. II, Artikel:
Akiba, Barkochba, Bethar, Hadrian, Hadrianische Verfolgungs-
edikte.
Derenbourg, Quelques Notes sur la guerre de Bar Kozeba {Melange»-
publies par l'ecole des hautes Üudes, Paris 1878, p. 157 — 173).
Darmesteter, Notes ijngraphiqites etc. {Revue des itudes jiiives t.ly
1880, p. 42—55).
Schiller, Gesch. der röm. Kaiserzeit I, 2, 1883, S. 612-615.
Mommsen, Römische Geschichte V, 544 — 546.
Gregorovius, Der Kaiser Hadrian (3. Aufl. 1884) S.38f. 147—153,
188—216.
Gregorovius, Die Gründung der römischen Colonie Aelia Capi-
tolina (Sitzungsberichte der philos.-philoi. und bist. Classe der
Münchener Akademie 1883, S. 477-508).
Schwarz, Der Bar-Kochbaische Aufstand, Brunn 1885 (werthlos,
s. Bursian's Jahresber, der class. Alterthumswiesensch. 48, 282 f.).
Schlatter, Zur Topographie und Geschichte Palästina's (1893)
S. 135—151.
V. Rohden in Pauly-Wissowa's Real-Enc. I, 512—515 (in dem Ar-
tikel Äelius n. 64 = Hadrian).
Schlatter, Die Tage Trajans und Hadrians (= Beiträge zur För-
derung christlicher Theologie I, 3, 1897, S. 1—100), — Dazu:
Bacher, Erreurs ricentes etc. {Revue des itudes jiiives XXXVI,
1898, p. 197—204). A. Meyer, Theol. Litztg. 1898, 100.
Eine spätjüdische Legende erzählt, dass in den Tagen des R.
Josuaben Chananja (also zur Zeit Hadrian's) die heidnische
Regierung angeordnet habe, dass der Tempel gebaut werden dürfe.
Die Samaritaner hätten aber Gegenvorstellungen gemacht. Und
infolge dessen hätte der Kaiser die Erlaubniss zwar nicht zurück-
genommen, wohl aber angeordnet, dass der Neubau nicht ganz auf
der Stelle des alten Tempels errichtet werden dürfe, was einer
thatsächlichen Verhinderung gleichkam. Da hätten die Juden im
Thale von Beth-Rimraon sich zusammengerottet. R. Josua aber
habe ihnen, um sie zu beruhigen, die Fabel vom Löwen und Storch
erzählt: wie der Storch froh sein musste, seinen Kopf unversehrt
aus dem Rachen des Löwen gezogen zu haben, so sollten auch sie
froh sein, unter einer heidnischen Regierung in Frieden leben zu
können ^4). — Der historische Werth dieser Legende ist gleich Null;
und doch bildet sie die Hauptgrundlage für die von manchen neueren
64) Bereschith rabba c. 64. S. die Stelle im Urtext und in französischer
Uebersetzung bei Derenbourg, Histoire de la Palestine p. 416 sg. Text und
()72 § ''-'l. in-. Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). [5(33.5(54]
Gelehrten aufgestellte Ansicht, dass Hadrian die Wiedererbauung
■des jüdischen Tempels gestattet habe, und dass die Zurücknahme
•dieser Erlaubuiss die eigentliche Ursache des grossen Judenauf-|
Standes gewesen sei^^). Man beruft sich zur Bestätigung dieser
Ansicht allerdings auch auf christliche Nachrichten. Allein auch
4iese sind wenig geeignet dieselbe zu stützen. Chrysostomus, Ce-
drenus und Nicephorus Callistus sagen nur, dass die Juden zur
Zeit Hadrian's sich empört und den Versuch gemacht hätten, den
Tempel wieder zu bauen, und dass Hadrian dieses Unternehmen
vereitelt habe; das Chronicon paschale spricht von einer Zerstörung
des thatsächlich erbauten Tempels durch Hadrian ^^). Von einer
ursprünglich gegebenen und dann wieder zurückgenommenen Er-
iaubniss zum Tempelbau durch Hadrian ist also gar nicht die Rede;
das Unternehmen des Tempelbaues gehört vielmehr schon zu den
Acten des Aufruhrs. Eine scheinbare Stütze hat jene Hypothese
lediglich in einer Stelle des Barnabasbriefes, deren Erklärung
aber fraglich ist. Barnabas will zeigen, dass die Gesetzesbeobacli-
tung der Juden nicht die von Gott gewollte sei. Ihr Sabbath sei
nicht der wahre. „Und fast wie die Heiden haben sie Gott in
einem Tempel verehrt". Zum Erweis nun des heidnischen Cha-
rakters des jüdischen Tempels citirt Barnabas c. 16 die Weissagung
Jesajas (Jes. 49, 17): „Siehe die, welche diesen Tempel zerstört
habeil, werden ihn selbst wieder bauen", und fährt dann fort (16,
4): ylverat' öia yctQ rb jioXefietv avrov: xad^^]Qt&^r] vjro ratv kx^Qcöv
vvv xdl avTOi [xal] ol rcöv ixt) Qcöi'vjT7]QtTaiai^oixoöo(ii^oovoiv avrov.
Nur wenn das eingeklammerte xal beibehalten wird, ist hier die
Erwartung ausgesprochen, dass jetzt die Juden und Heiden ge-
meinsam den Tempel (also den jüdisclien) aufbauen werden. Bei
Tilgung des xal ist der Gedanke der, dass die Heiden selbst den
Tempel bauen, nämlich für licidnische Zwecke. Die letztere Les-
art verdient aber aus äusseren (i runden den Vorzug. Barnabas
scheint also auf den beabsichtigten heidnischen Bau Hadrian 's an-
zuspielen®'). — Von der | angeblichen Erlaubuiss Hadrian's zur
latein. UrberHctzung bei Volkmar, Judith 8.108—111. Deutsch bei Wünsclie,
Der MidraHch BereKchit Ruhba (I8H1) S 307 f.
m) So Volkmiir, Juditli 8. lÜS fJ". 131 ff. Grütz, Ge8di, der Juden IV,
13S ff. 442 fr. Drrenhourg, IliHloirc p. AVI sqq. Neubürger, Mouutsselir.
fQr Gewh. und WiHHeiiHch. de« Judenth. 1H73, 8. 433fl' Haunrath, Zeitgeaeh.
IV, 32Sf. Balzer, Magazin HI, 127 ff. Hamburger, Heal-Enc. Art. „Ha-
drian". Kd. Uiggeniuicb, IJaHeler Kin lienfreund 18!U), Nr. 5 u. ü.
(Mi) Die Ht<!llen HJnd gOHaniincit von Munter 8. 04 I". und Volivuiar, Ju-
dith 8. 131—134. Vgl. auch unten Anni. 113.
Ü7) Dan xal wird nur durcb den iSinaüicua geboten; bei allen übrigen
[Ü05J §21,111: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). 673
Wiedererbauung des jüdischen Tempels ist demnach bei Unter-
suchung der Ursachen des Aufstandes gänzlich abzusehen ^^). Eine
solche, wenigstens unter activer Förderung, ist auch aus inneren
Gründen unwahrscheinlich. Denn Hadrian hat zwar die grie-
chisch-römischen Culte eifrig gepflegt, die fremden aber ver-
achtet*^»).
Textzeugen fehlt es. — Die oben gegebene Erklärung (vom heidnischen
Bau) ist z. B. vertreten durch Lipsius, Schenkel's Bibellex. I, 371 f.; ein-
gehend und überzeugend begründet von Harnack, Gesch. der altchristl. Lit-
teratur II, 1, 1897, S. 423 — 427. Zustimmend, wenn auch nur mit einem
„wahrscheinlich", äussert sich Ehrhard, Die altchristl. Litteratur I, 1900,
S. 83 f. — Von der Unterstützung des jüdischen Baues durch die Heiden
hat die Worte namentlich Volkmar gedeutet, und zwar noch vor Entdeckung
des cod. Sinaiticus, unter Voraussetzung der Lesart ohne xal (Theol. Jahrbb.
1856, S. 351-361 und sonst); ihm folgen z. B. J. G. Müller, Erklärung des
Barnabasbriefes (1869) S. 334—340, Harnack, Patrum apostol. opera 1,2 ed. 2
(1878) p. LXX— LXXIT, und ich selbst in der 1. Aufl. dieses Buches. Mit
besonderer Lebhaftigkeit Seh latter. Zur Topographie und Geschichte Palä-
stina's S. 148 f. Die Tage Trajan's und Hadrian's S. 61 fl".; auch Ed. Rig-
genbach, Baseler Kircheufreund a. a. O. — Andere erklären die Worte me-
tapliorisch von der Erbauung des geistlichen Tempels durch die Heiden-
christen. So z. B. Hilgenfeld, Zeitschr. für wissensch. Theol, 1870, S. 116
bis 121; ders., Barnabae epistula ed. 2, 1877, p. II9 — 123; Wieseler, Jahrbb.
für deutsche Theol. 1870, S. 012—614; Chr. Job. Riggenbach, Der sogenannte
Brief des Barnabas (1873) S. 41—45. Funk, Theol. Quartalschr. 1897, S. 623
bis 633. Aber nach dem Wortlaut der Stelle handelt es sich augenscheinlich
um Wiedererbauung des eigentlichen Tempels. Barnabas will sagen: Dieser
war nicht besser als ein heidnischer, wie er denn jetzt thatsächlich von Heiden
wiedergebaut wird. Beachte besonders das avzov am Schlüsse. Gegen
Weizsäcker 's Deutung vom Bau Serubabel's (Zur Kritik des Barnabasbriefes
1863, S. 21 fl") entscheidet das vvv und das Futurum.
68) Vgl. Renan, L'^/lise chretienne p. 24. Schiller, Gesch. der röm.
Kaiserzeit I, 613. Gregorovius, Hadrian 3. Aufl. S. 38f.
69) Spartian. vita Hadriani c. 22 (in den Script ores Historiae Augustae ed.
Peter): saera Romana diligentissime curavit, peregrina contempsit. — Nach
Schlatter (Die Tage Trajan's und Hadrian's S. 67 Anm.) thut diese Notiz
„gar nichts zur Sache". Er selbst construirt die Ursachen des Auf Standes
folgendermassen (Die Tage Trajan's und Hadrian's S. 59—67). Der Bamabas-
brief sagt uns, dass Hadrian den Bau des jüdischen Tempels angeordnet hat.
Wir wissen auch, dass derselbe unter Dach gekommen und soweit fertig ge-
worden ist, dass man den Versöhnungstag wieder feiern konnte. Es schien
alles auf dem besten Wege. Da brach plötzlich der Conflict aus, weil
die Juden das Opfer für den Kaiser verweigerten (S. 66 f. 60 f.). Letzteres ist
bezeugt durch die Erzählung über einen gewissen Bar Kamsa {bab. Qittin
55*— 56» und Midrasch Ecfia rabbathi zu Thren. 4, 2, erstere Stelle deutsch bei
Wünsche, Der babylonische Talmud in seinen haggadischen ßestandtheileu
übersetzt II, 1, 1887, S. 146 f, letztere bei Wünsche, Der Midrasch Echa
rabbati, ins Deutsche übertragen, 1881, S. 135 f.). Dieser fühlte sich durch
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 43
674 §21, III: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). [565]
Nur zwei Nachrichten über die Ursachen des grossen Auf-
standes kommen ernstlich in Betracht. Spartian sagt'^*): moverunt
ea tempestate et Judaei bellum, quod vetdbantur mutilare genitalia. Dio
Cassius dagegen berichtet '^ ') : „Als Hadrian zu Jerusalem eine
eigene Stadt an Stelle der zerstörten gründete, welche er Aelia
Capitolina nannte, und an der Stelle des Tempels ihres Gottes
einen anderen Tempel für Zeus errichtete, da erhob sich ein grosser
und langwieriger Krieg. Denn die Juden hielten es für einen
Gräuel, dass Fremde in ihrer Stadt sich ansiedelten und fremde
Heiligthümer in ihr gegründet wurden". Da Spartian nur den
einen, Dio Cassius nur den andern Grund nennt, so erscheint es
fraglich, ob man beide ohne weiteres combiniren darf. Gregorovius
verwirft die Angabe Spartian's und hält ausschliesslich die des Dio
Cassius für glaubwürdig. In der That scheint ein Verbot der Be-
schneidung ohne besondere Veranlassung dem milden Charakter
Hadrian's wenig zu entsprechen, so begreiflich es als ein Mittel
zur Vernichtung der Juden nach der Niederwerfung des Aufstandes
ist '2). Trotzdem wird die Notiz Spartian's aufrecht zu erhalten | sein.
die Behandlung, die er bei einem Gastmahle erfahren hatte, durch die Rabbi-
nen beleidigt und verläumdete darum die Juden beim Kaiser, indem er sagte,
sie würden ein vom Kaiser gesandtes Opfer nicht annelmien. Der Kaiser
sandte darauf ein fettes Kalb. Der Verläurader aber brachte dem Thiere
heimlich eine Verletzung bei (wodurch es zum Opfer untauglich wurde). Da
die Juden es infolge dessen in der That nicht annahmen, sandte der Kaiser
den Nero und bald darauf den Vespasian und der Tempel wurde zerstört. —
Trotz des anekdotenhaften Charakters der Erzählung behandelt Schlatter
sie als liistorische Nachricht, verlegt sie in die Zeit Hadrian's, macht aus
einem Opfer, welches vom Kaiser gesandt wurde, das Opfer für den Kaiser und
gewinnt so die obige Construction. Dabei verwirft er alle wirklichen Quellcn-
berichte (Spartianus und Dio Cassius) und macht dann uns Andern, die wir
uns an dieselben halten, den Vorwurf, dass wir „die Quellen nicht hören"!!
(8. 67 Anm.). In der späteren populären Darstellung Schlatters (Israels Ge-
Hchichte von Alexander d. Gr. bis Hadrian 1901, S. 324 f.) ist übrigens von
Bar Kamsa nicht mehr die Rede, sondern die frühere Darstellung (Zur Topo-
graphie und Geschichte Palästina'« S. 149 — 151) erneuert, dass gerade die Er-
laubnisH Hadrian's zur Erbauung des jüdischen Tempels den Aufstand vernn-
iasHt habe, weil man darin „das Gotteszeichen" sah, dass nun das mcssianische
Reich aufzurichten sei. Damit ist fQr Sclilatter „der Gang der Dinge völlig
durchtiichtig".
70) Spartian. Iladr. 14.
71) Dio Casa. LXIX, 12.
72) Vgl. Gregorovius, Sitzungsberichte der philo8.-philol. und bist.
CUsM der Mflnchcner Akndomie 1883, S. 499(1'. Dcrs., Der Kaiser Hadrian
8. 188 ff. — Zu Gunsten von Gregorovius* Ansicht kimnte man auch die
Qoellenverhältnisse geltend machen. Sowohl Dio Cassius als Spartianus
gehen theilweise auf die Selbstbiographie Hudrian's zurück (s. Dio Cass. LXIX,
[566] § 21, III: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). 675
Um sie richtig zu würdigen, muss man sich dessen erinnern,
dass die Beschneidung nicht nur den Juden eigenthüm-
lich war'3). Herodot nennt als Völker, bei welchen sie von Alters-
her üblich war, die Kolcher, Aegypter und Aethioper; von den
Aegyptern sei sie auch zu den Phöniciern und „Syrern in Palä-
stina" (d. h, den Juden) gekommen. Von den Phöniciern nimmt er
„die mit Hellas in Verkehr stehenden" aus'^). Wie Herodot, so
11: dg kÖQiavog ygaipei, Spartian. 1, 1: in libris vüae suae Hadriamis tpse
commemorat, 7, 2: ut ipse in vita stm dicit, vgl. auch 3, 3; 3, 5). Bei Dio
Cassius folgt aber die Geschichte des Judenkrieges fast unmittelbar auf das
Citat aus der Selbstbiographie und kann sehr wohl aus ihr geschöpft sein (so
Dürr, Die Reisen des Kaisers Hadrian 1881, S. 14); bei Spartian dagegen
liegen die Verhältnisse nicht so günstig. Wenn sich auch nicht nachweisen
lässt, dass gerade die Notiz über den Judenkrieg aus einer anderen Quelle
Staramt (so Dürr a. a. O. S. 82, dagegen: Plew, Quellenuntersuchungen zur
Gesch. des Kaisers Hadrian 1890, S. 53, der erst von 14, 8 an andere Quellen-
verhältnisse annimmt), so haben doch die neueren Untersuchungen über die
Scriptares historiae Atigustae überhaupt ergeben, dass diese so, wie sie
vorliegen, eine späte Arbeit sind, in welcher das zu Grunde liegende Quellen-
material mannigfach überarbeitet und mit fragwürdigen Stoffen untermischt
ist, S. in der Kürze: Wachsmut h, Einleitung in das Studium der alten
Geschichte, 1895, S. 690 — 693 (der aber die Lage wohl etwas zu peasimistisch
beurtheilt).
73) lieber die Verbreitung der ßeschneidung s. Meiners, De circumcisi-
onis oriffine et cattsis {Gommentationes societat. seient. Gottingensis vol. XIV,
1800, p. 207—224). Die Artikel „Beschneidung" in Er seh und Gruber's
Allg. Encycl. I. Section, 9. Tbl. S. 265—270 (von A. G. Hoffmann), Winer's
RWB., Schenkel's Bibellex. (von Steiner), Herzog-Hauck, Real-Enc,
3. Aufl. II, 660-662 (von Orelli); ferner: De Wette, Lehrb. der hebräisch-
jüdischen Archäologie 4. Aufl. 1864, S. 207 — 210, Nowack, Lehrbuch der he-
bräischen Archäologie I, 167 ft". Ebers, Aegypten und die Bücher Mose's I,
278 ff. J. B. Friedreich, Zur Bibel, naturhistorische, anthropologische und
raedicinische Fragmente, 1848, II, 39 — 165. Ploss, Das Kind in Brauch und
Sitte der Völker 2. Aufl. 1882, Bd. I S. 342—372. Ders., Geschichtliches und
Ethnologisches über Knabenbeschneidung (Deutsches Archiv für Geschichte
der Medicin Bd. VIII, 1885, S. 312—343). Glassberg, Die Beschneidung in
ihrer geschichtlichen, ethnographischen, religiösen und medicinischen Bedeu-
tung, zum ersten Male umfassend dargestellt, 1896 (355 S.). Vgl. die Anz. in:
Monatsschr. f. Gesch. und Wissensch. d. Judenth. 1897, S. 376ff. Lesctre,
Art. Circoncision in: Vigouroux, Dictionnaire de la Bible H, 772 — 780.
Reitzenstein, Zwei religionsgeschichtliche Fragen, 1901, S. 1—46.
74) Herodot. II, 104: fiovvoi ndvrwv dv&gcünwv KöXxoi xal Alyvnxioi
xttl Ai&ioneq nsQirdfivovrat ktc agy^riq xa alöola. 4>oivixfq 6h xal 2!vgoc ol
iv tj7 IlaXaiaxivy xal avxol 6/xoXoyiovai nag Alyvnxlwv fisfia&ijxivai, SvQiot
rfe ol nsgl OeQ/xwöovxa xal Ilag&eviov noxafiov xal MdxQwveg ol xovxoiai
daxvyslxovsg iovxsg dnb KöXxotv <paal vscaaxl /xe/xa&ijxivaf ovxoi yuQ etac ol
nsQixafxvofiSvoi dvd-Qwmov fiovvoi. 4>oivix(üv oxooi xfi'^EXXdSi ini/xlayov-
xai ovxhi Alyvnxiovq fxifxtovxai xaxa xä alöola, dki.a x<öv iniyivofiivwv oi
43*
676 § 21, HI: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). [566J
sprechen auch andere Schriftsteller ganz im Allgemeinen davon,
dass „die Aegypter" die Beschneidung geübt haben '^). So all-
gemein gefasst ist die Notiz wohl nicht zutreifend, denn bei Jeremia
9, 24 — 25 wird, nach richtigem Verständniss der Stelle, voraus-
gesetzt, dass die Aegypter unbeschnitten waren. Die Beschneidung
scheint also nui* in engeren Kreisen, bei den Höhergestellten, ge-
übt worden zu sein. Jedenfalls sind in der römischen Zeit in
Aegypten nur die Priester regelmässig beschnitten worden'^).
Allgemein war dagegen die Beschneidung auch bei den Arabern"),
TiiQtTafivovai T« alöola. — Josephus, der diese Stelle zweimal citirt {Äntt.
"VIII, 10, 3 und fi. Apion. I, 22), bemerkt beidemale, dass mit den „Syrern in
Palästina" nur die Juden gemeint sein können.
75) Herodot auch 11, 36 {Alyvnztoi 6h nsQitäfxvovTai). — Agatharchides in:
Geogrctplii graeei minores ed. Carol. Müller, I, 154 (die Troglodyten xad-äneQ
Alyvnriovg ndvrag). — Diodor. I, 28 (Die Aegypter, und nach ihnen die
Kolcher und Juden). III, 32 (die Troglodyten wie die Aegypter; Diodor
schreibt in diesem Abschnitt den Agatharchides fast wörtlich ab). — Strato
XVII, 2, 5 p. 824. — Philo de circumcisione § 1, ed. Mang. II, 210. — Celsus
bei Origenes contra Gels. V, 41 (die Aegypter und Kolcher hatten die Be-
schneidung schon vor den Juden); vgl. I, 22, V, 48.
76) Artapanus bei Euseh. Praep. evang. IX, 27, 10 ed. Gaisford (Artapanus
schrieb vor Alexander Polyhistor, also spätestens Anfang des ersten Jahr-
hunderts vor Chr.). — Joseph, contra Apion. II, 13 {ixeZvoi, nämlich die ägyp-
tischen Priester, anavreg xal neQixifivovxaL xal xoifidiov äntxovxai ßQ(o-
ftttTüJv). — Horapollon ed. Leemans I, \A p. 23. — Origenes, Comment. in ep.
ad liom. Hb. II c. 13 ed. Lommaixsch VI, 138 s^'. [apud Aeggptios . . . nullus
aut geometriae studebat aut astronomiae . . , malus certe astrologiae et geneseos
. . secreta rimabatur, nisi circumcisione suscepta. Sacerdos apud eos, aruspex
aut quorumlibet sacrorum ministe)' vel, ut Uli appellant, propheta omms cireum-
cisus est, lAleras quoque sacerdotales veterum Aegptiorum, quas hicroglyphicas
appellant, nemo discebat nisi circumcisus etc.) Id., in Jercm. hom. V, 14 ed.
Lommaixsch XV. 171. — Hierotiymus, Comm. ad Oal. 5, 1 opp. ed. Vallarsi
VII, 477. — Epiphanius, haer. 30, 33. — Dass die Beschnoidung in Aegypten
nicht allgemein war, beweist auch die Geschichte Apion's {Jos. c. Apion.
11, 13).
77) Oen. 17, 23—27 {Beschneidung Ismaels im Alter von dreizehn Jahren).
— JuKcph. Anti. I, 12, 2 (.AQftßfQ 6k fxfTtt hoq xpiaxatdixarov). — Ep. Bamab.
c. !): 7if()txixf4T]xat . . . xal näq Sv()0q xal ^Apatp xal nävteg ol IfQeTg x<Sv
elSw).utv (nur tlicilwciHC richtig). — Origenes, Gomm. in Oen. t. III c. 10 ed.
IjommatxHch VIII, '.\.\, citirt von FAiseh. Praep. evang. VI, 11, 69 ed. Gaisford
{xwv di iv ^lapiatjllxaig xolq xutu xijv /ipaßlav, xoiovde, a>c nävxaq TTf-Qixf(ji-
pta&at XQioxutdtxafXflQ' xovxo yuQ \axÖQrixai nf^l avxiSv). Id. in rp. ad liom.
l, II c. 13, LommatxHch VI, 130 {non soliim Aeggptiorum sacerdotcs et hiero-
phanlas wioa «mmc cirrumcisione sed et Arabes et Aethiopca et Phoenices
alttiHqtui). — Ilieron. comm. ad Oal. 5, 1, ed. Vallarsi VII, 477 [ajunt enim
H Aeygpli aacerdotes et Ismaelitas et Madianaeos praeputium non habere).
— Kpiph. haer. 3<J, 33. — Uobor dio Beachneidung bei den heutigen Arabern:
[566] §21,111: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). 677
während die Iduinäer und Ituräer (also die nächsten Nachbarn der
Juden im Süden und Norden) erst bei ihrer gewaltsamen Judaisi-
rung durch die hasmonäischen Fürsten Johannes Hyrkan und
Aristobul I die Beschneidung empfangen haben 'S).
Wenn hiernach im Gebiete des römischen Reiches die Juden nicht
die Einzigen waren, welche die Beschneidung übten, so ist es von
vornherein nicht wahrscheinlich, dass das Verbot nur ihnen gegolten
haben soll. In der That zeigen schon die Gesichtspunkte, von
welchen das Verbot ausging, dass dasselbe ein allgemeines war.
Hadrian hat zunächst das bereits von Domitian erlassene Ver-
bot der Castrirung verschärft; sie sollte „gemäss der kx Cornelia''^
d. h. wie Mord bestraft werden'*). Mit der Castrirung wurde
aber die ßeschneidung auf gleiche Stufe gestellt, wie
aus einem späteren Rescript des Antoninus Pius, welcher den Juden
die Beschneidung wieder gestattete, zu ersehen ist^*^). Hadrian hat
also die Beschneidung als barbarische Sitte allgemein verboten,
nicht etwa nur den Juden um der Religion willen. Daher ist
unter Antoninus Pius das allgemeine Verbot in Kraft geblieben,
während gerade den Juden um ihrer Religion willen die Be-
schneidung wieder gestattet wurde^'). Directe Zeugnisse für die
Steinschneider bei Glassberg a. a. O. S. 253 ff. Wellhausen, Skizzen
und Vorarbeiten III, 154 f.
78) Joseph. Ann. XIII, 9, 1. 11, 3. — Auch bei Jerem. 9, 24—25 wird,
nach richtigem Verständniss der Stelle, vorausgesetzt, dass die Aegypter, Edo-
miter, Animoniter und Moabiter unbeschnitten waren. Es beruht
auf irriger Auslegung, wenn auf Grund dieser Stelle Justin. I>ia,l. c. Tryph.
e. 28 [ed. Otto II, ed. 3 p. 96) und Hieronymtis, Comm, in Jerem., ad hunc loe.
[opp. ed. Vallarsi IV, 910) annehmen, dass die genannten Völker beschnitten
waren (doch Hieronymus nur: qttorum, plerumque pars circumcisa est).
79) Digest. XL VIII, 8, 4, 2 (aus Ulpianus): Divus Hadriamis rescripsit:
Constitutum quidem est, ne spadones fierent, eos autem, qui hoc crimine arcfue-
rentur, Corneliae legis poena teneri etc. — Gemeint ist die lex Cornelia
de sicariis et veneficis. Ein Verbot der Castrirung hatte schon Domitian er-
lassen {Dio Cass. LXVII, 2. Sueton. Domit. 7). Durch Hadrian wurde aber
nun die Todesstrafe darauf gesetzt, und zwar für den Einwilligenden selbst
wie für den Arzt {Digest, l. c.). S. überh. Hitzig, Art. castratio in Pauly-
Wissowa's Real-Enc. III, 1772 Mommsen, Römisches Strafrecht (1899) S.637f.
80) Modestinus, Digest. XL VIII, 8, 11 pr. : Circumcidere Judaeis ßlios suos
tantum rescripto divi Pii permittitur : in non eiusdeni religiotiis qui hoc fecerit,
castrantis poena irrogatur. — Vgl, Mommsen, Römische Geschichte V,
549. Ders., Römisches Strafrecht S. 638. Hitzig Art. circumcisio in Pauly-
Wissowa's Real-Enc. III, 2570 f.
81) Modestinus, Digest. XL VIII, 8, 11 pr. (s. vorige Anm.). — Paulus,
Sent. V, 22, 3 — 4 (in Huschke's Jurisprudentiae antejustinianae quae supersunt,
ed. 5., Lips. 1886): Cives Romani, qui se Judaico ritu vel serros suos circumcidi
patiuntur bonis ademptis in insuiam perpetuo releganiur; medici capite pimiuv-
678 § 21, in : Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). [5G6]
Allgemeinheit des Verbotes haben wir in Betreff der Araber,
Samaritaner und Aegypter. 1) Im nabatäischen Arabien ist
durch die Römer die bis dahin herrschende Beschneidung abge-
schafft worden^2). 2) Den Samaritanern war sie zur Zeit des
Origenes bei Todesstrafe verboten^^}. 3) In Aegypten bedurften
die Priester in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts nach
Chr. in jedem einzelnen Falle einer besonderen behördlichen
Genehmigung zum Vollzug der Beschneidung. Nur wenn die
priesterliche Abstammung und die körperliche Makellosigkeit, also
die Tauglichkeit zum Priesterdienst nachgewiesen war, wurde die
Erlaubniss zur Beschneidung des Knaben ertheilt^^). Im Allgemeinen
war sie also verboten.
tur. Judaei si alienae nationis comparatos servos circumcidei-unt, auf deportantur
aut capite puniuntur.
82) In dem syrischen Dialog über das Fatum, welcher dem Bar de san es
zugeschrieben wird, wird als Beispiel dafür, dass oftmals Könige bei Eroberung
fremder Länder deren Gesetze abgeschafft und die eigenen eingeführt haben,
ohne dass die Sterne dies gehindert hätten, vor Allem dies angeführt, dass erst
kürzlich die Römer nach der Eroberung Arabiens die dortigen Gesetze, insonder-
heit die Beschneidung, abgeschafft \vktien. {Cureton, Spicilegmm Syriaciwi
1855, p.30; in dem etwas verkürzten griechischen Text bei Euseb. Praep. evang.YJ,
10, 41 ed. Gaisford wird das Verbot der Beschneidung nicht erwähnt). Der-
selbe Autor spricht unmittelbar darauf von der Beschneidung der Juden als
einer bestehenden Sitte. — Vgl. Nöldeke, Zeitschr. der deutschen morgen-
länd. Gesellsch. Bd. 39, 1885, S. 343 (der auf diese Stelle aufmerksam ge-
macht hat).
83) Origenes, contra Gels. II, 13 bemerkt, dass die Christen die Einzigen
seien, die um ihres Glaubens willen verfolgt würden, und fährt dann fort:
^AAo (pi^ati xi(i, OTi xal 2afiaQ€ig Siä tfiv havzwv &eoaißsiav ÖKoxovxai. tlpog
ov TOiavta igovfiev wg [so ist statt ol zu lesen] aixuQioi öia rfjv nsQiroftTjv,
a>q uxQwxTjQiät^ovxfQ naga rovq xad-earwrag vofiovg xal rä ^loväaioiq avyxe-
yiuQTjfiiva fiovoiq, dvaiQOvvxai. Also nicht um des Glaubens willen, sondern
um der Beschneidung willen werden sie „als Mörder" (gemäss der lex Cornelia
de sicariis) bestraft, da die Beschneidung nur den Juden gestattet ist.
84) Diese interessante Thatsache ist erst durch die neueren Papyruafunde
bekannt geworden. S. Krebs, Zeitschr. für ägyptische Sprache und Alter-
thumskunde Bd. 31, 1893, 8. 37 f Ders., Aus dem Tagebuch des römischen
OberpriesterH von Aegypten (Philologus Bd. 53, 1894, S. 577—587) [hier auch
die Urkunde aus der Zeitschr. f. äg. Spr. u. Alterth. wiederholt]. Reitzeu-
«tein, Zwei religionsgeschichtliclie Fragen nach ungedruckteu griechischen
TfXtC'U der StrasHburger Bibliothek, 1901, S. 1— 40. — Krebs behandelt zwei
Berliner I'apyruHtcxtc (Aegyptische Urkunden aus den königl. Miisecn zu Berlin,
ii rivvhifn'.]w Urkunden Bd. I Nr. 347 und 82), von welchen der eine zwei gleich-
zeitige Urkunden vom J. 171 n. (^hr. enthält, der andere eine solche vom
J. IK.'j n. Chr. Der von Rcitzenstein herauHgegcbcnc Strassburger Text ent-
liält eine Urkunde auH der Zeit des Anloninus Plus. Das rechtliche Verfahren
Ut nach allen vier Urkunden im WeBentlichen dasselbe. Ein Priester, der
[5b6.567] § 21, III: Der grosse Aufttand unter Hadrian (132—135). 679
Das Verbot der Beschneidung, welches Hadrian erliess, war
demnach nicht speciell gegen das Judenthum gerichtet; | aber es
versteht sich von selbst, dass dieses sich davon tödtlich getroffen
fühlte. Dazu kam nun das Andere, dass Hadrian auf den Trümmern
Jerusalems eine neue heidnische Stadt errichten wollte. Auch
hierbei war das leitende Motiv nicht Feindschaft gegen das Juden-
thum: glänzende Bauten und Städtegründungen gehörten überhaupt
zum Lebenswerk Hadrian's. Aber auch diese Maassregel musste
das Judenthum als einen Schlag in's Angesicht empfinden. So
lange Jerusalem in Trümmern lag, konnten die Juden die Hoffnung
auf Wiederherstellung hegen. Die Gründung einer heidnischen
Stadt, die Errichtung eines heidnischen Tempels an heiliger Stätte
machte diesen Hoffnungen in grausamer Weise ein Ende. Es war
ein Gräuel gleich dem einst von Antiochus Epiphanes verübten,
und wurde wie damals mit einem allgemeinen Aufstande des
empörten Volkes beantwortet. — Beide Gründe sind also an sich
nicht unwahrscheinlich. Ein Zusammenwirken beider ist nament-
lich dann wohl denkbar, wenn beide Maassregeln Hadrian's zeit-
lich nicht allzuweit auseinanderfallen.
Ueber die Zeit, zu welcher der Bau von Aelia Oapitolina
begonnen wurde, finden sich in den Quellen verschiedene Angaben.
Epiphanius will wissen, dass Hadrian 47 Jahre nach der Zerstörung
Jerusalems, als er auf seinen Reisen dorthin kam, den Befehl zur
Wiedererbauung der Stadt (nicht des Tempels) gegeben und den
A(iuila damit beauftragt habe^^). Diese Zeitbestimumng würde in
das Jahr 117 n. Chr., unmittelbar nach Hadrian's Regierungsantritt
seinen Sohn beschneiden lassen will, hat zunächst eine Eingabe an den Stra-
tegen seiner Heimath zu machen, der dann entweder selbst oder durch einen
stellvertretenden Beamten {diaöixofisvoq xfjv aiQuxrjylav Berl. 171 B und 185)
auf Grund der Einwohner-Listen {xat' olxlav unoYQUtpai Strassb.) die priester-
liche Abstammung des Knaben [xb yivoq Berl. 185) bescheinigt, Dass es sich
um die priesterliche Abstammung handelt, war schon nach den Berliner
Urkunden kaum zu bezweifeln und wird durch die Strassburger bestätigt
(ßovkö/iievoi itQaxtxcJg negnt/xveiv). Mit dieser Bescheinigung begeben sich
Vater und Sohn nach Memphis zum dortigen römischen Oberpriester von ganz
Aegypten, der nun durch seine priesterlichen Beamten den Knaben unter-
suchen lässt, ob er keinen körperlichen Fehler hat {el arj/ielöv xt t;(ot o natg,
Berl. 171 u. 185). Erst wenn constatirt ist, dass der Knabe „fehlerlos" {aarjßoq),
also zum Priesterdienst tauglich ist, ertheilt der Oberpriester die schriftliche
Erlaubniss zur Beschneidung. (Urkundliche Bezeugung der priesterlichen Ab-
stamnumg und körperliche Makellosigkeit wird bekanntlich auch von den
jüdischen Priestern gefordert, s. unten Bd. II, S. 227—231). — Als Analogon
mag erwähnt werden, dass der Statthalter von Aegypten ausnahmsweise auch
die Castrirung gestatten konnte {Justin. Äpol. 1 c. 29).
85) Epiphanius, De inensuris et ponderibus § 14.
680 § 21, III: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). [5G7. 568]
führen. Damals befand er sich allerdings im Orient; aber Epi-
phanius denkt augenscheinlich an eine seiner späteren, von Rom
aus unternommenen grossen Reisen, womit seine Zeitangabe jeden
Werth verliert^ ^). Das Chronicon pasclmle setzt die Gründung von
Aelia in das Jahr 119 n. Chr., aber nur deshalb weil es auch den
grossen Judenaufstand in dieses Jahr setzt, nach dessen Unter-
drückung eben Aelia gegründet worden sei^'). Mit der Zeitbe-
stimmung für den Judenaufstand, welche erweislich falsch ist, fallt
auch die für die Gründung von Aelia^^). Als eine Folge des Auf-
standes betrachtet auch Eusebius die Gründung der Stadt^^). Das
ist richtig, sofern der Plan erst damals durchgeführt wurde. Aber
nach Dio Cassius ist nicht zu bezweifeln, dass der Bau schon vor
dem Aufstande begonnen wurde, und zwar nicht sehr lange vorher.
Denn er sagt, dass die Juden, die über den Bau entrüstet waren,
doch ruhig blieben, so lange Hadrian in Aegypten und Syrien weilte ;
dass sie aber losbrachen, sobald er jene Gegenden verlassen hatte^^).
Hiernach darf angenommen werden, dass die Gründung in die Zeit
von Hadrian's Aufenthalt in Syrien 130 n. Chr. fällt.
Hadrian kam damals — es war auf seiner letzten grossen Reise
in den Orient — von Griechenland aus nach Syrien, von da nach
Aegypten und dann wieder nach Syrien^')- Durch Inschriften
und Münzen ist festgestellt, dass er im J. 130 in Syrien war, im
November 130 in Aegypten, also 131 wieder in Syrien^-). Ueber-
86) Als brauchbar ist dieselbe verwerthet von Dürr, Die Reisen des Kaisers
Hadrian 8. IG. Dagegen: Gregorovius, Sitzungsberichte 1883, S. 489.
87) Chrunicon paschale ed. Dindorf I, 474.
88) 8. auch Gregorovius, Sitzungsberichte 1883, 8. 493 f. — Ohne jeden
Anhalt in den Quellen ist Renan's Annahme der Gründung um 122 {U&jlise
chrStienne p. 26).
89) Euseb. Hut. eccl. IV, 6.
90) IHo Cass. LXIX, 12.
91) Diese Route nennt bestimmt Dio Cass. LXIX, 11 — 12.
92) Dass Hadrian's Aufenthalt in Aegypten in das J. 130 fiillt (womit das
Uebrige von selbst gegcl)en ist), hat bereits Eckhcl erwiesen [Docirina Nn-
morum VI, 489-491). Ihm folgen: Haakh in Pauly's Real-Enc. III, 1035
(Artikel: Hadrianus); Clinton, Fasti Romani t. I, 1845, ad ann. 129—131
p. Chr.; Letronne, liecueil de$ inscriptions r/recqties et latines de PEgypte f. II
1848. p. 364—367; Dürr, Die Reisen des Kaisers Hadrian, 1881, S. 02- G.5.
V. Roh den in Pauly-Wissowa'« Real-Enc-. I, 510 f. Noch mehr Literatur l)ci
Dörr 8. 7 — 8. — Die flauptbeweise sind: 1) Eine Inschrift zu Palmyni vom
.1. [4)42 aer. Sei. —" 130/131 nach Chr. setzt eine vorhergehende Anwesenheit
Hadrian'« in Palmyra voraus {De Vogiii, Syrie CefUrak, Inscriptions de Pal-
tnyre n. 16, Le Bas et Waddington, Inscriptions t. III n. 2585). 2) Dio
Mflnsen von Gaza aus der Zeit Hadrian's haben eine Aera vom J. 130 u. Chr.,
deren Anlaai aicherlich Hadrian's Anwesenheit in Gaza und die dabei der
[568. 569] §21,111: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). 681
all wohin er kam, förderte er die Aufgaben der Cultur: Kunst-
und I Nutzbaiiten wurden errichtet, Festspiele eingeführt: allen
Provinzen wurde er ein restitutor^^). Auch in den Städten Palä-
stina's begegnen wir seinen Spuren. Caesarea und Tiberias hatten
seitdem ein 'Aögiaveiov, Gaza eine jtav^yvQig 'AÖQtavi^, Petra
nannte sich zum Dank für die Wohlthaten des Kaisers 'AÖQiavii
Uirga^^). Seine Anwesenheit in Judäa ist verewigt durch Münzen
mit der Aufschrift adventui Aug{usti) Judaeae^^).
Mit diesen Bestrebungen des Kaisers hängt ohne Zweifel auch
die Gründung von Aelia zusammen. Noch Plinius nennt Jerusalem
Stadt erwiesenen Wohlthaten waren (s. hierüber die in Bd. II S. 86 genannte
Literatur; das Jahr 1 der neuen Aera ist = 190/191 der gewöhnlichen Aera
von Gaza, also = 130 n.Chr.). 3) In Alexandria sind zur Feier von Hadrian 's
Anwesenheit Münzen geprägt worden, von welchen die meisten vom J. 15 da-
tirt sind, eine aber vom J. 14. Da das 15. Jahr Hadrian's nach der in Aegypten
üblichen Zählung am 29. August 130 n. Chr. begann, so wird Hadrian's An-
kunft in Alexandria in den August 130 zu setzen sein, Rohden a. a. O.; vgl.
auch schon Eckhel VI, 489 sq. 4) Das genaueste Datum liefert eine Inschrift
auf der Memnonstatue bei Theben, aus welcher erhellt, dass Hadrian im
15. Jahre seiner Regierung im Monat Athyr daselbst gewesen ist. Das Datum
entspricht dem November 130 n. Chr. (s. den Wortlaut der Inschrift schon
bei Eckhel und Clinton, correcter bei Letronne II. 365 und Dürr S. 123, auch
im Corp. Inscr. Graec. n. 4727; ein genaues Facsimile bei Lepsius, Denk-
mäler aus Aegypten und Aethiopien , Bd. XII , Blatt 78, Inscr. Graec. n. 91).
Ueber die in Aegypten übliche Zählung der Kaiserjalire, speciell der Jahre
Hadrian's s. Ideler, Handbuch der Chronologie I, 117 ff.
93) Vgl. überhaupt: Dürr, die Reisen des Kaisers Hadrian S. 4f Gre-
gorovius. Der Kaiser Hadrian 3. Aufl. S. 468ff. — Auf zahlreichen Inschrif-
ten heisst Hadrian atoxiqQ, obaaxriq, eveQyirrji;, xziaxriq. S. die Texte bei Dürr,
S. 104 ff. Auf Münzen Hadrian's finden sich folgende Aufschriften : restitutori
Achaiae, restitutori Africae, restitutori Arabiae, restitutori Asiäe, restitutori Bi-
thyniae, restitutori Galliäe, restitutori Hispaniae, restitutori Italiae, restitutori
Libyae, restitutori Macedoniae, restitutori Nicomediae, restittäori orbis terrarum,
restittdori Phrygiae, restitutori Siciliae. S. Eckhel, Doctr. Num. Yl, 4^ — 500.
Cohen, Medailles imperiales ed. 2. t. II, 1882, p. 209—214.
94) Ein lAÖQiävfiov in Caesarea wird erwähnt auf einer dortigen Inschrift
aus christlicher Zeit {Revue biblique 1895, p. 75 sq. Palesiine Expl. Fund Quar-
terly Statement 1896, p. 87). — Ueber Tiberias s. Epiphan. haer. 30, 12: vaoq
6s (jisyiaxoq iv x^ nokfiTCQOvniJQxe' xdxa, oi/iai, 'Aöpidveiov xovxo ixä?.ovv. —
Ueber Gaza Chronicon paschale ed. Dindorf I, 474: xal ixü taxriaev navi'iyvgiv
. . . xal e'(og xov vvv ^ navi^yvQK; ixeivij ?.syexai köQtav^. — Die Münzen von
Petra mit der Aufschrift llögiavTj Btxga hei Mionnet, Description de medailles
V, 587 — 589. Suppl. VIII, 387 sj. De Saulcy, Numismatique de la Terre Sainte
p. 351—353.
95) Eckhel, Doctr. Num. VI, 495*5'. Madden, Coins of the Jews (1881)
p. 231. Cohen, Medailles imperiales ed. 2. t. II p. llOsg'. Die Münzen sind in
Rom geprägt [S. C). — Analoge Münzen giebt es fast für alle Provinzen, s.
Eckhel VI, 486- 501. Cohen II, 107—112.
682 §21,111: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). [569.570]
longe clarissima urhium orientis, non Judaeae modo^^). Diese berühmte
Stadt lag nun in Trümmern oder war doch nur ein römisches
Lager. Was konnte es für den Kaiser Verlockenderes geben, als
sie in neuem Glänze erstehen zu lassen? Aber der neue Glanz
sollte selbstverständlich ein heidnischer sein. Ein Tempel des ca-
pitolinischen Jupiter sollte sich da erheben, avo einst der Tempel
des Judengottes gestanden hatte. Das war das Verhängnissvolle.
Die Juden waren durch das vielleicht nicht lange vorher erlassene
Verbot der Beschneidung schon aufs Aeusserste gereizt. Nun kam
dieser neue Gräuel hinzu. Damit waren die Dinge reif zur Ent-
scheidung. Man verhielt sich noch ruhig, so lange der Kaiser in
Aegypten und dann zum zweiten Mal in Syrien weilte. Als er
aber nicht mehr in der Nähe war, also wohl 132 n. Chr., brach
der Aufstand aus: an Ausdehnung, innerer Kraft und zerstörenden
Folgen mindestens ebenso gewaltig wie der zur Zeit Vespasian's.
Nur an | der Dürftigkeit der Quellen liegt es, wenn er für unser
Bewusstsein hinter jenem zurücktritt^').
Der Führer des Aufstandes wird in den christlichen Quellen
Kocheba oder Barkocheba genannt, von den rabbinischen Bar-
kosiba oder Benkosiba^^). Das eine wie das andere ist nur ein
Beiname; ersteres bezeichnet ihn als den „Stern" oder „Sternen-
sohn", in Anlehnung an Niim. 24, 17, welche Stelle E. Akiba auf
ihn deutete^^); letzteres ist entweder Benennung nach seinem Vater
96) Plin. Eist. Nat. V, 14, 70.
97) Aus Dio Cass. LXIX, 12 erhellt, dass die Gründung von Aelia in die
Zeit von Hadrian's erster Anwesenheit in Syrien (130) fallt, der Ausbruch
des Aufstandes aber nach seiner zweiten Anwesenheit (131), also wohl 132
n. Chr. In der That setzt die Chronik des Eusebius den Beginn des Aufstandes
in das 16. Jahr Hadrian's oder aun. Abrah. 2148 =• 132 n. Chr. {Euseb. Ghron.
ed. Schoene II, HiQsq.).
98) Xoxfßäi und Ghochelias hcisst er in der Chronik des fhiscb. und Hie-
ronymus ad ann. AI/r. 2149 [ed. Schoene II, 168^5'., die griechische Form bei
Syncell. ed. JHndorf I, 6(50); ebenso bei Orosius VII, 13 [ed. Zauf/enieister).
BaQxotxißo^ bei Justin. Mart. apol. I, 31 (ed. Otto) und Euseb. Rist. eecl. IV,
6 (ed. Heinichen); die Justinstelle auch bei Etiseb. Jlist. crel. IV, 8. Barelio-
chahojt bei Hieron. adv. Itußn. III, 31 (opj). ed. VallarsiW, .'i55)). — lu den rab-
binischen Quellen dagegen stets KS'^Tns "is oder «n'^Ti: p {Drrenboun/, llistoire
p. 423, Lebrecht, Hether 8. 13). In der Stelle des Seder Ohm hat nur die
MOnchener Hundschrifl «333 ">a (s. oben H. 6ü9f.). — Vgl. über ihn überhaupt:
Buxtorf, IjCX, Chald. r-ol. 1028 («. v. 3T3). Derenbourff, Histoirc p. 423 sqq.
Salzor, Magazin für dio Wiasensch. dos Judenth. IIT, IS-HK Lebrecht,
Bether (1877) 8. 12-20. Hamburger Real-Enc. Artikel „Harkochba". Levy,
Neuhrbr. W5rterb. II, 312. KloBterninnn iti Herzog- Hauck's Real-Enc.
8. Aufl. II, 403-405.
W)J«r. Taanith IV fol. 68'' (Krakauer Aung): „K. Simon lu-n Jochui über-
{570. 571] §21,111: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). 683
(der Sohn des Kosiba) oder nach seiner Heimath (der aus Kosiba)
und ist erst ganz spät und vereinzelt in Anspielung auf seinen
Misserfolg „der Lügner" gedeutet worden i^<>). Der Beiname Ko-i
cheba oder Barkocheba ist augenscheinlich gewählt wegen des
Gleichklanges mit Barkosiba*^^), scheint aber ziemlich gebräuch-
licferte: R. Akiba mein Lehrer erklärte die Stelle „Es geht ein Stern (2312)
nus Jakob hervor" (Nuui. 24, 17) folgendermassen : „Es geht 6<nTl3 aus Jakob
hervor". Als R. Akiba den Barkosiba sah, sprach er: Das ist der König
Messias, Da sprach zu ihm R. Jochanan ben Torta: Akiba, es wird Gras aus
deinen Backen wachsen, und der Sohn David's wird noch nicht gekommen
sein" (s. den Text auch bei Lebrecht, Bether S. 44, deutsch bei Wünsche,
Der jerusalemische Talmud, 1880, S. 157). — Die richtige Erklärung von
Kocheba = dar^Q auch bei Euseb. Eist. eecl. IV, 6 und Syncell. I, 6ö0. Nach
Euseö. l. c. hat auch Barkocheba selbst sich für einen (potaxriQ i^ ovQavoi)
ausgegeben.
100) Die Deutung = ntia „Lügner" findet sich erst im Midrasch Echa rab-
bathi, s. Levy, Neuhebr. Wörterb. II, 312 (Text bei Lebrecht, Bether S. 46,
deutsch bei Wünsche, Der Midrasch Echa rabbati, 1881, S. 100). Da Bar-
kosiba oder Benkosiba die stehende Benennung ist, auch im Munde Solcher,
welche ihn hochstellen (wie des Akiba), so kann es an sich nicht eine schlimme
Bedeutung haben. Kosiba ist entweder der Name seines Vaters (so früher
Derenbourg, Histoire p. 423, not. 3) oder seiner Heimath. Im letzteren Falle
ist aber sicher nicht an a'^Tsx im Stamme Ascher = Ekdippa, zwischen Tyrus
und Ptolemais, zu denken (wie Derenbourg, Melanges publiis par l'ecole des
hautes dticdes 1878, p. 157 sg. vorgeschlagen hat), sondern an einen Ort in Ju-
daea. — Ein XSTIS wird I Chron. 4, 22 erwähnt. Wenn dieses identisch ist mit
'Z'-^lz Oen. 38, 5 und 3''T2i< Josua 15, 44, Micha 1, 14, wie gewöhnlich ange-
nommen wird, so lag es in der Ebene {Sephela) von Judaea (nach Ju^iia 15,
33 ft'.). — Ein christliches Kloster Choziba zwischen Jerusalem und Jericho
wird vom 6. bis 12. Jahrh. öfters erwähnt (Euagrius, Ecclesiastical history ed.
by Bidex and Parmetiticr, 1898, ^.157 [^v Xoi'?//?« xy ftävÖQa, mit Beschreibung
der Lage zwischen Jerusalem und Jericho]. Tobler, Topographie von Jerusa-
lem II, 963 f., über die Lage: Schick und Marti, Zeitschr. des DP V. III, 1880,
S. 12 f., Pilgerfahrt des russischen Abtes Daniel, 1113—1115, Zeitschr. des
DPV. VII, 1884, S. 32, Buhl, Geogr. S. 176). Es ist gegründet von Joftannes
Choxebäa, der später um 536 Bischof von Caesarea war (Acta Sanctottim
BoUatul. Oct. XII, 587—593, dazu Änalecta Bolland. VII, 366). Ueber einen
Georgias Choxebita (iv T<p Xü}t,tßä) s. Acta Sanct. Jan. I, 483, Mai I p. XII
und bes. Änalecta Bolland. VII, 95—144, 336—359, VIII, 209 *r/. Ueber Mm-
cula Mariae in Ckoxiba [iv x^ f^ov^ Xsyofihn Xw'Qißä) s. Änalecta Bolland.
VII, 360 — 372 (dieses Material zusammengestellt von Kohler, Revue de l'Orient
latin t. V, 1897, p. 502, 495, 483 sj.). — Ein Kueiziba existirt noch heute
südwestlich von Thekoa, zwischen Thekoa und Halhul, s. The Surrey of We-
stern Palestine, Memoirs III, 358, dazu die grosse engl. Karte ßl. XXI L c.
101) Eben darum kann Barkocheba nicht Benennung nach der Heimath
sein („aus Kocheba" — so schon Rcland, Palaestina p. 121 sqq. und neuer-
dings Ed. Riggenbach, Beiträge zur Förderung christlicher Theologie V, 4,
1901, S. 105 — 107). Ein Dorf Kwxaßd hat es allerdings in Batanaea gegeben,
Ei4seb. Eist. eccl. I, 7, 14. Epiphanius haer. 30, 2 u. 18.
684 §21, III: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132— 135). [571]
lieh geworden zu sein, da die cliristlichen Quellen nur ihn kennen.
Den eigentlichen Namen des Mannes haben uns die Münzen er-
halten. Denn es ist kaum daran zu zweifeln, dass die Simon s-
münzen, welche theils sicher, theils höchst wahrscheinlich in der
Zeit dieses Aufstandes gesprägt sind, eben von dem Führer de»
Aufstandes herrühren; dieser war aber Barkocheba. Die im ersten
Jahre geprägten haben die Aufschrift: „Simon Fürst Israel's"
(bi^nüi «"^tOD ^lyatJ), die im zweiten Jahre geprägten nur den
Namen „Simon" ("iiyüC). Auf einigen ist ein Stern über einem
Tempel abgebildet. Ausser den Simonsmünzen giebt es vom Jahr I
auch Münzen mit der Aufschrift: „Eleasar der Priester" ("iT^b»
in:)!!). Es scheinen also damals zwei Männer an der Spitze des
Aufstandes gestanden zu haben: neben dem Fürsten Simon der
Priester Eleasar. Aus dem zweiten Jahre giebt es keine Eleasar-
münzen mehr^''^^^ Da in spätrabbinischen Quellen der auch sonst
bekannte K. Eleasar oder Elieser aus Modein als Oheim des
Barkosiba bezeichnet wird*"^), so hat man die Yermuthung auf-
gestellt, dass dieser mit dem auf den Münzen genannten „Priester
Kleasar" identisch sei'^*}. Aber von Eleasar aus Modein wird
nirgends bemerkt, dass er Priester war. Auch scheint die richtige
Form seines Namens Elieser zu sein^^*^), womit die Combination
von selbst hinwegfällt. Bei der Häutigkeit des Namens sind auch
andere Combinationen ohne zureichende Grundlage *o^).
102) S. über die Münzen überhaupt Beilage IV. — Die Münzen mit dem
Stern z. B. bei Madden, Coins of the Jews (1881) p. 239, 244. — L. Ham-
burger hat in seinem, durch Mittheilung neuen Materiales werthwoUen. Auf-
satz über „Die Silber-Münzprägungen während des letzten Aufstände» der
Israeliten gegen Rom" (Zeitschr. für Numismatik XVIII, 1892, S. 241—348)
die Meinung de Saulcy's erneuert, dass der „Fürst Simon" identisch sei
mit Rabban Simon, Sohn des Gamaliel II (a. a. O. S. 311, nach S. 319 ist
dies sogar „apodiktisch sicher"). Da die angebliche Nasi- Würde dieses Simork
aber eine Legende ist (in den Quellen heisst er nur „llubban", s. oben S. 120>
vgl. auch Bd. II, S. 205 f.), so ist diese Combination Hamburger's ebenso ver-
fehlt, wie manches andere in den historischen Excursen, mit welchen er sein
numißmatiHchcs Material zu erläutern versucht hat. Auch aus chronologischen
Gründen ist jene Combination unmöglich.
103) Midrasch zu Kcha II, 2. Oittin 57a (bei Dereiibotirg p. 424, 433). S.
über Eleasar aus Modein: Bach er, Die Agada der Tannaiten (1884) S. 194— 219.
104) So Ewald, Goschichte VII, 418. De Saulcy, Revue Numismatique
1806, p. 44.
106) Diese Form giebt D. Ho ff mann, Zur Einleitung in die halachischen
Midraschim (Berlin, JahrcHbericht <lcs Rabbincr-SeminarM 1887) S. 83. Auch
die Cambridger MiHchna-HandHchrift liat Aboth III, 11 ntS'^b.
lOö) Hamburger, ZeitMchr. für NumiHmutik XVIIl, 1892, S. 311 ff. denkt
tax Eleanar ben Atiaija, der allcrdingH PricHtcr war, fSchlatter (Die Tage Tra-
Janii und HndrianH, 8. 64—61) an Ehasur bcn Charsom.
[571. 572] §21,111: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). 685
Die Deutung des „Sternes", der aus Jakob aufgehen soll, auf
Barkosiba zeigt uns, dass man in ihm den Messias erblickt hat.
R Akiba, der berühmteste Gesetzeslehrer in damaliger Zeit, soll
ihn bestimmt als solchen erklärt haben ^'^'). Und wenn auch nicht
alle CoUegen Akiba's ihm beipflichteten, so hatte er doch das Volk
auf seiner Seite. Wie zur Zeit Vespasian's so glaubte man auch
jetzt die Tage gekommen, da die alte Weissagung der Propheten
sich erfüllen und Israel das Joch der Heiden abschütteln würde.
Die christliche Legende will auch wissen, dass Barkocheba das
Volk durch trügerische Wunder bethört habe'^^). — Eben wegen
des I messianischen Charakters der Bewegung war es den Christen
unmöglich, sich irgendwie daran zu betheiligen. Sie konnten ihren
Messias nicht verleugnen, um den Führer der politischen Revolu-
tion als solchen anzuerkennen. Daher wurden sie von dem neuen
Messias mit ganz besonderer Heftigkeit verfolgt, wie Justin der
Märtyrer und Eusebius bezeugen ^^^).
Der Aufstand verbreitete sich rasch über ganz Palästina; wo
nur immer feste Plätze, Burgen, Höhlen, unterirdische Gänge einen
Schlupfwinkel boten, da sammelten sich die Kämpfer für einhei-
mische Sitte und Freiheit. Eine offene Schlacht vermieden sie:
aber von ihren Verstecken aus verheerten sie das Land und be-
kämpften Alle, die nicht ihrer Sache zugethan waren ' ^^). — Auch
Jerusalem ist sicher von den Aufständischen besetzt worden. Die
Zweifel, welche von Manchen dagegen erhoben worden sind, stützen
sich hauptsächlich darauf, dass in den besseren Quellen (Dio Cas-
sius und Eusebius' Kirchengeschichte) von einem Kampf um Jeru-
107) S. die in Anm. 99 citirte Stelle; auch Bacher, Die Agada der Tan-
naiten, S. 291 f. — Ueber Akiba überhaupt: Bd. II, S. 375—377 und die dort
genannte Literatur.
108) Hieronymus, adv. Rufin. III, 31 [opp. ed. Vallarsi II, 559). Hierony-
nius sagt hier seinem Gegner Rufinus, er speie Feuer tä ille Barchochabas,
auctor seditionis Judaieae, stipulam in ore sttccensam anheiitu ventilabat, ut
flammas evomere putaretur.
109) Justin. Martyr. Apol. I, 31: Kai yiiQ ^v X(j^ vvv yeyfvi^fihtjt lovSa'ixq)
noXifjuo BaQX"*X^ß^?' o x^g 'lovöalutv dnooxüaeux; dtjxrjyixi^q, Xgiaxtavovq fio-
vovq tlg xt/iWQiaq Ssiväg, tl fxij d^ivoivxo 'Irjaovv xov Xpiatov xai ßXaatpTj/uoifv,
ixiXtvev dnäyea&ai. — Euseb. Chron. ed Schoene U, \ij8sq. ad. ann. Abr. 2149
(nach dem Armenischen): Qui dux rebellionis Jiidaearum erat Chochebas, muJtos
e Christianis dirersis suppliriis affecit, quia nolebant proccdere cum iUo ad pu-
f/nam contra Romanos. Ebenso die lateinische Bearbeitung des Hieronymus
(bei Schoene a. a. O.) und Syncell. ed. Dindorfl, ü6(». Vgl. auch Gros. VII, 13.
110) Dio Gass. LXIX, 12. — Vgl. Hieronymus Chron. ad ann. Abr. 2148
[Euseb. Chron. ed. Schoene II, IGT): Judaei in arma versi Palesiinam depopu-
lati sunt. Der armenische Text des Eusebius hat: Judaei rebellarunt et Pale-
stinensium terram invasertint.
686 §21, III: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). [572. 573]
salem nicht die Rede ist. Aber wie unsäglich dürftig sind über-
haupt diese Quellen! Schon aus inneren Gründen ist es wahr-
scheinlich, dass die anfangs siegreichen Aufständischen sich auch
Jerusalems bemächtigt haben werden, welches damals nicht eine
stark befestigte Stadt, sondern nur ein römisches Lager war.
Bestätigt wird aber diese Vermuthung durch zweierlei Zeugnisse.
Zunächst durch die Münzen^^^). Gerade die am sichersten in diese
Zeit zu setzenden Münzen tragen auf der einen Seite den Namen
Simon's (p^PttTr»), auf der anderen die Aufschrift übiölT minb,
lecheruth Jeruschalem, „der Freiheit Jerusalems". Also die Befreiung
Jerusalems ist von Simon durch Münzen verherrlicht worden. Es
giebt aber unter den in diese Zeit gehörigen Münzen auch solche,
welche ausser dem Datum „Jahr I der Befreiung Israels" oder j
„Jahr II der Freiheit Israel's" nur den Namen der Stadt Jeru-
salem (abHJ'n'') tragen. Diese sind also von der Stadt selbst im
eigenen Namen geprägt worden, woraus wir sehen, dass dieselbe
sowohl im ersten als im zweiten Jahre in den Händen der Auf-
ständischen war. Zu diesem Zeugnisse der Münzen kommt das des
Zeitgenossen Appian, durch welchen, wie später erwähnt werden
wird, die Thatsache der Rückeroberung Jerusalems durch die Römer
verbürgt ist^^^)^ — Ob man in diesen unruhigen Kriegsjahren so-
fort auch mit der Wiedererbauung des jüdischen Tempels be-
gonnen hat, mag dahingestellt bleiben. Spätchristliche Quellen
111) 8. hierüber Beilage IV.
112) Die Besetzung Jerusalems durch die Aufständischen ist bestritten
worden (ohne nähere Begründung) von Gas sei, Art. „Juden" in Ersch und
Grubers Encyklopädie Section II, Bd. 27, S. 14 und Jost, Gesch. des Juden-
thums II, 79 Anm. Auch Renan erklärt sie für „wenig wahrscheinlich" (in
der Abhandlung: Jerusalem a-t-clle iti assiigic et detruite une troisicvie fois
sous Adrien? in: Retme historique t. II, 1876, p. 112 — 120 = Uiglise chr4lienne
1879, p. 541 — 553, sein Schlussurtheil ist: qtie l'occupation de J^usalem ait iti
un ipisode eourt de Uulite guerre, cela est strictement possihh; c'est pmi probable.
cependant, s. Revue II, 119 = L'i(jiise chritienne p. 551). — Gregorovius hält
auf Grand der Münzen wenigstens eine vorübergehende Bositzniihnie Jerusa-
lems durch die Rebellen für „wahrscheinlich", bestreitet aber, dass es ein
ernsthaftcH Kampfobject gewesen sei (Der Kaiser Hadrian 3. Aufl. S. 194,
200 f. SitzungHbcrichto der Münchoner Akademie 1883, S. 502—505). Aehn-
lich öalzer, Magazin für die Wiasensch. dos Judenth. IV, 2211". — Jm Allge-
meinen ist die ßcHetzung JeruBalems durch diu Aufständischen von den Mci-
iit<m anerkannt, z. B. Deyling, Obaervationea aacrae t. V, Lips. 1748, /*. 455—460
(in der Abluindlung: Aeliae Oapitolina« origvnea et historia), Munter, Der
jadi«cbe Krieg 8. 60 fT. 00 ff., auch Schiller, Gesch. der röm. Kuiscrzcit I,
612 Anm., Mommnen, Bömiache Geschichte V, 545. Schlattcr, Zur Topo-
graphie und QoMchichte Palistina'f 8. 140—146. Den., Die Tage Trajans
und HadrianM 8. 40—49.
[573.574] §21, III: Der grosse Aufstaud uuter Hadrian (132— 135). 687
sprechen davon; und die Absicht dazu wird sicherlich bestanden
haben »13). j
Ueber den Gang des Krieges wissen wir fast nichts. Als er
ausbrach, war Tineius Eufus Statthalter von Judäa»*^). Da er
mit seinen Truppen den Aufständischen nicht gewachsen war, so
drang die Empörung nicht nur in Palästina siegreich durch, sondern
verbreitete sich auch über die Grenzen des Landes hinaus. Ja
an den jüdischen Aufstand schlössen sich unruhige Elemente an-
derer Art an, so dass schliesslich „so zu sagen die ganze Welt in
Bewegung war"»'^). Es waren die höchsten Anstrengungen nöthig,
um des Aufruhrs Herr zu werden. Zahlreiche Truppen aus anderen
Provinzen wurden zur Verstärkung herangezogen; „die besten
Feldherren" nach Palästina abcommandirt'"^). Auch der Statthalter
113) Von einem Versuch zur Wiedererbauung des Tempels zur Zeit Ha-
drian's spricht Chrysostoinus, Orat. adv. Judaeos V, 10 (er sucht hier zu
zeigen, dass die Zerstörung des Tempels nach Gottes Willen erfolgt sei. Wenn
nämlich die Juden nicht wieder versucht hätten, den Tempel zu bauen, so
könnten sie sagen: Wenn wir gewollt hätten, hätten wir ihn auch wieder
bauen können. Nvvl de avrovg deixvvfxt, ozi ovx äna^, ovde ölg, dkXa xal rplg
^TtixsiQrjaaviag xal ^ayevvag, nämlich unter Hadrian, Constantin und Julian).
— Qeorgius Cedrenus ed. Bekker I, 437 berichtet: i(p ov araaiaadvxwv
X(5v 'lovöaliov xal xöv iv '^hgoaoXvßOig vaöv oixoöofi^aat ßovXtjQtvxwv OQyl-
^srat xax* avziöv atpoöga xal noXsfiov ysvofiivov fxeza^v avslXev i^ avxüiv iv
r]fi£Qa (juä fivQidöag vr\ . In der weiteren Ausführung berührt sich dann Ce-
drenus so stark mit Chrysostomus, dass man sieht, er hat entweder direct aus
Chrysostomus oder aus derselben Quelle wie dieser geschöpft. — Denselben Be-
richt reproducirt auch Nicephorus Callistus Eccl. hist. III, 24 {Müpie, Pa-
trol. graec. t. CXLV). — Das Chronic on paschale behauptet, dass Hadrian
bei der Erbauung von Aelia, nach Unterdrückung des Aufstandes, den jüdi-
schen Tempel zerstört habe {ed. Dindorf I, 474: xa^^iXwv xbv vaov xwv ^ov-
öalwv xov iv'^IegoaoXv/xoig). — Ein grosses Gewicht ist auf alle diese Zeugnisse
nicht zu legen.
114) Ueber die richtige Form seines Namens s. oben S. 647 f.
115) Dio Gass. LXIX, 13: näarig (og etnelv xivov/xevijg inl xovxü) x^g ol-
xovfzsvrjg.
116) Truppenverstärkungen: Euseb. Hist. eccl. IV, 6, 1. Chron. ad ann.
Abr. 2148. — Feldherren: Dio Cass. LXIX, 13: xovg xgaxiaxovg x(5v axQaxTj-
ydiv 0 lidQiavög in avxovg snsfitpev. — Durch Inschriften lässt sich feststellen,
dass folgende Truppen am Kriege theilnahmen (s. Darmesteter, Eemie des äudes
juives t.l, 1880, /). 42— 49; Schiller, Gesch. der röm. Kaiserzeit I, 614 Anm.;
Offord, Roman inscriptions relating to Hadrian' s Jetcish war, in: Proceedings
of tke Society of biblical archaeology vol. XX, 1898, p, 59 — 69, 189; sehr incorrect
sind die Angaben bei Gregorovius, Der Kaiser Hadrian S. 199): 1) Die leg.
III Cyrenaica, die von Augustus bis Trajan in Aegypten gestanden hatte
und seit Trajan die Besatzung der neugegründeten Provinz Arabien bildete
(Pfitzner, Geschichte der römischen Kaiserlegionen 1881, S. 227 f.; P. Meyer,
Jahrbb. f. class. Philol. 1897, S. 585—594; eine vexillatio leg. III Gyr. stand
688 §21> ill- J^er grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). [574]
schon im J. 116 in Jerusalem, s. Mittheilungen und Nachrichten des DPV.
1895, S. 21 f.). Ein Tribun derselben wurde beschenkt donis militaribus a divo
Hadriano ob Judaicam expeditionem {Orelli-Henxen, Inscr. Lat. n. 6501 = Corp.
Inscr. Lat. t. XIV n. 3610); ein Centurio derselben ab imp. Hadriano corona
aurea torquibus armillis phaleris ob bellum Judeicum {Orelli n. 832 = Inscr.
Begni Neap. n. 3542 = Corp. Inscr. Lat. t. X n. 3733). — 2) Die leg. III
Oallica, welche wahrscheinlich seit Augustus zur Besatzung von Syrien ge-
hörte (s. oben S. 459, Marquardt, Römische Staatsverwaltung Bd. II, 1876,
S. 432 ff., Pfitzner S. 228 ff.). Ein emeritus derselben wurde beschenkt ex vo-
luntate imp. Hadriani Aug. torquibus et armillis aureis, ohne Zweifel aus An-
lass des jüdischen Krieges (Orelli n. 3571). — 3) Selbstverständlich hat auch
die leg. X Fretensis als Besatzung von Judäa (s. oben S. 634f.) den Krieg
mitgemacht; ein Centurio derselben wurde beschenkt ab divo Hadriano ob
bellum Judaicum corona aurea torquibus armillis phdleris (Bulletiti de corre-
spondance helUnique 1888, p. 424 sqq. = Revue des etudes juives t. XVII, 1888,
p. 299 sq. = Corp. Inscr. Lat. t. III Suppl. n. 7331). — 4) Auch die leg. VI
Ferrata hat vermuthlich theilgenommen; denn sie hatte bisher zur Besatzung
Syriens gehört und bildete seit der Zeit Hadrian's mit der leg. X Fretensis
zusammen die Besatzung Judäa's (s. S. 465, 643). Dagegen ist die Betheiligung
der leg. IV Seythica, welche Darmesteter annimmt, sehr unwahrscheinlich;
8. hierüber die nächste Anmerkung. — 5) Von Auxiliar-Cohorten, deren ohne
Zweifel eine grössere Anzahl betheiligt waren, wird inschriftlich erwähnt die
coh. IV Lingonum, deren Befehlshaber beschenkt wurde vexillo miliitari)
a divo Hadriano in expediiio?ie Judaica [Orelli- Henxen n. 5480 == Corp. Inscr.
Lat. t. VI n. 1523). Durch ein Militärdiplom vom J. 139 n. Chr. sind uns
zwölf Cohorten bekannt, welche damals, also einige Zeit nach dem Kriege,
in Palästina standen (s. oben S. 465 f.). Manche von ihnen werden schon
am Kriege theilgenommen haben, doch nicht alle (z. B. die coh. I Damasc. hat
noch im J. 135 in Aegypten gestanden s. Bd. II, S. 120). — 6) Ein Detachement,
welches am jüdischen Kriege theilnahm, wird auch erwähnt Corp. Inscr. Lat.
t. VI n. 35* '5: Sex. Attius Senecio praef. alae I Fl. Qactulorum, trib. leg. X
Oerninae, missiis a Divo Hadriano in expeditione Judaica ad vexilla(tion€s dedu-
eendas?). Wie es scheint, war das Detachement von der leg. X Oeminu, welche
in Pannonien stand, genommen. Auf einer in Bittir (Beth-ther) gefundenen In-
schrift werden Detachemeiits der leg. V Macecimica und leg. XI Claudia er-
wähnt (8. unten S. 694 f.). Man darf wohl annehmen, dass die Inschrift aus der
Zeit Hadrian's stammt. — 7) Auch die syrische Flotte (c/ffS6«s ASy/riaca)
hatte einzugreifen, denn ihr Befehlshaber wurde beschenkt donis militaribus
a divo Hadriano ob bellum Judaicum (Orelli- Henxen n. 6924 = Ifenier, Inscrip-
iions de l'Algerie n. 3518 — Corp. Inscr. Lat. t. VIII n. 8934). Vgl. über die
Byrinche Flotte übcrh. Fiebiger in Pauly-Wissowa's Real-Enc. III, 2642 f. (im
Art. elassis). Pcrdrixet, Revue archcol. trois. Serie t. 32, 1898, p. 41—49. Fcr-
rero, Memoria della It. Accal, di Ihri/w, Serie II t. XLIX, 1900, p. 236—239.
— Auf eine Thätigkcit der Flotte in einem bellum Judacicum deutet auch die
fragmcnti|ri«chc Inschrift Corp. Inscr. Lat. t. VI n. 1565. Auch hierbei darf
wohl an den hadriuniHclicri Krieg gedacht werden (so Mominsen, Ejihcmeris
epigr. III, p. 331). — Auf einer ElircnitiHchrift für einen gewissen P. Lncilius
Oamala zu Ontia bei llrxn wird ein bellum navate orwälint, für welches die
Gemeinde von Ostia eine starke Beisteuer geleistet hat. Du (li(>Her Ijucilius
Oamala nach einer anderen InHchrift zur Zeit des Hadrian, Antoninus Pins
und Man- Aur<'l gelebt hat, mo kiuuite man el)enfalls an den Judenkrieg Ha-
[575. 570] § 21, III: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132-135). (jSQ
von Syrien PubliciusMarcellus eilte seinem bedi'ängten CoUegen
zu Hülfet*'). Es scheint aber, dass Rufiis noch während längerer
Zeit den Oberbefehl behielt; denn Eusebius nennt überhaupt keinen
anderen römischen Befehlshaber, und spricht so, als ob durch
Ruf US auch die Unterdrückung des Aufstandes erfolgt wäre"^).
Auch in rabbinischen Quellen erscheint „Turranius Rufus" (D3"nt3
cisin) als der damalige Hauptfeind der Juden "^). Durch Dio
Cassius aber, | dessen Angaben hier durch ein inschriftliches Zeug-
niss bestätigt werden, wissen wir, dass in der letzten Zeit Julius
Severus, einer der hervorragendsten Feldherren Hadrian's, den
Oberbefehl hatte und dass diesem die Unterdrückung des Auf-
standes gelang. Er wurde zur Führung des Krieges aus Britannien
herbeigerufen und hatte noch geraume Zeit mit Bekämpfung des
Aufstandes zu thun. In einer offenen Schlacht war nichts auszu-
richten. Ueberall mussten die Rebellen einzeln aufgesucht und,
drian's denken. Es ist aber wahrscheinlich der Marcomannenkrieg Marc Au-
rel's gemeint. S. die beiden Inschriften in den Amiali deW Instituto 1857,
p. 'i'l^sqq. und zur Erläuterung besonders Momrasen, Ephemeris epigr. t. III,
1877, p. 319-332.
117) Corp. Inscr. Oraec. n. 4033 und 4034 (erstere = Archäol.-epigr. Mit-
theilungen aus Oesterreich-Ungarn IX, 118). Auf beiden fast gleichlautenden
Inschriften wird erwähnt, dass Severus (über seinen Vornamen s. oben S. 648)
Befehlshaber der leg. IV Scythiea war und Syrien commissarisch verwaltete,
als Publicius Marcellus wegen des jüdischen Aufstandes Syrien verlassen hatte
[üiovTiQov . . . ^ysfiova Xeyedüvog S 2xv&ixfjg xal öioxjqaavxa xa iv Svgla
ngayfiara, rjvlxa üovßAlxioq M 'pxeXloq Siä t^v xivrjaiv xriv 'Iov6a'ixr}v /isxaßf-
ßrixsi und I^vgiaq). Publicius Marcellus führte also einen Theil der sy-
rischen Besatzung, welche aus drei oder vier Legionen bestand (Pfitzuer S. 187),
nach Judäa, während Severus die Verwaltung Syriens commissarisch über-
nahm, vermuthlich unter Beibehaltung seines Legionscommando's. Die leg.
IV Scythiea ist demnach wahrscheinlich in Syrien geblieben.
118) Euseb. Hist. eccl. IV, 6, 1: noXifiov re vofiu) xag x<^Q«g avxwv i^avSga-
7iodit,6fievog
119) bab. Taanith. 29» bei Derenbourg, Histoirep. 422. üeberhaupt: Schoett-
ge.n, Ilurae hebraicae II, 953 — 957. Buxtorf, Lex. Chald. col. 916 (s. r. "p::).
Levy, Neuhebr. Worterb. II, 149 s. v. 013"na. Bacher, Die Agada der Tan-
naiten, 1884, S. 294 — 300 = Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth.
1883, S. 303 fr. 347 ff. — Die Form DlBin Dis-iio ist wohl nur Corruption aus
Tineius Rufus. Der Name Tiirraniiis kommt zwar vor [Prosopogr. imp. Rom.
III, 344, sogar ein ^AnöXavaxog TvQccviog 'Pov(pog in Phrygien, Mittheilungen
des deutschen archäol. Instituts, Athen. Abth. XXV, 1900, S. 407). In unserem
Falle aber ist Tineius durch Eusebius entscheidend bezeugt (s. oben S. 647 f.).
Im jerusalemischen Talmud haben die älteren Ausgaben (z. B. auch die Kra-
kauer) an mehreren Stellen, Berachoth IX fol. 14b unten, Sota V fol. 2Uc unten,
Oisinaoiaiu Tunustnifus, wo das t zwischen s und r zur Erleichterung der
Aussprache eingeschoben zu sein scheint wie in Istrahel, Esdras und ähnlichen
Formen.
Schür er, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 44
690 § 21,111: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). [576.577]
WO sie in Höhlen sich verborgen hielten, durch Abschneiden der
Zufuhr aufgerieben werden. Erst nach langwierigen und verlust-
reichen Einzelkämpfen gelang es endlich, sie im ganzen Lande
., aufzureiben und zu vertilgen und auszurotten" {xaraxgi'tpaL xal
exTQvxmOai xal sxxoipai)^'^^).
Wo Hadrian während des Krieges weilte, ist nicht mit voller
Sicherheit festzustellen. Wahrscheinlich befand er sich während
der kritischen Jahre selbst auf dem Kriegsschauplatze. Er hatte
Syrien verlassen, als der Aufstand ausbrach. Die schlimmen Nach-
richten scheinen ihn dann zur Rückkehr nach Judäa veranlasst zu
haben. Denn seine Anwesenheit auf dem Kriegsschauplatze wird
nicht nur von der rabbinischen Legende vorausgesetzt ^^i), sondern
auch durch einige inschriftliche Daten und durch einen Brief
Hadrians an den Architekten ApoUodorus wahrscheinlich ge-
macht ^22)^ I Seine Anwesenheit in Eom ist erst wieder für den Mai
120) Dio Class. LXIX, 13. — Dass Julius Severus aus Britannien nach
Judäa gerufen wurde, zeigt auch die Inschrift Corp. Inscr. Lat. t. III n. 2830,
welche den ganzen cursus honorum desselben giebt (s. oben S. 648).
121) Oittin 57" bei De7-enbourg p. 433 «(7.
122) Bestritten wird Hadrian's Anwesenheit z. B. von Gregorovius, Der
Kaiser Hadrian 3. Aufl. 8. 197; vorausgesetzt wird sie, ohne nähere Begrün-
dung, z. B. von Dürr, Die Reisen des Kaisers Hadrian, 1881, S. 65, Mommsen,
Rom. Gesch. V, 545; auf Grund der rabbinischen Quellen angenommen von
Lebrecht, ßether 8. 37, und Anderen. Einen Beweis aus den Inschriften
versuchen Darmesteter, Eevue des chides juives I, 49—53, 8chiller, Gesch.
der römischen Kaiserzeit I, 613 Anm., Rohden in Pauly-Wissowa's Real-Enc.
I, 513. In Betracht kommen folgende Daten: 1) Ein Q. Lollius war legatus
imp. Hadriani in expedHicme Judaica, qua donatus est hasta pura corona aurea
(Orelli-IIenxen n. 6500 = Henier, Inscriptions de l'A/gerie n. 2319 = Corp.
Iiiscr. Lat. t. VIII n. 6706). Der Ausdruck legatus imp. ohne weitereu Zusatz
kann wohl nur Bezeichnung eines persönlichen Adjutanten sein, der in der
unmittelbaren Umgebung des Kaisers sich befand. 2) Auf einer freilich sehr
fragmentarischen, aber jedenfalls in die spätere Zeit Hadrian's, höchst wahr-
scheinlich 134 oder 135 n. Chr. gehörigen Inschrift wird gesagt, dass er [la-
byjrUnu max{imi8 rcmjmblicam ab ho)stc liberavcrit {Orc/Ii-Tfenxen 71. 5457 ■= Corj).
Insor. IxU. t. VI n. 974). Da in diese spätere Zeit nur der jüdische Krieg
mit, so scheint sich die Inschrift auf Hadrian's Thätigkeit in diesem zu be-
zieben (b. Hcnzen's Bemerkungen). Freilich setzen die labures maximi nicht
nothwendig Hadrian's Anwesenheit auf dem Kriegsschauplatz voraus, weshalb
BohdcD die Beweiskraft der Inschrift bestreitet. — 3) Auf einen interessanten
Brief Hadrian's an den Architekten ApoUodorus hat IMew auf-
merksam gemacht (Qucllenuntersuchungen zur Geschiciito des K^lisers Hadrian,
1890, 8. 92—96; der Inhalt des Briefes wird von Apcillodonis selbst in der
Einleitung zu seinen I'oliorketika wiedergegeben). „Hadrian hat diirnach in
dringender Loge den ApuUodor um schleunige Uebersendung von Kathsclilägen
fttr die Erbauung von Belagerungsmaschinen ersucht, und zwar zur Belagerung
nieht von StAdten, sondom von Volksstämnicn oder -nuissen, welche sich an
[577] § 21, III: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). 691
des Jahres 134 bezeugt ^■'3). Er wird zurückgekehrt sein, sobald
der Erfolg gesichert war, ohne den völligen Abschluss der Opera-
tionen abzuwarten.
Ueber das Schicksal Jerusalem 's schweigen sowohl Dio Cas-
sius als Eusebius. Es bildete jedenfalls nicht in der Weise wie im
Vespasianischen Kriege den Mittelpunkt des Kampfes. Seine Be-
festigungen waren nur ungenügende. Wenn es den Aufständischen
gelungen war, die römische Besatzung von dort zu vertreiben, so
konnte auch die Wiedereinnahme keine allzuschwere Aufgabe für
eine genügende römische Truppenmacht sein. Dass aber doch eine
gewaltsame Einnahme stattgefunden hat, ist nach dem Zeugnisse
des Zeitgenossen Appian nicht zu bezweifeln ^24^ Wenn Appian
von einer Zerstörung {xaTaoxa:;tT6iv) spricht, so ist das insofern
gewiss richtig, als eine gewaltsame Einnahme nicht denkbar ist
ohne eine gewisse Zerstörung. Aber allerdings: das Object der-
selben war nach der gründlichen Arbeit des Titus nur noch ein
beschränktes. Und andererseits werden die Römer, nachdem sie
einmal Herren der Stadt waren, im Zerstören nicht weiter gegangen
sein, als es für den Zweck der Neugründung von Aelia nöthig war.
Eine Belagerung der Stadt setzt auch Eusebius in seiner Demon-
stratio evangelica voraus '^ 5). Manche Kirchenväter (Chrysostomus,
Hieronymus und Andere) behaupten, dass Hadrian die Keste der
alten Stadt, welche nach der Zerstörung durch Titus übrig ge-
blieben waren, vollends zerstört habe. Sie wollen im Grunde da-
mit nur sagen, dass Hadrian der alten jüdischen Stadt vollends
günstig gelegenen Punkten des Gebirges verschanzt hatten. Auf diese Auf-
forderung hat Apollodor eiligst Zeichnungen mit den nöthigen Erläuterungen
entworfen und zwar viele und mannigfaltige, die allen Möglichkeiten gerecht
werden sollten, da er selbst die betreffenden Gegenden nicht kannte" (Plew
S. 93). Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich dies auf den jüdischen Krieg
bezieht; und der Brief Hadrian's scheint aus der dringenden Situation selbst
heraus geschrieben zu sein.
123) Corp. Inser. Oraec. n. 5906 = KaiM., Inscr. Or. Sicü. et Ital. n. 1054^.
Dürr, Die Reisen des Kaisers Hadrian S. 33.
124) Appian. Syr. 50: t^v /nfylazTjv nöXiv %Qoa6Xv/xa — , r^v Öt] xal ürole-
liaToq b nQÖixoq Alyvnzov ßaaiXtvq xad-^Q^xsi, xal Oveanaaiuvbq av9-iq olxi-
ai^eXaav xartaxaxpe, xal l4.6Qcavbq av&iq in efxov-
125) Euseb. Demonstr. evang. VI, 18, 10 ed. Oaisford.: die Weissagung des
Sacharja 14, 2 i^skeiaerac rö ^fiiav ZTJq nokfwq iv alx/^aXwoia hat sich zur
Zeit Vespasian's erfüllt; die andere Hälfte der Stadt, d. h. der Einwohnerschaft,
ist dann zur Zeit Hadrian's belagert und vertrieben worden, ro Xoinbv rijq
ndksojq /is^oq ij/jitav noXiOQxrjd-hv avSiq i^eXavvexai, (oq i§ ixslvov xal slq
SevQO Tcdixnav aßazov avzoTq yevh&ai zov xönov. Eusebius spricht also nicht
von einer Zerstörung der Stadt, sondern nur einer Vertreibung der jüdischen
Einwohnerschaft nach vorausgegangener Belagerung.
44*
692 § '^^> 11^- ^^^ grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). [577. 578]
ein Ende bereitet und eine neue heidnisclie an ihrer Stelle errichtet
habe^26\^ jn ^^y Mischna wird erwähnt, dass Jerusalem am 9. Ab |
mit dem Pfluge überzogen worden sei. Es ist dabei, wie der Zu-
sammenhang zeigt, die Zeit Hadrian's gemeint. Im babylonischen
Talmud und von Hieronymus wird die That dem Eufus zuge-
schrieben; nur sprechen beide nicht von einem Pflügen der Stadt
sondern des Tempelplatzes ^^tj, Beachtenswerth ist höchstens die
kurze Notiz der Misclina. Durch den Eitus sollte aber wohl nicht
die Zerstörung, sondern die Neugründung angedeutet werden; und
die Handlung wird daher schon vor Ausbruch des Aufstandes statt-
126) Chrysost. adv. Judaeos V, 11: xa ksixpava dipaviaaq nävva. — Gedren.
ed. Bekker I, 437: xal r« (isv naXaia Xelipava rf/g nö?.fwg xal xov vaov xaxe-
QBinwaaq xTiL,ei veav 'IfQovoaXjjfi. — Niccphorus Callist. Eccl. bist. III, 24: oaa
j'f Hi,v xy nö)si 7ifQisXel<p&r] tijg ix TcäXai olxoöofxTjq Xeixpava i^einwaai xal
navrdnaatv dtfavlaai. — Hieronymus Comment. in Jes. 1, 5 {opp. ed. Vallarsi
IV, 15): post Titum et Vespasianum et ultimam eversionem Jerusalem sub Aelio
Hadriano usque ad praesens tempus nullum remedium est. Idem, in Jerem.
31, 15 {Vallarsi IV, 1065): suh Hadriano, quando et urhs Jerusaletn siibversa
est. Idem, in Exech. c. 5 {Vallarsi V, 49): post quinquafjinta annos sub Aelio
Hadriano zisque ad solum incensa civitas atque deleta est ita ut pristinum quoquc
nomen amiserit. Idem, in Exech. c. 2i {Vallarsi V, 277): post quinqua/jinta
annos sub Hadriano civitas aeterno igne consumta est. Idem, in Daniel c. 9 ßn.
{Vallarsi y, 696). Idem, in Joel 1, 4 {Vallarsi VI, 171): Aelii quoque Hadriani
xumtra Judaeos expeditionem legimus, qui ita Jerusalem murosque sul)vertit, ut
de urbis reliquiis ac favillis sui nominis Aeliam conderet ciritatem. Idem, in
Habacuc 2, 14 {Vallarsi VI, 622): usque ad extremas ruinas Hadriani eos per-
duxit obsidio. Idem, in Sachar. 8, 19 {Vallarsi VI, 852). Idein. in Sachar.
11, 4 — 5 {Vallarsi VI, 88.5). — Stellen aus anderen Kirchenscliriftstellern bei
Munter 8. 69—71.
127) Mischna Taanith IV, (5 werden fünf Unglücksfälle am 17. Tammus
und fünf Unglückställe am 9. Ab aufgezählt. In letzterer Beziehung heisst
es: „Am 9. Ab ward über unsere Vorfahren verhängt, dass sie nicht in's Land
eingehen sollten, und wurde der Tempel zum ersten- und zum zweitenmale
zerstört und Beth-ther erobert und Jerusalem mit dem Pfluge überzogen" (nujnns
"iVH). Der babylonische Talmud, hab Tnnnilli 2!la (bei Dercnhourg p. 4'J2) be-
richtet näher, dass fs Turnus Rufus (01B"l"> DJiia) war, weicher den Pflug über
den Tempelplatz (bs'^nn. so heisst es hier, nicht l'^rn) ziehen liess. — Die
ganze Stelle findet sieh fast wörtlich auch bei Hicroinpnvs, der sich dabei aus-
drüi klich auf die jüdische Tradition beruft {cof/imur igitur ad Ilebracos recur-
rere), ad Sarharj. 8, 19, ojrp. ed. Vallarsi VI, 802: In quinto niense, qui apud
IxitinoH appcllatur Augustua, quum propter cx/iloraforcs terrae saiirtae scditio
ttrla amct in popnlo, jusni sunt nionlern noti asrrndcrt', scd per quadrnyiida an-
iu)H lungin ad trrrnni snnrfnm rirruire iHspcndÜH, ut crrrptis diiubus, Coleb et
JoHtic, omnrs in fulUndiiie cadcrent. In hoc nicnsc et a Nolntthoitonosor et mnlta
poHt nancula a Tilo et Vcspa^iavo tcviptum ./erosnli/niis inceiisum est alque de-
hlnicium; capta urb» lielhcl \\. liet/uir], ad quam niuKa millia coxfitycrnnt
Judacorum; aratum temptum in ignotniniam fentis opprcssae a T. Annio [1. Tin-
II tu] Kufn.
[578.579] §21, III: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135». 693
gefunden haben ^^s). Gänzlich fabelhaft ist, was in der samarita-!
nischen Chronik über die Eroberung Jerusaleuis durch Hadrian
erzählt wird'^s).
Die letzte Zufluchtsstätte Barkocheba's und seiner Anhänger
war die starke Bergfestung Beth-ther '3^), nach Eusebius nicht
sehr weit von Jerusalem, sicherlich an der Stelle des heutigen
Bittir, drei Stunden südwestlich von Jerusalem '^i). Eine in Bittir
128) Dass man über Jerusalem den Pflug gezogen haben sollte zum Zeichen
der Verwüstung, ist nicht wahrscheinlich, da ja eben eine Neugründung beab-
sichtigt war. Wohl aber kann dieser Ritus gerade beim Beginn der Gründung
vorgenommen worden sein, als Initiationsact. Der Ritus war in beiden Fällen
derselbe; s. Sercius ad Virf/il. Aenekl. IV, 212: cum conderetur nova eivitas,
aratrum adhibitum, ut eodcm ritu quo eondita subvertahir. Eine genaue Be-
schreibung des Ritus giebt die von Servius zu Virgil. Aencid. V, 755 citirte
Stelle des Varro.
129) Chronicon Samaritamim , Arabice conscriptum, cui titulus est Liber
Josuae, ed. Juynboll {Lugd. Bat. 1848) c. 47. — Die Hoffnungen, welche
Munter S. 12 auf die Veröffentlichung dieser Chronik setzte, haben sich
durchaus nicht bestätigt.
130) Der Name der Stadt lautet bei Eusebius Eist. eccl. IV, 6 Bi^&rji}
{aeeus. Bid^&T]Qa), oder nach einigen Handschriften Bi&dTjQ, B^&&tiq, Rufin
Bethar. Im jerusalemischen Talmud Taanith IV fol. 68d— 69a, wo der Name
häufig vorkommt, fast constant "ipn'^n, nur ganz vereinzelt nr'ia. In der Mischna
Taanith IV, G haben die Cambridger und eine Hamburger Handschrift npr.'^a,
ed. princeps und cod. de Fosst 138 'nr.*^2, eine Berliner Handschrift nra. Noch
einiges Material giebt Im. Low bei Krauss, Griechische und lateinische
Lehnwörter im Talmud etc. II, 1899, 8. 153 f. Die richtige Form ist ohne
Zweifel nrin*ia, Beth-ther. — Auf Grund des gedruckten Vulgärtextes der
Mischna wird vielfach angenommen, dass unser Ort auch Challa IV, 10 er-
wähnt sei. Dort ist aber nach dem Zusammenhang ein Ort ausserhalb des
Landes Israel gemeint, und die richtige Lesart ist daselbst •".1P*'''2, Be-jittur.
— Auch an anderen Stellen, wo man unseren Ort erwähnt glaubte, ist dies
äusserst fraglich. So bei Joseph. Bell. Jial IV, 8, 1, wo ein Dorf B^xaQiq
„mitten in Idumäa" erwähnt wird. Eher kann man vergleichen Bai&riQ, das
nach einigen Handschriften des Septuagintatextes Josiia 15, 59 unter den
Städten Juda's in der Nähe von Bethlehem genannt wird {cod. Vat. hat ßsd^^g,
aber Alex. Baid^Q, ebenso las Hieronymus, comm. in Micham 5, 2 opp. ed.
Vallarsi VI, 490); femer Bui&^fJQ, welches der Text des cod. Alex. I Chroti.
0, 59 (6, 44) neben Beth-schemesch nennt. In der Stelle des Hohenliedes 2,
17 ist nna überhaupt nicht Nomen proprium, sondern Appellativum. üeber
Bethar südlich von Cäsar ea s. die nächste Anm.
131) Bei Bestimmung der Lage hat man sich mehrfach von irrigen An-
haltspunkten leiten lassen. Im Itinerarittm Antonini und beim Pilger von
Bordeaux wird ein Bethar südlich von Cäsarea au der Strasse nach Lydda er-
wähnt; und die rabbinische Legende weiss zu erzählen, dass das Blut der in
Beth-ther Erschlagenen grosse Felsstücke mit sich fortwälzte, bis es in's Meer
floss {jer. Taanith IV fol. 69a oben, Text bei Lebrecht, Bether S. 45, französ.
bei Derenboiirfi, Histoire p. 434, deutsch bei Wünsche, Der jenisalemische Tal-
694 §21, III: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). [579]
gefundene Inschrift, auf welcher Detachements {vexülationes) der
legiö V Macedonica et XI Claudia erwähnt werden, darf wohl in
diese Zeit gesetzt und als Bestätigung dafür betrachtet werden,
dass hier der Schauplatz des letzten grossen Kampfes zwischen
mud, 1880, S. 159). Auf Grund dessen haben Manche angenommen , dass es
in der Nähe des Meeres gelegen habe und mit jenem Bethar identisch sei.
Wer indess der rabbinischen Legende folgen will, muss ihr auch ganz folgen;
sie bemerkt aber ausdrücklich, dass das Blut von Beth-ther bis in's Meer floss,
obwohl Beth-ther vierzig mil. pass. davon entfernt war (s. Derenbourg's und
Wünsche's Uebersetzung von jer. Taanith IV fol. 69a; erst noch spätere Quellen,
denen die Sache doch zu toll war, haben die Entfernung auf vier oder ein
mil. pass. reducirt, s. Derenbourg S. 434 Anm. 4). Jenes Bethar der Itinerarien
kann schon deshalb nicht mit unserem Beth-ther identisch sein, weil es in
vorwiegend heidnischer Gegend und in der Ebene lag, also sicher nicht ein
militärisch wichtiger Punkt im jüdischen Kriege war. Einen sicheren Anhalts-
punkt zur Bestimmung der Lage bietet allein die Angabe des Eusebius, dass
€S nicht weit von Jerusalem entfernt war {HisL eccl. IV, 6: xwv'^IeQO-
ooX.v/jt<ov ov aq>66Qa noQQw öisatwaa). Es ist hiernach kaum zu bezweifeln,
dass es mit dem heutigen Bittir, etwa drei Stunden südwestlich von Jeru-
salem identisch ist. Vgl. Schick's Karte der weiteren Umgebung von Jeru-
salem (Zeitschr. des DPV. XIX, 1896; Bittir ist jetzt Station der Eisenbahn
von Jope nach Jerusalem). Eine steile Landzunge, die nur im Süden mit
dem Gebirge zusammenhängt, ragt dort ins Thal herein. Die Oertlichkeit ist
also für eine Festung vortrefflich geeignet; auch sind noch Spuren einstiger
Befestigung vorhanden. Endlich sind von da bis zum Meere in der That, wie
der jerusalemische Talmud angiebt, ungefähr vierzig mil. pass. (in der Luft-
linie 31). Die Identität dieser Oertlichkeit mit Beth-ther wird daher mit Recht
angenommen von: Ritter, Erdkunde XVI, 428 f. (unter Berufung aufWilliams).
Tobler, Dritte Wanderung nach Palästina (1859), S. 101—105. Quirin,
Juddell, 387—395. Sepp, Jerusalem 2. Aufl. I, 647—650. Renan, Les han-
ffiles 1877, p. 20—29. Der«., L'dglise chräienne 1879, p. 202 sg'. Derenbourif,
Mtlanyes publiis par l'ecole des hautcs itudes 1878, p. 160 — 165. The Survey of
Western l'alesiine, Memoirs by Conder and Kitchener III, 20, dazu Blatt XVII
der grossen englischen Karte. Schlatter, Zur Topogr. und Gesch. Palästina'»
8. 135 fl'. Buhl, Geogr. S. 165. — Die Identität mit Bethar südlich von Cäsaren
wird angenommen von: Cassel in Ersch und Gruber's Encykl. Section II,
Bd. 27, 8. 14. Grätz, Gesch. der Juden IV, 156. Ewald, Gesch. VII, 416 f.
Gott. gel. Auz. 1868, 8. 2030 fl'. Gregorovius, Hadrian 8. 191. 202 f. —
Noch andere: Herzfcld in Frankel's Monatsschr. für Gesch. und Wissensch.
den Judcnth. 1856, 8. 105 — 107 (— ^ Betaris in Idumäa). Robinson, Neuere
bibl. Foritchuogcn, 8. 348 fi'. (— » Bethel). Neubauer, Odof/raphie du Talmud
p. 103 — 114 (•— Betii-Hchemesch, das er aber an die Stelle des heutigen Bittir
«etzt, iiiHoforn al80 richtig). Leb recht, Bcthcr, die fragliche Stadt im ha-
drianiHcii-Jüdischen Kriege, 1877 (Bether — veteraW, wonnt die alte Burg von
Seppboritt gemeint Hein hoIIü). Ilamburger, Rcal-Enc. Art. „Bethar" (im
allgeincinun richtig, aber unbcHtinimt: „auf den Bergen Judüa's"). — Material
Ober ßeth-tjjer aucl» bei Buxturf, Lex. C/mld. s. v. "ipa, Liyhl/oot, Centuria.
MaUhaeo praemüita c. 52 ("/'/' I'. 208 .-*</.).
[580. 581] § 21, III: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132^135). 695
Römern und Juden wari^i). Nach! langer und hartnäckiger Ver-
theidigung ward auch dieses Bollwerk erobert im 18. Jahre
Hadrian's = 134/135 nach Chr. »33), nach rabbinischer Tradition am
9. Ab»34) Bei (jer Eroberung fand auch Barkocheba, „der Ur-
heber ihres Wahnsinns, die gebührende Strafe" ^^s). üeber die
Einzelheiten der Belagerung und Eroberung fehlen uns alle Nach-
richten. Zwar weiss die rabbinische Legende | allerlei darüber zu
erzählen; aber diese Ausgeburten der wildesten Phantasie ver-
lohnen sich nicht einmal wiederholt zu werden. Nur das möchte
etwa erwähnenswerth sein, dass vor der Eroberung R. Eleasar,
der Oheim Barkochebas, von diesem getödtet worden sein soll,
da er ihn fälschlich im Verdachte des Einverständnisses mit den
Römern hatte i^^).
Mit dem Falle Beth-ther's war der Krieg nach etwa 3 »/Jähriger
Dauer (132—135) beendigt»"). Während desselben waren auch|
132) S. Glermont-Qanneau, Gomptes rendus de l'Acad. des Inser. ei
Beiles- Lettr es 1894, p. \^sq. Ders., Ettides d^archeolofjie Orientale t. I, 1895
p. 141 sq. und bes. Archaeohgical researches in Palestine t. I, 1899, p. 465 sqq.
— Clermont-Ganneau liest: et Victar ceiitur. rexill. leg. V. Mac. et XI. Cl.
Eine andere, wie es scheint, weniger genaue Copie giebt Germer- Durand,
Hernie biblique 1894, p. 614.
133) Erneb. H. E. IV, 6.
134) Mischna Taanith IV, 6 und Hieroni/rntts, Comm. in Sachar. 8, 19 =
opp. ed. Vallarsi VI, 852 (s. den Wortlaut oben Anm. 127). — Wenn man
dieser Tradition überhaupt Glauben schenken darf, so ist wohl der Ab des
Jahres 135 gemeint; denn der Krieg hat sich wahrscheinlich bis in dieses Jahr
hinein erstreckt.
135) Euseb. IL E. IV, 6.
136) Die Legenden über den Fall von Beth-ther finden sich hauptsächlich
jer. Taanith IV fol. 68''— 69» (deutsch bei Wünsche, Der jerusalemische Tal-
mud 1880, S. 157—160) und Midrasch Ecfia rabbathi c. II (deutsch bei Wün-
sche, Der Midrasch Echa rabbati 1881, S. 100—102). Die Texte sind zusam-
mengestellt bei Lebrecht, Bether S. 44 ff. Ueber ihr Verhältniss zu einander
B. Leb recht, S. 20 f. — Die Geschichte vom Tode des Eleasar auch bei
Dere.nbouTff, Histoire p. 433 s^. — Bei der Schilderung des furchtbaren Blut-
bades, welches die Römer anrichteten, gebraucht die rabbinische Legende
dieselbe Hyperbel, deren sich auch der Verfasser der Offenbarung Johau-
uis bedient: dass nämlich das Blut den Pferden bis an die Nüstern ging {Äpuc.
Joh. 14, 20: bis an die Zügel, axQi x<öv xakivwv x<öv"nnü)v). Schon lÄgthfoot,
Opp. II, 127, und Wetstein, Nor. Test, haben in ihren Anmerkungen zu Apoc.
14, 20 die Parallelen aus jer. Taanith 69« und MUlrasch Ec/ia rabbathi c. II
angeführt. Vgl. auch Henoch 100, 3: „Ein Boss wird bis an seine Brust im
Blute der Sünder waten".
137) Dass „der Krieg des Ben-Kosiba" 3V2 Jahre gedauert habe, sagt das
Seder Olam (s. oben S. 669; die Lesart 3'/2 ist sicher die richtige; nicht ebenso
sicher lässt sich sagen, ob n^h^a „Krieg" oder msba „Regierung" zu lesen
ist. Gegen die Lesart n^rba macht Ruh 1, Deutsche Zeitschr. für Geschichts-
696 § 21, ill: Der grosBe Aufstand unter Hadrian (132—135). [582]
manche Kabbinen den Märtyrertod gestorben. Die spätere lie-
gende hat besonders den Tod von zehn solchen Märtyrern, dar-
wissensch. N. F. II, 1897/98, S. 194, geltend, dass dieselbe, nach vorhergehen-
dem ÖIB^IS, ebenso wirke, wie wenn man im Deutschen sagen wollte: „von
der Bataille von Jena bis zur Schlacht von Leipzig". Bei der starken Be-
zeugung von r^n^a ist dies aber nicht durchschlagend. Der Wechsel von
polemos und milchama scheint darauf zu beruhen, dass jenes den Krieg eines
Feindes, dieses den Kampf eines Israeliten bezeichnet. Salz er, der einige
Hauptzeugen für rrn^a noch nicht kannte, wagt keine Entscheidung. Da
die „Regierung" des Ben-Kosiba annähernd von derselben Dauer gewesen
sein wird, wie der „Krieg" desselben, so ist die Frage nicht von grossem
Belang). — Auch Hieronymus erwähnt als Ansicht einiger Hebraei, dass die
letzte Jahrwoche Daniel's (Daniel 9, 27) sich vertheile auf die Zeit Vespasian's
und Hadrian's {comm. in Daniel Q fm. = opp. ed. Vallarsi V, 696: tres auteni
anni et sex menses sub Hadriano supputantur, quando Jerusalem omnino sub-
versa est et Judaearum gens catervatim caesa). Im jerusalemischen Talmud
werden die 31/2 Jahre als Zeit der Belagerung Beth-ther's genannt (jer. Taanith
IV fol. 68'* bei Lebrecht S. 44, Wünsche S. 158); im Midrasch Echa werden
3*2 Jahre für die Belagerung Jerusalems durch Vespasian und 3'/2 Jahre für
die Belagerung Beth-ther's durch Hadrian angegeben {Derenbourg p. 431). —
Obwohl diesen Zeugnissen kein sehr grosses Gewicht zukommt, so ist es doch
richtig, dass der Krieg etwa 3' 2 Jahre gedauert hat (die späteren Quellen
verwechseln die Dauer der Belagerung Beth-ther's mit der Dauer des Krieges).
Dass der Anfang in das J. 132 fällt, ist oben S. 682 gezeigt. Das Ende fällt
nach Euseb. H. E. IV, 6 in das 18. Jahr Hadrians = 134/135 n. Chr., und
zwar nicht 134 sondern 135. Denn auf Inschriften aus dem J. 134 führt Ha-
drian noch nicht den Titel Imp[erator) II, welchen er aus Anlass des jüdischen
Krieges angenommen hat. Der Krieg war also damals noch nicht beendigt
(vgl. Anm. 139). S. auch Rohden in Pauly-Wissowa's Real-Enc. I, 514 f. —
Seltsam verkehrt ist es, Avenn jüdische Gelehrte wie Cassel (Ersch und Gru-
ber»» Encyklop. Art. „Juden" S. 14 f.), Herzfeld (Monatsschr. 1856, S. 107—111)
und Bodek (M. Aurelius Antoninus 1868, S. 50—54), im Widerspruch mit allen
sicheren Daten den Fall Beth-ther's etwa zehn Jahre früher setzen, Cassel und
Herzfeld 122, Bodek 125 n. Chr. Sie folgen dabei dem jerusalemischeu Tal-
mud, welcher die Eroberung Beth-ther's 52 Jahre nach der Zerstörung Jeru-
Hülems setzt {jer- Taatiith IV fol. 69»: nm-^a niL'S nsu: D'^nuji D'^t'Hri naix "iDii 'n
ttnptsn n-'a pnn nnxb, über nirs =- „brachte zu, existirte noch", wie Kohc-
leth 0, 12, B. Salzer, Magazin III, 175 f.). Diese Angabe beruht auf einer Vcr-
wechseluTig dos hadrianisdien Krieges mit dem „Krieg des Quietus", welchen
das Seder Ülam .52 Jaiire nach dem veHpasianischen setzt (s. oben ö. 669).
Der Irrthum wird auch dadunth nicht besser, dass Hieronymus ihn nachspricht,
epint. 129 ad Dardanvnt c. 7 {Vallarsi I, 974): deindc civitatis usqtw ad Ha-
i/rianum prineipem per quinquagiiüa annos mausere rcUquiac. Idein, camni.
in Ju, e, 6 *. fin. {Vallarsi IV, lÜO): quando post (iniios fvrnie quinquaginta
Hadriamts venerit et terram Jndaia?n pmitus fiirril dr/irardatus. Ideni, conini.
in Eneeh. e. 6 {Vallarsi V, 49). Idr.yn, comm. in ICxrr/i. c 24 ( Vallarsi V, 277);
die beiden letzteren Stellen im Wortlaut oben Anm. 126. — Auch die Auto-
ritit de« Ohronicon paschale, welches den hadrianischeii Krieg in das J. lli)
setzt («rf. IHvdnrf f, 474 1, ist nicht von der Art, duHs seine Aiigalx! die ander-
[582] §21,111: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). 697
unter auch des R. Akiba, durch dichterische Ausschmückung ver-
herrlicht ^3®).
Aus Anlass des Sieges wurde Hadrian zum z weitenmale als
Imperator begrüsst'^^). Julius Severus erhielt die ornamental
weitigen Zeugnisse erschüttern könnte. — Im Wesentlichen richtig ist die An-
gabe des Seder Olam, dass der Krieg des Ben-Kosiba 16 Jahre nach dem Krieg
des Quietus falle (s. oben S. 669).
138) Nach bab. Berachoth 61'» wurde R. Akiba dadurch zu Tode gemar-
tert, dass ihm das Fleisch mit eisernen Kämmen vom Leibe gerissen wurde.
Er aber betete während dessen das Schnia, und als er eben, der Vorschrift
gemäss, beim Worte Echad {Deut. 6, 4) lange anhielt, hauchte er seine Seele
aus. Da ertönte eine Bath Kol (Stimme vom Himmel) und sagte: Wohl dir
R. Akiba, dass ausging deine Seele bei Echad. — Auch sonst wird in der äl-
teren Midrasch-Literatur und im jerusalemischen und babylonischen Talmud
gelegentlich der Märtyrertod dieses oder jenes Rabbineu erwähnt. Die Zu-
sammenstellung von zehn Märtyrern findet sich dagegen erst in Midraschim
der naclitalmudischen Zeit. Einige Texte giebt Jellinek, Midrasch Ele Es-
kera nach einer Handschrift der Hamburger Stadtbibliothek zum ersten Mal
nebst Zusätzen herausgegeben 1853; derselbe, Bet ha-Midrasch Bd. H, 64
bis 72 und VI, 19—35. Vgl. ferner: Zunz, Die gottesdienstlichen Vorträge
der Juden S. 142. Grätz in der Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des
Judenth. 1851/52, S. 307—322. Gesch. der Juden IV, 175 ö". Möbius, Mi-
drasch Ele Eskera, die Sage von den zehn Märtyrern, metrisch übersetzt, 1854.
Derenbourg p. 436. Hamburger, Real-Enc. für Bibel und Talmud, Supple-
mentband I (1886), S. 155—158: Art. „Zehn Märtyrer" (hier die relativ beste
Orientierung). Seh latter. Die Tage Trajan's und Hadrian's S. 12 ff. — Bi-
bliographische Nachweisungen auch bei Steinschneider, Catal. librunon
lirl)r. in Biblioth. BodL col. 585, n. 3730—3733.
139) In der Titulatur Hadrian's fehlt der Titel imp{eraior) II noch auf zwei
Militärdiploraen, welche vom 2. April und 15. September 134 n. Chr. datirt sind
{Corp. Inscr. Lat. t. III p. 877 u. 878, Dipl. XXXIV und XXXV, letzteres
auch Coi-p. Inscr. Lat. t. X n. 7855). Auch auf anderen Inschriften vom J. 134
fehlt er {Corp. Inscr. Lat. t. VI n. 973, Inscr. Regni Neap. n. 5771 = Corp.
Inscr. Lat. t. IX n. 4359). Entscheidend ist namentlich das Zeugniss der Mili-
tärdiplome, welche in der Titulatur genau zu sein pflegen. — Auch für das
J. 135 {Hadr. trib. pot. XIX) ist der Titel bis jetzt nicht mit Sicherheit nach-
gewiesen. Vielleicht sind aber einige Inschriftenfragmente, auf welchen sich
die Zahl XIX und die Buchstaben teru finden, zu ergänzen Hadr. trib. pot.
XIX imp. iterum (so Hübner, Corp. Inscr. Lat. t. II n. 478). — Sicher nach-
weisbar ist der Titel imp. II für das Jahr 136 {Hadr. trib. pot. XX), s. Orelli,
Inscr. Lat. n. 813 u. 2286=Cor/j. Inscr. Lat. t. VI n. 975 u. 976; auch auf einer
Inschrift, welche dasselbe Datum {Hadr. trib. pot. XX) trägt, aber wahrschein-
lich ganz im Beginn dieses Jahres, nämlich December 135 n. Chr. gesetzt ist,
Corp. Inscr. Lat. t. XIV n. 3577=4235 (die tribunicischen Jahre begannen da-
mals im December). — Hadrian hat also den Titel imp. II im J. 135 ange-
nommen, ohne Zweifel aus Anlass der glücklichen Beendigung des jüdischen
Krieges. Vgl. Darmes teter, Bevne des etudes juives I, ö3. Schiller, Gesch.
der röm. Kaiserzeit I, 614, Anm. 4. Roh den in Pauly-Wissowa's Real-Enc.
I, 514.
698 § 21, III: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). [583. 584]
triumphalia, Oüüziere und Mannschaften die üblichen Belohnungen*^*').
Der Sieg war durch schwere Opfer errungen. So gross waren die
Verluste, dass Hadrian in seinem Schreiben an den Senat die üb-
liche Eingangsformel, dass ,,er und das Heer sich wohl befinde",
wegliess***). Noch schlimmer als die directe Einbusse an Mann-
schaft war die Verödung der fruchtbaren und wohlhabenden Pro-
vinz. „Ganz Judäa war nahezu eine Wüste". 50 Festungen, 985
Dörfer waren zerstört, 580,000 Juden (?) im Kampfe gefallen, un-
gerechnet die durch Krankheit oder Hunger umgekommenen *'*'^).
Unzählig war die Menge derer, die als Sklaven verkauft wurden.
Auf dem Jahrmarkt an der Terebinthe bei Hebron wurden sie in
so grosser Zahl feilgeboten, dass ein jüdischer Sklave nicht j
mehr als ein Pferd galt. Was man hier nicht losschlagen
konnte, wurde nach Gaza gebracht und hier verkauft oder nach
Aegypten geschafft, wobei viele durch Hunger und Schiifbruch
umkamen* ^3).
Mit der Hauptstadt Jerusalem ward jetzt ausgeführt, was
schon vor dem Krieg beabsichtigt war: sie wurde in eine römische
Colonie mit dem Namen Aelia Capitolina verwandelt*^*). Um
140) Ueber Julius Severus s. Corp. Inscr. Lot. t. III n. 2830: Huic senaius
auetore imperatore Trajano Hadriano Augtisto omamenta triumphalia deerevit
ob res in Juclea prospere gestas. Julius Severus ist vielleicht der letzte, dem
diese Auszeichnung zu Theil wurde (s. Moinmsen, Rom. Staatsrecht I, 378). —
üeber die Belohnungen von Offizieren und Mannschaften s. oben Anra. 116
n. 122. — Die Münze mit der Aufschrift exercitus Jtuiaieus ist nicht (wie z. B.
Grätz, Gesch. der Juden IV, 164 annimmt) eine Denkmünze, wodurch dem
Heere Anerkennung für die im Kriege geleisteten Dienste gezollt werden
sollte. Denn es giebt viele analoge Münzen für Provinzen, in welchen zur
Zeit Hadrian's kein Krieg stattgefunden hat [Eckhel, Docir. Num.Yl, 486 sj^.
Cohen, Medailles imperiales ed. 2. t. II, 1882, p. Ib^sqq.). Ueberdies ist ihre
Existenz fraglich. Sie wird von Eckltel VI, 496 nach älteren Autoritäten ge-
geben, ist aber gegenwärtig nicht mehr nachweisbar [Renan, L'iglise chrUienne
p. 209 not.). Cohen liat sie daher nicht aufgenommen.
141) />/« CftsH. LXIX, 14. Vgl. Fronto, De hello Parthico s. init. (ed. Mai
1823, p. 20ü'-Fronlonis epistulac cd. Naber 1867 p. 2\1 sq.): Quid? avo vesho
Hadriano imperium optinente quantum mititum a Judnets, quantum ab Britann is
eaesum'f
142) Dio Ca$$. LXIX, 14.
143) JUeron. ad Saeharj. 11, 5 (Vallarsi VI, 885); ad Jerern. 31, 15 (Val-
lart* IV, 1066). Chronioon pasnhalc ed. IHndorf I, 474. S. die Stollen bei
Mflnter 8. 86 f. 113. Ueber die Terehintho ])ei Hebron: Josej)h. Bell, Jnd.
IV, 9. 7.
144) Vgl. Ober die Grflndung von Aelia Oberhaupt: Deylin;i, Aeliae Capi-
toUnae origine» et historia (Observationes sacrae P. V, lAps. 1748, p. 433—400).
Mflnter, Der Jüdixchn Krieg 8.87 fr. Robinson, Palästina II, 108—205.
Kuhn, Die atAdtinchc und bürgerliche VcrfiisHung des röm. ReidiH II, 357 tK
[584. 585] § 21, III: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). 699
den rein heidnischen Charakter der Stadt dauernd zu sichern,
wurden die noch anwesenden Juden vertrieben und heidnische
Colonisten angesiedelt '^ 5). Kein Jude durfte fortan das Gebiet der
Stadt betreten; wer sich dort blicken liess, wurde mit dem Tode
bestraft' 46). Der officielle Name der neugegründeten Stadt lautet
auf den Münzen Col{onia) Ael{ia) Cap{itolina) ; die Schriftsteller nennen
sie in der | Eegel nur Aelia^^'). Ihre Verfassung war die einer
Benan, Uegiise ehretienne p.2\ — 30,223 — 226. Gregorovius, Die Gründung
der römischen Colonie Aelia Capitolina (Sitzungsberichte der philos.-philol.
und hist. Classe der München er Akademie 1883, S. 477 — 508). Ders., Der
Kaiser Hadrian, 3. Aufl. 1884, S. 209—216. Q er mer -Durand, Aelia Capito-
lina {Revue bihlique I, 1892, p. 369—387).
145) Dio Cass. LXIX, 12. Euseb. Eist. eecl. IV, 6. Demomlr. evang. VI,
18, 10 ed. Qaisf. (letztere Stelle im Wortlaut oben Anm. 125). Malalas ed.
Dindorf p. 279.
146) Justin. Apol. I, 47: oxi de <pvXaaasrai v<p vfnöv dna)g fxrjdelQ ^v avi^
ysvTjtai, xal &ävaxoq xaxa xov xaxaXa/xßavofitvov 'lovSaiov elaiövxoq wgiaxai,
«xQißwq inlaxaa&e. Dial. e. Tryph. c. 16; 92. Aristo von Pella bei Euseb.
Hist. eccl. IV, 6: (uq äv ftrji' i§ dnönxov Q^tcagoUv x6 naxg(pov e6a(poq (vgl.
über Aristo oben 8. 63 — 65). Tertullian. adv. Judaeos c. 13 init.: de longinquo
eam oeulis tantum videre permissum est (scheint bewusste Abänderung der
Worte des Aristo zu sein, um die volle üebereinstimmung mit Jes. 33, 17 her-
beizuführen, 8. Grabe, Spicile>j. patr. II, 131 sq., Routh, Reliqtiiae sacrae I,
\OA:Sq., Otto, Corpus apolof/et. IX, 358, Harnack, Texte und Untersuchungen
I. 1 — 2, S. 128). Tertullian. Apologet, c. 21: quibus nee advenarum jure terram
putriam saltim vestigio salutare conceditur. Euseb. Denwnstr. evang. VI, 18, 10
ed. Gaisford. Euseb. Chron. ed. Schoene II, 168 ad ann. Alyr. 2151 (nach dem
Armenischen: e.t hoc inde tempore etiam ascendere Hierosolymam ontnino pro-
hibiti sunt primum Dei voluntate, deinde Romanorum mandato). Hieronymus,
Comm. in Jes. 6, 11 sqq. ed. Vallarsi IV, 1(X). Idem in Jerem. 18, 15 ed. Val-
larsi IV, 971: nullus Judaeortirn terram quondam et ttrbem sanctam ingredi
lege permUtitur. Idem in Daniel IX fin. ed. Vallarsi V, 696 : ut Judaeae quoque
finibus pellerentur. Noch andere Stellen bei Renan, Vlißise chritienne p. 221,
not. 1. Zahn, Gesch. des Neutestamentl. Kanons II, 2, S. 679, Anm. 1.
147) Den Namen Aelia Capitolina (ausgeschrieben) geben Dio Cass. LXIX,
12, Ulpian Digest. L, 15, 1, 6, und Tabula Petäing. {Helya Capitolirm). Bei
Ptolem. V, 16, 8 und VIII, 20, 18 hat der gedruckte Vulgärtext an beiden
Stellen Alkla Kanixwhdg. — Auf Meilensteinen findet sich: Kok. AiXias Ka-
7itx<oX. {Clermont- Oanneau, Recueil d' archeol. Orientale I, 280 — 284= Cbrp. Inscr.
Lat. t. III Suppl. n. 6649, ähnlich Revue biblique 1895, p. 69. 71. 240), also
nicht ausgeschrieben. — Aelia heisst sie nach dem Familiennamen Hadrian's,
Capitolina nach dem capitolinischen Jupiter. — Die Münzen bei: Eckhel,
Doctr. Num. III, 441 — 443. Mionnet, Description de medailles antiques Y,
516—522. Suppl. VIII, 360—363. De Saulcy, Recherehes stir la Numismatique
judaiqm p. 171—187. Cavedoni, Biblische Numismatik II, 68— 73. Madden,
History of Jeivish Coinage ;>. 211— 231. Reich ardt in der Wiener Nuraismat.
Zeitschr. Jahrg. I, 1869, S. 79—88. Kenner, Die Münzsammlung des Stiftes
St. Florian in Ober-Oesterreich, 1871. De Saulcy, Numismatique de la Terre
700 § 21, III: Der grosse Aufstand unter Hadrian (13ii— 135). [585. öSß\
römischen Colonie, doch hatte sie nicht das jus Italicum^*^). Selbst-
verständlich fehlte es ihr nicht an den üblichen Prachtbauten;
das Chronicon paschale nennt: ra ovo örjftooia xal xo &sarQov xal
ro TQtxafiaQov xal ro reTQavvficpov xal to öcoöexaJtvXov zo jiqIv
6vofiaC,6fisvov dvaßa&fiol xal rrjv xoögav^^^ Am südlichen Stadt-
thore, gegen Bethlehem zu, soll das Bild eines Schweines ange-
bracht gewesen sein '5^). Der Hauptcultus der Stadt war der des
capitolinischen Jupiter, welchem an der Stelle des ehemaligen
jüdischen | Tempels ein Tempel errichtet wurde i^'). In demselben
Sainte, 1874, p. 83 — 109. Madden, Numismatic Chronicle 1876, p. 55 — ü8.
Madden, Coins of the Jetcs, 1881, p. 247—275 (hier das Material am voll-
ständigsten).
148) Ulpian, Digest. L, 15, 1, 6: In Palaestina duae fuerunt coloniae, Cae-
sariensis et Aelia Capitolina, sed neutra jus Italicmni habet. — Paulus, Digest.
L, 15, 8, 7: similes his (nämlich wie die Cäsarienser, welche nicht das volle
jus ItaUcum hatten) Capitidenses esse videntur. — Eine Ehreninschrift, welche
die Behörden der Colonie dem Antoninus Pius gesetzt haben, giebt de Sauley,
Voynge aiäour de la mer morte II, 204, dazu Atlas pl. XXIV n. Q = Le Bas et
Waddington, Inscriptions III, 2 n. 1895 = Corp. Inscr. Lat. t. III, n. 116 und
Suppl. n. 6639: Tito Ael{io) Hadriano Antonino Aug. Pia P. P. pmitifiici}
Aiigur{i) d{ecreto) d{ecurionum). Vgl. auch Marquardt, Römische Staatsver-
waltung I, 2. Aufl. 1881, S. 428. Die Münzen der Colonie gehen bis Valerian
(253—260). — Nach dem Chronicon paschale ed. Dindorf I, 474 war die Stadt
in sieben Bezirke getheilt: xal i/xigtatv t^v nöXiv dq knxu ä/4(po6a xal
ear^aev dv&pwnovg lölovq d(/<poddQx<'ii *fßi kxaavu) dfiipoddQx^ dnsveifibv
ttfi<poSov.
149) Chron. pasch, ed. Dindorf I, 474. Dazu Schiatter, Zur Topogr. und"
Gesch. Palästinas S. 141 f. Ders., Der Chronograph aus dem zehnten Jahre
Antonins (Texte und Unters, von Gebhardt und Harnack XII, 1, 1894) S. Soft
— KöÖQu ist lat. qtimlriim. Der Pilger von Bordeaux erwähnt in Hebron ein
Grabdenkmal der Patriarchen per quadriim ex lapidilnis mirae pulchritudinis
iltinera Hierosolym. ed. Geyer p. 25), in Jerusalem beim Teich Siloa einen
(/iiadriporticum {ib. p. 22).
150) Ilieron. Chron. ad ann. Abr. 2152 {Euscb. Chron. ed. Schoene 11,
1(J9): Aelia ali Aelio Hadriano eondita, et in fronte ejus portac qua Beihlfem
egredimur sua scalptua in marmore signiftcans Romanae potcstali snl>jäcere
Juäaeos. — Das Bild de« Schweines oder richtiger eines Ebers findet sich auch
auf einer in Jerusalem gefundenen Münze der leg. X Frctensis, welche do
Sauley publicirt hat (Revue archcologique, Nour. Serie t. XX, 1869, p. 251—
2(K), und de Sauley, Numismatiquc de, la Terrc Sainte p. S'isq. pl. V n. 3);
deftglelchen auf einem in Jerusalem gefundenen Stempel der Icf. X Fret.
(Miehon, Revue bibtique 1900, p. 101— 1U5). Vgl. überhaupt über Thierbildcr
an f den Mflncen der Legionen: DomaHzcwski, Die Fahnen im römischen
Heere, 1886, 8. M— 06. Dem., Die Thierbildcr der Signa (Archäol.-epigr. Mit-
theilungen ans Oeaterreich XV, 1892, 8. 182 19.'!).
1.01) Dio Oae». LXIX, 12. — Das Bild Jupiter'» findet sich öfters auf den
Mflnzeu von Aelia. — liäthMelliaft ist die Notiz des Jlippolytus in einem
syrisch erhaltenen Fragment zu Mntth. 24, 15 ff.: „VeHpiiHiniuis hat kein Güt/.en-
[586] § 21, III: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). 701
scheint auch die Statue Hadrian's gestanden zu haben, von welcher
christliche Schriftsteller sprechen ^^^). Auf den Münzen kommen
als Gottheiten der Stadt ausser Jupiter noch vor: Bacchus, Serapis,
Astarte, die Dioskuren. Ein Heiligthum der Aphrodite (Astarte)
stand da, wo nach der christlichen Ueberlieferung sich das Grab
Christi befunden hatte '^3), oder nach einer anderen Version ein
Heiligthum des Jupiter an der Stelle des Grabes und ein Heilig-
thum der Venus an der Stelle des Kreuzes Christi"*^).
bild im Tempel aufgerichtet, sondern vielmehr jene Legion, welche Trajanus
Quintus, ein römischer Befehlshaber, hinstellte, errichtete dort ein Götzen-
bild Namens Köre" (Hippolytus Werke, Berliner Ausg. I, 2, 1897, hrsg. von
Achelis S. 244 f.; vgl. Harnack, Tlieol. Litztg. 1889, 525 ff. Ders.. Texte
und Unters. VI, 3, S. 130, 132 f.). — Da der Tempel Hadrians dem Jupiter
geweiht war, zwischen Vespasian und Hadrian aber schwerlich eine heidnische
Cultusstädte auf dem jüdischen Tempelplatz existirt hat, so kann die Notiz
nicht wohl auf die Zeit bis Hadrian einschliesslich sich beziehen. Sie ist aber
vor allem deshalb auffallend, weil Hippolj'tus nach dem ganzen Zusamraen-
liang beweisen will, dass Matth. 24, 15 ff. sich auf die künftige Zeit des
Antichrist beziehe. Wie kann er die Stelle dann doch auf irgend eine ge-
schichtliche Thatsache beziehen? Das widerspricht m. E. völlig dem Zusam-
menhang. Nimmt man noch hinzu, dass wir nur einen Römer in hervor-
ragenderer Stellung kennen, welcher Trajanus Quintus hiess, nämlich den
Kaiser Decius (mit vollem Namen: C. Messius Quintus Trajanus Decius), so
scheint mir die Vermuthung berechtigt, dass uns hier eine spätere Glosse eines
licsers aus der decianischen Verfolgungszeit vorliegt.
152) Hieronymus, Comm. in Jes. 2 9 [Vallarsi IV, 37): ubi quondam erat
templum et religio dei, ibi Hadriani statua et Joris idoJum coUocatum est. —
Idem, Comm. in Matth. 24, 15 {Vallarsi YVL, 194): potest autem simpliciter aut
de Äntichristo actipi aut de imagine Caesaris, quam Pilatus posuit in templo,
aut de Hadriani equestri statua quae in ipso sancto sanetorum loco usque in
praesentem diem stetit. — Da hiemach die Statue Hadrian's an der Stelle des
jüdischen Tempels gestanden hat, wo nach Dio Cassius der Jupitertempel er-
richtet wurde, und da sie von Hieronymus an der ersteren Stelle mit dem
Jupiterbilde zusammen genannt wird, so hat sie wohl im Jupitertempel ge-
standen. Vgl. auch Chrysost. orat. adv. JudaeosY, 11. Cedrenus ed. Bekker l,
438 {oxTjaaq to eavTov hSwXov iv rüt vatp). Nicephorus Callist. Eecl. hist. III,
24. — Der Pilger von Bordeaux spricht von zwei Statuen Hadrian's {Itinera
Hierosolym. ed. Geyer p. 22: stmt ibi et statuae duae Hadriani).
153) Euseb. vita Gonstantini III, 2ü. Constantin Hess an dieser Stelle be-
kanntlich eine Kirche erbauen. Nach der späteren Legende, welche Eusebius
noch nicht kennt, wurde bei der Freilegung des Grabes in der Nähe desselben
(las Kreuz Christi gefunden [Socraies Hist. eccl. I, 17; Soxomenus Hist. eccl.
II, 1, und Andere; vgl. Robinson, Palästina II, 208 ff. Holder, Inventio
sanctae crucis, 1^89. Nestle, De saneta cruee, 1889. Ryssel, Zeitschr. für
Kirchengesch. XV, 18it4, S. 222—243. Nestle, Byzantin. Zeitschr. IV, 1895,
S. 319—345. Glos, Kreuz und Grab Jesu, 1898 [unkritisch, s. Theol. Litztg.
1898, 539]).
154) Hieronymus, Epist. 58 ad Paulinum c. 3 {Vallarsi I, 321): Ah Hadriani
702 § 21, III: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). [586. 587]
Die völlige Ethnisirung Jerusalems war die Durchführung
eines Werkes, das einst Antiochus Epiphanes vergeblich versucht
hatte. Auch noch in anderer Beziehung waren die Maassregeln
Hadrian's den damaligen ähnlich. Das Verbot der Beschnei-
dung, das schon vor dem Kriege und nicht speciell gegen die
Juden erlassen worden war (s. oben S. 674 if.), ist jetzt | ohne Zweifel
aufrecht erhalten worden. Erst unter Antoninus Pins wurde den
Juden wieder die Beschneidung ihrer Kinder gestattet (s. oben
S. 677). Die jüdische Tradition, welche dieses Verbotes ebenfalls
gedenkt, behauptet, dass auch die Feier des Sabbaths und das
Studium des Gesetzes untersagt gewesen sei^^^). Mag diese Nach-
richt zuverlässig sein oder nicht — schon das Verbot der Beschnei-
dung war nach jüdischen Begriffen gleichbedeutend mit einem
Verbot der jüdischen Beligion überhaupt. Solange dasselbe auf-
recht erhalten wurde, konnte von einer Beruhigung des jüdischen
Volkes nicht die Rede sein. In der That hören wir auch zur Zeit
des Antoninus Pius wieder von einem Aufstands versuch, welcher
gewaltsam unterdrückt werden musste^^*^). Die römische Staats-
gewalt hatte hier nur die Wahl: entweder Duldung der religiösen
Ceremonien oder völlige Vernichtung des Volkes. Man darf wohl
annehmen, dass die Erkenntniss dieser Alternative den Kaiser An-
toninus veranlasst hat, die Beschneidung wieder zu gestatten und
Duldung zu üben.
Unter Hadrian's Nachfolger ist also im Wesentlichen wieder der-
jenige Stand der Dinge herbeigefühi*t worden, welcher seit Vespa-
sian bestanden hatte. Er entsprach keineswegs den politischen
Idealen der Juden. Aber sie konnten in religiöser Beziehung damit
zufrieden sein. Gerade die Vernichtung ihrer politischen Existenz
hat dazu geführt, dass diejenigen Mächte die Alleinherrschaft er-
langten, welche das unverfälschte Judenthum vertraten: der Phari-
säismus und Rabbinismus.
temporibut tuque ad impcriuvi Constantini per annos circiter ceniuni octopinta
in looo re$urrectionü simulacrum Jotns, in crucis rupe statua ex mannore Ve-
neria a gentibu$ posita colehatur. — Die Abweichung de« Ilieronymus von
Eiuebias hat ihren Grund oflcubar in der Legende von der Auffindung dos
KrencM. Noch SocratcH und Sozomenus sprechen, wie EuHebiu«, nur von
einem Heiligthum der Aphrodite. Wegen der Auffindungsgeseliichte hiHsen
•ie aber dasvelbe Howohl die Btelle de« Grabes als die der Kreuzigung ein-
nehmen. HicronytnuH dagegen Htattet jeden der beiden heiligen Orte mit einem
besonderen Götzen-Idol aue.
155) Derenbourg ;:>. 430. Ilainburger, Real-Enc. für Bibel und Talmud,
II. Abth, 8.328— .%2 (Artikel: „lliKirianiHcho Verfolgungsedikte"). St^hlatter,
Die Tage Tr^an« nn-i ii.i.iri;i.is s. f)— 12.
166) CapHohn. AhI'.hiiiu. I'nr r. 5 (in den Soriptores Ilistoriae Atigustae
kI. Pder): Judaeot rcMlatitr c.niuiili per prcutsidea ac Ictjatos.
[587, 588] § 21, III: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132—135). 703
Die Entwickelung ging nun in den Bahnen weiter, welche durch
die grosse Umwälzung infolge der Zerstörung Jerusalems vorge-
zeichnet waren. Ohne politische Heimath, nur durch die ideale
Macht des gemeinsamen Gesetzes zu einer Einheit zusammen-
geschlossen, haben die Juden fortan nur um so eifriger dieses gemein-
same Gut festgehalten und gepflegt. Dadurch ist freilich auch die
Scheidewand zwischen ihnen und der übrigen Welt immer scliroffer
geworden. Während in der Blüthezeit des hellenistischen Juden-
thums die Grenzen zwischen jüdischer und griechisch-römischer
Weltanschauung zu zerfliessen drohten, haben jetzt die Juden und
ihre Gegner mit vereinten Kräften dafür gesorgt, dass die Kluft
immer tiefer wurde. Der zur Menschheitsverbrüderung geneigte
jüdische Hellenismus ist verschwunden; das echte, alle Gemein-
schaft I mit heidnischem Wesen verabscheuende pharisäische Juden-
thum hat die Alleinherrschaft gewonnen. Aber auch die heidnische
Welt ist ablehnender geworden: das Zuströmen der Massen zur
jüdischen Gottesverehrung hat aufgehört, theils weil andere geistige
Mächte, vor allem das Christenthum, eine grössere Zugkraft aus-
übten, theils aber auch weil die staatliche Gesetzgebung, ohne die
seit Cäsar verbürgte Duldung der jüdischen Religion aufzuheben,
doch dem weiteren Umsichgreifen des Judenthums gesetzliche
Schranken entgegenstellte.
So sind die Juden immer mehr das geworden, was sie ihi^eui
Wesen nach waren: Fremdlinge in der heidnischen Welt. Die
Wiederherstellung eines jüdischen Staatswesens im heiligen Lande
war und blieb für immer ein Gegenstand der religiösen Hoffnung,
welche sie mit lebendiger Zuversicht festhielten. Der Abstand
zwischen Ideal und Wirklichkeit war aber zunächst — und noch
.lahrhunderte lang — so schroff und hart, dass sie die Hauptstadt
ihres gehofften Reiches nicht einmal als Fremdlinge betreten durften.
Noch im vierten Jahrhundert war ihnen nur einmal im Jahre, am
Tage der Zerstörung Jerusalems (9. Ab), das Betreten der Stadt
erlaubt, um au der Stelle des Tempels ihre Klagegebete verrichten
zu können. Mit ergi-eifenden Worten schildert Hieronymus, wie die
-luden an diesem Tage in erbarmungswürdigem Aufzuge daherzu-
kommen pflegten, ihre Klage verrichteten und durch Geld von den
römischen Wachen die Erlaubniss zu längerem Verweilen an der
Klagestätte erkauften ^^'): Usque ad praeseniem diem perfidi coloni
post interfectionem servoriim et ad exiremum filii dei excepto phnctu
^rrohihenhir ingredi Jerusalem, et ut ruinam suae eis flere liceat civi-
tatis pretio redimunt, ut qui quondam eme^-ant sanguinem Christi emant
157) Hieron. ad Zephan. 1, 15 sq. {ed Vallarsi VI, 692).
704 §21,111: Der grosse Aufstand unter Hadrian (132— 135 1. [588. 589]
lacrymas suas et ne fletus quidem eis gratuitus sit. Videos in die, quo
capta est a Romanis et diruta Jerusalem, venire populum luguhrem,
confltiere deoxpitas muliereulas et senes pannis annisque obsitos, in cor-
poribus et in habitu suo iram Domini demonstrantes. Congregatur turba
miserorutn; et patibulo Domini cortiscante ac radiante avaoraOu ejus,
de oUveti monte quoqu£ crucis fulgente vexillo, plangere ruinas templi
sui populum, miserum et tamen non esse miserabilem: adhuc fletus in
genis et livida brachia et sparsi nines, et miles mereedem postulat, ut Ulis
flere plu^s liceat. Et dubitat aliquis, quum haec videat, de die iribula-
tix)nis et angustiae, de die calamitatis et miscride, de die tenebrarum et
caliginis, de die nebulae et turbinis, de die tubae et clangoris? Habent
enim et in luctu tubas, et juxta prophetiam vox sollennitatis versa est in
planctum. Ululant super cineres \ sanctuarii et super altare destru/itum.
et super civitates quondam munitas et super excelsos angulos tem,pli, de
quibus qu^ondam Jacobum fratrem Domini praedpitaverunt^^'^).
158) Vgl. auch Origenes, in Josuam homii. XVII, 1 {ed. Lommatxsch XI,
152 s?.): Si ergo veniens ad Jerusalem civitatem terrenam, o Judaee, invenies eam
subversam et in cineres ac favillas redactam, noli flere sieut nunc facitis tan-
quam pueri sensibus; noli lamentari, sed pro terrena require coelestem. — Itine-
rarium Burdigalense (Iliiwra Hierosolymitana ed. Geyer p. 22): est et non
longe de Statuts [Hadriani] lapis perlusus, ad quem veniunt Judaei singulis annis,
et unguenl cum et lamentant se cum gemitu, et vestimenta sua scindunt et sie
recedunt. — Noch einige Stellen bei Renan, Ueglise chreiienne p. 221 not. 3.
Beilagen.
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 45
Beilage I.
Geschichte von Chalcis, Ituräa und Abilene.
Literatur:
Noris, Amins et epochae Syromacedonum III, 9, 3, ed. Lips. p. 316 — 322
(Gesch. der Stadt Chalcis).
Belley, Ohservations sur les medailles du tetrarque Zenodore {Memoires de
l'Acadimie des Inscriptions et Belles-LeUres, alte Serie t. XXVIII, 1761,
p, 545—556).
Munter, De rebus Itiiraeonim, Hafniae. 1824 (erschöpfende Monographie).
Win er, Biblisches Realwörterb. Artikel „Abilene" (I, 7 f.) und „Ituräa" (I, 622).
Scheukel's Bibcllexikon, dieselben Artikel.
Ei e hm 's Handwörterbuch des biblischen Altertums, dieselben Artikel, und
„Lysanias".
Herzog's Real-Ene. 2. Aufl. I, 87—89 (Artikel „Abilene" von Wieseler) und
VII, 261 f. (Art. „Ituräa" von Rüetschi).
Cless, Art. „Ituräa" in Pauly's Real-Enc. der class. Alterthumswissensch. IV,
387—340.
Ritter, Erdkunde XVII, 1, S. 14—16 (über die Ituräer).
Kuhn, Die städtische und bürgerliche Verfassung des römischen Reichs II
(1865) S. 169—174 (über die Dynastien von Chalcis, Abilene und Ituräa).
Marquardt, Römische Staatsverwaltung I, 2. Aufl. 1881, S. 400—403 (über die
Dynastien von Chalcis und Abilene).
Wiesel er, Beiträge zur richtigen Würdigung der Evangelien (1869) S. 196—204
(Lysanias von Abilene).
De Saulcy , Recher ches sur les monnaies des tetrarques hereditaires de la Chalci-
dene et de r Abilene (Wiener numismatische Monatshefte von Egger, 5. Bd.
1. Abth. [1869] S. 1-34).
Reichardt, Numismat. Zeitschrift, herausgeg. von Huber und Karabacek,
Bd. II, 1870, S. 247—250 (Anzeige der Abhandlung de Saulcy's).
lienan, Memoire sur la dynastie des Lysanias d' Abilene {Memoires de l'Acadimie
des Inscriptions et Belles-Lettres t. XXVI, 2, 1870, p. 49—84).
G. A. Smith, Art. Ituraea in: Hastings' Dictionary of the Bible II, 521 s^'.
Ders., Ilistorical Oeography of the Holy Land p. 544—547, 554.
Guthe in Herzog-Hauck's Real-Enc. 3. Aufl. I, 99—101 (Art. „Abilene") und
IX, 543 f. (Art. „Ituräa").
Unter den Söhnen Ismael's wird im Alten Testamente auch
ein '\'^12^_ genannt {Gen. 25, 15. I Chron. 1, 31. 5, 19). Es ist ohne
Zweifel derselbe Stamm, der uns in der späteren Geschichte unter
45*
708 Beilage I: Geschichte von Chalcis, Ituräa und Abilene. [593. 594]
dem Namen der ^IrovQaloi oder ^IrvQaloi begegnet'). In griechischen
Quellen werden sie erst spät erwähnt^); zuerst bei dem jüdischen
Hellenisten Eupolemus (Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Chr.),
welcher | die Ituräer unter den von David bekämpften Stämmen
nennt^). Dann wissen wir aus Josephus und dessen Gewährs-
männern Strabo und Timagenes, dass der jüdische König Ari-
stobul I (104—103 V. Chr.) die Ituräer bekämpft und ihnen ein
Stück ihres Landes abgenommen hat {Antt. XIII, 11, 3). Und
von da an werden sie häufig erwähnt. Sie werden bald als
Syrer bald als Araber bezeichnet '*). Da sie Gen. 25, 15 auf Ismael
zurückgeführt werden, sind sie von Hause aus wohl ein arabischer
Nomaden-Stamm, der aber dann im Bereiche der aramäischen
Cultur sesshaft geworden ist und mit aramäischen Elementen sich
vermischt hat. Daher sind die Eigennamen ituräischer Soldaten,
welche auf lateinischen Inschriften vorkommen, meist aramäisch
(syrisch) 5). — Zur Zeit der römischen Eroberung waren sie noch ein
1) Inschriftlich findet sich auch die Form ^laxovQaloq. So auf zwei In-
schriften in Atil bei Kanatha im Hauran (Mittheilungen und Nachrichten des
DPV. 1899, S. 83 f. n. 42: 'AXe^avögov Ma\lfiov ßovXevrov 'laxovgaiov, n. 43:
jiXt^vSQOv 'Paoi^dov ßov]).evTOv 'IaTovQa[lov]. Dieselben zwei Inschriften auch
bei Clcrmont-Oanneau, Recueil d'archeologie Orientale IV, 118 f).
2) Eine Bemerkung bei Well hausen, Israelitische xind jüdische Geschichte
2. Aufl. 8. 183 Anm. 1 (4. Aufl. S. 191 Anm. 1) tflingt so, als ob die bei der
Belagerung von Tyrus durch Alexander {Arrian. II, 20, 4) erwähnten „Araber"
des Libanon schon dort „Ituräer" genannt würden. Das ist indessen nicht
der Fall.
3) Euseb. Praep. evang. IX, 30: J^rgcttivaai 6" avzov xal inl ^ISor/xaiovg
xal UfifiavlraQ xal Mataßltaq xal ^Ixovgaiovq xal Naßaxalovq xal Naß-
dalovq.
4) Appian. Civ. V, 7: xrjv ^IxovQolav [od. 7rov()a/cwv?] xal öaa aXla yevrj
ZvQwv. — Vifnus Sequester cd. Hcsscl p. 155: Ithyrci rel Itfuirci Si/rii. — Auch
Plinius Ilisl. Nat, V, 23, 81 nennt Itnracorum gcntem unter den Völkern Sy-
rien's. — Dia Cass. LIX, 12: xi,v xdiv *IxovQaia)v xüiv lAQußmv. — Straho
p. 766 verbindet 'Ixovoaloi xs xal 'Apaßsi. Ebenso ;;. 756. — Epiphan. hacr.
19, 1 : ano xTn Naßaxixfjq /(Jp«? xal 'hov^alaq. — Vgl. Eupolemus bei Euscb.
I^aep, evang. IX, 30.
6) E« kommen z. B. vor Bargathca, Baramna, Beliabtis, Brichehis (alle vier
auf einer Inschrift, Munter de rebus Ituraeorum p. AOsq., corrccter im Cor]».
Itierr. IxU. t. III v. 4371), Mom'mus, Jerombal [Munter p. 42 — Cknp. Jnsrr.
lihenan. cd. Brambach n. 1234), Jfancl, Jamlicm {Munter p. 42 sq. ^ Branihach
n. 1233 — Wilmanns, Ecmtpla Itisrr. Lat. n. 1530). — Vgl. dazu Munter p. 8
bis 10. — Die meiHt<>n dicHcr Niimen sind auch sonst in Syrien nachweis-
bar. Baga&iji Watidington Insor. n. 2703 — Journal asiatiqtui Neur. S6rie t.
XVI, 1900, p. 274. Bulktin de eorrup. Hellen. XXI, 1807, p. 70 (Gegend von
Eme»a). nrsnn Jicvue biblique VI, 1897, p. 696. 597. Journal axintiquc Neur.
SSrü t. XII, 1898, p. 88. 89. 108 (Palmyra). Auf einer in ICuglaml gefundenen
sweltprachigen Innchrift hoiwt der Uotrelleudc lat. Baralr.s Pahnyrenus mttionc,
[594. 595] Beilage I: Geschichte von Chalcis, Ituräa und Abilene, 709
rohes Räubervolk *^), als geschickte Bogenschützen aber sehr ge-
schätzt. Schon Cäsar verwendete im afrikanischen Kriege iturä-
ische Bogenschützen'^); der Triumvir Marcus Antonius hatte solche
als Leibwache, womit er den Senat schreckte, zum grossen Ent-
setzen Cicero's^). Dichter und Historiker gedenken der ituräischen
Bogenschützen bis in die spätere Kaiserzeit^).
Ihre Wohnsitze werden nicht immer dieselben gewesen sein.
Nach I Chron. 5, 19 waren sie einst Nachbarn der Stämme Rüben,
Gad und Halb-Manasse. In der Zeit aber, aus welcher wir über-
haupt nähere Kunde über | sie haben, sind sie nirgends anders
als im Libanongebirge nachweisbar. Christliche Theologen
suchen sie freilicli wegen Lwc. 3, 1 möglichst in der Nähe von
Trachonitis. Ja Eusebius hat sogar Trachonitis und Ituräa iden-
tiücirt^*^). Aber alle historischen Zeugnisse weisen auf s bestimmteste
nach dem Libanon. So vor allem Strabo, welcher die Ituräer wieder-
holt als Bewohner des Gebirges bezeichnet, und zwar des Gebirges,
aram. Knr"i2 {IVansactions of the Society of Bihl. Archaeol. VI, 1878, p. 436*^5.).
Vgl. auch Clermont-Qanneau, Recueil d'archeol. oriefit.Hl, \l\sq. — liifXlaßoq
(d. h. arr^ ba, Bei hat ihn gegeben) Journal asiatique Neuv. Serie t. VIII,
1896, p. 328 (Antilibanos). Reme Archeol. Trois. Sirie t. 30, 1897, p. 285 (Ge-
gend von Damaskus). Waddington Inser. n. 2557''. 2557«. 2557« = Bulletin de
corresp. hellen. XXI, 1897, p. 64 sg. = Mittheilungen und Nachrichten des
DPV. 1898, S. 81 f. vgl. 86 (Gegend von Damaskus und Antilibanos). BrjUaßoq
Revue archeol. Trois. Serie t. IV, 1884, p. 279 u. Facs. j;>. 284= Clermont-Oan-
nean, Recueil d'archeol. Orient. I p. 22 u. Facs. p. 31 n. 44 = Dussaiul et Ma-
cler, Voyof/e archeologique, 1901, p. 211 (südlich von Baalbek). — Movifxog Wad-
dington Inscr. n. 2117. 2118. 2128. 2293. 2412«. 2544. Movriiioq n. 2243. —
Jcrombal ist wohl = bibl. ^rS'"'. — 'AwriXoq Waddington Inscr. n. 2320. 2412?.
2437. 2403. "AvriXoq n. 2101. — "Ueber Jamlicus s. oben S. 234 f.
6) Strabo p. 755, 756. Cicero Philipp. II, 112.
7) Bell. African. 20: sagittar iisque ex omnibus navibus Ityreis Syris et eii-
jusque generis ductis in castra compluribtis frequentabat suas copias.
8) Cicero Philipp. II, 19: conftteare hwie ardinem hoc ipso tempore ab ItU'
raeis eircumsederi. — Philipp. II, 112: cur homines omnium gentium niaxime
barbaros Ituraeos cum sagittis dedueis in forum? — Philipp. XIII, 18: haee
sid)sellia ab Ituraeis oceupabantur.
9) Virgil. Georg. II, 448: Ituraeos toxi torquentur in arcus. — Lucan.
Pharsal. VII, 230: Ituraeis cursus fuit inde sagittis. Ibid. VII, 514: t/mc et
Ifnraei Medique Arabesque soluto arcu turba minax. — Militärdiplom vom
Jahr 110 nach Chr. [Corp. Inscr. Lot. t. III p. 868): cohors I Augusta Ituraeo-
rum sagittar ior um. — Arrian. Alan. 18: ol ns^ol ro^oxat, ot r<5v Nofidöcav
xal Kv^Tjvctitav xal BoanoQavöiv zs xal ^rovQaicov. — Vopisc. vifa Aureliani
e. 11 (in den Seriptores historiae Augustae) : habes sagittarios Ityraeos trecentos.
— Vibius Sequester ed. Hessel p. 155: Ithyrei vel Itharei Sgrii usii sagittae
periti.
10) Euseb. Onomast. ed. Lagarde p. 268: ^Itovgaia y xal Tgaxfovlztq. Ib.
p. 298: TQax(üi'iTig "/J^Qa r^ xal 'IzovQala.
710 Beilage I: Geschichte von Chalcis, Ituräa und Abilene. [595. 596]
welches an der Ebene Massyas sich hinzieht und Chalcis als Haupt-
stadt hat*^). Die Ebene Massyas oder Marsyas ist die Ebene
zwischen Libanon und Antilibanos'^), im Norden bei Laodicea am
Libanon beginnend und sich südlich bis Chalcis erstreckend ' 3). Da
die Ituräer öfters mit den Arabern zusammen genannt werden*'*),
so sind sie wohl in dem die Marsyasebene im Osten begrenzenden
Gebirgszuge d. h. im Antilibanos zu suchen. Als Bewohner des
Libanon erscheinen sie auch in allen späteren Nachrichten. Den
älteren Lysanias nennt Dio Cassius (XLIX, 32) schlechtweg König
der Ituräer. Er war aber der Sohn und Nachfolger des Ptolemäus
Mennäi, dessen Reich eben den Libanon und die Ebene Marsyas
mit der Hauptstadt Chalcis umfasst hatte (s. unten S. 712 f.). Auf
der bekannten Inschrift aus der Zeit des Quirinius sagt dessen
Unterfeldherr Q. Aemilius Secundus von sich: missu Quirini ad versus
Ituraeos in Lihano monte castellum eorum cepi^^). Zur Zeit des
vespasianischen Krieges erwähnt Josephus {Vita 11) einen Ovägoi;
ßaoiXixov yivovQ, exyovog JSoäfiov rov jieqI rov Äißavov rsxQaQ-
Xovvxoq. Dieser Soemus ist aber wahrscheinlich derselbe, welchen
Dio Cassius und Tacitus als Beherrscher der Ituräer bezeichnen^'').
Nirgends finden wir eine Spur | davon, dass die Ituräer anderswo
als im Libanon gesessen hätten. Die Meinung Wetzsteins, dass sie
am Ostabhange des Hauran zu suchen seien''), ist demnach eben-
so irrig, wie die ältere Ansicht, dass die Ebene Dschedur südlich
von Damaskus von ihnen ihren Namen habe. Letzteres ist schon
aus sprachlichen Gründen nicht mögliches). Noch verkehrter ist
11) Strabo XVI, 2, 10 p. 753; oü nÖQQO) d' ovrf* ^HXiovnoXig xal XaXxlq //
iTTo IlroXefialtp rtp Mevvalov xiördv Maaavav xat^xovxi xal rijv ^Irox^Quiiov
oQtiviqv. — Ih. XVI, 2, 18 p. 755: (xfxä 6e töv MdxQuv lailv o Maaavaq ^ywv
xiva xal SqhvÜ, iv oiq rj XaXxlq wanfQ dxQonoXiq xov Maaavov ciQX^I <^^ (xvxov
/laoöi'xeia i/ ngdf Aißdvco. xä fxhv ovv opsivd ^xovai ndvxa 'IxovQixlol
xe xal "AQaßsf. — Ib. XVI, 2, 20 p. 756: ^neixa it^oq xä 'Igdßwv fztQij xal
xwv 'Ixovgaltov dva/nl^ oQij Siaßaxa (hierüber Anm. 18). — Auch christliche
Lexikographen erklären „Ituräa" durch „Gebirgsland" {montauae, oqsivi^). S.
(hiomastica ed. Lagardc p. 64, 176, 193. — Apulejiis, Florida I, 0, nennt die
Ituräer frvgum paupcres, wo» ebenfalls auf Gebirgsbewohner ]mH8t.
12) Polyh- V, 45, 8 f.
13) Dich ergiebt sich aus den angeführten Stellen Strabo's. Ueber die Lage
beider Htädtc «. unten Anm. 20 u. 21.
14) Slrabo XVI, 2, 18 p. 755. Vgl. auch oben Anm. 4.
1.'») Kphemerta epü/rap/tica vol. IV, 1881, p. 538-^ Co/v», fnscr. Lnt. III Suppl.
n. 6ö87. — Ueber dio Echtheit der Innchrift k. oben H. 327.
16) IHo CasH. LIX, 12. Tacil. Anttal. XII, 23.
17) Wetzstein, Reisebericht über Hauran und dio Tnichonen 1860,
H. 90- Ü2.
18) Für Wetzitcin's Ansicht scheint nur die dritte Stelle Strabo's (XVI,
[596J Beilage I: Geschichte von Chalcis, Ituräa und Abilene. 711
die auf Eusebius sich stützende Meinung Ramsay's, dass das „itu-
räische" und „trachonitische" Land identisch seien •^).
2, 20 p. 750) zu sprechen, wo Strabo nach Damaskus die Trachonen erwähnt
und nach diesen „unzugängliche Berge nach den Gebieten der Araber und
Ituräer hin". Die Reihenfolge der Aufzählung scheint auf den Hauran zu
deuten. In der That wird dieser wenigstens mit gemeint sein. Aber wie die
Sache zu verstehen ist, ergiebt sich aus einer Vergleichung der darauf folgen-
den Worte Strabo's mit Joseph. Antt. XV, 10, 1—3. Strabo fährt nämlich fort,
dass in jenen Bergen sich gewaltige Höhlen befinden, welche den Räubern Zu-
flucht gewähren. Die von Zenodorus angeführten Räuberbanden seien aber
jetzt durch die Römer aufgelöst. Das sind zweifellos dieselben Verhältnisse,
welche auch Josephus Antt. XV, 10, 1—3 berührt. Aus dessen ausführlicherer
Darstellung sehen wir, dass das eigentliche Gebiet des Zenodorus die Gegend
von Panias war {Antt. XV, 10, 3), dass er aber mit den in Trachonitis und
Auraniti^ hausenden Räubern gemeinsame Sache machte (XV, 10, 1). Das Ge-
biet des Zenodorus (an den südlichen Abhängen des Libanon) ist nun, wie
unsere Darstellung zeigen wird, ein Stück von dem ehemaligen grösseren
ituräischeu Reiche. Wenn demnach Strabo sagt, dass jene höhlenreichen
Berge „nach den Gebieten der Araber und Ituräer hin" liegen {Tigoq xa 'Agoißoiv
fihQT] xal Twv 'hovQaicav), so meint er mit den fzigr] ^Irovgalwv augenschein-
licli das Land des Zenodonis. Es kann daher aus seinen Worten nicht ge-
schlossen werden, dass die Ituräer selbst im Hauran sassen.
19) Ramsay hat im Interesse seiner „südgalatischen" Hypothese über die
Adresse des Galaterbriefes behauptet, dass in der Stelle Act. 16, 6 t^v ^Qvyiav
xal r«}.azixrjv itögav die beiden Landschaftsnamen adjectivisch zu nehmen
seien und nicht zwei Landschaften, sondern nur eine, die phrygisch-galatische,
bezeichnen. Als ihm dann von Chase ausser Anderem auch Lite. 3, 1 ent-
gegengehalten Nvurde (r)7C 'hovQalag xal TgoxiovltiSog x^9"?)f ^**' ^^ ^"^^
diese Stelle nach derselben Methode ausgelegt, so dass also das „ituräische"
und „trachonitische" Land identisch wären. Dabei macht er mir Vorhaltungen,
weil ich „Ituräa" als Landschaftsname gebrauche, während die Quellen nur
von 'IiovQuZoi sprechen. Letzteres ist richtig, aber auch von mir fast durch-
gängig beobachtet (übrigens ist Appian. Civ. V, 7 t^v ^rovgalav von der besten
Handschriftenclasse geboten; die beiden anderen haben xr}v rovpaicova, s.
Mendelssohn's Ausg. ; da Appian. Mithridut. 106 t^v 'löovfialwv xal 'Irovgalatv
vorkommt, so ist allerdings Civ. V, 7 vielleicht t^v ^rovgalwv zu lesen. Sicher
ist Jos. Antt. Xin, 11, 3 nicht ^Izovgaiav sondern "Irovgaiovg zu lesen). Na-
türlich ist diese Subtilität nicht von Belang. Wichtig ist nur die Frage, wo
die Ituräer in der hier in Betracht kommenden Zeit ihre Wohnsitze
hatten? Und da hat nun auch Ramsay keinen Beweis dafür beigebracht,
dass auch Trachonitis von „Ituräern" bewohnt war, geschweige denn, dass sie
ausschliesslich dort gesessen hätten. Nur die Ansicht von G. A. Smith ist
möglich, dass ihre Wohnsitze bis in die Nachbarschaft von Trachonitis sich
erstreckten. Vgl. die Auseinandersetzungen von Chase, Ramsay u. G. A.
Smith im Expos itor, fourth series, t-o/.VIII— IX, 1893—1894; auch G. A. Smith,
Historiml Oeograpky p. 544—547, Hostings' Dictiotiary II, 521 sj. Zöckler,
Theol. Stud. und Krit. 1895, S. 70 f. Sejourne, Revue biblique VI, 1898, p. 277
—279 (setzt p. 279 die Ituräer « c6te de la Damascene, vers l'ouest, sur l'anii-
lAban).
712 Beilage I: Geschichte von Chalcis, Ituräa und Abilene. [596. 597]
In den letzten Decennien vor der Ankunft des Ponipejus ge-
hörten die Ituräer zu einem ansehnlichen Staatswesen, dessen Be-
hen'scher Ptolemäus Sohn des Mennäus war {IlToXsfmiog 6
M£pvaiov)\ denn dessen Reich umfasste nach der ersten Stelle
Strabo's (XVI, 2, 10 p. 753) eben das „Bergland der Ituräer" und
die Ebene „Massyas" mit der Hauptstadt Chalcis^^). Die Ebene]
Massyas geht nördlich bis Laodicea am Libanon^'), Aber Ptole-
mäus scheint ähnlich wie Alexander Jannäus auch nach allen Seiten
hin erobernd aufgetreten zu sein. Sein Gebiet (denn von ihm gilt,
was Strabo XVI, 2, 18 p. 755 von den Bewohnern des Libanon
sagt) erstreckte sich im Westen bis an's Meer. Botrys und Theu-
prosopon {6eov jtqoocojcov) gehörten ihm. Byblus und Berytus
wurden von ihm bedroht. Im Osten hatten die Damascener von
ihm zu leiden22). Im Süden gehörte ihm noch die Gegend von
Panias, wie man aus der Geschichte des Zenodorus schliessen
darf {Jos. Äntt. XV, 10, 1—3, vgl. dazu unten S. 714 f.). Ja zur Zeit
des jüdischen Königs Aristobul I scheint das Reich der Ituräer
auch Galiläa umfasst zu haben (s. oben S. 275 f.). Jedenfalls waren
die Ituräer damals Grenznachbaren der Juden. Wir haben also
eine Staatenbildung ganz ähnlicher Art vor uns, wie die gleichzeitig
erfolgte jüdische, nur dass Ptolemäus Mennäi in der Cultur noch
ein gutes Stück unter Alexander Jannäus stand.
Ptolemäus Mennäi regierte etwa von 85—40 vor Chr. Um
85 V. Chr. riefen die Damascener aus Furcht vor ihm den Araber-
könig Aretas herbei {AntL XIII, 15, 2. Bell. Jud. I, 4, 8). Um 70
20) Auch Josephus nennt Chalcis am Libanon als Hauptstadt des Ptole-
mäus {Antt. XIV, 7, 4: övvaaxevwv XaXxlöoq r^g vno x<ä Atßävtp oqsi. Bell.
Jud. I, 9, 2: oq ixQdxsi ZTJg vno xiö Atßdvo) XuXxlöoq). Es lag, nach der
Marschroute des Pom pejus Antt. XIV, 3, 2, südlich von Heliopolis. Vgl. auch:
Robinson, Neuere biblisclie Forschungen in Palästinji S. 647 f. Ritter,
Erdkunde XVII, 1, S. 186 ft. Furrer, Zeitschr. des deuttsclien Palästinn-
Vereins VIII, 1885, 8.35. Benzinger in Pauly-Wissowa's Real-Eiic. s.v. —
Nicht zu verwechseln ist hiermit ein anderes Chalcis in Syrien, von welchem
die Landschaft Chalcidice ihren Namen hat. Dieses lag viel weiter nördlich,
nach dem Itinerarmm Antonini nur 18 mü. pass. südlich von Berön {Vetera
Romanorum itineraria ed. Wesseling p. 193 sq.). Plinius H. N. V, 23, 81 nennt
e« Ohalcidem cognominaiam ad Belum, vgl. auch V, 20, 89. Ueberhnupt:
Ritter, Erdkunde XVII, 2, 1592 ff. Benzingor a. a. 0. — Uoher beide
BtAdte: Noris, Annnn et epochac p. 'iMl aqq. Marquardt, Rönusrhe Stimts-
▼erwaltung I, 400.
21) Strabo XVI, 2, is p. 766. -r- Laodicea am Libanon (nicht zu ver-
wechseln mit Laodicea am Meere) lag nach dem liincrnr. Antonini {cd. Wessc-
Hng p. 198) 18 mü. pata. BÜdlich von Emesa. Vgl. Pauly's Renl-Eiic IV,
763 f. Furrer, Zeitwjhr. d. DPV. VIII, 31.
22) Jos. Antt. XIII, 16, 3: o'c ßttQk ^v t? ndXn yelxwv.
[597. 598] Beilage I: Geschichte von Chalcis, Ituräa und Abilene. 713
V. Chr. unternahm Aristobiil, der Sohn der Königin Alexandra, einen
Zug nach Damascus, angeblicli um es gegen Ptolemäus zu schützen
[Antt XIII, 16, 3. Bell. Jiid. I, 5, 3). Als Pompejus kam, erkaufte
sich Ptolemäus von ihm Straflosigkeit durch Zahlung von tausend
Talenten {Antt. XIV, 3, 2). Doch zerstörte Pompejus die Burgen
im Libanon {Strabo XVI, 2, 18 ^;. 755) und hat ohne Zweifel auch
das Gebiet des Ptolemäus in ähnlicher Weise wie das jüdische ver-
kleinert"). Im J. 49 nahm Ptolemäus die Söhne und Töchter des
abgesetzten und eben damals von der pompejanischen Partei er-
mordeten jüdischen Königs Aristobul II bei sich auf {Antt. XIV,
7, 4. Bell. Jud. I, 9, 2). Im J. 42, als Cassius Syrien verlassen
hatte, unterstützte Ptolemäus den Antigonus, den Sohn Aristobul's,
bei dessen Bestreben, sich der Herrschaft in Judäa zu bemächtigen
{Antt. XIV, 12, 1). Ptolemäus starb zur Zeit des parthischen Ein-
falls 40 V. Chr. {Antt. XIV, 13, 3. Bell. Jud. I, 13, 1). — Da er
nirgends als „König" bezeichnet wird {Jos. Antt. XIV, 7, 4: övva-
örev(nv), so ist es möglich, dass die Münzen mit der meist un-
vollständigen Umschrift UroXefiaiov xBxgaQxov xal aQXisQ{tcog) ihm
gehören 2-*).
Auf Ptolemäus folgte sein Sohn Lysanias {Jos. Antt. XIV,
13, 3. Bell. Jud. I, 13, 1), der also das Eeich in demselben Um-
fang, in welchem es Pompejus seinem Vater gelassen hatte, besessen
haben wird. Dio Cassius nennt ihn „König der Ituräer" {Dio Cass.
XLIX, 32). Seine Eegierung fällt in die Zeit des Antonius, der
auch den Ituräern schwere Abgaben auferlegte {Appian. Civ. V, 7).
Auf Betrieb der Kleopatra liess Antonius den Lysanias im J. 34
(über die Zeitbestimmung s. oben S. 362—364) wegen angeblicher
Conspiration mit den Parthern hinrichten, nachdem er bereits im
J. 36 einen grossen Theil seines Landes der Kleopatra geschenkt
23) Auf die Unterwerfung des Ptolemäus beziehen sich die Notizen
über die Unterwerfung der Ituräer durch Pompejus bei Appian. Mithridat.
106. Eutrop. VI, 14. Qrosius VI, 6.
24) Eck hei, Doctr. Num. III, 2Q3sq. — Mionnet, Descripiion de medailles
V, 145. Suppl. VIII, 119. — Munter, De rebus Ituraeontm p. 37. — Lenor-
mant, Trisor de mimismatique p. 110 pl. LVI ti. 14. — Renan, Memoires de
l'Acad. des Inscr. XXVI, 2 p. G2. — De Saulcy, Wiener numismat. Monats-
hefte V, 1 S. 26—28. — Derselbe, Me langes de Ntmiismatique t. III, 1882,
p. 198 s^. (auf der hier mitgetheilten Münze ist zu lesen . . . Xfftai . . exQUQyi^o
aQxi). — Imhoof- Blumer, Porträtköpfe auf antiken Münzen, 1885, S. 44
(bestreitet, dass das Wort XttX.xiö auf den Münzen sich finde; um so mehr
bleibt, bei der Lückenhaftigkeit unserer Kenntnisse, die Möglichkeit offen,
dass die Münzen irgend einem uns unbekannten Ptolemäus gehören). —
Jlead, Historia Numorum (1887) p. 655. — Catalogue of the greek coins in thc
British Museum, Galatia Cappadocia and Syria (1899) p. 279*5.
714 Beilage I: Geschichte von Chalcis, Ituräa und Abilene. [598. 599]
hatte {Jos. Antt. XV, 4, 1. B. J. I, 22, 3. Dio Cass. XLIX, 32)25).
— Da Dio Cassius und Porphyrius ihn „König" nennen, so ist es
zweifelhaft, ob die Münzen mit der Aufschrift Avöavlov zFtQaQxov
xal aQxisQtcog ihm gehören, denn es hat auch einen oder mehrere
jüngere Fürsten dieses Namens gegeben^^). Allerdings gebrauchen
die Schriftsteller zuweilen den Titel ßaaiXsvg in ungenauer Weise
auch von Tetrarchen. |
Die weitere Geschichte des Landes lässt sich nicht mehr im
Zusammenhange verfolgen. Sicher ist aber, dass das einst ansehn-
liche Eeich des Ptolemäus und Lysanias allmählich immer mehr in
kleinere Gebiete zerstückelt wurde. Mit Bestimmtheit lassen sich
vier verschiedene Gebiete unterscheiden, welche alle aus
dem einstigen Reiche von Chalcis hervorgegangen sind.
1) Um das Jahr 23 v. Chr. (wegen der Chronologie s. oben S. 369)
erwähnt Josephus einen gewissen Zenodorus, welcher das ehe-
malige Besitzthum des Lysanias gepachtet hatte {Antt XV, 10, 1:
ifitfiio&coTO tov oixov rov Avöaviov, Bell. Jud. I, 20, 4: o rov Av-
oaviov ,u6fiio&co(itvog oixov). Dieser Zenodorus betheiligte sich an
den Räubereien in Trachonitis, um derentwillen Trachonitis damals
dem Machtbereich des Zenodorus entzogen und dem Herodes ver-
liehen wurde (Antt. XV, 10, 1—2. B. J. I, 20, 4)27). Drei Jahre
später, im J. 20 v. Chr., starb Zenodorus, worauf Augustus auch
sein Land, nämlich Ulatha und Panias, dem Herodes verlieh {Anit.
XV, 10, 3: t;}»» rovrov fiolgav ovx oXiyrjv ovöav . . . OvXa&av xal
Uavtdda xcd t7/v jttQi^ x^Q^^i vgl. Bell. Jud. I, 20, 4. Bio Cass.
LI\', 9: Zt]i>oöc6qov rivoq raxQaQxlavY^). Eine Schwierigkeit be-
25) Hierauf bezieht sich auch die Notiz des Porphyrius bei Eu^eb. Chrmi.
ed. Schocne I, 170: Tf) 6" hxxaidixazov [seil. Jahr der Klcopatra) wvOjMaa^)/ to
xal 7iQ<ürov, ^nstöt] rsXfvrrjaavrog Avaif^äxov r^g iv 2!vQl(t XakxiSoq ßaatXiioq
MuQxoi *Avx(ovioq o avxoxQäxwQ rt]v xe XaXxlöa xal xovq ntQl avxtjv xonovq
nagiSioxe ry Kk£onaxQu. — Statt Avatfiäxov ist, wie allgeuieiu anerkannt ist,
zu lesen Avaavlov.
20) S. die Münzen bei Mionnet Suppl. VI 11, 119 f. — Munter, De rebus
Jturficorum p. 38. — Lenormant, Trisor de numismatiquc p. 11(5 s</. pl. LVI
fi. 15 — 10, — Renan, Mimoires de VAcad. des Inscr. XXVJ, 2 p. (i2 sq. — De
Saitlcy, Wiener numiHmnt. Monatshefte V, 1, 8. 29. — Imhoof-Bluiner,
l'orträtköpfe 8. 44, Tafel VI, 18. — Ilead, Jlistoria Numorump. G55. — Catal.
oj the Brit. Mm, p. 280. — Für die Frage, ob unser LysaniaH den Titel Te-
trarch gefOhrt habe, kommt auch die in Anm. 80 niitgotlieiltc Inschrift in
Betracht.
27) Vgl. Strabo XVI, 2, 20p. 760: HatakvBivtwv vvvl xdiv negl ZtjvöSwqov
28) Ulatha ist dio Gegend am Merom- oder Bomechonitis-See, der noch
heute Hule-Be« beisat und wohl identisch ist mit dem in der rabbinischon
[59i). 000] Beilage I: Geschichte von Chalcis, Ituräa und Abilene. 715
steht hier insofern, als Zenodorus zunächst nur als Pächter des
ohoq Ävöaviov erwähnt wird, dann aber doch von einem eigenen
Lande, bei Dio Cassius einer „Tetrarchie" desselben die Rede ist,
welche Herodes erhielt. Man könnte geneigt sein, beides für ver-
schiedene Gebiete zu halten. Aber hiergegen spricht der Umstand,
dass Josephus ihn bei der ersten Erwähnung doch vor allem nach
seinem eigenen Lande bezeichnet hätte, wenn dies von dem ge-
pachteten verschieden gewesen wäre. Man wird also beide für
identisch zu halten haben. Dass die Gegend von Ulatha und Panias
ehedem zum Gebiet des Lysauias, d. h. zum ituräischen Reiche ge-
hört liat, ist ohnehin wahrscheinlich, da letzteres sich bis an die
Grenze des jüdischen erstreckte (s. oben S. 712) Es scheint also,
dass Zenodorus nach dem Tode des Lysanias ein Stück seines
Landes von Kleopatra in Pacht genommen hat und dass ihm dieses
„gepachtete" (tributpflichtige) Gebiet auch nach Kleopatra's Tode
mit dem Titel eines Tetrarchen geblieben ist-^^).
Auf einem Denkmal der Dynastie des Lysanias zu Heliopolis,
von dessen Inschrift sich freilich nur Bruchstücke erhalten haben,
wird ein „Zenodorus Sohn des Tetrarchen Lysanias" erwähnt^»).
Man versteht darunter fast allgemein unsern Zenodorus und hält
ihn demnach für einen Sohn des von Antonius hingerichteten Ly-
sanias. Wenn dies auch wegen der Bezeichnung des Lysanias als
„Tetrarchen" unsicher ist (s. oben S. 714), so ist doch ein genea-
logischer Zusammenhang beider Familien, in welchen sich die Namen
öfters wiederholt haben mögen, durch die Inschrift erwiesen. —
Als sicher darf gelten, dass die Münzen mit der Aufschrift Zrivo-
dcoQov Ter QUQxov xcä aQxi£Qi<oi unserem Zenodorus gehören''). Sie
Literatur erwähnten xribim st?:'^ {Neuhauer, La geographü du Talmud 1868
jj. 24, 27 sq. Kohut, Jeivish Quarterly Review IV, 1892, p. 690 sqq.).
29) Vgl. über Zenodorus auch: Prosopographia imperii Rotnani III,
493 f.
30) S. die Inschrift im Co}~p. Inser. Graee. n. 4523, bei de Saulcy, Voyage
autor de la mer morte, Atlas (1853) pl. LIII n. 5, Le Bas et Waddington,
Inscriptions grecques et latines t. III n. 1880, am correctesten bei Renan, Mission
de Phenicie p. 317 — 319, und mit ausführlichem Commentar in den Memoires
de rAcademie des Insc?: et BcUes-Lettres XXVI, 2, p. 70—79. — Die lesbaren
Stücke lauten, mit Renan's Ergänzungen:
.... d^vyäxTjQ Ztjvoöwqoj Avo[avlov T]eTQdQxov xal Ava[aviq]
.... [xal Tot]g vlolg fi[vi^/xi]]q z«V"' [svaeßdüg] ave^rjxev.
31) S. die Münzen bei Belley, Memoires de l'Academie des Inscr. et Belles-
Lettrcs, alte Serie t. XXVIII, 1761, p. 545—556. — Echhel, Doctr. Num. III,
496^(7. ~ Mionnet, Deseription de medailles V, 576. Suppl. VIII, 381. —
Munter, De rebus Ituraeornm p. 38 sq. — Renan, Mhnoires de l'Acad. XXVI,
2 p. 63. — De Saulcy, Wiener uumismat. Monatshefte V, 1 [1869] S. 29— 32.
716 Beilage I: Geschichte von Chalcis, Ituräa und Abilene. [600. 601]
haben angeblich die Jahreszahlen /LS; Bns, zn[i:\ d. h. 280, 282,
287 aer. Sei. oder 32, 30 und 25 vor Chr., was zu unseren Voraus-
setzungen stimmen würde ^^). Indessen sind diese Zahlen sehr zu
bezweifeln, denn von neueren Numismatikern ist nur das Datum
zn^Sl mit Sicherheit gelesen worden^^). Da diese Münzen zu-
gleich die Aufschrift NE KAI {v£og Kaloag) und den Kopf des
Octavian haben, so müssen sie nach 30 v. Chr. (Sturz der Kleo-
patra), aber vor 27 v. Chr. (Augustus-Titel) geprägt sein. Sie
setzen also eine Aera voraus, welche zwischen 117 und 114 vor
Chr. beginnt, d. h. in der Zeit, in welcher beim Zerfall des Seleu-
cidenreiches viele Städte und Fürsten sich unabhängig gemacht
haben.
Nach dem Tode Herodes' des Grossen ging ein Stück der ehe-
maligen Tetrarchie des Zenodorus auf Herodes' Sohn Philippus
über {Antt. XVII, 11, 4. BeU. Jud. II, 6, d)^^). Dieses Stück meint
wohl der Evangelist Lucas (3, 1), wenn er sagt, dass Philippus
auch über Ituräa (rtjg ^IrovQalac) geherrscht habe. — Die Te-
trarchie des Philippus erhielten später Agrippa I und Agrippall.
2) Eine andere Tetrarchie hat sich von dem ehemaligen ituräi-
schen Eeiche im Osten, in der Gegend von Abila am Libanon,
zwischen Chalcis und Damaskus, abgezweigt. Dieses Abila lagi
nach dem Itinerarium Antonini^^) und der Peutinger'schen Tafel
18 mil. pass. von Damaskus an der Strasse von da nach Heliopolis,
demnach an der Stelle des heutigen Dorfes Suk am Barada, wo
sich noch Reste einer alten Stadt befinden. Die Lage wird be-
stätigt durch einen Meilenstein, welcher zwei römische Meilen von
Suk gefunden wurde und die Aufschrift mü. pass. II trägt^*^). In
der Nähe ist in der Felswand eine Inschrift angebracht, auf welcher
Derselbe, Annuairc de la Sodete fran^aise de Numismatique et d' Archeologie
t. V (— Seconde Serie 1. 1) fasc. 3, 1879, p. 182 sq. [Münze mit dem Datum Zu].
— Madden, Coins of the Jewa (1881) p. 124. — Imhoof- Blumer, Porträt-
köpfe auf antiken Münzen, 1885, S. 44, Tafel VI, 19. — Head, Ilistoria Nti-
tnorum (1887) p. 663. — Cataloguc of the greek coins in the British Museum,
Qalatia Cappadocia and Syria (1899) p. 281.
32) Die Jahreszahl IIS — 280 Sei. oder 32 v. Chr. hält Mionnet für un-
volbtändig (Mionnct V, 676: cctle datc ne paroit pas enfiire). Es wäre uuH'alleiul,
wenn Zenodorus schon dauialH, als Kleopatra noch herrschte, den Titel „Tc-
trarch" angenommen hätte.
33) So von de Saulcy a. a. O. und von Wroth (Katalog des Britischen
Maiteum» a. a. 0.).
34) An «ler Stelle Bell. Jud. II, 0, 3 ist statt ^lü/aveiav zu lesen flaveidia,
noch Antt. XV, 10, .'J. XVII, 8, 1. Vgl. oben 8. 425 Anm. 2.
86) Vetera Uomnnoruin itineraria ed. Wcssclinf/ p. 198.
86) Oiermont-Oanneau, liecueü d'arrhiol. Orientale II, 35—43 ^-^ Revue
arehiol. troü. Strie t. 30, 1807, p. 234—242.
[601. 602] Beilage I: Geschichte von Chalcis, Ituräa und Abilene. 717
es lieisst, dass die Kaiser Marc Aurel und L. Verus viam fluminis
vi ahruptam interdso monte restituerunt .... inpendiis Ahilenorum'^').
Ebenfalls in der Nähe zeigt man das angebliche Grab des Abel
{Nehi Abel), offenbar eine Legendenbildung, die durch den Ortsnamen
Abel hervorgerufen ist. Die Identität von Abila mit Suk steht
also ausser Zweifel'^). Viel unsicherer ist die von manchen Numis-
matikern befürwortete Identificirung einer Stadt Leukas, von
welcher sich zahlreiche Münzen erhalten haben, mit unserem Abila.
Man beruft sich dafür auf eine Münze, auf welcher ausser den
Worten [Ä8vx]a6i(ov K)mv[6u(ov] auch der Name des Flusses Xqvoo-
Qoag zu lesen ist. Allerdings hat der Barada im Alterthum Chry-
sorrhoas geheissen, und es hat ausser Damaskus wohl keine an-
dere Stadt als Abila an ihm gelegen. Aber der Name Chry-
sorrhoas kommt auch sonst vor (s. z. B. die Inschrift der Gerasener
Bd. II S. 143); und überdies ist auf der fraglichen Münze die Be-
zeichnung der Stadt erst durch Ergänzung herzustellen 3^).
Unser Abila war vor der Zeit Caligula's die Hauptstadt einer
Tetrarchie, welche von Josephus öfters erwähnt wird. Beim Re-|
gierungsantritt Caligula's (37 nach Chr.) erhielt Agrippa I ausser
der Tetrarchie des Philippus auch „die Tetrarchie des Lysanias"
37) S. die Inschrift z. B. bei de Saulcy, Voijage mitottr de la mer morte,
Atlas (1853) pl. LI, Robinson, Neuere biblische Forschungen S. 625, de Sa ulcy,
Numismatiqtce de la Terre Sainte p. 20, LeBas et Waddington, Inscriptions
grecques et latines t. III n. 1874, Corp. Inscr. Lat. t. III «. 199. Facsimile bei
Lepsius, Denkmäler aus Aegypten und Aethiopien Bd. XII, Blatt 101, Inscr.
Lat, n. 64. — Die Inschrift lallt nach der Titulatur der beiden Kaiser in die
Jahre 163—165 n. Chr. (s. Waddington zu n. 1874 und Mommsen im Corp.
Itiscr. Lat.).
38) S. über Abila überhaupt: Reland, Palaestina p. b21 sqq. — Ritter,
Erdkunde XVII, 2, S. 1278 0*. — Porter, Five years in Damaseus (1855) I,
261 ft'. — Robinson, Neuere biblische Forschungen S. 623 — 631. — Sepp,
Jerusalem 2. Aufl. II, 393 fl'. — Bädeker-Socin, Palästina 3. Aufl. S. 339. —
Ebers und Guthe, Palästina I, 456 — 460. — Furrer, Zeitschr. des deutschen
Palästina- Vereins VIII, 1885, S. 40. — Geiz er in seiner Ausgabe des Geor-
gius Cyprius 1890, S. 186. — Vigouroux, Didionnaire de la Bible I. 50 s$.
39) S. über die Münzen: Belley, Mimoires de l'Acadhnie des Inscr. et
Belles-Lettres, alte Serie, t. XXXII, 1768, p. 695—706. — Eckhel, Doctr. Num.
III, 337 sq. — Mionnet, Descr. de mddailles V, 308—310. Suppl. VIII, 214—216.
— Musei Sanclementiani Numismata seleeta P. II lib. IV p. 239-242. —
Leake, Numismata Hellenica (1854) p. 76. — De Saulcy, Numismatique de
la Terre Sainte p. 20—29. — Gatalogue of the greek coins in the Brit. Mus.,
dal. Capp. and Syr. p. 296 sq. — Die Identificirung von Leukas und Abila isi
zuerst von Belley vorgeschlagen und namentlich von de Saulcy gebilligt
worden. Eckhel äussert sich zurückhaltend iquae aliud non sunt quam con-
jecturae probabiles). Gegen die Identität: Raillard, Wiener Numismatische
Zeitschr. Bd. 26, 1894, S. 1—4.
718 Beilage I: Geschichte von Chalcis, Ituräa und Abilene. [602. 603]
(Äntf. XVIII, 6, 10: zfjv Avoaviov xeTQaQxiav). Gemeint ist damit
die Tetrarchie von Abila. Denn als Claudius zur Regierung kam
(41 n. Chr.), bestätigte und vergrösserte dieser den Besitz Agrippa's,
indem er ihm nunmehr das ganze Reich seines Grossvaters Herodes
als angestammtes Erbe überwies und dazu noch 'JßUav rtjv Avoa-
viov xal ojtooa ev im ALßavcp ogsi {Äntt. XIX, 5, 1 ; vgl. Bell Jud.
II, 11, 5: ßaoü.üav rtjv Avoaviov xa^ovfitv?]v)*^). Nach dem Tode
Agrippa's I (44 n. Chr.) wurde sein Gebiet von römischen Procura-
toren verwaltet. Im J. 53 nach Chr. aber (im 13. Jahre des Clau-
dius) erhielt Agrippa II die ehemalige Tetrarchie des Philippus
sammt Abila, der Tetrarchie des Lysanias {Antt. XX, 7, 1: ovv
'AßiXa [Niese ^Aße?.Xa], AvOavia öh avz?] kyeyovei xexQaQxia, vgl.
Bell. Jud. II, 12, 8: rrjv rs Avoaviov ßaoiksiav).
Aus diesen Stellen sehen wir, dass die Tetrarchie von Abila
vor dem Jahre 37 nach Chr. einem gewissen Lysanias gehört
hatte^^). Da nun Josephus früher keinen anderen Lysanias er-
wähnt, als den Zeitgenossen des Antonius und der Kleopatra (40 bis
36 vor Chr.), so hat die theologische Kritik vielfach gemeint, dass
es inzwischen auch keinen anderen gegeben habe, und dass die Te-
trarchie Abilene eben von jenem älteren Lysanias ihren Namen
habe. Das ist aber unmöglich. Lysanias I hat das ituräische
Reich in demselben Umfang besessen wie sein Vater Ptolemäus.
Dessen Hauptstadt war Chalcis (vgl. besonders auch die Stelle
aus Porphyrius, oben S. 714). Das Gebiet von Abila hat zwar dazu
gehört; denn das Reich des Ptolemäus grenzte an das Gebiet von
Damaskus, Aber es hat sicher nur ein kleines Stück jenes ansehn-
lichen, fast den ganzen Libanon umfassenden Reiches gebildet. Un-
möglich konnte also das Gebiet von Abila als „die Tetrarchie des
Lysanias" bezeichnet werden. Es darf vielmehr als sicher ange-
nommen werden, dass inzwischen das abilenische Gebiet vom Reiche
von Chalcis abgetrennt und von einem Jüngern Lysanias als Te-
trarchen verwaltet worden war.
Die Existenz eines jüngeren Lysanias wird auch bewiesen
durch folgende bei Abila gefundene Inschrift^^j; |
yjtt(^t t7j^ xöjv xvqIojv 2£\ßaOTd)v]
ocortjoiiCi: x(cl rov ov(i[jcavTog\
40) Ea handelt sich hier in Betrefl' Abila'» nicht um eine neue Schenkung,
■oodeni nur um eine Bostfitigung der Schenkun^^ Caliguia'H.
41) Die Bexeicbnung als ßaatktla Bell. Jtul. U, 11, 5 und 12, 8 int ofronbar
ungenau.
42) Corp, Jtuor. Oraee. n. 4521 (vgl. Addenda p, 1174) — Renan, Mimoircs
de FAead. de» Iruor. et BelUe-Lätres i. XXVI, 2, p. (37.
[603 j Beilage I: Geschichte von Chalcis, Ituräa und Abilene. 719
avTcöv oLxov, Nvf/xpalog ....
Avoaviov reTQaQXOV ajceXelvd^SQog]
rrjv oöov xtiöag x. x. X.
Da an der Richtigkeit der Ergänzung ^e[ßaorööv] nicht zu
zweifeln ist, so kann die Inschrift nicht früher als zur Zeit des
Tiberius gesetzt sein. Denn mehrere Augusti hat es früher nie
gegeben. Die ersten gleichzeitigen Zkßaozoi sind Tiberius und
seine Mutter Livia, welche seit dem Tode des Augustus auf
Grund letztwilliger Verfügung desselben den 'YiitX Äugusta führte* ä).
Zur Zeit des Tiberius, also mindestens fünfzig Jahre nach dem
Tode des Lysanias I, wird aber ein Freigelassener desselben
schwerlich noch eine Strasse gebaut und einen Tempel errichtet
haben, wie auf der Inschrift gesagt wird. Ohne Zweifel ist Nym-
phäus der Freigelassene eines jüngeren Tetrarchen Lysanias.
— Auch die oben S. 715 mitgetheilte Inschrift von Heliopolis
macht es wahrscheinlich, dass es mehrere Fürsten Namens Lysanias
gegeben hat. — Wenn also der Evangelist Lucas (3, 1) vor-
aussetzt, dass im fünfzehnten Jahre des Tiberius ein Lysanias
Tetrarch von Abilene gewesen ist, so wird das seine volle Richtig-
keit haben-*^). |
43) Tacit. Amial. I, 8: Livia in familiam Julmm nomenqne Augusfiivi ad-
sumebatur. Tiberius und Livia (Julia) als Sfßaaxoi auch auf einer palästi-
nensischen Münze [Eckhel, Doctr. Num. III, 497) ; doch ist freilich deren Lesung
zweifelhaft [Madden, Coins of the Jetvs p. 180). — Für obiges ürtheil auch:
Corp. Inscr. Graec. t. III p. 1174 {Addenda zu n. 4521). Renan, Memoires
p. {38 sq. (mit Berufting auf Renier und Waddington). — Wieseler, Beiträge
zur richtigen Würdigung der Evangelien S. 191 hält die beiden Ssßaaroi für
Augustus und Tiberius, welch' letzterer schon in den letzten Jahren des Augustus
auch den Titel Seßaaroq geführt habe. Dies widerspricht aber allem, was wir
sonst wissen, und ist durch das unsichere Datum der Münzen, auf welche sich
Wieseler S. 190 beruft, nicht zu erweisen. Vgl. gegen Wieseler's Meinung:
Mommsen, Eömisches Staatsrecht II, 2 (1. Aufl. 1875) S. 731—733. 772 f.
1064 ff'.
44) Ueber die Existenz dieses jüngeren Lysanias (und überhaupt über
Luc. 3, 1) s. pro und contra, ausser der oben S. 707 genannten Literatur, auch
noch: Frid. Oott. Süskind, Symbolue ad illustr. quaedam ecangeliorum loca
(in: Sylloije commmtt. ed. Pott vol. VIII, 1807, p. 90—99). — Schnecken-
burger, Üeber Luc. 3, 1 (Theol. Stud. und Krit. 1833, S. 1056 fl'.). — Süskind
(Sohn des obigen). Einige Bemerkungen zu den Worten u. s. w. Luc. 3, 1
(Theol. Stud. und Krit. 1836, S. 431-448). — Strauss, Leben Jesu I (4. Aufl.
1840) S. 841 ff. — Hug, Gutachten über das Leben Jesu von Strauss, 1840,
S. 119—123. — Wieseler, Chronologische Synopse (1843) S. 174—183. —
Ebrard, Wissenschaftliche Kritik der evangel. Geschichte (3. Aufl. 1868)
S. 234—239. — Lichtenstein, Lebensgesch. des Herrn Jesu Christi (1856)
S. 130 — 136. — Win er ßealwörterbuch Art. „Abilene". — Kneuckerin
Schenkel's Bibellexikon I, 26— 28 (Art. „Abilene"). — Sevin, Chronologie des
720 Beilage I: Geschichte von Chalcis, Ituräa und Abilene. [604]
Die Tetrarchie des Lysanias ist im Besitze Agrippa's II wohl
bis zu dessen Tode (100 n. Chr.) geblieben. Der Name des Lysa-
nias haftete aber noch lange an dem Orte. Noch bei Ptolemaeus
V, 15, 22 heisst Abila "AßiXa sjcixkrjO^elöa AvOaviov, vermuthlich
weil Lysanias nicht nur einstiger Besitzer, sondern Neugründer
der Stadt war (vgl. Cäsarea Philippi).
3) Die Gebiete des Zenodorus und Lysanias lagen an der Peri-
pherie des ehemaligen ituräischen Eeiches. Gegen die eigentlichen
Ituräer unternahm zur Zeit des Quirinius dessen Unterfeldherr
Q. Aemilius Secundus eine kriegerische Expedition, wie er uns
selbst auf einer Inschrift berichtet {missu Quirini adversus Ituraeos
in Lihano monte castellum eorum cepi)*^). Vielleicht hat eben da-
mals eine Zerstückelung des ituräischen Reiches stattgefunden.
Jedenfalls haben zur Zeit des Claudius ein Königreich Chalcis
und ein ituräisches Reich neben einander bestanden. Im
J. 38 nach Chr. verlieh Caligula einem gewissen Soemus die Herr-
schaft über die Ituräer {Dio Cass. LIX, 12: 2oa'incp t7]v rvöv'lrv-
Qtticov rmv ^Agaßatv . . .sxaQioaToY^). Dieser Soemus starb im J.
49 n. Chr., worauf sein Land der Provinz Syrien einverleibt wurde
{Tacit. Annal. XII, 23: Ituraeique et Judaei defunctis regibus Sohaemo
atque Agripj^a provinciae Sunae additi). Zu gleicher Zeit hat aber
in Chalcis ein Herodes regiert, so dass jetzt das einstige Reich
des Ptolemäus und Lysanias in mindestens vier Gebiete zertheilt
war. Das Reich des Soemus hat vermuthlich die nördlicheren
Theile (etwa von Heliopolis bis Laodicea am Libanon) umfasst"*').
Als beim Tode des Soemus dessen Gebiet eingezogen wurde,
scheint sein Sohn Varus (oder Noarus, wie er B. J. II, 18, 6
heisst)*^) mit einem kleinen Stücke abgefunden worden zu sein,
das er freilich auch nur bis zum J. 53 n. (^hr. behielt. In diesem
Lebens Jesu (2. Aufl. 1874) S. 106—112. — Keim, Leben Jesu I, 618 f. Der-
selbe, Au8 dem Urchristenthum (1868) 8. 9—13. — Bleek, Synoptisclie Er-
klärung der drei ersten EvHiigelien I, 18G2, 8.154 — 157. — Krenkel, Josephus
und Lucas (1894) S. 95 i\'. l-)ie Commentare zum Neuen Testamente von Meyer,
Holtzmann (Handkouimcutar) und Anderen (zu Luc. 3, 1).
45) Kphemeria epiffraphica vol. IV, 1881, p. 538 <-■ Oorp. Inscr, Lat. t. MI
Suppl. n. 6687.
46) Der Name Soemus findet sich auch bei der Dynastie von Emesa.
Ein Iturfier Soemu« zur Zeit Herodes' des GroHson: And. XV, 6, 5; 7, 1—4.
47) Die Stadt Heliopolis kann nicht diizu geliört haben, da sie seit
AugUHtuH römische Oolonio war (Marquardt, Römische Staatsverwaltung I,
1881, H. 428).
48) Uebcr den Namen Noarus s. Oorp. Inscr. Oraec. n. 4595. 8652.
lienan, Mifuioii de PMnioic p. 146. 109. Waddint/lon , Inaeriptions n. 2114
'NouIqov), 2412»» (iVo/lpov).
{604. 605] Beilage I: Geschichte von Chalcis, Ituräa und Abilene. 721
Jahre verlieh nämlich Claudius dem Agrippa II ausser den Te-
trarchien des Philippus und Lysanias auch r?jv OvaQov ytpo/itprjv
xiTQac>Xlav (so, nicht hJtaf^r/Jav, ist Bell. Jitd. II, 12, 8 zu lesen;
über die Zeit: Antt. XX, 7, 1). Dieser Xanis war | aber nach Jos.
Vita 11 wahrscheinlich ein Sohn des im J. 49 verstorbenen Soemus
{Ovä(>og ßaOi?uxov yivovq, ixyovog ^ot'fiöv rov jttQl xov Aißavov
xt TQaQxovpxog) * ^j .
Nach der Verbindung des ituräischen Gebietes mit der Provinz
Syrien haben dort regelmässige römische Truppenaushebungen statt-
gefunden. Wir linden ituräische alae und cohortes seit den
letzten Decennieii des ersten Jahrhunderts, einzelne auch schon
früher, in weit entfernten Provinzen des römischen Reiches'^"). |
49) Die Identität des au der letzteren Stelle erwähnten Soemus mit dem
im J. 49 verstorbenen ist allerdings nicht ganz sicher, da es zur Zeit des Nero
und Vespasian auch einen Soemus von Emesa gegeben hat {Jos. Ätitt.XX,
8, 4. Bell. Jml. II, 18, 9. III, 4, 2. VII, 7, 1. Tacä. Hist. II, 81. V, 1). Für
die Beziehung auf letzteren könnte das Präsens xeTQOQXOvvTo:; geltend gemacht
werden. Allein dieses grammatische Argument ist nicht entscheidend (vgl.
Winer's Granunatik § 45, 7); und den König von Emesa würde Josephus nicht
als xov TteQt xov Aißavov xexQaQ/ovvta bezeichnet haben; namentlich nicht,
wenn er zugleich auch das weit entfernte, jenseits des Euphrat nördlich von
Edessa liegende Sophene beherrschte, wie mau nach Tacit. Antial. XIII, 7
wohl annehmen muss. — Krenkel (Josephus und Lucas S. 93) macht für die
Identität des Vita 11 erwähnten Soemus mit dem Könige von Emesa nament-
lich geltend, dass Josephus nur diesen, nicht aber den aus Dio Cassius und
Tacitus bekannten Beherrscher der Ituräer, auch sonst erwähne. Dieses Ar-
gument will aber nichts besagen, da Josephus keinen Anlass hatte, die Ver-
schiedenheit beider, an verschiedenen Orten erwähnten Herrscher hervorzu-
heben. — Vgl. über die verschiedenen Soltaemi auch Prosopofjr. imi>crii
Romani III, 251.
50) Die Inschriften geben hierüber folgende Daten (vgl. das Verzeichniss
von Mommsen, Ephemer is cpifjrap/tica vol. V, 1884, //. 194, und bes. Cicho-
rius in Pauly-Wissowa's Real-Enc. I, 1250 [Art. ala] und IV, 305—307 [Art.
cohors]).
Die ala I Aiigusta Ituraeorum stand im Jahr 98 nach Chr. in Pan-
nonien {Corp. Inser. Lat. t. III p. 862, Diplom. XIX), im Jahr 110 nach Chr.
in Dacien {CIL. t. III p. 868, Dipl. XXV), im J. 167 wieder in Pannonien
{CIL. t. III p. 888, Dipl. XL VI). — Vgl. auch Corp. Inser. Lat t. III, ii. 1382.
3446. 3677. 4367. 4368. 4371. Corp. Inser. Rhenan. ed. Brambaeh n. 2003. —
Eine Weiheinschrift für den Jupiter von Heliopolis, gewidmet von einer rexil-
latio alae Ituraeorum, also einem abcommandirten Detachement dieser ala,
findet sich zu Rom {Corp. Inser, Lat. t. VI n. 421).
Die cohors I Auyusta Ituraeorum stand im Jahr 80 nach Chr. in
Pannonien {Corp. Inser. Lat. t. III p. 854, Diplom. XI), im Jahr 98 auch noch
in Pannonien {CIL. III p. 862, Dipl. XIX), im J. 110 in Dacien {CIL. III p. 868,
Dipl. XXV); ebendaselbst auch noch im J. 158 [CIL. III Suppl. p. 1989). —
Vgl. auch Corp. Inser. Rhenan. ed. Brambaeh n. 1099.
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 4(}
722 Beilage I: Geschichte von Chalcis, Ituräa uucl Abilene. [606]
4) Die Geschichte von Chalcis, dem Centrum des einstigen
ituräischen Eeiches, ist uns vom Tode der Kleopatra bis zum Re-
gierungsantritt des Claudius nicht bekannt. Der Kaiser Claudius
schenkte es bei seinem Regierungsantritt (41 n. Chr.) einem Enkel
Herodes' des Grossen, der ebenfalls Herodes hiess^'). Er war
ein Bruder Agrippa's T, also Sohn AristobuFs, des Sohnes Herodes'
des Grossen ^2).
Herodes von Chalcis hatte den Titel ßaciXevg und prätori-
schen Rang^^)^ _ yy -v^^^r zweimal verheirathet. Seine erste Ge-
Die eohors I Ituraeorum (verschieden von der vorigen) stand im J. HO
nach Chr. in Dacien {Corp. Inscr. Lat. t. III p. 868, Diplom. XXV). — Vgl.
auch Corp. Inscr. Rhenan. ed. Bravihach n. 1233. 1234. 1289. Xotitia cW/nitaUim
Occidentis XXVI, 16 [ed. Seeck p. 178).
Die eohors II Ituraeorum stand schon im J. 39 n. Chr., zur Zeit Cali-
gula's, in Syene an der Südgrenze von Oberägypten (Bevtie archeol. trois. Serie
t. XXVIII, 1896, p. 252 = Proceedimjs ofthe Society of Bihl. Archaeol. vol. XVIII,
1896, p. 108 sq. ; die hier ohne nähere Bezeichnung erwähnte coh. Itur. ist nach
dem Folgenden höchst wahrscheinlich die coh. II Iftir.). Unter den Besatzungs-
truppen von Oberägypten kommt sie auch vor auf einem Militärdiplom vom
J. 83 n. Chr. [Ephemeris epigr. vol. V, 1884, p. 612 s<^. == Corp. Insci: Lat. t.
III Stippl. p. 1902). Im J. 98 n. Chr. finden wir sie noch in Syene (Revue
archeol. l. c). Griechische Inschriften an den Tempeln zu Talmis, Pselchis
und Hiera-Sycaminus (sämmtlich an der Grenze von Oberägypten und Aethi-
opien) aus der Zeit des Hadrian und Antoninus Pius bezeugen, dass dort
Soldaten dieser Cohorte angebetet haben {Corp. Inscr. Oraec. n. 5050. 5081.
5110). — Später stand sie in Unterägypten {Notitia dignitatnm orientis XXVIII,
44 ed. Seeck p. 60). — Noch einiges Material s. bei Cichorius a. a. O.
Die eohors III Ituraeorum stand im Jahr 83 nach Chr. in Oberägypteu
(Ephemeris epigr. rot. V p. 612 s«;, = Corp. Inscr. Lat. t. III Su])pt. p. 1962).
Sie hatte vorübergehend auch den Wachdienst bei den Steinbrüchen von Pto-
lemais Hermiu {Saijce, Revue des ettules grecques t. I, 1888, /j. 311 — 317 = Ephe-
meris epigr. VII p. 427). — Vgl. auch Corp. Inscr. Lat. t. VIII n. 2394. 2395
U IX n. 1610.
Eine eohors VII Ituraearum wird augeblich erwähnt auf einer Inschrift an
der Memnonstatue bei Theben {Corp. Inscr. Lat. t. III n. 59). Man darf aber
vennuthen, dass dort statt VII zu lesen ist III.
Ein XnaQXOQ antiQriq *IroiQalwv (ohne Angabc der Nummer) kommt vor
auf einer Inschrift in l'hrygien (Mittheilungen des archüol. Instituts, Atheiiisclie
Ahth. Bd. XXII, 1897, S. 39 1.
Auf Entsendung ituräischcr Truppen nach Mösien bezieht sich vielleicht
diu fragmenturisi'hc IiiHchrift bei Le Ras et Waddington, Inscriptions grecques et
latinrs t. III n, 2120 (zu cl-llit, nördlich vom Hauran):
.... tjitXdov xov fli Moialtt ....
.... xov{falwv xid axQtiXTi ....
51) Anti. XIX, 5, 1. Ml. J,„l. II, II, 5.
&2) Antt. XVIII, 5, 4. 11 ./. I, 2H, 1.
53) AU ßuaiXtvi wird er stets von Josephus bezeichnet. Prätorischcn K.'inK
{orfar^yixffv ä^lutfia): Dio Caaa, LX, 8.
[606. 607] Beilage I: Geschichte von Chalcis, Ituräa und Abilene. 723
mahlin war Mariaiume, eine Enkelin Herodes des Grossen. Von
ihr erhielt er einen Sohn Aristobul ^^}, der sich mit Salome, der
Tochter der Herodias und Wittwe des Tetrarcheu Philippus, ver-
mählte und von Nero die Herrschaft über Kleinarmenien erhielt *5).
Die zweite Gemalilin des Herodes war Berenike, die Tochter
seines Bruders Agrippa, welche ihm dieser, nachdem ihr erster
Verlobter Marcus, ein Sohn des Alabarchen Alexander von Ale-
xandria, gestorben war, zur Ehe gab ^"). Von ihr erhielt er zwei
Söhne, Berenikianos und Hyrkanos").
Bei der Fürstenversammlung, welche einst von Agrippa I
nach Tiberias berufen, aber durch den römischen Statthalter Mar sus
so übel gestört wurde, finden wir auch unsern Herodes anwesend **^).
Nach dem Tode Agrippa's I (44 n. Chr.) erbat er sicli — und dies
ist der Punkt, um dessent willen er auch für die jüdische Geschichte
von Interesse ist — vom Kaiser die Oberaufsicht über den Tempelj
und den Tempelschatz, sowie das Recht, die Hohenpriester zu er-
nennen. Seine Bitte wurde ihm gewährt; und er machte auch durch
54) Änit. XVIII, 5, 4. XX, 5, 2. B. J. II, 11, 6.
55) Antt. XVIII, 5, 4. XX, 8, 4. B. J. II, 13, 2. Taeit Ann. XIII, 7.
XIV, 26. Ueber Münzen desAristobul und der Salome s. unten Anui. 64.
56) Antt. XIX, 5, 1. Man kann im Zweifel sein, ob Berenike mit Marcus
nur verlobt oder verheirathet war. Die Worte des Josephus lauten a. a. O.
(nachdem er von dem Alabarchen Alexander gesprochen hat): xal avxov vloq
BsQSvlxTjv vfjv hygimtov yaftel &vyav£Qa. xal xavrriv (itv {xsXevxü yag Müq-
xoq o xov 'AXe^GvÖQov vloq) nuQ&tvov kaßwv dösXtfiö xi5 avxov !4ypin7iag
'HQcööy ölöiuaiv, XaXxlöoq avxüi xijv ßaatXslav iivai aixTiaä/isvoQ naQcc Kkav-
öiov. Construirt man so, wie es hier durch die Klammern angedeutet ist, so
war Berenike mit Marcus nur verlobt. Dieser Autlassung folgt die lateinische
Uebersetzung der Ausgaben von Hudson, Havercamp, OberthOr; auch üsser,
in neuerer Zeit z. B. Ewald, Gesch. des Volkes Israel VI, 344 f. Gegen diese
Fassung hat schon der Engländer R. Ibbetsonin einer Anmerkung zu Hud-
son's Ausgabe (am Schluss des zweiten Bandes, Addenda zu p. 865, auch ab-
gedr. bei Havercamp, Anm. zu XIX, 5, 1) das vorhergehende yafiel geltend
gemacht. Er zieht daher nagd^hov Xaßtöv noch zur Parenthese. So auch
Dindorf, Bekker, Niese, Naber in ihren Ausgaben; auch Wilcken in Pauly-
Wissowa's Real-Enc. III, 287 (Art. Berenike). Bei dieser Auflassung ist aber
das nagB^svov Xaßmv gänzlich unmotivirt, während es bei der anderen einen
guten Sinn giebt. Es kommt dazu, dass Berenike beim Tode ihres Vaters
(44 n. Chr.) erst 16 Jahre alt war {Antt. XIX, 9, 1), also bei ihrer Heirath
mit Herodes von Chalcis, die etwa gleichzeitig mit seiner Ernennung zum
König, 41 n. Chr., zu setzen sein wird, etwa 13 Jahre, ifiine vorhergehende
Ehe ist doch recht unwahrscheinlich. Mir scheint also trotz des ya/xsl, das
nur von der beabsichtigten Ehe zu verstehen sein wird, die erste Auflassung
den Vorzug zu verdienen.
57) Antt. XX, 5, 2. B. J. II, 11, 6.
5Sj Antt. XIX, 8, 1. Vgl. oben S. 556.
46*
724 Beilage I: Geschichte von Chalcis, Ituräa und Abilene. [607]
mehrmalige Ab- und Einsetzung von Hohenpriestern von seinem
Rechte Gebrauch ^^).
Auf seinen Münzen nannte er sich ^iXoxXavöiog — eine natür-
liche Huldigung für den Kaiser, welchem er seine ganze Herrlich-
keit zu danken hatte '•'^). Ob eine Ehreninschrift der Athener für
einen '^Hgqjörjg Evotßi^q xcu ^u.oxaicaQ auf ihn zu beziehen ist, er-
scheint fraglich^'').
Er starb nach etwa siebenjähriger Regierung im 8. Jahre des
Claudius, 48 n. Chr. Sein Königreich erhielt, doch wahrscheinlich
erst etwas später, sein Neffe Agrippa IP-).
Agrippa blieb im Besitze von Chalcis nur bis zum Jahre 53
n. Chr., wo er gegen Herausgabe dieses Landes ein grösseres König-
reich erhielt '^^). Die Geschichte von Chalcis verschwindet damit
für uns wieder in der Dunkelheit. Zwar wird zur Zeit Yespasian"s
ein König Aristobul von Chalcidice erwähnt, der möglicher-
weise identisch ist mit dem Sohne des Herodes von Chalcis und
Könige von Kleinarmenien^^). Allein, auch wenn man dies zu-
59) Antt. XX, 1, 3. 5, 2. Vgl. Bd. II, S. 170.
6()) Die Münzen bei Echhel, Doctr. Niim. 111, A92. Mionnet, Description
de mcdaüles V, 569 sg-. Suppl. VIII, 380. Lenormant, Trisor de numis-
matiquc p. 127, pl. LX n. 8—10. Im hoof- Blumer, Porträtköpfe auf antiken
Münzen (1885), S. 44 Tafel VI, 20. — Unserem Herodes haben manche Nuniis-
matiker auch eine kleine Kupfermünze mit einem Adler und der Aufschrift
BaaiX. HgwS. zugeschrieben (so Cavedoni, Bibl. Numismatik II, 35, Levy,
Gesch. der jüd. Münzen S. 82, Madden, Histori/ of Jeinsli Coiiiagc p. 111 — 113).
Allein der Umstand, dass die Münzen in Jerusalem gefunden wurden, spricht
für die Beziehung auf Herodes den Grossen, und das Bild des Adlers ent-
scheidet nicht dagegen (so de Saulcy, Recherche^ sur la Kitmismatiqne jitdäique
;). 131, Wieseler, Beiträge zur richtigen Würdigung der Evangelien S. 86— 88,
Madden, Coins of thc Jews p. 114 [mit Zurücknahme seiner früheren Ansieht!).
Gl) Corp. Inacr. Attic. III, 1 n. 551 (zu Athen): fO 6]i\fJL0i \ßaai).]i:a ^Hqw-
itjv Evofß^ xal 4>i?.oxalaaQa [d]QerJjg i'vsxa xal evegysalaq. — Eine andere
Inschrift zu Athen iCorp. Iiiscr. Attic HI, 1 n. 550) ehrt in ähnlicher Weise
einen ßaaiUa 'HQifdrjv <Pi).OQWfiatov. — Wegen der verschiedenen Titulatur
wird man beide auf vcrst-hiedene Männer zu beziehen iiaben; und es sdieint,
nach dem sonst nachweisbaren Alter der Titel, am angcniessciisten, v. 550 auf
Herode« den Grossen, n. 551 auf Herodes von Chalcis zu beziehen. Sclnvicriir-
kciten macht aber, dass dieser sich auf Münzen 4'ikox).aiöioQ nennt.
62) Antt. XX, 5, 2. B. J. II, 11, 6. 12, 1.
63) Antt. XX, 7, 1. B. J. II. 12, 8.
64) Bell. .lud. VII, 7, 1: Tf/i fihv XnkxtAtxTiq Xfyofjii'vriq '.AQtatößovloq. —
Vgl. über Aristobul atich /'rosopot/ra/ifiin ivipnii It'oinani 1, 134. Eine
MQnze uUH der Zeit Ncro's mit der Aufschrifi l{aoihü)(; Ai>iaxoßov).ov ET H
(Jatirb), NfQwn K).ttr6i<u Kaiaaift ^fßaaxo) VfQfiavixo) giebt Cuviont {Uente
ffumiHTnatiquc, quatr. Sirie t. IV, lOüO, p. 484»«/.). Sic ist in Nikopolis in
Kleinarincnicn gelinden, aber in Syrien geprägt, wie die Stilverwandtschaft
bcwi'lnt. Eine Münze au« der Zeit Vespaaians mit der Aufschrift VAfaJ.fw^
[G07. 608] Beilage I: Geschichte von Chalcif, Ituräa und Abileue. 725
giebt, 1 ist es sehr fraglich, ob unter Chalcidice das Gebiet unseres
Chalcis ad Lihanum oder das Gebiet von Clialcis ad Belum zu ver-
stehen ist (über beide s. oben S. 712).
Die Stadt Chalcis hat nach den Münzen eine Aera vom J. 92
nach Chr., vielleicht dem Jahre ihrer Einverleibung in die Provinz
Syrien ^5). |
AgiaxoßovXov ET IZ (Jahr 17), Tix<a OveanaoiavcD AvioxituTogi Zeßaarco ist
mitgetheilt von de Saulcij [Melanges de Numismatique t. III, 1882, j\ 339—349)
lind Babelon [Revtte Numismatique, troisieme serie, t. I, 1883, p. 145, pl. IV
n. 9). Eine Münze des Aristobul und seiner Gemahlin Salome mit
der Aufschrift BaatXewg AgtaroßovXov, BaaiXiaatjg SaXoi/ATjg und den Porträt-
büsten Beider s. bei Imhoof-Blumer (Porträtköpfe S. 44, Tafel VI, 21—22)
und im Katalog der Sammlung Waddingtons (ßevue Numism., qiiatr. Serie
t. II, 1898, p. 019 n. 7280).
65) Noris, Annus et epoc/iae III, 9, 3 {ed. Lips. p. 3lß sqq.). Eckhel III,
264 S(?. Mionnet V, \A^sqq. Suppl. VIII, 115.«^*?.
Beilage II.
Geschichte der nabatäischen Könige.
o. Allgemeine Literatur:
Bei and, Palaestina p. 90 — 95.
Vincent, The Commerce and Natv/atmi of the Aneients in tJie Indian Ocean
{London 1807) ro/. II p. 273—276.
Quatremere, Mimoire »ur les Nabatcens (Nouveau Journal asmiiqiie t. XV,
1835, p. 5—55, 97—137, 209-240).
Eobinson, Palästina Bd. III (1842) S. 110—115.
Ri;tter, Erdkunde von Asien, Thl. XII (1846) S. 111-140.
Clcsf, Art. Nahataei in Pauly's Real-Encyclop. der class. Alterthumswissen-
schaft Bd. V (I848j S. 377—384.
Win er. Biblisches Realwörterb. Art. „Nabatäer".
The Nabateans and Professor Chicolson (Journal of Sacred Litcrature and Bibli-
cal Record, New Series vol. I, 1862, /). 103—115).
Kuhn, Die städtisclie und bürgerliche Verfassung des römischen Reichs Bd. II,
(1865), S. 165-169.
Nöldeke, Art. „Nabatäer" in Schenkel's Bibel-Lexikon Bd. IV (1872) S. 269f.
Grätz, Die Anfange der Nabatäerherrschaft (Monatsschr. für Gesch. und
Wissensch. des Judenth. 1875, S. 49—67).
Bchrader, Keilinschriften und Geschichtsforschung (1878) S. 99—116.
Kautzsch, Art. „Nabatäer" in Riehm's Handwörterb. des bibl. Altertums.
Marquardt, Römische Staatsverwaltung Bd. I (2. Aufl. 1881) S. 404 f. 431 f.
Clermont-Oannean, Lcs no77is royaiix nabatcens eniployes comme noms dt-
rins {Revue archeolof/iqne, trois. Serie t. V, 1885, p. 170—178, abgedr. in:
liecueil d^archiolof/ie Orientale t. I, 1888, p. 39—47).
Momnisen, Römische Gcscliichte Bd. V, 1885, S. 476 fl".
Wilckon, Art. „Aretas" in Pauly-Wissowa's Real-Enc. 11, 673 f.
Vincent, Les Nabatieus {Rente hiblique VII, 1898, p. 567-588).
Clermont-Oanncau, Les Nabatiens dans Ic pays de Moab {Recueil d'arcMol.
on'rntale II, 185—219).
Ve))€r den im Neuen Test. (II Kor. 11, 32) erwähnten Aretas s. bes. Jok. Oott-
lob Heyne, De cthnarcha Aretae Arahnm re^is, 2 Thle. Wittemb. 1755;
Anger, De tempornm in actis npostolornni rationc (1833) p. 173 — 182;
WieHcler, Clironologic «Ich apostol. ZcltalterH (1848) S. 167— 175, und die
Artikel über „Arcta«" in Wincr'w KWn.. Herzog's Real-Enc, Hastings'
Dictiotiarj/ of the Bibl, .
b. Münzen:
l'f I 'ii/ncs, Monnaics des Nal>at{'cn8{RevucNuviismnliq>ielS5S, p.2i)2— 310,
:;s.',, /,/, XIV, XV, XVI).
[610] Beilage II: Geschichte der nabatäischen Könige. 727
De Vof/üe, Momiaies des rois de Nabaiene [lievite Numismatiqice 1868, j). 153—168,
jtl. V), auch abgedr. in: Mflanyes d'anheologie Orientale, Paris 1868.
De Saulcy, Numismatique des rois Kabatheens de Petra {Annuaire de la So-
ciete franf-aise de Nwnismatique et d' Archeologie t. IV, 1, 1873, p. 1— 35j.
— Nachträge hierzu: \) Annuaire de la Societe fran^aise de Numisviatiqiie
et d' Archiologie t. V (= Seconde Serie 1. 1) fasc. 5, 1881, i>. 462 sq. (unleser-
liche Münze, vielleicht von Aretas und Sekailath). — 2) Melanies de Nu-
misnmtique t. III, 1882, p. 193 — 107 (eine Münze des Aretas und zwei des
SvUäus?).
Sorlin-Doriyny et Babelon, Monnaies Xabateennes inedites {Revue Numis-
matique, troisieme Serie, t. V, 1887, p. 369 — 377).
Einzelne nabatäische Münzen sind mitgetheilt worden von Levy (Numisinat.
Zeitschr. Bd. III, 1871, S. 445— 448) und Olshausen (Monatsberichte der
Berliner Akademie aus dem J. 1874, S. 185).
Griechische Aretas-Münzen bei Eckhel, Doctr. Num. III, 330, Mionnet ,■ De-
scription de medailles V, 284 sj., Visconti, Icotioyraphie yrecque t. II,
p. 444 s^. = Atlas pl. 48 n. 12. Lenormant, Tresor de Numismatique
j). 117 pl. LVI n. 17—19.
Eine lat. Münze des Scaurus, auf die Unterwerfung des Aretas bezüglich, bei
Echhel V, 131, Babelon, Monnaies de la republique romaine I, 120 «j.
c. Inschriften:
De Vogüe, Syrie centrale, Inscriptions sanifiqiies (Pam- 1868) ;>. 100 — 124. —
Vgl. Schröder, Zeitschr. der DMG. Bd. XXXV^II, 1884, S. 532 f.
Sachau, Eine nabatäische Inschrift aus Dmer (Zeitschr. der deutschen
morgenländ. Gesellsch. 1884, S. 535—542). — Hierzu: Clermont-Gan-
neuu, liecue critique 1885, Nr. 5, p. 88—92, und Nr. 9, p. llösq. Ders.,
Pccueil d^archiohHjie Orientale t. I, 1888, p. 48 — 74. De Vogüe, Comptes
rendiis de l'Academie des inscr. et belles-lettres 1885 [IV»»« serie, t. XIII]
;j. 45— 52. — Eine photographische Aufnahme der Stele giebt Clermont-
Ganneau, Album d'antiquites orientalcs livr. I, 1897, pl. XLII.
Douyhty, Documents epigraphiques reeueillis dans le nord de l'Ärabie, Paris
1S84.
Berg er, Nouvelles inscriptions nabateennes de Medäin Salih {Comptes rendus
de l'Academie des inscriptions et belles-lettres 1884 [IV»»« serie t. XII]
p. 377—393).
Ha levy, Inscriptiotis nabateennes {Eevue des etudes juives t. IX, 1884, p. 8 — 16)
[nur nach Doughty].
Neubauer, Chi some neicly-discovered Tenuniite and Nabataean inscriptions
{Studia Biblica, Oxford 1885, p. 209—232).
Euting, Nabatäische Inschriften aus Arabien, Berlin 1885 (hierin S. 81—89:
Gutschmid, Verzeichniss der nabatäischen Könige — die vollständigste
Zusammenstellung des Materiales). — Euting giebt grösstentheils dieselben
Inschriften wie Doughty und Berger, aber weit correct^r.
Eine nabatäische Inschrift aus Puteoli giebt Gildemeister (Zeitschr. der
DMG. 1869, S. 150-154, vgl. Levy ebeudas. S. 652—654, Nöldeke ebendas.
1884, S. 144, 654), eine andere ebendaher Renan {Journal asiatique Vlle
serie t. II, 1873, /). 366-382).
Eine Inschrift aus Sidon: Levy (Zeitschr. der DMG. 1869, S. 435—440).
728 Beilage II: Geschichte der nabatäischen Könige. [ÜlO. 611]
Eine Inschrift aus Medaba: Lagrange (Zeitschr. für Assyriologie Bd. V,
1890, S. 289—292) und Nöldeke (Zeitschr. für Assyriologie Bd. VI, 1891,
S. 149f.). Bemerkungen dazu: Glermont-Ganneau {Journal asiatique
VIII« Serie <. XVII, 1891, p. b^l sq.). Der Text auch bei Clermont-
Ganneau, Rectieü d'arch. Orient. II, 189.
Corpus Inscriptiomini Semiticartim, Pars secunda, Inscripiioncs Aramaicas
eo7?/t«e/?s, /a»?. I?2. 157— 348 (vollständigste Sammlung aller bisl893
bekannt gewordenen nabatäischen Inschriften).
Ueber die nabatäischen Inschriften von Petra, welche erst diirch Lagrai^ge
vollständiger erforscht worden sind, s. unten Anm. 7. — Unter denselben
ist für die Geschichte der königlichen Dynastie von besonderem Interesse
die Inschrift auf der Statue des „Gottes Obodas", auf welcher sechs
Söhne (oder Söhne und Töchter?) des Königs Ar et as IV erwähnt werden
{De Vof/ile, Journal asiatique IX.« serie, t.X, 1897, p. IQ9 sqq. Nr. 354 [mit
Tafel] und nach besserer Copie ebendas. t. XI, 1898, p. 132 sqq., dazu
Glermont-Ganneau ibid. f. X, 1897, p. 5lS—ö2l = Recuei/ d'arch. or. II,
366—369. Ders., Journal asiat. XI, 1898, p. 523—533 = Becueil II, 370
—379).
Dussaud et Macler, Voijaye archeologique au Safä et dans le Djebel-ed-Drüx,
Paris 1901 [hierin auch nabatäische Inschriften aus der Hauran-Gegeud,
darunter S. 168 und 187 zwei aus dem 23. u. 26. Jahre des Königs Rabel].
Vgl. dazu Clermont-Qanneau, Recueil d'archeol. orient. IV, 169—184.
Ausser dem syrischen Reiche im Norden und dem ägyptischen
im Süden hatte Palästina in der griecliisch-rümischen Zeit noch
einen dritten mächtigen Nachbar: das nabatäische Reich im
Süden und Osten. Die Geschichte dieses Reiches lässt sicli jetzt
einigerraassen imZusammenliang überblicken, seitdem die zerstreuten
Nachrichten der Schriftsteller, namentlich des Josephus, ergänzt
worden sind durch ein reichhaltiges Material an IVIünzen und In-
schriften. Die Keimtniss der ]Münzen ist ersclilossen worden durch
den Duo de Luynes (1858), de Vogüe (1868) und de Saulcyl
(1873); die der Inschriften durch de Vogü6(18(j8), Doughty (1884),
Berger (welcher 1884 die Materialien des als Opfer seines Berufe.s
gefallenen Forschungsreisenden Hub er publicirt hat) und Euting
(1885). Die Inschriften de A'ogüe's gehfiren der Hauran-Gegend,
also dem Norden des Nabatäerreiches an ; die von Douglity, Berger
und Kuting publicirten finden sich gi-össtentheils zu el-Hegr (= Me-
dain Salih), einem dej* südlich.sten Punkte d»^s nabatäisclien Reiches.
Die letzteren sind besonders zahlreich und wichtig, da sie fast
sämnitlich nach Regienmgsjahren der nabatäischen Könige (des
Aretan und Malchus) datirt sind. Ihre sichere; Lesung ist erst durch
die sorgfllltigen ( 'opien Eutings crmüglicht worden. Letzterer liat
auch die Bedeutung einiger nabatäischen Zalilzeichen richtiger fest-
geHtellt und dadurch in Betreff der Data einzelne (^orrecturen zu
den früheren Lesungen der Münzen und Inschriften gegeben. Alle
bis 1893 bekannten Inschriften sind gesammelt im Corpus inscrip-
[611. G12] Beilage IL Geschichte der nabatäischen Könige. 729
tionuin Semiticarum, Pars secunda t. 1. Neue Inschriften aus Petra
hat namentlich de Vogüe nach Copien von Lagrange bekannt
gemacht (1896 — 1898), einige aus der Hauran-Gegend Dnssaud
und Macler (1901). Das bis 1885 bekannte Material aus den
Schriftstellern, Münzen und Inschriften hat Gutschmid in einem
Excurs des Euting'schen Werkes zusammengestellt. An seine sach-
kundige Arbeit schliesst sich die folgende Uebersicht an.
Ueber das Volk der Nabatäer (Naßazaioi 11:2:) wissen wir so
wenig, dass nicht einmal ihre Nationalität sicher steht*). Die
Sprache der Münzen und Inschriften, welche ausnahmslos die ara-
mäische ist, scheint die Ansicht Quatremere's zu bestätigen, dass
sie Aramäer waren. Andererseits werden sie von den Schriftstellern
stets als Araber bezeichnet, und zwar nicht nur von fernstehenden
Schriftstellern, sondern auch von solchen wie Josephus, dem doch
der Unterschied zwischen Syrern und Arabern bekannt und ge-
läufig sein musste. Dazu kommt, dass auch die Namen auf den
Jnschriften durchweg arabische sind. Es ist daher die hauptsäch-
lich von Nöldeke vertretene Ansicht mit Recht durchgedrungen,
dass sie Araber waren, die aber, weil das Arabische noch nicht als
Schriftsprache ausgebildet war, sich zu schriftlichen Zwecken des
Aramäischen als der damaligen Cultursprache bedienten^).
Ueber die Geschichte der Nabatäer vor der hellenistischen Zeit
ist so gut wie nichts bekannt. Ihre Identität mit den n'T^a:, welclie
Gen. 25, 13; 28, 9; 36, 3; I Chrofi. 1, 29; Jes. 60, 7 als arabischer
Stamm erwähnt werden, ist zwar wahrscheinlich, aber nicht ganz
sicher''). \ Auch die Keilinschriften geben nicht viel Aufschluss*).
Eine annähernd zusammenhängende Kunde über die Nabatäer
1) Die angeblich altaraniäisehe „nabatäische Landwirthschaft", welche der
arabische Schriftsteller Ihn Wahshijjah in's Arabische übersetzt haben will,
ist eine Fälschung des letzteren selbst, wie Gutschmid gegen Chwolson
nachgewiesen hat. S. dessen Abhandlung „Die nabatäische Landwirthschaft
und ihre Geschwister" (Zeitechr. der DMG. 1860, S. 1—110 = Gutschmid,
Kleine Schriften Bd. II, S. 568-716).
2) S. Nöldeke, Zeitschr. der deutschen morgenländ. Gesellsch. Bd. XVII,
1863, S. 703 m XXV, 1871, S. 122 ff.
3) Die Identität wird, wie es scheint, schon von Josephus vorausgesetzt
[Antt. I, 12, 4). Ihm folgen Hieronymus {Qiiaest. in Genes. 25, 13, opp. ed. Val-
larsi III, 345) und die meisten Neueren. S. ausser der oben genannten Lite-
ratur auch die Commentare zu Gen. 25, 13. Schwierigkeiten macht nur, dass
die XeUijotk mit r, die Nabatäer mit a geschrieben werden (auf Münzen und
Inschriften constant ian3). Der Plural ni^s ist aus Sing, rz: entstanden, wie
rr:^ Xeh. 12, 47. 13, 10 aus rsis, .-i>i;n aus rr.n und dgl. S. G. Hoff mann,
Ueber einige phönikische Inschriften (Äbh. der Göttinger Gesellsch. der Wis-
sensch. Bd. 36, 1889—1890) S. 40.
4) S. Schrader, Keilinschriften und Geschichtsforschung (1878) S. 99—116.
730 Beilage II: Geschichte der nabatäischen Könige, [612]
haben wir erst seit Beginn der hellenistischen Zeit. Wir finden
sie jetzt da, wo früher die Edouiiter gesessen hatten, zwischen
dem todten Meere und dem älanitischen Meerbusen, in der Gegend
\on Petra, dem alten 5>bi5 der Edomiter^). Als Antigonus im
J. 312 V. Chr. den Ptolemäus Lagi aus Cölesyrien verdrängt hatte,
sandte er seinen Feldherrn Athenäus mit 4000 Fusssoldaten und
600 Keltern gegen die Nabatäer. Athenäus überrumpelte ihre
Festung Petra und machte dort grosse Beute. Infolge seiner
eigenen Sorglosigkeit wurde aber sein Heer bald darauf durch
einen nächtlichen üeberfall der Nabatäer fast gänzlich aufgerieben;
nur fünfzig Reiter, und auch diese meist verwundet, sollen ent-
kommen sein. Antigonus sandte darauf seinen Sohn Demetrius
mit einem neuen Heere gegen die Nabatäer. Aber auch Deme-
trius errang keinen entscheidenden Erfolg. Nach vergeblicher Be-
lagerung Petra's trat er wieder den Rückmarsch an, indem er sich
mit der Stellung von Geiseln und Zusicherung der Freundschaft
von Seite der Nabatäer begnügte. Diodor, der uns dies alles be-
richtet*^), giebt bei dieser Gelegenheit auch eine Schilderung der
Nabatäer. Sie waren damals noch uncultivirte Nomaden, die keinen
Ackerbau, nur Viehzucht und Handel trieben, olfenbar auch noch
ohne Könige. Allmählich aber muss auch bei ihnen die Cultur mehr
und mehr vorgedrungen sein und eine gewisse staatliche Ordnung
unter küuiglichem Regimente sich gebildet haben. Ihre Herrschaft
dehnte sich nach Süden und Norden weiter aus; ihre Hauptstadt
blieb jenes Petra, das schon zur Zeit des Antigonus ihre festeste
Zufluchtsstätte gebildet hatte"). |
5) Auf die Verdrängung der Edomiter durch die Nabatäer bezieht sich
vielleicht Maleachi 1, 1 — 5. S. Grätz, Monatsschr. 1875, S. 59 — 66. Cheyne,
Zeitsclir. für die alttest. Wissensch. XIV, 1894, S. 142. Wellhausen, Israelit,
und jüd. Gesch. 2. Aufl. S. 182 f. 4. Aufl. S. 191.
6) Difjdor. XIX, 94—100. \g\. Plutarch. Demetr.l. Droyson, Geschichte
dcH HeilenismuB 2. Aufl. II, 2, S. 55—59. Niese, Geschichte der griechischen
und makedonischen Staaten I, 1803, S. 300 8".
7) Vgl. über Petra als Hauptstadt der Nabatäer bes. Strabo XVI p. 779.
Pliniwi IL N. VI, 28, 144. Josephxs AnU. XIV, 1, 4. 5, 1. 13, 9. XVII, 3, 2.
XVIII, 5, 3. Bell. Jiid. I, 6, 2. 8, 1. 13, 8. 29, 3. PltUarc.h. Pornpejus c. 41.
Periplus maris erythraei § 19. ^ Ueberhaupt: lieland, Palacstina p. 926 S77.
BoblnBon, Palästina III, (10— 9i). 128—137, 760—767. Räumer, rulüstinu
S. 276— 278, 451 fl', Ritter, Erdkunde XIV, 1103— 1141. CIchb in Pauly'«
Eeal-Enr. V, 1394 »'. Wincr RWil. Art. „Scla". Berthoau in öchenkers
Bibcl'Lex. Art. „Sola". MOhlau in Rieh m'n Worte rb. der«. Artikel. Kclhcl,
JJortr. Is'inn, III, 503*7. Mionnci, Ikscriptimt de vicdaiUcs V, 587—589,
Huppl, VIII, 3S7 Mtl. De fSaulcy, NumUmatique de la 'Ihre Sainte p. 351—353,
K XX, 1—0. Marquardt, RAni. Htaatsvorwaltunp; IUI. T (2. Aufl. 1881)
8. 4.31 f. Duc de LuyncB, Vuyu;ic d'Kxjitonilioii ii l(t invr niortc ö Petra et
[613] Beilage II: Geschichte der nabatäischen Könige. 73 1
Der erste Fürst {rvQavvoq) der Xabatäer, von dem wir wissen,
ist jener Aretas (Aretas I), bei welclieiii der Hohepriester Jason
im J. 169 vor Chr. vergeblich Zuflucht suchte (II Makk. 5, 8)^).
Da Aretas als xvQavvoa bezeichnet wird, scheinen die nabatäischen
Fürsten damals den Künigstitel noch nicht geführt zu haben. —
Nach Ausbruch der makkabäischen Erhebung nahmen die Nabatäer
zu den Führern der jüdischen Nationalpartei (Judas 104, Jonathan
160 vor Chr.) eine freundliche Stellung ein (I Makk. 5, 25; 9, 35).
Ihr Herrschaftsgebiet dehnte sich jetzt bereits bis nach dem Ost-
jordanland aus.
Zu grösserer Macht ist das Reich der Nabatäer aber erst gegen
Ende des zweiten Jahrhunderts vor Chr. gelangt, als der Verfall
des Ptolemäer- und Seleucidenreiches die Gründung eines selbstän-
digen kräftigen Staatswesens an ihren Grenzen ermöglichte. In
Justin's Auszug aus Trogus Pompejus heisst es von der Zeit um
110—100 vor Chr. {Justin. XXXIX, 5, 5—6), die Reiche von Syrien y
und Aegypten hätten sich damals selbst so geschwächt, ut adsiduis
2)roeliis consiimpti in contemptum finitimorum venerint jrt'aedaeqiie Arahum
genti, inbelli antea, fuerint: quorum rex Erotimus fidueia septingen-
iorum filiorum, quos ex j^asücibus susceperat, dimsis exercitibus nunc
Aegyptum, nunc Syriam infesiahat magnumque nomen Arabum viribus
finitimornm exsanguihus fecerat. Dieser Erotimus darf also als
der Begründer der nabatäischen Königsmacht betrachtet
werden*).
sur la 1-ive f/aucfie du Jourdain, 3 Bde. Text und 1 Bd. Tafeln, Paris s. a.
[1874], bes. ph 44—49. Bädeker-Socin, Palästina 3. Aufl. S. 147—152.
Lafiranye, Notre exploration de Petra (Renie hibliqtie VI, 1897, ?). 208—230).
— Nabatäische Inschriften von Petra geben: De Vogüe, Journal asiatique
IX« Serie, t. VIII, 1890, j). 304-310, 485-497, t. X, 1897, p. 197—207, 214—217,
/. XI, 1898, p. 129—146 (meist nach Copien von Lagrange). Lagrange, Remie
biblique VII, 1898, p. 165—182. Clermont- Qanneau, Becueil d'archeol. orient.
II, 128-133. Ders,, Journal asiatique IX« serie t. XI, 1898, p. 523-535 =
Becueil d'arch. or. II, 370—381. Ders., Recueil IV, 99—112. — Im Frülijahr
1898 liat Euting in Petra „über hundert nabatäische Inschriften copirt, die
zwar zum grössten Theil schon bekannt waren, aber in nicht ganz tadellosen
Abschriften vorlagen" (Mittlieilungen und Nachrichten des DPV. 1899, S. 25).
Nach seinen Copien werden die Inschriften in der Fortsetzung des Q/rp.
Iiiscr. Semit. P. II erscheinen.
8) Das zweite Makkabäerbuch sagt hierüber (II M. 5, 8): Jason sei bei
Aretas, dem Fürsten der Araber, eingesperrt worden [iyxkiia^üq Tigoq liiihav
Tov t(öv liQÜßcDV rigarvor), dann von Stadt zu Stadt geflohen u. s. w. Anstatt
des überlieferten tyxXsio^kiq vermuthen die neueren Erklärer iyxkrj&tig (ver-
klagt) und deuten es darauf, dass Jason bei Aretas Zuflucht gesucht habe,
aber von diesem nicht aufgenommen worden sei, da er wegen seiner feind-
lichen Haltung gegen Antiochus Epiphaues bei Aretas „verklagt" worden war.
9) Die beiden um 146—145 v. Chr. erwähnten „Araber" Zab diel (l Makk.
732 Beilage II: Geschichte der nabatäischen Könige. [613. 614]
Ein Aretas II (Agtrcu 6'jQaßcov ßaoi?,tvg) "wird zur Zeit der
BelageriiDg Gaza s durch Alexander Jannäus 96 vor Chr. erwähnt.
Er hatte den Gazäern Hülfe versprochen ; die Stadt fiel aber in die |
Hände des Alexander Jannäus, ehe Aretas Beistand leisten konnte
(Joseph. Antt. XIII, 13, 3).
Ein paar Jahre später (gegen 90 vor Chr.) griif Alexander
Jannäus den König Obedas I (Oßiöav xov Ugaßcov ßccoiXta) an,
erlitt aber gegen ihn eine empfindliche Niederlage iiu Ostjordan-
lande (Joseph. Antt. XIII, 13, 5; Bell. Jud. I, 4, 4). Diesem Obedas I
glauben de Saulcy, Gutschmid und Babelon einige Münzen mit der
Umschrift ita: fjü may zuschreiben zu können ^^).
Wieder ein paar Jahre später zog Antiochus XII von Cöle-
syrien gegen den Araberkönig (dessen Name niclit genannt wird)
zu Felde. Auch diesmal war „der Araber" siegreich. Antiochus
selbst fiel in der Schlacht bei Kaua (Joseph. Antt.XlH, 15, 1; BelL
Jud. I, 4, 7). Unter dem ungenannten König der Araber ist Are-
tas III zu verstehen, von welchem Josephus unmittelbar darauf be-
richtet, dass er (eben infolge des Todes des Antiochus) in den Be-
sitz von Cölesyrien und Damaskus gelangt sei und sodann
den Alexander Jannäus bei Adida besiegt habe (Joseph. Antt. XIII,
15, 2; Bell. Jud. I, 4, 8)^0- Di^ Macht der nabatäischen Könige
11, 17, bei Jijseph. Antt. XIII, 4, 8 Z a belli s; vielleicht identisch mit Dio-
kles bei D-iodor. in: Müller, Frayni. fit'st. f/raec. t. II }i. XVI) und Imalkue
(IMakk.U, 30; hei Joseph. Antt. XIII, 5, 1 Malchus; bei Diadur. in: Müller,
Fraym. hist. yr. t. II p. XVII Janiblichus, d. h. •z^t:'^ s. oben S. 234) sind
wahrscheinlich nur kleine Dynasten, nicht Fürsten der Nabatäer (s. Gutschmid
bei Euting, Nabat. Inschr. S. 81). Auch die Existenz des Maliku I, welchen
üntschmid auf Grund einer Münze vor Erotimus einreiht, ist höchst unsicher.
10) De Saulcy, Anniiairc t. IV p. 18.sy. Gutschmid bei Euting, Naba-
taische Inschriften 8.82. Ein Exemplar dieser Münzen auch bei Levy, Xu-
raismat. Zeitschr. Bd III, 1871, S. 445— 448. — Das von ßabeloji (h'er/te Xit-
viinmutiqun 1887, p. 371 x(j.) publicirte Exemplar hat die Aufschrift itr^TS n~j'
'aa: "^io und ist vom Jahr fünf (crn r:t').
11) Gutschmid will unter dem ungenannten König den Rabilus ver-
Bteben, von welchem nach Sleph. Byx. „der Macedonier Antigonus getödtet
wurde" (Sicph. Byx. h. v. Mw&m' xtufxri ^Agaßiaq, iv y i'^avsv 'ivuyovoi 6 Ma-
xidwv vnv ^Paßü.ov tot ßuai).lw(i xwv lipaßiütv, ü5c Ov^uvtaq iv ni/nnrit)). Statt
'Avtlyovoi lie«t GutHchmid l4rzlo/oi und versteht darunter den Antiochus XII.
DiftMc (Kombination Bcln'int mir aber an dem engen Zusumincniiuiig von Jose/ilt.
Antt. XIII, IT), 2 mit 15, 1 zu scheitern. Auch würde num dann zwischen
AretUH II um 90 und Aretas III um 85 zwei Ki'mige «nziiiifliMien haben. In
der f^telle bei Sirpli. Byx. muss allerdings irgend eine Confusion vorliegen.
Um IM) wuniger laMsen sich aber darauf sichere .Schlüsse bauen. Vgl. auch
Müller, Frat/m. hint, graec. IV, 525. -- Ist Gulschmids Combination un-
wahricheiulieb, an erledigt sich damit au<h die weitere von Clermor>t-Gan-
neau, da«« mit dem von Gutschmid hier eingeschalteten Kabilus der Kimig
(614. 615] Beilage II: Geschichte der nabatäischen Könige. 733
erstreckte sich also jetzt, um 85 vor Chr., bereits bis Damaskus ^ 2).
Unserem Aretas III werden von den Numismatikern mit Recht die
Münzen mit der Umschrift Baatlicoc 'Aq^tov 4>i).t),X7ivoq zuge-
schrieben. Dieselben können keinem älteren Aretas angehören, da
sie in Damaskus geprägt sind; aber auch nicht dem jüngeren Are- 1
tasIV, da dieser sich „Freund seines Volkes" nannte i^). Die Münzen
geben also ein Zeugniss von dem damaligen \'ordringen des Helle-
nismus im Nabatäerreiche. — Zur Zeit desselben Aretas erfolgte
auch der erste Zusannnenstoss mit den Römern. Wir wissen aus
der jüdischen Geschichte, dass Aretas in dem Streite zwischen
Hyrkan und Aristobul die Partei des ei'steren ergriff, ihn mit
Truppenmacht unterstützte und den Aristobul in Jerusalem be-
lagerte, sich aber dann auf Befehl des römischen Feldherrn
Scaurus zurückzog und auf dem Rückzug von Aristobul ge-
schlagen wurde {Josejyh. Antt. XIV, 1, 4—2, 3; Bell Jud. 1. 6, 2—3).
Pompejus hatte darauf die Absicht, selbst gegen Aretas zu ziehen.
Aber auf dem Marsche nach Petra wurde er durch die feindliche
Haltung des Aristobul genötliigt, nach Judäa abzuschwenken (Anlt.
Xl\, 3, 3 — 4j. Nach der Eroberung Jerusalems übergab Pompejus
die Provinz Syrien dem Scaurus {Antf. XIV, 4, 5); und erst dieser
führte i. J. 62 v. Chr. den Zug nach Petra aus, erreichte aber von
Aretas nicht mehr als die Zahlung einer Geldsumme {Antt. XIV,
5, 1; Bell. Jud. I, S, 1). Hierauf beschränkt sich also die Unter-
Rabel identisch sei, welciiem nach einer im J. 1897 \"wn Germer-Durand in
Petra gefundenen Inschrift zur Zeit seines Nachfolgers Aretas eine Statue
errichtet wurde. S. das Nähere hierüber unten am Schlüsse unserer
Königsliste.
12) Damaskus kann jedoch nicht bis zur römischen Eroberung im dauern-
den Besitz der Araber geblieben sein, da es nach einer Münze vom Jahr 243
aer. Sei. = 70,69 vor Chr. [Mionnet, Suppl. VIII, 193) damals autonom war,
womit übereinstimmt, dass es eben um jene Zeit von der jüdischen Königin
Alexandra besetzt wurde, um es gegen Ptoleraäus Mennäi zu schützen {Jos.
Antt. XIII, 16, 3. B. J. I, 5, 3.
13) S. die Münzen bei Eckhel, Doetr. Kwn. Vet. III, Z^d. y Mionnet,
Description de medaüles V, 284 s^'. Visconti, Icoyiographie grecque II, 444«^.
= Atlas pl. 48 n. 12. Lenormant, Tresor de mimismatique p. 117, pl. LVI
n. 17 — 18. Duo de Lnynes, Reviie Nnm ismatiqiie 1858 p. 293 sj. pl. XIV
n. 2 — 3. De Sauley, Annuaire t. IV, 1873, p. \lsq. pl. I «.4 — 5. Imhoof-
B lumer. Porträtköpfe (1885) S. 47, Tafel VI, 24. — Eine dieser Münzen hat
die Jahreszahl AP = 101, über welche zu vgl. Duc de Luynes, Revue Xu-
mismatiqne 1858, p. 311 sq. — Die Beziehung dieser Münzen auf Aretas IV, für
welche Roh den {De Palaestina et Arabia provinciis Romanis 1885 p. Qsq.) sich
erklärt hat, ist unmöglich, da dessen Titel nar er.- nicht gleichbedeutend mit
'Pi).iX).r}v sein kann.
734 Beilage II: Geschichte der nabatäischen Könige. [615. 610]
werfiiDg des Aretas, deren Pompejiis sich rühmte ^^), und welclie
sogar auf einer Münze verherrlicht ist '5). Die Stadt Damaskus
war schon beim ersten Auftreten der Römer in Syrien durch die
Legaten des Pompejus besetzt worden {Joseph, Antt. XIV, 2, 3;
Bell. Jud. I, 6, 2), und ist seitdem unter römischer Oberhoheit
geblieben'^). — Die Rejgierungszeit des Aretas III erstreckte
sich nach dem Bisherigen mindestens etwa von 85—60 vor Chr.
Ihm werden, wegen der Porträtähnlichkeit des Königsbildes mit
14) Diodor. XL, 4 = Exe. Vatican. p. 128—130. Vgl. auch Dio Cass.
XXXVII, 15. Plutarch. Pompejus 41» Apinan. Mithridat. 106. Oros. VI, 6.
15) Eekhel, Doch: Num. Vet. V, 131. Babelon, Monnaies de la repit-
blique romaine t. 1, 1885, p. 120^5'. Auf der Münze ist Aretas knieend abge-
bildet mit der Aufschrift Fex Aretas, M. Scaur. aed. cur., e.c S. C.
16) Marquardt (Rom. Staatsverwaltung I, 405) und Mommseu (Rom.
Gesch. V, 476 f.) nehmen wegen II Kor. 11, 32 an, dass Damaskus vom Be-
ginn der römischen Zeit bis zum J. 106 nach Chr. in Abhängigkeit vom Ara-
berkönig geblieben sei. Dagegen spricht (ausser der von uns Bd. II S. 118
citirten Stelle des Hieronymus) folgendes: 1) Nach Plin. Hist. Nat. V, 18, 74
und Ptolem. V, 15, 22 gehörte es zur Dekapolis, d. h. zu den Städten,
welche durch Pompejus die Freiheit erhalten hatten und nur unter die Ober-
aufsicht des römischen Statthalters von Syrien gestellt worden waren. Es
kann also nicht bei der Ordnung der Verhältnisse durch Pompejus dem Ara-
berkönig zurückgegeben worden sein. 2) Die Existenz einer cohors I Flavia
üuntdscenorum [Corp. Inscr. Lat. t. III, 2 p. 870 [Dipl. n. XXVIl], Ep/icmeris
epif/r. t. V p. 194 und ;;. 652 .sv/. = Corp. Luscr. Lat. t. III Siippl. p. 1065
[Militärdiplom Domilians vom J. 90 nach Chr., gefunden zu Mainz]) beweist,
dass spätestens zur Zeit der Flavier, also im ersten Jahrhundert nach Chr.,
in Damaskus regelrechte römische Trappenaushebungen stattgefunden haben.
Das ist in einer zum Gebiet des Araberkönigs gehörigen Stadt mindestens
unwahrscheinlich, wenn auch Mommsen Aushebungen im Gebiete von Clientel-
Fürsten fiir möglich hält (Hermes XIX, 48 — 49). 3) Damaskus hat auch, nachdem
das Gebiet des Araberköuigs 106 nach Chr. in eine römische Provinz verwan-
delt worden war, nicht zur Provinz Arabien, sondern zu Syrien gehört
(f. u. A. auch Justiu. Dial. c. Tn/ph. c. 78 s. f'm. dafxaaxbq xr}q u(t^aßixflq yT^q
tiv xul taxiv, sl xal vvv nQoapevt/iTjrat r/j SvQO(potvixtj Xsyofih'ji). 4) Bei dem
Grenzstreit der Sidonicr und Damascener zur Zeit dos Tiberius Antt. XVIII,
6, 3 ist nur von der Oberhoheit des römisclien Statthalters, nicht von der des
AraberkönigH die Rede. 5) Auch die Münzen von Damaskus mit dem Bilde
de« AugUBtUH, Tiberius, Nero sind der Annaiune gleichzeitiger Abhängigkeit
vom Aruberkönig sehr ungütjstig. Mit Recht hat sich dalicr neuerdings auch
RolidcMi {f)c Paiacafina rt Arahia proviiiriis Pomanix 1885 p. 4—!») gegen die
AnHicht von Manjuardt und Mommscii erklärt. — Eine ganz neue Entdeckung
Klaubt Wandel (Zeitschr. für kirchl. Wissenfch. und kirchl. Leben 1887,
H. 433—443) gemacht zu haben, indem er annimmt, dass Damaskus „weder
arabisch noch römiHch, sondern ein selbständiger mit gewissen Freiheiten aus-
gerflNtetcr HtAAt unter rUmiHciier Oiierhohoit und römiscliem Schutz" gewesen
»el (8, 441 f.). Dhm iHt, soweit es richtig ist, genau die Ansicht derer, die es
für „römisch" erklären.
[616. 617] Beilage II: Geschichte der nabatäisehen Könige. 735
Aretas Philellen, auch einige nabatäische Münzen mit der Aufschrift
Ii2n2 Tbü rmn zugeschrieben i'^). Auf einer findet sich die Zahl
17 oder 18 (so Euting-Gutschmid, nicht, wie man finlher las, 32
oder 33).
Im J. 55 V. Chr. machte Gabinius einen Feldzug gegen die
Nabatäer. Ob damals noch Aretas oder sein Nachfolger Malchus
regierte, wird von Josephus nicht bemerkt (Jos. Antt. XIY, 6, 4.
B. J. I, 8, 7).
Malchus I {MaXxoq oder MdXixog, s. oben S. 350 f. und Nüldeke
bei Euting, Nabat. Inschr. S. 63), regierte um 50—28 vor Chr. Die
Bezeichnung als Malchus II bei Gutschmid und Anderen beruht
auf der sehr unsicheren Beziehung einer Münze auf einen älteren
Malchus (s. oben Anm. 9). Im J. 47 stellte er dem Cäsar Reiterei
für den alexandrinischen Krieg {Bell. Alex. 1). Als die Parther im
J. 40 Palästina eroberten, wollte Herodes zu Malchus flüchten,
wurde aber von ihm nicht aufgenommen (Joseph. Antt. XIV, 14,
1—2; Bell. Jud. I, 14, 1—2). Wegen seiner Parteinahme für die
Parther trieb Yentidius 39 v. Chr. von ihm eine hohe Contribution
ein {Dio Cass. XLYIII, 41). Antonius schenkte 1 einen Theil meines
Gebietes der Kleopatra(Z)io Cass. XLIX, 32. riutarch. Änton.^%. Jos. Bell.
Jud. 1, 18, 4) 'S). Im J. 32 schickte Malchus dem Antonius Hülfstruppen
für den actischen Krieg (P/w/^rcÄ. Anton. 61). Da er den Tribut für das
an Kleopatra abgetretene Gebiet nicht mehr bezahlte, wurde er
von Herodes auf Befehl des Antonius mit Krieg überzogen. Der
anfangs für die Araber glückliche Krieg endete schliesslich mit
einer völligen Niederlage derselben, .32 — 31 vor Chr. {Joseph. Antt.
XY, 5; B.J. I, 19). Das letzte, was wir von Alalchus hören, ist,
dass er dem alten Hyrkan versprach, ihn bei dem geplanten Auf-
stand gegen Herodes im .1. 30 zu unterstützen {Antt. XY, 6, 2 — 3).
— Auf unsern Malchus glaubt de Vogüe eine nabatäische Inschrift
zu Bosra beziehen zu können, auf welcher „das elfte Jahr des
Königs Maliku'' erwähnt wird (xrbiQ "sb^b 11 rzt?)^''). Denselben
Malchus ("it:a2 ^btt iDbia) findet Renan auch erwähnt auf einer aus
Puteoli stammenden Inschrift-^).
17) De Vogüe, Revue Xum. 1868, p. 157. De Saiilcy, Anmiaire t. W p. 13.
18) Die Angabe des Josephus [B. J. I, 22, 3), dass Malchus auf Betrieb
der Kleopatra hingerichtet worden sei, ist irrig.
19) I>e Vogüe, Syrie centrale, Inscriptioiis seinttiqucs p. 103—105 ==
Cotp. Inscr. Semit. P. II n. 174. Die Inschrift ist nach de Vogü^ (S. 114) von
älterem Charakter als die anderen, aus dem ersten Jahrh. nach Chr. stammen-
den Inschriften. So auch das Corp. Inscr. Semit.
20) Renan, Journal asiatiqiie Vlle serie t. II, 1873, p. 366—382 = Corp.
Inscr. Semit. P. II n. 158.
736 Beilage II: Geschichte der nabatäischen Könige. [ül7. 618]
Obodais II, um 28 — 9 vor Chr., war König zur Zeit des Feld-
zuges des Aelius Gallus gegen das südliche Arabien 25 — 24 vor
Chr., an welchem Feldzuge auch tausend Mann nabatäische Hülfs-
truppen theilnahmen. Er überliess die Regierungsgeschäfte ganz
seinem amxQojioq Sylläus, der dem Aelius Gallus schlechte Rath-
schläge in Betreff der einzuschlagenden Marschroute ertheilte {Siraho
XVI p- 780 — 782). Obodas wird noch als König erwälint in der
letzten Zeit des Herodes, als Sylläus sich in Jerusalem um die Hand
der Salome, der Schwester des Herodes, bewarb {Antt. XVI, 7, 6;
Bell Jud. I, 24, 6), und als Herodes einen Kriegszug gegen die
Araber unternahm {Antt XVI, 9, 1 u. 4). Eben um jene Zeit (9 vor
Chr.?) starb Obodas, angeblich an Gift, das ihm Sylläus gereicht
hatte {Antt. XVI, 9, 4). Einige Münzen hat de Saulcy mitgetheilt'-^).
— Auf Obodas II ist höchst wahrscheinlich zu beziehen die Auf-
schrift auf einer Statue „des Gottes Obodas" (xnbx msiP), welche
von den Kindern des Choneinu „zum Wohle des Königs Aretas
Eaclmn-ammeh'^ (also Aretas IV) im 29. Jahre von dessen Regierung
gesetzt ist. Sie ist interessant als sicherer Beleg dafür, dass die
Apotheose verstorbener Könige auch bei den Nabatäern vorkam,
und bestätigt die Notiz des Uranius (bei Steph. Byx. s. v. "Oßoöa =
Müller, Fragm.kist.ijr. IV,525/r.23): 'OßoÖTjg o ßaoi/Lsvg ov &60Jcoiov<ji'").
Aretas IV, mit seinem ursprünglichen Namen Aeneas, um
9 vor bis 40 nach Chr., folgte dem Obodas unmittelbar in der
Regierung {A)itt. XVI. 9; 4)-^). Wegen seines eigenmächtigen Re-'
gierungsantrittes war Augustus anfangs ungehalten, erkannte ihn
dann aber doch als König an {Antt. XVI, 10, 9). Gegen Sylläus
erhob Aretas wiederholt Klage bei Augustus {Antt. XVII, 3, 2;
Brll. Jud. I, 29, 3), infolge deren Sylläus zu Rom hingerichtet wurde
(Straljo XVI p. 782. Kicolaus Damasc. bei Müller, Fragm. hist. gr. III,
351). Als nach dem Tode des Herodes im J. 4 vor Clir. der Statt-
halter Varus einen Kriegszug gegen die Juden unternehmen musste,
stellte Aretas Hülfstruppen zu dessen Heere {AntU XVII, 10, 9;
Bell. Jud. II, 5, 1). — Aus der langen Regierung des Aretas sind
uns dann nur noch einige Ereignisse der letzten Zeit bekannt.
21i) De Saulcy, Aumimre t. IV ]). 19. Dazu Euting-Gutschmid
8. 84. — Zwei Mün/en des 8ylläu8(?) giebt de Saulcy, Mdlangcs de Numis-
malique t. III, 1882, /'. 19(i.
22) S. über die Insdirift die oben S. 728 genannten Mitthcihuigeii von de
Vogü<^' und Clerniont-Ganueau; der Text am besten bei de Voijiir, Jouv'
nal (iniaf. IX« si'rie t. XI, 1898, ;>. 132. — lieber die ApotlieoHO der nubatäischon
Könige im Allgemeinen h. auch die ältere Abhandlung von Clurmout-
Oaoneau, Leu nomn royaux nahtUiena employis romtne noms divins {Revue
arcMol. HI« nine t. V, 1885, p. 170-178 — Itccueü (VnrcMol. uncni, I, 39-47).
23) Da« Jalir de» KegieningHantrittee Ifiant sich nicht HJcher l'estHtellen. Vgl.
die Chronologie der letzten Jalire den HerodcH (oImii H. 373).
{GIS. G19] Beilage II: Geschichte der nabatäischen Könige. 737
Der Tetrach Herodes Antipas hatte eine Tochter des A^eta^< zur
Frau, die er ispäter verstiess, um die Herodias zu lieirathen. Die
dadurch entstaudeue Feindschaft zwischen beiden Fürsten erhielt
durch Grenzstreitigkeiten neue Nahrung. Es kam zum Krieg, in
welchem das Heer des Herodes von dem des Aretas besiegt wurde.
Wegen seines eigenmächtigen Vorgehens sollte Aretas durch den
Statthalter Vitellius auf Befehl des Kaisers Tiberius gezüchtigt
werden. Als aber \'itellius auf dem Marsch gegen Petra in Jeru-
salem die Nachricht von dem Tode, des Tiberius erhielt, kehrte er
unverrichteter Dinge wieder um {Antf. XVII I. 5, 1 u. 3). Die Er-
eignisse fallen also in die letzte Zeit des Tiberius 36—37 nach Chr.
Nicht viel später fallt die Flucht des Paulus aus Damaskus, zu
deren Zeit Damaskus unter einem Statthalter {Id-vaQxi]!;) des Königs
Aretas stand (II Kor. 1 1, 32)-^). Wir erfahren dadurch, dass nun auch
Damaskus wieder zum Gebiet des Araberkönigs gehörte,
wie denn in der That aus der Zeit des Caligula und Claudius keine
Münzen von Damaskus mit dem Bilde des römischen Kaisers be-
kannt sind (vgl. Bd. II S. 119). Wahrscheinlich hatte Caligula, der
solche Gunstbezeugungen liebte, die Stadt dem Aretas verliehen''^*).
— Von keinem anderen nabatäischen Könige haben wir ein so
reiches Material an Münzen und Inschriften, wie von Aretas IV.
Unter den Inschriften von el-Hegr (= Medain-Salih), welche
Doughty, Huber und am correctesten Euting mitgetheilt haben, be-
finden sich nicht weniger als zwanzig, die nach Regie-
rungsjahren dieses Aretas datirt sind, die meisten davon gut
erhalten-''). Derselbe Aretas ist auch erwähnt auf der bereits ge-
nannten Aufschrift auf der Statue „des Gottes Obodas" in Petra
(s. oben S, 736 bei Obodas 11) und auf einer Inschrift in Medaba
im Ostjordanland^'); wahrscheinlich ist derselbe auch gemeintauf
24) lieber den Titel i&väQXfjQ s. Bd. II, S. 82, und die weiteren Ausfüh-
rungen in: Theol. Stud. und Krit. 1899, S. 95—99.
2ö) So auch Gutscliniid bei Euting, Nabatäische Inschriften S. 85. Die
ältere Literatur über diese Frage s. bei Anger, Wieseler, Winer in den
oben genannten Werken. Sehr unwahrscheinlich ist die viellach vertretene
Ansicht, dass Aretas Damaskus mit Gewalt an sich gerissen habe. Ein solcher
Eingriff' in römisches Gebiet hätte nicht ungeahndet bleiben können. Die
Münzen von Damaskus mit dem Bilde des Tiberius gehen bis zum Jahre 345
aer. Sei. = 33 34 nach Chr. {Mionnet V, 286; de Satilc/j, Ninnisniatü/ne de la
Terre Sainte p. 36); die des Nero beginnen mit dem Jahre 374 aer. Sei. =
62/03 nach Chr. {Mionnet V, 280; de Sanlcij, Xiimisniatique de la Terre Sainte
p. 36). In der Zwischenzeit kann Damaskus dem Araberkönig gehört haben.
26) Euting, Nabatäische Inschriften S. 24—01 (Nr. 1—20) = Corp. Inscr.
Semit. P. II Aram. n. 197—217.
27) Zeitschr. für Assyriologie V, 1890, S. 289—292. VI, 1891, S. 149 f.
Schürer, Geschichte I. :(. u. 4. Aufl. 47
738 Beilage II: Geschichte der nabatäischen Könige. [(319]
einer Inschrift zu Sidon-^) und auf den beiden Inschriften aus Pu-
teoli-^). Auch auf Münzen kommt er nicht selten vor 3"). Auf den
Inschriften zu el-Hegr heisst er constant n'ü^ zm ^'^2^ 75» f.rrn
„Charithath, König der Nabatäer, welcher sein Volk liebt" {Rachem-
animeh). Ebenso auf den Inschriften von Petra und Medaba und
in der Eegel auf den Münzen =^'). Der Titel Rachem-ammeh ist ein
Ausdruck nationalen Selbstgefühls und enthält eine indirecte Ab-
lehnung solcher Titel wie ^ikoQcofiaiog oder fPü6y.atoaQ (Gut-
schmid S. S5). Er entspricht dem griechischen ^iXojtccTQig, welchen
Titelz.B.der (oben S.408 erwähnte) König Archelaus vonKappadocien
führte. Auch dieser griechische Titel ist wohl ein Protest gegen
den Servilisnms anderer Künige^'^). Es ist daher nicht wahrschein-
lich, dass Fachem-annneh zu erklären ist: ,, welcher seinen Urgross-
vater liebt", wie Clermont-Ganneau vorgeschlagen hat, aucli wenn
ny wirklich, wie Cl.-G. nachzuweisen sucht, die Bedeutung ,,Ur-
gi-ossvater, proovus'' haben kann ^'3). Auch in dem noch zu er-
wähnenden Titel des Königs Kabel „Avelcher Leben und Freiheit
seinem Volk gegeben hat" ist ^y sicher = Volk. — Dass eben
dieser Aretas Rachem-ammeh mit Aretas IV identisch ist, darf als
sicher gelten. Denn die Regierungsjahre auf den Inschriften von
Corp. Inner, Semit. P. II Aram. n. 190. Clermont- (ianncau, Recueü (VarcheoL
Orientale II, 189—197.
28) De Vof/iie, Syrie centrale, Inscriptions simitiques p. 113 •=»■ Levy,
Zeitschr. der DMG. 1869, S. 435 ff. = Curp, Inscr. Seui. P. II n. 160. Wegen
des Datums vgl. auch Euting-Gutschniid S, 85. De Saulcy will sie auf
Aretas III beziehen und unter dem darauf erwähnten Zoilus den au.s Jns.
Antt. XIII, 12, 2 u. 4 bekannten verstehen, s. Cotiipte.s rendas de la soviite
franrainc de namismatiqne et tParchcol. 1873 (mir nur bekannt durch Bursian's
Jahresbericht II, 1246 f.).
29) Gildemeister, Zeitschr. der DMG. 1809, S. 150«'. Levy, ebendas.
8. 652 fr. Nöldeke, ebendas. ia84, S. 144, 654. Corp, Inscr. Srtntt, P. II n.
157. — Renan, Journal nsiatiqne VII« sn-ie f. II, 1873, p. 366 sqq. Corp. Insf-r.
Srm. /'. II /'. 15S. — Wegen der Datirung beider vgl. Euting-Gutsclnnid
Ö. 85.
30) Dur ile Lui/ne», Rerue ^iinnismatiqiu- 18ä8, /'. 294 — 2!M). De ]'i)(ftn'',
Ifenie Xttmiirtnntique IHüS, p- W2 t<qq. De Saulri/, Annuaire f. IV, 1873,
p. 13—17. Buhrlon, Hrruv Suuiisiiiatique 1SS7, p. 374—377.
31) Beiläufig bemerkt, wdlte man nach dem nemit. rrnn eigentlit!h .kp/i>K(;
erwarten, wie «ich in der That der bekannte Erzbischof von Cäsarca Hchricb.
Die Form /Ip^ro; ist wohl unter dem EinflusM des gricch. agf-xi] entstanden.
Uebrigen» kommt der We»-hHel v<»n r un<l ti- bei Wiedergabe solcher seniiti-
»•chen Namen auch sonst vor. S. .Mord t man n. Ar«-iiäol.-epigr. Mittheilungen
aUM Oenterreich-Ungarn VIH, 18K4, S, 1,S3.
32) Vgl. OlitHchniid, Kleine Schriften IV, 110.
33) Ctermonl- Oauueuu, Jounuil aniatiqiw, }\vuvlhiir Snir I. XI, ISds,
p. &2&'&20 — Ute Heil tfarehiol. Orient. II, 372—370.
[tii9. ü20] Beilage II: Geschichte der nabatäischen Könige. 739
el-Hegr gehen bis zum 48. Jahre, und zwar ist gerade das aeht-
uiidvieizigste Jahr auf zwei Inschriften (i-^uting Nr. 10 und 17
== CoriJ. Inscr. Sem. 7'. II n. 214 und 215) mit Worten geschrieben,
n^y ani lun: "jb^ nnnnb SDi'am -j^yaiK nsc, so dass ein Zweifel
in Betrefi' der Zahl nicht möglich ist. Auch die Münzen gehen
(nach Euting-Gutschmid S. 85) bis zum 48 Jahre. So lange Zeit
kann aber nur Aretas 1\' regiert haben. Und es ist damit zu-
gleich der Beweis geliefert, dass der in den letzten Jahren Herodes'
des Grossen erwähnte Aretas identisch ist mit dem Gegner des
Herodes Antipas. — Nach der Inschrift auf der Statue „des Gottes
Obodas" hatte Aretas sechs Söhne (oder Söhne und Töchter?):
^Dbn (Malchus), ma^ (Obodas), bxm (Rabelj, bxxD (Phasael), n-ny»
(Saudat), . lian (Higru oder Hagiru)^^). Phasael und Saudat können,
wie Clermont-Ganneau bemerkt, auch Frauennamen sein. Es wäre
daher möglich, dass eine der beiden die erste Gemahlin des Herodes
Antipas war.
Ablas, o 'A()dßojv ßaoiXevgt unternahm zur Zeit des Claudius
einen Kriegszug gegen Izates von Adiabene, zu welchem ihn die
eigenen Unterthanen des Izates, die über dessen Bekehrung zum
Judenthum entrüstet waren, aufgefordert hatten. Ablas wurde von
Izates besiegt und nahm sich, um nicht in dessen Hände zu fallen,
selbst das Leben (Antt. XX, 4, 1). — In Gutschmid's Verzeichniss |
ist dieser Ablas nicht aufgenommen (oder übersehen?). Allerdings
ist die Thatsache merkwürdig, dass ein nabatäischer König gegen
das jenseits des Euphrat liegende Adiabene zu Felde zieht. Aber
Josephus sagt anderw^ärts ausdrücklich, dass sich die Naßatfjv//
vom rothen Meer bis zürn Euphrat erstrecke^*). — Wenn
Ablas hier einzureihen ist, so ist keiner der obengenannten Söhne
des Aretas ihm unmittelbar in der Regierung gefolgt.
Malchus II, um 48—71 nach Chr., stellte im J. 67 Hülfstruppen
zum Heere Vespasians für den jüdischen Krieg {Jos. Bell. .hol. III,
4, 2) und wird in dem um das J, 70 verfassten Periplus maris
Knjthruei als König der Nabatäer erwähnt {Periplus maris Enjthraei
§ 19, ed. Fahricius: jhvxf/ xwfit/, Öia /)g odoi toriv elc, UtTQav
jTQo^ MaXixciv, ßaoiXia Naßaxaiojv). Eine Inschrift zu Salkhat im
Hauran ist datirt vom „Jahr siebzehn des Maliku, Königs der Na-
34) S. den Text Journal asiatiquc, Xeucume Serie f. XI, 189S, p. 132.
Dazu Clermont-Ganneau ibid. p. 530—532 = Recueil II, 370—378, Der vierte
Name ist nicht bxCB sondern ^x:£E zu lesen (Mittheiiung Euting» bei Cler-
nionr-Ganueau).
35) Antt. T, 12, 4: ovxoi (seil, die Nachkommen Ismael's) näaav rfjv an
EvtpQÜxov xa&rjxovoav ii^oc t/)v ^Eqv^qüv i^ä/.aaouv xaxoixovai, ^aßarrii/jv
zi^v /ivfjuv ovonüaavxiq.
47*
740 Beilage II: Geschichte der nabatäischen Könige. [620, 621]
batäer, des Sohnes Charithath's, Königs der Nabatäer, welcher
sein Volk liebt" {Rachem-ammehy^). Zu el-Hegr finden sich sechs
Inschriften, welche nach Regierungsjahren des Maliku
datirt sind^'), darunter die jüngste (Euting Nr. 26 = Corp. Inscr.
Sem. P. II n. 223) vom .,Jahr einundzwanzig des Königs Maliku,
Königs der Nabatäer' rja: Tbü i5D5B iDb^b mni ^-lüy r:cn.
Münzen giebt es vom J. 9 und 23 (so Euting-Gutschniid S. 86,
nicht wie de Vogüe las 25 und 33)^'^). Da der König Kabel nach
der Inschrift von D'mer im J. 71 zur Regierung kam, so hat
Malchus etwa von 4S— 71 regiert. Auf ihn bezieht sich wohl auch
eine vom „Jahr eins (oder zwei?) des Königs Maliku, Königs der
Nabatäer" datirte Inschrift zu Um er-Resäs nordöstlich von Dhibän
in Moabitis^^). — Zu seiner Zeit ist Damaskus, wahrscheinlich
durch Nero, wieder vom nabatäischen Reiche getrennt
worden (s. oben S. 737).
Rabel, 71—106 nach Chr., ist nur durch Inschriften und
Münzen bekannt. Sein Name lautet nach Euting nicht, wie man früher
las, Dabei sondern Rabel (bKm). Der Name Rabel oder Rabbel ist
auch sonst nicht selten^^). Ein älterer ^PaßiloQ ßaciXivc rmv
UQaßimv bei Steph. Byx. s. v. Mcod^co (s. oben S. 732). Das Jahr
seines Regierungsantritts lässt sich genau bestimmen nach der In-
schrift von D'mer. welche datiit ist vom Monat Ijjar „im Jahre
405 nach der Zahl der Römer, das ist im Jahre 24 des Königs
Rabel"'«'). Unter dem Jahr 405 „nach der Zahl der Römer" ist
das Jahr der seleucidischen Aera zu verstehen. Hiernach ist das j
Datum = Mai 94 nach Chr. (s. Gutschmid S. 86), das erste Jahr
des Rabel also = 71 nach Chr. Auf zwei Inschriften zu el-Hegr
3ö) De Vogüe, Syrie centrale, Inscriptious sänitiqms p. 107. Schröder,
Zeitschr. der DMG. 1884, S. 532 f. Corp. Imcr. Sem. P. II n. 182.
37) Euting, Nabatäische Inschriften S. 61-C8 (Nr. 21—26). Corp. Iiisrr.
Sem. P. II n. 218-223.
38) Duc de Luyncs, Pirue Xiim. 1858, p.2%sq. De Vogüe, Pcnic Nun/.
1868, p. 166 »7. De Saulcy, Anintahe t. IV, 1873, ;>. VI sq. — Eine Münze
ohne Datum (von Malclius und Sekilath) giebt Sorltn-Dorigiiy, Pmir Nii-
invimntique 1887, p. 3ÜÜ »q.
.39) De Vogüi, Syrie centrale, Insoriptions s6tirUiqurs p. 100. Corp. Insor.
Semit, P. II n. 195. Clcrmont- C/rnnteaH, liecuril (l'arcliönl. Orient. II, 185—188
(letzterer jrlauht die Ziflcr des Datum« als 2, nicht 1, loHen zu müssen).
40) 'Paßijkov WmMinyfou , Imcr. 11. 21H!>. 'PaßßrjKoc ihi'l. 11. 2152. 220S.
2537p. lieviic hihliqiir IHfiM, p. 102. 104. Ein Prornhis Uahili filiii.<< auf der
oben H, 463 crwfihnten lat. Innchrift. AI« syrischer KinliciischriftsteUcr i.st
Biachof Kabul an von EdchHa bekannt.
41) 8f> liest EutinK, Nnbat. Inschr. 8.86. Der erste HcrauHgcber Sachuu
(ZeitMhr. der I)M<t. 1884, H. .Wo fl.) und noch ihm Clrrviout-Üainimu,
Boeueil I p. 70 Inscu 410. Wie Euting auch da» Corp. Inscr. Semit. P. il //.
[021] Beilage II: Geschichte der nabatäischeu Könige. 74 t
wird das zweite und vierte Jahr des Rabel erwähnt ^2^, auf einer
Inschrift zu Salkliat im Hauran das fünfundzwanzigste, "jinüy r:r?
bNsnb üToni^^); auf zwei anderen Inschriften der Hauran-Gegend
das dreiundzwanzigste und sechsundzwanzigste (mö[l ■j]''"itD:? rzw
!:Ka"ib)^*); die Münzen geben kein sicheres Datuni^^). Da Rabel
auf einigen Münzen neben seiner Mutter Sekilath(nttsn5'^pü) erwähnt
wird, war er beim Antritt seiner Regierung wohl noch unmündig.
Eine „Königin Sekilath" wird auch auf Münzen des Malchus als
dessen „Schwester" erwähnt (im: nrbtt nnn» nb'ipTn); und auf
einer Inschrift in Petra kommt vor ein „Oneisu, Bruder der Sekilatli,
der Königin der Nabatäer" (ii:a: rrbtt nrpc n« ".©^rr)^*^). Wenn
hier überall dieselbe Sekilath gemeint ist, so ist anzunehmen, dass
Sekilath die Schwester- Gemahlin des Malchus war, Rabel der
Sohn beider, und Oneisu nicht der „Bruder" im eigentlichen Sinne,
sondern der ejrlxQojcog der Sekilath, wie Clermont-Ganneau scharf-
sinnig vermuthet auf (irund von Strabo XVI, 4, 21 p. 779: ix^t <i'
o ßaoiXevq tjtixQOJtov xmv Ira'iQcov xiva xaXovutvov äöeXrpov. —
Auf den Inschriften aus dem 23. und 2(3. Jahre seiner Regierung
führt Rabel den Titel msy aT''OT "«"'nx "'i „welcher Leben und
Freiheit seinem Volk gegeben hat", offenbar eine Wiedergabe des
hellenistischen Titels 2^coxrjQ. — Rabeis Erwähnung auf der Inschrift
zu D'mer, östlich von Damaskus, auf dem Weg nach Palrayra, be-
stätigt die Ausdehnung der Nabatäerherrschaft bis in jene Gegend.
Das 26. Jahr des Rabel, aus welchem die späteste datirte In-
schrift stammt, ist = 96 n. Chr. Er kann also, da Arabien im
,1. 106 römische Provinz wurde, der letzte König gewesen sein.
Dussaud und Macler wollen ihm noch einen Nachfolger Malchus
geben, weil auf der von ihnen herausgegebenen Inschrift vom 23.
Jahre des Rabel der Gott X"irx oder xn:?« „der Gott unseres Herrn"
161. Eine Photographie der ganzen Stele giebt C/t'rw<on<- Go««ea«, Alhmn
(rantiqultes urientalcs /irr. I, 1897, pl. XLII.
42) Eutin g, Nabatäische Inschriften S. 08—70 (Nr. 27—28). Corp. Inser.
Semit. P. II n. 224—225.
43) De Voifiie, Si/rie centrale, Liscriptions semüiques p. 112. Corp. Inscr.
Sem. P. II n. 183.
44) Dussatid et Macler, Votjaije nrc/ieolof/ique au Saf'd et dans le Djchel
ed-Drnx, 1901, p. 168 und 187. Hiernach Clermont- Gatineau, liecueil IV
p. 170 u. 174.
45) Duc de Luynes, Rectie Num. 1858, p. 2d7 sg. De Vogüe, Revue
Num. 1868, p. 167 sj. De Saulcy, Awnuiire t. IV, 1873, p. 19—21. Dazu
Euting-Gutschmid S. 86.
46) De ]'ogiic, Journal asiatique, Neui^ieme Äer/e ^ VIII, 1896, /?. 496 und
nach besserer Copie t. XI, 1898, />. 144—146, auch Revue biblique VI, 1897,
/'. 225. Zur Erläuterung: Clermont- Gaiuieau, Jnurn. asiat. Xeuv. Serie t.
XI, 534 sq. = Recueil IT, 380 sq.
742 Beilage II: Geschichte der nabatäischen Könige. [621]
(also, wie sie iiieiiien. des Königs Rabel) genannt wird, und weil auf
einer anderen Inschrift (Euting Nr. 21 == Corp. Inscr. Sem. P. II n.
218) derselbe Gott Xi2?i< oder sny« als „der Gott Rabeis" (also des
Königs Rabel) bezeichnet, diese Inschrift, aber vom 1. Jahre des
Königs Maliku datirt ist. demnach ein Maliku noch auf Rabel
gefolgt sein müsse*'). Hierbei ist aber zweierlei unsicher: 1) dass
auf der ersteren Inschrift „unser Herr" der König Rabel ist (es
scheint eher, dass die Stele von einem Sklaven gesetzt ist, der
sie den Göttern seines Herrn widmet), und 2) dass der Rabel der
anderen Inschrift der König dieses Namens ist (es scheint eher
ein Privatmann dieses Namens zu sein). Die Schlussfolgerung ist
also in doppelter Beziehung unsicher^^).
Schwierigkeiten, die bis jetzt nicht gelöst sind, bietet die Auf-
schrift auf einer Statue des Königs Rabel, welche vom so und
so vielsten Jahre des Königs Aretas (nmn) datirt isf*^). Es hat
hiernach einen König Rabel gegeben, aufweichen noch ein Aretas
gefolgt ist, und es liegt nahe, beide als die letzten Könige zu be-
trachten, da uns ein Rabel für diese Zeit sicher bezeugt ist. Gegen
diese Annahme hat aber C-lermont-Ganneau zwei Gründe geltend
gemacht: 1 ) der letzte Rabel war ein Sohn des Malchus (was aller-
dings wahrscheinlich ist, wenn es auch nicht, wie Cl.-G. S. 229
irrthümlich angiebt, auf der Inschrift von Salkhat CIS II 183 ge-
sagt ist), der Rabel, welchem die Statue gesetzt ist, hatte aber
zum Vater einen König, dessen Name auf n {'ihau) endigte (von
Euting bestätigt), 2) die Statue ist nach der wahrscheinlichsten
Lesung der Jahresziffer im 16. Jahre des Aretas gesetzt; so lange
kann aber ein Nachfolger des letzten Rabel nicht mehr regiert
haben. Wenn nun die Lesung IB auch sehr unsicher ist, so scheint
die .lahresziffer doch in der That für einen nach dem letzten Rabel
noch einzufügenden Nachfolger zu gross (Euting liest 9, aber mit
der Andeutung, dass die Jahresziffer unvollständig erhalten zu sein
scheint). Die Heziehung der Statue auf den letzten Rabel ist also
unwahrscheinlich. Clermont-Ganneau identificirt daher den Rabel
47) DuBsaud et Mar/ir, Voijage archmliHfiqnr p. lf)9 — 173.
48) Clermont-Oannrau, lierueil JV, 178 «7. denkt zwar, wie Dussaud
und Mnclcr, in beiden Fftllen an einen König Rabel, hält aber trotzdeni die
8<'hlti«Hfolgnrung niclit für /wingeiul, weil melirerc Könige Namens Kah(>l deii-
Helbeii Sp«rial-Oott ver<'hrt haben können, auf der Insclirin huh dem 1. .Tahr(>
de« Maliku rIho ein filterer Kabel gemeint nein könne.
40) Clrrmont-dinini'du , Itmirll d'iirrlmol. orifiit. 11, 221 — 234 (di»' In-
nehrift Int in Petra von Gönne r-J)urand gefunden). Eine I'hotograpliie
der Innehrift i^eht Clermont-Ganneau, Alfmm d'nnfiquites oneiifa/rK livr.
1, 1897, jil. XLV n. 1. Kine neue auf eigener Topie beruhende Lesung hat
Enting mir gütignt mitgetheilt.
(621] Beilage II: Geschichte der nabatäischen Könige. 743
der Statue iiiit dem 'PdßiXog, welchen Gutschinid um 90— S5 vor
Chr. ausetzt (s. oben S. 732). Da aber auch dieser Ansatz starke
Bedenken gegen sich hat, so wird vorläufig auf die Einreihung
des ßabel der Statue in die Künigsliste zu verzichten sein.
Im J. 106 n. Chr. wurde „das zu Petra gehörige Arabien"
durch Cornelius Palma, den Statthalter von Syrien, in eine rö-
mische Provinz verwandelt 5<'). Die Ausdehnung der Provinz
scheint annähernd der des ehemaligen nabatäischen Königreiches
entsprochen zu haben ^*). Jedenfalls gehörten zu ihr als ihre be-
deutendsten Städte Petra im Süden und Bostra im Norden (in der
Haurangegend), welche beide nach der Provinzialaera vom J. 106
rechneten^-). — Die weitere Geschichte der Provinz, über welche
50) Dio Cass. LXVIII, 14: xaxu de tov avcov tovzov XQÖvov xal TlaXuaq
Ttjq ^VQlaQ UQ'/cuv TTjv ligaßlav zt)v n^oi ry IHtqu ix^iQcioato xal '^Pojfiatutv
vn^xoov inoii^aaTO. Vgl. Ainmian. XIV, 8, 13. Die Thatfiache ist auch ver-
herrlicht durch Münzen Trajan's mit der Aufschrift J./-a6. rtrf(/«t«t<. {Cohen,
Medaillcs imperiaks 2. Aufl. Bd. II, 1882, Trojan n. 26 — 38). — Ueber Corne-
lius Palma s. auch Le Bas et Wmklington, Inscripttons t. III n. 2296. 2297.
2305. Corp. Inscr. Lat. t. VI n. 2180. Liebenam, Forschungen zur Verwal-
tungsgeschichte des röm. Kaiserreichs Bd. I, 1888, S. 43 f. Prosopographia
imperii Romani I, 459. Pauly-Wissowa's Real-Enc. IV, 1418 f. (s. v. Cornelius
n. 279). — Ueber die Einverleibung Arabiens: Dierauer in Büdinger's Unter-
suchungen zur röm. Kaisergeschichte I, 111. De la Berge, Essai sur /e regne
de Trajan {Paris 1877) p. 71 — 73. Schiller, Geschichte der röm. Kaiserzeit
I, 2, S. 554.
51) Einen Versuch, die Grenzen genauer zu bestimmen, macht Rohden,
De Pakiesiina et Arabia prorineiis Fomaiiis p. 15—17. Vgl. auch oben S. 427f
über die Provinzen des Philippus. — Ueber eine Inschrift, welche von einem
östlichen Grenzwall {opus viilli) Zeugniss giebt, handelt Zangemeister,
Mittheilungen und Nachrichten des DPV. 1896, S. 49—52. Den Bemühungen
von Brunn ow und Domaszewski ist es gelungen, den Lauf der östlichen
und südöstlichen Befestigungsliuie im Wesentlichen festzustellen. S. den Be-
richt von Brünnow, Mittheilungen und Nachrichten des DPV. 1898, S. 33ff.
49 fV. V. Domaszewski, Die Namen römischer Kastelle am Limes Arabiens
(Festschrift für Heinr. Kiepert 1898, S. 03- 70). — Einige Städte der Dekapolis,
welche noch in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts n. Chr. zu Syrien
gehört hatten (Gerasa und Philadelphia), wurden später zu Arabien ge-
zogen, s. Bd. II, S. 143 f. 147 f. Mittheilungen und Nachr. des DPV. 1900, S. 21.
52) Chronicon paschale {ed. Dindorf 1, 472): IleTQaToi xal BoaxQrivol iv-
zsv&ev rovg kavKÖv xQOVovg dpiS-fiovai. Das Chronicon j)asc/tale hat diese
Bemerkung zum Jahr 105 [Candido et Quadrato Coss.). Das genauere Datum
der Epoche ist aber der 22. März 106. S. Waddington, Les eres emplotjies
en Syrie {Revue archeologique, Kouv. Serie t. XI, 1865, p. 263—272). Mar-
quardt, Römische Staatsverwaltung I, 431. Gutschmid bei Euting, Nabat.
Inschr. S. 87. Die Inschriften bei Le Bas ei Waddingfo?i, Inscriptions t.
III n. 2088. 2462. 2463 (diese beiden = Pakstine Exploration Fund, Quarterlg
Statement 1895, p. 148, 147) und Waddington's Erläuterungen zu n. 2463.
744 Beilage II: Geschichte der nabatäischeu Könige. [622]
die neueren Forschungen manches Material geliefert haben, ist hier
nicht mehr zu verfolgen ^^^ gj^ „jag mu- noch erwähnt werden,
dass Trajan wenige Jahre nach Errichtung der Provinz eine grosse
Strasse „von der Grenze Syriens bis zum rothen Meere" bauen
liess ^*). Seit dem vierten Jahrh. n. Chr. war Arabien in zwei Pro-
vinzen getheilt: Arabia niit der Hauptstadt Bostra, und Palaesiina
tertia mit der Hauptstadt Petra ^^).
Kabitschek in Pauly-Wissowa's Real-Enc. I, G41 f. im Art. Aera (erkennt
an, dass die Inschriften überwiegend für das Frühjahr 106 als Ausgangspunkt
der Aera sprechen, weist aber darauf liin, dass nicht alle Daten sich von dieser
Voraussetzung aus erklären).
53) Vgl. hierüber: Marquardt, Rom. Staatsverwaltung Bd. I (2. Aufl.
1881) S. 431—434, und die daselbst citirte Literatur. — Kuhn, Die städtische
und bürgerl. Verfassung des röm. Reichs II, 373—388. — Mommsen, Rom.
Gesch. V, 471 — 486. — Rohden, De Palaestina et Aralria jjrovinciis Fomanis
quaestiones selecta^. Diss. Berol. 1885 (giebt S. 49—57 ein Verzeichniss der
Statthalter der Provinz). — Lieben am, Forschungen zur Verwaltungsgeschichte
des röm. Kaiserreichs Bd. I, 1888, S. 42—49 (Verzeichniss der Statthalter). —
Rohden Art. Arabia in Pauly-Wissowa's Real-Enc. II, 359—362. — Cler-
mont-Ganneau, FAudes d'archMof/ie Orientale t. II (= Bihliotheque de l'ecole
des hatites äudes fasc. 113) 1897, p. 83—92. — Ders., liecueil d'archeoloyie
Orientale II, 240—247 (über einige Statthalter). — P. Meyer, Die legio III
Cyreiiaica (Jahrbb. für dass. Philol. 1897, S. 585—594). Ders., Die Neuab-
grenzung Arabiens unter Septimius Severus (ebendas. S. 594—596) [ist zu be-
richtigen]. — Ders., Römisches aus Aegypten und Arabien (Hermes 32, 1897,
S. 482—490). — Ders., Das Heerwesen der Ptolemäer und Römer in Aegypten,
189fJ, S. 158 — 169 (über die lecf. III Cyrenaica). — Michon, Inscriptions Uitines
d'Aralne (Rente hildique VI, 1897, /). 288— 298). — Germer- Durand, La vo-ie
romaine de Petra ä Madatta [Revue bililiqtie VI, 1897, p. 574 — 592). — Brün-
now, MittheiluDgen und Nachrichten des DPV. 1899, S. 88—91 (Meilensteine
mit Statthaitemamen).
54) Eine auf verschiedenen Meilensteinen erhaltene Inschrift vom J. 111
u. Chr. besagt, das* Trajan rcdacta in formani provinciae Arabia liam no-
ram a finibtis St/riac usque ad mare rulirnni aperuit et stravit per C. Clau-
ditim Hevermn leg. Au<j. pr. pr. {Gernier-lh(rand, Reime bibliq ue ISdd, p. (j07.
Ibid. 1897, p. 584. Michun, Revue bU)lique 1897, p. 289. 295. Brünnow, Mit-
theilungen und Nachrichten des DPV. 1898, S. 35. 1899, S. 90).
56) Die Geschichte der Theilung sucht nach dem Vorgang Anderer näher
zu ermitteln: Hohdeu, De Palaestina et Arab'ia provinciix rovianis p. 22—30;
der«, in Puuiy-WisHOWu's Keal-Enc. II, 359 f.
Beilage III.
Grundzüge des jüdischen Kalenders.
Die jüdischen und die (von Josephus mit
Tiiacedonischen Monate, verglichen mit dem
sind folgrende:
ihnen identificirten)
julianischen Kalender,
1.
2.
3.
4.
5.
C.
7.
8. l^ün-itt
9. ' ibo3
10. nst:
11. -jatq
12. m«
Nisati . .
IJjar . .
Sivan . .
Tammus .
Ab . . .
Elül . . .
Tischri . .
Marcheschwan
Kislev . ■
Tebeth . .
Scfiebdt . .
Addr . .
Aalöioq . .
Ilavs^oq . .
.Imoq . . .
roQJiialoq .
Aloe,. . . .
'AneXXaJoQ .
Avövvalo^
IltQnioj: . .
AvOTQO^ . .
März April.
AprilMai.
Mai Juni.
Juni Juli.
Juli August,
August September.
September/October.
October, November.
No vemb./ December.
December; Januar.
Januar Februar.
Februar März.
Die jüdischen Monatsnamen sind, wie jetzt durch die Keiliu-
schriften festgestellt ist, babylouisch-assyrischen Ursprungs. Auf
den in Ninive aufgefundenen Monatstafeln lauten die Namen fulgen-
dermassen (s. Schrader, Die Keilinschriften und das alte Testa-
ment, 2. Aufl. 1883, S. 379 f Muss-Amolt, The names of the Assijro-
Babylonian months and their regents, in: Journal of Biblical Literature
vol. XI, 1892, p. 72—94, 16Ü— 176, auch separat, New York 1893):
Xisaamm, Airv, Sivanu, Duuzu, Abu, Ulnlu, Tasritav, Araah samna,
Kisilivu, Tibituv, Sabaiu, Addaru. — Im Bereiche des Judeutliums ist
die älteste Urkunde, welche die fortlaufende Reihenfolge der Namen
giebt, die Megillath Taanith, die etwa im ersten Jahrhundert
nach C'hr. redigirt ist, da sie bereits in der Mischna citirt wird
(s. oben S. 156 f). Von späteren Zeugen sei hier nur der wenig
bekannte christliche Josephus erwähnt, der in seinem Hijpo-
mnesticum c.Tl iolg^wA^ lA^ta g\^\ii {Fahriciiis, Codex pseudepigraphus
Vet. Test. f. II Anhang, auch bei Gallandi, Bibl. patr. t. XIV und
Migne Patrolog. gr. t CVI): NijOav, EiaQ,^LOvai\ ßaf/ovC, Aß, EkovX.
746 Beilage III: Grundzüge des jüdischen Kalenders. [623. 624]
Ogqi 1. &iO(h]. MaQOaßäv, XaosXev, Trjß^&, 2^aßa&, 'Aöag. Fiii' die
einzelnen Xanien finden sich die ältesten Belege (abgesehen von
den Keilinschriften) an folgenden Stellen. |
1. •p'i? Nehetn. 2, 1. Esfher 3, 7. Mischna Pesachim IV, 9. Schekalim III, 1.
Bosch hasclutna I, 1. 3. 4. Taanith I, 2. 7. IV, 5. Nedarim VIII, 5. Bechoroth
IX, 5. Euting, Nabataische Inschriften aus Arabien (1885) n. II, 4. V, 3.
X. 7. XI, 7. XII, 9. XVI, 3. XX, 8. XXI, 4. Dieselben Inschriften auch
im Corp. Inscr. Semit. P. II Liscr. Aram. t. I. De Vof/üe, Syrie centrale,
Inseriptions semitiqiies (1868), palmyrenische Inschriften n. 1. 2. 4. 6. 18. 23.
25. 26. 27. 32. 34 und sonst. — Griech. Niaav Esra apocr. 5, 6. Addit. Estlier
I, 1. Joseph. Antt. I, 3, 3. II, 14, 6. III, 8, 4. 10, 5. XI, 4, 8.
2. ~i^x Bosch haschana I, 3. Euting, Nabatäische Inschriften n. VIII, 10.
IX, 9. XIII, 8. XXVII, 13. De Vogiie, Inscr. semif. Pahmjren. n. 88. —
'lag Joseph. Antt. VIII, 3, 1.
3. 'i^'^a Esther 8, 9. Schekalim III, 1. Bechoroth IX, 5. De Vogiie, Pal-
mi/ren. n. 33» und 33^. — Siovdv Baruch 1, 8.
4. T!i"3n Taanith IV, 5. 6.
5. 3S Pesachim IV, 5. Schekalim III, 1. Bosch haschana I, 3. Taanith
II. 10. IV, 5. 6. 7. J/esri/Za I, 3. Bechoroth IX, 5. Euting n. VII, 5. De
Voffiie n. 5. 28. 29. 73. 84. 103. — Bei Joseph. Antt. IV, 4, 7 ist die Lesart
*Aßßü (besser lAßä) zwar nur eine von Bernard eingeführte Conjectur; aber eine
wohlberechtigte. Denn das von Niese nach den Handschriften aufgenommene
J!ußä kann Josephus unmöglich geschrieben haben.
6. b»bx Kehem. 6, 15. Schekalim III, 1. Bosch haschana I, 1. 3. Taanith
IV, 5. Bechoroth IX, 5. 6. Euting n. I, 3. De Vogüe n. 78. 79. 123» I. —
'E).ovl I Makk. 14, 27.
7. '^"yÖT} Schekalim III, 1. Äo.sc/* haschana I, 1. 3, 4. Bechoroth IX, 5.
Z)c T'o.7Me n. 17. 22. 85. 123» IL — Bei Joseph. Antt. VIII, 4, 1, wo die Aus-
gaben seit Hudson BiaQl haben, liest Niese libvQft. Aber die Hudson'sche
Lesart, die sich namentlich auf den alten Lateiner stützt, ist ohne Zweifel die
richtige.
8- l^ön-is Taanith I, 3. 4. — Magaovdviji Joseph. Antt. I, 3, 3. — Auf
den palmyrenischen Inschriften heisst dieser Monat Kanun, ",132, De Vogüe
n. 31. 63. \ä.
0. "iboi Sachatja 7, 1. Nehem. 1, 1. Bosch hascliana I, 3. Taanith I, 5.
— Xaaeüv I Makk. 1, 54. 4, 52. II MaJck. 1, 9. 18. 10, 5. Joseph. Antt. XII,
5, 4. 7, 0. — Auf den palmyrenischen Inschriften lautet der Name ^"i^DS, Kis-
lul oder Kaslul {de Vugiid n. 24. 75).
10. raa Esther 2. 16. 7hamth IV, 5. Euting n. III, 2. XIV, 9. XV, 8.
/>e VogiUn. 66. 123» III. — Teßi»Oi Joseph. Antt. XI, 6, 4.
11. aati Sncharja 1, 7. /^osc// haschana T, 1. Euting «. IV, 9. De Vo-
gtii n. 67'. 89. — 2"c/?or I ;VaH-. 16, 14.
12. 17X häufig im lUich Esther (auch Additam). Srhrkalitn I, 1. HI, 1.
Ä<;#f/t haüchaua I, .'{. 3/t'7?V/a I, 4. III, 4. Nedarim VUI, 5. 7t//?<;w/// VII, 7.
Bechoroth IX, 5. Euting «. XXIV, 6. De Vogüf. n. 8. 10. 11. 12. 13. 19.
04. 117. 119. — ^ASttQ I Makk. 7, 43. 49. 11 Makk. 15, 36. Joseph. Antt. IV,
8, 4Ö. XI, 0, 2. XII, 10, 5, — li^KTO "^1^ ""<' ''?^!'^ "''?** Mrgilla I, 4. iVc-
darim VIII, 5.
[024. 625] Beilage III: Grundzüge des jüdischen Kalenders 747
Die jüdischen Monate sind stets das geblieben, was die ,.Mo-
nate" aller Culturvidker von Hause aus waren, wirkliche Mond-
monate. Da die astronomische Dauer eines Monates 29 Tage 12
Stunden 44' 3" beträgt (Ideler. Handbuch der Chronologie I, 43),
so müssen im bürgerlichen Leben Monate von 29 Tagen und solche
von 30 Tagen ziemlicli regelmässig mit einander abwechseln. — |
Zwölf solcher Mondmonate betragen aber nur 354 Tage 8 Stunden
4S' 38" (Ideler, Handbuch der Chronologie I, 66), während das
Soiinenjahr 365 Tage 5 St. 48' 48 " umfasst (Ideler, I, 35. 66). Die
Differenz zwischen einem Mondjahr zu zwölf Monaten und dem
Sonnenjahr beträgt also 10 Tage 21 Stunden. Uni diese Differenz
auszugleichen, muss mindestens in jedem dritten Jahre, zuweilen
auch schon im zweiten, ein Monat eingeschaltet werden. Man hat
nun sehr frühzeitig beobachtet, dass eine annähernd genügende
Ausgleichung erreicht wird, wenn in je acht Jahren dreimal
ein Monat eingeschaltet wird (die Differenz beträgt in acht
Jahren 87 Tage). Auf der Kenntniss dieses achtjährigen Cyclus
(dieser „Octaeteris") beruhen bereits die vierjährigen Festspiele der
Griechen; denn der vierjährige Cyclus ist nur eine Halbirung des
achtjährigen '). Aber schon im fünften Jahrhundert vor Chr. hat
der Astronom Meton in Athen ein noch genaueres System der
Ausgleichung aufgestellt, einen neunzehnjährigen Cyclus, in
welchem siebenmal ein Monat eingeschaltet werden muss '^). Dieser
übertrifft den achtjährigen bedeutend an Genauigkeit, da hier in
10 Jahren nur eine Differenz von etwas über 2 Stunden bleibt
(Ideler I, 47), während beim achtjährigen schon in 8 Jahren eine
solche von 1^9 Tagen bleibt. Unter den späteren Astronomen
1) Vgl. über das Alter der „Octaet^ris" : Ideler, Handbuch der Chrono-
logie I, 304 f. II, G05. Boeckh, Zur Geschiiiite der Mondcyden der Hellenen
(Jahrbücher für class. Philol. 1. Suppleinentbd. 1855—1856) S. 9 ff. Adolf
Schmidt, Handbuch der griechischen Chronologie, herausg. von Rühl, Jena
isas, s. ()i-»ö.
2) Nach Dioclor. XII, 36 hat Meton sein System im Jahre 433 32 vor Chr.
bekannt gemacht. Vgl. aucli Tlieophrast. de sir/nis iempestutmn c. 4, Aelian.
Variae historiae X, 7. Ideler, Handbuch der Chronologie I, 309 ff. — Die
Einführung des Meton'schen Kalenders in Athen erfolgte aber, wie zuerst
Boeckh nachgewiesen hat, erst geraume Zeit später (nach Usener 312 vor
Chr., nach Unger zwischen 346 und 325 vor Chr., s. Philologus Bd. XXXIX,
1S80, S. 475ft".; für ersteres auch Dürr, Die Reisen des Kaisers Hadrian 1881,
S. 90ft'.). Vgl. überhaupt über den Kalender der Athener: Aug. Mommsen,
Chronologie, Untersuchungen über das Kalenderweseu der Griechen, insonder-
heit der Athener, 1883. AdolfSchmidt, Handbuch der griechischen Chrono-
logie, 1888. Unger in Iwan Müller's Handb. der klass. Alterthumswissenschaft
Bd. I, 2. Aufl. 1S92, S. 713—778. Uebersicht der wichtigsten Literatur bei
Wachsrauth. Einl. in das Studium der alten Geschichte S. 292-294.
•y^g Beilage III: Grundzüge des jüdist^heu Kaleuders. [625]
welche noch genauere Berechnungen gaben, ist besonders der im
zweiten Jahrh. v. Chr. (uni 15U— 130 v. Chr.j lebende H i p p a r chu s aus
Nicäa hervorzuheben ^). — Die Thatsache, dass der Lauf der Sonne
und des Mondes nach je neunzehn Jahren fast genau ^vieder zu-
sammentreffen, war auch den Babyloniern frühzeitig bekannt;
ja es ist neuerdings von Mahler auf Grund der Keilschrift-Daten
der Nachweis versucht worden, dass sie schon seit Nabonassar,
also lange vor Meton, einen 19jährigen Schaltcyclus regelmässig
zur Anwendung brachten ^). Wenn dies auch nicht erweislich ist^
so darf doch für die seien eidische Zeit die Anwendung einer
19jährigen Schaltungsperiode in Babylonien als erwiesen gelten^
wobei es freilich noch fraglich ist, ob den Griechen oder den Ba-
byloniern die Priorität zukommt^). Für das Reich der Arsaci-
3) Vgl. über ihn: Ideler, Handb. der Chronologie I, 352 ft". Susemilil,
Gesch. der griech. Litteratur in der Alexandriuerzeit I, 1891, S. 705—774.
4) Mahler, Der babylonische Schaltcyclus (Zeitschr. für Assyriologie VI,
1891, S. 457—464). — Ders., Der Kalender der Babylouior (Sitzungsberichte
der Wiener Akademie, mathemat.-naturwissenschaftl. Cl., Bd. 101, Abth. II, a,
1892, S. 337—353, 1685—1693). — Ders., Das Kalenderwesen der Babylonier
(Transadüms of ihe ninth infernotional Conf/ress of Orieutulists 1892, fol. II,
1893, p. 209—217). — Ders , Der Schaltcyclus der Babylonier (Zeitschr. für
Assyriologie IX, 1894, S. 42—61). — Ders., Zur Chronologie der Babylonler
(Denkschriften der Wiener Akademie, matheraat.-naturwiss. Cl. Bd. 62, 1895,
S. 641 — 664). — Ders., Der Saros-Kanon der Babylonier und der 19Jährige
Schaltcyclus derselben (Zeitschr. für Assyriologie XI, 1896, S. 41—46). —
Ders., Der Schaltcyklus der Babylonier (Zeitschr. der deutschen morgenländ.
Gesellsch. Bd. 52, 1898, S. 227-246).
5) H. Martin, Memoire ou se trouve restitue ponr la premüre fois le ca-
lendrier lunisolaire chaldio-macedonicti dans Icquel sont dat^es trois Observation»
planetaires cäees par Ptidimee {Rente urchiolo(fique X, 1, 1853, p. 193 — 213,
257—267, 321—349), hat aus drei Sternbeobachtungen bei Pto/cni, IX, 7 u. XI,
7 zum Jahr 67, 75 u. 82 aer. Sei. ■= 245, 237 und 229 vor Chr. nachgewiesen,
dass der danuils in Babylonien gebrauchte Kalender auf dem liljährigen Cyclus
beruhte, und zwar, wie Martin annimmt, in der durch Callippus (4. Jalirh.
vor Chr.) verbesserten Gestalt, in welcher er durch die Maceilonier nach Baby-
lonien gekommen sei. — Ed. Meyer, Die chaldäische .\era des Almagest
und der babylonische Kalender (Zeitschr. für Assyriologie IX, 1894, S. 325— :]29)
hat vierzig Jahre nach Martin, (tline seinen Vorgänger zu kennen, auf (irund
derselben Stellen des rtolcmäus abermals den Gebrauch des 19jährigen Cyilus
in Babylonien im dritten Jahrii. vor Chr. erwiesen. — Sonst vgl. für und gegen
Mahlcr: Kpping und Strassmaier, Der Sarns-Canon der Babylonier (Zeitschr.
rar AsNyriologiü VIII, 1893. S. 149-178). — Oppert, Die Schaltmonate bei
den Babyloniern (ZeitHchr. der DMG. Bd. 61, 1897, S. 138—105) [gegen Mahlcr;
aber mit der Annahme, das» der 19jührige Cyclus schcm im 4. Jahrhundert
vor Chr. aus GriecheDhiud mich Habylonicn gekommen sei]. — Ginzel, Spe-
crieller Kanon der Sonnen- und .Mondfinsternisse für das Ländergebiet der
kla»»iHchcn AltvrthumswisHenHchaften, 1899, S. 235-243 (dieser Abschnitt ist
[025. 62*i] Beilage III: Grundzüge des jüdischen Kalenders. 749
den, und zwar das erste Jahrh. vor Chr. und das erste Jahrli.
nach Chr., hat Th. Reinach den 19jährigen Cyclus aus einigen
Münzen derselben, auf welchen die Jahre 287, 317 und 390 der
seleucidischen Aera als Schaltjahre erscheinen, dargethan*).
Wie weit waren nun die Juden zur Zeit Jesu Christi in der
Kenntniss dieser Dinge gekommen? Eine allgemeine Kenntniss
haben sie davon natürlich gehabt. Aber, wenn niclit alles trügt,
so haben sie im Zeitalter Jesu Christi überhaupt noch
keinen fixirten Kalender besessen, sondern auf Grund ganz
empirischer Beobachtung jedesmal mit dem Erscheinen des Neu-
mondes einen neuen Monat angefangen, und ebenfalls auf Grund
jedesmaliger Beobachtung im dritten oder zweiten Jahre im Früh-|
jähr einen Monat eingeschaltet nach der Regel, dass das Passa
unter allen Umständen nach der Frühjahrs-Tag- und Nachtgleiche
fallen müsse").
1) Der Verfasser der astronomischen Stücke im Buche Henoch
w^eiss, dass das Jahr sechs Monate zu 3U Tagen und ebensoviele
zu 29 Tagen hat^); und Galen (zweites Jahrh. nach Chr.) sagt,
von C. F. Lehmann bearbeitet) [für Mahler]. — Kugler, Die babylonische
Mondrechnung, 19(X», S. GO f. 210 f. — Weissbach, Ueber einige neuere Ar-
1)citen zur babylonisch-persischen Chronologie (Zeitschr. der DMG. Bd. 55,
1901, S. 195— 22(J) [gegen ^lahler]. — Ginzel, Die astronomischen Kenntnisse
der Babylonier (Beiträge zur alten Geschichte, herausg. von C. F. Lehmann,
I, 19(11, S. 1—25, 189-211) [zeigt S. 201 f., nach Kugler, dass die Babylonier
die Umlaufszeit des Mondes schon einige Zeit vor Hipparch genau so be-
stimmten wie dieser, nämlich zu 29 Tagen 12 St. 44' S's"].
6) Th. Reinach, L« calendrier des Grees de Biibylotiie et les origines du
ealendrier juif (Renie des ctndes Jinres t. XVIII, 1SS9, p. 90—94). — Reinach
setzt hier noch als selbstverständlich voraus, dass der 19jährige Schaltcyclus
aus Griechenland stammt.
7) Für die Meinung, dass die Juden schon zur Zeit Christi einen fixirten
Kalender hatten, ist mit besonderer Lebhaftigkeit Wiesel er eingetreten (Chro-
nologische Syuopse S. 437 ft'. Beiträge zur richtigen Würdigung der Evangelien
S. 290 ff.); neuerdings auch wieder Ramsay {Expositor 1899, Dec. p. 431—438).
— Das Richtige z. B. bei I de 1er, Handbuch der Chronologie I, 512fr. Gum-
pach, Ueber den altjüdischen Kalender S. 117 fi". 137 fl". Caspari, Chrono-
logisch-geographische Einleitung in das Leben Jesu Christi S. 10 ff. Ham-
burger, Real-Enc. S. (JOS— 628 (Art. Kalender). Bacon, Erpositnr ¥j00, Jidy
p. 1 — 14 (gute Bemerkungen gegen Ramsay).
8) Henoch 78, 15—16 (nach Dillmann's Uebersetzung): „Und drei Monate
lang macht er dreissig Tage, zu seiner Zeit, und drei Monate lang macht er
je neunundzwanzig Tage, in denen er seine Abnahme bewerkstelligt in der
ersten Zeit und im ersten Thore, hundertsiebenundsiebzig Tage hindurcii.
Und in der Zeit seines Ausgangs erscheint er drei Monate laug je dreissig
Tage, und drei Monate lang je neunundzwanzig Tage". — Die neueren Ueber-
setzaugen von Beer (in Kautzsch's Apokryphen 1900) und Flemming 19ol)
bieten keine bemerkenswertheu Varianten.
750 Beilage III: Gruudzüge des jüdischen Kalenders. [ö26. ü27
dass „die in Palästina" die Zeit von je zwei Monaten im Betrage
von 59 Tagen in zwei ungleiche Hälften tlieilen, so dass sie den
einen Monat zu 30, den andern zu 29 Tagen rechnen ^). Man würde
aber irren, wenn man daraus den Schluss ziehen wollte, dass die
Dauer der Monate im Voraus fest bestimmt war. Noch im Zeit-
alter der Misch na (zweites Jahrh. nach Chr.) kann dies nicht der
Fall gewesen sein. Denn die ganze Gesetzgebung der Mischna
ruht auf der Voraussetzung, dass der neue Monat, ohne
vorherige Berechnung, jedesmal beim Sichtbarwerden des
Neumondes begonnen wurde. Sobald durcli glaubwürdige Zeugen
vor dem competenten Gerichtshof zu Jerusalem (später zu Jahne)
das Erscheinen des Neumondes festgestellt war, wurde der Neu-
mond ,.geheiligt" und nach allen Richtungen hin Boten ausgesandt,
um den Anbruch des neuen Monats zu melden (so wenigstens in
den sechs Monaten, in welchen es wegen eines Festes von Wichtig-
keit war: im Nisan wegen des Passa, im Ab wegen des Fastens,
im Elul wegen des Neujahres, im Tischri wegen der Anordnung
der Festtage [dieses Monates, nämlich des Versöhnungstages und
des LaubhüttenfestesJ, im Kislev wegen des Tempelweihfestes, im
Adar wegen des Purim; so lange der Tempel bestand, auch im
lijar wegen des kleinen Passa) ^% Da man natürlich ziemlich genau]
wusste, wann das Erscheinen des Neumondes zu erwarten sei, so
wird man alles aufgeboten haben, um es womöglich am richtigen
Tage constatiren zu können. Aber fixirt war die Dauer der ein-
zelnen Monate nicht. Das wird besonders durch folgende zwei
Stellen der Mischna bestätigt: 1) Kmbin III, 7: „Wenn einer vor
dem Neujahrsfeste befürchtet, dass der Monat Elul zu 30 Tagen
angesetzt werden mfichte, so kann er etc."''). 2) Amchin II, 2:
„In einem Jahre sind mindestens vier Monate von dreissig
Tagen, und man fand bisher höchstens deren acht". Aus
ersterer Stelle erhellt, dass es keineswegs im Voraus feststand, ob
9) Galen. Opp. ed. Kühn t. XVII p. 23: roif ovo ftijvctf i'iptQüiv ytvofiivovi;
/>' xal V rifivovaiv dg äviaa fi^^rj, xov ph' i'ztpov avxiLv ).' iipeQwv !QyaC,6-
ptvoi, xov rf' t'xfpov &' xal x'. S. die Stolle im Zusanimeniiaujr, griocliiscli und
deutfi'h, auch hei CuHpari, ClironologiBch-geographische Einleitung in das
Lehen JcHU Christi (18«i!l; S. 0.
10) Vgl. ühcrliHupt: liimrli-lmtirlKnui 1, '.WW II ganz. 111, 1. IV, 4. Dazu bes.
Zuck er mann, Muteriulicn zur Entwickclung der altjüdittchen Zeitrechnung
im Talmud (1882) 8, 1-3U. — Nach Snnfmlrin I, 2 (vgl. Äwc/t hmcluina II, Ü;
III, 1) genügte zur Krklflrung de» NeuniondcH und des Schaltjahre» ein Ge-
ricbtHhof von dn-i .Männern, womit jedoch nicht gesagt ist, dass sie in der
K<>gel durch einen solchen erlolgt Hci.
11) IJhhs die »pütere Hegel, wornach der Kltil immer 29 Tage Italien uuiss,
damalit noch nicht exiHtirte, lieht man auch auH SchvhiilU X, 2.
[627. 628] Beilage III: Grundzüge des jüdischen Kalenders. 751
ein Monat 29 oder 30 Tage haben werde; und die letztere Stelle
zeigt, wie unsicher noch der Kalender bei dieser empirischen Me-
thode war: noch im Zeitalter der Mischna (zweites Jahrhundert
nach Chr.!) wird es für möglich gehalten, dass es Jahre geben
könne, in welchen nur vier Monate zu dreissig Tagen vorkommen,
und wieder andere, in welchen acht solche Monate vorkommen (dass
also der Umfang des Mondjahres zwischen 352 und 356 Tagen
schwanken könne, während er factisch nur zwischen 354 und 355
Tagen schwanken kann ^ 2).
2) Auch das System der Schaltung war im zweiten Jahrhun-
dert nach Chr. noch nicht fixirt. Zwar sagt Julius Africanus,
dass die Juden wie die (iriechen in je acht Jahren drei Monate
einschalten i'\); und wir haben keinen Grund, diese Angabe für die
Zeit des Julius Africanus (erste Hälfte des dritten Jahrhunderts
nach Chr.) zu bezweifeln, obwohl sie in Betreff der Griechen un-
genau ist (die Mehrzahl derselben hatte längst den genaueren neun-|
zehnjährigen Cyclus)'^). Auch für das Zeitalter Jesu Christi wird
sie im Allgemeinen ihre Gültigkeit haben, da sich die dreimalige
Schaltung im Verlauf von acht Jahren auch bei ganz empirischem
Verfahren im Wesentlichen von selbst ergab. Aber die Kenntniss
dieses achtjährigen Cyclus ist jedenfalls noch in den astronomischen
Stücken des Buches Henoch und im Buch der Jubiläen (die man
annähernd als Zeugen für die Zeit Christi wird betrachten dürfen)
«'ine äusserst ungenaue; und sie ist damals noch nicht zur Auf-
stellung eines festen Schaltsystemes verwendet worden. In den
astronomischen Stücken des Buches Henoch wird die irrige Mei-
nung vorgetragen, dass der Mond in acht Jahren nur um achtzig
Tage hinter der Sonne zurückbleibe, indem das Mondjahr zu 354,
das Sonnenjahr zu 364 Tagen angesetzt wird {Henoch e. 74, 16; s.
überh. c. 72—82). Ganz dieselben ungenauen Aufstellungen finden
12) Im Zusammenhang der citirten Stelle {Arachin II, 2) wird in Bezug
auf die verschiedensten Dinge die möglicherweise vorkommende Minimal- und
Maximalgrenze angegeben. Die erwähnte Schwankung im Jahresumfang ist
also wirklich beobachtet worden und wird noch im Zeitalter der 31ischna für
möglich gehalten. — Den Autoritäten des babylonischen Talmud ist die An-
gabe freilich schon so auffallend, dass Versuche zur ümdeutung gemacht
wurden, s. hah. Arachin 8b— 9a, Zuckermann, Materialien S. 64 f.
13) Jtd. Afrkan. bei Euseb. Demonstr. evany. VIII, p. 390 = Si/nce/L ed.
J>mdorf I, 611 = Routh, Be/iquiae sacrae II, 302: "E?.>.Tjveg xai "lovöaloc xgeiq
fitjvaq ifißoXi/jiovq hsaiv oxrw nagefißakkovoiv (lateinisch auch bei Hierony-
mus, Comment. in Daniel 9, 24: sqq. opp. ed. Vaüarsi V, 683 s^.).
14) Julius Africanus denkt bei "EU.7]veg wohl nur an die Syro-Makedonen.
S. Unger, Sitzungsberichte der Münchener Akademie; philos.-philol. und
bist. Cl. 1S93, Bd. II, S. 467.
752 Beilage III: Grundziige des jüdischen Kalenders. [628. 629]
wir auch im Buch der Jubiläen c 6 (Ewald's Jahrbücher der
bibl. Wissensch. II, 246; neue Uebersetzung von Littmann in
Kautzsch's Apokryphen) ^^). Ein Kalender, der auf diesen Voraus-
setzungen aufgebaut worden wäre, hätte recht bald arge Verwir-
rung gestiftet 16). Es war also ein Glück, dass man darauf ver-
zichtete, und die Schaltung ganz nach Bedürfniss, auf Grund
jedesmaliger empirischer Beobachtung ohne Vorausbe-
rechnung vollzog. Dass dies noch im Zeitalter der Mischna der
Fall war, beweisen folgende zwei Stellen: 1) Megilla I, 4: „Wenn
man die Megilla (das Buch Esther zur Feier des Purimfestes) im
ersten Adar gelesen hat, und das Jahr wird dann für ein Schaltjahr
erklärt, so muss man sie nochmals im zweiten Adar lesen". 2) Edu-
joth VII, 7 : ,,R. Josua und R. Papias bezeugten, dass man den ganzen
Monat Adar hindurch das Jahr für ein Schaltjahr erklären könne;
denn fi-üher hiess es: nur bis zum Purimfeste. Dieselben bezeugten,
dass mau das Jahr bedingungsweise für ein Schaltjahr erklären
könne. Als einst Eabban Gamaliel verreist war, um sich
vom Statthalter von Syrien eine Erlaubniss auszuwirken, und er
lange ausblieb, erklärte man das Jahr für ein Schaltjahr
unter der Bedingung, dass Rabban Gamaliel es genehmigen
würde. Und als er kam, genehmigte er es; und so wurde es ein
Schaltjahr". Beide Stellen sprechen so deutlicli, dass sie keines
weiteren Commentares bedürfen. Noch ganz am Schluss des Jahres
im Monat Adar, selbst nachdem das Purimfest schon gefeiert war,
konnte darüber entsclüeden werden, ob ein Monat eingeschaltet
werden solle oder nicht. Eine Vorausberechuuiig fand schlechter-
dings nicht statt ' "). |
Die Regel, nach welcher über Schaltung oder Nichtschaltung
entschieden wurde, war sehr einfach. Es musste dafür gesorgt
werden, dass das am Vollmond des Nisan (14. Nisan) zu
feiernde Passafest jedenfalls nach der Frühlings-Tag-
und Nachtgleiche fiel (//tra lotjfteQtap ia^uv^p), wenn die Sonne
15) Vgl. über den Kalender dos Buches der Jubiläen auch: Epstein,
lieviu: des Stiulcti juiven I. XXII, 1891, p. 8—16.
16) Genauer sind die Angilben in dem jüngeren slavischen Heuoehbucb
(deutsch von BonwetHcb, Al)haiidlungen der Göttiiiger Ges. der WisseuHch.,
pliil.-hi«t. Kl. N. F. Bd. I Nr. !{, 1S96) a. 14, 1. 15, 4. 16 ganz. 48 ganz.
17; Zur Bentütigung de« Obigen dient aueli alles, was Toncp/ita San/irdriii
II, ha/). Saiiliiihin 11«— 12» und anderwärts über dieOründe für die Eiiischal-
tuog und über duM N'erfahreu bei deraelben gesagt wird. Ks wird dal)ei durch-
weg vorauHgenetzt, das» diu Entscheidung darüber, ob eine Einuchaltung er-
folgen Hollü oder nicht, jodcHinal erst im Laufe den Jahren nach den jeweilig
Vorlicgen«len Gründen gctrollen wurde. Da« Wieiitigerc hieraus h. unten
Anni. V.K
[629. 630] Beilage III: Grundzüge des jüdischen Kalenders. 753
im Zeichen des Widders stand. Dies bezeichnet Ana toi ins in dem
für die Geschichte des jüdischen Kalenders wichtigen Fragment
bei Kiisebius Ilist. eccl. VII, 32, 16 — 19 als die übereinstimmende
Ansicht aller jüdischen Autoritäten, vor allem des Aristobulus,
des berühmten jüdischen Philosophen zur Zeit des Ptolemäus Philo-
luetor (nicht Philadelphus, wie Anatolius irrig sagtl Hiermit stimmen
iiuch die Angaben des Philo und Josephus'^^'j. Wenn man also
gegen Schluss des Jahres merkte, dass das Passa vor die Früh-
Jahi's-Tag- und Nachtgleiche fallen würde, so wurde die Einschal-
tung eines Monates vor dem Nisan verfügt ''-'). Der eingeschaltete
Monat hiess ebenfalls, wie der letzte Monat des Jahres, Adar.
Man unterschied dann iitjxin iix und '^:wri iiH (ersten und zweiten
Adar).
So primitiv dieser Kalender auch war, so hatte er doch den
grossen Vorzug, dass starke und dauernde Unrichtigkeiten, wie sie
bei einem auf ungenauer Berechnung beruhenden Kalender im
Laufe der Jahre sich nothwendig einstellen, vermieden wurden.
Immerhin ist es merkwürdig, dass das rein empirische Verfahren
5sich so lange erhalten hat, nachdem Griechen und Babylonier
schon seit Jahrhunderten einen auf genauer Rechnung beruhenden
iixirten Kalender hatten (die Aegypter mit ihrem Sonnenjahr kom-
men hier nicht in Betracht). Nur der Zusammenhang des Kalenders
mit dem religiösen Cultus und die Sprödigkeit des letzteren gegen-
18) Philo, De Septeiiario § 19 [Mang. II, 293); ders. Quaest. ei Salut, in
Exodum /. I § 1 {Bichter VII, 2625^.). Vgl. auch Vifa Mosis III, 29 (Mang. II,
169', ile decalogo § 30 {Mang. II, 206). — Josephiis Anff. III, 10, 5: iv xQtäi
xov TlUov xaS^fardivog.
19) Ueber noch andere Gründe für die Einschaltung s. bes. Tosephta San-
Jtedrin e. II, baO. Sanhedrin IIa — 12»; dazu: Zuckermann, Materialien zur
Entwickelung der altjüdischen Zeitrechnung im Talmud (1882) S. 39—45. —
Das Bemerkenswertlieste ist folgendes : „Wegen dreier Gründe erklärt man das
Jahr für ein Schaltjahr: Wegen der Aehrenreife [wenn diese nicht rechtzeitig
eintreten würde] und wegen der Baumfrüchte [wenn diese nicht rechtzeitig reif
sein würden] und wegen des Sonnenlaufes [wenn die Sonne am Passa noch
nicht im Zeichen des Widders stehen würde]. Nur wenn zwei dieser Gründe
zusammentreffen, beschliesst man die Schaltung, nicht aber wegen eines allein".
— „Nicht massgebend für die Schaltung ist das Alter der Böcke oder Lämmer
oder Tauben. Doch wird es als ergänzender Grund berücksichtigt [d. h. wenn
von den obigen drei Hauptgründen nur einer zutrifft, kann einer dieser Neben-
gründe ergänzend hinzugenorameu werden]" „So Hess einst Rabbau
(tamaliel an die Gemeinden in Babylonien und Medien schreiben: Da die
Tauben noch zu zart und die Lämmer noch zu jung sind und die Zeit der
Aehrenreife noch nicht gekommen ist, so haben ich und meine CoUegen es
iiöthig befunden, zum Jahre dreissig Tage hinzuzufügen". — Man wird nicht
irren, wenn man für die Zeit Christi den aus dem Sonnenlauf hergenommenen
Grund als den entscheidenden betrachtet.
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Anfl. 48
754 Beilage III: Grundzüge des jüdischen Kalenders, [630]
Über allen wissenscliaftliclien Neuerungen macht uns diese Tliat-
sache begreiflich. Endlich drang aber auch hier die wissenschaft-
liche Einsicht durch, und zwar von Babylon aus. Als Eabbinen,
welche sich um das Kalenderwesen besonders verdient gemacht
haben, werden die Babylonier Mar Samuel in Nehardea und
Rabbi Ad da bar Ahaba in Sura genannt, beide im dritten
Jahrh. nach Chr. Der letztere hatte eine genaue Kenntniss des
neunzehnjährigen Cyclus in der durch Hipparch verbesserten Ge-
stalt. Die Einführung eines auf dem 19jährigen Cyclus beruhenden
Kalenders in Palästina wird dem Patriarchen Hillel in der
ersten Hälfte des vierten Jahrh. n. Chr. zugeschrieben^*^).
Ueber die verschiedenen Jahresanfänge (im Frühjahr und
im Herbst) s. oben S. 32 f.
Die Literatiir über den jüdischen Kalender, namentlich in seiner späteren
Ausbildung, ist sehr umfassend. Ueber eine Controverse im 10. Jalirhiiudert
zwischen Ben Meir in Palästina und Saadja in Babylonien s. Poznaiiski,
Jewish (^uarterly Bevictc X, 1898, p. 152 — 161, und Epstein, Revue des etudes
juites t. XLII, 1901, p. 173—210. Eine systematische Darstellung hat bereits
Maimonides (12. Jahrh. n. Chr.) gegeben in dem über die „Heiligung des
Neumondes" handelnden Abschnitte seines grossen Werkes Jad ha-chasaka
oder Mischne Thora (vgl.: Maimonides' Kiddusch Hachodesch, übersetzt
und erläutert von Ed. Mahler, Wien 1889). Verschiedene Monographien
sind zusammengestellt in Ugolinl Thesaurus nntiquUatvm sacrarmn t, XVII
{Nie. Miilteri Annus Judaeorum bina-solaris et Turc-Arabum niei-e lumin's.
Seide ni Diss. de anno civili Jiidacorum. Maimonidis de sanctificationc
novilunii, cum versimie Laiina de Veilii. Christ. Langhansen de »lense
eelerum Uebraeorum limari). — Aus neuerer Zeit vgl. besonders: Idelcr, Iland-
bucii der mathematischen und technischen Chronologie Bd. I, 1825, S. 477 —
583. — Wicseler, Chronologische Synopsc (1843), S. 437—484. Derselbe,
Beiträge zur richtigen Würdigung der Evangelien und der evangelischen Ge-
schichte (1869) S. 290-321. — Scyfl'arth, Chronohnjia samt (1846) S. 26— 80
(glaubt, das» das jüdische Jahr bis um 2C0 nach Chr. ein Sonnenjahr gewesen
seil!). — De Wette, Lehrbuch der hebräisch-jüdischen Archäologie (4. Aufl.
18G4) § 178 — 179. — Gumpach, Ucbor den altjüdischen Kalender zunächst
2tJ) S, Idcler, iIand])U(h der Chronologie ], 573 11". — Da noch Julius
Africanus t*ngt, dass ilic Juden in acht Jahren drei Monate einscluUtcn (s.
oben Anm. 13), »o können sie zu seiner Zeit, also im Anfang des dritten
Jahrh. n. Chr., den auf dem 19Jülirigen Cyclus beruhenden Kalender noch nicht
gehabt Imben. Doch glaubt Kühl (Deutsche Zeitschr. für (icschiclitswisscnsch.
N. F. II, 1897,98, S. 18b) «lie jüiiische Kalcnderreform vor Anatolius, also
vor Ende (Ich dritten Jahrh. n. Clir. anset%(>n zu müssen, weil dieser christr
liehe eil ronolog, der bei Aufutellung seiiier Ostertafcl sich bereits des lltjährigeu
(-'yclu» bediente {Knurb. Ilint. rcrl. VII, 32, 14 (K Ideler, Handh. II, 2261]'.),
von den Juden abhängig Hei. Da aber Anatolius sieh auf jüdisciie Autoritäten
nur liiiiMichtlich der Forderung beruft, dass ÜHtern niu-h der Frühlingstag- uixl
•Nachtgleiclic fnllcn mÜHHc, »o Hclieint mir neino Abhängigkeit von ihnen in
anderer Ik'Kiehting nicht erwiesen zu sein.
[G30. U31] Beilage TU: Gruudziige des jüdischen Kalenders. 755
in seiner BeziebuDg zur ueutestanieutliclieu Geschichte, Brüssel 1848. — Saal-
schütz, Das mosaische Hecht Bd. I, 1853, S. 396—406. — Lewisohn, Ge-
schichte und System des | jüdischen Kalenderwesens, Leipzig 18öü (= Schriften
lierausgeg. vom Institute zur Förderung der Israelit. Literatur, erstes Jahr,
1655—1850). — Caspari, Chronologisch-geographische Einleitung in das Leben
Jesu Christi (18öÜ) S. 2—17. — Schwarz, Der jüdische Kalender historisch
und astronomisch untersucht, 1872. — Dillmann. Ueber das Kalenderwesen
der Israeliten vor dem babylonischen Exil (Monatsberichte der Berliner Aka-
demie 1881, S. 914— Ü35). — Zuckermann, Materialien zur P^ntwickelung der
altjüdischen Zeitrechnung im Talmud, 1882 (stellt die talmudischen Bestim-
nmngen über das Kalenderwesen zusammen). — Hamburger, Real-Encyclo-
pädie für Bibel und Talmud Abth. II, 1883, S. 008— G2S (Art. „Kalender"). —
Memain, La connaissancc des tei/ips cvangtlüjttes, Paris 1880, p. 39—43, 377
— 445. 481*7'/. — Isidure Loeh, Tahtes du calendrier juif depiiis l'ere chretientte
j/isqu' au XXXe siede, arec la concordance des dates juives et des dates chn''-
tiennes d une methode nouvelle pour calcttler ces fables, Paris 1880. — Mahler,
Chronologische Vergleiclmugs-Tabellen, nebst einer Anleitung zu den Grund-
zügeu der Chronologie, 2. Heft: Die Zeit- und Festrechnung der Juden, Wien
1S89. — Nowack, Lehrb. der hebräischen Archäologie I, 1894, S. 214—220.
— Dalman in Hcrzog-Hauck, Real-Enc. 3. Auii. VII, 17 f. (im Artikel Gottes-
dienst). — Auch die Artikel „Jahr" und „Monate" in den Wörterbüchern von
Winer, Schenkel und Kiehm, und in Plerzog's Real-Enc. (2. Aufl. VI,
495—498, Artikel „Jar" von Leyrer; 3. Aufl. VIII, 524—529, Art. „Jahr" von
Lotz).
Da das jüdische Jahr bald zwölf, bald dreizehn Monate hat,
so entsprechen seine Monate selbstverständlich nur un-
«•efähr den zwölf Monaten des julianischen Kalenders. —
Die inacedonischeii Monatsnamen sind in Syrien seit Beginn
der Öeleucidenherrschaft eingebürgert (Ideler, Handb. der Chronol.
I. 397). Sie sind hier in dreifach verschiedener Weise verwendet
worden: 1) Zur Bezeichnung wirklicher Mondnionate; denn auch
in Syrien herrschte, wie es scheint, bis in die christliche Zeit liin-
ein ein auf dem achtjährigen Cyclus beruhendes Mondjahr. 2) Zur
Bezeichnung der zwölf Monate eines Sonnenjahres, das mit
dem julianischen im Allgemeinen identisch ist, dessen einzelne
Monate jedoch den julianischen nicht genau entsprechen, da die
Anfänge anders angesetzt wurden, und zwar in verschiedenen
grösseren Städten verschieden. Das Jahr der Tyrier z. B. begann
am 19. October, das Jahr des Kalenders von (Jaza und Askalon
am 28. October (Ideler I, 433 ff.). Endlich 3) wurden später ge-
radezu die julianischen Monate mit macedonischen Namen benannt
(Ideler I, 429 ff.)^^). — Neben den macedonischen Namen wurden
21) Die Einzelheiten sind für unseren Zweck nicht von Belang und lassen
sich auch nicht mit Sicherheit verfolgen. Nach der oben Anm. 13 citirtcn
Notiz des Julius Africauus scheint es, dass zu seiner Zeit noch das auf
dem achtjährigen Cyclus beruhende Mondjahr bei den 'EU.riveq in S^Ticii vor-
48*
756 Beilage III: Grundzüge des jüdischen Kalenders, [ü31. 632]
auch die einheimisclien syrischen (welche mit den jüdischen viel-
fach identisch sind) gebraucht; und man wird annehmen dürfen,
dass ihr Gebrauch dem der niacedonischen Namen stets conform
war. So entspricht z. B. auf den Inschriften von Palmyra das
syrische Datum genau dem niacedonischen (24. Tebeth ==24. Audy-
näus, 21. Adar = 21. Dystros, s. de Vogiie, Inscriptions n. \2^^ III,
124 = Le Bas et Waddington, Insaiptions grecques et latines f. III,
2 n. 2571b , 2627). Dasselbe findet im späteren syrischen Kalender
statt, wo die syrischen wie die niacedonischen Namen einfach die
Monate des julianischen Kalenders bezeichnen--). |
Unter diesen Umständen fragt es sich, wie Joseph us es meint,
wenn er sicii, wie namentlich in der Geschichte des jüdischen
Krieges häufig geschieht, der macedonischen Monatsnamen bedient.
Im Allgemeinen setzt er sie mit den jüdischen ganz in derselben
Weise pai'allel, wie es auf den Inschriften von Palmyra der Fall
ist (Nisan = Xanthicus, Ijjar == Artemisiiis, Ab = Lous, Tischri =
Hyperberetäus, Marcheschwan = Dios u. s. w., die Belege s. oben
8. 746, für die palmyrenischen Inschriften die Zusammenstellung
bei Le Bas et Waddington n. 257P'). Aber meint er geradezu die
jüdischen Monate, indem er die macedonischen Namen gebraucht?
In manchen Fällen ohne Zweifel. 1) Das jüdische Passa wird am
14. Xanthikos gefeiert, Antt. III, 10, 5. B. J. V, 3, 1. 13, 7. 2) Zur
Zeit des Antiochus Epiphanes wurde der Tempel am 25. Apellaios
entweiht und wieder eingeweiht, .1;?//. XII, 5, 4. 7, 6, vgl. I Maid:
1, 59. 4, 52. 3) Während der Belagerung durch Titus wurde das
tägliche Morgen- und Abendopfer am 17. Panemos eingestellt, Bell.
Jud. VI, 2, 1 ; nach Mischna Taanilh IV, G geschah dies aber am
17. Tammus. 4) Die Zerstörung des Tempels durch Nebukaduezar
fällt auf den 10. Loos, B. J. VI, 4, 5, nach Jerem. 52, 12 auf den
herracbend war (ho bes. Unger, Sitzungsberichte der Münchener Akademie,
philoH.-philol. u. bist. Cl. 1893, Bd. II, S. 467). Andererseits rechnet bereits
die im dritten Jnhrh. in Syrien entstandene Grundschrift der apostolischen
Constitutionen nach dem juliani.schen Kalender, nur dass 6ie das Jahr im
Frühjahr beginnt (Consf. nposf. V, 17: die Frühlingstag- und -Nachtgleiche
füllt auf den 22. des zwölften Monats, nämlich des Dystros; V, 13: die
Geburt des Herrn auf den 25. des neunten Monats). In den grossen Städten
der philiBtäisch-phöniciHchen Küste (Gaza, Askalon, Tyrus, Sidon) scheint in-
folge der Nachbarschaft Aegyptens ein mit dem julianischen vorwandte»
HonncMJnhr nm frühesten Eingang gefunden zu haben, indem der alexandri-
nitich«' Kalender in den verHchiedencn StJldten verschieden modificirt wurde.
22) Dr«h dies schon auf den Ins<'hriften von Palmyra der Fall sei, lässt
»ich nicht erweisen. Die Zweifel, welche N<)ldeke in dieser Hinsicht äussert
(Zeitschr, der dcutücheD morgenländ. (Jesellsch. IM- 'M, ISS'), S. 33Ü), sind sehr
bcr«< li'if»
[G32- 033] Beilage III: Grundzüge des jüdischen Kalenders. 757
10. Ab. 5) Das Fest der jälirlichen Holzlieferung für den Braiid-
opferaltar (vgl. hierüber unten Bd. II, 8. 260) fällt nach B. J. II,
17, 6 {rrjq rcov ^vXorpoQiODv eoQtrjg ovorjg) vgl. mit II, 17, 7 (t^ d' e^T/g,
jtevrtxaiöixaT?] 6' Ijv Acoov fifjvog) auf den 14. Lous, nach den
rabbinischen Quellen auf den 15. Ab {Megülath Taamth% II, Mischna
Taanith IV, 5. 8). Trotz der Differenz uni einen Tag sind doch
beide Daten als gleichbedeutend zu betrachten, indem Josephus
den Vorabend zum Fest gerechnet hat. Auf Grund dieser Daten
haben ältere und neuere Forscher angenommen, dass Josephus
stets uiit den macedoni sehen Monatsnamen die ent-
sprechenden jüdischen Monate meine-^). Gegen diese An-
sicht hat aber neuerdings nach dem Vorgange von Scaliger, Baro-
nius und Usher 0. A. Hoffmann Einsprache erhoben--*). Er be-
tont vor allem, dass Josephus kaum im Stande war (und wenn er
es gewesen wäre, sich sicher nicht die Mühe genommen hätte),
Daten, die ihm nach einem anderen Kalender überliefert waren,
nach dem jüdischen Kalender umzurechnen. Er folge eben dem
Kalender, dem seine Quellen folgen. Für die zahlreichen Daten
im Bellum Judaicum glaubt aber Hoffmann (S. 16) die im römischen
Lager selbst geführten Acten als Quelle voraussetzen zu dürfen.
Daher sei anzunehmen, dass diese nach dem julianischen Kalender
gegeben seien, dessen Monate von Josephus nur mit den macedo-
nischen Namen bezeichnet würden. Die Grundlage dieser | An-
schauung ist ohne Zweifel richtig. Ein Schriftsteller wie Jose-
phus nimmt sich nicht die Mühe der Umrechnung, sondern giebt
die überlieferten Daten. Man darf daher von vornherein bei
ihm nicht für alle Daten denselben Kalender voraussetzen.
Manche sind ohne Zweifel nach dem jüdischen Kalender gegeben,
andere nach dem römischen"). Ob aber die Hauptmasse der Daten
23) So Noris, Annus et epochae Syromucedonnm I, 3 ed. Lips. p. üsqq.
Ideler, Handb. der Chronol. I, 400—402. Anyer, De temporum in Actis
apostolonim ratione p. \Q sq. Wiesel er, Chronol. Synopse S. 448. Clinton,
Fastl HeUenici III, iöl sq. Champagny, Rorne et la Jiidee (2. ed. 1865) II,
'M^sqq. Unger, Die Tagdata des Joseehos (Sitzungsberichte der Münchener
Akademie, philos.-philol. u. bist. Cl. 1893, Bd. II, S. 453-492).
24) Otto Adalb. Hoffmann, De iinperaiuris Tili temporibus rede deß-
niendis (Marburg 1883) S. 4—17.
25) Nach dem römischen Kalender giebt Josephus augenscheinlich z. B.
die Kegierungszeit der Kaiser Galba, Otho, Vitellius. Die in Betracht
kommenden Daten sind (nach der sorgfältigen Ermittelung von Knaake,
Zeitschr. für luth. Theol. 1871, S. 230-235) folgende: Nero f 9. Juni G8,
Galba f 15. Januar 69, Otho f 16. April 69, Vitellius t 20. December 09.
Nach Josephus hat aber Galba regiert 7 Monate 7 Tage {Bell. Jttd. IV, Ü, 2),
Otho 3 Monate 2 Tage iE. J. IV, 0, 0), Vitellius 8 3Ionate 5 Tage [B. J. IV,
75S Öeilage IIl: Gnindzüge des jüdischen Kalenders. [033. 034"
im Bell. Jnd. auf die römischen Lag-eracten zurückgeht, scheint mir
mehr als zweifelhaft. Es ist nicht richtig, wie Hoffmann behauptet,
(S. 15), dass Josephus fast nur bei den Unternehmungen der Römer,
aber nicht bei den innerjüdischen Ereignissen bestiumite Daten
gebe. Eine Vergleichung sämmtlicher in unserer Darstellung (§ 2i))
mitgetheilten Angaben zeigt leicht, dass sich darunter manche
auf innerjüdisehe Ereignisse beziehen, während andererseits die
genaueren Angaben über die Thateu der Römer besonders von der
Zeit an zahlreicher werden, wo Josephus als Kriegsgefangener und
später als Freigelassener sich im römischen Lager befand. Er hatte
also von diesen Dingen eine eigene Kenntniss. Ja er beruft sich
in der Vertheidigung der Glaubwürdigkeit seiner Darstellung ledig-
lich auf die eigenen Aufzeichnungen, die er sich während der Er-
eignisse gemacht hatte, und nicht auf die römischen Acten
{contra Apion. I, 9: t« xara rb OtQaröjiBÖov to 'Pcoftaiow oqcöv
IjiifisXcöq aviyQttfpov). Augenscheinlich hat er also letztere
nicht benützt. Dass er aber seine Aufzeichnungen nach jüdischem
Kalender gemacht hatte, dafür spricht theils die innere Wahr-
scheinlichkeit der Sache, theils der Umstand, dass einzelne Daten
zweifellos nach dem jüdischen Kalender gegeben werden, so Bcll.\
Jtid. VI, 2, 1 (s. oben S. 629) und B. J. VI, 4, 1—5 (s. oben S. 031).
Die öfters vorkommende Formel IJav^iiov rovfujvla {B. J. ITI,
7, 36; V, 13, 7; VI, 1, 3i kann allerdings niclit als Beweis dafür
geltend gemacht werden, dass die Monate des Josephus wirklich
mit dem Neumond begannen. Denn im späteren Sprachgebrauch
bezeichnet rovi/i/via überhaupt den ersten l'ag des Monats, auch
wenn nach dem betreffenden Kalender die Monate nicht mit dem
Neumond begannen, wie z. B, beim römischen. Vgl. Dh Cas.f. LX, 5:
T/y Tov AvyovOTOV vovittjvia. Pluiarch. Galha 22: y vov{n]vla rov
11, 4j. Wcun man den Tng des Regierungsantrittes und den Todestag niit-
redinet, «tinunt dies genau mit den obigen Daten des julianisclien Kalenders,
dem also Josephus hier folgt (so aueh Knaake, Zeitsehr. für luth. Theol.
1K71, 8. 244; vergeblich bestritten von Wiescler, Zeitsehr. für luth. Tlieol.
lH72,S.55flr,). — Den T<»destag des Vitellius scheint Josephus nacii dem Kniender
von TyrUK zu geben. Während er nändieii nach dem jiilianisclieji Kniender
auf den 20. December fallt, setzt ihn Josephus luif den H. Aj)ellai(>s (//. ./. i\',
11,4). Diener entspricht aber nach tyrischem Kalender dem 20. December
(Ich julianiHclion. Vermuthlicli folgt also Josephus hier einer phönicischen
(Quelle. Vgl. Noris, Aiinua rt qmchar Sijroviuccdonuvi. I, 3 jt. Ol.) sy. cd, IAp>*.
Idelor I, 430, Knaake ß. 244. 0. A. 'iFoffmann a. a. O. 8. 0. Niese,
Herme» XXVIII, 1803, H. 203. Bestritten wird die Hichligkeit dieser Auf-
fuHMung von Ungor, «ier a. a. O. 8. 450- 405 /u zeigcüi suclit, ilass der Tod
de» Vitellius nielit auf den 20., sondern auf den 21. J)ee(inber falle, und
ilflM bei JoRcphnM B.J. IV, 11,1 eine Corrnption der Zitier vorliege (S. 401 f.)
[0341 Beilage III: Grundzüge des jüdischen Kalenders, 759
jTfirrjTov fjrjvo^, i]v yMlavöaz ^lavovüQiaz y.ahjvoi. Aegyptisclie
Urkunden aus den königi. Museen zu Berlin. Griecli. Urkunden
Bd. 1 Nr. 14 II, 3. 86, lt. 183, 1. 35G, 4. Stephanus, Thes. s. v. —
Verwandt mit der Anschauung 0. A. Hoft'manns ist diejenige von
Sclilatter und von Niese. Sclilatter-'') meint, dass die Daten
des Bellum Judaicum mit wenigen Ausnahmen nach dem römischen
(julianischen) Kalender gegeben seien, und er sieht darin eine Be-
stätigung dafür, dass das Bellum Judaicum in der Hauptsache eigent-
lich ein Werk des Antonius Julianus sei (s. oben S. 58). Niese-')
erkennt zwar ebenfalls an, dass einzelne Daten nach dem jüdischen
Kalender gegeben seien, glaubt aber „zur Genüge erwiesen zu
haben, dass der von Josephus benutzte Kalender dem iy-
rischen gleich ist" (Hermes a. a. O. S. 204). Es hindere nichts,
anzunehmen, dass dieser auch in Jerusalem und Judäa in Gebrauch
war; nur für die Bestimmung der Feste habe man die alten Mond-
monate beibehalten, wie auch noch heute bei den Juden die Rechnung
nach diesen neben dem bürgerlichen Kalender sich erhalten habe (a. a.
O. S. 2Ü7). Diese Ansicht Niese's — dass also die Juden im bürgerlichen
Leben sich des tju'ischen Kalenders, d. h. einer Rechnung nach dem
Sonnenjahr bedient haben, während sie für die religiösen Feste die
Rechnung nach Mondiuonaten beibehielten — steht in so schroflem
Widerspruch mit allem, was wir über die Geschichte des jüdischen
Kalenders wissen, dass sie als schlechthin unmöglich bezeich-
net werden muss. Einen Unterschied zwischen bürgerlichem und
heiligem Jahr hat es allerdings gegeben; er bestand aber nur da-
lin, dass das eine im Herbst, das andere iui Frühjahr begann;
die Monate waren die gleichen (s. oben S. 32 f.). Abgesehen von der
isolirten Notiz über den Tod des Vitellius, die allerdings nach dem
tyrischen Kalender gegeben zu sein scheint (s. Anm. 25), hat Niese
nur einen beachtenswerthen Grund dafür beigebracht, dass Josephus
bei seinen Angaben im Bellum Judaicum sich einer Rechnung nach
dem Sonnenjahr bedient habe: Die Angaben über die Dauer der
Belagerung von Jotapata. Aber auch dieser Grund ist nach dem
oben S. 612 Bemerkten nicht stichhaltig. Auch die Rechnungen
Schlatters sind gegenüber den andern Argumenten keineswegs
beweisend 2^). Wenn es in mehreren Fällen doch sicher ist, dass
26) Schlatter, Zur Topographie und Geschichte Palästinas, 1S93, S. SüO
bis 3Ö7.
27) Niese, Ueber den von Josephus im bellum Judaicum benutzten Ka.-
lender (Hermes Bd. XXVIII, 1893, S. 197—208).
28) Schlatter sucht S. 3ß0f. drei Fälle aufzuzeigen, wo Josephus Monate
zu 31 Tagen voraussetze. 1) Nach B. J. II, 19, 4 begann Cestius Gallns den
Augrift" auf Jerusalem am 30. Hyperberetaios, nach II, 19, 9 fn. wurde er am
760 Beilage III: Gniudzüge des jüdischen Kalenders. [634]
Joseplms nach dem jüdischen Kalender rechnet, so iniiss dies auch
für alle diejenigen Fälle gelten, hinsichtlicli deren sich nicht das
Gegentheil erweisen lässt; das sind aber die meisten. Die grosse,
Mehrzahl der Daten im Bellum Judaicum ist also höchst
wahrscheinlich nach dem jüdischen Kalender gegeben.
8. Daisios auf dem Rückzug entscheidend geschlagen. Dazwischen finden sich
folgende Zeitangaben, § 535: nhxe ^fisguiq . . . , Ttj d" ^movatj, § 542: tJ
d' intovatj, § 545: r^ ^p/rj?. Hier sieht Schlatter „in sicherer Zählung zehn
Tage aneinander gereiht", die nur herauskommen, wenn man den Hyperbere-
taios zu 31 Tagen ansetzt. Aber bei ty xgixy ist das vorhergehende rj/ im-
oiay höchst wahrscheinlich als Ausgangspunkt mit eingerechnet; dann sind
es nur neun Tage, und es darf der Hyperberetaios nur zu 30 Tagen ange-
nommen werden. 2) Den zweiten Beweis nimmt Sclilatter aus den Daten bei
der Belagerung von Jotapata, worüber auf das oben S. 612 Bemerkte zu ver-
weisen ist. 3) Der Angriff auf die letzte Mauer Jerusalems wurde nach B. J.
VI, 8, 1 am 20. Lous begonnen, und die Wälle waren nacli achtzeliutägiger
Arbeit am 7. Gorpiaios fertig {B. J. VI, 8, 4). Wenn Schlatter hier für den
Lous 31 Tage fordert, so beruht das nur auf irriger Rechnung, denn vom 20.
bis 30. Lous sind bereits (bei Einrechnung des Anfangs- und Endtermines)
11 Tage, und 7 dazu macht 18.
Beilage IV.
Die jüdischen Sekel- und Aufstandsmünzen.
Die uns erhaltenen Münzen mit althebräischer Schrift lassen
sich in drei grosse Hauptgruppen theilen: 1) Die Münzen der has-
iiionäischen Hohenpriester und Fürsten, welche mit Namen ver-
seilen und daher am leichtesten zu bestimmen sind, 2) die silbernen
Sekel und Halbsekel, 3) die „Freiheitsmünzen", welche in mannig-
fachen Variationen die Befreiung (g^ulta oder cliei-ufh) Israers oder
Jerusalem's oder Zion's feiern. Am meisten Uebereinstinnnung
lierrscht unter den Numismatikern in Betretf der ersten Gruppe;
eine ziemlich weitgehende auch noch in Betreff der zweiten, indem
die Mehrzahl der Numismatiker dieselbe in die Zeit des Makka-
bäer's Simon setzt. Am buntesten gehen die Ansichten in Betreff
der dritten Gruppe auseinander. Da die Bestimmung der ersten
Gruppe verhältnissmässig leicht und sicher ist, so ist über sie das
Nöthige im Zusammenhang unserer Geschichtsdarstellung mitgetheilt
worden. Eine speciellere Untersuchung erfordern die Münzen der
zweiten und dritten Gruppe. Ks dürfte sich bei methodischer Er-
wägung aller Momente zeigen, dass über die dritte (iruppe ein viel
höheres Maass von Sicherheit zu gewinnen ist als über die zweite,
dass also das Maass des vorhandenen Consensus im umgekehrten
Verhältniss steht zu dem Grade der wissenschaftlich erreichbaren
Gewissheit.
1. Die Sekelmünzen.
Literatur:
Eck hei, Doctrina Niimornm vetcnim III, Abo sqq.
Cavedoni, Biblische Numismatik, übers, von Werlhof I, IS H". II, 10 ff.
De Saulcy, liechcrches stir la NumismatiqKe Judäique 1854, p. 17 sqq.
Ewald, Göttiuger „Nachrichten" 1855, S. 109 ff.
Levy, Geschichte der jüdischen Münzen (1862) S. 39 ff.
Madden, Histonj of Jeutsh Coinagc (1864) p. ASsqq.
De Säule jß, Revue Numismatique 1864, p. SlO. -iqq.
Cavedoni in Grote's Münzstudien V, 1867, S. 9— IS.
Reichardt in den Wiener Numismatischen Monatsheften von Egger. Bd. II
(1866) S. 137 ff. I
762 Beilage IV: 1, Die Sekelmünzen. [C36]
Le Saiilcy, lieviie archeolog iqiie, Noiiv. Serie vol. XXIII, 1872, p. Isqq.
Merzbacher, De siclis nummis antiquissimis Judaeorwn, Berol. 1873.
Madden, Kumis7nntic ChronicJe 1874, p.'2S)lsqq.
Leuis, Numismatic Chronicle 1876, p.Z22 (Sekel vom Jahr V).
Merzbacher in Sallet's Zeitschrift für Numismatik Bd. III, 1876, S. 141 ff.
183 ff. Bd. V, 1878, S. 151 ff. 292 ff
Madden, Coins ofthe Jews (1881) p. 67 — 71 (hier das Material am vollständigsteu).
lieiuaeh (Theod.), Actes et Conferences de la societe des etudes Juives 1887 (Bei-
lage zur Revue des etudes juives 1887) p. CCIII sqq. — In der Separat-Aiis-
gabe [Les motinaies juires, Paris 1887) ]). ^2 sqq.
Unger, Sitzungsberichte der Münchener Akademie, philos.-philol. und bist.
Cl. 1897, S. 199—204 (setzt die Sekel in die Zeit des Gabinius).
Kennedy in Hastings^ Diclionanj of the Bible III, 429^5'.
Die silbernen Sekel und Halbsekel entsprechen im Gewiclite
den in den pliönicisclien Städten geprägten griecliisclien Tetra-
draclimen und Doppeldraclnnen und geben uns eben damit einen
Anhaltspunkt zur Bestimmung des phönicisch-hebräischen Münz-
fusses 1). Die Aufschrift lautet fiTOip Bbo'n'i oder mö^ipri d'i!:Tö'Ti\
auf der anderen Seite b^'W*^ bpl» (Sekel Israel's), bei den halben
Sekeln: b'p'OTi ''Sn (halber Sekel). Sowohl die ganzen als die halben
Sekel haben neben der Gewichtsangabe auch eine Zahl, gewöhn-
lich mit Beisetzung eines IS {= ttlß, Jahr), z. B. n© == Jahr IL
Es sind von beiden Arten Stücke aus den Jahren i«, :3, \ - (T, II,
III, IV) bekannt, von den ganzen Sekeln auch ein Exemplar mit
nr = Jahr V. Selbstverständlich haben sie keine Porträtköpfe,
sondern nur einfache Symbole, deren Deutung jedoch unsicher ist
(Kelch und Lilienzweig?). — ^ Da auf diesen Münzen des „heiligen
Jerusalem" jeglicher Personenname fehlt, so ist die Altersbestim-
mung äusserst schwierig. Es darf aber zunächst als sicher gelten,
dass sie nicht geprägt sein können zwischen 135 vor Chr. und 65
nach Chr. Denn die Hasmonäer seit Johannes Hyrkan (135 vor
Chr.) haben Münzen mit ihrem Namen geprägt; desgleichen Herodes
und seine Söhne. Audi unter den römischen Procuratoren können
selbstverständlicli diese Münzen, welche die Unabhängigkeit Jeiii-
salenis voraussetzen, nicht geprägt sein. Es bleibt also nur die
Zeit vor 135 vor Chr. oder nach 66 nach Chr. Bei letzterer
Alternative kann es sich nur um den Krieg vom J. 66—70 hau*
1) Vgl. über dcji MünzfusH der Sckcl bes. Brniidis, Diis Münz-, Mass-
iiml OewicIitHWCHen in Vordornuien (1860) 8. 55 ff. 04 ff. 102 ff. HultHcii,
OricdiiM<hc und rönÜHchc Metrologie (2. Bcnrb. 1882) ö. 450 ff. 002 (!". Merz-
bnchcr, Zrituclir. für NiiiniHnmtik Hd. V, 1H78, S. 151 ff. 171. 173 f. JUvi -
laut, Nulfi nur lr$ ptun atiririnies tnouiiairs )i('l>raiques [Aiuniairr de la Socii'le
frnncainr. de Kntnintnatiqtir et d'Arrhfnlo'iie t. VIII, 18S.1, p. 113—14(1 [rovidirtcr
Abdnu'k nun der Ucnic PjifuttnhHjiqve]),
[G3G. 637] Beilage IV: 1. Die Sekelmünzeii. 7G3
dein; denn aus der Zeit des liadrianisclien Krieges 132 — 135 n. Clir.
haben wir Münzen ganz anderer Art. Für die Jahre 66—70 nach
Chr. als Prägnngszeit der Sekehnünzen hat sich zuerst Ewa
(Göttinger ,.Nachi'ichten'" 1855, S. 109if.) ausgesprochen; und ich
bin ihm in der ersten Auflage dieses Buches gefcdgt (S. 365f.). In
den Kreisen der Nuniisinatiker ist diese Ansicht bis jetzt nur durch
Theod. Reinach (1887) und Imhoof-Blumer (laut brieflicher
Mittheilung an mich) vertreten; doch darf wohl auch Babelon
hierher gerechnet werden, insofern er sich entschieden gegen die
Ansetzung der Sekel in der Hasmonäerzeit erklärt hat {Catalogiie
des nionnaies grecqucs de la Bibliothtque nationale, Les rois de Si/rie,
1890, p. CXLIV). Auch Kennedy in seinem sorgfältigen Artikel
JMonqi in Ilastings Diclionan/ ist der Ansicht Ewald's beigetreten.
Alle anderen erklären sie wegen des alterthümlichen Stiles für
unmöglich und setzen die Sekel fast einstimmig in die Zeit des
]\rakkabäers Simon 142—135 vor Chr. Ja de Saulcy ist noch
hfilier hinaufgegangen, zuerst {liecherches sur la Numismatique Judai-
que 1854) in die Zeit Alexanders des Grossen, später (in dem mir
nicht zugänglichen: Etüde chronologique des Ihres d'Esdras et de Ne-
hemie 186S, und Bevue archeol. 1872) sogar in die Zeit Ksras. —
Für die Beurtheilung der Frage kommen 1) paläographische, 2) hi-
storische, 3) numismatische Argumente in Betracht.
1) Wir erledigen zunächst die paläo raphischen, weil sie
leider gar kein Ergebniss liefern. Der Charakter der Schrift ist
der sogenannte phönicische oder althebräische. Diese Schrift hat
sich aber für monumentale Zwecke (Inschriften und Münzen) inner-
halb des in Betracht kommenden Zeitraumes so wenig verändert,
dass hieraus kein Anhaltspunkt zur Entscheidung unserer Frage
7A\ gewinnen ist. Der Schriftcharakter der Münzen gestattet eben-
sowohl die Ansetzung in der Makkabäerzeit als in einer erheblich
späteren (wie mir auf eine Anfrage auch Eutin g, einer der besten
Kenner der semitischen Paläographie, bestätigt hat).
2) Aus historischen Gründen können die Sekel schwerlich
in der persischen und griechischen Zeit bis zur Erringung der
jüdischen Unabhängigkeit durch den Makkabäer Simon geprägt
sein. Denn nach allem, was wir wissen, haben die Juden weder in
der persischen noch in der griechischen Zeit ein solches Maass poli-
tischer Unabhängigkeit besessen, wie es eine eigene, autonome
Münzprägung voraussetzt. Namentlich ist die Zeit Alexander's
durch die Thatsache ausgeschlossen, dass unter ihm in Phönicien
nur königliches Geld geprägt worden ist (so z. B. in Askalon,
Ptolemais, Damaskus, s. Bd. II, S. 93, Ulf. 117)-l Um so besser
2) Gegen die Ansetzung der Sekel in der Zeit Esra's oder Alexander's
764 Beilage IV: 1. Die Sekelmünzen. [637. 638]
scheint nun die Zeit des Makkabäers Simon zu passen. Unter ihm
ist „das Joch der Heiden von Israel genommen worden'", und man
hat dieser Thatsache auch durch Einführung einer eigenen ein-
heimischen Zeitrechnung nach Jahren Simon's Ausdruck verliehen
(I Makk. 13, 41—42; vgl. oben S. 242). Sollte nicht eben diese
Aera auf den | Sekeln gemeint sein? Dies wird in der That von
den Meisten angenommen. Aber bei näherer Betrachtung stellen
sich nicht unerhebliche Schwierigkeiten ein. Die Aera Simons
beginnt im J. 170 aer. Sei. = 143.142 vor Chr. (I Makl: 13, 41 f.);
Simon starb aber erst 177 aer. Sei. =- 136/135 vor Chr. (I Makk. 16,
14). Man müsste also auf den Sekeln die Jahreszalilen 1— VII er-
warten, während sich schon vom J. V nur ein einziger, von
späteren Jahren aber gar keiner findet. Merzbacher (Zeitschr. f.
Numisni. V, 292 ff.) hat daher den Versuch gemacht, die Aera Si-
mon's um zwei Jahre später anzusetzen. Dass diese Auskunft selir
misslich ist, glaube ich oben (S. 244) gezeigt zu liaben. Dazu
kommt, dass die Sekelprägung in sehr auffallender Weise mit Simon
phitzlich abbrechen würde, und an ihre Stelle sofort unter Simon's
Nachfolger Johannes Hyrkan eine Prägung ganz anderer Art (mit
dem Namen des regierenden Hohenpriesters) treten würde. Ist dies
aucli nicht unmöglich, so ist es doch befremdlich. Dagegen hat
nun die Annahme, dass die Sekel in der Zeit des Aufstandes vom
J. 66 — 70 nach Chr. geprägt seien, keinerlei historische Schwie-
rigkeiten gegen sich. Sie muss also bevorzugt werden, wenn nicht
numisHiatische Bedenken entgegenstehen.
3) Die Entscheidung vom numismatischen Gesichtspunkt
aus ist dcslialb schwierig, weil die Pi-ägung eine rolie, jedenfalls
eigenthümliche und dalier schwer classificirbare ist. So erklärt es
sich, dass auch gewiegt(? Numismatiker in ilirem Uitlieil ausein-
andergelien. Tlieod. Reinacli hat für die von ilim angenommene
Ansetzung auf 66—70 nach Chr. keine eingehendere Begründung
gegeben. Durch seine Publication ist Imhoof-Blumer zu einer
Prüfung der Sache veranlasst worden, weldie ihn zur Billigung
der Ansicht Keinach's geführt liat. Die (irüiide, welche er mir
brieflich mitzutheilen die (lüte liatte, sind folgende: „Der kleine
Durchmesser der Sekel und Ifalbsckcl und ihr Kand entsprcdun
den .syrischen und phöniciscluin Prägungen der Mitte des zweiten
Jahrhundei-ts vor ( 'hr. viel weniger als den in jenen ( iegenden ge{)r}ig-
ten Silbermünzen mit den Bildnissen von Nero, Agrippina und \'es-
piusian, worunter es viel»; ziemlich dicke Stücke von circa 14 und
7 fp*. (iewicht giebt. Um eine Stilfrag«! kann es sich bei den
df» Grofsen ». beu. die auBfülirlidic Erörterung von Merzbiulur, Ztitsdir.
für Numiumntik Bd. V, 1878, 8. 151 ff.
[Gas. 639] Beilage IV: 1. Die Sekelmünzen. 7C5
äusserst unsauber und roli behandelten Typen nicht handeln, sondern
bloss um das Technische, und dieses hat keine Aehnlichkeit mit
demjenigen der breiten Münzen der syrischen Könige Antiochus \"I,
Tryphon, Antiochus VII etc.". Diesem Urtheile steht nun freilich
das vieler anderen Numismatiker entgegen, welche es wegen des
alterthiiinlichen Aussehens der Sekel für unmöglich erklären, sie
in eine so späte Zeit zu setzen. Auch gegenüber den [obigen Kund-
gebungen hat z. B. A. von Sallet in einer gütigen Zuschrift an
mich mit Bestimmtheit erklärt, an der herrschenden Ansicht fest-
halten zu müssen. „Der alterthümliche Charakter der Münzen ist
ein so ausgeprägter, die Dicke des Metallstückes den lange vor
Christus geprägten antiken Münzen so conform, das Gepräge und
die Schrift haben einen so durchaus alten Charakter, dass die
Münzen in die Zeit der Makkabäer fallen müssen". Von den spä-
teren Aufstandsmünzen sind sie „völlig verschieden". Bei diesem
Auseinandergehen der besten Autoritäten darf ein Nichtfachmann
keine bestimmte Entscheidung wagen. Es scheint aber, dass das
Urtheil Imhoof-Blnmer's auch unter den Fachmännern Boden ge-
winnt. Einer der besten Kenner. Babelon, macht (a. a. 0.) gegen
die Ansetzung in der Hasmonäerzeit namentlich dies geltend, dass
das Münzrecht, welches dem Simon durch Antiochus VIT ertheilt
worden ist, nach allen Analogien nicht die Silber-, sondern nur
die Kupferprägung umfasst haben könne.
2. Die Aufstandsmünzen.
Literatur:
Eckhel, Docfn'na Nunwrum rcterum III, 455-474.
Mionnet, Description de mMailles antiqiies V, 555 — 502. Suppl. VIII, 378
Planches XXVII— XXVIII.
Tresor de Numisnmtiquc (hernusigeg. von Lenormant, 1849) p. 118—123, pl.
LVII-LIX.
Cavedoni, Biblische Numismatik, übers, von Werlhof I, 18 — 51.
De Saulcfi, Recherches sur la Xwnismatique Jtiddique 1854, p. 151—170, ]>l.
X— XV.
Cavedoni, Biblische Numismatik II, 10 Ö'. 53— GS.
Ewald, Göttinger „Nachrichten" 1855, S. 109—122. — Ders, Gott. gel. An-
zeigen 1862, S. 841 ft". (Recensiou Levy's).
De Vogüi, Uevue Numisntatique 1800, p. 280 — 292 (Eleasar-Münzenj.
Levy, Gesch. der jüdischen Müuzen (1862) S. 83—131.
Madden, Histori/ of Jetvis/i Coinuge (1864) ;^ 154—182, 198-210.
Cavedoni in Grote's Münzstudien V, 1867, S. 29—37.
De Saulcy, Revue Numismatiqtie 1865, p. 29 — 55.
0 arrucci, Disseriaxioni archeohgiehe II, 1865, p. 31 — 39.
Modden, Xnmismatic Chronicle 1866, p. 36 — 65.
De Saulcij, Nuniismatic Cliroiu'cle 1871, p. 250 — 2.53.
7Ö6 Beilage IV: 2. Die Aufstandsmüuzeu. [639. 640]
Merzbacher, Jüdische Aufstandsmünzen (Zeitschr. für Xumismatik Bd. T>
1874, S. 219-237).
Madden, Xwnismatic Chronic le 1875, p. 298—333.
Merzbacher, Untersuchungen über althebräische Münzen (Zeitschr. für Numis-
matik Bd. IV, 1877, S. ^350—365).
De Saulcy, Milanges de Nwnismatiqiie II, 1877, p. 87 — 92.
Sallet, Zeitschr. für Numismatik Bd. V, 1878, S. 110-114.
Renan, L'egiise chretienne (1879) p. 546—551.
Madden, Coim of the Jeus (1881), p. 188-206, 230-246.
Stickel, Zeitschr. des deutscheu Palästina- Vereins VII, 1884, S. 212, 214.
Grätz, Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judeuth. 1887, S. 145 — 17G
(in engl. Uebersetzung im Numismatic Chronic le 1888).
Reinach (Theod.), Revue des etudes juives t. XV, 1887, p. 56 — 61.
Reinach (Theod.), Actes et Conferences de la societe des etudes juives 1887 [Bei-
lage zur Revue des etudes juives 1887) p. CCIII - CCXVI. — In der 8epa-
rat-Ausgabe [Les nionnaies juives, Paris 1887) }>. 42—67.
Grätz, Revue des etudes juives t. XVI, 1888, p. 161—169. Ibid. t. XVIII, 18S9,
p. 301—304.
Grätz, Geschichte der Juden, Bd. III, 4. Aufl. (1888) S. 819-841.
Reinach {Theod.), Revue des etudes juives t. XVII, 1888, p. 42—45. Ibid. t. XVIII,
1889, p. 304-306.
Hamburger, Leop., Die Silber-Münzprägungen während des letzten Auf-
standes der Israeliten gegen Rom, nach einem in der Nähe von Chebrou
gemachten Münzfunde classificirt (Zeitschr. für Numismatik Bd. XVIII,
1892, S. 241-348).
Die AufstandsmUnzen zerfallen in folgende Varietäten (das Ma-
terial s. bes. bei de Saulcy Redierches 185J, M adden //w/or?/ 1S64,
Num. Chronicle 1875, Merzbacher Zeitschr. für Numismatik IV,
1877, am vollständigsten bei Madden Coins of the Jcws ISSl; wertli-
volle Ergänzungen bei Hamburger, Zeitschr. f. Nnm. XVIIT, 1892).
1) Ligullath Zio7i, der Befreiung Zion's.
übt: 'jT'X nbK3ib, ligullath Zion.
liev. ysnx r:xo, Jalir IV.
oder: "'xn ynix r:c, Jahr IV, ein halber.
oder: y^si yniK r:c, Jahr IV, ein Viertel.
8ämmtlich Kupfermünzen von verschiedener Grösse, mit Jüdi-
schen Emblemen.
8. de Saulcy Itecherchcs p. 20. Cavedoni Bibl. Num. II, 11 f. Ewald
Gottiugor Nnclir. 1855, 114. Levy Gesch. ,S. 44. Madden Ilistori/ />. 47.
Oarrucci II, 32. 38. Madden Num. Chrou. 1866 />. 48— 63 (sehr au!?fiihrlicli
über di»! Zeit, gegen Oarrucci). Merz buch er Zeitschr. I, 222. IV, 361. .1/'^'/-
den Coitu p. 71 sq.
2) Ch&ruth Zion, Freiheit Zion's.
Obv. yr^l min, chlmth Zion.
lirv. sTü rrc Jahr Tl.
odj-r: C'bc p:c. .I.ilir III,
[640. 041] Beilage IV: 2. Die Aufstandsniünzea. 767
Kleine Kupferiiiünzen mit jüdischen Emblemen, zahlreich er-
halten (Sallet, Zeitschr. \, 110, Hamburger, Zeitschrift XVIII, 325).
S. de Saulcij Recherches p. 154. Cavedoui Bibl. Num. II, 53 f. Ewald
Göttinger Nachr. 1855, 114. Levy Gesch. S. 100. Madden History p. 180.
De Saulcy Revue Num. 1865, 29 sqq. Oarrucei II, 38. Merzbacher Zeitschr.
I, 223. IV, 364 f. Madden Num. Chron. 1875, 320 sr/. Coiv>i of th- Jens p. -im.
Hamburger, Zeitschr. XVIII, 325 ff.
3) Jahr I ligullalh Jisracl, der Befreiung IsraeFs.
(Jbv. pDri lyyba, Eleasar der Priester.
Bev. bs-ittJ'i nbxjb nn« n:», Jahr I Ugullath Jisrael.
(Jbv. prn "iTi^bx, Eleasar der Priester.
liev. )iS^i2t!, Simon.
Obv. abüli'', Jerusalem.
I^£v. bX-lO'^ nbxSib nniC ntß, Jahr I Ugullath Jisrael. \
(Jbv. biü-MH^ m^tii )^:fi2ts, Simon Fürst Israels.
liev. bsiüi nbülJb rn« n:ü, Jahr I Ugullath Jisrael
Theils Silber-, theils Kupfermünzen, von verschiedener Grösse
und verschiedenen Typen. Dass sie alle zusammengehören, beweist
die Datirung vom „Jahr I Ugullath Jisrael", welche dreien derselben
gemeinsam ist. Die den Namen des Eleasar und Simon tragende
Münze kann aber von den anderen Eleasarmünzen nicht getrennt
werden.
S. de Saulcy Recherches p. löS— 160, 105—108. Cavedoni Bibl. Num. II,
55—59. Ewald, Güttinger Nachr. 1855, 119 ff. De Vof/ü^, Beme Num.im),
280 ff. (Eleasarmünzen, von de Vogüe zuerst mitgetheilt). Levy Gesch. S. 88
—92, 97-99. Madden History p. 161—166, 174—178. De Saulcy Renie Xum.
1865, 29 sqq. Cavedoui in Grote's Münzstudien V, 29 ff. Garrucci II, 37sq.
Merzbacher Zeitschr. I, 229-232. IV, 350—353. Madden Num. Chron. 1875,
313-320. Coins yj. 198— 200. Sallet, Zeitschr. V, 110 ff. Reinach Revue
des etudes juives XV, 58 sy. (über die Simon-Eleasar-Münze). Hamburger,
Zcitsclir. XVIII, 253 f. (Eleasar), 273 (Jerusalem i.
4) Jahr II lechCrufh Jisrael, der [Freiheit IsraeVs.
(Jbv. 115?^©, Simon.
Her. bxITÖ^ mnb 2"W, Jahr II lechCndh Jisrael.
(Jbv. sboiT, Jerusalem.
ncr. bxn«^ rnnnb n"C, Jahr II leduruth Jisrael.
Die letztere Art selten, die erstere sehr häufig, in Silber- und
Kupfer, von verschiedener Grösse und mit verschiedenen Typen.
Bei manchen ist noch erkennbar, dass sie auf römische Münzen,
76S Beilage IV: 2. Die Aufstandsmünzen. [641. G42]
vorwiegend Trajan's aiifgepräg-t sind (Sallet, Zeitschr. V, 110 — 114;
Hamburger, Zeitschr. XVIII, 255—260).
S. de Saidcij Feclierches |). 168—170. Cavedoni Bibl. Num. II, 59 f.
Ewald Göttinger Nachr. 1855, 119 ff. Levy Gesch. S. 93— 96, 105—108. Mad-
den History p. 166—174, 207 s?. De Satilcy Revue Num. 1865, 2'd sqq. Cave-
doni in Grote's Münzstudien V, 30 ff. Garrueei II, 34. Merzbacher
Zeitschr. I, 232-236. IV, 353—356. Madden Num. Chron. 1875, 329—333.
Coins p. 241—246. Sallet Zeitschr. V, 110—114. Hamburger, Zeitschr.
XVIII, 255 — 260 (Denare Simons), 274 (Tetradrachmen Jerusalems und Simons).
5) Lech er u t h Je ru schale m , der Freiheit Jerusalem's.
Ohr. i^yiao, Simon.
Rev. abtTTT' f^linb, lecheruth Jeruschalem.
Silber- und Kupfermünzen, in verschiedener Grösse und mit
verschiedenen Typen. Viele sind auf römische Münzen, namentlich
Trajan's aufgeprägt, i
S. de Saulcy Tiecherches p. 160 — 165. Cavedoni Bibl. >.'um. II, 56 — 59.
Ewald Göttinger Nachr. 1855, 119ff. Levy Gesch. S. 93— 96, 105—108. Mad-
den Hütory p. 166—174, 203—210. De Saulcy Revue Numism. 1865, '^ sqq.
Cavedoni in Grote's Münzstudien V, 30ff. Garrueei II, 33«?. Merz-
bacher Zeitschr. I, 236 f. TV, 357—363. Madden Num. Chron. 1875, 321—
328. Coi«s ;). 233— 241. Sallet Zeitschr. V, 110— 114. Hamburger Zeitschr.
XVIII, 261—273 (Denare), 275 f. (Tetradrachmen). \
Die drei zuletzt genannten Kategorien (Jahr I ligullath
Jisrael, Jahr II lecheruth Jisrael, lecheruth Jei-uschalem ohne Datum)
lassen sich mit Sicherheit der Zeit des Barkochba'schen Auf-
standes zuweisen. Am allgemeinsten ist dies in Betreff der letzten
Kategorie anerkannt. Das auf vielen von ihnen noch erkennbare
ursprüngliche römische Gepräge, auf welches der jüdische Münz-
stempel aufgedrückt ist, beweist, dass sie nicht früher als zui- Zeit
Trajan's geprägt sind. Dann ist aber nur eine Periode denkbar,
in welcher die Prägung stattgefunden haben kann: der Aufstand
unter Hadrian. Aber auch unter den JMünzen unserei" vierten
Klasse (vom „.lahr II lechemth Jisraet) sind Exemplare nachge-
wiesen, welche auf römische Münzen, vorwiegend Trajan's aufg«^prägt
Bind iSallet, Zeitschr. V, 110—114, Hamburger, Zeitschr. XVI II, 255
bis 260). Von ihnen gilt also dasselbe wie von denen lechemth
Jeruschalem.' Selbstverständiidi gelten aber diese Resultate nicht
nur für die auf Kai.M'iinüiizt'n aulg«^prägten Exemplare, sondern
auch für die anderen mit gleicher Aufschrift und gleichen Typen,
flir deren Iferstellung nicht Kaisermünzen verwendet wurden, oder
Hilf welchen das uispriingliche diepräge nicht mehr eikeiinbar ist.
Denn eine seltsame Willkür ist es, Münzen von ganz gleichem
Gepräge verschiedenen Perioden zuzutheihüi, nur desshalb, weil
[642. 643] Beilage IV: 2. Die Aufstandsmüozea. 769
auf den einen noch ein ursprunglicher römischer Stempel sichtbar
ist, auf den anderen nicht (so Levy, welcher sowohl die Münzen
unserer vierten als die unserer fünften Kategorie auf die Zeit 'des
ersten und zweiten Aufstandes vertheilt). — Das hiermit gewonnene
Resultat in Betreft' unserer beiden letzten Kategorien ist aber auch
auf die Münzen vorii „Jahr I ligullath JisraeV^ auszudehnen. Denn
es ist von allen competenten Numismatikern anerkannt, dass sie
im Stil den anderen gleich sind'). Ja auch unter ihnen sind
einige, auf welchen noch Spuren einer Prägung aus der Zeit
Trajan's sichtbar sind (Hamburger, Zeitschr. XVllI, 253 n. 2, 273
n. 59). Im Allgemeinen kennt auch die rabbinische Tradition
„Münzen des Benkosiba" nvnnD r\^:pn oder xn-^T-^r p :P2'0'q^). \
Die grosse Mannigfaltigkeit von Prägungen innerhalb weniger
Jahre, welche hauptsächlich die Numismatiker veranlasst hat, die
Münzen auf die Zeit des vespasianischen und des hadrianischen
Krieges zu vertheilen, ist bei näherem Zusehen doch nicht uner-
klärlich. Im ersten Jahre liaben zwei Führer des Aufstaude s
„der Priester Eleasar" und „der Fürst Simon" Münzen ge-
prägt. Im zweiten Jahre scheint sich Simon allein zum Herrn
der Situation gemacht zu haben. Daraus ist es wolil zu erklären,
dass er auf den Münzen des ersten Jahres durch den Titel „Fürst"
sich vom Priester unterscheidet, während er auf denen des zweiten
Jahres dies nicht mehr nöthig findet 3). Ausser Simon und Eleasar
1) S. bes. de Saulcy, Revue Numismatique 1805, ;/. 2^ sqq. uud Sali et»
Zeitschr. für Numism. V, 110 f.: „Für mein numismatisches Auge war es nie
zweifelhaft, dass de Saulcy's Ansicht richtig ist, dass trotz aller Gegengründe
. . . alle diese denarähnlicheu Münzen (und die Tetradrachmen ebenfalls) un-
streitig einer Periode angehören müssen. Es ist in der Numismatik des Alter-
thums beispiellos und unmöglich, dass Münzen, welche einander im Stil völlig
gleichen, ja sich zum Verwechseln ähnlich sind, sechzig Jahre auseinanderliegen
sollen". — Auch Merzbacher sagt, obwohl er die von Sallet für unmöglich
erklärte Theilung vornimmt, Zeitschr. f. Num. I, 223 f.: „Sie unterscheiden sicli
in Stil und Fabrik wenig von einander, da nur einige Abweichungen in den
Typen wahrgenommen werden können, imd dürfen darum zeitlich nicht allzu
weit von einander getrennt werden".
2) Tosephta Maaser sehen i I, 6 (ed. Zuckermandel p. 86 h'n. 22); jer. Maaser
scheni I, 2; bah. Baba kamma 97b'; bei Levy 127 tF. Maddcn History i2Qsqq.
Coins 311 sqq.
I 3) Auffallend ist die Münze mit der Aufschrift Obv. ',n=n -iir^K, Bev. "py^'r.
De Vogüö hielt sie für das Werk eines Fälschers, der die Vorderseite einer
Eleasar- und einer Simonsmünze miteinander combinirt habe. Nach'Fried-
länder's und Sa 11 et 's Urtheil ist die Echtheit aber nicht zu bezweifeln
(Zeitschr. für Numismat. IV, 350. V, 111 Anm. Madden, Coins p.201). Noch
auffallender ist eine von Reinach {Revue des cf tides juires XV, Ö6—Q1) publi-
cirte Münze, deren Aufschrift zwar defect, aber mit ziemlicher Sicherheit
folgenderraassen zu ergänzen ist:
Schürer, Geschichte I. 3. u. 4. Aufl. 49
770 Beilage IV: 2. Die Aufstandsmünzen, [643. 644]
hat aucli die Stadt Jerusalem, nud zwar sowohl im ersten als im
zweiten Jahre, Münzen geprägt; doch sind diese sehr selten. End-
lieh hat Simon ausser den nach der Aera der Befreiung- Israels
datirten Münzen auch solche zur Verherrlichung der „Freiheit Je -
rusalem's" ohne Datum prägen lassen. In der grossen Mannig-
faltigkeit liegt demnach kein Grund, einen Theil in die Zeit des
vespasianischen Krieges zu verweisen.
In der Geschichte der Numismatik hat die Classificirung unserer Münzen
bisher fünf Stadien durchlaufen. 1) Die älteren Numismatiker, Eckhel,
Mionuet, auch noch Cavedoni Bibl. Num. I, setzten alle Kategorien, so-
weit sie ihnen bekannt waren, sammt den Sekelmünzen in die Zeit Simon's
des Makkabäers. Nur ein französischer Gelehrter des vorigen Jahrhunderts,
Henrion, hat bereits erkannt, dass sie in die Zeit Barkochba's gehören (s.
Fckhel, Doctr. num. III, 472). Seine Stimme ist aber ungehört verhallt, obwohl
man bereits einige der auf Kaisermünzen aufgeprägten Exemplare kannte, die
doch nothgedrungen der Barkochbazeit zugewiesen werden mussten [Eckhel
III, 473). — 2)DeSaulcy hat in seinen Eecherches siir la Numismatique
Judaique 1854 nicht nur das Material wesentlich bereichert, sondern auch die
richtige Ansicht ausgesprochen, dass alle drei Kategorien in die Zeit Bar-
kochba's gehören. Ihm | folgten Cavedoni Bibl. Num. II und Ewald.
Letzterer hat auch die durch de Vogüe 1860 mitgetheilten Eleasannünzen
derselben Zeit zugewiesen (Gesch. des Volkes Israel VII, 418). — 3) Eine arge
Confnsion hat Levy 1862 dadurch angerichtet, dass er in willkürlicher Weise
die Münzen auf die vespasianische und hadrianische Zeit vertheilte. Ersterer
sollen nicht nur alle Münzen vom Jahr I lifiidlath Jisrael, sondern auch ein
grosser Theil der vom Jahr II lecheruth Jisrael und der lecheruth Jeruschalein
angehören. Einzelne Exemplare der beiden letzten Kategorien aber werden
in die hadrianische Zeit verlegt und dadurch Münzen von ganz gleichem Ge-
präge durch sechzig Jahre getrennt. Die Münzherren der vespasianischen Zeit
seien der als Zelotenffihrer bekannte Eleasar, ferner Simon bar-(«iora und der
Schriftgelehrte Simon Sohn Ganialiel's, dem die spütjüdisciu' Legende den
Titel Nasi beilegt (über die Grundlosigkeit dieser Legende s. Bd. II, S. 202 fl'.;
auch Eleasar und Simon bar-Giora können nicht die Münzen vom Jahr I und
II der Freiheit geprägt haben, da sie erst in der letzten Zeit des Aufstandes
Parteiführer geworden sind, Simon bar-Giora erst im dritten Jahre, Bell. Jud.
IV, 9, 12, Elejwar noch später und nur auf kurze Zeit, s. oben S. 623). Trotz
der mehr als schwachen Begründung dieser Hypotliesen liat Levy doch zu-
nächst an Madden {Uixton/ of Jeirish (Joinage 1864) und Cavedoni (in
Qrote's MOnzHtudien V) gläubige Anhänger gefunden. Maddcn's Werk vom
Ol}v. Vk-«;'' rbKsb rnx rsuj
Jfev. Vk-tc n-nb z"'£
Auch dicH(t Mün/.f erklärt Keinach für sicher echt. Nach seiner scliaif-
Kinnigen Erklärung haben wir in Iteidcn Münzen woimalvs liij/iriilrs zu erkennen,
d. h. .Münzen, auf wi-lclicn infolge eines Irrthuma bei der Prägung die Auf-
schriften zweier verHchiedenen Münzen mit einander combinirt sind. Solche
„ÜAHtarde" »tlnd unter den römisclien Consnlarmünzen nicht selten. Ex-
••mplare obiger „Zwittergattnngen" auch bei Hamburger, Zeitschr.
XVIII. 2f>8f.
[G44. 645] Beilage IV: 2. Die Aufstandsmünzen. 771
J. 1864 ist infolge dessen in diesen Partieen äusserst ungeeignet, einen klaren
Ueberblick zu verschaflen. Audi Eenan ist von Levy beeinflusst, insofern
er geneigt ist, für die Zeit Barkocliba's nur Ueberprägungen zuzugeben [L'eglise
chräienne p. bAQsqq.). Entschieden bekämpft wurden Levj''s und Madden's
Aufstellungen von Ewald (Gott. gel. Anz. 1862, 841 ff.) und de Saulcy {Revue
'Sum. 1865), welche an ihren früheren Anschauungen festhielten. Doch hat
de Saulcy insofern der jüdischen Legende seineu Tribut bezahlt, als er unter
dem „Fürsten Simon" den jüngeren Simon Sohn Gamaliel's, den Enkel des
vorher genannten, versteht, dessen Nasi-Titel aber historisch auf ebenso
schwachen Füssen steht, wie der seines Grossvaters. — 4) Einen Fortschritt
zum Bessern bezeichnet es jedenfalls, wenn Merzbacher, obwohl er auch
noch von Levy beeinflusst ist, doch dessen willkürliche Trennung der Münzen
unserer vierten und fünften Kategorie aufgiebt. Er setzt alle Münzen vom
„Jahr I ligullath Jisrael" und alle vom „Jahr II lechinäh Jisrael" in die ves-
pasianische Zeit, dagegen alle mit „lecheruth Jeruschalern" in die hadrianische
Zeit. Die Simon's-Münzen der vespasianischen Zeit schreibt er alle, gleichviel
ob mit oder ohne Nasi-Titel, dem Simon Sohn Gamaliel's, zu. Schon vor ihm
war aber Garrucci der Wahrheit noch eiuen Schritt näher gekommen, indem
er sowohl die Münzen vom „Jahr II lecheruth Jisrael" als die mit „lecfieruth
Jenischalem" der hadrianischen Zeit zuwies, und nur die vom „Jahr I ligullath
Jisrael" der vespasianischen Zeit Hess. Seine Gründe haben alsbald auch auf
M ad den Eindruck gemacht [Num. Chron. 1866, 6.3*5'.), ^^^ ^^ seinen späteren
Arbeiten {Num, Chron. 1875, Goins of ihe Jeus 1881) in der That der Anord-
nung Garrucci's gefolgt ist. Infolge dessen stellt Madden's Hauptwerk vom
J. 1881 nicht nur durch den Reichthum des Materiales, sondern auch durch
die ungleich bessere Anordnung einen bedeutenden Fortschritt gegenüber der
Historij vom J. 1864 dar. — 5) Die Aufstellungen von Merzbacher, Garrucci
und Madden bedeuten eine allmähliche Ueberwindung der Confusion Levy's
und eine schrittweise Wieder-Annäherung an die ursprünglichen, einfachen
Anschauungen de Saulcy's. Völlig zurückgekehrt zu denselben sind Sallet,
Reinach und L. Hamburger, aus Gründen, die oben mitgetheilt sind.
Während de Saulcy sonst in seinen historischen Combinationen nicht immer
glücklich ist, hat ihn hier sein numismatisches Auge richtig ge leitet. — Ob
das Gewicht der Gründe, durch welche die neueren Numismatiker Schritt für
Schritt zu de Saulcy zurückgeführt worden sind, allgemein durchschlagen
wird, muss die Zukunft lehren. Ein Versuch, aufs Neue Verwirrung anzu-
richten, ist von Grätz gemacht worden (Monatsschr. 1887, S. 145 fF. Revue
des vüides Juices XVI, 161 sqq. XVIII, 301 sqq. Gesch. der Juden III, 4. Aufl.
1888, S. 819 ff.). Es ist kaum zu befürchten, dass er gelingen wird. Denn
wer einigermaassen methodisch urtheilt, muss Grätz' Aufstellungen als ein
Gewirre unbegründeter Einfalle erkennen. Vgl. gegen ihn auch Reinach,
Rente des etudes juives XVII, 42—45. XVIII, 304—306.
Eine viel grössere Uebereinstimmung als über die Münzeu
unserer dritten, vierten und fünften Kategorie herrscht über die
unter Nr. 2 mitgetheilten kleinen KupfermüDzen mit der Auf-
schrift 1^2 min cheruth Zion, Jahr II und III. Nahezu ein-
stimmig setzt man sie in die Zeit des vespasianischen Krieges.
So nicht nur de Saulcy, welcher der vespasianischen Zeit nur
diese Münzen zuweist, sondern auch p]wald, welcher die Sekel mit
49*
772 Beilage IV: 2. Die Aufstandsraünzen. [645]
ihnen zusammenstellt, und Levy, Garrucci und Madden, welche
einen mehr oder weniger grossen Theil unserer Barkochbamünzen
mit ihnen verbinden. Letzteres ist fi-eilich darum unstatthaft,
weil sie im Stil wesentlich von ihnen differiren, weshalb Merz-
b ach er auf eine Bestimmung ihres Alters verzichtet (Zeitschrift
für Numismatik I, 223. IV, 364 f.). Setzt man aber alle Münzen
unserer dritten, vierten und fünften Classe in die Barkochbazeit,
so wird es eben durch die Stilverschiedenheit wahrscheinlich, dass
die Münzen vom Jahr II und III cheruth Zion der vespasianischen
Zeit angehören. Auch hierin dürfte also de Saulcy das Richtige
getroffen haben.
Am schwierigsten sind die unter Nr. 1 niitgetheilten Münzen
vom Jahr IV IT^S nbX3i5, Ugullath Zion, zu bestimmen. Manche
stellen sie wegen ihres angeblich alterthümlichen Stiles mit den
Sekelmünzen zusammen (so de Saulcy, Cavedoni Bibl. Num. II,
Ewald, Levy, Madden 1864). Doch ist gerade der Stil für
Garrucci ein Grund gewesen, sie von den Sekeln zu trennen
und in die vespasianische Zeit zu setzen {Dissertazioni 11, 32);
und Madden hat, nachdem er in ausführlicher Auseinandersetzung
mit Garrucci die Zusammenstellung mit den Sekeln noch ver-
theidigt hatte {Xum. Chron. 1866, 48—63), schliesslich doch nur so
viel festgehalten, dass ihre „Verweisung in die seleucidische Periode
einigermaassen {(o some exteni) gesichert erscheine*' {Coins of the
Jews p. 73), während auch Merzbacher der Ansicht ist, dass sie
.,nicht gleichzeitig mit den alten Sekeln'- (Zeitschr. I, 222 f) und
daher nur als ältere Münzen unbestimmten Alters zu bezeichnen
seien (Zeitschr. IV, 364). Eine Entscheidung ist unter diesen Um-
ständen schwer zu fällen. I
Beilage V.
Parallel-Jalire der griechischen, syrischen, römischen
und christlichen Aera').
Die Olymp iade'n-Aera beginnt im J. 776 v. Chr. und wird
vom 1. Juli an gerechnet-). Die seleucidische Aera beginnt im
J. 312 V. Chr. und wird vom 1. October an gerechnet 3). Die varro-
nische Aera ah Urhe condita beginnt im J. 753 v. Chr., und zwar
mit dem Feste der Palilia, XL Cal. Maii = 21. April*). Da aber
die Schriftsteller nach den Amtsjahren der Consuln rechnen, so
kommt für uns nicht der Anfangspunkt des varronischen Jahres,
sondern der Zeitpunkt in Betracht, in welchem die Consuln ihr Amt
antraten. Dies geschah aber seit dem .1. 601 a. U., also fast während
des ganzen in Betracht kommenden Zeitraumes am 1. Januar^).
— In der folgenden Tabelle sind die betreffenden Jahre der
griechischen, seleucidischen und römischen Aera mit demjenigen
Jahre der christlichen Aera gleichgesetzt, in welchem sie be-
ginnen. Demnach* ist: *
Ol. 151, 1 = 1. Juli 176 v. Chr. bis dahin 175.
Sei 137 = 1. October 176 v. Chr. bis dahin 175.
a.U. 578 -=21. April (resp. 1. Januar) 176 v. Chr. bis
dahin 175.
OL
Sei.
a. IL
a. Chr.
Ol.
Sei.
a. U.
a. Chr.
1, 1
776
153,
145
586
168
6, 4
1
753
^
146
587
167
117, 1
1
442
312
147
588
166
154,
4
148
149
589
590
165
151, 1
137
578
176
164
2
138
579
175
150
591
163
3
139
580
174
3
151
592
162
4
140
581
173
4
152
593
161
152, 1
141
582
172
155,
153
594
160.
2
142
583
171
^
154
595
159
3
143
584
170
3
155
596
158
4
144
585
169
4
156
597
157
1) Nach Clinton, Fasti Hellenici III, A72 sqq.
2) Ideler, Handbuch der Chronologie I, 377. Kubitschek, Art. «er«
in Pauly-Wissowa's Real-Enc. I, 627 ff.
3) Ideler, Handbuch I, 450-453. Kubitschek a. a. O. I, 632ff.
4) Ideler, Handbuch II, 47. 150. lG3ff. Kubitschek a. a. 0. I, 622 ff.
5) Ideler, Handbuch II, 148 f.
774
[647]
Ol
5«Z.
a. V.
a. Chr.
Ol
Sei
a. U.
a. Ch
156, 1
157
598
156
166,
3
199
640
114
2
15S
599
155
4
200
641
113
3
159
600
154
167,
1
201
642
112
4
160
601
153
2
202
643
111
157, 1
161
602
152
3
203
644
HO
2
162
603
151
4
204
645
109
3
163
604
150
16S,
1
205
646
lOS
4
164
605
149
2
206
647
107
15S, 1
165
606
148
3
207
648
106
2
166
607
147
4
208
649
105
3
167
608
146
169,
1
209
650
104
4
168
609
145
2
210
651
103
159, 1
169
610
144
3
211
652
102
2
170
611
143
4
212
653
101
3
171
612
142
170,
1
213
654
100
4
172
613
141
2
214
655
99
160, 1
173
614
140
3
215
656
98
2*
174
615
139
4
216
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97
3
175
616
138
171,
1
217
658
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176
617
137
2
218
659
95
161, 1
177
618
136
3
219
660
94
2
178
619
135
4
220
661
93
3
179
620-
134
172,
1
221
662
92
4
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621
133
2
222
663
91
162, 1
181
622
132
3
223
664
90
2
182
623
131
4
224
665
89
3
183
624
130
173,
1
225
666
88
4
184
625
129
2
226
667
87
163, 1
185
626
128
3
227
668
86
2
186
627
127
4
228
669
85
3
187
628
126
174,
1
229
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4
188
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125
2
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180
630
124'
3
231
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82
2
190
631
123
4
232
673
81
3
191
632
122
175,
1
233
674
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4
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2
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3
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3
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74
2
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Ol.
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a. U.
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Ol.
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3
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2
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284
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3
243
684
70
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1
285
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4
244
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2
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245
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3
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23
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64
3
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22
2
250
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63
4
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3
251
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190,
1
293
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2
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19
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253
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60
3
295
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18
2
254
695
59
4
296
737
17
3
255
696
58
191,
1
297
738
16
4
256
697
57
2
298
739
15
181, 1
257
698
56
3
299
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14
2
258
699
55
4
300
741
13
3
259
700
54
192,
1
301
742
12
4
260
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2
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743
11
182, 1
261
702
52
3
303
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2
262
703
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4
304
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9
3
263
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50
193,
1
305
746
8
4.
264
705
49
2
306
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7
183, 1
265
706
48
3
307
748
6
2
266
707
47
4
308
749
5
3
267
708
46
194,
1
309
750
4
4
268
709
45
2
310
751
3
184, 1
269
710
44
3
311
752
2
2
270
711
43
4
312
753
1
3
271
712
42
195,
1
313
754 p.
C. 1
4
272
713
41
2
314
755
2
185, 1
273
714
40
3
315
756
3
2
274
715
39
4
316
757
4
3
275
716
38
196,
1
317
758
5
4
276
717
37
2
318
759
6
186, 1
277
718
36
3
319
760
7
2
278
719
35
4
320
761
8
3
279
720
34
197,
1
321
762
9
4
280
721
33
2
322
763
10
187, 1
281
722
32
3
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778 [651]
Beilage VI.
Genealogie der Seleuciden.
Seleucus I Nicator
t 28^.
Antiochus I Soter
t 261.
Antiochus II Theos
t 246.
Seleucus II Kallinikos
t 226.
Seleucus III Keraunos Antiochus III d. Gr.
t 223. t 187.
Seleucus IV Philopator Antiochus IV Epiphanes
t 175. t 164.
Deraetrius I Soter Antiochus V Eupator
t 150. t 102.
Demetrius 11 Nicator Antiochus VIT Sidetes
t 125. t 129.
Seleucus V Antiochus VIII Gn'pos Antiochus IX Kyzikenos
t 125. t 96. ' t 95.
Öeleuc. VI. Antioch. XI. Philippus. Demetr.III. Antioch. XII Antioch. X Euseb.
Philippus. Antiochus XIII Asiaticus
abgesetzt 65 v. Chr.
[652] 779
Beilage VIL
Genealogie der Hasiuonäer.
Mattatbias
t 100.
Simon Judas ^ Jonathan
t 135. t 161. t 143.
Johannes Hyrkan 1
t 104^
Aristobul 1 ( Alexander Jannäus
•i- 103. ^ t 76.
{ Alexandra
l t 67.
Hyrkan II Aristobul 11
t 30. t 49.
Alexandra Alexander Antigonus
t 28. I t 49. t 37.
Aristobul Mariauuue Tochter, verni. mit Anti-
t 35. t 29. pat€r, dem Sohne des He-
(verm. mit rodes (Jos. Antt. XVII, 5, 2).
Herodes).
780
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Zusätze und Berichtigungen.
S. 10. Der Titel der grossen in New- York erscheinenden jüdischen En-
cyclopädie, welchen ich nach einer Voranzeige des Verlegers gegeben habe,
lautet auf dem inzwischen erschienenen ersten Bande folgendermassen : The
Jeivisli Encyclupedia, a descHptice record of the history, religion, literature and
ciistovis of the Jeivish People from the earliest times to the present day, prc-
pared .... umler the direetion of the followiiig editorial hoard: Adler, Deutsch,
öinxbery, Gottheil, Jacobs, Marcus Jastrow, Morris Jastrow, Kohler, Menden,
Singer, Tay, Funh, VixetcUy, Singer Projector and Managing Editor. Vol. I,
Aach — Apocalyptic lAterature. Netc York and London, Funk arul Wagnalls
Company, 1901.
S. 25 ist zu tilgen: Spur r eil, Notes on early sickles (ArehaeotogiccU Journal
XLIX, 1893, p. 53 — 68). — Da Benzinger diese Abhandlung in der Zeitschr.
des* DPV. XVII, 1894, S. 150 unter der Literatur ü b e r Numismatik nennt,
so habe ich mich verleiten lassen, sie a. a. O. aufzuführen unter dem Vorbe-
halt späterer Controle. Der Bogen war aber schon gedruckt, als ich bei Durch-
arbeitung des Excurses über die jüdischen Münzen (Beilage IV) mir den in
Güttiugen nicht v'orhandenen Band XLIX des Archaeological Journal verschaft'te
und nun fand — was ich freilich schon aus dem Titel hätte sehen sollen —
dass Spurrell nicht über die hebräischen Sekelmünzen (lat. de siclis) sondern
über alte Sicheln handelt.
S. 27. Dussaud et Macler, Voyaye arclieologü/ue au Safä et (Ums Ic
Djcbel ed-Drüx, Paris 1901, theilen griechische und nabatäische Inschriften aus
der Hauran-Gegend mit. Die nabatäischen konnten von mir in Beilage II
noch benützt werden.
S. 73. F. Jacoby, De Apollodori Atheniensis ehroniois. Diss. Berol. 1900.
S. 166. Strassmaier, Zur Chronologie der Seleuciden (Zeitschr. für
Assyriologie VIII, 1893, S. 106—113), giebt keilinschriftliche Daten, die aber
für die Resultate nichts austragen.
S. 515, Anm. 24, über die inlxQiaiQ auch: P. Meyer, Berliner philol.
Wochenschrift 1901, col. 242—247, Wessely ebendas. 475.
In § 21, III hätte noch eine kürzlich publicirte Papyrus-Urkunde erwähnt
werden können (Aegj-ptische Urkunden aus den königl. Museen zu Berlin,
Griechische Urkunden, Bd. III Nr. 889), in deren vorletzter Zeile {lin. 23) zu
lesen ist: aiy[.].ag)og ti dnb xal tov xa {hovq) [ . . . ]o iv xöj ^Iov6{aix<5)
xagaxw Ta| (...). Wilcke'n bemerkt dazu (Archiv für Papyrusforschung
I, 557): „Bezieht man das 21. Jahr auf Hadrian, so war 136 7 in Aegjpten ein
jüdischer Aufstand, infolgedessen, wie es scheint, das betreffende Landstück
verwüstet war. Dieses sonst unbekannte Ereigniss stand vielleicht mit dem
jüdischen Krieg im Zui^ammenhang, der in Palästina 135 sein Ende fand".
Druck von August Pries in Leipzig.
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