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Full text of "Geschichte des jüdischen volkes im zeitalter jesu christi .."

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AKTES      SCIENTIA     VERITAS 


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GESCHICHTE 


DES 


JÜDISCHEN  YOLKES 


IM 


ZEITALTER  JESU  CHRISTI 


VON 


D.  EMIL  §PHURER 

ORDEÜTL.  PROFESSOR  DER  THEOLOGIE  ZU  GÖTTINGEN 


VIERTE  AUFLAGE 


ZWEITER  BAND 

DIE  INNEREN  ZUSTÄNDE 


LEIPZIG 

J.  G.  HINKICHS'schb  BUCHHANDLUNG 

1907 


J>5 

f 


Das  Recht  der  Übersetzung  vorbehalten 


Druck  von  August  Pries  in  Leipzig. 


rapurolcc4ü 

6-10-SO 

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Vorwort. 


Obwohl  seit  dem  Erscheinen  der  vorigen  Auflage  dieses  Bandes 
(1898)  nur  neun  Jahre  verflossen  sind,  hat  sich  doch  bei  der  großen 
Mannigfaltigkeit  des  Stoffes  an  so  vielen  Punkten  die  Notwendig- 
keit größerer  oder  kleinerer  Ergänzungen  ergeben,  daß  eine  aber- 
malige Erweiterung  des  Umfangs  unvermeidlich  war.  Neue  Funde 
von  Handschriften,  Inschriften,  MUnzen,  Papyrustexten,  neue  Ar- 
beiten von  Mitforschern,  durch  welche  den  alten  Quellen  neue 
Aussagen  und  Gesichtspunkte  abgewonnen  wurden,  endlich  die 
fortgesetzte  eigene  Beschäftigung  mit  dem  Gegenstand  haben  wieder 
aufs  eindringlichste  gelehrt,  wie  wenig  es  auch  auf  diesem  Gebiete 
Buhe  und  Stillstand  gibt.  Die  große  Masse  der  Ergänzungen  ist 
den  Anmerkungen  zuteil  geworden.  Aber  auch  der  Text  hat 
doch  an  nicht  wenigen  Stellen  Ergänzungen  und  Modifikationen, 
hie  und  da  auch  Berichtigungen  erfahren.  Es  sei  gestattet,  die 
etwas  umfangreicheren  Zusätze  hier  hervorzuheben.  Sie  finden 
sich  an  folgenden  Stellen:  S.  4—7  (Hellenismus  in  Idumäa  um 
200  v.  Chr.),  39  f.  (griechische  Kulte  in  Gerasa),  43—46  (semitische 
und  griechische  Kulte  in  Batanäa  und  Auranitis),  55  f.  (hellenistische 
Legenden  über  die  Gründung  palästinensischer  Städte),  64  f.  (die 
&vQa  mQala  Act.  3,  2),  65  f.  (Tier-  und  Menschenbilder  bei  den 
Juden),  68—71  (Import  griechischer  Waren  nach  Palästina  seit 
dem  siebenten  Jahrhundert  v.  Chr.,  insonderheit  Tonkrüge  aus 
Rhodus  um  200  v.  Chr.,  zu  der  Literatur  S.  70  ist  nachzutragen: 
Bleckmann,  De  inscriptionibus  quae  leguntur  in  vasculis  Bhodiis, 
Göttinger  Diss.  1907),  96—99  (Wechsel  der  Oberherrschaft  über 
Palästina  in  der  Diadochenzeit),  143, 144, 145, 146  f.  (zur  Geschichte 
der  Stadt  Ptolemais-Ake),  149  f.  (über  die  „Dekapolis"),  180—189 


IV  Vorwort. 

(zur  Geschichte  und  Verfassung  von  Gerasa),  246  f.  (über  das  Syn- 
edrium,  gegen  Büchler),  370  f.  (Verunreinigung  der  Hände  durch 
heilige  Schriften),  406  (die  siebenzig  Völker  der  Welt),  413  f. 
(fremde  Einflüsse  auf  das  Judentum),  428  (das  Prosbol-Gesetz), 
439,  445  (R.  Eliesers  und  E.  t'arphons  Beziehungen  zum  Christen- 
tum), 461  f.  (Jesus  Sirach  über  die  Willensfreiheit),  469  (über  Am- 
haarez),  488  (über  die  Sadduzäer,  gegen  Hölscher),  500  (Synagogen 
in  Ägypten  seit  dem  dritten  Jahrhundert  v.  Chr.),  506  (ovvaycoyri 
im  griechischen  Sprachgebrauch),  514  (Organisation  der  Armen- 
pflege), 533  (Bedeutung  des  Wortes  Haphtara),  541—544  (Geschichte 
des  Schmone-Esre),  591—593  (die  messianische  Hoffnung  bei  Jesus 
Sirach),  614  f.  (Menschensohn),  633  (ewige  Gültigkeit  des  Gesetzes), 
640,  642  (über  den  Zustand  nach  dem  Tode;  auch  sonst  ist  in  dem 
Abschnitt  über  die  messianische  Hoffnung  vieles  ergänzt,  resp.  der 
Text  modifiziert  und  präziser  gefaßt),  646—648  (zur  Charakteristik 
der  messianischen  Hoffnung,  Ausmünden  derselben  in  die  christ- 
liche Hoffnung). 

Um  das  Auffinden  von  Zitaten  nach  der  vorigen  Auflage  zu 
erleichtern,  sind  die  Seitenzahlen  der  dritten  Auflage  am  inneren 
Rand  in  eckigen  Klammern  [  ]  angegeben  und  der  Beginn  einer 
neuen  Seite  der  alten  Auflage  in  der  neuen  jedesmal  durch  einen 
im  Text  angebrachten  senkrechten  Strich  |  bezeichnet  Infolge 
dessen  kann  auch  das  bisherige  Register  vorläufig  noch  benützt 
werden.  Eine  Erneuerung  desselben  ist  erst  nach  Erscheinen  der 
4.  Aufl.  von  Bd.  III  beabsichtigt.  Letztere  ist  in  Vorbereitung, 
während  von  Bd.  I,  welcher  in  einer  starken  Doppel-Auflage  ge- 
druckt wurde,  noch  reichlicher  Vorrat  vorhanden  ist. 

Göttingen  im  September  1907. 

E.  Schürer. 


Inhalt. 


Zweiter  Teil. 


Die  inneren  Zustände. 

Seite 
§  22.    Allgemeine  Kulturverhältnisse 1 

L  Mischung  der  Bevölkerung.    Landessprache 1 

IL  Verbreitung  der  hellenistischen  Kultur 27 

1.  Der  Hellenismus  in  den  nicht-jüdischen  Gebieten ....  27 

2.  Der  Hellenismus  im  jüdischen  Gebiete 57 

HL  Stellung  des  Judentums  zum  Heidentum 89 

§  23.    Verfassung.    Synedrium.    Hohepriester 94 

I.  Die  hellenistischen  Städte 94 

Baphia  106.  Gaza  110.  Anthedon  118.  Askalon  119.  Azotus  125. 
Jamnia  126.  Jope  128.  Apollonia  132.  Stratons-Turm  —  Oä- 
sarea  134.  Dora  138.  Ptolemais  141.  Damaskus  150.  Hippus  155. 
Gadara  157.  Abila  162.  Eaphana  163.  Eanata  164.  Kanatha 
167.  Skythopolis  170.  Pella  173.  Dium  176.  Gerasa  177.  Phila- 
delphia  189.  Sebaste  —  Samaria  195.  Gaba  199.  Esbon 
(Hesbon)  200.  Antipatris  202.  Phasaelis  204.  Cäsarea  Panias 
204.  Julias  «=»  Bethsaida  208.  Sepphoris  209.  Julius  =  Livias 
213.  Tiberias  216. 

H.  Das  eigentlich  jüdische  Gebiet 223 

III.  Das  grosse  Synedrium  zu  Jerusalem 237 

Geschichte  238.  Zusammensetzung  248.  Kompetenz  258.  Zeit 
und  Ort  der  Sitzungen  263.    Gerichtsverfahren  266. 

IV.  Die  Hohenpriester. 267 

§  24.    Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus 277 

L  Die  Priesterschaft  als  geschlossener  Stand 278 

II.  Die  Einkünfte 297 

HL  Die  einzelnen  Amter 317 

IV.  Der  tägliche  Kultus 336 

Anhang.    Beteiligung  der  Heiden  am  Kultus  zu  Jerusalem    .    .  357 


VI  .  Inhalt 

Seite 

§  25.    Die  Schriftgelehrsamkeit 363 

L  Kanonische  Dignität  der  heiligen  Schriften 363 

II.  Die  Schriftgelehrten  und  ihre  Tätigkeit  im  allgemeinen.    .    .  372 

m.  Halacha  und  Haggada 390 

1.  Die  Halacha 391 

2.  Die  Haggada 400 

IV.  Die  berühmtesten  Schriftgelehrten 414 

§  26.    Die  Pharisäer  und  Sadduzäer 447 

I.  Die  Pharisäer 456 

II.  Die  Sadduzäer 475 

§  27.    Schule  und  Synagoge 489 

I.  Die  Schule 491 

II.  Die  Synagoge 497 

Gemeindeorganisation  501.  Beamte  509.  Gebäude  517.  Gottes- 
dienst-Ordnung 526. 

Anhang.    Das  Schma  und  das  Schmone-Esre 537 

§  28.    Das  Leben  unter  dem  Gesetz 545 

I.  Allgemeines 545 

II.  Sabbathfeier 551 

HL.  Reinheitsgesetze 560 

IV.  Veräußerlichung  des  religiösen  Gebietes 566 

V.  Irrwege 574 

§  29.    Die  messianische  Hoffnung 579 

I.  Verhältnis  zur  älteren  messianischen  Hoffnung 583 

H.  Geschichtlicher  Überblick •  590 

HI.  Systematische  Darstellung. 609 

Letzte  Drangsal  und  Verwirrung  609.  Elias  als  Vorgänger  610. 
Erscheinung  des  Messias  612.  Letzter  Angriff  der  feindlichen 
Mächte  621.  Vernichtung  der  feindlichen  Mächte  622.  Erneu- 
erung Jerusalems  625.  Sammlung  der  Zerstreuten  626.  Das 
Reich  der  Herrlichkeit  in  Palästina  628.  Erneuerung  der  Welt 
636.  Allgemeine  Auferstehung  638.  Letztes  Gericht.  Ewige 
Seligkeit  und  Verdammnis  644.  Anhang.  Der  leidende  Me- 
sias  648. 

§  30.    Die  Essener 651 

I.  Die  Tatsachen 656 

Organisation  des  Gemeinschaftslebens  656.  Ethik.  Sitten  und 
Gebräuche  661.    Theologie  und  Philosophie  665. 

II.  Wesen  und  Ursprung  des  Essenismus 668 


Zweiter  Teil. 


Die  inneren  Zustände. 


§  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse. 

I.  Mischung  der  Bevölkerung.    Landessprache. 

Die  Stärke  und  Ausdehnung  der  jüdischen  Bevölkerung  in 
Palästina  hat  auch  in  der  griechischen  und  römischen  Zeit,  wie  in 
früheren  Jahrhunderten,  starke  Schwankungen  erfahren.  Vom  Be- 
ginn der  hellenistischen  Zeit  bis  zur  makkabäischen  Erhebung 
werden  wir  uns  das  jüdische  Element  in  allmählichem  Rückgang 
zu  denken  haben:  das  griechische  Element  drang  siegreich  vor. 
Ein  starker  Umschlag  erfolgte  jedoch  durch  die  makkabäische  Er- 
hebung und  ihre  Nachwirkungen;  durch  sie  gewann  das  Judentum 
intensiv  und  extensiv  wieder  an  Boden.  Es  konsolidierte  sich  im 
Innern,  und  es  breitete  sich  an  den  Grenzen  fast  nach  allen  Seiten 
hin  weiter  aus1. 

Eine  kompakte  jüdische  Bevölkerung  hat  es  im  Be- 
ginn der  Makkabäerzeit  nur  im  eigentlichen  Judäa  ge- 
geben, d.  h.  in  der  südlich  von  Samaria  gelegenen  Landschaft, 
für  welche  das  erste  Makkabäerbuch  den  Namen  'lovda  oder  ytj 
'iovöa  oder  'Iovöala  gebraucht2.  Die  räumliche  Ausdehnung  der 
hier  wohnenden  jüdischen  Bevölkerung  läßt  sich  für  den  Zeitraum 
von  175 — 135  vor  Chr.  ziemlich  genau  bestimmen.  Die  nörd- 
lichsten Bezirke,  welche  in  Kultusgemeinschaft  mit  Jerusalem 
standen  (also  nicht  „samaritanische",  sondern  Jüdische" Bevölkerung 
hatten),  waren  die  roftoi  von  Lydda,  Bamathaim  und  Ephraim. 


1)  Vgl.  zum  Folgenden:  Hol  sc  her,  Palästina  in  der  persischen  und 
hellenistischen  Zeit  (1903),  S.  26—50,  67—82;  auch  die  Artikel  von  Guthe 
über  „Judäa",  „Galiläa",  „Peräa"  in  Herzog-Hauck,  RealEnz.,  3.  Aufl.  — 
Schlatter,  Gesch.  Israels,  2.  Aufl.,  1906,  8.  7—17,  folgt  meiner  Darstellung. 

2)  Der  Name  iovöala  ist  schon  seit  Beginn  der  hellenistischen  Zeit  nach- 
weisbar iKlearchus  bei  Jos.  c.  Apion.  I,  22, 179:  TiQoaayoQetetai  yaq  dv  xaxoi- 
xovoi  xbnov  lovdala,  Hekataus  bei  Diodor.  XL,  3  -=»  Müller,  Fragm.  hist.  gr.  II, 
392 a:  elg  xijv  v$v  xaXovuhtjv  'IovSalav,  Manetho  bei  Jos.  c.  Apion.  I,  14,  90: 
iv  xjj  vvv  Iovtaia  xaXovpivy).  Die  Zweifel,  welche  Hol  seh  er,  S.  76  ff.,  gegen 
die  Authentie  dieser  Stellen  erhoben  hat,  kann  ich  nicht  für  begründet  halten. 
Das  hebr.  D^TiST»  ist  ja  schon  bei  Jeremia  häufig. 

Schürer,  Geschichte  II.  4.  Aufl.  1 


2  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [i.  2] 

Diese  gehörten  bis  145  vor  Chr.  politisch  zur  Provinz  Samarien, 
wurden  aber  nun  von  Demetrius  IL  dem  jüdischen  Hohenpriester 
Jonathan  überlassen,  und  zwar,  wie  deutlich  zu  erkennen  gegeben 
wird,  weil  die  dortige  Bevölkerung  „in  Jerusalem  opferte"  (I  Makk. 
11,34).  Seitdem  wurden  diese |Bezirke  stets  zu  Judäa  gerechnet3.  — 
Gegen  Osten  hat  sich  die  jüdische  Bevölkerung  wohl  bis  zum 
Jordan  hin  erstreckt.  Unter  den  Städten  h  rjj  'lovöala,  welche 
Bacchides  befestigte  und  mit  heidnischen  Besatzungen  belegte,  um 
die  jüdische  Bevölkerung  |  im  Zaume  zu  halten,  wird  auch  Jericho 
genannt  (I  Makk.  9,  50—52).  —  Gegen  Süden  bildete  damals  Beth- 
zur  den  vorgeschobensten  Posten  des  Judentums.  Judas  legte  eine 
jüdische  Besatzung  hinein,  „damit  das  Volk  eine  Festung  habe 
gegen  Idumäa"  (I  Makk.  4,  61;  vgl  6,  7.  26).  Diese  Besatzung  mußte 
sich  freilich  nach  wenigen  Jahren  wieder  dem  syrischen  König 
ergeben  und  wurde  durch  eine  heidnische  ersetzt  (I  Makk.  6,  31. 
49—50;  9,  52).  Aber  der  Makkabäer  Simon  gewann  die  Stadt  aufs 
neue  für  das  Judentum  (I  Makk.  11,  65—66).  Südlich  von  Beth-zur, 
in  der  Linie  von  Hebron  bis  Marisa  (so  ist  I  MM.  5,  63  statt 
Samaria  zu  lesen)  wohnten  die  heidnischen  „Söhne  Esaus",  welche 
von  Judas  wiederholt  gezüchtigt  wurden,  da  sie  die  zerstreut  unter 
ihnen  lebenden  Juden  mißhandelten  (I  Makk.  5,  2 — 3.  65—67) 4.  — 

3)  Über  ihre  Lage  s.  oben  §  6  (Bd.  I  S.  233).  Vgl.  überhaupt  §  4  An- 
feng  (I,  184.  185). 

4)  Viel  weiter  südlich  als  Beth-zur,  nämlich  bisBeerseba  (dessen  Lage 
uns  sicher  bekannt  ist),  sollen  die  Ansiedelungen  der  Juden  nach  dem  baby- 
lonischen Exil  gegangen  sein  (Nehem.  11,  25—30,  dazu:  Smend,  Die  Listen 
der  Bücher  Esra  und  Nehemia,  Basel,  Progr.  1881,  und  Stade,  Theol.  Litztg. 
1884,  216f.;  Ders.,  Gesch.  des  Volkes  Israel  II,  1888,  S.  109—112).  Diese  An- 
gaben können  aber  nicht  richtig  sein.  Das  südliche  Judäa  war  schon  zur  Zeit 
Ezechiels,  unmittelbar  nach  der  Eroberung  Jerusalems  durch  Nebukadnezar, 
von  den  Edomitern  besetzt  worden  (Exech.  35, 10 — 13;  36,  5).  Und  diese  sind, 
wie  die  spätere  Geschichte  zeigt,  seitdem  dort  geblieben,  während  sie  ihre 
alten,  südlicheren  Wohnsitze  in  der  Gegend  von  Sela  (=  Petra)  den  Nabataern 
überließen,  die  wir  seit  Ende  des  4.  Jahrh.  v.  Chr.  daselbst  finden  (s.  Bd.  I 
Beilage  II,  und  zur  Geschichte  der  Edomiter  den  Artikel  von  Baudissin  in 
Herzog-Hauck,  Beal-Enz.,  3.  Aufl.;  Buhl,  Geschichte  der  Edomiter,  Leipzig, 
Progr.  1893;  Ed.  Meyer,  Die  Entstehung  des  Judentums,  1896,  S.  114 ff.;  Lury, 
Geschichte  der  Edomiter  im  biblischen  Zeitalter,  Diss.  Berlin,  angezeigt  von 
Baudissin,  Theol.  Litztg.  1899,  132;  Nöldeke,  Art.  Edom  in  der  Encyclo- 
paedia  Biblica  II,  1901;  Ed.  Meyer,  Die  Israeliten  und  ihre  Nachbarstämme, 
1906,  S.  328  ff.)  Das  jüdische  Gebiet  reichte  zur  Zeit  Nehemias,  wie  Nehem.  3 
beweist,  südlich  nicht  viel  weiter  als  bis  Beth-zur.  Die  Liste  Nehem.  11,  25 — 30 
bezieht  sich  also  entweder  auf  die  vorexilische  Zeit  (so  Smend,  Lehrb.  der 
alttest  Beligionsgesch.,  1893,  S.  340;  Wellhausen,  Israelit,  und  jüd.  Ge- 
schichte, 1894,  S.  122;  Schlatter,  Zur  Topographie  und  Geschichte  Pa- 
lästinas, 1893,  S.  53),  oder  sie   ist  eine  freie  Erfindung  des  Chronisten,  was 


[2.  3]  I.  Mischung  der  Bevölkerung.  3 

Die  Küstenstädte  im  Westen  mit  ihren  großen,  sich  weit  ins 
Binnenland  erstreckenden  Gebieten,  waren  sämtlich  heidnisch.  Die 
meisten,  ßaphia,  Gaza,  Anthedony  Askalon,  Asdod,  sind  es  auch 
stets  geblieben.  Den  vorgeschobensten  Punkt  des  Judentums  im 
Nordwesten  bildete  das  schon  erwähnte  Lydda  (I  Makk.  11,  34). 
In  dessen  Nähe  lag  das  von  dem  Makkabäer  Simon  befestigte 
Adida  (I  Makk.  12,  38).  |  Südlich  davon  war  Emmaus  die  west- 
lichste jüdische  Stadt  (I  Makk.  9,  50).  Denn  schon  das  nur  wenig 
westlich  von  Emmaus  liegende  Gazara  war  damals  noch  heidnisch. 
Gerade  nach  Westen  hin  hat  aber  das  Judentum  schon  zur  Makka- 
bäerzeit  zielbewußt  sich  vorgeschoben.  Die  Verbindung  mit  der 
Küste  war  eine  Grundbedingung  materieller  Blüte.  Und  diese 
Verbindung  ist  in  der  Weise  angestrebt  und  erreicht  worden,  daß 
zugleich  auch  die  Bevölkerung  judaisiert  wurde.  Ob  mit  Ekron 
so  verfahren  wurde,  als  Jonathan  es  von  Alexander  Balas  zum 
Geschenk  erhielt  (I  Makk.  10,  88—89),  wissen  wir  allerdings  nicht 
Sicher  ist  aber,  daß  die  bis  dahin  heidnischen  Städte  Jope  und 
Gazara  gewaltsam  zu  jüdischen  gemacht  wurden.  Nach  Jope 
legte  Simon  eine  jüdische  Besatzung  (I  Makk.  12,  33—34)  und  ver- 
trieb bald  darauf  die  bisherigen  heidnischen  Einwohner  aus  der 
Stadt  (I  Makk.  13,  11:  i^ißaXs  rovg  omag  h  avrfj).  Gazara  wurde 
von  Simon  nach  schwieriger  Belagerung  erobert,  worauf  er  die 
Einwohner  vertrieb  und  Leute  dort  ansiedelte,  „welche  das  Gesetz 
beobachten"  (I  Makk.  13,  43 — 48:  xaxcoxioev  ixel  avÖQaq  ohiveg  xbv 
vofiov  xoiovoi)\  Jope  ist  die  einzige  Küstenstadt,  welche  förmlich 
judaisiert  wurde.  Außerdem  hat  aber  auch  in  Jamnia  das  jüdische 
Element  das  Übergewicht  gewonnen.    Es  scheint  zwar,  daß  dies 


Ed.  Meyer  sehr  wahrscheinlich  gemacht  hat  (Die  Entstehung  des  Judentums, 
8. 105—108. 114ff.;  ebenso  Guthe  in  Herzog-Hauck,  Real-Enz.,  3.  Aufl.  IX,  557; 
Hol s eher  S.  26 f.).  Jedenfalls  hat  zur  Makkabäerzeit  über  Beth-zur  hinaus 
nur  eine  jüdische  Diaspora  gewohnt  (vgl.  I  Makk.  5,  2 — 3).  Die  Hauptmasse 
der  Bevölkerung  war  hier  edomitisch.  Das  beweisen  nicht  nur  die  Angaben 
I  Makk.  4,  61  und  5,  65—67,  sondern  auch  die  Geschichte  des  Johannes  Hyr- 
kanus.  Erst  dieser  hat  die  bis  dahin  edomitischen  Städte  A  dora  und  Marisa 
erobert  und  judaisiert  (Joseph  Arüt.  XIII,  9,  1;  Bell.  Jud.  I,  2,  6).  Adora  lag 
nur  wenig  südlich  von  Beth-zur,  Marisa  westlich  von  Beth-zur. 

5)  Über  Jope  vgl.  auch  unten  §  23;  über  Gazara  oben  §  7  (I,  245  f.). 
Bei  den  neueren  Ausgrabungen  in  Gazara  (Gezer)  sind  dort  Henkel  von 
Tonkrügen  (Amphoren)  in  großen  Mengen  gefunden  worden,  von  derselben  Art 
wie  in  Marisa  (s.  Anm.  8).  Sie  erweisen  sich  durch  den  griechischen  Stempel, 
den  sie  alle  tragen,  als  Fabrikat  von  Bhodus  aus  dem  3.  oder  2.  Jahrh.  vor 
Chr.  und  bezeugen  damit,  daß  auch  in  Gazara  vor  seiner  Judaisierung  durch 
den  Makkabäer  Simon  das  Griechentum  Eingang  gefunden  hatte  (S.  Macalister, 
Quarterly  Statements  1903,  p.  48.  306;  1904,  p.  212  sq.). 

1* 


4  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [3] 

nicht  vor  dem  Jahre  135  vor  Chr.  geschehen  ist;  denn  die  beiden 
Makkabäerbächer  erwähnen  Jamnia  nur  als  heidnische  Stadt 
(I  Makk.  5,  58;  II  Makk.  12,  8  ff.  40)  und  berichten  nichts  von  seiner 
dauernden  Besetzung  durch  die  Juden.  Aber  zur  Zeit  Philos  war 
die  Bevölkerung  Jamnias  zum  größten  Teile  jüdisch 6. 

Eine  starke  Erweiterung  hat  das  jüdische  Element  nach  Süden 
hin  durch  die  Unterwerfung  der  Idumäer  erfahren.  Johannes 
Hyrkan|  eroberte  die  Städte  Adora  und  Marisa,  unterwarf  alle 
Idumäer  und  zwang  sie  zur  Annahme  der  Beschneidung  und  der 
jüdischen  Gesetze.  Seitdem  waren  die  Idumäer  Juden  und  sind 
auch  während  des  großen  Krieges  gegen  die  Römer  67/68  nach  Chr. 
als  solche  aufgetreten7.  Zur  Zeit  der  Eroberung  durch  Johannes 
Hyrkan  hat  es  in  Marisa  auch  eine  hellenistische  Kolonie 
gegeben.  Ja  es  scheint,  daß  das  griechische  Element  dort  ziemlich 
stark  war;  denn  die  Stadt  gehört  zu  denjenigen,  welche  später 
durch  Pompeius  wieder  von  der  Herrschaft  der  Juden  befreit 
wurden,  was  im  allgemeinen  nur  in  Betreif  der  hellenistischen 
Städte  geschah8.    Wahrscheinlich  ist  auch  Adora  auf  dem  Weg 


6)  Philo,  Legat,  ad  Gajum  §  30  (ed.  Mang.  II,  575).   Vgl.  unten  §  23,  I. 

7)  Joseph.  Antt.  XIII,  9,  1:  *Yoxavd<;  öh  xal  xfjs  löovfjLalas  aiQel  ndXsiq 
"ASwoa  xal  Maoioav,  'xal  anavxas  xoix;  *I6ovftalovq  hnö  %stQa  TtoirjodficvoQ 
inhoetpBv  abvotq  pfreiv  iv  ty  X<°Qa>  £l  neüirifjtvotvTO  xä  alSola  xal  totq 
*Iov6alü>v  vöpoi$  XQ^ovoO*1  &iXotev.  Ol  öh  nd&cp  xfjq  naxoiov  yfjq  xal  tip 
neoiTOfiip  xal  tty  äXXrjv  rotf  ßlov  öiaixav  bji&peivav  x^v  afafjv  Iovöaloiq  notf- 
aao&ai.  K&xelvoig  avrotq  XQ^v0<i  ^rt'JQXBv  wäre  elvai  xb  Xoaibv  *lovöalov<; 
(Text  nach  Niese).  Vgl.  auch  Bell.  Jud.  I,  2,  6;  Antt.  XV,  7,  9;  BeU.  Jud.  IV, 
4, 4.    Dazu  oben  §  8  (I,  2(54). 

8)  Über  das  Auftreten  des  Hellenismus  in  Marisa  um  200  vor  Chr.  hat 
uns  die  Aufdeckung  einiger  in  den  Felsen  gehauenen  Grabstatten  im  J.  1902 
überraschenden  Aufschluß  gegeben.  8.  die  Berichte  von  Lag  ränge,  Deux 
hypogies  Macedo-Sidoniens  ä  Beit-Djebrin  (Comptes  rendus  de  VAcadhnie  des 
Inscr.  et  Belles-Lettres  1902,  p.  497—505),  und  Thiersch  und  Peters  (Mit- 
teilungen und  Nachrichten  des  DPV.  1902,  S.  40—42,  und  Palestine  Exploration 
Fund,  Quarterly  Statement  1902,  p.  393—397).  Eine  erschöpfende  Beschreibung 
geben:  Peters  and  Thierseh,  Painted  Tombs  in  the  Necropolis  of  Marissa, 
London  1905  (vgl.  Theol.  Litztg.  1905,  561).  Dazu:  Macalister,  The  erotie 
grafftto  etc.  in:  Quarterly  Statement  1906,  p.  54 — 62.  Die  Gräber  liegen  am 
Teil  Sandahanna,  südlich  von  Beth-Dschibrin,  dem  Eleutheropolis  der  römischen 
Zeit.  Da  der  Teil  Sandahanna  durch  die  neueren  englischen  Ausgrabungen 
als  bedeutende  alte  Stadt- Anlage  erwiesen  ist,  so  war  schon  deshalb  mit 
großer  Wahrscheinlichkeit  anzunehmen,  daß  hier  das  alte  Marisa  zu  suchen 
ist  (nach  Euseb.  Onomast.  ed.  Klostermann  p.  130  lag  Maresa  2  mil.  pass.  von 
Eleutheropolis;  der  alte  Name  hat  sich  in  dem  nahe  gelegenen  Khirbet 
Merasch  erhalten,  s.  die  große  englische  Karte  Blatt  XX;  aber  nicht  Khirbet 
Merasch,  sondern  Teil  Sandahanna  muß  genauer  als  die  Lage  der  alten  Stadt 
betrachtet  werden).    Bestätigt  wird  dies  nun  durch  eine  Inschrift  in  den  neu 


[3]  I.  Mischung  der  Bevölkerung.  5 

der  Hellenisierung  gewesen.  Denn  die  Stadt  Dora,  in  welcher 
nach  einer  von  Apion  wiedergegebenen  judenfeindlichen  Fabel 
Apollo  verehrt  wurde,  kann  nicht  wohl  das  phönizische  Dora 

entdeckten  Gräbern,  auf  welcher  Maris a  als  Name  der  Stadt  Torkommt 
(8.  unten).  —  Von  den  vier  Grabstätten,  welche  Peters  und  Thiersch  be- 
schreiben, ist  Grab  I  das  bedeutendste,  aus  paläographischen  und  historischen 
Gründen  höchst  wahrscheinlich  noch  vor  Ende  des  dritten  Jahrh.  vor 
Chr.  angelegt.  Auch  die  andern  sind  wohl  nicht  viel  jünger.  Alle  erinnern 
in  der  Ausführung  besonders  an  ägyptische  Gräber  der  Ptolemäerzeit.  In 
Grab  I  ist  an  den  Wänden  des  Hauptsaales  ein  großer  Tierfries  gemalt; 
über  den  Tierbildern  stehen  die  entsprechenden  griechischen  Namen:  naQÖaXoq, 
nav^rjQOQf  xavQO<;(?),  xafieXona^Sakog  (?),  yQvy,  givoxeQme,  eXefaq,  XQoxoötXoq, 
ißtgt  ovaygtog,  v<tzqi£  (Stachelschwein),  Avy£.  Am  Eingang  zu  diesem  Saale 
ist  links  ein  chthonicher  Hahn,  rechts  der  dreiköpfige  Cerberus  gemalt.  Die 
Personen-Namen,  welche  über  den  Loculi  geschrieben  sind  (teils  eingeritzt,  teils 
gemalt),  sind  zur  größeren  Hälfte  griechische,  zur  kleineren  semitische  in 
griechischer  Form;  unter  letzteren  einige  sicher  phönizische  (S&Ofsuxiog,  Mebq- 
ßaXoq)  und  einige  sicher  rdumäische  (Koovaxavoq,  Kooßavoq,  von  dem  idumä- 
ischen  Gott  Dp,  zu  unterscheiden  von  Ko^i,  trotz  Jos.  Antt.  XV,  7,  9,  vgl.  Bau- 
dissin,  Art.  „Edom"  in  Herzog-Hauck.  Real-Enz.,  3.  Aufl.,  V,  166  f.).  Von  be- 
sonderer Wichtigkeit  ist  aber  folgende  Inschrift  [Painted  lorribs  p.  36  und  38): 
*A7toXXo<pdvt]S  Seofialov.&QSaQ  to>v  iv  Magloy  HiSwvlcov  hrrj  xQiaxovxa 
xal  xQla  xal  vofuo&elq  navrmv  ztov  xa&*  abzbv  %Qt]axbxaxo<;  xal  tpiXoixeidxazoq 
fai&ktvev  Sh  ßiwoaq  hrj  hßdofi^xovxa  xal  xtooaga  h  (sie).  Wir  erfahren  hier- 
aus, daß  es  in  Marisa  eine  Kolonie  von  griechisch  gebildeten  Si- 
doniern  gegeben  hat,  deren  Archon  der  Verstorbene  war.  Vermutlich  gehörte 
die  ganze  Grab- Anlage  dieser  Kolonie,  die  sich  aber,  wie  die  idumäischen 
Eigennamen  beweisen,  im  Laufe  der  Zeit  auch  mit  Eingeborenen  vermischt 
hat.  Außer  den  Aufschriften  über  den  Loculi  kommen  an  den  Wänden  auch 
einige  andere  Inschriften  vor;  so  hat  sich  in  der  Nähe  des  Altares  auf  der 
Wand  ein  Oqxccq  MaxeScov  verewigt  (Painted  Tombs  p,  56,  pl  XX  n.  31),  ver- 
mutlich ein  Besucher  der  Grabstätte.  —  Auch  in  Grab  U  finden  sich  einige 
Wandmalereien.  Die  Personen-Namen  sind  überwiegend  griechische,  daneben 
einige  phönizische  {Baöwv  S.  65,  BaXoaXa  S.  66,  letzteres  — nbxbsa,  was  auf 
einer  sidonischen  Inschrift  vorkommt).  Eine  Frau  namens  Philotion  wird 
als  Iköwvla  bezeichnet  (S.  66),  woraus  man  wohl  schließen  darf,  daß  die 
Mehrzahl  der  hier  Bestatteten  nicht  Sidonier  waren.  Die  Gräber  HI  und  IV 
bieten  wenig  Bemerkenswertes.  —  Einzelne  Inschriften  sind  mit  Jahreszahlen 
versehen  (s.  die  Tabelle  in  Painted  Tombs  p.  77).  In  Grab  I  kommen  vor 
ZP— 107  (so  Lagrange;  Peters  erklärt  die  Lesung  für  unsicher  und  ist 
geneigt,  £P— 160  zu  lesen),  AOP—lll,  J^P  — 194;  in  Grab  II  bewegen  sich 
die  sieben  Daten  in  den  Grenzen  zwischen  eÄP—125  und  HOP=  178;  in 
Grab  III  kommt  60P*=  179  vor.  Wenn  man,  was  sehr  wahrscheinlich  ist, 
die  seleuddische  Ära  voraussetzen  darf  (die  nur  irrtümlich  als  „seleucidische" 
bezeichnet  wird),  so  ist  107  (falls  richtig  gelesen)  —  206/205  vor  Chr.,  194—119/1 18 
vor  Ohr.  Letzteres  Datum  (nach  pl.  XIX  n.  19  sicher  zu  lesen)  fällt  unge- 
fähr in  die  Zeit,  in  welche  die  Eroberung  Marisas  durch  Johannes  Hyrkan 
zu  setzen  ist.  Auffallend  sind  die  in  Grab  I  vorkommenden  Jahreszahlen  A, 
By  €  (1,  2,  ö).    Möglicherweise  ist  hier  an  die  pompeianische  Ära  zu  denken. 


6  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [3] 

südlich  von  Ptolemais  gewesen  sein,  da  es  als  i  du  maische  Stadt 
bezeichnet  wird  und  nach  den  Voraussetzungen  jener  Legende 
nicht  weit  von  Jerusalem  gelegen  haben  muß.    Es  ist  vielmehr 

Durch  die  Aufdeckung  dieser  Grabstätten  erhalten  auch  erst  die  Funde 
ihr  Licht,  welche  bei  den  englischen  Nachgrabungen  auf  dem  Teil  Sandahanna 
zutage  gekommen  sind.  1)  Unter  einigen  Inschriften-Fragmenten  ist  besonders 
bemerkenswert  das  Bruchstück  einer  Ehren -Inschrift,  welche  nach  der  wohl- 
begründeten Ergänzung  Clermont-Ganneaus  auf  Ar  sin  oe,  die  Schwester  und 
Gemahlin  des  Ptolemäus  IV.  Philopator  (221—205  vor  Chr.)  zu  beziehen  ist: 

[BaatXiooav  'AQo]iv6rjy,  fieydXrjv 

[  .  .  .  .  <Pdo7tdx]ooa  xty  iy  ßaoiXiaq 

[UxokBficdov  xal]  ßaodUooyjc  [....] 
S.  Glermont-Qanneau,  Gomptes  rendus  de  VAcad.  des  Inscr.  et  Beiles- 
Lettre»  1900,  p.  536—541.  Ders.,  Recueil  d'archeol.  Orientale  IV,  1901,p.  152—156. 
Englisch  in:  Palestine  Exploration  Fund,  Quarterly  Statement  1901,  p.  54—58. 
Facsimile  auch  in  Excavations  in  Palestine  by  Bliss  and  Macalister  (London 
1902)  p.  68,  69.  —  Auf  einem  andern  Fragment  ist  der  Name  Bsoevi[xij}  deut- 
lich zu  lesen  (s.  die  eben  genannte  Literatur).  —  2)  In  dieselbe  Zeit,  3.  oder 
2.  Jahrh.  vor  Chr.,  gehören  die  Henkel  von  Tonkrügen  (Amphoren),  mehr  als 
dreihundert  (!)  an  der  Zahl,  welche  ebenfalls  auf  dem  Teil  Sandahanna  ge- 
sammelt worden  sind.  S.  Macalister,  Amphora  handles  with  greek  stamps 
from  Teil  Sandahannah  (Quarterly  Statement,  1901,  p.  25—43,  124-143,  Nach- 
trag p.  394 — 397).  Kürzerer  Bericht  in:  Excavations  in  Palestine  by  Bliss  and 
Macalister  p.  52  sqq.  131—134.  Die  griechischen  Stempel,  mit  welchen 
alle  diese  Henkel  versehen  sind,  beweisen,  daß  die  Amphoren,  deren  Reste 
sie  sind,  aus  Bhodus  stammen.  Näheres  hierüber  s.  unten  11,2  in  dem  Ab- 
schnitt über  den  Handel.  —  3)  Wahrscheinlich  gehören  in  diese  Zeit,  etwa 
2.  Jahrh.  vor  Chr.,  auch  die  auf  dem  Teil  Sandahanna  gesammelten  griechi- 
schen Beschwörungs-Texte  (auf  Kalksteine  eingeritzt),  welche  Wünsch 
in  den  Excavations  in  Palestine  by  Bliss  and  Macalister  p.  158 — 187  be- 
sprochen hat.  Wünsch  setzt  sie  freilich  erst  in  das  2.  Jahrh.  nach  Chr. 
(S.  181  f.).  Aber  der  Schriftcharakter  spricht  keineswegs  für  diese  späte  An- 
setzung.  S.  die  Bemerkungen  von  Thiersch  in:  Painted  Tombs  p.  72  und 
bes.  Wilhelm,  Über  die  Zeit  einiger  attischer  Fluchtafeln  (Jahreshefte  des 
Österreich,  archäol.  Instituts  VII,  1904,  S.  105-126),  welcher  zeigt,  daß  Wünsch 
auch  manche  attische  Beschwörungstafeln  infolge  irriger  Beurteilung  der 
Schrift  erheblich  zu  spät  setzt;  über  die  Beschwörungstexte  von  Teil  Sanda- 
hanna sagt  Wilhelm  S.  110:  „auch  Bio  sind  sicherlich  viel  älter  als 
Wünsch  angenommen  hat".  —  4)  Ebenfalls  in  vorchristliche  Zeit  gehört 
eine  Inschrift,  welche  in  einem  großen  Kolumbarium  (Begräbnisstätte)  am  Teil 
Sandahanna  gefunden  worden  ist:  Sift^ xaty  öoxel  ipol  A.  Ntxaxetöi.  S.  Maca- 
lister, Quarterly  Statement  1901,  p,  11—19;  Clermont-Ganneau,  ebendas. 
p.  116—118  und  Becueil  IV,  p.  237—240,  pL  I.  Faksimile  auch  in  Excavations 
in  Palestine  by  Bliss  and  Macalister  p.  245.  Die  Inschrift  kann  nur  als 
Liebesbotschaft  verstanden  werden,  zu  welcher  die  heimliche  Grabstätte  be- 
nützt wurde.  Eine  analoge,  viel  umfangreichere  findet  sich  auch  in  den  von 
Peters  und  Thiersch  beschriebenen  Painted  Tombs  p.  56—60,  vgl.  Theol. 
Litztg.  1905,  563;  Macalister,  The  erotic  graffito  etc.,  in:  Quarterly  Statement 
1906,  p.  54-62.  —  5)  Wichtig  ist  endlich,  daß  unter  den  61  Münzen,  welche 


[3.  4]  1.  Mischung  der  Bevölkerung.  7 

wahrscheinlich  unser  Adora  gemeint9.  Eben  dieses  wird  auch 
—  zwar  nicht  unter  den  von  Pompeius  befreiten,  wohl  aber  unter 
den  von  Gabinius  wiederhergestellten  Städten  erwähnt10.  Auch  in 
diesem  Umstände  darf  ein  Beweis  dafür  gesehen  werden,  daß  es 
vor  der  Eroberung  durch  Johannes  Hyrkan  einen  Bruchteil  grie- 
chischer Einwohner  hatte.  —  Die  Eroberung  von  Raphia,  Gaza 
und  Anthedon  durch  Alexander  Jannäus  hat  keine  Judaisiemng 
dieser  Städte  zur  |  Folge  gehabt  Die  griechische  Kultur  ist  dort 
von  Pompeius  und  Gabinius  mit  besserem  Erfolg  wiederhergestellt 
worden,  als  in  den  ebengenannten  idumäischen  Städten. 


bei  den  Ausgrabungen  auf  dem  Teil  Sandahanna  zutage  gekommen  sind, 
sich  13  ptolemäi8che,  19  seleucidische  und  25  des  Johannes  Hyr- 
kan us  gefunden  haben  (Ezcavations  p.  68). 

Alle  diese  Funde  sind  ebensoviele  Beweise  dafür,  daß  in  der 
Zeit  unmittelbar  vor  der  Eroberung  Marisas  durch  Johannes 
Hyrkan  der  Hellenismus  dort  in  erheblichem  Maße  vertreten  war. 
Die  Rücksicht  auf  den  auch  unter  der  jüdischen  Herrschaft  erhaltenen  Best 
griechischer  Elemente  war  der  Grund,  weshalb  Marisa  durch  Pompeius  vom 
jüdischen  Gebiete  abgetrennt  (Antt.  XIV,  4, 4;  B.  J.  I,  7,  7)  und  durch  Gabinius 
restauriert  worden  ist  {Antt.  XIV,  5, 3;  R  J.  1, 8»  4).  Infolge  der  Vernichtung 
der  Stadt  durch  die  Parther,  40  vor  Chr.  (Antt.  XIV,  13, 9;  Ä  J.  1, 13,  9),  ist 
auch  dem  Griechentum  daselbst  ein  Ende  gemacht  worden. 

9)  Jos.  contra  Apion.  11,9.  Apion  hat  die  Fabel  aus  einem  älteren  helle- 
nistischen Autor  geschöpft,  dessen  Name  in  den  Handschriften  Mnafeas  lautet. 
Gemeint  ist  nach  Nieses  glücklicher  Konjektur  Mnaseas,  der  Schüler  des 
Eratosthenes  (um  200  vor  Chr.).  Obwohl  Josephus  versichert,  daß  es  ein  Dora  in 
Idumfia  nicht  gegeben  habe,  ist  die  Identität  mit  Adora  doch  sehr  wahrscheinlich 
(so  Wellhausen,  Gott  gel.  Anz.  1895,  957;  Stähelin,  Der  Antisemitis- 
mus des  Altertums  1905,  S.15),  mag  nun  die  kürzere  Form  durch  Textkorruption 
oder  durch  Abschleifung  im  Sprachgebrauch  entstanden  sein  (der  Ort  heißt 
noch  heute  Dura,  s.  Robinson,  Palästina  in,  206 öl).  Mit  der  Verehrung 
des  Apollo  in  Adora  stimmt  merkwürdig,  daß  auf  einer  in  Memphis  in  Ägypten 
gefundenen  Inschrift  aus  dem  Anfang  des  2.  Jahrh.  vor  Chr.  'iöov/LtaZoi  vor- 
kommen, welche  ihre  Versammlung  hielten  iv  rq>  &vw  'AnoXXwvteltp  (Archiv 
für  Papyrusforschung  IQ,  129  «  Oaialogue  gSnSral  des  AntiquitSs  igyptienms 
du  Musee  du  Oafre,  vol.  XVIII:  Greek  inscriptions  by  Milne,  1905,  p.  20  — 
Dittenberger,  Orientis  graeci  inscr.  sei.  n.  737). 

10)  Antt.  XIV,  5,  3;  B.  J.  1, 8,  4  Alle  Handschriften  außer  Pal.  und  alle 
Ausgaben  außer  Niese,  auch  noch  Naber,  haben  Antt.  XIV,  5,  3  Jwoa.  Da 
die  Stadt  aber  neben  Marisa  genannt  wird,  hat  Niese  mit  Recht  nach  der 
besten  Handschrift  (Pal.)  "ASwoa  hergestellt.  In  der  Parallelstelle  B.  J.  I,  8,  4 
ist  die  herkömmliche  Lesart  'ASwqboq  durch  zwei  gute  Handschriften  gesichert; 
die  Mehrzahl  bat  dwoeoq.  —  Wie  leicht  die  Korruption  sich  einschleichen 
konnte ,  zeigt  Antt.  XIU,  6,  4  (§  207),  wo  alle  Handschriften  JG>oa  nSXiv  rifc 
>I6ov(iala$  haben  und  doch  sicher  nach  I  Maee.  13,  20HASmoa  zu  lesen  ist,  wie 
Beland  Palaest.  p.  739  gezeigt  und  alle  Herausgeber  seit  Hudson  aufge- 
nommen haben. 


8  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse  [4.  5] 

Ziemlich  genau  sind  wir  über  die  Ausdehnung  der  jüdischen 
Bevölkerung  während  der  letzten  Dezennien  vor  dem  großen  Kriege 
vom  Jahre  70  nach  Chr.  unterrichtet.  Denn  die  Landesbeschreibung, 
welche  Josephus  Bett.  JwL  III,  3  gibt,  will  eben  die  Grenzen  der- 
jenigen Gebiete  bestimmen,  welche  von  Juden  bewohnt  waren  n. 
Es  wird  hierdurch  alles  bestätigt,  was  uns  die  frühere  Geschichte 
bereits  gelehrt  hat;  namentlich  dies,  daß  von  den  Küstenstädten 
nur  Jope  und  Jamnia  eine  vorwiegend  jüdische  Bevölkerung 
hatten.  Die  Dörfer,  welche  Josephus  als  Nord-  und  Südgrenze 
des  eigentlichen  Judäa  angibt  (R  /.  III,  3,  5),  sind  uns  nicht  be- 
kannt Lehrreicher  ist  daher,  was  er  über  die  Einteilung  in  elf 
Toparchien  sagt.  Von  diesen  Toparchien  ist  die  nördlichste  die 
von  Akrabatta.  Da  dieses  noch  erheblich  nördlicher  als  Ephraim 
liegt  (s.  über  die  Lage  unten  §  23,  II),  so  dürfen  wir  annehmen, 
daß  seit  der  Makkabäerzeit  das  Judentum  sich  auch  nach  Norden 
weiter  ausgedehnt  hat  l 2.  Die  beiden  südlichsten  Toparchien  sind  | 
Idumäa  und  Engaddi.  Idumäa  wird  also  jetzt  ganz  als  jüdisches 
(von  Juden  bewohntes)  Land  betrachtet.     Einer  der  südlichsten 


11)  Daß  dies  die  Absicht  des  Josephus  an  der  genannten  Stelle  ist,  kann 
nach  dem  ganzen  Inhalte  nicht  zweifelhaft  sein.  Er  nennt  die  heidnischen 
Gebiete  nur,  um  die  Grenzen  der  jüdischen  zu  bestimmen.  Galiläa  wird  be- 
grenzt im  Westen  durch  das  Gebiet  von  Ptolemais,  im  Norden  durch  das  von 
Tyrus,  im  Osten  durch  das  von  Hippos  und  Gadara  {B.  J.  III,  3,  1).  Peräa 
wird  begrenzt  im  Norden  durch  das  Gebiet  von  Pella,  im  Osten  durch  das  von 
Philadelphia  und  Gerasa  (III,  3, 3).  Auch  bei  der  Beschreibung  J  u  d  ä  a  s  werden 
nicht  etwa  die  heidnischen  Küstenstädte  mit  zu  Judäa  gerechnet;  es  wird  viel- 
mehr nur  gesagt,  daß  Judäa  nicht  der  Genüsse  entbehre,  die  vom  Meere 
kommen,  da  es  sich  an  den  Küstenländern  hinziehe  (111,3,5:  &<p\JQrjTcu 
<fe  ovSh  t(bv  ix  &aläoor}Q  zeQTtvibv  %  'iovdala,  xol$  nagccXioiQ  xazarelvovaa). 
Nicht  einmal  das  jüdische  Jope  ist  mit  zu  Judäa  gerechnet,  sondern  von 
letzterem  gesagt,  daß  es  sich  ausdehne  f*£x(M  ^Idnijq.  Höchst  charakteristisch 
ist  aber,  daß  nach  der  Beschreibung  der  vier  jüdischen  Landschaften  Galiläa, 
Peräa,  Samaria  und  Judäa  anhangsweise  noch  genannt  werden:  1)  das  Gebiet 
von  Jamnia  und  Jope,  weil  dies  die  einzigen  Küstenstadte  sind,  welche  vor- 
wiegend von  Juden  bewohnt  wurden,  und  2)  die  zum  Königreich  des  Agrippa 
gehörigen  Provinzen  Garn aliti 8,  Gaulanitis,  Batanäa  und  Trachonitis, 
weil  in  diesen  das  jüdische  Element  wenigstens  einen  sehr  starken  Bruchteil 
bildete.  —  Von  besonderem  Interesse  ist  bei  dieser  ganzen  Beschreibung,  daß 
Josephus  auch  Samaria  in  dieselbe  mit  aufgenommen  hat,  offenbar  weil 
er  auch  die  Samaritaner  ihrem  Wesen  nach  doch  als  Juden  betrachtet, 
wenn  auch  als  heterodoxe. 

12)  An  einer  anderen  Stelle  (Antt.  XIV,  3, 4;  B.  J.  1, 6, 5)  bezeichnet  Josephus 
Korea  ab  den  nördlichsten  Ort  Judäas.  Die  Lage  dieses  Ortes,  wie  sie  durch 
Gildemeister  (Zeitschr.  des  deutschen  Palästina-Vereins  IV,  1881,  S.  245  f.) 
ermittelt  worden  ist  (vgl.  oben  §  12  [I,  297]),  stimmt  genau  zu  der  Tatsache, 
daß  Akrabattene  die  nördlichste  Toparchie  Judäas  war. 


[5]  1.  Mischung  der  Bevölkerung.  9 

Punkte  desselben  war  Malatha,  das  in  der  Geschichte  der  Irr- 
fahrten des  Herodes  Agrippa  I.  als  idmnäische  Stadt  ei  wähnt 
wird  ' 3. 

Während  um  Judäa  herum  seit  der  Makkahäerzeit'nur  ein 
weiteres  Hinausschieben  der  jüdischen  Bevölkerung  stattgefunden 
hat,  ist  Galiläa  seitdem  überhaupt  erst  zu  einem  jüdischen 
Lande  geworden.  So  wenig  dies  fiüher  erkannt  worden  ist, 
so  bestimmt  darf  es  doch  behauptet  werden14.  Die  Restauration 
der  jüdischen  Gemeinde  nach  dem  Exil  hat  sich  ja  lediglich  auf 
das  eigentliche  Judäa  erstreckt.  Eine  gleichzeitige  oder  bald  nach- 
folgende analoge  Restauration  in  „Galiläa"  ist  niigends  bezeugt 
und  um  so  weniger  selbstverständlich,  als  diese  Landschaft  nicht 
einmal  vor  dem 'Exil  von  Israeliten  bewohnt  war.  ö^3#i  b^ä 
„Eezirk  der  Heiden"  (Jes.  8,  23)  ist  eben  der  non  Heiden  bewohnte 
nördlichste  Bezirk  des  israelitischen  Königreiches.  Derselbe  Bezirk 
wird  sonst  schlechthin  b^ätt  genannt,  woraus  der  Landschaftsname 
ralilaia.  entstanden  ist15.  Aber  noch  im  ersten  Makkabäerbuch 
kommt  neben  raXtXala  schlechthin  (so  I  Makk.  5,  14.  17—23.  55; 
10,  30;  11,  63;  12,  47.  49)  das  genauere  raXtXala  aXXoyvXcov  vor 
(I  Makk.  5,  15).  Allerdings  scheint  jetzt  der  Begriff  „Galiläa"  nicht 
nur  den  ehemaligen  Heidenbezirk  in  der  Gegend  von  Kades  (so 


13)  Joseph,  Antt.  XVIJI,  0,  2.  Malatha  lag  nach  dem  Onomastikon  des 
Eusebius  20  -f  4  mtl.  pass.  südlich  von  Hebron.  Vgl.  oben  §  18  (I,  550).  — 
Am  Ufer  des  Toten  Meeres  reichte  die  jüdische  Bevölkerung  sicher  bis  Ma- 
gada, wie  die  Haltung  dieser  Stadt  wahrend  des  Krieges  gegen  die  Römer 
beweist  (Ä  J.  VII,  8-9). 

14)  Nach  dem  von  mir  in  Bd.  I  (2.  Aufl.  S.  142 f.  218 f.;  3.  Aufl.  S.  185 f. 
275  f.)  Ausgeführten  haben  den  Sachverhalt  im  wesentlichen  anerkannt:  Well- 
hausen,  Israelitische  und  jüdische  Geschichte,  8. 163.  212.  230  (2.  Aufl.  S.  198. 
246 f.  264);  Buhl,  Geographie  des  alten  Palästina,  8.  73;  Belser,  Theol. 
Quartahehr.  1899,  8.  599;  Giemen,  Theol.  8tud.  u.  Krit.  1902,  S.  676;  Hol- 
scher,  Palastina,  8.  75;  Schlatter,  Gesch.  Israels,  2.  Aufl.,  1906,  8.  13.  — 
Über  Galiläa  überhaupt  vgl.  Guthe,  Art  „Galiläa"  in  Herzog-Hauck,  Real- 
Enz.,  3.  Aufl.,  VI,  1899,  8.  336—344;  Cheyne,  Art.  Galilee  in:  Encyclopaedia 
Biblica  II,  1901;  Legendre,Art.  Galiliem:  Vigouroux,  Dictionnaire  de  la  Bible 
III,  1903,  p.  87—95;  Oehler,  Die  Ortschaften  und  Grenzen  Galiläas  nach 
Josephus  (Zeitechr.  des  DPV.  XXVIII,  1905,  8.  1—26.  49—74). 

15)  Schon  die  LXX  übersetzten  ^*n  durchweg  mit  raXtXala.  Nach  I  Reg. 
9,  11  schenkte  Salomo  dem  König  Hiram  von  Tyrus  zwanzig  Städte  von  galil. 
Jos.  20,  7;  21,  32;  I  Ghron.  6,  61  wird  das  nordwestlich  vom  Merom-See  ge- 
legene Kades  als  eine  Stadt  in  galil  bezeichnet.  II  Reg.  15,  29  wird  riWari 
(so  ist  hier  geschrieben)  neben  Kades,  Haxor  und  Gilead  unter  den  Bezirken 
genannt,  deren  Bevölkerung  Tiglath-Pilesar  wegführte.  Auf  diese  Tatsache 
blickt  Jesaja  (8,  23)  zurück,  indem  er  diesen  Bezirken  den  Anbruch  besserer 
Zeiten  verheißt 


10  §  22.  Allgemeine  Kulturverhäl misse.  [5.  6] 

nochl  Makk.  11,63),  sondern  auch  die  weiter  sudlich  gelegenen  Land- 
schaften bis  zur  großen  Ebene  südöstlich  von  Ptolemais  umfaßt 
zu  haben  (s.  bes.  I  Makk.  12,  47.  49).  Daher  ist  vielleicht  raXtXaia 
aXXofpvltov  ein  engerer  Begriff  als  raZtZaia.  Aber  auch  in  ganz 
„Galiläa"  kann  die  eigentlich  jüdische,  Bevölkerung  nur  eine 
schwache  Minderheit  gebildet  haben.  Die  älteste  Spur  davon,  daß 
Bewohner  |  dieser  Gegend  in  der  nachexilischen  Zeit  sich  an  den 
Kultus  in  Jerusalem  angeschlossen  haben,  hat  Stade16  mit  Becht 
in  der  Notiz  des  Chronisten  gefunden,  daß  zur  Zeit  Hiskias  „Männer 
aus  Asser,  Manasse  und  Sebulon  sich  demutigten  und  nach  Jeru- 
salem kamen"  (II  Chron.  30,  10 — 11).  Das  Gebiet  von  Sebulon  enfc 
spricht  ziemlich  genau  dem,  was  später  das  untere  (südliche) 
Galiläa  genannt  wurde;  das  Gebiet  von  Manasse  schließt  sich  süd- 
lich, das  von  Asser  nördlich  an.  Indem  der  Chronist  die  Verhält- 
nisse seiner  Zeit  in  die  Zeit  Hiskias  zurückträgt,  bezeugt  er  in- 
direkt, daß  zu  seiner  Zeit  (3.  Jalirh.  vor  Chr.)  ein  Bruchteil  der 
Bevölkerung  jener  Gebiete  in  Kultusgemeinschaft  mit  Jerusalem 
stand.  Aber  es  kann  nnr  ein  kleiner  Bruchteil  gewesen  sein.  Das 
lehrt  die  merkwürdige  Art,  wie  der  Makkabäer  Simon  sich  der 
von  den  Heiden  bedrängten  Juden  Galiläas  annahm.  Als  aus 
Galiläa  die  Kunde  kam,  daß  die  dortigen  Juden  von  den  Heiden 
verfolgt  würden,  beschloß  man,  daß  Simon  ihnen  Hilfe  bringen 
solle  (I  Makk.  5,  14—17).  Er  zog  mit  dreitausend  Mann  nach 
Galiläa  und  besiegte  die  Heiden  (I  Makk.  5,  20—22).  Aber  die  Folge 
war  nicht  etwa,  daß  er  nun  Galiläa  dauernd  besetzte;  vielmehr 
umgekehrt:  er  brachte  die  dort  wohnenden  Juden  mit  Weibern 
und  Kindern  nach  Judäa  (I  Makk.  5,  23).  Statt  also  die  jüdische 
Bevölkerung  an  Ort  und  Stelle  zn  schützen,  zog  er  sie  ganz  aus 
Galiläa  heraus.  Das  ist  nur  denkbar,  wenn  sie  eine  kleine  Minori- 
tät, ja  nur  eine  Diaspora  unter  Heiden  gebildet  hat17.  Und  wenn 
auch  der  Wegzug  der  Juden  damals  kein  vollständiger  war,  so 
ist  doch  jedenfalls  das  jüdische  Element  in  den  nächsten  Zeiten 
danach  in  Galiläa  noch  sporadischer  vertreten  gewesen,  als  bisher. 
Die  Makkabäer  Jonatban  und  Simon  haben  Galiläa  noch  nicht 
besessen.  Auch  die  Eroberungen  des  Johannes  Hyrkanus  erstreckten 
sich  noch  nicht  über  Samarien  hinaus.  Bis  zum  Ende  seiner  He- 
_j ^  fcann  a[ao  eme  Judaisierung  Galiläas  nicht  erfolgt  sein18. 

Gesch.  des  Volkes  Israel  II,  198  f. 

Näheres  s.  oben  §  4  (I,  185). 

Die  nördlichste  Stadt,  von  der  wir  wissen,  daß  Johannes  Hyrkanua 
ssen  hat,  war  Skythopolis  (Ana.  XIII,  10,  3;  B.  J.  I,  2,  7).  Auf 
Einnahme  durch  Johannes  Hyrkanus  besieht  sich  wahrscheinlich  die 
i  Megillalh  lhanitk  §  8: .„Am  15. und  16.  Sivan  wurden  die  Leute  von 


[6.  7]  I.  Mischung  der  Bevölkerung.  11 

Dagegen  wissen  wir  von  Aristobul  I.  (104—103  v.  Chr.),  daß  er  im 
Norden  Palästinas  gewaltsame  Bekehrungen  vorgenommen  hat  In 
dem  verloren  gegangenen  Geschichtswerke  Strabos  war  hierüber, 
und  zwar  nach  Timagenes  (ßx  xov  Tifiaydvovq  6v6(iaxoq\  folgendes 
berichtet19:  ixuixtjq  xe  iydvexo  ovxoq  6  avtjQ  xal  xoXXa  xolq 
'iovdaloiq  XQyäW0^'  X^Qav  re  Y&Q  ccvxolg  xQoöBXXfjOaxo  xal  xb 
fi£QO$  xov  x&v  'FxovQatcov  tfrvovg  cpxsimoaxo  öeOficp  öwarpaq  xjj 
Tcbv  alöoicov  xsQixo/ijj.  Josephus  seinerseits  erzählt  dieselbe  Tat- 
sache a.  a.  0.  mit  folgenden  Worten  (wobei  es  allerdings  fraglich 
ist,  ob  er  außer  Strabo  noch  eine  andere  Quelle  gehabt  hat): 
jtolefirjöag  'ItovqcUovq  xal  xoXXqv  avx&v  xtjg  X<®Qa$  Ttf  'iovöaia 
XQOdxxriOapsvoq  avayxaoaq  xb  xovq  kvoixovvxag,  ei  ßovXovxai 
(iiveiv  ip  xy  x<DQ$>  xsQixifiveö&at  xal  xaxa  xovq  'iovöalcov  vofiovq 
Cijr.  Das  Reich  der  Ituräer  umfaßte  damals  das  ganze  Libanon- 
gebiet (s.  Bd.  I  Beilage  I).  Im  Süden  erstreckte  es  sich,  wie  eben 
die  Unternehmungen  des  Aristobul  zeigen,  bis  an  die  Grenze  des 
jüdischen.  Es  muß  demnach  auch  „Galiläa"  (oder  doch  den  größten 
Teil  desselben)  umfaßt  haben.  Denn  Johannes  Hyrkan  war  mit 
seinen  Eroberungen  nach  allem,  was  wir  wissen,  nicht  wesentlich 
über  Samarien  hinaus  vorgedrungen20.  Da  nun  die  obigen  Berichte 
nicht  sagen,  daß  Aristobul  das  ganze  Reich  der  Ituräer  sich  unter- 
worfen habe,  sondern  nur,  daß  er  ein  Stück  desselben  an  sich 
gerissen  habe,  so  kann  damit  im  wesentlichen  nichts  anderes  als 
Galiläa  gemeint  sein21.  Eben  dieses  Stück  ist  aber  von  Aristobul 
zugleich  judaisiert  worden.  Die  Einwohner  mußten  sich  beschneiden 
lassen  und  die  jüdischen  Gesetze  annehmen.  Wie  gründlich  solche 
gewaltsamen  Bekehrungen  gewirkt  haben,  zeigt  uns  das  Beispiel 
der  Idumäer.  Es  ist  also  kaum  daran  zu  zweifeln,  daß  die 
eigentliche  Judaisierung  Galiläas  im  wesentlichen  das 


Beth-sean  und  die  Leute  der  Ebene  vertrieben"  (TO3K1  )WD  tv»a  ^W3K  ib* 
nrspS).  Unter  der  „Ebene"  ist  die  große  Ebene  nordwestlich  von  Skytho- 
polis  zu  verstehen  (vgl.  zu  der  Stelle  Derenbourg,  Hütoire  de  la  Palestine,  p.  74; 
Grätz,  Gesch.  der  Juden  III  4.  Aufl.  S.  566  f.).  Insofern  also  mit  diesen  Er- 
oberungen des  Johannes  Hyrkanus  eine  Judaisierung  verbunden  war,  kann  sie 
nur  den  äußersten  8flden  von  Galiläa  betroffen  haben. 

19)  Die  Stelle  wird  von  Josephus  Antt.  XIII,  11,  3  im  Wortlaut  mitgeteilt. 

20)  Die  weite  Ausdehnung  der  ituräischen  Macht  war  damals  ermöglicht 
durch  die  Schwäche  der  Seleukiden.  Antiochus  IX.  Kyzikenos  (111 — 95  v.  Chr.) 
hatte  zwar  seine  Residenz  wahrscheinlich  in  Damaskus  (s.  unten  §  23, 1,  Nr.  12 
die  Geschichte  von  Damaskus).  Er  konnte  aber  nicht  hindern,  daß  die  Itu- 
räer den  ganzen  Libanon  nebst  Grenzgebieten  an  sich  rissen. 

21)  Daß  Josephus  den  ihm  sonst  geläufigen  Namen  „Galiläa"  nicht  ge- 
braucht, erklärt  sich  aus  der  Abhängigkeit  von  seinen  griechischen  Quellen 
(Strabo  und  vielleicht  Nicolaus  Damascenus). 


12  §  22.  Allgemeine  Kultunrerh&ltniase.  [7.  8] 

Werk  Aristobuls  I.  ist.  Freilich  war  seine  Regierung  nur  kurz, 
und  es  folgten  dann  die  stürmischen  Zeiten  des  Alexander  Jannäus. 
Aber  was  an  der  Vollendung  seines  Werkes  etwa  noch  fehlte,  wird 
die  Regierung  der  frommen  Alexandra  ersetzt  haben22.  | 

Josephus  gibt  für  seine  Zeit  die  Grenzen  des  jüdischen  Galiläa 
folgendermaßen  an  (&  J.  III,  3,  1).  Im  Westen  das  Gebiet  von 
Ptolemais  und  der  Karmel;  im  Süden  Samarien  und  das  Gebiet  von 
Skythopolis;  im  Osten  die  Gebiete  von  Hippos  und  Gadara,  sodann 
Gaulanitis  und  das  Königreich  des  Agrippa;  im  Norden  das  Gebiet 
von  Tyrus.  Den  südlichen  Teil  nennt  er  i?  xara>  rakiZala,  den 
nördlichen  /}  avco  raXiZala2*.  Von  den  Dörfern,  durch  welche  er 
die  Grenzen  näher  bestimmt,  ist  nur  eines  nach  seiner  Lage  uns 
genauer  bekannt:  das  die  Südgrenze  Galiläas  bezeichnende  Xaloth, 
welches  nach  dem  Onomastikon  des  Eusebius  in  der  Nähe  des  Tabor, 
acht  mit.  pass.  (süd)östlich  von  Sepphoris  (Diocäsarea)  lag;  es  heißt 
noch  heute  Iksai24.  Nach  Norden  erstreckte  sich  Galiläa  bis  in 
die  Gegend  des  Merom-Sees.  Einer  der  nördlichsten  Punkte  war 
Gis-chala,  das  heutige  el-Dschisch,  ungefähr  in  gleicher  geographi- 
scher Breite  mit  der  Südspitze  des  Merom-Sees  (s.  §  20  [I,  616  f.]). 

Auch  im  Ostjordanland  hat  das  jüdische  Element  seit  der 
Makkabäerzeit  ganz  erhebliche  Verstärkungen  erfahren.  Neben 
den  hellenistischen  Kommunen,  welche  seit  der  Zeit  Alexanders 
gegründet  worden  waren  (Hippus,  Gadara,  Pella,  Dium,  Gerasa, 
Philadelphia),  finden  wir  hier  im  Beginn  der  Makkabäerzeit  in  der 
Hauptsache  noch  unkultivierte  heidnische  Stämme25.  Unter  ihnen 
bildeten  die  Juden,  wie  in  Galiläa,  nur  eine  Diaspora.  Die  hilf- 
reiche Unterstützung,  welche  ihnen  von  Seiten  der  ersten  Makkabäer 
zu  teil  wurde,  war  daher  ganz  dieselbe  wie  die  in  Betreff  der 
Juden  Galiläas.  Nachdem  Judas  zunächst  die  Ammoniter  wegen 
ihrer  Feindschaft  gegen  die  Juden  gezüchtigt  und  ihre  Stadt  Jaeser 


22)  Wenn  die  Judaisierung  Aristobuls  1.  überhaupt  von  Erfolg  war,  kann 
sie  nicht  Gebiete  betroffen  haben,  die  nördlich  oder  östlich  von  Galiläa  lagen. 
Denn  hier  war  die  Bevölkerung  auch  später  noch  eine  heidnische. 

23)  Vgl.  außer  B.  J.  III,  3,  1  auch  B.  J.  II,  20,  6;  Vüa  37.  Auch  in  der 
Mischna  wird  yrbsn  V4a  und  yinfinh  Wa  unterschieden  (Schebiitk  IX,  2). 

24)  Euseb.  Onomast.  ed.  Klostermann  (1904)  p.  22,  4  und  28,  23:  XoaXovs  iv 
zy  neötaöt  nagä  rd  ö*qoq  ßaß&Q,  aTttyovaa  Jioxaiaaoslag  onfteloiq  r\  nodq 
ävaroXäs;  Robinson,  Palästina  III,  417 f.;  Gast  Boettger,  Topogr.-histor. 
Lexikon  zu  den  Schriften  des  Fl.  Josephus  (1879)  S.  252.  Oehler,  Zeitschr. 
des  DPV.  1905,  S.  4  f. 

25)  Genannt  werden  z.  B.  die  viol  yAfi(iu>v  (I  Mahle.  5,  6;  vgl.  II  MaJck.  4,  26; 
5,  7),  die  vlol  "Iafißot  (so  ist  wohl  I  Makk.  9,  30—37  zu  lesen,  vgl.  oben  §  6 
Anf.  [1, 224]),  die  Moabiter  und  Galaaditer  (Jos.  Antt.  XIII,  13,  5;  B.  J.  1, 4,  3), 
die  Nabatäer  (I  Makk.  5,  25;  9,  35). 


[8.  9]  L  Mischung  der  Bevölkerung.  13 

eingenommen  hatte  (I  Makk.  5,  6—8,  vgl.  5,  1—2),  unternahm  er 
einen  Kriegszug  nach  „Gilead",  d.  h.  in  den  südlich  von  Batanäa 
(ßasan)  gelegenen  Teil  des  Ostjordanlandes.  Nach  mannigfachen 
Kämpfen  und  Eroberung  einer  größeren  Zahl  von  Städten,  in 
welchen  die  Juden  bedrängt  worden  waren,  sammelte  Judas  alle 
Israeliten,  die  in  Gilead  wohnten,  groß  und  klein,  Weiber  und 
Kinder  mit  all  ihrer  Habe,  und  fährte  sie  unter  dem  Schutze  seines 
Heeres  nach  |  Judäa  (I  Makk.  5,  9—54,  vgl  bes.  5,  45:  xal  ovvfjyaysv 
'lovöag  ütavxa  'iOQafjX  rovg  iv  rjj  ralaaölrtöi  djto  fiixQov  %a><; 
lieyaXov  usw.;  die  einzelnen  Städte,  welche  als  Wohnorte  von 
Israeliten  erwähnt  werden,  s.|  I  Makk.  5,  9.  13.  26—27.  36).  Die 
Schilderung  des  ganzen  Unternehmens  ist  hier  noch  eingehender 
als  bei  dem  gleichzeitigen  Zuge  Simons  nach  Galiläa  und  beweist 
noch  sicherer  als  dort,  daß  es  sich  nur  um  eine  jüdische  Diaspora 
gehandelt  haben  kann. 

Das  Vordringen  des  Judentums  scheint  auch  im  Ostjordanland 
durch  politische  Eroberungen  befördert  worden  zu  sein.  Johannes 
Hyrkan  eroberte  Medaba,  östlich  vom  Toten  Meere  (südlich  von 
Esbon)26.  Alexander  Jannäus  betrieb  die  Unterwerfung  des  Ost- 
jordanlandes in  großem  Maßstabe.  Die  meisten  griechischen  Städte 
(Gadara,  Pelia,  Dium,  Gerasa)  eroberte  er;  die  Moabiter  und  Galaa- 
diter  machte  er  sich  tributpflichtig;  kleine  Dynasten,  welche  damals 
einzelne  Städte  beherrschten,  vertrieb  er,  indem  er  ihre  Städte 
eroberte  oder  zerstörte;  so  den  Demetrius  von  Gamala  und  den 
Theodorus  von  Amathus27.  Am  Schlüsse  seiner  Regierung  stand 
das  ganze  Ostjordanland  vom  Merom-See  bis  zum  Toten  Meere 
unter  jüdischer  Botmäßigkeit28.  Diese  Eroberungen  waren  freilich 
zunächst  nur  ein  Werk  der  rohen  Gewalt.  Aber  gelegentlich  ein- 
mal, bei  der  Eroberung  Pelias,  erfahren  wir  doch,  daß  Alexander 
zugleich  die  Forderung  stellte,  daß  die  Unterworfenen  die  jüdischen 
Sitten  annähmen  (Antt.  XIII,  15,  4:  tovtijv  xaricxatpsv  ovx29  vxo- 
oxofievcop  x&v   kvoixovptmv  kq  xatQia  x&v  'iovöalcov  Id-fj  (isra- 

26)  Joseph  Antt.  XIII,  9,  1;  Bell.  Jud.  I,  2,  6.  Ober  die  Lage  und  Geschichte 
s.  oben  §  8  (I,  264). 

27)  S.  über  Gadara:  Jos.  Antt.  XIII,  13,  3;  B.  J.  1,  4,  2.  Pella,  Dium, 
Gerasa:  Antt.  XIII,  15,  3;  B.  J.  I,  4,  8.  Moabiter  und  Galaaditer:  Antt.  XIII, 
13,  5;  B.  J.  I,  4,  3.  Demetrius  von  Gamala:  Antt.  XIII,  15,  3;  B.  J.  I,  4,  8. 
Theodorus  von  Amathus:  Antt.  XIII,  13,  3  u.  5;  B.  J.  I,  4,  2—3.  Vgl.  oben 
§  10  (I,  279.  281.  283). 

28)  Joseph.  Antt.  XIII,  15,  4;  Qeorgitu  SyneeUus  ed.  Dindorf  I,  558  sq. 
Vgl.  oben  §  10  (I,  286). 

29)  Dieses  o{%  ist  von  Niese  getilgt,  da  es  im  cod.  Palatinos  fehlt.  Es 
wird  aber  von  sämtlichen  übrigen  Handschriften  geboten;  und  durch  seine 
Tilgung  wird  der  Text  sinnlos. 


14  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [9.  10J 

ßaXelod-cu).  Die  Eroberungen  müssen  daher  von  großer  Bedeutung 
für  die  Judaisierung  des  Ostjordanlandes  gewesen  sein,  namentlich 
da  die  einmal  unterworfenen  Gebiete  dann  unter  das  Regiment  der 
pharisäerfreundlichen  Alexandra  kamen.  In  den  hellenistischen 
Städten  ist  allerdings  die  griechische  Kultur  durch  Pompeius  und 
Gabinius  wiederhergestellt  worden.  Auch  sonst  sind  nicht  alle 
unterworfenen  Gebiete  wirklich  judaisiert  worden.  Aber  |  nament- 
lich in  der  unmittelbaren  Nachbarschaft  Judäas  muß  die  Judaisierung 
erfolgreich  gewesen  sein;  denn  wir  finden  hier  in  der  römisch- 
herodianischen  Zeit  eine  jüdische  Provinz  Peräa30.  Als  Gabinius 
das  jüdische  Gebiet  in  fünf  Bezirke  teilte,  wurde  der  Sitz  eines 
der  fünf  „Synedrien"  nach  Amathus  verlegt,  augenscheinlich  für 
die  Juden  des  Ostjordanlandes  (Jos.  Antt,  XIV,  5,  4;  B.  J.  I,  8,  5). 
Josephus  gibt  die  Grenzen  des  jüdischen  Peräa  folgendermaßen 
an  (Ä  /.  III,  3,  3).  Im  Norden  das  Gebiet  von  Pella,  im  Osten  die 
Gebiete  von  Gerasa,  Philadelphia  und  Esbon  (dies  ist  mit  dem 
korrumpierten  Silbonitis  gemeint),  im  Süden  das  Moabiterland;  die 
letzte  jüdische  Stadt  war  hier  Machärus31.    Indem  Josephus  diese 


30)  Vgl  Guthe,  Art.  „Peräa"  in  Herzog-Hauck,  Real-Enz.,  3.  Aufl.,  XV, 
1904,  8.  124—130. 

31)  Machärus  wird  als  südlichste  Stadt  Peräas  ausdrücklich  von  Josephus 
B.  J.  III,  3,  3  genannt.  Daß  es  jüdisch  war,  beweist  seine  Haltung  während  des 
Krieges  gegen  die  Römer  (B.  J.  VII,  6,  1—4).  Über  seine  Zugehörigkeit  zum 
jüdischen  Gebiete  s.  auch  B.  J.  VII,  6,  2;  Antt  XVIII,  5, 1;  Plinius  Eist  Not. 
V,  16,  72.  Die  Meinung,  daß  es  zur  Zeit  des  Herodes  Antipas  vorübergehend 
dem  Araberkönig  gehört  habe,  beruht  nur  auf  einer  falschen  Lesart  bei  Joseph. 
Antt  XVIII,  5, 1.  S.  dagegen  Theo!.  Litztg.  1890,  644.  Andererseits  hat  aller- 
dings das  südlich  von  Esbon  gelegene  Medaba  eben  damals  zum  Gebiete 
des  Aretas  IV.  gehört,  wie  jetzt  durch  eine  in  Medaba  gefundene  Inschrift 
aus  der  Zeit  dieses  Königs  konstatiert  ist  (Zeitschr.  für  Assyriologie  V,  1890, 
S.  289ff.;  VI,  1891,  S.  149f.;  Corp.  Inser.  Semäiearum  P.  II  Aram.  n.  196, 
Clermont-Qanneau,  Bectteii  d'archiologie  Orientale  II,  189 ff.;  Cooke,  Text-book  of 
North-semitie  inseriptions  1903  n.  96.  Über  ein  zweites  Exemplar  derselben 
Inschrift,  ebenfalls  in  Medaba  gefunden,  s.  Glermont-Ganneau,  Revue  aroheol. 
IV«*  Serie  t  VII,  1906,  p.  415—422  =  Beeueil  d'archiol.  Orient.  VII,  1906, 
p.  241—247).  Damit  stimmt,  daß  auch  nach  Ptolem.  V,  17,  6  =  Didotsche 
Ausg.  (vol.  I,  2,  Paris  1901)  V,  16,  4  Mrjddßa  zur  Provinz  Arabien  gehörte. 
Über  Juden  in  Medaba  s.  Mischna  Mikwaoth  VII,  1.  —  Für  die  Bestimmung 
der  Ostgrenze  ist  auch  noch  zu  beachten,  daß  einst  die  Juden  Peräas  mit 
den  Philadelphenern  in  Streit  gerieten  wegen  der  Grenzen  eines  Dorfes,  das 
in  unserm  überlieferten  Josephus-Texte  Mia  heißt  (Jos.  Antt  XX,  1, 1).  Wenn 
dieses,  wie  mit  Grund  vermutet  wird,  mit  dem  von  Eusebius  erwähnten  Zia, 
15  mit  pass.  westlich  von  Philadelphia,  identisch  ist,  dann  gehörte  reichlich 
die  Hälfte  des  zwischen  dem  Jordan  und  der  Stadt  Philadelphia  liegenden 
Landes  zum  Gebiete  der  letzteren  (vgl.  §  23,  I,  Nr.  23).  —  Nicht  zu  verwerten 
ist  dagegen  die  Angabe,   daß  Ragaba  im  Gebiete  von  Gerasa  lag   (Jos.  Antt. 


[10.  11]  I.  Mischung  der  Bevölkerung.  15 

heidnischen  Gebiete  als  Grenzen  Peräas  bezeichnet,  will  er  sagen, 
daß  das  von  ihnen  eingeschlossene  Gebiet  eine  jüdische,  von  Jnden 
bewohnte  Provinz  war  (s.  oben  Anm.  11).  Er  bemerkt  dabei,  daß 
„Peräa"  zwar  größer  sei  als  Galiläa,  aber  schwach  bevölkert  und 
rauh  ($qtiiio<z  öl  xal  xQaxsla  xo  xXiov).  Daß  die  hier  wohnende 
Bevölkerung  im  wesentlichen  eine  jüdische  war,  wird  auch  noch 
durch  andere  Tatsachen  bestätigt32.  Der  Name  IJeQala  ist  aus  | 
dem  schon  im  Alten  Testament  häufig  .vorkommenden  "JTW  "*3? 
Jenseits  des  Jordan"  gebildet  und  wird  jetzt  in  doppeltem  Sinne 
gebraucht:  vom  Ostjordanland  überhaupt  und  vom  jüdischen  Gebiet 
im  Ostjordanland  insbesondere. 

In  der  römisch-herodianischen  Zeit  gab  es  demnach  drei  jüdische 
Provinzen:  Judäa,  Galiläa  und  Peräa.  Wie  bei  Josephus,  so 
werden  diese  drei  auch  in  der  Mischna  öfters  nebeneinander  ge- 
nannt (rrnm.  b^bä,  iTvn  "UÄ33.  Nur  innerhalb  dieser  war  die 
Bevölkerung  eine  wesentlich  jüdische.  Die  weiter  gezogenen  Grenzen 
des  „Landes  Israel"  (barnD**  fiK),  wie  sie  in  rabbinischen  Quellen 
angegeben  werden,  haben  nur  die  Bedeutung  von  Theorien,  welchen 
die  Wirklichkeit  nicht  entsprochen  hat34.  Auch  innerhalb  jener 
Landschaften  war  aber  die  Bevölkerung  keine  rein  jüdische.  Nach- 
dem bis  zur  Regierung  der  Alexandra  das  Judentum  extensiv  und 
intensiv  zugenommen  hatte,  ist  unter  den  Römern  und  Herodianern 
in  dieser  Bewegung  ein  Stillstand,  ja  eher  ein  Rückschlag  ein- 
getreten. Pompeius,  Gabinius  und  Herodes  begünstigten  wieder 
die  hellenistische  Kultur.  Die  von  Alexander  Jannäus  zerstörten 
griechischen  Städte  wurden  wieder  aufgebaut  und  neue  gegründet 
Durch  Herodes  kam  auch  in  das  Innere  des  Landes  der  Glanz 
heidnischer  Kultur.  Immerhin  war  das  pharisäische  Judentum 
jetzt  so  gefestigt,  daß  der  Rückschlag  kein  sehr  erheblicher  war. 
Auch  hat  Herodes  bei  seinen  Kulturbestrebungen  im  wesentlichen 
die  religiösen  Anschauungen  des  Judentums  geschont.     Stärkere 

XIII,  15,  5).  Denn  die  Lage  dieses  Ragaba  ist  uns  unbekannt  8.  oben  §  10 
(I,  284). 

32)  Vgl.  Jos.  Antt.  XX,  1, 1  (Grenzstreit  der  Juden  Peräas  mit  den  Phil- 
adelphenern);  B.  J.  IV,  7,  4—6  (Teilnahme  der  Juden  Peräas  am  Aufstand). 
—  Auch  die  Mischna  setzt  durchweg  Peräa  (Tü^ri  *qr)  als  von  Juden  be- 
wohntes Land  voraus,  s.  Schebiith  IX,  2;  Bikkurim  I,  10;  Taanith  III,  6; 
Keihuboth  XIII,  10;   Baba  bathra  III,  2;  Edujoth  VIII,  7;  Menachoth  VIII,  3. 

33)  Sehebiüh  IX,  2;   Kethuboth  XIII,  10;   Baba  bathra  III,  2. 

34)  Vgl.  hierüber  jer.  Schebiith  VI,  1  fol.  36  c;  Tosephta  Schebiith  IV  ed. 
Zuckermandel  p.  66;  Siphre  Abschnitt  Ekeb  gegen  Ende.  Dazu  Neubauer, 
La  giographie  du  Talmud,  1868,  p.  10—21,  und  besonders  die  eingehende 
Erörterung  bei  Hildesheimer,  Beiträge  zur  Geographie  Palästinas,  Ber- 
lin 1886. 


16  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [LI.  12] 

Bruchteile  heidnischer  Bevölkerung  werden  daher  für  Judäa  auch 
jetzt  kaum  anzunehmen  sein;  etwas  mehr  für  Galiläa  und  Peräa, 
wo  die  Grenzen  zwischen  jüdischer  und  heidnischer  Bevölkerung 
jüngeren  Datums  und  darum  auch  fließender  waren35.  | 

Trotz  der  religiösen  und  nationalen  Gemeinschaft  der  drei  Land- 
schaften hatten  sich  doch  in  Sitten  und  Gewohnheiten  ihrer  Be- 
wohner auch  mancherlei  Unterschiede  ausgeprägt,  welche  den  drei 
Landschaften,  ganz  abgesehen  von  der  wiederholt  eintretenden 
politischen  Trennung,  eine  gewisse  Selbständigkeit  des  inneren 
Lebens  verliehen.  Die  Mischna  erwähnt  z.  B.  kleine  Unterschiede 
in  eherechtlicher  Beziehung  zwischen  Judäa  und  Galiläa36,  ver- 
schiedene Sitten  in  bezug  auf  den  Verkehr  zwischen  Braut  und 
Bräutigam37,  Verschiedenheit  des  Gewichtes  zwischen  Judäa  und 
Galiläa 38.  Sogar  eine  verschiedene  Observanz  in  betreff  des  Passa- 
festes  wird  erwähnt:  in  Judäa  arbeitete  man  am  14.  Nisan  bis 
Mittag,  in  Galiläa  gar  nicht39.  Da  die  drei  Landschaften  auch 
politisch  öfters  getrennt  waren,  werden  sie  in  gewissen  Beziehungen 
als  „verschieiene  Länder"  betrachtet40. 

Ein  buntes  Gemisch  boten  die  Landschaften  östlich  vom  See 
Genezareth,  Gaulanitis,  Batanäa,  Trachonitis  und  Auranitis 

35)  Kaminka,  Studien  zur  Geschichte  Galiläas  (Berlin  1889),  S.  29—38, 
will  noch  für  die  Zeit  Jesu  Christi  die  Bevölkerung  Galiläas  als  eine  „über- 
wiegend heidnische"  (S.  33)  betrachten,  innerhalb  deren  nur  „Kolonisten  aus 
Judäa"  (S.  33)  wohnten.  Allein  so  richtig  diese  Anschauung  für  die  Makka- 
bäerzeit  ist,  so  entschieden  unrichtig  ist  sie  für  die  römisch-herodianische  Zeit. 
Selbst  in  Tiberias  war  das  jüdische  Element  stark  überwiegend,  wie  das  Ver- 
halten dieser  Stadt  während  des  Aufstandes  gegen  die  Römer  zeigt  (s.  §  23, 
I,  Nr.  33).  Die  ganze  Provinz  aber  könnte  sich  nicht  mit  solcher  Entschieden- 
heit dem  Aufstande  angeschlossen  haben,  wenn  die  Bevölkerung  nicht  im 
wesentlichen  eine  jüdische  gewesen  wäre.  Nur  eine  Stadt,  Sepphoris,  blieb 
auf  Seiten  der  Römer;  aber  auch  hier  war  die  Bevölkerung  eine  vorwiegend 
jüdische  [B .  J.  III,  2,  4:  noo&vfJUOQ  o<pü<;  abxov$  i>7i£axovro  xaxa  xmv  öpo- 
(pvXajv  ovfiftdxovo).  Endlich  zeigt  ja  die  Geschichte  Jesu  Christi,  daß  es 
überall  in  Galiläa  Synagogen  gab,  in  welchen  man  am  Sabbath  sich  zum 
Gottesdienst  versammelte. 

36)  Kethuboth  IV,  12. 

37)  Jebamoth  IV,  10;  Kethuboth  I,  5. 

38)  Terwnoth  X,  8:  Fischlake  im  Gewicht  von  10  Sus  in  Judäa  =  5  Sela 
in  Galiläa;  Kethuboth  V,  9  und  Gkullin  XI,  2:  Wolle  im  Gewicht  von  5  Sela 
in  Judäa  =  10  Sela  in  Galiläa. 

39)  Pesachim  IV,  5.  Über  das  Verbot  des  Arbeitens  am  14.  Nisan  s.  auch 
Grün  hu  t,  Zeitschr.  f.  wissensch.  Theol.  1894,  S.  543  ff.;  Chwolson,  Ebendas. 
1895,  S.  343  ff.;  Grünhut,  Ebendas.  1898,  S.  253—266. 

40)  Z.  B.  in  betreff  des  Rechtsgrundsatzes,  daß  die  Frau  nicht  verpflichtet 
ist,  ihrem  Manne  in  ein  anderes  Land  nachzuziehen  {Kethuboth  XIII,  10);  in 
betreff  des  Rechtes  der  Ersitzung  (Baba  bathra  III,  2). 


[12.  13]  I.  Mischung  der  BeYölkerung.  17 


dar  (aber  deren  Lage  s.  oben  §  17  a).  Die  Bevölkerung  war  eine 
aus  Juden  und  Syrern  gemischte  (&  /.  in,  3,  5:  olxovai  de  avrrjp 
liiyaöeq  'fovdaloi  re  xal  JSvqoi).  Aber  neben  der  seßhaften  Be- 
völkerung trieben  sich  in  jenen  Grenzgebieten  der  Kultur  auch 
zahlreiche  Nomadenscharen  herum,  von  welchen  jene  nicht  wenig 
zu  leiden  hatte.  Besonders  günstig  waren  für  sie  die  Höhlen  in 
jener  Gegend,  in  welchen  sie  Vorräte  an  Wasser  und  Lebens- 
mitteln ansammeln  und  im  Falle  eines  Angriffs  samt  ihren  Herden 
Zuflucht  finden  konnten.  Ihre  Bekämpfung  war  darum  sehr 
schwierig.  Erst  der  kräftigen  Hand  des  Herodes  gelang  es,  hier 
einigermaßen  Ordnung  zu  schaffen41.  Zur  dauernden  Niederhaltung 
der  unjruhigen  Elemente  siedelte]  er  mehrmals  fremde  Kolonisten 
an;  zuerst  in  Trachonitis  dreitausend  Idumäer42;  dann  inBatanäa 
eine  Kolonie  kriegerischer  Juden  aus  Babylon,  welchen  er  das 
Privilegium  der  Abgabenfreiheit  verlieh43.   Seine  Söhne  und  Enkel 


41)  Antt.  XV,  10, 1.  Über  die  Höhlen  auch  Sirabo  XVI,  2,  20  p.  756  (eine 
Höhle  faßte  viertausend  Mann);  Winer,  RWB.,  Art.  „Höhlen". 

42)  Antt.  XVI,  9,  2. 

43)  Antt.  XVn,  2, 1—3.  Zur  Geschichte  dieser  Kolonie  vgl.  auch  Vita  11 
und  oben  §  17  a  (1, 428).  Nach  Antt.  XVII,  2,  2  gründeten  diese  babylonischen 
Juden  in  Batanäa  ein  Dorf  namens  Bathyra  (Niese:  Barthyra;  es  ist  vielleicht 
das  heutige  Bei  Eri  am  nördlichen  Ufer  des  Jarmuk,  östlich  vom  Nähr  er 
Rnkkad,  s.  Schumacher,  Across  the  Jordan  p.  52;  Furrer,  Zeitschr.  des  DPV 
XII,  151.  Buhl,  Studien  zur  Topographie  des  nördl.  Ostjordanlandes  1894,  S.  19; 
Den.,  Geographie  des  alten  Palästina  S.  246;  Benzinger  in  Pauly-Wissowas 
Real-Enz.  ITT,  138 £)  und  mehrere  yoovoia.  Zu  letzteren  gehörte  sicherlich 
das  Vita  11  erwähnte  Ekbatana,  und  wohl  auch  das  von  Eusebius  erwähnte 
Nineve,  Euseb.  Onomast.  ed.  Klostermann  p.  136  (s.  v.  Nivevj):  lort  öh  xal 
%vdal(ov  elg  Hxi  vfh>  nöXig  Nivbvtj  xaXovfiivrj  neol  xty  rwvtav  xrjq,  'Apaßiag; 
Hieronymus  ibid.  p.  137:  est  et  alia  usque  hodie  civüas  Judaeorum  nomine  Ninive 
in  angulo  Arabiae,  quam  nunc  oorrupte  [aL  correpte]  Neneven  [l.  Neve?]  vocani. 
Der  „Winkel"  oder  die  „Ecke"  Arabiens  ist  wohl  identisch  mit  dem  ander- 
wärts von  Eusebius  erwähnten  Winkel  von  Batanäa  (Onomast.  ed.  Klostermann 
p.  18  8.  *&  Abwd-  iaelo*  h  x$  xakov/iivy  Twla  xrjq  Baxavalag).  Batanäa  ge- 
hörte zur  Zeit  des  Eusebius  zur  Provinz  Arabien.  Also  wird  jenes  Nineve 
in  Batanäa  gelegen  haben  und  kann  identisch  sein  mit  dem  Neve  des  Itinera- 
rium  Antonini,  dem  Nevtj  der  Notitiae  episcopatuum,  dem  Nawah  der  rabbini- 
schen  und  arabischen  Quellen  und  dem  heutigen  Nawa  (genau  östlich  von 
der  Nordspitze  des  Sees  Genezareth),  s.  Befand,  Palaestina  p.  909;  Raumer, 
Palästina  S.  253;  Neubauer,  Geographie  du  Talmud  p.  245;  Schumacher,  Across 
the  Jordan  1886,  p.  167—180;  Le  Strange,  Palestine  under  the  Moslems  (1890) 
p.  515  sq.;.  Geizer  in  seiner  Ausg.  des  Georgias  Oyprius  (1890)  p.  203  (über 
IWa  206);  Buhl,  Geogr.  d.  alten  Palast  S.  247  f.  Diese  Identifizierung  wird 
dann  besonders  wahrscheinlich,  wenn  bei  Hieronymus  Neve  zu  lesen  ist  (so 
eine  der  von  Vallarsi  Hieron.  opp.  III,  1,  251  verglichenen  Handschriften;  die 
beiden  von  Klostermann  verglichenen  Sangallenses  haben  Neve  und  Neven). 

Schärer,  Geschichte  II.  4.  Aufl.  2 


18  §  22.  Allgemeine  Kulturrerhtltnisae.  [13.  14] 

setzten  das  Werk  fort.  Doch  hat  noch  einer  der  beiden  Agrippa 
in  einem  Edikte  über  die  tierische  Lebensweise  ({hjQicidrjg  xaxa- 
craöig)  der  Einwohner  und  ihren  Aufenthalt  in  den  Höhlen  (hv<pa>- 
XevBiv)  zu  klagen44.  Mit  den  Kulturbestrebungen  des  Herodes  zog 
endlich  auch  das  griechische  Element  in  jenen  Gegenden  ein.  In 
der  Nähe  von  Eanatha  (s.  hierüber  §  23,  I)  finden  sich  noch  die 
Buinen  eines  Tempels,  der  nach  den  dort  gefundenen  griechischen 
Inschriften  aus  der  Zeit  Herodes'  des  Großen  herrührt45.  Grie- 1 
chische  Inschriften  der  beiden  Agrippa,  besonders  Agrippas  IL, 
finden  sich  in  der  Umgebung  des  Hauran  in  größerer  Zahl46.  In 
der  römischen  Zeit  hat  dann  das  griechische  Element  wenigstens 
äußerlich  die  Herrschaft  in  jenen  Distrikten  erlangt  (s.  darüber 
unten  Nr.  II,  1). 

In  der  zwischen  Judäa  und  Galiläa  liegenden  Landschaft  Sa- 
marien  sind  die  Städte  Samaria  und  Skythopolis  hinsichtlich 
ihrer  Bevölkerung  vom  übrigen  Gebiete  streng  zu  unterscheiden. 
In  Samaria  hatte  schon  Alexander  der  Große  mazedonische  Kolo- 
nisten angesiedelt  Nach  seiner  Zerstörung  durch  Johannes  Hyr- 
kanus  war  es  dann  von  Gabinius  und  in  erweitertem  Umfange 
von  Herodes  als  hellenistische  Stadt  neu  gegründet  worden  (Näheres 
s.  §  23, 1,  Nr.  24).  Seine  Bevölkerung  war  ohne  Zweifel  überwiegend 
heidnisch.  Das  gleiche  gilt  von  Skythopolis,  das  zur  Makkabäer- 
zeit  ausdrücklich  als  heidnische  Stadt  erwähnt  wird  und,  nachdem 
es  seit  Johannes  Hyrkanus  im  Besitz  der  Juden  gewesen  war, 
durch  Gabinius  als  hellenistische  Stadt  wiederhergestellt  wurde 
(8.  §  23, 1,  Nr.  19).  Nach  B.  J.  II,  18,  3—4  hat  es  zwar  einen  starken 
Bruchteil  jüdischer  Einwohner  gehabt  Aber  diese  bildeten  doch 
bei  weitem  die  Minorität.    Abgesehen  von  diesen  beiden  Städten 


Unter  den  alten  Ruinen  von  Natoa  findet  sich  mehrfach  der  siebenarmige 
Leuchter  als  Ornament  (Schumacher  8.  172.  173.  174).  —  Auch  in  Tafas  in 
Batanaa,  südlich  von  Nawa,  ist  eine  jüdische  Gemeinde  nachweisbar  (Bulletin 
de  eorresp.  helUnique  XXI,  1897,  p.  47:  IdxuyßoQ  xal  ÜSfiovrjXo^  ....  t^v  owa- 
yar/h*  oixodö^rjaav). 

44)  Die  leider  nur  sehr  dürftigen  Fragmente  dieses  Ediktes  sind  mitge- 
teilt hei  Le  Bas  et  Waddington,  Inseriptions  Qreeques  et  Laiines  T.  III 
n.  2329.  Hieraus  auch  in  der  Zeitschr.  f.  wissenschaftl.  Theol.  1873,  8.  252,  bei 
Dittenberger,  Orientis  graeei  inseriptiones  seleetae  n.  424,  und  in :  Inseriptiones 
graecae  ad  res  romanas  pertinentes  t  III  ed.  Oagnat  n.  1223. 

45)  Vgl.  bes.  die  Inschrift  bei  Le  Bas  et  Waddington  T.IUn.  2364  — 
Dittenberger  n.  415  —  Inser.  gr.  ad  res  rom.  pertinentes  HI  n  1243. 

46)  Le  Bas  et  Waddington  T.  Hl  n.  2112.  2135.  2211.  2329.  2365. 
2413b.  Hieraus  auch  in  der  Zeitschr.  f.  wissenschaftl.  Theol.  1873,  S.  248  ff.  und 
bei  Dittenberger,  Orientis  graeei  inseriptiones  seleetae  n.  418. 419.  421.  422.  423. 
424.    Dazu  noch  die  bei  Waddington  fehlenden:  Dittenberger  n.  425.  426. 


[14.  15]  I.  Mischung  der  Bevölkerung.  ig 

war  die  Landschaft  Samarien  in  der  Hauptsache  wohl  von  Sa  ma- 
ritanern bewohnt47.  |  Diese  werden  von  Josephns  nach  dem  oben 
(Anm.  11)  Bemerkten  im  weiteren  Sinne  zur  jüdischen  Bevölkerung 
gerechnet.  Und  mit  vollem  Rechte.  Denn  man  beurteilt  ihr  Wesen 
nur  dann  richtig,  wenn  man  es  unter  dem  doppelten  Gesichtspunkt 
auffaßt:  1)  daß  sie  zwar  ihrer  natürlichen  Zusammensetzung 
nach  ein  Mischvolk  waren,  hervorgegangen  aus  der  Verschmelzung 
der  älteren  israelitischen  Einwohner  mit  heidnischen  Elementen, 
namentlich  mit  den  durch  die  Assyrer  dorthin  verpflanzten  heid- 
nischen Kolonisten;  daß  aber  2)  ihre  Religion  im  wesentlichen 
die  Religion  Israels  war.  —  Unter  den  Kolonisten,  welche  die 

47)  Die  reichhaltige  Literatur  über  die  Samaritaner  verzeichnet  am  voll- 
ständigsten Kautzech  in  Hefzog-Hauck,  Real-Enz.,  2.  Aufl.  XIII,  351—355; 
3.  Aufl.  XVII,  1906,  3. 428  u. 440— 446.  —  Vgl. besonders:  Cellarius,  CoUectanea 
kistoriae  Samaritanae,  1688  (auch  in  ügolini  Thes.  t.  XXII).  —  Robinson, 
Palastina  HI,  317 — 362.  —  Juynboll,  Gommentarii  in  historiam  gentis  Sama- 
riUmae, Lugd.  Bat.  1846.  — Winer,  RWB.,  II,  369—373.—  Lutterbeck,  Die 
neutestamentlichen  Lehrbegriffe  I,  255 — 269. —  Herz  fei d,  Gesch.  des  Volkes 
Jisrael  III,  580 ff.  —  Jost,  Gesch.  des  Judentums  1,  44—89.  —  Ewald,  Gesch. 
des  Volkes  Israel  III,  724ff.  IV,  129ff.  274ff.  —  Petermann  in  Herzog, 
Real-Enz.  1.  Aufl.  XIH,  369—391.  —  Hausrath,  Zeitgesch.,  2.Aufl.  1, 12—23.  — 
Schrader  in  Schenkels  Bibellexikon  V,  149—154.  —  Äppel,  Quaestiones  de 
rebus  Samaritanorum  sub  imperio  Romanorum  peractis,  Qotting.  1874.  —  Nutt, 
A  sketch  of  Samaritan  history,  dogma  and  literature,  London  1874.  —  Kohn, 
Zur  Sprache,  Literatur  und  Dogmatik  der  Samaritaner  (Abhandlungen  für 
die  Kunde  des  Morgenlandes,  Bd.  V  Nr.  4,  1876).  —  Kautzsch  in  Riehms 
Handwörterb.  des  bibl.  Altertums  8.  v.  —  Reuss,  Gesch.  der  heil.  Schriften 
Alten  Testaments,  §  381.  382.  —  Hamburger,  Real-Enzyklopädie  für  Bibel 
und  Talmud,  Abth.  II,  1883,  S.  1062—1071.  —  Kautzsch  in  Herzog-Hauck, 
Real-Enz.,  2. Aufl.  XIH,  340—355;  3. Aufl.  XVII,  1906,  S.  428—445.  —  Fürst,  Zur 
Differenz  zwischen  Juden  und  Samaritanern  (Zeitschr.  der  DMG.  Bd.  35, 1881, 
8.  132—138).  —  Stade,  Gesch.  des  Volkes  Israel  II,  189  ff.  —  Taglicht, 
Die  Kuthaer  als  Beobachter  des  Gesetzes  usw.,  Erlangen,  Dissert  1888.  — 
Wreschner,  Samaritanische  Traditionen,  Berlin  1888  (vgl.  Siegfried,  Theol. 
Litztg.  1888,  546).  —  Köhler,  Lehrbuch  der  bibl.  Geschichte  A.  T.s  II,  % 
1893,  S.  421  ff.  570  ff.  620  ff.  —  Co wley,  Art.  Samaritans  in  der  Encyclopaedia 
Biblica  IV,  1903.  —  Nagl,  Die  Religion  der  Kuttaer  auf  dem  Boden  des 
ehemaligen  Reiches  Jisrael  (Zeitschr.  f.  kathol.  Theol.  1904,  S.  415—424).  — 
Cowle y,  Art.  Samariums  in  The  Jewis'h  Eneyclopedia  vol.  X,  1905,  p.  669—681. 
—  Montgomery,  The  Samaritans  9  the  earliest  jewish  sect,  Philadelphia  1907 
(358  S.)  —  Verschiedene  Beitrage  zur  samaritan.  Literatur  von  Heidenheim 
in  der  deutschen  Vierteljahrsschrift  f.  engl.-theol.  Forschung  und  Kritik,  1861  ff. 
Über  die  Messias -Idee  der  Samaritaner  s.  unten  §  29.  Ober  den  samari- 
tanischen  Pentateuch  s.  die  Literatur  bei  Buhl,  Kanon  und  Text  des  A.  T., 
1891, 8. 184 ff;  Kautzsch,  Herzog-Hauck,  Real-Enz.,  3.  Aufl.  XVII, 442 f.  Auch: 
Kohn,  Samareitikon  und  Septuaginta  (Monatsschr.  f.  Gesch.  u.  Wissensch.  des 
Judent,  38.  Bd.  1894);  König,  Art.  Samaritan  Pentateuch  in:  Hostings  Die- 
tionary  of  the  Bible,  Extra- Volume  1904,  p.  68—72. 

2* 


20  §  22.  Allgemeine  Ktütujrverhaltnisse.  [15.  16] 

Assyrer  aus  den  Provinzen  Babel,  Entha,  Ava,  Hamath  und  Sephar- 
vaim  nach  Samaria  verpflanzten  (II  Eon.  17,  24  ff.),  scheinen  die- 
jenigen ans  Entha  (ntTO,  n*D,  II  Eon.  17,  24.  30)  besonders  zahl- 
reich gewesen  zu  sein48.  Die  Bewohner  Samarias  wurden  daher 
von  den  Juden  fortan  Euthäer  genannt  (Xov&alot  bei  Joseph.  Antt 
IX,  14,  3.  XI,  4,  4;  7,  2.  XIII,  9, 1;  in  der  rabbinischen  Literatur 
S'rra)49.  Man  darf  aber  sicher  nicht  annehmen,  daß  die  alte 
israelitische  Bevölkerung  gänzlich  aus  dem  Lande  weggeführt  war, 
und  das  Land  lediglich  durch  diese  heidnischen  Kolonisten  neu  be- 
völkert wurde.  Vielmehr  ist  ohne  Zweifel  ein  sehr  starker  Prozent- 
satz der  alten  Bevölkerung  im  Lande  geblieben,  und  die  neue 
Bevölkerung  ist  eine  Mischung  dieser  mit  den .  eingewanderten 
heidnischen  Kolonisten50.  Die  Religion  dieses  Mischvolkes  war 
anfangs,  nach  dem  Berichte  der  Bibel  (II  Eon.  17,  24—41),  auch 
eine  Mischreligion:  eine  Verbindung  der  von  den  Kolonisten  mit- 
gebrachten heidnischen  Kulte  mit  der  alt-israelitischen  Verehrung 
Jahves  auf  den  Höhen.  Später  ist  aber  |  das  Übergewicht  der 
jüdischen  Religion  zu  entscheidender  Geltung  gekommen.  Denn 
nach  allem,  was  wir  sonst  über  die  Religion  der  Samaritaner 
Sicheres  wissen  (von  böswilligen  Nachreden  ist  natürlich  abzusehen), 
war  dieselbe  ein  reiner  jüdischer  Monotheismus.  Sie  erkannten 
die  Einheit  Gottes  und  die  Autorität  Mosis  als  des  größten  Pro- 
pheten an;  sie  hatten  die  jüdische  Beschneidung  am  achten  Tage 
und  die  Feier  des  Sabbaths  und  der  jüdischen  Jahresfeste.  Ja  sie 
hatten  überhaupt  den  ganzen  Pentateuch  in  derselben  Form  wie 
die  jüdische  Gemeinde  als  göttliches  Gesetz  und  erkannten  damit 
auch  die  Einheit  des  jüdischen  Eultus  an.  Nur  darin  unterschieden 
sie  sich  von  den  Judäern,  daß  sie  diesen  Eultus  nicht  nach  Jeru- 
salem, sondern  auf  den  Garizim  verlegten.  —  Wie  es  zur  Bildung 
dieser  Gemeinde  gekommen  ist,  liegt  im  dunkeln.  Die  natürlichste 
Annahme  scheint  die,  daß  zunächst  die  religiöse  Entwicklung  Judäas 
auf  dem  Wege  der  Propaganda  auch  nach  Samaria  übergegriffen 


48)  Vgl.  über  die  Kolonisten  besonders  Juynboll,  Commentarii  p.  32—37. 

49)  D^n*»  in  der  Mischna  an  folgenden  Stellen:  Berachoih  VII,  1.  VIII,  8. 
Pea  II,  7.  Demai  HI,  4.  V,  9.  VI,  1.  VII,  4.  Terumoth  III,  9.  ChaUa  IV,  7. 
Schekalim  I,  5.  Bosch  hasehana  II,  2.  Kelhuboth  III,  1.  Nedarim  III,  10. 
Qütin  I,  5.  Kidduschin  IV,  3.  Ohaloth  XVII,  3.  Tohoroth  V,  8.  Nidda  IV,  1.  2. 
VII,  3.  4.  5. 

60)  Gegen  Hengstenberg,  welcher  eine  völlige  Wegführung  der  israe- 
litischen Bevölkerung  annimmt  und  die  Samaritaner  für  eine  Mischung  ver- 
schiedener heidnischer  Völker  hält  (Die  Authentie  des  Pentateuches  Bd.  I, 
S.  3 — 27),  s.  bes.  Juynboll,  Commentarii  in  historiam  gentis  Samaritonae 
p.  12-25. 


[16]  L  Mischung  der  Bevölkerung.  21 

hat,  und  daß  es  zu  einer  Spaltung  erst  gekommen  ist,  nachdem 
hier  wie  dort  der  Pentateuch  bereits  rezipiert  war.  Damit  würde 
der  Bericht  des  Josephus  fibereinstimmen,  wonach  das  Schisma 
erst  kurz  vor  der  Zeit  Alexanders  des  Großen  entstanden  ist,  als 
Manasse,  der  Bruder  des  Hohenpriesters  Jaddua,  wegen  seiner 
Heirat  mit  der  Tochter  des  Samaritaners  Sanballat  aus  Jerusalem 
vertrieben  wurde.  Infolgedessen  habe  Manasse  den  schismatischen 
Kultus  in  Samarien  eingerichtet,  indem  er  einen  Tempel  auf  dem 
Garizim  erbaute 51.  Schwierigkeiten  macht  jedoch,  daß  nach  Nehem. 
13,  28  bereits  zur  Zeit  Nehemias  ein  Hohenpriesterssohn  wegen 
seiner  Heirat  mit  der  Tochter  des  Horoniters  Sanballat  aus  Jeru- 
salem vertrieben  wurde.  Wenn  dies,  wie  es  scheint,  dieselben 
Personen  sind,  die  auch  Josephus  nennt,  so  würde  der  Vorgang 
etwa  hundert  Jahre  früher  zu  setzen  sein,  als  Josephus  meint52. 
Es  müßte  dann  schon  damals  die  Trennung  der  samaritanischen 
Gemeinde  von  der  jüdischen  stattgefunden  haben,  und  die  erstere 
müßte  trotzdem  die  vermutlich  erst  später  erfolgten  Umgestal- 
tungen des  Pentateuchs  noch  rezipiert  haben53.  Auf  alle  Fälle 
hat  spätestens  seit  Beginn  der  griechischen^ Zeit  bis  zur  Zeit  des 
Johannes  Hyrkanus  der  schismatische  Kultus  auf  dem  Garizim 
bestanden 54.  Und  auch  nachdem  der  dortige  Tempel  durch  Johannes 

51)  Joseph.  Antt.  XI,  7,  2;  8,  2ff. 

52)  Dafür  entscheiden  sich  z.B.  Stade,  Gesch.  des  Volkes  Israel  II,  189  f.; 
Ders.,  Biblische  Theologie  des  A.  T.  I,  1905,  S.  355;  Wellhansen,  Israe- 
litische und  jüdische  Geschichte,  1894,  S.  133.  148,  indem  sie  den  Kern  des 
Josephns-Berichtes  für  historisch  halten.  —  Juynboll,  p.  85—93,  hält  sowohl 
den  Sanballat  Neh.  13,  28  als  den  Sanballat  des  Josephus  für  historisch,  also 
beide  für  verschiedene  Persönlichkeiten,  und  nimmt  zwei  Tempelhauten  an, 
einen  unansehnlichen  zur  Zeit  Nehemias  und  einen  glänzenderen  hundert  Jahre 
später. 

53)  Um  diese  Annahme  zu  vermeiden,  setzt  z.  B.  Steuernagel  (AUgem. 
Einleitung  in  den  Hexateuch,  im  Handkommentar  zum  A.  T.  I,  3,  3,  1900, 
S.  276)  die  Trennung  erat  um  330  und  nimmt  an,  daß  Josephus  irrtümlich  die 
Vertreibung  des  Manasse  mit  Neh.  13,  28  kombiniert  habe.  —  Sehr  ansprechend 
konstruiert  Hol  seh  er  (Palästina  S.  30—43)  die  Entstehungsgeschichte  der  sama- 
ritanischen Gemeinde  (Schisma  um  352 — 350).  Leider  sind  die  Stützen,  welche 
er  für  seine  Konstruktionen  aus  den  kanonischen  Büchern  des  A.  T.  entnimmt, 
sehr  schwach. 

54)  Das  leodv  ^AoyaQÜjiv  wird  auch  erwähnt  bei  einem  von  Alezander 
Polyhistor  exzerpierten  hellenistischen  Schriftsteller  (Euseb.  Praep.  evang. 
IX,  17;  vgl.  unten  §  33,  HI,  6;  die  Form  'Agya^eiv  auch  bei  Joseph.  B.  J. 
I,  2,  6  ed.  Niese.  Argaris  bei  Hin.  Eist.  Not.  V,  68,  'AoyaoiCflv  bei  Damaseius 
ap.  PhoHum,  BiM.  cod.  242  ed.  Bekber  p.  345b.  Sonst  auch  aramäisch  Tovq 
raoi&r,  Mosaikkarte  von  Madeba,  herausgegeben  von  Palmer  und  Guthe,  1906*, 
Tafel  Vil).  Unter  Antiochus  Epiphanes  wurde  es,  gewiß  nur  vorübergehend, 
dem  Zebq  Sbrioq  geweiht  (II  Makk.  5,  23;  6,  2;  Jos.  Antt.  XU,  5,  5). 


22  §  22   Allgemeine  Kulturverh&ltnisse.  [16.  17] 

Hyrkanus  zerstört  worden  war,  DiieD  doch  der  Garizim  der  heilige 
Berg  der  Samaritaner  and  die  legitime  Stätte  ihres  Kultus 5*.  Die  | 
weitere  Entwicklung  des  pharisäischen  Judentums  haben  sie  nicht 
mehr  mitgemacht,  daher  alles  abgelehnt,  was  Aber  die  Bestim- 
mungen des  Pentateuchs  hinausging.  Auch  haben  sie  außer  dem 
Pentateuch  keine  der  anderen  heiligen  Schriften  des  jüdischen 
Kanons  angenommen.  Aber  auch  so  kann  ihnen  das  Recht,  sich 
„Israeliten"  zu  nennen,  nicht  abgesprochen  werden,  sofern  es  sich 
nämlich  um  die  Religion,  nicht  um  die  Abstammung  handelt 

Die  Stellung  des  eigentlichen  Judentums  zu  den  Samaritanern 
war  stets  eine  feindselige:  der  alte  Gegensatz  der  Reiche  Juda 
und  Ephraim  setzte  sich  hier  in  neuer  Form  weiter  fort  Dem 
Siraciden  ist  „das  törichte  Volk,  das  in  Sichern  wohnet"  ebenso 
verhaßt  wie  die  Edomiter  und  Philister  (Sirach  50,  25—26).  Die 
Samaritaner  ihrerseits  vergalten  diese  Gesinnung  mit  gleicher 
Feindschaft56.  Trotzdem  sind  die  gesetzlichen  Bestimmungen, 
welche  das  rabbinische  Judentum  hinsichtlich  der  Samaritaner  ge- 
troffen hat,  überall  korrekt  und  vom  Standpunkte  des  Pharisäismus 
aus  gerecht57.  Die  Samaritaner  werden  nie  schlechtweg  als 
„Fremde",  sondern  stets  als  ein  Mischvolk  behandelt,  für  dessen 
einzelne  Glieder  die  israelitische  Abstammung  zwar  nie  als  er- 
wiesen, aber  stets  als  möglich  anzunehmen  ist 58.  Ihre  Zugehörig- 


55)  Zerstörung  durch  Johannes  Hyrkan:  Antt.  XIII,  9,  1;  B.  J.  I,  2.  6. 
Fortdauernde  Geltung:  Ev.  Joh.  4,  20;  Joseph,  Antt.  XVIII,  4,  1;  Bell.  Jud. 
III,  7,  32.  Nach  der  Gründung  von  Flavia  Neapolis  war  auf  dem  Garizim 
ein  Zeus-Tempel,  welcher  auf  Münzen  der  Stadt  seit  Hadrian  abgebildet  ist 
(s.  oben  §  21,  I,  Bd.  I,  S.  651,  die  Münzen  z.  £.  bei  De  Sauley,  Numüma- 
tique  de  la  Terre  Sadnte  pl.  XIII  n.  1,  XIV  n.  2  u.  3}.  Zur  Zeit  des  Kaisers 
Zeno  wurde  infolge  eines  Aufstandes  der  Samaritaner  deren  Synagoge  auf 
dem  Garizim  in  eine  christliche  Kirche  verwandelt  (JuynboU  p.  159).  Vgl. 
überhaupt  Eckhel,  Doctrina  Numorum  III,  434. 

56)  Ev.  Lue.  9,  52—53;  Joseph.  Antt.  XVIII,  2,  2.  XX,  6, 1;  BeU.Jud.  II,  12, 3; 
Bosch  haschana  II,  2.  —  Die  Galiläer,  welche  bei  den  Festreisen  nach  Je- 
rusalem ihren  Weg  durch  Samarien  nahmen,  waren  leicht  den  Angriffen  der 
Samaritaner  ausgesetzt  (Ev.  Luc.  9,  52—53;  Jos.  Antt.  XX,  6, 1;  B.  J.  II,  12,  3). 
Es  kam  daher  wohl  auch  vor,  daß  man  den  Umweg  durch  Peraa  wählte.  Doch 
war  letzteres  nicht  die  Regel,  wie  Steck  annimmt  (Jahrbb.  f.  prot.  Theol.  1880, 
S.  706—716).   S.  dagegen  Ana.  XX,  6, 1. 

57)  Eine  Sammlung  rabbinischer  Bestimmungen  gibt  der  Traktat  BTYD, 
in  den  von  Baphael  Kirchheim  herausgegebenen  sieben  kleinen  Traktaten 
(s.  oben  §  3).  Die  Stellen  der  Mischna  s.  oben  Anm.  49.  —  Vgl.  auch  Light- 
foot,  Oenturia  Matthaeo  praemissa  c.  56  {Opp.  XI,  212);  Wetstein,  Nov.  Test., 
zu  Matth.  10,  5.   Hamburger  a.  a.  O. 

58)  Vgl.  einerseits  Schekalim  1,5  (pflichtmäßige  Opfer  für  den  Tempel 
sind  nur  von  Israeliten,  nicht  von  Heiden,  auch  nicht  von  Samaritanern  anzu* 


[17.  18]  L  Mischung  der  Bevölkerung.  22 

keit  zur  „Gemeinde  Israels"  wird  daher  nicht  negiert,  sondern  nur 
als  zweifelhaft  bezeichnet59.  Ihre  Gesetzesbeobachtung,  z.B.  hin- 
sichtlich des  Zehnten  und  der  levitischen  Seinheitsgesetze,  ent- 
spricht allerdings  nicht  den  pharisäischen  Anforderungen,  weshalb 
sie  in  mancher  |  Beziehung  den  Heiden  gleichgestellt  werden60. 
Nirgends  aber  werden  sie  als  Götzendiener  (ot'59)  behandelt,  viel- 
mehr von  diesen  bestimmt  unterschieden 6  K  Ihre  Sabbathbeobachtung 
wird  gelegentlich  erwähnt02;  daß  sie  ein  richtiges  israelitisches 
Tischgebet  sprechen  können,  wird  wenigstens  als  möglich  voraus- 
gesetzt63. Im  Grunde  stehen  sie  also,  was  ihre  Gesetzesbeobach- 
tung anlangt,  mit  den  Sadduzäern  auf  gleicher  Stufe64. 

Die  Sprache  der  jüdischen  Bevölkerung  in  allen  hier  ge- 
nannten Gebieten  war  seit  den  letzten  Jahrhunderten  vor  Chr. 
nicht  mehr  die  hebräische,  sondern  die  aramäische65.    Wie  und 


nehmen);  andererseits  Berachoth  VII,  1  (wenn  drei  Israeliten  zusammen 
gespeist  haben,  sind  sie  verpflichtet,  sich  förmlich  zum  Gebet  vorzubereiten; 
dasselbe  gilt  auch,  wenn  einer  von  den  dreien  ein  Samaritaner  ist);  Kethuboth 
III,  1  (der  Anspruch  auf  Geldentschädigung  wegen  Beiwohnung  einer  israeli- 
tischen Jungfrau  gilt  auch  in  betreff  einer  Samaritanerin). 
50)  KidduscMn  IV,  3. 

60)  Vgl.  überhaupt:  Demai  VII,  4.     Tohorotk  V,  8.    Nidda  IV,  1-2. 

vn,  3-5. 

61)  Berachoth  VII,  1.  Demai  m,  4.  V,  9.  VI,  1.  Terumoth  III,  9.  —  Die 
Behauptung,  daß  die  Samaritaner  das  Bild  einer  Taube  verehrten,  ist  eine 
erst  im  Talmud  (jer.  Aboda  sara  V,  foL  44 d;  bab.  Chuttin  6»,  s.  Levy,  Neu- 
hebr.  Wörterb.  *.  v.  "pi)  auftretende  Verleumdung,  von  der  die  Mischna  noch 
nichts  weiß.  Vielleicht  wurde  bei  den  heidnischen  (griechischen)  Einwohnern 
von  Sebaste  seit  der  Zeit  des  Herodes  die  Taube  heilig  gehalten.  Vgl.  Askalon 
und  die  Beziehungen  des  Herodes  zu  Askalon ;  auch  an  die  Taubenzucht  des 
Herodes  kann  erinnert  werden  (s.  oben  1,  394).  Jedenfalls  darf  nicht  den 
eigentlichen  Samaritanern  ein  Kultus  der  Taube  zugeschrieben  werden,  wozu 
noch  Freudenthal,  Alezander  Polyhistor  S.  134  Anm.,  geneigt  ist. 

62)  Nedarim  HI,  10. 

63)  Berachoth  VIII,  8. 

64)  Vgl.  Nidda  IV,  2:  „Die  Sadduzäerinnen,  wenn  sie  der  Sitte  ihrer  Väter 
folgen,  sind  den  8amaritanerinnen  gleich".  —  Epiphanius  sagt  von  den  Saddu- 
cäern  haer.  14:  tä  ndvta  Sh  taa  Saftageltaiq  (pvXatrovoiv. 

65)  Vgl.  Zun z,  Die  gottesdienstlichen  Vorträge  der  Juden  (1832)  S.  7  f.  — 
Herzfeld,  Gesch.  d.  Volkes  Jisrael  III,  44  ff.  58  ff.  —  Bohl,  Forschungen  nach 
einer  Volksbibel  zur  Zeit  Jesu  (1873)  8.4—28.  —  Delitzsch,  Über  die  palä- 
stinische Volkssprache,  welche  Jesus  und  seine  Jünger  geredet  haben  („Saat 
auf  Hoffiiung"  1874,  S.  195—210).  —  Beuß,  Gesch.  der  heil.  Schriften  Neuen 
Testaments,  §  40.  —  Ders.,  Gesch.  der  heil.  Schriften  Alten  Testaments, 
§  416-417.  —  Eautzseh,  Grammatik  des  Biblisch-Aramäischen  (1884)  8.4—12. 
— •  Neubauer }  On  the  dialeets  spoken  in  Palestme  in  the  time  of  Christ  (Stu- 
dia  biblica,  Oxford  1885,  p.  39—74).  —  Dilloo^  De  moedertaal  van  onxen  heere 
Jesus  Christus  en  ran  vijne  apostelen,  Amsterdam  1885.  —  Dalman,  Gram. 


24  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [18.  19] 

wann  dieser  Wechsel  sich  vollzogen  hat,  läßt  sich  nicht  mehr  ge- 
nauer verfolgen.  Jedenfalls  waren  es  nicht  die  aas  Babel  zurück- 
gekehrten Exulanten,  welche  das  Aramäische  von  dort  mitgebracht 
Denn  auch  die  nachexilische  Literatur  Israels  ist  zunächst  noch 
hebräisch.  Auch  ist  der  aramäische  Dialekt  Palästinas  nicht  der 
ostaramäische  (babylonische),  sondern  der  westaramäische.  Das 
Aramäische  muß  |  also  allmählich  vom  Norden  her  nach  Palästina 
vorgedrungen  sein.  Dieses  Vordringen  wurde  befördert  einerseits 
durch  die  politische  und  numerische  Schwächung  der  hebräisch 
redenden  Bevölkerung,  andererseits  durch  den  Umstand,  daß  das 
Aramäische  bis  zum  Beginn  der  griechischen  Zeit  die  Reichssprache 
war66.   Die  Zeit  des  Übergangs  bezeichnen  etwa  die  kanonischen 


matik  des  jüdisch -palästinischen  Aramäisch,  1894,  S.  344—348.  —  Arnold 
Meyer,  Jesu  Muttersprache,  1896.  —  Zahn,  Einl.  in  das  N.  T.  I,  1897, 
S.  1—24.  —  Dalman,  Die  Worte  Jesu  I,  1898,  S.  1—10.  —  Martin  Schultze, 
Grammatik  der  aramäischen  Muttersprache  Jesu,  1899. 

66)  Auf  letzteren  Umstand  macht  Stade  aufmerksam:  Gesch.  des  Volkes 
Israel  II,  196  f.  Über  den  Gebrauch  des  Aramäischen  als  der  Kanzleisprache 
der  persischen  Behörden  s.  Ed.  Meyer,  Die  Entstehung  des  Judentums  (1896) 
S.  9—12.  Aramäische  Inschriften  und  Texte  aus  der  Zeit  der  persischen 
Herrschaft  haben  sich  in  Kleinasien  wie  in  Ägypten  gefunden  (Kleinasien: 
Corp.  Insor.  Sem.  P.  II  Aram.  n.  108—110,  Ägypten :  n.  122—155).  Wegen  der 
sicheren  Datierung  sind  wichtig:  eine  in  Sakkara  bei  Memphis  gefundene 
Stele  aus  dem  4.  Jahre  des  Xerxes  =  482  v.  Chr.  {Corp.  Insor.  Sem.  P.  II  Aram. 
n.  122),  eine  in  Syene,  an  der  Grenze  von  Oberägypten  und  Äthiopien,  ge- 
fundene Inschrift  aus  dem  7.  Jahre  des  Artaxerxes  ■=  458  v.  Ohr.  (De  Vogüe\ 
Oomptes  rendus  de  tAcad.  des  Insor.  et  Belles-Lettres  1903,  p.  269—276  «*  Lidz- 
barski,  Ephemeris  für  semitische  Epigraphik  II,  2,  1906,  S.  221  f.)  und  ein 
Papyrus  aus  dem  14.  Jahre  des  Darios  ■=-  411/410  v.  Ohr.  (Eutin g,  Notice 
sur  un  Papyrus  igypto-arameen  etc.  in:  Memoires  prSsenUs  par  div.  savanis  ä 
VAoad.  des  Insor.  et  Belles-Lettres  XI,  2,  1903;  dazu  Clermont-Qanneau, 
Recueil  dfArck&ol.  Orientale  VI,  1905,  p.  221—246;  Repertoire  d'Spigraphie  semi- 
tiqae  t.  I  n.  361.  498.  Lidzbarski,  Ephemeris  II,  2,  S.  210—217).  Dazu 
kommen  zehn  vortrefflich  erhaltene  und  datierte  aramäische  Papyrusurkunden 
aus  der  Zeit  des  Xerxes,  Artazerxes  und  Darius,  welche  in  Syene  gefunden 
worden  sind  (Aramaie  Papyri  diseovered  at  Assuan,  ed.  by  Sayee  and  Ootoley, 
1906).  Obwohl  es  sich  hier  um  die  Besitzverhältnisse  von  jüdischen  Familien 
handelt,  welche  vielleicht  aramäisch  sprachen,  sind  die  Texte  als  öffentlich 
giltige  Rechteurkunden  doch  auch  ein  Beweis  für  den  amtlichen  Gebrauch 
des  Aramäischen.  Die  streitenden  Parteien  sind  nicht  lediglich  Juden.  Die 
Namen  der  Schreiber  sind  teils  jüdisch  (A,  B,  E,  G,  H,  J),  teils  babylonisch 
(O,  D,  F,  K).  —  Eine  erschöpfende  Bibliographie  über  alle  bis  1906  in  Ägypten 
gefundenen  aramäischen  Texte  (Papyrus,  Steininschriften  und  Ostraka)  gibt 
Seymour  de  Ricci  in:  Aramaie  Papyri  diso,  at  Assuan  ed.  by  Sayce  and 
Oowley  p.  25—34.  —  Noch  sei  bemerkt,  daß  die  Perser  auch  an  die  Griechen 
in  „syrischer"  d.  h.  aramäischer  »Sprache  schrieben  (Thueyd.  IV,  60;  Diodor. 
XIX,  23). 


[19.  20]  T.  Landessprache.  25 

Bücher  Esra  and  Daniel  (ersteres  im  3.  Jahrb.,  letzteres  um 
167—165  vor  Chr.  geschrieben),  welche  teils  hebräisch,  teils  ara- 
mäisch geschrieben  sind  (aramäisch:  Esra  4,  8—6,  18;  7,  12—26; 
Daniel  2,  4—7,  28).  Aber  schon  die  Septuaginta  geben  nofi 
durchweg  in  der  aramäischen  Form  xac%a  wieder  und  "Dttf  durch 
ahc€Qa,  auch  n*  zweimal  durch  fK&Qaq  (Exod.  12,  19;  Jesaja  14,  1). 
Man  darf  daraus  schließen,  daß  schon  im  dritten  Jahrhundert  das 
Aramäische  vorherrschend  war.  Das  Buch  Henoch,  dessen  älteste 
Stficke  noch  dem  zweiten  Jahrhundert  vor  Chr.  angehören,  ist 
aramäisch  geschrieben;  denn  daß  dieses,  nicht  das  Hebräische,  die 
Grundsprache  war,  ist  seit  Entdeckung  des  großen  griechischen 
Fragmentes,  in  welchem  sich  aramäische  Worte  erhalten  haben, 
nicht  mehr  zweifelhaft  (s.  unten  §  32).  Ein  Ausspruch  Jose  ben 
Joßsers,  um  die  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts  vor  Chr.,  wird  in 
der  Mischna  aramäisch  zitiert67;  desgleichen  einige  Ausspräche 
Hillels  und  anderer  Autoritäten68.  Daß  zur  Zeit  Christi  das  Ara- 
mäische die  alleinige  Volkssprache  in  Palästina  war,  erhellt  aus 
den  im  Neuen  Testamente  erwähnten  Worten:  dßßä  (Marc.  14,  36), 
dxeldafidx  (Act.  1,  19),  yaßßa&ä  (Joh.  19,  13),  joXyo&a  (Mt.  27,  33), 
igxpa&ä  (Marc.  7,  34),  xoQßaväg  (ML  27,  6;  Jos.  B.  J.  II,  9,  4),  fia/ucoräg 
(Mt.  6,  24),  (iaQav  a&a  (I  Cor.  16,  22),  Micolaq  =  KH^tÖti  (Joh.  1,  41), 
xaC%a  (Mt.  26,  17),  $axa  (Mt.  5,  22),  oararäg  (Mt  16,  23),  xal&a  xovp 
(Marc.  5,  41),  wozu  noch  Eigennamen  kommen  wie  Krj^äg,  MaQ&a, 
Taßi&a**y  und  die  zahlreichen  mit  13  zusammengesetzten  Namen 
(Barabbas,  Bartholomäus,  Barjesus,  Barjonas,  Barnabas,  Barsabas, 
Bartimaios).  Auch  die  Worte  Christi  am  Kreuz:  *EXwt  kXcot  Xdfiä 
caßax&avel  (Marc.  15,  34)  sind  aramäisch.  Bemerkenswert  ist  end- 
lich, daß  auch  die  von  Josephus  angegebenen  einheimischen  Be- 
zeichnungen für  Priester  und  Hohepriester,  für  Sabbath,  Passa  und 
Pfingsten  aramäisch  sind70.  Dem  |  gewöhnlichen  Volke  war  das 
Sebräische   so  wenig  geläufig,   daß  bei  den  Gottesdiensten  die 


67)  Edujoth  Vm,  4. 

68)  Hillel:  Aboth  I,  13.  II,  6.  Andere:  Aboth  V,  22.  23. 

69)  Die  Akzentuation  in  unseren  Ausgaben  ist  sehr  inkonsequent.  Konse- 
quenterweise müßte  man  auch  akzentuieren:  $axü,  xaXi&ü,  Taßi&ä. 

70)  Joseph.  Antt.  III,  7,  1:  toTq  Upetoi  ...  o$q  ^crrara/a?  xaXotiot  .  .  . 
x<p  äQZieQBl,  9v  avaQaßdxyr  noooayooevovoi.  So  hat  die  relativ  beste  Über- 
lieferung. Aber  ersteres  ist  Korruption  für  Kahanaia,  letzteres  für  Kahna 
rabba  (Wellhansen,  Israelitische  und  jüdische  Geschichte  8.161).  —  adß- 
ßata  Jos.  Antt.  I,  1,  1.  III,  6,  6;  10,  1.  —  ndoy.a  Antt.  II,  14,  6.  III,  10,  5. 
X,  4,  5.  XI,  4,  8.  XIV,  2,  1.  XVm,  2,  2;  4,  3.  XX,  5,  3.  Bell.  Jud.  II,  1,  3. 
VI,  9, 3;  auch  <pdaxa  (nach  richtiger  LA)  Antt.  IX,  13,  3.  XVII,  9,  3.  —  Aoatfa 
(bebr.  rYW)  Antt.  HI,  10,  6.  —  Vgl.  auch  Arnold  Meyer  a.  a.  O.  8.  39—41. 


26  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [20] 

biblischen  Lektionen  Vers  für  Vers  in  die  Landessprache  übersetzt 
werden  mußten71.  Trotz  dieses  vollständigen  Durchdringens  des 
Aramäischen  blieb  aber  doch  das  Hebräische  noch  als  „die  heilige 
Sprache*4  («npn  fWb)  im  Gebrauch.  In  ihr  wurde  in  den  Syna- 
gogen Palästinas  nach  wie  vor  die  heilige  Schrift  verlesen;  und 
für  gewisse  liturgische  Fälle  war  der  Gebrauch  des  Hebräischen 
unbedingt  gefordert72.  Auch  blieb  das  Hebräische  noch  die  Sprache 
der  Gelehrten,  in  welcher  selbst  die  juristischen  Diskussionen  der 
Schriftgelehrten  geführt  wurden.  Erst  etwa  vom  dritten  Jahr- 
hundert nach  Chr.  an  dringt  auch  in  letztere  das  Aramäische  ein: 
während  noch  die  Mischna  (2.  Jahrh.)  hebräisch  ist,  findet  sich  im 
palästinischen  Talmud  (4.  Jahrh.)  neben  dem  Hebräischen  viel 
Aramäisches.  Dieser  ist  darum  eine  reiche  Quelle  für  die  Kenntnis 
dieser  palästinensischen  Landessprache73.  —  Über  dialektische 
Verschiedenheiten  in  der  Aussprache  zwischen  Judäa  und  Galiläa 
geben  uns  die  Evangelien  und  der  Talmud  einige  Andeutungen 74. 


7i)  Megüla  IV,  4.  6.  10.  Vgl.  unten  §  27. 

72)  Jebamoth  XII,  6.  Sota  VII,  2—4.  VHI,  1.  IX,  1.  Megüla  I,  8.  — 
S.  bes.  Sota  VII,  2:  „Folgende  Stücke  werden  nur  in  der  heiligen  Sprache 
vorgetragen:  der  Schriftabschnitt  beim  Darbringen  der  Erstlinge,  die  Formel 
bei  der  Chaliza,  die  Segen  und  Flüche,  der  Priestersegen,  die  Segenssprüche 
des  Hohenpriesters,  die  Lesestücke  des  Königs  (am  Laubhüttenfest  im  Sabbath- 
jahre),  die  Formel  bei  einem  (wegen  eines  ermordet  Gefundenen)  zu  tötenden 
Kalbe,  und  die  Rede  des  Kriegsgesalbten,  der  das  Kriegsvolk  anredet".  — 
In  jeder  Sprache  dürfen  dagegen  vorgetragen  werden  z.  B.  das  Schma,  das 
Schmone-Esre  (s.  über  diese  §  27,  Anhang),  das  Tischgebet  u.  s.  w.  {Sota 
VII,  1).  —  Dies  alles  gilt  in  Bezug  auf  den  mündlichen  Vortrag.  Im 
schriftlichen  Gebrauch  war  das  Hebräische  für  den  Text  der  Tephülin  und 
Mesusoth  gefordert,  sonst  aber,  auch  für  heilige  Schriften,  jede  Sprache  ge- 
stattet, nach  Babban  Gamaliel  freilich  für  letztere  nur  noch  das  Griechische 
(Megüla  I,  8).  —  Das  Formular  des  Scheidebriefes  war,  wenigstens  nach  R.  Juda, 
gewöhnlich  aramäisch  (Gütin  IX,  3),  konnte  aber  auch  griechisch  sein  (Qütin 
IX,  8). 

73)  Vgl.  Dal  man,  Grammatik  des  jüdisch-palästinischen  Aramäisch.  Nach 
den  Idiomen  des  palästinischen  Talmud  und  Midrasch,  des  Onkelostargum 
(Cod.  Socini  84)  und  der  jerusalemischen  Targnme  zum  Pentateuch.  1894. 

74)  Matth.  28,  73  und  dazu  die  Ausleger.  —  Buxtorf,  Lex.  8.  v.  b^ba  col. 
3^  sqq.  —  Light  foot,  Centuria  chorograph.  Maühaeo  praemissa  e.  87  (Opp.JI, 
232  sq.)  —  Morinus,  Exercüationes  biblicae  (1669)  II,  18,  2  p.  514  *^.  — 
Aug.  Pfeiffer,  Decas  selecta  exercüationum  saerarum  p.  206—216  (im  Anhang 
zu  dessen  Dubia  vexata  script.  eacrae,  Lips.  et  Francof.  1685.)  —  Wet stein, 
Nov.  Test,  zu  Matth.  26,  73.   —  Neubauer,  Geographie  du  Talmud  p.  184  sq. 

—  Dal  man,  Grammatik  S.  43.  —  Arnold  Meyer,  Jesu  Muttersprache  S.  59. 

—  Dalman,  Die  Worte  Jesu  I,  1898,  S.  63  ff.  —  Noch  mehr  altere  Literatur 
bei  Wolf,  Curae  phü.  in  Nov.  Test,  zu  Matth.  26,  73. 


[21.  22]      II,  1.  Der  Hellenismus  in  den  nicht-jüdischen  Gebieten.  27 

II.  Verbreitung  der  hellenistischen  Kultur. 

1.  Der  Hellenismus  in  den  nicht-jüdischen  Gebieten. 

Das  eben  beschriebene  jüdische  Gebiet  war,  wie  im  Altertum 
so  auch  in  der  griechisch-römischen  Zeit,  auf  allen  Seiten  von 
heidnischen  Gebieten  umgeben.  Nur  bei  Jamnia  und  Jope  hatte 
sich  das  jüdische  Element  bis  an  das  Meer  vorgeschoben.  Sonst 
bildete  auch  im  Westen  nicht  das  Meer,  sondern  das  heidnische 
Gebiet  der  philistäischen  und  phönizischen  Städte  die  Grenze  des 
jüdischen.  In  diesen  heidnischen  Ländern  war  nun  aber  der 
Hellenismus  in  viel  stärkerer  Weise  durchgedrungen,  als  im 
jüdischen  Lande.  Keine  Reaktion,  ähnlich  der  makkabäischen 
Erhebung,  hatte  ihm  hier  Halt  geboten:  der  heidnische  Polytheis- 
mus eignete  sich  ja  in  ganz  anderer  Weise  als  das  Judentum  zu 
einer  Verschmelzung  mit  dem  Hellenentnm.  Während  darum  im 
Innern  Palästinas  der  Hellenismus  durch  die  religiösen  Schranken 
des  Judentums  am  weiteren  Vordringen  gehindert  wurde,  konnte 
er  hier  wie  überall,  wo  er  seit  Alexander  d.  Gr.  erobernd  auftrat, 
sein  natürliches  Übergewicht  über  die  orientalische  Kultur  sieg- 
reich zur  Geltung  bringen.  So  war  schon  lange  vor  Beginn  der 
römischen  Zeit  namentlich  in  den  großen  Städten  im  Westen  und 
im  Osten  Palästinas  die  gebildete  Welt  im  großen  und  ganzen 
hellenisiert.  Nur  für  die  niederen  Schichten  des  Volkes  und  für 
die  Landbevölkerung  ist  dies  nicht  in  derselben  Weise  voraus- 
zusetzen. Außer  den  Grenzgebieten  waren  aber  auch  die  nicht- 
jüdischen Bezirke  im  Innern  Palästinas  vom  Hellenismus  okkupiert 
worden:  so  namentlich  Skythopolis  und  die  Stadt  Samaria,  die 
schon  durch  Alexander  d.  Gr.  mazedonische  Kolonisten  erhalten 
hatte,  während  die  nationalen  Samaritaner  in  Sichern  ihren  Mittel- 
punkt fanden. 

Das  siegreiche  Durchdringen  der  hellenistischen  Kultur  läßt 
sich  noch  am  deutlichsten  und  umfassendsten  nachweisen  an  den 
religiösen  Kulten.  Zwar  haben  sich  die  einheimischen  Kulte, 
namentlich  in  den  philistäischen  und  phönizischen  Städten,  vielfach 
ihrem  Wesen  nach  erhalten;  aber  doch  nur  so,  daß  sie  umgebildet 
und  mit  griechischen  Elementen  verschmolzen  wurden.  Und  da- 
neben |  haben  auch  die  rein  griechischen  Kulte  starken  Eingang 
gefunden  und  an  manchen  Orten  jene  gänzlich  verdrängt  Leider 
gestatten  uns  die  Quellen  nicht,  in  der  Darstellung  die  eigentlich 
griechische  Zeit  von  der  römischen  zu  trennen:  das  meiste  Material 
bieten  die  Münzen,  und  diese  gehören  vorwiegend  erst  der  römischen 
Zeit  an.   In  der  Hauptsache  wird  aber  das  Bild,  das  wir  aus  ihnen 


28  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [22] 

gewinnen,  auch  schon  für  die  vorrömische  Periode  Geltang  haben; 
überdies  fehlt  es  auch  für  diese  nicht  an  direkten  Notizen. 

Auf  den  Münzen  von  Baphia  aus  der  Kaiserzeit  erscheinen 
besonders  Apollo  und  Artemis  in  rein  griechischer  Auffassung1;  auf 
denjenigen  von  Anthedon  dagegen  die  Schutzgöttin  der  Stadt  in 
der  Auffassung  als  Astarte2. 

Über  die  Kulte  von  Gaza  in  der  römischen  Kaiserzeit  gibt 
am  vollständigsten  Aufschluß  die  Lebensbeschreibung  des  Bischofs 
Porphyrius  von  Gaza  von  Marcus  Diaconus.  Hiernach  gab  es  zur 
Zeit  des  Porphyrius  (Ende  des  vierten  Jahrh.  nach  Chr.)  in  Gaza 
acht  öijfioöioi  vaolj  einen  des  Helios,  der  Aphrodite,  des  Apollo,  der 
Persephone  {Köre),  der  Hecate,  ein  Heroon,  einen  Tempel  der  Tyche 
und  einen  des  Mamas z.  Man  sieht  schon  hieraus,  daß  die  rein 
griechischen  Kulte  die  vorherrschenden  sind;  und  dies  wird  im 
allgemeinen  auch  durch  die  Münzen  bestätigt,  auf  welchen  auch 
noch  andere  griechische  Gottheiten  vorkommen 4.  Ein  Tempel  des 
Apollo  in  Gaza  wird  schon  bei  der  Zerstörung  der  Stadt  durch 
Alexander  Jannäus  erwähnt  (Antt  XIII,  13,  3).  Nur  die  Haupt- 
gottheit der  Stadt  in  der  römischen  Zeit,  der  Mamas,  war,  wie  sein 
Name  (TD  =  Herr)  beweist,  eine  semitische  Gottheit,  die  aber  auch 
mehr  oder  weniger  in  griechisches  Gewand  gekleidet  worden  war 5. 


1)  Mionnet,  Descripiion  de  midailles  antiques  V,  551  sq.  Supplement  VIII, 
376  sq.  —  De  Saulcy,  Numismatique  de  la  Terre  Sainte  (1874)  p.  237—240, 
pl  XII  n.  7—9.  —  Stark,  Gaza  S.  584. 

2)  Mionnet  V,  522 sq.  Suppl.  VDI,  364.  —  De  Saulcy  p.  234—236, 
pl  Xu  n.  2—4.  —  Stark  S.  594. 

3)  Marci  Diaconi  Vita  Pbrphyrii  episeopi  Oaxensis  ed.  Haupt  (Abhand- 
lungen der  Berliner  Akademie  1874,  früher  nur  in  lat.  Übersetzung  bekannt; 
neuere  Ausg.:  Marci  Diaconi  vita  Porphyrii  episeopi  Oaxensis  edd.  societatis 
philologae  Bonnensis  sodales,  Lips.  Teubner  1895)  c.  64:  foav  Sh  iv  xy  nötei 
vaol  eldwXwv  ÖTj/tdotoi  bxxw,  xov  xe  *HXtov  xal  xfjq  'A<pQodlxrje  xal  xoü 
'AndXXavoq  xal  xrjq  Köqtjs  xal  xrjq  ^Exdxrjg  xal  xb  Xsydßsvov  xHq5>ov 
xal  xb  xrje  TvxVQ  XW  ndXswg,  fi  ixdkow  Tvzalov,  xal  xb  MaoveZovy  8 
iXeyov  elvai  xov  KQrjxayevovg  diöq,  b  £v6fjuZ,ov  elvai  iv6o§6xeQOv  ndvxwv  xCov 
UoCbv  x(bv  anavxaxov.  —  Das  Marneion  wird  hier  auch  sonst  oft  erwähnt. 

4)  Eckhel,  Doctr.  Num.IU,  448  sqq.  Mionnet  V,  535— 549.  %/.Vffl, 
371—375.   De  Saulcy  p.  209—233,  pl.  XL  —  Stark,  Gaza  S.  583—589. 

5)  Vgl.  über  Mamas  außer  den  Stellen  bei  Marcus  Diaconus  auch: 
Steph.  Byx.  s.  v.  rd£a*  kv&ev  xal  xb  xof>  Kgtftalov  dtbq  nag*  avxotg  elvai, 
dv  xal  xa&  tifiäg  ixdXow  Maoväv,  iQixrn*ev6fxevov  Kgfjxayev^.  Lamprid.  Ale- 
xander Sererus  c.  17  (in  den  Scriptores  Historiae  Augustae).  Epiphan.  Ancoratus 
e.  106  fin.  (ed.  Dindorf  I,  209).  Hieronymus,  epist.  107  ad  Laetam  e.  2  (opp.  ed. 
VaUarsi  I,  679:  jam  Aegyptius  Serapis  f actus  est  Christianus,  Mamas  Oaxae 
luget  inclusus  et  eversionem  templi  jugiter  pertimescit),  id.  Vita  Hitarioms  c.  14 
xl  20  {VaUarsi  II,  19.  22.  23),  id.  Oomment.  in  Jesajam  e.  17  (VaUarsi  IV,  279: 


[23]  II,  1.  Der  Hellenismus  in  den  nicht-jüdischen  Gebieten.  29 

Eine  Mischung  einheimischer  und  griechischer  Kulte  hat  auch 
Askalon  aufzuweisen.  Ein  Hauptkultus  war  hier  derjenige  der 
yAg>Qoölrrj  ovQavlrj,  d.  h.  der  Astarte  als  Himmelskönigin.  Sie  wird 
schon  von  Herodot  als  Gottheit  von  Askalon  erwähnt  und  ist  noch 
auf  den  Münzen  der  Kaiserzeit  häufig  als  Schutzgöttin  der  Stadt 
dargestellt6.   Mit  ihr  ist  verwandt,  ja  von  Hause  aus  wahrschein- 


Serapium  Alexandriae  et  Marnae  templum  Oaxae  in  eeclesias  Domini  surrexe- 
runt).  Marinas,  Vita  Proeli  c.  19  (vgl.  unten  Anm.  11).  —  Eckhel,  Doctr.  Num. 
HI,  450 sq.  Stark,  Gaza  S.  576—580.  Die  oben  erwähnte  Teubnersche  Aus- 
gabe des  Marcus  Diaeonus  (1895),  Index  s.  v.  Mdovag  (stellt  alles  Quellen- 
Material  zusammen).  Drexler,  Art.  „Marnas"  in  Boschers  Lexikon  der  griech. 
und  röm.  Mythologie  II,  1897,  col.  2377  ff.  Jewish  Quarterly  Beview  XIII,  1901, 
p.  593*?.  (Abdr.  aus  Lenorrnant,  Lettres  assyriol,  Prem.  S6rie  II,  165  sq.).  — 
Das  älteste  ausdrückliche  Zeugnis  für  den  Kultus  des  Marnas  sind  Münzen 
Hadrians  mit  der  Aufschrift  Maova,  s.  Mionnet  V,  539;  De  Sauloy  p.  216 — 218, 
pl.  XI  n.  4.  —  Sein  Kultus  findet  sich  auch  ausserhalb  Gazas.  Vgl.  die  In- 
schrift von  Kanata  bei  Le  Bas  et  Waddington,  Inscriptions  T.  HI  n.  2412s 
(Wetzstein  n.  183):  Alt  Maovq  ta>  xvgico.  —  Mit  dem  Kultus  des  Marnas  als 
Zevg  Kofirayevfc  hängt  auch  die  spät-griech.  Legende  zusammen,  daß  Gaza 
auch  Mlvya,  nach  Minos,  genannt  worden  sei  (Steph.  Byx.  s.  v.  rd^a  u.  s.  v. 
Mlvwa).   Vgl.  Stark,  Gaza  S.  530f. 

6)  Herodot.  1, 106;  Pausan.  1, 14,  7.  Die  Münzen  bei  Mionnet  V,  523—533. 
Suppl  VIII,  365—370;  De  Sauley,  p.  178—208,  pl  IX  u.  X.  Vgl.  Stark 
S.  258 f.  590 f.  —  Über  die  semitische  Astarte  überhaupt  s.  Baethgen,  Bei- 
träge zur  semitischen  Religionsgeschichte  (1888)  S.  31 — 37;  Cumont  inPauly- 
Wissowas  Real-Enz.  II,  1777 f.:  Baudissinin  Herzog- Hauck,  Real-Enz.,  3. Aufl. 
II,  147—161;  Driver  in  Hostings'  Dietionary  of  the  Bible  I,  1898,  p.  167—171; 
Lagrange,  Les  diesses  Aehera  et  AstartS  [Bevue  biblique  1901,  p.  546 — 566); 
Ders.,  Müdes  sur  les  rdigions  semitiques  2.  ed.  1905  p.  119 — 140;  Torge, 
Aschera  und  Astarte,  Greife wald,  Diss.  1902;  Skipwith,  Ashtoreth  the goddess 
of  the  Zidonians  {Jewish  Quarterly  Beview  XVIII,  1906,  p.  715—738).  —  Die 
Identität  der  Aphrodite  Urania  mit  der  semitischen  Astarte  ist  in  unserem 
Falle  zweifellos.  Wahrscheinlich  ist  die  griechische  Aphrodite  überhaupt  semi- 
tischen Ursprungs  und  mit  Astarte  identisch.  Zwar  ist  diese  Ansicht,  nachdem 
sie  fast  zu  allgemeiner  Anerkennung  gelangt  war,  neuerdings  wieder  bestritten 
worden  von  Tiele  (Theol.  Tijdschrift  1880,  p.  559  sqq.),  Enmann  (Kypros  und 
der  Ursprung  des  Aphroditekultus,  in  den  MSmoires  de  VAead.  imperiale  des 
seienees  de  St.  P&ersbourg  VTIe  Serü,  t  XXXIV,  Nr.  13, 1886)  und  L.  v.  Schrö- 
der (Griechische  Götter  und  Heroen,  1.  Heft:  Aphrodite,  Eros  und  Hephaestos, 
1887).  Aber  die  Gründe  für  die  ältere  Ansicht  dürften  doch  überwiegend 
sein.  Vielleicht  sind  sogar  die  Namen  identisch.  Aus  Ashtoreth  kann  Aphtoreth 
und  daraus  Aphroteth  geworden  sein,  wieHommel  vermutet  (Jahrbb.  f.  klass. 
Philologie  1882,  S.  176).  —  Über  Aphrodite  im  allgemeinen  vgl.  auch:  Rö- 
scher in  s.  Lexikon  der  griech.  u.  röm.  Mythologie  I,  390 — 406;  Ohnefalsch- 
Richter,  Kypros  (1893)  Textband  8.  269—313;  Tümpel  in  Pauly-Wissowas 
Real-Enz.  I,  2729 ff.  (über  Oboavta  2774);  Preller,  Griechische  Mythologie 
I.  Bd.,  4.  Aufl.,  bearb.  von  Robert  1894,  S.  345—385  (über  Oboavia  S.  356f. 
und  Register  S.  942);  Furtwängler,  Aphrodite  Pandemos  als   Lichtgöttin 


30  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [23.  24] 

lieh  identisch,  die  Atargatis  oder  Derketo,  die  in  Askalon  in  eigen- 
tümlicher Gestalt  (als  Frau  mit  einem  Fischschwanz)  verehrt  wurde. 
Ihr  semitischer  Name  (nn*nn*,  zusammengesetzt  aus  nro  =  Astarte 
und  nw)  deutet  schon  darauf  hin,  daß  sie  ursprünglich  „nichts  | 
anderes  als  die  syrische  Form  der  Astarte  in  der  Verschmelzung 
mit  einer  anderen  Gottheit"  ist  (Baudissin).  Bestätigt  wird  dies 
durch  eine  Inschrift  von  Delos,  wo  sie  mit  Aphrodite  identifiziert 
wird  (Hauvette-Besnault  p.  497  n.  15:  'Ayvjj  'Ag>Qoölxy  'AxctQyaxi). 
Aus  ihrer  Fischgestalt  aber  erhellt,  daß  in  ihr  speziell  die  be- 
fruchtende Kraft  des  Wassers  verehrt  wurde7.    Da  sie  eigentlich 


(Sitzungsber.  der  Münchener  Akad.,  philos.-philol.  und  hist.  KL,  Jahrg.  1899, 
II,  S.  590—607).  Belegstellen  über  Oloavla  auch  bei  Pap  e  -Ben  sei  er, 
Wörterb.  der  griech.  Eigennamen  s.  v.  Ovoavla;  Bruchmann,  Epitheta  deo- 
rum  quae  apud  poetas  Qraecos  leguntur,  1893,  p.  66. 

7)  Über  den  Kultus  der  Derketo  in  Askalon  s.  bes.  Diodor.  II,  4:  Kaxä 
zfjv  Zvplav  xolvw  !<m  ndhg  'Aoxakav,  xal  xavxrfr  ohx  äno&ev  Xlfxvrj  fxeydXtj 
xal  ßa&elcc  nX^orjc  tx&vwv.  Ilagä  Sh  xavxm*  in&Qxzi  xifievoQ  teäq  imqxtvoftQ, 
fy  6vo(ia%ovaiv  o\  Svqoi  deQxexovv.  Avxrj  Sh  xb  fih>  noboomov  fyei  ywatxög, 
xb  Sy  aXXo  owfia  näv  lx&vo<;.  Über  die  Göttin  und  ihren  Kultus  Überhaupt: 
II  Makk.  12,  26;  Strabo  XVI,  p.  785;  Plinius,  Hist  Not.  V,  23,  81;  Lucian.  De 
Syria  dea  e.  14;  Ovid.  Met  am.  IV,  44—46.  Nach  der  euhemeristischen  Le- 
gende ist  Atergatis  in  Askalon  ertrankt  worden  (Mnaseas  bei  Müller,  Fragm. 
Hist  Qraec.  III,  155  fr.  32).  —  Der  semitische  Name  auf  einer  palmyrenischen 
Inschrift  [De  VogüS,  Syrie  Centrale,  Inscriptions  semitiques  1868,  p.  7)  und  auf 
Münzen  (über  diese  am  vollständigsten  Six  im  Numismatic  Chroniele  1878, 
p.  103  sqq.;  vgl.  auch  Babelon,  Catalogue  des  monnaies  grecques  de  la  Biblioth. 
nationale,  Les  Perses  Achiminides,  1893,  p.LI— LIV,  p.  45—46,  pl.VU,  n.  16—18). 
—  Mit  dem  Kultus  der  Derketo  hängt  auch  die  Heilighaltung  der  Tauben  in 
Askalon  zusammen,  worüber  zu  vgl.  Philo  ed.  Mang.  II,  646  (aus  Philos  Schrift 
de  Providentia  bei  Euseb.  Praep.  evang.  VIII,  14,  64  ed.  Oaisford;  nach  dem 
Armenischen  bei  Aueher,  Philonis  Judaei  sermones  tres  etc.,  p.  116);  Tibull.  I, 
7, 18:  alba  Palaestino  saneta  columba  Syro;  Lucian.  De  Syria  dea  e.  14.  — 
Aus  der  Literatur  ist  bes.  hervorzuheben  der  Artikel  von  Baudissin  in 
Herzogs  Beal-Enz.,  3.  Aufl.,  II,  171—177.  Vgl.  ferner  die  Abhandlung  über 
Derceio  the  Qoddess  of  Askalon  im  Journal  of  Sacred  Literature  and  Bibliml 
Record,  New  Sertes,  vol.  VII,  1865,  p.  1—20;  Ed.  Meyer,  Zeitschr.  der  DMG. 
1877,  S.  730 ff.;  Six,  Monnaies  d'Hierapolis  en  Syrie  (Numismatic  Chroniclet 
New  Series,  vol.  XVIII,  1878,  p.  103—131  und  pl.  VI);  Hauvette-Besnault, 
Fouiües  de  Duos:  Aphrodite  syrienne,  Adad  et  Atargatis  {Bulletin  de  correspon' 
dance  hellenique,  t  VI,  1882,  p.  470—503);  Mordtmann,  Mythologische  Mis- 
zellen  (Zeitschr.  der  DMG.  XXXIX,  1885,  S.  42 f.);  Baethgen,  Beiträge  zur 
semitischen  Religionsgeschichte  (1888),  S.  63—75.  90;  Pietschmann,  Ge- 
schichte der  Phönizier  (1889),  S.  148 f.;  Ohnefalsch-Richter,  Kypros  (1893), 
S.  295 ff.;  Cumont  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.,  II,  1896  (Art  Atargatis)  und 
IV,  2236 ff.  (Art.  Dea  Syria);  Lagrange,  Ittudes  sur  les  religions  sSmitiques, 
2.  ed.,  1905,  p.  130  sqq.;  Dussaud,  Revue  archiol.,  quatr.  Serie  t  IV,  1904, 
p.  226  sq.  (über  den  semit.  Namen)  und  p.  240—250  (über  bildliche  Darstellun- 


[24.  25]      II,  1.  Der  Hellenismus  in  den  nicht-jüdischen  Gebieten.  31 

eine  aramäische  Gottheit  ist,  ist  ihr  Kultus  in  Askalon  wohl  jünger 
als  der  der  echt-philist&ischen  Astarte8.  Nach  einer  in  Ägypten 
(Canobus)  gefundenen  Inschrift  aus  der  Zeit  des  Alexander  Severus, 
228  n.  Chr.,  ist  in  Askalon  auch  €HqoxH}q  BrjXog  als  ireoq  jtarQioq 
verehrt  worden9.  Eine  in  Askalon  gefundene  Statue  stellt  die 
Isis  mit  ihrem  Sohne  Horus  dar10.  Wie  die  bisherigen,  so  ist 
auch  der  'Aöxlrjxioq  Xeovvovxog  von  Askalon,  auf  welchen  der 
Neuplatoniker  Proclus  einen  Hymnus  dichtete,  als  eine  ursprünglich 
orientalische  Gottheit  zu  betrachten 1 K  Sonst  aber  erscheinen  auch 
auf  |  den  Münzen  von  Askalon  die  echt  griechischen  Gottheiten: 
Zeus,  Poseidon,  Apollo,  Helios,  Athene  u.  a.12.  Ein  Tempel  des  Apollo 
in  Askalon  wird  in  yorherodianischer  Zeit  erwähnt:  der  Großvater 
des  Herodes  soll  daselbst  Hierodule  gewesen  sein18. 

In  Azotus,  dem  alten  As dod,  war  in  vormakkabäischer  Zeit 
ein  Tempel  des  philistäischen  Dagon,  der  ehedem  auch  in  Gaza  und 
Askalon  verehrt  worden  war14.   Bei  der  Eroberung  Asdods  durch 


gen).  —  Die  von  Hauvette-Besnault  p.  495 — 500  mitgeteilten  Inschriften  geben 
Zeugnis  von  der  Blüte  des  Atargatis-Kultus  in  Delos.  Vgl.  sonst  inschriftlich 
auch  Corp.  Inser.  Qraec.  n.  7046;  Le  Bas  et  Waddington,  Inscriptions,  t.  III, 
n.  1890.  2588;  Quarterly  Statement  of  the  Pal  Expl.  Fund,  1895,  p.  141;  Inscrip- 
tiones  graeeae  msuhrum  maris  Aegaei,  fast.  III,  n.  178  u.  188  (letztere  —  Bul- 
letin de  eorresp.  heüenique,  III,  406  sqq.,  beide  in  Astypalaea).  —  Ob  die  Wid- 
mung (tey  yAoxaX(ov[rj]a[t]  in  Betoc&cä  im  Gebiet  von  Apamea  {Dussaud,  Revue 
archdoly  trois.  Serie,  t.  XXX,  1897,  p.  324)  auf  Atargatis  zu  beziehen  ist  (so 
Lagrange,  p.  131),  dürfte  fraglich  sein. 

8)  So  Baudissin,  Theol.  Litztg.  1897,  col.  292  (in  der  Anzeige  von 
Tiele,  Gesch.  der  Religion  im  Altertum  1,2). 

9)  Archiv  für  Papyrusforschung  Bd.  II,  1903,  S.  450  n.  87  (im  Corp.  Inser. 
Gr.  4966  nach  ganz  ungenügender  Kopie),  Inschrift  aus  Abukir  «=  Canobus, 
im  brit  Museum  in  London:  ein  Askalonite  stiftet  in  den  Tempel  des  Serapis 
eine  Statue  seines  heimischen  Gottes  Herakles  Bei:  Ad  *H[Xla>]  Meyd[X<p] 
Eaodnidi  iv  Ka[vwß(p)  B-edv  ndxQi[6v]  ftov  *H(>[ax]tej  BfjXov  dvetxrjxov  M.  A. 

Md(ifio[q . .]  'A[o]xaXa>velzr][<; ]  ei^dfievoq  &v£&T]x[a].  Vgl.  dazu :  Dussaud, 

Revue  arthSol.,  quatr.  Strie  t.  III,  1904,  p.  210. 

10)  Mitgeteilt  von  Savignac,  Revue  biblique  1905,  p.  426—429. 

11)  Marinus,  Vita  Prodi  c.  19:  ^  x&v  üfivav  afaoQ  ngayfiaxela . . .  xal 
MdoTov  ra^aTor  ipvovoa  xal  *AoxXfytiov  Aeovxovxov  'AoxaXwvlxrp  xal  ßeav- 
dohrjv  äXXov  'ApaßloiQ  noXvxlfjujxov  1te6v.   Vgl.  dazu  Stark,  Gaza  S.  591—593. 

12)  S.  die  Münzen  bei  Mionnet  und  de  Sauley  a.a.O.  Stark,  S.  589 f. 

13)  Euseb.  Bist.  eeel.  I,  6,  2;  7, 11. 

14)  Sichere  Zeugnisse  über  den  Charakter  des  Dagon  gibt  es  nicht.  Der 
Name  gestattet  ebenso  die  Ableitung  von  3ft  Fisch  wie  von  )yn  Getreide. 
Der  letzteren  Etymologie  folgt  Philo  Byblius,  indem  er  den  Dagon  für  den 
Gott  des  Ackerbaues  erklärt  (bei  Euseb.  Praep.  evang.  I,  10  p.  36  c:  Aaytov, 
8?  iort  Xttiov,  p.  37  d:  cO  6h  Aaywv,  ineidij  s$qe  oXxov  xal  iooxoov,  ixXförj 
Zexx;  yAo&tQioq).    Wahrscheinlicher  ist,  wie  auch  die  meisten  urteilen,   daß 


32  §  22.  Allgemeine  Kulturverhaltnisse.  [25] 

den  Makkabäer  Jonathan  wurde  dieser  Tempel  zerstört  und  über- 
haupt die  heidnischen  Kulte  daselbst  ausgerottet  (I  Makk.  10,  84; 
11, 4).  Über  die  Wiederherstellung  derselben  bei  der  Restauration 
durch  Gabinius  ist  nichts  Näheres  bekannt.  Jedenfalls  hatte  Azotus 
in  dieser  späteren  Zeit  auch  einen  starken  Bruchteil  jüdischer  Ein- 
wohner (s.  §  23, 1  Nr.  5). 

Zwischen  Azotus  und  Jope  ist  angeblich  eine  phönizische 
Inschrift  gefunden  worden,  welche,  wenn  sie  echt  ist,  von  der 
Ausübung  phönizischer  Kulte  in  dortiger  Gegend  Zeugnis  geben 
würde.  Die  Echtheit  ist  jedoch  nach  dem  Urteile  von  Fachmännern 
sehr  zweifelhaft15. 

In  den  Nachbarstädten  Jamnia  und  Jope  hatte  das  jüdische 
Element  seit  der  Makkabäerzeit  das  Übergewicht  gewonnen.  Doch 
ist  gerade  Jope  für  den  Hellenismus  von  Bedeutung  als  Schauplatz 
des  Mythus  von  Perseus  und  Andromeda:  hier  am  Felsen  von  Jope 
ward  Andromeda  dem  Meerungeheuer  ausgesetzt  und  von  Perseus 
befreit16.  Der  Mythus  hat  sich  auch  während  der  vorwiegend 
jüdischen  Periode  dort  lebendig  erhalten.    Im  Jahre  58  vor  Chr. 


der  in  den  philistaischen  Küstenstadten  verehrte  Gott  ein  Meeresgott  ist,  ent- 
sprechend dem  phönizischen  Meeresgott,  der  auf  den  Münzen  von  Aradus  als 
Mann  mit  Fischschwanz  abgebildet  ist  (über  diese  Münzen:  Babelon,  Oatalogue 
des  monnaies  grecques  de  la  Biblioth.  nationale,  Les  Perses  AohSmenides  etc., 
1893,  p.  123—125.  131  sq.,  pl.  XXII,  n.  1—9.  23—25;  Rouvier,  Journal  inter- 
national d'archeologie  numism.,  t.  III,  1900,  p.  135—137,  pl.  VI,  n.  18—24).  — 
Über  Dagon  überhaupt:  die  biblischen  Wörterbücher  (Winer,  Schenkel  n.  A.), 
ferner:  Menant,  Le  Mythe  de  Dagon  (Revue  de  Vhistoire  des  religions,  t.  XI, 
1885,  p.  295—301);  Pietschmann,  Geschichte  der  Phönizier  1889,  8.  144ff.; 
Jensen,  Die  Kosmologie  der  Babylonier,  1890,  S.  449—456;  Baudissin,  in 
Herzog-Hauck,  Real-Enz.,  3.  Aufl.,  IV,  424—427  (daselbst  noch  mehr  Literatur); 
Rouvier,  Baal-Arvad  ete.  (Journal  asiatique,  IXme  Sirie  t.  XVI,  1900,  p.  347 
—359);  Noordtxij,  De  FUistijnen,  1905  (vgl  Theol.  Litztg.  1906,  Nr.  1). 

15)  Die  Inschrift  ist  mitgeteilt  von  Lagrange,  Revue  biblique  I,  1892, 
p.  275—281;  Oonder,  Palestine  Exploration  Fund,  Quarterly  Statement  1892, 
p.  171 — 174.  Euting  und  Nöldeke  halten  sie  für  gefälscht  (briefliche  Mit- 
teilung). 

16)  Die  früheste  Erwähnung  Jopes  als  Ort  dieser  Begebenheit  findet  sich 
bei  Soylax  (4.  Jahrh.  vor  Chr.),  s.  Müller,  Qeogr.  gr.  minores  I,  79.  —  Vgl. 
überhaupt:  Stark,  S.  255 ff.  593 f.;  H.  Schmidt,  Jona,  eine  Untersuchung 
zur  vergleichenden  Religionsgeschichte,  1907,  S.  12—22.  —  Gewagte  Hypo- 
thesen über  die  Ur-Heimat  des  Mythus  s.  bei  Tümpel,  Die  Aithiopenlfinder 
des  Andromedamythos  (Jahrbb.  f.  klass.  Philol.,  16.  Supplementbd.  1888, 
S.  127—220)  [die  Aithiopenländer,  in  welchen  der  Mythus  ursprünglich  spielte, 
sollen  die  Insel  Rhodus  und  Umgegend  sein,  so  daß  der  Mythus  von  dort 
nach  Jope  gekommen  wäre].  Wahrscheinlich  ist  dagegen,  daß  zur  Lokali- 
sierung des  Mythus  der  Gleichklang  von  Aith-iopien  mit  Jope  Veranlassung 
gegeben  hat.    S.  auch  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  s.  v.  Andromeda. 


[25.  26]      II,  1.  Der  Hellenismus  in  den  nicht-jüdischen  Gebieten.  33 

wurde  |  in  jRom  bei  den  pomphaften  Spielen,  die  M.  Scanrns  als 
Ädil  gab,  auch  das  Skelett  des  Meernngeheuers  gezeigt,  das  Scanrns 
ans  Jope  nachvRom  hatte  bringen  lassen 17.  Dnrch  Strabo,  Mela, 
Plinins,  Josephns,  Pansanias,  ja  noch  dnrch  Hieronymns  ist  die 
Fortdauer  des  Mythus  in  dortiger  Gegend  bezeugt18.  Anch  die 
hellenistische  Sage,  nach  welcher  Jope  von  Kepheus,  dem  Vater 
der  Andromeda,  gegründet  sein  soll,  weist  darauf  hin19.  Plinius 
spricht  sogar  von  einem  Kultus  der  Keto  daselbst20,  Mela  von 
Altären  mit  den  Namen  des  Eepheus  und  seines  Bruders  Phineus, 
die  dort  existierten21.  Nachdem  im  vespasianischen  Krieg  Jope 
als  jüdische  Stadt  zerstört  war,  werden  ohnehin  die  heidnischen 
Kulte  dort  wieder  zur  Herrschaft  gelangt  sein22. 

In  Cäsarea,  das  erst  durch  Herodes  den  Großen  zu  einer 
ansehnlichen  Stadt  erhoben  wurde,  begegnet  uns  vor  allem  der  für 
die  römische  Zeit  charakteristische  Kultus  des  Augustus  und  der 
Roma.  Alle  Provinzen,  Städte  und  Fürsten  wetteiferten  damals 
miteinander  in  der  Pflege  dieses  Kultus,  der  von  Augustus  zwar 
in  Born  klugerweise  abgelehnt,  in  den  Provinzen  aber  gern  ge- 
sehen und  gefördert  wurde23.    Es  verstand  sich  von  selbst,  daß 


17)  Plinius,  Eist  Not.  IX,  5,11:  Beluae,  cui  dicebatnr  exposita  fuisse  An- 
dromeda, ossa  Romas  adportata  ex  oppido  Judaeae  Jope  ostendii  inter  reliqua 
miracula  in  aedüitaie  sua  M.  Scaurus  longitudine  pedutn  XL,  aäitudine  costarum 
Indicos  elephanios  excedente,  Spinae  crassiludine  sesquipedali.  —  Über  Scanrns 
vgL  die  Übersicht  über  die  römischen  Statthalter  von  Syrien  in  Bd.  I.  Über 
die  Zeit  seiner  Ädilitfit:  Pauly-Wissowas  Beal-Enz.  I,  588. 

18)  Sirabo  XVI  p.  759;  Mela  I,  11;  Plinius  V,  13,  69;  Joseph.  Bell.  Jud. 
in,  9,  3;  Pausanias  IV,  35,  6;  Hieronymus,  Oomment.  ad  Jon.  1,  3  (Opp.  ed. 
Vaüarsi  VI,  394);  Peregrinatio  Paulae  0.  8  (Vaüarsi  I,  696).  —  Die  meisten  er- 
wähnen, daß  man  am  Felsen  bei  Jope  die  Spnren  von  den  Fesseln  der  Andro- 
meda zeigte. 

19)  Steph.  Byx.  8.  v.  Itotj. 

20)  PUmue  V,  13,  69:  Oolitur  täte  fabulosa  Oeto.  —  Der  Name  öeto  ist 
nnr  Latinisierung  von  xfjxoq  (das  Meernngeheuer).  Vgl.  Stark,  8.  257.  Auch 
in  der  Bibel  heißt  der  Fisch  des  Jonas  xfjxoq  (Jon.  2, 1,  LXX;  Ev.  Matth.  12, 40). 

21)  Mela  1,  11:  tibi  Gephea  regnasse  eo  signo  aeeolae  adfirmant,  quod 
tituhtm  ejus  fratrisque  Phinei  veterts  quaedam  arae  cum  religione  plurima 
retinent. 

22)  Vgl.  Oberhaupt  die  Münzen  bei  Mionnet  V,  499;  De  Sauley,  p.  176  sq. 
pL  IX  n.  3-4. 

23)  Taoit.  Annal.  1, 10  wird  dem  Augustus  vorgeworfen,  nihil  deorum  ho- 
noribus  relictum,  cum  se  templis  et  effigie  numinum  per  flamines  et  sacerdotes 
coli  veUet.  —  Sueton.  Aug.  59:  provinciarum  pleraeque  super  templa  et  aras 
ludos  quoque  quinquennales  paene  oppidatim  constituerunt.  —  Nur  in 
Born  lehnte  Augustus  diesen  Kultus  ab  (Sueton.  Aug.  52:  in  urbe  quidem  per- 
tinacissime  abstinuit  hoc  honore).  Hier  wurde  ihm  erst  durch  Tiberius  ein 
Tempel  errichtet  (ladt.  Annal.  VI,  45;   Sueton.  Galig.  21).  —   Unter  den  er- 

8chürer,  Geschichte  II.  4.  Aufl.  3 


34  §  22/  Allgemeine  Kulturverhfiltniase.  [26.  27] 


auch  Herodes  hier  nicht  |  zurückbleiben  konnte.  Wenn  eine  all- 
gemeine Bemerkung  des  Josephns  wörtlich  zu  nehmen  ist,  so  hat 
er  „in  vielen  Städten"  Cäsareen  (KcuöaQsta,  d.  h.  Tempel  des  Cäsar) 
gegründet24.  Speziell  werden  solche  erwähnt  in  Samaria,  Panias 
(s.  unten)  und  in  unserem  Cäsarea.  Der  hier  erbaute  großartige 
Tempel  lag  auf  einem  Hügel  gegenüber  dem  Eingang  des  Hafens. 
In  seinem  Innern  standen  zwei  große  Bildsäulen,  eine  des  Augustus 
nach  dem  Vorbilde  des  olympischen  Zeus,  und  eine  der  Roma  nach 
dem  Vorbilde  der  Hera  von  Argos,  denn  Augustus  gestattete. seinen 
Kultus  nur  in  Verbindung  mit  demjenigen  der  Roma25.  —  Was 


haltenen  Augustustempeln  ist  der  berühmteste  der  zu  Ancyra,  über  welchen 
zu  vgl.  Per  rot,  Exploration  archSologique  de  la  Galatie  et  de  la  Bithynie  etc. 
(1872)  p.  296—312,  pUmche  13—31.  —  Vgl.  überhaupt  über  den  Kaiserkultus: 
Preller,  Römische  Mythologie,  3.  Aufl.  II,  425  ff.;  Boissier,  La  religion  ro- 
maine  cT  Auguste  aux  Antonina  (2.  ed.  1878)  I,  p.  109—186;  Kuhn,  Die  Stadt, 
und  bürgerl.  Verfassung  des  röm.  Reichs  I,  112;  Marquardt,  Römische 
Staatsverwaltung  Bd.  III  (1878),  S.  443  ff.  u.  Bd.  I  (2.  Aufl.  1881)  8.  503  ff;  Le 
Bas  et  Waddington,  Inseript.  t.  III,  Erläuterungen  zu  n.  885;  Perrot  a.  a.  O. 
p.  295;  Marquardt,  De  provineiarum  Romanarum  ooncÜiis  et  saeerdotibus 
(Ephemeris  epigraphica  I,  1872,  p.  200—214);  Desjardins,  Le  euUe  des  Divi 
et  le  euUe  de  Borne  et  d' Auguste  (Revue  de  philologie,  de  litUrature  et  d'histoire 
anciennes,  Nouv.  serie  III,  1879,  p.  33 — 63).  Ouiraud,  Les  assemblSes  pro* 
vinciales  dans  l'empire  r  omain,  Paris  1887;  Büchner,  De  neocoria,  Oissae 
1888;  Hirsch feld,  Zur  Geschichte  des  römischen  Kaiserkultus  (Sitzungsbe- 
richte der  Berliner  Akademie  1888,  S.  833—862);  Karl  Joh.  Neumann,  Der 
römische  Staat  und  die  allgemeine  Kirche,  Bd.  I,  1890,  8.  7  ff;  Beurlier,  Le 
euUe  imperial,  son  histoire,  son  Organisation,  depuis  Auguste  jusqu'ä  Justinien, 
Paris  1891  (angez.  von  Oagnat,  Revue  crit.  1891  Nr.  48);  Krascheninnikoff, 
Über  die  Einführung  des  provinzialen  Kaiserkultus  im  römischen  Westen 
(Philologus  Bd.  LEU,  1894,  8.  147—189);  Drexler,  Art  „Kaiserkultus"  in 
Roschers  Lex.  der  griech.  u.  röm.  Mythologie  II,  901—919;  Kornemann  in: 
Beiträge  zur  alten  Gesch.,  hrsg.  von  Lehmann  I,  95  ff;  Ohapot,  La  provinee 
romaine  proeonsulaire  d'Asie,  1904,  p.  419—453.  —  Der  Kaiserkultus  ist  nur 
die  Fortsetzung  der  schon  dem  Alexander  und  seinen  Nachfolgern  erwiesenen 
göttlichen  Verehrung;  8.  hierüber:  Beurlier,  De  dirinis  honoribus  quos  ac- 
ceperunt  Alexander  et  successores  eius,  Paris  1890;  Kaerst,  Die  Begründung 
des  Alexander*  und  Ptolemäerkultes  in  Ägypten  (Rhein.  Museum  Bd.  52, 1897, 
8.  42—68);  Strack,  Die  Dynastie  der  Ptolemäer,  1897,  8. 12  ff  112 f.;  Prott, 
Der  Kult  der  &eol  aantjoeQ  (Rhein.  Museum  Bd.  53,  1898,  S.  460—468); 
Kornemann,  Zur  Geschichte  der  antiken  Herrscherkulte  (Beitrage  zur  alten 
Geschichte,  hrsg.  von  O.  F.  Lehmann  I,  1,  1901,  8.  51 — 146);  Kaerst,  Gesch. 
des  hellenist  Zeitalters  Bd.  I,  1901,  S.  385  ff;  Beloch,  Griechische  Ge- 
schichte III,  1,  1904,  S.  369  ff 

24)  Bell.  Jud.  I,  21,  4.  Vgl.  Antt.  XV,  9,  5. 

25)  Sueton.  Aug.  52:  templa  . . .  in  nutta  tarnen  provincia  nisi  communi 
suo  Romaeque  nomine  recepit.  —  Über  den  Tempel  zu  Cäsarea:  Jos.  Bell. 
Jud.  I,  21,  7;  Antt.  XV,  9,  6.    Auch  Philo  erwähnt  das  Seßaatetov,  s.  Legat. 


[27.  28]      II,  1.  Der  Hellenismus  in  den  nicht-jüdischen  Gebieten.  35 

die  sonstigen  Kulte  von  Cäsarea  betrifft,  so  zeigen  die  Münzen 
eine  bunte  |  Mannigfaltigkeit.  Dabei  ist  allerdings  zu  beachten, 
daß  sie  größtenteils  erst  dem  zweiten  und  dritten  Jahrhundert  an- 
gehören, was  gerade  bei  Cäsarea  von  Wichtigkeit  ist,  da  hier  seit 
Vespasians  Zeit  das  römische  Element  gegenüber  dem  griechischen 
eine  wesentliche  Verstärkung  erhalten  hatte  durch  die  von  diesem 
Kaiser  nach  Cäsarea  deduzierte  römische  Kolonie.  Und  so  ist  es 
wohl  auf  Rechnung  des  römischen  Einflusses  zu  schreiben,  daß 
der  bekanntlich  in  Born  hochverehrte  ägyptische  Serapis  am  häufig- 
sten vorkommt  Im  allgemeinen  aber  werden  wir  die  auf  den 
Münzen  erwähnten  Gottheiten  auch  in  die  frühere  Zeit  verlegen 
dürfen.  Es  sind  auch  hier  wieder:  Zeus,  Poseidon,  Apollo,  Herakles, 
Dionysos,  Athene,  Nike  und,  von  den  weiblichen  Gottheiten  am 
häufigsten,  Astarte  in  der  in  Palästina  herrschenden  Auffassung26. 
Die  Münzen  von  Dora,  die  seit  Caligula  nachweisbar  sind, 
haben  das  Bild  des  Zeus  mit  dem  Lorbeer  oder  das  der  Astarte27. 
In  einer  albern  erdichteten  Erzählung  Apions  wird  Apollo  als  deus 
Doriensium  bezeichnet28,  wobei  Josephus  als  selbstverständlich 
voraussetzt,  daß  unser  Dora  gemeint  sei.  Erhebliche  Gründe 
sprechen  aber  dafür,  daß  der  Erzähler  an  Adora  in  Idumäa  ge- 
dacht hat  (8.  oben  S.  7).  —  Der  Kultus  des  Apollo  ist  allerdings 
in  den  philistäischen  Städten  häufig  (vgl.  Baphia,  Gaza,  Askalon, 
Cäsarea)  und  ist  hier  wohl  durch  seleucidischen  Einfluß  befördert 
worden.  Denn  Apollo  war  der  göttliche  Ahnherr  der  Seleuciden, 
wie  Dionysos  derjenige  der  Ptolemäer29. 


ad  Gajwn  §  38  fin.,  ed.  Mang.  II,  590  fin.  —  Durch  die  neueren  Forschungen 
der  Engländer  Bind  in  Cäsarea  auch  die  Reste  eines  Tempels  entdeckt  worden 
{The  Survey  of  Western  Palestine,  Memoire  by  Gonder  and  Kitchener  Ht13sqq.9 
mit  Plan  der  Stadt  p.  15).  Es  muß  aber  dahingestellt  bleiben,  ob  es  diejenigen 
des  Augustu8tempels  sind. 

26)  Mionnet  V,  486-497;  Suppl.  VIII,  334—343.  —  Berapis  sehr  oft. 
Zeus:  n.  53,  Suppl.  n.  43.  Poseidon:  n.  38.  Apollo:  n.  6.  12.  13;  Suppl.  n.  7. 
12.  15.  Herakles:  n.  16.  Dionysos:  n.  37.54.56.  Athene:  Suppl.  n.  37.  Nike: 
n.  4;  SuppL  n.  6.  8.  20.  Astarte:  n.  1.  2.  7.  18.  24.  51;  Suppl.  n.  9.  10.  11. 
45.  Noch  mehr  bei  de  Saulcy  p.  112—141,  pl.  VII. 

27)  M tonnet  V,  359—362;  SuppL  VIII,  258-260;  de  Saulcy  p.  142—148, 
pl.  VI  n.  6 — 12;  Babelon,  Caialogue  des  monnaies  grecques  de  la  Bibliotheque 
nationalet  Les  Perees  AchemSnides,  Gypre  et  Phinicie  (1893)  p.  205 — 207;  Äow- 
vier,  Journal  international  (Parcheologie  numismatique  t.  IV,  1901,  p.  125—131. 
Vgl.  auch  Eckkel  III,  362*?. 

28)  Joseph,  contra  Apion.  II,  9. 

29)  Stark,  Gaza  S.  568 ff.;  Justin.  XV,  4,  3:  Hujus  [Seleuci]  quoque 
virtus  clara  et  origo  admirabilis  fuit :  siquidem  mater  ejus  Laudice,  cum  nupta 
esset  Antiocho  .  .  visa  sibi  est  per  quietem  ex  concubitu  Apoüinis  concepisse. 

3* 


36  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [28.  29] 

Ein  altertümlicher  Kultus  wurde  noch  zur  Zeit  Vespasians, 
wie  einst  zur  Zeit  des  Elias  (I  Reg. 18),  auf  dem  Karmel  betrieben, 
ein  Höhenkalt  unter  freiem  Himmel,  mit  bloßem  Altar,  ohne 
Tempel  und  ohne  Götterbild30.  | 

Das  alte  Ptolemais  (Akko)  war  zur  Zeit  der  Ptolemäer  und 
Seleuciden  eine  der  blühendsten  hellenistischen  Städte  (s.  §  23, 
I  Nr.  11).  Es  läßt  sich  darum  auch  ohne  speziellere  Nachweise 
ein  Mhzeitiges durchdringen  der  griechischen  Kulte  hier  annehmen. 
Auf  den  autonomen  Münzen  der  Stadt,  welche  wahrscheinlich  den 
letzten  Dezennien  vor  Chr.  angehören  (bald  nach  Cäsar),  findet  sich 
fast  durchgängig  das  Bild  des  ZeusZi.  Zur  Zeit  des  Claudius 
wurde  Ptolemais  römische  Kolonie.  Auf  den  von  da  an  sehr  zahl- 
reichen Münzen  begegnet  am  häufigsten  die  Tyche  (Fortuna);  da- 
neben Artemis,  Pluton  nnd  Persepkone,  Perseus  mit  der  Medusa,  auch 
der  ägyptische  Serapis  und  die  phrygische  Oybeh%\  Die  Mischna 
berichtet  von  einer  Begegnung  des  berühmten  Schriftgelehrten 
Gamaliel  II.  mit  einem  heidnischen  Philosophen  in  dem  Bade  der 

Aphrodite  zz. 

Außer  den  Küstenstädten  waren  es  namentlich  die  Gegenden 
im  Osten  Palästinas,  welche  am  frühzeitigsten  und  durch- 
greifendsten hellenisiert  wurden.  Wahrscheinlich  haben  hier  schon 
Alexander  der  Gr.  und  die  Diadochen  eine  Anzahl  griechischer 


Auf  Inschriften  heißt  Apollo  6  dox^yög  oder  tiLQXW&W  tov  yhovq  {Gorp.  Inscr. 
Grate,  n.  3595  =  Ricks,  Manual  of  greek  historical  inscriptions,  Oxford  1882, 
p.  279;  eine  andere  ebenfalls  bei  Hicks  p.  297  sq.,  beide  auch  bei  Dütenberger, 
Orientis  graeci  inscriptiones  selectae  n.  219  u.  237). 

30)  Tacit.  hist.  II,  78:  Est  Judaeam  inter  Suriamque  Carmelus:  ita  ro- 
cant  monJtem  deumque.  Nee  simulacrum  deo  atä  templum  (sie  tradidere  ma- 
jores), ara  tantum  et  reverentia.  —  Sueton.  Vesp.  5:  Apitd  Judaeam  Carmeli  dei 

oraeulum  consulentem  etc.  —  Über  den  Karmel  als  heiligen  Berg  8.  auch  Scy- 
lax  in:  Oeographi  gr.  minores  ed.  C.  Müller  I,  79:  [KaQUijXog]  tigog  Uodv 
Aiög  (die  Ergänzung  ist  nach  dem  Znsammenhang  ziemlich  sicher) ;  Jamblichus, 
Vita  Pythagorae  ed.  Nauck  III,  15:  roff  KaofiJjXov  X6<pov  leQtoxaxov  Sh  ttbv 
aXXcov  öqwv  ijnloravxo  abib  xal  (tolq)  noXXoXq  äßavov.  Baudissin,  Studien 
zur  semitischen  Religionsgeschichte  II,  234  f.  —  Ein  Fragment  einer  phöni- 
zischen  Inschrift,  das  auf  dem  Karmel  gefunden  wurde,  s.  bei  Clermont- 
Ganneau,  Archives  des  missions  scientifiques ,  troisieme  S&rie  t.  XI,  1885, 
p.  173.    Das  Fragment  enthält  nur  einige  Namen. 

31)  De  Saulcy  p.  154—156;  Babelon  l.  e.  p.  2205g.;  Rouvier  l.  c. 
p.  209  sq. 

32)  Mionnet  V,  473-481;  Suppl.  VIII,  324—331.  —  Tyche  (Fortuna) 
häufig.  Artemis:  n.  29.  39.  Pluton  und  Persephone:  n.  37.  Perseus:  Suppl. 
n.  19.  20.  Serapis:  n.  16.  24.  28.  Cybele:  n.  42.  —  Noch  mehr  bei  de  Saulcy 
p.  157—169,  pl.  VIII;  Babelon  l.  c.  p.  221-228;  Rouvier  l.  c.  p.  213—232. 

33)  Aboda  sara  HE,  4. 


[29.  30]      II,  1.  Der  Hellenismus  in  den  nicht-jüdischen  Gebieten.  37 

Städte  gegründet  oder  vorhandene  Städte  hellenisiert  So  entstand 
daselbst  schon  frühzeitig  eine  Reihe  von  Mittelpunkten  der  grie- 
chischen Kultur.  Ihre  Blüte  konnte  durch  das  wüste  Zerstörungs- 
werk des  Alexander  Jannäus  nur  auf  kurze  Zeit  unterbrochen 
werden.  Schon  Pompeius  hat  ihnen  durch  ihre  Abtrennung  vom 
jüdischen  Gebiete  wieder  eine  selbständige  Entwicklung  ermöglicht 
und  sie  wahrscheinlich-  unter  dem  tarnen  der  Dekapolis  zu  einer 
gewissen  Einheit  zusammengeschlossen. 

Zu  diesen  Städten  der  Dekapolis  wird  von  Plinius'Ift**.  Nat 
V,  18,  74  vor  allem  Damaskus  gerechnet,  das  schon  für  Alexander 
den  Großen  ein  wichtiger  Waffenplatz  war.  Seinen  hellenistischen 
Charakter  bezeugen  für  die  damalige  Zeit  auch  die  dort  geprägten 
Münzen  Alexanders  (s.  §  23, 1  Nr.  12).  Von  da  an  ist  es  mehr  und 
mehr  eine  hellenistische  Stadt  geworden.  Bei  der  Spaltung  des 
großen  Seleucidenreiches  in  mehrere  Teile  gegen  Ende  des  zweiten 
Jahrhunderts  vor  Chr.  wurde  es  sogar  eine  Zeitlang  die  Haupt- 1 
Stadt  eines  dieser  Teilreiche.  Wie  hiernach  zu  erwarten,  zeigen 
in  der  Tat  die,  zum  größten  Teil  datierten,  autonomen  Münzen 
von  Damaskus,  welche  bis  in  den  Anfang  der  römischen  Kaiserzeit 
gehen,  lauter  griechische  Gottheiten:  Artemis,  Athene,  Nike,  Tyche, 
Helios,  Dionysos  u.  Auf  den  eigentlichen  Kaisermünzen  finden  sich 
verhältnismäßig  selten  die  Bilder  und  Embleme  bestimmter  Gott- 
heiten. Das  Bild  des  Sil en,  welches  auf  Münzen  des  dritten  Jahr- 
hunderts häufig  vorkommt  bezieht  sich  nicht  auf  einen  religiösen 
Kultus,  sondern  ist  das  Wahrzeichen  dafür,  daß  die  Stadt  als 
römische  Kolonie  (seit  Alexander  Severus)  das  jus  Italicum  hatte35. 
Ein  paarmal  findet  sich  Dionysos™.  Auf  den  Kultus  dieses  Gottes 
deutet  auch  die  hellenistische  Legende,  welche  die  Gründung  von 
Damaskus  in  Beziehung  zu  ihm  bringt37.  Vielleicht  ist  sein  Kultus 
hier  und  in  anderen  Städten  des  östlichen  Palästinas  auf  arabischen 
Einfluß  zurückzuführen.  Denn  die  Hauptgottheit  der  Araber  wurde 
von  den  Griechen  als  Dionysos  aufgefaßt38.  —  Auf  den  wenigen 


34)  De  Saulcy  p.  30—33.  —  Artemis:  n.  2.  3.  7.  a  10.  14.  21.  Athene; 
n.  2.  8.  14.  15.  Nike:  n.  11.  12.  22.  23.  Tyche:  n.  17.  18.  Helios:  n.  3.  21. 
Dionysos:  n.  24.  25.  —  Das  meiste  auch  bei  Mionnet  V,  283 sq.;  Suppl.  VIII, 
193  sq. 

35)  Mommsen,  Staatsrecht  III,  1,  809 f.;  Heisterbergk,  Zum  jus 
Italicum  (Philologus  Bd.  50,  1892,  S.  639—647).  Die  Münzen  bei  Mionnet 
V,  285—297  n.  61.  62.  68.  69.  72.  77.  85;  Suppl.  VIII,  195—206  n.  34.  35.  48; 
De  Saulcy  p.  35—56. 

36)  Mionnet  n.  80.  88. 

37)  Stephanus  Byx.  s.  v.  dauaoxöq. 

38)  HerodoL  HI,  8;  Arrian.  VII,  20;  Strabo  XVI,  p.  741;  Origenes,  contra 


38  §  22.  Allgemeine  Kulturverhaltnisse.  [30.  31] 

griechischen  Inschriften,  welche  in  Damaskus  und  dessen  Umgebung 
erhalten  sind,  wird  öfters  Zeus  erwähnt39. 

In  manchen  Städten  der  Dekapolis,  namentlich  in  Kanatha, 
Gerasa  und  Philadelphia,  geben  noch  heute  die  dort  erhaltenen 
großartigen  Tempelruinen  aus  römischer  Zeit  Zeugnis  von  der 
einstigen  Blüte  der  hellenistischen  Kulte  daselbst40.  Über  die 
einzelnen  Kulte  sind  wir  in  betreff  der  meisten  Städte  nur  mangel- 
haft orientiert  Auf  den  Inschriften  von  Kanatha  kommen  Zeus, 
Athene  und  die  d-sol  ö<dtt}qs$  vor41.  Auf  einem  dort  gefundenen 
Altar  sind  Apollo  und  Artemis  abgebildet42.  Gleichfalls  in  Kanatha 
ist  ein  |  Stein  mit  nabatäischer  Inschrift  und  einem  Stierbilde  ge- 
funden worden.  Letzteres  stellt  aber  nicht,  wie  Sachau  wollte, 
eine  Stiergottheit  dar,  sondern  ein  Opfer,  welches  der  Tyche  (Gad) 
dargebracht  wurde43.    In  Skythopolis  muß  besonders  Dionysos 


Cels.  V,  37;  Hesych.  Lex.  s.  v.  dovo&Qtiq,   —  Krehl,  Über  die  Religion  der 
vorislamischen  Araber  (1863)  S.  29  ff.  48  ff. 

39)  Le  Bas  et  Waddington,  Insoriptions  t.  III,  n.  1879.  2549.  2550.  — 
Aidg  KbqovvIov  (zu  Deir  Kanon,  am  Nähr  Barada):  Corp.  Inscr.  Oraee.  n. 
4520  =»  Waddington  n.  2557  a.  —  M  [fiey]l<ri(p  'RXionotehy  ty  xvQltp  (ebenfalls 
am  Nähr  Barada)  Quarterly  Statement  1898,  p.  31.  157.  252;  1899,  p.  63; 
Clermont-Ganneau,  Beeueil  II,  397;  Dittenberger,  Orientis  gr.  inscr.  sei.  n.  607. 

40)  S.  die  in  §  23,  I  genannte  geographische  Literatur. 

41)  Le  Bas  et  Wadding  ton,  Insoriptions  t.  Dl  n.  2339  u.  2340:  ätt 
fxeylotcp,  n.  2345:  yA^va  rofyialg,  n.  2343:  teoTg  oanrjQoi.  —  Abbildungen  der 
Ruinen  des  Zeustempels  s.  in  den  unten  §  23,  I  Nr.  18  genannten  Werken 
von  Laborde,  Rey  und  bes.  Butler,  Part  II  of  the  Publications  of  an 
American  archaeological  expedition  to  Syria  (1904)  p.  351—354.  Auch  von 
einem  anderen  Tempel  sind  Ruinen  erhalten,  s.  bes.  Butler,  S.  354 — 357. 

42)  Pollard,  On  the  Baal  and  Ashtoreth  aüar  diseovered  at  Kanawdt  in 
Syria,  now  in  the  Füxwiüiam  Museum  at  Cambridge  (Proceedings  ofthe  Society 
of  Biblioal  Arehaeology  vol.  XIII,  1891,  p.  286—297).  Die  vermeintlichen  Bilder 
fies  Baal  und  der  Astarte  sind  solche  des  Apollo  und  der  Artemis.  S.  Cler- 
mont-Ganneau, Journal  asiatique,  Vlllme  Serie,  t.  XIX,  1892,  p.  109. 
Dussaud,  Revue  archiol.,  quatr.  Sirie  t.  IV,  1904,  p.  2Msq. 

43)  Sachau,  Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie  1896,  S.  1056 — 1058. 
Nach  Ewing,  Palestine  Exploration  Fund  Quarterly  Statement  1895,  S.  157 
stammt  der  Stein  aus  Kanatha.  Die  von  Sachau  gegebene  Erklärung  des 
aramäischen  Textes  ist  unhaltbar.  S.  Clermont-Ganneau,  Beeueil  dtarekk» 
ologie  Orientale  U,  106 — 116,  und  Comptes  rendus  de  VAcad.  des  Inscr.  et  Beiles- 
Lettres  1898»  p.  597—605  —  Beeueil  HI,  75—82.  An  letzterer  Stelle  gibt  OL-G. 
auf  Grund  einer  besseren  Kopie  von  Euting  eine  neue  Erklärung  des  Textes, 
wonach  der  abgebildete  Stier  ein  Opfertier  ist»  welches  der  Tyche  (Gad)  als 
Holokaustum  dargebracht  wurde.  Vgl.  auch  BSpertoire  (Fipigraphic  semitique 
I  n.  53;  Publications  of  an  American'  archaeological  expedition  to  Syria  Part 
n,  1904,  p.  414;  Part  IV,  1905,  p.  93  sq. 


[31]  II,  1.  Der  Hellenismus  in  den  nicht-jüdischen  Gebieten.  39 

verehrt  worden  sein.  Denn  die  Stadt  nannte  sich  auch  Nysa44. 
Dies  ist  aber  der  mythologische  Name  des  Ortes,  an  welchem 
Dionysos  von  den  Nymphen  auferzogen  wurde45.  Auch  wurde  der 
Name  Skythopolis  mythologisch  auf  Dionysos  zurückgeführt  (s.  §  23, 1 
Nr.  19).  Auf  den  Münzen  von  Qadara  kommt  am  häufigsten  Zeus 
vor,  daneben  auch  Herakles,  Astarte  und  einzelne  andere  Gottheiten46. 
Ein  ziemlich  reiches  Material  haben  wir  jetzt  über  die  Gottheiten 
von  Ger  asa,  überwiegend  allerdings  erst  für  das  zweite  Jahrhundert 
nach  Chr.  oder  später 4  7.  Die  Hauptgottheit  der  Stadt  war  die  Artemis, 
welche  auf  den  Münzen  von  Gerasa  als  die  Tvxv  rsQaocov  bezeichnet 
wird48.  Ihr  gehörte  der  große  Tempel,  von  welchem  noch  bedeu- 
tende Beste  erhalten  sind49.  Auch  auf  Weiheinschriften  kommt  sie 
mehrfach  vor50.  Neben  ihr  finden  sich  auch  andere  echt  griechische 
Gottheiten,  wie  der  olympische  Zeus  und  seine  Gemahlin  Hera*\ 


44)  Plinius  Eist.  Nat.  V,  18,  74:  Scythopolim  antea  Nysam.  —  Steph.  Byx. 
s.  v.  Sxv&SnofoQj  TiaXai<nlvr\<;  116X1$,  %  Nvacriq  [1.  Nvaaa]  KolXtfi  Hvglaq.  — 
Auf  Münzen  häufig  Nvo^aiatv*]  Hxv&o[itoXiTwv\. 

45)  Eine  ganze  Anzahl  von  Städten  beanspruchte,  das  wahre  Nysa  zu 
sein.  S.  Steph.  Byx.  8.  v.  (N&ocu  ndXeiQ  noXXal);  Paulys  Enzykl.  V,  794f.; 
Pape-Benseler,  Wörterb.  der  griech.  Eigennamen  s.  v. 

46)  Mionnet  V,  323—328;  Suppl.  VIII,  227—230;  De  Saulcyp.  294—303, 
pL  XV. 

47)  Eine  Zusammenstellung  der  auf  die  Götterkulte  bezüglichen  Inschriften 
von  Gerasa  hat  zuerst,  nach  eigenen  Kopien,  Germer-Durand  gegeben 
(Revue  biblique  VIII,  1899,  p.  7—13).  Noch  vollständiger  und  genauer  ist  das 
Repertorium  von  Lucas  (Mitteilungen  und  Nachrichten  des  Deutschen  Pa- 
lästina-Vereins 1901  [1903  ausgegeben],  S.  50-55). 

48)  Mionnet  V,  329;  Suppl.  VHI,  230  sq.;  De  Saulcy  p.  384  sq.  pL  XXII 
n.  1 — 2.  —  Tvx*]  mit  Hinzufügung  des  betreffenden  Stadt-Namens  kommt  auch 
sonst  vor.  &  Head,  Historia  Numorum  (1887),  p.  449.  618.  686;  Bulletin  de 
eorrespondanee  helltnique  t.  XII,  1888,  p.  272;  Babelon,  Gomptes  rendus  de  TAcad. 
des  Jnscr.  et  Beiles- Lettres  1898,  p.  388—394  (Tvxv  MijSdßatv). 

49)  Genaueste  Beschreibung  bei  Schumacher,  Zeitschr.  des  Deutschen 
Palästina-Vereins  XXV,  1902,  S.  130—137,  mit  Rekonstruktion  des  Grund- 
risses Tafel  9.  Die  Bezeichnung  als  „Sonnentempel"  bei  Schumacher  und 
Älteren  ist  irrig.  S.  dagegen  Lucas,  Mitteilungen  und  Nachrichten  des  DPV 
1901,  S.  51.  Die  Propyläen,  die  zu  diesem  Tempel  führten,  sind  nach  der 
großen  Inschrift  Lucas  n.  16  zur  Zeit  des  Antoninus  Pias  erbaut. 

50)  Revue  biblique  1899,  p.  11  —  Lucas  n.  2:  6ea  'Aori/iiöu  —  Lucas  n.  3: 
*Aqv4(u&  xvQltf.  —  RB.  1899  p.  9— -Lucas  n.  4:  6ea  Aaxa[ivy1)  inrjxdy  yA(tz&- 
fuSi.  —  RB.  1895  p.  384  =  Lucas  n.  5:  'Aotifuöi  xvolq. 

51)  ßrünnow,  Mitteilungen  und  Nachrichten  des  DPV.  1899,  S.  41  — 
Brünnow  und  Domaszewski,  Die  Provincia  Arabia  II,  253  n.  2  —Lucas  n.  8: 
Jd  yOXv(inlq>.  —  Brünnow,  M.  u.  N.  S.  42  —  Ders.,  Die  Prov.  Arabia  II,  253 
n.  3  —  Revue  bibL  1899  p.  11  —  Lucas  n.  9:  AU><;  \)Xvfjtnlov.  —  Brünnow,  M.  u.  N.. 
8.  58  — Prov.  Arabia  II,  253  n.  \  —  RB.  1899  p.  9  — Lucas  n.  6:  [Aiöq .  .  .  .] 


40  §22.  Allgemeine  Kultlirverhältnisse.  [31] 

Poseidon*2,  Apoüon**,  Nemesis  b\  aber  auch  das  ägyptische  Götter- 
paar Serapis  und  Isis66  und  ein  „arabischer  Gott"66.  In  der 
Nähe  von  Gerasa  (in  Suf,  sechs  Kilometer  nordwestlich  von  Ge- 
rasa)  ist  ein  Votivstein  für  einen  hellenisierten  Baal  mit  lo- 
kaler Färbung  gefunden  worden67.  —  In  Philadelphia  scheint 
Herakles  die  Hauptgottheit  gewesen  zu  sein68.    Daher  wird  auf 


lov  üaxeiöä  xal^HQaq  <sv\pßiov ] &€äq°HQa<;.  —  Die  Inschriften  Lucas 

8  u.  9  erwähnen  Beiträge  zum  Bau  des  Tempels  des  Zeus  Olympios. 
Sie  gehören  ins  erste  Jahrb.  n.  Chr.,  vgL  auch  Lucas  n.  10  [und  dazu  Ditten- 
berger,  Orimtis  gr.  inscr.  sei.  n.  622. 

~>2)  Brünnow,  Mitteilungen  und  Nachrichten  des  DPV.  1897,  S.  39«Pro- 
vincia  Arabia  II,  255  =  RB.  1899  p.  12  =  Lucas  n.  13:  da  Üooei&bvi  ivoalz&ovi 

OCOTTJQl. 

53)  RB.  1899  p.  13  — Lucas  n.  1:  QXaovioq  Molxsq  .  .  .  .[z]dv  'AndXXcova 
xjj  tkxxqIöl  ävi&rjxev.  Wohl  derselbe  Fl.  Macer:  Corp.  Inscr.  Lot.  TU  n.  3347 
und  p.  888  (Militärdiplom  vom  J.  167  n.  Chr.). 

54)  Lucas  n.  11:  *H  Nifisaiq. 

55)  RB.  1899  p.  10  =  Lucas  n.  12  =  Brünnow  und  Domaszewski,  Die  Prov. 
Arabia  II,  254:  diöq  ^HXlov  fi[eylozov  2ae]dmdoc.  xaV'IotSoq. 

56)  RB.  1895  p.  385 «Lucas  n.  7:  &eijj>  'A^aßucip  inrjxdfp.  Dazu:  Olermont- 
Oanneau,  Recueil  d'arehiol.  Orientale  II,  14;  Dütenberger,  Orientis  gr.  inscr.  sei. 

n.  623.  —  Perdrixet,  Revue  biblique  1900,  p.  435  versteht  darunter  den  genius 
provinciae  Arabiae. 

57)  Brünnow,  Mitteilungen  und  Nachrichten  des  DPV.  1898,  S.  86;  dazu 
Clermont-Qanneau,  Recueil  V,  1903,  S.  15—21  (auch  Quarterly  Statement  1902, 

p.  15—21  und  135 f.;  Dittenberger,  Orientis  graeci  inscr.  sei.  n.  620):  Jd  &ylq> 
BeeX[x}o)0{OQ{p  xal  'HXttp.  Wenn  man  statt  des  in  Brünnows  Kopie  als  undeut- 
lich bezeichneten  x  vielmehr  ß  lesen  darf,  könnte  an  einen  Baal  von  Bostra 
(nxn  b?a)  gedacht  werden.  Doch  erkennt  Clermont-Ganneau,  welcher  diese 
Lesung  vorschlägt,  selbst  an,  daß  sie  nicht  unerheblichen  Bedenken  unterliegt 
(Recueil  V,  21,  Anm.;  Quarterly  Statement  1902,  p.  135  f.).  Nach  einer  späteren 
Bemerkung  von  Brünnow  (Die  Provincia  Arabia  II,  240)  „scheint  x  hier  durch- 
aus sicher  zu  sein".  Die  Inschrift  steht  übrigens  schon  im  Corp.  Inscr.  Oraec 
n.  4665. 

5$  ;  Auf  einer  Münze  des  Mark  Aurel  und  L.  Veras  findet  sich  die  Büste 
des  jugendlichen  Herakles  und  darüber  die  Aufschrift  HQaxXijq,  s.  de  Saulcy 
p.  391  und  die  Abbildung  pl.  XXII  n.  7.  Auf  zwei  anderen  (einer  des  Mark 
Aurel  und  einer  des  Commodus)  ist  ein  Wagen  abgebildet,  der  von  einem 
Viergespann  gezogen  wird;  darüber  die  Aufschrift  'HqclxXbiov  &Qfia  (de  Saulcy 
p.  390.  391;  statt  agfia  liest  de  Saulcy  mit  Älteren  im  einen  Falle  Qfia,  im 
andern  anaXa,  die  richtige  Lesung  geben  Leake,  Numistnata  HeUenica  1854, 
p.  151,  und  Wroth,  Catalogue  of  (he  greek  coins  in  the  Brit.  Mus.,  Oalatia 
Cappadocia  and  Syriaf  1899  p.  306).  Der  Wagen  diente  wohl  dazu,  an  fest- 
lichen Tagen  ein  Tempelchen  des  Herakles  in  Prozession  umherzufahren 
(Eckhel,  Doctr.  Num.  III,  351).  Dussaud  denkt  an  den  Sonnenwagen  (Revue 
archeol.  quatr.  Serie  t.  I,  1903,  p.  368  sq.)  —  Das  ^HQaxXsov  oder  ^HgaxXuov 
/also  der  Tempel  des  Herakles)  wird  auf  einer  in  Philadelphia  gefundenen 
Inschrift  erwähnt,  deren  Text  im  übrigen  nicht  mehr  mit  Sicherheit  zu  lesen 


[31.  32]      II,  1.  Der  Hellenismus  in  den  nicht-jüdischen  Gebieten.  41 

Münzen  auch  die  Göttin  Ästeria  erwähnt,  die  Matter  des  tyri- 
schen  Herakles59.  Außerdem  kommt  die  Tvx*j  $iladeZg>4a>v  und 
einzelne  andere  Gottheiten  vor 60.  Die  Münzen  der  übrigen  Städte 
der  ^Dekapolis  sind  wenig  zahlreich  und  bieten  nur  dürftiges 
Material  [ 

Abgesehen  von  den  Küstenstädten  und  von  den  Städten  der 
Dekapolis  sind  es  besonders  noch  zwei  Städte,  in  welchen  der 
Hellenismus  schon  frühzeitig  Fuß  gefaßt  hat:  Samaria  und  Panias. 
In  Samaria  soll  schon  Alexander  d.  Gr.  macedonische  Kolonisten 
angesiedelt  haben.  Jedenfalls  war  es  zur  Zeit  der  Diadochen  ein 
wichtiger  hellenistischer  Waffenplatz  (s.  §  23,  I  Nr.  24).  Durch 
Johannes  Hyrkanus  wurde  allerding«  die  Stadt  dem  Erdboden 
gleich  gemacht  Aber  bei  der  Restauration  durch  Gabinius  sind 
ohne  Zweifel  auch  die  hellenistischen  Kulte  daselbst  wiederher- 
gestellt worden.  Noch  größeren  Aufschwung  müssen  dieselben  bei 
der  Erweiterung  der  Stadt  durch  Herodes  d.  Gr.  genommen  haben. 
Namentlich  ließ  dieser  auch  hier  einen  großartigen  Tempel  des 
Augustus  errichten61.  Über  die  sonstigen  Kulte  geben  die,  erst 
seit  ^Nero  [nachweisbaren,  Münzen  einigen  näheren  Aufschluß 62. 
In  der  römischen  Kaiserzeit  wurde  Samaria  allmählich  von  dem 
neugegründeten  Fla  via  Neapolis  überflügelt.  [Die  Blüte  der 
heidnischen  Kulte  daselbst  fällt  aber  erst  in  das  zweite  Jahrhundert 
nach  Chr.  oder  später  (vgl.  Bd.  I,  S.  651).  —  In  Panias,  dem  nach- 
maligen Gäsarea  Philippi,  muß  schon  seit  Beginn  der  helle- 
nistischen Zeit  bei  der  [dortigen  Grotte  der  griechische  Pan  ver- 
ehrt worden  sein;  denn  die  Lokalität  wird  bereits  zur  Zeit  Antiochus7 
d.  Gr.  (um  198  vor  Chr.)  unter  dem  Namen  ro  Ilavuov  erwähnt 
(s.  §  23,  I  Nr.  29).  Die  Fortdauer  seines  Kultus  ist  auch  für  die 
spätere  Zeit  durch  Münzen  und  Inschriften  reichlich  bezeugt63. 


ist.  S.  Clermont-Qanneau,  UHeraeleion  de  Rabbat-Ammon  Philadelphie  et 
la  deesee  Asteria  (Revue  archeologique,  quatr.  Serie  t.  VI,  1905,  p.  209 — 215  — 
Recueil  d'archiol.  Orientale  VH,  1906,  p.  147—155). 

59)  Bea  Atneoia:  De  Saulcy  p.  391,  Wroth  p.  306.  Über  Asteria  als  Mutter 
des  tyrischen  Herakles  s.  AihenaeuslXp.  392  D;  Cicero  De  not.  deorum  DI,  16; 
Boschers  Lex.  der  griech.  und  röm.  Mythologie  und  Pauly-Wissowas  Real- 
Enz.  8.  r. 

60)  S.  überh.  über  die  Münzen  von  Philadelphia  Mionnet  V,  330— 333t 
Suppl.  Vm,  232—236;  De  Saulcy  p.  386-302,  pl  XXII,  n.  3-9. 

61)  Bell.  Jud.  I,  21,  2;  vgl.  An/t.  XV,  8,  5. 

02)  MionnetV, 513—516;  Suppl.  VIII, 356— 359 ;  Üe  Saulcy  p.  275-281, 
pL  XIV  \n.  4-7. 

63)  Die  Münzen  bei  Mionnet  V,  311—315,  n.  10.  13.  16.  20.  23;  Suppl. 
VIII,  217—220,  n.  6.  7.  a  10;  noch  mehr  bei  De  Saulcy,  p.  313-324,  pl  XVIII. 
Vgl.  bes.  die  Abbildungen  des  Pan  mit  der  Flöte  bei  De  Saulcy  pl.  XVIII  n.  8. 


42  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [32.  33] 

Herodes  der  Gr.  erbaute  auch  hier,  wie  in  Cäsarea  Stratonis  und 
in  Samaria,  einen  Tempel  des  Augustus64.  Von  sonstigen  Gott- 
heiten findet  sich  auf  den  Münzen  öfters  noch  Zeus,  andere  nnr 
vereinzelt;  das  Bild  des  Pan  ist  bei  weitem  vorherrschend65.  Zur 
Zeit  des  Eusebius  existierte  in  Cäsarea  eine  eherne  Statue,  welche 
darstellte,  wie  ein  kniendes  Weib  ihre  Hände  bittend  nach  einem 
vor  ihr  stehenden  Manne  ausstreckt  Die  Statue,  welche  in  christ- 
lichen Kreisen  für  eine  Statue  Christi  und  des  blutflüssigen  Weibes 
galt,  war  augenscheinlich  eine  solche  des  Heilgottes66. 

Seit  dem  zweiten  Jahrhundert  nach  Chr.  ist  die  Existenz  helle- 
nistischer Kulte  auch  noch  in  anderen  Städten  Palästinas,  wie 
Sepphoris,  Tiberias  u.  a*  nachweisbar.  Es  darf  aber  mit  ziem- 
licher Sicherheit  angenommen  werden,  daß  sie  dort  erst  seit  dem  | 
vespasianischen  Kriege  Eingang  gefunden  haben.  Denn  bis  dahin 
waren  die  genannten  Städte,  wenn  auch  nicht  ausschließlich,  so 
doch  vorwiegend  von  Juden  bewohnt,  welche  die  öffentliche  Aus- 
übung heidnischer  Kulte  in  ihrer  Mitte  kaum  ertragen  haben 
würden67. 

Anders  steht  es  mit  den  ohnehin  halb-heidnischen  Landschaften 
östlich  vom  See  Genezareth:  Trachonitis,  Batanäa  und  Aura- 
nitis.  Auch  hier  sind  zwar  die  hellenistischen  Kulte  wahrschein- 
lich erst  seit  dem  zweiten  Jahrhundert  nach  Chr.  in  weiterem 
Umfange    durchgedrungen.     Aber  das  Werk  der  Hellenisierung 


9. 10.  —  Die  Inschriften  bei  Bailie,  Fasciadus  inscr.  graec.  \UJ]  potissimum 
ex  Oalatia  Lycia  Syria  etc.  1849,  p.  130—133;  De  Saulcy,  Voyage  autour  de  la 
mer  morte,  Atlas  (1853),  pl.  XLIX;  Corp.  Inscr.  Qraec.  n.  4537.  4538;  Addenda 
p.  1179;  Le  Bas  et  Waddington,  Inscr.  T.  III  n.  1891.  1892.  1893;  Mit- 
teilungen und  Nachrichten  des  DPV.  1898,  S.  84  f. = BrOnnow  und  Domaszewski, 
Die  Provincia  Arabia  II,  249  (neue  Kopien  von  Brünnow).  —  Über  den  Kultus 
des  Pan  überh.  s.  Roschers  Lex.  der  griech.  und  röm.  Mythologie  III,  1 
(1902),  coL  1347-1481  (über  den  Kultus  von  Cäsarea  Panias:  col.  1371). 

64)  Antt.  XV,  10,  3;  Bell.  Jud,  I,  21,  3. 

65)  S.  Mionnet  und  De  Saulcy  a.  a.  O. 

66)  Euseb.  Hist.  eccl.  VII,  18.  Die  ältere  Literatur  hierüber  s.  bei  Hase, 
Leben  Jesu,  §  32;  Win  er,  Realwörterb.  I,  576;  Gieseler,  Kirchengesch.  1, 1, 
8.  85 f.  Aus  neuerer  Zeit  vgl.  v.  DobschÜtz,  Christusbilder  (Texte  und 
Untersuchungen  von  Gebhardt  und  Harnack,  Neue  Folge,  Bd.  III),  1899, 
8.  197 ff.;  Harnack,  Die  Mission  und  die  Ausbreitung  des  Christentums  1902, 
S.  88,  2.  Aufl.,  1, 103.  —  Nik.  Müller  will  an  der  Deutung  auf  das  blutflüssige 
oder  etwa  auf  das  kananäische  Weib  festhalten  (Herzog-Haucks  Real-Enz., 
3.  Aufl.,  IV,  65 f.  im  Artikel  „Christusbilder"). 

67)  Daß  es  in  Tiberias  keine  heidnischen  Tempel  gegeben  hat,  darf 
indirekt  auch  aus  Jos.  Vita  12  geschlossen  werden.  Denn  es  wird  hier  nur 
von  der  Zerstörung  des  mit  Tierbildern  geschmückten  Herodes-Palastes,  nicht 
aber  von  derjenigen  heidnischer  Tempel  ers&hlt. 


[33]  11/  1.  Der  Hellenismus  in  den  nicht-jüdischen  Gebieten.  43 

begann  hier  doch  schon  mit  dem  Auftreten  des  Herodes  und  seiner 
Söhne,  welche  die  bis  dahin  halb-barbarischen  Landschaften  für 
die  Kultur  gewannen  (s.  oben  S.  17).  Seitdem  haben  also  auch  die 
hellenistischen  Götterkulte  dort  Eingang  gefunden.  Die  Inschriften, 
die  in  jenen  Gegenden  besonders  reichlich  erhalten  sind,  bezeugen 
uns  die  Blüte  derselben  für  das  zweite  bis  vierte  Jahrhundert 
Dabei  ist  auch  hier  wieder  dieselbe  Beobachtung  zu  machen,  wie 
in  den  philistäischen  Städten:  neben  den  griechischen  Gottheiten 
haben  sich  auch  die  einheimischen  noch  erhalten.  Und  zwar  sind 
dies  teils  syrische,  teils,  infolge  des  Vordringens  der  Nabatäer, 
arabische.  Von  syrischen  Gottheiten  ist  für  die  Makkabäerzeit 
die  Atargalis  in  Karnaim  in  ßatanäa  nachweisbar  (II  Makk.  12,  26) 68. 
In  Sica,  in  der  Nähe  von  Kanatha,  sind  Reste  eines  Tempels 
erhalten  und  unter  denselben  Inschriften  aus  herodianischer 
Zeit;  der  Tempel,  dessen  ältester  Teil  noch  vor  der  Besitz- 
nahme dieser  Landschaften  durch  Herodes  (23  vor  Chr.)  erbaut 
ist,  war  dem  syrischen  Baal  {Baalsamin)  geweiht69.  Ein  kleiner 
Altar  für  Hadad  (rqS  #£<£  yAdaöq>),  einst  eine  Hauptgottheit  der 
Syrer,  ist  in  Ehabab  in  Trachonitis  gefunden  worden70.  Syrische 
Gottheiten  sind  auch  Ethaos  (?)  und  Azizos,  die  in  Batanäa  vorkom- 
men71.   Stärker  vertreten  sind  aber,  namentlich  in  den  östlichen 

68)  Dieselbe  auch  zwischen  Panias  und  Damaskus  (Le  Bas  et  Wad- 
dington, Inscr.  t  III  n.  1890)  und  in  Trachonitis  (Quarterly  Statement  1895, p.  141). 

69)  Abbildung  der  Ruinen  s.  bei  De  Vogüe,  Syrie  Centrale,  Archkecture 
civile  et  religieuse,  pl.  2  et  3;  dazu  Text  8.  31 — 38.  Die  griechischen  In- 
schriften bei  Waddington,  Inscriptions  n.  2364— 2369»;  die  aramäischen  bei 
De  Vogüe,  Syrie  Centrale,  Inscriptions  semitiques  p.  92 — 99  und  im  Corp. 
Inscr.  Sem.  P.  II  Aram.  n.  163—168.  —  Genauere  Ermittelungen  sind  durch 
eine  amerikanische  Expedition  angestellt  worden,  s.  Butler,  Ärchitecture  and 
other  arts  (Part  II  of  the  Publications  of  an  American  archaeological  expeditton 
to  Syria)  1904,  p.  322  sq.  334—340;  Littmann,  Semitic  Inscriptions  (Part  IV 
derselben  Publikation)  1905,  p.  85—90.  Dazu  die  neueren  Mitteilungen  von 
Butler  und  Littmahn  in:  Revue  archkl.  IVme  Serie  t.  V,  1905,  p.  404— 412. 
Dussaud,  Les  Arabes  en  Syrie  1907,  p.  159—165.  —  Daß  der  Tempel  dem 
Baalsamin  ('patKfc,  *tc!)  geweiht  war,  erhellt  aus  der  Inschrift  bei  De  Vogüe 
p.  93  —  Corp.  Inscr.  Sem.  P.  II  Aram.  n.  163  =  Littmann,  Semitic  Inscr. 
p.  86.  —  Vgl.  über  den  Baalsamin  überhaupt:  Baudissin  in  Herzog- Hauet, 
Beal-Enz.,  3.  Aufl.  II,  331  (im  Art.  Baal);  Cumont  in  Pauly-Wissowas  Beal- 
Enz.  ü,|  2839  f.  (Art.  Baisamem)',  Lidzbarski,  Epbemeris  für  semitische  Epi- 
graph! k  I,  3,  1902,  8.  243-260. 

70)  Palestine  Exploration  Fund,  Quartetiy  Statement  1895  p.  132  =  Dus- 
saud,  Nouvelles  archives  des  missions  scientifiques  t.  X,  1902,  p.  642.  —  Über 
Hadad  überhaupt:  Baudissin  in  Herzog-Hauck,  Beal-Enz.,  3.  Aufl.  VII, 
287  ff.  Er  ist,  neben  Atargatis,  auch  von  den  syrischen  Kaufleuten  in  Delos 
verehrt  worden,  s.  oben  6.  30. 

l\)"E&ao<;:  Le  Bas  et  Waddington  Inscr.  t.  III  n.  2209  (Dussaud,  Les 


44  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [33] 

Gebieten,  die  arabischen  Gottheiten.  Unter  diesen  nimmt  Dusares 
(arab.  Dhu  ISchara),  welchen  die  Griechen  mit  Dionysos  verglichen, 
die  erste  Stelle  ein.  Sein  Kultus  ist  für  die  römische  Zeit  auch 
durch  die  ihm  geweihten  Spiele,  die  *Axrta  Jovodgca  in  Adraa 
und  Bostra,  bezeugt72.    Neben  ihm  werden  auf  den  Inschriften 

Arabes  etc.  p.  150  sq.  hält  den  *E&ao<;  für  eine  arabische  Gottheit),  "Ä^eC^ot;  eben- 
das.  n.  2314  (=  Oorp.  lhscr.  Oraec.  n.  4617),  dazu  Waddingtons  Erläuterungen, 
Cumont  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  II,  2644,  Dussaud,  Axixos  et  Monimos, 
parbdres  du  dieu  soleü  (Revue  areheol.  quatr.  SSrie  t.  I,  1903,  p.  128—133). 

72)  Jovaägw.  Le  Bas  et  Waddington,  Inscr.  t.  III  n.  2023.  2312; 
Dussaud,  Nouveües  archives  des  missions  seientifiques  t.  X\,  1902,  p.  679  «= 
Dittenberger ,  Orientis  gr.  inscr.  sei.  n.  770  (r#  d-E<jt  dovodoei  .  .  .  ezovq  dexa- 
xov  'AvTwvelvov  Katoaoog,  nicht  bei  Waddington);  Dussaud,  Revue  Numis- 
matique  lVme  Sorte  t  VIII,  1904,  p.  161  sq.  [dovodorjq  &edg  yAÖQam>(bv,  auf 
Münzen  von  Adraa,  bis  dahin  unediert).  Das  Nom.  propr.  Jovooqioq  Wadd. 
n.  1916.  KWft  bei  De  Vogüi,  Syrie  Centrale,  Inseriptions  semitiques  p.  113.  120 
«=  Corp.  Inscr.  Semit.  P.  II  Aram.  n.  160. 190.  Die"Axrta  dovaagia  bei  Mionnet 
V,  577—585,  n.  5.  6.  18.  32.  33.  34.  36.  37.  Dieselben  auch  bei  De  Saulcy 
p.  375.  365.  369  sq.  (Was  Clermont-Ganneau,  Recueil  IV,  289—319  über  ein 
mit  diesen  vierjährigen  Festspielen  verbundenes  „Armen-Recht"  zu  ermitteln 
gesucht  hat,  ruht  auf  äußerst  unsicherer  Grundlage,  s.  Lagrange,  ltüudes  sur 
les  religions  simitiques,  2.  ed.  1905,  p.  300  sq.)  —  Eigentümlich  ist  die  Ver- 
bindung £*-#&  «wn  auf  einer  Inschrift  in  Bostra  {Revue  biblique  1905,  p.  593 \ 
wo  Dusara  ähnlich  wie  Zeus  als  die  allgemeine  Gottheit  zu  betrachten  ist, 
die  durch  den  lokalen  Gott  fcnSM  spezialisiert  wird;  vgl.  Clermont-Qanneau, 
Journal,  asiat.,  X  SSrie,  t.  VI,  1905,  p.  363—367  =  Recueü  VII,  1906,  p.  155— 
159.  Über  K*ttK  s.  oben  Bd.  I,  S.  741  f. Auch  auf  nabatäischen  In- 
schriften anderer  Gegenden  kommt  KWH  häufig  vor.  8.  bes.  Euting,  Naba- 
täische  Inschriften  aus  Arabien  (1885)  Nr.  II  Im.  5.  III  tön.  3.  8.  IV  tön.  4.  7. 
IX  lin.  3.  7.  8.  XI  lin.  6.  XII  lin.  8.  XX  lin.  8.  XXVII  lin.  12.  Dieselben 
Inschriften  auch  im  Corp.  Inscr.  Semit.  P.  II  Aram.  n.  197—224.  Euting, 
Sinaitische  Inschriften  (1891)  n.  437  (fcOHH),  499  (nom.  propr.  60iöVra*n),  1559 
(nom.  propr.  &niövnas).  Dieselben  Inschriften  auch  im  Corp.  Inscr.  Semit. 
P.  II  Aram.  n.  912.  986.  1225.  Inschriften  von  Petra,  dem  Zentrum  der 
nabatäischen  Macht:  Corp.  Inscr.  Sem.  P.  II  Aram.  n.  350.  443.  In  Milet 
dd  dov[aao6i]:  Sitzungsber.  der  Berliner  Akad.  1906,  S.  260 f.  In  Puteoli: 
Gildemeister,  Zeitschr.  der  DMG.  XXIII,  1869,  S.  151  —  Corp.  Inscr.  Semit. 
P.  II  Aram.  n.  157.  Auch  lateinisch  auf  mehreren  in  Puteoli  gefundenen 
Basen  von  Weihgeschenken:  Dusart  sacrum  (Mommsen,  Inscr.  Regni  Neap. 
n.  2462  =  Corp.  Inscr.  Lot.  t.  X  n.  1556).  —  Vgl.  Tertullian.  Apolog.  24:  Uni- 
cuique  etiam  provinciae  et  civitati  suus  deus  est,  ut  Syriae  Astartes,  ut  Arabiae 
Dusares.  —  Hesych.  Lex.  s.  v.\  Jovo<xQip>  xbv  diövvaov  Naßaraloi.  —  Krehl, 
Über  die  Religion  der  vorislamischen  Araber  (1863)  S.  48 ff.  —  Wadding- 
tons Erläuterungen  zu  n.  2023.  —  Mordtmann,  Dusares  bei  Epiphanius 
(Ztschr.  der  DMG.  1875,  8.  99—106).  —  Preller,  Römische  Mythologie.  3.  Aufl. 
II,  404.  —  Wellhausen,  Reste  arabischen  Heidentums  (Skizzen  und  Vor- 
arbeiten, 3.  Heft,  1887)  S.  45—48.  —  Baethgen,  Beiträge  zur  semitischen 
Religionsgeschichte  (1888)  S.  92—97.  —  Roschers  Lex.  der  griech.  und  röm. 
Mythologie,  Art.  „Dusares"  (von  E.  Meyer).  —  Pauly-Wissowas  Real-Enz. 


[33.  34]      II,  1.  Der  Hellenismus  in  den  nicht-jüdischen  Gebieten.  45 

auch  noch  andere  |  arabische  Gottheiten  erwähnt,  deren  einige  uns 
freilich  nur  dem  Namen  nach  bekannt  sind73.  Die  Herrschaft 
haben  jedoch  in  der  genannten  Periode  die  griechischen  Gott- 
heiten. Unter  ihnen  begegnet  weitaus  am  häufigsten  Zeus  in 
mannigfaltigen   Modifikationen74;    nächst   ihm   Dionysos,    Kronos, 

Art.  „Dusares"  (von  Cumont,  reich  an  Material).  —  Dussaud,  Le  culte  de 
Dusarte  ffaprcs  les  mormaies  d'Adraa  et  de  Bostra  (Revue  Numismatique  IVme 
Serie,  t.  VHI,  1904,  p.  160—173).  —  Ed.  Meyer,  Die  Israeliten  und  ihre 
Nachbarstamme,  1906,  S.  267ff.  —  Dussaud,  Les  Arabes  en  Syrie  1907, 
p.  166— 16a 

73)  SeavdQlrrjQ  oder  ßedvSgioq  bei  Waddington  n.  2C46.  2374a  (C. 1  Gr. 
4609,  Addend.  p.  1181).  2481;  Dämascius,  Vita  Isidori,  bei  Photius,  Biblioth. 
cod.  242  p.  347b  ed.  Bekker  (Migne,  Patrol.  gr.  103,  1249):  "Eyva>  6h  ivrai&a 
(in  Bostra)  xbv  SeavÖQlnjv  äQoevandp  (l.  SiQQevwndv)  Svxa  (tebv  xal  tdv  Stfiy- 
Xw  ßlov  ifutviovra  xatq  ywza%-  Marinas,  Vita  Prodi  e.  19  (vgl.  oben 
Anm.  11);  Waddingtons  Erläuterungen  zu  n.  2046;  Fossey,  Journal  asiatique 
IXme  Serie,  t  XI,  1898,  p.  314  sq.  (nimmt  an,  daß  Theandrites  —  Dusara).  — 
Obaaaid&ov  (?):  Waddington  n.  2374.  2374*.  —  MaXeix^ov  (?),  Quarterly 
Statement  of  the  Pal  Expl  Fund  1895,  p.  136.  —  ri>K ,  AUath  (weibliche  Gott- 
heit): De  VogiiS,  Syrie  Centrale,  Inscr.  simit.  p.  100.  107.  119  =  Corp.  Inscr. 
Semit.  P.  II  Aratn.  n.  170.  182.  185;  vgl  183.  Dieselbe  auch  bei  Euting, 
Nabatäische  Inschriften,  Nr.  III  /m.  4  —  Corp.  Inscr.  Semit.  P.  II  Aram. 
n.  198.  Bei  Herodot  "AXttxa  (1, 1 31)  oder  'AXtXdv  (III,  8).  Arab.  al  IM,  W  e  1 1  - 
hausen  a.  a.  O.  8.  25 — 29.  —  Überhaupt  s.  Baethgen,  Beitrage  zur  semit. 
Religionsgeschichte  8.  58—59.  90.  97 — 104;  Dussaud,  Nouveües  archives  des 
missions  scientifiques  t.  X,  1902,  p.  457  sqq.  (über  Al-L&t  und  andere  arabische 
Gottheiten).  Dussaud,  Les  Arabes  en  Syrie  p.  116 — 139.  —  Der  auf  einigen 
Inschriften  vorkommende  Name  Vttp,  Qaciu,  welchen  De  Vogüe*  als  Name 
eines  Gottes  aufgefaßt  hatte  (l.  c.  p.  96.  103),  ist  nur  Personen-Name  (s.  Corp. 
Inscr.  Semit.  P.  11  Aram.  n.  165.  174).  Nach  dieser  Analogie  sind  vielleicht 
auch  die  Namen  Obaoaia&ov  >  MaXeiza&ov  nicht  als  Namen  von  Gottheiten, 
sondern  nur  als  Personen-Namen  zu  betrachten  („Gott  des  Obaoaia&og"  usw.); 
so  Olermont-  Ganneau,  Recueil  d'archiologie  Orientale  TL,  110. 

74)  dd  fieyi<rt(p:  Waddington  n.  2116.  2140.  2289. 2292.  2339.  2340. 2412<* 
(Wetzstein  185);  Quarter ly  Statement  1901,  p.  354  —  1902,  p.  21  =  Clermont- 
Ganneau,  Becueil  V  p.  22.  —  dd  (teylory  iftplonp:  Dussaud,  Nouveües  archives 
des  missions  scientifiques  X,  640.  —  dd  xvqI<j>  Waddington  n.  2290.  2413b 
(Wetxst.  179).  2413J  (C.  J.  Gr.  4558);  xvqIov  didq:  Waddington  n.  2288.  — 
0*00  dtöqi  Waddington  2413k  (O.  J.  Or.  4559).  —  didq:  Waddington  2211.  — 
Zev  ärixTjre:  Wadd.  2390  (vgl.  auch  unten  Anm.  80  über  den  Sonnengott).  — 
7sXelq>  Wadd.  2484.  —  dd  Ixeolco,  in  Flk:  Germer-Durand,  Revue  biblique  1899, 
p.  8.  —  dibq,  K*Qaov{vlov\  zwischen  Gadara  und  Pella:  Revue  biblique  1899, 
p.  7;  bloß  KeQawly  (in  Batanäa):  Wadd.  2195;  vgl.  auch  oben  Anm.  39  (Nach- 
barschaft von  Damaskus)  und  die  Inschrift  des  Agathangelos  aus  Abila  in 
der  Dekapolis  (Wadd.  2631:  dd  fieyionp  Keoawly)-,  üsener,  Keraunos  (Rhein. 
Museum  60,  1905,  S.  1—30).  —  'ETweaptty  Ad  (Bostra):  Wadd.  1907.  —  dd 
[<Poa}i0j(p  xal  aHga  &eolg  tcoxqwok;  (Bostra)  Wndd.  1922.  —  ZeU  Zatpc&rjvt 
(Bostra):  Clermont- Ganneau,  tiudes  d'archiologie  Orientale  tome  II  (==  Biblio- 
theque  de  V&cole  des  'haute*  Üudes  fase.  113)  1897,  p.  28—32;  Brünnow,  Mit- 


46  §  22-  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [34.  35] 

Herakles,  Hermes,  Ares,  Pluto  (mit  Persephone),  Qanymedes1*;  von 
weiblichen  Gottheiten  am  häufigsten  Athene16  und  Tyche11,  daneben 
Aphrodite,  Nike,  \  Irene,  die  Nymphen  und  Nereiden78.  Die  Artemis, 
welche  zur  Zeit  des  Antonmus  Pius  in  Batanäa  verehrt  wurde,  ist  ver- 
mutlich eine  Gräzisierung  der  hier  einheimischen  Mondgöttin,  der 
doppeltgehörnten  Astarte79,  wie  überhaupt  manche  dieser  griechi- 


teilungen  und  Nachrichten  des  DPV.  1899,  S.  82;  Dussaud  et  Maeler,  Vbyage 
archiologique  au  Safä  etc.  l?K)lf  p.  192  (Photographie);  Hatevy,  Journal  asia- 
iique  IXme  Serie  t.  XVIII,  1901,  p.  517;  Dittenberger,  Orientis  graeoi  inscr. 
sei.  n.  627. 

75)  Dionysos:  Waddington  n.  2309.  —  Kronos:  n.  2375.  2544.  —  Hera- 
kles: n.  2413o  (Wetxst.  177).  2428.  —  Hermes:  Revue  archiol.,  troisieme  Serie 
U  IV,  1884,  p.  277  —  Clermont-Ganneau,  Recueil  tf  archiol  Orientale ,  I,  1888, 
p.  19.  —  Ares:  Dussaud,  Nouvelles  archives  des  missions  seientifiques  t.  X,  1902, 
p.  648.  —  Pluto  and  Persephone:  Waddington  n.  2419. —  Ganymedes:  n,  2097. 
2118.  —  Nach  Wadd.  n.  2440  wäre  hier  auch  Ogenes  zu  nennen;  vgl.  aber 
dagegen  Clermont-Ganneau,  Recueil  a^  archiol  Orientale  VI,  1905,  p.  283 — 287 
(statt  'Qyhu  ist  zu  lesen  .  .  .  <j>  yfrei). 

76)  Waddington  n.  2081.  2203».  2203b  {Wetxst.  16.  17).  2216.  2308. 
2410.  2453  (=  Dussaud,  Nouv.  archives  X,  644).  2461.  Auch  mit  lokaler  Fär- 
bung (A&ijvq  roZjxalg,  zu  Kanatha)  n.  2345. 

77)  Waddington  n.  2127.  2176.  2413*  bis  24131  (=  Corp.  Inscr.  Oraec. 
n.  4554  bis  4557).  2506.  2512.  2514;  Revue  biblique  1905,  p.  605  (bessere  Lesung 
von  ClOr.  4557  =  Wadd.  24131).  —  Im  Semitischen  wird  Tvxv  als  Gottesname 
durch  T$  wiedergegeben,  s.  Lagarde,  Gesammelte  Abhandlungen  1866,  8. 16; 
Mordtmaon,  Zeitschr.  d.  DMG.  1877,  8.  99—101;  Olermont-Ganneaus 
Abhandlung  über  die  Inschrift  auf  dem  StierbiJde  zu  Kanatha  (ßomptes  rendus 
1898,  597—605  —  Recueil  III,  75—82,  s.  oben  Anm.  43);  Baudissin  in  Her- 
zog-Hau  ck,  Eeal-Enz.,  3.  Aufl.  VI,  1899,  8.  333  ff.  (im  Artikel  „Gad"),  und  vgl. 
noch  die  in  der  Mischna  erwähnte  Lokalität  bei  Jerusalem  "jV  *rt,  Sabim  I,  5. 
Daraus  folgt  aber  nicht  daß  der  Kultus  der  Tvx*l  &uf  den  des  altsemitischen 
Gad  zurückzuführen  ist,  dessen  weite  Verbreitung  sich  nicht  nachweisen  läßt 
(vgl  über  ihn:  Baudissin  in  Herzog- Hauck,  Real-Enz.,  3.  Aufl.  VI,  328 ff.). 
Eher  ist  an  die  syrische  Astarte  zu  erinnern,  mit  welcher  die  Tyche  jeden- 
falls im  allgemeinen  verwandt  ist  (so  auch  Mordtmann).  Vgl.  über  die  Tvxn 
als  Stadtgottheit:  Mordtmann,  Zeitschr.  der  DMG.  XXXIX,  1885,  8.  44—46; 
Baethgen,  Beiträge  zur  semit  Religionsgesch.  8.  76 — 80  (bringt  den  Kultus 
der  Tyche  in  nahen  Zusammenhang  mit  dem  des  Gad);  Allegre,  Müde  sur 
la  dSesse  grecque  TychS.  Sa  signification  religieuse  et  morale,  son  culte  et  ses 
representations  figuries.  These.  Paris  1889  (249  p.);  Bouchi-Leclercq, 
Tyche  ou  la  Fortune,  ä  propos  d'un  ouvrage  recent  (Revue  de  l'htstoire  des  reli- 
gions  XXUI,  1891,  p.  273—307);  Lewy,  Einiges  über  Tvffl  (Jahrbb.  fürklass. 
Philol.  1892,  8.  701-767);  Baudissin  a.  a.  O. 

78)  Aphrodite:  Waddington  n.  2098.  —  Nike:  n.  2099.  2410.  2413j  (OIQr. 
4558).  2479.  —  Irene:  n.  2526.  —  Nymphen  und  Nereiden:  Dussaud, 
Nouvelles  archives  X,  694. 

79)  O.  A.  Smith,  Palestine  Exploration  Fund,  Quarterly  Statement  1901, 
p.  355.    Die  richtige  Lesung  'Aoxiiuöi  rjf  xvoiq   erst  bei  Clermont-Ganneau, 


[35.  36]      II,  1.  Der  Hellenismus  in  den  nicht-jüdischen  Gebieten.  47 

sehen  Gottheiten  nur  Gräzisierungen  einheimischer  sind.  Durch 
den  religiösen  Synkretismus  der  späteren  Kaiserzeit  sind  endlich 
neben  den  alten  lokalen  Gottheiten  auch  andere  orientalische  be- 
günstigt worden.  Darunter  spielt  die  Hauptrolle  der  syrische 
Sonnengott,  der  hier  bald  unter  dem  semitischen  Namen  Avpov, 
bald  unter  dem  griechischen  °HXioq}  bald  unter  beiden  zugleich 
verehrt  wurde80.  Sein  Kultus  war  noch  zur  Zeit  Konstantins 
so  blühend,  daß  ihm  damals  noch  ein  ansehnlicher  Tempel  in 
Auranitis  errichtet  werden  konnte81.  Ja  es  gelang  schließlich  den 
christlichen  Predigern  nur  dadurch  ihn  zu  verdrängen,  daß  ihm 
der  Prophet  *HUag  substituiert  wurde82.  Außer  dem  syrischen 
Sonnengott  sind  auch  der  gazäische  Mamas  und  die  ägyptischen 
Gottheiten  Ammon  und  Isis  nachweisbar83. 

Mit  den  religiösen  Kulten  stehen  vielfach  in  naher  Verbindimg 
die  periodischen  Festspiele.  Auch  auf  diesem  Gebiete  läßt  sich 
die  Herrschaft  hellenistischer  Sitte  noch  an  zahlreichen  Beispielen 
nachweisen.  Doch  sind  auch  hier  wieder  die  Quellen  für  die 
eigentlich  griechische  Zeit  äußerst  spärlich.  Wir  wissen,  daß  schon 
Alexander  d.  Gr.  in  Tyrus  glänzende  Spiele  gefeiert  hat84.  Der 
dortige  xsvxasxriQixbq  ay<x>v  wird  in  der  Vorgeschichte  der  makka- 
bäischen  Erhebung  gelegentlich  erwähnt  |  (II  Makk.  4, 18—20).  Aus 
demselben  Anlaß  erfahren  wir  auch,  daß  Antiochus  Epiphanes  in 
Jerusalem  die  Aiovvcia  einfuhren  wollte  (II  Makk.  6,  7).  Aber 
gerade  für  die  eigentlich  hellenistischen  Städte  Palästinas  läßt  sich 
die  Feier  solcher  Spiele  für  die  vorrömische  Periode  nirgends  mehr 


ebendas.   1902  p.  23  «  Becueü  (TarcMohgie  Orientale  V,   1903,  p.  24,   als 
„zweifellos  richtig"  anerkannt  von  0.  A.  Smith,  Quarterly  Statement  1902,  p.  27. 

80)  Atfiovi  Waddington  n.  2441. 2455.  2456.  —aHXio<;:  n.  2165.  2398.  2407, 
in  Verbindung  mit  SeX^vrj  n.  2430.  —  dibq  ävix^xov  'HXlov  &eo$  Aifxovi 
n.  2392.  2394.  2395,  ähnlich  2393  (—  Dittenberger,  Orientis  graeci  ins  er.  sei. 
n.  619).  —  Die  Formel  &e(j>  Ai/iov  (w.  2455.  2456)  kann  nicht  heißen  „dem 
Gott  des  Aumos",  so  daß  Aumos  Name  des  Verehrers  wäre  (vgl.  oben  Anm.  73), 
sondern  Afyov  oder  Avftoq  ist  der  Name  des  Gottes  selbst,  wie  n.  2393  be- 
weist: °HXiov  B-eov  Av/iov.  —  Vgl.  über  den  syrischen  Sonnengott  auch 
Du s saud,  Notes  de  mythologie  Syrienne  (Revue  archeol.,  quatr.  Serie  t.  I— III, 
1903—1904;  auch  separat  1905).  Dazu  Baudissin,  Theol.  Litztg.  1906,  294. 
Besonders  Baudissin  Art.  „Sonne4*  in  Herzog-Hauck,  Real-Enz.,  3.  Aufl. 
XVm,  1906,  S.  489-521. 

81)  Wadding  ton  n.  2393. 

82)  S.  Waddington  zu  n.  2497. 

83)  Mamas:  Waddington  n.  2412g  (Wetxst.  183).  —  Ammon:  rc.  2313. 
2382.  —  Isis:  n.  2527.  Auch  auf  einer  Münze  von  Kanata  bei  Mionnet,  Suppl. 
VIII,  225  n.  5. 

84)  Arrian.  II,  24,  6;  Hl,  6,  1.  Vgl.  Plutarch.  Alex.  e.  29;  Droysen, 
Gesch.  d.  Hellenismus  (2.  Aufl.)  I,  1,  297.  325. 


48  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [36.  37] 

im  einzelnen  nachweisen;  sie  ist  nnr  nach  dem  allgemeinen  Charak- 
ter der  Zeit  als  selbstverständlich  vorauszusetzen85.  Erst  fBr^die 
römische  Zeit  fließen  die  Quellen  wieder  reichlicher.  Es  ist  bekannt, 
welch  große  Bedeutung  die  öffentlichen  Spiele  in  der  Kaiserzeit 
hatten:  keine  Provinzialstadt  von  nur  einiger  Bedeutung  entbehrte 
derselben86.  Namentlich  waren  es  die  mit  dem  Kaiserkultus  in 
Verbindung  stehenden  Spiele  zu  Ehren  des  Kaisers,  welche 
schon  zur  Zeit  des  Augustus  allenthalben  in  Aufnahme  kamen87. 
Auch  in  Palästina  wurden  sie  durch  Herodes  in  Cäsarea  und  Jeru- 
salem eingeführt.  Daneben  existierten  aber  auch  andere  Spiele 
mancherlei  Art  Für  das  zweite  Jahrhundert  n.  Chr.  ist  deren 
Blüte  in  den  Hauptstädten  Palästinas  bezeugt  durch  eine  Inschrift 
zuAphrodisias  in  Karien,  auf  welcher  Rat  und  Volk  der  Aphro- 
disier  die  Siege  verzeichnen,  die  ein  gewisser  Aelius  Aurelius 
Menander  bei  vielen  Wettkämpfen  errungen  hat  Unter  den  hier 
aufgezählten  Spielen  finden  sich  auch  solche  in  palästinensischen 
Städten88.  Auf  einer  ähnlichen  Inschrift  zu  Laodicea  in  Syrien 
aus  dem  Anfang  des  dritten  Jahrhunderts  nach  Chr.  hat  der  Sieger 
selbst  die  von  ihm  errungenen  Siege  der  Nachwelt  überliefert 
Auch  hier  |  sind  wieder  mehrere  palästinensische  Städte  als  Schau- 
platz genannt89.    Endlich  in  einer  anonymen  DescripHo  totius  orbis 


86)  Vgl.  Stark,  Gaza  S.  594 f. 

86)  Vgl.  über  die  Spiele  in  der  römischen  Zeit  bes.  Friedländer,  Dar- 
stellungen ans  der  Sittengesch.  Borns  Bd.  II  (3.  Aufl.  1874),  S.  261—622.  — 
Über  die  Organisation  und  die  Arten  derselben  auch:  Marquardt,  Bömische 
Staatsverwaltung  Bd.  III  (2.  Aufl.  1878),  S.  462—544  (ebenfalls  von  Friedländer 
bearbeitet);  Bei  seh,  Art  Agones  in  Pauly-Wissowas  Beal-Enz.  1, 836— 866. 

87)  Sueton.  Aug.  59:  provinoiarum  pleraeque  super  templa  et  aras  lud  ob 
quoque  quinquennales  paene  oppidatim  constituerunt. 

88)  Le  Bas  et  Waddington  T.  HI  n.  1620b.  —  Die  Inschrift  stammt, 
wie  eine  andere  dazugehörige  (n.  1620a)  beweist,  aus  der  Zeit  Mark  Aureis. 
Der  uns  interessierende  Teil  lautet: 

Aafxaoxbv  ß'  ävöowv  navxQaxiv, 

BriQvzbv  ivSgtbv  navxQ&uv, 

Tvqov  avö(Hbv  navxQaxLV, 

Kaiaäoeiav  xty  ÜTQaxwvoq  dvöowv  navxQaxiv> 

Niav  ndXiv  xfjq  Sapaglaq  dvSowv  navxoaxiVy 

Zxv&ÖTioliv  avögöyy  navxoaxiv, 

räCpiv  &vd(Hbv  navxQ&xiv, 

Kaioäpeiav  Raviaöa  ß'  ävdfHbv  navxodxiv,  .... 

<PiAaö£A<psiav  xfjq  \ioaßla<;  ävÖQtbv  navxodxiv. 

89)  Corp.  Inser.  Graec.  n.  4472=  Le  Bas  et  Wadding  ton  T.  III  n.  1839 
«=  Inseriptiones  graecae  ad  res  romanas  pertinentes  t.  HI,  ed.  Oagnat  n.  1012. 
—  Die  Inschrift  ist  datiert  vom  J.  221  n.  Chr.  Sie  erwähnt  u.  a.  Spiele  in 
Cäsarea,  Askalon  und  Skjthopolis. 


[37]  II,  1.  Der  Hellenismus  in  den  nicht-jüdischen  Gebieten.  49 

aus  der  Mitte  des  vierten  Jahrhunderts  nach  Chr.  werden  die 
Arten  der  Spiele  und  Wettkämpfer  aufgezählt,  durch  welche  damals 
die  bedeutendsten  Städte  Syriens  sich  auszeichneten 90.  Aus  diesen 
und  anderen  Quellen  läßt  sich  noch  folgendes  Material  zusammen- 
stellen91. 

In  Gaza  wurde  seitHadrian  eine xavriyvQiq yAÖQiavri  gefeiert 92. 
Ein  dortiges  xccyxQaTiov  erwähnt  die  Inschrift  von  Aphrodisias 98. 
In  einem  Papyrus  aus  der  Zeit  des  Gallienus  (259—268)  sagt  ein 
Athlet:  £oreg)avc&{h]v  Isqov  slösXaörixov  olxovfievtxov  dywpog  löo- 
Ivfixlov  rafyurdiv94.  Die  pammacharii  (=  jtafipaxoi  oder  xayxQa- 
Tiaoxat)  von  Gaza  waren  im  vierten  Jahrhundert  die  berühmtesten 


90)  Diese  ursprünglich  griechische  Deseripiio  totius  orbi%  ist  in  zwei  la- 
teinischen Bearbeitungen  erhalten,  welche  beide  bei  Müller,  Oeographi  Oraeci 
minores  II,  513 — 528  abgedruckt  sind.  Die  eine,  filtere,  auch  bei  Riese,  Oeo- 
graphi Latmi  minores  (1878)  p.  104—126;  Lumbroso,  Expositio  totius  mundi 
et  gentium,  Rom  1903;  Sinko,  Die  Deseriptio  orbis  terrae,  eine  Handelsgeo- 
graphie aus  dem  4.  Jahrh.  (Archiv  für  lat.  Lexikographie  und  Grammatik  XIII, 
1904,  S.  531-571).  [Sinko  und  Wölfflin,  Archiv  a.  a.  O.,  S.  573—578,  halten 
den  lateinischen  Text  für  Original;  s.  dagegen:  Klotz,  Philologus  Bd.  65,  1906, 
8.  97 — 127].  —  Ich  gebe  den  Text  von  e.  32  nach  Sinko:  quoniam  atäem 
oportet  et  singtäa  earum  describere,  quid  a(d)  singtäas  civitates  delectabile[s] 
esse  polest,  et  hoc  dieere  necessarium  est:  hohes  ergo  Antioehiam  quidem  in 
omnibus  delectabilibus  habundantem,  maxim[a]e  atäem  eircensibus.  omnia  autem 
quare?  quoniam  ibi  imperator  sedet,  necesse  est  omnia  propter  cum.  ecee  simi- 
liier  Ladicia  eireenses  et  Tyrus  et  Beritus  et  Caesarea.  [s]et  Laodicia  mittet 
aliis  civitatibus  agitatores  obtimos,  Tyrus  et  Beritus  mimarios,  Caesarea  pan- 
tomimos,  (H)eliopolis  choratäas  maxime,  quod  a  Libano  Musae  Ulis  inspirent 
divinitatem  dicendi.  aliquando  atäem  et  Gaza  habet  bonos  audüores;  dicitur 
autem  habere  eam  et  pammacharios.  Ascalon  athletas  luctat  ores,  Gastabala 
ealopettas.  —  Die  Tilgung  von  luctatores  (Biese,  Sinko)  ist  unnötig.  Die  lue- 
tatores  waren  eine  besondere  Art  der  athletae. 

91)  In  der  Aufzahlung  der  Städte  befolge  ich  dieselbe  Anordnung  wie 
oben  bei  den  Kulten  und  wie  in  §  23,  I.  —  Zur  Orientierung  sei  noch  be- 
merkt, daß  es  überhaupt  folgende  Arten  von  Spielen  gab:  1)  im  Zirkus 
(bt7t6ö(}opoQ)  die  Wagenrennen,  2)  im  Amphitheater  die  Gladiatorenkampfe 
und  Tierhetzen,  3)  im  Theater  die  eigentlichen  Schauspiele,  zu  welchen  auch 
die  Pantomimen  gehören,  4)  im  Stadium  die  gymnastischen  Spiele:  Faust- 
kampf, Ringen  und  Wettlauf  (I  Kor.  9,  24:  o\  iv  axaSlq)  TQ&xovrtq);  doch 
wurden  letztere  zuweilen  auch  im  Zirkus  gehalten  (Marquardt  III,  504  f.).  — 
Bei  den  großen  Jahresfesten  waren  in  der  Regel  mehrere  dieser  Spiele  ver- 
einigt. 

92)  Ohron.  pasch,  ed.  Dvndorf  I,  474. 

93)  Das  nayxQ&xtov  ist  der  „Gesamtkampf',  welcher  den  Ringkampf 
(ndXrj)  und  Faustkampf  (iwyfirf)  zugleich  umfaßt.  Er  gehört  also  in  die  Klasse 
der  gymnastischen  Spiele.  Vgl.  Oardiner,  \The  pankration  and  tcrestling 
(Journal  of  Bellende  Studies  XXVI,  1906,  p.  4-22). 

94)  Wessely,  Oorpus  papyrorum  Hermopolitanorum  1, 1905,  n.  70  (S.  33). 
Schürer»,  Geachichte  II.  4.  Aufl.  4 


50  §  22.  Allgemeine  Kiüturverhaltnisse.  [37.  38] 

in  Syrien95.  Der  zirzensischen  Spiele  daselbst  gedenkt  Hieronymus 
in  seinem  Leben  des  heiligen  Hilarion96.  Für  Askalon  ist  ein 
raXavxcaloq  dyciv  durch  die  |  Inschrift  von  Laodicea  bezeugt97. 
Berühmt  waren  namentlich  seine  Ringkämpfer  (atUetae  luctatores, 
s.  Anm.  90).  —  In  Gäsarea  hat  schon  Herodes  der  Große  ein 
steinernes  Theater  und  ein  großes  Amphitheater  erbaut,  letzteres 
mit  dem  Blick  auf  das  Meer98;  ein  oxadiov  wird  zur  Zeit  des 
Pilatus  erwähnt99;  auch  einen  Zirkus  muß  die  Stadt  von  Anfang 
an  gehabt  haben,  da  schon  bei  der  Einweihung  durch  Herodes  ein 
Xxjicov  ÖQofioq  gefeiert  wurde  (s.  unten).  Noch  jetzt  sind  Spuren 
und  Reste  eines  Theaters  und  eines  Hippodromes  daselbst  nach- 
weisbar 10°.  Wie  hiernach  für  alle  vier  Hauptgattungen  der  Spiele 
von  Anfang  an  gesorgt  war,  so  sind  in  der  Tat  schon  bei  der  Ein- 
weihung durch  Herodes  den  Großen  alle  Arten  gefeiert  worden101. 
Diese  Spiele  wurden  von  nun  an  zu  Ehren  des  Kaisers  alle  vier 
Jahre  wiederholt102.  Sie  sind  aber  natürlich  nicht  die  einzigen 
gewesen,  die  Cäsarea  besessen  hat  Im  einzelnen  sind  auch  für 
die  spätere  Zeit  noch  alle  vier  Arten  nachweisbar.  1)  Die  ludi 
circense8  von  Cäsarea  waren  im  vierten  Jahrhundert  n.  Chr.  ebenso 
berühmt  wie  die  von  Antiochia,  Laodicea,  Tyrus  und  Berytus 
(s.  Anm.  90).  2)  Gladiatorenkämpfe  und  Tierhetzen  veranstaltete 
Titus  nach  Beendigung  des  jüdischen  Krieges,  wobei  Hunderte  von 


95)  8.  oben  Anm.  90.  —  Außer  den  pammaeharii  werden  für  Gaia  auch 
boni  auditores  erwähnt,  was  sicher  auf  einem  Fehler  der  Übersetzung  oder 
der  Textüberlieferung  beruht;  am  ansprechendsten  ist  die  Vermutung,  daß  es 
=  dxQodfiata. 

96)  Hieronymus,  Vita  Eüarionis  c.  20  (Opp.  ed.  Valiarsi  11,  22):  Sed  et 
Italiens  ejtisdem  oppidi  munieeps  Christianus  adversus  Oaxensem  Dnumvirum, 
Marnae  idolo  deditum,  circenses  equos  nutriebat. 

97)  Der  Ausdruck  xaXavuaZos  dywv  kommt  auch  sonst  zuweilen  vor. 
8.  Corp.  Inscr.  Qraec.  n.  2741,  20  (==  Dittenberger,  Orientis  Qraeci  inscr.  seL 
n.  509).  2759, 1.  2810,  19.  3208,  20.  3676, 15;  Corp.  Inscr.  Lot.  t.  III  Supplem. 
n.  6835—6837. 

98)  Antt.  XV,  9,  6  /in.;  R  J.  I,  21,  8. 

99)  Antt.  XVni,  3,  1;  B.  J.  H,  9,  3. 

100)  The  Surrey  of  Western  Palestine,  Memoirs  by  Conder  and  Kitchener 
II,  13  sqq.  (mit  Plan  der  8tadt  S.  15). 

101)  Antt.  XVI,  5, 1:  xarrjyyiXxei  fihv  ya.Q  ayüwa  ßovaixtJQ  xal  yvfimxwv 
aS-XTjfidrcDV,  naQsaxevdxei  öh  noXv  7iXrj9o$  ftovofiaxwv  xal  ütjoIcw,  aunuov  te 
öqöjuov  etc. 

102)  Die  Spiele  wurden  gefeiert  xazä  nevxaexrjQlöa  (Antt.  XVI,  5,  1)  und 
heißen  darum  TcewaeniQixol  dyCbvsQ  [B.  J.  I,  21, 8).  Nach  unserer  Ausdrucks- 
weise sind  dies  aber  vierjährige  Spiele.  Dieselben  Formeln  werden  von  allen 
vierjährigen  Spielen,  den  olympischen,  aktischen  u.  a.,  konstant  gebraucht. 
8.  die  Lexica  und  das  Material  im  Index  zum  Corp.  Inscr.  Qraec.  p.  158  s.  v. 


[38.  39]      II,  1.  Der  Hellenismus  in  den  nicht-jüdischen  Gebieten.  51 

jüdischen  Kriegsgefangenen  geopfert  wurden103.  Ausländische 
Tiere  aus  Indien  und  Äthiopien  stellte  Kaiser  Maximinus  bei  der 
Feier  seines  Geburtstages  zur  Schau104.  3)  Spiele  im  Theater 
werden  zur  Zeit  des  Königs  Agrippa  I  erwähnt105.  Die  pantomimi 
von  Cäsarea  waren  im  vierten  Jahrhundert  die  berühmtesten  in 
Syrien  (s.  Anm.  90).  Von  pantomimischen  Spielen  ist  wohl  auch 
zu  ver  |  stehen,  was  Eusebius  von  den  Spielen  des  Maximinus 
sagt l06.  4)  Ein  xayxQaziov  erwähnt  die  Inschrift  von  Aphrodisias, 
einen  Faustkampf  die  Inschrift  von  Laodicea107.  —  In  Ptolemais 
erbaute  Herodes  d.  Gr.  ein  Gymnasium108. 

In  Damaskus  erbaute  ebenfalls  Herodes  ein  Gymnasium  und 
ein  Theater  (s.  Josephus  a.  a.  0.).  Ein  xayxQaxiov  daselbst  ist  durch 
die  Inschrift  von  Aphrodisias  bezeugt  (s.  Anm.  88),  ein  „langer 
Wettlauf4  durch  eine  Inschrift  von  Tralles  (dafiaoxov  avÖQ&v 
ioXixov)in.  Die  dortigen  ceßaofita  (Spiele  zu  Ehren  des  Kaisers) 
werden  auf  den  Münzen  seit  Macrinus  erwähnt110.  —  InGadara 
sind  noch  heute  die  Ruinen  von  zwei  Theatern  erhalten111.  Eine 
vavfiaxla  daselbst  kommt  auf  einer  Münze  Mark  Aureis  vor112.  — 
Kanatha  hat  außer  seinen  Tempelruinen  auch  die  eines  kleinen 
in  den  Felsen  gehauenen  Theaters,  das  auf  einer  Inschrift  als 
d-earQoecöhg  coöelov  bezeichnet  ist113.  —  In  Skythopolis  sind  noch 


103)  Bell.  Jttd.  VII,  3,  1. 

104)  Euseb.  De  martyr.  Palaest.  VI,  1-2. 

105)  Antt.  XIX,  7,  4;  8,  2.  Über  die  an  letzterer  Stelle  erwähnten  Spiele 
zu  Ehren  des  Kaisers  Claudius  s.  oben  §  18  s.  fin. 

106)  De  martyr.  Palaest.  VI,  2:  dvöowv  ivzixvoig  tial  c&ftaaxlatQ  naoa- 
Sdf&vQ  yv%aywyla$  toZq  dowaiv  ivSeixwfiivofv.    S.  dazu  Valesius'  Anm. 

107)  Diese  nvyfx^  fand  statt  bei  Gelegenheit  des  ZeovJjoeioQ  Obcovfitvixbq 
Ih&ixSe  {seil,  dywv),  d.  h.  der  dem  Kaiser  Septimius  Severus  geweihten  pythi- 
schen  Spiele. 

108)  Joseph.  B.  J.  I,  21,  11. 

109)  Bulletin  de  eorresp.  hellenique  XXVIII,  1904,  p.  88. 

110)  Mionnet  V,  291  sqq.;  Suppl.  VIII,  198  sqq.;  De  Saulcy  p.  42  sqq. 
Auch  auf  Inschriften:  Corp.  Inscr.  Attie.  t.  III  n.  129;  Corp.  lnscr.  Lot.  t.  XTV 
n.  474.  Vgl.  Clermont-Qanneau,  Recueil  cfarchäologie  Orientale  IV,  1901, 
p.  302  sqq. 

111)  S.  darüber  die  in  §  23,  I  Nr.  14  zitierte  geographische  Literatur. 
Die  genaueste  Beschreibung  der  beiden  Theater  gibt  Schumacher,  Northern 
fylün,  London  1890,  p.  49—60.  —  Über  die  fortgehende  Zerstörung  der  Ruinen 
durch  die  heutigen  Einwohner  s.  Schumacher,  Zeitschr.  d.  DPV.  XXII,  1899, 
8.  181  f.;  G.  A.  Smith,  Quarterly  Statement  1901,  p.  341. 

112)  S.  darüber  bes.  Eekhel,  Doctr.  Num.  ITT,  348  sqq.,  auch  Mionnet  V, 
326  n.  38;  De  Saulcy  p.  299. 

113)  Die  Inschrift  bei  Le  Bas  et  Waddington  tUl  n.  2341.  Über  das 
Gebäude  selbst  s.  die  in  §  23,  I  Nr.  18  zitierte  geographische  Literatur. 

4* 


52  §  22.  Allgemeine  KulturverbAltnisse.  [39.  40] 

Spuren  eines  Hippodromes  und  Ruinen  eines  Theaters  erhalten114. 
Ein  dortiges  xayTCQaxiov  erwähnt  die  Inschrift  von  Aphrodisias, 
einen  raXapxtalog  dydv  die  Inschrift  von  Laodicea115.  —  unter 
den  großartigen  Ruinen  von  Geras a  finden  sich  auch  solche  von 
zwei  Theatern  und  Spuren  einer  Naumachie  (eines  für  Schiffs- 
kämpfe  eingerichteten  Amphitheaters)116.  In  sehr  späte  Zeit 
(sechstes  Jahrhundert  nach  Chr.)  gehört  ein  außerhalb  Gerasas 
liegendes  kleines  Theater,  welches  auf  einer  Inschrift  als  [M]asiov- 
fiäg  bezeichnet  wird;  es  diente  augenscheinlich  den  durch  ihre 
Zügellosigkeit  berüchtigten  Spielen  gleichen  Namens117.  Auch  | 
Philadelphia  hat  noch  die  Ruinen  eines  Theaters  und  eines 
Odeums  (eines  kleinen  bedeckten  Theaters)118.  Ein  xayxQaxtov 
daselbst  erwähnt  die  Inschrift  von  Aphrodisias.  —  In  Cäsarea 
Panias  gab  Titus  nach  Beendigung  des  jüdischen  Krieges  „mannig- 
faltige Schauspiele"  {xavxolag  d-ecDQlag),  namentlich  Gladiatoren - 
kämpfe  und  Tierhetzen,  für  welche  die  jüdischen  Kriegsgefangenen 
verwendet  wurden119.  Ein  dortiges  xayxQaxiov  erwähnt  die  In- 
schrift von  Aphrodisias.  -—  Über  die  Spiele  in  den  jüdischen 
Städten  (Jerusalem,  Jericho,  Tarichea,  Tiberias)  siehe  den 
nächsten  Abschnitt 


114)  S.  bes.  The  Survey  of  Western  Palestine,  Memoirs  by  Oonder  and 
Kitehener  vol.  II  p.  106  (Plan  des  Hippodromes)  u.  p.  107  (Plan  des  Theaters). 
—  Das  Theater  ist  nach  Conder  (II,  106)  the  best-preserved  specimen  of  Roman 
work  in  Western  Paleatine. 

115)  Über  xaXavxiaXoQ  dywv  s.  oben  Anm.  97. 

116)  S.  die  in  §  23,  I  Nr.  22  zitierte  geographische  Literatur.  Die  ge- 
naueste Beschreibung  gibt  Schumacher,  Zeitschr.  des  Deutschen  Palastina- 
Vereins  XXV,  1902,  8.  141—150  (die  beiden  Theater),  159—161  (Naumachie); 
vgL  dazu  den  Plan,  Tafel  6.  Schumacher  bezeichnet  das  Amphitheater  irrig 
als  Zirkus.  —  In  einem  der  Theater  sind  noch  Sitznummern  erkennbar  (Nestle, 
Mitteilungen  und  Nachrichten  des  DPV.  1896,  S.  43,  und  besonders  die  ge- 
naueren Angaben  von  Puchstein,  mitgeteilt  von  Lucas,  Mitteil,  und  Nachr. 
des  DPV.  1901,  S.  67  f.).  —  Nach  Benzinger,  Zeitschr.  des  DPV.  XIV,  1891, 
S.  73  haben  in  neuerer  Zeit  starke  Zerstörungen  an  den  Theatern  in  Dscherasch 
stattgefunden.  Doch  s.  noch  die  Abbildungen  von  Schumacher,  Zeitschr. 
des  DPV.  XVIII,  1895,  133.  135;  XXV,  1902,  S.  142.  148  f. 

117)  S.  die  Inschrift  mit  lehrreichem  Kommentar  bei  Lucas,  M.  u.  N. 
des  DPV.  1901,  S.  59—63.  Ober  die  Spiele:  Teuffei  in  Paulys  Real-Enz. 
IV,  1458  f.  (Art.  „Mamma")  und  die  von  Lucas  S.  60  Anm.  4  genannte 
Literatur. 

118)  S.  die  in  §  23,  I  Nr.  23  zitierte  geographische  Literatur.  Die  ge- 
naueste Beschreibung  gibt  Oonder  in:  The  Survey  of  Eastern  Palestine  vol.  I, 
1889,  p.  35*9?.  Abbildung  des  Theaters  z.  B.  bei  Frohnmeyer  und  Ben- 
zinger, Bilderatlas  zur  Bibelkunde,  1905, 8. 63;  Brünnow  und  Domaszewski, 
Die  Provincia  Arabia  II,  220. 

119)  Bell.  Jud.  VII,  2, 1. 


[40.  41]      II)  1.  Der  Hellenismus  in  den  nicht-jüdischen  Gebieten.  53 

Außer  den  Kulten  und  Festspielen  ist  es  noch  ein  dritter 
Punkt,  der  uns  zeigt,  wie  tief  in  manchen  dieser  Städte  der  Helle- 
nismus durchgedrungen  ist:  sie  haben  Männer  hervorgebracht, 
welche  sich  in  der  griechischen  Literatur  einen  Namen 
erworben  haben.  Unter  den  Küstenstädten  ragt  in  dieser  Be- 
ziehung namentlich  Askalon  hervor.  Bei  Stephanus  Byzantinus 
(s.  v.  yAoxal<ov)  werden  allein  vier  stoische  Philosophen  aufgezählt, 
die  aus  Askalon  stammten:  Antiochus,  Sosus,  Antibius,Eubius. 
Von  diesen  ist  nur  Antiochus  näher  bekannt.  Er  war  ein  Zeit- 
genosse des  Lucullus  und  Lehrer  Ciceros,  gehört  also  dem  ersten 
Jahrhundert  vor  Chr.  an.  Sein  System  ist  übrigens  nicht  eigentlich 
stoisch,  sondern  eklektisch120.  Sosus  ist  sicherlich  derselbe,  nach 
welchem  sein  Landsmann  Antiochus  eine  Schrift  betitelte,  also  nicht 
jünger  als  dieser121.  Als  Grammatiker  aus  Askalon  nennt  Stepha- 
nus Byzantinus  den  Ptolemäus  und  Dorotheus,  als  Historiker 
den  Apollonius  und  Artemidorus.  Die  beiden  letzteren  sind 
unbekannt.  Dorotheus  wird  auch  sonst  zitiert;  er  lebte  wahrschein- 
lich zur  Zeit  des  Augustus  und  Tiberius 122.  Am  bekanntesten  ist 
nächst  dem  Philosophen  Antiochus  der  Grammatiker  Ptolemäus 12S. 
Wenn  er,  wie  Stephanus  Byzantinus  angibt,  'AQiöraQxov  yvcoQtfioq 
gewesen  wäre,  so  |  würde  er  dem  zweiten  Jahrhundert  vor  Chr.  an- 
gehören. Wahrscheinlich  ist  er  aber  erheblich  jünger  (um  den  Beginn 
der  christlichen  Zeitrechnung) 124.  Außer  den  von  Stephanus  Byzan- 
tinus aufgezählten  sind  noch  einige  andere  griechische  Literaten 

120)  Vgl.  über  Antiochus:  Zeller,  Die  Philosophie  der  Griechen  III,  1 
(3.  Aufl.  1880),  8.597—608;  Hoyer,  De  Antiocho  Ascalonita,  Borm  1883;  Suse- 
mi hl,  Geschichte  der  griechischen  Literatur  in  der  Alexandrinerzeit  Bd.  II, 
1892,  8.  284—291;  v.  Arnim  in  Pauly-Wissowas  Beal-Enz.  I,  2493;  Doege, 
Quae  ratio  intercedat  inier  Panaetium  et  Antiochum  Ascalonitam  in  morati 
phüosophia.   Diss.  Halle  1896. 

121)  Nach  Index  Stoic.  Herculan.  75,  1  war  er  ein  Schüler  des  Panaetius. 
8.  überh.  Paulys  Beal-Enz.  «.  *.;  Zeller  III,  1,  570;  Susemihl  II,  244. 
Über  das  Alter  des  Sosus  auch  Bohde,  Rhein.  Museum  XXXIV,  1879,  8.  565 
■=  Kleine  Schriften  I,  369. 

122)  Vgl.  über  Dorotheus:  Fabricius,  Biblioth.  graeca  ed.  Harles  I,  511. 
VI,  366.  X,  719;  Nicolai,  Griech.  Literaturgesch.  II,  381;  Cohn  in  Pauly- 
Wissowas  Beal-Enz.  V,  1571 1 

123)  Vgl.  über  Ptolemäus:  Fabrieius,  Bibl.  gr.  I,  521.  VI,  156  sqq.; 
Paulys  EnzykL  VI,  1, 242;  Nicolai,  Griech,  literaturgesch.  11,347;  Baege, 
De  Ptolemaeo  Ascalonita  1882  (auch  in  Dissertationes  philol.  Halenses  V,  2, 
1883);    Susemihl,  Gesch.  der  griech.  Literatur  in   der  Alexandrinerzeit  II, 

156— 15a 

124)  Vgl.  über  die  Zeit  des  Ptolemäus  Baege  p.  2—6.  Bei  Stark,  Gaza 
8.  633,  wird  er  wohl  nur  aus  Versehen  in  die  Mitte  des  3.  Jahrb.  gesetzt« 


54  §  22.  Allgemeine  Kulturverhfiltnfese.  [41.  42] 

aus  Askalon  bekannt125.  —  Unter  den  Städten  der  Dekapolis  sind 
besonders  Damaskus,  Gadara  und  Gerasa  als  Geburtsorte  berühmter 
Männer  hervorzuheben.  Aus  Damaskus  stammte  Nicolaus,  der 
Zeitgenosse  des  Herodes,  berühmt  als  Geschichtsschreiber  und 
Philosoph  (s.  über  ihn  §  3,  B,  Nr.  11).  Aus  Gadara  stammte  der 
Epikureer  Philodemus,  der  Zeitgenosse  Cicero 3,  von  dessen 
Schriften  durch  die  in  Herkulaneum  gefundenen  Bollen  zahlreiche 
Fragmente  bekannt  geworden  sind126;  ferner  der  gleichfalls  in  der 
ersten  Hälfte  des  ersten  Jahrhunderts  vor  Chr.  lebende  Epigrammen- 
dichter Meleager,  von  welchem  sich  gegen  130  Epigramme  in 
der  griechischen  Anthologie  erhalten  haben;  er  hat  auch  zuerst 
eine  Sammlung  von  griechischen  Epigrammen  veranstaltet  und 
dadurch  den  Grund  zu  unserer  Anthologie  gelegt127.  Im  dritten 
Jahrhundert  vor  Chr.  lebte  der  Zyniker  und  Satirendichter  Me- 
nippus  aus  Gadara,  genannt  6  öJtovdoyiZoios12*.  Dem  Ende  des 
ersten  Jahrhunderts  vor  Chr.  gehört  der  Rhetor  Theodorus  aus 
Gadara  an,  der  Lehrer  des  Kaisers  Tiberius 129.  Diese  vier  werden 
schon  von  Strabo  zusammengestellt,  der  dabei  freilich  unser  Gadara 
mit  Gadara  =  Gazara  in  Phiiistäa  verwechselt130.  |  Unter  Hadrian 


125)  Reland,  Palaestma  p.  594. 

126)  Über  Philodemus:  Prell  er,  Art.  „Philodemus"  in  Ersch  und  Gru- 
bers Enzyklopädie;  Zeller,  Die  Philosophie  der  Griechen  III,  1,  3.  Aufl., 
S.  374 f.;  Überweg,  Gesch.  der  Philos.  I,  4.  Aufl.,  8.  217;  Susemihl,  Gesch. 
der  griech.  Literatur  in  der  Alexandrinerzeit  II,  267—278.  561.  689;  Philodemi 
volumina  rhetorica  ed.  Sudhaus,  2  Bde.,  1892 — 1896. 

127)  Über  Meleager:  Paulys  Real-Enz.  IV,  1739;  Susemihl,  Gesch.  der 
griech.  Lit.  I,  46 £  II,  555—557;  Radinger  in:  Eranos  Vindobonensis  (1893), 
S.  304—308;  Ouvrie,  MUagre  de  Gadara,  Paris  1894;  Radinger,  Meleagros 
von  Gadara,  1895;  Ermatinger,  Meleagros  von  Gadara,  ein  Dichter  der 
griechischen  Decadence  (Sammlung  gemeinverständlicher  Vorträge,  304.  Heft) 
1898. 

128)  Über  Menippus:  Paulys  Real-Enz.  IV,  1805f.;  Zeller,  Philosophie 
der  Griechen,  3.  Aufl.,  II,  1,  246.  III,  1,  766;  Wildenote,  De  Menippo  Cynico, 
Halis  Saz.  1881;  Susemihl  I,  44—46.  Gegen  die  Annahme,  daß  Menippus 
im  ersten  Jahrh.  vor  Chr.  gelebt  habe,  s.  Zeller  III,  1,  766;  Susemihl  I,  44, 
Anm.  138.  Da  Menippus  als  Sklave  aus  Gadara  nach  dem  Pontus  gekommen 
war,  ist  er  allerdings  kein  Beweis  für  die  Bifite  des  Hellenismus  in  Gadara 
im  dritten  Jahrh.  vor  Chr. 

129)  Über  Theodorus:  Piderit,  De  Apollodoro  Pergameno  et  Theodoro 
Oadarensi rhetoribus,  Marburg  1842;  Paulys  Real-Enz.  VI,  2,1819;  Clinton, 
Fasti  HeUeniei  t.  TU.  ad  ann.  44,  31,  6  vor  Chr.;  Susemihl  H,  507—511. 

130)  Strabo  XVI,  2, 29  p.  759.  Über  Gadara  —  Gazara  s.  oben  Bd.  I,  S.  245  f. 
339.  Nach  dem  Zusammenhang  bei  Strabo  ist  dieses  gemeint.  Da  es  aber 
seit  der  Makkabfierzeit  eine  jüdische  Stadt  war,  so  ist  sicher  nicht  dieses, 
sondern  das  hellenistische  Gadara  im  Ostjordanland  der  Geburtsort  jener 
griechischen  Schriftsteller. 


[42]  II,  1.  Der  Hellenismus  in  den  nicht-jüdischen  Gebieten.  55 

lebte  der  Zyniker  Oenomans  ans  Gadara131,  im  dritten  Jahr- 
hundert nach  Chr.  der  Rhetor  Apsines  aus  Gadara132.  —  Aus 
Gerasa  stammten  nach  Stephanus  Byzantinus  (s.v.  riQaaa):  Ariston 
($tJto>q  dotslog),  Kerykos  (oog>tar^g)  und  Piaton  (vo/iucog  ^rcop), 
alle  drei  sonst  nicht  bekannt  Im  zweiten  Jahrhundert  nach  Chr. 
lebte  der  neupythagoreische  Philosoph  und  Mathematiker  Niko- 
machus  aus  Gerasa133. 

Daß  diese  Städte  von  den  griechischen  Literaten  wirklich  als 
griechische  Städte  betrachtet  wurden,  sieht  man  auch  aus  den 
hellenistischen  Gründungslegenden,  deren  Niederschlag  uns 
in  dem  geographischen  Lexikon  des  Stephanus  Byzantinus  (ed. 
Meineke  1849)  erhalten  ist  Man  führte  ihre  Gründung  auf  grie- 
chische Götter  und  Heroen  zurück,  teils  aus  etymologischer  Spielerei, 
teils  um  sie  mit  dem  Nimbus  griechischen  Ursprungs  zu  umgeben, 
wobei  in  manchen  Fällen  der  Lokalpatriotismus  eingeborener 
Schriftsteller  eine  Bolle  gespielt  haben  mag.  Die  betreffenden 
Artikel  bei  Stephanus  Byzantinus  geben  folgendes  Material.  E  a  p  h  i  a 
wurde  so  genannt  axb  xriq  toxoQlag  xfjg  jcsqI  xbv  Aiowcov.  — 
Gaza  wird  auch  Aza  genannt  von  Azon,  dem  Sohn  des  Herakles. 
Einige  aber  sagen,  es  sei  von  Zeus  gegründet:  xal  iv  avxjj  äxo- 
XtJtelv  ttjv  löiav  yatpv.  Es  heißt  auch  91<dwj  von  Jo  und  Mtvepa 
von  Minos.  —  Über  Askalon  zitiert  Stephanus  den  Lydier  Xanthus, 
der  noch  vor  Herodot  lebte134.  Aus  dem  vierten  Buche  seiner 
Lydiaca  (die  aber  in  der  von  Stephanus  benützten  Gestalt  wahr- 
scheinlich eine  Fälschung  des  zweiten  Jahrhunderts  vor  Chr.  sind) 
erwähnt  Stephanus  oxi  TavxaXoq  xal  "AöxaXog  xaldsq  KYfievalov. 
Askalos  sei  von  dem  Lyderkönig  Akiamos  als  Feldherr  nach 
Syrien  gesandt  worden  und  habe  dort  eine  Stadt  seines  Namens 


131)  Über  Önomans:  Paulys  Real-Enz.  V,  880;  Zeller  III,  1,  769 f.; 
Saarmann,  De  Oenomao  Oadareno.  Lips.  1887.  —  In  der  rabbinischen  Lite- 
ratur kommt  mehrfach  ein  heidnischer  Philosoph  Abnimos  ha-Gardi 
(i*ron  Di&tsaR)  vor,  der  mit  E.  Meir  verkehrte,  also  gegen  die  Mitte  des 
2.  Jahrh.  n.  Chr.  gelebt  hat  Grfitz  hat  diesen  mit  Onomaus  identifiziert 
(Gesch.  der  Jaden  IV,  2.  Aafl,  S.  469),  und  Blumen thal  (Rabbi  Meir  1888, 
S.  115—117.  137—139),  Bacher  (Die  Agada  der  Tannaiten  II,  31  f.)  und  Blau 
(Jewish  Eneychpedia  IX,  386  s.  v.  önomaus)  haben  ihm  zugestimmt  Die  Sache 
ist  möglich,  obwohl  Abnimos  eher  auf  E$vo(io$  fuhrt. 

132)  Über  Apsines:  Panlys  Real-Enz.  I,  2,  1357 f.;  Nicolai,  Griech. 
Literaturgesch.  II,  445;   Pauly-Wissowa,  Real-Enz.  II,  277 ff.  (v.  Brzoska). 

133)  Ober  Nikomachus:  Fabricius,  Biblioth.  graee.  ed.  Hartes  V,  629  sqq.; 
Paulys Real-Enz.  V, 633;  Zeller  III,  2,  108 f.;  Nicolai,  Griech.  Literaturgesch. 
11,414  f. 

134)  S.  über  ihn  Müller,  Fragm.  hist.  graec.  I,  p.  XX  sqq.  und  36 — 44; 
Westermann  in  Paulys  Real-Enz.  s.  v. 


56  §  22.  Allgemeine  Kulturrerhaltnisae.  [42] 

gegründet  —  Jope  ist  so  genannt  von  Jope,  der  Tochter  des  Aeolus 
und  Gemahlin  des  Kepheus,  der  die  Stadt  gründete  und  regierte. 
—  Dora  ist  nach  Ansicht  einiger  von  Doros,  dem  Sohn  des  Poseidon 
gegründet  So  berichtet  Klaudios  Jullos  im  dritten  Bache  seiner 
Phoinikika135.  —  Ebenfalls  aus  Klaudios  Jullos,  und  zwar  aus  dem 
ersten  Buche  der  Phoinikika,  entnimmt  Stephanus  Byzantinus  fol- 
gendes über  Ake  (Ptolemais).  Als  Herakles  wegen  Heilung  der 
von  der  Hydra  ihm  verursachten  Wunden  das  delphische  Orakel 
befragte,  erhielt  er  die  Weisung,  nach  Osten  zu  gehen,  bis  er  an 
einen  Fluß  komme,  welcher  ein  der  Hydra  ähnliches  Kraut  er- 
zeuge. Wenn  [er  von  diesem  etwas  abreiße,  werde  er  geheilt 
werden.  Herakles  fand  die  vom  Orakel  beschriebene  Pflanze,  deren 
Köpfe),  wenn  man  sie  abschlug,  nachwuchsen,  wie  die  der  Hydra. 
Und  er  wurde  geheilt  und  nannte  die  Stadt  "Axt]  (Heilung).  — 
Damaskus  ist  so  genannt,  weil  einer  der  Giganten  namens  Askos 
in  Gemeinschaft  mit  Lykurgos  den  Dionysos  band  und  in  den  Fluß 
warf.  Hermes  löste  diesen  und  zog  dem  Askos  die  Hautnah  (also 
Damaskos  =  öeQfia  "Aöxov)  136.  Andere  aber  sagen,  daß  Damaskos, 
ein  Sohn  des  Hermes  und  der  Nymphe  Halimede,  aus  Arkadien 
nach  Syrien  gekommen  sei  und  eine  Stadt  seines  Namens  gegründet 
habe.  Wieder  andere  sagen,  daß  Damaskos  ein  Mann  hieß,  der 
die  von  Dionysos  gepflanzten  Weinstöcke  mit  dem  Beile  abhieb 
und  dafür  von  Dionysos  gestraft  wurde.  (Die  Stelle  ist  infolge 
zweier  Textlücken  undeutlich.)  —  Über  Sky  thopolis  gibt  Stephanus 
Byzantinus  keine  Gründungslegende.  Dafür  hören  wir  von  Plinius, 
Eist  nat.  V,  18,  74,  daß  die  Stadt  ihren  Namen  habe  von  den  Skythen, 
welche  Dionysos  zum  Schutze  des  Grabes  seiner  Amme  dort  an- 
gesiedelt habe.  —  Bei  anderen  hellenistischen  Städten,  die  durch 
ihren  Namen  sich  deutlich  als  Gründungen  der  hellenistischen  oder 
herodianischen  Zeit  verrieten,  konnten  mythologische  Gründungs- 
legenden nicht  aufkommen. 


135)  Über  Klaudios  Jullos  (auch  Julos,  Julios,  Jolaos)  s.  Müller,  Fragm. 
hist.  graec.  IV,  362—364;   Schwartz  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  III,  2728. 

136)  Die  Legende  setzt  die  Form  daQfiaaxoq  voraus,  entsprechend  dem 
hebr.  pWQ^n  I  Chron,  18,  5;  II  Ohron.  28,  5.  Im  Aramäischen  ist  pDo^n  die 
gewöhnliche  Form  (s.  Levy,  Neuhebr.  Wörterb.  1, 426).  Ein  rYipoonn  «p  W  *i 
wird  in  der  Mischna  Jadajim  IV,  3  und  sonst  erwähnt.  S.  über  ihn  Bacher, 
Die  Agada  der  Tannaiten,  2.  Aufl.  I,  389—394. 


[42.  43]  II,  2»  Der  Hellenismus  im  jüdischen  Gebiete.  57 

2.  Der  Hellenismus  im  jüdischen  Gebiete 137. 

Aus  dem  eigentlich  jüdischen  Gebiete  ist  der  Hellenismus  nach 
seiner  religiösen  Seite  durch  die  makkabäische  Erhebung  sieg- 
reich zurückgewiesen  worden;  erst  nach  der  Niederwerfung  des 
jüdischen  Volkstums  im  yespasianischen  und  hadrianischen  Kriege 
wurde  den  heidnischen  Kulten  auch  hier  durch  die  Römer  gewalt- 
sam Eingang  verschafft  Damit  ist  aber  nicht  gesagt,  daß  das 
jüdische  Volk  in  jener  früheren  Zeit  überhaupt  vom  Hellenismus 
unberührt  geblieben  ist.  Der  Hellenismus  ist  ja  eine  Kulturmacht, 
die  sich  auf  alle  Lebensgebiete  erstreckt.  Die  Organisation  der 
Staatsverfassung,  Rechtspflege  und  Verwaltung,  öffentliche  Einrich- 
tungen, Kunst  und  Wissenschaft,  Handel  und  Industrie,  die  Ge- 
wohnheiten des  täglichen  Lebens  bis  herab  auf  Mode  und  Putz: 
alles  hat  er  eigentümlich  gestaltet  und  damit  dem  ganzen  Leben, 
wohin  er  kam,  den  Stempel  des  griechischen  Geistes  aufgeprägt. 
Zwar  ist  hellenistische  Kultur  nicht  gleichbedeutend  mit  helle- 
nischer. Die  Bedeutung  der  ersteren  liegt  vielmehr  gerade  darin, 
daß  sie  durch  Aufnahme  der  brauchbaren  Elemente  aller  fremden 
Kulturen  in  ihren  Bereich  zu  einer  Weltkultur  geworden  ist  Aber 
eben  diese  Weltkultur  ist  dann  doch  ein  eigentümliches  Ganze 
geworden,  in  welchem  das  übermächtige  griechische  Element  den 
maßgebenden  Grundton  bildet  In  den  Strom  dieser  hellenistischen 
Kultur  wurde  nun  auch  das  jüdische  Volk  hineingezogen:  langsam 
zwar  und  widerstrebend,  aber  doch  unwiderstehlich.  Wenn  der 
religiöse  Eifer  es  auch  erreicht  hat,  daß  die  heidnische  Gottes- 
verehrung und  was  )  damit  zusammenhing,  aus  Israel  ferngehalten 
wurde,  so  konnte  er  doch  auf  den  übrigen  Gebieten  des  Lebens 
das  Hereinfluten  der  hellenistischen  Kultur  nicht  dauernd  ver- 
hindern. Die  einzelnen  Stadien  lassen  sich  nicht  mehr  verfolgen. 
Wenn  man  aber  erwägt,  daß  das  kleine  jüdische  Land  fast  auf 
allen  Seiten  von  hellenistischen  Gebieten  eingeschlossen  war,  mit 
welchen  es  notgedrungen  schon  um  des  Handels  willen  in  stetem 
Verkehr  leben  mußte,  und  wenn  man  sich  dessen  erinnert,  daß 
schon  die  makkabäische  Erhebung  im  Grunde  sich  doch  nur  gegen 
die  heidnische  Gottesverehrung,  nicht  gegen  den  Hellenismus  über- 
haupt gerichtet  hat,  und  daß  dann  die  späteren  Hasmonäer  in  ihrem 
ganzen  Wesen  wieder  hellenistisches  Gepräge  tragen  (sie  haben 
fremde  Soldtruppen,  lassen  griechische  Münzen  schlagen,  geben 
sich  griechische  Namen  und  dergl.),  und  daß  einzelne  von  ihnen 

137)  Vgl.  zum  Folgenden  übern.:  Hamburger,  Realenzyklop.  für  Bibel 
und  Talmud,  II.  Abtig.,  Artikel  „Griechentum". 


58  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [481 

wie  Aristobul  L  den  Hellenismus  direkt  begünstigten,  —  wenn 
man  dies  alles  erwägt,  so  wird  man  sicher  annehmen  dürfen,  daß 
der  Hellenismus  trotz  der  makkabäischen  Erhebung  doch  schon 
vor  Beginn  der  römischen  Zeit  in  nicht  unerheblichem  Maße  in 
Palästina  Eingang  gefunden  hat188.  Durch  die  Herrschaft  der 
Römer  und  Herodianer  ist  dann  sein  weiteres  Vordringen  noch 
erheblich  gefördert  worden;  und  es  ist  nun  auch  das  lateinische 
Element  hinzugekommen,  das  namentlich  seit  dem  Ende  des  ersten 
Jahrhunderts  nach  Chr.  sich  stark  bemerklich  macht.  Aus  dieser 
späteren  Zeit  (erste  Hälfte  des  zweiten  Jahrhunderts  nach  Chr.) 
haben  wir  in  der  Mischna  ein  sehr  reiches  Material,  das  uns  den 
Einfluß  des  Hellenismus  auf  allen  Lebensgebieten  deutlich  zur 
Anschauung  bringt.  Eine  Menge  griechischer  und  auch  lateinischer 
Fremdworte  in  dem  Hebräischen  der  Mischna  zeigt,  wie  es  eben 
die  hellenistische  Kultur  ist,  die  auch  in  Palästina  die  Herrschaft 
gewonnen  hat.  Eine  Reihe  von  Beispielen  möge  dies  noch  im 
einzelnen  dartun139.  I 


138)  Zur  Zeit  Hyrkans  II.  kamen  Athener  nicht  nur  in  diplomatischen 
Missionen  (xazä  noeoßelav),  sondern  auch  in  Privat- Angelegenheiten  (xat' 
iSlav  itQ6<paoiv)  nach  Judäa.  Da  Hyrkan  sich  ihnen  freundlich  erwies,  be- 
schlossen die  Athener,  ihn  durch  Aufstellung  einer  ehernen  Bildsäule  und 
Verleihung  eines  goldenen  Kranzes  zu  ehren  (Jos.  Antt.  XIV,  8,  5).  Der  Be- 
schluß ist  gefaßt  inl  'Aya9oxX4ovs  &Qxovxoq.  Dieser  Archon  Agathokles 
wird  von  Homolle  und  den  meisten  Neueren  um  106  vor  Chr.  gesetzt  (Bulle- 
tin de  eorrespondanee  hellmique  XVII,  1893,  p.  145—158;  hiernach  Schoeffer 
in  Pauly-Wissowas  Beal-Enz.  II,  591;  Colin,  Bulletin  de  eorresp.  hell.  XXII, 
1898,  p.  160;  Ferguson,  The  Athenian  archons  of  the  third  and  second  ceniuries 
before  Christ,  New  York  1899,  angez.  von  Kirchner,  Gott.  gel.  Anz.  1900, 
S.  433—481).  Dann  müßte  statt  Hyrkan  II.  vielmehr  Hyrkan  I.  gemeint  sein. 
Er  heißt  aber  im  Text  des  athenischen  Volksbeschlusses  LYQxavbq*AXe  fovdpov 
doxiBQevQ  xal  iQväQZW  x&v  'lovöalwv,  womit  nur  Hyrkan  U.  gemeint  sein 
kann.  An  diesem  Text  hält  Theod.  Beinach,  Le  decret  AthSnien  en  Vhonneur 
d'Hyrccm  (Revue  des  itudes  juives  XXXIX,  1899,  p.  16 — 27)  fest,  indem  er  zu 
zeigen  sucht,  daß  die  Gründe  für  die  Ansetzung  des  Agathokles  um  106  vor 
Chr.  nicht  zwingend  seien.  In  der  Tat  sind  die  Gründe  für  Annahme  eines 
Textfehlers  bei  Josephus  zu  schwach.  Auch  wenn  ein  Archon  Agathokles 
um  106  anzusetzen  wäre,  könnte  es  sehr  wohl  später  einen  'gleichnamigen 
gegeben  haben.  —  Zu  den  Namen  in  dem  Dekret  Antt.  XIV,  8,  5  s.  auch  Corp. 
Inser.  Attie.  II,  n.  470;  Wilhelm,  Jahreshefte  des  Österreich,  archäol.  Institutes 
VIII,  1905,  8.  238  ff.  (zu  §§.  149  u.  152);  zum  Text  desselben:  Wilhelm,  Philo- 
logus  Bd.  60, 1901,  8.  487-490. 

139)  Die  folgende  Zusammenstellung  beruht  zum  größten  Teil  auf  eigener 
Sammlung.  Mehrfache  Ergänzungen  bot  mir  das  sehr  fleißige  (nur  in  den  Be- 
legstellen nicht  vollständige)  Verzeichnis  der  griechischen  und  lateinischen 
Worte  der  Mischna  von  Anton  Theodor  Hartmann,  Thesauri  Unguae  hebraicae 
e  Mischna  augendi  particula  I  (Rostochii  1825),  p.  40—47;  vgl.  pari.  HI  (1826), 


[44]  II,  2.  Der  Hellenismus  im  jüdischen  Gebiete,  59 

Vor  allem  sind  natürlich  auf  dem  Gebiete  der  Staatsverfas- 
sung nnd  des  Militärwesens  mit  den  fremden  Einrichtungen 
auch  die  fremden  Begriffe  geläufig  geworden.  Ein  Provinzial- 
statthalter  heißt  ptttn  (Tjyeficbv),  eine  Provinz  arrt»n  (^y$(iopla\ 
die  Kommunalbehörde  einer  Stadt  in»  (aQxv)  14°-  Für  „Militär*4 
Oberhaupt  wird  das  lateinische  nwÄ  Qegiones)  gebraucht;  ein 
Heer  heißt  »nnöOK  (CTQaria),  der  Krieg  üMßbfti  (noleiioq),  der 
Sold  ff^M«  (oyciviov),  der  Helm  »iDp  (cassida),  der  Schild  O'nn 
(&vqb6c)uK  —  Im  Gerichtswesen  sind  im  wesentlichen  die 
jüdischen  Traditionen  festgehalten  worden.  Das  Gesetz,  das  Gott 
durch  Mose  seinem  Volke  gegeben,  erstreckte  sich  ja  nicht  nur 
auf  die  heiligen  Handlungen,  sondern  auch  auf  die  bürgerlichen 
Rechtsverhältnisse  und  die  Organisation  der  Rechtspflege.    Hier 


p.  95.  —  Sonst  vgl.  über  die  Fremdworte  in  Mischna  nnd  Talmud:  Sachs, 
Beiträge  znr  Sprach-  und  Altertumsforschung  aus  jüdischen  Quellen,  Heft  I 
u.  II,  1852—1864.  —  Cassel  in  Ersch  und  Grubers  Enzykl.,  Abt  II,  Bd.  27, 
S.  28 f.  —  Adolf  Brüll,  Fremdsprachliche  Redensarten  und  ausdrücklich  als 
fremdsprachlich  bezeichnete  Wörter  in  den  Talmuden  und  Midraschim,  Leipzig 
1869.  —  Perle s,  Etymologische  Studien  zur  Kunde  der  rabbinischen  Sprache 
und  Altertümer,  Breslau  1871.  —  N.  Brüll,  Fremdsprachliche  Wörter  in  den 
Talmuden  und  Midraschim  (Jahrbb.  f.  jüdische  Gesch.  und  Literatur,  1.  Jahrg. 
1874,  S.  123—220).  —  Fürst,  Glossarium  graeeo-hebraeum  oder  der  griechische 
Wörterschatz  der  jüdischen  Midraschwerke,  1891.  Einige  Nachträge  hierzu:  Revue 
des  Studes  juives  t.  XXIII,  1891,  p.  129—131.  —  Krauß,  Zur  griechischen  und 
lateinischen  Lexikographie  aus  jüdischen  Quellen  (Byzantinische  Zeitschrift 
Bd.  II,  1893,  S.  494—  548).  —  Dalman,  Grammatik  des  jüdisch- palästin.  Ara- 
mäisch, 1894,  S.  145  ff.  —  M.  Schwab,  Mots  grecs  et  latms  dorn  les  livres  rabbi- 
niques  (Semitie  Studie*  in  memory  of  Alex.  Kohut,  Berlin  1897,  p.  514 — 542).  — 
M.  Schwab,  Transcription  de  mots  grecs  et  latms  en  Hebreu  {Journal  asiattque, 
Neuvieme  Serie  t.  X,  1897,  p.  414—444).  —  Krauß,  Griechische  und  lateinische 
Lehnwörter  im  Talmud,  Midrasch  und  Targum,  2  Bde.,  1897—1899  [reichste 
Sammlung;  in  Bd.  II,  623 — 653  gibt  Low  ein  sachlich  geordnetes  Verzeich- 
nis]; vgl.  auch  die  Anzeigen  von  Perles  in:  Byzantin.  Zeitschr.  X,  300—306, 
und  Oohn  in:  Monatsschr.  f.  G.  u.  W.  d.  Judent  1900,  S.  561—570.  —  Krauß, 
Sur  la  sMnantique  des  mots  talmudiques  empruntis  au  Qree  (Revue  des  itudes 
juives  XXXIX,  1899,  p.  53-61).  —  Schlatter,  Verkanntes  Griechisch  (Beiträge 
zur  Förderung  christlicher  Theologie  IV,  4,  1900,  S.  47—84). 

140)  Traan  Edujoth  VII,  7;  Kanaan  Oittin  1, 1.  —  W«  Kidduschm  IV,  5. 
—  Mehr  bei  Krauß,  Lehnwörter  II,  628 f. 

141)  nwri>  Kelim  XXIX,  6,  Ohaloth  XVIII,  10.  —  KWüOK  Kiddusehin 
IV,  5»  —  Grab»  Sota  IX,  14.  Para  VIII,  9.  —  KWfcK  (nicht  K^BOK,  s.  Levy,  Neu- 
hebr.  Wörtern,  s.  v.)  Sanhedrm  II,  4.  —  «nop  Sehabbath  VI,  2.  Kelim  XI,  8.  — 
O-nn  Sehabbath  VI,  4.  Sota  Vm,  1.  Aboth  IV,  11.  —  Mehr  bei  Krauß,  Lehn- 
Wörter  II,  631  f.  —  Auch  bei  den  Nabatäern  sind  militärische  Titel  wie  czoa- 
rrry6<;  und  aonfin  (— feur^oc  oder  ainnaoxoq  oder  imaozos?)  häufig  (KämOK 
Corp.  Jnsor.  Semit  P.  II  Aram.  n.  160.  161.  169.  195.  196.  214.  224.  2&5.  238. 
K3-*n  ibid.  n.  173.  207.  214.  221). 


60  §  22.  Allgemeine  Kulturverhaltnisse.  [44.  45] 

war  also  in  den  wesentlichen  Punkten  das  Alte  Testament  maß- 
gebend. Trotzdem  begegnen  wir  auch  hier  im  einzelnen  griechi- 
schen Begriffen  und  Einrichtungen.  Der  Gerichtshof  heißt  zwar 
gewöhnlich  "pi  rvo,  zuweilen  aber  auch  "pTirco  |  {cvvidQiov),  die 
Vorsitzenden  "pnmö  (xQoeÖQoi) u2,  der  Ankläger  Tftiöp  (*an$- 
yoQoq\  der  Verteidiger  trtpnfc  (xaQaxlriTog),  ein  Unterpfand  ^Mdh 
{vxod'Yixri),  ein  Testament  ipwi  (ßiad^xrj),  ein  Vormund  oder 
Güterverwalter  ownin&K  {knlxQoxoq) 143.  Ja  sogar  für  ein  spezifisch 
disches  Rechtsinstitut,  das  zur  Zeit  Hillels  eingeführt  wurde, 
nämlich  die  bei  Gericht  deponierte  Erklärung,  daß  man  sich  trotz 
des  Sabbatjahres  das  Recht  vorbehalte,  ein  gegebenes  Darlehen 
zu  jeder  Zeit  einzufordern,  ist  der  griechische  Ausdruck  bwnö 
(nQooßoXrj)  gebraucht  worden144. 

Von  anderen  öffentlichen  Einrichtungen  kommen  zunächst 
wieder  die  Spiele  in  Betracht  Das  pharisäische  Judentum  hat 
stets  die  heidnische  Art  der  Spiele  verpönt  Zwar  erzählt  Philo 
in  seiner  Schrift  Quod  omnis  probus  über,  daß  er  einmal  einem  äycbv 
jtayxQanaatÄp  beigewohnt  habe  und  ein  andermal  der  Aufführung 
einer  Tragödie  des  Euripides145.  Aber  was  der  gebildete  Alexan- 
driner sich  erlaubte,  ist  nicht  maßgebend  für  den  gesetzesstrengen 
Palästinenser.  Schon  in  der  Makkabäerzeit  wird  die  Erbauung 
eines  Gymnasiums  in  Jerusalem  und  der  Besuch  desselben  von 
Seiten  der  Juden  als  ein  Hauptgreuel  des  herrschenden  Hellenismus 
erwähnt  (I  Makk,  1,  14—15;  II  Makk.  4,  9—17).  Auch  später  ist 
dies  stets  der  Standpunkt  des  gesetzlichen  Judentums  geblieben146. 


142)  "pTimD  kann  =-  %6lqb6qol  oder  =  nQÖeögoi  sein.  Letzteres  ist  als 
das  richtige  zu  betrachten,  da  auf  dem  zweisprachigen  Zolltarif  von  Palmyra 
tfrvrvmbia  parallel  mit  inl  ngoiSQOv  steht.  S.  dazu  Beckendorf,  Zeitechr. 
der  DMG.  1888,  S.  392. 

143)  Ti^itWD  Sota  IX,  11;  Kidduschin  IV,  5;  Sanhedrin  I,  5—6;  IV,  3;  Sehe- 
buoth  II,  2;  Middoth  V,  4.  Bes.  häufig  in  den  späteren  Targumen,  8.  Buxtorf, 
Lex.  Chald. ;  Levy,  Chald.  Wörterb.  *.  v. ;  Krauß  II,  401  f.  —  1  vvirv*  Joma  1, 1. 
— "."tWDp  und  üibplfc  Aboth  IV,  11;  xavJjywQ  in  dieser  hebr.  Form  auch 
Apoc.  Joh.  12,  10.  —  'ipimfcH  Gittin  IV,  4.  —  ipirvn  Moed  kaian  ITT,  3;  Baba 
mewia  I,  7;  Baba  bathra  VIII,  6;  Krauß  II,  197.  —  OWnoiW*  Schebiith  X,  6; 
Bikkurim  I,  5;  Pesachim  VIII,  1;  Gittin  V,  4;  Baba  kamma  IV,  4.  7;  Baba 
bathra  III,  3;  Schebuoth  VII,  8.  »Dino^D«  (Verwalterin)  Kethuboth  IX,  4.  6. 
—  Mehr  bei  Krauß,  Lehnwörter  II,  630  f. 

144)  Vam*  Pea  in,  0;  Schebiith  X,  3—7;  Moed  kaian  Hl,  3;  Kethuboth 
IX,  9;  Gittin  IV,  3;  Ukxm  III,  10. 

145)  Opp.  ed.  Mangey  II,  449  u.  467. 

146)  Aboda  sara  I,  7:  „Man  darf  den  Heiden  keine  Bären,  Löwen  oder 
sonst  etwas,  wodurch  anderen  Schaden  entstehen  kann,  verkaufen.  Man  darf 
ihnen  nicht  eine  Basilika,  einen  Richtplatz  (Gradum),  ein  Stadium  oder 
Bema  bauen  helfen".  —  Vgl.  überh.:  Win  er,  Real  wörterb.  *.  v.  „Spiele"  und 


[46]  II,  2.  Der  Hellenismus  im  jüdischen  Gebiete.  61 

Sogar  Josephus  bezeichnet  Theater  and  Amphitheater  als  „der 
jüdischen  Sitte  fremdartig"147.  Aber  trotz  dieser  theoretischen 
Ablehnung  konnte  das  Judentum  es  doch  nicht  hindern,  daß  seit 
der  herodianischen  Zeit  auch  mitten  im  heiligen  Lande  das  Ge- 
pränge heidnischer  Spiele  entfaltet  wurde;  und  man  kann  dabei 
doch  nicht  annehmen,  daß  die  Masse  des  jüdischen  Volkes  sich 
den  Besuch  derselben  versagt  hat  In  Jerusalem  erbaute  Herodes 
ein  Theater  und  Amphitheater  und  führte  daselbst  wie  in  Cäsarea 
vierjährige  Spiele  zu  Ehren  des  Kaisers  ein 148.  Die  Spiele  lassen 
auch  die  Existenz  eines  Stadiums  und  eines  Hippodromes  erwarten; 
das  [letztere  wird  einmal  ausdrücklich  erwähnt149.  In  Jericho, 
wo  Herodes  öfters  residiert  zu  haben  scheint,  war  ein  Theater, 
Amphitheater  und  Hippodrom150.  In  Tiberias  wird  gelegentlich 
ein  Stadium  erwähnt151.  Selbst  eine  unbedeutende  Stadt  wie 
Tarichea  hatte  ein  Hippodrom152. 

Weitere  Einrichtungen,  bei  welchen  sich  der  Einfluß  des 
Hellenismus  zeigt,  sind  die  öffentlichen  Bäder  und  die  öffentlichen 
Herbergen.  Das  Bad  heißt  zwar  mit  einem  gut  hebräischen 
Ausdruck  prnt?.  Aber  der  Name  für  den  Bademeister  'jia  (ßala- 
vsvq)  deutet  auf  griechische  Einrichtung  desselben153.    Bei  den 

die  dort  zitierte  Literatur;  Low,  Die  Lebensalter  in  der  jüdischen  Literatur 
(1875)  8.291— 300;  Ders.,  Gesammelte  Schriften  IV,  1898,  8. 108 ff.;  Weber, 
System  der  altsynagogalen  palästin.  Theologie  (1880)  8.  68:  „Über  Theater 
und  Zirkus  der  Heiden  ist  das  Urteil  fiberall  sehr  streng";  Hamburger, 
Real-Enzyklopädie  für  Bibel  und  Talmud,  H.  Abt,  Art.  „Theater" ;  Bacher,  Die 
Agada  der  Tannaiten,  2  Bde.  1884—1890;  Derselbe,  Die  Agada  der  palästi- 
nensischen Amoräer,  3  Bde.  1892 — 1899  (s.  in  beiden  Werken  das  Sachregister 
unter  „Theater");  Krauß,  Art.  Gireus  in:  The  Jetcish  Encyclopedia  IV,  103 f. 

147)  Anit.  XV,  8,  1:  &4cctqov  .  .  .  &fi<pi&iaxQOV,  neglonxa  fithv  auqxo  x$ 
noXvxeXsiq,  xov  öh  xaxa  xoi>q  'lovöalovq  t&ovq  aXXdxoia'  ZQVOk  *e  y&Q 
abxuyv  xal  Bea/idx(ov  xoiovxwv  inlöeiHiq  ob  naoadiöoxai.  Die  Juden  sahen  in 
den  Spielen  eine  <pav€oa  xaxdXvaig  xüw  xifMOfiivwv  nag'  abzolq  §&wvs 

148)  Antt.  XV,  8,  1.  Ein  in  den  natürlichen  Felsen  gehauenes  Theater 
in  der  Nähe  Jerusalems  ist  in  neuerer  Zeit  von  Schick  nachgewiesen  worden, 
der  es  freilich  fälschlich  „Amphitheater"  nennt  {Palestine  Exploration  Fund, 
Quarierly  Statements  1887  p.  161—166,  vgl.  oben  §  15,  I,  388).  Die  Spiele  in 
Jerusalem  umfaßten  wie  die  in  Cäsarea  alle  vier  Arten:  gymnastische  und 
musische  Spiele,  Wagenrennen  und  Tierhetzen.  S.  die  nähere  Beschreibung 
bei  Josephus  a.  a.  O. 

149)  Antt.  XVH,  10,  2;  Bell.  Jud.  H,  3,  1. 

150)  Theater:  Anit.  XVII,  6,  3.  Amphitheater:  Antt.  XVII,  8,  2;  B.  J.  I, 
33,  8.   Hippodrom  (Zirkus):  XVII,  6,  5;  B.  J.  I,  33,  6. 

151)  Bell.  Jud.  II,  21,  6;  HI,  10,  10;  Vita  17:64. 

152)  Bell.  Jud.  H,  21,  3;  Vita  27.  28. 

153)  iba  Kelim  XVH,  1 ;  Sabim  IV,  2.  Mehr  hierher  Gehöriges  bei  Kr  au  ß , 
Lehnwörter  n,  634.  —  Vgl.  über  die  Bäder  als   eine  heidnische,   aber  den 


62  i§  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [46.  47] 


öffentlichen  Herbergen  verrät  schon  ihr  griechischer  Name  *pTT\to 
(ptavdoxslov  oder  xavöoxelo»),  daß  sie  ein  Erzeugnis  der  helle- 
nistischen Zeit  sind154. 

Als  stark  hellenisierend  werden  wir  uns  überhaupt  den  Bau- 
stil, namentlich  bei  den  öffentlichen  Gebäuden  vorzustellen  haben iM. 
Bei  den  hellenistischen  Städten  in  der  Umgebung  Palästinas  ist 
dies  ja  ohnehin  selbstverständlich.  Sie  hatten  alle  ihre  vaovq, 
d-iaxQa,  yvnvaöia,  igiÖQaq,  otoaq,  dyoQag,  vöaxm»  eloarfcoyaq,  ßa- 
Xavsla,  xQtjvag,  jtBQloxvXa  in  griechischer  Weise156.    Aber  auch 


Jaden  erlaubte  Einrichtung  bes.  auch  Aboda  sara  I,  7;  III,  4.  —  Ober  ihre 
Verbreitung  und  Einrichtung:  Marquardt,  Das  Privatleben  der  Römer  Bd.  I 
(1879)  S.  262  ff.;  Hermann  und  Blümner,  Lehrb.  der  griechischen  Privat- 
altertümer (1882)  8.  210 ff.;  Pauly-Wissowa,  Real-Enz.  Art  Aquae  (II, 
294—307)  und  Art.  „Bäder"  von  Mau  (II,  2743—2758).  —  In  Ägypten^  kommt 
eine  Abgabe  inko  ßaXavtwv  vor  (Wilcken,  Griechische  Ostraka  aus  Ägypten 
und  Nubien  I,  165—170). 

154)  "ipw*  Jebamoth  XVI,  7;  Gütin  VIII,  9;  Kidduschin  IV,  12;  Bdujoth 
IV,  7;  Aboda  sara  II,  1.    mpTOD  (die  Wirtin)  Demai  III,  5;  Jebamoth  XVI,  7. 

—  Beisende  Fremde  heißen  &ODDDK  oder  •ptODSK  &voi)  Demai  III,  1;  Ghultin 
VIII,  2.  —  ipWD  nicht  selten  auch  in  den  Targumen,  s.  Buxtorf%  Lex, 
Ghald.,  und  Levy,  Chald.  Wörtern.  «.  v.  Sonstiges  rabbinisches  Material  bei 
Krauß,  Lehnwörter  II,  428.  —  Ein  örjfidoiov  oder  xoivdv  navöoxZov  auf  zwei 
Inschriften  im  Hauran:  Le  Bas  et  Waddington,  Inscr.  T.  III  n.  2462.  2463 
-=-  Quarterly  Statement  of  the  Pal.  Expl.  Fund  1895  p.  148.  147.  Bekanntlich 
kommt  das  Wort  auch  im  Neuen  Testamente  vor  (Luc,  10,  34).  8.  überhaupt 
Wetstein,  Nov.  Test.,  zu  Luc.  10,  34;  Hermann  und  Blümner,  Lehrb.  der 
griechischen  Privataltertümer  S.  497  ff.,  und  die  Lexika. 

155)  Vgl.  Winer,  BWB.  Artikel  „Baukunst";  Büetschi  in  Herzogs 
Real-Enz.,  2.  Aufl.,  II,  132 ff.;  Benzinger,  ebendas.,  3.  Aufl.,  U,  452 ff.;  De 
Saulcy,  Histoire  de  Vart  juda'ique,  Paris  1858;  Gonder,  Notes  on  archi- 
teeture  in  Palestme  (Quarterly  Statement  1878  p.  29—40);  Ders.,  Syrian 
Stone-Lore  or  the  monumental  History  of  Palestine,  London  1886  (hierüber 
Zeitschr.  des  DPV.  XI,  109);  Butler,  Architecture  and  other  Arts  (Part  U 
of  the  Publications  of  an  American  archaeological  expedition  to  Syria  in 
1899—1900)  1904,  p.  310—422  (wichtig  für  die  Baugeschichte  der  Hauran- 
gegend  in  der  herodianisch-römischen  Zeit).  Das  große  Werk  von  Perrot 
et  Ghipiex,  Histoire  de  Vart  dans  l'antiquüS  behandelt  in  t.  IV,  Paris  1887, 
nur  die  althebräische  Kunst  vor  dem  Aufkommen  des  Hellenismus.  —  Die 
erhaltenen  Beste  gehören  fast  alle  den  nicht-jüdischen  Städten  Palästinas  an. 

—  Über  den  Bau  der  Wohnhäuser  vgl.  bes.  die  sorgfaltige  Arbeit  von 
A.  Rosenzweig,  Das  Wohnhaus  in  der  Misnah,  1907.  Für  die  biblische 
Zeit  die  Artikel  „Häuser"  in  den  bibl.  Wörterbüchern;  Nowack,  Lehrb.  der 
hebr.  Archäologie  §  23  u.  24;  Benzinger,  Art.  „Hausa  in  Herzog-Haucks 
Real-Enz.,  3.  Aufl.,  VII,  481—487. 

156)  S.  bes.  die  Übersicht  über  die  Bauten  des  Herodes  Bell.  Jud.  I,  21, 11. 

—  Über  Gaza  vgl.  Stark,  Gaza  8.  598  ff.  —  Über  Berytus  die  Bauten  der 
beiden  Agrippa  AntU  XIX,  7,  5;  XX,  9,  4.  —  Eine  reiche  Blumenlese  griechi- 


[47.  48]  II,  2.  Der  Hellenismus  im  jüdischen  Gebiete.  63 

fttr  das  eigentliche  Palästina  darf,  namentlich  seit  der  Zeit  des 
Herodes,  die  Herrschaft  des  griechischen  Stiles  als  sicher  voraus- 
gesetzt werden.  Wenn  Herodes  sich  in  Jerusalem  einen  pracht- 
vollen Palast  erbaute,  so  ist  dabei  ohne  Zweifel  der  griechisch- 
römische  Stil  zur  Anwendung  gekommen 15T.  Und  das  gleiche  gilt 
auch  von  den  anderen  Palästen  und  Denkmälern  Jerusalems  in 
jener  Zeit  Jedenfalls  kennt  man  auch  in  Palästina  nicht  nur 
(wie  nach  dem  über  die  Spiele  Bemerkten  vorauszusetzen  ist) 
Stadien168,  sondern  auch  Basiliken 159,  Säulenhallen160,  Vor  |  hallen161, 


scher  Namen  fttr  Gebäude  und  deren  Teile  geben  die  Inschriften  im  Haiiran, 
s.  Chabot,  Index  alphabStique  et  analytique  des  inscriptions  greoques  et  latines 
de  la  Syrie  publikes  par  Waddington  (zuerst  in  der  Revue  archiologique  1896, 
I— H,  dann  separat  1897),  w  VTQ:  Archüecture  (Separat- Ausgabe  S.  15).  — 
In  der  Deseriptio  totius  orbis  (über  deren  Ausgaben  s.  oben  Anm.  90)  werden 
die  tetrapyla  von  Caesarea  und  Bostra  gerühmt,  die  allerdings  erst  einer 
späteren  Zeit  angehören  (Caesarea  §  26,  Bostra  §  38).  Das  "pbc-iöö  von  Cae- 
sarea auch  in  der  rabbinischen  Literatur  (Tosephta  Ohaloih  XVIII,  13  ed.  Zucker- 
wandet  p.  617,  9,  dazu  Erauß,  Magazin  f.  d.  Wissensch.  d.  Judent.  XIX, 
1892,  S.  240.  Griechische  und  lat.  Lehnwörter  im  Talmud  II,  262;  Jevcish 
Quarterly  Review  XIV,  1902,  S.  745;  Archiv  f.  lat  Lexikographie  XIV,  2, 
1905,  S.  281  f.).  —  Über  die  öffentlichen  Gebäude,  welche  in  griechischen 
Städten  überhaupt  üblich  waren,  s.  Hermann  und  Blümner,  Lehrb.  der 
griechischen  Privataltertümer  (1882)  8.  132 ff.;  Liebenam,  Städteverwaltung 
im  römischen  Kaiserreiche  (1900)  S.  134—164. 

157)  S.  die  Beschreibung  B.  J.  V,  4,  4. 

158)  "pias*  (araöiov)  Baba  kamma  IV,  4;  Aboda  sara  I,  7;  Krauß,  Lehn- 
wörter II,  119. 

159)  ip^oa  (ßaoüuxt)  Aboda  sara  I,  7;  Jbhoroth  VI,  8;  Krauß  II,  161. 

160)  K3&r<K  (atoa)  Schekalim  VIII,  4;   Sukka  IV,  4;   Ohaloth  XVIII,  9; 
Tohoroth  VI,  10;  Krauß  II,  117. 

161)  rWTODK  (#£fya)  Maaseroth  III,  6;  Erubin  VIII,  4;  Sota  Vm,  3; 
Tamid  I,  3;  Middoth  I,  5;  Ohaloth  VI,  2;  Krauß,  Lehnwörter  II,  44 f.  —  Die 
i£6&$a  ist  eine  offene  Vorhalle  vor  der  Haustüre;  s.  bes.  Ohaloth  VI,  2.  Sie 
wird  daher  auch  definiert  als  ein  Baum,  welcher  von  drei  Wänden  und  einer 
Decke  darüber  eingeschlossen  ist,  s.  Maimonides  und  Bartenora  zu  Mischna 
Maaseroth  III,  6  (Surenhusius,  Mischna  I,  255).  Auf  Grabschriften  zu  Palmyra 
bezeichnet  K^nos«  die  Halle  oder  Kammer  einer  Grabböhle  (Zeitschr.  für 
Assyriologie  IX,  1894,  S.  264  ff  329  ff  —  Cooke,  Text-book  of  North-semitic  wt- 
8criptions  1908  n.  144;  eine  andere,  gleichfalls  palmyrenische  Grabschrift  bei 
H.  Müller,  Denkschriften  der  Wiener  Akademie,  phil.-hist.  Cl.,  Bd.  46  n.  46  = 
Cook»  n.  143.  Vier  neue  auf  Grund  einer  russischen  Publikation  gibt  Lidz- 
barski,  Ephemeris  für  semitische  Epigraphik  II,  2, 1906,  S.  269—276;  es  kommen 
hier  vor:  „die  nördliche  Halle",  „die  südliche  Halle",  „die  westliche  Halle". 
Es  sind  die  Hallen  oder  Kammern,  die  vom  Mittelraum  der  Grabhöhle  nach 
drei  Seiten  hin  sich  abzweigen,  also  in  ihrer  Front,  nach  dem  Mittelraume  hin, 
offen  sind.) 


64  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [48] 

Tribünen162,  Speisesäle163  und  anderes  nach  griechisch-römischer 
Art  Sogar  beim  Tempel  zu  Jerusalem  ist  griechischer  Baustil 
reichlich  zur  Anwendung  gekommen*  Zwar  beim  eigentlichen 
Tempelhaus  (dem  vaoq)  durfte  Herodes  es  nicht  wagen,  die  alt- 
hergebrachten Formen  zu  verlassen.  Aber  schon  für  den  Bau  des 
inneren  Vorhofes  sind  griechische  Muster  maßgebend  gewesen.  Die 
Tore  desselben  hatten  nach  innen  zu  Vorhallen  (tgeÖQai);  und 
zwischen  denselben  liefen  an  den  Innenseiten  der  Mauer  Säulen- 
hallen (öroal)  entlang 164.  Das  Tor  auf  der  Ostseite  des  Vorhofes 
hatte  Torflügel  aus  korinthischem  Erz,  die  noch  kostbarer  waren 
als  die  mit  Silber  und  Gold  bekleideten 165.   Ganz  im  griechischen 


162)  rwo  {ßnfia)  Sota  VII,  8;  Aboda  sara  I,  7;  Krauß  II,  150. 

163)  T4p*iü  (tqUXivoq)  Erubin  VT,  6;  Baba  baihra  VI,  4;  Äboth  IV,  16; 
Middoth  I,  6;  Erauß  II,  274. 

164)  Die  i&dpcu  des  Tempelvorhofes  werden  unter  diesem  Namen  auch, 
in  der  Mischna  erwähnt  (Tamid  I,  3;  Middoth  I,  5).  Vgl.  über  dieselben  Bell. 
Jud.  Vf  5,  3;  auch  V,  1,  5  fin.;  VI,  2,  7;  4,  1;  Ana.  XX,  8,  11.  —  Ober  die 
oxoai  des  inneren  Vorhofes  s.  Bell.  Jud.  V,  5,  2  fin.;  VT,  5,  2  (wo  sie  von 
denen  des  äußeren  bestimmt  unterschieden  werden). 

165)  Bell.  Jud.  V,  5,  3,  inü.;  vgl.  über  dieses  Tor  auch  B.  J.  II,  17,  3;  VI, 
5,  3.  Es  ist  höchstwahrscheinlich  identisch  mit  der  in  der  Apostelgeschichte 
erwähnten  9voa  tooaia  (Act.  3,  2),  und  sicher  identisch  mit  dem  in  der  Mischna 
erwähnten  „Tor  des  Nikanor"  (Middoth  I,  4;  II,  3.  6;  Schekalim  VI,  3;  Joma 
HI,  10;  Sota  I,  5;  Negaim  XIV!,  8).  Denn  wie  von  Josephus  B.  J.  II,  17,  3 
(§  411)  und  VI,  5,  3  (§  293)  die  %ahtfi  7tvXtj  als  die  östliche  bezeichnet  [wird, 
so  wird  in  der  Mischna  das  Nikanor-Tor  als  das  Östliche  genannt  (Middoth 
I,  4;  II,  6  =  Schekalim  VI,  3),  und  es  wird  von  ihm  gleichfalls  gesagt,  daß 
sein  Erz  glänzte  (Middoth  II,  3  a^nx«  ItJ»^),  während  alle  anderen  Tore  des 
Vorhofes  mit  Gold  bekleidet  waren  (ebenso  Jos.  Bell.  Jud.  V,  5,  3  §  201).  Wie 
bei  Josephus,  so  wird  auch  in  der  Tosephta  (Joma  II,  ed.  Zuckermandel 
8.  183,  21)  und  im  Talmud  (bab.  Joma  38  a)  das  Erz  des  Nikanortores  als 
„korinthisches14,  KTObp,  bezeichnet  Die  Gold-  und  Silberbekleidung  der 
anderen  Tore  hatte  „Alezander  der  Vater  des  Tiberius",  also  der  Alabarch 
Alezander  von  Alexandria,  gestiftet  (Jos.  B.  J.  V,  5,  3  §  205).  —  Eine  merk- 
würdige Ergänzung  zu  diesen  Angaben  liefert  ein  in  neuerer  Zeit  in  Jerusalem 
gefundenes  Ossuarium,  dessen  Aufschrift  lautet:  X)<nä  ribv  xov  Neixdvoooq 
UkeSavdoiwq  noi^aavxoq  tag  frvoaq,  tt&sbtt  *0p5  (Clermont-  Qanneau,  Re- 
cueil  d'archiologie  Orientale  t.  V,  1903,  p.  334 — 340  und  pl.  VII,  englisch  in: 
Quarterly  Statement  1903,  p.  125—131;  eine  Beschreibung  der  ganzen  Grab- 
anlage, aus  welcher  das  Ossuarium  stammt,  gibt  Miss  Gladys  LHckson,  Quar- 
terly Statement  1903,  p.  326—332).  Der  Genitiv  x(bv  xo$  Neixdvoooq  ist  wohl 
mit  Dittenberger,  Orientis  graed  inscr.  sei.  n.  599  zu  erklären:  [ossa  quaesunt 
ex  ossibus  Nicanoris,  denn  in  dem  einen  Ossuarium  können  nicht  wohl  „die 
Angehörigen  des  Nikanor"  beigesetzt  gewesen  sein.  Der  Plural  rag  S-vgaq 
bezeichnet  wohl  die  zwei  Flügel  eines  Tores;  man  könnte  ihn  auch  daraus 
erklären,  daß  das  Nikanor-Tor  zwei  Nebenpforten  hatte  (Middoth  II,  6  «= 
Schekalim   VI,   3).    Wie  also  die  Gold-  und  Silberbekleidung  der  übrigen 


[48.  49]  II,  2.  Der  Hellenismus  im  jüdischen  Gebiete.  65 

Stile  waren  die  Säulenhallen  (öroat),'  welche  den  äußeren  Vorhof 
auf  allen  vier  Seiten  umgaben.  Die  Mehrzahl  derselben  war  doppelt 
(öutXai) 166;  am  großartigsten  aber  war  die  auf  der  Südseite  be- 
findliche. Sie  hatte  die  Form  einer  Basilika  (ßaolXeiog  arod);  vier 
Reihen  mächtiger  korinthischer  Säulen,  im  ganzen  162  an  der  Zahl, 
bildeten  eine  dreischiffige  Halle,  deren  mittleres  Schiff  um  die  Hälfte 
breiter  und  noch  einmal  so  hoch  war  als  jedes  der  beiden  Seiten- 
schiffe167. —  Dies  alles  beweist  freilich  nicht,  daß  auch  für  die 
gewöhnlichen  Privathäuser  der  griechische  Stil  herrschend  war; 
und  es  darf  dies  wohl  auch  nur  in  beschränktem  Maße  angenommen ' 
werden.  Gelegentlich  sehen  wir,  daß  auch  phönizische  und  ägyp- 
tische Bauart  in  Palästina  bekannt  war168. 

Die  bildende  Kunst  konnte  in  Palästina  wegen  der  jüdischen 
Verwerfung  aller  Menschen-  und  Tierbilder  natürlich  keinen  Ein- 
gang finden;  denn  die  Herodianer  haben  sich  doch  nur  in  ver- 
einzelten Fällen  erlaubt,  der  jüdischen  Anschauung  Trotz  zu  bieten, 
wie  wenn  z.  B.  Herodes  d.  Gr.  am  Tempel  einen  goldenen  Adler 
anbringen  ließ,  oder  Herodes  Antipas  Tierbilder  an  seinem  Palaste 
inTiberias169.   Tierbilder  finden  sich  auch  auf  den  merkwürdigen 


Tore  von  dem  alexandrinischen  Alabarchen  Alexander  geschenkt  war,  so  war 
das  kunstvolle  eherne  Tor  von  einem  Alexandriner  namens  Nikanor  gestiftet. 
—  Nach  Middoth  II,  3;  Joma  III,  10  sind  mit  den  Türen  des  Nikanor  Wunder 
geschehen.  Im  Talmud  (jer.  Joma  III,  fol.  41a;  bab.  Joma  38 »;  ähnlich  Tosephta 
Joma  II  ed.  Zuckermandel  p.  183,  21  ff.)  wird  dies  näher  ausgeführt:  Als  Nikanor 
die  Türen  aus  Alexandria  holte,  warfen  die  Schiffer  beim  Ausbruch  eines 
Sturmes  eine  der  Türen  ins  Meer.  Da  umklammerte  Nikanor  die  andere  und 
erklärte,  wenn  diese  auch  hineingeworfen  würde,  so  wolle  er  mit  ihr  unter- 
gehen. Da  beruhigte  sich  der  Sturm.  Die  andere  Türe  aber  kam  wunderbar 
ans  Ufer.  —  Vgl.  überhaupt  meinen  Aufsatz  über  die  &vqcc  tooala  Act.  3,  2 
in  der  Zeitschr.  für  die  Neutestamenti.  Wissensch.  1906,  S.  51—68. 

166)  Bell.  Jud.  V,  5,  2  init.  Vgl.  auch  B.  J.  VT,  3,  1  und  sonst;  Philo,  De 
monarchia  Lib.  II  §  2.  —  Die  azoal  werden  unter  dieser  griechischen  Be- 
zeichnung auch  in  der  Mischna  erwähnt  (Schekalim  VIII,  4;  Sukka  IV,  4). 

167)  Anit.  XV,  11,  5. 

168)  Tyrische  Höfe  an  den  Häusern  werden  Maaseroth  III,  5  erwähnt; 
tyrische  und  ägyptische  Fenster  Baba  bathra  HI,  6.  —  Die  tyrischen  Häuser 
waren  besonders  groß  und  schon,  s.  Exech.  26, 12;  Strabo  XVI  p.  757  init;  Jos. 
Bell.  Jud.  H,  18,  9. 

169)  Der  Adler  am  Tempel:  Anit.  XVII,  6,  2;  B.  J.  I,  33,  2.  —Die  Tier- 
bilder am  Palast  in  Tiberias:  Jos.  Vita  12.  —  In  der  Diaspora  kommen 
freilich  Tierbilder  als  ornamentaler  Schmuck  zuweilen  vor.  So  auf  dem 
Mosaik  im  Fußboden  der  Synagoge  zu  Hammam-Lif  in  Nord-Afrika  (Ab- 
bildungen in:  Revue  arcMol.  trois.  Sirie  t  IH,  1884  pl.  VII — XI  und  Revue 
des  Hudes  juives  t  XIII,  1886,  p.  48 — 49)  und  in  der  jüdischen  Katakombe  der 
Vigna  Bandanini  bei  Rom  [Garrucci,  Storia  della  Arte  cristiana  tot  VI,  1880, 
iav.  489),  auch  auf  jüdischen  Glasgefößen  in  Rom  {Garrucci  tav.  490).    Über 

Schürer,  Geschichte  II.   4.  Aufl.  5 


66  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [49] 

Ruinen  von  Aräk  el-Emir,  nordwestlich  von  Hesbon,  die  offenbar 
identisch  sind  mit  dem  von  Josephus  erwähnten  Schlosse  Tyrus 
in  der  Nähe  von  Hesbon,  dessen  Erbauung  er  einem  gewissen 
Hyrkanus  zur  Zeit  Seleukus'  IV.  zuschreibt  (Antt.  XII,  4,  11).  Es 
ist  jedoch  fraglich,  ob  das  Schloß  wirklich  von  Hyrkanus  erbaut 
ist;  und  außerdem  war  das  Judentum  desselben  ein  sehr  laxes170. 
—  Griechische  Musik  ist  ohne  Zweifel  bei  den  Festspielen  in 
Jerusalem  und  anderwärts  vertreten  gewesen171.  Die  musikalischen 
Instrumente  der  Griechen,  xlfraQig,  ^aXxrjQiov  und  övn<pa>via,  kennt 


Judaica  vela  mit  monströsen  Tierbildern  bei  Claudian  um  400  n.  Chr.  s.  unten 
Anm.  230.  Vgl.  überh.  Kaufmann,  Eevue  des  Hudes  juives  XIU,  50 — 52; 
Ders.,  Art  in  the  Synagogue,  Jewish  Quarterly  Review  vol.  IX,  1897,  p.  254 — 
269.  —  Solomon,  Art  and  Judaisni  (Jewish  Quarterly  Review  XIII,  1901, 
p.  553 — 566);  Steinschneider,  Jewish  Quart.  Review  XV,  1903,  p.  326  sq. 
[Urteile  jüdischer  Autoritäten];  Kohl  er,  Art.  „Art,  attitude  of  Judaism  to- 
ward1  in:  The  Jewish  Encyclopedia  II,  1902,  p.  141—143.  —  In  jüdischen 
Handschriften  des  Mittelalters  sind  vielfach  Illustrationen  mit 
Menschen-undTierbildern  angewendet.  Eine  Geschichte  dieser  jüdischen 
Handschriften-Illustrationen  gibt  D.  Kaufmann  in  einem  Exkurs  des  Werkes 
von  Dav.  Heinr.  Müller  und  Julius  von  Schlosse r,  Die  Haggadah  von 
Sarajevo,  eine  spanisch-jüdische  Bilderhandschrift  des  Mittelalters,  1898.  Das 
Material  ist  seitdem  durch  neuere  Mitteilungen  noch  erheblich  vermehrt  worden, 
und  zwar  1)  über  Illustrationen  der  sog.  Passa-Haggada:  D.  Kaufmann, 
Revue  des  Hudes  juives  t.  XXXVIII,  1899,  p.  74—102;  M.  Schwab,  Le  Manu- 
scrü  hebreu  No.  1388  de  la  Bibliotheque  nationale  (Notices  et  extraüs  des  manu-' 
scrits  de  la  Bibliotheque  nationale  t.  XXXVIII)  1902;  Ders.,  Revue  des  Hudes 
juives  XLV,  1902,  p.  112—132  (vgl.  Theol.  Litztg.  1903,  405f.);  Schwarz, 
Monatsschr.  f.  Gesch.  u.  Wissensch.  d.  Judent.  1902,  S.  560—567.  2)  Über 
iUustrierte  Bibelhandschriften:  Gaster,  Proeeedings  of  the  Society  of 
Biblical  Arehaeology  vol.  XXII,  1900,  p.  226 — 239  (mit  farbigen  Ornamenten, 
nicht  Bildern);  Schwab ,  Revue  des  Hudes  juives  t  XLII,  1901,  p.  111 — 118. 
3)  Über  eine  Handschr.  des  Mach  bot  (Gebetbuches):  M.  Schwab,  RdEJ. 
XLVIH,  1904,  p.  230—240.  4)  Über  eine  gemischte  Handschrift  (Penta- 
teuch,  Machsor  u.  a.):  Margoliouth,  Jewish  Quart.  Review  XVII,  1905, 
p.  193—197. 

170)  S.  überh.:  De  Vogüi,  Le  temple  de  Jerusalem  (1864)  p.  37—42, 
pl.  XXXIV.  XXXV;  Tuch,  Berichte  der  sächs.  Gesellsch.  der  Wissensch., 
philol.-hist  Klasse  1865,  S.  18—36;  De  Saulcy,  Voyage  en  Terre  Sainie  (1865) 
I,  211  sqq.;  Ders.  in  den  Memoires  de  V  Acadimie  des  Inscr.  et  Beiles- Lettres 
T.  XXVI,  1  (1867)  p<  83—117  nebst  VIII  />/.;  Duc  de  Luynes,  \oyage  £ex- 
ploration  ä  la  mer  morte  etc.  pl.  30 — 33;  Bädeker,  Palästina  3.  Aufl.  (1891) 
S.  189—191;  The  Survey  of  Eastern  Palestine  vol.  I,  by  Conder,  1889, p.  65—87 
(mit  Plänen  und  Abbildungen);  Gautier,  Au  dela  du  Jourdain,  Oeneve  1896, 
p.  114—126. 

171)  Herodes  setzte  Preise  aus  zolq  iv  ty  fxovaixy  öiayivoftivoiq  xal  &v- 
fxeXixolg  xuXovpivoiq  ....  xal  dteonovöaaxo  ndvvaq  tovg  iniomioxaxov^  iX&€iv 
inl  r?)v  SfiiMav  (Antt.  XV,  8,  1). 


[49.  50]  II,  2.  Der  Hellenismus  im  jüdischen  Gebiet.  67 

bekanntlich  schon  das  Buch  Daniel  und  ebenso  auch  die  Mischna 172. 
—  Von  ünterhaltungs-  und  Glücksspielen  ist  |  das  Würfelspiel 
ffWp  (xvßeia)  durch  die  Griechen  nach  Palästina  gekommen,  wie 
sein  Name  zeigt  Es  wird  übrigens  vom  strengeren  Judentum 
verworfen173.  —  Im  Schriftwesen  zeigt  sich  der  Einfluß  der 
griechischen  und  römischen  Zeit  in  den  Benennungen  für  Feder 
OTDbp  (xakafioq)  und  Schreiber  nblb  (librarius).  Die  abgekürzte 
Schreibung  eines  Wortes  nur  mit  dem  Anfangsbuchstaben  heißt 

'pp'ntD'O  (notaricum)iU. 

Am  intensivsten  macht  sich  der  Einfluß  des  Hellenismus  be- 
merkbar auf  dem  Gebiete  des  Handels  und  der  Industrie  und, 
was  damit  zusammenhängt,  der  Bedürfnisse  des  täglichen 
Lebens.  Schon  durch  den  alten  Handel  der  Phönizier  sind  ja  die 
Küstenländer  des  mittelländischen  Meeres  in  lebhaften  Austausch 
miteinander  getreten175.    Während  aber  in  älterer  Zeit  die  Phö- 


172)  Daniel  3,  5.  10.  15.  Über  die  einzelnen  Instrumente  s.  bes.  die  Ar- 
tikel in  Gesenius'  Thesaurus.  Auch  H.  Derenbourg,  Les  mots  greos  dam 
le  livre  biblique  de  Daniel  {Milanges  Oraux,  Paris  1884,  p.  235 — 244);  Vigou- 
roux,  Die  Bibel  und  die  neueren  Entdeckungen,  deutsche  Übers.  Bd.  IV, 
1886,  8.  403—419  (apologetisch).  —  tKTWBüO  auch  Kelim  XI,  6;  XVI,  8.  —  Über 
die  Musik  bei  den  Juden  überhaupt:  Winer  RWB.  II,  120—125;  Leyrer  in 
Herzogs  Real-Enz.  2.  Aufl.  X,  387—398;  Benzinger,  ebendas.  3.  Aufl.  XIII, 
585—603;  Low,  Die  Lebensalter  in  der  jüdischen  Literatur  8.  300 ff. 

173)  fcOSIp  Schabbath  XXIII,  2;  Bosch  haschana  I,  8;  Sanhedrin  III,  3; 
Schebuoth  VII,  4.  —  8.  überh.:  Low,  Die  Lebensalter  S.  323 ff.;  Pauly- 
Wissowas  Real-Enz.  Art.  alea;  Hermann  und  Blümner,  Griech.  Privat- 
altertümer 8.  511  ff.;  Marquardt,  Das  Privatleben  der  Romer  II,  824 ff;  Mio- 
doriski,  Anonymus  adver sus  aleatores  (1889)  8.  40  ff. 

174)  öisbp  Schabbath  I,  3;  VIII,  5.  Krauß,  Griech.  und  latein.  Lehn- 
wörter II,  506.  —  itab  Pea  II,  6;  Schabbath  I,  3;  Qittin  III,  1;  Krauß  II, 
303.  Die  Form  XußXaoioq  für  librarius  auch  auf  ägypt.  Papyrus,  s.  Wilamo- 
witz,  Gott  gel.  Anz.  1898,  S.  688,  aus  Oxyrh  Pap.  T.  —  'pp'na'ti  Schabbath 
Xu,  5;  Krauß  II,  356;  Ders.,  Byzantin.  Zeitschr.  II,  512—516;  Bacher,  Die 
exegetische  Terminologie  der  jüdischen  Traditionsliteratur  1905  (Tl.  I  zuerst 
1899  unter  etwas  anderem  Titel)  I,  125—128;  II,  124.  —  The  Jewish  Encyclo- 
pedia  I,  1901,  p.  39—42  (Art.  Äbbreviations);  IX,  1905,  p.  339  sq.  (Art.  No- 
tarikon).  —  Über  griech.  Ausdrücke  im  Schreibwesen  überhaupt  s.  die  Zu- 
sammenstellung von  J.  Low  bei  Krauß,  Griech.  u.  latein.  Lehnwörter  im 
Talmud  etc.  II,  1899,  8.  643. 

175)  Über  den  Handel  der  Phönizier  s.  bes.  das  klassische  Werk  von 
Movers  (Die  Phönicier),  dessen  letzter  Teil  (II,  3,  1856)  ganz  diesem  Gegen- 
stande gewidmet  ist  Aus  älterer  Zeit:  Bockart,  Chanaan  s.  de  coloniis  et 
sermone  Phoenicumt  Oaen  1646;  aus  neuerer:  Schmülling,  Der  phönizische 
Handel  in  den  griechischen  Gewässern,  2  Tle.,  Münster  i.  W.,  Progr.  des  Real- 
gymnasiums 1884—85;  Gutschmid,  Kleine  Schriften  11,47— 61;  Ed.  Meyer, 
Gesch.  des  Altertums   H,    1893,    S.  141—154;   Beloch,   Die   Phöniker   am 


5* 


6g  §  22.  Allgemeine  Kaitarverhältnisse.  [50.  51] 

nizier  vorwiegend  die  Gebenden  waren,  sind  jetzt  die  Orientalen 
mehr  die  Empfangenden.  Wenigstens  ist  das  griechisch-römische 
Element  jetzt  der  vermittelnde  und  zugleich  maßgebende  Faktor 
in  dem  allgemeinen  Weltverkehre.  Dies  zeigt  sich  deutlich  auch 
bei  dem  jüdisch-palästinensischen  Handel  und  Verkehre  176.| 
Dieser  hat  nicht  nur  die  Juden  in  alle  Welt  hinausgeführt,  sondern 
auch  griechische  Kauf  leute  nach  Palästina  gebracht.  Wie  alt  der 
Import  griechischer  Waren  nach  Palästina  ist,  haben  neuerdings 
die  englischen  Ausgrabungen  im  Süden  Palästinas,  zunächst  in 
Teil  el-Hasi,  dem  alten  Lachisch  (zwischen  Gaza  und  Eleuthero- 
polis)  gezeigt.  Unter  den  dort  gefundenen  Tongefäßen  befinden 
sich  (nach  den  sehr  wahrscheinlichen  Ansätzen  von  Flinders  Petrie) 
auch  solche  griechischen  Ursprungs  aus  verschiedenen  Perio- 
den, vom  siebenten  Jahrhundert  vor  Chr.  bis  zur  Zeit  Alexanders 
des  Gr.177.     Ähnliche  Resultate  haben  Nachgrabungen  auch  an 


ägäischen  Meer  (Rhein.  Museum  1894,  S.  111—132);  Speck,  Handelsgeschichte 
des  Altertums,  1.  Bd.:  Die  orientalischen  Völker,  1900,  S.  414—514 :  Die  Phö- 
nizier (ohne  Quellen-Belege).  —  Über  den  hierdurch  vermittelten  Einfluß  der 
orientalischen  Kultur  auf  die  abendländische  s.  die  Literatur  bei  Hermann 
und  Blümner,  Griechische  Privataltertümer  (1882)  S.  41  f.,  und  bei  Mar- 
quardt,  Das  Privatleben  der  Römer  Bd.  H  (1882)  S.  378  f. 

176)  Über  den  jüdischen  Handel  s.  bes.  Herz  fei  d,  Handelsgeschichte 
der  Juden  des  Altertums  (1879).  Ferner:  Win  er  RWB.  I,  458 ff.;  Leyrer  in 
Herzogs  Real-Enz.  2.  Aufl.  V,  578 ff.  XIII,  513 ff.  (Art.  „Schiffahrt");  De 
Wette,  Lehrb.  der  hebr.-jüd.  Archäologie  (4.  Aufl.  von  Rabiger)  S.  390 ff.; 
Keil,  Handb.  der  bibl.  Archäol.  (2.  Aufl.  1875)  S.  599  ff. ;  Hamburger,  Real- 
Enzyklopädie  für  Bibel  und  Talmud,  II.  Abt.,  Art.  „Welthandel";  Speck, 
Handelsgesch.  des  Altertums  I,  1900,  S.  571—587;  G.  A.  Smith,  Art.  „Trade 
and  Commerce"  in  der  Encyclopaedia  Biblica  IV,  1903,  col.  5145 — 5199;  Gut  he, 
Art.  „Schiffahrt"  in  Herzog-Hauck,  Real-Enz.  3.  Aufl.  XVII,  563  ff.  —  Für  die 
Kenntnis  des  Orienthandels  überhaupt  im  ersten  Jahrh.  nach  Chr.  ist 
eine  der  wichtigsten  und  interessantesten  Quellen  der  IIeot7i?.ovg  ttjs  £qv- 
&Qä$  SaXdacrjg  (wahrscheinlich  von  einem  Zeitgenossen  des  Plinius  um 
70  nach  Chr.  verfaßt).  Vgl.  darüber  bes.  Schwanbeck,  Rhein.  Museum, 
Neue  Folge,  Bd.  VII,  1850,  S.  321—369.481—511;  Dillmann,  Monatsberichte 
der  Berliner  Akademie  1879,  S.  413 — 429;  Jurten  de  la  Graviere,  Le  com- 
merce de  F  Orient  sous  les  rhgnes  d'  Aw/uste  et  de  Claude  (Revue  des  deux  mondes 
1883,  15.  Nov.  p.  312 — 355).  Text  bei  Müller,  Oeographi  Qraeci  minores  1. 1, 
1855,  p.  257—305  (dazu  Proleg.  p.  XCV' sqq.).  Separatausgabe:  Fabricius, 
Der  Periplus  des  erythräischen  Meeres  von  einem  Unbekannten,  griechisch  und 
deutsch  mit  kritischen  und  erklärenden  Anmerkungen  nebst  vollständigem 
Wörterverzeichnisse,  Leipzig  18S3  (daselbst  S.  1  —27  auch  die  übrige  Literatur). 
Der  Verfasser  schreibt  noch  zur  Zeit  des  nabatäischen  Königs  Malchus  II, 
also  nicht  später  als  71  n.  Chr.  (s.  Bd.  I,  Beilage  II). 

177)  S.  Flinders  Petrie,  Teil  cl  Eesy  (Lachish),  London  1891  (grund- 
legend für  die  Altersbestimmung).  —  Bliss  in:  Palestine  Exploration  Fundt 


[51]  IT,  2.  Der  Hellenismus  im  jüdischen  Gebiet.  69 

anderen  Orten  des  südlichen  Palästinas  ergeben178.  Aber  auch 
bei  den  von  Seilin  geleiteten  österreichischen  Ausgrabungen  im 
Norden,  in  Teil  Tacannek  in  der  Ebene  von  Megiddo,  ist  man  auf 
dieselben  Kulturschichten  gestoßen179.  Einer  späteren  Periode 
griechischen  Einflusses  gehören  interessante  Funde  in  Teil  Sanda- 
hanna,  dem  alten  Marisa  in  Iduniäa,  und  in  Gezer  =  Gazara 
an.  Zunächst  sind  in  Teil  Sandahanna  bei  Gelegenheit  der  eng- 
lischen Nachgrabungen  mehr  als  dreihundert  Henkel  von  Ton- 
krügen (Amphoren)  gesammelt  worden,  welche  mit  griechischen 
Stempeln  versehen  sind180.  Die  Stempel  setzen  es  außer  Zweifel, 
daß  die  Amphoren,  deren  Reste  diese  Henkel  sind,  aus  Rhodus 
stammen  und  im  dritten  oder  zweiten  Jahrhundert  vor  Chr.  her- 
gestellt sind.  Die  Fabrikation  solcher  Tonwaren  muß  damals  ein 
blühender  Industriezweig  in  Rhodus  gewesen  sein,  denn  die  Reste 


Quarter ly  Statement  1891.  1892. 1893  (Berichte  über  die  Ausgrabungen).  —  Zu- 
sammenfassend: Naue  in  der  Münchener  All  gem.  Zeitung  1893,  17.  März  Bei- 
lage; Bliss,  A  mound  of  many  eitles  or  Teil  el  Hesy  excarated,  London  1894. 

178)  Bliss  and  Macalister,  Excarations  in  Palcstine  during  the  years 
1898-1900,  London  1902  (Ausgrabungen  in  Teil  Zakariya,  Teil  es-Safi,  Teil 
el-Judeideh,  Teil  Sandahannah).  —  S.  101 :  Associated  wiih  the  local  wäre  of 
this  period  are  two  elasses  of  Qreek  wäre,  doubtless  imported.  The  earlier 
types  date  in  Egypt  from  the  serenth  and  sixth  centuries  B,  C. . , . .  The  second 
elass  consists  of  the  welUknown  glaxed  figured  wäre  dating  from  550  to  350  B.  0. 
—  Vgl.  auch  Bliss ,  Art.  Pottery  in:  The  Jetcish  Encyclopedia  X,  1905, 
p.  148-151. 

179)  8 eil  in,  Teil  Tacannek,  Bericht  über  eine  mit  Unterstützung  usw# 
unternommene  Ausgrabung  in  Palästina  (Denkschriften  der  Wiener  Akademie, 
phil.-hist.  Kl.  Bd.  50),  1904.  —  S.  91:  „Die  zweitoberste  Schicht  ...  ist  die 
Periode  griechischen  Einflusses,  a)  Die  erste  Art  charakterisiert  den  Beginn 
dieses  Einflusses,  das  hervorstechendste  Merkmal  ist  der  kleine  gelbbraune 
Topf  mit  schwarzen  konzentrischen  Kreisen  ....  b)  Die  zweite  Art  ist  die 
Zeit  der  vollen  Herrschaft  griechischer  Kultur;  ihr  Hauptmerkmal  die  glänzend 

gefirnißte  schwarze   Scherbe Die  charakteristischen  Scherben   der 

seleucidischen  Ära  fanden  sich  überhaupt  nicht".  —  Ob  die  Tonwaren  impor- 
tiert oder  nach  griechischen  Mustern  im  Lande  hergestellt  waren,  wird  wohl 
nicht  immer  sicher  zu  unterscheiden  sein.  Das  treffliche  Werk  von  Vincent, 
Canaan  d'apres  Vexploration  ricente,  Paris  1907,  handelt  in  cap.  V  (La  cera- 
mique,  p.  297—360)  nicht  von  den  importierten,  sondern  nur  von  den  ein- 
heimischen Tonwaren.  Vincent  nennt  aber  die  ganze  Periode  vom  9.  bis 
5.  Jahrh.  vor  Chr.  die  jüdisch-hellenische  (La  ceramique  judeo-hell&niquey 
JXe  —  V«  sücles  av.  J.-C,  p.  351 — 360),  weil  sie  unter  griechischem  Einfluß 
gestanden  habe. 

180)  8.  Macalister,  Amphora  handle*  with  greek  stamps  from  Teil  San- 
dahannah (Palestine  Exploration  Fund,  Quarterly  Statement  1901,  p.  25 — 43. 
124—143,  Nachtrag  p.  394 — 397).  Kürzerer  Bericht  in :  Excarations  in  Palestine, 
by  Bliss  and  Macalister  (1902),  p.  52  sqq.,  131—134. 


70  §  22-  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [51] 

sind  in  großen  Mengen  fast  in  allen  Gegenden  der  antiken  Kultur- 
welt gefunden  worden181.  Es  handelt  sich  dabei  sicher  nicht,  wie 
man  wohl  gemeint  hat,  um  den  Handel  mit  Wein;  sondern  die 
Tonkrüge  selbst  waren  um  ihrer  guten  Qualität  willen  ein  ge- 
suchter Artikel.  So  sind  sie  auch  nach  Marisa  gekommen,  wo, 
wie  oben  S.  4  f.  gezeigt  worden  ist,  im  zweiten  Jahrhundert  vor  Chr. 
eine  griechische  Kolonie  existierte.  Auch  in  Gazara  sind  Funde 
ganz  gleicher  Art  in  großen  Mengen  zutage  gefördert  worden182. 


181)  Außer  den  rhodischen  Amphoren  sind  namentlich  auch  solche  aus 
Knidos  häufig.  Die  rhodischen  sind  daran  sicher  zu  erkennen,  daß  durch  den 
Stempel  angegeben  wird:  1)  der  Name  des  eponymen  Beamten,  2)  der  Monat 
(also  Jahr  und  Monat  der  Herstellung)  und  3)  der  Name  des  Fabrikanten 
(Töpfers,  nicht  des  Weinhändlers,  b.  P.  Becker,  Jahrbb.  f.  klass.  Philol.,  Suppl. 
IV,  8.  436;  Schuchhardt,  Altertümer  von  Pergamon  VIII,  2,  8.  428),  ferner 
gewisse  für  Rhodus  charakteristische  Embleme  (Kopf  des  Helios  oder  Böse). 
Am  häufigsten  steht  der  Name  des  Beamten  und  des  Monats  auf  dem  einen 
Henkel  (z.  B.  inl  yAva%avÖQOv  navd/xov,  iitl  *Avö(>La  \4prajartov,  ixi  'Avöqo- 
vlxov  daMov),  der  des  Töpfers  auf  dem  andern  (s.  hierüber  bes.  Schuchhardt 
a.  a.  O.  8.  42b1  ff.).  Doch  kommen  auch  andere  Kombinationen  vor.  Die 
Altersgrenzen  ergeben  sich  daraus,  daß  sich  dieselben  Eponymen-Namen  wie 
in  Palästina  teilweise  auch  in  Alexandria  und  in  Pergamon  gefunden  haben. 
Die  alexandrinischen  Funde  können  nicht  älter  sein  als  Alexander,  die  per- 
gamenischen  nicht  jünger  als  zweites  Jahrh.  vor  Ohr.  (s.  Schuchhardt  a.a.O. 
8.  432).  —  Die  wichtigsten  Publikationen  über  diese  Henkelinschriften  sind: 
Stephani,  Tituhrum  graecorum  P.  II,  1848  (im  Index  scholarum  Dorpatensis). 
—  Stoddafrt,  On  the  inscribed  potter y  of  Rhodes,  Cnidus  and  other  greek  cities 
(Transactions  of  tlie  Royal  Society  of  Literature,  Second  Series,  vol.  HI,  1850, 
p.  1—127,  und  IV,  1853,  p.  1—67).  —  Paul  Becker,  Über  die  im  südlichen 
Bußland  gefundenen  Henkelinschriften  auf  griechischen  Tongefaßen  {Melanies 
grico-romains  tiris  du  Bulletin  de  VAcad.  des  sciences  de  St.  Pelersbourg  t.  I, 
1855,  p.  416 — 521).  —  Stephani,  Milanges  Grico-romains  tiris  du  Bulletin  etc. 
t  II,  1859—1866,  p.  7—26  und  206— 216.  —  P.  Becker,  Jahrbb.  f.  klass.  Philol., 
Supplementbd.  IV,  1801—1867,  8. 451—502.  V,  1864—1872,  8. 445—536.  X,  1878, 
8. 1 — 117  u.  207 — 232.  —  Dumont,  Inscriptions  ciramiques  de  Grece,  1872  (zu- 
sammenfassend). —  NEQOvraoq  im  'AS-^vaiov  t  III,  1874,  p. 213— 245,441 — 462.  — 
Grundmann,  Über  98  in  Attika  gefundene  Henkelinschriften  auf  griechischen 
Tongefaßen  (Jahrbb.  f.  klass. Philol.,  Suppl.  XVII,  1890,  S.277— 350).  —  Kaibel, 
Inscriptiones  gr.  Sicil.  et  Ital.  1890,  p.  563—595  (n.  2393,  1  bis  2393,  610).  — 
Hiller  von  Gärtringen,  Inscriptiones  gr.  insularum  maris  Aegaeif  fasc.  I, 
1895  w.  1065—1441.  —  Altertümer  von  Pergamon  VIH,  2,  (1895):  Die  In- 
schriften von  Pergamon,  unter  Mitwirkung  von  Schuchhardt  herausg.  von 
Fränkel  S.  423—493  (bearb.  von  Schuchhardt).  —  Pridik,  Amphorenstempel 
aus  Athen  (Mitteilungen  des  deutschen  archäol.  Instituts,  Athenische  Abtlg. 
Bd.  XXI,  1896,  S.  127—187).  —  Corpus  Inscr.  Lat.  t.  VIII,  Supplem.  P.  m  (1904), 
p.  2189—2200  (rhodische  Henkel,  in  Karthago  gefunden).  —  Delattre,  Bulletin 
archSol.  du  comiti  des  travaux  historiques  et  scientifigues  1904,  p.  483 — 490. 

182)  Maca lister ,  Quarterly  Statemetä  1903,  p.  48.  306;  1904,  p.  212 f. 


[51.  52]  II,  2.  Der  Hellenismus  im  jüdischen  Gebiet.  71 

Sie  stammen  augenscheinlich  aus  der  Zeit  vor  der  Judaisierung 
der  Stadt  durch  den  Makkabäer  Simon.  —  Athenische  Fracht- 
schiffe fuhren  aber  schon  zur  Zeit  des  Perikles  nach  Phönizien 
und  Ägypten 183.  Auf  einen  lebhaften  Handelsverkehr  mit  Griechen- 
land in  voraiexandrinischer  Zeit  ist  auch  aus  den  phönizischen 
Münzen  von  Gaza  zu  schließen,  denn  diese  sind  nach  athenischem 
Muster  geprägt  (s.  §  23,  I  unter  Gaza).  In  Ake-Ptolemais  war 
sicher  bereits  zur  Zeit  des  Isäus  und  Demosthenes  eine  Nieder- 
lassung athenischer  Kauf  leute  (s.  §  23, 1).  Es  ist  daher  nicht  auf- 
fallend, daß  später  (zur  Zeit  Hyrkans  IL)  athenische  Kauf- 
leute auch  nach  Judäa  gekommen  sind  (s.  oben  Anm.  138).  — 
In  der  römischen  Zeit  ist  der  griechische  Finfluß  in  den  Lebens- 
gewohnheiten des  jüdischen  Volkes  ein  sehr  starker.  Schon  die 
technischen  Bezeichnungen  des  Kaufmannsstandes  sind  zum  Teil 
griechische.  Ein  Getreidehändler  heißt  "jwud  (omDPijg),  ein  Allein- 
händler b^tyn  (ßovojt(6XrjQ\  ein  Detailverkäufer  nt&D  (xqcittiq)  184. 
Das  Rechenbuch  eines  Kaufmannes  heißt  opDt  (jr/rag) 185.  Das 
ganze  Münzsystem  Palästinas  war  teils  das  phönizisch-helle- 
nis tische,  teils  geradezu  das  griechische  oder  römische186.    Der 


183)  Thueyd.  H,  69:  zbv  nXovv  ru>v  dbcdSajv  rwv  dnö  <PaorfXiöoq  xal 
&oivlxrjq  xal  r^q  ixet&ev  faelQOv.  Id.  VHI,  35:  räq  ärc'  'Aiyvntov  SXxdSaq 
UQoaßaXovaaq,  Vgl.  überh.  über  den  Welthandel  Athens  zur  Zeit  des  Perikles: 
Ed.  Meyer,  Gesch.  des  Altertums  Bd.  IV,  1901,  S.  53ff.;  Speck,  Handels- 
geschichte des  Altertums,  2.  Bd.:  Die  Griechen  (1901),  S.  352-474. 

184)  *pi^O  Demai  II,  4.  V,  6;  Baba  bathra  V,  10;  Kelim  XII,  1;  Krauß, 
Lehnwörter  II,  381  f.  —  Vto»  Demai  V,  4;  Krauß  II,  344.  —  löbto  Demai  V,  4; 
Aboda  sara  IV,  9;  Krauß  II,  458.  —  Über  airüvrjg  und  novonkXriQ  s.  auch 
Herzfeld  S.  135  f.  ^tibto  ist  an  einigen  Stellen  =  tiwXtjt^qiov,  das  Verkaufs- 
lokal; und  so  will  es  Herzfeld  (S.  131. 324)  auch  an  den  beiden  zitierten  Stellen 
verstehen;  doch  ist  es  dort  wahrscheinlicher  =  uQaxi\Q  (so  Hartmann,  Thes. 
ling.  Hebr.  e  Mischna  aug.  p.  45).  —  Noch  mehr  über  griech.  Ausdrücke  im 
Handelswesen  s.  bei  Krauß  II,  634  f. 

186)  bp3B  Schabbath  XII,  4;  Schebuoth  VII,  1.  5;  Aboth  HI,  16;  Kelim 
XVn,  17.  XXIV,  7;  Krauß  n,  466  f.  —  Dieses  Rechenbuch  bestand  aus  zwei 
mit  einander  verbundenen  Täfelchen,  die  geöffnet  und  zusammengelegt  werden 
konnten. 

186)  Über  das  jüdische  Münzwesen  der  früheren  und  späteren  Zeit  s. 
Berthe  au,  Zur  Geschichte  der  Israeliten  (1842)  S.  1 — 49;  Zuckermann, 
Über  talmudische  Gewichte  und  Münzen,  1862;  Herzfeld,  Metrologische 
Voruntersuchungen  zu  einer  Geschichte  des  ibräischen  resp.  altjüdischen 
Handels,  2  Tle.  1863—1865;  Ders.,  Handelsgeschichte  der  Juden  (1879) 
S.  171 — 185;  Lambert,  Les  changeurs  et  la  mormaie  en  Palestine  du  I«r  au 
in*  stiele  de  Vhre  vulgaire  d'aprte  les  textes  talmudiques  (Revue  des  Uudesjuives 
t.  LI,  1906,  p.  217—244;  LH,  1906,  p.  24—42);  Winer  RWB.  Art  „Geld*1; 
das.  auch  die  Artikel  Denar,  Drachme,  S tater,  Sekel;  De  Wette,  Lehrb.  der 
hebr.-jüdischen  Archäol.  (4.  Aufl.  1864)  S.  251ft;  Benzinger,  Art.  „Geld"  in 


72  §  22.  Allgemeine  Kulturverhaltnisse.  [52] 

Münzfuß  der  Silbermünzen,  welche  in  den  hellenistischen  Städten 
Phöniziens  und  Palästinas  seit  Alexander  d.  Gr.  geprägt  wurden, 
war  abwechselnd  der  attische  (die  Tetradrachme  zu  ungefähr 
17  Gramm)  und  der  phönizisch-hellenistische  (1  Sekel  =  1  Stater 
=  1  Tetradrachme  zu  ungefähr  14  Gramm).  Alexander  prägte 
nach  attischem  System,  die  Ptolemäer  nach  phönizischem,  die  Seleu- 
ciden  zuerst  nach  attischem,  seit  Alexander  Balas  nach  phöni- 
zischem187. Der  letztere  Münzfuß  ist  wohl  auch  vorauszusetzen, 
wenn  in  den  Makkabäerbüchern  nach  Drachmen  und  Talenten  ge- 
rechnet wird188.  Eben  dieses  phönizisch-hellenistische  Silbergeid 
blieb  für  den  Großverkehr  in  Palästina  auch  während  der  Has- 
monäerzeit  herrschend.  Denn  die  Hasmonäer  haben  nur  Kupfer- 
geld für  den  Kleinverkehr  geprägt 189.  Diese  einheimischen  Münzen 
trugen  hebräische  Aufschrift.  Aber  die  späteren  Hasmonäer  fügten 
auch  auf  diesen  eine  griechische  Aufschrift  bei,  welQhe  für  die 
phönizisch-hellenistischen  Silbermünzen  des  Großverkehres  stets 


Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  VI,  477—482;  Kennedy,  Art.  Money  in 
Hostings  Dictionary  of  the  Bible  III,  1900,  p.  417 — 432  (gute  Zusammenfassung); 
die  Werke  von  De  Saulcy,  Madden  u.  a.  über  die  jüdischen  Münzen 
(s.  oben  §.  2);  Hultsch,  Griechische  und  römische  Metrologie  (2.  Bearb.  1882) 
S.  456  ff.  602  ö.  —  Über  das  jüdische  Münzwesen  in  der  persischen  Zeit  geben 
die  aramäischen  Papyri  von  Assuan  wichtiges  Material,  s.  Aramaic  Papyri 
discovered  at  Assuan  ed.  by  Sayee  and  Cowley  1906,  und  dazu  Lidzbarskis 
Erörterungen,  Deutsche  Literaturzeitung  1906,  col.  3209 — 3212. 

187)  S.  Eeinach,  Les  monnaies  juives  (1887)  p.  13 — 15  =  Actes  et  eon- 

•  

firences  de  la  Sociiti  des  itudes  juives  1887  [Beilage  zur  Revue  des  itudes  juives 
t,  XV]  p.  CLXXXIX  sq.;  Babelon,  Catalogue  des  monnaies  grecques,  Les  rois 
de  Syrie  (1890)  p.  CXXV,  CLXXXUI;  Kennedy  in  Hostings  Dictionary  KI, 
423  sq. 

188)  Drachmen:  II  Makk.  4,  19.  10,  20.  12,  43;  Talente:  I  Makk.  11,  28. 
13,  16.  19.  15,  31.  35.  II  Makk.  3,  11.  4,  8.  24.  5,  21.  8,  lOf.  —  Das  hebräische 
Talent  beträgt  3000  Sekel,  also  12000  Drachmen  phönizischer  Währung.  Ab- 
weichend hiervon  setzt  Josephus  in  seinen  Angaben  über  das  Testament  des 
Herodes  ein  Talent  =  10C00  „Silberstücke"  (wie  aus  Vergleichung  von  Antt. 
XVII,  6,  1;  8,  1;  11,  5  fin.  erhellt).  Vermutlich  legt  er  dabei  die  Rechnung 
nach  attischen  Drachmen  zugrunde,  denn  10000  attische  Drachmen  sind  an- 
nähernd gleich  12000  phönizischen.  So  Hultsch,  Das  hebräische  Talent  bei 
Josephus  (Beiträge  zur  alten  Geschichte,  herausg.  v.  C.  F.  Lehmann,  Bd.  II, 
1902,  S.  70—72).  —  Über  die  verschiedenen  Drachmen  s.  Hultschs  Ar- 
tikel in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.,  V,  1613 — 1633;  auch  „Didrachmon",  V, 
433—436. 

189)  Ob  die  silbernen  Sekel  und  Halb-Sekel  von  dem  Makkabäer  Simon 
geprägt  sind,  wie  vielfach  angenommen  wird,  ist  sehr  fraglich  (s.  darüber  Bd.  I 
Beilage  IV).  Jedenfalls  wäre  diese  Silberprägung  nicht  von  langer  Dauer  ge- 
wesen. Denn  von  den  sämtlichen  Nachfolgern  Simons  ist  nur  Kupfergeld 
bekannt. 


[52.  53]  II,  2.  Der  Hellenismus  im  jüdischen  Gebiete.  73 

selbstverständlich  war.  In  der  römisch-herodianischen  Zeit  trugen 
alle  in  Palästina  kursierenden  oder  dort  geprägten  Münzen  grie- 
chische (oder  auch  lateinische)  Aufschrift.  In  betreff  des  Münz- 
fußes ging  die  Tendenz  der  römischen  Verwaltung  dahin,  den 
römischen  Münzfuß  im  ganzen  Reiche  zur  |  Geltung  zu  bringen190. 
In  Palästina  ist  dies  strenger  als  in  manchen  anderen  Gebieten 
durchgeführt  worden.  Die  Herodianer  hatten  vermutlich  über- 
haupt nicht  das  Recht  der  Silberprägung  (s.  oben  §  15,  3.  Aufl.  1, 403); 
und  ihre  Kupfermünzen  folgen,  soweit  sich  aus  den  erhaltenen 
Stücken  erkennen  läßt,  dem  römischen  System.  Nur  die  kleinste 
palästinensische  Scheidemünze  (=  %  as)  ist  dem  römischen  System 
fremd.  Derselbe  Zustand  blieb  unter  den  Prokuratoren.  Es  kur- 
sierte jetzt  also  in  Palästina  auswärts  geprägtes  Gold  und  Silber 
(Denare)  und  daneben  das  im  Lande  geprägte  Kupfergeld.  Ein 
Reskript  des  Germanicus  (Oberstatthalter  der  Provinzen  des  Ostens 
17—19  nach  Chr.),  welches  in  dem  im  Jahre  1881  entdeckten  Zoll- 
tarif von  Palmyra  zitiert  wird,  schreibt  für  die  Bezahlung  der 
Zölle  ausdrücklich  den  italischen  Münzfuß  vor191.  Die  palästinen- 
sische Prägung  folgte  diesem  Münzfuße  schon  seit  Herodes  I.  Auch 
die  römischen  Bezeichnungen  der  Münzen  sind  schon  im  ersten 
Jahrhundert  nach  Chr.  in  Palästina  geläufiger  als  die  daneben  noch 
gebrauchten  griechischen  und  hebräischen.  Dies  ergibt  sich  aus 
folgender  Zusammenstellung  des  Materials  aus  der  Mischna  und 
dem  Neuen  Testamente192.  —  1)  Die  palästinensische  Goldmünze 


190)  Unter  den  Batschlägen,  welche  Dio  Cassius  dem  Mäcenas  in  den 
Mund  legt,  heifit  es  in  betreff  der  Provinzialen  (Dio  Cass.  52,  30):  pfoe  6h 
vo/jt(a/jtata  rj  xal  axa&ftä  rj  fxixQa  löicc  ziq  avzfov  ix£z<o,  aXXä  zoXq  fjfisziQOiq 
xal  ixrtvoi  ndvzsq  XQfl<t&<°a*v* 

191)  Tafel  IV»  Im.  42  ff.:  xal  rsQftavixov  Kaloaqoq  Siä  zfjq  nQÖq  2ratei- 
kiov  imozoXfjq  öiaaaqrfoavzoq,  Sri  Set  TCQÖq  oloöclqiov  izakixdv  zä  ziXrj  Xoyev- 
eo&ai  (Text  bei  Schröder,  Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie  1884, 
S.  434;  zur  Erläuterung:  Dessau,  Hermes  XIX,  1884,  S.  519f.;  Text  auch 
bei  Cooke,  Text-book  of  North-semüio  inscriptiom  1903,  n.  147  p.  319;  Ditten- 
b|erger,  Orientis  graeci  inscr.  sei.  II,  1905,  n.  629  p.  336,  und  in:  Inscriptiones 
graeeae  ad  res  romanas  pertinentes  t.  Hl  ed.  Cagnat  n.  1056  p.  398.  Ditten- 
berger  liest  irrig  nQÖq  äcaagiov  nd[vza]  zä  ziXij.  Die  Lesung  und  Ergänzung 
lta[Xixdv]  ist  völlig  sicher,  da  im  aramäischen  Paralleltext  p^N  erhalten  ist). 
—  Für  Beträge  unter  einem  Denar  gestattet  der  Tarif  von  Palmyra  trotzdem 
Lokal-Scheidemünze. 

192)  Ein  Verzeichnis  der  in  der  rab bin i sehen  Literatur  vorkommenden 
griechischen  und  lateinischen  Münz-Namen  gibt  Low  bei  Krau ß,  Griechische 
und  lateinische  Lehnwörter  n,  635  f.  Über  die  im  N.  T.  erwähnten  Münzen 
s.  Cavedoni,  Biblische  Numismatik  I,  96 — 137;  Madden,  History  of  Jewish 
Coinage  (1864),  p.  232—248;  Hager,  Die  Münzen  der  Bibel,  1868;  Madden, 
Numismatic   Chronicle  1876,  p.  177-219;  Ders.,    Coins  of  the  Jens  (1881), 


74  §  22-  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [53.  54] 

ist  der  römische  aureus  zu  25  Denaren,  in  der  Mischna  oft  unter 
der  Bezeichnung  „  Gold-Denar tt  (am  nm)  erwähnt193.  —  2)  Die 
gangbare  Silbermünze  ist  der  denarius  (öijvaQcov),  der  von  |  allen 
Münzen  am  häufigsten  im  Neuen  Testamente  erwähnt  wird  (ML  18, 
28;  20,  2  ff.;  22,  19;  Marc.  6,  37;  12,  15;  14,  5;  Luc.  7,  41;  10,  35;  20,  24; 
Joh.  6,  7;  12,  5;  Apok.  6,  6).  Daß  für  ihn  eben  diese  römische  Be- 
zeichnung geläufig  war,  erhellt  auch  aus  der  Mischna;  denn  er 
wird  hier  fast  häufiger  unter  dem  Ausdruck  "ffn,  als  unter  dem 
gleichwertigen  semitischen  W  erwähnt194.  Da  der  Denar  an  Wert 
einer  attischen  Drachme  gleichgesetzt  wurde,  so  wird  auch  noch 
nach  Drachmen  gerechnet  Doch  ist  diese  Rechnungsweise  nicht 
mehr  häufig195.  —  3)  Von  Kupfermünzen  wird  zunächst  das  Zwei- 
As-Stück  oder  der  dupondius  (hebräisch  pittt)  häufig  erwähnt196. 

p.  289 — 310;  Winer,  De  Wette,  Benzinger,  Kennedy  a.a.O.  —  Über 
das  römische  Münzwesen  vgl.  bes.  die  treffliche  Übersicht  bei  Marquardt, 
Komische  Staatsverwaltung,  Bd.  II  (1876),  S.  3—75.  Die  beiden  Hauptwerke 
aus  neuerer  Zeit  sind:  Mommsen,  Geschichte  des  römischen  Münzwesens 
1860,  und  Hultsch,  Griechische  und  römische  Metrologie,  2.  Bearb.,  1882. 

193)  5m  im  Maaser  scheni  II,  7.  IV,  9;  Sehekalim  VI,  6;  Nasir  V,  2; 
Baba  kamma  IV,  1;  Sehebuoth  VI,  3;  Meila  VI,  4.  —  Über  den  römischen 
aureus  (auch  denarius  aureus  genannt)  s.  Marquardt  II,  25 f.;  Hultsch, 
S.  308  ff.  Daß  der  am  w  gleich  25  Denare,  erhellt  z.  B.  aus  Kethuboth  X,  4; 
Baba  kamma  IV,  1.  —  Auf  einer  palmyrenischen  Inschrift  vom  J.  193  n.  Chr. 
kommen  vor  XQV0*  TtaXaiä  örjväoia   (Waddington,  Inscr.  de  la  Syrie  n.  2596). 

194)  ^T  z.  B.  Pea  VIII,  8;  Demai  II,  5;  Maaser  scheni  II,  9;  Sehekalim 
II,  4;  Bexa  III,  7;  Kethuboth  V,  7.  VI,  3.  4.  X,  2;  Kiddusehin  I,  1.  II,  2;  Baba 
mexia  IV,  5;  Arachin  VI,  2.  5,  und  sonst;  Krauß,  Lehnwörter  II,  207 f.  Auf 
Inschriften  in  Batanäa  und  Trachonitis  örjväoia  (Waddington  n.  2095.  2341. 
2537a;  häufiger  wird  auf  diesen  Inschriften  nur  das  Zeichen  *  gebraucht). 
Auch  der  Zolltarif  von  Palmyia  rechnet  durchweg  nach  Denaren.  —  t*iT  Pea 
VHI,  8—9;  Joma  in,  7;  Kethuboth  I,  5;  VI,  5;  IX,  8;  Gittin  VIT,  5;  Kiddusehin 
HI,  2;  Baba  kamma  IV,  1.  VIII,  6;  Baba  bathra  X,  2.  —  Unter  Nero  wurde  der 
Gehalt  desDenares  herabgesetzt  (Marquard  II,  27;  Kenner,  Die  Scheidemünzen 
des  Kaisers  Nero,  in:  Wiener  Numismat.  Zeitschr.  X,  1878,  8.230—306).  Da- 
her erwähnt  die  Mischna  Kelim  XVn,  12  ein  rWi3  ste  (l  Sela  —  1  Tetra- 
drachme oder  4  Denare).  Vgl.  übern.  Hultsch,  Art.  „Denarius"  in  Pauly- 
Wissowas  Beal-Enz.  V,  202—215. 

195)  SoazuJj  Luc.  15,  8 f.;  Joseph.  Vita  44.  An  beiden  Stellen  können 
jedoch  auch  Drachmen  tyrischer  Währung  gemeint  sein;  vgl.  unten  Anm.  203. 
An  solche  ist  vielleicht  auch  zu  denken  bei  [S$axu]ä$  %*Xlaq  Svoag  auf  einer 
Inschrift  im  Hauran,  Waddington  n.  1994.  Nach  Drachmen  wird  auch  ge- 
rechnet auf  Inschriften  von  Gerasa,  s.  Lucas,  Mitteilungen  und  Nachr.  des 
DPV.  1901,  S.  53,  n.  8  (aus  der  Zeit  des  Tiberius),  n.  9. 10  (tiLQyvolov  6oaxt*aQf 
auch  diese  beiden  Inschriften  gehören  wahrscheinlich  in  das  erste  Jahrh.  n.  Chr.; 
über  das  Datum  von  n.  10  s.  Dütenberger,  Orientis  gr.  inscr.  sei.  n.  622). 

196)  'p'HttB  Pea  VIII,  7;  Schebiith  VIII,  4;  Maaser  scheni  IV,  8;  Erubin 
Vm,  2;  Baba  mezia  IV,  5;  Baba  bathra  V,  9;  Sehebuoth  VI,  3;  Kelim  XVH,  12 


I 

I 

[54.  .55]  II,  2.  Der  Hellenismus  im  jüdischen  Gebiete.  75 

Ein  solcher  dupondius  ist  auch  gemeint  in  dem  Ausspruch  Christi 
Luc.  12,  6,  wo  die  Vulgata  dcöaglcov  ovo  richtig  mit  dipondio  über- 
setzt —  4)  Die  gewöhnlichste  Kupfermünze  ist  der  as,  altlateinisch 
a8sariusy  hiernach  griechisch  acoagiov  {Mt.  10, 29;  Luc.  12, 6),  hebräisch 
no«,  zuweilen  ausdrücklich  als  italischer  As,  ^pbtD^Ä  108,  bezeich- 
net197. Er  betrug  ursprünglich  V10  Denar,  seit  dem  zweiten  puni- 
schen  Kriege  (217  vor  Chr.)  nur  Vi  6  Denar198.  —  5)  Die  kleinste  | 
Kupfermünze  ist  die  ntjinB,  die  nur  den  achten  Teil  eines  a$  be- 
trägt199. Sie  ist  dem  römischen  Münzsystem  unbekannt,  wie  ja 
auch  der  Name  semitisch  ist  Identisch  mit  ihr  ist  aber  das  im 
Neuen  Testamente  vorkommende  Xsnrov  {Marc,  12,  42;  Luc.  12,  59; 
21,  2),  das  nach  Marc.  12,  42  die  Hälfte  eines  quadrans,  also  %  As, 
beträgt  Münzen  von  dieser  Größe  finden  sich  in  der  Tat  aus 
der  letzten  Zeit  der  Hasmonäer,  einzelne  auch  aus  herodianisch- 
römischer  Zeit200.  Auffallend  ist  aber,  daß  sowohl  in  der  Mischna, 
als  im  Neuen  Testamente  nur  nach  diesem  kleinsten  Teilstück  des 
As,  nicht  nach  dem  römischen  semis  (V2  as)  und  quadrans  (V4  as) 
gerechnet  wird,  während  letztere  damals  doch  auch  in  Palästina 
geprägt  wurden,  und  zwar  häufiger  als  das  Xexzov201.    Augen- 


fan letzterer  Stelle  ausdrücklich  als  italisches  Pondkro,  ^pbr^K  *]V>*W1ß,  be- 
zeichnet); Krauß  II,  427.  —  Aus  Baba  batkra  V,  9  erhellt,  daß  ein  pondion 
gleich  zwei  asses,  wie  im  Talmud  auch  ausdrücklich  bemerkt  wird  (jer.  Kiddu- 
sehin 68d;  bab.  Kidduschin  12»;  Lightfoot,  Horae  hebr.  zu  Matth.  5,  26,  Opp. 
II,  288  sq.).  Das  pondion  ist  also  ohne  Zweifel  der  römische  dupondius,  wie 
schon  Guisius  zu  Pea  VIII,  7  (in  Surenhusius*  Mischna  I,  74)  bemerkt  hat 
Vgl.  über  den  dupondius  Hultsch  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  V,  1843—1846. 

197)  *p^K  -iö»  Kidduschini,  1;  Edujoth  IV  ,1;  Chidlin  111,2;  Mikwaoth 
IX,  5.  Ip^o^K  *töN  auch  zweimal  im  aram.  Texte  des  Zolltarifes  von  Palmyra, 
Tafel  He  lin.  7  und  35  (Schröder,  Sitzungsber.  der  Berliner  Akad.  1884, 
S.  432  f.).  Griech.  ctoadoiov  ItaXixöv  (s.  oben  Anm.  191).  Abgesehen  hiervon 
ist  aoiodoiov)  *Ii(aXix6v)  bisher  nur  auf  kretischen  Münzen  aus  der  Zeit  Neros 
nachgewiesen,  s.  Kubitschek,  Art.  &ooolqiov  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz. 
II,  1742ff.  —  nox  überh.  z.  B.  Pea  VIII,  1 ;  Schebiith  VIII,  4;  Maaseroth  II,  5. 6; 
Maaser  scheni  IV,  3.  8;  Erubin  VII,  10;  Baba  mexiu  IV,  5;  Baba  bathra  V,  9; 
Krauß  II,  37  f. 

198)  Marquardt,  Römische  Staatsverwaltung  II,  16.  Genaueres  über 
die  allmähliche  Reduktion  des  As  s.  ebendas.  II,  6  ff.  und  bei  Kubitschek, 
Art.  „As"  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  II,  1499  ff. 

199)  Hürm  Kidduschin  1, 1.  II,  1.  6;  Baba  hamma  IX,  5. 6. 7;  Baba  mexia 
IV,  7.  8;  Schebuoth  VI,  1.  3;  Edujoth  IV,  7.  —  Daß  sie  den  achten  Teil  eines 
As  beträgt,  wird  Kidduschin  I,  1;  Edujoth  IV,  7  gesagt. 

200)  8.  Madden,  Bisiory  of  Jewish  Coinaye  p.  296 — 302.  Unhaltbar  ist 
die  Ansicht  Cavedonis  (Biblische  Numismatik  I,  76—81),  welchem  auch 
Madden  später  gefolgt  ist  (Numismatic  Chronicle  1876,  p.  204 — 207;  Coins  of 
the  Jews  p.  302—304),  daß  tenzdv  und  quadrans  identisch  seien. 

201)  S.  Madden  a.  a.  O.  —  In  der  Mischna  werden  der  semis  und  qua- 


76  §  22*  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [55.  56] 

scheinlich  stammt  die  Rechnung  nach  letzterem  aus  vorrömischer 
Zeit,  ist  aber  auch  nach  Einführung  der  römischen  Währung  noch 
üblich  geblieben202.  —  Verschieden  von  den  Münzen  römischer 
Währung  sind  die  in  den  phönizischen  Städten,  namentlich  in  Tyrus 
geprägten  Münzen,  die  in  Palästina  auch  noch  zirkulierten,  als 
dort  selbst  nicht  mehr  nach  diesem  Münzfuß  geprägt  wurde203.  | 
Was  von  dem  Gelde,  dem  Mittel  des  Handelsverkehres  gilt,  das 
gilt  auch  von  dessen  Objekten.  Auch  hier  begegnet  man  auf 
Schritt  und  Tritt  griechischen  und  römischen  Namen  und  Gegen- 
ständen204.    Dabei  ist  nicht  zu  übersehen,  daß  das  an  Natur- 


drans  nicht  erwähnt;  erst  im  jerusalemischen  und  babylonischen  Talmud 
kommen  auch  sie  vor.  Im  N.  T.  wird  zwar  der  quadrans  (xoSpdvxijg)  zweimal 
erwähnt  Aber  an  der  einen  Stelle  (Marc,  12,  42)  sind  die  Worte  3  ioviv  xo- 
SQaviTjq  überhaupt  nur  Erläuterung  des  Evangelisten;  an  der  anderen  (Matth. 
5,  26)  ist  der  Ausdruck  xoÖQdvz/jg  wahrscheinlich  erst  vom  Evangelisten  ein- 
gesetzt an  Stelle  des  von  der  Quelle  gebotenen  Xenröv,  das  Lucas  erhalten 
hat  (12,  59).  Die  Quellen  unserer  Evangelien  erwähnen  also  auch  nur  das 
Xstctöv,  wie  die  Mischna  nur  die  HüT*. 

202)  Vereinzelt  kommen  in  der  Mischna  vor:  p*yß*iü  —  tQonaixöv  — 
V2  Denar  oder  Quinar  (Kethuboth  V,  7)  und  r^ö^ni:  =  tressis  =  3  As  (Schebuoth 
VI,  3).  Auch  diese  gehören  dem  römischen  Münzsystem  an.  Ungewiß  ist,  was 
unter  dem  ebenfalls  einmal  vorkommenden  *ic&tt  (Maaser  scheni  II,  9  «-»  Edtyoth 
1, 10)  zu  verstehen  ist.    Vgl.  über  alle  drei:  Krauß  II,  278.  273 f.  93. 

203)  Die  Münzen  phönizischer  W  ahm  Dg  sind  etwas  leichter  als  die 
römischen  (welche  dem  attischen  Münzfuß  entsprechen),  s.  Hultsch,  Griech. 
und  röm.  Metrologie  S.  594  ff.  Ein  vö/uio/ua  Tvqiov  im  Wert  von  4  Drachmen 
erwähnt  Josephus  Bell.  Jud.  II,  21, 2;  vgl.  Vita  13  s.  fin.  Münzen  dieser  Währung 
sind  auch  das  ölÖQax/tov  (Matth.  17,  24)  und  der  <naxi\Q  (=-  4  Drachmen,  Matth. 
17,  27);  denn  die  Tempelsteuer,  wie  überhaupt  die  im  A.  T.  vorgeschriebenen 
Abgaben,  wurden  nach  tyrischer  Währung  entrichtet  (Mischna  Becharoth  VIII,  7 ; 
Tosephta  Kethuboth  XII  fin.),  da  diese  der  hebräischen  entsprach;  vgl.  Hultsch 
S.  604  f.  471.  Wenn  Josephus  B.J.  II,  21,  2  den  Wert  des  vöfiiopia  Tvqiov  (wie 
den  des  hebr.  Sekel  Antt.  III,  8,  2)  auf  4  attische  Drachmen  angibt,  so  ist 
dies  wohl  nur  eine  ungefähre  Bestimmung  im  Gegensatz  zu  den  damaligen 
ägyptischen  Drachmen  (seit  Tiberius  wurden  in  Ägypten  Tetradrachmen  aus 
ßillon  [Legieruug  von  Kupfer  und  Silber  mit  Überwiegen  des  ersteren]  ge- 
prägt, die  dem  Denar  an  Wert  gleichgesetzt  wurden,  so  daß  also  eine  Biilon- 
drachme  nur  etwa  ein  Viertel  des  Wertes  einer  Silberdrachme  betrug,  s. 
Hultsch  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  V,  1630);  genau  genommen  ist  das 
tyrische  Tetradrachmon  etwas  leichter  als  das  attische  (Hultsch  595  f.). 

204)  Über  die  Handelsprodukte  des  Altertums  s.  bes.  Marquardt,  Das 
Privatleben  der  Römer,  Bd.  II,  Leipzig  1882  (2.  Aufl.  der  „römischen  Privat- 
altertümer" Bd.  II).  —  Karl  Friedr.  Hermann  und  H.  Blümner,  Lehrbuch 
der  griechischen  Privataltertümer,  Freiburg  1882.  —  Büchsenschütz,  Die 
Hauptstätten  des  Gewerbfleißes  im  klassischen  Altertume,  Leipzig  1869.  —  Blüm- 
ner, Die  gewerbliche  Tätigkeit  der  Völker  des  klassischen  Altertums,  Leipzig 
1869.   —  über  die  Produkte  Ägyptens  speziell:  Lumbroso,  Recherches  sur 


[56.  57]  II,  2.  Der  Hellenismus  im  jüdischen  Gebiete.  77 

Produkten  reiche  Palästina  auch  seinerseits  einen  großen  Beitrag 
zum  Weltmarkt  lieferte:  seine  Bodenprodukte  und  die  Erzeugnisse 
seiner  Industrie  gingen  in  alle  Länder  und  waren  zum  Teil  welt- 
berühmt205. Aber  gleichviel,  ob  die  Produkte  im  Lande  erzeugt] 
oder  von  außen  eingeführt  waren:  sie  tragen  alle  in  weitgehendem 
Maße  das  Gepräge  der  herrschenden  hellenistischen  Weltkultur; 


rSeonomie  politique  de  FlZgypte  sous  les  Lagides,  Turin  1870.  —  Über  die  Tech- 
nik der  Herstellung:  Blümner,  Technologie  und  Terminologie  der  Gewerbe 
und  Künste  bei  Griechen  und  Römern,  4  Bde.,  Leipzig  1875— 1887;  Bieg  er, 
Versuch  einer  Technologie  und  Terminologie  der  Handwerke  in  der  Misnäh. 
I.  Teil:  Spinnen,  Färben,  Weben,  Walken.  Berlin  1894  (48  S.).  —  Eine  reiche 
Quelle  für  die  Warenkunde  ist  namentlich  das  Edietum  Diocletiani  de  pretiis 
rerttm  (Ausgaben:  1)  von  Mommsen  in  den  Berichten  der  sächs.  Gesellsch. 
der  Wissensch.,  phil.-hist.  Klasse,  Bd.  III,  1851,  S.  1—80  mit  Nachtrag 
8.  383—400;  2)  von  Waddington  in  Le  Bas  et  Waddington,  Inscr.  T.  HL 
Explieations  p.  145—191;  3)  von  Mommsen  im  Corp.  Inscr.  hat.  T.  HI,  2, 
p.  801—841.  Hierzu  die  Nachträge  im  Hermes  XXV,  1890,  S.  17  ff.  Neue 
Ausgabe  im  Corp.  Inscr.  hat.  T.  III  Suppl.  fasc.  3,  1893  p.  1909—1953,  dazu 
Index  p.  2603  ff.;  4)  Separat- Ausgabe:  Der  Maximaltarif  des  Diocletian,  hrsg. 
v.  Mommsen,  erläutert  von  Blümner,  1893).  Vgl.  Blümner,  Art.  „Edietum 
Diocletiani"  in  Pauly-Wissowas  Rcal-Enz.  V,  1948—1957. 

205)  Über  die  Handelsprodukte  Palästinas  s.  Movers,  Die  Phönizier  H,3 
(1856)  S.  200—235;  Herzfeld,  Handelsgesch.  der  Juden  S.  88—117;  Blüm- 
ner, Die  gewerbliche  Tätigkeit  etc.  S.  24—27;  Vogel  stein,  Die  Landwirt- 
schaft in  Palästina  zur  Zeit  der  Misnäh.  I.  Teil:  Der  Getreidebau.  Berlin  1894 
(78  S.);  F.  Goldmann,  Der  Ölbau  in  Palästina  zur  Zeit  der  Misnäh.  Diss. 
Freiburg  i.  B.  1907  (79  S.).  —  Eine  Übersicht  über  die  Hauptprodukte  im 
4.  Jahrh.  nach  Chr.  gibt  Totius  orbis  descriptio  (über  die  Ausgaben  von  Müller, 
Riese,  Lumbroso,  Sinko  s.  oben  S.  49;  ich  gebe  den  Text  nach  Sinko)  c.  29: 
Ascalon  et  Gaxa,   civüates    eminentes  et  in  negotio   bultientes  et  habundantts 

omnibus,  mittunt  omni  regioni  Syriae  et  Aefjypti  rinum  Optimum c.  31 : 

Quoniam  ergo  ex  parte  praedietas  civitates  descripsimus  et  diximus  [necessarium 
est  dicere,  quid  singulae  earum  habent.  in  litore  enim]  sunt  hae:  Scytopolis, 
Ladicia,  Biblus,  Tirus,  Beritus,  quae  linteamen  omni  orbi  terrarum  emittunt  et 
sunt  eminentes  in  omni  habundantia;  similiter  autem  et  Sarafta  et  Caesarea  et 
Keapolis  et  Lydda  purpuram  alitinam  {a).7\&ivi\v).  omnes  autem  praedietae 
civitates  gloriosae  et  fruetiferae  in  frumento,  vino  et  oleo  [habundant]  et  omnibus 
bonis:  Nicolaum  itaque  palmulam  [intenies]  in  Palaestines  regionis  loco,  qui 
sie  vocatur  Jericho,  et  alteram  palmulam  minorem  et  psittatium  et  omne  genus 
pomorum  habundant  es.  —  Berühmt  war  namentlich  die  Leinenindustrie  von 
Skythopolis.  In  dem  Edietum  Diocl.  c.  XXVI-XXVin  (ältere  Ausg.  c.  XVII— 
XVIH)  stehen  bei  den  verschiedensten  Arten  von  Leinenwaren  immer  die  von 
Skythopolis  als  die  teuersten  obenan.  S.  auch  jer.  Kidduschin  H,  5:  "jn^JB  *»ba 
V«?  n^aia  -pKan  0*>pnn,  Movere  II,  3,  21 7 f.;  Herzfeld  S.  107;  Marquardt,  Das 
Privatleben  der  Römer  n,  466;  Büchsenschütz  S.  61;  Blümner,  Die  gewerbl. 
Tätigkeit  S.  25.  Auch  die  Mischna  setzt  voraus,  daß  Galiläa  vorwiegend  Leinen- 
industrie  betrieb,  Judäa  dagegen  vorwiegend  Wollenindustrie  (Baba  kamma 
X,  9).   Daher  ein  Wollmarkt  in  Jerusalem  (Erubin  X,  9;  Jos.  Bell.  Jtid.  V,  8, 1). 


78  §  22*  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [57.  58| 

die  Produkte  des  Inlandes  wurden  nach  deren  Forderungen  her- 
gestellt, und  von  auswärts  wurden  eben  die  Produkte,  die  in  aller 
Welt  Mode  waren,  auch  nach  Palästina  importiert206.  Eine  Reihe 
von  Beispielen  aus  den  drei  Gebieten:  1)  der  Nahrungsmittel,  2)  der 
Kleidung  und  3)  der  Hausgeräte  möge  dies  noch  näher  illustrieren. 
Von  auswärtigen  Nahrungsmitteln  kennt  man  in  Palästina 
z.  B.  babylonischen  Brei  (nrra),  medisches  Bier  (nDti),  edomitischen 
Essig  (ptfin)  und  ägyptisches  Zythos  (oifM)207,  von  ägyptischen 
Produkten  außer  dem  Zythos  auch  Fische208,  Senf,  Kürbis,  Boh|nen, 

206)  Über  die  Einfuhr- Artikel   s.   auch  Herz  fei  d,   Handelsgeschichte 
S.  117—129. 

207)  Alle  vier  werden  Pesachim  HI,  1  genannt  als  Beispiele  von  Nahrungs- 
mitteln, die  aus  Getreidearten  hergestellt  sind  und  eine  Gährung  durchge- 
macht haben.  —  Über  das  ägyptische  £v&oq  oder  %vto$  (eine  Art  Bier,  hebr. 
birPT,  nicht  DlrVT,  s.  Levy,  Neuhebr.  Wörterb.  8.  v.)  vgl.  Theophrast.  de  caus. 
plant.  VI,  11,  2;  LHodor.  I,  34;  Plinius  XXII,  164;  Strabo  XVII  p.  824;  Digest. 
XXXni,  6,  9;  Ediet.  Diocietiani  II,  12;  Hieronymus,  Gornm.  in  Jes.  19,10  opp.  ed. 
Vallarsi  IV,  292;  Buxtorf,  Lex.  Chald.  s.  v.\  Krauß,  Lehnwörter  H,  247  j 
Schleusners  Lexicon  in  LXX  8.  v.  und  überhaupt  die  Lexika;  Wadding- 
tons Erläuterungen  zum  Ediet.  Diocl.  p.  154;  Marquardt,  Privatleben  der 
Römer  II,  444;  Hermann  und  Blümner,  Griech.  Privataltert.  S.  235;  Hehn, 
Kulturpflanzen  und  Haustiere  (3.  Aufl.  1877),  S.  126 f.;  Death,  The  beer  of 
the  Bible,  London  18S7  [bes.  über  die  heutige  Bier-Bereitung  in  Ägypten,  s.  die 
Rez.  im  Lit.  Centralbl.  1888,  170];  Wessely,  Zythos  und  Zythera,  Hernais 
bei  Wien,  Progr.  1887,  S.  38—48;  Buschan,  Das  Bier  der  Alten,  im  „Aus- 
land" 1891,  Nr.  47;  Olck,  Art.  „Bier"  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  IH, 
457—464;  Wilcken,  Griechische  Ostraka  aus  Ägypten  und  Nubien  I,  1899, 
S.  369—373  (über  die  Besteuerung);  Qrenfell,  Hunt  and  Hogarth,  Fayum 
totons  and  their  Papyri,  1900,  Index  p.  350  u.  358  8.  v.  £vrr](>d,  ^vtonoäa, 
Zfiroq;  Qrenfell,  Hunt  and  Smyly,  Tebtunis  Papyri  I,  1902,  p.  48  sq.; 
Qrenfell  and  Hunt,  The  Hibeh  Papyri  I,  1906,  Index  8.  v.  tvrrjQd  (Mitte 
des  3.  Jahrh.  vor  Chr.).  Es  kommt  auch  in  der  griech.  Übersetzung  des 
Alten  Testamentes  vor,  Jes.  19,  10.  Interessantes  Material  geben  namentlich 
ägyptische  Papyri. 

208)  Machschirin  VI,  3.  —  Es  sind  eingepökelte  Fische  (raplxi)  gemeint, 
die  in  Ägypten  an  verschiedenen  Orten  in  Menge  produziert  wurden  und  einen 
großen  Ausfuhrartikel  bildeten  (Blümner,  Die  gewerbliche  Tätigkeit  etc. 
S.  14  und  17;  Lumbroso,  Beeherches  p.  133;  Die  Ausleger  zu  Num.  11,  5). 
Eine  ganze  Anzahl  von  Orten  an  der  ägyptischen  Küste  hatte  von  diesem  In- 
dustriezweig den  Namen  TaQi%iai  (Steph.  Byx.  8.  v.).  S.  überh.  über  die  weite 
Verbreitung  dieses  Industriezweiges:  Marquardt,  Privatleben  der  Römer  U, 
420 ff.  und  das  dort  zitierte  Hauptwerk:  Köhler,  Tdoizog  ou  recherches  sur 
Vhistoire  et  les  antiquites  des  ptcheries  de  la  Russie  meridionale  (MSmoires 
de  PAcademie  imp.  des  sciences  de  St.-Päersbourg ,  VI.  Serie,  T.  I,  1832, 
p.  347—490).  Ferner:  Paul  Rhode,  Thynnorum  captura  quanti  fuerit  apud 
veteres  rnomenti  (Jahrbb.  für  klass.  Philol.  18.  Supplementbd.  1.  Hft.  1891, 
S.  1—79);  Eberl,  Die  Fischkonserven  der  Alten.  Progr.  Stadtamhof-Regens- 
burg  1892. 


[58.  59]  II»  2.  Der  Hellenismus  im  jüdischen  Gebiete.  79 

Linsen209.  Ferner:  cüicische Bohnengrütze 210,bithynischen Käse211, 
griechischen  Kürbis212,  griechischen  und  römischen  Ysop213,  spani- 
schen Kolias214.  Vom  Auslande  stammen  auch,  wie  die  fremden 
Namen  zeigen,  z.B.  der  Spargel,  die  Feigbohne,  die  persische  Nuß215. 
Sehr  verbreitet  war  in  Palästina  die  Sitte,  Fische  einzusalzen  oder 
in  Salzlake  einzumachen,  wie  der  Name  der  Stadt  TaQixiat,  am 
See  Genezareth  und  die  häufige  Erwähnung  |  der  Salzlake  (muries) 
in  der  Mischna  beweist216.  Auch  in  betreff  dieser  Sitte  erhellt  der 
auswärtige  Ursprung  aus  den  fremden  Namen. 

209)  Senf  (1^*)  Küajim  I,  2.  —  Kürbis  (nsl*)  Kilajim  I,  2.  5.  —  Bohne 
(b;Ä)  Kilajim  I,  2.*  II,  11.  III,  4;  Schebiith  H,  8.  9;  Schabbath  IX,  7;  Nedarim 
VH,  1.  2.  Vgl.  Plin.  Hut.  not.  XVIH,  121  f.  —  Linsen  (D^ttTW)  Maaseroth 
V,  8;  Kdim  XVII,  8;  Hieronymus,  Gomment.  in  Exech.  30,  15  (opp.  ed.  Val~ 
larsi  V,  357) :  unde  et  poeia  Pelusiacam  appeüat  lentem,  non  quod  ibi  genus  hoc 
leguminis  gignaiur  vel  maxime,  sed  quod  e  Thebaida  et  omni  Aegypto  per  rivum 
Nili  illue  plurimum  deferaiur.  Der  poetaf  auf  welchen  Hieronymus  Bezug 
nimmt,  ist  Vergil.  Georg.  1,  228.  Vgl.  auch  Plin.  XVI,  201 ;  Marquardt  II,  410. 
Der  Anbau  der  Linsen  ist  in  Ägypten  uralt,  s.  Hehn,  Kulturpflanzen  und 
Haustiere  (3.  Aufl.)  S.  188.  —  Über  ägypt.  Bohnen  und  Linsen  s.  Woenig, 
Die  Pflanzen  im  alten  Ägypten  (1886)  S.  212 ff.,  auch  die  Artikel  in  Winers 
RWB.  und  Pauly-Wissowa,  Real-Enz. 

210)  *p\>*p  ö-na  Maaseroth  V,  8;  Kdim  XVII,  12;  Negaim  VI,  1. 

211)  ip'wsrYi  ri3*aa  Aboda  sara  H,  4  (so  ist  nämlich  hier  nach  den  besten 
Zeugen  zu  lesen  statt  des  corrumpierten  ^p^aiK  n*S  r3*aa\  —  Den  bithy- 
nischen  Käse  kennt  auch  Plinius  XI,  241:  trans  maria  rero  Bithynus  fere  in 
gloria  est. 

212)  nw  roVi  Kilajim  I,  5.  II,  11;  Orla  III,  7;  Ohaloth  VIII,  1. 

213)  "|V  Sita  und  i»«n  aim  Negaim  XIV,  6;  Para  XI,  7.  Ersterer  auch 
Sehabbath  XTV,  3. 

214)  pfeDKn  ö^bip  Sehabbath  XXII,  2;  Machschirin  VI,  3;  Krauß,  Lehn- 
wörter II,  506.  —  Der  eolias  ist  eine  Art  Thunfisch  (s.  über  ihn  Plinius 
XXXII,  146;  Buxtorf,  Lex.  Chald.  col.  2045;  Marquardt  11,422,  u.  die  Lexika). 
Er  kam  natürlich  eingesalzen  in  den  Handel,  wie  überhaupt  das  spanische 
Taoi%oq  berühmt  war  (Marquardt  II,  421;  Blümner  S.  130.  135)  J 

215)  Spargel  (öimfiöx,  dandQayoq).  Der  Ausdruck  bezeichnet  allerdings 
an  der  einzigen  Stelle,  an  welcher  er  in  der  Mischna  vorkommt,  Nedarim  VI, 
10,  nicht  wirkliche  Spargeln,  sondern  die  spargelähnlichen  Sprossen  verschie- 
dener Pflanzen.  8.  Loew,  Revue  des  Studes  juives  XVI,  156.  —  Feigbohne, 
(bwnn,  Mofioq)  Sehabbath  XVIH,  1;  Machsehirin  IV,  6;  Tebul  jom  I,  4.  — 
Persische  Nuß  (ipö*iBK,  IJeoaix^)  Kilajim  I,  4;  Maaseroth  I,  2.  An  beiden 
Stellen  sind,  wie  der  Zusammenhang  zeigt,  nicht  Pfirsiche,  sondern  persische 
Nüsse  gemeint,  über  welche  zu  vergl.  Marquardt  II,  411.  —  Mehr  über  grie- 
chische Pflanzennamen  in  der  rabbinischen  Literatur  s.  bei  Krauß,  Lehn- 
worter H,  626  f. 

216)  Ober  Taotxlai.  s.  bes.  Strabo  XVI,  2,  45  p.  764.  E9  wird  zuerst  zur 
Zeit  des  Cassius  erwähnt  (Joseph.  Antt.  XIV,  7,  3;  B.  J.  I,  8,  9;  Cicero  ad 
Farn.  XH,  11).  —  CWra  Terumoth  XI,  1;  Joma  VIII,  3;  Nedarim  VI,  4; 
Aboda  sara  II,  4;  Kelim  X,  5;  Krauß  II,  329. 


80  §  22«  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [59] 

Von  Kleidungsstoffen  und  Kleidern  fremden  Ursprungs217 
seien  erwähnt:  pelusische  und  indische  Leinen-  oder  Baumwoll- 
gewebe218,  cilicisches  Filztuch219,  das  sagum  (Otto),  die  dalmatica 
(ppiOTbl),  das  paragaudion  (T«n»),  die  stola  (mbtt»)220,  das 
Schweißtuch  Cp-mo,  oovdaQiop)221,  der  Filzhut  CjVbfc,  xiZiov),  die 
Filzsocken  (»rtw»,  h(utiXia),  die  Sandalen  (biso),  von  denen  als 


217)  Vgl.  auch  die  Zusammenstellung  der  griech.  u.  lat.  Namen  ^bei 
Krauß,  Lehnwörter  II,  641 — 643;  ferner  A.  Rosenzweig,  Kleidung  und 
Schmuck  im  biblischen  und  talmudischen  Schrifttum,  Berlin  1905  (130  S.). 

218)  Aus  beiden  Stoffen  wurden  nach  Joma  III,  7  die  Kleider  verfertigt, 
welche  der  Hohepriester  am  Versöhnungstage  trug.  Am  Morgen  trug  er 
•pöib^fi,  am  Nachmittag  •pivwn  (ob  es  Leinen-  oder  Baumwollstoffe  waren, 
ist  aus  diesen  Bezeichnungen  nicht  zu  erkennen).  —  Die  feine  pelusische 
Leinwand  war  berühmt,  s.  PUnius  XIX,  1,  14:  Aegyptio  Uno  minumum  fir- 
tnitatis,  plurumum  lucri.  Quaituor  ibi  genera:  Taniticum  ac  Pelusiacum, 
Buticum,  Tentyriticum;  Movers  II,  3,  318;  Büchsenschütz  62 f.;  Blümner,  Die 
gewerbliche  Tätigkeit  S.  6 ff.,  bes.  16.  —  Indische  Stoffe  (dSvviov  IvSixdv, 
69-dvrj  'ivdixfi,  aivööveq  'Ivdixai)  werden  z.  B.  auch  in  dem  Periplus  maris  Jßry- 
thraei  (s.  oben  Anm.  176)  oft  als  Handelsartikel  erwähnt  (§  6.  31.  41.  48.  63). 
Wahrscheinlich  sind  darunter  Baumwollstoffe  zu  verstehen.  S.  Marquardt  II, 
472 f.;  Fabricius,  Der  Periplus  des  erythräischen  Meeres  (1883)  S.  123,  und  die 
von  beiden^  zitierte  Abhandlung  von  Brandes,  Über  die  antiken  Namen  und 
die  geographische  Verbreitung  der  Baumwolle  im  Altertum  (1866). 

219)  *pb*P  Kelim  XXIX,  1.  —  Das  eilicium  ist  ein  aus  Ziegenhaaren  be- 
reiteter Filzstoff,  der  zu  sehr  verschiedenen  Zwecken  (groben  Mänteln,  Vor- 
hängen, Decken  und  dergl.)  verwendet  wurde.  S.  Marquardt  H,  463;  Büchsen- 
schütz 64;  Blümner  30;  Mau  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  s.  v.  Wenn  also 
Paulus  aus  Tarsus  in  Cilicien  ein  axtjvonoiöq  war  (Apgesch.  18,  3),  so  hing 
dies  mit  der  Haupt-Industrie  seiner  Heimat  eng  zusammen.  —  In  der  Mischna 
heißt  *pb*P  geradezu  „Filz",  z.  B.  verfilztes  Haar  am  Bart,  an  der  Brust  und 
dergl.  (Afikwaoth  IX,  2). 

220)  maö  Kelim  XXIX,  1;  Ohaloth  XI,  3.  XV,  1;  Negaim  XI,  11;  Mik- 
waoth VII,  6;  Krauß  II,  371.  —  •pip'wyi  Kilajim  IX,  7.  —  mjnD  Schekalim 
HI,  2;  Kelim  XXIX,  1;  Krauß  II,  477.  —  rv*»»  Joma  VH,1;  Öt//wVn,5. 
—  Näheres  über  diese  Kleidungsstücke  8.  bei  Marquardt  II,  548 f.  563 f.  556 f.; 
Waddington,  Erläuterungen  zum  Edict  Dioclet.  S.  175 f.  182. 174 f.;  Mommsen, 
Berichte  der  sächs.  Gesellsch.  der  Wissensch.,  phil.-hist.  Kl.  III,  71.  391.  — 
Das  Sagum  ist  ein  Mantel,  der  die  Arme  frei  ließ,  daher  bes.  von  Soldaten 
und  Arbeitern  getragen  wurde.  Die  drei  anderen  sind  verschiedene  Arten 
von  Unterkleidern  (daher  in  der  armenischen  Bibelübersetzung  paregöt  öfters 
für  xixtov,  s.  Lagarde,  Gesammelte  Abhandlungen  1866,  S.  209f).  Die  do/- 
matica  erwähnt  auch  Eptphan.  haer.  15,  wo  er  von  der  Kleidung  der  Schrift- 
gelehrten  spricht. 

221)  ■p-nno  ScJiabbalh  III,  3;  Joma  VI,  8;  Sanhedrin  VI,  1;  Tamid  VII,  3; 
Kelim  XXIX,  1;  Krauß  II,  373f.  Im  N.  T.  Luc.  19,  20;  Joh.  11,  44;  20,  7; 
Act.  19,  12.  Viel  Material  darüber  bei  Wetstein,  Nov.  Test.,  zu  Luc.  19,  20, 
auch  in  den  Lexicis. 


[60]  II,  2»  Der  Hellenismus  im  jüdischen  Gebiete.  81 

eine  besondere  Art  die  laodicenischen  (ip^Hb  biso)  erwähnt  werden222. 
Auch  eine  Reihe  technischer  Ausdrücke  auf  dem  Gebiete  der  In- 
dustrie zeigen  uns  den  Einfluß  griechischer  Vorbilder.  Der  ge- 
sponnene Faden  heißt  bot  (vrj/ia),  eine  gewisse  Vorrichtung  am 
Webstuhl  owp  (xatQog) 223,  der  Gerber  WO  (ßvQCsvg) 224.  Von 
Eohstoffen  ist  z.  B.  der  Hanf  (O'OSp,  xavvaßog,  xavvaßiq)  erst  durch 
die  Griechen  nach  Palästina  gekommen225. 

Überaus  zahlreich  sind  die  Hausgeräte  fremden,  namentlich 
griechischen  und  römischen  Ursprungs226.  Von  ägyptischen  Ge- 
räten werden  erwähnt:  ein  ägyptischer  Korb,  eine  ägyptische  Leiter, 
ein  ägyptischer  Strick227.  Ferner:  eine  tyrische  Leiter228,  sido- 
nische  Schüsseln  oder  Schalen 229.   Von  griechischen  und  römischen 


222)  Yrt»  Kelim  XXIX ,  1.  Nidda  VIH,  1.  Krauß  II,  448.  —  firörott 
Jebamoth  XII,  1.  Kelim  XXVII,  6.  Krauß  II,  02.  (Vgl.  Marquardt  II,  486. 
Waddingtoo  8.  164.  Mommsen  S.  71).  —  VttD  z.  B.  Schabbath  VI,  2.  5.  X,  3. 
XV,  2.  Schekalim  HI,  2.  Bexa  I,  10.  Megilla  IV,  8.  Jebamoth  XH,  1.  Arachin 
VI,  5.  Krauß  II,  399 f.  Der  Sandalenmacher  heißt  nb*Wö  Jebamoth  XH,  6. 
Kethuboth  V,  4.  Aboth  IV,  11;  i&#w  V,  5.  S.  über  die  Sandalen  überh.  Mar- 
quardt II,  577  f.  Hermann  und  Blümner,  Griechische  Privataltertümer  S.  181. 
196.  —  *p*lb  Hsö  Kelim  XXVI,  1.  Welches  Laodicea  gemeint  ist,  läßt  sich 
nicht  ermitteln;  vielleicht  das  phrygische,  das  durch  seine  Wollenindustrie 
berühmt  war  (Edict.  Diocl.  e.  XIX,  sqq.  [ältere  Ausg.  XVI].  Marquardt  II, 
460.  Büchsenschütz  S.  65.  Blümner  S.  27 — 28).  Das  syrische  Laodicea  hatte 
vorwiegend  Leinenindustrie  (Edict.  Diocl.  c.  XXVI — XXVIII  [ältere  Ausg. 
XVH— XVIII].    Marquardt  II,  466.  Büchsenschütz  S.  61.  Blümner  S.  26). 

223)  «wo  Erubin  X,  13.  Schekalim  VIII,  5.  Kelim  XIX,  1.  XXIX,  1. 
Negaim  XI,  10.  Krauß  II,  359.  —  öl^p  Schabbath  XIII,  2.  Kelim  XXI,  1. 
Krauß  II,  520.  Vgl.  über  den  xaTooq  bes.  Blümner,  Technologie  und  Ter- 
minologie der  Gewerbe  und  Künste  I,  126 ff.  —  Überhaupt:  Bieger,  Versuch 
einer  Technologie  und  Terminologie  der  Handwerke  in  der  Misnah.  I.  Tl.: 
Spinnen,  Färben,  Weben,  Walken.   Berlin  1894  (48  8.). 

224)  wo  Kethuboth  VII,  10;  Krauß  II,  146.  »ipö^'D  (die  Gerberwerk- 
stätte) Schabbath  I,  2.  Megilla  III,  2.  Baba  bathra  II,  9.  Krauß  II,  147.  Ders., 
Byzantin.  Zeitschr.  II,  1893,  516—518. 

225)  örap  Kilajim  V,  8.  IX,  1.  7.  Negaim  XI,  2.  Krauß  II,  551  f.  — Über 
die  verhältnismäßig  späte  Verbreitung  des  Hanfes  s.  Hehn,  Kulturpflanzen 
u.  Haustiere  (3.  Aufl.)  S.  168  f. 

226)  Vgl.  Kren  gel,  Das  Hausgerät  in  der  Misnah.  1.  Tl.  Frank- 
furt a.  M.  1899  (68  S.).  —  Krauß,  Griech.  und  lat.  Lehnwörter  H,  637 f.  639 f. 

227)  Korb  (WBS)  Schabbath  XX,  2.  Sota  H,  1.  III,  1.  Kelim  XXVI,  1. 
Auch  Tebul  jom  IV,  2  ist  statt  ritt^DD  wohl  zu  lesen  Hß^fiS.  -—  Leiter  (obö) 
Baba  bathra  IH,  6;  Sabim  HI,  1.  3.  IV.  3.  —  Strick  (ban)  Sota  I,  6. 

228)  Baba  bathra  III,  6.    Sabim  in,  3. 

229)  Kelim  IV,  3:  D^p,  vgl.  bibl.  nop.  Es  sind  wohl  gläserne  gemeint. 
Denn  die  Anfertigung  von  Glasgeräten  bildete  den  Hauptindustriezweig  Sidons 
zur  Römerzeit,  Plinius  H.  N.  V,  19,  76:  Sidon  artifex  vüri.  Hermann  und 
Blümner,  Griech.  Privataltertümer  8.  437 f.     Marquardt,  Privatleben  n, 

Schürer,  Geschichte  II.  4.  Aufl.  6 


82  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [60.  61] 

Hausgeräten:  die  Bank  (bößO,  subsellium),  der  Lehnstuhl  (fimnp, 
xad-iÖQa),  der  Vorhang  (pVH,  velum),  der  Spiegel  (ambpfiOÄ,  specu- 
laria),  |  korinthische  Leuchter 2S0.  Für  Speisen  und  Getränke  z.  B.: 
die  Platte  («iOB,  tabula),  der  Teller  (kbonpo«,  scuteüa),  die  Schale 
Obifc,  g>iaXrj\  die  Serviette  (ntE,  mappa)231.  Für  Behältnisse  aller 
Art  ist  die  allgemeinste  Bezeichnung  p^n,  d^xrj 232.  Spezielle  Arten 
von  Hohlgefäßen  sind:  der  Korb  (ntoip,  cupa),  das  Weinfaß  (ot^ß, 
jtl&og)2™,  der  Kasten  (Wüpoiba,  ylcooooxotiov) ,  die  Kiste  (KiOTp, 
xafuitQa),  das  Kästchen  (KOfcp,  capsa),  der  Sack  (tpiltt,  fiaQöv- 
jtiov) 234. 

726.  Per  rot  et  Chip i ex ^  Histoire  de  l'art  dans  Cantiquüe  t  HI,  1885,  p. 
732 — 750  (mit  zahlreichen  Abbildungen  phönizischer  Glasgeföße). 

230)  bößö  Schabbath  XXIII,  5.  Baba  bathra  IV,  6.  Sanhedrin  II,  1/w. 
Kelim  II,  3.  XXII,  3.  Mikwaoth  V,  2.  £aWm  III,  3.  IV,  4.  Krauß  H,  408  f. 
Vgl.  Marquardt  II,  704.  —  mmrp  Kethuboth  V,  5.  Jk/iw  IV,  3.  XXII,  3. 
XXIV,  2.  Krauß  II,  572.  Marquardt  H,  705.  —  y»Vn  2Te/im  XX,  6.  XXIV,  13. 
Krauß  II,  235  f.  —  *v*p»OK  Kelim  XXX,  2.  Krauß  II,  93.  —  Korinthische 
Leuchter  im  Besitz  des  Königs  Agrippa,  Joseph.  Vita  13.  Es  sind  Leuchter 
aus  korinthischem  Erz,  wie  das  Nikanortor  am  Vorhof  des  Tempels  in  Je- 
rusalem (s.  oben  8.  64).  Die  kostbaren  korinthischen  Geräte  waren  so  sehr 
Mode,  daß  am  kaiserlichen  Hof  in  Rom  ein  eigener  Diener  mit  der  Sorge 
dafür  beauftragt  war,  der  a  Corinthiis  oder  Corinthiarius  hieß.  S.  Mau  Art. 
a  Corinthiis  und  Corinthium  aes  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  IV,  1232  ff.  — 
Über  Judaica  vela  mit  monströsen  Tierbildern,  welche  zur  Zeit  des  Dichters 
Olaudianus  um  400  nach  Chr.,  wahrscheinlich  in  Alexandria,  angefertigt  wurden, 
s.  Birt,  Rhein.  Museum  N.  F.  Bd.  45,  1890,  S.  491-493. 

231)  Ktaö  Schabbath  XXI,  3.  Bexa  I,  8.  Moed  katan  HI,  7.  Edujoth  HI,  9 
(sonst  heißt  ttbaa  auch  eine  Marmorplatte  im  Fußboden  Sota  II,  2.    Middoth 

I,  9.   III,  3,  oder  eine  Tafel  mit  Abbildungen  Bosch  haschana  II,  8).    Krauß 

II,  254.  —  »boipö»  Moed  katan  III,  7.  Kelim  XXX,  1.  —  iV*  Sota  II,  2. 
Krauß  II,  443  f.  Marquardt  II,  632.  —  MEra  Berachoth  VIII,  3.  Marquardt 
n,  469. 

232)  p^n  Schabbath  XVI,  1.  Kelim  XVI,  7-8.  Krauß  H,  5S8. 

233)  Mfilp  (rundes  Hohlgefäß,  Tonne,  Korb)  Pea  VIII,  7.  Demai  II,  5. 
Schabbath  VIII,  2;  X,  2;  XVIII,  1;  Schekalim  III,  2;  Bexa  IV,  1;  Kethuboth 
VI,  4.  Kelim  XVI,  3.  XVII,  1.  XXVIII,  6.  Ohaloth  VI,  2.  Tohoroth  IX,  1.  4. 
Mikwaoth  VI,  5.  X,  5.  Machschirin  IV,  6.  VI,  3.  Krauß  II,  516.  —  Öt^to 
(richtiger  Dtv*B)  Äi&a  wexta  IV,  12.  Baba  bathra  VI,  2.  JTe/tm  III,  6.  Krauß 
II,  440  f.  Marquardt  II,  445.  626  f.  Hermann  und  Blümner,  Privataltertümer 
S.  162. 

234)  atapö-fo  Oittin  III,  3.  Baba  mexia  I,  8.  Meila  VI,  1.  Ohaloth  IX,  15. 
Nach  der  letzteren  Stelle  konnte  ein  Sarg  die  Form  eines  ylwoadxofiov  oder 
einer  xd^nxQa  haben.  Die  LXX  (II  Chron.  24,  8.  10.  11)  setzen  yXcooodxo/uov 
für  *p*iK.  Im  Neuen  Testamente  (Joh.  12,  6.  13,  29)  ist  ylmaoöxofjLOv  ein  Geld- 
kasten/ S.  überh.  das  Material  bei  Krauß  II,  175  f.  213.  Wetstein  Nov.  Test, 
zu  Joh.  12,  6.  Hatchy  Essays  in  Biblical  Greek,  1889,  p.  42  sq.  und  die  Lexika, 
—    ansap  Kelim  XVI,  7.    Ohaloth  IX,  15.   —   KCBp  JTc/?w  XVI,  7.    Krauß 


[61.  62]  II,  2.  Der  Hellenismus  im  jüdischen  Gebiete.  83 

Mit  den  angeführten  Beispielen  ist  der  Schatz  griechischer  und 
lateinischer  Worte  in  der  Mischna  noch  lange  nicht  erschöpft.  Sie 
genügen  aber,  um  einen  lebhaften  Eindruck  davon  zu  geben,  wie 
vollständig  man  auch  in  Palästina,  wenigstens  im  zweiten  Jahr- 
hundert nach  Chr.,  abendländische  Sitten  und  Gebräuche  angenom- 
men hatte.  Der  Einfluß  des  Griechischen  geht  aber  noch  weiter. 
Selbst  in  Fällen,  wo  es  sich  nicht  um  Einführung  abendländischer 
Produkte  und  Begriffe  handelt,  begegnet  uns  in  der  Mischna  der 
Gebrauch  griechischer  Worte.  Die  Luft  heißt  T^a  (a^)235, 
die  |  Form  off»ö  (tvxoq\  die  Probe  oder  das  Muster  anayn  (fciypa) 236. 
Ein  Unkundiger  oder  Nichtfachmann  oder  Privatmann  heißt  tD^in 
(IdicSxrjs),  ein  Zwerg  DDD  (vavvoq),  ein  Räuber  O^TDöb  (työTTJg),  die 
Mörder  D^np^o  (siearii) 237.  Für  den  Begriff  „schwach**  oder  „krank44 
wird  der  griechische  Ausdruck  o^ttöÄ  (aod-evrJQ)  gebraucht,  für 
„abschüssig**  onfcttp  (xara<psQrjg) 238.  Im  Targum  Onkelos  finden 
sich  z.  B.  Worte  wie  O^M  (ßaöig),  C|ba  (ylv<p<D),  T"TD  (xrjQvtrcai),  OW3 
(p6fiog\  op^tD  (ra^ig)  und  ähnliches239.  —  Ziemlich  häufig  ist  auch 
der  Gebrauch  griechischer  und  lateinischer  Eigennamen, 


II ,  517  f.     Marquardt  II,  705  f.    —   Sprwa  Schabbath  VIII,  5.    Kelim  XX,  1. 
Krauß  II,  353. 

235)  -vn»  Schabbath  XI,  3.  Chagiga  I,  8.  Kelhuboth  Xm,  7.  Gittm  VIII,  3. 
Kinnim  II,  1.  Kelim  I,  1.  H,  1.  8.  HI,  4  u.  sonst  Ohaloth  HI,  3.  IV,  1. 
Sabim  V,  9.  Krauß  II,  17  f. 

236)  öfi^ö  z.  B.  die  verschiedene  Form  des  Brotes  (Demai  V,  3—4),  oder 
die  Form,  in  welcher  das  Brot  gebacken  wurde  (Menachoth  XI,  1),  oder  der 
Behälter  für  die  Tephillin  {Kelim  XVI,  7),  oder  das  Formular  für  den  Scheide- 
brief (Gittin  III,  2.  IX,  5).  S.  auch  Krauß  II,  215.  258.  —  xnm  Schabbath 
X,  1:  eine  Probe  von  Sämereien.    S.  auch  Krauß  II,  187. 

237)  b  wn  sehr  oft,  in  den  verschiedensten  Beziehungen,  z.  B.  vom  Laien 
im  Unterschied  vom  berufsmäßigen  Handwerker  (Moed  katan  I,  8.  10),  oder 
vom  Privatmann  im  Gegensatz  zum  Fürsten  und  Beamten  (Nedarim  V,  5. 
Sanhedrm  X,  2.  Gittin  I,  5);  auch  vom  gewöhnlichen  Priester  im'  Unterschied 
vom  Hohenpriester  (Jebamoth  II,  4.  VI,  2.  3.  5.  VII,  1.  IX,  1.  2.  3).  Vgl. 
auch  Krauß  II,  220  f.  —  Ö33  Bechoroth  VII,  6,  und  in  dem  Eigennamen 
D33  p  iwaü  Bückurim  HI,  9.  Schabbath  XVI,  5  und  sonst;  auch  von  Tieren 
(Para  H,  2)  und  Gegenständen  (Tamid  IH,  5.  Middoth  III,  5).  Vgl.  auch 
Krauß  H,  364  f.  —  ö^üd!  gewöhnlich  im  plur.  n^üDb  Berachoth  I,  3.  Pea  Ut 
7—8.  Schabbath  H,  5.  Pesachim  HI,  7.  Nasir  VI,  3.  Baba  katnma  VI,  1.  X,  2. 
Krauß  H,  315  f.  —  D^piö  Machschirin  I,  6.  Gewöhnlich  in  unkorrekter 
Form  'pp'npiö  als  Sing.  Bikkurim  I,  2.  H,  3.  Gittin  V,  6.  Krauß  H,  392  f. 
Vgl.  dazu  oben  §  19,  I,  574 f.  Krauß,  Byzantin.  Zeitschr.  II,  1893,  S.  511  f. 
(erklärt  oixaoixöv  =  Rauberwesen). 

238)  o-toöä  Berachoth  Uy  6.  Joma  HI,  5.  —  önßüp  Ohaloth  HI,  3.  To- 
horoth  VHI,  8.  9.  —  Mehr  bei  Krauß  H,  651  f. 

239)  Vgl.  die  Zusammenstellung  von  Brederek,  Theol.  Stud.  u.  Krit. 
1901,  S.  376 1 

6* 


84  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [62.  63] 

sogar  bei  den  niederen  Ständen  und  bei  den  pharisäischen  Schrift- 
gelehrten. Nicht  nur  die  vornehmen  griechenfreundlichen  Hohen- 
priester nannten  sich  Jason  und  Menelaus  (in  der  Makkabäerzeit), 
Boethus  und  Theophilus  (in  der  herodianischen  Zeit) ;  nicht  nur  die 
hasmonäischen  und  herodianischen  Forsten  hießen  Alexander,  Aristo- 
bulus,  Antigonus,  Herodes,  Archelaus,  Philippus,  Antipas,  Agrippa. 
Auch  bei  Männern  aus  dem  Volke,  wie  bei  den  Aposteln  Jesu 
Christi,  kommen  Namen  wie  Andreas  und  Philippus  vor.  Und  in 
den  Kreisen  der  rabbinischen  Schriftgelehrten  finden  wir  einen 
Antigonus  aus  Socho,  einen  K.  Dosthai  (=  Dositheus),  einen  R  Dosa 
ben  Archinos  (so  nämlich,  nicht  Harkinas,  lautet  der  griechische 
Name  des  Vaters),  K.  Chananja  ben  Antigonus,  R  Tarphon  (=  Try- 
phon),  R  Papias,  R  Simon  ben  Menasia  (=  Mnaseas),  Symmachus. 
Auch  lateinische  Namen  beginnen  früh  sich  einzubürgern.  Der  im 
Neuen  Testamente  erwähnte  Johannes  Marcus  ist  nach  Apgesch. 
12, 12  ein  Palästinenser;  ebenso  Joseph  Barsabas  mit  dem  Beinamen 
Justus  (Apgesch.  1,  23).  Josephus  erwähnt  außer  dem  bekannten 
Justus  von  Tiberias  z.B.  auch  einen  Niger  aus  Peräa240.  | 

Mit  allem  Bisherigen  ist  nun  freilich  nicht  gesagt,  daß  auch 
die  griechische  Sprache  dem  gemeinen  Manne  in  Palästina  ge- 
läufig war.  Mag  die  Zahl  der  griechischen  Worte,  die  in  das 
Hebräische  und  Aramäische  eindrangen,  noch  so  groß  sein:  für 
die  Masse  des  Volkes  ist  damit  die  Kenntnis  des  Griechischen  nicht 
erwiesen.  In  der  Tat  muß  nun  angenommen  werden,  daß  die 
niedern  Stände  in  Palästina  entweder  keine  oder  doch  nur  eine 
ungenügende  Kenntnis  des  Griechischen  besaßen 24  K  Als  der  Apostel 
Paulus  in  Jerusalem  zum  Volke  sprechen  wollte,  bediente  er  sich 
der  hebräischen  (aramäischen?)  Sprache  (Act.  21,  40.  22,  2).  Als 
Titus  bei  der  Belagerung  Jerusalems  wiederholt  die  Belagerten 


240)  Vgl.  überh.:  Zunz,  Namen  der  Juden  (Gesammelte  Schriften  11,1 — 82). 
Hamburger,  Real-Enzyklop.  für  Bibel  und  Talmud,  IL  Abt.,  Artikel  „Namen". 
Ein  reichhaltiges  Verzeichnis  griechischer  und  lateinischer  Eigennamen  in  der 
rabbinischen  Literatur  gibt  Low  bei  Krauß  II,  647—650. 

241)  Für  Syrien  überhaupt  hat  auf  das  Fortleben  der  aramäischen  Landes- 
sprache Mommsen  aufmerksam  gemacht  (Römische  Geschichte  V,  451—454). 
Noch  starker  hat  dasselbe  Nöldeke  betont  in  seiner  Besprechung  von  Momm- 
sens  Werk  (Zeitschr.  der  DMG.  Bd.  39,  1885,  S.  331  ff.)  S.  334:  „Wenn  selbst 
in  der  Weltstadt  Antiochia  der  gemeine  Mann  aramäisch  redete  (Malala  II,  110 
ed.  Oxon.  —  p.  395  ed.  Dindorf:  ytLvi  na()0jvv/nrjv  i&rjxav  ol  *Avtiox&<Z  B<*m 
yovkäv),  so  kann  man  ruhig  annehmen,  daß  im  Binnenlande  das  Griechische 
nicht  Sprache  der  „Gebildeten"  war,  sondern  nur  derer,  welche  es  speziell 
gelernt  hatten".  Vgl.  auch  Mitteis,  Reichsrecht  und  Volksrecht  in  den 
östlichen  Provinzen  des  römischen  Kaiserreichs  (1891)  S.  24—35.  Well- 
hausen,  Israelitische  und  jüdische  Geschichte  (1894)  S.  192. 


[63]  II,  2.  Der  Hellenismus  im  jüdischen  Gebiete.  85 

zur  Übergabe  aufforderte,  geschah  dies  stets  in  aramäischer  Sprache, 
sei  es  nun,  daß  Titus  den  Josephus  mit  der  Rede  beauftragte,  oder 
daß  er  im  eigenen  Namen  durch  Vermittelung  eines  Dolmetschers 
sprach242.  Die  etwaige  Kenntnis  des  Griechischen  von  Seiten  des 
Volkes  war  also  jedenfalls  keine  genügende243.   Andererseits  ist 


242)  Josephus:  Bell.  Jud.  V,  9,  2.  VI,  2,  1.  Dolmetscher:  B.  J.  VI,  6,  2. 
—  Wenn  es  einigemal  scheint,  als  ob  Titus  direkt  zum  Volk  gesprochen  hätte 
(B.  J.  V,  9,  2.  VI,  2,  4),  so  sieht  man  gerade  bei  der  letzteren  Stelle,  daß  dies 
nur  Schein  ist:  Josephus  muß  seine  Bede  dolmetschen  (B.  J.  VI,  2,  5  init). 

243)  Aus  späterer  Zeit  sei  noch  folgendes  hervorgehoben:  1)  Von  dem  be- 
rühmten R.  Jochanan,  der  im  dritten  Jahrhundert  n.  Chr.  in  Sepphoris 
und  Tiberias  lehrte  (Bacher,  Die  Agada  der  palästinensischen  Amoräer  Bd.  I, 
1892,  S.  220),  wird  als  etwas  Bemerkenswertes  berichtet,  daß  er  gestattete,  die 
Mädchen  Griechisch  zu  lehren  (Bacher  S.  257).  So  wenig  war  dies  also  an  sich 
die  Sprache  der  Bevölkerung.  —  2)  In  der  christlichen  Gemeinde  zuSkytho- 
polis  gab  es  zur  Zeit  Diokletians  einen  Beamten,  welcher  beim  Gottesdienst 
„die  griechische  Sprache  in  die  aramäische"  zu  übertragen  hatte,  offenbar  für 
die  des  Griechischen  unkundigen  Gemeindeglieder  (Euseb.  De  mart.  Palaestinae, 
nach  dem  vollständigeren  syr.  Text,  bei  Zahn,  Tatians  Diatessaron  18S1,  S.  19, 
und  Violet  in:  Texte  und  Untersuchungen  von  Gebhardt  und  Harnack  XIV,  4, 
1896,  S.  4).  —  3)  Für  die  christliche  Gemeinde  zu  Jerusalem  um  385—388  (?) 
nach  Chr.  ist  uns  dasselbe  bezeugt  durch  die  Pilgerschrift,  welche  ihr  erster 
Herausgeber  Gamurrini  der  Silvia  von  Aquitanien  zugeschrieben  hat  (&  Hilarii 
TraetatuB  de  mysteriis  et  Hymni  et  S.  Silviae  Aquitanae  Peregrinatio  ad  loca 
saneta  ed.  Gamurrini,  Romae  1887;  neue  Ausg.  in:  Itinera  Hierosolymi- 
tana  saeculi  Uli— VIII  ed.  Geyer  1898  — ■  Corp.  Script,  eccl.  lat.  vol.  XXXVIUIj 
über  die  mutmaßliche  Verfasserin  s.  bes.  B  lud  au,  Katholik  1904,  II.  Hälfte, 
und  Krüger  in  Herzog-Hauck.  Real-Enz.  3.  Aufl.  XVIII,  1906,  S.  345-347, 
Art.  „Silvia";  die  Ansetzung  um  385—388  n.  Chr.  ist  die  gewöhnliche;  Cler- 
mont-Ganneau  ist  geneigt,  die  Schrift  erst  in  die  erste  Hälfte  des  sechsten 
Jahrh.  n.  Chr.  zu  setzen,  s.  Becueü  d'archeol.  Orientale  VI,  1905,  p,  128 — 144). 
Es  heißt  hier  p.  99  ed.  Geyer:  Et  quoniam  in  ea  prorincia  pars  populi  et 
graece  et  siriste  [d.  h.  ZvqiovI,  aramäisch]  novit,  pars  etiam  alia  per  se  graece, 
aliqua  etiam  pars  tantum  siriste:  itaque  quoniam  episcopus,  licet  siriste 
noverit,  tarnen  semper  graece  loquitur  et  nunquam  siriste,  itaque  ergo  stat 
semper  presbyter,  qui  episcopo  graece  dicente  siriste  interpretatur,  ut  omnes 
audiant,  quae  exponuntur.  Lectiones  etiam,  quaecumque  in  ecclesia  legunturf 
quia  necesse  est  graece  legi,  semper  stat,  qui  siriste  interpretatur  propter  popu- 
lum,  ut  semper  discant.  Sane  quicumque  hie  Laiini  sunt,  id  est  qui  nee  siriste 
nee  graece  noverunt,  ne  contristentur,  et  ipsis  exponitur  eis,  quia  sunt  alii 
fraires  et  sorores  Graeco- Laiini,  qui  latine  exponunt  eis.  —  4)  In  Gaza  spricht 
um  400  n.  Chr.  ein  Knabe  aus  dem  Volke  tg  Zvqojv  yxovjj.  Seine  Mutter 
versichert,  ftrjdh  akt^v  (irjöh  xb  ahxrj<;  xtxvov  elSivai  'EXXtjvktvI  (Marci  Diaeoni 
vita  Porphyrii  episcopi  Gaxensis  c.  66—68  [ed.  Haupt  in:  Abhandlungen  der 
Berliner  Akademie  1874;  edd.  Societatis  philol.  Bonnern,  sodales  1695]).  Auf 
letztere  Stelle  hat  Arnold  Meyer,  Jesu  Muttersprache  S.  156  aufmerksam 
gemacht.  Zwei  Heilige  von  Gaza  haben  syrische  Namen:  Barochas  und 
Barsanuphius,  s.  über  sie  die  Acta  Sanet.  an  den  von  Kohler,  Revue  de 
l' Orient  Latin  V,  1897,  p.  483  nachgewiesenen  Stellen. 


86  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [64.  65] 

es  aber  doch  wahrscheinlich,  daß  eine  notdürftige  Kenntnis  des 
Griechischen  ziemlich  verbreitet  war,  und  daß  die  Höhergebildeten 
sich  ohne  Schwierigkeit  desselben  bedienten244.  Die  hellenistischen 
Gebiete  begrenzten  nicht  nur  Palästina  fast  auf  allen  Seiten, 
sondern  schoben  sich  auch  weit  in  das  Land  herein  (Samaria, 
Skythopolis).  Eine  stete  Berührung  mit  ihnen  war  unvermeidlich. 
Diese  ist  aber  auf  die  Dauer  nicht  denkbar,  ohne  daß  auch  in 
Palästina  eine  gewisse  Kenntnis  der  griechischen  Sprache  sich 
verbreitete.  Dazu  kommt,  daß  das  Land  vor  und  nach  der  has- 
monäischen  Periode  unter  Herrschern  stand,  deren  Bildung  die 
griechische  war:  zuerst  unter  den  Ptolemäern  und  Seleuciden, 
dann  unter  den  Römern  und  Herodianern;  ja  auch  die  Hasmonäer 
haben  zum  Teil  die  griechische  Bildung  befördert.  Die  fremden 
Herrscher  brachten  |  aber  zugleich  eine  gewisse  Summe  griechisch 
gebildeter  Elemente  in  das  Land.  Namentlich  wissen  wir  von 
Herodes,  daß  er  sich  mit  griechischen  Literaten  umgab  (s.  §  15). 
Fremde  Truppen  standen  im  Lande.  Herodes  hatte  sogar  thra- 
cische,  germanische  und  gallische  Mietstruppen245.  Die  Festspiele, 
die  Herodes  in  Jerusalem  gab,  brachten  nicht  nur  fremde  Künstler, 
sondern  auch  auswärtige  Zuschauer  in  die  heilige  Stadt246.  Am 
stärksten  war  aber  der  Fremdenzufluß  bei  den  großen  jüdischen 
Jahresfesten.  Die  Tausende  von  Juden,  die  bei  dieser  Gelegenheit 
aus  aller  Welt  nach  Jerusalem  kamen,  waren  zum  großen  Teil 
nach  Sprache  und  Bildung  Hellenisten.   Aber  nicht  nur  griechische 


244)  Die  Frage  nach  der  Verbreitung  des  Griechischen  in  Palästina  ist 
schon  in  älterer  Zeit  vielfach  verhandelt  worden.  Die  reichhaltige  Literatur 
ist  verzeichnet  bei  Hase,  Leben  Jesu  §29,  Anm.  b.  Credner,  Einleitung  in 
das  Neue  Testament  8. 183.  Volbeding,  Index  Dissertationum  quibus  singidi 
historiae  N.  T.  etc.  loci  illustrantiir  (Lips.  1849)  p.  18.  Danko,  Historia  Re~ 
relationis  divinae  Nov.  Test.  (Vindob.  1867)  p.  216 sq.  Arnold  Meyer,  Jesu 
Muttersprache  1896,  S. 17  ff.  —  Aus  neuerer  Zeit  vgl.  namentlich  Hug,  Einl. 
in  die  Schriften  des  N.  T.  (4.  Aufl.  1847)  II,  27—49.  Rettig,  Ephemerides  ex- 
ejetico-theolojicae  fasc.  III  (Oissae  1824)  p.  1—5.  Thiersch,  Versuch  zur  Her- 
stellung des  histor.  Standpunkts  etc.  (1845)  S.  48  ff.  Roberts,  Discussions  on 
the  Qospels.  Cimbrid/e  and  London  1864,  MacmiUan  and  Co.  (571  p.  8.); 
Delitzsch,  Saat  auf  Hoffnung  1874,  8.  201  ff.  Gla,  Die  Originalsprache  des 
Matthäusevangeliums  (1887)  S.  122 — 143.  Roberts,  Greek  the  Language  of 
Christ  and  His  Apostles,  London  1888  (510  p).  T  K.  Abbott,  Essays  chiefiy 
on  the  original  texts  of  the  Old  and  New  Testaments,  London  1891,  p.  129—182: 
To  what  extent  was  greek  the  language  of  Oalilee  in  the  time  of  Christ?  (vgl. 
Theol.  Litztg.  1892,  537).  Arnold  Meyer,  Jesu  Muttersprache,  1896,  S.  59  ff., 
155  ff.  Zahn,  Einl.  in  das  N.  T.  1, 1897,  S.  24—51.  Thumb,  Die  griechische 
Sprache  im  Zeitalter  des  Hellenismus,  1901,  S.  105  f. 

245)  AiUt.  XVII,  8,  3. 

246)  Antt.  XV,  8,  1. 


[65.  66]  II,  2.  Der  Hellenismus  im  jüdischen  Gebiete.  87 

Juden,  sondern  auch  "wirkliche  Griechen,  nämlich  Proselyten,  kamen 
zu  den  jüdischen  Festen  nach  Jerusalem,  um  im  dortigen  Tempel 
zu  opfern  und  anzubeten  (vgl.  Ev.  Joh.  12,  20  ff.).  Man  wird  die 
Zahl  dieser  alljährlich  nach  Jerusalem  wallfahrenden  Proselyten 
sich  als  ziemlich  erheblich  vorzustellen  haben.  Von  den  Juden, 
die  im  Auslande  griechische  Bildung  angenommen  hatten,  ließen 
wiederum  manche  sich  in  Jerusalem  zu  dauerndem  Aufenthalte 
nieder  und  bildeten  dort  sogar  eigene  Gemeinden.  So  finden  wir 
zur  Zeit  der  Apostel  in  Jerusalem  eine  Synagoge  der  Liber- 
tiner,  Cyrenäer,  Alexandriner,  Cilicier  und  Asiaten,  wobei 
dahingestellt  bleiben  mag,  ob  es  sich  um  eine  oder  um  fünf  Ge- 
meinden handelt  (Apgesch.  6,  9.  Vgl.  9,  29) 247.  In  Galiläa  hatten 
die  größeren  Städte  wahrscheinlich  einen  Bruchteil  griechischer 
Einwohner.  Bestimmt  wissen  wir  dies  von  Tiberias248,  um  von 
dem  vorwiegend  nicht-jüdischen  Cäsarea  Philippi  zu  schweigen.  — 
Bei  diesem  starken  Hereindringen  griechischer  Elemente  in  das 
Innere  Palästinas  muß  doch  auch  dort  eine  notdürftige  Kenntnis 
des  Griechischen  nicht  ganz  selten  gewesen  sein.  Und  so  weisen 
nun  einzelne  Spuren  in  der  Tat  auf  eine  solche  hin.  Während 
noch  die  Hasmonäer  ihre  Münzen  mit  griechischer  und  hebräischer 
Aufschrift  prägen  ließen,  haben  die  von  den  Herodianern  und 
Römern  |  auch  für  das  eigentlich  jüdische  Gebiet  geprägten  Münzen 
lediglich  eine  griechische  Aufschrift249.  Die  Angabe  der  Mischna, 
daß  sogar  im  Tempel  gewisse  Gefäße  mit  griechischen  Buchstaben 
bezeichnet  waren,  ist  dort  allerdings  nur  durch  eine  Autorität 
(B.  Ismael)  vertreten,  während  nach  vorherrschender  Überlieferung 
die  Buchstaben  hebräische  waren250.  Wenn  ferner  in  der  Mischna 
bestimmt  wird,  daß  Scheidebriefe  auch  griechisch  geschrieben  sein 


247)  Eine  Synagoge  der  Alexandriner  zu  Jerusalem  auch  Tosephta 
Megitla  TR  ed.  Zuckermandel  p.  224,  26.  jer.  Megilla  73  d  (bei  Light foot,  Horae 
zu  Act  6,  9).  Im  babylon.  Talmud  MegiUa  26a  steht  dafür:  Synagoge  der 
tPWiD,  was  neuere  Gelehrte  (Derenbourg,  Histoire  de  la  Palestine  p.  263,  Neu- 
bauer, Geographie  du  Talmud p.  293,  315)  erklären:  „Synagoge  der  Tarsens  er", 
also  Cilicier.  Es  dürfte  jedoch  die  ältere  Erklärung  „Synagoge  der  Kupfer- 
schmiede {fabri  aerarii)"  vorzuziehen  sein.  8.  Buztorf,  Lex.  Chald.  coL  917. 
Levy,  Neuhebr.  Wörterb.  s.  v.  ^öta. 

248)  Job.  Vita  12. 

249)  Daß  diese  griechische  Aufschrift  der  in  Palästina  geprägten  Münzen 
allgemein  verstanden  wurde,  darf  freilich  nicht  aus  der  Geschichte  vom  Zins- 
groschen im  Neuen  Testamente  (Mt.  22,  19  ff.  Mc.  12,  15  f.  Luc.  20,  24)  ge- 
schlossen werden.  Denn  dieser  Zinsgroschen  war  nach  dem  oben  S.  74  Be- 
merkten wahrscheinlich  ein  römischer  Denar  mit  lateinischer  Aufschrift.  Vgl. 
die  Abbildung  bei  Madden,  History  of  Jewish  Goinage  p.  247. 

260)  Schekalim  HI,  2. 


88  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [66.  67] 

dürfen251,  und  daß  die  heiligen  Schriften  auch  in  griechischer 
Übersetzung  gebraucht  werden  dürfen252,  so  kann  sich  beides  auf 
die  jüdische  Diaspora  außerhalb  Palästinas  beziehen.  Die  Notiz 
dagegen,  daß  zur  Zeit  des  Titas-  (oder  richtiger  Quietus-)Krieges 
verboten  wurde,  daß  jemand  seinen  Sohn  im  Griechischen  unter- 
richte253, setzt  doch  voraus,  daß  bis  dahin  auch  in  den  Kreisen 
des  rabbinischen  Judentums  das  nun  Verbotene  vorkam 254.  Ebenso 
läßt  es  sich  nur  aus  einer  gewissen  Vertrautheit  mit  dem  Griechi- 
schen erklären,  wenn  in  der  Mischna  öfters  zur  Veranschaulichung 
gewisser  Figuren  griechische  Buchstabennamen  gebraucht  werden, 
z.  B.  ij>  zur  Veranschaulichung  der  Figur  X,  oder  araa  zur  Ver- 
anschaulichung der  Figur  -T255. 

Seit  Beginn  der  römischen  Herrschaft  ist  zu  der  griechischen 
Sprache  und  Kultur  auch  die  lateinische  hinzugekommen256. 
Doch  ist  das  Lateinische,  wie  überhaupt  in  den  östlichen  Pro- 
vinzen, so  auch  in  Palästina,  erst  in  der  späteren  Kaiserzeit  stärker 
eingedrungen.  In  den  ersten  Jahrhunderten  bedienten  sich  die 
römischen  Beamten  im  Verkehr  mit  den  Provinzialen  wohl  aus- 
schließlich der  griechischen  Sprache.  Nur  für  offizielle  Urkunden, 
Inschriften  und  dergleichen  wurde  schon  seit  Cäsars  Zeit  auch  das 
Lateinische  angewandt.  So  befahl  z.  B.  Cäsar  den  Sidoniern,  sein 
Ernennungsdekret  für  den  jüdischen  Hohenpriester  Hyrkan  IL  auf 
einer  ehernen  |  Tafel  in  griechischer  und  römischer  Sprache  in 
Sidon  aufzustellen  (Antt.  XIV,  10,  2).  Ein  anderes  Aktenstück  aus 
jener  Zeit  sollte  in  derselben  Weise  in  römischer  und  griechischer 
Sprache  in  den  Tempeln  zu  Sidon,  Tyrus  und  Askalon  aufgestellt 
werden  (Antt  XIV,  10,  3).  Marcus  Antonius  befahl  den  Tyriern, 
ein  von  ihm  erlassenes  Dekret  in  römischer  und  griechischer  Sprache 
an  einem  öffentlichen  Orte  aufzustellen  (Antt.  XIV,  12,  5).  In 
Jerusalem  waren  im  Tempel  an  der  Umfriedigung  (öqv<poxtoq), 
über  welche  hinaus  den  Heiden  ein  weiteres  Vordringen  in  das 
Heiligtum  nicht  gestattet  war,  an  verschiedenen  Stellen  Tafeln 


251)  Ötttin  IX,  8. 

252)  Megiüa  I,  8. 

253)  Sota  IX,  14. 

254)  Vgl.  überh.  über  die  Stellung  des  rabbinischen  Judentums  zur  grie- 
chischen Bildung:  Hamburger,  Beal-Enzykl.  II.  Abt  Art.  „Griechentum". 
Bacher,  Die  Agada  der  Tannaiten  Bd.  II,  1890,  Sachregister  unter  „Grie- 
chisch". 

255)  *3  Menachoth  VI,  3.  Kelim  XX,  7.  —  ttfflä  Middoth  IH,  1.  Kelim 
XXVIII,  7. ' 

256)  Vgl.  hierüber:  Hahn,  Born  und  Bomanismus  im  griechischen  Osten, 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Sprache,  bis  auf  die  Zeit  Hadrians,  1906. 


[67.  68]  III.  Stellung  des  Judentums  zum  Heidentum.  89 

(örTJlat)  mit  Inschriften  angebracht,  welche  teils  in  griechischer, 
teils  in  römischer  Sprache  jenes  Verbot  verkündigten  (Bell.  Jud.Y, 
5,  2.  VI,  2,  4).  Auch  die  Aufschrift  am  Kreuze  Christi  war  ja  in 
hebräischer,  griechischer  und  lateinischer  Sprache  ausgefertigt 
(Joh.  19,  20).  Über  einen  derartigen  offiziellen  Gebrauch  wird  aber 
die  Verbreitung  des  Lateinischen  in  Palästina  in  der  ersten  Zeit 
der  römischen  Herrschaft  nicht  weit  hinausgegangen  sein. 


III.  Stellung  des  Judentums  zum  Heidentum. 

Je  stärker  und  beharrlicher  das  Heidentum  fortwährend  nach 
Palästina  hereindrängte,  um  so  energischer  fühlte  sich  das  gesetz- 
liche Judentum  zur  Abwehr  desselben  aufgefordert.  Im  allgemeinen 
konnte  ja  freilich,  wie  gezeigt  wurde,  das  Hereindringen  heidnischer 
Kultur  nicht  verhindert  werden.  Eben  deshalb  aber  wurden  von 
der  wachsamen  Schriftgelehrsamkeit  nur  um  so  ängstlicher  und 
peinlicher  die  Schranken  zur  Abwehr  alles  Ungesetzlichen  gezogen. 
Die  äußerste  Wachsamkeit  in  dieser  Beziehung  war  allerdings  für 
das  Judentum  eine  Lebensfrage.  Wollte  es  in  dem  Kampf  um 
das  Dasein,  den  es  führte,  nicht  unterliegen,  so  mußte  es  mit  größter 
Energie  den  Gegner  von  sich  abwehren.  Aber  die  Peinlichkeit, 
mit  der  hierbei  verfahren  wurde,  hat  die  Gefahr,  die  man  abwehren 
wollte,  und  die  man  in  der  Tat  auch  siegreich  bestand,  dabei  doch 
zugleich  unendlich  vervielfacht.  Denn  je  subtiler  die  Kasuistik 
die  Fälle  festsetzte,  welche  als  eine  direkte  oder  indirekte  Be- 
fleckung durch  heidnisches  Wesen  zu  betrachten  seien,  um  so  häufiger 
war  eben  die  Gefahr  einer  solchen.  So  brachte  denn  die  Entwick- 
lung der  Dinge  den  frommen  Israeliten  in  eine  fast  unerträgliche 
Situation.  Fast  täglich  kam  er  in  Berührung  mit  heidnischem 
Wesen:  sei  es  nun  mit  den  Personen  oder  doch  mit  den  Waren 
und  Gegenständen,  welche  auf  dem  Wege  des  Handels  und  Ver- 
kehres in  Palästina  Eingang  suchten  und  fanden.  Und  dabei 
wurde  durch  den  Eifer  der  Schriftgelehrten  |  eine  immer  größere 
und  mannigfaltigere  Zahl  von  Fällen  aufgestellt,  in  welchen  der 
gesetzesstrenge  Israelite  durch  heidnisches  Wesen  verunreinigt 
werden  konnte. 

Besonders  zwei  Puükte  waren  es,  welche  bei  der  Abwehr 
heidnischen  Wesens  ins  Auge  zu  fassen  waren:  1)  der  heidnische 
Götzendienst  und  2)  die  heidnische  Nichtbeobachtung  der  levitischen 
Beinheitsgesetze.  In  bezug  auf  beide  Punkte  wurde  von  der  phari- 
säischen Schriftgelehrsamkeit  mit  äußerster  Peinlichkeit  verfahren. 
—  1)  In  dem  Interesse,  jede  auch  nur  scheinbare  Annäherung  an 


90  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [68.  69] 

den  Götzendienst  abzuwehren,  wurde  vor  allem  das  mosaische 
Bilderverbot  {Ezod.  20,  4  f.  Deut.  4, 16  ff.  27, 15)  mit  rücksichtsloser 
Konsequenz  gehandhabt1.  Daß  man  freilich  lieber  alles  dulden, 
als  die  Aufstellung  von  Caligulas  Bildnis  im  Tempel  zu  Jerusalem 
zugeben  wollte,  war  ganz  in  der  Ordnung 2.  Aber  man  wollte  über- 
haupt von  bildlichen  Darstellungen,  wie  etwa  zur  Zeit  des  Herodes 
von  den  Trophäen  im  Theater3  oder  von  dem  Adler  am  Tempel- 
tore4 nichts  wissen.  Als  Pilatus  seine  Truppen  mit  den  Kaiser- 
bildern in  Jerusalem  einziehen  ließ,  erhob  sich  ein  förmlicher 
Volkstumult 5.  Vitellius  ließ  seine  Truppen  auf  einem  Umweg  von 
Antiochia  gegen  Petra  marschieren,  um  nur  den  heiligen  Boden 
Judäas  nicht  durch  die  Kaiserbilder  zu  beflecken6.  Und  beim 
Ausbruch  des  Krieges  hatte  man  in  Tiberias  nichts  Eiligeres  zu 
tun,  als  den  Palast  des  Antipas  zu  zerstören,  da  er  mit  Tierbildern 
geschmückt  war7.  Es  war  zwar  nicht  zu  vermeiden,  daß  Silber- 
münzen mit  dem  Bilde  des  Kaisers  auch  in  Palästina  zirkulierten 
(JUL  22,  19  ff.  und  Parallelen);  denn  im  Lande  selbst  wurde  kein 
Silbergeld  geprägt  (s.  oben  S.  73).  Aber  die  in  Palästina  geprägten 
Kupfermünzen  waren  aus  schonender  Rücksicht  nicht  mit  einem 
Kaiserbilde  versehen8.  Wenn  der  berühmte  Schriftgelehrte  Ga- 
maliel  IL  seinen  Besuch  des  Bades  der  Aphrodite  zu  Akko  (Ptole- 
mais)  damit  rechtfertigte,  daß  ja  das  Bild  der  Aphrodite  um  des  | 
Bades  willen,  und  nicht  das  Bad  um  der  Aphrodite  willen  da  sei 9, 
so  war  dies  eine  Betrachtungsweise,  die  in  den  Kreisen  des  ge- 
setzlichen Judentums  keineswegs  allgemein  als  gültig  anerkannt 
war.  Und  wenn  die  Anwendung  von  Tierbildern  zu  dekorativen 
Zweckenjin  der  jüdischen  Diaspora  zuweilen  vorkam  (s.oben  S.65f), 
so  ist  dies  von  den  strengeren  Kreisen  sicher  nicht  gebilligt  worden. 
Erst  im  europäischen  Mittelalter,  als  die  Gefahr  des  „Götzen- 


1)  Vgl.  Winer  RWß.  Art.  „Bildnerei".  Rüetschi  Art.  „Bilder"  in 
Herzogs  Real-Enz.,  2.  Aufl.  IT,  460 ff.  Kieinert  Art.  „Bilderdienst  und  Bilder 
im  A.  T.",  ebendas.  3.  Aufl.  in,  217—221.  Wieseler,  Beiträge  zur  richtigen 
Würdigung  der  Ew.  S.  84  ff. 

2)  Antt.  XVEI,  8.  B.  J.  II,  10. 

3)  Antt.  XV,  8,  1-2. 

4)  Antt  XVII,  6,  2.  B.  J.  I,  33,  2. 

5)  Antt.  XVIII,  3,  1.  B.  J.  II,  9,  2—3. 

6)  Antt.  XVIII,  5,  3.  Näheres  über  die  Kaiserbilder  s.  oben  §  17  c, 
I,  484f. 

7)  Vita  12. 

8)  Ewald,  Gesch.  des  Volkes  Israel  V,  82 f.  Madden,  History  ofJeurish 
Coinage  p.  134 — 153.  De  Saulcy,  Numismatique  de  la  Terre  Sainte  p.  69  sqq. 

pl.  m  u.  IV.    Madden,  Coins  of  the  Jews,  1881,  p.  170—187. 

9)  Aboda  sara  III,  4. 


[69.  70]  LH.  Stellung  des  Judentums  zum  Heidentum.  91 

dienstestt  zurücktrat,  hat  eine  laxere  Praxis  weiter  um  sich  ge- 
griffen (s.  oben  S.  66).  —  Um  der  Gefahr  einer  direkten  oder  in- 
direkten Begünstigung  des  Götzendienstes  oder  irgendwelcher  Be- 
rührung mit  demselben  vorzubeugen,  wurde  verboten,  daß  ein 
Israelite  drei  Tage  vor  den  heidnischen  Festtagen,  nach  E.  Ismael 
auch  drei  Tage  nach  ihnen,  mit  Heiden  Geschäfte  mache,  ihnen 
etwas  leihe  oder  von  ihnen  etwas  entleihe,  ihnen  eine  Zahlung 
mache  oder  von  ihnen  eine  solche  annehme10;  und  an  den  heid- 
nischen Festtagen  selbst  sollte  ein  Israelite  überhaupt  nicht  in  der 
Stadt  verkehren i  K  Alle  Gegenstände,  die  auch  nur  möglicherweise 
mit  dem  Götzendienst  in  Zusammenhang  stehen  konnten,  wurden 
verboten.  So  durfte  von  heidnischem  Weine,  da  er  möglicherweise 
Libationswein  sein  konnte,  nicht  nur  kein  Gebrauch  gemacht, 
sondern  überhaupt  kein  Nutzen  gezogen  werden 12.  „Hat  man  Holz 
von  einem  Götzenhaine  genommen,  so  ist  von  solchem  alle  Nutzung 
verboten.  Hat  man  damit  den  Ofen  geheizt,  so  muß  derselbe,  wenn 
er  noch  neu  war,  zerstoßen  werden.  Ist  er  aber  alt,  so  muß  man 
ihn  auskühlen  lassen.  Hat  man  Brot  damit  gebacken,  so  ist  (nicht 
nur  der  Genuß,  sondern  auch)  jede  Nutzung  von  demselben  ver- 
boten. Wurde  dieses  Brot  mit  anderem  vermischt,  so  ist  davon 
jede  Nutzung  verboten.  Wenn  man  aus  einem  solchen  Baume  ein 
Weberschiff  gemacht  hat,  so  ist  jede  Nutzung  verboten.  Hat  man 
ein  Kleid  damit  gewirkt,  so  ist  vom  Kleide  jede  Nutzung  verboten. 
Ward  dieses  Kleid  unter  andere  und  diese  anderen  wieder  unter 
andere  vermengt,  so  ist  von  allen  die  Nutzung  verboten" 18. 

War  schon  durch  alles  dies  für  eine  Trennung  von  Judentum 
und  Heidentum  hinlänglich  gesorgt,  so  wurde  sie  2)  noch  ver- 
schärft durch  die  Anschauung,  daß  der  Heide,  weil  er  die  Rein- 
heits|gesetze  nicht  beobachtet,  unrein  sei;  daher  aller  Verkehr  mit 
ihm  verunreinige;  daß  ferner  aus  demselben  Grunde  auch  die 
Häuser  der  Heiden,  ja  alle  von  ihnen  herrührenden  Gegenstände 
—  sofern  sie  überhaupt  der  Annahme  levitischer  Unreinheit  fähig 
sind  —  als  unreine  zu  betrachten  seien 14.   Wenn  es  in  der  Apostel- 

10)  Aboda  sara  I,  1—2. 

11)  Aboda  sara  I,  4. 

12)  Aboda  sara  U,  3.  Vgl.  dazu  die  Gemara  (Abodah  Sarah  oder  der 
Götzendienst,  ein  Traktat  aus  dem  Talmud,  übersetzt  von  Ferd.  Christian 
Ewald,  2.  Ausg.  1868,  S.  213ff.,  bes.  221  ff).  Über  die  neuere  jüdische  Praxis 
in  betreff  des  Weines  s.  Bodenschatz,  Kirchliche  Verfassung  der  heutigen 
Juden  IV,  50 — 54  Schröder,  Satzungen  und  Gebräuche  des  talmudisch-rab- 
binischen  Judentums  (1851)  S.  597—600. 

13)  Aboda  sara  HI,  9. 

14)  Vgl.  zum  Folgenden  auch:  Weber,  System  der  altsynagogalen  palä- 
stinischen Theologie  (1880)  S.  68  ff. 


92  §  22.  Allgemeine  Kulturverhältnisse.  [70.  71] 

geschichte  heißt,  daß  ein  Jude  nicht  mit  einem  Heiden  verkehren 
dürfe  (Act  10,28:  ä&dfurov  lexiv  apÖQi  'Iovdalcp  xoXXäod-ai  fj  jiqoö£q- 
Xsö&cu  aXXofpvXco) ,  so  ist  dies  zwar  nicht  dahin  mißzuverstehen, 
als  ob  der  Verkehr  schlechthin  verboten  gewesen  wäre;  wohl  aber 
ist  damit  gesagt,  daß  jeder  solche  Verkehr  eine  Verunreinigung 
bewirkte.  Alle  heidnischen  Häuser  waren  als  solche  unrein 15.  Ihr 
bloßes  Betreten  verunreinigte  (Joh.  18,  28).  Alle  Gegenstände,  die 
von  Heiden  herrührten  und  die  überhaupt  der  Annahme  levitischer 
Unreinheit  fähig  waren,  waren  unrein  und  bedurften  vor  ihrem 
Gebrauch  irgendeiner  Art  der  Reinigung.  „Kauft  jemand  Küchen- 
geräte von  einem  Heiden,  so  muß  er,  was  man  durch  Untertauchen 
zu  reinigen  pflegt,  untertauchen;  was  ausgekocht  wird,  auskochen; 
was  man  im  Feuer  ausglüht,  ausglühen;  Bratspieße,  Roste  muß 
man  ausglühen;  Messer  aber  hat  man  nur  zu  schleifen,  und  sie 
sind  rein" 16.  Abgesehen  von  dieser  Unreinheit,  welche  viele  Gegen- 
stände durch  den  Gebrauch  von  seiten  der  Heiden  annehmen 
konnten,  waren  endlich  manche  heidnische  Produkte  auch  schon 
dadurch  für  den  Israeliten  unbrauchbar,  daß  bei  ihrer  Herstellung 
die  jüdischen  Gesetze  in  irgendeiner  Beziehung,  namentlich  auch 
wieder  in  bezug  auf  den  Unterschied  von  rein  und  unrein  nicht 
beobachtet  worden  waren.  Teils  aus  diesem,  teils  aus  jenem  Grunde 
waren  manche  der  gewöhnlichsten  Lebensmittel,  wenn  sie  von 
Heiden  herkamen,  dem  Israeliten  zum  Genuß  verboten  und  nur 
zur  Nutzung  (zu  Kauf  und  Verkauf)  erlaubt;  so  namentlich  Milch, 
welche  eine  Heide  gemolken,  ohne  daß  ein  Israelite  es  gesehen, 
ferner  Brot  und  Öl  der  Heiden 17.   Überhaupt  durfte  kein  gesetzes- 


15)  Ohaloth  XVIII,  7.  Vgl.  Kirchner,  Die  jüdische  Passahfeier  und 
Jesu  letztes  Mahl  (Progr.  des  Gymnasiums  zu  Duisburg  1870)  S.  34 — 41.  De- 
litzsch, Talmudische  Studien,  XIV:  Die  im  N.T.  bezeugte  Unreinheit  heid- 
nischer Häuser  nach  jüdischem  Begriff  (Zeitschr.  für  luth.  Theol.  1874,  S.  1 — 4). 
Schür  er,  Über  <payziv  xb  näaxa  Joh.  18,  28,  akademische  Festschrift  (1883) 
S.  23 f.  Chwolson,  Das  letzte  Passamahl  Christi  und  der  Tag  seines  Todes 
(=  M6moire8  de  VAcademie  imperiale  des  sciences  de  St.-P&tersbourg,  VII«  Serie, 
tome  XLI,  No.  1)  1892,  S.  55—59.  Bei s er,  Tüb.  Theol.  Quartalschr.  1896, 
S.  540.  Einen  vergeblichen  Versuch,  die  Tatsache  abzuleugnen,  macht  Bfich- 
ler,  Der  galiläische  Am-haares  (1906)  S.  114. 

16)  Aboda  sara  V,  12. 

17)  Aboda  sara  II,  6.  In  betreff  des  Öles  s.  auch  Joseph.  Antt  XII,  3, 1. 
Bell.  Jud.  II,  21,  2.  Vita  13.  Über  die  Motive  s.  die  Gemara  (Abodah  sarah, 
übers,  von  Ewald,  8.  247 ff.).  Milch  z.  B.  war  verboten,  weil  möglicherweise 
Milch  von  unreinen  Tieren  darunter  sein  konnte;  Ol,  weil  es  von  unreinen 
Gefäßen  Unreinheit  angenommen  haben  konnte  (so  wenigstens  nach  einer 
Autorität).  Die  talmudischen  Autoritäten  sind  übrigens  selbst  schon  über  die 
ursprünglichen  Motive  nicht  mehr  überall  im  Klaren.    S.  die  Diskussionen  in 


[71.  72]  IQ.  Stellung  des  Judentunis  zum  Heidentum.  93 

treuer  Israelite  es  wagen,  heidnische  Kost  zu  genießen  (Daniel  1,  8. 
Judith  10,  5.  Tobit  1,  10  f.),  oder  an.  einem  heidnischen  Tische  zu 
speisen  (Jubil.  22,  16.  Act.  11,  3.  Oal.  2,  12).  Die  Juden  waren 
8eparaH  epuHs  (Tacit.  Rist  V,  5) 18.  In  heidnischen  Ländern  waren 
daher  reisende  Israeliten  in  sehr  übler  Lage;  und  wenn  sie  es  mit 
dem  Gesetze  genau  nehmen  wollten,  mußten  sie  sich  auf  den  Genuß 
vegetabilischer  Rohprodukte  beschränken,  wie  z.  B.  einige  dem 
Josephus  befreundete  Priester,  die  als  Gefangene  nach  Rom  ge- 
bracht worden  waren,  sich  dort  von  Feigen  und  Nüssen  ernährten ,9. 

Zu  all  den  bisher  angedeuteten  Gründen,  welche  für  den  ge- 
setzestreuen Israeliten  den  Terkehr  und  das  Wohnen  von  Heiden 
im  heiligen  Lande  zu  einer  schweren  Last  machen  mußten,  kam 
endlich  noch  ein  ganz  anderer  prinzipieller  Gesichtspunkt,  der 
namentlich  die  Herrschaft  der  Fremden  im  Lande  Israel  als  einen 
grellen  Widerspruch  zwischen  Ideal  und  Wirklichkeit  empfinden 
ließ.  Das  Land  war  ja  das  Eigentum  des  auserwählten  Volkes. 
Nur  Israeliten  durften  Grund  und  Boden  daselbst  besitzen.  Sogar 
das  Vermieten  von  Häusern  und  Feldern  an  Heiden  war  darum 
nach  der  Theorie  der  Schriftgelehrten  verboten 20.  Wie  mußte  man 
es  bei  dieser  Anschauung  empfinden,  daß  Heiden  sogar  das  ganze 
Land  —  wenn  auch  nicht  privatrechtlich,  so  doch  staatsrechtlich  — 
in  Besitz  hatten?  Es  begreift  sich,  daß  man  unter  diesen  Um- 
ständen die  Frage  ernstlich  erwog,  ob  es  einem  gesetzestreuen 
Israeliten  überhaupt  gestattet  sei,  dem  Kaiser  den  Zins  zu  be- 
zahlen (ML  22,  15—22.  Marc.  12,  13—17.  Luc.  20,  20—26).  | 

So  zeigen  uns  also  die  Verhältnisse  ein  eigentümliches  Doppel- 
bild: eine  starke  Beeinflussung  durch  heidnische  Sitte  bei  Aufrich- 
tung der  stärksten  Scheidewand  gegen  dieselbe.   Sofern  die  letztere 


der  Gemara  a.  a.  O.  Grätz,  Die  Veranlassung  zum  Verbote  des  Heiden-Öls 
(Monatsschr.  für  Gesch.  u.  Wissensch.  des  Judent.  1884,  S.  470  ff.). 

18)  Vgl.  überhaupt:  Maimonides  im  fünften  Buche  seines  großen 
Werkes  Mischne  Thora  oder  Jod  ha-chasaka  (Petersburger  Übersetzung  4.  Bd. 
1851).  Win  er,  RWB.  Art.  „Speisegesetze".  Wiener,  Die  jüdischen  Speise- 
gesetze nach  ihren  verschiedenen  Gesichtspunkten,  zum  ersten  male  wissen- 
schaftlich-methodisch geordnet  und  kritisch  beleuchtet  1895.  Kohl  er,  Art. 
Dietary  Laws  in:  The  Jewish  Eneyclopedia  IV,  1903,  p.  596—600.  Orelli, 
Art  „Speisegesetze  bei  den  Hebräern"  in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl. 
XVm,  1906,  S.  603—607. 

19)  Jos.  Vita  3. 

20)  Aboda  sara  I,  8.  Das  Vermieten  der  Felder  war  noch  strenger 
verboten  als  das  der  Häuser;  denn  man  überließ  damit  nicht  nur  Grundeigen- 
tum an  Heiden,  sondern  bewirkte  auch,  daß  der  Zehnte  vom  Ertrag  des 
Bodens  nicht  entrichtet  wurde.  S.  die  Gemara  (Abodah  sarah,  übers,  von 
Ewald,  S.  154ff.). 


96  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [73.  74] 

regierende  Gewalt  nicht  nur  fftr  die  Stadt  selbst,  sondern  auch  für 
alle  diejenigen  Dörfer  und  Städte,  die  oft  in  weitem  Umkreis  zum 
Gebiete  der  Stadt  gehörten2.  Die  ganze  philistäisch-phönizische 
Küste  zerfiel  auf  diese  Weise  in  eine  Anzahl  zum  Teil  sehr  be- 
deutender städtischer  Kommunen.  Demnächst  haben  wir  als  solche 
zu  betrachten  die  hellenistischen  Städte  |  im  Osten  und  Nordosten 
Palästinas,  aber  auch  die  hellenisierten  Städte  im  Innern  Palästinas, 
wie  Samaria  und  Skythopolis,  und  wohl  auch  die  von  Herodes  und 
seinen  Söhnen  gegründeten,  von  einem  erheblichen  Bruchteil  nicht- 
jüdischer Einwohner  bevölkerten  Städte. 

Bei  aller  Selbständigkeit  haben  natürlich  auch  diese  Städte 
die  politischen  Schicksale  des  übrigen  Palästinas  im  wesentlichen 
geteilt.  In  der  Diadochenzeit  wechselte  die  Herrschaft  häufig3. 
Um  das  Jahr  319  vor  Chr.  setzte  sich  Ptolemäus  Lagi  in  den 
Besitz  von  Syrien  und  Phönizien.  Den  größeren  Teil  verlor  er 
schon  im  folgenden  Jahre  wieder  an  Eumenes;  und  im  Jahre  315 


2)  Die  Ausrüstung  dieser  Städte  mit  einem  eigenen  Gebiet  von  bald 
größerem,  bald  geringerem  Umfang  wird  im  folgenden  für  viele  derselben 
nachgewiesen  werden.  —  Im  allgemeinen  vgl.  über  die  hellenistische  Städte- 
verfassung:  F.  W.  Tittmann,  Darstellung  der  griechischen  Staatsverfassungen, 
Leipzig  1822.  Marquardt,  Römische  Staatsverwaltung  I,  208—215  (1881). 
Gilbert,  Handbuch  der  griechischen  Staatsaltertümer,  Bd.  II,  1885.  L&vy, 
fitudes  sur  la  rie  municipale  de  PAsie  Mineure  sous  les  Antonius  (Reme  des 
Studes  grecques  1895,  p.  203—250;  1899, p.  255-289;  1901,^.  350—371).  Oehler, 
Art.  ßovXj  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  III,  1899,  col  1020—1037.  Liebenam, 
Städteverwaltung  im  römischen  Kaiserreiche,  1900.  Szanto,  Die  griechischen 
Phylen  (Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie,  phil.-hist.  Kl.  1901,  Bd.  144, 
Nr.  V).  Chapot,  La  prorince  romavne  proconsulaire  d'Asie  1904,  p.  89 — 279. 
—  Viel  Material  im  Index  zum  Corp.  Inser.  Oraec.  p.  32 sqq.  und  bei 
Dittenberger,  Sylloge  Inscr.  Oraec.  ed.  2,  t.  III  (Index)  p.  138 — 185.  —  Über 
Wesen  und  Entwickelung  der  griechischen  nöfoq  überh.  s.  Jak.  Burckhardt, 
Griechische  Kulturgeschichte  I,  1898,  S.  55—332.  Kaerst,  Geschichte  des 
hellenistischen  Zeitalters  Bd.  I,  1901,  S.  1—36.  —  Ober  die  Verfassung  von 
Athen,  welche  das  Muster  der  hellenistischen  Städteverfassungen  des  Orients 
gewesen  ist,  s.  Schoemann,  Griechische  Altertümer,  4.  Aufl.  bearb.  von 
Lipsius,  Bd.  I,  1897. 

3)  Das  Nähere  s.  bei  Droysen*  Gesch.  des  Hellenismus  Tl.  II — m. 
Stark,  Gaza  und  die  philistäische  Küste  S.  347—367.  Koepp,  Ober  die 
syrischen  Kriege  der  ersten  Ptolemaier  (Rhein.  Museum  Bd.  39, 1884, 8. 209—230). 
Niese,  Geschichte  der  griechischen  und  makedonischen  Staaten  Bd. II,  S.  123 ff. 
Bei  och,  Die  auswärtigen  Besitzungen  der  Ptolemäer  (Archiv  für  Papyrus- 
forschung Bd.  II,  1903,  S.  229—250).  C.  F.  Lehmann,  Der  erste  syrische 
Krieg  und  die  Weltlage  um  275—272  v.  Chr.  (Beiträge  zur  alten  Geschichte 
Bd.  111,1903,  S.496— 547).  Bei  och,  Griechische  GeschicheIII,2(1904),S.248— 286 
(erweiterter  Abdruck  aus  dem  Archiv  für  Papyrusforschung).  —  Ich  folge  be- 
sonders den  beiden  zuletzt  Genannten. 


[74]  I.  Die  hellenistischen  Städte.  97 

nahm  ihm  Antigonus  auch  Palästina  ab,  indem  er  Jope  und 
Gaza  eroberte.  Drei  Jahre  später  (312  vor  Chr.)  riß  zwar  Ptole- 
mäns  aufs  neue  das  Land  an  sich,  mußte  es  aber  noch  im  selben 
Jahre  wieder  vor  Antigonus  räumen,  der  nun  bis  zu  seinem  Tode 
in  der  Schlacht  bei  Ipsus,  also  zehn  Jahre  lang  (311—301),  im 
Besitze  blieb4.  Fast  unmittelbar  nach  der  Schlacht  bei  Ipsus  (301) 
besetzte  Ptolemäus  wieder  das  südliche  Syrien  bis  in  die  Gegend 
von  Sidon  (Diodor.  XX,  113).  Bei  der  Teilung  von  Antigonus'  Reich' 
wurde  ganz  Syrien  dem  Seleukus  zugesprochen.  Aber  Ptolemäus 
gab  die  besetzten  Gebiete  nicht  heraus,  und  Seleukus  wandte  keine 
Gewalt  an,  um  seinen  Ansprüchen  Geltung  zu  verschaffen  (Diodor- 
XXI,  1,  5).  So  blieb  Ptolemäus  seitdem  tatsächlich  im 
Besitze  Palästinas  und  des  südlichen  Phöniziens*.  Im 
Jahre  296  wurde  zwar  Samaria  durch  Demetrius  Poliorketes  er- 
obert (Euseb.  Chron.  II,  118,  vgl.  unten  Nr.  24  „Sebaste").  Aber 
Demetrius  verlor  schon  im  Jahre  295  alle  außergriechischen  Be- 
sitzungen. Auch  Damaskus  muß  auf  längere  oder  kürzere  Zeit 
ptolemäisch  gewesen  sein,  da  es  von  Antiochus  I.  erobert  wurde 
(Polyaen.  IV,  15,  s.  unten  Nr.  12  „Damaskus")6.  Immerhin  bleibt 
bei  Damaskus  die  Möglichkeit,  daß  es  nur  vorübergehend  während 
des  Krieges  vom  Jahre  274/273  in  ptolemäischem  Besitz  war  (so 

4)  Vgl.  Köhler,  Das  asiatische  Reich  des  Antigonos  (Sitzungsberichte 
der  Berliner  Akademie  1898,  8.  824—843),  S.  832:  „Das  Reich  des  Antigonos 
ist  nach  dem  Gesagten  als  Ganzes  von  311   ab  zu  datieren  und  hat  somit 

gerade  zehn  Jahre  lang  bestanden Antigonos'  Herrschaft  erstreckte 

sich  damals  auf  ganz  Elleinasien  von  der  Küste  des  ägäischen  Meeres  bis  an 
die  Grenze  von  Armenien  und  umfaßte  die  syrischen  Landschaften  bis  zum 
Rande  der  arabischen  Wüste". 

5)  Dies  scheint  mir  durch  Koepp,  Beloch  (Archiv  S.  230  ff.,  Gr.  Ge- 
schichte III,  2,  250 ff.)  und  Lehmann  (S.  512  ff.)  erwiesen  zu  sein.  In  den 
früheren  Auflagen  habe  ich  mit  Droysen  und  Stark,  welchen  teilweise 
auch  Niese  beistimmt,  angenommen,  daß  jene  Gebiete  vorübergehend  auch 
unter  der  Herrschaft  des  Seleukus  I.  gestanden  hätten.  Nach  allem,  was 
wir  wissen,  ist  dies  aber  sehr  unwahrscheinlich.  Fraglich  ist  nur,  wie  weit 
an  der  phönizischen  Küste  die  Herrschaft  des  Seleukus  sich  südlich  erstreckte. 
S.  hierüber  Beloch,  Archiv  S.  233.  236,  Gr.  Gesch.  HI,  2,  S.  255.  258 f.;  Leh- 
mann S.  518 f.  520.  536.  Die  Städte  Tyrus  und  Sidon,  die  zunächst  nach 
der  Schlacht  bei  Ipsus  noch  von  Demetrius  Poliorketes,  dem  Sohne  des  Anti- 
gonus, behauptet  wurden,  sind  wahrscheinlich  seit  etwa  295  unter  ptolemäische 
Herrschaft  gekommen.  Der  König  von  Sidon,  Philo  kl  es,  befehligte  die 
Flotte  des  Ptolemäus. 

6)  Über  Samaria  und  Damaskus  vgl.  auch  Lehmann,  S.  514.  516.  Ob 
die  Einnahme  von  Damaskus  durch  Antiochus  in  die  Zeit  des  ersten  syrischen 
Krieges  oder,  was  Lehmann  wahrscheinlicher  findet,  etwas  später  fallt,  kann 
hier  dahingestellt  bleiben.  Gegen  Lehmann  s.  Beloch,  Griech.  Geschichte 
III,  2,  S.  421. 

Schür  er,  Geschichte  II.   4.  Aufl.  7 


9$  §  23.  Verfassung.    Synedrium.   Hohepriester.  [74] 

Beloch  a.  a.  0.).  Im  allgemeinen  darf  aber  als  sicher  angenommen 
werden,  daß  Ptolemäus  IL  Philadelphus  (285—247  vor  Chr.) 
Palästina  und  das  südliche  Phönizien  bereits  als  ererbten  Besitz 
von  seinem  Vater  überkommen  und  nicht  erst  durch  den  Krieg 
mit  Antiochus  L,  den  sogenannten  „ersten  syrischen  Krieg"  (274 
bis  273  vor  Chr.)  sich  in  den  definitiven  Besitz  dieser  Länder  ge- 
setzt hat7.  Die  durch  Inschriften  nachweisbare  städtische  Ära 
•von  Tyrus  vom  Jahre  274  vor  Chr.  kann  daher  auch  nicht  in  der 
definitiven  Besitzergreifung  Phöniziens  durch  Ptolemäus  IL  ihren 
Grund  haben;  vermutlich  hängt  sie  aber  mit  dem  syrischen  Krieg 
insofern  zusammen,  als  Ptolemäus  angesichts  des  bevorstehenden 
Krieges  der  bedeutenden  Stadt,  um  sie  sich  günstig  zu  stimmen, 
eben  damals  die  Autonomie  verliehen  haben  wird8.  —  Die  Grenzen 


7)  Die  Zeit  dieses  Krieges  ist  durch  C.  F.  Lehmann  auf  Grund  einer 
keilinschriftlichen  Urkunde  genauer  ermittelt  worden.  Er  fallt  in  das  J.  38 
aer.  Sei,,  nach  babylonischer  Rechnung  =  274/273  vor  Chr.  Als  Hauptkriegs- 
jahr wird  das  J.  273  zu  betrachten  sein.  S.  Zeitschr.  f.  Assyriologie  VI,  1891, 
S.  234  ff.  (Text  der  Inschr.),  VII,  1892,  S.  226  ff.,  bes.  232  f.  (Übersetzung  der 
Inschr.  durch  Straßmaie r),  Lehmann,  Berliner  philol.  Wochenschr.  1892, 
Sp.  1465.  Ehrlich,  De  Catiimachi  hymnis  quaestiones  ehronologieae  1894, 
p.2Q  sq.  Köhler,  Sitzungsberichte  der  Berliner  Akad.  1895,  S.  969.  Leh- 
mann, Beiträge  zur  alten  Gesch.  Bd.  III,  1903,  S.  496—512  (der  hier  sehr 
entschieden  die  Priorität  in  der  Verwertung  dieser  Urkunde  für  sich  in  An- 
spruch nimmt).   Beloch,  Griechische  Geschichte  111,2,  S.  417  ff. 

8)  Die  Ära  von  Tyrus  v.  J.  274  erhellt  aus  zwei  Inschriften,  a)  Nach  der 
einen  (zu  Oum  el-Awamid,  s.  Renan,  Mission  de  PMnicie  p.  711 — 725  =  Corp. 
Inscr.  Semit.  I.  In.  7<=Landau,  Beiträge  zur  Altertumskunde  des  Orients  II, 
1899  n.  9=  Cooke,  Text-book  of  North- Semitic  inscriptions  1903  n.  9)  begann 
die  Ära  37  Jahre  später  als  die  seleucidische,  was  auf  275  oder  auch  274  fuhren 
würde,  b)  Auf  der  anderen  (zu  Masub,  s.  Clermont-Qanneauy  Revue  arcMo- 
logique,  troisikme  s6rie  t.  V,  1885,  p.  380—334  —  Clermont-Ganneau,  Reeueil 
d'arehiol.  Orientale  t  I,  1888,  p.  81—86  —  Revue  des  etudes  juives  t.  XII,  1886, 
p.  109 — 111 -=G.  Hoffmann,  Über  einige  phönikische  Inschriften,  in:  Abh. 
der  Gott.  Ges.  der  Wissensch.  Bd.  36,  S.  20—30  —  Landau,  Beiträge  II  n.  12 
=  Cooke y  Text-book  n.  10)  wird  das  26.  Jahr  des  Ptolemäus  HL  Euergetes,  d.  h. 
222/221  vor  Chr.,  dem  53.  Jahre  der  Ära  von  Tyrus  gleichgesetzt,  was  274/273 
alß  Ausgangspunkt  ergeben  würde.  Vielleicht  ist  dieselbe  Ära  auch  auf  Pto- 
lemäer-Münzen,  die  in  Tyrus  geprägt  sind,  angewandt  (so  Six,  Vere  de  Tyr, 
in:  Numismatic  Chronick  1886,  p.  97—113).  —  Als  Grund  der  Ära  vermutet 
Beloch  (Archiv  für  Papyrusforschung  Bd.  II,  S.  235,  Gr.  Gesch.  HI,  2,  258), 
daß  damals  erst  das  Königtum  in  Tyrus  durch  Ptolemäus  Philadelphus  ab* 
geschafft  worden  sei.  Lehmann  (Beitr.  zur  alten  Gesch.  Bd.  III,  S.  519  f.) 
wendet  dagegen  ein,  daß  es  unklug  gewesen  wäre,  angesichts  des  bevor- 
stehenden Feldzuges  die  Stadt  durch  einen  solchen  Akt  zu  verletzen;  wahr- 
scheinlicher sei  die  auch  von  Beloch  als  möglich  hingestellte  Annahme,  daß 
Philadelphus  ihr  damals  die  Selbstverwaltung  zurückgegeben  habe.  Letzteres 
war  gewiß  die  Hauptsache;  aber  die  Abschaffung  des  Königtums  wäre  damit 


[74.  75]  I.  Die  hellenistischen  Städte.  9g 

des  ptolemäischen  Gebietes  am  die  Mitte  des  dritten  Jahrhunderts 
vor  Chr.  ergehen  sich  aus  der  Tatsache,  daß  im  Kriege  des  Ptole- 
mäus  III.  Euergetes  gegen  Selenkus  II.  Kallinikus  die  Städte 
Damaskus  und  Orthosias  von  Ptolemäus  zwar  belagert,  aber 
nicht  erobert  wurden;  sie  wurden  von  Seleukus  entsetzt,  als  er  im 
Jahre  242/241  wieder  siegreich  nach  Süden  vordrang  (Euseb.  Chron. 
I,  251,  vgl.  unten  Nr.  12  „Damaskus").  Demnach  haben  sie  vorher 
und  nachher  zum  Gebiet  der  Seleuciden  gehört  Da  Orthosias 
etwas  südlich  vom  Eleutherus  liegt,  wird  also  die  Grenze  nicht, 
wie  vielfach  angenommen  wird,  am  Eleutherus,  sondern  südlich 
von  Orthosias,  zwischen  dieser  Stadt  und  Tripolis  zu  suchen  sein 9. 
—  Die  ptolemäische  Herrschaft  in  Palästina  dauerte  volle  hundert 
Jahre.  |  In  den  Jahren  219—217  vor  Chr*  nahm  zwar  Antiochus  III. 
der  Gr.  Palästina  vorübergehend  in  Besitz,  mußte  es  aber  infolge 
der  unglücklichen  Schlacht  bei  Raphia  wieder  aufgeben.  Nach  dem 
Tode  des  Ptolemäus  IV.  Philopator  fiel  er  jedoch  zum  zweiten  Male 
in  Palästina  ein,  und  nun  entschied  die  siegreiche  Schlacht  bei 
Panias  im  Jahre  198  vor  Chr.  dauernd  zu  gunsten  der  Seleuciden. 
Von  nun  an  gehörte  Palästina  und  die  ganze  philistäisch- 
phönizische  Küste  zum  syrischen  Reiche10.  —  Die  Ober- 
hoheit der  Ptolemäer  wie  der  Seleuciden  fand  ihren  Ausdruck 
hauptsächlich  in  zwei  Punkten:  in  der  Aufstellung  militärischer 
Befehlshaber  (arQartjyol)  in  den  ihnen  unterworfenen  Gebieten,  und 
in  der  Auferlegung  regelmäßiger  Abgaben.  Von  der  Organisation 
des  Steuerwesens  in  der  letzten  Zeit  der  Ptolemäerherrschaft  gibt 
uns  Josephus  in  seiner  Erzählung  von  dem  Steuerpächter  Josephus 


immerhin  vereinbar.  Sie  war  nicht  notwendig  eine  Verletzung  der  Tyrier, 
denn  es  kommt  ganz  darauf  an,  ob  diese  mit  ihrem  König,  wenn  ein  solcher 
noch  existierte,  zufrieden  waren. 

9)  Für  den  Eleutherus  als  Grenze:  Stark,  Gaza  S.  371.  Kuhn,  Die 
städtische  und  bürgert.  Verfassung  dfts  rom.  Reichs  II,  128 1  (weil  Strabo  XVI 
p.  753  den  Eleutherus  als  Grenze  zwischen  IkXevxlq  und  Phönizien  bezeichnet). 
Daß  aber  Orthosia  seleucidisch  war,  zeigt  nicht  nur  der  Krieg  vom  J.  242/241, 
sondern  auch  die  Geschichte  des  Einfalls  Antiochus'  des  Gr.  Bei  der  Schil- 
derung desselben  durch  Polyb.  V,  68,  7—8  „ist  deutlich  zu  erkennen,  daß 
Orthosia  nicht  ptolemäisch  war"  (Hölscher,  Palästina  in  der  pers.  und 
heilenist.  Zeit  1903,  S.  7).  Erst  Kalamos  bei  Tripolis  war  dem  Antiochus 
feindlich.  Tripolis  war  also  wohl  die  nördlichste  ptolemäische  Stadt  (so  atfch 
Beloch,  Archiv  für  Papyrusforschung  II,  236  f.,  Griech.  Geschichte  III,  2, 
S.  260). 

10)  Das  Nähere  s.  bei  Stark  S.  375—406.  423 ff.  Wilcken,  Art.  Anti- 
ochos  HI.  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  Niese,  Geschichte  der  griech.  und 
makedon.  Staaten  II,  1899,  S.  373  ff.  577  ff.  Bevan,  The  house  of  Seleueus 
1902,  I,  311  ff.  II,  29-38. 

7* 


100  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [75.  76] 

und  seinem  Sohn  Hyrkanus  AntL  XII,  4  ein  sehr  anschauliches 
Bild,  das  trotz  seiner  romanhaften  Färbung  doch  die  Institutionen 
selbst  gewiß  treu  widerspiegelt.  Man  sieht  daraus,  daß  die  Ab- 
gaben nicht  von  den  Staatsbehörden  selbst  eingetrieben,  sondern 
an  große  Unternehmer  verpachtet  wurden,  denen  die  Eintreibung 
in  den  einzelnen  Städten  überlassen  blieb11.  Wie  hoch  |  und 
mannigfaltig  die  Abgaben  zur  Zeit  der  Seleucidenherrschaft  waren, 
zeigen  die  Andeutungen  iMakk.  10,  29—30.  11,  34—35.  13, 15.  37.  39; 
II  Makk.  14,  4.  Vgl.  Joseph.  Antt.  XII,  3,  3  und  dazu  aus  römischer 
Zeit  Antt.  XIV,  10,  612. 


11)  Über  die  Verpachtung  der  Steuern  in  Ägypten  und  den  hellenistischen 
Staaten  überhaupt  &.  Lumbroso*,  Becherches  sur  F&conomie  politique  de  V&gypte 
sous  les  Lagides  (1870)  p.  3{S0— 329.  Ziebarth,  Das  griechische  Vereinswesen 
(1896)  S.  19—26.    Jouguet,  Bulletin  de  corresp.  heUinique  XX,  1896,  p.  172. 
Wilcken,  Griechische  Ostraka  I,  1899,  S.  515—555.  —  Zur  Erläuterung  von 
Jos.  Antt.  XII,  4  vgl.  Stark  S.  412—423.  Nußbaum,  Observationes  in  Flavii 
Josephi  Antiquitates   (Göttinger  Dissertat.   1875)    S.   15 — 17.    Wellhausen, 
Israelitische  und  jüdische  Geschichte  (1894)  S.  196—198,  4.  Aufl.  1901,  S.  243 
—246.    Holleaux,  Bevue  des  itudes  juives  t.  XXXIX,  1899,  p.  161—176  [über 
§  155:  &fJHpoz£QOV$  zovq  ßaaiXiaq  =  Ptolemäus  V.  und  seine  Gemahlin  Kleo- 
patra].  Gewagte  Kombinationen  beiSchlatter,  Zeitschr.  für  die  alttestamentl. 
Wissensch.  XIV,  1894,  S.  145  ff.;   Will  rieh,  Juden   und  Griechen  vor  der 
makkabäischen  Erhebung  (1895)  S.  91  ff.    Büchler,   Die  Tobiaden  und  die 
Oniaden  1899,  S.  74—91.  —  Die  Erzählung   des  Josephus  erweist  sich  schon 
durch  ihren  romanhaften  Charakter  als  unhistorisch.    Sie  setzt  aber  auch  eine 
unmögliche  Situation  voraus.    Die  Gemahlin  des  Königs  Ptolemäus  wird  stets 
Kleopatra  genannt  (Antt.  XII  §  167. 185.  204.  217  ed.  Niese).  Eine  ägyptische 
Kleopatra  hat  es  erst  seit  der  Heirat  des  Ptolemäus  V.  mit  Kleopatra,  der 
Tochter  des  Antiochus   des  Gr.  193/192  vor  Chr.  gegeben.    In  der  Tat  wird 
diese  Heirat  im  Anfang  der  Erzählung  erwähnt  (§  154),   demnach  vorausge- 
setzt, daß  die  Steuerpacht  des  Joseph,  welche  22  Jahre  dauerte  (Antt.  XII,  4, 
§  186  u.  224),  in  die  Zeit  des  Ptolemäus  V.,  und  zwar  nach  193  v.  Chr.,  fallt 
(der  Beiname  des  Königs  Eveoyittiq  §  158  fehlt  in  einigen  guten  Handschriften 
und  ist  als  spätere  Glosse  zu  betrachten^.    In  dieser  Zeit  hat  Palästina  nebst 
Nachbargebieten   nicht    mehr   unter   der  Gewalt   der  Ptolemäer   gestanden. 
Allerdings  sagt  Josephus  Antt.  XII  §  154,  wie  Appian.  Syr.  5,  Euseb.  Ohron.  ed. 
Schoene  II,  124,  Hieronymus  zu  Daniel  11, 17  (ed.  Vallarsi  V,  710),  Cölesyrien 
sei  dem  Ptolemäus  V.  von  Antiochus  d.  Gr.  als  Mitgift  für  Kleopatra  gegeben 
worden.    Dies  war  aber  im  günstigsten  Falle  ein  Versprechen,  welches  nie 
ausgeführt  worden  ist.    Aus   den  zuverlässigen  Angaben   des  Polybius  geht 
mit  Sicherheit   hervor,  daß  Cölesyrien   und  Phönizien  seit  der  Schlacht  bei 
Panias  im  Besitze  der  syrischen  Könige  geblieben  ist  (Polyb.  XXVIII,  1,  2 — 3. 
17,  8—9,  vgl.  oben  Bd.  I,  S.  181).    Ptolemäus  V.  konnte  also  keine  Steuer- 
pächter dorthin  schicken,  wie  die  Erzählung  des  Josephus  voraussetzt. 

12)  Zur  Erläuterung  s.  außer  den  Kommentaren  zu  den  Makkabäer- 
büchern  auch:  Stark,  Gaza  und  die  philistäische  Küste  S.  465 ff.  Über  die 
Steuern  im  Seleucidenreich  überhaupt  ist  bes.  zu  vgl.  Arisiotelis  Oeconom.  IT, 


[76]  I.  Die  hellenistischen  Städte.  10i 

Gegen  Ende  des  zweiten  Jahrhunderts  vor  Chr.  bietet  das 
Eeich  der  Seleuciden  mehr  und  mehr  ein  Bild  der  Auflösung  dar. 
Die  Zentralgewalt  war  durch  die  fortwährenden  Thronumwälzungen 
so  geschwächt,  daß  an  den  Grenzen  des  Reiches  sich  eine  Menge 
unabhängiger  Existenzen  gründen  konnten.  In  dieser  Zeit  haben 
daher  nicht  nur  die  Juden  ihre  volle  Freiheit  errungen  und  be- 
hauptet, sondern  auch  eine  Anzahl  der  größeren  Städte,  die 
schon  in  den  Kriegen  zwischen  Syrien  und  Ägypten  oft  eine  selb- 
ständige Rolle  gespielt  haben1,  sich  unabhängig  gemacht  und  zürn 
Zeichen  dessen  eine  neue  Zeitrechnung  begonnen.  So  hat  Tyrus 
eine  Ära  vom  Jahre  126  vor  Chr.,  Sidon  eine  solche  vom  Jahre  111, 
Askalon  von  104,  Berytus  von  81  vor  Chr.13)  In  anderen  Städten 
gelang  es  einzelnen  „Tyrannen",  die  Herrschaft  an  sich  zu  reißen. 
So  finden  wir  gegen  Ende  des  zweiten  und  im  Anfang  des  ersten 
Jahrhunderts  vor  Chr.  einen  Tyrannen  Zeno  Kotylas  in  Phila- 
djelphia,  seinen  Sohn  Theodorus  in  Amathus  am  Jordan,  Zoilus 
in  Stratons-Turm  und  Dora,  Demetrius  inGamala14.  Und  es 
ist  überhaupt  bezeugt,  daß  die  Römer  bei  ihrer  Ankunft  in  Syrien 
daselbst  eine  Menge  kleiner  unabhängiger  Fürsten  vorfanden 15.  — 
Verhängnisvoll  für  die  Städte  in  der  Umgebung  Palästinas  war  in 
jener  Zeit  das  Erstarken  der  jüdischen  Macht  Schon  die  ersten 
Makkabäer,  dann  weiter  Johannes  Hyrkan  haben  einzelne  Städte 
unterworfen.  In  großem  Maßstabe  betrieb  aber  die  Eroberungen 
namentlich  Alexander  Jannäus.  Am  Ende  seiner  Regierung 
waren  den  Juden  unterworfen:  sämtliche  Kttstenstädte  von  Raphia 
bis  zum  Karmel,  mit  alleiniger  Ausnahme  von  Askalon,  ferner  fast 
alle  Städte  des  Ostjordanlandes,  und  selbstverständlich  auch  die 
im  Innern  des  Landes  gelegenen  Städte  wie  Samaria  und  Skytho« 
polis,  bis  nördlich  vom  Merom-See16. 

Mit  der  Eroberung  Syriens  durch  Pompeius  war  der  Un- 
abhängigkeit aller  der  kleinen  Staaten,  die  sich  vom  Reich  der 


1,  4  (s.  oben  Bd\  I,  S.  229  f.  zu  I  Macc.  10,  29).  —  Ober  die  Mannigfaltigkeit 
der  Steuern  in  Ägypten  s.  Wilcken,  Griechische  Ostraka  I,  130—421. 

13)  Die  Ären  von  Tyrus,  Sidon,  Askalon  sind  schon  in  den  älteren 
numismatischen  Werken  nachgewiesen  (s.  die  oben  S.  94  genannte  Literatur). 
Über  die  Ära  von  Berytus  vgl.  Rouvier,  Vere  de  Baryte  {Journal  inter- 
national d? Archäologie  numismatique  U  II,  Athen  1899,  p.  12—10). 

14)  Stark  S.  478f.   Kuhn  II,  162. 

15)  Josephus  spricht  ganz  allgemein  von  [xövaoxot,  (Antt.  XIII,  16,  5).  — 
Appian.  Syr.  50  bezeugt,  daß  Pompeius  ztbv  %>nb  toTq  SeXevxlöaig  yevofiivwv 
i&vibv  xolg  (th>  inioTtjoev  olxetovq  fiaoiltaq  ij  öwäarag,  die  doch  wohl  Pom- 
peius nicht  erst  geschaffen  hat.  —  Plinius  Eist  Not.  V,  23,  82  kennt  in  Syrien 
noch  17  tetrarehias  in  regna  descrtptas  barbaris  nominibus. 

16)  Jos.  Antt  XIII,  15,  4.    S.  oben  §  10. 


102  §  23.  Verfassung.    Synedrium.   Hohepriester.  [77] 

Seleu |ciden  losgelöst  hatten,  mit  einem  Schlage  wieder  ein  Ende 
gemacht.  Für  die  autonomen  Städte  hatte  dies  jedoch  nur  die 
Folge,  daß  sie  nun  zu  den  Römern  in  dasselbe  freie  Abhängigkeits- 
verhältnis traten,  in  welchem  sie  ehedem  zu  den  Seleuciden  ge- 
standen hatten.  Für  diejenigen  Städte  aber,  die  von  den  Juden 
unterworfen  worden  waren,  hatte  das  Eingreifen  der  Römer  sogar 
die  Bedeutung  einer  Befreiung  von  verhaßter  Herrschaft.  Denn 
Pompeius  trennte  alle  von  den  Juden  seit  der  Makkabäerzeit  unter- 
worfenen Städte  wieder  vom  jüdischen  Gebiete  ab  und  gab  ihnen 
die  Freiheit17.  Josephus  nennt  als  solche  durch  Pompeius  „be- 
freite" Städte,  die  natürlich  die  römische  Oberhoheit  anerkennen 
mußten,  namentlich  folgende:  Gaza,  Azotus,  Jamnia,  Jope, 
Stratons-Turm,  Dora,  Samaria,  Skythopolis,  Hippus,  Ga- 
dara,  Pella,  Dium18.  Das  Verzeichnis  ist  aber  nicht  vollständig. 
Denn  außer  den  genannten  haben  auch  noch  andere  die  pompe- 
janische  Ära,  d.  h.  die  neue  Zeitrechnung  seit  der  Befreiung  durch 
Pompeius,  welche  viele  dieser  Städte  bis  tief  in  die  Kaiserzeit  hinein 
beibehielten.  Die  im  Ostjordanland  gelegenen,  samt  Skythopolis, 
haben  sich  wohl  eben  damals  zum  „Zehnstädtebund",  der  sogenann- 
ten Dekapolis,  zusammengeschlossen.  —  Ein  neuer  Wohltäter  für 
viele  dieser  Städte  war  der  Prokonsul  Gabinius,  der  in  den  Jahren 
57—55  vor  Chr.  die  von  den  Juden  zum  Teil  ganz  zerstörten  Städte 
Raphia,  Gaza,  Anthedon,  Azotus,  Jamnia,  Apollonia,Dora, 
Samaria,  Skythopolis  wieder  aufbauen  ließ 19.  —  Schwere  Zeiten 
kamen  auch  über  diese  Städte  durch  die  römischen  Bürgerkriege 
mit  ihrer  Aussaugung  der  Provinzen  und  durch  die  Willkürherr- 
schaft des  Antonius  im  Orient.  Letzterer  schenkte  der  Kleo- 
patra  die  ganze  philistäisch-phönizische  Küste  von  der  Grenze 
Ägyptens  bis  zum  Eleutheru§  mit  alleiniger  Ausnahme  von  Tyrus 
und  Sidon20.  —  Auch  als  nach  dem  Untergang  des  Antonius  und 
der  Kleopatra  deren  Herrschaft  von  selbst  aufgehört  hatte  und 
durch  Augustus  eine  ruhigere  Zeit  begründet  worden  war,  haben 
doch  noch  manche  dieser  Städte  mehrmals  ihre  Herren  gewechselt21. 
Augustus  schenkte  dem  Her  ödes  sämtliche  Küstenstädte  von  Gaza 
bis  Stratons-Turm  mit  Ausnahme  von  Askalon,  ferner  imBinnen- 


17)  Vgl.  überhaupt  über  die  Gewohnheit  der  Römer,  den  Städten  der  er- 
oberten Gebiete  die  Freiheit  zu  geben:  Kuhn  II,  15—19. 

18)  Antt.  XIV,  4,  4.    Bell.  Jud.  I,  7,  7. 

19)  AntL  XIV,  5,  3.    Bell.  Jud.  I,  8,  4. 

20)  Antt.  XV,  4,  1  fm.    Bell.  Jud.  I,  18,  5. 

21)  Die  verschiedenen  Besitzwechsel  seit  Alexander  Jannäus  sind  an- 
schaulich dargestellt  durch  die  zahlreichen  Spezial-Karten  in  Menkes  Bibel- 
atlas Blatt  IV  und  V. 


[77.  78]  I.  Die  hellenistischen  Städte.  103 

lande  die  |  Städte  Samaria,  Hippus  und  Gadara22.  Nach  Hero- 
des' Tod  hatten  diese  Städte  wieder  verschiedene  Schicksale.  Gaza, 
Hippus  und  Gadara  wurden  unter  die  unmittelbare  Oberhoheit 
des  römischen  Legaten  von  Syrien  gestellt  (wegen  Anthedon  siehe 
unten  den  betreffenden  Abschnitt);  Azotus  und  Jamnia  nebst  dem 
von  Herodes  erbauten  Phasaelis  erhielt  seine  Schwester  Salome; 
endlich  Jope,  Stratons-Turm  und  Samaria  fielen  nebst  dem 
übrigen  Judäa  an  Archelaus23.  Die  der  Salome  gehörigen  Städte 
bekam  nach  deren  Tod  die  Kaiserin  Livia24.  Nach  dem  Tod  der 
Livia  scheinen  sie  in  den  Privatbesitz  ihres  Sohnes  Tiberius  über- 
gegangen zu  sein,  weshalb  wir  zu  dessen  Zeit  in  Jamnia  einen 
kaiserlichen  hnltQOJioq  finden25.  Die  dem  Archelaus  verliehenen 
Städte  kamen  nach  dessen  Absetzung  samt  seinem  übrigen  Gebiet 
unter  die  Aufsicht  eines  römischen  Prokurators,  dann  in  den  Jahren 
41—44  nach  Chr.  an  König  Agrippa  L,  und  nach  dessen  Tod  wieder 
unter  römische  Prokuratoren.  Dieser  häufige  Wechsel  der  Herren 
hatte  jedoch  für  alle  diese  Städte  kaum  viel  mehr  zu  bedeuten, 
als  daß  die  Abgaben  bald  an  diesen,  bald  an  jenen  Herren  zu  ent- 
richten waren.  Denn  ihre  inneren  Angelegenheiten  haben  sie,  wenn 
auch  die  Oberhoheit  der  verschiedenen  Herren  sich  bald  mehr  bald 
weniger  bemerklich  machte,  doch  im  wesentlichen  selbständig  ver- 
waltet —  Von  Bedeutung  für  die  Entwicklung  des  kommunalen 
Lebens  war  es  endlich,  daß  Herodes  und  seine  Söhne  eine  ganze 
Anzahl  von  Städten  neu  gegründet  haben;  so  namentlich:  Cäsarea 
(«-  Stratons-Turm),  Sebaste  (=  Samaria),  Antipatris,  Phasae- 
lis, Cäsarea  Philippi,  Julias,  Sepphoris,  Livias,  Tiberias. 
Die  Art  der  Abhängigkeit  dieser  Städte  von  der  römischen 
Macht  war  dem  Namen  und  der  Sache  nach  verschieden26.   Es  gab 


22)  Antt.  XV,  7,  3.  Bell.  Jud.  I,  20,  3.  Von  den  Küstenstädten  nennt 
Jo8ephns  nur  Gaza,  Anthedon,  Jope  und  Stratons-Turm.  Aber  auch 
Azotus  und  Jamnia,  die  nach  Herodes'  Tod  seiner  Schwester  Salome  zu- 
fielen, müssen  damals  in  den  Besitz  des  Herodes  gekommen  sein. 

23)  Antt.  XVII,  11,  4—5.    Bell.  Jud.  II,  6,  3. 

24)  Antt.  XVIII,  2,  2.  Bell.  Jud.  II,  9, 1.  Azotus  wird  nicht  ausdrücklich 
genannt,  ist  aber  doch  wohl  mit  gemeint. 

25)  Antt.  XVHI,  6,  3.  Vgl.  Marquardt,  Römische  Staatsverwaltung  II, 
248 £  —  Über  den  kaiserlichen  Privatbesitz  überhaupt:  Hirsch feld,  Der 
Grundbesitz  der  römischen  Kaiser  in  den  ersten  drei  Jahrhunderten  (Beitrage 
zur  alten  Geschichte,  herausg.  von  C.  F.  Lehmann  Bd.  II,  1902,  S.  45—72. 
284 — 315).  Hirschfeld,  Die  kaiserlichen  Verwaltungsbeamten  bis  auf  Dio- 
kletian 2.  Aufl.  1905,  S.  18—29,  über  die  Verwaltung:  S.  121  ff. 

26)  Vgl.  zum  Folgenden:  Kuhn  H,  14— 41.  Marquardt  I,  71—86.  390. 
Mommsen  III,  1,  645—764.  Mitteis,  Reichs  recht  and  Volksrecht  in  den 
östlichen  Provinzen  des  römischen  Kaiserreichs  (1891)  S.  83— 110.  Henze,  De 


104  §23.  Verfassung.   Synedrium.    Hohepriester.  [78..79J 

im  römischen  Reiche  freie  und  untertänige  Gemeinden.  Die 
erster en  (civitatis  liberae  %  ilev&eQoi)  hatten  ihre  eigene  Gesetz-  f 
gebung,  Rechtspflege  und  Finanzverwaltung  und  waren  von  eigent- 
licher Besteuerung  frei;  sie  waren  avxopofiot  xal  (poQmv  drsXelg 
(Appian.  Oiv.  I,  102) 27.  Ihre  Abhängigkeit  von  Rom  kam  wesent- 
lich in  dem  Verlust  des  eigenen  Kriegs-  und  Bündnisrechtes  sowie 
in  der  Verpflichtung  zu  gewissen  Leistungen,  namentlich  zur  Kriegs- 
hilfe zum  Ausdruck.  Je  nachdem  dieses  Verhältnis  durch  ein  Bünd- 
nis mit  Rom  geregelt  war  oder  nicht ,  unterschied  man  zwischen 

dvitates  foederatae  und  solchen,   die  sine  foedere  immunes  ac  liberae 

waren.  Doch  ist  der  griechischen  Terminologie  diese  Unterschei- 
dung fremd;  sie  faßt  beide  Kategorien  unter  dem  Titel  der  «t?ro- 
vofioi  zusammen28.  Alle  diese  freien  Städte  werden  nicht  als  im 
strengen  Sinne  zur  Provinz  gehörig  betrachtet29.  Von  ihnen  sind 
dann  zu  unterscheiden  die  untertänigen  (vxrjxooi),  im  eigentlichen 
Sinne  zur  Provinz  gehörigen,  deren  spezifischer  Unterschied  von 
jenen  in  der  Besteuerung  durch  das  römische  Volk  beziehungs- 
weise durch  den  Kaiser  bestand;  sie  waren  vxorsXelg,  stipendiariae. 
Die  Autonomie  hatten  sie  rechtlich  zwar  verloren;  die  römische 
Behörde  konnte  in  bezug  auf  Gesetzgebung,  Rechtspflege  und  Ver- 
waltung jederzeit  nach  Belieben  eingreifen.  Aber  tatsächlich  haben 
doch  auch  die  untertänigen  Gemeinden  noch  in  weitgehendem  Maße 
ihre  eigene  Gesetzgebung,  Rechtspflege  und  Verwaltung  gehabt30. 
Von  den  hellenistischen  Städten  in  Palästina  und  dessen  Um- 
gebung sagt  Josephus,  daß  Pompeius  sie  zu  freien  (tlev&tQas)  ge- 
macht habe31.  Damit  ist  aber  nur  gemeint,  daß  er  sie  von  der 
jüdischen  Herrschaft  befreit  habe.  Über  ihr  Verhältnis  zu  Rom 
ist  damit  überhaupt  nichts  ausgesagt  Und  die  meisten  von  ihnen 
sind  sicherlich  nicht  liberae  im  technischen  Sinne,  sondern  unter- 


oivüatibus  liberis  quae  fuerunt  in  provinciis  populi  Eomani.  Diss,  Berol.  1892. 
Auch  Stark,  Gaza  S.  522 — 525.  Li  eben  am,  Städteverwaltung  im  römischen 
Kaiserreiche  S.  463  ff. 

27)  S.  Marquardt  I,  78 f.  84 f.    Mommsen  III,  1,  655ff.  681A1 

28)  Mommsen  III,  1,  654.  657 ff.  Tyrus  heißt  lateinisch  foederata  (Corp. 
Inscr.  Lat.  X  n.  1601  =  Kaibel,  Inscr.  Oraecae  Siciliae  et  Italiae  n.  S31)r 
griechisch  afaövofioq  (Corp.  Insor.  Oraec.  n.  5853  =  Kaibel  n.  830). 

29)  Mommsen  III,  1,  688. 

30)  Mommsen  111,1,744—751;  Mitteis  a,  a.  O.;  auch  Kuhn  II,  34ff. 
—  Mommsen  gebraucht  für  die  beiden  Kategorien  die  Bezeichnungen  „auto- 
nome Untertanen"  und  „nicht  autonome  Untertanen".  Die  Bezeichnung  der 
ersteren  als  „Untertanen"  dürfte  indessen  keine  zweckmäßige  sein  und  ist 
von  Mommsen  selbst  nicht  festgehalten,  insofern  er  S.  728.  732  zwischen  „Au- 
tonomie" und  „Untertänigkeit"  unterscheidet. 

31)  Antt.  XIV,  4,  4:  ayfeev  &ev9&Qaq.  B.  J.  I,  7,  7:  ijtev&iQWOE. 


179.  80]  I.  Die  hellenistischen  Städte.  105 

tfinige  gewesen.  Denn  Josephus  sagt  gleichzeitig,  daß  Pompeius 
sie  der  Provinz  Syrien  einverleibt  habe32.  Von  Askalon  wird 
es  als  etwas  Besonderes  hervorgehoben,  daß  es  ein  oppidum  liberum  \ 
war33.  Sonst  werden  auf  Münzen  und  Inschriften,  zum  Teil  freilich 
erst  der  späteren  Kaiserzeit,  als  avzovofdoi  bezeichnet:  Gaza, 
Dora,  Ptolemais  (zur  Seleucidenzeit) ,  Gadara,  Abila,  Capi- 
tolias,  Diocäsarea  (das  frühere  Sepphoris).  Der  Begriff  der 
Autonomie  deckt  sich  aber  nicht  notwendig  mit  dem  der  „Freiheit". 
Er  bezeichnet  an  sich  nur  das  kommunale  Selbstregiment  und 
schließt  die  römische  Besteuerung  nicht  aus34.  Wahrscheinlich 
unterschieden  sich  also  diese  Städte  von  den  untertänigen  nur  da- 
durch, daß  ihr  Selbstregiment  nicht  in  der  Weise  beschränkt  war, 
wie  bei  den  letzteren.  Ohnehin  haben  die  Verhältnisse  öfters  ge- 
wechselt; und  es  darf,  was  für  eine  bestimmte  Zeit  bezeugt  ist, 
nicht  auch  auf  den  ganzen  Zeitraum  der  römischen  Herrschaft 
übertragen  werden.  —  Einige  der  palästinensischen  Städte  (vier 
Küstenstädte:  Gaza,  Askalon,  Dora,  Ptolemais,  und  vier  Städte 
der  Dekapolis:  Hippus,  Gadara,  Abila,  Skythopolis)  führen 
auf  Münzen  und  sonst  den  Titel  leQa  xal  aavXog.  Die  Verleihung 
des  Asylrechtes,  das  eigentlich  ein  Recht  der  Tempel  ist,  an  ganze 
Städte  kommt  zuerst  zur  Zeit  des  Seleukus  IL  Kallinikos  (246  bis 
226  vor  Chr.)  vor35.  Es  bedeutet  im  wesentlichen,  daß  die  Stadt 
nicht  zur  Auslieferung  solcher,  die  bei  ihr  Zuflucht  suchen,  ver- 
pflichtet ist36.  —  Die  Pflicht  militärischer  Leistungen  bestand  auch 
für  die  „freien"  Städte,  ja  sie  gehörte  geradezu  zum  Begriff  der 
Bundesgenossenschaft,  nur  daß  die  Art  der  Hilfsleistung  ursprüng- 
lich für  die  Bundesgenossen  eine  andere  war  als  für  die  unter- 
tänigen Völker  und  Gemeinden:  jene  hatten  Hilfstruppen  zu  stellen, 
bei  diesen  wurden  Aushebungen  veranstaltet.  Doch  sind  auch 
diese  Unterschiede  mehr  und  mehr  verwischt  worden.    Für  die 


32)  Anit.  XIV,  4,  4:  TiQOoivsifxev  x$  hiagxla.  B.  J.  I,  7,  7:  xaxexagev  eis  xfjv 
^VQiax^v  htagxlav. 

33)  Plm.  HisL  Nat.  V,  13,  68. 

34)  S.  Mommsen  HI,  1,  658  f. 

35)  Verleihung  an  Aradus:  Strabo  XVI,  2,  14  p.  754,  an  Smyrna:  Corp. 
Inscr.  Graec,  n.  3137  =  Dittenberger,  Orientis  graeci  inscr.  sei.  n.  229  lin.  12: 
xd  xe  Uqöv  xfjq  2xgaxovixlSoq  'AfpQoSlxrjg  aavXov  elvai  xal  xfifi  nbXiv  ^fjuav 
Ugav  xal  aovXov.  Andere  Beispiele  bei  Dittenberger  II,  636  Index  s.  v. 
aovXog. 

36)  Bei  Aradus  wird  es  folgendermaßen  umschrieben  (Strabo  L  c):  &<n* 
i&Ivai  dixea&cu  xovq  xaxa<pevyovxaq  ix  xfjq  ßaaiXelag  nag'  abvovq,  xal  pf] 
ixdvöövai  ixovxaq;  y^  yuhxoi  nr\f  ixnXelv  i&v  avev  xo$  imxQiyai  ßaaiXia.  — 
Ober  das  Asylrecht  der  Tempel  s.  Stengel,  Art.  „Asylon"  in  Pauly-Wisso- 
was  RealEnz.  II,  1881  ff.    Mommsen,  Romisches  Strafrecht  1899,  S.  458 ff. 


106  §  23.  Verfassung.   Synedrium.    Hohepriester.  [80.  81] 

palästinensischen  Städte  steht  im  allgemeinen  die  Pflicht  militärischer 
Dienstleistung  in  dieser  oder  jener  Form  außer  Frage.  In  Cäsarea 
lag  vom  Jahre  44—67  nach  Chr.  eine  Besatzung  von  fünf  Kohorten 
und  einer  Ala  Reiter,  die  zum  größten  Teile  aus  Cäsareensern  und 
Sebastenern  (Einwohnern  der  Stadtgebiete  von  Cäsarea  und  Se- 
baste)  gebildet  waren37.  Beim  Feldzuge  des  Cestius  Gallus  gegen 
Jerusalem  spricht  Josephus  ganz  allgemein  von  den  Hilfstruppen, 
welche  von  „den  Städten"  gestellt  worden  waren38.  Seit  der  Zeit 
Vespasians  begegnen  uns  bereits  eine  Anzahl  Auxiliar-Kohorten, 
welche  von  palästinensischen  und  phönizischen  Städten  ihren  Namen 
haben,  auch  solchen,  welche  als  |  „freie"  anerkannt  waren39.  Die 
im  Anfange  der  Kaiserzeit  noch  bestehenden  Unterschiede  der 
Organisation  sind  jetzt  mehr  und  mehr  ausgeglichen  worden. 

Eine  eximierte  Stellung  unter  den  Städten  des  römischen 
Reiches  nehmen  die  römischen  Kolonien  ein40.  Solche  gab  es 
auch  in  Palästina  und  Phönizien  seit  Augustus.  Die  ältesten  sind 
Berytus,  Heliopolis  (beide  durch  Augustus  gegründet),  Ptole- 
mais  (durch  Claudius),  Cäsarea  (durch  Vespasian).  Sämtliche 
Kolonien  der  älteren  Kaiserzeit  waren  Militärkolonien,  d.  h.  sie 
bestanden  aus  ausgedienten  Soldaten,  welchen  zur  Belohnung  für 
ihre  Dienste  Grundbesitz  angewiesen  wurde,  und  zwar  so,  daß  es 
immer  für  eine  größere  Anzahl  an  einem  Orte  gleichzeitig  geschah, 
wodurch  eben  die  Kolonie  gegründet  wurde.  Der  erforderliche 
Grund  und  Boden  wurde  in  der  früheren  Zeit  den  Besitzern  ein- 
fach weggenommen.    Später  (seit  Augustus)  wurde  es  üblich,  die 


37)  Antt.  XIX,  9,  1—2.  XX,  6,  1.  Bell.  Jud.  II,  12,  5.  HI,  4,  2,  und  bes. 
Antt.  XX,  8,  7:  piya  Sh  <pQOvovvteq  irii  zip  xovq  nXelcvovq  ttbv  heb  cAo- 
fialoiq  ixet  OTQarevofiivwv  Kaioagslg  elvai  xal  Seßaavrjvovq.  Näheres 
s.  in  der  Zeitschr.  für  wissensch.  Theol.  1875,  S.  419  ff.  und  oben  §  17o  I, 
460-462. 

38)  Bell.  Jud.  II,  18,  9:  IIXeTavoi  6k  xal  ix  r(bv  nöXecov  inixovgoi 
avveXiyriaav,  ifxnetQla  ßhv  }}Tt(j)(*£voi  r&v  ovqcctiwt&v,  tatg  6h  TtQO&vfdaiq 
xal  z<j>  xaxa  yIov6alo>v  (xioet,  xb  XeTnov  iv  ratg  imat^fnaig  dvaTiXrjQoifvreg.  — 
Berytus,  das  allerdings  als  römische  Kolonie  eine  besondere  Stellung  ein- 
nahm, stellte  zum  Heere  des  Varus  im  J.  4  v.  Chr.  1500  Mann  Hilfstruppen 
(Antt  XVII,  10,  9.  B.  J.  II,  5, 1). 

39)  Es  kommen  auf  Inschriften  vor:  eohortes  (und  alae)  Ascalonitarum, 
Canathenorum,  Damascenorum,  Sebastenorum,  Tyriorum.  S.  die  Zusammen- 
stellung von  Mommsen,  Ephemeris  epigr.  V  p.  193  sq.  und  von  Cichorius 
Art.  Oohors  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  IV,  231 — 356.  Art  Ala  ebendas. 
I,  1224  ff. 

40)  S.  hierüber  im  allgemeinen:  Bein,  Art.  colonia  in  Paulys  Eeal-Enz. 
U,  504—517.  Kuhn,  Die  städt.  und  bürgerl.  Verf.  I,  257 ff.  Marquardt  I, 
35 ff.  86 ff.  92—132.  Mommsen,  Römisches  Staatsrecht  m,  1,  S.  773—823. 
Korne  mann,  Art.  Coloniae  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  IV,  511 — 588. 


[81.  82]  I.  Die  hellenistischen  Städte.  107 

Besitzer  zu  entschädigen,  oder  man  gab  den  Veteranen  solches 
Land,  das  ohnehin  Staatseigentum  war.  Die  Kolonisten  bildeten 
entweder  eine  neue  Gemeinde  neben  der  alten,  oder  sie  traten  in 
die  alte  Gemeinde  ein,  in  welchem  Fall  dann  diese  in  ihrer  Ge- 
samtheit die  Rechte  einer  Kolonie  und  die  römische  Munizipal- 
verfassung erhielt41.  So  wurde  die  Deduzierung  einer  Kolonie 
allmählich  zu  einer  Gunstbezeugung  für  die  Stadt,  während  sie 
ehedem  eine  grausame  Beraubung  war.  Seit  Hadrian  hat  die  An* 
siedelung  von  Veteranen  in  Verbindung  mit  einer  Koloniegründung 
aufgehört  Nur  Septimius  Severus  hat,  wie  es  scheint,  noch  auf 
die  Deduktion  von  Veteranen  zurückgegriffen.  „Im  übrigen  sind 
alle  nachhadrianischen  Koloniegründungen  rein  fiktiver  Natur.  Es 
handelt  sich  hier  nur  um  Verleihung  des  Kolonienamens  und 
-rechtes  als  der  höchsten  Art  von  Stadtrecht  vor  allem  an  Muni- 
zipien,  aber  auch  an  Peregrinenstädte  und  nichtstädtische  Ge- 
meinden"42. —  Die  Rechte  der  Kolonien  waren  verschieden43.  Am 
günstigsten  waren  diejenigen  gestellt,  welche  das  volle  jus  Italicum 
und  damit  Freiheit  von  Kopfsteuer  und  Grundsteuer  hatten44.  — 
Das  System  der  Anlegung  von  Militärkolonien  hat  übrigens  auch 
Her  ödes  dem  Augustus  nachgeahmt45. 

Die  Stellung  derjenigen  Städte,  welche  vorübergehend  unter 
herodianischen  Fürsten  standen,  ist  wohl  auch  nicht  wesent- 
lich anders  zu  denken,  als  diejenige  der  unmittelbar  römischen. 
Mög|lich  ist  immerhin,  daß  die  herodianischen  Fürsten  ihre  Herr- 
schaft direkter  bemerklich  machten;  doch  ist  dies  nicht  nachweis- 
bar. Zur  Sicherung  ihrer  Herrschaft  hatten  sie  in  den  Städten 
eigene  Statthalter;  so  Herodes  der  Große  einen  <xqx<dv  in  Idumäa 
und  Gaza46,  Agrippa  I.  einen  OTQartjyog  inCäsarea47,  einen  InctQxoq 
in    Tiberias48,   Agrippa  IL    einen    Statthalter   in    Cäsarea  Phi- 


41)  Marquardt  I,  118f. 

42)  Kornemann  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  IV,  566. 

43)  S.  hierüber  Kornemann  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  IV,  578— 583. 

44)  Über  das  jus  Italicum  s.  Marquardt,  Römische  Staatsverwaltung 
I,  89 ff.  und  die  dort  zitierte  Literatur,  zu  welcher  noch  hinzuzufügen  ist: 
Beaudouin,  Jttude  sur  le  Jus  italicum,  Paris  1883  (vgl.  Revue  critique  1884 
Nr.  6).  Heisterbergk,  Name  und  Begriff  des  jus  Italicum,  Tübingen  1885. 
Siverin,  Ittude  sur  le  jus  italicum,  Bordeaux  1885.  Mommsen,  Römische» 
Staatsrecht  III,  1,  S.  807—810.  Beudant,  Le  jus  Italicum,  Paris  1889.  Her- 
zog, Geschichte  und  System  der  römischen  Staatsverfassung  II,  2  (1891) 
S.  932  ff. 

45)  Anit.  XV,  8,  5.    S.  unten:  Samaria,  Gabe,  Hesbon. 

46)  Äntt.  XV,  7,  9. 

47)  Antt.  XIX,  7,  4. 

48)  Jos.  Vita  9;  ob  es  sich  um  Agrippa  I.  oder  II.  handelt,  ist  ungewiß. 


108  §  23«  Verfassung.    Synedrium.   Hohepriester.  [82.-83] 

lippi49,  einen  IxaQxoq  in  Gamala60.  Eben  ein  solcher  Statthalter 
ist  auch  der  UrvaQxtjs  des  Königs  Aretas  in  Damaskus,  II  Kor. 
11,  32  ". 

Die  große  Selbständigkeit  dieser  Städte  bringt  es  mit  sich, 
daß  jede  ihre  eigene  Geschichte  hat  Indem  wir  dieser  noch 
im  einzelnen  nachgehen,  beginnen  wir  mit  den  Städten  der  phili- 
stäisch-phönizischen  Küste,  von  Süden  nach  Norden  vorgehend. 
Viele  derselben  hatten  beim  Beginn  der  hellenistischen  Zeit  schon 
eine  reiche  Vergangenheit  hinter  sich  und  sind  auch  während  der 
ganzen  hellenistisch-römischen  Zeit  von  hervorragender  Bedeutung 
geblieben. 

1.  Baphia,  KPa<pla  (so  ist  nach  den  Münzen  zu  schreiben), 
rabbinisch  n^tn  (mit  Chet  am  Schlüsse) 62,  noch  heute  nachweisbar 
in  der  Trümmerstätte  Kirbetk  bir  Befah,  nach  Gu6rin  etwa  eine  halbe 
Stunde  vom  Meer,  aber  an  seichtem,  hafenlosem  Ufer 53,  |  daher  von 

49)  Vita  13.    Vgl.  Kuhn  II,  346. 

50)  Vita  11. 

51)  Der  Titel  i&vaQxVQ  fi*r  solche  Statthalter  ist  ungewöhnlich  und  aus 
den  eigentümlichen  Verhältnissen  des  oabatai sehen  Reiches  zu  erklären. 
Dort,  wo  es  noch  wenig  Städte  gab,  überwog  noch  die  Organisation  nach 
Stämmen.  An  der  Spitze  eines  Stammes  oder  eines  Komplexes  von  Stämmen 
stand  ein  Scheich  (Stammes-Haupt,  griech.  i&vaQXVS)'  Spuren  einer  solchen 
Verfassung  haben  wir  noch  auf  den  griechischen  Inschriften  der  Hauran- 
Gegend  aus  römischer  Zeit  (vgl.  bes.  Waddington  Inscript.  n.  2196  =  Ditten- 
berger,  Orientis  graeci  inser.  sei.  n.  616:  *AÖQiavoi)  xov  xal  Soatöov  Maktyov 
£&vaQXOv,  argatijyov  vofidSwv.  Häufig  werden  hier  die  <pvXai  erwähnt, 
Waddington  n.  2173b.  2210.  2220.  2224.  2265.  2287.  2308.  2309.  2310.  2393.  2396. 
2397.  2427.  2431.  2439.  2483.  Ein  Aw^Xog  Zape&ov  navagere  e&vagxa  auf 
einer  Grabschrift  zu  Dschize,  zwischen  Adraa  und  Bostra,  Zeitschr.  des  DPV. 
XX,  1897,  S.  135).  Einem  solchen  id-vd^xw  war  a^o  auch  Damaskus  unter- 
stellt. Denn  die  Meinung  von  Zahn  (Neue  kirchl.  Zeitschr.  1904,  S.  34—41) 
und  Schwartz  (Nachrichten  der  Göttinger  Gesellsch.  d.  Wiss.  1906,  S.  367 f.), 
daß  der  Ethnarch  nur  in  der  Nachbarschaft  von  Damaskus  umhergeschweift 
sei  und  dem  Apostel  auf  den  Landstraßen  aufgelauert  habe,  ist  mit  dem  Wort- 
laut von  I  Kor.  11,  32 — 33  nicht  vereinbar  (s.  unten  bei  Damaskus).  —  So- 
fern der  idvaQxvs  zugleich  ein  militärisches  Kommando  hatte,  hieß  er  <sxga- 
rtjydQ,  MmöK,  vgl.  oben  S.  59  und  Jos,  AntL  XVIII,  5,  1.  Es  ist  nicht  wahr- 
scheinlich, daß  in  der  obigen  Inschrift  idvaQxov  und  axQaxrjyoij  zu  trennen, 
ersteres  auf  den  Vater  (MaX£xov)>  letzteres  auf  den  Sohn  (SoalSov)  zu  beziehen 
ist  (so  Zahn,  Neue  kirchl.  Zeitschr.  1904,  S.  38).  —  Vgl.  übern,  meinen  Auf- 
satz „Der  Ethnarch  des  Königs  Aretas"  (Theol.  Stud.  u.  Krit.  1899,  S.  95—99). 

52)  jer.  Sehebiitk  VI,  1  fol.  36  c,  und  nach  richtiger  Lesart  auch  Tosephta 
Schebiitk  IV  ed.  Zuckermandel p.  66,  Targum  Onkelos  Deut.  2,  23.  Vgl.  Neu- 
bauer, Geographie  du  Talmud  (1868)  p.  20.  Berliner,  Targum  Onkelos 
(1884)  II,  219.  Hildesheimer,  Beiträge  zur  Geographie  Palästinas  (1886) 
S.  66—69. 

53)  Diodor.  XX,  74  nennt  Baphia  övciiQoodQfxiaxov  xal  tevaywärj. 


[83]  I.  Die  hellenistischen  Städte.    1.  Raphia.  1Q9 

Plinius  und  Ptolemäus  als  Binnenstadt  betrachtet 54.  Es  war  die 
erste  syrische  Stadt  von  Ägypten  her65.  In  der  Geschichte  wird 
es,  abgesehen  von  den  Keilüischriffcen 56,  zuerst  bei  dem  Feldzug 
des  Antigonus  gegen  Ägypten  im  Jahre  306  vor  Chr.  erwähnt,  wo 
die  Flotte  des  Antigonus  unter  Führung  seines  Sohnes  Demetrius 
durch  den  Sturm  hierher  verschlagen  wurde67.  Berühmt  wurde 
es  dann  namentlich  durch  den  Sieg,  welchen  hier  im  Jahre  217 
der  unkriegerische  Ptolemäus  IV.  Philopator  über  Antiochus  den 
Großen  erfocht,  und  welcher  für  letzteren  den  Verlust  Palästinas 
und  Phöniziens  zur  Folge  hatte58.  Im  Jahre  193  wurde  hier  die 
Hochzeit  des  Ptolemäus  V.  Epiphanes  mit  Jüeopatra,  der  Tochter 
Antiochus'  des  Großen,  gefeiert59.  Im  Anfang  des  ersten  Jahr- 
hunderts vor  Chr.  wurde  Raphia  von  Alexander  Jannäus  erobert 
(Jos.  Antt.  XIII,  13,  3.  Beü.  Jud.  I,  4,  2;.  vgl.  Antt.  XIII,  15,  4),  muß 
dann  wie  die  benachbarten  Städte  durch  Pompeius  vom  jüdischen 
Gebiete  abgetrennt  worden  sein,  und  wurde  durch  Gabinius  neu 
gebaut  (Antt.  XIV,  5,  3.  Bell  Jud.  I,  8,  4).  Die  Münzen  Raphias  aus 
der  römischen  Kaiserzeit  (von  Commodus  bis  Philippus  Arabs) 
haben  daher  eine  Ära,  welche  mit  der  Neugründung  durch  Gabinius 
(57  vor  Chr.?)  beginnt60.  Im  Besitz  der  herodianischen  Fürsten 
scheint  es  nie  gewesen  zu  sein.  | 


54)  Plin.  Hut.  Not.  V,  13,  68.  Ptolem.  (ed.  Nobbe)  V,  16,  6  —  Didoteche 
Ausg.  (I,  2,  1901)  V,  15,  5.  —  Vgl.  sonst:  Strabo  XVI,  2,  31.  Mnerar.  Anto- 
nini (edd.  Parthey  et  Pinder  1848)  p.  69.  Sozomenus,  Hist.  eeoL  VII,  15.  Hie- 
rocleSy  Synecdemus  (ed.  Parthey  1866)  p.  44.  —  Reland%  PcUaestina  p.  967  sq. 
Ritter,  Erdkunde  XIV,  138ff.  XVI,  39.  Raumer,  Palastina  S.  219.  Qutrin, 
Judie  II,  233 — 235.  Schumacher,  Eesearches  in  Southern  Palestine  (Quarterly 
Statements  1886,  171  sqq.).  Le  Quien,  Oriens  christianus  III,  630. 

55)  Polyb.  V,  80:  rtQWTTj  xwv  xazä  KolXrjv  SvqIüv  n6Xe<ov  wq  ngdq  rty> 
Afyvnxov.  —  Jos.  Beü.  Jud.  IV,  11,  5;  fem  6b  fj  ndXiq  cßrri  Svolaq  &QXÄ- 

56)  Friedr.  Delitzsch,  Wo  lag  das  Paradies?  (1881)  S.  291. 

57)  Diodor.  XX,  74.  Droysen,  Gesch.  des  Hellenismus  (2.  Aufl.)  II,  2, 
147.  Stark,  Gaza  S.  358. 

58)  Die  Schlacht  ist  ausführlich  beschrieben  bei  Polyb.  V,  82—86.  Vgl. 
Stark,  Gaza  S.  382—386.  Mahaffy,  The  army  of  Ptolemy  IV  at  Raphia 
(Hermathena  XXIV,  1899,  p.  140—152).  Niese,  Gesch.  der  griech.  und  make- 
don.  Staaten  II,  380—382.  Beloch,  Griechische  Geschichte  III,  1,  S.  716f. 

59)  Livius  XXXV,  13.  Über  die  Zeit  dieser  Hochzeit  (193/192  v.  Chr.) 
s.  Strack,  Die  Dynastie  der  Ptolemäer  (1897)  S.  183.  196. 

60)  Dies  darf  jetzt  als  sicher  betrachtet  werden,  während  Noris  und 
Eckhel  noch  schwankten,  ob  die  Ära  des  Pompeius  oder  die  des  Gabinius 
anzunehmen  sei.  —  S.  überh.:  Noris,  Annus  et  epochae  Syromacedonum  V, 
4,  2  (ed.  IAps.  p.  515 — 521).  —  Eckhel,  Doctrina  nwnorum  IQ,  454  sq.  — 
Musei  Sanclementiani  Numismata  selecta  Pars  II,  1809,  lib.  IV,  p.  295 — 298. 
—  Mionnet,  Description   de   midaiües   V,   551  sq.    Suppl.  VIII,  376  sq.  — 


HO  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [84] 

2.  Gaza,  ra&,  hebräisch  nj?61,  die  alte,  im  Alten  Testament 
häufig  erwähnte,  bedeutende  Stadt  der  Philistäer 62.  Auf  den 
Amarnab riefen  heißt  sie  Azzati,  ägyptisch  Gadatu 63.  Herodot  kennt 
sie  unter  dem  Namen  Kaövtig  und  bemerkt,  daß  sie  nicht  viel 
kleiner  sei  als  Sardes 64.   Schon  in  der  persischen  Zeit  muß  sie  in 


Kenner,  Die  Münzsammlung  des  Stifts  St  Florian  in  Ober-Österreich  (1871) 
S.  179—182,  Tafel  VI  n.  17—18.  —  De  Saulcy,  Numismatique  de  la  Terre 
Sainte  p.  237—240,  pl.  XII  n.  7—9.  —  Stark,  Gaza  S.  515. 

61)  Zur  hebr.  Form  vgl.  Steph.  Byx.  s.  v.  ro%a'  ixXJj&n  xal"A£a*  xal  [ttyQi 
vvv  Zvgoi  "A^av  avtfjv  xakovaiv.  —  Anf  einer  lateinischen  Inschrift  aus  dem 
zweiten  Jahrh.  nach  Chr.  (Verzeichnis  von  Veteranen  der  leg.  III  Aug.)  kommt 
auch  die  Form  Oaxxa  vor,  Ephemeris  epigr.  V  p.  211  =  Corp.  Inscr.  Lot.  t. 
VIII  Suppl.  n.  18084  lin.  22.  —  Über  die  heutige  Namensform  s.  Kampffmeyer, 
Zeitschr.  d.  DPV.  XVI,  1893,  S.  53. 

62)  S.  überhaupt:  Reland,  Palaestina  p.  787—800.  —  Robinson,  Palä- 
stina II,  634-648.  —  Ritter,  Erdkunde  XVI,  45— 65. —  Raumer,  Palästina 
S.  192—194.  —  Winers  RWB.  *.  v.  —Arnold  in  Herzogs  Real-Enz.  1,  Aufl. 
IV,  671—674.  —  Sepp,  Jerusalem  u.  das  heilige  Land  (2.  Aufl.)  II,  617  ff.  — 
Guirin,  Judie  II,  178—211.  219-221.  —  The  Survey  of  Western  Palestine, 
Memoir8  by  Conder  and  Kitehener  III,  234  sq.  248 — 251,  dazu  Blatt  XIX 
der  großen  engl.  Karte.  —  Gatt,  Bemerkungen  über  Gaza  und  seine  Um- 
gebung (Zeitschr.  des  deutschen  Pal.-Ver.  VIT,  1 — 14).  —  Schumacher, 
Researches  in  Southern  Palestine  (Quarterly  Statements  1886,  171  ff.).  —  Le 
Strange,  Palestine  under  the  Moslems  1890,  p.  441—443.  —  G.  A.  Smith, 
Historical  Oeography  of  the  Holy  Land  1894,  p.  181 — 189.  —  Clermont-Qan- 
neau,  Archaeological  Researches  in  Palestine  vol.  II,  1896,  p.  379—437.  —  Plan 
des  heutigen  Gaza  von  Gatt  in  der  Zeitschr.  des  DPV.  XI,  1888,  S.  149 ff.  — 
Für  das  Geschichtliche  bes.  Stark,  Gaza,  1852.  Auch  Alb.  v.  Hörmann, 
Gaza,  Stadt,  Umgebung  und  Geschichte,  1876  (Progr.  des  Knabenseminars  der 
Diözese  Brixen  zu  Rothholz,  s.  die  Anz.  in:  Zeitschr.  f.  die  Österreich.  Gym- 
nasien 1877,  S.  142f.).  Noordtxij,  De  Füistifnen,  1905  (vgl.  Theol.  Litztg. 
1906,  Nr.  1). 

63)  S.  Zeitschr.  des  DPV.  1907,  8. 12  f. 

64)  Herodot.  II,  159.  III,  5:  Saoötov  oh  noXkw  iXdaoovoq.  Unter  dem 
Kadytis  des  Herodot  hat  man  früher  wohl  Jerusalem  verstanden  (so  auch 
noch  Wandel,  Schulblatt  für  die  Provinz  Brandenburg,  53.  Jahrg.  1888, 
S.  428—442.  497 — 505).  Wie  wenig  die  Angaben  des  Herodot  hierzu  passen, 
ist  längst  gezeigt  worden  (s.  z.  B.  Stark,  Gaza  S.  220).  Andererseits  be- 
zeichnet Herodot  in,  5  KdSvxu;  als  eine  Stadt  der  Svoot  TlaXaicxlvoi  in  der 
Nähe  der  ägyptischen  Grenze.  Hiernach  kann  an  der  Identität  mit  Gaza 
nicht  wohl  gezweifelt  werden.  Aber  auch  II,  159  spricht  dafür,  denn  es  heißt 
hier,  daß  Kadytis  durch  Pharao  Necho  eingenommen  worden  sei,  was  nach 
Jerem.  47,  1  in  betreff  Gazas  wirklich  der  Fall  war.  Für  die  Identität  von 
Kadytis  und  Gaza  haben  sich  daher  die  meisten  Neueren  erklärt,  z.  B.  Hitzig, 
De  Cadyti  urbe  Eerodotea,  1829.  Gesenius,  Thesaurus p.  1010.  Winer,  RWB. 
1,  546  Anm.  3  (im  Art.  Jerusalem).  Stark,  Gaza  und  die  philistäische  Küste 
S.  218ff.  Wiedemann,  Herodots  zweites  Buch  (1890)  zu  n,  159  (schwankend). 
Th.  Reinach,   Comptes   rendus  de  VAcad.   des  Inscr.  et   Beiles- Lettres   1895, 


[84.  85]  I.  Die  hellenistischen  Städte.    2.  Gaza.  m 

regem  Handelsverkehr  mit  Griechenland  gestanden  haben,  wie  die 
erhaltenen  Münzen  bezeugen65.  Zur  Zeit  Alexanders  des  Gr. 
war  sie  nächst  Tyrus  die  bedeutendste  Festung  an  der  phönizisch- 
philistäischen  Küste.  Alexander  eroberte  sie  erst  nach  zweimonat- 
licher mühsamer  Belagerung  332  vor  Chr.66  Von  da  an  wurde 
sie  mehr  und  |  mehr  eine  griechische  Stadt67.  Die  Kämpfe  des 
Ptolemäus  Lagi  mit  den  anderen  Diadochen  um  den  Besitz  Cöle- 
syriens  haben  natürlich  auch  Gaza  in  erster  Linie  mitberührt   Im 


p.  360 — 366  (p.  361:  Cadytis,  tout  le  monde  est  aujourdhui  tfaccord  lä-dessus, 
est  Gaxa).  Gegen  letzteren  hat  allerdings  Oppert  (Oomptes  rendua  1895, 
p.  368 — 376)  die  Identität  wieder  bestritten ,  und  Prääek,  Forschungen  zur 
Gesch.  des  Altertums  II,  1808,  will  sie  nur  für  III,  5  anerkennen ;  beide  nicht 
mit  überzeugenden  Gründen. 

65)  Vgl.  über  diese  höchst  interessanten  Münzen  die  gelehrte  Abhandlung 
von  8ixf  Observation»  sur  les  mannaies  ph&niciennes  (Numismatie  Chroniele, 
New  Serie*  vol.  XVII,  1877,  p.  177—241,  über  Gaza:  p.  221— 239);  auch  Bal- 
lon, Oatalogue  des  mannaies  greeques  de  la  Bibliotheque  nationale,  Les  Perses 
AchömSnides,  Oypre  ei  Phenicie  (Paris  1893)  p.  LVI  sqq.  47  sqq.  Die  Münzen 
haben  teils  phönizische,  teils  griechische  Aufschrift  Der  Name  der  Stadt 
(T9  oder  nt3?)  ist  wenigstens  auf  mehreren  derselben  sicher  zu  erkennen.  Das 
Interessanteste  ist  aber,  daß  sie  ganz  nach  athenischem  Münzfuß  und  mit 
athenischen  (resp.  griechischen)  Typen  geprägt  sind,  offenbar  für  den  Handels- 
verkehr mit  Griechenland.  Wahrscheinlich  sind  zur  Zeit  der  Hegemonie 
Athens  im  fünften  Jahrhundert  vor  Ohr.  zunächst  echte  athenische  Münzen 
nach  Palästina  gekommen ;  und  nach  deren  Muster  ist  dann  dort  weitergeprägt 
worden.  S.  Six  a.  a.  O.  S.  230 f.  234—236.  —  Speck,  Handelsgeschichte  des 
Altertums,  2.  Bd.  1901,  S.  440:  „Aus  dem  Umstände,  daß  Gaza,  das  wie  alle 
phönizischen  Städte  erst  von  Anfang  des  4.  Jahrh.  an  zur  Münzprägung  ver- 
schritt,  seine  Münzen  nach  attischem  Fuße  und  mit  attischen  Typen  prägte, 
während  Aradus  seine  Silbermünzen  nach  persischem,  Sidon,  Tyrus  und 
Byblus  nach  phönizischem  Fuße  schlug,  darf  man  wohl  schließen,  daß  in  Gaza, 
dem  Endpunkte  der  großen  arabischen  Weihrauchstraße,  viele  Athener  sich 
einfanden,  um  die  Wohlgerüche  Arabiens  einzukaufen".  —  Der  Verkehr  athe- 
nischer Frachtschiffe  nach  Phönizien  zur  Zeit  des  Perikles  ist  durch  Tkucyd. 
II,  69  direkt  bezeugt    Vgl.  oben  S.  71. 

66)  Die  zweimonatliche  Dauer  der  Belagerung  bezeugen  Diodor.  XVII,  48 
und  Jos.  Antt.  XI,  8,  3 — i.  Sonst  vgl.  bes.  Arrian.  H,  26—27.  Ouriius  IV,  6. 
Plutarch.  Alexander  25.  Polyb.  XVI,  40  (=  ed.  Hidtsch  XVI,  22a).  Droysen, 
Gesch.  d.  Hellenismus  2.  Aufl.  I,  1,  297—301.  Stark,  Gaza  S.  236—244.  Jos. 
Kohn,  Ephemerides  rerum  ab  Alexandro  Magno  in  partibus  orieniis  gestarum, 
Bonnae  1890,  Diss.  (setzt  S.  12  u.  23  die  Belagerung  Gazas  von  Mitte  August 
bis  Mitte  Oktober  332).  Niese,  Gesch.  der  griechischen  und  makedonischen 
Staaten  I,  1893,  S.  82.  £.  Keller,  Alexander  der  Große  nach  der  Schlacht 
bei  Issos  bis  zu  seiner  Rückkehr  aus  Ägypten,  1904  (Historische  Studien 
herausg.  von  Ehering,  Heft  48),  S.  47 — 66. 

67)  Als  ndXig  lEXXrjvlq  wird  sie  ausdrücklich  bezeichnet  Jos.  Antt.  XVII, 
11,  4  Bell.  Jud.  H,  6,  3. 


112  §  23.  Verfassung.    Synedrium.   Hohepriester.  [85] 

Jahre  315  wurde  es  von  Antigonus  erobert68.  Im  Jahre  312  fiel 
es  infolge  des  Sieges,  welchen  Ptolemäus  Lagi  eben  bei  Gaza  über 
Antigonus'  Sohn  Demetrius  erfocht,  wieder  in  die  Hände  des  Ptole- 
mäus69. Aber  noch  im  selben  Jahre  gab  dieser  den  Besitz  Cöle- 
syriens  wieder  auf  und  ließ  beim  Rückzug  die  wichtigsten  Festun- 
gen, darunter  auch  Gaza,  schleifen70.  Von  311—301  war  Gaza 
wie  das  übrige  Palästina  im  Besitze  des  Antigonus,  seitdem,  wahr- 
scheinlich ununterbrochen,  in  dem  des  Ptolemäus  Lagi  und  seiner 
Nachfolger  (s.  oben  S.  97).  Von  Ptolemäus  II.  und  III.  gibt  es 
Münzen,  welche  in  Gaza  geprägt  sind.  Die  datierten  Münzen  des 
Ptolemäus  II.  mit  dem  Monogramm  von  Gaza  gehen  von  seinem 
23.  bis  zu  seinem  37.  Regierungsjahre  (=  263—249  vor  Chr.)71.  In 
den  Jahren  218—217  war  Gaza  wie  das  übrige  Palästina  vorüber- 
gehend im  Besitz  Antiochus'  des  Gr.72.  Zwanzig  Jahre  später  kam 
Cölesyrien  durch  den  Sieg  Antiochus'  des  Gr.  bei  Panias  (198 
vor  Chr.)  dauernd  unter  die  Herrschaft  der  Seleuciden.  Eben 
damals  muß  auch  Gaza  von  Antiochus  nach  schwerer  Belagerung 
erobert  worden  sein,  worüber  wir  freilich  nur  Andeutungen  bei 
Polybius  haben73.  Die  Herrschaft  der  Seleuciden  wird  u.a.  auch 
durch  eine  in  Gaza  geprägte  Münze  des  Demetrius  I.  Soter  be- 
kundet74. Vorübergehend  scheinen  die  Einwohner  sich  SeXevxelq 
h  ra£y  oder  UeXevxslg  r<x£aloi  genannt  zu  haben75.    Während 


08)  Diodor.  XIX,  59.  Droysen  II,  2,  11.  Stark  S.  350.  Niese  I,  275f. 

69)  Diodor.  XIX,  84.  Über  die  Schlacht:  Droysen  II,  2,  42 ff..  Stark 
S.  351—354;  Niese  I,  295ff.;  Beloch,  Griechische  Geschichte  III,  1,  S.  132f. 
Ober  das  Datum  (312):  Lehmann,  Berliner  philol.  Wochenschrift  1906, 
col.  1264. 

70)  Diodor.  XIX,  93:  xaxioxaxpe  xäq  d£ioloya>zdzaq  xtov  xexQavrj^vwv 
ndXewVf  *Axtjv  fuv  xfjq  <Poivlxrjg  2vo(aq,  'Idnrjv  6h  xal  Eapdoeiav  xal  räQav 
xrtq  Zvoiaq.    Vgl.  Stark  S.  355f.    Niese  I,  300. 

71)  Catalogue  of  the  greek  coins  in  the  British  Museum,  Ptolemies  kings 
of  Egypt  (1883)  p.  35.  49.  Svoronos,  Les  monnaies  de  Ptolimie  II  qui  por* 
tent  daies  {Revue  Beige  de  Numismatique  1901,  p.  263—298,  387—412  [Gaza 
p.  286  sq.]).  Am  vollständigsten:  Sßoowvoq,  Tä  vofxlafxaxa  xov  xodxovq  xibv 
nxotefiaiuyv,  Athen  1904,  Tl.  II,  S.  123—124  (Ptolemäus  Il.y  S.  165  (Ptole- 
mäus III.). 

72)  Polyb.  V,  80.    Stark  S.  382—385. 

73)  Polyb.  XVI,  18.  XVI,  40  {ed.  Hultsch  XVI,  22a).  XXIX,  6a  {ed.  Hultsch 
XXIX,  12);  Stark  S.  404f. 

74)  Gardner,  Catalogue  of  the  greek  coins  in  the  British  Museum,  Seleueid 
hing s  of  Syria  (1878)  p.  47.  Auffallend  ist  die  viel  größere  Zahl  von  Seleu- 
ciden-Münzen  in  Askalon.  Offenbar  war  letzteres  damals  bedeutender  als 
Gaza,  wie  auch  aus  den  Handelsbeziehungen  erhellt  (s.  Askalon  am  Schluß). 

75)  De  Saulcy,  Numismatique  de  la  Terre  Sainte  p.  211  sq.  2eX.  ist 
wahrscheinlich  =  2e?AvxeTg,  8.  Catalogue  of  greek  coins  in  the  Hunterian  col- 


[85.  86]  I.  Die  hellenistischen  Städte.    2.  Gaza.  113 

der  Kämpfe  im  syrischen  Reiche  zwischen  Demetrius  II.  Nikator 
und  Antiochuß  VI.,  resp.  Trypho  (145—143  vor  Chr.),  wurde  Gaza, 
da  es  |  sich  der  Partei  des  Antiochus  nicht  anschließen  wollte,  im 
Einverständnis  mit  diesem  von  dem  Makkabäer  Jonathan  belagert 
und  seine  Umgebung  verwüstet,  woraufhin  es  seinen  Widerstand 
aufgab  und  zur  Bürgschaft  seines  Anschlusses  an  Antiochus  dem 
Jonathan  Geiseln  stellte76.  In  betreff  der  Verfassung  Gazas  in 
jener  Zeit  erfahren  wir  gelegentlich,  daß  es  einen  Bat  von  500  Mit- 
gliedern hatte77.  Um  das  Jahr  96  vor  Chr.  fiel  auch  Gaza  gleich 
den  Nachbarstädten  Raphia  und  Anthedon  in  die  Hände  des  Alexan- 
der Jannäus.  Alexander  eroberte  es  nach  einjähriger  Belagerung, 
schließlich  freilich  doch  nur  durch  Verrat,  und  gab  die  Stadt  samt 
ihren  Einwohnern  dem  Untergange  preis  (Jos.  Antt.  XIII,  13,  3. 
Bell.  Jud.  I,  4,  2.  Vgl.  Antt.  XIII,  15,  4.  Stark,  S.  499  ff).  Als  Pom- 
peius  Syrien  eroberte,  erhielt  auch  Gaza,  soweit  von  dessen  Existenz 
damals  überhaupt  die  Rede  sein  kann,  die  Freiheit  (Antt.  XIV,  4, 4. 
Bell  Jud.  I,  7,  7).  Die  neuerbaute  Stadt  begann  daher  mit  der  Zeit 
des  Pompeius  (61  vor  Chr.)  eine  neue  Zeitrechnung 78.   Die  Wieder- 


leetion  ed.  by  Maodonald  vol.  III,  Glasgow  1905,  p.  282.  —  De  Saulcy  will 
diese  Münzen  in  die  römische  Kaiserzeit  setzen;  nach  Macdonald  (a.  a.  O. 
Anm.)  ist  dies  wegen  des  Stiles  unmöglich. 

76)  I  Makk.  11,  61-62.  Joseph.  Antt.  XIII,  5,  5.  Stark  8.  492.  —  Eine 
Eroberung  Gazas  hat  zur  Makkabfierzeit  nicht  stattgefunden.  Denn  an  der 
Stelle  I  Makk.  13,  43—48  ist  Gazara  zu  lesen. 

77)  Jos.  Antt.  XIII,  13,  3. 

78)  Über  die  Ära  von  Gaza  vgl.  überhaupt:  Noris,  Annus  et  epochae 
Syromaced.  V,  2 — 3  (ed.  lAps.  p.  476 — 602).  Dufour  de  Longuerue,  De  variis 
epoehis  et  omni  forma  veterum  orientahum,  Lips.  1760,  p.  142 — 167.  Eckhel, 
Doetr.  Num.  III,  148  464.  Musei  Sanelementiani  Numismata  seleeta  P. 
II,  1800,  lib.  m,  252—270,  lib.  IV,  141—161.  Ideler,  Handb.  der  Chronol. 
I,  474 f.  Stark,  Gaza  S.  613—515.  Schürer,  Der  Kalender  und  die  Ära 
von  Gaza  (Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie  1896,  S.  1065—1067).  Die 
Münzen  bei  Mionnet  V,  635—649.  Suppl.  Vm,  371—375.  De  Saulcy,  Nu- 
mismatique  de  la  Terre  Sainte  p.  209 — 233,  pl.  XI.  Catulogue  of  greek  eoins  in 
the  Hunterian  eolleetion  ed.  by  Macdonald  III,  282—284.  Wichtig  sind  die 
von  Germer-Durand  und  Clermont-Ganneau  in  neuerer  Zeit  ge- 
sammelten christlichen  Grabschriften,  über  welche  unten  Anm.  89  das  Nähere 
mitgeteilt  ist  —  Das  Chronieon  paschale  (ed.  Dindorfl,  352)  bemerkt  zu  Olymp. 
179,  4  —  61  vor  Chr.:  *Evx€v&ev  ra^aloi  xovq  iavtlbv  %Q^V0V<i  *Q&tiof}oiv. 
Hiernach  haben  Noris,  Longuerue  und  Eckhel  den  Beginn  der  Ära  in  d.  J. 
61  v.  Chr.  gesetzt.  Statt  dessen  glaubten  Bauelemente  und  nach  ihm  Ideler 
und  Stark  auf  Grund  einer  Münze  der  Plautilla,  der  Gemahlin  des  Caracalla, 
mit  der  Jahreszahl  264  das  J.  62  als  Anfangspunkt  erweisen  zu  können  Aber 
die  erwähnten  christlichen  Grabschriften  setzen  das  J.  61  als  Anfangspunkt 
außer  Zweifel ;  und  jene  Münze  steht  damit  nicht  im  Widerspruch,  da  sie 
unter  Voraussetzung  jener  Ära  in  d.  J.  203/204  n.  Chr.  fallt,  in  welchem  Jahre 

Schür  er,  Geschichte  II.  4.  Aufl.  8 


114  §  23.  Verfassung.    Synedrium.   Hohepriester.  [86.  87] 

erbauung  selbst  erfolgte  erst  unter  Gabinius  (Antt.  XIV,  5,  3).  Wahr- 
scheinlich ist  aber  damals  das  alte  Gaza  verlassen  and  die  neue 
Stadt  etwas  weiter  südlich  gegründet  wor|den79.  Im  Jahre  30 
vor  Chr.  kam  Gaza  unter  die  Herrschaft  Herodes'  des  Gr.  (Antt.  XV, 


Plautilla  noch  die  Gemahlin  des  Caracalla  war.    S.  Sitzungsber.  der  Berliner 
Akad.  1896,  S.  1072  f. 

79)  Ober  den  Unterschied  von  Alt-  und  Neu- Gaza  vgl.  bes.  Stark  S.  352  f. 
509—513.  —  Die  Stadt,  bei  welcher  im  J.  312  v.  Chr.  Ptolemäus  Lagi  über 
Demetrius  Poliorketes  siegte,  wird  von  Diodor  und  Porphyrius  ausdrücklich 
Alt-Gaza  genannt,  s.  Diodor.  XIX,  80  {x^v  nalaiäv  rä^av),  Porphyrius  in 
dem  Fragment  bei  Euseb.  Chiron,  ed.  Schoene  I,  col.  249—250  (nach  dem  Ar- 
menischen: veterem  Qaxam,  griech.  bei  Syncellus:  JIalalydt,av  oder  wie  Gut- 
schmid  liest,  naXaiydtyn*).  Auf  eben  dieses  Alt-Gaza  bezieht  sich  die  Notiz 
bei  Strabo,  daß  Gaza  von  Alexander  zerstört  worden  und  wüste  geblieben  sei, 
Strabo  XVI,  2,  30, p.  759:  xaxeonaofihri  rf'  imö  ^AXe%avdoov  xal  ptvovoa  Ipjy- 
fio$.  [Von  der  Bemerkung  der  Apostelgeschichte  Act.  8,  26:  avxrj  ioxlv  iorjfioq 
ist  dagegen  hier  abzusehen,  da  dort  avzrj  wahrscheinlicher  auf  döög  zu  be- 
ziehen ist.]  Strabo  ist  freilich  insofern  im  Irrtum,  als  er  von  der  Existenz 
Neu-Gazas  nichts  zu  wissen  scheint.  Seine  Bemerkung  beruht  eben  auf  der 
Angabe  eines  älteren  geographischen  Autors,  zu  dessen  Zeit  Neu-Gaza  noch 
nicht  existierte.  Die  Existenz  eines  Neu-Gaza,  das  etwas  südlicher  als  Alt- 
Gaza  lag,  wird  aber  namentlich  bezeugt  durch  ein  anonymes  geographisches 
Fragment  {Anoonaofiaxia  xiva  y€u>yoa<puca  ed.  Hudson  [im  Anhang  zu  seiner 
Ausg.  des  Dionysius  Perieget.,  Qeoyraphiae  vet.  scriptores  Qraeci  minores  T.  IV, 
Oxon.  1717]  p.  39:  /texä  xa  ^PivoxÖQOvoa  %  via  räQa  xeixai  nölig  oioa  xal  avtr}, 
el&*  ^  %Qrifioq  rä^a,  elxa  ^  ^AoxaXiov  nöXiq)  und  durch  Hieronymus  {Onomast.  ed. 
Klostermann  p.  63|:  antiquae  civitatis  locum  vix  fundamentoruvi  praebere  vestijia^ 
hone  autem  quae  nunc  cernitur,  in  alio  looo  pro  iüa^  quae]  corruit,  aedifica- 
tarn).  —  Steht  somit  die  lokale  Verschiedenheit  von  Alt-  und  Neu-Gaza  außer 
Frage,  so  wird  man  es  auch  mit  Stark  für  das  Wahrscheinlichste  halten  dürfen, 
daß  die  Gründung  Neu-Gazas  auf  Gabinius  zurückzuführen  ist.  Denn  eine 
völlige  Zerstörung  des  alten  Gaza  ist  nicht,  wie  Strabo  anzunehmen  scheint, 
bei  der  Eroberung  durch  Alexander  d.  Gr.,  wohl  aber  durch  Alexander  Jannäus 
erfolgt  —  Sowohl  Alt-  als  Neu-Gaza  lag  übrigens  zwanzig  Stadien  landein- 
wärts (s.  über  das  alte:  Arrian.  II,  26J;  über  das  neue:  Soxam.  hist.\eccl.  V,  3; 
irrig  Strabo  p.  759:  f sieben  Stadien,  Antoninus  Martyr  c.  33:  ein  mit.  pass.). 
Von  beiden  ist  daher  zu  unterscheiden  der  Hafen  von  Gaza,  der  wohl  für 
beide  derselbe  geblieben  ist,  ra^al&v  Xif*fy>,  Strabo  p.  759,  Ptolemaeus  V,  16,  2 
-=*Didotsche  Ausg.  (I,  2,  1901)  V,  15,  2.  Dieser  Hafenort  wurde  durch  Kon- 
stantin d.  Gr.  unter  dem  Namen  Kuyvoxavxeux  zur  Stadt  erhoben  {Euseb.  Vita 
Const.'IV,  38.  Sozomenus,  Rist  eccl.  II,  5),  verlor  aber  durch  Julian  wieder 
diesen  Namen  samt  den  Rechten  [einer  Stadt  und  hieß  seitdem  wieder  nur 
Matovfxäg  (=*  Hafenort) ,  s.  Soxom.  hist.  eccl.  V,  3.  Marci  Diaconi  Vita  Porphyrii 
c.  57  {ed.  Haupt,  Abhandl.  der  Berliner  Akad.  1874,  Teubnersche  Ausg.  Lips. 
1895).  Hieronymus  Vita  Hilarionis  c.  3  {opp.  ed.  Vaüarsi  II,  15).  Raajbe, 
Petrus  der  Iberer,  1895,  S.  50 — 59.  Antoninus  Martyr  c.  33.  Bei  and  p.  791  sq. 
Stark  S.  513.  Kuhn  II,  363.J  Guirin,  Judie  II,  219—221.  Thomsen,  Loca 
saneta  p.  86. 


[87.  88]  I.    Die  hellenistischen  Städte.    2.  Gaza.  115 

7,  3.  Bell.  Jud.  I,  20,  3).  Nach  dessen  Tode  wurde  es  wieder5  zur 
Provinz  Syrien  geschlagen  (Äntt.  XVII,  11,  4.  Bell.  Jud.  II,  6,  3). 
Hiermit  stimmt  oberem,  daß  die  Kaisermünzen  von  Gaza  erst  nacb 
dem  Tode  Herodes'  des  Gr.  beginnen.  Die  ältesten  bekannten  sind 
zwei  Münzen  des  Augustus  aus  den  Jahren  63  und  66  aer.  Gas.80. 
Zur  Zeit  des  Claudius  wird  Gaza  von  dem  Geographen  |  Mela  als 
bedeutende  Stadt  erwähnt81.  Im  Jahre  66  nach  Chr.  wurde  es 
von  den  aufständischen  Juden  überfallen  und  verwüstet  (Jos.  Bell. 
Jud.  II,  18,  1).  Es  kann  dies  aber  nur  eine  sehr  partielle  Ver- 
wüstung gewesen  sein.  Denn  eine  so  starke  Festung  konnte  un- 
möglich von  einem  Haufen  rebellischer  Juden  wirklich  zerstört 
werden.  Auch  bezeugen  Münzen  aus  den  Jahren  130,  132,  135 
aer.  Gax.  (=»  69  70,  71/72,  74/75  nach  Chr.)  die  fortdauernde  Blüte 
der  Stadt82.  Auf  einem  neuerdings  gefundenen  Bleigewicht  findet 
sich  die  Inschrift  L  6§q  ayoQavopovvToq  Aixalov  (Jahr  164  aer.  Qa%m 
=*  103/104  nach  Chr.)33.  Besondere  Gunstbe?eugungen  scheinen 
der  Stadt  durch  Hadrian  bei  dessen  Aufenthalt  in  Palästina  im 
Jahre  130  nach  Chr.  zuteil  geworden  zu  sein84.  Auf  einer  In- 
schrift aus  der  Zeit  des  Gordianus  (238—244  nach  Chr.)  heißt  sie 
leQa  xal  oiovXog  xai  amovoiioq*'*.  Später  muß  sie  römische  Kolonie 
geworden  sein86.    Eusebius  erwähnt  sie  als  jtoXiq  ijtlarjfiog91.   Und 


80)  Eckhel  III,  453  sq.    Mionnet  V,  536  sq.    De  Sauley  p.  213. 

81)  Mela  I,  11:  in  Palaestina  est  inr/ens  et  munita  admödwn  Gaza. 

82)  Mionnet  V,  537  sq.    Suppl.  VIII,  372.  De  Sauley  p.  214. 

83)  Mitgeteilt  von  ClermontrGanneau,  Palestine  Exploration  Funa\  Qitar- 
terly  Statement  1893,  p.  305  sq.  —  Archaeolojical  Besearches  in  Palestine  II,  399. 
—  Über  ein  ähnliches  Bleigewicht  s.  Clermont-Ganneau|,  Comptes  rendus  de 
VAoad.  'des  Inser.  et  Beiles- Lettres  1898,  p.  606—609  =-  Reeueä  oVarchtol 
Orientale  III,  82—86.  Es  trägt  die  Jahreszahl  86,  was  nach  der  Ära  von 
Gaza  —  25/26  n.  Chr.  sein  würde.  Nach  dem  Schriftcharakter  muß  es  aber 
jünger  sein. 

84)  Die  Münzen  aus  der  Zeit  Hadrians  haben  eine  neue  hadrianische 
Ära  neben  der  gewöhnlichen  städtischen.  Außerdem  erwähnt  das  Ohronieon 
paschale  {ed.  Dindorf  I,  474)  eine  itav^yvotq  'AÖQiavJ/,  die  seit  Hadrians  Zeit 
gefeiert  werde.    S.  überhaupt  Stark  S.  550. 

.85)  Oorp.  Inser.  Oraee.  n.  5892  =»  Kaibel,  Inser.  Gr.  Sicüiae  et  \Italiae 
n.  926  «  Caynat,  Inseriptiones  graeoae  ad  res  romanas  pertinentes  I  n.  387. 
Vgl.  Stark  S.  554  f.    Über  die  Titel  s.  oben  S.  105. 

86)  Le  Bas  et  Waddington,  Inseriptions  T.  III,  n.  1904  =»  Gagnat, 
Inser.  gr.  ad  res  roman.  pertinentes  III  n.  1212:  KoXiovlaq  rd^rjq.  Auf  rö- 
mische Munizipal -Verfassung  deutet  auch  die  Erwähnung  eines  Gaxtnsis 
Duumvir  bei  Hieronymus,  Vita  Hilarionis  0.  20  (Vaüarsi  II,  22).  Vgl.  Mar- 
quardt,  Rom.  Staatsverwaltung  1,429.  Ober  die  duoviri  überhaupt:  Liebe- 
nam  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  V,  1804 — 1841. 

87)  Euseb.  Onomast.  ed.  Klostermann  p.  62. 

8* 


116  §  23»  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [88] 

sie  ist  dies  auch  noch  geraume  Zeit  geblieben88.  Welch  selbstän- 
diges Leben  diese  großen  Städte  führten,  zeigt  sich  vielleicht  am 
schlagendsten  darin,  daß  Gaza  wie  Askalon,  Tyrus  und  Sidon  sogar 
einen  eigenen  Kalender  hatte89.    Die  griechische  Bildung  hat 


88)  Antoninus  Martyr  (um  570  n.  Chr.),  De  locis  sanctis  c,  33  (Ausgg. 
von  Gildemeister  1889,  und  von  Geyer  in:  Itinera  Hierosoh/mitana  1898): 
Gaxa  autem  eivüas  splendida  delioiosa,  komines  honestissimi  omni  liberalitoie 
decori,  amatores  peregrinorum.  Vgl.  zur  Geschichte  von  Gaza  außer  dem 
Hauptwerke  von  Stark  (1852)  auch:  Dräseke,  Der  Sieg  des  Christentums 
in  Gaza  (Zeitschr.  f.  kirchl.  Wissensch.  u.  kirchl.  Leben  1888,  S.  20—40). 
Pers.,  Gesammelte  patristische  Untersuchungen,  1889  (S.  208—247:  Marcus 
Diaconus).  —  Nutk,  De  Marci  Diaconi  vita  Porphyrii  episc.  Gaxensis  quae- 
stiones  historicae  ei  grammaticae.  Bonn.  Diss.  1897.  —  Seitz,  Die  Schule 
von  Gaza,  eine  litterargeschichÜ.  Untersuchung.  Heidelberg.  Diss.  1892.  — 
Povoooq,  Toelq  /YrgcrZbt.  Lips.  Diss.  1893.  —  Bardenhewer,  Patrologie 
(1894)  §  82. 

89)  S.  überhaupt:  Ideler,  Handbuch  der  Chronologie  I,  410 f.  434 f. 
438  f.  Schwartz,  Nachrichten  der  Göttinger  G eselisch,  der  Wissensch.,  phil.- 
hist.  Kl.  1906,  S.  342-345.  Über  Gaza  auch:  Noris  V,  2  (ed.  Lips.  p.  476*^.). 
Stark  S.  517 f.  Wertvolles  Material  über  den  Kalender  und  die  Ära 
von  Gaza  bieten  die  neuerdings  dort  gefundenen  christlichen  Grabschriften 
aus  dem  sechsten  Jahrh.  nach  Chr.  (mitgeteilt  von  Germer -Dur  and,  Revue 
bibliqus  I,  1892,  p.  239  sqq.  H,  1893,  p.  203  sqq.  m,  1894,  p.  248  sq.  und  mit 
ausführlichem  Kommentar  von  Clermont-Ganneaut  Archaeological  Re- 
searches  inPalestine  vol.  H,  1896,  p.  400—429).  Sie  bestätigen  durchaus  unsere 
bisherige  Kunde.  Nach  dem  in  einer  Leidener  und  einer  Florentiner  Hand- 
schrift erhaltenen  Hemerologium  (Ideler  I,  411,  Sitzungsber.  der  Berliner 
Akad.  1896,  S.  1066)  hatte  der  Kalender  von  Gaza,  verglichen  mit  dem  ju- 
lianischen, folgende  Form  (Ideler  I,  438): 

Monate  Gazas.           Anfang.  Dauer. 

Dios  28.  Oktober  30  Tage 

ApeUaios  27.  November  30  Tage 

Audynaios  27.  Dezember  30  Tage 

Peritios  26.  Januar  30  Tage 

Dystros  25.  Februar  30  Tage 

Xanthicos  27.  März  30  Tage 

Artemisios  26.  April  30  Tage 

Daisios  26.  Mai  30  Tage 

Panemos  25.  Junius  30  Tage 

Loos  25.  Julius  30  Tage 

Epagomenen  24.  August  5  Tage 

Gorpiaios  29.  August  30  Tage 

Hyperberetaio8  28.  September  30  Tage 

Diese  Angaben  finden  schon  durch  die  Vita  Porphyrii  des  Marcus  Dia- 
conus mehrfache  Bestätigung  (s.  Sitzungsberichte  jler  Berliner  Akademie  1896, 
S.  1067).  Weitere  Belege,  zugleich  auch  für  die  Ära  von  Gaza,  bieten  die  er- 
wähnten Grabschriften,  da  sie  neben  den  Jahren  und  Monaten  Gazas  auch 
das  entsprechende  Indiktionenjahr  angeben.  Vollständig  erhalten  sind  folgende 


[89]  I.  Die  hellenistischen  Städte.    2.  Gaza.  117 

übrigens  nicht  alle  Schichten  der  Bevölkerung  durchdrungen.   Noch 
um  400  nach  Chr.  sprach  das  niedere  Volk  syrisch  (s.  oben  S.  85). 


zehn  Daten,  denen  wir  das  entsprechende  christliche  Datum  sogleich  beifügen 
(die  vorangestellte  Seitenzahl  bezieht  sich  auf  Clermont-Ganneaus  Ausgabe): 

S.  401 :  22.  Hyperberetaios  .  Jahr  565,  ind.  13.  (19.  Oktober  505  nach  Chr.). 

S.  402:  22.  Loos      ....  Jahr  571,  ind.    4.  (15.  August  511  nach  Chr.). 

S.403:  ?     Xanthicos      .    .  Jahr  589,  ind.    7.  (?    April  529  nach  Chr.). 

S.  404:    8.  Daisios  ....  Jahr  599,  ind.    2.  (  2.  Juni  539  nach  Chr.). 

S.  407:  21.  Loos Jahr  601,  ind.    4.  (14.  August  541  nach  Chr.). 

8.408:    4.  Epagomene   .    .  Jahr  601,  ind.    4.  (27.  August  541  nach  Chr.). 

S.  408:    4.  Gorpiaios  .    .    .  Jahr  601,  ind.    5.  (  1.  September  541  nach  Chr.). 

S.  410:  11.  Daisios ....  Jahr  623,  ind.  11.  (  5.  Juni  563  nach  Chr.). 

8.411:    5.  Daisios.    .    .    .  Jahr  662,  ind.    5.  (30.  Mai  602  nach  Chr.). 

S.411:  22.  Hyperberetaios.  Jahr  669,  ind.  13.  (19.  Oktober  609  nach  Chr.). 

Hierzu  noch  Revue  biblique  1901,  p.  580  =  Clermont-Ganneau ,  Becueil 
V,  58: 

13.  Peritios     .    .    .  Jahr  647,  ind.    5.  (  7.  Februar      587  nach  Chr.). 

Daß  hier  die  Jahre  der  Stadt  Gaza  gemeint  sind,  ist  einmal  ausdrücklich 
gesagt,  S.  410:  iv  prj(vl)  Aaialov  ai  xoü  xazä  ra£{aiov<;)  yxx'  lv6  tu! \  Wenn 
wir  voraussetzen,  daß  die  Ära  Gazas  im  Herbst  61  vor  Chr.  beginnt,  so  er- 
geben sich  die  von  uns  berechneten  christlichen  Daten  (denn  es  ist  dann 
Jahr  1  Gazas  •=  61/60  vor  Chr.  =  693/694  a.  ü.  c,  Jahr  101  Gazas  =  40/41 
nach  Chr.  =•  793/794  a.  U.  c,  also  Jahr  601  Gazas  =  540/541  nach  Chr.  u.  s.  w.). 
Daß  diese  Voraussetzung  richtig  ist,  beweisen  die  beigefügten  Indiktionen- 
jahre.  Die  Indiktionen  beginnen  am  1.  September  312  n.  Chr.  Anfangsjahre 
neuer  Indiktionen-Zyklen  sind  also  die  Jahre  n.  Chr.  492,  507,  522,  537,  552, 
597  (immer  mit  dem  1.  September  beginnend).  Hiernach  stimmen  alle  obigen 
Daten  mit  Ausnahme  des  ersten ;  denn  am  19.  Oktober  505  n.  Chr.  lief  be- 
reits das  14  Indiktionenjahr.  In  diesem  Falle  muß  ein  Irrtum  vorliegen,  da 
alle  andern  Daten  stimmen.  Namentlich  ist  genau  beachtet,  daß  das  In- 
diktionenjahr am  1.  September  beginnt,  das  gazäische  Jahr  fast  zwei  Monate 
später.  Daher  haben  die  Grabschriften  vom  Jahr  601  aer.  Gax.  verschiedene 
Indiktionen,  die  in  den  August  fallenden  ind.  4,  die  vom  1.  September  aber 
ind.  5.  Daher  ist  ferner  vom  Jahr  662  bis  Jahr  669  aer.  Qa%.  ein  Intervall 
von  acht  Indiktionenjahren  (er9teres  =  ind.  5,  letzteres  «-■  ind.  13),  weil  die 
eine  Grabschrift  vom  Mai,  die  andere  vom  Oktober  datiert  ist.  Die  Grab- 
echriften  vom  Jahr  601  aer.  Gax.  bestätigen  auch,  daß  die  fünf  Ergänzungs- 
tage (Epagomenen)  vor  den  Gorpiaios,  also  nicht  an  den  Schluß  des  Jahres 
fallen,  wie  man  eigentlich  erwarten  sollte;  denn  das  Datum  4.  Epagomene 
601  ist  —  ind.  4,  dagegen  das  Datum  4.  Gorpiaios  601  =  ind.  5.  —  Schwierig- 
keiten machen  dagegen  einige  Grabschriften  mit  den  Jahreszahlen  33,  39,  88 
(Clermont-Ganneau  II,  411—413).  Bei  ihrer  Verwandtschaft  mit  den  anderen 
liegt  die  Vermutung  nahe,  daß  die  Ziffer  für  die  Hunderte  zu  ergänzen  ist 
Aber  weder  mit  500  noch  mit  600  stimmt  das  beigefügte  Indiktionenjahr, 
vorausgesetzt,  daß  es  sich  um  die  Ära  von  Gaza  handelt.  Da  eine  dieser 
(ebenfalls  in  Gaza  gefundenen)  Grabschriften  aus  Askalon  stammen  soll,  will 
Clermont-Ganneau  für  sie  die  Ära  von  Askalon  voraussetzen  (a.  a.  O.  II, 
425—428).    Er  muß  dabei  aber  das  Jahr  105  n.  Chr.  als  Ausgangspunkt  an- 


118  §  23.  Verfassung.    Synedrium.   Hohepriester.  [90.  91] 

3.  Anthedon,  'Av&riöwv,  am  Meere  gelegen,  nur  von  Plinius 
irrtümlich  als  Binnenstadt  angeführt 90,  nach  Sozomenus  nur  zwanzig 
Stadien  von  Gaza,  wahrscheinlich  in  nördlicher  (nordwestlicher) 
Richtung91.  Es  erweist  sich  schon  durch  seinen  Namen  als  |  eine 
Gründung  der  griechischen  Zeit  Erwähnt  wird  es  erst  zur  Zeit 
des  Alexander  Jannäus,  der  es  ungefähr  gleichzeitig  mit  Baphia 
eroberte  {Jos.  Antt.  XIII,  13,  3.  BelLJud.  I,  4,  2;  vgl.  Antt.XIU,  15,  4). 
Wie  alle  Küstenstädte  ist  es  ohne  Zweifel  durch  Pompeius  den 
Juden  wieder  abgenommen  worden.  Gabinius  baute  es  neu  auf 
(Antt.  XIV,  5,  3.  B.  J.  I,  8,  4).  Augustus  schenkte  es  dem  Herodes 
(Antt.  XV,  7,  3.  B.  J.  I,  20,  3),  der  es  abermals  restaurierte  und  zu 
Ehren  des  JA.  Agrippa  Agrippias  oder  Agrippeion  nannte 
(Antt.  XIII,  13,  3.  B.  J.  I,  4,  2.  21,  8).  Bei  der  Teilung  der  Erbschaft 
des  Herodes  wird  es  nicht  ausdrücklich  erwähnt  Es  ist  daher 
ungewiß,  ob  es  gleich  dem  benachbarten  Gaza  zur  Provinz  Syrien 
geschlagen  wurde  (so  Menke),  oder  wie  Jope  und  Cäsarea  an 
Archelaus  überging  (so  Stark  S.  542  f.).  Im  letzteren  Falle  würde 
es  die  Schicksale  des  übrigen  Judäa  geteilt  haben,  also  nach  Ar- 
chelaus' Absetzung  unter  römische  Prokuratoren  und  vom  Jahre 
41—44  nach  Chr.  an  König  Agrippa  gekommen  sein.  Für  letzteres 
würde  die  Existenz  einer  angeblichen  Münze  von  Anthedon  mit 


nehmen,  während  nach  allen  andern  Daten  das  Jahr  104  sicher  ist.  Schwarte 
(Nachrichten  der  Göttinger  Gesellseh.  der  Wissensch.  1906,  S.  366)  vermutet, 
daß  es  sich  um  eine  Ära  von  Majuma-Konstantia,  der  Hafenstadt  von  Gaza 
handle. 

90)  Plin.  Eist.  Not.  V,  13,  68:  intus  Anthedon.  —  Daß  es  aber  am  Meere 
lag,  ist  nach  dem  übereinstimmenden  Zeugnis  aller  anderen  Autoren  zweifellos. 
S.  Jos.  Antt.  XIII,  15,  4.  XVIII,  6,  3.  Bell.  Jud.  I,  21,  8.  Ptolem.  V,  16,  2 
=  Didotsche  Ausg.  (I,  2,  1901)  V,  15,  2.  Sleph.  Byx.  s.  r.  Soxomenus  Eist. 
EccLVy  9.  —  S.  überhaupt:  Beland,  Palaestina  p.  566—568.  Baumer,  Palä- 
stina S.  171  f.  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  I,  2360.  Gutrin,  Judle  II 
215 — 218.    Le  Quien,  Oriens  christianus  III,  631. 

91)  Soxom.  V,  9.  —  In  der  Regel  setzt  man  Anthedon  südlich  von  Gaza, 
nach  Jos.  Antt.  XIII,  15,  4.  Allein  die  Mehrzahl  der  Josephusstellen  spricht 
dafür,  daß  es  nördlich  von  Gaza  lag  (Antt.  XV,  7,  3.  Bell.  Jud.  I,  4,  2.  20,  3. 
II,  18,  1);  ebenso  Plinius  V,  13,  68.  Entscheidend  ist  die  Notiz  des  Theo- 
dosius,  daß  es  zwischen  Gaza  und  Askalon  gelegen  habe:  Theodosius, 
De  situ  terrae  sanctae  (ed.  Gildemeister  1882  §  18;  ed.  Geyer ',  Jtinera  Eieroso- 
lymitana  1898  p.  138):  inter  Ascalonam  et  Gaxam  cititaies  duas  id  est  Ante- 
dona  et  Maioma.  Mit  Recht  hat  daher  Gatt  (Zeitschr.  des  Deutschen  Palä- 
stina-Vereins VII,  1884,  S.  5—7)  die  Ruinenstätte  el-Blachije,  eine  Stunde 
nordwestlich  von  Gaza,  fBr  welche  ihm  von  einem  Eingeborenen  der  Name 
Teda  genannt  wurde,  mit  Anthedon  identifiziert.  Vgl.  auch  die  Bemerkungen 
von  Nöldeke  und  Gildemeister,  Zeitschr.  d.  DPV.  VII,  140—142. 


[91.  92]      I.  Die  hellenistischen  Städte.    3.  Anthedon.    4.   Askalon.  H9 

dem  Namen  Agrippas  sprechen,  wenn  deren  Lesung  sicher  wäre92. 
—  Beim  Beginn  des  jüdischen  Krieges!  wurde  Anthedon  von  den 
aufständischen  Juden  überfallen  und  teilweise  verwüstet  (Bell  Jud.  II, 
18,  1).  —  Der  Name  Agrippias  hat  sich  nie  eingebürgert;  schon 
Josephus  und  ebenso  alle  späteren  Autoren  nennen  es  wieder 
Anthedon 93.  Auch  auf  Münzen  ist  der  Name  Anthedon  herrschend 
und  das  Vorkommen  des  Namens  Agrippias  zweifelhaft94.  ) 

4.  Askalon,  'AoxaXcov,  hebräisch  jftptfÄ,  wie  Gaza  eine  be- 
deutende, auf  den  Amarna-Briefen95  und  im  Alten  Testament  wieder- 
holt erwähnte,  auch  dem  Herodot  schon  bekannte  Stadt  der  Phili- 
stäer96.    Das  heutige  Askalan  liegt  unmittelbar  am  Meere;  und 


92)  Die  Münze  bei  Mionnet,  Suppl.  VHI,  364.  Gegen  die  Richtigkeit 
der  von  Mionnet  mitgeteilten  Lesung  s.  Madden,  Coins  of  the  Jews  (1881) 
p.  134.  —  Imhoof-Blumer  (in  Sallets  Zeitschr.  für  Numismatik  XIII,  1885, 
8.  139  f.)  glaubt  auf  der  Münze  sicher  zu  lesen:  Ayoinna  Ayomn(ßwv).  Hier- 
nach könnte  die  Münze  doch  hierher  gehören.  Denn  es  würde  dabei  nicht, 
wie  Imhoof-Blumer  will,  an  Agrippa  II.  zu  denken  sein,  der  Anthedon  nicht 
besessen  hat,  sondern  an  Agrippa  I. 

93)  So  Plinius,  Ptolemäus,  Stepb.  Byz.,  Sozomenue  an  den  zitierten  Stellen; 
Hierocles,  Synecd.  p.  44;  die  Akten  der  Konzilien  bei  Le  Quien  a.  a.  O.  —  Die 
vereinzelte  Behauptung  des  Tzetzes  (bei  Reland  p.  567),  daß  das  frühere  An- 
thedon „jetzt"  Agrippias  heiße,  stützt  sich  nur  auf  Josephus. 

94)  Eckkel,  Doctr.  Num.  III,  443  sq.  Mionnet ,  Descript.  V,  522  sq.  Suppl 
VHI,  364.  De  Sauley,  Numismatique  de  la  Terre  Sainte  p.  234-236,  pl.  XII, 
n.  1 — 4.  —  Alle  drei  geben  freilich  auch  Münzen  mit  der  Legende  ^Ayqmnitov. 
Aber  diese  gehören  gar  nicht  Anthedon  an,  s.  Stark,  S.  515  f.  Imhoof- 
Blumer  (in  Sallets  Zeitschr.  f.  Num.  XIII,  140):  „Daß  die  autonomen 
Kupfermünzen  mit  der  einfachen  Aufschrift  Ayoinnewv  nicht  hierher,  sondern 
nach  Phanagoria  gehören,  ist  schon  wiederholt  gezeigt  worden."  Dagegen  ist 
nach  Imhoof-Blumer  vielleicht  auf  der  in  Anm.  92  erwähnten  Münze  Ayom- 
newv  zu  lesen. 

95)  Zeitschr.  des  DPV.  1907,  S.  11. 

96)  Herodot.  1, 105.  —  S.  überh.:  Reland,  Palaestina  p.  586-  596J  Win  er 
RWB.»  und  Pauly-Wissowa,  Real-Enz.  s.  v.  Rittejr,  Erdkunde  XVI,  70—89. 
Raumer,  Paläst  8.  173f.  Tobler,  Dritte  Wanderung  nach  Palästina  (1859) 
S.  32—44.  Sepp,  Jerusalem  (2.  Aufl.)  II,  599ff.  Quirin,  Judie  II,  135—149. 
153 — 171.  Guthe,  DieJ  Ruinen  JA  skalons,  mit  Plan^  (Zeitschr.  d.  deutschen 
Palästina- Verein s  II,  164  ff.).  The  Surrey  of  Western  Palestine,  Memoirs  by 
Conder  and  Kitchener  111,237—247  (mit  Plan),  dazu  Blatt  XIX  der  großen 
engl.  Karte.  Warren,  Quarter ly  Statement  1871,7abgedr.  in:  The  Survey  of 
Western  Palestine,  Jerusalem  (1884)  p.  440 — 447.  Hildesheime r,  Beiträge  zur 
Geographie  Palästinas  (1880)  S.  1 — 4,  72—75.  Le  Strange,  Palestine  under 
the  Moslems  (1890)  p.  4C0-4C3.  O.  A.  Smith,  Historical  Geography  of  the  Holy 
Land  p.  189—192.  Vigouroux,  Dictionnaire  de  la  Bible  1, 1060—1069.  Thom- 
son, Loca  saneta  p.  28.  —  Rabbinisches  Material  auch  bei  Büchler,  Der 
Patriarch  R.  Jehuda  I.  und  die  griechisch-römischen  Städte  Palästinas  (Jetdsh 
Quarlerly  Review  XIII,  1901,  p.  683—740). 


120  §  23.  Verfassung.    Synedrium.   Hohepriester.  [92.  93] 

so  erwähnt  auch  Ptolemäus  Askalon  als  Küstenstadt97.  Aber  die 
alte  Stadt  muß  landeinwärts  gelegen  haben,  da  noch  im  sechsten 
Jahrhundert  nach  Chr.  Asoalon  und  Majuma  Ascalonis  (Hafenort 
Askalons)  unterschieden  werden  ".  Vielleicht  bezeichnet  das  heutige 
eUMedjdel  die  Lage  der  alten  Stadt";  doch  bleibt  diese  Vermutung 
sehr  problematisch,  wenn  nicht  Ruinen  aus  griechisch-römischer 
Zeit  sich  daselbst  nachweisen  lassen.  —  In  der  persischen  Zeit 
gehörte  Askalon  den  Tyriern  10°.  Den  Eintritt  der  hellenistischen  | 
Zeit  bezeugen  die  in  Askalon  geprägten  Münzen  Alexanders  des 
Großen101.  Im  dritten  Jahrhundert  vor  Chr.  stand  es  wie  ganz 
Palästina  und  Phönizien  unter  der  Herrschaft  der  Ptolemäer,  hatte 
also  an  diese  jährliche  Abgaben  zu  entrichten102.  Mit  Antiochus  IIL 


97)  Ptolem.  V,  10,  2  =  Didotsche  Ausg.  (I,  2, 1901)  V,  15,  2. 

98)  Antoninus  Martyr  e.  33  (ed.  Gildemeister  1889,  ed.  Geyer,  Itinera 
Hierosol.  p.  180):  Asealona  .  .  .  civitas  Majoma  Asealonüis.  Im  J.  518  werden 
gleichzeitig  ein  Bischof  von  Askalon  und  ein  Bischof  von  Majuma  Ascalonis 
erwähnt,  s.  Le  Quien,  Oriens  Christ  HI,  602  sq.    Kuhn  II,  363. 

99)  So  Clermont-Ganneau  (Comptes  rendus  de  PAeadSmie  des  Insor. 
et  Belles-Lettres  1895  p.  380  sq.  und  bes.  fitudes  d'archeologie  Orientale  tome  II 
—  Bibliothkque  de  l'ecole  des  hautes  itudes  fasc.  113,  1897,  p.  2 — 9)  auf  Grund 
einer  Stelle  in  der  Lebensbeschreibung  Petrus1  des  Iberers  (herausg.  und 
übers,  von  Raabe  1895,  syr.  Text  S.  77,  deutsche  Obers.  S.  75).  Hier  wird 
ein  Ort  KKb*t&  oder  K&6&,  zehn  Stadien  von  Askalon  entfernt,  erwähnt.  Cl.-G. 
liest  dies  Peieia  „die  Taube"  und  identifiziert  es  mit  dem  heutigen  Hamämi, 
arabisch  =  „die  Taube".  Hiernach  würde  sich  als  Lage  des  alten  Askalon 
nicht  die  heutige  Stadt  dieses  Namens,  die  weit  mehr  als  10  Stadien  von 
Hamame  entfernt  liegt,  sondern  das  heutige  el  Medjdel  ergeben. 

100)  Scylax  in:  Geographi  graeei  minores  ed.  Müller  I,  79:  'Aoxäkwv  noliq 
Tvqio)v  xal  ßaoiXeia.  Movers  (Phönizier  II,  2,  177  f.)  will  diese  Notiz  nur 
auf  die  Hafen- Anlage  von  Askalon  (Majuma  Ascalonis)  beziehen,  die  er  als 
eine  Gründung  der  Tyrier  betrachtet  Diese  wird  aber  schwerlich  in  anderem 
Besitz  als  die  Stadt  selbst  gewesen  sein.  Es  ist  vielmehr  anzunehmen,  daß 
Askalon  in  der  persischen  Zeit  (auf  welche  sich  die  Angaben  des  Skylax  be- 
ziehen), unter  der  Herrschaft  der  Tyrier  stand,  wie  Jope  und  Dora  unter  der- 
jenigen der  Sidonier  (s.  unten  bei  Jope  und  Dora).  So  auch  Gutschmid, 
Kleine  Schriften  II,  1890,  S.  77.  Hol  seh  er,  Palästina  in  der  persischen  und 
hellenistischen  Zeit  (1903)  S.  15  f.,  welcher  annimmt,  daß  Askalon  den  Tyriern 
vom  Perserkönig  geschenkt  worden  sei. 

101)  L.  Müller,  Numismatique  df  Alexandre  le  Grand  (1855)  p.  308,  plandies 
n.  1472  sqq.  —  Die  bei  Mionnet  I,  522,  Suppl.  HI,  199  mitgeteilten  Münzen 
gehören  nach  Müller  p.  267  der  Stadt  Aspendos  in  Pamphylien. 

102)  Die  Erzählung  des  Josephus  Antt.  XII,  4,  5  setzt  dies  auch  noch 
für  die  Zeit  des  Ptolemäus  V.  voraus,  was  mit  den  historischen  Tatsachen 
nicht  vereinbar  ist  (s.  oben  S.  100).  —  Eine  in  Askalon  geprägte  Münze  des 
Ptolemäus  IV.  von  dessen  4.  Jahre  —  218  vor  Chr.  s.  bei  Sßoowvoq,  Tä 
vofxiofjLaxa  xof)  xodtovg  xCbv  IJzokeuaiwy  1904,  Tl.  II,  8.  192.  —  Wenn  es 
richtig  wäre,   daß  eine  in  Askalon  geprägte  Münze  Antiochus7  L  existierte 


[93]  I.  Die  hellenistischen  Städte.    4.  Askalon.  121 

beginnt  die  Herrschaft  der  Seleuciden,  welche  auch  durch  askalo- 
nische  Seleuciden-Münzen  von  Antiochus  III.  bis  IX.  bezeugt  ist l03. 
Gegenfiber  der  steigenden  Macht  der  Juden  wußte  sich  Askalon 
durch  kluges  Entgegenkommen  zu  schlitzen.  Zwar  zog  der  Makka- 
bäer  Jonathan  zweimal  gegen  die  Stadt  zu  Felde;  aber  beide  Male 
begnügte  er  sich  mit  einer  ehrerbietigen  Begrüßung  von  Seiten 
der  Stadtbewohner104.  Askalon  ist  auch  die  einzige  Küstenstadt, 
welche  von  Alexander  Jannäus  unbehelligt  blieb.  Im  Jahre  104 
vor  Chr.  wußte  es  sich  unabhängig  zu  machen  und  begann  von  da 
an  eine  eigene  Zeitrechnung,  deren  es  sich  noch  in  der  römischen 
Kaiserzeit  bediente 105.   Die  Bezeichnung  Askalons  als  avrovofiog 


(wie  Mionnet  V,  8  Nr.  59  angibt),  so  müßte  Askalon  zu  dessen  Zeit  unter 
syrischer  Herrschaft  gestanden  haben.  Vgl.  aber  dagegen:  Stark,  Gaza  S.  476. 
Droysen  III,  1,  274.  Dieselbe  Münze  wird  von  Babelon  (Gatalogue  des  tnon- 
naies  grecques  de  la  Bibliotheque  nationale,  Lee  rois  de  Syrie,  1890  p.  CLXXVIII 
u.  28)  dem  Antiochus  IL  zugeschrieben  (??). 

103)  Mionnet  beschreibt  askalonische  Münzen  Antiochus'  III.  u.  IV., 
Tryphos  u.  Antiochus'  VIII.  (Descript.  de  mtdailles  V  p.  25  Nr.  219,  p.  38,  p.  72 
Nr.  625,  p.  525;  Suppl.  VIII,  366).  Der  Katalog  des  britischen  Museums  gibt 
solche  von  Trypho,  Alexander  Zebinas,  Antiochus  VIII.  u.  IX.  (Gardner,  Gata- 
logue of  the  greek  coins,  Seleucid  kings,  1878,  p.  68.  69.  81.  88.  91);  der  Kata- 
log des  Pariser  Münz-Kabinets  solche  von  Antiochus  III.  u.  IV.,  Trypho  u. 
Antiochus  VIII.  (Babelon,  Gatalogue  des  monnaies  grecques  de  la  Bibliotheque 
nationale,  Les  rois  de  Syrie,  1890,  p.  50.  75.  83.  136.  137.  182),  Imhoof-Blumer 
eine  von  Alexander  Balas  (Zeitschr.  f.  Num.  XIII,  140 f.).  De  Sauley  eine 
von  Trypho  (Melanges  de  Numismatiqite  t.  II,  1877, p.  82 sq.).  —  S. übern.:  Stark, 
Gaza  S.  474—477. 

104)  I  Makk.  10,  86  u.  11,  60.   Stark,  Gaza  S.  490f.  492. 

105)  S.  über  die  Ära  vom  J.  104:  Ghron.  paschale  zu  Olymp.  169, 1  -=  104 
v.  Chr.  (ed.  Dindorf  I,  346):  *AoxaXo>vTtai  xobq  havvCbv  zgövovq  ivvev&ev  aoi&- 
fioVaiv.  —  Hieron.  Ghron.  ad  ann.  Abrah.  2295  (bei  Euseb.  Ghron.  ed.  Schoene  II, 
185):  Das  2.  Jahr  des  Probus  [1030  cn  J7.]  =  380  aer.  Ascal.  —  Noris,  Ännus 
et  epochae  V,  4, 1  (ed.  Lips.p.  503—515).  —  Eckhel,  Doctr.  Num.  HI,  444—447. 
— Musei Sanelementiani Numismata seleeta Pars  II  lib. IV, 99—114. — Ideler, 
Handb.  der  Chronol.  I,  473  f.  —  Stark,  Gaza  S.  475f.  —  Die  Münzen  bei: 
Mionnet,  Descr.  V,  523—533;  Suppl  VIII,  365—370;  De  Sauley,  Numis- 
matique  de  la  Terre  Sainte  p.  178—208,  406,  pL  IX— X;  Ders,  Mtlanges  de 
Numismatique  t.  II,  1877,  p.  148—152;  Gatalogue  of  greek  coins  in  the  Hun- 
terian  collection  ed.  by  Macdonald  III,  280  f.  —  Durch  eine  neuerdings  in  Ägypten 
gefundene  Papyrusurkunde  über  einen  Sklavenkauf  in  Askalon  (mitgeteilt 
von  Wilcken  im  Hermes  XIX,  1884,  S.  417— 431)  sind  die  bisher  bekannten 
Angaben  über  die  Ära  von  Askalon  in  willkommener  Weise  bestätigt  worden. 
Die  Urkunde  ist  datiert  nach  den  Konsuln  des  Jahres  359  nach  Chr.,  Fl. 
Eusebius  und  Fl.  Hypatius,  und  zwar  vom  12.  Oktober  dieses  Jahres;  zugleich 
tragt  sie  das  Datum  Ikovq  öevzigov  h^xoarov  zetoaxocioorov  fiijvdg  roomaiov 
6i.  Das  Jahr  462  der  Ära  von  Askalon  ist  in  der  Tat  =  358/359  n.  Chr.;  und 
der  Monat  Gorpiaios  ist  der  letzte  Monat  des  askalon i tischen  Jahres,  ungefähr 


122  §  23.  Verfassung.    Synedrium.   Hohepriester.  [94] 

kommt  bereits  auf  einer  Münze  aus  der  Zeit  des  Antiochus  VIII. 
Grypos  vor 106.  Die  Kömer  haben  seine  Unabhängigkeit  wenigstens 
formell  anerkannt ,07.  Außer  der  gewöhnlichen  Ära  vom  Jahre  104 
vor  Chr.  kommt  vereinzelt  noch  eine  andere  vom  Jahre  57  vor  Chr. 
vor,  welche  beweist,  daß  auch  Askalon  durch  Gabinius  begünstigt 
worden  ist108.  Einige  autonome  Münzen  von  Askalon  zeigen  außer  der 
Aufschrift  IsQag  äavXov  'AoxaXcwitdip  entweder  a)  den  Kopf  eines 
der  letzten  Ptolemäer  oder  b)  den  Kopf  des  Antonius  oder  c)  den  Kopf 
der  letzten' Kleopatra.  Sie  gehören  wahrscheinlich  alle  in  die  Zeit 
des  Cäsar  und  Antonius  (47—30  vor  Chr.)  und  sind  eine  Huldigung 
der  Stadt  für  die  damaligen  ägyptischen  Machthaber,  insonderheit 
für  die  Königin,  welche  durch  Antonius'  Gnade  zuletzt  die  phili- 
stäisch-phönizische  Küste  sogar  zum  Eigentum  erhielt  (s.  oben 
S.  102) 109.    Im  Besitze  des  Herodes  und  seiner  Nachkommen  ist 

dem  Oktober  entsprechend  (Genaueres  über  den  Kalender  von  Askalon  s.  bei 
Ideler,  Handbuch  der  Chronologie  I,  410 f.  438 f.  Mommsen  im  Hermes 
a.a.O.  S.420f.  Schwartz,  Nachrichten  der  Gott  Ges.  d.  Wiss.  1906,  S.  342—345). 
Der  Text  der  Urkunde  auch  in :  Ägyptische  Urkunden  aus  den  königl.  Museen 
zu  Berlin,  Griechische  Urkunden,  Bd.  I,  1895,  Nr.  316.  —  Angesichts  dieser 
urkundlichen  Bestätigung  aller  andern  Daten  ist  es  unmöglich,  das  J.  105 
v.  Chr.  als  Epochenjahr  anzunehmen,  wie  neuerdings  Clermont-Ganneau 
auf  Grund  sehr  unsicheren  Materiales  vorgeschlagen  hat.  Bei  den  drei  gazai- 
schen Grabschriften ,  auf  welche  er  seine  Annahme  stützt,  ist  es  ganz  uner- 
weislich, daß  sie  die  Ära  von  Askalon  voraussetzen  (s.  oben  Anm.  89  gegen 
Ende). 

106)  Babelon,  Catalogue  etc.  p.  182  n.  1403:  'AoxaXw ....  ahzo  . .  Henze, 
De  civitaiibiis  liberis  (Berol.  1892)  p.  10. 

107)  Plinius  Hist.  Nai.  V,  13,  68:  oppidum  Ascalo  liberum.  Henze,  De 
civitatibus  liberis  p.  14.  76  sq.  —  Im  Anfang  der  Kaiserzeit  (bis  um  die  Mitte 
des  zweiten  Jahrh.  n.  Chr.)  sind  in  Askalon  neben  den  Kaisermünzen  auch 
noch  autonome  Münzen  geprägt  worden,  letztere  jedoch  nur  von  kleinster? Art 
und  geringstem  Wert,  s.  de  Saulcxj  p.  187. 

108)  Auf  einer  Münze  des  Auguatus  findet  sich  das  Doppel-Datum  56  u. 
102.  Auf  einer  anderen  (bei  de  Satäcy  p.  189  Nr.  8):  55  u.  102.  Das  Jahr 
102  ist  nach  der  gewöhnlichen  Ära  von  Askalon  =  3/2  vor  Chr.  Wenn  aber 
dieses  nach  der  anderen  Ära  =  55/56  ist,  so  ist  das  Jahr  1  dieser  anderen 
Ära  =  57  vor  Chr.  (nicht  «=  58,  wie  man  bisher  auf  Grund  der  Münze  v.  J.  56 
annahm). 

109)  S.  über  diese  Münzen:  De  Saulcy,  Note  sur  quelques  motmaies  in6- 
dües  d'Ascalon  (Revue  Numismatique  1874,  p.  124 — 135).  Feu ar de n t,  Ebendas. 
p.  184—194.  Vgl.  Bursians  philol.  Jahresbericht  VII,  467 f;  Head,  Historie 
Numorum  p.  679  sq.  Forrer,  Revue  Beige  de  Numismatique  1900,  p.  25.  27. 
149  ff.  157  f.  Am  vollständigsten:  Sßopcovoq,  Tä  vofxlofjtata  xov  xQarovq  xwv 
ntoXeualwv  1904,  Tl.  II  S.  313  f.,  dazu  Tl.  III  pl.  LXIII,  9-14  jind  die  Einl. 
Tl.  I  S.  t>o<f  bis  vo&.  —  Svoronos  sucht  für  die  Münzen  eine  Ära  vom  J.  84 
vor  Chr.  zu  erweisen  und  ordnet  sie  hiernach  folgendermaßen: 


[94.  95]  I.  Die  hellenistischen  Städte.   4.  Askalon.  123 

Askalon  nie  gewesen;  wohl  aber  wurde  |  es  von  Herodes  mit  öffent- 
lichen Gebäuden  geschmückt  no[;  auch  scheint  Herodes  einen  Palast 
dort  besessen  zu  haben,  der  nach  seinem  Tode  in  den  Besitz  seiner 
Schwester  Salome  überging i  i  K  Der  Ausbruch  des  jüdischen  Krieges 
im  Jahre  66  nach  Chr.  war,  bei  der  alten  Feindschaft  zwischen 
Juden  und  Askaloniten,  für  beide  Teile  verhängnisvoll«  Zuerst 
wurde  Askalon  von  den  Juden  verwüstet112,  dann  töteten  die  As- 
kaloniten die  in  ihrer  Stadt  wohnenden  Juden,  2500  an  der  Zahl113; 
endlich  machten  die  Juden  abermals  einen  Angriff  auf  die  Stadt, 
der  freilich  von  der  dortigen  römischen  Besatzung  mit  Leichtigkeit 
abgeschlagen  wurde114.  Askalon  behielt  seine  Freiheit  auch  in 
der  späteren  Kaiserzeit,  was  aber  nicht  hinderte,  daß  dort  römische 
Aushebungen  stattfanden115;  im  vierten  Jahrhundert  war  es  römi- 
sche Kolonie116.    Es  blieb  noch  lange  eine  blühende  hellenistische 

Kopf  des  Ptolemäus  XIV.  Jahr  34    (AA)  —  51  vor  Chr. 


„    Ptolemäus  XV. 

tt 

41 

(MAY—  44 

»»           tt 

tt 

50 

(N)  -  35        „ 

„    Antonius 

tt 

50 

(N)  -  35       , 

der  Kleopatra 

tt 

52 

■ 

(NB)  —  33 

»           tt 

tt 

55 

(NE)  —  30       ,3 

Ob  die  erste  Münze  richtig  gedeutet  ist,  möchte  ich  bezweifeln,  da  Askalon 
damals  schwerlich  schon  Anlaß  zu  einer  solchen  Huldigung  für  den  unmündigen 
Bruder  der  Kleopatra  hatte. 

110)  Joseph,  Bell.  Jud.  I,  21,  11.  —  Über  zwei  zu  Askalon  aufgefundene 
Bildsäulen  der  Nike,  welche  ungefähr  aus  herodianischer  Zeit  herrühren  mögen, 
s.  Theod.  Rein  ach,  Revue  des  itudes  juives  t.  XVI,  1888,  p.  24 — 27. 

111)  Jos.  Antt.  XVII,  11,  5.  B.  J  II,  6,  3.  Vgl.  Stark  S.  542.  —  Üher 
die  Frage,  ob  Herodes  aus  Askalon  stammte,  s.  oben  §  12.  Auf  den  Einfluß 
des  Herodes  glaubt  de  Saulcy  den  Gebrauch  gewisser,  angeblich  jüdischer 
Symbole  (zweier  sich  kreuzender  Füllhörner  mit  einer  Zitrone  [?]  in  der  Mitte) 
auf  einigen  Münzen  von  Askalon  aus  der  Zeit  des  Augustus  zurückführen  zu 
müssen«  S.  dessen  Note  sur  quelques  monnaies  d'Ascalon  im  Annuaire  de  la 
Soetiti  Francaise  de  Numismatique  et  df  Archäologie  III,  253 — 258. 

112)  Jos.  B.  J.  II,  18,  1. 

113)  Jos.  B.  J.  II,  18,  5. 

114)  Jos.  B.  J.  in,  2,  1—2.  —  Über  die  Feindschaft  der  Askaloniten 
gegen  die  Juden  s.  auch  Philo  II,  576  ed.  Man$ey. 

115)  Eine  cohors  I  Ascalonitanorum,  wahrscheinlich  zur  Zeit  Trajans, 
Corp.  Inscr.  Lat.  III  n.  GCO  -=  Schriften  der  Balkankommission,  Antiquarische 
Abt.  in,  1904,  S.  IC 9.  —  2)  [Coh,  I  ?]  Ascalonitana,  zur  Zeit  wdes  Tiberius, 
Corp.  Inscr.  Lat.  IX  w.  3664.  —  3)  Coh.  I  Asealonit(anorum)  sag(ittariorum\ 
als  Bestandteil  des  syrischen  Heeres  auf  einem  Militärdiplom  vom  J.  157  n.  Chr. 
in  Bulgarien,  herausg.  von  Bormann,  Jabreshefte  des  österr.  archäol.  Instituts 
IH,  1900,  S.  21  f.  =  Corp.  Inscr.  Lat.  t.  III,  Suppl.  p.  2328,  71  (Dipl.  CX). 

116)  Papyrusurkunde  vom  J.  359  n.  Chr.  (Hermes  XIX,  1884,  S.  418  — 
Ägyptische  Urkunden  aus  den  kgl.  Museen  zu  Berlin,  Griechische  Urkunden 
Bd.  I  Nr.  316):  iv  xokwvla  *Aöx[dXann]  xy  morjj  xal  iXev&ioa. 


124  8  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.;  [95.  96] 

Stadt  mit  berühmten  Kulten  und  Festspielen 11T.  Eine  ganze  Anzahl 
in  der  griechischen  Literatur  berühmter  Männer  ist  aus  ihm  hervor- 
gegangen118. Trotz  seiner  hellenistischen  Kultur  scheinen  aber 
die  niederen  Schichten  der  Bevölkerung  syrischer  Nationalität  ge- 
wesen zu  sein119.  —  Über  die  Bedeutung  Askalons  |  als  Handels- 
stadt geben  die  Inschriften  mannigfache  Aufschlüsse.  Schon  seit 
dem  dritten  Jahrhundert  vor  Chr.  finden  wir  Kaufleute  aus  Askalon 
in  Athen120,  später  auch  in  Dolos121,  Rhodus122  und  Puteoii123. 

117)  Die  Spiele  werden  erwähnt  auf  der  Inschrift  Corp.  Inscr.  Graec.  n. 
4472  =  Le  Bas  et  Waddinqton,  Inscriptions  T.  III  n.  1839  (vgl.  oben  S.  48). 
—  Ammian.  Marcellin.  XIV,  8,  11  erwähnt  Cäsarea,  Eleutheropolis,  Neapolis, 
Askalon  und  Gaza  als  die  bedeutendsten  Städte  Palästinas. 

118)  Steph.  Byx.  s.  v.  zählt  vier  Philosophen,  zwei  Grammatiker  und  zwei 
Historiker  aus  Askalon  auf;  und  das  Verzeichnis  ist  noch  nicht  vollständig, 
8.  oben  S.  53.  —  Einen  Schauspieler  aus  Askalon  am  Hofe  Caligulas  erwähnt 
Philo,  Leqat.  ad  Cajum  §  30  Mang.  II,  576. 

119)  Auf  einer  Inschrift  in  Born  kommt  ein  Soldat  der  achten  Präto- 
rianer-Kohorte  aus  Askalon  mit  echt  semitischem  Namen  vor,  Corp.  Inscr. 
Oraee.  n.  6416  =  Kaibelf  Inscr.  Gr.  Siciliae  et  Italiae  n.  1661  —  Gaynat,  Inscr. 
graecae  ad  res  romanas  pertinentes  I  n.  266:  ^lapcovo  Aadfiov  Svqoq  'AoxaXco- 
vehijg  IlaXaiozeivy,  &6eX<pdg  'Avzcweivov,  ovoaTHJDTTjq  x^Q(xV^)  V  noiaLtwotriq). 
Der  Name  Jamur  auch  auf  einer  nabatäischen  Inschrift  (in  der  Form  in??*', 
De  Vogitä,  Syrie  centrale,  Inscr.  somit,  p.  160  =  Corp.  Inscr.  Semit.  P.  II  Aram. 
n.  195)  und  häufig  im  Arabischen.  Griech.  lä/taooq  auf  Inschriften  im  Hauran 
(Nouveües  archives  des  missions  scientifiques  X,  1902,  p.  685  sq.  n.  126.  131. 
132).  —  Gegen  die  von  Clermont-Ganneau  (Recueil  d'archeol.  Orient.  HI,  347  sq.) 
vorgeschlagene  Lesung  ^Iafxovoaq  "Aftov  s.  Lidzbarski,  Ephemeris  f.  semit. 
Kpigraphik  I,  216. 

120)  Ein  merkwürdiges  Grabdenkmal  eines  gewissen  Antipatros  aus 
Askalon,  wahrscheinlich  aus  dem  dritten  Jahrh.  vor  Chr.,  nach  Köhler  saeculo 
quarto  exeunte  vix  multo  recentior,  ist  in  Athen  im  J.  1861  gefunden  worden. 
S.  Corp.  Inscr.  Semit,  t.  I  n.  115  und  die  dort  angefahrte  Literatur  (worunter 
hervorzuheben:  Usener,  De  lliadis  carmine  quodam  Pkocaico,  Bonn  1875 
p.  33  sqq.).  Corp.  Inscr.  Attic.  H,  3  n.  2836  mit  Köhlers  Bemerkungen.  Wol- 
ters, Mitteilungen  des  archäol.  Instituts,  Athenische  Abt.  Bd.  XIII,  1888, 
S.  310—316.  Conze,  Die  attischen  Grabreliefs  Bd.  II,  1900  (Text)  S.  262, 
Bd.  II,  2,  1900  (Tafeln)  Tafel  CCLVHI.  Coobe,  Text-book  of  North-semitic  in- 
seriptions 1903,  n.  32.  Auf  dem  Denkmal  ist  in  Belief  der  Tote  auf  einem 
Bette  liegend  dargestellt,  zu  seinen  Häupten  ein  Löwe,  der  sich  auf  den  Toten 
stürzt,  zu  seinen  Füßen  eine  menschliche  Figur,  welche  einen  Schiffs-Schnabel 
als  Haupt  hat  (also  ein  personifiziertes  Schiff;  so  Köhler,  Wolters  und  Conze ; 
die  früheren  Erklärer  unterschieden  den  Mann  und  das  Schiff,  s.  die  Ab- 
bildung im  Corp.  Inscr.  Semit.  Atlas  tob.  XXHI  und  bes.  bei  Conze  a.  a.  O.). 
Unter  dem  Belief  sind  sechs  Verse  in  barbarischem  Griechisch,  welche  be* 
sagen,  daß  ein  Lowe  den  Verstorbenen  habe  zerreißen  wollen,  daß  aber 
Freunde,  welche  vom  heiligen  Schiffe  kamen,  den  Löwen  abgewehrt  und  den 
Toten  bestattet  hätten.  Usener  hält  den  Löwen  für  den  Dämon  der  Unter- 
welt, welcher  den  Toten  verschlungen  hätte,  wenn  er  nicht  nach   heimischer 


[96.  S7]  I.  Die  hellenistischen  Städte.    5.  Azotus.  125 

5.  Azotus,  *A£cotos,  oder  Asdod,  hebräisch  TH1Ö«,  ebenfalls 
wie  Gaza  und  Askalon  eine  alte  Philistäerstadt,  im  Alten  Testament 
häufig  erwähnt  und  dem  Herodot  schon  bekannt124.  Ptolemäus 
erwähnt  sie  |  als  Kästenstadt125,  Josephus  bald  als  Küsten-,  bald 
als  Binnenstadt 126.  Letzteres  ist  das  Genauere;  denn  sie  lag,  wie 
noch  das  heutige  Asdud,  mehr  als  eine  Stunde  landeinwärts,  wes- 
halb in  der  christlichen  Zeit  "AC,anog  jtaQaXioq  und  "At^mrog  fieoo- 
yuoq  unterschieden  werden127.  Das  „Gebiet"  von  Azotus  wird  in 
den  Makkabäerbüchern  mehrmals  erwähnt;  doch  lassen  sich  daraus 
keine  sicheren  Schlüsse  über  dessen  Ausdehnung  ziehen128.  Über 
die  Schicksale  von  Azotus  unter  den  Ptolemäern  und  Seleuciden 


Sitte  bestattet  worden  wäre.  —  Zwei  jüngere  Grabschriften  von  Askaloniten 
in  Athen  s.  Corp.  Inscr.  Attic.  III,  2  n.  2388.  2389.  —  Auf  einem  Verzeichnis 
von  Epheben  in  Athen,  wahrscheinlich  aus  dem  Anfang  des  ersten  Jahrh.  vor 
Chr.,  kommt  unter  den  Fremden  auch  ein  Ztfvwv  M6a%ov  'AoxaXa>vi(xtj<;)  vor, 
Corp.  Inscr.  Attic.  II,  1  n.  467  Im.  148. 

121)  Einem  'A<pooöioios  'AaxaXwvlTtjQ  wurde  durch  Volksbeschluß  der 
Delier,  also  zur  Zeit  der  Selbständigkeit  der  Insel,  vor  166  vor  Chr.,  die 
Proxenie  verliehen  {Bulletin  de  corr.  hell.  XXVm,  1904,  p.  282).  —  In  einem 
Verzeichnis  von  Epheben  in  De  los,  Ende  des  2.  Jahrh.  vor  Chr.,  kommt  auch 
ein  3AoxaX<av[kn<i]  vor  (Buüetin  de  corr.  hell.  XXIX,  1905,  p.  229).  —  Ein 
Philostratus  aus  Askalon,  der  sich  in  De  los  als  Bankier  niedergelassen 
hat,  Anfang  des  ersten  Jahrh.  vor  Chr.,  ist  durch  mehrere  Inschriften  bekannt, 
Bulletin  de  eorrespondcmce  heU&nique  VIII,  1884,  p.  128  sq.  133.  488  sq. 

122)  Inscr.  Graecae  Insularum  ed.  Hiller  de  Oaertringen  n.  118. 

123)  Corp.  Inscr.  Lat.  t.  X  n.  1746:  ff  er  ödes  Aphrodisi  f.  Ascalonit.  vixü 
atmü  XXXXII.  Locum  emü  ab  ordine  Baulanorum  Demetrim  Vilieua.  Über 
den  ordo  Baulanorum  s.  Mommsens  Erläuterungen  a.  a.  O. 

124)  Herodot.  II,  157.  —  8.  überh.:  Reland,  Palaestina  p.  606—609. 
Winer,  EWB.  s.  v.  Asdod.  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  n,  2645f..  Ritter, 
Erdkunde  XVI,  94—100.  Raumer,  Paläst,  S.  174.  Tobler,  Dritte  Wanderung 
8.  26—32.  Guirin,  Judee  II,  70—78.  Thomsen,  Loca  sa?icta  p.  17.  The 
Survey  of  Western  Palestine,  Memoirs  by  Gonder  and  Kitckener  II,  409  sq. 
421  sq.,  dazu  Blatt  XVI  der  großen  engl.  Karte.  —  Hinsichtlich  der  Namens- 
form ist  bemerkenswert  die  auf  einer  Grabschrift  in  Rhodus  vorkommende 
Form  U<r?(»T[is],  Inscr.  Graecae  Insularum  ed.  ffiüer  de  Gaertrmgen  n.  406. 

125)  Ptolem.  V,  16,  2  =  Didotsche  Ausg.  (I,  2,  1901)  V,  15,  2. 

126)  Als  Küstenstadt:  Antt.  XIII,  15,  4,  als  Binnenstadt:  Antt.  XIV,  4, 4. 
Bell.  Jud.  I,  7,  7.    Vgl.  Kuhn  II,  362.  364. 

127)  Hieroclis  Synecdemus  ed.  Parthey  (1866)  p.  43.  Auch  auf  der  Mosaik- 
karte von  Medaba  kommt  'A^anog  naoaXo.  neben  Aodco[ö  %  v%v  "A^onoc]  vor, 
s.  die  Ausg.  von  Schulten,  Abhandlungen  der  Göttinger  Ges.  der  Wissensch. 
phil.-hist.  KL  N.  F.  Bd.  IV,  Nr.  2,  1900,  S.  20,  21.  Palmer  und  Guthe,  Die 
Mosaikkarte  von  Madeba  1906,  Tafel  VHI. 

128)  I  Makk.  14,  34.  16,  10.  Vgl.  auch  Ps.-Aristeas  ed.  Wendland  §  117: 
xty  *Atpnlwv  xwoav. 


126  §  23.  JVerfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [97.  93J 

ist  nichts  Näheres  bekannt129.  Zar  Zeit  der  makkabäischen  Er- 
hebung konnte  sich  Azotns  der  jüdischen  Übermacht  gegenüber 
nicht  behaupten.  Schon  Judas  zerstörte  die  dortigen  Altäre  und 
Götterbilder  (I  Mahk.  5,  68).  Jonathan  aber  vernichtete  die  ganze 
Stadt  samt  ihrem  Dagon-Tempel  durch  Feuer  (I  Mahk.  10,  84.  11,  4). 
Zur  Zeit  des  Alexander  Jannäus  gehörte  die  [Stadt,  oder  deren 
Ruinen,  zum  jüdischen  G-ebiete  (Jos.  Antt.  XIII,  15,  4).  Pompeius 
trennte  sie  wieder  davon  ab  und  gab  ihr  die  Freiheit  (Antt.  XIV, 
4,  4.  Bell.  Jud.  I,  7,  7).  Aber  erat  durch  Gabinius  wurde  die  ver- 
fallene Stadt  wiederhergestellt  (Antt.  XIV,  5,  3.  B.  J.  I,  8,  4).  Im 
Jahre  30  vor  Chr.  ist  sie  vermutlich  samt  den  andern  Küstenstädten 
unter  die  Herrschaft  des  Herodes  gekommen,  von  welchem  sie  dann 
nach  dessen  Tod  an  seine  Schwester  Salome  überging  (Antt.  XVII, 
8,  1.  11,  5.  B.  J.  II,  6,  3).  Ob  sie  nach  deren  Tod  ebenso  wie 
Jamnia  der  Kaiserin  Livia  zufiel,  ist  nicht  ganz  sicher,  da  Azotus 
nicht  ausdrücklich  genannt  wird  (Antt.  XVIII,  2,  2.  B.  J.  jll,  9,  1). 
Vermutlich  hatte  die  Stadt  einen  starken  Bruchteil  jüdischer  Ein- 
wohner, weshalb  Vespasian  im  jüdischen  Kriege  sich  genötigt  sah, 
sie  militärisch  zu  besetzen  (B.  J.  IV,  3,  2).  Münzen  aus  römischer 
Zeit  scheinen  von  ihr  nicht  erhalten  zu  sein 130.  | 

6.  Jamnia,  'Iapveux,  im  Alten  Testament  Jabne,  HD3*  (II  Ghron. 
26,  6),  unter  welchem  Namen  es  auch  in  der  rabbinischen  Literatur 
häufig  vorkommt131.  Auch  Jamnia  wird  von  Josephus,  wie  Azotus, 
bald  als  Küsten-,  bald  als  Binnenstadt  bezeichnet132.    Es  lag  näm- 


129)  Zwei  vermeintliche  Münzen  von  Asdod  aus  der  Diadochenzeit  hat 
G.  Hoff  mann  in  Sallets  Zeitschr.  f.  Numismatik  Bd.  IX,  1882,  3.  96  f.  mit- 
geteilt. Er  glaubte  die  Aufschrift  als  hebräisch  mit  griechischer  Schrift  ge- 
schrieben erklären  zu  können«  Die  Lesung  hat  sich  aber  als  irrig  erwiesen; 
die  Münzen  gehören  nach  Kappadozien.  S.  Halevy,  Revue  eritique  1887  Nr.  32, 
S.  101  f.  und  die  von  Schwally  mitgeteilten  Bemerkungen  Nöldekes  in  der 
Zeitschr.  f.  wissenscb.  Theol.  1891,  S.  255. 

130)  Die  Münzen  mit  der  Legende  Toxi?  U<ra>Wa>v,  welche  ältere  Numis- 
matiker auf  unsere  Stadt  bezogen  haben  (Eokhel  III,  448;  Mionnet  V,  534, 
Suppl.  VIII,  370),  werden  ihr  von  de  Saulcy  (Numism.  p.  282  sq.)  mit  fRecht 
abgesprochen,  schon  wegen  des  a  statt  £  [auch  bei  Pseudo-Aristeas  ed.  Wend- 
land §  117  ist  statt  *A<j(üTt(ov  gcbpav  mit  Mor.  Schmidt  in  Merx'  Archiv  I,  275,  6 
und  Wendland  zu  lesen  !4£ct>r/a>v  x&Qav\ 

131)  Mischna  ScheJealim  I,  4.  Rosth  haschana  II,  8—9.  IV,  1—2.  Kethu* 
both  IV,  6.  Sanhedrin  XI,  4.  Edujoth  II,  4.  Aboth  IV,  4.  Bechoroth  IV,  |5. 
VI,  8.|  Kelim  V,  4.  Para  VTI,  6.  —  Die  Stellen  der  Tosephta  s.  im  Index  zu 
Zuckermandels  Ausgabe  (1882).  —  Neubauer,  La  Qiographie  du  Talmud, 
1868,  p.  73 — 76.  —  Über  die  heutige  Namens  form  s.  Kampffmeyer,  Zeitschr. 
des  DPV.  XVI,  S.  40  f. 

132)  Küstenstadt:  Antt.  XIII,  15,  4.  Binnenstadt:  Antt.  XIV,  4,  4  Bell. 
Jud.  I,  7,  7.    Vgl.  Kuhn  II,  362f. 


[98.  99J  I.  Die  hellenistischen  Städte.   6.  Jamnia.  127 

lieh  beträchtlich  landeinwärts,  hatte  aber  einen  Hafen.  Beide 
werden  von  Plinius  und  Ptolemäus  richtig  unterschieden138.  Daß 
Jamnia  ein  eigenes  Gebiet  hatte,  ist  ausdrücklich  bezeugt134.  Es 
soll  nach  Strabo  einst  so  dicht  bevölkert  gewesen  sein,  daß'Jamnia 
und  Umgegend  40000  kriegstüchtige  Männer  stellen  konnte 136.  Zur 
Makkabäerzeit  wurde  Jamnia  —  wie  wenigstens  das  zweite  Makka- 
bäerbuch  erzählt  —  von  Judas  überfallen,  und  sein  Hafen  samt 
der  Flotte  in  Brand  gesteckt 136.  Die  Stadt  selbst  ist  jedoch  weder 
damals,  noch,  wie  Josephus  behauptet,  unter  Simon  in  den  Besitz 
der  Juden  gelangt 137.  Erst  unter  Alexander  Jannäus  gehörte  auch 
sie  zum  jüdischen  Gebiete  (Antt.  XIII,  15,  4).  Pompeius  trennte 
sie  wieder  davon  ab  (Antt.  XIV,  4,  4.  B.  J.  I,  7,  7).  Gabinius  stellte 
sie  neu  her  (Ä  /.  I,  8,  4).  Wie  Azotus,  so  muß  auch  Jamnia  im 
Besitz  des  Herodes  gewesen  sein,  da  es  von  ihm  seiner  Schwester 
Salome  vermacht  wurde  {Antt.  XVII,  8, 1.  11,  5.  B.  J.  IL  6,  3).  Von 
dieser  erhielt  es  die  Kaiserin  Livia  (Antt.  XVIIi,  2,  2.  B.  J.  II,  9, 1);  | 
und  nach  deren  Tod  scheint  es  Privatbesitz  des  Tiberius  geworden 
zu  sein  (Antt.  XVIII,  6,  3;  s.  oben  S.  103).  Die  Bevölkerung  war 
damals  eine  aus  Juden  und  Heiden  gemischte,  aber  mit  Überwiegen 
des  jüdischen  Bruchteils138.  Daraus  erklärt  sich,  daß  Vespasian 
sich  zweimal  genötigt  sah,  die  Stadt  zu  besetzen 139,  und  daß  Jamnia 


133)  Plinius  H.  N.  V,  13,  68:  Jamneae  duae\  altera  intus.  —  Ptolem.  V, 
16,  2  —  Didotsche  Ausg.  (I,  2,  1901)  V,  15,  2:  "Iapvirlbv  kip^y,  V,  16,  6  « 
Didot  V,  15,  5:  'Iäpvuz.  —  S.  überh.:  Ret  and  p.  823  sq.  Winer  RWB.  s.  v. 
Jabne.  Pauly,  Real-Enz.  IV,  17.  Raumer  S.  2Q3f.  Ritter  XVI,  125f. 
Tob ler,  Dritte  Wanderang  S.  20—25.  Gußrin,  Judee  TL,  53—65.  The  Survey 
of  Western  Palestinef  Memoirs  by  Oonder  and  \Kitchener  II,  414.  441  -113, 
dazu  Blatt  XVI  der  großen  engl.  Karte.  Le  Strange,  Pakstine  under  the 
Moslems  p.  553.  Clermont-  Ganneau,  Arehaeplogical  Researches  in  Pakstine 
vol.  II,  1896,  p.  167—184.  Legendre,  Art.  Jamnia,  in:  Vigouroux,  Dictionnaire 
de  la  Bible  III,  1903,  p.  1115—1119.  Thomsen,  Loca  saneta  p.  70. 

134)  Jos.  Bell.  Jud.  III,  3,  5:  'ldpveia  xal^Iönrj  x&v  neoiolxtov  &<priyovvxai. 

135)  Strabo  XVI  p.  759.  —  Strabo  nennt  hier  freilich  Jamnia  irrtümlich 
eine  xu>(xt}. 

136)  II  Makk.  12,  8f.  40.    Vgl.  Stark,  Gaza  S.  487. 

137)  Jos.  Antt.  XIII,  6,  6.   B.  J.  I,  2,  2.    S.  dagegen  I  Makk.  10,  69. 15, 40. 

138)  Philo,  Lef/at.  ad.  Cajum  §  30  (Mang.  II,  575):  xavtr^y  (xiyadeq  olxovoiv 
ol  nXelovq  (xh>  'Iovdaloi,  fheooi  SS  ttveg  &XX6(pvXoi  7ta06io<p9a0ivzeQ  and  twv 
tiXtjoioxwqcdv,  ol  xol<;  XQÖnov  xivä  ab&iyevioiv  Svxeq  pixoixoi,  xaxa  xal  Ttody- 
flava  naoizovoiVj  aet  xi  naoaXvovxeg  xCbv  naxoicov  'Ioväaioiq.  —  Indem  hier 
Philo  den  Juden  in  Jamnia  die  Rolle  von  [Eingeborenen,  den  Heiden  die  von 
Metöken  zuweist,  kehrt  er  freilich  den  richtigen  Sachverhalt  um.  Denn  noch 
zur  Makkabäerzeit  war  Jamnia  eine  vorwiegend  heidnische  Stadt.  Und  erst 
später  hat  das  jüdische  Element  dort  zugenommen. 

139)  Jos.  Bell.  Jud.  IV,  3,  2.  8,  1. 


128  §  23.  Verfassung.    Synedrium.   Hohepriester.  [99] 

bald  darauf,  nach  der  Zerstörung  Jerusalems,  ein  Hauptsitz  der 
jüdischen  Gelehrsamkeit  wurde. 

7.  Jope,  'iojti?  oder  yl6jtJtijiA0,  hebräisch  ifc?1*1,  das  heutige 
Jafa,  kommt  schon  in  den  Amarna-Briefen  in  der  Form  Japu  vor142. 
Die  besondere  Bedeutung  Jopes  liegt  darin,  daß  es  der  relativ  beste 
Hafen  an  der  palästinensischen  Küste  war143.    Es  war  daher  | 


140)  Die  Orthographie  schwankt.  In  den  Texten  der  griechischen  und 
römischen  Autoren  pflegen  die  Herausgeber  die  Form  'Iöny  vorzuziehen,  die 
von  den  griechischen  Grammatikern  gefordert  wird  (s.  Movers,  Phönizier  II, 
2,  176,  Anm.  73.  Mendelssohn  in  Bitschis  Acta  sooiet.  philol.  Lips.  T.  V, 
p.  104)  und  durch  den  Gebrauch  der  Dichter  bezeugt  ist  {Alexander  Ephesius 
bei  Steph.  Byx.  ed.  Meineke  p.  255:  Jtboöq  r5  äyxiaXdq  r'  ^dnrj  nqov%ovoa 
S-aXaoorji;,  ebenso  Dionys.  Perieg.  bei  Müller,    Oeogr.  gr.  min.   II,   160:    olxy 

Iönrjv  xal  ra%av  'EXatöa  x*  iwalovoi).  Die  Bibelhandschriften  dagegen  bieten, 
wie  es  scheint,  durchgängig  ^Idnnrj,  und  zwar  im  A.  u.  N.  T.  (1.  Makkabäer- 
buch  und  Apostelgeschichte).  Auch  die  Josephus-Handschriften  haben  fast 
konstant  'Idnnri  (s.  Nieses  Ausg.).  Die  wenigen  erhaltenen  Münzen  geben 
teils  jene  teils  diese  Form.  Auf  Inschriften  kommt  vor  yI6nntj  (Ciermont- 
Ganneau,  Revue  critique  1885  Nr.  27  8.  15.  Ders.,  Recuetl  cTarcheologie  Orien- 
tale t.  I,  1888,  p.  99  =  Quarterly  Statement  1900,  p.  110  [Faksimile]  =  Ditten- 
berger \  Orientis  graeci  itiscr.  sei.  n.  602)  und  yIo7Üx[tiQ]  Corp.  Inscr.  Attic.  III, 
2  n.  2498.  —  Griech.  'löny  verhält  sich  zu  toj  wie  "Axn  zu  to?.  Doch  könnte 
es  auch  auf  die  Form  ^  (mit  Jod  am  Schluß)  zurückgehen,  wie  der  Name 
auf  der  Inschrift  Eschmunazars  lautet.  S.  dazu  Schlottmann,  Die  Inschrift 
Eschmunazars  (1868)  S.  150  ff. 

141)  Josua  19,  46.  Jona  1,  3.  II  Chron.  2,  15.  Esra  3,  7.  —  Mischna  Ne- 
darim  HI,  6.  Tosephta  Demai  I,  11  (ed.  Zuckermandel  p.  46,  1).  Joma  IT,  4 
(p.  183,  24).  —  Neubauer,  La  Geographie  du  Talmud  p.  81  sq.  —  Über  die 
heutige  Namensform  s.  Kampffmeyer,  Zeitschr.  des  DPV.  XVI,  43. 

142)  Zeitschr.  des  DPV.  1907,  S.  32. 

143)  Josephus  B.  J.  III,  9,  3  beschreibt  freilich  den  Hafen  als  gefährlich, 
wie  er  es  noch  heutzutage  ist.  Er  muß  aber  doch  der  relativ  beste  gewesen 
sein.  Nach  Diodor.  I,  31  gab  es  von  Farätonium  in  Libyen  bis  Jope  in 
Cölesyrien  nur  einen  sicheren  Hafen  (ä,o<paXfj  Xipha),  nämlich  den  Phams 
von  Alexandria.  Auch  Strabo  XVI  p.  759  hebt  die  Bedeutung  Jopes  als  Hafen- 
platz für  Judäa  richtig  hervor.  S.  über  dieselbe  bes.  auch  I  Makk.  14,  5.  — 
Vgl.  überh.:  Reland  p.  864— 867.  Win|er  RWB.  Pauly  Real-Enz.,  Schenkel 
Bibellex.  s.  v.  Ritter  XVI,  574—580.  Raumer  S.  204f.  Tobler,  Topo- 
graphie von  Jerusalem  II,  576 — 637.  Sepp,  Jerusalem  (2.  Aufl.)  I,  1—22 
Quer  in,  Judie  I,  1—22.  Bädeker-Socin,  Palästina  (3.  Aufl.)  S.  9  ff.  mit 
Plan.  Schwarz,  Jafa  und  Umgebung,  mit  Plan  (Zeitschr.  d.  deutschen  PaL- 
Ver.  IH,  44 ff).  The  Survey  of  Western  Palestine,  Memoire  by  Conder  and 
Kitchener  U,  254—258.  275—278,  dazu  Blatt  XTII  der  großen  engl.  Karte. 
Le  Strange,  Palestine  under  the  Moslems  p.  550  sq.  Schlatter,  Joppe  in 
seiner  jüdischen  Zeit  (Zur  Topographie  und  Geschichte  Palästinas,  1893, 
S.  1—28,  321—324;  dazu  Theol.  Litztg.  1893,  321  ff.).  Heidet,  Art.  Joppe  in: 
Vigouroux,  Diciionnaire  de  la  Bible  HI,  1903,  p.  1631—1640.  Thomsen,!**» 
sancta  p.  73. 


[100]  I.  Die  hellenistischen  Städte.    7.  Jope.  129 

fast  zu  allen  Zeiten  der  Hauptlandungsplatz  auch  für  den  Verkehr 
mit  dem  Innern  Judäas,  und  sein  Besitz  namentlich  bei  der  größeren 
Entwicklung  des  Handels  und  Verkehrs  in  der  späteren  Zeit  für 
die  Juden  fast  eine  Lebensfrage.  —  In  der  persischen  Zeit,  und 
zwar  zur  Zeit  des  sidonischen  Königs  Eschmunazar,  wurde  Jope 
von  dem  „Herrn  der  Könige*4,  d.  h.  dem  persischen  Großkönig,  den 
Sidoniern  verliehen144.  Den  Griechen  war  es  namentlich  bekannt 
als  Sitz  des  Mythus  von  Perseus  und  Andromeda  und  wird  als 
solcher  schon  vor  der  Zeit  Alexanders  des  Großen  bei  Skylax  er- 
wähnt (s.  oben  S.  32).  In  der  Diadochenzeit  scheint  es  ein  bedeu- 
tender Waffenplatz  gewesen  zu  sein.  Als  Antigonus  im  Jahre  315 
dem  Ptolemäus  Lagi  Cöiesyrien  entriß,  mußte  er  u.  a.  auch  Jope 
mit  Gewalt  nehmen145.  Und  als  drei  Jahre  später  (312  vor  Chr.) 
Ptolemäus  Lagi  das  wiedereroberte  Gebiet  gegen  Antigonus  nicht 
glaubte  halten  zu  können,  ließ  er  beim  Rückzug  auch  Jope  als 
eine  der  wichtigeren  Festungen  schleifen146.    Von  Ptolemäus  IL 


144)  8.  die  Inschrift  Eschmunazars,  Text  am  besten  im  Corpus  Inscr. 
Semit,  t.  I  p.  9—20,  lin.  18—20,  und  dazu  Schlottmann  a.  a.  O.  S.  83. 147 ff. 
Georg  Hoffmann,  Über  einige  phönikische  Inschriften  (Abh.  der  Göttinger 
Gesellsch.  d.  Wissensch.  Bd.  36,  1889—1890)  S.  30— 56.  Landau,  Beiträge  zur 
Altertumskunde  des  Orients  II,  1899  n.  5  (Text  mit  deutscher  Übersetzung). 
Cooke,  Text-book  of  North-semitic  inscriptions  1903  n.  5  (Text  mit  engl.  Übers.). 
G.  Hoffmann  übersetzt  lin.  18—20:  „Es  gab  uns  der  Herr  der  Könige  Dor 
nnd  Jope  die  herrlichen  Getreidelande,  welche  im  Gefilde  von  Saron  liegen, 
um  eines  großen  Tributes  willen,  den  ich  geleistet  habe;  und  wir  fügten  sie 
dem  Gebiete  des  Landes  hinzu,  den  Sidoniern  ewig  anzugehören".  —  Über 
die  Zeit  der  Inschrift  gehen  die  Ansichten  sehr  auseinander.  Die  Gründe  für 
die  ältere  Ansicht  (um  400  vor  Chr.)  s.  bei  Gutschmid,  Kleine  Schriften  I, 
311  f.  II,  74  f.  Einige  Gelehrte  wollen  sie  in  die  Ptolemäerzeit  herabrücken 
(so  Clermont-Ganneau,  Revue  archiol.  trois.  Serie  t.  V,  1885,  p.  383  sq.  Six, 
Numismatic  Chronicle  1886,  p.  101  sqq.  Babelon,  Bulletin  de  eorresp.  hellet 
nique  XV,  1891,  p.  293  sqq.).  Der  Grund  dafür  ist  der,  daß  der  Großkönig 
„Herr  der  Könige"  genannt  wird,  was  Titel  der  Ptolemäer  sei,  nicht  „König 
der  Könige",  wie  die  Perserkönige  sich  zu  nennen  pflegten.  Andererseits  er- 
heben sich  neuerdings  Stimmen  dafür,  daß  die  Inschrift  noch  über  das  4.  Jahrh. 
hinaufzurücken  sei,  s.  Rouvier,  Les  rois  ph&niciens  de  Sidon  etc.  (Revue 
Numism.  1902)  p.  460  sq.  [6.  Jahrh.  vor  Chr.].  Dussaud,  La  Chronologie  des 
rois  de  Sidon  (Revue  archiol.  quatr.  Serie  t.  V,  1905,  p.  1—23)  [5.  Jahrh.  vor 
Chr.;  gute  Übersicht  über  den  Stand  der  Frage].  Entscheidend  für  die  An- 
Setzung  in  persischer  Zeit  ist  wohl,  daß  Dora,  welches  nach  der  Inschrift  dem 
Eschmunazar  vom  Großkönig  geschenkt  wurde,  zur  Zeit  des  Skylax,  d.  h.  gegen 
Ende  der  persischen  Zeit,  bereits  den  Sidoniern  gehörte,  s.  unten  Nr.  10. 

145)  Diodor.  XIX,  59.  Vgl.  Droysen,  Hellenismus  H,  2,  11.  Stark, 
Gaza  S.  350.  Niese,  Gesch.  der  griechischen  und  makedonischen  Staaten  I,  275 f. 

146)  Diodor.   XIX,   93.      Vgl.    Droysen   H,   2,  54.     Stark   S.  355 f. 

Niese  I,  300. 

Schür  er,  Geschichte  II.  4.  Aufl.  9 


130  §  23.  Verfassung.    Synedrium.   Hohepriester.  [100.  101] 

und  III.  gibt  es  nicht  wenige  Münzen,  die  in  Jope  geprägt  sind. 
Die  datierten  Münzen  des  Ptolemäus  II.  mit  dem  Monogramm  von 
Jope  gehen  von  dessen  23.  bis  zu  seinem  39.  Regierungsjahre 
(263—247  vor  Chr.);  die  des  Ptolemäus  III.  von  dessen  2.  bis  6.  Jahre 
(245—241  vor  Chr.)147.  In  |  der  Makkabäerzeit  waren  die  Bestre- 
bungen der  Juden  vor  allem  auch  auf  den  Besitz  dieses  wichtigen 
Platzes  gerichtet.  Zwar  Judas  der  Makkabäer  hat  nur  —  wenn 
der  Bericht  überhaupt  Glauben  verdient  —  bei  einem  nächtlichen 
Überfall  den  Hafen  und  die  Flotte  von  Jope  durch  Feuer  zerstört 
(II  Makk  12,  3—7).  Auch  Jonathan  hat  die  Stadt  zunächst  im 
Jahre  147  oder  146  vor  Chr.  noch  nicht  dauernd  erobert,  sondern 
nur  als  Verbündeter  des  Alexander  Balas  die  Besatzung  des  De- 
metrius  IL  daraus  vertrieben  (I  Makk  10,  75—76).  Aber  einige 
Jahre  später,  als  Jonathan  im  Bündnis  mit  Trypho  gegen  Deme- 
trius  II.  kämpfte  und  die  Einwohner  Miene  machten,  eine  Besatzung 
des  Demetrius  bei  sich  aufzunehmen,  legte  Simon,  der  Bruder 
Jonathans,  eine  jüdische  Besatzung  hinein  (I  Makk.  12,  33—34)  und 
zwang  bald  darauf  die  bisherigen  heidnischen  Einwohner,  die  Stadt 
zu  verlassen  (LMakk  13,  11:  kgtßale  rovg  ovxaq  iv  avzy)us.  Von 
da  an  datiert  also  die  Judaisierung  der  Stadt  und  ihre  Besitz- 
ergreifung durch  die  Juden,  die  nun  mit  geringer  Unterbrechung 
bis  zur  Zeit  des  Pompeius  im  Besitze  Jopes  blieben.  Simon  baute 
den  Hafen  besser  aus  und  befestigte  die  Stadt  (I  Makk  14,  5.  34). 
Als  der  tatkräftige  Antiochus  VII.  Sidetes  die  Macht  der  Juden 
wieder  einzuschränken  trachtete,  bildete  der  Besitz  Jopes  einen 
Hauptstreitpunkt.  Noch  während  Antiochus  mit  Trypho  kämpfte, 
forderte  er  von  Simon  die  Herausgabe  Jopes  (I  Makk  15,  28—30) 
oder  Zahlung  einer  großen  Abfindungssumme  (15,  31).  Dieser  er- 
klärte sich  jedoch  nur  zur  Zahlung  einer  erheblich  kleineren  Summe 
dafür  bereit  (I  Makk  15,  35).  Da  einige  Jahre  später,  im  Anfange 
der  Regierung  Johannes  Hyrkans,  ganz  Palästina  von  Antiochus 
erobert  und  sogar  Jerusalem  belagert  wurde,  so  ist  wahrscheinlich 


147)  Catalogue  of  the  f/reek  coins  in  the  British  Museum,  Ptolemies  Kings 
of  Egypt  (1883)  p.  32,  34,  35,  42,  49,  54.  Feuardent,  Numismalique,  £gypte 
ancienne,  P.  I:  Monnaies  des  rois,  Paris  s.  a.  [1860],  p.  38  (Ptolemäus  II). 
Sroronos,  Les  monnaies  de  Ptolemte  IT,  qui  portent  dates  (Revue  Beige  de 
Numismatique  1901,  p.  263 ff.  387 ff.  [Jope:  p.  282—285]).  Am  vollständigsten: 
SßoQwvoq,  Tä  vofilofiaxa  rov  xgaxovq  xibv  JlzoXefialcov,  Athen  1904,  Tl.  H? 
S.  119—121  (Ptolemäus  II),  8.  164  (Ptolemäus  III). 

148)  Josephus  Anü.  XIII,  6,  3  gibt  rovg  ßvrag  iv  ahry  richtig  wieder 
durch  rovg  olrfroQag.  Vgl.  Stark  S.  493 f.  Grimm  zu  I  Makk.  13,  11.  — 
Ein  ganz  ähnliches  Verfahren  wurde  gegen  Gazara  beobachtet  I  Makk.  13, 
47-48.  14,  34. 


[101.  102]  I.  Die  hellenistischen  Städte.   7.  Jope.  131 

auch  Jope  schon  zuvor  von  ihm  eingenommen  worden.  Trotzdem 
begnügte  er  sich  beim  Friedensschluß  mit  der  Zahlung  einer  Ab- 
gabe für  Jope  (Jos.  Antt.  XIII,  8,  3) 149.  Die  Stadt  blieb  also  im 
Besitze  der  Juden;  und  auch  die  Abgabe  ist  später  nicht  mehr  be- 
zahlt worden.  Daß  Alexander  Jannäus  |  Jope  besaß,  wird  aus- 
drücklich bezeugt  (Antt.  XIII,  15,  4).  Durch  Pompeius  aber  wurde 
auch  diese  Küstenstadt  den  Juden  genommen,  und  diese  damit 
wieder  ganz  vom  Meere  abgeschnitten  (Antt.  XIV,  4,  4.  B.  J.  I,  7,  7). 
Unter  den  Gunstbezeugungen  Cäsars  war  eine  der  wertvollsten 
die,  daß  er  eben  den  Besitz  Jopes  den  Juden  zurückerstattete 
(Antt  XIV,  10,  6)150.  Ob  Herodes  Jope  von  Anfang  an  besaß,  ist 
nicht  ganz  klar.  Jedenfalls  gehörte  es  in  den  Jahren  34 — 30  vor 
Chr.,  wie  alle  Küstenstädte,  der  Kleopatra  (s.  oben  §  15),  von  da 
an  aber  dem  Herodes  (AntL  XV,  7,  3.  B.  J.  I,  20,  3) ,M.  Von  nun  an 
blieb  es  stets  mit  dem  eigentlichen  Judäa  vereinigt,  kam  also  nach 
Herodes'  Tod  an  Archelaus  [Antt.  XVII,  11,  4.  B.J.  II,  6,  3),  und  nach 
dessen  Absetzung  unter  römische  Prokuratoren152.    Beim  Beginn 


149)  Die  Wegnahme  Jopes  durch  einen  Antiochus  wird  auch  in  zwei 
römischen  Senatskonsulten  vorausgesetzt,  in  deren  letzterem  ihm  die  Heraus- 
gabe desselben  vom  römischen  Senat  befohlen  wird  (Jos.  Antt.  XIH,  9,  2.  XIV, 
10,  22).  Vielleicht  erklärt  sich  hieraus  die  auffallende  Milde  des  Antiochus 
bei  den  Friedensbedingungen.  Doch  ist  eben  fraglich,  ob  Antiochus  Sidetes 
gemeint  ist.    Vgl.  darüber  oben  §  8  I,  260—263. 

150)  Näheres  hierüber  s.  oben  §  13  I,  347  f. 

151)  Da  die  Juden  seit  Cäsars  Zeit  Jope  wieder  besaßen,  und  da  gerade 
von  Jope  erwähnt  wird,  daß  Herodes  es  eroberte,  als  er  von  seinem  König- 
reiche Besitz  ergriff  (Antt.  XIV,  15,  1.  B.  J.  1, 15,  3 — 4),  so  soUte  man  meinen, 
daß  er  es  vom  Beginn  seiner  Regierung  an  besessen  habe,  und  dann,  nach 
dem  kurzen  Interregnum  der  Kleopatra,  im  J.  30  wieder  erhielt  Schwierig- 
keiten macht  nur,  daß  bei  der  Gebietsvergrößerung  v.  J.  30  Jope  nicht  als 
Bestandteil  des  dem  Herodes  wieder  verliehenen  Gebietes,  sondern  aus- 
drücklich neben  diesem  unter  den  ihm  neu  verliehenen  Städten  genannt  wird. 

152)  Ein  Zeugnis  für  die  Existenz  einer  griechischen  ßovXtf  in  Jope  in 
damaliger  Zeit  würde  es  sein,  wenn  die  nach  Lepsius,  Denkmäler  aus 
Ägypten  und  Äthiopien  Bd.  XII  Blatt  100,  Inser.  Gr.  n.  589  angeblich  in 
Jaffa  (Jope)  gefundene  Inschrift  (H  ßovX^i  xal  6  örjpoq  Aovxtov  noniXXiov 
BdXßov  noeoßevttjv  Tißeolov  KXavöiov  Katoaoog  Seßaatov  regfiavixov  töv 
naTQcova  ttjs  nöXewg)  wirklich  dorthin  gehörte.  Tatsächlich  ist  aber  der  Fund- 
ort unbekannt.  Die  französischen  Gelehrten,  welche  die  Armee  Napoleons 
im  J.  1798  nach  Ägypten  begleiteten,  haben  sie  in  Damiette  (an  der  alten 
phatnitischen  Mündung  des  Nil)  gesehen  (Description  de  VEgypte  etc.  ptibliS 
par  ordre  du  gouvernement,  Antiquites,  Tafeln,  Bd.  V  tob.  56,  n.  27);  ebendort 
wenige  Jahre  später  auch  Hamilton  (Remarks  on  several  parte  of  Turkey  P.  I, 
Aegyptiaca,  1809,  p.  385)  und  Visc.  Valentia  (Voyages  and  travels  to  india, 
Ceylon  etc.  vol.  HI,  1809,  p.  419,  vgl.  416);  desgl.  Bailie  (Fasciculus  inscriptio- 
num  graeearum   [HI]  potissimum  ex   Qalatia  Lycia   Syria  et  Aegypto   1849, 

9* 


132  §  23.  Verfassung.    Synedrium.   Hohepriester.  [102.  103] 

des  jüdischen  Krieges  war  Jope  wegen  seiner  vorwiegend  jüdischen 
Einwohnerschaft  auch  ein  Herd  der  Empörung.  Es  wurde  gleich 
im  Anfang  des  Krieges  von  Cestius  Gallus  zerstört  {Bell  Jud.  II, 
18,  10),  bald  aber  wieder  befestigt  und  von  Vespasian  zum  zweiten 
Maie  erobert  (&  J.  III,  9,  2 — 4).  Von  da  an  ist  es  vermutlich  wieder 
eine  vorwiegend  heidnische  Stadt  geworden153.  Durch  eine  in 
neuerer  Zeit  publizierte  Münze  ist  konstatiert,  daß  es  auch  Fla  via 
hieß,  was  auf  eine  Neugründung  zur  Zeit  Vespasians  schließen 
läßt154.  Trotz  seines  engeren  Zusammenhangs  mit  Judäa  bildete  | 
Jope  doch  ein  selbständiges  politisches  Gemeinwesen  nach  Art  der 
hellenistischen  Städte155.  Von  seinen  Münzen  haben  sich  nur  wenige 
Exemplare  erhalten156. 

8.  Apollonia,  '  Anollmvla.   Zwischen  Jope  und  Cäsarea  wird 
von  den  Geographen  bis  in  die  spätere  Kaiserzeit  ein  Apollonia 


p.  115).  Vgl.  Corp.  Inscr.  Gr.  n.  4529.  4697b  u.  Äddenda  p.  1175.  Den  ge- 
nannten Beisenden  wurde  gesagt,  daß  sie  aus  Syrien  (so  Valentia)  oder  speziell 
Berytus  (so  Hamilton  und  Bailie)  nach  Damiette  gebracht  worden  sei.  In 
Damiette  hat  sie  wahrscheinlich  auch  Lepsius  gesehen,  der  sie  im  J.  1845, 
also  um  dieselbe  Zeit  wie  Bailie,  kopiert  hat  (Denkmäler  aus  Ägyten  und 
Äthiopien,  Text,  herausg.  von  Naville  und  Sethe  Bd.  I,  1897,  8.  224).  Die 
Angabe  in  Lepsius1  Tafelwerk  muß  demnach  auf  einem  Versehen  beruhen, 
und  es  ist  irreführend,  wenn  Cagnat  die  Inschrift  unter  „Jope"  mitteilt  (In- 
scriptiones  graecae  ad  res  rom.  pertinentes  HI  n.  1209).  —  Aus  Berytus  kann 
sie  freilich  auch  nicht  stammen,  da  dieses  seit  Augustus  römische  Kolonie 
war,  während  die  Stadt,  von  deren  Behörde  die  Inschrift  gesetzt  ist,  augen- 
scheinlich nicht  Kolonie  war. 

153)  Jüdische  Grabschriften  aus  Jope  (im  ganzen  vierundzwanzig,  einige 
davon  hebräisch,  die  meisten  griechisch)  hat  Euting  veröffentlicht  in  den 
Sitzungsberichten  der  Berliner  Akademie  1885,  S.  680—688,  Nr.  47—49,  52— 
57,  72—75,  87—97,  dazu  die  Faksimile's  auf  Tafel  X— Xu.  Andere  s.  in: 
Pcdestine  Exploration  Fund,  Quarter ly  Statement  1893,  p.  290  sq.;  Clermont- 
Ganneau,  Archaeological  Researches  in  Palestine  vol.  II,  1896,  p.  133 — 148. 
Quarterly  Statement  190D,  p.  110 — 123;  dazu  Glermont-  O anneau,  Recueii 
tf  Archäologie  Orientale  IV,  1901,  138—151. 

154)  Darricarrhre,  Sur  une  monnaie  imdite  de  Joppe  (Revue  arcMo- 
logique  Nouv.  Serie  t.  XLIH,  1882,  p.  74  sq.).  —  Die  Münze  ist  aus  der  Zeit 
Elagabals  und  hat  die  Aufschrift:  Io7inrjg  <PXaoviaq. 

155)  Das  sieht  man  namentlich  aus  der  Art,  wie  Josephus  B.  J.  III,  3,  5 
Jope  neben  dem  eigentlichen  Judäa  erwähnt:  /uf#'  &g  'lafjivua  xal'Iöntj  xwv 
negwixiov  a<pTjyovvTai.  —  Auch  B.  J.  III,  9,  4  werden  die  xw/btai  und  noXl%vai 
zfjg  'Iotitjq  erwähnt. 

156)  Eckhel,  Docir.  Num.  m,  433.  Mionnet  V,  499.  De  Saulcy  p. 
176  sq.  pl.  IX  n.  3—4.  Reichardt,  Numismatic  Ohronicle  1862,  p.  111,  und 
Wiener  Numismat.  Monatshefte,  hrsg.  v.  Egger  Bd.  m,  1867,  8.  192.  Darrt- 
carrlre  a.  a.  O. 


[103.  104]  I.  Die  hellenistischen  Städte.   8.  Apolionia.  133 

erwähnt167,  das  in  der  Geschichte  nur  zweimal  vorkommt:  zur 
Zeit  des  Alexander  Jannäus,  wo  es  zum  jüdischen  Gebiet  gehörte 
{Jos.  Antt.  XIII,  15,  4),  und  zur  Zeit  des  Gabinius,  der  es  neu  her- 
stellen ließ  (Jos.  Bell.  Jud.  I,  8,  4).  Nach  der  Distanzangabe  der 
Peutingerschen  Tafel  (22  m.p.  von  Cäsarea)  muß  es  an  der  Stelle 
des  heutigen  Arsuf  gelegen  haben158.  Dies  wird  auch  durch  den 
Namen  selbst  bestätigt;  denn  der  phönizische  Gott  C|im  (Eeseph?), 
wovon  Arsuf  den  Namen  hat,  entspricht  dem  griechischen  Apollo 159. 
Die  |  Vermutung  Starks,  daß  es  mit  Uco^ovca  identisch  sei,  wird 
dadurch  empfohlen,  daß  auch  in  Cyrenaica  ein  Apolionia  und  Sozusa 
vorkommen,  die  wahrscheinlich  beide  identisch  sind.  Sozusa  wäre 
also  die  Stadt  des  Apollo  ScoxtjQ1™.    Die  Existenz  und  zähe  Er- 


157)  Plinius  H.  N.  V,  13,  69.  —  Ptolem.  V,  16,  2  «=  Didotsche  Ausg. 
(I,  2,  1901)  V,  15,  2.  —  Tabula  Peutinger.  Segm.  IX.  —  Qeograpkus  Ratennas 
edd.  Finder  et  Parthey  (1860)  p.  83  u.  356.  —  Guidonis  Oeogr.  in  der  eben 
genannten  Ausg.  des  Oeogr.  Ravenn.  p.  524.  —  Steph.  Byx.  s.  v.  knoXXcovla 
zählt  25  Städte  dieses  Namens  auf,  darunter  Kr.  12:  neol  xty  Kolkm* 
Svotav,  Nr.  13:  xaxä  *Iönriv  (dieses  das  unsrige),  Nr.  20:  2voiag  xaxä 
'Anä/ueiav. 

158)  S.  überh.:  Reland  p.  573.  Ritter  XVI,  590.  Pauly-Wisso- 
was  Real-Enz.  II,  117.  Kuhn  n,  362.  0 uer in,  Samarie  II,  375— 382.  The 
Survey  of  Western  Palestine,  Memoirs  by  Gonder  and  Kitchener  II,  135. 
137—140  (mit  Plan),  dazu  Blatt  X  der  großen  engl.  Karte.  De  Saulcy, 
Numismatique  p.  110  sq.  pl.  VI.  n.  1 — 2.  Le  Strange  Palestine  under  the 
Moslems  p.  399. 

159)  Auf  einer  zweisprachigen  Inschrift  zu  ldalion  auf  Cypern  (Corp. 
Inscr.  Semit,  n.  89)  steht  im  semitischen  Text  bs?a  5]T2nb,  im  griechischen 
xw  AnoXwvi  x(o  Au.vx7.ol.  Auf  zwei  Inschriften  zu  Tamassos  auf  Cypern  (mit- 
geteilt von  Euting,  Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie  1887,  S.  115 — 123) 
entsprechen  sich  t^^  einerseits  und  AneiXwvi  oder  AnoXwvi  andererseits.  — 
Die  Identität  der  Namen  Apolionia  und  Arsuf  ist  zuerst  von  Clermont- 
Ganneau  erkannt  worden  (Reime  archiologique  Nouv.  Serie  t.  XXXII,  1876, 
p.  374—375  [in  der  Abhandlung  über  Borns  et  Saint  Georges^  welche  auch 
separat  ersohien  1877] ;  Comptes  rendus  de  l'Academie  des  inscr.  et  belles-lettres 
de  1'annie  1881  [IVe  serie  t.  IX]  p.  186  sq.).  Vgl.  auch  Nöldeke,  Zeitschr. 
der  DMG.  1888,  S.  473.  Buhl,  Geogr.  des  alten  Paläst.  S.  213.  —  Über  den 
Gott  Cjlöi  s.  auch  die  Bemerkungen  im  Corp.  Inscr.  Semit,  zu  w.  10.  Cler- 
mont-Ganneau,  Recueil  d'archeologie  Orientale  1. 1, 1888,  p.  176 — 182.  Baeth- 
gen,  Beiträge  zur  semitischen  Religionsgeschichte  1888,  S.  50—52.  Pietsch- 
mann,  Gesch.  der  Phönizier  18S9,  S.  149—152.  Ohnefalsch-Richter, 
Kypros  1893,  S.  331 — 342.  Griffith,  The  Aberdeen  Reshep  stela  (Proceedings 
of  the  Society  of  Biblical  Archaeology  vol.  XXII,  1900,  p.  271  sq.).  Bei  den 
Juden  war  Reseph  der  Name  eines  Dämons  (Hieronymus,  comment.  ad  Eabac. 
3,  5  opp.  ed.  Vallarsi  VI,  641.  Talmud  bab.  Berachoth  5».  Raschi  zu  Beut. 
32,  24  und  Biob  5,  17.    Schwab,  Vocabulaire  de  VAngüotogie  1897,  p.  250). 

160)  Iko^ovaa  bei  Hierocles  ed.  Parthey  p.  44.  Vgl.  Stark,  Gaza  S.  452. 
Über  Sozusa  in  Cyrenaica:  Forbiger,  Handb.  II,  829. 


134  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [104] 

haltung  des  semitischen  Namens  Arsuf  läßt  es  fraglich  erscheinen, 
ob  Apollonia  erst  in  griechischer  Zeit  gegründet  ist  Jedenfalls 
kann  es  nicht  von  den  ersten  Seleuciden  gegründet  sein161,  da 
diese  die  palästinensische  Küste  nicht  besessen  haben  (s.  oben 
S.  97). 

9.  Stratons-Turm,  ^xQazopog  jtvQyoq,  später  Cäsarea162. 
Wegen  des  griechischen  Namens  könnte  Stratons-Turm  eine  Grün- 
dung der  hellenistischen  Zeit  sein,  etwa  zunächst  nur  ein  Kastell, 
nach  einem  Feldherrn  der  Ptolemäer  so  genannt.  Wahrscheinlich 
ist  es  aber  schon  gegen  Ende  der  persischen  Zeit  von  einem  sido- 
nischen  König  namens  Straton  gegründet  worden163.    Der  erste 


161)  So  Stark  a.  a.  O. 

162)  S.  überh.:  Reland  p.  670—678.  Raumer  S.  152f.  Winer  RWß. 
u.  Schenkels  Bibel-Lex.  s.  v.  Cäsarea.  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  m, 
1291  f.  Kuhn,  Die  Stadt,  und  bürgert.  Verfassung  II,  347—350.  Ders.,  Über 
die  Entstehung  der  Städte  der  Alten  (1878)  S.  423—433.  Ritter  XVI,  598— 
607.  Sepp,  Jerusalem  (2.  Aufl.)  II,  573ff.  Guirin,  Samarie  II,  321—329. 
The  Survey  of  Western  Palestine,  Memoirs  by  Gonder  and  Kitchener  II, 
13 — 29  (mit  Plänen),  dazu  Bl.  VII  der  engl.  Karte.  Schumacher,  Quarierly 
Statements  1888  p.  134  sqq.  Benzinger,  Zeitschr.  des  deutschen  Palästina- 
Vereins  XIV,  1891,  S.  77  (berichtet  über  fortgehende  Zerstörung  der  Ruinen). 
Le  Camus  in:  Vigouroux,  Dictionnaire  de  la  Bible  11,456—465.  Krauß  in: 
The  Jetrish  Encyclopedia  III,  1902,  p.  485—488.  Thomsen,  Loca  sancta 
p.  74 f.  —  Rabbinisches  Material:  Neubauer,  Geographie  du  Talmud p.  91 — 96. 
Hamburger,  Real-Enz.  Art.  Cäsarea.  Hildesheimer,  Beiträge  zur  Geo- 
graphie Palästinas,  1886,  S.  4 — 10.  Rosenzweig,  Jerusalem  und  Cäsarea, 
1890.  Bacher,  Die  Agada  der  paläst.  Amoräer,  3  Bde.,  1892—99,  Register 
s.  v.  Caesarea.  Krauß,  Griech.  und  lat.  Lehnwörter  II,  536.  Bacher,  Die 
Gelehrten  von  Cäsarea  (Monatsschr.  f.  G.  u.  W.  d.  J.  1901,  S.  298—310). 
Buch ler,  Der  Patriarch  R.  Jehuda  I  und  die  griechisch-römischen  Städte 
Palästinas  (Jewish  Quarierly  Review  Xm,  1901,  p.  683— 740).  Krauß,  Zur 
Topographie  von  Cäsarea  (Jewish  Quart,  Review  XIV,  1902,  p.  745 — 751).  — 
Arabisches:  Le  Strange,  Palestine  under  (he  Moslems  p.  474  sq. 

163)  In  Justinians  Novelle  103  praef.  heißt  es  von  Cäsarea:  Kalzoi  ye 
&o%aia  zi  iozi  xal  äel  oe/irrf,  fjvixa  ze  avzfjv  Szqclzwv  lÖQvaazo  nQtbzoq,  dq 
i£  'EXXaöoq  dvaozäq  yiyovEv  abzfjq  olxiazrjq,  tyixa  te  Oveonamavdq  .  .  .  .  elq 
zfjv  zu)v  KaiaaQCDV  ahz^v  uyvöfiaos  nQoorjyoQtav.  Wie  wertlos  diese  Notiz  ist, 
sieht  man  schon  aus  dem  groben  Irrtum  in  betreff  Vespasians.  Da  es  im 
roten  Meere  an  der  abyssinischen  Küste  eine  Stratons-Insel  gab  (Strabo 
XVI  p,  770),  so  kann  auch  Stratons-Turm  eine  Gründung  der  Ptolemäer 
sein.  So  Stark,  Gaza  S.  451.  Viel  näher  liegt  aber  die  Annahme,  daß  es 
eine  Gründung  der  Sidonier  ist.  Die  Sidonier  besaßen  gegen  Ende  der  per- 
sischen Zeit  die  nördlich  und  südlich  zunächstliegenden  Städte  Dora  und  Jope 
(s.  diese),  also  vermutlich  auch  den  Küstenstrich,  an  welchem  Stratons-Turm 
gegründet  wurde.  Straton  ist  aber  der  Name  zweier  Könige  von  Sidon  im 
vierten  Jahrh.  vor  Chr.  (der  eine  regierte  um  370  v.  Chr.,  s.  Theopompus  bei 
Athcnaeus  XII  p.  531    -  Müller,  Fragm.  Hist  Graec.  I,  299.    Hkronymus  adv. 


[105. 106]  I.  Die  hellenistischen  Städte.  9.  Stratons-Turm  (Cäsarea).  135 

geographische  Schriftsteller,  der  es  erwähnt,  ist  Artemidorus,  um 
100  vor  Chr.164.  Eben  damals  kommt  es  auch  in  der  Geschichte 
bereits  vor.  Es  wird  erwähnt  zur  Zeit  Aristobuls  I.,  104  vor  Chr. 
(Antt.XIH,  11,  2).  Im  Anfang  der  Regierung  des  Alexander  Jannäus 
war  ein  „Tyrann"  Zoilus  Herr  von  Stratons-Turm  und  Dora 
(Jos.  Antt.  XIII,  12,  2).  Dieser  wurde  bald  von  Alexander  Jannäus 
unterworfen  (Antt.  XIII,  12,  4).  Daher  wird  Stratons-Turm  unter 
den  dem  Alexander  gehörigen  Städten  genannt  {Antt.  XIII,  15,  4). 
Durch  Pompeius  erhielt  es  die  Freiheit  (Antt.  XIV,  4,  4.  Bell  Jud. 
I,  7,  7).  Von  Augustus  wurde  es  dem  Herodes  verliehen  (Antt.  XV, 
7,  3.  B.  «7. 1,  20,  3).  Erst  von  da  an  datiert  die  eigentliche  Bedeutung 
der  Stadt  Herodes  ließ  sie  nämlich  im  großartigsten  Maßstabe 
neu  aufbauen,  und  sie  namentlich  auch  durch  kunstvolle  Damm- 
anlagen mit  einem  vortrefflichen  Hafen  versehen  (Antt.  XV,  9,  6. 
XVI,  5,  1.  Bett.  Jud.  I,  21,  5—8) 165.  Zu  Ehren  des  Kaisers  nannte 
er  die  Stadt  KaioaQeia,  den  Hafen  aber  Usßaörog  hfir}» 166.  Daher  | 
kommt  auf  Münzen  Neros  vor:  KaicaQta  f\  jiqoq  Heßaorco  lipevi 167. 


Jovinian.  I,  e.  45,  Inschrift  zu  Athen  Corp.  Inscr.  Graee.  n.  87  =  Corp.  Inser. 
Attic.  II  w.  86  =*  Ricks,  Manual  of  greek  historical  inscriptions  1882,  p.  155— 
157  =  Dittenberger  Syttoge  ed.  2,  n.  118;  der  andere  bis  zur  Zeit  Alexanders 
332  v.  Chr.,  Curtius  IV,  3;  über  die  Chronologie  s.  Boeckhs  Bemerkungen  im 
Corp.  Inser.  Qraeo.  zu  n.  87.  Gutschmid,  Jahrbb.  für  klass.  Philol.  2.  Supple- 
mentbd.  1856—57,  S.  220  f.  Ders.,  Kleine  Schriften  I,  311  f.  II,  73—79.  Babelon, 
Bulletin  de  eorrespondance  hellenique  t.  XV,  1891,  p.  313.  Ders.,  Catalogue  des 
monnaies  grecques  de  la  biblioth&que  nationale,  Les  Perses  Achim&nides  etc.,  1893, 
p.  CLXXXII.  Six,  Numismatic  Chronicle  1894  p.  338;  auch  die  oben  Anm.  144 
genannten  Abhandlungen  von  Rouvier,  Revue  Numism.  1902,  und  Dussaud, 
Revue  archeol  1905).  Für  eine  hellenistische  Gründung  ist  die  Bezeichnung 
als  nroyog,  Turm,  jedenfalls  nicht  gewöhnlich.  Endlich  glaubt  L.  Müller  eine 
Münze  Alexanders  des  Gr.  mit  den  Bubstaben  2r  auf  unser  Stratons-Turm 
beziehen  zu  dürfen  (L.  Müller,  Numismatique  d*  Alexandre  le  Grand  p.  306, 
planehes  n.  1466),  wonach  es  also  zur  Zeit  Alexanders  des  Gr.  oder  doch 
spätestens  in  der  Diadochenzeit  (in  welcher  noch  Alexander-Münzen  geprägt 
wurden)  bereits  existiert  haben  müßte.  Dies  alles  vereinigt  sich  zugunsten 
der  Annahme,  daß  es  schon  von  den  Sidoniern  gegründet  wurde. 

164)  Artemidorus  bei  Steph.  Byx.  s  v.  JCbQoq  (über  Artemidorus  s.  For- 
biger,  Handb.  d.  alten  Geographie  I,  246fF.  255ff.  Pauly-Wissowas  Real- 
Enz.  II,  1329£).  —  Der  letzte  Geograph,  der  Stratons-Turm  nur  unter  diesem 
Namen  kennt,  ist  Strabo  XVI  p.  758. 

165)  Außer  den  obigen  Hauptstellen  vgl.  noch  Jos.  Antt.  XV,  8,  5.  PH- 
nius  V,  13,  69.  —  Über  die  Zeit  der  Erbauung  s.  oben  §  15.  Über  die  Ver- 
fassung und  politische  Stellung  bes.  Kuhn  a.  a.  O. 

166)  Über  letzteren  s.  Antt.  XVII,  5,  1.    Bell.  Jud.  I,  31,  3. 

167)  Über  diese  Münzen  handelt  ausführlich  Bei  leg  in  den  Memoires  de 
VAcadtmie  des  Inscriptions  et  BeUes-Lettres,  alte  Serie  t.  XXVI,  1759,  p.  440 — 455. 
Vgl.  auch  Eckhel,  III,  428 sq.  Mionnet,  DescriptionV,4$15sq.   De  Saulcy, 


136  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [106. 107] 

Vereinzelt  ist  die  Bezeichnung  KaicaQsia  Zeßaöxy) 168.  Sonst  wird 
die  Stadt  zur  Unterscheidung  von  anderen  EaiöaQeta  ÜQaxcopog169 
und  in  der  späteren  Zeit  KaiöaQeia  xr\q  najLaioxlvTjg110  genannt 
Sie  gelangte  rasch  zu  großer  Blüte  und  blieb  lange  eine  der  be- 
deutendsten Städte  Palästinas171.  Nach  dem  Tode  des  Herodes 
kam  sie  samt  dem  übrigen  Judäa  an  Archelaus  {Antt.  XVII,  11,  4. 
B.  J.  II,  6,  3).  Überhaupt  blieb  sie  seitdem  stets  mit  Judäa  ver- 
einigt; kam  also  nach  der  Absetzung  des  Archelaus  unter  römische 
Prokuratoren,  dann  an  Agrippa  L,  dann  wieder  unter  römische 
Prokuratoren.  Von  Agrippa  I.  existieren  Münzen,  welche  in  Cäsarea 
geprägt  sind172.  Sein  oxQax^yoq  in  Cäsarea  wird  gelegentlich  er- 
wähnt {Antt.  XIX,  7,  4).  Bekanntlich  ist  auch  er  selbst  dort  ge- 
storben (s.  oben  §  18).  Wegen  seines  Judaisierens  war  er  aber 
den  Cäsareensern  verhaßt  (Anü.  XIX,  9,  1).  Die  römischen  Pro- 
kuratoren sowohl  vor  als  nach  der  Regierung  Agrippas  hatten  in 
Cäsarea  ihre  Besidenz  (s.  oben  §  17c).  Daher  heißt  die  Stadt  bei 
Tacitus  Judaeae  capui  (Tac.  Bist.  II,  78).  Sie  war  auch  die  Haupt- 
garnison für  die  unter  dem  Befehl  des  Prokurators  stehenden 
Truppen,  die  übrigens  vorwiegend  aus  Einheimischen  gebildet 
waren  (s.  oben  |  S.  106).  Da  die  Bevölkerung  eine  vorwiegend  heid- 

Numismaiique  p.  116  sq.  —  Auf  einer  Münze  Agrippas  findet  sich  die  defekte 
Legende  Katoaoia  n  nooq  [Seßaarco]  Xtftevi,  s.  Madden,  Numismatic  Chro- 
nicle  1875,  66 sq.    Ders.,  Coins  of  the  Jews  p.  133  sq. 

168)  Joseph.  Antt.  XVI,  5,  1.  Philo,  Legat,  ad  Cajum  §  38  ed.  Mang.  II, 
590.  —  Die  auf  einer  Inschrift  {Corp.  Inscr.  Oraec.  n.  4172  =  Le  Bas  et 
Waddington,  Inscriptions  t.  HI,  n.  1839)  vorkommende  Bezeichnung  Ahyovaza 
Kaioagsia  ist  Abkürzung  von  colonia  prima  Flavia  Augusta  Caesarea,  wie 
der  offizielle  Titel  Cäsareas  als  Kolonie  seit  Vespasian  lautete,  s.  unten  S.  137, 
und  Kuhn  II,  349.  —  Unter  Caesarea  Augus(ta)  Corp.  Inscr.  Lat.  VIII,  n.  2808 
ist  wohl  das  spanische  zu  verstehen  (Kubitschek,  Imperium  Romanum  1889, 
S.  258). 

169)  Ptolem.  V,  16,  2  (—  Didotsche  Ausg.  V,  15,  2).  VIH,  20,  14.  Cle- 
ment. Homil.  1, 15. 20.  XHI,  7.  Recogn.  1, 12.  Ephemcris  epigrapkica  II  p. 457— 459 
=  Corp.  Inscr.  Lot.  X  n.  867  =  ibid.  t.  HI  Suppl.  p.  1959  (Militardiplom 
Vespasians  vom  J.  71  n.  Chr.).  Le  Bas  et  Waddington,  Inscriptions  t.  Hl 
n.  1620t)  (Inschrift  von  Aphrodisias  in  Karieu,  aus  dem  zweiten  Jahrh.  nach 
Chr.,  vgl.  oben  S.  48). 

170)  Euseb.  Onomast.  ed.  Klostermann  p.  2.  78.   De  martyr.  Palaestinae  I,  2. 

171)  Jos.  Bell.  Jud.  HI,  9,  1.  Clement.  Reeogn.  I,  12.  Apollonitis  Tyan, 
epist.  XI  (in:  Epistolographi  graeci  ed.  Hercher,  Paris  1873,  Didot).  Totius  or~ 
bis  descriptio  bei  Müller,  Geogr.  gr.  minores  II,  517  und  Archiv  für  lat. 
Lexikographie  XIII,  550,  §  26.    Ammian.  XIV,  8,  11. 

172)  Eckhel  TU,  491.  492.  Maddcn,  Bistory  ofJewish  Coinagep.  107.  109. 
Ders.,  Coins  of  the  Jews  (1881)  p.  133.  136.  Vgl.  auch  oben  Anm.  167.  —  Die 
Münzen  mit  der  Legende  Kaioaoeiaq  aav).ov  werden  von  Eckhel  mit  Recht 
unserm  Cäsarea  abgesprochen. 


[107]  I.  Die  hellenistischen  Städte.  9.  Stratons-Turm  (Cäsarea).  137 

iiische  war  {Bell.  Jud.  III,  9,  1),  aber  doch  mit  Beimischung  eines 
starken  jüdischen  Bruchteils,  so  kam  es  leicht  zu  Streitigkeiten, 
und  zwar  um  so  mehr,  als  beide  bürgerlich  gleichberechtigt  waren, 
also  beide  gemeinsam  die  städtischen  Angelegenheiten  zu  leiten 
hatten173.  Mit  diesem  Zustand  waren  weder  die  Heiden  noch  die 
Juden  zufrieden.  Jeder  von  beiden  Teilen  beanspruchte  für  sich 
ausschließlich  die  Regierung  der  Stadt.  Schon  gegen  Ende  der 
Amtszeit  des  Felix  kam  es  darüber  zu  blutigen  Kämpfen,  infolge 
deren  Nero,  dessen  Ratgeber  von  der  heidnischen  Partei  bestochen 
waren,  den  Juden  die  Gleichberechtigung  nahm  und  die  Heiden 
für  die  alleinigen  Herren  der  Stadt  erklärte,  61  nach  Chr.  (Antt.XX, 
8,  7  u.  9.  Bell.  Jud.  II,  13,  7.  14,  4) 174.  Beim  Ausbruch  des  jüdischen 
Krieges  im  Jahre  66  fielen  die  Juden  als  die  Minderzahl  der  Wut 
des  heidnischen  Pöbels  zum  Opfer.  Sämtliche  jüdische  Einwohner, 
20000  an  der  Zahl,  sollen  damals  in  einer  Stunde  hingemordet 
worden  sein  (B.  J. II,  18, 1.  VII,  8, 7,  ed.  Niese  §  362).  Durch  Vespasian 
wurde  Cäsarea  in  eine  römische  Kolonie  umgewandelt,  jedoch  ohne 
das  volle  Jus  Italicum*™.  Auf  Münzen  führt  sie  den  Titel  col(onia) 
prima  Fl{avid)  Aug(usia)  Cacsarensis  oder  Caesarea.  Ebenso  auf  einer 
neuerdings  gefundenen  Inschrift176.  Dazu  kommt  seit  Alexander 
Severus  noch  der  Titel  melropolis  oder,  wie  es  auf  den  Münzen 


'"  173)  Die  in  der  Apostelgeschichte  erwähnten  avögeg  ol  xat  iioyftv  irjq 
notew;  (Act.  25,  23)  sind  nach  dem  Zusammenhang  der  Erzählung  als  Heiden 
zu  denken.  Dies  schließt  aber  nicht  aus,  daß  auch  die  Juden  an  der  Regie- 
rung teil  hatten,  entspricht  vielmehr  nur  dem  von  Josephus  bezeugten  Über- 
wiegen des  heidnischen  Bestandteiles.  Allerdings  ist  zu  beachten,  daß  die 
Juden  gerade  zur  Zeit  des  Festus,  in  welche  die  Act.  25,  23  erzählten  Er- 
eignisse fallen,  vom  Burgerrechte  ausgeschlossen  wurden  (s.  die  sogleich  an- 
zuführenden Stellen).  Aber  die  Act.  25,  23  erzählten  Ereignisse  fallen  ganz 
iu  den  Anfang  von  Festus*  Amtszeit,  während  das  Reskript  Neros,  welches 
jenen  Ausschluß  verfügte,  wohl  etwas  später  zu  setzen  ist 

174)  Nach  B.  J.  IT,  14,  4  könnte  es  scheinen,  als  ob  das  Reskript  Neros 
erst  in  d.  J.  66  falle.  Da  es  aber  noch  unter  dem  Einfluß  des  Pallas  erlassen 
ist  (Antt.  XX,  8,  9),  welcher  im  J.  62  starb  (Tacit.  Annal.  XIV,  65),  so  ist  es  wohl 
nicht  später  als  61  zu  setzen.    Vgl.  auch  oben  §  19  I,  577.  579  f. 

175)  Plinius  H.  N.  V,  13,  69:  Stratonis  turris,  eadem  Caesarea,  ab  Herode 
rege  condita,  nunc  colonia  prima  Flavia  a  Vespasiano  imperatore  deducta.  — 
Digest.  L,  15,  8,  7  (aus  Paulus):  Ditnts  Vespasianus  Caesarienses  colonos  fecit 
non  adjectOy  ut  et  juris  ltalici  essent,  sed  tributum  his  remisit  capitis;  sed  divus 
Titus  eiiam  solum  immune  factum  interprctatus  est.  —  Ibid.  L,  15,  1,  6  (aus 
Ulpianus):  In  Palaestina  duae  fuerunt  colotiiae,  Caesariensis  et  Aelia  Capitotina^ 
sed  neuira  jus  Italicum  habet.  —  Vgl.  Zumpt}  Commentationes  epigr.  I,  397  sq. 
—  Über  das  jus  Italicum  s.  die  oben  S.  107  genannte  Literatur. 

176)  Zeitschr.  des  deutschen  Palästina- Vereins  XIII,  1S90,  S.  25  ff.  =  Corp. 
Inscr.  Lot.  III  Suppl.  n.  12082  (p.  2C49). 


138  §  23.  VerfasstiDg.   Synedrium.   Hohepriester.  [108] 

seit  Decius  vollständiger  heißt,  Metropolis  pr.  S.  Pal.  (=  provinciae 
Syriae  Pafaestinae)111. 

10.  Dora,  A&q<x,  bei  Polybius  Aovqcl,  sonst  auch  AwQog,  bei 
Plinius  JDötww178,  hebräisch  Tto  oder  "tefr179,  eine  alte  phönizische 
Ansiedelung  8—9  mil.pass.  nördlich  von  Cäsarea180.  Den  Griechen 
war  sie  seit  alter  Zeit  bekannt  Schon  der  um  500  vor  Chr.  lebende  I 


177)  Über  die  Münzen  s.  überh.:  Eckhel  III,  428— 432.  Mionnet  V, 
486—497.  Suppl.  VIII,  334—343.  De  Saulcy  p.  112-141,  pl.  VII.  Macdo- 
nald, Catalogue  of  the  Hunterian  coUection  III,  275 — 277.  —  Für  die  spätere 
Geschichte  auch  bemerkenswert  eine  von  Germer-Darand,  Revue  biblique  1895, 
p.  75  sq.  und  Ellis,  Quarterly  Statement  1896,  p.  87  mitgeteilte  Inschrift  (Re- 
staurierung eines  Aöquxvsiov  in  christlicher  Zeit). 

178)  Die  Form  A&Qoq  findet  sich  namentlich  bei  älteren  Schriftstellern, 
doch  wird  sie  auch  noch  von  Steph.  Byx.  bevorzugt;  A&ga  ist  später  aus- 
schließlich herrschend  geworden.  1)  dtagoq  haben:  Skylax  (4.  Jahrh.  vor  Chr.), 
Apollodorus  (um  140  v.  Chr.),  Alexander  Ephesius  (über  ihn  s.  Pauly-Wissowas 
Enz.  s.  v.  Alex.  n.  86),  Charax  (die  drei  zuletzt  genannten  bei  Steph.  Byx.  s.  v. 
d&Qoq).  Hierher  gehört  auch  Plinius  {H.N.  V,  19,  75:  Dorum).  —  2)  d&ga 
oder  dmgd,  außer  I  Makk.  auch:  Artemidorus  (um  100  vor  Chr.),  Claudius 
Julius  (diese  beiden  bei  Steph.  Byx),  Josephus  (konstant),  Münzen  des  Caligula, 
Trajan,  Elagabal  (bei  de  Saulcy),  Ptolemaeus  (V,  15,  5  =  Didotsche  Ausg.  V, 
14,  3),  Clement.  Becogn.  (IV,  1),  Eusebius  {Onom.  ed.  Klostermann  p.  78),  Hie- 
ronymus  (ebendas.  p.  79),  Hieroeles  {ed.  Parthey  p.  43),  die  Bischofslisten  (bei 
Le  Quien,  Oriens  Christ.  III,  574 sqq.),  Oeographus  Barennas  {edd.  Pinder  et 
Parthey  p.  89.  357).  Hierher  gehört  auch  Polybius  (V,  66:  dovoa)  und  Tab. 
Peuting.  {Thora).  Vgl.  auch  unten  Anm.  181.  —  Das  erste  Makkabäerbuch 
gebraucht  dwgä  indecl,  sonst  wird  es  als  neutr.  plur.  behandelt  {Josephus  ge- 
wöhnlich, Eusebius  p.  130,  die  Bischofslisten);  zuweilen  auch  als  fem.  sing. 
{Jos.  Antt.  XHI,  7,  2  nach  einigen  Handschriften,  Clem.  Becogn.  IV,  1). 

179)  '■ri'n  Josua  11,  2.  12,  23.  Judic.  1,  27.  I  Chron.  7,  29.  —  nan  Josua 
17, 11.  I  Beg.  4, 11.  Ebenso  auf  der  Inschrift  Eschmunazars,  s.  oben  Anm.  144. 
—  Von  der  Stadt  Dor  wird  im  A.  T.  unterschieden  "ita  rBJ  {Josua  12,  23. 
I  Beg.  4, 11)  oder  ni'n  nißj  {Josua  11,  2),  eigentlich  die  Höhe  oder  die  Höhen 
von  Dor,  wahrscheinlich  also  das  Hügelland,  welches  von  Dor  landeinwärts 
lag  (s.  Riehms  Wörterb.  s.  v.).  Nur  letzteres,  nicht  die  phönizische  Seestadt 
besaß  Salomo  (I  Beg.  4,  11).  —  Weniger  wahrscheinlich  will  Movers  (Phö- 
nizier II,  2,  175  f.)  Naphath-Dor  als  die  Binnen  Stadt  von  Dor  als  der  Hafen- 
stadt unterscheiden. 

180)  Die  Gründung  durch  die  Phönizier  beschreibt  ausführlich  Claudius 
Julius  bei  Steph.  Byx.  s.  v.  d&Qoq  (auch  bei  Müller,  Fragment,  hist.  graec.  IV, 
363).  Auch  Josephus  nennt  Dora  eine  nbXiq  xfjq  <Poivlxtjq  {Vita  8;  c.  Apion. 
II,  9).  —  Die  Entfernung  von  Cäsarea:  8  m.  p.  nach  Tab.  Peuting.-,  9  m.  p. 
nach  Eusebius  {Onom.  ed.  Klostermann  p.  78.  130)  und  Eieronymus  (ebendas. 
p.  79.  137).  —  Nach  Artemidorus  (bei  Steph.  Byx.  s.  v.)  lag  Dora  inl  x*Q<*0V7lm 
ooeidovq  zdnov.  —  Vgl.  überh.:  Beland  p.  738—741.  Baumer  S.  154.  Winer, 
Schenkel,  Pauly-Wissowa  s.v.  Ritter  XVI,  607— 612.  Guirin,  Sa- 
marieU,  305 — 315.  The  Surrey  of  Western  Palestine,  Memoirs  by  Gonder  and 
Kitchener  II,  p.  3.  7 — 11,  dazu  Bl.  VII  der  engl.  Karte.    Legendre  in:  Vi- 


[109]  I.  Die  hellenistischen  Städte.   10.  Dora.  139 

Hekatäus  von  Milet  hat  sie  in  seiner  Erdbeschreibung  erwähnt181. 
Ja  es  ist  möglich,  daß  sie  zur  Zeit  der  Hegemonie  Athens  im 
Mittelmeere  im*  fünften  Jahrhundert  vor  Chr.  vorübergehend  den 
Athenern  tributpflichtig  war182.  Zur  Zeit  des  sidonischen  Königs 
Eschmunazar  wurde  sie  von  dem  „Herrn  der  Könige",  d.  h.  dem 
persischen  Großkönig,  den  Sidoniern  verliehen183.  Daher  nennt 
Skylax,  dessen  Beschreibung  sich  eben  auf  die  persische  Zeit  be- 
zieht, Dora  mit  Recht  eine  Stadt  der  Sidonier 184.  —  Obwohl  Dora 
keine  große  Stadt  war185,  war  sie  doch  wegen  ihrer  günstigen 
Lage  eine  starke  wichtige  Festung.  Als  Antiochus  d.  Gr.  im 
Jahre  219  vor  Chr.  seinen  ersten  Angriff  auf  Cölesyrien  machte, 
belagerte  er  Dora,  aber  vergeblich186.  Achtzig  Jahre  später 
(139/138  vor  Chr.)  wurde  hier  Trypho  von  Antiochus  Sidetes  mit 
einem  starken  Heere  belagert,  ebenfalls  ohne  Erfolg.  Die  Be- 
lagerung endigte  nur  mit  der  Flucht  Tryphos 187.   Einige  Dezennien 


gouroux,  Dictionnaire  de    la  Bible  II,  1487 — 1492.     Cook  in:   Eneyclopaedia 
Biblica  ed.  by  Cheyne  and  Black  8.  v.    Thomsen,  Loca  sancta  p.  57. 

181)  Eecataeus  bei  Steph.  By%.  8.  v.  d&ooq  (auch  bei  Müller,  Fragm. 
hist,  graec.  I,  17,  n.  260):  fietä  6b  ^  nd).ai  dtbooq,  vvv  Sh  d&Qa  xaXetxai.  — 
Die  Worte  können  freilich  nicht  so,  wie  sie  lauten,  von  Hekatäus  herrühren, 
da  sie  einen  Wechsel  des  Sprachgebrauchs  konstatieren,  der  sich  erst  etwa 
500  Jahre  später  vollzogen  hat  (s.  oben  Anm.  178).  Das  Exemplar,  welches 
Stephanus  Byz.  benützte,  war  also  hier  interpoliert.' 

182)  Eine  Stadt  namens  dCbooq  hat  mit  den  Städten  Kariens  gemeinsam 
an  Athen  Tribut  gezahlt  (Steph.  By%.  s.  v.  Aibooq9  KoaxtQÖq  iv  reo  neol  xprj- 
(piOfxdxiov  xqIxw  „Kaoixdq  <p6ooq'  dCbooq,  <Paö7]?.TTai",  über  Craterus  s.  Suse- 
mihl,  Gesch.  der  griech.  Literatur  I,  599  ff.).  Da  eine  karische  Stadt  dieses 
Namens  aber  nicht  bekannt  ist,  und  da  die  Macht  der  Athener  jedenfalls  bis 
Cypern  reichte,  so  glaubt  Köhler  an  das  phönizische  Doros  denken  zu  dürfen. 
S.  Ulr.  Köhler,  Urkunden  und  Untersuchungen  zur  Geschichte  des  Delisch- 
attischen  Bundes  (Abhandlungen  der  Berliner  Akademie  1869)  S.  121.  207.  Sixy 
Numismatie  Chronicle  1877,  p.  235. 

183)  S.  die  Inschrift  Eschmunazars  lin.  18—20;  vgl.  oben  Anm.  144. 

184)  Scylax  in:  Geoyraphi  graeci  minores  ed.  Müller  I,  79:  Jtbgoq  nöUq 
Sidovlwv  (dazu:  Gutschmid,  Kleine  Schriften  II,  77).  —  Über  Skylax  s.  z.  B. 
Fabricius-Harks,  Biblioih.  gr.  IV,  606  sqq.  Forbiger,  Handb.  d.  alten  Geogr. 
I,  113  ff.  123 ff.  Westermann  in  Paulys  Enz.  VI,  1,  891  f.  Gutschmid,  Khein. 
Museum  IX,  1853,  S.  141  ff.  =  Kleine  Schriften  IV,  139 ff.  Nicolai,  Griech. 
Literaturgesch.  I,  322  f.  Separat- Ausjgabe:  Anonymi  mdgo  Seylacis  Caryan- 
densis  periplum  maris  interni  cum  appendice,  iterum  rec.  Fabricius.  Lips.  1878. 

185)  Artemidorus:  nohafiaxiov,  Claudius  Julius:  ßoayzTa  noU/VTj  (beide 
bei  Steph.  Byx.).    Clement.  Becogn.  IV,  1:  breve  oppidum. 

186)  Polyb.  V,  66. 

187)  I  Makk.  15,  11—37.  Jos.  Antt.  XIII,  7,  2.  —  Altere  Numismatiker 
glaubten  in  diese  Zeit  eine  Münze  Tryphos  setzen  zu  dürfen,  welche  angeblich 
in  Dora  geprägt  ist  (Mionnet  V,  72.    Stark  S.  477).    Diese  gehört  aber  viel- 


.  •> 


140  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [109. 110] 

darauf  finden  wir  sie  im  Besitz  des  Tyrannen  j  Zoilus  (Jos  Antt. 
XIII,  12, 2) 188,  der  dann  von  Alexander  Jannäus  unterworfen  wurde 
(Antt.  XIII,  12,  4).  Sie  muß  also  seitdem  zum  jüdischen  Gebiete  ge- 
hört haben,  wurde  aber  durch  Pompeius  wieder  davon  abgetrennt 
(Antt.  XIV,  4,  4.  B.  J.  I,  7,  7).  Gleich  vielen  anderen  Städten  begann 
auch  Dora  von  da  an  eine  neue  Zeitrechnung,  deren  es  sich  noch 
auf  den  Münzen  der  Kaiserzeit  bediente189.  Unter  den  Städten, 
welche  Gabinius  neu  herstellen  ließ,  wird  es  nicht  genannt;  denn 
Antt.  XIV,  5,  3  ist  statt  des  von  der  Mehrzahl  der  Handschriften 
und  Ausgaben  gebotenen  Aa>Qa  höchst  wahrscheinlich  "AöcoQa  zu 
lesen  (s.  oben  S.  7).  Seit  der  Zeit  des  Pompeius  hat  es  stets  unter 
der  unmittelbaren  römischen  Herrschaft  gestanden,  hat  also  auch 
dem  Herodes  (dessen  Gebiet  an  der  Küste  nicht  weiter  nördlich 
als  Cäsarea  ging)  niemals  gehört  Auf  Münzen  der  Kaiserzeit  heißt 
es  leQa  aovXoq  avrovofiog  vavaQxlq190.   Die  Existenz  einer  jüdi- 


mehr  nach  Askalon  (De  Saulcy,  Memoire  sur  les  monnaies  daths  des  Seien- 
eides  p.  42.  Babelon,  Catalogue  des  monnaies  grecques  de  la  Bibliotheque  natio- 
nale, Les  rois  de  Syrie  p.  CXXXIX  sq.  137). 

188)  Der  Name  ZmaX  (lies  ZwiXa  oder  ZwiX?..)  kommt  noch  auf  einer 
Grabschrift  in  Dora  v.  J.  233  der  Ära  von  Dora,  um  170  nach  Chr.,  vor,  s. 
Clermont-  Ganneau,  Recueil  d'archeologie  Orientale  V,  1903,  p.  285 — 288. 

189)  Der  Anfangspunkt  der  Ära  läßt  sich  nicht  genau  bestimmen;  jeden- 
falls ist  es  aber  die  des  Pompeius  (63  v.  Chr.?),  nicht  die  des  Gabinius,  wie 
de  Saulcy,  trotz  eigener  Bedenken  vorraussetzt,  da  eine  Ära  des  Gabinius 
nicht  früher  als  Herbst  58  v.  Chr.  =  696  a.  U.  beginnen  könnte,  während  die 
Münzen  Trajans  eine  so  späte  Ansetzung  nicht  gestatten.  Kubitschek  in 
seiner  Abhandlung  Über  die  Pompeius -Ära  in  Syrien  (Archäologisch -epi- 
graphische Mitteilungen  aus  Österreich-Ungarn  XIII,  1890,  S.  200 — 209,  über 
Dora:  S.  209)  läßt  einen  Spielraum  zwischen  63  u.  59  v.  Chr.  Wenn  er  trotz- 
dem  die  Ära  nicht  für  die  des  Pompeius  gelten  lassen  will,  so  beruht  dies 
auf  der  irrigen  Voraussetzung,  daß  die  Ära  des  Pompeius  genau  64  beginnen 
müsse.  Schwankend  äußert  sich  Kubitschek  im  Art.  aera  in  Pauly-Wisso- 
was  Real-Enz.  I,  649  f.  —  S.  überh.:  Noris  IV,  5,  5  (ed.  IAps.  p.  453—458). 
Peller  in ,  Recneil  de  medailles  de  peuples  et  de  villes  (3  Bde.,  Paris  1763)  II, 
216  $£.  Eckhelj  Doctr.  Num.  III,  362 sq.  Musei  Sanclementiani  Numis- 
mata  selecta  Pars  II  lib.  IV,  180—182.  Ideler,  Handb.  der  Chronologie  I, 
459.  Die  Münzen  bei  Mionnet  V,  359—362.  Suppl.  VIII,  258—260.  De 
Saulcy  p.  142 — 148.  405.  pl.  VI  n.  6 — 12.  Babelon,  Catalogue  des  monnaies 
grecques  de  la  Bibliotheque  nationale,  Les  Perses  Achemenides,  Cypre  et  Phinicie, 
1893,  p.  CLX1X sq.  205—207.  Am  vollständigsten:  Rouvicr,  Journal  inter- 
national d'archeologie  numismatique  t.  IV,  Athen  1901,  p.  125 — 131.  Ein  paar 
auch  bei  Macdonald,  Catal.  of  the  Hunterian  collection  III,  19C5,  p.  245. 

190)  S.  Mionnet,  de  Saulcy,  Babelon,  Rouvier  a.  a.  O.  —  Über  die  Titel 
s.  oben  S.  105.  Alle  vier  Titel  {leoä  aavloq  ahovofjtoq  vavao%lq)  zusammen 
auch  bei  Tripolis  (Dittenberger,  Orientis  graeci  inscr.  sei.  n.  587),  Laodicea  am 
Meere  (Dütenberger  n.  603),  Tyrus  (Ditlenberger  n.  595). 


[110.  111]  I.  Die  hellenistischen  Städte.    11.  Ptolemais.  141 

sehen  Gemeinde  in  Dora  ist  durch  einen  Vorfall  aus  der  Zeit  König 
Agrippas  I.  bezeugt:  eine  Anzahl  junger  Leute  stellte  einst  ein 
Bildnis  des  Kaisers  in  der  Judensynagoge  auf;  und  es  bedurfte 
des  energischen  Einschreitens  von  Seiten  des  Statthalters  Petronius 
in  einem  an  die  Behörden  von  Dora  (A&QLxcbv  rolg  xqc&toiq)  ge- 
richteten Schreiben,  um  den  Juden  die  ihnen  verbürgte  freie  Aus- 
übung ihrer  Religion  zu  sichern  (Anit.  XIX,  6,  3).  In  der  späteren 
Kaiserzeit  scheint  Dora  verfallen  zu  sein191.  Doch  werden  noch 
christliche  Bischöfe  bis  ins  siebente  Jahrhundert  erwähnt192.  | 

11.  Ptolemais,  ZZro^afe193.  Der  ursprüngliche  Name  der 
Stadt  ist  Akko,  te?  (Richter  1, 31),  auf  den  Amarna-Briefen  Akka ' 94, 
bei  den  Griechen  "Jxrj.  Unter  diesem  Namen  war  sie  den  Griechen 
schon  in  vorhellenistischer  Zeit  bekannt195.    Hier  sammelte  sich 


191)  Hieronymus  Onomast.  ed.  Klostermann  p.  79:  Dora  .  . .  nunc  de- 
serta.  Ibid.  p.  137:  Bor  aidem  est  oppidum  jam  desertum.  Derselbe,  Pere- 
grinaiio  Paulae  —  epist.  108  ad  Eustoehium  o.  8  (opp.  ed.  Vallarsi  I,  696,  auch 
bei  Tobler,  Palaestinae  deseriptiones  1869,  p.  13):  ruinös  Bor,  urbis  quondam 
potentissimae. 

192)  Le  Quien,  Oriens  ehristianus  III,  574—579. 

193)  Eine  Beschreibung  der  Lage  s.  bei  Joseph.  B.  J.  II,  10,  2.  —  Vgl. 
übern.:  Beland  p.  534—542.  Pauly  Real-Enz.  VI,  1,  243.  Winer  *.  v.  Acco. 
Baumer  S.  119 f.  Ritter  XVI,  725—739.  Robinson,  Neuere  bibL  For- 
schungen in  Pal.  (1857)  S.  115—129.  Sepp,  Jerusalem  II,  513 ff.  Guerin, 
Qalilie  I,  502— 525.  Bädeker-Socin,  Paläst.,  3.  Aufl.  S.  235  ff.  (mit  Plan  des 
heutigen  Akka).  The  Survey  of  Western  Palestine,  Memoirs  by  Gonder  and 
Kitchener  1, 145.  160—167,  dazu  Bl.  III  der  engl.  Karte.  Ebers  und  Guthe, 
Palästina  Bd.  II,  S.  450.  Legendre  Art.  Aceho  in:  Vigouroux,  Dictionnaire 
de  la  Bible  I,  108 — 112.  Rouvier,  Ptollmdis-Ace,  ses  noms  et  ses  eres  sous 
les  Selencides  et  la  domination  romaine  (Revue  biblique  1899,  p.  393 — 408). 
G.  A.  Smith,  Art.  Ptolemais  in:  Encyclopaedia  Biblica  ed.  by  Cheyne  and 
Black  IH,  3967  ff.  (bes.  über  die  älteste  Geschichte).  Le  Strange,  Palestine 
under  the  Moslems  p.  328 — 334. 

194)  Zeitschr.  des  DPV.  1907,  S.  7. 

195)  Scylax  in:  Geogr.  gr.  min.  ed.  Mittler  I,  79.  —  Isaeus  Orat.  IV,  7.  — 
Demosthenes  Orat.  52  contra  Callippum  §  24  (wo  statt  des  überlieferten  Boqxriv 
zu  lesen  ist  "Axrjv,  wie  schon  Valesius  auf  Grund  der  Glosse  bei  Harpoeration 
Lex.  8.  v.  "Axtj  gezeigt  hat).  —  Biodor.  XV,  41.  XIX,  93.  —  Trogus  Pompeius 
Prot.  10.  —  Polyaen.  III,  9,  56.  —  Cornel.  Nepos  XIV  Batamts  e.  5.  —  Heron- 
dae  Mimiambi  ed.  Orusius  (1892),  II,  16.  —  Den  alten  und  den  neuen  Namen 
zugleich  geben  Strabo  XVI,  p.  758.  Plinius  H.  N.  V,  19,  75.  Charax  bei 
Steph.  Byx.  s.  v.  Jibpog.  Claudius  Julius  bei  Steph.  By%.  s.  v.  'Axtj.  Stephan. 
Byx.  ibid.  und  s.  v.  llxoXefiatQ.  —  Harpoeration  Lex.  {ed.  Bindorf)  s.  v.  "Axt}' 
ndkig  aSxn  4v  4>oivtxy  JrjfiooBivijt;  iv  xy  noöq  KdXhmtov.  "Hv  Nixävwg  6 
nsol  (levovofiaOLuJv  ysyoayioQ  xal  Ka)Jklfxaxoq  iv  xotq  vTco/uvtj/LcaOL  x^v  v%v 
UxoXsfiatSa  xalovfiivrjv  <paolv  elvai.  Jr^^xpiog  6h  lölcog  x^v  äxoSnoXiv  xrjt; 
IlxotefiatSog  itoöxegov  "Axrjv  un'o/uäo&cu  <prjoiv.  Vgl.  dazu  Kuhn  II,  331. 
Kallimachus   ist  der  bekannte,   unter  Ptolemäus  IL   Philadelphia   lebende 


142  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  IUI.  112] 

um  das  Jahr  374  vor  Chr.  das  Heer  des  Artaxerxes  Mnemon  zum 
Feldzug  gegen  Ägypten196.  Zur  Zeit  des  Isäus  und  Demosthenes 
befand  sich  in  Ake  eine  Handelsniederlassung  von  athenischen 
Kaufleuten  (s.  Anm.  195).  Zur  Zeit  Alexanders  des  Großen  muß 
Ake  eine  bedeutende  Stadt  gewesen  sein.  Denn  unter  den  in 
Phönizien  geprägten  Münzen  Alexanders  sind  namentlich  auch  die 
von  Ake  sehr  zahlreich.  Sie  haben  den  Namen  Alexanders  in 
griechischer,  den  der  Stadt  in  phönizischer  Schrift  CJZsgapÖQov, 
3*,  einigemal  auch  KD*),  un(i  die  Jahreszahlen  einer  Ära,  welche 
mit  Alexander  d.  Gr.  beginnt.  Wie  anderwärts,  so  sind  auch  in 
Ake  diese  Münzen  noch  geraume  Zeit  nach  dem  Tode  Alexanders 
geprägt  worden 197.    Im  Jahre  312  wurde  Ake  von  Ptolemäus  Lagi 


Dichter;  über  dessen  historisch-geographische  Schriften  8.  Susemihl,  Gesch. 
der  griech.  Literatur  I,  366  f.;  über  Demetrius  von  Magnesia,  einen  Zeitge- 
nossen des  Cicero,  s.  Susemihl  I,  507.  Aus  Harpokration  sind  die  Artikel 
über  *Axn  im  Etymologicum  magnum  und  bei  Suidas  geschöpft.  S.  die  Texte 
bei  Bei  and  p.  536  sq.  —  Eine  Münze  von  Axr\  bei  Mionnet  V,  473.  De  Saulcy 
p.  154,  pl.  VIII  n.  2.  Einige  andere  bei  Reichardt,  Numismatic  Chroniele 
1862,  p.  108.  1864,  p.  187.  Wiener  Numismat.  Monatshefte,  herausg.  von 
Egger  Bd.  II,  1866,  S.  3.  Babel on,  Catalogue  etc.  Lee  Perses  Archbnenides, 
1893,  p.  CLXXVm  u.  220.  Rouvier,  Revue  biblique  1899,  p.  395—397,  406  «£. 
Ders.  Journal  international  tfarchiol.  numism.  IV,  1901,  p.  211  (Babelon  setzt 
diese  Münzen  um  38—24  vor  Chr.,  Rouvier  um  14  vor  —14  nach  Chr.).  — 
Zur  älteren  Geschichte  von  Ake  vgl.  bes.  auch  das  Fragm.  aus  Menander  bei 
Joseph.  Antt.  IX,  14,  2  und  dazu  Gutschmid,  Kleine  Schriften  II,  66  (statt  "Axrj 
hat  hier  freilich  die  Mehrzahl  der  Handschriften  *Aoxri,  was  aber  nach  dem 
Zusammenhang  schwerlich  richtig  ist,  da  Arka  viel  zu  weit  nördlich  liegt). 

196)  Diodor  XV,  41.  Trogus  Pompeius  Prol.  10.  Hierauf  bezieht  sich 
auch  Polyaen.  IH,  9,  56.  Cornel.  Nepos  XIV,  5.  Vgl.  Strabo  XVI  p.  758: 
EW  %  nroksfiatg  icn  fieydXij  ndhg  JJv  "Axrjv  wvdfta^ov  iZQÖveoov,  y  ixQ&vto 
oQfirjzTjQUo  ngöq  x^v  AXyvnxov  ol  (liocai.  Über  die  ägyptisch -per- 
sischen Beziehuugen  im  4.  Jahrh.  überb.  s.  Judeich,  Kleinasiatische  Studien 
(1892)  S.  144  ff. 

197)  S.  Eekhel  III,  408 sq.  Mionnet  I,  520«?.,  dazu  Recueil  des  planches, 
pl.  XXI  n.  1—10,  Suppl.  III,  197  sq.  und  pL  H,  n.  1—6.  Oesenius,  Scripturae 
linguaeque Phoeniciae  monumenta p.  269 sq.  L.  Müller,  Numismatique  d? Alexan- 
dre le  Grand  (1855)  p.  303  sq.,  dazu  planches  n.  1426—1463.  Macdonald, 
Catalogue  of  Oreek  Co  ins  in  the  Eunterian  collection  vol.  I,  1899,  p.3\4.  Rouvier, 
Journal  international  dtarch&ol.  numism.  IV,  1901,  p.  193 — 199.  —  Zahlreiche 
Exemplare  dieser  Münzen  (Goldstateren  Alexanders,  bes.  solche  mit  den  Jah- 
reszahlen 23  und  24)  sind  bekannt  geworden  durch  einen  großen  Münzfund 
bei  Sidon  im  J.  1863.  S.  darüber:  W(eckbecker)  in  den  Wiener  Numisma- 
tischen Monatsheften  hrsg.  von  Egger  Bd.  I,  1865,  S.  5— 11.  Waddington  in 
d.  Revue  Numismatique  1865  p.  3—25.  Droysen,  Geschichte  des  Hellenismus 
(2.  Aufl.)  1, 1,  302—304.  Ders.,  Monatsber.  der  Berliner  Akademie  1877,  S.  40  ff. 
—  Über  Tetradrachmen  Alexanders  d.  Gr.  von  Ake  mit  den  Jahreszahlen  10, 
16,  22,  31,  32,  welche  „von  einem  Armenier  aus  Mossul  ungefähr  zur  selben 


[112]  I.  Die  hellenistischen  Städte.   11.  Ptolemais.  143 

geschleift,  als  dieser  das  eben  eroberte  Cölesyrien  vor  Antigonus 
wiederum  räumte198.  Ob  Seleukus  L  Ake  besessen  hat,  wie  auf 
Grund  der  Münzen  von  manchen  angenommen  wird,  ist  mindestens 
sehr  fraglich,  da  sich  seine  Herrschaft  an  der  phönizischen  Küste 
schwerlich  so  weit  südlich  erstreckt  hat  (s.  oben  S.  97) 199.  Durch 
Ptolemäus  II.  erhielt  Ake  den  Namen  IlroXefiälg,  der  von  nun  an 
der  herrschende  wurde200.    Doch  hat  der  ursprüngliche  Name 


Zeit  [1862—1863]  in  Beirut  zu  Markte  gebracht  wurden",  berichtet  Weck- 
becker  in  Eggers  Wiener  Numisniat.  Monatsheften  I,  98—99.  —  Über  die 
Tatsache,  daß  man  Münzen  mit  dem  Kamen  Alexanders  auch  noch  nach 
dessen  Tode  geprägt  hat,  s.  L.  Müller ,  Numismatique  d?  Alexandre  le  Grand 
p.  50—90.  Auf  den  Münzen  von  Ake  finden  sich  die  Jahreszahlen 
5 — 46  (bei  Macdonald  auch  3,  ob  richtig  gelesen?).  Da  als  Ausgangspunkt 
d.  J.  334  oder  333  anzunehmen  ist,  so  sind  diese  Münzen  auch  noch  nach 
dem  J.  306,  wo  die  Diadochen  den  Königstitel  annahmen,  etwa  zwei  De- 
zennien lang  geprägt  worden.  S.  bes.  Müller  p.  80 — 83.  Noch  zwei  De- 
zennien weiter  herab  würden  wir  geführt  werden,  wenn  als  Ausgangspunkt 
die  seleucidische  Ära  v.  J.  312  v.  Chr.  anzunehmen  wäre.  So  Six,  Uere  de 
Tyr  (Nwnismatic  Chronicle  1886,  p.  97 — 113,  bes.  104  f.)  und  nach  ihm  Head, 
Historia  Numorum  1887,  p.  677  und  Babelon,  Cataloyue  etc.  Les  Perses  Acke- 
menides,  1893,  p.  CLXXVil.  Das  Hauptargument  hierfür  ist,  daß  die  da- 
tierten Münzen  des  Ptolemäus  IL  in  Ake-Ptolemais  im  J.  261  v.  Chr.  beginnen, 
so  daß  sich  diese  sehr  passend  an  die  Reihe  der  Alexandermünzen  (308 — 267 
v.  Chr.)  anschließen  würden.  Aber  dieses  Argument  ist  doch  nicht  entschei- 
dend; und  andererseits  ist  es  unwahrscheinlich,  daß  die  Reihe  der  Alexander- 
münzen erst  geraume  Zeit  nach  dem  Tode  Alexanders  beginnen  soll.  Gegen 
Six  und  Bahelon,  und  für  eine  Ära  v.  333  v.  Chr.  s.  bes.  Rouvier,  Vhre 
$  Alexandre  le  Grand  en  Phenicie  aux  IV  o  et  III  e  sücles  avant  J.-C.  (Revue 
des  Üudes  grecques  1899,  p.  362—381).  Ders.,  Uere  d Alexandre  le  Grand  en 
Phenicie,  note  complimentaire  (Revue  Numismaiique  IV me  Serie  t.  VII,  1903, 
p.  239 — 251)  [die  erste  Abhandlung  nach  den  Münzen  von  Tyrus  und  Akko, 
die  zweite  nach  denjenigen  von  Sidon  und  Aradus]. 

198)  Diodor.  XIX,  93.  —  Vgl.  oben  Anm.  70  (Gaza)  und  146  (Jope). 

199)  Über  die  angeblich  in  Ake  geprägten  Münzen  des  Seleucus  I.  s. 
Babelon,  Catalogue  ete.  Les  rois  de  Syrie,  1890,  p.  XI,  XXXVI  u.  p.  1.  Rou- 
vier, Journal  international  (Parchiol.  numism.  1901,  p.  200.  —  Gegen  Babelon: 
Bei  och,  Archiv  f.  Papyrusforschung  II,  1903,  S.  231  f.  Lehmann,  Beiträge 
zur  alten  Geschichte  III,  1903,  8.  518:   „Aber  selbst  für  Ake  kann  ich  die 

seleukidische  Herrschaft  nicht  für  erwiesen  halten Es  bleibt  nur  der 

Anker  als  seleukidische  Hausmarke  auf  einem  der  Goldstateren  [Babelon 
p.  XI].  Wenn  hier  nicht  eine  etwa  auf  Nachprägung  beruhende  zufällige 
Äußerlichkeit  vorliegt,  so  kann  daraus  nur  auf  eine  Hinneigung  der  unter 
ägyptischer  Oberherrschaft  stehenden  autonomen  Stadt  zum  Seleukidenreiche 
geschlossen  werden". 

200)  Auf  Ptolemäus  IL  wird  die  Neugründung  (und  Namengebung)  aus- 
drücklich zurückgeführt  bei  Pseudo-Aristeas  (ed.  Wendland  §  115):  TltoXeiialda 
xty  heb  toi)  ßaaiXiwq  ixriotu4vrjv.  —  Dies  ist  gewiß  richtig.  Die  phönizischen 
Münzen  mit  dem  alten  Namen  ZT  gehen  beinahe  bis  zum  Regierungsantritt  des 


144  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [113] 

Akko  sich  daneben  ununterbrochen  erhalten,  ja  später  den  griechi- 
schen wieder  verdrängt201.  Bei  der  Erneuerung  durch Ptolemäus  II. 
muß  es  auch  bedeutend  erweitert  worden  sein;  denn  dies  besagt 
die  Notiz  des  Demetrius  von  Magnesia,  daß  eigentlich  nur  die 
Akropolis  von  Ptolemais  früher  Ake  geheißen  habe  (s.  Anm.  195). 
Die  datierten  Münzen  des  Ptolemäus  IL,  welche  in  Ptolemais  ge- 
prägt sind,  gehen  von  dessen  25.  bis  38.  Regierungsjahre  =  261  bis 
248  vor  Chr.,  die  des  Ptolemäus  III.  von  seinem  2.  bis  5.  =  245 
bis  242  vor  Chr.,  von  Ptolemäus  IV.  gibt  es  nur  undatierte202. 
Auch  in  der  seleucidischen  Zeit  erscheint  Ptolemais  als  eine  der 
wichtigsten  Städte  der  phönizisch-philistäischen  Küste.  Die  Er- 
oberung dieser  Gebiete  durch  Antiochus  d.  Gr.  im  Jahre  219  wurde 
diesem  eben  dadurch  sehr  erleichtert,  daß  ihm  die  Städte  Tyrus 
und  Ptolemais  durch  den  ptolemäischen  Feldherrn  Theodotus  aus- 


Ptolemäus  IL  (285  v.  Chr.).  Aber  schon  der  unter  Ptolemäus  II.  lebende 
Dichter  Kallimachus  kennt  den  neuen  Namen  der  Stadt  (nach  der  Notiz  im 
Lexikon  des  Harpokration,  s.  oben  Anm.  195).  Daß  Ptolemäus  II.  Phila- 
delphus  Städtegründungen  in  Palästina  vornahm,  zeigt  das  Beispiel  von  Phila- 
delphia (s.  unten).  Im  J.  219 — 217  wird  Ptolemais  unter  diesem  Namen  bei 
Polybius  erwähnt,  ohne  daß  Polybius  andeutet,  daß  es  damals  noch  nicht  so 
geheißen  habe  (Polyb.  V,  61 — 62.  71).  Vollends  beweisend  ist  aber,  daß  es 
Münzen  des  Ptolemäus  II  gibt,  welche  das  griechische  Monogramm  von  Ptole- 
mais haben  (s.  Anm.  202).  —  Neuerdings  glaubt  man  auch  eine  Statue  des 
Ptolemäus  Philadel phus  daselbst  gefunden  zu  haben,  s.  Revue  archio- 
logique  Dlme  Serie,  T.  XXI,  1893,  p.  98:  On  vient  de  dfcouvrir  . . .  deux  statues 
admirablement  conserrees  de  Vepoque  alexandrine.  Quelques  objets  d?arty  d'argent 
et  d'or,  tres  finement  ciseles,  des  armes  et  de  nombreuses  midailles,  troutees 
au  mime  endroit,  ont  permis  <Fetablir  que  ces  deux  statues,  qui  devaient  etre 
reunies  par  un  sceptre  dont  les  fragmefits  adherent  aux  mains,  reprisentaient 
Ptolimee  Philadelplie  aprks  son  mariage  avec  Arsinoe,  fille  de  Lysimaque.  Ces 
deux  statues  iront  orner  le  jardin  d'ete  d' Abdul- Hamid.  —  Vgl.  auch  Droysen 
HI,  2,  305. 

201)  Der  Name  iss?  namentlich  auch  in  der  rabbinischen  Literatur,  s. 
Mischna  Nedarim  KT,  6.  Gittin  I,  2.  VII,  7.  Aboda  sara  HI,  4.  Ohaloth  XVIII,  9. 
Die  Stellen  der  Tosephta  im  Index  zu  Zuckermandels  Ausg.  (1882).  Neubauer, 
Geographie  du  Talmud  p.  231  sq.  —  Noch  heutzutage  heißt  die  Stadt  Akka. 
S.  Zeitschr.  des  DPV.  XVI,  56. 

r202)  Feuardent,  Numismatique,  JÜgypte  ancienne,  [1869]  P.  I:  Monnaies 
des  Rois  p.  38  sq.  —  Catalogue  of  the  greek  coins  in  the  British  Museum,  Ptole- 
mies  Kinjs  of  Egypt  p.  33,  34  (Ptolemäus  II.).  Ibid.  p.  49,  50,  53,  54  (Ptole- 
mäus HI.).  Ibid.  p.  65  (Ptolemäus  IV.).  —  Head,  Historia  Numorum  p.  677,  — 
Svoronos,  Les  monnaies  de  Ptolimee  U  qui  portent  daXes  (Revue  Beige  de 
Numismatique  1901,  p.  263—298,  387—412,  über  Ptolemais:  p.  280—282). 
HßOQwvog,  Tä  voftlofjtava  xov  xgaxovq  x(bv  IlxoXefialwv,  1904,  Tl. II,  p.  113—116 
(Ptolemäus  II.),  p.  163  (Ptolemäus  III.),  192  (Ptolemäus  IV.);  da*u  die  ent- 
sprechenden Abbildungen  in  Tl.  III. 


[113.  114]  I.  Die  hellenistischen  Städte.   11.  Ptolemais.  145 

geliefert  wurden203.  Im  Jahre  218/217  überwinterte  Antiochus  in 
Ptolemais204.  Nach  der  definitiven  Besitznahme  Phöniziens  durch 
die  Seleuciden  wurde  Ptolemais  von  diesen  besonders  begünstigt 
Auf  Münzen,  namentlich  aus  der  Zeit  Antiochus'  IV.  und  VIII., 
aber  auch  noch  aus  römischer  Zeit,  nennen  sich  die  Einwohner 
*Avtiox&$  °l  &v  nvoZefiätdi,  zuweilen  mit  dem  Zusatz  IsQa  aovlog, 
einigemal  IsQa  avtovofiog.  Die  Befugnis  der  Einwohner,  sich 
UvTioxetg  zu  nennen,  ist  als  eine  Gunstbezeugung  zu  betrachten, 
die  auch  von  manchen  anderen  Städten,  z.  B.  von  Jerusalem  unter 
der  |  Herrschaft   der   hellenistischen  Partei,    erstrebt   wurde205. 


203)  Polyb.  V,  61—62.   Vgl.  Stark,  Gaza  S.  375  ff.    Niese,  Gesch.  der 
griech.  und  makedon.  Staaten  II,  374  f. 

204)  Polyb.  V,  71. 

205)  Die  fraglichen  Münzen  s.  bei  Echhel  HE,  305  sq.  Mionnet  V,  37  sq. 
88.  216— 2ia  Suppl.  VIII,  30.  De  Saulcy,  Numismatie  Ghronicle  1871, 
p.  84 — 88  (reiche  Sammlung  des  Materiales,  aber  mit  sehr  verkehrter  Deu- 
tung). Gardner,  (Mal.  of  tke  greeh  eoins  in  the  British  Museum,  Seleudd 
Kings,  p.  41.  Read,  Historia  Numorum  p.  658.  Babelon,  Gatalogue  des 
monnaies  greeques  de  la  Biblioth&que  nationale,  Les  rois  de  Syrie  (1890)  p.  CHI  sq. 
b&sq.  79.  Babelon,  Gatalogue  des  monnaies  greeques  de  la  Biblioth&que  natio- 
nale, Les  Perses  Acheminides,  Oypre  et  PhSnicie  (1893)  p.  CLXXVHs^.  218— 
220.  Rouvier,  Plolimäis-Ace,  ses  noms  et  ses  eres  sous  les  Sileucides  et  la 
domination  Romaine  avant  sa  transformation  en  eolonie  Romaine  (Revue  bibli- 
que  VIII,  1899,  p.  393 — 408).  Rouvier,  Journal  international  d'arckSologie 
numismatique  IV,  1901,  p.  201,  207  sq.,  211—213,  215.  Schon  der  Umstand, 
daß  Uoa  üovXog  als  Apposition  zu  'Avtiox&g  hinzutritt  (Avtiox^wv  zCbv  iv 
IlzoXepatdi  legag  äavXov,  ähnlich  auf  den  Münzen  von  Hippus,  s.  unten 
Nr.  13),  beweist,  daß  es  sich  um  die  Stadt  Ptolemais  und  um  deren  ge- 
samte Bürgerschaft,  nicht  bloß  um  eine  Kolonie  von  Antiochenern  in  Ptole- 
mais handelt  (letzteres  Eck  hei  und  noch  Kuhn  I,  22,  Babelon  und  Rou- 
vier; s.  dagegen  Stark  S.  449,  Droysen  III,  2,  305,  Bevan,  Tke  house  of 
Seleucus  H,  152,  not.  6).  —  Die  offizielle  Benennung  der  Bürger  als  'AvuoxeTg 
wurde  z.  B.  auch  von  der  hellenistischen  Partei  in  Jerusalem  erstrebt,  s. 
II  Makk.  4,  9:  Jason  versprach  große  Summen,  wenn  gestattet  würde  toi>q 
iv  %QoaoXvpoig  'Avzioxetg  ä\vayoa\pa(,  =  „die  Einwohner  Jerusalems  öffentlich 
als  'AvuoxeTg  zu  bezeichnen",  vgl.  4,  19:  er  schickte  zu  den  Festspielen  des 
Herakles  nach  Tyrus  BecDQOvq  <oq  &nb  'ieQoaoXvfiatv  'AvzioxeTq  övzaq.  Ahnlich 
nannten  sich  die  Bürger  von  Adana  in  Cilicien  ÄrzioxeTq  ol  itQÖq  zw  2äQ(o, 
von  Tarsus  *4vzioxeTq  ol  nodq  tw  KvSvo),  von  Edessa  'AvxioxeTq  ol  inl 
KaXXiQdy,  von  Hippus  'AvxioxeTq  ol  nobq  °lnn& ,  von  Gerasa  'AvzioxsTq  ol 
nQÖg  tat  XovaoQÖa.  In  dieselbe  Kategorie  gehören  die  Benennungen  SeXev- 
xetg,  yEm<pav£Tq  und  TlofinriiBiq,  raßivieiq,  KlavSieXq.  Die  Benennung  'Avziox&q 
hat  also  mit  der  Stadt  Antiochia  (der  Hauptstadt  Syriens)  und  ihrem  Bürger- 
rechte nichts  zu  tun,  sondern  sie  ist  direkt  vom  Namen  des  Königs  abzu- 
leiten. Die  *4vTioxeTg  sind  die  Königstreuen.  Indem  man  sich  so  nennt, 
huldigt  man  dem  König;  aber  es  ist  auch  eine  Gunsterweisung  von  Seiten  des 
Königs,  wenn  er  die  Benennung  gestattet.    Vgl.  überhaupt  Babelon,  Gata- 

Sohürer,  Geschichte  II.  4.  Aufl.  10 


146  §  23«  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [114.  115] 

Seleucidische  Königsmttnzen,  die  in  Ptolemais  geprägt  sind,  gibt 
es  von  den  meisten  Seleuciden  von  Antiochus  IV.  bis  Antio- 
chus  XII.206.  Die  Stadt  wurde  gerne  von  den  Königen  bei  vorüber- 
gehendem Aufenthalt  in  jenen  Gegenden  als  Residenz  benützt 
(I  Makk.  10,  56—60.  11,  22.  24).  Den  Juden  gegenüber  hat  sie  sich 
stets  feindlich  gezeigt.  Schon  im  Beginn  der  makkabäischen  Er- 
hebung waren  es  namentlich  die  Städte  Ptolemais,  Tyrus  und 
Sidon,  welche  die  von  der  syrischen  Herrschaft  abgefallenen  Juden 
bekämpften  (I  Makk.  5,  15  ff.).  Hier  wurde  auch  Jonathan  ver- 
räterischerweise von  Trypho  gefangen  genommen  (I  Makk.  12,  45  ff.). 
Nach  dem  Regierungsantritt  des  Alexander  Jannäus,  104  vor  Chr., 
als  die  Seleuciden  im  Süden  ihres  Reiches  bereits  alle  Macht  ver- 
loren hatten,  stritten  sich  drei  benachbarte  Mächte  um  den  Besitz 
von  Ptolemais.  Zuerst  hatte  Alexander  Jannäus  die  Absicht, 
Ptolemais  zu  erobern.  Er  wurde  an  der  Ausführung  seines  Vor- 
habens gehindert  durch  Ptolemäus  Lathurus,  den  Beherrscher  von 
Cypern,  der  selbst  die  Stadt  mit  Gewalt  nahm  (Jos.  AntL  XIII,  12, 
2—6).  Diesem  aber  wurde  sie  sofort  wieder  entrissen  durch  seine 
Mutter  Kleopatra,  die  Königin  von  Ägypten  (AntL  XIII,  13, 1—2). 
Daß  aber  Ptolemais  doch  noch  um  das  Jahr  90  und  etwas  später 
unter  der  Herrschaft  der  Seleuciden  gestanden  hat,  bezeugen  die 
Münzen  des  Philippus  |  und  Antiochus  XII.207.  Die  Macht  des 
armenischen  Königs  Tigranes,  der  im  Jahre  83  vor  Chr.  das  Se- 
leucidenreich  eroberte,  erstreckte  sich  augenscheinlich  nicht  über 
die  südlichsten  Teile.  Denn  Ptolemais  stand  noch  um  das  Jahr  70 
vor  Chr.  unter  der  Herrschaft  oder  doch  unter  dem  Einfluß  der 
Kleopatra  Selene,  einer  Tochter  der  eben  genannten  Kleopatra  und 
Schwester  des  Ptolemäus  Lathurus.  Selene  war  einst  mit  ihrem 
Bruder  Ptolemäus  Lathurus  vermählt  gewesen,  war  aber  dann 
durch  ihre  Heirat  mit  Antiochus  VIII.  Grypos,  Antiochus  IX. 
Kyzikenos  und  Antiochus  X.  Eusebes  eine  syrische  Königin  ge- 
worden208.   Sie  scheint  im  südlichsten  Syrien  noch  eine  kleine 


logue  etc.    Les  rois  de  Syrie  (1890)  p.  CI— CIV  u.  77—81.    Revue  Numism. 
1898,  p.  186.    Hill,  Historical  greek  coins  1906,  p.  143—145. 

20(5)  Gardner,  Catal.  of  (he  greek  coins  etc.  p.  44.  47.  52.  Babelon, 
Catalogae  des  monnaies  grecques  de  la  Bibliotheque  nationale,  Les  rois  de  Syrie 
(1890)  p.  70,  88,  91,  98,  130,  131,  137,  155,  156,  175,  187,  204,  209.  Rouvier, 
Journal  international  cTarcheol.  numism.  IV,  1901,  p.  202 — 207. 

207)  Babelon,  Catalogue  etc.  Les  rois  de  Syrie,  204,  209.  Rouvier, 
Journal  internat.  etc.  1901,  p.  206  sq. 

208)  Selene  hatte  bald  nach  dem  Tode  ihres  Vaters  Ptolemäus  Physkon 
(117/116  v.  Chr.)  auf  Betrieb  ihrer  Mutter  ihren  Bruder  Ptolemäus  Lathurus 
geheiratet  (Justin.  Rist.  XXXIX,  3,  2).   Ebenfalls  auf  Betrieb  der  Mutter  hei- 


[115]  I.  Die  hellenistischen  Städte.    11.  Ptolemais.  147 

Teilherrschaft  behauptet  zu  haben209.  Auf  ihren  Betrieb  schloß 
Ptolemais  vor  Tigranes,  als  dieser  um  das  Jahr  70  nach  Süden 
vordrang,  die  Tore;  wurde  darauf  zwar  von  Tigranes  erobert,  je- 
doch alsbald  wieder  dadurch  befreit,  daß  Tigranes  wegen  des 
Angriffs  der  Römer  auf  sein  Reich  sich  zum  Rückzug  genötigt 
sah  (Jos.  Antt.  XIII,  16,  4.  B.  J.  I,  5,  3).  Besondere  Begünstigung 
scheint  Ptolemais  durch  Cäsar  erfahren  zu  haben,  als  dieser  im 
Jahre  47  die  syrischen  Verhältnisse  ordnete.  Es  gibt  nämlich 
Münzen  aus  der  Kaiserzeit  mit  einer  Ära,  welche  auf  Cäsar  zu- 
rückgeht210. Wahrscheinlich  gehören  in  diese  Zeit  (bald  nach 
Cäsar)  auch  die  Münzen  mit  der  Legende  nroXefiaiiwv  leQaq  xal 
dövXov  (oder  ähnlich) m.  Vorübergehend  haben  sich  die  Einwohner, 
wie  es  scheint,  (zu  Ehren  des  Germanicus  oder  Caligula)  auch 
rsQfiavtxelg  genannt212.   Kaiser  Claudius  siedelte  in  Ptolemais  eine 


ratete  sie  später  den  syrischen  König  Antiochus  VIII  Grypos,  mit  welchem 
Kleopatra  damals  verbündet  war  (Justin.  Hist.  XXXIX,  4, 1—4).  Nach  Appian. 
Syr.  69  war  Selene  auch  mit  Antiochus  IX.  Kyzikenos  und  mit  dessen  Sohn 
Antiochus  X.  Eusebes  vermählt.  In  betreff  des  Antiochus  IX.  (f  95  vor  Chr.) 
macht  es  einige  Schwierigkeit,  daß  er  den  Antiochus  VIIL  (f  96  vor  Chr.)  nur 
um  ein  Jahr  überlebt  hat;  doch  hebt  Appian  ausdrücklich  hervor,  daß  Selene 
die  Gemahlin  der  genannten  drei  syrischen  Könige  war.  Bei  der  Einnahme 
von  Ptolemais  durch  Tigranes  scheint  sie  in  die  Gefangenschaft  des  letzteren 
geraten  zu  sein,  denn  Tigranes  ließ  sie  bald  darauf  zu  Seleucia  am  Euphrat 
hinrichten  {Sirabo  XVI,  2,  3  p.  749).  Vgl.  über  sie  überh.  Adolf  Kuhn,  Bei- 
träge zur  Gesch.  der  Seleukiden  (Altkirch  i.  E.  Progr.  1891)  S.  21.  42.  Strack, 
Die  Dynastie  der  Ptolemäer  1897,  S.  201  u.  Stammbaum  am  Schluß.  Bevan, 
The  house  of  Seleucus,  1902,  II,  304,  Appendix  W  (ist  geneigt,  eine  ältere  und 
jüngere  Selene  zu  unterscheiden). 

209)  Josephus  sagt  Antt.  XIII,  16,  4:  ßaolXieoa  yäo  Sek^vij  %  xal  KXeo> 
naxQa  xalovfiivrj  tGjv  iv  JSvolq  xaxfjQXBv  (die  LA.  xaxrjgxev  ist  zwar  schwach 
bezeugt;  aber  das  von  Niese  aufgenommene  xaxtyeiv  ist  grammatisch  un- 
möglich). 

210)  S.  Eckhel  III,  425.  De  Saulcy  p.  162.  164.  166.  Babelon,  Cata- 
logue  etc.  Les  Perses  Achhninides  etc.  p.  225.  Rouvier,  Ptolemais- Ac&,  ses 
noms  et  ses  eres  etc.  (Revue  biblique  VIII,  1899,  p.  393 — 408).  Rouvier,  Jour- 
nal international  d'archSol.  numism.  1901,  p.  215,  221,  223,  224  (Münzen  des 
Claudius,  Caracalla  (?) ,  Elagabal  und  Alexander  Severus).  —  Ptolemais  war 
nicht  die  einzige  Stadt,  welche  durch  Cäsar  begünstigt  wurde;  vgl.  Mar* 
quardt  I,  397. 

211)  S.  diese  bei  de  Sauley  p.  154—156  (teilweise  nach  Babelon  zu  be- 
richtigen). Babelon,  Catalogue  etc.  Les  Perses  AchSmSnides  etc.  p.  CLXXVHIs^. 
220 sq.  Rouvier ,  Revue  biblique  1899,  p.  405 sq.  Rouvier,  Journal  interna- 
tional farchiol.  numism.  1901,  p.  209—211. 

212)  So  Imhoof-Blumer  in  der  Wiener  Numismat.  Zeitschrift  Bd.  33, 
1901,  S.  10—12,  nach  zwei  Münzen  (auf  der  einen:  reopavi  .  .  .  tefiarti,  auf 
der  anderen  .  .  xewv  xmv  sv  JIxoX,  zusammen:  reQfiavixiajv  xwv  iv  IIxole- 
fxalSt). 

10* 


148  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [115.  116] 

Veteranenkolonie  an.  Die  Stadt  hieß  daher  von  nun  an  colonia 
Ptolemais,  hatte  jedoch  nicht  die  Rechte  einer  Kolonie213.  Beim 
Ausbruch  des  jüdischen  Krieges  wurden  die  Juden  in  Ptolemais, 
2000  an  der  Zahl,  von  den  dortigen  Einwohnern  niedergemacht 
(Ä  J.  II,  18,  5).  Das  Gebiet  von  Ptolemais  wird  von  Josephus  als 
Westgrenze  Galiläas  erwähnt  (Bell.  Jud.  III,  3,  1;  vgl.  Vita  24). 
Charakteristisch  ist  die  Formel:  nroiefiatöa  xal  rrjv  xqooxvqovociv 
avzjj  seil.  x<®Qav  (I  Makk.  10,  39). 

Nächst  den  großen  Küstenstädten  gehören  in  die  Klasse  der 
selbständigen  hellenistischen  Kommunen  auch  die  Städte  der  sol- 
genannten Dekapolis.  Die  Organisation,  welche  mit  diesem  Aus- 
druck angedeutet  wird,  ist  wahrscheinlich  eine  Schöpfung  des 
Pompeius.  Denn  der  Begriff  (rj  AexaJzoXiq)  begegnet  uns  erst  in 
der  römischen  Zeit214;  und  die  Mehrzahl  der  zur  Dekapolis  ge- 
hörigen Städte  verdankt  eben  dem  Pompeius  ihre  selbständige 
politische  Existenz.  Es  sind  die  hellenistischen  Städte  des  Ost- 
jordanlandes, welche  von  Alexander  Jannäus  unterworfen,  durch 
Pompeius  aber  wieder  von  der  jüdischen  Herrschaft  befreit  wurden. 
Vermutlich  haben  sich  damals  diese  Städte  zu  einer  Art  von 
Städtebund  zusammengeschlossen,  der  ursprünglich  zehn  Städte 
umfaßte  und  daher  r)  Aexanolig  hieß,   diesen  Namen  aber  auch 


213)  Plinius  V,  19,  75:  colonia  Olaudi  Gaesaris  Ptolemais  quae  quondam 
Acce.  Vgl.  XXXVI,  26,  190.  —  Digest.  L,  15, 1,  3  (aus  Ulpianus):  Ptolemaeen- 
sium  enim  colonia,  quae  inier  Phoenicen  et  Palaestinam  sita  est,  nihil  praeter 
nomen  coloniae  habet  (hierzu  Noris  p.  427  sq.),  —  Auf  Münzen :  COL.  PTOL., 
einigemal  mit  den  Zahlen  der  VI.  IX.  X.  XI.  Legion.  —  S.  überh.:  Noris  IV, 
5,  2  (ed.  Ups.  p.  424—430).  Eckhel  III,  423—425.  Mionnet  V,  473—481. 
Suppl.  VIII,  324—331.  De  Saulcy  p.  153—169.  405  sq.  pl.  VIII  n.  2—11. 
Der s.,  MSlanges  de  Numismatique  t.  II,  1877,  p.  143—146.  Babelon,  Cata- 
logue  etc.  Les  Perses  Achäminides,  Oypre  et  Phinicie  p.  220 — 228.  Rouvier, 
Journal  international  dtarcheologie  numismatique  1901,  p.  213,  215 — 232.  Zumpt, 
Oomtnentatt.  epigr.  I,  386.    Marquardt,  I,  428. 

214)  Ev.  Malth.  4,  25.  Marc.  5,  20.  7,  31.  Plinius  H.  N.  V,  18,  74.  Josephus 
Bell.  Jud.  III,  9,  7.  Vita  65.  74.  Ptolemaeus  V,  15,  22  (?).  Corp.  biscr.  Graee. 
n.  4501  «=■  Waddington ,  Inscr.  n.  2631  «=  Ditlenberger,  Orientis  graed  insor. 
sei.  n.  631  (Inschrift  aus  der  Zeit  Hadrlans,  vgl.  unten  über  Abila).  Eusebius, 
Onomast.  ed.  Klostermann  p.  80.  Epiphanius  haer.  29,  7;  de  mens,  et  pond. 
§  15.  Stephanus  Byx.  s.  v.  rfyaoct  (der  überlieferte  Text  hat  hier  zeooaQSG- 
xaidexanöXsajq,  wofür  aber  Meineke  wohl  mit  Recht  ÖExandXeax;  liest).  —  Vgl. 
überh.:  Win  er  RWB.  5.  v.  „Decapolis".  Caspari,  Chronologisch -geogra- 
phische Einleitung  in  das  Leben  Jesu  Christi  (1869)  S.  83—90.  Roh  den, 
De  Palaestina  et  Arabia  provineiis  Romanis,  1885,  p.  4 — 13.  van  Easteren, 
Art.  Decapole,  in:  Vigouroux,  Dictionnaire  de  la  Bible.  Hölscher,  Palästina 
in  der  persischen  und  hellenistischen  Zeit,  1903,  S.  97  f.  ßchwartz,  Nach- 
richten der  Göttinger  Gesellsch.  der  Wissensch.,  phil.-hist.  KL  1906,  S.  365—376. 


[116]  I.  Die  hellenistischen  Städte.  149 

dann  noch  beibehielt,  als  die  Zahl  durch  den  Hinzutritt  anderer 
Städte  sich  erweiterte.  Wegen  ihrer  Befreiung  durch  Pompeius 
bedienen  sich  fast  alle  diese  Städte  einer  eigenen  Zeitrechnung, 
welche  man  die  pompeianische  Ära  zu  nennen  pflegt  Es  ist 
darunter  nicht  eine  einheitliche  Ära  zu  verstehen,  sondern  ein 
Komplex  von  Lokalären,  deren  Ausgangspunkte  verschieden  sind 
und  zwischen  64  und  61  vor  Chr.  variieren215.  Der  Umfang  der 
Dekapolis  ist  nicht  immer  derselbe  geblieben,  wie  Plinius,  unser 
Hauptgewährsmann,  ausdrücklich  bemerkt,  H.  N.  V,  18,  74:  Deco- 
polüana  regio  a  numero  oppidorum,  in  quo  non  omnes  eadem  observant, 
plurimum  tarnen  Damascum,  Philadelphiam,  Rhaphanarny  Scy- 
thopolim,  Gadara,  Hippon,  Dion,  Pellam,  Oalasam  [lies:  Oa- 
ra8am*=  Qerasam],  Ganatham.  Einen  viel  weiteren  Umfang  scheint 
Ptolemäus  V,  15,  22—23  (Didotsche  Ausgabe  V,  14, 18)  der  Deka- 
polis zu  geben.  Er  stellt  in  diesem  Abschnitt  alle  von  Plinius 
genannten  Städte,  außer  Baphana,  zusammen,  mit  ihnen  aber  noch 
neun  andere,  darunter  die  im  Libanon  gelegenen  Heliopolis  und 
Abila  Lysaniae.  Die  von  der  Mehrzahl  der  Handschriften  ge- 
botene Überschrift  dieses  Abschnittes  KolXrjg  2vqI<x<;  Aexaxokeax; 
ist  aber  an  sich  durch  ihre  Duplizität  befremdlich  (statt  Aexa- 
jcoZswg  haben  manche  6h  xäi  jtolewq,  was  dasselbe  ist;  die  Ein- 
schaltung eines  xäi  nach  2vglaq  ist  ohne  Bezeugung,  s.  den  kriti- 
schen Apparat  in  der  von  C.  Müller  begonnenen  und  von  Fischer 
fortgeführten  Didotschen  Ausgabe  vol.  I,  2, 1901).   Um  so  mehr  wird 


215)  Schwartz  a.  a.  O.  bekämpft  daher  den  Ausdruck  „pompeianische 
Ära".  Er  ist  aber  von  Sachverständigen  nie  in  einem  andern  als  dem  obigen, 
auch  von  Schwartz  als  richtig  erwiesenen  Sinne  gebraucht  worden.  —  Auch 
die  Vermutung,  daß  diese  Städte  eine  Art  von  Städtebund  gebildet  haben, 
lehnt  Schwartz  ab.  Sie  läßt  sich  allerdings  nicht  beweisen,  aber  noch  weniger 
widerlegen.  Schwartz  selbst  vermutet,  daß  diese  Städte  Gründungen  der 
ersten  Seleuciden  seien,  von  diesen  gedacht  „als  eine  große  Festung  des  sy- 
rischen Reichs  gegen  den  ägyptischen  Rivalen"  (S.  375).  Aexdnohg  sei  ur- 
sprünglich der  Name  einer  Provinz  des  Seleucidenreiches  im  3.  Jahrh.  vor 
Chr.  (S.  372 — 375).  Da  aber  das  ganze  Westjordanland  seit  Anfang  des 
3.  Jahrh.  vor  Chr.  den  Ptolemäern  gehörte  (s.  oben  S.  97),  ist  es  sehr  un- 
wahrscheinlich, daß  sich  die  Macht  der  Seleuciden  im  Ostjordanland  damals 
bis  Geraea  und  Philadelphia  erstreckt  und  daß  Skythopolis  ihnen  gehört 
haben  soll.  Es  wurde  im  3.  Jahrh.  wiederholt  um  den  Besitz  von  Damaskus 
gekämpft  (s.  oben  S.  97,  99).  Was  südlich  davon  lag,  wird  ptolemäisch  gewesen 
sein.  Sicher  ist,  daß  die  Städte  der  Dekapolis  (außer  Damaskus)  in  der 
zweiten  Hälfte  des  3.  Jahrh.  vor  Chr.  ptolemäisch  waren,  denn  sie  sind 
von  Antiochus  d.  Gr.  erobert  worden.  Philadelphia  gehörte,  wie  der  Name 
beweist,  bereits  dem  Ptolemäus  IL  Die  seleucidische  Provinz  „Dekapolis" 
wird  damit  zu  einer  sehr  fragwürdigen  Größe,  um  so  mehr,  als  der  Name  vor 
der  römischen  Zeit  nicht  nachweisbar  ist. 


150  §  23.  Verfassung.   Synedrium.  Hohepriester.  [116.  117] 

der  Minderzahl  der  Handschriften  zu  folgen  sein,  in  welcher  dexa- 
jioZecog  fehlt.  Es  ist  eine  in  den  Text  gekommene  Glosse.  Als 
Städte  der  Kolirj  2vqUx  werden  die  Städte  der  Dekapolis  auch 
sonst  bezeichnet  (bei  Steph.  Byz.:  Skythopolis,  Pella,  Dium,  Gerasa; 
auf  Münzen:  Gadara,  Abila,  Philadelphia;  s.  unten  bei  den  einzelnen 
Städten).  Demnach  kommt  Ptolemäus  für  die  Frage  nach  dem 
Umfang  der  Dekapolis  nicht  in  Betracht,  und  wir  haben  uns  an 
Plinius  allein  zu  halten.  Zu  den  von  ihm  genannten  fügen  wir 
nur  noch  Abila  und  Kanata  (nach  Ansicht  mancher  verschieden 
von  Kanatha)  hinzu,  die  beide  ebenfalls  die  pompeianische  Ära 
haben.  Sämtliche  Städte,  mit  Ausnahme  von  Skythopolis,  liegen 
im  Ostjordanland.  Auffallend  ist  die  Hereinziehung  des  weit 
nördlich  gelegenen  Damaskus.  Es  hat  auch  nicht  die  pompeia- 
nische, sondern  die  seleucidische  Ära  und  hat  daher  ursprünglich 
wohl  nicht  zur  Dekapolis  gehört216.  Nach  der  bestimmten  Angabe 
des  Plinius  aber  muß  es  später  zu  ihr  gerechnet  worden  sein.  Die 
Dekapolis  hat  als  solche  wohl  noch  im  Anfang  des  zweiten  Jahr- 
hunderts nach  Chr.  bestanden.  Ihre  Auflösung  erfolgte  dadurch, 
daß  |  einige  ihrer  bedeutendsten  Städte,  Gerasa  und  Philadelphia, 
zu  der  im  Jahre  106  nach  Chr.  errichteten  Provinz  Arabien  ge- 
zogen wurden.  Die  Erwähnung  der  Dekapolis  bei  Späteren,  wie 
Eusebius,  Epiphanius,  Stephanus  Byz.,  beruht  also  nur  auf  histo- 
rischer Kunde.  —  Die  folgende  Aufzählung  ist  geographisch  ge- 
ordnet (von  Norden  nach  Süden). 

12.  Damaskus,  dafiaoxog,  hebräisch  pfcjTS-i,  auf  den  Amama- 
Briefen  Dimaski217.  Aus  der  reichen  Geschichte  dieser  Stadt  kann 
hier  nur  dasjenige  hervorgehoben  werden,  was  für  die  Verfassungs- 
geschichte in  der  hellenistischen  und  römischen  Zeit  von  Belang 
ist218.    Die  Herrschaft  Alexanders  des  Gr.  über  Damaskus  be- 


216)  So  Hölscher  a.  a.  O.  S.  97. 

217)  Zeitschr.  des  DPV.  1907,  S.  17  f. 

218)  S.  überh.:  Rödiger  in  Ersch  u.  Grubers  Enzykl.  Sekt  I,  Bd.  22, 
Abt.  2,  S.  113—116.  Arnold  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Anfl.  III,  259—262. 
Winer  s.  v.  Nöldeke  in  Schenkels  Bibellex.  8.  v.  Robinson,  Neuere  bib- 
lische Forschungen  S.  578—610.  Ritter,  Erdkunde  XVII,  2,  1332ff.  Kremer, 
Topographie  von  Damaskus  (Denkschriften  der  Wiener  Akademie,  phil.-hist. 
Ol.  Bd.  V u.  VI,  1854—55).  Porter,  Five years  in  Damascus,  2 Bde.,  1855.  Sepp, 
Jerusalem  (2.  Aufl.)  II,  358—335.  Bädeker-Socin,  Palästina,  3.  Aufl.  S.  307 ff. 
(mit  Plan  u.  Karte  der  Umgebung).  Ebers  und  Guthe,  Palästina  in  Bild 
und  Wort  Bd.  I  (1883)  S.  389-442  und  504.  Le  Strange,  Palestine  under 
the  Moslems  (1890)  p.  224—273.  Sauvaire,  Description  de  Damas  {Journal 
asiatique,  Neurieme  Sirie  t.  HI— VII,  1894 — 1896)  [Übersetzung  einer  arab. 
Quelle  des  16.  Jahrh.].  Ler/endre  in:  Vigouroux,  Dictionnaire  de  la  Bible  II, 
1213—1231.  O.  A.  Smith  in:  Encyelopaedia  Biblica  ed.  by  Okeyne  and  Black I, 


[117.  118]  L  Die  hellenistischen  Städte.   12.  Damaskus.  151 

zeugen  außer  den  Nachrichten  der  Schriftsteller  auch  die  daselbst 
geprägten  Münzen  Alexanders219.  Im  dritten  Jahrhundert  vor  Chr. 
scheint  Damaskus  nicht,  wie  Phönizien  und  Palästina,  den  Ptole- 
mäern,  sondern  den  Seleuciden  gehört  zu  haben.  Zwar  Ptolemäus  IL 
Philadelphia  muß  um  274  vor  Chr.  Damaskus  besessen  haben,  sei 
es,  daß  er  es  erst  an  sich  gerissen  oder  schon  von  Ptolemäus  I. 
ererbt  hatte  (s.  hierüber  oben  S.  97).  Es  wurde  aber  von  Antio- 
chus  I.  (280—261)  erobert220  und  blieb  dann  dauernd  im  Besitz 
der  Seleuciden.  Bei  dem  großen  Einfall  Ptolemäus'  III.  in  das 
Reich  der  Seleuciden,  246  vor  Chr.,  bei  welchem  ganz  Syrien  auf 
einige  Jahre  dem  Seleukus  IL  verloren  ging,  ist  Damaskus  nicht 
einmal  erobert,  sondern  nur  belagert  worden.  Seleukus  entsetzte 
es,  als  er  im  Jahre  242/241  wieder  siegreich  nach  Süden  vor- 
drang221.   Indirekt  wird  die  alte  |  Zugehörigkeit  von  Damaskus 


987 ff.  Benzinger  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  IV,  2042 ff.  The  Jewish  Ency- 
clopedia  IV,  1903,  p.  415—420.  Schwartz,  Nachrichten  der  Göttinger  Ges. 
d.  Wiss.  1906,  ß.  366-369. 

219)  Ourtius  m,  13.  IV,  1.  Arrian.  II,  11,  9sq.  15,  1.  Die  Münzen  bei  L. 
Müller,  Numismatique  d' Alexandre  le  Qrand  p.  287 sq.,  planohes  n.  1338 — 1346. 

220)  Polyaen.  IV,  15:  yAvxio%oq  EeXevxov.  'Avzloxoq  ßovXdpevoq  XQazrjaai 
danaoxov  J}v  £<pvXaooe  diwv  üzoXefialov  Gzoazri'ybq,  in^yyetXe  zjj  Organa  xal 

zy  X^Qcl  nday  üegcix^v  hogz^v xal  &7tQoadoxijta)q  imtpavelq  algel 

da[Aaox6v,  dlwvoq  oh  öwrj&ivzoq  ävzioxetv  *Avziox<p  naQÖvzi.  Vgl.  Droysen, 
Gesch.  des  Hellenismus  m,  1,  256.  274.  Stark,  Gaza  8.  366.  367.  Niese, 
Gesch.  der  griech.  und  makedon.  Staaten  II,  127 f.  Bevan,  The  hause  of 
Seleucus  I,  234.  Hol  scher,  Palästina  in  der  pers.  u.  griech.  Zeit  8.  8.  Beloch 
und  Lehmann  an  den  oben  An  in.  6  genannten  Stellen.  —  Während  alle 
Genannten  die  Erzählung  Polyaens  auf  Antiochus  I.  beziehen,  bezieht  sie 
Svoronos  auf  Antiochus  den  Gr.  Die  Buchstaben  dl  auf  Pfcolemäer-Mönzen 
deutet  er  auf  den  von  Polyaen  erwähnten  Strategen  Dion  (s.  Sßootovoq,  Tä 
vofilof/aza  zod  xgazovq  zCbv  UzoXefialiDV,  1904,  Tl.  I,  S.  af£'ff.  Tl.  II,  S.  178 
— 181),  Aber  wenn  erst  Antiochus  d.  Gr.  bei  seiner  Eroberung  Palästinas 
Damaskus  genommen  hätte,  müßte  dies  in  der  ausführlichen  Erzählung  des 
Polybius  erwähnt  sein.  Auch  die  in  der  folgenden  Anm.  (221)  mitgeteilte 
Notiz  des  Eusebius  zeigt,  dass  Damaskus  längst  vor  Antiochus  d.  Gr.  seleu- 
cidischer  Besitz  war. 

221)  Euseb.  Ghron.  ed  Schoene  I,  251  (armenischer  Text,  nach  der  Über- 
setzung Petermanns):  Ptlomaeus  autem,  qui  et  Tripfion,  partes  (rejtones)  Sy- 
riorum  occupavü :  quae  vero  apud  {ad,  contra)  Damaskum  et  Orthosiam  obsessio 
fiebat,  finem  aecepit  (accipiebat)  eentesimae  trieesimae  quartae  olompiadis  anno 
tertio,  quum  Seleukus  eo  descendisset  (descenderit).  —  Olymp.  134,  3  ist  =  242/241 
v.  Chr.  —  Vgl.  Droysen  HI,  1,  390.  393.  Stark  S.  369.  370  (Stark  nimmt 
nach  Zohrabs  Übersetzung  des  armenischen  Textes  eine  wirkliche  Einnahme 
von  Damaskus  durch  Ptolemäus  an).  Niese,  Gesch.  der  griech.  und  makedon. 
Staaten  II,  145 ff.  Bevan,  The  house  of  Seleucus  I,  181  ff.  Gorradi,  Note 
suüa  guerra  tra  Tolemeo  Evergete  e  Seleuco  Callinico  (Atti  della  R.  Accademia 


152  §  23-  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [118] 

zum  Seleucidenreich  auch  dadurch  bestätigt,  daß  bei  der  Eroberung 
Phöniziens  und  Palästinas  durch  Antiochus  d.  Gr.,  welche  Polybius 
(V,  61—71)  ausführlich  erzählt,  zwar  die  Einnahme  der  wichtigsten 
phönizischen  und  palästinensischen  Städte,  nirgends  aber  die  von 
Damaskus  erwähnt  wird.  Als  im  Jahre  111  vor  Chr.  infolge  des 
Bruderkampfes  zwischen  Antiochus  VIII.  Grypos  und  Antiochus  IX. 
Kyzikenos  das  syrische  Eeich  sich  spaltete  und  Antiochus  Kyzi- 
kenos  im  südlichen  Teil  sich  festsetzte222,  ist  vermutlich  Damaskus 
die  Hauptstadt  seines  kleinen  Reiches  geworden.  Jedenfalls  war 
es  um  95—85  vor  Chr.  wiederholt  die  Hauptstadt  eines  vom  syri- 
schen Reiche  abgezweigten  Reiches  von  Cölesyrien,  zuerst  unter 
Demetrius  Eukärus,  eiueni  Sohne  des  Antiochus  Grypos  (Jos.  Antt. 
XIII,  13,  4),  dann  unter  Antiochus  XII.,  ebenfalls  einem  Sohne  des 
Grypos  (Antt.  XIII,  15, 1).  Antiochus  XII.  fiel  in  der  Schlacht  gegen 
den  Araberkönig;  und  Damaskus  stand  von  nun  an  unter  dessen 
Herrschaft  (Antt  XIII,  15,  1—2.  B.  J.  I,  4,  7-8) 223.  Wie  es  scheint, 
dauerte  diese  Herrschaft  nicht  bis  zur  Ankunft  des  Pompeius. 
Denn  zur  Zeit  der  Alexandra  um  70  vor  Chr.  unternahm  deren 
Sohn  Aristobul  einen  Kriegszug  nach  Damaskus,  angeblich  um  es 
gegen  Ptolemäus  Mennäi  zu  schützen.  Von  der  Herrschaft  des 
Araberköüigs  ist  hierbei  nicht  die  Rede  (Antt.  XIII,  16,  3.  B.  J.  I, 
5,  3);  überdies  gibt  es  eine  autonome  Münze  von  Damaskus  vom 
Jahr  243  aer.  Sei.  =  70/69  vor  Chr.224.  Als  Pompeius  in  Asien  vor- 
drang, wurde  im  südlichen  Syrien  vor  allem  Damaskus  durch  seine 
Legaten  besetzt  (Ann.  XIV,  2,  3.  B.  J.  I,  6,  2).  Seitdem  gehörte 
Damaskus  zur  römischen  Provinz  Syrien225.   Zur  Zeit  des  Cassius  | 


delle  seienxe  di  Torino  vol.  XL,  1903,  p.  805 — 826)  [setzt  ebenfalls  mit  Eusebius 
die  Belagerung  von  Damaskus  242/241  v.  Chr.] 

222)  Euseb.  Ghron.  ed.  Schoene  I,  2(50. 

223)  Der  Name  des  Araberkönigs,  welcher  den  Antiochus  Xu.  besiegte, 
wird  nicht  genannt  (Antt.  XDI,  15,  1.  B.  J.  I,  4,  7).  Gleich  darauf  heißt  es 
aber,  daß  Damaskus  unter  die  Herrschaft  des  Aretas  kam  (Antt.  XIII,  15,  2. 
B.  J.  I,  4,  8).  Es  ist  daher  nicht  wahrscheinlich,  daß  beide  verschieden  waren 
(ersterer  der  Vorgänger  des  letzteren),  wie  Gutschmid  will.  S  hierüber  Bd.  1 
Beilage  II  (S.  732). 

224)  Mionnäy  Suppl.  VIH,  193.  De  Saulcy,  Numismatique  de  la  Terre 
Sainte  p.  31  n.  9.  Vgl.  Gutschmid  bei:  Euting,  Nabatäische  Inschriften  aus 
Arabien  (1885)  S.  83. 

225)  llieronymus  Comment.  in  Jesaj.  c.  17  (Opp.  ed.  Vallarsi  IV,  194):  Mit 
aestimani  de  Romana  captivitatc  praedici,  quoniam  et  Judaeorum  captus  est  po- 
piduSy  et  DamascuSy  cui  imperabat  Areta,  similem  smtinuit  servitutem.  —  Die 
Ansicht  von  Marquardt  (Rom.  Staatsverwaltung  I,  405)  und  Mommsen 
(Rom.  Gesch.  V,  476 f.),  daß  Damaskus  bis  zum  J.  106  n.  Chr.  unter  der  Herr- 
schaft der  Araberkönige  geblieben  sei,  stützt  sich  lediglich  auf  II  Kor.  11,  32 
und  hat  eine  Reihe  schwerwiegender,  ja  entscheidender  Gründe  gegen  sich,  vor 


[119]  1.  Die  hellenistischen  Städte.   12.  Damaskus.  153 

(44 — 42  vor  Chr.)  finden  wir  in  Damaskus  einen  römischen  Be- 
fehlshaber Fabius  (Antt.  XIV,  11,  7.  12,  1.  Bell.  Jud.  1, 12, 1—2).  Zur 
Zeit  des  Antonius  sind  in  Damaskus  Münzen  mit  dem  Bilde  der 
Kleopatra  geprägt  worden226.  Komische  Kaisermünzen  von  Da- 
maskus gibt  es  bereits  aus  der  Zeit  des  Augustus  und  Tiberius; 
aus  derselben  Zeit  jedoch  auch  noch  autonome  (ähnlich  wie  bei 
Askalon).  Auf  beiden  ist  die  seleucidische  Ära  angewandt,  die 
also  in  Damaskus  herrschend  blieb227.  Aus  der  Zeit  des  Caligula 
und  Claudius  gibt  es  keine  Münzen,  wohl  aber  wieder  von  Nero 
an.  Mit  diesem  Umstand  ist  die  Tatsache  zu  kombinieren,  daß 
Damaskus  zur  Zeit,  als  Paulus  von  dort  floh  (wahrscheinlich  zur 
Zeit  Caligulas),  unter  einem  Statthalter  (l&paQxtjs)  des  arabischen 
Königs  Aretas  stand  (II  Kor.  11,  32  und  dazu  oben  S.  108).  Es  hat 
also  damals  vorübergehend  dem  Araberkönig  gehört,  sei  es  nun, 
daß  er  es  gewaltsam  an  sich  gerissen  oder  durch  kaiserliche  Gunst 


allem  den,  daß  Damaskus,  wenn  auch  vielleicht  nicht  von  Anfang  an,  so  doch 
im  ersten  Jahrh.  n.  Chr.,  zur  Dekapolis  gehörte  (Plin.  Hist.  Not.  V,  18,  74). 
Noch  andere  Gründe  s.  Bd.  I.  Beilage  II  (S.  7341  Gegen  jene  Ansicht  auch : 
Rohden,  De  Palaestina  et  Arabia  provinciis  Romanis  1835,  S.  4 — 9.  Gut- 
schmid  bei  Eutin g,  Nabatäische  Inschriften  8.  85. 

226)  Mionnet  V,  285.  De  Saulcy  p.  Msq.  Forrer,  Revue  Beige  de 
Numismatique  1900,  p.  28ßsq.  Sßoowvog,  Tä  vofdcfJLaxa  xov  xodtovQ  ttbv 
UxoXeixalütv  1904,  Tl.  IT,  S.  315.  Letzterer  gibt  folgende  Varietäten:  1.  Kopf 
der  Kleopatra,  Jahr  EOS  (276  aer.  Sei.  =  36  v.  Chr.),  2.  Kopf  des  Ptolemäus 
Caesarion,  Jahr  ZOS  (277  Sei.  =  35  v.  Chr.),  3.  Kopf  der  Kleopatra,  Jahr  HS 
(280  Sei.  —  32  v.  Chr.).  Die  von  Früheren  gegebene  Jahreszahl  EOS  (275  —  37) 
hält  Svoronos  für  falsche  Lesung  statt  EOS.  Die  Münzen  beginnen  also  im 
J.  36,  d,  h.  in  demselben  Jahre,  in  welchem  Kleopatra  von  Antonius  das  Reich 
des  Lysanias  erhalten  und  darum  eine  neue  Zählung  ihrer  Begierungsjahre 
begonnen  hat,  s.  oben  Bd.  I,  S.  363. 

227)  S.  überh.  über  die  Münzen:  Noris  II,  2,  2  {ed.  Lips.p.  87—93).  Eckhel, 
III,  329—334.  Musei  Sanclementiani  Niimismata  selecta  Pars  II  lib,  IV, 
175— 17a  Mionnet  V,  283—297.  Suppl.  VIII,  193— 206.  De  Saulcy,  p.  30— 56. 
404.  pl.  II  n.  1—10.  Kenner,  Die  Münzsammlung  des  Stifts  St.  Florian 
(1871)  S.  167—170,  Taf.  VI,  n.  7—8.  Wrothy  Catalogue  of  the  greek  coins  of 
Galatia,  Cappadocia  and  Syria  [in  the  British  Museum]  1899,  p.  282 — 288.  — 
Die  Jahreszahlung  begann  in  Damaskus  nicht  im  Herbst,  sondern  im  Früh- 
jahr (Ideler,  Handbuch  der  Chronologie  I,  413,  437).  Diese  Modifizierung  der 
seleucidischen  Ära,  übereinstimmend  mit  derjenigen  im  I.  Makkabäerbucho 
(s.  oben  §  3,  A),  ist  daher  wahrscheinlich  zu  verstehen  unter  dem  „Jahr 
von  Damaskus",  welches  auf  Inschriften  erwähnt  wird  (Rente  archeologique, 
troisüme  Sirie  t.  IV,  1884,  p.  267:  xavä  dauaaxov  hovg  &nz  [689];  hierzu  die 
Erläuterungen  von  Clermont-Ganneau,  wiederholt  in  dessen  Recueild'archio- 
logie  Orientale  1, 1888,  p.  Ssqq.  Schwartz,  Nachrichten  der  Göttinger  Gesellsch. 
der  Wissensch.  phil-hist.  Kl.  1906,  S.  341,  353,  367,  385). 


154  §  23«  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [119.  120] 

erhalten  hatte228.  Daß  in  Damaskus  auch  eine  Judengemeinde 
war,  ist  schon  aus  dem  Neuen  Testamente  bekannt  (Actor.  9,  2. 
II  Kor.  11,  32).  Wie  zahlreich  sie  war,  läßt  sich  daraus  entnehmen, 
daß  die  Zahl  der  beim  Ausbruch  des  großen  Krieges  in  Damaskus 
ermordeten  Juden  10000  oder  nach  einer  anderen  Angabe  18000 
betragen  haben  soll  (ersteres  Bell.  Jud,  II,  20,  2,  letzteres  B.  J.  VII, 
8,  7).  Seit  den  |  letzten  Dezennien  des  ersten  Jahrhunderts  be- 
gegnen uns  damaszenische  Truppen  bereits  in  fernen  Provinzen 
des  römischen  Eeichs;  die  eohors  I  Flavia  Damascenorum  stand  um 
90—116  nach  Chr.  in  der  Gegend  von  Mainz  und  Wiesbaden229. 
Seit  Hadrian  hat  die  Stadt  den  Titel  ^tQojtoXiq,  seit  Alexander 
Severus  war  sie  Kolonie  (nicht  erst  seit  Philippus  Arabs,  wie  noch 
Eckhel  annimmt),  beides  nach  dem  Zeugnis  der  Münzen 230.  —  Aus 
der  Zeit  des  Tiberius  wird  von  einem  Grenzstreit  der  Damaszener 
mit  den  Sidoniern  berichtet  (Antt.  XVIII,  6, 3),  der  namentlich  darum 
von  Interesse  ist,  weil  er  uns  zeigt,  wie  ausgedehnt  diese  Stadt- 
gebiete waren:  das  Gebiet  von  Damaskus  grenzte  unmittelbar  an 
dasjenige  von  Sidon.  —  Obwohl  Damaskus  eine  Binnenstadt  war, 
sind  seine  Kaufleute  doch  auch  in  weite  Ferne  gegangen;  auf  den 


228)  Letzteres  ist  wahrscheinlicher  (so  auch  Gutschmid  a.  a.  O.  Willrich, 
Beiträge  zur  alten  Geschichte,  herausg.  von  Lehmann  und  Kornemann,  III, 
1903,  S.  299).  Vgl.  auch  ßd.  I  Beilage  H  (S.  737).  Ober  den  Titel  i&väQzi$ 
s.  oben  S.  108.  —  Die  Hypothese  von  Zahn  (Neue  kirchl.  Zeitschr.  1904,  S.  34 
—41)  und  Schwartz  (Nachrichten  der  Gott.  Ges.  d.  Wiss.  1906,  S.  367f.), 
daß  Damaskus  auch  zur  Zeit  des  Paulus  römisch  gewesen  sei  und  der  Eth- 
narch  dem  Paulus  nur  auf  den  Landstraßen  vor  der  Stadt  aufgelauert  habe, 
ist  mit  der  Notiz  II  Kor.  11,  32  nicht  vereinbar,  denn  diese  setzt  voraus,  daß 
derEthnarch  die  Stadt-Tore  besetzt  hielt,  was  nicht  möglich  gewesen  wäre, 
wenn  das  ausgedehnte  Stadtgebiet  von  Damaskus  außerhalb  seiner  Macht- 
sphäre gelegen  hätte.  Die  Apostelgeschichte  (9,  24)  schreibt  freilich  die 
Bewachung  der  Stadt-Tore  den  Juden  zu.  Ihr  Bericht  ist  aber  gegenüber 
dem  des  Paulus  nicht  maßgebend  und  auf  alle  Fälle  ungenau. 

229)  Militärdiplom  vom  J.  90  n.  Chr.  zu  Mainz  (Ephemeris  epigr.  V, 
652 50.  =  Corp.  Inscr.  Lat.  t.  TU  Suppl.  p.  1965),  ein  solches  vom  J.  116  zu  Wies- 
baden (Corp.  Inscr.  Lat.  t.  HE,  2  p.  870).  Oberhaupt:  Ephemeris  epigr.  V,  194. 
—  Ein  enaQXoq  onetgriq  itQoixriq  JafxaaxrjVibv  kommt  auf  einigen  ägyptischen 
Urkunden  vom  J.  135  n.  Chr.  vor  (Ägyptische  Urkunden  aus  den  konigl. 
Museen  zu  Berlin,  Griechische  Urkunden  Bd.  I,  1895,  Nr.  73,  2.  136,  22). 
Wenige  Jahre  später,  139  n.  Chr.,  stand  diese  coh.  I  Damascenorum  (verschie- 
den von  der  coh.  I Flavia  Dam.)  in  Palästina  (Militärdiplom  vom  22.  November 
139  n.  Chr.,  Bevue  biblique  VI,  1897,  p.  598  sqq.  =  Corp.  Inscr.  Lat.  HL  Suppl. 
p.  2328,  70  (Dipl.  CIX).  —  Mehr  Material  über  beide  Kohorten  s.  bei  Cicho- 
rius,  Art.  eohors  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  IV,  279  f. 

230)  Ober  den  Titel  fXTjtQÖTiohq  s.  Ecklid  III,  331.  Kuhn  II,  192.  Mar- 
quardt  I,  430. 


[120.  121]  I.  Die  hellenistischen  Städte.    13.  Hippus»  155 

Inschriften  von  Delos  begegnen  uns  schon  im  zweiten  Jahrhundert 
vor  Chr.  neben  Sidoniern  und  Tyriern  auch  Damaszener281. 

13.  Hippus,  °hjcoq1  ist  eigentlich  der  Name  eines  Berges  oder 
Hügels,  an  welchem  die  gleichnamige  Stadt  lag282.  Identisch 
hiermit  ist  vermutlich  das  hebräische  Susitha  (arvcic),  das  in 
rabbinischen  Quellen  öfters  als  heidnische  Stadt  Palästinas  er- 
wähnt wird283,  desgleichen  das  bei  arabischen  Geographen  vor- 
kommende Susije284.  Zur  Bestimmung  der  Lage  dienen  folgende 
Angaben:  nach  Plinius  lag  es  am  östlichen  Ufer  des  Sees  Gene- 
zareth235,  nach  Josephus  nur  30  Stadien  von  Tiberias286,  nach 
Eusebius  und  Hieronymus  in  |  der  Nähe  eines  Dorfes  oder  Kastelles 
Afeka237.  Nach  diesen  Daten  hat  man  längst  vermutet,  daß  die 
Ruinen  von  el-Hösn  auf  einem  Hügel  am  östlichen  Ufer  des  Sees 
Genezareth  die  Stätte  des  alten  Hippus  seien;  3/4  Stunden  von  da 
liegt  ein  Dorf  namens  Fik,  das  mit  dem  alten  Afeka  identisch  sein 
wird 288.   Ein  Irrtum  war  es  freilich,  wenn  man  dabei  die  Namen 


231)  Bulletin  de  corresp.  kellenique  t.  XVI,  1892,  p.  159  n.  17  (Delos,  Ver- 
zeichnis von  gewesenen  Epheben,  Ende  des  zweiten  Jahrh.  vor  Chr.):  ol  i<pn- 
ßevoavtEQ  diovvoioq  diovvolov  UiSwviog,  yAya&oxXi}q  Avalov  Jafiaaxrjvög,  0e6~ 
öwzog  EvtjfjiiQOv  Tvgtog.  —  Ibid.  p.  161  n.  23:  Mao&a  dafitaoxrprf.  —  Wenn 
Damaszener  in  Delos  ihre  Söhne  am  Epheben-Unterricht  teilnehmen  ließen, 
müssen  sie  dort  dauernd  gewohnt  haben.  —  Eine  daiiaaxrivfi  auch  in  Athen, 
Corp.  Inscr.  AJttic.  III,  2  n.  2406. 

232)  Ptolemaeus  V,  15,  8  =  Didotsche  Ausg.  (I,  2,  1901)  V,  14,  6. 

233)  In  der  Tosephta  Ohaloth  XVIII,  4  (ed.  Zuckermandel  p.  616,  23)  wird 
Susitha  neben  Askalon  erwähnt  als  Beispiel  einer  heidnischen,  aber  vom  Lande 
Israel  „umschlungenen"  Stadt.  Sonst  wird  es  öfters  in  Verbindung  mit  Tibe- 
rias genannt.  Vgl.  Ligktfoot,  Oenturia  chorographica  Matthaeo  praemissa  c.  77; 
decas  Marco  praemissa  c.  5,  1  {Opp.  II,  226.  413).  Neubauer,  Geographie  du 
Talmud  p.  238 — 240.  Schlatter,  Zur  Topographie  und  Geschichte  Palästinas 
1893,  S.  306  f. 

234)  Clermont-Ganneau,  Oü  etait  Hippos  de  la  Decapole?  (Revue  ar- 
chiologique,  Nouveüe  Serie  vol.  XXIX,  1875,  p.  362—369).  Furrer,  Zeitschr.  d. 
DPV.  II,  74.    Le  Strange,  Palestine  wider  the  Moslems  p.  472,  540. 

236)  Plinius  V,  15,  71:  in  lacum  . .  Genesaram  . .  amoenis  circumsaepium 
oppidis,  ab  Oriente  Juliade  et  Hippo. 

236)  Jos.  Vita  65.  Die  Angaben  des  Josephus  sind  hier  freilich  sehr  sche- 
matisch: Hippus  30  Stadien  von  Tiberias,  Gadara  60  Stadien,  Skythopolis  120. 
Dabei  verfolgt  er  die  Tendenz,  die  Entfernungen  möglichst  gering  anzugeben. 
Man  darf  es  also  mit  seinen  Zahlen  nichts  weniger  als  genau  nehmen.  — 
Übrigens  erhellt  auch  aus  Josephus,  daß  das  Gebiet  von  Hippus  am  See 
gegenüber  von  Tarichea  (Vita  31),  in  der  Nachbarschaft  von  Gadara  (Vita  9)  lag. 

237)  Euseb.  Onomast  ed.  Klostermann  p.  22,  Hieron.  ibid.  p.  23. 

238)  Die  Lage  von  el-Hösn  beschreibt  bereits  Burckhardt,  Reisen  in 
Syrien  I,  438.  Genauer:  Frei,  Zeitschr.  des  DPV.  IX,  1886,  S.  126-133. 
Schumacher,  ebendas.  S.  327—334  (mit  genauem  Plan  Taf.  VI).  Kasteren, 


156  §  23.   Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [121.  122] 

el-Hösn  (angeblich  Pferd)  und  Hippos  für  identisch  gehalten  hat 
Denn  el-Hösn  —  eine  im  heutigen  Syrien  häufig  vorkommende 
Ortsbezeichnung  —  bedeutet  „Festung" 289.  Sachlich  ist  aber  jene 
Identifizierung  sicher  richtig;  denn  der  alte  Name  hat  sich  noch 
in  der  zwischen  el-Hösn  und  Fik  gelegenen  Buinenstätte  Susije 
erhalten240.  —  Aus  der  Geschichte  von  Hippus  ist  nur  wenig  be- 
kannt241. Alexander  Jannäus  eroberte  es242.  Durch  Pompeius 
erhielt  es  die  Freiheit  (Jos.  Antt.  XIV,  4,  4.  B.  J.  I,  7,  7).  Seitdem 
gehörte  es  zur  Dekapolis  (Plin.  \  Eist.  Nat.  V,  18,  74.  Wegen  Ptole- 
maeus  s.  oben  S.  149  f.).  Von  Augustus  wurde  es  dem  Herodes  ver- 
liehen (Antt.  XV,  7,  3.  B.  J.  I,  20,  3),  nach  dessen  Tod  aber  wieder 
vom  jüdischen  Gebiete  getrennt  {Antt.  XVII,  11,  4.  B.  J.  II,  6,  3). 
Bei  dieser  Gelegenheit  wird  es  ausdrücklich  als  griechische  Stadt 
bezeichnet  (1.  c).  Beim  Ausbruch  der  jüdischen  Revolution  wurde 
das  Gebiet  von  Hippus  wie  das  von  Gadara  durch  die  Juden  unter 
Führung  des  Justus  von  Tiberias  verwüstet  (B.  J.  II,  18, 1.  Vita  9). 
Von  seiten  der  Hippener  wurde  dies  damit  vergolten,  daß  sie  die 
in  ihrer  Stadt  wohnenden  Juden  ermordeten  oder  ios  Gefängnis 
warfen  (B.  J.  II,  18,  5).  In  der  christlichen  Zeit  w5r  Hippus  Sitz 
eines  Bischofs243.    Auf  Münzen  ist  der  Name  der  Stadt  bis  jetzt 


ebendas.  XI,  1888,  S.  220—233.  Daß  hier  das  alte  Hippus  zu  suchen  sei,  ist 
bereits  die  Ansicht  von  Baumer  S.  250.  Ritter  XV,  1,  352f.  Furrer, 
Zeitschr.  d.  deutschen  Pal.-Vereins  H,  73 f.  Frei  a.  a.  O.  Andere  identifi- 
zierten el-Hösn  mit  Gamala  und  fanden  Hippus  entweder  in  Fik  (so  Merrill, 
East  of  the  Jordan,  1881,  p.  163 — 169)  oder  in  dem  weiter  südlich  gelegenen 
Sumra  (so  Guerin,  Qalilie  I,  310-312). 

239)  S.  Clermont-Ganneau,  a.  a.  O.  S.  364.  Guthe,  Zeitschr.  des 
DPV.  IX,  334  Anm. 

240)  Zuerst  nachgewiesen  von  Schumacher,  Zeitschr.  d.  DPV.  IX,  1886, 
S.  324.  349  f.  Die  Identität  von  Susije  und  Hippos  ist  seitdem  anerkannt  von 
Clermont-Ganneau,  Recue  eritique  1886,  Nr.  46,  p.  388.  Quarterly  State- 
ments 1887,  p.  36—38.  Kasteren,  Zeitschr.  des  DPV.  XI,  1888,  S.  235—238. 
Furrer,  ebendas.  XII,  148f.  Kasteren,  ebendas.  XHI,  217f.  Schlatter, 
Zur  Topographie  und  Geschichte  Palästinas  S.  305 ff.  Buhl,  Geogr.  S.  244. 
So  gewiß  aber  in  Susije  sich  der  alte  Name  erhalten  hat,  so  wird  doch  nicht 
diese  in  der  Ebene  gelegene  Buinenstätte,  sondern  das  nahe  dabei  gelegene 
el-Hösn  die  Lage  der  alten  Stadt  bezeichnen  (so  die  Meisten;  jetzt  auch  Ka- 
steren, der  früher  el-Hösn  mit  Gamala  identifizieren  wollte).  Ganz  unmöglich 
ist  es,  Susije  mit  Hippos  und  zugleich  el-Hösn  mit  Gamala  zu  identifizieren. 
Denn  zwei  so  bedeutende  Städte  können  nicht  unmittelbar  neben  einander 
gelegen  haben. 

241)  S.  Reland  p.  821  sq. 

242)  Syncell.  ed.  Dindorf  I,  559,  nach  einer  von  Joseph us  unabhängigen 
Quelle,  s.  oben  §  10  s.  fin.  (I,  286). 

243)  Epiphan.  kaer.  73,  26.  Le  Quien,  Oriens  christianus  IH,  710  sq.  Hie- 
rocles  Synecd.  ed.  Parthey  p.  44.    Die  Notit.  episcopat.  ebendas.  p.  144. 


[122]  I.  Die  hellenistischen  Städte.   14  Gadara.  157 

nur  ein  paarmal  (auf  Münzen  aus  der  Zeit  des  Nero  und  Domitian) 
nachgewiesen244.  Mit  Recht  werden  aber  unserem  Hippus  von 
den  Numismatikern  die  Münzen  mit  der  Legende  'Avxioxicov  x&v 
jiqoc,  °Ijt(jtq>)  xr\g  isQ(äg)  x(al)  acilov  zugewiesen.  Sie  haben,  wie 
es  von  Hippus  zu  erwarten  ist,  die  pompeianische  Ära.  Auf  den 
meisten  zeigt  sich  das  Bild  eines  Pferdes245.  Auf  einer  Grab- 
schrift eines  Gadareners,  welche  in  Saflure,  südöstlich  von  Susije 
gefunden  wurde,  heißt  Hippus  aoyrj,  ohne  Zweifel  als  eine  Stadt 
griechischer  Bildung  (s.  unten  Anm.  262).  Unter  den  Trümmern 
von  el-Hösn  ist  eine  Inschrift  in  griechischen  Versen  gefunden 
worden246.  —  Das  Gebiet  von  Hippus  wird  erwähnt  Vita  9.  31. 
B.  J.  III,  3,  1.  Am  instruktivsten  ist  Vita  9:  ifuiljiQrjai  rag  xe 
raöaQTjvaiv  xal  'fcjtrjvdiv  xc&fiag,  dt  dtj  fiefroQioi  xrjg  TißeQcaöog 
ocal  xr\g  x&v  Sxvd-onoXixmv  yr\g  kxvy%avov  xeifievai.  Man  sieht 
hieraus,  daß  die  Gebiete  dieser  vier  Städte  so  groß  waren,  daß 
sie  einen  unter  sich  zusammenhängenden  Komplex  bildeten. 

14.  Gadara,  riöapa.  Die  Lage  Gadaras  an  der  Stelle  der 
heutigen  Kuinenstätte  Om-Keis  (Mkes),  südöstlich  vom  See  Gene- 
zareth,  ist  schon  von  Seetzen  (1806)  erkannt  worden  und  darf  jetzt 
als  ausgemacht  gelten247.     Den  Hauptanhaltspunkt  bieten  die 


244)  Die  Münze  aus  der  Zeit  Neros  ist  mitgeteilt  von  Muret,  Revue 
Numismatique,  troisüme  sirie,  t.  I,  1883,  p.  67  und  pl.  U  n.  9.  Sie  zeigt  auf 
der  einen  Seite  den  Kopf  Neros  mit  der  Umschrift  Avx.  Kaia.,  auf  der  an- 
deren ein  Pferd  mit  der  Umschrift  InnipHov  und  der  Jahreszahl  AAP  (131), 
letztere  nach  der  pompeianischen  Ära.  —  Die  Münze  aus  der  Zeit  Domitians 
ist  mitgeteilt  von  Imhoof- Blumer,  Numismat  Zeitschr.  XVI,  1884,  S.  293. 
Sie  hat  auf  der  einen  Seite  den  Kopf  Domitians  mit  der  Aufschrift  dofuria. 
Kaia.y  auf  der  anderen  ein  Pferd  mit  der  Aufschrift  Innrjvanf,  ohne  Jah- 
reszahl. 

245)  Noris  III,  9,  5  (ed.  Lips.  p.  331—334).  Eekhel  ITT,  346*?.  Musei 
Sanclementiani  Numismata  selecta  Pars  II  lib.  IV,  87 — 89.  Mionnet  V, 
319  sq.  Suppl.  VIII,  224.  Leake,  Numismata  Eellenica  (1854)  p.  22.  De  Sauley 
p.  344—347,  pl.  XIX  n.  10—15.  Wroth,  Gatalogue  of  the  greeh  coins  of  Ga- 
latia,  Cappadocia  and  Syria  [in  the  British  Museum]  1899,  p.  301.  Macdonald, 
CataL  of  the  Hunterian  coüection  III,  222. 

246)  Revue  biblique  1899,  p.  24. 

247)  Seetzen,  Reisen  durch  Syrien  (herausg.  v.  Kruse,  4  Bde.  1854 — 59) 
1.368 ff.  IV,188ff.  Burckhardt,  Reisen  in  Syrien  I,  426 ff.  434 ff.  537 f.  (der 
freilich  Om-Keis  für  Qamala  hält,  aber  von  seinem  Herausgeber  Gesenius  kor- 
rigiert wird).  Buckingham,  Travels  in  Palestine,  1821,  p.  414—440  (wie  Burck- 
hardt). Winer  s.  v.  Gadara.  Räumer  S.  248 f.  Ritter  XV,  1,  371—384. 
XV,  2,  1052 f.  Sepp,  Jerusalem  II,  212—216.  Bädeker-Socin  3.  Aufl. 
S.  198  f.  GuSrin,  Galilie  I,  295— 308.  Merrill,  East  of  the  Jordan  (1881) 
p.  145—158.  Frei,  Zeitschr.  des  DPV.  IX,  1886,  S.  135 ff.  Schumacher, 
Northern  Ajlün,  London  1890,  p.  46—80  (genaueste  Beschreibung  der  Ruinen 
nebst  Plan  und  Karte  der  Umgebung).    Schumacher,   Zeitschr.  des  DPV. 


158  §  23«  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [123.  124] 

warmen  Quellen,  um  derentwillen  Gadara  berühmt  war,  und  die 
noch  heute  in  dortiger  Gegend  sich  finden 248.  Sie  liegen  am  nörd- 
lichen Ufer  des  Scheriat  el-Mandur;  am  südlichen  Ufer,  etwa  eine 
Stunde  von  den  Quellen  entfernt,  findet  man  auf  hohem  Bergrücken 
die  Ruinen  der  Stadt  Der  Scheriat  el-Mandur  ist  demnach  iden- 
tisch mit  dem  Hieromicesy  welcher  nach  Plinius  an  Gadara  vorbei- 
floß249, —  Gadara  war  schon  zur  Zeit  Antiochus'  des  Gr.  eine 
bedeutende  Festung,  Antiochus  eroberte  es  sowohl  bei  seinem 
ersten  Einfall  in  Palästina  218  vor  Chr.250,  als  auch  bei  seiner 
definitiven  Besitzergreifung  von  Palästina  nach  der  siegreichen 
Schlacht  bei  Panias  198  vor  Chr.261.  Alexander  Jannäus  bezwang 
Gadara  erst  nach  |  zehnmonatlicher  Belagerung  (Antt.  XIII,  13,  3. 
Ä  J.  I,  4,  2).    Unter  ihm  und  seinen  Nachfolgern  gehörte  es  also 


XXII,  1899,  S.  181  f.  (über  die  fortgehende  Zerstörung  der  Ruinen).  0.  A. 
Smith ,  Quarterly  Statement  1901,  p.  341.  —  Über  die  Bäder  bei  Gadara  in- 
sonderheit auch:  Dechent,  Zeitschr.  des  DPV.  VII,  1884,  S.  187—196.  Schu- 
macher, Zeitechr.  des  DPV.  IX,  1886,  8.  294—301.  Nötling,  ebenda«.  X, 
1887,  8.  59—88.  Kasteren,  ebendas.  XI,  1888,  S.  239—241.  —  Für  das  Hi- 
storische: Reland  p%  773—778.    Kuhn  II,  365  f.  371. 

248)  Vgl.  über  die  Lage  Euseb.  Onomast.  ed.  Klostermann  p.  74:  rddaga, 
ndXiq  Tttoav  xov  'IoqS&vov,  dvxixgi  2xv9o7t6Xe<aq  xal  TißsQidSoq  ngbq  ava- 
xoXatq  iv  xfy  ftgei,  oh  npdq  xalq  vncoQelaiq  xä  x(bv  d-ep/jL&v  vödxcjv 
Xovxgd  naodxeixai.  —  Ibid.  p.  22:  Alfidb  ....  xlo/jltj  nXrjalov  ratidootv 
ioxlv  'Bftfjia&ä,  %v&a  xä  xtbv  beoniav  i>ödxwv  Seg/uä  Xovxgd.  —  Ober  die  Bäder 
s.  bes.  auch  die  Stellen  aus  Epiphanius,  Antoninus  Martyr  und  Eunapius  (der 
sie  für  die  bedeutendsten  nächst  denen  von  Bajä  erklärt)  bei  Reland  p.  775. 
Auch  Origenes  in  Joann.  Tom.  VI,  c.  24  (ed.  Lommatxsch  1,239):  rdSaga  yäg 
ndXiq  (ih  ioxi  xijq  'lovSalaq,  neol  Jjv  xd  öiaßdrjxa  öeofiä  xvyxdveu  —  Der 
Ort,  wo  die  Quellen  liegen,  kommt  auch  im  Talmud  unter  dem  Namen  hnan 
vor.  S.  die  Stellen  bei  Levy,  Neuhebr.  Wörterb.  II,  69  f.  Light foot,  Cm- 
turia  Matthaeo  praemissa  e.  74  {Opp.  II,  224  sq.).  Hamburger,  Real-Enzy- 
klop.  für  Bibel  und  Talmud,  n.  Abt.  Art.  „Heilbäder".  Grätz,  Monatsschr. 
für  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1880,  S.  487—495. 

249)  Plinius  V,  18,  74:  Gadara  Hieromice  praefluente.  Die  Form  Hie- 
romax,  die  noch  immer  in  Handbüchern  kursiert,  beruht  auf  der  falschen 
Lesart  Hieromace.  Daß  als  Nominat.  Hieromices  anzunehmen  ist,  beweisen 
die  sonst  vorkommenden  Formen  Heromicas  (Tab.  Peuting.)  und  Jeromisus 
(Geogr.  Racennas  edd.  Pinder  et  Parthey  p.  85).  Der  einheimische  Name  ist 
Jarmüky  "JJW^,  Mischna  Para  VIH,  10,  u.  arab.  Geographen  (s.  Arnold  in 
Herzogs  Beal-Enz.  1.  Aufl.  VII,  10.  XI,  20.  Le  Strange,  Palestine  under  the 
Moslems  p.  54  sq.).    Qedrenvs  ed.  Bekker  I,  746  hat  xov  noxafxov  *Ie(>ttox&ä* 

250)  Polyb.  V,  71.  Stark,  Gaza  S.  381.  Niese,  Gesch.  der  griech.  und 
makedon.  Staaten  II,  378.  —  Polybius  sagt  bei  dieser  Gelegenheit  von  Ga- 
dara: 8  öoxel  x(bv  xax'  ixelvovq  xovq  xönovq  ö%vq6xt]xi  dia<p£oeiv. 

251)  Polyb.  XVI,  39  —  Joseph.  Antt.  XH,  3,  3.  Stark  S.  403.  Niese 
n,  579. 


[124]  I.  Die  hellenistischen  Städte.   14.  Gadara.  159 

zum  jüdischen  Gebiete  (Antt.  XIII,  15,  4),  wurde  aber  durch  Pom- 
peius  wieder  davon  getrennt  (Antt.  XIV,  4,  4.  B.  J.  I,  7,  7).  Hierbei 
ließ  Pompeius  die  von  den  Juden  (Alexander  Jannäus?)  zerstörte 
Stadt  aus  Rücksicht  auf  seinen  Freigelassenen  Demetrius  aus 
Gadara  wieder  aufbauen  (1.  c.) 252.  Seitdem  gehörte  es  zur  Deka- 
polis  (Plin.  V,  18,  74.  Wegen  Plolemaeus  s.  oben  S.  149  f.).  Auf  den 
zahlreichen  Münzen  der  Stadt,  welche  von  Augustus  bis  Gordianus 
reichen,  ist  daher  stets  die  pompeianische  Ära  gebraucht,  die  sich 
für  Gadara  genau  berechnen  läßt.  Sie  beginnt  im  Jahre  690  a.  £/., 
so  daß  also  Jahr  1  aer.  Oadar.  —  64/63  vor  Chr.  ist263.  Das  An- 
denken an  die  Neugründung  durch  Pompeius  ist  außerdem  auch 
verewigt  auf  Münzen  von  Antoninus  Pius  bis  Gordianus  durch  die 
Legende  üoiixTjiimv  ra6a(>£cw2bi.  Irrig  ist  die  Meinung,  daß  unser 
Gadara  der  Sitz  eines  der  fünf  von  Gabinius  errichteten  jüdischen 
Synedrien  gewesen  sei  (s.  oben  §  13).  Im  Jahre  30  vor  Chr.  wurde 
Gadara  von  Augustus  dem  Herodes  verliehen  {Antt  XV,  7,  3.  B.  J.  I, 
20,  3).  Mit  dessen  Kegiment  war  aber  die  Stadt  sehr  unzufrieden. 
Schon  im  Jahre  23 — 21  vor  Chr.,  als  M.  Agrippa  in  Mytiiene  ver- 
weilte, klagten  dort  einige  Gadarener  gegen  Herodes  (Antt.  XV, 
10,  2).  Die  Klagen  wiederholten  sich,  als  Augustus  im  Jahre  20 
persönlich  nach  Syrien  kam  (Antt.  XV,  10,  3).  In  beiden  Fällen 
wurden  die  Kläger  abgewiesen.  Hiermit  hängt  es  wohl  zusammen, 
daß  gerade  aus  dem  Jahre  20  vor  Chr.  (44  aer.  Oadar.)  sich  Münzen 
von  Gadara  mit  dem  Bilde  des  Augustus  und  der  Umschrift  2e- 
ßacxoq  finden:  Herodes  wollte  dadurch,  daß  er  diese  Münzen  in 
Gadara  prägen  ließ,  seine  Dankbarkeit  gegen  den  Kaiser  beweisen260. 


252)  Demetrius  begleitete  den  Pompeius  auf  seinen  Feldzögen  im  Orient 
und  brachte  eine  ungeheure  Beute  mit.  Bein  Reichtum  soll  den  des  Pom- 
peius noch  Übertroffen  haben.  S.  Pauly-Wissowas  Beal-Enz.  IV,  2802  f. 
(Demetrius  Nr.  50). 

253)  Ober  die  Ära  und  die  Münzen  s.  Noris  III,  9,  1  (ed.  Lips.  p.  297 
— 308).  Eekhel  III,  348—350.  Musei  Sanolementiani  Numismata  selecta 
Pars  II  lib.  IV  p.  130—141.  Mionnet  V,  323—328.  Suppl.  VIII,  227-230. 
De  Saulcy  p.  294—303,  pl.  XV.  Kenner,  Die  Münzsammlung  des  Stifts 
St.  Florian  (1871)  S.  171  f.  Taf.  VI  n.  10.  Wroth,  Catalogue  of  the  greek  coins 
of  Oal.  Capp.  and  Syria  [in  the  Brit.  Mus.]  1899,  p.  304  sq.  Schwartz,  Nach- 
richten der  Göttinger  Gesellsch.  der  Wissensch.,  phil.-hist.  Kl.  1906,  S.  358  f. 

254)  Da  die  Legende  gewöhnlich  abgekürzt  geschrieben  ist  (TIo.  oder 
Tlofin.  raöagecov),  so  ist  die  Lesung  nicht  ganz  sicher.  Die  älteren  Numis- 
matiker geben  für  eine  Münze  Caracallas  die  Lesung  nofxnrjaewv  raöageiov, 
de  Saulcy  dagegen  (p.  302  u.  pl.  XV  n.  9)  IIo/iTiTjiewv  raöaQewv,  was  wohl 
das  richtige  ist. 

255)  Vgl.  de  Saulcy  p.  295.    Die  Münzen  bei  Mionnet  V,  323,  Suppl. 

vni,  227. 


160  §  23*   Verfassung.    Synedrium.   Hohepriester.  [124.  125] 

Nach  dem  Tode  des  Herodes  erhielt  Gadara  wieder  seine  Selb- 
ständigkeit unter  römischer  Oberhoheit  (Antt.  XVII,  11,  4.  B.  J.  II, 
6,  3).  Beim  Beginn  des  jüdischen  Aufstandes  wurde  das  Gebiet 
von  Gadara  wie  das  des  benachbarten  Hippus  durch  die  Juden 
unter  Führung  des  Justus  von  Tiberias  verwüstet  (Ä  J.  II,  |  18, 1. 
Vita  9).  Die  Gadarener  rächten  sich,  wie  die  Hippener,  teils  durch 
Tötung  teils  durch  Gefangensetzung  der  dort  wohnenden  Juden 
(R  J.  II,  18,  5).  Die  römerfreundlichen  Einwohner  fühlten  sich  aber 
auch  so  noch  nicht  sicher  vor  den  unruhigen  Elementen  in  der 
eigenen  Stadt  und  erbaten  und  erhielten  darum  in  der  späteren 
Periode  des  Krieges  durch  Vespasian  eine  römische  Besatzung 
(B.  J.  IV,  7,  3—4) 2ö6.  In  welchem  Sinne  Josephus  Gadara  als 
firiTQOJtoXiQ  tjjq  ÜBQalaq  bezeichnen  kann  (B.  J.  IV,  7,  3),  läßt  sich 
nicht  näher  ermitteln257.  Auf  Münzen,  namentlich  aus  der  Zeit 
der  Antonine,  heißt  es  Is(qo)  aö(vXo<;)  a(vxovofioq)  /(.  . .?)  Kol(Zrjg) 
2vQ(lag) 2b*.  Nach  einer  von  Renan  aufgefundenen  Inschrift  war 
es  in  der  späteren  Kaiserzeit  römische  Kolonie 259.  Die  Notiz  des 
Stephanus  Byz.  (s.  t;.),  daß  es  auch  'Avuoxeta  und  JSsXevxeia  ge- 
heißen habe,  steht  vereinzelt  da  und  bezieht  sich  wohl  nur  auf 


256)  Da  im  weiteren  Verlauf  der  Operationen  B.  J.  IV,  7, 4—6  lauter  Orte 
des  südlichen  Peräa  genannt  werden,  so  kann  man  fragen,  ob  B.  J.  IV,  7,  3 
unser  Gadara  gemeint  ist  (Schlatter,  Zur  Topographie  und  Geschichte  Pa- 
lästinas 1893,  S.  44 — 51  nimmt  ein  jüdisches  Gadara  im  Süden  Peräas  an; 
ebenso  Guthe,  Mitteilungen  und  Nachrichten  des  DPV.  1896,  S.  5— 10.  Buhl, 
Geographie  des  alten  Palästina  1896,  S.  255.  263).  Indessen  die  Bezeichnung 
als  fiijTQÖnoXig  weist  auf  eine  bedeutende,  auch  sonst  bekannte  Stadt.  —  Nach 
Jos.  Vita  15  könnte  es  scheinen,  als  ob  auch  Josephus  als  Befehlshaber  von 
Galiläa  einmal  Gadara  mit  Gewalt  genommen  hätte.  Dort  ist  aber  statt  raöa- 
getq,  wie  fast  alle  Handschriften  haben,  sicherlich  zu  lesen  raßagetq,  vgl.  Vita 
25.  45.  47;  eine  Handschrift  hat  c.  15  Tagaßeiq.  Auch  Bell.  Jud.  Hr,  7,  1  ist 
statt  raöagiotv  zu  lesen  raßagiow,  wie  schon  Paret  (zu  s.  Übersetzung  d.  St.) 
richtig  bemerkt  hat;  ebenso  Merrill  (Quarterly  Statements  1884,  p.  237 — 240). 
Vgl.  über  Gabara  auch  Oehler,  Zeitschr.  des  DPV.  XXVHr,  1905,  S.  56-58. 
—  Endlich  Antt.  XIII,  13,  5  ist  ebenfalls  entweder  die  Lesart  falsch  oder 
ein  anderes  Gadara  gemeint.    Die  Lesart  ist  sehr  schwankend. 

257)  Eckhel  IH,  349  vermutet,  daß  es  der  Vorort  einer  Festgemeinschaft 
zur  Feier  periodischer  Festspiele  war,  in  welchem  Sinne  allerdings  firixQÖTioXiq 
oft  vorkommt, 

258)  S.  bei  de  Saulcy  bes.  die  Münzen  von  Commodus  n.  2  (p.  301)  und 
Elagabal  n.  5  (p.  303).  —  Das  Prädikat  le qül  auch  in  einem  Epigramm  Me- 
leagers,  wo  er  von  sich  sagt:  dv  öeönaiq  ¥jvöqo)06  TvQoq,  raödgmv  &  legä 
X&wv  {Anthologia  palatina  VII,  419,  ed.  Jacobs  1. 1,  p.  431).  —  Als  nöXiq  Koikqq 
IvQiaq  wird  Gadara  auch  von  Steph.  Byxt  s.  v.  bezeichnet. 

259)  Renan,  Mission  de  Phinicie  p.  191  =  Corp.  Inscr.  Lat.  t.  III  n.  181 
(Grabschriffc  zu  Byblus):  col(onia)  Valencia)  Gadara.  —  Dieselbe  Inschrift, 
nach  einem  Abklatsch  Eutings,  auch  Corp.  Inscr.  Lat.  t.  III  Supplem.  n.  6697. 


[125.  126]  I.  Die  hellenistischen  Städte.   14.  Gadara.  161 

vorübergehende  offizielle,  aber  nicht  in  den.  allgemeinen  Gebrauch 
fibergegangene  Bezeichnungen.  Daß  es  schon  in  vorchristlicher 
Zeit  eine  blähende  hellenistische  Stadt  war,  ist  vielfach  bezeugt 
Josephus  bezeichnet  es  beim  Tode  des  Herodes  als  xoXig  'EXlr/vls 
(Antt.  XVII,  11,  4  Ä  J.  II,  6,  3).  Strabo  erwähnt  als  berühmte 
Männer,  die  aus  Gadara  stammten,  den  Epikureer  Philodemus,] 
den  Epigrammendichter  Meleager,  den  Cyniker  und  Satiriker 
Menippus,  endlich  den  Redner  Theodorus.  Aus  späterer  Zeit 
sind  noch  hinzuzufügen  der  Cyniker  Oenomaus  und  der  Redner 
Apsines260.  Meleager  sagt  von  sich,  es  habe  ihn  gezeugt  „ein 
attisches  Geschlecht,  wohnend  im  assyrischen  Gadara**261.  Auf 
einer  in  Saffure,  südöstlich  von  Susije  (Hippus)  gefundenen  Grab- 
schrift eines  Gadareners  Apion  heißt  Gadara  xQWcoftowua2*2. 
Grabschriften  von  Gadarenern  sind  auch  in  Athen  gefunden 
worden263. —  Das  Gebiet  von  Gadara  bildete  die  Ostgrenze  Galiläas 
(Ä  J.  III,  3, 1).  Über  seine  Ausdehnung  vgl  Vita  9  und  oben  S,  157. 
Daß  es  bis  an  den  See  Genezareth  reichte,  ist  nicht  nur  aus  Ev. 
Matth.  8,  28  (wo  die  Lesart  schwankend  ist)  zu  schließen,  sondern 
auch  aus  den  Münzen,  auf  welchen  öfters  ein  Schiff  abgebildet  ist, 
ja  einmal  (auf  einer  Münze  Mark  Aureis)  eine  vav(ia(xla)  erwähnt 
wird 264. 


260)  Vgl.  über  alle  diese  Männer  oben  S*  54. 

261)  Anthologia  palatina  VII,  417,  ed.  Jacobs  t.  If  p.  430  (ed.  Dübner  1, 
352,  wo  aber  ohne  Grund  raödooiq  in  Tadaga  geändert  ist): 

Näaoq  ipiä  &ginxeiQa  Tvqoq'  ndxQa  6i  ps  xexvot 
Ax&lq  iv  Aaavoloiq  vaiofiha  Faödooiq. 

262)  Olermont-Ganneau,  Ittudes  dfareh&ologie  Orientale  tome  II,  1897 
(Bibltotheqfte  de  PScole  des  haute»  Uudes  fast.  113)  p.  142.  Eine  andere,  wie  es 
scheint  weniger  genaue  Kopie  auch  in  Palestine  Exploration  Fund,  Quarterly 
Statement  1897,  p.  188  sq.  (wo  Nazareth  als  Fundort  angegeben  ist).  Die  ersten 
vier  Zeilen  lauten:  . 

Vfv.  uov  naxfjQ  Kolvxoq,  ?jv  ß^xtjQ  <PiXovq* 
T[d]  öy  oivofi  iorlv  'Anelwv,  naxqlq  Si  fiov 
Kai  näoi  xoivJ},  rdöaoa  /(^Gro^ottf«** 
Ikxpfjq  6*  &<p  aImtov  iaxlv  ^  ft^xifq  <PiXof>q. 
Für  xQ^opiovoTa  (mit  dieser  Akzentuierung)  schlägt  Olermont-Qanneau,  Re- 
eueü  d'archiol.  Orient.  II,  1898,  p.  399  die  Erklärung  aux  belies  mosaiques  vor; 
es  ist  aber  wohl  »  ville  lettrie,  eine  Stadt,  in  welcher  Poesie  und  Rhetorik 
gepflegt  werden,  im  Unterschied  von  Wissenschaft  und  Philosophie  (so  Per- 
drixet,  Revue  archSol.  trois.  S6rie  t.  35,  1899,  p.  4Qsq.). 

263)  Oorp.  btscr.  Attie.  III,  2,  n.  2400.  2401. 

264)  Über  letztere  vgl.  bes.  Eekhel  III,  348s?.  Ein  Schiff  auf  den  Ab- 
bildungen bei  de  Saulcy  pl.  XV  n.  9—11.  —  Naumachien  sind  allerdings  auch 
in  Amphitheatern  gehalten  worden.    Doch  findet  sich  von  einem  solchen  in 

Gadara  keine  Spur. 

Sohürer,  Geschichte  II.   4.  Aufl.  11 


162  §  23.   Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [126.  127J 

15.  Abila,  "AßiXa.  Der  Ortsname  Abel  (bn«)  oder  Abila  ist 
in  Palästina  sehr  häufig.  Eusebius  kennt  allein  drei  Orte  dieses 
Namens,  die  durch  Weinbau  berühmt  waren:  1)  ein  Dorf  im  süd- 
lichen Peräa,  6  mü.  pass.  von  Philadelphia,  2)  eine  xoliq  kxlat)fio$ 
12  mü.  pass.  östlich  von  Gadara,  3)  einen  Ort  zwischen  Damaskus 
und  Paneas265.  Von  diesen  interessiert  uns  hier  näher  die  an 
zweiter  |  Stelle  genannte  Stadt  östlich  von  Gadara.  Die  Lage 
derselben,  am  südlichen  Ufer  des  Scheriat  el-Mandur,  ist  ebenfalls 
wie  diejenige  Gadaras  durch  Seetzen  entdeckt  worden266.  Plinius 
erwähnt  dieses  Abila  nicht  unter  den  Städten  der  Dekapolis.  Seine 
Zugehörigkeit  zu  derselben  ist  jedoch  bezeugt  durch  eine  Inschrift 
aus  der  Zeit  Hadrians267.  Auch  steht  bei  Ptolemäus  neben  den 
Städten  der  Dekapolis  ein  "Jßiöa,  womit  wohl  unser  "AßiXa  gemeint 
ist 268.  In  der  Geschichte  kommt  es  zuerst  vor  zur  Zeit  Antiochusr 
des  Großen,  der  Abila  wie  das  benachbarte  Gadara  sowohl  bei 
der  ersten  als  bei  der  zweiten  Eroberung  Palästinas  (218  und  198 


265)  Euseb.  Onomast.  ed.  Klostermann  p.  32:  'AßeX  äfjinsXwvimv.  h&a 
SnoXifitjoev  *le<p&aL  yrjJQ  vltbv  *A(i(iü>v.  xal  ftmv  elq  hxi  v$v  xwfitj  dfuieXotpogog 
*AßsX&  änb  e  orj/uelwv  tfiXaSeXflag,  xal  &XXrj  nöXtg  htlar^fiog  *AßeXä  olvoipdoog 
xaXov(ikvri ,  öieoruyoa  raöaowv  orj/xelou;  iß  xotg  nodg  ävaxoXalg,  xal  xqIxtj  reg 
avxij  'AßeXa  xfjg  4>oivixrjg  pexagv  dapaoxov  xal  Davedöog. 

266)  Seetzen,  Reisen  durch  Syrien  (herausg.  v.  Kruse)  I,  371.  IV,  190 f. 
—  Vgl.  sonst:  Burckhardt,  Reisen  in  Syrien  I,  425.  537.  Raumer  S.  241. 
Ritter  XV,  2, 1058 — 1060.  Die  genaueste  Beschreibung  gibt  Q.  Schumacher, 
Abila  of  the  Decapolis,  London  1889  (Beilage  zum  Quarterly  Statement  des 
Palestine  Exploration  Fund,  July  18S9).  Dazu:  Schumachers  Karte  des  Ost- 
jordanlandes Bl.  II  (Zeitschr.  des  DPV.  XX,  1897).  —  Für  das  Historische: 
Ret  and  p.  525  sq.  Kuhn  II,  335.  371  f.  Geiz  er  in  seiner  Ausg.  des  Georgias 
Oyprius  1890  p.  193. 

267)  Corp.  Jhscr.  Grase,  n.  4501  =  Le  Bas  et  Waddington,  Inscriptions 
t.  III,  2  ».  2631  —  Dittenberger,  Orientis  graeci  inscr.  sei.  n.  631  —  Inscriptiones 
graecae  ad  res  romanas  pertinentes  t.  III  ed.  Oagnat  n.  1057  (Inschrift  zu 
Taiyibeh,  zwei  Tagereisen  nordöstlich  von  Palmyra,  jetzt  im  britischen  Museum 
zu  London,  datiert  vom  J.  445  aer.  Sei.  «=  133/134  nach  Chr.):  yAya9dvysXo$ 
^AßiXtjvbq  xrjg  AtxanöXeog.  —  Über  den  palmyrenischen  Paralleltext,  in  welchem 
der  Name  DhniK  ohne  Angabe  der  Heimat  steht,  s.  Levy,  Zeitschr.  der 
deutschen  morgenländ.  Gesellsch.  Bd.  XV,  1861,  S.  615—618.  —  Beide  Texte 
auch  in:  The  Palaeographical  Society  vol.  I  Tafel  176  und  Oriental  Series  Tafel 
75  (vorzügliche  Photographie),  Lidzbarski,  Handb.  der  nordsemit  Epi- 
graphik  S.  477. 

268)  Ptolem.  V,  15,  22.  Auch  der  Kodex  von  Vatopedi  hat  hier  "Aßiöaf 
s.  Geographie  de  Ptol&mie,  reproduetion  photolithogr.  du  manuscrit  grec  du  mo- 
nastere  de  Vatopedi  (Paris  1867)  p.  LVII  lin.  4.  In  der  Didotschen  Ausg. 
(I,  2,  Paris  1901)  V,  14,  18  haben  C.  Müller  und  Fischer  "AßiXa  durch  Kon- 
jektur  in  den  Text  gesetzt. 


[127.  128]     I.  Die  hellenistischen  Städte.   15.  Abila.   16.  Raphana.  163 

vor  Chr.)  einnahm 269.  Überhaupt  scheint  es  häufig  die  Schicksale 
Gadaras  geteilt  zu  haben.  Wie  dieses,  so  wurde  auch  Abila  durch 
Alexander  Jannäus  erobert270;  beide  erhielten  durch  Pompeius  die 
Freiheit  Denn  die  Münzen  Abilas  mit  der  pompeianischen  Ära 
werden  mit  Recht  unserem  Abila  zugeschrieben271.  Auch  die  Titel 
der  Stadt  sind  genau  dieselben  wie  die  von  Gadara:  Kbqo)  a(cvXog) 
a{vz6vofiog)  y(. . .  ?)  Kol(Xrjg)  2v(Qla<£).  Aus  den  Münzen  geht  hervor, 
daß  die  Stadt  auch  HeXsvxsia  hieß:  die  Einwohner  nennen  sich 
SeXevxeig  'AßiXrjvol212.  Zur  Zeit  Neros  wurde  Abila  dem  Agrippa  IL  | 
verliehen273.  Im  sechsten  Jahrhundert  nach  Chr.  werden  christ- 
liche Bischöfe  von  Abila  erwähnt,  die  mit  ziemlicher  Sicherheit 
unserem  Abila  zugewiesen  werden  können274. 

16.  Raphana,  nicht  zu  verwechseln  mit  dem  syrischen  KPaq>a- 
vsia  in  der  Cassiotis,  wird  nur  von  Plinius  (V,  18,  74)  erwähnt276. 
Wahrscheinlich  ist  aber  damit  identisch  das  im  1.  Makkabäerbuch 
erwähnte  'Pcupcbv  (I  Makk.  5,  37  =  Jos.  Äntt.  XII,  8,  4),  das  nach  dem 
Zusammenhang  der  dortigen  Erzählung  (vgl.  5,  43)  in  der  Nähe 
von  Earnaim  lag.    Auch  die  Lage  der  letzteren  Stadt  ist  jedoch 


269)  Pblyb.  V,  71  und  XVI,  39  —  Jos.  Antt.  Xu,  3,  3. 

270)  Synceüus  ed.  Dindorf  I,  559.   Vgl.  oben  Anm.  242.1 

271)  8.  über  dieselben  bes.  Belley  in  den  Mimoires  de  PAcadSmie  des  In~ 
scriptum*  et  Belies- Lettre* ,  alte  Serie  t.  XXVIII,  1761,  p.  557—567.  Eckhel 
III,  345 sq.  Musei  Sanclementiani  Nwnismata  seleeta  Pars  IL  lib.  IV,  p.  1—3. 
Mionnet  V,  318.  Suppl.  VIII,  [223  sq.  De  Saulcy  p.  308—312,  pl.  XVI 
n.  1—7. 

272)  Dies  laßt  sich  jetzt  konstatieren  auf  Grund  einer  von  de  Saulcy  mit- 
geteilten Münze  der  Faustina  jun.  (de  Saulcy  p.  310  und  planche  XVI  n.  2). 
Die  früher  bekannten  Münzen  geben  entweder  abgekürzt  Se.  lAßiXTjvanr,  oder 
(eine  schadhafte  der  Faustina)  . .  tevx.  AßiXa$f  was  man  einerseits  Seßaatiov, 
andererseits  Aevxaöoq  ergänzte,  beides  irrig,  wie  sich  nun  zeigt. 

273)  Beä.  Jud.  II,  13,  2.  In  der  Parallelstelle  Antt.  XX,  8,  4  erwähnt  Jo- 
sephus  Abila  nicht  —  Übrigens  sind  Antt.  XII  3,  3  und  Bell.  Jud.  II,  13,  2 
die  einzigen  Stellen,  an  welchen  unser  Abila  von  Josephus  erwähnt  wird.  Denn 
Antt.  IV,  8,  1;  V,  1,  1;  Bell.  Jud.  IV,  7,  6  ist  ein  anderes  Abila  gemeint,  in 
der  Nähe  des  Jordans  gegenüber  von  Jericho,  nicht  weit  von  Julias-Linas, 
welches  mit  keinem  der  drei  von  Eusebius  erwähnten  Orte  gleichen  Namens 
identisch  ist.  Wiederum  verschieden  ist  das  bekannte  Abila  Lysaniae.  Und 
auch  damit  ist  die  Zahl  noch  keineswegs  erschöpft  S.  Win  er  RWB.  s.  v. 
Abel 

274)  Le  Quien,  Oriens  christianus  m,  702  sq.  Vgl.  Hierocles  Synecd.  ed. 
Parthey  p.  44.    Die  Notit.  episcopat.  ebendas.  p.  144. 

275)  Über  das  syrische  Raphaneia  s.  Jos.  Bell  Jud.  VII,  1,  3.  5,  1. 
Ptolem.  V,  15,  16  —  Didotsche  Ausg.  (I,  2,  1901)  V,  14,  12.  Tab.  Peuting. 
Hierocles  ed.  Parthey  p.  41.  Steph.  Byx.  s.  v.  Eckhel  m,  323.  Mionnet 
V,  268.    Suppl.  VIII,  185.    Paulys  Enz.  s.  v.   Ritter  XVII,  1,  940  f. 

11* 


164  §  23.  Verfassung,   Synedrium.   Hohepriester.  [128.  129] 

aicht  bekannt276.  —  Da  Ptolemäus  den  Namen  Kaphana  bei  den 
Städten  der  Dekapolis  nicht  hat,  so  ist  die  Stadt  bei  ihm  wahr- 
scheinlich unter  anderem  Namen  aufgeführt;  alle  näheren  Ver|- 
mutungen  hierüber  schweben  aber  in  der  Luft,  auch  die  von  Quandt, 
daß  Baphana  mit  dem  bei  Ptolemäus  (V,  15,  22)  und  sonst  seit  dem 
zweiten  Jahrhundert  nach  Chr.  öfters  erwähnten  Capitolias  iden- 
tisch sei277. 

17.  K an ata?  Eine  Stadt  dieses  Namens  im  Unterschied  von 
Kanatha  =  Kanawat  hat  Waddington  auf  Grund  der  Inschriften 
nachzuweisen  versucht278.  Auf  einer  Inschrift  zu  el-Afine  (am 
westlichen  Abhänge  des  Hauran,  nordöstlich  von  Bostra)  wird  ein 


276)  Im  masorethischen  Text  von  Gen.  14,  5  wird  ein  Astaroth-Karnaim 
erwähnt,  das  man  mit  Astaroth,  der  Residenz  des  Og  von  Basan,  und  mit  dem 
Karnaim  des  1.  Makkabaerbuches  zn  identifizieren  pflegt.  Da  aber  bei  den 
LXX  Gen.  14,  5  verschiedene  Handschriften  k<rrapu>$  xal  Kagvaiv  haben,  und 
da  sonst  nur  einerseits  Astaroth  und  andererseits  Karnaim  vorkommt,  so  haben 
K  u  e  n  e  n  (  Verslagen  en  Mededeelingen  der  koninkl.  Akademie  van  Wetenschappen, 
Afd.  Letterkunde,  derde  reeks  vijfde  deel  1888,  p.  183  =  Gesammelte  Abhand- 
lungen, übers,  von  Budde  1894,  S.  207)  und  Buhl,  (Zeitschr.  des  DPV.  XIII, 
1890,  S.  42)  beide  Städte  fu>  verschiedene  erklärt.  Später  hat  Buhl  mit 
Nestle  (Zeitschr.  des  DPV.  XV,  1892,  S.  256)  die  Lesart  Uora^ba-  xal 
KaQvaiv  verworfen  und  sich  wieder  für  Identität  von  Karnaim  mit  Astaroth 
Karnaim  erklärt  (Buhl,  Studien  zur  Topographie  des  nördlichen  Ostjordan- 
landes, Leipzig  1894,  S.  13—17).  Gegen  die  Lesart  mit  xal  auch:  Moore, 
Journal  of  Biblical  Literature  1898  p.  155  sqq.  Baudissin,  Theol.  Litztg. 
1899,  105  (in  der  Anzeige  von  Nowacks  Kleinen  Propheten).  Ebenso  Höl- 
scher,  Zeitschr.  des  DPV.  XXIX,  1906,  S.  142—146,  der  aber  trotzdem  Asta- 
roth und  Karnaim  für  zwei  verschiedene  Orte  hält.  —  Unsichere  Vermutungen 
über  die  Lage  von  Baphon  und  Karnaim  bei  Furrer,  Zeitschr.  des  DPV. 
XIII,  198.  199.  Buhl,  Geogr.  des  alten  Palästina  S.  248 ff.  Driver  und 
Etoing  in  Hostings1  Diciionary  of  the  Bibie  I,  1898,  p.  166—167.  O.  A.  Smith 
in:  Encyclopaedia  Biblica  I,  335*?.  Hölscher,  Zeitschr.  des  DPV.  1906, 
S.  143  f.  150  f.    Dazu  Fischers  Karte  der  Haurangegend,  Zeitschr.  d.  DPV-  XII. 

277)  Quandt,  Judäa  und  die  Nachbarschaft  im  Jahrh.  vor  und  nach  der 
Geburt  Christi  (1873)  S.  40  f.  —  Capitolias  lag  (nach  der  Tab.  Peuting.) 
16  m.  p.  von  Adraa,  und  letzteres  nur  6  m.  p.  von  Astaroth  (Euseb.  Onomast, 
ed.  Klostermann  p,  12).  Da  nun  Baphon  in  der  Nähe  von  Karnaim  lag,  so  würde 
sich  unter  der  Voraussetzung,  daß  Astaroth  und  Karnaim  identisch  sind,  auch 
ein  gewisser  Anhaltspunkt  für  die  Identität  von  Capitolias  und  Baphon  er- 
gehen. —  Über  Capitolias  s.  §  21,  I  (Bd.  I,  S.  651  £). 

278)  Le  Bas  et  Waddington,  Inscriptions  grecques  et  latines  t.  III,  Er- 
läuterungen zu  n.  2296.  2329.  2412<*.  —  Ihm  stimmten  bei:  De  Saulcy,  Nu- 
mismatique  de  la  Terre  Sainte  p.  399  sqq.  Reichardt,  Wiener  Numismat. 
Zeitschr.  1880,  S.  68  ff.  Marquardt,  Bömische  Staatsverwaltung  I,  395 
Anm.  17.  Bonden,  De  Palaestina  et  Arabia  provinciis  Romanis,  Berol.  1886, 
p.  9  sq.  Clermont-Ganneau,  Revue  archeologique  trois.  Serie  U  IV,  1884, 
p.  266. 


[120.  180]  I.  Die  hellenistischen  Städte.   17.  Kanata?  165 

ayoyybq  vöaxcov  6lög>eQO(idva>v  elq  Kavaxa  erwähnt,  welchen  Cor- 
nelius Palma,  der  Statthalter  Syriens  zur  Zeit  Trajans,  erbaut 
hat279.  Diese  Wasserleitung  kann  nicht  nach  Kanawat  geführt 
-haben,  da  dieses  höher  liegt  als  el-Afine  und  selbst  reichlich  mit 
Wasser  versorgt  ist280.  Das  Kanata,  wohin  die  Wasserleitung 
fahrte,  findet  Waddington  vielmehr  in  dem  heutigen  Kerak  (in  der 
Ebene,  genau  westlich  von  es-Suweda),  weil  dort  auf  einer  von 
Wetzstein  gefundenen  Inschrift  zu  lesen  ist:  Aä  fisyiox[q>]  Kavar 
xr\v&v  6  [drjfiog]2*1.  Von  der  einstigen  griechischen  Kultur  dieses 
Ortes  geben  auch  noch  andere  Inschriften  Zeugnis282.  Auf  einer 
wird  ein  ßovlevTTJg  erwähnt283.  Auf  einer  anderen  aus  der  Mitte 
des  dritten  Jahrhunderts  nach  Chr.  bezeichnet  sich  der  Ort  als 
xcifirj 284.  Wenn  hiernach  Kanata  =  Kerak  und  Kanatha  =  Ka|- 
nawat  zu  unterscheiden  wären,  so  würde  ersteres  auch  gemeint 
sein  auf  einer  Inschrift,  auf  welcher  sich  ein  yalrjg  ky  Kavaxmv 
avrjQ  dyaüog  xs  6a6<pQa>v  nennt285,  und  auf  den  Münzen  mit  der 
Aufschrift  Kavaxrjvcop2**.  Die  Münzen  haben  die  Ära  des  Pom- 
peius.  Sicher  nachweisbar  sind  nur  solche  aus  der  Zeit  des  Claudius 
und  Domitian287.    Es  würde  also  keine  Schwierigkeiten  machen, 


279)  Le  Bas  et  Waddington  t.  HI  n.  2296  «-  Dittenberger,  Orientis 
graeei  insor.  sei.  n.  618. 

280)  Vgl.  die  Karte  der  Hauran-Gegend  von  Fischer,  nach  Stübels 
Messungen  und  anderen  Quellen  entworfen,  in  der  Zeitschr.  des  deutschen 
Palästina-Vereins  Bd.  Xu,  1889. 

281)  Wetzstein,  Ausgewählte  griechische  und  lateinische  Inschriften 
(Abhandlungen  der  Berliner  Akademie  1863,  philol.-histor.  Klasse)  n.  185  «* 
Waddington  n.  2412d  =  Dussaud  et  Macler,  Voyage  archeologique,  1901, 
p.  198. 

282)  Wetzstein  n.  183—186  —  Waddington  n.  2412d— 2412g. 

283)  Wetzstein  n.  184  —  Waddington  n.  2412e. 

284)  Wetzstein  n.  186  —  Waddington  n.  2412*. 

286)  Gleichzeitig  mitgeteilt  von  Mordtmann,  Archäol.-epigr.  Mittei- 
lungen aus  Österreich-Ungarn  VIII,  1884,  8.  182,  und  von  Olermont-Gan- 
neau,  Bevue  arehiol.  trois.  Sirie  t.  IV,  1884,  p.  265  (mit  Faksimile  S.  281); 
von  demselben  auch  in  Beeueil  cParckeologie  Orientale  t.  I,  1888,  p.  7.  Die  In- 
schrift wurde  zu  Lebkaa  in  Batanäa,  an  der  großen  Pilgerstraße  von  Damas- 
kus nach  Mekka,  zwischen  el-Kutebe  und  Dilli,  gefunden. 

286)  Belley  in  den  Memoires  de  l'Academie  des  Inscr.  et  Beiles- Lettres, 
alte  Serie  t  XXVIII,  568  sqq.  —  Eekhel  III,  347.  —  Mionnet  V,  321.  SuppL 
VIII,  225.  —  De  Saulcy  p.  399  sq.  pl.  XXIII  n.  8—9.  —  ßeichardt  in  der 
Wiener  Numismatischen  Zeitschrift  1880,  8.  68—73.  —  Wroth,  Oatalogue  of 
the  greek  coins  of  Oalatia,  Cappad.  and  Syria  (in  the  Brit.  Mus.)  p.  302. 

287)  Mionnet  Suppl.  VIII,  225  gibt  eine  Münze  des  Maximinus,  die 
aber  gar  nicht  Kanata,  sondern  Askalon  angehört  (s.  de  Saulcy  S.  206).  De 
Saulcy  und  Reichardt  geben  je  eine  Münze  Elagabals,  deren  Lesung  je- 
doch sehr  unsicher  ist. 


166  §.  23.   Verfassung.   Svnedrium.    Hohepriester.  [180.  131] 

daß  auf  einer  Inschrift  zu  Kerak  ans  der  Mitte  des  dritten  Jahr- 
hunderts nach  Chr.  nach  der  Ära  der  Provinz  Arabien  (vom  Jahre 
106  nach  Chr.)  gerechnet  wird288. 

Die  Unterscheidung  von  Kanata  =  Kerak  und  Kanatha  —  Ka- 
nawat ist  aber  trotz  der  von  Waddington  angeführten  Gründe 
nicht  haltbar.  Vor  allem  ist,  wie  Mordtmann  hervorgehoben  hat, 
der  Unterschied  in  der  Orthographie  bedeutungslos,  da  auch  bei 
anderen  Namen  die  Schreibung  mit  r  und  &  wechselt289.  Dazu 
kommt,  daß  in  unmittelbarer  Nähe  von  Kerak,  nämlich  in  D6r- 
Chulef,  von  Seetzen  auf  einer  Inschrift  die  Worte  Kava^r\vA{v  fj] 
xoXig  hcriCBv  gelesen  worden  sind290.  Hiernach  könnte  man  ge- 
neigt sein,  alle  Angaben  der  alten  Schriftsteller  über  Kanatha 
auf  |  Kanata = Kerak  zu  beziehen291.  Dem  stehen  aber,  wenigstens 
bei  einigen  derselben,  die  gewichtigsten  Gründe  entgegen  (s.  hier- 
über unten  bei  Nr.  18).  Es  bleibt  also  nur  übrig,  entweder  zwei 
Orte  namens  Kanatha  zu  unterscheiden 292,  was  bei  ihrer  relativen 
Nähe  doch  sehr  unwahrscheinlich  ist,  oder  alle  Angaben  über 
Kanata  und  Kanatha  auf  Kanawat  zu  beziehen.  Letzteres  ist 
möglich  unter  der  Voraussetzung,  daß  das  Gebiet  dieser  Stadt  sich 
bis  nach  Kerak  und  Der  Chulef  erstreckt  hat  Dann  können  die 
Behörden  von  Kanawat  sehr  wohl  an  diesen  Orten  Weihgeschenke 
gestiftet  und  Gebäude  errichtet  haben,  und  es  kann  von  el-Aflne 
eine  Wasserleitung  elg  Kavaxa,  d.  h.  in  das  Gebiet  von  Kanawat, 
geleitet  worden  sein.  Da  die  Annahme  einer  so  großen  Ausdehnung 
des  Stadtgebietes  keine  Bedenken  gegen  sich  hat,  so  scheint  es  mir 
nicht  fraglich,  daß  diese  Lösung  des  Problems  die  richtige  ist293. 

288)  Wetzstein  n.  186  —  Waddington  n.  2412',  und  dazu  Waddingtons 
Erläuterungen. 

289)  Mordtmann,  Archäol.-epigr.  Mitteilungen  aus  Österreich-Ungarn 
VIII,  183. 

290)  Seetzen,  Reisen  durch  Syrien  Bd.  I,  1854,  S.  64  «=*  Corp.  Inser. 
Oraec.  n.  4613  =  Wadding  ton  n.  2331*.  Die  Inschrift  ist  von  Seetzen  nicht, 
wie  im  Corp.  Inser.  und  bei  Waddington  irrtümlich  angegeben  ist,  in  Kanawat 
gefunden  worden,  sondern  in  Der  Chulef  (wie  aus  dem  Zusammenhang  bei 
Seetzen  I,  64  zweifellos  erhellt,  vgl.  auch  die  Bemerkungen  Kruses  in  Seetzens 
Reisen  IV,  40).  Der  Chulef  liegt  aber  nahe  bei  Kerak,  nach  Wetzstein 
nur  zehn  Minuten  davon  entfernt,  also  noch  näher  als  auf  den  Karten  an* 
gegeben  zu  werden  pflegt  (Zeitschr.  für  kirchl.  Wissen  seh.  und  kirchL  Leben 
V,  1884,  S.  126  Anm.). 

291)  So  Hildesheimer  in  seiner  sorgfaltigen  Erörterung  über  das  rab- 
binische  rop  (Beiträge  zur  Geographie  Palästinas,  Berlin  1886,  S.  49-51).  Wie 
es  scheint  auch  Wetzstein  a.  a.  O.  Beide  beziehen  nur  die  Angaben  über 
Kanotha  auf  Kanawat 

292)  So  Mommson,  Romische  Geschichte  V,  474. 

293)  Von  Kanawat  bis  Kerak  sind   in  der  Luftlinie  25  Kilometer  (nicht 


[131.  182]  L  Die  hellenistischen  Städte.   18.  Kanatha.  £67 

18.  Kanatha.  Am  westlichen  Abhänge  des  Haurangebirges 
liegt  gegenwärtig  der  Ort  Kanawat,  dessen  Ruinen  zu  den  be- 
deutendsten des  Ostjordanlandes  gehören.  Zahlreiche  Inschriften, 
wohlerhaltene  Reste  von  Tempeln  und  anderen  öffentlichen  Gebäuden 
beweisen,  daß  hier  einst  eine  bedeutende  Stadt  gelegen  hat;  und 
zwar  weisen  Inschriften  wie  Ruinen  auf  die  ersten  Jahrhunderte 
der  römischen  Kaiserzeit.  Die  Ruinen  sind  seit  Beetzens  erstem 
flüchtigen  Besuche  oft  beschrieben  worden 294.  Die  Inschriften  hat  | 
am  vollständigsten  Waddington  gesammelt295.  Die  Namensform  läßt 
zunächst  keinen  Zweifel  darüber,  daß  hier  das  auf  Inschriften  und 
bei  Schriftstellern  vorkommende  Eanautha  oder  Kanotha  zu 
suchen  ist296.    Aber  auch  die  Angaben  über  Kanatha  sind  wohl 


ganz  37a  deutsche  Meilen).  Ein  solcher  Durchmesser  für  ein  Stadtgebiet  ist 
durchaus  nicht  ohne  Beispiel  (vgl.  die  Bemerkungen  am  Schlüsse  der  Artikel 
über  Damaskus,  Hippus,  Skythopolis,  Gerasa,  Philadelphia,  Sebaste).  Auf 
eine  große  Ausdehnung  des  Gebietes  von  Kanatha  deutet  die  Existenz  mehrerer 
cohortes  Canathenorum.  Die  Formel  el$  Kavaxa  kann  aber  sfchr  wohl  heißen: 
„in  das  Gebiet  von  Kanata".  Vgl.  das  unten  bei  Tiberias  (Nr.  33)  aus 
Stephanu8  Byx.  mitgeteilte  Material  (KaatvLOv,  Bqos  iv  k<miv6<i>  xrj<;  Ilapigw- 
Xlac.  usw.).  —  Für  die  Identität  von  Kanata  und  Kanatha  auch:  Wroth,  Catal. 
p.  LXXXIV.    Mendel,  Bulletin  de  corresp.  hellenique  XXIV,  1900,  p.  276. 

294)  Seetzen,  Reisen  durch  Syrien  (herausg.  von  Kruse)  I,  78  ff.  IV,  40 f. 
51  ff  Burckhardt,  Reisen  in  Syrien  1,157  ff.  504  f.  Ritter,  Erdkunde  XV, 
2,  931—939.  Porter,  Five  years  in  Damascus,  1855,  II,  89—115  (mit  Plan). 
Bädeker-Socin,  Palästina  3.  Aufl.  S.  207  f.  (mit  Plan).  Merrill,  East  of 
the  Jordan  (1881)  p.  36 — 42.  Ansichten  der  Ruinen  bei  Laborde,  Voyage  en 
Orient,  Paris  1837  [—1845],  livraison  21— 22,  26;  Bey,  Voyage  dam  le  Haouran 
et  aux  bords  de  la  mer  morte  exicutS  pendant  les  annies  1857  et  1858  (Paris 
s.  a.),  Atlas  pl.  V— VIII  [pL  VlfcPlan].  De  Vogüi,  Syrie  centrale,  ArchU 
tecture  civile  et  religieuse  I  p.  59  sq.  pl.  19 — 20.  Butler,  Architecture  and  other 
Aris  (Part  II  of  the  Publications  of  an  American  archaeological  expedition  to 
Syria)  1904,  p.  351—361,  402-405,  407  sq. 

295)  Le  Bas  et  Waddington,  Inscriptions  t.  III,  n.  2329—2363.  Vgl. 
auch:  Inscriptiones  graecae  ad  res  romanas  pertinentes  t.  III  ed.  Oagnat  n. 
1223—1236.  Ältere  Mitteilungen:  Corp.  Inscr.  Qraec.  n.  4612—4615.  Wetz- 
stein, Ausgewählte  Inschriften  (Abhandi.  der  Berliner  Akad.  1863)  n.  188 — 193. 
—  Einiges  auch  in:  American  Journal  of  philology  vol.  VI,  1885,  p.  211  sq. 
Mitteilungen  und  Nachrichten  des  DPV.  1899,  S.  84  f. 

296)  Eine  AigrjXla  'Aozdvtj  Kavav&rjvtf  auf  einer  Inschrift  zu  Bostra  (mit- 
geteilt von  Allen,  American  Journal  of  philology  VI,  1885,  p.  208  «=»  Inscr. 
gr.  ad  res  rom.  pertinentes  III  n.  1334).  —  Ein  ßovkevtfc  noXirijs  te  Kav<oS'al[co]v 
i[ . .  ]  ZvqItjq  auf  einer  in  der  Nähe  von  Trevoux  in  Frankreich  aufgefundenen 
Inschrift  (s.  unten  Anm.  305).  Derselbe  wird  seiner  Heimat  nach  als  'AS-ei- 
Xtjv6q  bezeichnet;  das  Dorf  Atil  existiert  noch  heute  in  der  Nähe  von  Kana- 
wat. —  Ein  "A^ay  n6\zw<;  .  .  .  Kavu&a  auf  der  Insel  Thasos  (Bulletin  de  cor- 
resp.  hell.  XXIV,  1900,  p.  275  —  Revue  arcMol  XXV,  1873,  p.  41  —  Inscr.  gr. 
ad  res  rom.  pertinentes  I  ed.  Gagnat  n.  839).  —  Kanotha  bei  Schriftstellern: 


168  §  23.   Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [132.  133] 

Bämtlich,  einige  davon  sicher,  auf  Kanawat  zu  beziehen297.  Im 
Alten  Testament  wird  ein  paarmal  ein  nsp  im  Ostjordanland  er- 
wähnt (Num.  32,  42.  I  Ckron.  2,  23);  dasselbe  auch  in  einer  rabbi- 
nischen  |  Erörterung  über  die  Grenzen  Palästinas 298.  Auch  dieses 
wird  man  mit  Kanawat  identifizieren  dürfen 2".  —  Abgesehen  von 
den  alttestamentlichen  Stellen  läßt  sich  die  Geschichte  Eanathas 
nicht  weiter  als  bis  in  die  Zeit  des  Pompeius  zurückverfolgen:  es 
hat  auf  Münzen  die  pompeianische  Ära300  und  wird  von  Plinius 


Hierocles  ed.  Parthey  p.  46  (Kavo&d),  Notüia  episeopai.  ebenda«,  p.  92  (Kavo- 
#ac),  Akten  des  Konzils  von  Ohalcedon  bei  Le  Quien,  Oriens  christ.  II,  867 
Igen.  Kava&as).  —  Über  die  heutige  Namensform  Kanawat  s.  Wetzstein, 
Reisebericht  über  Hauran  und  die  Trachonen  (1860)  S.  77  f. 

297)  Die  Peutingersche  Tafel  verzeichnet  eine  Straße  von  Damaskus  süd- 
lich über  Aenos  nach  Chan  ata.  Aenos  ist  wahrscheinlich  Phaena «  Mismie. 
Ohanata  aber  kann  nur  Kanawat  sein,  denn  die  noch  heute  nachweisbare  Rö- 
merstrsße  von  Damaskus  nach  Bostra  führt  ganz  nahe  an  Kanawat  vorbei. 
Auch  die  Distanz- Angaben  stimmen  (von  Aenos  nach  Ohanata  37  mtl.  pass.; 
die  Entfernung  in  der  Luftlinie  von  Mismie  bis  Kanawat  betragt  33  m.  p).  — 
Durch  mehrere  Inschriften  ist  eine  cohors  prima  Flavia  Canathenorum  be- 
kannt {Renier,  Insor.  de  P  Algerie  n.  1534  u.  1535  —  Corp.  Inser.  Lot.  t.  VIII 
n.  2394.  2395,  ibid.  Suppl.  n.  17904,  Militärdiplom  zu  Regensburg  vom  J.  166 
n.  Chr.  in:  Ephemeris  epigr.  II,  462  =-  Oorp.  Inser.  Lot.  t.  III  Suppl.  p.  1991; 
Ziegel  der  coh.  I  Can.  in  der  Gegend  von  Regensburg  und  Straubing:  Corp. 
Inser.  Lot.  II [  n.  6001.  11992;  vgl.  überh.  Cichorius  in  Pauly-Wissowas  Real- 
Enz.  IV,  267).  Eine  Stadt,  in  deren  Gebiet  eine  Kohorte  ausgehoben  werden 
konnte,  muß  eine  sehr  bedeutende  gewesen  sein,  was  wiederum  mit  Notwen- 
digkeit auf  Kanawat  führt.  —  Eusebius,  Onomast.  ed.  Klostermann  p.  112  er- 
wähnt: Kavd&t  x&fjtTj  trjq  Agaßla<;>  slq  hi  [Kava&a]  xaXovfihrj  .  .  .  xelzai  6h 
eis  en  xal  vvv  kv  Tgaz&vi  nXrjolov  BSotqcdv.  Auch  dies  stimmt  zu  der  Lage 
von  Kanawat.  Ebenso  die  Notiz  des  Stephanus  Byx.  Lex.  s.  v.  Kava&a*  nöXiq 
nobq  t$  Bdoroq  'Agaßlag.  Dann  aber  werden  auch  die  übrigen  Angaben  über 
Kanatha  hierher  zu  ziehen  sein :  Plinius  V,  18,  74.  Ptolem.  V,  15, 23  (Didotsche 
Ausg.  V,  14,  18).  Josepkus  B.  J.  1, 19,  2.  Die  Form  Kanatha  auch  auf  Münzen 
(s.  unten)  und  Inschriften  {Waddington  n.  2216:  Kava&nvö<;  ßovtevtfc,  über 
die  Inschrift  bei  Seetzen  I,  64  —  Corp.  Inser.  Or.  4613  s.  oben  Anm.  290). 
Einmal  auch  Keva^vöq  ( Waddington  n.  2343).  Wegen  Kavata  s.  oben  Nr.  17. 
—  Vgl.  über  die  Identität  von  Kanatha  und  Kanawat  bes.  Porter ,  Five  years 
in  Datnaseus  II,  110  sqq.  Für  das  Historische  überhaupt:  Bei  and  p.  681*?. 
Winer  RWB.  s.  v.  Kenath.  Raumer  S.  252.  Ritter  a.  a.  O.  Kuhn  II, 
385 f.  Waddingtons  Erläuterungen  zu  n.  2329.  Rohden,  De  Palaestina  et 
Arabia  provinciis  Romanis ,  Berol.  1885,  p.  9  sq.  Geiz  er  in  seiner  Ausg.  des 
Qeorgius  Oyprius  1890  p.  206 sq.  Legendre,  in:  Vi'jouroux,  Dictionnaire  de 
la  Bible  II,  121—129. 

298)  jer.  Schebiith  VI,  1  fol  36c.  Tosephta  Schebiilh  IV  (nach  der  Wiener 
Handschrift).  Neubauer,  Geographie  du  Talmud p.  lOsqq. 20.  Hildesheimer, 
Beiträge  zur  Geographie  Palästinas,  Berlin  1886,  Einleitung  und  S.  49 — 51. 

299)  S.  Dillmann  zu  Num.  32,  42. 

300)  S.  de  Sauley  p.  399—401,  pl.  XXIII  n.  10;   und  bes.  Reichardt, 


[133.  134]  I.  Die  hellenistischen  Städte.   18.  Kanatha.]  169 

(V,r18,  74,  wegen  Ptolemäus  s.  oben  S.  149)  zur  Dekapolis  gerechnet 
Auf  den  von  Reichardt  mitgeteilten  Münzen  des  Commodus  nennen 
sich  die  Einwohner  raßeiv(ietq)  Kava&{rjvoC)\  die  Stadt  scheint  also 
durch  Gabinius  restauriert  worden  zu  sein.  Herodes  erlitt  im 
Kampfe  mit  den  Arabern  bei  Kanatha  eine  empfindliche  Nieder-. 
läge801.  Nach  den  in  Kanawat  und  dessen  Umgebung  gefundenen 
Inschriften  hat  die  Stadt  sowohl  dem  Herodes  als  dem] Agrippa  II. 
gehört,  wahrscheinlich  also  Jauch  den  zwischen  beiden  regierenden 
Herodianern  (Philippus  [und  Agrippa  I.)302.  Über  die  städtische 
Verfassung  Eanathas  geben  die  Inschriften  einiges  Material;  es 
werden  öfters  ßovXevtai  erwähnt303,  je  einmal  ein  jcqoböqos  und 
ein  ayoQav6(io<;ZOi.  Von  besonderem  Interesse  ist  eine  im  Jahre 
1862  in  der  Nähe  von  Trevoux  in  Frankreich  (Departement  de 
PAin,  nicht  weit  von  Lyon)  aufgefundene  griechisch-lateinische 
Grabschrift  eines  syrischen  Kaufmannes,  welcher  im  griechischen 
Text  als  ßovXewfjg  xoXltr]c:  xb  Kavw&al[co]v  i[. .]  JSvQlrjg,  im  latei- 
nischen als  decurio  Septimianus  Ganotha  bezeichnet  wird305.  Was 
letzterer  Titel  besagt,  ist  freilich  |  zweifelhaft306.  Wenn  das  HvqIcl 
des  griechischen  Textes  im  strengen  Sinn  (von  der  Provinz 
Syrien)  zu  verstehen  ist,  so  ergibt  sich  aus  der  Kombination  beider 

Die  Münzen  Kanathas  (Wiener  Numismatische  Zeitschrift  1880,  S.  68—72). 
Wenn  Kanata  und  Kanatha  identisch  sind,  was  mir  sicher  scheint,  so  gehören 
auch  die  oben  Anm.  286  erwähnten  Münzen  hierher. 

301)  Bell.  Jud.  I,  19,  2.  In  der  Parallelstelle  Antt.  XV,  5,  1  heißt  der 
Ort  nach  dem  bisherigen  Vulgärtext  Kavd.  Niese  liest  statt  dessen  nach  guten 
Zeugen  Kdvaza. 

302)  Herodes:  Waddingion  n.  2364,  Agrippa  IL:  Waddington  n.  2329. 
2365.    Vgl.  Rohden  S.  9. 

303)  Waddington  n.  2216.  2339  (—  Wetzstein  n.  188).  Ober  die  Inschrift 
Corp.  Inscr.  Oraeo.  n.  4613,  auf  welcher  auch  ein  ßovlewfc  erwähnt  wird,  s. 
oben  Anm.  290. 

304)  TtQÖeÖQog  Corp.  Inscr.  Qraee.  n.  4614«  Waddington  n.  2341.  — 
dyooavöfxoq  Corp.  Inscr.  Qraec.  n.  4612  —  Waddington  n.  2330. 

306)  Die  Inschrift  ist  mitgeteilt  von  Henzen  im  Bullettino  delV  Instituto 
di  corrisp.  archeol.  1867,  p.  203—207.  Auch  bei  Wilmans,  Exempla  Inscr. 
Lot.  n.  2498.  Kaibel,  Epigrammata  graeca  (1878)  n.  714.  Kaibel,  Inscrip- 
tiones  graecae  Siciliae  et  Italiae  (1890)  n.  2532.  Corp.  Inscr.  Lot.  XIII  n.  2448. 
Cagnaty  Inscr.  graecae  ad  res  romanas  pertinentes  I  n.  25.  Vgl.  auch  Momm- 
sen,  Römische  Geschichte  V,  469. 

306)  Henzen  a.  a.  0.  und  Waddington  (Erläuterungen  zu  n.  2329) 
verbinden  decurio  Septimianus  und  denken  an  eine  unter  Septimius  Severus 
geschaffene  neue  Kategorie  von  Dekurionen.  Wahrscheinlicher  ist  doch,  daß 
Septimianus  von  decurio  zu  trennen  und  dahin  zu  erklären  ist,  daß  die  Bürger 
von  Kanotha  überhaupt  sich  Septimiani  nannten  wie  früher  raßivieZq  (so 
Wilmans  und  Mommsen,  s.  die  Bemerkungen  im  Corp.  Inscr.  Lat.  XIII  n.  2448; 
auch  Cagnat  a.  a.  O.). 


170  §  23.   Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [134] 

Texte,  daß  Kanatha  noch  zur  Zeit  des  Septimius  Severus  zur  Pro- 
vinz Syrien  gehörte307.  Zur  Zeit  des  Eusebius  gehörte  es  zur 
Provinz  Arabien 308.  Ein  olwvooxojrog  aus  Kanotha  bezeichnet  sich 
als  "AQatp 309.  Auffallend  ist,  daß  Eusebius  es  als  xci/iri  bezeichnet. 
Sollte  es  damals  nicht  mehr  städtische  Verfassung  gehabt  haben?810 
Ein  christlicher  Bischof  von  Kanotha  war  auf  den  Konzilien  von 
Ephesus  (449),  Chalcedon  (451)  und  Konstantinopel  (459)  anwesend311. 

19.  Skythopolis,  JSxv&oxoltg,  eine  der  bedeutendsten  helle- 
nistischen Städte  Palästinas;  unter  den  Städten  der  Dekapolis  die 
einzige,  welche  westlich  vom  Jordan  lag312.  Der  alte  Name  der 
Stadt  ist  Beth-sean,  firaj  rva  oder  yto  rv>a,  bei  den  LXX  und  im 
1.  Makkabäerbuche  Br)&cav  oder  Ba&cav  (I  Makk.  5,  52.  12,  40  f.)313, 
zusammengezogen  auch  Balacov  und  Baadv*1*.    Sie  kommt  schon 


307)  So  auch  Waddington  zu  n.  2329,  Marquardt  I,  396,  Rohden  8.  9. 
Doch  ist  Marquardt  wegen  der  Gar nisons -Verhältnisse  zu  der  Annahme  geneigt, 
daß  Kanatha  bereits  unter  Caracalla  zur  Provinz  Arabien  gezogen  wurde,  s. 
S.  433,  Anm.  3.    Ebenso  Rohden  8.  9. 

306)  Euseb.  Onomast.  ed.  Klostennann  p.  112:  Kaväd-,  xuy/ntj  xfjq^AQa- 
ßlaqt  elq  ixt  [Kava&a]  xaXovfihrj. 

309)  Inschrift  in  Thasos  {Bulletin  de  corresp.  hellinique  XXIV,  1900, 
p.  275,  nach  Revue  archeol.  XXV,  1873,  p.  41  auch  bei  Cagnat,  Unser,  gr.  ad  res 
rom.  pertinentes  I  n.  839):  'Pov<pevoq  rsg/iavov  olwvooxonoq  "AQatp  nSXecoq 
iniri/ulaq  (sie)  Kava>9a  regpavä)  x<j>  bfy  (sie)  ttfoavxi  fny  xff  ftvtjfitjq  x&qiv. 

310)  Die  Angaben  des  Eusebius  sind  nicht  ganz  zuverlässig.  Er  nennt 
z.  B.  Jabis  das  einemal  noXiq  (p.  32),  das  anderemal  x&fjit]  (p.  110). 

311)  Le  Quien%  Oriens  Christ  II,  867. 

312)  8.  überhaupt:  Reland  p.  992—998.  Win  er  s.  v.  Bethsean.  Rau- 
mer 8.  150 f.  Paulys  Enz.  VI,  1,729.  Robinson,  Palästina  111,407—411. 
Derselbe,  Neuere  biblische  Forschungen  8.  429—437.  Ritter  XV,  1,  426— 
435.  Kuhn  II,  371.  Guirin,  Samarie  I,  284—299.  The  Survey  of  Western 
Palestine,  Memoirs  by  Gonder  and  Kitchener  II,  83.  101 — 114  (mit  Plänen); 
dazu  Blatt  IX  der  großen  englischen  Karte.  Le  Strange,  Palestine  tmder 
the  Moslems  p.  410  sq.  Benzinger,  Zeitschr.  des  DPV.  XIV,  1891,  8.  71  f. 
G.  A.  Smith,  Historical  Geography  of  the  Eoly  Land  p.  357 — 364.  Legendr  ey 
Art.  Bethsan  in:  Vigovroux,  Dietionnaire  de  la  Bible  I,  1738—1744,  Thom- 
son, Loca  saneta  p.  106  f. 

313)  Im  Alten  Testamente:  Josua  17,  11.  16.  Judic.  1,  27.  I  Sam.  31, 
10.  12.  II  Sam.  21,  12.  I  Reg.  4,  12.  1  Ghron.  7,  29.  —  Ober  die  Identität 
von  Bethsean  und  Skythopolis  s.  Jos.  Antt.  V,  1,  22.  VI,  14,  8.  XII,  8f  5. 
XIII,  6,  1.  Die  Glosse  der  LXX  zu  Judic.  1,  27.  Euseb.  Onomast.  ed.  Klo- 
stermann p.  54.    Steph.  Byx.  und  Syncell.  (s.  nächste  Anm.). 

314)  Stephanus  Byx.  s.  v.  2xv&6noXiq,  IlaXaiazlvtiq  noXiq,  $  Nvaaijq  [1. 
Nvoaa]  KolXijq  Svglaq,  2xv9ibv  noXtq,  nooiegov  Balowv  Xeyofiivrj  und 
xibv  ßaoßaQwv.  —  Syncell.  ed.  Dindorf  I,  559:  Baaav  x^v  vvv  Sxv&onoXiv 
(in  der  Geschichte  des  Alexander  Jannäus).  Ebenso  I,  405  (in  der  unten 
Anm.  320  zitierten  Stelle). 


134.  136]  L  Die  hellenistischen  Städte.   19.  Skythopolis.  171 

auf  den  Amarna-Briefen  unter  dem  Namen  Bitsaani  vor315.  Der 
alte  Name  hat  |  sich  neben  dem  griechischen  stets  erhalten316,  ja 
diesen  schließlich  wieder  verdrängt.  Noch  heute  bezeichnet  das 
wüste  Trümmerfeld  von  B  eis  an  im  Jordantale  südlich  vom  See 
Genezareth  die  Lage  der  alten  Stadt  Der  Name  Sxv&oxolig  ist 
sicherlich  nicht  von  rriso  abzuleiten,  denn  der  alte  Name  der  Stadt 
war  eben  nicht  Sukkoth,  sondern  Beth-sean317.  Auch  für  die  Ab- 
leitung von  dem  Gott  Sikkuth  (Arnos  5,  26) 318  gibt  es  keine  Anhalts- 
punkte. Da  der  Name  auch  JSxv&wp  jioXiq  geschrieben  wird319, 
so  ist  höchst  wahrscheinlich  mit  Syncellus  anzunehmen,  daß  eine 
Anzahl  Skythen  bei  ihrem  großen  Einfall  in  Palästina  im  siebenten 
Jahrhundert  vor  Chr.  sich  hier  angesiedelt  haben  und  daß  darum 
die  Stadt  die  Skythen-Stadt  genannt  wurde320.    Über  den  Namen 


315)  Zeitschr.  des  DPV.  1907,  S.  15. 

316)  1&W3  n*a  in  der  Mischna  Aboda  sara  I,  4.  IV,  12.  Das  Adj.  wna 
Pea  VII,  1.  Vgl.  Neubauer,  Oiographie  du  Talmud  p.  174  sq.  Büchler, 
Der  Patriarch  B.  Jehuda  und  die  griechisch-römischen  Städte  Palästinas  (Je- 
wish  Quarterly  Review  XIII,  1901,  p.  683—740).  —  Die  Form  *WZ  —  2xv&o- 
noXlrrjg  auch  auf  einigen  in  neuerer  «Zeit  in  Jerusalem  gefundenen  Grab- 
schriften, wahrscheinlich  aus  dem  letzten  Jahrh.  vor  der  Zerstörung  Jeru- 
salems (Lidzbarski,  Ephemeris  für  semitische  Epigraphik  11,2,  1906,  S.  191 
-197). 

317)  Hieronymu8,  Quaest.  hebr.  in  Genesin  bemerkt  zu  Sochoth  Gen. 
33,  17  {opp.  ed.  Vaüarsi  III,  1,  353):  Est  autem  usque  hodie  civitas  trans  Jor- 
danem  hoc  vocabulo  in  parte  Scythopoleos.  Aber  von  einer  jenseits  des  Jordan 
liegenden  und  noch  später  existierenden  Stadt  kann  nicht  Beth-sean  den 
neuen  Namen  erhalten  haben.  Ein  Ort  8 akut  diesseits  des  Jordan,  etwa 
zwei  deutsche  Meilen  südlich  von  Beth-sean,  existiert  noch  heute  (Robinson, 
Neuere  Forschungen  S.  406—410).  Aber  auch  dieses  liegt  viel  zu  weit  ab. 
Und  selbst  wenn  ein  Ort  Sukkoth  unmittelbar  bei  Beth-sean  nachweisbar  wäre, 
würde  der  im  Text  angegebene  Grund  für  sich  allein  entscheidend  sein. 

318)  So  Furrer  brieflich. 

319)  Sxv&wv  ndXiq-  Judith  3,  11.  II  Makk.  12,  29.  LXX  zu  Judie.  1,  27. 
Polybius  V,  70.    Aristides  ed.  Dindorf  II,  470. 

320)  Synceü.  ed.  Dindorf  I,  405:  üxvd-ai  xty  UaXaicxlv^v  xai&öoafjiov  xal 
x^v  Baaäv  xaxkoyov  x^v  ig  abxfbv  xXrj^etoav  2xv&6noXiv.  Über  den  Einfall 
der  Skythen  8.  bes.  Herodot.  1, 105.  Euseb.  Chron.  ed.  Scfioene  II,  88  sq.  Gut- 
schmid,  Kleine  Schriften  Bd.  III,  1892,  S.  430 ff.  Hölscher,  Palästina  in 
der  persischen  und  hellenistischen  Zeit,,  1903,  S.  43—46  (erklärt  Skythopolis 
richtig  —  Skythen-Stadt).  —  Auch  Plinius  und  sein  Nachfolger  Solinus  leiten 
den  Namen  von  den  Skythen  ab,  aber  freilich  von  denen,  die  der  Gott  Dio- 
nysus  zum  Schutze  des  Grabes  seiner  Amme  dort  angesiedelt  habe:  Plinius 
V,  18,  74:  Scythopolim,  antea  Nysam,  a  Libero  Patre  sepuUa  nutrice  ibi  Seythis 
deductis.  Solinus  (ed.  Mommsen)  c.  36:  Liber  Paler  cum  humo  nutricem  tra- 
didisset,  eondidit  hoc  oppidum,  ut  sepuüurae  titulum  eliam  urbis  moenibus 
ampliaret.  Ineolae  deerant:  e  comitibus  suis  Scythas  deleyit,  quos  ut  animi 
firmaret  ad  promptam  resistendi  riolentiam,  praemium  loci  nomen  dedit.  — 


172  §23.  Verfassung.   Synedrium.  Hohepriester.  [135.136] 

Nysa,  welchen  Skythopolis  nach  Plinius,  Stephanus  Byz.  und  nach 
Münzen  auch  führte,  s.  oben  S.  39).  —  Unter  dem  griechischen 
Namen  Skythopolis  kommt  die  Stadt  vielleicht  schon  zur  Zeit 
Alexanders  |  d.  Gr.,  jedenfalls  im  dritten  Jahrhundert  vor  Chr.  votff 
wo  sie  den  Ptolemäern  tributpflichtig  war821.  Ais  Antiochus  d.  Gr. 
im  Jahre  218  vor  Chr.  in  Palästina  einfiel,  ergab  sich  ihm  die 
Stadt  freiwillig  (*«#'  6fioXoylav)n\  Doch  kam  sie,  wie  das  übrige 
Palästina,  erst  zwanzig  Jahre  später  (198)  dauernd  unter  syrische 
Herrschaft.  In  der  Makkabäerzeit  wird  Skythopolis  als  heidnische, 
aber  den  Juden  nicht  feindselige  Stadt  erwähnt  (ILMakk.  12, 29—31). 
Gegen  Ende  des  zweiten  Jahrhunderts  (um  107  vor  Chr.)  kam  es 
unter  die  Herrschaft  der  Juden:  der  schwache  Antiochus  IX.  Kyzi* 
kenos  vermochte  dem  Vordringen  des  Johannes  Hyrkanus  nicht 
erfolgreich  Widerstand  zu  leisten;  ja  sein  Feldherr  Epikrates  tiber- 
gab Skythopolis  durch  Verrat  den  Juden  {Jos.  Antt.  XIII,  10,  3; 
anders  B.  J.  I,  2,  7) m.  Wir  finden  es  darum  auch  im  Besitze  des 
Alexander  Jannäus  {Antt.  XIII,  15,  4).  Durch  Pompeius  wurde  es 
wieder  vom  jüdischen  Gebiete  getrennt  {Antt  XIV,  4,  4.  B.  /.  I,  7,  7); 
durch  Gabimus  restauriert  {Antt.  XIV,  5,  3.  B.  J.  I,  8,  4).  Seitdem 
blieb  es  stets  eine  selbständige  Stadt  Auch  Herodes  und  seine 
Nachfolger  haben  sie  nie  besessen.  Ihre  Zugehörigkeit  zur  Deka- 
polis  bezeugt  (außer  P/t».  V,  18,  74,  wegen  Ptolemäus  s.  oben  S.  149) 
auch  Josephus,  der  sie  „eine  der  größten  Städte  der  Dekapolis" 
nennt  {B.  J.  III,  9,  7:  ij  6i  iari  (leylöTTj  rfjg  AsxajcoXecog).  Welche 
Ära  Skythopolis  hatte,  ist  nicht  ganz  klar.  Auf  einer  Münze  des 
Gordianus  ist  offenbar  die  pompeianische  Ära  gebraucht;  auf  anderen 
scheint  aber  eine  später  beginnende  vorausgesetzt  zu  sein.  Die 
Titel  der  Stadt,  namentlich  auf  Münzen  des  Gordianus,  sind  leQa 
äa{vXoc)zu.    Beim  Beginn  des  jüdischen  Krieges  vom  Jahre  66 


Eine  andere,  ebenfalls  mythologische  Ableitung  von  den  Skythen  s.  bei  Ma- 
lala s  ed.  Dindorf  p.  140,  und  Gedrenus  ed.  Bekker  I,  237.  -—  Der  sog.  Hege- 
sippus  de  hello  Judaico  bringt  bei  Wiedergabe  von  Jos.  B.  J.  III,  9, 1  folgende 
eigene  Notiz  über  Skythopolis  (Heg.  III,  19):  ideoque  memorata  urbs  Dianas 
ßcythicae  consecrataf  tamquam  ab  Scythis  condita,  et  appeüata  eivitas  Scytharum 
ut  Massilia  Oraeeorum.  —  Im  allgemeinen  erklärt  auch  Steph.  Byx.  den 
Namen  durch  2xv9wv  nöXig  (s.  Anm.  314). 

321)  Jos.  Antt.  XII,  4,  5.  Doch  s.  oben  S.  100.  —  Über  die  Münzen 
Alexanders  des  Gr.  mit  den  Buchstaben  2x,  welche  vielleicht  auf  Skytho- 
polis zu  deuten  sind,  s.  L.  Müller,  Numismattque  d*  Alexandre  le  Grand 
p.  304.  305  planches  n.  1429.  1464. 

322)  Polyb.  V,  70.  Stark,  Gaza  S.  381.  Niese,  Gesch.  der  griech.  und 
makedon.  Staaten  II,  378. 

323)  Wegen  der  Chronologie  vgl.  oben  §  8  (I;  208). 

324)  8.  über  die  Münzen  und  die  Ära:  Belley  in  den  M&moires  de  VAca- 


[136.  .}37]  I»  Die  hellenistischen  Städte.   19.  Skythopolis.  173 

paoh  Chr.  überfielen  die  aufständischen  Juden  das  Gebiet  von  Sky- 
thopolis (B.J.  II,  18, 1).  Die  in  der  Stadt  wohnenden  Juden  sahen 
sich  im  Interesse  ihrer  Sicherheit  genötigt,  an  der  Seite  der  Heiden 
gegen  ihre  jüdischen  Landsleute,  welche  die  Stadt  angriffen,  zu 
kämpfen.  Nachmals  aber  vergalten  ihnen  die  heidnischen  Ein- 
wohner diese  Bundesgenossenschaft  durch  treulosen  Verrat:  sie 
lockten  sie  in  den  heiligen  Hain,  überfielen  sie  hier  bei  Nacht  und 
machten  alle  |  meuchlings  nieder,  angeblich  13000  an  der  Zahl 
{Bell.  Jud.  II,  18,  3—4.  VII,  8,  7,  Vita  6).  Wenn  Josephus  in  bezug 
auf  die  Zeit  des  jüdischen  Krieges  sagt,  Skythopolis  sei  damals 
dem  König  Agrippa  gehorsam  gewesen  (Vita  65  [ed.  Niese  §  3491: 
ri}q  vjttjxoov  ßaöiXsi),  so  ist  dies  sicherlich  nicht  im  Sinne  wirk- 
licher Untertänigkeit  zu  verstehen,  sondern  es  soll  nur  gesagt  sein, 
daß  Skythopolis  auf  seiten  Agrippas  und  der  Römer  stand325:  — 
Das  Gebiet  von  Skythopolis  haben  wir  uns  sehr  umfangreich  zu 
denken.  Bei  der  Einnahme  von  Skythopolis  und  Phiioteria  (einer 
unter  diesem  Namen  sonst  nicht  bekannten  Stadt  am  See  Gene- 
zareth)  durch  Antiochus  <L  Gr.  im  Jahre  218  bemerkt  Polybius, 
das  Gebiet,  welches  diesen  beiden  Städten  untertänig  gewesen  sei, 
habe  mit  Leichtigkeit  den  Unterhalt  für  das  ganze  Heer  reichlich 
beschaffen  können326.  Auch  für  die  spätere  Zeit  haben  wir  ein 
ähnliches  Zeugnis:  das  Gebiet  von  Skythopolis  grenzte  nach  Jos. 
Vita  9, an  dasjenige  von  Gadara  (s.  oben  S.  157).  Erwähnt  wird 
das  Gebiet  der  Stadt  auch  B.  J.  IV,  8,  2.  —  Die  spätere  Geschichte 
von  Skythopolis,  das  noch  jahrhundertelang  eine  bedeutende  blühende 
Stadt  blieb,  kann  hier  nicht  weiter  verfolgt  werden.  Über  seine 
Kulte,  Festspiele  und  seine  Industrie  vgl.  oben  S.  38£,  51  f.,  77. 

20.  Pella,  IHXla.    Das  Gebiet  von  Pella  wird  von  Josephus 
als  die  nördliche  Grenze  Peräas  bezeichnet327.    Nach  Eusebius 


demie  des  Insor.  et  BeUes-Ijettres,  alte  Serie  t  XXVI,  1759,  p.  415—428.  — 
Eckhel  III,  438—440.  —  Musei  Sanol ementiani  Numismata  selecta  Pars  II 
Üb.  IV  p.  277—279.  —  Mionnet  V/öll  sq.  Suppk  VIII,  355  sq.  —  De  Saulcy 
p.  287—290,  pl.  XIV  n.  8-13. 

325)  Nur  darauf  kommt  es  dem  Josephus  im  dortigen  Zusammenhange  an. 
Daß  Skythopolis  wirklich  zum  Gebiet  Agrippas  gehört  haben  sollte  (wie  z.  B. 
Menke  in  seinem  Bibelatlas  annimmt),  ist  sehr  unwahrscheinlich,  da  Josephus 
an  den  Stellen,  wo  er  das  Gebiet  Agrippas  genau  beschreibt,  nichts  davon 
erwähnt. 

326)  Polyb.  V,  70:  el&aQOibq  $oze  itgdq  xaq  fieXXovaaq  imßoXäq  6iä  xd 
t9jv  inotstayfjiivfjv  %&Qav  xalq  ndXeat  xavxaiq  $qöla>q  Övvao&amavxl 
xq>  öTQaxon&öw  xoQijyeTv  xal  öcaptXf/  napaoxevd^ei.v  xä  xaxeneiyovxa  TtQÖq  xijv 
XQelav. 

327)  Bell.  Jud.  m,  3,  3.  Peräa  ist  hier  die  jüdische  Provinz  Peräa,  also 
mit  Ausschluß    sämtlicher  Städte  der  Dekapoüs  (vgl.  oben  S.  8).    Peräa  als 


174  §  23.   Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [137.  138] 

lag  das  biblische  Jabes  nur  6  m.  p.  von  Pella,  an  der  Straße  von 
da  nach  Gerasa328.  Da  nun  Gerasa  südlich  vom  heutigen  Wadi 
Jabis  liegt,  so  muß  Pella  ein  wenig  nördlich  von  diesem  gelegen 
haben;  und  dadurch  wird  es  fast  zur  Gewißheit,  daß  die  bedeu- 
tenden Ruinen  bei  Fahii,  auf  einer  Terrasse  über  dem  Jordantal 
schräg  gegenüber  von  Skythopolis  (in  südöstlicher  Richtung),  die 
Stelle  des  alten  Pella  bezeichnen.  Bestätigt  wird  dies  durch  die  | 
Angabe  des  Eusebius329,  daß  Ammathus  21  m.p.  südlich  von  Pella 
liege,  was  der  Entfernung  des  heutigen  Amatha  von  Fahii  ent- 
spricht330. Zu  der  Lage  von  Fahii  stimmt  es  auch,  daß  Plinius 
Pella  aquis  divitem  nennt331.  Die  warmen  Quellen  von! Fahii 
(bnfii  «man)  werden  gelegentlich  auch  im  jerusalemischen  Talmud 
erwähnt332.  Vermutlich  ist  Fahii  (Kbns?)  der  ursprüngliche  se- 
mitische Name  und  der  Name  Pella  von  den  Griechen  wegen  des 
Gleichklangs  mit  diesem  gewählt333.  Jedenfalls  ist  der  Name 
Pella;  entlehnt  von  der  bekannten  macedonischen  Stadt  gleichen 
Namens.  Da  letztere  der  Geburtsort  Alexanders  des  Gr.  war,  so 
ist  es  wohl  möglich,  daß  unser  Pella  wie  das  benachbarte  Dium 


geographischer  Begriff  geht  viel  weiter  nach  Norden,  umfaßt  z.  B.  auch 
noch  Gadara  (B.  J.  IV,  7,  3). 

328)  Euseb.  Onomast,  ed  Klostermann  p.  32:  ^  <&  *Iaßt,q  inixetva  toi? 
%gddvov  vvv  ian  (Asylant  nöXiq,  HiXkijQ  nbXeox;  öieartboa  atjfieloiq  c,  6lvU>vt(oy 
hd  rsQaadv.  —  Ahnlich  p.  110  (wo  aber  Jabis  wohl  richtiger  als  xwutj  be- 
zeichnet wird). 

329)  Onomast  ed.  Klostermann  p.  22. 

330)  Vgl.  überhaupt:  Robinson,  Neuere  biblische  Forschungen  S.420 — 428, 
Ritter  XV,  2,  1023—1030.  Raumer  S.  254.  Ouirin,  OaliUe  I,  288—292. 
Merrill,  East  oftke  Jordan  (1881)  p.  442—447.  Schumacher,  Pella.  Lon- 
don 1888  (genaueste  Beschreibung  der  Ortslage  und  der  Ruinen  nebst  Karte). 
—  Für  das  Historische:  Reland  p.  924sg.  Droysen  Hellenismus  III,  2,  204 f. 
Kuhn  II,  370.  —  Schwach  begründet  ist  der  gegen  die  obige  Bestimmung  der 
Ortslage  erhobene  Widerspruch  von  Kruse  (Beetzens  Reisen  IV,  198 ff).  — 
Die  gründliche  Abhandlung  von  Korb,  Über  die  Lage  von  PeUa  (Jahns 
Jahrbb.  für  Philologie  und  Pädagogik  4.  Jahrg.  1.  Bd.,  1829,  S.  100-118)  setzt 
die  Lage  zu  weit  nördlich,  indem  sie  die  Angaben  des  Josephus  einseitig  in 
den  Vordergrund  stellt  und  darüber  die  präziseren  Angaben  des  Eusebius 
nicht  zu  ihrem  Rechte  kommen  läßt. 

331)  Plinius  V,  18,  74.    Dazu  Schumacher  a.  a.  O.  S.  31ff. 

332)  jer.  Sckebiith  VI,  1  fol.  36 o  unten:  R.  Seira  ging  nach  brin  KtTön. 
Vgl.  Neubauer,  Geographie  du  Talmud  p.  274.  Über  Fahl  bei  den  arabischen 
Geographen  s.  Le  Strange,  Palestine  under  the  Moslems  p.  439. 

333)  So  auch  Nöldeke,  Zeitschr.  der  deutschen  morgenländ.  Gesellsch. 
1885,  S.  336.  —  Tuch,  Quaestiones  de  Flavii  Josephi  libris  historiois  {Lips. 
1859)  p.  18  hält  DiXXa  überhaupt  nur  för  die  griechische  Aussprache  von  KbnD 
und  bestreitet  jeden  Zusammenhang  mit  dem  macedonischen  Ortsnamen.  Das 
ist  doch  mehr  als  unwahrscheinlich. 


[138.  139]  I.  Die  hellenistischen  Städte.   20.  Pella.  175 

eine  Gründung  Alexanders  des  Gr.  selbst  ist,  wie  der  überlieferte 
Text  des  Stephanus  Byz.  andeutet334.  Bei  der  Unsicherheit  dieser 
Notiz  bleibt  aber  auch  die  Möglichkeit,  daß  Pella  von  einem  der 
Diadochen  gegründet  ist,  etwa  Antigonus,  der  Palästina  zehn  Jahre 
lang  (311—301  vor  Chr.)  in  sicherem  Besitz  hatte  (s.oben  S.97)335.  | 
Nach  einer  anderen  Stelle  des  Steph.  Byz.  hieß  unser  Pella  auch 
BovtiqM*.  —  In  der  Geschichte  wird  Pella  zuerst  erwähnt  bei 
der  Eroberung  Palästinas  durch  Antiochus  d.  Gr.  im  Jahre  218 
vor  Chr.,  wo  Antiochus  nach  der  Einnahme  von  Atabyrion  (Tabor) 
sich  nach  dem  Ostjordanland  wandte  und  Pella,  Kamus  und  Gephrus 
besetzte387.  Alexander  Jannäus  eroberte  und  zerstörte  die  Stadt, 
da  die  Einwohner  nicht  „die  jüdischen  Sitten"  annehmen  wollten 
(Bell.  Jud.  I,  4,  8.  Antt.  XIII,  15,  4) 338.    Durch  Pompeius  wurde  sie 


334)  Steph.  Byx.  ed.  Meineke  s.  v.  Alov'  nökiQ  .  .  .  KoIXtjq  SvqIüq,  xxlaua 
AtegdvSoov,  xal  Il&XXa.  Die  Worte  xal  MXXa  sind  vermutlich  die  Glosse 
eines  gelehrten  Lesers,  der  damit  sagen  wollte,  dass  auch  Pella,  wie  Dium, 
eine  Gründung  Alexanders  des  Großen  sei.  Die  Lesart  ^  xal  MXXa  ist  eine 
verkehrte  Emendation  früherer  Herausgeber.  Vgl.  auch  Droysen  III,  2,  204  f. 

336)  Zu  dieser  Annahme  neigt  Bei  och,  Archiv  f.  Papyrusforschung  II, 
1903,  8.  233  «=-  Griecb.  Geschichte  III,  2, 1904,  8.  255.  —  Ein  syrisches  Pella 
wird  auch  unter  den  Städte-Gründungen  des  Seleukusl.  erwähnt  bei  Äppian. 
Syr.  57  und  Euseb.  Chron.  ed.  Sehoene  II,  116  sq.  (nach  dem  lateinischen  Text 
des  Hieronymus:  Seleueus  Antiochiam  Laodiciam  Seleuciam  Apamiam  Edessam 
Beroeam  ei  Pellam  urbes  eondidit.  So  auch  Syncell.  ed  Dindorf  I,  520,  und 
der  armenische  Text  des  Eusebius,  in  welchem  nur  Seleucia  fehlt).  Unter 
diesem  Pella  ist  aber  wahrscheinlich  die  Stadt  Ap am  ea  am  Orontes  zu  ver- 
stehen, die  von  ihrem  Gründer  Seleukus  I.  zuerst  Apamea,  später  PeUa  genannt 
wurde,  welcher  Name  sich  dann  wieder  verloren  hat  (s.  bes.  Pausanias  Datnas- 
eenus  bei  Malaien  ed.  Dindorf  p.  203  =-  Müller,  Fragm.  hist.  graee.  IV,  470  «=» 
Dindorf,  Historici  graeei  minores  I,  160;  ferner  Strabo  XVI,  p.  752,  Stephanus 
Byx.  s.  v.  'Anaueia;  bei  Diodor.  XXI,  35  kommt  Apamea  geradezu  unter  dem 
Namen  Pella  vor,  s.  Wesselings  Anm.  z.  d.  St.).  Freilich  erwähnen  die  Ver- 
zeichnisse bei  Appian  und  Eusebius  Pella  neben  Apamea,  als  ob  es  zwei 
verschiedene  Städte  gewesen  wären.  Dieser  falsche  Schein  ist  aber  nur  da- 
durch entstanden,  dass  man  die  Namensänderung  als  zweite  Gründung  be- 
trachtet und  demgemäß  in  den  Verzeichnissen  der  Städtegründungen  behan- 
delt hat.  Von  unserm  Pella  (in  der  Dekapolis)  ist  also  bei  Seleukusl.  über- 
haupt nicht  die  Bede. 

336)  Steph.  Byx.  s.  v.  üiXXa,  ndXig  ....  KofXrjq  Svolaq,  %  Bovtiq  Xs~ 
youtvtj. 

337)  Polyb.  V,  70. 

338)  Auch  an  der  letzteren  Stelle  (Antt.  XIII,  15,  4)  ist  sicher  unser  Pella 
gemeint,  nicht  etwa  ein  anderes  moabitisches.  Josephus  nennt  Pella  nur  des- 
halb ganz  am  Schluß,  nach  Aufzählung  der  moabitischen  Städte,  weil  er  darüber 
noch  eine  besondere  Bemerkung  anknüpfen  will.  Vgl.  Tuch,  Quaestiones  etc. 
p.  17—19.  —  In  Nieses  Josephus -Ausgabe  ist  der  Text  von  Antt.  XIII,  15,  4 
unverständlich  geworden  durch  Tilgung  des  oty  vor  ünooxouhwv. 


176        -  §  23«  Verfassung.  fSynedrium.   Hohepriester.  ;         [139.  140] 

wieder  vom  jüdischen  Gebiete  getrennt  (Antt.  XIV,  4,  4.  B.  J.  I,  7,  7). 
Ihre  Zugehörigkeit  zur  Dekapolis  bezeugen  außer  Plinius  auch 
Eusebius  und  Epiphanius 339.  Die  wenigen  erhaltenen  Münzen 
haben,  wie  zu  erwarten,  die  pompeianische  Ära340.  Wenn  bei 
Josephus  (Ä  J.  III,  3,  5)  unter  deD  Hauptorten  der  elf  Toparchien 
Judäas  auch  Pella  genannt  wird,  so  kann  dies  nur  auf  einem 
Fehler  entweder  des  Josephus  oder  unseres  Josephus-Textes  be- 
ruhen. Beim  Beginn  des  jüdischen  Krieges  wurde  Pella  von  den 
aufständischen  Juden  überfallen  \B.  J.  II,  18,  1).  Während  des 
Krieges  flüchtete  sich  dorthin  die  Christengemeinde  aus  Jerusa- 
lem341. Christliche  Bischöfe  von  Pella  werden  im  fünften  und 
sechsten  Jahrhundert  nach  Chr.  erwähnt342. 

21.  Dium,  Äiov.  Unter  den  Städten  dieses  Namens,  deren 
Steph.  Byz.  sieben  aufzählt,  ist  die  in  Macedonien  am  Faß  des 
Olympus  gelegene  die  bekannteste.  Es  gilt  darum  von  der  Notiz 
des  Steph.  Byz.,  daß  unser  Dium  (in  Cölesyrien)  eine  Gründung 
Alexanders  des  Gr.  sei,  dasselbe  wie  in  betreff  Pellas  (s.  oben 
S.  174  f.) 343.  Nach  den  astronomischen  Bestimmungen  des  Ptolemäus 
(V,  15,  23  =  Didotsche  Ausg.  V,  14, 18)  lag  Dium  in  der  Nähe  von 
Pella,  Ve  ^nd  östlich  und  %  Grad  nördlich  von  diesem  (so 
C.  Müller  in  der  Didotschen  Ausg.,  die  Überlieferung  der  Ziffern 
schwankt  freilich).  Hiermit  stimmen  auch  die  Angaben  des  Josephus 
über  die  Marschroute  des  Pompeius:  der  jüdische  König  Aristobul 
hatte  den  Pompeius  auf  dessen  Zug  von  Damaskus  gegen  die 
Nabatäer  bis  Dium  begleitet  Hier  trennte  sich  plötzlich  Aristobul 
von  Pompeius;  und  darum  schwenkte  nun  auch  Pompeius  nach 
Westen  ab  und  kam  über  Pella  und  Skythopolis  nach  Judäa344. 


339)  PUn.  V,  18,  74.1  Wegen  Ptolemäus  s.  oben  S.  149.  Euseb.  Onomast, 
ed.  Kloster  mann  p.  80.    Epiphanius  haer.  29,  7;  de  mensuris  et  ponder.  §  15. 

340)  S.  Belley  in  den  Memoire*  de  VAcademie  des  Inscr.  et  BeUes-Lettres, 
alte  Serie,  t.  XXVIII,  568  sqq.  Eckhel  III,  350  sq.  Mionnet  V,  329  sq.  SuppL 
VIII,  232.    De  Saulcy  p.  291—293,  pl.  XVI  n.  8. 

341)  Euseb.  Bist.  eccL  HI,  5,  2—3.  Epiphanius  haer.  29,  7;  de  mensuris 
et  pond.  §  15. 

342)  Le  Quien,  Oriens  Christ.  III,  698  sq. 

343)  Steph.  Byz.  bemerkt  über  unser  Dium  auch:  rjq  xb  ZSwq  voocqöv,  und 
zitiert  dabei  folgendes  Epigramm: 

väfta  xb  diTjvbv  yXvxegbv  noxbv,  JjviSh  nlgq, 
navoei  fthv  6lxprjgy  ei&i)  6h  xal  ßiöxov. 

344)  Jos.  Antt.  XIV,  3,  3-4.  Bell.  Jud.  I,  6,  4fin.  Hierzu  Menkes  Bibel- 
atlas  Bl.  IV.  —  An  beiden  Stellen  ist  freilich  Dium  erst  durch  Dindorfs 
Emendationen  in  den  Text  gekommen.  Die  älteren  Ausgaben  haben  Antt.  XIV, 
3,  3:  etq  d^Xiov  nbliv,  Bell.  Jud.  I,  6,  4:  &nb  JioonbXewq.  An  ersterer  Stelle 
hat  die  beste  Handschrift  (cod.  Pal.)  elq  JeTlov  nöXiv,  im  Bell.  Jud.  schwanken 


[140.  141]      I.  Die  hellenistischen  Städte.   21.  Dium.   22.  Gerasa.  177 

Es  liegt  also  kein  Grund  vor,  die  Angaben  des  Ptolemäus  zu  ver- 
werfen und  Dium  weiter  nördlich  zu  suchen345.  —  Aus  der  Ge- 
schichte von  Dium  ist  wenig  bekannt346.  Es  wurde  von  Alexander 
Jannäus  erobert  (Antt.XUI,  15, 3) 347,  erhielt  durch  Pompeius  wieder 
die  Freiheit  (Antt.  XIV,  4,  4)  und  gehörte  darum  zur  Dekapolis 
(Plin.  V,  18,  74;  wegen  Ptolemäus  8.  oben  S.  149).  Die  Münzen  von 
Dium,  mit  der  Legende  Aeirjvmv,  haben  |  die  pompeianische  Ära. 
Es  gibt  solche  aus  der  Zeit  des  Caracaila  und  Geta348.  Identisch 
mit  unserem  Dium  ist  sicherlich  das  bei  Hierokles  und  anderen 
erwähnte  AlaZA9. 

22.  Gerasa,  riQaoa.  Die  Ruinen  des  heutigen  Dscheräsch 
(mit  kurzem  ä  zu  sprechen)350  sind  die  bedeutendsten  im  Ost- 
jordanlande und  gehören  überhaupt  (neben  denen  von  Palmyra, 
Baalbek  und  Petra)  zu  den  bedeutendsten  in  Syrien.  Von  mehreren 
Tempeln,  Theatern  und  anderen  öffentlichen  Gebäuden  sind  noch 
ansehnliche  Reste  erhalten.  Von  einer  großen  Säulenstraße,  welche 


die  Handschriften  zwischen  &nd  didg  fyklov  itöteax;  und  dnd  AioonöXeax;,  eine 
(der  von  Niese  nicht  berücksichtigte  cod.  Bodl.)  hat  fatd  Alov  ndXswg  (nach 
ßernards  und  Hudsons  Angabe).  Bei  dem  sonstigen  Charakter  dieser  Hand- 
schrift (s.  Niese  vol.  VI  proleg.  p.  L)  ist  es  fraglich,  ob  dies  auf  alter  Über- 
lieferung beruht  oder  nur  Konjektur  des  Schreibers  ist.  An  der  Richtigkeit 
der  Emendation  wird  aber  nicht  zu  zweifeln  sein  (Aidq  %Xlov  ist  entstanden 
aus  Aibq  i/j  Alov). 

345)  So  Schwartz,  Nachrichten  der  Göttinger  Gesellsch.  der  Wissensch., 
phil.  hißt.  KL  1900,  S.  359—361,  der  geneigt  ist,  Dium  an  der  Stelle  des  heu- 
tigen Tell-el-Asch'ari,  östlich  rom  See  Genezareth  zu  suchen,  wo  nach  einer 
dort  gefundenen  Inschrift  eine  alte  Stadt  gelegen  haben  muß,  welche  die  pom- 
peianische Ära  hatte  [wenn  der  Stein  nicht  verschleppt  ist!].  Über  Tell-el- 
Asch'ari  s.  Zeitschr.  des  DPV.  1897,  S.  167,  und  Schumachers  Karte  ebenda»., 
Abschnitt  b  6. 

346)  Vgl.  Beland  p.  736 sq.  Raumer  S.  247.  Kuhn  II,  382f.  Geizer 
in  seiner  Ausg.  des  Georgias  Gyprius  p.  203.  Benzinger  in  Pauly  Wissowas 
Real-Enz.  V,  833  f. 

347)  Syncell.  ed.  Dindorf  I,  559  nennt  unter  den  Erwerbungen  des  Alexan- 
der Jannäus  Atav,  wofür  gewiß  Alav  zu  lesen  ist,  wie  auch  bei  Josephus 
Antt.  XIII,  15,  3  alle  Handschriften  haben.  Vgl.  Geizer,  Julius  Africanus 
I,  257. 

348)  Q.Belley  in  den  Mimoires  de  PAcadimie  des  Inser.  et  Beiles- Lettre*, 
alte  Serie  t.  XXVIII,  btösqq.  Eckhel  III,  347  sq.  Musei  Sanelementiani 
Numismata  selecta  Pars  II  lib.  IV,  178  sq.  Mionnet  V,  322.  Suppl.  VIII, 
226.  De  Sauley  p.  378—383,  pl.  XIX  n.  8-9.  Wroth,  Oatal.  of  the  greek 
eoins  of  Gal.,  Capp.  and  Syr.  p.  303. 

349)  Hieroeles  Synecd.  ed.  Parthey  p.  45.    Die  Notitia  episcopat.  ebendas. 

p.  92.  —  Auch  bei  Jos.  Antt.  XIII,  15,  3  haben  die  Handschriften  Alav.   Wegen 

ßynceüus  vgl.  oben  Anm.  347. 

360)  S.  Mitteilungen  und  Nachr.  des  DPV.  1898,  S.  57—59. 
Schürer,  Geschichte  II.   4.  Aufl.  12 


178  §  23.   Verfassung,   ßynedrium.   Hohepriester.  [141] 

durch  die  Stadt  ging,  stehen  noch  71  Säulen  aufrecht;  die  Straße 
mündet  in  einen  runden  Platz  (Forum),  der  ebenfalls  von  Säulen 
umgeben  ist,  wovon  noch  55  stehen861.  Die  bedeutendsten  Bauten 
gehören  nach  Stil  und  Inschriften  ins  zweite  Jahrhundert  nach 
Chr.852.  Die  Inschriften  waren  lange  Zeit  hindurch  nur  sehr  un- 
vollständig bekannt  Erst  seit  1895  sind  sie,  soweit  es  ohne  Nach- 
grabungen möglich  ist,  systematisch  erforscht  worden858.  —  Daß 


351)  Die  Ziffer  71  gibt  Schumacher,  Zeitschr.  des  DPV.  1902,  S.  127;  die 
Ziffer  55:  Gautier,  Au  dela  du  Jourdam  1896,  p.  64  (Schumacher  a.  a.  O.  S.  129 
sagt:  31  -f-  25  „meist  vollständig  erhaltene"). 

362)  S.  überhaupt:  Seetzen,  Reisen  1,  388ff.  IV,  202ff.  Burckhardt, 
Reisen  I,  401—417.  530—536  (mit  Plan).  Buekingham,  Travels  in  Palestine, 
1821,  p.  353—405.  Ritter,  Erdkunde  XV,  2,  1077—1094.  Bädeker-Socin, 
Palästina  3.  Aufl.  8.  181  ff.  (mit  Plan).  Merrill,  East  of  the  Jordan  p.  281— 
290.  Benzinger,  Zeitschr.  des  DPV.  XIV,  73.  Schumacher,  Zeitschr.  des 
DPV.  XVIII,  S.  126—140.  Gautier,  Au  dela  du  Jourdain  (Geneve  1896) 
p.  46 — 85.  Prinz  Rupprecht  von  Bayern,  Die  Ruinenstadt  Gerasa  in  Adschlun 
(Zeitschr.  des  Münchener  Altertums-Vereins  IX,  1897/98,  8.1—9).  Fürst  La  - 
zarew,  Gerasa,  St  Petersburg  1807,  fol.  [russisch],  mit  17  Tafeln.  Schreiber, 
Festschrift  für  Kiepert,  1898,  S.  335.  336.  343 f.  347.  Schumacher,  Dscherasch 
(Zeitschr.  des  DPV.  XXV,  1902,  S.  109—177)  [eingehendste  Beschreibung, 
mit  Plan].  Libbey  and  Hoskins,  The  Jordan  Valley  and  Petra,  New  York 
1906,  1, 178—227.  —  Abbildungen:  Labor  de,  Voyage  en  Orient  (Paris  1837  sqq.) 
livraison  9.  16.  34 — 35.  Hey,  Voyage  dans  le  Haouran  et  aux  bords  de  la  mer 
morte  exieuti  pendant  les  annies  1857  et  1858  (Paris  s.  a.)  Atlas  planches  XIX 
— XXIII  (pl.  XXI:  Plan).  Duc  de  Luynes9  Voyage  d% Exploration  ä  la  mer 
morte  ä  Petra  et  sur  la  rive  gauche  du  Jourdain,  Paris  s.  a.  [1874],  Atlas 
jp/.  50 — 57.  Schumacher,  Gautier,  Prinz  Rupprecht  von  Bayern,  Libbey 
a.  a.  O.  Brünnow  und  Domaszewski,  Die  Provincia  Arabia  Bd.  II,  1905, 
S.  233—239. 

353)  Corp.  Inscr.  Oraec.  n.  4661-4664.  8654.  8655.  Corp.  Inscr.  Lot.  T. 
III,  n.  118—119.  6034.  6035;  dazu  die  Bemerkung  p.  1217.  Wetzstein,  Aus- 
gewählte Inschriften  (Abh.  der  Berl.  Akad.  1863)  n.  205—207.  Böckh,  Berichte 
der  Berliner  Akademie  1853,  S.  14 ff.  Allen,  American  Journal  of  Phüology 
vol.  III  (Baltimore  1882)  p.  206.  Ibid.  VI,  1885,  p.  191—201.  Quarterly  State- 
ment ofthe  Palestine  exploration  fund  1882,  p.  218 sqq.  1883,  p.  107  sq.  Germer- 
Durand^  Exploration  Spigraphique  de  Gerasa  (Revue  biblique  1895,  p.  374—400). 
Schumacher  und  Buresch,  Zeitschr.  des  DPV.  XVIII,  1895,  S.  126-148. 
Clermont-Ganneaut  Revue archiol.  trois.  Sirie  t.  28, 1896,  p.  151  sq.  337  sqq. 
Brünnow,  Mitteilungen  und  Nachrichten  des  DPV.  1897,  S.  38f.  Fürst  La- 
zarew,  Gerasa,  Petersburg  1897,  S.  30—50,  Taf.  14. 15  [russisch,  war  mir  nicht 
zugänglich].  Schumacher,  Mitteilungen  und  Nachrichten  des  DPV.  1899, 
S.  2—4;  1900,  S.  10 — 13,  41 — 44.  Germer-Durand,  Nourelle  exploration  Spi- 
graphique de  Gerasa  (Revue  biblique  1899,  p.  5 — 39).  Brünnow,  Mitteilungen 
und  Nachr.  des  DPV.  1899,  S.  41  f.  56 f.  Per dr ixet,  Revue  archiol.  trois.  Serie 
t.  35,  1899,  j>.  34—36,  39-42,  51  sq.  Germer-Durand,  Revue  biblique  1900, 
p.  93—95.  Perdrixet,  ibid.  p.  429— 443.  Schumacher,  Zeitschr.  des  DPV. 
XXV,  1902,  S.  163.    Der s.,  Mitt.  u.  Nachr.  des  DPV.  1901  [auegeg.  1903]  S.  18* 


[141.  142]  1.  Die  hellenistischen  Städte.   22.  Gerasa.  179 

hier  das  alte  Gerasa  lag,  kann  keinem  Zweifel  unterliegen854. 
Neben  der  gewöhnlichen  Form  Gerasa  kommt  ein  paarmal  auch  | 
Garasa  vor355.  Die  ZuräckfÜhrung  des  Namens  auf  die  yiQovreq 
(Veteranen)  Alezanders  des  Gr.,  welche  sich  hier  angesiedelt  hätten, 
beruht  freilich  nur  auf  etymologischer  Spielerei356.  Möglich  ist 
aber  immerhin,  daß  die  Gründung  Gerasas  als  hellenistischer  Stadt 
in  die  Zeit  Alexanders  des  Gr.  oder  der  Diadochen  zurückgeht 
Erwähnt  wird  es  zuerst  zur  Zeit  des  Alexander  Jannäus,  wo  es 
in  der  Gewalt  eines  gewissen  Theodorus  (eines  Sohnes  des  Tyrannen 
Zeno  Eotylas  von  Philadelphia)  war.  Alexander  Jannäus  eroberte 
es  nach  mühsamer  Belagerung  gegen  Ende  seiner  Regierung357. 
Noch  während  er  die  Festung  Ragaba  „im  Gebiete  von  Gerasaa 
(h  rolq  rBQaotjvmv  oQoig)  belagerte,  starb  er358.  Durch  Pompeius 
erhielt  ohne  Zweifel  auch  Gerasa  die  Freiheit,  denn  es  gehörte 


Lucas,  Griechische  Inschriften  aus  Gerasa,  aus  dem  Nachlaß  H.  Kieperts 
(Mitt  und  Nachr.  des  DPV.  1901,  Nr.  3  [ausgegeben  Febr.  1903]  S.  33-47). 
Lucas,  Repertorium  der  griechischen  Inschriften  aus  Gerasa  (Mitt.  u.  Nachr. 
des  DPV.  1901,  Nr.  4—6  [ausgegeben  Mai  1903]  8.  4&-82)  [vollständigste 
Sammlung,  mit  Benützung  neuer  Abschriften  von  Puchstein].  Glermont- 
Ganneau,  Reeueil  (Tareheol.  Orientale  V,  1903,  p.  307—313.  Corp.  Inser.  hat 
t  m  Supplem.  n.  13603.  14156—14160.  Dittenberger,  Orientis  graeoi  in- 
8oriptione$  selectae  II,  1905,  n.  621 — 625.  Oagnat,  Insoriptiones  graecae  ad  res 
romana8  pertinentes  t.  HL  n.  1343 — 1377.  Brünnow  und  Domaszewski,  Die 
Provincia  Arabia  Bd.  II,  1905,  8.  253—257. 

354)  Vgl.  für  das  Historische:  Reland  p.  Süß  sqq.  Paulys  Enzykl.  III, 
770.  Winer  s.  v.  Gadara.  Raumer  8.  249 f.  Ritter  a.  a.  O.  Kuhn  II, 
370.  383.    Rohden,  De  Palaestma  et  Arabia  (1885)  p.  11. 

355)  Ein  Surus  Garasenus,  der  auf  der  Flotte  (in  classe  Misenensi)  ge- 
dient hatte,  auf  einem  in  Pompeji  gefundenen  Militardiplom  vom  J.  71  n.  Chr. 
(Ephemeris  epigr.  H  p.  457—459  —  Corp.  Inscr.  Lot.  t.  X  w.  867  —  ibid.  t.  HL 
SuppL  p.  1959).  —  Auch  auf  der  Inschrift  Ephemeris  H  p.  288  ist  wahrschein- 
lich Gar(asd)  zu  lesen,  s.  die  Berichtigungen  Ephemeris  V  p.  1  und  Corp. 
Inscr.  Lot.  III  SuppL  n.  6598.  —  Endlich  nennt  Plinius  V,  18,  74  unter  den 
Städten  der  Dekapolis  Oalasam,  was  wohl  in  Garasam  zu  verbessern  ist. 

356)  8.  die  Stellen  aus  Jamblichus  und  dem  Etymolog,  magnum  bei 
Droysen,  Hellenismus  IQ,  2,  202 f.    Auch  Reland  p.  806. 

357)  Bell.  Jud.  I,  4,  8.  In  der  Parallelstelle  Antt.  XIII,  15,  3  steht'Etoyov 
statt  npaoav.  Da  nach  dem  Zusammenhang  zweifellos  dieselbe  Stadt  gemeint 
ist,  da  ferner  der  Text  des  Bell.  Jud.  im  Ganzen  besser  überliefert  ist  als  der 
der  Antt.,  und  da  eine  Stadt  Essa  sonst  nicht  bekannt  ist,  so  ist  die  Lesart 
des  Bell.  Jud.  sicher  die  richtige. 

358)  Antt  XIII,  15,  5.  Ragaba  ist  schwerlich  identisch  mit  dem  *EQyd 
des  Eusebius  (Onomast.  ed.  Klostermann  p.  16),  welches  15  m.  p.  westlich 
von  Gerasa  lag,  also  gewiß  schon  vor  der  Eroberung  Gerasas  in  der  Gewalt 
des  Alexander  Jannäus  war. 

12* 


180  §  23.  Verfassung.   Synedriuiru   Hohepriester.  [142.  143] 

zur  Dekapolis 359  und  hatte  die  pompeianische  Ära.  Beim  Ausbruch 
des  jüdischen  Krieges  wurde  es  von  den  Juden  überfallen  (Bell 
JucU  II,  18, 1) ;  doch  wurden  die  in  der  Stadt  wohnenden  Juden  von 
den  Einwohnern  geschont  (Ä  /.  II,  18,  5).  Das  durch  Lucius  Annius 
auf  Befehl  Vespasians  eroberte  und  zerstörte  Gerasa  (B.  J.  IV,  9, 1) 
kann  nicht  unser  Gerasa  sein,  das  als  hellenistische  Stadt  sicher 
römerfreundlich  gesinnt  war.  —  Im  zweiten  Jahrh.  n.  Chr.  nannte 
sich  Gerasa  auch  Antiochia  am  Chrysoroas,  eine  Benennung,  die 
wohl  aus  seleucidischer  Zeit  stammt  (s.  oben  S.  145).  Sie  ist  durch 
vier  Inschriften  und  zwei  Münzen  bezeugt  Die  Inschriften  sind: 
1)  eine  Inschrift  inPergamum  aus  der  Zeit  Trajans860,  2)  eine  Ehren- 
inschrift für  Hadrian  in  Gerasa361,  3)  eine  Weiheinschrift  aus  der 
Zeit  des  Commodus362,  4)  eine  aus  vier  Distichen  bestehende  Grab- 
schrift aus  der  späteren  Kaiserzeit363.  Die  beiden  Münzen  haben  die 

359)  Steph.  By%.  s.  v.  ttgaacct  tcSXiq  trjq  KolXrjg  ZvqIus,  xfjq  öexandXaox; 
(so  ist  mit  Meineke  statt  des  überlieferten  xsaaaQsaxaidsxandXewq  zu  lesen). 
Ptönius  V,  18,  74  nennt  unter  den  Städten  der  Dekapolis  Oalasam.  Vgl. 
hierüber  oben  Anm.  355.    Wegen  Ptolemäus  s.  oben  S.  149. 

360)  Mommsen,  Berichte  der  sächsischen  Gesellsch.  der  Wissensch., 
philol-hist.  Klasse,  Bd.  II,  1850,  8.  223.  Waddington  n.  1722.  Fränkel, 
Inschriften  von  Pergamum  II,  1895,  S.  301.  —  Die  Inschrift  ist  gesetzt  vom 
Bat  und  Volk  der  Gerasener  zu  Ehren  des  A.  Julius  Quadratus,  des  kaiser- 
lichen Legaten  von  Syrien  unter  Trajan,  in  dessen  Heimat  Pergamum.  (Die 
syrische  Statthalterschaft  des  Quadratus  fallt  102—104  n.  Chr.,  s.  Waddington, 
Fastes  des  provinces  asiatigues  p.  172 — 176,  Liebenam,  Forschungen  zur  Ver- 
waltungsgesch.  I,  1888,  S.  120  f.)  Die  Selbstbezeichnung  der  Gerasener  lautet 
hier:  ^Avxioykwv  xtbv  [ngbq  x]<b  Xqvooqöo:  xCbv  7tQÖX6Qo[v  re\oaOT}v(bv  %  ßovty 
xal  6  dfj(i\pq[. 

361)  Lucas,  Repertorium  n.  54  (Mitt.  u.  Nachr.  des  DPV.  1901,  S.  68, 
Kopie  Puchsteins,  früher  unbekannt)  =  Dittenberger,  Orientis  gr.  inscr.  sei. 
n.  624  «=  Oagnat,  Inscr.  gr.  ad  res  rom.  pertinentes  t.  III  n.  1347.  Die  Inschrift 
ist  datiert  vom  J.  130  n.  Chr.  (Hadrian.  trib.  pot.  XIV,  cos.  III).  Die  Stadt 
nennt  sich  hier:  ij  nöXiq  yAvxio%i<ov  xCbv  itQÖq  xip  Xqvo[oq6]cc  xä>v  noöxeoov 
reQaQTjvc5[v]. 

362)  Lucas,  Repertorium  n.  17  (Mitt.  u.  Nachr.  des  DPV.  1901,  S.  57, 
nach  Mitteilungen  Puchsteins  «=  Cagnat  n.  1357;  weniger  vollständig  Revue  bibli- 
que  1899,  p.  14).  Commodus  hat  hier  bereits  den  Titel  Britannicus,  welchen 
er  i.  J.  184  annahm  (Pauly  -  Wissowas  Real-Enz.  II,  2475).  Von  der  Selbst- 
bezeichnung der  Stadt  ist  erhalten :  . . .]  xio%  [ ]  Xqvooqöo:  xtbv  [ixq\öx[sq\ov 

[reQaa]rjvwv. 

363)  Lucas,  Repertorium  n.  82  (Mitt.  u.  Nachr.  des  DPV.  1901,  S.  75; 
frühere  Publikationen:  American  Journal  of  Philology  III,  1882,  p.  206,  dazu 
Berichtigungen  VI,  1885,  S.  191  f.  Revue  bibliqm  1895,  p.  386  s?.  Mitt.  u.  Nachr. 
des  DPV.  1900,  S.  12).  Der  Schriftcharakter  weist  in  späte  Zeit.  Es  heißt 
hier  von  der  Verstorbenen,  einer  Frau  namens  Juliane  aus  Antiochia,  die  in 
Gerasa  verstorben  und  begraben  ist,  daß  sie  nun  nicht  in  ihre  Heimat  An- 
tiochia zurückkehre,   &XX*  eXaxev  xavxyq  hxiQag  fiiQoq  'AvxioxsItjq  (so  Lucas; 


[143]  I.  Die  hellenistischen  Städte.   22.  Gerasa,  181 

Aufschrift:  AN(tiox£<x>»)  T£2(v)  IIP(pq)  XP(vöoqoo)  T£2(p)  Z7J>(ot6- 
qov)  rE(ßaar]P(Dv).  Sie  gehören  beide  in  die  Zeit  des  Mark  Aurel 
(auf  der  einen  das  Bild  Mark  Aureis  mit  entsprechender  Umschrift, 
auf  der  anderen  das  Bild  des  Lucius  Veras  mit  entsprechender 
Umschrift) 364.  Der  Chrysoroas  kann  natürlich  nur  der  durch  Gerasa 
fließende  Wadi  Dscherasch  sein,  nicht  der  vom  Libanon  nach  Da- 
maskus fließende  Nähr  Barada,  wie  Mommsen  und  Fränkel  gemeint 
haben865.  —  Über  die  städtische  Verfassung  von  Gerasa  hat 
die  genauere  Erforschung  der  Inschriften  ein  ziemlich  reiches 
Material  geliefert.  „Rat  und  Volk"  (tj  ßovXr/  xal  6  örj/iog)  kommt 
nur  auf  zwei  Inschriften  aus  der  Zeit  Trajans  vor866.  Häufiger 
ist  dafür  das  bloße  rj  jtokig,  wie  es  scheint,  seit  Hadrian  fest- 
stehend867. Eine  Mehrzahl  von  Ämtern  wird  auf  zwei  Inschriften 
erwähnt,  die  eben  darum  hier  vorangestellt  sein  mögen:  die  eine 
wahrscheinlich  aus  dem  ersten  Jahrhundert  nach  Chr.368,  die  andere 


statt  tavrnq  krioaq  haben  Am.  Jowm.  yattjq  kziqaq,  Revue  bibl.  tavrrjq  Stegov). 
Hiermit  ist  für  Gerasa  wenigstens  der  Name  Antiochia,  wenn  auch  nicht  der 
Zusatz  „am  Chrysoroas"  bezeugt 

364)  Imhoof-B lumer,  Revue  misse  de  nwnismcäique  VIII,  1898,  S.  47. 
Wroth,  Gatalogue  of  the  greek  coins  of  Oalatia,  Oappadocia  and  Syria  [in  the 
BrU.  Mus.]  1899,  p.  LXXXTX.  Perdrizet,  Revue  biblique  1900,  p.  441—443 
(stellt  das  Material  über  Antiochia  am  Chrysoroas  zusammen,  aber  noch  ohne 
die  Hadrian-Inschrift). 

365)  Für  den  Nähr  Barada  ist  allerdings  der  Name  Chrysoroas  durch 
Sirabo  XVI  p.  755.  Plin.  V,  18,  74.  Ptolem.  V,  15,  9  (Didotsche  Ausg.  V, 
14,  7)  bezeugt.  Aber  der  Name  ist  auch  sonst  häufig,  s.  Pauly-Wissowas 
Beal-Enz.  s.  v. 

366)  Inschrift  von  Pergamum  aus  der  Zeit  Trajans  (s.  oben  Anm.  360).  — 
Ehren-Inschrift  für  Trajan  in  Gerasa:  Lucas,  Bepertorium  n.  53  (Mitt.  u.  Nachr. 
1901,  S.  68)  =-  Cagnat,  Inscr.  gr.  ad  res  rom.  peHinentes  III  n.  1346:  Afooxoä- 
tOQa  N&Qova  Toalavbv  Kaiaaoa  Zsßaozöv,  reguavixov,  Jaxixdv,  avlxrjxov,  &eov 
v\6v>  %  ßovXfj  xal  6  Sfjiioq.  —  Vielleicht  ist  aber  auch  auf  der  oben  Anm.  362 
genannten  Inschrift  aus  der  Zeit  des  Commodus  ^  [ßovXf]  xal]  6  [Sfjuoq]  zu 
ergänzen. 

367)  Lucas,  Bepertorium  n.  16.  54.  55.  57.  58.  62.  63.  66.  —  Die  älteste 
dieser  Inschriften  ist  die  oben  Anm.  361  erwähnte  Ehren-Inschrift  für  Hadrian 
(Lucas  n.  54). 

368)  Lucas,  Bepertorium  n.  70  «=»  Dittenberger ,  Orientis  gr.  inscr.  sei. 
n.  621  «  Cagnat,  Inscr.  gr.  ad  res  rom.  pertinenies  t.  III  n.  1376  (Kopie  Ger- 
mer-Durands  Revue  bibl.  1899,  S.  5 f.,  Kopie  Kieperts  in:  Mitt.  u.  Nachr.  des 
DPV.  1901,  S.  43 f.):  "Ezovq  &xq  [fatso  xffiq  oeßaazrjq  elgJjvfaq  inl  z]fjq  &QZW 
*AnoXkwvlo[v  'Aqio]tIwvoq  itooiöoov  xal  [. .  .]ov  J^/xtjtqIov  öexa7to(6)Xov) 
[öiä  ß]lov  nöXemq  xal  kvziöx[.  . .  •]  <ovoq  &Q%6vzmv  xal  3sp[.  . . .]  q£ov  ygafi- 
fjtaz[evovzoq].  —  Über  das  Datum  s.  unten  Anm.  374.  &qx{>vzo>v  bezieht  sich 
auf  die  drei  vorher  Genannten,  von  welchen  der  erste  zugleich  nodeSgoq,  der 
zweite  SexdnQonoq  Siä  ßiov  heißt. 


182  §  23.  Verfassung.    Synedrioin.    Hohepriester.  [143] 

ans  dem  dritten  Jahrhnndert  nach  Chr.869.  Sonst  findet  sich  noch 
manches  einzelne.  Das  gesamte  Material  sei  hier  nur  kurz  re- 
gistriert, unter  Mitberücksichtigung  der  beiden  ebengenannten  In- 
schriften870; kaiserliche  Ämter  sind  in  das  Verzeichnis  nicht  mit 
aufgenommen.  —  Über  die  Ära,  welche  in  Gerasa  gebraucht  wurde, 
geben  die  Münzen,  soweit  sie  bis  jetzt  bekannt  sind,  keinen  Auf- 
schluß371. Um  so  reicher  ist  das  Material  der  Inschriften.  Die 
gewöhnliche  Ära  von  Gerasa,  wie  die  fast  aller  Städte  der  Deka- 
polis,  ist  die  pompeianische.  Dies  ist  schon  von  Clermont- 
Ganneau  vermutet  worden  und  jetzt  durch  das  vermehrte  In- 
schriftenmaterial erwiesen372.    Ob  alle  Daten  nach  diesem  Aus- 


369)  Lucas  Repertorium  n.  14  (Kopie  Brünnows,  Mitt.  u.  Nachr.  des  DPV. 
1897,  S.  39  —  Brünnow  u.  Domaszewski,  Die  Provincia  Arabia  II,  255,  vgl. 
Olermont  -  Oanneau,  Becueil  cParehioL  Orientale  II,  398):  "Exovq  äxi  Savdixov 
yx,  hd  yüa/n/narlaq  Maoujvoq  'Aßßlßov  xal  <swag%laq  alrzov  rdfiov  agxovxoq 
xal  MaXxalov  xal  öioixtjxwv  'EqivvIov  xal  'AqIotwvoq  xal  xtbv  nivts  ^Pr>- 
&lov  usw.  a<pieQiiD&ri  ^  cxoa  xh  6  ax&eh;  ßwfiöq. 

370)  &QX0Yzeq  Lucas  n.  14.  70  (auf  den  Inschriften  aus  byzantinischer  Zeit 

n.  22.  23.  24  handelt  es  sich  um  kaiserliche  Beamte). 

nodedQoq  Lucas  n.  61.  70. 

nowxoq  xtjq  itdXewq  Lucas  n.  61  (über  den  Titel  s.  Liebenam,  Städtererwal- 
tung  S.  295). 

öexanowxoq  Lucas  n.  70. 

yQccfXfxazevq  Lucas  n.  14.  70. 

öioixrjxtfq  Lucas  n.  14  (dazu  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  V,  790). 

ol  n&vxe  Lucas  n.  14 

ciyooavdnoq  Lucas  n.  71  (Revue  biblique  1899,  p.  18). 

yvfjivaat&QXfi<i  Lucas  n.  10  (Kopie  Kieperts,  Mitt.  u.  Nachr.  1901,  S.  35 f.,  ver- 
besserte Lesung  bei  Glermont  -  Ganneau,  Recueil  tfarch.  or,  V, 
310  sq.  und  Dittenberger,  Orientis  gr.  inscr.  sei.  n.  622).  Der  auf 
der  Inschrift  Genannte  hat  bei  Verwaltung  des  Gymnasiarchen- 
Amtes  öfters?  (wenn  nXe  in  nXeovaxiq  zu  ergänzen  ist)  der  Stadt 
das  Salböl  (rot  äXelfifiaxa)  gespendet  (über  solche  Ölspenden  s. 
Liebenam,  Städte  Verwaltung  S.  116)  und  500  Silber  -  Drachmen 
zum  Bau  des  Tempels  des  olympischen  Zeus  beigesteuert.  Über 
das  Datum  der  Inschrift  s.  unten  bei  den  Aren. 

hcifieX^q  Lucas  n.  11  (öta  i7ii(jieXTjx<5v),  n.  55.  57.  58.  62.  63  (hier  überall  ^ 
nbXiq  öi  imfiskqxov  oder  ^  nöXiq  öi  imfieXTjxwv,  es  bandelt  sich 
um  Errichtung  von  Statuen,  vgl.  über  den  Titel  überh.:  Pauly- 
Wissowas  Real-Enz.  VI,  162  ff.). 

Svoxd^xv^  Lucas  n.  59  (dazu:  Liebenam,  Städte  Verwaltung  S.  375  £). 

371)  S.  Eckhel  HI,  350.  Mionnet  V,  329.  Suppl.  VIII,  230 sq.  De 
Saulcy  p.  384  s#.  pl.  XXII,  n.  1 — 2.  Numismatie  Gkroniele  1900,  p.  295.  — 
Die  Münzen  gehen  von  Hadrian  bis  Alexander  Severus  und  haben  fast  alle 
die  Aufschrift  "AQTSfxiq  Tvxrj  reQaowv,  ohne  Ära. 

372)  Glermont'  Oanneau y  lttudes  d'archeoloyie  Orientale  t.  I,  1895  [«- 
Bibliotheque  de  Vecole  des  hautes  tiudes  fasc.  44]  /;.  142.   Recueil  d'archeol.  orien* 


[143]  I.  Die  hellenistischen  Städte.  22.  Gerasa.  183 

gangspunkt  zu  berechnen  sind,  ist  noch  fraglich.  Bei  der  ältesten, 
sicher  aus  der  Zeit  des  Tiberius  stammenden  Inschrift  müßte 
man,  wenn  das  Datum  richtig  gelesen  ist,  die  seleucidische  Ära 
annehmen;  wahrscheinlich  ist  aber  das  Datum  so  zu  lesen,  daß 
auch  hier  die  pompeianische  Ära  gemeint  ist373.  Größere  Schwierig- 
keiten macht  die  oben  Anm.  368  bereits  mitgeteilte  Inschrift, 
welche  nach  der  von  den  ersten  Herausgebern  vorgenommenen 
Ergänzung  „vom  augusteischen  Frieden  ana  (dxo  rfjq  öaßaCTTJQ 
elQTJpijq)  datiert  sein  würde;  das  wäre  jedenfalls  ganz  singulär; 
vermutlich  ist  anders  zu  ergänzen  und  die  pompeianische  Ära  an- 
zunehmen374. Auch  für  alle  anderen  inschriftlichen  Daten  ist  es 
in  hohem  Grade  wahrscheinlich,  daß  sie  die  pompeianische  Ära 


tale  II,  17 sq.  —  Kubitschek,  Die  Ären  von  Medaba  und  von  Gerasa  (Mit- 
tellangen der  geogr.  Gesellsch.  in  Wien  XLII1,  1900,  S.  368—373,  über  Gerasa 
8.  369 — 373  [Anhang  zu  der  Abh.  über  die  Mosaikkarte  von  Medaba]).  — 
Schwartz,  Die  Ären  von  Gerasa  und  Eleutheropolis  (Nachrichten  der  Göt- 
tinger Gesellsch.  der  Wissensch.,  phil.-hist.  Ell.  1906,  8.  340 — 395,  über  Gerasa 
nur  8. 361 — 366).  —  Kubitschek  und  Schwarz  nehmen  überall  die  pompeianische 
Ära  an,  wozu  auch  Dittenberger  geneigt  ist,  abgesehen  von  der  in  Anm.  374 
besprochenen  Inschrift 

373)  Lucas,  Repertorium  n.  8  (Mitt  u.  Nachr.  des  DPV.  1901,  8.  53  — 
Mitt.  u.  Nachr.  1899,  8. 41  =  Brünnow  und  Domaszewski,  Die  Provincia  Arabia 
II,  253):  äit  *Okv(ml(p  bieg  xrj<;  x(bv  Seßaazibv  düxriQlaq  . . .  ZaßSlwv  *Aqu$xo* 
fidxov  leQctodfievoQ  Tißeqlov  KaloaQoq  tro((J)  eH  hovq.  Wenn  die  Ziffer  EIT 
(315)  richtig  gelesen  ist,  müßte  die  seleucidische  Ära  gemeint  sein.  Die  In- 
schrift würde  dann  in  das  J.  3/4  n.  Chr.,  also  in  die  Begierungszeit  des  Augus- 
tus  fallen,  wo  es  noch  nicht  mehrere  Ssßaavol  gegeben  hat.  Wahrscheinlich 
ist  daher  mit  Oagnat  (Inscr.  gr.  ad  res  rotn.  pertinentes  t.  III  n.  1344)  und 
Schwarte  (Nachrichten  der  Gott.  Ges.  d.  Wiss.  1906,  8.  362)  statt  EIT  zu  lesen 
ETI  —  85  nach  der  pompeianischen  Ära  =  22/23  n.  Chr.  Die  Zeßaoxoi  sind 
Tiberius  und  Livia. 

374)  Bei  jener  Datierung  denken  Germer -Durand  und  Lucas  an  die 
aktische  Ära.  Dann  wäre  das  Datum  &xq  (129)  —  98/99  n.  Chr.  Aber  die 
aktische  Ära  ist  nie  so  bezeichnet  worden;  sie  ist  eine  Ära  xfjq  vfxtjq,  nicht 
tijQ  e^yrj^  Dittenberger  (Orientis  gr.  inscr.  sei.,  zu  n.  621)  nimmt  das 
J.  9  vor  Chr.  als  Ausgangspunkt  an,  in  welchem  der  große  Friedensaltar  auf 
dem  Campus  Martins  eingeweiht  worden  ist.  Beide  Ären  wären  für  Gerasa 
ganz  singulär.  Kubitschek  (8.370)  und  Schwartz  (8.362)  schlagen  daher 
vor,  zu  lesen  *Etovq  &xq  \vneQ  trf\q  aeßaaxfjq  elQ^v[riq  hii  x]fjq  dQxfc  'AnoX* 
Xatvlo[v  *AQia]tlwvogt  und  die  Jahreszahl  &xq  (129)  auf  die  pompeianische  Ära 
zu  beziehen  ==  66/67  n.  Chr.  Für  diese  Erklärung  spricht  namentlich  eine  von 
jenen  noch  nicht  herangezogene  Tatsache.  Als  zur  Zeit  Neros  im  J.  66 
der  armenische  König  Tiridates  dem  Kaiser  in  Rom  huldigte  [Dio  Cass.  LXIII, 
1—7,  vgl.  Tacit.  Annal.  XV,  29.  XVI,  23.  Plin.  Hut.  Nat.  XXX,  16  f.),  wurde 
zur  Feier  des  Weltfriedens  der  Janus-Tempel  geschlossen  (Sueton. 
Nero  13 — 14),  und  die  Arval-Brüder  haben,  vermutlich  aus  diesem  Anlaß,  im 
Jahre  66  n.  Chr.  der  Pax  eine  Kuh  geopfert  (Henzen,  Acta  fratrum  Arvaliwn 


184  §  23.  Verfassung.   Synedrium.  Hobepriester.  [143] 

zur  Voraussetzung  haben875.   Da  Gerasa  seit  Trajan  zur  Proyinz 
Arabien  gehörte  (wie  sogleich  gezeigt  werden  wird),  so  sollte  man 


p.  85,  Corp.  Inscr.  Lat.  VI  n.  2044,  I,  12.  Wissowa,  Religion  und  Kultus  der 
Römer  1902,  S.  277).  So  wird  auch  die  aus  demselben  Jahre  (66/67  n.  Cbr.) 
stammende  Inschrift  von  Gerasa,  von  welcher  nur  der  Anfang  erbalten  ist,  auf 
eine  Widmung  der  städtischen  Behörden  zur  Feier  der  2eßa<n%  elQJjvi}  sieh 
bezogen  haben  (der  Ausdruck  Seßaaz^  bIqtjvt]  auch  im  griech.  Text  des  Mo- 
num.  Ancyranum  bei  Erwähnung  des  großen  Friedensaltars  auf  dem  Marsfelde, 
s.  Mommsen,  Res  gestae  divi  Augusti  ed.  2.,  p.  49).  Eine  Ironie  ist  es  freilich, 
daß  eben  damals  der  jüdische  Krieg  bereits  ausgebrochen  war. 

375)  Ich  stelle  im  folgenden  alle  Daten,  welche  auf  den  von  Lucas  (Re- 
pertorium  in:  Mitteilungen  und  Nachrichten  des  DPV.  1901,  S.  49—82)  ge- 
sammelten Inschriften  vorkommen,  zusammen,  abgesehen  von  den  beiden 
bereits  erwähnten.  Diejenigen,  für  welche  sicher  die  pompeianische  Ära  der 
Ausgangspunkt  ist,  sind  mit  einem  *  versehen,  diejenigen,  für  welche  Lucas 
die  erst  im  J.  106  nach  Chr.  beginnende  Ära  der  Provinz  Arabien  (Ära  von 
Bostra)  anzunehmen  geneigt  ist,  sind  mit  einem  ?  versehen.  Der  Ausgangs- 
punkt fQr  erstere  ist  Herbst  63  vor  Chr.,  wie  die  parallelen  Indiküonen-Jahre 
beweisen.  Es  ist  also  Jahr  1  der  Ära  von  Gerasa  —  63/62  vor  Chr.  —  691/692 
a.  U.  c.  oder  Jahr  101  der  Ära  von  Gerasa  —  791/792  a.  ü.  —  39/39  n.  Chr. 
Die  Daten  der  Inschriften  sind: 

bq  (105)  —  42/43  n.  Chr.  (Lucas  n.  10,  der  aber  eq  nicht  als  Jahreszahl  erkannt 
hat;  die  verbesserte  Lesung  [yv]/jivaoiagx^^Q  *hv  nQa)vrj[v  k£A]fit]vov 
xod  sq'  [hovq]  erst  bei  dermont-Ganneau,  Recueil  V,  311  *-  Ditten- 
berger,  Orientis  gr.  inscr,  sei.  n.  622  «=  Oagnat,  Inscr.  gr.  ad  res  rom* 
pertinentes  III  n.  1351).  Nach  der  Ära  von  Bostra,  an  welche  Cler- 
mont-Ganneau  denkt,  würde  die  Inschrift  in  die  Zeit  des  Severus, 
Caracalla  und  Geta  fallen,  während  auf  der  Inschrift  nur  ein  2fe- 
ßaatöq  erwähnt  wird.  Es  muß  also  die  pompeianische  Ära  gemeint 
sein  (so  Dittenberger). 

ßlQ  (132)  *-=  69/70  n.  Chr.  (Lucas  n.  9  —  Revue  bibl.  1899,  p.  11,  Mitt.  u.  Nachr. 
1899,  S.  42). 

9ßkQam}  ^Lucas  n'  5  ~  Revue  mi  1895'  384)* 

Die  Widmung  lYnhQ  xfjq  rtov  Zeßaozibv  oanTjoiaq  setzt  nicht  not- 
wendig mehrere  regierende  Kaiser  voraus,  da  auch  die  Mitglieder 
der  kaiserlichen  Familie  Ueßaoroi  sind  (Dittenberger  zu  n.  623). 

ItiXq  (138)  (Lucas  w.  29  —  American  Journal  of  phüol.  VI,  1885,  p.  192  sq. 
Allen  setzt  die  Inschrift  auf  Grund  unsicherer  Lesung  und  Ergän- 
zung in  die  J.  177 — 180  n.  Chr.  und  nimmt  eine  sonst  unbekannte, 
um  40  n.  Chr.  beginnende  Ära  an.  Bessere  Erklärung  bei  Schwartz, 
Nachrichten  der  GGdW.  1906,  8.  363). 

&  (160)  =  97/98  n.  Chr.  (Lucas  n.  3  nach  Puchstein). 

W  (190)  —  127/128  n.  Chr.  (Lucas  n.  74  nach  Amer.  Journ.  1885, 194;  neue 
Kopie  der  inzwischen  nach  Damaskus  verschleppten  Inschrift  in: 
Revue  archeol.  IVme  Serie  t.  V,  1905,  p.  48—50,  SSsq.). 

Ißia  (212)  «*  149/150  n.  Chr.  (Lucas  n.  7  —  Revue  bibl.  1895,  385).  Zur  An- 
nahme einer  anderen  Ära  als  der  pompeianischen  liegt  hier  kein 


[143]  I.  Die  hellenistischen  Städte.   22.  Gerasa.  185 

seitdem  eher  den  Gebrauch  der  Ära  dieser  Provinz  erwarten.  In 
4er  Tat  haben  einige  Forscher  ans  paläographischen  Gründen  für 
einzelne  Daten  deren  Gebrauch  annehmen  zu  müssen  geglaubt 
(s.  Anm.  375).    Aber  ein  gleichzeitiger  Gebrauch  bald  der  einen, 


Grund  vor,  s.  Clermoni  -  Qcwneauy  Revue  archiol.  trois.  Sirie  t.  28, 

1896,  p>  151  sq.  —  Reeueil  H,  15,  Dittenberger,  Orientü  gr.  inser. 

sei.  n.  623. 
yio  (213;  —  150/151  n.  Chr.  (Lncas  n.  2  —  Revue  bibl.  1899,  11). 
*yia  (213)  —  150/151  n.  Chr.  (Lucas  n.  16,  die  große  Propyläen -Inschrift  aus 

der  Zeit  des  Antoninus  Pius,  über  welche  unten  S.  187  Näheres 

mitgeteilt  ist). 
eio  (216)  —  153|154  n.  Chr.  (Lucas  n.  69,  nach  P  ach  stein). 
*exo  (225)  —  162/163  n.  Chr.  (Lucas  n.  18,  nach  Puchstein).    Widmung  für 

Antoninus  und  Verus.    In  der  Ziffer  ist  c  unsicher. 
*Ö4o  (294)  —  231/232  n.  Chr.  \  _  __       RO        _         ....  nonr   „_. 

•4a  (294)  -  231/232  n.  Chr.  /  &*<»»  »•  ***-»- Bmm  t*l  1895,  381). 

Zwei  gleichartige  Aufschriften  auf  Ehrenstatuen  für  den  Kaiser  und 
die  Kaiserin.    Vom  Namen  des  Kaisers  sind  erhalten  . . .  oga  Kai' 

aaga  M J&ovtjqov  ....  ei>aeß?]v  Zeßctoxöv,  vom  Namen  der 

Kaiserin  'Iovfo Zeßaaxrfv.    Hiernach  ist  die  von  Olermont- 

Qanneau  (litudes  d*  archiol.  I,  142,  vgl.  Reeueil  d'archiol.  II,  17  sq.  — 
Revue  archiol.  trois.  Serie  t.  28,  1896,  p.S38sq.)  begründete  Beziehung 
auf  Severus  Alexander  und  Julia  Mainaea  sehr  wahrscheinlich. 

axx  (321)  —  258/259  n.  Chr.  (Lucas  n.  14,  s.  den  Text  oben  Anm.  369). 

S<p  (504)  =-  441/442  n.  Chr.,  außer  der  Jahreszahl  noch  TaQUiMov  kvSsxdvTjq 
Mix.  (Lucas  n.  28  —  Revue  bibl.  1899,  15). 

*ap  (510)  —  447/448  n.  Chr.,  Monat  dlov,  nowtTjg  M.  (Lucas  n.  25  —  Revue 
bibl.  1899,  23). 

*&<p  (527)  —  464/465  n.  Chr.,  ohne  Monat,  y  Mix.  (Lucas  n.  32,  nach  Wetz- 
stein). 

*9v<p  (559)  —  496/497  n.  Chr.,  br  (itpl  z%  xijg  t  M.  (Lucas  n.  30,  nach 
Puchstein). 

n^<p  (598)  —  535|536  n.  Chr.  [No]etißol[ov\  ohne  Induktion  (Lucas  n.  22,  nach 
Puchstein). 

Die  Indiktionen -Angaben  bestätigen  unsere  Voraussetzungen  über  die 
Ära,  denn  der  Indiktionen- Zyklus  beginnt  am  1.  September  312  n.  Chr.  (s. 
oben  S.  117).  Je  ein  erstes  Indiktionenjahr  beginnt  daher  am  1.  Sept.  432, 
447,  462,  477,  492  n.  Chr.    Hiernach  stimmt  ohne  weiteres: 

447/448  —  ind.  1. 

464/465  —  ind.  3. 

496/497  —  ind.  5. 
Aber  auch  das  Datum  441/442  —  ind.  11  ist  in  Ordnung,  sobald  man 
die  verschiedenen  Jahresanfänge  beachtet.  Nach  dem  für  Gerasa  höchst  wahr- 
scheinlich vorauszusetzenden  syromacedonischen  Kalender  beginnt  das  Jahr 
am  1.  Oktober  und  der  Gorpiäus  —  September  ist  der  letzte  Monat  des 
Jahres,  während  Dios  —  November  der  zweite  Monat  ist  (Ideler,  Handb. 
der  Chrono!.  I,  430).  Hiernach  ist  das  fragliche  Datum  =  September  442,  in 
welchem  bereits  das  neue  Indiktionenjahr,  ind.  11,  lief. 


186  §  23.  Verfassung.   Synedrium.  Hohepriester.  [143] 

bald  der  anderen  Ära  ohne  nähere  Bezeichnung  ist  doch  höchst 
unwahrscheinlich.  Und  der  Gebrauch  der  pompeianischen  ist  für 
das  zweite  und  dritte  Jahrhundert  ebenso  sicher  wie  für  die  byzan* 
tillische  Zeit 

Wie  alle  Städte  der  Dekapolis,  so  hat  auch  Gerasa  ursprüng- 
lich zur  Provinz  Syrien  gehört  Durch  die  Inschrift  von  Perga- 
mum  (s.  oben  Anm.  360)  ist  dies  noch  für  die  Zeit  Trajans  bezeugt; 
und  noch  der  Geograph  Ptolemäus,  der  unter  Antoninus  Pius  schrieb 
(er  kennt  bereits  die  Gründung  von  Älia  durch  Hadrian),  rechnet 
Gerasa  wie  alle  Städte  der  Dekapolis  zur  Provinz  Syrien376.  Er 
muß  dabei  aber  älteren  Angaben  gefolgt  sein.  Denn  aus  den  In« 
Schriften  läßt  sich  erweisen,  daß  Gerasa  schon  unter  Trajan  zu 
der  neugegründeten  Provinz  Arabien  gezogen  worden  ist 
wahrscheinlich  sogleich  bei  deren  Einrichtung  im  Jahre  106  nach 
Chr.377.  Es  stand  nämlich  unter  folgenden  Statthaltern,  die  als 
Statthalter  von  Arabien  bekannt  oder  als  solche  zu  erweisen  sind: 
1)    C.   Claudius  Severus,   unter   Trajan,    111—112  nach  Chr.378. 


376)  Ptohm.  V,  15,  23  —  Didotsche  Ausg.  (I,  2,  Paria  1901)  V,  14,  18, 
vgl.  dazu  oben  8.  149.  —  Ober  die  Zeit  des  Ptolemäus  s.  Boll,  Jahrbb.  f. 
klass.  Philol.  Suppl.-Bd.  21,  1894,  S.  53-66. 

377)  Dies  hat  auf  Grund  des  neuen  Materiales  Domaszewski  gezeigt 
(Corp.  Inscr.  Lat.  III  Suppl.  p.  2315,  Vorbemerkung  zu  n.  14156).  Früher  hat 
man  für  die  Zuweisung  Gerasas  zur  Provinz  Arabien  einen  viel  zu  späten 
Zeitpunkt  angenommen.  Marquardt  (Römische  Staatsverwaltung  I,  433)  ist 
geneigt,  diese  Maßregel  erst  um  295  n.  Chr.  zu  setzen.  Roh  den  (De  Palaestina 
et  Arabia  1885,  p.  11)  sucht  zu  zeigen,  daß  sie  unter  Septimius  Severus 
(193—211  n.  Chr.)  erfolgt  sei.  Ebenso  P.  Meyer  (Jahrbb.  f.  klass.  Philol. 
1897,  S.  594—596).  Clermont-Ganneau  hat  richtig  erkannt,  daß  Gerasa 
bereits  im  J.  162  n.  Chr.  zu  Arabien  gehörte  (tlludes  ffarchSologie  Orientale 
t.  II,  1897  —  Bibliothique  de  Picole  des  haiäes  Uudes  fasc.  113,  p.  85  sq.  88  sq.). 
Ebenso  Perdrizet  (Revue  archSol.  trois.  Serie  t  35,  1899,  p.  39 — 42),  der  aber 
damit  die  komplizierte  und  sicher  unrichtige  Hypothese  verbindet,  daß  Gerasa 
nach  195  eine  Zeitlang  zu  Syria  Pbönice  gehört  habe  und  dann  erst  wieder 
zu  Arabien. 

378)  C.  Claudius  Severus  hat  im  Auftrag  Trajans  im  J.  111  n.  Chr. 
eine  neue  Straße  von  der  Grenze  Syriens  bis  zum  roten  Meere  gebaut:  Tra* 
janus  .  .  trib.  pot.  XV  .  .  .  redacta  in  formam  provinciae  Arabia  viam  novam 
a  finibus  Syriae  usque  ad  mare  rubrum  aperuit  et  stravit  per  (7.  Olaudium 
Severum  leg.  Aug.  pr.  pr.  (so  gleichlautend,  mehr  oder  weniger  erhalten,  auf 
verschiedenen  Meilensteinen  an  der  Straße  von  Petra  nach  Philadelphia,  s. 
oben  Bd.  I,  S.  744;  Corp.  Inscr.  Lat.  III  Suppl.  n.  14149, 19.  14149, 21.  14149, 30. 
14149,  42.  14149,  50.  Brünnow  und  Domaszewski,  Die  Provincia  Arabia  Bd.  I, 
1904,  S.  29,  38,  42,  83,  84,  85,  86;  desgleichen  an  der  Straße  von  Philadelphia 
nach  Bostra:  CIL.  n.  14150,  11.  Oer mer- Durand,  Bulletin  arckiol.  du  comiiS 
des  traveaux  hist.  1904,  p.  3—43,  w.  2.  11.  22.  28.  Hiernach  auch  Brünnow  u. 
Domaszewski  II,  312—323).   Selbstverständlich  Lat  er  dies  als  Statthalter  von 


[143]  L  Die  hellenistischen  Städte.   22.  Genua.  187 

2)  L.  Attidius  Cornelianus  unter  Antoninus  Pias  150/151  nach  Chr. 
über  ihn  gibt  die  große  Inschrift  auf  den  Propyläen  Aufschluß, 
deren  zerstreute  Bruchstücke  erst  in  neuester  Zeit  vollständig  ge- 
sammelt worden  sind879.  Es  heißt  hier,  daß  die  Stadt  Gerasa  die 
Propyläen  (die  zum  Artemistempel  führten,  s.  oben  S.  39)  „zum 
Wohle44  des  Antoninus  Pius  und  seines  Hauses  und  des  römischen 
Senates  und  Volkes  geweiht  hat  &kl  A(ovxlov)  'Arndlov  Koqvti- 
Xutvov  xQeöß(evTov)  Seß(aörov)  dvttötQ{ar^yov)  vxarov  avads- 
[öeiY(iip]ov,  hovg  yiä  As({ov)  6x.  Das  Datum  ist  =  24.  Dius  (No- 
vember) 150  nach  Chr.  Da  Attidius  Cornelianus  als  consul  designatus 
bezeichnet  wird,  kann  er  damals  nicht  Statthalter  von  Syrien  ge- 
wesen sein,  das  immer  nur  von  gewesenen  Konsuln  verwaltet 
wurde;  er  muß  vielmehr  zur  Zeit  der  Inschrift  Statthalter  von 
Arabien  gewesen  sein,  wie  Domaszewski  mit  Recht  bemerkt  hat 
Erst  später  hat  er  die  Provinz  Syrien  erhalten880.    Als  vxarixog 


Arabien  getan  (vgl.  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  III,  2868.  Porp.  Inscr.  Lat.  III 
Suppl.  p.  2304).  Derselbe  hat  aber  im  folgenden  Jahre,  112  n.  Chr.  auch  die 
Straße  nordwestlich  von  Gerasa  ausgebessert:  Trqjanus  .  .  trib.  potest.  XVI 
.  .  refecit  per  0.  Olaudium  Severum  leg.  Aug.  pr.  pr.  (so  auf  drei  Meilen- 
steinen mit  den  Ziffern  IUI,  VI  und  VII,  jetzt  in  Suf,  nordwestlich  von  Ge- 
rasa, wohin  sie  offenbar  aus  der  Umgegend  gebracht  worden  sind,  Brünnow, 
Mitt.  u.  Nachr.  des  DPV.  1899,  S.  90  —  Brünnow  u.  Domaszewski,  Die  Pro- 
vincia  Arabia  II,  240  —  Corp.  Inscr.  Lat.  Hl  Suppl.  n.  14176,  3;  weniger  gut 
erhalten  ist  ein  anderer  gleichlautender  Stein  mit  der  Ziffer  A,  der  sich  jetzt 
in  Gerasa  befindet,  Zeitschr.  des  DPV.  1895,  S.  130  —  Keime  biblique  1899, 
p.  34*0.  «—  Corp.  Inscr.  Lat.  III  Suppl.  n.  14176,  2  —  Brünnow  u.  Doma- 
szewski, Prov.  Arabia  II,  257).  Demnach  hat  auch  die  Gegend  von  Ge- 
rasa zum  Gebiet  des  C.  Claudius  Severus  gehört. 

379)  Zusammenstellungen  mit  fortschreitender  Berichtigung  der  Einzel- 
heiten haben  gegeben:  Corp.  Inscr.  Qraec.  t.  HE  n.  4661  und  Addenda  p.  1183 
(noch  ganz  ungenügend).  Germ  er- Durand,  Revue  biblique  1895,  p.  374  «#. 
Perdrizet,  Revue  archiol.  irois.  Serie  t.  35,  1899  p.  34—36,  Germer-Du- 
rand,  Revue  biblique  1900,  p.  94.  Perdrizet,  ebendas.  p.  429—431.  Schürer, 
Mitt.  u.  Nachr.  des  DPV.  1900,  S.  19.  Lucas,  Mitt.  u.  Nachr.  des  DPV. 
1901,  8.  38  (nach  Kiepert)  u.  S.  56  (nach  Puchstein,  erst  hier  auch  das  Da- 
tum). Dittenberger,  Orientis  gr.  inscr.  sei.  n.  625.  Brünnow  und  Do- 
maszewski, Die  Provincia  Arabia  II,  254 

380)  Als  Statthalter  von  Syrien  wird  er  auf  einem  in  Bulgarien  gefun- 
denen Militärdiplom  vom  J.  157  n.  Chr.  erwähnt  (Bormann,  Jahreshefte  des 
österreichischen  archäol.  Institutes  III,  1900,  S.  21  f.  —  Corp.  Inscr.  Ind.  III 
SuppL  p.  2328,  71  Dipl.  CX).  Im  Anfang  von  Mark  Aureis  Regierung  erlitt 
er  eine  Niederlage  gegen  die  Parther  (Scriptores  historiae  Augustae,  Vita 
Marei  c.  8);  er  war  aber  noch  im  J.  162  n.  Chr.  Statthalter  von  Syrien  {Corp. 
Inscr.  Lat.  III  n.  129  —  Suppl.  n.  6658).  Vgl.  Pauly-Wissowas  Real-Enz. 
II,  2074. 


188  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hobepriester.  [143] 

kommt  er  auch  auf  einer  Ehreninschrift  in  Gerasa  vor881.  3)  L. 
Aemilius  Carus  unter  Antoninus  Pius,  aber  ungewiß,  ob  vor  oder 
nach  Cornelianus382.  4)  P.  Julius  Geminius  Marcianus,  unter  Mark 
Aurel  162  nach  Chr.  Er  ist  als  Statthalter  von  Arabien  bekannt 
und  hat  als  solcher  die  Straße  von  Petra  nach  Philadelphia  und 
von  da  nach  Bostra  ausgebessert883.  Sein  Name  kommt  aber  auch 
auf  einem  griechischen  Inschriftenfragment  in  Gerasa  vor884  und 
auf  Meilensteinen  in  der  Gegend  von  Gerasa386.    5)  Q.  Antistius 


381)  Lucas,  Repertorium  n.  60  (Mitt.  u.  Nachr.  S.  70,  nach  Puchstein): 
A.  ^Atxlöiov  KopnjXiavdv  hnaxixöv. 

382)  L.  Aemilius  Carus  ist  als  Statthalter  von  Arabien  längst  be- 
kannt, s.  über  ihn  unten  bei  Philadelphia,  Anm.  406.  Daß  auch  Gerasa  zu 
seinem  Gebiete  gehörte,  und  zwar  zur  Zeit  des  Antoninus  Pius,  zeigt  ein  von 
Germer-Durand  (Revue  biblique  1899,  p.  20)  hier  gefundenes  Fragment,  auf 
welchem  [yAvv]a>velvov  Ei{aeßovq[  und  AlpiXlov  Kdgov  nQeaß.  zu  lesen  ist. 
Lucas,  Repertorium  n.  12  (Mitt.  u.  Nachr.  1901,  S.  54  f.)  hat  zu  zeigen  ver» 
sucht,  daß  es  zu  einer  größeren  Inschrift  gehört,  von  welcher  auch  andere 
Fragmente  erhalten  sind. 

383)  S.  über  ihn  als  Statthalter  von  Arabien  überh.:  Corp.  Inscr.  Lat.  HI 
n.  96  (Inschrift  in  Bostra),  CIL.  VIII  n.  7050.  7051.  7052  (Inschriften  in 
Cirta  in  Nordafrika).  Liebenam,  Forschungen  zur  Verwaltungsgesch.  des 
röm.  Kaiserreichs  I,  15  f.  Prosopographia  imperii  Romani  II,  194  sq.  Corp. 
Inscr.  Lat.  III  Suppl.  p.  2304.  —  Meilensteine  mit  seinem  Namen  und  dem 
Datum  162  n.  Chr.  an  der  Straße  von  Petra  nach  Philadelphia:  Corp.  Inscr. 
Lat.  III  Suppl.  n.  14149,  23.  14149,  32.  14149,  41.  Brünnow  und  Domaszewski, 
Die  Provincia  Arabia  I,  1904,  S.  37,  82,  85;  und  von  Philadelphia  nach 
Bostra:  Qermer-Zkirand,  Bulletin  arckiol.  du  comitä  des  travaux  hist.  1904, 
p.  3—43,  n.  14.  19.  24.  36.  38.  Hiernach  auch  Brünnow  u.  Domaszewski  II, 
312—323. 

384)  Lucas,  Repertorium  n.  56  (Mitt.  u.  Nachr.  1901,  S.  69,  nach  Puch- 
stein -=  Revue  bibl.  1895,  p.  376):  inl  Fefiiviov  Ma[Qxiavoi)  ....  hcdx]ov 
&va6etieiyn&vov. 

386)  Auf  Grund  dieser  Meilensteine  hat  Clermont-Ganneau  (Müdes  cParch. 
or.  II,  85  sq.  SS  sq.  gezeigt)  daß  Gerasa  im  J.  162  zu  Arabien  gehörte.  Die 
Fundorte  sind:  1)  an  der  Straße  von  Philadelphia  nach  Gerasa;  erhalten  sind 
nur  die  Worte  refeeerunt  per  P.  Jul.  Oeminium  Marcianum  leg.  Aug.  pr.  pr. 
und  die  Ziffer  XIII  ir  (Revue  bibl.  1905  p.  394  -=  Corp.  Inscr.  Lat.  III  Suppl. 
n.  14173).  2)  ebenfalls  an  dieser  Straße,  sehr  fragmentarisch  (Revue  bibl.  1905, 
p.  392  =  CIL  HL,  Suppl.  n.  14175,  2).  3)  in  Adschlun  [nicht  —  Pella,  wie 
im  Corp.  Inscr.  Lat.  III  Suppl.  n.  14177  irrig  angegeben  ist]  am  Wadi  Adsch- 
lun, westlich  von  Gerasa,  wegen  des  Fundortes  und  der  besseren  Erhaltung 
am  wichtigsten:  M.  Aurelius  Antoninus  .  .  trib.  pot.  XVI  . .  et  . .  L.  Aurelius 
Verus  Aug.  trib.  pot.  TL  ...  .  refeeerunt  per  Oeminium  Marcianum  leg.  pr. 
pr.  und  die  Ziffer  I.  Das  Datum  ist  =*  162  n.  Chr.  (ältere  ungenügende  Ko- 
pien: Clermont-Ganneau  Recueil  I,  207.  ttudes  I,  173.  Corp.  Inscr.  Lat.  III 
n.  6715;  genauere:  Brünnow,  Mitt.  u.  Nachr.  des  DPV.  1899,  S.  91  «=  Corp. 
Inscr.  Lat.  III  Suppl.  n.  14177). 


[143.  144]  I.  Die  hellenistischen  Städte.   23.  Philadelphia.  189 

Adventus,  ebenfalls  unter  Mark  Aurel  166—167  nach  Chr.386. 
6)  C.  Allius  (?)  Fuscianus,  nur  durch  eine  Inschrift  von  Gerasa 
bekannt387.  Da  er  als  cos.  designatw  bezeichnet  wird,  muß  er 
Statthalter  von  Arabien  gewesen  sein.  —  Im  vierten  Jahrhundert 
nach  Chr.  war  Gerasa  eine  der  |  bedeutendsten  Städte  der  Provinz 
Arabia 388.  Sein  Gebiet  war  so  groß,  daß  Hieronymus  sagen  konnte, 
das  frühere  Gilead  heiße  jetzt  Gerasa389.  —  Berühmte  Männer 
aus  Gerasa  erwähnt  Stephanus  Byz.390.  Auch  die  Namen  einiger 
christlichen  Bischöfe  sind  bekannt391.  —  Über  die  Kulte  und  Fest- 
spiele s.  oben  S.  39  £  52. 

23.  Philadelphia,  $ijiaöil<peia,  die  alte  Hauptstadt  der  Am* 
moniter,  im  Alten  Testamente  „Babba  der  Ammoniter"  (13a  nan- 
•pia?,  d.  h.  die  Hauptstadt  der  Ammoniter)  oder  abgekürzt  „Rabba" 

386)  Q.  Antistius  Adventus  ist  als  Statthalter  von  Arabien  schon 
durch  eine  Inschrift  in  Bostra  bekannt  (Oorp.  Insor.  Lot.  III  n.  92  =  Wad- 
dingion n.  1944:  Antistio  Adv[ento]  leg.  Äugg.  pr.  pr.  cos.  des.).  Dazu  kommt 
noch  eine  Inschrift  aus  Thibilis  in  Numidien,  welche  seinen  ganzen  cursus 
honorum  gibt.  Auf  Grund  derselben  läßt  sich  feststellen,  daß  seine  arabische 
Statthalterschaft  in  die  Jahre  166—167  n.  Chr.  fallt  S.  Poulle,  Becueil  des 
noHces  et  memoires  de  la  Sociiti  archSol.  de  Constantine  XXVTI,  1892,  p.  261 — 274, 
Oagnat,  ebendas.  XXVTII,  1893, p. 78— 84.  Ders.,  MSlanges Nicoleim, p.43— 55. 
Text  der  Inschr.  auch  in  Revue  archSol.  trois.  Särie  t.  XXI,  1893,  p.  396.  In  dem 
Artikel  über  Antistius  Adventus  in  der  Prosopogr.  imp.  Born.  I,  85  sind  n.  588 
u.  589  irrtümlich  als  zwei  Personen  behandelt.  —  In  Gerasa:  KoionXvav 
ovfißtov  K(otrTov)  'Avuoxlov  'Aöoviwov  brtävov  ^  ndXtg  u.  s.  w.  (Revue  bibl.  1899, 
p.  16  vgl.  1900,  p.  165  —  Mitt.  u.  Nachr.  des  DPV.  1899,  S.  56  —  Brünnow 
tu  Domaszewski,  Prov.  Arabia  II,  256  —  Mitt  u.  Nachr.  1901,  S.  72,  n.  63). 
Wegen  in&xov  ist  die  Inschrift  später  als  die  Statthalterschaft  des  An- 
tistius Adventus.  Seine  Gemahlin  Novia  Orispina  ist  auch  durch  eine  nord- 
afrikanische Inschrift  bekannt  (Oorp.  Insor.  Lot.  VIII  Suppl.  n.  18893). 

387)  0.  Attio  Fuseiano  leg.  Aug.  pr.  pr.  cos.  desig.  (Corp.  Inser.  Lot.  HE 
n.  118  —  14156,  3.  Mitt.  u.  Nachr.  des  DPV.  1897,  S.  3a  Revue  bibl.  1899, 
p.  19;  an  letzterer  Stelle  die  Lesung  CAEILIO,  was  der  Herausgeber  zu 
Gaeoüio  ergänzt;  es  wird  wohl  (7.  Aelio  zu  lesen  sein). 

388)  Ammian.  Marc.  XIV,  8, 13:  Haec  quoque  civitates  habet  inter  oppida 
quaedam  ingenies  Bostram  et  Geras  am  aique  Philadelphias  murorum  fir- 
miiate  cautissimas.  —  Vgl.  Euseb.  Onomast.  ed.  Klostermann  p.  64:  reoaad, 
ndkiq  hdöTjfxoQ  zfjq  'Aqaßlag.  . 

389)  Hieronymus  in  Obadjam  v.  19  (Vallarsi  VI,  381:  Benjamin  autem 
•  .  .  cunetam  possidebit  Arabiam,  quae  prius  vocabatur  Qalaad  et  nunc  Ge- 
rasa nuneupatur.    Auch  ein  später  Midrasch  (bei  Neubauer,  Oiographie  du 
Talmud  p.  250)  sagt,  daß  «na  Gilead  sei. 

390)  Steph.  Byz.  s.  v.  rioaoa*  ig  afaffc.  'Aolozctv  fäzwo  ciorstöq  ioriv  . . . 
xal  KJJQvxoc.  ooipior^q  xal  IlXdxwv  vofuxdq  $%zq>q.  —  Zu  diesen  ist  noch 
hinzuzufügen  der  neupythagoreische  Philosoph  und  Mathematiker  Niko- 
machus  aus  Gerasa,  2.  Jahrh.  n.  Chr.   Vgl.  oben  S.  55. 

391)  Epiphan.  haer.  73,  26.   Le  Quien,  Oriens  Christ.  II,  859  sq. 


190  §  23.  Verfassung.    Synedrium.  Hohepriester.  [144.  145] 

(nan)  genannt392.  Bei  Polybius  heißt  sie  Rabbat- Aman a89$,  bei 
Eusebius,  Hieronymus  und  Steph.  Byz.  Amman  und  Ammana394.  | 
Die  Lage  der  Stadt  ist  sicher  bezeugt  durch  die  Ruinenstätte  süd- 
lich von  Gerasa,  welche  noch  heute  den  Namen  Amman  trägt 
Die  Ruinen  gehören,  wie  die  von  Eanatha  und  Gerasa,  der  römi- 
schen Zeit  an 395.  Den  Namen  foXadilyeia  erhielt  die  Stadt  durch 
Ptolemäus  IL  Philadelphia,  auf  welchen  demnach  auch  ihre 
Hellenisierung  zurückzufahren  ist396.  Zur  Zeit  Antiochus'  d.  Gr, 
war  sie  eine  starke  Festung,  die  Antiochus  im  Jahre  218  vor  Chr. 

392)  Deut.  3,  11.   Josua  13,  25.   II  Sam.  11,  1.   12,  26—29.  17,  27.  Jerem. 
49,  2—3.    Exech.  21,  25.   25,  5.    Arnos  1,  14.    I  Chron.  20,  1.    Ober  die  Iden- 
tität von  Rabba  der  Ammoniter  mit  Philadelphia  s.  unten  die  Stellen  ans 

Eusebius,  Hieronymus  und  Steph.  Byz.  (Anm.  394  u.  396). 

393)  Polyb.  V,  71:  'Pafißaräftava.  Hiernach  Steph.  Byx.  (s.  v.)i  'Paßßazdf** 
flava,  ndXiq  xrjq  öoeivrjq  'Aoaßlaq. 

394)  Euseb.  Onomast.  ed.  Klostermann  p.  16:  lAfxpäv  %  vvv  4>iXaöeX<pla, 
nöXiq  iniorj/noq  xfjq  'Ayaßiaq.  —  Ibid.  p.  24:  'Afift&v  .  .  .  avrrj  iarlv  *Aß/näv  % 
xal  <PtXaöeX<pla,  nöXiq  inlöTjfioq  xrjq  'Agaßlaq.  —  Vgl.  ibid.  p.  146:  *Paßßa& 
[cod.  'Paßßd]  ndXiq  ßaoiXelaq  'Ap/xwv,  avzrj  iatl  4>iXadeX<pla.  —  Hieronymus, 
Oomment.  in  Nahum  3,  8  ff.  opp.  ed.  Vallarsi  VI,  572:  Ammana,  quae  nunc 
voeatur  Philadelphia.  —  Steph,  Byx.  s.  Anm.  396. 

395)  S.  übern.:  Seetzen,  Reisen  I,  396  ff.  IV,  212 ff.  Burckhardt, 
Reisen  H,  612—618.  1062.  Ritter,  Erdkunde  XV,  2, 1145—1159.  De  Saulcy, 
Voyage  en  Terre  Sainte,  1865,  I,  237  sqq.  (mit  Plan).  Bädeker-Socin,  Palfi- 
stina 3.  Aufl.  S.  187  ff.  (mit  Plan).  Merrill,  East  of  the  Jordan  p.  399  sqq. 
Oonder,  Quarierly  Statement  1882,  p.  99—112.  The  Survey  of  Eastern  Pah- 
stine  vol.  I,  by  Conder,  1889,  p.  19—64  (eingehendste  Beschreibung  der  Rui- 
nen mit  genauem  Plan).  Benzinger,  Zeitschr.  des  DPV.  XIV,  73 f.  Gautier, 
Au  dela  du  Jourdain,  Oeneve  1896,  p.  93—110  (mit  Abbildungen).  Schreiber, 
Festschrift  für  Kiepert  1898,  8.  335,  336,  340.  —  Abbildungen:  Laborde, 
Voyage  en  Orient  {Paris  1837  sqq.)  livr.  28—29.  Brünnow  und  Doma- 
szewski,  Die  Provincia  Arabia  II,  1905,  S.  216—220  (hier  S.  216  auch  noch 
andere  Literatur  verzeichnet).  —  Für  das  Historische  außer  Ritter  auch  die 
Artikel  über  „Rabbath  Ammon"  in  Winers  RWB.,  Herzogs  Real-Enz. 
(1.  Aufl.  XII,  469 f.),  Schenkels  Bibel-Lex.,  Riehms  WB.  Kuhn  H,  383 f. 
Le  Strange,  PaUstme  under  the  Moslems  p.  391 — 393.  Eneyclopaedia  bibliea 
s.  v.  Rabbah.  Thomsen,  Loca  sancta  S.  113. 

396)  Steph.  Byx.  s.  v.  <PiXaö£X<peia  .  .  .  xrjq  Svglaq  ini<pav^q  ndXiq,  f) 
ngöxegov  "Afi flava,  eZr'  'Aoxdoxrj,  elxa  <PiXaötX<peia  and  IlzoXefJtaiov  toi;  #i- 
XadiXipov.  —  Hieronymus  in  Exech.  c.  25  (Vallarsi  V,  285):  Rabbath,  quae 
hodie  a  rege  Aegypti  Ptolemaeo  cognomento  Philadelpho,  qui  Arabiam  tenuit  cujn 
ludaea,  Philadelphia  nuneupata  est.  —  L.  Müller  (Numismatique  d Alexandre 
le  Orand  p.  309,  planches  n.  1473  sqq.)  weist  einige  Münzen  Alexanders 
d.  Gr.  mit  den  Buchstaben  <Pi  unserm  Philadelphia  zu.  Obwohl  es  möglich 
ist,  daß  mau  auch  noch  zur  Zeit  des  Ptolemäus  II.  Münzen  mit  dem  Namen 
Alexanders  geprägt  hat  (s.  oben  Anm.  197),  so  scheint  mir  die  Richtigkeit 
dieser  Erklärung  doch  unsicher.  Man  kann  z.  B.,  wenn  man  in  die  Zeit  des 
Ptolemäus  II.  herabgehen  will,  auch  an  Philoteria  (Polyb.  V,  70)  denken. 


[145.  146]  I.  Die  hellenistischen  Städte.   23.  Philadelphia.  191 

vergeblich  mit  Sturm  zu  nehmen  suchte  und  erst  dann  in  seine 
Gewalt  bekam,  als  ihm  ein  Gefangener  den  unterirdischen  Gang 
zeigte,  durch  welchen  die  Einwohner  zum  Wasserschöpfen  hinab- 
stiegen; diesen  verstopfte  Antiochus  und  zwang  so  die  Stadt  durch 
Wassermangel  zur  Übergabe397.  Um  das  Jahr  135  vor  Chr.  (beim 
Tode  des  Makkabäers  Simon)  war  Philadelphia  in  der  Gewalt  eines 
gewissen  Zeno  Kotylas  (Antt.  XIII,  8,  1.  Bell.  Jud,  I,  2,  4).  Ale- 
xander Jannätts  hat  es  nicht  erobert,  während  er  nördlich  Gerasa 
und  sudlich  Esbon  |  in  seiner  Gewalt  hatte.  Darum  wird  Phila- 
delphia auch  nicht  unter  den  Städten  genannt,  welche  durch 
Pompeius  vom  jüdischen  Gebiete  abgetrennt  wurden.  Doch  wurde 
es  von  Pompeius  dem  Städtebund  der  Dekapolis  eingefügt398  und 
hat  darum  die  pompeianische  Ära399.  Herodes  kämpfte  in  der 
Gegend  von  Philadelphia  gegen  die  Araber400.  Im  Jahre  44  nach 
Chr.  entstanden  blutige  Händel  zwischen  den  Juden  Peräas  und 
den  Philadelphenern  wegen  der  Grenzen  eines  Dorfes,  das  in 
unserem  jetzigen  Josephus-Texte  Mia  heißt,  wofür  aber  wahrschein- 
lich Zia  zu  lesen  ist  (Antt.  XX,  1,  l)401.  Kömische  Soldaten,  die 
aus  Philadelphia  stammten,  kommen  schon  seit  etwa  69  nach  Chr. 
vor402.   Beim  Ausbruch  des  jüdischen  Krieges  wurde  Philadelphia 

397)  Polyb.  V,  71.  —  Conder  hat  bei  seinen  Vermessungsarbeiten  in  Am- 
man im  Norden  der  Bnrg  einen  Gang  aufgefunden,  welcher  möglicherweise 
mit  dem  von  Polybius  erwähnten  identisch  ist,  s.  Athenaeum  1883,  Nr.  2906, 
p.  832:  the  discovery  at  Amman.  Vgl,  auch  Quarlerly  Statement  1882,  p.  109, 
und  bes.  The  Survey  of  Eastern  Palestine  vol.  I,  by  Oonder,  1889,  p.  34. 

398)  Plmius  V,  18,  74.    Wegen  Ptolemaeus  s.  oben  S.  149. 

399)  Chron.  paschale  (ed.  Dvndorf  I,  361)  ad  Olymp.  179,  2  =»  63  a.  Chr.: 
<PiXaöeX<peZ<;  ivzevd-ev  olq&ixovoi  xovq  kavxibv  zq6V0VG-  —  Die  Ära  fi°det  sich 
öfters  auch  auf  Münzen.  S.  über  diese:  Noris  1H,  9,2  (ed.  Lips.  p.  308—316). 
Eckhel  III,  351.  Mionnet  V,  330—333.  Suppl.VHI,  232—236.  De  Saulcy 
p.  386—392,  pl.  XXII  n.  3—9.  Leake,  Numismata  Hellenica  1854,  p.  151. 
Wroth,  Catalogue  of  the  greeh  coins  of  Oalatia,  Cappadoeia  and  Syria  [in  the 
Brit.  Mus.)  1899,  p.  306. 

400)  B.  J.  1, 19,  5.  An  der  Parallelstelle  Antt.  XV,  5,  4  wird  Philadelphia 
nicht  genannt. 

401)  Ein  Dorf  Zia  15  m.  p.  westlich  von  Philadelphia  erwähnt  Eusebins, 
Onomast.  ed.  Klostermann  p.  94:  xal  toxi  v$v  Zia  xwfirj  ö)g  &nb  le  orißelwv 
<PtkaöeX(pla<;  inl  övöfxdq.  Die  Vermutung,  daß  bei  Josephus  a.  a.  0.  Zia  zu 
lesen  sei,  haben  schon  Bei  and  (p.  897),  Havercamp  (zu  Jos.  I.  c.)  und 
Tuch  (Quaestiones  de  Flavii  Josephi  libris  historicis,  Lips.  1859,  p.  19  sq.) 
ausgesprochen. 

402)  Ein  Proculus  Rabili  flilius)  aus  Philadelphia  diente  in  der  cohors  II 
ltaliea  civium  Romanorum,  welche  um  70  n.  Chr.  in  Syrien  stand.  Sein  in 
Carnuntum  (an  der  Donau  unterhalb  Wiens)  gefundener  Grabstein  macht  es 
wahrscheinlich,  daß  er  unter  den  Truppen  sich  befand,  welche  Marianus  Ende 
69  n.  Chr.  aus  Syrien  nach  dem  Abendlande  führte  (Bormann,  Archäologisch- 


192  §  23.   Verfassung.    Synedrium.   Hohepriester.  [146.  147] 

von  den  aufständischen  Juden  überfallen  (Ä  /.  II,  18,  1).  —  Wie 
Gerasa  so  wird  auch  Philadelphia  von  dem  unter  Antoninus  Pius 
schreibenden  Geographen  Ptolemäus  zur  Provinz  Syrien  gerechnet, 
und  zwar  zur  Kolli]  SvqIcl  (PtoL  V,  15,  22—23  =  Didotsche  Ausg. 
V,  14, 18,  vgl.  dazu  oben  S.  149).  Dem  entspricht  es,  daß  auch  bei 
Stephanus  Byz.  und  auf  Münzen  gerade  die  Städte  der  Dekapolis 
als  solche  der  Kolky  JSvqIcc  bezeichnet  werden  (bei  Steph.  Byz.: 
Skythopolis,  Pella,  Dium,  Gerasa;  auf  Münzen:  Abila  bis  Caracalla, 
Gadara  bis  Elagabal).  Die  Münzen  von  Philadelphia  mit  der  Auf- 
schrift $>iXadsX<p(wi>  KoIXtjs  JSvQlag  gehen  aber  bis  |  Alexander 
Severus403.  Bei  Abila  und  Gadara  kann  nun  der  Zusatz  Kou  Svq. 
auch  im  amtlichen  römischen  Sinne  korrekt  sein.  Denn  als  unter 
Septimius  Severus  Syrien  in  Syria  Pkoenice  und  Syria  Code  geteilt 
wurde  (letzteres  das  nördliche  und  innere  Syrien  mit  der  Haupt- 
stadt Antiochia  umfassend)404,  können  die  Städte  der  Dekapolis 
trotz  ihrer  südlichen  Lage  sehr  wohl  bei  Syria  Coele  geblieben  sein. 
Philadelphia  aber  hat  sicher  seit  Trajan  zur  Provinz  Arabia 
gehört  Die  Gründe,  die  in  dieser  Hinsicht  oben  für  Gerasa  bei- 
gebracht worden  sind  (S.  186  f.),  gelten  auch  für  das  weiter  südlich 
gelegene  Philadelphia.  Durch  den  Statthalter  C.  Claudius  Severus 
wurde  unter  Trajan  im  Jahre  111  nach  Chr.  eine  neue  Straße  von 
Bostra  nach  Petra  gebaut,  um  diese  beiden  wichtigsten  Städte  der 
neugegründeten  Provinz  Arabia  unter  sich  und  mit  dem  Koten 
Meere  zu  verbinden.  Diese  Straße  führte  aber  über  Philadelphia. 
Also  muß  auch  dieses  zu  Arabia  gehört  haben.  Dies  muß  ohnehin 
schon  deshalb  angenommen  werden,  weil  bereits  das  nördlicher 
gelegene  Gerasa  zu  Arabia  gehörte.  Für  die  Zeit  des  Antoninus 
Pius  haben  wir  auch  einen  direkten  Beweis  für  die  Zugehörigkeit 
Philadelphias  zu  Arabien,  nämlich  einen  in  Philadelphia  gefundenen 
Votivstein  mit  der  Aufschrift  /.  0.  M.  Conservatori  L.  Aemüius  Carus 
leg.  Aug.  pr.  prA0b.  L.  Aemilius  Carus  ist  uns  als  Statthalter 
Arabiens   aus  der  Zeit  des  Antoninus  Pius  bekannt406.    Es  ist 


epigraphische  Mitteilungen  aus  Österreich-Ungarn  XVIII,  1895,  S.  218  f.  223  f. 
Corp.  biscr.  Lot.  III  Suppl.  n.  13483  a).  —  Ein  M.  Ulpiiis  C.  fU.  aus  Phila- 
delphia kommt  in  einer  Liste  vom  J.  194  n.  Chr.  vor  (Corp.  Imcr.  Lot.  Hl 
Suppl.  n.  6580).  Auch  hier  ist  wohl  unser  Philadelphia  gemeint  (Mommsen, 
Ephem.  epigr.  V,  206). 

403)  Mionnet  Suppl.  VIII,  236.   De  Saulcy  p.  392. 

404)  Marquardt,  Römische  Staatsverwaltung  I,  423. 

405)  Mitteilungen  u.  Nachrichten  des  DPV.  1896,  8.  3—4  =  Corp.  Inscr. 
Lot.  III  Suppl.  n.  14149,  1. 

406)  Über   die  Frage,   wann  Philadelphia  zur  Provinz  Arabien  gezogen 
worden  sei,  gehen  die  Ansichten  ähnlich  wie  bei  Gerasa  auseinander  (s.  oben 


[147.  148]  I.  Die  hellenistischen  Städte.    23.  Philadelphia.  193 


also  im  amtlichen  Sinne  korrekt,  wenn  auf  einer  Inschrift  aus  der 
Zeit  Mark  Aureis  Philadelphia  4>tZadiX<peta  r%  'ÄQaßlag  heißt407. 
Daß  es  sich  trotzdem  auf  den  Münzen  noch  von  Hadrian  bis 
Alexander  Severus  <PiX.  KolXrjg  SvQlaq  nannte,  ist  auffallend; 
scheint  aber  zu  den  antiquarischen  Liebhabereien  zu  gehören,  in 
welchen  diese  Städte  ihre  Selbständigkeit  suchten.  Der  Gebrauch 
der  lokalen  Ära  statt  der  Ära  der  Provinz  liegt  auf*  derselben 
Linie.  Über  die  Angabe  des  Ptolemäus  ist  hier  ebenso  zu  urteilen, 
wie  bei  Gerasa  (s.  oben  S.  186).  —  Im  vierten  Jahrhundert  war 
Philadelphia  eine  der  |  bedeutendsten  Städte  der  Provinz  Arabia408. 
—  Josephus  erwähnt  das  Gebiet  von  Philadelphia  ($iXaÖ6Xg)?]vrj/)  als 
Ostgrenze  Peräas  (Ä  /.  III,  3,  3).  Wenn  die  Vermutung  richtig 
ist,  daß  Jos.  Antt.  XX,  1, 1  Zia  zu  lesen  ist,  so  erstreckte  sich  das 
Gebiet  von  Philadelphia  etwa  15  m.p.  weit  westlich  von  der  Stadt; 
d.  h.  es  gehörte  von  dem  zwischen  dem  Jordan  und  der  Stadt 
liegenden  Lande  reichlich  die  Hälfte  zum  philadelphenischen  Ge- 
biete. 

Von  sämtlichen  bisher  besprochenen  Städten  ist  es 
zweifellos,   daß   sie   selbständige   politische   Kommunen 


Anm.  377).  Auf  die  Bedeutung  des  genannten  Votivsteines  hat  Clermont- 
Ganneau  hingewiesen  (ßtudes  d' Archäologie  Orientale  t.  II,  1897  ™  Biblioth&que 
de  Pieole  des  hautes  itudes  faso.  113,  p.  88  sq.).  Er  schließt  ßich  dabei  an 
Li  eben  am  an,  welcher  die  arabische  Statthalterschaft  des  Aemilius  Carus 
um  120  n.  Chr.  ansetzt  (Forschungen  zur  Verwaltungsgesch.  des  röm.  Kaiser- 
reichs I,  44).  Dieser  Ansatz  ist  aber  nicht  begründet.  Wir  kennen  zwar  den 
cursus  honorum  des  Aemilius  Carus  sehr  genau  aus  der  römischen  Inschrift 
Oorp.  Inser.  Lat.  VI  n.  1333.  Hiernach  war  er  in  jüngeren  Jahren  u.  a.  tri- 
btmus  militum  legionis  IX  Hispanae,  später  Statthalter  von  Arabien,  Gal- 
lia  Lugdunensis  und  Eappadozien.  Dazu  kommt  noch  die  auf  jener 
Inschrift  nicht  erwähnte,  also  später  fallende  Statthalterschaft  von  Dacien 
(Oorp.  Inser.  Lat.  HI  n.  1153.  1415.  Suppl.  7771,  überall:  L.  Aemilius  Carus 
leg.  Aug.  pr.  pr.  III  Daeiarum).  Für  die  Chronologie  haben  wir  aber  nur  zwei 
Anhaltspunkte:  1)  Die  leg.  IX  Bisp.  kommt  unter  Antoninus  Pius  und  später 
nicht  mehr  vor;  also  hat  Carus  wahrscheinlich  noch  unter  Hadrian  als  Tribun 
gedient.  2)  Die  Provinz  Dacien  ist  erst  durch  Mark  Aurel  in  drei  Provinzen 
geteilt  worden;  al60  war  Carus  nicht  früher  Statthalter  dieser  Provinz.  Hier- 
nach läßt  sich  nur  sagen,  daß  seine  Laufbahn  hauptsächlich  unter  Antoninus 
Pius  fallt  (Borghesi,  Oeuvres  IV,  159.  Bohden,  De  Palaestina  et  Arabia  etc. 
1885,  p.  49  sq.  Pauly-Wissowa,  Real-Enz.  I,  549.  Prosopographia  imperii  Ro- 
mani  I  ed.  Klebs  1897  p.  27).  Jedenfalls  war  er  unter  Antoninus  Pius  Statt- 
halter von  Arabien,  wie  das  oben  Anm.  382  mitgeteilte  Inschriften-Fragment 
von  Gerasa  beweist. 

407)  Le  Bas  et  Waddington,  Inscriptions  t.  III  n.  1620h.    Vgl.  oben 
8.  48. 

408)  Ammian.  MarceUin.  XIV,  8,  13  (s.  oben  Anm.  388).    Vgl.  auch  die 
Stellen  aus  Eusebius,  oben  Anm.  394. 

Schür  er,  Geschichte  IL  4.  Aufl.  13 


194  §  23.    Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  148.  149] 

bildeten,  die  —  wenigsten»  seit  der  Zeit  desPorapeius  — 
ni|e  innerlich  mit  dem  jüdischen  Gebiete  zu  einer  einheit- 
lichen Organisation  verschmolzen,  sondern  höchstens 
äußerlich  unter  demselben  Herrscher  mit  ihm  vereinigt 
waren.  Fast  alle  Lhaben  eine  vorwiegend  heidnische,  seit  dem 
dritten  Jahrhundert  vor  Chr.  mehr  und  mehr  hellenisierte  Be- 
völkerung. Nur  in  Jope  und  Jamnia  und  vielleicht  in  Azotus  hat 
seit  der  Makkabäerzeit  das  jüdische  Element  das  Übergewicht 
gewonnen.  Aber  auch  diese  Städte  nebst  ihrem  Gebiet  bilden 
nach  wie  vor  selbständige  politische  Gemeinden.  —  Unter  dieselbe 
Kategorie  gehören  nun  auch,  wie  Kuhn  mit  Recht  annimmt409, 
die  vonHerodes  und  seinen  Söhnen  neugegründeten  Städte. 
Zwar  haben  manche  von  ihnen  eine  vorwiegend  jüdische  Bevöl- 
kerung. Aber  auch  wo  dies  der  Fall  war,  war  doch  die  Verfassung 
nach  hellenistischer  Weise  organisiert,  wie  namentlich  das  Beispiel 
von  Tiberias  zeigt;  in  den  meisten  wird  ohnehin  die  heidnische 
Bevölkerung  überwogen  haben.  Es  ist  daher  nicht  anzunehmen, 
daß  sie  der  Organisation  des  |  jüdischen  Landes  einverleibt  waren, 
sondern  sie  nehmen  innerhalb  desselben  eine  ähnliche  unabhängige 
Stellung  ein,  wie  die  älteren  hellenistischen  Städte.  Ja  in  Galiläa 
scheint  umgekehrt  das  jüdische  Land,  das  freilich  auch  mit  heid- 
nischen Elementen  durchsetzt  war,  den  neuerbauten  Hauptstädten 
—  zuerst  Sepphoris,  dann  Tiberias,  dann  wieder  Sepphoris  — 
untergeordnet  worden  zu  sein  (vgl.  die  betreffenden  Artikel).  — 
Unter  den  von  Herodes  erbauten  Städten  gehören  jedenfalls  hier- 
her die  beiden  wichtigsten:  Sebaste  =  Samaria  und  Cäsarea, 
von  welch  letzterem  bereits  oben  (Nr.  9)  die  Rede  gewesen  ist 
Von  geringerer  Bedeutung  sind  Gaba  in  Galiläa  und  Esbon  in 
Peräa  (AntK  XV,  8,  5);  auch  sie  sind  aber  sicher  als  vorwiegend 
heidnische  Städte  zu  betrachten,  da  sie  beim  Ausbruch  des  jüdischen 
Krieges  ebenso  von  den  aufständischen  Juden  tiberfallen  wurden, 
wie  etwa  Ptolemais  und  Cäsarea,  Gerasa  und  Philadelphia  (Bell. 
Jud.  II,  18,  1).  Endlich  sind  als  von  Herodes  gegründete  Städte 
noch  zu  erwähnen  An tipatris  und  Phasaelis,  während  das^mit 
letzterem  zusammen  genannte  Kypros  ein  bloßes  Kastell  bei  Jericho, 
keine  x6hg  war  (R  /.  I,  21,  9.  Antt.XVl,  5,  2);  das  gleiche  gilt  auch 
von  den  Festungen  Alexandreion,  Herodeion,  Hyrkania,  Masada 
und  Machärus.  —  Von  den  Söhnen  des  Herodes  hat  Archelaus  nur 
das  Dorf  (xcof/rf)  Archelais  gegründet410.    Philippus  dagegen  er- 


409)  Die   städtische  [und    bürgerliche  Verfassung    des  rom.  Reichs  II, 
346-348. 

410)  Vgl.  Ober  dieses  Jos.  Antt.  XVII,  13, 1.   Antt.  XVIII,  2,  2.  Plinius 


[149.  150]  I.  Die  hellenistischen  Städte.   24.  Sebaste.  195 

baute  Oäsarea  =  Panias  und  Julias  =  Bethsaida,  Herodes 
Antipas  die  Städte  Sepphoris,  Julias  =  Livias  und  Tiberias. 
Es  ist  demnach  noch  von  folgenden  zehn  Städten  zu  handeln: 

24.  [Sebaste  =  Samaria411.  Die  Hellenisierung  der  Stadt 
Samaria  (hebräisch  Trfljfc)  ist  bereits  ein  Werk  Alexanders  d.  Gr. 
Die  Samaritaner  hatten  während  Alexanders  Aufenthalt  in  Ägypten 
(332/331  vor  Chr.)  den  Andromachus,  den  Befehlshaber  von  Cöle- 
syrien,  ermordet  Als  daher  Alexander  aus  Ägypten  zurückkehrte 
(331  |  vor  Chr.),  hielt  er  über  die  Schuldigen  strenges  Gericht  und 
siedelte  in  Samaria  macedonische  Kolonisten  an412.  Die  Chronik 
des  Eusebius  spricht  auch  von  einer  Neugründung  durch  Perdik- 
kas413,  die  er  bei  seinem  Feldzuge  gegen  Ägypten,  kurz  vor  seinem 
Tode  (321  vor  Chr.),  vorgenommen  haben  könnte.  Da  aber  eine 
Neugründung  so  bald  nach  der  Kolonisierung  durch  Alexander 
d.  Gr.  unwahrscheinlich  ist,  hat  man  vielleicht  anzunehmen,  daß 
beide  identisch  sind,  daß  also  Perdikkas  im  Auftrage  Alexanders 
gehandelt  hat414.  Wie  in  alter  Zeit  so  war  Samaria  auch  jetzt 
noch  eine  wichtige  Festung.    Sie  wurde  darum  von  Ptolemäus 


Xm,  4,  44.  PtoUm.  V,  16,  7  —  Didoteche  Ausg.  (I,  2, 1901)  V,  15,  5.  Mosaik- 
karte von  Medaba,  Schulten,  Abh.  der  Göttinger  Ges.  d.  Wiss.  phil.-hist.  XI. 
N.  F.  Bd.  IV  Nr.  2,  1900,  S.  6.  Nach  der  tabula  Peutmger.  lag  Arcdais  an 
der  Straße  von  Jericho  nach  Skythopolis,  12  m.  p.  von  Jericho,  24  m.  p.  von 
Skythopolis  (eine  dieser  Ziffern,  wahrscheinlich  die  letztere,  ist  zu  klein,  s. 
oben  §  17c,  I,  452).  Vgl.  auch  Robinson,  Palästina  II,  555.  Ders.,  Neuere 
bibl.  Forschungen  S.  399 f.  Ritter  XV,  1,457.  Quirin,  Samarie  I,  235—238. 
The  Survey  of  Western  Palestine,  Memoire  by  Conder  and  Kitchener  II,  387. 
395  *?•;  dazu  Bl.  XV  der  Karte.    G.  A.  Smith,  Eistorical  Qeography  p.  354. 

411)  Vgl.  überhaupt:  Bei  and  p.  979—983.  Paulys  Enz.  VI,  1,  727  f. 
Winer  s.  v.  Samaria.  Raumer  S.  159 f.  Robinson,  Palästina  III,  365—378. 
Ritter,  Erdkunde  XVI,  658— 666.  Quirin,  Samarie  II,  188— 210.  Bädeker- 
Socin  3.  Aufl.  S.  226 f,  Sepp,  Jerusalem  II,  66—74.  The  Survey  of  Western 
Palestine,  Memoire  by  Conder  and  Kitchener  11, 160  sq.  211 — 215  (mit  Plan); 
dazu  Blatt  XI  der  großen  englischen  Karte.    Thomsen,  Loca  sancta  p.  102. 

412)  Gurtius  Bufus  IV,  8:  Oneravit  hunc  dolorem  ntmtius  mortis  Andro- 
macht,  quem  praefecerat  Syriae:  vivum  Samaritae  cremaverant.  Ad  cujus  tn- 
teritum  vindicandum,  quanta  maxime  celeritate  potuit,  contendü,  advenientique 
sunt  traditi  tanti  sceleris  auctores.  —  Euseb.  Chron.  ed.  Schoene  II,  114  (ad 
arm.  Abr.  1680,  nach  dem  Armenischen):  Andromachum  regionum  illarum  pro- 
curatorem  constituit,  quem  incolae  urbis  Samaritarum  interfecerunt :  quos  Alexan- 
der ab  Egipto  reversus  punivit:  capta  urbe  Macedonas  ut  ibi  habitarent 
collocavit.  —  Ebenso  Syncell.  ed.  Dindorf  I,  496:  x^v  UaftaQSiav  ndXiv 
kXiov  'AXi£avö(>oq  Maxedövaq  iv  avcy  xazipxiosv. 

413)  S.  unten  Anm.  416,  und  dazu  Droysen  III,  2,  204.  Ewald,  Gesch. 
des  Volkes  Israel  IV,  293. 

414)  So  W illrich,  Juden  und  Griechen  vor  der  makkabäischen  Er- 
hebung (1895)  S.  16—18. 

13* 


196  §  23.   Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [150.  151] 

Lagi  geschleift,  als  dieser  im  Jahre  312  das  kurz  zuvor  eroberte 
Cölesyrien  dem  Antigonus  wieder  preisgab415.  Etwa  fünfzehn 
Jahre  später  (um  296  vor  Chr.)  wurde  Samaria,  das  wohl  inzwischen 
wiederhergestellt  worden  war,  von  Demetrius  Poliorketes  in  seinem 
Kampf  gegen  Ptolemäus  Lagi  abermals  zerstört416.  Von  da  an 
fehlen  für  längere  Zeit  spezielle  Daten  über  die  Geschichte  der 
Stadt.  Polybius  erwähnt  zwar,  daß  Antiochus  d.  Gr.  bei  seiner 
ersten  und  zweiten  Eroberung  Palästinas  (218  und  198  vor  Chr.) 
die  Landschaft  Samarien  besetzte417;  aber  des  Schicksales  der  Stadt 
wird  dabei  nicht  gedacht  Von  Interesse  ist,  daß  die  Landschaft 
Samarien  unter  den  Ptolemäern  wie  unter  den  Seleuciden  in  ähn- 
licher Weise  |  wie  Judäa  eine  eigene  Provinz  bildete,  die  wieder 
in  einzelne  vofiol  zerfiel418.  Gegen  Ende  des  zweiten  Jahrhunderts 
vor  Chr.,  als  die  seleucidischen  Epigonen  das  Umsichgreifen  der 
jüdischen  Macht  nicht  mehr  zu  hindern  vermochten,  fiel  Samaria 
der  jüdischen  Eroberungspolitik  zum  Opfer:  noch  unter  Johannes 
Hyrkanus  (um  107  vor  Chr.)  wurde  die  Stadt  —  damals  eine  xoZtg 
oxvQcotaTT)  —  von  dessen  Söhnen  Antigonus  und  Aristobulus  nach 
einjähriger  Belagerung  erobert  und  gänzlich  dem  Untergang  preis- 
gegeben (Antt.  XIII,  10,  2—3.  Bell.  Jud.  I,  2,  7)419.  Alexander  Jan- 
näus  besaß  die  Stadt  oder  deren  Ruinen  (Ana.  XIII,  15,  4).  Durch 
Pompeius  wurde  sie  vom  jüdischen  Gebiete  getrennt  und  von  nun 
an  nie  wieder  organisch  mit  demselben  verbunden  (Antt  XIV,  4,  4. 
B.  J.  I,  7,  7).  Ihre  Wiedererbauung  ist  ein  Werk  des  Gabinius 
(Antt.  XIV,  5,  3.  B.  J.  I,  8,  4).  Daher  nannten  sich  die  Einwohner 
vorübergehend  auch  raßivcslg420.  Augustus  verlieh  die  Stadt  dem 
Her  ödes  (Antt.  XV,  7,  3.  B.  J.  I,  20,  3);  und  erst  durch  diesen  ge- 


415)  Diodor.  XIX,  93.  —  Vgl.  oben  Anm.  70  (Gaza),  146  (Jope),  198  (Pto- 
lemais). 

416)  Euseb.  Chron.  ed.  Schoene  II,  118  (ad  Olymp.  121,  1  —  296  v.  Chr., 
nach  dem  Annenischen):  Demetrius  rex  Asianorum.  Poliorcetes  appelkUus,  Sa- 
maritanorum  urbem  a  Perdica  constructam  (s.  incolis  frequentatam)  totam  ce- 
pit.  Dieselbe  Stelle  nach  Rieronymus  (bei  Schoene  II,  119):  Demetrius  rex 
Asiae  coynomento  Poliorcetes  Samaritanorum  urbem  vastat  quam  Perdicca  ante 
construxerat.  —  Syncell.  ed.  Dindorf  I,  519:  Jijfz^tQioq  6  IIoXiOQXTjt^Q  xfjv 
nbXiv  HafxaQiiov  indQ^aev.  Ebenso  I,  522.  —  Vgl.  Droysen  II,  2,  243. 
255.    Stark  S.  361. 

417)  Polyb.  V,  71,  11.  XVI,  39  =  Joseph.  Ant.  XII,  3,  3. 

418)  S.  überh.:  Antt.  XII,  4,  1.  4.    I  Uakk.  10,  30.  38.  11,  28.  34. 

419)  Wegen  der  Chronologie  vgl.  oben  §  8  (I,  268). 

420)  Cedrenus  ed.  Bekker  I,  323:  rfv  z(bv  raßivltov  [1.  raßivUcav]  nöhv, 
rfv  noxs  Saftdoeiav,  [Herodes]  tnixzlaaq  Seßaazfyv  ahx^v  Ttoooriyöoevos.  Ce- 
drenus verwechselt  hierbei  freilich  Herodes  den  Großen  mit  Herodes  Antipas 
und  diesen  wieder  mit  Herodes  Agrippa. 


[151.  152]  li  Die  hellenistischen  Städte.   24.  Sebaste.  197 

langte  sie  wieder  zu  neuer  Blüte.  Während  sie  bisher  eine  zwar 
feste,  aber  verhältnismäßig  kleine  Stadt  gewesen  war,  wurde  ihr 
Umfang  von  Herodes  bedeutend  erweitert,  so  daß  sie  nun  — 
zwanzig  Stadien  im  Umkreis  — -  den  bedeutendsten  Städten  nicht 
nachstand.  In  der  so  erweiterten  Stadt  siedelte  Herodes  sechs- 
tausend Kolonisten  an,  teils  ausgediente  Soldaten,  teils  Leute  aus 
der  Umgegend.  Die  Kolonisten  erhielten  treffliche  Ländereien.  Auch 
die  Befestigungswerke  wurden  erneuert  und  erweitert.  Endlich 
erhielt  die  Stadt  durch  Errichtung  eines  Augustustempels  und 
anderer  Prachtbauten  auch  den  Glanz  moderner  Kultur421.  Der 
neugegründeten  Stadt  gab  Herodes  zu  Ehren  des  Cäsar,  der  vor 
kurzem  den  Titel  Augustus  angenommen  hatte,  den  Namen  SsßaorTJ 
(Antt.  XV,  8,  5.  B.  /.  L  21,  2.  Strabo  XVI  p.  760).  Die  Münzen  der 
Stadt  haben  die  Aufschrift  2sßaGxr\v<x>v  oder  SsßaCTijvcop  2vQ(la$) 
und  eine  eigene  Ära,  deren  Ausgangspunkt  das  Jahr  der  |  Neu- 
grttndung  ist,  nach  gewöhnlicher  Annahme  25  vor  Chr.,  vielleicht 
richtiger  27  vor  Chr.422.  Unter  dem  neuen  Namen  Sebaste  (nDoao) 
wird  die  Stadt  auch  in  der  rabbinischen  Literatur  erwähnt423. 
Wenn  Josephus  sagt,  Herodes  habe  ihr  eine  „ausgezeichnete  Ver- 
fassung", i^aiQsxov  evvo/ilav,  verliehen  (B.  J.  I,  21,  2),  so  werden 
unsere  Kenntnisse  dadurch  freilich  nicht  bereichert    Es  ist  aber 


421)  Von  einer  großen  Säulenstraße,  welche  sich  am  Hügel  entlang 
zog,  und  deren  Erbauung  wahrscheinlich  dem  Herodes  zuzuschreiben  ist,  sind 
noch  heute  ansehnliche  Reste  erhalten.  S.  darüber  die  oben  Anm.  411  zitierte 
Literatur.  Die  Säulen  stecken  jetzt  zu  reichlich  einem  Drittel  im  Erdboden, 
s.  Clermont-Ganneau,  Archaeological  Researches  in  Palestine  vol.  II,  1896, 
p.  335. 

422)  Über  das  Datum  der  Neugründung  s.  §  15  (I,  366).  —  Ober  die 
Münzen  überhaupt:  Noris  V,  5,  1  (ed.  Lips.  p.  531-536).  Eckhel,  HE, 
440  sq.  Musei  Sanclementiani  Numismata  selecta  Pars  II,  lib.  IV,  303—308. 
Mionnet  V,  513-516;  Suppl.  VIII,  356— 359.  De  Saulcy  p.  275—281.  pl.  XIV 
n.  4 — 7.  —  Auf  einer  angeblich  in  Sebaste  gefundenen  Inschrift  rindet  sich  das 
Datum  IkovQ  is  xotxb.  xzioiv  ryq  ndleoq  (Revue  biblique  III,  1894,  p.  260).  Der 
Fundort  der  Inschrift  ist  aber  nicht  Sebaste,  sondern  Jrbid  in  Peräa  (American 
Journal  of  Philology  VI,  1885,  p.  203,  vgl.  Mitt.  u.  Nachr.  des  DPV.  1900, 
S.  17,  Reime  biblique  HI,  1894,  p.  623.  Die  an  letzterer  Stelle  gegebene  Kopie 
erkennt  Clermont-Ganneau,  fitudes  d'archSoloyie  Orientale  T.  I,  1895, 
p.  142  sq.  gegenüber  einer  früher  von  ihm  selbst,  Reeueü  I,  18,  mitgeteilten 
als  die  genauere  an).  Im  J.  1899  befand  sich  der  Stein  „im  Besitze  der  ara- 
bischen Hotelwirtin  in  Dschenin"  (Mitt.  u.  Nachr.  des  DPV.  1900,  8.  9,  wo 
Seilin  die  Inschrift  als  vermeintliches  ineditum  mitteilt). 

423)  Mischna  Arachin  III,  2  (die  „Lustgärten  von  Sebaste",  ^üönö  mo^B, 
werden  hier  als  Beispiel  besonders  wertvoller  Landereien  angeführt,  s.  den 
Kommentar  Bartenoras  in  Surenhusius'  Mischna  V,  198).  Neubauer,  Geo- 
graphie du  Talmud  p.  171  sq.  Krauß,  Griech.  u.  lat.  Lehnwörter  im  Talmud 
II,  1899,  S.  370. 


198  §  23*   Verfassung.   Synedriom.   Hohepriester.        ,    [152.  153] 

aus  anderen  Gründen  wahrscheinlich,  daß  die  Landschaft  Samarien 
der  Stadt  Sebaste  in  ähnlicher  Weise  untergeordnet  war,  wie 
Galiläa  der  Hauptstadt  Sepphoris  (beziehungsweise  Tiberias)jmd 
wie  Judäa  Jerusalem.  Bei  den  Unruhen  der  Samaritaner  unter 
Pilatus  wird  nämlich  ein  „Rat  der  Samaritaner",  SapäQicov 
ff  ßovlrj,  erwähnt,  der  doch  auf  eine  einheitliche  Organisation  der 
Landschaft  hindeutet  (Antt.  XVIII,  4,  2) 424.  Sebastenische  Soldaten 
dienten  im  Heere  des  Herodes  und  ergriffen  bei  den  nach  dem 
Tode  des  Herodes  in  Jerusalem  ausgebrochenen  Kämpfen  die  Partei 
der  Römer  gegen  die  Juden  (Ä  J.  II,  3,  4;  4,  2—3;  vgl  Antt.  XVII, 
10,  3).  Bei  der  Teilung  Palästinas  nach  dem  Tode  des  Herodes 
kam  Sebaste  samt  dem  übrigen  Samarien  an  Archelaus  (Antt. 
XVII,  11,  4.  B.  J.  II,  6,  3),  nach  dessen  Verbannung  unter  römische 
Prokuratoren,  dann  vorübergehend  an  Agjrippa  I.,  dann  wieder 
unter  Prokuratoren.  In  dieser  letzteren  Zeit  bildeten  sebastenische 
Soldaten  einen  Hauptbestandteil  der  in  Judäa  stationierten  römi- 
schen Truppen  (s.  oben  S.  106  und  Bd.  I,  S.  460—462).  Beim  Aus- 
bruch des  jüdischen  Krieges  wurde  Sebaste  von  den  aufständischen 
Juden  überfallen  (B.  /.  n,  18, 1).  Die  Stadt  Sebaste  mit  ihrer  wohl 
vorwiegend  heidnischen  Einwohnerschaft  ist  damals  ohne  Zweifel, 
wie  schon  |  bei  den  Unruhen  nach  dem  Tode  des  Herodes  (Antt. 
XVII,  10,  9.  R  /.  II,  5,  1)  auf  Seiten  der  Kömer  geblieben,  während 
allerdings  die  nationalen  Samaritaner  in  der  Gegend  von  Sichern 
eine  schwierige  Haltung  annahmen  (R  /.  III,  7,  32).  —  Unter  Sep- 
timius  Severus  wurde  Sebaste  römische  Kolonie425.^  Es  trat  aber 
jetzt  an  Bedeutung  immer  mehr  hinter  dem  aufblühenden  Neapolis 
(=  Sichern)  zurück426.  Eusebius  und  Stephanus  Byz.  nennen  Se- 
baste nur  noch  ein  „Städtchen"427.  Trotzdem  war  sein  Gebiet  so 
groß,  daß  es  z.  B.  das  12  m.  p.  nördlich  von  der  Stadt  liegende 
Dothaim  noch  mit  umfaßte428. 


424)  Über  die  Verfassung  und  politische  Stellung,  welche  Herodes  der 
Stadt  gab,  s.  bes.  Kuhn,  Über  die  Entstehung  der  Städte  der  Alten  (1878) 
S.  422  f.  428  ff. 

425)  Dlyest.  L,  15, 1,  7  (aus  Ulpianus):  Divus  quoque  Severus  in  Sebastenam 
ciritatem  coloniam  deduxit.  —  Auf  Münzen:  COL.  L.  SEP.  SEBASTE.  —  Vgl. 
Eckhel  III,  441.  Zumpt,  Oommentationes  \epigr.  I,  432.  Kuhn  II,  56.  Die 
Münzen  bei  Mionnet  und  De  Saulcy  a.  a.  0. 

426)  Ammianus  Marcellinus  XIV,  8, 11  nennt  Neapolis,  aber  nicht  Se- 
baste, unter  den  bedeutendsten  Städten  Palästinas.    Vgl.  oben  Anm.  117. 

427)  Euseb.  Onomast.  ed.  Klostermann  p.  154:  üeßaozrjv,  x^v  v$v  noXlx- 
vtjv  zfjq  TlaXaiaxivriq.  —  Steph.  Byx.  s.  v.  Seßaartf  .  .  .  eou  Sh  xdl  iv  t$ 
Saptagehidi  noXlxviov. 

428)  Euseb.  Onomast.  ed.  Klostermann  p.  76:  /dio&aeifjt  .  .  .  öiapivei  iv 
ögioiq  Seßaart]g,  an^t  Sh  avtfjq  afjtusloig  iß  ixl  rä  ßdgeia  filor}. 


[153«  154]  X  Die  hellenistischen  Städte.   25.  Gaba.  199 

25.  Gaba,  raßa  oder  raßa.  Der  Name  entspricht  dem  hebräi- 
schen fttt  oder  n*n|,  Hügel,  und  ist  als  Ortsname  in  Palästina  nicht 
selten.  Für  uns  handelt  es  sich  hier  nur  um  ein  Gaba,  das  nach 
den  bestimmten  Angaben  des  Josephus  am  Earmel  lag,  und  zwar 
in  der  großen  Ebene,  in  der  Nähe  des  Gebietes  von  Ptolemais  und 
der  Grenze  Galiläas,  also  am  nordöstlichen  Abhänge  des  Karmel 
(s.  bes.  Bell.  Jud.  III,  3,  1  und  Vita  24).  Hier  siedelte  Herodes  eine 
Kolonie  von  ausgedienten  Reitern  an,  nach  welchen  die  Stadt  auch 
otoXiq  htxicov  genannt  wurde  (Ä  J.  III,  3, 1.  Änit.  XV,  8,  5)429.  Aus 
der  Art,  wie  die  Stadt  an  den  beiden  Stellen  B.  J.  III,  3, 1,  Vita  24 
erwähnt  wird,  sieht  man  deutlich,  daß  sie  nicht  zum  Gebiete  von 
Galiläa  gehörte.  Da  ihre  Bevölkerung  eine  vorwiegend  heidnische 
war,  wurde  sie  beim  Beginn  des  jüdischen  Aufstandes  von  den  | 
Juden  überfallen  (Ä  /.  II,  18, 1),  während  sie  hinwiederum  am  Kampf 
gegen  die  Juden  aktiven  Anteil  nahm  ( Vita  24).  —  Dieselbe  Stadt 
ist  wahrscheinlich  das  bei  Plinius  erwähnte  Oeba  am  Karmel430. 
Was  dagegen  an  sonstigem  Material  angeblich  über  unser  Gaba 
von  den  Gelehrten  beigebracht  worden  ist,  hat  mehr  dazu  gedient, 
die  Fragen  nach  seiner  Lage  und  Geschichte  zu  verwirren,  als 
sie  aufzuhellen431.  Ein  Gabe  16  m.  p.  von  Cäsarea  wird  von  Eu- 
sebius  erwähnt;  aber  die  angegebene  Entfernung  ist  für  die  Lage 
nordöstlich  vom  Karmel  zu  gering432.  Noch  unwahrscheinlicher  ist 


429)  Die  letztere  Stelle  (Äntt.  XV,  8,  5)  lautet  nach  dem  überlieferten 
Texte:  ?v  xe  xo>  peydXy  neM(j>,  x(bv  imXtxxwv  htnimv  negl  abxöv  3moxXtjqu>- 
aaq,  fwolov  owixuoev  htl  xe  t§  raXiXala  Taßa  xaXovfievov  xal  xjj  Uegala 
x>jv  ^aeßwvtxiv.  Hiernach  könnte  man  meinen,  HerodeB  habe  drei  Kolonien 
gegründet:  1)  einen  ungenannten  Ort  in  der  großen  Ebene,  2)  einen  Ort  na- 
mens Gaba  in  Galiläa,  und  3)  Esebonitis  in  Peräa.  Die  beiden  enteren  sind 
aber  sicher  identisch;  das  xe  nach  inl  ist  zu  streichen,  und  der  Sinn  von  inl 
t$  raXiXalq  ist,  wie  der  ganze  Zusammenhang  der  Stelle  zeigt:  „zur  Beherr- 
schung Galiläas".  Es  wird  hierdurch  auch  bestätigt,  daß  Gaba  am  östlichen 
Abhänge  des  Karmel  lag.  —  Übrigens  schwankt  sowohl  hier  als  in  B.  J.  III, 
3,  1  die  Lesart  zwischen  raßa  und  raßaXa.  Doch  verdient  ersteres  den 
Vorzug. 

430)  Ptinius  H.  N.  V,  19,  75. 

431)  8.  überh.:  Beland  p.  769.  Paulys  Enzykl.  III,  563.  Kuhn,  Die 
städt.  u.  bürgerl.  Verf.  II,  320.  350  f.  Ders.,  Über  die  Entstehung  der  Städte 
der  Alten  8.424.  Qu  and  t,  Judäa  und  die  Nachbarschaft  im  Jabrh.  vor  und 
nach  der  Geburt  Christi  (1873)  S.  120  f.  Geiz  er  in  seiner  Ausg.  des  Oeorgius 
Cypriu8  1890  p.  196 sq.  Schlatter,  Zur  Topographie  und  Geschichte  Palä- 
stinas (1893)  8.  292-294.    Ders.,  Zeitschr.  des  DPV.  XIX,  1896,  S.  227. 

432)  Euseb.  Onomast.  ed.  Klostermann  p.  70:  xal  h*oxi  7toXl%vri  Taßh  xa* 
Xovpivrj  tbg  dnö  arj/uelwy  tq  xfjq  Katoaoetaq  et  alia  villa  Oabatha  in  finibus 
Dioeaesareae  naoaxeifiivrj  xip  /xsydXq*  nsöttp  xtjq  AeyEtbvoq.  Die  hier  in  latei- 
nischer Übersetzung  aus  Hieronymus  eingeschalteten  Worte  sind  im  Eusebius- 


200  §  23.   Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [154.  J55] 

es,  daß  die  Münzen  mit  der  Aufschrift  KXav6i(ia)v)  &ilix(xiwv) 
raßrjvSp  unserem  Gaba  angehören.  Diese  Titel  deuten  eher  auf 
ein  Gaba  hin,  welches  zum  Gebiete  des  Tetrarchen  Philippus  gehört 
hatte433,  und  hiermit  kann  das  Gabe  identisch  sein,  welches  Plinius 
neben  Cesarea  Panias  erwähnt434.  Welches  Gabe  endlich  das  bei 
Hierokles  erwähnte  raßat  in  Palaestina  secunda  ist,  muß  dahin- 
gestellt bleiben435.  —  Unser  Gaba  glaubt  Gu6rin  in  dem,  Dorfe 
Scheikh  Abreik  auf  einem  Hügel  nahe  am  Karmel  aufgefunden  zu 
haben,  zu  dessen  Lage  allerdings  die  Angaben  des  Josephus  vor- 
trefflich passen436.  | 

26.  Esbon  oder  Hesbon,  hebräisch  patön,  bei  LXX  und  Euse- 
bius 'Eosßciv,  später  'Eößovg.  Die  Stadt  lag  nach  Eusebius  20  m.  p. 
östlich  yom  Jordan,  gegenüber  von  Jericho437.  Hiermit  stimmt 
genau  die  Lage  des  heutigen  Hesbän,  östlich  vom  Jordan,  unter 
gleicher  geographischer  Breite  mit  der  Nordspitze  des  Toten  Meeres, 
woselbst  sich  auch  noch  Ruinen  finden438.  —  Hesbon  wird  häufig 


Text  durch  Homoioteleuton  ausgefallen.  Durch  ihren  Ausfall  entstand  der 
Schein,  als  ob  das  Städtchen  Gabe  16  m.  p.  von  Cäsarea  und  doch  zugleich 
in  der  großen  Ebene  von  Legeon  (Megiddo)  liege,  was  nicht  möglich  ist.  Das 
Gabe  des  Eusebius  scheint  vielmehr  mit  dem  Jeba  identisch  zu  sein,  welches 
die  große  englische  Karte  direkt  nördlich  von  Cäsarea  am  westlichen  Abhänge 
des  Karmel  verzeichnet  (Map  of  Western  Palestine,  Blatt  VIII  links  oben; 
dazu  Memoire  II,  42,  wo  freilich  dieses  Jeba  mit  der  ndliq  btnimv  identi- 
fiziert wird). 

433)  S.  über  die  Münzen:  Noris  IV,  5,  6  (ed.  Lips.  p.  453-462).  Eck- 
hei  111,344  6?.  Mitsei  Sanclementiani  Numismaia  selecta  Pars  U  lib. 
IV,  128—130.  Mionnet  V,  316-318.  Suppl.  VIU,  220-222.  De  Saulcy 
p.  339 — 343,  pl  XIX  n.  1 — 7.  Wroth,  Gatalogue  of  the  greek  coins  of  Galatia, 
Cappadocia  and  Syria  [in  the  Brit.  Mus.]  1899,  p,  300.  —  Die  Münzen  haben 
eine  Ära,  deren  Anfangspunkt  zwischen  693  und  696  a.  U.  liegt. 

434)  Plinius  H.  N.  V,  18,  74.  Dazu  Sch'wartz,  Nachrichten  der  Göt- 
tinger Gesellsch.  der  Wissensch.,  phiL-hist.  Kl.  1906,  S.  370. 

435)  Hierocles  Synecd.  ed.  Parthey  p.  44. 

436)  Guörin,  GalilSe  I,  395—397.  —  Scheikh  Abreik  liegt  auf  einer  iso- 
lierten Anhöhe  unmittelbar  am  Karmel,  unter  gleicher  geographischer  Breite 
mit  Nazareth.  Vgl.  über  dasselbe  auch  The  Survey  of  Western  Palestinet  Me- 
moirs  by  Conder  and  Kitchener  I,  343 — 351;  dazu  die  englische  Karte 
Blatt  V.  —  Sicher  unrichtig  ist  es,  Gaba  an  der  Stelle  des  heutigen  Jebata 
zu  suchen,  wie  Menke  im  Bibelatlas  tut.  Dieses  liegt  viel  zu  weit  vom  Karmel 
entfernt,  mitten  in  der  Ebene,  und  ist  vielmehr  mit  dem  Gabatha  des  Euse- 
bius identisch  (s.  Anm.  432). 

437)  Euseb.  Onomast.  ed.  Klostermann  p.  84:  'Eoeßwv  .  .  .  xaXetrai  6%  v$v 
ISoßovq,  inloqfiOQ  nöfaq  xfjq  kgaßlaq,  iv  Sqbcl  xotq  avcixoi)  xrjq  ^Iegix0^  xei" 
fi£vrj}  wq  &nö  arjfielwv  x  xov  ^logöavov. 

438)  S.  Seetzen,  Reisen  I,  407.  IV,  220f£  Burckhardt,  Reisen  II, 
623  f.  1063.    Ritter,  Erdkunde  XV,  2,  1176—1181.    De  Saulcy,    Voyage  en 


[155.  156]  I.  Die  hellenistischen  Städte«   26.  Esbon.  201 

als  Hauptstadt  eines  amoritischen  Reiches  erwähnt439.  Bei  Jesaja 
und  Jeremia  dagegen  erscheint  sie  als  moabitische  Stadt440.  Und 
als  solche  erwähnt  sie  auch  Josephus  noch  zur  Zeit  des  Alexander 
Jannäus.  Durch  des  letzteren  Eroberungen  wurde  sie  dem  jüdischen 
Reiche  einverleiDt  (Antt.  XIII,  15,  4.  Syncell.  I,  558).  Ihre  weitere 
Geschichte  läßt  sich  nicht  genau  verfolgen.  Herodes  d.  Gr.  hat 
sie  jedenfalls  besessen,  da  er  sie  zur  Beherrschung  Peräas  neu 
befestigte  und  eine  Militärkolonie  dorthin  verlegte  (Antt  XV,  8, 5) 441. 
Das  Gebiet  von  Esbon  wird  von  Josephus  als  östliche  Grenze 
Peräas  erwähnt;  es  gehörte  also  nicht  zumjüdischenPeräa(Ä /.III, 
3,  3)442.  Beim  Ausbruch  des  jüdischen  Krieges  |  wurde  es  von  den 
aufständischen  Juden  überfallen  (B.  J.  II,  18,  1).  Bei  Errichtung 
der  Provinz  Arabien  106  nach  Chr.  ist  Esbon  oder,  wie  es  nun 
heißt,  Esbus  wahrscheinlich  sofort  dieser  zugeteilt  worden;  denn 
schon  Ptolemäus  rechnet  es  zu  Arabien443.   Die  wenigen  bis  jetzt 


Terre  Samte  (1865)  I,  279  sqq.  (mit  einem  Plan  der  Ruinenstätte).  Bädeker- 
ßocin,  Palästina  3.  Aufl.  S.  191.  The  Survey  of  Eastern  Palestine  voL  I,  by 
Gonder,  1889,  p.  104—109.  —  Für  das  Historische:  Reland  p.  719  sq.  Rau- 
mer S.  262.  Die  Artikel  über  „Hesbon"  bei  Winer,  Schenkel,  Riehm, 
Herzogs  Real- Enz.  1.  Aufl.  VI,  21  f.  Kuhn,  Die  städtische  und  bürgerL 
Verf.  H,  337.  386 f.  Hildesheimer,  Beiträge  zur  Geographie  Palästinas 
(Berlin  1886)  S.  65 f.  Heidett  Art.  HesSbon  in:  Vigourouz,  Dietionnaire  de 
la  Bible  HI,  657—663.    Thomsen,  Loca  sancta  p.  62. 

439)  Num.  21,  26  ff.  Deut.  1,  4.  2,  24  ff.  3,  2  ff.  4,  46.  Josua  9,  10.  12,  2  ff. 
13,  10.  21.  Judic.  11,  19  ff.  Vgl.  auch  noch  Judith  5,  15. 

440)  Jesaja  15,  4.  16,  8.  9.   Jerem.  48,  2.  34.  45.  49,  3. 

441)  So  ist  die  angeführte  Stelle  wohl  zu  verstehen;  s.  den  Wortlaut 
oben  Anm.  429.  —  Die  Form  'BoeßwvTzte  ist  Bezeichnung  des  Gebietes  von 
Esbon.  Die  Stadt  selbst  heißt  'Eoeßvw.  —  Statt  'EoeßwvTxiq  kommt  auch  vor 
ZBßaivXxiq  B.  J.  II,  18,  1.   HI,  3,  3,  s.  d.  folg.  Anm. 

442)  Statt  Sikßcovlziq  ist  a.  a.  O.  sicher  SeßcavZztg  zu  lesen,  wie  B.  J.  H, 
18,  1.  —  In  Menkes  Bibelatlas  Bl.  V  ist  Esebon  mit  Recht  außerhalb  Pe- 
räas gesetzt;  unrichtig  ist  dagegen,  daß  es  dem  Nabatäer-Reiche,  statt  dem 
Reiche  Herodes  des  Gr.,  zugeteilt  wird.  Nur  dies  ist  möglich,  daß  es  nach 
dem  Tode  des  Herodes  in  die  Hände  der  Araber  fiel.  Hierfür  spricht  aller- 
dings der  Umstand,  daß  Esbon  seit  Errichtung  der  Provinz  Arabien  dieser 
angehörte.  Weniger  beweisend  ist  die  Erwähnung  der  Esbonitae  Arabes  bei 
Plinius  V,  11,  65,  da  dies  nur  im  ethnographischen  Sinne  gemeint  ist  Jeden- 
falls bildete  die  SeßwvTzig  zur  Zeit  des  Josephus  ein  eigenes  Stadt-Gebiet, 
das,  wenn  auch  vielleicht  den  Arabern  unterworfen,  doch  vom  übrigen  Arabien 
unterschieden  wird,  B.  J.  HI,  3,  3. 

443)  Ptolem.  V,  17,  6  —  Didotsche  Ausg.  (I,  2,  1901)  V,  16,  4.  Die  Stadt 
heißt  hier  ISoßovxa  (so  auch  der  Kodex  von  Vatopedi,  s.  Geographie  de  Pto- 
UmSe,  reproduetion  photolithographiqw  etc.  Paris  1867,  p.  LVII  unten,  auch 
die  Didotsche  Ausg.),  was  aber  eigentlich  wohl  Akkusativ-Form  von  *Eo- 
ßov$  ist. 


202  §  23.   Verfassung.    Synedrium.   Hohepriester.  [156.  157] 

bekannten  Münzen  gehören  entweder  Caracalla  oder  Elagabal  an444. 
Zur  Zeit  des  Eusebius  war  sie  eine  bedeutende  Stadt445.  Christ- 
liche Bischöfe  von  Esbus  (Esbundorum,  'Eößovvrlcw)  werden  im 
vierten  und  fünften  Jahrhundert  erwähnt446. 

27.  Antipatris,  'AvrixarQlq441.  Die  Stadt  lag  in  der  Nähe 
eines  Dorfes  KagxxQöaßä44*  oder  XaßaQöaßä*49,  auch  KaxsQoa- 
ßlv?iAb0.  Die  Form  KayaQOaßä  läßt  kaum  einen  Zweifel  darüber, 
daß  der  Ort  mit  dem  rabbinischen  MO  nfcD451  und  dem  heutigen 
Kefr  Saba  nordöstlich  von  Jope  identisch  ist  Aber  die  Lage  des 
letzteren  stimmt  nicht  genau  zu  den  Angaben  über  Antipatris. 
Zwar:  daß  Antipatris  150  Stadien  von  Jope  lag452,  am  Eingang 
des  Gebirges458,  an  der  großen  Straße  von  Cäsarea  nach  Lydda454, 


444)  Eckhel  HI,  503.  Mionnet  V,  596  sq.  Suypl.  VIII,  387.  De  Sauley 
p.  393  sq.  pl.  XXIII  n.  5—7.  —  Die  bei  Mionnet  Suppl  VIII,  387  mitgeteilte 
Münze  ist  nicht  von  Esbus,  sondern  von  Eboda  in  Arabien,  s.  Imhoof- 
Blumer,  Monnaies  grecques  (Verhandelingen  der  koninkl.  Akad.  van  Weten* 
schappen,  Afd.  Letterhunde,  14.  deel,  Amsterdam  1833)  p.  450  sq. 

445)  S.  oben  Anm.  437.  Eusebius  erwähnt  die  Stadt  auch  sonst  häufig 
im  Onomasticon,  s.  Klostermanns  Index  S.  196  s.  v.  Eaßovq,  Eoaeßav. 

446)  Le  Quien,  Oriens  christianus  II,  863.  Patrum  Nicaenorum  nomina 
edd.  Qelxer  etc.  1898  (Scriptores  saeri  et  profani  faso.  2)  Index  s.  v. 

447)  S.  überh.:  Reland  p.  569  sq.  690.  Kuhn  II,  351.  Winer  s.  v. 
Antipatris.  Baumer  8.  147.  Robinson,  Palästina  III,  256—260.  Ders., 
Neuere  bibl.  Forschungen  S.  179—181.  Ritter  XVI,  569— 572.  Quirin,  Sa- 
marie  II,  357—367,  vgl.  II,  132  5g.  Wilson,  Quarterly  Statement  1874,  p.  192 
— 196.  The  Survey  of  Western  Palestine,  Memoirs  by  Oonder  and  Kitchener 
II,  134.  258—262;  dazu  die  engl.  Karte  Bl.  X  und  XIV.  Ebers  und  Guthe, 
Palästina  Bd.  II,  S.  452.  Buhl,  Geogr.  des  alten  Paläst.  8.  199.  Pauly- 
Wissowas  Real-Enz.  s.  v.  O.  A.  Smith  in:  Encyclopaedia  Biblica  I,  188 f. 
Thomsen,  Loca  saneta  p.  22. 

448)  Jos.  Antt.  XVI,  5,  2. 

449)  Antt.  XIII,  15,  1  nach  den  meisten  Handschriften;  die  lat.  Über- 
setzung hat  Cafarsaba;  Niese  liest  mit  cod.  Pal.  Xaßegaaßä. 

450)  So  ist  statt  xai  TtBQOaßivrj  ohne  Zweifel  zu  lesen  an  der  Stelle  des 
Chronicon  paschale  ed.  Dindorf  I,  367:  6  avvöq  6e  xal  'Av&rjSSva  htixxlaaq 
'AyQtnnsiav  ixdXeotv,  Irrt  6h  xal  nepaaßlvrjv  elq  dvof/a  * Avxvxglxqov  xov  ISiov 
naxodq.  Vgl.  Reland  p.  C90.  925.  In  der  parallelen  Stelle  bei  Syncdlus  ed. 
Dindorf  I,  595  heißt  es:  fn  xe  IlaQOavaßav  elq  rtf/tjv  'Avxindxoov  xov  naxQÖq 
avxov  *Avxv7taxQlöa  wvöfxaoe. 

451)  Tosephta  Nidda  649,35  (ed.  Zuckermandel);  bab.  Nidda  61a;  jer.  De- 
mai  II,  1  fol.  22c.  Hamburger,  Real-Enzykl.  für  Bibel  und  Talmud  II,  637 
(Art.  „Kephar  Saba").  Auch  bei  arabischen  Geographen:  Le  Strange,  Pale- 
stine  under  the  Moslems  p.  471. 

452)  Antt.  XIH,  15,  1.  Niese  liest  160  nach  cod.  Pol.,  dessen  Zeugnis 
aber  ganz  allein  steht. 

453)  Bell.  Jud.  I,  4,  7. 

454)  Das   Itinerarium  Burdigalense  (bei    Geyer,   Itinera  Hierosolymüana 


[157]  *         L  Die  hellenistischen  Städte.   27.  Antipatris.  203 

würde  fftr  Kefr  £laba  zutreffen.  Aber  nach  Eusebius  (Onomast  ed. 
Klostermann  p.  68)  lag  Antipatris  6  miü.  pass.  südlich  von  Galgulis, 
das  augenscheinlich  mit  dem  heutigen  Dschildschulije,  ein  paar 
mili.  pass.  südlich  von  Eefr  Saba,  identisch  ist  Demnach  ist  Anti- 
patris etwa  8  müLpass.  südlich  von  Eefr  Saba j zu  suchen,  wozu 
die  dortige  wasserreiche  Gegend  stimmt,  während  Kefr  Sab a  auf 
dürrem  Boden  liegt455.  —  Herodes  gründete  dort,  in  einer  wohl- 
bewässerten baumreichen  Ebene  eine  neue  Stadt,  die  er  seinem 
Vater  Antipater  zu  Ehren  Antipatris  nannte  {Ann.  XVI,  5,  2. 
B.  J.  I,  21,  9).  Die  Stadt  wird  unter  diesem  Namen,  onü^tttB,  auch 
in  der  rabbinischen  Literatur  erwähnt456,  ferner  bei  Ptolemäus, 
Eusebius,  Stephanus  Byzantinus457.  Im  vierten  Jahrhundert  nach 
Chr.  war  sie  sehr  heruntergekommen:  das  Itinerar.  Burdig.  nennt 
sie  nur  als  mutatio  (Haltestation),  nicht  als  civitas,  Hieronymus  be- 
zeichnet sie  als  semirutum  oppidulumib*.  Doch  kommt  ein  Bischof 
von  Antipatris  noch  in  den  Akten  des  Konzils  von  Chalcedon, 
451  nach  Chr.,  vor459.    Auch  sonst  ist  ihre  Existenz  in  dieser 


p.  25)  gibt  die  Entfernupg  von  Cäsarea  nach  Antipatris  zu  XXVI  m.  p.7  die 
von  Antipatris  nach  Lydda  zu  X  m.  p.  an.  —  Im  allgemeinen  ist  die  Lage 
von  Antipatris  an  der  Straße  von  Cäsarea  nach  Lydda  und  Jerusalem  auch 
sonst  bezeugt,  s.  Apostelgesch.  23,  31.  Jos.  Bell.  Jud.  II,  19,  1  u.  9.  IV,  8,  1. 
Hieronymus,  Peregrinatio  Paulas  =-  epist.  108  ad  Eustoohium  o.  8  (bei  Tobler, 
Palaestinae  descr.  p.  13  und  Bisron.  opp.  ed.  Vaüarsi  I,  690). 

455)  So  die  meisten  Neueren,  auch  Guthe  (in  Herzogs  Real.-Enz.  3.  Aufl. 
IX,  584,  im  Art.  „Judäa").  Kefr  Saba  s.  auf  der  großen  englischen  Karte 
Bl.  X  rechts  unten,  Dschildschulije  Bl.  XIV  links  oben.  —  Von  den  An- 
gaben des  Josephus  ist  hiernach  nur  die  eine  korrekt,  daß  Antipatris  „in  der 
Ebene  von  Kapharsaba"  gegründet  sei  (Antt.  XVI,  5,  2:  iv  xy  neölw  x<p 
Xeyofih>(p  Ka<paooaßä);  die  andere  aber,  daß  Chabarsaba  „jetzt  Antipatris 
heiße",  irreführend  (Antt.  XIII,  15, 1 :  Xaßaooaßä,  9)  vvv  y Avxvjtaxolq  xaXelxai). 
Richtig  wird  sein,  daß  die  Gebiete  des  alten  Kapharsaba  und  des  späteren 
Antipatris  annähernd  zusammenfielen.  —  In  den  Ziffern  des  Itinerarium  Bur- 
digalense  (s.  die  vorige  Anmerkung)  liegt  ein  Fehler,  da  die  Entfernung  von 
Cäsarea  bis  Lydda  mehr  beträgt,  als  der  überlieferte  Text  angibt.  Zu  korri- 
gieren ist  aber  nicht,  wie  ich  früher  meinte,  die  Ziffer  für  Antipatris — Lydda 
(X  m.  p.  ist  richtig),  sondern  die  Ziffer  für  Cäsarea— Antipatris. 

456)  Mischna  Oittin  VII,  7.  bab.  Qittin  76a.  Lightfoot,  öenturia  Matthaeo 
praemissa  c.  58  (Opp.  II,  214).  Neubauer,  Geographie  du  Talmud  p.  86 — 90. 
Hamburger,  Real-Enzyklop.  II,  62  f.  (Art.  „Antipatris").  Krauß],  Griech. 
und  lat.  Lehnwörter  im  Talmud  etc.    II,  1899,  S.  70.  599.J 

457)  Ptolemaeus  V,  16,  6  —  Didotsche  Ausg.  (I,  2,  1901)  V,  15,  5.    Euse- 
bius Onomast  p.  68.  72.    Steph.  Byx.  s.  v. 

458)  S.  die  in  Anm.  454  zitierten  Stellen. 

459)  Le  Quien,  Oriens  christianus  Hl,  579  sg. 


204  ■  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [157.  158] 

späteren  Zeit  noch  bezeugt460.    Ja  noch  im  achten  |  Jahrhundert 
nach  Chr.  wird  sie  als  eine  von  Christen  bewohnte  Stadt  erwähnt461. 

28.  Phasaelis,  0aaarjXlgA62.  Zu  Ehren  seines  Bruders  Phasael 
gründetel  Herodes  im  Jordantal  nördlich  von  Jericho  die  Stadt 
Phasaelis,  in  einer  bis  dahin  unbebauten  aber  fruchtbaren  Gegend, 
die  er  für  die  Kultur  gewann  (Antt.  XVI,  5,  2.  B.  J.  I,  21,  9).  Nach 
seinem  Tode  ging  die  Stadt  mit  ihren  wertvollen  Palmenpflanzungen 
in  den  Besitz  seiner  Schwester  Salome  über  (Antt.  XVII,  8, 1.  11,  5. 
Ä  /.  II,  6,  3);  und  nach  deren  Tod  erhielt  sie  die  Kaiserin  Livia 
(Antt  XVIII,  2,  2.  B.  «7.  II,  9,  1).  Der  trefflichen  Datteln,  welche 
von  den  dortigen  Palmen  gewonnen  wurden,  gedenkt  auch  Plinius46S. 
Sonst  wird  die  Stadt  noch  erwähnt  bei  Ptolemäus,  Stephanus  Byz. 
und  dem  Geographen  von  Ravenna464.  Ihr  Name  hat  sich  erhalten 
in  dem  heutigen  Kharbet  Fasail  am  Bande  der  Jordanebene  in 
fruchtbarer  Gegend.  Der  von  da  nach  dem  Jordan  fließende  Bach 
heißt  Wadi  Fasail466. 

29.  Cäsarea  Panias466.    Tb  üaveiov  heißt  eigentlich  die  | 


460)  Bierocles,  Synecd.  ed.  Parthey  p.  43.  Die  Notitia  episcopat.  ebendas. 
p.  143. 

461)  Theophanis  Chronographia,  ad.  ann.  743  p.  Chr.  (ed.  Bormens.  I,  65S). 

462)  S.  überh.:  Reland  p.  963  sq.  Paulys  Enzykl.  V,  1439.  Raumer 
8.  216.  Robinson,  Palästina  11,555.  Ritter  XV,  1,  458 f.  Quirin,  Samarie 
I,  228 — 232.  The  Survey  of  Western  Palestine,  Memoirs  by  Oonder  and  Kit- 
chener  n,  388.  392  sq.;  dazu  die  große  engl.  Karte  Bl.  XV.  Thomsen,  Loca 
sancta  p.  113. 

463)  Plinius  H.  N.  XIII,  4,  44:  sed  ut  copia  ibi  atque  fertilitas,  ita  nobi- 
tüas  in  Judaea,  nee  in  tota,  sed  Hiericunte  maxume,  quamquam  laudatae  et 
Arehelaide  et  Phaselide  atque  Liviade,  gentis  ejusdem  oonvaüibus. 

464)  Ptolem.  V,  16,  7  —  Didotsche  Ausg.  (I,  2,  1901)  V,  15,  5.  Steph. 
Byx.  s.  v.  Qeographus  Bavennas  edd.  Pvnder  et  Parthey  (1860)  p.  84.  —  Auch 
im  Mittelalter  (bei  Burchardus  und  Marinus  Sanutus)  wird  die  Stadt  noch 
erwähnt,  s.  die  Stellen  bei  Quirin,  Samarie  I,  231  sq. 

465)  S.  bes.  die  große  englische  Karte  Blatt  XV,  und  die  Beschreibung 
bei  Guerin  und  Conder  a.  a.  O. 

466)  S.  überh.:  Reland  p.  918—922.  Raumer  S.  245.  Winers  RWB. 
und  Schenkels  Bibel-Lex.  s.  v.  Cäsarea.  Kuhn  II,  334.  Robinson,  Palä- 
stina III,  612  ff.  626—630.  Ders.,  Neuere  bibl.  Forschungen  S.  520— 538. 
Ritter,  Erdkunde  XV,  1,195—207.  Querin,  GaliiSe  II,  308—323.  The  Sur- 
vey  of  Western  Palestine,  Memoirs  by  Conder  and  Kitchener  I,  95.  109—113. 
125—128;  dazu  die  engl.  Karte  Bl.  IL  Ebers  und  Guthe,  Palästina  in  Bild 
und  Wort  I,  356—366.  Le  Camus ,  Art.  „Cisaröe  de  Philippe"  in:  Vigouroux, 
Dict.  de  la  Bible  H,  450-456.  Pauly-Wissowas  Real.-Enz.  III,  1290  f.  Thom- 
sen, Loca  sancta  p.  75.  —  Zur  Geschichte  der  Stadt  im  Mittelalter  auch: 
Gildemeister,  Zeitschr.  des  DPV.  X,  1887,  S.  188 f.  Clermont-Qanneau, 
Becueil  d'archSologie  Orientale  1. 1, 1888,  p.  242—261.  van  B er ehern,  Le  chäieau 
de  Bänids  et  ses  ifiscriptions  (Journal  asiatique,   huitüme  sirie  i.  XII,  1888, 


[159]      I.  Die  hellenistischen  Städte.   28.  Phasaelis.   29.  Cäsarea  Panias.     205 

dem  Pan  geweihte  Grotte  am  Ursprung  des  Jordan467.  Sie  wird 
unter  diesem  Namen  zuerst  von  Polybius  zur  Zeit  Antiochus'  des 
Gr.  erwähnt,  der  dort  im  Jahre  198  vor  Chr.  den  entscheidenden 
Sieg  Über  den  ägyptischen  Feldherrn  Skopas  erfocht,  infolgedessen 
ganz  Palästina  in  seine  Hände  fiel468.  Schon  diese  frühzeitige 
Erwähnung  läßt  auf  eine  Hellenisierung  des  Ortes  im  dritten 
Jahrhundert  vor  Chr.  schließen.  Jedenfalls  war  die  Bevölkerung 
der  dortigen  Gegend,  wie  auch  deren  weitere  Geschichte  zeigt, 
eine  vorwiegend  nichtjüdische.  — -  In  der  ersten  Zeit  des  Herodes 
gehörte  die  Landschaft  üavidg  (so  heißt  sie  eben  wegen  der  dort 
befindlichen  Pan-Grotte)  einem  gewissen  Zenodorus.  Nach  dessen 
Tod  im  Jahre  20  vor  Chr.  wurde  sie  von  Augustus  dem  Herodes 
geschenkt  (s.  oben  §  15),  weicher  in  der  Nähe  der  Pan-Grotte  einen 
prachtvollen  Augustus- Tempel  erbaute  (Antt.  XV,  10,  3.  B.  J.  I, 
21,  3).  Der  Ort,  welcher  ebendaselbst  lag,  hieß  ursprünglich  wie 
die  Landschaft  Ilaviaq  oder  Ilapsag469.  Zu  einer  ansehnlichen 
Stadt  wurde  er  aber  erst  durch  den  Tetrarchen  Philippus,  den 
Sohn  des  Herodes,  umgeschaffen.  Dieser  legte  die  Stadt  neu  an 
und  nannte  sie  zu  Ehren  des  Augustus  KatoaQua  (Antt.  XVIII,  2, 1. 
Bell.  Jud.  II,  9,  1).  Die  Gründung  fällt  ganz  in  die  erste  Zeit  des 
Philippus;  denn  die  Münzen  der  Stadt  haben  eine  Ära,  welche 


p.  440—470).  Ders.,  Inscriptim  arabe  de  Banias  (Revue  bibl.  1903,  421—424). 
Le  Strange,  Palestine  under  the  Moslems  p.  418  #9.  —  Zur  Topographie  der 
Umgebung:  auch  Schumachers  Karte  des  Dscholan,  Zeitschr.  des  DPV. 
IX,  1886.  —  Ansichten  der  Pan-Grotte  auch  bei:  Duo  de  Luynes,  Voyage 
d' Exploration  etc.  Atlas  pl.  62 — 63.  Leeper,  The  sources  of  the  Jordan  river 
(Biblical  World  1900,  Nov.  p.  326—336).  —  Inschriften:  Corp.  Inser.  Oraee. 
n.  4537—4539,  Addenda  p.  1179.  Bailie,  Faseiculus  inscr.  graee.  [HT)  potis- 
simum  ex  Galatta  Lycia  Syria  etc.  1849,  p.  130 — 133.  De  Sauley,  Voyage 
autour  de  la  mer  morte,  Atlas  (1853)  pl.  XLIX.  Le  Bas  et  Waddington, 
Inseriptions  1.  III,  n.  1891—1694.  Brünnow,  Mitt  und  Nachr.  des  DPV. 
1898,  8.  84  f.  —  Brünnow  und  Domaszewski,  Die  Provincia  Arabia  II,  249. 

467)  Als  Grotte  (onjkaiov,  Slvxqov)  wird  das  Paneion  beschrieben  bei 
Joseph.  Antt.  XV,  10,  3.  Bell.  Jud.  I,  21,  3.  III,  10,  7:  öoxet  fjthv  'Iogödvov 
nr\-fy  tö  Udveiov.  —  Stephanies  Byx.  s.  v.  Tlavla.  —  Nächst  der  Grotte  hieß 
auch  der  Berg  ebenso,  Euseb.  Hist.  eccl.  VII,  17:  iv  xaXq  faccooelaiq  xoi>  xa- 
Xovfiivov  Uavlov  ßgovq.  (Eigentlich  ist  xb  üdveiof  Adjektiv,  zu  welchem  also 
entweder  avrpov  oder  Sqoq  zu  ergänzen  ist.) 

468)  Polyb.  XVI,  18.  XXVIH,  1. 

469)  llavuxg  oder  IJaveaq  ist  eigentlich  Adjektiv,  und  zwar  das  fem.  zu 
üdveioq  (wie  dygidq,  Xevxdq,  öoeidq  fem.  poett.  zu  äygioq,  Xevx6q,  fioEioq).  Da- 
her dient  dasselbe  Wort  sowohl  zur  Bezeichnung  der  Landschaft  (wobei 
xd)Qa  zu  ergänzen  ist,  so  Antt.  XV,  10,  3.  XVII,  8,  1.  Bell  Jud.  II,  9,  1.  P/t- 
nius  V,  18,  74:  Panias  in  qua  Caesarea),  als  zur  Bezeichnung  der  Stadt  oder 
Ortschaft  (wobei  nöXiq  oder  xoj fitj  zu  ergänzen  ist,  so  Antt.  XVIII,  2,  1). 


206  l§  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [159.  160] 

wahrscheinlich  das  Jahr  3  vor  Chr.  (751  a.  U.)  oder  spätestens  2 
vor  Chr.  (752  a.  U.)  zum  Ausgangspunkte  hat470.  Nach  dem  Tode 
des  Philippus  kam  |  dessen  Gebiet  ein  paar  Jahre  lang  unter 
römische  Verwaltung,  dann  an  Agrippa  I.,  dann  wieder  unter  römi- 
sche Prokuratoren,  endlich  seit  dem  Jahre  53  nach  Chr.  an 
Agrippa  IL  Dieser  erweiterte  Cäsarea  und  nannte  es  zu  Ehren 
des  Nero  NtQmviaq  {Antt.  XX,  9,  4),  welcher  Name  auch  auf  Münzen 
hier  und  da  gebraucht  ist471.  Daß  die  Stadt  auch  damals  noch 
eine  vorwiegend  heidnische  war,  sieht  man  aus  Jos.  Vita  13.  Daher 
bringen  dort  während  des  jüdischen  Krieges  sowohl  Vespasian  als 
Titus  ihre  Rasttage  unter  Spielen  und  anderen  Festlichkeiten  zu472. 
—  [Der  Name  Neronias  [scheint  sich  nie  eingebürgert  zu  haben. 
Im  ersten  Jahrhundert  nach  Chr.  heißt  unser  Cäsarea  zur  Unter- 
scheidung von  anderen  gewöhnlich  Kaiodgeia  fj  $iXlnxov*n\  seine 
offizielle  Bezeichnung  auf  Münzen,  namentlich  des  zweiten  Jahr- 
hunderts, ist  Kaiö(aQsta)  Seßiaoxri)  Isq(o)  xäi  aOv(XoQ)vje6lIav€lq)iU. 
Sonst  heißt  es  seit  dem  zweiten  Jahrhundert  gewöhnlich  KaioaQeia 
Ilaviaq,  was  im  dritten  Jahrhundert  auch  auf  den  Münzen  vor- 
herrschend wird475.    Seit  dem  vierten  Jahrhundert  hat  sich  der 


470)  S.  Noris  IV,  5,  4  [ed.  Lips.  p.  442—453).  Eckhel  HI,  339—344. 
San  dement e,  De  vulgaris  aerae  emendatione  (Born  1793)  III,  2  p.  322  sqq. 
Derselbe,  Musei  Sanclemeniiani  Numismata  selecta  Pars  II  lib.  IV  p.  202 — 
218.  Die  Münzen  bei  Mionnet  V,  311—315.  Suppl.  VIII,  217—220.  Leahe, 
Numismata  Heüenica,  1854,  p.  2&™De  Saulcy  p.  313—324,  pl.  XVIU.  Wroth, 
Catal.  of  the  greek  coins  of  Galatia  Cappadoda  and  Syria  [in  the  Brit.  Mus.] 
p.  298  sq.  Macdonald,  Oatal.  of  the  Hunterian  collection  III,  222.  —  Der 
Ansatz  in  der  Chronik  des  Eusebius,  welche  die  Gründung  in  die  Zeit  des 
Tiberius  verlegt,  ist  ohne  Wert.  S.  darüber  unten  bei  Tiberias.  Nach  Euse- 
bius auch  Hieronymus  in  der  Chronik  und  Comment.  in  Matth.  16,  13  (s. 
Anm.  476). 

471)  Eckhel  III,  343.  Mionnet  V,  315.  De  Saulcy  p.  316.  31&  Madden, 
History  of  Jewish  Coinage  p.  116.  117.    Ders.,  Coins  of  the  Jews  p.  145.  146. 

472)  Jos.  B.  J.  III,  9,  7.  VII,  2,  1. 

473)  Ev.  Matth.  16,  13.  Marc.  8,  27.  Jos.  Antt.  XX,  9,  4.  B.  J.  m,  9,  7. 
VII,  2,  1.     Vita  13. 

474)  S.  die  in  Anm.  470  zitierte  Literatur,  bes.  Mionnet  und  de  Saulcy. 

475)  Ptolem.  V,  15,  21  (Didotsche  Ausg.  V,  14,  17).  VIII,  20,  12  (Kai- 
oageia  Ilaviaq).  —  Corp.  Inscr.  Graec.  n.  4750  =  Lepsius,  Denkmäler  aus 
Ägypten  und  Äthiopien  Bd.  XII,  Bl.  78  Inscr.  Gr.  n.  78  (auf  der  Memnon- 
statue  zu  Theben)  und  Corp.  Inscr.  Graec.  n.  4921  =  Lepsius  Bl.  88  Inscr. 
Gr.  n.  263  (zu  Philä),  beidemal:  Kaioaoelat;  IlavidöoQ.  —  Le  Bas  et  Wad- 
dington,  Inscriptions  t.  III  n.  1620b  (zu  Aphrodisias  in  Karien,  aus  dem 
2.  Jahrh.  n.  Chr.):  Kaiodoeiav  Uaviaöa.  —  Tabula  Peuting.  (Caesareapaneas). 
—  Geographus  Ravennas  edd.  Pinder  et  Parthey  p.  85.  —  Die  Münzen  bei  De 
Saulcy  p.  317.  322  sq. 


[160.  161]        I.  Die  hellenistischen  Städte.   29.  Cäsarea  Panias.  207 

Name  Cäsarea  ganz  verloren;  die  Stadt  heißt  von  nun  an  wieder 
nur  navsaq*1*.  Bei  der  eingeborenen  Bevölkerung  scheint  dies 
ohnehin  stets  der  herrschende  Name  geblieben  zu  sein477,  wie  er 
auch  in  der  rabbinischen  Literatur  (in  der  Form  o^3ß)  vorwiegend 
gebraucht  wird478.  Die  Meinung,  daß  Cäsarea  unter  Elagabal 
römische  Kolonie  geworden  sei,  ruht  auf  höchst  zweifelhafter 
Grundlage479.  —  Wenn  im  Neuen  Testamente,  Marc.  8,  27,  die 
„Dörfer  von  Cäsarea  Philippi"  (al  xcofiai  Kataagelag  rijq  <PiXlnxov) 
erwähnt  werden,  so  ist  hier  mit  dem  Genetiv  natürlich  nicht  nur 
eine  „räumliche  Beziehung"  der  Dörfer  zur  Stadt  ausgedrückt480, 
sondern  es  sind  die  der  Stadt  gehörigen,  ihr  untertänigen  Dörfer 


476)  Eusebius,  der  die  Stadt  im  Cnomasticon  häufig  erwähnt,  nennt  sie 
stets  nur  Uavsdg  (s.  den  Index  in  Klostermanns  Ausgabe).  Und  dies  ist  über- 
haupt ihr  Name  in  der  kirchlichen  Literatur;  s.  Euseb.  Hist.  eecl.  VII,  17 — 18. 
Hieron.  in  Jesaj.  42, 1  sqq.  ed.  Vaüarsi  IV,  507  (in  confinio  Caesareae  Phüippi, 
quae  nunc  vocatur  Paneas);  Idem,  in  Exech.  27,  19,  ed.  Vall.  V,  317  (ubi  hodie 
Paneas,  quae  quondam  Caesarea  Philippi  vooabatur);  Idem  in  Matth.  16, 13,  ed. 
Voll.  VII,  121  {in  honorem  Tiberü  [sic\]  Oaesaris  Caesaream,  quae  nunc  Po- 
neos  dicitur,  eonstruxü).  Soxom.  V,  21.  Phüostorg.  VII,  3  (vgl.  auch  Müller, 
Fragm.  hist.  graec.  IV,  546).  Theodoret.  quaesU  (s.  die  Stellen  bei  Reland 
p.  919).  Malalas  ed.  Dindorf  p.  237.  Glycas,  Theophanes  (s.  die  Stellen  bei 
Reland  p.  922).  Photius  cod.  271  sub  fvn%  —  Die  Akten  der  Konzilien  (bei  Le 
Quien,  Oriens  christianus  II,  831).  Patrum  Nicaenorum  nomina  edd.  Oeher  etc. 
1893,  Index  s.  v.  Die  Pilgerschriften  bei  Geyer,  Itinera  Eierosolymüana  p.  128, 16 
(Eucherius),  138  (Theodosius),  268  (Adamnanus).  Hierocles,  Synecd.  ed.  Par- 
they p.  43.  —  Über  die  angebliche  Christus-Statue  zu  Paneas  s.  oben  S.  42. 

477)  Vgl.  Euseb.  Hist.  eccl.  VH,  17:  inl  %n<;  ^PiXlmtov  Kaioageiaq,  JJv  Ha- 
vedöa  <Polvixeq  itQoaayooevovai. 

478)  Mischna  Para  VIII,  11.  Tosephta  Bechoroth  p.  542, 1  ed.  Zuckermandel 
(an  beiden  Stellen  wird  die  „Grotte  von  Panias",  O^Dfi  mr»,  erwähnt).  Bux- 
torf,  Lex.  Chald.  col.  1752.  Levy,  Chald.  Wörterb.  II,  273f.  Lightfoot, 
Cenluria  Matthaeo  praemissa  c.  67  (Opp.  II,  220).  Neubauer,  Biographie  du 
Talmud  p.  236—238.  Krauß,  Griech.  und  lat.  Lehnwörter  im  Talmud  etc.  n, 
1899,  S.  463.  —  Die  korrumpierte  Form  ö^afi  gehört  nicht  dem  lebendigen 
Sprachgebrauch,  sondern  erst  der  späteren  Text -Überlieferung  an.  An  der 
zitierten  Mischna-Stelle  haben  die  besseren  Zeugen  noch  0*^36  (so  Aruch,  cod. 
de  Rossi  138,  Cambridge  University  Additional  470,  1).  Im  Aruch  wird  über- 
haupt nur  diese  Form  angeführt. 

479)  Regung,  Zeitschr.  für  Numism.  XXIV,  1904,  S.  133f.,  will  eine 
Münze  mit  der  Aufschrift  Aur.  Alexandros  Caisar  (also  Severus  Alexander  als 
Caesar,  221  oder  222  n.  Chr.)  und  Col.  Cesaria  Itur.  wegen  des  Zusatzes  Itur. 
unserem  Caesarea  Panias  zuweisen.  Es  scheint  mir  viel  wahrscheinlicher,  daß 
es  sich  um  eine  Münze  von  Caesarea  ad  Libanum,  dem  alten  Arka,  dem  Ge- 
burtsort des  Severus  Alexander,  handelt.  Vgl.  Bd.  I,  S.  595.  Regung  selbst 
hebt  die  Verwandtschaft  der  Münze  mit  denjenigen  von  Orthosias,  das  gauz 
in  der  Nachbarschaft  von  Arka  liegt,  hervor. 

480)  So  Winer,  Grammatik  §  30,  2. 


208  §  23*   Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [161.  162] 

gemeint:  Cäsarea  hat,  wie  jede  dieser  Städte,  ein  eigenes,  von  ihr 
beherrschtes  Gebiet. 

30.  Julias,  früher  Bethsaida481.  An  der  Stelle  eines  Dorfes 
ßethsaida,  nördlich  vom  See  Genezareth  gründete  Philippus  eben- 
falls eine  neue  Stadt,  weiche  er  zu  Ehren  der  Julia,  der  Tochter 
des  AugU8tus,  'iovliag  nannte  (Antt.  XVIII,  2,  1.  Bett.  Jud.  II,  9,  1). 
Die  Lage  derselben  östlich  vom  Jordan  kurz  vor  dessen  Einfluß  in 
den  See  Genezareth  ist  durch  die  wiederholten  übereinstimmenden 
Angaben  des  Josephus  außer  Zweifel  gestellt482.  Auch  die  Grün- 
dung dieser  Stadt  muß  noch  in  die  erste  Zeit  des  Philippus  fallen. 
Denn  die  Julia  wurde  von  Augustus  schon  im  Jahre  2  vor  Chr. 
(752  a.  U)  auf  die  Insel  Pandateria  verbannt483.  Von  da  an  ist 
es  nicht  mehr  denkbar,  daß  Philippus  noch  eine  Stadt  nach  ihr 
genannt  |  haben  sollte484.  —  Aus  der  späteren  Geschichte  der  Stadt 
ist  nur  noch  bekannt,  daß  sie  durch  Nero  dem  Agrippa  II.  ver- 
liehen wurde  (Antt.  XX,  8,  4.  B.  J.  II,  13,  2).  Erwähnt  wird  sie  auch 
bei  Plinius,  Ptolemäus  und  dem  Geographen  von  Ravenna485.  — 
Nach  der  Art,  wie  Josephus  Antt.  XVIII,  2,  1  von  ihr  spricht, 
könnte  es  scheinen,  als  ob  Philippus  nur  den  Namen  des  Dorfes 
Bethsaida  in  Julias  geändert  hätte,  so  daß  also  auch  der  neue  Ort 
nur  eine  xcofirj  gewesen  wäre486.  Allein  an  einer  andern  Stelle 
(Antt.  XX,  8,  4)  unterscheidet  e*  gerade  Julias  als  nbXig  von  den 
umliegenden  Dörfern;  jenes  war  also  doch  wohl  seit  der  Neu- 
gründung eine  nblig  im  eigentlichen  Sinne.  —  Die  Frage,  ob  das 


481)  S.  überh.:  Reland  p.  653  sqq.  869.  Raumer  S.  122.  Winer  s.  v. 
Bethsaida.  Kuhn  II,  352.  Robinson,  Palästina  III,  565-567.  Ritter  XV, 
1,  278ff.  GuSrin,  Galilie  I,  329—338.  Furrer  in  derZeitschr.  d.  deutschen 
Pal.- Vereins  II,  66—70. 

482)  8.  bes.  Beü.  Jud,  III,  10,  7;  auch  Antt.  XVIII,  2,  1  (am  See  Gene- 
zareth). Vita  72  (nahe  am  Jordan).  Antt.  XX,  8,  4.  B.  J.  II,  13,  2  (in  Peräa).  — 
Auch  Plinius  H.  N.  V,  15,  71  erwähnt  Julias  am  östlichen  Ufer  des  Sees 
Genezareth. 

483)  Vellejus  II,  ICO.  Bio  Cassius  LV,  10.  Vgl.  Suäon.  Aug.  65.  Tac. 
AnnaL  I,  53.    Paulys  Enzykl.  V,  844f.    Lewin,  Fasti  saeri  (1865)  n.  961. 

484)  So  auch  Sanelemente,  De  vulgaris  aerae  emendatione  p.  327 sqq. 
Lew  in,  Fasti  sacri  n.  953.  —  Die  Chronik  des  Eusebius  setzt  die  Grün- 
dung von  Julias  irrtümlich  in  die  Zeit  des  Tiberius.  S.  darüber  unten 
bei  Tiberias.  —  O.  Holtzmann,  Neutestamentl.  Zeitgesch.  1.  Aufl.  S.  95  gibt 
freilich  dem  Eusebius  den  Vorzug  vor  Josephus  und  setzt  die  Gründung  von 
Julias  später  als  das  öffentliche  Wirken  Jesu  Christi.   Anders  2.  Aufl.  S.  87. 

485)  Plinius  V,  15,  71.  Ptolem.  V,  16,  4  —  Didotsche  Ausg.  (I,  2,  1901) 
V,  15,  3.     Geogr.  Ravennas  edd.  Pinder  et  Parthey  p.  85. 

486)  Antt.  XVIII,  2,  1:  x(i)tut]v  öh  Bq&aaiSä  7tQÖg  Xlfivy  x%  rsvvrjoaQlttdi, 
ndXewg  napaoziav  ä^imua  nXrj&ei  xe  oIxtjx6q(i)v  xal  xy  aXXy  Swaiiu,  *IovXlq 
SvyaxQl  xjj  KaioaQoq  d^6ivv(xov  ixaXeosv. 


[162.  163]    L  Die  hellenistischen  Städte.  30.  Julias.   31.  Sepphoris.  209 

neutestamentliche  Bethsaida  mit  dem  unsrigen  identisch  ist  — 
eine  Frage,  die  neuerdings  wieder  mehrfach  bejaht  worden  ist  — , 
kann  hier  unerörtert  bleiben487. 

31.  Sepphoris,  SsjnpcoQiq4^.    Die  semitische  Form  dieses  | 
Ortsnamens  schwankt  zwischen  "pTte  und  •n'tas.    Vielleicht  ist 

i     •         •  •         • 

ersteres  die  ältere,  letzteres  die  abgeschliffene  Form489.  Der 
ersteren  entspricht  griechisch  und  lateinisch  2sn<povQlv,  Saphorim, 


487)  Für  die  Identität:  H.  Holtzmann,  Jahrbb.  f.  prot.  Theol.  1878, 
8.  383  f.  Ders.  im  Hand -Kommentar  zum  N.T.  I,  2.  Aufl.  S.  174.  Furrer 
in  der  Zeitechr.  d.  DPV.  II,  66— 70.  Ebers  und  Guthe,  Palastdna  I,  S.  334. 
502.  Oe  hl  mann,  Die  Fortschritte  der  Ortskunde  von  Palästina  1.  Tl. 
(Norden  1887,  Progr.)  S.  9.  G.  A.  Smith,  Historical  Qeography  of  the  Holy 
Land  p.  457  sq.  Buhl,  Geogr.  des  alten  Palästina  S.  242.  —  Gegen  die  Iden- 
tität bes.  Reland,  Raum  er  und  Win  er  a.  a.  0.;  in  neuerer  Zeit  z.  B.  van 
Kasteren,  Revue  biblique  1804  (s.  Zeitschr.  des  DPV.  XVIII,  226).  Ewing 
in  Hostings1  Dictionary,  of  the  Bible  I,  282  sq.  —  Eine  seltsame  Ansicht  hat 
Goodenow  aufgestellt  (Bibliotheea  sacra  vol.  45,  1888,  p.  729—732).  Er  meint» 
bei  der  Gründung  von  Julias  sei  dessen  alter  Name  aufgegeben  und  derselbe 
nun  von  der  Vorstadt  von  Kapernaum  angenommen  worden,  p.  730:  Gaperna» 
um's  suburb  iown  (nearest  to  Julias)  took  up  the  relinquished  name  Bethsaida 
(Heb.  „the  house  of  /bod").  Diese  Vorstadt  von  Kapernaum  sei  überall  unter 
dem  Bethsaida  des  Neuen  Testamentes  zu  verstehen.  In  der  Stelle  Lue.  9, 10 
gibt  Goodenow  der  Lesart  elq  nöliv  xaXovfi&vijv  Bij&aaTÖd  den  Vorzug.  Gegen 
ihn  verteidigt  Gray  (Bibliotheea  sacra  vol.  46,  1889,  p.  374—377)  die  Lesart 
des  textus  reeeptus  elg  zdnov  Sotj/xov  TtöXeax;  xakovfiivtjq  Brj&oaldd. 

488)  S.  überh.:  Reland  p.  999—1003.  Paulys  Enzykl.  VI,  1,  1050. 
Raumer  S.  139.  Kuhnü,372.  Robinson,  Palästina  HI,  440—443.  Ritter, 
Erdkunde  XVI,  748f.  Guirin,  Galilie  I,  369—376.  The  Survey  of  Western 
Pakstme,  Memoirs  by  Gonder  and  Kitehener  I,  279sq.  330—338;  dazuBl.  V 
der  engl.  Karte. 

489)  Im  A.  T.  kommt  der  Ort  nicht  vor;  sehr  häufig  dagegen  in  der  rabbi- 
nischen  Literatur;  in  der  Mischna  an  folgenden  vier  Stellen:  Kiddusehin  IV,  5. 
Baba  mexia  VIII,  8.  Baba  bathra  VI,  7.  Araehin  IX,  6  (nach  der  Cambridger 
Handschrift  auch  Joma  VT,  Sfin.);  in  der  Tosephta  sehr  oft  (s.  den  Index 
in  Zuckermandels  Ausgabe).  Sonst  vgl.  Light  foot,  Genturia  Matthaeo  praemissa 
e.  82—83  (Gpp.  II,  229  sqq.).  Neubauer,  Geographie  du  Talmud  p.  191—195. 
Hamburger,  Real -Enzykl.  för  Bibel  und  Talmud  II,  1115.  Bacher,  Die 
Agada  der  palästinensischen  Amoräer  Bd.  III,  1899,  Register  s.  v.  Sepphoris. 
Krauß  Art  Sepphoris  in:  The  Jewish  Encyclopedia  XI,  1905,  p.  198—200.  — 
Die  Orthographie  schwankt  zwischen  'p'VifiS  (oder,  was  dasselbe  ist,  "p^ne^S, 
öi-itM)  und  ^ifiS  (resp.  ■nifi^x).  Der  cod.  de  Rossi  138  hat  an  sämtlichen  vier 
Stellen  der  Mischna  "p^WS;  ebenso  hat  die  Cambridger  Handschrift  (ühi- 
versity  Additional  470,  1)  durchgängig  die  Pluralform.  Anch  im  jerusalemi- 
schen Talmud  scheint  dies  die  herrschende  Form  zu  sein  (s.  die  Zitate  bei 
Lightfoot  a.  a.  O.).  Sonst  dagegen  ist  "vfifiS  vorherrschend ;  so  namentlich  auch 
in  der  Tosephta  (nach  Zuckermandels  Ausgabe).  Analog  ist  das  Schwanken 
zwischen  den  Formeu  Modein,  Modeim  und  Modei.  Die  Pluralform  dürfte  in 
beiden  Fällen  das  Ursprüngliche  sein. 

Sohärer,  Geschichte  II.  4.  Aufl.  14 


210  §  2&   Ver&Mmig.   Sjnedrimii.   Hohepriester.  [163.  164] 

Saffcrine4^  der  letzteren  JEcur^ot**/,  Äipori,  &&«rs4fl.  Josephus 
gebraucht  konstant  die  grizisierte  Form  2ix*paQi$A*\  Anf Münzen 
nennen  sich  die  Einwohner  2txf><DQiivoiA*\  —  Die  früheste  Er- 
wähnung findet  sich  bei  Josephus  im  Anfange  der  Regierung  des 
Alexander  Jannäns,  wo  Ptolemäus  Lathnrns  einen  vergeblichen 
Versuch  machte,  Sepphoris  mit  Gewalt  zu  nehmen  {Antt  Xili,  12,  5). 
Als  Gabinius  um  57—55  vor  Chr.  das  jüdische  Gebiet  in  fünf 
„Synechien"  zerteilte,  verlegte  er  das  Synedrium  für  Galiläa  nach 
Sepphoris  (Anü.  XIV,  5, 4.  B.J.l,  8,  5);  dieses  muß  also  schon  da- 
mals die  bedeutendste  Stadt  Galiläas  gewesen  sein.  Als  Waffen- 
platz wird  es  auch  erwähnt  bei  der  Eroberung  Palästinas  durch 
Herodes  d.  Gr.,  der  es  nur  deshalb  ohne  Mühe  einnehmen  konnte, 
weil  die  Besatzung  des  Antigonus  den  Platz  geräumt  hatte  {Antt. 
XIV,  15,  4.  B.  /.  I,  16,  2).  Bei  dem  Aufstand  nach  dem  Tode  des 
Herodes  scheint  Sepphoris  ein  Hauptsitz  der  Empörung  gewesen 
zu  sein,  Varus  entsandte  dorthin  eine  Abteilung  seines  Heeres, 
ließ  die  Stadt  in  Brand  stecken  und  die  Einwohner  als  Sklaven 
verkaufen  {Antt.  XVII,  10,  9.  B.  J.  n,  5, 1).  Hiermit  ist  der  bedeut- 
samste Wendepunkt  in  der  Geschichte  der  Stadt  gegeben:  sie  wurde 
aus  einer  national-jüdischen  eine  römerfreundlich  gesinnte  Stadt, 
vermutlich  auch  mit  gemischter  Bevölkerung.  Herodes  Antipas 
nämlich,  in  dessen  Besitz  sie  nun  überging,  ließ  sie  neu  aufbauen 
und  machte  sie  zu  einer  „Zierde  von  ganz  Galiläa*4  {Antt.  XVIII, 
2, 1:  xQooxrjfia  rov  raXilalov  xavxoq).  Aber  die  Bevölkerung  war, 
wie  namentlich  ihre  Haltung  während  des  großen  Krieges  vom 
Jahre  66—70  zeigte,  nicht  mehr  eine  antirömische,  also  wohl  auch 
nicht  mehr  eine  rein  jüdische494.  Vielleicht  ist  auf  diesen  Wechsel 


490)  2t7t(povQiv  Epiphan.  haer.  30,  11  (ed.  Dindorf).  Saphorim:  Hierony- 
mus  praef.  in  Jonam  (Vaüarsi  VI,  390).  Safforine:  Hieron.  Onomast.  ed. 
Klostermann  p.  17,  14.  Im  Evang.  Joharmü  11,  54  hat  der  griech.  und  lat 
Text  des  cod.  Cantabr.  nach  x&oav  den  Zusatz  Zafupovoeiv,  Sapfurim.  Auch 
hier  ist,  wie  die  Namensform  zeigt,  sicher  Sepphoris  gemeint,  nicht  Sepharvaim 
II  Reg.  17,  24  ff.,  welches  Resch  vergleicht  (Texte  und  Untersuchungen  von 
Gebhardt  und  Harnack  X,  4,  S.  141  £  204). 

401)  Zampovoel  Ptolem.  V,  16,  4  —  Didotsche  Ausg.  (I,  2,  1901)  V,  15,  3 
(die  Form  2a7t<povQtT  ohne  Zusatz  ist  entscheidend  bezeugt,  u.  a.  auch  durch 
den  Codex  von  Vatopedi  s.  Geographie  de  Ptolhnee,  reproduction  phototitho- 
grapkique  etc.  p.  LVII).  Sapori:  Geographus  Ravennas  edd.  Pinder  et  Partkey 
p.  85.    Sabure:  Notitia  dignitatum  ed.  Seeck  p.  73. 

492)  Nur  Antt.  XIV,  5,  4  ist  die  Überlieferung  sehr  unsicher.  Es  finden 
sich  die  Formen  2a<povQOi$t  2a7t<p6(>oi$,  Sauywpoiq,  SengxjyQoig  u.  a.  (s.  Niese). 

493)  S.  Eckhel  in,  425.  Mionnet  V,  482.  De  Saulcy  p.  325*$.  pl.  XVH 
n.  1—4. 

494)  Daß  sie  doch  auch  jetzt  noch  eine  vorwiegend  jüdische  war, 


[164.  165]  I.  Die  hellenistischen  Städte.   31.  Sepphoris.  211 

eine  Stelle  der  Mischna  zu  beziehen,  in  welcher  jedenfalls  die 
„alte  Regierung  von  Sepphoris"  als  eine  rein  jüdische  voraus- 
gesetzt wird495.  Bei  |  der  Neugründung  durch  Herodes  Antipas 
scheint  Sepphoris  auch  zur  Hauptstadt  von  Galiläa  erhoben  worden 
zu  sein496.    Von  demselben  Fürsten  wurde  jedoch  später  dieser 


erhellt  besonders  aus  B.  J.  III,  2,  4:  ngo&vfxwg  a<päq  afooi)q  imko%ovxo  xazä 
%(bv  6fio<pvXü)v  ovfifxdxovg. 

495)  Kidduschin  IV,  5.  Es  heißt  hier,  daß  als  Israelite  reinen  Geblütes 
jeder  zu  gelten  habe,  der  seine  Abkunft  von  einem  wirklich  im  Dienst  ge- 
wesenen Priester  oder  Leviten  oder  von  einem  Mitgliede  des  Synedriums  nach- 
weise; ja  überhaupt  jeder,  dessen  Vorfahren  als  öffentliche  Beamte  oder 
Almosenpfleger  bekannt  waren;  insonderheit  nach  Rabbi  Jose  auch  Jeder 
ynifi^s  im  rw^n  was  Dtnn  mniö  *a.  Zur  Erklärung  dieser  schwierigen 
Worte  ist  zu  bemerken:  D^nfi,  eigentlich  „besiegelt",  ist  hier  so  viel  wie  „be- 
stätigt, anerkannt,  urkundlich  beglaubigt"  (vgl.  den  Gebrauch  von  oyQayflCjto 
Ev.  Joh.  3,  33.  6,  27).  Das  Wort  IS,  welches  der  Vulgärtext  nach  öinn  hat, 
ist  nach  den  besten  Handschriften  zu  tilgen,  ^"i&t  ist  —  &qxÜ  (nicht  *=>  Archiv, 
wie  Krauß  meint),  ruw  ist  sicherlich  nicht  der  Ortsname  Jeschana  (wofür  es 
die  älteren  Kommentatoren  gehalten  haben),  sondern  das  Adj.  „alt".  Hiernach 
sind  zwei  Erklärungen  möglich.  Entweder  1)  „Jeder,  der  (resp.  dessen  Vorfahre) 
anerkannt  war  in  der  alten  Regierung  von  Sepphoris,  als  deren  Mitglied". 
Dann  wäre  vorausgesetzt,  daß  alle  Mitglieder  der  alten  Regierung  von  Sep- 
phoris Israeliten  reinen  Geblütes  waren.  Oder  2)  „Jeder,  der  anerkannt  war 
dureh  die  alte  Regierung  von  Sepphoris",  nämlich  als  Israelite  reinen  Geblütes. 
Auch  in  diesem  Falle  wäre  die  alte  Regierung  von  Sepphoris  als 
rein  israelitische  Behörde  vorausgesetzt.  Die  erstere  Erklärung 
scheint  mir  nach  dem  Zusammenhang  den  Vorzug  zu  verdienen.  —  Fraglich 
kann  allerdings  sein,  wann  die  alte  rein -jüdische  Regierung  von  Sepphoris 
durch  eine  andere,  gemischte  oder  heidnische,  ersetzt  wurde.  Man  könnte 
auch  an  die  Zeit  Hadrians  denken,  wo  infolge  des  jüdischen  Aufstandes  sich 
vieles  verändert  haben  kann;  wobei  auch  zu  beachten  wäre,  daß  ungefähr 
damals  Sepphoris  den  neuen  Namen  Diocäsarea  erhielt  (s.  unten).  Aber  nach 
allen  Anzeichen  scheint  es  mir  wahrscheinlich,  daß  Sepphoris  schon  seit  der 
Neugründung  durch  Herodes  Antipas  nicht  mehr  eine  rein  jüdische  Stadt  war. 
Auch  das  Beispiel  von  Tiberiaa  zeigt,  daß  die  Verfassungen  der  von  Herodes 
Antipas  gegründeten  Städte  nicht  nach  jüdischen  Maßstäben  organisiert  waren. 
Josephus  behauptet  sogar  in  betreff  ganz  Galiläas,  daß  erst  durch  ihn  die 
jüdische  Musterverfassung  dort  eingeführt  worden  sei  (&  J.  II,  20,  5).  Für 
Sepphoris  ist  noch  auf  die  Münzen  mit  dem  Bilde  Trajans  zu  verweisen. 

496)  Josephus  sagt  Antt.  XVHI,  2,  1:  Ijyev  [oder  fyyayev]  afaijv  ahzo- 
XQaxoQlöa.  Darin  liegt  an  sich  wohl  nicht  mehr,  als  daß  er  ihr  die  Autonomie 
verlieh  (ctfaoxQavoQlöa  =—  aixdvofxov).  Aber  die  folgende  Geschichte  macht 
es  doch  wahrscheinlich,  daß  ihr  schon  damals  das  übrige  Galiläa  untergeordnet 
wurde.  —  Die  Erklärung  von  avxoxQavoQiq  durch  „Residenzstadt"  ist  schwer- 
lich zu  billigen.  Eine  sichere  Erklärung  der  Stelle  ist  freilich  um  so  schwie- 
riger, als  auch  die  Lesart  schwankt  Dindorf  konjiziert  ävfjxsv  abity  abxo- 
xgdzoQi,  Niese  liest  rfyÖQSVEv  afafjv  aizoxQaxoQlda.  So  auch  Oe hier,  Zeitschr. 
des  DPV.  1905,  S.  59.    Beides  ist  handschriftlich  kaum  genügend  begründet. 

14* 


212  §  23-   Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [166.  166] 

Bang  dem  neuerbauten  Tiberias  verliehen,  und  Sepphoris  diesem 
untergeordnet497.  So  blieb  es,  bis  unter  Nero  Tiberias  von  Galiläa 
getrennt  und  dem  Agrippa  IL  verliehen  wurde.  Infolgedessen  trat 
wieder  Sepphoris  in  die  Stellung  einer  Hauptstadt  von  Galiläa 
ein408.  Diese  beiden  Städte  nahmen  also  in  bezug  auf  Galiläa 
abwechselnd  dieselbe  Stellung  ein,  wie  Jerusalem  in  bezug  auf 
Judäa  (s.  unten  Abschnitt  II).  —  Sepphoris  war  damals  die  be- 
deutendste Festung  von  Galiläa499,  und  neben  Tiberias  die  größte 
Stadt  der  Provinz  60°.  Darum  war  es  beim  Ausbruch  des  jüdischen 
Krieges  von  großer  Bedeutung,  daß  gerade  sie  sich  am  Aufstand 
nicht  beteiligte,  sondern  von  Anfang  an  auf  Seiten  der  Eömer 
stand.  Schon  als  Cestius  Gallus  gegen  das  aufständische  Jerusalem 
aog,  nahm  Sep|phoris  eine  freundliche  Stellung  zu  ihm  ein501.  Und 
es  blieb  seiner  römischen  Gesinnung  auch  getreu  während  des 
Winters  66/67  nach  Chr.,  als  Josephus  den  Aufstand  in  Galiläa 
organisierte502.    Daher  nahm  Josephus  es  einmal  mit  Gewalt  ein, 

497)  Vita  9:  Justns  sagte,  von  Tiberias,  <oq  %  nöXiq  iatlv  «iei  xfjq  TaXi* 
Xataq,  apgeiev  6h  &ni  ye  x(hv  'Hqu>6ov  XQ^Viov  xo%  xetgaQxov  xal  xxiaxov 
yevofiivoVy  ßovXri&brcoq  abzof)  x^v  2en<pQ)Qixibv  itdXiv  xjj  TißeQiicw  inaxoveiv. 

498)  Vita  9:  &q£cci  yäp  eitövq  xtjv  fthv  Zbi<pwQiv,  ineitf]  %Po>paloiq  &n}- 
xovoe,  xfjq  raXiXaiaq. 

499)  Bell.  Jud.  II,  18,  11:  ^  xaQtegwxdxi]  xfjq  raXiXaiaq  nöXiq  2&i<pa>Qiq. 
Vgl  B.  J.  III,  2,  4.  —  Die  dxgdnoXiq  wird  erwähnt  Vita  67.  Vgl.  Mischna 
Äraehin  IX,  6:  T»W»S  bffi  ritten  ft*\xp  „die  alte  Burg  von  Sepphoris".  Tosephta 
Schabbath  p.  129,  27  ed.  Zuckermandel  ■nifi'ttStö  fcnoxp. 

500)  Vita  65  (ed.  Niese  §  346):  xGw  iv  xfj  raXiXala  ndXswv  al  fiiytaxai 
2bi<po)Qiq  xal  TißsQiaq.  —  Vita  45:  elq  2facg>a>oiv,  fxeyioxrjv  xwv  4v  xjj  TaXi- 
Xala  nöXiv.  —  B.  J.  III.  2,  4:  fieyloxrjv  fihv  ovoav  xfjq  raXiXaiaq  noXiv,  iovfivo» 
tdx<p  6* imxexeizrtft&iv  X^Q^*  —  Nach  Vita  25  waren  Tiberias,  Sepphoris 
und  Gabara  die  drei  größten  Städte  Galiläas. 

501)  B.  J.  H,  18,  11. 

502)  Jos.  Vita  8.  22.  25.  45.  65.  —  Hiermit  scheinen  freilich  zwei  Stellen 
des  Bell.  Jud.  im  Widerspruch  zu  stehen:  nach  B.  J.  II,  20,  6  überließ  Josephus 
den  Sepphoriten  selbst  die  Befestigung  ihrer  Stadt,  da  er  sie  ohnehin  „bereit 
cum  Kriege"  (itQO&vfiovq  inl  xöv  ndXtfiov),  seil,  gegen  die  Römer,  fand;  und 
nach  B.  J.  II,  21,  7  trat  Sepphoris  beim  Ausbruch  des  Konfliktes  zwischen  Jo- 
sephuB  und  der  fanatischeren  Kriegspartei  auf  Seite  der  letzteren.  Allein  wie 
es  in  Wahrheit  mit  beiden  Tatsachen  sich  verhält,  sieht  man  aus  den  spe- 
zielleren Angaben  der  Vita,  Ihre  Bereitschaft  für  die  Sache  der  Revolution 
schützten  die  Sepphoriten  nur  vor,  um  sich  die  ganze  Revolutionspartei  vom 
Leibe  zu  halten ;  sie  befestigen  ihre  Stadt  nicht  gegen,  sondern  für  die  Römer 
(s.  bes.  Vita  65).  Und  da  sie  im  Winter  66/67  längere  Zeit  ohne  römischen 
Schutz  waren,  mußten  sie  zwischen  den  einander  gegenseitig  sich  bekämpfen- 
den Revolutionsparteien  lavieren,  und  womöglich  zu  beiden  eine  scheinbar 
freundliche  Stellung  einnehmen  (s.  Vita  25  und  bes.  Vita  45),  worauf  also  das 
in  B.  J.  II,  21,  7  Gesagte  zu  reduzieren  ist. 


[166.  167]         I.  Die  hellenistischen  Städte.   32.  Julias  (Livias).  213 

wobei  er  nicht  hindern  konnte,  daß  es  durch  seine  galiläischen 
Truppen  geplündert  wurde 60S.  Infolgedessen  sandte  Cestius  Gallus 
der  bedrängten  Stadt  eine  Besatzung,  durch  welche  Josephus,  als 
er  zum  zweitenmal  in  die  Stadt  eindrang,  zurückgeschlagen  wurde504. 
Bald  darauf  traf  Vespasian  mit  seinem  Heere  in  Galiläa  ein,  und 
Sepphoris  erbat  und  erhielt  nun  durch  ihn  abermals  eine  römische 
Besatzung  b0\  —  Aus  der  weiteren  Geschichte  der  Stadt  sind  nur 
Bruchstücke  bekannt  Auf  Münzen  Trajans  nennen  sich  die  Ein- 
wohner noch  £exg>a)Q7)voL  Bald  darauf  erhielt  sie  aber  den  Namep 
Diocäsarea,  der  auf  Münzen  seit  Antoninus  Pius  nachweisbar  ist 
Ihre  offizielle  Bezeichnung  auf  den  Münzen  ist:  Aioxat(paQud)  Uqc, 
ao{vXog)  xal  avT6(po/toq)s0\  Der  Name  Diocäsarea  ist  bei  den 
griechischen  |  Schriftstellern  der  herrschende  geblieben507.  Doch 
hat  sich  daneben  auch  der  ursprüngliche  erhalten,  ja  zuletzt  wieder 
jenen  verdrängt508.  —  Das  Gebiet  von  Diocäsarea  war  so  groß, 
daß  es  z.  B.  das  Dorf  Dabira  am  Berg  Tabor  noch  mit  umfaßte 509. 
32.  Julias  oder  Livias510.  Im  Alten  Testamente  wird  ein 
Ort  Beth-haram  (üyn  rM  oder  "pn  tT»a)  im  Ostjordanlande,  im 


603)  Vita  67. 

.  504)  Vita  71.  —  Auf  diese  zweimalige  Einnahme  von  Sepphoris  bezieht 
sich  die  Bemerkung  Vüa  15:  Ölq  fxhv  xatä  XQ&toq  kXwv  2en<pa>Qlraq. 

505)  Vüa  74.  Bell.  Jud.  III,  2,  4.  4,  1.  —  Die  früher  von  Cestius  Gallus 
gesandte  Besatzung  war  entweder  inzwischen  wieder  abgezogen  oder  sie  wurde 
nun  durch  die  Truppen  Vespasians  ersetzt  oder  verstärkt. 

506)  S.  über  die  Münzen  überhaupt:  Noris  V,  6/w.  (ed.  Lips.  p.  562—564). 
Eckhel  III,  425  sq.  Mionnet .V,  482  sq.  Suppl.  VUI,  331  sq.  De  Saulcy 
p.  325—330,  pl.  XVII  n.  1 — 7.  —  Über  eine  angebliche  Münze  des  Seleukus  I 
Nikator:  Eckhel  III,  426.  Wonnet  V,  4.  In  der  Zeitschr.  f.  Numismatik  XTLI, 
1885,  8.  134—136  teilt  Imhoof-Blumer  eine  Münze  von  Diocäsarea  mit,  die  er 
wohl  mit  Recht  dem  cilicischen  Diocäsarea  zuschreibt.  —  Über  die  Identität 
von  Sepphoris  und  Diocäsarea:  Epiphan.  haer.  30,  11 /in.  Hieronymus 
Onomast.  ed.  Klostermann  p.  17,  13  sq.  Hern,  praefat.  in  Jonam  (Vallarsi  VI, 
390).    Eegesippus,  De  hello  Jud.  I,  30,  7. 

507)  Eusebius  im  Onomast,  nennt  die  Stadt  ausschließlich  dtoxaiodpEia 
(s.  den  Index  bei  Klostennann).  Sonst  vgl.  außer  der  in  der  vorigen  Anm. 
ziterten  Literatur  auch:  Soerates,  Eist.  ecel.  II,  33.  Soxom.  Bist.  ecel.  IV,  7. 
Theophanes,  Chronograpkia  ed.  Bonnens.  I,  61.  Cedrenus  ed.  Bekker  I,  524.  Le 
Quien,  Oriens  christ.  EI,  714. 

508)  Über  den  fortdauernden  Gebrauch  des  Namens  Sepphoris  s.  oben 
Anm.  48&— 491.    Der  Ort  heißt  noch  heute  Sefurije. 

509)  Euseb.  Onomast.  p.  78:  daßeiga  ....  iv  xfy  Soei  Saßwo,  iv  SqIoiq 
dioxamaoelaQ.  —  Auch  Qabatha,  das  heutige  Jebata,  ungefähr  7—8  mil,  pass. 
von  Diocäsarea,  gehörte  zu  dessen  Gebiet;  s.  oben  Anm.  432. 

510)  S.  überh.:  Reland  p.  642.  874.  Paulys  Enzykl.  IV,  1107.  Winer, 
EWB.  I,  171  (s.v.  Beth-haram).  Raumer  S.  260.  Ritter  XV,  538.  573.  1186. 
Seetzen,  Reisen  IV,  224 f.    Riehms  Wörterb.  s.  v.  Beth-haram.    Kuhn,  Die 


214  §  23.   Verfassung.    Synedrium.   Hohepriester.  [167.  168] 

Gebiete  des  amoritischen  Königs  von  Hesbon  erwähnt  (Jos.  13,  27. 
Num.  32,  36).  Im  jerusalemischen  Talmud  wird  als  neuerer  Name 
dieses  Beth-haram  nman  r^a  angegeben511;  und  ebenso  identifizieren 
Eusebius  und  Hieronymus  das  biblische  Beth-haram  mit  dem  ihnen 
bekannten  Btjd-Qafiqpd-a  oder  Bethramtha*12.  Mit  letzterem  ist  jeden- 
falls identisch  das  Bij&aQafta&og,  wo  Herodes  d.  Gr.  einen  Palast 
hatte,  der  bei  dem  Aufstande  nach  dem  Tode  des  Herodes  zerstört 
wurde518.  Eben  dieses  Bethramphtha  nun  wurde  von  Herodes 
Antipas  neu  gebaut  und  befestigt  und  zu  Ehren  der  |  Gemahlin 
des  Augustus  Julias  genannt  (Jos.  Antu  XVIII,  2,  1.  B.  J.  EL,  9, 1). 
Statt  des  Namens  Julias  geben  Eusebius  und  andere  den  Namen 
Livias514.  Und  unter  diesem  Namen  wird  die  Stadt  auch  sonst 
häufig   erwähnt515.    Da   die  Gemahlin   des  Augustus  eigentlich 


stadtische  und  bürgert  Verfassung  II,  352 f.  Ders.,  Über  die  Entstehung  der 
Städte  der  Alten  (1878)  S.  426.  Tuch,  Quaestiones  de  Flavii  Josephi  tibris 
historicis  (1859)  p.  7—11.  Verschiedene  Mitteilungen  in  der  Zeitschr.  des  DPV. 
H,  2—3.  VH,  201  ff.  Vin,  lOO.  Xm,  218  £  The  Survey  of  Eastern  Palestine, 
Memoire  etc.  vol.  I  by  Conder,  1889,  p.  238  f.  •  Thomsen,  Loea  saneta  p.  SS  sq. 

511)  jer.  Schebiith  38  d  (zu  Mischna  Schebiith  IX,  2;  s.  die  Stelle  auch  bei 
Befand  p.  306—308.  Es  wird  hier  Peräa  nach  seiner  physischen  Beschaffenheit 
in  drei  Teile  eingeteilt:  Gebirge,  Ebene  und  Tal  ("in,  nbfitt)  und  p&9).  Im 
Gebirge  liegt  z.  B.  Machärus,  in  der  Ebene  Hesbon,  im  Tal  *pn  rV*S  und 
rrvöD  n^a.  Als  die  neueren  Namen  der  beiden  letzteren  Orte  werden  dann  an- 
gegeben ntwi  rna  und  "p-raa  rv»a.  —  In  der  Tosephta  (p.  71, 23  ed.  Zuckermandel) 
heißen  die  beiden  Orte  «nai  maa  r^S.  Ist  hier  r^a  vor  Ktran  ausgefallen? 
oder  sollte  der  Ort  auch  einfach  Ktron  genannt  worden  sein? 

512)  Euseb.  Onomaet.  ed.  Klostermann  p.  48.  49. 

513)  BeU.  Jud.  n,  4,  2.  In  der  Parallelstelle  Antt.  XVH,  10,  6  ist  der 
Name  korrumpiert.  Statt  iv  *A(Aa&otq  oder  iv  'Afifid&otQ,  wie  der  überlieferte 
Text  hat,  ist  entweder  zu  lesen  iv  'Aga/naS-oTg  (mit  Weglassung  von  Beth,  so 
Tuch,  Quaestiones  etc.  p.  10)  oder  geradezu  iv  Bij&aoafiad'OTQ. 

514)  Euseb.  Onomast.  ed.  Klostermann  p.  48:  Bq&Qafup&ä  ....  afo)j  64 
iaxiv  %  v$v  xaXovpivT]  Aißidq.  —  Hieronymus  ibid.  p.  49:  Bethramtha  . .  ab 
Herode  in  honorem  Auf/usti  Libias  cognominata.  —  Euseb.  Ohron.  ed.  Sehoene 
TL,  148 sq.:  Herodes  Tiberiadem  condidü  et  Liviadem  (nach  Hieron.,  ebenso 
armen.).  —  Syncell.  ed.  Dindorf  I,  605:  'Hgwdriq  exrioe  TißsoidSa  eis  Övopa 
Tißeoiov  Kaioaooq.  6  avtdq  Aißiäöa.  —  Die  Identität  von  Livias  mit  dem 
Betharamphtha- Julias  des  Josephus  ist  hiernach  zweifellos  (gegen  Kasteren, 
Zeitschr.  des  DPV.  XIII,  218f.). 

515)  Plinius  H.  N.  XIII,  4,  44.  Ptolemaeus  V,  16,  9  —  Didotsche  Ausg. 
(I,  2,  1901)  V,  15,  6  (Aißidq  nach  entscheidendem  Zeugnis,  u.  a.  auch  nach  dem 
Cod.  von  Vatopedi).  Euseb.  im  Onomast,  häufig.  Hierocles,  Synecd.  ed.  Parthey 
p.  44.  Die  Nolitia  episcopat.  ebendas.  p.  144.  Die  Akten  der  Konzilien  (Le 
Quien,  Oriens  christ.  III,  Gbbsq.).  Die  Vita  S.  Joannis  Silentiarii  (in  den 
Acta  Sanctorum,  s.  die  Stelle  bei  Befand  p.  874).  Oeooraphus  Bavennas  edd. 
Pinder  et  Parthey  p.  84  (Leviada,  als  Nominat.).  Gregor.  Turon.  De  gloria 
martyr.  I,  18.    Raabe,   Petrus   der  Iberer  (1895)  S.  81  f.    Die  Pilgerschriften 


[168.  169]        L  Die  hellenistischen  Städte.   32.  Julias  (Linas).  215 

Li  via  hieß  and  erst  durch  das  Testament  des  Augustus  in  die 
gens  JuUa  aufgenommen  wurde,  daher  auch  erst  seit  dessen  Tod 
den  Namen  Julia  führte516,  so  ist  anzunehmen,  daß  Livias  der 
ältere  Name  der  Stadt  ist,  und  daß  dieser  erst  später  (nach  dem 
Tode  des  Augustus)  in  den  Namen  Julias  geändert  wurde;  daß 
jedoch  dieser  neue  offizielle  Name^nicht  mehr  imstande  war,  den 
schon  eingebürgerten  älteren  zu  verdrängen  (ähnlich  wie  bei  Cäsa- 
rea  Philippi  und  Neronias).  Nur  Josephus  gebraucht  den  offiziellen 
Namen  Julias.  Er  erwähnt  die  Stadt  unter  diesem  Namen  auch 
noch  zur  Zeit  des  jüdischen  Krieges,  wo  sie  durch  Placidus,  einen 
Unterfeldherrn  Vespasians,  eingenommen  wurde517.  —  Die  |  Lage 
der  Stadt  beschreibt  am  genauesten  der  Palästinapilger  Theodosius 
(saec.  VI)  und  nach  ihm  Gregor  von  Tours:  sie  lag  jenseits  des 
Jordan,  gegenüber  von  Jericho,  XII  m.  p.  von  dieser  Stadt  entfernt, 
in  der  Nähe  von  warmen  Quellen518.  Hiermit  stimmt  auch  Eusebius 

bei  Geyer,  Utinera  Hierosolymüana  p.  51,  13.  52,  10.  54,  8  (Silvia),  145,  16ff. 
(Theodosius)»  165,  22  (Antoninus  Martyr;  die  Handschriften  haben  hier  sal~ 
miada  oder  salamiada;  die  von  Gildemeister,  Zeitschr.  des  DPV.  VIII,  100 
vorgeschlagene  Korrektur  in  Liviada  ist  trotz  des  Widerspruchs,  welchen  Mom- 
mert,  Änon  und  Bethairia  1903,  S.  68  f.  dagegen  erhoben  hat,  sehr  wahrschein« 
lieh).  —  Über  die  mehrfach  sich  findende  Nominativ -Bildung  Liviada  s. 
Rönsch,  Itala  und  Vulgata  S.  258 f. 

516)  Über  das  Testament  des  Augustus  s.  Tacit.  Annal.  I,  8:  Livia  in 
familiam  Juliam  nomenque  Augustum  adsumebatur.  Der  Name  Julia  für 
Livia  bei  Schriftstellern  (z.  B.  Tae.  Annal.  I,  14.  V,  1.  Sueton.  Galig.  16.  Dio 
Cassius  LVI,  46.  Plinius  H.  N.  X,  55,  154.  Josephus  häufig)  und  auf  Münzen 
und  Inschriften.  S.  Paulys  Enzykl.  IV,  484.  1116.  Rostowzew,  Livia  und 
Julia  (Strena  Helbigiana  1900,  p.  262—264). — Palästinensische  Münzen  der  Julia 
8.  bei  De  Saulcy,  Recherche*  sur  la  Numismatique  Judatque  1854,  p.  140 — 145. 
Madden,  History  of  Jetoish  Goinage  p.  141 — 151.  De  Saulcy,  Numismatique 
de  la  Terre  Samte  p.  73 — 76.  Madden,  Numismatique  Chronicle  1875,  p.  183 
bis  16a  Ders.,  Coins  of  the  Jews  (1881)  p.  177—182.  Stickel,  Zeitschr.  des 
DPV.  VII,  213. 

517)  Bell.  Jud.  IV,  7,  6.  8,  2.  —  Sonst  wird  die  Stadt  bei  Josephus  nicht 
erwähnt  Denn  Antt.  XX,  8,  4.  Bell.  Jud.  II,  13,  2  ist  sicher  Julias  =  Beth- 
saida  gemeint;  und  Antt.  XIV,  1,  4  ist  statt  Aißidg  mit  cod.  Pal.  Aißßa  zu 
lesen;  es  ist  derselbe  Ort,  der  Antt.  XIII,  15,  4  Aeußd  heißt.  Vgl.  Nieses 
Ausgabe  und  Tuch  a.  a.  O.  p.  11.  14.  Schlatter,  Zeitschr.  d.  DPV.  XIX,  230 
(Lemba  ist  aus  Libba  entstanden  wie  Ambakum  aus  Abbakuk  und  dgl.).  Auch 
das  Avoiaq  des  Strabo  p.  763  hat  mit  unserem  Livias  nichts  zu  tun,  da  es 
schon  zur  Zeit  des  Pompeius  existierte. 

518)  Theodosius  bei  Geyer,  Itinera  Hierosolymitana  p.  145:  Öivitas  Le~ 
viada  trans  Jordanen,  habens  de  Hierieho  milia  XII  . . .  ibi  aquae  calidae  sunt, 
ubi  Moyses  lavit,  et  in  ipsas  aquas  calidas  leprosi  curantur.  —  Gregor.  Tu- 
ron.,  De  gloria  martyrum  1, 18:  Sunt  autem  et  ad  Levidam  [al.  Leviadem]  elvi- 
totem  aquae  calidae,  ....  ubi  similiter  leprosi  mundanlur;  est  autem  ab  Hierieho 
duodeeim  millia. 


216  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [169.  170] 

überein,  der  sie  gegenüber  von  Jericho,  auf  dem  Weg  nach  Hesbon, 
ansetzt619.  —  Ihre  Dattelkultur  wird  von  Theodosius  noch  ebenso 
gerühmt  wie  von  Plinius620. 

33.  Tiberias,  TißBQtagb2K  —  Die  bedeutendste  Schöpfung  des 
Herodes  Antipas  war  die  Gründung  einer  neuen  Hauptstadt  am 
westlichen  Ufer  des  Sees  Genezareth,  die  er  zu  Ehren  des  Tiberius 
TißsQiag  nannte.  Sie  lag  in  der  Nähe  berühmter  warmer  Quellen, 
„in  der  besten  Gegend  Galiläas"  (rol<;  xQartozoig  . .  xr\q  raXUaiaq,  \ 
AnU.  XVIII,  2,  3.  Bell.  Jud.  II,  9,  1;  vgl.  oben  §  17b)622.    Ihre  Er- 


519)  Euseb.  Onomast  ed.  Klostermann  p.  *2.  16.  48.  —  Vgl.  auch  die  Stelle 
ans  der  Vita  S.  Joannis  Siientiarii  bei  Befand  p.  874.  —  Die  angegebenen 
Daten  stimmen  zu  der  Lage  des  heutigen  Teil  er-Rame  auf  der  Süd -Seite 
des  Wadi  Hesban,  fast  genau  in  der  Mitte  zwischen  Jericho  und  Hesbon 
(s.  bes.  die  genaue  Karte  in  The  Survey  of  Eastern  Palestine  vol.  I,  1889,  und 
den  Text  ebendas.  p.  238 f.).  Sicherlich  ist  also  hier  Beth-ramtha  =  Livias 
zu  suchen,  während  die  Identität  mit  Beth-haran  aus  sprachlichen  Gründen 
fraglich  erscheint  (■.  Zeitschr.  des  DPV.  II,  S.  2—3).  Auf  der  Nord-Seite  des 
Wadi  flesban,  bei  Teil  Hamm  am,  ostlich  von  Teil  er-Rame,  ist  eine  warme 
Quelle.  S.  Merrill,  East  of  ihe  Jordan  (1881)  p.  193.  Dechent,  Zeitschr. 
des  DPV.  VII,  202.  Gildemeister  in  seiner  Ausgabe  des  Antoninus  (1889) 
S.  40  Anm.     The  Survey  of  Eastern  Palestine  p.  101,  229. 

520)  Plinius  K  N.  XIII,  4,  44  (s.  oben  Anm.  463).  —  Theodosius  1.  c: 
ibi  habet  dactalum  Nicolaum  majorem.  Hierzu  oben  Bd.  I,  S.  51,  auch  Blüm- 
ner, Der  Maximaltarif  des  Diocletian  1893,  S.  101. 

521)  S.  übern.:  Reland  p.  1036—1042.  Raumer  S.  Ulf.  Winer  RWB. 
s.  v.  Robinson,  Palästina  III,  500—525.  Ritter,  Erdkunde XV,  1,315—322. 
Bädeker-Socin3.  Aufl.  S.  252— 256.  Sepp,  Jerusalem  II,  188-209.  Quirin, 
Oalilie  I,  250—264.  The  Survey  of  Western  Palestine,  Memoire  by  Gonder 
and  Kitchener  I,  361  sq.  379.  418—420;  dazu  Blatt  VI  der  großen  englischen 
Karte.  Frei,  Zeitschr.  des  DPV.  IX,  1886,  S.  81—103.  Kaminka,  Studien 
zur  Geschichte  Galiläas,  1889,  S.  9—29.  Le  Strange,  Palestine  under  the 
Moslems  p.  334—341.    Thomson,  Loca  sancta  p.  111. 

522)  Über  die  warmen  Quellen  s.  Plinius  H.  N.  V,  15,  71:  Tiberiade 
aquis  calidis  salubri.  —  Jos.  AnU.  XVIII,  2,  3.  Bell.  Jud.  II,  21,  6.  IV,  1,  3. 
Vita  16.  —  Mischna  Schabbath  III,  4.  XXII,  5.  Negaim  IX,  1.  Machsehirin 
VI,  7.  Tosephta  Schabbath  p.  127,  21  ed.  Zuckermandel.  —  Antoninus  Martyr 
c.  7  bei  Geyer,  Itinera  Hieros.  p.  163:  in  civitatem  Tiberiada,  in  qua  sunt  ther- 
tnae  . . .  salsae.  —  Jakubi  (9.  Jahrh.),  übers,  v.  Gildemeister,  Zeitschr.  des 
deutschen  Pal.-Ver.  IV,  87  f.  Mukaddasi  ebendas.  VII,  153  f.  222.  Idrisi  eben- 
das. VIII,  128.  —  Das  heutige  Tiberias  liegt  etwa  40  Minuten  nördlich  von 
den  Quellen;  und  man  hat  keinen  Grund,  die  frühere  Lage  der  Stadt  anders 
anzusetzen.  Denn  die  Meinung  Furrers  (Ztschr.  d.  DPV.  II,  54),  daß  das 
alte  Tiberias  direkt  an  der  Stelle  der  Quellen  gelegen  habe,  so  daß  diese  „in 
die  Mauern  der  Stadt  eiogeschlossen  waren",  beruht  auf  irriger  Auffassung 
von  Jos.  Vita  16.  B.  J.  II,  21,  6.  S.  dagegen:  Antt.  XVIII,  2,  3.  B.  J.  IV, 
1,  3.  (Das  iv  Tißeoidöi  an  den  beiden  ersteren  Stellen  heißt  nur  „im  Ge- 
biet von  Tiberias";  so  z.  B.  bei  Steph.  Byx.  ed.  Meineke  p.  366:  Kdoxviov,  Ö*qoq 


[170.  171]  I.  Die  hellenistischen  Städte.  33.  Tiberias.  217 

bauung  fällt  jedenfalls  erheblich  später  als  die  von  Sepphoris  und 
Livias.  Denn  während  Josephus  die  Erbauung  dieser  beiden  Städte 
gleich  im  Anfange  der  Regierung  des  Herodes  Antipas  erwähnt, 
kommt  er  auf  die  Gründung  von  Tiberias  erst  nach  dem  Amtsantritt 
des  Pilatus  (26  nach  Chr.)  zu  sprechen  (s.  Antt  XVIII,  2,  1—3). 
Dies  macht  es  wahrscheinlich,  daß  Tiberias  erst  nach  oder  um  26 
nach  Chr.  erbaut  ist523.  Eusebius  in  seiner  Chronik  setzt  die  Er- 
bauung bestimmt  in  das  14.  Jahr  des  Tiberius;  aber  dieser  Ansatz 
ist  in  chronologischer  Beziehung  ganz  wertlos524.  Leider  läßt  sich 
die  |  auf  den  Münzen  Trajans  und  Hadrians  vorkommende  Ära  der 
Stadt  nicht  sicher  berechnen.  Es  scheint  aber,  daß  die  Daten  der 
Münzen  mit  der  aus  Josephus  entnommenen  Vermutung  nicht  im 


iv  'Aontvdy  %fj<;  IIaji<pvXla$,  p.  442:  fem  xal  iv  Kv^ixtp  xwfiTj  MiXioaa,  vgl. 
Marquardt,  Römische  Staatsverwaltung  I,  1881,  8. 16,  Anm.  5.  Auch  im  A.  T., 
II  ObroD.  26,  6  lYTOKn  —  im  Qebiet  von  Asdod.  Ohne  das  Material  aus 
Steph.  Byz.  zu  kennen,  hat  auch  Frei,  Zeitschr.  des  DPV.  IX,  95—99  das 
Richtige  gefunden.)  —  Der  Ort,  wo  die  Quellen  lagen,  hieß  'Afjtfia&ovq  (so  ist 
sicher  Ana.  XVIII,  2,  3  und  wahrscheinlich  auch  B.  J.  IV,  1,  3  zu  lesen,  vgl. 
TheoL  Litztg.  1890,  645),  hebr.  rrnan,  jer.  Erubin  V,  22 d  unten,  Tosephta 
Erubin  p.  146,  5  ed.  Zuckermandel.  Die  Ansicht  von  Furrer  und  anderen,  daß 
die  bei  Joseph.  Antt.  XVIII,  2,  3  und  B.  J.  IV,  1,  3  erwähnten  Quellen  ver- 
schieden seien  von  den  Vita  16  und  B.  J.  II,  21,  6  erwähnten  (Furrer, 
Zeitschr.  des  DPV.  XIII,  194ff.  Oehlmann,  Die  Fortschritte  der  Ortskunde 
von  Palästina,  1.  Tl.  Norden,  Progr.  1887,  8.  12—14),  ist  eine  seltsame  Kon- 
sequenz, zu  welcher  sie  durch  ihre  Ansicht  über  die  Lage  von  Tarichea  ge- 
drängt worden  sind.  Vgl.  dagegen  die  Bemerkungen  über  die  Lage  von  Tari- 
chea oben  §  20  (I,  614  £),  auch  Dechent,  Zeitschr.  des  DPV.  VII,  178. 
Kasteren  ebendas.  XI,  215.  Buhl  ebendas.  XIII,  39—41.  Guthe  ebendas. 
XIII,  284£  —  Über  die  Bäder  von  Tiberias  überhaupt  auch  Lightfoot,  Cen- 
turia  Maithaeo  praemissa  c.  74  (Opp.  II,  224 sq.).  Wichmanshausen,  De 
thermis  Tiberiensibus  (in  Ugolinis  Thesaurus  t.  VII.)  Hamburger,  Real- 
Enzykl.  für  Bibel  und  Talmud.  IL  Abt  Art.  „Heilbäder".  Dechent,  Ztschr. 
des  DPV.  VII,  176-187. 

523)  So  auch  Lenin,  Fasti  saeri  (London  1865)  n.  1163. 

524)  Eusebius,  Chron.  ed.  Schoene  II,  146—149  berichtet  die  Gründung 
neuer  Städte  durch  die  Söhne  des  Herodes  in  folgender  Reihenfolge:  Philippus 
gründet  Cäsarea  und  Julias,  Herodes  Antipas  gründet  Tiberias  und  Li- 
vias. Sämtliche  Gründungen  werden  in  die  Zeit  des  Tiberius  gesetzt;  Sep- 
phoris ist  ganz  übergangen.  Dies  alles  macht  es  zweifellos,  daß  die  An- 
gaben des  Eusebius  lediglich  aus  Jos.  Bell.  Jud.  II,  9,  1  geschöpft 
sind.  Denn  die  Gründungen  werden  dort  genau  in  derselben  Reihenfolge, 
ebenfalls  nach  dem  Regierungsantritt  des  Tiberius  und  ebenfalls  mit  Über- 
gehung von  Sepphoris  aufgezählt.  Die  Ansätze  des  Eusebius  sind  also  nicht 
nur  ohne  selbständigen  Wert,  sondern  sie  sind  überdies  aus  dem  ungenaueren 
Bericht  des  Josephus  im  Bell.  Jud.  geschöpft,  mit  Ignorierung  des  genaueren  in 
Antt.  XVHI,  2,  1—3.  Vgl.  auch  Zeitschr.  für  wiss.  Theo!.  189S,  S.  30  f.,  übern. 
S.  22ff. 


218  §  23.   Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [171.  172] 

Widerspruch  stehen525.  Die  Bevölkerung  von  Tiberias  war  eine 
sehr  gemischte.  Um  nur  Einwohner  für  die  neue  Stadt  zu  ge- 
winnen, mußte  Herodes  Antipas  eine  wahre  coüuvies  hominum,  zum 
Teil  zwangsweise,  dort  ansiedeln  (s.  oben  §  17b).  Ihre  Hal- 
tung während  des  jüdischen  Krieges  zeigt  aber,  daß  sie  doch 
eine  vorwiegend  jüdische  war.  Nur  die  Verfassung  war  ganz 
in  hellenistischer  Weise  organisiert528:  die  Stadt  hatte  einen 
Rat  (ßovXri)  von  600  Mitgliedern527,  an  dessen  Spitze  ein  ap- 
X<ovh2*  und  ein  Ausschuß  der  öixa  jrpcoro*529  stand,  ferner  Hyp- 

525)  Über  die  Münzen  und  die  Ära  s.t  Noris  V,  6  (ed.  Lips.  p.  652 — 564). 
Sanclemente,  De  vulgaris  aerae  emendatione  p.  324  sq.  Eckhel  HI,  426—428. 
Musei  Sanclementiani  Numismata  selecta  Pars  H  lib.  IV, 340— 344.  Mionnet 
V,  483— 486.  Ä^Vm,  332*?.  Hub  er  in  der  Wiener  Numismatischen 
Zeitschrift,  Jahrg.  I,  1869,  S.  401—414.  De  Sauley  p.  333—338,  pl.  XVII 
n.  9—14.  Der s.  im  Annuaire  de  la  Sociiti  Francaise  de  Numismatique  et 
d'Archiol.  III,  266-270.  O.  A.  Smith,  Hisiorical  Oeography  of  the  Holy  Land 
p.  448.  Macdonald,  (Mal.  of  the  Hunterian  collection  III,  1905,  p.  275.  —  Unter 
den  datierten  Münzen  sind  sicher  bezeugt  nur  die  Münzen  Trajans  mit  der 
Jahreszahl  81  und  die  Münzen  Hadrians  mit  der  Jahreszahl  101.  Noris  und 
Sanclemente  setzten  auch  Trajans-Münzen  mit  der  Jahreszahl  101  voraus 
und  berechneten  demgemäß  die  Epoche  von  Tiberias  auf  d.  J.  17  n.  Chr. 
(denn  es  müßte  dann  das  Jahr,  in  welchem  Hadrian  auf  Trajan  folgte,  also 
117  n.  Chr.  —  101  aer.  Tiberiens.  sein,  also  17  n.  Chr.  —  1  aer.  Tib.).  Aber 
die  Münzen  mit  der  Jahreszahl  101  gehören  sicher  alle  Hadrian  an.  Auch 
die  anderen  von  den  Numismatikern  vereinzelt  angegebenen  Daten  (de  Sauley 
gibt  noch  Münzen  des  Claudius  v.  J.  33,  Trajans  v.  J.  80  und  90,  Hadrians 
v.  J.  103)  sind  zweifelhaft.  Man  kann  daher  mit  Sicherheit  nur  sagen,  daß 
die  Epoche  von  Tiberias  nicht  früher  als  17  nach  Chr.  beginnen  kann. 
Ein  weiterer  Anhaltspunkt  ließe  sich  gewinnen,  wenn  die  Titel,  welche  Trajan 
auf  den  Münzen  vom  J.  81  führt,  sicher  festgestellt  werden  könnten.  Wenn 
er  nämlich  hier  nur  Qermanicus,  nicht  Dacicus  heißt,  so  könnten  die  be- 
treffenden Münzen  nicht  später  als  103  nach  Chr.  geprägt  sein  (seit  welchem 
Jahre  Trajan  auch  den  letzteren  Titel  führte),  die  Epoche  also  nicht  später 
als  22  n.  Chr.  beginnen  (so  Eckhel).  Wenn  er  aber  umgekehrt  gerade  auf 
jenen  Münzen  schon  beide  Titel  hat  (wie  Beichardt  bei  Hub  er  a.  a.  O. 
versichert,  indem  statt  rEPM.  zu  lesen  sei  rEP.  d.\  so  könnten  umgekehrt 
die  Münzen  nicht  früher  als  103  geprägt  sein,  die  Epoche  also  nicht  früher 
als  22  n.  Chr.  beginnen.    Damit  würde  dann  Josephus  im  Einklang  stehen. 

526)  S.  zum  Folgenden:  Kuhn,  Die  städtische  und  bürgerl.  Verfassung 
II,  353  f.    Ders.,  Über  die  Entstehung  der  Städte  der  Alten  8.  427  f. 

527)  Bell.  Jud.  II,  21,  9.    Vgl.  überhaupt  Vita  12.  34.  55.  58.  61.  68. 

528)  Vita  27.  53.  54.  57.  Bell.  Jud.  II,  21,  3.  Es  wird  hier  überall  ein 
Jesus,  Sohn  des  Sapphias,  als  Archon  von  Tiberias  während  der  Revolu- 
tionszeit erwähnt.  Zu  seiner  Befugnis  gehört  z.  B.  auch  die  Leitung  der 
Rats-Versamralung,  Vita  58. 

529)  Vita  13.  57.  Bell.  Jud.  H,  21,  9  «=  Vita  33.  S.  bes.  Vita  13:  tovq. 
xfjq  ßovXqq  izqwtovq  föxa.  Vita  57:  xovq  öixa  nguTOvc,  Tißeoitcov.  —  Ober 
diese  in  den  hellenistischen  Kommunen  häufig  vorkommenden  Sixa  ngvoxot  s. 


[172.  173]  I  Die  hellenistischen  Städte.   33.  Tiberias.  219 

archen680  und  einen  Agoranomos681.  Auch  wurde  sie  zur  Hauptstadt 
von  Galiläa  erhoben,  indem  selbst  Sepphoris  ihr  untergeordnet 
wurde  (s.  oben  S.  211  f.).  Die  Münzen  von  Tiberias,  welche  zur  Zeit 
des  Herodes  Antipas  geprägt  sind,  haben  einfach  die  Aufschrift  Ti- 
ßsQiäg m.  —  Nach  der  Absetzung  des  Herodes  Antipas  ging  Tiberias 
in  den  Bejsitz  Agrippas  I.  über.  Auch  aus  dessen  Zeit  ist  eine 
Münze  mit  der  Aufschrift  TtßeQtdcov  bekannt688.  Nach  Agrippas  Tode 
kam  die  Stadt  unter  die  Oberhoheit  der  römischen  Prokuratoren 
von  Judäa.  Ebendamals  muß  sie  durch  Kaiser  Claudius  neue 
politische  Rechte  erhalten  oder  wenigstens  irgendwelche  Gunst- 
bezeugung erfahren  haben;  denn  die  Einwohner  nennen  sich  auf 
den  Münzen  Trajans  und  Hadrians  TißeQielg  KXavönig 584.     Ihre 


Kuhn  I,  55;  Marquardt,  Rom.  Staatsverwaltung  I,  213  f.  (1881);  d.  Index 
zum  Corp.  Jhscr.  Graee.  p.  35.  Liebenam,  Städteverwaltung  im  römischen 
Kaiserreiche  (1900)  S.  552  f.  Brandis  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  IV,  2417  ff. 
Seeck,  Decemprimat  und  Dekaprotie  (Beiträge  zur  alten  Geschichte,  herausg. 
von  Lehmann  I,  1,  1901,  S.  147 — 187).  Hula,  Dekaprotie  nnd  Eikosaprotie 
(Jahreshefte  des  österr.  archäol.  Inst  V,  1902,  S.  197—207).  —  Sie  sind  nicht 
etwa  die  zehn  ältesten  oder  angesehensten  Mitglieder  des  Rates,  sondern  ein 
wechselnder  Ausschuß  desselben  mit  bestimmten  amtlichen  Funktionen,  wie 
schon  die  oft  vorkommende  Formel  dexanQwtevoaq  zeigt  (s.  Corp.  Jhsor.  Oraee. 
n.  2639.  2929.  2930.  AM  2930b.  3490.  3491.  3496.  3498.  4289.  4415b.  texarcQta- 
rev*o>c  n.  3418).  Ihr  Hauptamt  war  die  Eintreibung  der  Steuern,  für  deren 
richtigen  Eingang  sie  mit  dem  eigenen  Vermögen  hafteten,  Digest.  L,  4, 1,  1: 
Munerum  civilium  quaedam  sunt  patrimonii,  alia  personarum.  PatrimonU  sunt 
tnunera  rei  vehicularis,  item  navicularis,  deeemprimatus :  ab  Ulis  enim  periculo 
ipsorum  exactiones  soliemnium  celebrantur.  Digest.  L,  4, 18, 26:  Mixta  munera 
deeaprotiae  et  icosaprotiae,  ut  Eerennius  Modestmus  ....  deerevit:  nam  deca- 
proti  et  icosaproti  tributa  ewigentes  et  corporate  mimsterium  gerunt  et  pro  Om- 
nibus defunetorum  (?)  fisealia  detrimenta  resareiunt.  —  Es  ist  bemerkenswert, 
daß  Josephus  bei  seiner  Verwaltung  Galiläas  den  decem  primi  zu  Tiberias 
Wertsachen  des  Königs  Agrippa  zur  Aufbewahrung  übergibt  und  sie  dafür 
verantwortlich  macht,  Vita  13.  57. 

530)  B.  J.  II,  21,  6:  xotg  xaxk  t^v  nöXiv  vnaQXOu;. 

531)  Antt.  XVm,  6,  2.  —  Über  das  Amt  des  äyoQavöfioq  s.  Stephanus, 
T/ies.  8.  v.  Häderli,  Die  hellenischen  Astynomen  und  Agoranomen,  vornehm* 
lieh  im  alten  Athen  (Jahrbb.  f.  class.  Philol.  15.  Supplementbd.  1887,  S.  45 
—94).  Oehler  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  I,  884 f.  Liebenam,  Stadte- 
verwaltung im  röm.  Kaiserreiche  S.  362  ff,  539 — 542.  In  einzelnen  Städten 
wechselte  das  Amt  halbjährlich  (Clermont-Qanneau,  Gomptes  rendus  de  VAcad. 
des  Inscr.  et  Belles-Lettres  1898,  p.  607  sq.).  —  Auch  die  rabbinischen  Quellen 
kennen  das  Amt  des  blWTOK  (Krauß,  Griech.  und  lat.  Lehnwörter  im 
Talmud  etc.  II,  11  f.). 

532)  Madden,  History  of  Jewish  Coinage  p.  97.  98.  Ders.,  Coins  of  the 
Jetcs  (1881)  p.  119.  120. 

533)  Madden,  History  p.  110.     Coins  of  the  Jews  p.  138. 

534)  S.  die  oben  Anm.  525  zitierte  Literatur,  bes.  de  Saulcy. 


220  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [173.  174] 

Stellung  als  Hauptstadt  Galiläas  behielt  sie  ununterbrochen  bis 
zur  Zeit  Neros  (Jos.  Vita  9).  Erst  durch  diesen,  vielleicht  erst  im 
Jahre  61  nach  Chr.,  wurde  sie  dem  Agrippa  II.  verliehen  und 
damit  von  Galiläa  abgetrennt  (AntiXK,  8,  4.  B.J.U,  13,  2.  Vita 9)535. 
Sie  gehörte  also  zum  Gebiete  Agrippas  II.,  als  im  Jahre  66  der 
jüdische  Aufstand  ausbrach.  Die  Haltung  der  Bevölkerung  diesem 
gegenüber  war  eine  sehr  verschiedene:  einige  wollten  auf  Seiten 
Agrippas  und  der  Römer  bleiben;  andere  —  und  zwar  die  Masse 
der  Besitzlosen  —  verlangten  den  Anschluß  an  die  Sache  der  Re- 
volution; wieder  andere  nahmen  eine  zurückhaltende  Stellung  ein 
( Vita  9;  vgl.  auch  Vita  12,  wo  die  Kevolutionspartei  fj  x&v  vccvtcüv 
xät  x&v  ajtoQcov  ördoig  heißt).  Die  Revolutionspartei  hatte  ent- 
schieden die  Oberhand;  und  so  mußten  die  anderen  sich  fügen. 
Ein  Hauptführer  der  ersteren  war  Jesus,  Sohn  des  Sapphias,  der 
damalige  Archon  der  Stadt536.  Auch  nach  dem  Sieg  der  revolu- 
tionären Strömung  hielt  aber  ein  Teil  der  Einwohnerschaft  die 
Beziehungen  zu  Agrippa  aufrecht  und  bat  ihn  wiederholt,  freilich 
vergeblich,  um  seine  Unterstützung537.  Als  Vespasian  den  größten 
Teil  Galiläas  unterworfen  hatte  und  bis  Tiberias  vorgedrungen 
war,  wagte  die  Stadt  keinen  Widerstand;  sie  öffnete  freiwillig  die 
Tore  und  bat  um  Gnade,  die  ihr  aus  Bücksicht  auf  Agrippa  ge- 
währt wurde:  Vespasian  ließ  zwar  seine  Soldaten  in  Tiberias  ein- 
ziehen, schonte  aber  die  Stadt  und  übergab  sie  wieder  dem  Agrippa53*. 
Ob  Agrippa  sie  bis  zu  seinem  Tode  (100  nach  Chr.)  behalten  hat, 
ist  fraglich.  Einige  Spuren,  wenn  auch  unsicherer  Art,  sprechen 
dafür,  daß  ihm  seine  jüdischen  Besitzungen  im  Jahre  85  nach  Chr. 
abgenommen  wurden539.  Tiberias  kam  dann  (sei  es  85  oder  100 
nach  Chr.)  wieder  unter  die  unmittelbare  römische  Herrschaft,  von 
welcher  auch  die  vorhandenen  Münzen,  meist  aus  der  Zeit  Trajans 
und  Hadrians,  Zeugnis  geben 540.  Eusebius  beizeichnet  sie  als  nöliq 
ijtlorjfiogbAi.    Im  dritten  und  vierten  Jahrhundert  nach  Chr.  war 


535)  Über  die  Zeit  s.  oben  §  19,  Anhang  (Bd.  I,  8.  583  f.) 

536)  Jos.  Vita  12.  27.  53.  54.  57.  Bett.  Jud.  II,  21,  3.  HI,  9,  7— S.  —  Die 
revolutionäre  Haltung  der  Stadt  erhellt  aus  der  ganzen  Erzählung  des  Josephus 
.in  seiner  Vita. 

537)  Bett.  Jud.  H,  21,  8-10.     Vita  32—34.  68—69.  70. 

538)  Bell.  Jud.  HI,  9,  7—8. 

539)  S.  Bd.  I,  S.  595.  598  f.  —  Die  Spuren  sind:  1)  daß  Batanäa  zur 
Zeit  der  Abfassung  von  Josephus1  Archäologie,  also  im  J.  93  dem  Agrippa 
nicht  mehr  gehört  hat  (Antt.  XVII,  2,  2),  2)  die  Notiz  eines  späteren  Chrono- 
graphen,  daß  Agrippas  jüdisches  Königtum  im  J.  85  endigte. 

540)  Eine  Münze  aus  der  Zeit  des  Com  modus  ist  publiziert  worden 
von  Hub  er  in  der  Wiener  Numismatischen  Zeitschr.  Jahrg.  1, 1869,  8.  401  ff. 

541)  Onomast.  ed.  Klostermann  p.  16. 


[174]  I.  Die  hellenistischen  Städte.   33.  Tiberias.  221 

sie  ein  Hauptsitz  rabbinischer  Gelehrsamkeit  and  wird  daher  auch 
in  der  talmudischen  Literatur  häufig  erwähnt542.  Sie  hatte  aber 
seit  dem  zweiten  Jahrhundert  auch  heidnische  Tempel,  z.  B.  ein 
9AÖQiavei6v\  das  ein  vaog  (ityiöxoq  war543.  Von  ihrer  Bedeutung 
als  Handelsstadt  im  zweiten  Jahrhundert  nach  Chr.  geben  zwei 
neuerdings  in  Rom  gefundene  Inschriften  Kunde,  wonach  die  Kauf- 
leute aus  Tiberias  in  Rom  eine  eigene  statio  (Verein  und  Vereins- 
haus) hatten544. 

Bei  einigen  der  zuletzt  genannten  Städte,  wie  Antipatris, 
Phasaelis,  Julias  und  Livias,  läßt  sich  nicht  mit  Bestimmtheit  sagen, 
ob  sie  wirklich  in  die  Klasse  der  selbständigen  Städte  mit  helle- 
nistischer Verfassung  gehörten:  es  ist  ebensogut  möglich,  daß  sie 
wie  andere  Städte  zweiten  Ranges  der  allgemeinen  Organisation 
des  Landes  einverleibt  waren.  Sie  mußten  aber  hier  mit  genannt 
werden,  weil  jedenfalls  ein  Teil  der  von  Herodes  und  seinen  Söhnen 
gegründeten  Städte  der  obigen  Kategorie  angehörte.  Andererseits 
bleibt  die  Möglichkeit  offen,  daß  mit  den  hier  aufgezählten  Städten 
die  Zahl  der  selbständigen  Kommunen  noch  nicht  erschöpft  ist 
Wir  können  also  die  von  uns  gegebene  Liste  nicht  als 
eine  festbegrenzte  betrachten.  —  Für-  die  römische  Kaiserzeit 
wäre  auch  noch  eine  Anzahl  selbständiger  städtischer  Kommunen 
zu  nennen,  die  hier  absichtlich  übergangen  sind,  weil  sie  eben 
erst  später  (frühestens  seit  70  nach  Chr.)  diese  Stellung  erlangt 
haben,  so  namentlich  Neapolis  =  Sichern  (gegründet  um  72  nach 
Chr.),  Capitolias  in  der  Dekapolis  (um  97—98  nach  Chr.),  Dios- 
polis  —  Lydda,  Eleutheropolis  (beide  unter  Septimius  Severus), 


542)  Neubauer,  Geographie  du  Talmud  p.  208 — 214  —  P inner,  Com- 
pendiam  des  jerus.  und  bab.  Talmud  (1832)  S.  109—116.  —  Bacher,  Die 
Agada  der  paläst.  Amoräer  Bd.  III,  1899,  Register  s.  v.  „Tiberias".  —  Krau ß, 
Griech.  u.  lab.  Lehnwörter  im  Talmud  etc.  II,  255  f. 

543)  Epiphan.  haer.  30,  12. 

544)  Oattiy  BuüeUino  deüa  eomissione  archeol  eomunale  1899,  p.  242 
und  Notixde  degli  scavi  (in  den  Aiti  deüa  R.  Aocademia  dei  Lincei)  1899,  p.  386, 
abgedruckt  bei  Cagnat,  Inscriptiones  gr.  ad  res  romanas  pertinentes  In.  132, 
richtig  ergänzt  von  Turtzewitsch,  Orbis  in  urbe  1902  (russisch,  s.  Berliner 
philol.  Wochenschr.  1904,  594)  und  Kubitschek,  Jahreshefte  des  osterr. 
archäol.  Institutes  Bd.  VI,  1903,  Beiblatt  col.  80  f.  Der  Beginn  lautet:  ZVa- 
xltov  [Tißs]Qii(ov  xCov  xal  KXavöionoXiTLbv  Zvoiq  IIaX[aio]z€ivy.  Die  erst  von 
Turtzewitsch  und  Kubitschek  gegebene  Ergänzung  [Tiße]QU(ov  ist  zweifellos 
richtig.  Die  Inschrift  gehört  nach  K.  frühestens  der  Mitte  des  2.  Jahrh.  n.  Chr. 
an.  —  2)  Gatti,  Bullettino  eomunale  1899  p.  241  und  Notixte  degli  scavi  1899, 
p.  292  —  Cagnat,  Inscr.  gr.  I  n.  111:  *Iafim>oq  *I(oJjvov  vlbq  Tißegievg  r§  <na~ 
xlatvi.  —  Die  siationes  munieipiorum  in  der  Nähe  des  Forums  in  Born  er- 
wähnen auch  Plin.  Rist.  Nat.  XVI,  236.  Sueton.  Nero  37. 


222  §  23.   Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [174.  175] 

Nikopolis  —  Emmaus  (unter  Elagabal),  und  die  der  Provinz 
Arabien  angehörigen  Kommunen,  wie  Bostra,  Adraau.  a.  Auch 
Aelia  Capitolina  (=  Jerusalem)  wäre  für  die  Zeit  nach  Hadrian 
als  heidnische  Stadt  zu  erwähnen.  Über  Neapolis  und  Capitolias 
s.  oben  §  21,  I  (Bd.  I,  S.  650—652). 

Über  die  Stellung  der  Juden  in  diesen  vorwiegend  heid- 
nischen Kommunen  liegt  nicht  mehr  Material  vor,  als  was  an 
den  betreffenden  Orten  bereits  mitgeteilt  wurde.  Am  instruktivsten 
ist  die  Geschichte  von  Cäsarea  (Nr.  9).  Hier  hatten  Heiden  und 
Juden  bis  zur  Zeit  Neros  die  gleichen  bürgerlichen  Rechte  (loo- 
jtohrela,  Antu  XX,  8,  7  u.  9),  also  beide  auch  die  gleiche  aktive  und 
passive  Wahlfähigkeit  zum  städtischen  Senat  Da  dies  notwendig 
zu  vielfachen  Mißhelligkeiten  führte,  so  erstrebte  jeder  von  beiden 
Teilen  eine  Änderung  dieses  Zustand  es:  jeder  wollte  die  Herr- 
schaft für  sich  haben.  Es  gab  also  eine  dreifache  Möglichkeit:  | 
1)  Gleichstellung,  2)  Ausschließung  der  Juden  vom  Bürgerrecht, 
3)  Ausschließung  der  Heiden  vom  Bürgerrecht  Alle  drei  Fälle 
sind  ohne  Zweifel  auch  wirklich  vorgekommen.  In  den  alten  phi- 
listäischen  und  phönizischen  Kommunen  haben  die  Juden  schwerlich 
das  Bürgerrecht  gehabt  Sie  wohnten  zwar  auch  hier  fast  überall 
zu  Tausenden;  aber  sie  waren  doch  nur  als  Einwohner  geduldet; 
und  wie  gespannt  das  Verhältnis  zwischen  ihnen  und  den  heid- 
nischen Bürgern  war,  zeigt  am  besten  die  blutige  Verfolgung  der 
Juden  in  manchen  dieser  Städte  beim  Ausbruch  der  jüdischen  Re- 
volution, so  z.  B.  in  Askalon,  Ptolemais  und  Tyrus.  In  anderen 
Städten  mögen  Heiden  und  Juden  gleichberechtigt  gewesen  sein; 
so  namentlich  wohl  in  denjenigen,  welche  seit  der  Makkabäerzeit 
vorwiegend  von  Juden  bewohnt  waren,  wie  Jamnia  und  Jope. 
Ob  in  irgend  einer  der  bisher  genannten  Städte  die  Heiden  vom 
Bürgerrecht  ausgeschlossen  waren,  ist  sehr  zweifelhaft;  nicht  ein- 
mal bei  Sepphoris  und  Tiberias  ist  dies  wahrscheinlich.  Jedenfalls 
aber  ist  diese  dritte  Möglichkeit  durch  Jerusalem  und  überhaupt 
durch  die  Städte  des  eigentlich  jüdischen  Gebietes  vertreten.  Im 
einzelnen  läßt  sich  diesen  Dingen  bei  dem  Mangel  an  Material 
nicht  weiter  nachgehen.  Es  muß  uns  genügen,  die  allgemeinen 
Gesichtspunkte  festgestellt  zu  haben.  Über  die  Organisation  der 
jüdischen  Gemeinden  in  diesen  Städten  s.  unten  §  27,  II  und  §  31,  II. 


175.  176]  II.  Das  eigentlich  jüdische  Gebiet.  223 


II.  Das  eigentlich  jüdische  Gebiet. 

Literatur: 

Seiden,  De  synedriis  et  praefecturis  juridicü  veierum  Ebraeorum,  lib.  I  Lon- 
dini 1650,  lib.  II  Londini  1653,  lib.  III  Londini  1655  (Nachdruck  des 
Ganzen:  Amstelaedami  1679).  —  Das  erste  Buch  handelt  über  die  jüdische 
Gerichtsverfassung  ante  legis  in  Sinai  datione/n,  das  zweite  Buch  über 
dieselbe  seit  der  sinaitischen  Gesetzgebung,  das  dritte  speziell  über  die 
Befugnisse  des  großen  Synedriums.  Wegen  seines  Stoffreichtums  ist  das 
gelehrte  Werk  trotz  des  veralteten  unkritischen  Standpunktes  noch  immer 
schätzbar. 

Saalschutz,  Das  mosaische  Recht  Bd.  I,  1853,  S.  53—64. 

Win  er  RWB.  Artikel:  Alter,  Älteste;  Gericht;  Städte. 

Schenkels  Bibel-Lexikon  Art.  Älteste  (von  Schenkel);  Gerichte  (von  Wit- 
schen); Städte  (von  Furrer). 

Rieh  ms  Handwörterb.  d.  bibl.  Altertums  Art  Älteste;  Gerichtswesen;  Dorf; 
Stadt. 

Arnold  in  Herzogs  Real-Enz.    1.  Aufl.  XIV,  721  (Art.  „Städte"). 

Leyrer  in  Herzogs  Real-Enz.    1.  Aufl.  XV,  324  f.  (Art.  „Synedrium"). 

Kuhn,  Die  städtische  und  bürgerl.  Verfassung  des  röm.  Reichs  II,  336 — 346. 

Köhler,  Lehrbuch  der  bibl.  Geschichte  Alten  Testamentes  Bd.  1, 1875,  S.  350  f. 

Reuß,  Gesch.  der  heiligen  Schriften  A.  Ts  §  114.  | 

Seesemann,  Die  Ältesten  im  Alten  Testament.    Leipzig  Diss.  1895. 

Benzinger,  Art.  „Älteste"  in  Herzogs  Real-Enz.    3.  Aufl.  I,  224—227. 

Weinberg,  Die  Organisation  der  jüdischen  Ortsgemeinden  in  der  talmu- 
dischen Zeit  (Monatsschr.  f.  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judent.  41.  Jahrg. 
1897,  S.  588—604,  639—660,  673—691). 

Benxinger  Art  Government  in  der  Encyclopaedia  biblica  H,  1901,  col.  1900  ff, 

Weyl,  Die  jüdischen  Strafgesetze  bei  Flavius  Josephus  in  ihrem  Verhältnis 
zu  Schrift  und  Halacha,  mit  einer  Einleitung:  Flavius  Josephus  über  die 
jüdischen  Gerichtshöfe  und  Richter  (Bern,  Dissert  1900)  S.  12—26. 

Das  eigentlich  jüdische  Gebiet  umfaßte,  wenn  wir  von  Samaria 
absehen,  die  drei  Landschaften  Judäa,  Galiläa  und  Peräa,  und 
zwar  in  derjenigen  Einschränkung,  welche  sich  durch  die  Grenzen 
der  hellenistischen  Städte  von  selbst  ergibt  (vgl.  oben  §  22,  I).  In 
diesem  Gebiet  bildeten  die  etwa  dort  wohnenden  Heiden  höchstens 
eine  Minorität;  und  es  darf  angenommen  werden,  daß  hier  die 
Kommunalbehörden  der  Städte  ausschließlich  aus  Juden  bestanden. 
Auch  in  den  jüdischen  Städten  hat  es  nämlich  ohne  Zweifel  Kom- 
munalvertretungen gegeben,  welche  die  Angelegenheiten  der 
Stadt  zu  leiten  hatten.  Schon  in  der  frühesten  Geschichte  Israels 
werden  häufig  „die  Ältesten  der  Stadt"  T»?n  "Opr  als  lokale  Obrig- 
keiten erwähnt  (s.  überh.  Deut.  19,  12.  21,  2  ff.  22,  15  ff.  25,  7  ff. 
Josua  20,  4.  Judic.  8,  14.   Ruth  4,  2  ff.   I  Sam.  11,  3.  16,  4.  30,  26  ff. 


224  §  23.   Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [176.  177J 

I  Reg.  21,  8.  11).  Ihre  Zahl  wird  fast  nirgends  genannt,  muß  aber 
als  ziemlich  groß  angenommen  werden.  Sukkoth  z.  B.  hatte  77 
Älteste  (Judic.  8,  14).  Sie  vertraten  die  Gemeinde  in  jeder  Be- 
ziehung und  übten  darum  auch  richterliche  Funktionen  aus  (s.  z.  B. 
Deut.  22,  15  ff.).  Doch  werden  außer  ihnen  auch  speziell  noch 
„Richter"  (D^ürö)  und  „Amtleute"  (D^üfc)  genannt  (beide:  Deut. 
16,  18;  die  Einsetzung  von  „Richtern"  wird  II  Chron.  19,  5  ff.  auf 
Josaphat  zurückgeführt).  Da  namentlich  die  Richter  ausdrücklich 
neben  den  Ältesten  genannt  werden  (Deut  21,  2;  Esra  10,  14),  so 
sind  beide  zu  unterscheiden,  aber  wahrscheinlich  nur  so,  daß  die 
Richter  diejenigen  unter  den  Ältesten  sind,  weiche  speziell  mit 
der  Rechtsprechung  beauftragt  waren.  Ebenso  werden  auch  die 
„Amtleute"  zu  der  Zahl  der  „Ältesten"  gehört  haben,  und  zwar 
als  die  eigentlichen  Exekutivbeamten  der  Gemeinde1.  Diese  Or- 
ganisation wird  nun  im  wesentlichen  auch  für  die  spätere  Zeit 
anzunehmen  sein.  Auch  in  der  persischen  und  griechischen  Zeit 
werden  öfters  „die  Ältesten"  der  Stadt  erwähnt  (Esra  10,  14. 
Judith  6,  16.  21.  7,  23.  8, 10.  10,  6.  13, 12).  Für  die  römische  Zeit 
ist  die  Existenz  von  Lokalbehörden  z.  B.  bezeugt  durch  die  Notiz 
des  Josephus,  daß  Albinus  in  seiner  Habsucht  auch  solche,  die 
wegen  Räuberei  von  ihrer  Ortsbehörde  (ßovXfi)  ins  Gefängnis 
geworfen  waren,  gegen  Geld  freigelassen  habe  2.  Man  |  sieht  hieraus 
zugleich,  daß  die  ßovXfi  selbst  es  ist,  welche  die  Polizeigewalt  und 
Rechtspflege  handhabt  Dabei  ist  es  immerhin  möglich,  daß  nament- 
lich in  größeren  Städten  neben  der  ßovXri  noch  besondere  Gerichte 
bestanden.  An  Lokalsynedrien  ist  auch  zu  denken,  wenn  es  Matth. 
10, 17  =  Marc.  13,  9  heißt,  daß  die  Gläubigen  werden  elg  ovpsÖQia 
überantwortet  werden;  auch  die  Gerichte,  welche  Matth.  5,  22  als 
niedrigere  Instanz  vor  dem  Synedrium  vorausgesetzt  werden,  ge- 
hören hierher;  ebenso  die  jtQeößvxeQot  von  Kapernaum  (Luc.  7,  3). 
Namentlich  setzt  aber  die  Mischna  durchweg  die  Existenz  von 
Lokalgerichten  im  jüdischen  Lande  voraus 3.   Bei  Josephus  werden 


1)  S.  bes.  Knobel  und  Dillmann  zu  Exod.  5,  6  und  Deut.  16,  18. 

2)  B.  J.  II,  14,  1:  scal  xovq  htl  Xgoxtlq  öeöeßfrovq  in 6  xijq  ita(?  hxa~ 
axoiQ  ßovXfjq  rj  z(bv  tiqox&qwv  hciXQÖnwv  aneXvxQov  xotq  ovyyeviai. 

3)  Schebiith  X,  4:  Der  wesentliche  Inhalt  des  Prosbol-Formulares  ist  fol- 
gender: Ich,  der  und  der,  übergebe  euch,  den  Richtern  des  und  des  Ortes, 
die  Erklärung,  daß  ich  etc.  —  Sota  I,  3:  Wie  hat  der  Mann  (einer  des  Ehe- 
bruchs verdächtigen  Frau)  zu  Ter  fahren?  Er  führt  sie  vor  dasQericht  seines 
Ortes,  welches  ihm  zwei  Gesetzeskundige  mitgibt  etc.  —  Sanhedrm  XI,  4: 
Man  tötet  einen  solchen  Verbrecher  weder  durch  das  Gericht  in  seiner 
Stadt,  noch  durch  das  Gericht  zu  Jabne  etc.  —  Als  Analogon  mag  hier  er- 
wähnt werden,  daß  es  auch  in  Ägypten  nQeaßvxegoi  xoj^tjq  und  andere  Dorf- 


[177.  178]  II.  Das  eigentlich  jüdische  Gebiet.  225 

zur  Zeit  des  Herodes  gelegentlich  „Dorfschreiber"  erwähnt  (Antt. 
XVI,  7,  3  §  203:  xcofiorQaiifiavstg,  Bell  Jud.  I,  24,  3  §  479:  xcofiAv 
YQafifiavBig)A.  —  Was  die  Mitgliederzahl  der  Ortegerichte  betrifft, 
so  hat  man  aus  der  Mischna  schließen  wollen,  daß  die  kleinsten 
nur  aus  drei  Personen  bestanden  hätten.  Es  beruht  dies  aber 
lediglich  auf  Mißverständnis.  Denn  an  den  betreffenden  Stellen 
werden  nur  die  Fragen  aufgezählt,  zu  deren  Entscheidung,  und 
die  Handlungen,  zu  deren  Vornahme  je  drei  Personen  genügen. 
Sd  genügen  z.  B.  drei  Personen  zur  Entscheidung  in  Geldprozessen, 
zur  Entscheidung  über  Raub  und  körperliche  Verletzungen,  zur 
Verurteilung  zu  Schadenersatz  usw.6;  zur  Verurteilung  zur  Geiße- 
lung, zur  Erklärung  des  Neumondes  und  Schaltjahres 6;  zur  Hand- 
auflegung (auf  ein  Sündopfer  im  Namen  der  Gemeinde),  zum 
Genickabschlagen  des  Kalbes  (wegen  eines  ermordet  Gefundenen). 
Ferner  geschieht  vor  dreien:  die  Chaliza  und  Weigerungserklärung, 
die  Auslösung  der  Früchte  der  vierjährigen  Pflanzung  und  des 
zweiten  Zehntes,  dessen  Wert  nicht  bestimmt  ist,  die  Einlösung 
geheiligter  Dinge  usw.7.  Aber  nirgends  ist  gesagt,  daß  es  Orts- 
gerichte gegeben  habe,  welche  aus  drei  Personen  bestanden.  |  Wie 
wenig  bei  jenen  rein  theoretischen  Bestimmungen  an  tatsächlich 
bestehende  Behörden  gedacht  ist,  sieht  man  vielmehr  aus  einer 
anderen  Stelle8,  welche  lautet:  „Geldprozesse  werden  durch  drei 


beamte  gab.  S.  Lumbroso,  Recherche*  sur  l'Sconomie  politique  de  Pltgypte 
sous  les  Lagides  (1870)  p.  259.  Deißmann,  Bibelstudien  (1895)  S.  153 f. 
Hohlwein,  L'administration  des  viUages  Sgyptiens  ä  PSpoque  grico-romaine 
{Le  Musee  Beige  1906,  p.  38—58,  160-171).  M.  Strack,  Die  Müllerinnung  in 
Alexandrien  (Zeitscbr.  f.  d.  Neutestamentl.  Wissensch.  1903,  S.  213—234)  stellt 
S.  231 — 234  alles  Material  über  noeoßvteQOi  in  Ägypten  in  ptolemäischer 
Zeit  zusammen.  Über  dieselben  in  römischer  Zeit  s.  Hauschildt,  Uoeoßv- 
xbqoi  in  Ägypten  im  L — III.  Jahrh.  n.  Chr.  (Zeitschr.  f.  d.  Neutestamentl. 
Wissensch.  1903,  S.  235—242).  —  Ober  die  Organisation  der  Landgemeinden 
im  römischen  Reiche  überhaupt  s.  Schulten,  Philologus  Bd.  53,  1894, 
S.  629— 686._ 

4)  In  Ägypten  sind  xa>iAoyoa(i(iaveTq  häufig.  S.  z.  BJ  Tebtunis  Papyri  ed. 
by  Grenfell,  Bunt  and  Smüy  P.  I,  1902,  Index  p.  611  s.  v.  (Urkunden  aus  dem 
Ende  des  2.  Jahrh.  vor  Chr.).  Ägyptische  Urkunden  aus  den  Eönigl.  Museen 
zu  Berlin,  Griechische  Urkunden,  Indices  zu  Bd.  I  1895,  II  1898,  III  1903, 
überh.  die  neueren  Papyrus-Publikationen.  Ho  hl  wein,  Le  Musee  Beige  1906, 
p,  41 — 58.  Niese  sieht  daher  in  dem  Vorkommen  von  xa>(ioyoa(i(iat€T$  in 
Judäa  einen  Beweis  ägyptischen  Einflusses  (Gesch.  der  griech.  und  make- 
donischen Staaten  II,  1899,  S.  121). 

5)  Sanhedrin  I,  1. 

6)  Sanhedrin  I,  2.    Vgl.  Bosch  haschana  II,  9.  III,  1. 

7)  Sanhedrin  I,  3. 

8)  Sanhedrin  HI,  1. 

Schürer,  Geschichte  II.  4.  Aufl.  15 


226  §  23»   Verfassung.   Synedrium.  Hohepriester.  [178.  179] 

entschieden.  Nämlich  jede  der  beiden  Parteien  wählt  einen  Richter, 
nnd  beide  Parteien,  oder  nach  anderer  Ansicht  beide  Richter  wählen 
zusammen  noch  einen  dritten".  In  Wahrheit  bestanden  die 
kleinsten  Ortsbehörden  aas  sieben  Personen.  Denn  man 
wird  schwerlich  irren,  wenn  man  die  Angabe  des  Josephus,  daß 
Moses  angeordnet  habe:  „Es  sollen  gebieten  in  jeder  Stadt  sieben 
Männer;  und  jeder  Behörde  sollen  zur  Unterstützung  zwei  Männer 
vom  Stamme  Levi  beigegeben  werden",  als  eine  Beschreibung  des 
tatsächlichen  Zustandes  zur  Zeit  des  Josephus  betrachtet,  da  diese 
Bestimmung  im  Pentateuch  nicht  vorliegt9.  Bestätigt  wird  dies 
dadurch,  daß  Josephus  selbst,  als  er  in  Galiläa  eine  jüdische  Muster- 
verfassung einführen  wollte,  in  jeder  Stadt  eine  Behörde  von  sieben 
Männern  einsetzte l0.  Man  könnte  freilich  aus  letzterer  Tatsache 
gerade  umgekehrt  schließen,  daß  diese  Organisation  in  Galiläa  vor 
der  Revolution  nicht  bestanden  hat.  Allein  an  der  Prahlerei  des 
Josephus,  als  ob  er  dieses  Ideal  einer  jüdischen  Verfassung  erst 
geschaffen  habe,  ist  doch  höchstens  so  viel  Wahres,  daß  er  es  zu 
strengerer  Durchführung  gebracht  hat  Auch  im  Talmud  werden 
einmal  „die  sieben  Vornehmen  der  Stadt"  (-n*n  "OttD  n»ttj)  als 
Gemeindebehörde,  welche  namentlich  das  Vermögen  der  Gemeinde 
zu  verwalten  hat,  erwähnt11.  Die  Angabe  des  Josephus,  daß  den 
Lokalbehörden  je  zwei  Leviten  als  vjtrjQteai  zugeteilt  gewesen 
seien  (s.  oben  Anm.  9),  hat  wenigstens  Analogien  |  im  Alten  Testa- 
mente 12.   Nach  der  Mischna  mußten  für  einzelne  bestimmte  Fälle 


9)  Anit.  IV,  8,  14:  &Qxixa>aav  fä  xa(f  hxdcrrjv  nöXtv  avögeq  hnxd  .... 
kxdoxy  öh  &QXV  öv°  avÖQeg  itnrjQ&xai  öiöfo&woav  ix  tfjQ  xCbv  AevixCbv  (pvkfjg. 

—  Auch  bei  der  Reproduktion  des  Gesetzes  über  anvertrautes  Gut  (Exod. 
22,  6  ff.)  setzt  Josephus  die  Existenz  von  Sieben -Männer-Gerichten  voraus,  Antt. 
IV,  8,  38:  el  öh  (iriöhv  inlßovXov  6qo>v  ö  niGzev&el$  dnoXiosiev,  dcpucöftevog 
inl  xob<;  hnxä  xgtxäg  dfivvxm  xbv  &e6v  x.x.X. 

10)  Bell.  Jud.  II,  20,  5:  hnxd  Sh  iv  kxdorg  nöXei  öixaaxaq  [xccxiaxrjasv]. 

—  Diese  Sieben -Männer -Gerichte  hatten  nur  kleinere  Streitigkeiten  abzuur- 
teilen, nicht  aber  xä  uei^u)  ngdyfxaxa  xal  rag  <povixäg  dlxag,  deren  Abur- 
teilung vielmehr  dem  von  Josephus  eingesetzten  Rat  der  Siebenzig  vorbe- 
halten war. 

11)  Meyilla2G*:  „Rabba  sagte:  Jene  Bestimmung  (der  Mischna  in  betreff 
des  Verkaufs  von  Synagogen  und  deren  Einrichtungsgegenständen)  gilt  nur, 
wenn  die  sieben  Vornehmen  der  Stadt  sie  nicht  öffentlich  verkauft  haben. 
Haben  sie  sie  aber  öffentlich  verkauft  etc."  —  Vgl.  auch  Rhenferd,  In* 
vestifjatio  praefectorum  et  ministrorum  synagogae  II,  25  (in  Ugolinis  Thesaurus 
Bd.  XXI). 

12)  Deut  21,  5.  I  Chron.  23,  4.  26,  29.  Knobel  und  Dillmann  zu 
Deut.  16,  18. 


[179.  180]  II.  Das  eigentlich  jüdische  Gebiet  227 

Priester  als  Richter  beigezogen  werden13.  —  An  größeren  Orten 
scheint  die  Lokalbehörde  aus  23  Mitgliedern  bestanden  zu  haben. 
Wenigstens  bemerkt  die  Mischna,  daß  ein  kleines  Synedrium  Cp-mpp 
ruüp)  aus  23  Personen  bestehe,  und  daß  ein  solches  jeder  Stadt 
zukomme,  welche  mindestens  120  Männer  habe,  oder  nach  Ansicht 
R  Nechemjas  mindestens  230,  damit  jeder  der  23  Richter  ein  Vor- 
steher von  10  Mann  sein  könne14.  Freilich  haben  wir  auch  hier, 
wie  in  vielen  Fällen,  keine  Bürgschaft  dafür,  daß  die  Wirklichkeit 
diesen  Bestimmungen  entsprochen  hätte.  Zur  Kompetenz  dieser 
Synechien  von  23  Mitgliedern  gehörten  auch  die  schwereren  Kri- 
minalfälle (nittta  13^) 15,  wie  ja  auch  aus  Matth.  5,  21—22  erhellt, 
daß  die  Aburteilung  von  Mördern  nicht  bloß  Sache  des  großen 
Synedriums  war. 

Wie  in  den  hellenistischen  Kommunen,  so  waren  auch  inner- 
halb des  jüdischen  Gebietes  die  Dörfer  den  Städten  und  die 
kleineren  Städte  den  größeren  untergeordnet  Der  Unter- 
schied zwischen  Stadt  (*w)  und  Dorf  (nin,  selten  iß3)  wird  schon 
im  Alten  Testamente  überall  vorausgesetzt;  erstere  ist  in  der  Regel 
ein  ummauerter,  letzteres  ein  offener  Wohnplatz  (s.  bes.  Lev.  25, 
29—31);  doch  wird  auch  in  betreff  der  Städte  wieder  zwischen 
ummauerten  und  offenen  unterschieden  (Deut.  3,  5.  Esther  9,  19). 
Auch  Josephus  und  das  Neue  Testament  unterscheiden  stets  die 
Begriffe  xotig  und  xwfii? 16.  Einmal  ist  im  Neuen  Testamente  von 
xa>(iox6ZeiQ  Palästinas  die  Rede  (Marc.  1,  38),  d.  h.  von  Städten, 
welche  verfassungsmäßig  nur  die  Stellung  einer  xco/itj  hatten17. 
In  der  Mischna  werden  konstant  drei  Begriffe  unterschieden:  eine 
große  Stadt  Opa),  eine  Stadt  (y>?)  und  ein  Dorf  (la) l8.  Das  unter- 
scheidende Merkmal  der  beiden  ersteren  scheint  nur  die  verschiedene 
Größe  gewesen  zu  sein;  denn  auch  eine  gewöhnliche  |  Stadt  (T»2) 
konnte  mit  Mauern  umgeben  gewesen  sein  und  war  es  wohl  ge- 
wöhnlich19. —  Schon  im  Alten  Testamente  wird  nun  häufig  die 

13)  Sanhedrtn  I,  3.  —  Vgl.  überhaupt  über  die  Priester  als  Richter: 
Exech.  44,  24  und  dazu  Smend. 

14)  Sanhedrtn  I,  6.  Vgl.  Seiden,  De  spnedriü  II,  5.  Winer  RWB.  II, 
554.    Leyrerin  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  XV,  324  f. 

15)  Sanhedrin  I,  4. 

16)  Vgl  Winer  RWB.  II,  510;  auch  das  Material  in  den  Konkordanzen 
zum  N.  T.  —  Über  den  Begriff  einer  xto/urj  im  römisch -hellenistischen  Sinne 
b.  Marquardt,  Römische  Staatsverwaltung  Bd.  I  (2.  Aufl.  1881)  S.  16  f. 

17)  Das  Wort  xojßdnoXiq  kommt  auch  bei  Strabo  und  bei  Byzantinern 
zuweilen  vor;  s.  die  Lexika  und  Wetstein,  Nov.  Test,  zu  Marc.  1,  38. 

18)  Megiüa  1, 1.  II,  3.  Kethuboih  XIII,  10.  Kidduschin  II,  3.  Baba  mexia 
IV,  6.  VHI,  6.  Arackin  VI,  5. 

19)  nein  w  Arachin  IX,  3  ff.  Kelim  I,  7.  —  Über  !]}»  vgl.  Light  foot, 

TT  15* 


228  §  23.   Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [180] 

Unterordnung  der  Dörfer  unter  die  Städte  angedeutet  In  den 
Städteverzeichnissen  des  Buches  Josua,  besonders  in  Eap.  15  und  19, 
ist  oft  die  Rede  von  den  „Städten  und  ihren  Dörfern"  (O'njn 
irrnstT)).  Anderwärts  wird  oft  eine  Stadt  „und  ihre  Töchter" 
(»Wtaa)  erwähnt  (Numeri  21,  25.  32.  32,  42.  Josua  15,  45—47.  17,  11. 
Judic.  11,  26.  Nehemia  11,  25 ff.  I  Chron.%  23.  5,  16.  7,  28 f.  8, 12.  18, 1. 
II  Chron.  13,  19.  28,  18.  Ezechül  16, 46  ff.  26, 6.  30, 18.  I  Makk.  5, 8.  65). 
Und  dem  Begriff  der  Tochter  entsprechend  kommt  für  die  Haupt- 
stadt auch  die  Bezeichnung  „Mutter"  vor  (II  Sam.  20,  19).  Aus 
alledem  erhellt  jedenfalls,  daß  die  Dörfer  durchgängig  von  den 
Städten  abhängig  waren.  Es  ist  aber  auch  sehr  wahrscheinlich, 
daß  dasselbe  von  den  kleineren  Städten  in  bezug  auf  die  größeren 
gilt.  Denn  unter  den  „Töchtern"  sind  häufig  nicht  nur  Dörfer, 
sondern  auch  kleinere  abhängige  Städte  zu  verstehen;  wenigstens 
an  einigen  Stellen  ist  dies  ganz  zweifellos  (Num.  21,  25.  Josua  15, 
45—47.  I  Chron.  2,  23).  Diese  aus  dem  Alten  Testamente  bekannten 
Tatsachen  werden  im  allgemeinen  auch  für  die  spätere  Zeit  vor- 
ausgesetzt werden  dürfen  (vgl.  bes.  I  Makk.  5,  8:  xf/v  'fagw  xal  rag 
d-vyaxiQaq  avxrjg,  ibid.  5,  65:  xr\v  XeßQojv  xal  rag  dvyaxiQag  avxrjq). 
Eigentümlich  ist  im  Ostjordanland,  namentlich  in  der  Landschaft 
Trachonitis,  das  Vorkommen  von  Hauptdörfern  (prixQoxa>filai\ 
d.  h.  von  Dörfern,  welche  die  Stelle  einer  Hauptstadt  vertraten20. 
So  heißt  Phäna,  das  heutige  Mismie,  fiijxQoxoofila  xov  TQax&vog21. 
Eine  andere  (irjxQoxcofila  ist  Borechath,  das  heutige  Breike,  im 
Süden  von  Trachonitis,  nach  dem  Hauran  zu22.  Auch  Akraba, 
westlich  von  Trachonitis,  etwa  auf  halbem  Wege  zwischen  Mismie 
und  dem  Merom-See,  war  eine  iirjXQoxa>(üa2Z.   Epiphanias  erwähnt 


Horae  hebr.  zu  Marc.  1,  38  (Opp.  H,  437)  und  Levy,  Neuhebr.  Wörterb.  8.  v. 
Das  Wort  ist  eigentlich  aramäisch  ("^5)  und  steht  in  den  Targumen  häufig  in 
der  Bedeutung:  Festung,  Burg,  befestigte  Stadt,  a.  Buxtorf  Lex.  und  Levy 
Chald.  Wörterb.  s.  v. 

20)  S.  überh.:  Kuhn,  Die  städtische  und  bürgerl.  Verfassung  des  römi- 
schen Reichs  II,  380  ff.  Marquardt,  Römische  Staatsverwaltung  Bd.  I,  2.  AuiL, 
S.  427  Anm.  1.    Die  Lexika  8.  v.  ujjtgoxwula. 

21)  Corp.  Inscr.  Qraec.  n.  4551  =  Le  Bas  et  Waddington,  Inscr.  U  HI 
n.  2524  =»  Dittenberger,  Orientis  gr,  inscr.  selectae  n.  609  —  Jnscriptiones  gr. 
ad  res  rom.  pertincntes  t.  III  ed.  Cagnai  n.  1119.  —  Die  Inschrift  stammt  aus 
der  Zeit  des  Com  modus  oder  des  Alexander  Severus,  wahrscheinlich  des 
letzteren  (s.  Dittenberger  a.  a.  O.).  —  Über  Phäna  s.  Ritter,  Erdkunde  XV, 
897—899.  Raumer  Pal.  254  f.  Porter,  Five  years  in  Damascus  II,  244.  Kuhn 
II,  3S4.  Geizer  in  seiner  Ausg.  des  Oeorgius  Oyprius  p.  205.  Die  Inschriften 
bei  Le  Bas  ei  Waddinqton  n.  2524—2537. 

22)  Le  Bas  et  Waddington  t.  m,  n.  2396. 

23)  Dussaud,  Nouvelles  archires  des  missions  scientifiques  t.  X,  1902,  p.  700 


[180.  181]  IL  Das  eigentlich  jüdische  Gebiet.  229 

X7]P  Baxad-ov  (irjxQoxcofilap  ttjq  'AQaßlaq  xfjq  <PiXadeX<plaq  u.  Aller- 
dings gehören  |  diese  Zeugnisse  erst  etwa  dem  zweiten  bis  vierten 
Jahrhundert  nach  Chr.  an;  auch  war  die  Bevölkerung  jener  Land- 
schaften eine,  wenn  auch  gemischte,  so  doch  vorwiegend  heidnische. 

Einige  speziellere  Notizen  über  die  Unterordnung  gewisser 
Gebiete  unter  einzelne  größere  Städte  haben  wir  nur  für  Galiläa 
und  Judäa,  und  nur  aus  der  römischen  Zeit  In  Galiläa  war  Sep- 
phoris  durch  Gabinius  zum  Sitz  eines  der  fünf  von  ihm  errichteten 
owiÖQta  oder  övvoöot  gemacht  worden,  und  zwar  des  einzigen  für 
Galiläa  (Antt.  XIV,  5,  4.  Ä  J.  I,  8,  5),  so  daß  also  Sepphoris  den 
Mittelpunkt  einer  ganz  Galiläa  umfassenden  Organisation  bildete. 
Diese  Einrichtung  des  Gabinius  war  freilich  nicht  von  langer  Dauer. 
Aber  auch  in  der  späteren  Zeit,  namentlich  unter  den  herodianischen 
Fürsten,  war  ganz  Galiläa  stets  einer  Hauptstadt  untergeordnet, 
sei  es  nun  daß  Sepphoris  oder  daßTiberias  diese  Stellung  ein- 
nahm (s.  oben  I  Nr.  31  und  33).  Es  war  also  hier  das  jüdische 
Gebiet  sogar  einer  nicht  reinjüdischen  Hauptstadt  untergeordnet25. 

In  Judäa  ist  namentlich  von  Interesse  die  durch  Josephus 
und  Plinius  bezeugte  Einteilung  in  elf  oder  zehn  Toparchien. 
Nach  Josephus  nämlich  war  Judäa  in  folgende  elf  xXtjqovxIcu  oder 
ToxaQxicu  eingeteilt:  1.  Jerusalem,  2.  Gophna,  3.  Akrabatta, 
4.  Thamna,  5.  Lydda,  6.  Ammaus,  7.  Pella,  8.  Idumäa,  9.  En- 
gaddi,  10.  Herodeion,  11.  Jericho26.  Die  sieben  durch  gesperrte 
Schrift  hervorgehobenen  nennt  auch  Plinius,  der  im  ganzen  zehn 
Toparchien  zählt,  indem  er  zu  den  genannten  folgende  drei  hinzu- 


—  Dittenberger,  Orimtis  gr.  inscr.  sei.  n.  769  ■-  Inscriptiones  gr.  ad  res  roni. 
pertinentes  HI  n.  1112:  Diokletian  und  seine  Mitregenten  Xl&ov  öiOQl^ovza 
%qov<;  ftijTQOxw/jtias  ^Axgdßrjg  xal  *Aolx<t>v  ozriQix&rjvai  ixiXev<tav  ipQOvzldi  Aov~ 
xlov  Kaia[. . .]  xijvaizoQig.  —  Eine  ganz  ähnliche,  auf  die  Grenzregulierung 
zur  Zeit  Diokletians  bezügliche  Inschrift  s.  bei  Dittenberger  n.  612  —  Inscr. 
gr.  ad  res  rom.  pert.  HJ  n.  1252.  —  Eine  dritte,  stark  verstümmelte,  aus 
Djerma,  südöstlich  von  Damaskus,  s.  bei  Jalabert,  Inscr.  gr.  et  lai.  de  Syrie, 
in:  Müanges  de  la  FacuM  Orientale  de  V '  Untrer site  de  Beyrouth  I,  1906, 
p.  150  sq. 

24)  Epiphanius,  Anacephal.  p.  145. 

25)  Das  Verhältnis  ist  wirklich  das  einer  Unterordnung;  denn  Jo- 
sephus spricht  bestimmt  von  einem  olqxbiv  und  vnaxoveiv,  s.  oben  S.  212 
Anm.  497  u.  498. 

26)  Bell.  Jud.  III,  3,  5:  fiEQÜ^Ezai  öh  ecg  Svdexa  xXrjQOvziag,  <I>v  &QXet  t*& 
mg  ßaoiXeiov  zä  ^IeQOo6Xvpia>  ngoavlaxovaa  zyg  negioixov  ndarjg  fixmsQ  % 
x€<paXf]  owftaTOQ,  al  Xotnal  öh  fxet  abx^v  öiy^vzat  tag  zonaQxlag.  r6<pva 
6evz£(>aj  xal  fiez*  afafjv  'Axgaßazzd,  ßapva  TiQÖg  zavzaig  xal  AvöSa  xal 
'Afifiaoüq  xal  IliXXij  xal  'Iöovftaia  xal  *Byya6dal  xal  'Hqloöslov  xal 
IeQizovq. 


230  §  23.   Verfassung.    Synedrium.   Hohepriester.      [181. 182. 183J 

fügt:  Jopica,  Beiholethephene,  Orine21.  Die  Nennung  von  Orine  an 
Stelle  Jerusalems  ist  keine  wirkliche  Differenz,  denn  fj  oquvti  ist 
das  judäische  Gebirgsland,  in  welchem  nach  Plinius,  eigener  An- 
gabe Jerusalem  liegt 28.  Die  Nennung  Jopes  aber  ist  ebenso  irrig 
wie  |  bei  Josephus  die  Nennung  von  Pella,  da  beides  selbständige 
Städte  sind,  die  nicht  zum  eigentlichen  Judäa  gehörten.  Beth- 
letepha  dagegen  wird  auch  von  Josephus  an  einer  anderen  Stelle 
als  Hauptort  einer  Toparchie  erwähnt29.  Wir  werden  sonach  die 
richtige  Liste  erhalten,  wenn  wir  an  Stelle  Pellas  bei  Josephus 
Bethletepha  setzen30.  Die  elf  Toparchien  gruppieren  sich  dann 
in  folgender  Weise31:  In  der  Mitte  Jerusalem;  nördlich  davon 
Gophna32  und  Akrabatta33,  nordwestlich  Thamna34  |  undLydda35, 

27)  Plinius  Hist.  Not.  V,  14,  70:  reliqua  Iudaea  dividitur  tn  toparekdas 
decem  quo  dicemus  ordine:  Hierieuntem  palmetis  consitam,  fontibus  riguam, 
Emma  um,  Lyddam,  Jopicam,  Acrabatenam,  Gophaniticam,  Tham- 
niticam,  Betholethephenen,  Orinen,  in  qua  fitere  Hierosolyma  longe 
clarissima  urbium  orieniis  non  ludaeae  modo,  Herodium  cum  oppido  Mustri 
ejusdem  nominis.  —  Zur  Textkritik  vgl.  bes.  Detlefsen,  Die  geographischen 
Bücher  (II,  242— VI  Schluß)  der  Naturalis  Historia  des  C.  Plinius  ßecundus 
mit  vollständigem  kritischen  Apparat,  1904. 

28)  Vgl  Joseph.  Antt.  XII,  1:  ano  te  xtjg  öoeivijq  'Iovöalag  xal  xvbv 
tcbqI  'IeqoooXvucc  x6na>v.  Ev.  Lue.  1,  39.  65.  —  ^  doeivJj  überhaupt  häufig 
bei  den  LXX  (s.  Trommius'  und  Hatch'  Konkordanzen)  und  im  Buch  Judith 
(s.  Wahl,  Olavis  librorum  V.  T.  apocr.  s.  v.). 

29)  B.  J.  IV,  8,  1:  xty  Be^Xenrrjcpwv  xonaQxiav. 

30)  Vgl.  Kuhn,  Die  städtische  und  bürgert.  Verf.  II,  339. 

31)  Vgl.  Menkes  Bibelatlas  Bl.  V. 

32)  Gophna  lag  an  der  Straße  von  Jerusalem  nach  Neapolis  (Sichern), 
nach  Tab.  Peuting.  XVI  m.  p.  nördlich  von  Jerusalem,  oder  nach  Euseb.  Ono- 
mast. XV  m.  p.  (ed.  Klostermann  p.  168,  16:  Toyva  .  .  .  anixovoa  Alklag  aij- 
fieloig  te  xazä  x^v  SSdv  xfjv  elq  NeanoXtv  üyovoav).  Zur  Zeit  des  Cassius 
war  es  ein  bedeutender  Ort,  dessen  Einwohner  von  Cassius  als  Sklaven  ver- 
kauft wurden,  weil  sie  die  von  Cassius  auferlegte  Kriegssteuer  nicht  bezahlten 
(Antt.  XIV,  11,  2.  B.  J.  1, 11,  2).  Die  rotpvixixti  xonaoyla  wird  von  Josephus 
auch  sonst  erwähnt  (B.  J.  I,  1,  5.  II,  20,  4.  IV,  9,  9).  Vgl.  auch  B.  J.  V,  2,  1. 
VI,  2,  2.  Bei  Plolemaeus  V,  16,  7  =  Didotsche  Ausg.  (I,  2,  1901)  V,  15,  5 
rov<pva,  ebenso  auch  Euseb.  Onomast.  ed.  Klostermann  p.  74,  2,  Hieronymus: 
Gufna  (Onomast.  ed.  Klosterm.  p.  27,  1.  75,  2);  dagegen  auf  der  Mosaikkarte 
von  Medaba  ro<pva  (Schulten,  Abh.  der  Gott.  Gesellsch.  der  Wissensch.,  phii.- 
hist.  Kl.  N.  F.  IV,  2,  S.  14 f.);  hebräisch  «asm  (Neubauer,  Oeogr.  du  Talmud 
p.  157 sq.)>  noch  heute  Dschifna,  Jufha.  S.  überh.:  Baumer  Pal.  S.  199. 
Robinson  Pal.  III,  296 f.  Qulrin  JudSe  III,  28-32.  The  Survey  of  Western 
Palestine,  Memoirs  by  Conder  and  Kitohener  II,  294.  323,  dazu  die  engl. 
Karte  BL  XIV  Mr. 

33)  Akrabatta,  noch  weiter  nördlich  als  Gophna,  IX  miL  pass.  südöstl. 
von  Neapolis  =  Sichern  (Euseb.  Onomast.  ed.  Klostermann  p.  14:  'Axoaßßelv 
. . .  xwutj  Si  iaviv  udyiq  [1.  fteyloxrj]  SieaxCbaa  Ntag  nöteioq  arjfieloig  #').  Nach 


[183]  IL  Das  eigentlich  jüdische  Gebiet.  231 

Mischna  Maaser  scheni  V,  2  lag  nmp?  eine  Tagereise  weit  nördlich  von  Je- 
rusalem, ebensoweit  als  Lydda  westlich,  was  fast  genau  zutrifft.  Im  Buch  der 
Jubiläen  29,  14  wird  der  Ort  (äthiop.  Aqrobet,  lat.  Aerobin)  neben  Bethseah 
und  Dothain  genannt.  Die  ^AxQccßaxrn*^  xonaqxla  auch  sonst  häufig  bei  Jo- 
sephus  und  Eusebius  (Jos.  B.  J.  II,  12,  4.  20,  4.  22,  2.  m,  3,  4.  IV,  9,  3-4 
u.  9.  Euseb.  Onomast  ed.  Klosterm.  p.  14,  86,  108,.  156,  160).  Der  Ort  heißt 
noch  heute  Akrabeh.  8.  überh.:  Baumer,  Pal  S.  170.  Robinson,  Neuere 
Forschungen  S.  388  f.  Qu  Irin,  Samarie  II,  3—5.  The  Survey  etc.  Memoirs 
by  Oonder  and  Kitohener  II,  386.  389  sq.%  dazu  die  engl.  Karte  Bl.  XV  Op. 
—  Nicht  zu  verwechseln  ist  hiermit  ein  gleichnamiger  Höhenzug  im  Süden 
Jud&as,  Num.  34,  4.  Josua  15,  3.  Judie.  1,  36.  Euseb.  Onomast.  p.  14,  von 
welchem  man  in  der  Begel  die  im  ersten  Makkabäerbuch  (I  Makk.  5,  3  —  Jos. 
Antt.  XII,  8, 1)  erwähnte  *Axooißaxxivr\  ableitet.  Doch  s.  Hol 8 eher,  Palästina 
in  der  persischen  und  hellenistischen  Zeit  (1903)  S.  69.  Ders.,  Zeitschr.  des 
DPV.  XXIX,  1906,  3.  133  f. 

34)  T  harn  na  ist  ohne  Zweifel  das  alte  mo-roan  oder  D^rrronn  auf  dem 
Gebirge  Ephraim,  wo  Josua  begraben  wurde  (Josua  19,  50.  24,  30.  Judic.  2,  9). 
Eusebius  erwähnt  den  Ort  häufig  als  ein  sehr  großes  Dorf  im  GeTbiet  von 
Diospolis  —  Lydda  (s.  bes.  p.  96  ed.  Kloster  mann:  ßa/Avd  ....  Siau&vei  xwuq 
fieyäXrj  tv  doloig  JioondXeax;)  und  bemerkt,  daß  man  dort  noch  zu  seiner  Zeit 
das  Grab  Josuas  zeigte  (p.  70:  öelxvvxai  6h  inlotiuov  elq  hi  vvv  aixov  xd 
uvfjua  nXtjolov  ßauvä  xwuijq.  Ibid.  p.  100:  6a{xvaS-oaod  .  .  .  avxrj  iaxl 
ßauvd  .  .  .  iv  %  el$  fei  vvv  debcwxcu  xd  xov  tyoov  nvrjua).  Ebenso  Hierony- 
mus  in  seiner  Beschreibung  der  Pilgerfahrt  der  heil.  Paula  (Epist.  108  ad 
Eustoehütm  c.  13  opp.  ed.  Vallarsi  I,  702  sq.  —  Tobler,  Palaestinae  deseriptiones 
1869,  p.  22:  Sepulera  quoque  in  monte  Ephraim  Jesu  filii  Nave  et  Eleaxari 
filii  Aaron  sacerdotis  e  regione  venerata  est,  quorum  alter  eonditus  est  in  Tarn- 
nathsare  a  septentrionali  parte  montis  Oaas).  Der  Ort  existiert  noch  heute 
als  Ruinenstätte  unter  dem  Namen  Tibneh,  in  ziemlich  gerader  Linie  zwischen 
Akrabeh  und  Lydda,  wie  nach  der  Reihenfolge  der  Toparchien  bei  Josephus 
zu  erwarten  ist  Unter  den  bedeutenden  Grabanlagen,  die  sich  noch  heute 
dort  befinden,  glaubt  Guärin  in  der  Tat  das  Grab  Josuas  entdeckt  zu  haben. 
3.  Überh.  Raumer  Pal.  3.  165  f.  Robinson  Neuere  Forschungen  3.184.  De 
Saulcy,  Voyaye  en  Terre  Sainte  (1865)  H,  233  sqq.  Guirin,  Revue  arehSol. 
Nouv.  Serie  t.  XI,  1865,  p.  100—108.  Aures,  ebendas.  t.  XTV,  1866,  p.  225-242. 
Goldziher,  Zeitschr.  des  DPV.  H,  13—17.  Zschokke,  Beiträge  zur  Topo- 
graphie der  westlichen  Jordans'au  1866,  S.  76—83  (Beschreibung  des  Grabes 
Josuas).  Ou6rinf  Samarie  H,  89—104.  The  Survey  of  Western  Palestine, 
Memoirs  ete.  H,  299  s?.  374—378.  Dazu  die  engl.  Karte  BL  XI V  L?.  Mühlau 
in  Riehms  Wörtern.  3.  1668.  Vigouroux,  Die  Bibel  und  die  neueren  Ent- 
deckungen, deutsche  Übers.  Bd.  III,  1886,  3.  171—182.  SSjournS,  Revue 
biblique  II,  1893,  p.  606—626.  —  Zur  Zeit  des  Cassius  hatte  Thamna  dasselbe 
Schicksal  wie  Gophna  (Antt.  XIV,  11,  2.  B.  J.  I,  11,  2).  Die  Toparchie  von 
Thamna  wird  von  Josephus  und  Eusebius  auch  sonst  erwähnt  (Jos.  B.  J.  II, 
20,  4.  IV,  8, 1.  Euseb.  Onomast.  ed.  Klostennann  p.  24,  56).  Vgl.  auch  Ptolem. 
V,  16,  8  —  Didotsche  Ausg.  V,  15,  5.  —  Von  unserm  Thamna  ist  ein  anderes 
mstn   oder  nroan  zu  unterscheiden,   das  an  der  Grenze  des  Stammes  Dan 

• t     •  TT      I •  ' 

und  Juda,  westlich  von  Jerusalem  in  der  Richtung  gegen  Asdod  lag.  Auch 
dieses  existiert  noch  unter  dem  Namen  Tibneh  (Josua  15,  10.  19,  43.  Judic. 
14, 1  ff.  II  Chron.  28, 18).    Und  von  diesem  ist  endlich  ein  drittes  im  Gebirge 


232  §  23.   Verfassung.    Synedrium.   Hohepriester.  [183.  184] 

westlich    Emmaus86,    südwestlich    Bethlete|pha37,    südlich    Idu- 


Juda  zu  unterscheiden  (Gen.  38,  12—14.  Josua  15,  57).  Welches  Satxva&a 
I  Makk.  9,  50  gemeint  ist,  ist  nicht  mit  Sicherheit  zu  bestimmen.  S.  übern. 
Raumer  S.  224.  Robinson  Pal.  II,  599.  GuirinJudie  II,  30 sq.  The  Sur- 
vey  etc.  Memoirs  II,  417,  Blatt  XVI. 

35)  Lydda  (hebr.  »ft,  später  Diospoiis),  die  bekannte  Stadt  an  der  Straße 
von  Jope  nach  Jerusalem,  wird  auch  B.  J.  II,  20,  4  unter  den  Toparchien  Ju- 
daas genannt.  Josephus  bezeichnet  es  einmal  als  xw/arj  .  .  7io?.ea><;  xö  fifye* 
&oc,  ovx  änoöiovoa  (Antt.  XX,  6,  2).  Über  seine  Geschichte  vgl.  bes.  I  Makk. 
11,  34.   Jos.  Antt.  XTV,  10,  6.  11,  2.   Bell.  Jud.  1, 11,  2.  II,  19,  1.  IV,  8, 1. 

36)  Emmaus  oder  Ammans,  das  spätere  Nikopolis,  ist  noch  heute  er- 
halten unter  dem  Namen  Am  was,  süd-sÜdöstlich  von  Lydda.  Wegen  seiner 
Lage  am  Ausgang  des  Gebirges  war  es  ein  militärisch  wichtiger  Platz  und 
wird  als  solcher  schon  in  der  Makkabäerzeit  öfters  erwähnt  (I  Makk.  3, 40.  57. 

4,  3.  9,  50).  Über  seine  spätere  Geschichte  s.  bes.  Antt.  XIV,  11,  2.  B.  J.  I, 
11,  2.  Antt.  XVII,  10,  9.  B.  J.  H,  5,  1.  IV,  8,  1.  Unter  den  jüdischen  Top- 
archien wird  es  auch  B.  J.  II,  20,  4  erwähnt.  Im  Rabbinischen  heißt  es 
D1KBK  (Mischna  Arachin  II,  4.  Kerithoth  III,  7.  Light foot,  Chorographica 
Lucas  praemissa  c.  4,  Opp.  II,  479  sq.  Neubauer,  Qiogr.  du  Talmud  p.  100 — 
102);  auch  noch  bei  Ptolemaeus  V,  16,  7  -=  Didotsche  Ausg.  (I,  2,  1901)  V, 
15,  5  yBfjLfjiaovq.  Verschieden  hiervon  ist  das  Bell.  Jud.  VII,  6,  6  und  Ev.  Luc. 
24,  13  erwähnte  Emmaus  bei  Jerusalem  (s.  oben  §  20  gegen  Ende,  I,  640—642). 
Vgl.  überh.:  Reland,  Palaestina  p.  758—760.  Raumer  S.  187  f.  Winer 
RWB.  8.  v.  Arnold  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  III,  778 f.  Robinson, 
Neuere  Forschungen  S.  190—196.  Kuhn,  Die  städtische  u.  bürgerl.  Ver- 
fassung II,  356  f.  Sepp,  Jerusalem  2.  Aufl.  I,  40  ff.  Guirin  JudSe  I,  293—308. 
The  Survey  of  Western  Palestine,  Memoirs  etc.  III,  14.  36  sqq.  63 — 81,  dazu  die 
engl.  Karte  Bl.  XVII.  Dechent,  Zeitschr.  des  DPV.  VII,  209 f.  Geizer,  Julius 
Africanus  Bd.  I,  8.  5—7.  Schiffers,  Amwäs  das  Emmaus  des  heil.  Lucas, 
1890  (dazu  Theol.  Litztg.  1891  Nr.  1).   Rückert,  Theol.  Quartalschrift  1892, 

5.  558—616.  Van  Kasteren,  Revue  btblique  I,  1892,  p.  80—99.  Eeidet  in: 
Vigouroux,  Dictionnaire  de  la  Bible  II,  1735—1748.  Clermont-  Ganneau, 
Archaeological  Besearches  I,  1899,  p.  483—493.  Benzinger,  Die  Ruinen  von 
Amwas  (Zeitschr.  des  DPV.  XXV,  1902,  8.  195—203).  Vincent,  Les  ruines 
a* Amwäs  (Revue  biblique  1903,  p.  571—599). 

37)  Bei  Josephus  Bell.  Jud.  IV,  8, 1  hat  der  herkömmliche  Text  tj>v  Beb- 
XenxTjqxbv  xonagxlav.  Von  den  sieben  Handschriften,  welche  für  die  neue  Aus- 
gabe von  Niese  und  Destinon  herangezogen  worden  sind,  haben  (nach  einer 
gütigen  Mitteilung  des  letzteren,  vgl.  jetzt  auch  die  Ausgabe)  drei  Be&tenxnv' 
(p(bvy  je  eine  Be&Xsnxrjvifwv,  Be^XenxrjfjKpCbv,  Be&Xe7ixr}<pu)vt  BexeXenxtjqxbv, 
außerdem  der  cod.  Vat.  der  latein.  Übersetzung  belebthptan  (sie).  Obwohl  die 
Lesart  mit  v  vor  <p  stärker  bezeugt  ist,  hat  doch  die  Lesart  ohne  v  dieselbe 
Berechtigung,  teils  wegen  der  Unterstützung  durch  den  Vet.  Lat.,  teils  weil  v 
oder  n  vor  <p  leicht  eingeschaltet  werden  konnte.  Bei  Plinius  V,  14,  70  ist 
Bethleptephenen  nur  eine  Konjektur  Harduins  (s.  Reland,  Palaestina  p.  637  sq.). 
Die  besten  Zeugen  haben  teils  Betholethephenen  (Betolethephenen) ,  teils  Beto- 
lethenepenen  [Betoletthenepenen).  Die  erstere  Form  ist  durch  besonders  gewich- 
tige Zeugen  vertreten  und  wird  von  den  Herausgebern  wohl  mit  Recht  der 
anderen  (mit  Einschaltung  des  ne  vor  p)  vorgezogen ,  wobei  man  sich  freilich 


[184.  185]  IL  Das  eigentlich  jüdische  Gebiet  233 

mäa 88,  südöstlich  Engaddi 89  und  Hero|deion <°,  östlich  Jericho 4  \  Es 


von  der  Konjektur  Harduins  nicht  losmachen  kann  (s.  den  kritischen  Apparat 
besonders  in  Detlefsens  Ausgabe  des  Plinius  und  in  seiner  oben  8.  230  ge- 
nannten Separataasgabe  der  geographischen  Bücher).  Die  wesentlichste  Diffe- 
renz zwischen  Josephos  und  Plinius  ist  demnach  die,  daß  ersterer  Xanx, 
letzterer  leih  hat.  Da  ersteres  wohl  durch  den  Anklang  an  griechisch  Xenxoq 
veranlaßt  ist,  dürfte  Bethletepha  die  richtige  Form  sein.  Vielleicht  ist 
dann  das  heutige  Bet-Nettif,  südlich  von  Emmaus  zu  vergleichen,  das  der 
Lage  nach  passen  würde  (so  Menke  in  seinem  Bibelatlas,  auch  Furrer  brief- 
lich, Schlatter,  Zur  Topographie  und  Gesch.  Palästinas  1893,  S.  354.  Ders., 
Ztschr.  des  DPV.  XIX,  231).  Denn  Bethletepha  lag  nach  dem  Zusammen- 
hang bei  Josephus  B.  J.  IV,  8,  1  zwischen  Emmaus  und  Idumäa.  Auch  das 
biblische  ntb3  darf  wohl  hierhergezogen  werden  (Esra  2,22.  Neh.  7,26;  vgl. 
*rtb)  II  Sam.  23,  28—29.  II  Reg.  25,  23.  Jerem.  40, 8.  Nehem.  12,  28.  I  Chron. 
2,  54.'  9,  16.  11,  30.  27,  13.  15);  ebenso  rabbinisch  hßioa  n*a  Mischna  Sehe- 
hiith  IX,  5,  und  nBlü3  Pea  VII,  1—2.  Über  das  heutige  Bet-Nettif  s.  Ro- 
binson, Palästina  II,  596  ff.  600  ff.  Guirin,  Judie  II,  375—377.  The  Surrey 
of  Western  Palestine,  Memoire  III,  24,  dazu  Blatt  XVII  der  großen  englischen 
Karte  (links  unten). 

38)  Idumäa  war  durch  Johannes  Hyrkan  judai eiert  worden  (Antt.  XIII, 
9,  1.  XV,  7,  9.  B.  J.  I,  2>  6).  Daher  treten  die  Idumäer  auch  im  jüdischen 
Aufstand  als  Juden  auf  (B.  J.  IV,  4,  4).  Sonst  vgl.  bes.  B.  J.  ET,  20,  4. 
IV,  8,  1. 

39)  Engaddi,  das  alte  *j»  yij  (Josua  15,  62.  I  Sam.  24,  lff.  Exech. 
47,  10.  Cant.  cant.  1,  14.  II  Chron.  20,  2),  dessen  Lage  am  westlichen  Ufer 
des  Toten  Meeres  durch  Josephus  und  Eusebius  bezeugt  ist  (Jos.  Antt.  IX, 
1,  2:  *Eyyaööl  nSXiv  xeiuivijv  ngbq  Tjf  'Aopaktltiöi  Xlfjivy.  Euseb.  Onomast.  ed. 
Klostermann  p.  86:  xal  vir»  iozi  x&ptj  ueylarij  lovdalwv  ^Eyyaödi  naoaxzi- 
fiivrj  xjj  vexpa  &a\aoay).  Josephus  nennt  es  B.  J.  IV,  7,  2  eine  noU%vri.  Bei 
Ptolem.  V,  16,  8  —  Didotsche  Ausg.  (I,  2,  1901)  V,  15,  5  'ByyäMa.  Piin.  V, 
17,  73:  Infra  hos  [seü.  Essenos]  Engada  oppidum  fuit,  seeundum  ab  Hieroso- 
lymis  fertiiitate  palmetorumque  nemoribust  nunc  atterum  bustum.  Die  Palmen 
von  Engadi  auch  bei  Jesus  Sirach  24,  14  (Dach  richtiger  Lesart,  s.  Smends 
Kommentar  S.  218).  Hieronymus  (Epist.  108  ad  Eustockütm  c.  11  opp.  ed. 
Vallarsi  I,  701  «=»  Tobler,  Palaestinae  Descriptiones  1869,  p.  20):  contemplata 
est  baisami  Pineas  in  Engaddi  (bei  Tobler  ist  der  Text  ohne  Grund  geändert). 
Noch  heute  Ain  Dschidi.  S.  überh.:  Winer  BWB.  *.  v.  Baumer  188 f. 
Seetzen,  Reisen  II,  220—239.  Robinson,  Palästina  II,  439—448.  Neu- 
bauer,  Oeogr.  du  Talmud  p.  160.  De  Saulcy,  Voyage  autour  de  la  mer  morte 
t.  1, 1853,  p.  175  sqq.  Warren,  Quarterly  Statements  1869,  hieraus  abgedr.  in: 
The  Surrey  of  Western  Palestine,  Jerusalem  (1884)  p.  448—454.  The  Surrey  of 
Western  Palestine,  Memoirs  etc.  III,  384—386.  387,  dazu  die  engl.  Karte 
BL  XXII.  Zeitschr.  des  DPV.  XVT,  54.  Legendre,  in:  Vigouroux,  Dictum- 
naire  de  la  Bible  II,  1796 — 1801.    Thomsen,  Loca  saneta  p.  57  sq. 

40)  Herodeion  ist  die  vonHerodes  d.  Gr.  erbaute  wichtige  Festung  im 
Süden  Jüdäas  60  Stadien  von  Jerusalem  (Antt.  XIV,  13,  9.  XV,  9,  4.  Bell. 
Jud.  I,  13,  8.  21,  10),  deren  Identität  mit  dem  heutigen  „Frankenberge", 
südöstlich  von  Bethlehem,  jetzt  als  anerkannt  gelten  darf.    Vgl.  oben  §  15. 

41)  Jericho,  die  bekannte  Stadt  in  der  Nähe  des  Jordan,  war  die  be- 


234  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [186.  186    j 

darf  als  selbstverständlich  angenommen  werden,  daß  diese  Einteilung 
hauptsächlich  den  Zwecken  der  Verwaltung  diente,  in  erster  Linie 
wohl  dem  Zwecke  der  Steuererhebung.  Ob  dieselben  Bezirke 
zugleich  auch  Jurisdiktionsbezirke  bildeten,  muß  dahingestellt 
bleiben.  In  der  Form,  in  welcher  wir  die  Organisation  aus  Josephus 
und  Plinius  kennen,  gehört  sie  wahrscheinlich  erst  der  römischen 
Zeit  an42.  Eine  ähnliche  hat  allerdings  schon  zur  Zeit  der  grie- 
chischen Herrschaft  existiert  Wir  erfahren  gelegentlich,  daß  zur 
Zeit  Jonathans  im  Jahre  145  vor  Chr.  drei  Bezirke  von  Samarien, 
nämlich  Ephraim,  Lydda  und  Bamathaim,  durch  Demetrius  IL 
dem  Jonathan  überlassen  und  dadurch  mit  Judäa  vereinigt  wurden 
(I  Makk.  11,  34,  vgl.  10,  30.  38.  11,  28.  57).  Diese  Bezirke  heißen 
rojtagxlai  (I  Makk.  11,  28)  oder  vofiol  (10,  30.  38.  11,  34.  57)  und 
werden  etwa  denselben  Umfang  wie  die  Toparchien  der  römischen 
Zeit  gehabt  haben.  Aber  die  letzteren  können  schon  deshalb  nicht 
bis  in  die  Zeit  Jonathans  hinaufreichen,  weil  der  Umfang  Judäas, 
namentlich  nach  Süden  und  Norden,  damals  noch  erheblich  geringer 
war  als  in  der  römischen  Zeit  (vgl.  oben  S.  1— 9)48.  Deutliche 
Spuren  vom  Vorhandensein  der  römischen  Einteilung  haben  wir 
dagegen  aus  der  Zeit  des  Cassius  (43  vor  Chr.)  Dieser  verkaufte 
die  Einwohner  von  Gophna,  Emmaus,  Lydda  und  Thamna  als 
Sklaven,  weil  sie  die  von  ihm  auferlegte  Kriegssteuer  nicht  be- 
zahlten (Antt.  XIV,  11,  2.  B.  J.  1, 11,  2).  Alle  diese  vier  Städte  finden 
wir  aber  auch  bei  Josephus  und  Plinius  als  Hauptorte  von  Top- 
archien. Augenscheinlich  waren  sie  dies  schon  zur  Zeit  des  Cassius. 
Jünger  als  Cassius  muß  freilich  die  Erhebung  Herodeions  zum 
Hauptorte  einer  Toparchie  sein.  Aber  die  Toparchie  selbst  kann 
schon  vor  der  Zeit  Herodes'  des  Gr.  bestanden  haben. 

Auffallend  ist  das  Schwanken  der  Quellen  in  der  Bezeichnung 
des  politischen  Charakters  der  Hauptorte,  die  bald  als  xoleig  bald 
als  x<5fdac  bezeichnet  werden.  Zwar  kommt  hier  nicht  in  Betracht, 
daß  Eusebius  die  betreffenden  Orte  zum  größten  Teil  als  xwfiat 
behandelt,  da  zu  seiner  Zeit  die  Verhältnisse  sich  schon  wesentlich 


deutendste  Stadt  im  Osten  Judäas,  daher  auch  zur  Zeit  des  Gabinius  Sitz 
eines  der  fünf  jüdischen  Synedrien  (Antt.  XIV,  5,4.  B.J.  I,  8,  5).  Als  Bezirk 
von  Judäa  auch  B.  J.  II,  20,  4  erwähnt.    Sonst  vgl.  bes.  B.  J.  IV,  8,  2.  9,  1. 

42)  Über  die  Einteilung  der  römischen  Provinzen  in  Verwaltungsbezirke 
s.  überh.  Marquardt,  Römische  Staatsverwaltung  Bd.  I  (2.  Aufl.  1881) 
S.  500  f. 

43)  An  den  angeführten  Stellen  des  ersten  Makkabäerbuches  sind  ton- 
CLQiiai  und  vofiol  gleichbedeutend.  In  Ägypten  waren  die  Toparchien  Unter- 
abteilungen der  vofxol,  s.  Strabo  p.  787:  naliv  ö*  ol  vopoi  tofiäg  aXXaq  %o%ov 
elg  yäg  xonaqflag  ol  nketazoi  öiyQrivxo,  xal  ahxai  6*  el$  iXXag  tofidg. 


[186.  187]  IL  Das  eigentlich  jüdische  Gebiet  235 

geändert  hatten44.  Aber  auch  Josephus  selbst  schwankt  Er  be- 
zeichnet z.  B.  Emmaus  als  firjzQOJtoXig  der  dortigen  Gegend,  also 
doch  offenbar  der  Toparchie45;  Lydda  dagegen  nennt  er  nur  eine 
xcoftrj"  und  zwar  in  augenscheinlich  genaner  Ausdrucksweise  (s.  oben 
Anm.  35),  Man  muß  hiernach  annehmen,  daß  alle  diese  Orte  vom 
römisch-hellenistischen  Standpunkte  aus  keine  eigentlichen  JtoXecc 
waren,  d.  h.  keine  Kommunen  mit  hellenistischer  Verfassung;  und 
es  kommt  nur  auf  Rechnung  des  jüdischen  und  populären  Sprach- 
gebrauchs, wenn  sie  als  „Städte"  bezeichnet  werden.  Genau  ge- 
nommen müßten  sie  eigentlich  xmpoxoXeiq  genannt  werden  (s.  oben 
Anm.  17),  und  sofern  ihre  Stellung  zur  Toparchie  in  Betracht 
kommt,  fi7]TQoxcofilai  (s.  Anm.  21—24). 

Nur  eine  Stadt  im  eigentlichen  Judäa  hatte  auch  nach  römisch- 
hellenistischen Begriffen  die  Geltung  einer  xojUq,  nämlich  Jeru- 
salem. Ihm  war  das  ganze  übrige  Judäa  untergeordnet,  so  daß 
es  über  dasselbe  herrschte  cog  ßaaUscov  (s.  Anm.  26).  Es  hatte 
also  in  bezug  auf  Judäa  eine  ähnliche  Stellung,  wie  die 
hellenistischen  Städte  in  bezug  auf  ihr  Gebiet46.  Dies  gibt 
sich  iL  a.  auch  kund  in  der  Adresse  kaiserlicher  Erlasse  an  die 
Juden,  welche  folgendermaßen  lautet:  'ieQoöoXvpirtbv  Sqxovöi  \ 
ßovkjj  öf/ficp,  'iovöalcov  navxi  i&vet,  also  ganz  ähnlich  wie  bei  Er- 
lassen an  hellenistische  Kommunen,  in  welchen  ebenfalls  die  Stadt 
und  ihr  Senat  Beherrscherin  und  darum  Repräsentantin  des  ganzen 
Gebietes  war47.  Wahrscheinlich  war  der  Senat  (das  Synedrium) 
von  Jerusalem  auch  für  den  Eingang  der  Steuern  in  ganz  Judäa 
verantwortlich48.    Auch  in  der  Mischna  hat  sich  noch  eine  Er- 


44)  Die  Namen  einzelner  Toparchien  (AxQaßaxxriv^  ßapvitixtf)  haben 
sich  zwar  noch  zu  Eusebius'  Zeit  erhalten;  die  Verfassung  selbst  aber  war  eine 
wesentlich  andere  geworden  durch  Errichtung  neuer,  selbständiger  civitates  wie 
Diospolis,  Nikopolis  n.  a.  Infolgedessen  bildete  z.  B.  gerade  Thamna  nicht 
mehr  den  Hauptort  einer  Toparchie,  sondern  war  nur  noch  eine  xtofxr}  pteydXri 
iv  SqIoiq  AioonöXeaq  (s.  oben  Anm.  34),  also  dem  früheren  Lydda  unter- 
geordnet. 

46)  Bell.  Jud.  IV,  8,  1. 

46)  Vgl.  Knhn,  Die  städtische  und  bürgert.  Verfassung  II,  342—345, 

47)  Anü.  XX,  1, 2.  Vgl  dazu  die  ähnlichen  Adreß-Formeln  in  den  Edik- 
ten Antt.  XIV,  10  {2i6o)vio>v  agxovoi  ßovXy  fyliy,  y3peolci)v  ßovXy  xal  aq%ovoi 
xal  tyfup  und  dergl.),  XIV,  12,  4—5.  XVI,  6. 

48)  Als  nach  den  ersten  Zuckungen  des  Aufstand  es  man  sich  auf  einen 
Augenblick  wieder  zu  friedlicher  Haltung  entschlossen  hatte,  verteilten  sich 
die  Behörden  und  Ratsherren  von  Jerusalem  auf  die  Dörfer,  um  die 
rückständigen  Abgaben  einzusammeln  (Ä  J.  II,  17,  1:  elg  6h  tag  xö>fm<;  o2  te 
&Q%ovzeq  xal  ol  ßovXevzal  (isQio&hrei;  rovq  ipÖQOvq  avvtXeyov).  Diese  waren, 
im  Betrage  von  40  Talenten,  rasch  beisammen.   Unmittelbar  darauf  aber  sandte 


236  §  23.  Verfassung.   Synedrium.    Hohepriester.  [187.  188] 

innerung  daran  erhalten,  daß  „die  Ältesten"  von  Jerusalem  über 
ganz  Jndäa  geboten49.  Über  das  eigentliche  Judäa  hinaus 
hat  sich  dagegen  die  bürgerliche  Gewalt  des  Synedriums  von  Jeru- 
salem, mindestens  seit  dem  Tode  Herodes'  des  Gr.,  nicht  mehr 
erstreckt  Galiläa  und  Peräa  waren  seitdem  von  Judäa  politisch 
ganz  getrennt  oder  bildeten  doch  selbständige  Verwaltungsgebiete, 
wie  namentlich  in  bezug  auf  Galiläa  oben  gezeigt  ist.  Am  wenigsten 
dürfte  man  die  Tatsache,  daß  der  Aufstand  in  Galiläa  von  Jeru- 
salem aus  geleitet  wurde,  zum  Beweise  dafür  verwenden,  daß  auch 
zur  Friedenszeit  Galiläa  zur  Kompetenz  des  großen  Synedriums 
gehört  habe.  Denn  es  handelt  sich  dabei  augenscheinlich  um  Aus- 
nahmezustände. Nur  in  der  früheren  Zeit,  namentlich  während 
der  hasmonäischen  Periode,  bildete  das  ganze  jüdische  Gebiet  auch 
politisch  eine  wirkliche  Einheit  (vgl  unten  Nr.  III).  —  Da  der  Eat 
von  Jerusalem  sich  nicht  mit  allem  Detail  der  Rechtspflege  befassen 
konnte,  so  ist  es  von  vornherein  wahrscheinlich,  daß  |  neben  dem 
großen  Synedrium  auch  noch  ein  oder  mehrere  kleinere  Gerichts- 
höfe in  Jerusalem  bestanden  haben.  Auch  daran  hat  sich  in  der 
Mischna  noch  eine,  freilich  verworrene,  Erinnerung  erhalten50. 

Agrippa  die  agxovxBq  und  övvatol  zu  Florus  nach  Cäsarea,  damit  jener  aus 
ihrer  Mitte  die  Steuer- Einsammler  für  das  Land  ernenne  (ibid.  ?va  ixelvog 
i£  afcibv  &7toöei$y  tovg  rfjv  x&Qav  g>OQoXoy^aovvaq),  Da  letzteres  geschieht, 
nachdem  die  Steuern  des  Stadtbezirkes,  also  wohl  der  Toparchie,  von  Jeru- 
salem bereits  beigetrieben  sind,  so  wird  unter  der  x^°9a  £anz  Judäa  zu  ver- 
stehen sein.  Für  dessen  ganzes  Gebiet  wurden  also  die  Steuer-Einnehmer  aus 
der  Mitte  der  &Q%ovxBq  und  öwcccol  von  Jerusalem  ernannt.  Vgl.  überhaupt 
über  die  Sitte  der  Römer,  die  stadtischen  Senate  zur  Eintreibung  der  römischen 
Steuern  zu  verwenden,  Marquardt  I,  501.  Hirsch feld,  Die  kaiserlichen 
Verwaltungsbeamten  bis  auf  Diokletian,    2.  Aufl.  1905,  S.  73  ff. 

49)  Taamth  III,  6:  „Einst  reisten  die  Ältesten  aus  Jerusalem  nach 
ihren  Städten  (ervnsb  B^üWe  e* :pt  vty»)  und  verfügten  Fasten,  weil 
man  in  Askaion  fpbptöKa)  ungefähr  so  viel  eine  Ofenmündung  beträgt,  Korn 
brandig  fand  etc."  —  Da  Askaion  nie  zum  Gebiet  von  Judäa  gehört  hat,  ist 
die  Notiz  an  sich  ungeschichtlich ;  sie  zeigt  aber  eine  richtige  Erinnerung  daran, 
daß  die  Städte  Judäas  den  „Altesten"  von  Jerusalem  untergeordnet  waren. 

50)  Sanhedrin  XI,  2:  „Drei  Gerichtshöfe  ("p:^  *ro)  waren  dort  in  Jeru- 
salem. Einer  hielt  seine  Sitzungen  am  Eingange  des  Tempelberges  (nn&  b$ 
n^an  in),  einer  am  Eingange  des  Tempel vorhofes  (mtsn  nnß  bsj,  und  einer 
in  der  Lischkath  hagasith  (rvnan  nstsba).  Die  Anfragenden  kamen  zu  dem, 
welcher  am  Eingange  des  Tempelberges  saß,  und  der  Anfragende  sagte:  So 
habe  ich  und  so  haben  meine  Kollegen  erklärt;  so  habe  ich  und  so  haben  meine 
Kollegen  geschlossen.  Hatte  nun  das  Gericht  eine  Tradition  für  den  fraglichen 
Fall,  so  sagte  dasselbe  ihnen  die  Entscheidung.  Wo  aber  nicht,  so  kamen  sie 
vor  das  Gericht  am  Eingange  des  Vorhofes  und  wiederholten  ihre  Anfrage. 
Hatte  dieses  eine  Tradition  darüber,  so  sagte  es  ihnen  die  Entscheidung.  Wo 
aber  nicht,  so  kamen  die  Streitparteien  samt  den  Gerichtsmitgliedern  vor  das 


[188.  189]  III.  Das  große  Synedrium  zu  Jerusalem.  237 

III.  Das  große  Synedrium  zu  Jerusalem. 

Literatur. 

Seiden,  De  synedriis  et  praefecturis  juridicis  veterum  Ebraeorum,  lib.  I — III, 

Londini  1650-1655  (vgl.  oben  S.  223). 
Menschen j  Nomon   Testamentum  ex   Talmuds  et  antiquitatibus  Hebraeorum 

ülustratum  (Lips.  1736)  p.  1184—1199:  Diatribe  de  aO»3  seu  directore  Syne- 

drii  M.  Hebraeorum. 
Carpxov,    Apparates  hütorico-criticus  antiquitatum  sacri  codicis  (1748)  p, 

550—600. 
Hartmann,  Die  enge  Verbindung  des  Alten  Testaments  mit  dem  Neuen  (1831), 

8.  166—225. 
Winer  EWB.  II,  551—554:  Art.  „Synedrium". 
Sachs,   Über  die  Zeit  der  Entstehung  des  Synedrins  (Frankeis  Zeitschr.  für 

die  religiösen  Interessen  des  Judentums  1845,  S.  301—312). 
Saalschütz,  Das  mosaische  Recht,  2.  Aufl.  1853,  I,  49  ff.  II,  593  ff  —  Ders., 

Archäologie  der  Hebräer,  Bd.  H,  1856,  S.  249  ff.  271  ff.  429—458. 
Levy,   Die  Präsidentnr  im  Synedrium  (Frankeis  Monatsschr.  f.  Gesch.   und 

Wissensch.  des  Judent.  1855,  S.  266—274.  301—307.  339— 358).| 
Herz  fei  d',  Geschichte  des  Volkes  Jisrael,  Bd.  II  (1855),  S.  380—396. 
Jost,  Geschichte  des  Judentums  und  seiner  Sekten,  Bd.  I  (1857),  8. 120—128. 

270—281.    Vgl.  auch  S.  403  ff   Bd.  H  (1858)  S.  13  ff.  25  ff 
Geiger,  Urschrift  und  Übersetzungen  der  Bibel  (1857)  S.  114  ff. 
Keil,  Handbuch  der  biblischen  Archäologie  (2.  Aufl.  1875)  S.  714—717. 
Leyrer,   Art.  „Synedrium"  in  HerzogB  Real-Enz.    1.  Aufl.   Bd.  XV  (1862) 

S.  315-325. 
Langen,  Das  jüdische  Synedrium   und  die  römische  Procuratur  in  Judäa 

(Tüb.  Theol.  Quartalschr.  1862,  S.  411—463).  | 
Grätz,  Geschichte  der  Juden  Bd.  HI  (4.  Aufl.  1888),  S.  100  ff.    Dazu  3.  Aufl. 

S.  683—685  (in  der  4.  Aufl.  getilgt). 
De  Wette,   Lehrbuch  der  hebräisch-jüdischen  Archäologie  (4.  Aufl.   1864) 

S.  204—206. 
Ewald,  Geschichte  des  Volkes  Israel  (3.  Aufl.  1864—1868)  IV,  217  ff.  V,  56. 

VI,  697  ff. 
Kuenen,  (her  de  samensteUing  van  het  Sanhedrin  (Verslagen  en  Mededeelingen 

der  honvnkl.   Academie  van  Wetenschappen,   Afdeeling  Letterkunde,  Deel  X, 

Amsterdam  1866,  p.  131—168).    In  ;deutscher  Übersetzung:  Über  die  Zu- 
sammensetzung des  Sanhedrin  (Gesammelte  Abhandlungen  zur  biblischen 

Wissenschaft  von  A.  Kuenen,   übers,  von  Budde,  1894,   S.  49 — 81).  — 

Vgl.  auch:  De  Oodsdienst  van  Israel  II,  1870,  p.  512—515. 
Derenbourg,  Eistoire  de  la  Palestine  (1867),  p.  83—94.  465-468. 
Ginsburg ,  Art.  „Sanhedrim"  in  Kittos  Cychpaedia  of  Biblical  Literature. 
Hausrath,  Neutestamentliche  Zeitgeschichte  Bd.  I  (2.  Aufl.  1873)  S.  63—72. 


hohe  Gericht  in  der  Lischkath  hagasith,  von  welchem  die  Gesetzeskunde  über 
ganz  Israel  ausgeht".  —  Schon  der  Schematismus  in  bezug  auf  die  Lokalitäten 
zeigt,  daß  wir  es  hier  nicht  mit  einer  treuen  historischen  Überlieferung  zu 
tun  haben.    Über  die  Lischkath  hagasith  s.  unten  Nr.  DI,  4. 


238  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [189] 

Wieseler,   Beiträge  zur  richtigen  Würdigung  der  Evangelien  (1869)  S.  205 

bis  230. 
Keim,  Geschichte  Jesu  III,  321  ff.  345  ff. 
Wellhausen,  Die  Pharisäer  und  die  Sadducäer  (1874)   S.  26—43.    Ders., 

Israelitische  und  jüdische  Geschichte  (1894)  S.  235—238.    4.  Ausg.  1901, 

S.  285-288. 
Hol tz man n,  Art.  „Synedrium"  in  Schenkels  Bibellexikon  V,  446—451. 
Hoffmann  (D.),  Der  oberste  Gerichtshof  in  der  Stadt  des  Heiligtums  (Progr. 

des  Babbiner-Seminares  zu  Berlin  für  1877—1878).  —  Ders.,  Die  Präsi- 

dentur  im  Synedrium  (Magazin  für  die  Wissensch.  des  Judent.  V.  Jahrg. 

1878,  S.  94-99). 
Reuß,  Geschichte  der  heil.  Schriften  Alten  Testaments  (1881)  §§  376.  495. 
Hamburger,  Real-Euzykiopädie  für  Bibel  und  Talmud,  H.  Abtlg.  1883,  Art 

„Synhedrion",  „Nassi"  und  „Abbethdin" ;  dazu :  Supplementband  II,  1891, 

Art.  „Obergericht". 

Stapfer,   Le  SanhSdrin  de  Jerusalem  au  premier  siede  {Revue  de  thSologte  et 

de  philosopkie  [Lausanne]  1884,  p.  105—119). 
Strack,  Art.  „Synedrium"  in  Herzogs  Beal-Enz.    2.  Aufl.    Bd.  XV  (1885) 

S.  101—103.   3.  Aufl.  Bd.  XIX  (1907)  S.  226-229. 

Blum,  Le  Synhedrin  ou  Grand  conseil  de  JirusaXem,  son  origine  et  son  histoire. 

Strasbourg  1889  (112  p.  8.). 
Jelski,  Die  innere  Einrichtung  des  großen  Synedrions  zu  Jerusalem  und  ihre 

Fortsetzung  im  späteren  palästinensischen  Lehrhause  bis  zur  Zeit  des  B. 
Jehuda  ha-Nasi.    Breslau  1894  (99  S.). 
Benzinger,  Art  „Gericht  und  Becht  bei  den  Hebräern"  in  Herzog-Haucks 

Beal-Enz.    3.  Aufl.    VI,  1899,  S.  572 ff.  —  Ders.,  Art.    Government  in: 

Encychp.  Bibl  II,  col.  1900—1915. 

Bacher,  Art  Sanhedrin  in:  Hostings'  Dictionary  of  the  Bible  IV,  1902,  p.  397 
-402. 

Büchler,  Das  Synedrion  in  Jerusalem  und  das  große  Beth-Din  in  der  Qua- 
derkammer des  jerusalemischen  Tempels  (IX.  Jahresbericht  der  israelitisch- 
theoL  Lehranstalt  in  Wien,  1902,  S.  1—252).  —  Dazu  Theol.  Litztg.  1903, 
345-348. 

Houtsma,  De  Senaat  van  Jerusalem  en  het  groote  Sanhedrin  (Teglers  Theo- 
logisch Tijdschrift  IL  Jaarg.  1904,  p.  297—316). 

G.  A.  Smith,  The  jewish  Constitution  from  Nehemiah  to  the  Maccabees  (The 
Expositor  1906,  September,  p.  193—209).  —  Ders.,  The  jewish  Constitution 
from  the  Maccabees  to  the  end  (The  Expositor  1906,  Od.,  p.  348—364). 

1.  Geschichte.  Ein  aristokratischer  Senat  zu  Jerusalem,  in 
dessen  Hand  die  Regierung  und  Jurisdiktion  über  das  jüdische 
Volk,  sei  es  ganz  oder  zu  einem  wesentlichen  Teile  lag,  ist  erst 
in  der  griechischen  Zeit  mit  Bestimmtheit  nachweisbar. 
Die  rabbinische  Exegese  sieht  freilich  in  dem  Rate  der  70  Altesten, 
welcher  dem  Moses  auf  dessen  Verlangen  beigegeben  wurde  (Num. 
11, 16),  bereits  das  nachmalige  „Synedrium"  und  nimmt  daher  eine 
kontinuierliche  Existenz  desselben  von  Moses  bis  auf  die  talmu- 
dische Zeit  an.    Allein  während  der  ersten  tausend  Jahre  dieses 


[189.  190]    III.  Das  große  Synedrium  zu  Jerusalem.   1.  Geschichte*  239 

Zeitraumes  findet  sich  davon  so  gut  wie  gar  keine  Spur.  Denn 
die  |  „Ältesten",  die  wohl  zuweilen  als  Repräsentanten  des  Volkes 
erwähnt  werden  (z.  B.  I  Reg.  8,  1.  20,  7.  II  Reg.  23,  1.  Exech.  14,  1. 
20,  1),  sind  keine  organisierte  Behörde  nach  Art  des  späteren 
Synedriums.  Und  der  oberste  Gerichtshof  zu  Jerusalem,  den  die 
deuteronomische  Gesetzgebung  voraussetzt  (Deut.  17,  8  ff.  19,  16  ff.), 
und  dessen  Einsetzung  die  Chronik  auf  Josaphat  zurückführt 
(II  Chron.  19,  8),  ist  eben  nur  ein  Gerichtshof,  der  lediglich  Recht 
zu  sprechen  hat,  nicht  ein  regierender  oder  doch  an  der  Re- 
gierung wesentlich  mitbeteiligter  Senat,  wie  das  Synedrium  der 
griechisch-römischen  Zeit1.  Erst  für  die  persische  Zeit  darf  man 
mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  die  Existenz  oder  allmähliche  Aus- 
bildung einer  Gemeindebehörde,  welche  dem  späteren  Synedrium 
ähnlich  war,  annehmen.  Die  Verhältnisse  waren  jetzt  im  wesent- 
lichen dieselben,  wie  später  in  der  griechischen  und  römischen  Zeit: 
unter  der  Oberherrschaft  einer  fremden  Macht  bildeten  die  Juden 
eine  sich  selbst  regierende  Gemeinde.  Die  gemeinsamen  Angelegen- 
heiten verlangten  irgendwie  eine  gemeinsame  Leitung  durch  die 
Vertreter  oder  Führer  des  Volkes.  Als  solche  erscheinen  im  Buche 
Esra  gewöhnlich  die  „Ältesten"  (Esra  5,  5.  9.  6,  7.  14.  10,  8)2  bei 
Nehemia  die  ö^-rin  und  ö^ao  (Nehem.  2, 16.  4,  8.  13.  5,  7.  7,  5).  Über 
ihre  Zahl  und  Organisation  erfahren  wir  aber  nichts  Näheres.  Da 
Esra  2,  2  «-  Nehem.  7,  7  zwölf  Männer  als  Führer  der  Exulanten 
genannt  werden,  so  könnte  man  vermuten,  daß  in  der  ersten  Zeit 
nach  dem  Exil  zwölf  Geschlechts-Älteste  an  der  Spitze  der  Ge- 
meinde gestanden  haben2.  Andererseits  werden  Nehem.  5,  17  ein- 
hundertundfünfzig  jüdische  „Vorsteher",  D^ao,  erwähnt3.  Jedenfalls 
unterscheidet  sich  die  spätere  Organisation  von  der  früheren  da- 
durch, daß  früher  —  sowohl  vor  dem  Exil  als  in  der  ersten  Zeit 
nach  dem  Exil  —  die  Stämme  und  Geschlechter  noch  eine  größere 
Selbständigkeit  nebeneinander  hatten,  daher  eine  gemeinsame  Lei- 
tung nur  insoweit  bestand,  als  eben  die  Geschlechts-Oberen  zu 

1)  So  stellt  es  sich  allerdings  Josephus  vor»  indem  er  jenen  Gerichts- 
hof nach  Analogie  späterer  Verhältnisse  als  ^  ysQovala  bezeichnet  {Antt. 
IV,  8,  14). 

2)  So  Stade,  Geschichte  des  Volkes  Israel  II,  102.  105  f.;  ähnlich 
Köhler,  Lehrbuch  der  bibl.  Gesch.  II,  2,  1893,  S.  555.  592.  Derselbe  sucht 
a.  a.  O.  8.  591  f.  auf  Grund  umsichtiger  Zusammenstellung  des  Material  es  zu 
ermitteln,  inwieweit  die  Verwaltung  Judäas  von  den  persischen  Beamten, 
und  inwieweit  sie  von  den  jüdischen  Oberen  geführt  wurde. 

3)  Hierauf  weist  namentlich  Ed.  Meyer  hin  (Die  Entstehung  des  Juden- 
tums 1896,  8.  132,  134,  überhaupt  8.  130—135).  Die  zwölf  Männer  Esra  2,  2 
—  Neh.  7,  7  hält  er  nicht  für  Oberbeamte,  sondern  für  Leiter  der  Karawane 
(S.  193). 


L 


240  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [190.  191 J 

gemeinsamem  Handeln  sich  verbanden,  während  später  an  der 
Spitze  der  Gesamtheit  eine  einheitlich  organisierte  Behörde  stand 4. 
Aus  dem  engeren  Zusammenschluß  der  Geschlechts- 
Oberen,  sowohl  der  Priester  als  der  Laien,  wird  die  Ge- 
samtbehörde entstanden  sein.  Für  die  Existenz  einer  solchen, 
und  zwar  in  der  Form  eines  aristokratischen  Senates,  schon  in 
der  persischen  Zeit  spricht  namentlich  eine  allgemeine  Erwägung. 
Überall  wo  der  Hellenismus  ganz  von  neuem  städtische  Verfas- 
sungen geschaffen  hat,  sind  es  demokratische  gewesen.  In  Judäa 
aber  finden  wir  in  der  griechischen  Zeit  eine  yapotxr/a,  d.  h.  einen 
aristokratischen  Senat.  Dieser  stammt  also  höchst  wahrscheinlich 
schon  aus  vorhellenistischer,  d.  h.  aus  der  persischen  Zeit  Er 
mag  in  der  griechischen  Zeit  gewisse  Umgestaltungen  erfahren 
haben,  ist  aber  seinem  Wesen  nach  vorhellenistisch. 

Den  maßgebenden  Einfluß  in  dieser  obersten  Behörde  im  Be- 
ginn der  hellenistischen  Zeit  hatten  ohne  Zweifel  die  Priester, 
Ja  Hakatäus,  der  Zeitgenosse  des  Ptolemäus  Lagi,  der  in  einem 
uns  erhaltenen  Bruchstück  seiner  ägyptischen  Geschichte  eine 
höchst  interessante  Beschreibung  der  jüdischen  Staatsverfassung 
gibt,  sagt  geradezu,  daß  Moses  die  Priester  zu  obersten  Richtern 
und  Wächtern  der  Gesetze  gemacht  habe,  weshalb  nicht  ein  König 
an  der  Spitze  des  Volkes  stehe,  sondern  derjenige  der  Priester, 
der  an  Einsicht  und  Tüchtigkeit  hervorrage.  „Diesen  nennen  sie 
aQxuQsvq  und  halten  ihn  für  einen  Verkündiger  der  göttlichen 
Gebote" 5. 


4)  Ed.  Meyer  a.  a.  O.^S.  134:  „Die  Leituog  des  Volks  wird  von  etwa 
150  Familienhäuptern  oder  Ältesten  geführt  ....  Auf  welche  Weise  sie  er- 
nannt werden,  ob  durch  Erbfolge,  durch  Wahl  oder  Kooptation,  wissen  wir  so 
wenig,  wie  ob  diese  „Ältesten"  wirklich  alte  Männer  sein  mußten  wie  die 
spartanischen  Geronten,  oder  ob  die  Bezeichnung  nur  ein  Titel  ist  wie  bei 
den  römischen  Senatoren  und  den  christlichen  Presbytern.  Nur  das  zeigen 
die  verschiedenen  Bezeichnungen  deutlich,  daß  es  sich  nicht  sowohl  um 
eine  geschlossene  Körperschaft  handelt,  als  um  ein  Recht  aller 
vornehmen  Familienhäupter,  an  der  Leitung  der  Gemeinde  teil 
zu  nehmen". 

5)  Hecataeus  bei  Diodor  XL,  3  (erhalten  durch  Photius  Bibliotk.  cod.  244,  s. 
den  Text  z.  B.  auch  bei  Müller,  Fragm.  hist  graec.  II,  392,  Th.  Reinach,  Textes 
d'auteurs  grecs  et  romains  relatifs  au  Iudaisme  1895,  p.  17;  über  die  Echtheit 
unten  §  33,  VII,  4):  Toig  abxohq  6h  (nämlich  die  Priester]  xal  Sixacnaq  ani- 
<fei£e  Tibv  (Asylanav  xoioswv  xal  x^v  twv  vdfioyv  xal  xCbv  £9ü)v  tpvlax^v  xovxoiq 
initQEtpe'  Siö  xal  ßaaiX^a  fxhv  firjöbtoxe  zu>v  *Iov6ai<ovt  xijv  Sh  toi)  nX^ovq 
noocraolav  ÖlöooS-ai  öiä  navxbq  xip  Soxotivxi  xCbv  Uq£u)v  (p^ovr/oei  xal  agexfi 
7tQO&xt iv-  Totixov  6k  noooayooevovoiv  ao/teoia,  xal  vo^ovaiv  abxolq  äyyeXov 
ylveoB-ai  xCbv  xod  &eo$  TtQoaxayfxdxcDV.  —  Hekatäus  scheint  das  Amt  des 
Hohenpriesters  nicht  für  erblich   zu  halten  (vgl.  auch  Ps.-Aristeas  §  98:   6 


[191.  192]    HI.  Das  große  Synedrium  zu  Jerusalem.   1.  Geschichte.  241 

Die  erste  Erwähnung  der  jüdischen  ysQovala  finden  wir  bei 
Josephus  zur  Zeit  Antiochus'  des  Gr.  (223— 187) 6.  Ihr  aristokra- 
tischer Charakter  erhellt  aus  ihrem  Namen7.  Ihre  Befugnisse 
werden  als  ziemlich  ausgedehnte  zu  denken  sein.  Denn  die  helle- 
nistischen Könige  haben  den  Kommunen  im  Innern  große  Freiheit 
gelassen  und  sich  im  wesentlichen  mit  der  Zahlung  von  Abgaben 
und  der  Anerkennung  ihrer  Oberhoheit  begnügt  An  der  Spitze 
des  jüdischen  Staatswesens,  also  auch  der  Gerusia,  stand  der 
erbliche  Hohepriester.  Beide  zusammen  übten  im  wesentlichen 
alle  Regierungsbefugnisse  im  Innern  des  Landes  aus. 

Infolge  der  makkabäischen  Erhebung  wurde  die  alte  hohe- 
priesterliche Dynastie  verdrängt,  und  an  ihre  Stelle  trat  das  neue 
seit  Simon  ebenfalls  erbliche  Hohepriestertum  der  Hasmonäer. 
Auch  die  alte  ysQovcla  muß  durch  Ausscheidung  der  griechen- 
freundlichen Elemente  eine  wesentliche  Umwandlung  erfahren  haben. 
Die  Behörde  selbst  aber  hat  auch  neben  und  unter  den  hasmo|- 
näischen  Fürsten  und  Hohenpriestern  fortbestanden:  auch  diese 
konnten  es  ja  nicht  wagen,  den  Adel  von  Jerusalem  ganz  beiseite 
zu  schieben.  Wir  finden  daher  die  Gerusia  erwähnt  zur  Zeit  des 
Judas  (II  Makk.  1, 10.  4,  44.  11,  27;  auch  die  xQeaßvveQoi  rov  Xaov 
I  Makk.  7,  33  sind  nichts  anderes),  des  Jonathan  (I  Makk.  12,  6:  r) 
fBQovda  rov  Id-vovq,  ibid.  11,  23:  ol  JtgeCßvreQoi  *IOQceqXt  ibid.  12,  35: 
ol  jiQBößvxBQoi  rov  Xaov),  und  des  Simon  (iMakk.  13,36.  14,20.  28) 8. 
Auch  im  Buche  Judith,  das  wahrscheinlich  in  diese  Zeit  gehört, 
wird  ihre  Existenz  vorausgesetzt  (Judith  4,  8.  11, 14.  15,  8).  —  Die 
Annahme  des  Königstitels  durch  die  hasmonäischen  Fürsten  und 
namentlich  das  autokratische  Regiment  eines  Alexander  Jannäus 
bezeichnen  einen  Fortschritt  nach  der  reinen  Monarchie  hin,  wie 
das  sehr  scharf  hervorgehoben  wird  von  der  jüdischen  Gesandt- 


xQL&elg  a£u>c).     Daß  es  aber  tatsächlich  in  der  griechischen  Zeit  erblich 
war,  kann  nicht  bezweifelt  werden. 

6)  Antt.  XII,  3,  3. 

7)  Eine  yeoovola  ist  stets  ein  aristokratischer  Senat.  Namentlich 
heißt  so  der  Senat  von  Sparta  und  überhaupt  in  den  dorischen  Staaten.  S. 
Westermann  in  Paulys  Real-Enz.  III,  849 f. 

8)  Von  Interesse  ist  die  Vergleichung  von  I  Makk.  12,  6  mit  I  M.  14,  20. 
Es  handelt  sich  um  den  Briefwechsel  der  Juden  mit  den  Spartanern.  An  der 
ersteren  Stelle  (I  M.  12,  6 —  Jos.  Antt.  XIII,  5,  8)  nennen  sich  die  Juden  als 
Absender:  *la>va&av  aQzieQtvq  xal  %  yeoovola  rov  H&vovg  xal  ol  leoeig 
xal  6  Xoinöq  drjfiog  tu>v  'Iovöalwv.  In  der  Antwort  der  Spartaner  lautet  die 
Adresse  (I  M.  14,  20):  Siftowi  Uoel  fxeyäXy  xal  xoiq  noeoßvTiooic;  xal 
toiq  leoevoi  xal  t(]>  XouiCp  SJjfjHp  zCbv  'Iovdaiwv.  Beachte  1)  daß  ^  yeoovola 
und  ol  noeoßvregoi  identische  Begriffe  sind,  2)  daß  in  beiden  Fällen  die 
Gliederung  eine  vierfache  ist:  Hoherpriester,  Gerusia,  Priester,  Volk. 

Sohürer,  Ctochichte  II.  4.  Aufl.  16 


242  §  23.    Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [192.  193] 

schaft,  welche  sich  eben  hierüber  bei  Pompeius  beschwerte 9.  Aber 
trotzdem  hat  auch  jetzt  die  alte  Gerusia  sich  behauptet  Wenigstens 
werden  unter  Alexandra  ausdrücklich  x&v  'Iovöalcov  ol  jtQeaßvtsQoi 
erwähnt  {Antt  XIII,  16,  5) 10.  Seit  Alexandra  sind  ohne  Zweifel 
auch  die  Schriftgelehrten  in  größerer  Zahl  in  die  Gerusia  ge- 
kommen. Denn  die  Überlassung  der  Herrschaft  an  die  Pharisäer 
kann  nicht  ohne  eine  Umgestaltung  der  Gerusia  im  pharisäischen 
Sinne  erfolgt  sein.  Von  hier  an  wird  jene  auch  noch  für  die  Zeit 
Jesu  Christi  bezeugte  Zusammensetzung  der  Behörde  datieren, 
welche  einen  Kompromiß  zwischen  dem  priesterlichen  Adel  und 
dem  pharisäischen  Schriftgelehrtentum  darstellt11. 

Bei  der  Neuordnung  der  Verhältnisse  durch  Pompeius  ist 
zwar  das  Königtum  abgeschafft  worden.  Der  Hohepriester  behielt 
aber  die  jzQoaraala  rov  l&vovq  {Antt  XX,  10);  und  so  wird  auch  | 
die  Stellung  der  Gerusia  zunächst  nicht  wesentlich  alteriert  worden 
sein 12.  Ein  starker  Eingriff  in  die  bisherige  Ordnung  war  dagegen 
die  durch  Gabinius  (57—55)  verfügte  Zerteilung  des  jüdischen 
Gebietes  in  fünf  cvvoöoi  (K  /.  I,  8,  5)  oder  avveÖQia  {Antt  XIV, 
5,  4).  Da  von  den  fünf  Synedrien  drei  auf  das  eigentliche  Judäa 
entfielen  (nämlich  Jerusalem,  Gazara  und  Jericho),  so  umfaßte 
die  Machtsphäre  des  Senates  von  Jerusalem,  wenn  er  überhaupt 


9)  Diodor.  XL,  2  ed.  Müller  i  aneyrjvavzo  zovq  nQoydvovQ  avzä>v  [seit 
des  Aristobul  und  Hyrkan]  npoeozTjxdzag  zov  Ieqov  nenQeoßevxivai  ngög  z^v 
avyxXrjzov  [den  römischen  Senat],  xal  naostXrjyivai  ttyv  nooazaolav  z(hv  Yoi> 
öaluyy  iXei&tywv  xal  altovducov,  oh  ßaaiXitoq  ZQWBti&vroQ,  aXX*  &Q%i£Q&a>q 
7iQO€<nt]x6zo$  zov  l&vovq.  Tovzovq  6h  vvv  dwaozeveiv  xazaXeXvxdzag  rovg 
nazglovg  vd/novg  xal  xaraötöovXwo$ai  zovg  noXizag  äSixwg'  fuo&o<p6Q<ov  yäp 
nXföei  xal  alxiaiq  xal  noXXoTg  <p6voig  aoeßioi  neQuienoifjO&ai  r/)v  ßaatXelav. 
—  Vgl.  auch  Joseph.  Antt.  XIV,  3,  2. 

10)  Ähnlich  stand  z.  B.  auch  in  Tyrus  und  Sidon  dem  König  ein  Senat 
zur  Seite.  S.  Movers,  Die  Phönizier  II,  1  (1849)  S.  529—542.  Kuhn,  Die 
stadtische  und  bürgert.  Verfassung  II,  117.  Gutschmid,  Kleine  Schriften 
II,  72. 

11)  Über  die  Geschichte  der  Gerusia  unter  den  hasmonäischen  Fürsten 
s.  Wellhausen,  Israelitische  und  jüdische  Geschichte  (1894)  S.  235 — 238. 
4.  Ausg.  1901,  S.  285—288. 

12)  In  den  salomonischen  Psalmen,  welche  im  allgemeinen  in  der 
Zeit  des  Pompeius  entstanden  sind,  wird  ein  dem  Verfasser  verhaßter  Mann, 
oder  die  ihm  verhaßte  Partei  überhaupt,  folgendermaßen  angeredet,  Ps.  4,  1: 
\vazl  ov  xddijöai  ßißqXe  iv  ovveöoUo.  Da  nach  dem  Zusammenhang  unter 
aweÖQiov  ein  Gericht  zu  verstehen  ist,  so  kann  damit  unsere  Gerusia  gemeint 
sein.  Aber  bei  der  Vieldeutigkeit  des  Ausdrucks  und  bei  der  Unmöglichkeit, 
die  Abfassungszeit  des  Psalmes  genauer  zu  präzisieren,  läßt  sich  historisch 
nicht  viel  aus  der  Stelle  entnehmen.  Sie  muß  ihr  Licht  erst  aus  den  uns 
bekannten  Verhältnissen  empfangen. 


[193. 194]    III.  Das  große  Synedrium  zu  Jerusalem.   1.  Geschichte.  243 

in  der  bisherigen  Weise  fortbestanden  hat,  nur  noch  etwa  ein 
Dritteil  des  eigentlichen  Judäa.  Wahrscheinlich  bedeutete  aber 
jene  Maßregel  mehr,  als  eine  bloße  Einschränkung  der  Macht- 
sphäre, denn  sie  wird  von  Josephus  als  eine  durchgreifende  Um- 
gestaltung der  politischen  Verhältnisse  dargestellt,  wobei  allerdings 
nicht  recht  deutlich  wird,  ob  jene  fünf  Bezirke  Steuerbezirke  oder 
Gerichtssprengel  (conventus  juridid)  oder  beides  zugleich  waren 
(vgl.  hierüber  oben  §  13) 13.  —  Die  Anordnungen  des  Gabinius  haben 
jedoch  nicht  länger  als  etwa  zehn  Jahre  bestanden.  Denn  durch 
die  Einrichtungen  des  Cäsar  (47  vor  Chr.)  sind  dieselben  wieder 
beseitigt  worden.  Er  ernannte  den  Hyrkan  IL  wieder  zum  £&vaQxri$ 
der  Juden  (s.  oben  §  13);  und  aus  einer  in  jene  Zeit  fallenden  Be- 
gebenheit geht  bestimmt  hervor,  daß  die  Gerichtsbarkeit  des  Senates 
von  Jerusalem  sich  auch  wieder  über  Galiläa  erstreckte:  der  junge 
Herodes  mußte  sich  nämlich  wegen  seiner  Taten  in  Galiläa  vor 
dem  cvviÖQiov  zu  Jerusalem  verantworten  (Antt.  XIV,  9,  3—5). 
Mit  dem  Ausdruck  cvviÖQiov  wird  nun  hier  zum  erstenmal 
und  seitdem  häufig  der  Senat  von  Jerusalem  bezeichnet 
Da  der  Ausdruck  sonst  zur  Bezeichnung  städtischer  Senate  nicht 
gerade  gewöhnlich  ist,  so  hat  dieser  Gebrauch  etwas  Auffälliges, 
ist  aber  wahrscheinlich  daraus  zu  erklären,  daß  man  den  Senat 
von  Jerusalem  vor  allem  als  Gerichtshof  (yesf  rr»a)  auffaßte. 
Denn  in  diesem  |  Sinne  wird  cwiÖQtov  in  der  späteren  Gräzität 
namentlich  gebraucht14. 


13)  Über  die  Verfassungsgeschichte  der  Jahre  57 — 47  vor  Chr.  handelt 
eingehend  Unger,  Zu  Josephos,  Art.  IV  (Sitzungsber.  der  Münchener  Akademie, 
philos.-philol.  und  histor.  Klasse  1897,  S.  189—222).  Er  trifft  aber  m.  £.  nicht 
immer  das  Richtige,  schon  deshalb  nicht,  weil  er  Genaueres  feststellen  will, 
als  unsere  Quellen  gestatten. 

14)  Hesychius  Lex.  8.  v.  erklärt  awiÖQtov  geradezu  durch  SixaoxJj- 
qiov  (Gerichtshof).  Bei  den  LXX  Prov.  22,  10  ist  owityia  —  "pi.  Vgl, 
auch  PsaÜ.  Salom.  4,  1.  Auch  im  Neuen  Testamente  heißt  ow&qiov  einfach 
„Gerichte"  (Mi.  10, 17.  Marc.  13,  9);  ebenso  in  der  Mischna  (s.  bes.  Sanhedrin 
I,  5:  O^oawb  nmnnao  —  Gerichte  für  die  Stämme,  und  I,  6:  map  ymrfcö  — 
ein  kleines  Gericht).  Mit  Recht  bemerkt  daher  Steph.  Thes.  8.  v.  praecipue 
ita  voeatur  oonsessus  judicum.  —  An  sich  ist  freilich  owiÖQiov  ein  sehr  um- 
fassender Begriff  und  kann  von  jeder  „Versammlung"  und  jeder  koUegialisch 
zusammengesetzten  Behörde  gebraucht  werden,  z.  B.  vom  römischen  Senat. 
Auch  in  manchen  Städten  Griechenlands  heißen  die  Mitglieder  des  städtischen 
Senates  o\  ovveSqoi,  z.  B.  in  Dymae  in  Achaia  (Corp.  Inscr.  Oraee.  n.  1543 
lin.  4:  xotq  aQ%ovoi  xal  avviÖQOiq  xal  xy  ndXei),  in  Akraephiae  in  Böotien 
(Corp.  Inscr.  Oraee.  n.  1625  lin.  71:  liJofev  xotq  xe  &q%ovoi  xal  awiÖQOtq  xal 
xip  djftip,  vgl  die  Zusammenstellung  der  Texte,  in  welchen  die  ovvsöqol  von 
Akraephiae  vorkommen,  im  Bulletin  de  oorreep.  hellSnique  t.  XTV,  1890,  p.  17  sq.), 
und  anderwärts  (s.  Sauppe,  Abhandlungen  derGöttingerGesellsch.  derWissensch 

IG* 


244  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [194.  195] 

Herodesd.Gr.  begann  seine  Regierung  damit,  daß  er  [  sämt- 
liche Mitglieder  des  Synedriums  hinrichten  ließ  (Antt.  XIV,  9,  4: 
jtavrag  ajtixrstve  rovg  iv  xq>  CvvböqIco).  Ob  hier  das  navzag 
ganz  wörtlich  zu  nehmen  ist,  mag  dahingestellt  bleiben.  An  einer 
anderen  Stelle  heißt  es  dafür,  er  habe  die  45  angesehensten  Männer 
von  der  Partei  des  Antigonus  hinrichten  lassen  (Antt.  XV,  1,  2: 
ajiixreive  6b  reccaQaxovra  xivxe  rovg  jtQcivovg  ix  rrjg  alQiösmg 
'Avxiyovov).  Jedenfalls  hatte  die  Maßregel  den  Zweck,  den  alten 
ihm  feindlichen  Adel  entweder  ganz  zu  beseitigen  oder  doch  so 
einzuschüchtern,  daß  er  sich  dem  neuen  Herrscher  fügte.  Aus  den 
gefügigen  Elementen,  zu  welchen  auch  manche  Pharisäer  gehörten, 
die  in  dem  tyrannischen  Regimente  eine  wohlverdiente  Zuchtrute 
Gottes  sahen,  wurde  nun  das  neue  Synedrium  gebildet  Denn  daß 
ein  solches  auch  unter  Herodes  bestanden  hat,  ist  ausdrücklich 
bezeugt,  insofern  unter  der  „Versammlung"  (avviÖQiov),  vor  welcher 
Herodes  den  alten  Hyrkan  seiner  Schuld  überführte,  kaum  etwas 


Bd.  VIH,  1858—59,  8.  249,  Gilbert,  Handbuch  der  griech.  Staatsaltertümer 
Bd.  II  passim.  Liebenam,  Städteverwaltung  im  römischen  Kaiserreiche  (1900) 
8.  227  f.  Dütenberger,  Syttoge  Inscr.  Oraee.  ed.  2.,  vol.  IH  [Index]  p.  184,  Cor- 
pus Inscr.  Oraeoarum  Oraeciae  Septentrionalis  vol.  I  ed.  Dütenberger,  Index 
p.  753,  auch  Stephanus  Thes.  s.  v.  und  Westermann  in  Paulys  Enz.  VI,  2, 1535), 
Der  Ausdruck  wird  aber  doch  von  stadtischen  Senaten  verhältnismäßig  selten 
gebraucht,  für  welche  bekanntlich  die  Bezeichnungen  ßovXJj  und  yeoovoia  vor- 
herrschend sind.  Häufiger  dient  er  zur  Bezeichnung  von  Repräsentativ  •Ver- 
sammlungen, welche  durch  Abgeordnete  verschiedener  Kommunen  gebildet 
werden.  So  z.  B.  vom  owidoiov  der  Phönizier,  das  sich  in  Tripolis  zu  ver- 
sammeln pflegte  (Diodor.  XVI,  41),  vom  xoivöv  owötoiov  im  alten  Lycien, 
welches  aus  Abgeordneten  von  23  Städten  bestand  (Strabo  XIV,  3,  3  p.  664*?.), 
vom  aw&oiov  xoivöv  der  Provinz  Asien  (Aristides  Orot.  XXVI  ed.  Bindorf 
t.  I  p.  531),  von  den  Versammlungen  des  achäischen,  phokischen,  böotischen 
Bundes  (Pausan.  VH,  16,  9).  Daher  werden  auch  ovveöooi  und  ßovXevzal 
neben  einander  genannt  als  zwei  verschiedene  Kategorien  (Inschrift  zu  Balbura 
in  Pisidien  bei  Le  Bas  et  Waddington,  Inscr.  t.  UI  n.  1221).  Auch  die  sena» 
tores  der  vier  macedonischen  Regionen,  welche  nach  Livius  cvveöpoi  genannt 
wurden  {Lir.  45,  32:  pronuntiatum,  quod  ad  statum  Macedoniae  pertinebat,  sena- 
tores,  quos  synedros  vocant,  legendos  esse,  quorum  consilio  respubliea  admi- 
nistraretur),  sind  nicht  städtische  Senatoren,  sondern  Deputierte  einer  ganzen 
regio  (s.  Marquardt,  Staatsverwaltung  I,  1881,  S.  317).  —  Da  der  Ausdruck  in 
Judäa  zum  erstenmal  zur  Zeit  des  Gabinius  auftaucht  und  seitdem  auch  für 
den  Senat  von  Jerusalem  gebräuchlich  wird,  so  könnte  man  zu  der  Annahme 
geneigt  sein,  daß  sein  Gebrauch  eben  durch  die  Maßregel  des  Gabinius  ver- 
anlaßt ist,  indem  der  Ausdruck  seitdem  auch  unter  veränderten  Verhältnissen 
beibehalten  wurde  (so  ich  selbst  in  Riehms  Worterb.  1.  Aufl.  S.  1596).  Aber 
angesichts  der  Tatsache,  daß  das  Wort  auch  sonst,  sogar  im  Hebräischen,  in 
der  Bedeutung  „Gerichtshof "  überhaupt  gebraucht  wird,  muß  diese  Erklärung 
doch  als  zu  künstlich  verworfen  werden. 


[195.  196]    HL  Das  große  Synedrium  zu  Jerusalem.   1.  Geschichte.  245 

anderes  als  unser  Synedrium  verstanden  werden  kann  (Antt.  XV, 
6,  2  fin.) « 

Nach  dem  Tode  des  Herodes  erhielt  Archelans  nur  einen 
Teil  des  väterlichen  Beiches:  die  Provinzen  Judäa  und  Samaria. 
Hiermit  ist  ohne  Zweifel  auch  die  Kompetenz  des  Synedriums  auf 
das  eigentliche  Judäa  beschränkt  worden  (vgl.  oben  S.  236). 
Dabei  blieb  es  auch  zur  Zeit  der  Prokuratoren.  Aber  unter 
ihrer  Verwaltung  ist  die  innere  Regierung  des  Landes  in  höherem 
Maße  als  unter  Herodes  und  Archelaus  in  der  Hand  des  Synedriums 
gewesen.  Josephus  deutet  dies  bestimmt  an,  indem  er  sagt,  daß 
seit  dem  Tode  des  Herodes  und  Archelaus  die  Verfassung  des 
Staates  eine  aristokratische  war,  unter  der  Oberleitung  der  Hohen- 
priester 16.  Er  betrachtet  also  jetzt  den  aristokratischen  Senat  von 
Jerusalem  als  die  eigentlich  regierende  Behörde  im  Unterschiede 
von  dem  früheren  monarchischen  Begimente  der  Herodianer.  —  So 
wird  nun  auch  zur  Zeit  Christi  und  der  Apostel  das  ovvIöqlov  zu 
Jerusalem  häufig  als  die  oberste  jüdische  Behörde,  namentlich  als 
der  oberste  jüdische  Gerichtshof  erwähnt  (Maith.  5,  22.  26,  59.  Marc. 

14,  55.  15,  1.  Luc.  22,  66.  Joh.  11,  47.  Äctor.  4,  15.  5,  21  ff.  6,  12  ff. 
22,  30.  23, 1  ff.  24,  20).  Statt  övviÖQiov  kommen  auch  die  Bezeich- 
nungen |  JtQBCßvxiQiov  {Luc.  22,  66.  Act.  22,  5)  und  yeQovota  (Act.  5,21) 
vor17.    Ein  Mitglied  desselben,  Joseph  von  Arimathaia,  heißt  4fam 

15,  43  =  Luc.  23,  50  ßovXevTtjg.  Josephus  nennt  die  oberste  Be- 
hörde von  Jerusalem  owiÖQtoP1*  oder  ßovXrj19,  oder  er  faßt  Be- 


15)  Vgl.  auch  Wiesel  er,  Beiträge  zur  richtigen  Würdigung  der  Evan- 
gelien S.  215  f. 

16)  Antt.  XX,  10  fin.:  psxä  dh  xfjv  xovxatv  xeXevxijv  &QiaxoxQaxla  fihv  }\v 
^  noXtxela,  %%v  6h  itQooxaoiav  xov  H&vovg  oi  aQX&Q&S  ineTcldxevvxo.  —  Da  in 
dem  ganzen  Abschnitt  von  den  Hohenpriestern  im  eigentlichen  Sinne  die 
Bede  ist  (deren  es  immer  nur  einen  gab),  so  ist  &qxi£qei<;  als  Pluralis  der 
Kategorie  zu  nehmen:  die  nQoaxaola  tov  §(hovg  hatte  der  jeweilige  Hohe- 
priester. 

17)  Auffallend  ist  an  der  letzteren  Stelle  (Act.  5,  21)  die  Formel  xb  aw- 
iÖQiov  xal  naGoy  xfjv  ysQovoiav  xwv  vlatv  ^IOQatfX.  Da  an  der  Identität  der 
Begriffe  awiÖQiov  und  yeQovala  nicht  zu  zweifeln  ist,  so  ist  nur  zweierlei 
möglich:  entweder  das  xal  ist  erklärend  zu  nehmen  oder  es  ist  anzunehmen, 
daß  der  Verf.  irrtumlich  das  Synedrium  für  einen  engeren  Begriff  gehalten 
hat  als  die  Gerusia  („das  Synedrium  und  überhaupt  alle  Ältesten  des  Volkes")- 
Letzteres  ist  das  Natürlichere. 

18)  8.  außer  den  beiden  genannten  Stellen  (Antt.  XIV,  9,  3—5.  XV, 
6,  2  fin.)  noch:  Antt.  XX,  9,  1.  Vita  12.  An  letzterer  Stelle  xb  awidgiov  t(bv 
IeQoooXvfjLizibv.  —  Ob  auch  Antt.  XX,  9,  6  das  große  Synedrium  gemeint 
sei,  ist  zweifelhaft;  vgl.  Wieseler,  Beiträge  S.  217. 

19)  B.  J.  H,  15,  6:  xovq  xe  d^xiegetg  xal  x)jv  ßovXtfv.  B.  J.  II,  16,  2: 
*Iov6almv  o?  xb  aQ%i£QETq  apa  xoTg  Svvaxolg  xal  %  ßovX^.    B.  J.  II,  17,  1: 


246  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.   .  [196] 

hörde  und  Volk  unter  dem  gemeinsamen  Namen  ro  xotvov  zu- 
sammen20. In  der  Mischna  heißt  der  höchste  Gerichtshof  y*t  ma 
bi-tan21  oder  nbiia  rmrao22.  auch  insn  o^ntf  bti  rn-tnao 2S  oder 
bloß  yninjp24.  —  Eine  künstliche  Unterscheidung  der  hier  ge- 
nannten Behörden  hat  Büchler  zu  begründen  versucht25.  Er  er- 
kennt an,  daß  in  den  rabbinischen  Quellen  mit  den  Ausdrücken 
„das  große  Bdh-dinu  oder  „das  große  Sanhedrinu  oder  „das  Sanhedrin 
der  71"  überall  dieselbe  Behörde  gemeint  sei,  welche  aber  „aus- 
schließlich das  religiöse  Leben  regelte,  den  Tempeldienst  leitete 
und  für  die  Durchführung  der  jeweilig  geltenden  Auslegung  des 
Beligionsgesetzes  im  Opferdienste  und  im  Leben  sorgte  und  in 
seiner  Zusammensetzung  der  Regel  nach  die  sadduzäische  und  nur 
zeitweilig  die  pharisäische  Herrschaft  zum  Ausdruck  brachte" 
(S.  193  f.).  Davon  sei  das  owiÖQiov  der  griechischen  Quellen  zu 
unterscheiden,  ein  Kollegium  (wesentlich  aus  Priestern  bestehend), 
welches  „bloß  bei  Übertretungen,  die  innerhalb  des  Tempelgebietes 
begangen  wurden,  befugt  war,  einzuschreiten"  (S.  227).  Von  beiden 
sei  endlich  wieder  die  ßovlrj,  „die  Verwaltungsbehörde  der  Stadt 
Jerusalem  und  bloß  ihrer  Bewohner"  zu  unterscheiden  (S.  232). 
Diese  gekünstelte  Distinktion  scheitert  schlechthin  an  einer  un- 
befangenen Betrachtung  des  Quellenmateriales.  Denn  wie  die  Iden- 
tität von  •pnreo  und  owiÖQiov  wegen  der  Gleichheit  des  Aus- 
drucks und  alles  dessen,  was  über  sie  gesagt  wird,  nicht  zweifelhaft 
sein  kann,  so  ist  auch  eine  Unterscheidung  von  övvIöqiov  und  ßovXrj 
(etwa  als  Gericht  und  als  Regierungsbehörde)  angesichts  der 
Quellenaussagen  nicht  durchführbar.  Büchler  hat  sich  dadurch 
irreleiten  lassen,  daß  die  späteren  jüdischen  Quellen  sich  diese 


o?  re  äQxovrsq  xal  ol  ßovXevzal.    Vgl.  Antt.  XX,  1,  2.    B.  J.  V,  13,  1.   Der 
Versammlungsort  heißt  B.  J.  V,  4,  2  ßovXfy  B.  J.  VI,  6,  3  ßovXevriJQiov. 

20)  Vüa  12.  13.  38.  49.  52.  60.  65.  70. 

21)  Sota  I,  4.  IX,  1.  Gütin  VI,  7.  Sanhedrin  XI,  2.  4.  Horajoth  I,  5  fin. 
An  den  meisten  Stellen  mit  dem  Zusatz  D^biawailJ. 

•  ~     T  •    ••• 

22)  Sanhedrin  1,  6.  Middoth  V,  4  —  Wie  das  Wort  "p^irwö  aus  dem  Grie- 
chischen aufgenommen  ist,  bo  auf  palmyrenischen  Inschriften  01211  tfi'D  =  ^ 
ßovXfj  xal  6  dfjfxoQ. 

23)  Sckebuotk  II,  2. 

24)  Sota  IX,  11.  Kidduschin  IV,  5.  Sanhedrin  IV,  3.  —  Das  Wort 
•p^hsö  (in  verschiedenen  Bedeutungen)  wird  namentlich  auch  in  den  späteren 
Targumen  häufig  gebraucht.  S.  Buxtorf  Lex.  eoL  1513  sq.  Levy,  Chald. 
Wörterb.  8.  v.  Krauß,  Griech.  und  lat.  Lehnwörter  im  Talmud  II,  1899, 
S.  401  f. 

25)  Büchler,  Das  Synedrion  in  Jerusalem  usw.  (IX.  Jahresbericht  der 
israelit.-theol.  Lehranstalt  in  Wien  1902). 


[     196. 197]    III.  Das  große  Synedrium  zu  Jerusalem.   1.  Geschichte.  247 

oberste  Behörde  allerdings  wie  ein  rabbinisches  Spruchkollegium 
vorstellen26. 

Nach  der  Zerstörung  Jerusalems  im  Jahre  70  ist  ohne  Zweifel 
das  Synedrium  in  seiner  bisherigen  Form  aufgehoben  worden.  Das 
relativ  große  Maß  von  Selbstregierung,  welches  bis  dahin  dem 
jüdischen  Volke  noch  gelassen  worden  war,  konnte  ihm  nach  einer 
so  gewaltigen  Empörung  nicht  mehr  zugestanden  werden.  Mit  der 
jüdischen  Hauptstadt  wurde  auch  die  jüdische  Behörde  für  immer 
aus  der  Geschichte  getilgt:  die  Begierungsgewalt  wurde  jetzt 
direkter  von  den  Kömern  in  die  Hand  genommen.  Zwar  schuf 
sich  das  jüdische  Volk  bald  wieder  einen  neuen  Mittelpunkt  in 
dem  sogenannten  Gerichtshof  (y*n  ms)  von  Jabne27.  Dieser  war 
aber  |  etwas  wesentlich  anderes  als  das  alte  Synedrium:  nicht  ein 
politischer  Senat,  sondern  ein  juristisches  Tribunal,  dessen  Ent- 
scheidungen zunächst  nur  theoretische  Bedeutung  hatten.  Und 
obwohl  auch  dieses  bald  wieder  zu  einer  großen  Macht  über  das 


26)  Gegen  Büchler  s.  Theol.  Litztg.  1903,  345—348.  —  An  Büchler 
schließt  sich  im  wesentlichen  Lauterbach  an  (Art.  Sanhedrin  in:  The  Jewish 
Encyclopedia  XI,  1905,  p.  41—44);  doch  identifiziert  er  gvv£6qiov  und  ßovMj 
und  unterscheidet  davon  das  rabbinische  „große  Sanhedrin".  —  Wieder  in  an- 
derer Weise  folgt  Houtsma  den  Spuren  Büchlers  (Teylers  Theol.-  Tijdschrift 
II.  Jaarg.  1904,  p.  297—316).  Er  unterscheidet  folgende  zwei  Behörden :  1)  Die 
yeQOvala  oder  ßovXJj,  d.  h.  die  politische  Behörde  der  Stadt  Jerusalem,  aus  den 
vornehmen  Priestern  (aQ/jegsTq)  und  „Ältesten"  bestehend;  2)  Das  rabbinische 
Sanhedrin,  ein  Kollegium  von  Gesetzes -Gelehrten  (ygafifiaveTq)  ganz  in  der 
Weise,  wie  die  rabbinischen  Quellen  es  sich  vorstellen.  Auf  dieses  beziehen 
sich  auch  die  Angaben  der  griechischen  Quellen  über  das  ovviÖQiov.  Wo  Syn- 
edrium und  aQx^Qelq  oder  Schriftgelehrte  und  clqx^Q^  neben  einander  ge- 
nannt werden,  handeln  sie  gemeinsam,  ohne  aber  zusammen  eine  Behörde  zu 
bilden  (!)  (S.  308).  Der  Hohepriester  ist  auch  nicht  der  Vorsitzende  des  Syne- 
driums,  sondern  er  kann  nur  als  Vertreter  der  politischen  Behörde  das  Syne- 
drium zusammenrufen  und  eine  Anklage  vorbringen  (!)  (S.  312).  Es  genügt, 
diese  seltsamen  Aufstellungen  angeführt  zu  haben.  Die  künstliche  Zurecht- 
legung der  Tatsachen,  zu  welcher  H.  genötigt  ist,  ist  an  sich  der  beste  Beweis 
dafür,  daß  eine  solche  Unterscheidung  der  beiden  Behörden  angesichts  der 
klaren  Aussagen  der  Quellen  nicht  aufrecht  zu  erhalten  ist.  Die  in  politischer 
Hinsicht  regierenden  Kreise  Jerusalems,  die  &QZlsQeI<Z>  stehen  eben  augen- 
scheinlich auch  an  der  Spitze  des  „Synedriums".  Übrigens  bestätigen  die  An- 
sichten von  Lauterbach  und  Houtsma,  wenn  man  sie  kombiniert,  die  herkömm- 
liche Auffassung.  Nach  Lauterbach  ist  ovv£öqiov  =  ßovl^,  nach  Houtsma 
ist  awiÖQiov  =  Sanhedrin.  Also  —  bo  darf  man  schließen  —  ist  auch  ßovXJj 
««  Sanhedrin. 

27)  Über  diesen  Gerichtshof  zu  Jabne  s.  bes.  Bosch  haschana  II,  8—9. 
IV,  1-2.  Sanhedrin  XI,  4;  auch  Bechoroth  IV,  5.  VI,  8.  KelimV,4.  Para 
VII,  6.  Vgl.  oben  §  21,  I.  —  Später  (im  3.  u.  4.  Jahrh.)  befand  sich  dieses 
Zentrum  des  rabbinischen  Judentums  in  Tiberias. 


248  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [197] 

jüdische  Volk  dadurch  gelangte,  daß  es  eine  wirkliche,  teils  zu- 
gestandene, teils  usurpierte  Gerichtsbarkeit  über  dasselbe  ausübte28, 
so  hat  doch  das  rabbinische  Judentum  stets  ein  deutliches  Bewußt- 
sein davon  gehabt,  daß  das  alte  „Synedrium"  aufgehört  hat  zu 
existieren 29. 

2.  Zusammensetzung.  Die  jüdische  Tradition  stellt  sich 
das  große  Synedrium  nach  Analogie  der  späteren  rabbinischen 
Gerichtshöfe  als  ein  lediglich  aus  Schriftgelehrten  bestehendes 
Kollegium  vor.  Dies  ist  es  sicher  bis  zur  Zerstörung  Jerusalems 
niemals  gewesen.  Nach  dem  einstimmigen  Zeugnis  des  Josephus 
und  des  Neuen  Testamentes  steht  vielmehr  fest,  daß  bis  zuletzt 
die  höchste  priesterliche  Aristokratie  an  der  Spitze  des  Synedriums 
stand.  Aller  Wechsel  der  Zeit  hat  also  doch  den  ursprünglichen 
Grundcharakter  des  Synedriums  —  wonach  es  nicht  ein  Kollegium 
von  Gelehrten,  sondern  eine  Vertretung  des  Adels  war  —  nicht 
verwischen  können.  Allerdings  konnte  aber  die  wachsende  Macht 
des  Pharisäismus  auf  die  Dauer  nicht  ohne  Einfluß  auf  die  Zu- 
sammensetzung des  Synedriums  bleiben.  Je  mehr  derselbe  an  An- 
sehen gewann,  desto  mehr  sah  sich  die  priesterliche  Aristokratie 
genötigt,  ihm  auch  Sitze  im  Synedrium  einzuräumen.   Dieser  Prozeß 


28)  Origenes,  Epist.  ad  Africanum  §14  (Opp.  ed.  Lommatxsch  t  XVII): 
Kai  vvv  yovv  'P(o/jiala>v  ßaoiXevövziov  xal  ^ovöalatv  zö  ölöoaxftov  avzolq  te~ 
kovvzwv,  doa  ovyx<DQOvvxoq  Kalaaooq  6  i&vdQxW  nßQ*  afaolq  övvavat,  wq 
fitjöhv  6ta<p£oeiv  ßaaiXevovzoq  zod  &h>ovqf  lo^iev  ol  nensigafjiivoi.  rivezat  öh 
xal  xoizrJQia  W.Tj&ötwq  xaza  zdv  vöpov,  xal  xazaSixd^ovzal  ziveq  zfy>  inl 
z(p  Q-avaztp,  oüze  fxetä  zfjq  nävzr]  tlq  zovzo  naoorjoiaq,  oSze  fietä  zov  Xav&&~ 
veiv  zdv  ßaaiXevovza.  Kai  zovzo  iv  zjj  x&Q*  *ov  %&vovq  noXvv  öiazohpavzeq 
Xq6vov  f/ef/aSrfxa/xsv  xal  nenXtjQoyoQJifjte&a.  Vgl.  dazu  Mommsen,  Romisches 
Strafrecht  1899,  8.  120  („den  merkwürdigsten  Beleg  für  das  Tolerieren  selbst 
den  römischen  Ordnungen  zuwiderlaufender  Institutionen  unter  der  Kaiser- 
herrschaft gibt  der  jüdische  Kapitalprozeß")-  —  Origenes  hat  selbst  mit  einem 
Patriarchen  Jullos  (1ovXXq>  zip  nazQtdoxy)  verkehrt,  von  welchem  er  sich  über 
exegetische  Fragen  belehren  ließ  (Selecta  in  Psalmos,  in  den  Vorbemerkungen, 
opp.  ed.  Lommatxsch  XI,  352).  Bei  Hieronymus  lautet  der  Name  Huillus 
(contra  Rufin.  I,  13  opp.  ed.  VaUarsi  II,  469:  certe  etiam  Origenis  Patriarchen 

Euillum,  qui  temporibus  ejus  fuit  nominal secundum  Huilli  expositionem). 

Grätz  will  darunter  den  Patriarchensohn  Hillel  verstehen  (Monatsschr.  f.  Gesch. 
u.  Wissensch.  d.  Judent.  1881,  S.  433  ff.),  Bacher  den  Patriarchen  Judas  II 
(Jeioish  Encyclopedia  VII,  1904,  p.  338). 

29)  &>taIX,ll:„Seitdas  Synedrium  erloschen  ist (ynnniö  nioaiö«), 
hörte  aller  Gesang  bei  festlichen  Gastmählern  auf;  denn  es  heißt  Jes.  24,  9: 
Nicht  mit  Gesang  werden  sie  Wein  trinken  usw.".  Chajes,  Les  juges  juifs 
en  Palestine  de  V  an  70  ä  P  an  5C0  (Revue  des  Üudes  juives  t.  XXXIX,  1899, 
p.  39—52),  kommt  zu  dem  Schluß  (p.  52):  qu'il  n'existait  pas  de  tribunaux  au 
teritable  sens  du  motf  fonctionnant  dfune  mattiere  permanente. 


[197.198]    III.  Das  große  Synedriuin  zu  Jerusalem.  2.  Zusammensetzung.    249 

muß  unter  Alexandra  begonnen  haben  und  wird  namentlich  unter 
Herodes  große  Fortschritte  gemacht  haben.  Denn  dessen  rück- 
,  sichtsloses  Vorgehen  gegen  den  alten  Adel  mußte  notwendig  dem 
Pharisäismus  zugute  kommen.  So  stellt  sich  also  das  Synedrium 
der  römischen  Zeit  als  eine  Mischung  beider  Faktoren 
dar:  des  sadduzäisch  gesinnten  priesterlichen  Adels  und 
der  pharisäischen  Schriftgelehrsamkeit  Unter  diesem  Ge- 
sichtspunkt werden  auch  |  die  überlieferten  einzelnen  Data  zu  be- 
urteilen sein.  —  Nach  der  Mischna  betrug  die  Zahl  der  Mit- 
glieder 71,  offenbar  nach  dem  Vorbilde  des  Ältesten-Rates  zur 
Zeit  Mosis  (Num.  11, 16) 30.  Aus  den  beiden  Notizen  Antt.  XIV,  9,  4 
(Herodes  tötet  beim  Antritt  seiner  Regierung  alle  Mitglieder  des 
Synedriums)  und  Antt.  XV,  1,  2  (er  tötet  die  45  Vornehmsten  von 
der  Partei  des  Antigonus)  könnte  man  geneigt  sein  zu  schließen, 
daß  die  Zahl  der  Mitglieder  45  betragen  habe.  Aber  jenes  jtavxaq 
ist  doch  sicherlich  nicht  wörtlich  zu  nehmen.  Andererseits  dient 
manches  zur  Bestätigung  der  Zahl  71.  Die  Kolonie  babylonischer 
Juden  in  Batanäa  wurde  durch  70  angesehene  Männer  vertreten81. 
Als  Josephus  den  Aufstand  in  Galiläa  organisierte,  bestellte  er 
70  Älteste  zur  Verwaltung  von  Galiläa32.  Ebenso  setzten  die 
Zeloten  in  Jerusalem  nach  Beseitigung  der  bisherigen  Gewalten 
ein  Gericht,  von  70  Mitgliedern  ein33.    Auch  in  Alexandria  soll 

30)  Sanhedrin  I,  6:  „Das  große  Synedrium  bestand  ans  71  Mitgliedern". 
Vgl.  Sanhedrin  I,  5.  II,  4.  —  Auch  Schebuoth  II,  2  wird  „das  Synedrium  von 
71"  erwähnt.  —  An  einigen  anderen  Stellen  ist  von  72  Ältesten  die  Rede  (Se- 
baehim  I,  3.  Jadqjim  III,  5.  IV,  2).  Aber  diese  gehören  überhaupt  nicht  hier- 
her. (An  allen  drei  Stellen  beruft  sich  R.  Simon  ben  Asai  auf  Überlieferungen, 
die  er  empfangen  habe  „aus  dem  Munde  der  72  Altesten  an  dem  Tage,  als 
sie  den  R.  Eleasar  ben  Asarja  zum  Schulhaupte  einsetzten".  Es  handelt  sich 
also  hierbei  gar  nicht  um  das  große  Synedrium,  sondern  um  die  jüdische 
Gelehrten -Akademie  des  zweiten  Jahrhunderts.  Vgl.  auch  Seiden,  De  syne- 
driis  II,  4,  10).  Ebensowenig  kommen  hier  in  Betracht  die  angeblichen 
72  Übersetzer  des  Alten  Testamentes  (6  aus  jedem  der  12  Stämme)  e.  Pseudo- 
Aristeas  ed.  Wendland  §  46-51. 

31)  B.  J.  II,  18,  6.     Vita  11  (ed.  Niese  §  56). 

32)  B.  J.  II,  20,  5.  —  Wenn  Kuenen  (Verslagen  en  Mededeelingen  X,  161 
«=»  Gesammelte  Abhandlungen  S.  74  f.)  die  Berufung  auf  diese  Stelle  durch 
Hinweis  auf  die  abweichende  Darstellung  Vita  14  entkräften  will,  so  ist  zu 
antworten,  daß  die  letztere  eine  absichtlich  entstellte  ist.  Die  Tatsache,  daß 
Josephus  den  Aufstand  in  Galiläa  durch  Einsetzung  der  70  Ältesten  organi- 
siert hat,  ist  nämlich  Vita  14  dahin  entstellt,  daß  er  die  vornehmsten  Galiläer 
„ungefähr  70  an  der  Zahl"  unter  dem  Vorwande  der  Freundschaft  als  Geiseln 
verwahrt  und  nach  ihrer  Entscheidung  die  Rechts -Urteile  gefallt  habe. 

33)  B.  J.  IV,  5,  4.  —  Vgl.  überh.  Hody,  De  bibliorum  textibus  originale 
bus  p.  126—128.  Jelski,  Die  innere  Einrichtung  des  großen  Synedrions  zu 
Jerusalem  (1894)  S.  19-21. 


250  §  23.   Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [198. 199] 

der  Ältesten-Eat  aus  71  Mitgliedern  bestanden  haben34.  Diese 
Zahl  galt  also  als  die  Normalzahl  für  ein  jüdisches  Obergericht 
Daher  ist  die  Überlieferung  der  Mischna  auch  an  sich  durchaus 
wahrscheinlich35.  —  über  die  Art  der  Ergänzung  wissen  wir 
im  Grunde  gar  nichts.  Nach  dem  aristokratischen  Charakter  der 
Korporation  darf  aber  vorausgesetzt  werden,  daß  die  Mitglieder 
nicht,  wie  bei  den  demokratischen  Senaten  der  hellenistischen 
Kommunen,  jährlich  wechselten  und  durchs  Volk  gewählt  wurden, 
son|dern  auf  länger,  ja  vielleicht  auf  Lebenszeit  ihr  angehörten 
und  entweder  durch  Kooptation  gewählt  oder  etwa  auch  durch  die 
politischen  Oberherren  (Herodes  und  die  Eömer)  eingesetzt  wurden. 
Eine  Ergänzung  durch  Kooptation  setzt  auch  die  Mischna  voraus, 
indem  sie  freilich  in  ihrer  Art  nur  die  rabbinische  Gelehrsamkeit 
des  zu  Wählenden  als  maßgebend  für  die  Wahl  betrachtet36.  Jeden- 
falls wird  die  eine  Forderung  des  gesetzlichen  Judentums:  daß 
nur  Israeliten  reinen  Geblütes  als  Kriminalrichter  zuzulassen  seien, 
auch  beim  großen  Synedrium  beobachtet  worden  sein37.  Die  Auf- 
nahme  geschah   durch   den   Ritus    der   Handauflegung   (HD^pp), 


34)  Tosepkta  Sukka  IV  ed.  Zuckermandel  p.  198,  22  (vgl.  jer.  Sukka  V,  1): 
„71  goldene  Stühle^  waren  dort  [in  der  großen  Synagoge  zu  Alexandria],  ent- 
sprechend den  71  Altesten". 

35)  Über  die  Zahl  70  überh.  s.  außer  Num.  11, 16  auch  Jud.  9,  2  (70  Sohne 
Jerubbaals),  II  Reg.  10,  1  (70  Söhne  Ah abB).  Steinschneider,  Zeitscbr.  der 
DMG.  Bd.  IV,  1850,  S.  145—170,  und  Nachtrag  hierzu  Bd.  LVII,  1903, 
S.  474-507. 

36)  Sanhedrin  IV,  4:  „Vor  ihnen  saßen  drei  Reihen  von  Gelehrten- 
Schülern  (D^ash  *H*ain);  jeder  von  ihnen  kannte  seinen  Platz.  War  es  nötig, 
einen  von  ihnen  zum  Richter  zu  befördern,  bo  beförderte  man  einen  aus  der 
ersten  Reihe.  Einer  aus  der  zweiten  Reihe  ersetzte  dann  seine  Stelle;  und 
einer  aus  der  dritten  rückte  in  die  zweite  vor.  Dann  wählte  man  einen  aus 
der  Gemeinde  und  setzte  ihn  in  die  dritte  Reihe.  Der  neu  Aufgenommene  trat 
nicht  an  die  Stelle  des  ersten,  sondern  an  den  ihm  gebührenden  Platz". 

37)  Daß  das  Synedrium  eine  exklusiv-jüdische  Behörde  war,  ist  im  Grunde 
selbstverständlich.  Die  Mischna  fordert  aber  speziell  vom  Krimi nalrichter 
den  Nachweis  reinen  Geblütes,  Sanhedrin  IV,  2:  „Jeder  ist  geeignet,  in  Zivil- 
sachen Richter  zu  sein.  In  Kriminalsachen  aber  nur  Priester,  Leviten  und 
Israeliten,  deren  Töchter  Priester  heiraten  dürfen"  (d.  h.  solche, 
die  ihre  legitim-israelitiBche  Abkunft  urkundlich  nachweisen  können,  Deren- 
bourg  p.  453:  les  hraelites  pourvus  des  conditions  nicessaires  pour  coniracter 
mariage  avec  le  sacerdoce,  nicht,  wie  Geiger,  Urschrift  S.  114,  falsch  über- 
setzt: die  mit  dem  Prieserstamme  [tatsächlich]  sich  verschwägern).  Die 
Mischna  setzt  daher  bei  einem  Synedrialmitglied  die  legitim-israelitische  Ab- 
kunft als  anerkannt  und  keines  weiteren  Nachweises  bedürftig  voraus  (Kiddu- 
schin  IV,  5).  —  Da  in  diesem  Punkte  die  Tendenzen  der  Priesterschaft  und 
des  Pharisäismus  zusammentrafen,  so  ist  auch  seine  tatsächliche  Befolgung 
wahrscheinlich. 


[199.  200]   III.  Das  große  Synedrium  zu  Jerusalem.  2.  Zusammensetzung. 

nach  Analogie  der  „Ordination"  des  Josua  durch  Moses  (Num.  27, 
18—23,  Deut.  34,  9)88.  —  Über  die  einzelnen  Kategorien  der 
Synedrial|mitgiieder  haben  wir  ein  sicheres  Zeugnis  an  den 
übereinstimmenden  Angaben  des  Neuen  Testamentes  und  des  Jo- 
sephus.  Beide  stimmen  darin  überein,  daß  die  aQxtegeig  die 
eigentlich  leitenden  Persönlichkeiten  waren.  Fast  überall, 
wo  im  Neuen  Testament  die  einzelnen  Kategorien  aufgezählt  werden, 
werden  die  aQxt&Q&q  an  erster  Stelle  genannt89.  Als  gleichbedeutend 
wechselt  damit  der  Ausdruck  ol  agxoprsg40.     Dies  letztere  ist 


38)  Das  verbum  ^aö  (die  Hände  auflegen)  heißt  in  der  Mischna  so  viel 
als:  zum  Richter  einsetzen  (Sanhedrin  IV,  4).  Der  Ritus  ist  also  verhältnis- 
mäßig sehr  alt.  Nach  Deut.  34,  9  ist  durch  die  Handauflegung  eine  Über- 
tragung des  Geistee  von  dem  einen  auf  den  andern  vermittelt,  dagegen  Num. 

27,  18—23  ist  die  Handauflegung  deutlich  nur  Übertragung  der  Amts- 
würde. Dies  war  sicherlich  auch  bei  dem  rabbinischen  Brauch  die  herr- 
schende Vorstellung.  In  der  talmudischen  Zeit  ist  der  Ritus  der  Handauf- 
legung bei  der  Ordination  nicht  mehr  geübt  worden.  Möglicherweise  hat  zu 
seiner  Abschaffung  gerade  dies  beigetragen,  daß  er  inzwischen  ein  christlicher 
Ritus  geworden  war.  So  Leop.  Low,  Bacher  und  Lauterbach  in  den  unten 
genannten  Abhandlungen  (Low,  Gesammelte  Schriften  IV,  1898,  S.  215  [vom 
J.  1867]:  „Da  sich  auch  die  christliche  Kirche  die  Handauflegung  aneignete, 
gab  die  Synagoge  diesen  in  der  Schrift  begründeten,  seit  Hillel  allgemein  ge- 
wordenen Gebrauch  auf).  —  Vgl.  überhaupt  über  die  rabbinische  ttD'voö  Bux- 
torf}  Lex.  Chald.  col.  1498  sq.  Seiden,  De  synedriis  n,  7.  Vitringa,  De  synagoga 
vetere  p.  836$^.  Carpxov,  Apparatus  p.  577  sq.  Jo.  Ghrph.  Wolf,  Ourae 
philol.  in  Nov.  Test,  zu  Act.  0,  6  und  die  hier  zitierte  Literatur  (überhaupt  die 
Ausleger  zu  Act.  6,  6).  Hamburger,  Real-Enzyklop.  für  Bibel  und  Talmud, 
IL  Abt  Art.  „Ordinierung".  Bacher,  Zur  Geschichte  der  Ordination  (Monats- 
schr.  für  Gesch.  und  Wissensch.  d.  Judent.  Bd.  38,  1894,  S.  122—127).  Leop. 
Low,  Gesammelte  Schriften  Bd.  IV,  1898,  S.  215.  Bd.  V,  1900,  S.  78—92. 
Epstein,  Ordination  et  Auiorisation  (Revue  des  etudes  juives  t.  XLVI,  1903, 
p.  197 — 211)  [nur  über  die  „Automation"  des  Rab  durch  Rabbi].  Lauter  - 
bach,  Art.  Ordination  in:  The  Jewish  Encyclopedia  vol.  IX,  1905,  p.  428— 430. 

39)  Es  finden  sich  folgende  Formeln:  I.  aQ%iSQsTq,  ygafi^axBlq  und  noea- 
fivreooi  (oder  die  beiden  letzten  in  umgekehrter  Ordnung)  Matth.  27,  41.  Marc. 
11,  27.  14,  43.  53.  15,  1.  —  II.  aQxtSQetq  und  ygawaxeTq  Matth.  2,  4.  20,  18. 
21,  15.  Marc.  10,  33.  11,  18.  14,  1.  15,  31.  Luc.  22,  2.  22,  66.  23,  10.  — 
HI.  dgxi^lq  und  nosaßvxBQOi  Matth.  21,  23.   26,  3.    26,  47.   27,  1.  3.  12.  20. 

28,  11—12.  Act.  4,  23.  23,  14.  25,  15.  —  IV.  ol  cioxteoelq  xal  xb  cw&qiov 
dkov  Matth.  26,  59.  Marc.  14,  55.  Act.  22,  30.  —  Überall  also  Btehen  die 
doxiepetq  an  erster  Stelle.  Die  Fälle,  in  welchen  sie  nicht  an  erster  Stelle 
genannt  sind  (Matth.  16,  21  —  Marc.  8,  31  —  Luc.  9,  22;  Luc.  20,  19)  oder 
ganz  weggelassen  sind  (Matth.  26,  57.  Act.  6,  12),  sind  sehr  selten. 

40)  S.  bes.  Act.  4,  5  u.  8  (Sgxovxeq,  TiQEoßvxEQoi  u.  yga/iftaxeiq)  ver- 
glichen mit  4,  23  (aox^QBZq  u.  itosoßvxeQoi).  Ein  paar  mal  werden  aller- 
dings auch  ol  &QXteQETq  xal  ol  &QXovreq  neben  einander  genannt  (Luc.  23,13. 
24,  20). 


252  §  23.  Verfassung.   Synedrinm.   Hohepriester.  [200. 201] 

namentlich  auch  bei  Josephus  der  Fall,  der  die  obersten  Gewalten 
von  Jerusalem  entweder  so  bezeichnet,  daß  er  die  aQxisQBig  mit 
den  öwazoiq,  yvcoQlfioig  und  der  ßovXjj  zusammenstellt41,  oder  so, 
daß  er  statt  des  ersteren  Ausdrucks  die  Bezeichnung  agxovxsq 
wählt42,  niemals  aber  so,  daß  die  agx^gelq  noch  neben  den  ag- 
Xovzeg  genannt  werden.  Sehr  häufig  erscheinen  dagegen  die  dg- 
XisQslq  allein  als  die  leitenden  Persönlichkeiten48.  So  schwierig 
es  nun  auch  ist,  diesen  Begriff  genauer  zu  präzisieren  (s.  darüber 
unten  Nr.  IV),  so  kann  darüber  doch  kein  Zweifel  sein,  daß  sie 
die  Vornehmsten  der  Priesterschaft  waren.  In  ihrer  Hand  lag  also 
noch  immer  die  Leitung  der  Geschäfte.  Neben  ihnen  hatten  aber 
auch  die  Yga(i(ia\retgf  die  Gesetzeskundigen  von  Fach, 
sicher  einen  großen  Einfluß  im  Synedrium.  Diejenigen  Beisitzer, 
die  unter  keine  dieser  beiden  speziellen  Kategorien  gehörten,  hießen 
einfach  jcgsoßvregoi,  welche  allgemeine  Bezeichnung  sowohl 
priesterliche  als  nichtpriesterliche  Mitglieder  in  sich  befassen  kann 
(über  diese  beiden  Kategorien  s.  die  in  Anm.  39  zitierten  Stellen 
des  Neuen  Testamentes).  —  Da  die  aQx^sgelg  vorwiegend,  wo  nicht 
ausschließlich,  der  sadduzäischen  Richtung  angehörten44,  die  YQap- 
fiazeig  aber  ebenso  vorwiegend  der  pharisäischen,  so  ist  schon  mit 
dem  Bisherigen  gegeben,  daß  sowohl  Sadduzäer  als  Pharisäer 
im  Synedrium  saßen  (nämlich  während  der  römisch-herodianischen 
Zeit,  aus  der  wir  allein  genauere  Nachrichten  haben).  Dies  wird 
auch  durch  das  ausdrückliche  Zeugnis  des  Neuen  Testamentes  und 
des  Josephus  bestätigt45.  Den  tatsächlich  größten  Einfluß 
hatten  während  dieser  Zeit  bereits  die  Pharisäer,  deren 
Forderungen  die  Sadduzäer,  wenn  auch  widerwillig,  sich  fügten, 
„weil  sonst  das  Volk  sie  nicht  ertragen  hätte"46.   Diese  Äußerung 


41)  B.  J.  II,  14,  8:  o?  xe  &Qxi>eQeXq  xal  öwaxol  xd  xe  yvwQtfiwxaxov 
xfjq  n6Xe<aq.  —  B.  J.  II,  15,  2:  ol  öwaxol  ovv  xolq  tiLQXieoevoi.  —  B.  J.  II, 
15,  3:  xovq  xe  ägziegetg  ow  xolq  yvwglftoiq.  —  B.J.  II,  15,  6:  xoiiq  xe  &g* 
X^^gelq  xal  x%v  ßovXtfv.  —  B.  J.  II,  16,  2:  o?  xe  aQX^eQeXq  afxa  xolq  öwa- 
xotq  xalfj  ßovXrf.  —  B.  J.  II,  17,  2:  xihv  xe  &qxi6Q&wv  xa^  x^v  YVWQlfwv.  — 
B,  J.  II,  17,  3:  ol  öwaxol  xolq  doxieoevoiv  xal  xotq  xwv  <Paoioala)v  yvwol- 
fjLOiq.  —  Ä  J.  II,  17,  5:  ol  Öwaxol  oi>v  xotq  aQxieoevoi.  —  B.  J.  II,  17,  6: 
xibv  öwaxtbv  xal  xCbv  agxieoiwv. 

42)  B.  J.  II,  16,  1:  ol  xCbv  %qocoXv(jio>v  &gxovxeq.  —  B.J.  II,  17,  1:  o? 
xe  &Qxovxeq  xal  ol  ßovXevxal.  —  B.  J.  II,  17,  1:  xovq  cep^ovras  8f*a  xotq 
öwatoXq.  —  B.  J.  II,  21,  7:  ol  öwaxol  xal  x(bv  aQ%6vx(ov  xiviq. 

43)  Z.  B.  B.  J.  n,  15,  3.  4.   16,  3.   V,  1,  5.   VI,  9,  3. 

44)  Äetor.  5,  17.    Joseph.  Äntt.  XX,  9,  1. 

45)  Sadduzäer:  Actor.  4,  lff.  5, 17.  23,  6.  Joseph.  Antt.  XX,  9, 1.  Pha- 
risäer: Actor.  5,  34.  23,  6.    Vgl.  Joseph.  B.  J.  II,  17,  3.     Vita  38.  39. 

46)  Antt.  XVIII,  1,  4:   önöxe  yao   &t'  ägzciq  Ttao&boiev,   dxovolatq  ftkv 


[201.  202]    III.  Das  große  Synedrium  zu  Jerusalem.  2.  Zusammensetzung.    253 

des  Josephus  läßt  uns  einen  tiefen  Blick  in  die  Verhältnisse  ton: 
das  formell  unter  der  Leitung  der  sadduzäischen  Hohenpriester 
stehende  Synedrium  steht  faktisch  bereits  unter  dem  übermäch- 
tigen Einfluß  des  Pharisäismus47. 

Auf  die  Existenz  einer  der  hellenistisch-römischen  Zeit  eigen- 
tümlichen Organisation  darf  vielleicht  eine  gelegentliche  Notiz  des 
Josephus  gedeutet  werden.  Als  nämlich  einst  wegen  einer  Bau- 
veränderung im  Tempel  zu  Jerusalem  zwischen  den  jüdischen  Be- 
hörden und  dem  Prokurator  Festus  Differenzen  entstanden  waren, 
sandten  die  Juden  mit  Bewilligung  des  Festus  „die  zehn  Ersten 
und  den  Hohenpriester  Ismael  und  den  Schatzmeister  Helkias"  als 
Gesandte  an  Nero  (Äntt.  XX, -8,  11:  rovg  jtQcorovg  öixa  xal  7<j- 
fidrjkov  tbv  aQyuQia  xal  KEXxlav  xbv  ya&gwlaxa).  Wenn  hier 
unter  den  üiq&xoi  öixa  nicht  nur  im  allgemeinen  die  zehn  An- 
gesehensten zu  verstehen  sind,  sondern  Männer  von  einer  bestimm- 
ten amtlichen  Stellung,  so  würden  wir  darin  den  in  den  helle- 
nistischen Kommunen  |  so  häufig  vorkommenden  Ausschuß  der 
6ixa  jtQ&Toi  zu  erblicken  haben,  der  z.B.  auch  in  der  Verfassung 
von  Gerasa  und  Tiberias  sicher  nachweisbar  ist  (s.  oben  S.  182, 2 18  f.). 
Es  läge  damit  ein  charakteristischer  Beweis  vor,  wie  in  der  da- 
maligen Organisation  des  Synedriums  sich  jüdische  und  hellenistisch- 
römische  Einflösse  durchkreuzten 48.  —  Ein  weiteres  Symptom  hier* 
für  ist  die  in  der  Mischna  (Joma  1, 1)  erwähnte  Tmnbfc  rötDb  oder 
ntnfi  rDfcb 49.  Diese  rDfcb  war  ein  Saal  oder  Zimmer  im  äußeren 
Tempel vorhof  (vgl.  den  Zusammenhang  Joma  I,  5),  wo  der  Hohe- 
priester während  der  letzten  sieben  Tage  vor  dem  Versöhnungs- 
tage sich  aufhalten  sollte.  Da  auf  dem  zweisprachigen  Zolltarif 
von  Palmyra  »nTnnbM  parallel  steht  mit  ijtl  jzqoböqov  (s.  oben 


xal  xax*  äv&yxaq,  nQOOx<aQovoi  6y  oiv  olq  6  <PaQioaloQ  X&yei,  öiä  xd  p$i  aXXayq 
avBxxohq  yevia&ai  xoiq  nXföeoiv. 

47)  Nach  dem  Obigen  ist  die  im  N.  T.  öfters  vorkommende  Verbindung 
der  JßC<€?€ Xq  und  <PapcoaZoi  (Matth.  21,  45.  27,  62.  Joh.  7,  32.  45.  11,  47.  57. 
18,  3)  den  Verhältnissen  ganz  entsprechend.  Sie  findet  sich  überdies  auch  bei 
Josephus,  B.  J.  II,  17,  3:  aweX&övxeq  ovv  ol  öwaxol  xolq  agx^eQevaiv  slq 
xabxö  xal  xolq  xCbv  <PaQioaLmv  yv&Qipoiq.    Vgl.  auch  Vita  38.  39. 

48)  Auch  in  altphönizischen  Städten  kommen  „zehn  Erste"  vor,  so  in 
Karthago  (Justin.  XVIII,  6,  1:  decem  Poenorum  prineipibus)  und  Marathus 
(Diodor.  XXXIII,  5,  2:  xwv  nQEOßvxdxcw  xoiq  htupaveoxaxovq  naQa  xovxoiq 
öixa)f  vgl.  Gutschmid,  Kleine  Schriften  II,  72.  Doch  dürfte  diese  Parallele 
weniger  nahe  liegen  als  die  öixa  npwxoi  der  hellenistischen  Städte,  die  wir  in 
Gerasa  und  Tiberias  Bicher  konstatieren  können.  Auch  auf  dem  zweisprach- 
igen Zolltarif  von  Palmyra  kommen  die  6£xa  nQibxoi  der  Stadt  vor  (col.  I  lin.  8). 
S.  die  Literatur  oben  S.  73  und  Bd.  I,  S.  475. 

49)  Letzteres  ist  die  vom  cod.  de  Rossi  138  gebotene  korrektere  Form. 


254  §  23.   Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [202] 

S.  60),  so  wird  auch  hier  "pTjnbfc  =  jtqosöqoi  sein,  und  man  darf 
in  dem  Gebrauch  dieses  terminus  technicus,  wie  in  Palmyra,  einen 
Beweis  griechischer  Einwirkung  auf  die  Organisation  des  Syne- 
driums  erblicken50.  Wenn  es  richtig  ist,  daß  derselbe  Saal  auch 
■püYftin  toth  „Saal  der  ßovtevral"  hieß51,  so  würde  dies  nur  zur 
Bestätigung  unserer  Annahme  griechischen  Einflusses  dienen:  xqo- 
göqoi  ist  der  engere  Begriff,  ßovXevxal  der  weitere.  Der  Saal  müßte 
bald  nach  diesen ,  bald  nach  jenen  benannt  worden  sein.  Doch 
vgl.  unten  Anm.  89.  —  Endlich  ist  noch  zu  erwähnen,  daß  der 
Sekretär  der  Behörde  bei  Josephus  ganz  nach  griechischer  Weise 
6  YQafifiarsvg  rffq  ßovlrjq  heißt52. 

Über  die  Person  des  Vorsitzenden  haben  auf  Grund  der 
jüdischen  Tradition  auch  bei  christlichen  Gelehrten  bis  in  die 
neueste  Zeit  hinein#die  denkbar  verkehrtesten  Ansichten  geherrscht 
Die  spätere  jüdische  Tradition,  die  überhaupt  in  dem  Syne- 
drium nur  ein  Kollegium  von  Schriftgelehrten  sieht,  setzt  nämlich 
voraus,  daß  die  pharisäischen  Schulhäupter  regelmäßig 
auch  Präsidenten  des  Synedriums  gewesen  seien.  Diese  Schul- 
häupter werden  in  der  Mischna,  Traktat  Aboth  c.  I,  aufgezählt,  und 
zwar  für  die  ältere  Zeit,  etwa  von  der  Mitte  des  zweiten  Jahr- 
hunderts vor  Chr.  bis  um  die  Zeit  Christi,  paarweise  (s.  unten 
§  25);  und  es  wird  nun,  zwar  nicht  im  Traktat  Aboth,  wohl  aber 
an  einer  anderen  Stelle  der  Mischna  behauptet,  daß  immer  der 
Erste  eines  Paares  Nasi  (fcfnpj),  der  Zweite  Ab-beth~din  (na 
■p*}  ma)  gewesen  sei,  d.  h.  nach  dem  späteren  Gebrauch  dieser 
beiden  Titel:  Präsident  und  Vizepräsident  des  Synedriums53.   Auch 

50)  Ober  die  noöeÖQOi  in  den  griechischen  Kommunen  s.  Gilbert,  Hand- 
buch der  griech.  Staatsaltertümer  (2  Bde.  1881 — 1885)  passim,  und  die  Lexika. 
Sie  kommen  auch  in  den  hellenistischen  Städten  Palästinas  und  Syriens  häufig 
vor,  z.B.  in  Gerasa  (s.  oben  S.  182),  Bostra  (Waddington,  Inscr.  de  la  Syrie 
n.  1907),  Philippopolis  in  Batanäa  (Waddington,  Inscr.  n.  2072),  Kanatha 
(Waddington  n.  2341),  Adraa  (ßrünnow,  Mitt.  und  Nachr.  des  DPV.  1897, 
S.  40  und  1899,  S.  58  —  Inscr.  gr.  ad  res  rom.  pertinentes  U  III  ed.  Gagnat 
n.  1286  u.  1287). 

51)  Tosephta  Joma  I,  1 ,  jer.  Joma  I,  38 o,  bab.  JomaSK  Levy,  Neuhebr. 
Wörterb.  I,  199.  IV,  103.    Büchler,  Das  Synedrion  S.  25. 

52)  Bell.  Jud.  V,  13,  1.  Über  den  ygafifiazeijg  xfjq  ßovXrjq  in  den  griechi- 
schen Kommunen  s.  Liebenam,  Städteverwaltung  im  römischen  Kaiserreiche 
(1900)  S.  289.  551. 

53)  Ohagiga  II,  2:  „Jose  ben  Joeser  sagt,  man  dürfe  nicht  auf  die  Fest- 
opfer die  Hände  auflegen,  Jose  ben  Jochanan  gestattet  es.  Josua  ben  Pe- 
rachja  entschied  verneinend,  Nittai  (oder  Mattai)  aus  Arbela  bejahend. 
Juda  ben  Tabbai  verneinend,  Simon  ben  Schetach  bejahend.  Schemaja 
bejahend,  Abtaljon  verneinend.  Hillel  und  Menachem  waren  nicht  ge- 
teilter Meinung;   als  Menachem  ausschied  und  Schammai  eintrat,  erklärte 


[202.  203]    in.  Das  große  Synedrium  zu  Jerusalem.  2.  Zusammensetzung.    255 

die  auf  jene  „Paare*4  |  folgenden  Schulhäupter,  namentlich  Gama- 
liel  I.  und  dessen  Sohn  Simon,  werden  von  der  späteren  Tradition 
zu  Präsidenten  des  Synedriums  gemacht.  Von  alledem  ist  nun 
schlechterdings  nichts  historisch54.  Nach  dem  einstimmigen 
Zeugnis  des  Josephus  und  des  Neuen  Testamentes  war 
vielmehr  stets  der  Hohepriester  Haupt  und  Vorsitzender 
des  Synedriums.  Im  allgemeinen  folgt  dies  schon  aus  der  Natur 
der  Dinge.  Seit  Beginn  der  griechischen  Zeit  war  stets  der  Hohe- 
priester zugleich  Staatsoberhaupt.  Ebenso  waren  die  hasmonäischen 
Hohenpriester  zugleich  Fürsten,  ja  Könige.  Für  die  römische  Zeit 
bezeugt  Josephus  ausdrücklich,  daß  die  Hohenpriester  auch  in  poli- 
tischer Hinsicht  an  der  Spitze  des  Volkes  standen  (Antt.  XX,  10  fin.: 
xi]V  nQOOxaClav  rov  ifrvovq  ol  aQXiBQe?$  ijisjtlörevpto).  In 
seinen  theoretischen  Darstellungen  der  jüdischen  Verfassung  schil- 
dert er  den  Hohenpriester  stets  als  den  obersten  Richter  (Apion. 
II,  23:  Der  Hohepriester  <pvXdt*ei  tovq  vofiovg,  öixaösi  xegl  tc5j> 


eich  Schammai  verneinend,  Hillel  bejahend.  Von  diesen  Männern  waren 
immer  die  ersten  Vorsitzer  und  die  anderen  Gerichtsoberhäupter 
(•pn  rva  rm»  Dnb  D*3itrt  ta^tti  Wi  tWHD&nn)".  —  Eine  ernsthafte  Unter- 
suchung über  die* „Kontroverse"  dieser  Synedrialhäupter  hat  Sidon  angestellt 
(Gedenkbuch  zur  Erinnerung  an  David  Kaufmann,  herausg.  von  Brann  und 
Eosenthai  1900,  8.  355—364). 

64)  Vgl.  Kuenen  a.  a.  O.  p.  141—147  =*  Gesammelte  Abhandlungen 
8.  56—61;  meine  Abhandlung  in  den  Studien  und  Kritiken  1872,  8.614— 619; 
Wellhausen,  Pharisäer  und  Sadducäer  8.  29 — 43.  Neuerdings  beginnen 
auch  jüdische  Gelehrte  das  Richtige  einzusehen.  8.  bes.  Isidore  Loeb,  Notes 
sur  le  chapitre  I«r  des  Pirki  Abot  (Bevue  des  itudes  juives  t  XIX,  1889, 
p.  188 — 201).  Der s.,  La  chaine  de  la  tradüion  dans  le  premier  chapitre  des 
Pirki  Abot  (Bibliotheque  de  Vbcole  des  hautes  Ündes,  Sciences  religieuses,  vol.  I, 
1889,  p.  307—322,  dazu  TheoL  Litztg.  1891,  91).  Sack,  Die  altjüdische  Re- 
ligion im  Übergange  vom  Bibeltume  zum  Talmudismus,  Berlin  1889,  S.  398 f. 
Im  wesentlichen  das  Richtige  auch  bei  Bacher,  Art  Sanhedrin  in:  Hostings7 
Dictionary  of  the  Bible  IV,  1902,  der  aber  doch  auch  den  rabbinischen  Schul- 
häuptern eine  leitende  Stellung  neben  dem  Hohenpriester  zuschreibt  (p.  400b, 
401a).  —  Aus  älterer  Zeit  ist  namentlich  zu  nennen  Menschen,  Nov.  Test,  ex 
Taimude  Ulustratum  p.  1184  sq.,  der  bereits  richtig  erkannt  hat,  daß  stets  der 
Hohepriester  Vorsitzender  des  Synedriums  war.  —  Eine  vermittelnde  Ansicht 
hat  Jelski  aufgestellt  (Die  innere  Einrichtung  des  großen  Synedrions  zu  Jeru- 
salem 1894,  8.  22—81).  Er  meint  (8.  81):  „Während  der  Tempel  bestand, 
waren  an  der  Spitze  der  höchsten  Behörde  zwei  Vorsitzende:  das  politische 
Oberhaupt,  der  Nasi,  war  stets  der  Hohepriester;  das  religiöse,  richter- 
liche und  legislatorische  Oberhaupt  war,  soweit  die  Nachrichten  der 
Quellen  reichen,  stets  ein  pharisäischer  Schriftgelehrter".  Der  Beweis  für 
diese  These  ist  m.  E.  trotz  alles  aufgewandten  Fleißes  nicht  erbracht  —  Über 
Büchler,  Houtsma  und  Lauterbach,  welche  verschiedene  Behörden 
unterscheiden,  s.  oben  S.  246  f. 


256  §  23.   Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [203.  204] 

äfKpiößrjtovfiivcop,  xoXaöec  tovg  iXeyxO-^rag  kx  adlxcp.  Antt.  IV, 
8,  14:  Moses  verordnete,  wenn  Ortsgerichte  eine  Frage  nicht  ent- 
scheiden können,  so  sollen  sie  nach  Jerusalem  kommen,  xal  avveX- 
ftovreg  o  T€  aQXt*Q£v$  xal  6  JtQoq>rjxriq  xal  fj  yeQovöla  rb  doxovv 
azioyaiviöd-aHSav).  Schon  hiernach  ist  vorauszusetzen,  daß  der 
Hohepriester  den  Vorsitz  im  Synedrium  führte.  Aber  wir  haben 
dafür  auch  die  be|  stimmtesten  Zeugnisse.  Schon  in  dem  Volks- 
beschlusse,  durch  welchen  das  Hohepriestertum  und  Fürstentum 
in  der  Familie  Simons  des  Makkabäers  für  erblich  erklärt  wurde, 
wurde  festgesetzt,  daß  es  niemandem  erlaubt  sei,  „seinen  Befehlen 
zu  widersprechen  und  ohne  ihn  eine  Versammlung  im  Lande  zu- 
sammen zu  berufen" 55.  In  den  wenigen  Fällen,  wo  Josephus  über- 
haupt Synedriaisitzungen  erwähnt,  finden  wir  stets  den  Hohen- 
priester als  Vorsitzenden.  So  im  Jahre  47  vor  Chr.  Hyrkan  IL66, 
im  Jahre  62  nach  Chr.  den  jüngeren  Ananos57.  Ebenso  erscheint 
im  Neuen  Testamente  durchweg  der  aQxisQsvg  an  der  Spitze  {Actor. 
5,  17  ff.  7,  1.  9,  1.  2.  22,  5.  23,  2.  4.  24,  1)  &8.  Wo  Namen  genannt 
werden,  ist  es  der  fungierende  Hohepriester,  weicher  den  Vorsitz 
führt.  So  Kaiaphas  zur  Zeit  Christi  (Matth.  26,  3.  57),  Ananias 
zur  Zeit  des  Apostels  Paulus  {Actor.  23,  2.  24,  1),  beide,  wie  wir 
aus  Josephus  wissen,  die  zu  jenen  Zeiten  im  Amt  befindlichen 
Hohenpriester.  Das  Verhör  Jesu  vor  Annas  (Joh.  18),  der  aller- 
dings damals  nicht  mehr  fungierender  Hoherpriester  war,  ist  kein 
Gegengrund.  Denn  es  handelt  sich  dabei  lediglich  um  ein  Privat- 
verhör. Ebensowenig  kommt  in  Betracht,  daß  der  jüngere  Ananos 
(oder  Annas)  zur  Zeit  des  Krieges,  als  er  längst  abgesetzt  war 59, 
an  der  Spitze  der  Geschäfte  erscheint60.  Denn  es  beruhte  dies 
auf  einem  speziellen  Volksbeschlusse  beim  Ausbruch  der  Revolu- 
tion61. Die  einzige  Stelle,  welche  gegen  unsere  Ansicht  geltend 
gemacht  werden  könnte,  ist  Act.  4,  6,  wo  Annas  (der  nicht  mehr 
im  Amt  befindliche  Hohepriester)  an  der  Spitze  des  Synedriums 
erwähnt  wird.  Es  verhält  sich  aber  mit  ihr  nicht  anders  als  mit 
der  parallelen  Stelle  Luc.  3,  2.    An  beiden  Stellen  wird  Annas  in 


55)  I  Makk.  14,  44:  avxei7telv  xotq  in*  ahxov  $rjB-ri<jop£voi$  xal  imov- 
ciQixpai  avavQO^v  iv  xy  X&Qa  &vw  abcov. 

56)  Antt.  XIV,  9,  3—5. 

57)  Antt.  XX,  9,  1. 

58)  Gegen  die  seltsame  Meinung  von  Wieseler,  daß  der  Vorsitzende  des 
Synedriums  als  solcher,  auch  wenn  er  nicht  Hoherpriester  war,  den  Titel 
tLQXiBQevq  geführt  habe,  s.  Stud.  und  Krit.  1872,  S.  623—631. 

59)  Antt.  XX,  9,  1. 

60)  B.  J.  II,  20,  3.   22,  1.  IV,  3,  7  bis  5,  2.     Vita  38.  39.  44.  60. 

61)  B.  J.  II,  20,  3. 


[204.  205]    HL  Das  große  Synedrium  zu  Jerusalem.  2.  Zusammensetzung.    257 

solcher  Weise  vor  Kaiaphas  genannt,  als  ob  er  der  wirklich  fun- 
gierende Hohepriester  gewesen  wäre,  was  er  doch  sicher  nicht 
mehr  war.  So  wenig  man  also  aus  Luc.  3,  2  schließen  darf,  daß 
er  dies  noch  gewesen,  so  wenig  ist  aus  Act.  4,  6  zu  folgern,  daß 
er  Präsident  des  Synedriums  war,  was  im  Widerspruch  mit  Matth. 
26,  57—66  stehen  würde.  Vielmehr  liegt  in  beiden  Fällen  eine 
Ungenauigkeit  der  Darstellung  vor.  Mit  unserer  Voraussetzung, 
daß  der  Hohepriester  Vorsitzender  (xQoeÖQog)  war,  steht  in  Ein- 
klang die  Überlieferung,  daß  er  während  der  letzten  sieben  Tage 
vor  dem  Versöhnungstage  sich  in  dem  Saal  oder  Zimmer  der  xqo- 
eögot  (■p-nmfc)  aufzuhalten  hatte  (s.  oben  S.  253).  Dies  war  eben 
sein  Amtszimmer  im  Unterschied  von  seiner  Privatwohnung.  — 
Daß  die  von  der  rabbinischen  Tradition  genannten  Männer  nicht 
Synedrialpräsidenten  |  waren,  erhellt  auch  noch  daraus,  daß  die- 
selben Männer,  wo  sie  gelegentlich  bei  Josephus  und  im  Neuen 
Testamente  erwähnt  werden,  stets  als  einfache  Beisitzer  des  Syne- 
driums erscheinen.  So  Schemaja  (Sameas)  zur  Zeit  Hyrkans  ILe2, 
Gamaliel  I.  zur  Zeit  der  Apostel  (Act.  5,  34,  vgl.  Vers  27),  Simon 
ben  Gamaliel  zur  Zeit  des  jüdischen  Krieges63, 

Die  in  Rede  stehende  jüdische  Tradition  widerspricht  also 
allen  sicheren  geschichtlichen  Tatsachen,  Sie  ist  aber  auch  selbst 
erst  sehr  späten  Ursprungs  und  gehört  wahrscheinlich  noch  nicht 
einmal  dem  Zeitalter  der  Mischna  an.  Die  eine  Stelle  in  der 
Mischna,  an  welcher  sie  sich  findet  (Chagiga  II,  2),  steht  ganz  iso- 
liert da.  Überall  sonst  werden  die  genannten  Schulhäupter  in  der 
Mischna  eben  nur  als  Schulhäupter  erwähnt  Es  ist  daher  sehr 
wahrscheinlich,  daß  jene  Stelle  erst  später  in  den  Mischnatext  ge- 
kommen ist64.  —  Auch  die  Titel  Nasi  und  Ab-beth-din  für  den 
Präsidenten  und  Vizepräsidenten  sind,  wenn  nicht  alles  trügt,  dem 
Zeitalter  der  Mischna  noch  fremd.    Beide  Urmini  kommen  zwar 


62)  Antt.  XIV,  9,  3-5. 

63)  Vita  38.  39. 

64)  Spätere  Einschaltungen  im  Misch na-Text  lassen  sich  auch  sonst  kon- 
statieren, z.  B.  Aboth  V,  21«  In  manchen  Handschriften  und  Ausgaben  ist  der 
Mischna-Text  Sota  IX,  15  aus  dem  jerusalemischen  Talmud  erweitert  Man 
könnte  daher  vermuten,  daß  auch  Chagiga  II,  2  erst  aus  dem  jerusalemischen 
Talmud  in  den  Mischna-Text  übergegangen  ist.  Doch  ist  zu  beachten,  daß 
sich  eine  kürzere  Fassung  derselben  Stelle,  ohne  Nennung  der  einzelnen  Na- 
men, auch  in  der  Tosephta  findet  (Ibsephta  Chagiga  II,  8  ed.  Zuckermandel 
p.  234,  27 — 235,  3).  —  Jelski  (Die  innere  Einrichtung  des  großen  Synedrions 
zu  Jerusalem  S.  37—42)  hält  zwar  nicht  die  ganze  Mischna- Stelle,  aber  doch 
die  entscheidenden  Worte  („Je  die  ersten  waren  Vorsitzer  und  die  anderen 
Gerichtsoberhäupter")  für  interpoliert,  indem  er  anerkennt,  daß  sie  in  der 
Mischna  völlig  isoliert  dastehen. 

Schür  er,  Geschichte  II.  4.  Aufl.  17 


258  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [205.  206] 

in  der  Mischna  vor65.  Aber  unter  Nasi  ist  überall  der  wirkliche 
Fürst  des  Volkes,  speziell  der  König  zu  verstehen,  wie  einmal 
ausdrücklich  erklärt  wird66.  Und  unter  dem  Ab-beth-din  ist  nach 
der  Wortbedeutung  schwerlich  etwas  anderes  als  der  Vorsitzende 
des  obersten  Gerichtshofes  (also  des  Synedriums)  zu  verstehen.  In 
derselben  Bedeutung  kommt  daneben  auch  der  Titel  Bosch-beth-din 
vor67.  Erst  das  nachmischnische  Zeitalter  hat  die  Titel  Nasi  und 
Ab-bdh-dm  gleichsam  um  einen  Grad  herabgesetzt  und  sie  auf  den  | 
Präsidenten  und  Vizepräsidenten  übertragen68.  —  Der  sogenannte 
*6dw  endlich,  der  bei  jüdischen  und  christlichen  Gelehrten  auf 
Grund  einiger  talmudischen  Stellen  auch  häufig  als  ein  besonderer 
Beamter  des  Gerichtes  erwähnt  wird,  ist  überhaupt  kein  solcher, 
sondern  einfach  das  „hervorragendste"  d.  h.  gesetzeskundigste  Mit- 
glied desselben69. 

Für  das  Zeitalter  Christi  wird  es  nach  alledem  feststehen, 
daß  stets  der  fungierende  Hohepriester,  und  zwar  als 
solcher,  den  Vorsitz  führte. 

3.  Kompetenz.  Hinsichtlich  der  räumlichen  Ausdehnung  der 
Kompetenz  ist  schon  oben  (S.  236)  bemerkt  worden,  daß  die  bür- 
gerliche Gewalt  des  großen  Synedriums  im  Zeitalter  Christi  auf 
die  11  Toparchien  des  eigentlichen  Judäa  beschränkt  war.  Das 
Synedrium  hatte  daher  auch  über  Jesus  Christus  keine  richterliche 
Gewalt,  solange  er  in  Galiläa  verweilte.  Erst  in  Judäa  stand 
er  direkt  unter  dessen  Jurisdiktion.  In  gewissem  Sinne  übte  frei- 
lich das  Synedrium  eine  solche  über  alle  jüdischen  Gemeinden  in 
der  ganzen  Welt,  und  in  diesem  Sinne  auch  über  Galiläa.  Seine 
Anordnungen  wurden  in  dem  ganzen  Bereiche  des  orthodoxen 
Judentums  als  verbindlich  anerkannt.   Es  konnte  z.  B.  an  die  Ge- 


65)  vetou  Taantth  H,  1.  Nedarim  V,  5.  Horajoth  H,  5-7.  III,  1—3,  u. 
sonst.  —  T^n^a  3K:  Taanüh  II,  1.    Edujoth  V,  6. 

66)  Horajoth  III,  3. 

67)  Bosch  haschana  II,  7.  IV,  4. 

68)  Der  erste  rabbinische  Synedrialpräsident,  dem  der  Titel  Nasi  bei- 
gelegt wird,  ist  K.  Juda,  der  Redakteur  der  Mischna,  Ende  des  2.  Jahrh« 
nach  Chr.  (Aboth  II,  2).  Von  den  Eabbinen,  welche  vor  E.  Juda  dieselbe 
Stellung  bekleideten,  wird  noch  keiner  Nasi  genannt  (abgesehen  von  Ghagiga 
II,  2).  Man  kann  also  annehmen,  daß  der  Titel  gegen  Ende  des  mischnischen 
Zeitalters  aufkam. 

69)  Der  Ausdruck  *pl  n^a  bv  gb&itt  kommt  in  der  Mischna  nur  einmal 
vor,  Horajoth  I,  4.  Es  wird  dort  bestimmt,  was  zu  geschehen  habe,  wenn  das 
Gericht  eine  irrige  Entscheidung  getroffen  hat,  ohne  daß  der  y+i  n*a  bü  »iBTQ, 
d.  h.  das  ausgezeichnetste  hervorragendste  Mitglied  des  Kollegiums,  dabei  war. 
Vgl  über  die  Bedeutung  von  «iBTO  Buxtorf  Lex.  coL  1729  sq.  Levy,  Neu« 
hebr.  Wörterb.  s.  t>. 


[206.  207]    HL  Das  große  Synedrium  zu  Jerusalem.   3.  Kompetenz.  25g 

meinden  in  Damaskus  Befehle  zur  Verhaftung  der  dortigen  Christen 
erlassen  (Actor.9,  2.  22,  5.  26, 12).  Aber  dabei  hing  es  doch  überall 
von  dem  guten  Willen  der  jüdischen  Gemeinden  ab,  wie  weit  sie 
den  Weisungen  des  Synedriums  Folge  leisten  wollten.  Direkte 
Gewalt  hatte  es  nur  innerhalb  des  eigentlichen  Judäas70.  —  Der 
sachliche  |  Umfang  seiner  Kompetenz  wird  möglichst  verkehrt  be- 
stimmt, wenn  man  sagt,  es  sei  die  geistliche  oder  theologische 
Behörde  gewesen  im  Gegensatz  zur  weltlichen  Obrigkeit  der 
Römer.  Das  richtige  ist  vielmehr,  daß  es  im  Gegensatz  zur 
Fremdherrschaft  der  Römer  die  höchste  einheimische  Behörde 
war,  welche  die  Römer  wie  fast  überall  hatten  fortbestehen  lassen, 
nur  mit  gewissen  Einschränkungen  der  Kompetenz.  Vor  sein 
Forum  gehörten  also  alle  richterlichen  Entscheidungen 
und  alle  Verwaltungsmaßregeln,  die  nicht  entweder  den 
Lokalgerichten  niedrigeren  Ranges  zustanden,  oder  vom 
römischen  Prokurator  für  sich  waren  vorbehalten  wor- 
den. —  Vor  allem  war  es  die  höchste  Instanz  zur  Entscheidung 
gesetzlicher  Fragen,  aber  nicht  in  dem  Sinne,  daß  man  von  den 
niedrigeren  Gerichten  an  dieses  höhere  hätte  appellieren  können, 
sondern  in  dem,  daß  es  überall  da  einzutreten  hatte,  wo  die  niedri- 
geren Gerichte  sich  nicht  einigen  konnten71.   Hatte  es  einmal  eine 

70)  Oskar  Hol tz mann,  Studien  zur  Apostelgeschichte,  3  (Zeitschr.  für 
Kirchengesch.  Bd.  XIV,  1894,  S.  495—502)  nimmt  freilich  an,  daß  „der  jü- 
dische Hohepriester  und  das  Jerusalemer  Synedrium  eine  im  ganzen  Ge- 
biete des  römischen  Reiches  öffentlich  anerkannte  Befugnis  der  Juris- 
diktion über  sämtliche  Juden  hatte"  (S.  499);  und  zwar  soll  dies  gelten 
vom  J.  139  vor  Chr.  bis  zur  Zeit  des  Paulus.  Beweise:  I  Makk.  15,  21  und 
das  Dekret  Cäsars  Antt.  XIV,  10,  2  fin.  Hierbei  ist  viererlei  übersehen: 
1)  daß  der  römische  Senat,  wenn  er  einst  im  J.  139  v.  Chr.  von  den  aus- 
wärtigen Königen  und  Staaten  die  Auslieferung  jüdischer  Verbrecher  (Xoiptol) 
an  den  jüdischen  Hohenpriester  gefordert  hat  (I  Makk.  15,  21),  selbstverständ- 
lich nicht  auch  sich  zum  Gleichen  verpflichtet  hat,  daß  also  diese  Anordnung 
gerade  für  das  „Gebiet  des  römischen  Reiches"  nicht  nachweisbar  ist;  2)  daß 
die  Auslieferung  flüchtiger  Verbrecher,  die  von  Palästina  nach  auswärts  ge- 
kommen waren,  etwas  wesentlich  anderes  ist  als  die  Jurisdiktion  über  die  in 
der  Diaspora  wohnenden  Juden;  3)  daß  das  Dekret  Cäsars  Antt.  XIV,  10,  2  fin. 
sich  nur  auf  die  Verhältnisse  Judäas  bezieht;  4)  daß  beide  Anordnungen  durch 
den  inzwischen  eingetretenen  vielfachen  Wechsel  der  politischen  Dinge  zur 
Zeit  Christi  längst  außer  Kraft  gesetzt  waren.  Mit  etwas  mehr  Recht  als  auf 
jene  beiden  Stellen  hätte  Holtzmann  sich  auf  Bell.  Jud.  I,  24,  2  berufen  können, 
wo  behauptet  wird,  Herodes  habe  das  Recht  gehabt,  die  vor  ihm  Geflohenen 
auch  ans  einer  ihm  nicht  gehörigen  Stadt  abführen  zu  lassen  (ohöevl  ycep 
ßaoiXtwv  roaavxijv  Kataag  iö<oxB  zifttfv,  wäre  xbv  in*  abtoti  (pevyovxa  xal 
fx9f  7iQo<jTjxovor]<;  nöXeox;  i£ayayelv).  Auch  dies  aber  war,  wenn  es  überhaupt 
richtig  ist,  nur  eine  dem  Herodes  speziell  zugestandene  Befugnis. 

71)  Antt.  IV,  8,  14  fin.    Sanhedrin  XI,  2  (s.  die  Stelle  oben  S.  236). 

17* 


260  §  23.  Verfassung,   Synedrium.   Hohepriester.  [207.  £08] 

Entscheidung  getroffen,  so  waren  die  Beisitzer  aller  Ortsgerichte 
bei  Todesstrafe  verpflichtet,  sich  daran  zu  halten 72.  Im  einzelnen 
hat  die  Theorie  der  Schriftgelehrten  namentlich  folgende  Fälle 
aufgestellt,  die  zur  Kompetenz  des  höchsten  Gerichtshofes  gehören: 
„Man  darf  einen  Stamm  (wegen  Götzendienstes),  einen  falschen 
Propheten  und  einen  Hohenpriester  nur  vor  dem  Gerichte  von  71 
richten«  Man  darf  einen  willkürlichen  Krieg  nur  nach  Entschei- 
dung des  Gerichtes  von  71  anfangen.  Man  darf  die  Stadt  (Jeru- 
salem) oder  die  Tempelvorhöfe  nur  nach  Entscheidung  des  Ge- 
richtes von  71  erweitern.  Obergerichte  für  die  Stämme  darf  man 
nur  auf  Befehl  des  Gerichtes  von  71  einsetzen.  Eine  zum  Götzen- 
dienst verleitete  Stadt  darf  nur  |  durch  das  Gericht  von  71  ge- 
richtet werden" 7S.  Der  Hohepriester  kann  also  durch  das  Syne- 
drium gerichtet  werden74;  der  König  dagegen  steht  nicht  unter 
seinem  Urteilsspruch,  wie  er  auch  nicht  Beisitzer  sein  kann 75.  All 
diesen  Bestimmungen  sieht  man  es  freilich  an,  daß  sie  rein  theo- 
retisch sind,  nicht  Ausdruck  realer  Verhältnisse,  sondern  nur 
fromme  Wünsche  der  Mischnalehrer.  Mehr  Wert  hat,  was  wir 
aus  dem  Neuen  Testamente  entnehmen  können.  Wir  wissen,  daß 
Jesus  vor  dem  Synedrium  stand  wegen  Gotteslästerung  (Aß.  26,  65. 
Joh.  19,  7),  Petrus  und  Johannes  als  Pseudopropheten  und  Volks- 
verführer (Ad.  4  und  5),  Stephanus  als  Gotteslästerer  {Act.  6, 13  ff.), 
Paulus  wegen  Gesetzesübertretung  (Act.  23) 76. 

Von  speziellem  Interesse  ist  die  Frage,  inwieweit  die  Kompe- 
tenz des  Synedriums  durch  den  römischen  Prokurator  beschränkt 
war77.    Obwohl  Judäa  zur  Zeit  der  Prokuratoren  keine  autonome, 

72)  Sanhedrin  XI,  2. 

73)  Sanhedrin  I,  5.  Vgl.  Sanhedrin  II,  4:  „Wenn  der  König  zu  einem 
freiwilligen  Kriege  ausziehen  will,  so  kann  es  nur  nach  Beschluß  des  Rates 
der  71  geschehen". 

74)  S.  auch  Sanhedrin  II,  1. 

75)  Sanhedrin  II,  2. 

76)  Die  Zusammenstellung  nach  Win  er  BWß.  II,  552. 

77)  Vgl.  hierüber:  Bynaeus,  De  morte  Jesu  Christi  III,  1,  9 — 14.  — 
Deyling,  De  Judaeorum  jure  gladii  tempore  Christi,  ad  Joh.  18,  31  (Observa- 
tiones  sacrae  P.  II,  1737,  p.  414r-428;  auch  in  Ugolinis  Thesaurus  T.  XXVI). 

—  Iken,  De  jure  vitae  et  necis  tempore  mortis  Servatoris  apud  Judaeos  non 
amplius  superstite  ad  Joh.  18,  31  (in  dessen  Dissertatt.  philol.-theoL  II,  517 — 572). 

—  A.  ßalth.  v.  Walther,  Juristisch- historische  Betrachtungen  über  die  Ge- 
schichte vom  Leiden  und  Sterben  Jesu  Christi  etc.,  Breslau  1777,  S.  142 — 168 
(letzteres  kenne  ich  nur  aus  dem  Zitat  bei  Lücke,  Kommentar  über  das  Ev. 
Joh.  II,  736;  noch  mehr  ältere  Literatur  s.  bei  Wolf,  Curae  philoL  in  Nov. 
Test,  zu  Joh.  18,  31).  —  Win  er  RWB.  II,  553.  —  Leyrer  in  Herzogs  ßeal- 
Enz.  1.  Aufl.  XV,  320—322.  —  Döllinger,  Christentum  und  Kirche  in  der 
Zeit  der  Grundlegung  (2.  Aufl.  1868)  S.  456—460.  —  Langen  in  der  Tüb. 


[206.  209]    III.  Das  große  Synedrium  zu  Jerusalem.   3.  Kompetenz.  26  f 

sondern  eine  untertänige  Gemeinde  war  (über  den  Unterschied 
beider  s.  oben  S.  104,  vgl.  auch  §  17c),  so  genoß  das  Synedrium  doch 
noch  eine  verhältnismäßig  große  Selbständigkeit.  Es  übte  nicht 
nur  die  Zivilrechtspflege  nach  jüdischem  Recht  aus  (was  selbst- 
verständlich ist,  denn  ohne  solche  Befugnis  ist  ein  jüdisches  Ge- 
richt gar  nicht  denkbar),  sondern  es  war  auch  an  der  Kriminal- 
rechts|pflege  in  erheblichem  Maße  mitbeteiligt  Es  hatte  selbständige 
Polizeigewalt,  also  das  Recht,  durch  seine  eigenen  Organe  Ver- 
haftungen vornehmen  zu  lassen  (Ev.  Matth.  26,  47.  Marc.  14,  43. 
Actor.  4,  3.  5,  17—18) 78.  Es  konnte  auch  solche  Fälle,  die  nicht 
mit  Todesstrafe  bedroht  waren,  selbständig  aburteilen  {Actor.  4, 
5—23.  5,  21—40).  Nur  wo  es  sich  um  die  Todesstrafe  handelte» 
bedurfte  sein  Urteil  der  Bestätigung  des  Prokurators.  Dies  wird 
nicht  nur  im  Johannesevangelium  von  den  Juden  ausdrücklich  ge- 
sagt (Joh.  18,  31:  ffuZv  ovx  l&ctiv  axoxxslvai  ovöivci),  sondern  es 
geht  auch  aus  der  Geschichte  der  Verurteilung  Jesu,  wie  sie  die 
Synoptiker  erzählen,  mit  Sicherheit  hervor.  Auch  in  der  jüdischen 
Tradition  hat  sich  daran  noch  eine  Erinnerung  erhalten79.  Der 
Prokurator  konnte  dabei  nach  freiem  Ermessen  den  Maßstab  des 
jüdischen  oder  des  römischen  Rechtes  anlegen.  Für  einen  spe- 
ziellen Fall  war  den  Juden  das  Zugeständnis  gemacht 
worden,  daß  selbst  gegen  römische  Bürger  nach  dem  Maß« 


Theol.  Quartalschr.  1862,  S.  411—463.  —  Mommsen,  Römisches  Strafrecht, 
1899,  S.  240.  Ders.,  Die  Pilatus-Akten  (Zeitschr.  f.  die  Neutestament  1.  Wis- 
sensch.  III,  1902,  8.  198—205).  —  Rosadi,  II  processo  di  Qesü,  Florenz  1904 
(441  8.)  [sucht  zu  zeigen,  daß  bei  der  Verurteilung  Jesu  alles  tumultuarisch 
zuging,  s.  die  Anz.  von  Holtzmann,  Deutsche  Litztg.  19C4,  Nr.  48,  coL  2912]. 
—  Über  die  Gerichtsverfassung  in  den  römischen  Provinzen  überhaupt  s. 
Geib,  Gesch.  des  römischen  Kriminalprozesses  (1842),  8.  471— 486.  Rudorff, 
Römische  Rechtsgeschichte  Bd.  II,  bes.  8.  12  u.  345.  —  Über  den  Fortbestand 
der  einheimischen  Rechtspflege  auch  in  den  untertanigen  Gemeinden  s.  bes. 
Mommsen,  Römisches  Staatsrecht  III,  1,  744 ff.  Mitteis,  Reichsrecht  und 
Volksrecht  in  den  östlichen  Provinzen  des  römischen  Kaiserreichs  (1891) 
S.  90  ff.    Vgl.  auch  oben  §  17c  (I,  480—482). 

78)  Die  Verhaftung  Jesu  erfolgte  nach  Mt.  26, 47  «  Marc.  14,  43  durch 
die  jüdische  Polizei.  Nur  der  vierte  Evangelist  scheint  vorauszusetzen,  daß 
es  ein  römischer  Tribun  mit  seiner  Kohorte  war,  der  Jesum  gefangen  nahm 
(Jok.  18,  3  u.  12). 

79)  jer.  Sankedrm  1, 1  (foL  18a)  und  VII,  2  (foL  24b):  „Vierzig  Jahre  vor 
der  Zerstörung  des  Tempels  wurden  die  Urteile  über  Leben  und  Tod  von 
Israel  genommen"  (bannst  micta  -»a^  nbo^a).  Ähnlich  bab.  Aboda  sara  8b.  — 
Die  Zeitbestimmung  ist  hier  freilich  wertlos,  da  sicher  anzunehmen  ist,  daß 
dies  nicht  erst  zur  Zeit  des  Pilatus,  sondern  von  Anfang  an,  seitdem  Judäa 
überhaupt  unter  Prokuratoren  stand,  geschehen  ist  Verteidigt  wird  die  Zahl 
vierzig  von  Lehmann,  Revue  des  StuSes  jutves  t.  XXXVII,  1898,  p.  12—20. 


262  §  23*  Verfassung,    ßynedrium.   Hohepriester.  [209.  210] 

stab  des  jüdischen  Rechtes  verfahren  wurde.  Wenn  nämlich 
ein  Nicht- Jude  im  Tempel  zu.  Jerusalem  die  Schranke  fiberschritt, 
über  welche  hinaus  nur  den  Juden  ein  weiteres  Vorgehen  in  den 
inneren  Vorhof  gestattet  war,  so  wurde  er  mit  dem  Tode  bestraft, 
selbst  wenn  er  ein  Römer  war80.  Natürlich  bedurfte  |  auch  in 
diesem  Fall  das  Urteil  des  jüdischen  Gerichtes  der  Bestätigung 
durch  den  römischen  Prokurator.  Denn  aus  den  Worten,  mit 
welchen  bei  Josephus  davon  die  Rede  ist,  darf  nicht  geschlossen 
werden,  daß  die  Juden  auch  nur  in  diesem  Spezialfall  ein  unbe- 
dingtes Recht  zum  Vollzug  der  Todesstrafe  hatten.  Auch  aus  der 
Tatsache  der  Steinigung  des  Stephanus  (Actor.  7,  57  f.)  geht  ein 
solches  nicht  hervor.  Diese  ist  vielmehr  entweder  eine  Kompetenz- 
überschreitung oder  ein  Akt  tumultuarischer  Volksjustiz.  Anderer- 
seits wäre  es  wiederum  irrig,  anzunehmen,  daß  das  Synedrium 
überhaupt  nur  mit  Genehmigung  des  Prokurators  sich  versammeln 
durfte,  wie  es  nach  einer  Notiz  bei  Josephus  scheinen  könnte81. 
Die  betreffenden  Worte  wollen  nur  sagen,  daß  der  Hohepriester 
nicht  das  Recht  hatte,  ein  souverän  verfahrendes  Gericht  ab- 
zuhalten in  Abwesenheit  und  ohne  Genehmigung  des  Prokurators. 
Ebensowenig  ist  anzunehmen,  daß  die  jüdischen  Behörden  jeden 
Schuldigen  zunächst  dem  Prokurator  übergeben  mußten.  Dies  taten 
sie  wohl,  wenn  es  ihnen  zweckmäßig  schien82.  Aber  damit  ist 
nicht  gesagt,  daß  es  geschehen  mußte.  —  Wenn  sonach  das  Syne- 
drium noch  eine  ziemlich  weitgehende  Kompetenz  hatte,  so  lag 
freilich  die  stärkste  Einschränkung  darin,  daß  die  römische  Behörde 


80)  B.  J.  VI,  2,  4:  Titus  richtet  an  die  Belagerten  die  Frage:  Haben 
nicht  wir  euch  gestattet,  diejenigen  zu  töten,  welche  die  Schranke  über- 
schritten, selbst  wenn  es  ein  Römer  war?  {ob%  tipstq  6h  xovq  ünsQßdvrae 
üfilv  dvaiQSiv  foiezQixpafiev,  x<kv  ^Paftaiwv  tiq  y\).  Vgl.  hierüber  auch  unten 
§  24  (Polizeidienst  im  Tempel).  —  Die  Unterstellung  römischer  Bürger  unter 
die  Gesetze  einer  fremden  Stadt  ist  ein  ungeheures  Zugeständnis,  das 
im  allgemeinen  nur  solchen  Kommunen  gemacht  wurde,  die  als  liberae  an- 
erkannt waren.  S.  Kuhn,  Die  städtische  und  bürgerl.  Verfassung  II,  24. 
Marquardt,  Komische  Staatsverwaltung  I,  75 f.  Kornemann,  De  eivibus 
Romanis  in  provincih  imperii  consistentibus  (Berol.  1892)  p.  27 — 48.  Bes.  das 
Senatskonsult  für  Chios  vom  J.  674  a.  U.  —  80  vor  Chr.  (Corp.  Inscr.  Graee. 
n.  2222  =  Dittenberger,  Sylloge  lnscr.  Oraec.  ed.  2.  n.  355):  o'i  te  nag  ccfooTq 
Svreg  ^P&fiatoi  xotq  Xetwv  vnaxovwoiv  vdfioiq.  Den  Juden  ist  dieses  Zuge- 
ständnis also  wenigstens  für  den  genannten  Spezialfall  gemacht  worden. 

81)  Antt.  XX,  9,  1:  oix  ifjdv  %v  *Avdv<p  x<oq\<;  rfjq  ixslvov  yvwfirjs  xadi* 
oai  owidgiov. 

82)  Zur  Zeit  des  Albinos  überliefern  z.  B.  die  jüdischen  agxovtsq  einen 
Wahnsinnigen,  dessen  Gebahren  ihnen  gefahrlich  schien,  dem  Prokurator  {B.  J. 
VI,  5,  3,  ed.  Niese  §  303).  f 


[210. 211]    III.  Das  große  Synedrium  zu  Jerusalem.  4.  Ort  der  Sitzungen.     263 

jederzeit  aus  eigener  Initiative  eingreifen  und  selbständig  verfahren 
konnte,  wie  dies  auch  bei  vielen  Gelegenheiten,  z.  B.  bei  der  Ge- 
fangennahme Pauli,  geschehen  ist  Auch  konnte  nicht  nur  der 
Prokurator,  sondern  sogar  der  Tribun  der  in  Jerusalem  garniso- 
nierenden  Kohorte  das  Synedrium  zusammenberufen,  um  durch 
dasselbe  eine  Sache  vom  Standpunkt  des  jüdischen  Rechtes  aus 
untersuchen  zu  lassen  (Aoior.  22,  30;  vgl.  23, 15.  20.  28). 

4.  Zeit  und  Ort  der  Sitzungen.  Die  Lokalgerichte  hielten 
ihre  Sitzungen  gewöhnlich  am  zweiten  und  fünften  Wochentag 
(Montag  und  Donnerstag)88.  Ob  auch  das  große  Synedrium  diese 
Sitte  beobachtete,  wissen  wir  nicht  An  Feiertagen  {yrv  nv>)  wurde 
kein  Gericht  gehalten,  noch  viel  weniger  am  Sabbat84.  Da  in  | 
Kriminalfällen  ein  Todesurteil  erst  am  Tage  nach  der  Verhandlung 
gesprochen  werden  durfte,  wurden  solche  Fälle  auch  nicht  am  Vor- 
abend vor  einem  Sabbat  oder  Feiertag  abgehandelt85.  Freilich 
sind  dies  alles  zunächst  nur  theoretische  Bestimmungen.  Daß  man 
aber  das  Verbot  des  Gerichthaltens  am  Sabbat  im  allgemeinen 
wirklich  beobachtet  habe,  ist  angesichts  des  Zeugnisses  Philos 
nicht  zu  bezweifeln86.  —  Das  Lokal,  in  welchem  sich  das  große 
Synedrium  zu  versammeln  pflegte  (die  ßovZrj),  lag  nach  Josephus 
Bell.  Jud.  V,  4,  2  in  der  Nähe  des  sogenannten  Xystos,  uüd  zwar 
von  diesem  östlich  nach  dem  Tempelberge  zu.  Da  nach  B.  J.  n, 
16,  3  vom  Xystos  unmittelbar  eine  Brücke  nach  dem  Tempelberge 
hinüberführte,  so  ist  die  ßovZrj  wahrscheinlich  auf  dem  Tempel- 
berge selbst  an  dessen  westlicher  Grenze  zu  suchen.  Jeden- 
falls lag  sie  außerhalb  der  Oberstadt.  Denn  nach  B.  J.  VI,  6,  3 
wurde  das  ßovltvxr\Qtov  (=  ßovlfj)  von  den  Römern  zerstört,  noch 
ehe  diese  die  Oberstadt  in  Besitz  hatten.  Die  Mischna  nennt  als 
Versammlungsort  des  großen  Synedriums  wiederholt  die  n2üb 
mTän87.   Und  da  sich  ihre  Angaben  auf  keine  andere  Zeit  beziehen 


83)  Kethuboth  I,  1. 

84)  Beza  (oder  Jörn  tob)  V,  2.  Auch  Philo  nennt  das  Sixd^etv  unter 
den  am  Sabbath  verbotenen  Dingen  (De  migraiione  Abrahami  §  16,  ed.  Mangey 
I,  450).  —  Vgl.  Oehler  in  Herzogs  Keal-Enz.  1.  Aufl.  XIII,  203  (Art.  Sab- 
bath). Bleek,  Beiträge  zur  Evangelien-Kritik  (1846)  S.  Hl  ff.  Wieseler, 
Ohronologische  Synopse  S.  361  ff.  Kirchner,  Die  jüdische  Passahfeier  und 
Jesu  letztes  Mahl  (Progr.  des  Gymnas.  zu  Duisburg  1870)  S.  57  ff.  Bernh. 
Ritter,  Philo  und  die  Halacha,  1879,  S.  130. 

85)  Sanhedrin  IV,  1  fin. 

86)  Welchen  Wert  man  darauf  legte,  zeigen  auch  die  Edikte  des  Augu- 
stus,  durch  welche  die  Juden  von  der  Verpflichtung,  am  Sabbath  vor  Gericht 
zu  erscheinen,  befreit  wurden  (Antt.  XVI,  6,  2  u.  4). 

87)  Sanhedrin  XI,  2.    Mtddoth  V,  4.    Vgl.  Pea  II,  6.    Edujoth  VII,  4. 


264  §  23.  Verfassung,   Synedrium.  Hohepriester.  [211.  212] 

können  als  die  des  Josephus,  da  ferner  auch  unter  der  ßovlr)  des 
Josephus  sicher  der  Versammlungsort  des  großen  Synedriums  zu 
verstehen  ist,  so  ist  die  nvan  nstöb  notwendig  mit  der  ßovXr}  des 
Josephus  zu  identifizieren.  Vermutlich  will  also  der  Name  rotft 
rrwr  nicht  besagen  (wie  man  gewöhnlich  meint),  daß  jene  Halle 
aus  Quadersteinen  gebaut  war  (nna  =  Quadersteine)  —  was  kein 
charakteristisches  Merkmal  wäre  — ,  sondern  daß  sie  am  Xystos 
lag  (nna  —  gvazoq,  wie  LXX I  Chron.  22,  2.  Arnos  5, 11).  Sie  wurde 
im  Unterschiede  von  den  anderen  triyob  des  Tempelplatzes  nach 
ihrer  Lage  „die  Halle  am  Xystos**  genannt  Nach  der  Mischna 
soll  sie  freilich  im  inneren  Vorhof  gelegen  haben88.  Aber  bei  der  | 
Unzuverlässigkeit  und  teilweisen  Unrichtigkeit,  an  der  auch  sonst 
ihre  Angaben  über  die  Topographie  des  Tempels  leiden,  bildet  ihr 
Zeugnis  kein  hinreichendes  Gegengewicht  gegen  obiges  Resultat, 
zumal  es  auch  an  sich  unwahrscheinlich  ist,  daß  man  einen  Baum 
des  inneren  Vorhofes  zu  anderen  als  zu  Kultuszwecken  sollte  ver- 
wendet haben89.  Ganz  unbrauchbar  ist  die  spätere  talmudische 
Meinung,  daß  das  Synedrium  vierzig  Jahre  vor  der  Zerstörung  des 
Tempels  aus  der  lischkath  hagasith  ausgewandert  oder  vertrieben 


Nach  bab.  Joma  25a  war  die  lischkath  ha-gasüh  „wie  eine   große  Basilika" 

(nina  ^pi^oa  "pss). 

88)  S.  bes.  Middoih  V,  4;  auch  Sanhedrin  XI,  2.  Im  babylonischen  Tal- 
mud Joma  25a  ist  dies  näher  dahin  präzisiert,  daß  die  niwn  rcttb  zur  Hälfte 
innerhalb  und  zur  Hälfte  außerhalb  des  Vorhofes  gelegen  habe  (s.  die  Stelle 
z.  B.  bei  Buxtorf,  Lex.  Chald.  8.  v.  n^ta).  —  Keinen  Anhaltspunkt  zur  Be- 
stimmung der  Lage  geben  Pea  H,  6  und  Edvjoth  VII,  4;  ebensowenig  Tamid 
II /in,  IV  fin.  Denn  wenn  nach  den  beiden  letzteren  Stellen  die  Priester 
in  den  Zwischenpausen  zwischen  den  einzelnen  Abteilungen  ihres  Dienstes 
sich  zum  Loosen  und  zum  Beten  des  Schma  in  die  n">nn  rottb  be- 
gaben, so  folgt  daraus  nicht  mit  Notwendigkeit,  daß  letztere  im  Vorhof  ge- 
legen habe.  Büchler  behauptet  dies  freilich,  weil  die  Priester  nicht  in  Dienst- 
kleidung den  inneren  Vorhof  verlassen  haben  würden  (Das  Synedrion  in  Je- 
rusalem S.  11 — 14).  Aber  er  selbst  führt  Beispiele  dafür  an,  daß  die  Priester 
unter  Umständen  auch  außerhalb  des  Vorhofes  Dienstkleidung  trugen  (S.  14 
Anm.  11). 

89)  Die  im  Traktat  Joma  1, 1  erwähnte  "p-nnis  roiöi  oder  "piim»  roiöi 
(Saal  oder  Zimmer  der  TiQÖeÖQOi)  ist  nach  dem  Zusammenhang  (vgl.  I,  5) 
außerhalb  des  Vorhofes  zu  suchen  (dies  scheint  mir  trotz  Büchlers  Gegen- 
bemerkungen S.  22—25  mindestens  sehr  wahrscheinlich).  Wenn  sie  wirklich, 
wie  die  Tradition  will,  auch  „Saal  der  ßovXevrai"  hieß  (s.  oben  S.  254),  so  würde 
auch  damit  ein  Fingerzeig  über  die  Lage  der  ßovXtf  gegeben  sein.  Tatsächlich 
ist  freilich  nicht  die  Identität,  sondern  nur  der  nahe  Zusammenhang  des 
„Saales  der  ngdeögoi"  mit  dem  „Saal  der  ßovlevral"  als  wahrscheinlich  an- 
zunehmen. Der  Sonderraum  für  die  TtQÖeÖQOi  wird  in  der  Nähe  des  Sitzungs- 
saales der  ßovXevzal  gelegen  haben.  Auch  so  aber  darf  in  der  Notiz  eine  Be- 
stätigung unserer  Kombinationen  gefunden  werden. 


[212. 213]  III.  Das  große  Synedrium  zu  Jerusalem.  4.  Ort  der  Sitzungen.     265 

worden  sei  (nrta),  und  seitdem  seine  Sitzungen  in  den  chanujoth 
(Wün)  oder  in  einer  chanuth  (min,  Kaufhalle)  gehalten  habe90. 
Sie  ist  schon  deshalb  unbedingt  zu  verwerfen,  weil  die  Mischna 
noch  nichts  davon  weiß,  vielmehr  augenscheinlich  voraussetzt,  daß 
das  Synedrium  gerade  in  der  letzten  Zeit  vor  der  Zerstörung  des 
Tempels  sich  in  der  lischkath  hagasith  versammelt  habe.  Da  die 
letzten  vierzig  Jahre  vor  der  Zerstörung  des  Tempels  auch  als  der 
Zeitraum  bezeichnet  werden,  während  dessen  dem  Synedrium  die 
Urteile  über  Leben  und  Tod  genommen  waren  (s.  oben  Anm.  79), 
so  will  die  talmudische  Notiz  wohl  besagen,  daß  das  Synedrium 
während  dieser  Zeit  seine  Sitzungen  auch  nicht  mehr  in  dem  ge- 
wohnten solennen  Lokale  habe  halten  dürfen  oder  gehalten  habe, 
sondern  an  einem  unansehnlichen  Orte,  in  den  „Kaufläden"  oder, 
da  die  Lesart  mit  dem  Singular  chanuth  wohl  vorzuziehen  ist,  in 
einem  „Kaufladen",  nwj  ist  nämlich  das  gewöhnliche  Wort  für 
Kaufgewölbe,  Kaufladen91.  Da  es  an  einer  Stelle  heißt,  daß  das 
Synedrium  später  aus  der  chanuth  nach  Jerusalem  gewandert 
sei92,  so  hat  man  sich  jene  chanuth  wohl  außerhalb  der  eigent- 
lichen Stadt  zu  denken.  Aber  alle  näheren  Vermutungen  der  Gel- 
lehrten über  ihre  Lage  sind  überflüssig,  da  die  Sache  selbst  über- 
haupt ungeschichtlich  ist93.  —  Wenn  bei  der  Verurteilung  Jesu 
{Marc.  14,  53  ff.  Matth.  26,  57  ff.)  das  Synedrium  im  Palaste  des 
Hohenpriesters  sich  versammelte,  so  ist  darin  eine  Ausnahme 
von  der  Regel  zu  erblicken,  zu  der  man  schon  durch  die  nächt- 
liche Stunde  genötigt  war.  Denn  bei  Nacht  waren  die  Tore  des 
Tempelberges  geschlossen 94. 

90)  Schabbath  15  a.  Bosch  haschana  31».  Sanhedrin  41a.  Aboda  sara  8*>. 
In  der  mir  vorliegenden  Talmud-Ausgabe  (Amsterdam  1644  ff.)  steht  nur  an 
der  ersten  Stelle  {Schabbath  15a)  der  Plural  chanujoth^  an  den  drei  übrigen  der 
Singular  chanuth,  —  S.  die  Stellen  auch  bei  Seiden,  De  synedriü  II,  15,  7 — 8. 
Wagenseil  zu  Sota  IX,  11  (in  Surenhusius'  Mischna  III,  297).  Levy,  Neuhebr. 
Wörterb.  II,  80  {s.  v.  man). 

91)  Z.  B.  Baba  kamma  II,  2.  VI,  6.  Baba  mexta  II,  4.  IV,  11.  Baba 
bathra  II,  3.  Der  Plur.  nv»ian  Taanith  I,  6.  Baba  mexia  VIII,  6.  Aboda  sara 
I,  4.    Tohoroth  VI,  3.    Der  Krämer  heißt  ^13P. 

92)  Rosch  haschana  31a. 

93)  Die  oben  gegebene  Erklärung  des  Ursprungs  jener  unhistorischen 
Notiz  scheint  mir  jetzt  die  wahrscheinlichste.  Eine  andere  s.  in  den  Stud. 
und  Krit  1878,  S.  625.  —  Schon  im  Talmud  wird  über  die  Motive  der  Aus- 
wanderung des  Synedrium8  nur  unsicher  hin  und  her  geraten,  s.  Aboda  sara 
8b,  in  deutscher  Übersetzung  bei  Ferd.  Christian  Ewald,  Abodah  Sarah,  oder 
der  Götzendienst  (2.  Ausg.  1868)  S.  62—64. 

94)  Middoth  I,  1.  —  Andere  Synedrialsitzungen  im  Palaste  des  Hohen- 
priesters sind  nicht  bezeugt.  Denn  Luc,  22,  54 ff.  und  Joh.  18,  13  ff.  handelt 
es  sich  nur  um  ein  Verhör  vor  dem  Hohenpriester.    Und  Matth.  26,  3  ist  die 


2(J6  §  23-  Verfassung.   Synedrium.  Hohepriester.  [213.  214] 

5.  Gerichtsverfahren.  Dasselbe  wird  in  der  Mischna  folgen- 
dermaßen beschrieben95.  Die  Beisitzer  des  Gerichtshofes  saßen 
im  Halbkreise  (rtyxp  Tp*  *xrto  eigentl.  wie  die  Hälfte  einer  runden 
Tenne),  damit  sie  einander  sehen  konnten.  Zwei  Gerichtsschreiber 
standen  vor  ihnen,  einer  zur  Rechten  und  einer  zur  Linken,  and 
schrieben  die  Reden  derer  die  lossprachen  und  derer  die  verur- 
teilten nieder96.  Vor  ihnen  saßen  drei  Reihen  Jünger  der  Ger 
lehrten.  Jeder  von  ihnen  kannte  seinen  Platz97.  Der  Angeklagte 
hatte  in  demütiger  Haltung  und  im  Trauergewande  zu  erscheinen 98. 
In  Fällen,  wo  es  sich  um  Leben  oder  Tod  handelte,  waren  be- 
sondere Formen  für  Verhandlung  und  Urteilssprechung  vorge- 
schrieben. Es  mußte  in  solchen  Fällen  stets  mit  den  Entlastungs- 
gründen begonnen  werden,  erst  dann  durften  die  Belastungsgründe 
vorgebracht  wer|den".  Wer  einmal  zugunsten  des  Angeklagten 
gesprochen  hatte,  durfte  nicht  nachträglich  zu  dessen  Ungunsten 
sprechen,  wohl  aber  umgekehrt  10°.  Die  anwesenden  Jünger  durften 
nur  für,  nicht  gegen  den  Angeklagten  das  Wort  ergreifen,  während 
ihnen  sonst  beides  gestattet  war101.  Ein  lossprechendes  Urteil 
durfte  noch  an  demselben  Tage,  ein  verdammendes  erst  am  folgen- 
den Tage  gefällt  werden102.  Die  Abstimmung,  zu  welcher  man 
sich  erhob  m,  begann  „von  der  Seite",  ittrt  'je,  d.  h.  beim  jüngsten 


Ortsangabe  ein  späterer  Zusatz  des  Evangelisten,  vgl.  Marc.  14, 1.  Luc.  22,  2. 
—  Eine  ausführlichere  Behandlung  der  Frage  nach  dem  Versammlungsorte  des 
großen  Synedriums  s.  in  meinem  Aursatze  in. den  Stud.  und  Krit  1878,  S. 
608—626.  Daselbst  8.  608  auch  die  ältere  Literatur,  die  aber  wegen  kritik- 
loser Benützung  der  Quellen  nicht  zu  haltbaren  Resultaten  gelangt. 

95)  Über  das  Gerichtsverfahren  im  Alten  Testamente  s.  Win  er  RWB. 
Art.  „Gericht".  Oehler,  Art.  „Gericht  und  Gerichtsverwaltung  bei  den  He- 
bräern" in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  V,  57—61.  Saal  schütz,  Das  Mosaische 
Recht  II,  593  ff.  Keil,  Handbuch  der  biblischen  Archäologie  (2.  Aufl.  1875) 
§150.  Köhler,  Lehrbuch  der  biblischen  Geschichte  I,  359  ff.  Benzinger, 
Art.  „Gericht"  in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  VI,  572  ff.  —  Über  die 
„Geschäfts-  und  Debattenordnung"  nach  talmudischen  Quellen  s.  Jelski,  Die 
innere  Einrichtung  des  großen  Synedrions  zu  Jerusalem  (1894)  S.  81—99. 
Bloch,  Das  mosaisch-talmudische  Strafgerichtsverfahren  (Jahresbericht  der 
Landesrabbinerschule  in  Budapest)  1901. 

96)  Sanhedrin  IV,  3. 

97)  Sanhedrin  IV,  4. 

98)  Joseph.  Äntt.  XIV,  9,  4.  Vgl.  Sacharja  3,  3. 

99)  Sanhedrin  IV,  1. 

100)  Sanhedrin  IV,  1.  V,  5. 

101)  Sanhedrin  IV,  1.  V,  4. 

102)  Sanhedrin  IV,  1.  V,  5.   —  Daraus  haben  manche  die  vermeintliche 
doppelte  Synedrialsitzung  bei  Jesu  Verurteilung  erklärt. 

103)  Sanhedrin  V,  5. 


[214.  215]  IV.  Die  Hohenpriester.  267 

Gerichtsmitgliede,  während  sie  sonst  beim  angesehensten  begann 104. 
Zu  einem  lossprechenden  Urteile  genügte  einfache  Majorität,  zu 
einem  verdammenden  war  eine  Mehrheit  von  zwei  Stimmen  er- 
forderlich 105.  Sprachen  daher  von  den  23  Richtern,  welche  im 
ganzen  nötig  waren,  12  frei,  11  schuldig,  so  war  der  Angeklagte 
frei;  sprachen  aber  12  schuldig,  11  frei,  so  mußte  die  Zahl  der 
Richter  um  zwei  vermehrt  werden,  und  damit  fortgefahren  werden, 
bis  entweder  eine  Freisprechung  erfolgte  oder  die  nötige  Majorität 
für  das  Schuldig  erreicht  war.  Das  Maximum,  bis  zu  welchem 
man  hierbei  ging,  waren  71 106. 


IV.  Die  Hohenpriester. 

Literatur. 

Seiden,  De  successione  in  pontifieatum  Ebraeorum,  Lib.  I  e.  11 — 12  (öfters 

nachgedruckt  mit  anderen  Werken  Seldens  zusammen,  z.  B.  in  der  Ausg. 

d.    üxor  Ebraica,  Franeof.  ad.    Od.   1673,  auch  in  Ugolinis   Thesaurus 

t.  XII). 
Light foot,  Ministerium  templi  Hierosolymitani  c.  IV,  3  (Opp.  ed.  Roterodam. 

I,  684  sqq.) 
Ret  and,  Antiquitates  sacrae  P.  II  c.  2  (ed.  IAps.  1724,  p.  146  sq.). 
Anger,  De  temporum  in  actis  apostohrum  ratione  (1833)  p.  93  sq. 
Ewald,  Geschichte  des  Volkes  Israel  Bd.  VI,  3.  Aufl.  1868,  S.  634. 
Schürer,  Die  aQX^QBtq  im  Neuen  Testamente  (Stud.  und  Erit.  1872,  S.  593 

-657). 
Grätz,   Monatsschr.  für  Geschichte  und  Wissensch.  des  Judentums  Jahrg. 

1851/52,  8.  585—596,   1877,  8.  450—454,  und  1881,  S.  49—64.  97—112.  — 

Ders.,  Geschichte  der  Juden  Bd.  III,  4.  Aufl.  (1888),  S.  720—752. 
Kellner,  Zeitschr.  für  kathol.  Theologie  1888,  8.  651—655.  | 
Hölscher,    Der   Sadducäismus  1906;  hierin   S.  37—84:   Sadducaismus  und 

Hohespriestertum  (S.  43 — 48:  Liste  der  Hohenpriester).    Dagegen:  Theol. 

Litztg.  1907,  200. 

Das  hervorstechendste  Merkmal  der  jüdischen  Staatsverfassung 
in  der  nachexilischen  Zeit  ist  dies,  daß  der  oberste  Priester 
zugleich  Oberhaupt  des  staatlichen  Gemeinwesens  war. 
Im  Anfang  der  nachexilischen  Zeit  ist  er  es  zwar  noch  nicht  ge- 
wesen1. Aber  seit  der  zweiten  Hälfte  der  persischen  Periode  bis 
zur   römisch-herodianischen  Herrschaft   war  er  es  unbestritten. 


104)  Sanhedrin  IV,  2. 

105)  Sanhedrin  IV,  1. 

106)  Sanhedrin  V,  5. 

1)  Vgl.  Wellhausen,   Israelitische   und  jüdische   Geschichte   (1894) 
8.  149  f.  4.  Ausg.  1901,  8.  193  f. 


268  §  23.  Verfassung.   Synedrium.  Hohepriester.  [215.  216] 

Sowohl  die  Hohenpriester  der  vormakkabäischen  Zeit  als  die  has- 
monäischen  Hohenpriester  waren  nicht  nur  Priester,  sondern  zu- 
gleich auch  Fürsten.  Und  wenn  auch  ihre  Macht  einerseits  durch 
die  griechischen  Oberherren,  andererseits  durch  die  Gerusia  be- 
schränkt war,  so  war  sie  doch  sehr  stark  befestigt  durch  das 
Prinzip  der  Lebenslänglichkeit  und  der  Erblichkeit  Die 
höchste  Steigerung  priesterlicher  Macht  repräsentiert  das  Priester- 
Königtum  der  späteren  Hasmonäer2.  Seit  dem  Auftreten  der 
Römer  und  noch  mehr  unter  den  Herodianern  haben  sie  allerdings 
viel  von  ihrer  Macht  eingebüßt.  Die  hasmonäische  Dynastie  wurde 
gestürzt,  ja  ausgerottet  Die  Lebenslänglichkeit  und  Erblichkeit 
wurde  aufgehoben.  Sowohl  Herodes  als  die  Kömer  setzten  nach 
Gutdünken  die  Hohenpriester  ab  und  ein.  Dazu  kam  das  stetige 
Wachstum  der  Macht  des  Pharisäismus  und  der  rabbinischen 
Schriftgelehrsamkeit.  Aber  selbst  dem  Zusammenwirken  aller  dieser 
Faktoren  gegenüber  hat  das  Hohepriestertum  doch  einen  guten 
Teil  seiner  Macht  bis  zum  Untergang  des  Tempels  sich  zu  wahren 
gewußt  Auch  jetzt  noch  standen  die  Hohenpriester  an  der  Spitze 
des  Synedriums,  also  der  politischen  Gemeinde.  Auch  jetzt  noch 
waren  es  einige  wenige  bevorzugte  Familien,  aus  denen  fast  stets 
die  Hohenpriester  genommen  wurden.  Sie  bildeten  also,  wenn  auch 
nicht  mehr  eine  monarchische  Dynastie,  so  doch  noch  eine  einfluß- 
reiche Aristokratie  unter  der  Oberherrschaft  der  Römer  und  Hero- 
dianer.  Da  die  Reihenfolge  der  Hohenpriester  bis  zum  Sturze  der 
Hasmonäer  aus  der  politischen  Geschichte  bekannt  ist,  so  ist  hier 
nur  noch  die  |  Liste  der  Hohenpriester  der  herodianisch-römischen 
Zeit  zu  geben.   Josephus  sagt,  daß  es  im  ganzen  28  gewesen  seien 3. 


2)  Priester,  die  zugleich  Könige  oder  Fürsten  waren,  kommen  auch  in 
der  Nachbarschaft  Palästinas  vor.  Auf  dem  im  •  J.  1887  entdeckten  Sarko- 
phage des  Königs  Tabnith  von  Sidon  nennt  sich  derselbe:  mnis*  "jriD  nsan 
Dm  *f?'ü  mn»3>  "jns  Wi»»K  *ja  D312*  "]iö  „Tabnith  Priester  der  Astarte 
König  von  Sidon,  Sohn  des  Eschmunazar  des  Priesters  der  Astarte  Königs 
von  Sidon"  (Revue  archSologique,  troisieme  Serie  t  X,  1887,  p.  2  =-  Revue  des 
itudes  juives  U  XV,  1887,  p.  110  «  Georg  Hoffmann,  Ober  einige  phönikische 
Inschriften  [Abh.  der  Göttinger  Gesellsch.  der  Wissensch.  Bd.  36,  1889—1890] 
S.  57  «=  Landau,  Beiträge  zur  Altertumskunde  des  Orients  II,  1899,  n.  4  — 
Cooke,  Text-book  of  norih-semitic  inscriptions  1903  n.  4;  noch  mehr  Literatur 
in  der  Zeitschr.  des  deutschen  Palästina- Vereins  XII,  103  f.).  —  Die  Dynasten 
von  Chalcis  (Ptolemäus,  Lysanias,  Zenodorus)  nennen  sich  auf  ihren  Münzen 
zugleich  aQ%ieQEtq  und  TerQ<XQxai>  8*  die  Nachweise  Bd.  I  Beilage  I.  —  Ober 
kleinasiatische  Priesterförsten  s.  Hennig,  Symbolae  ad  Asiae  mitioris  reges  sa- 
cer dotales y  Lips.  1893, 

3)  Antt  XX,  10. 


[216]  IV.  Die  Hohenpriester,  269 

In  der  Tat  ergibt  eine  Zusammenstellung  seiner  einzelnen  Notizen 
die  folgenden  28  Namen4, 

a)  Von  Herodes  (37—4  v.  Chr.)  eingesetzt: 

1.  Ananel  (37—36  v.  Chr.)   aus  Babylon,   von  geringer 

priesterlicher  Herkunft,  Antt.  XV,  2,  4.  3, 1.  Die  rabbi- 
nische  Überlieferung  hält  ihn  für  einen  Ägypter5. 

2.  Aristobul,  der  letzte  Hasmonäer  (35  v.  Chr.)  Antt.  XV, 

3,  1.  3. 
Ananel  zum  zweitenmal  (34  ff.)  Antt.  XV,  3, 3. 

3.  Jesus  Sohn  des  Phiabi,  Antt.  XV,  9,  3 6.  | 


4)  Die  Liste  dieser  Hohenpriester  ist  schon  von  einigen  griechischen 
Theologen  auf  Grund  der  von  Josephus  gegebenen  Notizen  zusammengestellt 
worden,  nämlich  1)  von  dem  christlichen  Josephus  in  seinem  Hypomnesticum 
s.  liher  memorialis  c.  2  (zuerst  herausgeg.  von  FabriemSy  Codex  pseudepigraphus 
Vet.  Test.  t.  H,  dann  auch  bei  QaUandi,  Biblioth.  Patrum  U  XIV  und  Migne, 
Patrol.  graec.  t.  CVT)  und  2)  von  Nicephorus  Gonstantmop.  in  seiner  Ohro- 
nographia  compendiaria  oder  vielmehr,  nach  de  Boor,  von  dem  Überarbeiter 
dieser  Chronographie  (krit.  Ausg.  von  Credner  in  zwei  Giessener  Universitäts- 
programmen 1832 — 1838,  II,  33  sq.  und  bes.  von  de  Boor,  Nieephori  Const. 
opusctUa  hips.  1880,  p.  110—112).  Auch  Zonaras,  der  in  den  ersten  sechs 
Büchern  seiner  Annalen  den  Josephus  exzerpiert,  hat  die  Stellen  über  die 
Hohenpriester  fast  vollständig  aufgenommen  (Annal.  V,  12 — VI,  17).  —  Rab- 
binische Listen  s.  bei  Büchler,  Jeivish  Quarterly  Review  XVI,  1904,  p.  175— 
177  (in  der  Abh.  über  die  Schauplätze  des  Bar-Eochbakrieges).  —  Den  Ab- 
schnitt über  die  Hohenpriester  zur  Zeit  Jesu  (Jos.  Antt.  XVIII,  2,  2)  zitiert 
auch  Eusebius  Eist.  eccl.  I,  10,  4—6  und  Demonstr.  evang.  VIII,  2, 100;  des- 
gleichen das  Chron.  pauschale  ed.  Dindorf  I,  417.  —  Unter  den  neueren  Zu- 
sammenstellungen ist  die  korrekteste  die  von  Anger,  mit  welcher  die  unsrige 
ganz  übereinstimmt.  Eine  ausführlichere  Behandlung  s.  in  meinem  Aufsatz 
in  den  Stnd.  u.  Krit.  1872,  S.  597-607. 

5)  In  der  Mischna  Para  III,  5  werden  die  Hohenpriester  aufgezählt, 
unter  welchen  eine  rote  Kuh  verbrannt  wurde  (nach  dem  Gesetz 
Num.  19).  In  der  nachhasmonäischen  Zeit  geschah  dies  unter  folgenden  drei 
Hohenpriestern:  1)  Elioenai  ben  ha-Kajaph,  2)  Chanamel  dem  Ägypter, 
3)  Ismael  benPhi-abi  (^atf  **fi  *p  b&talö^  •nsah  bnasm  tpph  p  •wwvA«, 
die  Orthographie  der  Namen  nach  cod.  de  Rossi  138).  —  Chanamel  der 
Ägypter  kann  nur  unser  Ananel  sein.  Freilieb  ist  die  Form  des  Namens 
ebenso  unrichtig  wie  die  Angabe  des  Heimatlandes.  Auch  die  chronologische 
Reihenfolge  ist  falsch,  da  unter  dem  an  erster  Stelle  genannten  Elioenai 
pur  der  viel  spatere  Elionaios  Sohn  des  Kantheras  (Nr.  19)  verstanden  werden 
kann.  —  „Ägypter**  ist  übrigens  so  viel  wie  Alexandriner,  was  in  der  Tat 
andere  Hohepriester  zur  Zeit  des  Herodes  waren,  nämlich  die  Söhne  des 
Boethos  (Antt.  XV,  9,  3).  —  Jüdische  Priester  aus  Babylonien  werden  im  all- 
gemeinen auch  Mischna  Menachoth  XI,  7  erwähnt. 

6)  Der  Vatername  Phiabi  auch  bei  Nr.  11  und  22.  Die  Orthographie 
schwankt  sehr.    An   unserer  Stelle  (Antt.  XV,  9,  3)  haben  die  Handschriften 


270  §  23.  Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [217] 

4.  Simon  Sohn  des  Boethos  oder,  wie  es  nach  anderen  An- 

gaben scheint,  Boethos  selbst,  jedenfalls  der  Schwieger- 
vater des  Herodes,  weil  Vater  der  zweiten  Mariamme 
(etwa  24—5  v.  Chr.)  Antt.  XV,  9,  3.  XVII,  4,  2.  Vgl. 
XVIII,  5, 1.  XIX,  6, 2.  Die  Familie  stammte  aas  Alexan- 
dria Antt.  XV,  9,  3. 

5.  Matthias  Sohn  des  Theophilos  (5—4  v.Chr.)  AnttXYII, 

4,  2.  6,  4. 

6.  Joseph  Sohn  des  Ellem,  Antt.  XVII,  6,  47. 

7.  Joasar  Sohn  des  Boethos  (4  v.  Chr.)  Antt.  XVII,  6,  4. 

b)  Von  Archelaus  (4  vor  bis  6  n.  Chr.)  eingesetzt: 

8.  Eleasar  S.  d.  Boethos  (4  ff.)  Antt.  XVII,  13, 1. 

9.  Jesus  S.  d.  Sei  Antt.  XVII,  13,  l8. 

Joasar  zum  zweitenmal,  Antt.  XVIII,  1, 1.  2, 1. 

c)  Von  Quirinius  (6  n.  Chr.)  eingesetzt: 

10.  Ananos  oder  Hannas  S.  d.  Sethi  (6—15  n.  Chr.)  Antt. 
XVIII,  2,  1.  2.  Vgl.  XX,  9,  1.  B.  J.  V,  12,  2.  Es  ist 
der  aus  dem  Neuen  Testamente  bekannte  Hohepriester, 
Ev.  Luc.  3,  2.  Joh.  18, 13—24.  Ap.-Gesch.  4,  69.  | 


(nach  Niese)  xbv  xov  <Poaßiro<;y  <Paßtxoq%  Gaßnxoq  (so  auch  Zonaras  Afinal. 
V,  16);  Joseph.  Hypomnest.  b  xo$  4>avßr}.  An  zwei  anderen  Stellen  (Antt. 
XVIII,  2,  2  u.  XX,  8,  8)  hat  der  sehr  korrekt  geschriebene  cod.  Ambros.  und 
Vet.  Lot.  <Piaßi  (resp.  Vet.  Lot.  XVIII,  2,  2:  iabi).  Dies  ist  ohne  Zweifel  das 
richtige;  denn  auch  in  der  Mischna  haben  die  besten  Handschriften  (eod.  de 
Rossi  138  und  Cambridge  University  Add.  470, 1)  sowohl  Sota  IX,  15  als  Para 
HE,  5  taKifi;  ebenso  Tosephta  ed.  Zuckermandel  p.  533,  36.  632,  6  (einmal 
p.  182,  26  'OfiOfc  mit  Vav). 

7)  Ob  dieser  Joseph  mit  zu  zählen  ist,  kann  fraglich  sein,  da  er  nur 
aushilfsweise  einmal  am  Versöhnungstage  fungierte  an  Stelle  des  durch  kri- 
tische Verunreinigung  verhinderten  Matthias.  Indessen  war  er  auf  diese 
Weise  doch  wenigstens  einen  Tag  lang  faktisch  Hoherpriester,  und  ist  von 
Josephus  wohl  mitgezählt,  da  sonst  die  Zahl  28  nicht  herauskommt  Auch 
der  christliche  Josephus  (Hypomnest.  c.  2)  hat  ihn  in  sein  Verzeichnis  auf- 
genommen. —  Das  seltsame  Ereignis  wird  auch  in  den  rabbinischen  Quellen 
Öfters  erwähnt  (s.  Sei den ,  De  successione  in  pontificatum  Ehr.  I,  11,  ed. 
Franeof.  p.  160.  Derenbourg,  Histoire  de  la  Palestine  p.  160  not.  Grätz, 
Monatsschrift  1881,  S.  51  ff.  Ders.,  Gesch.  der  Juden  III,  4.  Aufl.  S.  737  f.). 
Der  Hohepriester  heißt  dort  tk*H  p  tpY*  d.  h.  Sohn  des  Stummen. 

8)  Er  heißt  bei  Jos.  Antt.  XVII,  13, 1  '/»/ffoCc  b  Sei  (so  die  besten  Hand- 
schriften), Joseph.  Hypomnest.  'Iqoovg  6  xoV  Sei,  Nicephorus  fyoovq  '&arii. 
Zonaras  Annal.  VI,  2  (ed.  Bonnern.  I,  472)  naXq  Sei. 

9)  Der  Name  seines  Vaters  lautet  Antt.  XVHI,  2,  1  SeM  oder  Si&. 
Ersteres  ist  besser  bezeugt 


[218]  IV.  Die  Hohenpriester.  271 

d)  Von  Valerius  Gratus  (15—26  n.  Chr.)  eingesetzt: 

11.  Ismael  S.  d.  Phiabi  (etwa  15—16  n.  Chr.)  Ann.  XVIII, 

2,  2 10. 

12.  Eleasar   8.  d.  Ananos   (etwa    16—17   n.  Chr.)   Antt. 

xvm,  2,  2. 

13.  Simon  S.  d.  Kamithos  (etwa  17—18  n.  Chr.)  Antt. XVIII, 

2,2». 

*  t  

14.  Joseph  genannt  Kaiaphas  (etwa  18—36  n.  Chr.)  Antt. 

XVIII,  2,  2.  4,  3.  Vgl.  Ev.  Maüh.  26,  3.  57.  Luc.  3,  2. 
Joh.  11,  49.  18, 13.  14.  24.  28.  Ap.-Gesch.  4,  6.  —  Nach 
Joh.  18,  13  war  er  ein  Schwiegersohn  des  Hannas  = 
Ananos12. 

e)  Von  Vitellius  (35—39  n.  Chr.)  eingesetzt: 

15.  Jonathan  S.  d.  Ananos  (36—37  n.  Chr.)  Antt.  XVIII,  4,  3. 

5,  3.  Vgl.  XIX,  6,  4.  Er  nahm  noch  zur  Zeit  des  Cu- 
manus,  50—52  n.  Chr.,  eine  hervorragende  Stellung  im 
öffentlichen  Leben  ein  (&  J.  II,  12,  5—6)  und  wurde 
auf  Veranlassung  des  Prokurators  Felix  durch  Meuchel- 
mörder getötet  (Ä  J.  II,  13,  3.  Antt.  XX,  8,  5). 

16.  Theophilos  S.  d.  Ananos  (37  ff.)  Antt.  XVIII,  5,  3. 

f)  Von  Agrippal.  (41— 44  n.  Chr.)  eingesetzt: 

17.  Simon  Kantheras  S.  d.  Boethos  (41  ff.)  Antt.  XIX, 

6,  2 13. 

18.  Matthias  S.  des  Ananos,  Antt.  XIX,  6,  4. 

19.  Elionaios  S.  des  Kantheras,  Antt.  XIX,  8, 1 14. 


10)  Der  Name  des  Vaters  lautet  bei  Euseb.  Eist.  eccl.  1, 10, 4  ed.  Schwartx 
u.  Zonaras  Annal.  VI,  3  (ed.  Bonnern.  I,  477)  4>aßl,  Euseb.  Demonst.  ev.  VIII, 
2, 100  4>jßa,  Joseph.  Eypomnest.  Biaßrj,  Chron.  pasch,  ed.  Dindorf  I,  417  Batpet. 
Bei  Josephti8  bat  die  beste  Handschrift  <Piaßi,  was  sicher  das  richtige  ist  (s. 
oben  Anm.  6). 

11)  Dieser  Hohepriester  wird  auch  in  den  rabbinischen  Quellen  öfters 
erwähnt  (Seiden,  De  successione  in  pontifieat.  p.  161.  177  ed.  Francof.  Deren- 
bourg,  Eistoire  p.  197,  Qrätz,  Monatsschrift  1881,  S.  53  ff.  Ders.,  Gesch. 
der  Juden  in,  4.  Aufl.  S.  738  f.)  Er  heißt  dort  r^rrap  "p  y&am.  Bei  Jos. 
Antt.,  Euseb.  Eist,  eccl.,  Zonaras  Annal.  VI,  3  (I,  477)  lautet  der  Name  des 
Vaters  Käfti&og,  Euseb.  Demonstrat.  Ka&woq,  Joseph.  Eypomnest.  Kafhiiioq, 
Chron.  pasch,  ed.  Dindorf  I,  408  u.  417  Kafta&ei. 

12)  Der  Beiname  Kaiaphas  ist  nicht  =•  Kfi^s,  sondern  =  MD*^p  oder 
Cpp,  s.  oben  Anm.  5.    Derenbourg  p.  215  not  2. 

13)  Über  ihn  s.  allerlei  gewagte  Kombinationen  bei  Grätz,  Monats- 
schrift 1881,  8.  97—112.  Gesch.  der  Juden  III,  4.  Aufl.  S.  739—746.  Der 
Name  KavdyoaQ  ist  wohl  durch  Vermittlung  des  Hebräischen  aus  KcLV&aooq 
entstanden. 

14)  Niese  schreibt  den  Namen  des  Vaters  Ki&atQot;.  Aber  Vet.  Ixit. 
und  der  Oorrector  des  cod.  Ambros.  haben  Kantheras,  was  nach  Nr.  17  sicher 


272  §  23*   Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [219] 

g)  Von  Herodes  von  Chalkis  (44—48  n.Chr.)  eingesetzt16: 

20.  Joseph  S.  des  Kami  oder  Kamydos,  Antt.  XX,  1,  3. 

5,  2 16. 

21.  Ananias  S.  d.  Nedebaios  (etwa  47—59  n.  Chr.)  Antt.XX, 

5,  2.  Vgl.  XX,  6,  2.  B.  J.  II,  12,  6.  Ap.-Gesch.  23,  2. 
24,  1.  Er  war  infolge  seines  Reichtums  auch  noch 
nach  seiner  Absetzung  ein  Mann  von  großem  Einfluß, 
zugleich  aber  auch  wegen  seiner  Habgier  berüchtigt 
{Antt  XX,  9,  2—4).  Im  Anfang  des  jüdischen  Krieges 
wurde  er  vom  aufständischen  Volke  ermordet  (R  J.  II, 
17,  6.  9) !7. 

h)  Von  Agrippall.  (50— 100  n.  Chr.)  eingesetzt: 

22.  Ismael  S.  d.  Phiabi  (etwa  59—61  n.  Chr.)  Antt.  XX,  8, 

8.  11.  Er  ist  wohl  identisch  mit  dem,  dessen  Hinrich- 
tung zu  Kyrene  R  J.  VI,  2,  2  gelegentlich  erwähnt 
wird 18. 


das  richtige  ist.  Nach  Antt.  XX,  1,  3  scheint  auch  er  wie  sein  Vater  den 
Beinamen  Kantheras  gehabt  zu  haben.  In  der  Mischna  Para  III,  5  heißt 
er  tppn  *p  ^"»an^K  (6.  oben  Anm.  5).  Die  rabbinische  Überlieferung  hält 
ihn  also  für  einen  Sohn  des  Kaiaphas.  Der  Name  ^3?imi«  (auf  Jahve  sind 
meine  Augen  gerichtet)  oder  "O^^bx  kommt  auch  im  Alten  Testamente  vor 
(Esra  8,  4.  10,  22.  27.    I  Chron.  3,  23.  4,  36.  7,  8.  26,  3). 

15)  Etwa  in  diese  Zeit  (um  44  n.  Chr.)  würde  auch  der  Hohepriester  Is- 
mael gehören,  der  nach  Antt.  III,  15,  3  zur  Zeit  der  großen  Hungersnot 
unter  Claudius  Hoherpriester  war.  Da  Josephus  ihn  aber  in  der  Geschichts- 
erzählung selbst  nicht  nennt,  so  liegt  bei  jener  beiläufigen  Erwähnung  wohl 
ein  Gedächtnisfehler  des  Josephus  vor.  Ewald  (Geschichte  VI,  634)  schaltet 
ihn  nach  Elionaios  ein,  Wieseler  (Chronologie  des  apostol.  Zeitalters  S.  159) 
identifiziert  ihn  mit  Elionaios.  Kellner  (Zeitschr.  f.  kathol.  Theologie  1888, 
ß.  654)  identifiziert  ihn  mit  Ismael  Nr.  22  und  setzt  diesen  noch  unter  Clau- 
dius, indem  er  die  Amtszeit  des  Prokurators  Felix  nur  bis  November  54 
gehen  läßt 

16)  Der  Name  des  Vaters  wird  bald  Kafiel  (Antt.  XX,  1,  3  =  Zonaras 
Annal.  VI,  12  fin.)  oder  Kdßrj  (Joseph.  Hypomnest.),  bald  Ka/nvöog,  Kapioiö\y 
KejLteöi,  KsfxeÖTj  (diese  Varianten  Antt.  XX,  5,  2)  geschrieben,  ist  aber  jeden- 
falls identisch  mit  Kamithos. 

17)  Über  seine  Habgier  vgl.  auch  die  talmudische  Tradition  bei  Deren- 
bourg,  Histoire  p.  233  09.  Der  Name  des  Vaters  lautet  nicht  NsßeöaTog,  sondern 
NedeßaZoq,  denn  diese  gut  bezeugte  Form  wird  durch  das  biblische  rijins 
I  Chron.  3,  18  bestätigt. 

18)  Auf  diesen  jüngeren  Ismael  S.  d.  Phiabi  (nicht  auf  den  gleich- 
namigen Hohenpriester  Nr.  11)  beziehen  sich  wohl  auch  die  rabbinischen  Tra- 
ditionen über  'OSOß  ")S  batfatt^  (Mischna  Para  III,  5.  Sota  IX,  15;  auch  an 
letzterer  Stelle  ist  der  Hohepriester  dieses  Namens  gemeint,  denn  das  Prädikat 
Rabbi  ist  mit  cod.  de  Rossi  138  zu  tilgen.     Tosephta  ed.  Zuckermandel  p.  182, 


[220]  IV.  Die  Hohenpriester.  273 

23.  Joseph  Kabi19  S.  des  Hohenpr.  Simon  (61—62  n.  Chr.) 

Antt  XX,  8,  11.    Vgl.  B.  J.  VI,  2,  2. 

24.  Ananos  S.  d.  Ananos  (62  n.  Chr.,  nur  drei  Monate  lang) 

Antt.  XX,  9,  1.  Er  gehörte  in  der  ersten  Periode  des 
jüdischen  Krieges  zu  den  leitenden  Persönlichkeiten, 
wurde  aber  später  vom  Pöbel  ermordet,  B.  J.  II,  20,  3. 
22,  1-2.  IV,  3,  7  bis  5,  2.    Vita  38.  39.  44.  60 20. 

25.  Jesus  S.  d.  Damnaios  (etwa  62—63  n.  Chr.)  Antt.  XX, 

9,  lu.4.    Vgl.  Ä  J.  VI,  2,  2. 

26.  Jesus  S.  d.  Gamaliel  (etwa  63—65  n.  Chr.)  Antt.  XX,  9, 

4.  7.  Während  des  jüdischen  Krieges  wird  er  häufig 
neben  Ananos  genannt  und  teilte  auch  dessen  Geschick, 
B.  J.  IV,  3,  9.  4,  3.  5,  2.  Vita  38.  41.  Nach  rabbinischer 
Tradition  war  seine  Frau,  Martha,  aus  dem  Hause  des 
Boethos21. 

27.  Matthias  S.  d.  Theophilos  (65  ff.)  Antt.  XX,  9,  7.   Vgl. 

ÄJ.VI,2,222. 

i)  Vom  Volke  während  des  Krieges  (67/68)  eingesetzt: 

28.  Phannias,  auch  Phanni  oder  Phanasos  S.  d.  Samuel, 

von  niedriger  Herkunft,  B.  J.  IV,  3,  8.    Antt.  XX,  10 23. 


26.  533,  35  s£.  632,  6.  S.  überhaupt  Derenbourg,  Histoire  p.  232—235).  — 
Der  Name  des  Vaters  ist  in  den  gedruckten  Texten  häufig  korrumpiert  Die 
korrekte  Form  ist  **a&Ofi  oder  auch  mit  getrennter  Schreibung  tag  *>B  (so 
cod.  de  Rossi  138  an  der  einen  Mischnasteile,  Para  III,  5).  Vgl.  oben 
Anm.  6. 

19)  Der  Beiname  lautet  bei  Jos.  Antt.  XX,  8,  11  Kaßl,  Zonaras  Jamal. 
VI,  17  äexaßl  (d.  h.  Sh  Kaßi),  Joseph.  Hypomnest.  Kdfirjg.  Letzteres  wäre  « 
Kamithos. 

20)  Kombinationen  über  ihn  s.  bei  Grätz,  Monatsschr.  1881,  S.  56 — 62. 
Gesch.  der  Juden  III,  4.  Aufl.  8.  747—750. 

21)  Mischna  Jebamoth  VI,  4:  „Wenn  einer  mit  einer  Wittwe  sich  ver- 
lobt hat  und  dann  zum  Hohenpriester  ernannt  wird,  so  darf  er  sie  heimführen. 
So  hatte  Josua  Sohn  des  Gamla  mit  der  Martha  Tochter  des  Boethos 
sich  verlobt,  und  nachmals  ernannte  ihn  der  König  zum  Hohenpriester;  darauf 
führte  er  sie  heim".  —  Mit  unserm  Josua  Sohn  des  Gamla  ist  wohl  auch  Ben 
Gamla  identisch,  der  nach  Joma  III,  9  eine  goldene  Urne  zum  Looseziehen 
über  die  beiden  Böcke  am  Versöhnungstage  anfertigen  ließ.  —  Noch  andere 
rabbinische  Traditionen  über  ihn  s.  bei  Derenbourg  p.  248  sg.  Über  seine 
Verdienste  um  das  Schulwesen  s.  unten  §  27. 

22)  S.  über  ihn  auch  Grätz,  Monatsschr.  1881,  S.  62—64.  Gesch.  der 
Juden  IH,  4.  Aufl.  S.  750 1 

23)  Diesen  letzten  Hohenpriester  kennt  auch  die  rabbinische  Tradition, 
s.  Derenbourg  p.  269.    Sein  Name  ist  hebr.  ön^B  (also  derselbe,   der  uns 

Schür  er,  Geschichte  II.   4.  Aufl.  18 


274  §  23.    Verfassung,   Synedrium.   Hohepriester.  [221] 

Bei  dem  häufigen  Wechsel  dieser  Hohenpriester  gab  es  stets 
eine  ziemliche  Anzahl  solcher,  die  nicht  mehr  im  Amte  waren« 
Auch  diese  nahmen  trotzdem  eine  sehr  angesehene  und  einfloß- 
reiche  Stellang  ein,  wie  sich  in  betreff  einiger  wenigstens  noch 
nachweisen  läßt24.  Von  dem  älteren  Ananos  oder  Hannas  (Nr.  10) 
ist  ans  dem  Neuen  Testamente  bekannt,  welches  Ansehen  er  auch 
als  abgesetzter  Hoherpriester  noch  genoß.  Ein  gleiches  gilt  von 
seinem  Sohne  Jonathan  (Nr.  15),  der  lange  nach  seinem  Bücktritt 
vom  Amte  im  Jahre  52  eine  Gesandtschaft  an  den  syrischen  Statt- 
halter Ummidius  Quadratus  führte,  hierauf  von  diesem  wegen  der 
Unruhen  in  Judäa  zur  Verantwortung  nach  Rom  geschickt  wurde 
und  dort,  als  die  Sache  zugunsten  der  Juden  erledigt  war,  den 
Kaiser  um  Sendung  des  Felix  als  neuen  Prokurators  bat  Als 
dieser  sein  Amt  zu  allgemeiner  Unzufriedenheit  führte,  erlaubte 
sich  Jonathan,  ihn  an  seine  Pflicht  zu  erinnern,  und  büßte  dafür 
mit  dem  Leben25.  Ein  anderer  Hoherpriester,  Ananias  Sohn  des 
Nedebaios  (Nr.  21),  herrschte  nach  seiner  Absetzung  fast  wie  ein 
Despot  in  Jerusalem.  Der  jüngere  Ananos  (Nr.  24)  und  Jesus 
Sohn  des  Gamaliel  (Nr.  26)  standen  in  der  ersten  Periode  des 
Krieges,  obwohl  sie  nicht  mehr  das  hohepriesterliche  Amt  be- 
kleideten, doch  an  der  Spitze  der  Geschäfte.  Es  ist  daraus  zu 
entnehmen,  daß  diese  Männer  durch  ihre  Entfernung  vom  Amte 
keineswegs  zu  politischer  Untätigkeit  verurteilt  waren.  Das  Amt 
verlieh  vielmehr  seinem  Träger  einen  char acter  indelebüis,  vermöge 
dessen  er  auch  nach  seinem  Rücktritte  noch  einen  großen  Teil  der 
Rechte  und  Pflichten  behielt,  welche  der  fungierende  Hohepriester 
hatte26,  selbstverständlich  auch  den  Titel  <xqxisqsv$,  welchen  bei 
Josephus  alle  abgesetzten  Hohenpriester  fortführen.  Wenn  daher 
im  Neuen  Testamente  aQxisQsiq  an  der  Spitze  des  Synedriums  er- 


aus  Luthers  Bibel  in  der  Form  Pinehas  geläufig  ist,  Eocod.  6,  25.  Num.  25,  7). 
Bei  Josephus  schwankt  die  Orthographie  sehr,  Bell.  Jud.  IV,  3,  8:  Qawlaq, 
4>avi  tiq,  *dwt  t*s,  4>awtrr]<;,  Pseudo-Eegesipp.  ed.  Weber:  Phanes  oder  Phanis, 
Arüt.  XX,  10:  &dvaooe,  4>Jjvaoog,  Finasus,  <Pivieaoq. 

24)  Vgl.  zum  Folgenden:  Stud.  u.  Krit.  1872,  S.  619  ff. 

25)  Die  Belege  sind  oben  überall  angegeben. 

26)  Horajoih  III,  1 — 4.  —  S.  bes.  III,  4 :  „Zwischen  einem  im  Amte  stehen- 
den und  einem  davon  abgetretenen  Hohenpriester  ist  kein  Unterschied,  als 
der  Farren  am  Versöhnungstage  und  das  Zehntel  Epha.  Beide  sind  aber 
einander  gleich  in  Ansehung  des  Dienstes  am  Versöhnungstage,  des  Ge- 
botes eine  Jungfrau  zu  heiraten;  beide  dürfen  nicht  eine  Wittwe  ehelichen, 
sich  nicht  an  verstorbenen  Blutsverwandten  verunreinigen,  nicht  das  Haupt- 
haar wild  wachsen  lassen,  nicht  die  Kleider  zerreißen,  und  beide  bewirken 
durch  ihren  Tod  die  Rückkehr  des  Totschlägers".  —  Dieselben  Bestimmungen 
zum  Teil  auch  Megilla  I,  9  und  Makkoth  II,  6. 


[221.  222]  IV.  Die  Hohenpriester.  275 

scheinen,  so  sind  darunter  in  erster  Linie  |  diese  abgetretenen 
Hohenpriester  mit  Einschluß  des  fungierenden  zu  verstehen27. 

Zuweilen  aber  werden  als  aQx^Qelg  auch  solche  Männer  ge- 
nannt, welche  sich  nicht  in  dem  obigen  Verzeichnisse  finden.  In 
der  Apostelgeschichte  (4,  6)  werden  aufgezählt:  "Avvag  6  aQx&Qsvg 
xal  Katatpag  xal  >I<x>avvr\g  xal  'AXigavÖQoq  xal  oöoc  r\Oav  ix 
yivovq  aQxiBQaxixov.  An  einer  späteren  Stelle  (19,  14)  wird  ein 
jüdischer  Hoherpriester  Skeuas  mit  seinen  sieben  Söhnen  erwähnt. 
Josephus  nennt  einen  Jesus  Sohn  des  Sapphias,  xmv  aQxuQicov 
$va2*,  einen  Simon  £g  aQxisQfov,  der  zur  Zeit  des  Krieges  noch 
ein  junger  Mann  war,  also  nicht  mit  Simon  Kantheras  (Nr.  17) 
identisch  sein  kann29,  endlich  einen  Matthias  Sohn  des  Boethos, 
xbv  aQxtAQia  oder  ix  xmv  aQXUQicov*0.  Keiner  von  diesen  ist  in 
unserem  Verzeichnisse  zu  finden.  Auch  die  rabbinische  Tradition 
kennt  manchen  Hohenpriester,  der  darin  fehlt31.  Zur  Erklärung 
dieser  Tatsache  wird  folgendes  dienen. 

Bei  Gelegenheit  der  tumultuarischen  Wahl  des  Phannias  (Pine- 
has)  zum  Hohenpriester  bemerkt  Josephus32,  die  Zeloten  hätten 
dadurch  „die  Geschlechter  ihrer  Geltung  beraubt,  aus  welchen  ab- 
wechselnd die  Hohenpriester  ernannt  zu  werden  pflegten"  (axvQa 
xa  yivr\  jioi7]Capxsg  £§  °*v  xaxä  diadoxag  ot  aQX^Qelg  aJtedsixwvxo). 
Das  Hohepriestertum  galt  also  für  ein  Vorrecht  weniger 
Geschlechter.  In  der  Tat  darf  man  nur  die  obige  Liste  ansehen, 
um  sich  zu  überzeugen,  daß  es  auf  wenige  Familien  beschränkt 
blieb.  Zur  Familie  Phiabi  gehören  Nr.  3,  11,  22;  zur  Familie 
Boethos  Nr.  4,  7,  8,  17, 19,  26;  zur  Familie  Ananos  (oder  Hannas) 
Nr.  10,  12,  14,  15,  16,  18,  24,  27;  zur  Familie  Kamith  Nr.  13,  20, 
23.  Wenn  wir  von  Ananel,  einem  Babylonier  niedriger  Abkunft 
(Nr.  1),  von  Aristobul,  dem  letzten  Hasmonäer  (Nr.  2),  und  von 
Phannias,  dem  Hohenpriester  der  Revolutionszeit  (Nr.  28),  absehen, 
so  bleiben  nur  fünf  (Nr.  5,  6,  9,  21,  25),  von  welchen  die  Zugehörig- 


27)  Bestätigt  wird  dies  Damentlich  durch  folgende  Stellen:  B.  J.  II,  12,  6: 
zoi>$  a(>xie(>e?G  ^(ovad^v  xal  yAvavlav.  —  Vita  38:  xoi>q  &Q%t,eQeZ<;  *Ava- 
vov  xal  fyoovv  xbv  xoO  ra/xaXä.  —  B.  J.  IV,  3,  7:  6  yeQalxaxoq  x(bv  &g- 
%i€Qi(av  "Avavog,  —  B.  J,  IV,  4,  3:  6  pex'  "Avavov  yeQalxazog  xwv  äQXie' 
gio>v  iijaoOq.  —  B.  J.  IV,  3,  9:  ol  Soxifjubtazoi  xtbv  &Q%iE(>4a)Vf  rafiaXa 
fihv  vldg  'Itjoovi;,  'Avdvov  6h  "Avavo$.  —  An  den  drei  letzten  Stellen  müssen  die 
&QX&Q&S  Hohepriester  in  dem  Sinne  sein,  in  welchem  es  Ananos 
und  Jesus  waren,  d.  h.  abgesetzte  Hohepriester  im  eigentlichen  Sinne. 

28)  B.  J.  H,  20,  4. 

29)  Vita  39. 

30)  B.  J.  IV,  9,  11.   V,  13,  1.  VI,  2,  2. 

31)  S.  StucL  und  Krit.  1872,  S.  639. 

32)  Ä  J.  IV,  3,  6. 

18* 


276  §  23.    Verfassung.   Synedrium.   Hohepriester.  [222.  223} 

keit  |  zu  einer  jener  Familien  nicht  nachweisbar,  aber  immer  noch 
möglich  ist  Bei  dieser  Beschränkung  des  Hohenpriestertums  auf 
wenige  Familien  und  bei  dem  hohen  Ansehen,  in  welchem  das 
Amt  stand,  mußte  schon  die  bloße  Zugehörigkeit  zu  einer  der  be- 
vorzugten Familien  ein  besonderes  Ansehen  verleihen.  So  begreift 
es  sich,  daß  Josephus  an  einer  Stelle,  wo  er  die  Vornehmsten  unter 
den  zu  den  Römern  Übergegangenen  namhaft  machen  will,  neben 
den  aQxuQBlg  auch  die  vtol  x<bv  aQxi£Q^G)V  aufzählt88.  In  der 
Mischna  werden  einmal  „Söhne  von  Hohenpriestern"  (D^?nb  i?3 
D^biia)  als  juristische  Autoritäten  in  einigen  eherechtlichen  Fragen 
angeführt,  und  zwar  ohne  Nennung  ihrer  Namen,  weil  sie  eben  als 
Hohepriesterssöhne  Männer  von  Ansehen  und  Autorität  sind34. 
Ein  andermal  wird  erzählt,  daß  Briefe  aus  fernen  Ländern  mit 
besonders  großen  Siegeln  „an  Söhne  von  Hohenpriestern"  (^nb 
trtna  O'OTd)  angekommen  seien 85,  woraus  man  auch  wieder  auf  ein 
gewisses  Ansehen  derselben  im  Auslande  schließen  darf.  Es  blieb 
aber  nicht  bei  dem  bloßen  Ansehen;  vielmehr  nahmen  die  Mit- 
glieder der  hohenpriesterlichen  Familien  auch  eine  tatsächlich  be- 
vorzugte Stellung  ein.  Nach  Actor.  4,  6  hatten  Sitz  und  Stimme 
im  Synedrium  oooc  fjöav  ix  yivovq  dQxiBQarixov1  wo  man 
unter  dem  yivoq  aQxuQaxtxov  nach  allem  Bisherigen  sicher  nichts 
anderes  als  die  bevorzugten  Familien  zu  verstehen  hat  —  Wenn 
nun  die  Mitglieder  der  hohenpriesterlichen  Familien  eine  so  be- 
vorzugte Stellung  einnahmen,  so  ist  es  begreiflich,  daß  auch  der 
Name  aQxi£Qsig  im  weiteren  Sinne  auf  sie  übertragen  wurde.  Daß 
dies  in  der  Tat  geschehen,  dafür  spricht,  abgesehen  von  allem  Bis- 
herigen, namentlich  die  genannte  Stelle  des  Josephus,  in  welcher 
er  den  Übergang  von  zwei  Hohenpriestern  und  acht  Hohenpriesters- 
söhnen zu  den  Römern  berichtet  und  dann  beide  Kategorien  unter 
dem  allgemeinen  Titel  äoxisQsiQ  zusammenfaßt36.  Von  hier  aus 
werden  wir  es  auch  zu  erklären  haben,  wenn  zuweilen  Hohe- 
priester erwähnt  werden,  die  sich  nicht  in  unserem  Verzeichnisse 
finden.  | 


33)  B.  J.  VI,  2,  2. 

34)  Kethuboth  XIII,  1—2. 

35)  Ohaloth  XVII,  5. 

36)  B.  J.  VI,  2,  2:  T42v  %oav  &qzi£qsiq  fxhv  'I&oqnöq  xe  xal  fyoovq,  vlol 

6*  &qxi€Q&(0V  VQGiQ  iwfev  'iofiarfXov  xov  xagaxofiri&hxoq  iv  Ävpifvy,  xal 
xiaaaoeq  Maz&lov,  xal  ecq  ixioov  Max&lov,  StaSoäq  fxexä  tfjv  xov  naxQÖq 
anwXeiav,  b%v  6  xov  riwoa  Zlfiwv  anixxeive  avv  xgialv  vlotq,  log  nQoslQijxai. 
IloXkol  öh  xal  xibv  aXXiav  evye vätv  xolq  &QX^BQevai  avfx/nezeßdXoyvo.  —  Über 
den  Gebrauch  des  Titels  im  heidnischen  Kultus  s.  Brandis  Art.  &Q%iSQBvq 
in  Pauly-Wissowas  Beal-Enz.  II,  471—483. 


[224]  IV.  Die  Hohenpriester.  277 

Die  aQXLSQeiq,  die  sowohl  im  Neuen  Testamente  als  bei  Jose- 
phus37  als  die  leitenden  Persönlichkeiten  erscheinen,  sind  dem- 
nach in  erster  Linie  die  Hohenpriester  im  eigentlichen  Sinne,  der 
fungierende  und  die,  welche  früher  dieses  Amt  bekleidet  hatten, 
in  zweiter  Linie  die  Mitglieder  der  bevorzugten  Familien,  aus 
welchen  die  Hohenpriester  genommen  wurden.  Sie  standen  zur 
Zeit  der  Römerherrschaft  an  der  Spitze  des  Synedriums  und  über- 
haupt der  einheimischen  Landesregierung,  in  ihrer  Mehrheit  ohne 
Frage  sadduzäisch  gesinnt,  wenn  sie  auch  im  Handein  sich  wider- 
willig den  pharisäischen  Forderungen  fügten  (s.  oben  S.  252  f.). 


§  24.  Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus. 

Literatur: 

Die  Literatur  über  die  Priesterschaft  verzeichnet  am  vollständigsten  Bau- 
dissin,  Gesch.  des  alttestamentl.  Priesterthums  (1889)  S.  XI— XV.  Er- 
gänzungen dazu  8.  in  Hostings?  Dictionary  of  the  Bible  IV,  1902,  p.  97. 

Lightfoot,  Ministerium  templi  quäle  erat  tempore  ncstri  servatoris  (Opp.  ed. 
Roterodam.  I,  671—758). 

Lundius,  Die  alten  jüdischen  HeiligthÜmer,  Gottesdienste  und  Gewohnheiten, 
für  Augen  gestellet  in  einer  ausführlichen  Beschreibung  des  gantzen  le- 
vitischen  Priesterthums  etc.,  itzo  von  neuem  übersehen  und  in  beygefügten 
Anmerckungen  hin  und  wieder  theils  verbessert,  theils  vermehret  durch 
Johan.  Christophorum  Wolfium.   Hamburg  1738. 

Carpxov  (Joh.  Gottlob),  Apparatus  historieo-eriticus  antiquitatum  sacri  codi- 
eis  (1748)  p.  64—113.  ßllsqq.  699  sqq. 

Ugolini,  SacerdotiumHebraicum,  in  s.  Thesaurus  Antiquitatum  sacrarum  T.XIII. 
—  Daselbst  in  Bd.  XII  und  XIII  auch  noch  andere  einschlägige  Mono- 
graphien. 

Bahr,  Symbolik  des  mosaischen  Cultus,  2  Bde.  1837—1839.  Bd.  I,  2.  Aufl.  1874. 

Win  er,  Realwörterb.  Art.:  Priester,  Leviten,  Abgaben,  Erstgeburt,  Erstlinge, 
Hebe,  Zehnt,  Opfer  u.  a. 

Herzfeld,  Geschichte  des  Volkes  Jisrael  I,  387—424.  III,  106  ff.  162  ff. 

Oehler,  Art.  „Priesterthum"  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  XII,  174—187.  — 
Ders.,  Art.  „Levi"  das.  VIII,  347—358.  „Nethinim"  X,  296  f.  „Opfer- 
cultus"  X,  614—652.  —  Dieselben  Artikel  in  der  2.  Aufl.  revidiert  von 
Orelli. 

Kurtz,  Der  alttestamentliche  Opfercultus  nach  seiner  gesetzlichen  Begrün- 
dung und  Anwendung,  Mitau  1862. 

De  Wette,  Lehrbuch  der  hebräisch -jüdischen  Archäologie  (4.  Aufl.  1864) 
S.  268  ff. 

Ewald,  Die  Alterthümer  des  Volkes  Israel.   Göttingen  1866.  | 


37)  Besonders  in  dem  Abschnitte  B.  J.  II,  14 — 17. 


278  §  24.   Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [226] 

Keil,  Handbuch  der  biblischen  Archäologie  (2.  Aufl.  1875)  S.  166  ff.  200  ff. 
357  S.  373  ff. 

Haneberg,  Die  religiösen  Alterthümer  der  Bibel  (2.  Aufl.  1869)  S.  356  ff. 
508  ff.  599  ff. 

Schenkels  Bibel-Lexikon,  dieselben  Artikel  wie  bei  Winer. 

Riebm,  Handwörterbuch  des  biblischen  Altertums,  die  betreffenden  Artikel. 

Graf,  Zur  Geschichte  des  Stammes  Levi  (Merz*  Archiv  für  wissenschaftl.  Er- 
forschung des  A.  T.s  Bd.  I,  1869,  S.  68—106.  208—236). 

Köhler,  Lehrbuch  der  biblischen  Geschichte  Bd.  I,  1875,  S.  363—454. 

Wellhausen,  Geschichte  Israels  Bd.  I,  1878,  S.  15—174.  Seit  der  2.  Ausg. 
1883  unter  dem  Titel:  Prolegomena  zur  Geschichte  Israels.  Hier  5.  Ausg. 
1899,  S.  15—165. 

Dillmann,  Exegetisches  Handbuch  zu  Exodus  und Leviticus  (1880)  S.  455—461 
und  sonst. 

Keuß,  Geschichte  der  heiligen  Schriften  Alten  Testaments  (1881)  §  294. 

Oort,  De  Aaronieden  (Theologisch  Tijdschrift  1884  p.  289—335). 

Baudissin,  Die  Geschichte  des  alttestamentlichen  Priesterthums,  1889  (ein- 

*  gehendste  Monographie  über  die  Geschichte  des  Priestertums  in  der  Zeit 

des  A.  T.).    Dazu:  Kautzsch,  Theol.  Stud.  und  Krit.  1890,  8.  707—786. 

Kautzsch,  Art.  „Levi,  Leviten"  in:  Ersch  und  Gruber,  Allgemeine  Enzyklo- 
pädie, Zweite  Sektion,  Bd.  43,  1889,  S.  232—293. 

Kuenen,  De  geschieden™  der  priesters  van  Jahwe  en  de  ouderdom  der  priester- 
lijke  wet  (Theologisch  Tijdschrift  1890,  p.  1 — 42);  in  deutscher  Übersetzung 
in:  Kuenen,  Gesammelte  Abhandlungen  zur  biblischen  Wissenschaft, 
übers,  von  Budde,  1894,  S.  465—500. 

Kowack,  Lehrbuch  der  hebräischen  Archäologie,  2.  Bd.  Sacralalterthümer, 
Freiburg  1894. 

Büchler,  Die  Priester  und  der  Cultus  im  letzten  Jahrzehnt  des  jerusalemi- 
schen Tempels,  Wien  1895,  Jahresbericht  der  israelitisch -theologischen 
Lehranstalt  (vgl.  Theol.  Litztg.  1895,  516). 

Hoonacker,  Le  sacerdoce  livitique  dans  la  loi  et  dam  Vhistoire  des  Hebreux, 
Louvain  1899  (angez.  von  Baudissin,  Theol.  Litztg.  1899,  359—363). 

Baudissin,  Art  Priests  and  Levites  in:  Hostings*  Dictionary  of  the  Bible 
vol.  IV,  1902,  p.  67—97. 

Bob.  Smith  u.  Bert  holet,  Art.  Priest  in:  Encyclopaedia  biblica  HI,  1902, 
coL  3837—3847. 

Orelli,  Art.  „Levi,  Leviten"  in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  Bd.  XI, 
1902,  S.  417—427.  Ders.,  Art.  „Opferkultus  des  A.  T.s"  ebendas.  XIV, 
1904,  S.  336—400. 

Köberle,  Art.  „Phestertum  im  A.  T."  in  Herzog-Haucks  Beal-Enz.  3.  Aufl. 
Bd.  XVI,  1905,  S.  32—47. 


I.  Die  Priesterschaft  als  geschlossener  Stand. 

Die  innere  Entwickelung  Israels  seit  dem  Exil  ist  im  wesent- 
lichen durch  die  Wirksamkeit  zweier  gleich  einflußreicher  Kreise 
bestimmt:  durch  die  Priester  und  die  Schriftgelehrten.  In 
den  ersten  Jahrhunderten  nach  dem  Exil  bis  tief  in  die  griechische 


[225.-226]  I.  Die  Priesterschaft  als  geschlossener  Stand.  279 

Zeit  hinein  hatten  zunächst  die  Priester  das  Übergewicht.  Sie 
haben  die  neue  Gemeinde  organisiert;  ans  ihren  Kreisen  ist  das 
Gesetz  hervorgegangen;  in  ihrer  Hand  lag  die  Leitung  der  Ge- 
meinde nicht  nur  in  äußerlicher,  sondern  auch  in  geistiger  Be- 
ziehung. Während  sie  aber  ursprünglich  selbst  die  Kenner  und 
Ausleger  des  Gesetzes  waren,  hat  sich  allmählich  neben  ihnen  ein 
selbständiger  Stand  von  Gesetzeskundigen  oder  Schriftgelehrten 
ausgebildet  Und  diese  mußten  in  dem  Maße  an  Ansehen  und 
Einfluß  gewinnen,  in  welchem  der  Eifer  fftr  das  väterliche  Gesetz 
in  den  Kreisen  der  Priesterschaft  erkaltete,  während  das  Gesetz 
selbst  im  Bewußtsein  des  Volkes  an  Wert  und  Bedeutung  gewann. 
Dies  war  namentlich  seit  den  makkabäischen  Freiheitskämpfen 
der  |  Fall.  Von  da  an  gewannen  die  Schriftgelehrten  mehr  und 
mehr  die  geistige  Führung  des  Volkes.  Auf  die  Zeit  der  Priester 
folgte  die  Zeit  der  Schriftgelehrten  (vgl.  Beuß,  Geschichte 
•der  heil.  Schriften  A.  T.s).  Dies  ist  jedoch  nicht  so  zu  verstehen, 
"als  ob  die  Priester  nun  allen  Einfluß  verloren  hätten.  In  poli- 
tischer und  sozialer  Hinsicht  waren  sie  auch  jetzt  noch  die  ersten. 
Die  Schriftgelehrten  waren  zwar  jetzt  die  Lehrer  des  Volkes. 
Aber  die  Priester  hatten  vermöge  ihrer  politischen  Stellung,  ver- 
möge der  gewaltigen  Mittel,  über  welche  sie  geboten,  endlich  und 
vor  allem  vermöge  ihrer  religiös  bevorzugten  Stellung  —  daß 
nämlich  sie  allein  die  Opfer  Israels  Gott  darbringen  konnten,  so 
daß  von  ihrer  Vermittelung  geradezu  die  Erfüllung  der  religiösen 
Pflichten  jedes  einzelnen  abhing  —  sie  hatten  durch  alles  dieses 
noch  immer  eine  außerordentliche  Bedeutung  für  das  Leben  des 
Volkes. 

Begründet  ist  diese  ihre  Bedeutung  hauptsächlich  eben  darin, 
daß  sie  einen  fest  geschlossenen  Kreis  bildeten,  der  ausschließlich 
das  Recht  hatte,  die  Opfer  des  Volkes  vor  Gott  zu  bringen.  Nach 
der  seit  Esra  und  Nehemia  zu  unbedingter  Geltung  gelangten  pen- 
tateuchischen  Gesetzgebung  waren  allein  „die  Söhne  Aarons" 
zum  Opferdienst  befugt1.    Die  Priesterschaft  war  also  eine 


1)  8.  bes.  Exod.  28—29.  Levit.  8—10.  Numeri  16—18.  Näheres  bei  Bau- 
et is  sin,  Die  Geschichte  des  alttestamentl.  Priestertums  S.  22—25.  —  Ich  be- 
merke hier,  daß  die  folgende  Darstellung  von  der  Voraussetzung  ausgeht,  daß 
der  sogenannte  Priesterkodex,  d.  h.  die  Hauptmasse  der  Gesetze  in  Exodus, 
Leviticus  und  Numeri,  jünger  ist  als  Deuteronomium  und  Ezechiel.  Dieses 
Verhältnis  ist,  wie  mir  scheint,  durch  die  neuere  Pentateuchkritik  evident 
erwiesen  worden.  Die  Gesetzgebung  des  Priesterkodex  repräsentiert  auf  allen 
Hauptpunkten  augenscheinlich  eine  spätere  Entwickelungsstufe  als  Deuterono- 
mium und  Ezechiel.  Die  beiden  letzteren  wären  schlechterdings  unverständlich, 
wenn  ihnen  der  Priesterkodex  schon  vorgelegen  hätte. 


280  §  24.  Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [226.  227] 

Gemeinschaft,  deren  Grenzen  unverrückbare  waren,  weil  sie  durch 
die  natürliche  Abstammung  für  immer  gegeben  waren.  Niemand, 
der  nicht  von  Geburt  diesem  Kreise  angehörte,  konnte  in  denselben 
hineingelangen;  und  niemand,  der  ihm  durch  legitime  Geburt  an- 
gehörte, konnte  von  ihm  ausgeschlossen  werden.  Und  dieser  fest- 
geschlossene Kreis  war  im  Besitz  des  höchsten  Privilegiums,  welches 
gedacht  werden  konnte:  des  Privilegiums,  alle  Opfer  des  Volkes 
und  jedes  einzelnen  Gott  darzubringen.  Dieser  Umstand  allein 
mußte  der  Priesterschaft  ein,  ungeheures  Gewicht  verleihen,  zumal 
das  ganze  bürgerliche  Leben  in  der  mannigfaltigsten  Weise  mit 
dem  religiösen  Kultus  verknüpft  war 2.  Dazu  kommt,  daß  schon  | 
seit  der  Gesetzgebung  des  Deuteronomiums  zur  Zeit  Josias  (um 
630  vor  Chr.)  alle  Opferstätten  außerhalb  Jerusalems  für  illegitim 
erklärt  und  der  gesamte  Kultus  in  dem  einen  Heiligtum 
zu  Jerusalem  konzentriert  war.  Aus  allen  Teilen  des  Landes 
flössen  also  alle  Opfergaben  an  diesem  einen  Mittelpunkte  zu- 
sammen, der  dadurch  zu  einer  Quelle  der  Macht  und  des  Reich- 
tums für  die  hier  fungierende  Priesterschaft  wurde.  Auch  wurde 
durch  diese  Konzentrierung  des  Kultus  die  Priesterschaft  selbst 
zu  einer  festen  kompakten  Einheit  zusammengeschlossen. 

Nach  dem  Gesagten  versteht  es  sich  von  selbst,  daß  das  erste 
Erfordernis  eines  Priesters  der  Nachweis  seines  Stamm- 
baumes war.  Auf  diesen  wurde  das  größte  Gewicht  gelegt.  Wer 
ihn  nicht  aufzeigen  konnte,  hatte  keinen  Anspruch  auf  Anerkennung 
seiner  priesterlichen  Rechte.  Schon  bei  der  ersten  Rückkehr  der 
Exulanten  unter  Serubabel  wurden  einige  priesterliche  Familien, 
die  ihre  Stammbäume  nicht  vorlegen  konnten,  vom  Priestertum 
ausgeschlossen3.  Umgekehrt  versichert  Josephus,  daß  er  seinen 
Stammbaum  aufgezeichnet  gefunden  habe  „in  den  öffentlichen  Ur- 
kunden"4. Die  Geschlechtsregister  hatten  also  wegen  ihrer  Be- 
deutung für  die  Gesamtheit  den  Charakter  öffentlicher  Urkunden. 

Um  die  Reinheit  des  priesterlichen  Blutes  zu  erhalten,  waren 
auch  für  die  Eheschließung  bestimmte  Vorschriften  gegeben. 


2)  Konnten  doch  z.  B.  sogar  manche  eherechtliche  und  medizinalpolizei- 
liche Angelegenheiten  nur  durch  priesterliche  Funktionen  erledigt  werden,  8. 
Num.  5, 11 — 31  (Verfahren  gegen  die  des  Ehebruchs  Verdächtige),  Lev.  13—14, 
Deut.  24,  8—9  (Verfahren  beim  Aussatz). 

3)  Esra  2,  61—63  —  Nehemia  7,  63—65. 

4)  Jos.  Vita  1:  xfjv  phv  ovv  xov  yhovq  fiftibv  öuxöozfr,  u>S  iv  xalq  tfiy- 
fioclaiq  ötXxoiq  dvayeyoafifxivTiv  evqov,  o\ha>  naQaxl&efiai.  Josephus  ver- 
folgt hier  seinen  Stammbaum  zurück  bis  in  die  Zeit  des  Johannes  Hyrkanus 
und  zwar  so  genau,  daß  er  für  jeden  seiner  Vorfahren  das  Geburtsjahr 
angibt. 


[227.  228]  L  Die  Priesterschaft  als  geschlossener  Stand.  281 

Nach  dem  Gesetz  Lev.  21,  7—8  durfte  ein  Priester  nicht  heiraten 
eine  öffentliche  Dirne  oder  entweihte  Jungfrau  oder  vom  Manne 
geschiedene  Frau;  also  nur  eine  reine  Jungfrau  oder  Witwe,  selbst- 
verständlich nur  aus  israelitischem  Geschlecht 5.  Eine  kastenmäßige 
Beschränkung  auf  die  Ehe  mit  Priestertöchtern  ist  dagegen  nicht 
gefordert  Diese  Bestimmungen  hat  auch  die  spätere  Zeit  festgehalten 
und  sie  nur  genauer  präzisiert6.  Als  „Geschiedene"  sollte  auch 
gelten  eine  Chaluza,  d.  h.  eine  Witwe,  die  vom  Schwager  nicht 
zur  |  Schwagerehe  angenommen  (gleichsam  aus  ihr  entlassen)  worden 
ist7.  Als  der  Entweihung  verdächtig  war  dem  Priester  verboten 
eine  in  Kriegsgefangenschaft  Gewesene8.  Wenn  ein  Priester  nicht 
schon  Kinder  hatte,  durfte  er  auch  keine  „Unfähige"  heiraten9; 
jedenfalls  aber  keine  Proselytin  oder  freigelassene  Sklavin;  die 
Tochter  eines  Proselyten  oder  freigelassenen  Sklaven  nur  dann, 
wenn  die  Mutter  eine  Israelitin  war10.  —  Noch  strenger  waren 
die  Vorschriften  für  den  Hohenpriester.  Er  durfte  auch  keine 
Witwe  heiraten,  sondern  nur  eine  reine  Jungfrau  (Leu.  21, 13—15). 


5)  Jos.  contra  Apion.  I,  7:   öet  yäo  xbv  (xer&xovxa  zf/g  leoa)Ovvr]g  £{  d/io- 
e&voüQ  yvvaixdg  ncudonomo&au 

6)  8.  im  allgemeinen:  Philo,  De  monarckia  Lib.  II  §  8 — 11  (ed.  Mang. 
II,  228*?.).  Joseph.  Antt.  III,  12,  2.  Die  rabbinischen  Bestimmungen  bei 
Seiden ,  De  successione  in  pontificatwn  H,  2 — 3.  Der 8.,  Uxor  Ebraica  I,  7. 
Wagenseil  zu  Sota  IV,  1  (in  Surenhusius'  Mischna  m,  230  ff.).  Ugolini, 
Thesaurus  tom.  XTTI  col.  911  ff.  P.  Grünbaum,  Die  Priestergesetze  bei  Fla- 
vius  Josephus  (Halle,  Dissertation,  1887)  S.  15—25. 

7)  Sota  IV,  1.  VIII,  3.  Makkoth  III,  1.  Targum  Jonathan,  Siphra  und  Pe- 
sikta  zu  Lev.  21,  7,  bei  Ugolini  a.  a.  O. 

8)  Joseph.  Antt.  III,  12,  2;  contra  Apion.  I,  7.  Antt.  XIII,  10,  5  fin.  (Ge- 
schichte des  Johannes  Hyrkanus).  —  Nach  Kethuboth  TL,  9  waren  sogar  Prie- 
sterfrauen, die  sich  in  einer  vom  Feind  eroberten  Stadt  befunden  hatten,  ihren 
Männern  fortan  nicht  mehr  zu  ehelichem  Umgang  erlaubt,  außer  wenn  ihre 
Integrität  durch  Zeugen  verbürgt  war. 

9)  Jebamoth  VI,  5. 

10)  Keine  Proselytin  oder  freigelassene  Sklavin:  Jebamoth  VI,  5.  Über  die 
Töchter  s.  Bikkurim  I,  5:  R  Elieser  ben  Jakob  sagt:  Eine  Tochter  von  Prose- 
lyten darf  nicht  einem  Priester  vermählt  werden,  außer  wenn  ihre  Mutter 
aus  Israel  ist.  Dasselbe  gilt  auch  bei  Töchtern  freigelassener  Sklaven.  Selbst 
im  zehnten  Glied  ist  es  nur  gestattet,  wenn  die  Mutter  aus  Israel  ist.  Kiddu- 
schin  IV,  7:  R.  Elieser  ben  Jakob  sagt:  Wenn  ein  Israeli te  eine  Proselytin 
geheiratet  hat,  so  ist  seine  Tochter  dem  Priesterstande  erlaubt  Wenn  ein 
Proselyt  eine  Israelitin  geheiratet  hat,  so  gilt  dasselbe.  Aber  wenn  ein  Pro- 
selyt  eine  Proselytin  geheiratet  hat,  so  ist  seine  Tochter  dem  Priesterstande 
nicht  erlaubt.  Dem  Proselyten  steht  hierin  ein  freigelassener  Sklave  gleich; 
selbst  bis  ins  zehnte  Geschlecht,  bis  die  Mutter  eine  Israelitin  ist.  B.  Jose 
sagt:  Auch  wenn  ein  Proselyt  eine  Proselytin  geheiratet  hat,  ist  seine  Tochter 
dem  Priesterstande  erlaubt. 


282  §  24.  Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [228*  229] 

Auch  diese  Bestimmung  ist  von  der  späteren  Zeit  festgehalten  und 
genauer  präzisiert  worden11.  Wenn  Philo  sagt,  daß  der  Hohe- 
priester nur  eine  Jungfrau  aus  priesterlichem  Geschlechte  heiraten 
dürfe12,  so  entspricht  dies  weder  dem  Text  des  Leviticus  noch 
der  |  späteren  gesetzlichen  Anschauung,  weiche  beide  auch  dem 
Hohenpriester  jede  israelitische  Jungfrau  gestatten.  Vielleicht  ist 
Philo  zu  seiner  Meinung  durch  den  Wortlaut  der  Septuaginta  ver- 
anlaßt worden13,  vielleicht  auch  durch -die  tatsächliche  Sitte  oder 
durch  beides.  —  Die  Forderung  Ezecbiels  (44,  22),  daß  ein  Priester 
nur  eine  Jungfrau  oder  Priesterswitwe  heiraten  solle,  ist  von  der 
späteren  Rechtsentwickelung  nicht  aufgenommen  worden.  —  Bei 
dem  großen  Gewicht,  das  man  auf  die  Beobachtung  dieser  Vor- 
schriften legte,  mußte  natürlich  ein  Priester  bei  der  Verheiratung 
den  Stammbaum  seiner  Frau  genau  prüfen.  Mit  welcher  Sorgfalt 
dies  geschah,  wird  von  Josephus  ausführlich  beschrieben 14.   In  der 


11)  Philo,  De  monarchia  II,  9.  Joseph.  Äntt.  III,  12,  2.  Jebamoth  VI,  4: 
„Ein  Hoherpriester  darf  keine  Wittwe  nehmen,  sie  sei  Wittwe  aus  der  Ver- 
lobungszeit oder  aus  der  Ehe.  Auch  darf  er  keine  bereits  völlig  mannbare 
nehmen.  B.  Elieser  und  B.  Simon  halten  eine  mannbare  für  zulässig.  Er  darf 
auch  keine  durch  Zufall  verletzte  heiraten".  —  Daß  der  Hohepriester  über- 
haupt keine  schon  verlobt  gewesene  heiraten  dürfe,  sagt  Philo,  De  monarchia 
II,  9/w.  Vgl.  Ritter,  Philo  und  die  Halacha  (1879)  8.  72.  —  Lundius, 
Die  alten  jüdischen  Heiligtümer  Buch  III,  Kap.  19.  —  Grünbaum,  a.  a.  0. 
S.  26—30. 

12)  Philot  De  monarchia  II,  11 :  TtQooxa^aq  xw  fikv  ioxieoet  fxväo&ai  ftti 
uövov  ywaXxa  nao&kvov,  aXXä  xal  l&oeiav  ig  Ieq&wv. 

13)  Bei  den  LXX  lautet  Lev.  21, 13:  ovxoq  ywatxa  nao&ivov  ix  vovyi- 
vovq  ai)zov  XJj\petaiy  wo  den  Worten  ix  xov  yivovq  avxov  im  hebräischen 
Texte  nichts  entspricht.    Vgl.  Bitter,  Philo  und  die  Halacha  S.  72 f. 

14)  Contra  Apion.  I,  7.  —  Man  muß  hiernach  annehmen,  daß  doch  sehr 
viele  Familien  im  Besitze  von  Stammbäumen  waren.  Vgl.  dazu  die  zahl- 
reichen Listen  in  den  Büchern  Esra  und  Nehemia;  ferner  die  Andeutungen 
im  Neuen  Testamente:  Matth.  1,  lff.  Lue.  2,  36.  3,  23 ff.  Actor.  13,  21.  Rom. 
11,  1.  Phil.  3,  5.  Auch  Mischna  Jebamoth  IV,  13.  Taanith  IV,  5.  Euseb. 
Hut.  eccl.  I,  7  —•  Jul.  African.  Epist.  ad  Aristidem  (bei  Routh,  Reliquiae  sacrae 
II,  228  ff.  und  Spitta,  Der  Brief  des  Julius  Africanus  an  Aristides,  1877.  Dazu 
Harnack,  Gesch.  der  altchristl.  Literatur  I,  1893,  S.  512  f.).  Davididen  noch 
zur  Zeit  des  Vespasian,  Domitian  und  Trajan  (Euseb.  Eist.  eccl.  III,  12.  III, 
19—20.  m,  32).  —  Winer  BWB.  U,  516—518.  Herzfeld,  Gesch.  des  Volkes 
Jisrael  I,  378 — 387.  Wieseler,  Beiträge  zur  richtigen  Würdigung  der  Evan- 
gelien (1869)  8.  133ff.  Holtzmann  in  Schenkels  Bibellex.  II,  425—430. 
Hamburger,  Real-Enz.  IL  Abt.  Art.  „Genealogie".  Smend,  Die  Listen  der 
Bücher  Esra  und*  Nehemia,  Basel  1881.  Ed.  Meyer,  Die  Entstehung  des 
Judentums  1896,  S.  135—166.  Curtis  Art.  Oenealogy  in  Hostings?  Dictionary 
of  the  Bible  II,  121—137.  Cook  Art.  Qenealogies  in:  Encyclopaedia  biblica  II 
col.  1657—1666. 


[229..  230]  I.  Die  Priesterschaft  als  geschlossener  Stand.  283 

Mischna  wird  festgestellt,  wie  weit  die  Prüfung  rückwärts  zu  gehen 
habe15,  und  in  welchen  Fällen  sie  unterbleiben  könne16. 

Schon  bei  diesen  Vorschriften  über  die  Eheschließung  liegt  der 
Gedanke  zugrunde,  daß  der  Priesterstand  ein  heiliger  Stand 
sein  solle.  Derselbe  Gedanke  kommt  auch  noch  in  anderen  Vor- 
schriften zum  Ausdruck.  Da  nach  dem  Gesetz  (Num.  19)  jede 
Berührung  einer  Leiche,  ja  sogar  das  Betreten  eines  Hauses,  in 
welchem  eine  solche  lag,  verunreinigte,  so  war  den  Priestern  ver- 
boten, sich  Leichen  zu  nahen  und  an  den  Trauerfeierlichkeiten 
teilzunehmen,  und  zwar  dem  Hohenpriester  unbedingt,  den  anderen 
Priestern  nur  mit  Ausnahme  der  nächsten  Blutsverwandten:  Eltern, 
Kinder  und  Geschwister  {Leo.  21, 1—4.  11—12.  Exeekiel  44,  25—27). 
Nicht  einmal  die  Trauer  um  die  eigene  Frau  scheint  dem  Priester 
gestattet  gewesen  zu  sein.  Oder  sollte  sie  als  selbstverständlich 
nur  nicht  ausdrücklich  unter  den  Ausnahmen  mitgenannt  sein?17. 
—  Unter  allen  Umständen  hatte  ein  Priester  entstellende  Trauer- 
gebräuche, wie  das  Scheren  einer  Glatze  und  Einritzen  der  Haut 
zu  meiden  (Lev.  21,  5—6;  vgl.  Ezech.  44,  20),  der  Hohepriester  auch 
das  Auflösen  des  Haupthaares  und  Zerreißen  der  Kleider  (Lev.  21, 
10;  vgl.  10,  6—7) 18. 

Zu  der  Heiligkeit  eines  Priesters  gehörte  auch  die  körper- 


15)  Kidduschin  IV,  4 :  „Wenn  ein  Priester  einePriestertochter  heiraten 
will,  muß  er  zurück  nach  vier  Müttern,  also  eigentlich  acht,  sich  erkundigen. 
Diese  sind:  ihre  Mutter  und  deren  Mutter;  die  Mutter  ihres  mütterlichen 
Großvaters  und  deren  Mutter;  die  Mutter  ihres  Vaters  und  deren  Mutter;  die 
Mutter  ihres  väterlichen  Großvaters  und  deren  Mutter.  Will  er  eine  Levi- 
oder  Israel-Tochter  nehmen,  so  kommt  noch  ein  Grad  hinzu" 

16)  Kiddusehin  IV,  5:  „Man  braucht  von  einem  am  Altare  gedient  haben- 
den Priester  und  von  einem  im  Sängerchore  gedient  habenden  Leviten  und 
von  einem  Synedrialrate  aufwärts  nicht  mehr  zu  untersuchen.  Überhaupt 
alle,  deren  Vorfahren  als  öffentliche  Beamte  oder  Almosenpfleger  bekannt  sind, 
die  können  ohne  weitere  Untersuchung  mit  dem  Priesterstande  sich  verhei- 
raten". 

17)  Nach  der  gewöhnlichen  Auslegung  des  überlieferten  Textes  wäre  in 
Lev.  21,  4  die  Trauer  um  die  Ehefrau  sogar  ausdrücklich  verboten.  Wenn  hier 
auch  Auslegung  und  Text .  sehr  zweifelhaft  sind  (s.  Dillmann  zu  d.  St.),  so 
bleibt  doch  die  Tatsache  bestehen,  daß  die  Ehefrau  nicht  unter  den  Ausnahmen 
genannt  ist  Auch  Philo,  De  monarchia  II,  12  und  Josephus  Antt.  III,  12,  2 
nennen  sie  nicht  Die  Babbinen  dagegen  beziehen  auf  sie  'nträ  Lev.  21,  2 
und  verstehen  21,  4  von  der  Trauer  um  die  illegitime  Frau.  8.  die  Stellen 
aus  Targum  Jonathan  und  Siphra  beiUgolini  XIII,  929 ff.  Maimonides,  Hil- 
ehoth  Ebel  II,  7  (Petersburger  Übersetzung  Bd.  IV,  S.  206).  Im  allgemeinen 
auch  Oehler  in  Herzogs  Beal-Enz.  1.  Aufl.  XII,  176 f. 

18)  Vgl.  auch  Lundius,  Die  alten  jüdischen  Heiligtümer  Buch  III, 
Kap.  20. 


284  §  24.  Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [230.  231] 

liehe  Makellosigkeit  Wer  irgend  einen  Leibesfehler  hatte, 
durfte  trotz  seiner  Zugehörigkeit  zu  den  „Söhnen  Aaronstt  doch 
nicht  den  Opferdienst  verrichten.  In  der  Aufzählung  der  einzelnen 
Fehler  geht  schon  das  Gesetz  des  Leviticus  ziemlich  ins  Detail 
(Lev.  21,  16 — 23).  Die  spätere  Zeit  hat  natürlich  auch  hier  in 
möglichster  Spezialisierung  ihren  Scharfsinn  geübt  Man  hat  be- 
rechnet, daß  es  im  ganzen  142  Leibesfehler  gibt,  die  zum  Priester- 
dienst untauglich  machten 19.  Auch  diejenigen  Priester  aber,  die  | 
aus  einem  solchen  Grunde  keinen  Dienst  ausüben  konnten,  hatten 
Anteil  an  den  Einkünften,  da  auch  sie  dem  ordo  angehörten20. 

Über  das  Alter,  in  welchem  ein  Priester  zum  Dienst  sollte 
zugelassen  werden,  ist  im  Gesetze  nichts  vorgeschrieben.  Vielleicht 
darf  für  die  Priester  dasselbe  Dienstalter  angenommen  werden,  wie 
für  die  Leviten.  Doch  wird  auch  dieses  im  Alten  Testamente  ver- 
schieden angegeben21.  Die  rabbinische  Tradition  sagt,  daß  ein 
Priester  zum  Dienst  berechtigt  war,  sobald  die  ersten  Zeichen  der 
Mannbarkeit  sich  zeigten,  daß  er  aber  faktisch  doch  erst  mit 
zwanzig  Jahren  zugelassen  wurde22. 

Wer  nun  allen  angegebenen  Forderungen  genügte,  der  wurde, 
nachdem  seine  Tauglichkeit  vom  Synedrium  geprüft  und  anerkannt 
war23,  noch  durch  einen  besonderen  Einweihungsakt  für  den 
Dienst  geheiligt.  Zu  diesem  solennen  Akt  gehörten  nach  der 
Hauptstelle  des  Gesetzes  Exod.  29  =  Levit.  8  drei  Stücke:  1)  das 
Reinigungsbad,  2)  die  Bekleidung  mit  den  heiligen  Gewändern, 
und  3)  eine  Reihe  von  Opfern,  mit  deren  Darbringung  zum  Teil 

19)  Haneberg,  Die  religiösen  Altertümer  der  Bibel  S.  532.  —  S.  über- 
haupt: Philo,  De  monarchia  II,  5.  Josephus  Antt.  ITT,  12,  2.  Mischna  Beeho- 
roth  VIL  Seiden,  De  sueeessione  in  pontifieatum  Ebr.  II,  5.  Carpxov, 
Apparatus  historico-criticus  p.  89 — 94.  Ugolini  XIII,  897ff.  Haneberg 
S.  531  £  0 eh ler  XII,  176.  —  Parallelen  aus  dem  heidnischen  Altertum  s. 
bei  Knobel-Dillmann,  Exeget.  Handb.  zu  Exodus  und  Leviticus  8.568. — 
Priester,  die  einen  Leibesfehler  hatten,  pflegte  man  nach  diesen  zu  nennen. 
So  kommt  unter  den  Vorfahren  des  Josephus  vor:  Simon  „der  Stotterer"  und 
Matthias  „der  Bucklige"  (Joseph.  Vita  1).  In  der  Liste  der  Hohenpriester 
finden  wir  einen  Joseph  Sohn  „des  Stummen"  (d^k  *p),  s.  oben  S.  270. 

20)  Lev.  21,  22.  Philo,  De  monarchia  II,  13.  Josephus  Antt.  III,  12,  2. 
Bell.  Jud.  V,  5,  7.    Mischna  Sebachim  XII,  1.    Menachoth  XIII,  10  fin. 

21)  Dreißig  Jahre:  Num.  4,  3.  23.  30.  35.  39.  43.  47.  I  Chron.  23,  3. 
Fünfundzwanzig:  Num.  8,  23—26.  Zwanzig:  Esra  3,  8.  I  Ohron.  23,  24.  27. 
II  Chron.  31,  17.  Vgl.  Baudissin,  Die  Geschichte  des  alttestamentl.  Priester- 
tums  S.  167  £ 

22)  S.  die  Stelle  aus  Siphra  (=*bab.  Ohullin2ih)  bei  Seiden,  De  sueees- 
sione II,  4  und  Ugolini,  Thes.  XIII,  927.  Überhaupt:  Grünbaum,  Die 
Priestergesetze  bei  Flavius  Josephus  (1887)  S.  34—36. 

23)  Middoth  V  fin. 


[231.  232]  I.  Die  Priesterschaft  als  geschlossener  Stand.  285 

noch  besondere  Zeremonien  verbunden  waren:  die  Bestreichung 
einzelner  Körperteile  der  Einzuweihenden  mit  Blut,  die  Besprengung 
der  Personen  und  Kleider  mit  Blut  und  Öl,  die  „Füllung  der 
Händett,  d.  h.  das  Auflegen  gewisser  Opferteile  auf  die  Hände  der 
Priester,  um  damit  ihre  künftigen  priesterlichen  Pflichten  und 
Rechte  anzudeuten.  An  einigen  anderen  Stellen  (Exod.  28, 41.  30,  30. 
40, 12—15.  Lev.  7,  36.  10,  7.  Num.Z,  3)  wird  auch  noch  die  Salbung 
genannt,  die  in  der  Hauptstelle  als  eine  nur  den  Hohenpriester 
auszeichnende  Handlung  erscheint24.  Die  ganze  Zeremonie  dauerte 
sieben  Tage  (Exod.  29,  35  ff.  Lev.  8,  33  ff.).  Wie  es  mit  diesem 
Einweihungsakt  in  der  späteren  Zeit  gehalten  wurde,  ist  im  ein- 
zelnen |  fraglich 25.  Wahrscheinlich  ist  die  Salbung  eine  Auszeich- 
nung des  Hohenpriesters  geblieben26. 


24)  8.  hierüber  Wellhausen,  Jahrbb.  f.  deutsche  Theol.  1877,  8.  412f. 
Dillmann,  Exeget.  Handbuch  zu  Lev.  8,  12.  —  Über  die  Salbung  überhaupt: 
Weinel,  ntös  und  seine  Derivate  (Zeitschr.  für  die  alttestamentl.  Wissensch. 
XVIII,  1898,  S.  1—82,  speziell  über  die  Salbung  der  Priester:  S.  28 ff.).  Well- 
hausen,  Archiv  für  Beligionswissenschaft  Bd.  VII,  1904,  S.  33—39  (niDs  eigent- 
lich: mit  der  Hand  streichen,  auch  ohne  Öl).  Zehnpfund,  Art  „Salbe"  in 
Herzog-Haucks  Beal-Enz.  3.  Aufl.  XVII,  391  ff. 

25)  S.  übern.:  Seiden,  De  suecessione  II,  8*9.  Ugolini,  Thesaurus 
Xm,  434 ff.  476—548.  Bahr,  Symbolik  des  mosaischen  Cultus  II,  165 ff. 
Win  er  RWB.  Art.  „Priesterweihe".    Oehler  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl. 

XII,  17&— 180.  Haneberg  8.  526—531.  Nowack,  Lehrb.  der  hebr.  Archä- 
ologie II,  120 ff.  Weinel  a.  a.  O.  —  Nach  Ansicht  einiger  hätte  in  der  spä- 
teren Zeit  der  neu  antretende  Priester  nur  das  Lev.  6,  12  ff.  vorgeschriebene 
Speisopfer  darzubringen  gehabt  Das  ist  aber  ganz  unglaublich  und  beruht 
nur  auf  Mißverständnis  der  rabbinischen  Stellen,  welche  allerdings  fordern, 
daß  der  neu  antretende  (also  neugeweihte)  Priester  zunächst  dieses  Opfer  für 
sich  darbringe,  ehe  er  andere  Opfer  darbringt.    S.  die  Stellen  bei  Ugolini 

XIII,  546 f.  und  vgl.  auch  Frankel,  Über  den  Einfluß  der  palästinischen  Exe- 
gese etc.  (1851)  S.  143.  —  Keinen  Aufechluß  geben  Philo,  Vita  Mosis  III,  16—18, 
und  Josephus  Antt.  III,  8,  6,  da  sie  nur  Exod.  29  =  Levit.  8  reproduzieren. 

26)  Vgl.  Well  hausen,  Jahrbb.  f.  deutsche  Theol.  1877,  S.  412.  —  Auch 
der  Hohepriester  scheint  aber  in  der  letzten  Zeit  des  Tempelbestandes  nicht 
mehr  (oder  nicht  immer?)  gesalbt  worden  zu  sein,  da  die  Mischna  im  Unter- 
schied von  den  gesalbten  Hohenpriestern  auch  solche  kennt,  die  in  ihr  Amt 
eingesetzt  wurden  durch  Bekleidung  mit  den  heiligen  Gewändern.  S.  bes. 
Horajoth  III,  4.  Falsch  ist  aber  jedenfalls  die  Meinung  des  Maimonides,  daß 
die  Salbung  schon  seit  dem  Exil  unterblieben  sei.  Der  im  2.  Makkabäerbuch 
erwähnte  Alexandriner  Aristobul  war  „aus  dem  Geschlechte  der  gesalbten 
Priester1*  (H  Makk.  1, 10:  \4.Qi<noßovXo>  ....  Övxt,  &nö  xov  xCbv  ;r(u<7Ta>v  Uq£q>v 
yivovq).  Das  Buch  Daniel  spricht  9,  26  von  einem  „Gesalbten",  worunter  wahr- 
scheinlich der  Hohepriester  Onias  III.  zu  verstehen  ist.-  Damals  ist  also  die 
Salbung  noch  geübt  worden;  und  die  hasmonäischen  Priester  -  Könige  werden 
sie  schwerlich  unterlassen  haben.  Eher  wird  sie  in  der  herodianisch-romischen 
Zeit  abgeschafft  worden  sein. 


286  §  24.  Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  (232.  233] 

Die  Zahl  der  Priester  war  so  groß,  daß  nie  alle  gleichzeitig 
fangieren  konnten.  Es  mußte  also  ein  bestimmter  Wechsel  be- 
obachtet werden.  Zu  diesem  Zweck  war  die  ganze  Priesterschaft 
in  24  Geschlechter  oder  Dienstklassen  eingeteilt27.  Über  die 
Entstehung  und  Organisation  dieser  24  Dienstklassen  sagt  die 
rabbinische  Tradition  folgendes28:  „Vier  Dienstklassen  (ninatte) 
kehrten  aus  dem  Exil  zurück:  Jedajat  Charim,  Paschchur  und 
Immer  ....  Da  standen  die  Propheten,  die  unter  ihnen  waren,  auf 
und  machten  24  |  Lose  und  legten  sie  in  eine  Urne.  Und  es  kam 
Jedaja  und  zog  fünf  Lose,  macht  also  mit  ihm  sechs.  Und  es  kam 
Charim  und  zog  fünf  Lose,  macht  also  mit  ihm  sechs.  Und  es  kam 
Paschchur  und  zog  fünf  Lose,  macht  also  mit  ihm  sechs.   Und  es 

kam  Immer  und  zog  fünf  Lose,  macht  also  mit  ihm  sechs Und 

es  wurden  Vorsteher  der  Dienstklassen  (rri-fljirjtt  itian)  aufgestellt. 
Und  die  Klassen  teilten  sich  in  Vaterhäuser  (rria«  '»na).  Und  es 
gab  Dienstklassen  von  fünf,  sechs,  sieben,  acht  oder  neun  Vater- 
häusern. Bei  einer  Dienstklasse  von  fünf  Vaterhäusern  hatten  3 
an  je  einem  Tage,  2  an  je  zwei  Tagen  den  Dienst;  bei  einer  Klasse 
von  sechs  Vaterhäusern  hatten  5  an  je  einem  Tage,  1  an  zwei 
Tagen  den  Dienst;  bei  sieben  jede  an  einem  Tage;  bei  acht  6  an 
je  einem  Tage,  2  zusammen  an  einem  Tage;  bei  neun  5  an  je 
einem  Tage,  4  zusammen  an  zwei  Tagen".  —  Was  hier  über  den 
Ursprung  (oder  nach  der  Meinung  des  Talmud:  über  die  Wieder- 
herstellung) der  24  Dienstklassen  gesagt  wird,  hat  zwar  nicht  den 
Wert  einer  selbständigen  Tradition,  beruht  vielmehr  nur  auf  Schluß- 
folgerungen aus  den  auch  sonst  bekannten  Tatsachen.  Im  wesent- 
lichen wird  aber  damit  in  der  Tat  das  Eichtige  getroffen  sein.  Mit 
Serubabel  und  Josua  kehrten  aus  dem  Exil  vier  Priester- 
geschlechter zurück:  die  Kinder  Jedaja,  Immer,  Paschchur  und 
Charim,  mit  zusammen  4289  Männern  (Esra  2,  36 — 39  =  Nehem.  7, 


27)  S.  hierüber:  Light foot,  Ministerium  templic  VI,  (Opp.  I,  691 — 694). 
Ders.,  Earmonia  evangelistarum,  zu  Lud,  5  (Opp.I,  258  sqq.).  Ders.,  Horae 
hebraicae,  zu  Luc.  1,  5  (Opp.  II,  486  sqq.).  —  Garpxov,  Apparatus  historico- 
critieus  p.  100—102.  —  Ugolini,  Thesaurus  t  XIII,  col.  872  sqq.  —  Herz- 
feld, Geschichte  des  Volkes  Jisrael  I,  38731  —  ßertheau,  Exegetisches 
Handbuch  zu  Esra,  Nehemia  und  Ester  (1802)  S.  228—230.  —  Oehler  in 
Herzogs  Beal-Enz.  1.  Aufl.  XH,  182—186.  —  Haneberg,  Die  religiösen  Alter- 
tümer der  Bibel  S.  555ff:  —  Graf  in  Merx'  Archiv  I,  225f.  —  Ed.  Meyer, 
Die  Entstehung  des  Judenthums  1896,  S.  168—176. 

28)  jer.  Taanith  IV  fol.  68»,  und  im  wesentlichen  gleichlautend  Tbsephia 
Taanüh  o.  II  (beide  Stellen  hebr.  und  lat.  bei  Ugolini  XIH,  876ff.);  z.  T. 
auch  bab.  Arachin  12b,  vgl.  Herzfeld  I,  393.  Ich  gebe  im  obigen  den  Text 
nachher.  Taanith  mit  einigen  Kürzungen. 


[233.  £34]  I.  Die  Priesterschaft  als  geschlossener  Stand.  287 

39— 42)29.  Diese  vier  Geschlechter  bildeten  auch  noch  bei  der 
Ankunft  Esras,  also  achtzig  Jahre  später,  den  gesamten  Bestand 
der  Priesterschaft,  wie  sich  aus  Esra  10,  18—22  ergibt  Daneben 
werden  aber  schon  für  die  Zeit  Serubabels  und  Josuas  22  Priester- 
abteilungen mit  ebensoviel  „Häuptern"  (owon  ^tö&n)  erwähnt 
(Nehem.  12, 1 — 7).  Und  dieselben  Abteilungen  finden  wir  auch  unter 
Josuas  Nachfolger,  dem  Hohenpriester  Jojakim,  wieder  {Nehem.  12, 
12— 21)80.  Offenbar  zerfielen  also  die  vier  Geschlechter  |  in  22  Ab- 
teilungen. Im  wesentlichen  derselbe  Tatbestand  begegnet  uns  auch 
noch  zur  Zeit  Esras.  Zu  den  vier  Priestergeschlechtern,  welche 
Esra  im  Lande  vorfand  (Esra  10,  18—22),  brachte  er  selbst  mit 
dem  von  ihm  geführten  Zug  von  Exulanten  noch  zwei  weitere 
Priestergeschlechter  hinzu  (Esra  8,  2)81.  Die  Zahl  der  Abteilungen 
war  aber  bald  darauf  wieder  fast  dieselbe,  wie  zur  Zeit  Serubabels, 
nämlich  21,  wie  wir  aus  der  Liste  Nehem.  10,  3—9  sehen.  Von  den 
an  letzterer  Stelle  genannten  Namen  finden  sich  jedoch  nur  14 
auch  in  den  beiden  früheren  Listen  (Nehem.  12,  1—7.  12—21),  die 
übrigen  sind  verschieden.  Es  waren  also  inzwischen  in  der  Or- 
ganisation der  Abteilungen  doch  mehrfache  Änderungen  vorgenom- 
men worden,  was  ja  schon  durch  das  Hinzukommen  der  von  Esra 
mitgebrachten  Priestergeschlechter,  vielleicht  auch  noch  durch 
andere  Umstände  notwendig  geworden  war32.    Die  Zahl  der  Ab- 


29)  Die  Gültigkeit  der  angegebenen  Zahlen  für  die  Zeit  Serubabels  ist 
in  neuerer  Zeit  mehrfach  bezweifelt  worden;  s.  zunächst  Stade,  Theol.  Litztg. 
1884,  218  (in  der  Anzeige  von  Smend,  Die  Listen  der  Bücher  Esra  und  Ne- 
hemia  1881),  und:  Geschichte  des  Volkes  Israel  II,  106;  ferner  die  von  Ber- 
tholet, Die  Bücher  Esra  und  Nehemia  (Kurzer  Hand-Kommentar  XIX,  1902) 
S.  8  genannte  Literatur.  Zu  den  schon  von  Stade  hervorgehobenen  Bedenken 
kommt  allerdings  noch  hinzu,  daß  Pseudo-Hekatfius  im  Beginn  der  helle- 
nistischen Zeit  die  Zahl  der  samtlichen  jüdischen  Priester  auf  nur  1500  angibt 
(Josephus  contra  Apion.  I,  22  ed.  Niese  §  188:  xalxoi  ol  ndvxeg  leget;  tföv 
'Ioväalwv,  ol  rijv  fcxdxrjv  xibv.  yivo(t£va>v  Xctfißdvovzeg  xal  xh  xoivd  dioixotivxeq, 
neol  %iXlovq  /udXiata  xal  nevxaxoalovq  elotv).  Sollten  etwa  in  den  obigen 
4289  auch  die  Weiber  und  Kinder  inbegriffen  sein?  Büchler,  Die  Priester 
und  der  Cultus  (Wien  1895,  Jahresber.  der  israelit-theoi  Lehranstalt)  8.  47  ff. 
nimmt  an,  daß  Hekatäus  nur  die  in  Jerusalem  wohnenden  im  Auge  hat  Für 
un8ern  Zweck  kann  die  Frage  hier  unentschieden  bleiben. 

30)  In  der  zweiten  Liste  fehlt  nur  ein  Name  aus  der  ersten  Liste  (Chat- 
tusch). Die  übrigen  21  Namen  sind  sämtlich  identisch,  wie  sich  trotz  mannig- 
facher Inkorrektheiten  des  Textes  doch  noch  sicher  erkennen  läßt,  vgl.  Ber- 
theau  zu  Nehem.  12,  12. 

31)  Die  Namen  Gersom  und  Daniel  sind  hier  nämlich  Namen  von 
Priestergeschlechtern;  s.  Bertheau  zu  d.  St 

32)  Kuenen,  Gesammelte  Abhandlungen  zur  biblischen  Wissenschaft, 
übers,  von  Budde  (1894)  S.  378:  „Nichts  ist  natürlicher,  als  daß  diese  Namen 


288  §  24*   Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [234.  235] 

teüungen  war  jedoch  auch  bei  der  Neuordnung  in  derselben  Höhe 
beibehalten  worden  wie  früher.  Und  dabei  blieb  es  im  wesent- 
lichen auch  in  der  Folgezeit38.  Zur  Zeit  des  Chronisten,  der  die 
Verhältnisse  seiner  Zeit  in  die  Zeit  Davids  zurückträgt,  betrug  die 
Zahl  der  Abteilungen  24  (I  Chron.  24,  7—18).  In  dem  Verzeichnis 
der  Namen  kehrt  freilich  kaum  mehr  als  ein  Dritteil  aus  den 
früheren  Listen  wieder.  Es  müssen  also  inzwischen  wieder  starke 
Veränderungen  stattgefunden  haben,  falls  nicht  etwa  ein  Teil  der 
Namen  vom  Chronisten  in  freier  Weise  für  die  Zeit  Davids  fingiert 
worden  ist  Sicher  ist,  daß  die  Einteilung  in  24  Klassen  von 
da  an  unverändert  geblieben  ist.  Denn  Josephus  bezeugt  aus- 
drücklich, daß  sie  noch  zu  seiner  Zeit  bestanden  hat84,  wie  denn 
auch  einzelne  Namen  gelegentlich  noch  vorkommen  (Jojarib:  I  Makk. 
2,  1.  |  14,  29;  Abia:  Eo.  Luc.  1,  5)36.  Auffallend  ist,  daß  Josephus 
in  einer  freilich  nur  lateinisch  erhaltenen  Stelle  der  Schrift  gegen 
Apion  von  vier  Stämmen  oder  Abteilungen  (tribus)  der  Priester 


(Neh.  10,  3 — 9)  großenteils  mit  den  Listen  aus  den  Tagen  Jesuas  und  Jojakims 
übereinstimmen;  die  Abweichungen,  soweit  sie  mehr  sind  als  Schreibfehler, 
erklären  sich  aus  den  Veränderungen,  die  die  Einteilung  in  Klassen  in  der 
Zwischenzeit  erfahren  hatte". 

33)  Ed.  Meyer  (Die  Entstehung  des  Judenthums  S.  175 f.)  hält  die  Listen 
Nehem.  12,  1—7  und  12—21  für  fingierte  und  nimmt  auf  Grund  von  Esra  10, 
18—22  an,  daß  bei  Esras  Ankunft  im  J.  458  die  vier  großen  Priestergeschlechter 
noch  ungeteilt  existierten,  daß  sie  aber  in  den  nächstfolgenden  Jahren  in 
kleinere  Gruppen  sich  gesondert  hätten  und  so  die  21  Geschlechter  entstanden 
seien,  welche  wir  im  J.  444  {Nehem.  10,  3—9)  vorfinden.  Eine  so  starke  Zer- 
klüftung der  vier  Geschlechter  in  so  kurzer  Zeit  scheint  mir  sehr  unwahr- 
scheinlich. 

34)  Anti.  VII,  14,  7:  tiiiueivev  ovroq  6  uegicujbq  «£(>*  xfjq  a^fiBQOv 
fjuipaq.  —  Vita  1:  ipol  6>  oh  (xövov  ig  Uq£wv  iaxl  xb  yivoq,  &Mä  xal  ix 
trjq  7t()ü>T??c  iiptjusQiöoq  ru)v  elxooiTEOoäocov  (noXXti.äh  x&v  tovr<p  öuctpopd), 
xal  x(bv  iv  xavxy  gjvXChv  ix  xfjq  äoloTTjq.  —  Vgl,  auch  Taanith  IV,  2.  Sukka 
V,  6—8  und  dazu  die  Kommentare. 

35)  Jojarib  und  Jedaja  auch  Baba  kamma  IX,  12.  Die  Klasse  Jojarib 
soll  gerade  den  Dienst  gehabt  haben,  als  der  Tempel  zerstört  wurde,  bab.  Taa- 
nith 29a  bei  Derenbourg,  Histoire  de  la  Palestine  p.  291.  Die  Klasse  Bilga 
wird  erwähnt  Sukka  V,  8.  Die  Eigennamen  Bekyäq  und  daXaloq  bei  Joseph. 
Bell.  Jud.  VI,  5, 1  fin.  (Bilga  ist  die  15.,  Delaja  die  23.  Klasse).  Eine  Familie 
Chesir  (^tn),  worunter  vermutlich  die  priesterliche  Familie  dieses  Namens 
(I  Chron.  24,  15)  zu  verstehen  ist,  wird  erwähnt  auf  einer  etwa  aus  herodia- 
nischer  Zeit  stammenden  Grabschrift  bei  Jerusalem,  welche  zuerst  DeVogüe" 
(Revue  archeol.  Nouv.  Serie  t.  IX,  1864,  p.  200—209)  bekannt  gemacht  hat.  Vgl. 
über  dieselbe  auch  die  oben  §  2  (unter  Epigraphik)  genannte  Literatur,  bes. 
Chwolson,  Corp.  Inser.  Hebr.  (1882)  n.ß.  Cooke,  Text-book  of  Northsemüic 
inscripttons  (1903)  w.  148.    Ferner:  Ed.  Meyer  a.  a.  O.  S.  143. 


[235.  236]  I.  Die  Priesterschaft  als  geschlossener  Stand.  289 

spricht36.  Man  könnte  geneigt  sein,  hierbei  an  die  vier  mit  Seru- 
babel  zurückgekehrten  Geschlechter  zu  denken.  Da  er  aber  offen- 
bar, nach  dem  Znsammenhang,  Dienstabteilungen  meint,  so  ist  wohl 
eine  Textkorruption  anzunehmen  und  statt  4  zu  lesen  24.  Hier- 
gegen ist  auch*  nicht  entscheidend,  daß  er  die  Kopfzahl  jeder  Ab- 
teilung auf  mehr  als  5000  angibt  Denn  hierin  sind  wahrschein- 
lich die  Leviten  mit  inbegriffen  (die  ebenfalls  in  24  Klassen  geteilt 
waren,  so  daß  zu  je  einer  Priesterklasse  eine  Levitenklasse  gehörte), 
vielleicht  auch  Weiber  und  Kinder;  überdies  weiß  man  ja,  was 
von  den  Zahlen  des  Josephus  zu  halten  ist 

Jede  der  24  Hauptabteilungen  zerfiel  wieder  in  eine  Anzahl 
von  Unterabteilungen.  Die  Zahl  dieser  Unterabteilungen 
schwankte,  wenn  wir  der  oben  (S.  286)  zitierten  talmudischen  Über- 
lieferung glauben  dürfen,  zwischen  fünf  und  neun  für  je  eine 
Hauptabteilung.  Die  Hauptabteilungen  heißen  entweder  allgemein 
nipbrjö  (Abteilungen,  so  I  Chron.  28,  13.  21.  II  Ckron.  8,  14.  23,  8. 
31,  2.  15—16),  oder  sofern  sie  eine  Geschlechtseinheit  bildeten  n^a 
nin»  (Vaterhäuser,  so  I  Chron.  24,  4  und  6),  oder  sofern  sie  den 
Dienst  hatten  rrinttiött  (Wachen,  so  Nehem.  13,  30.  II  Chron.  31, 16). 
Die  Unterabteilungen,  die  nur  in  der  nachbiblischen  Literatur  be- 
zeugt sind,  heißen  hier  rria«  ^na.  Und  zwar  wird  nun  im  Sprach- 
gebrauch der  Unterschied  beobachtet,  daß  die  Hauptabteilung 
"flaute,  die  Unterabteilung  n«  r^S  genannt  wird37.  In  der  | 
Bedeutung  der  "Worte  an  sich  ist  dieser  Unterschied  nicht  not- 
wendig begründet.  Denn  wie  totöe  jede  diensttuende  Abteilung 
sein  kann,  so  kann  n«  rvo  jede  Geschlechtseinheit  sein,  gleichviel 
ob  von  großem  oder  geringem  Umfang38.  So  heißen  ja  auch  noch 
beim  Chronisten,  wie  eben  bemerkt,  die  Hauptabteilungen  niafe  m 
(bei  Nehem.  12,  12  abgekürzt  rvüK).  Später  aber  scheint  man  streng 
in  der  angegebenen  Weise  unterschieden  zu  haben.  Im  Griechischen 


36)  Contra  Apion.  II,  8  (ed.  Niese  §  108):  licet  enim  sini  tribus  quattuor 
sacerdotum,  et  harum  tribuum  singulae  habeant  hominum  plus  quam  quin- 
que  milia,  fit  tarnen  observatio  particulariter  per  dies  certos;  et  his  transactis 
alii  succedentes  ad  sacrificia  veniunt  etc.  Denselben  Text  gibt  auch  Boysen 
(1808). 

37)  Besonders  deutlich  ist  dieser  Unterschied  Taanith  II,  6—7.  Vgl.  auch 
die  oben  S.  286  zitierte  Stelle;  ferner  jer.  Horajoth  III  fol.  48b  und  Tosepkta 
Eorajoth  fin.,  wo  es  heißt,  daß  ein  •tbü«  t)ao  im  Eange  höher  stehe  als  ein 
3ä  rY*a  ©an.  —  In  der  Bedeutung  „Haupt-  oder  Wochenabteil ong"  steht  '■««» 
sicher  auch  Sukka  V,  6 — 8.  Taanith  IV,  2.  Tamid  V,  1.  Ebenso  wird  es  aber 
auch  zu  verstehen  sein  Bikkurim  III,  12.  Jebamoth  XI,  7  fin.  Baba  kamma 
IX,  12.  Temura  III,  4.  Para  III  fin.  Andererseits  3K  n^n  gleich  Unter-  oder 
Tagesabteilung:  Joma  III,  9.  IV,  1.     Tamid  I,  1.    Middoth  I,  8. 

38)  8.  Knobel-Dillmann,  Exegetisches  Handbuch  zu  Exod.  6, 14  (S.  58). 
Schürer,  Geschichte  II.   4.  Aufl.  19 


290  §  24.   Die  Priesterschaft  and  der  Tempelkultus.  [236.  237] 

heißt  eine  Hauptabteilung  jtaxQia  oder  ig>tjfieQla  oder  l<pt]{ieQlg, 
eine  Unterabteilung  gwlr/*9. 

Sowohl  die  Hauptabteilungen  als  die  Unterabteilungen  hatten 
je  einen  Vorsteher  an  der  Spitze.  Die  Vorsteher  der  Haupt- 
abteilungen heißen  im  Alten  Testament  ö"nte  (Fürsten)40  oder 
öitf*n  (Häupter)41.  Später  scheint  letzterer  Ausdruck  Crottron  ü8i) 
der  übliche  gewesen  zu  sein,  wie  für  den  Vorsteher  der  Unter- 
abteilung na  mn  um42.   Außerdem  kommen  auch  noch  „Älteste" 

vor,  nw»  ^pr  und  a«  tro  ^:pT43. 

Das  Ansehen  und  der  Einfluß  der  verschiedenen  Abteilungen 
war  keineswegs  ein  gleicher.  Trotz  der  formellen  Gleichstellung 
in  dem  regelmäßigen  Dienstwechsei  mußten  doch  diejenigen  Ab- 
teilungen, aus  deren  Mitte  die  Hohenpriester  oder  andere  einfluß- 
reiche Beamte  hervorgingen,  auch  selbst  an  Einfluß  und  Ansehen 
gewinnen.  Es  ist  daher  ganz  glaubwürdig,  wenn  Josephus  ver- 
sichert, daß  ein  großer  Vorzug  darin  liege,  aus  der  ersten  der 
24  Klassen  zu  stam|men44,  d.  h.  aus  der  Klasse  Jojarib,  aus  welcher 
die  hasmonäischen  Hohenpriester  und  Fürsten  hervorgegangen 
waren45.    Auch   innerhalb    der   einzelnen  Klassen  bildeten  sich 


39)  natQid  Jos.  Antt.  VII,  14,  7.  i^peola  Luc.  1,  5.  8.  ifpripieolq  und 
ipvXri  Jos.  Vita  1  (s.  den  Wortlaut  oben  Anm.  34).  Eine  ipvkfj  'Eviaxelf*  wird 
erwähnt  Jos.  Bell.  Jud.  IV,  3,  8. 

40)  tMritoi  i^to  Esra  8,  24.  29.  10,  5.  II  Ghron.  36, 14.  tirip  *yD  I  Ghron. 
24,  5.  —  Daß  diese  D*nto  mit  den  ninK  ^Xi  identisch  sind,  sieht  man  beson- 
ders  aus  I  Ghron.  15,  4 — 12,  wo  von  den  Vorstehern  der  Levitenklassen  beide 
Ausdrücke  ganz  gleichbedeutend  gebraucht  werden. 

41)  mnarrvoi  D^raan  I  Ghron.  24, 4.  —  niawi  i wn  Nehem.  12, 12.  I  Ghron. 
24,  6.     Vgl.  auch  Nehem.  11,  13.  12,  7. 

42)  nsiöah  sr&O  und  DK  n^a  UJ&n  Tosephta  Horajoth  fin.  ed.  Zuckermandel 
p.  476  und  ./er.  Eorajoth  III  fol.  48b  (letztere  Stelle  bei  Ugolini,  Thesaurus 
XIII,  870).  "ratDBh  »Kl  auch  an  der  oben  8.  286  zitierten  Stelle.  3K  rY»a  «an 
Joma  III,  9.  IV,  1. 

43)  ruirw  *3pT  Joma  I,  5.     SH  rv»a  ^3pT  Tamid  I,  1.    Middoth  I,  8. 

44)  Vita  1:  noXtöi  Sh  x&v  zoirctp  6ia<pooa  —  „ein  großer  Vorzug  liegt 
auch  darin". 

45)  Man  ist  zu  der  Annahme  versucht,  daß  die  Liste  der  Chronik  (I  Ghron. 
24,  7—18)  erst  in  der  Hasmonäerzeit  redigiert  ist.  Denn  es  ist  doch  sehr  auf- 
fallend, daß  gerade  die  Klasse  Jojarib,  aus  welcher  die  Hasmonäer  stammten 
(I  Makk.  2,  1 ;  14,  29),  hier  an  die  Spitze  gerückt  ist,  während  sie  in  den  Listen 
Nehem.  12,  1 — 7.  12—21  eine  ziemlich  untergeordnete  Stelle  einnimmt  und  in 
der  Liste  Nehem.  10,  3 — 9  ganz  fehlt.  Zustimmend  haben  sich  zu  dieser  Ver- 
mutung geäußert:  Ed.  Meyer,  Die  Entstehung  des  Judenthums  S.  174.  Ben- 
zinger, Die  Bücher  der  Chronik  (in  Martis  Kurzem  Hand-Commentar  zum 
A.  T.  XX)  1901,  S.  71f.  ßaudissin,  Einleitung  in  die  Bücher  des  A.T.  1901, 
S.  267  f.  Köberle  (im  Art.  „Priestertum  im  A.  T."  in  Herzog  -Haucks  Beal- 
Enz.  3.  Aufl.  XVI,  1905,  S.  40:  „Die  Klasse  Jojarib  steht  voran,  was  vielleicht 


[237]  L  Die  Priesterschaft  als  geschlossener  Stand.  291 

wieder  besondere  einflußreiche  Kreise.  Die  in  Jerusalem  wohnen- 
den Familien  werden  es  verstanden  haben,  aus  ihrer  Mitte  die 
wichtigsten  Tempelämter,  die  ihren  Inhabern  einen  großen  Einfluß 
verschafften,  zu  besetzen.  Namentlich  aber  bildeten  in  der  römi- 
schen Zeit  die  bevorzugten  Familien,  aus  welchen  die  Hohenpriester 
genommen  wurden  (s.  oben  S.  275),  eine  vornehme,  hoch  über  den 
andern  Priestern  stehende  Aristokratie.  Der  soziale  Unterschied 
dieser  Kreise  war  ein  so  schroffer,  daß  in  den  letzten  Zeiten  vor 
der  Zerstörung  des  Tempels  die  Hohenpriester  sogar  mit  Gewalt 
den  andern  Priestern  den  Zehnten  entrissen,  so  daß  diese  darbten46. 
Infolgedessen  war  auch  die  politische  Stimmung  eine  so  verschie- 
dene, daß  beim  Ausbruch  der  Revolution  die  diensttuenden  Priester 
sich  der  Eevolution  anschlössen,  während  die  Hohenpriester  alles 
in  Bewegung  setzten,  um  den  Sturm  zu  beschwichtigen47. 

Von  den  eigentlichen  Priestern  sind  als  Kultusbeamte  zweiten 
Banges  streng  zu  unterscheiden  die  „Leviten"48.    Der  Unter- 

mit  dem  Emporkommen  der  Makkabäer,  die  aus  diesem  Hanse  stammten,  zu- 
sammenhängt; I  Chr.  24  müßte  dann  als  eine  Einlage  aus  der  Makkahäerzeit 
anzusehen  sein").  —  Ablehnend:  Kittel,  Die  Bücher  der  Chronik  (in  Nowacks 
Handkommentar  zum  A.  T.  I,  6, 1)  1902,  S.  89.  Biedel,  Theol.  Litblatt  1902, 
eoL  21  f.  (in  der  Anz.  v.  Benzinger).  Bmend,  Theol.  Litztg.  1902,  350  (in  der 
Anz.  von  Baudissin). 

46)  Jos.  Antt.  XX,  8,  &  9,  2. 

47)  Jos.  Bell.  Jud.  H,  17,  2—4. 

48)  8.  überh.:  Winer  RWB.  H,  20ff.—  Oehler,  Art  „Levi"  in  Herzogs 
Beal-Enz.  1.  Aufl.  VIII,  347— 368.  — Graf,  Zur  Geschichte  des  Stammes  Levi, 
in  Merx'  Archiv  Bd.  L  Ders.f  Art.  „Levi"  in  Schenkels  Bibel -Lexikon  IV, 
29—32.  —  Wellhausen,  Geschichte  I,  123—156  —  Prolegomena  5.  Aufl. 
S.  118—149.  —  Smend,  Exeget  Handbuch  zu  Ezechiel  S.  360— 362. —  Dill - 
mann,  Exeget  Handbuch  zu  Exodus  und  Leviticus  S.  455—461.  —  Grätz 
Geschichte  der  Juden  H,  2  (1876)  S.  388—395.  —  Kittel,  Theologische  Stu- 
dien aus  Württemberg  H,  1881,  S.  147—169.  m,  1882,  S.  278—314.  Ders., 
Geschichte  der  Hebräer  I,  1888,  S,  106— 112.  —  Baudissin,  Die  Geschichte 
des  alttestamentlichen  Priesterthums  (1889)  S.  28—36,  67—77,  79—84,  105—116, 
136 — 181  und  sonst  —  Kautzsch,  Art.  „Levi,  Leviten"  in:  Ersch  und  Gruber, 
Allgemeine  Enzyklopädie,  Zweite  Sektion,  Bd. 43, 1889,  S.282— 293.  —  Vögel- 
st ein,  Der  Kampf  zwischen  Priestern  und  Leviten  seit  den  Tagen  Ezechiels, 
1889  (phantasiereich,  s.  Theol.  Litztg.  1890,  53).  —  Büchler,  Die  Priester  und 
der  Cultus  im  letzten  Jahrzehnt  des  jerusalemischen  Tempels,  Wien  1895, 
S.  118—159  (ebenfalls  phantasiereich,  s.  Theol.  Litztg.  1895,  516).  —  Ed.  Meyer, 
Die  Entstehung  des  Judenthums,  1896,  S.  176—182.  —  Köberle,  Die  Tempel- 
sänger im  Alten  Testament  1899.  —  Büchler,  Zur  Geschichte  der  Tempel- 
musik und  der  Tempelpsalmen  (Zeitschr.  für  die  alttestamentl.  Wissenschaft 
1899,  S.  96—133  [hier  über  die  Angaben  der  Chronik;  die  Forts.  S.  329—344 
handelt  über  die  musikal.  Instrumente]).  —  Orelli,  Art  „Levi,  Leviten"  in 
Herzog-Haucks  Re&l-Enz.  3.  Aufl.  XI,  417—427.  —  Ed.  Meyer,  Die  Israeliten 
und  ihre  Nachbarstamme  1906  (nur  über  die  älteste  Geschichte). 

19* 


292  §  24.   Die  Priesterschaft  und  der  Tempeikuitus.    [237. 238. 239] 

schied  |  beider  ist  allerdings  dem  Deuteronomium  noch  unbekannt 
Die  „Leviten"  sind  hier  noch  insgesamt  zum  priesterlichen  Dienst 
berechtigt;.  „Priester"  und  „Leviten"  schlechthin  gleichbedeutend 
(s.  bes.  Deut.  18,  5.  21,  5;  überh.:  17,  9.  18.  18,  1.  24,  8.  27,  9). 
Die  Unterscheidung  beider  findet  sich  zum  erstenmale  bei  Ezechiel; 
und  es  ist  kaum  zu  bezweifeln,  daß  sie  eben  durch  ihn  erst  ein- 
geführt ist  Nach  der  Gesetzgebung  des  Deuteronomiums  sollten 
zwar  die  Kultusstätten  außerhalb  Jerusalems  aufgehoben  werden. 
Den  dort  fungierenden  „Leviten",  d.  h.  Priestern,  waren  aber  ihre 
priesterlichen  Rechte  nicht  entzogen;  es  war  nur  verlangt,  daß 
sie  dieselben  ausschließlich  in  Jerusalem  ausüben  sollten.  Dieser 
Standpunkt  war  auf  die  Dauer  nicht  aufrecht  zu  erhalten;  schon 
deshalb  nicht,  weil  die  jerusalemische  Priesterschaft  eine  solche 
Zuwanderung  auswärtiger  Kollegen  sich  schwerlich  hat  gefallen 
lassen;  überdies  haben  die  letzteren  sich  mehr  als  die  jerusalemi- 
schen einer  Vermengung  des  Jahvekultus  mit  dem  Dienste  fremder 
Götter  schuldig  gemacht  Darum  zieht  nun  Ezechiel  die  Eonse- 
quenz aus  dem  Standpunkt  des  Deuteronomikers:  er  verbietet  den 
auswärtigen  Leviten  überhaupt  die  Ausübung  des  Opferdienstes. 
Dieser  sollte  ein  ausschließliches  Vorrecht  der  Leviten  aus  dem 
Hause  Zadoks,  d.  h.  der  jerusalemischen  Priesterschaft,  sein.  Nur 
die  Söhne  Zadoks  sollten  von  nun  an  „Fett  und  Blut  vor  Gott 
bringen",  d.  h.  den  Dienst  am  Altar  versehen,  und  in  das  innere 
Heiligtum  eintreten.  Den  anderen  Leviten  werden  die  geringeren 
Dienstleistungen:  der  Wachdienst,  das  Schlachten  der  Opfertiere 
und  dergl.,  zugewiesen.  Dies  hatte  zugleich  den  Vorteil,  daß  die 
heidnischen  Tempeldiener,  welche  bisher  noch  für  die  geringeren 
Dienste  verwendet  worden  waren,  ganz  vom  Tempel  ausgeschlossen 
werden  konnten  (s.  überh.:  Ezechiel  44,  6—16).  —  Dieser  Standpunkt 
Ezechiels  ist  im  wesentlichen  durchgedrungen.  Der  von  ihm  sta- 
tuierte Unterschied  zwischen  Priestern  und  übrigen  Leviten  ist 
schon  im  Priesterkodex  als  ein  feststehender  vorausgesetzt.  Zwischen 
den  „Söhnen  Aarons",  d.  h.  den  Priestern,  und  den  übrigen  Leviten 
wird  hier  streng  unterschieden.  Nur  die  ersteren  haben  das  Recht, 
den  Dienst  am  Altar  und  im  Innern  des  Heiligtums  zu  versehen 
(Num.  18,  7).  Die  „Leviten"  dagegen  sind  nur  dienende  Gehilfen 
der  Söhne  Aarons  „in  allerlei  Dienst  des  Zeltes"  (Num.  18,  4).  Sie 
können  und  sollen  demnach  die  Priester  unterstützen  in  den  ver- 
schiedensten Geschäften  und  Ämtern  des  Tempels:  in  der  Ver- 
waltung der  Einkünfte  und  Besitztümer,  in  der  Anschaffung  und 
Zubereitung  der  mancherlei  Bedürfnisse  für  den  Opferdienst  und 
dergl.  (Näheres  s.  in  Abschnitt  III).  Auch  das  Schlachten  und 
Zurichten  der  Opfertiere  ist  ihnen,  wie  bei  Ezechiel,  so  auch  |  in 


[239]  *  I.  Die  Priesterschaft  als  geschlossener  Stand.  293 

der  späteren  Zeit  noch  gestattet49.  Nur  das,  was  am  Altar  und 
im  Innern  des  Heiligtums  zu  geschehen  hatte,  war  ihnen  untersagt 
(Num.  18,  3;  s.  überh.:  Num.  3,  5—13  und  18,  1— 7)50. 

Auch  die  „Leviten*4  bildeten  —  wie  die  Priester  —  einen 
durch  natürliche  Abstammung  begründeten  fest  geschlossenen  Stand. 


49)  II  Ghron.  29,  34.  35,  11.  Man  darf  aus  diesen  Stellen  wohl  schließen, 
daß  die  Leviten  nur  dann  zum  Schlachten  herangezogen  wurden,  wenn  große 
Massen  zu  bewältigen  waren.  In  der  Regel  geschah  auch  das  Schlachten  durch 
die  Priester.  Gesetzlich  war  es  übrigens  sogar  den  Laien  gestattet  und  ist 
tatsächlich  von  ihnen  wenigstens  beim  Passa  wegen  der  zu  bewältigenden 
großen  Massen  ausgeübt  worden,  wie  wir  durch  das  bestimmte  Zeugnis  Philos 
und  der  Mischna  wissen  (Philo,  Vita  Mos.  III,  29  Mang.  II,  169;  De  decalogo 
§  30  Mang.  II,  206;  de  Septenario  §  18  Mang.  II,  292  —  Tischendorf,  Philonea 
p.  46.  Mischna  Pesachim  V,  6:  „Der  Israelite  schlachtet,  der  Priester  fangt 
das  Blut  auf).  Vgl.  Frankel,  Ober  den  Einfluß  der  palästinischen  Exegese 
auf  die  alexandrinische  Hermeneutik  (1851)  S.  134.  Bitter,  Philo  und  die 
Halacha  S.  llOff.  Büchler,  Die  Priester  und  der  Oultus  (Wien  1895)  S.  137 
bis  140.  Ritter  hebt  richtig  hervor,  daß  das  &veiv,  welches  Philo  den  Laien 
am  Passa  zuschreibt,  nur  das  Schlachten,  nicht  das  Hinaufbringen  der  Opfer- 
stücke auf  den  Altar  ist. 

50)  Die  genealogische  Ableitung  der  Priester  von  Aaron  ist  zunächst  nur 
ein  dogmatisches  Postulat,  aus  welchem  sich  hinsichtlich  des  wirklichen  Tat- 
bestandes in  der  nach  exilischen  Zeit  gar  nichts  folgern  läßt.  Richtig  ist  aber, 
worauf  namentlich  Baudissin  (Geschichte  des  alttestamentl.  Priesterthums 
S.  107  ff.  und  sonst)  nachdrücklich  hingewiesen  hat,  daß  der  Begriff  der  „Söhne 
Aarons"  im  Priesterkodex  ein  weiterer  ist  als  der  Begriff  der  „Söhne  Zadoks" 
bei  Ezechiel.  Erstere  umfassen  die  beiden  Linien  des  Eieasar  und  Ithamar 
(nachdem  von  den  vier  Söhnen  Aarons  Exod.  6,  23  zwei  beseitigt  waren  Lev. 
10,  1 — 2).  Die  „Söhne  Zadoks"  aber  stellen  nur  die  Linie  des  Eieasar  dar 
(I  Chron.  5,  30 — 41).  Der  Priesterkodex  wagt  also  nicht,  die  letzteren  als  die 
allein  Berechtigten  hinzustellen,  sondern  sieht  sich  genötigt,  den  Kreis  etwas 
weiter  zu  ziehen.  In  der  Tat  finden  wir  unter  den  Priestern  der  neuen  Ge- 
meinde nach  dem  Exil  auch  Ithamariden  (Esra  8,  2.  I  Chron.  24).  Die  Theorie 
Ezechiels  ist  also  zwar  in  der  Hauptsache,  aber  doch  nicht  rein 
durchgedrungen.  Vgl.  auch  Wellhausen,  Die  Pharisäer  und  die  Saddu- 
cäer  S.  48.  Kuenen,  Gesammelte  Abhandlungen  (1894)  S.  488 ff.  An  einer 
Stelle  aber,  welche  im  Zusammenhang  des  Priesterkodex  steht,  wenn  sie  auch 
vielleicht  sekundär  ist  (s.  Dillmann),  nämlich  Num.  25,  10  ff.,  wird  nur  dem 
Pinehas,  dem  Sohn  Eleasars  und  Stammvater  der  Zadokiden  das  ewige  Priester- 
tum  verheißen.  Dieses  Stück  vertritt  demnach  ganz  den  Standpunkt  Ezechiels. 
Vgl.  auch  Kuenen,  Gesammelte  Abhandlungen  S.  495 f.  Kautzscb,  Theol. 
Stud.  u.  Krit.  1890,  S.  778 f.  Baentsch,  Exodus-Leviticus-Numeri  (in  Nowacks 
Handkommentar  zum  A.  T.  I,  2)  1903,  S.  625.  —  Bemerkenswert  ist  auch  noch 
die  Stellung  des  Jesus  Sirach.  Er  leitet  aus  dem  „Bund"  mit  Pinehas 
das  Anrecht  seiner  Nachkommen  auf  das  „Hohepriestertum"  (nbina  rw*na)  ab, 
Sirach  45,  23—24  und  50,  24  (nach  dem  Hebräischen)  und  preist  Gott  dafür, 
daß  er  „die  Söhne  Zadoks  erwählt  hat,  Priester  zu  sein"  (Sirach  51,  12,  Vers  9 
des  im  Griech.  u.  Syr.  fehlenden  Stückes:  "jnsb  pm  *3M  nmn). 


294  §  24.   Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [239.  240] 

Sie  werden  jetzt  auf  Levi,  einen  der  zwölf  Stammväter  Israels, 
zurückgeführt  (Exod.  6,  17—25.  Numeri  3,  14—39.  4,  34—49.  26, 
57—62.  I  Ckron.  5,  27—6,  66  und  c.  23).  Auch  hier  war  also  die 
Geburt  entscheidend  für  die  Teilnahme  an  den  Rechten  und  Pflich- 
ten der  Gemeinschaft.  Die  „Priester"  verhalten  sich  zu  ihnen, 
wie  |  eine  bevorzugte  Familie  zum  allgemeinen  Stamm.  Denn 
Aaron,  der  Stammvater  der  Priester,  war  ein  Urenkel  Levis  (Exod. 
6,  17  ff.). 

Wie  dehnbar  und  flüssig  diese  genealogischen  Theorien  freilich 
waren,  sieht  man  besonders  deutlich  gerade  an  der  Geschichte  der 
Leviten.  Von  den  „Leviten"  in  dem  bisher  dargelegten  Sinne 
werden  nämlich  noch  in  der  nachexilischen  Zeit  streng  unter- 
schieden die  Sänger,  Torhüter  und  Tempeldiener  (Nethi- 
nim,  ursprünglich  jedenfalls  Skaven);  so  nicht  nur  zur  Zeit  Seru- 
babels,  sondern  auch  noch  80—100  Jahre  später  zur  Zeit  Esras 
und  Nehemias  (s.  bes.  Esra  2,  40—  58  =  Nehem.  7,  43—60;  ferner 
Esra  2,  70.  7,  7.  24.  10,  23—24.  Nehem.  7,  1.  73.  10,  29.  40.  12, 
44—47.  13,  5.  10) 51.  Alimählich  wurden  aber  auch  die  Sänger 
und  Torhüter  unter  die  „Leviten"  aufgenommen.  Die  Zu- 
gehörigkeit der  Sänger  zu  den  Leviten  ist  in  der  Bearbeitung 
einiger  Teile  des  Buches  Nehemia  vorausgesetzt52.  Später  ge- 
langten auch  die  Torhüter  zu  dieser  Ehre:  der  Chronist  zählt  recht 
geflissentlich  schon  beide  Kategorien  zu  den  Leviten  und  führt 
nun  auch  deren  Stammbaum  auf  Levi  zurück53.    Eine  noch 


51)  Köberle,  Die  Tempelsänger  im  A.  T.  S.  24ff.,  wül  mit  manchen 
älteren  Auslegern  diesen  Tatbestand  nicht  anerkennen,  indem  er  Leviten  im 
weiteren  Sinn  (das  Geschlecht)  und  im  engeren  Sinn  (den  speziellen  Beruf) 
unterscheidet.  Angesichts  der  großen  Zahl  von  Stellen,  an  weichen  stets  die 
Sänger  und  Torhüter  neben  den  Leviten  genannt  werden,  ist  dies  nicht  durch- 
führbar.   Erstere  werden  damit  doch  deutlich  von  letzteren  unterschieden. 

52)  Nehem.  11,  15—19.  22—23.  12,  8—9.  24—25.  27—29.  Hier  werden 
überall  die  Sänger  zu  den  Leviten  gerechnet,  die  Torhüter  aber  davon 
unterschieden.  Die  fraglichen  Stücke  (Nehem.  c.  11 — 12)  liegen  also  in  einer 
Bearbeitung  vor,  welche  eine  Mittelstellung  einnimmt  zwischen  dem  Stand- 
punkt der  ältesten  Quellen  des  Buches  Nehemia  und  dem  Standpunkte  des 
Chronisten.    Vgl.  Baudissin  S.  143 1 

53)  S.  über  die  Zugehörigkeit  der  Sänger  zu  den  Leviten:  I  Chron.  15, 
16fF.  23,  3—5.  II  Chron.  29,  25  u.  sonst.  Über  die  Torhüter:  I  Chron.  9, 
26.  15,  ia  23.  24.  23,  3—5.  Zurückfuhrung  der  Stammbaume  auf  Levi,  beson- 
ders bei  den  drei  Sängerfamilien  Heman,  Asaph  und  Ethan:  I  Chron.  6, 10— 32; 
aber  auch  bei  den  Torhütern  wenigstens  teilweise  durch  Vermittelung  Obed 
Edoms,  s.  Graf  in  Merx'  Archiv  I,  230— 232.  —  Die  Nethinim  werden  auch 
in  der  Chronik  noch  von  den  Leviten  unterschieden  I  Chron.  9,  2.  —  Vgl 
überh.  Stade,  Gesch.  des  Volkes  Israel  II,  200f.    Baudissin  S.  1521    Kö- 


[240.  241]  L  Die  Priesterschaft  als  geschlossener  Stand.  295 

weitergehende  Rangerhöhung  erlangten  die  Sänger  kurz  vor  der 
Zerstörung  des  Tempels,  indem  ihnen  durch  König  Agrippa  IL  mit 
Zustimmung  des  Synedriums  gestattet  wurde,  gleich  den  Priestern 
leinene  Gewänder  zu  tragen 54.  —  Über  den  Beruf  derjenigen  „Le- 
viten", welche  weder  Sänger  noch  Torhüter  waren,  wissen  wir 
nicht  viel  mehr,  als  was  oben  S.  292  bereits  im  allgemeinen  gesagt 
ist  Sie  waren  die  Gehilfen  der  Priester  in  den  mancherlei  Ver- 
richtungen ihres  Dienstes55. 

Wie  die  Priester,  so  waren  auch  die  Leviten  in  Dienst- 
klassen eingeteilt.  Deren  Geschichte  ist  aber  noch  mehr  in  Dunkel 
gehüllt  als  die  der  Priester.  Mit  Serubabel  und  Josua  kehrten 
aus  dem  Exil  nur  sehr  wenig  „Leviten"  zurück,  im  ganzen  nur 
74  Mann;  dazu  128  Sänger  und  139  Torhüter  (Esra  2,  40—42,  | 
etwas  abweichend  sind  die  Zahlen  in  der  Parallelstelle  Nehmt.  7, 
43—45).  Esra  vollends  brachte  nur  38  „Leviten"  mit,  und  auch 
diese  erst  infolge  dringender  Vorstellungen  von  seiner  Seite  (Esra 
8,  15—20).  Diese  geringe  Lust  der  Leviten  zur  Rückkehr  ist  be- 
gründet in  der  untergeordneten  Stellung,  die  ihnen  nun  angewiesen 
war.  Man  darf  aber  wohl  annehmen,  daß  die  Zurückgekehrten 
bald  aus  der  Zahl  der  im  Lande  Gebliebenen  erheblichen  Zuwachs 
erhielten.  Denn  von  den  „Leviten",  die  im  Lande  zerstreut  wohnten, 
waren  sicher  verhältnismäßig  viel  weniger  deportiert  worden  als 
von  den  „Priestern",  unter  welchen  man  damals  eben  vorwiegend 
die  jerusalemischen  Priester  verstand.  So  finden  wir  in  der  Tat 
schon  in  dem  Verzeichnis  der  Leviten  und  Sänger  zur  Zeit  Seru- 
babels  und  Josuas  Nehem.  12,  8  einige  Geschlechter  mehr  als  in 
dem  Verzeichnis  der  mit  Serubabel  zurückgekehrten  (Esra  2,  40  f. 
Nehem.  7,  43  f.) 56.  In  einer  Liste  aus  der  Zeit  Esras  und  Nehemias 
werden  bereits  17  Geschlechter  von  Leviten  im  eigentlichen  Sinne 
aufgezählt  (Nehem.  10,  10—14,  und  dazu  Bertheau).  Eine  andere, 
wahrscheinlich  ebenfalls  auf  die  Zeit  Nehemias  sich  beziehende 
Liste57  gibt  allein  die  Zahl  der  in  Jerusalem  wohnenden  Leviten, 


berle,  Die  Tempelsänger,  1899.    Büchler,  Zeitschr.  für  die  alttestamentl. 
Wissensch.  1899,  S.  96—133. 

54)  Jos.  Antt.  XX,  9,  6. 

55)  Unsere  dürftige  Kenntnis  der  Einzelheiten  darf  aber  nicht  dazu  ver- 
leiten, die  Existenz  dieser  ganzen  Kategorie  in  der  Zeit  nach  dem  Chronisten 
zu  bezweifeln,  wie  das  von  Baudissin  (in  der  Anzeige  von  Köberle,  Die 
Tempelsänger  usw.,  Theol.  Litztg.  1899,  678)  geschehen  ist. 

56)  8.  dazu  Bertheau  8.  251. 

57)  Über  die  Zeit,  auf  welche  sich  die  Liste  bezieht,  s.  Bertheau, 
Exeget.  Handbuch  zur  Chronik  S.  99;  zu  Nehemia  8.  248.  Bertholet,  Die 
Bücher  Esra  und  Nehemia  (1902)  S.  82. 


296  §  24.  Die  Priesterechaft  und  der  Tempelkultus.  [241.  242] 

allerdings  mit  Einschluß  der  Sänger,  auf  284  an  (Nehem.  11,  15 — 18). 
Dabei  ist  vorauszusetzen,  daß  die  Zahl  der  außerhalb  der  Stadt, 
in  den  Dörfern  und  Städten  Judäas  wohnenden  erheblich  größer 
war  (Nehem.  11,  20.  36) 58.  —  Zur  Zeit  des  Chronisten  scheint 
auch  bei  den  Leviten,  wie  bei  den  Priestern,  die  Einteilung  in 
24  Klassen  durchgeführt  gewesen  zu  sein.  Der  Chronist,  der  zwar 
die  Sänger  und  Torhüter  zu  den  Leviten  rechnet,  unterscheidet 
doch  noch  die  drei  Hauptgruppen:  Leviten  für  den  Tempeldieust 
überhaupt,  Sänger  und  Torhüter  (s.  bes.  I  Chron.  23,  3—5).  Für 
die  erste  Gruppe  gibt  er  nun  I  Chron.  23,  6—24  ein  Verzeichnis 
der  Vaterhäuser  (rm«  r^n),  deren  Gesamtsumme  wahrscheinlich,  | 
wenn  man  einige  Fehler  berichtigt,  24  beträgt69.  Die  Sänger 
werden  von  ihm  ausdrücklich  in  24  Klassen  geteilt  (I  Chron.  25). 
In  der  nachbiblischen  Zeit  ist  diese  Einteilung  für  die  Leviten 
überhaupt  als  feststehend  bezeugt,  und  zwar  so,  daß  je  einer 
Priesterklasse   eine  Levitenklasse  entsprach60.  —  Wie  bei  den 


58)  Die  Zahl  der  in  Jerusalem  wohnenden  Priester  wird  in  derselben 
Liste  (Nehem.  11,  10—14)  auf  1192  angegeben,  während  die  Gesamtzahl  der 
damaligen  Priester  auf  etwa  6000  zu  schätzen  ist  (nach  Eara  2,  36—39  und 
8,  2;  vgl.  oben  S.  286  f.).  Bei  den  Leviten  wird  man  die  Zahl  der  auswärtigen 
im  Verhältnis  zu  den  in  Jerusalem  wohnenden  eher  noch  größer  annehmen 
dürfen.  Jedenfalls  muß  die  Zahl  der  „Leviten"  größer  gewesen  sein,  als  die 
der  Sänger  und  Torhüter.  Denn  wenn  der  Chronist  für  die  Zeit  Davids  24000 
Leviten  im  engern  Sinne,  4000  Sänger  und  4000  Torhüter  rechnet  (I  Chron. 
23, 4 — 5),  so  muß  das  relative  Zahlen  Verhältnis  doch  ungefähr  der  Wirklichkeit 
zur  Zeit  des  Chronisten  entsprochen  haben,  mögen  die  absoluten  Zahlen  auch 
noch  so  sehr  übertrieben  sein. 

59)  S.  Bertheau  zu  der  Stelle.  —  Auf  das  Geschlecht  Gerson  kommen 
9  Vaterhäuser,  auf  das  Geschlecht  Rabat  ebenfalls  9,  auf  das  Geschlecht 
Merari  wahrscheinlich  6,  wenn  man  nämlich  aus  o.  24,  26—27  die  drei  fehlen- 
den Vaterhäuser  Schoharo,  Sakkur  und  Ibri  ergänzt  und  den  doppelt  vor- 
kommenden Namen  Maheli  in  c.  23,  23  tilgt.  —  Auf  andere  Weise  sucht  zu 
der  Zahl  24  zu  gelangen:  Berlin,  Notes  on  genealogies  of  the  tribe  of  Levi 
(Jewish  Quarterly  Review  XII,  1900,  p.  291—298).  —  Als  unzulässig  wird  die 
Herstellung  der  Zahl  24  in  unserer  Genealogie  betrachtet  von  Benzinger, 
Die  Bücher  der  Chronik  (in  Martis  Kurzem  Hand-Commentar  XX,  1901)  S.  68, 
und  Kittel,  Die  Bücher  der  Chronik  (in  Nowacks  Handkommentar  I,  6,  1, 
1902)  S.  86. 

60)  Joseph.  Antt.  VII,  14,  7:  inoirjoe  6h  xal  xi}<;  AevLxidoq  <pvXr}Q  blxooi 
füiQTj  xal  riooaoa,  xal  xXjjqcdocc/jI&cov  xazk  tdv  abvbv  ävißrjaav  tgdnov  xalq 
xibv  Uq&wv  i(prjfji6Ql<Jiv  inl  ^igag  öxtw.  —  Taanith  IV,  2:  „Die  ersten  Pro- 
pheten haben  24  Dienstabteilungen  (tviOTia)  aufgestellt.  Auf  jede  kam  eine 
Standmannschaft  v"**2*13)  *n  Jerusalem  von  Priestern,  Leviten  uud  Israeliten. 
Sobald  die  Zeit  einer  Dienstabteilung  zum  Hinaufgehen  kam,  zogen  die 
Priester  und  Leviten  nach  Jerusalem,  die  Israeliten  aber  versammelten  sich 
in  den  Synagogen  ihrer  Städte  und  lasen  die  Schöpfungsgeschichte". 


[242.  243]  IL  Die  Einkünfte.  297 

Priestern,  so  standen  auch  bei  den  Leviten  Vorsteher  (D^to  oder 
D^ttJan)  an  der  Spitze  der  einzelnen  Abteilungen61. 

Über  die  Wohnstätten  der  Priester  und  Leviten  haben  wir 
nur  sehr  wenige  zuverlässige  Nachrichten;  denn  von  der  Gesetz- 
gebung über  die  48  Levitenstädte,  die  lediglich  eine  Theorie  blieb 
(Num.  35.  Josua  21),  ist  hier  gänzlich  abzusehen.  Sicher  ist,  daß 
bei  der  Neuordnung  der  Gemeinde  nur  ein  Teil  der  Priester  und 
Leviten  in  Jerusalem  selbst  Wohnung  erhielt;  die  übrigen  wohnten 
zerstreut  in  den  Städten  und  Dörfern  Judäas,  die  meisten  wohl 
nicht  sehr  weit  vom  Zentrum  entfernt.  In  dem  schon  erwähnten 
Verzeichnis  Nehem.  11,  10—19  wird  die  Zahl  der  in  Jerusalem 
wohnenden  Priester  auf  1192  angegeben62,  die  der  Leviten  und 
Sänger  auf  284,  die  der  Torhüter  auf  172.  Die  Gesamtzahl  der 
Priester  betrug  aber  etwa  das  Fünffache,  wenn  nicht  mehr 
(s.  Anm.  58);  und  bei  den  anderen  Kategorien  mag  die  Zahl  der 
Auswärtigen  im  Verhältnis  noch  größer  gewesen  sein.  Jedenfalls 
ist  die  allgemeine  Tatsache,  daß  sowohl  Priester  als  Leviten  in 
den  Städten  und  Dörfern  Judäas  wohnten,  wiederholt  und  sicher 
bezeugt63.  Im  einzelnen  wissen  wir  aber  darüber  nichts  Näheres64. 


IL  Die  Einkünfte. 

Die  Einkünfte,  welche  die  Priesterschaft  zu  ihrem  Lebens- 
unterhalt vom  Volke  bezog,  waren  bis  zum  Exil  sehr  bescheidene, 
ja  überhaupt  kaum  regelmäßige.  Nach  dem  Exil  sind  sie  fast  ins 
Unermeßliche  gesteigert.    An  diesem  einen  Punkte  läßt  sich  in 


61)  D^ü  I  Chron.  15,  4—12.  II  Chron.  35,  9.  —  D^löao  Nehem.  12,  22—23. 
I  Chron.  9,  33.  34.  15,  12.  23,  24.  24,  6.  31.  —  Die  Abteilungen,  um  deren 
Vorsteher  es  sich  in  diesen  Stellen  bandelt,  sind  allerdings  verschiedene. 

62)  Eine  höhere  Zahl  gibt  die  Parallelstelle  I  Chron.  9,  10—13. 

63)  Esra  2,  70.    Nehemia  7,  73.  11,  3.  20.  30.    II  Chron.  31,  15.  19. 

64)  Eine  Anzahl  Orte,  an  welchen  Sänger  sich  niedergelassen  hatten 
wird  Nehem.  12,  27—29  aufgezählt.  —  Die  Makkabäer  stammten  aus  Modein 
(I  Makk.  2,  1;  aus  dem  xal  ixäöiaev  darf  nicht,  wie  von  mir  in  der  3.  Aufl. 
geschehen  ist,  geschlossen  werden,  daß  die  Makkabäer  sich  erst  infolge  der 
Wirren  unter  Antiochus  Epiphanes  dort  niedergelassen  haben,  vgl.  dagegen 
2,  70:  4v  Tcupoiq  naxigwv  avzCov,  13,  25:  noXet.  rtbv  narigcov  alzibv).  —  Der 
Priester  Zacharias  wohnte  auf  dem  Gebirge  Juda  (Lue.  1,  39).  —  Nach  Ori- 
genes  war  Bethphage  ein  Priesterdorf,  Comment.  in  Matth.  tom.  XVI  c.  17 
(Lommatxsch  IV,  52):  hofi7iveveo9ai  öi  <pa/uev  x^v  Brj&tpayti  phv  ohcov  aiayö- 
vwv9  fjris  xtbv  leoiwv  ^v  %a>Qiov.  —  Vgl.  überhaupt  auch:  Büchler,  Die 
Priester  und  der  Cultus  im  letzten  Jahrzehnt  des  jerusalemischen  Tempels 
(1895)  S.  159  ff. 


298  §  24-   Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [243.  244] 

ganz  besonders  augenfälliger  Weise  beobachten,  welch  gewaltigen 
Zuwachs  an  Macht  und  Einfluß  die  Priesterschaft  durch  die  Neu- 
ordnung der  Dinge  nach  dem  Exil  gewonnen  hat1.  Und  zwar  ist 
diese  Machtsteigerung  ebenso  die  Ursache  der  erhöhten  Ansprüche 
gewesen,  wie  sie  andererseits  auch  wieder  eine  Folge  des  ver- 
mehrten materiellen  Einkommens  war.  Die  späteren  Schriftgelehrten 
aber,  welche  an  sich  den  Priestern  nicht  immer  günstig  gesinnt 
waren,  konnten  an  diesem  Sachverhalte  nichts  mehr  ändern:  das 
priesterliche  Gesetz  war  längst  göttliches  Gesetz  geworden.  Ja 
die  Schriftgelehrten  trugen  ebendeshalb  nur  noch  zur  Steigerung 
des  priesterlichen  Einkommens  bei.  Unter  dem  Gesichtspunkte, 
daß  man  um  so  mehr  Gottes  Wohlgefallen  sich  erwerbe,  je  pünkt- 
licher und  bereitwilliger  man  jene  Forderungen  erfülle,  hat  man 
die  Bestimmungen  des  Gesetzes  fast  durchweg  in  einem  den  Priestern 
günstigen  Sinne  interpretiert  Und  wir  erleben  das  eigentümliche 
Schauspiel,  daß  eine  Zeit,  welche  die  Priester  schon  mit  Mißtrauen 
beobachtete,  doch  noch  an  der  Befestigung  und  Erhöhung  der 
priesterlichen  Macht  mitgearbeitet  hat. 

In  der  vorexilischen  Zeit  gab  es  überhaupt  fast  noch  keine 
eigentlichen  Abgaben  als  solche,  nämlich  keine,  welche  außer 
Zusammenhang  mit  dem  Opfer  standen  und  den  reinen  Charakter 
einer  Steuer  hatten.  Abgaben  an  die  Priester  wurden  nur  ent- 
richtet bei  Gelegenheit  der  Opfer  und  im  Zusammenhang  mit  diesen. 
Der  Opfernde  brachte  den  besten  Ertrag  seines  Feldes  und  die 
Erstgeburt  seines  Viehes  vor  Jahve.  Davon  wurde  ein  Teil  auf 
dem  |  Altar  verbrannt;  einen  anderen  Teil  erhielt  der  Priester;  das 
meiste  kam  dem  Darbringer  selbst  zugute;  denn  es  sollte  zu  fröh- 
lichen Opfermahlen  vor  Jahve  verwendet  werden.  In  diesem  Sinne 
ist  es  zu  verstehen,  wenn  schon  die  älteste  (j  ah  vis  tische)  Ge- 
setzgebung verlangt,  daß  der  beste  Ertrag  des  Feldes  und  die 
Erstgeburt  des  Viehes  vor  Jahve  gebracht  werde  (Erstlinge  des 
Feldes:  Exod.  22,  28.  23,  19.  34,  26;  Erstgeburt  des  Viehes:  Exod.  13, 
11—16.  22,  29.  34, 19— 20) 2.  Vollkommen  deutlich  und  zweifellos 
sind  die  einschlagenden  Bestimmungen  des  Deuter onomiums. 
Dasselbe  kennt  weder  eine  Abgabe  des  Zehnt  an  die  Priester,  noch 


1)  Die  richtige  Einsicht  in  diese  Dinge  verdanken  wir  erst  der  neneren 
Pentateuchkritik.  8.  bes.  Wellhausen,  Geschichte  Israels  I,  156 — 164  — 
Prolegomena  5.  Ausg.  S.  149—156. 

2)  Die  subtilere  Frage,  ob  Exod.  13, 11—16  und  34, 19—20  dem  Jahvisten 
selbst  oder  einer  anderen  verwandten  Hand  angehört,  kann  hier  dahingestellt 
bleiben.  S.  für  ersteres  Dill  mann,  Exeget.  Handb.  zu  Exodus  und  Leviticus 
S.  99.  334;  für  letzteres  Wellhausen,  Jahrbücher  für  deutsche  Theologie  1876, 
S.  542 ff.  553ff.    Baentsch,  Exodus-Leviticus-Numeri  (1903)  S.  111. 


[244  245]  IL  Die  Einkünfte.  299 

eine  Abgabe  der  Erstgeburt  an  dieselben.  Der  Zehnte  der  Feld- 
früchte soll  allerdings  abgesondert  und  zum  Heiligtum  nach  Jeru- 
salem gebracht  werden.  Dort  wird  er  aber  nicht  etwa  dem  Priester 
gegeben,  sondern  vom  Eigentümer  selbst  verzehrt;  und  nur  in  jedem 
dritten  Jahre  erhalten  ihn  die  Leviten,  cL  L  die  Priester,  und  die 
Armen  (Deut.  14,  22—29.  26,  12—15;  vgl  auch  12,  6.  11.  17—19). 
Ebenso  steht  es  mit  der  Erstgeburt  Auch  diese,  und  zwar  die 
männliche  Erstgeburt  der  Binder  und  Schafe,  soll  zum  Heiligtum 
nach  Jerusalem  gebracht,  dort  aber  vom  Eigentümer  selbst  zu 
Opfermahlen  verwendet  werden  (Deut.  15,  19—23;  vgl.  auch  12,  6. 
17—19.  14,  23).  Die  Priester  erhalten  von  alledem  nur  gewisse 
Anteile;  nämlich  von  den  Feldfrüchten  nur  die  rniö*n,  d.  h.  das 
Beste  (Deut  18,  4.  26,  1—11),  und  von  den  geopferten  Tieren  nur 
je  einen  Vorderfuß,  Kinnbacken  und  Magen  (Deut.  18,  3).  Außerdem 
wird  nur  noch  eine  Abgabe  von  der  Schafschur  erwähnt,  die  den 
Priestern  gegeben  werden  soll  (Deut  18,  4).  —  Zur  Bestätigung  des 
Bisherigen  dienen  die  Forderungen  Ezechiels  (44,  28—30).  Auch 
er,  der  doch  selbst  Priester  war  und  die  Ansprüche  derselben  ge- 
wiß eher  begünstigt  als  zurückgedrängt  hat,  weiß  doch  noch  nichts 
von  einer  Abgabe  des  Zehnt  und  der  Erstgeburt  an  die  Priester. 
Seine  Ansprüche  sind  allerdings  schon  etwas  höher  als  die  des 
Deuteronomiums,  bewegen  sich  aber  im  ganzen  doch  noch  auf  der 
gleichen  Linie.  Während  das  Deuteronomium  den  Priestern  von 
den  geopferten  Tieren  nur  ein  paar  Stücke  zuweist,  sollen  nach 
Ezechiel  die  Priester  die  Sündopfer  und  Schuldopfer  (welche  das 
Deuteronomium  noch  gar  nicht  kennt)  ganz  erhalten,  desgleichen 
die  Speisopfer  (Exech.  44,  29);  ferner  alles  „Gebannte"  (44,  29);  end- 
lich die  |  Eeschith,  d.  h.  das  Beste,  von  den  Erstlingsfrüchten,  von 
Opfergaben  aller  Art  und  vom  Teig  beim  Backen  (44,  30) 3. 

Bedeutend  höher  als  alle  bisherigen  Forderungen  sind  nun 
aber  diejenigen  des  Priester kodex,  der  in  der  Übersicht  über 
die  priesterlichen  Einkünfte  Num.  18,  8—32  vielfach  mit  Ezechiel 
übereinstimmt,  daneben  aber  als  bedeutendste  Neuerung  die  Ab- 
gabe des  Zehnt  und  der  Erstgeburt  einführt.  Wie  Ezechiel,  so 
weist  auch  der  Priesterkodex  die  Sündopfer,  Schuldopfer  und  Speis- 
opfer den  Priesternf  zu,  von  letzteren  wenigstens  den  größten  Teil 
(Num.  18,  9 — 10;  Genaueres  s.  Lev.  1—7),  Von  denjenigen  Opfern, 
welche  der  Eigentümer  selbst  zum  Opfermahl  verwenden  durfte 


3)  Die  Stellung  Ezechiels  zwischen  Deuteronomium  und  Priesterkodex 
ist  u.  a.  treffend  gezeichnet  von  Kam  rat  h,  Jahrbb.  für  prot  Theol.  1891, 
S.  585—610,  bes.  597 ff.  Vgl  auch:  Bertholet,  Der  Verfassungsentwurf  des 
Hesekiel  in  seiner  religionsgeschichtlichen  Bedeutung,  1896. 


300  §  24.   Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [245.  246] 

(den  sogenannten  D^ttbti  TOT),  sollten  die  Priester  die  Brust  und 
die  rechte  Keule  erhalten  (Lev.  7,  30— 34),  also  bedeutend  bessere 
Stücke,  als  das  Deuteronomium  ihnen  zugewiesen  hatte.  Wie  nach 
Ezechiel,  so  erhalten  die  Priester  auch  nach  dem  Priesterkodex 
alles  Gebannte  (Num.  18,  .14)  und  das  Beste,  die  Reschith,  von  den 
Bodenerzeugnissen:  von  Öl,  Most  und  Getreide  (Num.  18,  12).  Zu 
der  Reschith  kommen  aber  noch  als  eine  Abgabe  anderer  Art  die 
Erstlingsfrüchte,  D*n*Da  (Num.  18,  13);  und  endlich  als  das  wesent- 
lichste, alles  Bisherige  bedeutend  übersteigende  Einkommen  der 
Zehnt  (Num,  18,  20—32)  und  die  Erstgeburt  (Num.  18, 15—18).  Der 
Zehnt  gehört  jedoch  zunächst  den  „Leviten",  die  davon  ihrerseits 
den  zehnten  Teil  an  die  Priester  abzugeben  haben.  Die  Abgabe 
vom  Teig  an  die  Priester,  die  in  der  Hauptübersicht  fehlt,  wird 
auch  im  Priesterkodex  an  einer  anderen  Stelle  erwähnt  (Num.  15, 
17—21).  -r-  Zur  Zeit  Nehemias  finden  wir  diese  Verordnungen 
bereits  in  voller  Kraft.  Nach  Nehem.  10,  36—40  wurden  damals 
bereits  entrichtet:  die  Erstlingsfrüchte  oder  Bikkurim  (10,  36),  das 
Beste  von  den  Bodenerzeugnissen,  das  hier  wie  im  Priesterkodex 
sowohl  von  den  Erstlingsfrüchten  als  vom  Zehnt  deutlich  unter- 
schieden wird  (10, 38),  der  Zehnt  in  derselben  Weise  wie  im  Priester- 
kodex (10,  38—40),  die  Erstgeburt  (10,  37)  und  die  Abgabe  vom 
Teig  (10,  38) 4.  —  Unter  dem  Zehnten  ist  hier  überall  nur  der 
Zehnte  |  von  den  Feld-  und  Baumfrüchten  zu  verstehen.  An  einer 
Stelle  des  Priesterkodex  wird  aber  außer  diesem  Zehnt  auch  der- 
jenige vom  Vieh  gefordert  (Lev.  27,  32—33).  Vermutlich  gehört 
diese  ganz  vereinzelt  dastehende  Forderung  nicht  zum  ursprüng- 
lichen Bestände  des  Priesterkodex5.  Zur  Zeit  des  Chronisten 
scheint  der  Viehzehnt  in  der  Tat  entrichtet  worden  zu  sein;  oder 
er  gehört  doch  zu  den  Idealen  des  Chronisten  (II  Chron.  31,  6).  In 
der  nachbiblischen  Zeit  hat  man  die  ganze  Stelle  Lev.  27,  30—33 
im  Sinne  des  vom  Deuteronomium  geforderten  Zehnt  verstanden. 
Die  gesetzlichen  Bestimmungen  des  Deuteronomiums  und  des 


4)  Baudissin,  Geschichte  des  alttestamentlichen  Priesterthums,  S.  124 ff. 
170 ff.,  bestreitet,  daß  im  Priesterkodex  (Num.  IS,  12 — 131  und  bei  Nehemia 
(10,  36.  38)  die  Reschith  und  die  Bikkurim  verschiedene  Abgaben  von  den- 
selben Erzeugnissen  seien.  Seine  Ausführungen  scheinen  mir  namentlich  in 
betreff  Nehemias  .nicht  überzeugend;  indessen  ist  die  Sache  sehr  irrelevant, 
da  die  Bikkurim,  wenn  sie  von  der  Reschith  zu  unterscheiden  sind,  materiell 
nicht  ins  Gewicht  fallen.  Die  gewaltige  Neuerung  des  Priesterkodex  ist  die 
Einführung  des  Zehnt  und  der  Erstgeburtsabgabe  als  einer  Steuer  an  die 
Kultusbeamten. 

5)  S.  Wellhausen,  Jahrbb.  für  deutsche  Theol.  1877,8.444.  Geschichte 
Israels  I,  162  =  Prolegomena  5.  Ausg.  S.  155. 


[246.  247]  n.  Die  Einkünfte.  301 

Priesuterkodex  sind  nicht  nur  literarisch  zu  einem  Ganzen  vereinigt 
worden,  sondern  auch  in  der  Praxis  miteinander  kombiniert  worden. 
So  hat  die  spätere  Rechtsentwickelung  die  ohnehin  schon 
sehr  hohen  Abgaben  des  Priesterkodex  noch  um  ein  Erhebliches 
gesteigert.  Mit  dem  Levitenzehnt  des  Priesterkodex  wurde  jetzt 
der  im  Deuteronomium  vorgeschriebene  Zehnt,  der  vom  Eigentümer 
vor  Jahve  verzehrt  werden  sollte,  einfach  als  „zweiter  Zehnt" 
kombiniert  Die  widersprechenden  Vorschriften  des  Priesterkodex 
und  des  Deuteronomiums  in  betreff  der  von  den  Opfertieren  an 
die  Priester  abzugebenden  Stücke  wurden  jetzt  dadurch  mitein- 
ander vereinigt,  daß  man  nur  die  ersteren  auf  die  geopferten  Tiere, 
die  letzteren  aber  auf  die  zum  profanen  Gebrauch  geschlachteten 
Tiere  bezog;  von  den  ersteren  erhielten  die  Priester  nach  Lev.  7, 
30—34  die  Brust  und  die  rechte  Keule,  von  den  letzteren  nach 
Deut.  18,  3  einen  Vorderfuß,  Kinnbacken  und  Magen.  Endlich  wurde 
zu  allen  Steuern  des  Priesterkodex  auch  noch  die  im  Deuterono- 
mium (18,  4)  vorgeschriebene  Abgabe  von  der  Schafschur  hinzu- 
gefügt Durch  dieses  kombinierende  Verfahren  ergab  sich  folgende 
Liste  von  Einkünften  der  Priesterschaft,  die  wir  zur  Zeit  Christi 
als  in  voller  Geltung  befindlich  betrachten  dürfen6.  | 

I)  Von  den  Opfern  kamen  den  Priestern  folgende  Anteile  zu: 
1)  Die  Sündopfer  ganz,  wenigstens  in  der  Regel,  da  nur  für  ein 
paar  besondere  Arten  die  Verbrennung  außerhalb  des  Lagers  vor- 


6)  Eine  Zusammenstellung  gibt  bereits  Philo  in  seinem  Traktat  De 
praemiis  sacerdotum  et  honoribus  (Opp.  ed.  Mangey  II,  232—237);  vgl.  dazu 
Bitter,  Philo  und  die  Halacha,  1879,  S.  114 — 126.  Ferner  Josephus  in  der 
Hauptstelle  Antt.  IV,  4,  4,  womit  zu  vgl.  III,  9, 1—4  (Opferabgaben)  und  IV, 
8,  22  (Erstlinge);  vgl.  dazu  01itzkik  Magazin  für  die  Wissensch.  des  Judenth. 
XVI,  1889,  S.  169—182.  —  Die  Rabbinen  rechnen  infolge  künstlicher  Zäh- 
lung im  Ganzen  24  Abgaben  an  die  Priester,  s.  Tosepkta  Challa  II,  7 — 9 
(ed.  Zuckermandel),  jer.  Challa  IV  fin.  fol.  60b.  bab.  Baba  kamma  110b.  Chullm 
133b.  Pesikta  bei  Ugolini,  Thesaurus  t.  XIII,  1122—1128.  Einige  von  den  24 
Abgaben  sind  schon  Mischna  Challa  IV,  9  aufgezahlt.  Die  talmudischen 
Stellen  auch  bei  Bei  and ,  Antiquitqtes  sacrae  II,  4,  11;  inBernards  Aus- 
gabe des  Josephus  zu  Antt.  IV,  4,  4,  und  in  Havercamps  Ausgabe  zu  der- 
selben Stelle;  deutsch  bei  Saalschütz,  Das  mosaische  Recht  1,351.  —  Unter 
den  Neueren  geben  die  relativ  vollständigsten  und  korrektesten  Übersichten: 
Saalschütz,  Das  mosaische  Recht  I,  343—353,  und  Haneberg,  Die  reli- 
giösen Alterthüiner  der  Bibel  S.  565—582.  Urkundliches  Material  auch  bei 
Ugolini,  Thesaurus  XIII,  1055—1129.  —  Interessante  Parallelen  geben  die 
Opfertarife  auf  phönizischen  Inschriften  in  Marseille  (Corp.  Inser.  Semit,  t.  I 
n.  165  —  Landau,  Beiträge  zur  Altertumskunde  des  Orients  II,  1899,  n.  213  «— 
Cooke,  Text-book  of  Northsemitic  insoriptions  n.  42)  und  Karthago  (Corp.  Inser. 
Sem.  I  n.  167.  168.  169.  170;  Landau  n.  216—219;  Cooke  n.  43). 


302  §  24.   Die  Priesterachaft  und  der  Tempelkultus.  [247.  248] 

geschrieben  war7.  2)  Die  Schuldopfer  ebenfalls  ganz8.  Bei 
beiden  wurden  nur  die  Fettstücke  auf  dem  Altar  verbrannt;  das 
Fleisch  gehörte  den  Priestern.  3)  Von  den  Speisopfern  bei  weitem 
das  meiste,  indem  in  der  Regel  nur  ein  Abhub  davon  auf  den 
Altar  kam,  das  übrige  aber  den  Priestern  zufiel 9.  Alle  diese  Arten 
kamen  sehr  häufig  vor,  namentlich  die  Speisopfer,  die  nicht  nur 
für  sich  allein  dargebracht  werden  konnten,  sondern  auch  eine 
notwendige  Zugabe  zu  den  meisten  Tieropfern  bildeten 10.  In  die- 
selbe Kategorie  wie  diese  drei  Opferabgaben  gehören  auch  noch 
4)  die  zwölf  Schaubrote,  die  im  Tempel  wöchentlich  neu  auf- 
gelegt wurden,  und  von  welchen  immer  die  abgenommenen  den 
Priestern  gehörten11.  —  Alle  diese  vier  Arten  waren  „hochheilig4* 
und  durften  |  als  solche  nur  an  heiliger  Stätte,  d.  h.  nur  im 
innern  Vorhof,  und  nur  von  den  Priestern  selbst  (nicht  deren  An- 
gehörigen) verzehrt  werden12. 

Nicht  ebenso  streng  sind  die  Bestimmungen  in  betreff  der 
folgenden  zwei  Opferabgaben.  Nämlich  5)  von  den  D^ttbti  innt, 
d.  h.  von  denjenigen  Opfern,  welche  von  den  Darbringenden  selbst 
verzehrt  wurden,  bei  Luther  „Dankopfer",  richtiger  „Mahl- 
opfer", erhielten  die  Priester  je  zwei  Stücke:  die  Brust  und  die 
rechte  Kenia   Diese  durften  überall  „an  reiner  Stätte",  also  auch 


7)  Lev.  5,  13.  6,  19.  22  f.  Num.  18,  9-10,  Exech.  44,  29.  Joseph.  AniL 
III,  9,  3.  Siphra  zu  Lev.  6,  19  ff.  bei  Ugolini,  Thesaurus  XIII,  1071  ff.  — 
Über  die  Sund-  und  Schuldopfer  überhaupt  s.  Lev.  4—7;  Win  er  BWB.  II, 
429—435.  Riehm,  Theol.  Stud.  u.  Krit  1854,  S.  93—121.  Rinck,  ebendas. 
1855,  S.  369-381. 

8)  Lev.  7,  6—7.  Num,  18,  9—10.  Exech.  44,  29.  Joseph.  Äntt.  III,  9,  3. 
Siphra  zu  Lev.  7,  6—7  bei  Ugolini  Thes.  XIII,  1078. 

9)  Lev.  2,  3.  10.  6,  9—11.  7,  9—10.  7,  14.  10,  12—13.  Num.  18,  9—10. 
Exech.  44,  29.  Joseph.  Änü.  III,  9,  4:  r^v  6h  lotn^v  ol  leoelq  rcQÖq  xootp^v 
Xa/tßdvovaiv,  1j  hptj&etoav  (£Xal<p  yäo  avtine<pvQaxaC)  »J  yevauhwv  aorwv.  — 
Über  die  Speisopfer  überhaupt  s.  Lev.  2  ganz  u.  6,  7—11.    WinerRWB,  s.  v. 

10)  Von  der  Häufigkeit  mancher  dieser  Opfer  kann  man  sich  eine  Vor- 
stellung machen,  wenn  man  die  Gesetze  über  levitische  Unreinheit  und  deren 
Beseitigung  liest  (Lev.  11—15;  Num.  19),  Jede  Wöchnerin  z.  B.  hatte  ein 
Lamm  als  Brandopfer  und  eine  Taube  als  Sündopfer,  oder  im  Falle  des  Un- 
vermögens eine  Taube  als  Brandopfer  und  eine  Taube  als  Sündopfer  darzu- 
bringen, Lev.  12,  1—8;  Ev.  Luc.  2,  24. 

11)  Lev.  24,  5 — 9;  dazu  Siphra  und  die  anderen  rabbinischen  Stellen  bei 
Ugolini,  Thes.  XIII,  1084 ff.;  auch  Jos.  Äntt.  III,  10,  7.  Ev.  Maith.  12,  4. 
Marc.  2,  26.  Luc.  6,  4.  —  Über  die  Art  der  Verteilung:  Sukka  V,  7—8  (die 
abgehende  Dienstabteilung  erhielt  die  Hälfte  und  die  antretende  die  andere 
Hälfte). 

12)  Num.  18,  10  und  die  in  den  vorigen  Anmerkungen  zitierten  Stellen; 
auch  Joseph.  Äntt.  IV,  4,  4  fin. 


[248.  249]  H.  Die  Einkünfte.  303 

außerhalb  des  Heiligtums  genossen  werden,  und  nicht  nur  von  den 
Priestern,  sondern  auch  von  allen  Angehörigen  des  Priesterstandes, 
auch  den  Frauen  und  Töchtern13.  Verhältnismäßig  am  wenigsten 
erhielten  die  Priester  endlich  6)  von  den  Brandopfern,  da  diese 
ganz  auf  dem  Altar  verbrannt  wurden.  Aber  selbst  hiervon  fiel 
ihnen  wenigstens  das  Fell  zu;  und  bei  der  Häufigkeit  der  Brand- 
opfer hat  Philo  gewiß  recht,  wenn  er  auch  diese  Abgabe  als  eine 
recht  ansehnliche  taxiert14. 

II)  So  bedeutend  diese  Opferabgaben  auch  waren,  so  bildeten 
sie  doch  immer  nur  den  geringeren  Teil  des  priesterlichen  Ein- 
kommens; sie  kamen  ja  in  der  Hauptsache  auch  nur  den  dienst- 
tuenden Priestern  zugute.  Die  eigentliche  Masse  des  priesterlichen 
Einkommens  bildeten  dagegen  diejenigen  Abgaben,  welche 
abgesehen  von  den  Opfern  noch  zu  entrichten  waren,  | 
welche  also  den  Charakter  einer  reinen  Steuer  für  die  Priester- 
schaft hatten.  Diese  Abgaben  bezogen  sich  teils  auf  die  Erzeug- 
nisse des  Bodens,  teils  auf  diejenigen  der  Viehzucht,  und  waren 
teils  in  natura  zu  entrichten,  teils  konnten  sie  auch  gegen  Geld 
ausgelöst  werden.  Die  Abgaben  von  den  Bodenerzeugnissen 
waren  viererlei  Art  und  mußten  in  folgender  Ordnung  abgesondert 
werden15:  1)  Die  Erstlingsfrüchte,  D'niM.  Sie  wurden  von 
den  sogenannten  „sieben  Arten",  d.  h.  von  den  im  Deuteronomium 
(8, 8)  aufgezählten  sieben  Haupterzeugnissen  Palästinas  dargebracht, 
von  Weizen,  Gerste,  Weintrauben,  Feigen,  Granatäpfeln,  Oliven 


13)  Lev.  7,  30—34.  10, 14—15.  Siphra  zu  Lev.  7,  30—34  bei  Ugolini,  Thes. 
XIII,  1094  ff.  Philo,  De  praemiis  sacerdotum  §  3  (ed.  Mang.  II,  234:  navxdg 
yao  leoelov  noooxtxaxxai  ovo  xoZg  Isqsvoiv  &nö  SvoZv  didoo&ai  iieXCbv,  ßoa- 
Ziova  fxhv  &nd  %eiQÖ<;  Se£iäqy  änd  6h  xov  ox^&ovg  ßoov  nlov.  Josephus  Antt. 
III,  9,  2:  xb  de  oxtj&OQ  scal  x^v  xv^pttiv  r?)v  fe&av  xoti;  Isoevot,  naoacyiöv- 
xsq.  —Vgl.  über  die  Mahlopfer  überh.  Lev.  3  ganz,  7, 11—21.  28—34.  Win  er 
RWB.  Art.  „Dankopfer". 

14)  Uv.  7,  8;  dazu  Siphra  bei  Ugolini,  Thes.  XIII,  1079.  Mischna  Se- 
bachim  XII,  2—4.  Tosephta  Sebachim  (oder  Korbanoth)  XI,  7  ff.  bei  Ugolini. 
Thes.  XIII,  1080  ff.  Philo,  De  praemiis  sacerdotum  §  4  (Mang.  II,  235):  yE<p 
anaoi  fiivxoi  xal  xä$  xChv  dloxavxcjuaxwv,  äfxv&Tjra  Sh  xavx  iaxt,  Sooag 
itQooxaxxei  xovq  önrjQSTovvxcK;  xal<i  dvolaiq  leotfQ  Xafjtßdveiv,  oh  ßoax&av  ccAA* 
iv  xolg  (xalioxa  nolvxQ+uxaxov  Swgiav.  Josephus,  Antt.  III,  9,  1.  Ritter, 
Philo  und  die  Halacba  8.  126.  Auch  bei  den  Griechen  gehörten  die  Häute 
der  Opfertiere  den  Priestern  (s.  Knobel-Dillmann  zu  Lev.  7,  8);  desgleichen 
nach  der  ersten  Opfertafel  von  Karthago  (Corp.  Inser.  Semit.  I  n.  167  «=  Lan- 
dau, Beiträge  zur  Altertumskunde  des  Orients  II  n.  216),  während  sie  nach 
der  Opfertafel  von  Marseille,  die  auch  aus  Karthago  stammt  (ibid.  n.  165  =■ 
Landau  n.  213),  den  Darbringenden  gehörten.  —  Ober  die  Brandopfer  überh. 
s.  Lev.  1,  3—17.    Winer  RWB.  *.  v. 

15)  Über  die  Reihenfolge  s.  Terumoth  III,  6—7. 


304  §  24.   Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [249.  250] 

und  Honig.  Die  nahe  bei  Jerusalem  Wohnenden  brachten  frische 
Früchte,  die  entfernter  Wohnenden  getrocknete.  Die  Darbringung 
geschah  in  gemeinsamen  Prozessionen  und  wird  von  Philo  und  der 
Mischna  als  ein  fröhliches  Fest  beschrieben.  Die  Landleute  sam- 
melten sich  in  den  Hauptstädten  und  zogen  von  da  in  festlichem 
Zuge  unter  Pfeifenspiei  hinauf  genZion.  An  der  Spitze  des  Zuges 
wurde  der  Stier  geführt,  der  zum  Mahlopfer  bestimmt  war,  die 
Hörner  mit  Gold  belegt  und  mit  Olivenzweigen  bekränzt  In 
Jerusalem  gingen  die  Vornehmsten  der  Priesterschaft  dem  Zuge 
entgegen.  Die  Darbringenden  bekränzten  die  Körbe,  in  denen  die 
Erstlinge  lagen,  und  trugen  sie  auf  der  Schulter  den  Tempelberg 
hinauf  bis  zum  Vorhof.  So  taten  auch  die  Vornehmsten,  selbst 
König  Agrippa.  Sobald  der  Zug  in  den  Vorhof  eintrat,  empfingen 
ihn  die  Leviten  mit  dem  Gesang  von  Psalm  30.  Jeder  tibergab 
nun  unter  Ablegung  des  Bekenntnisses  Deut.  26,  5—10  seinen  Korb 
dem  Priester,  der  ihn  am  Altar  niedersetzte16.  —  2)  Verschieden 
von  diesen  Erstlingsfrüchten,  deren  Darbringung  immerhin  noch 
mehr  symbolisch-religiöse  Bedeutung  hat  und  insofern  nicht  ganz 
in  diese  Kategorie  gehört,  ist  die  sogenannte  Teruma  (swnn), 
die  den  Charakter  einer  reinen  Naturalleistung  für  die  Priester 
hat.  Unter  Teruma  im  engeren  Sinn  (denn  im  weiteren  Sinn  ist 
Teruma  jede  „Hebe",  d.  h.  jede  Abgabe  an  das  Heiligtum)  versteht 
nämlich  |  das  rabbinische  Judentum  die  Abgabe  des  Besten  der 
Feld-  und  Baumfrüchte  an  die  Priester.  Diese  Abgabe  be- 
zog sich  nicht  nur  auf  die  „sieben  Arten",  sondern  auf  alle  Arten 
von  Feld-  und  Baumfrüchten,  Die  wichtigsten  waren  auch  hier 
wieder  Getreide,  Wein  und  Öl.  Die  Abgabe  geschah  nicht  nach 
Maß,  Gewicht  und  Zahl17,  sollte  aber  im  Durchschnitt  V50  des 
Einkommens  betragen;  wer  V40  gab»  gab  reichlich,  wer  nur  %0, 
gab  kärglich18.    Was  einmal  zu  Teruma  bestimmt  war,  durfte 


16)  S.  überh.  Num.  18,  13.  Nehem.  10,  36.  Auch  Exod.  23,  19.  34,  26. 
Deut.  26,  1 — 11  wurde  hierauf  bezogen.  Joseph.  AtUt.  IV,  8,  22.  In  der  Mischna 
handelt  von  den  Erstlingen  der  ganze  Traktat  Bikkurim.  Vgl.  bes.  Bikkurim 
I,  3  (von  den  sieben  Arten  darzubringen)  und  III,  1—9  (Beschreibung  des  Fest- 
zuges). Philo  handelt  hiervon  in  dem  erst  durch  Mai  herausgegebenen  kleinen 
Traktat  De  festo  cophini,  in  Richters  Ausgabe  der  Werke  Philos  V,  48 — 50; 
bei  Tischendorf,  Philonea  (1868)  p.  69—71;  in  Oohns  Ausg.  V,  1906,  p.  140  sq. 
—  Aus  der  Literatur  ist  hervorzuheben:  Lundius,  Die  alten  jüdischen 
Heiligthümer  Buch  III,  Kap.  54.  U?/olini,  Tfies.XLII,  1100 ff.  Winer  RWB. 
Art.  „Erstlinge".  Saalschütz  I,  344  f.  Haneberg  8.  565—568.  Grätz, 
Monatsschrift  für  Geschichte  und  Wissensch.  des  Juden th.  1877,  S.  433  ff. 

17)  Terumoth  I,  7. 

18)  Terumoth  IV,  3.  — Vgl.  Hieronytnus,  Comment.  in  Exechiel.  45,13 — 14. 
(Opp.  ed.  Vallarsi  V,  565):    At  vero  primitiva  quae  de  frugibus  offerebant,  non 


[250.  251]  n.  Die  Einkünfte.  305 

nur  von  Priestern  genossen  werden19.  —  3)  Nach  Absonderung 
dieser  beiden  Abgaben  hatte  nun  erst  die  Absonderung  der  wich- 
tigsten und  größten  Abgabe,  die  des  Zehnten  zu  erfolgen.  Wie 
peinlich  man  es  mit  der  Vorschrift  des  Verzehntens  nahm,  ist  aus 
den  Evangelien  bekannt;  man  verzehntete  auch  die  geringwertig- 
sten Dinge,  wie  Minze,  Dill  und  Kümmel  {Matth.  23,  23.  Luc.  11,  42). 
Das  Prinzip,  das  die  Mischna  in  dieser  Hinsicht  aufstellt,  lautet: 
„Alles  was  zur  Speise  dient  und  gehütet  wird  und  sein  Wachstum 
aus  der  Erde  hat,  ist  zehntpflichtig" 20.  Der  Ertrag  dieser  Steuer 
muß  höchst  bedeutend  gewesen  sein.  Doch  war  sie  hauptsächlich 
nicht  sowohl  für  die  Priester,  als  für  die  Kultusbeamten  zweiten 
Banges,  die  Leviten,  bestimmt.  Diesen  kam  der  Zehnte  zunächst 
zu;  und  sie  hatten  ihrerseits  an  die  Priester  wieder  den  Zehnten 
vom  Zehnt  abzugeben21.  —  Nach  diesem  Levitenzehnt  hatte  der 
Eigentümer  |  von   seinem  Einkommen  noch  einmal  den  zehnten 


erant  speeiali  numero  definita,  sed  o/ferentium  arbürio  derelicta.  Traditionem- 
que  aecepimtis  Hebraeorum  non  lege  praeceptam,  sed  magistrorum  arbürio  mo- 
lüam:  qui  plurimum,  quadragesimam  partem  dahat  sacerdotibus,  qui  mi- 
nimum,  sexagesimam:  tnter  quadragesimam  et  sexagesimam  licebat  offerre 
quodcumque  voluissent. 

19)  S.  überb.  Num.  18, 12.  Nehem.  10,  38.  Die  rabbinischen  Bestimmungen 
im  Traktat  Terumoth.  —  Philo,  De  praemiis  sacerdotum  §  1  (Mang.  II,  233): 
noooxaxxei  xal  dnd  xrjq  aXXrjq  xxfjaecoq  cindQxso&ai,  xa&*  kxdoxijv  fxkv  Xrjvöv 
olvov,  xa&  kxdorrjv  6h  aXcova  alxov  xal  xoi&dq.  "Ofxoicjg  6h  ig  iXaubv  iXcuov 
xal  ditb  x(bv  aXXtov  äxoo6Qva>v  ^fiigovq  xaonovq  (daß  hier  Philo  die  Teruma 
meint,  wird  mit  Recht  auch  von  Bitter,  Philo  und  die  Halacha  8. 122  ange- 
nommen). —  Joseph.  Antt.  IV,  4,  4:  hi  6h  &naQ%aq  xbv  Xabv  ölxaiov  x<p  &ea> 
rcdvxmv  xtbv  ix  xfjq  yijq  <pvop£va>v  xagntbv  inupioeiv.  —  Vgl.  auch  Lud  diu  8, 
Die  alten  jüdischen  Heiligthümer  Buch  IV,  Kap.  31.  Win  er  RWB.  Art. 
„Erstlinge".    Saalschutz  I,  346.   Haneberg  S.  568 f. 

20)  Maaseroih  I,  1.  —  Im  einzelnen  vgl.  z.  B.  Maaseroth  IV,  5—6.  V,  8. 
Lightfoot,  Horae  hebr.  zu  Matth.  23,  23  (Opp.  II,  359).  Wetstein  Nov.  Test. 
zu  ders.  Stelle.  —  Über  die  Verzehntung  des  Dilles  (ävrjBov,  rotö)  s.  Maase- 
roth IV,  5;  über  die  des  Kümmels  (xvfiivov,  "paS)  Demai  II,  1. 

21)  8.  überh.  Num.  18,  20—32.  Nehem.  10,  38—40.  Philo,  De  cariiate 
§  30  (ed.  Mang.  II,  391);  de  praemiis  sacerdot.  §  6;  wahrscheinlich  ist  auch 
ebendas.  §  2  inil.  der  Zehnt  gemeint.  Josephus  Antt.  IV,  4,  3—4.  Die  rab- 
binischen Bestimmungen  im  Traktat  Maaseroth.  —  Hottinger,  De  decimis  Ju- 
daeorum,  Lugd.  Bat.  1713.  Lundius,  Die  alten  jüd.  Heiligthümer  B.  IV, 
Kap.  32.  Winer,  RWB.  Artikel  „Zehnt".  Saalschütz  I,  346 f.  Haneberg 
8.  573—576.  Leyrer  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  XVIII,  414—421.  Ritter, 
Philo  und  die  Halacha  S.  122 — 124.  Knobel-Dillmann,  Exegetisches  Hand- 
buch, zu  Lev.  27,  30 — 33  (daselbst  auch  Parallelen  aus  dem  Heidentum). 
Ryssel  in  Herzogs  Real-Enz.  2.  Aufl.  XVH,  428—444.  Geißler,  Die  lite- 
rarischen  Beziehungen  der  Esramemoiren   (Chemnitz,  Progr.  des  Realgymn. 

1899)  S.  42-44. 

Schürer,  Geschichte  II.   4.  Aufl.  20 


306  §  24.   Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [251] 

Teil,  den  sogenannten  zweiten  Zehnt  abzusondern.  Aber  so- 
wohr  dieser  als  einige  andere  Abgaben  ähnlicher  Art  wurden  vom 
Eigentümer  selbst  zu  Opfermahlen  in  Jerusalem  verwendet;  sie 
kamen  also  den  Priestern  überhaupt  nicht  zugute  und  gehören 
darum  auch  nicht  hierher22.  —  4)  Die  letzte  Abgabe  von  den 


22)  In  die  Kategorie  dieser  Abgaben,  die  vom  Eigentümer  selbst  in  Je- 
rusalem verzehrt  wurden,  gehören: 

1)  Der  „zweite  Zehnt",  nach  Deut.  14,  22—26;  auch  Lev.  27,  30-31 
wurde  in  diesem  Sinne  verstanden.  Vgl.  Tobit  1,  7.  Joseph.  Antt.  IV,  8,  8. 
Ausfuhrlich  handelt  über  den  zweiten  Zehnt  das  Buch  der  Jubiläen  c.  32, 
10 — 14.  In  der  Mischna  der  ganze  Traktat  Maaser  scheni.  Hottinger,  De 
decimis  Judaeorum  p.  146 — 182  {Exercü.  VII).  Lundius,  Die  alten  jüd.  Hei- 
ligtümer IV,  33.  WinerRWB.  Artikel  „Zehnt".  Saalschütz  1, 169.  354—358. 
Leyrer  in  Herzogs  Keal-Enz.  1.  Aufl.  XVIII,  417  f.  —  Die  entfernter  Woh- 
nenden konnten  den  zweiten  Zehnt  in  Geld  umsetzen,  unter  Hinzufögung 
von  ty5  des  Wertes  (Lev.  27,  31.  Maaser  scheni  IV,  3).  Für  dieses  Geld 
durften  aber  nur  Speisen,  Getränke  und  Salben  gekauft  werden,  die  in  Je- 
rusalem verbraucht  werden  mußten  (Deut.  14,  26.   Maaser  scheni  II,  1). 

2)  Der  Viehzehnt.  Die  einzige  Stelle  des  Pentateuches,  welche  eine  Ver- 
zehntung  des  Viehes  fordert,  Lev.  27,  32 — 33,  wurde  nämlich  von  der  späteren 
Gesetzgebung  im  Sinne  des  „zweiten  Zehnt"  verstanden,  so  daß  also  das  ver- 
zehntete  Vieh  ebenfalls  zu  den  Festmahlen  in  Jerusalem  verwendet  wurde. 
S.  Sebachim  V,  8.  Bartenora  und  Maimonides  zu  Bechoroth  IX,  1  (in  Suren- 
husius'  Mischna- Ausgabe  V,  187).  Philo  scheint  freilich  den  Viehzehnt  auch 
zu  den  priesterlichen  Einkünften  zu  rechnen,  De  cariiate  §  10  (Mang.  H,  391); 
de  praemiis  sacerdotum  §  2  mit.  (wo  wahrscheinlich  der  Zehnt  gemeint  ist); 
vgl.  Bitter,  Philo  und  die  Halacha  S.  122 f.  Ebenso  Tobit  1,  6  nach  dem 
Text  des  cod.  Sinait.  Deutlich  spricht  das  Buch  der  Jubiläen  den  Viehzehnt 
den  Priestern  zu,  die  ihn  „vor  Gott"  essen  sollen  (32,  15;  vgl.  auch  13,  26. 
32,  2.  8).  —  Näheres  s.  Mischna  Bechoroth  IX,  1—8;  auch  Maaser  scheni  I,  2. 
Schekalim  I,  7.  HI,  1.  VIII,  8.  Bosch  haschana  I,  1.  Ghagiga  I,  4.  Sebachim 
V,  8.  X,  3.  Menachoth  IX,  6.  Ohullin  I,  7.  Hottinger,  De  decimis  Judae- 
orum p.  228—253  (Exercit.  X).  Lundius,  Die  alten  jüdischen  Heiligtbümer 
B.  IV,  Kap.  38. 

3)  Der  Ertrag  vierjähriger  Bäume  und  Weinberge.  Nach  Lev. 
19,  23 — 25  durften  die  Früchte  neugepflanzter  Bäume  (und  Weinberge)  in  den 
ersten  drei  Jahren  überhaupt  nicht  geerntet  werden,  im  vierten  Jahre  sollten 
sie  Gott  geweiht  werden;  erst  im  fünften  standen  sie  zur  freien  Verfugung  des 
Besitzers.  Das  Buch  der  Jubiläen  bestimmt  genauer,  daß  vom  Ertrag  des 
vierten  Jahres  die  Erstlingsfrucht  auf  den  Altar  gebracht,  das  übrige  aber 
von  den  „Dienern  des  Hauses  Gottes"  gegessen  werden  solle  (Jubil.  7,  36> 
dazu  Charles,  The  book  of  Jubüees  1902,  p.  64  sq.).  Die  spätere  Zeit  aber  hat 
die  Verordnung  dahin  verstanden,  daß  der  Ertrag  des  vierten  Jahres  wie  der 
zweite  Zehnt  vom  Eigentümer  selbst  in  Jerusalem  verzehrt  werden  sollte. 
S.  bes.  Jos.  Antt.  IV,  8,  19:  xCo  6h  xexdoxtp  XQvydxw  nav  xö  yevdtuevov  (x6ve 
ydg  wqiov  elvai)  xal  avvayayiov  elq  xfjv  ieoäv  nöXiv  xopi^ho),  xal  ovv  t§ 
öexdxy  xov  aXXov  xagnov  fxexä  xtbv  <plXo>v  evQ)%ov(X€voc  avaXiox£zo> 
xal  fAEx'  ÖQ<pav(bv  xal  xnoevovoibv  yvvaixüv.    Vgl.  auch  Philo,  De  earitate  §  21 


[251.  252J  II.  Die  Einkünfte.  307 

Bodenerzeug|nissen  ist  endlich  die  sogenannte  Challa  (nin),  d.  h. 
die  Agabe  vom  Brot  beim  Backen  (ajcaQxq  xov  (pvQafiarog  Born.  11, 
16).  Nach  der  Mischna  unterlagen  dieser  Abgabe  folgende  fünf 
Getreidearten:  Weizen,  Gerste,  Spelt,  Hafer  und  Roggen  (?)23.  Die 
Abgabe  durfte  nicht  vom  Mehl,  sondern  mußte  vom  Teig  entrichtet 
werden24.  Sie  betrug  für  Privatleute  V241  f&r  Bäcker  V48  vom 
Ganzen28.  | 


(Mang.  II,  402).  Mischna  Pea  VII,  6.  Maaser  scheni  V,  1 — 5.  Orla  ganz. 
Edujoth  IV,  5.  Guisius  zu  Pea  VII,  6  (in  Surenhusius'  Mischna  I,  68). 
Eottinger,  De  jure  plarUae  quarti  anni  Juxia  praeoeptum  Lev.  19,  24,  Mar- 
burg 1704.  Saalschutz  I,  168 f.  Geiger,  Urschrift  und  Übersetzungen  der 
Bibel  (1857)  S.  181  ff.  Ad.  Schwarz,  Die  Controversen  der  Schammaiten  und 
HUleliten,  I,  Wien  1893,  S.  45—48. 

4)  Zu  den  Abgaben,  welche  nicht  den  Priestern  zufielen,  gehören  endlich 
auch  die  Abgaben  an  die  Armen,  nämlich:  a)  bei  der  Ernte  das  am  Band 
Gewachsene  und  die  Nachlese,  Lev.  19,  9—10.  23,  22.  Deut.  24,  19—22.  Jo- 
seph. Äntt.  IV,  8,  21.  Philo,  De  caritate  §  9  (Mang.  II,  390).  Mischna  Traktat 
Pea.  —  b)  Der  sogenannte  dritte  Zehnt  oder  Armenzehnt.  Nach  der  hier 
zugrunde  liegenden  Vorschrift  Deut.  14,  28 — 29.  26,  12  sollte  man  eigentlich 
erwarten,  daß  der  Armenzehnt  mit  dem  zweiten  Zehnt  abwechselte.  Denn 
das  Deuteronomium  schreibt  vor,  daß  der  Zehnt,  der  sonst  vom  Eigentümer 
selbst  vor  Jahve  verzehrt  wurde,  im  dritten  Jahre  den  Leviten  und  Armen  zu 
überlassen  sei.  So  auch  noch  LXX  Deut.  26,  12:  (iv  xijf  hei  xCp  joitcp)  xb 
öevxsqov  imdixazov  öuxjeiq  xc]>  Aevlxy  xal  x(j>  noootjXvxq)  xal  xtj>  öo<pav<p  xal 
xjj  xhQci.  Nach  der  späteren  Praxis  kam  aber  der  Armenzehnt  in  jedem  dritten 
Jahre  noch  zum  zweiten  Zehnt  hinzu  (genauer:  zweimal  in  sieben  Jahren,  da 
das  Sabbathjahr  wegfiel).  S.  Tobit  1,  7—8.  Joseph.  Äntt.  IV,  8,  22.  Pea  VIII, 
2—9.  Demai  IV,  3—4.  Maaser  scheni  V,  6,  9—10.  Jadajim  IV,  3.  Targum 
Jonathan  zu  Deut.  26,  12.  Hieronymus  Comment.  in  Exech.  45,  13 — 14  (ed. 
Vaüarsi  V,  565).  Guisius  zu  Pea  VIII,  2  (in  Surenhusius'  Mischna  I,  70). 
Bernards  und  Havercamps  Ausgaben  des  Josephus  zu  Antt.  IV,  8,  22. 
Hottinger,  De  decimis  Judaeorum  p.  182 — 203.  Lundius,  Die  alten  jüdi- 
schen Heiligthümer  Buch  IV,  Kap.  34.  Winer  RWB.  Art.  „Zehnt".  Leyrer 
in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  XVIII,  418  f.  Herzfeld,  Gesch.  des  Volkes 
Jisrael  HI,  250 f.  Geiger,  Urschrift  und  Übersetzungen  der  Bibel  S.  176 ff. 
Gronemann,  Die  Jonathansche  Pentateuch- Übersetzung  (1879)  S.  161  f. 
Olitzki,  Flavius  Josephus  und  die  Halacha  I.  Tl.  (1885)  S.  15—19  (dazu 
Theol.  Litztg.  1886,  122  f.,  wo  ich  gezeigt  habe,  daß  Josephus  und  die  Mischna 
übereinstimmen). 

23)  Challa  I,  1.  Die  Bedeutung  der  beiden  gewöhnlich  mit  „Hafer"  und 
»Roggen"  übersetzten  Worte  (teitt)  nbiaü  und  "pfc^lö)  ist  nicht  sicher;  namentlich 
ist  unter  "pSW  — =  olqxov,  oicptoviov  wohl  richtiger  eine  Haferart  zu  verstehen. 

24)  Challa  II,  5. 

25)  Challa  H,  7.  —  S.  überh.  Num.  15,  17—21.  Nehem.  10,  38.  Exech. 
44,  30.  Philo,  De  praemiis  sacerdotum  §  1  (Mang.  H,  233):  KeXevei  yäo  xovq 
oixonovovvxaq  dnb  navxbg  oxiaxdg  xe.  xal  tpvoduaxoQ  äoxov  äyaiostv  anao- 
'/.^v  eis  teoiav  XQnoiv.  Joseph.  Äntt.  IV,  4,  4:  xoiq  xe  nhxovxag  xöv  oXxov 
xal  &(>T07ioiovu£vov<;  xibv  nBuudxwv  abxoZg  xiva  yoor\y&v.    Mischna  Traktat 

20* 


308  §  24-   Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [258] 

Eine  zweite  Hauptklasse  regelmäßiger  Abgaben  bildeten  die 
Abgaben  von  der  Viehzucht  Dieselben  waren  dreierlei  Art. 
1)  Die  wichtigste  war  die  Entrichtung  der  männlichen  Erst- 
geburt (d.  h.  also  der  Erstgeburt,  wenn  diese  eine  männliche  war). 
Mit  den  Bestimmungen  hierüber  verbindet  das  Gesetz  auch  Ver- 
ordnungen in  betreff  der  Erstgeburt  des  Menschen.  Schon 
nach  der  älteren  jahyisti sehen  und  deuteronomischen  Gesetzgebung 
sollte  die  männliche  Erstgeburt  des  Viehes  Gott  geweiht,  d.  h.  zu 
Opfer  und  Opfermahl  verwendet  werden  (Exod.  13,  11—16.  22,  28 
bis  29.  34,  19—20.  Deut.  15,  19—23).  Das  Priestergesetz  macht 
daraus  eine  Abgabe  für  die  Priester  (Exod.  13,  1—2.  Leo.  27,  26 — 27. 
Num.  18,  15—18.  Nehem.  10,  37).  Beide  fügen  zu  der  Erstgeburt 
des  Viehes  auch  die  Erstgeburt  des  Menschen  hinzu,  die  eben- 
falls als  eigentlich  Gott  gehörig  betrachtet  wird  und  darum  aus- 
gelöst werden  muß.  Da  außerdem  zwischen  reinem  und  unreinem 
Vieh  zu  unterscheiden  ist,  so  ergeben  sich  in  betreff  der  Erstgeburt 
folgende  nähere  Bestimmungen26:  a)  Die  Erstgeburt  des  reinen 
und  opferbaren  Viehes,  d.  h.  der  Rinder,  Schafe  und  Ziegen,  ist  in 
natura  abzuliefern.  Ist  sie  fehlerfrei,  so  muß  sie  als  Opfer  be- 
handelt, d.  h.  das  Blut  an  den  Altar  gesprengt  und  das  Fett  auf 
dem  Altare  verbrannt  werden27.  Das  Fleisch  darf  von  allen  An- 
gehörigen des  Priesterstandes,  auch  den  Frauen,  überall  in  Jeru- 
salem gegessen  werden  (Num.  18,  17 — 18.  Nehem.  10,  37.  Exod.  22, 
29.  34, 19.  Deut  15, 19—20) 28.  Hat  das  Tier  einen  Fehler,  so  ge- 
hört es  ebenfalls  den  Priestern,  wird  aber  als  profane  Speise  be- 
handelt (Deut.  15,  21— 23)29.    b)  Die  Erstgeburt  der  unreinen 


ChaUa.  Siphre  zu  Num.  15,  17  ff.  bei  Ugolini,  Thesaurus  XIII,  1108  ff  Lun- 
diu8,  Die  alten  jüdischen  Heiligt hümer  ß.  IV,  Kap.  39.  Saalschütz  I,  347. 
Haneberg  S.  571—573.  Ritter,  Philo  und  die  Halacha  S.  118.  —  Über 
eine  Differenz  zwischen  Schammai  und  Hillel:  Edujoth  I,  2  und  dazu 
Ad.  Schwarz,  Die  Controversen  der  Schammaiten  und  Hilleliten,  I,  1893, 
S.  26-29. 

26)  Die  spätere  Praxis  hat  die  jahvistischen  und  deuteronomischen  Ge- 
setze mit  denjenigen  des  Priesterkodex  verbunden  und  sie  nach  Maßgabe  der 
letzteren  interpretiert. 

27)  Die  Mischna  bezeichnet  daher  auch  die  Erstgeburt  als  „Heiliges", 
aber  als  solches  zweiten  Grades,  ö^ip  d*Wp,  wie  Passa  und  Viehzehnt,  Se- 
bachim  V,  8. 

28)  In  der  Deuteronomiamstelle  wird  das  „Du"  lo,  20  als  Anrede  an  die 
Priester,  nicht  (wie  es  der  ursprüngliche  Sinn  der  Stelle  ist)  als  Anrede  an 
die  Israeliten,  aufgefaßt. 

29)  In  diesem  Falle  darf  also  das  Fleisch  von  den  Priestern  auch  an  Nicht- 
priester  verkauft  und  von  letzteren  genossen  werden,  s.  Bartenora  zu  Becho- 
roth  V,  1  (in  Surenhusius'  Mischna  V,  169). 


[253.  254]  II.  Die  Einkünfte.  309 

Tiere,  nach  Philo  namentlich  der  Pferde,  Esel  und  Kamele,  und 
zwar  auch  hier,  wie  |  überall,  nur  die  männliche  Erstgeburt,  ist 
gegen  Geld  auszulösen  nach  Abschätzung  des  Priesters  unter  Hin- 
zufftgung  des  fünften  Teiles  (Num.  18, 15.  Nehem.  10,  37.  Leo.  27,  27). 
Ein  Esel  sollte  durch  ein  Schaf  ausgelöst  werden  (Exod.  13,  13. 
34,  20).  Nach  Josephus  scheint  die  Auslösung  nach  einer  festen 
Taxe  von  1%  Sekel  für  das  Stück  erfolgt  zu  sein,  c)  Die  Erst- 
geburt des  Menschen,  d.  h»  das  erste  Kind  einer  Frau,  wenn  es 
ein  Knabe  war,  mußte  im  Alter  von  einem  Monat  mit  fünf  Sekel 
„gelöst"  werden  (Num.  18,  15—16;  vgl.  Num.  3,  44  ff.  Nehem.  10,  37. 
Exod.  13,  13.  22,  28.  34,  20).  Eine  Darstellung  des  Knaben  im 
Tempel  war  dabei  nicht  nötig,  wie  man  in  der  Kegel  auf  Grund 
von  Luc.  2,  22  f.  meint30.  Unter  den  Sekeln  sind,  wie  hier  aus- 
drücklich bemerkt  wird,  solche  in  tyrischer  Währung  zu  ver- 
stehen31. Die  Taxe  galt  für  Reiche  wie  für  Anne  ohne  Unter- 
schied32. | 


30)  S.  dagegen:  Low,  Die  Lebensalter  in  der  jüdischen  Literatur  (1875) 
S.  110  ff. 

31)  Bechoroth  VIII,  7;  vgl.  oben  S.  76  Anm.  203.  Ein  Sekel  in  phönizwcher 
(=»  althebräischer)  Währung  beträgt  ungefähr  2  Mark  62  Pfennige  deutschen 
Geldes  (Hultsch,  Griech.  und  röm.  Metrologie,  2.  Aufl.  8.  420),  fünf  Sekel 
also  etwa  13  Mark.  —  Die  ältere  Gesetzgebung  (Exod.  13,  13.  34,  20)  meint 
mit  der  „Lösung"  sicher  nicht  Auslösung  in  Geld,  sondern  gegen  ein  Opfer. 

32)  S.  überh.  Philo,  De  praemiis  sacerdotum  §  1  (Mang.  IL,  233) :  Tglxov 
icxl  yioag  xä  nounöroxa  aQoevixä  xal  navxa  xibv  %eoaai<av  Z<sa  ngdg  fattjoE- 
aiag  xal  XQ*latv  av&QU)7ia>v.  Tavva  yäg  xeXevEi  6ia6(6oo&ai  xolg  leoatuivoig 
av&Qu>7ioiq.  BoCbv  fihv  xal  TiQoßdxatv  xal  alyCbv  abxä  xähcyova,  udaxovg 
xal  xoiovq  xal  XW&QQOVS*  ineiö^  xa&apä  xal  noög  iöarifjv  xal  noög  dvolag 
iaxi  t€  xal  vevdfuoxar  Xvxoa  6h  xaxax&hai  xibv  &XX(ov  aimnj)v  xal  Svcov 
xal  xaurfXa>v  xal  x(bv  naoanXrioiiüv   ftfj  ueiovvxag  ztjv  a£lav.   "Evtl  6h 

xal  xafaa  TtafiTtXrjB-fj Tip  6h  xibv  no&xoxdxcjv  vl(bv  xa&iiowoiv, 

6>c  vnho  xov  ftJjze  yovslq  xixvwv  fxtfxe  xhxva  yoviatv  6ia£evywod-ai,  xiftüxai 
x^v  anaQ-tf\v  aoyvplü)  $rjx(j>,  7Zooozdgag  loov  eioye'oeiv  xal  nivrjxa  xal  nXov- 
oio v.  Vgl.  auch  De  caritate  §  10  (ed.  Mang.  II,  391).  —  Josephus  Antt.  IV, 
4,  4:  Ttbv  xexQan66(ov  6h  xCbv  elg  zag  Ovolag  vevoui<Sfji£v<üv  xb  yewrj&hv  now- 
xovf  av  aooev  jj,  xaxa&voai  naoaoxetv  xolq  legevoiv,  Soors  airtovg  navoixl 
otxelofku  iv  xji  leget  ndXsr  xibv  6*  oh  vevofttoft&v&v  io&ieiv  nao'  afaotg  xaxä 
xovg  naxoiovg  vöfxovq  xovg  Ssondraq  xibv  xixxofiiviav  olxXov  xal  fjuiov  av~ 
xotg  avapioecv,  ävd-gojnov  6h  tiqwxoxöxov  n&vxe  olxXovg.  —  Mischna  Traktat 
Bechoroth.  —  Hotttnger,  De  primogenitis,  Marb.  1711.  Lundius,  Die  alten 
jüdischen  Heiligthümer  B.  HI,  Kap.  44.  Winer  BWB.  Art.  „Erstgeburt". 
Saalschütz  I,  348 f.  Haneberg  S.  569— 571.  F ran kel,  Über  den  Einfluß 
der  palästinischen  Exegese  etc.  1851,  S.  98  f.  (über  die  LXX  zu  Exod.  13,  13 
und  34,  20).  Ritter,  Philo  S.  118—122.  136  f.  (am  eingehendsten  und  ge- 
nauesten). Knobel-Dillmann,  Exeget.  Handbuch  zu  Exod.  13, 1—2.  Low, 
Die  Lebensalter  in  der  jüdischen  Literatur  1875,  S.  110—118.  390—392  (spe- 


310  §  24.   Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [255] 

2)  Von  allem  Fleisch,  das  überhaupt  geschlachtet 
wurde,  erhielten  die  Priester  drei  Stücke:  Vorderfuß,  Kinnbacken 
und  Magen.  In  diesem  Sinne,  also  von  den  zum  profanen  Gebrauch 
geschlachteten,  nicht  von  den  geopferten  Tieren  wurde  nämlich 
Deut  18,  3  verstanden.  Die  Vorschrift  bezieht  sich,  auch  nach  der 
späteren  Auslegung,  nur  auf  die  opferbaren  Tiere:  Rinder,  Schafe 
und  Ziegen33.  —  3)  Auch  von  dem  Ertrag  der  Schafschur 
mußte  eine  Abgabe  an  die  Priester  entrichtet  werden,  jedoch  nur 
wenn  einer  mehrere  Schafe  hatte;  nach  der  Schule  Schammais 
schon  bei  zweien,  nach  der  Schule  Hillels  erst  bei  fünfen.  Die 
Abgabe  sollte  fünf  judäische  (==  zehn  galiläische)  Sela  betragen 34. 

HI)  Neben  den  regelmäßigen  Abgaben  fielen  den  Priestern 
auch  noch  zahlreiche  unregelmäßige  und  außerordentliche 
Abgaben  anheim.  Im  Grunde  gehören  in  diese  Kategorie  schon 
eine  große  Zahl  der  Opfer,  die  aus  den  verschiedensten  Anlässen 
dargebracht  wurden  (s.  oben  S.  301  ff.);  außerdem  aber  auch  noch 
folgende:  1)  Die  Gelübde.  Diese  konnten  sehr  verschiedener  Art 
sein.  Man  konnte  Menschen  oder  sich  selbst  dem  Heiligtum  weihen. 
In  diesem  Falle  war  Auslösung  gegen  Geld  die  Regel.  Für  einen 
Mann  waren  fünfzig  Sekel,  für  eine  Frau  dreißig  Sekel  zu  ent- 

ziell  über  die  Erstgeburt  des  Menschen).    Olitzki,  Flavius  Josephus  und  die 
Halacha  1.  Tl.  1885,  S.  29  (über  die  Auslösung  der  Esels-Erstgeburt). 

33)  S.  übern,  außer  Deut,  18,  3:  Philo,  De  praemiis  sacerdotum  §  3  (Mang. 
II,  235):  *Anb  öh  xüdv  !£a>  xov  ßw/xov  Svo^ivejv  Svexa  XQectxpaylaq  xgia 
Ttooaxixaxxai  x(b  isget  öiöoo&ai,  ßoa%iova  xal  aiayöva  xal  xb  xaXovfisvov 
tfvvoxoov.  —  Jos.  Antt.  IV,  4,  4:  ehai  öh  xal  xotq  xax  olxov  &vovoiv, 
eioixlaq  evexa  xfjq  avxibv,  &Ua  frij  öorjaxelaq,  ävayx^v  xo/ufc,eiv  xotq  Uotüaiv 
Vivvoxqöv  xe  xal  %eXvviov  xal  xbv  öe^ibv  ßoaxlova  xov  övftaxoq.  Über 
die  Bedeutung  von  /eAvwov  (nicht  Brust,  sondern  Kinnbacke)  s.  Bernards  und 
Havercamps  Ausgaben  des  Josephus  zu  d.  Stelle.  —  Mischna  Traktat  Chullin  X 
und  dazu  die  Gemara  fol.  130  ff.  Sipkre  zu  Deut.  18,  3  bei  Ugolini  XIII, 
1113—1115  (auch  hier,  wie  bei  Josephus,  der  rechte  Vorderfuß).  — .  Hiero- 
nymus,  Epist.  64  ad  Fabiolam  c.  2  (Vallarsi  I,  355):  caeterum  et  alia  tria, 
ezceptis  primitiis  hostiarum,  et  de  privato  et  de  macello  publico,  ubi  non  religio 
sed  tictus  necessitas  est,  saeerdotibus  membra  tribuuntur,  braehium,  maxilla 
et  venter.  —  Kaiser  Julian  bei  CyrilL  adv.  Julian,  p.  305 sq.:  *Iovöatoi  xal 
vvv  hi  .  .  .  .  xbv  6e%ibv  wfiov  Siödaoiv  anaQzaq  xotq  leoetoiv  (dazu  Fried- 
mann und  Grätz,  Theol.  Jahrbb.  1848,  S.  359 ff.).  —  Bernards  und  Haver- 
camps Ausgaben  des  Josephus  zu  Antt.  IV,  4,  4.  Saalschütz  I,  350.  Hane- 
berg  S.  576 f.  Oehler  in  Herzogs  Reai-Enz.  1.  Aufl.  XII,  181  f.  Knobel 
zu  Deut.  18,  3.  Ritter,  Philo  S.  124 f.  Wellhausen,  Gesch.  Israls  I,  158 f. 
=  Prolegomena  zur  Gesch.  Israels.  5.  Aufl.  S.  151. 

34)  S.  überh.  Deut.  18,  4.  Tobit  1,  6.  Joseph.  Antt.  IV,  4,  4:  slvai  6h 
anaoyaq  avzotq  xal  rrjq  xvjv  nooßaxwv  xovoaq.  Mischna  Chullin  XI, 
1—2.  *  Siphre  zu  Deut.  18,  4  bei  Ugolini  XIII,  1113.  —  Philo,  De  earitate  §  10 
(Mangey  U,  391)  nennt  diese  Abgabe  irrtümlich  unter  den  Zehnten. 


[255.  256]  II.  Die  Einkünfte.  311 

richten.  Man  konnte  aber  auch  Tiere,  Häuser  oder  Grundstücke 
dem  Heiligtum  weihen.  Waren  die  Tiere  opferbar,  so  mußten  sie 
in  natura  |  abgeliefert  werden.  Bei  unreinen  Tieren,  Häusern  und 
Grundstücken  konnte  ebenfalls  Auslösung  in  Geld  eintreten  unter 
verschiedenen  Bedingungen,  die  im  Gesetz  näher  fixiert  werden35. 
—  2)  Eine  besondere  Art  der  Gelübde  war  die  Bannung,  d.  h.  die 
nicht-lösbare  Weihung  an  das  Heiligtum.  Wenn  etwas  in  dieser 
Form  (als  Banngut,  Dnn)  dem  Heiligtum  geweiht  war,  so  war  es 
demselben,  d.  h.  den  Priestern,  in  natura  verfallen,  es  mochte  nun 
Mensch,  Vieh  oder  Grundeigentum  sein36.  —  3)  Endlich  gehörte 
den  Priestern  auch  der  Reueersatz  für  entwendetes  oder  irgend- 
wie unrechtmäßig  erworbenes  Gut  in  dem  Falle,  daß  dasselbe 
seinem  rechtmäßigen  Eigentümer  nicht  mehr  zurückerstattet  werden 
konnte37.  —  In  betreff  der  beiden  letzten  Gefälle  lautet  das  Ge- 
setz deutlich  dahin,  daß  sie  den  Priestern  persönlich  gehörten. 
Die  Gelübde  dagegen  scheint  man  in  der  Begel  für  allgemeine 
Kultuszwecke  verwendet  zu  haben38.   Doch  nennt  Josephus  unter 


35)  S.  überh.  Lev.  27.  Beut.  23,  22—24.  Joseph.  Antt.  IV,  4,  4.  Ev.  Matth. 
15,  5.  Marc.  7, 11.  Lud  diu b,  Die  alten  jüdischen  Heiligthümer  B.  III,  Kap.  45. 
Saalschütz,  Das  mosaische  Recht  1, 150—153.  358—367.  Winer  RWB.  Art. 
„Gelübde".  Oehler  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  IV,  788—790  (Art.  „Ge- 
lübde bei  den  Hebräern").  Knobel- Dillmann,  Exeget.  Handbuch,  zu 
Lev.  27.  Haneber g,  Die  religiösen  Alterthümer  der  Bibel  S.  370—376.  No- 
wack,  Lehrb.  der  hebr.  Archäologie  H,  263  ff.  Buhl  in  Herzog- Haucks  Real- 
Enz.  3.  Aufl.  VI,  485—487  (Art.  „Gelübde  im  A.  T.").  Moore  in  der  Ency- 
clop.  Biblica  IV,  Art.  Vbws,  Votive  offerings.  —  Ligktfoot,  Horae  hebr.  zu 
Matth.  15,  5  (Opp.  ed.  Boterodamens.  II,  332  sq.).  Edxard,  Traetatus  Talmudi- 
cus  Aboda  sara  1710,  p.  294 sqq.  Sehoettgen,  Horae  hebr.f  Wolf,  Curae  phil. 
in  Nov.  Test,  Wetstein,  Nov.  Test.,  sämtlich  zu  Matth.  15,  5;  überh.  die  Aus- 
leger zu  Matth.  15,  5  und  Marc.  7,  11;  auch  „Saat  auf  Hoffnung"  herausgeg. 
von  Delitzsch,  Jahrg.  1875  S.  37—40.  —  Über  die  Gültigkeit  der  Gelübde  bei 
Frauen  s.  Num.  30;  Mischna  Traktat  Nedarim. 

36)  S.  Lev.  27,  28.  Num.  18, 14.  Exechiet  44,  29.  Saal  schütz  I,  368—373. 
Winer  RWB.  Art.  „Bann".  —  Nicht  hierher  gehört  Lev.  27,  29.  S.  darüber 
Knobel-Dillmann  zu  d.  Stelle. 

37)  Num.  5,  5—8. 

38)  Schekalim  IV,  6 — 8:  Wenn  jemand  sein  Vermögen  0hDD3)  heiligt  . . . 
.  .  .  .  und  es  ist  darunter  Vieh,  das  für  den  Altar  geeignet  ist,  männliches 
oder  weibliches,  so  soll  nach  R.  Elieser  das  männliche  zu  Brandopfern  und  das 
weibliche  zu  Mahlopfern  an  die,  welche  solche  brauchen,  verkauft  werden  und 
das  Geld  mit  dem  übrigen  Vermögen  der  Kasse  der  Tempel -Erhaltung 
(n?2ri  p*oi)  zufallen.  R.  Josua  sagt:  die  männlichen  opfert  man  als  Brand- 
opfer,  die  weiblichen  verkauft  man  an  solche,  welche  Mahlopfer  brauchen, 
und  für  das  Geld  werden  Brandopfer  dargebracht;  das  übrige  Vermögen  fallt 

der  Kasse  der  Tempel -Erhaltung  zu Wenn  jemand  sein  Vermögen 

heiligt,  und  es  sind  dabei  für  den  Altar  geeignete  Dinge,  Wein,  Öl,  Geflügel, 


312  §  24.  Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [256.  257] 

den  priester  liehen  Einkünften  bestimmt  das  Lösegeld  von  fünfzig, 
resp.  dreißig  Sekel  für  |  den  Fall,  daß  jemand  sich  selbst  Gott  als 
Eigentum  geweiht  hat39.  Und  die  rabbinischen  Gelehrten  rechnen 
zu  den  24  Priestergaben  außer  dem  Banngut  und  dem  Keueersatz 
auch  den  als  Gelübde  dargebrachten  „Erbacker"  (Lev.  27, 16— 21) 40. 
In  welchem  Umfang  alle  diese  Abgaben  auch  von  den  Juden 
in  der  Diaspora  dargebracht  wurden,  läßt  sich  im  einzelnen 
nicht  mehr  mit  Sicherheit  sagen41.  Die  Abgaben  vom  Bodenertrag 
(Bikkurim,  Teruma,  Zehnt)  fielen  für  die  Diaspora  von  selbst  hin- 
weg; denn  die  Meinung  der  einschlägigen  Gesetzesbestimmungen 
ist  nicht  die,  daß  der  Grundbesitz  überhaupt,  sondern  die,  daß  der 
Boden  des  heiligen  Landes  steuerpflichtig  ist  (wobei  allerdings  von 
der  späteren  Kasuistik  für  die  Nachbarländer  gewisse  Ausnahmen 
statuiert  wurden)42.  In  manchen  Einzelheiten  waren  die  Ansichten 
der  Gelehrten  über  die  Abgabenpflicht  der  Diaspora  schwankend. 
Ein  großer  Teil  der  Abgaben  ist  gewiß  auch  von  der  Diaspora 
entrichtet  worden  und  bildete  durch  seine  Massenhaftigkeit  eine 
ergiebige  Quelle  des  priesterlichen  Wohlstandes.  —  Auch  über  die 
Art  und  Weise  der  Entrichtung  können  wir  uns  nicht  mehr 
durchweg  eine  deutliche  Vorstellung  machen.  Manche  Abgaben, 
wie  die  Challa  und  die  drei  Fleischstücke  beim  Schlachten,  waren 
ja  von  der  Art,  daß  sie  keine  längere  Aufbewahrung  ertrugen. 
Eine  Ablieferung  nach  Jerusalem  war  also  hier  unmöglich.  Jeden- 
falls sind  sie  an  den  Orten,  wo  Priester  waren,  diesen  direkt  ge- 
geben worden43.    Soweit  es  aber  irgend  tunlich,  war  die  Ver- 


so  sollen  sie  nach  R.  Eleasar  an  die,  welche  solche  Opferarten  brauchen,  ver- 
kauft,  für  das  Geld  aber  Brandopfer  dargebracht  werden;  das  übrige  Ver- 
mögen fallt  der  Kasse  der  Tempel-Erhaltung  zu". 

39)  Jos.  Antt.  IV,  4,  4. 

40)  Vgl.  die  oben  Anm.  6  zitierten  rabbinischen  Stellen. 

41)  Material  hierüber:  Challa  IV,  7—11.  Jadajim  IV,  3.  ChuUm  X,  1  (die 
drei  Stücke  beim  Schlachten  auch  außerhalb  Palästinas  abzugeben).  Oicero 
pro  Flacco  28.  Philo,  De  monarchia  II,  3  (Mang.  II,  224).  Ijegat,  ad  Cajum 
§  23.  40  (Mang.  II,  568  sq.  592).  Joseph.  Antt.  XIV,  7,  2.  XVI,  6,  2—7.  XVHI, 
9,  1.  Epiphan.  haer.  30,  11.  Oyrill.  adv.  Julian,  p.  306  A.  Die  Stellen  aus 
Philo  und  Josephus  beziehen  sich  allerdings  vor  allem  auf  die  Didrachmen- 
steuer;  aber  nicht  auf  diese  allein,  s.  Antt.  XVIII,  9, 1:  xo  te  dlÖQaxpov . . . . 
xal  önooa  aXXa  avad-^fxata.  —  Hottinger,  De  deeimis  Judaeorum 
p.  100 sqq.  (Exerctt.Y).  Franke],  Über  den  Einfluß  der  palästinischen  Exe- 
gese auf  die  alezandrinische  Hermeneutik  (1851)  S.  98  f. 

42)  Ober  Syrien  vgl.  Demai  VI,  11.  Schebiüh  VI,  2.  5.  6.  Maaseroth 
V,  5.  OhaUa  IV,  7.  11.  Orla  III,  9.  Aboda  sara  I,  8.  Ohaloth  XVHI,  7. 
Buch  ler,  Der  galiläische  Am -ha -Ares  des  zweiten  Jahrhunderts  (1906) 
S.  255—274. 

43^  Von  der  Teruma  heißt  es  Terumoth  II,  4:  Überall  wo  ein  Prie- 


[257.  258]  II.  Die  Einkünfte.  313 

waltung  der  Abgaben  in  Jerusalem  zentralisiert  Dorthin 
wurden  sie  abgeliefert;  von  da  wurden  sie  dann  an  die  Priester 
verteilt44.  Diese  priesterliche  Zentralverwaltung  erstreckte  sich 
auch  über  den  Zehnten,  der  in  Wirklichkeit  gar  |  nicht  an  die 
Leviten,  sondern  an  die  Priester  abgeliefert  und  von  diesen  ver- 
waltet wurde45. 

Zum  Genuß  der  priesterlichen  Einkünfte  waren  nicht 
nur  die  Priester  selbst,  sondern  auch  deren  Angehörige  be- 
rechtigt Nur  das  „Hochheilige"  durfte  lediglich  von  Priestern 
genossen  werden  (s.  oben  S.  301  f.).  Im  übrigen  kamen  die  Ein- 
künfte allen  zum  Hausstand  des  Priesters  Gehörigen  zugute: 
Frauen,  Töchtern  und  Sklaven.  Ausgenommen  waren  gemietete 
Arbeiter  und  die  an  Nichtpriester  verheirateten  Töchter.  In  allen 
Fällen  aber  durften  die  Gaben  nur  im  Zustande  levitischer  Rein- 
heit genossen  werden46.  —  In  betreff  der  Priester  wurde  kein 
Unterschied  gemacht  zwischen  den  wirklich  fungierenden  und  den 
wegen  Leibesfehlern  vom  Dienst  ausgeschlossenen.    Die  letzteren 


st  er  ist,  entrichtet  man  die  Teruma  vom  Besten;  wo  aber  kein  Priester  ist, 
von  dem,  was  sich  lange  erhält",  —  Nach  Ohalla  IV,  8—9  können  Challa, 
Banngut,  Erstgeburten,  Lösegeld  für  erstgeborene  Söhne,  Lösegeld  für  Erstge- 
burt des  Esels,  Vorderfuß,  Kinnbacken  und  Magen  (beim  profanen  Schlachten), 
Abgabe  von  der  Schafschur  u.  A.  „jedem  Priester"  gegeben  werden.  Daher 
mußten  z.  B.  Teruma,  Zehnt  und  Erstgeburten  auch  noch  nach  der  Zerstörung 
des  Tempels  entrichtet  werden,  Bikkurim  II,  3.   Schekalim  VIII,  8. 

44)  S.  bes.  II  Chron.  31,  11—19.  Nehem.  12, 44.  13,  5.  Maleachi  3,  10.  — 
Philo,  De  praemiis  §  4  {Mang.  II,  235  sq.):  ^nhg  öh  xov  fitjöiva  xCov  öiSovxwv 
öveiM&iv  xotq  Xafxßdvovoi ,  xeXevei  xäq  anaQx<*q  bIq  td  Uqöv  xo(il£eo9cu  iiqö- 
xsqoVj  eix'  iv&höe  xovq  UoeTq  ka/ußdveiv. 

45)  Vgl.  Joseph  Vita  12.  15.  Antt.  XX,  8,  8.  9,  2.  —  Herzfeld,  Gesch. 
des  Volkes  Jisrael  II,  138  ff.  Delitzsch,  Zeitschr.  f.  luth.  Theol.  1877,  S.  448 f. 
Wellhausen,  Gesch.  Israels  I,  171  f.  —  Prolegomena  zur  Gesch.  Israels 
5.  Aufl.  S.  164.  Bitter,  Philo  und  die  Halacha  8. 123  f.  Grätz,  Monatsschr. 
für  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1886,  S.  97  ff.  —  Zur  Zeit  Nehemias 
wurde  der  Zehnt  noch  genau  nach  Vorschrift  des  Priesterkodex  den  Leviten 
gegeben,  und  von  diesen  nur  der  Zehnte  vom  Zehnt  an  die  Schatzkammern 
des  Tempels  abgeliefert,  doch  geschah  beides  unter  priesterlicher  Auf- 
sicht (Nehem,  10,  38—39).  —  Die  Mischna  scheint  als  das  Korrekte  vorauszu- 
setzen, daß  die  Priester  und  die  Leviten  je  ihren  Anteil  direkt  vom  Eigen- 
tümer erhalten  (Maaser  scheut  V,  6). 

46)  Lev.  22,  1—16.  Philo,  De  monarchia  Lib.  II  §  13—15  (ed.  Mangey  II, 
230—233).  Joseph.  Antt.  IV,  4,  4:  nävxwv  6h  xtbv  xotq  Uqevoi  zeXovfifrwv 
xoiviovtlv  6iixa$e  xal  xovq  olxixaq  xal  &vyax£oaq  xal  yvvatxaq,  l£a>  x(bv  vnko 
aftaoxTjfjidxwv  inupeoofifowv  &vatfbv  xavxaq  yao  iv  xto  leocp  fiövoi  danav(boiv 
ol  äooevsq  xCdv  teoiwv  aiB-rj/jiEQSv.  —  Terumoth  VI,  2.  VII,  2.  Siphra  zu  Lev. 
22,  10  ff.  bei  Ugolini,  Thesaurus  XIII,  1102  ff. 


314  §  24.  Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [258.  259] 

durften  sogar,  wenn  ihre  Abteilung  zum  Dienst  kam,  auch  vom 
Hochheiligen  genießen47. 

Alle  bisher  aufgezählten  Abgaben  bildeten  nur  das  persönliche 
Einkommen  der  Priester.  Von  ihnen  sind  nun  noch  zu  unter- 
scheiden die  Abgaben,  welche  direkt  zur  Unterhaltung  des 
öffentlichen  Kultus  bestimmt  waren.  Die  wichtigste  davon 
war  die  Halbsekel-  oder  Didrachmensteuer48.  Eine  Steuer 
dieser  Art  hat  bis  zum  Exil  überhaupt  nicht  existiert,  da  bis  dahin 
die  |  öffentlichen  Opfer  durch  den  König  bestritten  wurden  (Ezech. 
45,  17  ff.;  46,  13—15  nach  LXX).  Zur  Zeit  Nehemias  wurde  sie 
bereits  entrichtet,  betrug  aber  damals  nur  ein  Drittel  Sekel  (Nehem. 
10,  33—34).  Die  Erhöhung  auf  einen  halben  Sekel  kann  erst  nach 
Nehemia  eingeführt  worden  sein.  Die  betreffende  Stelle  des  Pen- 
tateuches,  in  welcher  die  Halbsekelsteuer  vorgeschrieben  wird 
(Exod.  30, 11 — 16),  ist  demnach  als  eine  spätere  Novelle  zum  Priester- 
kodex zu  betrachten,  was  ohnehin  auch  aus  anderen  Gründen  wahr- 
scheinlich ist49.    Über  die  tatsächliche  Entrichtung  dieser  Steuer 


47)  Lev.  21,  22.  Philo,  De  monarchia  II,  13.  Joseph.  Antt.  III,  12,  2.  Bell 
Jud.  V,  5,  7.   Sebachim  XII,  1.   Menachoth  XIII,  10  fin. 

48)  Vgl.  Winer  RWB.  Art.  „Abgaben".  Saalschütz  1,291—293.  Wie- 
sel er,  Chronologische  Synopse  S.  264  ff.  Ders.,  Beiträge  zur  richtigen  Wür- 
digung der  Evangelien  S.  108  ff.  Huschke,  Über  den  Census  und  die  Steuer- 
verfassung der  früheren  römischen  Kaiserzeit  (1847)  S.  202—208.  Keim,  Ge- 
schichte Jesu  II,  599  ff.  Meyer  und  andere  Ausleger  zu  Matth.  17,  24. 
Baudissin,  Gesch.  des  alttestamentl.  Priestertums  S.  220  (und  die  dort  ge- 
nannte Literatur).  Ryssel,  Art.  „Abgaben"  in  Herzogs  Beal-Enz.  3.  Aufl.  I,  92. 

49)  S.  Kuenen,  De  godsdienst  van  Israel  II,  1870,  p.  219  f.  267.  Ders., 
Einl.  in  die  Bücher  des  A.  T.  1, 1,  S.  297.  Wellhausen,  Jahrbb.  f.  deutsche 
Theol.  1877,  S.  412.  Reuß,  Gesch.  der  heil.  Schriften  A.  T.s  1881,  S.  475  f. 
Geißler,  Die  literarischen  Beziehungen  der  Esramemoiren  (Chemnitz,  Progr. 
des  Realgymn.  1899)  S.  36—39.  Siegfried,  Esra,  Nehemia  und  Esther  (in 
Nowacks  Handkomm.  I,  6,  2)  1901,  S.  114.  —  Eine  Ausgleichung  zwischen 
Nehem.  10,  33—34  und  Eocod.  30, 11 — 16  wäre  möglich,  wenn  man  verschiedene 
Münzsysteme  annehmen  dürfte.  So  Baentsch,  Exodus-Leviticus-Numeri  (in 
Nowacks  Handkomm.  I.  2)  1903,  S.  262:  „Wenn  Neb.  10,  33  die  jährliche 
Tempelsteuer  auf  V3  Seqel  festgesetzt  ist,  so  .  .  .  beruht  das  auf  Akkomo- 
dation an  das  pers.  Münzsystem,  dessen  Silberseqel  21,S2  g.  wog,  so  daß  ein 
Drittel  desselben  ungefähr  dem  halben  Silberseqel  der  Juden  entsprach".  Vgl. 
Bertholet,  Die  Bücher  Esra  und  Nehemia  (in  Martis  Kurzem  Handcomm.) 
1902,  S.  78.  Unklar  Ryssel  a.  a.  O.  Da  aber  Exod.  30,  11—16  auch  aus  an- 
deren Gründen  als  spätere  Novelle  zum  Priesterkodex  zu  betrachten  ist  (so 
auch  Baentsch),  so  dürfte  die  obige  Auffassung  die  näherliegende  sein.  Die 
Exodusstelle  spricht  freilich  an  sich  nur  von  einer  einmaligen  Abgabe, 
welche  bei  der  Musterung  zur  Zeit  Mosis  (Num.  1)  entrichtet  werden  sollte. 
Indirekt  soll  aber  damit  sicherlich  eine  gesetzliche  Grundlage  geschaffen  wer- 


[259.  260]  IL  Die  Einkünfte.  315 

im  Zeitalter  Christi  haben  wir  verschiedene  sichere  Zeugnisse50. 
Sie  mußte  von  jedem  männlichen  Israeliten,  der  zwanzig  Jahre 
oder  darüber  alt  war,  gleichviel  ob  reich  oder  arm,  bezahlt  werden51, 
und  zwar,  wie  alle  heiligen  Abgaben,  in  aithebräischer  oder  tyri- 
scher  (phönizischer)  Währung52.  Der  Termin  für  die  Bezahlung 
war  der  Monat  Adar  (ungefähr  März) 5S;  die  Entrichtung  geschah 
in  der  Art,  daß  die  Beträge  zunächst  innerhalb  einer  Gemeinde 
gesammelt  und  dann  von  Gemeindewegen  nach  Jerusalem  ab- 
geliefert wurden 54.  —  Verwendet  wurde  diese  Steuer  hauptsächlich 
zur  Bestreitung  des  täglichen  Brandopfers  und  überhaupt  aller  im 
Namen  des  Volkes  darzubringenden  Opfer,  sowie  auch  zu  anderen 
öffentlichen  Zwecken 55.  —  Nach  der  Zerstörung  Jerusalems  mußte 
das  Didrachmon  eine  Zeit|lang  an  den  Tempel  des  Jupiter  Capito- 
linus  in  Rom  abgeliefert  werden56.  Unter  Nerva  ist  zwar  die 
cctiumnia  fisci  Judaici  beseitigt,  die  Steuer  selbst  aber  nicht  auf- 
gehoben worden57. 


den  für   die  Einforderung  einer  regelmäßigen  Halbeekelsteuer.    In  diesem 
Sinne  hat  es  auch  schon  der  Chronist  verstanden  (II  Chron.  24,  4 — 10). 

50)  Ed.  Matih.  17,  24.  Jos.  Antt.  XVm,  9, 1.  Bell.  Jud.  VH,  6,  6.  Mischna 
Traktat  Schekalim. 

61)  Exod.  30,  14—15.  Philo,  De  monarchia  II,  3  {Mang.  II,  224):  IlQoozt- 
xaxxai  yäg  &va  nav  exog  änaQxhv  ela^Qeiv  änd  tlxoaaexovq  &Q§a- 
fiivovg. 

52)  Tosephta  Kethuboth  XII  fin. :  „Alles  Geld,  von  dem  das  Gesetz  spricht, 
ist  tyrisches  Geld  fnis  C)öd)".  Die  erhaltenen  hebräischen  Sekel-Münzen 
stimmen  in  der  Tat  mit  den  Münzen  phönizischer  Währung  überein.  Ein 
halber  Sekel  ist  also  =  zwei  tyrische  Drachmen  oder  ungefähr  1  Mark  31 
Pfennige  deutschen  Geldes.  Vgl.  oben  S.  76  u.  309.  —  Im  Zeitalter  Christi 
wurde  in  Palästina  nur  in  römischer  Währung  geprägt,  deren  Münzfuß  dem 
attischen  entspricht,  s.  übern,  oben  8.  73  flf.  Man  hatte  daher  beim  Entrichten 
der  heiligen  Abgaben  sehr  oft  die  Wechsler  nötig.  Vgl.  Lambert,  Les  chan- 
geurs  et  la  monnaie  en  Palestine  etc.  (Revue  des  itudes  juives  t.  LI,  1906, 
p.  217—244,  LH,  1906,  p.  24—42). 

53)  Schekalim  I,  1  u.  3. 

54)  Schekalim  U,  1.    Vgl.  Ev.  Matth.  17,  24. 

55)  Nehem.  10,  33—34    Schekalim  IV,  1—3. 

56)  Joseph.  Beü.  Jud.  VII,  6,  6.  Dio  Cass.  LXVI,  7.  —  Vgl.  Sueton.  Do- 
mitian.  12:  Judaicus  fiscus  acerbissime  actus  est.  —  Hirsch feld,  Die  kaiser- 
lichen Verwaltungsbeamten  bis  auf  Diocletian.  2.  Aufl.  1905,  S.  73. 

57)  Ersteres  ist  bezeugt  durch  eine  Münze  Nervas  mit  der  Umschrift 
fisci  Judaici  calumnia  sublaia  (Madden,  Eistory  of  Jewish  Ooinage  p.  199). 
Gemeint  ist  damit  die  Denunziation  im  Interesse  des  fiscus  Judaicus,  welche 
Nerva  verbot  (s.  unten  §  31,  II,  2).  Die  Steuer  selbst  ist  auch  später  noch 
entrichtet  worden;  vgl.  Appian.  Syr.  50  und  besonders  Origenes  Epist.  ad. 
African.  §  14  (ed.  Lommatxsch  XVII,  44):  xal  vvv  yovv  'Pcof/atwv  ßaotXevdv- 
T(ov,  xal  iovöalcjv  xd  SiÖQaxpov  avzolq  xsXovvtfov.  —  Die  Rabbinen  ihrerseits 


316  §  24-  Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [260..  261] 

Zn  der  Halbsekelsteuer  kam  als  regelmäßige  Abgabe  für  den 
Tempel  namentlich  noch  die  jährliche  Holzliefe  rang  fiir  den 
Bedarf  des  Brandopferaltares  hinzu58.  Schon  zur  Zeit  Nehemias 
war  angeordnet  worden,  daß  die  Priester,  die  Leviten  und  das 
Volk  zu  gewissen  Zeiten  des  Jahres  das  Holz  für  den  Altar 
liefern  sollten,  alle  nach  ihren  „Vaterhäusern",  indem  die 
Reihenfolge  durchs  Los  bestimmt  wurde  (Nehem.  10,  35.  13,  31). 
In  der  späteren  Zeit  geschah  die  Holzlieferung  vorwiegend 
am  15.  Ab,  der  eben  dadurch  einen  gewissen  festlichen  Cha- 
rakter erhielt09.  Doch  wurde  auch'  in  dieser  späteren  Zeit  noch 
von  einzelnen  Geschlechtern  an  anderen  Tagen  geliefert60.  |  Zu- 
haben bestimmt,  daß  die  Halbsekel-Steuer  nicht  Pflicht  sei,  wenn  kein  Tempel 
besteht  (Sehekalim  VIII,  8). 

58)  S.  hierüber:  Herzfeld,  Geschichte  des  Volkes  Jisrael  H,  144 f.  6 ratz, 
Geschichte  der  Jaden  3.  Aufl.  IH,  612  (Note  1)  und  668  f.  (Note  14)  — .  4.  Aufl. 
S.  571  und  707  f.  Derenbourg,  Eistoire  de  la  Palestine  p.  109  not.  2.  Ham- 
burger, Real-Enz.  für  Bibel  und  Talmud  IL  Abt,  8.  881  f.  (Artikel  „Opfer- 

holzspende"). 

59)  Mejillath  Taanith  §  11  (bei  Derenbourg  p.  443.  445).  —  Joseph.  Bell. 
Jud.  n,  17,  6:  xijq  r(bv  %vXo<poolo)v  hoQxf^  oiaijg,  £v  y  näaiv  $&oq  vkm9  zip 
ßcofjuj)  nQootpioeiv.  Da  Josephns  B.  J.  H,  17,  7  den  darauf  folgenden  Tag 
als  den  15.  Loos  («=  Ab)  bezeichnet,  so  würde  sich  für  die  Holzlieferung  der 
14.  Ab  ergeben.  Daß  aber  der  15.  Ab  der  Haupttag  war,  unterliegt  nach  den 
rabbinischen  Quellen  keinem  Zweifel,  s.  Megillaih  Taanith  §  11,  Mischna  Taanith 
IV,  5.  IV,  8;  im  allgemeinen  auch  Taanith  IV,  4.  Megilla  I,  3.  jer.  Taanith 
68 1>— 69  c.  jer.  Megilla  70  c.    bab.  Taanüh  28»— 31». 

60)  Mischna  Taanith  IV,  5:  „Die  Zeiten  zur  Holzlieferung  waren  für 
Priester  und  Volk  neun  bestimmte  Tage: 

1.  Am  1.  Nisan  lieferte  das  Haus  Ar  ach  vom  Stamme  Juda  (vgl.  Esra 

2,  5.  Nehem.  7,  10). 

2.  Am  20.  Tammus  das  Haus  David  vom  Stamme  Juda  (vgJ.  Esra  8,  2). 

3.  Am  5.  Ab  das  Haus  ParSosch  vom  Stamme  Juda  (vgl.  Esra  2, 3.  8,  3. 

10,  25.   Nehem.  3,  25.  7,  8.  10,  15). 

4.  Am  7.  Ab  das  Haus  Jonadabs  des  Bechabiten  (vgl.  H  Reg.  10, 15.  23. 

Jerem.  35,  8.  I  Chron.  2,  55). 

5.  Am  10.  Ab  das  Haus  SSnaa  vom  Stamme  Benjamin  (vgl.  Esra  2,  35. 

Nehem.  3,  3.  7,  38). 

6.  Am  15.  Ab  das  Haus  Sattu  vom  Stamme  Juda  (vgl.  Esra  2,  8.  10,  27. 

Nehem.  7,  13.  10,  15). 

An  demselben  Tage:  Die  Priester. 

Die  Leviten. 

Die  von  unbekannter  Abstammung. 

Die  Bene  Oonbe  Eli  und  die  Bene  KoxceKe*icoth. 

7.  Am  20.  Ab  das  Haus  Pachath-Moab  vom  Stamme  Juda  (vgl.  Esra 

2,  6.  8,  4.  10,  30.    Nehem.  3,  11.  7,  11.  10,  15). 

8.  Am  20.  Elul  das  Haus  Adin  vom  Stamme  Juda  (vgl.  Esra  2, 15.  8, 6. 

Nehem.  7,  20.  10,  17). 

9.  Am  1.  Tebeth  das  Haus  Pareosch  zum  zweitenmale". 


[261.  262]  III.  Die  einzelnen  Ämter.  317 

lässig  waren  alle  Holzarten  außer  vom  Ölbaum  und  vom  Wein- 
stock61. 

Große  Reichtümer  müssen  endlich  dem  Tempel  auch  durch 
freiwillige  Schenkungen  zugeflossen  sein.  Es  ist  schon  er- 
wähnt worden,  daß  wahrscheinlich  der  größte  Teil  der  Gelübde 
nicht  den  Priestern  persönlich  zufiel,  sondern  für  Kultuszwecke 
verwendet  wurde  (s.  oben  S.  311).  Jedenfalls  gilt  dies  von  den 
für  bestimmte  Zwecke  dargebrachten  Gelübden  und^von  den  sonsti- 
gen freiwilligen  Gaben,  die  nicht  gerade  auf  Grund  eines  Ge- 
lübdes geweiht  wurden62.  Sehr  häufig  wurden  einzelne  Gegen- 
stände geschenkt,  die  zum  Gebrauch  beim  Kultus  oder  zur  Zierde 
desyTempels  dienten63.  Man  konnte  z.  B.,  um  nur  einiges  zu  er- 
wähnen, zur  Erweiterung  des  goldenen  Weinstocks  über  dem 
Tempeltore  Gold  in  Form  einzelner  Blätter,  Trauben  oder  Beeren 
schenken64;  der  reiche  Alabarch  Alexander  in  Alexandria  stiftete 
die  Gold-  und  Silberbekleidung  für  die  Tore  des  Vorhofes65;  selbst 
vornehme  NichtJuden  stifteten  nicht  selten  Weihgeschenke  für  den 
Tempel  (s.  darüber  am  Schluß  dieses  Paragraphen).  Das  Gewöhn- 
lichste waren  wohl  Gaben  in  Geld;  und  da  war  selbst  das  Scherf- 
lein  der  armen  Witwe  nicht  unwillkommen  (Ev.  Marc.  12,  41 — 44. 
Luc.  21,  1—4).  In  der  Schatzkammer  des  Tempels  waren  dreizehn 
posaunenförmige  Kasten  aufgestellt,  in  welche  das  für  die  einzel- 
nen Kultuszwecke  bestimmte  Geld  eingelegt  wurde.  Nicht  weniger 
als  sechs  davon  enthielten  die  „freiwilligen  Gaben"  schlechthin, 
ohne  nähere  |  Bestimmung;  und  diese  wurden  sämtlich,  wie  wenig- 
stens die  Mischna  behauptet,  zu  Brandopfern  verwendet  (weil  näm- 
lich bei  diesen  am  meisten,  sozusagen,  Gott  zugute  kam)66. 


ni  Die  einzelnen  Ämter. 

Die  |große  Zahl  der  Priester,  die  Fülle  ihrer  Einkünfte,  die 
Mannigfaltigkeit  ihrer  Punktionen  erforderten  auch  eine  reiche 
Gliederung  der  Ämter.  Es  ist  bereits  im  ersten  Abschnitt  ge- 
zeigt worden,  wie  die  ganze  Priesterschaft  in  24  Geschlechter  ge- 


61)  Tamid  II,  3.    Anders:  Buch  der  Jubiläen  c.  21,  12—15.    Testam.  XII 
Patriarch.  Levi  c.  9.    Vgl.  Charles,  The  book  of  Jubilees,  19C2,  p.  134  sq. 

62)  Daß   man  zwischen  Gelübden  (ö*vftt)  und  freiwilligen  Gaben 
(nmi)  wenigstens  formell  unterschied,  sieht  man  z.  B.  aus  Megüla  I,  6. 

63)  S.  im  allgemeinen  Jos.  Bell.  Jud.  V,  13,  6.    Mischna  Joma  III,  10. 

64)  Middoth  HI,  8  fin. 

65)  Jos.  Bell.  Jud.  V,  5,  3. 

66)  Schekalim  VI,  5-6. 


318  §  24.  Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [262.  263] 

teilt  war,  deren  jedes  einen  einheitlichen  Körper  für  sich  bildete 
mit  Vorstehern  und  Ältesten  an  der  Spitze.  Unabhängig  von  dieser 
gesellschaftlichen  Gliederung  des  ganzen  Standes  war  nun  aber 
der  Organismus  spezieller  Ämter,  die  zur  Durchfuhrung  der 
mannigfaltigen  Kultuszwecke  und  Kultusordnungen  erforderlich 
waren.  Unter  diesen  speziellen  Ämtern  ragen  (wenigstens  im 
letzten  Jahrhundert  des  Tempelbestandes,  auf  welches  die  folgende 
Darstellung  sich  bezieht)  zwei  über  alle  anderen  hervor,  die  darum 
hier  an  die  Spitze  zu  stellen  sind. 

1)  Das  Haupt  der  gesamten  Prieaterschaft  war  der  Ober- 
priester oder,  wie  wir  zu  sagen  gewohnt  sind,  der  Hohepriester 
(b"na  pD,  aQxcBQevg,  in  der  aramäischen  Landessprache:  Kahna 
rabba,  s.  obenS.25Anm.70)1.  Das  Charakteristische  seiner  Stellung 
war  die  Vereinigung  einer  politischen  und  einer  priesterlichen 
Würde  in  einer  Person.  Er  war  nicht  nur  der  höchste  Kultus- 
beamte, der  allein  zur  Ausübung  gewisser  Kultushandlungen  von 
höchster  religiöser  Bedeutung,  wie  namentlich  zur  Darbringung 
des  Opfers  am  Versöhnungstage  berechtigt  war;  sondern  er  war 
zugleich  auch  das  politische  Oberhaupt  des  Volkes,  also  das  Staats- 
oberhaupt, soweit  eben  der  Staat  nicht  von  fremden  Herren  regiert 
wurde.  In  der  Zeit  der  Unabhängigkeit  waren  die  erblichen  has- 
monäischen  Hohenpriester  zugleich  Fürsten  und  Könige;  später 
sind  die  Hohenpriester  wenigstens  die  Präsidenten  des  Synedriums 
und  die  obersten  Vertreter  des  Volkes  auch  in  allen  politischen 
Angelegenheiten  den  |  Römern  gegenüber  gewesen  (Näheres  s.  oben 
§  23,  IV).  Die  vornehme  soziale  Stellung  des  Hohenpriesters 
brachte  es  mit  sich,  daß  er  nur  bei  festlichen  Gelegenheiten  als 
Priester  fungierte.  Gesetzlich  verpflichtet  war  er  dazu  nur  am 
Versöhnungstage,  an  welchem  er  das  große  Sündopfer  des  Volkes 
vor  Gott  brachte  (Lev.  16);  nach  der  späteren  Praxis  hatte  er  auch 
in  der  Woche  vor  dem  Versöhnungstage  das  tägliche  Opfer  dar- 
zubringen2. Im  übrigen  hatte  er  vollkommen  freie  Hand,  zu 
opfern,  wann  er  wollte3.    Nach  dem  Zeugnis  des  Josephus  tat  er 

1)  Vgl.  über  ihn:  Win  er  RWB.  s.  v.\  Oehler,  Art.  „Hoherpriester"  in 
Herzogs  Real-Enz.  (1.  Aufl.  VI,  198—206,  2.  Aufl.  VI,  237—245,  revidiert  von 
Delitzsch),  und  die  von  beiden  zitierte  Literatur.  Graf,  Art.  „Priester"  in 
Schenkels  Bibellex.,  Wellhausen,  Gesch.  Israels  1, 153— 156  =  Prolegomena 
zur  Gesch.  Israels  5.  Aufl.  8.  145— 149.  Riehm,  Handwörterb.  des  bibl. 
Altertums  s.  v.  Baudissin,  Geschichte  des  altt  es  tarn  entlichen  Pries  terthums 
S.  26-28,  88  f.,  127—130,  140—142,  214,  251—253,  289f.  Kuenen,  Gesammelte 
Abhandlungen,  übers,  von  Budde  1894,  S.  475  ff.  Buhl,  Art.  „Hoher  Priester" 
in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  VIII,  1900,  S.  251—256. 

2)  Joma  I,  2. 

3)  Joma  I,  2.    Tamid  VII,  3. 


[263.  264]  III.  Die  einzelnen  Amter.  319 

dies  in  der  Eegel  an  jedem  Sabbat  und  an  den  Neumonds-  und 
Jahresfesten 4.  Mit  diesen  Opfern,  die  er  als  Vertreter  des  Volkes 
und  in  dessen  Namen  darbrachte,  ist  nicht  zu  verwechseln  das 
tägliche  Speisopfer,  das  er  von  sich  aus  als  eigenes  Opfer  dar- 
zubringen hatte  (Lev.  6,  12—16).  Hierbei  kam  es  nicht  sowohl 
darauf  an,  daß  er  selbst  fungierte  (was  in  der  Regel  nicht  ge- 
schehen ist),  als  darauf,  daß  er  die  Kosten  bestritt 5.  —  Die  Einzig- 
artigkeit seiner  Stellung  kam  auch  zum  Ausdruck  in  der  beson- 
deren Reinheit  und  Heiligkeit,  die  von  ihm  gefordert  wurde  (s.  oben 
S.  281.  283),  sowie  in  einem  prachtvollen  Dienstgewande,  das  er  bei 
Verrichtung  seiner  priesterlichen  Funktionen  trug 6.  Nur  am  Ver- 
söhnungstage, wenn  er  ins  Allerheiligste  eintrat,  |  trug  er  ein- 
fache weiße  Kleider,  die  übrigens  auch  aus  der  kostbarsten  pe- 


4)  Bell.  Jud.  V,  5,  7:  6  6h  dp/jegevg  &v£h  fihv  avv  avzotg,  äV'  ohc  ael, 
xatg  6*  kßöo/udoi  xal  vovfirjviaig  xal  et  zig  ioQzf}  ndzQiog  rj  navtfyvoig  nav- 
öfjfjLog  dyofiivij  öi  hovg.  —  Auch  die  Schilderung  der  hohenpriesterlichen 
Funktionen  Simons  IL  bei  Sirach  50,  11 — 21  ist  wohl  nicht  nur  auf  den 
Versöhnungstag  zu  beziehen,  denn  was  hier  beschrieben  wird,  ist  der  ge- 
wöhnliche tägliche  Opferdienst,  während  auf  den  Versöhnungstag  nur  50,  5 
angespielt  wird  (heraustreten  hinter  dem  Vorhang).  —  Auch  die  hasmonäi- 
sehen  Fürsten  und  Könige  haben  die  priesterlichen  Funktionen  tatsächlich 
ausgeübt.  S.  Jos.  Antt.  XIII,  10,  3  (Joh.  Hyrkan),  XIH,  13,  5  (Alexander 
Jannäus). 

5)  Jos.  Antt.  m,  10,  7.   Näheres  s.  unten  Abschnitt  IV. 

6)  Dieses  Prachtgewand  wird  von  den  biblischen  und  nachbiblischen 
Quellen  mit  besonderer  Vorliebe  beschrieben.  S.  Exod.  28  und  39.  Sirach  45, 
6—13.  50,  5  ff.  Aristeas  ed.  Wendland  §  96—99.  Philo,  Vita  Mosis  lir,  11—14 
(ed.  Mang.  II,  151—155);  de  monarchia  II,  5—6  {ed.  Mang.  II,  225-227).  Jo- 
sephus  Antt.  III,  7,  4—7  und  Bell.  Jud.  V,  5,  7.  Mischna  Joma  VH,  5.  Eie- 
ronymus  Epist.  64  ad  Fabiolam  c.  10—18  (ed.  Vallarsi  I,  360—366).  —  Aus 
der  Literatur  sei  hervorgehoben:  Joh.  Braun,  Vestitus  sacerdotum  Hebraeorum , 
Amst.  1680.  Lundius,  Die  alten  jüdischen  Heiligthümer  Buch  III,  Kap.  4—8. 
Bened.  Dav.  Öarpxov,  De  pontificum  Hebraeorum  vestitu  sacro  (in  Ugolini, 
Thts.  t.  XII,  daselbst  in  t.  XII  und  XIII  auch  noch  andere  Monographien). 
Ugolini,  Thes.  XIII,  163—434.  Bahr,  Symbolik  des  mosaischen  Cultus  II, 
61—165.  Leyrer,  Art.  „Kleider,  heilige  bei  den  Hebräern"  in  Herzogs  Real- 
Enz.  1.  Aufl.  VII,  714—722,  und  die  daselbst  zitierte  Literatur.  Haneberg, 
Die  religiösen  Alterthümer  der  Bibel  S.  534—555.  De  Saulcy,  Bevue  archio- 
logique,  Nouv.  Sirie  t.  XX,  1869,  p.  91— 115.  Grün  bäum,  Die  Priestergesetze 
bei  FJavius  Josephus  (1887)  S.  37—55.  Auch  die  in  Anm.  1  zitierte  Literatur 
über  die  Hohenpriester.  Die  Universitätsbibliothek  zu  Gießen  besitzt  hand- 
schriftlich ein  sehr  gelehrtes  Werk  von  Martinus  Mauritiit  De  re  vestiaria 
Hebraeorum  1685  (cod.  Gissens.  593—595).  —  Über  die  Aufbewahrung  des 
hohenpriesterlichen  Gewandes  entstand  in  der  römischen  Zeit  ein  ernsthafter 
politischer  Konflikt,  s.  Jos.  Antt.  XV,  11,  4.  XVIII,  4,  3.  XX,  1,  1-2;  dazu 
Theol.  ßtud.  und  Krit.  1872,  S.  627—630.  Bei  der  Eroberung  Jerusalems  fiel 
das  Prachtgewaud  den  Römern  in  die  Hände  (Jos.  Bell  Jud.  VI,  8,  3). 


320  §  24.  Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [264] 

lusischen  und  indischen  Leinwand  (oder  Baumwolle?)  angefertigt 
waren 7. 

2)  Dem  Hohenpriester  am  nächsten  stand  dem  Range  nach 
der  1JO  oder  )yq,  aramäisch  1&,  über  dessen  amtliche  Funktionen 
freilich  die  rabbinischen  Autoritäten  sehr  im  unklaren  sind.  Man 
meint  gewöhnlich,  er  sei  der  Stellvertreter  des  Hohenpriesters  ge- 
wesen und  habe  namentlich  die  Aufgabe  gehabt,  für  diesen  ein- 
zutreten, wenn  er  durch  levitische  Verunreinigung  an  der  Aus- 
übung seines  Dienstes  verhindert  war8;  diese  Meinung  ist  auch 
unter  christlichen  Gelehrten  bis  auf  den  heutigen  Tag  noch  die 
herrschende9.  Sie  ist  aber  sicher  falsch.  Die  sämtlichen  Stellen 
der  Mischna,  an  welchen  der  po  erwähnt  wird,  geben  über  seine 
amtliche  Stellung  überhaupt  keinen  näheren  Aufschluß.  Sie  zeigen 


7)  Lev.  16,  4.  Mischna  Joma  HL,  7  (über  die  hier  erwähnten  Stoffe  s. 
oben  S.  80.  Vgl.  auch  unten  Abschnitt  IV  über  die  Priesterkleidung  über- 
haupt). Jos.  B.  J.  V,  5,  7 :  xavxrn*  fiev  ovv  x%v  £o&fjza  [oix]  i<p6oei  xbv  älXov 
ZQÖvov,  kiTor&Qav  Sy  avelä/ußavev  andre  [6h]  eloloi  elg  xb  aövtov.  Die  einge- 
klammerten Worte  sind  hier  sicher  zu  tilgen.  Statt  xbv  aXXov  %q6vov  liest 
Niese-Destinon  %qbviov,  was  im  selben  Sinne  gemeint  sein  müßte.  M.  Simon 
(Jewish  Quarterly  Review  XIH,  1901,  p.  547  sq.)  behält  oix  bei,  liest  zqoviov, 
tilgt  öh  und  übersetzt:  „diese  Kleidung  trug  er  nicht  für  gewöhnlich  (sondern 
nur  wenn  er  opferte);  eine  einfachere  legte  er  an,  wenn  er  ins  Allerheiligste 
einging".  Diese  Erklärung  scheitert  nicht  nur  an  der  Trivialität  des  ersten 
Satzes,  sondern  auch  daran,  daß  die  Ergänzung  der  Worte  „sondern  nur 
wenn  er  opferte"  unberechtigt  ist.  —  Die  leinenen  Kleider  (pb  ^3Q)  trug  der 
Hohepriester  nur  bei  den  speziell  auf  den  Versöhnungstag  bezüglichen  Hand- 
lungen. Bei  den  übrigen  Kultushandlungen  trug  er  auch  am  Versöhnungs- 
tage seine  Prachtgewänder  (am  ^3Q),  Lev.  16,  23—24.  Genaueres  darüber 
s.  Joma  HI,  4.  6.  VII,  1.  3.  4;  vgl.  auch  Jos.  Antt.  XVHI,  4,  3  (als  die  Römer 
die  Prachtgewänder  in  Verwahrung  hatten,  wurden  sie  den  Juden  ausge- 
liefert xqioIv  kooratg  ixdavov  hrovq  xal  xavä  rfjv  vqaxelav,  d.  h.  am  Ver- 
söhnungstage). 

8)  So  Joma  39  a.   (Herzfeld,  Gesch.  des  Volkes  Jisrael  II,  141). 

9)  S.  übcrh.:  Buxtorf,  Lex.  Chald.  s.  v.  *pD.  —  Seiden,  De  succcssione 
in  pontificaium  Ebraeorum  TL,  1.  —  Light  foot,  Ministerium  templi  V,  1  (Opp. 
I,  687  sq.).  —  Sheringam  zu  Joma  IH,  9  (in  Surenhusius'  Mischna  H,  223).  — 
Carpxov,  Apparatus  historico-criticus  p.  98  sq.  —  Vitringa,  Observationen 
saerae  (1723)  lib.  VI  c.  23,  p.  517—531.  —  Blossius  1711,  Overkampf 1739 
(beide  zitiert  von  Mensel,  Bibliotheea  historica  1,  2,  165).  —  Quandt,  De  pon- 
tificis  maximi  suffraganeo  (in  Ugolinis  Thesaurus  t.  XH,  963—1028).  —  Herz- 
feld,  Gesch.  des  Volkes  Jisrael  II,  141.  —  Oehler,  Art.  „Hoherpriester"  in 
Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  VI,  204.  —  Haneberg,  Die  religiösen  Alterthümer 
der  Bibel  S.  558 f.  —  Levy,  Chald.  Wörterb.  s.  v.  ",50.  Ders.,  Neuhebr. 
Wörterb.  s.  v.  —  Büchler,  Die  Priester  und  der  Cultus  im  letzten  Jahr- 
zehnt des  jerusalemischen  Tempels,  Wien  1895,  S.  103—118  (hierüber:  Theol. 
Litztg.  1895,  516).  —  Über  die  MäD  im  A.  T.  s.  Oesenius,  Thesaurus  s.  v. 


[264.  265]  HL  Die  einzelnen  Amter.  321 

nur,  daß  er  im  |  Bang  der  nächste  nach  dem  Hohenpriester  war. 
Wenn  der  Hohepriester  am  Versöhnungstage  das  Los  über  die 
beiden  Böcke  zog,  stand  der  po  ihm  zur  Rechten,  und  der  Vor- 
steher der  diensttuenden  Abteilung  (na  mn  Vtiri)  zur  Linken10. 
Wenn  der  Hohepriester  aus  der  Schrift  vorzulesen  hatte,  reichte 
der  Synagogenvorsteher  die  Schriftrolle  dem  po,  und  dieser  über- 
gab sie  dem  Hohenpriester11.  Wenn  der  Hohepriester  das  tägr 
liehe  Opfer  darbringen  wollte,  stand  ihm  ebenfalls  der  po  zur 
Seite12.  Aus  alledem  kann  man  aber  nicht  schließen,  daß  der 
Segan  (ich  wähle  diese  aramäische  Form,  da  die  hebräische  Singular* 
form  sich  nicht  sicher  feststellen  läßt)  zur  Stellvertretung  des 
Hohenpriesters  im  Falle  von  dessen  Verhinderung  bestimmt  war. 
Und  ein  solcher  Schluß  wäre  entschieden  falsch.  Denn  die  Mischna 
sagt  über  diese  Stellvertretung  vielmehr  folgendes:  „Sieben  Tage 
vor  dem  Versöhnungstage  bestimmt  man  einen  andern  Priester 
(nna  iro)  zur  Stellvertretung  des  Hohenpriesters  für  den  Fall,  daß 
diesem  ein  den  Dienst  verhindernder  Zufall  zustieße" 13.  Dies  wäre 
doch  sehr  überflüssig  gewesen,  wenn  es  einen  ständigen  Vicarius 
des  Hohenpriesters  gegeben  hätte.  —  Über  die  wirkliche  Stellung 
des  Segan  läßt  sich,  wie  mir  scheint,  sehr  leicht  und  sicher  ins 
klare  kommen,  sobald  man  nur  beachtet,  wie  die  LXX  das  Wort 
C3AO  im  Alten  Testamente  übersetzen.  Sie  übersetzen  es  nämlich 
fast  konstant  durch  axQaxrjyoliA.  Der  po  ist  also  nichts  anderes 
als  der  in  den  griechischen  Quellen,  sowohl  im  Neuen  Testamente 
als  bei  Josephus,  öfters  erwähnte  cxQaxqybq  xov  Uqov,  derTempel- 
hauptmann15.  Er  hatte  die  oberste  Aufsicht  über  die  äußere 
Ordnung  im  Tempel.  Und  es  begreift  sich  bei  der  Wichtigkeit 
dieser  Stellung  leicht,  daß  er  als  der  im  Bang  dem  Hohenpriester 
am  nächsten  stehende  Priester  angesehen  wurde. 


10)  Joma  m,  9.  IV,  1. 

11)  Joma  VII,  1.   Sota  VII,  7—8. 
12).  Tamid  VH,  3. 

13)  Joma  I,  1. 

14)  So  Jerem.  51,  23.  28.  57.  Exechiel  23,  6.  12.  23.  Esra  9,  2  {mag. 
qmüt).  Nekem.  2,  16.  4,  8.  12,  40.  13,  11.  Daniel  3,  2.  27.  6,  8.  Nor  selten 
—  aQxovzsg  Jes.  41,  25.  Nehem.  4,  13.  5,  7.  7,  5.  Einmal  —  oavod*ai 
Daniel  2,  4a 

15)  Actor.  4,  1 :  6  aroaxtiybs  xof>  Uqoü.  Ebenso  Autor.  5,  24.  26.  —  Jb- 
8ephu8  Antt.  XX,  6,  2:  'Avavlccv  xbv  ö.Q%i£Qka  xal  xbv  oxoazTjydv  *Avavov.  — 
Bell.  Jud.  VI,  5,  3:  ol  xov  Uqoü  yvXaxeq  IjyyeiXav  x<j>  oxoaxrjycp.  —  Antt. 
XX,  9,  3:  xbv  yoaftfjiax&a  xpv  oxoaxfiyov'vxos  *EXeat,dQov.  —  BelL  Jud. 
II,  17,  2:  l&eä^ctQoq  vlb<;  'Avavlov  xoü  <£(W£(>&u£,  veccvlaq  &oaovzaxos,  oxoa- 
xtjyCbv  xdxe.  —  An  einigen  der  letzteren  Stellen  könnte  möglicherweise  statt 
des  obersten  oxQaxrjydq  einer  der  unteren  oXQaxrtyol  gemeint  sein,  die  es 
ebenfalls  gab,  wie  sogleich  gezeigt  werden  wird. 

Schür  er,  Geschichte  II.  4.  Aufl.  21 


322  §  24.  Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [266] 

Neben  dem  Segan  oder  cxQaxTjyoQ  im  Singularis  kommen  auch 
0*0*0  oder  öxQaxrjyol  im  Pluralis  vor.  Wenn  die  Festzüge  der 
Landleute  mit  den  Erstlingsfrüchten  nach  Jerusalem  kamen,  so 
gingen  ihnen  die  vornehmsten  Priester  entgegen,  nämlich  die  rvinfi 
und  Ctto  und  cnan16.  Den  beiden  an  erster  Stelle  genannten 
Kategorien  rnng  und  D^ao  entsprechen  bei  Lucas  ot  aQxisQeiq  xal 
öTQarijYol  (Lue.  22,  4.  52) 17.  Was  unter  den  dQxuQelg  zu  verstehen 
sei,  ist  bereits  oben  S.  274  ff.  gezeigt  worden.  Die  0*0*0  oder  oxq<z- 
xrjyol  aber  sind  der  Art  nach  jedenfalls  dasselbe  wie  der  "jao  oder 
öTQaT7]y6g,  nur  in  einer  geringeren  Bangstufe,  also  ebenfalls 
Häupter  der  Tempelpolizei,  aber  in  einer  dem  obersten  öxQaxtjyoq 
untergeordneten  Stellung18. 

In  den  priesterlichen  Banglisten,  welche  an  einigen  talmu- 
dischen Stellen  gegeben  werden,  werden  als  die  dem  Hohen- 
priester und  dem  Segan  Zunächststehenden  die  Vorsteher  der 
Dienstabteilungen  genannt,  und  zwar  zunächst  die  Vorsteher  der 
24  Hauptabteilungen  (noiBttn  ©*n)  und  sodann  die  Vorsteher  der 
Unterabteilungen  (1K  mn  wvn) 1 9.  Das  Amt  dieser  Vorsteher  be- 
zieht sich  aber  nicht  direkt  auf  den  Kultus,  sondern  vielmehr  auf 
die  Priesterschaft  als  Korporation,  weshalb  von  ihnen  bereits  oben 
S.  290  die  Bede  gewesen  ist  Die  eigentlichen  Kultusämter,  die 
hier  außer  dem  des  Hohenpriesters  und  des  Segan  noch  zu  er- 
wähnen sind,  haben  es  teils  mit  der  Vermögensverwaltung, 
teils  mit  der  Polizeiaufsicht  im  Tempel,  teils  mit  den  Kultus- 
handlungen selbst  zu  tun.  Was  wir  über  diese  drei  Kategorien 
wissen,  ist  im  wesentlichen  folgendes20. 

I)  Eine  sehr  wichtige  Funktion  war  die  Verwaltung  des 
ungeheuren  Tempelvermögens.  Der  Tempel  zu  Jerusalem  bietet 


16)  Bikkurim  HI,  3. 

17)  Die  Verbindung  nino  und  D*o  JD  findet  sich  öfters  auch  im  Alten  Testa- 
mente (Jerem.  51,  23.  28.  57.  Exech.  23,  6.  12.  23).  Die  LXX  übersetzen  hier 
meistens  fjyefjidveq  (oder  ^yovfievoC)  xal  atQarijyolt  einmal  (Jerem.  51,  67)  3(h 
Xovteq  xal  axQaxriyoL  In  der  zitierten  Mischnastelle  Bikkurim  III,  3,  wo  es 
sich  um  Priester  handelt,  können  daher  die  rriftB  kaum  etwas  anderes  sein 
als  die  agziegeTt;,  denn  die  oiqxovzeq  unter  den  legetg  sind  eben  die  aQX^QeXq. 
Bestätigt  wird  dies  durch  die  Formel  des  Lucas. 

18)  Ein  ISO  dieser  Art  ist  vermutlich  der  in  der  Mischna  öfters  vor- 
kommende R.  Chananja  D^ansn  «pö.    S.  über  ihn  §  25,  IV. 

19)  S.  bes.  Tosephta  Horajoth  fin.  (ed.  Zuckermandel  p.  476  unten);  jer. 
Horajoih  48b,  bei  Ugolini  Thes.  XIII,  870. 

20)  Vgl.  Light  foot,  Ministerium  templi  e.  V  und  VII.  Herz  fei  d,  Ge- 
schichte des  Volkes  Jisrael  I,  387 — 424.  Haneberg,  Die  religiösen  Alter- 
tümer S.  555  ff.  Graf  in  Merx'  Archiv  I,  226—232.  Köberle,  Die  Tempel- 
sänger im  Alten  Testament,  1899.  Überhaupt  auch  die  oben  S.  291  zitierte 
Literatur  über  die  Leviten. 


[267]  m.  Die  einzelnen  Ämter.  323 

uns  in  dieser  Hinsicht  ganz  dasselbe  Bild,  wie  andere  berühmte 
Tempel  des  Altertums21.  Schon  die  keilinschriftlichen  Urkunden 
geben  Zeugnis  von  dem  Reichtum  der  Tempel  in  Babylonien  und 
Assyrien  und  von  der  Pünktlichkeit,  mit  welcher  ihre  Einnahmen 
und  Ausgaben  gebucht  wurden 22.  Besonders  genau  sind  wir  jetzt 
durch  zahlreiche  inschriftliche  Funde  über  den  Besitzstand  und 
die  Vermögensverwaltung  der  Tempel  in  Delos  unterrichtet  Un- 
geheure, Schätze  waren  hier  angesammelt;  und  die  Finanzverwal- 
tung wurde  mit  einer  Sorgfalt  geführt,  die  noch  heute  unsere  Be- 
wunderung erregt28.    Für  Ägypten  liefert  ein  gleiches  Bild  eine 


21)  Daß  die  Tempel  in  der  Begel  ihre  eigene  Schatzverwaltung  hatten, 
unabhängig  von  den  städtischen  Finanzen,  zeigt  Swoboda,  Über  griechische 
Schatzverwaltung  (Wiener  Studien  X,  1888»  S.  278—307.  XI,  1889,  S.  65—87). 

22)  O.  Weber,  Die  Literatur  der  Babylonier  und  Assyrer  1907,  S.  260 
—262:  Urkunden  der  Tempelverwaltung. 

23)  Die  inschriftlichen  Urkunden  über  die  Tempel  zu  Delos  beziehen  sich 
teils  auf  die  Zeit  der  athenischen  Herrschaft  (5.  bis  4.  Jahrh.  vor  Chr.),  teils 
auf  die  Zeit,  wahrend  welcher  die  Insel  unabhängig  war  (Ende  des  4.  bis 
Mitte  des  2.  Jahrh.  vor  Ohr.).  1)  Zur  Zeit  der  athenischen  Herrschaft  wurde 
von  den  Amphiktyonen  alle  vier  Jahre  Rechnung  abgelegt  Dieselbe  wurde  in 
zwei  Exemplaren  auf  Marmortafeln  ausgefertigt,  von  welchen  das  eine  in 
Athen,  das  andere  in  Delos  aufbewahrt  wurde,  weshalb  die  Funde  teils  dort, 
teils  hier  zutage  gekommen  sind  (s.  Corpus  IhseripHonutn  Atticarum  t. 1  n.  283, 
t.  II  n.  813—828,  Homolle,  Bulletin  de  wrrespondance  hellenique  t.  Vm,  1884, 
p.  282—327,  t  X,  1886,  p.  461—475  [besonders  gut  erhaltenes  Exemplar  vom 
J.  364  vor  Chr.]).  2)  Zur  Zeit  der  Unabhängigkeit  der  Insel  wurde  von  den 
leoonoiol  alle  Jahre  Rechnung  abgelegt,  die  ebenfalls  auf  marmornen  Tafeln 
aufgestellt  wurde  (s.  Homollß,  Bulletin  de  correspondance  hellenique  t.  VI, 
1882,  p.  1—167  [Rechnung  vom  J.  180  vor  Chr.].  Ibid.  t  XIV,  1890,  p.  389—511, 
XV,  1891,  p.  113—168  [Rechnung  vom  J.  279  vor  Chr.].  Ibid.  XXVH,  1903, 
p.  62—103  [Rechnung  vom  J.  250  vor  Chr.],  Homolle,  Lee  archives  de  l'in- 
tendanee  sacrbe  ä  Dolos,  315—166  av.  J.  C.  ■—  Bibliotheque  des  Scoles  francaises 
cPAthenes  et  de  Borne,  vol.  49,  Paris  1887  [Untersuchung  der  Chronologie  und 
Katalog  der  bisher  gefundenen  Urkunden,  ohne  näheres  Eingehen  auf  den  In- 
halt]. Sehoeffer,  De  Deli  insulae  rebus.  Berlin  1889.  Ders.,  Art.  „Delos", 
in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  IV,  2459  ff.  Eine  anschauliche  Zusammenfassung 
der  Resultate  bietet  der  Aufsatz  von  G.  Hirsch feld,  „Delos",  in:  Deutsche 
Rundschau,  Bd.  41,  Okt.— Dez.  1884,  S.  107—119).  —  Der  Inhalt  aller  dieser 
Urkunden  ist  ein  doppelter.  Zunächst  wird  aufs  genaueste  Rechnung  ab- 
gelegt über  die  Einnahmen  und  Ausgaben  der  Tempel;  sodann  wird  ein  ge- 
naues Inventar  aufgestellt  über  alle  vorhandenen  beweglichen  Gegenstände, 
welche  die  abgehenden  Beamten  ihren  Amtsnachfolgern  überliefern:  Opfer- 
geräte, wie  Schalen,  Becken,  Dreifüße,  Lampen,  Körbe,  oder  Schmuckgegen- 
stände, wie  Kränze,  Ringe,  Halsbänder  und  dgi,  meist  aus  Silber  oder  Gold, 
in  d<er  Regel  als  Weihgeschenk  dem  Gotte  dargebracht.  Von  dem  Umfang 
dieser  Finanzverwaltung  und  dem  Reichtum  des  Besitzes  kann  man  sich  eine 
Vorstellung  machen,  wenn  man  weiß,  daß  z.  B.  die  Urkunde  vom  J.  279  im 

21* 


324  §  24.  Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [267.  268] 

Papyrusurkunde  vom  Jahre  215  nach  Chr.  aus  ArsinoS.  „Es  sind 
uns  in  ihr  über  mehrere  Monate  hin  die  Berechnungen  der  Ein- 
nahmen und  Ausgaben  des  Tempels  des  Jupiter  Capitolinus  von 
Arsinog  erhalten,  die  von  den  Oberpriestern  selbst  aufgestellt  als 
Rechenschaftsbericht  wohl  an  den  Bat  der  Stadt  abgeliefert  werden 
mußten" 24.  Ähnlich  werden  wir  uns,  wenigstens  was  den  Reichtum 
des  Besitzes  anlangt,  die  Verhältnisse  beim  Tempel  zu  Jerusalem 
zu  denken  haben.  Allerdings  hatte  der  jüdische  Tempel  keinen 
Grundbesitz.  Infolge  der  Abgaben  und  Schenkungen  waren  aber 
in  den  Schatzkammern  des  Tempels  Besitztümer  mannigfaltiger 
Art  in  gewaltigen  Massen  angesammelt.  Schon  die  Geräte,  die 
zum  Opferdienst  nötig  waren,  repräsentierten  einen  |  hohen  Wert: 
da  waren  in  Menge  goldene  und  silberne  Becken,  Schalen,  Krüge, 
Pfannen  und  ähnliche  Geräte,  wie  man  sie  zum  Auffangen  und 
Sprengen  des  Blutes,  zum  Darbringen  des  Raucher  wer  kes,  der 
Speis-  und  Trankopfer  brauchte25.  Da  waren  Vorräte  an  Vor- 
hängen, Priestergewändern  und  den  zur  Anfertigung  der- 
selben nötigen  Stoffen26.  Da  waren  namentlich  auch,  große  Vor- 
räte an  Naturalien:  Mehl  und  Öl  zum  Speisopfer,  Wein  zum 
Trankopfer,  wohlriechende  Stoffe  zum  Räucherwerk;  auch  die  für 
die  Priester  gelieferten  Abgaben27.    Vor  allem  aber  lagen  in  den 


Druck  des  Bulletin  26  Seiten  umfaßt  (XIV,  389—415),  die  vom  J.  250  38  Seiten 
(XXVII,  64—102),  die  vom  J.  180  sogar  48  Druckseiten  (Bulletin  VT,  6—54). 
Ein  Verzeichnis  der  verschiedenen  Geräte  s.  Bulletin  VI,  108  ff. 

24)  8.  Wilcken,  Arsinoitische  Tempelrechnungen  aus  dem  J.  215  n.  Chr. 
(Hermes  Bd.  XX,  1885,  8.  430—476).  —  Vgl.  überhaupt  in  Betreff  der  ägyp- 
tischen Tempel:  W.  Otto,  Priester  und  Tempel  im  hellenistischen  Ägypten 
Bd.  I,  1905,  8.  258-405:  „Besitz  und  Einnahmen  der  Tempel". 

25)  Nach  dem,  freilich  nicht  authentischen  Verzeichnis  Esra  1,  9 — 11 
sollen  die  zur  Zeit  des  Cy ras  zurückkehrenden  Exulanten  mitgebracht  haben: 
30  goldene  und  1000  silberne  Becken,  29  Messer,  30  goldene  und  410  silberne 
Deckelgefäße,  im  ganzen  5400  goldene  und  silberne  Gefäße  (andere  Zahlen 
gibt  der  griechische  Esra).  —  Nach  dem  authentischen,  von  Esra  selbst  her- 
rührenden Bericht  Esra  8,  26—27  brachten  die  unter  ihm  zurückkehrenden 
Exulanten  mit:  650  Talente  Silber,  silberne  Gefäße  im  Wert  von  100 
Talenten,  100  Talente  Gold,  20  goldene  Deckelgefäße  im  Wert  von  1000 
Danken,  2  Gefäße  von  feinem  Erz  (dazu  Ed.  Meyer,  Die  Entstehung  des 
Judentums  8.  69).  —  Vgl.  ferner:  I  Makk.  1,  21—23.  Joseph.  AntL  XIV,  4,  4. 
Bell.  Jud.  I,  7,  6.  V,  13,  6.  VI,  5,  2.  VI,  8,  3.  Joma  m,  10.  IV,  4.  —  Nach 
Tamid  IQ,  4  gehörten  zum  täglichen  Dienst  93  silberne  und  goldene  Geräte; 
nach  Ghagiga  III,  8  waren  alle  dreifach  vorhanden.  Einiges  Einzelne  s.  Exoa\ 
25,  29.  38.  27,  3.  37,  16.  23.  38,  3.  Num.  4,  7.  9.  14. 

26)  Bett.  Jud.  VI,  5,  2.  VI,  8,  3. 

27)  Nehem.  12, 44.  13,  5.  9.  12.  I  Chron.  9,  29.  Bell.  Jud.  V,  13, 6.  VI,  8,  3. 
Antt.  XIV,  4,  4.  Bell.  Jud.  I,  7,  6.  —  Auch  Salz  war  in   großen  Mengen  er- 


[268.  269]  m.  Die  einzelnen  Ämter.  325 

Schatzkammern  des  Tempels  auch  große  Summen  baren  Geldes, 
die  durch  ihre  kolossale  Höhe  nicht  selten  die  Habgier  fremder 
Machthaber  zur  Plünderung  reizten  und  doch  immer  wieder  rasch 
ersetzt  waren28.  Zu  den  dem  Tempel  gehörigen  Geldern  kamen 
endlich  auch  noch  die  von  Privatleuten  daselbst  deponierten 
Kapitalien;  denn  man  pflegte  auch  Privatgelder  dem  Tempel  zur 
Aufbewahrung  anzuvertrauen,  wo  man  sie  wegen  der  Heiligkeit 
des  Ortes  am  sichersten  geborgen  wußte29.  —  Alle  diese  Gelder  | 
und  Wertgegenstände  waren  in  verschiedenen  Schatzkammern 
(ya£o<pvlaxia)  im  inneren  Vorhofe  des  Tempels  aufbewahrt  und 
bedurften  nicht  nur  einer  steten  Bewachung,  sondern  wegen  des 
fortwährenden  Zu-  und  Abflusses  auch  einer  sorgsamen  Verwal- 
tung80. 

Die  Schatzmeister,  denen  diese  Verwaltung  oblag,  heißen 
im  Griechischen  ya^og>vXaxeqz\  im  Hebräischen  D^ara32.     Die- 


forderlich:  Esra  6,  9.  7,  22.  Joseph.  Antt.  Xu,  3,  3  §  140;  daher  eine  Salz- 
kammer im  Tempelvorhof,  Middoth  V,  3.  Vgl  Winer  BWB.  s.  v.  „Salz", 
Zehnpfund,  Art  „Salz"  in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  XVII,  405  ff. 
Über  das  Salzen  der  Opferatücke  b.  unten  Abschnitt  IV,  Anm.  48. 

28)  Plünderung  durch  Heliodor  versucht  (II  Makk.  3);  durch  An- 
tiochus  Epiphanes  (I  Makk.  1,  21—23).  Pompeius  läßt  den  Schatz  un- 
berührt (Afitt.  XIV,  4,  4.  B.  J.  I,  7,  6);  Crassus  plündert  ihn  (Antt.  XIV,  7,  1. 
B.  J.  I,  8,  8:  zweitausend  Talente);  desgleichen:  Sabinus  nach  dem  Tode 
des  Herodes  {Antt.  XVH,  10,  2  fin.  B.  J.  II,  3,  3 /in.);  Pilatus  (Antt.  XVTII; 

3,  2.  B.  J.  II,  9,  4);  Florus  (B.  J.  II,  14>  6).  —  Vgl.  über  den  U$d<;  dyoavQds 
im  allgemeinen  auch  Ev.  Matth.  27,  6.  Joseph.  Bell.  Jud.  V,  5, 1.  Antt  XX,  9,  7. 

29)  H  Makk.  3,  10—12.  15.  Joseph.  Bell.  Jud.  VI,  5,  2.  Auch  in  heid- 
nischen  Tempeln  geschah  dies  vielfach.  S.  überh.  Winer  RWB.  Art.  „Hin- 
terlage". Grimm,  Exeget  Handb.  zu  den  Apokryphen,  zu  II. Makk.  ,3,  10. 
Marquardt,  Bömische  Staatsverwaltung  Bd.  in,  1878,  S.  210.  Hermann 
und  Blümner,  Lehrb.  der  griechischen  Privataltertümer  (1882)  S.  456 f. 

30)  Über  die  ya£o<pvXdxta  s.  bes.  Joseph.  Bell.  Jud.  V,  5,  2  fin.  VI,  5,  2. 
Antt.  XIX,  6,  1.    Nehem.  12,  44.  13,  5.  9.  12.  13.    II  Makk.  3,  6.   24.  28.  40. 

4,  42.  5,  18.  Unter  dem  im  Neuen  Testamente  erwähnten  ya&cpvXäxiov  ist 
nicht  eine  Schatzkammer,  sondern  ein  Schatzkasten  zu  verstehen  (Marc. 
12,  41.  43;  Luc.  21,  1;  wahrscheinlich  auch  Joh.  8,  20).  Nach  Schekalim  VI,  5 
gab  es  im  Tempel  dreizehn  posaunenförmige  Geldkasten. 

31)  Antt.  XV,  11,  4.  XVIII,  4,  3  (die  ya£o<pvXaxe<;  verwahren  das  hohe- 
priesterliche  Kleid).  —  Antt.  XX,  8,  11:  lafi&rjXov  xöv  &qx^Q^  xal  %EXxlav 
xbv  ya£o<pvXaxa  (als  Gesandte  nach  Born).  —  Bell.  Jud.  VT,  8,  3:  ö  ya- 
£o<pvkag  toD  leQofj  4>ivkcq  (liefert  den  Römern  die  priesterlichen  Gewänder 
aus).  —  Vgl.  auch  Antt.  XIV,  7,  1:  ö  rän>  ötjoavoibv  [al  ^^arcov]  <pvXa$ 
Uotvs,  ^EXeaQaooq  Svofxa  ....  neniaxtvfxhoq  zf/v  zCov  xatantcacfiaxatv  xod 
vaoü  <pvXaxifo  (zur  Zeit  des  Crassus). 

32)  Pea  I,  6  fin.  II,  8  fin.  IV,  8.  Challa  DI,  3—4.  Bikkurim  III,  3.  Sehe- 
kalim  II,  1.  V,  2.  6.  Menachoth  VHI,  2.  7.  Meila  DI,  a  —  Das  Wort  kommt 


1 


326  §  24.  Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [209.  270] 

selben  hatten  nicht  etwa  nur  die  Verwaltung  der  Tempelgelder, 
sondern  überhaupt  die  Verwaltung  aller  Besitztümer  der  eben 
genannten  Kategorien.  Sie  verwahrten  die  heiligen  Geräte88,  die 
Vorhänge  und  Priestergewänder84;  sie  nahmen  das  Mehl  zu  den 
Speisopfern  und  den  Wein  zu  den  Trankopfern  in  Empfang35, 
nahmen  Geheiligtes  (dem  Tempel  Geschenktes)  an  oder  gaben  es 
gegen  Auslösung  wieder  frei86;  sie  kauften  Holz87  und  nahmen 
die  Halbsekelsteuer  ein88.  —  Selbstverständlich  gab  es  auch  bei 
den  Schatzmeistern  wieder  verschiedene  Bangabstufungen.  Nach 
den  Angaben  des  Alten  Testamentes  könnte  es  scheinen,  als  ob 
alle  diese  Ämter  in  den  Händen  von  Leviten  gewesen  wären89. 
Für  die  niederen  Chargen  mag  dies  in  der  Tat  der  Fall  gewesen 
sein;  die  höheren  dagegen  waren  sicher  in  den  Händen  von  Priestern. 
Erscheint  doch  |  bei  Josephus  der  jaC,o<pvXag  (vielleicht  der  oberste 
derselben)  unmittelbar  neben  dem  Hohenpriester  als  einer  der  vor- 
nehmsten Tempelbeamten40.  Auch  sonst  werden  die  D*n2iTä  in  der 
Regel  zu  den  höheren  Tempelchargen  gerechnet41.  —  Wenn  die 
Mischna  festsetzt,  daß  im  Tempel  mindestens  drei  D*n3tt  sein 
sollten42,  so  denkt  sie  dabei  wohl  auch  nur  an  die  Oberschatz- 
meister, nicht  an  das  ganze  für  die  Schatzverwaltung  nötige  Personal 
Wahrscheinlich  gehören  in  die  Kategorie  der  Schatzbeamten 
auch  die  Amarkelin  CpbDittK),  die  in  der  Mischna  einmal  erwähnt 
werden,  ohne  irgendwelche  Andeutung  ihrer  Funktionen48,  weshalb 


auch  im  A.  T.  vor,  Esra  1,  8.  7,  21.  Vgl.  auch  Levy,  Chald.  Wörterb.  «.  v. 
Der b.,  Neuhebr.  Wörterb.  s.  v.  Ed.  Meyer,  Die  Entstehung  des  Judentums 
(1806)  S.  24. 

33)  Schekalim  V,  6.    I  Chron.  9,  28. 

34)  Jos.  Äntt.  XIV,  7,  1.  XV,  11,  4.  XVIII,  4,  3.  Beü.  Jud.  VI,  8,  3. 
86)  Menaehoth  Vm,  2.  7. 

36)  Pea  I,  6  fin.  II,  8  fin.  IV,  8.    Chaüa  III,  3—4. 

37)  Meiia  HI,  8. 

38)  Schekalim  II,  1. 

39)  I  Ohron.  9,  28—29.  26,  20—28.  II  Ohron.  31,  11—19.  —  Die  Vorliebe 
des  Chronisten  für  die  Leviten  ist  bekannt.  Bei  Nehem.  13, 13  erscheint  doch 
ein  Priester  an  der  Spitze  der  Schatzmeister. 

40)  Äntt.  XX,  8,  11,  s.  oben  Anm.  31. 

41)  Bikkurim  III,  3  (s.  oben  S.  322);  auch  in  der  priesterlichen  Rangliste 
osephta  Horajoth  fin.  (s.  Anm.  19)  stehen  die  d^nata  über  den  gewöhnlichen 

Priestern  und  diese  wieder  über  den  Leviten.  —  In  einem  rabbinischen  Wehe- 
ruf über  die  Verworfenheit  der  Hohenpriester  erscheinen  die  G'nan  wie  bei 
Josephus  unmittelbar  neben  den  Hohenpriestern  („sie  sind  Hohepriester  und 
ihre  Sohne  "p-Ota  und  ihre  Eidame  ■pbs-TOK"  Tosephta  Menaehoth  fin.,  bab. 
Pesachim  57»,  Derenbourg,  Histoire  p.  232  not.). 

42)  Schekalim  V,  2. 

43)  Schekalim  V,  2. 


1270.  271]  .  HI.  Die  einzelnen  Amter.  327 

die  Babbinen  darüber  nur  vage  Vermutungen,  zum  Teil  auf  Grund 
harmloser  etymologischer  Spielereien  geben44.  Das  Wort  ist  per- 
sischen Ursprungs  und  bedeutet  einen  „Rechnungsrat  oder  Rechen- 
meister"45. Im  Targum  Jonathan  steht  daher  z.  B.  II  Reg.  12,  10 
und  22,  4  fc^iontta  für  das  Hebräische  q©n  vre*»,  „Wächter  der 
Schwelle",  womit  die  priesterlichen  Schatzmeister  gemeint  sind. 
Identisch  mit  unserm  Wort  ist  das  armenische  kamarakar,  das 
ebenfalls  einen  Rechnungsbeamten  (Oberkassierer)  bezeichnet46. 
Sonst  kommt  das  Wort  in  den  Targumen  allerdings  auch  im  weiteren 
Sinne  von  Präfekten  überhaupt  vor47.  Da  aber  die  priesterlichen  | 
■pbDitta  in  der  Regel  mit  den  "p-QTÄ  zusammen  genannt  werden 48, 
so  darf  wohl  als  sicher  angenommen  werden,  daß  sie  auch  in  die 
Klasse  der  Schatzmeister  gehören.  Möglicherweise  waren  sie  Unter- 
beamte derselben  Kategorie49;  vielleicht  aber  sind  gübarim  und 
amarkdin  in  der  Weise  zu  unterscheiden,  daß  erstere  es  mit  der 
Einnahme  und  Verwahrung  der  Schätze,  letztere  es  mit  der  Ver- 
teilung der  Priesterabgaben  an  die  Priester  zu  tun  hatten50.  — 


44)  In  der  Tosephta  Schekalim  II,  15  (ed.  Zuckermandel  p.  177)  wird  be- 
hauptet, daß  sie  die  sieben  Schlüssel  zu  den  sieben  Toren  des  Vorhofes  ge- 
habt hätten  (s.  auch  Grätz,  Monatsschrift  1876,  441).  Dies  ist  aber  nur  eine 
Hypothese  auf  Grund  der  Angabe  der  Mischna,  daß  es  mindestens  sieben 
Amarkelin  sein  müßten.  Etymologisch  wird  das  Wort  entweder  durch  bs  •»« 
(Herr  von  allem)  oder  is  "tok  (der  alles  sagt,  d.  h.  alles  zu  befehlen  hat)  er- 
klärt. 8.  überh.  Levy,  Chald.  Wörterb.  *.  v.  Ders.,  Neuhebr.  Wörterb.  s.  v. 
*>d*tok  und  bs-ra.  Büchler,  Die  Priester  und  der  Cultus  (1895)  S.  94  ff. 
Kohler  in  The  Jewish  Encyclopedia  I,  485  sq.  (Art.  Amarkot). 

45)  Perle s,  Etymologische  Studien  (1871)  S.  106.  Vgl.  Nöldeke,  Göt- 
tinger gel.  Anzeigen  1871,  149.    Ders.,  Literar.  Central bl.  1875,  876. 

46)  Prud'  homme  (Journal  asiatique,  sixieme  serie,  t.  VII,  1866,  p.  115) 
erklärt  es  durch  comptable  ou  eaissier  chef.  Vgl.  auch  Levy  in  Geigers  Jüd. 
Zeitschrift  V,  1807,  S.  214  f.  La  gar  de,  Armenische  Studien  (Abhandlungen 
der  Göttinger  GeseUsch.  der  Wissensch.  Bd.  XXII,  1877)  Nr.  1216. 

47)  Buxtorf,  Lex.  Chald.  und  Levy,  Chald.  Wörterb.  s.  v. 

48)  So  außer  Schekalim  V,  2  auch  in  der  Bangliste  Tosephta  Horajoth  fin. 
und  in  dem  Weheruf  Tosephta  Menachoth  fin.  (s.  Anm.  41). 

49)  In  der  Rangliste  Tosephta  Horajoth  fin.  stehen  die  "pte"»«»  allerdings 
über  den  •p'UTa.  Dies  ist  aber  schwerlich  richtig.  S.  dagegea  Schekalim  V,  2; 
Tosephta  Menachoth  fin.  Unter  den  priesterlichen  Notabein  Bikkiirim  III,  3 
werden  die  'piD'n»«  überhaupt  nicht  genannt,  wohl  aber  die  •p'OTa. 

50)  In  der  Chronik  (II  Chron.  31,  11—19)  werden  die  Beamten,  welche 
die  Priestergaben  einzunehmen  hatten,  von  denjenigen,  welche  sie  auszu- 
teilen hatten,  deutlich  unterschieden.  Nun  heißt  es  Mischna  Schekalim  V,  2: 
„Man  stellt  nicht  weniger  als  drei  Gisbarim  und  nicht  weniger  als 
sieben  Amarkelim  an".  Wenn  man  hiermit  vergleicht  was  über  das  Ein- 
sammeln und  Austeilen  der  Armengelder  gesagt  wird  (Pea  VIII,  7:  „Das 
Einsammeln  geschieht  durch  Zwei,  das  Austeilen  durch  Drei"),   so  liegt  die 


328  §  24.  Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [271.  272] 

Der  jerusalemische  Talmud  erwähnt  außer  diesen  beiden  auch 
noch  •pp^binp  (xafrolixol),  von  welchen  die  Mischna  jedoch  nichts 
weiß51. 

Obwohl  die  Schatzverwaltung  im  wesentlichen  in  den  Händen 
der  Priester  lag,  scheint  doch  in  der  römischen  Zeit  von  den 
staatlichen  Behörden  eine  Oberaufsicht  ausgeübt  worden  zu  sein. 
Wenigstens  von  Herodes  von  Chalcis  wird  gelegentlich  bemerkt, 
daß  er  außer  dem  Kecht,  die  Hohenpriester  zu  ernennen,  auch 
xr]v  h&wlav  xov  vea>  xa\  xtbv  Ibq&v  xQrmaxtDV  erhalten  habe52. 
Wahrscheinlich  ist  diese  Befugnis  vor  ihm  von  den  Prokuratoren 
und  nach  ihm  von  Agrippa  IL  ausgeübt  worden53.  Wie  bei  der 
Schatzverwaltung,  so  haben  damals  auch  bei  Ausführung  von 
Bauten  am  Tempel  die  priesterlichen  und  die  politischen  Behörden 
zusammengewirkt 54. 

II)  Für  den  Polizeidienst,  der  ein  sehr  zahlreiches  Personal 
erforderte,  wurden  vorwiegend  die  Leviten  verwendet  Ja  in 
der  |  früheren  Zeit,  noch  zur  Zeit  Esras  und  Nehemias,  gehörten 
die  „Torhüter**  (D*njp«>)  nicht  einmal  zu  den  Leviten,  sondern 
standen  noch  eine  Stufe  unter  ihnen;  erst  der  Chronist  rechnet 
auch  sie  zu  den  Leviten  (s.  oben  S.  294).  Im  inneren  Vorhofe 
wurde  der  Sicherheitsdienst  durch  die  Priester  selbst  ausgeübt  — 
Über  die  Organisation  desselben  geben  die  Chronik,  sodann  Philo 
und  die  Mischna  einige  nähere  Aufschlüsse55.  Die  Chronik  zählt 
im  ganzen  vierundzwanzig  Wachposten  unter  vier  Hauptleuten, 
nach  den  vier  Himmelsgegenden  (I  Chron.  26,  12—18;  auch  9,  17. 
24 — 27).  Ihre  Angaben  beziehen  sich  auf  den  Tempel  Serubabels. 
Durch  Herodes  wurde  namentlich  der  Umfang  des  Tempelplatzes 
oder  des  sogenannten  äußeren  Vorhofes  sehr  erweitert,  so  daß 
er  nun  ein  großes  Viereck  bildete  mit  der  größeren  Ausdehnung 
von  Norden  nach  Süden.  Innerhalb  dieses  großen  Platzes  lag 
wieder  ein  von  festen  Mauern  eingeschlossener  länglich-viereckiger 


Vermutung  nahe,   daß  die  Gisbarim  und  Amarkelim  sich  ebenso  zu  einander 
verhalten,  wie  die  Einnehmer  und  Ausgeber  der  Armengelder. 

51)  jer.  Schekalim  V,  foL  49a. 

52)  Äntt.  XX,  1,  3. 

53)  Über  Agrippa:  Äntt,  XX,  9,  7. 

54)  S.  bes.  Bell.  Jud.  V,  1, 5  (eine  bauliche  Veränderung  am  Tempel  wird 
beschlossen  „vom  Volk  und  den  Priestern"  und  ausgeführt  von  König  Agrip- 
pa II.;  über  dieselbe  Sache  s.  auch  Äntt.  XV,  11,  3).  Wegen  einer  von  den 
Priestern  eigenmächtig  erbauten  Mauer  entstand  ein  ernster  Konflikt  zwischen 
ihnen  und  den  politischen  Behörden  (Agrippa  und  Fes  tu  s),  s.  Äntt.  XX,  8,  IL 

55)  8.  überh.  Opitii  Commentarius  de  custodia  templi  nocturna  (Uffolini, 
Thes.  t.  IX,  979—1076).  —  Winer  RWB.  II,  590 f.  —  Kneucker  Art  „Tem- 
pelpolizei" in  Schenkels  Bibel-Lex.  V,  484  ff. 


[272.  273]  III.  Die  einzelnen  Amter.  329 

Platz  mit  der  Hauptausdehnung  von  Westen  nach  Osten:  der  so- 
genannte innere  Vorhof  oder  „der  Vorhof"  im  eigentlichen  Sinne. 
Zu  diesem  Vorhof  stieg  man  anf  Stufen  hinan;  und  unterhalb  dieser 
Stufen  lief  ein  Gitter  herum,  welches  die  Schranke  bezeichnete, 
bis  zu  welcher  auch  die  Heiden  gehen  durften.  Jeder  Heide,  der 
diese  Schranke  überschritt  und  den  inneren  Vorhof  betrat,  wurde 
mit  dem  Tode  bestraft;  und  die  römische  Behörde  hatte  den  jüdi- 
schen Anschauungen  sogar  so  weit  Rechnung  getragen,  daß  sie  die 
Ausführung  dieser  Strafbestimmung  auch  gegen  römische  Bürger 
gestattete56.  In  gewissen  Zwischenräumen  waren  an  jenem  Gitter 
Warnungstafeln  in  griechischer  und  lateinischer  Sprache  angebracht, 
welche  jenes  Verbot  samt  der  betreffenden  Straf  bestimmung  ver- 
kündigten67. Auch  für  die  Israeliten  unterlag  das  Betreten  des| 
äußeren  und  inneren  Vorhofes  gewissen  Beschränkungen,  nament- 
lich mit  Rücksicht  auf  die  verschiedenen  Grade  levitischer  Ver- 


56)  S.  übern.  Joseph.  Antt.  XV,  11,  5.  Bell.  Jud.  V,  5,  2.  VI,  2,  4.  Apion. 
II,  8.  —  Philo,  Legat,  ad  öajum  §  31  (ed.  Mang.  II,  577).  —  Mischna  Middoth 
II,  3.  Kelim  I,  8.  —  Wegen  angeblicher  Übertretung  dieses  Verbotes,  deren 
der  Apostel  Paulus  sich  durch  Einführung  des  Trophimus  in  den  inneren  Vor- 
hof schuldig  gemacht  haben  sollte,  entstand  der  Volkstumult,  der  zur  Ge- 
fangennehmung des  Paulus  führte  (Actor.  21,  28).  —  Über  das  Juristische  vgl. 
auch  oben  S.  261  f.  —  Die  Bestimmung,  daß  kein  Fremder  den  nsolßoXoq  des 
Tempels  zu  Jerusalem  betreten  dürfe,  ist  übrigens  schon  durch  Antiochus  den 
Großen  genehmigt  und  eingeschärft  worden  (Antt.  XII,  3,  4). 

57)  Eine  dieser  Inschriften  ist  im  J.  1871  durch  Clermont-Ganneau 
wieder  aufgefunden  und  publiziert  worden.  S.  darüber:  Olermont-  Oanneau, 
Revue  archiologique,  Nouv.  Serie  t.  XXIII,  1872,  p.  214—234,  290—296,  pl.  X 
(auch  separat).  Derenbourg,  Journal  asiatique,  sixüme  sirie  t.  XX,  1872, 
p.  178—195.  Piper,  Jahrbb.  f.  deutsche  Theol.  1876,  S.  51  f.  Mommsen, 
Römische  Geschichte  V,  513.  Grätz,  Gesch.  der  Juden  III,  4.  Aufl.  S.  225. 
Bertholet,  Die  Stellung  der  Israeliten  und  der  Juden  zu  den  Fremden,  1896, 
8.  311  f.  Dittenberger,  Orientis  graeci  inscriptiones  seleetae  vol.  U  n.  598. 
(Derenbourg  und  Grätz  verstehen  die  Strafbestimmung  nur  als  Drohung  mit 
dem  Strafgericht  Gottes,  weil  die  juristische  Fassung  dem  toleranten  Sinne  des 
Judentums  widersprechen  würde!!).  Photographische  Abbildung  des  ganzen 
Steines  bei  Stade,  Gesch.  des  Volkes  Israel  II,  268.  —  Der  Stein  befindet 
sich  jetzt  in  Konstantinopel  im  Museum  Tschinili-Ki&schk  (Mordtmann, 
Zeitschr.  des  DPV.  VIT,  1884,  S.  119  f.).  —  Der  Text  lautet: 

MH6ENA  AAAOrENH  EISUO 
PEYESBAI  ENTOS  TOY  UE 
PI  TO  1EPON  TPY<PAKTOY  KAI 
UEP1BOAOY  OS  A  AN  AH 
<PBH  EA  YTÜI  AITIOS  ES 
TAI  älA  TO  ESAKOAOY 
BEIN  6 ANATON. 


330  §  24.  Die  Priesterschaft  and  der  Tempelkaltas.  [273.  274] 

unreinigungen 58.  —  Nach  Philo  standen  nun  Wachposten  sowohl  | 
an  den  Toren  des  äußeren  Yorhofes  als  an  den  Eingängen  zum 
inneren  Vorhof,  welche  für  die  Aufrechterhaltung  der  Ordnung  zu 
sorgen  hatten.  Außerdem  gingen  auch  Wachen  bei  Tag  und  bei 
Nacht  überall  umher,  damit  nirgends  etwas  Ungehöriges  vorkäme 59. 
Nach  der  Mischna  hatten  (bei  Nacht)  an  einundzwanzig  Stellen 
die  Leviten  Wache  und  an  drei  Stellen  die  Priester.  Die  levitischen 
Wachposten  standen  teils  an  den  Toren  und  Ecken  des  äußeren 
Vorhofes  (innerhalb  desselben),  teils  an  den  Toren  und  Ecken  des 
inneren  Vorhofes  (außerhalb  desselben);  die  priesterlichen  Wach- 


58)  Kelim  I,  8:  „Der  Tempelberg  (d.  h.  der  äußere  Vorhof)  ist  heiliger 
(als  die  übrige  Stadt),  denn  es  dürfen  dortbin  nicht  kommen  schleimflüssige 
Männer  und  Weiber  (rvtati  ö^at),  Menstruierende  und  Wöchnerinnen  [über 
letztere  vgl.  Lev.  12.  Buch  der  Jubiläen  3,  9 — 14].  Der  Chel  (d.  h.  der  Raum 
innerhalb  des  Gitters)  ist  heiliger,  denn  es  dürfen  dorthin  nicht  kommen 
Heiden  und  solche  Israeliten,  welche  sich  an  Toten  verunreinigt  haben.  Der 
Frauen-Vorhof  ist  heiliger,  denn  kein  „heute  Untergetauchter"  (welcher  wegen 
einer  bis  abends  haftenden  Verunreinigung  gebadet  hat)  darf  dorthin  kommen. 
Der  Vorhof  der  Israeliten  ist  heiliger,  denn  kein  „der  Sühne  Ermangelnder" 
(der  wegen  irgend  einer  Verfehlung  das  vorgeschriebene  Opfer  noch  nicht 
dargebracht  hat)  darf  dorthin  kommen.  Der  Priester -Vorhof  ist  heiliger, 
denn  kein  Israelite  darf  dorthin  kommen,  außer  wenn  es  nötig  ist  zum  Hand- 
auflegen, Schlachten  und  Schwingen".  —  Der  Frauen -Vorhof,  der  Vorhof  der 
Israeliten  und  der  Priester- Vorhof  sind  Abteilungen  des  inneren  Vorhofes 
(s.  darüber  unten  Nr.  IV).  —  Mit  diesen  subtilen  Bestimmungen  der  Mischna 
stimmen  nicht  ganz  überein  die  ähnlichen  Angaben  des  Josephus,  welche 
nach  dem  richtigen  (von  Niese  hergestellten)  Texte  lauten  Bell,  Jud.  V,  5,  6: 
yovooQoloiq  fzhv  69j  xal  XenootQ  ^  ndXiq  8X17,  xb  ö*  legbv  ywaixwv  i/tfjtJjvou; 
dnexixXeiato,  nageXSslv  öh  xavxaig  oldh  xa&aoatg  &&}v  Sv  ngoelnafiev  Zqov, 
dvdowv  ö7  ol  pt^  xa&dnav  ^yvevxdxeq  sigyovxo  xifs  %vöov  aiXrjg,  xal  xtbv  legicav 
ndXiv  ol  (jl^i  xa9aoevovreq  efyyovxo.  Contra  Apion.  II,  8:  In  exteriorem  [por- 
tieum]  iiaque  ingredi  licebat  omnibus  etiam  alienigenis;  midieres  tantummodo 
menstruatae  transire  prohibebantur.  In  secunda  vero  poriicu  cuneti  Judaei  in- 
grediebantur  eorumque  conjuges,  cum  essent  ab  omni  poUulione  mundae;  in 
tertia  masctdi  Judaeorum  mundi  existentes  aique  purificati}  in  quartam  autem 
sacerdotes  stolis  induti  sacerdotalibus.  Vgl.  auch  Olitzki,  Flavius  Josephus 
und  die  Halacha  1.  Tl.  1885,  8.  28.  —  Über  ähnliche  Bestimmungen  in  betreff 
heidnischer  Tempel  8.  E.  Miller ',  Revue  arMologique ,  troisieme  Serie  t  H, 
1883,  p.  181—184.  Hatch,  Griechenthum  und  Christenthum,  1892,  S.  212, 
Anm.  4. 

59)  Philo,  De  praemiis  sacerdotum  §  6  (ed.  Mangey  II,  236):  Tovz&v  ol 
phv  inl  &voaiq  fäowxai  nao*  abxalq  xatq  efodöoiq  nvXa>ool'  ol  öh  efow  xaxä 
xö  noövaov  i>nhQ  xov  pJi  xiva  &V  oh  £^u*c  kxdvxa  1}  üxovxa  imßijvai9  ol  ö*h 
iv  xvxXq*  TteQivoozovoiv,  iv  (itoei  SiaxXijQwadfisvoi.  vvxxa  xal  %/nioav,  fjfiSQO- 
(piXaxeq  xal  vvxxoipvXaxeq.  —  Nach  Joseph.  Antt.  XVIII,  2,  2  wurde  die  Be- 
wachung verschärft,  seitdem  einmal  zur  Zeit  des  Coponius  (um  6—9  n.  Chr.) 
Samaritaner  Menschengebeine  im  Tempel  ausgestreut  hatten. 


[274.  275]  III.  Die  einzelnen  Amter.  331 

posten  waren  im  inneren  Vorhof60.  Ein  Tempelhauptmann  machte 
bei  Nacht  die  Bunde,  um  sich  von  der  Wachsamkeit  der  Posten 
zu  überzeugen61.  Dieser  Tempelhauptmann  heißt  rn?n  in  tha. 
Außerdem  kommt  gelegentlich  noch  ein  rn^an  ttha  vor62.  Da  die 
Sprache  der  Mischna  zur  Bezeichnung  des  äußeren  Tempelplatzes, 
auch  da  wo  er  vom  inneren  Vorhof  unterschieden  wird,  kein  an- 
deres Wort  hat  als  rrarj  in63,  so  wird  unter  dem  man  in  w& 
ein  Tempelhauptmann  zu  verstehen  sein,  welcher  die  Aufsicht  über 
den  äußeren  Vorhof  hatte,  unter  dem  mwi  tr*x  aber  derjenige, 
welcher  die  Aufsicht  über  den  Tempel  selbst  hatte.  Denn  die  rma 
kann  nicht  die  Burg  Antonia  sein,  da  diese  unter  einem  römischen 
(pQovQctQxoq  stand64,  sondern  nur  der  Tempel  selbst65.  Die  beiden 
Genannten  würden  also  mit  den  o^MO  oder  öTQaxriyol,  die  wir 
bereits  kennen,  identisch  sein. 

Zum  Sicherheitsdienst  gehörte  auch  das  Schließen  und  Öffnen 
sämtlicher  Tore  der  Vorhöfe,  die  alle  bei  Nacht  geschlossen  waren. 
Auch  hierfür  war  ein  Oberbeamter  bestellt  „über  das  Schließen 
der  Torea  66.  Nach  Josephus  waren  zum  Schließen  jedesmal  zwei- 
hundert Mann  erforderlich67,  zwanzig  allein  für  das  |  schwere 
eherne  Tor  im  Osten  des  Vorhofes 68.  Das  Tor  des  Tempels  selbst 
soll  beim  Öffnen  so  laut  geknarrt  haben,  daß  man  den  Ton  bis 
Jericho  hörte69.  Die  Schlüssel  zu  den  Toren  des  Vorhofes  hatten 
die  Ältesten  der  im  Vorhof  Wache  habenden  Priesterabteilung  in 
Verwahrung 70.  Beim  Wechsel  der  Dienstabteilungen  übergab  die 
abgehende  Abteilung  die  Schlüssel  der  antretenden71.  Da  das 
Morgenopfer  bei  Tagesanbruch  dargebracht  werden  mußte,  geschah 
das  Öffnen  der  Tore  schon  vor  Tagesanbruch;  am  Passafest  sogar 
schon  um  Mitternacht72. 

60)  Middoth  I,  1.    Tamid  I,  1. 

61)  Middoth  I,  2. 

62)  Orla  II,  12. 

63)  Z.  B.  Bikkurim  IH,  4.  Pesachim  V,  5—10.  Schekalim  VH,  2—3.  San- 
hedrin  XI,  2. 

64)  Jos.  Antt.  XV,  11,  4.  XVIII,  4,  3. 

65)  So  auch  I  Ohron.  29>  1.  19.  Pesachim  III,  8.  VII,  8.  Sebachim  XU,  5. 
Tamid  I,  1.   Middoth  I,  9.   Para  IH,  1. 

66)  Schekalim  V,  1. 

67)  öontra  Apion.  II,  9. 

68)  Beü.  Jud.  VI,  5,  3.    Vgl.  über  dieses  Tor  oben  8.  64  f. 

69)  Tamid  IH,  8. 

70)  Middoth  I,  8-9.    Tamid  I,  1. 

71)  Contra  Apion.  II,  8. 

72)  Antt.  XVIII,  2,  2.  Auch  am  Pfingstfest  gingen  die  Priester  schon 
bei  Nacht  in  den  Vorhof  zum  Dienst,  Beü.  Jud.  VI,  5,  3.  Vgl.  auch 
Joma  I,  8. 


332  §  24-  Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [275.  276] 

III)  Die  eigentlichen  Kultnshandlungen,  d.  h.  die  Opfer 
nnd  was  damit  zusammenhing,  wurden  zwar  in  der  Hauptsache 
von  der  gesamten  Priesterschaft  vollzogen,  deren  vierundzwanzig 
Abteilungen  darin  wöchentlich  sich  ablösten  (s.  darüber  den  nächsten 
Abschnitt).  Für  einzelne  Funktionen  waren  aber  doch  auch  hier 
ständige  Beamte  erforderlich.  Eine  Vorstellung  von  der  Mannig- 
faltigkeit dieser  Funktionen  gibt  uns  eine  Stelle  der  Mischna,  in 
welcher,  freilich  in  sehr  bunter  und  unsystematischer  Reihenfolge, 
die  Namen  derjenigen  Personen  aufgezählt  werden,  welche  zu  einer 
bestimmten  Zeit  (offenbar  in  den  letzten  Jahren  vor  der  Zerstörung 
des  Tempels)  die  wichtigsten  Kultusämter  inne  hatten73.  Man 
sieht  daraus,  daß  es  z.  B.  einen  besonderen  Beamten  „über  die 
Lose"  |  gab  (Nr.  3),  welcher  täglich  die  Verlosung  der  einzelnen 
Dienstverrichtungen  unter  die  diensttuenden  Priester  zu  leiten 
hatte74.  Ein  anderer  Beamter  war  „über  die  Siegel"  (Nr.  1),  und 
wieder  ein  anderer  „über  die  Trankopfer*4  (Nr.  2).  Es  war  näm- 
lich zur  Vereinfachung  des  Geschäftsganges  die  Einrichtung  ge- 
troffen worden,  daß  für  die  verschiedenen  Arten  von  Trankopfern 
„Siegel"  oder  Marken  ausgegeben  wurden,  gegen  deren  Vorzeigung 


73)  Sehekalim  V,  1:  „Folgendes  sind  die  Beamten,  die  im  Heiligtum 
waren:  1)  Jochanan  Sohn  des  Pinchas  war  über  die  Siegel,  2)  Achia  über  die 
Trankopfer,  3)  Matthia  Sohn  des  Samuel  über  die  Lose,  4)  Petachja  über 
die  Gelder  zu  Geflügelopfern,  5)  Ben  Achia  über  die  Heilung  unterleibs-kranker 
Priester,  6)  Nechonja  war  Brunnenmeister,  7)  Gebini  Herold,  8)  Ben  Gabar 
Ober-Torschließer,  9)  Ben  Bebai  hatte  die  Geißel  (?  3^pfc,  die  Erklärung  ist 
unsicher),  10)  Ben  Area  das  Lärmbecken,  11)  Hygros  Sohn  Levis  die  Leitung 
des  Gesanges,  12)  die  Familie  Garmu  die  Anfertigung  der  Schaubrote,  13)  die 
Familie  Abtinas  die  Anfertigung  des  Bäucher  Werkes,  14)  Eleasar  die  Her- 
stellung (oder  Aufbewahrung?)  der  Vorhänge,  15)  Pinchas  die  der  Kleider".  — 
Die  Parallelstelle  in  der  Tosephta  Sehekalim  H,  14  {ed.  Zuckermandel  p.  177) 
bietet  manche  Abweichungen.  —  Zur  Erläuterung  der  ganzen  Stelle  vgl.  die 
rabbinischen  Kommentare  in  Surenhusius'  Mischna  II,  192,  und  bes.  Herz- 
feld,  Gesch.  des  Volkes  Jisrael  I,  405  ff.;  auch  Jost,  Gesch.  des  Judenthums 
I,  151  f.  Grätz,  Monatsschr.  für  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1885, 
S.  193  ff. 

74)  Über  diese  Verlosung  s.  Joma  II,  2^-4.  Tamid  I,  2.  IH,  1.  V,  2.  — 
Der  als  Beamter  über  die  Lose  erwähnte  Matthia  Sohn  des  Samuel  kommt 
auch  Joma  HI,  1,  Tamid  IH,  2  vor  als  Gewährsmann  für  gewisse  Gebräuche 
im  Tempel.  —  Büchler,  Die  Verlosung  der  Dienstgeschäfte  (Reeueil  des 
travaux  ridiges  en  memoire  du  jubilS  scientifique  de  M.  Ghwolson,  Berlin 
1899,  p.  1—8)  meint,  daß  die  Verlosung  der  Dienstgeschäfte  erst  in  den  letzten 
drei  Dezennien  vor  der  Zerstörung  des  Tempels  eingeführt  worden  sei.  S. 
dagegen:  Theol.  Litztg.  1899,  610,  und  Fried,  Das  Losen  im  Tempel  zu  Je- 
rusalem (Monatsschr.  für  Gesch.  u.  Wissensch.  d.  Judenth.  1901,  S.  292 — 298) 
[letzterer  nimmt  nur  für  eine  einzelne  Handlung,  nämlich  das  Wegräumen 
der  Asche  vom  Altar,  die  späte  Einführung  des  Losens  an]. 


[276.  277]  IIL  Die  einzelnen  Ämter.  333 

man  das  betreffende  Trankopfer  erhielt.  Man  kaufte  zuerst  bei 
dem  Beamten  „über  die  Siegel"  eine  Marke,  übergab  diese  dem 
Beamten  „über  die  Trankopfer"  und  erhielt  dafür  das  für  den  be- 
absichtigten Zweck  erforderliche  Quantum  Trankopfers75.  In  ähn- 
licher Weise  war  für  prompte  Darbringung  der  Geflügelopfer  ge- 
sorgt Man  brauchte  nur  das  Geld  dafür  in  einen  Kasten  einzu- 
legen, und  der  „über  die  Geflügelopfer"  aufgestellte  Beamte  (Nr.  4) 
hatte  für  die  rasche  und  richtige  Verwendung  dieser  Gelder  zu 
sorgen 76.  Manche  Opfer  waren  von  der  Art,  daß  zu,  ihrer  Her- 
stellung eine  gewisse  Kunstfertigkeit  erforderlich  war,  die  in 
einzelnen  Familien  sich  fortpflanzte.  So  hatte  die  Familie  Garmu 
{Nr.  12)  die  Anfertigung  der  Schaubrote,  die  Familie  Abtinas  (Nr.  13) 
die  Anfertigung  des  wohlriechenden  Räucherwerkes77.  Auch  die 
Leitung  des  Gesanges  hatte  ein  ständiger  Oberbeamter  (Nr.  II)78. 
Wieder  ein  anderer  gab  mit  dem  Lärmbecken  (bibi)  den  Leviten 
das  Zeichen  zum  Beginnen  des  Gesanges  (Nr.  10) 79.  Es  gab  ferner 
einen  Tempelarzt  (Nr.  5),  einen  Brunnenmeister  (Nr.  6),  einen  Herold 
(Nr.  7),  dessen  Stimme  so  kräftig  war,  daß  man  sie  bis  Jericho 
hörte80.  Da  die  Vorhänge  im  Tempel  zuweilen  erneuert  werden 
mußten81,  so  war  auch  für  deren  Anfertigung  und  für  die  Auf- 
bewahrung der  Vorräte  ein  besonderer  Beamter  angestellt  (Nr.  14). 
Endlich  war  auch  |  die  Sorge  für  die  Priesterkleider  einem  beson- 
deren Beamten  übertragen  (Nr.  15) 82. 

Eine  sehr  zahlreiche  Klasse  von  Kultusbeamten  bildeten  die 
heiligen  Sänger,  welche  die  Darbringung  des  täglichen  Brand- 
opfers und  die  sonstigen  feierlichen  Kultushandlungen  mit  Gesang 


75)  SchekaUm  V,  3—5. 

76)  Das  Geld  wurde  in  einen  der  dreizehn  posaunenförmigen  Kasten  ein- 
gelegt, die  im  Tempel  aufgestellt  waren,  s,  oben  S.  325,  Anm.  30. 

77)  Beide  Familien  werden  Joma  III,  11  darüber  getadelt,  daß  sie  ihre 
Kunst  nicht  anderen  mitteilen  wollten.  Nach  der  Familie  Abtinas  (—  griech. 
Eü&woq)  wurde  ein  Gemach  im  inneren  Vorhof  oa^oaK  n*2  genannt  (Joma  I,  5. 
Tamid  I,  1.    Middoth  I,  1).  —  Vgl.  überh.  auch  1  Chron.  9,  30—32.  23,  29. 

78)  Vgl.  über  ihn  auch  Joma  III,  11. 

79)  Vgl.  Tamid  VII,  3. 

80)  Tamid  m,  8.  —  Vgl.  Buch ler,  Die  Signale  im  Tempel  für  die  ein- 
zelnen Dienstgeschäfte  (Beeueil  des  travaux  ridig&s  en  memoire  .  .  .  de  M. 
Chwolson  1899,  p.  21—41)  [phantasiereich]. 

81)  Sehekalim  VIII,  5. 

82)  Die  Dienstkleider  der  Priester  wurden  nämlich  im  Vorhof  aufbewahrt 
{Exech.  42,  14).  Der  Ober-Garderobier  Pinchas  wird  auch  Middoth  1,4,  Jos. 
Bell.  Jud.  VI,  8,  3  erwähnt  Ob  er  nur  für  die  Aufbewahrung,  oder  auch  für 
die  notwendigen  Neuanschaffungen  zu  sorgen  hatte,  ist  nicht  ganz  deutlich. 


334  §  24.  Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [277] 

und  Saitenspiel  zu  begleiten  hatten83,  hebr.  D'nnitftt  (häufig  bei 
Esra  und  Nehemia),  griechisch  yalrtpöol,  leQotpdlrat,  v/ivcoöoL, 
xifraQtöTai  rs  xal  vfivqtdol*4.  Ihre  Zunft  war  eine  genealogisch 
abgeschlossene  und  wurde  noch  zur  Zeit  Esras  und  Nehemias  von 
den  Leviten  unterschieden,  später  aber  auch  zu  den  Leviten  ge- 
rechnet (s.  oben  S.  294) 85.  Sie  zerfielen  in  drei  Geschlechter, 
die  Familien  Heman,  Asaph  und  Ethan  oder  Jeduthun  (I  Chron, 
6, 16—32.  15, 16—19.  25  ganz.    II  Chron.  5,  12) 8«,  und  waren  ins|- 


83)  Vgl.  über  sie  und  über  die  Tempelmusik  überhaupt  außer  der 
S.  291  und  322  zitierten  Literatur:  Gesenius,  Thesaurus  p.  698.  844.  1167.  — 
Winer  RWB.  Art.  „Musik"  und  „Musikalische  Instrumente".  —  Leyrer, 
Art  „Musik  bei  den  Hebräern"  in  Herzogs  Real-Enz.  (1.  Aufl.  X,  123—135, 
2.  Aufl.  X,  387—398).  —  Wetzstein  in  Delitzschs  Commentar  zu  Jesaja 
2.  Aufl.  S.  702-704.  —  Riehm,  Handwörterb.  des  bibl.  Altertums  S.  1028—1045 
(mit  vielen  Abbildungen).  —  Grätz,  Die  Tempelpsalmen  (Monatsschr.  1878, 
S.  217 — 222).  Ders.,  Die  musikalischen  Instrumente  im  jerusalemischen  Tempel 
und  der  musikalische  Ohor  der  Leviten  (Monatsschr.  1881,  S.  241 — 259).  — 
La  gar  de,  Erklärung  hebräischer  Wörter  (Abhandlungen  der  Göttinger  Ge~ 
sellsch.  der  Wissensch.  Bd.  XXVI,  1880)  S.  13—27.  —  Stainer,  The  music 
of  the  bible»  London  (ohne  Jahr,  1879?);  mit  100  Abbildungen  (s.  Bursiaus 
philol.  Jahresber.  XXVIII,  172).  —  J oh.  Weiß,  Die  musikalischen  Instru- 
mente in  den  heil.  Schriften  des  Alten  Testamentes,  Graz  1895,  Universitats- 
progr.  —  Büchler,  Zur  Geschichte  der  Tempelmusik  und  der  Tempelpsal- 
men (Zeitschr.  für  die  alttestamentl.  Wissensch.  1899,  S.  96—133;  329—344; 
1900,  8.97—135).  —  Miliar,  Art.  Music  in:  Hostings9  Dictionary  of  the  Bible 
HI,  1900,  p.  456—463.  —  Prince,  Art.  Music  in:  Cheyne's  Encyclopaedia 
biblica  HI,  1902,  coL  3225 öl  (mit  Abbildungen).  —  Benzinger,  Art.  „Musik 
bei  den  Hebräern"  in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  XIH,  1903,  8. 585—603. 
—  Greßmann,  Musik  und  Musikinstrumente  im  A.  T.  1903.  —  The  Sacred 
Books  of  the  Old  Testament,  A  neu?  english  translation  prinied  in  colors  etc. 
P.  14:  The  book  of  Psalms  by  Wellhausen  1904  [richtiger  1898,  s.  Theol. 
Litztg.  1905,  348],  enthält  8.  217—234  einen  Exkurs  über  die  Musik  der  alten 
Hebräer  mit  vielen  Abbildungen. . —  Über  Parallelen  bei  den  Griechen  8.  E. 
v.  Jan,  Die  griechischen  Saiteninstrumente.  Progr.  Saargemünd  1882  (Bur- 
sians  Jahresber.  XLIV,  30  f.). 

84)  xpaXzcpSol  oder  nach  anderer  Lesart  xpaX/na>6ol  Sirach  47,  9.  50,  18. 
Upoxpalzcu  Jos.  Antt.  XH,  3,  3  s.  fin.  bpvipöol  Antt.  XX,  9,  6.  xi&aounal  rs 
xal  hfivtpSol  Bell.  Jud.  H,  15,  4.  —  Aus  letzterer  Stelle  darf  nicht  gefolgert 
werden,  daß  die  Saitenspieler  und  Sänger  veschiedene  Kategorien  sind.  Beide 
kommen  ja  fxeza  xöjv  doyävwv.  „Diejenigen,  welche  die  Saiten  spielen  und 
singen",  sind  also  dieselben  Personen.  Vgl.  I  Chron.  15, 16  "W  ^ds  D'n'iiöBri, 
auch  I  Chron.  23,  5. 

85)  Auch  in  der  Mischna  werden  die  Sänger  stets  als  „Leviten"  (o^lb) 
bezeichnet,  Bikkurim  III,  4.  Sukka  V,  4.  Bosch  haschana  IV,  4.  Arachm  H,  6. 
Tamid  VII,  3—4. 

86)  Über  die  künstliche  Zurückführung  dieser  Sängerfamilien  auf  Levi 
s.  Graf  in  Merx*  Archiv  I,  231  f.  —  Unter  den  mit  Serubabel  und  Josua  zu- 


[278]  III.  Die  einzelnen  Amter.  335 

gesamt  wieder  in  vierundzwanzig  Dienstklassen  eingeteilt  (I  Chron. 
25).  —  Ihre  Hauptaufgabe  war  der  Gesang.  Die  Musik  kam  nur 
in  Betracht  als  Begleitung  des  Gesanges.  Die  musikalischen  In- 
strumente, welche  dabei  angewandt  wurden,  waren  hauptsächlich 
folgende  drei87:  1)  Die  Cymbel  (D?nfc*tt,  xv/ißaXä),  ein  Schlag- 
instrument, ähnlich  dem  Lärmbecken  (bsbs),  mit  welchem  das 
Zeichen  zum  Beginn  des  Gesanges  gegeben  wurde 88.  Sie  bestand, 
wie  schon  die  Dualform  andeutet,  aus  zwei  großen  ehernen  Becken89, 
die  zusammengeschlagen  wurden  und  dadurch  einen  lauten  Ton 
gaben.  Mehr  zur  harmonischen  Begleitung  des  Gesanges  dienten 
2)  der  ba?,  vaßia,  Luther:  „Psalter",  und  3)  der  Ttof  xivvqcc, 
Luther:  „Harfe".  Beides  waren  Saiteninstrumente,  die  vaßXa 
nach  Josephus  zwölfsaitig,  die  xivvqcc  zehnsaitig90.  Die  vaßXa 
wurde  mit  der  Hand  gespielt,  die  xipvqcc  nach  Josephus  mit  dem 
Piektrum  (in  der  älteren  biblischen  Zeit  wurde  auch  der  "Tto  mit 
der  Hand  gespielt)91.  Über  die  nähere  Beschaffenheit  dieser  In- 
strumente ist  zwar  viel  geschrieben,  ein  Sicheres  Resultat  aber 
doch  noch  nicht  erreicht  worden.  Nach  der  Mischna  kamen  bei 
der  Tempelmusik  mindestens  zwei  und  höchstens  sechs  D^bnD  zur 
Anwendung,  während  es  von  den  rvhis?  mindestens  neun  sein 
mußten  und  deren  Zahl  bis  zu  beliebiger  Höhe  vermehrt  werden 
konnte92.  Man  wird  hieraus  schließen  dürfen,  daß  der  fto  das 
herrschende,  tonangebende  Instrument  war,  und  der  bn?  mehr  zur 
Begleitung  diente.  —  Außer  diesen  drei  Instrumenten  kamen  bei 
den  großen  Jahresfesten  (Passa,  Pfingsten  und  Laubhütten)  auch 
noch  Eohrpfeifen,  D^br;,  zur  Anwendung93. 

Während  die  bisher  genannten  musikalischen  Instrumente  von 
den  Leviten  gehandhabt  wurden  (nur  in  betreff  der  Pfeifen  ist  die 
Überlieferung  schwankend),  war  das  Blasen  mit  den  Trompeten 
(ninsisn)  Sache  der  Priester.    Es  geschah  namentlich  auch  beim 


rückgekehrten  Exulanten  wird  nur  die  Familie  Asaph  genannt,  Esra  2,  41. 
Neh.  7,  44. 

87)  8.  Nehem.  12,  27.  I  Ohron.  13,  a  15,  16—22.  15,  28.  16,  5.  H  Okron. 
5,  12.  29,  25.  —  I  Makk.  4,  54.  13,  51.  —  Joseph.  Antt.  Vü|,  12,  3.  —  Sukka 
V,  4.    Arachin  II,  3—6.    Middoth  II,  6. 

88)  Vgl.  oben  S.  333.  —  In  der  Hauptstelle  über  die  musikalischen  In- 
strumente Araekin  II,  3—6  werden  Denisia  gar  nicht  erwähnt,  sondern  nur 
bs^S.  Man  ist  daher  zu  der  Annahme  versucht,  daß  beide  identisch  sind. 
Aber  die  verschiedenen  Worte  bezeichnen  doch  wohl  verschiedene  Instrumente. 

89)  I  Chron.  15,  19.   Joseph.  Antt.  VII,  12,  3. 

90)  Antt  VII,  12,  3. 

91)  I  Sam.  16,  23.  18,  10.  19,  9. 

92)  Arachin  II,  3.  5. 

93)  Über  deren  Gebrauch  s.  bes.  Arachin  II,  3—4. 


336  §  24.   Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [278.  279] 

Darbringen  des  täglichen  Brandopfers,  sowie  sonst  bei  festlichen  | 
Gelegenheiten94.  Auch  der  Anbrach  und  Ausgang  des  Sabbats 
wurde  von  den  Priestern  durch  Trompetenblasen  von  der  Zinne 
des  Tempels  herab  verkündigt95. 

Die  niederen  Dienste  wurden  zur  Zeit  Serubabels,  Esras 
und  Nehemias  durch  Tempelsklaven  (CO^rö)  besorgt96.  In  der 
späteren  Literatur  werden  zwar  bei  Gelegenheit  juristischer  Er- 
örterungen noch  D^in  erwähnt97;  ihre  Verwendung  im  Tempel 
läßt  sich  aber  nicht  mehr  mit  Sicherheit  konstatieren.  Statt  ihrer 
kommen  jetzt  „Diener"  (own)  vor98;  ja  Philo  erwähnt  das  Rei- 
nigen und  Auskehren  des  Tempels  neben  dem  Wachdienst  als  ein 
Geschäft  der  vscqxoqol,  d.  h.  der  Leviten99.  —  Für  manche  Ver- 
richtungen werden  auch  die  heranwachsenden  Priesterknaben  C*rnB 
nana)  verwendet1?0. 

IV.  Der  tägliche  Kultus. 

Der  tägliche  Opferdienst  wurde  von  den  vierundzwanzig  Ab- 
teilungen der  Priesterschaft  (s.  oben  S.  286 ff.)  in  der  Weise  ab- 
wechselnd besorgt,  daß  jede  Abteilung  immer  eine  Woche 
lang  den  Dienst  hatte.  Der  Wechsel  fand  am  Sabbat  statt,  und 
zwar  so,  daß  die  abgehende  Abteilung  noch  das  Morgenopfer  und 
die  Zugabeopfer  für  den  Sabbat  (nach  Num.  28,  9—10),  die  an- 
tretende aber  das  Abendopfer  darbrachte1.    An  den  drei  großen 


94)  S.  überh.:  Num.  10,  1—10.  Esra  3,  10.  Nehem.  12,  35.  I  Chron. 
15,  24.  16,  6.  II  Chron.  5,  12.  7,  6.  29,  26—28.  —  Sirach  50,  16.  —  Joseph. 
Antt.  HI,  12,  6.  —  Sukka  V,  4—5.  Bosch  haschana  III,  3—4.  Tamid  VII,  3. 
—  Lundius,  Die  alten  jüdischen  Heiligthümer  Buch  III,  Kap.  47. 

95)  Jos.  Bell.  Jud.  IV,  9,  12.    Sukka  V,  5. 

96)  Esra  2,  43.  53.  70.  7,  7.  8,  17.  20.  Nehem.  3,  26.  31.  7,  46.  60.  73. 
10,  29.  11,  3.  21.  I  Chron.  9,  2.  —  Vgl.  Pfeffinger,  De  Neihinaeü  (in  Ugo- 
lini,  Thes.  t.  X1H).  Winer  RWB.  Art.  „Nethinim".  Oehler,  Art.  „Nethinim" 
in  Herzogs  Beal-Enz.  1.  Aufl.  X,  296 f.  Jacobs,  Studies  in  biblical  archaeo- 
logy,  London  1894,  p.  104—122  (Theol.  Litztg.  1895,  482 f.).  Taylor,  Art.  Ne- 
thinim in  Hostings'  Diotionary  of  the  Bible  in,  519  f.  Benzinger,  Art.  Ne- 
thinim in:  Encyclopaedia  biblica  III,  3397  ff. 

97)  Z.  B.  Jebamoth  II,  4.  Kidduschin  IV,  1.  Makkoth  III,  1.  Horajoth  III,  8. 

98)  Sukka  IV,  4.    Tamid  V,  3.   Vgl.  auch  Sota  VH,  7—8.    Joma  VII,  1. 

99)  Philo,  De  praemiis  sacerdotum  §  6  (ed.  Mangey  II,  236):  °BzeQOi  äh 
täq  oioäg  xal  xä  £v  inal&otp  xogovvxeq  xbv  (poovrdv  ixxoptt,ovoiv,  im/teXö- 
fievoi  xad-aQÖZfjTog. 

100)  Joma  I,  7.    Sukka  V,  2.    Sanhedrin  IX,  6.    Tamid  I,  1.    Middoth 
I,  8.  III,  8. 

1)  8.  bes.   Tosephia  Sukka  IV,  24—25  {ed.  Zuckermandel  p.  200);    auch 
Mischna  Sukka  V,  7—8.    Tamid  V,  1.  —  II  Chron.  23,  4.  8  (wo  deutlich  von 


(280]  IV.  Der  tägliche  Kultus.  337 

Jahresfesten  (Passa,  Pfingsten  und  Laubhütten)  waren  sämtliche 
vierundzwanzig  Abteilungen  gleichzeitig  im  Dienst2.  —  Die  Ver- 
suche christlicher  Gelehrter,  für  das  Geburtsjahr  Jesu  Christi  die 
Dienstwoche  der  Klasse  Abia  {Luc.  1,  5)  chronologisch  zu  ermitteln, 
entbehren  jeder  haltbaren  historischen  Grundlage 3.  —  Jede  Wochen- 
abteilung war  wieder  in  etwa  5—9  Unterabteilungen  eingeteilt, 
von  denen  durchschnittlich  je  eine  an  einem  Tage  den  Dienst  hatte. 
Waren  es  weniger  als  sieben  Unterabteilungen,  so  kamen  einige 
zweimal  an  die  Reihe;  waren  es  mehr  als  sieben,  so  fungierten 
an  einigen  Tagen  je  zwei  Abteilungen  (s.  oben  S.  286).  Auch  von 
den  Priestern  einer  Tagesabteilung  konnte  aber  immer  nur  ein 
Bruchteil  durchs  Los  zur  wirklichen  Beteiligung  an  dem  regel- 
mäßigen täglichen  Gemeindeopfer  bestimmt  werden. 

Wie  die  Priester,  so  waren  auch  die  Leviten  in  vierund- 
zwanzig Dienstklassen  geteilt  (s.  S.  295),  die  ebenfalls  wöchentlich 
sich  ablösten4.  —  Endlich  aber  hatte  man  parallel  mit  diesen  24 
priesterlichen  und  levitischen  Dienstklassen  auch  das  Volk  selbst 
in  vierundzwanzig  Dienstklassen  (rvhiofctt)  geteilt,  von 
denen  ebenfalls  in  wöchentlichem  Wechsel  immer  je  eine  als  Ver- 
tretung des  Volkes  vor  Gott  stehen  sollte,  während  das  tägliche 

den  prießterlichen  Dienstabteil ungen  die  Bede  ist;  anders- in  der  Parallelstelle 
II  Reg.  11,  5.  9).  —  Joseph.  Antt.  VII,  14,  7:  ö\fra&  re  ulav  naxQiav  ötaxo- 
veloBai  tip  &e(j>  inl  tjfitoaq  öxrco,  and  oaßßaxov  inl  adßßaxov.  —  Wahr- 
scheinlich ist  auf  den  Wechsel  der  wöchentlichen  (nicht  der  taglichen)  Ab- 
teilungen auch  zu  beziehen  contra  Apion.  II,  8:  alii  suecedentes  ad  sacrificia 
veniurüy  et  congregati  in  templum  mediante  die  a  praecedentibus  claves  templi 
et  ad  numerum  omnia  vasa  percipiunt. 

2)  S.  Sukka  V,  6—8  und  Bartenora  zu  Sukka  V,  6  in  Surenhusius* 
Mischna-Ausgabe  II,  279. 

3)  S.  die  Versuche  bei:  Scaliger,  De  emendatione  temporum  (Coloniae 
AUobrog.  1629)  Anhang  p.  54 — 59.  —  Lightfoot,  Harmonia  evangeltstarum 
zu  Luc.  1,  5  (Opp.  I,  258—264).  —  Bengel,  Ordo  temporum  (1741)  p.  230—232. 
—  Wieseler,  Chronologische  Synopse  8.  140 — 145.  —  Seyffarth,  Chrono- 
logia  sacra  (1846)  p.  97—103.  —  Stawars,  Die  Ordnung  Abia  in  Beziehung 
auf  die  Bestimmung  des  wahren  Geburtsdatums  Jesu  (Tüb.  Theol.  Quartal- 
schrift 1866,  S.  201 — 225).  —  Ljungberg,  Chronologie  de  la  vie  de  Jesus,  deux 
etudes,  Paris  1879  (s.  Lit.  Centralbl.  1879,  537).  —  Die  Berechnungen  beruhen 
teils  auf  ganz  unbewiesenen  Voraussetzungen,  teils  auf  der  rabbinischen  Über- 
lieferung, daß  am  Tage  der  Terapelzerstörung  die  Klasse  Jojarib  im  Dienst 
gewesen  sei.  Diese  findet  sich  zwar  nicht  nur  im  Talmud,  bab.  Taanith  29a, 
sondern  auch  schon  im  Seder  Olam  (krit.  Ausg.  von  Neubauer,  Mediaeval  Je- 
tcish  Chronicles  II,  1895,  p.  66,  und  Bainer,  Seder  olam  rabba,  Wilna  1897, 
p.  147  sq.).  Sie  wird  aber  sehr  verdächtig  durch  die  Behauptung,  daß  dieses 
bei  der  zweiten  Zerstörung  ebenso  wie  bei  der  ersten  der  Fall  gewesen  sei. 

4)  I  Chron.  9,  25.  II  Chron.  23,  4.  8.  Joseph.  Antt.  VII,  14,  7.  Taa- 
nith IV,  2. 

Schür  er,  Geschichte  II.   4.  Aufl.  22 


338  §  24.    Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [280.  281] 

Opfer  Gott  dargebracht  wurde5.  Die  im  Dienst  befindliche  Abi- 
teilung hieß  "flo^E  „Standmannschaft".  Doch  brauchten  die  Israe- 
liten nicht  wie  die  Priester  und  Leviten,  wenn  ihre  Abteilung  an 
die  Reihe  kam,  sämtlich  nach  Jerusalem  hinaufzuziehen.  Sie  ver- 
sammelten sich  vielmehr  in  den  Synagogen  ihrer  Städte  zu  Gebet 
und  Schriftlektion;  und  es  ging  wahrscheinlich  immer  nur  eine 
Deputation  wirklich  nach  Jerusalem  hinauf,  um  bei  der  Darbringung 
des  Opfers  anwesend  zu  sein.  Diese  Deputation  war  dann  die 
■mspo  im  eigentlichen  und  engeren  Sinne,  welche  „dabei  stand", 
während  das  Opfer  dargebracht  wurde6. 

Die  Priester,  welche  den  Dienst  ausübten,  trugen  während 
desselben  eine  besondere  Dienstkleidung,  die  aus  folgenden  vier 
Stücken  bestand:  1)  d?o:d£,  d.  h.  kurzen,  nur  Hüfte  und  Schenkel 
bedeckenden  Beinkleidern  aus  Byssus  (wahrscheinlich  nicht  Baum- 
wolle, sondern  feine  weiße  Leinwand).  Darüber  2)  die  njto,  ein 
langer,  bis  auf  die  Füße  reichender,  ziemlich  anschließender  Leib- 
rock  mit  engen  Armein,  ebenfalls  aus  Byssus.  Dieser  Leibrock 
wurde  in  der  Gegend  der  Brust  zusammengehalten  3)  durch  einen 


5)  Vgl.  über  die  ganze  Einrichtung:  Buxtorf,  Lexicon  Ghald.  col. 
1622  sq.  (s.  v.  1^2).  —  Lightfoot,  Ministerium  templi  c.  VII,  3  (Opp.  I,  700 sq.). 
—  Garpxov,  Apparatur  historico-criticus  p.  109 sq.  —  Hottinger,  De  viris 
stationariis,  Marburg  1707  (am  erschöpfendsten).  —  Herzfeld,  Geschichte  des 
Volkes  Jisrael  III,  188—200.  204—209.  —  Oehler  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl. 
XII,  187  (2.  Aufl.  XH,  227).  —  Hamburger,  Real-Enz.  für  Bibel  und  Talmud 
II,  877—880  (Artikel:  „Opferbeistände"). 

6)  S.  bes.  Taanith  IV,  1—4.  —  Die  Hauptstelle  Taanith  IV,  2  lautet: 
„Die  ersten  Propheten  haben  vieruudzwanzig  Dienstklassen  (rWEttE)  aufgestellt. 
Auf  jede  Dienstklasse  kam  eine  Standmannschaft  (*ia3?s)  in  Jerusalem,  von 
Priestern,  Leviten  und  Israeliten.  Wenn  die  Zeit  des  Dienstes  kam,  so  zogen 
die  Priester  und  Leviten  nach  Jerusalem  hinauf,  und  die  Israeliten  in  derselben 
Dienstklasse  versammelten  sich  in  den  Synagogen  ihrer  Städte  und  lasen  die 
Schöpfungsgeschichte".  —  In  dem  Wortlaut  der  Stelle  liegt  insofern  ein  Wider- 
spruch, als  die  ganze  *ra?£  in  Jerusalem  sein  soll,  und  doch  die  Israeliten 
sich  nur  in  den  Synagogen  ihrer  Städte  versammeln.  Wahrscheinlich  gibt 
hier  die  Parallelstelle  der  Tosephta  (ed.  Zuckermafidel  p.  219)  den  richtigen  Sinn, 
indem  sie  bei  „Israeliten  in  derselben  Dienstklasse"  den  Zusatz  hat:  „welche 
nicht  nach  Jerusalem  hinaufziehen  konnten".  Die  Meinung  ist  also,  daß  die 
dienstfähigen  Priester  und  Leviten  einer  Dienstklasse  sämtlich  hinaufziehen 
mußten,  die  Israeliten  aber,  sofern  sie  verhindert  waren,  zu  Hause  bleiben 
durften,  wobei  aber  doch  vorausgesetzt  wird,  daß  auch  von  ihnen  ein 
Bruchteil  wirklich  nach  Jerusalem  hinaufging.  Es  wird  daher  Tamid  V,  0 
„das  Haupt  der  Standmannschaft"  (iss^n  ra&O)  ohne  weiteres  als  in  Je- 
rusalem anwesend  vorausgesetzt.  Ebenso  fassen  die  Sache  z.  B.  auch  Herz- 
feld  III,  193  und  Hamburger  II,  878.  —  Eine  geographische  Abgrenzung 
der  Standmänner-Bezirke  mit  je  einer  Hauptstadt  wird  Bikkurim  IH,  2  vor- 
ausgesetzt.    Sonst  vgl.  auch  Taanith  II,  7. 


[281.  282]  IV.  Der  tagliche  Kultus.  339 

Gürtel,  tt^K,  der  in  der  Hauptsache  ebenfalls  ans  Byssns  bestand, 
aber  mit  eingewobenen  purpur-,  Scharlach-  und  hyazinthfarbenen 
Ornamenten.  Er  war  also  das  einzige  Bunte  an  der  im  übrigen  | 
ganz  weißen  Priesterkleidung.  Als  Kopfbedeckung  diente  4)  die 
n^aaia,  eine  Art  Mütze  oder  Turban7.  Schuhe  werden  nirgends 
erwähnt;  und  es  darf  als  sicher  angenommen  werden,  daß  die 
Priester  den  Dienst  ohne  Fußbekleidung  verrichteten8. 


7)  S.  über  die  Priesterkleidung  JEkech.  44,  17—19.  Exod.  28,  40—43. 
39,  27—29,  und  besonders  die  ausführliche  Beschreibung  bei  Joseph,  Antt.  HI, 
7,  1—3.  Kürzer  Philo ,  Vita  Mosis  HI,  16  (Mang.  II,  157):  xix&vag  Xivotiq, 
£o>vaq  xe  xal  neoioxeXfj.  De  monarchia  H,  5  (Mang.  II,  225) :  ^  6h  ioS-rjq  iazi 
Xixibv  Xivovg  xal  7ieQt%a)fxa.  Jos.  Antt.  XX,  9,  6:  Xivfjv  oxoXJjv.  Aristeas  ed. 
Wendland  §  87:  x&v  Uoitov  xzxaXvymkvwv  fiix9L  r">v  o<pvo(bv  ßvaaivoig  #*- 
riboiv.  —  Die  Literatur  über  unsern  Gegenstand  ist  dieselbe  wie  die  über 
die  Kleidung  des  Hohenpriesters,  s.  oben  8.  319.  —  Über  die  Frage,  ob  Byssus 
=  Baumwolle  oder  Leinwand  s.  u.  a.  Winer  RWB.  Art.  „Baumwolle",  Dill- 
mann  zu  Exod.  25,  4,  Haneberg,  Die  religiösen  Alterthümer  S.  536 — 538 
(welcher  meint,  daß  dieselbe  durch  Rosellini  zugunsten  der  Baumwolle  ent- 
schieden sei),  und  dagegen  Marquardt,  Das  Privatleben  der  Romer  Bd.  II 
(1882)  8.  464  f.,  und  das  hier  zitierte  Hauptwerk  von  Yates,  Textrmum  anti- 
quorum,  An  account  of  the  ort  of  weaving  among  the  ancients,  Part  I,  Ijondon 
1843;  auch  Hehn,  Kulturpflanzen  und  Haustiere,  3.  Aufl.  S.  145;  Wönig, 
Die  Pflanzen  im  alten  Ägypten  (1886),  8. 189.  Olck,  Art.  „Byssus"  in  Pauly- 
Wissowas  ßeal-Enz.  HI,  1108 — 1114.  Da  die  Alten  zwischen  Leinen  und 
Baumwolle  nicht  immer  streng  unterschieden,  so  ist  es  wohl  möglich,  daß 
unter  Umständen  auch  Baumwolle  zur  Priesterkleidung  verwendet  wurde  (wie 
denn  namentlich  das  feine  indische  Gewebe,  das  der  Hohepriester  am  Ver- 
söhnungstage nachmittags  trug,  wohl  aus  Baumwolle  bestand,  s.  oben  S.  80). 
Als  sicher  darf  dagegen  angenommen  werden,  daß  in  der  Regel  Leinenstoffe 
gebraucht  wurden.  Nach  Mischna  Kilajim  IX,  1  ist  zur  Priesterkleidung  nur 
Flachs  (ü^ntöfc)  und  Schafwolle  ('vas)  verwendet  worden,  letztere  nämlich  zu 
den  bunten  Ornamenten  im  Gürtel;  s.  die  Kommentare  in  Surenhusius' 
Mischna  I,  149  und  Braun,  Vestitus  sacerdotum  Hebraeorum  I,  6,  2;  H,  3,  4. 
Mit  Rücksicht  hierauf  heißt  es  bei  Josephus,  daß  es  den  Priestern,  und  nur 
ihnen,  erlaubt  sei,  ein  aus  Leinen  und  Wolle  gemischtes  Gewebe  zu  tragen, 
Antt.  IV,  8,  11:  fjtijöelg  6'  ig  vßüyv  xXcooxfjv  ig  SqIov  xal  Xivov  axoX^v  ipooelxct)' 
xotq  ycLo  Isqevol  fidvoig  xavxrjv  änoösSslx^cci.  Die  Priesterkleidung  war 
also  ausdrücklich  von  dem  Verbot  Lev.  19,  19.   Deut.  22,  11  ausgenommen. 

8)  8.  Bartenora  zu  Schekalim  V,  1  (in  Surenhusius'  Mischna  II,  192). 

—  Braun ,  Vestitus  sacerdotum  Hebraeorum  I,  3,  3  (p.  43—47).  —  Carpxov, 
Discalceatio  religiosa  in  loco  saerot  ad  Exod.  3,  5  (in  ügolini,  Thes.  t.  XXIX). 

—  Ugolini,  Thesaurus  t.  XHI,  405  ff.  —  Winer  RWB.  II,  271.  —  Leyrer 
in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  VII,  718.  —  Vom  Synagogen- Gottesdienst  heißt 
es  Megilta  IV,  8:  „Wer  sagt:  Ich  will  nicht  in  bunten  Kleidern  vorbeten,  der 
darf  es  auch  nicht  in  weißen  Kleidern.  Wer  es  nicht  mit  Sandalen  tun  will, 
der  darf  es  auch  nicht  barfuß".  Der  Sinn  ist:  Man  darf  beim  Synagogen- 
gottesdienst nicht  priesterliche  Kleidung  beanspruchen.  In  betreff  des  Priester- 
segens  dagegen   soll  Jochanan   ben  Sakkai  angeordnet  haben,   daß  er  auch 

22* 


340  §  24.  Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [283] 

Wie  die  weiße  Kleidung  Symbol  der  Reinheit  war,  so  wurde 
von  den  diensttuenden  Priestern  auch  Nüchternheit  und  levi- 
tische  Reinheit  gefordert  Während  ihrer  Dienstzeit  durften 
sie  keinen  Wein,  noch  sonst  irgend  ein  berauschendes  Getränke 
trinken9.  Wer  nicht  levitisch  rein  war,  durfte  nicht  den  Vorhof 
zum  Dienst  betreten.  Ja  selbst  diejenigen,  die  es  waren,  mußten 
unter  allen  Umständen  vor  Antritt  des  Tagesdienstes  ein  rituelles 
Tauchbad  nehmen10.  Außerdem  aber  mußten  sie  dann  auch  noch 
Hände  und  Füße  waschen  in  dem  ehernen  Waschbecken  (^*s), 
das  sich  unter  freiem  Himmel  zwischem  dem  Tempel  und  dem 
Brandopferaltar  befand l  K 

Hinsichtlich  der  Opfer,  welche  täglich  in  Masse  dargebracht 
wurden12,  sind  zwei  Kategorien  zu  unterscheiden:  die  Ge|- 


nach  der  Zerstörung  des  Tempels  von  den  Priestern  nur  barfuß  gesprochen 
werden  dürfe  (Rosch  haschana  31  *>.  Sota  40 *>.  Derenbourg,  Histoirc  de  la 
Palestine  p.  305  n.  3). 

9)  Lev.  10,  8—11.  Exech.  44,  21.  Pseudo-IIecataeus  bei  Josephus  contra 
Apion.  I,  22  (ed.  Niese  §  199):  xb  Ttaqanav  olvov  ob  nlvovxeQ  iv  xa>  Uq&. 
Philo ,  De  monarchia  II,  7.  Josephus  Antt.  HI,  12,  2.  Bell.  Jud.  V,  5,  7. 
Mischna  Taanith  II,  7.  Ugolini,  Thesaurus  XIII,  885  ff.  (hier  in  extenso  hebr. 
und  lat.  die  Stellen  aus  jer.  Taanith  65d.  Tosephta  Taanith  II,  Siphra  und  Pe- 
sikta  zu  Lev.  10,  9). 

10)  Joma  III,  3:  „Niemand  darf  den  Vorhof  zum  Dienst  betreten,  selbst 
wenn  er  rein  ist,  ohne  untergetaucht  zu  haben".  Vgl.  Tamid  I,  2.  Buch 
der  Jubiläen  21,  16.  Testam.  XII  Patriarch.  Ijevi  9  s.  fin.:  Kai  npd  xov 
eloeX&eTv  elg  xä  ayia  kovov*  xal  £v  xoj  &veiv  vlitxov  xal  änaQXtC/uyv  nahv  x^v 
Svotav  vlnxov.  —  Namentlich  hatte  man  auch  nach  Verrichtung  der  Not- 
durft immer  ein  Tauchbad  zu  nehmen,  Joma  III,  2.  —  Über  den  Ort  des 
Tauchbades  s.  Tamid  I,  1.    Middoth  I,  9  fin. 

11)  Exod.  30,  17—21.  40,  30—32.  Tamid  I,  4.  II,  1.  Philo,  Vita  Mosis  III, 
15:  nööaq  fidXicna  xal  yelQaq  änovmxdfxevoi.  Buch  der  Jubiläen  21, 16.  Auch 
in  der  in  der  vorigen  Anmerkung  zitierten  Stelle  der  Testam.  XII  Patriarch. 
Levi  9  s.  fin.  wird  neben  dem  Xoveo&ai  noch  das  rinxsa^ai  erwähnt.  —  Über 
den  WS  selbst  s.  auch  Exod.  38,  8.  Middoth  III,  6.  Joma  III,  10.  Tamid 
III,  8.  Liqhtfooty  Descriptio  templi  c.  37,  1  (Opp.  I,  643  sq.).  Clemens,  De 
labro  aeneof  Traject.  ad  Eh.  1725  (auch  in  Ugolini,  Thes.  t  XIX).  Die  Kom- 
mentare in  Surenhusius'  Mischna  II,  224.  V,  360.  Ike n>  Tractatus  talmu- 
dicus  de  cidtu  quotidianoy  1736,  p.  32—34  (reichhaltig).  Win  er  RWB.  Art. 
„Hand faß".  Bahr,  Symbolik  des  mosaischen  Kultus  2.  Aufl.  I,  583—586. 
Köhler,  Lehrb.  der  bibl.  Geschichte  I,  373 f. 

12)  S.  über  den  Opferkultus  uberh.:  Lundius,  Die  alten  jüdischen  Hei- 
ligthüraer  Buch  III,  Kap.  33—46.  —  Bahr,  Symbolik  des  mosaischen  Cultus 
II,  187—522.  —  Winer  RWB.  Art.  „Opfer",  und  dazu  die  einzelnen  Artikel 
über  Brandopfer,  Schuld-  und  Sündopfer,  Dankopfer,  Speisopfer,  Trankopfer, 
Räuchern  u.  a.  —  O eh ler,  Art.  „Opfercultus  des  Alten  Testaments"  in  Her- 
zogs Real-Enz.  (1.  Aufl.  X,  614— 652,  2.  Aufl.  XI,  29-61).  —  Thalhofer,  Die 
unblutigen  Opfer  des  mosaischen  Cultes,  1848.  —  Kurtz,   Der  alttestament- 


[284]  IV.  Der  tagliche  Kultus.  341 

meindeopfer  und  die  Privatopfer13.  Erstere  wurden  im  Namen 
des  Volkes  dargebracht  und  aus  den  vom  Volk  entrichteten  Ab- 
gaben, namentlich  der  Halbsekelsteuer  bestritten.  Letztere  waren 
Privatsache  einzelner  und  konnten  aus  den  mannigfaltigsten  An- 
lässen dargebracht  werden,  teils  freiwillig,  teils  weil  man  aus 
irgendeinem  Grunde  dazu  verpflichtet  war.  Beide  zerfielen  wieder 
je  nach  Inhalt  und  Zweck  der  Darbringung  in  verschiedene  Arten; 
und  zwar  lassen  sich  folgende  drei  Hauptarten  unterscheiden:  1)  die 
Brandopfer,  deren  Wesen  darin  besteht,  daß  das  geopferte  Tier 
ganz  auf  dem  Altare  verbrannt  wird,  2)  die  Sund-  und  Schul d- 
opfer,  bei  welchen  nur  die  Fettstücke  auf  dem  Altar  verbrannt 
werden,  während  das  Fleisch  den  Priestern  zufällt,  3)  die  „Mahl- 
opferto  (D^bttj  irnr),  nach  Luther:  „Dankopfer",  bei  welchen  eben- 
falls nur  die  Fettstücke  auf  den  Altar  kommen,  während  das  Fleisch 
vom  Eigentümer  selbst  zu  einem  fröhlichen  Opfermahle  verwendet 
wird14.  —  Die  Hauptmasse  der  Opfer  bildeten  natürlich  die  zahl- 


liche Opfercultus  nach  seiner  gesetzlichen  Begründung  und  Anwendung,  1862. 

—  Orelli,  Art.  „Opferkultus  des  A.  T."  in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl. 
XIV,  1904,  S.  386—400.  —  Köhler,  Lehrb.  der  bibl.  Geschichte  I,  387  ff.  — 
Wellhausen,  Geschichte  Israels  I,  53 — 84  =  Prolegomena  zur  Geschichte 
Israels  5.  Ausg.  S.  54 — 81.  —  Dillmann,  Exeget.  Handb.  zu  Exodus  und 
Leviticus  S.  373—387.  —  Baentsch,  Exodus-Leviticua-Numeri  (in  Nowacks 
Handkommentar  zum  A.  T.  I,  2)  1903,  8.  308—310  (zu  Lev.  1).  —  Die  Wör- 
terbb.  von  Schenkel  und  Riehm,  und  die  archäologischen  Werke  von  De 
Wette,  Ewald,  Keil,  Haneberg,  Nowack  u.  a. 

13)  Philo,  De  victimü  §  3  (ed.  Mangey  II,  233  sq.) :  'Enü  öh  xtbv  övoiibv 
al  (iiv  eloiv  $7tho  SnavxoQ  xov  e&vovq,  et  6h  öeZ  xb  akri&hq  elnetv  vnhg 
Snavvog  avd-Qwnwv  yhov$,  al  Sh  ünho  hxdoxov  x&v  iBQOvgyeXv  at-iovv- 
t(ovf  Xsxxiov  noöxeoov  Tis $1  xCbv  xoivihv.  —  Josephus  Antt.  HE,  9,  1:  ovo 
fisv  yao  eloiv  leQOvoylai*  xovxojv  rf*  fj  fisv  vnd  xwv  iÖiwx&v,  kxioa  6* 
faid  xov  ty/xov  owxeXov/xevai  x.  x.  X. 

14)  In  der  Hauptstelle  über  die  Opferordnung  Lev.  1—7  werden  eigentlich 
fünf  Opferarten  erwähnt:  1)  Das  Brandofer,  2)  das  Speisopfer,  3)  das 
Mahlopfer,  4)  das  Sündopfer,  5)  das  Schuldopfer.  Allein  das  Speisopfer  steht 
überhaupt  nicht  in  gleicher  Linie  mit  den  Tieropfern  und  kommt  am  häufig- 
sten nur  als  Zugabe  zu  diesen  vor,  wie  das  Trankopfer.  Die  Sund-  und  Schuld- 
opfer aber  sind  zwar  verschieden,  jedoch  so  nahe  verwandt,  daß  sie  als  eine 
Art  zu  betrachten  sind.  Man  bat  also  hinsichtlich  der  Tieropfer,  und  diese 
sind  bei  weitem  die  wichtigsten,  drei  Hauptarten  zu  unterscheiden,  wie  dies 
auch  von  Philo  (De  victimis  §  4)  und  Josephus  (Antt.  III,  9, 1 — 3)  geschieht. 

—  Alle  drei  Arten  kamen  sowohl  bei  den  Privat-  als  bei  den  Ge- 
meindeopfern vor;  bei  letzteren  allerdings  das  Mahlopfer  (D^bsj  M2t) 
nur  selten,  nämlich  regelmäßig  nur  am  Pfingstfest  (Lev.  23,  19);  sonst  nur 
bei  besonderen  Veranlassungen  (s.  Win  er  RWB.  Art.  „Dankopfer").  Das 
Fleisch  der  Gemeinde-Mahlopfer  gehörte  den  Priestern  (Lev.  23,  20).  S.  über 
dieselben  überh.:  Pesachim  VII,  4.  Sebachim  V,  5.  Menachoth  V,  7.  Meila  H,  5- 


342  §  24.   Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.        [284. 285. 286] 

reichen  Privatopfer  der  verschiedenen  Arten.  Für  unsere  Dar- 
stellung des  regelmäßigen  täglichen  Kultus  kommen  jedoch  nur 
die  Gemeindeopfer  in  Betracht,  und  zwar  unter  ihnen  hauptsäch- 
lich das  wichtigste:  das  tägliche  Brandopfer  der  Gemeinde.  | 
Zur  Orientierung  seien  zunächst  ein  paar  topographische  Be- 
merkungen vorausgeschickt15.  Der  innere  Vorhof,  in  welchem 
alle  Kultushandlungen  vollzogen  wurden,  war  durch  eine  Mauer 
in  eine  westliche  und  eine  östliche  Hälfte  geteilt.  Letztere  hieß 
„der  Vorhof  der  Weiber",  nicht  etwa,  weil  dorthin  nur  die  Weiber 
Zutritt  hatten,  sondern  weil  dorthin  auch  die  Weiber  Zutritt 
hatten16.  Das  schöne  Tor  im  Osten  dieses  Vorhofes  mit  kunstvoll 
gearbeiteten  ehernen  Torflügeln  (tj  &vqcc  r\  Xeyotiivri  a>Qala  Apgesch. 
3,  2)  bildete  den  Haupteingang  zum  Vorhof  (vgl.  oben  S.  64 f.);  daher 
pflegten  hier  auch  die  Bettler  zu  sitzen  (Apgesch.  3,  2).  Zu  der 
westlichen  Abteilung  des  Vorhofes  hatten  nur  die  männlichen  Is- 
raeliten Zutritt;  und  hier  stand  nun  der  eigentliche  Tempel  Er 
war  ein  verhältnismäßig  nicht  großes,  aber  prachtvolles  Gebäude. 
Das  Innere,  das  vermutlich  nur  wenig  Tageslicht  hatte,  zerfiel  in 
einen  größeren  vorderen  Raum  und  einen  nur  halb  so  großen 
hinteren.  Letzteres  war  das  „Allerheiligste",  welches  nur  einmal 
im  Jahre  von  einem  menschlichen  Fuße  betreten  wurde,  nämlich 
vom  Hohenpriester  am  Versöhnungstage.  In  dem  vorderen  (also 
östlichen)  Räume  befanden  sich  die  drei  heiligen  Geräte,  deren 
pünktliche  Bedienung  ein  Hauptstück  des  priesterlichen  Dienstes 
war,  nämlich  1)  in  der  Mitte  der  goldene  Räucheraltar  (nana 
ynrn),  auch  „der  innere  Altar"  C^DBH  n?Tp)  genannt,  auf 
welchem  täglich  morgens  und  abends  das  Räucheropfer  dargebracht 
werden   mußte17,   2)   südlich  |  davon    der   goldene   siebenarmige 

Sehr  häufig   sind  die   im  Namen   der  Gemeinde   dargebrachten  Brandopfer 
und  Sündopfer;  s.  das  Verzeichnis  derselben  für  die  Festtage  Num.  28 — 29. 

15)  Die  Quellen  und  Literatur  über  den  herodianischen  Tempel   s.  oben 

§  15. 

16)  S.  Joseph,  contra  Apion.  II,  8:  in  secunda  vero  porticu  (damit  ist  der 
Weibervorhof  gemeint)  cuncti  Judaei  ingrediebantur  eorumque  conjwjes. 

17)  Über  die  tägliche  Darbringung  des  Räucheropfers  s.  Exod.  30,  7 — 8. 
—  Über  die  Zubereitung  des  Raucherwerkes:  Exod.  30,  34 — 38.  —  Über  den 
Räucheraltar:  Exod.  30,  1—10.  37,  25—29.  I  Makk.  1,  21.  4,  49.  Philo, 
Vita  Mosis  III,  9.  De  victimas  offerentibus  §  4.  Josephus  Antt.  III,  6,  8.  Beil. 
Jud.Vy  5, 5.  —  Lundius,  Die  alten  jüdischen  Heiligthümer  Buch  I,  Kap.  25 — 27. 
Monographien  bei  Ugolini,  Thes.  t.  XI.  Win  er  RWB.  Art.  „Raucheraltar" 
und  „Räuchern".  Thal  hofer,  Die  unblutigen  Opfer  des  mosaischen  Cultes 
S.  78—82.  131—139.  Bahr,  Symbolik  des  mosaischen  Cultus,  2.  Aufl.  I,  499 
—505.  Bleek,  Der  Brief  an  die  Hebräer  II,  2,  479  ff.  (zu  Ebr.  9,4).  Leyrer 
Art.  „Räucheraltar*'  und  „Räuchern"  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  XII,  502 
—513.    Delitzsch  in  Riehms  Wörterb.  S.  1255—1260.    Baentsch,   Exodus- 


[286J  IV.  Der  tägliche  Kultus.  343 

Leuchter  (rnitts),  dessen  Licht  stets  brennend  erhalten  werden 
mußte18,  und  3)  nördlich  vom  Altar  der  goldene  Schaubrottisch, 
auf  welchen  an  jedem  Sabbat  zwölf  neue  Brote  aufgelegt  werden 


Leviticus-Numeri  S.  258  f.  (zu  Exod.  30).  Orelli,  Art.  „Räuchern,  Räucher- 
altar" in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  XVI,  404—409.  —  nnjn  nato 
Joma  V,  5.  7.  Chagiga  III,  8.  Sebachim  V,  2.  Menachoth  III,  6.  iv74.  nat» 
*mwn  Joma  II,  3.  V,  5.  Sebachim  IV,  2.  Meila  III,  4.  Tamid  IH,  6.  9.  Vlj  1. 

—  Die  Zweifel  Wellhausens  an  der  Existenz  des  Räucheraltares  (Jahrbb.  f. 
deutsche  Theol.  1877,  S,  410  ff.)  werden  durch  die  einstimmigen  Zeugnisse  von 
der  Makkabäerzeit  bis  zu  Josephus  und  Mischna  widerlegt.  Allerdings  er- 
wähnt Pseudo-Hecataeus  (bei  Josephus  contra  Apion.  I,  22  ed.  Niese  §  198)  im 
Innern  des  Tempels  außer  dem  Leuchter  nur  einen  goldenen  ßojfidg,  was 
ebensogut  der  Schaubrottisch  als  der  Raucheraltar  sein  kann.  Und  bei  Auf- 
zählung der  von  Pompeius  im  Tempel  gefundenen  Geräte  wird  Antt.  XIV,  4,  4 
der  Raucheraltar  nicht  genannt.  Aber  in  der  Parallele  zu  letzterer  Stelle  Bell. 
Jud.  I,  7,  6  erscheinen  außer  Leuchter  und  Tisch  auch  &vuiaxfiQia,  worunter 
der  Räucheraltar  mit  gemeint  sein  kann.  Und  an  seiner  Existenz  zur  Zeit 
des  Pompeius  kann  angesichts  der  übrigen  Zeugnisse  nicht  gezweifelt  werden ; 
denn  die  Nichterwähnung  unter  den  Beutestücken  des  Titus  B.  J.  VII,  5,  5 
bat  ihren  Grund  in  der  geringeren  Kostbarkeit.  Mit  weniger  Sicherheit  läßt 
sich  seine  Existenz  für  die  Zeit  des  Pseudo-Hekatäus  (3.  Jahrh.  vor  Chr.)  be- 
haupten. 

18)  Über  die  Bedienung  des  Leuchters  s.  Exod.  27,  20-21.  30,  7—8.  Lev. 
24, 1 — 4.  Num.  8, 1—4.  II  Chron.  13,  11.  —  Nach  den  biblischen  Stellen  sollten, 
wie  es  scheint,  die  Lampen  des  Leuchters  nur  Abends  angezündet  werden,  um 
über  Nacht  zu  brennen.  So  auch  Philo,  De  victimas  offerentibus  §  7  init. 
Nach  Josephus  Antt.  III,  8,  3  fin.  dagegen  brannten  unter  Tags  drei  von 
den  sieben  Lampen,  bei  Nacht  alle  sieben;  nach  der  Mischna  bei  Tag  eine, 
bei  Nacht  alle  sieben  {Tamid  III,  9.  VI,  1,  und  dazu  das  Referat  bei  Krüger, 
Theol.  Quartalschr.  1857,  S.  248  f.  Ebenso  Siphra  zu  Lev.  24, 1—4  und  Siphre 
zu  Num.  8,  1 — 4,  worauf  Hamburger  verweist.  Über  die  ganze  Streitfrage 
auch  Iken,  Tractatus  Talmudicus  de  cultu  quotidiano  templi  (1736)  p.  73—76. 
107  30.).  Vgl.  auch  Pseudo-Hecataeus  bei  Joseph,  c.  Apion.  I,  22:  inl  xovxcdv 
iptbq  laxtv  avandaßeaxov  xal  xäg  vvxxaq  xal  tag  $iu£oaq,  Diodor.  XXXIV,  1 
(ed.  Müller):  xbv  dh  a&avaxov  Xsydusvov  nag*  abxotq  Xi>%vov  xal  xaibuzvov 
dSiaXelnroag  iv  xq>  va<j>.  —  Über  den  Leuchter  selbst  s.  Exod.  25,  31 — 40.  37, 
17—24.  I  Makk.  1,  21.  4,  49.  Philo,  Vita  Mosis  III,  0.  Josephus  Antt.  III,  6,  7. 
Bell.  Jud.  V,  5,  5.  VII,  5,  5.  Mischna  Menachoth  HI,  7.  IV,  4.  IX,  3  fin. 
Tamid  III,  6.  9.  VI,  1.  —  Lundius,  Die  alten  jüdischen  Heiligthümer  Buch  I, 
Kap.  23.  Winer,  RWB.  Art.  „Leuchter".  Bahr,  Symbolik  2.  Aufl.  I,  492— 499. 
Krüger,  Der  siebenarmige  Leuchter  (Tüb.  Theol.  Quartalschr.  1857,  S.  238 
— 261).  Riehms  Wörterb.  Art.  „Leuchter"  (mit  Abbildungen).  Hamburger, 
Real-Enz.  für  Bibel  und  Talmud,  Supplementbd.  (1886)  8.  40  f.  Art.  „Bestän- 
diges Licht".  Levesque,  Art.  Chandelier  in:  Vigouroux,  Dictionnaire  de  la 
Bible  II,  541—546.  Cook,  Art.  Candlestick  in:  Encyclopaedia  Biblica  I,  644—647. 

—  Eine  authentische  Abbildung  des  Leuchters  ist  uns  erhalten  auf  den  Reliefs 
des  Titusbogens  in  Rom  (s.  oben  §  20  Bd.  I,  S.  636  f.);  auch  auf  alten  Glas- 
geraten  und  Grabschriften  ist  er  nicht  selten  abgebildet,  s.  Qarrucci,  Storia 


344  §  24.   Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [286.  237] 

mußten19.  —  Die  Front  des  Tempels  |  war  gegen  Osten  gerichtet 
Vor  demselben,  unter  freiem  Himmel,  befand  sich  der  große  Brand- 
opferaltar oder  „der  Altar"  xax*  Hox^  an  welchem  mit  Aus- 
nahme des  Eäucherns  alle  Opferhandlungen  vollzogen  werden 
mußten.  Er  war  ein  hoher  viereckiger  Aufbau  von  gewaltigen 
Dimensionen,  an  der  Basis  nach  den  Maßangaben  der  Mischna 
32  Ellen  im  Geviert  (während  z.  B.  das  Innere  des  Tempels  nur 
20  Ellen  breit  war);  nach  oben  verjüngte  er  sich  in  mehreren  Ab- 
stufungen, so  daß  die  obere  Fläche  noch  24  Ellen  im  Geviert  maß 20. 
Der  ganze  Aufbau  war  aus  unbehauenen  Steinen,  an  welche  nie 
ein  Eisen  gekommen  war,  errichtet21.    Auf  der  Südseite  führte 


della  arte  cristiana  vol.  VI,  1880,  tav.  490,  The  Jewish  Encyclopedia  III,  1902, 
p.  532  (im  Art.  Candlestick,  elf  verschiedene  Abbildungen),  ebendas.  VIII,  493  sq. 
(Art.  Menorah).  —  Über  die  Stellung  des  Leuchters  südlich  vom  Altar  s.  Exod. 
26,  35.  40,  24. 

19)  Über  die  Bedienung  des  Schaubrottisches  s.  Lev.  24,  5 — 9.  Philo, 
De  victimis  §  3  {ed.  Mangey  II,  239  sq.).  Josephus  Antt.  III,  10,  7.  —  Über  den 
Schaubrottisch  selbst:  Exod.  25,  23—30.  37,  10—16.  I  Makk.  1,  22.  4,  49.  Philo, 
Vita  Mosis  III,  10.  Josephus  Antt.  III,  6,  6.  Bell.  Jud.  V,  5,  5.  VII,  5,  5. 
Mischna  Menachoth  XI,  5 — 7.  Vgl.  auch  die  Beschreibung  des  Tisches,  welchen 
angeblich  Ptolemäus  Philadelphus  dem  Tempel  von  Jerusalem  schenkte,  bei 
Pseudo-Aristeas  ed.  Wendland  §  52 — 72.  Joseph.  Antt.  XH,  2,  7 — 8.  —  Lun- 
dius,  Die  alten  jüdischen  Heiligthümer  B.  I,  Kap.  24.  Winer  RWB.  Art. 
„Schaubrode"  und  „Schaubrodtisch".  Bahr,  Symbolik  2.  Aufl.  I,  488—492. 
Thalhof  er,  Die  unblutigen  Opfer  des  mosaischen  Cultes  S.  73—78.  156 — 168. 
Leyrer,  Art.  Schaubrode  und  Schaubrodtisch  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl. 
XIII,  467—472.  Delitzsch  in  Riehms  Wörterb.  S.  1388—1392  (mit  Abbildung). 
Strack  in  Herzogs  Real-Enz.  2.  Aufl.  XIII,  455 — 458.  Kennedy,  Art.  Shew- 
bread  in:  Hostings9  Dietionary  of  the  Bible  IV,  495—497.  Eine  Abbildung  des 
Tisches  findet  sich  auf  den  Reliefs  des  Titusbogens.  Vgl.  dazu:  Holzinger, 
Der  Schaubrodtisch  des  Titusbogens  (Zeitschr.  für  die  Alttest.  Wissensch.  XXI, 
1901,  S.  341  f.).  —  Über  die  Stellung  des  Tisches  nördlich  vom  Raucheraltar  s. 
Exod.  26,  35.  40,  22. 

20)  Vgl.  bes.  die  Beschreibungen  in  der  Mischna  Middoth  III,  1 — 4  und 
bei  Josephus  Bell.  Jud.  V,  5,  6;  Antt.  IV,  8,  5;  ferner:  Pseudo-Hecataeus  bei 
Joseph,  c.  Apion.  I,  22  (ed.  Niese  §  198);  Aristeas  ed.  Wendland  §  87.  I  Makk. 
4,  44 — 47.  Philo,  De  victimas  offerentibus  §  4.  Maßangaben  auch  bei  Exech. 
43,  13—17.  —  Monographien  bei  Ugolini,  Thes.  t.  X.  Winer  RWB.  Art. 
„Brandopferaltar".  Bahr,  Symbolik  2.  Aufl.  I,  579—582.  Robertson  Smith, 
Die  Religion  der  Semiten,  deutsche  Übers,  von  Stube,  1899,  S.  288—292.  The 
Jewish  Encyclopedia  I,  464—469  (Art.  Altar).  —  Analoga  in  den  heidnischen 
Kulten  s.  bei  Reis ch,  Art.  „Altar"  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  1, 1640—1691. 

21)  Pseudo-Hecataeus  bei  Joseph,  contra  Apion.  I,  22:  Ätfjt^twv  avXX$xta>v 
cioyCbv  Xl&wv.  I  Makk.  4,  47.  Philo,  De  victimas  offerentibus  §  4:  ix  Xtfkov 
XoydSiov  xal  atfi^mv.  Joseph.  Antt.  IV,  8,  5.  B.  J.  V,  5,  6.  Mischna  Mid- 
doth III,  4.  —  Altäre  aus  rohen  Feldsteinen  oder  auch  nur  von  aufgeworfener 
Erde   sind   ohne  Zweifel   die   älteste   und  primitivste   Form   der  Altäre  und 


1287.  283]  IV.  Der  tagliche  Kultus.  345 

zum  Altar  ein  allmählich  ansteigender,  ebenfalls  aus  unbehauenen 
Steinen  errichteter  Aufgang  hinauf.  Das  Feuer  auf  diesem  Altare 
durfte  nie  ganz  ausgehen,  auch  nicht  bei  Nacht22.  —  Zwischen 
dem  Tempel  und  dem  Altare  befand  sich,  |  ebenfalls  unter  freiem 
Himmel,  das  schon  erwähnte  eherne  Waschbecken  (Ti*?),  in 
welchem  sich  die  Priester  vor  Ausübung  des  Dienstes  Hände  und 
Füße  waschen  mußten.  —  Nördlich  vom  Altar,  ebenfalls  unter 
freiem  Himmel,  war  die  Stätte  zum  Schlachten:  es  waren  Ringe 
im  Fußboden  befestigt,  an  welchen  die  Tiere  beim  Schlachten  an- 
gebunden wurden;  in  der  Nähe  waren  Säulen  zum  Aufhängen  der 
geschlachteten  Tiere  und  marmorne  Tische  zum  Hautabziehen  und 
Waschen  der  Eingeweide23.  —  Der  Tempel  mit  Einschluß  des 
Altares  und  der  Schlachtstätte  war  von  einer  Schranke  umgeben, 
innerhalb  deren  in  der  Regel  nur  die  Priester  eintreten  durften; 
die  gewöhnlichen  Israeliten  nur  „wenn  es  nötig  war  zum  Hand- 
auflegen, Schlachten  und  Schwingen"  (mron)24. 

Der  wichtigste  Teil  des  regelmäßigen  Gottesdienstes  war  nun 
das  tägliche  Brandopfer  der  Gemeinde,  die  Tttnn  nbfc  oder 
Tttijn  „das  Beständige"  schlechthin25.    Die  Sitte  eines  regel- 


werden auch  noch  in  der  jahvistischen  Gesetzgebung  als  das  Gewöhnliche 
vorausgesetzt  (Exod.  20,  24—26;  vgl.  Deut.  27,  5—6).  Schon  Salomo  ließ  aber 
in  Jerusalem  einen  ehernen  Altar  erbauen  (I  Reg.  8,  64.  9,  25.  II  Reg.  16, 
14—15.  II  Chron.  4,  1).  Der  Priesterkodex,  der  das  ganze  Heiligtum  als 
transportabel  schildern  will,  konstruiert  zu  diesem  Zweck  einen  Brandopfer- 
altar aus  Holz  mit  Erzbekleidung  {Exod,  27,  1—8.  38,  1—7.  Num.  17,  1—5). 
Ein  solcher  hat  schwerlich  je  existiert.  Die  Praxis  der  nachexilischen  Zeit 
hat  vielmehr  wieder  auf  die  älteren  gesetzlichen  Bestimmungen  Exod,  20,  25. 
Deut.  27,  5—6  zurückgegriffen.  Vgl.  überh.  Wellhausen,  Gesch,  I,  30.  38 f. 
—  Prolegomena  5.  Ausg.  S.  29  f.  37  f. 

22)  Lev.  6.  6.  Philo,  De  viclimas  offerentibus  §  5  init.  (ed.  Mangey  II,  254). 
Joseph,  Bell.  Jud.  II,  17,  6.  Vgl.  auch  H  Makk.  1,  18-36,  und  Buxtorf, 
Hütoria  ignis  sacri  et  caelestis  sacrißcia  consumentis  (bei  Uf/olini,  Thes.  t.  X). 
Lundius,  Die  alten  jüdischen  Heiligthümer  Buch  I,  Kap.  34. 

23)  Middoth  III,  5.  V,  2.  Tamid  III,  5.  Schekalim  VI,  4.  —  Daß  die 
Schlachtung  der  Brandopfer  nördlich  vom  Altare  stattfinden  muß,  wird  schon 
Lev.  1,  11  vorgeschrieben.  An  derselben  Statte  mußten  aber  auch  die  Sund- 
und  Schuldopfer  geschlachtet  werden  (Lev.  4,  24.  29.  33.  6,  18.  7,  2.  14,  13). 
Nur  bei  den  Mahlopfern  fehlt  diese  Bestimmung;  s.  Knobel-Dillmann  zu 
Lev.  1,  11.  Genaueres  über  die  verschiedenen  Örtlichkeiten,  an  welchen  die 
Opfer  geschlachtet  wurden,  s.  Sebachim  V. 

24)  Ober  die  Schranke  s.  bes.  Joseph.  Bell.  Jud.  V,  5,  6.  Änlt.  VIII,  3,  9. 
XIII,  13,  5.  Grätz,  Monatsschr.  für  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1876, 
S.  388  ff.  In  diesen  „Vorhof  der  Priester"  durften  aber  nach  Kelim  I,  8  zu 
den  angegebenen  Zwecken  auch  die  Israeliten  eintreten. 

25)  T^Pin  rto  z.  B.  Num.  28, 10.  15.  24.  31 ;  cap.  29,  16. 19.  22.  25.  28.  31. 
34.  38.    Esra  3,  5*    Nehem.  10,  34.  —  T^Fin   z.  B.   Daniel  8,  11—13.   11,  31. 


346  §  24.   Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [288.  289] 

mäßigen  täglichen  Opfers  ist  verhältnismäßig  sehr  alt  Im  ein- 
zelnen war  aber  die  Ausführung  zu  verschiedenen  Zeiten  verschie- 
den; nicht  nur  insofern,  als  vor  dem  Exil  die  Könige  die  Kosten 
bestritten  (Ezech.  45,  17  und  46,  13—15  nach  den  LXX),  während 
es  später  Sache  der  Gemeinde  wurde,  sondern  auch  dem  Inhalte 
nach26.  Zur  Zeit  des  Ahas  wurde  morgens  nur  ein  Brandopfer 
und  abends  nur  ein  Speisopfer  dargebracht  (II  Beg.  16, 15).  Diese  j 
Sitte  war  so  feststehend,  daß  hiernach  die  Tageszeiten  bestimmt 
wurden.  Die  Zeit  „da  man  das  Speisopfer  bringt"  ist  soviel  wie 
gegen  Abend  (I  Beg.  18,  29.  36).  Ja  diese  Zeitbestimmung  hat  sich 
so  fest  eingebürgert,  daß  sie  auch  noch  beibehalten  wurde,  als 
man  längst  auch  abends  ein  Brandopfer  darbrachte  (Esra  9,  4—5. 
Daniel  9,  21) 27.  Letzteres  geschah,  wie  es  scheint,  noch  nicht  zur 
Zeit  Ezechiels.  Doch  hat  bereits  Ezechiel  insofern  eine  Erweite- 
rung der  älteren  Sitte,  als  nach  ihm  des  Morgens  ein  Brandopfer 
und  ein  Speisopfer  dargebracht  werden  soll  (EzechAQ,  13—15).  Der 
Priesterkodex  dagegen  schreibt  nun  vor,  daß  sowohl  morgens 
als  gegen  Abend  je  ein  Brandopfer  und  ein  Speisopfer 
dargebracht  werden  solle,  und  dazu  auch  je  ein  Trankopfer  (Exod. 
29,  38—42.  Num.  28,  3—8).  In  dieser  Form,  als  ein  zweimaliges 
tägliches  Brandopfer,  wird  das  tägliche  Opfer  auch  vom  Chronisten 
als  altherkömmlich  vorausgesetzt  (I  Chron.  16,  40.  II  Chron.  13, 11. 
31,  3).  Es  war  der  eigentliche  Kern-  und  Mittelpunkt  des  ganzen 
Opferkultus.  Seine  Darbringung  durfte  unter  keinen  Umständen 
unterlassen  werden.  Als  im  Jahre  70  Jerusalem  längst  von  den 
Römern  eingeschlossen  war  und  die  Hungersnot  schon  aufs  höchste 
gestiegen  war,  wurde  doch  noch  regelmäßig  das  tägliche  Opfer 
dargebracht;  und  es  galt  als  einer  der  schwersten  Schläge,  als  es 
endlich  am  17.  Tammus  eingestellt  werden  mußte 28. 

Die  genaueren  Bestimmungen  des  Priesterkodex  über  das  Tamid 


12,  11.  Mischna  Pesachim  V,  1.  Joma  VII,  3.    Taanüh  IV,  6.  Menachoth  IV,  4. 
Der  ganze  Traktat  Tamid  hat  hiernach  seinen  Namen. 

26)  Vgl.  zum  Folgenden:  Kuenen,  De  r/odsdienst  van  JsraelU,  270 — 272. 
Wellhausen,  Geschichte  Israels  I,  81 — 82  =  Prolegomena  zur  Gesch.  Israels 
5.  Ausg.  S.  78  f.  Eeuss,  Uhistoire  sainte  et  la  loi  (Iai  Bible,  Anden  Testament, 
P.  III)  I,  262.  Smend,  Exeget.  Handbuch  zu  Ezechiel  S.  381  f.  —  Die  Gegen- 
bemerkungen  Dillmanns  (Exeget.  Handb.  zu  Exodus  und  Leviticus  S.  31 3 f.) 
können  den  klar  vorliegenden  Tatbestand  nicht  erschüttern. 

27)  Auch  noch  in  der  Mischna  ist  die  Zeit  der  Mincha  (des  Speisopfers) 
soviel  wie  nachmittags,  z.  B.  Berachoth  IV,  1.  Pesachim  X,  1.  Bosch  haschana 
IV,  4.    Megüla  III,  6.  IV,  1. 

28)  Joseph.  Bell.  Jud.  VI,  2,  1.  Mischna  Taanüh  IV,  6.  —  Auch  in  der 
Verfolgungszeit  unter  Antiochus  Epiphanes  wurde  die  Abschaffung  des  Tamid 
als  das  ärgste  Übel  angesehen  (Daniel  8,  11 — 13.  11,  31.  12,  11). 


[289.  290]  IV.  Der  tägliche  Kultus.  347 

sind  folgende  (Exod.  29,  38-42.  Num.  28,  3— 8)29.  Sowohl  morgens 
als  abends  wurde  als  Brandopfer  je  ein  einjähriges  männliches 
fehlerloses  Lamm  geopfert,  bei  dessen  Darbringung  die  allgemeinen 
Bestimmungen  über  das  Brandopfer  überhaupt,  namentlich  Lev.  1, 
10 — 13  und  6,  1—6  zu  beobachten  waren.  Gleichzeitig  mußte 
jedesmal  auch  ein  Speisopfer  und  ein  Trankopfer  dargebracht 
werden,  wie  der  Priesterkodex  überhaupt  für  alle  Brandopfer  eine 
solche  Zugabe  von  Speisopfer  und  Trankopfer  vorschreibt  (Num.  15,  | 
1 — 16).  Bei  einem  Lamm  bestand  das  Speisopfer  aus  einem  Zehntel 
Epha  feinen  Mehles  (nbb),  welches  mit  einem  Viertel  Hin  feinen 
Öles  vermengt  wurde  (b^ba,  also  nicht  gebacken);  das  Trankopfer 
bestand  aus  eifern  Viertel  Hin  Weines.  Die  Zeit  für  die  Dar- 
bringung des  Morgenopfers  war  früh  bei  Tagesanbruch;  die  für 
das  Abendopfer  nach  den  biblischen  Bestimmungen  D?2n?n  *pa, 
d.  h.  im  Abendzwielicht;  später  war  es  üblich  geworden,  das  Abend- 
opfer schon  nachmittags  darzubringen,  nach  unserer  Stundenzählung 
ungefähr  um  drei  Uhr30. 

In  Verbindung  mit  dem  täglichen  Brandopfer  der  Gemeinde 
wurde  stets  auch  das  tägliche  Speisopfer  des  Hohenpriesters 
dargebracht.  Nach  Lev.  6,  12—16  mußte  nämlich  der  Hohepriester 
täglich  (Tttn)31  morgens  und  abends  ein  Speisopfer  darbringen, 


29)  Vgl.   auch  Light foot,   Ministerium  templi  c.  IX  (Opp.  I,  716 — 722). 

—  Lundius,  Die  alten  jüdischen  fleiligthümer  B.  V,  Kap.  1 — 2.  —  Winer 
RWß.  Art.  „Morgen-  und  Abendopfer".  —  Keil,  Handb.  der  bibl.  Archäologie 
(2.  Aufl.  1875)  S.  373  f.  —  Haneberg,  Die  religiösen  Alterthümer  S.  604— 609. 

—  Hamburger,  Real-Enz.  Supplementbd.  III,  1892,  8. 106  ff.  (Art.  „Tempel- 
gottesdienst"). —  Das  Genauere  im  Traktat  Tamid,  vgl.  unten  Anm.  42. 

30)  Philo  und  Josephus  geben  an  den  Hauptstellen,  wo  sie  vom  Tamid 
sprechen,  nur  die  biblischen  Zeitbestimmungen  wieder  (Philot  De  victimis  §  3: 
Ka&'  hxdcxrjv  fih>  ovv  ^fxigav  ovo  dfzvovg  dvdyeiv  dulprjvai,  xbv  fxhv  a/ua 
xjj  iip,  xbv  öh  öelXrjg  han^Qaq.  Joseph.  Antt.  III,  10,  1:  ix  6h  xov  örjfxoalov 
dvaXwfiaxoq  vdfioq  iaxlv  agva  xa&*  hxdaxrp  tj/utgav  ccpa^eo&ai  x&v  avxoexibv 
aQXOfiivriq  xe  tifi&Qaq  xal  XijyovOTjq).  Die  wirkliche  Praxis  der  späteren 
Zeit  erhellt  aus  Antt.  XIV,  4,  3:  tilg  xfjq  tifitgaq,  ngtal  xe  xal  tibqI  ivdxijv 
wqccv,  leQOVQyovvxiov  inl  xov  ßcjfiov.  Hiermit  stimmt  genau  die  Angabe  der 
Mischna  Pesachim  V,  1,  daß  das  Abendopfer  gewöhnlich  um  84/a  Uhr  ge- 
schlachtet und  um  9l/2  Uhr  dargebracht  wurde  (also  nach  unserer  Stunden- 
zählung um  2V2  und  3*/2  Uhr  nachmittags).  Vgl.  auch  Jos.  contra  Apion,  II,  8 
(ed.  Niese  §  105):  mane  etiam  aperto  templo  oportebat  facientes  traditas  hostias 
introire  et  meridie  rursus  dum  clauderetur  templum.  Daher  pflegte  man  auch 
um  die  neunte  Stunde  in  den  Tempel  zum  Gebet  zu  gehen  und  überhaupt 
zu  beten  (Apgesch.  3,  1.  10,  3.  30).  S.  überh.:  Herzfeld,  Geschichte  des 
Volkes  Jisfael  III,  184  f. 

31)  Die  Worte  „am  Tage  seiner  Salbung"  Lev.  6, 13  sind  damit  nicht  zu 
vereinigen;  das  eine  oder  das  andere  ist  ein  späterer  Zusatz.    S.  Dillmann, 


1 


348  §  24.   Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [290.  29 1J 

welches  von  dem  Speisopfer  der  Gemeinde,  das  die  Zugabe  zum 
Brandopfer  bildete,  sowohl  nach  der  Quantität,  als  nach  der  Art 
der  Zubereitung  verschieden  war.  Es  bestand  im  ganzen  nur  aus 
einem  Zehntel  Epha  Mehl,  von  welchem  die  Hälfte  morgens  und 
die  Hälfte  abends  dargebracht  wurde;  und  es  wurde  nicht  nur  mit 
Öl  |  vermengt,  sondern,  nachdem  dies  geschehen  war,  auf  einer 
flachen  Pfanne  (nnm?)  gebacken;  die  fertigen  Kuchen  wurden  in 
Stücke  gebrochen,  mit  Ol  Übergossen  und  so  dargebracht  {Leo.  6, 
14  vgl.  mit  Lev.  2,  5— 6)32.  Wegen  der  Art  seiner  Zubereitung 
heißt  es  in  der  späteren  Zeit  schlechthin  Dwan,  „das  Gebackene 
(die  Kuchen)",  und  kommt  unter  diesem  Namen  direkt  oder  in- 
direkt schon  beim  Chronisten33  und  dann  namentlich  in  der  Mischna 
vor34.  —  Da  die  Darbringung  dieses  Opfers  Pflicht  des  Hohen- 
priesters war,  kann  man  allerdings  von  einem  täglichen  Opfer 
desselben  sprechen35.    Allein  der  Hohepriester  ist  dabei  der  Dar- 


Exegetisches  Handb.  zu  Exodus  und  Leviticus  8.  442.  Baentsch,  Exodus- 
Leviticus -Numeri,  zu  Lev.  6,  12.  —  Die  jüdische  und  christliche  Exegese  hat 
den  Widerspruch ,  der  in  der  Stelle  liegt,  auf  verschiedene  Weise  zu  heben 
gesucht.  S.  überhaupt  Franke  1,  Über  den  Einfluß  der  palästinischen  Exegese 
auf  d;e  alexandrinische  Hermeneutik  (1851)  S.  143  f.  Lundius,  Die  alten 
jüdischen  Heiligthümer  B.  III,  Kap.  9.  Thalhof  er,  Die  unblutigen  Opfer  des 
mosaischen  Cultes  (1848)  S.  139—151.  Kurtz,  Der  alttestamentliche  Opfer- 
cultus  (1862)  S.  302—305.  Merx  in  Hilgenfelds  Zeitschr.  für  wissenschaftl. 
Theologie  1863,  8.  55—63.  Ho  ff  mann,  Magazin  für  die  Wissensch.  des 
Judenth.  IV.  Jahrg.  1877,  8.  5—16.  Olitzki,  Flavius  Josephus  und  die  Ha- 
lacha  1.  TL  1885,  8.  57  f. 

32  Über  die  Zubereitung  vgl.  auch  Philo,  De  victimis  §  15.  Joseph.  Antt. 
III,  10,  7.  ALenachoth  XI,  3.  Es  fand  dabei  statt  T\&\  (Kneten)  und  n;BK 
(Backen).  —  Lundius,  Die  alten  jüd.  Heiligthümer  B.  IH,  Kap.  39,  Nr.  51—61. 
Thal  hofer,  Die  unblutigen  Opfer  S.  151  ff. 

33)  I  Chron.  9,  31.  Die  LXX  erklären  hier  O^MHn  nterq  geradezu  durch 
tä  BQya  rrfg  övoiaq  xov  xrjyavov  xov  fieydXov  Isq^üx;.  So  auch  Gesenius, 
Thesaurus  s.  v.  O^nnn.  Wahrscheinlich  meint  aber  der  Chronist  doch  nicht 
nur  das  Speisopfer  des  Hohenpriesters,  sondern  das  gebackene  Speisopfer 
überhaupt 

34)  Tamid  I,  3.  III,  1.  IV  fin.  Joma  II,  3.  HI,  4.  Menachoth  IV,  5.  XI,  3. 
Middoth  I,  4.  —  Aus  Tamid  HI,  1;  IV  fin.;  Joma  n,  3  erhellt,  daß  das  hohe- 
priesterliche Speisopfer  zwischen  dem  Speisopfer  der  Gemeinde  und  dem 
Trankopfer  dargebracht  wurde.  Vgl.  überhaupt  unten  die  ausführliche  Be- 
schreibung des  taglichen  Gottesdienstes  nach  Traktat  Tamid. 

35)  Jesus  Sirach  45,  14:  „Sein  Mehlopfer  wird  ganz  verbrannt,  alltaglich 
als  ständiges  zweimal".  —  Philo,  De  specialibus  legibus  II  §  23  (Mang.  II, 
321):  ei%a<;  6h  xal  &vo(aq  xeXCov  xa&y  kxdoxipf  ^fiigav.  —  Auch  die  bekannte 
Stelle  im  Hebräerbrief  (Ebr.  7,  27)  ist  wohl  von  hier  aus  zu  erklären;  nur  ist 
freilich  dieses  tägliche  Speisopfer  des  Hohenpriesters  kein  Sündopfer,  wie  es 
nach  dem  Hebräerbrief  scheinen  könnte.  —  Über  einige  talmudische  Stellen, 


[291.  292]  IV.  Der  tagliche  Kultus.  349 

bringende  nur  in  dem  Sinne,  in  welchem  bei  dem  täglichen  Brand- 
opfer die  Gemeinde  die  darbringende  ist,  d.  h.  er  hat  es  in  seinem 
Namen  und  auf  seine  Kosten  darbringen  zu  lassen36;  keineswegs  ist 
aber  nötig,  daß  er  dabei  selbst  fungiert.  Aus  Josephus  wissen  wir, 
daß  der  Hohepriester  in  der  Regel  an  den  Sabbaten  und  Festtagen 
fungierte  (s.  oben  S.  319  Anm.  4).  An  den  übrigen  Tagen  wurde  das 
Speisopfer  des  Hohenpriesters  so  gut  wie  die  Opfer  der  Gemeinde 
von  den  eben  im  Dienst  befindlichen  Priestern  dargebracht:  |  wenn 
die  einzelnen  Verrichtungen  des  Tagesdienstes  verlost  wurden, 
wurde  immer  auch  darüber  gelost,  wer  die  TWnn,  d.  h.  das  Speis- 
opfer des  Hohenpriesters,  darzubringen  habe37.  Ja  —  da  im  Gesetz 
dieses  Opfer  als  ein  Opfer  „Aarons  und  seiner  Söhne"  bezeichnet 
ist  {Leo.  6, 13),  so  konnte  es  auch  aufgefaßt  werden  als  ein  Opfer, 
welches  die  Priester  für  sich  darbringen38. 

Außer  der  Darbringung  dieser  Opfer  gehörte  zu  dem  täglichen 
Dienste  der  Priester  auch  die  Bedienung  des  Räucheraltares 
und  des  Leuchters  im  Innern  des  Tempels.  Auf  dem  Räucher- 
altar mußte  sowohl  morgens  als  abends  ein  Räucheropfer  dar- 
gebracht werden  (Exod.  30,  7—8);  und  zwar  mußte  des  Morgens 


an  welchen  scheinbar  oder  wirklich  von  einem  täglichen  Opfern   des  Hohen- 
priesters die  Rede  ist,  s.  Herzfeld,  Gesch.  des  Volkes  Jisrael  II,  140  f. 

36)  Joseph.  Antt.  III,  10,  7:  &vei  rf'  6  leQSvg  (=  der  Hohepriester)  ix 
z(bv  16  lo)  v  dvaXcD/udzajv,  xal  ölg  kxdavtjg  tjfiioag  zovzo  noiet,  aXevgov 
iXaia)  fiefJLayiihov  xal  nsnrjybg  dnzrfoei  ßoaxetq'  xal  slg  fiiv  ioztv  doodowv 
zov  dlevoov,  zovzov  6h  zb  fthv  rj/uov  tiqqä  zb  ö*  ersgov  deiXijg  inuptoei  zG> 
tcvqL  —  Wenn  ein  Hoherpriester  starb,  so  mußte  bis  zum  Amtsantritt  des 
Nachfolgers  das  Speisopfer  auf  Kosten  der  Gemeinde  dargebracht  werden, 
nach  R.  Juda  auf  Kosten  der  Erben  (Schekalim  VII,  6). 

37)  Tamid  III,  1.  IV  fin.  Joma  II,  3.  —  Genau  genommen  ist  an  diesen 
Stellen  allerdings  nicht  von  der  eigentlichen  Opferung  die  Rede,  sondern  nur 
von  dem  Hinbringen  der  Opferbestandteile  an  den  Aufgang  zum  Altar.  Allein 
nach  Tamid  V,  2,  Joma  II,  4 — 5  wurde  auch  für  die  eigentliche  Opferung  (das 
Hinaufbringen  auf  den  Altar)  wieder  dieselbe  Zahl  von  Priestern  bestimmt 
wie  für  das  Hinbringen  zum  Altar,  nämlich  neun,  entsprechend  den  neun  Opfer- 
bestandteilen ,  unter  welchen  eben  an  den  zuerst  genannten  Stellen  (Tamid 
III,  1.  IV  fin.  Joma  II,  3)  die  "pn^an  ausdrücklich  erwähnt  werden.  Es  kann 
also  kein  Zweifel  sein,  daß  auch  die  eigentliche  Opferung  der  "prvnn  in  der 
Regel  durch  einen  gemeinen  Priester  vollzogen  wurde. 

38)  Philo,  Quis  verum  div.  heres  §  36  (Man//.  I,  497):  \4XXd  xal  zag  iv- 
öeXexstg  &volag  boag  elg  Xaa  öigorifiivagj  fjv  ze  vtieq  avzibv  dvdyovoiv  ol 
leQetg  öiä  zrjg  asitiödXeioq,  xal  ztyv  viihg  zov  %&vovg  zCbv  dvotv  dfxvtbv, 
o$g  äva<pigeiv  dielojjzai.  —  De  victimü  §  15  (ed.  Mangey  II,  250):  SefiiSaXig 
yäo  %  ivöeXsx^g  avzibv  dvala  fiizgov  Xegov  zb  dixazov  xa&*  kxdozrjv  fjfiioav, 
ov  zb  fihv  fjfiiov  TiQWtag,  zb  öh  tfftiov  SeiXrjq  7tooodyezai  zayr]vio9hv  iv  iXaUo, 
fxriöevbq  elg  ßowoiv  %)7ioXei<p&£vzog. 


350  §  24.   Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [292.  293] 

das  Räucheropfer  dem  Brandopfer  vorangehen,  des  Abends  aber 
ihm  nachfolgen,  so  daß  das  tägliche  Brandopfer  von  der  Dar- 
bringung des  Räucheropfers  gleichsam  umrahmt  war39.  —  Auch 
der  Leuchter  mußte  jeden  Morgen  und  Abend  bedient  werden. 
Morgens  wurden  die  Lampen  gereinigt  und  mit  neuem  Öl  ver- 
sehen, wobei  man  für  den  Tag  eine  oder  mehrere  (nach  Josephus: 
drei)  Lampen  brennen  ließ.  Abends  wurden  auch  die  übrigen 
Lampen  angezündet,  da  während  der  Nacht  alle  sieben  brennen  | 
sollten  (s.  bes.  Exod.  30,  7—8.  II  Chron.  13,  11;  und  überh.  oben 
S.  342  f.). 

Zu  der  Schönheit  der  Gottesdienste  des  Herrn  gehörte  endlich 
auch  Musik  und  Gesang.  Wenn  das  Brandopfer  dargebracht 
war,  fielen  die  Leviten  mit  Gesang  und  Saitenspiel  ein,  und  zwei 
Priester  bliesen  mit  silbernen  Trompeten  (II  Chron.  29,  26—28. 
Num.  10, 1.  2.  10).  Während  dessen  war  auch  das  Volk  im  Tempel 
zum  Gebet  versammelt.  So  oft  die  Priester  bei  den  Abschnitten 
des  Gesanges  in  die  Trompeten  stießen,  warf  das  Volk  sich  zur 
Anbetung  nieder40.  Für  den  Gesang  der  Leviten  war  für  jeden 
Tag  der  Woche  je  ein  Psalm  bestimmt,  und  zwar  für  Sonntag 


39)  Philo,  De  victimia  §  3  (Mangey  11,  239):  61g  öe  xa&*  kxdaxrjv  ^(xegav 
ini^vfuätai  xd  ndvxiov  eiwöiaxaxa  dvfjtiafzdxoov  efo<o  xov  xaxanBxdafxaxoq, 
ävioxovros  %Xiov  xal  dvopivov,  ngö  xe  xrjq  hw&ivrjs  bvaiaq.  xal  fiexk 
xfjv  haneQiv^v.  —  De  victimas  offerentibus  §  4  (Mang,  II,  254):  oi  yäg 
itpiezcu  xijV  oXdxavxov  bvolav  ?§a>  nQooayayelv,  tcqIv  evöov  nepl  ßa&vv  8q- 
9qov  im&vfjiidocu.  —  Noch  genauer  ist  die  Angabe  der  Mischna  Joma  111,5: 
„Die  Morgen-Räucherung  fand  statt  zwischen  dem  Blutsprengen  und  der 
Opferung  der  Glieder;  die  Abend-Räucherung  zwischen  der  Opferung  der 
Glieder  und  den  Trankopfern". 

40)  Über  die  Versammlung  des  Volkes  zum  Gebet  im  Tempel  8.  Lue. 
1,  10.  Actor.  3,  1.  Das  Genauere  nach  Traktat  Tamid  s.  weiter  unten.  — 
Ganz  verkehrt  ist  die  auf  Mißverständnis  von  Act  2,  15.  3,  1.  10,  3.  9.  30  be- 
ruhende Meinung,  daß  je  um  die  dritte,  sechste  und  neunte  Stunde  (also  nach 
unserer  Zählung  um  9,  12  und  3  Uhr)  eine  ständige  Gebetszeit  gewesen  sei 
(so  z.  B.  Schoettgen,  Horae  hebr.  I,  418.  Winer  RWB.  I,  398.  De  Wette 
zu  Act  2,  15.  Meyer  zu  Act.  3,  1).  Die  wirklichen  drei  Gebetszeiten  waren 
vielmehr:  1)  früh  morgens  zur  Zeit  des  Morgenopfers,  2)  nachmittags  um  die 
neunte  Stunde  (3  Uhr)  zur  Zeit  des  Abendopfers,  3)  abends  zur  Zeit  von 
Sonnenuntergang.  S.  Berachoth  I,  1  ff.  IV,  1.  Maimonides,  Hilchoth  TephiUa 
c.l—lll  (Petersburger  Übersetzung  I,  257  ff.).  Herzfeld,  Geschichte  des 
Volkes  Jisrael  III,  183  ff.  Hamburger,  Real-Enz.  für  Bibel  und  Talmud, 
IL  Abt.  Artikel  „Morgengebet",  „Minchagebet",  ,,Abend gebet".  Delitzsch, 
Zeitschr.  für  luth.  TheoL  1877,  S.  0.  —  Über  die  christlichen  Gebetszeiten  8. 
Harnacks  Anmerkung  zu  diöatf  VIII,  3  (Texte  und  Untersuchungen  H, 
1-2,  S.  27). 


[293.  294]  IV.  Der  tagliche  Kultus.  351 

Ps.  24,  Montag  Ps.  48,  Dienstag  Ps.  82,  Mittwoch  Ps.  94,  Donnerstag 
Ps.  81,  Freitag  Ps.  93,  Sabbat  Ps.  92 4I.  | 

In  der  hier  beschriebenen  Form  wird  der  Tempelgottesdienst 
schon  vom  Siraciden  mit  Begeisterung  geschildert  (Sirach  50, 11—21). 
Eine  sehr  detaillierte,  offenbar  auf  guter  Überlieferung  ruhende 
Schilderung  des  Morgengottesdienstes  gibt  die  Mischna  im  Traktat 
Tamid,  dessen  wesentlicher  Inhalt  hier  zur  Ergänzung  des  Bis- 
herigen noch  folgen  möge42. 


41)  Tamid  Yllfin.  Dazu  Lundius,  Die  alten  jüdischen  Heiligthümer 
Buch  IV,  Kap.  5,  Nr.  25.  Herzfeld,  Geschichte  des  Volkes  Jisrael  III,  163 f. 
Grätz,  Die  Tempelpsalmen  (Mouatsschr.  f.  Gesch.  und  Wisseusch.  des  Ju- 
den th.  1878,  S.  217—222).  Delitzschs  Kommentar  zu  den  Psalmen.  Büch- 
ler,  Zum  Vortrage  und  Umfange  der  Tempelpsalmen  (Zeitschr.  für  die  alttest. 
Wissensch.  1900,  S.  97 — 114)  [sucht  zu  zeigen,  daß  nicht  alle  Psalmen  voll- 
ständig gesungen  wurden].  —  Bei  fünf  dieser  Psalmen  ist  die  Bestimmung  für 
den  betreffenden  Tag  auch  in  den  Überschriften  der  LXX  richtig  angegeben, 
Ps.  24  (23):  xrjq  wäg  oaßßäxov,  Ps.  48  (47):  öevxioq  oaßßäxov,  Ps.  94  (93): 
xexgdSi  oaßßäzov,  Ps.  93  (92):  elg  xtjv  fipigav  xov  noooaßßäiov,  Sxs  xaxtp- 
xiozai  ^  yf}}  Ps.  92  (91):  slg  x^v  tjfiioav  xov  oaßßäzov.  Dazu  kommt  Vet.  Lot. 
Ps.  81:  quinta  Sabbati,  was  auch  aus  griechischer  Vorlage  stammen  muß. 
Beim  Sabbatpsalm  ist  die  Angabe  auch  in  den  masorethischen  Text  einge- 
drungen. —  Für  die  Wahl  der  Psalmen  soll  nach  jüdischer  Ansicht  die 
Parallele  mit  den  sechs  Schöpfungstagen  maßgebend  gewesen  sein  (s.  Bosch 
fiaschana  31»,  Sopherim  XVIII,  1,  die  Kommentare  von  Bartenora  und  Mai- 
monides  in  Surenhusius*  Mischna -Ausgabe  V,  310).  Allein  eine  solche 
Parallele  ist  bei  den  meisten  der  Psalmen  schlechterdings  nicht  zu  entdecken. 
Man  ist  auf  jene  Meinung  offenbar  deshalb  gekommen,  weil  allerdings  die 
Schriftlektion  der  Standmänner  (s.  über  diese  oben  S.  338)  in  der  Weise  ge- 
ordnet war,  daß  im  Laufe  der  Woche  die  ganze  Schöpfungsgeschichte  sukzessive 
zur  Vorlesung  kam  (Taanith  IV,  3:  am  ersten  Wochentag  las  man  das  1.  und 
2.  Tagewerk,  am  zweiten  Wochentag  das  2.  und  3.  Tagewerk  u.  s.  fJ.  —  Außer 
den  Wochenpsalmen  wurden  selbstverständlich  auch  noch  viele  andere  bei  den 
verschiedensten  Anlässen  im  Tempel  gebraucht.  So  wurde  z.  B.  an  den 
hohen  Festtagen  immer  das  sogenannte  Hallel  gesungen,  d.  h.  nach 
gewöhnlicher  Ansicht  Ps.  113 — 118;  doch  ist  die  Überlieferung  darüber,  was 
unter  dem  Hallel  zu  verstehen  sei,  schwankend,  s.  Buxtorf,  Lex.  Chald. 
coL  G13— 616  (s.  v.  bbn).  Light foot,  Eorae  Hebr.  zu  Luc.  13,  35  (Opp.  II, 
538  sq.).  Lundius  zu  Taanith  111,  9  (in  Surenhusius'  Mischna  II,  377).  Grätz, 
Monatsschr.  1879,  S.  202 ff.  241  ff.  Levy,  Neuhebr.  Wörterb.  s.  v.  bbn.  Ham- 
burger, Real-Enz.  für  Bibel  und  Talmud,  II.  Abth.  Art.  „Hallel".  King, 
The  Hallel  (The  Expositor  1889,  Febr.  p.  121—135).  Büchler,  Die  Hallel- 
psalmen im  Tempel  (Zeitschr.  für  die  alttest.  Wissensch.  1900,  S.  114—135). 
L.  Cohen,  Art.  Hallet  in:  The  Jeirish  Encyclopedia  VI,  176—178. 

42)  Der  Traktat  steht  in  Surenhusius'  Mischna- Ausgabe  Bd.  V,  S.  284—310; 
und  bei  Ugolini,  Thesaurus  t.  XIX,  col.  1467—1502.  Die  Hauptstellen  nebst 
sonstigem  Material  auch  bei  Ugolini,  Thes.  XIII,  942—1055.  Eine  gute  Se- 
pa rat- Ausgabe  (ebenfalls,  wie  die  bisher  genannten,  mit  lat.  Übers,  und  An- 
merkungen) ist:    Tractatus  Talmudicus  de  cultu   quotidiano   templi,   quem  ver- 


352  §  24.   Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [294.  295] 

Die  diensttuenden  Priester  schliefen  in  einem  Gemach  des 
inneren  Vorhofes.  Am  frühen  Morgen,  noch  ehe  der  Tag  anbrach, 
kam  der  Beamte,  welcher  die  Verlosung  der  Dienstgeschäfte  zu 
leiten  hatte,  und  ließ  zunächst  losen,  wer  die  Reinigung  des  Brand- 
opferaltares von  der  Asche  zu  besorgen  habe.  Diejenigen,  welche 
dies  zu  tun  wünschten,  mußten  schon  vor  Ankunft  des  Beamten 
das  vorgeschriebene  Tauchbad  genommen  haben.  Unter  ihnen  wurde 
dann  einer  durchs  Los  für  jenes  Geschäft  bestimmt.  Derselbe  ging 
sofort  noch  in  der  Dunkelheit,  nur  beim  Scheine  des  Altarfeuers, 
an  seine  Verrichtung.  Er  wusch  sich  Häöde  und  Füße  an  dem 
ehernen  Waschbecken,  das  zwischen  Tempel  und  Altar  stand,  stieg 
auf  den  Altar  und  räumte  mit  einer  silbernen  Pfanne  die  Asche 
weg.  Während  er  dies  tat,  gingen  auch  die  Verfertiger  des  ge- 
backenen  Speisopfers  (des  Hohenpriesters)  an  ihr  Geschäft43.  — 
Nun  wurde  frisches  Holz  auf  den  Altar  gebracht,  und  während 
dieses  brannte,  gingen  die  Priester,  nachdem  sie  alle  sich  auch 
Hände  und  Füße  am  Waschbecken  gewaschen  hatten,  hinab  in  die  | 
lischkath  ha-gasith  (s.  über  diese  oben  S.  263  f.),  wo  die  weitere  Ver- 
losung stattfand44. 

Der  Beamte  ließ  nun  losen,  1)  wer  schlachten  solle,  2)  wer 
das  Blut  an  den  Altar  sprengen,  3)  wer  den  inneren  Altar  von 
der  Asche  reinigen,  4)  wer  den  Leuchter  reinigen,  ferner:  wer  die 
Stücke  des  Schlachtopfers  an  den  Aufgang  zum  Altar  hinbringen 
solle,  nämlich  wer  5)  den  Kopf  und  den  einen  Hinterfuß,  6)  die 
beiden  Vorderfüße,  7)  den  Schwanz  und  den  anderen  Hinterfuß, 
8)  die  Brust  und  das  Halsstück,  9)  die  beiden  Seiten,  10)  die  Ein- 
geweide, 11)  wer  das  Mehlopfer  hinbringen  solle,  12)  wer  das  ge- 
backene  Speisopfer  (des  Hohenpriesters),  13)  wer  den  Wein45.  — 
Man  ging  nun  hinaus  und  sah,  ob  der  Tag  schon  anbreche.  So- 
bald die  Morgenröte  am  Himmel  stand,  holte  man  ein  Lamm  aus 
der  Lämmerkammer  und  die  93  Dienstgeräte  aus  der  Geräte- 
kammer. Das  Lamm,  das  zum  Opfer  bestimmt  war,  wurde  noch 
aus  einem  goldenen  Becher  getränkt  und  dann  zur  Schlachtstätte 
nördlich  vom  Altar  geführt46. 

Inzwischen  gingen  die  beiden,  welche  den  Räucheraltar  und 
den  Leuchter  zu  reinigen  hatten,  nach  dem  Tempel,  ersterer  mit 


sione  Latina  donatum  et  notis  illustratum  .  .  .  sub  praesidio  Dn.  Oonradi 
Ikenii  patrui  sui  .  .  .  eruditorum  examini  sufyicit  auctor  Conradus  Iken, 
Bremae  1736. 

43)  Tamid  I,  1-4.    Vgl.  Joma  I,  8.  II,  1—2. 

44)  Tamid  II,  1—5. 

45)  Tamid  III,  1.   Joma  II,  3. 

46)  Tamid  III,  2—5.    Vgl.  Joma  III,  1—2. 


[295.  296]  IV.  Der  tägliche  Kultus.  353 

einem  goldenen  Eimer  (^tt),  letzterer  mit  einem  goldenen  Krug 
(tt3).  Sie  öffneten  das  große  Tor  des  Tempels,  traten  ein  und  be- 
sorgten das  Beinigen  des  Räucheraltares  und  des  Leuchters;  letz- 
teres geschah  jedoch  in  der  Art,  daß  die  zwei  östlichsten  Lampen, 
wenn  sie  noch  brannten,  zunächst  unberührt  blieben  und  nur  die 
fünf  übrigen  gereinigt  wurden.  Nur  für  den  Fall,  daß  die  zwei 
östlichsten  erloschen  waren,  mußten  sie  zuerst  gereinigt  und  wieder 
angezündet  werden,  ehe  das  Reinigen  der  übrigen  erfolgte.  Die 
Geräte,  welche  die  beiden  Priester  beim  Reinigen  gebraucht  hatten, 
ließen  sie  im  Tempel  zurück,  indem  sie  selbst  hinausgingen47. 

Während  jene  beiden  im  Tempel  beschäftigt  waren,  wurde 
von  dem  dazu  bestimmten  Priester  das  Lamm  an  der  Schlacht- 
stätte geschlachtet  und  von  einem  anderen  das  Blut  aufgefangen 
und  an  den  Altar  gesprengt  Darauf  wurde  dem  Lamm  die  Haut 
abgezogen,  und  es  in  einzelne  Stücke  zerlegt  Jeder  der  dazu 
bestimmten  Priester  erhielt  das  ihm  zukommende  Stück.  Die  Ein- 
geweide wurden  auf  marmornen  Tischen  an  der  Schlachtstätte 
gewaschen.  Im  ganzen  waren  es  sechs  Priester,  unter  welche 
die  einzelnen  Stücke  des  |  Tieres  verteilt  wurden.  Ein  siebenter 
hatte  das  Mehlopfer,  ein  achter  das  gebackene  Speisopfer  (des 
Hohenpriesters),  ein  neunter  den  Wein  zum  Trankopfer.  Dies 
alles  wurde  zunächst  auf  der  westlichen  Seite  des  Aufganges  zum 
Altar,  an  der  unteren  Hälfte  desselben  niedergelegt  und  mit  Salz 
versehen,  worauf  die  Priester  sich  wieder  in  die  lischkath  ha-gasith 
begaben,  um  das  Schma  zu  beten48. 

Nachdem  sie  das  Schma  gebetet  hatten,  wurde  abermals  gelost. 
Zunächst  wurde  unter  denen,  welche  noch  nie  das  Räucheropfer 
dargebracht  hatten,  einer  durchs  Los  für  dieses  bestimmt49.   Dann 


47)  Tamid  in,  6—9.  —  Zur  Auslegung  von  Tamid  UI,  6  vgl.  auch  Grätz, 
Monateschr.  1880,  S.  289  ff. 

48)  Tamid  IV,  1—3.  Über  die  Stelle,  wo  die  Stücke  niedergelegt  wur- 
den, s.  auch  Schekalim  VIII,  8.  Nach  Schekalim  VI,  4  befand  sich  zu  diesem 
Zweck  auf  der  westlichen  Seite  des  Aufgangs  zum  Altar  ein  marmorner  Tisch. 
—  Über  das  Salzen  der  Opferstücke  s.  Lev.  2,  13.  Exech.  43,  24.  Josephus 
Antt.  m,  9,  1.  Buch  der  Jubiläen  21, 11.  Testam.  XU  Patriarch.  Levidfm.: 
xal  näaav  bvolav  aXaxt  aXietg.  —  Nach  Lev.  2,  13  haben  auch  im  Ev.  Mord 
9,  49  viele  Handschriften  den  Zusatz  xal  näaa  dvola  aXl  ahoS-rjoezai.  Der 
Artikel  von  Ricci,  Le  sacrifice  sali  Mark.  9, 49  (Revue  archSol.  1902,  mai-juin 
p.  336 — 341)  schlägt  nur  eine  verkehrte  Textänderung  vor.  —  Der  Bedarf  an 
Salz  war  so  erheblich,  daß  sich  im  Tempel- Vorhof  eine  eigene  Salzkammer 
befand,  vgl.  oben  S.  324,  Anm.  27. 

49)  Die  Darbringung  des  Raucheropfers  galt  als  der  feierlichste  Moment 
der  ganzen  Opferhandlung.  S.  Philo,  De  victimas  offerentibus  §  4  (Mangey 
II,  254):   °Oo<p  yaQ,  olfiai,  U9wv  /ihv   äfjie(va>v  ZQvoöq,  rä  öh  iv  aövroit;  %Gw 

Schürer,  Geschichte  II.   4.  Aufl.  23 


354  §  24.   Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [296.  297] 

wurde  gelost,  wer  die  einzelnen  Bestandteile  des  Opfers  auf  den 
Altar  bringen  solle  (nach  R.  Elieser  ben  Jakob  taten  dies  dieselben, 
welche  die  Stücke  am  Aufgang  zum  Altar  niedergelegt  hatten). 
Diejenigen,  auf  welche  diesmal  kein  Los  fiel,  waren  nun  dienstfrei 
und  zogen  ihre  heiligen  Gewänder  aus60. 

Der  Priester,  welchem  die  Darbringung  des  Räucheropfers  zu- 
gefallen war,  nahm  nun  eine  mit  einem  Deckel  versehene  goldene 
Schale  (q?),  in  welcher  sich  wieder  eine  kleinere  Schale  OfTa)  mit 
dem  Räucherwerk  befand51.  Ein  anderer  Priester  holte  mit  einer 
silbernen  Pfanne  (nnntt)  Kohlen  vom  Brandopferaltar  und  schüttete 
dieselben  in  eine  goldene  Pfanne52.  —  Beide  gingen  dann  in  den 
Tempel.  Der  eine  schüttete  die  Kohlen  aus  seiner  Pfanne  auf  den 
Räucheraltar,  warf  sich  zur  Anbetung  nieder  und  ging  hinaus. 
Der  andere  nahm  die  kleine  Schale  mit  dem  Räucherwerk  aus 
der  |  größeren  Schale,  übergab  letztere  einem  dritten  Priester  und 
schüttete  das  Räucherwerk  aus  der  Schale  auf  die  Kohlen  des 
Altares,  so  daß  es  in  Rauch  aufging.  Darauf  warf  er  sich  eben- 
falls zur  Anbetung  nieder  und  ging  hinaus.  Schon  vor  ihnen 
waren  die  beiden,  welche  das  Reinigen  des  Räucheraltares  und  des 
Leuchters  besorgt  hatten,  ebenfalls  wieder  hineingegangen;  ersterer 
nur  um  sein  Gerät  (den  *w)  zu  holen;  letzterer  ebenfalls  um  sein 
Gerät  (den  Tis)  zu  holen,  zugleich  aber  auch  um  von  den  zwei 
noch  nicht  gereinigten  Lampen  die  östliche  zu  reinigen,  während 
man  die  andere  brennen  ließ,  um  von  ihr  am  Abend  die  übrigen 
anzuzünden.  War  sie  verloschen,  so  wurde  sie  ebenfalls  gereinigt 
und  vom  Feuer  des  Brandopferaltares  angezündet53. 

Die  fünf  Priester,  welche  im  Inneren  des  Tempels  beschäftigt 


ixzdg  ayiwTEQa,  xooovxtp  xqbIttwv  f)  Siä  zCbv  £7ti&vtA,iü)fJi£vQ)v  ei>za' 
QiQxla  xrjq  öia.  tu>v  £vaif*a>v.  Daher  werden  den  Priestern  namentlich 
während  sie  das  Räucheropfer  darbringen,  Offenbarungen  zuteil;  so  dem 
Johannes  Hyrkan  (Jos.  Antt.  XIII,  10,  3)  und  dem  Zacharias  (Ev.  Luc.  1, 
9—20). 

50)  Tamid  V,  1—3.    Vgl.  Joma  II,  4—5. 

51)  Daß  der  Deckel  nicht  zum  ^rn,  sondern  zum  Cp  gehörte,  sieht  man 
aus  Tamid  VII,  2;  sowie  auch  daraus,  daß  die  Möglichkeit  vorausgesetzt  wird, 
daß  aus  dem  vollgefüllten  ^tn  etwas  in  das  cp  fallt,  Tamid  VI,  3. 

52)  Tamid  V,  4—5.  —  Über  die  silberne  und  goldene  Kohlenpfanne  und 
über  das  Räucherwerk  vgl.  auch  Joma  IV,  4. 

53)  Tamid  VI,  1 — 3.  —  Nach  der  obigen  Darstellung  der  Mischna  hätte 
unter  Tags  nur  eine  von  den  sieben  Lampen  des  Leuchters  gebrannt,  näm- 
lich die  mittlere  von  den  drei  östlichen.  Nach  dem  in  diesem  Punkte  ge- 
wichtigeren Zeugnisse  des  Josephus  dagegen  brannten  unter  Tags  drei  Lampen. 
Ober  die  ganze  Streitfrage:  welche  und  wie  viel  Lampen  unter  Tags  brannten, 
s.  oben  S.  343. 


[297.  298]  IV.  Der  tagliche  Kultus.  355 

gewesen  waren,  traten  nun  mit  ihren  fünf  goldenen  Geräten  auf 
die  Stufen  vor  dem  Tempel  und  sprachen  den  priesterlichen  Segen 
(Num.  6,  22  ff.)  über  das  Volk,  wobei  der  Name  Gottes  nach  seinem 
Wortlaut  ausgesprochen  wurde  (also  mm,  nicht  wia)54- 

Jetzt  erst  erfolgte  die  Darbringung  des  Brandopfers,  indem 
die  hierzu  bestimmten  Priester  die  am  Aufgang  zum  Altar  liegenden 
Stücke  des  Opfertieres  aufnahmen  und,  nachdem  sie  die  Hände  | 
daraufgelegt  hatten,  auf  den  Altar  warfen55.  Wenn  der  Hohe- 
priester opfern  wollte,  ließ  er  sich  die  Stücke  von  den  Priestern 
geben  (vgl.  Sirach  50,  12),  legte  die  Hände  darauf  und  warf  sie  auf 
den  Altar.  Zuletzt  wurden  die  beiden  Speisopfer  (das  der  Gemeinde 
und  das  des  Hohenpriesters)  und  das  Trankopfer  dargebracht. 
Wenn  der  Priester  sich  zum  Ausgießen  des  Trankopfers  bückte, 
wurde  den  Leviten  ein  Zeichen  zum  Beginn  des  Gesanges  gegeben. 
Sie  fielen  mit  ihrem  Gesang  ein;  und  bei  jedem  Abschnitt  des  Ge- 
sanges bliesen  zwei  Priester  mit  silbernen  Trompeten;  und  bei 
jedem  Stoß  in  die  Trompeten  warf  sich  das  Volk  zur  Anbetung 
nieder56. 


54)  Tamid  VII,  2.  Vgl.  Sota  VII,  6  (im  Wortlaut  mitgeteilt  §  27  gegen 
Ende).  Außerhalb  des  Tempels  durfte  nach  den  angeführten  Stellen  der 
heilige  Name  auch  von  den  Priestern  nicht  ausgesprochen  werden.  Diesen 
Sachverhalt  setzt  offenbar  schon  Sirach  50,  20  voraus.  Übereinstimmend  hier- 
mit sagt  Philo,  daß  der  Name  Gottes  nur  im  Heiligtum  (§v  ayloiq)  gehört 
und  gesprochen  werden  dürfe  (Vita  Mosis  III,  11  ed.  Mang.  II,  152;  hierzu 
Frankel,  Über  den  Einfluß  der  palästinischen  Exegese  auf  die  alexandrinische 
Hermeneutik  1851,  S.  26.  Siegfried,  Philo  S.  203;  Ritter,  Philo  und  die  Ha- 
lacha  S.  131);  und  Josephus  erzählt,  daß  Moses  Gott  gebeten  habe,  er  möge 
ihm  auch  seinen  Namen  mitteilen,  damit  er  beim  Darbringen  des  Opfers 
ihn  mit  Namen  bitten  könne,  zugegen  zu  sein  (Antt.  II,  12,  4:  Iva  &vwv  ig 
dvöfxaxoq  aixöv  napeTvai  xotq  IsQsloiq  nagaxaXy.  Kai  6  9edq  abttp  arj^alvei 
xijv  iavxov  7iQOOTjyo(>lav).  —  Als  eine  besondere  Feierlichkeit  wird  es  be- 
zeichnet, wenn  der  Hohepriester  am  Versöhnungstage  beim  Sündenbekenntnis 
den  heiligen  Gottesnamen  aussprach  (Joma  VI,  2.  Tamid  III,  8).  —  Über  die 
Unaussprechlichkeit  desselben  s.  auch  Sanhedrin  X,  1.  Buxtorf,  Jjex.  Chald. 
8.  v.  fihö,  Oehler,  Art.  „Jehova"  in  Herzogs  Real-Eoz.  1.  Aufl.  VI,  455  ff. 
Geiger,  Urschrift  und  Übersetzungen  der  Bibel  S.  261  ff.  Leop.  Low,  Ge- 
sammelte Schriften  Bd.  1, 1889,  S.  187—212.  Dal  man,  Studien  zur  biblischen 
Theologie  1889,  S.  36-43.  Jacob,  Im  Namen  Gottes  1903,  S.  164—176. 
Bousset,  Die  Religion  des  Judentums  2.  Aufl.  1906,  S.  352—355. 

55)  Das  Werfen  erforderte  eine  besondere  Kunstfertigkeit,  die  schon  von 
Pseudo-Aristeas  gerühmt  wird,  ed.  Wendland  §  93. 

56)  Tamid  VII,  3.  Vgl.  Sirach  50,  11—21.  —  Der  Traktat  Tamid  ist 
gegen  Schluß  ziemlich  summarisch.  Er  beschreibt  die  Darbringung  des  Opfers 
nur  für  den  Fall,  daß  der  Hohepriester  selbst  opfern  will.  Auch  wird  die 
Darbringung  der  beiden  Speisopfer  gar  nicht  ausdrücklich  erwähnt.  Daß 
wir  sie  an  der  richtigen  Stelle   eingeschaltet  haben,   kann  nach   der  Reihen- 

23* 


356  §  24.   Die  Pri esterschaft  und  der  Tempelkultue.  [298.  299] 

Ganz  ähnlich  wie  der  hier  beschriebene  Morgengottesdienst 
verlief  auch  der  Abendgottesdienst.  Nur  wurde  bei  demselben 
das  Käucheropfer  nicht  vor,  sondern  nach  dem  Brandopfer  dar- 
gebracht; und  die  Lampen  des  Leuchters  wurden  am  Abend  nicht 
gereinigt,  sondern  angezündet  (s.  oben  S.  350). 

Diese  beiden  täglichen  Gemeindeopfer  bildeten  den  Grundstock 
aller  Kultushandlungen  im  Tempel.  Sie  wurden  in  der  beschriebenen 
Weise  auch  an  allen  Sabbaten  und  Festtagen  dargebracht. 
Das  Auszeichnende  der  Sabbate  und  Festtage  bestand  aber  darin, 
daß  an  demselben  zu  dem  gewöhnlichen  Tamid  noch  andere  Ge- 
meindeopfer hinzukamen.  Am  Sabbat  bestand  die  Zugabe  in  zwei 
einjährigen  männlichen  Lämmern,  die  als  Brandopfer  dargebracht 
wurden,  nebst  zwei  Zehnteln  Epha  feinen  Mehles  als  Speisopfer 
und  dem  entsprechenden  Quantum  Trankopfer.  Das  Sabbatopfer 
betrug  also  gerade  so  viel,  wie  das  tägliche  Morgen-  und  Abend- 
opfer zusammen57.  Noch  viel  größer  waren  die  Zugaben  an  den 
Festtagen.  Am  Passafest  z.  B.  wurden  während  der  sieben- 
tägigen Festzeit  täglich  als  Brandopfer  dargebracht:  zwei|Farren, 
ein  Widder,  sieben  Lämmer  nebst  entsprechenden  Speis-  und  Trank- 
opfern, und  dazu  noch  ein  Bock  als  Sündopfer  (Num.  28,  16—25); 
am  Wochenfest,  das  nur  einen  Tag  umfaßte,  dieselben  Opfer 
wie  an  jedem  Tage  des  Passafestes  (Num.  28,  26 — 31).  Am  Laub- 
hüttenfest, das  als  Schlußfest  der  Ernte  zu  besonderem  Danke 
verpflichtete,  war  die  Zahl  der  Opfer  noch  viel  größer.  Es  wurden 
dargebracht  am  ersten  Tage  des  Festes  als  Brandopfer  dreizehn 
Farren,  zwei  Widder  und  vierzehn  Lämmer,  nebst  entsprechenden 
Speis-  und  Trankopfern,  und  dazu  noch  ein  Bock  als  Sündopfer; 
an  jedem  der  folgenden  sechs  Festtage  dieselben  Opfer,  nur  an 
jedem  folgenden  Tage  immer  ein  Farre  weniger  als  an  dem  vor- 


folge, in  welcher  sie  sonst  (Tamid  III,  1.  IV  fin.)  erwähnt  werden,  nicht 
zweifelhaft  sein.  Das  Speisopfer  des  Hohenpriesters  ist  also  nicht,  wie  es 
nach  Ebr.  7,  27  scheinen  könnte,  vor  dem  Gemeindeopfer,  sondern  nach  dem- 
selben dargebracht  worden.  S.  auch  Lundins,  Die  alten  jüdischen  Heilig- 
thümer  Buch  III,  Kap.  39,  Nr.  58. 

57)  Num.  28,  9—10.  —  Philo,  De  victimis  §  3  (Mang.  II,  239):  Tatq  6h 
ißddfiai<;  öinXaaid^si  xbv  x(bv  Uoeianr  agid-fidv.  —  Josepkus  Antt.  III,  10,  1: 
xaxa  6h  kßSöfirjv  ^//^av,  tfxiq  oaßßaxa  xaXelxai,  ovo  o<pdt,ovoi,  xbv  avxbv 
XQÖnov  UgovQyovvxeq.  —  Wesentlich  anders  sind  die  Bestimmungen  bei  Execk. 
46,  4—5.  Der  Hauptunterschied  zwischen  der  vorexilischen  und  der  nachexi- 
lischen  Zeit  besteht  aber  auch  bei  den  Festopfern  wie  beim  Tamid  darin,  daß 
vor  dem  Exil  der  König  dieselben  zu  bestreiten  hatte,  nach  dem  Exil 
aber  die  Gemeinde.  S.  bes.  Exech.  45,  17  und  überh.  Exech.  45,  18 — 46, 15. 
—  Eine  Beschreibung  des  Sabbath-Gottesdienstes  s.  bei  Lundius,  Die  alten 
jüdischen  Heiligthümer  Buch  V,  Kap.  5. 


[299.  300]       IV.  Der  tägliche  Kultus  (Beteiligung  der  Heiden).  357 

hergehenden  Tage  (Num.  29,  12—34).  Ähnliche  Zugabeopfer  von 
bald  größerem,  bald  geringerem  Umfange  waren  auch  für  die 
übrigen  Festtage  des  Jahres  (Neumond,  Neujahr  und  Versöhnungs- 
tag) vorgeschrieben  (s.  überh.  Num.  28—29).  Und  zu  diesen  Opfern, 
welche  nur  im  allgemeinen  den  festlichen  Charakter  der  Tage  be- 
zeichnen sollten,  kamen  dann  noch  die  besonderen,  auf  die  eigen- 
tümliche Bedeutung  des  Festes  sich  beziehenden  Opfer  hinzu  (hier- 
über Lev.  16  und  23) 58. 

So  reichlich  aber  diese  Gemeindeopfer  auch  waren,  so  ver- 
schwanden sie  doch  an  Zahl  gegenüber  den  Privatopfern.  Die 
Menge  der  letzteren,  die  man  sich  kaum  groß  genug  wird  vor- 
stellen können,  bildete  die  eigentliche  Signatur  des  Kultus  von 
Jerusalem.  Tag  für  Tag  wurden  hier  Massen  von  Opferfleisch 
geschlachtet  und  verbrannt;  und  wenn  erst  eines  der  großen  Feste 
herankam,  dann  war  die  Menge  der  Opfer  trotz  der  Tausende  von 
Priestern,  die  dabei  fungierten,  kaum  noch  zu  bewältigen69.  In 
der  pünktlichen  Ausübung  dieses  Kultus  aber  sah  Israel  ein  Haupt- 
mittel, die  Gnade  seines  Gottes  sich  zu  sichern. 


Anhang.    Beteiligung  der  Heiden  am  Kultus  zu 

Jerusalem. 

Bei  der  schroffen  Scheidewand,  welche  das  Judentum  in  reli- 
giöser Hinsicht  zwischen  sich  und  dem  Heidentum  aufgerichtet 
hat,  wird  man  nicht  leicht  auf  die  Vermutung  kommen,  daß  auch 
Heiden  am  Kultus  zu  Jerusalem  sich  beteiligten.  Und  doch  ist 
diese  Tatsache  so  sicher  wie  irgendeine  andere  bezeugt.     Wir 


58)  Eine  Beschreibung  der  Festtags-Opfer  nach  Num.  28—29  und  Lev. 
16  und  23  gibt  auch  Philo  in  dem  erst  von  Wendland  in  einer  Florentiner 
Handschrift  (Laur,  LXXXV,  10)  entdeckten  und  herausgegebenen  Stück  des 
Traktates  de  victimis.  S.  Wendland,  Neu  entdeckte  Fragmente  Philos,  1891, 
8.  7—14.  Theol.  Literaturztg.  1891,  467  f.  Dasselbe  Stück  enthält  auch  der 
von  Cohn  entdeckte  vatikanische  Palimpsestkodex  (Vat.  gr.  316),  s.  Sitzungs- 
berichte der  Berliner  Akademie  1905,  S.  42,  und  Cohns  neue  Ausg.,  Phtlonis 
Alex,  opera  quae  supersunt  vol.  V,  1906,  prol.  p.  V— VII,  Text  p.  43—47,  §  177 
—193  (was  hier  steht,  fehlt  in  allen  bisherigen  Ausgaben  zwischen  §  3  und  4 
des  Traktates  de  viciimis). 

59)  Aristeas  ed.  Wendland  §  83:  UoXXal  ya.Q  pvQiadeq  xxrp&v  TiQood- 
yovxai  xaxä  xäg  xwv  hoqxwv  tjfxtpag.  —  Philo,  Vita  Mosis  III,  19  init. :  UoXXCbv 
ö%  xaxä  xb  ävayxaXov  avayouhwv  9-voiibv  xa&y  hxdaxrjy  f)uioav,  xal  öicupeoSvxax; 
iv  navTjyvoeoi  xal  hoQxatq  \>7tiQ  xe  Uta  ixdaxov  xal  xowjt  faho  andvxwv  Siä 
pvQias  xal  otyl  xäq  abzaq  alxlaq  x.  x.  X.  —  Vgl.  die  Zahlen  I  Reg.  8,  63. 
I  Chron.  29,  21.  II  Chron.  29,  32  f.  30,  24.  35,  7—9. 


358  §  24.    Die  Priestersthaft  und  der  Tempelkultus.  [300.  301] 

meinen  dabei  nicht  etwa  die  große  Masse  der  Proselyten,  d.h. 
derjenigen  Heiden,  welche  auch  dem  Glauben  Israels  in  irgend- 
einem Grade  sich  näherten  und  welche  aus  diesem  Grunde  dem 
Gott  Israels  durch  Opfer  ihre  Ehrfurcht  bezeugten.  Es  handelt 
sich  vielmehr  um  wirkliche  Heiden,  welche,  indem  sie  zu  Jerusalem 
opferten,  damit  keineswegs  ein  Bekenntnis  zu  der  svperslitio  Judaica 
ablegen  wollten.  Man  kann  diese  Tatsache  nur  verstehen,  wenn 
man  bedenkt,  wie  äußerlich  in  der  Praxis  des  Lebens  der  ursprüng- 
lich ja  sehr  enge  Zusammenhang  zwischen  Glaube  und  Kultus 
sich  oft  gestaltet,  und  namentlich  in  damaliger  Zeit  sich  vielfach 
gestaltet  hat.  An  einer  berühmten  Kultusstätte  ein  Opfer  dar- 
bringen zu  lassen,  war  sehr  häufig  nur  der  Ausdruck  einer  kos- 
mopolitisch gewordenen  Frömmigkeit,  ja  oft  nur  ein  Akt  der 
Courtoisie  gegen  das  betreffende  Volk  oder  die  betreffende  Stadt, 
mit  welchem  man  durchaus  nicht  ein  bestimmtes  religiöses  Be- 
kenntnis ablegen  wollte.  Was  in  dieser  Hinsicht  an  anderen  be- 
rühmten Kultusstätten  geschah,  weshalb  sollte  es  nicht  auch  zu 
Jerusalem  geschehen?  Und  das  jüdische  Volk  und  seine  Priester 
hatten  ihrerseits  keinen  Grund,  die  ihrem  Gott  erwiesene  Ehrfurcht, 
selbst  wenn  sie  nur  ein  Akt  der  Höflichkeit  war,  abzuweisen.  Die 
Vollziehung  der  Opfer  war  ja  doch  Sache  der  Priester;  sie  hatten 
für  die  korrekte  Vollziehung  des  Ritus  zu  sorgen.  Wer  für  die 
Kosten  aufkam,  konnte  relativ  gleichgültig  sein.  Jedenfalls  be- 
stand kein  religiöses  Bedenken  dagegen,  eine  Gabe  auch  von  einem 
solchen  anzunehmen,  der  sonst  nicht  in  den  Wegen  des  Gesetzes 
wandelte.  So  setzt  denn  schon  das  Alte  Testament  voraus,  daß 
auch  von  einem  Heiden  (noD  "ja)  ein  Opfer  dargebracht  werden 
kann 60.  In  dem  Gebet,  welches  Salomo  bei  Einweihung  des  Tempels 
gesprochen  haben  soll,  bittet  der  König,  daß  Gott  auch  „den  Frem- 
den |  CHJMn),  der  nicht  vom  Volke  Israel  ist",  erhören  möge,  wenn 
er  aus  fernem  Lande  kommt  und  bei  diesem  Tempel  betet.  „Denn 
sie  werden  hören  von  deinem  großen  Namen  und  von  deiner  starken 
Hand  und  von  deinem  ausgereckten  Arme" 61.  Das  spätere  Juden- 
tum hat  dann  genau  festgesetzt,  welche  Arten  von  Opfern  auch 


60)  Lev.  22,  25  und  dazu  Di  11  mann.  Es  heißt  hier,  daß  man  fehler- 
hafte Opfertiere  auch  von  einem  Heiden  nicht  annehmen  dürfe.  Dabei  ist 
also  vorausgesetzt,  daß  man  im  allgemeinen  allerdings  Opfer  von  Heiden  an- 
nehmen darf. 

61)  I  Bey.  8,  41—43;  reproduziert  von  Josephus  Antt.  VIII,  4,  3:  d),kä 
xav  änö  neQaxmv  xfjg  olxovfuivrjq  xivhg  a<pixo)vx<xif  xav  öno9evörinoxovv  ngoa- 
XQenöfievoi  xal  xvxblv  xivdg  aya&ov  Xinagovvxeg,  Sdg  avxoTg  injjxoog  yevö- 
fievoq.  Vgl.  auch  Bertholet,  Die  Stellung  der  Israeliten  und  der  Juden  zu 
den  Fremden  (1896),  S.  127  f.  293  f. 


[301.  302]      IV.  Der  tägliche  Kultus  (Beteiligung  der  Heiden).  359 

von  Heiden  angenommen  werden  dürfen  und  welche  nicht:  anzu- 
nehmen sind  nämlich  alle  Opfer,  welche  auf  Grund  eines  Gelübdes 
oder  als  freiwillige  Gabe  dargebracht  werden  (alle  D'niS  und  rrirns), 
hingegen  pflichtmäßige  Opfer,  wie  Sund-  und  Schuldopfer,  Geflügel- 
opfer von  Eiterflüssigen  und  von  Wöchnerinnen  und  dergl.  können 
von  Heiden  nicht  dargebracht  werden62.  Die  zulässigen  Opfer 
waren  demnach  Brandopfer,  Speisopfer  und  Trankopfer63.  Daher 
wird  bei  den  speziellen  gesetzlichen  Bestimmungen  über  diese 
häufig  auch  auf  die  Opfer  der  Heiden  Rücksicht  genommen64. 

Die  Tatsache,  daß  von  und  für  Heiden  geopfert  wurde,  ist  in 
ihrer  Allgemeinheit  am  bestimmtesten  bezeugt  von  Josephus  bei 
Gelegenheit  des  Ausbruches  der  Revolution  im  Jahre  66,  wo  einer 
der  ersten  Akte  eben  der  war,  daß  man  beschloß,  keine  Opfer  mehr 
von  Heiden  anzunehmen65.  Von  seiten  der  konservativen  Gegen- 
partei wurde  damals  darauf  hingewiesen,  daß  „alle  Vorfahren  die 
Opfer  von  Heiden  angenommen  hätten",  und  daß  Jerusalem  in  den 
Huf  der  Gottlosigkeit  kommen  werde,  wenn  aliein  bei  den  Juden 
ein  Ausländer  nicht  opfern  könne66.  Aus  der  Geschichte  sind 
wenigstens  einzelne  bemerkenswerte  Fälle  dieser  Art  bekannt. 
Wenn  von  Alexander  d.  Gr.  erzählt  wird,  daß  er  zu  Jerusalem 
geopfert  habe67,  so  steht  und  fällt  diese  Tatsache  freilich  mit  der 
Geschichtlichkeit  seines  Besuches  in  Jerusalem  überhaupt.  Aber  | 
die  Erzählung  als  solche  beweist,  daß  man  von  Seiten  des  Juden- 
tums ein  solches  Verfahren  ganz  angemessen  fand.  Ptolemäus  III. 
soll  ebenfalls  in  Jerusalem  geopfert  haben68.  Antiochus  VII. 
Sidetes  sandte  sogar,  während  er  im  offenen  Krieg  mit  den  Juden 
sich  befand  und  die  Hauptstadt  Jerusalem  belagerte,  zur  Zeit  des 
Laubhütten  festes  Opfer  in  die  Stadt,  vermutlich  um  den  Gott  des 
Feindes  sich  geneigt  zu  machen,  während  die  Juden  ihrerseits  die 
Opfer  als  ein  Zeichen  der  Frömmigkeit  des  Königs  gerne  an- 


62)  Schekalim  I,  5. 

63)  Mahlopfer  schon  deshalb  nicht,  weil  sie  nur  im  Stande  levitischer 
Reinheit  genossen  werden  durften  (Lev.  7,  20 — 21). 

64)  Schekalim  VII,  6.  Sebachim  IV,  5.  Menachoth  V,  3.  5.  6.  VI,  1.  IX,  8. 
—  Vgl.  auch  Duschak,  Josephus  Flavius  und  die  Tradition  (1864)  S.  15 — 17. 
Hamburger,  Real-Enz.  für  Bibel  und  Talmud,  IL  Abt.,  Art.  „Opfer  der 
Heiden". 

65)  Bell.  Jud.  II,  17,  2-4. 

66)  Bell.  Jud.  II,  17,  4:  Sn  ndvzeq  ol  nqbyovoi  xhq  anb  xwv  äXXoyevwv 
Svoiaq  &7tEÖixovTO.  —  B.  J.  II,  17,  3:  xazaxprjfplaaaB-ai  xfjq  nöXeioq  doißetav, 
el  nccgä  /xövoiq  'Iovöaioiq  oize  &voei  xiq  äXXdxgioq  ovxe  nQoaxw^aei. 

67)  Jos.  Antt.  XI,  8,  5. 

68)  Jos.  contra  Apion.  II,  5  init. 


360  §  24*   Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [302.  303] 

nahmen69.  Als  Marcus  Agrippa,  der  hohe  Gönner  des  Herodes, 
im  Jahre  15  vor  Chr.  nach  Jerusalem  kam,  opferte  er  daselbst  eine 
Hekatombe,  also  ein  Brandopfer  von  hundert  Stieren 70.  Auch  von 
Vitellius  erzählt  Josephus,  daß  er  zur  Zeit  des  Passa  im  Jahre 
37  n.  Chr.  nach  Jerusalem  kam,  um  Gott  zu  opfern71.  Wie  häufig 
solche  Akte  der  Courtoisie  oder  der  kosmopolitischen  Frömmigkeit 
waren,  kann  man  auch  aus  dem  Umstände  entnehmen,  daß  Augustus 
seinen  Enkel  Cajus  Cäsar  ausdrücklich  belobte,  weil  er  auf  dem 
Wege  von  Ägypten  nach  Syrien  nicht  in  Jerusalem  angebetet 
habe72.  Tertullian  kann  daher  mit  Recht  sagen,  daß  die  Römer 
einst  auch  den  Gott  der  Juden  durch  Opfer  und  ihren  Tempel 
durch  Weihgeschenke  geehrt  hätten73.  Und  es  wird  nicht  nur 
an  Proselyten  zu  denken  sein,  wenn  Josephus  den  Altar  zu  Jeru- 
salem „den  allen  Hellenen  und  Barbaren  ehrwürdigen  Altar" 
nennt74  und  von  der  Stätte  des  Tempels  sagt,  daß  sie  „von  der 
ganzen  Welt  angebetet  und  bei  den  Fremden  am  Ende  der  Erde 
um  ihres  Rufes  willen  geehrt  seitt  75. 

In  die  Klasse  dieser  für  Heiden  und  in  deren  Namen  dar- 
gebrachten Opfer  gehört  auch  das  Opfer  für  die  heidnische 
Obrigkeit  Wie  vor  dem  Exil  die  israelitischen  Könige  den 
Aufwand  für  die  öffentlichen  Opfer  bestritten,  so  ordnete  auch 
Darius  |  an,  daß  der  Bedarf  für  dieselben  aus  Staatsmitteln  ge- 
deckt werde,  aber  mit  der  Absicht,  daß  dabei  auch  „für  das  Leben 
des  Königs  und  seiner  Söhne"  gebetet  werde  (Esra  6,  9— 10)76. 
Bedeutende  Lieferungen  aus  Staatsmitteln  für  den  jerusalemischen 
Kultus  verfügte  Antiochus  der  Große,  wobei  wohl  ebenfalls  die 
regelmäßige  Darbringung  eines  Opfers  für  den  König  vorauszusetzen 


69)  Antt.  Xm,  8,  2. 

70)  Antt.  XVI,  2,  1.  Opfer  von  dieser  Größe  waren  im  Tempel  zu  Jeru- 
salem nichts  Ungewöhnliches.  S.  Esra  6,  17.  Joseph.  Antt.  XV,  11,  6.  Philo 
Legat,  ad  Cajum  §  45  (Mang.  II,  598).     Orae.  Sibyll.  III,  576.  626. 

71)  Antt.  XVIU,  5,  3. 

72)  Sueton.  Aug.  e.  93:  Oajum  nepotem,  quod  Judaeam  praetervehens  apud 
Hierosolyma  non  supplicasset9  conlaudavit. 

73)  Tertullian.  Apologet,  e.  26:  cujus  (Judaeae)  et  deum  victimis  et  tem- 
plum  donis  et  gentern  foederibus  aliquamdiu  Romani  honorastis. 

74)  Bell.  Jud.  V,  1,  3:    xbv  "EXXyoi  naoi  xal  ßagßaQOtq  oeß&Ofuov  ßcoftdv. 

75)  Bell.  Jud.  IV,  4,  3  (ed.  Niese  IV,  262):  6  6'  i)Jtd  tfjq  olxovfxkvtiq 
7ioooxvvov/uevos  %&qo<;  xal  toZq  focd  negdtatv  yfjq  alXocpvXoiq  dxo$  rert- 
(tTjii£vo$. 

76)  Die  Echtheit  dieses  Erlasses  des  Darius  (der  dabei  auf  einen  älteren 
des  Cyrus  zurückgreift)  ist  allerdings  bestritten.  Für  dieselbe:  Ed.  Meyer, 
Die  Entstehung  des  Judenthums  S.  50—52. 


[303.  304]      IV.  Der  tägliche  Kultus  (Beteiligung  der  Heiden).  361 

ist77.  Pseudo-Aristeas  {ed.  Wendland  §  45)  läßt  den  Hohenpriester 
Eleasar  in  seinem  Schreiben  an  Ptolemäns  Philadelphia  versichern, 
daß  er  Opfer  dargebracht  habe  vjzeq  oov  xal  xfjg  ä6eXq>rjg  xal  xä>v 
xixvmv  xal  x&v  <plXa>v.  Bestimmt  ist  ein  Opfer  für  den  König 
(oIoxovtcooh;  xQoapeQofisprj  vjzIq  xov  ßaCiXicoq)  bezeugt  aus  der 
Zeit  der  makkabäischen  Bewegung  (I  Makk.  7,  33).  Also  selbst  in 
jener  Zeit,  während  ein  großer  Teil  des  Volkes  gegen  den  syrischen 
König  Krieg  führte,  haben  die  Priester  das,  vermutlich  von  den 
syrischen  Königen  gestiftete  Opfer  gewissenhaft  dargebracht.  In 
der  römischen  Zeit  war  eben  dieses  Opfer  für  die  heidnische  Obrig- 
keit die  einzig  mögliche  Form,  unter  welcher  das  Judentum  ein 
gewisses  Äquivalent  leisten  konnte  für  den  sonst  überall  in  den 
Provinzen  gepflegten  Kultus  des  Augustus  und  der  Roma.  Nach 
dem  bestimmten  Zeugnisse  Philos  hat  Augustus  selbst  angeordnet, 
daß  für  ewige  Zeiten  auf  Kosten  des  Kaisers  täglich  zwei 
Lämmer  und  ein  Stier  geopfert  werden  sollten 78.  Auf  dieses  Opfer 
„für  den  Kaiser  und  das  römische  Volk"  beriefen  sich  die 
Juden  ausdrücklich  zur  Zeit  Caligulas,  als  man  ihre  Loyalität  be- 
zweifelte, weil  sie  sich  der  Aufstellung  der  kaiserlichen  Statue 
im  Tempel  zu  Jerusalem  widersetzten 79.  Und  es  wurde  noch  regel- 
mäßig dargebracht  bis  zum  Ausbruch  der  Revolution  im  Jahre  66 
nach  Chr.80.  Nach  dem  Zeugnisse  Philos  war  es  nicht  nur  ein 
Opfer  für  den  Kaiser,  sondern  auch  vom  Kaiser  gestiftet,  wozu 
Augustus  trotz  seiner  inneren  Abneigung  gegen  das  Judentum 
durch  politische  Rücksichten  sich  wohl  veranlaßt  fühlen  konnte. 
Josephus  versichert  freilich,  daß  es  auf  Kosten  des  jüdischen  Volkes 
dargebracht  |  worden  sei81.    Der  wirkliche  Sachverhalt  ist  wohl, 


77)  Jos.  Antt.  XII,  3,  3. 

78)  Philo,  Legat,  ad.  Cajum  §  23  {ed.  Mang.  II,  569):  ngoaxa^aq  xal  SC 
aUhvoq  &vdyeo$tu  dvalag  ivdsXexetg  ÖXoxavtovq  xa&*  kxäaxTjv  tyntoav  ix  xuyv 
lötwv  TtQoadöwv,  aitaQxftv  xfy  i>y>lax<p  #€g>,  a%  xal  fi&ZQi  xov  v&v  imxsXovv- 
xat  xal  slq  anav  imxeXeodJjoovzai.  —  Fast  gleichlautend  auch  §  40,  ed.  Mang. 
II,  592,  wo  noch  die  Bemerkung  hinzugefügt  ist:  aoveg  elal  Svo  xal  xav- 
Qoq  xd  Isoela,  olq  KaToao  i<pydowe  [1.  igrfövve]  xbv  ßw/idv. 

79)  Jos.  Bell.  Jud.  II,  10,  4:  *Iovö*aZoi  neol  phv  Kaloaooq  xal  xov 
ötffjtov  x&v  cPa>(talwv  61g  xfjq  ^fAioaq  Bveiv  $<paoav.  —  Aus  letzteren  Worten 
sieht  man  auch,  daß  das  tägliche  Opfer  für  den  Kaiser,  wie  das  Gemeinde- 
opfer, auf  Morgen  und  Abend  verteilt  war. 

80)  Beü.  Jud.  n,  17,  2-4. 

81)  Joseph,  contra  Apion.  II,  6  fin.:  facimus  autem  pro  eis  [seil,  impera- 
toribus  et  poptdo  Romano]  eontinua  sacrifida;  et  non  solum  quotidianis  diebus 
ex  impensa  communi  omnium  Judaeorum  talia  celebramus,  verum  quum  nidlas 
alias  hostias  ex  communi  neque  pro  filiis  peragamusf  soHs  imperatoribus  hunc 
honorem  praeeipuum  pariter  exhibemus,  quem  hominum  nullt  persolvimus. 


362  §  24.   Die  Priesterschaft  und  der  Tempelkultus.  [304.  305] 

ähnlich  wie  zur  persischen  Zeit,  der,  daß  der  Bedarf  aus  den  dem 
Fiskus  zufallenden  jüdischen  Steuern  bestritten  wurde82.  Bei  be- 
sonderen Veranlassungen  sind  allerdings  für  den  Kaiser  sehr  an- 
sehnliche Opfer,  wie  es  scheint,  auf  Gemeindekosten  dargebracht 
worden;  so  z.  B.  zur  Zeit  Caligulas  dreimal  je  eine  Hekatombe, 
zuerst  bei  seinem  Regierungsantritt,  dann  bei  seiner  Genesung  von 
schwerer  Krankheit,  und  zum  drittenmal  beim  Antritt  seines  ger- 
manischen Feldzuges83. 

Außer  den  Opfern  sind  dem  Tempel  von  Jerusalem  sehr  häufig 
auch  Weihgeschenke  von  Heiden  gewidmet  worden.  Sehr  aus- 
führlich beschreibt  z.  B.  Pseudo-Aristeas  die  prachtvollen  Ge- 
schenke, welche  Ptolemäus  Philadelphus  für  den  Tempel  von  Jeru- 
salem  stiftete,  als  er  den  jüdischen  Hohenpriester  um  Übersendung 
geeigneter  Männer  zur  Übertragung  des  jüdischen  Gesetzes  ins 
Griechische  bat:  zwanzig  goldene  und  dreißig  silberne  Schalen, 
fünf  Krüge  und  einen  kunstvoll  gearbeiteten  goldenen  Tisch84. 
Gehört  diese  Geschichte  auch  ins  Gebiet  der  Legende,  so  spiegelt 
sie  doch  die  Sitte  der  Zeit  getreu  wieder.  Denn  daß  die  ptole- 
mäischen  Könige  öfters  Weihgeschenke  für  den  Tempel  von  Jeru- 
salem stifteten,  ist  auch  sonst  mehrfach  bezeugt85.  In  der  römi- 
schen Zeit  war  dies  nicht  anders.  Als  Sosius  im  Verein  mit 
Herodes  Jerusalem  erobert  hatte,  weihte  er  einen  goldenen  Kranz86. 
Marcus  Agrippa  schmückte  bei  seinem  schon  erwähnten  Besuch  | 
in  Jerusalem  auch  den  Tempel  mit  Weihgeschenken87.  Unter  den 
Tempelgefäßen,  welche  Johannes  von  Gis-chala  während  der  Be- 


82)  So  Ed.  Meyer,  Die  Entstehung  des  Judenthums  S.  53  f. 

83)  Philo,  Legat,  ad  Gajum  §45  (ed.  Mang.  II,  598);  über  die  Opfer  beim 
Regierungsantritt  s.  auch  §  32  (Mang.  II,  580).  —  Opfer  und  Gebet  für  die 
heidnische  Obrigkeit  werden  überhaupt  empfohlen:  Jerem.  29,  7.  Baruch  1, 
10 — 11.  Aboth  III,  2:  „R.  Chananja  Vorsteher  der  Priester  sagte:  Bete  für 
das  Wohl  der  Obrigkeit"  (rvobs,  womit  die  heidnische  Obrigkeit  gemeint  ist). 
—  Von  christlicher  Seite  vgl.  I  Timoth.  2,  1—2.  Clemens  Romanus  c.  61. 
Epist.  Polycarpi  12,  3.  Tertullian.  Apologet,  c.  30  u.  39.  Ortgenes  contra  Gels. 
VIII,  73.  Acta  Apollonii  c.  6.  Acta  Gypriani  1,  2  (diese  beiden  bei  Gebhardt, 
Ausgewählte  Märtyrerakten,  1902).  Acta  Dionysii  bei  Euseb.  Hist.  eccl.  VII, 
11,  8.  Harnack,  Patrum  apost.  opp.  I,  1  ed.  2,  187G,  p.  103  sq.  Mangold^ 
De  ecclesia  primaera  pro  Caesaribus  ac  magistratibus  Romanis  preces  fundente, 
1881.  Harnack,  Die  Mission  und  Ausbreitung  des  Christentums  1902,  S.  215. 
2.  Aufl.  I,  249  f.    Knopf,  Das  nachapostolische  Zeitalter  1905,  S.  107  f. 

84)  Pseudo-Aristeas  ed.  Wendland  §  42.  51—82;  im  Auszug  bei  Josephus 
Antt.  XII,  2,  5-9. 

85)  II  Makk.  3,  2.  5,  16.  Joseph.  Antt.  XIII,  3,  4;  contra  Apion.  II, 
5  init. 

86)  Antt.  XIV,  16,  4. 

87)  Philo,  Legat,  ad  Gajum  §  37,  ed.  Mangel/  II,  5S9. 


[305]  I.  Kanonische  Dignitat  der  heiligen  Schriften.  363 

lagerung  einschmelzen  ließ,  befanden  sich  auch  kostbare  Weih- 
geschenke, die  vom  Kaiser  Augustus,  seiner  Gemahlin  Julia 
und  anderen  römischen  Kaisern  gestiftet  waren88.  Überhaupt  war 
es  nichts  Ungewöhnliches,  daß  Römer  Weihgeschenke  für  den 
Tempel  stifteten89.  —  So  ist  also  doch  selbst  der  exklusive  Tempel 
von  Jerusalem  in  gewissem  Sinne  kosmopolitisch  geworden;  auch 
er  empfing  die  Huldigungen  der  ganzen  Welt  so  gut  wie  die  be- 
rühmten Kultusstätten  des  Heidentums. 


§  25.  Die  Schriftgelehrsamkeit. 

I.  Kanonische  Dignitat  der  heiligen  Schriften1. 

Die  prinzipiell  entscheidendste  Tatsache  für  das  religiöse  Leben 
des  jüdischen  Volkes  in  unserer  Periode  ist  die,  daß  das  Gesetz, 
welches  nicht  nur  den  priesterlichen  Kultus,  sondern  überhaupt 
das  ganze  Leben  des  Volkes  in  seinen  religiösen,  sittlichen  und 


88)  Joseph.  Bell.  Jud.  V,  13,  6:  äniozevo  öh  ov6e  zCbv  vnb  zov  2eßaozov 
xal  zfjq  ywaixbq  avzov  7iefi(p9tvtwv  axQazo<pÖQO)V  ol  fihv  yäg  'Pwfiaiwv 
ßaoiXetq  izl/xi^adv  ze  xal  7iQooex6o(iTjoav  zö  legbv  ael.  —  Nach  Philo  hat 
Augustus  „beinahe  mit  seinem  ganzen  Hause"  den  Tempel  mit  Weihge- 
schenken geschmückt  [Legat,  ad  Gajum  §  23,  ed.  Mang.  II',  560:  fiovovov 
navolxioq  nva^rjfidzwv  noXvzeXeiaiq  zö  legbv  fyuu>v  ixöopijoe).  In  dem 
Schreiben  Agrippas  I.  an  Caligula  heißt  es  (bei  Philo,  Legat,  ad  Gajum  §  40  s. 
fin.t  Mang.  II,  592  fin.) :  %  nQOfxdfifiij  oov  yIovXla  Zeßaozfj  xazexöafirioe  zbv 
vtibv  ZQvoatq  <pidXaiq  xal  onovöetoiq  xal  aXXwv  dvalhjpidzcjv  noXvzsXeaxd- 
zo)v  nXföei. 

89)  B.  J.  IV,  3,  10  [ed.  Niese  IV,  181).    Vgl.  II,  17,  3. 

1)  Die  Literatur  über  die  Geschichte  des  alttestamentlichen  Kanons  s.  bei 
Strack  Art.  „Kanon  des  A.  T.s"  in  Herzog- Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  Bd.  IX, 
1901,  S.  741  f.  und  bei  Schmiedel,  Art.  „Kanon"  in  Ersch  und  Grubers 
Allgem.  Enzyklopädie  Sektion  II  Bd.  32  (18S2)  S.  335  f.  —  Aus  neuerer  Zeit 
vgl.:  Grätz,  Der  Abschluß  des  Kanons  des  A.  T.  u.  s.  w.  (Monatsschr.  f.  Gesch. 
und  Wissensch.  des  Judenth.  1886,  S.  281—298).  —  Buhl,  Kanon  und  Text 
des  A.  T.  1891  (vorher  dänisch  1885).  —  Wildeboer,  Die  Entstehung  des 
Alttestamentlichen  Kanons,  1891  (vorher  holländisch  1889;  eine  3.  Aufl.  des 
holländischen  Originales  erschien  1900).  —  Ryle>  The  Canon  of  the  Old  Testa- 
ment, an  essay  on  the  gr adual  growth  and  formation  of  the  Hebrew  Canon  of 
Scripture,  London  1892  (308  S.)  2.  ed.  1899.  —  Robertson  Smith,  The  Old 
Testament  in  the  Jewish  Church  1892,  p.  149—187.  Deutsch:  Das  Alte  Testa- 
ment,  seine  Entstehung  und  Überlieferung  (deutsch  v.  Rothstein)  1894, 
S.  137— 174.  —  Blau,  Zur  Einleitung  in  die  heilige  Schrift  (Jahresbericht  der 


364  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit  [306] 

sozialen  Beziehungen  regelte,  als  ein  von  Gott  selbst  gegebenes 
anerkannt  war.  Jede  Forderung  desselben  war  eine  Forderung 
Gottes  an  sein  Volk;  die  pünktlichste  Beobachtung  desselben  darum 
eine  Pflicht  der  Religion,  ja  die  oberste  und  im  Grunde  genommen 
einzige  Pflicht  der  Religion.  Die  ganze  Frömmigkeit  des  Israeliten 
ging  darin  auf,  das  von  Gott  ihm  gegebene  Gesetz  mit  Furcht  und 
Zittern,  mit  dem  Eifer  eines  geängsteten  Gewissens  in  allen  seinen 
Einzelheiten  zu  beobachten.  Die  Anerkennung  dieser  Dignität  des 
Gesetzes  als  eines  von  Gott  selbst  gegebenen  bedingt  also  den 
spezifischen  Charakter  der  israelitischen  Frömmigkeit  in  unserer 
Periode. 

Wie  alt  diese  Anerkennung  ist,  läßt  sich  fast  noch  auf  Tag 
und  Stunde  bestimmen.  Sie  datiert  seit  jenem  wichtigen  Ereignis, 
dessen  epochemachende  Bedeutung  auch  in  der  Erzählung  des 
Buches  Nehemia  gebührend  hervorgehoben  wird:  seit  der  Vorlesung 
des  Gesetzes  durch  Esra  und  der  feierlichen  Verpflichtung  des 
Volkes  auf  dasselbe  (Nehem.  8—10).  Es  ist  zwar  fraglich,  ob  das 
Gesetz,  welches  damals  vorgelesen  wurde,  bereits  der  ganze  Penta- 
teuch  gewesen  ist.  Wahrscheinlich  handelte  es  sich  nur  um  dessen 
wichtigsten  Bestandteil,  den  Priesterkodex,  dessen  Verbindung  mit 


Landes-Rabbinerschule  in  Budapest,  1894)  8.1—47:  Die  Namen  der  heiligen 
Schrift  [d.  h.  der  ganzen  Sammlung  und  der  einzelnen  Teile  und  Bücher].  — 
König,  Essay  sur  la  formation  du  eanon  rie  VAncien  Testament,  Paris  1894 
(74  S.).  —  van  Kasteren,  De  joodsehe  Canon  omtrent  hei  bejin  onxer  jaar- 
tclliny  (Studien  op  godsdienstij  wetenschappelijk  en  letterkundig  gebied  t.  XLV, 
1895,  p.  415—484);  verkürzt  unter  dem  Titel:  Le  Canon  juif  vers  le  commenee- 
ment  de  notre  ere  (Revue  biblique  V,  1896,  p.  408—415,  575-594)  [gelehrter 
Versuch,  im  kathol.  Interesse  die  Apokryphen  in  den  Kanon  zu  bringen]. 
—  Wildeboer,  De  voor-Talmudsche  Joodsehe  Kanon  (TheoL  Studien  1897, 
p.  159—177).  —  van  Kaste ren,  Studien  op  godsd.  westensch.  en  letterk.  gebied 
XLIX,  1897,  LI,  1898,  Wildeboer,  TheoL  Studien  1898  u.  1899,  und  die 
unten  Anm.  12  genannten  Abhandlungen  von  van  Kasteren  und  Wilde- 
boer über  den  Kanon  des  Origenes.  —  Porter ,  Art.  Apoerypha  in  Hostings' 
Dictionary  of  the  Bible  I,  1893,  p.  110 sqq.  —  Budde,  Art  Canon  in:  Enoy- 
clopaedia  Biblica  ed.  by  Cheyne  and  Black  I,  1899,  eol.  047—674.  —  Budde, 
Der  Kanon  des  Alten  Testament«,  1900.  —  Woods,  Art.  Old  Testament  Ca- 
non in  Rastinjs'  Dictionary  of  the  Bible  III,  1900,  p.  604—616.  —  Riedel, 
Alttestamen tliche  Untersuchungen  1902  (S.  90—103:  Namen  und  Einteilung 
des  Alttest.  Kanons).  —  Nath.  Schmidt ,  Art.  Bible  Canon  in:  The  Jewish 
Encyclopedia  III,  1902,  p.  140—154.  —  Bousset,  Die  Religion  des  Judentums 
1903,  8.  120 ff.  (2.  Aufl.  1906,  S.  164 ff.).  —  Hölscher,  Kanonisch  und  Apo- 
kryph, 1905.  Dazu:  Theol.  Litztg.  1906,  col.  98—101.  —  Green,  Allgemeine 
Einleitung  in  das  A.  T.,  Der  Kanon,  deutsche  Übers.  1906  [röckläufige  Apo- 
logetik]. —  Aicher,  Das  A.  T.  in  der  Misohna,  1906,  S.  5—53.  —  Olatignyf 
Les  commencements  du  Canon  de  VAnoien  Testament.   Borne  1906  (246  p.). 


[30G.  307]  I.  Kanonische  Dignität  der  heiligen  Schriften.  365 

der  jahvistischen  Schrift  und  dem  Deuteronomium  wohl  erst  später 
erfolgt  ist2.  Aber  die  grundlegende  Bedeutung  des  Vorganges 
bleibt  im  einen  wie  im  andern  Falle  dieselbe:  das  unter  dem  Namen 
des  Moses  auftretende  priesterliche  Gesetz  wurde  vom  Volk  als 
Gottes  Gesetz  und  damit  als  bindende  Lebensnorm,  d.  h. 
als  kanonisch  anerkannt  Denn  es  liegt  ja  im  Wesen  des  Ge- 
setzes, daß  mit  seiner  Annahme  eo  ipso  die  Anerkennung  seiner  | 
verbindlichen,  normativen  Dignität  gegeben  ist3. 

Die  Anerkennung  des  göttlichen  Ursprungs  des  Gesetzes 
hatte  aber  bald  auch  die  Anerkennung  des  göttlichen  Ursprungs 
des  Buches,  welches  dieses  Gesetz  enthielt,  zur  Folge.  Das  Buch 
selbst  wurde  zu  einem  heiligen,  unantastbaren  und  inspierierten 4. 
Diese  Vorstellung  ist  sicher  schon  geraume  Zeit  vor  Beginn  unserer 
Zeitrechnung  zu  allgemeiner  Geltung  gelangt.  Nach  dem  Buch 
der  Jubiläen  ist  das  ganze  Gesetz  mit  allen  Einzelheiten  auf 
himmlischen  Tafeln  aufgezeichnet  (3, 10.  31.  4,  5.  32.  6,  17.  29. 
31.  35.  15,  25.  16,  28  f.  18,  19.  28,  6.  30,  9.  32,  10.  15.  33,  10.  39,  6. 
49,  8.  50,  13).  Die  Thora  Mosis  ist  also  gleichsam  nur  die  Kopie 
des  himmlischen  Originales.  Die  Anerkennung  des  göttlichen  Ur- 
sprungs des  Gesetzes  wird  nun  die  Bedingung,  ohne  welche  man 
nicht  ein  Glied  des  auserwählten  Volkes  sein,  also  auch  nicht  an 
den  dem  Volke  gegebenen  Verheißungen  Anteil  haben  kann.  „Wer 
behauptet,  die  Thora  sei  nicht  vom  Himmel  (D^Ettti  ya  fi"Yin  "pK), 
der  hat  keinen  Anteil  an  der  zukünftigen  Welt" 5.  Und  mit  diesem 
Gedanken  wurde  es  je  länger  desto  ernster  und  strenger  genommen. 

2)  So  Reuß,  La  Bibley  Ulme  partie  (—  VHütoire  sainte  et  la  lot)  t  I, 
1879,  p.  270.  Ders.,  Gesch.  der  heil.  Schriften  A.  T.s  1.  Aufl.  1881,  S.  462  f. 
474  f.  Stade,  Gesch.  des  Volkes  Israel  II,  180 ff.  192.  Kautzsch,  Stud. 
und  Krit.  1892,  S.  187.  —  Dagegen  Wellhausen,  Israelitische  und  jüdische 
Geschichte  (1894)  S.  136:  „Das  Gesetz  Ezras  ist  der  Pentateuch,  nicht  der 
Priesterkodex  für  sich".  4.  Aufl.  1901,  S.  180:  „Den  Priesterkodex  hat  Esra 
zum  Gesetz  gemacht,  allerdings  nicht  für  sich,  sondern  als  Bestandteil  des 
Pentateuchs".  —  Hiergegen  wieder  Kautzsch,  Theol.  Litztg.  1895,  278 f. 
Ed.  Meyer,  Die  Entstehung  des  Judenthums  1896,  S.  206—216.  Geißler, 
Die  literarischen  Beziehungen  der  Esramemoiren  (Chemnitz.  Progr.  1899)  S.  34  f. 
Budde,  Der  Kanon  des  A.  T.  S.  31.  Stade,  Biblische  Theologie  des  A.  T. 
(1905)  §  144.  145. 

3)  Vgl.  Wellhausen,  Geschichte  Israels  I,  2 f.  425 f.  «=  Prolegomena 
zur  Geschichte  Israels  5.  Ausg.  1899,  S.  2  f.  414  f. 

4)  Hölscher,  Kanonisch  und  Apokryph  (1905),  hat  mit  Recht  darauf 
hingewiesen,  daß  mit  der  Anerkennung  des  göttlichen  Ursprungs  des  Ge- 
setzes noch  nicht  die  Vorstellung  von  der  „kanonischen"  Dignität  des  Buches 
gegeben  sei.  Er  überspannt  aber  den  Unterschied  beider  Vorstellungen  sehr 
einseitig. 

5)  Sanhedrin  X,  1. 


366  §  25.   Die  Schriftgelehreamkeik  [307.  308] 

„Wer  da  sagt,  daß  Moses  auch  nur  einen  Vers  aus  eigenem  Wissen 
(i£2?  *m)  geschrieben  habe,  der  ist  ein  Leugner  und  Verächter 
des  Wortes  Gottes" 6.  Der  ganze  Pentateuch  wurde  also  jetzt  als 
ein  Diktat  Gottes,  als  vom  Geiste  Gottes  eingegeben,  betrachtet7. 
Selbst  die  letzten  acht  Verse  des  Deuteronomiums,  in  welchen 
Mosis  Tod  erzählt  wird,  sind  von  Moses  selbst  auf  Grund  göttlicher 
Offenbarung  geschrieben8.  Ja  schließlich  war  man  auch  mit  der 
Annahme  eines  göttlichen  Diktates  nicht  mehr  zufrieden.  Man 
ließ  das  fertige  Gesetzbuch  selbst  von  Gott  dem  Mose  eingehändigt 
werden  und  stritt  nur  noch  darüber,  ob  Gott  dem  Moses  die  ganze 
Thora  auf  einmal  oder  bandweise  (ntatt  nira)  übergeben  habe9. 
Später  als  das  Gesetz  und  im  Anschluß  an  dasselbe  haben 
auch  noch  andere  Schriften  des  israelitischen  Altertums  eine  ähn- 
liche Geltung  erlangt:  die  Schriften  der  Propheten  und  die 
Werke  über  die  ältere  (vorexilische)  Geschichte  Israels.  Sie 
waren  längst  als  ein  wertvolles  Vermächtnis  der  Vergangenheit 
in  Ansehen  und  Gebrauch,  ehe  man  an  ihre  Kanonisierung  dachte. 
Allmählich  aber  traten  sie  dem  Gesetz  an  die  Seite  als  eine  zweite 
Klasse  „heiliger  Schriften";  und  je  länger  man  sich  an  ihre  Ver- 
bindung mit  dem  Gesetz  gewöhnte,  desto  mehr  wurde  auch  dessen  | 
spezifische  Dignität,  nämlich  dessen  gesetzlich  bindende,  also  kano- 
nische Geltung  auf  sie  übertragen.  Auch  sie  wurden  als  Urkunden 
angesehen,  in  welchen  auf  schlechthin  verbindliche  Weise  Gottes 
Wille  geoffenbart  sei.  In  einem  noch  späteren  Stadium  endlich 
kam  zu  diesem  Corpus  der  „Propheten"  (D'waa)  noch  eine  dritte 
Sammlung  von  „Schriften"  (D^aire)  hinzu,  die  allmählich  auch 
in  dieselbe  Kategorie  kanonischer  Schriften  einrückten.  Die  Ent- 
stehung dieser  beiden  Sammlungen  liegt  völlig  im  Dunkeln.  Das 
älteste  Zeugnis  für  die  Zusammenstellung  beider  Sammlungen 
mit  der  Thora  ist  der  Prolog  zum  Buche  Jesus  Sirach  (2.  Jahrh. 
vor  Chr.)10.    Doch  läßt  sich  aus  demselben  nicht  entnehmen,  daß 

6)  bab.  Sanhedrin  99». 

7)  S.  überh.  Joh.  Delitzsch^  De  inspiratione  scripturae  sacrae  quid  sta- 
tuerint  patres  apostolici  et  apolo'jetae  secundi  saeculi  (Lips.  1872)  p.  4 — 8. 14—17. 
—  Bacher,  Die  älteste  Terminologie  der  jüdischen  Schriftauslegung  (1899, 
anderer  Titel  1905)  S.  180—182  s.  v.  rm.  —  Kohler,  Art.  „Inspiration"  in 
The  Jeicish  Encyclopedia  VI,  1904,  p.  607—609. 

8)  Baba  bathra  15»  (lat.  bei  Marx,  Traditio  rabbinorum  veterrima  de 
librorum  Vet.  Test  ordine  atque  origine,  Lips.  1884,  p.  23).  Philo,  Vita  Mosis 
III,  39  (ed.  Many.  II,  179).  Joseph.  Antt.  IV,  8,  48.  Vgl.  Israelsohn,  Les 
huit  demiers  tersets  du  pentateuque  (Revue  des  etudes  juives  t.  XX,  1890,  p.  304 
—307).    Bacher,  Die  Agada  der  Tannaiten,  Bd.  II,  1890,  S.  48 f.  259. 

9)  Oittin  60a. 

10)  Jesus  Sirach  Prolog:    TloM.ibv   xal  /xeydkoyv  %(ilv  öiä  xov]  vöpov  xal 


[308]  I.  Kanonische  Dignität  der  heiligen  Schriften.  3ß7 

damals  die  dritte  Sammlung  schon  abgeschlossen  war.  Im  Neuen 
Testamente  ist  noch  die  zweiteilige  Formel  herrschend  6  vopog 
xal  ol  JtQoyiJTcu  (Matth.  5,  17.  7,  12.  11,  13.  22,  40.  Luc.  16,  16. 
29.  31.  24,  27.  44  [nur  hier  mit  dem  Zusatz  ipaZfioi].  Joh.  1,  46. 
Act  13,  15.  24,  14.  28,  23.  Eom.  3,  21).  Daraus  darf  zwar  nicht 
geschlossen  werden,  daß  die  dritte  Sammlung  noch  nicht  existiert 
hat  Aber  sie  wurde  noch  nicht  als  eine  Gruppe  von  selbständiger 
Bedeutung  und  von  gleichem  Range  mit  den  beiden  anderen  em- 
pfunden. Der  älteste  Zeuge  für  eine  feste  Gestalt  des  Kanons,  und 
zwar  höchst  wahrscheinlich  unsere  heutige,  ist  Josephus.  Er  sagt 
ausdrücklich,  es  gebe  bei  den  Juden  nur  22  Schriften,  die  mit  Recht 
Vertrauen  genießen  (ßißlia öixaicog  jitmöTsv[iivd)n\  alle  an- 
deren würden  nicht  des  gleichen  Vertrauens  für  würdig  gehalten 
(jciöTscog  ovx  ofiolag  rfeicoxai).  Freilich  zählt  er  dieselben  nicht 
einzeln  auf;  aber  es  ist  sehr  wahrscheinlich,  daß  er  damit  sämt- 
liche Schriften  des  jetzigen  Kanons  und  nur  diese  meint.  Denn 
die  Kirchenväter,  namentlich  Origenes  und  Hieronymus  sagen  aus- 
drücklich, daß  die  Juden  die  Schriften  des  jetzigen  Kanons  so  zu 
zählen  pflegten,  daß  die  Zahl  22  herauskommt12.    Nur  in  betreff  | 


z(bv   7iQO<pr]z{bv   xal  zibv   ätäwv   x(bv   xax*  ahxovq   ijxoXovd-rjxözwv   öeöoiievoiv, 
vubq  wv  öiov  iaxlv  inaivetv  xbv  ^Icqa^X  naiöelaq  xal  oo<piaq  x.  x.  A. 

11)  Statt  öixalwq  Ttemozevpiva  hat  Eusebius  in  seiner  Wiedergabe  der 
Worte  des  Josephus  (Eist.  eccl.  III,  10)  öixalwq  d-sta  nenLOzev/xiva,  was  Hud- 
son und  die  späteren  Herausgeber  des  Josephus  aufgenommen  haben.  Da 
aber  9-eia  sowohl  im  griechischen  als  im  lateinischen  Text  des  Josephus  fehlt, 
ist  es  als  Zusatz  des  Eusebius  zu  betrachten  (so  z.  B.  auch  J.  G.  Müller,  Des 
Fl.  Josephus  Schrift  gegen  den  Apion  1877,  S.  100;  Gutschmid,  Kleine 
Schriften  IV,  401  f.)  und  von  Niese  mit  Recht  getilgt.  Ich  gebe  unten  auch 
im  übrigen  den  Text  nach  Niese. 

12)  Joseph,  contra  Apion.  I,  8:  Ob  fxvqidösq  ßtßUcuv  slol  nag*  ^fuv  aovfx- 
<p6)V(ov  xal  fiaxofiiva)v}  ovo  6h  ptöva  nqöq  xolq  sl'xooi  ßißXia,  xov  navxöq 
h*XOvxa  xqövov  r?)v  avayoa<pJ]v,  xa  Sixalwq  7ieniaz€Vfi£va.  Kai  xovziov  nivxe 
lifo  iozt,  MwvoiiDQ,  &  xovq  xe  vöfiovq  7tEodxBL  *°*  x^lv  ^  av&Qwnoyoviaq 
naqäSooiv  fiixQ1  r//S  ccvxov  zeXevxfjq.  Ovzoq  6  XQ&V0<Z  AnotelnBi  xoioxiMwv 
öXlyov  ixtbv.  *Anö  6h  xfjq  Matvaiojq  xeXevxijq  fiixQL  TVS  ^Agxa^BQ^ov  xov  fiexä 
AEQgrjv  JleQaGiv  ßaoiXicoq  ol  fxtxä  Mmvafjv  noo<prjzai  xä  xax*  ahzovq  ngaz* 
d-ivxa  aweyqatpav  iv  xqiol  xal  Sixa  ßißXloiq.  Al  Sh  Xoinal  xiooagsq 
vfxvovq  etq  xdv  d-edv  xal  xolq  civ&Qwnoiq  vno^xaq  xov  ßiov  neguxovaiv.  Und 
Sh  *A(>za£i()!;ov  ia£%qi  xov  xa&*  %päq  XQ^V0V  yiygtxmai  ßhv  Bxaoxa,  nlozecoq 
6*  ovx  dfxolaq  fälwxai  xolq  ngö  avzwv  Siä  xb  yd\  yevioB-ai  x^v  xwv  7iQO<pr]z6)v 
axQtßfj  öia6ox*lv>  —  Hieronymus  gibt  in  seinem  Prolofftis  galeatus  zu  den 
Büchern  Samuelis  (Opp.  ed.  VaUarsi  IX,  455  sq.,  s.  die  Stelle  z.  B.  bei  Strack 
in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  IX,  758  f.  und  in  den  Einll.  von  De 
Wette,  Bleek  u.  a.)  folgende  Zählung  als  die  bei  den  Juden  gewöhnliche 
an:  1—5)  Pentateuch,  6)  Josua,  7)  Richter  und  Ruth,  8)  Samuel,  9)  Könige, 
10)  Jesaia,   11)  Jeremia  und  KlageUeder,   12)  Ezechiel,   13)  Zwölf  kleine  Pro- 


368  §  25.    Die  Schriftgelehrsamkeit  [309] 

einiger  Schriften,  namentlich  des  hohen  Liedes  und  des  Buches 
Koheleth,  hatte  sich  im  ersten  Jahrhundert  nach  Chr.  das  Urteil 
noch  nicht  ganz  festgesetzt  Doch  ist  auch  in  betreff  ihrer  die 
vorherrschende  Ansicht  bereits  die,  daß  sie  „die  Hände  verun- 
reinigen", d.h.  als  heilige,  kanonische  Schriften  zu  betrachten  seien13. 


pheten,  14)  Hiob,  15)  Psalmen,  16)  Sprüche,  17)  Koheleth,  18)  Hohealied, 
19)  Daniel,  20)  Chronik,  21)  Esra  und  Nehemia,  22)  Esther.  —  Ganz  dieselbe 
Zahlung,  nur  in  etwas  anderer  Reihenfolge  (und  mit  Auslassung  der  zwölf 
kleinen  Propheten,  was  aber  nur  Versehen  der  Abschreiber  sein  kann),  gibt 
Origenes  bei  Enseb.  Eist  EccL  VI,  25  (wo  die  Bezeichnung  'Afx/ueoyexarieifi 
für  das  vierte  Buch  Mosis,  die  man  gewöhnlich  unerklärt  läßt,  nichts  anderes 
ist  als  ö^pö  t»in,  Joma  VII,  1;  Sota  VII,  7;  Menachoth  IV,  3).  Vgl.  über 
den  Kanon  des  Origenes  auch  v.  Kasteren,  Revue  biblique  1901,  p.  413—423, 
und  Wildeboer,  Verslagen  en  Mededeelingen  der  k.  Akademie  van  Weten- 
schappen,  Afd.  Ijetterkunde,  vierde  reeks,  deel  V,  1903,  p.  134—163.  —  Es  kann 
hiemach  kaum  zweifelhaft  sein,  daß  Josephus  ebenfalls  diese  Zählung  voraus- 
setzt und  demnach  mit  seinen  5  +  13  +  4  =  22  Schriften  eben  unsetn  jetzigen 
Kanon  meint.  Die  vier  Schriften,  welche  „Loblieder  auf  Gott  und  Lebens- 
regeln für  die  Menschen"  enthalten,  sind  die  Psalmen  und  die  drei  salomoni- 
schen Schriften.  —  Neben  der  Zählung  von  22  Büchern  findet  sich  schon  im 
IV.  B.  Esra  14,  44—46  die  Zählung  von  24  Büchern  (die  Zahl  24  ist  hier  im 
syrischen  Text  erhalten;  sie  ergibt  sich  aber  indirekt  auch  aus  den  anderen 
Texten  durch  Subtraktion:  94 — 70).  In  der  späteren  rabbinischen  Literatur 
ist  diese  Zählung  die  gewöhnliche.  Aber  das  Zeugnis  des  Josephus,  das  sich 
nicht  aus  der  Sammlung  der  griechischen  Bibel  erklären  läßt,  spricht  dafür, 
daß  die  Zählung  zu  22  Büchern  damals  in  Palästina  die  herrschende  war.  So 
auch  Zahn,  Gesch.  des  Neutest.  Kanons  II,  318—340,  Hölscher,  Kanonisch 
und  Apokryph  S.  25—29.  Anders  Strack  in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl. 
IX,  756—758.  —  Daß  die  Chronik  schon  im  Zeitalter  Christi  den  Schluß 
des  Kanons  bildete,  darf  man  wohl  aus  Ev.  Matth.  23,  35  — *  Lu,c.  11,  51 
schließen,  wo  die  Ermordung  des  Sacharja  II  Chron,  24,  20—22  als  der 
letzte  Prophetenmord  erwähnt  wird.  Chronologisch  ist  die  Ermordung  des 
Uria  Jerem.  26,  20 — 23  später.  Aber  nach  der  Reihenfolge  im  Kanon  ist  die 
in  der  Chronik  erzählte  Mordtat  allerdings  die  letzte. 

13)  Jadajim  III,  5:  „Alle  heiligen  Schriften  verunreinigen  die  Hände,  auch 
das  hohe  Lied  und  Koheleth.  R.  Juda  sagt:  Das  hohe  Lied  verunreinigt 
die  Hände,  aber  Koheleth  ist  streitig.  R.  Jose  sagt:  Koheleth  verunreinigt 
die  Hände  nicht,  und  das  hohe  Lied  ist  streitig.  R.  Simon  sagt:  Koheleth 
gehört  zu  den  Punkten,  wo  die  Schule  Schammais  erleichternd,  die  Schule 
Hillels  erschwerend  entscheidet.  R.  Simon  ben  Asai  sagte:  Ich  habe  als  Tra- 
dition von  den  72  Altesten  empfangen,  daß  an  dem  Tage,  als  R.  Eleasar  ben 
Asarja  zum  Oberhaupt  ernannt  wurde,  entschieden  wurde,  daß  das  hohe  Lied 
und  Koheleth  die  Hände  verunreinigen.  R.  Akiba  sagte:  Behüte!  Niemals  hat 
jemand  in  Israel  behauptet,  das  hohe  Lied  verunreinige  nicht  die  Hände. 
Denn  kein  Tag  in  der  Weltgeschichte  hat  solchen  Wert  wie  der,  als  das 
hohe  Lied  in  Israel  erschien.  Denn  alle  anderen  Schriften  sind  heilig,  aber 
das  hohe  Lied  allerheiligstes.  Wenn  ein  Streit  war,  so  betraf  er  Koheleth. 
R.  Jochanan  Sohn  des  Josua,  des  Sohnes  des  Schwiegervaters  R.  Akibas  sagte: 


i 


[309.  310]  I.  Kanonische  Dignität  der  heiligen  Schriften.  369 

Von  anderen  |  Schriften  als  denen  unseres  jetzigen  Kanons  läßt 
sich  nicht  nachweisen,  daß  sie  von  Seiten  des  palästinensischen 
Jndentnms  je  zum  Kanon  gerechnet  worden  seien,  wenn  auch  das 
Buch  Jesus  Sirach  in  so  hohem  Ansehen  stand,  daß  es  „zuweilen 
in  einer  nur  von  Schriftstellen  üblichen  Weise"   zitiert  wird14. 


So  wie  ben  Asai  berichtet,  so  war  man  streitig  und  so  wurde  alsdann  ent- 
schieden". —  Edujoth  V,  3:  „R.  Simon  (nach  anderer  LA.  R.  Ismael)  sagt:  In 
drei  Fällen  entscheidet  die  Schule  Schammais  erleichternd,  die  Schule  Hilleis 
erschwerend.  Nach  der  Schule  Schammais  verunreinigt  Koheleth  nicht  die 
Hände;  die  Schule  Hillels  sagt:  Er  verunreinigt  die  Hände  etc."  —  Riero- 
nymus,  Comment.  in  Ecclesiast.  12,  13  (Opp.  ed.  Vaüarsi  111,496):  Ajunt  He- 
braei  quum  inter  caetera  scripta  Salomonis  guae  antiquata  sunt  nee  in  memoria 
duraverunt  et  hie  liber  obliterandus  videretur  eo  quod  vanas  Bei  asse- 
reret  creaturas  ei  totum  ptäaret  esse  pro  nihilo  et  eibum  et  potum  et  delicias 
transeuntes  praeferret  omnibus,  ex  hoc  uno  capitulo  meruisse  auctoritatemy  ut  in 
divinorum  voluminum  numero  poneretur.  —  S.  überh.  ßleek,  Theol.  Stud.  und 
Krit,  1853,  S.  321f.  Delitzsch,  Zeitschr.  für  luth.  Theol.  1854,  S.  280-283. 
Fürst,  Der  Kanon  des  A.  T.  (1868)  S.  82  ff.  90  ff.  Strack  in  Herzog-Haucks 
Real-Enz.  3.  Aufl.  IX,  752  f.  Weber,  System  der  altsynagogalen  paläst.  Theo- 
logie S.  81.  Bacher,  Die  Agada  der  Tannaiten  I,  20 f.  II,  493.  Schiffer, 
Das  Buch  Koheleth,  nach  der  Auffassung  der  Weisen  des  Talmud  und  Mi- 
dro* ch  u.  s.  w.  1885  (Theol.  Litztg.  1886,  169).  Ad.  Schwarz,  Die  Erleichte- 
rungen der  Schammaiten  und  die  Erschwerungen  der  Hilleliten  (auch  unter 
dem  Titel:  Die  Controversen  der  Schammaiten  und  Hilleliten,  I)  Wien  1893, 
S.  90 f.  H öls eher,  Kanonisch  und  Apokryph  S.  31 — 35.  —  Über  den  Sinn 
des  Ausdrucks  „die  Hände  verunreinigen"  s.  unten  Anm.  18. 

14)  S.  Zunz,  Die  gottesdienstlichen  Vorträge  der  Juden  S.  101  f.  Gegen 
die  Annahme  einer  kanonischen  Geltung  des  Buches  Sirach  s.  Strack  in 
Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  IX,  753  f.  Grätz,  Monatsschr.  1886,  S.  281  ff. 
Hamburger,  Real-Enz.  für  Bibel  und  Talmud,  Supplementbd.  1886,  S.  81—83. 
Für  dieselbe:  Poertner,  Die  Autorität  der  deuterokanonischen  Bücher  des 
A.  T.  (1893)  S.  48—50.  Vgl.  überhaupt  die  Literatur  über  Sirach  unten  §  32, 
III,  1.  Daß  der  Alexandriner  Philo  einen  Spruch  aus  Sirach  (12,  10)  als 
Xbyiov  zitiert  (Harris ,  Fragments  of  Philo  1886  p.  104),  kommt  für  die  Wür- 
digung des  palästinensischen  Kanons  nicht  in  Betracht.  —  Vollends  irrig  ist 
es,  wenn  Movers  (Loci  quidam  historiae  canonis  Vet.  Test,  illustrati  1842, 
p.  14  sq.)  und  nach  ihm  Bleek  (Stud.  u.  Krit.  1853,  S.  323)  aus  den  Stellen 
des  Josephus,  wo  dieser  im  allgemeinen  versichert,  daß  ihm  für  seine  ganze 
Geschichte  „die  heiligen  Schriften"  (tä  leoä  ygäfa/uaTa,  al  Uoal  ßißkoi)  als 
Quelle  gedient  hätten  {Äntt.  Vorw.  §  3;  X,  10,  6;  XX,  11,  2;  contra  Apion.  I, 
1.  10),  den  Schluß  ziehen  zu  dürfen  meinen,  daß  Josephus  auch  diejenigen 
seiner  Quellen,  die  nicht  zum  hebräischen  Kanon  gehören,  als  „heilige 
Schriften"  betrachte.  Denn  dabei  handelt  es  sich  vorwiegend  um  heidnische 
Quellen!  Auch  Geiger  hat  Unrecht,  wenn  er  unter  den  „heiligen  Schriften", 
welche  nach  Schabbath  XVI,  1  am  Sabbath  nicht  gelesen  wurden,  die  Apo- 
kryphen verstehen  will  (Zeitschr.  1867,  S.  98 — 102).  Denn  hiermit  sind  sicher, 
wie  auch  die  jüdischen  Ausleger  erklären,  die  Kethubim  gemeint.  (Von  diesen 
wurden  im  Synagogengottesdienst  nur  die  fünf  Megilloth  gebraucht,  und  auch 
Schür  er,  Geschichte  II.   4.  Aufl.  24 


370  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [310.  311] 

Nur  die  hellenistischen  |  Juden  haben  noch  eine  ganze  Anzahl 
anderer  Schriften  mit  denen  des  hebräischen  Kanons  vereinigt 
Aber  sie  hatten  Überhaupt  keinen  festgeschlossenen  Kanon. 

Trotz  der  Zusammenstellung  der  Nebivm  und  der  Kethubim  mit 
der  Thora  sind  jene  doch  niemals  dieser  ganz  gleichgestellt  worden. 
DieThora  hat  in  der  religiösen  Wertschätzung  immer  eine  höhere 
Stelle  eingenommen.  In  ihr  ist  die  ursprüngliche  Offenbarung  des 
göttlichen  Willens  niedergelegt  und  vollständig  enthalten.  In  den 
Propheten  und  den  anderen  heiligen  Schriften  ist  dieser  Wille 
Gottes  im  Grunde  doch  nur  weiter  tiberliefert.  Daher  werden 
diese  geradezu  als  die  „Überlieferung"  (nbap,  aramäisch  anEbfc?») 
bezeichnet  und  als  solche  zitiert15.  Wegen  des  höheren  Wertes 
der  Thora  wird  auch  bestimmt,  daß  zwar  für  den  Erlös  heiliger 
Schriften  ein  Gesetzbuch  angekauft  werden  dürfe,  nicht  aber  für 
den  Erlös  eines  Gesetzbuches  heilige  Schriften 16.  —  Im  allgemeinen 
partizipieren  jedoch  auch  die  Nebiim  und  Kethubim  an  den  Eigen- 
schaften der  Thora.  Sie  alle  sind  „heilige  Schriften"  (th^ri  *zrp) l7; 
in  bezug  auf  sie  alle  wird  bestimmt,  daß  sie  „die  Hände  unrein 
machen" 18.    Sie  alle  werden  auch  im  wesentlichen  mit  denselben 


diese  nur  bei  einzelnen  Gelegenheiten  im  Jahre,  s.  unten  §  27  gegen  Ende). 
Abzuweisen  ist  daher  auch  die  Meinung  Hansdorf fs,  daß  darunter  die  Tar- 
gumim  zu  verstehen  seien  (Monatsschr.  für  Gesch.  und  Wissensch.  des  Juden th. 
Bd.  38,  1894,  S.  203  ff.). 

15)  In  der  Mischna  Taanith  II,  1  wird  eine  Stelle  aus  Joel  zitiert  mit  der 
Formel:  „in  der  Überlieferung  sagt  er"  (-mix  «in  nbapa).  —  Vgl.  überh. 
Zunz,  Die  gottesdienstlichen  Vorträge  der  Juden  8.  44.  Herzfeld,  Gesch. 
des  Volkes  Jisrael  III,  18f.  Joh.  Delitzsch',  De  inspiratione  scriphtrae  saorae 
p.  7  sq.  Taylor,  Sayings  of  the  Jewish  fathers  (Cambridge  1877)  p.  120  sq. 
Blau,  Jahresbericht  der  Landes- Rabbinerschule  in  Budapest  1894,  S.  24 ff. 
Bacher,  Die  älteste  Terminologie  (1899)  S.  165 f. 

16)  Megüla  III,  1. 

17)  Schabbath  XVI,  1.  ErubinX,3.  Baba  bathra  I,  6  fin.  Sanhedrin  X,  6. 
Para  X,  3.  Jadajim  Hl,  2.  5.  IV,  6.  Blau,  Jahresbericht  der  Landes-Rabbiner- 
schule  in  Budapest  1894,  S.  12  ff. 

18)  Edujoth  V,  3.  Kelim  XV,  6.  Jadajim  III,  2.  4.  5.  IV,  5.  6.  —  Der 
Sinn  dieser  Bestimmung  wird  nirgends  erläutert.  Wir  können  ihn  nur  aus 
folgenden  Einzelsätzen  erschließen.  Jadajim  III,  2:  Eine  Hand  verunreinigt 
die  andere,  sagt  R.  Josua.  Die  Gelehrten  sagen:  zweiter  Grad  (der  Un- 
reinheit) macht  nicht  wieder  zweiten  Grad.  Er  wendet  ein:  die  heiligen 
Schriften  sind  zweiter  Grad  und  verunreinigen  doch  die  Hände  zu  zweitem. 
III,  3:  Die  Riemen  der  Tephillin,  wenn  sie  an  den  Tephillin  sind,  verun- 
reinigen die  Hände.  III,  4:  Der  leere  Rand  am  Gesetzbuch  . . .  verunreinigt 
die  Hände.  IH,  5:  Ein  verlöschtes  Gesetzbuch,  worin  nur  noch  85  Buchstaben 
sind,  wie  der  Abschnitt  Num.  10,  35 f.,  verunreinigt  die  Hände,  ebenso  ein 
einzelnes  Stück,  wenn  85  Buchstaben  darauf  sind.  IV,  5:  Die  aramäischen 
Stücke  in   Esra  und  Daniel   verunreinigen   die  Hände;   aber  aramäisch  in 


[311.  312]  I.  Kanonische  Dignität  der  heiligen  Schriften.  371 

Formeln  zitiert  Denn  wenn  auch  für  die  Thora  zuweilen  besondere 
Formeln  gebraucht  werden,  so  wird  doch  die  am  gewöhnlichsten 
vorkommende  Formel  l£8|ti  „denn  es  ist  gesagt",  unterschiedslos 
bei  der  Thora  wie  bei  den  anderen  Schriften  angewandt19;  ebenso 
im  Bereiche  des  Hellenismus  (vgl.  |  das  Neue  Testament)  die  Formel 
yiyQajtrai  und  ähnliche20.    Ja  die  Nebiim  und  Kethubim  werden 


hebräischer  Schrift  und  hebräisch  in  aramäischer  Schrift  verunreinigt  die 
Hände  nicht;  es  verunreinigt  nur,  wenn  es  mit  assyrischer  Schrift  (rvnTOK) 
auf  Pergament  mit  Tinte  geschrieben  ist.  IV,  6:  Die  Zaddukim  sagten  zu 
den  Peruschim:  Wir  müssen  euch  tadeln,  ihr  Peruschim,  daß  ihr  behauptet, 
heilige  Schriften  verunreinigen  die  Hände,  aber  die  Schriften  des  Homeros  nicht. 
Darauf  erwiderte  Babban  Jochanan  ben  Sakkai:  „Ist  das  etwa  das  einzige 
dieser  Art,  was  man  den  Peruschim  vorwerfen  kann?  Sie  sagen  auch:  die 
Gebeine  eines  Esels  sind  rein,  aber  die  des  Hohenpriesters  Jochanan  unrein. 
Darauf  erwiderten  jene:  nach  Verhältnis  der  Liebe  erklärt  man  die  Gebeine 
für  unrein,  damit  nicht  etwa  jemand  aus  den  Gebeinen  seines  Vaters  oder 
seiner  Mutter  Löffel  mache.  Hierauf  versetzte  er:  nun  so  ist  es  auch  mit 
den  heiligen  Schriften  ein  Beweis  der  Liebe,  daß  man  die  Hände  für  verun- 
reinigt erklärt.  —  Kelim  XV,  6:  Alle  heiligen  Schriften   verunreinigen  die 

Hände  außer  das  Gesetzbuch  im  Vorhofe  (des  Tempels). Nach  allen 

diesen  Stellen  kann  es  nicht  zweifelhaft  sein,  daß  wirklich  durch  Berührung 
heiliger  Schriften  eine  Verunreinigung  der  Hände  bewirkt  wird.  Es  kann 
also  nicht  übersetzt  werden:  „alle  heiligen  Schriften  erklären  die  sie  be- 
rührenden Hände  ohne  vorhergehende  Waschung  für  unrein"  (so  Fürst, 
Der  Kanon  des  A.  T.  1868,  S.  83).  Vielmehr  bedürfen  die  Hände  nach  er- 
folgter Berührung  einer  Reinigung,  und  zwar  gerade  deshalb,  weil  die  heiligen 
Schriften  etwas  Ehrwürdiges  sind.  Es  liegt  demnach  in  letzter  Instanz  die 
Vorstellung  zugrunde,  welche  die  moderne  Religionswissenschaft  mit  dem 
Wort  tabu  bezeichnet:  das  ist,  nach  primitiver  religiöser  Vorstellung,  das  dem 
profanen  Gebrauch  Entzogene,  Unnahbare  (lateinisch  sacer).  Wer  sich  damit 
beschäftigt,  hat  bei  der  Rückkehr  zum  profanen  Leben  einen  Reinigungs- 
Ritus  durchzumachen.  Unter  diesem  Gesichtspunkte  sind  also  die  heiligen 
Schriften  betrachtet  worden.  Analog  ist  es,  wenn  der  Hohepriester  nicht  nur 
vor,  sondern  auch  nach  Verrichtung  seines  Dienstes  ein  Reinigungsbad  neh- 
men muß  (Lev.  16,4.  24).  Vgl.  Robertson  Smith,  Die  Religion  der  Semiten, 
1899,  S.  117.  Budde,  Der  Kanon  des  A.  T.  S.  3—6.  Hölscher,  Kanonisch 
und  Apokryph  S.  4 f.  Über  andere  Ansichten  referiert  A icher,  Das  A.  T.  in 
der  Mischna,  1906,  S.  23—26. 

19)  So  z.  B.,  um  nur  Zitate  aus  den  Kethubim  anzuführen:  Berachoth 
VH,  3  (Ps.  68,  27),  Berachoth  IX,  5  (Ruth  2,  4),  Pea  Vin,  9  (Prov.  11,  27), 
Schabbath  IX,  2  (Prov.  30,  19),  Schabbaih  IX,  4  (Ps.  109,  18),  Bosch  haschana 
I,  2  (Ps.  33,  15).  —  Hier  überall  werden  die  Zitate  mit  der  Formel  *raa«ü 
eingeführt.  Eben  diese  Formel  ist  aber  auch  bei  den  Zitaten  aus  der  Thora 
und  den  Nebiim  bei  weitem  die  häufigste.  Vgl.  überhaupt  das  Verzeichnis 
der  Schriftzitate  in  der  Mischna  bei  Pinner,  Obersetzung  des  Tractates  Be- 
rachoth (1842),  Einleitung  fol.  21b. 

20)  S.  überh.  über  die  Zitationsformeln:  Surenhusius,  BißXoq  xaxaXXa- 
yfft  (Amstelaedami  1713)  p.  1 — 36.    Döpke,  Hermeneutik   der  neutestament- 

24* 


372  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [312.  313] 

zuweilen  geradezu  auch  als  „Gesetz"  (popoq)  zitiert21.  Und  es  ist 
für  die  ganze  Beurteilung  ihres  Wertes  von  Seiten  des  Judentums 
vielleicht  nichts  charakteristischer  als  dies:  auch  sie  sind  für 
das  jüdische  Bewußtsein  in  erster  Linie  nicht  Mahn-  und 
Trostschriften,  nicht  Erbauungs-  und  Geschichtsbücher,  sondern 
ebenfalls  „Gesetz",  der  Inbegriff  der  Forderungen  Gottes 
an  sein  Volk. 


IL  Die  Schriftgelehrten  und  ihre  Tätigkeit  im 

allgemeinen. 

Literatur: 

Ursinus,  Antiquitäten  Hebraicae  scholastico-academicae.    Eafniae  1702  (auch 

in  Ugolinis  Thesaurus  t,  XXI). 
Hartmann,   Die  enge  Verbindung  des  Alten  Testaments   mit  dem  Neuen 

(1831)  S.  384—413. 
G  fror  er,  Das  Jahrhundert  des  Heils  I  (1838),  S.  109—214. 
Win  er,  RWB.  II,  425—428  (Art.  Schriftgelehrte). 
Jost,   Das   geschichtliche    Verhältnis    der   Babbinen   zu    ihren    Gemeinden 

(Zeitschr.  für  die  historische  Theologie  1850,  8.  351—377). 
Levysohn,  Einiges  über  die  hebräischen  und  aramäischen  Benennungen  für 

Schule,  Schüler  und  Lehrer  (Frankeis  Monatsschr.  für  Gesch.  und  Wissensch. 

des  Judenth.  1858,  S.  334—389). 
Leyrer,  Art.  „Schriftgelehrte"  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  Bd.  Xni  (1860), 

S.  731—741. 
Klöpper,  Art.  „Schrift gelehrte"  in  Schenkels  Bibellexikon  Bd.  V,  S.247 — 255. 
Ginsburg,  Art.  „Scribes"  in  Kittos  Gyclopaedia  of  Biblical  Literature.  \ 
Plumptre,  Art.  „Scribes"  in  Smiths  Dictionary  of  the  Bible. 
Weber,  System  der  altsynagogalen  palästinischen  Theologie  (1880)  S.  121—143. 
Hamburger,  Real-Enzyklopädie  für  Bibel  und  Talmud,  Abt.  II  (1883),  Art. 

Gelehrter,  Lehrhaus,  Rabban,  Schüler,  Sopherim,  Talmudlehrer,  Talmud- 
schulen, Unterhalt,  Unterricht. 
Strack,   Art.  „Schriftgelehrte"  in  Herzog-Haucks  Real-Enz.   3.  Aufl.   XVII 

(1906)  S.  775—779. 


liehen  Schriftsteller  (1829)  S.  60—69.  Pinner,  Übersetzung  des  Tractates 
Berachoth,  Einleitung  foL  21» — 22».  Joh.  Delitzsch,  De  inspiratione  serip- 
turae  sacrae  p.  4  sq.  Vgl.  auch  Strack,  Prolegomena  critica  in  Vet.  Test. 
(1873),  p.  &Jsqq. 

21)  Rom.  3,  19.  I  Kor.  14,  21.  Ev.  Joh.  10,  34.  12,  34.  15,  25.  Aus  dem 
babylonischen  Talmud  führt  Low,  Gesammelte  Schriften  Bd.  I,  1889,  S.  310 
folgende  Stellen  an,  an  welchen  „auch  die  Propheten  und  Hagiographen  als 
Thora  bezeichnet  werden":  Erubin  58»,  Moed  katon  5»,  Jebamoth  4»,  Becho- 
roth  50»,  Sanhedrin  1041),  Gittin  36»,  ArachinW*.  Vergl.  Strack  in  Herzog- 
Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  IX,  767.  Blau,  Zur  Einleitung  in  die  heil.  Schrift 
(Jahresber.  der  Landes-Rabbinerschule  in  Budapest)  1894  S.  16  f.  Bacher, 
Die  älteste  Terminologie  der  jüd.  Schriftauslegung  (1899)  S.  197. 


[313]        II.  Die  Schriftgelehrten  und  ihre  Tätigkeit  im  allgemeinen.  373 

Ryssel,  Die  Anfänge  der  jüdischen  Schriftgelehrsamkeit  (Theol.  Stud.  und 

Krit  1887,  S.  149—182). 
Bacher,  Die  Agada  der  Tannaiten,  2  Bde.  1884—1890,  Bd.  I,  2.  Aufl.  1903 

(Sachregister  s.  v.  Lehrhaus,  Lehrer,  Schüler). 
Bousset,  Die  Religion  des  Judentums  im  neu  testamentlichen  Zeitalter.  2.  Aufl. 

1906,  S.  186—197. 
Lightley,  Les  scribes.    Etüde  sur  leur  origine  che*  les  Israilites.    These,  Ca- 

hors  1905  (88  p.). 

Mit  dem  Dasein  eines  Gesetzes  ergibt  sich  von  selbst  auch 
die  Notwendigkeit  gelehrten  Studiums  und  fachmännischer 
Kenntnis  desselben.  Wenigstens  tritt  dieses  Bedürfnis  in  dem 
Maße  ein,  als  das  Gesetz  ein  umfangreiches  und  kompliziertes  ist. 
Die  Kenntnis  des  Details,  die  Sicherheit  in  der  Anwendung  seiner 
einzelnen  Bestimmungen  auf  das  alltägliche  Leben  kann  dann  nur 
durch  berufsmäßige  Beschäftigung  erworben  werden.  Zur  Zeit 
Esras  und  wohl  auch  noch  längere  Zeit  nachher  war  dies  nun 
vorwiegend  Sache  der  Priester.  Esra  selbst  war  ja  beides 
zugleich:  Priester  und  Gelehrter  (itfte).  Im  Interesse  des 
priesterlichen  Kultus  ist  der  wichtigste  Bestandteil  des  Penta- 
teuches,  der  Priesterkodex,  geschrieben.  Priester  waren  darum 
auch  zunächst  die  Kenner  und  Wächter  des  Gesetzes.  Allmählich 
wurde  dies  aber  anders.  Je  höher  das  Gesetz  in  der  Wertschätzung 
des  Volkes  stieg,  desto  mehr  wurde  das  Studium  und  die  Aus- 
legung desselben  eine  selbständige  Aufgabe  für  sich.  Es  war  ja 
das  Gesetz  Gottes.  An  seiner  Kenntnis  und  Befolgung  hing  für 
jedermann  aus  dem  Volke  ganz  dasselbe  Interesse,  wie  für  die 
Priester.  So  bemächtigten  sich  mehr  und  mehr  auch  nicht- 
priesterliche  Israeliten  der  gelehrten  Beschäftigung  mit  dem 
Gesetz.  Neben  den  Priestern  bildete  sich  ein  selbständiger  Stand 
von  „Schriftgelehrten",  d.  h.  von  berufsmäßigen  Kennern  des 
Gesetzes.  Wie  angesehen  und  einflußreich  dieser  Stand  im  Anfang 
des  zweiten  Jahrhunderts  vor  Chr.  war,  sehen  wir  aus  Sirach  38, 
24—39, 11.  Die  Schriftgelehrten  haben  den  Vorrang  in  der  Volks- 
versammlung; sie  sind  die  Richter  und  die  Kenner  des  Gesetzes; 
sie  verstehen  sich  auch  auf  die  Sprüche  der  Weisen  {Sir.  38,  33). 
Der  Schriftgelehrte  „dient  inmitten  der  Herrscher  und  erscheint 
vor  den  Fürsten"  (39,  4).  „Wenn  es  Gott  gefällt,  wird  er  mit  dem 
Geiste  der  Einsicht  erfüllt"  (39,  6).  „Er  trägt  einsichtsvolle  Lehre 
vor  und  rühmt  sich  des  Gesetzes  des  Herrn"  (39,  8).  „Seine  Ein- 
sicht loben  viele,  und  nie  wird  ausgetilgt  sein  Name.  Sein  Ge- 
dächtnis hört  nicht  auf  in  Ewigkeit,  und  sein  Name  lebt  von  Ge- 
schlecht zu  Geschlecht"  (39, 9).  „Seine  Weisheit  preist  die  Gemeinde, 
und  sein  Lob  verkündet  die  Versammlung"  (39,  10,  Übersetzung 


374  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [313.  314] 

nach  Smend).  —  Als  in  der  Zeit  des  Hellenismus  die  Priester 
wenigstens  in  ihren  höheren  Schichten  sich  vielfach  der  heidnischen 
Bildung  zuwandten  und  das  väterliche  Gesetz  mehr  oder  weniger 
vernachlässigten,  traten  die  Schriftgelehrten  in  einen  relativen 
Gegensatz  zu  den  Priestern.  Nicht  mehr  die  Priester,  sondern  die 
Schriftgelehrten  waren  jetzt  die  eifrigen  Hüter  des  Gesetzes.  Sie 
waren  darum  von  nun  an  auch  die  eigentlichen  Lehrer  des 
Volkes,  welche  dessen  geistiges  Leben  vollständig  beherrschten. 
In  der  Zeit  des  Neuen  Testamentes  finden  wir  diesen  Prozeß 
schon  völlig  abgeschlossen  vor:  die  Schriftgelehrten  bilden  einen 
festgeschlossenen  Stand,  welcher  im  unbestrittenen  Besitze  der 
geistigen  Herrschaft  über  das  Volk  ist  Sie  heißen  im  Neuen 
Testamente  gewöhnlich  yQaftfiarslg,  d.  h.  „Schriftkundige",  „Ge- 
lehrte", entsprechend  dem  hebräischen  D'HBio,  was  an  sich  auch 
nichts  anderes  als  homines  literati  bedeutet  (Männer,  die  sich  be- 
rufsmäßig mit  dem  Schriftwesen  beschäftigen)  K  Daß  ihre  gelehrte 
Beschäftigung  vorwiegend  dem  Gesetze  galt,  verstand  sich  dabei 
von  selbst2.  Neben  dieser  allgemeinen  Bezeichnung  findet  sich 
auch  die  speziellere  voficxol  d.  h.  „Gesetzeskundige",  „Rechtsgelehrte" 
(Mt.  22,  35.  Luc.  7,  30.  10,  25.  11,  45  f.  52.  14,  3)3;  und  sofern  sie  das 


1)  "ifi'lD  ist  jeder,  der  eich  berufsmäßig  mit  dem  Bachwesen  beschäftigt, 
z.  B.  auch  ein  Schreiber  (Schabbath  XII,  5.  Nedarim  IX,  2.  Gütin  1H,  1. 
VII,  2.  VIII,  8.  IX,  8.  Baba  tnexia  V,  11.  Sanhedrm  IV,  3.  V,  5)  oder  ein 
Buchbinder  (Pesachim  III,  1).  —  Im  Alten  Testament  ist  *iKriö  zunächst  ein 
Beamter,  der  mit  dem  Schriftwesen  zu  tun  hat,  namentlich  der  Kanzler  des 
Königs,  der  die  Staatsschriften  ausfertigt;  dann  aber  auch  ein  Gelehrter  und 
Gesetzeskundiger.  S.  Gesenius,  Thesaurus  p.  966  und  überhaupt  die  Lexika. 
Über  yga^fxaxevq  in  den  Apokryphen  des  A.  T.  s.  Wahl,  Olavis  librorum 
V.  T.  apoer.  s.  v.  Über  die  Schriftgelehrten  der  vormakkabäischen  Zeit  s.  auch 
Wellhausen,  Israelitische  und  jüdische  Geschichte  (1894)  S.  153  f.  4.  Ausg. 
(1901)  S.  196  ff.  —  Wenn  es  im  Talmud  heißt,  daß  die  Schriftgelehrten  des- 
halb D-nEno  hießen,  weil  sie  die  Buchstaben  der  Thora  zählten  (Kidduschin  30 » 
bei  Wünsche,  Neue  Beiträge  zur  Erläuterung  der  Evangelien  1878,  S.  13. 
179),  so  ist  dies  natürlich  nur  eine  wertlose  etymologische  Spielerei.  —  Vgl. 
überh.  Bacher,  Die  älteste  Terminologie  (1899)  S.  134—136. 

2)  Josephus  Antt.  Schlußwort  (XX,  11,  2)  sagt  von  den  Juden:  fxövoiq 
6h  oocplav  /xaQTVQovoi  xoXq  xä  vdfufjta  aagnbq  imarafiSvoig  xal  x^v  x(av  Isqwv 
yQafjLfxaxiov  Svvafuv  hQfJLtiveüJoai  öwapivoiq. 

3)  vofiixdg  ist  in  der  späteren  Gräzität  der  eigentlich  technische  Ausdruck 
für  „Rechtsgelehrter"  juris  peritus.  So  namentlich  auch  von  den  römischen 
Juristen,  Strabo  p.  539:  ol  naga  'Pwfjtaloig  vofiixot,  auch  im  Edictum  Diode- 
tiani,  s.  Rudorff,  Romische  Rechtsgeschichte  II,  54.  —  Es  ist  nicht  zufällig, 
daß  dieser  Ausdruck  gerade  bei  Lucas  sich  häufig  findet.  Er  will  dadurch 
das  Wesen  der  jüdischen  Schriftgelehrten  seinen  römischen  Lesern  ver- 
deutlichen. 


[314.  315]     II.  Die  Schriftgelehrten  und  ihre  Tätigkeit  im  allgemeinen.       375 

Gesetz  nicht  nur  kannten,  sondern  auch  lehrten,  heißen  sie  vopo- 
öiöaoxaloi,  „Gesetzeslehrer"  (Luc.  5, 17.  Act.  5,  34).  Josephus  nennt 
sie  xcltqIcov  igrjyriTal  v6(ia>v\  oder  itf  gräzisierender  Weise  00- 
q>iöralb,  auch  isQoyQafifdarsls*.  Der  Titel  10*10  findet  sich  noch 
bei  Sirach  38,  24.  Dagegen  in  der  Mischna  wird  der  Ausdruck 
D*nöio  nur  von  den  Schriftgelehrten  der  früheren  Zeit  gebraucht, 
welche  für  das  Zeitalter  der  Mischna  selbst  schon  eine  Autorität 
sind 7.   Die  zeitgenössischen  Gelehrten  heißen  in  der  Mischna  immer 

Das  außerordentliche  Ansehen,  dessen  diese  „Gelehrten"  von 
seiten  des  Volkes  genossen,  prägt  sich  schon  aus  in  den  Ehren- 
titeln, die  sie  sich  geben  ließen.  Am  gewöhnlichsten  war  die  An- 
rede **2n,  eigentlich  „mein  Herr",  griechisch  gaßßi  {Matth.  23,  7  und 
sonst)8.    Aus  dieser  ehrfurchtsvollen  Anrede  hat  sich  dann  all- 


4)  Antt.  XVII,  6,  2.    Vgl.  XVIII,  3,  5. 

5)  Bell.  Jud.  1,  33,  2.  II,  17,  8.  9. 

6)  Bell.  Jud.  VI,  5,  3. 

7)  So  Orla  III,  9.  Jebatnoth  II,  4.  IX,  3  (Sota  IX,  15).  Sanhedrin  XI,  3. 
Kelim  XIII,  7.  Para  XI,  4-6.  Tohoroth  IV,  7.  11.  Tebul  jom  IV,  6.  Jada- 
jim  III,  2.  —  An  allen  diesen  Stellen  (mit  Ausnahme  der  nicht  zum  ursprüng- 
lichen Mischnatext  gehörigen  Stelle  in  Sota  IX,  15)  ist  von  „Verordnungen 
der  Schriftgelehrten"  (d^Blo  ^31)  im  Unterschied  von  den  Satzungen  der 
Thora  die  Bede,  und  zwar  so,  daß  auch  erstere  als  längst  in  Geltung  befind- 
liche vorausgesetzt  werden.  Abgesehen  von  diesen  Stellen  kommt  der  Aus- 
druck D"»*ibid  nur  noch  in  dem  oben  Anm.  1  angegebenen  Sinne  in  der  Mischna 
vor.  Im  Vulgär-Text  des  Schmone  Esre  wird  in  der  13.  Beracha  gebetet, 
daß  Gott  sein  Erbarmen  walten  lassen  möge  „über  die  Gerechten  und  Frommen 
und  Älteste  Israels  und  über  den  Best  der  Schriftgelehrten"  (ö'nBlö  no^bfi). 
Aber  die  letzten  Worte  fehlen  in  den  älteren,  auch  sonst  abweichenden  Re- 
zensionen des  Gebetes,  s.  Dalman,  Die  Worte  Jesu  1898,  S.  300.  303.  El- 
bogen,  Geschichte  des  Achtzehngebets  1903,  S.  59  =  Monatsschr.  f.  Gesch.  u. 
Wi6s.  d.  J.  1902,  S.  524  f.  —  Das  griech.  ygafx^azavq  findet  sich  noch  auf 
jüdischen.  Grabschriften  in  Born  in  der  späteren  Kaiserzeit  (2. — 4.  Jahrh.  n. 
Chr.),  8.  Qarrucei,  Oimüero  degli  antichi  Ebrei  scoperto  recentemente  in  Viyna 
Bandanmi  (1862)  p.  42.  46.  47.  54  55.  59.  61.  Garrucci,  Dissertaxdoni  archeo- 
logiche  vol.  II  (1865)  p.  165  n.  20.  21.  p.  182  n.  21. 

8)  an  heißt  im  A.  T.  der  „Oberste"  (z.  B.  der  Eunuchen  oder  der 
Magier,  Jerem.  39,  3. 13);  in  der  Mischna  der  „Herr",  z.  B.  im  Gegensatz  zum 
Sklaven  (Sukka  II,  9.  Qittvn  IV,  4  5.  Edujoth  I,  13.  Aboth  I,  3).  Es  hat 
aber  dann,  wie  das  lateinische  magister,  auch  die  Bedeutung  „Lehrmeister, 
Lehrer"  erhalten.  So,  wie  es  scheint,  schon  in  einem  dem  Josua  ben  Perachja 
zugeschriebenen  Ausspruch,  Aboth  I,  6.  Im  Zeitalter  der  Mischna  ist  diese 
Bedeutung  jedenfalls  ganz  gewöhnlich,  s.  Bosch  haschana  II,  9  fin.  Baba  mexda 
II,  11.  Edujoth  I,  3.  Vm,  7.  Aboth  IV,  12.  Kerühoth  VI,  9  fin.  Jadajim 
IV,  3  fin.  —  Wenn  daher  die  Lehrer  mit  *an  angeredet  werden  (so  z.  B. 
Pesachim  VI,  2.  Bosch  haschana  TL,  9  fin.  Nedarim  IX,  5.  Baba  kamma 
Vm,  6;  auch  c.  Suff.  Plural.  w»an  Berachoth  II,  5—7),  so  ist  der  Sinn  nicht 


376  §  25*   Die  Schriftgelehrsamkeit  [315.  316] 

mählich  der  Titel  „Rabbi"  gebildet,  indem  bei  dem  häufigen  Ge- 
brauch der  Anrede  das  Suffixum  seine  Pronominalbedeutung  verlor 
und  ian  auch  außer  der  Aürede  geradezu  als  Titel  gebraucht  wurde 
(Rabbi  Josua,  Rabbi  Elieser,  Rabbi  Akiba) 9.  Vor  der  Zeit  Christi 
ist  dieser  |  Gebrauch  noch  nicht  nachweisbar.  Hillel  und  Schammai 
heißen  nie  Rabbi;  auch  im  Neuen  Testamente  findet  sich  Qaßßl  nur 
als  eigentliche  Anrede.  Erst  ungefähr  seit  der  Zeit  Christi  scheint 
der  Titel  in  Gebrauch  gekommen  zu  sein.  —  Eine  Steigerungsform 
von  m  ist  "jan  oder,  wie  das  Wort  auch  ausgesprochen  wurde,  ytan. 
Die  erstere  Form  scheint  mehr  dem  hebräischen,  die  letztere  mehr 
dem  aramäischen  Sprachgebrauch  anzugehören10.  Daher  findet 
sich  in  der  Mischna  "jai  als  Titel  von  vier  hervorragenden  Schrift- 
gelehrten aus  dem  Zeitalter  der  Mischna  (um  30—150  nach  Chr.)11. 


our  „mein  Herr",  sondern  zugleich  auch  „mein  Lehrer".  Für  andere 
Hochgestellte,  z.  B.  den  Hohenpriester,  kommt  die  Anrede  •vrhx  vor  (Joma  I, 
3.  5.  7.  IV,  1.  Tamid  VI,  3.  Para  IH,  8).  Die  Erklärung  von*  faßßet  durch 
öiddoxaXe  (Ev.  Joh.  1,  38)  ist  daher  nicht  unrichtig.  Vgl.  auch  Hieronymus 
ad  Matth.  23,  7  (Vallarsi  VII,  184):  et  vocentur  ab  hominibus  Rabbi,  quod  La- 
tino  sermone  mag  ist  er  dicitur.  Ders.,  Onomast,  ed  Lagarde  p.  63:  Rabbi 
magister  mens,  syrum  est.  Daselbst  auch  die  griechischen  Onomastica  p.  175, 
30.  197,  26.  204,  26. 

9)  Ähnlich  wie  Monsieur.  —  Vgl.  über  den  Rabbi-Titel  überhaupt:  Se- 
ruppii  Dissert.  de  titulo  Rabbi  (in  Ugotinis  Thesaurus  T.  XXI).  Light foot 
und  Wetstein  zu  Mt.  23,  7.  Buxtorf,  De  abbreviaiuris  hebraicis  p.  172 — 177. 
CarpxoPy  Apparatus  historico-criticus  p.  137  sqq.  Winer  RWB.  H,  296  f. 
Pressel  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  XII,  471  f.  Grätz,  Gesch.  der  Juden 
IV,  431.  Ewald,  Gesch.  des  Volkes  Israel  V,  25.  305.  Steiner  in  Schenkels 
Bibellex.  V,  29 f.  Riehms  Wörterb.  s.  v.  Hamburger  Real.-Enz.  Abt  H 
Art.  „Rabban".  Levy,  Neuhebr.  Wörterb.  IV,  409.  416.  Leop.  Low,  Ge- 
sammelte Schriften  IV.  Bd.  1898,  S.  211—216.  Dalman,  Die  Worte  Jesu, 
Bd.  I,  1898,  S.  272—280.  Th.  Reinach,  Revue  des  itudes  juives  t.  XLVHI, 
1904,  p.  191—196  (Inschr.  von  Cypern :  ev)fi  fraßßl  kxvtxov).  The  Jewish  Ency- 
clopedta  X,  1905,  p.  294  sq.  Die  Lexika  zum  Neuen  Testamente  s.  v.  faaßßi. 
—  Neben  Rabbi  findet  sich  spater  auch  die  Aussprache  Rebbi,  z.  B.  duo  reb- 
bites  auf  einer  Grabschrift  zu  Venoea  {Corp.  Inscr.  Lat.  t.  IX  n.  648  u.  6220  = 
Lenormant,  Revue  des  itudes  juives  t.  VI  p.  205),  BrjQeßt  =  *W*2  —  *0*i  "O 
auf  einer  Grabschrift  zu  Jope  (Euting,  Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie 
1885,  S.  681,  Nr.  54,  W^a  ebendas.  S.  680)  und  Ribbi  (wna  auf  einer  palä- 
stinensischen Grabschrift,  Palest.  Explor.  Fund,  Quarierly  Statement  1900,  p.  117). 

10)  In  den  Targumen  kommen  beide  Formen  vor  (s.  Buxtorf,  Lex.  Chald. 
s.  v.,  Levy,  Chald.  Wörterb.  s.  v.)t  im  Hebräischen  dagegen  fast  nur  *|Sn. 
Für  die  Form  "pan  ist  mir  in  der  Mischna  nur  eine  Belegstelle  bekannt:  Taa- 
nith  III,  8,  wo  es  in  bezug  auf  Gott  gebraucht  wird.  —  Ober  die  Bedeutung 
von  "pi  heißt  es,  nach  älteren  Autoritäten,  im  Äruch  (s.  v.  ^SK,  s.  die  Stelle 
z.  B.  bei  Buxtorf,  De  abbreviaturis  p.  176):  "pn  *a-ra  bwi  W  S*na  bna 
„Höher  als  Rab  ist  Rabbi  und  höher  als  Rabbi  ist  Rabban". 

11)  Diese  vier  sind:    1)  Rabban  Gamaliel  I,   2)  Rabban  Jochanan  ben 


[316.  317]    II.  Die  Schriftgelehrten  und  ihre  Tätigkeit  im  allgemeinen.      377 

im  Neuen  Testamente  dagegen  gaßßowl  Cpsn  oder  "psn  c  Suff.)  als 
ehrfurchtsvolle  Anrede  an  Christum  (Marc.  10,  51.  Joh.  20, 16)  ri.  —  | 
Im  Griechischen  des  Neuen  Testamentes  wird  Rabbi  durch  xvqib 
(ML  8,  2.  6.  8.  21.  25  und  oft)  oder  öiödoxaZe  (ML  8,  19  und  oft), 
von  Lucas  auch  durch  hmoraxa  (Luc.  5,  5.  8,  24.  45.  9,  33.  49.  17, 13) 
wiedergegeben.  —  Als  sonstige  Ehrenprädikate,  welche  den  Schrift- 
gelehrten gegeben  wurden,  werden  noch  erwähnt  jiclttiq  und  xafr?)- 
yr]r^Q  (Mt.  23, 9. 10).  Letzteres  ist  wahrscheinlich  =  nnitt  „Lehrer" 13; 
ersteres  entspricht  dem  aramäischen  £!&$,  was  auch  in  der  Mischna 
und  Tosephta  als  Titel  mehrerer  Rabbinen  vorkommt14. 

Von  Seiten  ihrer  Schüler  forderten  die  Rabbinen  die  unbeding- 


Sakkai,  3)  Rabban  Gamaliel  IL,  4)  Rabban  Simon  ben  Gamaliel  II.  —  Bei 
allen  wird  der  Titel  *p^  in  den  besten  Handschriften  der  Mischna  (z.  B.  cod. 
de  Rossi  138)  in  der  Regel  ausgeschrieben.  Außerdem  kommt  in  der  Mischna 
einmal  vor  5)  Babban  Gamaliel  III,  Sohn  des  E.  Juda  ha-Nasi  {Aboth  II,  2;. 
Von  zwei  anderen  dagegen,  denen  mau  ebenfalls  diesen  Titel  beizulegen  pflegt 
(Simon  Sobn  Hillels  und  Simon  Sohn  Gamaliels  I),  kommt  der  erste re  in  der 
Mischna  überhaupt  nicht  vor,  der  letztere  wenigstens  au  der  Hauptstelle  Aboth 
1, 17  nicht  unter  diesem  Titel.  Doch  ist  er  wahrscheinlich  unter  dem  Kerithoth 
I,  7  erwähnten  Babban  Simon  ben  Gamaliel  zu  verstehen. 

12)  Die  früher  von  Delitzsch  ausgesprochene  Meinung,  daß  die  Form 
yo?\  nur  in  bezug  auf  Gott  gebraucht  werde  (Zeitschr.  f.  luth.  Theol.  1876, 
S.  409.  606),  ist  mit  Bücksicht  auf  den  Sprachgebrauch  der  Targume  von 
Delitzsch  selbst  als  irrig  zurückgenommen  worden  (Zeitschr.  f.  luth.  Theol. 
1878,  S.  7).  —  Völlig  irrelevaut  ist  es,  daß  die  Form  "pa^i  von  den  neueren 
Juden  ribbon  ausgesprochen  wird,  wie  auch  *n*i  —  ribbi  (oder  rebbi,  s.  oben 
Anm.  9).  Die  Verkürzung  des  a  in  i  ist  bekanntlich  im  Hebräischen  sehr 
häufig,  in  diesem  Falle  aber  sehr  jungen  Datums.  Noch  im  Mittelalter  sprach 
man  wahrscheinlich  ^2H,  wie  der  cod.  de  Eossi  138  an  der  Stelle  Taanith  HI, 
8  punktiert.  Vgl.  auch  Delitzsch,  Zeitschr.  f.  luth.  Theol.  1876,  S.  606.  Nur 
für  das  Aramäische  ist  die  Aussprache  ribbon  gut  bezeugt.  S.  Berliners 
Ausgabe  des  Onkelos  z.  B.  Gen.  19,  2.  42,  30.    Exod.  21,  4—8.  23,  17. 

13)  S.  Wünsche,  Neue  Beiträge  zur  Erläuterung  der  Evangelien  (1878) 
S.  279  f. 

14)  Am  häufigsten  wird  unter  diesen  erwähnt  Abba  Saul  (Pea  Vni,  5. 
Kilajim  II,  3.  Schabbath  XXHI,  3.  Sckekalim  IV,  2.  Beza  III,  8.  Aboth  II,  8. 
Middoth  II,  5.  V,  4,  und  sonst).  Vgl.  ferner:  Abba  Gurjan  (Kidduschin 
IV,  14),  Abba  Jose  ben  Chanan  (Middoth  II,  6.  Tosephta  ed.  Zuckermandel 
p.  154,  18.  199,  22.  233,  22.  655,  31),  Abba  Jose  ben  Dosai  (Tosephta  23,  4. 
217,  19.  360,  16  etc.),  Abba  Judan  (Tosephta  259,  18.  616,  31).  Noch  andere 
s.  in  Zuckermandels  Index  zur  Tosephta  S.  XXXI.  Die  in  Mechilta,  Siphra 
und  Siphre  erwähnten  Rabbinen  mit  dem  Titel  Abba  s.  bei  D.  Hoffmann,  Zur 
Einleitung  in  die  halachischen  Midraschim  (Berliu  1887,  Progr.  des  Rabbiner- 
Seminares)  S.  82  ff.  In  The  Jeurish  Encyclopedia  I,  29 — 35  werden  mehr  als 
dreißig  Rabbinen  mit  dem  Titel  Abba  genannt.  Vgl.  überh.  Kohler ,  Abba, 
fathery  title  of  spiritual  leader  and  saint  (Jewüh  Quarterly  Review  XHr,  1901, 
p.  667—580)  [viel  Material]. 


378  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit  [317.  318] 

teste  Ehrerbietung,  welche  selbst  die  Ehrfurcht  gegen  Vater 
und  Mutter  tibertreffen  sollte.  „Die  Ehre  deines  Freundes  grenze 
an  die  Achtung  für  deinen  Lehrer,  und  die  Achtung  für  deinen 
Lehrer  an  die  Ehrfurcht  vor  Gott"15.  „Die  Ehrerbietung  gegen 
den  Lehrer  geht  der  Ehrerbietung  gegen  den  Vater  vor;  denn 
Sohn  und  Vater  sind  dem  Lehrer  Ehrerbietung  schuldig" 16.  „Wenn 
jemandes  Vater  und  Lehrer  etwas  verloren  haben,  so  geht  der 
Verlust  des  Lehrers  vor  (man  muß  zunächst  diesem  zur  Wieder- 
erlangung behilflich  sein).  Denn  sein  Vater  hat  ihn  nur  in  diese 
Welt  gebracht  Sein  Lehrer,  der  ihm  Weisheit  lehrt,  bringt  ihn 
aber  zum  Leben  in  der  zukünftigen  Welt.  Ist  aber  sein  Vater 
selbst  ein  Gelehrter,  so  hat  seines  Vaters  Verlust  den  Vorzug. 
Tragen  jemandes  Vater  und  Lehrer  Lasten,  so  muß  er  zuerst  dem 
Lehrer  und  hernach  dem  Vater  abhelfen.  Sind  Vater  und  Lehrer 
in  der  Gefangenschaft,  so  muß  er  zuerst  den  Lehrer  und  hernach 
den  Vater  loskaufen.  Ist  aber  sein  Vater  selbst  ein  Gelehrter,  so 
hat  sein  Vater  den  Vorzug" 17.  —  überhaupt  machten  die  Rabbinen 
überall  auf  den  ersten  |  Rang  Anspruch.  „Sie  lieben  die  ersten 
Plätze  bei  den  Gastmählern  und  die  ersten  Sitze  in  den  Synagogen. 
Und  haben's  gerne,  daß  sie  gegrüßt  werden  auf  den  Märkten  und 
von  den  Menschen  Rabbi  genannt  werden"  {ML  23,  6—7.  Me.  12, 
38—39.  Luc.  11,  43.  20,  46).  Auch  ihre  Kleidung  war  die  der  Vor- 
nehmen. Sie  trugen  öroXag,  nach  Epiphanius  speziell  afutexovag 
und  öa/Lfiarixag1*. 

Alle  Tätigkeit  der  Schriftgelehrten,  sowohl  die  lehrende  als 
die  richterliche,  sollte  unentgeltlich  sein.  R.  Zadok  sagte:  Mache 
die  Gesetzeskunde  weder  zur  Krone,  damit  zu  prangen,  noch  zum 
Grabscheit,  damit  zu  graben.  Hillel  pflegte  zu  sagen:  Wer  sich 
der  Krone  (des  Gesetzes)  bedient  (zu  äußeren  Zwecken),  schwindet 
dahin19.   Daß  der  Richter  nicht  Geschenke  annehmen  dürfe,  wird 


15)  Aboth  IV,  12. 

16)  Kerithoth  VI,  9  fin. 

17)  Baba  mezia  II,  11.  Vgl.  auch  den  Traktat  Derech  Erex  sutta  (hier- 
über oben  §  3,  I,  137),  Maimonides,  Hilchoth  Talmud  Thora  c.  V— VI  (Pe- 
tersburger Übersetzung  I,  117  ff.),  Boden  schätz,  Kirchliche  Verfassung  der 
heutigen  Juden  II,  342  ff.,  Gfrörer,  Das  Jahrhundert  des  Heils  I,  144  £  168. 
Weber,  System  der  altsynagogalen  paläst.  Theologie  S.  121  ff. 

18)  axoXaq  Marc.  12,  38  =  Lue.  20,  46.  Dazu  Epiphan.  haer.  15 :  <fcU* 
instä}}  atoXaq,  cfr*  ovv  d/xnexSvaq  ol  xoiovxoi  dveßdXXovto  xal  SaXfiatixäq, 
efo*  ovv  xoXoßlcovaq  ix  nXercva^/LKov  diä  noQ<pvQaq  aXovQyov<petq  xateoxevaa- 
fiivag  usw.  —  Die  ötoAjJ  ist  die  Kleidung  der  Vornehmen  (I  Makk.  6, 15.  Wahl, 
Clavis  libror.  V.  T.  apocr.  s.  v.  und  überh.  die  Lexika).  Über  die  Dalmatika 
s.  oben  8.  80. 

19)  Aboth  IV,  5.  I,  13.    Vgl.  auch  Derech  Erex  sutla  IV,  2  (deutsch  bei 


[3ia  319]    II.  Die  Schriftgelehrten  und  ihre  Tätigkeit  im  allgemeinen.      379 

schon  im  Alten  Testamente  vorgeschrieben  (Exod.  23,  8.  Deut.  16, 19). 
Daher  heißt  es  auch  in  der  Mischna:  „Wenn  einer  Bezahlung 
nimmt,  um  richterlich  zu  entscheiden,  so  ist  sein  Urteil  ungültig" 20. 
—  Die  Rabbinen  waren  daher  zur  Gewinnung  ihres  Lebensunter- 
haltes auf  anderweitige  Hilfsquellen  angewiesen.  Manche  mochten 
von  Hause  aus  wohlhabend  sein;  andere  betrieben  neben  dem  Ge- 
setzesstudium ein  Gewerbe.  Von  Rabban  Gamaliel  III.,  Sohn  des 
R.  Juda  ha-Nasi,  wird  ausdrücklich  die  Verbindung  von  Gesetzes- 
studium mit  bürgerlichem  Geschäft  empfohlen.  „Denn  die  Be- 
mühung in  beiden  führt  ab  von  Sünden.  Gesetzesstudium  ohne 
Geschäftstätigkeit  muß  endlich  gestört  werden  und  zieht  Vergehen 
nach  sichu  21.  Bekannt  ist,  daß  der  Apostel  Paulus  auch  noch  als 
Prediger  des  Evangeliums  ein  Gewerbe  betrieb  {Act.  18,  3.  20,  34. 
I  Thess.  2,  9.  II  Thess.  3,  8.  I  Kor.  4,  12.  9,  6  ff.  II  Kor.  11,  7  ff.)  Und 
ein  gleiches  wird  von  vielen  Rabbinen  berichtet22.  Dabei  |  wird 
natürlich  die  Beschäftigung  mit  dem  Gesetz  immer  als  das  Wert- 
vollere betrachtet  und  vor  Überschätzung  des  bürgerlichen  Ge- 
schäftes gewarnt.  Schon  der  Siracide  ermahnt,  sich  nicht  einseitig 
dem  Handwerk  hinzugeben,  und  preist  den  Segen  der  Schrift- 
gelehrsamkeit (Sirach  38,  24—39,  11).  R.  Meir  sagte:  Ergib  dich 
weniger  dem  Gewerbe  und  beschäftige  dich  mehr  mit  dem  Gesetz 2S. 
Hillel  sagte:  Wer  sich  zu  sehr  dem  Handel  widmet,  wird  nicht 
weise  werden24. 

Das  Prinzip  der  Unentgeltlichkeit  ist  in  der  Praxis  wohl  nur 
bei  der  richterlichen  Tätigkeit  strenge  durchgeführt  worden; 
schwerlich  aber  bei  der  Wirksamkeit  der  Schriftgehrten  als 
Lehrer.  Selbst  im  Evangelium  heißt  es  trotz  der  ausgesprochenen 
Mahnung  an  die  Jünger  öcoqbclv  hXaßtte,  öa>Qsav  öoxs  (Mt.  10,  8) 
doch  auch,  daß  ein  Arbeiter  seines  Lohnes  wert  sei  (Jß.  10,  10. 
Luc  10,  7),  wie  denn  auch  Paulus  mit  ausdrücklicher  Berufung 
hierauf  (I  Kor.  9,  14)  es  als  sein  Recht  beansprucht,  von  denen, 


Winter  und  Wünsche,  Die  jüdische  Literatur  seit  Abschluß   des  Kanons 
Bd.  I,  1894,  &  639);  G frörer,  Das  Jahrh.  des  Heils  I,  156—160. 

20)  Bechoroth  IV,  6. 

21)  Äboih  II,  2. 

22)  Vgl.  Hartmann,  Die  enge  Verbindung  des  Alten  Testaments  mit 
dem  Neuen  S.  410 f.  Gfrörer,  Das  Jahrhundert  des  Heils  I,  160—163.  De- 
litzsch, Handwerkerleben  zur  Zeit  Jesu  (2.  Aufl.  1875)  S.  71—83:  Lehrstand 
und  Handwerk  in  Verbindung.  Hamburger,  Real-Enz.  Abt.  II  S.  288  (Art. 
Gelehrter)  und  S.  1241  (Art  Unterhalt).  Seligmann  Meyer,  Arbeit  und  Hand- 
werk im  Talmud  (1878)  S.  23—36. 

23)  Abotk  IV,  10. 

24)  Aboth  II,  5. 


380  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit  [319.  320] 

welchen  er  das  Evangelium  verkündige,  seinen  Lebensunterhalt 
sich  darreichen  zu  lassen,  wenn  er  auch  von  diesem  Rechte  nur 
ausnahmsweise  Gebrauch  gemacht  hat  (I  Kor.  9,  3— 18.  II  Kor.  11, 
8—9.  Phil 4, 10—18.  Vgl.  auch  GaL6,  6).  War  dies  die  Anschauung 
der  Zeit,  so  darf  angenommen  werden,  daß  auch  die  jüdischen  Ge- 
setzeslehrer ihren  Unterricht  nicht  immer  unentgeltlich  erteilten. 
Gerade  die  oben  angeführten  Mahnungen,  den  Gesetzesunterricht 
nicht  um  des  egoistischen  Interesses  willen  zu  betreiben,  lassen 
ja  darauf  schließen,  daß  die  Unentgeltlichkeit  nicht  allgemeine 
Regel  war.  Und  in  der  Strafpredigt  Jesu  Christi  wird  den  Schrift- 
gelehrten und  Pharisäern  besonders  ihre  Habgier  zum  Vorwurf 
gemacht  (Mc.  12,  40.  Lue.  20,  47.  16,  14).  Von  Hillel  wird  erzählt, 
daß  er  sich  als  Arbeiter  vermietete,  um  das  Eintrittsgeld  zum 
Lehrhaus  des  Schemaja  und  Abtaljon  bezahlen  zu  können25.  Deren 
Schulvorträge  waren  also  nicht  unentgeltlich. 

Der  Hauptsitz  der  Wirksamkeit  der  Schriftgelehrten  war 
natürlich  bis  zum  Jahre  70  nach  Chr.  Judäa.  Aber  man  würde 
irren,  wenn  man  sie  nur  dort  suchte.  Sie  waren  überall  da  un- 
entbehrlich, |  wo  der  Eifer  für  das  väterliche  Gesetz  lebendig  war. 
Daher  finden  wir  sie  auch  in  Galiläa  {Luc.  5,  17) 26,  ja  in  der 
fernen  Diaspora:  auf  den  jüdischen  Grabschriften  in  Rom  in  der 
späteren  Kaiserzeit  werden  häufig  yQafifiarstg  erwähnt  (s.  oben 
Anm.  7);  und  die  babylonischen  Schriftgelehrten  des  fünften  und 
sechsten  Jahrhunderts  haben  sogar  das  Hauptwerk  des  rabbinischen 
Judentums,  den  Talmud  geschaffen. 

Seit  dem  Auseinandergehen  der  pharisäischen  und  saddu- 
zäischen  Richtung  gehörten  die  Schriftgelehrten  im  allgemeinen 
der  pharisäischen  Richtung  an.  Denn  diese  letztere  ist  eben  nichts 
anderes  als  die  Partei,  welche  die  Satzungen,  die  von  den  Schrift- 
gelehrten im  Laufe  der  Zeit  ausgebildet  worden  waren,  als  bindende 
Lebensnorm  anerkannte  und  zu  strenger  Durchführung  bringen 
wollte.  Insofern  aber  „Schriftgelehrte14  nichts  anderes  sind  als 
„Gesetzeskundige",  muß  es  auch  sadduzäische  Schriftgelehrte  ge- 
geben haben.  Denn  es  ist  nicht  wohl  denkbar,  daß  diese  Partei, 
die  doch  das  geschriebene  Gesetz  als  verbindlich  anerkannte,  gar 
keine  berufsmäßigen  Kenner  desselben  in  ihrer  Mitte  gehabt  haben 
sollte.  In  der  Tat  deuten  solche  Stellen  des  Neuen  Testamentes, 
wo  von  „Schriftgelehrten  der  Pharisäer"  die  Rede  ist  {Mo.  2,  16. 


25)  b.  Jotna  35b. 

26)  Über  galiläische  Gelehrte  der  vorbadrianischeu  Zeit  s.  Büchler,  Der 
galiläische  Am-haares  des  zweiten  Jahrhunderts  (1906)  S.  274 — 338. 


[320.  321]    II.  Die  Schriftgelehrten  und  ihre  Tätigkeit  im  allgemeinen.      3g  1 

Luc.  5,  30.  Act.  23,  9),  darauf  hin,  daß  es  auch  sadduzäische  ge- 
geben hat 

Die  berufsmäßige  Tätigkeit  der  Schriftgelehrten  bezog  sich, 
wenn  nicht  ausschließlich,  so  doch  zunächst  und  hauptsächlich  auf 
das  Gesetz,  also  das  Eecht.  Sie  sind  in  erster  Linie  Juristen. 
Und  zwar  ist  ihre  Aufgabe  in  dieser  Hinsicht  eine  dreifache. 
Sie  haben  1)  das  Recht  selbst  theoretisch  immer  sorgfältiger 
auszubilden,  2)  es  ihren  Schülern  zu  lehren,  und  3)  es  prak- 
tisch zu  handhaben,  also  in  den  Gerichtshöfen  als  gelehrte  Bei- 
sitzer Eecht  zu  sprechen27. 

1)  Das  erste  ist  die  theoretische  Ausbildung  des  Eechtes 
selbst.  Dieses  steht  freilich  in  seinen  Grundzügen  in  der  ge- 
schriebenen Thora  unverrückbar  fest.  Aber  kein  Gesetzeskodex 
geht  so  ins  Detail,  daß  er  nicht  wieder  der  Auslegung  bedürfte. 
Die  Bestimmungen  des  mosaischen  Gesetzes  sind  aber  zum  Teil 
noch  sehr  allgemein  gehalten.  Hier  war  also  ein  weites  Feld  für 
die  Arbeit  der  Schriftgelehrten  gegeben.  Sie  hatten  die  allgemeinen, 
von  der  Thora  gegebenen  Vorschriften  immer  sorgfältiger  kasuistisch 
zu  entwickeln,  damit  eine  Garantie  dafür  geschaffen  würde,  daß 
wirklich  die  Tendenz  der  gesetzlichen  Vorschriften  ihrem  vollen 
Sinn  und  Umfange  nach  getroffen  würde.  Bei  denjenigen  Punkten, 
welche  durch  das  geschriebene  Gesetz  nicht  unmittelbar  geregelt  | 
waren,  mußte  ein  Ersatz  geschaffen  werden  entweder  durch  Fest- 
stellung des  Gewohnheitsrechtes  oder  durch  Schlußfolgerung  aus 
anderweitigen  bereits,  gültigen  gesetzlichen  Bestimmungen.  Durch 
die  Emsigkeit,  mit  der  diese  ganze  Tätigkeit  in  den  letzten  Jahr- 
hunderten vor  Chr.  betrieben  wurde,  wurde  das  jüdische  Eecht 
allmählich  zu  einer  weitverzweigten  komplizierten  Wissenschaft. 
Und  da  dieses  Eecht  nicht  schriftlich  fixiert,  sondern  nur  mündlich 
weiter  überliefert  wurde,  so  war  schon  ein  sehr  anhaltendes  Studium 
erforderlich,  um  dasselbe  überhaupt  nur  kennen  zu  lernen.  Die 
Kenntnis  des  Gültigen  war  aber  immer  nur  die  Grundlage  und 
Voraussetzung  für  die  berufsmäßige  Tätigkeit  der  Schriftgelehrten. 
Ihr  eigentliches  Geschäft  war  es,  das  bereits  Gültige  durch  fort- 
gesetzte methodische  Arbeit  in  immer  feineres  kasuistisches  Detail 
weiter  zu  entwickeln.  Denn  alle  Kasuistik  ist  ihrer  Natur  nach 
endlos 28. 

Da  der  Zweck  dieser  ganzen  Tätigkeit  war,  das  gemein- 
gültige Eecht  festzustellen,  so  konnte  die  Arbeit  nicht  von  den 


27)  Diese  „dreifache  Gewalt  der  Weisen"  wird  richtig  auch  von  Weber 
unterschieden  (System  der  altsynagogalen  palästinischen  Theologie  S.  130—143). 

28)  Näheres  s.  unten  in  Abschnitt  III:  Halacha  und  Haggada. 


382  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [321.  322] 

einzelnen  Schriftgelehrten  isoliert  vollzogen  werden.  Sie  mußten  in 
stetem  Austausch  untereinander  bleiben,  um  auf  Grund  gegen- 
seitiger Verständigung  zu  allgemein  anerkannten  Resultaten  zu  ge- 
langen. Der  ganze  Prozeß  der  Rechtsbildung  vollzog  sich 
also  in  der  Form  mündlicher  Diskussionen  der  Schrift- 
gelehrten untereinander.  Die  anerkannten  Autoritäten  haben 
nicht  nur  Schüler  um  sich  versammelt,  um  diese  im  Gesetz  zu 
unterweisen,  sondern  sie  haben  auch  unter  sich  über  die  gesetz- 
lichen Fragen  debattiert,  ja  den  ganzen  Stoff  des  Rechts  in  ge- 
meinsamen Disputationen  durchgesprochen.  Von  dieser  Form  der 
Rechtsbildung  gibt  uns  die  Mischna  noch  überall  Zeugnis29.  — 
Damit  dies  möglich  war,  mußten  wenigstens  die  Häupter  der 
Schriftgelehrsamkeit  auch  an  gewissen  Zentralstätten  beisammen 
wohnen.  Zwar  werden  viele  zum  Zwecke  des  Unterrichts  und 
der  Rechtsprechung  im  Lande  zerstreut  gelebt  haben.  Aber  die 
vorwiegend  schöpferischen  Autoritäten  müssen  der  Mehrzahl  nach 
an  einem  Mittelpunkte  —  bis  zum  Jahre  70  nach  Chr.  in  Jeru- 
salem, später  an  anderen  Orten  (Jabne,  Tiberias)  —  konzentriert 
gelebt  haben. 

Das  von  den  Gelehrten  theoretisch  entwickelte  Recht  war  zu- 
nächst allerdings  nur  eine  Theorie.  In  manchen  Punkten  ist  es 
auch  stets  eine  solche  geblieben,  da  die  tatsächlichen  historisch|- 
politischen  Verhältnisse  die  Durchführung  nicht  ermöglichten30. 
Im  allgemeinen  aber  stand  die  Arbeit  der  Schriftgelehrten  doch 
in  lebendiger  Beziehung  zum  wirklichen  Leben.  Und  in  dem  Maße, 
als  ihr  Ansehen  wuchs,  war  ihre  Theorie  zugleich  gültiges 
Recht.  Im  letzten  Jahrhundert  vor  der  Zerstörung  Jerusalems 
hatten  die  pharisäischen  Schriftgelehrten  schon  so  unbedingt  die 
geistige  Herrschaft,  daß  das  große  Synedrium  trotz  seiner  ge- 
mischten Zusammensetzung  aus  Pharisäern  und  Sadduzäern  in  der 
Praxis  doch  an  das  von  den  Pharisäern  entwickelte  Recht  sich 
anschloß  (s.  oben  S.  252).  Viele  Materien  waren  ja  ohnehin  der 
Art,  daß  sie  einer  formellen  Gesetzgebung  gar  nicht  bedurften. 
Denn  die  religiösen  Satzungen  beobachtet  der  Fromme  nicht  auf 
Grund  formeller  Gesetzgebung,  sondern  auf  Grund  freiwilliger 
Unterwerfung  unter  eine  von  ihm  als  legitim  anerkannte  Autorität31. 


29)  Vgl.  z.  B.  Pea  VI,  6.  Kilajim  HI,  7.  VI,  4.  Terumoth  V,  4.  Maaser 
schent  II,  2.  Schabbaih  VIH,  7.  Pesachim  VI,  2.  5.  Kerithoih  HI,  10.  Mach- 
schirin  VI,  8.    Jadajim  IV,  3. 

30)  Ein  instruktives  Beispiel  dieser  Art:  Jadajim  IV,  3—4.  Vgl.  auch  die 
rein  theoretischen  Bestimmungen  über  die  Stämmeverfassung,  Sanhedrin  1,  5. 
Horajoth  I,  5. 

31)  Auch  die  Priester  folgten  fast  durchgängig  der  Theorie  der  Schrift- 


[322.  323]    IL  Die  Schrift  gel  ehrten  und  ihre  Tätigkeit  im  allgemeinen.      383 

So  sind  also  die  von  den  Schriftgelehrten  entwickelten  Satzungen, 
sobald  die  Schulen  darüber  einig  waren,  auch  in  der  Praxis  als 
bindend  anerkannt  worden.  Die  Schriftgelehrten  sind  —  wenn 
auch  nicht  auf  Grund  formeller  Anerkennung,  so  doch  tatsächlich 
—  die  Gesetzgeber.  Ganz  besonders  gilt  dies  von  der  Zeit 
nach  der  Zerstörung  des  Tempels.  Einen  staatlichen  Ge- 
richtshof nach  Art  des  früheren  Synedriums  gab  es  jetzt  nicht 
mehr.  Der  allein  maßgebende  Faktor  waren  nun  die  rabbinischen 
Gesetzeslehrer  mit  ihrer  rein  geistigen  Autorität  Sie,  die  schon 
früher  tatsächlich  das  Recht  festgestellt  hatten,  wurden  jetzt 
immer  mehr  auch  formell  als  die  entscheidenden  Autoritäten  an- 
erkannt Ihr  Ausspruch  genügt,  um  festzustellen,  was  gül- 
tiges Gesetz  ist.  Sobald  also  auf  irgendeinem  Punkte  Zweifel 
entstehen,  ob  man  so  oder  so  zu  handeln  habe,  braucht  man  die 
Frage  nur  „vor  die  Gelehrten"  zu  bringen,  welche  dann  die  maß- 
gebende Entscheidung  fällen32.  Und  die  Autorität  der  Gesetzes- 
lehrer ist  so  groß,  daß  schon  der  Ausspruch  eines  einzelnen  an- 
gesehenen Lehrers  genügt,  um  eine  Frage  zu  erledigen33.  Durch 
ihr  |  entscheidendes  Urteil  werden  auch  ohne  daß  eine  solch  spe- 
zielle Veranlassung  vorliegt,  neue  Lehrsätze,  d.  h.  neue  rechts- 
gültige Satzungen  aufgestellt,  zuweilen  sogar  in  Abweichung  von 
dem  bisher  Üblichen34.  Dabei  ist  nur  immer  vorausgesetzt,  daß 
das  Urteil  des  einzelnen  sich  in  Übereinstimmung  mit  dem  Urteil 
der  Majorität  aller  Gesetzeslehrer  befindet,  resp.  von  dieser  ak- 
zeptiert wird.  Denn  die  Majorität  ist  die  entscheidende  Instanz 
(s.  Abschnitt  III).  Es  kann  daher  auch  vorkommen,  daß  die  Ent- 
scheidung eines  einzelnen  Gesetzeslehrers  nachträglich  von  der 
Majorität  korrigiert  wird35,  oder  daß  selbst  ein  hervorragender 


gelehrten.  Es  sind  nnr  Ausnahmefalle,  wo  die  Mischna  eine  Differenz  zwischen 
der  Praxis  der  Priester  nnd  der  Theorie  der  Rabbinen  zu  konstatieren  hat,  s. 
Schekalim  I,  3—4.    Joma  VI,  3.    Sebachim  XII,  4. 

32)  „Die  Sache  kam  vor  die  Gelehrten  (Q^sn),  und  diese  ent- 
schieden so  und  so"  ist  eine  häufig  vorkommende  Formel.  S.  z.  B.  Kilo- 
Jim  IV,  9.    Edujoth  VII,  3.    Bechoroth  V,  3. 

33)  In  dieser  Weise  werden  zweifelhafte  Fälle  entschieden  z.  B.  durch 
Rabban  Jochanan  ben  Sakkai  (Schabbath  XVI,  7.  XXII,  3),  Rabban  Ga- 
maliel  II  (Kelvm  V,  4),  R.  Akiba  (Kilajim  VII,  5.  Terumotk  IV,  13.  Jeba- 
moth  XII,  5.    Nidda  VIII,  3). 

34)  So  z.  B.  von  Rabban  Jochanan  ben  Sakkai  (Sukka  III,  12.   Bosch 
s  haschana  IV,  1.  3.  4.  Sota  IX,  9.  Menachoth  X,  5)  und  von  R.  Akiba  (Maaser 

scheni  V,  8.    Nasir  VI,  1.    Sanhedrin  III,  4). 

35)  So  wurde  einst  eine  Entscheidung  Nahums  des  Meders  nachträg- 
lich von  den  „Gelehrten"  berichtigt,  Nasir  V,  4. 


3S4  §  25-   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [323.  324] 

Gesetzeslelirer  seine  eigene  Ansicht  derjenigen  eines  „Gerichtshofes*4 
von  Gelehrten  unterordnen  muß36. 

Die  gesetzgebende  Gewalt  der  Rabbinen  ist  für  das  Zeitalter 
der  Mischna  eine  so  selbstverständliche  Sache,  daß  sie  auch  schon 
für  die  Zeit  vor  der  Zerstörung  Jerusalems  ohne  weiteres  voraus- 
gesetzt wird.  Ganz  unbefangen  heißt  es,  daß  Hillel  dies  und  jenes 
verordnet87,  oder  daß  Gamaliel  I.  die  und  die  Bestimmung  ge- 
troffen habe 38.  Und  doch  war  damals  nicht  Hillel  und  Gamaliel  L, 
sondern  das  große  Synedrium  von  Jerusalem  die  entscheidende 
Instanz.  Denn  von  ihm  ging,  wie  es  in  der  Mischna  selbst  heißt, 
„das  Recht  für  ganz  Israel  aus"39.  Das  Wahre  an  jener  Dar- 
stellung ist  aber,  daß  allerdings  auch  schon  damals  die  großen 
Gesetzeslehrer  tatsächlich  die  entscheidenden  Autoritäten  waren. 

2)  Die  zweite  Hauptaufgabe  der  Schriftgelehrten  war,  das 
Gesetz  auch  zu  lehren.  Das  Ideal  des  gesetzlichen  Judentums 
ist  ja  eigentlich,  daß  jeder  Israelite  eine  fachmännische  Kenntnis 
des  Gesetzes  habe.  War  dies  auch  nicht  erreichbar,  so  sollten 
doch  möglichst  viele  zu  dieser  idealen  Höhe  emporgehoben  werden. 
„Stellet  viele  Schüler  auftt,  war  angeblich  schon  ein  Wahlspruch 
der  Männer  der  großen  Synagoge40.  Die  berühmteren  Rabbinen 
versammelten  |  daher  die  lernbegierige  Jugend  oft  in  großer  An- 
zahl 4 1  um  sich,  um  sie  zu  gründlichen  Kennern  des  vielverzweigten 
und  umfangreichen  „mündlichen  Gesetzes"  heranzubilden.  Die 
Schüler  heißen  D'niribn42.  Der  Unterricht  bestand  in  einem  un- 
ermüdlich  fortgesetzten  gedächtnismäßigen  Einüben.    Denn  da  das 


36)  So  fügte  sich  R.  Josua  einer  Entscheidung  des  Rabban  Gama- 
liel II  und  seines  Gerichtshofes,  Rosck  haschana  II,  9. 

37)  Schebiith  X,  3.  Gütin  IV,  3.  Arachin  IX,  4.  Überall  mit  der  Formel 
"pprri  „er  verordnete". 

38)  Rosch  haschana  II,  5.     Oittin  IV,  2—3.    Ebenfalls   mit   der  Formel 

S  39)  Sanhedrin  XI,  2. 

40)  Aboth  I,  1. 

41)  Joseph.  Bell.  Jud.  I,  33,  2. 

42)  Aboth  V,  12.  Sanhedrin  XI,  2.  Im  einzelnen  werden  z.  ß.  erwähnt 
Schüler  des  Rabban  Jochanan  ben  Sakkai  (Aboth  II,  8),  des  Rabban  Ga- 
maliel IL  (Berachoth  11,5-7),  R.  Elieser  (Erubin  11,6),  R.  Ismael  (Erubin 

I,  2,  R.  Akiba  (Nidda  VIII,  3),   Schüler  von  der  Schule  Schammais  (Orla 

II,  5.  12).  —  Wer  jura  studiert  hat  und  eine  fachmännische  Kenntnis  des  Ge- 
setzes besitzt,  heißt  ein  Dan  T^bfi,  Pesachim  IV,  5.  Joma  I,  6.  Sukka  II,  1. 
Char/ifja  I,  7.  Nedarim  X,  4.  Sota  I,  3.  Sanhedrin  IV,  4.  Makkoth  II,  5.  Hora- 

joth  III,  8.  Nef/aim  XII,  5.   Die  Benennung  -qn  für  einen,  der  das  Gesetzes-  , 
Studium  absolviert,  aber  noch  keine  öffentlich  anerkannte  Stellung  erlangt  hat, 
gehört  erst  einer  späteren  Zeit  an.    In  der  Mischna  ist   *nn    etwas   ganz  an- 
deres.   S.  darüber  §  26. 


[324.  325]    IL  Die  Schriftgelehrten  und  ihre  Tätigkeit  im  allgemeinen.      385 

Ziel  war,  daß  der  Schaler  den  ganzen  Stoff  mit  seinen  tausend 
und  abertausend  Einzelheiten  sicher  im  Gedächtnis  habe,  da  ferner 
das  mündliche  Gesetz  nicht  aufgeschrieben  werden  sollte,  so  konnte 
der  Unterricht  sich  nicht  mit  einem  einmaligen  Vortrag  begnügen. 
Der  Lehrer  mußte  den  Stoff  immer  wieder  und  wieder  mit  den 
Schülern  repetieren.  Daher  ist  für  den  rabbinischen  Sprach- 
gebrauch „wiederholen"  (TOtö  =  äevrsQovv)  geradezu  so  viel 
wie  „lehren4*  (daher  auch  fiDttj'E  =  Lehre)43.  Dieses  Wiederholen 
geschah  aber  nicht  in  der  Weise,  daß  nur  der  Lehrer  vortrug. 
Das  ganze  Verfahren  war  vielmehr  disputatorisch.  Der  Lehrer 
legte  den  Schülern  die  einzelnen  gesetzlichen  Fragen  zur  Ent- 
scheidung vor  und  ließ  sie  antworten  oder  antwortete  selbst.  Auch 
stand  es  den  Schülern  frei,  selbst  Fragen  an  den  Lehrer  zu 
richten44.  Diese  Form  des  Lehrvortrages  prägt  sich  auch  noch 
im  Stile  der  Mischna  aus,  indem  hier  häufig  die  Frage  aufgeworfen 
wird,  wie  es  mit  diesem  oder  jenem  Gegenstande  zu  halten  sei, 
um  darauf  dann  die  Entscheidung  folgen  zu  lassen45.  —  Da  alle 
Gesetzeskunde  |  streng  traditionell  sein  sollte,  so  gab  es  für  den 
Schüler  nur  zweierlei  Pflichten.  Die  eine  war  die,  alles  treu  im 
Gedächtnis  zu  behalten.  E.  Dosthai  sagte  im  Namen  des  K.  Mein 
Wer  ein  Lehrstück  von  seinem  Gesetzesunterrichte  vergißt,  dem 
rechnet  es  die  Schrift  an,  als  hätte  er  mutwillig  sein  Leben  ver- 
wirkt46. Die  andere  Pflicht  war  die,  nie  anders  zu  lehren,  als  es 
ihm  überliefert  worden  war.  Selbst  im  Ausdruck  sollte  er  sich 
an  die  Worte  seines  Lehrers  binden.  „Es  ist  verpflichtet  ein  jeder 
zu  lehren  mit  dem  Ausdruck  seines  Lehrers"  littiba  nfcib  m»  a*n 
isn47.  Das  höchste  Lob  eines  Schülers  war  es,  wenn  er  war  „wie 
eine  mit  Kalk  belegte  Zisterne,  welche  keinen  Tropfen  verliert" 48. 
Für  diese  theoretischen  Gesetzesstudien,  sowohl  für  die  Dis- 
putationen der  Schriftgelehrten  untereinander  als  für  den  eigent- 


43)  Vgl.  Hieronymus,  Epist.  121  ad  Algasiam,  quaest.  X  {Opp.  ed.  Val- 
larsi  I,  884  sq.):  Doctores  eorum  oo<pol  hoc  est  sapientes  vocantur.  Et  si  quando 
certis  diebus  tradüiones  suas  exponunt  discipulis  suis,  solent  dicere:  ol  aowol 
SevtSQibaiVy  id  est  sapientes  doeent  traditiones.  Über  die  Bedeutung 
von  m©  und  nsrca  s.  oben  §  3,  E. 

44)  S.  Lightfoot  und  Wetstein  zu  Lue.  2,  46. 

45)  Z.  B.  Berachoth  I,  1—2.  Pea  IV,  10.  VI,  8.  VII,  3.  4.  VIII,  1.  Kilo- 
jim  H,  2.  IV,  1.  2.  3.  VI,  1.  5.  Schebiith  I,  1.  2.  5.  II,  1.  HI,  1.  2.  IV,  4.  — 
Besonders  häufig  wird  die  Frage  mit  TS**»  (=  wie?)  eingeführt:  Berachoth 
VI,  1.  VII,  3  Demai  V,  1.  Terumoth  IV,"  9~  Maaser  scheni  IV,  4.  V,  4.  Chaüa 
II,  8.  Orla  II,  2.  III,  8.  Bikkurim  in,  1.  2.  ErtMn  V,  1.  VHI,  1. 

46)  Aboth  II  r,  8. 

47)  Edujoth  I,  3. 

48)  Aboth  11,8. —Vgl.  auch  Gfrörer,  Das  Jahrh.  des  Heils  1,168—173. 
Schtirer,  Geschichte  II.   4.  Aufl.  25 


386  §  25.    Die  Schriftgelehrsamkeit.  [325.  326] 

liehen  Unterricht,  gab  es  im  Zeitalter  der  Mischna,  und  gewiß 
schon  früher  besondere  Lokale,  die  „Lehrhäuser"  (hebr.  ma 
«h-nan,  plur.  rrtfljma  ^ra49.  Dieselben  werden  öfters  mit  den 
Synagogen  zusammen  genannt  als  Lokale,  die  in  gesetzlicher  Hin- 
sicht gewisse  Vorzüge  genießen50.  In  Jabne  wird  als  Versamm- 
lungsort der  Gelehrten  eine  Lokalität  erwähnt,  welche  „der  Wein- 
berg" (D13)  hieß,  woraus  man  aber  nicht  schließen  darf,  daß  D^s 
überhaupt  poetische  Bezeichnung  eines  Lehrhauses  gewesen  sei51. 
In  Jerusalem  hielt  man  die  Lehrvorträge  wohl  auch  „im  Tempelu 
(h  rq>  kQ<p,  Luc.  2,  46.  ML  21,  23.  26,  55.  Mc.  14,  49.  |  Luc.  20,  1. 
21,  37.  Joh.  18,  20),  d.  h.  in  den  Säulenhallen  oder  sonst  einem 
Räume  des  äußeren  Vorhofes.  —  Die  Schüler  saßen  beim  Unter- 
richte am  Boden  (*j?"i]?a),  der  Lehrer  auf  einem  erhöhten  Platze 
(daher  Apgesch.  22,  3:  naga  rovg  jtoöaq  ranaXir\X\  vgl.  auch 
Luc.  2,  46) 52. 

3)  Eine  dritte  Aufgabe,  welche  ebenfalls  zum  Beruf  der  Schrift- 
gelehrten gehörte,  ist  endlich  das  Rechtsprechen  im  Gericht. 


49)  Schon  Jesus  Sirach  versammelte  seine  rWtö*»  (—  Zuhörerschaft  Sir. 
51,  29)  in  seinem  »nta  rv*3  (Str.  51,  23).  In  der  Mischna  vgl.  Berachoth  IV,  2. 
Demai  II,  3.  VII,  5.  *Terumoth  XI,  10.  Schabbaih  XVI,  1.  XVm,  1.  *Pesachim 
IV,  4.  Beza  III,  5.  Aboth  V,  14.  Menachoth  X,  9.  Jadajim  IV,  3.  4.  An  den 
mit  *  bezeichneten  Stellen  findet  sich  die  Pluralform.  —  Über  andere  Be- 
zeichnungen des  Lehrhauses  s.  Vitringa,  De  synagoga  vetere  p.  133  sqq. 

50)  Terumoth  XI,  10.  Pesachim  IV,  4.  —  Aus  beiden  Stellen  erhellt  auch, 
daß  die  Lehrhäuser  von  den  Synagogen  verschieden  sind.  —  Über  die 
Lehrhäuser  überh.  s.  auch  Hamburger,  Real-Enz.  n,  675—677  (Art.  „Lehr- 
haus"). Kohler ,  Art.  Bet  ha-nridrash  in  The  Jewish  Encyclopedia  III,  1902, 
p.  116—118. 

51)  Kethuboth  IV,  6.  Edvjoth  II,  4.  —  Nach  dem  Zusammenhang  beider 
Stellen  ist  D*o  ein  Ort,  wo  sich  die  Gelehrten  in  Jabne  zu  versammeln 
pflegten  (R.  Eleasar,  resp.  R.  Ismael  trug  das  und  das  vor  den  Gelehrten 
im  Weinberg  zu  Jabne  vor).  Vermutlich  ist  damit  ein  wirklicher  Wein- 
berg gemeint  mit  einem  Haus  oder  einer  Halle,  die  als  Versammlungsort 
diente.  —  Die  herkömmliche  Erklärung  will  freilich  die  Benennung  daraus 
ableiten,  daß  im  Lehrhause  die  D^abn  reiben  weise  saßen  wie  die  Weinstocke 
(so  schon  jer.  Berachoth  IV  foL  7d  bei  Levy,  Neuhebr.  Wörterb.  n,  408,  und 
hiernach  die  Kommentatoren  der  Mischna,  s.  Surenhusius'  Ausgabe  HI,  70, 
IV,  332).    S.  dagegen  auch  Derenbourg,  Histoire  de  la  Palestine  p.  380  not  3. 

52)  Nach  der  späteren  talmudischen  Überlieferung  soll  das  Sitzen  der 
Schüler  am  Boden  erst  seit  dem  Tode  Gamaliels  L  üblich  geworden  sein, 
während  sie  früher  standen  (Megilla  21a  bei  Light foot,  Horae  hebraicae  zu 
Luc.  2,  46).  Die  ganze  Sage  ist  aber  lediglich  Ausdeutung  von  Sota  IX,  15: 
„Seit  Rabban  Gamaliel  der  Alte  tot  ist,  ist  die  Ehrerbietung  vor  dem  Gesetz 
entschwunden".  S.  dagegen  außer  Imc.  2,  46  auch  Aboth  I,  4,  wonach  bereits 
Jose  ben  Joeser  sagte,  man  solle  sich  zu  den  Füßen  der  Weisen  be- 
stäuben lassen. 


[326.  327]    II.  Die  Schriftgelehrten  und  ihre  Tätigkeit  im  allgemeinen.      387 

Sie  sind  ja  die  berufsmäßigen  Kenner  des  Gesetzes.  Ihre  Stimme 
muß  daher  auch  im  Gericht  von  maßgebender  Bedeutung  sein. 
Allerdings  ist  —  wenigstens  in  der  uns  beschäftigenden  Periode  — 
zum  Amt  eines  Richters  keineswegs  eine  eigentlich  gelehrte  Kennt- 
nis des  Gesetzes  erforderlich.  Eichter  konnte  jeder  sein,  der  durch 
das  Vertrauen  seiner  Mitbürger  dazu  bestellt  wurde.  Und  man  wird 
annehmen  dürfen,  daß  die  kleinen  Ortsgerichte  vorwiegend  Laien- 
gerichte waren.  Aber  es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  daß  ein 
Richter  in  dem  Maße  Vertrauen  genoß,  als  er  sich  durch  gründ- 
liche und  sichere  Kenntnis  des  Gesetzes  auszeichnete.  Soweit  also 
„gelehrte"  Kenner  des  Gesetzes  überhaupt  vorhanden  waren,  wird 
man  sie  zum  Richteramt  berufen  haben.  In  betreff  des  großen 
Synedriums  zu  Jerusalem  ist  es  durch  das  Neue  Testament  aus- 
drücklich bezeugt,  daß  zu  den  Beisitzern  desselben  auch  yQafZfiazeZg 
gehörten  (vgl.  oben  S.  251).  —  Nach  dem  Untergang  des  jüdischen 
Staatswesens  im  Jahre  70  hat  auch  in  dieser  Beziehung  die  Auto- 
rität der  Rabbinen  an  selbständiger  Bedeutung  noch  gewonnen. 
Wie  man  sie  jetzt  als  selbständige  Gesetzgeber  anerkannte,  so 
hat  man  sie  auch  als  selbständige  Richter  anerkannt  Man  fügte 
sich  freiwillig  ihrem  Urteil,  mochten  sie  nun  als  Kollegium  oder 
als  Einzelrichter  entscheiden.  So  wird  z.  B.  erzählt,  daß  einst 
R.  Akiba  einen  Mann  zu  400  Sus  (Denaren)  Schadenersatz  ver- 
urteilte, weil  er  einer  Frau  auf  der  Straße  das  Haupthaar  ent- 
blößt hatte 53. 

Diese  dreifache  Tätigkeit  der  Schriftgelehrten  als  Gesetzes- 
kundiger bildet  ihren  eigentlichen  und  nächsten  Berufe  Aber  die 
heiligen  Schriften  waren  doch  nicht  nur  Gesetz.  Schon  im  Penta|- 
teuch  nimmt  die  Geschichtserzählung  einen  breiten  Raum  ein. 
Die  anderen  heiligen  Schriften  sind  fast  ausschließlich  entweder 
geschichtlichen  oder  religiös-belehrenden  Inhalts.  Diese 
Tatsache  blieb  doch  immer  wirksam,  so  sehr  man  sich  auch  ge- 
wöhnt hatte,  alles  zunächst  unter  dem  Gesichtspunkt  des  Gesetzes 
aufzufassen.  Indem  man  also  auch  diesen  Schriften  als  heiligen 
Schriften  ein  eingehendes  Studium  zuwandte,  konnte  man  doch 
nicht  umhin,  die  Geschichte  eben  als  Geschichte  und  die  religiöse 
Belehrung  als  solche  sich  gesagt  sein  zu  lassen.  Das  Gemeinsame 
in  der  Behandlung  dieser  Schriften  und  derjenigen  des  Gesetzes 
war  aber,  daß  man  auch  sie  als  einen  heiligen  Text,  eine 


53)  Baba  kamma  VIII,  6.  —  Daß  es  nach  dem  J.  70  n.  Chr.  in  Palästina 
keine  rabbinischen  „Gerichtshöfe"  im  strengen  Sinne,  d.  h.  mit  staatlicher 
Anerkennung  gab,  zeigt  Chajes,  Les  juges  juifs  en  Palestine  de  Van  70  ä  Van 
500  (Revue  des  itudes  juives  t  XXXIX,  1899,  p.  39—52).  Vgl.  auch  oben  S.  248. 

25* 


388  §  25-   We  Schriftgelehrsamkeit.  [327.  328] 

heilige  Vorlage  behandelte,  die  man  nicht  nur  eingehend  studierte, 
sondern  auch  einer  eingehenden  Bearbeitung  zu  unterwerfen 
sich  gedrungen  fühlte.  Wie  man  das  Gesetz  immer  weiter  aus- 
bildete, so  bildete  man  auch  die  heilige  Geschichte  und  die  re- 
ligiöse Belehrung  weiter  aus,  und  zwar  immer  im  Anschluß 
an  den  Text  der  Schrift,  der  eben  in  seiner  Eigenschaft  als  heiliger 
Text  zu  solch  eingehender  Beschäftigung  mit  ihm  ■  stillschweigend 
aufforderte.  Dabei  sind  natürlich  die  Anschauungen  der  späteren 
Zeit  von  sehr  wesentlichem  Einfluß  auf  die  Gestaltung  der  Resul- 
tate gewesen.  Die  Geschichte  und  die  Dogmatik  wurden  nicht  nur 
weiter  ausgebildet,  sondern  auch  den  Anschauungen  der  späteren 
Zeit  entsprechend  umgebildet.  Durch  diese  ganze  Tätigkeit  ent- 
stand nun  das,  was  man  die  Haggada  zu  nennen  pflegt54.  —  Die 
Beschäftigung  mit  ihr  gehörte  zwar  nicht  zu  dem  eigentlichen  Be- 
ruf der  Gesetzeslehrer.  Aber  wie  die  Bearbeitung  des  Gesetzes 
und  die  Bearbeitung  des  heiligen  Textes  nach  seinem  geschicht- 
lichen und  religiös-ethischen  Inhalt  aus  einem  verwandten  Bedürfnis 
entsprungen  sind,  so  ergab  es  sich  auch  von  selbst,  daß  beide  von 
denselben  Männern  betrieben  wurden.  Die  „Gelehrten"  haben  sich 
in  der  Regel  mit  beidem  beschäftigt,  wenn  auch  die  einen  mehr 
auf  diesem,  die  andern  mehr  auf  jenem  Gebiete  sich  auszeichneten. 

In  ihrer  doppelten  Eigenschaft  als  Kenner  des  Gesetzes  und 
als  Kenner  der  „Haggada"  waren  die  Schriftgelehrten  auch  vor 
anderen  befähigt,  die  Lehrvorträge  in  den  Synagogen  zu 
halten.  Zwar  sind  auch  diese  nicht  an  bestimmte  Personen  ge- 
bunden. Jeder  Befähigte  konnte  in  der  Synagoge  lehrend  auftreten, 
wenn  ihm  der  Archisynagog  das  Wort  hierzu  erteilte  (s.  §  27). 
Aber  wie  man  bei  den  Gerichten  die  gelehrten  Gesetzeskenner  vor 
den  Laien  bevorzugte,  so  wird  auch  in  der  Synagoge  das  natür- 
liche Übergewicht  der  gelehrten  Schriftkenner  von  selbst  sich 
geltend  gemacht  haben.  | 

Zu  der  juristischen  und  der  haggadischen  Bearbeitung  der 
heiligen  Schriften  kommt  endlich  noch  eine  dritte  Art  von  gelehrter 
Beschäftigung  mit  denselben:  die  Sorge  für  den  Schrifttext 
als  solchen.  Je  höher  die  Autorität  des  heiligen  Buchstabens 
stieg,  desto  mehr  stellte  sich  auch  das  Bedürfnis  ein,  für  die  un- 
verfälschte und  gewissenhafte  Erhaltung  desselben  zu  sorgen.  Aus 
diesem  Bedürfnis  sind  alle  jene  Beobachtungen  und  kritischen  Be- 
merkungen entsprungen,  die  man  unter  dem  Namen  der  Masora 
zusammenzufassen  pflegt  (Zählung  der  Verse,  Worte  und  Buch- 


54)  Näheres  hierüber  s.  in  Abschnitt  HL 


[328]        IL  Die  Schriftgelehrten  und  ihre  Tätigkeit  im  allgemeinen.         389 

staben,  orthographische  und  textkritische  Bemerkungen  und  dergl.) 55. 
In  der  Hauptsache  gehört  jedoch  diese  Arbeit  einer  späteren  Zeit 
an.  In  unserer  Periode  sind  höchstens  die  ersten  Anfänge  dazu 
gemacht  worden56. 


55)  Über  den  Ausdruck  „Masora"  vgl.  die  treffliche  Erörterung  von 
Bacher  in  The  Jewish  Quarierly  Review  vol.  III,  1891,  p.  785 — 790.  Kürzer 
Ders.  in:  Die  älteste  Terminologie  der  jüdischen  Schriftauslegung  (1899,  an- 
derer Titel  1905)  S.  106—109.  Er  zeigt,  daß  der  Ausdruck  miw  aus  Exech. 
20,  37  stammt  und  daher  ebenso  wie  dort  auszusprechen  ist.  Gleiches  Recht 
hat  daneben  der  Ausdruck  moa,  was  aber  M^DiE  (moserah)  auszusprechen 
ist.  Die  Form  Masorah  oder  Massorah  ist  eine  hybride  Bildung  ohne  sprach- 
liche Berechtigung,  die  freilich  aus  dem  Gebrauche  nicht  mehr  zu  entfernen 
sein  wird.  Sonst  vgl.  noch  Dal  man,  Studien  zur  bibl.  Theologie  1889,  S.  8. 
Buhl,  Kanon  und  Text  des  A.  T.  1891,  S.  95  f. 

56)  Vgl.  über  die  Masora:  Strack  in  Herzog- Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl. 
Xu,  1903,  S.  393—399.  —  Reuß,  Gesch.  der  heiligen  Schriften  A.  T.s  §  581, 
und  die  von  beiden  zitierte  Literatur.  —  Aus  neuerer  Zeit:  Hamburger,  Real- 
Enz.  II,  1211—1220  (Art.  „Text  der  Bibel").  Dazu  Suppl.  IV,  1897,  S.  52—68 
(Art.  „Massora").  —  Harris,  The  rise  and  development  of  tke  Massorah  (The 
Jewish  Quarterly  Revieio  vol.  I,  1889,  p.  128-142,  223—257).  —  Bacher,  Die 
Agada  der  Tannaiten,  2  Bde.  1884—1890  Bd.  I,  2.  Aufl.  1903.  Ders.,  Die 
Agada  der  palästinensischen  Amoräer  3  Bde.  1892 — 1899  (Sachregister  s.  v. 
Massoretisches).  —  Buhl,  Kanon  und  Text  des  A.  T.  1891,  S.  94—106.  —  Blau, 
Masoretische  Untersuchungen,  Straßb.  1891  (Theol.  Litztg.  1892,  255).  —  Bacher 
in:  Winter  und  Wünsche,  Die  jüdische  Literatur  seit  Abschluß  des  Kanons  II, 
1892,  S.  119—132  (mit  guter  Literaturübersicht  S.  132);  dasselbe  auch  in  der 
hieraus  abgedruckten  Separatschrift:  Die  hebräische  Sprachwissenschaft  usw. 
1892.  —  Dobschütz,  Die  einfache  Bibelexegese  der  Tannaim  (Breslau  1893) 
8.  36  f.  —  Blau,  Zur  Einleitung  in  die  heilige  Schrift  (Jahresbericht  derLan- 
des-Rabbinerschule  in  Budapest  1894)  S.  100 — 129:  Masoretisches.  —  Blau,  Mas- 
soretie  studies  (Jewish  Quarterly  Review  vol.  VHI,  1896,  p.  343—359.  IX,  1897, 
p.  122 — 144.  471 — 490).  —  Ginsburg,  Introduction  to  the  Massoretieo-critical 
edition  of  the  Hebrew  Bible,  London  1897.  —  Strack,  Art.  „Text  of  the  Old  Te- 
stament" in  Hostings'  Dictionary  oftlie  Bible  IV,  1902,  p.  726 — 732.  —  Hyvernat, 
Petite  introduction  ä  Pftude  de  la  Massore  (Revue  biblique  1902  bis  1905).  —  Le- 
vias  Art  Masorah  in:  The  Jewish  Encyelopedia  Vlll,  1904,  p.  365—371.  —  Blau, 
Neue  masoretische  Studien  (Jewish  Quarterly  Review  XVI,  1904,  p.  357 — 372). 
—  In  der  Mischna  finden  sich  nur  ganz  vereinzelte  Bemerkungen,  die,  etwa 
hierher  gehören;  so  Pesachim  IX,  2  (daß  über  dem  n  in  üpm  Num.  9,  10 
ein  Punkt  stehe),  Sota  V,  5  (daß  das  tf'i  Hiob  13,  15  „ihm"  oder  „nicht" 
heißen  könne).  Hieronymus,  Quaest.  Hebr.  in  Genesin  bemerkt  zu  Gen.  19,  35 
(opp.  ed.  Vaüarsi  m,  1,  334):  Denique  Hebraei,  quod  sequitur  „Et  nesnvit 
quum  dormisset  cum  eo  et  quum  surrexisset  ab  eo"  appungunt  desuper  quasi 
incredibile.  —  Wenn  R.  Akiba  Aboth  III,  13  sagt,  die  rnbE  sei  „ein  Zaun  um 
die  Thora",  so  ist  möE  vermutlich  schon  hier  die  sorgfältige  Überlieferung 
des  Bibellextes,  s.  Bacher,  Die  älteste  Terminologie  S.  108.  Strack  in  Her- 
zog-Haucks  Real-Enz.  Xu,  394. 


390  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [329] 

III.  Halacha  and  Haggada. 

Literatur. 

Surenhusius,  BlßXoq  xazaXXay^g  in  quo  secundum  veterum  theologorum  He- 
braeorum  formulas  allegandi  et  modos  interpretandi  conciliantur  loca  ex 
V.  in  N.  T.  aliegata  (Ämstelaedami  1713),  bes.  p.  57—88. 

Waehner,  Antiquitates  Ebraeorum  vol.  I,  1743,  p.  353  sqq. 

Döpke,  Hermeneutik  der  neutestamentlichen  Schriftsteller.  1.  Tl.  1829. 

Hartmann,  Die  enge  Verbindung  des  Alten  Testaments  mit  dem  Neuen  (1831) 
S.  384-731. 

Zunz,  Die  gottesdienstlichen  Vorträge  der  Juden,  historisch  entwickelt.  Ber- 
lin 1832. 

Hirschfeld,  Der  Geist  der  talmudischen  Auslegung  der  Bibel.  Erster  TL 
Halachische  Exegese.  1840.  —  Ders.,  Der  Geist  der  ersten  Schriftaus- 
legungen oder  die  hagadische  Exegese.  1847. 

Franke l,  Vorstudien  zu  der  Septuaginta  (Leipzig  1841)  S.  163—203,  bes. 
S.  179—191.  —  Ders.,  Über  den  Einfluß  der  palästinischen  Exegese  auf 
die  alexandrinische  Hermeneutik.  Leipzig  1851  (354  S.  8.).  —  Ders.,  Über 
palästinische  und  alexandrinische  Schriftforschung.  Breslau  1854  (42  S.  4.). 

Weite,  Geist  und  Werth  der  altrabbinischen  Schriftauslegung  (Tüb.  Theol. 
Quartalschrift  1842,  S.  19—58). 

Reuß,  Gesch.  der  heil.  Schriften  Neuen  Testaments  §  502—505  (über  die 
Auslegung  des  A.  T.  bei  den  Juden). 

Diestel,  Gesch.  des  Alten  Testamentes  in  der  christlichen  Kirche  (1869) 
S.  6—14. 

Herzfeld,  Geschichte  des  Volkes  Iisrael  III,  137  ff.  226—263. 

Jost,  Geschichte  des  Judenthums  und  seiner  Secten  I,  90  ff.  227 — 288. 

Geiger,  Urschrift  und  Übersetzungen  der  Bibel  in  ihrer  Abhängigkeit  von 
der  inneren  Entwickelung  des  Judenthums.   Leipzig  1857. 

Pressel,  „Rabbinismus"  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  Bd.  XII  (1860) 
S.  470—487. 

Hausrath,  Neutestamentl.  Zeitgeschichte  2.  Aufl.  I,  80 — 113. 

Freudenthal,  Hellenistische  Studien  (1875)  S.  66— 77  (über  den  Einfluß  des 
Hellenismus  auf  den  palästinensischen  Midrasch;  s.  dazu  Geiger,  Jüd. 
Zeitschr.  XI,  1875,  S.  227  ff.). 

Siegfried,  Philo  von  Alexandria  (1875)  S.  142 ff.  283  ff.  (über  die  gegensei- 
tige Beeinflussung  palästinensischer  und  alexandrinischer  Theologie  und 
Exegese). 

Bacher,  Die  Agada  der  babylonischen  Amoräer.  1878. 

Bacher,  Die  Agada  der  Tannaiten  (Grätz'  Monatsschrift  für  Gesch.  und 
Wissensch.  des  Judenth.  1882—1884).  Auch  separat  unter  dem  Titel:  Die 
Agada  der  Tannaiten.  1.  Bd.:  Von  Hillel  bis  Akiba,  Straßburg  1884. 
Dazu  2.  Bd.:  Von  Akibas  Tod  bis  zum  Abschluß  der  Mischna.  Straß- 
burg 1890.  —  1.  Bd.  2.  Aufl.  1903. 

Bacher,  Die  Agada  der  palästinensischen  Amoräer.  1.  Bd.  Vom  Abschluß 
der  Mischna  bis  zum  Tode  Jochanans  (220 — 279  nach  der  gew.  Zeitrech- 
nung). Straßburg  1892.  —  2.  Bd.  Die  Schüler  Jochanans  (Ende  des  3.  und 
Anfang  des  4.  Jahrh.)  1896.  |  —  3.  Bd.  Die  letzten  Amoräer  des  heiligen 


[330]  III.  Halacha  und  Haggada.    1.  Die  Halacha.  391 

Landes  (vom  Anfange  des  4.  bis  zum  Anfange  des  5.  Jahrh.).  1899.  —  Dazu: 
Die  Agada  der  Tannaiten  und  Amoräer,  Bibelstellenregister,  1902. 

Weber,  System  der  altsynagogalen  palästin.  Theologie  (1880)  bes.  S.  88 — 121. 

Beuß,  Gesch.  der  heiligen  Schriften  Alten  Testaments  (1881)  §  411—415. 
582—584. 

Hamburger,  Real-Enz.  für  Bibel  und  Talmud,  Abt.  II  (1883)  Art.  Agada 
(S.  19—27),  Allegorie  (S.  50—53),  Exegese  (S.  181—212),  Geheimlehre 
(S.  257-278),  Halacha  (S.  338-353),  Kabbala  (S.  557—603),  Mystik 
(S.  816—819),  Rabbinismus  (S.  944—956),  Recht  (S.  969—980).  —  Dazu 
Supplementbd.  II  (1891)  Art.  Gesetzesaufhebung  (S.  51—53),  Mündliches 
Gesetz  (8. 142—145),  Sinaitische  Halacha  (S.  162—165),  Tradition  (S.  169— 
177).  Supplementbd.  HI  (1892)  Art.  Agada  (S.  1—9),  Binden  und  Lösen 
(S.  27—30). 

Mielniner,  Iniroduction  to  the  Talmud.  Historieal  and  literary  introduction. 
Legal  hermeneidics  of  the  Talmud.  Talmudical  terminology  and  methodo- 
iogy.  Outlines  of  talmudical  ethics.  Cincinnati  1894  (vgl.  Theol.  Litztg. 
1894,  636). 

Bacher,  Die  älteste  Terminologie  der  jüdischen  Schriftauslegung,  1899.  Mit 
neuem  Titel:  Die  exegetische  Terminologie  der  jüdischen  Traditionslite- 
ratur, 1.  Teil.  1905.    Dazu  gleichzeitig:  2.  Teil.  1905. 

Bacher,  Les  trois  brauche*  de  la  science  de  la  vieille  traditionjuive,  le  Mi- 
drashy  les  Halachot  et  les  Haggadot  (Revue  des  etudes  juives  t.  XXXVIII, 
1899,  p.  211—219).  Dasselbe  deutsch  erweitert  in:  Die  Agada  der  Tan- 
naiten 1.  Bd,  2.  Aufl.  1903,  S.  475—489. 

Ginzberg,  Die  Haggada  bei  den  Kirchenvätern.  I.  Die  Haggada  in  den 
pseudohieronymianischen  Quaestiones.  Heidelberger  Diss.  1899  [zu  Rich- 
ter, Samuel i s,  Könige  und  Chronik]. 

Ginzberg,  Die  Haggada  bei  den  Kirchenvätern  und  in  der  apokryphischen 
Litteratur,  Berlin,  Calvary  1900  (vorher  in:  Monatsschr.  für  Gesch.  u. 
Wissensch.  d.  Judenthums  1898  u.  1899)  [zur  Genesis]. 

Weinstein,   Zur  Genesis  der  Agada,   IL  Teil:  Die  alexandrinische  Agada, 

1901  [über  den  Einfluß  der  hellenistischen  Philosophie  auf  die  palästin. 
Haggada;  der  beabsichtigte  I.  Teil  ist  nicht  erschienen]. 

Rahmer,  Die  hebräischen  Traditionen  in  den  Werken  des  Hieronymus.  Die 
Oommentarii  zu  den  zwölf  kleinen  Propheten.  I.  Hälfte,  Hosea  bis  Micha, 

1902  (dazu  die  Anz.  von  Bacher,  Theol.  Litztg.  1903,  454—457). 

The  Jeurish  Encyclopedia,  I,  1901,  p.  403 — 411  (Art.  AJlegorical  Interpretation 
von  L.  Ginzberg),  IV,  1903,  p.  80—86  (Art.  Ghurch  Fathers  von  S.  Krauß), 
VIII,  1904,  p.  548—550  (Art.  Midrash  von  S.  Horovitz). 

Bousset,  Die  Beligion  des  Judentums  im  neutestamentlichen  Zeitalter,  2.  Aufl. 
1906,  S.  176—186. 

A  ich  er,  Das  Alte  Testament  in  der  Mischna  (Biblische  Studien,  herausg.  von 
Bardenhewer  XI,  4)  1906,  S.  53—170.  Vgl.  die  Anz.  von  Bacher,  Jewish 
Quarterly  Review  XIX,  1907,  p.  598—606. 

1.  Die  Halacha. 

Nach  dem  im  vorigen  Abschnitt  Bemerkten  war  die  theore- 
tische Arbeit  der  Schriftgelehrten  im  wesentlichen  eine  doppelte. 
Sie  hatten  1)  das  Eecht  zu  entwickeln  und  festzustellen;  sie  be- 


392  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit  [330.  331] 

arbeiteten  aber  2)  auch  die  geschichtlichen  und  religiös- 
belehrenden Abschnitte  der  heiligen  Schriften.  Durch  die  erstere 
Tätigkeit  wurde  neben  der  geschriebenen  Thora  ein  Gewohnheits- 
recht ausgebildet,  das  man  im  rabbinischen  Sprachgebrauch  die 
Halacha  (fiabn,  eigentl  was  gang  und  gäbe  ist)  zu  nennen  pflegt. 
Durch  die  andere  Tätigkeit  wurde  eine  mannigfaltige  Fülle  ge- 
schichtlicher und  religiös-ethischer  Vorstellungen  erzeugt,  die  man 
unter  dem  Namen  der  Haggada  oder  Aggada  (Tnxn  oder  ?nto&, 
eigentl.  Lehre,  s.  unten  Nr.  2)  zusammenzufassen  pflegt  Über  Ent- 
stehung, Wesen  und  Inhalt  beider  ist  nun  noch  näher  zu  handeln. 

Die  gemeinsame  Grundlage  beider  ist  das  Erforschen  oder 
Erläutern  des  Schrifttextes,  hebräisch  wy\l.  Unter  diesem  „Er- 
forschen" |  verstand  man  aber  nicht  historische  Exegese  im  moder- 
nen Sinne,  sondern  das  Aufsuchen  neuer  Erkenntnisse  auf  Grund 
des  gegebenen  Textes.  Es  wurde  nicht  nur  gefragt,  was  der  vor- 
liegende Text  seinem  Wortlaute  nach  sage,  sondern  auch,  was  für 
Erkenntnisse  aus  diesem  Wortlaute  durch  logische  Schlußfolge- 
rungen, durch  Kombinationen  mit  anderen  Stellen,  durch  allegorische 
Exegese  und  dergl.  zu  gewinnen  seien.  Die  Art  und  Methode  dieses 
Forschens  war  bei  der  Bearbeitung  des  Gesetzes  eine  andere  und 
verhältnismäßig  strengere  als  bei  der  Bearbeitung  der  geschicht- 
lichen und  dogmatisch-ethischen  Partien. 

Der  halachische  Midrasch  (also  die  exegetische  Bearbeitung 
der  Gesetzesstellen)  hatte  zunächst  nur  den  Umfang  und  die 
Tragweite  der  einzelnen  Gebote  ins  Auge  zu  fassen.  Es  mußte 
gefragt  werden:  auf  welche  Fälle  des  praktischen  Lebens  die  be- 
treffende Vorschrift  Anwendung  finde,  welche  Konsequenzen  sich 
aus  ihr  ergeben,  überhaupt:  was  zu  tun  sei,  damit  sie  ja  ihrem 


1)  un'n  findet  sich  in  der  Mischna  in  folgenden  Konstruktionen:  1)  „eine 
Schriftstelle  oder  einen  Schriftabschnitt  erforschen,  erläutern", 
wobei  der  Objekts- Akkusativ  entweder  ausgedrückt  wird  oder  in  Gedanken  zu 
ergänzen  ist,  Berachoth  I,  5.  Pesachim  X,  Afin.  Schekalim  I,  4.  V,  1.  Joma 
I,  6.  Megilla  II,  2.  Sota  V,  1.  2.  3.  4.  5.  IX,  15.  Sanhedrtn  XI,  2.  —  2)  mit 
31  in  derselben  Bedeutung  „über  eine  Stelle  Erläuterungen  geben"  Chagiga 
11,1.  —  3)  „einen  Satz  oder  eine  Erklärung  durch  Forschung  fin- 
den", z.B.  ]v  nn^  IT  PK  „dieses  erforschte  er  aus  der  und  der  Stelle"  (Joma 
VIII,  9),  oder  ohne  1»  (Jebamoth  X,  3.  Chullin  V,  5),  oder  in  der  Verbindung 
unri  tö"37«  n-  iidiese  Erklärung  gab  der  und  der"  (Schekalim  VI,  6.  Kethuboth 
IV,  6).  —  Das  von  tü-H  gebildete  Substantiv  ist  tö**]*  „Forschung,  Erläuterung, 
Bearbeitung"  Schekalim  VI,  6.  Kethuboth  IV,  6. '  Nedarim  IV,  3.  Aboth  1, 17; 
auch  in  der  Verbindung  iS'YTOtt  nra,  s.  oben  Anm.  49.  Es  findet  sich  schon 
II  Ohron.  13,  22.  24,  27.  —  S.  über  iö*H  Bacher,  Die  exegetische  Termino- 
logie I,  25—27.  II,  41—43.  Über  »-na  Bacher  ebendas.  I,  103—105.  11,107. 
Strack  in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  XIII,  784 f.  (Art  Midrasch). 


[331.  332]  III.  Halacba  und  Haggada.   1.  Die  Halacha.  393 

vollen  Umfange  nach  streng  und  pünktlich  beobachtet  werde.  Die 
Gebote  wurden  also  in  das  feinste  kasuistische  Detail  zerspalten 
und  immer  wieder  zerspalten;  und  dabei  durch  die  umfassendsten 
Vorsichtsmaßregeln  dafür  gesorgt,  daß  bei  der  Beobachtung  der- 
selben keinerlei  Nebenumstände  stattfänden,  welche  als  eine  Be- 
einträchtigung der  absolut  pünktlichen  Erfüllung  zu  betrachten 
wären.  —  Mit  dieser  Analyse  des  gegebenen  Textes  war  aber  die 
juristische  Aufgabe  doch  nicht  erschöpft  Es  waren  auch  mancher- 
lei Schwierigkeiten  zu  lösen,  die  sich  ergaben  teils  aus  vor- 
handenen Widersprüchen  innerhalb  des  Gesetzeskodex,  teils  aus 
der  Inkongruenz  gesetzlicher  Forderungen  mit  den  realen  Ver- 
hältnissen des  Lebens,  teils  auch  und  namentlich  aus  der  Un- 
verständigkeit des  geschriebenen  Gesetzes.  Auf  alle  Fragen,  die 
sich  hieraus  ergaben,  hatten  die  Gelehrten  eine  Antwort  zu  suchen: 
sie  hatten  die  vorhandenen  Differenzen  durch  Feststellung  einer 
maßgebenden  Erklärung  zu  beseitigen;  sie  hatten,  wo  die  Beob- 
achtung einer  Vorschrift  wegen  der  realen  Verhältnisse  des  Lebens 
unmöglich  oder  schwierig  oder  unbequem  war,  zu  zeigen,  wie  man 
sich  trotzdem  mit  dem  Wortlaut  ihrer  Forderung  abfinden  könne; 
sie  hatten  endlich  besonders  für  alle  diejenigen  Fälle  des  prak- 
tischen Lebens,  welche  durch  das  geschriebene  Gesetz  nicht  direkt 
geregelt  waren,  eine  gesetzliche  Normierung  zu  suchen,  sofern  eben 
das  Bedürfnis  nach  einer  solchen  sich  einstellte.  Namentlich  das 
letztere  Gebiet  war  für  die  juristische  Forschung  eine  unerschöpf- 
liche Quelle  der  Arbeit.  Immer  wieder  und  wieder  ergaben  sich 
Fragen,  auf  welche  das  geschriebene  oder  bisher  festgestellte  Recht 
keine  unmittelbare  Antwort  gab,  deren  Beantwortung  also  Sache 
der  juristischen  Forschung  war.  Für  die  |  Beantwortung  solcher 
Fragen  standen  im  wesentlichen  zwei  Mittel  zu  Gebote:  die  ge- 
lehrte Schlußfolgerung  aus  bereits  anerkannten  Sätzen  und  die 
Feststellung  eines  bereits  vorhandenen  Herkommens.  Auch  das 
letztere  war,  sofern  es  sich  konstatieren  ließ,  für  sich  allein  schon 
entscheidend. 

Die  gelehrte  Exegese  (Midrasch)  ist  nämlich  keineswegs  die 
einzige  Quelle  der  Rechtsbildung.  Ein  beträchtlicher  Teil  dessen, 
was  später  gültiges  Recht  wurde,  hat  überhaupt  keinen  An- 
knüpfungspunkt in  der  Thora,  sondern  ist  zunächst  nur  Sitte  und 
Gewohnheit  gewesen.  Man  hielt  es  mit  dem  und  dem  so  und 
so.  Aber  aus  der  Gewohnheit  wurde  dann  unmerklich  ein  Ge- 
wohnheitsrecht. Wenn  etwas  auf  rechtlichem  Gebiete  schon 
so  lange  üblich  war,  daß  man  sagen  konnte,  es  ist  von  jeher  so 
gehalten  worden,  so  war  es  Gewohnheitsrecht.  Es  war  dann 
gar  nicht  erforderlich,  daß  seine  Ableitung  aus  der  Thora  sich 


394  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [332.  333] 

nachweisen  ließ:  das  alte  Herkommen  als  solches  war  schon  ver- 
bindlich. Und  dieses  Gewohnheitsrecht  zu  konstatieren,  war  auch 
eine  Aufgabe  und  Befugnis  der  anerkannten  Gesetzeslehrer. 

Aus  diesen  beiden  Quellen  erwuchs  nun  mit  der  Zeit  eine  Fülle 
rechtlicher  Bestimmungen,  welche  der  geschriebenen  Thora  mit 
gleicher  Autorität  an  die  Seite  traten.  Sie  werden  alle  unter  dem 
Gesamtbegriff  der  Halacha,  d.  h.  des  Gewohnheitsrechtes, 
zusammengefaßt  Denn  auch  das  durch  gelehrte  Forschung  ge- 
fundene ist,  wenn  es  Geltung  erlangt  hat,  Gewohnheitsrecht,  robn 2. 
Das  geltende  Recht  umfaßt  demnach  jetzt  zwei  Haupt- 
kategorien: die  geschriebene  Thora  und  die  Halacha5,  die 
wenigstens  bis  gegen  Ende  unserer  Periode  nur  mündlich  fort- 
gepflanzt wurde.  Innerhalb  der  Halacha  gibt  es  aber  wieder 
verschiedene  Kategorien.  1)  Einzelne  Halachoth  (traditionelle 
Satzungen)  werden  bestimmt  auf  Mose  zurückgeführt4,  2)  die 
große  |  Masse  ist  die  Halacha  schlechthin,  3)  gewisse  Satzungen 
endlich  werden  als  „Verordnungen  der  Schriftgelehrten" 
(a^nfcio  ■nyi)  bezeichnet 5.  Alle  drei  Kategorien  sind  rechtsverbind- 
lich. Aber  das  Ansehen  derselben  ist  doch  ein  nach  der  genannten 
Reihenfolge  sich  abstufendes:  bei  der  ersten  Klasse  am  höchsten, 
bei  der  letzten  relativ  am  niedrigsten.  Denn  während  man  die 
Halacha  im  allgemeinen  als  von  jeher  in  Geltung  befindlich  an- 
sah, war  man  in  betreff  der  O'nsio  *nOT  sich  dessen  bewußt,  daß 
sie  erst  von  den  Nachfolgern  Esras  (dies  sind  die  O'n&io)  eingeführt 


2)  Der  umfassende  Begriff  der  riD^n  ergibt  sich  aus  folgenden  Stellen: 
Pea  II,  6.  IV,  1—2.  Orla  III,  9.  Schabbath  I,  4.  Ghagiga  I,  8.  Jebamoth 
VIH,  3.  Nedarim  IV,  3.  Edujoth  I,  5.  VIII,  7.  Aboth  III,  11.  18.  V,  8.  Ke- 
rithoth  III,  9.  Jadajim  IV,  3  fin.  Vgl.  Bacher,  Die  exegetische  Termino- 
logie I,  42  f.  II,  53 — 56.  —  Nicht  zu  verwechseln  mit  der  Halacha  ist  „die 
jüdische  Sitte"  rVHsirn  n^  (Kethuboth  VII,  G),  die  nur  das  Gebiet  des  „guten 
Tones"  bezeichnet,  verwandt  mit  yysji  ^n"n  (Kidduschin  I,  10).  Auch  der 
spätere  Begriff  Minhag  gehört  hierher,  der  einen  lokal  oder  sonstwie  begrenzten 
„Usus"  bezeichnet.  Vgl.  hierüber  Hamburger,  Real-Enz.  Supplementbd.  II 
(1891)  Art.  „Brauch".  Über  ■pa  yn  Bacher,  Die  exegetische  Terminologie 
I,  25.    II,  40  f. 

3)  rnin  oder  K'jfJ'a  (Schrift)  und  riDin  werden  z.  B.  unterschieden :  Orla 
III,  9.  Chagiga  I,  8.  Nedarim  IV,  3.  Ähnlich  &np>*  und  nj»?  (Gesetzeslehre) 
Kidduschin  I,  10.  —  Über  *rp*  s.  Bacher  I,  117—121.  II,  119  f. 

4)  Solche  ^©a  rittteb  rtebn  werden  in  der  Mischna  an  drei  Stellen  er- 
wähnt:  Pea  II,  6.  Edujoth  VIII,  7.  Jadajim  IV,  3  fin.  —  Im  ganzen  finden 
sich  in  der  talmudisch-rabbinischen  Literatur  etwa  50 — 60.  S.  Herzfeld, 
Gesch.  des  Volkes  Jisrael  III,  226 — 236.  Hamburger,  Real-Enz.  Supple- 
mentbd. II,  Art.  „Sinaitische  Halacha". 

5)  Orla  III,  9.  Jebamoth  II,  4.  IX,  3.  Sanhedrin  XI,  3.  Para  XI,  4—6. 
Tohoroth  IV,  7. 11.   Jadajim  III,  2.   Vgl.  auch  Kelim  XIII,  7.    lebul  jom  IV ,  6. 


[333.  334]  III.  Halacha  und  Haggada.    1.  Die  Halacha.  395 

worden  sind6,  überhaupt  hat  man  im  Zeitalter  der  Mischna  noch 
ein  ganz  deutliches  Bewußtsein  davon,  daß  manche  traditioneile 
Satzungen  teils  gar  nicht  in  der  Thora  begründet  sind,  teils  nur 
durch  dftnne  Fäden  mit  ihr  zusammenhängen7.  Trotzdem  aber 
war  das  Gewohnheitsrecht  ganz  ebenso  rechtsverbindlich  wie  die 
geschriebene  Thora8;  ja  es  wurde  sogar  bestimmt,  daß  der  Wider- 
spruch gegen  die  D^nöio  ^"Oi  ein  schwereres  Vergehen  sei  als  der 
Widerspruch  gegen  die  Satzungen  der  Thora9,  weil  nämlich  die 
ersteren  die  authentische  Auslegung  und  Ergänzung  der  letzteren, 
und  darum  tatsächlich  die  eigentlich  maßgebende  Instanz  sind. 

In  dem  Wesen  der  Halacha  war  es  begründet,  daß  sie  nie 
etwas  Fertiges  und  Abgeschlossenes  sein  konnte.  Die  beiden 
Quellen,  aus  denen  sie  entsprungen  ist,  flössen  unerschöpflich 
weiter.  Durch  fortgesetzte  gelehrte  Exegese  (Midrasch)  wurden 
immer  neue  |  Satzungen  geschaffen;  und  es  konnten  auch  gewohn- 
heitsmäßig neue  Gebräuche  hinzukommen.  Beides,  wenn  es  sich 
als  Gewohnheitsrecht  durchsetzte,  wurde  wieder  zur  Halacha, 
deren  Umfang  also  bis  ins  Unendliche  anschwoll.  Aber  in  jedem 
Stadium  der  Entwickelung  wurde  doch  unterschieden  zwischen 
dem,  was  bereits  gültig  war,  und  dem,  was  nur  durch  ge- 
lehrte Schlußfolgerung  der  Eabbinen  gefunden  wurde, 
zwischen  robn  und  )^  (urteilen).  Nur  ersteres  war  rechtsverbind- 
lich, letzteres  an  und  für  sich  noch  nicht 10.  Erst  wenn  die  Majori- 
tät der  Gelehrten  sich  dafür  entschieden  hatte,  dann  waren  auch 


6)  Daß  die  D^ölb  **\yi  eine  relativ  geringere  Autorität  haben  als  die 
Halacha  schlechthin,  erhellt  ans  Orla  III,  9  (wo  es  ganz  unberechtigt  ist, 
bei  Ms^n  zu  ergänzen  *^öa  SittJab).  —  Über  die  Neuheit  der  D^Blö  •nrn 
vgl.  bel^Kelim  XHL  7.    Tebul  jom  IV,  6:  ö^ibiö  «itc^n  izhn  wi. 

O  7  "  *  .     |  j.TTTT 

7)  Vgl.  bes.  die  merkwürdige  Stelle  Chagiga  I,  8:  „Das  Auflösen  der  Ge- 
lübde ist  eine  Satzung,  die  gleichsam  in  der  Luft  schwebt,  denn  es  findet  sich 
in  der  Schrift  nichts,  worauf  es  sich  stützen  könnte.  Die  Gesetze  über  Sab- 
bath,  Festopfer  und  Veruntreuung  (geheiligter  Sachen  durch  Mißbrauch) 
gleichen  Bergen,  die  an  einem  Haare  hängen,  denn  es  gibt  darüber  wenige 
Schriftstellen  und  viele  Gewohnheitsrechte  (nisbn).  Hingegen  die  Zivilgesetze 
(r?n?)>  die  Kultusgesetze,  die  Reinheits-,  Unreinheits-  und  Blutschandegesetze 
stützen  sich  vollkommen  auf  die  Schrift.  Sie  bilden  den  wesentlichen  Inhalt 
der  (schriftlichen)  Thora". 

8)  Vgl.  bes.  Aboth  III,  11.  V,  8. 

9)  Sanhedrin  XI,  3:  mta  ■nana*  ö^öio  '»'■ma  Win.  Ähnliche  Aus- 
Sprüche  späterer  Babbinen  s.  bei  Bodenschatz,  Kirchliche  Verfassung  der 
heutigen  Juden  H,  341.    Weber,  System  S.  102 ff. 

10)  S.  bes.  Jebamotk  Vm,  3.  Kerithoth  IH,  9.  Über  «pn  s.  Bacher,  Die 
exegetische  Terminologie  I,  21—23.  II,  37  f.  —  Die  rvoin  und  der  ü*Hi3 
werden  Nedarim  IV,  3  als  zweierlei  Gegenstände  des  Unterrichts  von  einander 
unterschieden. 


396  §  25.    Die  Schriftgelehrsamkeit.  [334.  335] 

solche  Sätze  verbindlich  und  gehörten  von  nun  an  zur  Halacha. 
Denn  die  Majorität  derer,  die  durch  Gelehrsamkeit  sich  aus- 
zeichnen, ist  das  entscheidende  Tribunal11.  Man  ist  daher 
auch  verpflichtet  sich  an  die  DTDDn  itm  zu  halten12.  Selbstver- 
ständlich  gilt  aber  dieses  Majoritätsprinzip  nur  für  solche  Fälle, 
die  nicht  schon  durch  die  bereits  gültige  Halacha  geregelt  sind. 
Denn  worüber  eine  Halacha  existiert,  hat  man  unbedingt  dieser 
zu  folgen,  auch  wenn  99  dagegen  und  nur  einer  sich  dafür  er- 
klären sollte13.  —  Mit  Hilfe  des  Majoritätsprinzips  kam  man  auch 
über  die  große  Schwierigkeit  hinweg,  welche  durch  das  Auseinander- 
gehen der  Schulen  Hilleis  und  Schammais  entstand  (s.  darüber 
unter  Nr.  IV).  Solange  die  zwischen  beiden  bestehenden  Diffe- 
renzen nicht  ausgeglichen  waren,  mußte  der  gesetzestreue  Israelite 
in  großer  Verlegenheit  sein,  an  welche  er  sich  zu  halten  habe. 
Die  Majorität  hat  auch  hier  schließlich  entschieden,  sei  es  nun, 
daß  die  Schulen  selbst  sich  an  Zahl  miteinander  maßen  und  die 
eine  von  der  anderen  überstimmt  wurde14,  oder  daß  die  späteren 
Gelehrten  durch  ihr  abschließendes  Urteil  die  Differenz  beseitigten !  5. 
Bei  der  Strenge,  mit  welcher  im  allgemeinen  die  Unveränder- 
lichkeit  der  Halacha  proklamiert  wurde,  sollte  man  meinen,  daß 
das  einmal  Gültige  niemals  eine  Abänderung  erfahren  konnte.  Wie 
aber  keine  Regel  ohne  Ausnahme  ist,  so  auch  diese  nicht  Und 
zwar  J  sind  es  nicht  ganz  wenige  Fälle,  in  welchen  bis  dahin  gül- 
tige Satzungen  oder  Gebräuche  später  abgeändert  wurden,  sei 
es  nun  aus  rein  theoretischen  Gründen  oder  wegen  der  veränder- 
ten Zeitverhältnisse  oder  weil  die  alte  Sitte  zu  Inkonvenienzen 
führte16. 


11)  Schabbath  I,  4  ff.    Edujoth  I,  4—6.  V,  7.    Mikwaoth  IV,  1.    Jadajim 

IV,  1.  3. 

12)  Negaim  IX,  3.  XI,  7. 

13)  Pea  IV,  1—2. 

14)  So  werden  ein  paar  Fälle  erwähnt,  wo  die  Schule  Hilleis  von  der 
Schule  Schammais  überstimmt  wurde,  Schabbath  I,  4  ff.   Mikwaoth  IV,  1. 

15)  In  der  Regel  wird  in  der  Mischna  nach  Erwähnung  der  Differenzen 
beider  Schulen  angegeben,  wofür  „die  Gelehrten"  sich  entschieden  haben. 

16)  Solche  Neuerungen  wurden  z.  B.  eingeführt  durch  Hillel  (Schebiith 
X,  3.  Oittin  IV,  3.  Arachin  IX,  4),  Rabban  Gamaliel  L  (Bosch  haschana 
IT,  5.  Oittin  IV,  2—3),  Rabban  Jochanan  ben  Sakkai  (Sukka  III,  12.  Bosch 
haschana  IV,  1.  3.  4.    Sota  IX,  9.    Menachoth  X,  5),  R.  Akiba  (Maaser  scheni 

V,  8.  Nasir  VI,  1.  Sanhedrin  III,  4),  überhaupt:  Scliebiüh  IV,  1.  Challa 
IV,  7.  Bikkurim  III,  7.  Schekalim  VII,  5.  Joma  II,  2.  Kethuboth  V,  3.  Are- 
darim  XI,  12.  Oittin  V,  6.  E&ujoth  VII,  2.  Tebul  jom  IV,  5.  —  Vgl.  auch 
Hamburger,  Real-Enz.  für  Bibel  und  Talmud,  Supplementbd.  II,  1891, 
S.  51—58    (Art.  „Gesetzesaufhebung").     Ders.,   Suppl.  III,  1892,   S.  27—30 


[335]  III.  Halacha  und  Haggada.    1.  Die  Halacha.  397 

So  weit  sich  auch  die  Halacha  von  der  schriftlichen  Thora 
entfernte,  so  wurde  doch  die  Fiktion  aufrecht  erhalten,  daß  sie 
im  wesentlichen  nichts  anderes  sei  als  eine  Auslegung  und  Näher- 
bestimmung der  Thora  selbst.  Formell  galt  immer  noch  die  Thora 
als  oberste  Norm,  aus  welcher  alle  Rechtssätze  sich 
mußten  ableiten  lassen17.  Allerdings  hat  die  Halacha  ihre 
selbständige  Autorität  und  ist  verbindlich,  auch  ohne  daß  ein 
Schriftbeweis  für  sie  geführt  wird.  Ihre  Gültigkeit  hängt  also 
nicht  vom  Gelingen  des  Schriftbeweises  ab.  Aber  es  gehört  doch 
zur  Kunst  der  Schriftgelehrten,  die  Sätze  der  Halacha  aus  der 
Schrift  zu  begründen 18.  Noch  unbedingter  ist  die  Forderung  zu- 
reichender Begründung  bei  neu  aufgestellten  oder  streitigen  Sätzen. 
Sie  können  sich  Anerkennung  nur  erringen  durch  methodischen 
Midrasch,  d.  h.  dadurch,  daß  sie  auf  überzeugende  Weise  aus  Sätzen 
der  Schrift  oder  aus  anderen  bereits  anerkannten  Sätzen  abgeleitet 
werden.  Die  Methode  der  Beweisführung,  deren  man  sich 
hierbei  bediente,  ist  nun  freilich  zum  Teil  eine  für  uns  befremd- 
liche; aber  sie  hat  doch  auch  ihre  Regeln  und  Gesetze.  Man 
unterschied  zwischen  dem  eigentlichen  Beweis  0"nx"0  und  der  bloßen 
Andeutung  (tjT)19.  Für  den  eigentlichen  Beweis  soll  schon  Hillel 
sieben  Regeln  (ritro)  aufgestellt  haben,  die  man  als  eine  Art 
rabbinischer  Logik  bezeichnen  kann20.   Diese  sieben  Regeln  lauten: 


(Art.  „Binden  und  Lösen")-   Mielxiner,  Art.  Abrogation  of  Laws  in:   The  Je- 
tcish  Encyclopedia  I,  131 — 133. 

17)  Dies  gilt  trotz  des  in  Anm.  7  erwähnten  Zugeständnisses.  S.  bes. 
Weber  S.  96  ff. 

18)  Daß  diese  nachträgliche  gelehrte  Begründung  der  Halacha  oft  auf 
ganz  andere  Sätze  der  Schrift  rekurriert,  als  auf  die,  aus  welchen  die  halachi- 
schen  Sätze  wirklich  entsprungen  sind,  sieht  man  z.  B.  aus  der  klassischen 
Stelle  Schabbath  IX,  1—4.  Eine  Fülle  von  Belegen  gibt  A ich  er,  Das  Alte 
Testament  in  der  Mischna  (Biblische  Studien  von  Bardenhewer  XI,  4)  1906, 
S.  67—107. 

19)  Schabbath  VIII,  7.  IX,  4.  Sanhedrin  VIII,  2.  Vgl.  Weber  S.  115  ff. 
Über  rTWt  Bacher,  Die  exegetische  Terminologie  I,  178  f.  II,  201;  über  *ot 
Bacher  I,  61 — 55. 

20)  Sie  finden  sich  in  der  Tosephta  Sanhedrin  VII  fin.  (ed.  Zuckermandel 
p.  427),  in  den  Aboth  de-Rabbi  Nathan  c.  37,  und  am  Schlüsse  der  Einleitung 
zum  Siphra  ( Ugolini  Thesaurus  t.  XIV,  595).  Der  Text  im  Siphra  ist,  wenig- 
stens nach  dem  Drucke  bei  Ugolini,  lückenhaft.  Das  Richtige  ergibt  sich 
aus  dem  fast  wörtlich  übereinstimmenden  Texte  der  beiden  anderen  Quellen. 
Vgl.  Herzfeld  III,  257.  Grätz,  Gesch.  der  Juden  Bd.  HI,  3.  Aufl.  S.  226 
(4.  Aufl.  S.  712).  Der s.,  Hillel  und  seine  sieben  Interpretationsregeln  (Mo- 
natsschr.  für  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1851/52,  S.  156 — 162).  Fran- 
kel,  Über  palästinische  und  alexandrinische  Schriftforschung  '1S54)  S.  15— 17. 
Strack  in  Herzogs  Real-Enz.  2.  Aufl.  XVIII,  356.    Ders.,  Einleitung  in  den 


398  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [335.  336] 

1)  Wirn  bg  „Leichtes  und  |  Schweres",  d.  h.  der  Schluß  a  minori 
ad  majus21;  2)  irm  rntä  „eine  gleiche  Entscheidung",  d.  h.  der 
Schluß  aus  Gleichartigem,  ex  analogia22;  3)  in«  air^tj  a«  ^:a 
„ein  Hauptsatz  aus  einer  Schriftstelle",  nämlich  Ableitung  einer 
Hauptbestimmung  des  Gesetzes  aus  einer  einzigen  Schriftstelle; 

4)  oiMro  ■Olött  att  i?»  „ein  Hauptsatz  aus  zwei  Schriftstellen"; 

5)  btai  vy&i  tanfci  bis  „Allgemeines  und  Besonderes"  und  „Beson- 
deres und  Allgemeines",  d.  h.  Näherbestimmung  des  Allgemeinen 
durch  das  Besondere  und  des  Besonderen  durch  das  Allgemeine23; 

6)  in»  Diptta  ia  »ari^a  „dem  Ähnliches  an  einer  anderen  Stelle", 
d.  h.  Näherbestimmung  einer  Stelle  durch  Zuhilfenahme  einer  an- 
deren; 7)  iywu  Ttftn  im  „eine  Sache  die  sich  lernt  aus  ihrem 
Zusammenhange",  Näherbestimmung  aus  dem  Zusammenhange  des 
Textes.  —  Diese  sieben  Regeln  wurden  später  zu  dreizehn  er- 
weitert, indem  man  die  fünfte  auf  acht  verschiedene  Weisen  spezia- 
lisierte, dafür  aber  die  sechste  wegließ.  Die  Aufstellung  dieser 
dreizehn  Middoth  wird  dem  R  Ismael  zugeschrieben.   Ihr  Wert 


Thalmud,  2.  Aufl.  1894,  S.  99.  Die  betreffenden  Artikel  bei  Bacher,  Die  exe- 
getische Terminologie  I  u.  II,  1905.  Lauterbach,  Art.  Talmudie  Hermeneu- 
tics  in:  The  Jewish  Encyclopedia  XII,  1906,  p.  30 — 33  (daselbst  auch  noch 
mehr  Literatur).    Aicher,  Das  A.  T.  in  der  Mischna  1906,  S.  141 — 148. 

21)  Beispiele:  Berachoth  IX,  5.  Schebiith  VII,  2.  Bexa  V,  2.  Jebamoth 
Vm,  3.  Nasir  VII.  4.  Sota  VI,  3.  Baba  bathra  IX,  7.  Sanhedrin  VI,  5. 
Edujoth  VI,  2.  Aboth  I,  5.  Sebachim  XII,  3.  Chullin  II,  7.  XII,  5.  Becho- 
roth  I,  1.  Kerithoth  III,  7.  8.  9.  10.  Negaim  XII,  5.  Machschirin  VI,  8.  Vgl. 
auch  Mielziner,  The  talmudie  syüogism  or  the  inference  of  Kai  vechomer 
(The  Hebrew  Review  I,  Gincinnati  1880).  Ad.  Schwarz,  Der  hermeneutische 
Syllogismus  in  der  talmudischen  Litteratur,  VIII.  Jahresber.  der  israelit.- 
theol.  Lehranstalt,  Wien  1901.  Wachstein,  Monatsschr.  f.  Gesch.  u.  Wissensch. 
d.  Judenth.  1902,  S.  53—62.  Bacher,  Die  exegetische  Terminologie  I,  172 — 
174.  II,  189  f. 

22)  Z.  B.  Bexa  I,  6:  „Challa  und  Gaben  sind  dem  Priester  zukommende 
Geschenke,  und  ebenso  die  Teruma.  So  wenig  man  nun  letztere  am  Feiertage 
zum  Priester  hinbringen  darf,  ebensowenig  erstere".  —  Ein  anderes  Beispiel: 
Arachin  IV  fin.  —  An  beiden  Stellen  ist  auch  der  Ausdruck  nj»  rrntfi  ge- 
braucht. —  Reiches  Material  s.  bei  Ad.  Schwarz,  Die  hermeneutische  Ana- 
logie in  der  talmudischen  Litteratur,  IV.  Jahresber.  der  israelit.-theol.  Lehr- 
anstalt, Wien  1897  (rez.  von  Blau,  Revue  des  Stades  juives  XXXVI,  1898, 
p.  150—159).    Bacher,  Die  exegetische  Terminologie  I,  13 — 16.  U,  27. 

23)  In  den  dreizehn  Middoth  des  R.  Ismael  ist  diese  Figur  auf  acht  ver- 
schiedene Weisen  spezialisiert,  z.  B.  durch  die  Formel  ÄDl  ta^Bl  Ws  „Allge- 
meines und  Besonderes  und  Allgemeines",  d.  h.  Näherbestimmung  zweier  all- 
gemeiner Ausdrücke  durch  einen  dazwischen  stehenden  speziellen,  wie  z.  B. 
Deut.  14,  26,  wo  der  am  Anfang  und  am  Schlüsse  gebrauchte  allgemeine  Aus- 
druck „alles  was  deine  Seele  gelüstet",  beschränkt  wird  durch  die  dazwischen 
stehenden  Worte  „Rinder,  Schafe,  Wein,  berauschendes  Getränke". 


[336.  337]  III.  Halacha  und  Haggada.   1.  Die  Halacha.  399 

für  die  richtige  Interpretation  des  Gesetzes  |  wird  von  Seiten  des 
rabbinischen  Judentums  so  hoch  angeschlagen,  daß  jeder  orthodoxe 
Israelite  sie  täglich  als  integrierenden  Bestandteil  des  Morgen- 
gebetes rezitiert  (!) 24. 

Die  Materien,  welche  den  Gegenstand  der  juristischen  For- 
schung der  Schriftgelehrten  bildeten,  waren  im  wesentlichen  durch 
die  Thora  selbst  gegeben.  Den  breitesten  Baum  nehmen  darin  die 
Vorschriften  über  den  priesterlichen  Opferdienst  und  die  religiösen 
Gebräuche  überhaupt  ein.  Denn  das  Eigentümliche  des  jüdischen 
Gesetzes  ist,  daß  es  vorwiegend  Kultusgesetz  ist.  Es  will  in 
erster  Linie  gesetzlich  feststellen,  auf  welche  Weise  Gott  zu  ehren 
ist:  welche  Opfer  ihm  darzubringen,  welche  Feste  ihm  zu  feiern 
sind,  wie  für  den  Unterhalt  der  ihm  dienenden  Priesterschaft  zu 
sorgen  ist,  welche  religiösen  Gebräuche  überhaupt  zu  beobachten 
sind.  Alle  anderen  Materien  nehmen  im  Vergleich  hierzu  einen 
relativ  geringen  Raum  ein.  Diesem  Inhalt  des  Gesetzes  entspricht 
auch  das  Motiv,  aus  welchem  überhaupt  die  eifrige  schriftgelehrte 
Beschäftigung  mit  demselben  entsprungen  ist:  man  wollte  durch 
die  pünktliche  Auslegung  des  Gesetzes  eben  dafür  sorgen,  daß 
keines  der  Rechte,  die  Gott  für  sich  in  Anspruch  nimmt,  auch  nur 
im  geringsten  verletzt,  vielmehr  alle  aufs  gewissenhafteste  und  im 
vollsten  Umfange  beobachtet  würden.  So  sind  denn  durch  die 
Arbeit  der  Schriffcgelehrten  vor  allem  ausgebildet  worden:  1)  die 
Vorschriften  über  die  Opfer,  die  verschiedenen  Arten  derselben, 
die  Anlässe  zu  ihrer  Darbringung  und  die  Art  und  Weise  der 
Darbringung  nebst  allem,  was  damit  zusammenhängt,  also  das  ge- 
samte Opferritual;  2)  die  Vorschriften  über  die  Feier  der  hei- 
ligen Zeiten,  namentlich  des  Sabbats,  aber  auch  der  Jahresfeste: 
Passa,  Pfingsten,  Laubhütten,  Versöhnungstag,  Neujahr;  3)  die  Vor- 
schriften über  die  Abgaben  an  den  Tempel  und  die  Priester- 
schaft: über  die  Erstlinge,  Hebe,  Zehnt,  Erstgeburt,  Halbsekel- 
steuer,  über  Gelübde  und  freiwillige  Gaben,  und  was  dabei  in  Be- 
tracht kommt:  Auslösung,  Abschätzung,  Veruntreuung  u.  dergl.; 
endlich  4)  die  mancherlei  sonstigen  religiösen  Satzungen,  unter 
welchen  bei  weitem  den  meisten  Raum  einnehmen  die  Vorschriften 


24)  Sie  finden  sich  daher  in  jedem  jüdischen  Siddur  (Gebetbuch) ;  außer- 
dem in  der  Einleitung  zum  Sipkra.  — Vgl.  Waehner,  Antiquitates  Ebraeorum 
I,  422 — 523.  Boden  seh  atz,  Kirchliche  Verfassung  der  heutigen  Juden  III, 
237—246  (mit  Beispielen).  Pinner,  Übersetzung  des  Traktates  Berachoth, 
Einleitung  fol.  17b— 20a.  Pressel  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  XV,  651  f. 
Weber,  System  der  altsynagogalen  paläst.  Theol.  S.  106 — 115.  Strack  in 
Herzogs  Real-Enz.  2.  Aufl.  XVHI,  368.  Ders.,  EinL  in  den  Thalmud,  2.  Aufl. 
S.  99  f. 


400  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [337.  338] 

über  rein  und  unrein.  Die  darauf  bezüglichen  Bestimmungen 
des  Gesetzes  wurden  |  für  die  Schriftgelehrten  eine  unerschöpfliche 
Quelle  zur  Übung  des  peinlichsten  und  gewissenhaftesten  Scharf- 
sinns. Wahrhaft  endlos  und  unabsehbar  sind  die  Satzungen,  durch 
welche  festgestellt  wurde,  unter  welchen  Umständen  Verunreini- 
gungen bewirkt  und  mit  welchen  Mitteln  sie  wieder  beseitigt 
werden  können  —  Diese  religiösen  Satzungen  bildeten  aber  doch 
keineswegs  den  ausschließlichen  Stoff  für  die  Arbeit  der  Schrift- 
gelehrten. Das  Gesetz  Mosis  enthält  auch  die  Grundzüge  eines 
Kriminal-  und  Zivilrechtes;  und  die  praktischen  Anforderungen 
des  Lebens  boten  hinreichende  Veranlassung,  auch  diese  Materien 
weiter  auszubilden.  Allerdings  sind  die  betreffenden  Materien  nicht 
gleichmäßig  bearbeitet  worden.  Am  eingehendsten  wurde  das  Ehe- 
recht entwickelt,  teils  weil  das  Gesetz  hierzu  am  meisten  Veran- 
lassung bot,  teils  weil  es  am  engsten  mit  dem  religiösen  Gebiete 
zusammenhing.  Nicht  ganz  mit  derselben  Ausführlichkeit  sind  in 
der  Mischna  die  übrigen  Gebiete  des  Zivilrechtes  behandelt  (in 
den  Traktaten  Baba  kamma,  Baba  mezia  und  Baba  bathra),  und 
noch  weniger  ist  das  Kriminalrecht  ausgebaut  (in  den  Traktaten 
Sanhedrin  und  Makkoth).  So  gut  wie  völlig  ignoriert  wird  das 
Gebiet  des  Staatsrechtes.  Zu  dessen  Ausbildung  bot  allerdings 
die  Thora  nur  äußerst  geringe  Veranlassung,  und  die  etwa  darauf 
verwendete  Arbeit  wäre  in  Anbetracht  der  politischen  Verhältnisse 
auch  völlig  nutzlos  gewesen25. 


2.  Die  Haggada. 

Von  ganz  anderer  Art  als  der  halachische  Mid  rasch  ist  der 
sogenannte  haggadische  Midrasch,  d.  h.  die  Bearbeitung  der 
geschichtlichen  und  religiös-ethischen  Partien  der  heiligen  Schriften. 
Während  bei  jenem  die  Bearbeitung  doch  vorwiegend  in  einer  Ent- 
wickelung  und  Fortbildung  des  wirklich  im  Text  Gegebenen 
besteht,  nimmt  die  haggadische  Bearbeitung  ihren  Inhalt  zum 
größten  Teil  nicht  aus  dem  Texte,  sondern  sie  trägt  ihn  in  den- 
selben ein.  Sie  ist  eine  Bereicherung  und  Umbildung  des  Gegebenen 
nach  den  Bedürfnissen  und  Anschauurgen  der  späteren  Zeit.  Den 
Ausgangspunkt  bildet  allerdings  auch  hier  der  gegebene  Text.  Und 
es  findet  immerhin  auch  hier  zunächst  eine  ähnliche  Bearbeitung 
statt,  wie  bei  den  Gesetzesstellen:  man  bearbeitet  die  Geschichte, 

25)  Die  Belege  für  Obiges  gibt  die  Inhaltsübersicht  über  die  Mischna 

(s.  §  3). 


[338.  339]  m.  Halacha  und  Haggada.   2.  Die  Haggada.  401 

indem  man  die  verschiedenen  Angaben  der  Texte  miteinander  kom- 
biniert, einen  aus  dem  anderen  ergänzt,  die  Chronologie  feststellt 
und  dergl.;  oder  man  bearbeitet  die  religiös-ethischen  Partien,  in- 
dem man  aus  einzelnen  Aussagen  der  Propheten  dogmatisch-feste 
Lehrsätze  formuliert,  diese  in  Beziehung  zueinander  bringt  und  so 
eine  Art  von  dogmatischem  System  gewinnt.  Aber  diese  strengere 
Art  der  Bearbeitung  wird  doch  überwuchert  von  der  viel  freieren, 
welche  in  völlig  zwangloser  Weise  mit  dem  Texte  schaltet,  den- 
selben durch  eigene  Zutaten  aufs  mannigfaltigste  ergänzend.  Die 
durch  solche  Bearbeitung  der  heiligen  Schriften  gewonnenen  ge- 
schichtlichen und  religiös-ethischen  „Lehren4*  nennt  man  rriian 
oder  rvnaa26. 

Für   den   geschichtlichen  Midrasch  bietet  ein  sehr  lehr- 
reiches Beispiel  schon  eine  kanonische  Schrift  des  Alten  Testa- 


26)  Das  Wort  „Haggada"  wird  in  der  Regel  erklärt  durch  „Erzählung, 
Sage"  (von  T^an  —  erzählen).  So  z.  B.  Levy,  Nenhebr.  und  chald.  Wörterb. 
s.  v,  rvttK  und  rViari;  Güdemann,  Haggada  und  Midrasch -Haggada,  in: 
Jubelschrift  zum  neunzigsten  Geburtstag  des  Dr.  L.  Zunz,  Berlin  1884,  S.  111 
— 121  (erklärt  man  =  mündliche  „Sage"  im  Gegensatz  zu  iro  =  „Schrift") ; 
Derenbourg,  Hagqada  et  Legende,  in:  Revue  des  Uudes  juives  t  IX,  1884, 
p.  301 — 304  (stimmt  Güdemann  bei).  —  Gegen  diese  herkömmliche  Erklärung  s. 
Bacher,  The  Origin  of  the  word  Haggada  (Agada)  f  in:  The  Jewish  Quarter ly 
Review  vol.  IV,  1892,  p.  4C6 — 429,  deutsch  in:  Die  Agada  der  Tannaiten  1.  Bd. 
2.  Aufl.  1903,  S.  451 — 475.  Kürzer  auch  in:  Die  exegetische  Terminologie  I, 
30 — 37.  n,  44.  Bacher  fuhrt  in  überzeugender  Weise  Folgendes  aus:  In 
Mechilta  und  Siphre  wird  T<an  als  Synonymum  von  *nab  gebraucht,  T»sa 
asinsn  „die  Schriftstelle  lehrt"  oder  gewöhnlich  bloß  T»as  „sie  lehrt"  (eigentlich 
„sie  zeigt  an")  dient  hier  zur  Einführung  einer  Folgerung  aus  einer  Schrift- 
stelle, und  zwar  sowohl  bei  halachischen  als  bei  nicht-halachischen  Erörte- 
rungen. Im  Siphra  dagegen  wird  Y»:ra  nicht  mehr  gebraucht.  Es  ist  jetzt 
ganz  durch  das  gleichbedeutende  ta^a  verdrängt.  Ersteres  gehört  also  einem 
älteren  Sprachgebrauch  an,  der  in  der  Schule  lamaeis  noch  beibehalten,  in 
der  Schule  Akibas  aber  verlassen  ist.  Dagegen  wird  jetzt  das  Substantiv 
ITHjn  mit  Einschränkung  auf  die  nicht-halachischen  Erklärungen  gebraucht. 
Hiernach  ist  also  „Haggada"  jede  nicht-halacbische  „Lehre",  die  aus  einer 
Schriftstelle  gezogen  wird.  Was  die  Wortform  anlangt,  so  sind  die  Schrei- 
bungen „Haggada"  und  „Aggada"  gleichberechtigt  Ersteres  ist  babylonisch, 
letzteres  palästinensisch,  wie  überhaupt  im  palästinensischen  Dialekt  die  Form 
nbren  häufig  durch  die  Form  nbstK  ersetzt  wird.  Falsch  ist  die  Schreibung 
„Agada".  So  weit  Bacher.  —  In  einer  Stelle  der  Mischna  (Nedarim  IV,  3) 
werden  als  drei  Unterrichtsgegenstände  neben  einander  genannt:  löma  (Exe- 
gese), nnain  (gesetzliche  Lehren),  tvpttK  (nicht-gesetzliche  Lehren).  Der  Mi- 
drasch ist  die  Grundlage  der  beiden  letzteren.  Vgl.  über  diese  drei  Begriffe 
Bacher,  Revue  des  etudes  juives  t.  XXXVIII,  1899,  p.  211—219  «=  Die  Agada  der 
Tannaiten  1.  Bd.  2.  Aufl.  1903,  S.  475—489.  —  Über  einige  Einzelheiten  des 
mittelalterlichen  Sprachgebrauches  handelt  Bacher,  Derasch  et  Haggada  (Re- 
vue des  Üudes  juives  t  XXIII,  1891,  p.  311—313). 

Schür  er,  Geschichte  II.   4.  Aufl.  26 


402  §  25.   Die  Bchriflgelehrsamkeit.  [339.  340] 

mentes,  nämlich  die  Chronik.  Wenn  man  ihre  Erzählung  mit 
den  parallelen  Abschnitten  der  älteren  Geschichtsbücher  (Samuelis 
und  Könige)  vergleicht,  so  muß  auch  dem  fluchtigen  Beobachter 
die  Tatsache  auffallen,  daß  der  Chronist  die  Geschichte  der  jüdi- 
schen Könige  |  durch  eine  ganze  Klasse  von  Nachrichten  bereichert, 
von  welchen  die  älteren  Quellen  so  gut  wie  nichts  haben,  nämlich 
durch  die  Erzählungen  von  den  mancherlei  Verdiensten, 
welche  sich  nicht  nur  David,  sondern  auch  eine  Anzahl  anderer 
frommer  Könige  um  die  Erhaltung  und  reichere  Ausgestal- 
tung des  priesterlichen  Kultus  erworben  haben.  Es  ist  dem 
Chronisten  ein  besonderes  Anliegen,  zu  berichten,  welche  gewissen- 
hafte Fürsorge  diese  Könige  den  Kultusinstitutionen  zuwandten. 
In  den  älteren  Quellen  findet  sich  von  diesen  Nachrichten,  welche 
sich  durch  die  ganze  Chronik  hindurchziehen,  so  gut  wie  gar  nichts. 
Nun  könnte  man  freilich  sagen,  das  Fehlen  derselben  in  unseren 
Büchern  Samuelis  und  Könige  sei  noch  kein  Beweis  der  Unge- 
schichtlichkeit:  der  Chronist  habe  sie  eben  aus  anderen  Quellen. 
Allein  das  Eigentümliche  ist,  daß  auch  die  Institutionen  selbst, 
durch  deren  Pflege  sich  jene  Könige  ausgezeichnet  haben  sollen, 
überhaupt  erst  der  nachexilischen  Zeit  angehören,  wie  sich  das 
wenigstens  in  der  Hauptsache  noch  bestimmt  nachweisen  läßt 
(s.  §  24).  Augenscheinlich  hat  also  der  Chronist  die  ältere  Ge- 
schichte unter  einem  bestimmten,  ihm  sehr  wesentlich  erscheinenden 
Gesichtspunkte  bearbeitet:  wie  für  ihn  selbst  der  Kultus  die  Haupt- 
sache ist,  so  müssen  auch  die  theokratischen  Könige  durch  ihr 
Interesse  für  den  Kultus  sich  ausgezeichnet  haben.  Dabei  verfolgt 
er  zugleich  den  praktischen  Zweck,  das  gute  Recht  und  den  hohen 
Wert  dieser  Institutionen  darzutun,  indem  er  zeigt,  wie  schon  die 
hervorragendsten  Könige  sie  gepflegt  haben.  Der  Gedanke,  daß 
dies  eine  Fälschung  der  Geschichte  ist,  hat  ihm  vermutlich  sehr 
ferne  gelegen.  Er  glaubt  sie  zu  verbessern,  indem  er  sie  nach 
den  Bedürfnissen  seiner  Zeit  bearbeitet  Sein  Werk  oder  vielmehr 
das  größere  Werk,  aus  welchem  unsere  Chronik  wahrscheinlich 
nur  ein  Auszug  ist,  ist  daher  recht  eigentlich  ein  geschichtlicher 
Midrasch,  wie  es  denn  von  dem  abkürzenden  Bearbeiter  aus- 
drücklich auch  als  solcher  (löTTO)  bezeichnet  wird  (II  Chron.  13,  22. 
24,  27)27. 

Die  hier  beschriebene  Methode  der  Bearbeitung  der  heiligen 
Geschichte  hat  nun  in  der  späteren  Zeit  tippig  fortgewuchert  und 
immer  kühnere  Bahnen  eingeschlagen.   Je  höher  das  Ansehen  und. 


27)  Vgl.  Well  hausen,  Geschichte  Israels  I,  236  f.  —  Prolegomena  zur 
Geschichte  Israels  5.  Ausg.  S.  226  f. 


[340.  341]  m.  Halacha  und  Haggada.   2.  Die  Haggada.  403 

die  Bedeutung  der  heiligen  Geschichte  in  der  Vorstellung  des 
Volkes  stieg,  desto  eingehender  beschäftigte  man  sich  mit  ihr;  desto 
mehr  fühlte  man  sich  auch  getrieben,  die  Einzelheiten  derselben 
immer  genauer  festzustellen,  immer  reicher  auszugestalten,  und  das 
Ganze  mit  einem  immer  volleren  und  helleren  Glorienschein  zu 
umgeben.  |  Namentlich  war  es  die  Geschichte  der  Patriarchen  und 
des  großen  Gesetzgebers,  welche  auf  diese  Weise  immer  reicher 
ausgeschmückt  wurde.  Sehr  lebhaft  haben  sich  an  dieser  Art  der 
Geschichtsbearbeitung  auch  die  hellenistischen  Juden  beteiligt. 
Ja  man  könnte  fast  auf  die  Vermutung  kommen,  daß  sie  von  ihnen 
ausgegangen  ist,  wenn  nicht  die  Chronik  den  Gegenbeweis  lieferte, 
und  wenn  nicht  die  ganze  Methode  dieses  Midrasch  so  völlig  dem 
Geiste  des  rabbinischen  Schriftgelehrtentums  entspräche.  —  Die 
Literatur,  in  welcher  uns  die  Reste  dieser  haggadischen  Ge- 
schichtsbearbeitung noch  erhalten  sind,  ist  verhältnismäßig  reich 
und  mannigfaltig.  Wir  finden  sie  in  den  Werken  der  Hellenisten 
Demetrius,  Eupolemus,  Artapanus  (s.  über  sie  §  33);  bei 
Philo  und  Josephus28,  in  den  sogenannten  Apokalypsen  und 
überhaupt  in  der  pseudepigraphischen  Literatur29;  vieles  auch 
in  den  Targumen  und  im  Talmud;  das  meiste  aber  in  den  eigent- 
lichen Midraschim,  welche  exprofesso  der  Bearbeitung  der  heiligen 
Texte  gewidmet  sind  (s.  darüber  oben  §  3).  Unter  diesen  ist  der 
älteste  das  sogenannte  Buch  der  Jubiläen,  welches  als  das  eigent- 
lich klassische  Muster  dieser  haggadischen  Bearbeitung  der  heiligen 
Geschichte  gelten  kann.  Der  ganze  Text  unserer  kanonischen 
Genesis  ist  hier  in  der  Weise  reproduziert,  daß  die  Einzelheiten 
der  Geschichte  nicht  nur  chronologisch  fixiert,  sondern  auch  durch- 
weg an  Inhalt  bereichert  und  im  Geschmacke  der  späteren  Zeit 
umgebildet  sind.  —  Zur  Veranschaulichung  dieses  Zweiges  der 
schriftgelehrten  Tätigkeit  seien  im  folgenden  wenigstens  einige 
Beispiele  namhaft  gemacht30. 

Die  Schöpfungsgeschichte  wurde  z.  B.  in  folgender  Weise 


28)  Über  Josephus  s.  Zunz,  Die  gottesdienstlichen  Vorträge  der  Juden 
S.  120,  und  die  oben  §  3  (I,  104)  genannte  Literatur.  Über  Philos  Berüh- 
rungen mit  dem  palästinensischen  Midrasch  s.  Siegfried,  Philo  von  Alexan- 
dria S.  142—159. 

29)  Vgl.  bes.  Fabricius,  Codex  pseudepigraphus  Veteris  Testamenti  (2  Bde. 
171$— 1723),  dessen  Werk  so  geordnet  ist,  daß  nach  der  chronologischen  Reihen- 
folge der  biblischen  Personen  die  auf  jeden  bezüglichen  Literaturreste  zu- 
sammengestellt werden. 

30)  Vgl.  Hartmann,  Die  enge  Verbindung  etc.  S.  464-514.  Herz- 
feld, Gesch.  d.  Volkes  Jisrael  01,490—502.  Ewald,  Gesch.  des  Volkes 
Israel  I,  286  ff.  und  überhaupt  die  oben  8.  390  f.  genannte  Literatur. 

26* 


404  §  25-   Die  Schriftgelehrsamkeit  [341.  342] 

ergänzt:  „Zehn  Dinge  sind  am  Vorabend  des  Sabbat  in  der  Abend- 
dämmerung erschaffen  worden.  1)  Der  Schlund  der  Erde  (für  Korah 
und  seine  Rotte),  2)  die  Mündung  des  Brunnens  (Mirjams),  3)  der 
Mund  der  Eselin  (Bileams),  4)  der  Regenbogen,  5)  das  Manna  in 
der  Wüste,  6)  der  Stab  (Moses),  7)  der  Schamir  (ein  Wurm,  der 
Steine  spaltet),  8)  die  Buchstabenschrift,  9)  die  Gesetztafelschrift,  | 
10)  die  steinernen  Tafeln.  Einige  rechnen  dazu:  die  bö3en  Geister, 
das  Grab  Moses  und  den  Widder  unseres  Vaters  Abraham;  noch 
andere  rechnen  dazu  die  erste  Zange  zur  VerfertigUDg  künftiger 
Zangen"31.  —  Über  das  Leben  Adams  bildete  sich  ein  reicher 
Sagenkreis,  den  wir  namentlich  aus  seinen  Niederschlägen  und 
Fortbildungen  in  der  christlichen  und  in  der  spätjüdischen  Lite- 
ratur kennen32.  —  Der  auf  wunderbare  Weise  zu  Gott  in  den 
Himmel  versetzte  Henoch  erschien  besonders  geeignet,  himmlische 
Geheimnisse  den  Menschen  zu  offenbaren.  Ein  Buch  mit  solchen 
Offenbarungen  wurde  ihm  daher  schon  gegen  Ende  des  zweiten 
Jahrhunderts  vor  Chr.  zugeschrieben  (s.  §  32).  Die  spätere  Sage 
rühmt  seine  Frömmigkeit  und  beschreibt  seine  Himmelfahrt33.  Der 
Hellenist  Eupolemus  (oder  wer  sonst  der  Verfasser  des  betreffenden 
Fragmentes  ist)  bezeichnet  ihn  als  den  Erfinder  der  Astrologie34. 
—  Selbstverständlich  hatte  Abraham,  der  Stammvater  Israels, 
ein  ganz  besonderes  Interesse  für  diese  Art  der  Geschichtsbetrach- 
tung. Hellenisten  und  Palästinenser  bemühten  sich  in  gleicher 
Weise  um  ihn.  Ein  jüdischer  Hellenist  schrieb,  wahrscheinlich 
schon  im  dritten  Jahrhundert  vor  Chr,  unter  dem  Namen  des 
Hekatäus  von  Abdera  ein  eigenes  Buch  über  Abraham35.  Nach 
Artapanus  unterrichtete  Abraham  den  König  Pharethothes  von 
Ägypten  in  der  Astrologie36.  Für  das  rabbinische  Judentum  ist 
er  ein  Muster  pharisäischer  Frömmigkeit.  Er  erfüllte  das  ganze 
Gesetz,  noch  ehe  es  gegeben  war37.    Zehn  Versuchungen  —  so 


31)  Abotk  V,  6. 

32)  Fabricius,  Codex  pseudepigr.  1, 1—94.  II,  1—43.  Hort,  Art.  „Adam, 
books  op'n  in  Smith  dt  Wace,  Dictionary  of  Christian  biography  vol.  I  (1877) 
p.  34—39.  Dillmann  in  Herzogs  Real-Enz.  2.  Aufl.  XII,  366 f.  Kohler,  Art. 
Adam  in  The  Jewish  Encyclopedia  I,  174 — 177.  Beer  in  Herzog- Haucks  Real- 
Enz.  3.  Aufl.  XVI,  203  f.  (im  Artikel  „Pseudepigraphen  des  A.-T.")  und  über- 
haupt die  unten  (§  32,  VI,  4)  genannte  Literatur. 

33)  Hamburger,  Real-Enz.  für  Bibel  und  Talmud,  II.  Abt.  Art.  „He- 
nochsage". 

34)  Euseb.  Praep.  evang.  IX,  17. 

35)  Joseph.  Antt.  I,  7,  2.     Clemens  Alex.  Strom.  V,  14,  113. 

36)  Euseb.  Praep.  evann.  IX,  18.  Vgl.  über  Abraham  als  Astrologen  auch 
Joseph.  Antt.  I,  7,  1.    Fabricius,  Codex  pseudepigr.  I,  350—378. 

37)  Apoc.  Baruch  c.  57.  Kiddusehin  IV,  14  fin.  Vgl.  Nedarim  HI,  11  s.  ftn. 


[342.  343]  III.  Halacha  und  Haggada.   2.  Die  Haggada.  405 

zählte  man  —  hat  er  siegreich  überstanden38.  Infolge  seines  ge- 
rechten Wandels  empfing  er  auch  den  Lohn  aller  |  ihm  vorher- 
gehenden zehn  Geschlechter,  welche -durch  ihre  Sünde  desselben 
verlustig  gegangen  waren 39.  —  Im  hellsten  Glorienscheine  strahlt 
der  große  Gesetzgeber  Moses  und  seine  Zeit  Die  Hellenisten 
stellen  ihn  in  ihren  auf  heidnische  Leser  berechneten  Werken  als 
Vater  aller  Wissenschaft  und  Bildung  dar.  Nach  Eupolemus  ist 
Moses  der  Erfinder  der  Buchstabenschrift,  welche  von  ihm  erst 
zu  den  Phöniziern  und  von  diesen  zu  den  Hellenen  gelangt  ist. 
Nach  Artapanus  haben  die  Ägypter  überhaupt  ihre  ganze  Kultur 
ihm  zu  verdanken40.  Da  ist  es  also  noch  etwas  Geringes,  wenn 
es  in  der  Apostelgeschichte  nur  heißt,  daß  er  erzogen  war  in  aller 
Weisheit  der  Ägypter,  wiewohl  auch  dies  schon  über  das  Alte 
Testament  hinausgeht  (Act.  7,  22).  Die  Geschichte  seines  Lebens 
und  Wirkens  wird  von  der  hellenistischen  und  rabbinischen  Legende 
aufs  mannigfaltigste  ausgeschmückt,  wie  das  schon  aus  den  Dar- 
stellungen des  Philo  und  Josephus  zu  sehen  ist 4  *.  Man  kennt  die 
Namen  der  ägyptischen  Zauberer,  welche  von  Moses  und  Aaron 
besiegt  wurden:  Jannes  und  Jambres  (II  Timoth.  3,  8).  Bei  dem 
Zug  durch  die  Wüste  wurden  die  Israeliten  nicht  nur  einmal  auf 
wunderbare  Weise  durch  Wasser  aus  einem  Felsen  getränkt,  son- 
dern ein  wasserspendender  Fels  begleitete  sie  während  der  ganzen 
Wanderung  durch  die  Wüste  (I  Kor.  10,  4).  Das  Gesetz  ist  nicht 
durch  Gott  selbst  dem  Moses  gegeben,  sondern  durch  Vermittelung 


33)  Aboth  V,  3.  Bach  der  Jubiläen  19,  8.  Aboth  de- Rabbi  Nathan  e.  33. 
Pirke  de- Rabbi  Elieser  c.  26—31.  Targum  jer.  zu  Qen.  22,  1.  Fabricius  I, 
398 — 400.  Beer,  Leben  Abrahams  8.  190—192.  Schröder,  Satzungen  und 
Gebräuche  des  talmudisch-rabbinischen  Judenthums(1851)  S.  117 — 119.  Rönsch, 
Das  Buch  der  Jubiläen  S.  382  ff.  Charles,  The  book  of  Jubilees  (1902)  p.  121 
(Erläuterung  zu  Jub.  17, 17).  Ginzberg,  Monatsschr.  f.  G.  u.  W.  d.  J.  1899, 
S.  533  f.  -=»  Die  Haggada  bei  den  Kirchenvätern  S.  117  f.  Die  Ausleger  zu 
Aboth  V,  3  (Surenhusius1  Mischna  IV,  465.  Taylor,  Sayings  of  the  Jewish 
Fathers  p.  94). 

39)  Aboth  V,  2.  —  Vgl.  überh.  Beer,  Leben  Abrahams  nach  Auffassung 
der  jüdischen  Sage.  Leipzig  1859.  Grünbaum,  Neue  Beiträge  zur  semi- 
tischen Sagenkunde  1893,  S.  89 — 132.  Bonwetsch,  Die  Apokalypse  Abra- 
hams 1897,  S.  41—55.  Kohler,  Art.  Abraham  in:  The  Jewish  Encyclopedia  I, 
85 — 87.  Doctor,  Abram,  Jugendgeschichte  des  Erzvaters  Abraham  nach  der 
talmudischen  Sage,  Frankf.  a.  M.  1905. 

40)  Eupolemus:  Euseb.  Praep.  evang.  IX,  26  =  Clemens  Alex.  Strom.  I, 
23,  153.    Artapanus:  Euseb.  Praep.  evang.  IX,  27. 

41)  Philo,  Vita  Mosis,  Josephus,  AM.  II — IV.  Vgl.  überh.  Fabricius, 
Codex  pseudepigr.  I,  825—868.  II,  111—130.  Beer,  Leben  Moses  nach  Auf- 
fassung der  jüdischen  Sage,  Leipzig  1863.  Lauterbach,  Art.  Moses  in  The 
Jewish  Encyclopedia  IX,  1905,  p.  46—54. 


406  §  25.   Die  ßchriftgelehrsamkeit.  [343.  344] 

von  Engeln  an  ihn  gelangt  (Act.  7,  53.  Oal.  3,  19.  Hebr.  2,  2 ;  dazu 
Bleek  and  andere  Ausleger).  Zu  der  Vollkommenheit  seiner  Offen- 
barung gehört  auch  dies,  daß  es  auf  den  auf  dem  Berge  Ebal 
aufgerichteten  Steinen  (Deut.  27,  2  ff.)  in  siebzig  Sprachen  auf- 
geschrieben wurde42.  Da  die  beiden  Ungltickstage  in  der  Gel- 
schichte Israels  der  17.  Tammus  und  der  9.  Ab  sind,  so  müssen  auf 
einen  jener  beiden  Tage  insonderheit  auch  die  unglücklichen  Er- 
eignisse der  mosaischen  Zeit  fallen;  am  17.  Tammus  wurden  die 
Gesetzestafeln  zerbrochen,  und  am  9.  Ab  wurde  verfügt,  daß  die 
Generation  Mosis  nicht  in  das  Land  Kanaan  kommen  solle43 
Reichen  Stoff  zur  Sagenbildung  boten  auch  die  wunderbaren  Um- 
stände bei  Mosis  Tod  (Deut  34) 44.  Um  seinen  Leichnam  stritt  be- 
kanntlich der  Erzengel  Michael  mit  dem  Satan  (Judae  9).  —  In 
ähnlicher  Weise  wie  die  Urgeschichte  Israels  ist  auch  noch  die 
Geschichte  der  nachmosaischen  Zeit  durch  den  historischen 
Midrasch  bearbeitet  worden.   Hier  nur  ein  paar  Beispiele  aus  dem 


42)  Sota  VII,  5  mit  Berufung  auf  Deut.  27,  8:  Sö^rt  *wa  „deutlich  (also 
für  alle  verständlich)  eingegraben".  Die  70  Sprachen  entsprechen  den  70  Völ- 
kern, welche  man  nach  Oen.  10  annahm;  s.  Targum  Jonathan  zu  Oen.  11,7 — 8. 
Deut.  32,  8.  Pirks  de-rabbi  Mieser  c.  24  bei  Wagenseil  zu  Sota  VTI,  5  in 
Surenhusius'  Mischna  III,  253.  Krauß,  Die  Zahl  der  biblischen  Völker- 
schaften, Zeitschr.  für  die  alttest.  Wissensch.  1899,  S.  1 — 14;  ebendas.  1900, 
S.  38—43  u.  1906,  S.  33— 48.  Vgl.  auch  Krauß,  Die  biblische  Völkertafel  im 
Talmud,  Midrasch  und  Targum  (Monatsschr.  f.  Gesch.  u.  Wissensch.  des  Ju- 
denth.  39.  Jahrg.  1895,  S.  1—11,  49—63).  —  Eine  Aufzählung  der  70  oder  72 
Völker  und  Sprachen  der  Welt  auf  Grund  von  Oen.  10  findet  sich  in  ver- 
schiedenen christlichen  Chroniken  (s.  darüber  Gutschmid,  Kleine  Schriften 
Bd.  V,  1894,  S.  240—273,  585—717);  unter  anderen  schon  in  der  Chronik  des 
Hippolytus,  denn  zu  dieser  gehört  der  auch  von  Gutschmid  behandelte 
dia/4EQiOfid<;  Tff$  yrjSi  s.  Bauer,  Die  Chronik  des  Hippolytos  1905  (—  Texte 
und  Unters,  v.  Gebhardt  und  Harnack,  N.  F.  XIV,  1)  S.  100—103,  136—140, 
vgl.  Hippolytus,  Philosophum.  X,  30:  Ijoav  ö*h  ovzoi  oß'  $&vri  <jdv  xal  tä  M- 
(xaxa  ixte&eltie&a  h  ktioaiQ  ßtßXoiq.  Über  die  verschiedenen  Listen  auch 
Bauer  a.a.O.  8. 162—242.  —  Auf  der  Annahme  von  70  Heiden  Völkern  beruht 
es  bereits,  wenn  im  Buch  Henoch  70  Engel  zu  „Hirten"  der  Völkerwelt  be- 
stellt werden  (s.  unten  §  32,  V,  2).  Über  die  70  Sprachen  s.  auch  Schekalim 
V,  1  (Mordechai  verstand  70  Sprachen);  Olem.  Homil.  18,  4:  neoiygaxpas  yXcotf- 
oaig  kßöo/jtfjxovra,  Clem.  Reeogn.  II,  42:  in  septuaginta  et  duas  partes  divisit 
totius  terrae  nationes.  Epiphan.  haer.  1,  5:  tag  yXoittag  .  .  dnd  fiiäg  el$ 
hßöofjLTixovxa  Svo  öiiveiftev.  Augustin.  Oiv.  Dei  XVI,  9:  per  septuaginta  duas 
gentes  et  toiidem  linguas.  Über  die  Zahl  70  überhaupt:  Steinschneider, 
Zeitschr.  der  DMG.  IV,  1850,  S.  145—170  (hier  S.  150—157  über  die  Nationen, 
Sprachen  und  Engel).   Dazu  Nachtrag  Bd.  LVII,  1903,  S.  474—507. 

43)  laanith  IV,  6;  dazu  die  Stellen  der  Gemara  bei  Lundius  in  Suren- 
husius' Mischna  U,  382  f. 

44)  Vgl.  schon  Joseph.  Antt.  IV,  8,  48. 


[344.  345]  III.  Halacha  und  Haggada.   2.  Die  Haggada.  407 

Neuen  Testamente.  In  der  Liste  der  Vorfahren  Davids  kommt  in 
der  Chronik  und  im  Buch  Ruth  ein  gewisser  Salma  oder  Salmon, 
Vater  des  Boas,  vor  (I  Chron.  2, 11.  Ruth  4,  20  f.).  Der  historische 
Midrasch  weiß,  daß  dieser  Salmon  die  Eahab  zur  Frau  hatte  (Ev. 
Maüh.  1,  5)45.  Die  Dürre  und  Hungersnot  zur  Zeit  des  Elias 
(I  Reg.  17)  dauerte  nach  dem  historischen  Midrasch  3  Vi  Jahre,  d.  h. 
die  Hälfte  einer  Jahrwoche  {Luc  4,  25.  Joe.  5,  17) 46.  Unter  den 
Märtyrern  des  alten  Bundes  nennt  der  Verfasser  des  Hebräerbriefes 
auch  solche,  die  zersägt  wurden  (Hebr.  11,  37).  Er  meint  damit 
den  Jesajas,  von  dem  die  jüdische  Legende  dies  berichtet47.  | 

Wie  bei  der  heiligen  Geschichte,  so  ist  auch  bei  dem  religiös- 
ethischen Inhalt  der  heiligen  Schriften  die  Bearbeitung  eine 
doppelartige:  teils  wirkliche  Bearbeitung  des  Gegebenen  durch 
Kombination,  Schlußfolgerung  und  der  gl.,  teils  aber  auch  freie 
Ergänzung  durch  die  mannigfaltigen  Gebilde  der  schöpferischen 
religiösen  Spekulation.  Beides  greift  unmerklich  ineinander  über. 
Nicht  wenige  dogmatische  Vorstellungen  und  Begriffe  der  späteren 
Zeit  sind  wirklich  dadurch  entstanden,  daß  man  das  vorliegende 
Schriftwort  zum  Gegenstand  der  „Forschung"  gemacht  hat;  also 
durch  Reflexion  über  das  Gegebene,  durch  gelehrte  Schlußfolge- 
rungen und  Kombinationen  auf  Grund  desselben.  Aber  eine  noch 
viel  reichere  Quelle  neuer  Bildungen  war  doch  die  frei  schaltende 
Phantasie.  Und  das,  was  auf  dem  einen  und  auf  dem  andern 
Wege  gewonnen  wurde,  verschmolz  fortwährend  ineinander.  An 
das  durch  Forschung  Gefundene  schlössen  sich  die  freien  Gebilde 
der  Phantasie  an,  ja  die  erstere  folgte  in  der  Regel  bewußt  oder 
unbewußt  ohnehin  demselben  Zuge,  derselben  Richtung  und  Tendenz 
wie  die  letztere.   Und  wenn  die  freien  Schöpfungen  der  Spekulation 


45)  Nach  einem  anderen  Midrasch  (Megilla  14b)  war  Babab  die  Frau  des 
Josua. 

40)  Ebenso  Jdücui  Schimoni  bei  Surenhusius  BlßXoq  xataXkayrjq  p.  681  sq. 
—  Ober  die  Elias -Sagen  überhaupt  vgl.  S.  K.,  Der  Prophet  Elia  in  der 
Legende  (Monatsschr.  f.  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1863,  241 — 255. 
281—296).    Hamburger,  Real-Enz.  für  Bibel  und  Talmud  I.  Abt. 

47)  Ascensio  Isajae  (ed.  Dillmann  1877)  c.  V.  Jebamoth  49*>.  Justin.  Dial. 
c.  Tryph.  c.  120.  Tertuüian.  de  patientia  c.  14,  scorpiace  c.  8.  Hippolyt.  de 
Christo  et  Antichristo  c.  30.  Origenes  epist.  ad  Afriean.  c.  9,  comment.  ad 
Maüh.  13,  57  und  23,  37  (opp.  ed.  Lommatzsch  III,  49.  IV,  238  sq.).  öommo- 
dian.  Carmen  apologet.  v.  509  sq.  (ed.  Ludwig).  Priscülian.  III,  60  ed.  Sehepss 
p.  47.  Hieronymus  comment.  ad  Isaiam  c.  57  fin.  (opp.  ed.  VaUarsi  IV,  666). 
Noch  mehr  patristische  Stellen  bei  Fabricius,  Codex  pseudepigr.  I,  1088  sq. 
Wetstein  und  Bleek  zu  Hebr.  11,37,  und  in  Ottos  Anmerkung  zu  Justin. 
Tryph.  120. 


408  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [345.  34G] 

feste  Gestalt  gewonnen  hatten,  wurden  sie  hinwiederum  durch 
schulgerechten  Midrasch  aus  der  Schrift  abgeleitet. 

Diese  forschende  und  unablässig  Neues  schaffende  theologische 
Arbeit  erstreckte  sich  auf  das  gesamte  Gebiet  der  religiösen  und 
ethischen  Anschauungen.  Eben  durch  sie  hat  der  religiöse 
Vorstellungskreis  Israels  im  Zeitalter  Christi  einerseits 
den  Charakter  des  Phantastischen,  andererseits  den  des 
Schulmäßigen  erhalten.  Denn  die  religiöse  Entwickelung  ist 
nicht  mehr  bedingt  und  geleitet  durch  die  wirklich-religiöse  Pro- 
duktion skraft  der  Propheten,  sondern  teils  durch  das  Walten  einer 
zügellosen,  nicht  wahrhaft  religiösen,  wohl  aber  die  religiösen 
Objekte  behandelnden  Phantasie,  teils  durch  die  schulmäßige  Re- 
flexion der  Gelehrten.  Beides  beherrschte  in  dem  Maße  die  Ent- 
wickelung, als  das  wahrhaft  religiöse  Leben  an  innerer  Kraft  verlor. 

Mit  dieser  Richtung  der  ganzen  Entwickelung  hängt  es  auch 
zusammen,  daß  man  mit  besonderer  Vorliebe  sich  mit  denjenigen 
Objekten  beschäftigte,  welche  mehr  an  der  Peripherie  als  im 
Zentrum  des  religiösen  Lebens  liegen:  mit  dem  zeitlich  und  örtlich 
rein  Transzendenten:  mit  der  zukünftigen  und  der  himm- 
lischen Welt  Denn  je  geringer  die  wirklich  religiöse  Kraft  war, 
desto  mehr  mußte  Phantasie  und  Reflexion  vom  Zentrum  nach  der 
Peripherie  hin  sich  bewegen;  desto  mehr  mußten  jene  Objekte  von 
ihrem  Mittelpunkte  sich  ablösen  und  an  selbständigem  Werte  und 
selbständigem  Interesse  gewinnen.  Man  sah  die  Gnade  und  Herr- 
lichkeit Gottes  nicht  mehr  in  der  gegenwärtigen  irdischen  Welt,  | 
sondern  nur  noch  in  der  zukünftigen  und  in  der  oberen  himmlischen 
Welt.  So  hat  man  denn  mit  großem  Eifer  einerseits  die  Escha- 
tologie,  andererseits  die  mythologische  Theosophie  ausgebaut. 
Durch  gelehrte  Schriftforschung  und  freie  religiöse  Dichtung  er- 
wuchs eine  reiche  Fülle  von  Vorstellungen  über  die  Verwirklichung 
des  Heiles  Israels  in  einer  künftigen  Weltperiode.  Man  stellte  fest, 
unter  welchen  Bedingungen  und  Voraussetzungen,  unter  welchen 
begleitenden  Umständen,  mit  welchen  Mitteln  und  Kräften  dieses 
Heil  sich  verwirklichen  werde,  vor  allem  aber,  worin  es  bestehen 
und  wie  überschwenglich  seine  Herrlichkeit  sein  werde;  mit  einem 
Worte:  die  messianische  Dogmatik  wurde  immer  sorgfältiger  aus- 
gebaut und  reicher  ausgestattet.  Ebenso  angelegentlich  beschäf- 
tigte man  sich  aber  auch  mit  der  oberen  himmlischen  Welt.  Gottes 
Wesen  und  Eigenschaften,  der  Himmel  als  seine  Wohnung,  die 
Engel  als  seine  Diener,  die  ganze  Fülle  und  Herrlichkeit  der  himm- 
lischen Welt:  das  waren  die  Objekte,  welchen  die  gelehrte  Reflexion 
und  die  dichtende  Phantasie  mit  Vorliebe  sich  zuwandte.  Auch 
philosophische  Probleme  wurden   dabei   erwogen:  wie  die  Offen- 


[346.  347]  III.  Halacha  und  Haggada.   2.  Die  Haggada.  409 

barung  Gottes  in  der  Welt  zu  denken,  wie  ein  Wirken  Gottes  in 
der  Welt  möglich  sei,  ohne  daß  er  selbst  in  die  Endlichkeit  herab- 
gezogen werde,  inwiefern  in  der  von  Gott  geschaffenen  und  ge- 
leiteten Welt  das  Böse  einen  Raum  habe  und  dergl.  —  Zur  Ent- 
wickelung  der  theosophischen  Spekulationen  gaben  in  den  heiligen 
Schriften  besonders  zwei  Abschnitte  Veranlassung:  die  Schöpfungs- 
geschichte (r^ttjann  nto»)  und  der  „Wagen"  des  Ezechiel  (nnrjtt), 
d.  h.  die  Eingangs vision  Ezech.  c.  1.  Bei  Erklärung  dieser  beiden 
Abschnitte  wurden  jene  tieferen  göttlichen  Geheimnisse  behandelt, 
die  aber  nach  Ansicht  der  Gelehrten  eine  esoterische  Lehre  bilden 
sollten.  „Die  Schöpfungsgeschichte  darf  nicht  vor  zweien  zugleich 
erklärt  werden,  und  der  Wagen  nicht  einmal  vor  einem,  außer 
wenn  er  ein  Gelehrter  ist  und  aus  eigener  Einsicht  urteilen  kann" 48. 
In  diesen  so  sorgfältig  gehüteten  Auslegungen  der  Schöpfungs- 
geschichte und  des  Wagens  haben  wir  die  Anfänge  zu  jenen  wunder- 
lichen Phantasien  über  Schöpfung  und  Geisterwelt  zu  |  erblicken, 
welche  in  der  sogenannten  Kabbala  des  Mittelalters  ihre  höchste 
Blüte  erreicht  haben49. 

Während  die  Auslegung  und  Weiterbildung  des  Gesetzes  eine 
verhältnismäßig  streng  geregelte  war,  schaltete  auf  dem  Gebiete 
der  religiösen  Spekulation  eine  fast  zügellose  Willkür.   Von  Regel 


48)  Chagiga  II,  1.  Vgl.  auch  MegUla  IV,  10.  Näheres  „über  das  Alter 
und  Wesen  der  Forschungen  über  Maase  bereschith  und  Merkaba"  s.  bei  Herz- 
feld III,  410 — 424.  Zunz,  Die  gottesdienstlichen  Vorträge  der  Juden  S.  162 f. 
Biram,  Art.  Maaseh  bereschith  etc.  in:  The  Jetoish  Encyclopedia  VIII,  1904, 
p.  235  sg.  Bischoff,  Babylonisch-Astrales  im  Weltbilde  des  Thaimud  und 
Midrasch,  1907,  S.  78  ff.  149  ff.  Auch  die  in  der  nächsten  Anmerkung  ge- 
nannte Literatur.  —  Eieronymus,  prolog.  eommentarii  in  Exech.  (opp.  ed. 
Vallarsi  V  p.  3):  aggrediar  Exechiel  prophetam,  cvjus  di/ficuttatem  Uebraeorum 

probat  traditio.  Nam  nisi  quis  apud  eos  aetaiem  sacerdotalis  ministerii,  id  est 
tricesimum  annum  impleverit,  nee  prineipia  Geneseos,  nee  Canticum  Canti- 
corum,  nee  hvjus  voluminis  exordium  et  finem  legere  permittitur.  —  Idem, 
epist.  LEI  ad  Pgulinum  c.  8  ( Vallarsi  I,  279) :  tertius  (seil.  Exediiel)  prineipia 
et  finem  tantis  habet  obscuritatibus  incoluta,  ut  apud  Hebraeos  istae  partes  cum 
exordio  Geneseos  ante  annos  triginla  non  legantur. 

49)  Vgl.  Gas  teilt,  GH  antecedenti  della  Cabbala  nella  Bibbia  e  nella 
letteratura  Talmudica  (Actes  du  douxieme  congres  international  des  Orientalistes 
Borne  1899,  t.  III,  1  Florence  1902,  p.  57—109).  —  Über  die  mittelalterliche 
Kabbala,  welche  stark  vom  Planeten-Glauben  beeinflußt  ist,  s.  Zunz,  Die 
gottesdienstlichen  Vorträge  der  Juden  S.  157—170.  Hamburger,  Real-Enz. 
für  Bibel  u.  Talmud  II,  257—278  (Art.  „Geheimlehre")  und  557—603  (Art. 
„Kabbala**).  Bloch  in:  Winter  und  Wünsche,  Die  jüdische  Literatur  seit  Ab- 
schluß des  Kanons  III,  1890,  S.  217—286.  Wünsche,  Art.  „Kabbala"  in  Her- 
zog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  IX,  670—689.  L.  Ginxberg,  Art.  Cabala  in: 
The  Jetvish  Encyclopedia  III,  456—479. 


410  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [347.  348] 

und  Methode  kann  hier  nur  in  sehr  uneigentlichem  Sinne  die 
Rede  sein.  Namentlich  fehlte  eines,  was  die  Entwicklung  des 
Rechts  zu  einer  so  stetigen  und  festgefügten  machte:  das  strenge 
Traditionsprinzip.  Der  Bearbeiter  der  ethisch-religiösen  Materien 
war  nicht,  wie  der  Ausleger  des  Gesetzes,  verpflichtet,  sich  streng 
an  die  Tradition  zu  halten.  Er  konnte  frei  und  ungehindert  seine 
Phantasie  walten  lassen,  wofern  deren  Produkte  sich  nur  überhaupt 
in  den  Rahmen  der  jüdischen  Anschauung  einfügen  ließen.  Eine 
gewisse  Tradition  hat  sich  freilich  auch  hier  gebildet.  Aber  sie 
war  nicht  verbindlich.  Der  religiöse  Glaube  war  verhältnismäßig 
frei,  während  das  Tun  in  um  so  engere  Fesseln  gelegt  wurde50.  | 
Mit  dem  Fehlen  des  Traditionsprinzips  auf  diesem  Gebiete  fiel  aber 
überhaupt  jeder  Regulator  weg.   Denn  es  gab  für  den  „Forscher" 


50)  Mit  einem  gewissen,  wenn  auch  nur  relativen  Rechte  hat  daher 
Moses  Mendelssohn  behauptet,  das  Judentum  habe  Überhaupt  keine 
Dogmen  („Unter  allen  Vorschriften  und  Verordnungen  des  mosaischen  Ge- 
setzes lautet  kein  einziges:  Du  sollst  glauben  oder  nicht  glauben;  sondern 
alle  heißen:  Du  sollst  tun  oder  nicht  tun!  Dem  Glauben  wird  nicht  befohlen; 
denn  der  nimmt  keine  andern  Befehle  an,  als  die  den  Weg  der  Überzeugung 
zu  ihm  kommen",  Mendelssohn,  Jerusalem,  zweiter  Abschnitt  S.  53  f.  =  Ge- 
sammelte Schriften  III,  321).  Diese  Ansicht  hat  bei  modernen  Juden  viel- 
fachen Beifall  gefunden,  indem  man  darin  eine  Überlegenheit  des  Judentums 
gegenüber  dem  Christentum  erblickt.  Die  Berechtigung  der  Ansicht  auf  jü- 
dischem Boden  ist  freilich  nur  eine  relative.  Denn  es  heißt  in  der  Mi  seh  na 
Sanhedrin  X,  1:  „Folgende  haben  keinen  Anteil  an  der  künftigen  Welt:  Wer 
sagt,  die  Auferstehung  der  Toten  sei  nicht  im  Gesetze  gelehrt,  und  das  Gesetz 
stamme  nicht  vom  Himmel,  und  Epikuros  (=  der  Leugner  der  Schöpfung  und 
Regierung  der  Welt  durch  Gott)".  Als  verbindliche  Glaubenslehren  werden 
also  hier,  wenn  wir  die  Reihenfolge  umkehren,  folgende  drei  aufgestellt:  1)  die 
Schöpfung  und  Leitung  der  Welt  durch  Gott,  2)  der  gottliche  Ursprung  des 
Gesetzes,  3)  die  Auferstehung  der  Toten.  Maimonides  hat  in  seinem  Kom- 
mentar zu  dieser  Stelle  sogar  dreizehn  Grundlehren  des  Judentums  auf- 
gestellt, ohne  deren  Anerkennung  man,  wie  die  Mischna  sagt,  keinen  Anteil 
an  der  künftigen  Welt  haben  könne  (s.  die  lat.  Übersetzung  von  Maimonides' 
Kommentar  in  Surenhusius'  Mischna- Ausgabe  IV,  263 f.  Englisch:  Maimoni- 
des on  ihe  Jewish  Oreed,  by  Abelson,  Jewish  Quarterly  Review  vol.  XIX,  1907, 
p.  24—58).  Die  Mendelssohnsche  Behauptung  hat  daher  auch  im  Schöße  des 
modernen  Judentums  nicht  selten  Opposition  gefunden  (s.  z.  B.  Leop.  Low, 
Gesammelte  Schriften  Bd.  I,  Szegedin  1889,  S.  31 — 52:  „Die  Grundlehren  der 
Religion  Israels",  und  S.  133— 176:  „Jüdische  Dogmen".  Hamburger,  Real.- 
Enz.  für  Bibel  und  Talmud,  Teil  II  Art.  „Dogmen",  Supplementbd.  II,  1891, 
Art.  „Glaube",  Literatur  auch  in  The  Jewish  Eneyclopedia  II,  148—151,  Art. 
„Ariicle8  of  Faith").  Aber  eine  gewisse  Berechtigung  ist  der  Behauptung  Men- 
delssohns nicht  abzusprechen.  Und  es  ist  sehr  interessant,  zu  sehen,  wie  hier 
Rabbinismus  und  Aufklärung  sich  die  Hand  reichen.  Beiden  ist  gemeinsam, 
daß  sie  das  Wesen  und  den  Wert  des  wirklich  religiösen  Glaubens  nicht 
kennen. 


[348]  III.  Halacha  und  Haggada.   2.  Die  Haggada.  41 1 

eigentlich  nur  eine  Regel:  das  Recht,  aus  jeder  Stelle  alles  machen 
zu  dürfen,  was  Witz  und  Verstand  ihm  eingab.  Wenn  trotzdem 
auch  für  die  haggadische  Auslegung  gewisse  „Regeln*  aufgestellt 
werden,  so  ist  es  eben  nur  die  Willkür,  die  hier  zur  Methode  wird. 
Eine  Anzahl  solcher  Regeln  für  die  haggadische  Auslegung  finden 
sich  unter  den  32  Middoth  (hermeneutischen  Grundsätzen),  welche 
dem  R.  Elieser,  dem  Sohne  des  R.  Jose  ha-Gelili  zugeschrieben 
werden51.  Das  spätere  Judentum  hat  gefunden,  daß  es  einen 
vierfachen  Schriftsinn  gebe,  der  in  dem  Worte  oillnD  (Paradies) 
angedeutet  sei,  nämlich:  1)  tttto,  den  einfachen  oder  wörtlichen 
Sinn,  2)  ran  (Andeutung),  den  typischen,  allegorischen  Sinn,  3)  lim 
(Forschung),  den  durch  Forschung  abzuleitenden  Sinn,  4)  Tio  (Ge- 
heimnis), den  theosophischen  Sinn52. 

Die  Art  dieser  exegetischen  Methode  durch  Beispiele  an- 
schaulich zu  machen,  ist  um  so  überflüssiger,  als  sie  aus  dem  Neuen 
Testamente  und  der  gesamten  altchristlichen  Literatur  zur  Genüge 
bekannt  ist.   Denn  mit  den  heiligen  Schriften  selbst  ist  auch  die 


51)  S.  die  32  Middoth  z.  B.  bei  Waekner,  Antiquitäten  Ebraeorum  I, 
396—421.  P inner,  Übersetzung  des  Traktates  ßerachoth,  Einleitung  fol.  20» 
— 21a.  Pressel  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  XV,  658  f.  Bacher,  Die  Agada 
der  Tannaiten  I,  372  (2.  Aufl.  I,  365  f.).  II,  293  ff.  Strack  in  Herzogs  Real- 
Enz.  2.  Aufl.  XVHI,  356  f.  Ders.,  Einl.  in  den  Thalmud  2.  Aufl.  S.  100—103. 
Aicher,  Das  A.  T.  in  der  Mischna  1906,  S.  149-153.  —  Für  das  Literar- 
historische vgl.  auch  Zunz,  Die  gottesdienstlichen  Vortrage  der  Juden  S.  86. 
Fürst,  Btbliotheca  Judaica  H,  108. 

52)  Die  Anfangsbuchstaben  dieser  vier  Worte  ergeben  das  Wort  Ol"**!). 
Vgl.  Waehner,  Äntiquitates  Ebraeorum  I,  353—357.  Döpke,  Hermeneutik 
der  neutestamentlichen  Schriftsteller  S.  135—137.  Deutsch,  Der  Talmud  (1869) 
S.  16 f.  Dobschütz,  Die  einfache  Bibelexegese  der  Tannaim  (Breslau  1893) 
S.  44 — 45,  und  bes.  Bacher,  Uexegbse  bibliquedans  le  Zohar  (Revue  des  itudes 
juives  t  XXII,  1891,  p.  33—46,  219-229).  Ders.,  Die  jüdische  Bibelexegese 
vom  Anfang  des  10.  bis  zum  Ende  des  15.  Jahrh.  (in:  Winter  und  Wünsche, 
Die  jüdische  Literatur  seit  Abschluß  des  Kanons  Bd.  II,  auch  separat  1892) 
Kap,  VTH.  Ders.,  Das  Merkwort  ö*ni>  in  der  jüdischen  Bibelexegese  (Stades 
Zeitschr.  für  die  alttestamejtfl.  Wissensch.  XIII.  Jahrg.  1893,  S.  294—305).  — 
Bacher  zeigt,  daß  die  Unterscheidung  dieses  vierfachen  Schriftsinnes  zuerst  im 
Sohar  auftritt  (Ende  des  13.  Jahrh.).  Allerdings  sagt  schon  eine  talmudische 
Legende,  daß  vier  Gelehrte  in  das  „Paradies"  eingetreten  seien  und  nur  einer 
von  ihnen,  nämlich  B.  Akiba,  unversehrt  herausgekommen  sei  (Tosepkta  Cha~ 
giga  II,  3;  jer.  Ckagiga  77b;  hob.  Chagiga  14b).  Allein  unter  dem  Eintreten 
in  das  „Paradies",  d.  h.  an  den  Ort  der  himmlischen  Geheimnisse,  ist  hier 
nicht  die  vierfache  Exegese,  sondern  nur  die  theosophische  und  kosmogonische, 
an  Gen.  1  und  Ezech.  1  sich  anschließende  Spekulation  zu  verstehen.  —  Über 
avfi  und  ixn  s.  auch  die  betr.  Artikel  bei  Bacher,  Die  exegetische  Termino- 
logie I  u.  n. 


412  §  25.   Die  Schriftgelebrsamkeit.  [349] 

Art  ihrer  exegetischen  Behandlung  vom  Judentum  in  die  christ- 
liche Kirche  übergegangen.  Dabei  ist  nur  das  eine  zu  bemerken, 
daß  die  im  Neuen  Testamente  gehandhabte  exegetische  Methode 
sich  verhältnismäßig  noch  durch  große  Besonnenheit  vor  der  ge- 
wöhnlichen jüdischen  auszeichnet.  Die  Apostel  und  die  christlichen 
Schriftsteller  überhaupt  wurden  eben  durch  die  regulierende  Norm 
des  Evangeliums  vor  den  Extravaganzen  der  jüdischen  Exegese 
bewahrt.  Und  doch  —  wer  möchte  noch  solche  Behandlungen  alt- 
testamentlicher  Stellen,  wie  sie  etwa  Gal  3, 16;  4,  22— 35;  Born.  10, 
6—8.  auch  Matth.  22,  31—32  vorliegen,  rechtfertigen?  Die  jüdische 
Exegese  aber,  der  ein  solcher  Regulator  fehlte,  artete  immer  mehr 
in  die  willkürlichsten  Spielereien  aus53.  Es  ist  von  ihrem  Stand- 
punkte aus  gar  nicht  mehr  etwas  Besonderes,  sondern  ganz  ihrem 
Geiste  entsprechend,  wenn  man  sich  z.  B.  auch  erlaubte,  Worte  in 
Zahlen  oder  Zahlen  in  Worte  umzusetzen,  um  dadurch  die  über- 
raschendsten Aufschlüsse  zu  gewinnen54. 

Bei  der  verhältnismäßig  großen  Freiheit,  welche  der  Ent- 
wickelung  des  religiösen  Vorstellungskreises  gegeben  war,  konnten 
fremde  Einflüsse  besonders  leicht  sich  geltend  machen.  Palästina 
war  ja  längst  dem  allgemeinen  Weltverkehr  erschlossen.    Schon 

53)  Vgl.  überhaupt  die  oben  S.  390  f.  genannte  Literatur,  besonders: 
Döpke  S.  88— 188.  Hartmann  S.  534— 699.  G  fror  er,  Das  Jahrhundert  des 
Heils  I,  244 ff.  Hirschfeld,  1847.  Weite,  in  der  Tübinger  Quartalschrift 
1842.  Hausrath  I,  97  ff.  Bacher,  Die  Agada  der  Tannaiten  I-H.  Ders., 
Die  Agada  der  paläst.  Amoräer  I — in.  Hamburgers  Artikel  in  der  Real- 
Enz.  für  Bibel  und  Talmud  Abt.  IL  Ginzberg,  Die  Haggada  bei  den  Kir- 
chenvätern (Heidelberger  Dissert.  1899  und  Monatsschr.  1898—99).  Rahm  er, 
Die  hebräischen  Traditionen  in  den  Werken  des  Hieronymus  1902.  —  Über 
die  allegorische  Schriftauslegung  Philos  s.  insbesondere:  Gfrörer,  Philo  I, 
68—113.  Zell  er,  Die  Philosophie  der  Griechen  III,  2  (3.  Aufl.)  S.  346—352. 
Siegfried,  Philo  S.  160 ff.  —  Über  die  wörtliche  Exegese:  Dobschütz,  Die 
einfache  Bibelexegese  der  Tannaim,  Breslau  1893. 

54)  In  einem  Anhang  zur  Mischna  wird  z.  B.  die  Behauptung,  daß  Gott 
jedem  Gerechten  310  Welten  zum  Erbteil  geben  werde,  durch  Prov.  8,  21 
üi  ^nna  b^mnb  bewiesen;  denn  S3^  ist  gleich  310  (ükxin  III,  12,  die  Stelle 
fehlt  in  der  von  Lowe  herausgegebenen  Cambridger  Handschrift).  Umgekehrt 
beweist  der  Verfasser  des  Barnabasbriefes,  der  hierin  ganz  in  den  Bahnen  der 
jüdischen  Exegese  geht,  aus  den  318  Knechten  Abrahams,  daß  Abraham  schon 
das  Kreuz  Jesu  im  Geiste  geschaut  habe;  denn  die  Zahl  18  —  IH  bedeute  den 
Namen  Jesus,  und  die  Zahl  300  =  T  bedeute  das  Kreuz  (Barnab.  c.  9).  — 
Zahlreiche  Beispiele  ähnlicher  Art  sind  nachgewiesen  in  Bachers  Agada  der 
Tannaiten  I — II  und  Agada  der  paläst.  Amoräer  I— HI,  Register  «.  v.  „Wort- 
deutung"  (mit  Änderung  der  Buchstaben,  mit  Versetzung  der  Buchstaben,  mit 
Zerlegung  des  Wortes,  nachdem  Zahlenwerte).  Vgl.  auch  Bacher,  Die  exege- 
tische Terminologie  1, 125—128  (s.  v.  ■ppvia'ü)  und  H,  27  f.  (s.  v.  »vnra'O)-  The 
Jeicish  Encyelopedia  V,  589—592  (Art.  Qematria)  und  IX,  339  f.  (Art.  Notarikon). 


[349.  350]  III.  Halacha  und  Haggada.    2.  Die  Haggada.  413 

seit  Gründung  der  großen  Weltreiche  der  Assyrer,  Chaldäer,  Perser 
gingen  Einflüsse  der  mannigfaltigsten  Art  über  das  Land  dabin. 
Wenn  es  zwei  Jahrhunderte  lang  unter  persischer  Herrschaft  ge- 
standen hat,  so  wäre  es  wahrlich  sehr  auffallend,  wenn  diese  Tat- 
sache nicht  auch  auf  dem  Gebiete  des  geistigen  Lebens  Israels  | 
irgendwelche  Spuren  zurückgelassen  hätte.  Vollends  der  Übermacht 
des  griechischen  Geistes  konnte  es  sich  unmöglich,  auch  bei  allem 
Streben  nach  geistiger  Absperrung,  gänzlich  entziehen.  So  ist  es 
denn  unleugbar,  daß  babylonische,  persische  und  griechische 
Einflüsse  in  der  Entwickelung  des  religiösen  Vorstellungskreises 
Israels  bemerkbar  sind.  Man  kann  über  das  Maß  dieser  Beein- 
flussung streiten.  Die  Detailuntersuchung  ist  noch  nicht  so  ein- 
gehend und  umsichtig  geführt,  daß  ein  abschließendes  Urteil  schon 
möglich  wäre.  Die  Tatsache  aber,  daß  fremde  Einwirkungen 
mannigfacher  Art  stattgefunden  haben,  kann  im  allgemeinen  nicht 
mehr  bestritten  werden 55.   Sie  scheint  allerdings  bei  der  schroffen 


55)  Vgl.  überhaupt:  Ckeyne,  Jewisk  religious  life  after  the  exile,  1898. 
Deutsch:  Da«  religiöse  Leben  der  Juden  nach  dem  Exil,  1899.  —  Bousset, 
Theol.  Rundschau  1900,  8.  295—302.  Ders.,  Die  Religion  des  Judentums  im 
neutestamentlichen  Zeitalter,   1903,  2.  Aufl.  1906,  bes.  S.  540—594.    Speziell: 

a)  Ober  babylonische  Einflösse  (schon  in  sehr  früher  Zeit):  Gunkel, 
Schöpfung  und  Chaos  in  Urzeit  und  Endzeit,  1895.  —  Die  Literatur  des  durch 
Fr.  Delitzsch  1902  entfachten  Bibel-Babel-Streites.  S.  darüber  die  zusam- 
menfassenden Berichte  von  Nowack  in  der  Theol.  Rundschau  1903,  S.  414 
—430,  461—471,  und  von  Volz  in  der  Theol.  Literaturzeitung  1904,  Nr.  7—9. 

—  Schrader,  Die  Keilinschriften  und  das  Alte  Testament,  3.  Aufl.  von  Zim- 
mern und  Winckler,  2  Teile  1902.  —  Alfr.  Jeremias,  Das  Alte  Testament 
im  Lichte  des  alten  Orients,  1904.  Ders.,  Babylonisches  im  Neuen  Testament 
1905  (kritiklos). 

b)  über  Einflüsse  des  Parsismus:  v.  Colin,  Biblische  Theologie  Bd.  I, 
1836,  S.  346 — 352.  —  Lücke,  Versuch  einer  vollständigen  Einleitung  in  die 
Offenbarung  des  Johannes  2.  Aufl.  1852,  S.  55 — 60.  —  Kohut,  Über  die  jü- 
dische Angelologie  und  Dämonologie  in  ihrer  Abhängigkeit  vom  Parsismus,  1866. 

—  Kohut,  Was  hat  die  talmudische  Eschatologie  aus  dem  Parsismus  auf- 
genommen? (Zeitschr.  der  deutschen  morgenländ.  Gesellsch.  Bd.  21,  1867, 
S.  552 — 591).  —  Hübschmann,  Die  parsische  Lehre  vom  Jenseits  und 
jüngsten  Gericht  (Jahrbb.  für  prot.  Theol.  V,  1879,  S.  203—245).  —  Ham- 
burger, RealEnz.  Suppl.  IV,  1897,  S.  71—75.  —  Stave,  Über  den  Einfluß 
des  Parsismus  auf  das  Judentum,  Haarlem  189^.  —  Söderblom,  La  vire  fu- 
ture  d'aprte  le  Maxdetsme  ä  la  lumiere  des  croyances  paralleles  dans  les  autres 
religions,  Paris  1901.  —  Böklen,  Die  Verwandtschaft  der  jüdisch-christlichen 
mit  der  parsischen  Eschatologie,  1902.  —  Söderblom,  Notes  sur  les  relations 
du  Juda'isme  arec  le  Parsisme  ä  propos  de  travaux  ricents  (Revue  de  Vhistoire 
des  religions  t.  48,  1903,  p.  372—378).  —  Moulton,  Art.  Zoroastrianism  in: 
Hostings'  Dictionary  of  the  Bible  IV,  1902,  p.  ?>88— 994.  —  Geldner  und 
Cheyne,  Art.  Zoroastrianism  in:   Encyclopaedia  Biblica  IV,  1903,  col.  5428 ff. 


414  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [350.  351] 

Scheidewand,  welche  das  Judentum  in  religiöser  Beziehung  zwischen 
sich  und  dem  Heidentum  gezogen  hat,  auf  den  ersten  Blick  be- 
fremdlich, ja  rätselhaft.  Man  braucht  sich  aber  zu  ihrer  Erklärung 
nicht  darauf  zu  berufen,  daß  die  Einflüsse  zu  einer  Zeit  statt- 
gefunden haben,  wo  die  Scheidewand  noch  keine  so  schroffe  war 
—  sie  gehen  auch  in  der  späteren  Zeit  noch  fort66;  auch  nicht 
darauf,  daß  gegen  die  Macht  geistiger  Einflüsse  eben  keine  Scheide- 
wand stark  genug  ist.  Der  tiefste  Erklärungsgrund  ist  vielmehr 
der,  daß  das  gesetzliche  Judentum  das  Hauptgewicht  eben  doch 
nur  auf  die  Korrektheit  des  Tuns  gelegt  hat,  und  daher  dem  reli- 
giösen Vorstellungskreis  ein  verhältnismäßig  freier  Spielraum 
gelassen  wurde. 


IV.  Die  berühmtesten  Schriftgelehrten. 

Literatur. 

Die  älteren  hebräischen  Werke  über  die  Mischna-Lehrer  s.  bei  Wolf,  Biblioth. 
Hebr.  II,  805  sq.    Fürst,  Biblioth.  Judaiea  II,  48  sq. 

Ott  ho,  Historia  doctorum  misnicorum,  qua  opera  eiiam  synedrii  magni  Hiero- 
solymüani  praesides  et  vice-praesides  recensentur.  Ooconii  1672  (öfters  nach- 
gedruckt, z.  B.  auch  bei  Wolf,  Biblioth.  Hebr.  t.  IV  und  in  Ugolinis 
Thesaurus  t.  XXI). 


—  Lagrange,  La  religion  des  Perses,  la  r&forme  de  Zoroasire  et  le  Juddisme 
{Revue  biblique  1904,  p.  27—55,  188—212,  auch  separat).  —  (Der  Artikel  „Par- 
sismas"  in  Herzog- Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  XTV,  699 — 705,  von  Lindner 
geht  auf  das  Verhältnis  zum  Judentum  nicht  ein).  —  Jackson,  Art.  Zoroa- 
strianism  in:  TheJewish  Encyclopedia  Xu,  1906,  p.  695—697.  —  Mills,  Zara- 
bustra,  Philo,  the  Ächaemenids  and  Israel,  2  Tle.  1905—1906. 

c)  griechische  Einflüsse  sind  wohl  schon  in  einigen  späteren  Büchern  des 
A.  T.  anzunehmen,  s.  zuletzt:  M.  Friedländer,  Griechische  Philosophie  im 
Alten  Testament,  1904.  Seil  in,  Die  Spuren  griechischer  Philosophie  im  A.  T., 
1905  (gegen  Friedländers  Übertreibungen).  —  Für  die  Zeit  Jesu  Christi:  M. 
Friedländer,  Die  religiösen  Bewegungen  innerhalb  des  Judentums  im  Zeit- 
alter Jesu,  1905  (starke  Oberschätzung  der  griechischen  Einwirkungen).  — 
Über  griechische  Einflüsse  im  späteren  Midrasch:  Freudenthal,  Helle- 
nistische Studien  1875,  S.  66—77.  —  Siegfried,  Philo  S.  283  ff.  —  Wein- 
stein, Zur  Genesis  der  Agada.  II.  Teil.  Die  alexandriniscbe  Agada,  1901 
(bes.  S.  29—90:  Die  Logoslehre  in  der  Agada). 

56)  Die  Angelologie  ist  in  der  Zeit  des  babylonischen  Talmud  noch  viel 
stärker  parsistisch  beeinflußt  als  früher.  Vgl.  Kohut,  Über  die  jüdische 
Angelologie  und  Dämonologie  1866.  —  Die  von  Freudenthal,  Siegfried  und 
Weinstein  nachgewiesenen  Einwirkungen  des  Hellenismus  auf  den  palästinen- 
sischen Midrasch  gehören  überhaupt  erst  einer  Zeit  an,  wo  die  religiöse  Ab- 
sperrung längst  eine  sehr  scharfe  war. 


[351.  352]  IV.  Die  berühmtesten  Schriftgelehrten.  415 

Joh.  Chrph.  Wolf,  Bibliotheca  Hebraea  II,  805—865  (gibt  ein  alphabetisches 
Verzeichnis  der  in  der  Mischna  erwähnten  Gelehrten). 

Herzfeld,  Geschichte  des  Volkes  Jisrael  111,226—263.  —  Derselbe,  Chro- 
nologische Ansetzung  der  Schriftgelehrten  von  Antigonus  von  Socho  bis 
auf  B.  Akiba  (Monatsschr.  f.  Qesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1854, 
S.  221—229.  273—277). 

Kämpf,  Genealogisches  und  Chronologisches  bezüglich  der  Patriarchen  aus 
dem  Hillelschen  Hause  bis  auf  R.  Jehuda  ha-Nasi,  den  Bedacteur  der 
Mischnah  (Monatsschr.  f.  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1853,  S.  201 
—207.  231—236.  1854,  S.  39-42.  98—107). 

Jost,  Geschichte  des  Judenthums  und  seiner  Secten  Bd.  I — II. 

Grätz,  Geschichte  der  Juden  Bd.  HI — IV. 

Derenbourg,  Essai  svr  Vhistoire  et  la  gSographie  de  la  Palestine  &  apres  les 
Thalmuds  ei  les  atäres  sources  rabbmiques.  P.  I:  Hisioire  de  la  Palestine 
depuis  Oyrus  jusqu'ä  Adrien.    Paris  1867. 

Die  hebräisch  geschriebenen  Werke  von  Frankel  (1859),  Brüll  (1876)  und 
Weiss  (1871—1876).    Näheres   darüber  s.  bei  der  Literatur  zur  Mischna 

(§3). 

Friedländer,  Geschichtsbilder  aus  der  Zeit  der  Tannaiten  und  Amoräer. 
Brunn  1879  (sehr  nachlässig,  s.  Theol.  Litztg.  1880,  433). 

Hamburger,  Beal -Enzyklopädie  für  Bibel  und  Talmud,  Abt.  II,  die  einzel- 
nen Artikel. 

Bacher,  Die  Agada  der  Tannaiten,  Bd.  I:  Von  Hillel  bis  Akiba,  1884.  Bd.  II: 
Von  Akibas  Tod  bis  zum  Abschluß  der  Mischna,  1890  (Bd.  I  erschien 
zuerst  in  der  Monatsschrift  für  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenthums 
Jahrg.  1882—1884).    2.  Aufl.  Bd.  I,  1903. 

Strack  in  Herzogs  Beal-Enz.  2.  Aufl.  Bd.  XVHI,  S.  345  ff.  (im  Art.  „Thal- 
mud").    Ders.,  Einleitung  in  den  Thalmud  2.  Aufl.  1894,  S.  76  ff. 

Loeb,  La  chaine  de  la  tradition  dans  le  pr emier  chapitre  des  Pirki  Abot  (Bi- 
bliotheque  de  l'icole  des  hatdes  itudes,  Sciences  religieuses,  t.  I,  Paris  1889, 
p.  307—322).  —  Ders.,  Notes  svr  le  chapitre  I*  des  Pirte  Abot  (Bevue  des 
itudes  juives  U  XIX,  1889,  p.  188—201). 

de  Qraaf,  De  joodsche  wetgeleerden  in  Tiberias  van  70 — 400  n.  O.  Dies.  Gro- 
ningen 1902.    (175  S.) 

Braunschweiger,  Die  Lehrer  der  Mischnah,  ihr  Leben  und  Wirken  für 
Schule  und  Haus  nach  den  Quellen  bearbeitet,  2.  Aufl.  1903  (populär, 
aber  am  Schluß  S.  306 — 314  ein  hebräisches  Namenregister  mit  Kachweis 
aller  Stellen,  an  welchen  die  Betreffenden  in  der  Mischna  vorkommen). 


Über  die  einzelnen  Schriftgelehrten  sind  wir  erst  seit  dem 
Zeitalter  der  Mischna,  d.  h.  seit  etwa  70  nach  Chr.,  näher  unter- 
richtet Über  alle  früheren  ist  unsere  Kunde  eine  äußerst  dürftige. 
Selbst  in  betreff  der  berühmten  Schulhäupter  Hillel  und  Scham- 
mai steht  es  nicht  viel  anders.  Denn  wenn  man  von  dem  rein 
Legendarischen  |  absieht,  so  ist  das,  was  wir  wirklich  über  sie 
wissen,  verhältnismäßig  sehr  wenig  und  unbedeutend.  —  Die  Namen 
und  die  Reihenfolge  der  berühmtesten  Schulhäupter  etwa  seit  dem 
zweiten  Jahrhundert  vor  Chr.  bis  70  nach  Chr.  sind  uns  nament- 


416  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [352.  353) 

lieh  durch  das  erste  Kapitel  des  Traktates  Aboth  (oder  Pirke  Aboth) 
überliefert,  wo  die  ununterbrochene  Reihe  der  Männer  aufgezählt 
wird,  welche  von  Moses  an  bis  auf  die  Zeit  der  Zerstörung  Jeru- 
salems die  Träger  der  Gesetzesüberlieferung  waren.  Das  ganze 
Kapitel  lautet  folgendermaßen  K 

1.  „Mose  hat  das  Gesetz  auf  Sinai  empfangen  und  tiberlieferte 
es  dem  Josua;  dieser  den  Ältesten;  die  Altesten  den  Propheten; 
und  die  Propheten  überlieferten  es  den  Männern  der  großen  Ver- 
sammlung. Diese  stellten  drei  Regeln  auf:  Seid  bedachtsam  im 
Urteilsprechen!  stellet  viele  Schüler  auf!  .und  machet  einen  Zaun 
um  das  Gesetz!  2.  Simon  der  Gerechte  war  einer  von  den 
letzten  Männern  der  großen  Versammlung.  Er  pflegte  zu  sagen: 
Durch  drei  Dinge  besteht  die  Welt:  durch  das  Gesetz,  den  Gottes- 
dienst und  Wohltätigkeit.  3.  Antigonus  von  Socho  empfing  die 
Überlieferung  von  Simon  dem  Gerechten.  Er  sagte:  Gleichet  nicht 
den  Knechten,  die  dem  Herrn  um  des  Lohnes  willen  dienen,  sondern 
seid  denen  gleich,  die  ohne  Rücksicht  auf  Lohn  Dienste  leisten; 
und  stets  sei  Gottesfurcht  bei  euch. 

4.  Jose  ben  Joeser  aus  Zereda  und  Jose  ben  Jochanan 
aus  Jerusalem  empfingen  die  Überlieferung  von  ihnen.  Jose  ben 
Joeser  sagte:  Laß  dein  Haus  einen  Sammelplatz  für  weise  Männer 
sein;  laß  dich  vom  Staub  ihrer  Füße  bestauben;  und  trinke  mit 
Durst  ihre  Lehren.  5.  Jose  ben  Jochanan  aus  Jerusalem  sagte: 
Dein  Haus  sei  allseitig  offen  (für  Gäste),  und  laß  die  Armen  deine 
Hausgenossen  sein.  Schwätze  nicht  überflüssig  mit  dem  Weibe. 
Man  findet  es  unschicklich  mit  der  eigenen,  um  wieviel  mehr  mit 
eines  anderen  Frau.  Daher  sagen  auch  die  Weisen:  Wer  mit  einem 
Frauenzimmer  unnütze  Reden  führt,  zieht  sich  Unglück  zu,  wird 
abgehalten  von  Beschäftigung  mit  dem  Gesetze,  und  am  Ende  ist 
die  Hölle  sein  Erbteil. 

6.  Josua  ben  Perachja  und  Nittai  aus  Arbela  empfingen 
die  Überlieferung  von  diesen.  Ersterer  sagte:  Verschaffe  dir  einer] 
(Studier-)Gefährten  und  beurteile  alle  Menschen  nach  der  günstigen 
Seite.  7.  Nittai  aus  Arbela  sagte:  Entferne  dich  von  einem  bösen 
Nachbarn;  geselle  dich  nicht  zu  dem  Gottlosen;  und  glaube  nicht, 
daß  die  Strafe  ausbleibt. 


1)  Die  folgende  Übersetzung  ist  zum  größten  Teile  aus  der  unter  Josts 
Leitung  erschienenen  Mischna-Ausgabe  (Berlin,  Lewent,  1832—1834)  entnommen; 
teilweise  aber  nach  der  sorgfaltigen  Erklärung  von  Cahn  (Pirke  Aboth  1875) 
berichtigt.  Sonst  vgl.  für  die  Auslegung  bes.  noch  die  Ausgaben  von  Suren- 
husius  (Mischna  Bd.  IV),  P.  Ewald  (Pirke  Aboth  1825),  Taylor  (Sayings 
of  the  Jewish  Fathers,  Cambridge  1877,  2.  ed.  1897),  Strack  (Die  Sprüche  der 
Väter  1882,  3.  Aufl.  1901),  Fiebig  (Pirque  'aboth,  190(3). 


[353.  354]  IV.  Die  berühmtesten  Schriftgelehrten.  417 

8.  Juda  ben  Tabbai  und  Simon  ben  Schetach  empfingen 
die  Überlieferung  von  diesen.  Der  erstere  lehrte:  Mache  dich  (als 
Sichter)  nicht  zum  Sachwalter.  Wenn  die  Parteien  vor  dir  stehen, 
siehe  sie  an,  als  ob  sie  beide  unrecht  hätten.  Sind  sie  aber  ent- 
lassen und  haben  den  Urteilsspruch  angenommen,  so  betrachte  sie 
beide  als  gerechtfertigt  9.  Simon  ben  Schetach  sagte:  Prüfe  die 
Zeugen  wohl,  sei  aber  vorsichtig  im  Ausfragen,  daß  sie  nicht  eben 
daraus  Unwahrheit  sagen  lernen. 

10.  Schema  ja  und  Abt  al  jon  empfingen  von  ihnen.  Schemaja 
lehrte:  Liebe  die  Arbeit,  hasse  die  Herrschaft  und  dränge  dich 
nicht  zu  den  Großen.  11.  Abtaljon  sagte:  Ihr  Weisen!  Seid  vor- 
sichtig in  euren  Lehren,  auf  daß  ihr  euch  nicht  Verirrung  zu- 
schulden kommen  lasset,  und  euch  verirret  an  einen  Ort  schlechten 
Wassers.  Nun  trinken  davon  Schüler,  die  nach  euch  kommen, 
sterben  dahin;  und  der  Name  Gottes  wird  dadurch  entheiligt! 

12.  Hillel  und  Schammai  empfingen  von  diesen.  Hillel  sagte: 
Sei  ein  Schüler  Aarons,  friedliebend,  friedenstiftend,  liebe  die  Men- 
schen und  ziehe  sie  heran  zum  Gesetze.  13.  Er  pflegte  auch  zu 
sagen:  Wer  sich  einen  großen  Namen  machen  will,  büßt  den  seinen 
ein;  wer  seine  Kenntnisse  nicht  vermehrt,  vermindert  sie;  wer  aber 
gar  keine  Lehre  sucht,  ist  des  Todes  schuldig;  wer  sich  der  Krone 
(des  Gesetzes)  bedient  (zu  äußeren  Zwecken),  schwindet  dahin. 
14.  Derselbe  sagte:  Wenn  nicht  ich  für  mich  (arbeite),  wer  soll 
es  für  mich  tun?  Und  tue  ich  es  für  mich  allein,  was  bin  ich? 
Und  wenn  nicht  jetzt,  wann  sonst?  15.  Schammai  sagte:  Mache 
das  Gesetzesstudium  zur  bestimmten  Beschäftigung;  versprich  wenig 
und  tue  viel;  und  nimm  jedermann  mit  Freundlichkeit  auf. 

16.  Kabban  Gamaliel  sagte:  Setze  dir  einen  Lehrer,  so  ver- 
meidest du  das  Zweifelhafte.  Und  verzehnte  nicht  zu  oft  nach 
bloßem  Ungefähr. 

17.  Sein  Sohn  Simon  sagte:  Ich  bin  unter  weisen  Männern 
seit  früher  Jugend  aufgewachsen  und  habe  für  den  Menschen  nichts 
zuträglicher  gefunden,  als  Schweigen.  Das  Studium  ist  nicht  das 
Wesentlichste,  sondern  die  Ausübung.  Wer  viel  Worte  macht, 
bringt  nur  SQnde  zuwege. 

18.  Babban  Simon  ben  Gamaliel  sagte:  Durch  drei  Dinge 
besteht  die  Welt:  durch  Rechtspflege,  durch  die  Wahrheit  und 
durch  |  Eintracht  [So  heißt  es  auch  (Sacharja  8, 16):  Wahrheit  und 
Recht  des  Friedens  richtet  in  euren  Toren]2". 


2)  Die  eingeklammerten  Worte  fehlen  in  den  besten  Handschriften,  z.  B. 
Berotin.  Mss.  Or.  Fol.  567  (s.  Cahn,  Pirke  Aboth  8.  62)  nnd  Cambridge  Uni- 
tersity  Additional  470,  1  (s.  Taylor,  Sayings  of  the  Jeioish  Fathers  p.  4). 
Schür  er,  Geschichte  II.   4.  Aufl.  27 


418  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [354.  355] 

So  weit  die  Mischna*  Unter  den  hier  aufgeführten  Autoritäten 
interessieren  uns  zunächst  „die  Männer  der  großen  Versammlung" 
oder  der  großen  Synagoge  (nbiian  no?D  ^ri:»).  Sie  erscheinen 
hier  als  die  Träger  der  Gesetzestradition  zwischen  den  letzten  Pro- 
pheten und  den  ältesten,  mit  Namen  bekannten  Schriftgelehrten. 
Die  spätere  jüdische  Tradition  schreibt  ihnen  allerlei  gesetzliche 
Verordnungen  zu3.  Sehr  jung,  eigentlich  erst  modern,  ist  dagegen 
die  Meinung,  daß  sie  auch  den  Kanon  des  Alten  Testamentes  zu- 
sammengestellt hätten4.  Da  in  den  Quellen  nirgends  gesagt  wird, 
wer  sie  eigentlich  waren,  so  ließen  sich  um  so  besser  die  verschieden- 
artigsten Hypothesen  über  sie  aufstellen 5.   Das  Richtige,  daß  |  *sie 


3)  S.  Bau,  De  synagoga  magna  p.  6 — 24.  Herzfeld,  Gesch.  des  Volkes 
Jisrael  in,  244  f.  Kuenen,  Over  de  mannen  der  groote  synagoge  p.  2 — 6  = 
Gesammelte  Abhandlungen  zur  bibl.  Wissensch.  S.  126 — 129.  Taylor,  Sayings 
of  the  Jewish  Fathers  p.  124  sq.  D.  Hoff  mann  im  Magazin  für  die  Wissen- 
schaft des  Judenth.  X,  1883,  S.  45  ff.  W.  Bacher,  Art.  Synagogue,  the  great, 
in:  The  Jewish  Encyclopedia  XI,  640—643. 

4)  Diese  Meinung  ist,  wie  es  scheint,  hauptsächlich  durch  Elias  Le- 
vita  (16.  Jahrh.)  in  Umlauf  gekommen  und  von  ihm  in  die  christliche  Theo- 
logie übergegangen.  S.  Strack  in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  IX,  744  f. 
(Art.  „Kanon  des  Alten  Testaments"). 

5)  8.  Hartmann,  Die  enge  Verbindung  des  Alten  Testaments  mit  dem 
Neuen  S.  120—166.  —  Die  Einleitungen  ins  A.T.,  z.  B.  De  Wette-Schrader 
§  13.  —  Heidenheim,  Untersuchungen  über  die  Synagoga  magna  (Studien 
und  Krit.  1853,  S.  93 — 100).  Ders.,  Deutsche  Vierteljahrsschrift  für  englisch- 
theolog.  Forschung  und  Kritik  n,  1865,  286—300.  —  Herzfeld,  Gesch.  des 
Volkes  Jisrael  II,  22—24,  380  ff.  HI,  244  f.  270  f.  —  Jos t,  Gesch.  des  Judenth. 
I,  41 — 43,  91,  95  f.  —  Grätz,  Die  große  Versammlung  (Monatsschr.  £  Gesch. 
und  Wissensch.  des  Judenth.  1857,  S.  31—37,  61—70).  —  Leyrer  in  Herzogs 
Real-Enz.  1.  Aufl.  XV,  296 — 299.  —  Derenbourg,  Histoire  de  la  Pcdestine 
p.  29 — 40.  —  Fürst,  Der  Kanon  des  A.  T.  nach  den  Überlieferungen  in  Tal- 
mud und  Midrasch  1868,  S.  21 — 23.  —  Ginsburg  in  Kittos  Oyclopaedia  HI, 
909 sqq.  —  Neteler,  Tüb.  TheoL  Quartalschr.  1875,  S.  490—499.  —  Bloch, 
Studien  zur  Geschichte  der  Sammlung  der  althebräischen  Literatur  (1876) 
S.  100—132.  —  Hamburger,  Real-Enz.  für  Bibel  und  Talmud,  Abt.  H, 
S.  318—323.  —  Montet,  Essai  stur  les  origines  des  partis  saducien  et  pharisien 
(1883)  p.  91—97.  —  D.  Hoffmann,  Über  „die  Männer  der  großen  Versamm- 
lung" (Magazin  für  die  Wissensch.  des  Judenth.  X.  Jahrg.  1883,  S.  45 — 63). 
—  Strack  in  Herzogs  Real-Enz.  2.  Aufl.  XV,  95  f.  3.  Aufl.  XIX,  221  f.  —  Ro- 
senzweig, Das  Jahrhundert  nach  dem  babylonischen  Exile  mit  besonderer 
Rücksicht  auf  die  religiöse  Entwicklung  des  Judentums,  1885  (hierüber  Be~ 
vue  des  Studes  juives  XH,  128.  Theol.  Litztg.  1886,  409).  —  Sack,  Die  alt- 
jüdische Religion  im  Übergange  vom  Bibelthume  zum  Thalmudismus  (1889) 
S.  100  ff.  —  Leop.  Low,  Gesammelte  Schriften  Bd.  I,  1889,  S.  399—449  (Si- 
mon der  Gerechte  =  Simon  der  Makkabäer,  die  große  Versammlung  — 
I  Makk.  14).  —  S.  Kr  aus  s,  The  great  synod  (Jetcish  Quarterly  Review  voL  X, 
1898,  p.  347—377). 


[355]  IV.  Die  berühmtesten  Schriftgelehrten.  419 

nämlich  in  der  Form,  wie  es  die  jüdische  Tradition  sich  vorstellt, 
überhaupt  nicht  existiert  haben,  hat  doch  schon  die  ältere  pro- 
testantische Kritik  dargetan 6,  wenn  es  auch  erst  der  abschließenden 
Untersuchung  von  Kuenen  vorbehalten  blieb,  das  über  ihnen 
schwebende  Dunkel  völlig  zu  lichten.  Die  historische  Grundlage 
der  ganzeb  Vorstellung  ist  nämlich  lediglich  die  Erzählung  bei 
Nehem.  c  8—10,  daß  zur  Zeit  Esras  das  Gesetz  von  einer  großen 
Versammlung  des  Volkes  feierlich  angenommen  wurde.  Diese 
„große  Versammlung"  hatte  ja  in  der  Tat  für  die  Erhaltung  des 
Gesetzes  eminente  Bedeutung.  Nachdem  aber  der  Begriff  einer 
„großen  Versammlung*4  als  einer  für  die  Erhaltung  des  Gesetzes 
wichtigen  Instanz  einmal  fixiert  war,  hat  sich  in  der  Tradition 
allmählich  eine  ganz  unhistorische  Vorstellung  damit  verbunden. 
Statt  einer  gesetzempfangenden  Volksversammlung  dachte  man  sich 
darunter  ein  Kollegium  von  Männern,  welche  das  Gesetz  weiter 
überlieferten;  und  mit  dieser  Vorstellung  füllte  man  die  Lücke  aus 
zwischen  den  letzten  Propheten  und  denjenigen  Schriftgelehrten,  bis 
zu  welchen  die  Erinnerung  der  späteren  Zeit  noch  hinaufreichte7. 

Mit  der  Vorstellung  von  der  großen  Synagoge  fällt  auch  von 
selbst  die  Notiz,  daß  Simon  der  Gerechte  eines  der  letzten 
Mitglieder  derselben  gewesen  sei.  Dieser  Simon  ist  vielmehr  kein 
anderer  als  der  Hohepriester  Simon,  welcher  nach  Josephus 
den  Beinamen  6  ölxaiog  erhielt8.    Ohne  Zweifel  hat  er  von  seiten 

6)  Joh.  Eberh.  Rau,  Diatribe  de  synagoga  magna,  Trag,  ad  Rh.  1726.  — 
Aurivillius,  Disseriationes  ad  sacras  literas  et  phüologiam  orientalem  perti- 
nenies  (ed.  Michaelis  1790)  p.  139—160. 

7)  S.  Kuenen,  Over  de  mannen  der  groote  synagoge,  Amsterdam  1876 
(Separatabdruck  aus:  Verslagen  en  Mededeelingen  der  koninklijke  Akademie  van 
Wetensehappen9  Afdeeling  Letterkunde,  2de  Reeks,  Deel  VI).  Vgl.  Theol.  Litztg. 
1877,  100.  In  deutscher  Übersetzung:  Über  die  Männer  der  großen  Syna- 
goge, in:  Kuenen,  Gesammelte  Abhandlungen  zur  biblischen  Wissenschaft, 
übers,  von  Budde,  1894,  8.  125—160.  —  Wie  Kuenen  auch:  Ryssel,  Theol. 
Stud.  und  Krit.  1887,  S.  174.  Wildebo er,  Die  Entstehung  des  alttestamentl. 
Kanons,  1891,  S.  120—122.  Buhl,  Kanon  und  Text  des  A.  T.  1891,  S.  36 f. 
Robertson  Smith ,  The  Old  Testament  in  the  Jewish  Church  1892,  p.  169  sq. 
Ryle,  The  Canon  of  the  Old  Testament  2.  ed.  1899,  p.  261—283  (ausführlich 
über  die  älteren  Meinungen;  Kuenens  Ansicht  ist  not  altogether  improbable, 
p.  282 f.).  Budde,  Encyelopaedia  Biblica  I,  654 f.  (im  Art.  Canon).  Ders., 
Der  Kanon  des  A.  T.  1900,  S.  19 — 23.  Selbie,  Art.  „Synagogue,  the  great",  in 
Hostings'  Dictionary  of  the  Bible  IV,  643  sq.  Auch  W.  Bacher  in  seinem 
gehaltvollen  Artikel  ober  die  große  Synagoge  in  The  Jewish  Encyclo- 
pedia  XI,  1905,  p.  640—643,  erkennt  im  wesentlichen  die  Resultate  Kuenens 
an,  indem  er  sie  freilich  mit  der  Tradition  einigermaßen  in  Einklang  zu 
bringen  sucht. 

8)  Joseph.  Antt.  XII,  2,  5  §  43:  6  xal  Sixatoq  imxXri&elq  öia  xe  xö  nodq 
xdv  &edv  eboeßhq  xal  xö  ngbq  xohq  öfiOipvXovq  evvow. 

27* 


420  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [355.  356) 

des  pharisäischen  Judentums  diesen  Beinamen  erhalten,  weil  er 
streng  gesetzlich  gesinnt  war,  während  andere  Hohenpriester  der 
griechischen  Zeit  in  dieser  Beziehung  zu  wünschen  übrig  ließen. 
Eben  deshalb  wird  |  er  auch  yon  der  jüdischen  Überlieferung  zu 
einem  Träger  der  Gesetzestradition  gestempelt9.  Fraglich  kann 
nur  sein,  ob  der  Hohepriester  Simon  I.  (Anfang  des  dritten  Jahr- 
hunderts yor  Chr.)  oder  Simon  IL  (Ende  des  dritten  Jahrhunderts 
yor  Chr.)  gemeint  ist10.  Nach  Josephus  wäre  es  der  erstere.  Aber 
Jesus  Sirach  c  50  rühmt  einen  Hohenpriester  Simon  wegen  der 
Treue,  mit  welcher  er  den  Tempeldienst  in  alter  Pracht  verwaltet 
habe.  Er  hat  die  Zeit  desselben  offenbar  noch  erlebt  und  preist 
seine  Gesetzestreue  im  Gegensatz  zu  den  gräzisierenden  Hohen- 
priestern der  Zeit,  in  welcher  er  schreibt  Da  seine  Schilderung 
sich  nur  auf  Simon  IL  beziehen  kann,  ist  wohl  eine  Verwechselung 
bei  Josephus  anzunehmen11. 

Der  älteste  Schriftgelehrte,  von  welchem  die  Überlieferung 
wenigstens  den  Namen  erhalten  hat,  ist  Antigonus  aus  Socho. 
Es  ist  aber  auch  fast  nur  der  Name,  den  wir  von  ihm  kennen 12. 
—  Auch  von  den  folgenden  Schriftgelehrten  bis  zur  Zeit  Christi 


9)  Er  wird  auch  Para  III,  5  erwähnt  als  einer  der  Hohenpriester,  unter 
welchen  eine  rote  Kuh  verbrannt  wnrde.  Andere  Traditionen  über  ihn:  To- 
sephta  Nasir  IV,  7.  Sota  XIII,  6—7  (ed.  Zucker mandel  p.  289,  9.  319,  9.  11. 
15).  —  Vgl.  überh.  Wolf,  Biblioth.  Hebr.  II,  864.  —  Fürsts  Literaturbl.  des 
Orients  1845,  S.  33  ff.  — Herzfeld,  II,  189ff.  377  f.  —  Grätz,  Simon  der  Ge- 
rechte und  seine  Zeit  (Monatsschr.  1857,8.45—56).  —  Derenbourg,  Histoire 
de  la  Palestine  p.  46 — 47.  —  Low,  Gesammelte  Schriften  I,  411—413  (s.  oben 
Anin.  5).  —  Hamburger,  Beal-Enz.  Abt.  II,  8.  1115—1119.  —  Montet, 
Essai  sur  les  origines  etc.  p.  135—139.  —  Bacher  und  Ochser,  Art.  Simeon 
the  Just  in:  The  Jeurish  Eneyclopedia  XI,  352—354.  —  Smend,  Die  Weisheit 
des  Jesus  Sirach,  erklärt,  1906,  S.  XV— XVII. 

10)  Über  letzteren  s.  Jos.  Antt.  XII,  4,  10. 

11)  So  Herzfeld,  Derenbourg,  Smend,  Bousset  (Die  Religion  des 
Judentums,  2.  Aufl.  S.  191). 

12)  Vgl.  auch  Wolf,  Biblioth.  Hebr.  II,  SIS  sqq.  —  Fürsts  Literaturbl. 
des  Orients  1845,  S.  36 f.  —  Hamburger,  Beal-Enz.  s.  v.  —  In  den  Aboth 
de-Rabbi  Nathan  c.  5  werden  dem  antigonus  zwei  Schüler  Zadok  und  Boe- 
thos  zugeschrieben  und  von  diesen  die  Sadduzäer  und  Boethos&er  abgeleitet. 
—  Orte  namens  Socho  (roito)  kommen  zwei  im  A.  T.  vor,  beide  im  Stamme 
Juda:  1)  eine  Stadt  in  der  Ebene  Jos.  15,  35.  I  Sam.  17,  1.  I  Reg.  4,  10. 
II  Chron.  11,  7.  28,  1&  2)  eine  Stadt  im  Gebirge  Jos.  15,  48.  Der  Name 
beider  hat  sich  noch  heute  in  der  Form  es-Suweike  erhalten  (s.  z.  B.  Mühlau 
in  Riehms  Handwörterbuch  und  Gesenius'  Handwörterbuch).  Erstere  liegt 
südwestlich  von  Jerusalem,  gegen  Eleutheropolis  zu,  letztere  südlich  von  He- 
bron. Da  die  Gegend  südlich  von  Hebron  im  zweiten  Jahrhundert  vor  Chr. 
edomitisch  war,  wird  ersteres  die  Heimat  des  Antigonus  gewesen  sein. 


356.  357]  IV.  Die  berühmtesten  Schriftgelehrten.  .  421 

ist  die  in  der  Mischna  erhaltene  Kunde  eine  äußerst  dürftige  und 
unsichere.  Das  sieht  man  schon  aus  der  äußerlich  schematischen 
Anordnung  zu  f&nf  Paaren.  Denn  diese  ist  schwerlich  eine  ge- 
schichtlich begründete  in  dem  Sinne,  daß  gerade  in  jeder  Genera- 
tion wirklich  nur  je  zwei  Gelehrte  sich  besonders  hervorgetan 
hätten.  Man  hat  eben  zehn  Namen  gekannt  und  daraus  unter 
Zusammenstellung  der  ungefähr  Gleichzeitigen  fünf  Paare  for- 
miert, vermutlich  nach  Analogie  des  letzten  und  berühmtesten 
Paares  Hillel  und  Schammai 13.  Bei  diesem  Sachverhalt  kann  natür- 
lich auch  die  Chronologie  nur  in  den  allgemeinsten  Umrissen 
fixiert  werden.  Die  verhältnismäßig  sichersten  Anhaltspunkte  sind 
folgende 14.  Simon  ben  Schetach  war  ein  Zeitgenosse  des  Alexan- 
der Jannäus  |  und  der  Alexandra;  lebte  also  um  90—70  vor  Chr.15. 
Hiernach  ist  das  erste  Paar  zwei  Generationen  früher,  um  150 
vor  Chr.  anzusetzen.  Hillel  soll  nach  talmudischer  Überlieferung 
100  Jahre  vor  der  Zerstörung  Jerusalems,  also  zur  Zeit  Herodes' 
des  Gr.  geblüht  haben 16.  Gamaliel  I.  wird  in  der  Apostelgeschichte 
(5,  34.  22,  3)  um  30—40  nach  Chr.  erwähnt,  während  hinwiederum 
dessen  Sohn  Simon  nach  Josephus  zur  Zeit  des  jüdischen  Krieges 
um  60—70  nach  Chr.  lebte17.  Daß  die  spätere  Tradition  die  sämt- 
lichen fünf  Paare  zu  Präsidenten  und  Vizepräsidenten  des 
Synedriums  macht,  ist  bereits  oben  (S.  254)  erwähnt  worden; 
ebendort  aber  auch  die  völlige  Verkehrtheit  dieser  Behauptung 
nachgewiesen  worden.  In  Wirklichkeit  waren  sie  nichts  anderes 
als  Schulhäupter. 

Das  erste  Paar  Jose  ben  Joeser  und  Jose  ben  Jochanan 
wird  außer  der  Hauptstelle  im  Traktat  Aboth  nur  noch  ein  paar- 
mal in  der  Mischna  erwähnt18;  noch  seltener  das  zweite  Paar 


13)  In  der  rabbinischen  Literatur  werden  daher  jene  Zehn  zuweilen  auch 
schlechthin  „die  Paare"  (n^T)  genannt,  z.  B.  Pea  II,  6. 

14)  Vgl.  über  die  Chronologie:  Zunz,  Die  gottesdienstlichen  Vorträge 
der  Juden  8.  37,  und  Herzfeld  in  der  Monatsschr.  f.  Gesch.  und  Wissen&ch. 
des  Judenth.  1854. 

15)  Hiermit  stimmt  auch  überein,  daß  Simon  ben  Schetach  nach 
Taanith  III,  8  ein  Zeitgenosse  jenes  wegen  seiner  Gebetsmacht  berühmten 
Onias  war,  dessen  Tod  um  65  vor  Chr.  von  Josephus  Antt.  XIV,  2,  1  be- 
richtet wird. 

16)  Schabbath  15a.  Vgl.  Hieronymus  ad  Jesaj.  8,  11  ff.  (Opp.  ed.  Val- 
larsi  IV,  123):  Sammai  et  Heüel  non  mutio  prius  quam  Dominus  nasceretur 
orti  sunt  Judaea. 

17)  Bell.  Jud.  IV,  3,  9.    Vita  38.  39.  44.  60. 

18)  Beide  außer  Aboth  I,  4 — 5  nur  noch  Chagiga  II,  2.  Sota  IX,  9.  Jose 
ben  Joeser  auch  Chagiga  II,  7.    Edvjoth  VIII,  4.  —  Nach  Chagiga  II,  7  war 


422  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit  [357.  358] 

Josua  ben  Perachja  und  Nittai  (oder  Mattai)  aus  Arbela19. 
Von  dem  |  dritten  Paare  hat  nur  Simon  ben  Schetach  eine  einiger- 
maßen greifbare  Gestalt,  obwohl  auch  das  von  ihm  Erzählte  meist 
sehr  legendarischen  Charakters  ist20.  Von  all  diesen  ist  bei  Jo- 
sephus  keine  Rede.  Dagegen  erwähnt  er,  wie  es  scheint,  das  vierte 
Paar  Schemaja  und  Abtaljon  unter  dem  Namen  £a(iaiag  und 
Tlollicov.  Als  nämlich  im  Jahre  47  vor  Chr.  der  junge  Herodes 
wegen  seiner  Taten  in  Galiläa  als  Angeklagter  vor  dem  Synedrium 
stand,  und  alle  Beisitzer  in  feiger  Furcht  mit  ihrer  Klage  ver- 
stummten, erhob  allein  ein  gewisser  Samaias  seine  Stimme  und 
prophezeite  seinen  Kollegen,  daß  sie  alle  noch  von  Herodes  würden 
ums  Leben  gebracht  werden.  Seine  Weissagung  erfüllte  sich  zehn 
Jahre  später,  indem  Herodes  nach  der  Eroberung  Jerusalems  im 
Jahre  37  alle  seine  ehemaligen  Ankläger  hinrichten  ließ21.  Nur 
der  Pharisäer  Pollio  und  sein  Schüler  Samaias  {floXXlmv  6  4>aQc- 


Jose  ben  Joeser  ein  Priester  und  zwar  ein  „Frommer"  (Tön)  unter  der 
Priesterschaft.  Dunkel  ist  die  Notiz  Sota  IX,  9,  daß  es  seit  dem  Tode  des 
Jose  ben  Joeser  und  Jose  ben  Jochanan  keine  niblDTOK  mehr  gegeben  habe. 
Da  die  Mischna  selbst  hierbei  auf  Micha  7,  1  verweist,  so  ist  mblDiöK  wahr- 
scheinlich in  seiner  gewöhnlichen  Bedeutung  (Trauben)  zu  nehmen  als  bild- 
liche Bezeichnung  für  Männer,  an  welchen  man  sich  geistig  erquicken  kann. 
Andere  wollen  es  gleich  a%oXal  nehmen.  — Vgl.  überh. Herz f e  1  d III,  246— 249. 
Derenbourg  p.  65,  75,  456 sqq. 

19)  Beide  nur  Aboth  I,  6—7  und  Chagiga  II,  2.  —  8tatt  Nittai  (^na 
oder  ^na)  haben  gute  Zeugen  an  beiden  Stellen  ^nitü  oder  ^rvo,  also  Mat- 
thäus, was  vielleicht  vorzuziehen  ist  (so  cod.  de  Rossi  138,  Cambridge  Uni- 
versity  Additional  470,  1,  auch  der  jerusalemische  Talmud  Chagiga  II,  2). 
Auch  im  Verzeichnis  der  72  Bibel  Übersetzer  bei  Pseudo-Aristeas  kommt  ein 
Nav&aloq  vor,  wofür  einige  Text-Zeugen  Max&aToq  haben  (Mendelssohn,  Aru 
steae  quae  fertur  epist.  1897,  p.  50  und  Wendlands  Ausg.  §  49).  —  Die  Heimat 
des  Nittai  (bn*iN)  ist  das  heutige  Irbid  nordwestlich  von  Tiberias,  wo  sich 
noch  Ruinen  einer  alten  Synagoge  befinden,  deren  Erbauung  von  der  Legende 
natürlich  dem  Nittai  zugeschrieben  wird  (s.  §  27).  —  Vgl.  überh.  Herzfeld 
III,  249.     Derenbourg  p.  93 sq. 

20)  Über  seine  Beziehungen  zu  Alexander  Jannäus  und  Alexandra  s. 
oben  §  10.  —  Sonst  vgl.  über  ihn  außer  Aboth  I,  8—9,  Chagiga  II,  2  auch 
Taanith  in,  8.  Sanhedrin  VI,  4.  Tosephta  Chagiga  II,  8.  Kethuboth  XII,  1. 
Sanhedrin  VI,  6.  VIH,  3  {ed.  Zuckermandel  p.  235,  3.  274,  3.  424,  31.  427, 19). 
Je  eine  Stelle  in  Mechiltha,  Siphra  und  Siphre  bei  D.  Hoffmann,  Zur  Ein- 
leitung in  die  halachischen  Midraschim  (Berlin,  Jahresbericht  des  Rabbiner- 
Seminars  1887)  S.  90.  —  Landau  in  der  Monatsschr.  f.  Gesch.  und  Wissensch. 
des  Judenth.  1853,  S.  107— 122,  177—180.  Herzfeld  in,  251f.  Grätz,  Gesch. 
der  Juden  Bd.  III,  3.  Aufl.  S.  665—669  (Note  14),  4.  Aufl.  S.  703—708  (Note 
13 — 14).  Derenbourg  p.  96 — 111.  Schlatter,  Geschichte  Israels  2.  Aufl. 
1906,  S.  116  ff. 

21)  AnU.  XIV,  9,  4. 


[368.  359]  IV.  Die  berühmtesten  Schriftgelehrten.  423 

öalog  xal  2a/ialag  6  rovrov  (la&rjrqg)  wurden  von  ihm  verschont, 
ja  hochgeehrt,  da  sie  bei  der  Belagerung  der  Stadt  durch  Herodes 
den  Eat  gegeben  hatten,  den  König  in  die  Stadt  einzulassen.  Der 
hier  erwähnte  Samaias  wird  von  Josephus  mit  dem  früheren  aus- 
drücklich identifiziert22.  Endlich  erwähnt  Josephus  den  Pollio 
und  Samaias,  und  zwar  wiederum  in  dieser  Ordnung,  noch  an 
einer  dritten  Stelle.  Doch  erhalten  wir  leider  in  betreff  der  Zeit 
keine  volle  Gewißheit.  Er  berichtet  nämlich,  daß  einst  die  An- 
hänger des  Pollio  und  Samaias  (ot  jceQi  üolllcova  rbv  4>aQiöalov 
xal  Sapaiav)  dem  Herodes  den  geforderten  Huldigungseid  ver- 
weigerten und  nicht  dafür  bestraft  wurden,  „da  sie  wegen  des 
Pollio  Nachsicht  erlangten"  (ivtQoxfjg  öia  xbv  IloXXloparvxoprsg)23. 
Josephus  bemerkt  dies  unter  den  Ereignissen  des  achtzehnten  Jahres 
des  Herodes  (=  20/19  |  vor  Chr).  Es  ist  aber  aus  dem  Zusammen- 
hang nicht  ganz  klar  zu  ersehen,  ob  das  Ereignis  wirklich  in  jenes 
Jahr  fällt  Die  beiden  Namen  Uafialag  und  IIolXlcop  stimmen  nun 
mit  JTj^oti  und  T^bM»  so  auffällig  überein,  daß  die  Annahme  der 
Identität  beider  jedenfalls  sehr  nahe  liegt24.  Auch  die  Chronologie 
würde  ungefähr  stimmen.  Nur  das  eine  erregt  Bedenken,  daß 
Samaias  als  Schüler  des  Pollio  bezeichnet  wird,  während  sonst 
Schemaja  stets  vor  Abtaljon  steht  Man  könnte  daher  versucht 
sein,  den  Samaias  mit  Schammai  zu  identifizieren26,  wobei  nur 
wieder  auffällig  wäre,  daß  Josephus  ihn  zweimal  mit  Abtaljon  und 


22)  Antt.  XV,  1,1.  —  In  dem  Satz,  in  welchem  auf  den  früheren  Vor- 
fall verwiesen  wird,  haben  freilich  die  Josephus-Handschriften  UoXXiwv  (auf- 
genommen von  Niese),  nur  die  Epitome  und  der  Lateiner  2a(xala<;.  Nach 
Antt.  XJV,  9,  4  ist  aber  letzteres  die  richtige  Lesart,  wofern  nicht  Josephus 
an  einer  von  beiden  Stellen  einen  Flüchtigkeitsfehler  begangen  hat. 

23)  Antt  XV,  10,  4. 

24)  Der  Name  rroow,  der  auch  im  A.  T.,  bes.  bei  Nehemia  und  in  der 
Chronik  häufig  vorkommt,  wird  von  den  LXX  durch  Haftaia,  Za/xalaq,  2a- 
(xelaq,  Sefielag  wiedergegeben.  Der  Name  IIoXXi(ov  ist  zwar  nicht  mit  Abtal- 
jon identisch,  vielmehr  gleich  lat.  Pollio;  bekanntlich  führten  aber  die  Juden 
häufig  neben  dem  hebräischen  Namen  einen  ähnlich  lautenden  griechischen 
oder  römischen  (Jesus  und  Jason,  Saul  und  Paulus  und  dergl.).  —  Erwähnt 
sei  noch,  daß  Schlatter  (Zur  Topographie  und  Geschichte  Palästinas  1893, 
8.  126)  "Trtoaa  für  griechisch  Ei&aUwv  hält  Dies  wäre  lautlich  möglich, 
ist  aber  unwahrscheinlich,  da  Evd-aXlmv  als  griechischer  Name  nicht  nach- 
weisbar ist  (Pape-Benseler,  Wörterb.  der  griech.  Eigennamen,  erwähnt  nur 
Ei&äXioq).  Schlatter  nimmt  dabei  ebenfalls  Identität  mit  TIoXXIcov  an,  indem 
er  letzteres  für  Lesefehler  des  Josephus  erklärt. 

25)  *WüW  oder  ^»iö  (wahrscheinlich  nur  Abkürzung  aus  riWDtD,  s.  Deren- 
bourg  p.  95)  kann  griechisch  sehr  wohl  2a(xaiaq  lauten,  wie  *W  lavvaZoe 
oder  yIawia$  (zwischen  beiden  Formen  schwanken  die  Handschriften  Antt. 
XIII,  12,  1). 


424  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [359.  360] 

nicht  mit  seinem  Zeitgenossen  Hillel  zusammen  nennt.  Wenn  man 
aber  wegen  dieser  Zusammenstellung  unter  Pollio  und  Samaias 
den  Hillel  und  Schammai  hat  verstehen  wollen26,  so  steht  teils 
die  Verschiedenheit  der  Namen  Pollio  und  Hillel  entgegen,  teils 
die  Bezeichnung  des  Samaias  als  Schüler  Pollios,  während  doch 
Schammai  nicht  Hillels  Schüler  war.  Alles  in  allem  möchte  die 
zunächst  sich  darbietende  Zusammenstellung  des  Samaias  und  Pollio 
mit  Schemaja  und  Abtaljon  doch  die  wahrscheinlichste  sein27. 

Hillel  und  Schammai  sind  unter  den  fünf  Paaren  bei  weitem 
die  berühmtesten28.  An  jeden  von  ihnen  hat  sich  eine  ganze 
Schule  |  yon  Schriftgelehrten  angeschlossen,  die,  wenn  auch  nicht 
im  Prinzip,  so  doch  in  einer  Menge  einzelner  gesetzlicher  Bestim- 
mungen nach  zwei  verschiedenen  Richtungen  hin  auseinandergingen. 
Aus  dieser  Tatsache  erhellt  allerdings,  daß  beide  für  die  Geschichte 
des  jüdischen  Rechtes  eine  hervorragende  Bedeutung  haben:  beide 
haben  offenbar  mit  besonderem  Eifer  und  Scharfsinn  an  dem  sub- 
tileren Ausbau  des  Gesetzes  weiter  gearbeitet  Allein  man  darf 
deshalb  nicht  meinen,  daß  beide  auch  ihrem  persönlichen  Leben 
und  Wirken  nach  im  hellen  Licht  der  Geschichte  stehen.  Was 
wir  über  sie  selbst  Sicheres  wissen,  ist  verhältnismäßig  sehr  wenig. 
In  der  Mischna,  der  einzigen  zuverlässigen  Quelle,  werden  beide 


26)  So  z.  B.  Arnold  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  VI,  97,  und  Leh- 
mann, Le  prochs  d'Hirode,  Samias  et  Pollion  (Revue  des  etudes  juives  t.  XXIV, 
1892,  p.  68—81). 

27)  Vgl.  über  beide  außer  Aboth  I,  10—11  und  Qhagiga  II,  2  auch  Edu- 
joth  I,  3.  V,  6.  —  Landau  in  der  Monatsschr.  für  Gesch.  und  Wissensch.  de» 
Judenth.  1858,  S.  317—329.  Herzfeld  HI,  253  ff.  Grätz,  Gesch.  der  Juden 
3.  Aufl.  HI,  671  f.  (Note  17),  4.  Aufl.  S.  709  f.  (Note  16).  Derenbourg 
p.  116—118.  149 sq.  463  sq.  Hamburger  Real-Enz.  Abt.  H,  S.  1113  f.  (Art 
„Semaja").     The  Jewish  Encyclopedia  XI,  268  (Art.  Shemajah,  dürftig)  und 

I,  136  (Art,  Abtalion). 

28)  Über  beide,  bes.  über  Hillel  s.  Biesenthal  in  Fürsts  Literaturbl. 
des  Orients  1848,  Nr.  43—46.  —  Kämpf,  Ebendas.  1849,  Nr.  10—38.  — 
Arnold  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  VI,  96 — 98  (und  die  hier  zitierte  ältere 
Literatur).  —  Herzfeld  III,  257  ff.  —  Grätz  HI,  222  ff.  4.  Aufl.  S.  207  ff.  — 
Jost  I,  255—270.  —  Ewald,  Jahrbb.  der  bibl.  Wissensch.  Bd.  X,  S.  56—83. 
Gesch.  des  Volkes  Isr.  Bd.  V,  12—48.  —  Geiger,  Das  Judenth.  und  seine 
Gesch.  I,  99—107.  —  Delitzsch,  Jesus  und  Hillel,  1866  (3.  Aufl.  1879).  — 
Keim,  Gesch.  Jesu  1,  268—272.  —  Derenbourg  p.  176—192.  —  Strack  in 
Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  VHI,  74—76.  —  Hamburger,  Real-Enz. 

II,  401—412.  —  Bacher,  Monatsschr.  f.  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth. 
1882,  S.  100—110  —  Die  Agada  der  Tannaiten  I,  4—14.  2.  Aufl.  I,  1—11.  — 
Goitein,  Magazin  für  die  Wissensch.  des  Judenth.  XI.  Jahrg.  1884,  S.  1 — 16, 
49—87.  —Bacher,  Art.  Hillel  in:  The  Jewish  Encyclopedia  VI,  1904,  p.  397—400. 
Lauterbach,  Art.  Shammai,  ebendas.  XI,  1905,  p.  230 sq. 


[360.  361]  IV.  Die  berühmtesten  Schriftgelehrten.  425 

kaum  je  ein  dutzendmal  erwähnt29.  Und  was  die  späteren  Quellen 
von  ihnen  erzählen,  trägt  fast  durchweg  den  Stempel  der  Legende. 
Hillel,  zum  Unterschiede  von  anderen  „der  Alte"  fpjn  genannt80, 
soll  aus  davidischem  Geschlecht  entsprungen31  und  von  Babylon 
nach  Palästina  eingewandert  sein.  Da  er  arm  war,  mußte  er  sich 
als  Tagelöhner  verdingen,  um  den  Lebensunterhalt  für  sich  und 
seine  Familie  und  zugleich  das  Honorar  des  Unterrichts  zu  be- 
streiten. Sein  Eifer  im  Studium  war  so  groß,  daß  er  einst,  als  er 
das  Eintrittsgeld  zum  Beth-ha-Midrasch  nicht  entrichten  konnte, 
in  die  Fensteröffnung  kletterte,  um  von  hier  aus  dem  Unterrichte 
zuzuhören.  Da  es  gerade  Winterszeit  war,  erstarrte  er  vor  Kälte 
und  wurde  in  dieser  Lage  von  den  erstaunten  Lehrern  und  Kollegen  | 
gefunden32.  Von  der  Gelehrsamkeit,  die  er  sich  durch  solchen 
Eifer  erwarb,  erzählt  die  Tradition  wunderliche  Dinge.  Alle 
Sprachen  verstand  er,  auch  die  Eede  der  Berge,  Hügel,  Täler, 
Bäume,  Kräuter,  der  wilden  und  zahmen  Tiere  und  der  Dämonen 3S. 
Jedenfalls  war  er  der  angesehenste  Gesetzeslehrer  seiner  Zeit,  aber 
Präsident  des  Synedriums  ist  er  so  wenig  gewesen,  als  irgendein 
anderer  der  damaligen  Schriftgelehrten.  Der  Grundzug  seines 
Charakters  war  der  der  Sanftmut  und  Milde,  wovon  man  sich  ab- 
sonderliche Proben  erzählte34.  Sie  gibt  sich  auch  kund  in  dem 
ersten  der  oben  mitgeteilten  Sinnsprüche  (Aboth  I,  12):  „Sei  ein 
Schüler  Aarons,  friedliebend,  friedenstiftend,  liebe  die  Menschen 
und  ziehe  sie  heran  zum  Gesetze".  —  Der  Antipode  des  milden 
Hillel  war  der  strenge  Schammai,  gleichfalls  wie  jener  „der  Altett 
Ipjn  genannt 35.  Von  dem  rigorosen  Eifer  desselben  für  die  buch- 
stäbliche Erfüllung  des  Gesetzes  erzählt  die  Mischna  folgendes 
Beispiel   Als  einst  seine  Schwiegertochter  am  Laubhüttenfest  einen 


29)  Hillel  wird  in  der  Mischna  nnr  an  folgenden  Stellen  erwähnt:  Sche- 
biith  X,  3.  Chagiga  II,  2.  Qittin  IV,  3.  Baba  mexia  V,  9.  Edujoth  I,  1—4. 
Aboth  I,  12—14.  II,  4—7.  IV,  5.  V,  17.  Arachin  IX,  4.  Nidda  1, 1.  —  Scham  - 
mai  nnr  an  folgenden:  Maaser  schein  II,  4.  9.  Orla  II,  5.  Sukka  II,  8.  Cha- 
giga H,  2.  Edujoth  I,  1—4.  10.  11.  Aboth  I,  12.  15.  V,  17.  Kelim  XXII,  4. 
Nidda  I,  1. 

30)  Sehebiith  X,  3.   Arachin  IX,  4. 

31)  jer.  Taaniih  IV,  2  foL  68».  Bereschüh  rabba  e.  98  zu  Gen.  49,  10  (s. 
Bereschith  rabba,  übersetzt  von  Wünsche  S.  485.  557).  Daß  die  Tradition 
yon  der  davidischen  Abstammung  Hillels  keine  zuverlässige  ist,  zeigt  Israel 
Livij  Uorigine  davidique  de  Hillel  (Revue  des  Utides  juives  t.  XXXI,  1895, 
p.  202—211;  dazu  t.  XXXIII,  1896,  p.  143  sq.). 

32)  Delitzsch,  Jesus  und  Hillel  8.  9—11. 

33)  Delitzsch,  Jesus  und  Hillel  8.  8. 

34)  S.  Delitzsch  8.  31  f. 

35)  Orla  H,  5.   Sukka  H,  8. 


426  §  25.  Die  Schriftgelehrsarakeit.  [361] 

Knaben  gebar,  ließ  er  den  Estrich  abbrechen  und  deckte  über  dem 
Bette  das  Dach  mit  Laub,  damit  auch  der  neugeborene  Knabe  nach 
der  Vorschrift  des  Gesetzes  das  Laubhüttenfest  feiere36. 

Der  milden  Richtung  Hilleis  und  der  strengen  Schammais  ent- 
spricht auch  die  Richtung  ihrer  beiden  Schulen.  Die  Schule 
Hiilels  entschied  gesetzliche  Fragen  gerne  im  erleichternden  Sinne, 
die  Schule  Schammais  im  erschwerenden.  Jene  suchte  sich  wo- 
möglich mit  einem  Minimum  abzufinden,  diese  wählte  gern  das 
Maximum.  Eine  wirklich  prinzipielle  Differenz  kann  man  dies  aber 
kaum  nennen;  denn  beide  waren  darin  einig,  daß  der  Buchstabe 
des  Gesetzes  pünktlich  erfüllt  werden  müsse.  Es  fehlt  daher  auch 
nicht  an  Fällen,  wo  die  Schule  Hiilels  erschwerend,  diejenige 
Schammais  erleichternd  entschied37.  Stets  aber  sind  esnurMinu- 
tien,  um  welche  die  Differenz  sich  bewegt.  Es  lohnt  sich  daher 
auch  nicht,  den  Gegensatz  näher  im  Detail  zu  verfolgen 38.   Einige  | 

36)  Sukka  II,  8. 

37)  Edujoth  IV,  1 — 12;  V,  1—5.  Dazu  die  gründlichen  Erörterungen  von 
Ad.  Schwarz,  Die  Erleich temngen  der  Schammaiten  und  die  Erschwerungen 
der  Hilleliten  (auch  unter  dem  Titel:  Die  Controversen  der  Schammaiten  und 
Hilleliten  I).    Wien  1893  (109  S ). 

38)  Für  denjenigen,  der  den  Dingen  näher  nachgehen  will,  teile  ich  hier 
sämtliche  Stellen  der  Mischna  mit,  an  welchen  Differenzen  zwi- 
schen beiden  Schulen  erwähnt  werden.  Berachoth  I,  3.  Vüi,  1 — 8. 
Pen  III,  1.  VI,  1.  2.  5.  VII,  6.  Demai  I,  3.  VI,  6.  Kilajim  II,  6.  IV,  1.  5. 
VI,  1.  Schebiüh  I,  1.  IV,  2.  4.  10.  V,  4.  8.  VIII,  3.  Terumoth  I,  4.  V,  4. 
Maaseroth  IV,  2.  Maaser  scheni  n,  3.  4.  7.  8.  9.  III,  6.  7.  9.  13.  IV,  8.  V,  3. 
6.  7.  ChaUa  I,  6.  Orla  II,  4.  Schabbath  I,  4—9.  III,  1.  XXI,  3.  Erubm  I, 
2.  VI,  4.  6.  Vni,  6.  Pesachim  I,  1.  IV,  5.  VIII,  8.  X,  2.  6.  Schekalim  n,  3. 
VIII,  6.  Sukka  I,  1.  7.  II,  7.  III,  5.  9.  Bexa  1, 1—9.  II,  1—5.  Bosch  haschana 
I,  1.  Chagiga  I,  1—3.  H,  3.  4.  Jebamoth  I,  4.  III,  1.  5.  IV,  3.  VI,  6.  XIII,  1. 
XV,  2.  3.  Kethuboth  V,  6.  VIII,  1.  6.  Nedarim  III,  2.  4.  Nasir  II,  1.  2.  HI,  6.  7. 
V,  1.  2.  3.  5.  Sota  IV,  2.  Oittin  IV,  5.  VHI,  4.  8.  9.  IX,  10.  Kidduschm  1, 1. 
Baba  mexta  HE,  12.  Baba  baihra  IX,  8.  9.  Edujoth  I,  7—14.  IV,  1—12.  V, 
1—5.  Sebaehim  IV,  1.  ChuUin  I,  2.  VHI,  1.  XI,  2.  Bechoroth  V,  2.  Keri- 
thoth  I,  6.  Kelim  IX,  2.  XI,  3.  XIV,  2.  XVIII,  1.  XX,  2.  6.  XXH,  4.  XXVI,  6. 
XXVIH,  4.  XXIX,  8.  Ohaloth  II,  3.  V,  1-4.  VII,  3.  XI,  1.  3-6.  8.  Xin,  1.  4. 
XV,  8.  XVIII,  1.  4.  8.  Para  XII,  10.  Tohoroth  IX,  1.  5.  7.  X,  4.  Mihcaoth 
I,  5.  IV,  1.  V,  6.  X,  6.  Nidda  II,  4.  6.  IV,  3.  V,  9.  X,  1.  4.  6-8.  Mach- 
schirin  I,  2-4.  IV,  4.  5.  V,  9.  Sabim  1, 1—2.  Tebuljoml,  1.  Jadajim  IH,  5. 
ükxin  III,  6.  8. 11.  —  "waü  rra  allein:  Berachoth  VI,  5.  Demai  TU,  1.  Kilajim 
VIII,  5.  Terumoth  IV,  3.  Orla  II,  5.  12.  Bexa  II,  6.  Edujoth  HI,  10.  Mih- 
waoth  IV,  5.  —  Dieses  Stellenverzeichnis  lehrt,  daß  die  Differenzen  sich  haupt- 
sächlich auf  die  im  ersten,  zweiten,  dritten  und  sechsten  Seder  der  Mischna 
behandelten  Materien  beziehen  (d.  h.  1)  die  religiösen  Abgaben,  2)  die  Sab- 
bath-  und  Festfeier,  3)  die  Ehegesetze  und  4)  die  Beinheitsgesetze),  dagegen 
fast  gar  nicht  auf  die  im  vierten  und  fünften  Seder  behandelten  Materien 
(Zivil-  und  Kriminalrecht  und  Opfergesetze).   Die  letzteren,  die  nicht  das  reli- 


[362.  363]  IV.  Die  berühmtesten  SchriftgelehrteD.  427 

Beispiele  mögen  genügen.  Das  Gebot,  am  Sabbat  keine  Speise  zu 
bereiten,  wurde  z.  B.  auch  auf  die  eieriegenden  Hennen  ausgedehnt, 
und  daher  darüber  debattiert,  ob  und  unter  welchen  Umständen  ein 
an  einem  Feiertage  gelegtes  Ei  an  demselben  gegessen  werden 
dürfe  oder  nicht39.  Oder  man  verhandelte  darüber,  ob  an  einem 
viereckigen  leinenen  Nachtgewande  Schaufäden  (Zizüh)  erforderlich 
seien  oder  nicht40;  ob  man  am  Feiertage  eine  Leiter  von  einem 
Taubenschlage  zum  andern  tragen  oder  nur  von  einer  Luke  zur 
andern  neigen  dürfe41.  Von  reformatorischen  Ideen,  welche  uns  | 
jüdische  Eigenliebe  so  gerne  glauben  machen  möchte,  ist  hier,  wie 
man  sieht,  nirgends  die  Rede.  In  der  Praxis  gewann  die  mildere 
Schule  Hilleis  im  Laufe  der  Zeit  die  Oberhaud;  doch  gab  sie  in 
manchen  Punkten  freiwillig  ihre  Ansicht  auf  und  trat  der  Schule 
Schammais  bei42,  und  in  anderen  folgte  man  später  weder  der 
Meinung  Hillels  noch  der  Schammais43. 

An  den  Namen  Hillels  knüpft  sich  auch  eine  Einrichtung, 
die  zwar  dem  Gesetz  widersprechend,  aber  in  der  Lage  der  Dinge 
wohlbegründet  und  gewiß  von  wohltätigen  Folgen  war.  Die  ge- 
setzliche Bestimmung,  daß  in  jedem  siebenten  Jahre  alle  Schulden 
erlassen  werden  sollten  (Deut  15,  1—11),  hatte  nämlich  die  üble 
Folge,  „daß  die  Leute  Anstand  nahmen,  einander  Geld  zu  leihen", 
obwohl  das  Gesetz  selbst  ermahnte,  daß  man  nicht  um  dieser  Be- 
stimmung willen  zurückhaltend  im  Ausleihen  sein  solle  {Deut  15,  9). 
Um  nun  diesen  Übelstand  zu  beseitigen,  wurde  unter  Hillels  Ein- 
fluß der  „gerichtliche  Vorbehalt"  (Prosbol)  eingeführt  Es  wurde 
nämlich  dem  Gläubiger  gestattet,  vor  Gericht  eine  Erklärung  ab- 


giöse  Tun  der  Privatpersonen  betreffen,  sondern  entweder  rein  bürgerliche 
oder  priesterliche  Handlungen,  sind  in  den  Schulen  nicht  ebenso  eifrig  disku- 
tiert worden  wie  erstere.  Das  Zivil-  und  Kriminalrecht  hatte  überhaupt  nicht 
dasselbe  Interesse,  wie  die  religiösen  Satzungen.  Die  Opfergesetze  aber  sind 
vermutlich  schon  durch  die  älteren  priesterlichen  Schriftgelehrten  ausgebildet 
worden  und  lagen  außerhalb  der  direkten  Machtsphäre  der  Eabbinen.  —  Ahn- 
lich wie  in  der  Misch  na  steht  es  in  der  Tosephta  (s.  das  Stellenverzeichnis 
im  Index  zu  Zuckermandels  Ausgabe  p.  XXXIII).  In  den  Midraschim  (Me- 
chiltha,  Siphra  und  Siphre)  werden  beide  Schulen  nur  selten  erwähnt. 
S.  das  Stellenverzeichnis  bei  D.  Hoff  mann,  Zur  Einleitung  in  die  halachi- 
schen  Midraschim  (Berlin,  Jahresbericht  des  Rabbiner-Seminars  1887)  'S.  84 
—  Vgl.  auch  Mendelssohn,  Art.  Bet  Hülel  and  Bei  Shammai  in:  TheJewish 
Eneydopedia  III,  115  sq. 

39)  Beza  I,  1.   Edujoth  IV,  1.   Delitzsch  S.  21  f. 

40)  Edtyoth  IV,  10. 

41)  Beza  I,  3. 

42)  Edujoth  I,  12—14. 

43)  Z.  B.  Edujoth  I,  1—3.    Vgl.  überh.  die  in  Anm.  38  zitierten  Stellen. 


428  §  25-   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [363] 

zugeben  folgenden  Inhalts:  Qijwjn  ^bai  ^bfi  «Jni  ODb  i?K  -iqi* 
nrtKtf  iwr  bD  toUttri  ^b  v*id  nin  tairf  "ofta  oipwiTD  „Ich  der  und 
der  übergebe  euch  den  Richtern  des  und  des  Ortes  (die  Erklärung), 
daß  ich  jede  mir  ausstehende  Schuld,  wann  ich  wolle,  jederzeit  ein- 
fordern dürfe".  Durch  einen  solchen  bei  Gericht  niedergelegten 
Vorbehalt  war  der  Gläubiger  auch  für  das  Sabbatjahr  gesichert44. 
Die  konstante  Bezeichnung  dieses  Vorbehaltes  als  Prosbol  (Vtarhfi) 
ist  noch  nicht  genügend  aufgeklärt.  Daß  es  nicht  =  jtqos  ßovXfjv 
ist,  wie  manche  gemeint  haben,  darf  bestimmt  gesagt  werden,  denn 
der  Hauptbegriff  wäre  dabei  gar  nicht  zum  Ausdruck  gebracht 
Es  kann  kaum  etwas  anderes  als  xQooßoXtj  sein.  Aber  im  grie- 
chischen Sprachgebrauch  ist  bis  jetzt  keine  für  unsern  Fall  passende 
Bedeutung  nachgewiesen45.  Am  ansprechendsten  dürfte  die  Ver- 
mutung sein,  daß  es  =  lat  adjedio  in  der  Bedeutung  „Zusatz,  Bei- 
satz, Klausei"  ist,  denn  die  Prosbol-Erklärung  war  ja  tatsächlich 
eine  den  Schuldvertrag  ergänzende  Klausei46. 


44)  Vgl.  bes.  Schebiith  X,  3-7  (die  Formel:  Schebiith  X,  4);  Einführung 
durch  Hillel:  Schebiith  X,  3.  Qittin  IV,  3;  überhaupt:  Pea  III,  6.  Moed  katan 
III,  3.  Kethuboth  IX,  9.  Ukxin  HI,  10.  —  Literatur:  Buxtorf,  Lex.  Ghald.  coL 
1806 sq.  Quisiu8  in  Surenhusius' Mischna  1,196.  Jost,  Gesch.  des  Judenth. 
I,  365 f.  Hamburger,  Keal-Enz.  II,  939  f.  (Art.  Prosbul).  Levy,  Neuhebr. 
Wörterb.  s.  v.  bwnß.  Krauß,  Griech.  und  lat.  Lehnwörter  im  Talmud  H,  1899, 
S.  482.  Greenstone,  Art.  Prosbul  in:  The  Jewish  Encyclopedia  X,  1905, 
p.  21$  sq.  und  die  oben  Anm.  28  angeführte  Literatur  über  Hillel. 

45)  In  den  früheren  Auflagen  habe  ich  wegen  der  Eingangsworte  nöTS 
üdb  *M  „ich  übergebe  euch"  angenommen,  daß  nQoaßoX^  =  das  Hinbringen, 
Übergeben  der  Deklaration  vor  Gericht  sei.  Diese  Erklärung  hat  aber  er- 
hebliche sprachliche  Bedenken  gegen  sich.  —  Neuerdings  sind  zwei  Papyrus- 
urkunden bekannt  geworden,  in  welchen  noooßoXii  als  juristischer  Begriff  vor- 
kommt (Papiri  Fiorentini,  per  eura  di  G.  Vit  eilt,  Milano  1906,  n.  55,  25  und 
56,  11).  Das  Wort  steht  hier  neben  irexvQaola  (Auspfändung).  Aber  der  Zu- 
sammenhang gibt  keinen  Fingerzeig  für  den  Sinn,  in  welchem  es  gemeint  ist. 

46)  Diese  Vermutung  ist  mir  von  Wilcken  (brieflich)  ausgesprochen 
worden.  Für  adjectio  in  der  Bedeutung  „Zusatz,  Beisatz,  Klausel"  gibt  Heu- 
manns  Handwörterbuch  zu  den  Quellen  des  römischen  Rechts,  9.  Aufl.  bearb. 
von  Seckel,  1907,  folgende  Belege:  Gaius,  Institutiones  IV,  126—129  (wo 
z.  B.  für  den  Fall,  daß  einer  mit  einem  anderen  vereinbart:  ne  pecuniam  f 
quam  mihi  debes,  a  (e  peterem,  die  Klausel  empfohlen  wird :  si  non  postea  con- 
tenity  ut  mihi  eam  pecuniam  petere  liceret).  Digest.  XXVIII,  5,  70.  XXX,  30, 
1—4.  81,  4.  108,  8.  —  TtQoaßoXii  müßte  dann  Latinismus  sein  (wörtliche  Wie- 
dergabe von  adjectio).  Die  jüdische  7tgoaßoXij  scheint  freilich  keine  Klausel 
in  dem  Schuldvertrage  selbst  gewesen  zu  sein,  sondern  ein  genereller  Vorbe- 
halt für  alle  Fälle  (vgl.  außer  der  Formel  selbst  auch  Schebiith  X,  5: 
„Wenn  fünf  Personen  von  Einem  borgen,  so  kann  er  ein  Prosbol  für  alle 
schreiben").  —  Die  von  Josephus  erwähnten  Schuldverträge,  welche  im 
Archiv   zu  Jerusalem   niedergelegt   waren    (Bell.  Jud.  IL,  17,  6:    jtie£*  8  xb 


[363.  364]  IV.  Die  berühmtesten  Schriftgelehrten.  429 

Als  Sohn  Hillels  wird  von  jüdischen  nnd  christlichen  Gelehr- 
ten |  in  der  Regel  ein  Simon  genannt,  der  wiederum  der  Vater 
Gamaliels  I.  gewesen  sein  soll.  Die  Existenz  dieses  Simon  nnd 
damit  das  ganze  genealogische  Verhältnis  ist  aber  höchst  frag- 
würdig47. Eine  sichere  historische  Persönlichkeit  ist  erat  wieder 
Gamaliel  L,  'jß-in  bäpb£|  isn,  wie  er  zum  Unterschied  von  Gama- 
iiel  IL  in  der  Mischna  genannt  wird48.   Zu  seinen  Füßen  saß  be- 


nvo  inl  zä  &(>Z*fo  Hfpeoov  &<payla<u  onevSovreg  xä  avfißdXaia  x(ov  SsSa- 
vetxdtwv  xal  räq  eloiiQ&&iq  anoxötpai  rwv  zoeCbv),  waren  nicht,  wie  ich 
früher  angenommen  habe,  Prosbol- Vertrage,  sondern  die  Schuldverträge  selbst. 
Auch  die  Prosbol -Verträge  waren  aber  wohl  an  demselben  Orte  nieder- 
gelegt. 

47)  In  der  Mischna  kommt  dieser  Simon  überhaupt  nicht  vor.  Er  taucht 
erst  im  babylonischen  Talmud  auf  und  wird  auch  hier  noch  nicht  als  Sohn 
Hilleis  bezeichnet,  sondern  nur  als  Inhaber  der  Nasi -Würde  zwischen  Hillel 
und  Gamaliel  I.  Die  ganze  Stelle  lautet  (Schabbath  loa  unten):  iws»*»  M>rt 
nau>  nxü  n^an  ^tb  "jn^iös  naru  "pswi  bartaa  „Hillel  und  Simon,  Gama- 
liel und  Simon  führten  die  Nasi -Würde  zur  Zeit  des  Tempelbestandes 
hundert  Jahre  lang"  (d.  h.  während  der  letzten  hundert  Jahre  vor  der  Zerstö- 
rung des  Tempels).  Bei  der  Wertlosigkeit  dieser  spät- talmudischen  Notiz  ist 
denjenigen  Gelehrten  beizustimmen,  welche  die  Existenz  jenes  Simon  über- 
haupt bestreiten.  So  namentlich  Kaempf,  Monatsschr.  für  Gesch.  und  Wis- 
sensch.  des  Judenth.  1854,  S.  39  ff.  98 ff.;  auch  Lebrecht,  Jüdische  Zeitschr. 
für  Wissensch.  und  Leben  XI,  1875,  S.  278  Anm.  Abgesehen  von  b.  Schabbath 
15 *  wird  jener  angebliche  Simon  im  ganzen  Talmud,  sowohl  im  jerusalemischen 
als  im  babylonischen,  sonst  nirgends  erwähnt  (Kaempf,  Monatsschrift  1854, 
S.  98).  Kaempf  meint  daher,  daß  an  der  angeführten  Stelle  statt  „Hillel  und 
Simon"  zu  lesen  sei  „Schemaja  und  Hillel".  —  Ältere  Ansichten  s.  bei  Wolf, 
Biblioth.  Hebr.  II,  861  sq. 

48)  Orla  H,  12.  Bosch  hasehana  II,  5.  Jebamoth  XVI,  7.  Sota  IX,  15. 
Qittin  IV,  2—3.  An  allen  diesen  Stellen  heißt  er  ausdrücklich  „der  Alte" 
(1EJ1).  Außerdem  ist,  abgesehen  von  Aboth  I,  16,  wahrscheinlich  auch  noch 
Pea  U,  6  und  Schekalim  VI,  1  dieser  ältere  Gamaliel  gemeint.  An  allen  an- 
deren Stellen  ist  es  zweifelhaft.  Insonderheit  hat  der  berühmte  gesetzeskun- 
dige Sklave  Tabi  (*^B)  nicht  im  Dienste  des  älteren,  sondern  des  jüngeren 
Gamaliel  gestanden  (Berachoth  II,  7.  Sukka  II,  1).  Nur  Pesachim  VH,  2,  wo 
es  heißt,  daß  Gamaliel  dem  Tabi  das  Braten  des  Passa  auf  einem  Hoste  be- 
fohlen habe,  scheint  Gamaliel  L  gemeint  zu  sein.  Wenn  hier  nicht  eine  Ver- 
wechselung vorliegt,  muß  man  annehmen,  daß  Tabi  den  beiden  Gamaliel, 
dem  Großvater  und  dem  Enkel,  gedient  hat  (so  Derenbowg,  Histoire  de  la 
Palestine  p.  480 sq.),  oder  daß  es  mehrere  Tabi  gegeben  hat  (so  Friedmann 
und  Grätz,  TheoL  Jahrbücher  1848,  S.  368  f.).  —  Vgl.  über  Gamaliel  I.  über- 
haupt: Oraunii  Historia  Qamalielis  Viteb.  1687.  —  Wolf,  Biblioth.  Eebraea 
II,  821  sq.  Ders.,  öurae  philol.  in  Nov.  Test,  zu  Act.  5,  34.  —  Palmer, 
Paulus  und  Gamaliel.  Gießen  1806.  —  Winer,  RWB.  I,  389.  —  Grätz,  Gesch. 
der  Juden  3.  Aufl.  HI,  373  ff.  4.  Aufl.  S.  349  ff.  —  Jost,  Gesch.  des  Judenth. 
I,  281  ff.  423.  —  Ewald,  Gesch.  des  Volkes  Israel  VI,  256  f.  —  Derenbourg, 
Histoire  de  la  Palestine  p.  239—246.  —  Schenkel  im  Bibellex.  II,  328—330.  — 


430  §  25-   Die  Schriftgelehrsamkeit  [364.  365] 

kanntlich  der  Apostel  Paulus  (Ap.-Gesch.  22,  3);  und  er  war  es, 
der  einst  im  Synedrium  den  Rat  gab,  die  angeklagten  Apostel  frei- 
zulassen, da  ihr  Werk,  falls  es  von  Menschen  sei,  ohnehin  vergehen 
werde;  |  falls  es  aber  von  Gott  sei,  vergebens  bekämpft  würde 
(Ap.-Gesch.  5,  34—39).  Die  christliche  Sage  hat  ihn  dafür  zum 
Christen  gemacht49,  während  die  jüdische  Tradition  ihn  als  einen 


Hamburger,  Real-Enz.  Abt.  II  Art.  „Gamaliel  I".  —  Qinsburg  in  Smith 
and  Wace,  Dictionary  of  Christian  Biography  t.  II,  1880,  p.  602—604.  —  Dal- 
man  in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  VI,  363 f.  —  Büchler,  Das  Syne- 
drion  in  Jerusalem,  1902  (IX.  Jahreeber,  der  ieraelit.-theol.  Lehranstalt  in 
Wien)  S.  115 — 131  (verteidigt  die  Meinung,  daß  Gamaliel  I.  Vorsitzender  des 
obersten  beth-din  gewesen  sei).  —  Bacher,  Art.  Gamaliel  in:  The  Jewish  En- 
cyelopedia  V,  1903,  p.  558—560. 

49)  Clement.  Recogn.  I,  65  sqq.  —  In  einem,  in  verschiedenen  Rezen- 
sionen erhaltenen  Berichte  erzählt  der  Presbyter  Lucianus  von  Jerusalem, 
wie  ihm  der  heilige  Gamaliel  wiederholt  im  Schlafe  erschienen  sei  und  ihm 
den  Ort  geoffenbart  habe,  wo  er  einst  den  Märtyrer  Stephanus  und  den 
Nikodemus  begraben  habe,  und  wo  er  selbst  Gamaliel  und  sein  Sohn 
Abibos  begraben  seien,  und  wie  die  Gebeine  dieser  Männer,  die  hier  alle  als 
Christen  vorausgesetzt  werden,  in  der  Tat  an  dem  bezeichneten  Orte  bei  Ka- 
phar-Gamala  („Dorf  Gamaliels")  in  der  Nähe  von  Jerusalem  gefunden  worden 
seien.  Die  Legende  ist  erhalten  1)  lateinisch  bei  Surius,  Vitae  Sanetorum 
IV,  502  sqq.  (3.  August),  Baronius  Annal.  ad  ann.  415,  und  in  der  Benedictiner- 
Ausgabe  des  Augustinus  Bd.  VII  Anhang  (zwei  Texte),  hiernach  auch  bei 
Migne,  Patrolog.  Lot.  t.  41,  eol.  807 — 818.  2)  syrisch  bei  Land,  Anecdota 
Syriaca  t.  III,  1870,  p.  76—84,  und  in  den  Acta  martyrum  et  sanetorum  ed. 
Bedjany  t.  III,  1892,  p.  188—199,  vgl.  Nestle,  Theol.  Litztg.  1893,  eol.  6;  hier- 
nach deutsch  von  Byssel,  Zeitschr.  für  Kirchengesch.  Bd.  XV,  1894,  S.  224  f. 
233—240;  Fragmente  bei  Schultheß,  Christlich-palästinische  Fragmente  aus 
der  Omaj  jaden- Moschee  zu  Damaskus  (Abh.  der  Göttinger  Gesell  seh.  d.  Wis- 
sensch.,  phil.-hist.  Kl.  N.  F.  VIII,  3,  1905)  S.  102—107.  3)  griechisch  in: 
'AvdXexia  ^IegoooXvfiixiPcrjg  JSzaxvokoylaq  ixö.  vnb  nanadoitovkov-KeQa' 
ßiwq  Tdßoq  V,  Petersb.  1898,  p.  28 — 53  (der  Bericht  über  die  Auffindung  ist 
hier  ergänzt  durch  einen  Bericht  über  die  Überführung  nach  Konstantinopel). 
—  Aus  dieser  Legende  des  Lucianus,  die  schon  Gennadius  kennt,  Vitae  46. 47 
fs.  auch  Fabricius  Biblioth.  graeca  ed.  Hartes  X,  327),  schöpfte  der  Presbyter 
Eustratius  von  Konstantinopel,  6.  Jahrb.,  in  seinem  Buch  über  den  Zustand 
der  Verstorbenen  Kap.  23  (griech.  herausgeg.  von  Leo  Allatius  1655,  8.  Fa- 
bricius Bibl.  gr.  X,  725.  XI,  623).  Endlich  aus  Eustratius  gibt  wiederum 
Photius  Exzerpte  iu  seiner  Biblioiheca  cod.  171.  Über  ein  Grabmal  der  drei 
Heiligen:  Gamaliel,  Abibas  und  Nikodemus  zu  Pisa  s.  Wagenseil  zu  Sota 
IX,  15  (in  Surenhusius'  Mischna  HE,  314  sq.).  Vgl.  auch  Thilo,  Cod.  apoer. 
p.  501,  Nilles,  Kalendarium  Manuale  (ed.  2.  1896)  p.  232  sq.  und  die  hier 
zitierte  Literatur.  Achelis,  Die  Martyrologien,  ihre  Geschichte  und  ihr 
Wert  (Abh.  der  Göttinger  Gesellsch.  der  Wissensch.,  phil.-hist.  Kl.  N.  F.  III,  3, 
1900)  S.  75.  166  f.  187  f. 

Eine  in  altslavischer  Übersetzung  erhaltene  Legende  über  den  Märtyrertod 
des   Stephanus  (eine  apokryphe  Parallele  zur  Erzählung  der  Ap.  Gesch.), 


[365.  366]  IV.  Die  berühmtesten  Schriftgelehrten.  431 

der  gefeiertsten  Lehrer  verherrlicht  „Seit  Rabban  Gamaiiel  der 
Alte  tot  ist,  gibt  es  keine  Ehrfurcht  vor  dem  Gesetze  mehr  (Tina 
rryiPrt);  und  gleichzeitig  erstarb  Reinheit  und  Enthaltsamkeit  (nnjjtj 
ratf'nw) 50.  Daß  auch  er  so  wenig  wie  Hillel  Präsident  des  Syn- 
edriums  war,  sehen  wir  eben  aus  der  Apostelgeschichte  (5,  34  ff.), 
wo  er  als  einfaches  Mitglied  desselben  erscheint  Viel  Verwirrung 
ist  hinsichtlich  seiner  namentlich  von  christlichen  Gelehrten  da- 
durch angerichtet  worden,  daß  man  Dinge,  die  von  Gamaiiel  II. 
gelten,  auf  ihn  übertragen  hat;  wie  z.  B.  die  Wirksamkeit  in  Jabne 
und  anderes. 

Auch  sein  Sohn  Simon  genoß  als  Schriftgelehrter  eines  außer- 
ordentlichen Rufes51.  Josephus  sagt  von  ihm52:  cO  6h  2lficov  \ 
ovxog  tjv  JioXecoq  phv  'ieQOöoZvfdcop ,  yivovq  6h  CHpoÖQa  lafixgov, 
xijg  6h  G>aQiOala>v  algdoecog,  ot  jibqI  xa  JtaxQia  voftifia  6oxovoc  xa>v 
aXXcov  dxQißela  6ia<piQsiv.  rHv  6*  ovxog  avfjQ  3tXr\Qr\q  övviöecoq 
xal  XoyiCfiov,  6vva(ievoq  xe  jtQayfiaxa  xaxcoq  xsl  flava  q>Qovr\Qu  xfj 
eavxov  öioQd-ciöaöfrai.  Er  lebte  zur  Zeit  des  jüdischen  Krieges 
und  nahm  während  der  ersten  Periode  desselben  (66—68  nach  Chr.) 
einen  hervorragenden  Anteil  an  der  Leitung  der  Geschäfte.  Prä- 
sident des  Synedriums  ist  jedoch  auch  er  nicht  gewesen. 

Von  tiefgreifender  Bedeutung  für  die  weitere  Entwickelung 
des  Schriftgelehrtentums  war  der  Fall  Jerusalems  und  die  Ver- 
nichtung des   bis  dahin  noch  relativ  selbständigen  jüdischen  Ge- 


welche Franko  deutsch  herausgegeben  hat  (Zeitschr.  für  die  Neutestam. 
'Wissensch.  1906,  S.  151—171),  erwähnt  ebenfalls  den  Abibus,  Nicodemus 
und  Gamaiiel  als  Gefährten  des  Stephanus  (8. 164  oben).  Franko  meint  des- 
halb, sie  habe  mit  der  Legende  von  der  Auffindung  der  Gebeine  zusammen 
ursprünglich  ein  Werk  gebildet,  als  erster  Teil  desselben.  Da  aber  die  ältesten 
Zeugnisse  über  die  Schrift  Lucians  nichts  davon  wissen,  ist  das  Martyrium 
vielmehr  für  ein  späteres  Produkt  zu  halten. 

In  einer  Anzahl  koptischer  Fragmente,  deren  Herkunft  unsicher  ist, 
glaubt  Baumstark  (Revue  biblique  1906, p.  253—259)  Bruchstücke  eines  „Evan- 
geliums des  Gamaiiel"  erkennen  zu  dürfen. 

50)  Sota  IX,  15.  —  rninn  *rias  heißt  „Ehrfurcht  vor  dem  Gesetz",  s. 
Wagenseil  in  Surenhusius,  Mischna  III,  312  w.  13,  315  n.  20.  Vgl.  Nedarim 
IX,  1:  TOK  tos  «=  „Ehrerbietung  gegen  seinen  Vater".  Ähnlich  Aboth  IV  %  12. 
Der  Sinn  ist  also,  daß  niemand  mehr  solche  Ehrfurcht  vor  dem  Gesetz  ge- 
habt habe,  wie  Rabban  Gamaiiel  der  Alte. 

51)  Vgl.  über  ihn  Joseph.  Bell.  Jud.  IV,  3,  9.  Vita  38.  39.  44.  60.  Jost 
1,  446  ff.  Derenbourg  p.  270—272,  474  5g.  Hamburger  Real-Enz.  II,  1121. 
Bächler  a.  a.  O.  S.  131 — 144.  —  In  der  Mischna  ist  unter  dem  häufig  er- 
wähnten Rabban  Simon  ben  Gamaiiel  in  der  Regel  der  Sohn  Gamaliels  II 
zu  verstehen;  so  namentlich  auch  Aboth  1,18.  Auf  Simon  Sohn  Gamaliels  I 
bezieht  sich  außer  Aboth  I,  17  vielleicht  nur  noch  Kerühoth  I,  7. 

52)  Vita  38. 


432  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [366] 

mein wesens.  Das  alte  Synedrium,  an  dessen  Spitze  die  saddu- 
zäischen  Hohenpriester  gestanden  hatten,  trat  nun  für  immer  vom 
Schauplätze  ab.  Die  pharisäischen  Gesetzeslehrer,  die  schon  im 
letzten  Jahrhundert  vor  der  Zerstörung  des  Tempels  tatsächlich 
den  größten  Einfluß  ausgeübt  hatten,  wurden  die  alleinigen  Führer 
des  Volkes.  Der  politische  Untergang  hat  also  direkt  zur  Folge 
eine  Steigerung  der  rabbinischen  Macht  und  einen  Aufschwung  der 
schriftgelehrten  Studien.  —Von  jetzt  an  fließen  auch  unsere  Quellen 
reichlicher,  da  die  erste  Kodifizierung  des  jüdischen  Rechtes  von 
Männern  unternommen  wurde,  welche  mit  derjenigen  Generation 
welche  den  Untergang  der  Stadt  erlebt  hatte,  noch  direkt  zu- 
sammenhingen. 

Ein  Hauptsitz  der  schriftgelehrten  Studien  wurde  nach  dem 
Untergang  der  heiligen  Stadt  das  seit  der  Hasmonäerzeit  vor- 
wiegend von  Juden  bewohnte  Jamnia  oder  Jabne.  Hier  scheinen 
die  angesehensten  Gelehrten,  welche  die  Zerstörung  Jerusalems 
tiberlebten,  sich  niedergelassen  zu  haben53.  Außerdem  wird  nament- 
lich noch  Lydda  oder  Lud  als  Wohnort  von  hervorragenden 
Schriftgelehrten  erwähnt64.  Erst  später,  etwa  seit  der  Mitte  des 
zweiten  Jahrhunderts  nach  Chr.,  wurde  Tiberias  der  Mittelpunkt 
der  schriftgelehrten  Studien. 

Der  bedeutendste  Schriftgelehrte  in  den  ersten  Dezennien  nach 
der  Zerstörung  Jerusalems  war  Rabban  Jochanan  ben  Sakkai55. 


53)  8.  überh.  Schekalim  I,  4.  Bosch  haschana  II,  8—9.  IV,  1—2.  Kethu- 
both  IV,  6.  Sanhedrin  XI,  4.  Edujoth  II,  4.  Aboth  IV,  4.  Bechoroth  IV,  5. 
VI,  &    Kelim  V,  4.    Para  VII,  6. 

54)  Rosch  haschana  I,  6.  Taanith  III,  9.  Baba  mexia  IV,  3.  Jadajim 
IV,  3.  —  Hteronymus,  eomm.  in  Habac.  2  (opp.  ed.  VaUarsi  VI,  623).  —  Neu- 
bauer, Geographie  du  Talmud  (1868),  p.  76—80.  E,  Neumann,  Art.  Lydda 
in:  The  Jewish  Encyelopedia  VIII,  227  sq. 

55)  8.  über  ihn  die  hebräisch  geschriebenen  Werke  von  Frank el,  Brüll 
und  Weiß  (die  Titel  oben  §  3),  ferner:  Jost,  Gesch.  des  Juden  thums  und 
seiner  Sekten  II,  13  ff.  Landau,  Monatsschr.  für  Gesch.  und  Wissensch.  des 
Judenth.  1851/52,  8.  163—176.  Grätz,  Gesch.  der  Juden  IV,  10  ff.  Deren- 
bourg,  Histoire  de  la  Palestine  p.  266  sq.  276—288.  302—318.  Hamburger, 
Real-Enz.  Abt.  II  8.  464—473.  Bacher,  Monatsschr.  für  Gesch.  und  Wis- 
sensch. des  Judenth.  1882,  8.  145—166  —  Die  Agada  der  Tannaiten  I,  25—46. 
2.  Aufl.  I,  22—42.  Spitz,  Rabban  Jochanan  ben  Sakkai,  Rektor  der  Hoch- 
schule zu  Jabneh.  Dissertation,  Leipzig  1883.  Reich,  Zur  Genesis  des  Talmud, 
der  Talmud  und  die  Römer  (2.  Aufl.  1893)  8. 37—68.  Schlatter,  Jochanan  ben 
Zakkai,  der  Zeitgenosse  der  Apostel  (Beitrage  zur  Förderung  christlicher  Theo- 
logie HI,  4)  1899.  Dazu  Blau,  Jochanan  ben  Zakkai  in  christlicher  Beleuch- 
tung (Monatsschr.  f.  G.  u.  W.  d.  J.  1899.  8.  548—561).  Bacher,  Art  Johanan 
b.  Zakkai  in:  The  Jewish  Encyelopedia  VII,  214—217.  —  In  der  Misehna  wird 
er  an  folgenden  Stellen  erwähnt:  Schabbath  XVI,  7.  XXII,  3.    Schekalim  I,  4. 


{367.  368]  IV.  Die  berühmtesten  Schriftgelehrten.  433 

Die  Zeit  seines  Wirkens  erhellt  schon  daraas,  daß  er  mehrere  ge- 
setzliche Bestimmungen  oder  Gebräuche  abänderte  „nachdem  der 
Tempel  zerstört  war**56.  Seinen  Wohnsitz  scheint  er  vorwiegend 
in  Jabne  gehabt  zu  haben57.  Doch  wird  auch  Berur  Chail  (-vna 
b^n)  als  Ort  seines  Wirkens  genannt58.  Und  vorübergehend  muß 
er  sich  auch  in  Arab  (ni?)  aufgehalten  haben,  wo  ihm  verschiedene 
gesetzliche  Fragen  zur  Entscheidung  vorgelegt  wurden59.  Aus  seinen 
gesetzlichen  Neuerungen  ist  etwa  hervorzuheben,  daß  er  abschaffte, 
daß  die  des  Ehebruchs  Angeklagte  das  Bitterwasser  zu  trinken 
hatte60.  Wie  nahe  er  noch  den  Verhältnissen  stand,  wie  sie  vor 
der  Zerstörung  Jerusalems  existierten,  sieht  man  auch  daraus,  daß 
er  über  gesetzliche  Fragen  mit  Sadduzäern  disputierte 6  *,  während 
letztere  schon  bald  nachher  aus  der  Geschichte  verschwinden.  | 
Auch  ist  er  der  Träger  uralter  Traditionen,  die  auf  Moses  selbst 
zurückgeführt  werden62.  Die  Legende  erzählt  von  ihm  dasselbe, 
was  Josephus  von  sich  erzählt:  daß  er  nämlich  dem  Vespasian 


Sukka  II,  5.  III,  12.  Rosch  haschana  IV,  1.  3.  4.  Kethuboth  XIII,  1—2.  Sota 
V,  2.  5.  IX,  9.  15.  Edujoth  VIII,  3.  7.  Aboth  II,  8—9.  Menachoth  X,  5.  Kelim 
TU  2.  XVII,  16.  Jadajim  IV,  3.  6.  Nur  als  *TOT  p  Sanhedrin  V,  2.  —  Die 
Stellen  der  Tosephta  s.  im  Index  zu  Zuckermandels  Ausgabe.  Die  Stellen  in 
Mechiltha,  Siphra  und  Siphre  bei  D.  Hoffmann,  Zur  Einleitung  in  die  hala- 
chischen  Midrascbim  (1887)  S.  86. 

56)  Sukka  III,  12.    Rosch  haschana  IV,  1.  3.  4.    Menachoth  X,  5. 

57)  Schekalim  I,  4.    Rosch  haschana  IV,  1. 

58)  Sanhedrin  32b.  Tosephta  Maaseroth  82,  13  (vgl.  jer.  Demai  III,  1 
fol.  23^.  jer.  Maaseroth  II,  3  foL  49d).  Derenbourg  307.  —  Manche,  wie  z.  B. 
Derenbourg,  nehmen  an,  daß  Jochanan  ben  Sakkai  sich  nach  Berur  Chail 
zurückgezogen  habe,  um  das  Regiment  in  Jabne  dem  Gamaliel  II.  zu  über- 
lassen (Histoirep.  306—310,  Monatsschr.  fiir  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth. 
Neue  Folge,  Jahrg.  1, 1892/93,  S.  304).  Andere  wollen,  mehr  phantasiereich  als 
überzeugend,  Berur  Chail  und  Jabne  identifizieren.  So  Grätz,  Monatsschrift 
für  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1884,  S.  529—533  (Berur  Chail  sei 
das  Jamnia  intus  des  Plinius)  und  Samuel  Krauß,  Magazin  für  die  Wissensch. 
des  Judenth.  XX,  1893,  S.  117—122  (nina  «=■  <pqovqiov  [!],  V»n  —  Heer,  also 
Berur  Chail  —  „Militär-Rayon",  womit  Jabne  gemeint  sei). 

59)  Schabbath  XVI,  7.  XXII,  3.  —  Arab  ist  ein  Stadtchen  in  Galiläa 
nicht  weit  von  Sepphoris,  s.  Derenbourg,  Histoire  p.  318  not.  3.  Euseb.  Onomast, 
ed.  Klostermann  p.  16:  fori  6h  xal  xwfit]  xaXovfihrj  *Aoaßa  iv  SqIoiq  dioxai- 
oaoelaq  xal  &nö  zqiojv  arjfjteiujv  2xv&on6XeQ><;  aXXtj  ngdg  dvapaq.  Garmoly^ 
Itvniravres  de  la  Terre  Sainte  (1847)  p.  383,  453. 

60)  Sota  IX,  9.  —  Im  Talmud  werden  im  ganzen  neun  von  ihm  einge- 
führte Satzungen  (M3pn)  aufgezählt,  Rosch  haschana  31b,  Sota  40»,  Deren' 
bourg  p.  304  sq. 

61)  Jadajim  IV,  6. 

62)  Edujoth  Vni,  7.    Jadajim  IV,  3  fin.    Vgl.  oben  S.  394. 
Schür  er,  Geschichte  IT.   4.  Aufl.  28 


434  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit  [36a  369] 

seine  künftige  Erhebung  zum  Kaiser  geweissagt  habe63.  Als  seine 
fünf  Schüler  werden  in  der  Mischna  genannt:  R  Elieser  ben 
Hyrkanos,  E.  Josua  ben  Chananja,  R  Jose  der  Priester,  R.  Simon 
ben  Nathanael,  R.  Eleasar  ben  Arach64.  Die  bekanntesten  und 
bedeutendsten  unter  ihnen  sind  die  beiden  erstgenannten:  R  Elieser 
und  R.  Josua. 

Etwa  gleichzeitig  mit  Rabban  Jochanan  ben  Sakkai  lebte 
R.  Zadok,  oder  wie  sein  Name  richtiger  auszusprechen  wäre, 
R.  Zadduk65.iEr  soll  schon  vor  der  Zerstörung  des  Tempels  ge- 
lebt, aber  auch  noch  mit  Gamaliel  IL,  Josua  und  Elieser  verkehrt 
haben66.  Neben  diesen  wird  er  in  der  Tat  in  der  Mischna  öfters 
genannt67.  An  einigen  Stellen,  nach  welchen  seine  Lebenszeit  noch 
erheblich  später  anzusetzen  wäre,  ist  wahrscheinlich  ein  jüngerer 
R.  Zadok  gemeint 68. 

Ebenfalls  in  die  ersten  Dezennien  nach  der  Zerstörung  des 
Tempels  gehört  ein  vornehmer  priesterlicher  Schriftgelehrter  R. 
Chananja  „Vorsteher  der  Priester1*  (D^nsn  po)69.  Derselbe  bei- 
richtet, was  sein  Vater  im  Tempel  getan,  und  was  er  selbst  noch 
im  Tempel  gesehen  habe 70,  und  erscheint  in  der  Mischna  überhaupt 


63)  Midrasch  Rabba  zu  Thrm.  1,  5.  Derenbourg  p.  282  sq.  Deutsch  bei 
Wünsche,  Der  Midrasch  Echa  rabbati  (1881)  S.  66 ff, 

64)  Aboth  II,  8—9.  ~  Die  Abkürzung  R.  bedeutet  Rabbi,  während  der 
höhere  Titel  Rabban  vollständig  geschrieben  zu  werden  pflegt 

65)  S.  über  ihn:  Derenbourg  p.  342 — 344.  Bacher,  Monatsschr.  für 
Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1882,  8.  208—211  =  Die  Agada  der  Tan- 
naiten  I,  47—50.  2,  Aufl.  I,  43—46.  Ochserin  The  Jewish  Encyclopedia  XU, 
629  sq.  —  In  der  Mischna:  Terumoth  X,  9.  Pesachim  VII,  2.  Sukka  II,  5.  Ne- 
darim  IX,  1.  Edujoth  m,  8.  VII,  1-4.  Aboth  IV,  5.  Beehoroth  I,  6.  KeUm 
XII,  4—5.  Mikwaoth  V,  5.  Wegen  Sehabbath  XX,  2.  XXIV,  5  vgl,  Anm.  68.  — 
Die  Stellen  der  Tosephta  s.  im  Index  zu  Zuckermandels  Ausgabe.  —  Die  Aus- 
sprache Zadduk  nach  dem  z.  T.  punktierten  coa\  de  Rossi  138.  Vgl.  Saööoix 
bei  den  LXX  in  Ezechiel,  Esra  und  Nehemia. 

66)  Die  Belege  für  beides  bei  Derenbourg  und  Bacher  a.  a.  O. 

67)  Neben  Gamaliel  II.:  Pesachim  VII,  2;  neben  Josua:  Edujoth  VII,  1 
=  Beehoroth  I,  6;  neben  Elieser:  Nedarim  IX,  L 

68)  So  Sehabbath  XX,  2.  XXIV,  5.  Vgl.  Bacher,  Monatsschr.  1882,  S.  215 
«=  Die  Agada  der  Tannaiten  I,  54  f.  2.  Aufl.  I,  50.  —  Erkepnt  man  die  Exi- 
stenz dieses  jüngeren  R.  Zadok  an,  so  entsteht  allerdings  die  Frage,  ob  nicht 
auch  noch  andere  Stellen  auf  ihn  zu  beziehen  sind. 

69)  S.  über  ihn:  Derenbourg  p.  368—370.  Hamburger  Real-Enz.  II, 
131.  Bacher,  Monatsschr.  1882,  S.  216—219  —  Die  Agada  der  Tannaiten  I, 
55—58.  2.  Aufl.  I,  51 — 53.  —  Der  Name  lautet  nach  den  besten  Zeugen  nicht 
Chanina,  sondern  Chananja  (so  cod.  de  Rossi  138  und  die  von  Lowe  heraus- 
gegebene Cambridger  Handschrift).  —  Über  das  Amt  eines  priesterlichen  "jÄD 
s.  oben  &  320  t 

70)  Sebachim  IX,  3.  XII,  4. 


[369]  IV.  Die  berühmtesten  Schriftgelehrten.  435 

fast  nur  als  Berichterstatter  über  die  Details  des  priesterlichen 
Kultus 71.  Charakteristisch  für  ihn  als  vornehmen  Priester  ist  seine 
Aufforderung,  auch  für  das  Wohl  der  (heidnischen)  Obrigkeit  zu 
beten  n. 

Zu  der  ersten  Generation  nach  der  Zerstörung  des  Tempels 
gehört  ferner  R.  Elieser  ben  Jakob73.  Es  ist  nämlich  von  dem 
in  der  Mischna  ziemlich  häufig  zitierten  erheblich  späteren  R. 
Elieser  ben  Jakob  höchst  wahrscheinlich  ein  älterer  gleichnamiger 
Gelehrter  zu  unterscheiden,  der  nicht  lange  nach  der  Zerstörung 
des  Tempels  lebte 74.  Dessen  Oheim  hat  noch  als  Levit  im  Tempel 
gedient75;  er  selbst  wird  bei  der  Beschreibung  des  Tempels  im 
Traktat  Middoth  öfters  als  Gewährsmann  angeführt76;  ja  die 
spätere  Tradition  schreibt  ihm  sogar  die  Abfassung  des  ganzen 
Traktates  zu77.  Im  einzelnen  wird  sich  nicht  mehr  entscheiden 
lassen,  welche  Stellen  auf  den  älteren  und  welche  auf  den  jüngeren 
R.  Elieser  ben  Jakob  zu  beziehen  sind.  Vielleicht  dürfen  dem 
ersteren  die  auf  die  Kultusverhältnisse  bezüglichen  Angaben  zu- 
geschrieben werden78. 

Nur  ein  paar  Dezennien  jünger  als  Jochanan  ben  Sakkai  ist 
Rabban  Gamaliel  IL,  Sohn  Simons  und  Enkel  Gamaliels  I.,  der 
angesehenste  Gelehrte  um  die  Wende  des  Jahrhunderts  (etwa  90 
bis  110  nach  Chr.)79.    Der  Gerichtshof  zu  Jabne,  an  dessen  Spitze 


71)  S.  überh.:  Pesachim  I,  6.  Schekalim  IV,  4.  VI,  1.  Edujoth  II,  1—3. 
Äboth  III,  2.  Sebachim  IX,  3.  XII,  4.  Menachoth  X,  1.  Negaim  I,  4.  Para  III,  1. 

72)  Äboth  III,  2. 

73)  Derenbourg  p.  3Usq.  Bacher,  Monatsschrift  1882,  8.  228—233  — 
Die  Agada  der  Tannaiten  I,  67—72.  2.  Aufl.  I,  62—67. 

74)  So  auch  Derenbourg  375  n.  2  und  Bacher  228  —  67  —  62.  —  Der 
jüngere  Elieser  ben  Jakob  war  ein  Zeitgenosse  des  R.  Simon,  um  160  n.  Chr. 
(Para  IX,  2),  und  berichtet  im  Namen  des  Chananja  ben  Chakinai,  der  wie- 
derum im  Namen  des  E.  Akiba  berichtet  (Kilajim  IV,  8.  Tosephta  Negaim 
617,  38.  Tohoroth  672,  15  ed.  Zuckermandel).  —  Auch,  der  jüngere  heißt  nach 
entscheidendem  Zeugnis  der  Handschriften  Elieser,  nicht  Eleasar,  wie 
Bacher  im  zweiten  Bande  seines  Werkes  schreibt  (Agada  der  Tannaiten 
IT,  283). 

75)  Middoth  I,  2. 

76)  Middoth  I,  2.  9.  H,  5.  6.  V,  4.    Vgl.  Schekalim  VI,  3. 

77)  Joma  16».    Derenbourg  374  n.  1. 

78)  So  die  Angaben  über  die  Priesterehen  {Bikkurim  I,  5.  Kiddusehin 
IV,  7),  über  das  Opfer-Ritual  (Menachoth  V,  6.  IX,  3.  Hamid  V,  2),  über  die 
Erstgeburt  des  Viehes  (Bechoroth  III,  1),  über  die  heiligen  Sänger  (Arachin 
II,  6),  über  das  Proselyten-Opfer  (Kerithoth  II,  1). 

79)  S.  über  ihn  die  hebräisch  geschriebenen  Werke  von  Frankel,  Brüll 
und  Weiß,  ferner:  Jost,  Gesch.  des  Judenth.  II,  25ff.  Landau,  Monateschr 
für  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1851/52,  S.  283— 295.  323—335.  Grätz, 

28* 


436  §  25.   Die  Schriftgelehrsainkeit.  [369.  370] 

er  stand,  |  war  zu  seiner  Zeit  allgemein  als  die  oberste  Autorität 
in  Israel  anerkannt80.  Die  bedeutendsten  Gelehrten  sammelten 
sich  hier  um  ihn;  und  in  diesem  angesehenen  Kreise  galt  wieder 
Gamaliei  als  die  entscheidende  Autorität81.  Unter  den  Gelehrten, 
die  in  näherem  Verkehre  mit  ihm  standen,  waren  der  etwa  gleich- 
altrige R.  Josua  und  der  jüngere  R.  Akiba  die  hervorragend- 
sten82. Mit  dem  ebenfalls  gleichzeitigen  und  berühmten  R.  Eli  es  er 
ben  Hyrkanos  scheint  dagegen  Gamaliei  nicht  in  näherer  Beziehung 
gestanden  zu  haben.  Wenigstens  findet  sich  in  der  Mischna  keine 
Spur  davon,  und  die  spätere  Tradition  erzählt  im  Gegenteil,  daß 
Elieser  von  Gamaliei  mit  dem  Bann  belegt  worden  sei  (s.  weiter 
unten).  Mit  R.  Josua,  R.  Akiba  und  dem  ebenfalls  angesehenen 
R.  Eleasar  ben  Asarja  zusammen  unternahm  Gamaliei  einst 
eine  Seereise  nach  Rom,  die  in  der  rabbinischen  Literatur  eine 
gewisse  Berühmtheit  erlangt  hat83.  —  Wegen  seines  allzu  auto- 
kratischen Wesens  soll  er  einst  von  den  72  Ältesten  seiner  Stelle 
als  Vorsitzender  enthoben  und  statt  seiner  R.  Eleasar  ben  Asarja 


Geschichte   der  Juden  IV,  30  ff.  423  f.    Derenbourg  p.  306—313.  319—346. 
Hamburger,  Real-Enz.  II,  237—250.   Bacher,  Monatsschr.  1882,  8.  245-267 

—  Die  Agada  der  Tannaiten  I,  78—100.  2.  Aufl.  I,  73—95.  Schein  in,  Die 
Hochschule  zu  Jamnia  und  ihre  bedeutendsten  Lehrer,  mit  besonderer  Rück- 
sicht auf  Rabbi  Gamaliei  II.  Halle,  Diss.  1878.  Ginsburg  in  Smith  and 
Wace,  Dictionary  of  Christian  Biography  t.  II,  1880,  p.  604—608.  Reich,  Zur 
Genesis  des  Talmud,  der  Talmud  und  die  Römer  (2.  Aufl.  1893)  S.  115—135. 
Zahn,  Gesch.  des  Neutest  Kanons  II,  675  ff.  Bacher  in  The  Jewish  En- 
cyclopedia  V,  560 — 562.  —  Die  Chronologie  ergibt  sich  schon  daraus,  daß  sein 
jüngerer  Zeitgenosse  Akiba  eine  Rolle  im  Barkocbbakrieg  spielte. 

80)  Bosch  haschana  II,  8—9.    Kelim  V,  4.    Vgl.  Derenbourg  p.  319—322. 

—  In  Kephar-Othnai,  wo  wir  Gamaliei  einmal  treffen  (Oittin  1,5),  scheint 
er  sich  nur  vorübergehend  aufgehalten  zu  haben. 

81)  Als  daher  einst  während  einer  längeren  Abwesenheit  Gamaliels  ent- 
schieden werden  mußte,  ob  das  Jahr  ein  Schaltjahr  sein  solle,  geschah  dies 
nur  unter  dem  Vorbehalt  der  nachträglichen  Zustimmung  Gamaliels  (Edujoth 
VII,  7).  —  Vgl.  für  die  Autoritätsstellung  Gamaliels  auch  die  Formel  „Rab* 
bau  Gamaliei  und  die  Ältesten"  (Maaser  scheni  V,  9.  Schabbath  XVI,  8.  Erubin 
X,  10). 

82)  Über  die  Beziehungen  des  Gamaliei,  Josua  und  Akiba  zu  einan- 
der vgl.  bes.  Maaser  scheni  V,  9.  Erubin  IV,  1.  Bosch  haschana  H,  8 — 9. 
Maaser  scheni  II,  7.  Sukka  HI,  9.  Kerithoth  IH,  7—9.  Negaim  VII,  4.  — 
Gamaliei  und  Josua:  Jadajim  IV,  4.  —  Gamaliei  und  Akiba:  Bosch  ha- 
schana I,  6.    Jebamoth  XVI,  7. 

83)  Erubin  IV,  1—2.  Maaser  scheni  V,  9.  Schabbath  XVI,  a  —  Grätz, 
Monatsschr.  t  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judentb.  1851/52,  S.  192—202.  De- 
renbourg  p.  334— 340.  Benan,  Les  ivangiles  (1877)  p.  307  sqq.  Bacher, 
Monatsschr.  1882,  S.  251  ff.  —  Die  Agada  der  Tannaiten  I,  84  ff.  2.  Aufl. 
I,  79ff. 


[370.  371]  IV.  Die  berühmtesten  Schriftgelehrten.  437 

eingesetzt  worden  sein.  Doch  sei  Gamaiiel,  da  er  sich  reumütig 
zeigte,  bald  wieder  in  sein  Amt  eingesetzt  |  worden,  indem  Eleasar 
freiwillig  auf  dasselbe  verzichtete84.  Die  Erhebung  des  Eleasar 
zum  Schulhaupt  durch  72  Älteste  ist  allerdings  schon  durch  die 
Mischna  bezeugt85.  —  In  seinen  gesetzlichen  Entscheidungen  folgte 
Gamaiiel  der  Schule  Hillels;  es  wird  als  Ausnahme  erwähnt,  daß 
er  in  drei  Dingen  erschwerend  nach  der  Schule  Schammais  ent- 
schied86. Im  allgemeinen  charakterisiert  er  sich  ebenso  durch  ge^ 
setzliche  Strenge87,  wie  andererseits  durch  eine  gewisse  Welt- 
förmigkeit,  ja  Unbefangenheit  des  Urteils88. 

Die  zwei  berühmtesten  Zeitgenossen  Gamaliels  waren  R.  Josua 
ben  Chananja  und  R.  Elieser  ben  Hyrkanos,  beide  Schüler  des 
Jochanan  ben  Sakkai89.  Beide  finden  wir  auch  häufig  über  ge- 
setzliche Fragen  miteinander  disputierend,  an  welchem  Verkehre 
auch  der  jüngere  Akiba  teilnahm90.  Mit  Gamaiiel  scheint  nur 
Josua,  nicht  aber  Elieser  in  Verkehr  gestanden  zu  haben.  Nach 
der  späteren  Überlieferung  wäre  dies  daraus  zu  erklären,  daß 
Elieser  von  Gamaiiel  exkommuniziert  worden  ist91.  —  R.  Josua 
stammte  aus  levitischem  Geschlecht92.   Er  war  sanften  und  nach- 


84)  jer.  Beraekoth  IV,  1  fol.  7cd.  bab.  Berachoth  27b  (deutsch  bei  Pinner, 
Talmud  Babli,  Trac tat  Berachoth,  1842;  lateinisch  in  Surenhusius'  Mischna 
II,  337.  HI,  247).  Jost,  Gesch.  des  Juden th.  II,  28 ff.  Grätz,  Gesch.  der  Ju- 
den IV,  35  ff.    Derenbourg  p.  327—329. 

85)  Sebachim  I,  3.    Jadajim  III,  5.  IV,  2. 

86)  Bexa  II,  6.    Edujoth  III,  10. 

87)  Berachoth  II,  5—6. 

88)  Vgl.  außer  der  Heise  nach  Rom  auch  seinen  Verkehr  mit  dem  Statt- 
halter (Hegemon)  von  Syrien  (Edujoth  VII,  7),  und  seinen  Besuch  des  Bades 
der  Aphrodite  zu  Akko,  obwohl  sich  in  demselben  eine  Statue  der  heidnischen 
Gottin  befand  (Aboda  sara  III,  4). 

89)  Äboth  n,  8.    Vgl.  Edujoth  VIII,  7.    Jadajim  IV,  3  fln. 

90)  Über  die  Beziehungen  des  Josua,  Elieser  und  Akiba  zueinander 
vgl.  bes.  Pesaekim  VI,  2.  Jebamoth  VIII,  4.  Nedarim  X,  6.  Nasir  VII,  4. 
Edujoth  II,  7.  —  Josua  und  Elieser:  Pesachim  VI,  5.  Taanith  I,  1.  Seba- 
chim VII,  4.  VIII,  10.  Nasir  VII,  4.  —  Josua  und  Akiba:  Pesachim  IX,  6. 
Sanhedrin  VII,  11.  —  Elieser  und  Akiba:  Pea  VII,  7.  Keritkoth  III,  10. 
Schcbiith  VIII,  9-10. 

91)  jer.  Moed  Icatan  III,  1  fol.  81d.  bab.  Baba  mexia  59b.  Jost,  Gesch. 
des  Judenth.  II,  35.  Grätz,  Gesch.  der  Juden  IV,  47.  Derenbourg  324  sq. 
Bas s freund,  Monatsschr.  f.  Gesch.  u.  Wissensch.  des  Judentb.  1898,  S.  49 — 57. 

92)  Dies  erhellt  aus  Maaser  scheni  V,  9.  —  Vgl.  über  Josua  überh.:  die 
hebräisch  geschriebenen  Werke  von  Frankel,  Brüll  und  Weiß,  ferner: 
Grätz,  Gesch.  der  Juden  IV,  50  ff.  426  f.  Derenbourg  p.  319  sqq.  416  sqq. 
Hamburger,  Real-Enz.  II,  510—520.  Bacher,  Monatsschr.  1882,  340—359. 
433—464.    481-496  —   Die   Agada    der   Tannaiten   I,  129—194.    2.  Aufl.  I, 


438  §  25.   Die  Schriftgelebrsamkeit.  [371.  372] 

giebigen  Charakters  und  ordnete  sich  darum  auch  dem  unbeug- 
samen |  Gamaliel  unter98.  „Seit  R.  Josua  tot  ist,  gibt  es  keine 
Herzensgüte  (nniü)  mehr  in  der  Welt" 94.  Sein  Wahlspruch  war: 
„Neid,  böse  Begierde  und  Menschenhaß  bringen  den  Menschen  aus 
der  Welttt  95.  —  Als  Ort  seines  Wirkens  wird  Pekiin  oder  Bekiin 
(■pypD,  T^pa)  genannt9*;  bei  seinen  nahen  Beziehungen  zu  Ga- 
maliel ist  aber  jedenfalls  anzunehmen,  daß  er  teilweise  auch  in 
Jabne  gelebt  hat  Die  Legende  erzählt  von  ihm  u.  a^  daß  er  mit 
Kaiser  Hadrian  verschiedene  Gespräche  über  religiöse  Gegenstände 
geführt  habe97.  —  Im  Gegensatz  zu  dem  nachgiebigen  Josua  war 
R.  Eli  es  er  ein  starrer,  unbeugsamer  Charakter,  dabei  aufs  strengste 
an  der  Tradition  festhaltend,  die  er  vermöge  seines  treuen  Ge- 
dächtnisses und  seiner  umfassenden  Gelehrsamkeit  wie  kein  anderer 
beherrschte98.  Sein  Lehrer  Jochanan  ben  Sakkai  rühmte  an  ihm, 
daß  er  war  wie  eine  mit  Kalk  belegte  Zisterne,  die  keinen  Tropfen 
verliert ".  Was  er  aber  als  Tradition  kannte,  davon  war  er  durch 
keine  Gründe  und  Vorstellungen  abzubringen.  Daher  das  gespannte 
Verhältnis  zu  Gamaliel,  obwohl  er  dessen  Schwager  gewesen  sein 
soll  10°.  Sein  Wohnsitz  war  Lydda 101.  Die  seltsame  Meinung  eines 
neueren  Gelehrten,  daß  er  sich  zum  Christentum  hingeneigt  habe, 
ja  heimlich  Christ  gewesen  sei 102,  stützt  sich  auf  eine  Legende, 

123—187.  Braunschweiger,  Die  Lehrer  der  Mischnah  2.  Aufl.  S.  118—129. 
Bacher  in  The  Jewish  Encydopedia  VTI,  290—292. 

93)  Bosch  haschana  II,  8—9.    Derenbourg  325—327. 

94)  Sota  IX,  15.  Die  Parallelstellen  in  Tosephta  und  Talmud  drücken 
in  verschiedenen  Variationen  den  Gedanken  aus,  daß  es  seit  B.  Josuas  Tod 
keinen  „guten  Bat"  mehr  gebe  (s.  Bacher,  Monatsschr.  1882,  S.  446  ■=  Die  Agada 
der  Tannaiten  I,  161.  2.  Aufl.  I,  156). 

95)  Aboth  II,  li:  nvnnn  r«a«i  »nn  -isr  snn  •p*. 

96)  ytrpt  Sanhedrin  32b.  Tosephta  Sota  307,  8.  -pypa  jer.  Ghagiga  I,  1. 
Derenbourg  307.  —  Es  lag  zwischen  Lydda  und  Jabne,  s.  bes.  jer.  Ghagiga  I, 
1  (mitgeteilt  bei  Befand,  Palaestitia  p.  621),  auch  bab.  Ghagiga  3a,  Neubauer, 
La  giographie  du  Talmud  p.  81,  Hamburger,  Beal-Enz.  Abt.  II,  S.  98. 

97)  Bacher,  Monatsschr.  1882,  461  ff.  481  ff.  =  Die  Agada  der  Tannaiten 
I,  176  ff.  2.  Aufl.  I,  170  ff. 

98)  S.  über  ihn:  die  hebräisch  geschriebenen  Werke  von  Frankel,  Brüll 
und  Weiß,  ferner:  Grätz,  Gesch.  der  Juden  IV,  43 ff.  425 f.  Derenbourg 
Zlüsqq.  366  sqq.  Hamburger  H,  162—168.  Bacher,  Monatsschr.  1882,  289 
—315.  337—359.  433—445  —  Die  Agada  der  Tannaiten  I,  100—160.  2.  Aufl, 
I,  96—155.  Ginsburg  in  Smith  and  Wace,  Dictionary  of  Christian  Biography 
n,  90 — 93.  Braunschweiger,  Die  Lehrer  der  Mischnah  2.  Aufl.  S.  15—24. 
Mendelsohn  in  The  Jewish  Encydopedia  V,  113 — 115. 

99)  Aboth  II,  8. 

100)  Schabbath  116».    Derenbourg  323. 

101)  Jadajim  IV,  3.    Sanhedrin  32b.    Derenbourg  307. 

102)  Toetterman,  B.  Eliexer  ben  Hyrcanos  sire  de  vi  qua  doctrina  Ghri- 


1372.  373]  IV.  Die  berühmtesten  Schriftgelehrten.  43g 

die  in  Wahrheit  das  Gegenteil  beweist:  Elieser  wird  einst  vor  das 
heidnische  Gericht  geführt  und  sieht  dies  als  gerechte  Strafe  Gottes  | 
dafttr  an,  daß  er  an  der  spitzfindigen  Lösung  einer  gesetzlichen 
Frage,  die  ein  Judenchrist  als  von  Jesu  stammend  ihm  mitgeteilt 
hatte,  Gefallen  gefunden  habe108. 

Neben  den  zuletzt  Genannten  nimmt  eine  ehrenvolle  Stellung 
auch  E.  Eleasar  ben  Asarja  ein104,  ein  vornehmer  und  reicher 
Priester,  dessen  Stammbaum  auf  Esra  zurückgeführt  wird105.  Sein 
Eeichtum  war  so  groß,  daß  man  sagte,  seit  er  tot  ist,  gebe  es 
keinen  Eeichtum  unter  den  Gelehrten  mehr106.  Von  seinen  Be- 
ziehungen zu  Gamaliel,  Josua  und  Akiba,  seiner  gemeinschaftlichen 
Reise  mit  diesen  nach  Born,  seiner  Erhebung  zum  Vorsitzenden 
durch  die  72  Ältesten  und  seinem  freiwilligen  Rücktritt  von  dieser 


siiana  primts  aeculis  illustrissimos  quosdam  Judaeorum  attraxü.    Lipsiae  1877. 
—  Vgl.  Theol.  Litztg.  1877,  687—689. 

103)  Die  Legende  findet  sich  in  mehrfacher  Redaktion:  1)  Aboda  sara  16b, 
deutsch  bei  Ewald,  Abodah  sarah  oder  der  Götzendienst,  1868,  S.  120—122, 
und  in  Qoldschmidtjs  Ausg.  des  babylonischen  Talmud  VII,  1903,  8.  850  f. 
2)  Midrasch  rabba  zu  Koheleth  1,  8,  deutsch  bei  Wünsche,  Der  Midrasch 
Koheleth,  1880,  S.  14  f.  3)  Ahnlich  auch  schon  Tosephta  Ghullin  II,  24  {ed.  Zucker- 
mandel  p.  503).  Die  beiden  ersteren  Texte  sind  mitgeteilt  von  Dal  man  im 
Anhang  zu  Laible,  Jesus  Christus  im  Thalmud  S.  13*— 14*;  dieselben  deutsch 
von  Arnold  Meyer  bei  Hennecke,  Handbuch  zu  den  Neutestamen tlichen 
Apokryphen  1904r  S.  68  f.  Alle  drei  mit  englischer  Übersetzung  bei  Her- 
ford, Christianity  in  Talmud  and  Midrash,  1903,  p.  137—145,  412  sq.  ,1m  Text 
von  Aboda  sara  heißt  der  Judenchrist  ein  Jünger  des  ■nxniri  iiö\  im  Midrasch 
rabba:  des  *TH3fi  law»,  in  derTosephta:  des  wa»  «p  yi»\  M.  Friedländer 
(Der  vorChristi,  jud.  Gnosticismus  1898,  S.  72),  hat  unter  Benutzung  eines  durch 
die  Zensur  entstellten  Textes  in  Abrede  gestellt,  daß  es  sich  um  einen  Juden- 
christen handle,  dann  aber  (Der  Antichrist  1901,  S.  53  f.)  die  Bezeichnung  des 
Betreffenden  als  „Jünger  Jesu"  für  Einschiebsel  erklärt,  und  endlich  (Die  reli- 
giösen Bewegungen  innerhalb  des  Judentums  1905,  S.  216)  behauptet,  daß  sie  nur 
in  der  Tosephta  vorkomme.  —  8.  überh.:  Jost  II,  41  f.  Grä tz  IV,  47  f.  Deren- 
bourg  357—360.  Bacher,  Monatsschr.  1882,  S.  301  f.  —  Die  Agada  der  Tan- 
naiten  I,  112 f.  2.  Aufl.  1,107 f.  Laible,  Jesus  Christus  im  Thalmud,  1891, 
S.  58 f.  Schlatter,  Die  Kirche  Jerusalems  vom  J.  70—130  (1898)  S.  11—14. 

104)  S.  über  ihn:  Derenbourg  327  sqq.  Hamburger  II,  156—158 
Bacher,  Monatsschr.  1883,  S.  6—27  —  Die  Agada  der  Tannaiten  I,  219—240.' 
2.  Aufl.  1,212 — 232.  Derenbourg,  Monatsschr.  f.  Gesch.  und  Wissensch.  des 
Judenth.  Neue  Folge  Jahrg.  I,  1893,  S.  395—398.  —  Der  Name  lautet  nach 
den  besten  Zeugen  nicht  Elieser,  sondern  Eleasar  (im  cod.  de  Rossi  138 
und  in  der  Cambridger  Handschrift  gewöhnlich  itsb.  Letzteres  ist  die  in  der 
paläst.  Umgangssprache  jener  Zeit  herrschende  Form  für  "itsba  griech.  Ad'Ca- 
eoq  Ev.  Luc.  16,  20  ff.    Jon.  11,  1  ff.    Joseph.  Ball.  Jud.  V,  13,  7). 

105)  Bacher,  Monatsschr.  1883,  S.  7  =-  Die  Agada  der  Tannaiten  I,  220. 
2.  Aufl.  I,  212.  —  Daß  er  Priester  war,  erhellt  aus  Maaser  scheni  V,  9. 

106)  Sota  IX,  15. 


440  §  25.   Die  ßchriftgelehrsamkeit.  [373.  374J 

Stellung  ist  bereits  oben  die  Bede  gewesen.  Schon  aus  diesen  per* 
sönlichen  Beziehungen  ergibt  sich,  daß  er  in  Jabne  gewirkt  hat, 
was  auch  sonst  noch  bezeugt  ist107.  In  persönlicher  Beziehung 
stand  er  auch  mit  R.  Ismael  und  R.  Tarphon,  den  Zeitgenossen 
Akibas 108. 

Ein  Zeitgenosse  Garn  alieis  und  Josuas  war  ferner  R.  Dosa 
ben  Archinos  (oder  Harkinas) 109.  Von  ihm  wird  namentlich  be- 
rich|tet,  daß  er  den  Josua  zur  Unterwerfung  unter  Gamaliel  be- 
wogen habe110. 

Zu  den  jüngeren  Männern  dieser  Generation  gehört  weiter 
B.  Eleasar  ben  Zadok,  der  Sohn  des  bereits  erwähnten  R. 
Zadok111.  Wie  der  Vater,  so  stand  auch  der  Sohn  dem  Gamaliel 
nahe  und  berichtet  daher  über  dessen  Verfügungen  und  über  ge- 
setzliche Sitten  seines  Hauses112. 

Eine  selbständige  Stellung  unter  den  Gelehrten  dieser  Zeit 
nimmt  R.  Ismael  ein113.    Zwar  finden  wir  ihn  gelegentlich  in 


107)  Kethuboth  IV,  6.  —  Einige  Sentenzen  Eleasars  s.  Aboth  HI,  17. 

108)  Eine  Disputation  zwischen  ihm,  Tarphon,  Ismael  und  Josua  s. 
Jadajim  IV,  3. —  Eleasar  und  Ismael  auch  Tosephta  Berachoth  1  lin.  15  ed. 
Zuckermandel.  —  Eleasar  und  Akiba:  Tosephta  Berachoth  1,  12.  Schabbath 
113,  23. 

109)  S.  Derenbourg  368  sq.  370  sq.  Hamburger  II,  155.  —  Der  Name 
des  Vaters  lautet  im  cod.  de  Rossi  138  ö3*wk,  sonst  gewöhnlich  OMnn,  ist 
aber  jedenfalls  nicht  gleich  Hyrkanos,  sondern  gleich  Archinos. 

110)  Bosch  haschana  II,  8—9.  —  Sonst  vgl.:  Erubin  HI,  9.  Kethuboth 
XIII,  1—2.  Edujoth  III,  1—6.  Aboth  III,  10.  ChuUin  XI,  2.  Ohaloth  III,  1. 
Negaim  I,  4. 

111)  S.  über  ihn:  Derenbourg  p.  342—344.  Bacher,  Monatsscbr.  1882, 
S.  211—215  *=  Die  Agada  der  Tannaiten  I,  50—54.  2.  Aufl.  I,  46—50.  —  Wie 
bei  R.  Zadok,  so  sind  wahrscheinlich  auch  bei  Eleasar  ben  Zadok  zwei  Ge- 
lehrte des  gleichen  Namens  zu  unterscheiden ,  ein  älterer  und  ein  jüngerer 
(so  Frankel,  Barke  hamischna  p.  98.  178,  Bacher,  Monatsschr.  1882,  215  « 
Die  Agada  der  Tannaiten  I,  54.  2.  Aufl.  I,  49  f.;  anders  Derenbourg  p.  262  n.  2, 
344  n.  4).  Der  jüngere  berichtet  im  Namen  des  R.  Meir  (Kilqjim  VII,  2), 
lebte  also  erst  nach  der  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts.  Der  Name  beider 
lautet  nach  den  besten  Zeugen  nicht  E lieser,  sondern  Eleasar  {cod.  de 
Rossi  138  und  die  Cambridger  Handschrift  haben  vorwiegend  wi). 

112)  Tosephta  ChaUa  99,  9.  Schabbath  111, 15.  Jörn  tob  202,  28.  204, 15—16. 
Kidduschin  336,  13  (ed.  Zuckermandel). 

113)  S.  über  ihn:  Grätz,  Gesch.  der  Juden  IV,  60  ff.  427  ff.  Derenbourg 
p.  386—395.  Hamburger  II,  526—529.  Bacher,  Monatsschr.  1883,  63 ff. 
116  ff  209  ff.  «  Die  Agada  der  Tannaiten  I,  240—271.  2.  Aufl.  I,  232—263. 
Petuchowski,  Der  Tanna  R.  Ismael,  Halle,  Dissert.  1892  (im  Buchhandel 
1894).  —  Über  die  Schule  Ismaels:  D.  Hoffmann,  Magazin  für  die  Wissensch. 
des  Judenth.  XI.  Jahrg.  1884,  S.  17—30.  Ders.,  Zur  Einleitung  in  die  ha- 
lachischen   Midraschim,   Berlin  1887   (Jahresbericht   des  Rabbiner-Seminars). 


[374.  375]  IV.  Die  berühmtesten  Schriftgelehrten.  441 

Jabne114;  auch  verkehrte  er  mit  seinen  berühmten  Zeitgenossen 
R.  Josua,  Eleasar  ben  Asarja,  Tarphon  und  Akiba 116.  Aber  seinen 
gewöhnlichen  Wohnsitz  hatte  er  im  Süden  Palästinas,  an  der 
Grenze  Edoms  in  einem  Darfe  Kephar-Asis  (T^T#  ito),  wo  Josua 
ihn  einst  besuchte116.  Dem  Alter  nach  scheint  er  dem  Tarphon  | 
und  Akiba  näher  gestanden  zu  haben  als  dem  Josua:  den  Josua 
befragt  er  und  geht  (wie  ein  Schüler)  „hinter  ihm  her";  mit  Tarphon 
und  Akiba  verkehrt  er  wie  mit  seinesgleichen 117.  Von  besonderem 
Interesse  wäre  es,  wenn  sein  Vater  wirklich,  wie  die  Überlieferung 
will,  noch  fungierender  Hoherpriester  gewesen  wäre.  Die  Sache 
ist  aber  mehr  als  fraglich,  und  nur  soviel  wahrscheinlich,  daß  er 
aus  priesterlichem  Geschlechte  stammte118.  —  In  der  Geschichte 
der  Halacha  repräsentiert  Ismael  eine  eigene  Richtung:  im  Unter- 
schied von  der  gekünstelten  und  willkürlichen  Exegese  Akibas 
hält  er  sich  mehr  an  den  einfachen  und  wörtlichen  Sinn  der  Schrift, 
was  aber  freilich  nur  in  sehr  relativem  Sinne  zu  verstehen  ist119. 
Ihm  wird  auch  die  Aufstellung  der  dreizehn  Middoth  oder  exe- 
getischen Regeln  für  die  halachische  Exegese  zugeschrieben120. 
Von  ihm  und  seiner  Schule  stammt  ein  großer  Teil  des  in  zweien 
der  ältesten  Midraschim  (Mechilta  zu  Exodus,  und  Siphre  zu 
Numeri  und  Deuteronomium)  enthaltenen  exegetischen  Materiales, 

Königsberg  er,  Die  Quellen  der  Halacha.  1.  Teil.  Der  Midrasch,  Ber- 
lin 1890. 

114)  Edujoth  II,  4. 

115)  Josua  und  Ismael:  Küajim  VI,  4.  Aboda  sara  II,  5.  Tosephta  Para 
638,  35.  —  Akiba  und  Ismael:  Edvjoth  II,  6.  Mikwaoth  VII,  1.  —  Über  eine 
Disputation  zwischen  Tarphon,  Eleasar  ben  Asarja,  Ismael  und  Josua  s. 
Jadajim  IV,  3.  —  Daß  aber  z.  B.  Josua  und  Ismael  nicht  an  demselben  Orte 
wohnten,  sieht  man  aus  Küajim  VI,  4.  Tosephtha  Beehoroth  536,  24.  Dasselbe 
erhellt  in  betreff  Akibas  aus  Erubin  I,  2.  Tosephta  Sabim  677,  6  (Schüler  Is- 
maels  berichten  yor  Akiba  über  des  ersteren  Lehre). 

116)  An  der  Grenze  Edoms:  Kethuboth  V,  8.  In  Kephar-Asis:  Kilajim 
VI,  4.  Über  Kephar-Asis  vgl.  The  Survey  of  Western  Palestine,  Memoirs  by 
Conder  and  Kitchener  HI,  315.  348 — 350.  —  Auf  eine  Wirksamkeit  in  Peräa 
deutet  Mikwaoth  VIT,  1,  wonach  Leute  aus  Medaba,  der  bekannten  moabi ti- 
schen Stadt,  über  Ismaels  Lehre  berichten. 

117)  Vgl.  die  in  Anm.  115  zitierten  Stellen;  in  betreff  Josuas  bes.  Aboda 
sara  II,  5.  Tosephta  Para  638,  35.  Bacher,  Monatsschr.  1883,  64  «==  Die  Agada 
der  Tannaiten  I,  241.  2.  Aufl.  I,  232  f. 

118)  S.  Derenbourg  p.  387  sq. 

119)  Vgl.  in  der  Kürze:  Hamburger  S.  528.  Bacher,  Monatsschr.  1883, 
73  f.  —  Die  Agada  der  Tannaiten  I,  250  f.  2.  Aufl.  I,  242  f.  Über  die  wört- 
liche Exegese  in  der  tanuaitischen  Periode  überhaupt  s.  D  ob  schütz,  Die 
einfache  Bibelexegese  der  Tannaim,  Breslau  1893. 

120)  S.  darüber  oben  S.  398 f.  und  Derenbourg  p.  389—391. 


442  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [375.  376] 

wenn  diese  auch  nicht,  wie  die  Überlieferung  will,  ausschließlich 
ans  seiner  Schule  hervorgegangen  sind121.  —  Nach  der  Legende 
soll  Ismael  wie  die  meisten  seiner  Zeitgenossen  im  Barkochba- 
Kriege  als  Märtyrer  gestorben  sein122. 

Unter  den  Gelehrten,  welche  noch  mit  G-amaliel,  Josua  und 
Elieser  verkehrt,  aber  zu  ihnen  mehr  oder  weniger  im  Schüler- 
verhältnis gestanden  hatten,  ist  bei  weitem  der  berühmteste  R. 
Akiba  ben  Joseph123.  Seine  Blütezeit  fällt  um  110—135  nach 
Chr.  Von  |  seinen  Beziehungen  zu  G-amaliel,  Josua  und  Elieser 
ist  bereits  die  Bede  gewesen  (Arno.  82,  83  und  90).  An  Einfluß 
und  an  Glanz  des  Namens  hat  er  sie  alle  übertroffen.  Keiner  hat 
so  zahlreiche  Schüler  um  sich  versammelt124,  keiner  ist  von  der 
Legende  so  verherrlicht  worden  wie  er.  Aus  dem  Kranz  der  Sage 
ist  aber  das  historisch  Gesicherte  kaum  noch  herauszupflücken. 
Nicht  einmal  der  Ort  seines  Wirkens  ist  sicher  bekannt:  nach  der 
Mischna  scheint  es  Lydda  gewesen  zu  sein125,  der  babylonische 
Talmud  nennt  Bene  Barak  (p-o  ^n) 126.   Die  von  ihm  mitgeteilten 


121)  Auf  ihr  richtiges  Maß  zurückgeführt  ist  die  Überlieferung  z.  B.  bei 
Bacher,  Monatsschr.  1383,  S.  66  f.  —  Agada  der  Tannaiten  I,  243  f.  2.  Aufl. 
I,  235.  Sonst  vgl.  über  beide  Midraschim  oben  §  3,  uud  die  in  Anm.  113  ge- 
nannte Literatur. 

122)  Grätz  IV,  175.   Derenbourg  436. 

123)  S.  über  ihn:  die  hebräisch  geschriebenen  Werke  von  Fraukel,  Brüll 
und  Weiß,  ferner:  Jost,  Gesch.  des  Judenth.  II,  59  ff.  Landau,  Monats- 
schr. für  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1854,  S.  45—51.  81—93.  130—148. 
Grätz,  Gesch.  der  Juden  IV,  53  ff.  427  ff.  Ewald,  Gesch.  des  Volkes  Israel 
VII,  376 ff.  Derenbourg  p.  329—  331.  395s??.  USsqq.  Hamburger  II,  32— 43. 
Bacher,  Monatsschr.  1383,  S.  254  ff.  297  ff.  347  ff.  419  ff.  433  ff.  =  Die  Agada 
der  Tannaiten  I,  271-348.  2.  Aufl.  I,  263—342.  «Dalman,  Art  „Akiba"  in 
Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  I,  281  f.  F.unk,  Akiba,  1.  Tl.  Jena,  Diss. 
1896.  L.  Ginzberg,  Art.  Akiba  in:  The  Jewish  Encyclopedia  I,  304—310. 
Braunschweiger,  Die  L?hrer  der  MUchnah  2.  A'ifl  S.  217—241.  Schlatter|, 
Geschichte  Israels  2.  Aufl.  1906,  S.  284— 239.  —  Gastfreund,  Biographie  des 
Tanaiten  Rabi  Akiba  (hebräisch  geschrieben),  Lemberg  1871. 

124)  Derenbourg  p.  395  s?. 

125)  Bosch  hasehana  I,  6. 

126)  Sanhedrin  32  b.  Derenbourj  307.  395.  Vgl.  auch  Sanhedrin  96  b, 
OUtin  57  b,  Mid rasch  Vajjikra  rabba  c.  XXI  (Wunsches  Übersetzung  S.  142). 
Hamburger,  Real-Enz.  Abt.  H  S.  194,  Abt.  II,  S.  100|,  ebendas.  S.  34  (im 
Artikel  Akiba).  Neubauer,  La  gSographie  du  Talmud  p.  82.  —  p*D  **3a 
kommt  auch  im  A.  T.  vor  (Josua  19,  45).  Es  lag  im  Stamme  Dan  und  ist 
ohne  Zweifel  identisch  mit  dem  heutigen  Ibn  Ibräk,  zwischen  Jope  und 
el-Jehudijeh,  etwa  5  röm.  mtl.  pass.  östlich  von  Jope  (The  Survey  of  Western 
Palestine,  Memoirs  II,  251,  dazu  die  große  Karte  Blatt  XIII.  Mühlau  in 
Riehms  Worterb.  Art.  Bne  Barak,  Dillmann,  Comm.  zu  Josua  19,  45).  —  Euseb. 


[376.  377]  IV.  Die  berühmtesten  Schriftgelehrten.  443 

Sentenzen  charakterisieren  nicht  nur  seinen  gesetzlich  strengen 
Standpunkt,  sondern  zeigen,  daß  er  auch  dogmatisch-philosophische 
Fragen  zum  Gegenstand  seines  Nachdenkens  gemacht  hat127.  Mit 
dem  religiösen  Eifer  verband  er,  wie  die  alten  Zeloten,  den  natio- 
nalen Patriotismus.  Daher  begrüßte  er  in  dem  politischen  Helden 
Barkochba  den  erschienenen  Messias128  und  soll  auch  als  eines 
der  vornehmsten  Opfer  für  die  nationale  Sache  den  Märtyrertod 
gestorben  sein129.  —  Von  seiner  exegetischen  Methode  läßt  sich 
eigentlich  nur  sagen,  daß  sie  eine  Steigerung  und  Ausartung  der 
bei  den  Rabbinen  überhaupt  herrschenden  Methode  ist:  es  ist  die 
Kunst,  „aus  jedem  Häkchen  des  Gesetzes  Haufen  von  Halachoth 
abzuleiten"  13°.  Um  dies  zu  erreichen,  wird  namentlich  nach  dem 
Grundsatz  verfahren,  |  daß  kein  Wort  im  Texte  überflüssig  sei: 
gerade  die  kleinsten,  scheinbar  überflüssigen  Bestandteile  des  Textes 
enthalten  die  wichtigsten  Wahrheiten131.  Wertvoller  als  diese 
exegetischen  Künste  und  von  wirklich  epochemachender  Bedeutung 
für  die  Geschichte  des  jüdischen  Rechtes  war  es,  daß  zur  Zeit 
Akibas  und  wahrscheinlich  unter  seiner  Leitung  die  bis  dahin 
nur  mündlich  fortgepflanzte  Halacha  zum  erstenmale  kodi- 
fiziert wurde.  Die  verschiedenen  Eechtsmaterien  wurden  nach 
sachlichen  Gesichtspunkten  geordnet  und  das  geltende  Hecht  unter 
Anführung   der  abweichenden  Ansichten  aller  hervorragenderen 


Onom.  (ed.  Klostermann  p.  54  s.  v.  Bagaxat)  verlegt  es  irrtümlich  in  die  Ge- 
gend von  Asdod.    So  auch  Qu&rin,  Judee  II,  68—70. 

127)  Die  Sentenzen:  Aboth  III,  13—16.  Darunter  III,  15  der  Spruch:  isn 
nsins  rvutnm  *16U  „Alles  ist  (von  Gott)  ersehen,  aber  die  Freiheit  ist  (dem 
Menschen)  verliehen". 

128)  Derenbourg  425. 

129)  Grätz  IV,  176—177.  Derenbourg  436.  Bacher  1883,  S.  256  = 
Die  Agada  der  Tannaiten  I,  273.   2.  Aufl.  I,  265. 

130)  Bacher,  Monatsschr.  1883,  254  f.  —  Die  Agada  der  Tannaiten  I, 
271  f.   2.  Aufl.  I,  263  f. 

131)  So  soll  z.B.  die  Partikel  na  andeuten,  daß  außerdem  erwähnten 
Objekt  auch  noch  etwas  anderes  mit  gemeint  sei.  Im  Schöpfungsbericht  steht 
o**atöri  r\M,  weil  auch  Sonne  Mond  und  Sterne  mit  gemeint  sind  (Wünsche, 
Bereschith  rabba  S.  6  f.).  Vgl.  Derenbourg  397.  —  Diesem  exegetischen 
Grundsatz  suchte  der  Froselyt  Aquila  in  seiner  griechischen  Bibelübersetzung 
dadurch  gerecht  zu  werden,  daß  er  übersetzte  obv  zbv  oioavdv  xal  ovv  x^v 
yjjv,  worüber  Hieronymus  seinen  berechtigten  Spott  ergießt  (Epist.  57  ad 
Pammachium  c.  11,  Opp.  ed.  Vaüarsi  I,  316).  Vgl.  über  Aquila  als  Schüler 
Akibas  auch  Hieronymus,  Qomment.  in  Jes.  8,  11  ff.  (Vaüarsi  IV,  122 sq.): 
Akibas  quem  magistrwn  Aquilae  proselyti  autumunt.  Grätz,  Gesch.  der  Ju- 
den IV,  437. 


444  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [377.  378] 

Gelehrten  schriftlich  aufgezeichnet   Dieses  Werk  bildet  die  Grund- 
lage der  uns  erhaltenen  Mischna  des  R.  Juda  ha-Nasi132. 

Ein  Zeitgenosse  Akibas  war  B.  Tarphon,  ein  priesterlicher 
Schriftgelehrter,  der  es  mit  seinen  priesterlichen  Rechten  und 
Pflichten,  soweit  es  nach  der  Zerstörung  des  Tempels  noch  möglich 
war,  sehr  ernst  genommen  haben  soll133.  Er  lebte  in  Lydda134 
und  verkehrte  am  häufigsten  mit  Akiba135,  nahm  aber  auch  an 
einer  Disputation  mit  Eleasar  ben  Asarja,  Ismael  und  Josua  teil 136. 
Die  späte  Legende  macht  natürlich  auch  ihn,  wie  fast  alle  Schrift- 
gelehrten  seiner  Zeit,  zum  Märtyrer  im  Barkochba-Kriege137.  Da  | 
dies  aber  genau  denselben  Wert  hat,  wie  wenn  die  christliche 
Legende  sämtliche  Apostel  zu  Märtyrern  macht,  so  kann  er  sehr 
wohl  identisch  sein  mit  jenem  Trypho,  mit  welchem  Justin  zu- 
sammentraf und  der  von  sich  selbst  sagte,  daß  er  wegen  des  Krieges 
aus  Palästina  geflüchtet  sei138.  Eigentümlich  ist,  daß  gerade  er 
eine  besonders  schroffe  Stellung  gegenüber  dem  (Juden-)Christentum 


132)  Daß  unserer  Mischna  ein  älteres  Werk  aus  der  Zeit  Akibas  zu- 
grunde liegt,  ist  aus  dem  Inhalte  fast  mit  Sicherheit  zu  schließen.  Daß  jenes 
Werk  yon  Akiba  selbst  redigiert  wurde,  darf  nach  dem  Zeugnisse  des  Epi- 
phanius  (haer.  33,  9)  ebenfalls  als  wahrscheinlich  angenommen  werden.  Näheres 
s.  §  3.    Vgl.  auch  Derenbourg  p.  399-401. 

133)  S.  überh.:  Derenbourg  376— 383.  Hamburger  II,  1196 £  Bacher, 
Monatsschr.  1883,  S.  497—507  —  Die  Agada  der  Tannaiten  I,  348—358.  2.  Aufl. 
I,  342—352.    Ochs  er  in:  The  Jetcish  Encyclopedia  XII,  56  sq. 

134)  Taanith  III,  9.    Baba  mexia  IV,  3. 

135)  Terumoth  IV,  5.  IX,  2.  Nasir  VI,  6.  BecJioroth  IV,  4.  Keriihoth  V, 
2—3.    Tosephta  Mihcaoth  654,  4.  660,  33. 

136)  Jadajim  IV,  3. 

137)  Grätz  IV,  179.  Derenbourg  436.  Die  Legende  über  diese  Mär- 
tyrer ist  übrigens  selbst  sehr  schwankend.  S.  Hamburger,  Real-Enz.  Supple- 
mentbd.  I,  1886,  S.  155—158  (Art.  „Zehn  Märtyrer"),  und  oben  §  21,  in 
(I,  697). 

138)  Justin.  DicU.  c.  Tryphone  c.  1:  etftl  Sh  ^Eßgaloq  ix  neoirofxfjQ,  <pvy<hv 
xbv  vVv  yevöfievov  nöXefiov,  iv  x$  c2?AAa<fc  xal  xy  Koplvd-y  xä  noXXä 
didycov.  —  Die  Namen  "jiBiü  und  Tqv<p<ov  sind  identisch,  denn  es  läßt  sich 
nicht  nachweisen,  daß  ersteres  ein  echt  semitischer  Name  war,  wenn  es  auch 
der  Form  nach  möglich  wäre.  Die  Zeit  stimmt  ebenfalls  genau.  Die  Iden- 
tität des  R.  Tarphon  mit  Justins  Trypho  ist  daher  schon  von  älteren  Ge- 
lehrten vielfach  angenommen  worden.  S.  Wolf,  Bibliotheea  Hebraea  H,  837. 
Neuerdings  haben  sich  för  dieselbe  erklärt:  Renan,  Les  evangiles  1877,  p.  70. 
Zahn,  Zeitschr.  für  Kircheugesch.  Bd.  VHI,  1886,  S.  54—66  (vermutet  S.  45  ff., 
daß  das  FroÖmium  zu  Justins  Dia!,  c.  Tryph.  verloren  gegangen  sei,  und  daß 
daraus  die  Angaben  bei  Euseb.  Hist.  eccl.  IV,  18,  6  entnommen  seien  [x(hv 
xdxe  'Eßoalwv  imarjfjtoxaxov]).  Strack  in  Herzogs  Real-Enz.  2.  Aufl.  XVHI, 
347  (anders  Derselbe,  Einl.  in  den  Thalmud,  2.  Aufl.  1894,  8.  80).  Barden- 
hewer,  Gesch.  der  altkirchl.  Literatur  I,  212. 


[378]  IV.  Die  berühmtesten  Schriftgelehrten.  445 

eingenommen  hat  Als  die  Frage  erörtert  wurde,  ob  „die  Evan- 
gelien (owba)  und  die  (biblischen)  Bücher  der  Ketzer  (Minim)tt, 
in  welchen  der  Name  Gottes  vorkommt,  am  Sabbat  aus  dem  Feuer 
zu  retten  seien  oder  nicht,  sagte  R.. Tarphon:  „Ich  will  meinen 
Sohn  verlieren,  wenn  ich  sie  nicht,  falls  sie  in  meine  Hände  kommen, 
trotz  der  darin  vorkommenden  Gottesnamen  verbrenne.  Wer  von 
einem  Mörder  oder  einer  Schlange  verfolgt  wird,  flüchte  sich  eher 
in  einen  Tempel  der  Götzendiener  als  in  ihre  Häuser;  denn  die 
Götzendiener  leugnen  swar  die  Gotteslehre,  haben  sie  aber  nie 
erkannt;  jene  aber  kennen  und  leugnen  sie"139. 


139)  b.  Schabbath  116  a.  jer.  Sehabbath  15  0.  TosephJta  Schabbath  XIII,  5 
(ed.  Zuckermandel  p.  129,  Im.  2 ff.).  Derenbourg  p.  379 sq.  Bacher,  Mo- 
natsschr.  1883,  506  -=  Die  Agada  der  Tannaiten  I,  357.  2.  Aufl.  I,  351.  — 
Unter  den  gUjonim  will  ALFriedländer  (Der  vorchristliche  jüdische  Gnosti- 
cismus  1898,  S.  80  ff.  Der  Antichrist  1901 ,  S.  62  ff.)  gnostische  Zaubertafeln 
und  Zauberbücher  verstehen.  Schlatter  (Die  Kirche  Jerusalems  1898,  S.  16) 
erklärt  giljonim  allgemein  ■=  Volumina,  Hölscher  (Kanonisch  u.  Apokryph 
1905,  S.  42  f.)  nach  dem  Syrischen  =»  „Apokalypsen".  Daß  aber  die  Erklä- 
rung „Evangelien"  richtig  ist,  erhellt  aus  der  in  b.  Schabbath  116  &  folgenden 
Angabe:  „Die  Schule  R.  Meirs  nannte  sie  —  seil,  die  Giljonim  —  yrbl  "pK, 
die  Schule  R.  Jochanans  iv4ä  *V9".  Auch  in  der  unmittelbar  hieran  sich  an- 
schließenden Anekdote  von  der  Verhöhnung  eines  Philosophen  durch  Imma 
Salome,  die  Schwester  des  Rabban  Gamaliel,  ist  *p^  y&  augenscheinlich  = 
Evangelium.  S.  Zahn,  Gesch.  des  neutest  Kanons  II,  673 — 679.  Bacher, 
Revue  des  etudes  juives  t.  XXXVIII,  1899,  p.  39—42.  Ders.,  Theol.  Litztg. 
1904,  719.  L.  Blau,  Art  Qüyonim  in:  The  Jewish  Encyclopedia  V,  1903, 
p.  668 sq.  Die  Texte  mit  englischer  Übersetzung  bei  Herford,  Ghristiamty 
in  Talmud  and  Midrash,  1903,  p.  146—157,  413  sq.  Den  Text  der  Anekdote 
von  Imma  Salome  und  dem  Philosophen  gibt  auch  Dal  man  im  Anhang  zu 
Laible,  Jesus  Christus  im  Thalmud  S.  14* f.,  deutsch  A.  Meyer  in  Hen- 
neckes Handb.  zu  den  Neutest.  Apokryphen  1904,  S.  70.  Den  ganzen  Kon- 
text von  Schabbath  116  mit  deutscher  Übersetzung  s.  bei  Goldschmidt,  Der 
babylonische  Talmud  Bd.  I,  1897,  S.  598  f.  —  Wegen  des  besonderen  Inter- 
esses, das  R.  Tarphon  für  den  christlichen  Theologen  hat,  teile  ich  hier 
sämtliche  Stellen  mit,  an  welchen  er  in  der  Mischna  ewähnt  wird: 
Berachoth  I,  3.  VI,  8.  Pea  III,  6.  Küajim  V,  8.  Terumoth  IV,  5.  IX,  2.  Moose- 
roth  III,  9.  Maaser  scheni  II,  4*  9.  Schabbath  II,  2.  Erubin  IV,  4.  Pesachim 
X,  6.  Sukka  III,  4.  Beza  III,  5.  Taanith  III,  9.  Jebomoth  XV,  6—7.  Kethu- 
both  V,  2.  VII,  6.  IX,  2-3.  Nedarim  VI,  6.  Nasir  V,  5.  VI,  6.  Kidduschin 
III,  13.  Baba  kamma  II,  5.  Baba  mexia  II,  7.  IV,  3.  Makkoth  I,  .10.  Edujoth 
I,  10.  Aboth  II,  15—16.  Sebachim  X,  8.  XI,  7.  Menachoth  XII,  5.  Bechoroth 
n,  6-9.  IV,  4.  Kerithoth  V,  2-3.  Kelim  XI,  4.  7.  XXV,  7.  Ohaloth  XÜI,  3. 
XVI,  1.  Para  I,  3.  Mikwaoih  X,  5.  Machschirin  V,  4.  Jadajim  IV,  3.  — 
Die  Stellen  der  Tosephta  s.  im  Index  zu  Zuckermandels  Ausgabe.  Die  Stellen 
in  Mechilta,  Siphra  und  Siphre  bei  D.  Hoffmann,  Zur  Einleitung  in  die  ha- 
lachischen  Midraschim  (1887)  S.  85.  —  In  Jope  ist  eine  hebräische  Grabschrift 
gefunden  worden,  welche  lautet:  "W^a  "jiBiis  "Oin  rra  yrv»  (Clermont-Ganneau, 


446  §  25.   Die  Schriftgelehrsamkeit.  [378.  379] 

Außer  R.  Tarphon  sind  als  Zeitgenossen  Akibas  noch  hervor- 
zuheben: R  Jochanan  ben  Nuri,  der  schon  zur  Zeit  GamalielsIL, 
Josuas  und  Eliesers  lebte,  am  häufigsten  aber  im  Verkehr  mit 
Akiba  erwähnt  wird140,  B.  Simon  ben  Asai  oder  Ben  Asai  | 
schlechthin,  gleichfalls  ein  Zeitgenosse  Akibas,  an  welchem  beson- 
ders die  Unermüdlichkeit  im  Studium  gerühmt  wird141,  R  Jocha- 
nan ben  Beroka,  der  mit  Josua  und  Jochanan  ben  Nuri  ver- 
kehrte142, R.  Jose  der  Galiläer,  der  als  Zeitgenosse  des  Eleasar 
ben  Asarja,  Tarphon  und  Akiba  erwähnt  wird14S,  R.  Simon  ben 
Nannos  oder  Ben  Nannos  schlechthin,  ebenfalls  ein  Zeitgenosse 
des  Tarphon  und  Akiba144. 

In  dieselbe  Zeit  gehört  auch  Abb a  Sani,  der  zwar  noch  über 


Proceedings  of  the  Society  of  bibkcal  archaeology,  March  1884,  p.  123  sqq.  Eu- 
tiug,  Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie  1885,  S.  680).  Da  der  Schrift- 
charakter nach  Euting  auf  das  zweite  oder  dritte  Jahrhundert  weist,  ist  dieser 
Judan  wohl  der  Sohn  unseres  B.  Tarphon. 

140)  Zur  Zeit  Gamaliels:  Bosch  haschana  II,  8.  Zur  Zeit  Josuas: 
Tosephta  Taanith  217,  14.  Zur  Zeit  Eliesers:  Tosephta  Orlaib,  1.  KeUmNb, 
ia  20.  —  Im  Verkehr  mit  Akiba:  Bosch  haschana  IV,  5.  Bechoroth  VI,  6. 
Temura  I,  1.  ükxm  HI,  5.  Tosephta  Pesaehim  156,  27.  —  Vgl  übern.:  Ham- 
burger II,  490 f.  Bacher,  Monatsschr.  1883,  537 f.  —  Die  Agada  der  Tan- 
naiten  I,  372-374.  2.  Aufl.  I,  366-368. 

141)  Zeitgenosse  Akibas:  Schekalim  IV,  6.  Joma  IT,  3.  Taanith  IV,  4. 
Baba  bathra  IX,  10.  —  Man  sagte  von  ihm:  „Seit  Ben  Asai  tot  ist,  gibt  es 
keine  unermüdlich  Studierenden  mehr"  (Sota  IX,  15:  D^pjü,  eigentlich: 
Wachende,  d.  h.  unermüdlich  Arbeitende).  —  Einige  Sentenzen  von  ihm: 
Aboth  IV,  2—3.  —  Übern.:  Hamburger  U,  1119—1121.  Bacher,  Monatsschr. 
1884,  S.  173—187.  225  f.  —  Die  Agada  der  Tannaiten  I,  409—424.  2.  Aufl.  I, 
406-422. 

142)  Mit  Josua:  Tosephta  Sota  307,  7.  Mit  Jochanan  ben  Nuri:  Tosephta 
Terutnoth  38,  15.  —  In  der  Mischna  wird  Jochanan  ben  Beroka  erwähnt: 
Erubin  VHI,  2.  X,  15.  Pesaehim  VII,  9.  Jebamoth  VI,  6.  Kethuboth  H,  1. 
Baba  kamma  X,  2.  Baba  bathra  VIII,  5.  Schebuoth  VII,  7.  Aboth  IV,  4. 
Bechoroth  VHI,  10.  Kelim  XVH,  11.  —  Vgl.  auch  Bacher,  Monatsschr.  1884, 
S.  280  f.  —  Die  Agada  der  Tannaiten  I,  448  f.   2.  Aufl.  I,  448  f. 

143)  Mit  diesen  drei  zusammen:  jer.  Gütin  IX,  1  (Derenbourg  368).  Mit 
Akiba  und  Tarphon :  Tosephta  Mikioaoth  660, 32.  Er  berichtet  auch  im  Namen 
des  Jochanan  ben  Nuri:  Tosephta  Orla  45,  1.  —  S.  überh.:  Hamburger  H, 
499—502.  Bacher,  Monatsschr.  1883,  S.  507—513.  529— 536  —  Die  Agada  der 
Tannaiten  I,  358—372.  2.  Aufl.  I,  352—365.  Die  Stellen  in  Mechilta,  Siphra 
und  Siphre  s.  bei  D.  Hoffmann,  Zur  Einleitung  in  die  halachischen  Midra- 
schim  (1887)  S.  87. 

144)  S.  bes.  Tosephta  Mikwaoth  660,  33.  Im  Verkehr  mit  Ismael  finden 
wir  ihn  Baba  bathra  X,  8.  —  Mit  seinem  vollen  Namen  Simon  ben  Nan- 
nos (vdwog  =-»  Zwerg)  wird  er  erwähnt:  Bikkurim  HI,  9.  Schabbath  XVI,  5. 
Erubin  X,  15.  Baba  bathra  X,  8.  Menachoth  IV,  3.  Nur  als  Ben  Nannos: 
Kethuboth  X,  5.    Qittin  VHI,  10.   Baba  bathra  VH,  3.  X,  8.  Schebuoth  VII,  5. 


[379.  380j  §  26.   Pharisäer  und  Sadduzäer.   Literatur.  447 

einen  Ausspruch  Jochanan  ben  Sakkais  berichtet  und  wiederholt 
als  Gewährsmann  über  Einrichtungen  des  Tempels  angeführt  wird, 
aber  nicht  älter  als  Akiba  gein  kann,  da  er  mehrmals  auch  über 
dessen  Aussprüche  berichtet145.  Ferner  R.  Juda  ben  Bethera, 
der  einerseits  als  Zeitgenosse  des  Elieser,  andererseits  noch  als 
Zeitgenosse  des  R  Meir  erwähnt  wird,  dessen  Blüte  also  zwischen 
beide,  d.  h.  in  die  Zeit  Akibas  fallen  wird 146. 

Häufiger  als  alle  bisher  Genannten  werden  in  der  Mischna 
die  Männer  der  nächstfolgenden  Generation  angeführt:  R  Juda, 
R.  Jose,  R.  Meir,  R.  Simon.  Ihre  Wirksamkeit  fällt  aber  erst 
in  die  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts,  also  jenseits  der  Grenze 
des  hier  zu  behandelnden  Zeitraumes. 


i  26.   Pharisäer  und  SadduzEer. 

Literatur: 

Die  ältere  Literatur  8.  bei  Ca rpxov,  Apparatiis  hist.-crit.  p.  173.  204,  und  bei 
Daniel,  Art  „Pharisäer"  in  Ersch  und  Grubers  Enzyklopädie  Sektion  HI, 
Bd.  22,  S.  18. 

Triglandius,  Trium  seripiorum  ülustrium  de  tribus  Judaeorum  seeHs  *yn~ 
tagma,  in  quo  Serarii,  Drusii,  Scaligeri  opuseula  quae  eo  pertinent 
cum  aliis  junciim  exhibentur.    2  Bde.    Delphis  1703. 

Ugolini,  Trihaeresium  sive  dissertatio  de  tribus  sectis  Judaeorum  (Thesaurus 
antiquüatum  sacrarum  tom.  XXII.  Daselbst  auch  noch  andere  Disserta- 
tionen). 


145)  Über  einen  Ausspruch  Jochanan  ben  Sakkais:   Aboth  IL,  8.    über 
Einrichtungen   des  Tempels:   Middoth  II,  5.  V,  4;    auch  Mmachoth  VIII,  3 
XI,  5.    Über  Aussprüche  Akibas:   Tosephta  Kilajim  79,  9.   Sanhedrin  433,  27 

—  Sonst  vgl.  Pea  VIII,  5.  Kilajim  II,  3.  Schabbath  XXIH,  3.  Schekalim  IV,  2. 
Beza  III,  &  Kethuboth  VE,  6.  Nedarim  VI,  5.  Oittin  V,  4.  Kidduschin  IV,  2. 
Baba  mexia  IV,  12.  VI,  7.  Baba  baihra  II,  7. 13.   Sanhedrin  X,  1.  Makkoth  II,  2, 

—  Lewy,  Über  einige  Fragmente  aus  der  Mischna  des  Abba  SauL  Berlin  1876 
(vgl.:  Magazin  fßr  die  Wissensch.  des  Judenth.IV,  1877,  S.  114— 120.  Monatsschr. 
ffir  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1878,  S.  187—192.  227—235).  Ham- 
burger, Real-Enz.  Supplementbd.  I,  1886,  S.  lf.  Bacher,  Die  Agada  der 
Tannaiten  II,  1890,  S.  366-369. 

146)  Zeitgenosse  des  Elieser:  Negaim  IX,  3.  XI,  7.  Zeitgenosse  des  Meir: 
Tbsephia  Nasir  290,  14.  —  Vgl.  zur  Chronologie  auch  Pea  III,  6.  Pesachim 
Iü,  3.  Edujoth  VIII,  3.  Kelim  II,  4.  Ohaloth  XI,  7.  Tosephta  Jebamoth  255, 
2a  —  8.  übern.:  Bacher,  Monatsschr.  1884,  S.  76—81  —  Die  Agada  der  Tan- 
naiten I,  379-385.  2.  Aufl.  I,  374—380. 


448  §  26.   Pharisäer  und  Sadduzäer.  [380.  381] 

Joh.  Gottlob  Oarpxov,  Apparatur  historico-crüicus  antiquitatum  sacri  codicis 

(1748)  p.  173-215. 
Grossmann,  De  Judaeorum  disciplina  arcani.  Part  I— II.   Lips.  1833 — 1834. 

—  Der b.,  De  phüosophia  Sadducaeorum*    Part  I — IV.   Lips.  1836 — 1838. 

—  Ders.,  De  Pharisaeismo  Judaeorum  Alexandrino.    Part.  I — HI.    Lips. 
1846—1850.  —  Der s.,  De  collegio  Pharisaeorum.    Lips.  1851. 

Daniel,  Art.  „Pharisäer"  in:  Ersch  und  Gruber,  Allgemeine  Enzyklop.  der 
Wissensch.  und  Künste,  Sektion  III,  Bd.  22  (1846)  S.  17—34. 

Winer,  Bealwörterb.  II,  244—248  (Pharisäer),  und  352-356  (Sadduzäer). 

Lutterbeck,  Die  neutestamentlichen  Lehrbegriffe  I  (1852)  S.  157 — 222. 

Eeuß  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  XI,  1859,  S.  496—509  (Pharisäer),  und 
Xin,  1860,  S.  289—297  (Sadducäer).  | 

Müller  (Alois),  Pharisäer  und  Sadducäer  oder  Judaismus  und  Mosaismus. 
Eine  historisch-philosophische  Untersuchung  als  Beitrag  zur  Religionsge- 
schichte Vorderasiens  (Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie,  phil.-hist. 
Klasse,  Bd.  XXXIV,  1860,  S.  95—164). 

Ewald,  Geschichte  des  Volkes  Israel  IV,  357  ff.  476  ff. 

De  Wette,  Lehrb.  der  hebr.-jüdischen  Archäologie  (4.  Aufl.)  S.  413—417. 

Herzfeld,  Gesch.  des  Volkes  Jisrael  III,  356  ff.  382  ff. 

Jost,  Gesch.  des  Judenthums  und  seiner  Secten  I,  197  ff.  216  ff. 

Geiger,  Urschrift  und  Übersetzungen  der  Bibel,  S.  101 — 158.  —  Ders.,  Sad- 
ducäer und  Pharisäer  (Jüd.  Zeitschr.  Bd.  n,  1863,  S.  11 — 54.  Auch  als 
Separatabdruck).  —  Ders.,  Das  Judenthum  und  seine  Geschichte  Tl.  I 
(2.  Aufl.  1865)  S.  86  ff. 

Grätz,  Geschichte  der  Juden  Bd.  III,  3.  Aufl.  1878,  S.  91  ff.  647—657  (Note  10). 

4.  Aufl.  1888,  S.  83  ff.  637—697  (Note  12).' 
Derenbourg,  Histoire  de  la  Palestine  p.  75 — 78.  119 — 144.  452—456. 
Hanne,   Die  Pharisäer  und  Sadducäer  als  politische  Parteien  (Zeitschr.  für 

wissensch.  Theol.  1867,  S.  131—179.  239—263). 
Keim,  Geschichte  Jesu  I,  250—282. 

Holtzmann  in:  Weber  und  Holtzmann,  Gesch.  des  Volkes  Israel  H,  124 — 135. 
Hausrath  in  d.  Prot.  Kirchenzeitung  1862,  Nr.  44.  —  Ders.,  Zeitgesch.  2.  Aufl. 

1,  117—132.  —  Ders.  in  Schenkels  Bibellexikon  IV,  518—529. 

Ginsburg  Art.  „Pharisees"  und  „Saddueees"  in  Kittos  Oyclopaedia  of  Biblical 
4    Lüerature. 

Twisletony  dieselben  Artikel  in  Smiths  Dictionary  of  tke  Bible. 
Kuenen,  De  godsdienst  van  Israel  H,  338 — 371.  456 sqq.  —  Ders.,  Theot  Tyd~ 
schrift  1875,  p.  632—650  (Anzeige  von  Wellhausens  Schrift). 

Wellhausen,  Die  Pharisäer  und  die  Sadducäer.  Eine  Untersuchung  zur 
inneren  jüdischen  Geschichte.   Greifswald  1874» 

Cohen,  Les  Pharisiens.    2  vols.    Paris  1877. 

Weber,  System  der  altsynagogalen  palästinischen  Theologie.  Leipzig  1880. 
Neue  unveränderte  Ausgabe  unter  dem  Titel:  Die  Lehren  des  Talmud, 
quellenmäßig,  systematisch  und  gemeinverständlich  dargestellt.  Leipzig 
1886.  2.  verb.  Aufl.  unter  dem  Titel:  Judische  Theologie  auf  Grund  des 
Talmud  und  verwandter  Schriften,  1897. 

Beuß,  Geschichte  der  heiligen  Schriften  Alten  Testaments  (1881)  §§  396.  546. 

-     648-554. 

Baneth,  Über  den  Ursprung  der  Sadokäer  und  Boethosäer  (Magazin  für  die 


[381.  382]  Die  Zeugnisse  des  Josephue.  449 

Wissensch.  des  Judenth.  IX.  Jahrg.,  1882,  S.  1 — 37.  61—95.   Auch  separat 

als  Leipziger  Doktor-Dissertation). 
Hamburger,  Real-Enz.  für  Bibel  und  Talmud,  Abt.  II  (1883)  S.  1038—1059 

(Art  „Sadducäer  etc."   Vgl.  auch  die  Artikel:  Amhaarez,  Chaber,  Chassi- 

dim,  Zaddikim). 
Montet}  Essai  sur  les  origines  des  pariis  saduden  et  pharisien  et  leurhistoire 

jusqu'ä  la  naissance  de  Jteue- Christ.  Paris  1883  (vgl.  Theo!.  Litztg.  1883, 

169).  —  Derselbe,   Le  premier  eonflit  entre  Pharisiens  et  SaducSens, 

dtaprls  trois  documents  orientaux  (Journal  asiatique  VUIm«  Sirie  t.  JX, 

1887,  p.  415-423). 
Sie  ff  er  t,  Art.  „Sadducäer  und  Pharisäer"  in  Herzogs  Real-Enz.  2.  Aufl.  XIII, 

1884,  8.  210-244.  3.  Aufl.  XV,  1904,  S.  264—292. 
Edersheim,  The  lifc  and  times  of  Jesus  the  Messiah  (1884)  I,  310—324.  | 
Krüger,  Über  die  sieben  oder  acht  Arten  schlechter  Frömmigkeit  (Theol. 

Quartalschr.  1887,  S.  429—460,  599—631,  702)  [gelehrt,  aber  ohne  brauch- 
bares Resultat]. 
Davaine,  Le  Saduce'isme,  ttude  historique  et  dogmatique.    Tftise,  Montauban 

1888  (147  p.). 
Narbel,  Ittude  sur  le  parti  pharisien,  son  origine  et  son  histoire.  Th&se,  Paris 

1891  (257  p.). 
Krüger,  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Pharisäer  und  Essener  (Theoi  Quartalschr. 

1894,  S.  431—496). 
Bertholet,  Die  Stellung  der  Israeliten  und  der  Juden  zu  den  Fremden,  1896, 

S.  123—256  (wichtig  für  die  Vorgeschichte  der  pharis.  Partei). 
Eaton,   Art.   9tPharisees"   in   Hostings'  Dictionary   of  the   Bible  HI,   1900, 

p.  820—829.  —  Ders.,  Art.  „Sadducees"  ibid.  IV,  1902,  p.  349—352. 
Cowley,  Art  „Sadducees"  io:  Eneyelopaedia  Biblica  IV,  1903,  col.  4234  ffl  — 

Prineef  Art.  „Scribes  and  Pharisees"  ib.  col.  4321  ff. 
Elbogen,  Die  Religionsanschauungen  der  Pharisäer  mit  besonderer  Berück* 

sichtigung  der  Begriffe  Gott  und  Mensch.  1904. 
Lafay,  Les  Sadduciens.   These,  Lyon  1904.  (95  p) 
Kohler,  Art.  )tPhariseestf  in:  The  Jewish  Encyclopedia  IX,  1905,  p.  661—666. 

—  Ders.,  Art.  „Sadducees1'  ibid.  X,  1905,  p.  630—633. 
Wünsche,  Jesu  Conflict  mit  den  Pharisäern  und  Schriftgelehrten  wegen 

Unterlassung   des  Händewaschens  seiner  Schüler  (Viertelj  ah  rasch  r.  für 

Bibelkunde  Bd.  II,  1905,  S.  113—163). 
Schlatter,  Geschichte  Israels  2.  Aufl.  1906,  S.  102—122. 
Holscher,  Der  Sadduzäismus,  eine  kritische  Untersuchung  zur  späteren  jü- 
dischen Religionsgeschichte,  1906  (dagegen:  Theol.  Litztg.  1907,  200—203). 


Die  Zeugnisse  des  Josephus. 

Bell.  Jud.  II,  8,  14:  <PctQiöaloi  php  ol  fzexa  axQtßelaq  öoxovpxeg 
igTjyelo&cu  xa  vofiifia  xal  xr\v  nQmxr\p  djtayovxsg  afyeoiv,  st/iaQ- 
fiivq  xe  xal  (req>  jiQoöcütxovcfi  Jtapxa,  xal  xb  php  jiQaxxuv  xa 
ölxaia  xal  pfj  xaxä  xb  nXetöxov  Inl  xolg  äv&Qcoxoig  xela&ai,  ßor}- 
&tlv  de  elq  txaoxov  xal  xfjv  BlfiaQfiiprjV  ipvxqp  6h  Jtacav  php 
aip&aQxop,  pexaßalvuv  öh  elq  %xbqop  ocofia  xtjp  xäp  aya&mp  poprjp, 

Schürer,  Geschichte  II.  4.  Aufl.  29 


450  §  26-   Pharisäer  und  Sadduzäer.  [382.  383] 

rag  6h  x&p  g>avXmp  dlölcp  rifimQia  xoXa&o&ai.  Sadöovxaloi  öe, 
xb  6bvxbqop  xdypa,  xr)p  fihp  etfiaQ/tivTjv  jiavraxaoiv  ävaiQovöi, 
xal  top  &ebv  $gm  xov  ÖQav  xt  xaxbv  rj  i<poQap  xl&evxat,  g>aol  6' 
ix'  dvftQmnmp  ixXoyjj  xo  xb  xaXbp  xal  xb  xaxbv  xQoxela&ai,  xcä 
xb  xaxä  yp<6fif]P  hxdöxm  xovxmp  IxaxiQcp  JtQooiivai.  *Pvx*]S  Te 
xtjv  dtafiovrjv  xal  xag  xad-'  °Ai6ov  xifimQlag  xal  xifiag  dvacQovOi. 
Kai  <PaQiöaloc  fihp  (piXaXXrjXol  xb  xal  xtjp  elg  xb  xoivbv  Sfiopoiav 
aoxovvxeg,  2a66ovxalmv  6h  xal  JtQog  dXXr/Xovg  tb  rjd-og  dyQimxBQOP, 
aX  xe   im(u£lai   jtQog   xovg   ofiolovg  djtr/PBlg  a>g  JtQog  aXXoxQlovg. 

Antt.  XIII,  5,  9:  Kaxa  6h  xop  XQW°V  xovxop  XQBlg  aiQeOeiq 
xmp  >Iov6almp  rjöap,  ai  jieqX  xmp  dp&Qcoxlpcop  JtQayfidxmp  öia<poQa>g 
vjteXdfißavov  mp  i)  fiep  <PaQiöalmp  iXdysxo,  ff  6h  Zaööovxalmp, 
tj  xqIxtj  6h  'Eoorjpcbp.  Ol  fihp  ovp  <PaQiöalot  xtpa  xdi  ov  jrdvxa 
xfjg  ctfiaQfiiprjg  EQyop  üvai  Xiyovöcp,  xipcl  6>  ig>*  iavxolg  vxaQXBtPy 
cvfißalvEiv  xb  xal  fifj  yiptobai.  Tb  dh  xmp  'Eoorjpmp  yepog  xdpxmp 
xtjp  eifiaQfiiprjp  xvQlap  dxo<paipBxaiy  xal  fitjdhp  o  fit]  xax*  ixelvrjg 
tprj<pov  dpfrQcoxoig  dxapxa.  Sa66ovxaloi  6h  xtjp  fihp  BlfiaQfiipf/p 
dpaiQOVOiP,  ov6hv  elvat  xavxrjp  d^ioipxBg,  ovSh  xax*  avxr)p  xa 
dvd'QWJciva  riXog  Xafißdpeip,  dxapxa  6'  ig>*  r]filp  avxolg  xl&BPxat, 
mg  xal  xmp  dyad-mp  alxlovg  tjfiäg  avxovg  yipofiipovg  xal  xa  ^c/pcö 
jtaQa  xr)p  fjfiBxiQap  dßovXlap  Xafißdpopxag. 

Antt.  XIII,  10,  5:  [Ol  <PaQiöaloi]  xoOavxtjP  h'xovoi  x*lv  Igxv*> 
JtaQa  xqi  JiXrjfrei  mg  xal  xaxa  ßaoiXimg  xi  Xiyopxeg  xal  xax*  oqx*- 
BQicog  Bv&vg  JuöxBVBöfrai.  \ 

Antt  XIII,  10,  6:  "AXXmg  xb  xdt  (pvou  XQog  xag  xoXaoeig  hxi- 
Bixmg  bxovoip  ol  4>aQiöaloi. 

Ibid.:  Nbfiifid  xipa  JtaQiöoöav  xm  6f\fim  ol  <PaQioaIoi  ix  xaxi- 
qcop  6ia6oxfjg>  djtBQ  ovx  dpayiyQaxxai  ip  xolg  Mcovai&g  vofioig, 
xal  6ia  xovxo  xavxa  xb  2a66ovxaia>p  yipog  ixßaXXei,  Xiyop  btelpa 
6bIp  r)yBl6d-ai  pofiifia  xa  ysyQafifiipa,  xa  6*  ix  xaQaöoöeax;  xcop 
xaxiQcop  fit]  xtjqsIp.  Kai  jibqI  xovxcdp  fyxTJöBiq  avxolg  xal  6iatpoQag 
ylpeo&ai  CvpißaiPB  fieyaXag,  xmp  fihp  2a66ovxaia>p  xovg  evxoQovg 
ßopop  jtEid-opxcop,  xb  6h  6rjfioxixbv  ovx  IjtofiBPOP  avxolg  ixopratp, 
xmp  6h  4>aQioalmp  xb  nXr)d-og  ovfifiaxop  ixbpxmp. 

Antt.  XVII,  2,  4:  Hp  yäg  fiOQiop  xi  >Iov6aXxmp  dv&Qcbnmv  ix' 
igaxQißmosi  fiiyq  tpQOPovp  xov  jtaxQlov  pofiov,  o\g  xalQeiP  xb  &elop 
jtQoojioiovfi£p[mp]oig  vjtfjxxo  r)  yvpaixmplxig'  $aQicaloi  xaXoipxatf 
ßaoiXel  6vpd(iBPot  fidXiöta  dvrcJtQaOöeiv,  jr^Ofi^d-slg,  xdx  xov  xqov- 
ütxov  elq  xb  xoXefietP  xe  xal  ßXanxBiP  ijttjQfiipoiK 


1)  Diese  pharisäerfeindlichen  Worte  stammen  offenbar  nicht  aus  Josephus' 
Feder,  sondern  sind  von  ihm  ans  Nikolaus  Damascenus  abgeschrieben  (vgl. 
Derenbourg  p.  123  not.).    Um  so  wertvoller  sind  sie  als  Korrektiv  gegen  die 


{383.  384]  Die  Zeugnisse  des  Josephus.  451 

Antt.  XVIII,  1,  2:  'lovöaloig  q>tXoöoq>lai  xQBlg  r\cav  kx  xov 
xavv  ccQXcdov  xa>p  nazQlcop,  ?\  xb  xSp  'EöOrjvdiv  xal  r\  xtbv  JEaööov- 
xalcov  xqIxt/p  öh  hq>iXoöoq>ovp  61  <PctQiöalot  Xeyopsvoi.  Kai  xvy~ 
Xavei  fiipxoi  xsqI  avxabv  rj(ilv  elQTjfieva  h  xjj  ÖBVxiQa  ßlßXco  xov 
'lovöa'ixov  noXifiov,  fivrjöfrtjcofdcu  öh  oficog  xal  pvp  avxmp  In  oXlyop. 
§  3:  Ol  xs  yaQ  <PaQtöaloi  xr\v  ölaixap  kf-evxell£ovöiv ,  ovöbp 
Big  xo  fiaXaxcixBQOP  kpöiöopxBg,  odv  xs  6  Xoyog  xglpag  naQiöcoxBP 
dyad-d*p,  inopxai  xjj  fjyBfiopla,  nBQtfidx^TOP  rjyovfispoi  xr\v  g>vXaxrjp 
a>v  vnayoQBvstp  rj&iXTjCB.  Tififjg  yB  xotg  fjXixla  jtQorjxovat  naQa- 
XWQovOtv,  ovöhp  kn  avxiXi^Bi  xmv  BlorjyTjd-ipxcop  xavxa  ot2  &Qaoei 
knacQOfisvoi.  IJQdooeöO-al  xb  elfiaQfitvy  xd  ndpxa  dfyovpxBg,  ovöh 
xov  dvfrQconelov  xb  ßovXofievov  xrjg  in'  avxolg  oQfifjg  dtpaiQOVPxat*, 
öoxfjöap  x&  {tec5  xQaöiv  yBPBö&at  xal  x&  exelprjg  ßovXevrtjQia)  xal 
xäp  dp&Qconcop  xb  id-BXrjöav*  jiqoöx&QbIp  /ibx*  oqbxtjs  rj  xaxUxq.  \ 
'A&apaxop  xb  laxjbp  xalg  ipvxalg  nlöxig  avxolg  dvai,  xal  vnb  x^opbg 
öixaiciöBig  xb  xal  xifidg  olg  aQBxtjg  fj  xaxlag  £nixt]ÖBVöig  £p  xq>  ßlcp 
yiyoPB,  xal  xalg  fiep  BtQyfibp  dtötop  JtQoxl&Böfrai,  xatg  ob  $aöxcopi]p 
xov  avaßiovv.  Kai  öl*  avxa  xolg  xb  örjfioic  ntd-apc&xaxoi  xvyxar 
vovöi,  xal  onoca  &Bla  bvx<bp  xb  BXBxai  xal  Ibqwp  noiyCBmg  i§TjyfjöBi 
t#  bcslvwp  xvyx&povoi  nQacoofiBPa.  Elg  xoCopöb  aQBxijg  avxolg 
at  noXecg  ifiagxvQr/öap  hnixtiöevöBt  xov  inl  ndoi  xQslccoPog  Ip  xb 
xy  öialxy  xov  ßlov  xal  Xoyotg. 

§  4:  JSaööovxaloig  öh,  xag  ywxag  6  Xoyog  övpa<papl&i  xolg 
öc&fiaöi,  (pvXaxy  6h  ovöaficog  xipcdp  fiBxanolijöig  avxolg  r)  xcop 
p6fta)P'  jiQog  yaQ  xovg  öiöaöxaXovg  öocplaq,  rjp  pexlaoip,  dfnpcXoyelv 
4LQBxriv  dQid-ftovöip.  Elg  oXlyovg  6h  aPÖQag  ovxog  6  Xoyog  dg>lxBxo, 
xovg  [lipxoi  XQc&xovg  xolg  dgiwfiact,  jiQaGGBxal  xb  an  avx&p  ovöbp 
aSg  slnBlP'  onoxB  yaQ  hn  dgxag  naQiX&oiBP,  dxovoicog  (ihp  xal  xax* 
dpdyxag,  nQoöxcoQovöc  6*  ovp  olg  6  4>aQiOalog  XiyBi,  öia  xb  fit] 
aXXcog  dpsxxovg  yBPiöd-ai  xolg  nXrjd-Böcp. 

AntU  XX,  9,  1:  atQBOip  öh  fiexyei  xtjp  2aööovxala>p,  ohtsg  bIci 
nBQl  xag  xglösig  cofiol  naget  ndpxag  xovg  *Iovöalovq,  xad-mg  rjöij 
ÖBÖrjXcoxapBP. 

schönfärbende  Darstellung  des  Josephus.  —  Die  Textüberlieferung  der  Stelle 
ist  schwankend.  In  dem  oben  nach  guter  Überlieferung  gegebenen  Wortlaut 
ist  meines  Erachtens  nur  TCQOonoiovfiivav  olq  in  ngooTiocov/n^voig  zu  ändern 
(quibus  86  deo  caros  esse  simtdantihus  addietae  erant  feminae,  wie  bereits  Hud- 
son übersetzt).  Niese  liest:  ht  igaxQißiooei  pfya  (pQovovv  xoi>  naxglov  xal 
ydfjuav  olg  Xa^Q6i  x&  ^biqv  nQoanoiovfxivajv ,  olg  vnrpcto  %  ywakxwyixig^  #£*(>*- 
aaloL  xaXovvrcu,  ßaatXel  dwafibip  (laXtaxa  ngaooeiv  n^o^rjd-etg  u.  s.  w„  ein 
Text,  dessen  Richtigkeit  mir  äußerst  fragwürdig  erscheint. 

2)  Die  Worte  xavxa  ol,  welche  in  der  Epitome  fehlen,  sind  wohl  zu  tilgen. 

3>  So  *  wohl  richtig  ^die  Epitome.  —  Die  codd.  haben  x$  id-eXtfaavxi  oder 
xij>  &€Xtfoavxt. 

29* 


452  §  26.   Pharisäer  und  Sadduzäer.  [384.  385) 

Vita  2  fin.:  rjQgafirjv  xoXtreveo&ac  rjj  <PaQiöalwv  alQicst  xaxa- 
xoXovd-cfrv,  tf  jtaQaJtlrjöioq  icxt  xfj  xaQ*  °EXXfjoi  JSxcoixjj  Xeyonivq. 

Vita  38:  rtjg  6h  QaQiöalow  algioecog,  oi  xbqI  rä  otaxQia  vofitfia 
öoxovöi  x&v  aXXcov  dxQcßela  dicupiQUv. 


Die  Zeugnisse  der  Mischna. 
a)  Über  Peruschim  und  Zaddukim. 

Jadajim  IV,  6:  „Die  Zaddukim  sprachen  zu  den  Peruschim:  Wir 
müssen  euch  Peruschim  tadeln,  daß  ihr  behauptet,  heilige  Schriften  verun- 
reinigen die  Hände,  aber  gegnerische  Bücher  (Dnwi  *ntO  richtiger  on^an  •nfcö 
—  Bücher  des  Homeros) 4  verunreinigen  die  Hände  nicht  Hierauf  erwiderte 
Rabban  Jochanan  ben  Sakkai:  Ist  dies  etwa  das  Einzige  dieser  Art,  was 
man  den  Peruschim  vorwerfen  kann?  Sie  sagen  auch:  Die  Knochen  eines 
Esels  sind  rein  und  die  des  Hohenpriesters  Jochanan  unrein.  Darauf  er- 
widerten jene:  Nach  Verhältnis  der  Liebe  erklärt  man  die  Gebeine  für  un- 
rein, damit  nicht  etwa  jemand  aus  den  Knochen  seines  Vaters  oder  seiner  | 
Mutter  Löffel  mache.  Hierauf  versetzte  er:  Nur  so  ist  es  auch  mit  den  heiligen 
Schriften  ein  Beweis  der  Liebe,  daß  man  die  Hände  für  verunreinigt  erklärt, 
während  die  gegnerischen  Bücher  (Bücher  des  Homeros?)  nicht  geliebt  werden, 
daher  ihre  Berührung  nicht  verunreinigt". 

Ibid.  IV,  7:  „Die  Zaddukim  sprachen  ferner:  Wir  müssen  euch  Peru- 
schim tadeln,  daß  ihr  die  Strömung  (beim  Gießen  in  ein  unreines  Gefäß) 
für  rein  erklärt  Die  Peruschim  erwiderten:  Wir  müssen  euch  Zaddukim 
tadeln,  daß  ihr  dennoch  einen  aus  dem  Begräbnisplatze  kommenden  Kanal 
für  rein  erklärt.  —  Die  Zaddukim  sprachen  ferner:  Wir  müssen  euch  Peru- 
schim tadeln,  daß  ihr  saget:  Wenn  mein  Ochse  oder  Esel  Schaden  anrichten, 
bin  ich  Ersatz  schuldig,  und  wenn  mein  Knecht  oder  meine  Magd  Schaden 
anrichten,  bin  ich  frei.  Wenn  ich  für  Ochs  oder  Esel,  für  welche  ich  keine 
gesetzlichen  Pflichten  habe,  Ersatz  zahlen  muß,  wie  sollte  ich  nicht  für  das, 
was  mein  Knecht  und  meine  Magd  tun,  für  welche  ich  doch  gesetzliche 
Pflichten  habe,  Ersatz  schuldig  sein?  Sie  erwiderten:  Nicht  was  von  Ochs 
und  Esel  gilt,  die  keinen  Verstand  haben,  kann  von  Knecht  und  Magd  gelten, 
die  Verstand  haben.  Denn  sonst  könnten  sie,  wenn  ich  sie  böse  mache,  eines 
anderen  Feld  anzünden  und  mich  zu  Zahlungen  nötigen". 

Ibid.  IV,  8:  „Ein  galiläischer  Ketzer*  sprach  einst:  Ich  tadle  euch  Pe- 
ruschim, daß  ihr  in  den  Scheidebrief  den  Namen  des  Regenten  mit  dem  des 


4)  Ich  zweifle  nicht,  daß  „Homeros"  zu  lesen  ist;  D  und  D  sind  in  den 
Handschriften  oft  kaum  zu  unterscheiden.  Mancherlei  Erklärungsversuche  s. 
bei:  Buxtorf,  Lex.  Chald.  eol.  1256«?.  (s.v.  D*ra).  Levy,  Neuhebr.  Wörtern. 
I,  476.  Perl  es,  Revue  des  itudes  juives  HI,  1881,  p.  Mßsqq.  Weil  ebenda*. 
III,  276  sqq.  Edersheim,  The  life  and  times  of  Jesus  the  Messiah  I,  1884, 
p.  23  not.    Kohut,  Jewisk  Quarterly  Review  III,  1891,  p.  546 — 548. 

5)  Nach  den  besten  Zeugen  (cod.  de  Rossi  138,  Cambridger  Handschrift, 
editio  prineeps  der  Mischna  1492)  ist  hier  und  im  folgenden  statt  *»i*4a  *pW& 
zu  lesen  ^ba  yw. 


[385.  386]  Die  Zeugnisse  der  Misch  na,  453 

Mose  schreibet  Darauf  erwiderten  die  Feruschim:  Wir  müssen  dich  tadeln, 
galiläischer  Ketzer,  daß  ihr  dennoch  den  Namen  des  Herrschers  und  den 
Namen  Gottes  auf  ein  Blatt  schreibet,  und  noch  dazu  jenen  oben  und  diesen 
unten.  Denn  in  der  Schrift  steht  (Exod.  5,  2):  Pharao  sprach:  Wer  ist 
Jahve,  daß  ich  ihm  gehorchen  und  Israel  entlassen  müßte?" 

Chagiga  II,  7:  „Die  Kleider  von  Am-haarez  sind  Midras  (O^ns,  d.  h.  durch 
Druck  verunreinigt)  für  Peruschim;  die  der  Peruschim  sind  Midras  für  die, 
welche  Hebe  essen;  die  der  letzteren  sind  Midras  für  die,  welche  Heiliges 
essen;  und  die  der  letzteren  sind  Midras  für  die  mit  Entsündigungswasser 
Sprengenden"8. 

Sota  HI,  4:  „R.  Josua  pflegte  zu  sagen:  Ein  törichter  Frommer,  ein  kluger 
Gottloser,  eine  pharisäische  Frau  (nspriB  rrät*)  und  Leiden  von  Peruschim 
verderben  die  Welt" 7.  | 

Erubin  VI,  2:  „Rabban  Gamaliel  erzählt:  Einst  wohnte  ein  Zadduki  mit 
uns  in  einem  Maboi  (einer  zum  Zweck  des  freieren  Sabbathverkehrs  abge- 
sperrten Straße)  in  Jerusalem.  Da  sprach  mein  Vater  zu  uns:  Briuget  eilig 
alle  Geräte  in  den  Maboi,  ehe  der  Zadduki  etwas  dahin  bringe  und  ihn  für 
euch  unerlaubt  mache.  R.  Juda  führt  den  Ausspruch  anders  an:  Tut  eilig, 
was  ihr  zu  tun  habt  im  Maboi,  ehe  der  Zadduki  etwas  dahin  bringe  und  ihn 
für  euch  unerlaubt  mache"8. 


6)  Ober  die  Bedeutung  von  Am-haarez  (^Ktt  05)  s.  weiter  unten.  —  „Die, 
welche  Hebe  essen"  sind  die  Priester  und  deren  Angehörige;  „die  welche  Hei- 
liges essen"  sind  die  Dienst  tuenden  Priester.  Jede  folgende  Kategorie  steht 
in  der  Heiligkeit  und  Reinheit  immer  um  einen  Grad  höher  als  die  vorher- 
gehende, weshalb  die  Kleider  der  vorhergehenden  für  sie  als  unrein  und  un- 
erlaubt gelten.  Vgl.  zur  Erläuterung  Levy,  Neuhebr.  Wörterb.  s.  v.  övra  (ÜI, 
33  f.)  und  die  Übersetzung  in  der  unter  Josts  Leitung  herausgegebenen  Mischna. 
Die  breite  Erörterung  von  Krüger  über  Chagiga  II,  7  (Theol.  Quartalschr. 
1894,  S.  431—442)  mischt  Fremdartiges  ein. 

7)  Der  Sinn  scheint  zu  sein,  daß  bei  einer  Verbindung  unvereinbarer  Ge- 
gensätze die  Welt  nicht  bestehen  kann.  Die  Ausleger  erklären  freilich  anders. 
S.  Surenhusius'  Mischna  III,  218 ff.  Chwolson,  Das  letzte  Passamahl 
Christi  (Mhnoires  de  l'Acadimie  imperiale  des  sciences  de  St.-Petersbourg,  VII« 
Serie,  tome  XLI,  No.  1,  1892)  S.  115. 

8)  Die  Erklärung  der  schwierigen  Mischna  ist  streitig,  und  die  Schwierig- 
keit wird  erhöht  durch  das  Schwanken  der  Lesart  im  letzten  Satze  (s.  die  An- 
merkung in  Josts  Mischna  und  die  Kommentare  bei  Surenhusius  II,  108  f.). 
Die  allgemeine  Regel,  welche  bei  dem  angeführten  Spezialfälle  vorausgesetzt 
wird,  ist  die,  daß  mehrere  Israeliten,  welche  in  einem  gemeinsamen  Hofe  oder 
einer  abgesperrten  Straße  wohnen,  diesen  Raum  für  ihren  Privat- Bereich  er- 
klären können,  indem  sie  vor  Sabbath- Anbruch  gemeinsam  etwas  Speise  da- 
selbst niederlegen.  Ist  dies  geschehen,  so  dürfen  in  diesem  Bereich  auch  am 
Sabbath  Gegenstände  hin-  und  hergetrageu  werden,  während  es  in  einem 
öffentlichen  Bereiche  verboten  ist.  Die  gemeinsame  Besitzergreifung  durch 
{Niederlegen  von  Speise  ist  jedoch  nur  dann  gestattet,  wenn  alle  Anwohner 
Israeliten  sind.  Hat  ein  Heide  oder  ein  Israelite,  der  das  Recht  des  Erub 
nicht  anerkennt,  Anteil  am  Hof  oder  an  der  Straße,  so  ist  die  Sache  nicht 
ausführbar  (Erubin  VI,  1).  Man  wußte  jedoch  auch  hier  zu  helfen.  Einem 
Heiden   kann   sein  Besitzrecht  abgemietet,   und  ein  Sadduzäer  kann  veran- 


454  §  26.   Pharisäer  und  Sadduzäer.  [386.  387] 

Makkoth  I,  6:  „Falsche  Zeugen  werden  nur  dann  hingerichtet,  wenn  be- 
reits das  Urteil  über  den  von  ihnen  Angeschuldigten  gefallt  worden.  Die 
Zaddukim  sagen  nämlich:  Nur  dann,  wenn  er  bereits  hingerichtet  worden; 
weil  es  heißt  {Deut.  19,  21):  Seele  um  Seele.  Allein  die  Gelehrten  widerlegten 
dies,  da  es  heißt  (Deut.  19,  19):  Ihr  sollt  ihm  tun,  wie  er  gedachte  seinem 
Bruder  zu  tun.    Also  ist  sein  Bruder  noch  da". 

Para  HI,  3  hat  nur  der  gedruckte  Vulgär-Text  D^pllS.  Die  besseren  Zeugen 
haben  ü^o». 

Para  III,  7:  „Man  verunreinigte  absichtlich  den  die  rote  Kuh  ver- 
brennenden Priester,  wegen  der  Zaddukim,  damit  sie  nicht  behaupten,  die 
Kuh  werde  nnr  von  solchen  bereitet,  die  durch  den  Sonnenuntergang  rein  ge- 
worden". 

Nidda  IV,  2:  „Die  Töchter  der  Zaddukim  sind,  wenn  sie  in  den  Wegen 
ihrer  Väter  wandeln,  den  Samaritaoerinen  gleich.  Wandeln  sie  offenkundig  in 
den  Wegen  Israels,  so  sind  sie  wie  Israelitinen.  B.  Jose  sagt:  Sie  werden  alle 
wie  Israelitinen  angesehen,  wenn  nicht  erwiesen  ist,  daß  sie  in  den  Wegen 
ihrer  Väter  wandeln".  | 


b)  Über  Chaber  und  Am-haarez. 

Demai  II,  3:  „Wer  es  auf  sich  nimmt,  ein  Chaber  ("Oft)  zu  sein,  ver- 
kauft an  den  Am-haarez  (f^OT  B?)  weder  feuchte  noch  trockene  Früchte, 
kauft  von  ihm  keine  feuchten,  kehrt  nicht  als  Gast  bei  ihm  ein  und  nimmt 
ihn  nicht  in  seinem  Gewände  als  Gast  auf.  R.  Juda  sagt:  Er  darf  auch  kein 
kleines  Vieh  ziehen 10,  nicht  leichtsinnig  sein  mit  Gelübden  und  mit  Scherzen, 
sich  nicht  an  Toten  verunreinigen;  muß  dagegen  im  Schulhause  aufwarten. 
Man  erwiderte  ihm  aber:   Dies  alles  kommt  nicht  zur  Hauptsache". 

Demai  VI,  6:  „Die  Schule  Schammais  sagt:  Man  verkauft  Oliven  keinem 
anderen  als  einem  Chaber.  Die  Schule  Hillels  sagt:  Auch  wohl  einem,  der 
stets  verzehntet.  Die  Sorgfältigen  aus  der  Schule  Hillels  richteten  sich  indeß 
hierin  nach  der  Schule  Schammais". 

DemaiVI,  9:  „Wenn  ein  Chaber  und  ein  Am-haarez  ihren  Vater,  der 
ein  Am-haarez  gewesen,  beerben,  so  kann  jener  sagen:  Nimm  du  den  Weizen 
an  dieser,  ich  will  den  Weizen  an  jener  Stelle  nehmen;  du  den  Wein  von 
dieser,  ich  den  Wein  von  jener  Stelle.  Aber  er  darf  nicht  zu  ihm  sagen: 
Nimm  du  Weizen,  ich  Gerste;  du  das  Feuchte,  ich  das  Trockene"11. 

laßt  werden,  auf  dasselbe  für  den  Sabbath  zu  verzichten  (Maimonides,  Ä/- 
choth  Erubin  II  u.  V,  16,  Petersburger  Übersetzung  Bd.  II  S.  253  ff.  286  f. 
Schwarz,  Die  Tosifta  des  Tractates  Erubin  1882,  S.  59  ff.).  In  der  Mi  seh  Da 
ist  aber  dieser  Punkt  noch  streitig  {Erubin  VI,  1);  und  der  angeführte  Spezial- 
fall scheint  zu  lehren,  daß  die  strengen  Israeliten  dem  Sadduzäer  einfach  zu- 
vorkommen können,  während  andererseits  auch  dem  Sadduzäer  dasselbe 
Recht  zusteht. 

9)  So  cod.  de  Rossi  138,  die  Cambridger  Handschrift,  und  die  editio  prin* 
ceps  der  Mischna  (Neapel  1492). 

10)  Weil  die  Schafhirten  den  fremden  Acker  nicht  schonen. 

11)  Das  Interesse  ist   dabei  die  richtige  Verzehntung  aller  Fruchtarten 
durch  den  Chaber. 


[387.  388]  Die  Zeugnisse  der  Mischna.  455 

Demai  VI,  12:  „Sagt  ein  Am-haarez  zu  einem  Chaber:  Kaufe  mir  ein 
Bündel  Kräuter,  kaufe  mir  ein  feines  Brot,  so  kann  dieser  ohne  besondere  Be- 
merkung kaufen  und  ist  frei  von  der  Zehntpflicht.  Hat  er  aber  hinzugesetzt: 
Dies  kaufe  ich  für  mich  und  jenes  für  meinen  Freund,  und  sie  werden  ver- 
mengt, so  muß  er  alles  verzahnten,  selbst  wenn  letzteres  hundert  wären 
(nämlich  hundertmal  so  viel  wie  seine  eigenen)". 

Schebiüh  V,  9  «=-  Gittin  V,  9:  „Eine  Frau  darf  einer  anderen,  die  wegen 
Schebiith  (Genuß  von  Früchten  des  siebenten  Jahres)  verdächtig  ist,  ein  Mehl- 
sieb und  ein  Kornsieb,  eine  Handmühle  und  einen  Ofen  leihen;  aber  nicht 
ihr  lesen  oder  mahlen  helfen.  Die  Frau  eines  Chaber  darf  der  Frau  eines 
Am-haarez  ein  Mehlsieb  und  ein  Kornsieb  leihen,  auch  ihr  lesen  und  mahlen 
und  sieben  helfen.  Aber  sobald  sie  Wasser  auf  das  Mehl  gegossen,  darf  sie 
nicht  weiter  mit  anrühren 12,  denn  man  darf  die  Übertreter  nicht  unterstützen. 
Übrigens  hat  man  dies  letztere  nur  erlaubt  um  des  Friedens  willen,  wie  man 
den  Heiden  im  siebenten  Jahre  zur  Arbeit  Glück  wünschen  darf,  aber  nicht 
dem  Israeliten  u.  s.  w." 

Bikkurim  III,  12:  „R.  Juda  sagt:  Der  Priester  darf  die  Erstlinge  nur 
einem  Chaber  als  Geschenk  geben". 

Tohoroth  VTI,  4:  „Wenn  die  Frau  eines  Chaber  die  eines  Am-haarez 
in  ihrem  Hause  an  der  Mühle  mahlend  verließ,  so  ist,  wenn  die  Mühle  still 
steht,  das  Haus  unrein;  wenn  sie  noch  mahlt,  nur  das  unrein,  was  jene  mittelst 
Ausstreckung  der  Hand  berühren  kann.  Sind  zwei  solche  Frauen  da,  so  ist 
nach  B.  Meir  alles  unrein,  weil,  während  die  eine  mahlt,  die  andere  alles  be-j 
rühren  kann,  nach  den  Gelehrten  auch  dann  nur  das,  was  jede  mittelst  Aus- 
streckung der  Hand  berühren  kann". 

Tohoroth  VUI,  5:  „Wenn  die  Frau  eines  Am-haarez  in  das  Haus  eines 
Chaber  eintritt,  um  dessen  Sohn  oder  Tochter  oder  Vieh  herauszuholen,  so 
bleibt  das  Haus  rein,  weil  sie  keine  Erlaubnis  hat,  darin  zu  verweilen". 

Die  Priester  und  die  Schriftgelehrten  sind  die  beiden 
maßgebenden  Faktoren,  durch  welche  die  innere  Entwickelung 
Israels  seit  dem  Exil  bestimmt  ist.  Zur  Zeit  Esras  sind  sie  im 
wesentlichen  noch  identisch.  Seit  Beginn  der  griechischen  Zeit 
gingen  sie  mehr  und  mehr  auseinander.  Um  die  Zeit  der  makka- 
bäischen  Kämpfe  entwickelten  sich  aus  ihnen  zwei  Parteien,  die 
geradezu  in  einen  scharfen  Gegensatz  gegeneinander  traten.  Aus 
den  Kreisen  der  Priester  ging  die  sadduzäische  Partei  hervor, 
aus  den  Kreisen  der  Schriftgelehrten  die  Partei  der  Pharisäer. 
Beide  Parteien  kennen  wir  namentlich  aus  den  Zeugnissen  des 
Josephus  und  des  Neuen  Testamentes  als  zwei  einander  feindlich 
gegenüberstehende  Kreise.  Man  verschließt  sich  aber  von  vorn- 
herein das  Verständnis  ihres  Wesens,  wenn  man  den  Gegensatz 
zwischen  beiden  als  einen  wirklich  begrifflichen  auffaßt.  Die 
Pharisäer  sind  ihrem  Wesen  nach  die  streng  Gesetzlichen, 


12)  Der  Grund  liegt  hier  in  den  Gesetzen  über  rein  und  unrein.    S.  die 
Kommentare. 


456  §  26-   Pharisäer  und  Sadduzäer.  [388.  389] 

die  Sadduzäer  aber  sind  zunächst  nichts  anderes  als  die  Aristo- 
kraten, die  durch  die  geschichtliche  Entwicklung  allerdings  zur 
Opposition  gegen  die  pharisäische  Gesetzlichkeit  gedrängt  worden 
sind,  bei  denen  aber  dies  letztere  nicht  das  eigentlich  grundlegende 
Moment  ihres  Wesens  bildet  Man  gewinnt  daher  ein  schiefes  Bild, 
wenn  man  die  Differenzen  zwischen  beiden  Punkt  für  Punkt  ein- 
ander gegenüberstellt  Die  Charakteristik  der  Pharisäer  hat  viel- 
mehr auszugehen  von  ihrer  gesetzlichen  Richtung,  die  der 
Sadduzäer  von  ihrer  sozialen  Stellung13. 


I.  Die  Pharisäer, 

Die  Pharisäer  sind  ihrem  Wesen  nach  einfach  diejenigen,  welche 
es  mit  der  Auslegung  und  Beobachtung  des  Gesetzes  besonders 
genau  nehmen,  also  die  streng  Gesetzlichen,  die  sichs  auch 
Mühe  und  Entbehrungen  kosten  ließen,  das  Gesetz  pünktlich  zu 
erfüllen.  „Sie  gelten  dafür,  mit  Genauigkeit  die  Gesetze  auszu- 
legentt  ".  „Sie  |  tun  sich  etwas  zugute  auf  die  genaue  Auslegung 
des  väterlichen  Gesetzes"  15.  „Sie  verzichten  auf  den  Lebensgenuß 
und  geben  sich  in  nichts  der  Bequemlichkeit  hin" 16.  Sie  sind  also 
diejenigen,  welche  das  von  den  Schriftgelehrten  aufgestellte  Ideal 
eines  gesetzlichen  Lebens  mit  Ernst  und  Konsequenz  auch  praktisch 
durchzuführen  sich  bestrebten.  Damit  ist  schon  gesagt,  daß  sie 
die  klassischen  Repräsentanten  derjenigen  Richtung  sind, 
welche  die  innere  Entwickelung  Israels  in  der  nachexi- 
lischen  Zeit  überhaupt  eingeschlagen  hat  Was  von  dieser 
überhaupt  gilt,  gilt  in  spezifischer  Weise  von  der  pharisäischen 
Partei.  Sie  ist  das  eigentliche  Kernvolk,  das  sich  von  der  übrigen 
Masse  nur  durch  größere  Strenge  und  Konsequenz  unterscheidet. 
Die  Basis  all  ihrer  Bestrebungen  ist  darum  das  Gesetz  in  der- 
jenigen komplizierten  Ausbildung,  weiche  ihm  durch  die  jahr- 
hundertelange Arbeit  der  Schriftgelehrten  gegeben  worden  war. 
Dieses  pünktlich  durchzuführen,  ist  der  Anfang  und  das  Ende  all 


13)  Der  oben  ausgesprochene  Gedanke,  daß  der  Gegensatz  zwischen  bei- 
den kein  begrifflicher  ist,  ist  zum  erstenmal  voq  Wellhausen  präzise  for- 
muliert worden. 

14)  Bell.  Jud.  II,  8,  14:  ol  (xexa  ascgißelaq  öoxovvzsq  it-qyeto&ai  xä  vö- 
futua.  —  Vita  3S:  <ft  tigqI  xä  ndxQia  vößifxa  öoxovai  xojv  &)Jkwv  dxQißslq 
6ia<p&QUv.  —  Vgl.  Apgesch.  22,  3.  26,  5.   Phil.  3,  5. 

15)  Antt.  XVII,  2,  4 :  in   tqaxQißhosi  fiiya  <pgovovv  xov  naxgiov  vöfiov. 

16)  Antt.  XVIII,  1,  3:  x^v  öiavxav  i£evxeXi£ovoiv,  ohSlv  etg  xb  fiaXaxw- 
xbqov  SvöiSövzeq. 


[389.  390]  L  Die  Pharisäer.  457 

ihrer  Bestrebungen.  Zur  Charakteristik  des  Pharisäismus  dient 
daher  alles  das,  was  aber  die  Ausbildung  des  jüdischen  Rechtes 
durch  die  Arbeit  der  Schriftgelehrten  bereits  oben  (§  25,  III)  aus- 
geführt worden  ist;  ferner  auch  alles  das,  was  über  das  Wesen 
der  jüdischen  Gesetzlichkeit  noch  weiter  unten  (§  28)  mitzuteilen 
sein  wird.  Die  dort  charakterisierte  Gesetzlichkeit  ist  eben  die 
pharisäische.  —  Wie  aber  der  Pharisäismus  auf  dem  Boden  des 
durch  die  Schriftgelehrten  ausgebildeten  Gesetzes  ruht,  so  hat  er 
seinerseits  auch  wieder  die  weitere  Entwickelung  des  jüdischen 
Rechtes  beherrscht.  Nachdem  einmal  die  pharisäische  Partei  als 
solche  sich  gebildet  hatte,  sind  aus  ihrem  Schöße  alle  namhafteren 
Schriftgelehrten  hervorgegangen;  wenigstens  alle  diejenigen,  welche 
die  Entwickelung  für  die  Zukunft  bestimmt  haben.  Es  hat  wohl 
auch  sadduzäische  Schriftgelehrte  gegeben.  Ihre  Arbeit  hat  aber 
in  der  Geschichte  keine  Spüren  zurückgelassen.  Die  einflußreichen 
Schriftgelehrten  gehörten  alle  der  pharisäischen  Partei  an.  Das 
darf  als  selbstverständlich  vorausgesetzt  werden  und  wird  dadurch 
bestätigt,  daß  in  den  wenigen  Fällen,  wo  überhaupt  die  Partei- 
stellung der  Schriftgelehrten  namhaft  gemacht  wird,  sie  regelmäßig 
als  Pharisäer  bezeichnet  werden 17.  I 

Nach  dem  Gesagten  versteht  es  sich  von  selbst,  daß  die  Phari- 
säer nicht  nur  die  schriftliche  Thora,  sondern  ebenso  auch  das 
durch  die  Schriftgelehrten  ausgebildete  „mündliche  Gesetz"  für 
verbindlich  erklärten.  Diese  ganze  Fülle  von  Satzungen  galt  ja 
nur  als  die  korrekte  Auslegung  und  Weiterbildung  der  schriftlichen 
Thora.  Mit  dem  Eifer  für  diese  war  von  selbst  auch  der  Eifer  für 
jene  gegeben.  So  heißt  es  denn  ausdrücklich  bei  Josephus:  „Die 
Pharisäer  haben  dem  Volke  aus  der  Überlieferung  der 
Väter  (ix  naxtQcov  öiadoxTJq)  viele  Gesetze  auferlegt,  die 
nicht  geschrieben  sind  im  Gesetze  Mosis"18.  Als  Johannes 
Hyrkan  sich  von  den  Pharisäern  abwandte,  schaffte  er  die  Satzungen 
ab,  welche  die  Pharisäer  eingeführt  hatten  xaxa  xr\v  jtaxQcoav 
ütaQadooip,  und  bei  der  Restauration  unter  Alexandra  wurden  die- 
selben wiederhergestellt19.  Auch  im  Neuen  Testamente  ist  das 
Wertlegen  der  Pharisäer  auf  die  jraQaöootg  x<bv  jtQsoßvxsQcov  be- 
zeugt (Marc.  7,  3.  ML  15,  2).  Daß  das  ganze  rabbinische  Juden- 
tum hinsichtlich  dieser  jtaQaöootg  denselben  Standpunkt  vertritt, 

17)  AntL  XV,  1,  1:  TIoXIlojv  6  tpagtoaioq  xal  Zaualaq  6  xovxov  (Aa&tj- 
rrfq.  Ebenso  Anit.  XV,  10,  4.  —  Apgesch.  5,  34:  xlq  iv  xöj  GvveÖQiqt  <Pccqi- 
aatoq  övöfxazi  rafiaXi^k.  —  Jos.  Vita  38:  6  6h  Siftwv  ovzoq  ty  ndXewq  phv 
'iepoooXvfjuw,  ylvovq  6h  a<p6öQa  Xa/uTiQOv,  xfjq  6h  4*aQiocdatv  algioecaq. 

18)  Anit.  XIU,  10,  6. 

19)  Antt.  XIII,  16,  2. 


458  §  26.   Pharisäer  und  Sadduzäer.  [390.  391] 

ist  bereits  oben  (S.  394  f.)  gezeigt  worden.  Die  Halacha  oder  das 
traditionelle  Recht,  wie  es  durch  die  Arbeit  der  Schriftgelehrten 
ausgebildet  und  festgestellt  worden  ist,  wird  für  ebenso  rechtsver- 
bindlich erklärt,  wie  die  schriftliche  Thora.  „R.  Eleasar  aus  Modein 
sagte:  Wer  die  Schrift  auslegt  im  Widerspruch  mit  der  Über- 
lieferung (nabn?  «itö),  hat  keinen  Anteil  an  der  zukünftigen  Welt41 20. 
Unter  den  Ursachen,  um  derentwillen  Kriegsstürme  über  das  Land 
kommen,  werden  u.  a.  auch  genannt  „Leute,  die  das  Gesetz  auslegen 
im  Widerspruch  mit  der  Überlief erungtt  (HDbn?  a&toj)21.  Die  tra- 
ditionelle Auslegung  und  das  traditionelle  Recht  wird  also  für 
schlechthin  bindend  erklärt.  Und  es  ist  dabei  nur  konsequent, 
wenn  die  Abweichung  von  diesem  sogar  für  strafbarer  erklärt 
wird  als  die  Abweichung  von  der  schriftlichen  Thora.  „Es  ist 
strafbarer,  gegen  die  Verordnungen  der  Schriftgelehrten 
zu  lehren,  als  gegen  die  Thora  selbst"22.  Wenn  die  tradi- 
tionelle Auslegung  bindend  ist,  so  ist  ja  in  der  Tat  sie,  und  nicht 
das  geschriebene  Gesetz  die  entscheidende  Instanz.  Nichts  anderes 
als  dieses  feste  Traditionsprinzip  des  Pharisäismus  ist  auch  ge- 
meint mit  der  schönen  Redensart  des  Josephus,  daß  die  Pharisäer 
sich  keinen  Widerspruch  gegen  die  Anordnungen  der  dem  |  Alter 
nach  Vorangehenden  erlauben23.  Immerhin  ist  in  diesen  Worten 
des  Josephus  noch  unendlich  viel  mehr  Einsicht  enthalten,  als  in 
der  Behauptung  Geigers,  daß  der  Pharisäismus  „das  Prinzip  der 
fortschreitenden  Entwickelungtt  sei,  und  der  Protestantismus  nur 
„das  volle  Spiegelbild  des  Pharisäismus4*24. 

Wie  in  der  Stellung  zum  Gesetz,  so  vertritt  der  Pharisäismus 
auch  in  den  religiösen  und  dogmatischen  Anschauungen 
lediglich  den  orthodoxen  Standpunkt  des  späteren  Judentums.  Als 
charakteristisch  für  die  Pharisäer  im  Unterschied  von  den  Saddu- 
zäern  werden  in  dieser  Hinsicht  teils  von  Josephus  teils  im  Neuen 
Testamente  folgende  Punkte  hervorgehoben. 

1)  Die  Pharisäer  lehren,  „daß  jede  Seele  unvergänglich  sei, 
aber  nur  die  der  Guten  in  einen  anderen  Leib  übergehe,  die  der 
Bösen  hingegen  mit  ewiger  Pein  gestraft  werde*425;  oder,  wie  es 
an  einer  andern  Stelle  heißt,   „sie  haben  den  Glauben,  daß  den 

20)  Aboth  III,  11. 

21)  Aboth  V,  8. 

22)  Sanhedrin  XI,  3. 

23)  Antt.  XVIII,  1,  3. 

24)  Geiger,  Sadducaer  und  Pharisäer  (Separat- Abdruck)  S.  35. 

25)  Bell.  Jud.  II,  8,  14.  —  Daß  Josephus  den  Pharisäern  hiermit  nicht 
die  Lehre  von  der  Seelenwanderung  zuschreiben  will,  beweist  die  fol- 
gende Stelle. 


[391.  392]  L  Die  Pharisäer.  459 

Seelen  eine  unsterbliche  Kraft  zukomme,  und  daß  es  unter  der 
Erde  Strafen  und  Belohnungen  gebe  für  diejenigen  (Seelen),  welche 
im  Leben  der  Tugend  oder  Schlechtigkeit  sich  hingaben,  und  daß 
den  einen  ewiges  Gefängnis  bestimmt  sei,  den  andern  aber  die 
Möglichkeit,  ins  Leben  zurückzukehren"26.  Die  Sadduzäer  da- 
gegen sagen,  es  gebe  keine  Auferstehung  (firj  elvai  avaaxaoiv 
Mt  22,  23.  Mc.  12,  18.  Lc.  20,  27.  Act  23,  8;  vgl.  4,  1—2).  „Sie 
leugnen  die  Fortdauer  der  Seele  und  die  Strafen  und  Belohnungen 
in  der  Unterwelt"27  „Die  Seelen  vergehen  nach  ihrer  Lehre  zu- 
gleich mit  den  Körpern"28.  —  Was  hier  von  Josephus  in  philo- 
sophierender Manier  als  Lehre  der  Pharisäer  dargestellt  wird,  ist 
einfach  der  jüdische  Vergeltungs*  und  Auferstehungsglaube,  wie  er 
schon  durch  das  Buch  Daniel  (Daniel  12,  2)  und  von  da  an  durch 
die  gesamte  jüdische  Literatur,  auch  durch  das  Neue  Testament, 
als  Gemeinbesitz  des  genuinen  Judentums  bezeugt  ist  Die  Ge- 
rechten werden  auferstehen  zum  ewigen  Leben  in  der  Herrlichkeit 
des  messianischen  Reiches,  die  Ungerechten  aber  werden  mit  ewiger 
Pein  gestraft  werden.  Der  Kern  dieses  Glaubens  ist  auch  nicht 
eine  bloße  philosophische  Schulmeinung  in  betreff  der  Unsterblich- 
keit, sondern  es  hängt  daran  das  direkt  religiöse  Interesse  des  per- 
sönlichen Heiles  jedes  einzelnen.  Dieses  erscheint  nur  garantiert 
unter  der  Voraussetzung  der  leiblichen  Auferstehung.  Darum  wird 
auf  diese  ein  so  großes  Gewicht  gelegt,  daß  es  in  der  Mischna 
sogar  heißt:  „Wer  da  sagt,  die  Auferstehung  der  Toten  sei 
nicht  vom  Gesetz  herzuleiten,  der  hat  keinen  Anteil  an 
der  zukünftigen  Welt"29.  Indem  die  Sadduzäer  also  die  Auf- 
erstehung und  überhaupt  die  Unsterblichkeit  leugnen,  lehnen  sie 
zugleich  die  gesamte  messianische  Hoffnung  wenigstens  in  der- 
jenigen Form  ab,  welche  ihr  das  spätere  Judentum  gegeben  hat 
Und  es  sind  nicht  die  Pharisäer,  sondern  die  Sadduzäer  diejenigen, 
welche  —  vom  Standpunkte  des  späteren  Judentums  aus  —  eine 
Sondermeinung  vertreten. 

2)  Die  Pharisäer  lehren  ferner  auch  Engel  und  Geister,  die 
Sadduzäer  leugnen  sie  (Apgesch.  23,  8).  Obwohl  diese  Angabe 
der  Apostelgeschichte  sich  nicht  durch  anderweitige  Zeugnisse  be- 
stätigen läßt,  ist  sie  doch  durchaus  glaubwürdig;  denn  sie  stimmt 
ganz  zu  dem  Bilde,  das  wir  ohnehin  von  dem  Wesen  der  beiden 
Parteien  gewinnen.    Daß  auch  hier  die  Pharisäer  den  gemein- 


26)  Antt.  XVni,  1,  3. 

27)  B.  J.  H,  8,  14. 

28)  Antt.  XVIII,  1,  4. 

29)  Sanhedrin  X,  1. 


460  §  26-   Pharisäer  und  Sadduzäer.  [392.  393] 

jüdischen  Standpunkt  der  späteren  Zeit  vertreten,  bedarf  nicht  erst 
des  Beweises. 

3)  Auch  über  die  göttliche  Vorsehung  und  die  menschliche 
Willensfreiheit  schreibt  Josephns  den  Pharisäern  und  Sadduzäern 
verschiedene  Anschauungen  zu.  Die  Pharisäer  „machen  alles 
vom  Geschick  und  von  Gott  abhängig  und  lehren,  daß  das  Tun 
und  Lassen  des  Guten  zwar  größtenteils  Sache  der  Menschen  sei, 
daß  aber  zu  jeder  Handlung  auch  das  Geschick  mithelfe" 30.  „Sie 
behaupten,  daß  alles  durch  das  Geschick  vollbracht  werde.  Doch 
berauben  sie  den  menschlichen  Willen  nicht  der  eigenen  Tätigkeit 
hierbei,  indem  es  Gott  gefallen  habe,  daß  eine  Mischung  stattfinde, 
und  daß  zum  Willen  des  Geschickes  auch  der  menschliche  Wille 
hinzukomme  mit  Tugend  oder  Schlechtigkeit" 3l.  „Sie  sagen,  einiges, 
aber  nicht  alles  sei  ein  Werk  des  Geschickes;  einiges  stehe  bei 
den  Menschen  selbst,  ob  es  geschehe  oder  nicht  geschehe1*32.  — 
Die  Sadduzäer  „leugnen  das  Geschick  ganz  und  gar  und  setzen 
Gott  außerhalb  der  Möglichkeit,  etwas  Böses  zu  tun  oder  vorzu- 
sehen. Sie  sagen,  daß  in  des  Menschen  Wahl  das  Gute  und  das  | 
Böse  stehe  und  das  Tun  des  einen  oder  des  andern  nach  seinem 
Belieben" 33.  „Sie  leugnen  das  Geschick,  indem  sie  behaupten,  daß 
es  nichts  sei,  und  daß  nicht  durch  dasselbe  die  menschlichen  Dinge 
zustande  kommen.  Alles  vielmehr  schreiben  sie  uns  selbst  zu,  in- 
dem wir  selbst  sowohl  des  Glückes  Ursache  seien,  als  auch  das 
Übel  durch  unsere  eigene  Unbesonnenheit  uns  zuzögen" 34.  —  Auf 
den  ersten  Blick  scheint  es  sehr  befremdlich,  solche  Philosopheme 
bei  den  religiösen  Parteien  Palästinas  zu  finden;  und  es  entsteht 
der  Verdacht,  daß  Josephus  nach  eigenem  Gutdünken  nicht  nur 
religiöse  Anschauungen  philosophisch  gefärbt,  sondern  geradezu 
philosophische  Theorien  seinen  Landsleuten  angedichtet  hat;  ein 


30)  B.  J.  U,  8,  14. 

31)  Antt.  XVIII,  1,  3.  —  Die  obige  Übersetzung  beruht  auf  der  Lesart 
td  i&eMjoav  für  Tip  iöeXtfoccvti, 

32)  Antt.  XIII,  5,  9. 

33)  B,  J.  II,  8,  14.  —  Die  noch  von  Keim  I,  281  verteidigte  Lesart  tdv 
9eöv  l£co  xov  ÖQäv  xi  xaxdv  rj  fxij  ögäv  (für  jJ  i<poQäv)  zi&evzcu  ist  eine  ganz 
unnütze  Konjektur,  die  von  den  neueren  Herausgebern  mit  Recht  wieder  ver- 
lassen ist  Das  Wort  i<pOQäv  ist,  wie  schon  Passows  Wörterbuch  ausweist, 
in  der  gesamten  Gräzität  der  eigentliche  technische  Ausdruck  für  die  gött- 
liche Aufsicht  über  die  Welt,  und  zwar  nicht  nur  im  Sinne  des  tn8pieorey 
sondern  auch  im  Sinne  des  prospicere,  provtdere.  Entsprechend  ist  das  hebräische 
HB3  in  dem  weiter  unten  anzuführenden  Ausspruche  Akibas. 

34)  Antt,  XIII,  5,  9.  —  Über  naga  c.  Acc.  in  der  Bedeutung  „durch" 
(eigentl.  „bei")  s.  Passow  II,  669t>  oben. 


[393.  394]  I.  Die  Pharisäer  461 

Verdacht,  der  sich  noch  steigert,  wenn  wir  seine  Äußerungen  über 
die  Essener  hinzunehmen,  wonach  sich  das  Schema  ergibt,  daß 
die  Essener  ein  unbedingtes  Fatum  lehren,  die  Sadduzäer  das  Fatum 
gänzlich  leugnen,  die  Pharisäer  einen  Mittelweg  zwischen  beiden 
einschlagen.  Und  um  unsern  Verdacht  noch  weiter  zu  verstärken, 
versichert  Josephus  anderwärts  ausdrücklich,  daß  die  Pharisäer 
den  Stoikern,  die  Essener  den  Pythagoreern  entsprächen85.  In 
der  Tat  beweist  ja  schon  der  Ausdruck  elfiaQ^vrj,  der  für  jedes 
jüdische  Bewußtsein  völlig  unmöglich  ist,  daß  wir  es  mindestens 
mit  einer  starken  griechischen  Färbung  jüdischer  Anschauungen 
zu  tun  haben  Aber  es  ist  eben  doch  nur  das  Kleid,  das  aus 
Griechenland  geborgt  ist.  Die  Sache  selbst  ist  echt  jüdisch.  Denn 
im  Grunde  sagt  Josephus,  sobald  wir  nur  die  griechische  Form 
abstreifen,  nichts  anderes,  als  dies:  daß  nach  der  Lehre  der  Phari- 
säer alles,  was  geschieht,  durch  Gottes  Vorsehung  geworden  ist, 
daher  auch  bei  den  menschlichen  Handlungen,  sowohl  den  guten 
als  den  bösen,  ein  Mitwirken  Gottes  anzunehmen  sei.  Dies  ist 
aber  eine  echt  alttestamentliche  Anschauung.  Einerseits  nämlich 
führt  die  strenge  Fassung  des  Begriffes  der  göttlichen  Allmacht 
dazu,  auch  die  menschlichen  Handlungen,  sowohl  die  guten  als  die 
bösen,  als  von  Gott  gewirkt  vorzustellen.  „Der  gute  sowohl  als 
der  böse  |  Geist  kommt  von  Gott;  er  erneuert  das  Herz  und  den 
Geist,  und  er  ist  es  auch,  der  beide  verstockt;  er  treibt  den  Menschen 
zu  verkehrten  wie  zu  trefflichen  Taten;  er  läßt  ihn  reden  was  gut, 
aber  auch  was  böse  ist1*36.  Andererseits  betont  das  Alte  Testa- 
ment doch  ebensogut  auch  die  sittliche  Verantwortlichkeit  des 
Menschen:  er  selbst  zieht  sich  Schuld  und  Strafe  zu,  wenn  er  böse 
handelt,  wie  andererseits  Verdienst  und  Lohn,  wenn  er  gut  handelt 
Und  gerade  für  das  spätere  Judentum  ist  die  sittliche  Selbständig- 
keit des  Menschen  ein  Fundamentalgedanke,  eine  Grundvoraus- 
setzung seines  gesetzlichen  Eifers  und  seiner  Zukunftshoffnung. 
Beide  Gedankenreihen  sind  also  echt  jüdisch.  Man  ist  auch  auf 
das  Problem,  das  darin  liegt,  aufmerksam  geworden.  In  sehr  starker 
und  auffälliger  Weise  betont  Jesus  Sirach  die  Willensfreiheit, 
offenbar  in  bewußter  Polemik  gegen  die  Behauptung,  daß  Gott 
selbst  die  Sünde  bewirke.  Aber  derselbe  Sirach  sagt  auch,  daß 
Gott  den  Menschen  nach  seinem  Belieben  bilde,  wie  der  Töpfer 


35)  Vüa  2  fin.  Antt.  XV,  10,  4. 

36)  Mit  diesen  Worten  ist  die  alttestamentliche  Anschauung  zusammen- 
gefaßt in  der  trefflichen  Untersuchung  von  De  Visser,  De  daemonologie  van 
•het  Oude  Testament  (Utrecht  1880)  p.  5—47.  Vgl.  Theol.  Litztg.  1881,  coL  26. 
Lütgert  in  der  unten  genannten  Abhandlung  S.  55 — 59. 


462  §  26-   Pharisäer  und  Sadduzäer.  [394] 

den  Ton37.  Ähnliche  kürzere  Äußerungen  finden  sich  in  den  salo- 
monischen Psalmen 38.  So  hat  überhaupt  das  Judentum  das  Problem 
der  göttlichen  Vorsehung  und  menschlichen  Freiheit  zum  Gegen- 

37)  Willensfreiheit,  Sir*  15|  11—20  (nach  Smends  Obersetzung): 

15,  11.  Sage  nicht:  von  Gott  kam  meine  Sünde; 
denn  er  bewirkt  nicht,  was  er  haßt 

12.  Sage  ja  nicht:  er  selbst  brachte  mich  zu  Fall ; 

denn  die  Frevler  sind  nicht  vonnöten. 

13.  Böses  und  Greuel  haßt  der  Herr, 

und  er  laßt  es  nicht  zustoßen  denen,  die  ihn  fürchten. 

14.  Gott  hat  im  Anbeginn  den  Menschen  geschaffen 

und  überließ  ihn  seinem  freien  Willen. 

15.  Wenn  es  dir  beliebt,  hältst  du  das  Gebot, 

und  Treue  ist  es,  das  ihm  Wohlgefällige  zu  tun. 

16.  Man  hat  dir  vorgesetzt  Feuer  und  Wasser; 

strecke  deine  Hand  aus,  wohin  du  willst! 

17.  Vor  dem  Menschen  liegen  Leben  und  Tod; 

was  ihm  beliebt,  wird  ihm  gegeben. 

18.  Denn  allgenugsam  ist  die  Weisheit  des  Herrn, 

er  ist  stark  an  Macht  und  alles  sieht  er. 

19.  Die  Augen  [Gottes]  sehen  auf  die,  die  ihn  fürchten, 

und  er  kennt  alles  Tun  der  Menschen. 

20.  Er  befahl  keinem  Menschen  zu  sündigen, 

und  er  stärkt  nicht  die  Anhänger  der  Lüge. 

Gottes  freies  Belieben,  Sir.  36,  10—15: 

36,  10:  Auch  alle  Menschen  sind  von  Ton  gemacht, 
und  aus  Erde  wurde  Adam  geschaffen. 

11.  In  seiner  großen  Weisheit  machte  Gott  sie  verschieden, 

und  mannigfaltig  gestaltete  er  ihre  Schicksale. 

12.  Die  einen  segnete  und  erhöhte  er, 

UDd  andere  heiligte  er  und  brachte  sie  nahe  zu  sich, 
und  andere  verfluchte  und  erniedrigte  er, 
und  stürzte  sie  von  ihrer  Stelle. 

13.  Wie  der  Ton  in  der  Gewalt  des  Töpfers  ist, 

so  daß  er  ihn  gestaltet  nach  seinem  Belieben, 
so  ist  der  Mensch  in  der  Gewalt  seines  Schöpfers, 

so  daß  er  aus  ihm  etwas  macht  nach  seiner  Bestimmung. 

14.  Gegenüber  dem  Bösen  steht  das  Gute,  und  gegenüber  dem  Tode  das 

Leben, 
also  auch  gegenüber  dem  Gerechten  der  Gottlose. 

15.  Und  so  schaue  alle  Werke  Gottes  an: 

lauter  Gegensätze,  eins  das  Gegenteil  vom  andern. 

Trotz  der  Betonung  der  Willensfreiheit  betet  Sirach  doch  auch  um  Be- 
wahrung vor  Sünde  (Sir.  22,  27—23,  6). 

38)  P8alt.  Salom.  IX,  7:  6  &ed$f  rä  igya  ^(jl(ov  iv  ixXoy§  xal  i£ovotq  Tfjq 
ipvxfis  tlfitbv,  xov  noitfoai  Öixcuoovvtiv  xal  aöixlav  iv  fpyotc  £e*pu>v  ijfiGw.  — 
Andererseits  V,  6:  &v$(>wnQQ  xal  ft  fis^lg  aircov  nagä  aol  iv  Gta&piip,  ob  tiqoo- 
fr/joei  xof)  TtXeovdaai  nagä  rö  xpi/aa  oov,  6  &e6$. 


[394.  395]  I.  Die  Pharisäer.  463 

stand  seines  Nachdenkens  gemacht39.  Damit  ist  nun  freilich  noch 
nicht  gesagt,  daß  die  drei  möglichen  Standpunkte  (1)  unbedingtes 
Fatum,  2)  unbedingte  Freiheit,  3)  vermittelnde  Ansicht)  so  sche- 
matisch, wie  Josephus  angibt,  von  den  drei  Kreisen  der  Essener, 
Sadduz&er  und  Pharisäer  vertreten  worden  wären.  Dieser  Schema- 
tismus ist  gewiß  der  schwächste  Punkt  in  der  Darstellung  des 
Josephus.  Aber  selbst  daran  kann  etwas  Wahres  sein.  Es  mag 
sein,  daß  in  der  Anschauung  der  Essener  der  göttliche  Faktor,  in 
derjenigen  der  Sadduzäer  der  menschliche  Faktor  im  Vordergründe 
stand.  Jedenfalls  haben  die  Pharisäer  beide  Gedankenreihen  mit 
gleicher  Entschiedenheit  festgehalten:  die  göttliche  Allmacht  und 
Vorsehung,  und  die  menschliche  Freiheit  und  Verantwortlichkeit 
Daß  die  eine  neben  der  anderen  und  trotz  der  anderen  Bestand 
habe,  wird  in  einem  Ausspruche  Akibas  ausdrücklich  betont:  bin 
fittfD  nw'VT;  "^»ä,  „alles  ist  (von  Gott)  erschaut,  aber  die  Freiheit  | 
ist  (dem  Menschen)  gegeben**40.  Auch  hierin  vertreten  also  die 
Pharisäer  nicht  eine  Sondermeinung,  sondern  den  korrekten  Stand- 
punkt des  Judentums. 

Auch  in  der  Politik  ist  der  Standpunkt  der  Pharisäer  der  echt 
jüdische,  nämlich  der,  die  politischen  Fragen  nicht  von  politischen, 
sondern  von  religiösen  Gesichtspunkten  aus  zu  behandeln.  Eine 
„politische**  Partei  sind  die  Pharisäer  überhaupt  nicht;  wenigstens 
nicht  direkt  Ihre  Ziele  sind  keine  politischen,  sondern  religiöse: 
die  strenge  Durchführung  des  Gesetzes.  Insofern  diese  nicht  ge- 
hindert wurde,  konnten  sie  sich  jedes  Regiment  gefallen  lassen. 
Nur  wenn  die  weltliche  Macht  die  Ausübung  des  Gesetzes,  und 
zwar  in  jener  strengen  Weise,  welche  die  Pharisäer  forderten,  ver- 
hinderte, sammelten  sie  sich  zum  Widerstand  gegen  dieselbe  und 
wurden  dann  in  gewissem  Sinne  allerdings  eine  politische  Partei, 
welche  der  äußeren  Gewalt  auch  äußeren  Widerstand  entgegen- 
setzte.   Das  geschah  nicht  nur  zur  Zeit  der  Bedrückung  durch 


39)  S.  bes.  Hamburger,  Real-Enz.  Abt.  II,  S.  102ff.  (Artikel  „Bestim- 
mung"). Bacher,  Die  Agada  der  Taunaiten,  Bd.  IT,  Sachregister  Art.  „Willens- 
•freiheit".  Bald ensp erger,  Die  messianisch-apokalyptischen  Hoffnungen  des 
Judentums  1903,  S.  78—82  (weist  auf  das  starke  Hervortreten  einer  determi- 
nistischen Anschauung  hin).  Lütgert,  Das  Problem  der  Willensfreiheit  in 
der  vorchristlichen  Synagoge  (Beiträge  zur  Förderung  christlicher  Theologie 
X,  2,  1906,  S.  53—88).  Vgl.  ferner:  Gfrörer,  Das  Jahrhundert  des  Heils  H, 
111  ff.  Langen,  Das  Judentum  in  Palästina  S.  381  ff  Bousset,  Die  Religion 
des  Judentums  2.  Aufl.  1906,  S.  465 i,  —  Auch  der  Apostel  Paulus  ist  ja 
ein  Beweis  dafür,  wie  sehr  das  fragliche  Problem  das  jüdische  Bewußtsein  be- 
schäftigte. 

.   40)  Aboih  III,  15.  —  Derenbourg,  p.  127  not.  verweist  auch  auf  Siphre  §  53. 


464  §  26.   Pharisäer  und  Sadduxaer.  [396.  396] 

Antiochus  Epiphanes,  sondern  namentlich  auch  unter  den  jüdischen 
Fürsten  Johannes  Hyrkan  und  Alexander  Jannäus,  da  diese  von 
ihrem  sadduzäischen  Standpunkte  aus  die  pharisäischen  Satzungen 
bekämpften.  Andererseits  hatten  die  Pharisäer  unter  Alexandra, 
die  ihnen  ganz  die  Herrschaft  ließ,  eine  leitende  Stellung  in  der 
Begierung,  die  sie  aber  auch  nur  zur  Durchführung  ihrer  religiösen 
Forderungen  benützten.  Die  Politik  als  solche  war  ihnen  immer 
relativ  gleichgültig.  Doch  ist  anzuerkennen,  daß  es  zur  Beur- 
teilung der  politischen  Lage,  namentlich  zu  der  Zeit,  als  Israel 
unter  heidnischem  oder  heidenfreundlichem  Begimente  stand,  zwei 
verschiedene. religiöse  Gesichtspunkte  gab,  die,  je  nachdem  man 
den  einen  oder  den  andern  in  den  Vordergrund  stellte,  zu  einem 
entgegengesetzten  Verhalten  führen  konnten.  Man  konnte  entweder 
ausgehen  von  der  Idee  der  göttlichen  Vorsehung.  Dann  ergab 
sich  der  Gedanke,  daß  gerade  auch  die  Herrschaft  der  Heiden 
über  Israel  eine  von  Gott  gewollte  sei  Gott  hat  den  Heiden  Macht 
gegeben  über  sein  Volk,  um  es  zu  strafen  für  seine  Übertretungen. 
Diese  Herrschaft  der  Heiden  wird  darum  auch  nur  so  lange  dauern, 
als  Gott  es  will  Darum  hat  man  sich  zunächst  unter  diese  Zucht- 
rute Gottes  willig  zu  beugen;  man  hat  auch  ein  heidnisches  und 
überhaupt  ein  hartes  Regiment  willig  zu  tragen,  soweit  nur  nicht 
die  Beobachtung  des  Gesetzes  dadurch  gehindert  wird.  Von  diesem 
Standpunkte  aus  haben  z.  B.  die  Pharisäer  Pollio  und  Samaias  ihren 
Mitbürgern  empfohlen,  sich  unter  das  Regiment  des  Herodes  zu 
beugen 4 '.  Auch  zur  Zeit  des  großen  Aufstandes  gegen  die  Römer  | 
sehen  wir  die  vornehmsten  Pharisäer  wie  Simon  Sohn  Gamaliels 
an  der  Spitze  jener  vermittelnden  Partei,  die  den  Aufstand  nur 
mitmacht,  weil  sie  dazu  gezwungen  wird,  im  Grunde  ihres  Herzens 
aber  gegen  denselben  ist42.  Zu  einem  ganz  andern  Resultate  mußte 
man  aber  freilich  kommen,  wenn  man  den  Gedanken  der  Erwäh- 
lung Israels  in  den  Vordergrund  stellte.  Dann  mußte  die  Herr- 
schaft der  Heiden  über  das  Volk  Gottes  als  eine  Abnormität  er- 
scheinen, deren  Beseitigung  mit  allen  Mitteln  zu  erstreben  sei 
Israel  hat  keinen  andern  König  über  sich  anzuerkennen  als  Gott 
allein  und  den  von  ihm  gesalbten  Herrscher  aus  Davids  Hause. 
Die  Herrschaft  der  Heiden  ist  eine  widerrechtlich  angemaßte.  Von 
diesem  Standpunkte  aus  war  es  nicht  nur  fraglich,  ob  man  ver- 
pflichtet, sondern  sogar  ob  man  berechtigt  sei  zum  Gehorsam  gegen 
die  heidnische  Obrigkeit  und  zum  Zahlen  des  Zinses  an  dieselbe 


41)  Antt.  XIV,  9,  4.    XV,  1,  1. 

42)  Vgl.   über  Simon  B.  J.  IV,  3,  9.    Über  die  regierungsfreundliche 
Stellung  des  damaligen  offiziellen  Judentums  überhaupt  s.  oben  &  360  £ 


[396.  397]  I.  Die  Pharisäer.  465 

(ML  22,  17  ff.  Mc.  12,  14  ff.  Luc.  20,  22  ff).  Von  diesem  Standpunkte 
aus  hat,  vie  es  scheint,  auch  die  Masse  der  Pharisäer  dem  Herodes 
den  Eid  verweigert43.  Man  darf  annehmen,  daß  dies  der  eigent- 
lich populäre  Standpunkt  war,  wie  beim  Volk  so  auch  bei  den 
Pharisäern.  Er  mußte  es  schon  deshalb  sein,  weil  jedes  nicht- 
pharisäische Regiment,  auch  wenn  es  die  Ausübung  des  Gesetzes 
nicht  hinderte,  doch  immer  eine  gewisse  Gefährdung  seiner  freien 
Ausübung  mit  sich  brachte.  So  war  es  denn  auch  ein  Pharisäer 
Saddukos,  der  in  Gemeinschaft  mit  Judas  Galiläus  die  Umsturz- 
partei der  Zeloten  begründet  hat44.  So  sehr  also  der  Pharisäis- 
mus  der  Politik  zunächst  indifferent  gegenüber  steht,  so  kommt 
doch  die  revolutionäre  Strömung,  welche  im  Zeitalter  Christi  mehr 
und  mehr  Boden  im  jüdischen  Volke  gewann,  wenigstens  indirekt 
auf  Rechnung  seines  Einflusses46. 

Die  ganze  bisherige  Charakteristik  hat  für  den  Pharisäismus 
nichts  Eigentümliches  ergeben,  wodurch  er  sich  von  dem  nach- 
exilischen  Judentum  überhaupt  unterschieden  hätte.  Sofern  er  nur 
als  geistige  Richtung  in  Betracht  gezogen  wird,  ist  er  einfach 
identisch  mit  der  Richtung,  welche  das  Judentum  der  nachexili- 
schen  |  Zeit,  wenigstens  in  seiner  Hauptmasse  und  in  seinen  klassi- 
schen Repräsentanten,  überhaupt  eingeschlagen  hat  Aber  er  bildet 
nun  doch  eine  Partei  innerhalb  des  Volkes,  eine  ecclesiola 
in  ecclesia.  An  einer  der  beiden  Stellen,  wo  Josephus  oder  viel- 
mehr sein  Gewährsmann  Nikolaus  Damascenus  von  der  Eidver- 
weigerung der  Pharisäer  spricht,  bezeichnet  er  sie  als  ein  (ioqiov 
xi  'iovöcuxdiv  avd-QcojtoDv  und  gibt  ihre  Zahl  auf  sechstausend 
an46.  Das  läßt  doch  auf  eine  bestimmte  Abgrenzung  ihres  Kreises 
schließen.  Auch  im  Neuen  Testamente  und  bei  Josephus  erscheinen 
die  Pharisäer  deutlich  als  eine  bestimmte  Fraktion  innerhalb  des 
Volkes.  Auf  dieselbe  Tatsache  führt  aber  auch  ihr  Name.  Er 
lautet  hebräisch  D^tonnfi47  oder  aramäisch  "pttrnfi,  statemphat.  KjlJ'nfi, 
wovon  griechisch  <PaQioaioi.  Daß  dies  wörtlich  „Abgesonderte" 
bedeutet,  ist  zweifellos.   Fraglich  kann  nur  sein,  welche  Beziehung 


43)  Antt.  XV,  10,  4.  XVII,  2,4. 

44)  Antt,  XVIII,  1,  1;  vgl.  1,  6. 

45)  Die  beiden  oben  gezeichneten  Auffassungen  konnten  übrigens  auch 
nebeneinander  hergehen,  insofern  das  Regiment  der  Heiden  einerseits  als  von 
Gott  gewollt,  andererseits  doch  als  ein  Frevel  von  seiten  der  Heiden  betrachtet 
werden  konnte.  So  namentlich  im  vierten  Buche  Esra,  aber  auch  sonst 
S.  Gunkel,  Theol.  Litztg.  1891,  Nr.  1,  SpaUe  10  unten  (in  der  Besprechung 
von:  Kabißch,  Das  4.  Buch  Esra). 

46)  Antt.  XVII,  2,  4. 

47)  So  Jadaflm  IV,  6-8.    Ohagiga  U,  7.    Sota  HI,  4. 
Schürer,  Geschichte  II.   4.  Aufl.  30 


466  §  26.   Pharisäer  und  Sadduzäer.  [397.  396) 

dem  Begriffe  zu  geben  ist  Sind  es  die  von  aller  Unreinheit 
und  Ungesetzlichkeit  sich  Absondernden,  oder  die  von  gewissen 
Personen  sich  Absondernden?  Für  ersteres  könnte  sprechen,  daß 
im  Rabbinischen  auch  die  Substantivs  mhifi  und  murns  vorkommen 
in  der  Bedeutimg  „Absonderung**  seil,  von  aller  Unreinheit48.  Allein 
wenn  nur  an  die  Absonderung  von  unreinem  Wesen  ohne  jede  Be- 
ziehung auf  Personen  zu  denken  wäre,  so  hätten  andere  positive 
Bezeichnungen  näher  gelegen  (die  „Reinen"  oder  die  „Gerechten" 
oder  die  „Frommen"  oder  dergL).  Entscheidend  ist  vollends,  daß 
eine  Absonderung  von  unreinem  Wesen  immer  zugleich 
eine  Absonderung  von  unreinen  Personen  ist  Erstere  ist 
ohne  letztere  —  beim  levitischen  Reinheitsbegriff  —  gar  nicht 
möglich;  denn  die  Unreinheit  haftet  an  den  Personen.  Man  kann 
also  die  Verunreinigung  nur  vermeiden,  wenn  man  auch  die  Be- 
rührung mit  unreinen  Personen  meidet49.  Auch  die  Beobachtung 
der  jüdischen  Speisegebote  fährt  notwendig  zum  äyoQl&oß-ai  von 
den  Personen,  wie  das  Beispiel  des  Petrus  in  Antiochien  zeigt 
(Oal.  2, 12:  dycolQi&v  tavzov).  Ist  demnach  an  die  Personen  jeden- 
falls mit  zu  denken,  so  scheint  es  naheliegend,  den  Namen  abzuleiten 
von  jener  „Absonderung",  welche  zur  Zeit  Serubabels  und  dann 
wiederum  zur  Zeit  Esras  stattgefunden  hat,  indem  Israel  sich  ab- 
sonderte von  den  im  Lande  wohnenden  Heiden  oder  Halbjuden 
und  ihrer  Unreinheit  (Esra  6,  21.  9, 1.  10, 11.  Nehem.  9,  2.  10,  29) 50. 
Mit  Recht  hat  aber  Wellhausen  dagegen  eingewendet,  daß  diese 
Absonderung  nichts  für  die  Pharisäer  Charakteristisches  war. 
Dieser  Absonderung  hat  sich  damals  ganz  Israel  unterzogen51.  Die 
Pharisäer  müssen  aber  ihren  Namen  haben  von  einer  Absonderung, 
welche  die  Masse  des  Volkes  nicht  mitmachte;  mit  anderen  Worten 
davon,  daß  sie  vermöge  einer  strengeren  Fassung  des 
Reinheitsbegriffes  nicht  nur  von  der  Unreinheit  derHeir 


48)  Sabim  V,  1:  •PKQöaa  'intö'nB  *mvb  „nachdem  er  von  dem,  was  ihn 
verunreinigt  hat,  geschieden  ist".  —  Tohoroth  IV,  12:  rmiö'nÄ  mno  „Reinheit 
des  abgesonderten  Lebens".  —  Sola  IX,  15:  „Seit  Babban  Gamaliel  der  Alte 
tot  ist,  gibt  es  nicht  mehr  nwn^l  H^no".  —  Aboth  III,  13:  „R.  Akiba  sagte: 
Gelübde  sind  ein  Zaun  ftir  die  rMö'nii"  (d.  h.  sie  dienen  zur  Erhaltung  und 
Bewahrung  derselben).  —  Vgl.  auch  Büchler,  Der  galiläische  Am-haares  des 
zweiten  Jahrhunderts  (1906)  S.  167. 

49)  Selbst  auf  sittlichem  Gebiete  hängt  beides  zusammen.  Im  Interesse 
der  sittlichen  Reinheit  ermahnt  Paulus  die  Korinther,  die  Gemeinschaft  mit 
unsittlichen  Personen  zu  meiden  (II  Kor.  6,  17  «=-  Je*.  52,  11):  i£iX9me  ix 
fdaov  alx&v  xal  &<poqIo&tjt69  Xtyei  xvQioq,  xal  &xa&aQzov  ft^  &m€0&e. 

50)  Über  die  Absonderung  zur  Zeit  Esras  s.  u.a.  Köhler,  Biblische 
Geschichte  II,  2,  607—614. 

51)  Well  hausen,  Pharisäer  und  Sadducaer  S.  76  ff. 


[39a  399]  I.  Die  Pharisäer.  467 

den  oder  Halbjaden,  sondern  auch  von  derjenigen  Un- 
reinheit, welche  nach  ihrer  Auffassung  einem  großen  Teil 
des  Volkes  anhaftete,  sich  absonderten.  In  diesem  Sinne 
heißen  sie  die  Abgesonderten  oder  Sich- Absondernden.  Und  das 
kann  im  lobenden  wie  im  tadelnden  Sinne  gemeint  sein.  Sie  können 
sich  selbst  so  genannt  haben,  weil  sie  nach  Möglichkeit  sich  fern 
hielten  von  aller  Unreinheit  und  darum  auch  von  der  Berührung 
mit  dem  unreinen  Volke.  Sie  können  aber  aus  demselben  Grunde 
auch  im  tadelnden  Sinne  von  ihren  Gegnern  so  genannt  worden 
sein  als  „die  Separatisten",  die  im  Interesse  ihrer  beson- 
deren Reinheit  von  der  Masse  des  Volkes  sich  absondern52. 
Ursprünglich  ist  wohl  letzteres  der  Sinn  des  Namens.  |  Denn  es 


52)  Diese  Auffassung  ist  auch  in  den  Erklärungen  der  Kirchenväter  und  der 
Babbinen  die  vorherrschende,  wenn  auch  mit  anderen  Gesichtspunkten  unter- 
mischt S.  Clement.  Homil.  XI,  28:  o?  eloiv  ägwoioftivoi  xal  xä  vöfiifia  loq 
yoaftftazeZq  xwv  äkXwv  nXelov  sldöxeq.  —  Pseudo-Tertuüian.  adv.  haer.  c.  1: 
Pharisaeos,  qui  additamenta  quaedam  legis  adstruendo  a  Judaeis  divisi 
sunt,  w%de  etiam  hoc  accipere  ipsum  quod  habent  nomen  digni  fuernnt.  —  Ort- 
genes,  Oomment.  in  Matth.  23,  2  (Opp.  ed.  Lommatxsch  IV,  194):  Qui  atäem 
majus  aliquid  profitentes  dividunt  se  ipsos  quasi  meliores  a  multis,  se- 
cundum  hoc  Pkarisaei  dicuntur,  qui  interpretantur  divisi  et  segregati.  Phares 
enim  divisio  appellatur.  —  Idem,  Oomment.  in  Maüh.  23,  23  sq.  (Lommatxsch  IV, 
219  sq.):  Similiter  Pkarisaei  sunt  omnes,  qui  justificant  semetipsos,  et  dividunt 
se  a  caeteris  dicentes:  noli  mihi  appropiare,  quoniam  mundus  sunt. 
Interpretantur  autem  Pharisaei,  secundum  nomen  Phares,  divisi,  qui  se  ipsos  a 
caeteris  diviserunt.  Phares  autem  dicitur  hebraica  lingua  divisio.  —  Idem,  Oom- 
ment. in  Matth.  23,  29  (Lommatxsch  IV,  233) :  rede  Pharisaei  sunt  appellati,  id 
est  praecüi,  qui  spiritualia  prophetarum  a  corporali  historia  praeciderunt.  — 
Idem,  Oomment.  in  Joann.  tom.  VI  c.  13  (Lommatxsch  I,  210):  Ol  6h  <PaoioaXoi, 
clze  xaxä  xb  Svofta  Svxeq  Öiyorj/iivoi  xivhq  xal  ozaoiioöeiq.  —  Idem,  Oomment. 
in  Joann.  tom.  XIII,  c.  54 /in.  (Lommatxsch  II,  113):  <PaQioala>v  6h  xCov  äno- 
SiyQTjfjiivwv  xal  xijv  &etav  hvdxrjxa  &7ioXo)Xexözwv'  <PaQioaToi  yäo  hofirivevov- 
xac  ol  SiyoTinhot,.  —  Epiphanias  haer.  16,  1:  'BXiyovxo  6h  &aoioaToi  6iä  xb 
&<pwQio/ub>ovq  ehai  ahzovq  anö  ztbv  aXXwvy  6iä  xfp  i&eXoneQiooo&QTjoxetav 
xijv  nao*  ahzolq  vevo/iiOfxtvrjv.  <Pdoeq  yäo  xaxä  xty  cEßoat6a  kofirivevexai 
a<poQiO(ibq.  —  Hieronymus  contra  Luciferianos  c.  23  (Opp.  ed.  VaUarsi  II,  197): 
Pharisaei  a  Judaeis  divisi  propter  quasdam  obsertaiiones  super fluas  nomen 
quoque  a  dissidio  susceperunt  (nach  Pseudo  -  Tertullian ,  vgl.  unten  S.  481).  — 
Idem,  Oomment.  in  Matth.  22,  23  (Vallarsi  VII,  1,  177):  Pharisaei  traditionum 
et  observationum,  quas  Uli  Sevteowoeiq  vooant,  Justitium  praeferebant,  unde  et 
divisi  vocabantur  a  populo;  Sadducaei  autem ,'  qui  interpretantur  justi,  et 
ipsi  vendicabant  sibi  quod  non  erant.  —  Nathan  ben  Jechiel  erklärt  im  Aruch: 

isK«  p*ip*m  •ü'wö  ytfn  Dan  woo  isaa  «pi  nttoio  iss  tdxs  w»ra  «in  «m» 
„Parusch  ist  einer,  der  sich  absondert  von  aller  Unreinheit  und  von  unreiner 
Speise  und  vom  Volk  des  Landes,  das  nicht  sorgfältig  ist  mit  dem  Essen". 
Noch  anderes  s.  bei  Buxtorf  Lex.  Ohald.  col.  1851  sq.  Drusius,  De  tribus 
sectis  Judaeorum  lib.  II,  c.  2.    De  Wette,  Archäologie  8.  413. 

30* 


468  §  26.   Pharisäer  and  Sadduzäer.  [399.  400] 

ist  nicht  wahrscheinlich,  daß  sie  diesen  sich  selbst  gegeben  haben. 
Ihnen  hätten  doch  andere  positive  Selbstbezeichnungen  näher  ge- 
legen, wie  sie  in  der  Tat  in  der  Geschichte  zuerst  unter  dem  Namen 
der  DTon  auftreten  (s.  weiter  unten).  Ihre  Gegner  aber  nannten 
sie  die  „Separatisten".  Daraus  erklärt  sich  auch,  daß  der  Name 
in  unserer  ältesten  rabbinischen  Quelle,  in  der  Mischna,  so  selten 
vorkommt,  und  zwar  an  der  Hauptstelle  im  Munde  der  Gegner, 
sonst  nur  noch  zweimal53.  Allerdings  zeigt  eben  die  letztgenannte 
Tatsache,  daß  die  Pharisäer  den  einmal  eingebürgerten  Parteinamen 
doch  auch  ihrerseits  akzeptierten.  Und  das  konnten  sie  ja  sehr 
yröbl.  Denn  von  ihrem  Standpunkte  aus  war  die  „Absonderung", 
von  welcher  sie  ihren  Namen  hatten,  etwas  durchaus  Rühmliches 
und  Gottwohlgefälliges. 

Zeigt  uns  der  Name  peruschim,  daß  die  Pharisäer  von  dem 
übrigen  Volke  „sich  absonderten",  so  zeigt  uns  ein  anderer  Name, 
den  sie  sich  selbst  gaben,  daß  sie  unter  sich  eine  enge  Gemein- 
schaft bildeten.  Sie  nannten  sich  schlechtweg  chaberim  (D'nan) 
„Genossen".  Dieser  Begriff  ist  nämlich  für  den  Sprachgebrauch 
der  Mischna  und  überhaupt  der  älteren  rabbinischen  Literatur,  ge- 
radezu identisch  mit  dem  der  peruschim.  Es  ist  aus  dem  Inhalt 
der  oben  (S.  454  f.)  mitgeteilten  Stellen  ohne  weiteres  von  selbst 
deutlich,  daß  dort  überall  ein  Chaber  so  viel  ist,  wie  einer,  der 
das  Gesetz,  namentlich  in  betreff  der  levitischen  Reinheit 
und  der  Abgaben  an  die  Priester,  pünktlich  beobachtet 
Und  zwar  umfaßt  der  Begriff  alle  diejenigen,  welche  dies  tun; 
also  nicht  |  bloß  die  Gelehrten  von  Fach.  Denn  den  Gegensatz 
bilden  nicht  die  Ungelehrten54,  sondern,  wie  die  angeführten  Texte 
zeigen,  die  Masse  derer,  bei  welchen  keine  pünktliche  Beobachtung 
des  Gesetzes  vorausgesetzt  werden  darf,  das  „Volk  des  Landes" 
(f  n«n  D?) 55.   Man  darf  also  in  jene  Stellen  der  Mischna  nicht  den 


53)  Die  Hauptstelle  ist  Jadajim  IV,  6 — 8;  die  beiden  anderen  Stellen: 
Chagiga  II,  7.    Sota  HI,  4. 

54)  Der  Ungelehrte  im  Unterschied  vom  Gelehrten  heißt  tt'vnn,  lSt6)tijqt 
Bosch  haschana  II,  8.  —  Der  Begriff  des  Chaber  umfaßt  beide,  den  üVnn 
und  den  Dan.   S.  Weber,  System  der  altsynagogalen  paläst.  Theologie  S.  122 f. 

55)  Der  Ausdruck  Am-haarez  kommt  schon  im  Alten  Testamente  häufig 
vor,  besonders  bei  Jeremia,  Ezechiel  und  im  zweiten  Buch  der  Könige  wie  in 
den  Parallelen  der  Chronik  zu  letzterem ;  vereinzelt  auch  in  anderen  Büchern 
(Jerem.  1,  18.  34,  19.  37,  2.  44,  21.  52,  6.  25.  Exech.  7,  27.  12,  19.  22,  29. 
33,  2.  39,  13.  46,  3.  9.  II  Reg.  11,  14.  18.  19.  20.  15,  5.  16,  15.  21,  24.  23,  30. 
35,  24,  14.  25,  3.  19.  II  Chron.  23,  13.  20.  21.  26,  21.  33,  25.  36,  1).  An 
den  meisten  der  angeführten  Stellen  bezeichnet  er  das  Volk  überhaupt  im 
Unterschied  vom  König  und  den  obrigkeitlichen  Personen.  Zu  der  Elite,  von 
welcher  „das  Volk"  unterschieden  wird,  gehören  auch  die  Priester  (Jerem.  1, 


[400.  401]  I.  Die  Pharisäer.  46Ö 

späteren  Sprachgebrauch  eintragen,  wonach  ein  chaber  ein  „Kollege" 
der  Eabbinen,  ein  Gelehrter  ist56.    Chaber  ist  vielmehr  dort  jeder, 

18.  34,  19).  Doch  bezeichnet  der  Ausdruck  nicht  nur  die  niedrigen  Schichten 
des  Volkes.  Vielmehr  wird  das  geringe  Volk  ausdrücklich  y^tin  0?  rfc*  ge- 
nannt (II  Reg.  24,  14,  eigentlich  „das  Geringe  des  Volkes  des  Landes";  vgl. 
die  ähnlichen  Ausdrücke  II  Reg.  25,  12.  Jerem.  40,  7.  52,  15.  16).  —  In  den 
Büchern  Esra  und  Nehemia  sind  „die  Völker  der  Länder"  (nwum  •*»?)  ein- 
fach die  Heiden-Völker,  wie  besonders  Esra  9,  1  und  Nehem.  9,  30  deut- 
lich ist  (also  nicht  Halbjuden,  wie  ich  früher  im  Anschluß  an  Smend,  Alt- 
testamentliche  Religionsgeschichte  1893,  S.  339 f.  und  Wellhausen,  Israeli- 
tische und  jüdische  Geschichte  1894,  S.  122.  125,  gesagt  habe,  s.  dagegen 
Wellhausen  4.  Ausg.  1901,  S.  167  Anm.).  Aber  Angehörige  dieser  Völker 
wohnten  zur  Zeit  des  Esra  und  Nehemia  in  Palästina  und  vermischten  sich 
hier  durch  Heirat  mit  den  Israeliten.  Daher  ist  nun  nicht  nur  von  den  „Völkern 
der  Länder"  {Hur.  msr«n  i»,  Esra  3,  3.  9, 1—2.  11.  Nehem.  9,  30.  10,  29), 
sondern  auch  von  den  „Völkern  des  Landes"  (Sing.  piHri  ^»3?,  Esra  10,  2. 
11.  Nehem.  10,  31.  32)  die  Bede.  Es  sind  die  im  jüdischen  Lande  wohnenden 
Nicht -Juden.  —  Der  spätere  rabbinische  Sprachgebranch  ist  teils  mit  dem 
der  älteren  kanonischen  Bücher,  teils  mit  dem  der  Bücher  Esra  und  Nehemia 
verwandt;  mit  ersterem,  sofern  nicht  von  den  Völkern,  sondern  von  dem 
Volke  des  Landes  (^Nri  D3>)  gesprochen  wird;  mit  letzterem,  6ofern  damit 
die  nicht-gesetzlich  lebenden  im  Unterschied  von  den  gesetzlich  lebenden  ge- 
meint sind.  Es  ist  das  im  Lande  wohnende  Volk  im  Unterschied  von 
der  engeren  Gemeinschaft  der  Streng-gesetzlichen.  Der  kollektivi- 
sche Sing.  D9  wird  aber  jetzt  auch  von  dem  Einzelnen  gebraucht.  Man  sagt 
„ein  Am-haarez"  (d.  h.  Einer  vom  Volk  des  Landes).  S.  überh.  Demai  I,  2.  3. 
II,  2.  3.  IH,  4.  VI,  9.  12.  Schebiith  V,  9.  Maaser  scheni  in,  3.  IV,  6.  Gha- 
giga  H,  7.  Qittin  V,  9.  Edujoth  I,  14.  Äboth  II,  5.  III,  10.  Horqjoth  UI,  8. 
Kvrmim  III,  6.  Tohorolh  IV,  5.  VII,  1.  2.  4.  5.  VIII,  1.  2.  3.  5.  Maehschirin 
VI,  3.  Tebuljom  IV,  5.  Geiger,  Urschrift  S.  151.  Weber,  System  S.  42— 44. 
Wünsche,  Neue  Beiträge  zur  Erläuterung  der  Evangelien  S.  527 f.  Ham- 
burger, Reai-Enz.  II,  54 — 56  (Artikel:  „Amhaarez").  Rosenthal,  Vier  apo- 
kryphische  Bücher  (1885)  S.  25—29.  Friedlaender,  Les  pharisiens  et  les 
gern  du  peuple  (Revue  des  Studes  juives  t.  XIH,  1886,  p.  33—44).  Bacher,  Die 
Agada  der  Tan  nahen  Bd.  II,  1890,  Sachregister  Art.  „Amhaarez".  Montefiore, 
Leotures  on  the  origin  and  growth  of  religion  as  iüustrated  by  the  religion  of 
the  aneient  Hebrews,  1892,  p. 497— 502.  Büchler,  Der  galiläische  lAm~hayAref 
des  zweiten  Jahrhunderts,  1906  (338  S.,  davon  S.  1—213  auch  als  XIII.  Jahres- 
bericht der  israelitisch- theologischen  Lehranstalt  in  Wien)  [die  weitschweifige 
Arbeit  steht  ganz  im  Dienste  verkehrter  Hypothesen,  s.  Theol.  Litztg.  1906, 
619 f.].  Die  ältere  Literatur  bei  Jo.  Chrstph.  Wolf,  Ourae  philol.  in  Nov.  Test. 
zu  Joh.  7,  49.  S.  überh.  die  Ausleger  zu  Joh.  7,  49  (Light foot,  Schöttgen, 
Wetstein,  Lampe  u.  a.). 

56)  Schon  in  der  rabbinischen  Literatur  des  3.  und  4.  Jahrh.  n.  Ohr.  be- 
zeichnet der  Ausdruck  „die  Genossen"  (K^an)  häufig  die  um  einen  hervor- 
ragenden Gesetzeslehrer  versammelten  Jünger,  ist  also  gleichbedeutend  mit 
D^sin  (reiches  Material  hierüber  gibt  Bacher,  Zur  Geschichte  der  Schulen 
Palästina^  im  3.  und  4.  Jahrhundert,  in:  Monatsschr.  f.  G.  u.  W.  d.  J.  1899, 
S.  345 — 360).    Daher  ist  dann  chaber  ohne  nähere  Bezeichnung  =  Gelehrter 


470  §  26.   Pharisäer  und  Sadduzäer.  [401] 

der  das  Gesetz  mit  Einschluß  der  jcapadooeic  xa>v  jtQsößvreQcov 
pünktlich  beobachtet,  also  identisch  mit  Pharisäer57.   Dies  läßt 


(s.  überh.  Mendelsohn,  Art.  Haber  in:  The  Jewish  Encyelopedia  VI,  121—124). 
In  diesem  Sinne  erklärt  z.  B.  Maimonides  zu.  Demai  II,  3:  Vabn  tnp3  -an 
o^-an  ö^asn  ■nteinb  ■anp'»  pl  Dan.  Elias  Levita  im  Tischte  s.  v.  erklärt 
•an  durch  Sin  -an  „Kollege  des  Rabbi,  d.  h.  Einer,  der  zwar  die  Gelehrten- 
Ordination  empfangen,  aber  noch  nicht  öffentlicher  Lehrer  ist"  (s.  die  Stelle 
z.  B.  in  Ugolini,  Thes.  XXI,  907;  Oarpxov,  Apparatus  p.  142).  An  Elias  Levita 
schließt  sich  die  Mehrzahl  der  älteren  christlichen  Gelehrten  an;  \p.  das  Ver- 
zeichnis derselben  bei  Ursinus,  Antiquitäten  Hebraieae  c.  8  (Ugolini,  Thes.  XXI, 
007),  und  bei  Oarpxov,  Apparatus  p.  143.  Ich  hebe  nur  folgende  hervor:  Sca- 
liger (Elenchus  trihaeresii  Serarii  c.  10),  Buxtorf  (Lex.  Chald.  s.  v.),  Otho 
(Lex.  Rabbin.  s.  v.),  Wagen  seil  (Sota  p.  1026  sq.),  Vitringa  (De  synagoga 
vetere  Lib.  II  c  10  p.  571).  —  In  der  Mischna  und  den  gleichzeitigen  Barajthas 
hat  aber  "an  noch  nicht  diese  Bedeutung.  Zwar  kann  *an  auch  hier  den 
Kollegen  (Genossen)  eines  Gelehrten  oder  eines  Eichten  bezeichnen,  wenn 
sich  aus  dem  Zusammenhang  diese  Beziehung  ergibt  (z.  B.  Edujoth  V,  7.  San- 
hedrin  XI,  2).  Wo  es  aber  ohne  Angabe  einer  speziellen  Beziehung  als  ter- 
minus  technicus  schlechthin  gebraucht  wird,  da  ist  es  von  Dsn  n^obn  ver- 
schieden und  bezeichnet  einen  weiteren  Kreis.  Schabbath  IIa:  gbi  *>"D  nnn 
osn  wabn  nnn  ait  -an  nnn  -an  nnn  „Unter  einem  Heiden  und  nicht 
unter  einem  Chaber,  unter  einem  Chaber  und  nicht  unter  einem  Gelehrten  - 
Jünger"  (die  Stelle  wird  schon  im  Aruch  s.  v.  -an  zur  Erläuterung  dieses 
Begriffes  angeführt;  über  ihren  Sinn  s.  Weber,  System  S.  142).  Beehoroth  30b: 
y-\x  Dan  r»«bn  iVwi  D^-an  a  ia&s  tapb  -ps  nwan  i-ai  ispb  «an 
D^*an  löblö  ^3M  bspb  „Wer  die  Satzungen  der  Gemeinschaft  (chabenUh)  auf 
sich  nehmen  will,  der  muß  dies  in  Gegenwart  dreier  Chaberim  tun;  selbst 
wenn  er  ein  Gelehrten -Jünger  ist,  muß  er  es  in  Gegenwart  dreier  Chaberim 
tun".    Vgl.  auch  Bacher  a.  a.  O.  S.  345.  357—359. 

57)  Die  Identität  von  panisch  und  chaber  ergibt  sich  namentlich  aus  Ver- 
gleichung  von  Chagiga  II,  7  mit  Demai  II,  3  (s.  die  Stellen  oben  S.  453,  454). 
An  der  ersteren  Stelle  stehen  Am-haarez  und  Parusch  sich  gegenüber,  an 
der  letzteren  Am-haarez  und  Chaber,  und  zwar  so,  daß  an  beiden  Stellen 
der  Am-haarez  der  Unreine  ist,  durch  dessen  Kleider  der  Parusch,  resp. 
der  Chaber  verunreinigt  wird.  Offenbar  sind  also  die  beiden  letzteren  iden- 
tisch. Mit  Recht  gibt  daher  Nathan  ben  Jechiel  im  Aruch  (s.  v.  Wifc,  und 
zwar  unter  Anführung  der  Stelle  Ohagiga  II,  7)  zu  twi^Ä  die  Erläuterung: 
n-tiiöS  ^n^in  l^bsiKn  •p'unn  ))n  „Das  sind  die  Chaberim,  welche  ihre  profane 
Speise  in  Reinheit  essen".  —  Vgl.  bes.  auch  die  treffliche  Erörterung  von 
Guisius  zu  Demai  II,  3  (in  Surenhusius'  Mischna  I,  83).  Edxardus,  Trac- 
tatus  Talmudici  Avoda  Sara  caput  secundum  (Hamburg  1710),  p.  531 — 534. 
Light  f  oo t}  Horae  hebr.  %u  Matth.  3,  7  (Opp.  II,  271b).  Jost,  Gesch.  des  Ju- 
dentums I,  204.  Geiger,  Urschrift  S.  122.  Weber,  System  der  aitsynago- 
galen  palästinischen  Theologie  S.  42 — 46.  77.  Edersheim,  Thelifeand  times 
of  Jesus  the  Messiah  I,  311  sq.  Anklänge  an  das  Richtige  finden  sich  auch 
bei  Levy,  Chald.  Wörterb.  s.  v.  K-an  Ders.,  Neuhebr.  Wörterb.  s.  t.  -an. 
Hamburger,  Real-Enz.  II,  126—129  (Artikel  „Chaber").  Bestritten  wird  die 
Identität  von   Chaberim  und   Peruschim   z.  B.  von  Montef  iore  a.  a.  O.  (s. 


1401.  402.  403]  L  Die  Pharisäer.  471 

uns  aber  einen  tiefen  Blick  in  die  Selbst|beurteüung  des  Pharisäis- 
mus  ton.  Im  Unterschied  vom  gewöhnlichen  Volke  sind  die  Phari- 
säer die  chaberim,  die  Bundesbrüder,  welche  die  wahre  Gemeinde 
Israels  darstellen.  Während  nach  der  Anschauung  des  Alten  Testa- 
mentes jeder  Israelite  ein  "Dn  des  anderen  ist,  erkennt  der  Pharisäer 
nur  den  als  nnn  an,  der  das  Gesetz  pünktlich  beobachtet58.  Es 
ist  also  ein  ähnlicher  Sprachgebrauch,  wie  er  auf  christlichem 
Gebiete  bei  den  Pietisten  üblich  ist.  Diese  nennen  sich  auch 
schlechthin  „die  Christen".  Sie  gestehen  dabei  den  andern  viel- 
leicht eine  gewisse  Art  von  Christentum  zu.  Aber  die  eigentlichen 
Christen  sind  doch  nur  sie.  So  erkennt  auch  der  Pharisäer  nur 
den  Pharisäer  als  chaber,  als  Bundesbruder  im  vollen  Sinne  an. 
Alles  übrige  ist  „Volk  des  Landes"59. 

Daß  die  Pharisäer  in  der  Tat,  wie  ihr  Name  besagt,  von  | 
dem  übrigen  Volke  sich  „absonderten",  d.  h.  den  Verkehr  mit  dem- 
selben im  Interesse  ihrer  Reinheit  und  strengen  Gesetzlichkeit 


oben  Anm.  55),  der  aber  nichts  Stichhaltiges  gegen  die  obigen  Argumente 
vorbringt. 

58)  "OH  ist  im  Sprachgebrauch  der  Mischna  dasselbe,  was  im  A.  T.  das 
490  häufige  sn  ist  Es  ist  überhaupt  der  Genosse,  der  Angehörige  derselben 
Kategorie.  In  Verbindung  mit  einem  Sufäxum  läßt  es  sich  oft  mit  „Seines- 
gleichen", „Deinesgleichen"  übersetzen  oder  einfach  mit  „der  Andere".  Der 
Chaber  eines  Rabbi  ist  ein  Rabbi,  der  Chaber  eines  Priesters  ist  ein  Priester, 
der  Chaber  eines  Israeliten  ist  ein  Israelite.  Eben  darum  aber  ist  „Chaber" 
schlechthin,  ohne  Angabe  einer  bestimmten  Beziehung,  so  viel  wie  ein  Israelite. 
So  z.B.  Ghullin  XI,  2,  wo  es  den  Gegensatz  zu  ^"OJ  (Fremder)  bildet;  auch 
in  der  oben  (Anm.  56)  aus  Schabbaih  IIa  angeführten  Stelle,  wo  es  zwischen 
*m  und  dsn  T^abn  in  der  Mitte  steht  Wenn  sich  daher  die  Pharisäer  die 
ehaberim  schlechthin  nannten,  so  erklärten  sie  damit  sich  für  die  eigentliche 
und  wahre  Gemeinde  Israels,  die  Bundesbrüder,  während  die  übrigen  nur  das 
„Volk  des  Landes"  sind. 

59)  Die  Frage  „wer  ist  mein  Nächster*'  (Lue.  10,  29)  ist  daher  ganz  ernst- 
haft gemeint.  Für  das  jüdische  Bewußtsein  war  es  in  der  Tat  eine  wichtige 
Frage,  wer  als  Chaber  anzuerkennen  sei.  Eben  deshalb  darf  bei  Untersuchun- 
gen über  den  jüdischen  Begriff  der  Nächstenliebe  nicht  mit  dem  Wort  chaber 
als  solchem  operiert  werden,  da  die  Beziehungen  dieses  Begriffes  sehr  mannig- 
faltige sein  können,  vielmehr  ist  aus  der  Gesamtanschauung  festzustellen,  wer 
in  den  betreffenden  Kreisen  als  chaber  anerkannt  worden  ist.  Dies  ist  bei 
den  Verhandlungen  zwischen  Güdemann  und  Hilgenfeld  über  die  jüdische 
Nächstenliebe  weder  von  der  einen  noch  von  der  anderen  Seite  in  ausreichen- 
der Weise  beachtet  worden  (Güdemann,  Nächstenliebe,  ein  Beitrag  zur  Er- 
klärung des  Matthäus-Evangeliums,  1890.  Hilgenfeld,  Prot  Kirchenzeitung 
1891,  Nr.  38  und  43.  Chwolson,  Das  letzte  Passamahl  Christi  1892,  S.  73—75. 
Güdemann,  Monatsschr.  für  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  Neue  Folge 
Jahrg.  I,  1893,  S.  153-164.  Hilgenfeld,  Zeitschr.  für  wissensch.  Theol.  1893, 
Bd.  II,  S.  416—429). 


472  §  26.  Pharisäer  und  Sadduzäer.  [403.  404] 

nach  Möglichkeit  vermieden,  wird  durch  verschiedene  Sprüche  der 
Mischna  bestätigt  „Die  Kleider  von  Am-haarez  sind  Midras  (un- 
rein) für  Peruschimtt  60.  „Ein  Chaber  kehrt  nicht  als  Gast  bei 
einem  Am-haarez  ein  und  nimmt  ihn  nicht  in  seinem  Gewände  als 
Gast  auf"61.  „Wenn  die  Frau  eines  Chaber  die  eines  Am-haarez 
in  ihrem  Hause  an  der  Mühle  mahlend  verließ,  so  ist,  wenn  die 
Mühle  still  steht,  das  Haus  unrein;  wenn  sie  noch  mahlt,  nur  das 
unrein,  was  jene  mittelst  Ausstreckung  der  Hand  berühren  kann 
usw"62  Wenn  also  die  Evangelien  erzählen,  daß  die  Pharisäer 
sich  tadelnd  äußerii  über  Jesu  freien  Verkehr  mit  den  „Zöllnern 
und  Sündern44,  über  sein  Einkehren  in  deren  Häusern  (Marc.  2, 
14—17.  Iß.  9,  9—13.  Luc.  5,  27—32),  so  entspricht  dies  genau  dem 
hier  dargelegten  Standpunkte.  Die  Pharisäer  haben  sich  in  der 
Tat  vom  Volke  des  Landes  „abgesondert4*,  insofern  sie  den  näheren 
Verkehr  mit  demselben  gemieden  haben. 

Diese  Exklusivität  des  Pharisäismus  berechtigt  allerdings  dazu, 
ihn  eine  atysoig,  eine  Sonderrichtung  zu  nennen,  wie  es  so- 
wohl im  Neuen  Testamente  (Act.  15,  5.  26,  5)  als  von  Josephus 
geschieht  Dabei  bleibt  aber  doch  bestehen,  daß  er  der  legitime 
und  klassische  Repräsentant  des  nachexilischen  Judentums  über- 
haupt ist  Er  hat  nur  mit  rücksichtsloser  Energie  die  Konse- 
quenzen aus  dessen  Prinzipien  gezogen.  Nur  diejenigen  sind  das 
wahre  Israel,  welche  das  Gesetz  aufs  pünktlichste  beobachten.  Da 
dies  im  vollen  Sinne  nur  die  Pharisäer  tun,  so  sind  nur  sie  das 
eigentliche  Israel 

Erst  jetzt,  nach  dieser  allgemeinen  Charakteristik  des  Phari- 
säismus, kann  auch  die  Frage  nach  seiner  Entstehung  erhoben 
und  seine  Geschichte  kurz  skizziert  werden.  Seinem  Wesen 
nach  ist  er  so  alt  als  das  gesetzliche  Judentum  überhaupt  So- 
bald einmal  die  pünktliche  Beobachtung  des  Zeremonialgesetzes 
als  das  eigentliche  Wesen  des  religiösen  Verhaltens  angesehen 
wird,  ist  der  Pharisäismus  im  Prinzip  vorhanden.  Eine  andere 
Frage  ist  aber,  wann  er  zuerst  als  eine  Sonderrichtung,  als 
eine  Fraktion  innerhalb  des  jüdischen  Volkes  aufgetreten 
ist  Und  in  diesem  Sinne  läßt  er  sich  nicht  weiter  hinauf  ver- 
folgen als  bis  in  die  Zeit  der  makkabäischen  Kämpfe.  An  diesen 
beteiligten  sich,  wenigstens  |  in  der  ersten  Zeit,  auch  die  „From- 
men" (pl  'Aoiöaloi,  d.  h.  o^pn),  die  deutlich  als  eine  besondere 


60)  Chagiga  II,  7. 

61)  Demai  II,  3. 

62)  Tohoroth  VII,  4»   —  Vgl.   überhaupt  die  in  Anm.  55  angeführten 
Stellen. 


[404.  405]  I.  Die  Pharisäer.  473 

Fraktion  innerhalb  des  Volkes  erscheinen  (I  Makk.  2,  42.  7, 12  ff.). 
Sie  kämpfen  zwar  an  der  Seite  des  Jndas  für  die  väterliche  Religion, 
aber   sie  sind  nicht  identisch  mit  der  makkabäischen  Partei63. 
Offenbar  vertreten  sie,  wie  aus  ihrem  Namen  zu  schließen,  die 
strengste  Sichtung,  die  mit  besonderem  Eifer  auf  Beobachtung  des 
Gesetzes  hielt.    Sie  sind  also  dieselbe  Partei,  die  uns  einige 
Dezennien  später  unter  dem  Namen  der  „pharisäischen" 
wieder  begegnet   Wie  es  scheint,  hatten  sie  in  der  griechischen 
Zeit,  als  die  vornehmen  Priester  und  die  Obersten  des  Volkes  hin- 
sichtlich des  Gesetzes  eine  immer  laxere  Richtung  einschlugen, 
sich  enger  verbunden  zu  einer  Gemeinschaft  solcher,  welche  die 
pünktlichste  Beobachtung  des  Gesetzes  sich  zur  Pflicht  machten. 
Als  dann  die  Makkabäer  die  Fahne  erhoben  zum  Kampf  für  den 
Glauben  der  Väter,  haben  auch  diese  „Frommen"  sich  an  demselben 
beteiligt;  aber  doch  nur  so  lange,  als  wirklich  für  den  Glauben 
und  das  Gesetz  gekämpft  wurde.    Als  dies  nicht  mehr  der  Fall 
war,  und  das  Ziel  des  Kampfes  mehr  und  mehr  die  nationale 
Selbständigkeit  wurde,  scheinen  sie  sich  zurückgezogen  zu  haben. 
Wir  hören  daher  nichts  mehr  von  ihnen  unter  Jonathan  und  Simon. 
Erst  unter  Johannes  Hyrkan  treten  sie  wieder  auf,  und  zwar 
nun  unter  dem  Namen  der  „Pharisäer";  aber  nun  nicht  mehr  an 
der  Seite  der  Makkabäer,  sondern  in  feindlichem  Gegensatz  zu 
ihnen.    Die  Entwickelung  der  Dinge  hatte  dahin  geführt,  daß  die 
priesterliche  Familie  der  Makkabäer  eine  politische  Dynastie  be- 
gründete. Die  alte  hohepriesterliche  Familie  war  verdrängt  worden. 
In  ihr  politisches  Erbe  traten  die  Makkabäer  oder  Hasmonäer. 
Eben  damit  fielen  ihnen  aber  auch  wesentlich  politische  Aufgaben 
zu.   Die  Hauptsache  war  für  sie  jetzt  nicht  mehr  die  Durchführung 
des  Gesetzes,  sondern  die  Erhaltung  und  Erweiterung  ihrer  poli- 
tischen Machtstellung.     Die  Verfolgung   dieser  politischen  Ziele 
mußte  sie  aber  immer  mehr  von  ihren  alten  Freunden,  den  „Chasi- 
dim"  oder  „Peruschim",  trennen.   Nicht  als  ob  sie  abgefallen  wären 
vom  Gesetz.    Aber  eine  weltliche  Politik  war  an  sich  kaum  ver- 
einbar mit  jener  gesetzlichen  Ängstlichkeit  und  Peinlichkeit,  welche 
die  Pharisäer  forderten.    Es  mußte  über  kurz  oder  lang  zum  Bruch 
zwischen  beiden  Bestrebungen  kommen.    Dieser  Bruch  erfolgte 
unter  Johannes  Hyrkan.  Während  derselbe  sich  noch  im  Anfang 
seiner  Regierung  zu  den  Pharisäern  |  hielt,  sagte  er  sich  später 
von  ihnen  los  und  wandte  sich  den  Sadduzäern  zu.    Die  Veran- 


63)  Dies  ist  namentlich  von  Wellhausen  (S.  78—86)  treffend  nachge- 
wiesen worden,  der  eben  darum  mit  Recht  die  Chasidaer  mit  den  Pharisäern 
identifiziert. 


474  §  26.   Pharisäer  und  Sadduzaer.  [405.  406] 

lassung  zum  Bruch  wird  von  Josephus  zwar  in  sagenhafter  Weise 
erzählt64.  Die  Tatsache  selbst,  daß  es  unter  Hyrkan  zum  Um- 
schwung kam,  ist  aber  durchaus  glaubhaft  So  finden  wir  denn 
die  Pharisäer  von  nun  an  als  die  Gegner  der  hasmonäischen 
Priester-Fürsten.  Sie  waren  es  nicht  nur  unter  Johannes  Hyrkan, 
sondern  auch  unter  Aristobul  I.  und  besonders  unter  Alexander 
Jannäus.  Unter  diesem,  der  als  ein  wilder  Kriegsmann  die  reli- 
giösen Interessen  ganz  hintansetzte,  kam  es  sogar  zur  offenen  Re- 
volution. Sechs  Jahre  lang  lag  Alexander  Jannäus  mit  seinen 
Soldtruppen  im  Kampf  gegen  das  von  den  Pharisäern  geleitete 
Volk65.  Was  er  schließlich  erreichte,  war  doch  nur  die  äußere 
Einschüchterung,  nicht  die  wirkliche  Überwindung  des  Gegners: 
die  Pharisäer  hatten  mit  ihrer  Betonung  der  religiösen  Interessen 
die  Masse  des  Volkes  auf  ihrer  Seite.  Es  ist  daher  nicht  zu  ver- 
wundern* daß  Alexandra,  um  Frieden  zu  haben  mit  ihrem  Volk, 
den  Pharisäern  die  Herrschaft  überließ.  Deren  Sieg  war  jetzt  ein 
vollständiger:  die  ganze  Leitung  der  inneren  Angelegenheiten  lag 
in  ihren  Händen.  Alle  von  Hyrkan  abgeschafften  pharisäischen 
Satzungen  wurden  wieder  eingeführt:  sie  beherrschten  vollständig 
das  öffentliche  Leben  des  Volkes 66.  Und  dabei  blieb  es  im  wesent- 
lichen auch  für  alle  Folgezeit  Unter  allem  Wechsel  der  Regie- 
rungen, unter  Römern  und  Herodianern,  behaupteten  die  Pharisäer 
ihre  geistige  Hegemonie.  Sie  hatten  die  Konsequenz  des  Prinzipes 
für  sich.  Und  diese  Konsequenz  verschaffte  ihnen  das  geistige 
Übergewicht  Zwar  standen  die  sadduzäischen  Hohenpriester  an 
der  Spitze  des  Synedriums.  Aber  tatsächlich  hatten  nicht  die 
Sadduzaer,  sondern  die  Pharisäer  den  maßgebenden  Einfluß  auf 
die  öffentlichen  Angelegenheiten.  So  beschreibt  uns  Josephus  wieder- 
holt die  Situation.  Die  Pharisäer  haben  die  Menge  des  Volkes 
zum  Bundesgenossen67;  besonders  haben  sie  die  Weiber  in  ihrer 
Hand68.  Sie  haben  den  größten  Einfluß  auf  die  Gemeinden, 
so  daß  alle  gottesdienstlichen  Handlungen,  Gebete  und 
Opfer  nach  ihren  Anordnungen  geschehen69.  Ihre  Herr- 
schaft über  die  Massen  ist  so  unbedingt  daß  sie  selbst  dann  Gehör 
finden,  wenn  sie  etwas  gegen  den  König  oder  den  Hohenpriester 
sagen 70.  |  Infolgedessen  vermögen  sie  am  meisten  den  Königen  ent- 


64)  Antt.  XIII,  10,  5-6. 

65)  Antt.  XIII,  13,  5. 

66)  Antt.  XHI,  16,  2. 

67)  Antt.  XIII,  10,  6:  xö  nXfj^oq  avfifxaxov  t%bvx(»v. 

68)  Antt.  XVII,  2,  4:  olq  . . . .  vnfjxxo  %  yvvcuxa)vlxi<;. 

69)  Antt.  XVIII,  1,  3:  xolg  d^ixotq  m&avwvaxoi  xvy/ävovai  x.  x.  A. 

70)  Antt.  XIII,  10,  5. 


(406]  IL  Die  Sadduzäer.  475 

gegenzuwirken71.  Auch  die  Sadduzäer  halten  sich  daher  in 
ihrem  amtlichen  Wirken  an  die  Forderungen  der  Phari- 
säer, weil  andernfalls  die  Menge  sie  nicht  ertragen 
würde72.  —  Dieser  große  Einfluß,  welchen  die  Pharisäer  tatsäch- 
lich ausübten,  ist  nur  die  Kehrseite  der  exklusiven  Stellung,  die 
sie  sich  selbst  gaben.  Gerade  deshalb,  weil  sie  ihre  Forderungen 
so  hoch  spannten  und  nur  diejenigen  als  vollbürtige  Israeliten  an- 
erkannten, die  das  Gesetz  nach  der  vollen  Strenge  ihrer  Forderungen 
beobachteten,  gerade  deshalb  imponierten  sie  der  Menge,  «die  in 
diesen  exemplarisch  Frommen  ihr  eigenes  Ideal  und  ihre  legitimen 
Fährer  anerkannte. 


IL  Die  Sadduzäer. 

Nicht  ebenso  klar  wie  das  Wesen  der  Pharisäer  liegt  das  der 
Sadduzäer  vor  Augen.  Die  spärlichen  Angaben,  welche  die  Quellen 
uns  liefern,  lassen  sich  nur  schwer  unter  einen  einheitlichen  Ge- 
sichtspunkt bringen.  Und  es  scheint,  daß  dies  im  Wesen  der  Sache 
begründet  ist.  Die  Sadduzäer  sind  keine  so  einheitliche  und  kon- 
sequente Erscheinung  wie  die  Pharisäer,  sondern  sozusagen  eine 
zusammengesetzte,  welche  von  verschiedenen  Ausgangspunkten  aus 
zu  begreifen  ist. 

Das  hervorstechendste  Merkmal  ist  zunächst  dies,  daß  sie  die 
Aristokraten  sind.  Als  solche  bezeichnet  sie  Josephus  wieder- 
holt „Sie  gewinnen  nur  die  Wohlhabenden  für  sich,  das  Volk 
haben  sie  nicht  auf  ihrer  Seite"1.  „Zu  wenigen  Männjern  ist 
diese  Lehre  gelangt,  jedoch  zu  den  ersten  an  Ansehen" 2.  Wenn 
Josephus  hier  davon  spricht,  daß  diese  „Lehre"  nur  zu  wenigen 
gelangt  sei,  so  hängt  dies  mit  seiner  ganzen  Manier  zusammen, 
die  Pharisäer  und  Sadduzäer  als  philosophische  Richtungen  zu 
schildern.  Nimmt  man  diesen  aufgetragenen  Firnis  weg,  so  bleibt 
als  tatsächliche  Angabe  dies,  daß  die  Sadduzäer  die  Aristokraten 
sind,  die  Reichen  (svjcoqoi)  und  Hochgestellten  {ptQmxoi  xolq  agtco- 
fiaoiv).  Damit  ist  auch  schon  gesagt,  daß  sie  vorzugsweise  der 
Priesterschaft  angehörten.  Denn  Priester  waren  es,  die  seit  Beginn 
der  griechischen,  ja  seit  der  persischen  Zeit  den  jüdischen  Staat 


71)  Antt.  XVII,  2,  4. 

72)  Antt.  XVIII,  1,  4. 

1)  Antt.  XIII,  10,  6:  xohq  slnÖQOvq  fidvov  7zei96vxQ)v,  xd  Sh  druxoxi- 
xdv  o$x  kndfjLSvov  ahxotq  4x6vx<ov. 

2)  Antt.  XVIII,  1,  4:  slq  öXiyovq  avÖQaq  olvoq  6  Xöyoq  äybcexo,  xovq 
liivxoi  TtQUixovq  xolq  agitojuaot. 


476  §  26.   Pharisäer  und  Sadduzäer.  [406.  407] 

regierten,  wie  |  überhaupt  die  Priesterschaft  den  Adel  des  jüdischen 
Volkes  bildete 3.  Zum  Überfluß  bezeugt  auch  das  Neue  Testament 
und  Josephus  ausdrücklich,  daß  die  hohenpriesterlichen  Familien 
jder  sadduzäischen  Partei  angehörten 4.  So  richtig  aber  diese,  zum 
erstenmal  von  Geiger  mit  Nachdruck  vertretene,  Anschauung  ist, 
so  darf  sie  doch  nicht  dahin  verstanden  werden,  als  ob  die  Sad- 
duzäer die  Partei  der  Priester  überhaupt  gewesen  wären. 
Der  Gegensatz  der  Sadduzäer  zu  den  Pharisäern  ist  nicht  ein 
Gegensatz  der  priesterlichen  und  der  strenggesetzlichen  Partei, 
sondern  ein  Gegensatz  der  vornehmen  Priester  zu  den  Streng- 
Gesetzlichen.  Die  Pharisäer  standen  den  Priestern  an  sich  keines- 
wegs feindlich  entgegen.  Im  Gegenteil,  sie  haben  die  gesetzlichen 
Bestimmungen  über  die  Einkünfte  der  Priesterschaft  reichlich  zu 
deren  Gunsten  ausgelegt  und  ihnen  an  Erstlingen,  Hebe,  Zehnt, 
Erstgeburt  usw.  ihr  voll,  gedrückt,  gerüttelt  und  überflüssig  Maß 
zuerkannt5;  auch  die  größere  Heiligkeit  und  höhere  Rangstellung 
der  Priester  in  der  Theokratie  entschieden  anerkannt6.  Anderer- 
seits standen  auch  die  Priester  durchaus  nicht  alle  dem  Pharisäis- 
mus  feindlich  gegenüber.  Es  gab  wenigstens  in  den  letzten  De- 
zennien vor  und  in  den  ersten  Dezennien  nach  der  Zerstörung  des 
Tempels  eine  ganze  Anzahl  Priester,  welche  selbst  dem  Rabbinen- 
stande  angehörten7.  Die  Gegner  der  Pharisäer  waren  demnach 
nicht  die  Priester  als  solche,  sondern  nur  die  vornehmen  Priester: 
diejenigen,  welche  durch  Besitz  und  Ämter  auch  im  bürgerlichen 
Leben  eine  einflußreiche  Stellung  einnahmen. 


3)  Joseph.  Vita  c.  1. 

4)  Apgesch.  5,  17.  Antt.  XX,  9,  1.  Gegen  Hol  sc  her,  welcher  diese 
Notizen  als  unhistorisch  verwirft,  s.  Theol.  Litztg.  1907,  202. 

5)  Vgl.  in  der  Mischna  die  Traktate  Demai,  Terumoth,  Maaseroth,  Challa, 
Btkkurim,  Bechoroth. 

6)  Chagiga  II,  7:  Die  Kleider  der  Peruschim  gelten  als  Midras  (unrein) 
für  die,  welche  Hebe  essen  (d.  h.  die  Priester).  —  Horajoth  HI,  8:  ö*np  Ina 
b&Ottrt  •*•&,  *nbb.  —  Auch  bei  der  Schriftlektion  in  der  Synagoge  ließ  man  den 
Priestern  den  Vortritt,  Qiitin  V,  8. 

7)  Schon  dem  Jose  ben  Joeser  wird  bezeugt,  daß  er  ein  Y*öri  unter 
der  Priesterschaft  war  {Chagiga  II,  7).  —  Ein  Joeser,  welcher  Tempelhaupt- 
mann, also  ebenfalls  Priester  war,  gehörte  zu  der  Schule  Schammais  {Orla  H, 
12).  —  Bei  Josephus  kommt  vor  ein  *Iö%aQoq  (Niese:  rd^ogoq)  hoartxov 
yivovq,  <Paoi.oaloq  xal  afaöq  {Jos.  Vita  39).—  Josephus  selbst  war  Priester 
und  Pharisäer  {Vita  1 — 2).  —  Ferner  werden  erwähnt  ein  Rabbi  Juda  ha- 
Kohen  {Edujoth  Vin,  2),  ein  Rabbi  Jose  ha-Kohen  {Edujoth  VIH,  2.  Aboth 
II,  8).  —  Am  bekanntesten  sind  als  priesterliche  Schriftgelehrte  Rabbi  Cha- 
uanja  0*3  rpn  *)30  (s.  oben  S.  434)  und  Rabbi  Eleasar  ben  Asarja  (s.  oben 
S.  439).  —  Auch  Rabbi  Ismael  und  Rabbi  Tarphon  sollen  Priester  gewesen 
sein  (s.  S.  441  und  444). 


[408.  409]  II.  Die  Sadduzäer.  477 

Angesichts  dieser  Tatsache  ist  es  eine  ansprechende  Vermutung 
Geigers  (die  er  freilich  für  Gewißheit  ausgibt),  daß  die  Saddu- 
zäer ihren  Namen  o^jms8,  2a66ovxaiot9  von  jenem  Priester  Zadok 
haben,  dessen  Geschlecht  seit  Salomos  Zeit  den  priesterlichen  Dienst 
zu  Jerusalem  verwaltete.  Jedenfalls  darf  es  gegenwärtig  als  aus- 
gemacht gelten,  daß  der  Name  nicht,  wie  man  früher  vielfach 
meinte,  von  dem  Adjektiv  p^t  abzuleiten  ist10,  sondern  von  dem 
Eigennamen  piis11.  Denn  bei  der  ersteren  Ableitung  bleibt  der 
Umlaut  von  i  in  u  unerklärlich12,  während  andererseits  für  den 
Eigennamen  Zadok  die  Aussprache  Zadduk  (2addovx,  p^t)  durch 
die  übereinstimmenden  Zeugnisse  der  Septuaginta 1S,  |  des  Jose- 


8)  80  heißen  sie  in  der  Mischna:  Jadajim  IV,  6 — 7.  Erubin  VI,  2.  Mak- 
koth  I,  6.  Para  m,  7.  Nidda  IV,  2.  --  Der  Singular  lautet  Erubin  VI,  2 
*<pVttt,  was  im  cod.  de  Rossi  138  T.^-f  punktiert  ist  (Kamez  und  Pathach  werden 
in  dieser  Handschrift  oft  verwechselt;  an  den  übrigen  Stellen  ist  der  Name 
nicht  vokalisiert). 

9)  So  bei  Josephus  und  im  Neuen  Testament. 

10)  So  schon  manche  Kirchenväter,  z.  B.  Epiphanius  haer.  14:  inovo- 
ptd^ovat  Sh  ovxoi  havxovq  Saööovxalovq,  öy&ev  and  öixcuoovvtiq  xrjq  inixX^oecog 
dpfKOfjtivijq.  SsShx  yäo  kofXTjvevercu  Stxaioavvrj.  Hieronymus  Oomm.  in 
Matih.  22,  23  (VaUarsi  VII,  1,  177):  Sadducaei  autem,  qui  interpretantur  justu 
—  In  neuerer  Zeit  ist  die  Ableitung  von  p^X  namentlich  noch  von  Deren  - 
bourg  (Histoire  p.  78)  und  Hamburger  (Enz.  S.  1041)  vertreten. 

11)  Daß  dies  die  einzig  mögliche  Ableitung  ist,  hat  am  sorgfältigsten 
Hontet  gezeigt  (Essai  sur  les  origines  des  partis  sadueien  et  pharisien  p.  45 
bis  60).  Vgl.  ferner  außer  Geiger  auch:  Hitzig,  Gesch.  des  Volkes  Israel 
S.  469,  Keim  I,  274f.,  Hanne,  Zeitschr.  f.  wiss.  Theol.  1867,  S.  167,  Haus- 
rath,  Zeitgesch.  I,  118.  Bibellex.  IV,  520.  Wellhausen  S.  45ff.  Kuenen, 
De  godsdienst  van  Israel  II,  342 sq.  Theol  Tifdschr.  1875,  639.  Hilgenfeld, 
Zeitschr.  1876,  S.  136.  O ort,  De  naam  Sadduceen  {Theol.  Tydschr.  1876,  p.  605 
bis  617).  Reuss,  Gesch.  der  heil.  Sehr.  A.  T.'s  §  396.  Sieffert  in  Herzogs 
Beal-Enz.  2.  Aufl.  XIH,  230.  3.  Aufl.  XV,  282.  Lagarde,  Übersicht  über  die 
im  Aramäischen,  Arabischen  und  Hebräischen  übliche  Bildung  der  Nomina 
(Abhandlungen  der  Göttinger  Gesellsch.  der  Wissensch.  Bd.  35,  1888)  S.  225 
bis  229. 

12)  Wiesel  er  fingiert  freilich  ein  Adjektiv  xadduk,  für  dessen  Existenz 
er  aber  den  Nachweis  schuldig  geblieben  ist  (Stud.  u.  Krit.  1875,  551). 

13)  Der  Name  Zadok  kommt  im  A.  T.  nach  Ausweis  von  Brechers  Kon- 
kordanz der  Eigennamen  (1876)  im  Ganzen  53  mal  vor.  Hiervon  entfallen  zehn 
Stellen  auf  Ezechiel,  Esra  und  Nehemia  (Exech.  40,  46.  43,  19.  44,  15.  48,  11. 
Esra  7,  2.  Nehem.  3,  4,  3,  29.  10,  21.  11,  11.  13,  13).  An  diesen  sämt- 
lichen zehn  Stellen  haben  die  LXX  die  Form  SaSSovx  (nämlich  nach 
dem  richtigen  Text,  der  allerdings  an  einigen  Stellen  erst  durch  Korrektur  des 
gedruckten  Vulgärtextes  nach  den  Handschriften  herzustellen  ist).  Die  Rezen- 
sion des  Lucian  hat  sogar  fast  regelmäßig  auch  an  den  anderen  Stellen  2ad- 
öovx.  Vgl.  die  genaue  Statistik  der  handschriftlichen  Überlieferung  bei  La- 
garde a.  a.  O.  —  Auch  im  griech.  Text  der  Ascensio  Jesajae  c.  II  §  5  lautet 


478  §  26.   Pharisäer  und  Sadduzäer.  [409] 

phus14,  und  einer  vokalisierten  Mischnahandschrift15  zweifellos 
verbärgt  ist  Der  Parteiname  D^pns  verhält  sich  also  zu  pn& 
wie  D^orpna  zu  Boethos  oder  D^cn^W  zu  Epikuros.  Weniger 
sicher  ist  die  andere  Frage  zu  entscheiden,  von  welchem  Zadok 
die  Sadduzäer  ihren  Namen  haben.  Eine  apokryphische  Legende 
in  den  Aboth  de-Babbi  Nathan  führt  sie  zurück  auf  einen  angeblichen 
Schüler  des  Antigonus  von  Socho  namens  Zadok16.  Allein  die 
Legende  ist  trotz  der  lebhaften  Verteidigung,  die  sie  noch  bei 
Baneth  gefunden  hat17,  unbrauchbar  1)  schon  deshalb,  weil  die 
Aboth   de-Babbi  Nathan  wegen  ihres  späten  Ursprungs  als  histo- 


der  Name  SaSdovx  (The  Atnherst  Papyri  ed.  by  Orenfell  and  Hunt  1900,  p.  4, 
wo  die  Herausgeber  »ehr  mit  Unrecht  die  LA  der  Handschrift  SaSocvx  in 
SaSwx  korrigiert  haben). 

14)  Ein  Pharisäer  SdSdovxog  (Niese  ZäMwxos)  wird  Antt.  XVIII,  1,  1 
erwähnt.  Vgl.  auch  'Avavlag  SaSSovxi  Bell.  Jud.  II,  17,  10.  21,  7,  wo  2a6- 
Sovxl  nicht  „Sadduzäer"  heißen  kann,  da  der  Betreffende  nach  Vita  39  ein 
Pharisäer  war. 

15)  Im  cod.  de  Rossi  138  ist  der  Name  des  Rabbi  Zadok  zwar  nur  an 
der  Minderzahl  der  Stellen  vokalisiert;  soweit  dies  aber  der  Fall  ist,  lautet 
er  fast  durchweg  p^2t  (oder  p^S,  da  Pathach  und  Kamez  oft  verwechselt 
werden);  nämlich  an  folgenden  Stellen:  Pea  II,  4.  Terumoth  X,  9.  Schabbath 
XXIV,  5.    Pesachim  HI,  6.  VII,  2.  X,  3. 

16)  Aboth  de-Babbi  Nathan  c.  5:  „Antigonus  von  Socho  empfing  die 
•Überlieferung  von  Simon  dem  Gerechten.  Er  sagte:  Gleichet  nicht  den  Knech- 
ten, die  dem  Herrn  um  des  Lohnes  willen  dienen,  sondern  seid  denen  gleich, 
die  ohne  Rücksicht  auf  Lohn  Dienste  leisten;  und  stets  sei  Gottesfurcht  bei 
euch,  auf  daß  euer  Lohn  doppelt  sei  in  der  Zukunft  Antigonus  von  Socho 
hatte  zwei  Schüler,  welche  seinen  Ausspruch  lehrten,  Sie  trugen  ihn  ihren 
Schülern  vor,  diese  wieder  ihren  Schülern.  Da  standen  sie  auf  und  deutelten 
hinterher  daran  und  sprachen:  Was  dachten  sich  denn  unsere  Väter,  da  sie 
so  sprachen?  Ist  es  möglich,  daß  ein  Arbeiter  den  ganzen  Tag  arbeite  und 
abends  seinen  Lohn  nicht  erhalte?  Hätten  aber  unsere  Väter  gewußt,  daß 
es  ein  kommendes  Leben  und  eine  Auferstehung  der  Toten  gibt,  sie  hätten 
nicht  so  gesprochen.  Da  standen  sie  auf  und  sagten  sich  los  von  der  Thora, 
und  es  zweigte  sich  von  ihnen  ausgehend  eine  zweifache  Spaltung  ab:  Sadoj- 
käer  und  Boethosäer,  die  Sadokäer  nach  dem  Namen  des  Sadok,  die  Boe- 
thosäer nach  dem  Namen  des  Boethos".  —  S.  die  Stelle  auch  bei  Taxier, 
Tractatus  de  pairibus  (London  1654)  p.  33.  Geiger,  Urschrift  S.  105.  Herz- 
feld  HI,  382.  Wellhausen  S.  46.  Taylor,  Sayings  of  the  Jewish  Fathers 
(1877)  p.  126.  Baneth,  Magazin  für  die  Wissensch.  des  Judenthums  IX.  Jahrg. 
1882,  S.  4  (hier  die  oben  mitgeteilte  Obersetzung).  —  Die  Boethosäer 
(o^on^n),  die  auch  in  der  Mischna  einmal  erwähnt  werden  (Menachoth  X,  3), 
haben  ihren  Namen  von  der  hohenpriesterlichen  Familie  Boethos  zur  Zeit 
des  Herodes  (s.  oben  S.  275).  Sie  sind  also  jedenfalls  den  Sadduzäern  ver- 
wandt. 

17)  Baneth,  Magazin  für  die  Wissensch.  des  Juden th.  IX,  1882,  8.1—37. 
61—95. 


[409.  410]  II.  Die  Sadduzäer.  479 

rische  Quelle  für  unsere  Zeit  überhaupt  nicht  in  Betracht  kommen 
können,  2)  weil  speziell  das  über  die  Boethosäer  Gesagte  sicher 
verkehrt  ist  (s.  Anm.  16),  und  3)  weil  die  Legende  |  gar  keine  Über- 
lieferung, sondern  nur  eine  gelehrte  Kombination  enthält:  die  Sad- 
duzäer, welche  die  Unsterblichkeit  leugneten,  sollen  zu  ihrer  Häresie 
gekommen  sein  durch  Mißverständnis  jenes  Ausspruches  des  Anti- 
gonus  von  Socho,  daß  man  ohne  Rücksicht  auf  künftigen  Lohn  das 
Gute  tun  müsse18.  Es  bleibt  demnach  nur  die  Wahl,  den  Namen 
der  Sadduzäer  entweder  abzuleiten  von  einem  uns  unbekannten 
Zadok,  der  in  unbekannter  Zeit  die  Partei  der  Aristokraten  be- 
gründet hat,  oder  ihn  zurückzuführen  auf  das  priesterliche  Ge- 
schlecht der  Zadokiden.  Ersteres  ist  möglich  und  ist  z.  B.  von 
Kuenen  (früher),  Montet  und  Lagarde  vorgezogen  worden 19;  aber 
letzteres  ist  doch  das  wahrscheinlichere20.  Die  Nachkommen  Za- 
dok 3  haben  seit  Salomos  Zeit  den  priesterlichen  Dienst  im  Tempel 
zu  Jerusalem  versehen.  Seit  der  deuteronomischen  Beform,  welche 
alles  Opfern  außerhalb  Jerusalems  verpönte,  galt  der  dortige  Kultus 
als  der  allein  legitime.  Eben  darum  erkennt  Ezechiel  in  seinem 
Idealbild  der  Theokratie  allein  den  „Zadokiden"  (piis  ^53)  das 
Becht  zu,  als  Priester  im  Tempel  zu  Jerusalem  zu  fungieren 
(Exech.  40,  46.  43, 19.  44, 15.  48, 11).  Diese  Forderung  Ezechiels  ist 
bei  der  Wiederherstellung  des  Kultus  nach  dem  Exil  zwar  nicht 
ganz  durchgedrungen,  indem  auch  ein  Teil  der  andern  Priester- 
geschlechter seine  alten  Bechte  geltend  zu  machen  wußte21.  Aber 
die  Zadokiden  bildeten  doch  den  Kern  und  Hauptbestandteil  der 
Priesterschaft  in  der  nachexilischen  Zeit  Dies  sieht  man  nament- 
lich auch  daraus,  daß  der  Chronist  in  seiner  Genealogie  das  Haus 
Zadoks  auf  Eleasar,  den  älteren  Sohn  Aarons,  zurückführt  Er 
gibt  damit  zu  verstehen,  daß  die  Zadokiden,  wenn  nicht  den  ein- 
zigen, so  doch  den  ersten  und  nächsten  Anspruch  auf  das  Priester- 
tum  hätten  (I  Ckron.  5,  30—41).    Dieses  Verfahren  des  Chronisten 


18)  Vgl.  Well  hau  Ben  S.  46.  —  Der  Ausspruch  des  Antigonus  von  Socho, 
an  welchen  die  Kombination  anknüpft,  steht  Aboih  I,  3.    S.  oben  S.  416. 

19)  Kuenen,  De  godsdienst  van  Israel  II,  342*?.  Theol  Tijdschrift  1875, 
639.  Montet,  Essai  p.  59.  Lagarde  a.  a.  O.  —  Später  hat  Kuenen  seine 
Ansicht  zurückgenommen  und  sich  für  die  Ableitung  der  Sadduzäer  von  dem 
Priester  Zadok  entschieden  (Theol.  Tijdschr.  1890  p.  37  not  —  Gesammelte  Ab- 
handlungen, übers,  von  Budde  1894,  S.  496  Anm.). 

20)  So  alle  in  Anm.  11  Genannte  außer  Kuenen  (früher),  Montet  und 
Lagarde. 

21)  Dies  ist  nämlich  daraus  zu  schließen,  daß  in  der  Chronik  außer  der 
Linie  Eleasars  (das  sind  die  Zadokiden)  auch  die  Linie  Ithamars  als  zum 
priesterlichen  Dienste  berechtigt  erscheint  (I  Chron.  24).    Vgl.  oben  S.  293. 


480  §  26.    Pharisäer  und  Sadduzäer.  [410.  411.  412] 

beweist  aber  zugleich  auch,  daß  der  Name  des  Ahnherrn  jenes 
Geschlechtes  noch  zur  Zeit  des  Chronisten,  also  in  der  griechischen 
Zeit  in  lebendiger  Erinnerung  war.  Auch  noch  Jesus  Sirach 
preist  Gott  dafür,  daß  er  „die  Söhne  Zadoks  erwählt  hat,  Priester 
zu  sein"  (Sir.  51,  12,  Vers  9  des  im  Griechischen  und  Syrischen 
fehlenden  Stückes:  pDb  pn*  *>m  irnsb  TO)22.  Eine  Partei, 
welche  sich  |  an  die  vornehmen  Priester  anschloß,  konnte 
demnach  recht  wohl  die  zadokidische  oder  sadduzäische 
genannt  werden.  Denn  wenn  die  vornehmen  Priester  auch  nur 
ein  kleiner  Bruchteil  der  piis  ^ä  sind,  so  sind  sie  eben  doch  die 
maßgebenden  Repräsentanten  derselben.  Ihre  Richtung  ist  die 
„zadokidische" 23. 

Zu  dem  bisher  festgestellten  Merkmal  des  aristokratischen 
Charakters  der  Sadduzäer  kommt  als  weiteres  Merkmal  zunächst 
dies,  daß  sie  nur  die  schriftliche  Thora  als  verbindlich  an- 
erkannten, dagegen  die  gesamte  im  Lauf  der  Jahrhunderte 
durch  die  Schriftgelehrten  ausgebildete  traditionelle  Auslegung 
und  Weiterbildung  des  Gesetzes  nicht  anerkannten.  „Die 
Sadduzäer  sagen,  nur  das  habe  man  für  gesetzlich  zu  achten,  was 
geschrieben  ist.  Das  aus  der  Überlieferung  der  Väter  Stammende 
hingegen  habe  man  nicht  zu  beobachten" 24.  So  weit  sind  sie  von 
dem  unbedingten  Autoritätsprinzip  der  Pharisäer  entfernt,  daß  sie 
es  vielmehr  für  rühmlich  halten,  ihren  Lehrern  zu  widersprechen 25. 
Es  handelt  sich,  wie  man  sieht,  lediglich  um  eine  Verwerfung  der 
jzaQaöoöic;  xmv  jcQscßvriQcop,  also  der  ganzen  Fülle  gesetzlicher 
Bestimmungen,  welche  von  den  pharisäischen  Schriftgelehrten  zur 
Ergänzung  und  Verschärfung  des  schriftlichen  Gesetzes  ausgebildet 
worden  waren.  Die  Angabe  mancher  Kirchenväter,  daß  die  Sad- 
duzäer nur  den  Pentateuch  anerkannt,  die  Propheten  aber  ver- 
worfen hätten26,  |  hat  in  den  Worten  des  Josephus  keine  Stütze 


22)  S.  Peters,  Der  jüngst  wieder  aufgefundene  hebräische  Text  des 
Buches  Ecclesiasticus  (1902)  S.  304 ff.  Smend,  Die  Weisheit  des  Jesus  Sirach, 
hebräisch  und  deutsch  1906,  dazu  Kommentar  1906,  S.  502  f.  Obwohl  das 
Stück  im  griechischen  und  syrischen  Texte  fehlt  und  einzelne  Sätze  aus  dem 
Schmone  Esre  enthält,  ist  es  doch  wohl  in  seiner  Grundlage  echt  (s.  Smend 
a.  a.  O.  gegen  Peters). 

23)  Vgl.  zum  Obigen  bes.  Wellhausen,  Pharisäer  und  Sadducäer 
S.  47—50.  Ders.,  Gesch.  Israels  I,  127—130.  230 f.  —  Prolegomena  zur  Gesch. 
Israels  5.  Ausg.  1899,  S.  122—124  221  f.  Auch  Kuenen,  Zadok  en  de  Zado- 
ktetm  (TheoL  Tijdschr.  1869,  p.  463—509). 

24)  Antt.  XIII,  10,  6.    Vgl.  XVIII,  1,  4. 

25)  Antt.  XVIII,  1,  4. 

26)  Origenes,  Contra  Celsum  I,  49  (Opp.  ed.  Lommatxsch  XVUI,  93):  ol 
fjiövov  öh  Ma>aia>q  na^aöexS/uevot  zäq  ßlßkovq  Zapapelq  if   2aödovxaloL  — 


[412]  II.  Die  Sadduzäer.  481 

und  wird  daher  von  den  meisten  neueren  Gelehrten  als  irrig  an- 
gesehen27. An  eine  wirkliche  Verwerfung  der  Propheten  ist  in 
der  Tat  wohl  nicht  zu  denken.  Aber  daß  die  Sadduzäer  nur  den 
Pentateuch  als  im  eigentlichen  Sinne  kanonisch  haben  gelten  lassen, 
ist  wohl  möglich 28.  —  Bei  der  prinzipiellen  Opposition,  welche  die 
Sadduzäer  der  gesamten  pharisäischen  Gesetzestradition  entgegen- 
setzten, haben  die  einzelnen  gesetzlichen  Differenzen 
zwischen  Sadduzäern  und  Pharisäern  nur  ein  untergeordnetes  Inter- 
esse. In  der  rabbinischen  Literatur  werden  eine  Anzahl  Differenzen 
dieser  Art  erwähnt29.  Allein  die  betreffenden  Notizen  können  zum 
Teil  überhaupt  nicht  als  historische  Überlieferung  gelten  —  so 
namentlich  die  Angaben  des  sehr  späten  Kommentares  zu  Megillath 
Taanith.  Soweit  sie  aber  glaubwürdig  sind,  treten  sie  so  vereinzelt 
und  zusammenhangslos  auf,  daß  ein  einheitliches  Prinzip  in  ihnen 

Idem,  Oomment  in  Maith.  tom.  XVII,  c.  35  (zu  Matth.  22,  29,  bei  Lommatxsch 
IV,  166):  xotq  Saödovxaioiq  fi^j  noooieutvoig  aXXrjv  yga<p^v  ij  r^v  vofxtx^v  .... 
xovq  SaMovxaiovq,  r6xi  fifj  nQootiftevoi  xäq  i£rjq  xtj>  vö/uy  yoaqwLq  nXavwvxai. 
—  Ibid.  tom,  XVII  c.  36  (zu  Matth.  22,  31-32,  bei  Lommatxsch  IV,  169):  xal 
elq   xotizo  Sh  (ptfoofXEv,   Sri  fivoia  öwäftevoq  neol  xov  vndgx^v  tty  fiSXXovoav 
to>^v  xolq  dv&Qwnoiq  napa(}£o9>ai  dnö  nooqHjxlbv  6  Änr^p,  xovxo  oh  nenoi' 
rjxev  öia  x6  xovq  Eaödovxalovq  fiövriv  noooleofteu  xtyv  Ma>o£<oq  yoa<p)jv,  &<p 
ijq  ißovXJjfhj   avxovq  ovXXoyiany  övawnfjaai.  —   Hieronymus,  Oomment.  in 
Matth.  22,  31—32  (Vaüarsi  VII,  1,  179):  Hi  quinque  tantum  libros  Moysis  re~ 
cipiebant,  prophetarum  vaticinia  respuentes.    Stultum  ergo  erat  inde  proferre 
testimonia,  cujus  auctoritaiem  non  sequebantur  —  Philo  so  phumena  IX,  29: 
nooqJixaiq  6h  oh  npoaiyovow,  &XX'  ohtih  kxSpoiq  xial  aocpolq,   nX^v  uövcp  xoj 
öiä  Mwoicjq  v6(*<p,  fitjShv   hpufjvevovxeq.  —  Pseudo-Tertullian.  adv.  haer. 
c.  1 :  taceo  enim  Judaismi  haereticost  Dositheum  inquam  Samaritanum,  qui  pri- 
mus  ausus  est  prophetas  quasi  non  in  spiritu  sancto  locutos  repudiare,  taceo 
Sadducaeos,  qui  ex  hujus  erroris  radice  surgentes  ausi  sunt  ad  hanc  haeresim 
etiam  resurrectionem  carnis  negare.    (Der  pseudo-Tertullianische  Traktat  gehört 
wahrscheinlich  noch  in  die  erste  Hälfte  des  3.  Jahrb.,  8.  Bardenhewer,  Gesch. 
der  altkirchl.  Literatur  II,  384f.)    Hiernach  fast  wörtlich  Hieronymus,  contra 
Luciferianos  c.  23  (Vallarsi  II,  197):  taceo  de  Judaismi  haereticis,  qui  ante  ad- 
rentum  Christi   legem  traditam  dissiparunt:   quod  Dosithaeus  Samaritanorum 
princeps  prophetas  repudiavit:  quod  Saddueaei  ex  iliius  radice  nascentes  etiam 
resurrectionem  carnis  negaterunt. 

27)  Verteidigt  ist  sie  noch  z.  B.  von  Serarius,  Trihaeresium  Lib.  II 
c.  21.  Gegen  ihn  s.  Scaliger,  Elenchus  trihaeresii  Serarii  c.  16,  Drusius, 
De  tribus  sectis  Judaeorum  Lib.  III  c.  9.  Mehr  Literatur  bei  Carpxov,  Appa- 
rat™ p.  2085$.    Winer  RWB.  II,  353f. 

28)  So  Budde,  Der  Kanon  des  Alten  Testaments  (1900),  S.  42 f. 

29)  Vgl.  hierüber:  Herzfeld  III,  385ff.  Jost  I,  216—226.  Grätz  3.  Aufl. 
III,  652ff.  (Note  10).  4.  Aufl.  S.  693ff.  (Note  12).  Geiger,  Urschrift  S.  134ff. 
Sadducaer  und  Pharisäer  S.  13 — 25.  Derenbourg  p.  132  $<7^.  Kuenen,  De 
godsdienst  ran  Israel  II,  4b&sqq.  Wellhausen  S.  56—75.  Hamburger  II, 
1047 ff.    Montet  236*??. 

Schür  er,  Geschichte  II.   4.  Aufl.  31 


482  §  26.   Pharisäer  und  Sadduzäer.  [412.  413] 

nicht  zu  erkennen  ist,  namentlich  nicht  das  von  Geiger  gesuchte 
einer  Vertretung  der  priesterlichen  Interessen  durch  die  Saddu- 
zäer30. Im  Kriminalrecht  sind  nach  Josephus  die  Sadduzäer 
strenger,  die  Pharisäer  milder  gewesen31.  Das  kann  damit  zu- 
sammenhängen, daß  die  ersteren  sich  streng  an  den  Buchstaben 
des  Gesetzes  hielten,  während  die  letzteren  Mittel  und  Wege  fanden, 
durch  Interpretation  die  Härten  des  Gesetzes  zu  mildern.  In  einem 
von  der  Mischna  erwähnten  Punkte  gingen  die  Sadduzäer  noch 
über  die  Forderungen  des  Gesetzes  hinaus:  sie  verlangten  Schaden- 
ersatz nicht  nur  wenn  jemandes  Ochse  oder  Esel  Schaden  an- 
gerichtet hatte  (so  Exod.  21,  32.  35  f.),  sondern  auch  wenn  jemandes 
Knecht  oder  Magd  Schäden  angerichtet  hatte32.  |  Andererseits 
wollten  sie,  daß  falsche  Zeugen  nur  dann  hingerichtet  würden,  wenn 
infolge  ihres  falschen  Zeugnisses  der  Angeklagte  bereits  hingerichtet 
worden  (Deut  19,  19—21),  während  die  Pharisäer  es  auch  schon 
dann  verlangten,  wenn  nur  das  Urteil  gefällt  war33.  Hier  sind 
also  die  Pharisäer  die  strengeren.  Man  sieht  eben,  daß  die  Diffe- 
renzen  nicht  eigentlich  prinzipielle  sind.  Ahnlich  steht  es  bei  den 
rituellen  Fragen.  Auch  hier  kann  man  von  einer  prinzipiellen 
Differenz  nur  insofern  reden,  als  die  Sadduzäer  die  pharisäischen 
Bestimmungen  z.  B.  hinsichtlich  von  rein  und  unrein  nicht  als 
bindend  anerkannten.  Sie  verspotteten  ihre  pharisäischen  Gegner 
wegen  der  Seltsamkeiten  und  Inkonsequenzen,  zu  denen  ihre  Rein- 
heitsgesetze führten34.  Andererseits  erklärten  die  Pharisäer  alle 
Sadduzäerinnen  „wenn  sie  in  den  Wegen  ihrer  Väter  wandeln" 
für  unrein35.  Wie  wenig  jedoch  die  Sadduzäer  das  Prinzip  der 
levitischen  Reinheit  an  sich  verwerfen  wollten,  sieht  man  daraus, 
daß  sie  in  betreff  der  Reinheit  des  die  rote  Kuh  verbrennenden 


30)  Gegen  Geiger  s.  bes.  Wellhausen  a.  a.  O. 

31)  Antt.  XX,  9,  1:  Saödovxaiwv ,  cftneQ  elol  tcbqI  xaq  xqioek;  fofiol  naga 
ndvxaq  xovq  ^ovöaiovq.  —  Antt.  XIII,  10,  6:  "AXX&q  xe  xal  <pvoei  rcQÖq  xäq  xo- 
läoeiq  iniEixtbq  hyovaiv  61  <PaQioaToi. 

32)  Jadajim  IV,  7b.  —  Den  Wortlaut  dieser  und  der  folgenden  Stellen 
s.  oben  S.  452  ff. 

33)  Makkoth  I,  6.  —  Vgl.  Ober  die  juristischen  Differenzen  bes.  auch 
Hol s eher,  Der  Sadduzäismus  S.  22 — 24  u.  30—32,  welcher  die  sadduzäischen 
Anschauungen  auf  römischen  Einfluß  zurückfuhrt. 

34)  Nur  als  Spott  können  die  Jadajim  IV,  6  und  7a  erwähnten  Angriffe 
der  Sadduzäer  auf  die  Pharisäer  gemeint  sein.  Denn  die  Sadduzäer  wollen 
sicher  nicht  dafür  eintreten,  daß  auch  „gegnerische  Bücher"  die  Hände  ver- 
unreinigen (Jadajim  IV,  6),  oder  daß  auch  die  „Strömung"  beim  Gießen  aus 
einem  reinen  Gefäß  in  ein  unreines  für  unrein  zu  erklären  sei  (Jadajim  IV, 
7a).    Sondern  sie  verspotten  nur  die  Pharisäer  wegen  ihrer  Absonderlichkeiten. 

35)  Nidda  IV,  2. 


[413]  II.  Die  Sadduzäer.  483 

Priesters  strengere  Forderungen  stellten  als  die  Pharisäer36.  Dies 
letztere  ist  zugleich  der  einzige  Punkt,  wo  sich  ein  gewisses 
priesterliches  Interesse,  nämlich  das  fftr  priesterliche  Reinheit  er- 
blicken läßt  Hinsichtlich  der  Festgesetze  wird  erwähnt,  daß 
die  „Boethosäer"  (die  als  eine  Spielart  der  Sadduzäer  zu  betrachten 
sind)  behaupteten,  die  Pflichtgarbe  beim  Passafest  (Lev.  23,  11)  sei 
nicht  am  zweiten  Festtag,  sondern  am  Tag  nach  dem  in  die  Fest- 
woche fallenden  Sabbath  darzubringen37,  und  dementsprechend  das  | 


36)  Para  III,  7.  Das  Gesetz  schreibt  vor,  daß  der  Priester  nach  Ver- 
brennung der  Kuh  ein  Reinigungsbad  nehme;  er  blieb  dann  noch  unrein  Jus 
zum  Abend  (Num.  19,  3—8).  Die  Sadduzäer  wollten,  daß  der  Priester  erst 
nachdem  er  durch  Sonnenuntergang  rein  geworden  ist,  die  Kuh  verbrenne. 
Ihre  Ansicht  ist  also  die  strengere,  nicht  die  leichtere,  wie  Hol 8 eher  will 
(Der  Sadduzäismus  S.  20 — 22). 

37)  Menachoth  X,  3.  —  Sie  verstanden  nämlich  unter  dem  PQTD  Lev.  23, 
11  nicht  den  ersten  Festtag,  sondern  den  Wochensabbath.  Die  traditionelle 
Auslegung,  welche  darunter  den  ersten  Festtag,  also  unter  dem  „Tag  nach 
dem  Sabbath"  den  zweiten  Festtag  versteht,  ist  schon  vertreten  durch  die  LXX 
(r#  htavQiov  xrjs  nQ&vriq),  Philo  de  septenario  §  20  ed.  Mang.  II,  294,  und  Jo- 
sepkus  Antt.  III,  10,  5.  Der  Ausdruck  ist  auf  alle  Fälle  befremdlich  und  nur 
daraus  zu  erklären,  daß  hier  verschiedene  Quellen  kombiniert  sind  (s.  bes.  die 
umsichtigen  Erörterungen  in  Dillmanns  Kommentar  zu  Lev.  23,  11,  auch 
die  neueren  Kommentare  von  Baentsch  und  Bertholet).  Über  die  Geschichte 
der  Auslegung  und  speziell  über  die  sadduzäische  Ansicht  s.  Wellhausen 
S.  59 f.  67  und  überhaupt  die  oben  Anm.  29  genannte  Literatur;  ferner: 
Hitzig,  Ostern  und  Pfingsten  I,  1837.  II,  1838.  Winer,  Real  worterb.  Art. 
„Pfingsten".  Frankel,  Vorstudien  zu  der  Septuaginta  1841,  S.  190 f.  Ders., 
Über  den  Einfluß  der  palästinischen  Exegese  auf  die  alexandrin ische  Herme- 
neutik 1851,  S.  136 f.  D.  Hoffmann,  Abhandlungen  über  die  pentateuchischen 
Gesetze  I,  Berlin  1878  (Programm)  S.  1—66.  Adler,  Pharisäismus  und  Sad- 
dueäismus  und  ihre  differierende  Auslegung  des  nawi  mrraia  (Monatsschr. 
für  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1878,  S.  522 ff.  568ff.  1879,  S.  29ff.). 
Ritter,  Philo  und  die  Halacha  1879,  S.  113.  Dillmann  in  Schenkels  Bibel- 
lex.  Art.  „Pfingsten".  Ders.,  Die  Bücher  Exodus  und  Leviticus  1880,  zu  Lev. 
23,  11.  Delitzsch  in  Riehms  Handwörterbuch  Art.  „Pfingsten".  Olitzki, 
Flavius  Josephus  und  die  Halacha  I,  1885,  S.  54 f.  Chwolson,  Das  letzte 
Passamahl  Christi  (Mhnoires  de  VAcad&mie  imperiale  des  scienees  de  St.-P&ters- 
bourg,  VHe  Serie,  tome  XLI  No.  1,  1892)  S.  60—67  (meint,  daß  die  Praxis  zur 
Zeit  Christi  sich  nach  der  sadduzäischen  Ansicht  gerichtet  habe,  und  daß  die 
pharisäische  Ansicht  erst  in  der  letzten  Zeit  des  Tempelbestandes  durchge- 
drungen sei).  Hol s eher,  Der  Sadduzäismus  S.  24 — 26.  —  Nach  dem  Buch 
der  Jubiläen  15,  1;  16,  13;  44,  4—5  soll  das  Erntefest  (identisch  mit  dem 
Wochenfest,  s.  6,  21;  22,  1)  „in  der  Mitte"  des  dritten  Monats  gefeiert  werden. 
Auf  dieses  Datum  kommt  man  weder  bei  der  pharisäischen  noch  bei  der 
sadduzäischen  Auslegung  von  Lev.  23,  11  u.  15,  vielmehr  scheint  hier  unter 
dem  na»  der  letzte  Festtag  der  Passawoche,  der  21.  Nisan,  verstanden  zu 
sein.  S.  Charles,  The  book  of  Jubüees  (1902)  p.  106  sq.  und  Theol.  Litztg. 
1903,  678. 

31* 


484  §  26.   Pharisäer  und  Sadduzäer.  [414.  415] 

sieben  Wochen  später  fallende  Pfingstfest  (Lev.  23,  15)  stets  am 
Tage  nach  Sabbath  zu  feiern88.  Diese  Differenz  ist  aber  eine  so 
rein  schalmäßige,  daß  sie  eben  nur  die  exegetische  Ansicht  der  die 
Tradition  nicht  anerkennenden  Sadduzäer  zum  Ausdruck  bringt 
Eine  „prinzipielle"  Bedeutung  kommt  ihr  nicht  zu89.  Die  einzige 
Differenz  von  Bedeutung  wird  auch  in  der  Festgesetzgebung, 
namentlich  in  der  Auslegung  des  Sabbathgebotes  die  gewesen 
sein,  daß  die  Sadduzäer  den  Wust  der  pharisäischen  Bestimmungen 
nicht  als  bindend  anerkannten40.  Auf  diese  allgemeine  Ab- 
lehnung der  pharisäischen  Tradition  durch  die  Sadduzäer 
beschränkt  sich  also  überhaupt  die  prinzipielle  Differenz 
zwischen  beiden.  Alles  übrige  sind  Differenzen,  wie  sie  sich 
von  selbst  ergeben  mußten,  wenn  die  einen  die  Verbindlichkeit  der 
exegetischen  Tradition  der  anderen  nicht  anerkannten.  Man  darf  | 
auch  nicht  meinen,  daß  die  Sadduzäer  die  pharisäische  Tradition 
ihrem  gesamten  Inhalte  nach  abgelehnt  hätten.  Ganz  abgesehen 
davon,  daß  sie  seit  der  Zeit  der  Alexandra  mit  ihren  Anschauungen 
in  der  Praxis  nicht  mehr  durchdrangen,  werden  sie  auch  theoretisch 
in  manchen,  vielleicht  vielen  Einzelheiten  mit  der  pharisäischen 
Tradition  übereingestimmt  haben.  Nur  die  Verbindlichkeit  der- 
selben leugneten  sie  und  behielten  sich  das  Recht  der  eigenen 
Meinung  vor. 

In  dieser  Ablehnung  der  pharisäischen  Gesetzestradition  re- 
präsentieren die  Sadduzäer  den  älteren  Standpunkt  Sie  bleiben 
bei  dem  geschriebenen  Gesetze  stehen.  Die  ganze  spätere  Ent- 
wickelung  ist  für  sie  nicht  mehr  verbindlich.    Einen  ähnlichen, 


88)  öhagiga  II,  4.  —  Es  ist  hier  freilich  nur  im  allgemeinen  von  solchen 
die  Bede,  welche  sagen:  naion  in«  mx9  (Pfingsten  fallt  auf  den  Tag  nach 
Sabbath).  Daß  aber  damit  die  Sadduzäer  (Boethosäer)  gemeint  sind,  ist  nach 
Menachoth  X,  3  allerdings  anzunehmen. 

39)  Vgl.  Wellhausen  S.  59f.  —  Die  Meinung  Chwolsons,  daß  die 
sadduzäische  Ansicht  noch  zur  Zeit  Christi  praktische  Geltung  gehabt  habe  (s. 
Anm.  37),  steht  im  Widerspruch  mit  LXX,  Philo  und  Josephus. 

40)  Nach  Erubin  VI,  2  könnte  man  freilich  meinen,  daß  die  Sadduzäer 
die  pharisäischen  Subtilitäten  hinsichtlich  der  Sabbathfeier  auch  beobachteten. 
Denn  es  wird  dort  der  Fall  als  möglich  vorausgesetzt,  daß  ein  Sadduzäer 
ganz  nach  pharisäischer  Art  in  einem  künstlich  abgesperrten  Baum  vor  Sab- 
bathanbruch etwas  niederlegt,  um  sich  darin  das  .Recht  der  freieren  Bewegung 
für  den  Sabbath  zu  sichern.  In  Wahrheit  zeigt  aber  der  Zusammenhang,  daß 
die  Sadduzäer  zu  denen  gehören,  welche  „das  Gesetz  vom  Erub  nicht  aner- 
kennen" (Erubin  VI,  1).  Die  Absicht  des  Sadduzäers  bei  einer  solchen  Hand- 
lung kann  also  nur  die  sein,  den  pharisäischen  Nachbar  zu  ärgern,  welchem 
durch  die  Handlung  des  Sadduzäers  der  solchergestalt  okkupierte  Baum  ent- 
zogen wird. 


[415.  416]  II.  Die  Sadduzäer.  435 

man  kann  sagen  archaistischen  Standpunkt  vertreten  sie  auch  in 
den  religiösen  Anschauungen.  Das  Wesentliche  ist  hierüber 
schon  oben  (S.  458  ff.)  mitgeteilt  worden.  Sie  lehnten  1)  den  Glauben 
an  die  leibliche  Auferstehung  und  an  die  Vergeltung  in  einem 
künftigen  Leben,  ja  an  eine  persönliche  Fortdauer  des  Individuums 
überhaupt  ab.  Sie  leugneten  2)  auch  Engel  und  Geister.  Sie  be- 
haupteten endlich  3)  „daß  in  des  Menschen  Wahl  das  Gute  und 
das  Böse  stehe  und  das  Tun  des  einen  oder  des  anderen  nach  seinem 
Belieben";  daß  also  Gott  keinen  Einfluß  auf  die  menschlichen 
Handlungen  ausübe,  daher  auch  der  Mensch  selbst  Ursache  seines 
Glückes  und  Unglückes  sei41.  —  In  betreff  der  beiden  ersten 
Punkte  ist  es  zweifellos,  daß  damit  die  Sadduzäer  den  ursprüng- 
lichen Standpunkt  des  Alten  Testamentes  im  Unterschied  vom 
späteren  jüdischen  vertreten.  Denn  mit  Ausnahme  des  Buches 
Daniel  kennt  auch  das  Alte  Testament  keine  leibliche  Auferstehung 
und  keine  jenseitige  Vergeltung  im  Sinne  des  späteren  Judentums, 
nämlich  kein  persönliches  Heil  des  einzelnen  nach  diesem  irdischen 
Leben  und  auch  keine  jenseitige  Bestrafung  für  die  Sünden  dieses 
irdischen  Lebens,  sondern  nur  eine  schattenhafte  Fortexistenz  in 
der  Scheol.  Ebenso  ist  dem  Alten  Testament  auch  der  Engel-  und 
Dämonenglaube  in  der  Ausbildung,  welche  er  in  der  späteren  Zeit 
erlangt  hat,  noch  fremd.  Die  Sadduzäer  sind  also  in  beiden  Be- 
ziehungen im  wesentlichen  auf  dem  älteren  Standpunkte  stehen 
geblieben.  Nur  wird  man  freilich  nicht  sagen  dürfen,  daß  das 
eigentliche  Motiv  hierbei  der  konservative  Zug,  das  Hangen  am 
Alten  als  solchem  war.  Vielmehr  hatte  augenscheinlich  die  poli- 
tische |  Machtstellung  der  Sadduzäer  eine  gewisse  weltliche  Ge- 
sinnung bei  ihnen  zur  Folge.  Sie  standen  mit  ihren  Interessen 
ganz  im  Diesseits  und  hatten  nicht  ein  so  intensives  religiöses 
Interesse  wie  die  Pharisäer.  Es  ist  also  das  geringere  Maß  reli- 
giöser Energie,  welches  ihnen  den  älteren  Standpunkt  als  genügend 
erscheinen  ließ.  Ja  es  ist  wahrscheinlich,  daß  bei  ihnen  als  den 
Hochstehenden  und  Gebildeten  auch  aufklärerische  Motive  mit 
im  Spiele  waren.  Je  phantastischer  sich  die  religiöse  Vorstellungs- 
welt des  Judentums  gestaltete,  desto  weniger  vermochten  sie  der 
Entwicklung  auf  diesem  Wege  zu  folgen.  —  Von  diesen  Gesichts- 
punkten aus  ist  wohl  hauptsächlich  auch  die  Betonung  der  mensch- 
lichen Freiheit  von  Seiten  der  Sadduzäer  zu  erklären.    Wenn  die 


41)  Halivy,  Traces  df  aggadot  saduciennes  dans  le  Talmud  (Revue  des 
ehides  juives  t.  VIII,  1884,  p.  38—56)  sucht  Spuren  dieser  sadduzäischen  An- 
schauungen auch  im  Talmud  nachzuweisen.  Dieselben  sind  aber  sehr  un- 
deutlich. 


486  §  26.   Pharisäer  und  Sadduzäer.  [416.  417] 

betreffenden  Angaben  des  Josephus  überhaupt  Glauben  verdienen, 
so  kann  man  in  dieser  stärkeren  Betonung  der  Freiheit  auch  nur 
ein  Zurücktreten  der  religiösen  Motive  erblicken.  Sie  wollten  den 
Menschen  auf  sich  selbst  gestellt  wissen  und  lehnten  den  Gedanken 
ab,  daß  auch  bei  den  menschlichen  Handlungen  als  solchen  ein 
Mitwirken  Gottes  stattfinde. 

Mit  den  letzten  Ausführungen  ist  teilweise  auch  schon  an- 
gedeutet, wie  gerade  die  hohe  Aristokratie  zu  der  als  „sad- 
duzäisch"  bezeichneten  Richtung  kam.  Wir  müssen,  um  die 
Genesis  dieser  Richtung  zu  begreifen,  davon  ausgehen,  daß  die 
vornehme  Priesterschaft  schon  in  der  persischen,  namentlich  aber 
in  der  griechischen  Zeit  die  Leitung  der  politischen  An- 
gelegenheiten in  ihrer  Hand  hatte.  Der  Hohepriester  war  das 
Oberhaupt  des  Staates;  vornehme  Priester  standen  ohne  Zweifel 
an  der  Spitze  der  Gerusia  (des  nachmaligen  Synedriums).  Die 
Aufgabe  der  priesterlichen  Aristokratie  war  also  ebenso  eine  poli- 
tische wie  eine  religiöse.  Dies  brachte  notwendig  mit  sich,  daß 
für  ihr  ganzes  Verhalten  politische  Gesichtspunkte  und  Interessen 
sehr  wesentlich  mit  in  Betracht  kamen.  Je  stärker  aber  diese  in 
den  Vordergrund  traten,  desto  mehr  traten  die  religiösen  zurück. 
Dies  scheint  nun  namentlich  in  der  griechischen  Zeit  der  Fall  ge- 
wesen zu  sein,  und  zwar  deshalb,  weil  jetzt  die  politischen  Inter- 
essen verknüpft  wurden  mit  den  Interessen  der  griechischen 
Bildung.  Wer  in  der  damaligen  Welt  politisch  etwas  ausrichten 
wollte,  mußte  notwendig  mit  dem  Hellenismus  auf  einem  mehr  oder 
weniger  freundlichen  Fuße  stehen.  So  gewann  denn  auch  bei  der 
vornehmen  Priesterschaft  zu  Jerusalem  der  Hellenismus  mehr  und 
mehr  an  Boden.  In  demselben  Maße  aber  wurde  sie  den  jüdisch- 
religiösen Interessen  entfremdet  Es  ist  daher  begreiflich,  daß 
Antiochus  Epiphanes  mit  seinen  Forderungen  gerade  in  diesen 
Kreisen  am  leichtesten  Eingang  fand.  Ein  Teil  der  hochgestellten 
Priester  |  war  ohne  weiteres  bereit,  sogar  den  jüdischen  Kultus 
mit  dem  heidnischen  zu  vertauschen.  Dieser  Triumph  des  Heiden- 
tums war  nun  freilich  nicht  von  langer  Dauer:  die  makkabäische 
Erhebung  hat  ihm  ein  rasches  Ende  bereitet.  Aber  die  Tendenzen 
der  priesterlichen  Aristokratie  blieben  darum  im  wesentlichen  doch 
dieselben.  Wenn  auch  vom  heidnischen  Kultus  nicht  mehr  die 
Rede  war,  wenn  auch  die  eigentlichen  Griechenfreunde  verdrängt 
oder  zum  Schweigen  gebracht  waren,  so  blieb  in  der  priesterlichen 
Aristokratie  doch  nach  wie  vor  die  weltliche  Gesinnung  und 
die,  mindestens  relative  Laxheit  des  religiösen  Interesses. 
Auf  der  anderen  Seite  aber  hatte  die  makkabäische  Erhebung  eine 
Belebung  und  Kräftigung  des  religiösen  Lebens  zur  Folge.    Die 


[417.  418]  II.  Die  Sadduzäer.  487 

gesetzesstrenge  Richtung  der  „Chasidäer"  gewann  mehr  und  mehr 
an  Einfluß.  Und  damit  steigerten  sich  auch  ihre  Ansprüche.  Nur 
der  sollte  als  wahrer  Israelite  anerkannt  werden,  der  das  Gesetz 
nach  der  ganzen  Strenge  der  von  den  Schriftgelehrten  gegebenen 
Auslegung  beobachtete.  Je  dringender  aber  diese  Forderung  ge- 
stellt wurde,  desto  ablehnender  verhielten  sich  die  Aristokraten. 
Es  scheint  also  gerade  der  religiöse  Aufschwung  der  makkabäischen 
Zeit  zu  einer  festeren  Konsolidierung  der  Parteien  geführt  zu  haben. 
Die  „Chasidäer"  zogen  die  Konsequenzen  ihres  Prinzipes  und 
wurden  zu  „Pharisäern".  Die  hohe  Aristokratie  lehnte  eben- 
falls bestimmter  und  prinzipieller  als  bisher  die  Errungenschaft 
der  letzten  Jahrhunderte  sowohl  in  der  Auslegung  des 
Gesetzes  als  in  der  Entwickelung  der  religiösen  An- 
schauungen ab.  Sie  sahen  in  der  jiaQaöooig  ra>v  jcQeaßvriQcov 
ein  Übermaß  gesetzlicher  Strenge,  das  sie  sich  nicht  wollten  auf- 
legen lassen.  Und  die  fortgeschrittenen  religiösen  Anschauungen 
waren  ihnen  teils  bei  ihrem  weltlichen  Sinn  entbehrlich,  teils  bei 
ihrer  höheren  Bildung  und  Aufklärung  unannehmbar.  Da  die 
Hauptvertreter  dieser  Richtung  dem  alten  Priestergeschlecht  der 
Zadokiden  angehörten,  wurden  sie  und  ihr  ganzer  Anhang  von  den 
Gegnern  die  Zadokiden  oder  Sadduzäer  genannt. 

Unter  den  ersten  Makkabäern  (Judas,  Jonathan  und  Simon) 
trat  diese  „zadokidische"  Aristokratie  notwendig  in  den  Hinter- 
grund. Die  alte  hohepriesterliche  Familie,  die  wenigstens  in  einigen 
ihrer  Mitglieder  den  extremsten  griechenfreundlichen  Standpunkt 
vertreten  hatte,  war  verdrängt  Das  hohepriesterliche  Amt  blieb 
eine  Zeitlang  ganz  unbesetzt  Im  Jahre  152  wurde  Jonathan  zum 
Hohenpriester  ernannt  und  damit  eine  neue  hohepriesterliche 
Dynastie,  die  derHasmonäer  begründet,  die  infolge  ihrer  ganzen 
Vergangenheit  sich  zunächst  auf  die  gesetzesstrenge  Partei  stützen 
mußte.  Trotzdem  ist  schon  für  die  Zeit  der  ersten  Hasmonäer 
(Jonathan,  |  Simon)  sicher  nicht  eine  völlige  Verdrängung  der  „Sad- 
duzäer*4 vom  Schauplatz  anzunehmen.  Die  alte  Aristokratie  war 
durch  die  Stürme  der  makkabäischen  Zeit  zwar  von  den  extremsten 
griechenfreundlichen  Elementen  gereinigt,  aber  darum  nicht  mit 
einem  Male  ganz  verschwunden.  Die  emporgekommenen  Hasmonäer 
mußten  sich  also  mit  ihr  irgendwie  verständigen  und  ihr  wenigstens 
einen  Teil  der  Sitze  in  der  „Gerusia"  einräumen.  Dabei  wird  es 
geblieben  sein  bis  zur  Zeit  Johannes  Hyrkans.  Seit  Johannes 
Hyrkan  waren  die  Sadduzäer  sogar  wieder  die  eigentliche  Re- 
gierungspartei: Johannes  Hyrkan,  Aristobul  L,  Alexander  Jannäus 
folgten  ihrer  Richtung  (vgl.  oben  S.  473  f.).  Die  Reaktion  unter 
Alexandra  brachte  dann  die  Pharisäer  wieder  an  die  Regierung. 


488  §  26.    Pharisäer  und  Sadduzäer.  [418] 

Aber  deren  politische  Herrschaft  war  doch  nicht  von  langer 
Dauer.  So  sehr  auch  die  geistige  Macht  der  Pharisäer  wuchs:  in 
der  Politik  wußte  sich  die  sadduzäische  Aristokratie  am  Ruder 
zu  erhalten,  und  zwar  trotz  des  Sturzes  der  Hasmonäer  und  trotz 
der  Proskriptionen  des  Herodes  gegen  den  alten,  mit  den  Hasmo- 
näern  verbundenen  Adel.  Auch  die  hohenpriesterlichen  Familien 
der  herodianisch-römischen  Zeit  gehörten  der  sadduzäischen  Partei 
an.  Wenigstens  für  die  römische  Zeit  ist  dies  bestimmt  bezeugt42. 
Der  Preis,  um  welchen  die  Sadduzäer  in  dieser  späteren  Zeit  sich 
die  Herrschaft  zu  sichern  wußten,  war  freilich  ein  ziemlich  teurer: 
sie  mußten  sich  tatsächlich  in  ihrem  amtlichen  Handeln  den  phari- 
säischen Anschauungen  akkomodieren.  „Getan  wird  von  ihnen  so- 
zusagen nichts.  Denn  so  oft  sie  zu  Ämtern  gelangen,  halten  sie 
sich,  wenn  auch  widerwillig  und  gezwungen,  an  das,  was  die 
Pharisäer  sagen,  weil  andernfalls  die  Menge  sie  nicht  ertragen 
würde"43. 

Mit  dem  Untergang  des  jüdischen  Staatswesens  verschwinden 
die  Sadduzäer  überhaupt  aus  der  Geschichte.  Ihre  Stärke  war  die 
Politik.   Als  keine  Politik  mehr  zu  machen  war,  hatte  ihre  Stunde 


42)  Apgesch.  5,  17.    Joseph.  Antt.  XX,  9,  1. 

43)  Antt  XVIII,  1,  4.  —  Ein  völliges  Mißverständnis  ist  es,  wenn  man 
aus  den  Wortea  hat  herauslesen  wollen,  daß  die  Sadduzäer  nur  widerwillig 
Ämter  annahmen  (so^  selbst  Win  er  RWB  II,  350).  Im  Gegenteil!  Sie  hatten 
gerade  die  hohen  Amter  in  Beschlag!  Die  Worte  äxovolwg  fxhv  xal  xax 
aväyxaq  sind,  wie  das  fxh  und  6k  beweist,  mit  dem  folgenden  zu  verbinden. 
Vgl.  Geiger,  Urschrift  S.  108  Anm.  Ders.,  Sadducäer  und  Pharisäer  S.  13. 
Hanne,  Zeitschr.  für  wissensch.  Theol.  1867,  S.  176.  Keim,  I,  282  Anm. 
Wellhausen  S.  45. 

Unter  Verwerfung  der  wichtigsten  Zeugnisse  hat  Hol  scher  (Der  Saddu- 
zäismus,  1906)  die  oben  dargelegte,  seit  Geiger  allgemein  angenommene  Auf- 
fassung vom  Wesen  und  der  Geschichte  des  Sadduzäismus  bestritten.  Er 
leitet  zwar  den  Namen  auch  von  den  pTi?  *OS  ab  und  betrachtet  den  Saddu- 
zäismus als  die  von  den  vornehmen  Priestern  beim  Beginn  der  makkabäischen 
Erhebung  vertretene  Geistesrichtung,  welche  mit  den  politischen  Machthabern 
liebäugelte,  fremde  Kultur  begünstigte  und  gegen  die  jüdischen  Gebräuche 
sich  gleichgiltig  zeigte  (S.  105).  Aber  er  nimmt  an,  daß  die  Angehörigen  des 
Zadokidengeschlechtes  durch  die  makkabäische  Erhebung  aus  Jerusalem 
verdrängt  worden  seien  (S.  103  f.),  und  daß  ihre  Richtung  in  der  Folgezeit 
bis  zur  Zerstörung  Jerusalems  durch  die  Römer  unter  der  vornehmen  Priester- 
schaft nicht  mehr  vertreten  war,  mit  alieiniger  Ausnahme  der  Familie  des 
Boethos  zur  Zeit  des  Herodes.  Damals  erst  sei  der  Name  der  „Sadokischen" 
aufgekommen  in  Erinnerung  an  die  verwandte  Richtung  zur  Zeit  der  Makka- 
bäer.  Die  Durchführung  dieser  Auffassung  ist  nur  möglich,  indem  H.  eine 
ganze  Reihe  historischer  Zeugnisse  als  unglaubwürdig  verwirft.  Die  Gründe, 
um  derentwillen  dies  geschieht,  sind  durchweg  sehr  schwach.  S.  Theol.  Litztg. 
1907,  202  f. 


[418.  419]  §  27.   Schule  und  Synagoge.  489 

geschlagen.  Während  die  pharisäische  Richtung  infolge  des  Zu- 
sammenbruchs der  politischen  Verhältnisse  nur  noch  mehr  er- 
starkte, nur  noch  unbedingter  die  Herrschaft  über  das  jüdische 
Volk  gewann,  war  den  Sadduzäern  der  Boden,  auf  dem  sie  existieren 
konnten,  |  entzogen.  Es  ist  daher  nicht  zu  verwundern,  daß  die 
jüdischen  Gelehrten  selbst  schon  bald  nicht  mehr  wissen,  wer  die 
Sadduzäer  eigentlich  waren:  in  der  Mischna  finden  sich  noch  einige 
glaubhafte  Überlieferungen  über  sie.  Die  eigentlich  talmudische 
Zeit  hat  von  ihnen  nur  noch  eine  ganz  nebelhafte  Vorstellung, 


§  27.   Schule  and  Synagoge. 

„Wer  das  Gesetz  nicht  kennt,  der  ist  verflucht4*  (Joh.  7,  49), 
dies  war  die  Grundüberzeugung  des  nachexilischen  Judentums. 
Damit  war  von  selbst  gegeben,  daß  Gesetzeskunde  als  das  höchste, 
vor  andern  erstrebenswerte  Gut  des  Lebens  geschätzt  wurde.  So 
erklingt  denn  auch  in  allen  Tonarten  die  Mahnung:  Hin  zum  Ge- 
setz! —  Jose  ben  Joeser  sagte:  Dein  Haus  sei  ein  Versammlungs- 
haus für  Gesetzesgelehrte  (o^BDn);  laß  dich  bestäuben  vom  Staub 
ihrer  Füße,  und  trinke  mit  Durst  ihre  Lehren1.  —  Josua  ben 
Perachja  sagte:  Verschaffe  dir  einen  Lehrer  (a^)2.  —  Schammai 
sagte:  Mache  das  Gesetzesstudium  zur  bestimmten  Beschäftigung 
(?npj)3.  —  Rabban  Gamaliel  sagte:  Setze  dir  einen  Lehrer,  so  ver- 
meidest du  das  Zweifelhafte4.  —  Hillel  sagte:  Ein  Unwissender 
kann  nicht  wahrhaft  fromm  sein  (Ton  fj»n  D?  tfb) 5.  —  Derselbe 
sagte:  Je  mehr  Gesetzeslehre,  desto  mehr  Leben;  je  mehr  hohe 
Schule,  desto  mehr  Weisheit;  je  mehr  Beratung,  desto  vernünftiger 
Handeln.  Wer  Gesetzeskenntnis  sich  erwirbt,  erwirbt  sich  das 
Leben  in  der  zukünftigen  Welt6.  —  R.  Jose  ha-Kohen  sagte:  Gib 
dir  Mühe,  das  Gesetz  zu  erlernen,  denn  durch  Erbschaft  erlangt 
man  es  nicht7.  —  R. Eleasar  ben  Arach  sagte:  Sei  emsig  im  Studium 
des  Gesetzes8.  —  R.  Chananja  ben  Teradjon  sagte:  Wenn  zwei 

1)  Aboth  I,  4. 

2)  Aboth  I,  6. 

3)  Aboth  I,  15. 

4)  Aboth  I,  16. 

5)  Aboth  II,  5. 

6)  Aboth  II,  7. 

7)  Aboth  II,  12. 

8)  Aboth  II,  14. 


490  §  27.    Schule  und  Synagoge.  [419.  420] 

beisammen  sitzen  und  sich  nicht  vom  Gesetz  unterhalten,  so  sind 
sie  eine  Versammlung  von  Spöttern,  von  welcher  es  heißt:  Sitze 
nicht,  da  die  Spötter  sitzen.  Wenn  aber  zwei  beisammen  |  sitzen 
und  sich  vom  Gesetz  unterhalten,  so  ist  die  Schechina  unter  ihnen 
gegenwärtig9.  —  R.  Simon  sagte:  Wenn  drei  an  einem  Tische 
zusammen  speisen  und  sich  nicht  vom  Gesetz  unterhalten,  so  ist 
es,  als  hätten  sie  von  Totenopfer  genossen.  Aber  wenn  drei  an 
einem  Tische  zusammen  speisen  und  sich  vom  Gesetz  unterhalten, 
so  ist  es,  als  hätten  sie  am  Tische  Gottes  gegessen10.  —  R  Simon 
sagte:  Wer  im  Wandern  sich  das  Gesetz  wiederholt,  sich  aber 
unterbricht  und  ruft:  Wie  schön  ist  dieser  Baum!  Wie  schön  ist 
dieser  Acker!  dem  rechnet  es  die  Schrift  an,  als  wenn  er  sein 
Leben  verwirkt11.  —  R.  Nehorai  sagte:  Wandere  immer  nach  einem 
Orte,  wo  Gesetzeslehre  ist,  und  sage  nicht,  sie  wird  dir  nach- 
kommen, oder  deine  Gefährten  werden  sie  dir  erhalten;  auch  ver- 
laß dich  nicht  auf  deinen  eigenen  Scharfsinn12.  —  Derselbe  R. 
Nehorai  sagte:  Ich  lasse  alle  Gewerbe  in  der  Welt  beiseite  und 
lehre  meinen  Sohn  nur  Gesetz;  denn  dessen  Lohn  genießt  man  in 
dieser  Welt;  und  das  Kapital  G^gn)  bleibt  stehen  für  die  zu- 
künftige Welt13.  —  Folgende  Dinge  haben  kein  Maß:  die  Pea,  die 
Erstlinge,  die  Wallfahrt,  die  Mildtätigkeit,  das  Studium  des  Ge- 
setzes. Folgendes  sind  Dinge,  deren  Zinsen  (rr.-PB)  man  in  dieser 
Welt  genießt,  während  das  Kapital  (yvgrt)  stehen  bleibt  für  die 
zukünftige  Welt:  Ehrerbietung  vor  Vater  und  Mutter,  Mildtätig- 
keit, Friedenstiften  unter  Nebenmenschen  und  Studium  des  Ge- 
setzes mehr  als  dieses  alles14.  —  Ein  Bastard,  der  das  Gesetz 
kennt,  geht  selbst  einem  Hohenpriester  im  Range  voran,  wenn 
dieser  ein  Unwissender  ist15. 

Solche  Wertschätzung  des  Gesetzes  mußte  notwendig  dazu 
treiben,  daß  alle  Mittel  aufgewendet  wurden,  um  womöglich  dem 
ganzen  Volke  die  Wohltat  gründlichster  Gesetzeskenntnis  und  Ge- 
setzesübung zuzuwenden.    Was  die  pharisäischen  Schriftgelehrten 


9)  Aboth  III,  2;  vgl.  III,  6. 

10)  Aboth  III,  3. 

11)  Aboth  III,  7. 

12)  Aboth  IV,  14. 

13)  Kidduschin  IV,  14. 

14)  Pea  I,  1. 

15)  Eorajoth  III,  8.  —  Vgl.  überhaupt  über  Notwendigkeit  und  Wert  des 
Gesetzesstudiums:  Weber,  System  der  altsynagogalen  palästinischen  Theo- 
logie (1880)  S.  28—31.  Leop.  Low,  Gesammelte  Schriften  Bd.  1, 1889,  S.  86— 
101.  Bacher,  Die  Agada  der  Tannaiten  Bd.  II  Sachregister  Art.  „Thora- 
studium". 


[420.  421]  I.  Die  Schule.  491 

in  ihren  Schulen  als  Gesetz  Israels  festgestellt  hatten,  das  mußte 
Gemeingut  des  ganzen  Volkes  werden,  sowohl  theoretisch  wie 
praktisch.  Denn  auf  beides  kam  es  an:  auf  die  Kenntnis  und  | 
auf  die  Ausübung  des  Gesetzes.  Josephus  rühmt  es  gerade  als 
einen  Vorzug  des  israelitischen  Volkes,  daß  hier  nicht  einseitig 
das  eine  oder  das  andere  bevorzugt  werde,  wie  etwa  die  Spartaner 
nur  durch  Gewöhnung  erzogen,  nicht  durch  Unterricht  (e&eoiv 
tjtalöevov,  ov  Xoyoig),  die  Athener  dagegen  und  die  übrigen  Hellenen 
mit  dem  theoretischen  Unterricht  sich  begnügen  und  die  Einübung 
vernachlässigen.  „Unser  Gesetzgeber  aber  hat  beides  mit  vieler 
Sorgfalt  verbunden.  Denn  er  ließ  weder  die  Übung  der  Sitten 
stumm,  noch  die  Lehre  des  Gesetzes  unausgeführt"  16.  Der  Unter- 
richt, der  die  Voraussetzung  der  Ausübung  bildete,  begann  schon 
in  früher  Jugend  und  zog  sich  durch  das  ganze  Leben  des  Israe- 
liten hindurch.  Für  die  Grundlegung  hatte  die  Schule  und  Fa- 
milie zu  sorgen,  für  die  Weiterführung  die  Synagoge. 


I.  Die  Schule. 

Literatur. 

Die  von  Steinschneider,  Jewish  Quarterly  Review  XVII,  1905,  p.  556—559 
verzeichnete  Literatur  über  „Bildung  und  Erziehung"  bei  den  Juden  im 
Mittelalter  betrifft  mehr  das  höhere  als  das  niedere  Schulwesen,  berück- 
sichtigt aber  auch  letzteres. 

MaimonideSj  Hilchoth  Talmud  Thora  (Petersburger  Übersetzung  I,  102 ff.; 
über  den  Titel  des  Gesamt -Werkes  s.  unten  Abschnitt  U). 

Ursinus,  Antiquität  es  Hebraieae  Scholastico-Academicae,  Hafniae  1702  (auch 
in  Ugolinis  Thesaurus  t  XXI). 

Pacht,  De  eruditione  Judaica  (dissertatio,  quam  praeside  A,  G.  Waehnero  exa- 
mini  submittet  auctor  J.  L.  Pacht) ,  Gottmg.  1742.  —  Handelt  speziell 
p.  50 — 55:  de  ludis  puerorum. 

Andr,  Georg  Waehner,  Antiquitates  Ebraeorum  vol.  II  {Gottingae  1742) 
p.  783 — 804:  De  eruditione  Ebraeorum. 

Ant  Theod.  Hart  mann,  Die  enge  Verbindung  des  A.  T.  mit  dem  Neuen 
(1831)  S.  377—384. 

G frörer,  Das  Jahrhundert  des  Heils  I,  186—192. 

Win  er,  RWß.  Art.  „Kinder"  und  „Unterricht"  (hier  auch  noch  mehr  Lite- 
ratur). 

Herzfeld,  Gesch.  des  Volkes  Jisrael  III,  243.  266—268. 

Keim,  Gesch.  Jesu  I,  424  ff. 

Diestel,  Art.  „Erziehung"  in  Schenkels  Bibellex.  II,  172 f. 

Ginsburg,  Art.  „Education"  in  Kittos  Gyclopaedia  of  Biblical  Literature. 

S.  R.  Hirsch,  Aus  dem  rabbinischen  Schulleben.  Frankf.  a.  M.  1871  (Progr.). 


16)  Gontra  Apion.  11,  16—17. 


492  §  27.  Schule  und  Synagoge.  [421.  422] 

Elias  van  Gelder,  Die  Volksschule  des  jüdischen  Altertums  nach  talmudi- 
schen und  rabbinischen  Quellen.   Berl.  1872  (Leipziger  Dissertat). 

Leop.  Low,  Die  Lebensalter  in  der  jüdischen  Literatur  (Szegedin  1875)  S.  195  ff. 
407  ff. 

Mos.  Jacobson,  Versuch  einer  Psychologie  des  Talmud  (Hamburg  1878) 
S.  93—101. 

Jos.  Simon f  L'Sducation  et  finstruction  des  enfants  che*  les  anciens  Juifs 
(Fapres  la  Bible  et  le  Talmud.   3.  id.  Leipzig  1879,  O.  Schulze.  | 

Hamburger,  Real-Enz.  für  Bibel  und  Talmud,  I.  Abt.  Art.  „Erziehung", 
n.  Abt.  Artt.  „Lehrer,  Mizwa,  Schule,  Schüler,  Unterricht". 

Straßburger,  Geschichte  der  Erziehung  und  des  Unterrichts  bei  den  Israe- 
liten. Von  der  vortalmudischen  Zeit  bis  auf  die  Gegenwart,  Stuttgart 
1885.  (Behandelt  S.  1—24  die  vor  talmudische  Zeit,  S.  24—91  die  talmu- 
dische Zeit,  s.  Theol.  Litztg.  1886,  265  ff.) 

Bacher,  Die  Agada  der  Tannaiten,  Bd.  H,  Sachregister  Art.  „Kinderer- 
ziehung". 

Wiesen,  Geschichte  und  Methodik  des  Schulwesens  im  talmudischen  Alter- 
tume,  Straßburg  1892  (49  S.). 

Weinberg,  Monatsschr.  für  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1897, 
S.  675-678. 

Kennedy ,  Art.  Education  in  Hostings*  Dictionary  of  the  Bible  I,  1898, 
p.  646—652. 

BoXy  Art.  Education  in:  Encyclopaedia  Biblica  II,  1901,  col.  1189 ff. 

Nach  Josephus'  Behauptung  hatte  schon  Moses  verordnet:  „daß 
die  Knaben  die  wichtigsten  Gesetze  lernen  sollten,  da  dies  die 
beste  Wissenschaft  und  des  Glückes  Ursache  sei"  n.  „Er  befahl, 
die  Kinder  in  den  Anfangsgründen  des  Wissens  (Lesen  und  Schreiben) 
zu  unterrichten  und  sie  zu  lehren,  die  Gesetze  und  die  Taten  der 
Vorfahren  zu  kennen.  Diese,  damit  sie  sie  nachahmten;  jene,  da- 
mit sie  mit  ihnen  aufwachsend  sie  nicht  überträten  oder  den  Vor- 
wand des  Nichtwissens  hätten"  18.  Zu  wiederholten  Malen  rühmt 
Josephus  den  Eifer,  mit  welchem  der  Jugendunterricht  betrieben 
wurde.  „Mehr  als  um  alles  bemühen  wir  uns  um  die  Kinder- 
erziehung und  halten  die  Beobachtung  der  Gesetze  und  die  ihnen 
entsprechende  Frömmigkeit  für  die  wichtigste  Angelegenheit  des 


17)  Antt.  IV,  8,  12:  Mav&avizwoav  öh  xal  ol  naZÖEQ  ngwzovq  (Niese 
riQibxov)  zovg  vöfJLOvq,  fidd^fia  xdXXiazov  xal  zfjq  sbSaifxoviaq  auiov. 

18)  Apion.  II,  25:  Kai  yQdtu/naza  naiöeveiv  ixiXevoe  [seil,  zobq  itatSaq], 
negi  ze  zovq  vöfiovq  [dvaoz(>i<peo9ai\  xal  zwv  nQoyövatP  zag  nod&iq  intaza- 
o&ai,  zag  fjihv  Iva  /a/^ibvrat,  zotq  d*  7va  avvz^e<p6fxevoi  /xtfze  Ttaoaßalvwai  firfze 
oxytpiv  dyvolaq  I^cocji.  —  Über  yodfifiaza  =  Anfangsgründe  des  Wissens 
(Lesen  und  Schreiben)  s.  Passows  Wß.  s.  v.  —  &vaozoi(peo9ai  fehlt  in  dem 
von  Euseb.  Praep.  evang.  VIII,  8,  37  ed.  Oaisford  gebotenen  Texte  wie  im  Vet. 
IxU.)  und  ist  von  Niese  wohl  mit  Recht  getilgt;  dagegen  dürfte  negl  re  zovq 
röftovq  (cod.  Laur.)  statt  zä  negl  zovq  vdpovq  (Eus.)  beizubehalten  sein. 


[422.  423]  I.  Die  Schule.  493 

ganzen  Lebens"19.  „Wen  von  uns  man  nach  den  Gesetzen  früge, 
der  würde  leichter  alle  hersagen,  als  seinen  eigenen  Namen.  Da 
wir  sie  vom  ersten  Bewußtsein  an  erlernen,  haben  wir  sie  in 
unsern  Seelen  wie  eingegraben;  und  selten  ist  ein  Übertreter,  un- 
möglich aber  die  Abwendung  der  Strafe"20.  Ähnlich  äußert  sich 
Philo.  „Da  |  die  Juden  ihre  Gesetze  für  göttliche  Offenbarungen 
halten  und  von  frühester  Jugend  an  in  deren  Kenntnis  unter- 
wiesen sind,  so  tragen  sie  das  Bild  des  Gesetzes  in  ihrer  Seele** 2  *. 
„Sie  werden  sozusagen  von  den  Windeln  an  von  Eltern  und 
Lehrern  und  Erziehern  noch  vor  dem  Unterricht  in  den  heiligen 
Gesetzen  und  den  ungeschriebenen  Sitten  gelehrt,  an  Gott  den  einen 
Vater  und  Schöpfer  der  Welt  zu  glauben** 22.  Von  sich  selbst  rühmt 
Josephus,  daß  er  schon  im  vierzehnten  Lebensjahre  eine  so  genaue 
Kenntnis  des  Gesetzes  besessen  habe,  daß  die  Hohenpriester  und 
die  ersten  Männer  Jerusalems  zu  ihm  kamen  „um  von  ihm  in  be- 
treff der  Gesetze  Genaueres  zu  erfahren** 2S.  Es  kann  nach  alledem 
nicht  zweifelhaft  sein,  daß  in  den  Kreisen  des  echten  Judentums 
der  Knabe  von  zartester  Kindheit  an  mit  den  Anforderungen  des 
Gesetzes  vertraut  gemacht  wurde24. 

Daß  diese  Erziehung  zum  Gesetz  vor  allem  die  Pflicht  und 
Aufgabe  der  Eltern  war,  ist  selbstverständlich.  Aber  es  scheint, 
daß  schon  im  Zeitalter  Christi  auch  von  Gemeindewegen  durch 
Errichtung  von  Schulen  für  den  Jugendunterricht  gesorgt  wurde. 
Zwar  will  es  nicht  viel  besagen,  wenn  die  spätere  Sage  erzählt, 
daß  bereits  Simon  ben  Schetach  verordnet  habe,  daß  die  Kinder 


19)  Apion.  I,  12:  MdXiaxa  6%  ndvxmv  negl  naiöoxQO<ptav  yiXoxaXovvxeq, 
xal  xb  tpvXdxxuv  xovq  vbpovq  xal  xfjv  xaxd  xovxovq  7taQaSeSofjiiv7jv  evaißeiav 
£gyov  dvayxaibxaxov  navxbq  xov  ßlov  nenonjinivoL, 

20)  Apion.  II,  18:  lHfiihv  £'  dvxivovv  [ef  om.  Euseb.]  xiq  Mqoizo  xovq 
vbpovq,  §üov  cev  einoi  ndvxaq  %  xotivofjta  xb  havxov.  Toiyagovv  dnb  tfjq 
no&xTjq  evS-vq  ala&rfoetaq  avxovq  ixfiav&dvovxeq  sxofiev  h  xalq  \pv%alq 
W07Z6Q  iyxexagayfiivovqf  xal  ondvioq  fikv  6  nagaßalv<ovy  dSvvaxoq  <J'  fj  xfjq 
xoXdaewq  nagalxrjoic. 

21)  Legat,  ad  Cajum  §  31,  Mang.  II,  577:  ßebxgrjaxa  yäg  Xbyia  xovq  vb~ 
tuovq  elvai  vnoXafxßdvovxeq,  xal  xovxo  ix  ngwxrjq  ^Xixlaq  xb  fidfrTjfia  nai- 
6ev&£vxeq,  iv  xalq  tpvxatq  ayaXuaxoyoQoioi  xdq  x(bv  öiaxexay/jtivatv  elxbvaq. 

22)  Legat,  ad  Cajum  §  16,  Mang.  II,  562:  deötöayfiivovq  ig  avx(bv  xqb~ 
nov  xiva  onagydvwv  vnb  yoviwv  xal  naiSaywywv  xal  vxprjyrjxtbv,  xal  noXv 
ngbxegov  xwv  legtbv  vöjjhdv  xal  iri  xtbv  dyod<pwv  i&tbVj  ?va  vojniZ,€tv  xbv  na- 
xiga  xal  noirpty  xov  xbopov  S-ebv. 

23)  Vita  2. 

24)  Auch  in  den  christlichen  Gemeinden  wurden  bereits  die  Kinder  in 
der  heiligen  Schrift  unterwiesen,  vgl.  II  Timoth.  3,  15:  dnb  ßg£<povq  leoa 
ygdfifiaxa  o'iäaq. 


494  §  27.   Schule  und  Synagoge.  [423.  424] 

(mpwi)  die  Elementarschule  ("®on  rvo)  besuchen  sollen 25.  Denn 
dieser  Simon  ben  Schetach  ist  überhaupt  ein  Ansatzpunkt  für 
allerlei  Sagen«  Jedenfalls  wird  aber  im  Zeitalter  der  Mischna, 
also  spätestens  im  zweiten  Jahrhundert  nach  Chr.,  die  Existenz  von 
Elementarschulen  vorausgesetzt.  Es  finden  sich  z.  ß.  gesetzliche 
Bestimmungen  hinsichtlich  des  ijn  (Gemeindedieners),  der  die  Kinder 
(mpim)  am  Sabbat  im  Lesen  unterrichtet26.  Oder  es  wird  fest- 
gesetzt, daß  ein  lediger  Mann  nicht  Einderschule  halten  solle,  *6 
dvwio  pvt  |  m«  -niab^27.  Oder  es  wird  bestimmt,  daß  för  gewisse 
Fälle  das  Zeugnis  eines  Erwachsenen  gültig  sei  in  betreff  dessen, 
was  er  einst  als  Kind  (pp)  in  der  Elementarschule  (nton  mn) 
gesehen  habe28.  Es  ist  daher  durchaus  nicht  unglaubwürdig,  was 
eine  spätere  Tradition  berichtet,  daß  Josua  ben  Gamla  (=  Jesus 
Sohn  Gamaliels)  angeordnet  habe,  daß  man  Knabenlehrer  ('»■nAB 
mpwn)  in  jeder  Provinz  und  in  jeder  Stadt  anstelle  und  die 
Kinder  im  Alter  von  sechs  oder  sieben  Jahren  zu  ihnen  bringe29. 
Der  einzige  in  der  Geschichte  bekannte  Jesus  Sohn  Gamaliels 
ist  der  Hohepriester  dieses  Namens,  um  63—65  nach  Chr.  (s.  oben 
S.  273).  Dieser  wird  also  auch  in  der  obigen  Notiz  gemeint  sein. 
Da  seine  Maßregel  schon  ein  längeres  Bestehen  von  Knabenschulen 
voraussetzt,  so  wird  man  sie  unbedenklich  in  das  Zeitalter  Christi 
verlegen  dürfen,  wenn  auch  nicht  als  eine  allgemeine  und  fest 
organisierte  Institution30.1 

Der  Gegenstand  des  Unterrichtes  war,  wie  schon  aua 


25)  jer.  Keihuboth  VIII,  11  (32  c  oben). 

26)  Schabbath  I,  3. 

27)  Kiddusehin  IV,  13. 

28)  Keihuboth  II,  10. 

29)  bab.  Baba  baihra  21  a:  „Rab  Juda  sagte  im  Namen  des  Bab:  Wahrlich, 
es  möge  dieses  Mannes  zum  Guten  gedacht  werden!  Josua  ben  Gamla  ist 
sein  Name.  Wäre  er  nicht  gewesen,  das  Gesetz  wäre  in  Israel  vergessen- 
worden. Denn  anfangs,  wer  einen  Vater  hatte,  den  lehrte  dieser  das  Gesetz; 
wer  keinen  hatte,  der  lernte  das  Gesetz  nicht  ....  Später  verordnete  man,, 
daß  man  Knabenlehrer  in  Jerusalem  anstellen  solle  ....  Allein,  nur  wer 
einen  Vater  hatte,  den  schickte  dieser  in  die  Schule;  wer  keinen  hatte,  ging 
nicht  hinein.  Da  verordnete  man,  daß  man  in  jeder  Provinz  Lehrer  anstelle 
und  die  Knaben  im  Alter  von  sechzehn  oder  siebzehn  Jahren  zu  ihnen  schicke. 
Allein,  über  wen  nun  sein  Lehrer  ärgerlich  wurde,  der  lief  davon,  bis  Josua 
ben  Gamla  kam  und  verordnete,  daß  man  in  jeder  Provinz  und  in  jeder 
Stadt  (wn  w  bsm  nrman  txv^va  bsa)  Knabenlehrer  anstelle  und  die  Kinder 
im  Alter  von  sechs  oder  sieben  Jahren  zu  ihnen  bringe". 

30)  Genaue  Vorschriften  über  die  Kinderschulen  gibt  Maimonides 
1 12.  Jahrh.  n.  Chr.),  der  sie  dabei  als  eine  für  das  Judentum  notwendige  und 
selbstverständliche  Institution  voraussetzt,  Hilchoih  Talmud  Thora  e.  H  (Pe- 
tersburger Übersetzung  I,  106  ff.). 


[424.  425]  I.  Die  Schule.     .  495 

den  obigen  Stellen  des  Philo  und  Josephus  erhellt,  so  gut  wie  aus- 
schließlich das  Gesetz.  Denn  nur  auf  dessen  Einprägimg  in  das 
jugendliche  Gemüt,  nicht  auf  Vermittelung  einer  allgemeinen  Bil- 
dung war  es  mit  all  jenem  Eifer  der  Jugenderziehung  abgesehen. 
Und  zwar  beschäftigte  sich  der  erste  Unterricht  mit  dem  Schrift- 
text, mit  dessen  Lektüre  und  Einprägung.  Daher  heißt  die  Ele- 
mentarschule einfach  nfc&n  r^a,  weil  sie  es  mit  dem  „Buch"  der 
Thora,  oder,  wie  einmal  ausdrücklich  erklärt  wird,  mit  dem  Schrift- 
text (der  anjH?)  zu  tun  hatte,  im  Unterschied  vom  tfTnart  |  r^a, 
welches  dem  weiteren  „Studium"  gewidmet  war31.  Es  war  also 
im  Grunde  nur  das  Interesse  am  Gesetz,  welches  auch  den  Unter- 
richt im  Lesen  zu  einem  ziemlich  weit  verbreiteten  gemacht  hat. 
Da  nämlich  beim  Schrifttext  (im  Unterschied  von  der  mündlichen 
Gesetzesüberlieferung)  gerade  darauf  Gewicht  gelegt  wurde,  daß 
er  wirklich  gelesen  wurde  (s.  unten  über  die  Gottesdienstordnung), 
so  war  der  elementare  Gesetzesunterricht  notwendig  mit  Lese- 
unterricht verbunden.  Die  Kenntnis  des  Lesens  darf  deshalb  überall 
da  vorausgesetzt  werden,  wo  eine  einigermaßen  gründlichere  Ge- 
setzeskenntnis vorhanden  war.  Daher  finden  wir  schon  in  vor- 
christlicher Zeit  auch  Gesetzesbücher  im  Privatbesitze  einzel- 
ner32. Weniger  allgemein  wird  dagegen  die  schwierigere  Kunst 
des  Schreibens  gewesen  sein33. 

Mit  dem  theoretischen  Unterricht  ging  die  praktische  Gewöh- 
nung Hand  in  Hand.  Denn  wenn  auch  die  Kinder  nicht  eigentlich 
zur  Erfüllung  des  Gesetzes  verpflichtet  waren,  so  wurden  sie 
doch  von  Jugend  auf  daran  gewöhnt  Es  wird  z.  B.  den  Erwach- 
senen zur  Pflicht  gemacht,  auch  die  Kinder  zur  Sabbatruhe  an- 
zuhalten34. Zum  strengen  Fasten  am  Versöhnungstage  sollen  die 
Kinder  ein  bis  zwei  Jahre  vor  dem  pflichtmäßigen  Alter  allmählich 
gewöhnt  werden35.  Einige  Punkte  waren  sogar  auch  für  Kinder 
schon  verbindlich.    Sie  waren  z.  B.  zwar  nicht  zum  Lesen  des 


31)  jer.  Megilla  III,  1  (73  d):  „R.  Pinchas  sagte  im  Namen  des  R.  Hoschaja: 
480  Synagogen  waren  in  Jerusalem,  und  eine  jede  hatte  ein  Beth-Sepher  UDd 
ein  Betk-Talmud,  ersteres  für  die  Mihra  (den  Schrift-Text),  letzteres  für  die 
Misckna  (die  mündliche  Gesetzeslehre)". 

32)  Vgl.  I  Makk.  1,  56  f.  —  In  der  Mischna  Jebamoth  XVI,  7  fin.  wird  von 
einem  Leviten  erzählt,  welcher  auf  der  Reise  im  Wirtshause  starb,  und  dessen 
Hinterlassenschaft  aus  Stock,  Reisetasche  und  Gesetzbuch  bestand.  —  Über 
die  Verbreitung  von  Bibelexemplaren  im  Privatbesitz  im  talmudischen  Zeit- 
alter s.  Blau,  Studien  zum  althebräischen  Buchwesen  (25.  Jahresbericht  der 
Landesrabbinerschule  in  Budapest)  1902,  S.  84 — 97. 

33)  Vgl.  hierüber  Win  er  RWB.  Art  „Schreibkunst". 

34)  Schabhath  XVI,  6. 

35)  Jvma  VIII.  4. 


496  §  27.   Schule  und  Synagoge.  [425.  426] 

Schma  und  zum  Anlegen  der  Tephillin,  wohl  aber  zum  gewöhnlichen 
Gebet  (dem  Schmone  Esre)  und  zum  Tischgebet  verpflichtet36.  Die 
Knaben  sollten  schon  im  zartesten  Alter  bei  den  Hauptfesten  im 
Tempel  erscheinen37.  Insonderheit  werden  die  Knaben  auch  zur 
Beobachtung  des  Laubhüttenfestgesetzes  verpflichtet38.  Sobald 
dann  die  ersten  Zeichen  der  Mannbarkeit  sich  zeigten,  war  der 
heranwachsende  Israelite  zur  vollen  Gesetzesbeobachtung  verpflich- 
tet39. Er  trat  damit  in  alle  Rechte  und  Pflichten  eines  erwach- 
senen Israeliten  ein;  er  war  von  nun  an  ein  mstt  na40.  Die  weit- 
verbreitete,  namentlich  auf  Lightfoots  und  Wetsteins  Anmerkungen 
zu  Luc.  2,  42  sich  stützende  Meinung,  daß  das  zurückgelegte  zwölfte 
Jahr  die  Grenze  zwischen  Verpflichtung  und  NichtVerpflichtung 
gebildet  habe,  ist  also  in  doppelter  Beziehung  ungenau:  einmal, 
insofern  auch  schon  der  minderjährige  Knabe  zu  gewissen  Geboten 
verpflichtet  war,  und  sodann,  insofern  nicht  ein  bestimmtes  Alter, 
sondern  die  Zeichen  der  eintretenden  Pubertät  die  Grenze  bildeten. 


36)  Berachoth  III,  3:  „Frauen,  Sklaven  und  Kinder  sind  befreit  vom  Lesen 
des  Schma  und  von  den  Tephillin,  sind  aber  verpflichtet  zur  Tephilla  (dem 
Schmone  Esre),  zur  Mesusa  und  zum  Tischgebet". 

37)  Chagiga  I,  1 :  „Jeder  ist  verpflichtet,  an  den  Hauptfesten  im  Tempel 
zu  erscheinen,  ausgenommen  Taube,  Blödsinnige,  Kinder,  Geschlechtslose, 
Zwitter,  Frauen,  Sklaven,  die  nicht  freigelassen  sind,  Lahme,  Blinde,  Kranke. 
Altersschwache  und  überhaupt  wer  nicht  gehen  kann.  Was  heißt  hier  ein 
Kind  Cisfl?)?  Nach  der  Schule  Schammais:  Jeder,  der  noch  nicht  auf  des 
Vaters  Schulter  reitend  von  Jerusalem  auf  den  Tempelberg  kommen  kann. 
Die  Schule  Hilleis  aber  lehrt:  Jeder,  der  noch  nicht  an  des  Vaters  Hand  von 
Jerusalem  auf  den  Tempelberg  steigen  kann".  —  Aus  Luc.  2,  42  darf  freilich 
geschlossen  werden,  daß  Auswärtige  in  der  Regel  erst  nach  Vollendung  des 
zwölften  Jahres  an  den  Wallfahrten  teilnahmen. 

38)  Sttkka  II,  8:  „Frauen,  Sklaven  und  Kinder  sind  frei  vom  Laubhütten- 
festgesetze.  Ein  Knabe  jedoch,  der  seiner  Mutter  nicht  mehr  bedarf,  ist  dazu 
verpflichtet.  Einst  gebar  die  Schwiegertochter  Schammais  des  Alten  (am 
Lau bh litte nfest  einen  Sohn).  Da  ließ  er  das  Dach  öffnen  und  deckte  es  über 
dem  Bette  mit  Laub  zu,  um  des  Kindes  willen".  —  Sukka  III,  15:  „Ein  Knabe, 
der  imstande  ist,  den  Lulab  zu  schütteln,  ist  dazu  verpflichtet". 

39)  Nidda  VI,  11:  Ein  Knabe,  bei  welchem  sich  die  zwei  Haare  zeigen, 
ist  verpflichtet  zu  allen  Geboten,  die  gesagt  sind  im  Gesetz".  — 
Das  Gleiche  gilt  auch  vom  Mädchen,  nur  mit  dem  Unterschied,  daß  die  Frauen 
weder  an  allen  Hechten,  noch  an  allen  gesetzlichen  Pflichten  der  Männer  Teil 
nahmen.  —  Vgl.  auch  Sanhedrin  VIII,  1. 

40)  Der  Ausdruck  Bar-Mixwa  findet  sich  schon  im  Talmud  (Baba  mexia 
96a  unten,  s.  Levys  Neuheb r.  Wörterb.  I,  258 b),  ist  aber  erst  im  Mittelalter 
zur  Bezeichnung  eines  volljährigen  Israeliten  gebräuchlich  geworden,  8.  Low, 
Die  Lebensalter  S.  210.  410.  Kohler,  Art.  Bar  Mixwah  in:  The  Jewish  Ency- 
clopedia  II,  1902,  p.  509  s?. 


[426.  427]  IL  Die  Synagoge.  497 

Und  als  später  ein  bestimmtes  Alter  als  Grenze  fixiert  wurde, 
ist  es  nicht  das  von  zwölf,  sondern  das  von  dreizehn  Jahren  ge- 
wesen41. | 

IL  Die  Synagoge. 

Literatur: 

Maimonide8,  Hilchoth  Tepküla  (im  zweiten  Buche  seines  großen  Werkes 
Jad  ha-chasaka  oder  Mischne  Thorä)  gibt  eine  systematische  Darstellung 
der  zu  seiner  Zeit  (12.  Jahrh.  n.  Chr.)  giltigen  Tradition  über  das  Syna- 
gogenwesen. —  In  der  zu  Petersburg  erschienenen  deutschen  Übersetzung 
(„Auszüge  aus  dem  Buche  Jad-HaghasaJcJcah,  die  starke  Hand,  u.  s.  w.  von 
Maimonides"  10  Tle.,  Petersburg  1850—1852)  ist  der  Traktat  Hilchoth 
Tephilla  fast  ganz  enthalten  (Tl.  I,  S.  257—341  des  deutschen  Textes). 

Vitringa,  De  synagoga  vetere  libri  tres:  quibus  tum  de  nominibus,  structura, 
origine,  praefectis,  ministris  et  sacris  synagogarum  agitur,  tum  praecipue 
formam  regiminis  ei  ministerii  earum  in  ecolesiam  christianam  translatam 
esse  demonstratur,  Franequerae  1696. 

Jok.  Gottl.  Carpxov,  Apparates  hütorico-erüieus  (1748)  p.  307—326. 

Bodenschatz,  Kirchliche  Verfassung  der  heutigen  Juden  (1748)  II,  1 — 87. 

Eine  Anzahl  älterer  Monographien  über  einzelne  Gegenstände  ist  gesammelt 
in  Ugolinis  Thesaurus  Antiquitatum  saerarum  t.  XXI. 

Sal.  Jacob  Cohen,  Historisch-kritische  Darstellung  des  jüdischen  Gottesdienstes, 
und  dessen  Modifikationen  von  den  ältesten  Zeiten  an  bis  auf  unsere  Tage. 
Leipzig  1819. 

Hartmann,  Die  enge  Verbindung  des  Alten  Testaments  mit  dem  Neuen 
(1831)  S.  225—376. 


41)  So  in  dem  erst  aus  nachtalmudischer  Zeit  herrührenden  Anhang  zum 
Traktat  Aboth,  Aboth  V,  21:  „Mit  fünf  Jahren  (kommt  man)  zum  Lesen  der 
Schrift,  mit  zehn  Jahren  zur  Mischna,  mit  dreizehn  Jahren  (mw  vAw  p) 
zur  Ausübung  der  Gebote,  mit  fünfzehn  Jahren  zum  Talmud,  mit  acht- 
zehn Jahren  zum  Heiraten  etc.".  —  Für  einen  speziellen  Punkt,  nämlich  die 
unbedingte  Giltigkeit  der  Gelübde,  wird  auch  schon  von  der  Mischna  das  zu- 
rückgelegte dreizehnte  Jahr  als  Grenze  bestimmt,  s.  Nidda  V,  6:  „Wenn  ein 
Knabe  zwölf  Jahre  und  einen  Tag  alt  ist,  so  werden  seine  Gelübde  geprüft; 
wenn  er  dreizehn  Jahre  und  einen  Tag  alt  ist,  so  gelten  sie  ohne  weiteres". 
—  Vgl.  überhaupt:  Low,  Die  Lebensalter  S.  143  ff.  Hamburger,  Real-Enz. 
für  Bibel  und  Talmud,  II.  Abt.  Art.  „Mizwa".  —  Das  Material,  welches 
Lightfoot  (Horae  hebr.)  und  Wetstein  (Nov.  Test.)  zu  Luc.  2,  42  beigebracht 
haben,  beweist  nicht,  daß  das  zurückgelegte  zwölfte  Lebensjahr  die  fest- 
stehende Grenze  zwischen  Verpflichtung  und  NichtVerpflichtung  bildete. 
Teils  handelt  es  sich  dort  überhaupt  nur  um  die  Ansicht  einzelner  Autori- 
täten, denen  andere  gegenüberstehen;  teils  aber  ist  nur  gesagt,  daß  im  Alter 
von  zwölf  Jahren  die  strengere  Gewöhnung  beginnen  solle,  nicht,  daß  dann 
die  Verpflichtung  eintrete;  so  namentlich  an  den  Stellen  Joma  82»,  Kethu- 
both  50a.  Auch  aus  Luc.  2,  42  ist  nur  zu  schließen,  daß  man  im  Alter  von 
zwölf  Jahren  mit  der  strengeren  Gewöhnung  begann. 

Schür  er,  Geschichte  II.   4.  Aufl.  32 


498  §  27-    Schule  und  Synagoge.  [427.  4281 

Zunz,  Die  gottesdienstlichen  Vorträge  der  Juden  (1832)  S.  1—12.  329—360. 

Win  er  EWB.  II,  548—551:  Synagogen. 

Herzfeld,  Geschichte  des  Volkes  Jisrael  HI,  129—137.  183—226. 

Jost,  Geschichte  des  Judenthums  I,  168  ff. 

Keil,  Handbuch  der  biblischen  Archäologie  (2.  Aufl.  1875)  S.  164  ff.  444  ff. 

Leyrer,  Art  „Synagogen"  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  Bd.  XV  (1862) 
S.  299-314. 

De  Wette,  Lehrb.  der  hebr.-jüd.  Archäologie  (4.  Aufl.  1864)  S.  369—374. 

Hausrath,  Neutestamentl.  Zeitgesch.  2.  Aufl.  Bd.  I  (1873)  S.  73—80. 

Haneberg,  Die  religiösen  Alterthümer  der  Bibel  (1869)  S.  349—355.  582—587. 

Ginsburg,  Art.  „Synagogue"  in  Kittos  Gyclopaedia  of  Biblical  Literature. 

Plumpire,  Art.  „Synagogue1*  in  Smith' 8  Dictionary  of  the  Bible. 

Kneucker,  Art.  „Synagogen"  in  Schenkels  Bibellex.  V,  443—446. 

Sieffert,  Die  jüdische  Synagoge  zur  Zeit  Jesu  (Beweis  des  Glaubens  1876, 
S.  3—11,  225—239).  | 

Hamburger,  Real-Enzyklopädie  für  Bibel  und  Talmud,  IL  Abt.,  1883,  Art. 
„Synagoge".  —  Ders.,  Spplementbd.  III,  1892,  Art  „Sabbatgottesdienst", 
„Synagogengottesdienst",  „Vorbeter",  auch:  Neujahrsgottesdienst,  Neu- 
mondsgottesdienst, Versöhnungstagsgottesdienst. 

Low,  Leop.t  Der  synagogale  Ritus  (Monatsschr.  für  Gesch.  und  Wissensch.  des 
Juden  th.  1884,  S.  97  ff.  161  ff.  214  ff.  305  ff.  364  ff.  458  ff.;  wiederabgedruckt 
in:  Leop.  Low,  Gesammelte  Schriften.  IV.  Bd.  1898,  S.  1 — 71)  [nur  über 
das  Synagogengebäude;  Quellen-  und  Literaturnachweise  für  die  geplante 
Fortsetzung  s.  in:  Ges.  Schriften  V,  21—36]. 

Strack,  Art.  „Synagogen"  in  Herzogs  Real-Enz.  2.  Aufl.  XV,  96—100.  3.  Aufl. 
XIX,  223-226. 

Edersheim,  The  life  and  times  of  Jesus  the  Messiah  (1884)  I,  430 — 450. 

Ramsay,  The  Eulers  of  the  Synagogue  (The  Expositor  1895,  April  p.  272 — 277) 
[schiefe  und  unbewiesene  Behauptungen]. 

Weinberg,  Die  Organisation  der  jüdischen  Ortsgemeinden  in  der  talmu- 
dischen Zeit  (Monatsschr.  für  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1897, 
S.  588  ff.  639  ff.  673  ff). 

Da  Im  an,  Artikel  „Gottesdienst,  synagogaler"  in  Herzog-Haucks  Real-Enz. 
3.  Aufl.  VII,  1899,  S.  7-19. 

Bacher,  Art  Synagogue  in  Hostings*  Dictionary  of  the  Bible  IV,  1902, 
p.  636—643  [selbständig  und  sorgfältig]. 

Peritx,  Art.  „Synagogue"  in  Encyclopaedia  Biblica  IV,  1903,  coL  4832  ff. 

Bacher,  Art  Synagogue  in:  The  Jewish  Eneyclopedia  XI,  1905,  p.  619—628; 
dazu  Brunn  er,  Synagogue  Architecture  ib.  XI,  631 — 640. 

Eine  tiefere  und  fachmännische  Kenntnis  des  Gesetzes  konnte 
nur  zu  den  Füßen  der  Schriftgelehrten  im  Beth-ha-Midrasch  er- 
worben werden  (s.  oben  §  25).  Es  lag  in  der  Natur  der  Sache,  daß 
dazu  immer  nur  ein  kleiner  Bruchteil  gelangen  konnte.  Für  die 
Masse  des  Volkes  war  schon  viel  gewonnen,  wenn  nur  das  elemen- 
tare Wissen  ein  Gemeingut  aller  wurde  und  blieb.  Auch  dieses 
Ziel  war  aber  nur  erreichbar  durch  eine  Institution,  mittelst  welcher 
jedem  einzelnen  im  Volke  das  Gesetz  während  des  ganzen  Lebens 
immer  wieder  und  wieder  nahegebracht  wurde.    Eine  solche  In- 


[428.  429]  IL  Die  Synagoge.  499 

stitution  hat  das  nachexilische  Judentum  geschaffen  in  der  Sitte 
der  sabbatlichen  Schriftlektion  in  der  Synagoge.  Es  ist  nämlich 
vor  allem  zu  beachten,  daß  der  Hauptzweck  dieser  Sabbat- 
versammlungen in  der  Synagoge  nicht  der  Gottesdienst  im  engeren 
Sinne,  d.  h.  nicht  die  Anbetung  war,  sondern  die  religiöse  Unter- 
weisung; und  diese  ist  für  den  Israeliten  vor  allem  Unterweisung 
im  Gesetz.  In  diesem  Sinne  hat  schon  Josephus  mit  Recht  die 
Sache  aufgefaßt  „Zu  einem  trefflichen  und  notwendigen  Unter- 
richtsgegenstand hat  er  (unser  Gesetzgeber)  das  Gesetz  gemacht, 
indem  man  es  nicht  nur  einmal  oder  zweimal  oder  öfters  hören 
sollte,  sondern  er  befahl,  allwöchentlich  mit  Aussetzung  der  andern 
Beschäftigung  zum  Anhören  des  Gesetzes  zusammenzukommen  und 
dieses  genau  zu  lernen"  *.  Philo  hat  also  nicht  so  unrecht,  wenn 
er  die  Synagogen  als  „Lehrhäuser"  bezeichnet,  in  welchen  „die  | 
vaterländische  Philosophie"  getrieben  und  jede  Art  von  Tugend 
gelehrt  werde2.  Auch  im  Neuen  Testamente  erscheint  ja  das 
didaöxeiv  stets  als  die  Haupttätigkeit  in  den  Synagogen3.  Der 
Ursprung  dieser  Sabbatversammlungen  in  eigens  hierzu  errich- 
teten Gebäuden  ist  uns  unbekannt  Urkundlich  können  wir  die 
Synagogen  zuerst  für  das  ägyptische  Judentum  nachweisen.  Die 
ältesten  griechisch-jüdischen  Urkunden,  auf  welchen  Synagogen 
(jtQooev%al)  erwähnt  werden,  stammen  aus  der  Zeit  des  Ptolemäus  HL 
Euergetes  (247—221  vor  Chr.)4.    Im  Alten  Testamente  begegnen 


1)  Apion.  II,  17  (—  Eus.  Pr.  ev.  VIII,  8,  11):  KaXkiaxov  xal  dvayxaiö- 
xaxov  änideigs  naiSevf/a  xbv  vd/nov  oix  eloana§  &XQoaao(i£voiq  (al.  dxgoaaa- 
fihoiq,  äxQoaaa/jiivovq)  oitöh  ölq  ?j  noXXdxiq,  &\X'  kxdaxrjq  eßdofiddoq  xCbv  aXXwv 
igywv  a<pe(x£vovq  htl  x^v  dxQÖaoiv  ixslevae  xov  vbfiov  avXXfyeo&ai  xal  xov- 
xov  äxQißCbq  ixfiav&dveiv.  —  Antt.  XVI,  2,  4  (ed.  Niese  XVI,  43,  Rede  des 
Nicolaus  Damascenus):  xi\v  xe  eßdöpriv  xtbv  ^(isQüiv  ävie/uev  x$  fia&tfoei  x(bv 
fjfiexigatv  iS-wv  xal  vöfxov. 

2)  Vita  Mosis  HI,  27  (Mang.  II,  168):  yA<p  ov  xal  elaixi  v&v  yiXoocxpotiöi 
xalq  ißSöftaiq  'IovdaXoi  x^v  ndxgiov  (piXooo<piav,  xbv  xgbvov  ixeXvov  ava&ivzeq 
inioxfag  xal  $e(x>Qiq  xöw  negl  <pvoiv.  Tä  yaQ  xaxä  ndkeiq  TtQoaevxxJj- 
Qia  xl  Sxsqöv  iaxiv  rj  SiSaoxaXeXa  <pQOV^aetoq  xal  dvSglaq  xal  ooxpQO- 
avvTjq  xal  dixaioevvrjq,  ehaeßelaq  xe  xal  Saidxijxoq  xal  avfXTtdarjq  &Qexr}q,  $ 
xaxavoeXxai  xal  xaxog&ovxai  xd  xe  av&Qwneia  xal  &eXa;  —  Vgl.  Legat,  ad  Ca- 
jum  §  23  (Mang.  II,  568):  "Hnloxaxo  ovv  (seil.  Augustus  von  den  römischen 
Juden)  xal  itQoaevxaq  Mzovxaq  xal  aim&vxaq  etq  avzaq,  xal  (xdXioxa  xalq  le- 
gaXq  eßSöpaiq,  Zxe  Srjfioola  xijv  tkxtqlqv  naiöevovxai  <piXooo<ptav. 

3)  Mt.  4,  23.  Mc.  l/21.  6,  2.  Luc.  4,  15.  31.  6,  6.  13,  10.  Joh.  6,  59. 
18,  20. 

4)  Durch  neuere  Funde  in  Ägypten  sind  folgende  Inschriften,  resp. 
Papyrustexte,  auf  welchen  jüdische  ngoaevxal  erwähnt  werden,  bekannt  ge- 
worden, sämtlich  aus  vorchristlicher  Zeit: 

a)  Inschrift  zu  Schedia  bei  Alexandria  aus  der  Zeit  des  Ptolemäus  III. 

32* 


500  §  a7«   Schale  und  Synagoge.  [429] 

sie  uns  zum  erstenmal  unter  der  Bezeichnung  b«  "HSpE  in  Psalm 
74,  8,  wahrscheinlich  aus  der  makkabäischen  Zeit  Aber  man  darf 
ihre  Entstehung  erheblich  höher  hinauf,  vielleicht  in  die  Zeit  Esras 


Euergetes  (247 — 221  vor  Chr.)  [sicher  nicht  später]:  'Ynhg  ßaoiX&oq  UxoXe fialov 
xal  ßaoiXlaaijq  BeQEvlxyq  dSeX<p^q  xal  ywatxdq  xal  xwv  xixvwv  x%v  nooatvxjiv 
ol  tovSaToi,  Bulletin  de  la  SocUU  arcMol.  d'Älexandrie  Nr.  4,  1902,  p.  49  — 
Revue  des  Studes  juives  t.  XLV,  1902,  p.  162  —  Sitzungsberichte  der  Berliner 
Akademie  1902,  S.  1094  «=  Archiv  ffir  Papyrusforschung  Bd.  II,  1903,  S.  541 
—■  Dittenberger,  Orientis  graeci  inscr.  sei.  n.  726. 

b)  Inschrift  aus  Unter -Ägypten,  jetzt  im  Berliner  Museum,  Erneuerung 
einer  filteren  wahrscheinlich  aus  der  Zeit  des  Ptolemäus  III.  =  Eeuergetes  I.  (so 
Wilcken,  Berliner  philol.  Wochenschr.  1896,  col.  1493  f.  Paul  Meyer,  Das 
Heerwesen  der  Ptolemäer  und  Römer  in -Ägypten  1900,  S.  34,  Beinach,  Revue 
des  it.  juives  XLV,  164,  jetzt  auch  Strack,  Archiv  f.  Papyrusforschung  II, 
641  f.,  der  früher  mit  anderen  sie  auf  Ptolemäus  Physkon  =  Euergetes  II. 
bezogen  hatte):  BaoiXevq  IlxoXsfxaloq  EbeQyhrjq  xty  noooevxftv  acvXov,  Ephe- 
meris  epigr.  IV,  25  sq.  «=»  Corp.  Inscr.  Lot.  III  Suppl.  n.  6583  —  DUtenberger, 
Orientis  graeci  inscr.  sei.  n.  129. 

c)  Papyrus  aus  Mittelägypten  (Magdola  im  Fajjum),  sicher  aus  dem 
dritten  Jahrh.  vor  Chr.,  wahrscheinlich  217  vor  Chr.  (Jahr  5  des  Ptolemäus  IV., 
so  Beinach),  Eingabe  einer  Frau  an  den  König  wegen  Entwendung  eines 
Mantels,  welchen  der  Dieb  nicht  herausgeben  will,  hierin  die  Worte  iv  xqi 
ngooevxrjt  x(hv  'Iovöalwv  (der  Dieb  scheint  den  Mantel  beim  Diener  der  Pros- 
euche deponiert  zu  haben),  Bulletin  de  correspondanee  hellenique  t.  XXVII, 
1903,  p.  200;  über  das  Alter  der  Papyrus-Sammlung,  zu  welcher  diese  Ur- 
kunde gehört,  s.  Bulletin  XXVI,  1902,  p.  95.  96  sq.  Neue  Lesung  mit  Erläu- 
terungen: Th.  Beinach,  MSlanges  Nicole,  Genf  1905,  p.  451 — 459. 

d)  Zwei  Inschriften  zu  Athribis,  vermutlich  aus  der  Zeit  des  Ptole- 
mäus VI.  Philometor:  1)  'Ynho  ßaaiXiwq  UxoXe^alov  xal  ßaotkloorjq  KXeo- 
naxoaq  IlxoXefiaZoq  'EmxiSov  6  inioxdxijq  tCbv  <pvXaxixwv  xal  ol  iv  'A&plßei 
*[ov6aZoi  xty  npoaevx^v  #6uu  vxploxm,  2)  'Ynho  ßaaiXiwq  IlxoXe/jtatov  xal  ßaai- 
Xlaarjq  KXeondtoaq  xal  x(av  xixvwv  'Eofjdaq  xal  <PiXox£oa  %  ywfj  xal  xa  nai- 
öla  xljvöe  i&dgav  xfy  itQooevxm  (so  mit  Becht  Dittenberger  statt  tiqocsvx^v), 
Revue  des  itudes  juives  t.  XVII,  1888,  p.  236  sq.  ■=  Bulletin  de  corresp.  hel- 
lenique t.  XIII,  1889,  p.  nSsqq.  =  Dittenberger,  Orientis  gr.  inscr.  sei.  n.  96 
u.  101. 

e)  Papyrus  aus  Mittelägypten,  Ende  des  zweiten  Jahrh.  vor  Chr.,  Teb- 
tunis  Papyri  ed.  by  Qrenfell,  Hunt  and  Smyly  P.  I  1902  n.  86.  In  diesem 
Verzeichnis  von  Grundstücken  wird  zweimal  (lin.  18  u.  29)  eine  nooaevj^i 
*lovöalwv  erwähnt,  welcher  ein  Grundstück  gehört,  das  als  „heiliges  Garten- 
land" (leoä  napddeiooq)  bezeichnet  wird. 

f)  Inschrift  zu  Alexandria  (Gabbary),  Datum  unsicher,  nach  Stracks 
Vermutung  37  vor  Chr.:  [inho]  ßao\iXloorj\q  xal  ß[aad]iwq  9eibi  [pte]ydXo>i 
i[7itjx6]a)i  *AXvn[oq  x%v]  tcqoob[vx^v\  inöer  L  Ti  (Jlb\x^q  . .],  Bulletin  de  la  So- 
ciiti  arckiol.  d'Älexandrie  Nr.  4,  1902,  p.  86  —  Sitzungsberichte  der  Berliner 
Akademie  1902,  S.  1094  —  Archiv  für  Papyrosforschung  II,  559  —  Ditten* 
berger  n.  742. 


[429.  430]  II.  Die  Synagoge.  501 

oder  in  die  des  Exiles  verlegen 5.  Erwähnt  werden  die  „Versamm- 
lungshäuser" auch  im  Buch  Henoch  (46,  8).  Im  Zeitalter  Christi 
war  das  „Lehren  in  den  Synagogen  am  Sabbat"  schon  eine  fest- 
begründete und  allgemein  eingebürgerte  Institution  (Marc.  1,  21.  6,  2. 
Luc.  4,  16.  31.  6,  6.  13,  10.  Actor.  13,  14.  27.  42.  44.  15,  21.  16,  13. 
17,  2.  18,  4).  Nach  der  Apostelgeschichte  (15,  21)  hat  Moses  „von 
alten  Zeiten  her  (ix  yeveäv  aQxalmv)  in  allen  Städten,  die  ihn 
verkündigen,  indem  er  in  den  Synagogen  an  jedem  Sabbat  gelesen 
wird".  Josephus  und  Philo  und  überhaupt  das  spätere  Judentum 
führt  die  ganze  Einrichtung  auf  Moses  selbst  zurück6.  Das  ist 
freilich  nur  insofern  |  von  Interesse,  als  man  daraus  sieht,  daß  das 
spätere  Judentum  sie  als  wesentlichen  Bestandteil  seiner  religiösen 
Institutionen  betrachtet^ hat.  An  einen  vorexilischen  Ursprung  ist 
sicher  nicht  zu  denken. 

*  Die  Voraussetzung  der  ganzen  Einrichtung  ist  vor  allem  die 
Existenz  einer  religiösen  Gemeinde.  Und  hier  entsteht  die 
Frage,  ob  in  den  Städten  und  Ortschaften  Palästinas  im  Zeitalter 
Christi  die  bürgerliche  und  religiöse  Gemeinde  getrennt  war,  so 
daß  die  letztere  eine  selbständige  Organisation  besaß?  Man  muß, 
um  sich  hierüber  Klarheit  zu  verschaffen,  zunächst  beachten,  daß 
die  politischen  Verfassungsverhältnisse  selbst  in  den  verschiedenen 
Städten^Palästinas  verschiedene  waren.  Es  ist  bereits  oben  (S.  222) 
gezeigt  worden,  daß  eine  dreifache  Verschiedenheit  in  dieser 
Beziehung  möglich  war  und  auch  wirklich  vorkam.  Es  konnten 
die  Juden  vom  Bürgerrecht  ausgeschlossen  sein,  oder  Juden  und 


5)  Wellhausen,  Israelitische  und  jüdische  Geschichte  1894,  S.  107 f. 
163  =  4.  Ausg.  1901,  S.  149  f.  196  f.,  hält  die  Synagogen  für  eine  Einrichtung 
des  Exiles,  welche  die  Exulanten  von  dort  mitgebracht  hätten. 

6)  Vgl.  außer  den  beiden  bereits  zitierten  Stellen  (Jos.  c.  Apion.  II,  17. 
Philo  Vita  Mosis  III,  27)  bes.  Philo,  fragm.  apud  Euseb.  Praep.  evang.  VIII,  7, 
12—13  (Mang.  II,  630),  und  De  septenario  §  6  (M.  II,  282).  Rabbinische  Stellen 
bei  Vüringa  p.  283  sg#.  —  Die  Angabe  Winers  (RWB.  II,  548,  mit  Berufung 
auf  seine  Dies,  de  Jonathanis  in  Pentat.  paraphrasi  chald.  I,  30),  daß  die  Tar- 
gume  die  Einrichtung  in  die  patriarchalische  Zeit  übertragen,  ist  nicht  ganz 
korrekt.  Allerdings  heißt  es  bei  Onkelos  Gen.  25,  27,  Jakob  habe  gedient  im 
„Lehrhaus"  (KSfiilK  r^a),  und  im  Targ.  Jerus.  I  Gen.  33,  17,  Jakob  habe  sich 
ein  „Lehrhaus"  (Kimia  *a)  erbaut.  Aber  in  beiden  Fällen  ist  nicht  eine  eigent- 
liche Synagoge  gemeint.  Im  Targ.  Jerus.  I  Exod.  18,  20  wird  erzählt,  der 
Schwiegervater  Mosis  habe  diesen  aufgefordert,  dem  Volke  das  Gebet  bekannt 
zu  machen,  das  sie  beten  sollen  in  ihrer  Synagoge  (yinntr^SD  rv^a).  Aber  hier 
handelt  es  sich  eben  nicht  mehr  um  die  Zeit  der  Patriarchen  im  engeren 
Sinne.  Und  so  beziehen  sich  auch  die  übrigen  von  Winer  angeführten  Stellen 
auf  eine  spätere  Zeit.  Immerhin  würde  es  dem  Geist  der  Targume  entsprechen, 
auch  die  Synagogen  in  die  Patriarchen  zeit  zu  verlegen. 


502  §  27.   Schule  und  Synagoge.  [430.  431] 

NichtJuden  bürgerlich  gleichberechtigt,  oder  auch  nur  die  Juden 
im  Besitz  der  bürgerlichen  Rechte  sein.  Die  beiden  ersteren  Fälle 
waren  möglich  in  den  Städten  mit  vorwiegend  griechischer  oder 
stark  gemischter  Bevölkerung.  In  beiden  Fällen  waren  die  Juden 
darauf  angewiesen,  für  ihre  religiösen  Bedürfnisse  sich  als  selb- 
ständige religiöse  Gemeinde  zu  organisieren.  Denn  ob  sie  nun  bei 
der  Leitung  der  bürgerlichen  Angelegenheiten  mitwirkten  oder 
nicht  —  für  die  religiösen  Angelegenheiten  war  die  Notwendigkeit 
der  selbständigen  Organisation  die  gleiche.  Für  diese  beiden 
Fälle  ist  also  die  aufgeworfene  Frage  entschieden  zu  be- 
jahen; und  es  war  demnach  die  Stellung  der  Synagogengemeinde 
in  diesen  Städten  dieselbe  wie  in  den  Städten  der  Diaspora.  Ganz 
anders  aber  stellte  sich  die  Sache  in  den  Städten  und  Orten  mit 
ganz  oder  fast  ausschließlich  jüdischer  Bevölkerung.  Hier  bestand 
die  Ortsbehörde  doch  sicher  nur  aus  Juden,  und  die  wenigen  etwa 
anwesenden  NichtJuden  waren  vom  Kollegium  der  Ortsältesten  oder 
vom  städtischen  Senat  ausgeschlossen.  Das  ist  z.  B.  gerade  in  be- 
treff Jerusalems  zweifellos.  Da  nun  die  Ortsbehörden  ohnehin  sich 
sehr  vielfach  mit  religiösen  Angelegenheiten  zu  befassen  hatten 
(denn  das  jüdische  Gesetz  kennt  eben  gar  keine  Trennung  dieser 
von  den  bürgerlichen  Angelegenheiten),  so  wird  man  es  von  vorn- 
herein höchst  wahrscheinlich  finden  müssen,  daß  auch  das  Syna- 
gogenwesen zu  ihrer  Kompetenz  gehörte.  Oder  soll  gerade  nur 
für  dieses  ein  besonderer  Ältestenrat  eingesetzt  worden  sein?  In 
den  kleinen  Orten  wäre  dies  jedenfalls  sehr  unnatürlich.  |  Aber 
auch  in  den  größeren  Städten,  wo  es  mehrere  Synagogen  gab,  lag 
dazu  keine  Veranlassung  vor.  Es  genügte,  wenn  von  der  Orts- 
behörde für  jede  Synagoge  die  notwendigen  Beamten  (ein  Archi- 
synagog,  Almosenpfleger  und  Diener),  welche  die  eigentlichen  Ge- 
schäfte zu  besorgen  hatten,  bestellt  wurden.  Zur  Bildung  eines 
Ältestenkollegiums  für  jede  einzelne  lag  wenigstens  kein  zwingen- 
der Grund  vor.  Bei  der  Dürftigkeit  unseres  Materiales  ist  freilich 
die  Möglichkeit,  daß  dies  geschehen  sei,  zuzugeben.  Ja  in  einem 
Falle  ist  es  sogar  wahrscheinlich:  die  hellenistischen  Juden  in 
Jerusalem,  die  Libertiner,  Cyrenäer,  Alexandriner,  Cilicier  und 
Asiaten,  haben  offenbar  besondere  „Gemeinden"  gebildet  (Act.6,  9)7. 


7)  Die  AißeQzlvoi  können  nur  römische  „Freigelassene"  resp.  deren  Nach- 
kommen sein,  also  wohl  Nachkommen  der  Juden,  die  einst  von  Pompeius  als 
Gefangene  nach  Rom  geschleppt  und  hier  von  ihren  Herren  bald  wieder  frei- 
gelassen worden  waren  {Phüo  Leg.  ad  Gajum  §  23,  M.  II,  568).  Manche  von 
ihnen  mögen  später  nach  Jerusalem  zurückgekehrt  sein  und  hier  eine  eigene 
Gemeinde  gebildet  haben.  Ebenso  bildeten  die  zahlreichen  in  Jerusalem  wohn- 
haften hellenistischen  Juden  aus  Cyrene,  Alexandrien,  Cilicien  und  Asien  je 


[431.  432]  IL  Die  Synagoge.  503 

Aber  das  waren  eben  besondere  Verhältnisse:  da  machte  die  Ver- 
schiedenheit der  Nationalität  eine  besondere  Organisation  notwendig. 
Für  die  einfachen  Verhältnisse  namentlich  der  kleineren  Orte 
Palästinas  wäre  eine  Trennung  der  politischen  und  religiösen  Ge- 
meinde ganz  unnatürlich.  Sie  würde  geradezu  dem  Wesen  des 
nachexilischen  Judentums  widersprechen;  denn  dieses  kennt  ja 
eigentlich  die  politische  Gemeinde  überhaupt  nur  in  der  Form  der 
religiösen.  Es  fehlt  aber  auch  nicht  an  positiven  Beweisen  dafür, 
daß  die  bürgerliche  Gemeinde  als  solche  auch  das  Synagogenwesen 
leitete.  In  der  Mischna  wird  z.  B.  als  ganz  selbstverständlich 
vorausgesetzt,  daß  die  Synagoge,  der  heilige  Schrank  und  die 
heiligen  Bücher  ganz  ebenso  Eigentum  der  Stadt,  also  doch  der 
bürgerlichen  Kommune  sind,  wie  z.  B.  die  Straße  und  die  Bade- 
anstalt8. Die  Stadtbewohner  (TWi  ^a)  haben  daher  auch  das 
Verfügungsrecht  über  jene  wie  über  diese9.  Wenn  R.  Eleasar  | 
ben  Asarja  sagt,  daß  das  Musaphgebet  nur  in  einer  Stadtgemeinde 
("P*  "£na)  zu  beten  sei,  so  ist  auch  hieraus  zu  schließen,  daß  die 
Stadtgemeinde,  die  bürgerliche  Kommune  als  solche  sich  mit  dem 
Synagogenkultus  befaßte10.  —  Wir  dürfen  demnach  als  wahrschein- 
lich voraussetzen,  daß  nur  in  den  Städten  mit  gemischter  Ein- 


eine besondere  Gemeinde.  Die  alte  Streitfrage,  wie  die  zitierte  Stelle  der 
Apostelgeschichte  zu  konstruieren  ist:  ob  so,  daß  nur  eine,  oder  so,  daß  zwei, 
oder  so,  daß  fünf  Synagogen  erwähnt  sind,  ist  nämlich  wohl  im  letzteren 
Sinne  zu  entscheiden  (so  schon  Vitringa  S.  253). 

8)  Nedarim  V,  5:  „Dinge,  die  der  Stadt  gehören,  sind  z.  B.  die  Straße, 
die  Badeanstalt,  die  Synagoge,  der  heilige  Schrank,  die  heiligen  Bücher**. 

9)  MrgiUa  III,  1 :  „Wenn  Stadtbewohner  den  freien  Platz  der  Stadt  ver- 
kauft haben,  dürfen  sie  für  den  Erlös  eine  Synagoge  kaufen;  wenn  eine  Syna- 
goge, dann  einen  heiligen  Schrank;  wenn  einen  heiligen  Schrank,  dann  Um- 
hüllungen zu  heiligen  Schriften;  wenn  solche,  dann  heilige  Schriften;  wenn 
solche,  dann  ein  Gesetzbuch". 

10)  Berachoth  IV,  7:  „R.  Eleasar  ben  Asarja  sagt:  Das  Musaphgebet 
[das  am  Sabbath  und  den  Festtagen  zum  gewöhnlichen  Gebet  hinzugefügt 
wird,  vgl.  Hamburger,  Real-Enz.  Art.  „Mussafgebet"]  wird  nur  in  einer  Stadt- 
gemeinde gebetet.  Die  Gelehrten  sagen:  In  einer  Stadtgemeinde  und  außer- 
halb einer  solchen.  R.  Juda  sagt  im  Namen  jenes:  Überall,  wo  eine  Stadtge- 
meinde ist,  ist  der  Einzelne  frei  vom  Musaphgebet".  —  Das  seltene  Wort 
•v*S  *an  wird  allerdings  verschieden  erklärt.  Da  aber  jedenfalls  ein  Gemeinde- 
verband darunter  zu  verstehen  ist  (nicht,  wie  Maimonides  und  viele  Neuere 
erklären,  ein  einzelner  „Gelehrter"),  und  da  die  religiöse  Gemeinde  sonst  nicht 
*an  sondern  nD3D  heißt,  so  wird  unter  "an  eben  ein  bürgerlicher  Gemeinde- 
verband zu  verstehen  sein,  was  auch  an  der  von  Levy,  Neuhebr.  Wörterb. 
8.  v.  zitierten  Stelle  Megiüa  27  *>  sehr  wohl  paßt.  Vgl.  über  1*3  *an  auch 
Semachoth  XI— XII,  Buch ler,  Der  galiläische  Am-ha-Ares  des  2.  Jahrh. 
(1906)  S.  210-212. 


504  §  27.    Schule  und  Synagoge.  [432] 

wohnerschaft  die  Synagogengemeinde  eine  selbständige  Existenz 
neben  der  politischen  Kommune  hatte.  In  den  rein  jüdischen 
Ortschaften  werden  die  Ortsältesten  zugleich  Synagogen- 
älteste gewesen  sein.  —  Sofern  die  Gemeinde  als  religiöse  ins 
Auge  gefaßt  wird,  heißt  sie  «j»  (eigentl.  „Versammlung",  griech. 
ovvaywyq,  aram.  KDtö^D),  die  Gemeindeglieder  daher  np??n  ^3  *  \ 


11)  Bechoroth  V,  5.  Sabim  III,  2.  Auch  die  Gesamtgemeinde  Israels 
heißt  b«ntt5^  nwa  (Bacher,  Die  exegetische  Terminologie  der  jüdischen  Tra- 
ditionsliteratur 1905,  I,  85.  II,  87  f.).  —  nöJS  ist  in  der  vorletzten  Silbe  nicht 
mit  Segol,  sondern  mit  Zere  zu  schreiben,  vgl.  aram.  KTO^s  und  cod.  de 
Rossi  138,  wo  zwar  nicht  ganz  konsequent,  aber  doch  an  den  meisten  Stellen 
richtig  HDJÄ  punktiert  ist.  Vgl.  über  die  Bildung  des  Wortes  auch  Bacher 
in  Hostings'  Dictionary  of  the  Bible  IV,  636.  —  Das  griech.  axvaywyi\  in  der 
Bedeutung  „Gemeinde"  z.  B.  Actor.  6,  9.  9,  2.  Inschrift  von  Phokäa  an  der 
jonischen  Küste  (Revue  des  eUudes  juives  XII,  1886,  p.  236  sqq.  —  Bulletin  de 
corresp.  hell.  X,  1886,  p.  327  sqq. :  ^  owayoyfy  helprjosv  ttbv  *Iovdala>v  u.  s.  w.), 
Inschrift  von  Akmonia  in  Phrygien  (Revue  archeol.  trois.  Sirie  t.  XII,  1888, 
p.  225  —  Ramsay,  The  cities  and  bishoprics  of  Phrygia  vol.  I  pari  II,  1897, 
p.  649  sq.  -=  Revue  des  itudes  anciennes  t  HI,  1901,  p.  272:  tj  owayopy)}  hei- 
Utiobv  u.  s.  w.),  Inschrift  von  Pantikapäum  am  cimmerischen  Bosporus  vom 
J.  81  n.  Chr.  (Corp.  Inscr.  Oraec.  t.  II  p.  1005  Addenda  n.  2114bb  =  Laty scher, 
Inscr.  antiquae  orae  septentrionalis  Ponti  Euxini  II,  1890,  n.  52:  awemtooTts- 
ovorjq  tik  xal  tijg  ovvayuyyfjs  ttbv  ^IovSalwv,  ebenso  CIGr.  n.  2114h  — ■  Laty- 
sehet  n.  53).  Häufig  auf  römisch-jüdischen  Grabschriften,  öorp.  Inscr.  Oraec. 
n.  9902  sqq.  vgl.  unten  §  31,  IL  Daß  es  im  späteren  Judentum  der  gewöhn- 
liche Ausdruck  für  „Gemeinde"  war,  erhellt  namentlich  auch  aus  dem  Sprach- 
gebrauch der  Kirchenväter,  welche  owayayfi  und  ixxXrjala  ohne  weiteres  in 
der  Art  unterscheiden,  daß  ersteres  die  jüdische,  letzteres  die  christliche 
Gemeinde  bezeichnet  Ja  die  Ebjoniten  haben  den  Ausdruck  awaywyt)  auch 
für  die  christliche  Gemeinde  beibehalten  (Epiphan.  haer.  30,  18:  awayatyijv 
Ah  oiroi  xaXoüoi  xfjv  kavrwv  ixxXrjalav  xal  obxl  ixxXrjalav).  Und  sogar  in  der 
patristischen  Literatur  wird  zuweilen  owayaryrf  für  die  christliche  Gemeinde 
gebraucht  (s.  Harnack,  Zeitschr.  für  wissensch.  Theol.  1876,  S.  104  ff.,  und 
dessen  Anm.  zu  Hermas  Mandat.  XI,  9  in  Gebhardt  und  Harnacks  Ausg.  der 
Patr.  apostol.  Zahn,  Forschungen  zur  Gesch.  des  Neutest.  Kanons  II,  1883, 
S.  165.  Ders.,  Einleitung  in  das  Neue  Test.  I,  66  f.).  Im  christlich-palästi- 
nensischen Aramäisch  scheint  KnttJ^D,  welches  dem  griech.  awayaty^  ent- 
spricht, das  gewöhnliche  Wort  für  „Kirche"  gewesen  zu  sein  (s.  Land,  Anec- 
dota  Syriaca  IV,  217.  Zahn,  Tatians  Diatessaron  S.  335.  Schultheß, 
Jjexicon  Syro-Palaestinum  1903  p.  95  s.  v.).  Die  Herrschaft  auf  christlichem 
Gebiet  hat  jedoch  allerdings  von  Anfang  an,  schon  seit  Paulus,  der  Ausdruck 
ixxXrjala  behauptet.  Dieser  Gegensatz  des  jüdischen  und  christlichen  Sprach- 
gebrauchs ist  auf  den  ersten  Blick  befremdlich,  da  im  Alten  Testament  kein 
wesentlicher  Unterschied  zwischen  ovvayioyj  und  ixxXrjala  gemacht  wird.  Die 
LXX  setzen  avvaywytf  für  nny,  ixxXrjala  in  der  Regel  für  in£;  ebenso  die 
Targume  KnttJ^s  für  ms,  ainp  gewöhnlich  für  bnp.  Ersteres  wird  haupt- 
sächlich in  den  Büchern  Exodus,  Leviticus,  Numeri  und  Josua  gebraucht, 
letzteres  im  Deuteronomium,  I.  und  IL  Chronik,  Esra  und  Nehemia  (Näheres 


[433]  II.  Die  Synagoge.  505 

Der  Ausdruck  awaycoyrj  kommt  auch  im  Sprachgebrauch  der  grie- 
chischen Kultvereine  vor.  Er  ist  hier  gleichbedeutend  mit  avvodog 
und  bezeichnet  (dem  ursprünglichen  Sinne  entsprechend)  in  der 
Regel  nicht  den  Verein,  sondern  die  periodisch  wiederkehrende 
festliche  „Versammlung"  (Zusammenkunft)  desselben 12.  Doch  finden 


s.  in  den  Koncordanzen) ,  beides  sehr  häufig,  und  beides  ohne  wesentlichen 
Unterschied  zur  Bezeichnung  der  „Gemeinde  Israels".  Schon  das  spätere  Ju- 
dentum scheint  aber  einen  Unterschied  im  Gebrauch  beider  Begriffe  gemacht 
zu  haben,  und  zwar  in  der  Art,  daß  owaywy/j  mehr  die  Gemeinde  nach  Seite 
ihrer  empirischen  Wirklichkeit,  ixxXqola  mehr  dieselbe  nach  ihrer  idealen 
Bedeutung  bezeichnete;  ovvaywytf  ist  der  an  irgend  einem  Orte  kon- 
stituierte Gemeindeverband,  ixxXrjaia  dagegen  die  Gemeinde  der 
von  Gott  zum  Heil  Berufenen,  namentlich  wie  irjjj,  die  ideale  Gesamt- 
gemeinde Israels  (wegen  bh£  vgl.  in  der  Mischna  Jebamoth  VIII,  2.  Kiddu- 
sohin  IV,  3.  Horajoth  I,  4—5.  Jadajim  IV,  4).  Wenn  also  Augustin  sagt, 
away(oyrj  =  congregatio  werde  auch  von  Tieren  gebraucht,  ixxXijaia  =»  con- 
vocatio  dagegen  mehr  von  Menschen  (s.  Enarrat.  in  Ps.  81,  1),  so  ist  daran 
wenigstens  so  viel  Wahres,  daß  letzteres  in  der  Tat  der  wertvollere  Begriff 
ist.  ZvvaycoyJi  drückt  nur  einen  empirischen  Tatbestand  aus,  ixxXrjoia  aber 
enthält  zugleich  ein  dogmatisches  Wert-Urteil.  Aus  dieser,  wie  es  scheint, 
schon  im  Judentum  herrschend  gewordenen  Differenzierung  der  Begriffe  er- 
klärt es  sich  leicht,  daß  der  christliche  Sprachgebrauch  sich  fast  ausschließlich 

des  letzteren  Ausdrucks  bemächtigt  hat. Nur  anmerkungsweise  ist  hier 

endlich  auch  noch  der  in  der  Mischna  häufig  gebrauchte  Ausdruck  i*iä2  zu 
erwähnen.  Er  bezeichnet  nämlich  überhaupt  nicht  die  Gemeinde  als  Gemein- 
schaft, sondern  nur  als  Gesamtheit  im  Gegensatz  zum  Einzelnen;  so  z.  B.  in 
dem  noch  zu  besprechenden  Ausdruck  n^ax  H^iü  Berachoth  V,  5.  Bosch  ha- 
schana  IV,  9.  In  der  Opfersprache  heißen  die  öffentlichen  Opfer,  die  im 
Namen  Gesamt-Israels  dargebracht  werden,  nias  niaa^ip  Sehekcdim  IV,  1.  6. 
Sukka  V,  7.  Sebachim  XIV,  10.  Menachoth  II,  2.  VIII,  1.  IX,  6.  7.  9.  Te- 
mura  II,  1.  Kerithoih  I,  6.  Para  II,  1.  Vgl.  auch  n*ns  rKüH  Jonia  VI,  1. 
Sebachim  V,  3  und  sonst,  *nax  ■nAw  ^nat  Pesachim  VII,  4.  Sebachim  V,  5 
und  sonst.  Ein  öffentliches  Fasten  heißt  ein  Fasten,  das  verfügt  wird  bs 
ninxn  Taanith  I,  5.  6.  II,  9.  10.  -itaS  ist  also  überhaupt  nicht  die  „Ge- 
meinde", sondern  die  „Gesamtheit". 

12)  So  vor  allem  in  dem  Testament  der  Epikteta  um  200  v.  Chr.  (Corp. 
Inscr.  Oraec.  2448,  neuere  Ausgabe  von  Ricci  in:  Monumenti  antichi  pubbli- 
cati  per  cwra  detta  R.  Academia  dei  Lincei  vol.  II,  1893,  p.  70 — 158,  und  in 
Inscriptiones  Oraecae  insularum  maris  Aegaei  fasc.  III,  ed.  Hiller  de  Gaertringen 
1898,  n.  330;  vgl.  auch  Ziebarth,  Das  griechische  Vereinswesen  1896,  S.  7  f.). 
Diese  Dame  richtet  für  ihren  verstorbenen  Gemahl  und  für  zwei  verstorbene 
Söhne  einen  Heroenkultus  ein,  der  von  dem  männlichen  Teil  ihrer  Verwandt- 
schaft gepflegt  werden  soll.  Der  Verein,  welchen  25  Mitglieder  derselben  zu 
diesem  Zwecke  bilden  sollen,  heißt  aber  nicht  owayuyyrf,  sondern  xb  xoivdv 
xo$  olvöqbIov  xtbv  ovyyevtbv.  Nur  in  bezug  auf  die  Jahresversammlungen  des 
Vereins  werden  die  Formeln  gebraucht:  umjxe  ylveo&ai  xav  avvaywyav  in 
a/uhgag  xgetg  iv  xCo  fiovaelat  (col.  IV  lin.  10  sq.),  räv  öh  cwayojyav  xov  avSgeiov 
xCov   cvyyevibv  ylveo&ai  iß  (jtrjvl  JsXyivto)  iv  x(j>  fiovoeUo  xad?  exaovov  hoq 


506  §  27.    Schule  und  Synagoge.  [433.  4341 

sich  auch  einzelne  Beispiele  dafür,  daß  ovvayar/fi  den  Verein  selbst 
bezeichnet13.  | 

Die  Befugnisse  der  Gemeindeältesten  in  religiösen  An- 
gelegenheiten müssen  denen  in  bürgerlichen  Dingen  analog  gedacht 
werden.  Wie  also  die  bürgerliche  Verwaltung  und  Jurisdiktion 
wohl  ganz  in  ihrer  Hand  lag,  so  ist  vermutlich  auch  die  Leitung 
der  religiösen  Angelegenheiten  ausschließlich  ihre  Sache  gewesen. 
Es  fehlt  wenigstens  jede  Spur  davon,  daß  in  den  jüdischen  Ge- 
meinden etwa  in  der  Art  wie  in  der  korinthischen  Christengemeinde 
das  Plenum  der  Gemeinde  selbst  direkt  über  einzelne  Fälle  der 


auigaq  xgeTq  (col.  IV  lin.  23  sq.).  —  In  demselben  Sinne  steht  awaycoytf  2) 
auf  einem  Ehrendekret  des  noXixevfia  der  Idumäer  in  der  Nähe  von  Memphis 
(2.  Jabrh.  vor  Chr.):  inl  awaywyrjq  xrjq  yevri&elorjq  iv  xCbi  &vo>  'AnoXXwviticoi 
xov  noXixevuaxoq  xal  xCbv  dnd  xfjq  nöXsojq  'Idovfiaicw  (Gatalogue  gineral  des 
Antiquitis  fyypt.  du  Musie  du  Cdire  vol.  XVIII:  Greek  inseriptions  by  Milne 
1905  n.  20  —  Dittenberger,  Orientis  graeei  inser.  sei.  n.  737).  —  3)  Auf  dem 
Ehrendekret  eines  d-laaoq  (unsicherer  Herkunft,  wahrscheinlich  aus  Bithynien, 
2.  Jabrh.  vor  Chr.)  für  eine  Priesterin  der  Kybele  und  des  Apollo,  welche 
bekränzt  werden  soll  iv  xf\i  xov  didq  ovvayu>yr}i  (Conze,  Reise  auf  der  Insel 
Lesbos  1865,  S.  61—64,  Tafel  XIX  =  Foucart,  Des  assoeiations  religieuses  chex 
les  Grecs  p.  238  n.  65,  dazu  die  Erörterungen  von  Perdrixet,  Bulletin  de  cor- 
resp.  kellinique  t.  XXIII,  1899,  p.  592—599,  welcher.  awaywyJi  schwerlich  richtig 
durch  confrSrie  wiedergibt  p.  595).  —  4)  Auf  der  großen  Grabschrift,  welche 
der  König  Antiochus  von  Koramagene  (1.  Jahrh.  vor  Chr.)  sich  selbst  gesetzt 
hat  (Humann  und  Puchstein,  Reisen  in  Kleinasien  und  Nordsyrien,  1890, 
S.  232 — 353  —  Dittenberger,  Orientis  gr.  inser.  sei.  n.  383),  ordnet  er  die  jähr- 
liche Feier  seines  Geburtstages  und  des  Tages  seines  Regierungsantrittes  an 
und  weist  etq  awaytoyäq  xal  7iav/jyvQ£iq  xal  9votaq  xavxaq  die  Einwohner 
seines  Reiches,  nach  Dörfern  und  Städten  eingeteilt,  je  den  benachbarten 
Heiligtümern  zu  (lin.  93 — 95).  —  Überhaupt  hießen  die  Zusammenkünfte  zu 
Schmausereien  mit  oder  ohne  kultischen  Charakter  avvayatyal.  Aihenaeus  V, 
p.  192  B :  näaa  Sh  avunoolov  avvaywyfi  tkxqcl  xolq  oLQxaloiq  r»)v  aixiav  eiq  B-edv 
avipege.  Ders.,  VIII  p.  362 E:  fyavoi  öi  elocv  al  dnb  xtbv  avpßaXXop&vwv 
owayoryat,  oltiö  xov  owbqolv  xal  ov/ucpiQtiv  ixaaxov  (also  Picknicks).  Ditten- 
berger, Orientis  gr.  inser.  sei.  n.  748  (Verzeichnis  von  Gaben,  welche  ein  ge- 
wisser Philetairos  für  öffentliche  Zwecke  gespendet  hat,  3.  Jahrh.  vor  Chr.): 
elq  tXaiov  xal  ovvaya>[yaq]  xwv  v£wv  &Qyvglov  xaXavxa  %AXe§dvÖQ€ta  eüxooiv  e£ 
(angesichts  der  großen  Summe  wird  nicht  mit  Dittenberger  ovvaywyJjv,  sondern 
owaywyaq  zu  ergänzen  sein).  —  Ahnlich  auch  awaywytov,  s.  unten  Anm.  62. 
13)  Wenn  es  in  dem  Dekret  des  xoivdv  xtbv  'AxxaXiaxüv  (2.  Jahrh.  vor 
Chr.)  Corp.  Inser.  Gr.  n.  3069  =  Dittenberger,  Orientis  gr.  inser.  sei.  n.  326 
lin.  12  heißt,  daß  die  Könige  freundlich  behandelt  haben  xty  ^fXBxigav  atyeoiv 
xal  avvaywyJjv,  so  ist  awaywyj  mindestens  im  Übergang  zu  der  Bedeutung 
„Verein".  Deutlich  liegt  dieselbe  aber  vor  iu  der  Bezeichnung  eines  Barbier- 
Vereins  als  awaywyij  xtbv  xovq£<dv  (Anfang  des  1.  Jahrh.  nach  Chr.,  Archäol.- 
epigr.  Mittheilungen  aus  Österreich  -  Ungarn  XIX,  1896,  S.  67).  —  Wie 
ovvaycoyfy  so  ist  auch  das  häufigere  avvoöoq  1)  Versammlung,  2)  Verein. 


i 


[434.  435]  II.  Die  Synagoge.  507 

Disziplin  und  Verwaltung  beraten  und  beschlossen  hätte.  Es  ge- 
schah dies  vielmehr  hier  durch  Vermittelung  der  dazu  berufenen 
Organe,  d.  h.  durch  die  Ältesten  der  Gemeinde.  Zur  Kompetenz 
der  letzteren  gehörte  insonderheit  höchst  wahrscheinlich  die  Aus- 
übung des  wichtigsten  religiösen  Disziplinaraktes,  die  Verfügung 
des  Bannes  oder  der  Ausschließung  aus  der  Gemeinde.  Die 
strikte  Handhabung  dieses  Zuchtmittels  war  für  das  nachexilische 
Judentum  geradezu  eine  Lebensfrage.  In  fortwährender  Berührung 
mit  einer  heidnischen  Umgebung  konnten  die  jüdischen  Gemeinden 
nur  dann  sich  intakt  erhalten,  wenn  sie  fremdartige  Elemente  stets 
sorgfältig  von  sich  ausschieden.  Wie  daher  die  festere  Organi- 
sierung der  nachexilischen  Gemeinde  eben  damit  begonnen  hatte, 
daß  jeder,  welcher  der  neuen  Ordnung  sich  nicht  fügte,  von  der 
Gemeinde  ausgeschlossen  wurde  (Esra  10,  8),  so  mußte  auch  fort 
und  fort  für  Ausscheidung  widerstrebender  Elemente  auf  dem  Wege 
der  Gemeindedisziplin  gesorgt  werden.  Daß  diese  Einrichtung  im 
Zeitalter  Christi  tatsächlich  bestanden  hat,  beweisen  wiederholte 
Andeutungen  im  Neuen  Testamente  (Luc.  6,  22.  Joh.  9,  22.  12,  42. 
16,  2).  Fraglich  kann  nur  sein,  ob  es  verschiedene  Arten  des  Aus- 
schlusses gegeben  hat  Manche  Gelehrte  haben  auf  Grund  der 
Angaben  des  Elias  Levita  (f  1549)  in  seinem  „Tischbi"  drei  ver- 
schiedene Arten  unterschieden:  1)  "»^5,  2)  Din,  3)  ürmw u.  Hiervon 
kommt  aber  |  die  letztere  sofort  in  Wegfall,  da  im  Talmud  "»TO 
und  fcWTOt?  ganz  gleichbedeutend  gebraucht  werden,  wie  bereits 
Buxtorf  nachgewiesen  hat15.  Traditionell  ist  nur  die  Unterschei- 
dung zweier  Arten:  des  ^TO  oder  der  temporären  Ausschließung 
und  des  wrn  oder  des  unlösbaren  Bannes16.  Wie  alt  jedoch  diese 
Unterscheidung  sei,  ist  schwer  zu  sagen.  Direkt  bezeugt  ist  im 
Neuen  Testamente  nur  das  äyogiCeiv  (Luc.  6,  22)  oder  anoovvaym- 
yov  noulv  oder  ylvso&cu  (Joh.  9,  22.  12,  42.  16,  2),  also  nur  die  Sitte 
der  Ausstoßung  als  solcher.  Wenn  in  der  bekannten  Stelle  des 
I.  Korintherbriefes  (I.  Kor.  5)  neben  oIqbiv  kx  [ifoov  (Vers  2)  auch 
der  Ausdruck  xagadovrai  x<p  Saxava  vorkommt  (V.  5),  so  ist  es 
eben  fraglich,  ob  unter  letzterem  eine  strengere  Form  des  Bannes 
zu  verstehen  ist.  Auch  in  der  Mischna  wird  nur  die  Ausstoßung 
("^3)  als  solche  erwähnt  und  dabei  die  Möglichkeit  der  Wieder- 
aufnahme vorausgesetzt17.    Andererseits  kennt  ja  schon  das  Alte 

14)  Nach  Schmiedel  zu  I  Kor.  16,  22  findet  sich  diese  Dreiteilung  auch 
schon  bei  Paulus  von  Burgos  (f  1435). 

15)  Lex.  Ghald.  col.  2462—2470  (s.  v.  Krott».  —  Vgl.  auch  Levy,  Chald. 
Wörterb.  8.  r.  n^n. 

16)  So  Maimonides  bei  Vitringa,  De  synagoga  p.  739. 

17)  Taanitk  III,  8.    Moed  katan  III,  1—2.    Edujoth  V,  6.    Middoth  II,  2. 


508  §  27.    Schule  und  Synagoge.  [435.  436] 

Testament  den  Begriff  des  onn,  d.  h.  der  unlösbaren  Bannung  oder 
Verfluchung;  und  daß  derselbe  wenigstens  als  dogmatischer  Begriff 
(im  Sinne  der  Verfluchung)  auch  dem  späteren  Judentum  geläufig 
war,  beweisen  schon  die  im  Neuen  Testamente  wiederholt  vor- 
kommenden Ausdrücke  ävd&tfia  und  avad-efiaxl^eiv  {Born.  9, 3.  L  Kor. 
12,  3.  16,  22.  Qal  1,  8—9.  Marc.  14,  71.  Apostelgesch.  23, 12. 14.  21). 
Ein  tatsächlicher  Gebrauch  von  Anathematismen  in  den  Synagogen 
ist  vom  zweiten  Jahrhundert  nach  Chr.  an  bezeugt  durch  die  Notiz 
des  Justin  und  anderer  Kirchenväter,  daß  die  Juden  beim  täglichen 
Gebet  jedesmal  auch  Verwünschungen  gegen  die  Christen  aus- 
sprachen 18.  Allerdings  handelt  es  sich  hier  nicht  um  Verhängung 
des  ara&e/ia  über  einzelne  bestimmte  Personen;  und  es  ist  auch 
fraglich,  ob  die  Verwünschungen  direkt  gegen  die  Christen  ge- 
richtet waren.  Aber  es  ist  doch  jedenfalls  damit  der  faktische 
Gebrauch  von  Anathematismen  im  gottesdienstlichen  Leben  jener 
Zeit  bewiesen.  Es  ist  daher  möglich,  daß  schon  im  Zeitalter  Christi 
eine  doppelte  Art  der  Ausschließung  aus  der  Gemeinde  vorkam, 
entweder  ohne  oder  mit  Verhängung  des  dva&efia.  Bestimmteres 
aber  läßt  sich  bei  dem  Mangel  direkter  Zeugnisse  nicht  behaupten 19. 
— -  Zur  Ver| hängung  dieser  höchsten  Disziplinarstrafe  waren  nun 
höchst  wahrscheinlich  die  Ältesten  der  Gemeinde  befugt  Denn 
wie  im  nachexilischen  Judentum,  soviel  wir  wissen,  nirgends  die 
Masse  des  Volkes  als  solche  die  Jurisdiktion  ausgeübt  hat,  so  ist 
dies  auch  in  betreff  des  Bannes  nicht  vorauszusetzen.  In  der  Tat 
sehen  wir  z.  B.  Joh.  9,  22,  daß  der  Bann  von  den  'lovöaloiQ,  d.  h.  nach 
dem  Sprachgebrauch  des  Evangeliums  von  den  Behörden  des  Volkes 
verhängt  wird.  Indirekt  wird  dies  auch  dadurch  bestätigt,  daß 
im  Zeitalter  der  Mischna,  wo  die  politische  Organisation  des  Volkes 
aufgelöst  war  und  die  fachmännisch  gebildeten  Schriftgelehrten 
mehr  und  mehr  die  Befugnisse  der  früheren  Ortsbehörden  an  sich 
gebracht  hatten,  eben  die  „Gelehrten"  (D^on)  es  sind,  welche  den 


18)  Justin,  Dial.  c.  Tryph.  c.  16.  Epiphan.  haer.  29,  9.  Näheres  s.  unten 
im  Anhang  über  das  Schmone  Esre. 

19)  Vgl.  über  den  Bann  überhaupt:  Buxtorf,  Lex.  Chald.  col.  827—829 
(s.  v.  Din),  col.  1303—1307  (s.  v.  iru),  col.  2462—2470  (s.  v.  an*tt).  —  Seiden, 
De  synedriis  lib.  If  cap.  VII.  Ders.,  De  jure  naiurae  et  gentium  IV  e.  19.  — 
Light footy  IJorae  hebr.  zu  I  Kor.  5,  5  (Opp.  II,  888 sqq.).  —  Vitringa,  De 
synagoga  p.  729 — 768.  —  Oarpxov,  Apparalus  hislorico-criticus  p.  554 — 562. 
—  Bindrimt  De  gradibus  excommunicationis  apud  Hebraeos,  in  Ugoiinis  The- 
saurus t.  XXVI.  —  Oottl  Isr.  Musculus,  De  excommunicatione  Hebraeorum 
et  ejusdem  in  Novo  Testamento  vestigiis,  Lips.  1703.  —  Danx,  Ritus  excommu- 
nicationis (bei  Meuschen,  Nov.  Test,  ex  Talmude  iüustratum  p.  615 — 648).  — 
Noch   andere   ältere  Dissertationen   s.  bei  Mensel }   Bibliotheca  historica  I,  2, 


[436.  437]  IL  Die  Synagoge.  509 

Bann  verhängen  und  aufheben20.  Auch  in  der  talmudischen  und 
nachtalmudischen  Zeit  lag  er  stets  in  der  Hand  der  kompetenten 
Gemeindebehörden 21. 

Neben  den  Ältesten,  welche  im  allgemeinen  die  Angelegenheiten 
der  Gemeinde  zu  leiten  hatten,  mußten  für  besondere  Zwecke 
spezielleBeamte  bestellt  werden.  Hier  ist  aber  das  Eigentüm- 
liche dies,  daß  gerade  für  die  eigentlich  gottesdienstlichen  Hand- 
lungen: Schriftlektion,  Predigt  und  Gemeindegebet,  keine  beson- 
deren Beamten  aufgestellt  wurden.  Diese  Akte  wurden  vielmehr 
im  Zeitalter  Christi  noch  von  den  Gemeindegliedern  selbst  in  freiem 
Wechsel  ausgeübt,  weshalb  z.  B.  auch  Christus  überall,  wohin  er 
kommt,  in  den  Synagogen  sofort  das  Wort  ergreifen  kann  (Näheres 
s.  unten  bei  der  Gottesdienstordnung).  Aber  wenn  auch  keine  amt- 
lichen Lektoren,  Prediger  und  Liturgen  bestellt  wurden,  so  mußte 
doch  vor  allem  1)  ein  Beamter  aufgestellt  werden,  welcher  für  die 
äußere  Ordnung  beim  Gottesdienst  sorgte  und  überhaupt  die  Auf- 
sicht über  das  Synagogenwesen  führte.  Dies  war  der  Archi- 
synagog22.    Solche  aQxiovvaymyoi  treffen  wir  im  gesamten  Be- 


198  sq.  —  Die  Ausleger  zu  Bv.  Luc.  6,  22.  Joh.  9,  22  (zu  letzterer  Stelle  bes. 
Wetstein  Nov.  Test,  Wolf  Ourae  phiL,  Kuinoel  Oomment.).  —  Wieseler, 
Commentar  über  den  Brief  an  die  Galater,  zu  Gai.  1,  8.  —  Gildemeister, 
Blendwerke  des  vulgären  Rationalismus  zur  Beseitigung  des  paulinischen  Ana- 
thema, Bremen  1841.  —  Win  er,  RWB.  Art.  „Bann".  —  Merx  in  Schenkels 
Bibellex.  8.  v.  —  Hamburger,   Real-Enz.   f.   Bibel   u.  Talmud,  1.  Abt.  8.  v. 

—  Wiesner,  Der  Bann  in  seiner  geschichtlichen  Entwicklung,  Leipzig  1864. 

—  Cremer,  Biblisch- theo!.  Wörterb.  Art.  anoawdyoyyoq  (4.  Aufl.  S.  67 f.).  — 
Heinrici  Art.  „Anathema"  in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  I,  493 f.  —  Mandl, 
Der  Bann,  ein  Beitrag  zum  mosaisch-rabbinischen  Strafrecht,  Brunn  1898  (52  S.). 

—  Kohl  er,  Art.  Anathema  in:  The  Jetvish  Encyclopedia  I,  559 — 562. 

20)  S.  bes.  Moed  kaian  III,  1—2. 

21)  In  Justinians  Novell.  146,  in  welcher  das  Vorlesen  des  griechischen 
Bibeltextes  in  den  jüdischen  Synagogen  gestattet  und  die  jüdischen  Behörden 
angewiesen  werden,  dies  nicht  durch  Verhängung  des  Bannes  zu  verhindern, 
heißt  es  in  letzterer  Beziehung:  OixSh  aSsiav  iSovaiv  ol  naoy  avvoZQ  ä'QX'-V*' 
qexTxcu  ij  nQeoßvxsQOL  zvxöv  rj  StödoxaXoi  nQoaayogevöfisvoi  neoivolaig  xiolv 
fj  ava^e/nariofioTg  rotruo  xwXveiv. —  Maimonides  setzt  als  selbstverständlich 
voraus,  daß  der  Bann  durch  das  "pl  rvo  verhängt  wird.  S.  überhaupt:  Vi- 
tringa  p.  744 — 751. 

22)  Vgl.  über  die  Archisynagogen  meine  Abhandlung:  Die  Gemeindever- 
fassung der  Juden  in  Rom  in  der  Kaiserzeit  (Leipzig  1879)  S.  25 — 28.  —  Wein- 
berg, Monatsschr.  für  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1897,  S.  657 f.  — 
Die  ältere  Literatur  ist  deshalb  wenig  ergiebig,  weil  sie  Heterogenes  zusammen- 
wirft. Hervorzuheben  sind:  Vitringa,  Archisynagogus  observationibus  novis 
illustrativ,  Franeq.  1685.  —  Id.,  De  synagoga  vetere  p.  580—592.  695—711.  — 
Rhenferd,  Investigatio  praefectorum  et  ministrorum  synagogae  c.  1  [Opp.  phil. 
p.  48Qsqq.    Auch  in  Ugolinis  Thesaurus  Bd.  XXI). 


510  §  27.   Schule  und  Synagoge.  [437.  438] 

reiche  des  Judentums,  nicht  nur  in  Palästina23,  sondern  auch  in 
Ägypten24,  Kleinasien25,  Griechenland26,  Italien27,  Afrika28  |  und 


23)  Ev.  Marti  5,  22.  35.  36.  38.  Luc.  8,  49.  13,  14.  —  Evang.  Nicodemi 
bei  Thilo,  Codex  apoer.  Nov.  Test.  p.  514  sq.  640.  652  (=-  Acta  Pilati  bei  2¥- 
schendorf,  Evang.  apocr.  1876,  p.  221.  270.  275.  284).  —  Griech.  Inschrift  aus 
der  Gegend  von  Sepphoris,  wie  es  scheint  für  einen  Sidonier  (spätere  Kaiser- 
zeit): Palestme  Exploration  Fund,  Quarierly  Statement  1895  p.  354. 

24)  Hadrians  angeblicher  Brief  an  Servianus  bei  Vopiscus,  Vita  Saturnin. 
c.  8  (Scriptores  Eistoriae  Augustae  ed.  Peter  1865,  II,  209). 

25)  Act.  13,  15  (Antiochia  Pisidiä).  —  Epiphan.  haer.  30,  11  (Cilicien).  — 
Inschrift  von  Smyrna,  Revue  des  etudes  juives  t.  VII,  1883,  p.  161  sq.  —  In- 
schrift von  Akmonia  in  Phrygien,  Revue  archeol.  trois.  Serie  t.  XU,  1888  p.  225 
=  Ramsay,  The  cities  and  bishoprics  of  Phrygia  vol.  I  pari  II,  1897  p.  649  sq. 
=■  Revue  des  Studes  anciennes  t.  III,  1901,  p.  272  (hier  ein  &QXiowäy(oyo<;  Siä 
ßlov).  —  Inschrift  von  Myndos  in  Karien,  Revue  des  Studes  juives  t.  XLU,  1901, 
p.  1—4. 

26)  Act.  18,  8.  17  (Korinth).  —  Corp.  Inscr.  Oraec.  n.  9894  (Aegina). 

27)  Corp.  Inscr.  Oraec.  n.  9906  (Rom).  —  Oarrucei,  Cimitero  degli  antichi 
Ebrei  scoperto  recentemente  in  Vigna  Randanini  p.  67  (Rom).  —  Mommsen, 
Inscr.  Regni  Neap.  n.  3657  «—  Corp.  Inscr.  Lat.  t.  X  n.  3905  (Capua).  —  Ascoli, 
Iscrixioni  inedite  o  mal  note  greche  latine  ebraiche  di  antichi  sepolcri  giudaici 
1880,  p.  49  not.  1,  p.  52,  57  (Venusia  in  Unteritalien).  Dieselben  drei  In- 
schriften im  Corp.  Inscr.  Lat.  t.  IX  (1883)  n.  6201.  6205.  6232.  Die  zwei  letz- 
teren auch  bei  Lenormant,  La  catacombe  juive  de  Venosa,  in:  Revue  des  Studes 
juives  t.  VI,  Nr.  12,  1883,  p.  203.  204.  —  Kaibel,  Inscr.  Oraecae  Sicü.  et  Ital. 
n.  2304  (Brescia).  —  Die  drei  zuerst  genannten  Inschriften  aus  Rom  und  Capua 
s.  auch  im  Anhang  zu  m.  Schrift:  Die  Gemeindeverfassung  der  Juden  in  Rom, 
Nr.  5.  19.  42. 

28)  Synagoge  zu  Hammam-Lif,  nicht  weit  von  Carthago  (entdeckt  1883).. 
Hier  in  einem  Vor -Räume  die  Inschrift:  Asterius  fUius  Rustici  arcosina- 
f/ogi,  Margarita  Riddei  partem  portici  tesselavit.  Im  Fußboden  des  eigent- 
lichen Synagogen  -Raumes  fand  man  ein  Mosaik  mit  allerlei  Tiergestalten 
und  einer  Inschrift,  in  welcher  nach  den  ersten  ungenauen  Mitteilungen  das 
christliche  Monogramm  vorzukommen  schien  (Joh.  Schmidt,  Ephemeris  epigra- 
phica  t.  V,  1884,  p.  537  n.  1222,  nach  dem  Bulletin  epigraphique  de  la  Gaule 
III,  1883,  p.  107).  In  Wahrheit  steht  das  christliche  Monogramm  nicht  da; 
wohl  aber  ist  mehrfach  der  siebenarmige  Leuchter  abgebildet.  Der  Bau  und 
die  Inschriften  sind  also  trotz  der  Tiergestalten  sicher  jüdisch.  S.  die  Mit* 
teilungen  von:  Renan,  Revue  archSol.  troisieme  SSrie  t.  I,  1883,  p.  157 — 163* 
t.  III,  1884,  p.  273—275,  pl.  VII— XI  (hier  Abbildungen  des  ganzen  Mosaik- 
fußbodens). Kaufmann,  Revue  des  Studes  juives  t.  XIII,  1886,  p.  45 — 61. 
Rein  ach,  ebendas.  p.  217 — 223.  Corp.  Inscr.  Lat.  VIII  Supplem.  n.  12457. — 
Die  Mosaiken  sind  jetzt  an  Ort  und  Stelle  nicht  mehr  vorhanden,  s.  Revue  des 
etudes  juives  XIII,  217.  Schmidt  im  Corp.  Inscr.  Lat.  I.  c.  Bruchstücke  be- 
finden sich  in  Toulouse,  s.  Les  monuments  historiques  de  la  Tunisie,  P.  I,  pubL 
par  Cagnat  et  Gauckler,  1898,  p.  152 — 154.  Monceaux,  Revue  des  Studes 
juives  t.  XLIV,  1902,  p.  11—13.  Schwab,  Nouveües  archives  des  missions 
scientißques  t.  XII  fasc.  3,  1904,  p.  189—193.  —  Ein  archisynagogus  in  Cae- 


[438.  439]  IL  Die  Synagoge.  511 

überhaupt  im  römischen  Reiche29.  Von  den  Juden  ist  das  Amt 
und  der  Titel  auch  in  die  judenchristlichen  Gemeinden  Palästinas 
übergegangen30.  Gleichbedeutend  hiermit  ist  ohne  Zweifel  der 
hebräische  Titel  DW3n  flfen81.  Daß  dieses  Amt  von  dem  eines 
Gemeindeältesten  verschieden  war,  beweist  das  Nebeneinander- 
vorkommen der  Titel  xQeaßvreQoi  und  aQx^ovvaymyoi S2.  Am  in- 
struktivsten ist  aber,  daß  nach  dem  Zeugnis  der  Inschriften  ein 
und  dieselbe  Person  das  Amt  eines  <xqx<dv  und  eines  aQxcovvayoyog 
nebeneinander  bekleiden  konnte33.  Die  aQxovxsq  waren  in  der  | 
Diaspora  die  „Obersten"  der  Gemeinde,  in  deren  Hand  die  Ge- 
meindeleitung im  allgemeinen  lag.  Von  deren  Amt  ist  also  das 
des  Archisynagogen  jedenfalls  verschieden.  Der  Archisynagog  kann 
aber  auch  nicht  etwa  der  Oberste  der  Archonten  gewesen  sein; 
denn  dieser  heißt  yBQovöiaQxnq  (s.  unten  §  31,  über  die  Diaspora). 
Er  hat  also  überhaupt  mit  der  Gemeindeleitung  im  allgemeinen 
nichts  zutun.  Sein  Amt  ist  vielmehr  speziell  die  Sorge  für 
den  Gottesdienst.  Er  heißt  „Archisynagog"  nicht  als  Oberster 
der  Gemeinde,  sondern  als  Leiter  der  gottesdienstlichen  Gemeinde- 
versammlung.   In  der  Regel  ist  er  wohl  aus  der  Zahl  der  Ge- 


sarea  (in  Mauritanien)  kommt  in  den  Acta  Marcianae  c.  4  vor  (Monceaux 
a.  a.  O.  S.  8). 

29)  Codex  Theodosianus  (ed.  Haeml)  XVI,  8,  4.  13.  14.  —  Vgl.  auch  noch 
Justin.  Dial.  c.  Tryph.  c.  137. 

30)  Epiph.  kaer.  30, 18:  7tQSoßvT&QOvq  yaQ  ovzoi  Hzovoi  xal  &QXiovvayu>yovg. 

31)  Sota  VII,  7 — 8:  „Bei  den  Segenssprüchen  des  Hohenpriesters  am  Ver- 
söhnungstage wird  so  verfahren:  Der  Synagogendiener  (chassan  ha-keneseth) 
nimmt  eine  Gesetzesrolle  und  gibt  sie  dem  Archisynagogen  (rosch  ha-keneseth)-, 
dieser  reicht  sie  dem  Vorsteher  der  Priester,  dieser  dem  Hohenpriester.  Dieser 

empfangt  sie  stehend  und  liest  stehend (8)  Bei  den  Lesestücken  des 

Königs  am  ersten  Tage  des  Laubhüttenfestes  im  Sabbathjahre  wird  so  ver- 
fahren: Man  errichtet  für  den  König  eine  hölzerne  Tribüne  (ßrjpa)  im  Vor- 
hofe, und  er  setzt  sich  daselbst  nieder  ....  Der  Synagogendiener  nimmt  eine 
GesetzesroUe  und  gibt  sie  dem  Archisynagogen  (rosch  ha-keneseth);  dieser  reicht 
sie  dem  Vorsteher  der  Priester,  dieser  dem  Hohenpriester,  dieser  dem  König, 
und  der  König  empfangt  sie  stehend  und  liest  sitzend  etc."  —  Die  erste  Hälfte 
dieser  Stelle  s.  auch  Joma  Vn,  1. 

32)  Epiphan.  haer.  30,  11  u.  18.  —  Codex  Theodosianus  XVI,  8, 13.  —  Acta 
Püaii  bei  Tischendorf  p.  221. 

33)  Oarrucci,  Cimitero  p.  67:  Stafulo  arconti  et  archisynagogo.  — 
Momfnsen,  Inscr.  Regni  Neap.  n.  3657  —  Corp.  Inscr.  Lot.  t.  X  n.  3905:  AI- 
fius  Juda  arcon  arcosynagogus.  —  Vgl,  auch  Corp.  Insoript.  Qraec.  n.  9906: 
'iovXiavdg  Uqsvq  &qx(0V  •  •  •  V^S  *IovXiavo$  «j^xKJvvaytbyov.  —  In  der 
Apostelgeschichte  14,  2  hat  der  cod.  D  folgenden  Text:  ol  6h  &Q%iovva- 
ywyoi  x(bv  lovöalaw  xal  ol  a(>xovr£S  trjg  owaywyfjq  injyayov  abzoXq  6iwy~ 
fidv  xaxä  tu>v  ötxalwv.  Der  sachkundige  Urheber  dieses  Textes  hat  also  ge- 
wußt, daß  aQztffvväyQ)yoi  und  5(#ovtec  verschieden  sind. 


512  §  27.    Schule  und  Synagoge.  [439.  440] 

meindeältesten  genommen  worden.  Als  seine  Funktionen  werden 
insonderheit  z.  B.  erwähnt,  daß  er  zu  bestimmen  hatte,  wer  die 
Schriftlektion  und  das  Gebet  vortragen  solle34,  und  daß  er  geeig- 
nete Personen  zur  Predigt  aufzufordern  hatte36.  Er  hatte  über- 
haupt dafür  zu  sorgen,  daß  in  der  Synagoge  nichts  Ungehöriges 
vorkam  (Luc.  13, 14),  und  hatte  wohl  auch  die  Sorge  für  das  Syna- 
gogengebäude36.  Gewöhnlich  hat  es  wohl  für  jede  Synagoge  nur 
einen  Archisynagogen  gegeben  (vgl.  Luc.  13,  14).  Zuweilen  wird 
aber  auch  eine  Mehrheit  von  solchen  an  einer  Synagoge  erwähnt; 
so  namentlich  Act.  13, 15  (aJtioruXav  ot  aQxiovvaymyoi  jiqos  avtovg), 
während  der  unbestimmtere  Ausdruck  elg  x&v  äQXiOvvay<6ya>v 
Marc.  5,  22  auch  erklärt  werden  kann:  „einer  aus  der  Klasse  der 
Synagogenvorstehertt  (s.  Weiß  zu  d.  St.).  In  späterer  Zeit  scheint 
der  Titel  aQxiovvaywyoq  auch  als  bloßer  Titel  sogar  an  unmündige 
Kinder  und  an  Frauen  verliehen  worden  zu  sein37.  |  Merkwürdig 
ist,  daß  auch  im  heidnischen  Kultus  Archisynagogen  vor- 
kommen. Doch  muß  dahingestellt  bleiben,  ob  der  Gebrauch  des 
Ausdrucks  auf  jüdischem  oder  auf  heidnischem  Gebiete  ursprüng- 
lich ist38. 


34)  S.  Raschi,  Bartenora  und  Sheringam  zu  Joma  VII,  1  (in  Surenhusius' 
Mischna  II,  244.  246).  —  Raschi,  Bartenora  und  Wagenseil  zu  Sota  VII,  7  (in 
Surenhusius'  Mischna  III,  266.  267). 

35)  Act.  13,  15:  In  Antiochia  Pisidiä  werden  Paulus  und  Barnabas  von 
den  Archisynagogen  aufgefordert,  das  Wort  zu  ergreifen,  wenn  sie  einen  Xöyoq 
nagaxX^asQfg  hätten. 

36)  Corp.  Insor.  Graec.  n.  9894:  Der  Archisynagog  Theodorus  in  Aegina 
leitet  den  Bau  einer  Synagoge  (ix  B-epeXtiov  xPn*  avvay[wy^v]  olxoödurioa). 

37)  Corp.  Inscr.  hat.  t.  IX  n.  6201  (=»  Ascolt,  Iscrixioni  p.  49  not.  1): 
KaXXiöxov  vtniov  aqxoooivaywyov  sxojv  y  (xrivotv  y.  —  Reime  des  Stades  juives 
t.  VII,  p.  161  sq.:  Pov<p8iva  Iovöcua  ap^urwayaiyoc.  —  Bevtte  des  Üudes  juives 
t.  XLII,  p.  1—4:  [ß]eej7iif4nzrjg  [oLo]ziow(aywyov)  xe  xov  vlov  ahxfjq  Ehaißiov 
(Myndos  in  Karien,  Anfang  der  byzantinischen  Zeit).  —  Analog  sind  die  un- 
mündigen aoxovxsq  auf  judischen  Grabschriften  in  Rom  (s.  unten  §  31,  II). 
Ebendaselbst  auch  ein  yoafxfiaixevg)  vrfmoq  von  sechs  Jahren  ( Garrueci,  Oimi- 
tero  degli  antichi  Ebrei  p.  61).  —  Auf  einer  christlich-lateinischen  Inschrift  in 
Afrika  kommt  ein  lector  von  fünf  Jahren  vor  (Oorp.  Insor.  Lat.  VIII,  n.  453). 
Leetores  infantuli  bei  Victor  Vitensis  III,  34  (im  Wiener  Corp.  script.  eccL  lat. 
vol.  VII).  Nach  Mischna  Megilla  IV,  5—0  war  es  gestattet,  Minderjährige 
zur  Schriftlektion,  aber  nicht  zum  Gebet  zuzulassen.  —  Über  die  Verleihung 
von  Ehren-Titeln  an  Frauen  s.  unten  §  31,  II. 

38)  Euseb.  Bist.  Eccl.  VII,  10,  4  erwähnt  einen  cLQXio'vvä'yayoc,  xihv 
o\ri  Alyvnxov  fidyiov.  —  Auf  einer  Inschrift  in  Olynth  (Corp.  Insor.  Graec. 
T.  II,  p.  994  Addend.  n.  2007*  =-  Duchesne  et  Bayet,  Mission  au  mont  Aihos 
1876  n.  119)  kommt  vor  ein  AÜaavbq  Neixcw  ö  &QXi>Gvvayv)yoq  &eod  tf$woq 
xal  xb  xoXXrfyiov  Baißly  Avxmvlip  dvioxrjoev  xdv  ßwfxöv.  —  Auf  einer  In- 
schrift in   Chios   (Oorp.  Inscr.  Graec.  T.  II,  p.  1031  Addend.   n.  2221c)   fünf 


[440.  441]  II.  Die  Synagoge.  513 

Außer  dem  Archisynagogen  kommen  als  Gemeindebeamte  2)  die 
Almoseneinnehmer,  npm  i«aa,  vor39.  Sie  haben  allerdings  | 
mit  dem  Gottesdienste  als  solchem  nichts  zu  tun,  sind  also  da,  wo 
die  religiöse  und  bürgerliche  Gemeinde  nicht  getrennt  war,  mehr 
als  bürgerliche  Gemeindebeamte  zu  betrachten.  Doch  müssen  sie 
hier  genannt  werden,  da  das  Einsammeln  der  Almosen  gerade  auch 

[&0Xiov]vdyo>yoi  °l  &Q$<*vteQ.  —  Eine  Inschrift  in  Thessalonike  (Bulle- 
tin de  corresp.  heltenique  VIII,  1884  p%  463),  welche  ein  Dekret  der  Herakles- 
Verehrer  für  ein  Mitglied  ihres  Vereins  enthält,  ist  datiert  vom  J.  155  n.  Chr., 
und  zwar  &QXt>ovvay<x>yovvxoQ  Kwxvoq  ElQ^vijg. —  Inschrift  in  Thracien, 
Anf.  des  1.  Jahrh.  nach  Chr.  (Archäol.-epigr.,   Mittheilungen  aus  Österreich- 
Ungarn  XIX,  1896,  S.  67):  xbv  ßojfxdv  xff  owaywyji  xwv  xovotwv  tcbqI  dgxi(fvVm 
dywyov  R  lovXiov  ObdXevxa.  —  Da  in  Ägypten   die  Beligionsmengerei  an 
der  Tagesordnung  war,  die  vier  griechischen  Inschriften  aber  jung  sind,  so  ist 
in   allen  Fällen  Entlehnung  aus  dem  Judentum  möglich;  ebensogut  freilich 
auch   das  Umgekehrte.  —  Wenn   endlich  Alexander  Severus   spottweise  ein 
Syrus  Arckisynagogus  genannt  wurde  (Lamprid.  Vita  Alex.  Sev.  c.  28,  in  Script. 
Eist.  Aug.  ed.  Peter  I,  247),   so   ist  es  ungewiß,   ob  dabei  an  einen  jüdischen 
oder  heidnischen  Archisynagogen  zu  denken  ist.  —  Der  verwandte  Titel  ovva- 
ycoydg  kommt  häufig  bei  Kulturvereinen  am  Schwarzen  Meere  vor,  und  zwar  in 
Pantikapaeum  am  kimmerischen  Bosporus  (Latyschev,  Inscriptiones  antiquae 
orae  septentrionalis  Ponti  Euxini  graecae  et  latinae  vol.  II,  1890,  n.  19.  60 — 64, 
vol.  IV,  1901,  n.  207.  208.  210.  211.  212.  469,   Ziebarth,   Rhein.  Mus.  55,  1900, 
S.  513),   in  Gorgippia  ebenfalls  am  kimmerischen  Bosporus  (Latyschev  IV 
n.  434,  Ziebarth  S.  514)   und   in  Tan ai s  an  der  Nordspitze   des  Asowschen 
Meeres  (Latyschev  II  n.  438.  442.  443.  445—448.  451.  454.  455).    Die  Vereine 
von  Tanais  pflegten  den  Kultus  des  S-edq  vxpioxoq  und  waren  augenscheinlich 
vom  Judentum  beeinflußt  (s.  meine  Abhandlung  in  den  Sitzungsberichten  der 
Berliner  Akademie  1897,  S.  200— 225).   Andererseits  ist  der  Titel  avvayoryevq 
auch   sonst  bezeugt,   nämlich:   in   De  los   (Bulletin  de  corresp.  hellinique  XI, 
1887,  p.  256:  ovvay<oy£<og  öiä  ßlov  ASXov  KaXovlvov),  in  der  Gegend  von 
Eläusa  im  westlichen  Cilicien  (Journal  of  Hellenic  Studies  XU,  1891,  p.  233  sq. 
=«  Dittenberger,  Orientis  gr.  inscr.  sei.  n.  573,  Dekret  der  üaßßaxioxal,  welche 
unter  anderem  beschließen,  axe<pavovo&ai  ...  xbv  avvayioyia),  inTomi  am 
Schwarzen  Meere  (Archäol.-epigr.  Mittheilungen  aus  Österreich  VI,  1882,  S.  19 
bis  20,  unter  den  Beamten  eines  Kultvereines  wird  hier  an  erster  Stelle  der 
ovvayioyevg  oder  Gvvaycoyoq  genannt;  die  Lesung  der  Endsilbe  ist  unsicher). 
Lucian  sagt  von  seinem  Peregrinus  Proteus  (Peregr.  11),  daß  er  als  Schüler 
der  Christen  diese  bald  übertroffen  habe,  so  daß  sie  ihm  gegenüber  nur  Kinder 
waren:  iv  ßoaxtf  naUaq  avxovq  om6<pTjve  TtgotfrfxTjQ  xal  S-ictödoxiS  xal  gvvaya- 
yevq  xal  ndvxa  fidvoq  ahxbq  wv.  —  Bildungen  mit  ciQXh  wie  doxeoavioxfa 
aoxi&i&olxrjq ,   <£p£'Aci'OTf7£,    kommen  bei  griechischen   Kultvereinen  mehrfach 
vor.    S.   das   Material   bei   Ziebarth,  Das  griechische  Vereinswesen,   1896, 
S.  219  (Wortregister  s.  v.). 

39)  Demai  III,  1.    Kiddusehin  IV,  5.  —  An  letzterer  Stelle  heißt  es,  daß 
die  Nachkommen  von  npis  ^fcOä  auch  ohne  besondere  Untersuchung  als  Israe- 
liten reinen  Geblütes  gelten,  mit  welchen  die  Angehörigen  des  Priesterstandes 
sich  verheiraten  dürfen.    Man  sieht  also,  daß  sie  wirklich  Beamte  waren. 
Schürer,  Geschichte  II.   4.  Aufl.  33 


514  §  27.   Schule  und  Synagoge.  [441J 

in  den  Synagogen  geschah40.  Man  unterschied  die  Wochenkasse 
(nwp  =  cupa),  aus  welcher  die  Ortsarmen  einmal  in  der  Woche 
regelmäßig  unterstützt  wurden,  und  die  „Schüssel"  ("nrran),  aus 
welcher  jeder  Bedürftige  (also  besonders  der  Fremde)  eine  Tages- 
ration erhalten  konnte41.  Wer  daher  Speise  für  zwei  Mahlzeiten 
hatte,  sollte  nichts  aus  dem  ^nw  annehmen,  und  wer  Speise  für 
vierzehn  Mahlzeiten  hatte,  nichts  aus  der  rfe-lp42.  Das  Einsammeln 
für  die  fiöip  sollte  mindestens  durch  zwei,  und  das  Austeilen  min- 
destens durch  drei  Personen  geschehen43.  —  Endlich  ist  noch  zu 


40)  Ep.  Matth.  6,  2  und   dazu  Light foot  (Eorae  Hehr.)  und  Wet stein 
(Nov.  Test)-,  auch  Vitringa,  De  synagoga  p.  211  sq. 

41)  Tosepkta  Pea  IV  ed.  Zuckermandel  p.  23  lin  21.  Maimonides,  Hilchoth 
Anijim  IX,  1.  2.  6.  Mehr  Belegstellen  bei  Weinberg,  Monatsschr.  für  G.  u. 
W.  d.  J.  1897,  S.  680  f.  —  Über  nvp  (—  lat.  eupa)  überhaupt  s.  oben  S.  82 
und  Kren  gel,  Das  Hausgerät  in  der  Mifinah  I.  Teil.  1899,  S.  40—42;  über 
rißlp  und  ^rron:  Krauß,  Griechische  und  lateinische  Lehnwörter  im  Talmud, 
Midrasch  und  Targum  Bd.  II,  1899,  S.  516.  590  f.  —  Die  nßlp  ist  in  der  Regel 
ein  Korb,  z.  B.  für  Baumfrüchte  {Schabbath  X,  2),  Gemüse  (Demai  II,  5.  Kelim 
XVII,  1),  Feigbohnen  (Machschirin  IV,  6),  Fische  (Machachirin  VI,  3),  Stroh 
(Schabbath  XVIII,  1.  Beza  IV,  1.  Kelim  XVII,  1.  Ohaloth  VI,  2);  allerdings 
auch  zum  Transport  von  größeren  Geldsummen  (Schekalin  HI,  2:  die  in  der 
Schatzkammer  angesammelten  Didrachmen  entnahm  man  von  dort  in  Kuppotht 
deren  jede  drei  HKb  enthielt  [ein  Sea  =  l*/2  römische  modii,  s.  Joseph.  Antt* 
IX,  4,  5  §  85,  Eieron.  Comm.  ad  Matth.  13,  33  opp.  ed.  VaUarsi  VII,  1,  94]). 
Aber  der  später  gemachte  Unterschied,  daß  in  der  rifinp  Geld,  im  iirran  vor- 
wiegend Naturalien  gesammelt  wurden  (so  Maimonides  a.  a.  O.),  gilt  schwer- 
lich schon  für  das  Zeitalter  der  Mischna.  Die  Größe  der  Gefäße  spricht  dafür, 
daß  es  sich  bei  beiden  zunächst  um  Naturalien  gehandelt  hat;  es  kam  aber 
bei  beiden  auch  Geld  in  Betracht  (Tosephta  Peä  IV  ed.  Zuckermandel  p.  23 
lin.  23:  ,,ein  Armer,  der  eine  perutha  für  den  ilrron  und  eine  perutha  für  die 
hfcip  gibt'*)-  —  Aus  dem  •nrron  sollte  der  Arme  am  Passafeste  auch  vier  Becher 
Wein  erhalten  (Peaachim  X,  1). 

42)  Pea  VIII,  7. 

43)  Pea  VIII,  7.  —  Mehr  über  die  Almosenpflege  im  talmudischen  und 
nachtalmudischen  Judentum  s.  bei  Maimonides,  Hilchoth  Anijim  IX  (Peters- 
burger Übersetzung  II,  S.  593 ff.).  Buxtorf,  Lex.  Ghald.  col.  375  (s.  v.  *&aa), 
2095  (s.  v.  hfclp),  2604  (s.  v.  ^rron).  Light  foot,  Eorae  Hebr.  ad  Matth.  6,  2. 
Vitringa,  De  synagoga  p.  543 — 547.  Rhenferd,  De  decem  otiosü  Diss.  I  c* 
75—88.  Werner,  De  fisco  et  paropside  pauperum,  Jenae  1725  (zit.  v.  Win  er, 
RWB.  I,  46).  Wabnitx,  La  chariti  juive  et  son  Organisation  au  temps  de 
Jisus-Christ  (Revue  thSologique,  Montauban  1887,  p.  61—72,  133—152).  Wein- 
berg, Monatsschr.  für  GWJ.  1897,  S.  678 — 681.  Lehmann,  Assistance  pu- 
blique et  privie  d y apres  Vantique  ligislation  juive  (Revue  des  Studesjuives  t  XXXV, 
1897,  Actes  et  Conferences  p.  I— XXXVIII).  —  Ober  die  gesetzlichen  Ab- 
gaben an  die  Armen  s.  auch  oben  §  24  S.  307  und  Winer  RWB.  Art. 
„Arme". 


■ 


[441.  442]  II.  Die  Synagoge.  515 

nennen  3)  der  Diener,  hebr.  noDSn  IJt.44,  griech.  vjuiQeTijq4*.  Er 
hatte  beim  Gottesdienst  die  heiligen  Schriften  herbeizubringen  und 
wieder  aufzubewahren46;  auch  den  Anbruch  und  das  Ende  des 
Sabbaths  durch  Blasen  mit  der  Trompete  zu  verkündigen47.  Er 
war  überhaupt  der  Gemeindediener,  der  z.  B.  an  den  Verurteilten 
die  Strafe  der  Geißelung  zu  vollziehen48,  aber  auch  die  Kinder 
im  Lesen  zu  unterrichten  hatte49.  Auf  einem  Papyrustext  aus  dem 
dritten  Jahrhundert  vor  Chr.,  der  in  Mittelägypten  gefanden  wurde, 
kommt  in  Verbindung  mit  einer  xQoöevxq  t&v  'iovöalcov  ein  vaxoQog 
(=  vecoxoQoq)  vor50.  Da  vecdxoqol  sonst  die  Tempeldiener  sind51, 
so  ist  der  vaxoQog  augenscheinlich  ein  Synagogendiener.  —  Ge- 
wöhnlich betrachtet  man  als  Gemeindebeamten  |  auch  den  n^btt? 
■fiM,  der  beim  Gottesdienst  im  Namen  der  Gemeinde  das  Gebet 
zu  sprechen  hatte52.  In  Wahrheit  ist  jedoch  das  Gebet  nicht  von 
einem  ständigen  Beamten,  sondern  in  freiem  Wechsel  von  irgend- 
einem Gemeindeglied  gesprochen  worden  (s.  unten  beim  Gottes- 
dienst). Es  hieß  also  nia*  mbtt?  „Bevollmächtigter  der  Gemeinde" 
Oberhaupt  jedesmal  derjenige,  der  im  Namen  der  Gemeinde  das 
Gebet  sprach 5S.  —  Noch  weniger  sind  als  Gemeindebeamte  zu  be- 
trachten die  „zehn  geschäftsfreien  Männer"  CpAtD^  rnto*,  decem 

44)  Sota  VII,  7—8.  Joma  VII,  1.  Makkoth  in,  12.  Schabbath  I,  3  (an 
letzterer  Stelle  bloß  )in).  Tbsephta  ed.  Zuckermandel  p.  198,  23.  199,  8.  216,  7. 
Aram.  «am  Sota  IX,  15.  Vgl.  Epiphan.  haer.  30,  11:  'A^avirCbv  ztbv  nag* 
airtoXq  öiaxövwv  kQfirjvevoft&cDv  ?j  ürnjoetCbv.  —  Auch  im  Tempel  kommen 
D^am  vor,  Sukka  IV,  4.     Tamid  V,  3. 

45)  Ev.  Luc.  4,  20.  —  Ein  solcher  Synagogendiener  ist  wohl  anch  gemeint 
auf  der  römisch -jüdischen  Grabschrift:  <PXaßioq  *IovXiavo<;  faijoetTiQ.  <PXaßia 
*IovAiavti  dvyaTijo  netto  1.  *Bv  elorjvri  tj  xoifirjois  aov  (Garrucci,  Dissertazioni 
archeologiche  di  tario  argomento  Vol.  II,  1865,  p.  166  n.  22;  auch  in  m.  Ge- 
meindeverfassung der  Juden  in  Born,  Anhang  Nr.  30). 

46)  Sota  VII,  7—8.  Joma  VII,  1.  Luc.  4,  20.  Die  Kommentare  zu  Sota 
und  Joma  (Surenhnsius'  Mischna  III,  266  f.  II,  246). 

47)  Tbsephta  Sukka  IV  ed.  Zuckermandel  p.  199,  8;   vgl.   unten  Anm.  90. 

48)  Makkoth  III,  12. 

49)  Schabbath  I,  3.  —  In  späterer  Zeit  ist  ytn  —  Vorbeter.  Vgl.  über 
die  verschiedenen  Funktionen  desselben  auch:  Weinberg,  Monatsschr.  f. 
GWJ.  1897,  S.  659 f.  Bacher  in  Hostings1  Dictionary  of  the  Bible  IV,  640 f. 
(im  Art.  Synagogue).  Schlössinger  Art.  Haxxan  in:  The  Jeunsh  Bncyclope- 
dia  VI,  284 — 286.  Zahlreiche  Belegstellen  (aus  talmudischer  und  nachtalmudi- 
scher  Zeit)  verzeichnet  Low,  Gesammelte  Schriften  V,  1900,  S.  31 — 33. 

50)  Bulletin  de  correspondanee  hellSnique  t.  XXVII,  1903,  p.  200.  Dazu 
Th.  Bei  nach,  MiUmges  Nicole,  Genf  1905,  p.  461—459. 

51)  Bei  Philo  «—  Leviten,  De  praemiis  sacerdotum  §  6.    Mang.  U,  236. 

52)  Berachoth  V,  5.    Bosch  haschana  IV,  9. 

53)  VgL  auch  Hamburger,  Beal-Enz.  Supplementbd.  III,  1892,  Art. 
„Vorbeter".    The  Jeunsh  Encyclopedia  XI,  261  (Art.  Sheliah  Zibbur). 

33* 


516  §  27.  Schule  und  Synagoge.  [442.  443] 

otiosi),  die  namentlich  im  nachtalmndischen  Judentum  in  jeder  Ge- 
meinde gegen  eine  Geldentschädigung  den  Auftrag  hatten,  beim 
Gottesdienst  stets  in  der  Synagoge  anwesend  zu  sein,  damit  die 
zu  einer  heiligen  Versammlung  erforderliche  Zahl  von  zehn  Mit- 
gliedern stets  vorhanden  sei54.  Die  Einrichtung  ist  ohnehin  dem 
Zeitalter  der  Mischna  noch  völlig  fremd.  Der  Ausdruck  selbst 
kommt  zwar  in  der  Mischna  vor55.  Er  kann  aber  ursprünglich 
nichts  anderes  bezeichnen,  als  solche  Männer,  die  auch  an  den 
Wochentagen  nicht  durch  Geschäfte  am  Besuch  der  Synagoge  ge- 
hindert sind.  Denn  am  Sabbath  war  ja  jeder  Israelite  geschäfts|- 
frei;  da  wäre  also  das  otiosum  esse  kein  spezifisches  Merkmal  ein- 
zelner. Daß  dies  in  der  Tat  auch  noch  an  jener  Stelle  der  Mischna 
der  Sinn  ist,  ist  nach  dem  Zusammenhang  ganz  deutlich.  An  die 
gewöhnlichen  Sabbathgottesdienste  ist  also  dabei  gar  nicht  gedacht; 
und  noch  weniger  ist  gesagt,  daß  in  jeder  Gemeinde  zehn  ge- 
schäftsfreie Männer  vorhanden  sein  müssen.  Es  ist  im  Gegenteil 
nur  als  Merkmal  einer  großen  Stadt  angegeben,  daß  in  ihr  auch 
für  jeden  Wochentag  immer  eine  genügende  Anzahl  von  Synagogen- 
besuchern ohne  Schwierigkeit  vorhanden  ist  Erst  erheblich  später 
hat  man  dann  die  eben  erwähnte  Einrichtung  getroffen  und  da- 
durch dem  Begriff  den  veränderten  Sinn  gegeben. 


54)  Buxtorf,  Lex.  Chald.  col.  292  (s.  r.  'jbaa):  Apud  Rabbinos  de  decem 
•pabM  crebra  fit  mentio.  Sunt  autem  decem  viri  otiosi,  Synagogae  Judaicae  quasi 
Stipendiarii,  qui  Stipendium  accipiunt,  ut  in  precibus  et  aliis  Conventions  sacris 
in  Synagoga  semper  frequentes  adsint  et  ab  initio  ad  finem  cum  sacerdote  out 
sacrorum  praefecto  perdurent,  ne  synagoga  unquam  in  sacris  sit  vacua  aut  sa- 
cerdos  solus.  —  Diese  präzise  Erklärung  Buxtorfs  wird  bestätigt  durch  die 
rabbinischen  Autoritäten,  z.  ß.  Baschi  zu  Baba  kamma  82a  (bei  Vitringa  t  De 
synagoga  p.  532).  Bartenora  zu  Megilla  I,  3  (Surenhusius'  Mischna  II,  388  f.). 
—  Im  Talmud  werden  die  •p&ea  mtö3>  nicht  häufig  erwähnt,  jer.  Megilla  I,  6 
(70b  unt.),  bab.  Megilla  5»,  Baba  kamma  82»,  Sanhedrin  17b  (bei  Vitringa,  De 
decemviris  utios.  c.  2,  De  synag.  p.  531).  Da  an  keiner  dieser  Stellen  näher 
angegeben  wird,  was  für  eine  Bewandtnis  es  mit  ihnen  hat,  so  konnte  Light- 
foot  (Horae  Eebr.  ad  Matth.  4,  23)  die  irrige  Hypothese  aufstellen,  die  decem 
otiosi  seien  die  Beamten  der  Synagoge  gewesen,  so  daß  sämtliche 
Synagogen  -  Ämter  unter  diese  zehn  Männer  verteilt  gewesen  wären.  Dieser 
Irrtum  hat  dann  eine  gelehrte  Kontroverse  hervorgerufen,  in  welcher  Vi- 
tringa zurückhaltender,  Bhenferd  schonungsloser  die  Meinung  Lightfoote 
bekämpften.  S.  bes.  Bhenferd,  De  decem  otiosis  synagogae,  Franekerae  1686. 
Vitringa,  De  decemviris  otiosis,  Franequerae  1687  (beide  auch  in  Ugolinis 
Thesaurus  t  XXI).  Vitringa,  De  synagoga  p.  530 — 549.  Eine  kurze  Dar- 
stellung der  ganzen  Kontroverse  bei  Carpzov,  Apparatus  historico-crit.  p. 
310-312. 

55)  Megilla  I,  3:  „Was  heißt  eine  große  Stadt?    Jede,  worin  zehn  ge- 
schäftsfreie Männer  sind.   Sobald  deren  weniger  sind,  heißt  es  ein  Dorf'. 


[443]  IL  Die  Synagoge.  517 

Das  Gebäude,  in  welchem  die  Gemeinde  sich  zum  Gottes- 
dienst versammelte,  hieß  ficssin  mä56,  aram.  «rtt^DD  ^a  oder  bloß 
ÄtniÖ^S57,  griech.  övvaycoyr)1*  oder  jiqoöbvxt}  59.    Im  älteren  Sprach- 


56)  In  der  Mischna  an  folgenden  Stellen:  Berachoth  VII,  3.  *Terumoth 
XI,  10.  Bikkurim  I,  4.  Erubin  X,  10.  *Pesachim  IV,  4.  Sukka  HI,  13.  Bosch 
haschana  III,  7.  Megüla  III,  1—3.  Nedarim  V,  5.  IX,  2.  Schebuoth  IV,  10. 
*Aboth  HI,  10.  Negaim  XIII,  12.  —  An  den  mit  *  bezeichneten  Stellen  kommt 
die  Pluralform  nTö3D  *M  vor. 

57)  S.  Levy,  Chald.  WB.  8.  v.  Ders.,  Neuhebr.  WB.  8.  v.  Bacher  in 
Hasiings'  Dictionary  IV,  636. 

58)  Häafig  im  Neuen  Testamente.  Bei  Josephus  nur  dreimal:  Antt.  XIX, 
6,  3.  Bell  Jud.  II,  14,  4—5.  VII,  3,  3.  Bei  Philo,  Quod  omnis  probus  liber 
§  12,  ed.  Mang.  II,  458  (von  den  Essenern):  elg  leoovg  &<pixvor/nevoL  xönovq, 
o*l  xaXovvxai  avvaymyal.  Auch  in  der  späteren  Literatur  häufig,  z.  B. 
Codex  Theodosiartus  XVI,  8  passim.  Vgl.  auch  Corp.  Inscr.  Oraec.  n.  9894 
(Aegina),  Bulletin  de  corresp.  hellenique  t.  XXI,  1897,  p.  47  (gr.  Inschr.  zu 
Tafas  in  Batanaea)  und  die  Mosaik-Inschrift  in  der  Synagoge  zu  Hamm&m- 
Lif  in  Nord- Afrika  (s.  oben  S.  510);  letztere  lautet:  Sancta  sinagoga  Naron 
pro  saliäem  suam  ancilla  tua  Julia  Nor.  de  suo  propium  teselavit,  was  zu 
lesen  ist:  Sanctam  sinagogam  Naronitanam  pro  salute  sua  ancilla  tua  Julia 
Naronitana  de  suo  proprio  tesselavit  (s.  die  Facsimiles  in:  Revue  archSol.  troi- 
sieme  Serie  t.  DI,  1884,  pl.  IX— X,  und  Revue  des  itudes  juives  t.  XIII,  1886, 
p.  48  sq.  Text  auch  im  Corp.  Inscr.  Lot.  VIII  Suppl.  n.  12457).  —  Auf  christ- 
lichem Gebiet  ist  die  Bezeichnung  ovvay&yJj  für  ein  gottesdienstliches  Ge- 
bäude bis  jetzt  nur  einmal  nachweisbar,  merkwürdigerweise  gerade  bei  den 
antijudaistischen  Marcioniten,  auf  einer  Inschrift  aus  dem  J.  319  n.  Chr.  zu 
Deir-Ali,  etwa  drei  Meilen  südlich  von  Damaskus:  awaywy^  Maoxtuiviözibv 
x6}/i(rjg)  Aeßaßwv  (Le  Bas  et  Waddington,  Inscriptions  grecques  et  latines, 
T.  III,  n.  2558  —  Dittenberger ,  Orientis  gr.  inscr.  sei.  n.  608.  Vgl.  auch 
Harnack,  Zeitschr.  f.  wissenschaftl.  Theol.  1876,  S.  103). 

59)  So  vor  allem  auf  den  oben  S.  500  mitgeteilten  Inschriften  und  Pa- 
pyrusurkunden in  Ägypten  (3.  bis  1.  Jahrh.  vor  Chr.);  ferner:  Philo,  In  Flae- 
cum  §  6.  7.  14  (Mang.  II,  523.  524.  535).  Legat,  ad  Caj.  §  20.  23.  43.  46 
(Mang.  II,  565.  568.  596.  600).  —  III  Makk.  7,  20  (wo  TtQoaevx^v  xa&iöovoavieq 
zu  lesen  ist,  nicht  TtQoaevxrjq,  s.  Grimm  zu  d.  St.).  —  Apostelgesch.  16,  13: 
?£ü>  xfjq  TtvlrjQ  naga  noxctfidv  ov  ivo/xl^o/uev  tiqoobvx^v  elvai.  —  Joseph.  Vita 
c.  54:  owdyovxai  ndvxeg  etq  xfjv  Ttoooevxrfv,  (liyiaxov  oXxr\ua  nolvv  Öx^ov 
£mö&§ao&ai  dwduevov.  —  Corp.  Inscr.  Graec.  T.  II,  p.  1004  sq.  Addend. 
n.  2114  b.  2114t>b  =  LatyscheVy  Inscriptiones  antiquae  orae  sept.  Ponti  Euxini  II, 
n.  53.  52  (Inschriften  von  Pantikapäum  am  kimmerischen  Bosporus).  —  Cleo~ 
medes.  De  motu  circulari  corporum  caelestium,  ed.  Ziegler  1891,  II,  1  c.  91 
(Epikur  gebraucht  abgeschmackte  Ausdrücke,  so  daß  man  meinen  könnte,  sie 
stammten  inö  ftiorjq  xfjq  nooaevxrjq,  *lovöa'Cxd  xiva  xal  naQaxsxaQayfxha).  — 
Juvenal.  Sat.  III,  296:  Ede,  ubi  consistasy  in  qua  te  quaero  proseucha?  — 
O ruter,  Corp.  Inscr.  p.  651,  n.  11:  Dis  M.  P.  Corfidio  Signino  pomario  de 
aggere  a  proseucha  etc.  (Corfidius  aus  Signia,  Obsthändler  am  Wall  bei  der 
Proseuche).  —  Das  Wort  kommt  auch  im  heidnischen  Kultus  als  Be- 
zeichnung einer  Gebetsstätte  vor.    S.  Corp.  Inscr.  Oraec.  n.  2079  =  Latyschev  I 


518  §  27..  Schule  und  Synagoge.  [443.  444] 


gebrauch  der  Diaspora  kommt  awaycoyfi  in  dieser  Bedeutung  noch 
nicht  vor.  Es  heißt  hier,  sofern  es  überhaupt  vorkommt,  „die  Ge- 
meinde", während  xqoöbvxti  der  stehende  Ausdruck  für  das  Ver- 
sammlungshaus ist.  Beide  Ausdrücke  werden  in  dieser  Weise  noch 
auf  den  Inschriften  von  Pantikapaeum  (erstes  Jahrhundert  nach 
Chr.)  unterschieden  (s.  oben  S.  504  und  den  vollen  Wortlaut  §  31, 
Bd.  III,  S.  18  der  3.  Aufl.).  Für  ovvaycoyfi  =  Gemeinde  vgl.  auch 
die  (allerdings  jüngeren)  Inschriften  von  Phokaea  und  Akmonia 
(oben  S.  504,  das  Gebäude  heißt  auf  beiden  einfach  6  olxoc)  und 
die  der  römischen  Katakomben,  für  xQoasvxrj  =  Versammlungshaus 
besonders  die  ägyptischen  Inschriften  vom  dritten  bis  ersten  Jahr* 
hundert  vor  Chr.  und  überhaupt  die  in  Anm.  59  genannten  Zeug- 
nisse. Die  Übertragung  des  Ausdrucks  awaycoyt]  auf  das  Ver- 
sammlungshaus scheint  zuerst  in  Palästina  erfolgt  und  erst  in 
nachchristlicher  Zeit  auch  in  den  Sprachgebrauch  der  Diaspora 
übergegangen  zu  sein.  An  der  einzigen  Stelle,  wo  Philo  den  Aus- 
druck ovvaycoyfi  gebraucht,  spricht  er  von  den  Essenern  in  Palästina, 
und  man  sieht,  daß  er  ihm  nicht  geläufig  ist  Die  übrigen  in 
Anm.  58  genannten  Zeugnisse  sind  entweder  palästinensisch  oder 
sehr  spät  Die  Apostelgeschichte,  welche  ovpaycoyrj  auch  für  die 
Versammlungshäuser  in  der  Diaspora  gebraucht  (13,  5.  14.  14,  1. 
17,  1.  10.  17.  18,  4.  7.  19.  26.  19,  8;  nur  16,  13.  16  jtQooevxrj),  folgt 
also  wohl  dem  palästinensischen  Sprachgebrauch.  Vereinzelt  kom|- 
men  die  Bezeichnungen  jiqocevxttjqiov60  und  öaßßarelov*1  vor. 
Irrig  ist  dagegen  die  (auch  von  mir  noch  in  der  3.  Aufl.  wieder- 
gegebene) Meinung,  daß  auch  ovvaycbytov  in  diesem  Sinne  vorkomme. 
Es  bezeichnet  an  den  bis  jetzt  nachgewiesenen  Stellen  nicht  das 
Gebäude,  sondern  die  „Zusammenkunft"  oder  die  Gemeinde62.  — 


n.  98  (Inschr.  v.  Olbia  am  Pontus  Euxinus).  Epiphan.  Juter.  80,  1,  von  den 
heidnischen  Massalianern  (den  Wortlaut  s.  weiter  unten).  Doch  ist  in  diesen 
Fällen  jüdischer  Einfluß  möglich.  Sicher  ist  derselbe  bei  der  Inschrift  von 
Gorgippia,  dem  heutigen  Anapa,  Latyschev  II  n.  400  (dazu  Sitzungsberichte 
der  Berliner  Akademie  1897,  S.  204). 

60)  Philo,  Vita  Hosis  III,  27  (Mang.  H,  168). 

61)  Joseph.  Antt.  XVI,  6,  2  (in  einem  Edikte  des  Augustus).  —  Mög- 
licherweise gehört  hierher  auch  Oorp.  Inscr.  Oraec.  n.  3509:  <Pdßto<;  Zwai/xog 
xaxaaxevdaag  ooqöv  l&exo  inl  xönov  xa&aQoV,  Svxoq  tcqö  xijq  nöternq  TtQÖq 
zoj  Hafißa&ely  iv  xip  XaXtalov  neQißöXcp  x.x.X.  Wahrscheinlich  aber  ist 
dieses  2a/jtßa&ecov  ein  Heiligtum  der  chaldäischen  Sibylle.  S.  darüber  unten 
§  33,  VII,  den  Abschnitt  über  die  Sibyllen.  —  Im  Syrischen  kommt  vor 
•w-niTH  »ra«  rv»a  (Bacher  in  Hostings'  Dictionary  IV,  636b). 

62)  Philo,  Legat,  ad  Cajum  §  40  (Mang.  II,  591):  Iva  imxgina>ai  xolq 
'iovöalotg  fxdvoig  elq  xä  avvayvDyia  aw&Qxeo&ai.  Mtj  yäo  Avai  xavxa 
atvdSovQ  ix  fjt£9yq  etc.  —  Id.  De  somniis  II,  18  ed.  Wendland  §  127  (Mang.  I, 


[444]  II.  Die  Synagoge.  519 

Man  erbaute  die  Synagogen  gern  außerhalb  der  Städte,  in  der 
Nähe  von  Flüssen  oder  am  Meeresstrande,  um  jedem  vor  dem  Be- 
such des  Gottesdienstes  bequeme  Gelegenheit  zur  Vornahme  der 
nötigen  levitischen  Reinigungen  zu  geben63. 

675,  Ansprache  eine»  Statthalters,  wahrscheinlich  des  Flaccus):  xal  xa&e~ 
äelo&e   iv  xoTg   avvaywytoig  vfjtthv  xbv  ela&Sxa  S-laaov  ayeloovxsq  etc.  — 

Zur  Erläuterung  vgl.  Athenaeus  VIII  p.  365  c:  %\eyov  6h xal  oway&yiov 

xb  ov/nnöoiov.  —  In  der  Bedeutung  „Gemeinde"  steht  das  Wort  Oorp.  Inaer. 
Graec.  n.  9908:  nax^g  owaywylwv. 

63)  S.  bes.  Apostelgesch.  16,  13.  Deutseh,  Sacra  Judaeorum  ad  littora 
frequenier  ezstructa,  Lips.  1713.  Die  oben  S.  500  Nr.  e  nach  Tebtunis  Papyri 
n.  86  erwähnte  rtQoaevztf  lag  am  Wasser.  Vgl.  auch  unten  Anm.  72.  In  der 
rabbinischen  Literatur  findet  sich  hiervon  freilich  keine  Spur;  statt  dessen 
vielmehr  die  Vorschrift,  die  Synagogen  auf  dem  höchsten  Punkte  der 
Stadt  zu  erbauen  (Tosephta  Megiüa  IV,  p.  227  Im.  \§sq.  ed.  Zuckermandel). 
Aus  diesem  Grunde  ist  die  von  uns  behauptete  Tatsache  von  Low  ganz  be- 
stritten worden  (Monatsschr.  für  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1884, 
S.  167—170  —  Ges.  Schriften  IV,  24—26).  Allein  jene  theoretische  Vorschrift 
ist  kein  Beweis  für  die  bestehende  Sitte.  Low  selbst  weist  nach,  daß  die 
Synagogen  häufig  außerhalb  der  Städte  erbaut  wurden  (Monatsschr. 
S.  109  ff.  161  fll  —  Ges.  Schriften  IV,  14  ff.).  Daß  man  dabei  die  Nähe  des 
Wassers  aufsuchte,  wo  solches  vorhanden  war,  ist  wenigstens  an  sich  wahr- 
scheinlich. Denn  die  Pflicht  des  Händewaschens  vor  dem  Gebet  steht 
außer  Zweifel.  Vgl.  darüber:  Aristeas  (ed.  Wendland  §  305—306)  von  den 
siebzig  Dolmetschern:  log  d'  H&oq  iovl  näoi  xotq  'lovöaiotq  anovcxpaftevoi  xjj  &a- 
Xäooq  xaq  zsToaq,  u>$  av  efy;Q>vxai  tcqöq  xbv  &söv.  —  Judith  12,  7.  —  Clemens 
Alex.  Strom.  IV,  22,  142.  —  Orac.  Sibyll.  III,  591—593.  —  Maimonides, 
Hilchoth  Tephilla  IV,  1—5  (IV,  1:  „Fünf  Dinge  müssen  vor  dem  Gebet  stets 
beachtet  werden  [eigentlich:  verhindern  das  Gebet],  auch  wenn  seine  Zeit  ge- 
kommen ist:  die  Reinigung  der  Hände,  die  Bedeckung  der  Blößen,  die  Reini- 
gung des  Ortes,  wo  das  Gebet  stattfindet,  die  Entfernung  der  zerstreuenden 
Gegenstände  und  die  Inbrunst  des  Herzens"  . . .  IV,  4:  „Im  allgemeinen  hat 
man  vor  dem  Gebet  nur  die  Hände  zu  reinigen;  aber  am  Morgen  muß  man 
Gesicht,  Hände  und  Füße  waschen,  und  dann  erst  beten").  —  Schröder, 
Satzungen  und  Gebräuche  des  talmudisch -rabbinischen  Judenthums,  1851, 
S.  25  G>ene  man  zur  Synagoge  geht,  müssen,  auch  wenn  man  wüßte,  nichts 
Unreines  berührt  zu  haben,  dennoch  abermals  die  Hände  gewaschen  werden"). 
—  S.  überh.  Vitringa,  De  synagoga  p.  1091.  1105 sq.  Schneckenburger, 
Über  das  Alter  der  jüdischen  Proselyten-Taufe  S.  38  f.  (bedarf  der  Sichtung). 
Olitzki,  Einiges  über  das  Beten  am  Wasser  (Magazin  für  die  Wissensch.  des 
Judenth.  XVI,  1889,  S.  268-270).  —  Bekanntlich  findet  sich  die  Sitte  des 
Händewaschens  und  anderer  Lustrationen  vor  dem  Gebet  auch  im  Heiden- 
tum (Odyss.  II,  261.  IV,  750  ff.  Utas  VI,  266  f.  Potter,  Archaeolog.  graec. 
II,  4)  und  in  der  christlichen  Kirche  (s.  schon  Tertullian.,  De  oratione  c.  13: 
Ceterum  quae  ratio  est,  manibus  quidem  ablutis,  spvrüu  verg  sordente  ora~ 
tionem  obire.  Die  Stellen  aus  Chrysostomus  bei  Suicerus,  Sacrarum  ob- 
servationum  lib.  sing.  p.  153).  S.  überh.  Pfannenschmidt,  Das  Weihwasser 
im  heidnischen  und  christlichen  Cultus.  1869.  Steitz,  Art.  „Weihwasser"  in 
Herzogs  Real-Enz.  (2.  Aufl.  XVI,  701  ff.). 


520  §  27.    Schule  und  Synagoge.  [444.  445] 


Die  |  Größe  und  Bauart  war  natürlich  sehr  verschieden 64.  Im 
nördlichen  Galiläa  sind  noch  heute  an  mehreren  Orten  Ruinen 
alter  Synagogen  erhalten,  von  denen  die  ältesten  aus  dem  zweiten, 
ja  möglicherweise  aus  dem  ersten  Jahrhundert  nach  Chr.  herrühren. 
Nach  ihrer  Art  etwa  wird  man  sich  den  Synagogenbaustil  zur 
Zeit  Christi  vorzustellen  haben 65.   Die  große  Synagoge  von  Alexan- 


64)  S.  überh.:  Maimonides,  Hilchoth  Tephilla  XI  (Petersburger  Über- 
setzung I,  308  ff.).  Low,  Monatsschr.  für  Gesch.  und  Wissensch.  des  Juden th. 
1884,  S.  214  ff.  —  Ges.  Schriften  IV,  27  ff. 

65)  Die  Bedeutung  und  das  hohe  Alter  dieser  Synagogen-Ruinen  ist  im 
wesentlichen  schon  von  Robinson  .richtig  erkannt  worden  (Neuere  biblische 
Forschungen  S.  89—91.  94  f.  450.  454  f.  482  f.).  Eingehend  hat  über  dieselben 
dann  namentlich  Renan  gehandelt  (Mission  de  Phinicie  p.  761—783).  Vgl. 
auch  die  Abhandlungen  von  Wilson  und  Eitchener  im  Quarterly  Statement 
1869  und  1878,  abgedr.  in  The  Survey  etc.,  Special  Papers  p.  294—305.  Ferner: 
Bädeker-Socin,  Palästina  1.  Aufl.  S.  387.  390.  391.  393.  394.  397.  Ebers 
und  Guthe,  Palästina  I,  342—345.  502.  Guirin,  Galilee  I,  198—201.  227— 
231.  241  s?.  II,  95.  100*?.  357  sq.  429  sq.  441.  447—449.  The  Survey  of  Western 
Palestine,  Memoirs  by  Gonder  and  Kitehener  vol.  I  p.  224 sq.  226 — 230. 
230—234.  240  sq.  243  sq.  251—254.  396—400.  400-402.  414-417  (mit  zahl- 
reichen Abbildungen).  Über  die  Ruinen  von  Teil  hum  speziell:  The  recovery 
of  Jerusalem  by  Wilson,  Warren  etc.  (1871)  p.  342—346.  Eine  neue  Erforschung 
aUer  dieser  Ruinen  ist  durch  die  Deutsche  Orient-Gesellschaft  veran- 
laßt worden,  s.  Mitteilungen  der  Deutschen  Orient-Gesellschaft  Nr.  23,  Sept. 
1904,  S.  17—19,  Nr.  27,  Mai  1905,  S.  2—4,  und  besonders  Nr.  29,  Dez.  1905, 
S.  4 — 34  (Berichte  von  Kohl,  Watzinger  und  Hiller,  die  namentlich  für 
Teil  Hum  durch  Nachgrabungen  wesentliche  Berichtigungen  der  englischen 
Aufnahme  gebracht  haben).  —  Die  Fundorte  sind:  Kasiun,  Kefr  Birim, 
el-Djisch,  Meiron,  Nabartein,  Kedes  (?),  Teil  Hum,  Keraze,  Ir- 
bid.  Die  fünf  ersteren  liegen  westlich  und  südwestlich  vom  Merom-See,  Ke- 
des nordwestlich  von  demselben  (die  Bedeutung  der  dortigen  Ruine  ist  aber 
zweifelhaft),  Teil  Hum  und  Keraze  am  See  Genezareth,  Irbid  nordwestlich 
von  Tiberias.  —  In  Kefr  Birim,  el-Djisch,  Meiron  und  Irbid  erwähnen  schon 
jüdische  Pilger  des  Mittelalters  die  Existenz  sehr  alter  Synagogen,  deren  Er- 
bauung sie  größtenteils  dem  Simon  ben  Jochai  (2.  Jahrh.  nach  Chr.)  zu- 
schreiben ;  die  Synagoge  zu  Irbid  wird  sogar  auf  den  noch  viel  älteren  Nittai 
aus  Arbela  zurückgeführt.  S.  Garmoly,  Itmeraires  de  la  Teure  Sainte  des 
XIHe,  XlVe,  XVe,  XVIe  et  XVHe  siede,  traduüs  de  Vhibreu  (Bruxelles  1847) 
S.  132.  136.  380  (Kefr  Birim),  S.  262.  452 f.  (Gusch  Chaleb  =-  el-Djisch), 
S.  133 f.  184.  260  (Meiron),  S.  131.  259  (Arbel  —  Irbid).  —  Entscheidend  für 
die  Altersbestimmung  ist  eine  griechische  Inschrift  aus  der  Zeit  des  Septi- 
mius  Severus  (197,  n.  Chr.)  unter  den  Trümmern  der  Synagoge  zu  Kasiun 
(bei  Renan,  Mission  p.  774).  Mit  dieser  Synagoge  sind  die  anderen  im  Stil 
mehr  oder  weniger  verwandt.  Es  ist  daher  sehr  wahrscheinlich,  daß  sie  alle 
aus  der  Blütezeit  des  rabbiirischen  Judentums  in  Galiläa,  d.  h.  aus  dem  2. 
bis  4.  Jahrh.  nach  Chr.,  herrühren.  Einige  möchte  Renan  sogar  dem  1.  Jahrh. 
n.  Chr.  zuweisen ;  so  namentlich  die  sehr  gut  erhaltene  in  Kefr  Birim  (p.  773). 
Die  fromme  Phantasie  darf  sich  daher  dem  Gedanken  hingeben,   daß  die 


[445.  446.  447]  IL  Die  Synagoge.  521 

dria  |  soll  die  Form  einer  Basilika  gehabt  haben66.  Auf  griechischen 
Inschriften  werden  gelegentlich  einzelne  Teile  von  Synagogen- 
gebäuden erwähnt:  eine  igiÖQa  in  Athribis,  ein  jrQovaog  inMantinea, 
ein  jtBQlßoXoq  xov  vxai&Qov  in  Phokäa67.  In  den  jteglßoXoi  wurden 
auch  Ehreninschriften  und  Weihgeschenke  aufgestellt,  wie  im  Vor- 
hof des  Tempels  zu  Jerusalem 68.  —  Unter  den  reichen  Ornamenten, 
welche  die  Synagogenruinen  in  Galiläa  aufweisen,  finden  sich  zu- 
weilen Motive  aus  der  Tierwelt  (Löwet  Lämmer,  Adler)69.  Noch 
weiter  geht  die  Ausschmückung  des  Mosaikfußbodens  der  Synagoge 
zu  Hammam-Lif  in  Nordafrika  mit  allerlei  Tiergestalten  (s.  oben 
Anm.  28).    Für  das  eigentliche  Judäa  zur  Zeit  Christi  wird  man 


Ruinen  in  Teil  Hum  («=  Kapernaum)  möglicherweise  von  der  Synagoge  her- 
rühren, welche  der  heidnische  Centurio  erbaut  und  in  welcher  Jesus  oft  ge- 
lehrt hat  {Wilson  in:  The  Recovery  p.  345.  Quirin,  Oalilie  I,  229 sq.  Bä- 
deker  390).  —  Fast  alle  diese  Synagogen  sind  von  Süden  nach  Norden 
orientiert,  so  daß  der  Eingang  im  Süden  ist.  In  der  Regel  scheinen  sie  in 
der  Front  drei  Türen  gehabt  zu  haben:  ein  Hauptportal  und  zwei  kleinere 
Seitentüren  (so  in  Kefr  Birim,  Meiron,  Teil  Hum).  Bei  einigen  ist  noch  nach- 
weisbar, daß  sie  durch  zwei  Säulenreihen  in  drei  Schiffe  geteilt  waren  (so  in 
Teil  Hum,  Nabartein  und  Kasiun).  In  Teil  Hum  war  das  Mittelschiff  auf 
drei  Seiten  von  einer  Empore  umzogen  (Mitteilungen  der  deutschen  Orient- 
Gesellschaft  Nr.  29,  S.  15).  Diese  Empore,  von  welcher  man  auch  bei  anderen 
Ruinen  Spuren  entdeckt  hat  (Mitteilungen  Nr.  29,  S.  24.  26),  diente  wohl  zum 
Aufenthalt  für  die  Frauen.  Die  Synagoge  von  Kefr  Birim  hatte  vor  der 
Front  eine  Vorhalle  (nicht  die  von  Meiron,  s.  Mitteilungen  Nr.  29,  S.  24). 
Im  allgemeinen  ist  der  Stil  zwar  vom  griechisch-römischen  beeinflußt,  aber 
doch  sehr  charakteristisch  verschieden.  Namentlich  kennzeichnet  ihn  eine 
reiche,  überladene  Ornamentik.  Die  Synagoge  von  Teil  Hum  „übertrifft  durch 
den  Reichtum  der  Dekoration  und  die  Güte  der  Arbeit  alle  übrigen"  (Mit- 
teilungen Nr.  29,  S.  20). 

66)  jer.  Sukka  V,  1  fol.  55 ab  (deutsch  z.B.  bei  Haneberg,  Die  religiösen 
Alterthümer  der  Bibel  S.  352);  dieselbe  Stelle  auch  Tosepkta  Sukka  198,  20  sqq. 
ed.  Zuckermandel.  Auch  Philo  erwähnt  unter  den  alexandrinischen  Proseuchen 
eine  ftsylorrj  xal  neoiainbtozarTj  (Leg.  ad  Caj.  §  20,  M.  II,  565). 

67)  i^iSQa  in  Athribis,  Ägypten  {Revue  des  etudes  juives  XVII,  236  s#. 
=  Bulletin  de  corresp.  hell.  XIII,  179  5g.  =»  Dittenberger,  Orientis  gr.  inscr.  sei. 
n.  101).  —  TtQÖvaoq  in  Mantinea  {Bulletin  de  corr.  hell.  XX,  1896,  p.  159  = 
Revue  des  etudes  juives  XXXIV,  1897,  p.  148).  —  xbv  oheov  xal  zöv  neolßolov 
xov  inalOgoVy  Phokäa  an  der  jonischen  Küste  Klein- Asiens  {Revue  des  iludes 
juives  XII,  1886,  p.  236  sqq.  —  Bulletin  de  corr.  hell.  X,  1886,  p.  327  sqq.). 

68)  Philo  in  Flaccum  §  7  Mang.  II,  524,  vgl.  mit  Isegat.  ad  Cajum  §  20 
Mang.  II,  565.  S.  den  Wortlaut  der  Stellen  oben  Bd.  I,  S.  483  f.  —  In  be- 
treff des  Tempels  zu  Jerusalem  s.  Jos.  Antt.  XV,  11,  3  fin.,  auch  I  Makk.  11,  37. 
14,  26.  48  (öffentliche  Urkunden). 

69)  Mitteilungen  der  deutschen  Orientgesellschaft  Nr.  29,  S.  17.  18.  32. 


522  §  27.   Schule  und  Synagoge.  [447] 

solche,  dem  jüdischen  Bilderverbot  widersprechende  Eonzessionen 
an  den  Zeitgeist  nicht  annehmen  dürfen70. 

Die  Meinung,  daß  es  auch  gottesdienstliche  Versammlungsorte 
ohne  Bedachung  nach  Art  der  Theater  gegeben  habe,  läßt  sich 
nicht  erweisen.  Bezeugt  ist  dies  nur  von  den  Samaritanern71. 
Sicher  ist  allerdings,  daß  die  Juden  an  den  Fasttagen  die  öffent- 
lichen Gebete  nicht  in  der  Synagoge,  sondern  auf  einem  freien 
Platze,  etwa  auch  am  Meeresstrande  hielten72.  Aber  das  geschah 
eben  auf  ganz  freien  Plätzen  und  beweist  nicht  die  Existenz  von 
Gebäuden  ohne  Bedachung.  Noch  unwahrscheinlicher  ist  es,  daß 
man  eben  diese  Gebäude  im  Unterschied  von  den  eigentlichen 
Synagogen  jxQooevxal  im  engern  Sinne  genannt  habe  (wie  nach  dem 
Vorgange  anderer  auch  in  der  ersten  Auflage  dieses  Buches  an- 
genommen wurde).  Denn  das  Zeugnis  des  Epiphanias,  des  ver- 
meintlichen Hauptgewährsmannes,  beweist  dies  ganz  und  gar  nicht 73. 


70)  Kaufmannn,  Art  in  the  Synagogue  (Jetcish  Quarterly  Review  vol.  IX, 
1897,  p.  254—269),  sagt  freilich  p.  255:  the  lion  .  .  .  has  at  all  times  been  ad- 
mitted  in  Jewish  synagogues.  Das  gilt  aber  schwerlich  für  Judäa  zur  Zeit 
Christi    Übrigens  vgl.  auch  oben  §  22,  S.  65  f. 

71)  Epiphan.  haer.  80,  1. 

72)  Taanüh  II,  1:  „Wie  ist  die  Ordnung  der  Fasttagsfeier?  Man 
bringt  die  Lade  (worin  die  Gesetzesrollen)  auf  den  freien  Platz  der  Stadt, 
streut  Asche  von  Gebranntem  auf  die  Lade  und  auf  das  Haupt  des  Fürsten 
und  des  Obersten  des  Gerichts,  und  jeder  andere  tut  selbst  Asche  auf  sein 
Haupt.  Der  Alteste  unter  den  Anwesenden  etc.  .  .  ."  (folgen  nun  die  wei- 
teren liturgischen  Vorschriften).  —  Tertullian.  De  jejunio  c.  16:  Judaicum 
certe  jejunium  ubique  celebraturt  cum  omissis  templis  per  omne  litus  quoeunque 
in  aperto  aliquando  jam  precem  ad  caelum  mittunt.  —  Id.  Ad  naiiones  I,  13: 
Judaici  ritus  lucernarum  et  jejunia  cum  axyrnis  et  orationes  litorales.  —  Jo- 
seph. Antt.  XIV,  10,  23:  xal  xäq  noooevzäq  noieio&cu  ngbq  xfj  S-akdoog  xaxä 
xb  ndxgiov  Ü&og  (über  noooEvxaq  oder  öerjostq  nouZo&ai  =  „Gebete  verrichten" 
vgl.  I  Timoth.  2, 1.  Ev.  Luc.  5,  33.  Phil.  1,  4;  es  heißt  also  nicht  „Proseuchen 
erbauen44,  wie  manche  es  verstanden  haben).  —  Vgl.  auch  Philo,  In  Flaccutn 
§14,  Mang.  II,  535.  —  Low,  Monatsschr.  f.  Gesch.  und  Wissensch.  des  Ju- 
dentums 1884,  S.  166  f.  =-  Gesammelte  Schriften  IV,  23. 

73)  Epiphan.  haer.  80,  1  (von  den  Massalianern) :  Tiväq  de  oucovq  kavxocq 
xaxaoxevdoavxeq  fj  xönovq  7tXaxelqy  <p6q<üv  ölxrjv,  noooevxäq  xavxaq  ixdXovv. 
Kai  %oav  pev  xb  ndkaibv  tiqoöbvxOjv  xötioi  £v  xe  xolq  'lovöaloiq  h*£a)  ndtewq 
xal  iv  xotq  Sapaoeixaiq,  u>q  xal  £v  xalq  Tlgät-eoi  xtbv  äTtooxökiov  rjvgofiev 
(folgt  dat  Zitat  Act.  16,  13).  *AX).ä  xal  7tQOOEv%Tjq  xönoq  iv  Zixipioig,  iv  x$ 
vvvl  xaXovfiivy  NeanöXei  ?|cti  xfjq  ndXEotq,  iv  xy  neöiäÖL,  wq  and  aquettov 
ovo,  &saxooeiöi)q1  ovxwq  iv  <x£qi  xal  al&oi(p  xöna)  iaxl  xaxaaxsvaaBelq  vnb 
xG)v  SauaQSixCbv  navxa  xd  x(bv  lovöalwv  fiiuovuivwv.  —  Zur  Auslegung  ist 
zu  bemerken:  1)  Was  Epiphanius  von  den  heidnischen  Massalianern  sagt, 
ist  natürlich  für  die  jüdischen  Verhältnisse  nicht  maßgebend.  Doch  haben 
gerade  sie  die  Bezeichnung  noooevxrf  für  beide  Arten  von  Gebetsstätten,  die 


[447.  448]  II.  Die  Synagoge.  523 

Eher  scheint  die  Apostelgeschichte  dafür  zu  sprechen,  |  daß  man 
die  Begriffe  jtQooevxrj  und  ovvaycoyfi  zu  unterscheiden  hat,  da  hier 
c  16, 13.  16  von  einer  xqoosvxt}  in  Philippi  und  dann  gleich  darauf 
c.  17,  1  von  einer  ovvaycoyri  in  Thessalonich  die  Rede  ist.  Aber 
wenn  überhaupt  ein  Unterschied  bestehen  soll,  so  könnte  er  doch 
nur  der  sein,  daß  die  JtQooevxrj  lediglich  zum  Gebet,  die  cvvaymyri 
auch  zu  anderen  gottesdienstlichen  Handlungen  bestimmt  war.  Eben 
diese  Unterscheidung  ist  aber  für  Act  16, 13.  16  unhaltbar,  da  hier 
jcqoo^vxv  augenscheinlich  der  gewöhnliche  Ort  der  sabbathlichen 
Versammlung  ist,  an  welchem  Paulus  auch  zur  Predigt  das  Wort 
ergreift.  Und  da  nun  ferner  Philo  das  Wort  zweifellos  von  den 
eigentlichen  Synagogen  gebraucht,  so  wird  überhaupt  zwischen 
beiden  Ausdrücken  kein  sachlicher  Unterschied  zu  statuieren  sein 74. 
Der  Wechsel  der  Ausdrücke  in  der  Apostelgeschichte  ist  vermut- 
lich durch  die  Quellenverhältnisse  bedingt 

Bei  dem  Wert,  den  man  auf  diese  sabbathlichen  Versammlungen 
legte,  ist  anzunehmen,  daß  in  jeder  Stadt  Palästinas,  selbst 
in  kleineren  Orten,  mindestens  eine  Synagoge  war75.  Die  nach- 
talmudische  Zeit  hat  die  Forderung  aufgestellt,  daß  überall,  wo 
auch  nur  zehn  Israeliten  beisammen  wohnten,  eine  Synagoge  er- 
baut werden  solle76.  Diese  Forderung  ist  zwar  dem  Wortlaute 
nach  in  vortalmudischer  Zeit  nicht  nachweisbar,  aber  ihrem  Geiste 


oheoi  und  die  xbnoi  nXax€t$  gebraucht.  2)  Mit  der  folgenden  gelehrten  An- 
merkung will  Epiphanius  allerdings  wohl  sagen,  daß  sich  Gebetsstätten  unter 
freiem  Himmel  mit  der  Bezeichnung  noooevxal  auch  bei  Juden  und  Samari- 
tanern  fänden.  Er  hat  davon  aber  nur  in  betreff  der  Samaritaner  eine  selb- 
ständige Kenntnis.  In  betreff  der  Juden  weiß  er  nichts  mehr  davon  (vgl.  das 
Praeter,  fjoav  zö  naXcuöv)  und  stützt  seine  Behauptung  nur  auf  Act.  16,  13. 
Und  gesetzt,  er  hätte  Recht,  so  wäre  auch  damit  noch  nicht  bewiesen,  daß 
man  diese  Gebetsstätten  im  Unterschied  von  den  Synagogen  Proseuchen 
nannte. 

74)  Für  Identität  beider  erklärt  sich  z.  B.  auch  Carpxov,  Apparates  hi- 
storico-crit.  p.  320  sq.  (woselbst  auch  noch  andere  Autoritäten  für  und  wider). 

75)  Wir  finden  Synagogen  z.  B.  in  Nazareth  (Mt.  13,  54.  Mc.  6,  2.  Lite. 

4,  16),  Kapernaum  (Mc.  1,  21.  Luc.  7,  5.  Joh.  6,  59).  Vgl.  Act.  15,  21:  xaxa 
ndXtv.  —  Philo,  De  Septenario  c.  6  (Mang.  II,  282  =»  Tischendorf,  Phüonea 
p.  23):  'Avanhixaxai  yovv  xalq  kßSd/btatq  pvola  xaxä  näaav  TtöXiv  SiSaaxa- 
Xsia  (pQOvtjOeux;  xal  ocjwqocvvtjq  xal  avöoeiaq  xal  Sixaioovvijg  xal  tCbv  aXlwv 
doezCbv.  Nachweise  aus  der  rabbinischen  Literatur  gibt  Bacher  in  Hostings* 
Dictionary  of  ihe  Bible  IV,  637. 

76)  Maimonidesy  Hilchoth  TephiUa  XI,  1  (Petersburger  Übersetzung  I, 
308).  Vitringay  De  Synagoga  p.  232—239.  —  Daß  mindestens  zehn  Personen 
zu   einer  gottesdienstlichen  Versammlung  gehören,  sagt  schon  die  Mischna. 

5.  Megiüa  IV,  3.  Sanhedrin  I,  6.  Vgl.  auch  Megilia  I,  3.  In  betreff  des 
Passafestes:  Joseph.  Bell.  Jud.  VI,  9,  3. 


524  §  27.    Schule  und  Synagoge.  [448.  449] 


entsprechend.  In  größeren  Städten  gab  es  eine  erhebliche  Anzahl 
von  Synagogen,  so  z.  B.  in  Jerusalem77,  Alexandria78,  Rom79.  Die 
verschiedenen  Synagogen  ein  und  derselben  Stadt  scheint  man  zu- 
weilen durch  besondere  Embleme  voneinander  unterschieden  zu 
haben.  So  gab  es  in  Sepphoris  eine  „Synagoge  des  Weinstocks" 
(fcCBlin  »niD^D)80,  in  Rom  eine  „Synagoge  des  Ölbaumes"  (awa- 
ycoyrj  kZaiag)*1. 

Die  Einrichtung  der  Synagogen  war  in  der  neutestament- 
lichen  Zeit  wohl  ziemlich  einfach82.  Das  Hauptstück  war  der 
Schrank  (n^P),  in  welchem  die  Gesetzesrollen  und  die  anderen 
heiligen  Bücher  aufbewahrt  wurden83.    Diese  selbst  waren  in 


77)  Apostelgesch.  6, 9.  24, 12.  Eine  Synagoge  der  Alexandriner  in  Jeru- 
salem auch  Tosephta  Megilla  III,  ed.  Zuckermandel  p.  224,  26.  jer.  Megilla  73  d 
(bei  hightfooty  Horae  zu  Act*  6,  9).  Über  die  abweichende  Lesart  des  babylon. 
Talmuds  s.  oben  §  22  (S.  87).  —  Die  talmudische  Sage,  daß  es  in  Jerusalem 
480  Synagogen  gegeben  habe  (s.  oben  S.  495  Anm.  31),  ist  freilich  nur  für  die 
Geschmacklosigkeit  dieser  Legenden  charakteristisch.  Christliche  Quellen 
sprechen  von  sieben  Synagogen  auf  dem  Zion.  So  der  Pilger  von  Bordeaux, 
333  n.  Chr.  (Tobler,  Palaest.  Descriptiones  1869,  p.  5  =  Itinera  Hierosolymitana 
ed.  Geyer  p.  22:  ex  Septem  synagogis,  quae  iüie  fueranty  una  tantum  remansit), 
Optatus  von  Mileve  III,  2  (Corpus  Script,  eccl.  lat.  vol.  26  p.  70:  m  Mo  morde 
Sion  .  .  .  in  cujus  vertice  .  .  .  fuerant  Septem  synagogae),  und  Epiphanius  (J)e 
mensuris  et  ponderibus  §  14:  xal  hcxa  owaywyal,  A  iv  xjj  I(d)v  uövai  hazi}- 
xeoav  log  xaXvßai,  i£  iw  ula  nsQieXely&ti  ?a>g  XQ^V0V  Ma^iuoivä  xov  imoxönov 
xal  Ktovoxavxlvov  xov  ßaoiXia>q  log  oxrjvt}  iv  duneXCovi  xaxä  xd  yeyQauuivov, 
Maximonas  war  Bischof  um  335—348,  s.  Zahn,  Neue  kirchl.  Zeitschr.  1899, 
S.  386  f.). 

78)  Philo,  Leg.  ad  Coj.  c.  20  (M.  II,  565):  noXXal  ö&  eloi  xa&  Sxaaxov 
Tfirj/ncc  xrjg  7t6).ea>g. 

79)  Philo,  Ijeg.  ad  Coj.  c.  23  (M.  II,  568)  spricht  von  nQOoevyal  zu  Rom 
in  der  Mehrzahl.    Näheres  über  die  römischen  Synagogen  s.  unten  §  31. 

80)  jer.  Naeir  VII,  1  fol.  56».  —  Irrig  übersetzt  Lightfoot:  „Synagoge  der 
Gophniter"  (Horae  Hebr.,  Centuria  Matthaeo  praemissa  c.  55,  Opp.  II,  211). 

81)  Corp.  Inscr.  Oraec.  n.  9904.  De  Bossi,  BuUettino  V,  1867,  p.  16.  — 
Über  die  Bedeutung  des  Ausdruckes  war  ich  früher  sehr  schwankend  (s.  m. 
Gemein  de  Verfassung  der  Juden  in  Rom  S.  17),  halte  aber  nun  die  obige  Er* 
klärung  für  zweifellos. 

82)  Nachweise  von  Quellenstellen  und  Literatur  über  „Synagogenrequi- 
siten" s.  bei  Low,  Gesammelte  Schriften  V,  1900,  S.  24 — 20. 

83)  Die  rW!n  wird  erwähnt:  Megilla  III,  1.  Nedarim  V,  5.  Taanüh  II, 
1 — 2  (nach  letzterer  Stelle  war  sie  transportabel);  ferner  in  der  häufig  vor- 
kommenden Formel:  nn^nn  ^tb  *a$  (s.  unten  beim  Gottesdienst).  Vollstän- 
diger D^ibö  bir  m^n  Tosephta  Jadajim  II  ed.  Zuckermandel  p.  683  Im.  8—9. 
Chrysost.  Orat.  adv.  Jttdaeos  VI,  7  {Opp.  ed.  Montf.  t.  I):  'AXXwq  öh,  nola  xi- 
ßu)xdg  vvv  naoa  >Iovdaloiq,  ttnov  iXaotJjotov  ovx  loxiv;  %nov  ov  xQyop&q,  oh 
öia(rfxtjg  nXaxeq  ....  *Euol  xtbv  x>nd  xtfq  ayoQ&q  nwXovuivav  xtßwxlatv  ovShv 
a.[xeivov  avxTj  t)  xißcoxdq  öiaxeioSai  öoxel,  ciXXä  xal  noXXtp  yelpov.  —  Über 


[450]  IL  Die  Synagoge.  525 

leinene  Tücher  (rrinßöfc)  gehüllt84  und  lagen  in  einem  Futteral 
(p^pi  =  d-rjxrj)**.  —  Für  den,  der  die  Schriftlektion  vortrug  oder 
predigte,  war  wenigstens  in  der  späteren  Zeit  ein  erhöhter  Platz 
(rro'fc  =  ßwcc,  Tribüne)  errichtet,  auf  welchem  das  Lesepult 
stand86.  Beide  werden  im  jerusalemischen  Talmud  erwähnt87  und 
dürfen  wohl  schon  für  das  Zeitalter  Christi  vorausgesetzt  werden. 
—   Von   sonstigen  Einrichtungsgegenständen  werden  etwa  noch 


die  Aufbewahrung  der  heiligen  Bücher  in  der  Synagoge  s.  Josepkus  Anit.  XVI, 
6,  2.  Chrysost.  Orat.  adv.  Judaeos  I,  5:  'EiteiS^  öS  eiai  xivsq,  ol  xal  xip  ovva- 
ywyfjv  aefxvbv  slvat  xbnov  vofil^ovaiv ,  dvayxatov  xal  ngbq  xovvovg  öXlya  el- 
netv  .  .  .  .  *0  vdfiog  Änbxetxai,  (prjolv,  b>  avzcö  xal  ßißXla  7tQo<prjxixä.  Kai  xl 
xotixo;  Mfj  yaQ,  üv&a  av  $  ßißXla  xoiavza,  xal  6  xbno$  Syiog  eozat;  Oh  nav- 
tco?.  Ähnlich  Orat.  VI,  6  u.  7.  -  Daß  die  heiligen  Bücher  in  der  rin^n  auf- 
bewahrt wurden,  sagen  auch  Maimonides,  Eilchoth  Ikphiüa  XI,  3  bei  Vi- 
tringa  p.  182  und  Bartenora  zu  Taanith  II,  1  (Surenhusius'  Mischna  II,  361). 
Abbildungen  des  Synagogenschrankes  mit  den  heiligen  Bollen  z.  B.  auf  einigen 
römischen  Glasgefäßen  bei  Oarrucci,  Storia  della  Arte  cristiana  vol.  VT 
(1880)  tav.  490.  Hiernach  auch  bei  Jacobs,  Earliest  representation  of  Ark  of 
the  Law  (Jewish  Quarterly  Review  XIV,  1902,  p.  737—739).  —  Vgl.  überhaupt 
über  die  fi^n  Vitringa  p.  174 — 182.  Bacher  in  Hostings'  Dictionary  of 
the  Bible  IV,  639.  The  Jewish  Encyclopedia  II,  107—111  (Art.  Ark  of  the  Law, 
mit  Abbildungen). 

84)  Kilajim  IX,  3.  Schabbath  IX,  6.  MegiUa  III,  1.  Kelim  XXVIH,  4. 
Negaim  XI,  11. 

85)  **ön  p*r\  Schabbath  XVI,  1.  ö^fcört  p^n  Tosephta  Jadajim  II,  12 
ed.  Zuckermandel  p.  683  lin.  8.  —  Das  Wort  p*r\  auch  Kelim  XVI,  7—8. 
Krauß,  Griech.  u.  lat  Lehnwörter  II,  588.  —  Mehr  über  „Hüllen  und  Be- 
hälter" s.  bei  Blau,  Studien  zum  althebräischen  Buchwesen  (25.  Jahresber. 
der  Landes-Babbinerschule  in  Budapest)  1902,  S.  173—180.  —  Über  den  Ge- 
brauch von  Bucherbehältnissen  im  klassischen  Altertum  s.  Birt,  Das  antike 
Buchwesen  (1882)  S.  64—66.  Dziatzko  in  Pauly-Wissowas  Real-Enz.  HI, 
970  (Art  „Buch").    Manche  Ausleger  wollen  auch  unter  dem  yeXbvrjq  II  Tim. 

4,  13  ein  solches  Bücherbehältnis  verstehen.  —  Eine  Abbildung  des  alten 
silbernen  Behälters*  für  den  Pentateuch  bei  den  heutigen  Samaritanern  s.  in 
The  Survey  of  Western  PaUstvne,  Memoirs  by  Gonder  and Kitchener  vol.H, 
1882,  p.  206.  Andere  Abbildungen  von  alten  Gesetzesrollen  und  deren  Be- 
hältern s.  in  The  Jewish  Encyclopedia  XI,  126—134  (Art.  Scroll  of  the  Law) 
und  VHI,  298  f.  (Art.  Mantle  of  the  Law). 

86)  Maimonides,  Eilchoth  Thephilla  XI,  3.  Vitringa  p.  182—190.  — 
Nach  Maimonides  sollte  diese  Tribüne  (im  Mittelalter  mit  einem  korrum- 
pierten arabischen  Wort  Almemar  genannt)  in  der  Mitte  der  Synagoge  stehen. 

5.  hierüber  auch  Low,  Die  Almemorfrage  (Ges.  Schriften  IV,  1898,  S.  93— 
103).  The  Jewish  Encyclopedia  I,  430  f.  (Art.  Almemar)  und  X,  267  i  (Art. 
PulpiC). 

87)  jer.  MegiUa  IH,  1  fol.  73  d  unten.  —  Das  Lesepult  heißt  hier  "pabsK  « 
ctvaXoyeTov.  So  ist  nämlich  mit  Artich  zu  lesen  statt  •pbaaat,  wie  die  Ausgaben 
haben.  Dasselbe  Wort  auch  Kelim  XVI,  7.  S.  Levy,  Neuhebr.  Wörterb.  s.  v. 
Krauß,  Griech.  und  lat.  Lehnwörter  II,  73  (*.  v.  "pabaa). 


526  §  27.   Schule  und  Synagoge.  [450.  451] 

Lampen  erwähnt88.  —  Unentbehrliche  gottesdienstliche  Instru- 
mente waren  endlich  die  Hörner  (rrinffitf)  und  Trompeten  (rvinrixn). 
Mit  ersteren  wurde  am  Neujahrstage,  mit  letzteren  an  den  Fast- 
tagen geblasen89.  Auch  Anbruch  und  Ende  des  Sabbaths  wurde 
vom  Synagogendiener  durch  Blasen  mit  der  Trompete  verkündigt, 
damit  das  Volk  wußte,  wann  es  mit  der  Arbeit  aufzuhören  habe 
und  wann  es  dieselbe  wieder  beginnen  dürfe90. 

Die  Synagogen  als  Versammlungshäuser  der  Gemeinde  dienten 
nicht  ausschließlich  religiösen  Zwecken.  In  der  großen  Proseuche 
zu  Tiberias  wurde  einmal  eine  politische  Versammlung  gehalten91. 
Vom  Strafvollzug  in  den  Synagogen  ist  im  Neuen  Testamente  öfters 
die  Rede  (ML  10, 17.  23,  34.  Mc  13,  9;  vgl.  Act.  22, 19.  26, 11).  Essen 
und  Trinken  war  zwar  im  allgemeinen  in  den  Synagogen  verboten 92. 
Trotzdem  kommen  in  der  rabbinischen  Literatur  auch  Beispiele 
von  Mahlzeiten  in  denselben  vor93.  Der  eigentliche  Zweck  der- 
selben aber  war  allerdings  die  Versammlung  zur  Lehre  und  zum 
Gebet 

Die  Ordnung  des  Gottesdienstes  war  in  der  neutestament- 
lichen  Zeit  schon  ziemlich  ausgebildet  und  festgeregeit  Man  saß 
in  bestimmter  Ordnung,  die  angesehensten  Gemeindeglieder  auf  den 
ersten  Sitzen,  die  jüngeren  hinten;  Frauen  und  Männer  vermut|lich 


88)  Terumoth  XI,  10.    Pesachim  IV,  4.    Vitringa  p.  194—199. 

89)  Rosch  haschana  III — IV.  Taaniih  II— III.  Surenhusius'  Mischna  II, 
341.  Vitringa  p.  203—211  (daselbst  S.  209  auch  mehrere  Stellen  aus  Chry- 
sostomus).  Win  er,  RWB.  Art.  „Musikalische  Instrumente".  Gesenius' 
Thesaurus  p.  513.  1469.  Leyrer  Art.  „Musik"  in  Herzogs  Real-Enz.  Abbil- 
dungen des  Schophar  s.  in  The  Jewish  Eneyclopedia  XI,  303  (Art.  Shofar).  — 
Über  das  Schophar -Blasen  am  Neujahrstag  s.  auch  Maimonides,  Eüchoth 
Schophar  (Petersburger  Übersetzung  II,  443  ff.).  Hamburger,  Real-Enz.  Suppl. 
1886,  S.  129  ff.  Bei  Philo  heißt  das  Neujahrsfest  geradezu  das  Fest  der  tfaA- 
myyeq  (Philouis  opp.  ed.  Cohn- Wendland  vol.  V,  de  special,  legibus  lib.  I  §  186, 
H  §  188);  ebenso  bei  Chrysost.f  Orot.  adv.  Judaeos  I,  1. 

90)  Tosephta  Sukka  IV,  ed.  Zuckermandel  p.  199,  lin.  8  sqq.  Mischna 
Chuüin  I  fin.  jer.  Schabbath  XVII,  foL  16».  bab.  Schabbath  35  b.  Maimonides, 
Hilchoth  Schabbath  V,  18—20.  Levy,  Neuhebr.  Wörterb.  s.  v.  rnnxrt.  Vi- 
tringa p.  1123  sq.  —  Im  Tempel  zu  Jerusalem  geschah  dies  durch  die  Priester, 
Joseph.  Bell.  Jud.  IV,  9,  12.    Sukka  V,  5. 

91)  Jos.  Vita  54. 

92)  b.  Megilla  28»  unten. 

93)  jer.  Schabbath  3a  (Bombergsche  Ausg.  Z.  17—16  v.  unten):  „R.  Miascha 
und  R.  Samuel  Sohn  des  R.  Jizchak  saßen  und  aßen  in  einer  der  oberen 
Synagogen"  (nrv^W  «nsr^D  *p  fcHm),  seil,  von  Tiberias.  Ebenso  &uch  jer. 
Berachoth  U  Ende.  —  Vgl.  überhaupt  über  die  Verwendung  der  Synagogen 
zu  anderen  als  gottesdienstlichen  Zwecken:  Bacher  in  Hostings*  Dictionary 
of  the  Bible  IV,  642  f. 


[451]  II.  Die  Synagoge.  527 

getrennt94.  Über  die  Richtung,  in  welcher  man  saß,  s.  unten 
Anm.  103.  In  der  großen  Synagoge  zu  Alexandria  sollen  die  Männer 
nach  ihrem  Gewerbe  (rvofcnK)  getrennt  gesessen  haben 95.  War  ein 
Aussätziger  in  der  Gemeinde,  so  wurde  für  ihn  ein  besonderer 
Verschlag  hergerichtet  So  verlangt  es  wenigstens  die  Mischna96. 
Zu  einer  regelmäßigen  gottesdienstlichen  Versammlung  gehörten 
mindestens  zehn  Personen  (s.  oben  S.  523).  —  Als  Hauptstücke  des 
Gottesdienstes  werden  in  der  Mischna  erwähnt:  das  Rezitieren  des 
Schma,  das  Gebet,  die  Thoralektion,  die  Prophetenlektion, 
der  Priestersegen97.  Dazu  kommt  noch  die  Übersetzung  der 
verlesenen  Schriftabschnitte,  die  ebenfalls  in  der  Mischna  voraus- 
gesetzt wird  (s.  unten),  und  die  Erläuterung  des  Vorgelesenen  durch 
einen  erbaulichen  Vortrag,  der  bei  Philo  fast  als  die  Hauptsache 
beim  Gottesdienst  erscheint98. 


94)  Über  die  ngwxoxa&eÖQla  der  Schriftgelehrten  und  Pharisäer  s.  Maith. 
23,  6.  Marc.  12,  39.  Luc.  11,  43.  20,  46.  Daß  man  nach  der  Ordnung  des 
Alters  saß,  die  Jüngern  „unter"  (d.  h.  hinter)  den  Älteren,  sagt  Philo  wenig- 
stens von  den  Essenern,  Quod  omnis  probus  Über  c.  12  (Mang.  IT,  458):  xa& 
^Xixlaq  iv  xa&oiv  vitb  ngsaßwigoig  viot  xad-^ovxau  In  der  Diaspora  kam 
es  vor,  daß  verdienten  Männern  oder  Frauen  nach  griechischer  Sitte  durch 
Gemeindebeschluß  die  ngoeSQla  verliehen  wurde;  s.  die  Inschrift  von  Phokaea, 
Revue  des  itudes  juives  t.  XII,  1886,  p.  236  sqq.  —  Bulletin  de  corresp.  hellenique 
t.  X,  1886,  p.  327  sqq.  —  Die  Trennung  der  Geschlechter  ist  wohl  als  selbst- 
verständlich vorauszusetzen,  wenn  sie  auch  zufällig  in  keiner  der  älteren 
Quellen  ausdrücklich  erwähnt  wird.  Denn  was  die  pseudo-philonische  Schrift 
De  vüa  contemplativa  c.  9  mit.  (M.  II,  482)  von  den  Therapeuten  sagt,  darf 
hier  nicht  verwertet  werden.  Auch  im  Talmud  wird  eine  besondere  Abtei- 
lung für  Frauen  nicht  erwähnt,  s.  Low,  Monatsschr.  f.  Gesch.  u.  Wissensch. 
des  Judenth.  1884,  S.  364  ff.  *=  Ges.  Schriften  IV,  55  ff.  Um  so  interessanter 
ist  es,  daß  in  einigen  der  alten  Synagogenruinen  in  Galiläa  sich  Spuren  von 
Emporen  gefunden  haben  (s.  oben  Anm.  65  gegen  Ende).  Man  darf  ver- 
muten, daß  diese  Emporen  für  die  Frauen  bestimmt  waren.  —  Über  die  Sitz- 
ordnung in  der  nachtalmudischen  Zeit  s.  Maimonides,  Hilchoth  Tephilla  XI,  4 
(Petersburger  Übersetzung  I,  309). 

95)  jer.  Sukka  V,  1  foL  55  ab. 

96)  Negaim  XIII,  12. 

97)  Aufzählung  dieser  Stücke:  MegiUa  IV,  3. 

98)  Wir  haben  von  Philo  zwei,  resp.  drei  summarische  Beschreibungen 
des  Synagogengottesdienstes:  1)  Fragm.  apud  Euseb.  Praep.  evanq.  VIII,  7, 
12—13  ed.  Qaisf.  (Mang.  II,  630)  aus  dem  ersten  Buch  der  Hypothetica:  TL 
ovv  inolrjoe  [seil.  6  vofjioB'ixijq]  xalq  hßSbfxaiq  xavxaiq  ^iih^aiq;  Avxovq  stq 
xavxdv  »}g/ov  Gwdyea&ai,  xal  xa&e^ofxivovq  pex*  &XXrfXa>v  ovv  alSot  xal  xoafito 
x(hv  vö/niov  &XQoäo&ai  xov  fxrjöiva  &yvor}oai  x&QLV-  ^a^  ö*?Ta  ovvhqxovxai 
fihv  dsl,  xal  oweSgevovai  pet  äXXJjXwv  dt  fxhv  noXXol  anonyy  nX^v  st  xt 
7tQOoem<pTjftl<jai  xotq  avaytvwaxofxhoiq  vofxi%etai  *  xtbv  Uq£wv  d£  xiq  6  naQvow 
rj  xwv  yeoovxtov  elq  ärayivwaxei  xovq  legovq  vofiovq  avxoXq,  xal  xa&  Sxaaxov 


528  §  27.    Schule  und  Synagoge.  [452] 

Das  Schma,  so  genannt  nach  den  Anfangsworten  bfenfy  *£t?, 
besteht  aus  den  Abschnitten  Deut.  6,  4—9.  11,  13—21.  Num.  15, 
37—41,  nebst  einigen  Benediktionen  vorher  und  nachher  (Näheres 
s.  unten  im  Anhang).  Es  wird  vom  eigentlichen  Gebet  stets  unter- 
schieden und  hat  mehr  die  Bedeutung  eines  Bekenntnisses  als 


igrjyeZzat  (ttzQ1  <JX*töv  öelXriq  öxplaq.  —  2)  De  Septenario  c.  6  (Mang.  II,  282  = 
Tischendorf,  Philonea  p.  23):  'Avaninxaxai  yovv  xatq  kßSdfjiaiq  juvpla  xaxä 
näaav  noXiv  öiSaaxaXsia  <pQOvrfoea>q  xal  aoMpQOOvvrjq  xal  dvögsiaq  xal  6i- 
xaioovvrjq  xal  xtbv  aXXtov  aQezCbv.  'Ev  oiq  ol  fikv  iv  xöafjuo  xa&i£ovxatt  ovv 
fjuvxlcc  xä  iixa  av&Q&atxoxsq,  fxsxa  nooooyfjq  ndarjq,  ivexa  xov  ötxprjv  Xoytav 
noxLfJHov.  'Avaozäq  Si  xiq  xtbv  ifineiQOzdzojv  {xprjyeZxat  x&Qiaxa  xal  ovvolaovxa, 
olq  anaq  6  ßioq  iniSwoei  noöq  xö  ßkXxwv.  —  3)  Von  den  Essenern,  Quod 
omnis  probus  liber  c.  12  (Mang.  II,  458,  auch  bei  Euseb.  Praep.  evang.  VIII, 
12,  10  ed.  Gaisf.):  lO  [isv  xäq  ßißXovq  dvayivwaxei  Xaßwv,  szepoq  ö*h  x(bv  ip- 
neiQOxdxcov,  %oa  fitj  yv&Qipia  naQeX&ibv  dvaöiSdaxet.  —  Zu  diesen  Äußerungen 
Philos  kommt  4)  die  Ansprache  eines  ägyptischen  Statthalters,  wahrscheinlich 
des  Flaccus,  an  die  Juden  bei  Philo  De  somniis  II,  18  §  127  ed.  Wendland 
(Mang.  I,  675):  xa&eösio&e  iv  xolq  owayatyioiq  \>fubv}  xdv  eta>9oza  Qiaoov 
dyelpovxeq  xal  dotpaXihq  xäq  IsQaq  ßißXovq  avayivwoxovxeq  xav  et  xi  yd\  xgaveq 
€?7  öianxvoaovxeq  xal  xy  naxQl(p  <fiXooo<plq  öia  ftaxQijyoQlaq  ivevxaiQovvxiq 
xe  xal  ivoyoXd£ovxsq  (also  lange  Vorträge).  —  Ich  erwähne  hier  noch,  daß 
aus  nachtalmudischer  Zeit  namentlich  der  Traktat  Sopherim  e.  10—21  eine 
Reihe  detaillierter  Vorschriften  für  den  Synagogenkultus  gibt  (beste  Ausg.: 
Masechet  Sopherim,  herausg.  v.  Joel  Müller,  1878).  Eine  erschöpfende  Be- 
schreibung des  Ritus  der  nachtalmudischen  Zeit,  im  Anschluß  an  Maimo- 
nides,  gibt  Vitringa,  De  synagoga  p.  946—1121,  vgl.  p.  667 — 711.  Außerdem 
sind  für  die  Geschichte  des  Synagogen-Kultus  in  vor-  und  nach- 
talmudischer Zeit  zu  vergleichen  die  oben  S.  497 f.  genannten  Werke  von 
Cohen,  Herzfeld,  Hamburger,  Edersheim,  Dal  man;  ferner:  Schrö- 
der, Satzungen  und  Gebräuche  des  talmudisch-rabbinischen  Judenthums, 
1851,  S.  254—304.  D lisch ak,  Geschiebte  und  Darstellung  des  jüdischen  Cul- 
tus,  1866,  S.  183—328.  Kohler,  Über  die  Ursprünge  und  Grundformen  der 
synagogalen  Liturgie  (Monatsschr.  für  Gesch.  und  Wissenach.  des  Judenth. 
37.  Jahrg.  1893,  S.  441—451,  489—497  [wenig  ergiebig]).  Blau,  Art.  Lüurgy 
in  The  Jewish  Encyelopedia  VIII,  1904,  p.  132—140.  Noch  mehr  Literatur 
bei  Dal  man  in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  VII,  S.  7  f.  (im  Art.  „Gottes- 
dienst, synagogaler") ,  Strack  in  Herzogs  Real-Enz.  2.  Aufl.  XV,  100.  Die 
wichtigsten  Quellen  für  die  mittelalterliche  Geschichte  verzeichnet  in  der 
Kürze  Dal m An,  Theol.  Litztg.  1891,  621.  Im  einzelnen  hat  sich  der  Ritus 
in  den  verschiedenen  Ländern  verschieden  gestaltet;  s.  darüber  die  jüdischen 
Gebetbücher  (Verzeichnisse  bei  Steinschneider,  Catalogus  librorum  Hebraeo- 
rum  in  Bibliotheca  Bodleiana,  1852 — 60,  col.  295—514,  Zedner,  Caialogue  of 
the  Hebrew  Books  of  the  Library  of  the  British  Museum,  1867,  p.  440—494; 
über  den  südarabischen  Ritus:  Bacher,  Jewish  Quarterly  Review  XIV,  1902, 
p.  581 — 600).  —  Beachtenswert,  wenn  auch  sehr  unsicher,  ist  der  Versuch  von 
Chase,  Spuren  der  hellenistisch -jüdischen  Liturgie  in  der  altchristlichen 
Literatur  nachzuweisen,  s.  Chase,  The  Lord's  Prayer  in  the  early  Church 
(Texts  and  Studies  ed.  by  Robinson  I,  3)  1891,  p.  14—19. 


(452.  453]  U.  Die  Synagoge.  529 

die  eines  Gebetes.  Man  spricht  daher  auch  nicht  vom  „beten", 
sondern  vom  „rezitieren"  des  Schma  (*£TD  nfcOip).  Wie  das  Schma 
ohne  Zweifel  schon  der  Zeit  Christi  angehört,  so  waren  sicherlich 
auch  gewisse  feststehende  Gebete  schon  damals  beim  Gottes- 
dienst üblich.  Doch  wird  sich  schwer  ermitteln  lassen,  wie  viel 
von  der  ziemlich  reich  entwickelten  Gebetsliturgie  des  nachtalmu- 
dischen  Judentums  in  jene  frühere  Zeit  hinaufreicht".  Die  Formel, 
mit  |  welcher  der  Vorbeter  zum  Gebet  auffordert,  mm  n«  ^Dna, 
wird  in  der  Mischna  ausdrücklich  erwähnt100.  Auch  die  Sitte,  von 
dem  sogenannten  Schmone  Esre  (worüber  Näheres  im  Anhang) 
bei  den  Sabbath-  und  Festgottesdiensten  die  drei  ersten  und  die  drei 
letzten  Benediktionen  zu  beten,  geht  in  das  Zeitalter  der  Mischna 
hinauf101.  —  Man  pflegte  beim  Gebet  zu  stehen,  und  zwar  mit  dem 
Gesicht  nach  dem  Allerheiligsten,  also  nach  Jerusalem  zu  ge- 
wendet 102.  Vermutlich  hat  man  auch  in  dieser  Eichtung  gesessen 108. 


09)  Vgl.  darüber  die  in  der  vorigen  Anm.  genannte  Literatur.  —  Über 
einzelnes  s.  auch  die  Artikel  bei  Hamburger,  Real-Enz.  für  Bibel  und  Tal- 
mud, Abt.  II  (Abendgebet,  Kaddisch,  Keduscha,  Kiddusch,  Minchagebet, 
Morgengebet,  Mussafgebet,  Schema,  Schemone-Esre).  Von  Interesse  ist  nament- 
lich, wegen  seiner  Berührungen  mit  dem  Vater- Unser,  das  sog.  Kaddisch. 
8.  darüber  Schröder  S.  294 f.  Hamburger  a.  a.  O.  II,  603  ff. 

100)  Berachoth  VH,  3. 

101)  Vgl.  überhaupt  Vitringa  p.  1042 sq.  (nach  Maimonides).  Zunz,Die 
gottesdienstlichen  Vorträge  S.  367.  —  Daß  die  Sitte  in  das  Zeitalter  der 
Mischna  hinaufgeht,  erhellt  aus  Bosch  haschana  IV,  5. 

102)  Über  das  Stehen  beim  Gebet  s.  Matth.  6,  5.  Marc.  11,  25.  Lue. 
18,  11.  Berachoth  V,  1.  Taanith  II,  2.  Lightfoot  (Horae  hebr.)  und  Wet- 
stein  (Nov.  Test.)  zu  Matth.  6,  5.  —  Wendung  nach  dem  Allerheiligsten,  resp. 
nach  Jerusalem:  Exech.  8,  16.  I  Beg.  8,  48.  Daniel  6, 11.  Berachoth  IV,  5—6. 
Siphre  71b  ed.  Friedmann  bei  Weber,  System  der  altsynag.  Theol.  S.  62.  Die- 
selbe Stelle  auch  Tosephta  Berachoth  HI  p.  8  ed.  Zuckermandel  (vgl.  auch  Low, 
Monatsschr.  f.  Gesch.  und  Wissensch.  d.  Judenth.  1884,  S.  310  «=  Ges.  Schriften 
IV,  40).  Hieronymus,  Comment.  ad  Exech.  8,  16  opp.  ed.  Vaüarsi  V,  90.  Mai* 
tnonides,  Hilchoth  Tephilla  V,  3  (Petersburger  Übersetzung  I,  277).  —  Vgl. 
überh.  Winer  RWB.  Art.  „Gebet".  Hölemann,  Die  biblische  Gestalt  der 
Anbetung  in:  Bibelstudien,  I,  96 — 153.  Qinxberg  Art.  „Adoration,  forms  of" 
in  The  Jewish  Encyclopedia  I,  208—211.  Maimonides,  Hilchoth  Tephilla  V 
(Petersburger  Übersetzung  I,  276  ff.).  —  Über  die  Haltung  beim  Gebet  im  Alter- 
tum überhaupt:  Voullieme,  Quomodo  veteres  adoraverint.  Halle,  Diss.  1887, 
Sittl,  Die  Gebärden  der  Griechen  und  Römer,  1890,  S.  174r— 199. 

103)  In  der  Tosephta  Megilla  IV  ed.  Zuckermandel  p.  227,  lin.  11—14  findet 
sich  folgende  Vorschrift:  „Die  Ältesten  sitzen  mit  dem  Gesicht  gegen  das 
Volk  und  mit  dem  Rücken  gegen  das  Heiligtum.  Der  Schrank  (nn^n)  steht 
mit  der  Vorderseite  gegen  das  Volk  und  mit  der  Rückseite  gegen  das  Heiligtum. 
Wenn  die  Priester  den  Segen  erteilen,  stehen  sie  mit  dem  Geeicht  gegen  das 
Volk  und  mit  dem  Rücken  gegen  das  Heiligtum.   Der  Synagcgeodiener  <1Tfi, 

Schür  er,  Geschichte  II.   4.  Aufl.  34 


530  §  27-    Schule  und  Synagoge.  [453.  454] 

Das  Gebet  wurde  nicht  von  der  ganzen  Gemeinde  gesprochen, 
sondern  von  einem  durch  den  Archisynagogen  dazu  Aufgeforderten 
(dem  "rtas  n^btD)  vorgebetet,  und  die  Gemeinde  sprach  nur  gewisse 
Eesponsorien,  namentlich  das  *p?« 104.  Der  Vorbetende  |  trat  vor 
die  Lade,  in  welcher  die  Gesetzesrollen  lagen.  Daher  ist  ^Dfcb  -o* 
rn^nn  der  gewöhnliche  Ausdruck  für  „vorbeten" 105.  Berechtigt 
dazu  war  jedes  Gemeindeglied;  nur  ein  Minderjähriger  nicht106. 


hier  als  Vorbeter)  steht  mit  dem  Gesicht  gegen  das  Heiligtum,  und  ebenso 
ist  das  ganze  Volk  gegen  das  Heiligtum  gerichtet".  Vgl.  Maimonides,  Hü" 
ekoth  Tephiüa  XI,  4.  Vitringa  p.  191.  —  Wenn  diese  Vorschrift  in  Galiläa 
beobachtet  worden  ist,  muß  die  Gemeinde  mit  dem  Gesicht  nach  Süden  ge- 
sessen haben.  Da  die  erhaltenen  Synagogen-Ruinen  in  Galiläa  alle  den  Ein- 
gang im  Süden  haben  (S.  521),  würde  hiernach  anzunehmen  sein,  daß  die 
riSTi  sich  in  der  Nähe  des  Eingangs  befand  und  die  Gemeinde  mit  dem 
Gesicht  dem  Eingang  zugewendet  saß  (Bacher  in  Hostings'  Dictionary  of  the 
Bible  IV,  639).  Eine  Sicherheit,  daß  die  in  der  Tosephta  erhaltene  Vorschrift 
zur  Zeit  Christi  beobachtet  worden  ist,  haben  wir  freilich  nicht.  Die  To- 
sephta schreibt  auch,  abweichend  von  der  Orientierung  der  erhaltenen  Syna- 
gogen-Ruinen, vor,  daß  der  Eingang  immer  im  Osten  sein  müsse,  nach  dem 
Vorbild  des  Tempels  in  Jerusalem  {Tosephta  Megüla  IV,  ed.  Zuckermandel 
p.  227,  lin.  15,  ebenso  Maimonides,  Hüchoth  Tephilla  XI,  2).  In  den  euro- 
päischen Gemeinden  des  Mittelalters  wurde  es  Gesetz,  den  Eingang  im 
Westen  anzubringen.  Genaueres  s.  bei  Low,  Monats  sehr.  f.  Gesch.  u.  Wis- 
sensch.  d.  Judenth.  1884,  S.  305  ff.  —  Ges.  Schriften  IV,  36  ff. 

104)  Über  das  Auffordern  zum  Gebet  durch  den  Archisynagogen  s.  oben 
S.  512;  über  *vnx  rv4i8  S.  515.  —  Das  responsorische  yq&  schon  im  A.  T., 
Deut.  27,  15  ff.  Neh.  5,  13.  8,  6.  I  Chron.  16,  36.  Tobit  8,  8.  Ferner:  Berachoth 
V,  4.  Vm,  8.  Taanith  H,  5.  Auch  im  christlichen  Kultus  von  Anfang  an: 
I  Kor.  14,  16.  Justin.  Apol.  maj.  65.  67.  Die  LXX  übersetzen  amen  im  Pen- 
tateuch,  in  den  Nebiim  und  im  Psalter  ins  Griechische;  so  auch  Judith  13,20 
(yboao).  Dagegen  Aß^v  Neh.  5,  13.  8,  6.  I  Chron.  16,  36.  I  Esra  9,  47;  bei 
Symmachus  öfters  (s.  Hatchs  Concordanz),  bei  Theodotion  Deut.  27,  15.  — 
S.  überh.  Büxtorf,  Lex.  Chald.  s.  v.  Vitringa,  De  Synagoga  p.  1093  sqq. 
Wetstein  und  andere  Ausl.  zu  I  Kor.  14,  16.  Suicer,  Thes.  s.  v.  dfirfv. 
Ottos  Anm.  zu  Justin,  c.  65.  Hogg,  „Amen",  Notes  on  its  signißeance  and 
use  in  biblical  and  post-biblical  times  (Jetcish  Quarterly  Review  IX,  1897, 
p.  1 — 23).  Ders.  in  Encyclopaedia  Biblica  I,  136  f.  L.  Oinxberg  in  The  Je- 
teish  Encyclopedia  I,  491  f.  (hier  auch  noch  mehr  Literatur).  Über  den  christ- 
lichen Gebrauch:  v.  d.  Goltz,  Das  Gebet  in  der  ältesten  Christenheit,  1901, 
S.  160.  Drews  in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  XI,  545  f.  (Art  „Litur- 
gische Formeln").  Cabrolt  Art.  yyAmen"  in:  Dictionnaire  oVArchMogis  chrl- 
tienne  I,  1,  1907,  col.  1554—1573  (viel  Material).  Ältere  Literatur  bei  Wolf, 
Ourae  philol.  in  Nov.  Test,  zu  Matth.  6,  13  und  I  Kor.  14,  16. 

105)  Berachoth  V,  3—4.  Erubin  III,  9.  Bosch  haschana  IV,  7.  Taanith 
I,  2.  II,  5.  MegiUa  IV,  3.  5.  6.  8.  Vgl.  auch  Taanith  H,  2.  El  bogen,  Jetcish 
Quarterly  Review  XIX,  1907,  p.  704  sqq. 

106)  Megilla  IV,  6.  —  Auch  in  den  christlichen  Gemeinden  wurde  das 
Gebet  von  irgend  einem  Gemeindeglied  gesprochen,  s.  I  Kor.  11,  4. 


[454.  455]  IL  Die  Synagoge.  531 

Derselbe,  der  das  Gebet  sprach,  konnte  auch  das  Schma  rezitieren 
und  die  Prophetenlektion  vortragen  und,  wenn  er  ein  Priester  war, 
den  Priestersegen  sprechen107. 

Die  Schriftlektionen  (sowohl  die  pentateuchischen  als  die 
prophetischen)  konnten  ebenfalls  von  jedem  Gemeindeglied  vor- 
getragen werden,  sogar  von  Minderjährigen108.  Nur  beim  Buche 
Esther  (das  am  Purimfeste  gelesen  wurde)  waren  letztere  aus- 
geschlossen109.  Wenn  Priester  und  Leviten  anwesend  waren,  so 
ließ  man  diesen  den  Vorrang  bei  der  Lektion 110.  Der  Vortragende 
pflegte  zu  stehen  {Luc.  4,  16:  avicxr\  avayv<bpcu)xu.  Beim  Buch  | 
Esther  war  Stehen  und  Sitzen  gestattet112,  und  dem  König  wurde, 
wenn  er  am  Laubhüttenfest  im  Sabbathjahr  seinen  Schriftabschnitt 
vortrug,  ebenfalls  erlaubt  zu  sitzen113.  —  Die  Thoralektion  ge- 
schah in  der  Weise,  daß  der  ganze  Pentateuch  zusammenhängend 
in  einem  dreijährigen  Zyklus  durchgenommen  wurde 114.  Auf  diesen 
dreijährigen  Zyklus  geht  wahrscheinlich  die  masorethische  Ein- 
teilung des  Pentateuches  in  154  Abschnitte  zurück;  es  finden  sich 
auch  Zählungen  von  161,  167,  175  Abschnitten116.   Die  Einteilung 


107)  Megilla  IV,  5. 

108)  Megilla  IV,  5—6.  —  Daß  die  Schrift-Lektion  nicht  Sache  ständiger 
Beamter  war,  erhellt  auch  aus  Philo,  Fragm.  ap.  Euseb.  Praep.  ev.  VIII,  7,  13 
(den  Wortlaut  s.  oben  S.  527  f.). 

109)  MegiUa  H,  4. 

110)  Qittin  V,  8:  „Folgende  Dinge  sind  um  des  Friedens  willen  verordnet 
worden:  Der  Priester  liest  als  erster  vor,  dann  der  Levite,  dann  der  Israelite, 
um  des  Friedens  willen".  — -  Maimonides  bezeugt,  daß  es  zu  seiner  Zeit 
Sitte  war,  sogar  einem  ungelehrten  Priester  bei  der  Lektion  den  Vorgang  vor 
einem  gelehrten  Israeliten  zu  lassen,  was  er  freilich  nicht  billigt.  S.  Maimo- 
nides' Kommentar  zu  Oittin  V,  8  (in  Surenhusius'  Mischna  III,  341)  und  Hil- 
choth  Tephilla  XII,  18  (bei  Vitringap.  981).  Vgl.  auch  Hamburger,  Real- 
Enz  II,  1267.  Schröder,  Satzungen  und  Gebräuche  S.  49.  —  Auch  Philo 
deutet  den  Vorrang  der  Priester  an;  nur  setzt  er  dabei  voraus,  daß  immer 
nur  einer  die  Lektion  vortrug,  Fragm.  ap.  Euseb.  Praep.  evang.  VIII,  7,  13: 
ru>v  Uq^wv  6i  tig  6  nagibv  1j  xtbv  yeodvrcov  el$. 

111)  Vgl.  Joma  VII,  1.  Sota  VII,  7  (oben  S.  511).  Lightfoot  >u 
Luc.  4,  16. 

112)  Megilla  IV,  1. 

113)  Sota  VII,  8. 

114)  Megilla  29  b. 

115)  S.  überh.:  Zunz,  Die  gottesdienstlichen  Vorträge  S.  3  f.  Herz  fei  d, 
Gesch.  des  Volkes  Jisraei  III,  209—215.  Grätz,  Über  Entwickelung  derPen- 
tateuch-Perikopen- Verlesung  (Monatsschr.  f.  Gesch.  u.  Wisseusch.  des  Judenth. 
1869,  S.  385—399).  Hamburger,  Real-Enz.  f.  Bibel  und  Talmud,  II.  Abt. 
S.  1263—1268  Art.  „Vorlesung  aus  der  Thora".  Theodor,  Die  Midraschim 
zum  Pentateuch  und  der  dreijährige  palästinensische  Cyklus  (Monatsschr.  für 
Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenthums  1885—1887).    Büchler,   The  reading 

34» 


532  §  27.   Schule  und  Synagoge.  [455.  456] 

war  also  schwankend;  die  Zählung  von  175  Abschnitten  weist  viel- 
leicht auf  einen  3  ll2 jährigen  Zyklus  (zweimal  in  7  Jahren)116.  In 
die  Lektion  teilten  sich  mehrere  Gemeindeglieder,  die  von  einem 
Gemeindebeamten,  ursprünglich  wohl  vom  Archisynagogen,  dazu 
aufgerufen  wurden117,  und  zwar  bei  den  Sabbathgottesdiensten  (nicht 
so  bei  den  Wochengottesdiensten)  mindestens  sieben,  deren  erster 
und  letzter  eine  Danksagung  (HDin)  zum  Anfang  und  zum  Schluß 
zu  sprechen  hatte 1 18.  Jeder  hatte  (bei  der  Thoralektion)  mindestens 
drei  Verse  zu  lesen119,  und  durfte  sie  niemals  auswendig  her- 
sagen 120.  Dies  ist  wenigstens  die  von  der  Mischna  vorgeschriebene  | 
Ordnung,  die  allerdings  nur  in  den  palästinensischen  Synagogen 
beobachtet  wurde.  Von  den  nichthebräischen  Juden  bemerkt  der 
Talmud  ausdrücklich,  daß  bei  ihnen  immer  Einer  die  ganze  Parasche 


of  the  law  and  prophets  in  a  triennial  cycle.  I  (Jeicish  Quarterly  Review  V,  1893, 
p.  420—468).  Kohl  er,  Art.  „Law,  Reading  from  the"  in:  The  Jewish  Encyclo- 
pedia  VII,  643  sq.  Jacobs,  Art  „Triennial  Cycle"  in:  The  Jewish  Encyclo- 
pedia  Xu,  1906,  p,  254—257.  —  Noch  einige  Literatur  notiert  Harris,  Jewish 
Quarterly  Review  I,  1889,  p.  226  sq.   Vgl.  auch  unten  Anm.  122. 

116)  Versuche,  den  dreijährigen  Zyklus  im  einzelnen  zu  rekonstruieren, 
s.  bei  Dobsevage,  Art.  „Sidra"  in  The  Jewish  Enryclopedia  XI,  328*?.  Ja- 
cobs, Art  „Triennial  Oycle"  in  The  Jewish  Enc.  XU,  254—257.  —  Während 
der  dreijährige  Zyklus  in  Palästina  üblich  war,  las  man  in  Babylonien  den 
ganzen  Pentateuch  in  54  Abschnitten  in  einem  Jahre.  Dieser  Gebrauch 
wurde  später  allgemein.  Maimonides,  Hüchoth  Tephüla  XIII,  1  (Petersburger 
Übersetzung  I,  323)  bezeichnet  ihn  als  zu  seiner  Zeit  herrschend,  doch  be- 
merkt er,  daß  einige  den  Pentateuch  in  drei  Jahren  lesen.  In  der  Tat  war 
dies  nach  Benjamin  von  Tudela  noch  um  1170  in  einzelnen  Gemeinden  in 
Ägypten  üblich  (Jewish  QR.  V,  420).  —  Über  die  Verteilung  der  54  Abschnitte 
auf  das  Jahr  s.  Loeb,  Revue  des  itudes  juives  VI,  250 — 267.  Derenbourg 
ibid.  VII,  146—149.  Otto  Schmid,  Über  verschiedene  Einteilungen  der  heil 
Schrift  (Graz  1892)  8.  4ff.  Dobsevage,  Art.  „Sidra"  in  The  Jewish  Enc.  XI, 
328  sq.  —  Über  die  Einteilungen  des  alttestamentlichen  Textes  überhaupt: 
Hupfeld,  Theol.  Stud.  und  Krit.  1837,  S.  830 ff.  Buhl,  Kanon  und  Text 
des  A.  T.  1891,  ß.  222  ff.  O.  Schmid  a.  a.  O.  —  Über  die  Bedeutung  der 
Ausdrücke  „Paraschen"  (nvnmß)  und  „Sedarim"  (D*t*Hö)  und  ihren  in  der 
talmudischen  Zeit  noch  mannigfachen  Gebrauch  s.  auch  die  betreffenden  Ar- 
tikel bei  Bacher,  Die  exegetische  Terminologie  I — II,  1905. 

117)  Über  das  Aufrufen  zur  Thora  s.  Vitringa  p.  980.  1122  (nach  Mai- 
monides). Daß  es  im  Zeitalter  Christi  durch  den  Archisynagogen  geschab, 
darf  nach  dessen  sonstiger  Stellung  als  wahrscheinlich  angenommen  werden. 
Raschi  und  Bartenora  (an  den  oben  S.  512  genannten  Stellen)  bezeugen  wenig- 
stens, daß  der  Archisynagog  (Rosch  ha-heneseth)  zu  bestimmen  hatte,  wer  die 
Propheten-Lektion,  das  Schma  und  das  Gebet  vortragen  solle. 

118)  Megilla  IV,  2.   Maimonides  bei  Vitringa  p.  983. 

119)  Megilla  IV,  4. 

120)  Zunz  S.  5.  Vgl.  Megilla  II,  1  (in  betreff  des  Buches  Esther);  Ta- 
anith  IV,  3  (wo  das  Auswendigrezitieren  als  Ausnahme  erwähnt  ist). 


[456]  II.  Die  Synagoge.  533 

gelesen  habe121;  und  damit  stimmt  auch  Philo  überein,  der  augen- 
scheinlich voraussetzt,  daß  die  Thoralektion  von  Einem  vorgetragen 
wurde  (s.  die  oben  S.  527  f.  mitgeteilten  Stellen).  —  An  die  Vorlesung 
des  Gesetzes  schloß  sich  schon  in  der  neutestamentlichen  Zeit  ein 
Abschnitt  aus  den  Propheten  (d.  h.  den  O^fcpas,  also  mit  Ein- 
schluß der  älteren  historischen  Bücher),  wie  wir  namentlich  aus 
Luc  4, 17  (Jesus  liest  zu  Nazareth  einen  Abschnitt  aus  Jesaja)  und 
Actor.  13,  15  (avayvartiq  xov  vofiov  xal  x&v  nQoq>r\xmv)  sehen, 
wie  denn  auch  in  der  Mischna  der  Prophetenlektion  gedacht  wird  m. 
Da  sie  den  Schluß  des  Gottesdienstes  bildete,  also  die  Gemeinde 
damit  „verabschiedet"  wurde,  nannte  man  den  Vortrag  aus  den 
Propheten  den  „Abschiedsvortrag"  (rt^Mrt  oder  rntjfi«),  weshalb 
die  prophetischen  Abschnitte  selbst  Haphtaren  genannt  werden  m. 

121)  jer.  MegiUa  IV,  3  fol.  75a  (zu  der  Vorschrift  der  Mischna,  daß  am 
Sabbath  immer  sieben  Personen  zur  Thora  aufgerufen  werden  sollen):  „Die 
fremdsprachlichen  Juden  (mnsbn)  haben  nicht  diesen  Gebrauch,  sondern  einer 
liest  die  ganze  Parasche"  8.  die  Stelle  bei  Frank el,  Vorstudien  zu  der  Sep- 
tuaginta  8.  59  Anm.,  und  bei  Levy,  Neuhebr.  Wörterb.  II,  515*  *.  v.  T13&. 

122)  MegiUa  IV,  1—5.  Näheres  s.  bei  Vitringa  p.  984 sqq.  Herzfeld 
III,  215 ff.  Adler,  Die  Haftara  (Monatsschr.  f.  Gesch.  u.  Wissensch.  d.  Ju- 
denth.  1862,  S.  222—228  [völlig  verfehlte  Erklärung  des  Ausdruckes]).  Ham- 
burger, Real-Enz.  f.  Bibel  und  Talmud,  IL  Abt.  Art.  „Haftara".  Büchler •, 
The  reading  of  the  law  and  propJiets  in  a  triennial  cycle  t  U  (Jewish  Quarter ly 
Review  VI,  1894,  p.  1 — 73).  Adler,  MS.  of  Haftaras  of  the  triennial  cycle 
[saec.  XI/XH]  (Jewish  QR  VIH,  1896,  p.  528 sq.).  Büchler  und  Dobsevage, 
Art»  „Haflarah"  in  The  Jewish  Encyclopedia  VI,  1904,  p.  135—137.  Jacobs, 
Art.  „Triennial  Cycle"  in  The  Jewish  Enc.  XII,  254—257. 

123)  Das  Verbum  naß  heißt  nicht  „beschließen"  sondern  1)  intrans.  fort- 
gehen, scheiden,  2)  trans.  entlassen,  fortschicken,  s.  Levy,  Chald.  Wörterb. 
*.  t\,  Ders.,  Neuhebr.  Wörterb.  s.  v.  Ebenso  ist  das  Hiphil  ^üBfi  «=  „ent- 
lassen", z.  B.  die  Gemeinde  (jer.  Berachoth  IV,  fol.  7d  oben:  D3JH  DK  ^oan 
„entlasse  die  Gemeinde").  Im  Aram.  heißt  das  Aphel  *)tt£K  mit  te  „über 
jemanden  eine  Abschiedsrede,  d.  h.  Leichenrede  halten",  und  das  Subst. 
mafin  oder  mttBtt  ist  =  „Abschiedsrede"  eines  Rabbi  an  seine  Gemeinde. 
Hiernach  ist  die  schon  in  der  Mischna  MegiUa  IV,  1 — 5  gebräuchliche  Formel 
fcOasa  *^ttBn  nicht  zu  erklären:  „mit  dem  Propheten  die  Lektion  beschließen" 
(so  z.  B.  Herz  fei  d  HI,  217—219),  sondern:  „mit  dem  Propheten  die  Ge- 
meinde verabschieden",  s.  Bacher,  Die  exegetische  Terminologie  der  jüdi- 
schen Traditionsliteratur  II,  1905,  8.  14  Anm.  2  (s.  v.  mofcK).  Schon  Vi- 
tringa p.  993 — 997  erwägt  eingehend  beide  Erklärungen,  ohne  zu  einem 
sicheren  Resultate  zu  kommen,  während  Hamburger  beide  kombiniert.  Für 
die  Erklärung  „die  Lektion  beschließen"  beruft  man  sich  namentlich  auf  Pe- 
sachim  X,  8:  •pip^BX  HOBM  IHK  "p-PüBa  "pK,  wo  aber  ebenfalls  zu  übersetzen 
sein  wird:  non  dimittunt  coetum  post  pascha  cum  bellariis  (Surenhusius'  Mischna 
H,  175).  Die  Lukasstellen  (Luc.  4,  17.  Act.  13,  15)  scheinen  freilich  voraus- 
zusetzen, daß  auf  die  Propheten-Lektion  erst  die  Predigt  gefolgt  ist,  was  nach 
unserer  Erklärung  nicht  die  Regel  gewesen  sein  kann.    Wir  haben  uns  die 


534  §  27.   Schule  und  Synagoge.  [456.  457] 

Für  dieselben  war  keine  lectio  conHnua  gefordert124;  sie  konnten 
also  frei  ausgewählt  werden125,  auch  wurden  sie  stets  von  Einem 
vorgetragen126.  Übrigens  wurden  sie  nur  bei  den  Hauptgottes- 
diensten am  Sabbath,  nicht  auch  bei  den  Wochen-  und  Sabbath- 
nachmittagsgottesdiensten  gelesen 127.  | 

Da  die  heilige  Sprache,  in  welcher  die  Schriftabschnitte  ver- 
lesen wurden,  der  Masse  des  Volkes  nicht  mehr  geläufig  war,  so 
mußte  durch  Üb  er  setz  ung  für  besseres  Verständnis  gesorgt  werden. 
So  wurde  denn  die  Lektion  durch  fortlaufende  Übersetzung  in  die 
aramäische  Landessprache  begleitet  Ob  der  Übersetzer  (ptfrira) 
ein  ständiger  Beamter  war,  oder  ob  in  freiem  Wechsel  irgendein 
kundiges  Gemeindeglied  als  Übersetzer  fungierte,  muß  bei  dem 
Mangel  bestimmter  Zeugnisse  dahingestellt  bleiben.  Bei  der  Thora- 
lektion  durfte  der  Vorlesende  dem  Übersetzer  immer  nur  einen 
Vers  vorlesen;  bei  der  Prophetenlektion  allenfalls  drei;  doch  wenn 
jeder  einen  besonderen  Abschnitt  bildete,  mußte  er  auch  hier  jeden 
einzeln   lesen128.     Es   darf  als   selbstverständlich  vorausgesetzt 


Sache  wohl  so  vorzustellen,  daß  die  „Predigt'4,  die  ja  nichts  anderes  als 
Erläuterung  des  verlesenen  Schriftabschnittes  sein  sollte,  an  die  Thora- 
Lektion  sich  anschloß,  und  daß  darauf  die  Propheten-Lektion,  in  der  Regel 
ohne  Erläuterung,  als  Schluß  des  Gottesdienstes  folgte.  Das  schließt  nicht 
aus,  daß  zuweilen  auch  der  prophetische  Abschnitt  noch  durch  einen  Vortrag 
erläutert  wurde.  In  kleinen  Gemeinden,  wo  nicht  immer  gewandte  Redner 
vorhanden  waren,  wird  die  „Predigt"  oft  ganz  unterblieben  sein. 

124)  Megiüa  IV,  4. 

125)  Hamburger,  Real-Enz.  II,  336.  Vgl.  Luc.  4,  17 ff.  Später  (in 
nachmischnischer  Zeit)  wurden  auch  die  Haphtaren  fixiert  (s.  darüber  die  in 
Anm.  122  genannte  Literatur).  Für  die  Festtage  und  gewisse  ausgezeichnete 
Sabbathe  geschieht  dies  bereits  in  der  Tosephta  Megiüa  IV.  Vgl.  Hoffmann, 
Magazin  für  die  Wissenseh.  des  Judenth.  IX,  1882,  S.  162. 

126)  Megilla  IV,  5. 

127)  Megilla  IV,  1—2.  —  Von  den  Kethubim  wurden  nur  die  fünf  Me- 
gilloth,  und  auch  diese  nur  bei  einzelnen  Gelegenheiten  im  Jahre  beim 
Synagogengottesdienst  gebraucht,  nämlich:  Hoheslied  am  Passa,  Ruth  am 
Pfingstfeste,  Klagelieder  am  9.  Ab,  Koheleth  am  Laubhüttenfest,  Esther  am 
Purim.  S.  Carpxov,  Critica  sacra  p.  134.  Blau,  Art.  Megiüoth  in  The  Je- 
wish  Encyclopedia  VIII,  429  f.  Von  diesen  Gebräuchen  geht  aber  höchst  wahr- 
scheinlich nur  die  Sitte,  das  Buch  Esther  am  Purimfeste  zu  lesen,  bis  in  die 
Zeit  Christi  hinauf.  Hoheslied  und  Koheleth  hatten  noch  nicht  eiumal  eine 
feste  Stellung  im  Kanon.    S.  oben  S.  36Sf. 

128)  Vgl.  überhaupt:  Megilla  IV,  4.  6.  10.  Vitringa,  De  synagoga 
p.  1015—1022.  Zunz,  Die  gottesdienstlichen  Vorträge  S.  8.  Hamburger, 
Real-Enz.  IL  Abt.  Art.  „Targum".  Levias,  Art.  Meturgeman  in  The  Jewish 
Encyclopedia  VIII,  521  f.  Bacher,  Die  exegetische  Terminologie  der  jüd. 
Traditionsliteratur  I  u.  II,  1905,  s.  v.  Wir  und  eiJP^n.  — -  Auch  von  den 
christlichen  Gemeinden  wird  gelegentlich  Ahnliches  bezeugt.    So  wurde  in 


[457.  458]  II.  Die  Synagoge.  535 

werden,  daß  die  Übersetzung  nur  mündlich  vorgetragen  wurde. 
Erst  in  einer  Erzählung  aus  dem  vierten  Jahrhundert  nach  Chr. 
wird  vereinzelt  die  Vorlesung  der  Übersetzung  aus  einem  ge- 
schriebenen Targum  erwähnt129. 

An  die  biblische  Lektion  schloß  sich  aber  noch  ein  erbaulicher 
Vortrag  oder  eine  Predigt  OiHJTT),  durch  welche  der  verlesene 
Abschnitt  erläutert  und  praktisch  nutzbar  gemacht  wurde.  Daß 
solche  Erläuterungen  häufig  waren,  sehen  wir  aus  dem  im  Neuen 
Testamente  so  oft  erwähnten  öiöaaxuv  kv  ralg  cvvayayalg1*0,  so- 
wie aus  Luc.  4,  20  ff.  und  aus  dem  ausdrücklichen  Zeugnisse  des 
Philo  (s.  oben  S.  527  f.).  Über  die  Stellung  der  Predigt,  ob  vor  oder 
nach  der  Prophetenlektion,  s.  das  oben  Anm.  123  Bemerkte.  Der 
Vortragende  (yoyf) m  pflegte  auf  einem  erhöhten  Platze  zu  sitzen 
(Luc  4,  20:  ixd&ictev) 132.  Auch  diese  Vorträge  waren  nicht  an 
bestimmte  Personen  gebunden,  sondern,  wie  namentlich  aus  Philo 
erhellt,  jedem  kundigen  Gemeindegliede  gestattet 133.  —  Den  Schluß 
des  Gottesdienstes  bildete  der  durch  ein  priesterliches  Mitglied  der 
Gemeinde  er|teilte  Segen  (Num.  6,  22  ff),  worauf  die  ganze  Ge- 
meinde das  ftJÄ  sprach134.    War  kein  Priester  in  der  Gemeinde, 


Skythopolis  zur  Zeit  Diocletians  beim  Gottesdienst  „die  griechische  Sprache 
in  die  aramäische  übersetzt"  (s.  Euseb.  De  mart.  Palaest%naey  nach  dem  voll- 
ständigeren syr.  Text,  bei  Zahn,  Tatians  Diatessaron  1881,  S.  19,  und  Vi  ölet 
in:  Texte  und  Untersuchungen  von  Gebhardt  und  Harnack  XIV,  4,  1896, 
S.  4).  In  Jerusalem  geschah  dasselbe  um  385 — 388  n.  Chr.  S.  die  anschau- 
liche Schilderung  in  der  durch  Gamurrini  herausgegebenen  Pilgerschrift  der 
Sylvia  von  Aquitanien  (im  Wortlaut  mitgeteilt  oben  S.  85).  Epiphanius, 
Expos,  fidei  c.  21  ed.  Petav.  p.  1104  (Dindorf  III,  1,  583)  nennt  als  christliche 
Gemeindebeamte  auch  kQfJujvevtal  yX&aarjg  slq  yX&ooav  rj  iv  ratg  avayvwoeoiv 
?j  iv  xatq,  TiQoaofxiXlaiq.    S.  Zahn,  Gesch.  des  Neutest.  Kanons  I,  43. 

129)  jer.  Megüla  74 d.  Bacher  in  Hostings'  Dictionary  of  the  Bible 
IV,  641b. 

130)  Mattk.  4,  23.  Marc.  1,  21.  6,  2.  Luc.  4,  15.  6,  6.  13,  10.  Joh.  6, 
59.   18,  20. 

131)  Ein  berühmter  *|»n*  war  Ben  Soma  (Sota  IX,  15). 

132)  Vgl.  Z  u  n  z ,  Die  gottesdienstlichen  Vorträge  S.  337.  Delitzsch,  Ein 
Tag  in  Capernaum  S.  127  f. 

133)  S.  überh.  Hamburger,  Real-Enz.  II.  Abt  Art.  „Predigt". 

134)  Berachoth  V,  4.  Megüla  IV,  3.  5.  6.  7.  —  Über  den  Ritus  des 
Segensprechens  s.  Sota  VII,  6  («=  Tamid  VII,  2):  „Wie  spricht  man  den 
Priestersegen?  Im  Lande  spricht  man  ihn  in  drei  Absätzen,  im  Tempel  in 
einem  Absatz.  Im  Tempel  spricht  man  den  Namen  Gottes  aus,  wie  er  ge- 
schrieben wird  (rttrV»),  im  Lande  nach  seiner  Benennung  (i5Vix).  Im  Lande 
heben  die  Priester  ihre  Hände  nur  in  gleiche  Höhe  mit  der  Schulter,  im 
Tempel  über  den  Kopf,  außer  dem  Hohenpriester,  welcher  die  Hände  nicht 
über  das  Stirnblech  hin  heben  darf.    R.  Juda  sagt:   Auch  er  hob  die  Hände 


536  §  27.   Schule  und  Synagoge.  [458.  459] 

so  wurde  der  Segen  von  einem  andern  Gemeindegliede  nicht  erteilt, 
sondern  erbeten  ,35. 

Die  beschriebene  Ordnung  ist  die  des  Hauptgottesdienstes  am 
Sabbathyormittag.  Man  versammelte  sich  aber  auch  am  Sabbath- 
nachmittag  zur  Zeit  des  Minchaopfers  wieder  in  der  Synagoge. 
Wenn  also  Philo  sagt,  die  sabbathlichen  Versammlungen  hätten 
gedauert  fiixQ1  oxeöop  dsUfjg  oipiag  (s.  oben  S.  528),  so  ist  das  an- 
gesichts der  langen  Dauer  dieser  Gottesdienste  nicht  unbegründet 
Beim  Nachmittagsgottesdienst  las  man  keinen  prophetischen,  sondern 
nur  einen  pentateuchischen  Abschnitt.  Und  in  die  Lektion  teilten 
sich  nur  drei  Gemeindeglieder,  nicht  mehr  und  nicht  weniger136. 
—  Dieselbe  Ordnung  wurde  auch  beobachtet  bei  den  Wochen- 
gottesdiensten, welche  regelmäßig  am  zweiten  und  fünften 
Wochentag  (Montag  und  Donnerstag)  gehalten  wurden137.  —  Auch 
an  den  Neumonden  versammelte  man  sich  zur  Thoralektion,  wo- 
bei vier  Gemeindeglieder  sich  in  die  Parasche  teilten138.  Über- 
haupt verging  kein  Festtag  im  Jahre,  ohne  daß  er  |  durch  Gottes- 
dienst und  Vorlesung  aus  dem  Gesetze  ausgezeichnet  worden  wäre; 
und  die  Mischna  hat  für  alle  Festtage  die  pentateuchischen  Lek- 
tionen genau  vorgeschrieben139. 


über  das  Stirnblech".  —  Nach  Bosch  haschana  31b,  Sota  40  b  soll  Jochanan 
ben  Sakkai  angeordnet  haben,  daß  die  Priester  den  Segen  auch  nach  der 
Zerstörung  des  Tempels  nur  barfuß  sprechen  dürften  (Derenbourg,  Histoire  de 
la  Palesiine  p.  305  n.  3).  —  Überhaupt  s.  Bamidbar  rabba  zu  Num.  6,  22  ff. 
(in  deutscher  Übersetzung  mitgeteilt  von  Wünsche,  Jahrbb.  für  prot  Theol. 
1877,  S.  675—705).  Maimonides,  ffilchoth  Tephilla  XIV— XV  (Petersburger 
Übersetzung  I,  331  ff.).  Wagenseil  zu  Sota  VII,  6  (Sarenhusius'  Mischna 
III,  264  f.).  Vitringa  p.  1114—1121.  Lundius,  Die  alten  jüdischen  Heilig- 
thümer  Buch  III,  Kap.  48.  Haener,  De  ritu  benedictionis  saeerdotalis,  Jenae 
1671  (auch  in:  Thesaurus  theol.  philologicus,  Amst.  1701—1702,  t.  TL  p.  936 sqq.). 
Hottinger,  De  benedictione  sacerdotali,  Marburg  1709  (auch  in:  Thesaurus 
novus  theol-phil.  edd.  Hasaeus  et  Ikenius  t.  I  p.  393 sqq.).  Hamburger,  Real- 
Enz.  II.  Abt  Art.  „Priestersegen".  The  Jewish  Encyclopedia  HI,  244—247, 
Art  „Blessing,  priestly". 

135)  Vitringa  p.  1120  (nach  Maimonides). 

130)  Megüla  III,  6.  IV,  1. 

137)  MegiUa  IH,  6.  IV,  1.   Vgl.  I,  2.  3. 

138)  MegiUa  IV,  2. 

139)  MegiUa  III,  5—6.  Vgl.  Herzfeld  111,213.  Hamburger  H,  1205  ff. 
(Art.  „Vorlesung  aus  der  Thora"). 


[459]  IL  Die  Synagoge.  537 


Anhang:  Das  Schma  und  das  Schmone-Esre. 

In  der  jüdischen  Gebetsliturgie  nehmen  die  beiden  schon  oben 
erwähnten  Stücke,  das  Sehma  und  das  Schmone-Esre,  teils 
durch  ihr  Alter,  teils  durch  den  Wert,  der  auf  sie  gelegt  wird, 
eine  so  hervorragende  Stelle  ein,  daß  hier  noch  einiges  Nähere 
über  sie  mitgeteilt  werden  muß. 

1.  Das  Schma140.  Es  besteht  aus  den  drei  Abschnitten  Deut. 
6,  4—9.  11,  13—21.  Num.  15,  37—41,  also  aus  denjenigen  Stellen 
des  Pentateuches,  in  welchen  hauptsächlich  eingeschärft  wird,  daß 
Jahve  allein  der  Gott  Israels  ist,  und  in  welchen  der  Gebrauch 
gewisser  Denkzeichen  zur  steten  Erinnerung  an  Jahve  angeordnet 
wird.  Die  drei  Abschnitte  werden  nach  ihren  Anfangsworten: 
1)  *w5,  2)  ycti  D»  rrSTi,  3)  *rt2K*5,  schon  in  der  Mischna  ausdrück- 
lich genannt141.  Um  diesen  Kern  gruppieren  sich  zu  Anfang  und 
zu  Ende  Danksagungen  (Berachas);  und  zwar  schreibt  die  Mischna 
vor,  daß  beim  Morgen-Schma  zwei  Benediktionen  vorher,  eine 
nachher,  beim  Abend-Schma  zwei  vorher  und  zwei  nachher  zu 
beten  seien142.  Die  Anfangsworte  der  Schlußbenediktion  werden 
in  der  Mischna  schon  ebenso  zitiert,  wie  sie  noch  heutzutage  lauten, 
nämlich  n^sm  nr» 143.  Wenn  also  der  Wortlaut  der  Benediktionen 
später  auch  erheblich  erweitert  worden  ist,  so  gehören  doch  auch 
sie  ihrer  Grundlage  nach  schon  dem  Zeitalter  der  Mischna  an144. 
—  Dieses  Gebet,  oder  richtiger  dieses  Bekenntnis,  ist  von  jedem 
erwachsenen  männlichen  Israeliten  täglich  zweimal,  morgens  und 


140)  S.  überhaupt:  Vitringa,  De  Synagoga  p.  1052—1061.  —  Zunz,  Die 
gottesdienstl.  Vortrage  S.  307.  369—371.  —  Hamburger,  Real-Enz.  II,  1087— 
1092.  —  Blau,  Origine  et  histoire  de  la  lecture  du  Schema  et  des  formules 
de  btnidiction  qui  V  aecompagnent  (Revue  des  itudes  juives  t  XXXI,  1895, 
p.  179—201).  —  Dalman  in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  VII,  9  f.  (im 
Artikel  „Gottesdienst").  —  Eisenstein,  Art.  Shema  in  The  Jewish  Encyclo- 
pedia  XI,  266  f.  —  Elbogen,  Studies  in  the  Jewish  liturgy  {Jewish  Quarter ly 
Review  XVIII,  1906,  p.  587—599.  XIX,  1907,  p.  229—249).  —  Fi e big,  Bera- 
choth,  der  Mischnatraktat  „Segenssprüche"  1906,  S.  24—26  u.  29 — 41  (deutsche 
Übersetzung  des  Schma  und  der  Benediktionen  am  Anfang  und  am  Schluß). 

141)  Beraehoth  II,  2.    Tamid  V,  1. 

142)  Beraehoth  I,  4. 

143)  Beraehoth  II,  2.    Tamid  V,  1. 

144)  Einen  Versuch,  die  älteren  Bestandteile  von  den  späteren  Zusätzen 
zu  scheiden,  hat  bereits  Zunz  a.  a.  O.  gemacht;  vgl.  auch  die  übrige,  in  Anm. 
140  genannte  Literatur,  sowie  die  Artikel  Ahabah  rabba,  Oeullah  und  Yoxerot 
in  The  Jewish  Encyclopedia. 


538  §  27-    Schule  und  Synagoge.  [460] 

abends,  zu  beten145.  Frauen,  Sklaven  und  Kinder  dagegen  haben 
es  nicht  zu  beten146.  Es  muß  nicht  notwendig  in  hebräischer 
Sprache,  sondern  kann  auch  in  jeder  andern  Sprache  rezitiert 
werden147.  —  Wie  alt  die  Sitte  des  Schma-Rezitierens  ist,  sieht 
man  schon  daraus,  daß  die  Mischna  bereits  so  detaillierte  Be- 
stimmungen darüber  gibt148.  Sie  erwähnt  aber  überdies,  daß  es 
bereits  von  den  Priestern  im  Tempel  gebetet  wurde,  was  doch 
mindestens  einen  Gebrauch  vor  dem  Jahre  70  nach  Chr.  voraus- 
setzt149. Ja,  für  Josephus  verliert  sich  der  Ursprung  dieser  Sitte 
schon  so  sehr  in  grauer  Vorzeit,  daß  er  sie  als  eine  Anordnung 
Mosis  selbst  betrachtet150. 

2.  Das  Schmone-Esre151.   Etwas  jünger  als  das  Schma,  aber 


145)  Berachoth  I,  1-4. 

146)  Berachoth  III,  3. 

147)  Sota  VII,  1. 

148)  Vgl.  im  allgemeinen  auch  noch  Pesachim  IV,  8.  Taanith  IV,  3.  Sota 
V,  4.    Aboth  II,  13. 

149)  Tamid  IV  /Sn.  V,  1. 

150)  Joseph,  Antt.  IV,  8,  13:  Alq  <T  kxdoxrjq  fiftigaq,  &Qyo(i£vriq  ze  avxrjq 
xal  dnöxe  ngbq  vjivov  &oa  xoineo&ai,  fiagxvQeiv  xcp  &E(j>  xaq  öwQEaq  &g 
änaiAayeXoiv  abxotq  ix  xrjq  Atyvnxlwv  yfjq  nagioxe,  ötxaiaq  oCorjq  <pioei  Tijq 
evxagioxlaq  xal  yevofiivqq  in  dfiotßj  fxhv  xCbv  ^Sij  yeyovdzwv  inl  6h  ngo' 
xQonji  xtbv  ioopivatv.  —  Daß  Josephus  hiermit  die  Sitte  des  Schma-Rezitierens 
meint,  kann  nicht  zweifelhaft  sein.  Er  faßt  das  Schma  mit  Recht  auf  als  ein 
dankbares  Bekenntnis  zu  Jahve  als  dem  Gott,  der  Israel  aus  Ägypten  erlöst 
hat.    Vgl.  bes.  Num.  15,  41. 

151)  S.  überhaupt:  Vitringa,  De  synayoga  p.  1031—1051.  —  Zunz,Die 
gottesdienstl.  Vorträge  S.  367—369.  —  Delitzsch,  Zur  Gesch.  der  jüdischen 
Poesie  (1830)  S.  191—193.  —  Herzfeld,  Gesch.  des  Volkes  Jisrael  HI,  200—204. 

—  Duschak,  Geschichte  und  Darstellung  des  jüdischen  Cultus,  1866,  S.  196 — 
211.  —  Bickell,  Messe  und  Pascha  (1872)  S.  05  f.  71—73.  —  Hamburger, 
Real-Enz.  II,  1092—1099.  —  Enoch,  Das  Achtzehngebet,  nach  seiner  sprach- 
lichen und  geschichtlichen  Entwickelung  dargestellt  1886.  —  Derenbourgt 
Revue  des  etudes  juives  U  XIV,  1887,  p.  26—32.  —  Loeb,  Les  dix-huü  bine- 
dieiions  (Revue  des  itudes  juives  t.  XIX,  1889,  p.  17—40;  abgedruckt  in:  Loeb, 
La  litterature  des  pauvres  dans  la  Bible  1892,  p.  137 — 166).  —  L6vi,  Les  dix- 
huü  benidietions  et  les  psaumes  de  Salomon  {Revue  des  etudes  juives  t.  XXXII, 
1896,  p.  161—178).    Der s.,  Encore  un  mot  etc.  (ib.  XXXIII,  1896,  p.  142 sq.). 

—  Schechter,  Jewish  Quarterly  Reviere  X,  1898,  p.  656  sq.  (Mitteilung  eines 
alten  Textes  aus  den  Handschriften- Fragmenten  der  Genisa  zu  Kairo).  — 
Da  Im  an,  Die  Worte  Jesu  I,  1898,  S.  299—304  (Wiedergabe  des  von  Schechter 
entdeckten  Textes  und  eines  andern  nach  südarabischem  Ritus).  Ders.  in 
Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  VII,  S.  10  f.  —  Elbogen,  Geschichte  des 
Achtzehngebets  (Monatsschr.  f.  Gesch.  u.  Wissensch.  des  Judenth.  1902, 
S.  330— 357,  427—439,  513—530,  auch  separat  1903).  Ders.,  Jetcish  Quarterly 
Review  XIX,  p.  704—720.  —  Hirsch,  Art.  Shemoneh  Esre  in  The  Jewish  En- 
cyclopedia  XI,  1905,  j?.  270-282.  —  Volz,  Jüdische  Eschatologie  1903,  S.44f. 


[460.  461]  II.  Die  Synagoge.  539 

seiner  Grundlage  nach  auch  sehr  alt  ist  das  Schmone-Esre, 
d.  h.  das  Hauptgebet,  welches  jeder  Israelite,  auch  Frauen,  Sklaven 
und  Kinder,  täglich  dreimal,  nämlich  morgens,  nachmittags  (zur 
Zeit  des  Minchaopfers)  und  abends  zu  beten  hat152.  Es  ist  so  | 
sehr  das  Hauptgebet  des  Israeliten,  daß  es  auch  nisrin  „das  Ge- 
bet" schlechthin  heißt  In  seiner  späteren  Form  besteht  es  eigent- 
lich nicht,  wie  der  Name  rnto*  rtjitatf,  besagt,  aus  achtzehn,  sondern 
aus  neunzehn  Berachas.  Ich  gebe  zunächst  den  vulgären  Text 
nach  deutschem  Eitus,  wie  ihn  jedes  jüdische  Gebetbuch  darbietet: 

„1.  Gelobet  seist  du  Herr,  unser  Gott  und  Gott  unserer  Väter,  Gott  Abra- 
hams Gott  Isaaks  und  Gott  Jakobs,  großer  mächtiger  und  furchtbarer  Gott, 
allerhöchster  Gott,  der  du  spendest  reiche  Gnade  und  schaffest  alle  Dinge  und 
gedenkest  der  Gnaden -Verheißungen  der  Väter  und  bringest  einen  Erlöser 
ihren  Eindeskindern  um  deines  Namens  willen  aus  Liebe.  O  König,  der  du 
Hilfe  und  Heil  bringest,  und  ein  Schild  bist.  Gelobet  seist  du  Herr, 
Schild  Abrahams.  2.  Du  bist  allmächtig  in  Ewigkeit,  Herr,  der  du  Tote 
lebendig  machest.  Du  bist  mächtig  zu  helfen;  der  du  Lebende  erhältst  aus 
Gnade,  Tote  lebendig  machst  aus  viel  Erbarmen,  Fallende  stützest  und  Kranke 
heilest  und  Gefangene  befreiest  und  dein  Wort  getreulich  hältst  denen,  die 
im  Staube  schlafen.  Wer  ist  wie  du,  Herr  der  Stärke;  und  wer  gleichet  dir, 
o  König,  der  du  tötest  und  lebendig  machst  und  sprossen  lassest  Hilfe.  Und 
treu  bist  du,  Tote  lebendig  zu  machen.  Gelobet  seist  du  Herr,  der  du 
lebendig  machest  die  Toten.  3.  Du  bist  heilig  und  dein  Name  ist  heilig, 
und  Heilige  lobpreisen  dich  jeglichen  Tag.  Sela.  Gelobet  seist  du  Herr, 
heiliger  Gott.  4.  Du  verleihest  dem  Manne  Erkenntnis  und  lehrest  den 
Menschen  Einsicht.  Verleihe  uns  von  dir  Erkenntnis,  Einsicht  und  Verstand. 
Gelobet  seist  du  Herr,  der  du  verleihest  die  Erkenntnis.  5.  Führe 
uns  zurück,  unser  Vater,  zu  deinem  Gesetz,  und  bringe  uns,  unser  König,  zu 
deinem  Dienst,  und  laß  uns  zurückkehren  in  vollkommener  Buße  vor  dein 
Angesicht.  Gelobet  seist  du  Herr,  der  du  Wohlgefallen  hast  an 
Buße.  6.  Vergib  uns,  unser  Vater,  denn  wir  haben  gesündigt;  verzeihe  uns, 
unser  König,  denn  wir  haben  gefrevelt.  Du  vergibst  und  verzeihest  ja  gerne. 
Gelobet  seist  du  Herr,  Gnädiger,  der  du  viel  verzeihest.  7.  Schaue 
unser  Elend  und  führe  unsere  Sache  und  erlöse  uns  bald  um  deines  Namens 
willen;  denn  ein  starker  Erlöser  bist  du.  Gelobet  seist  du  Herr,  Erlöser 
Israels.    8.  Heile  uns  Herr,   so  werden  wir  geheilt;   hilf  uns,   so  wird  uns 


—  Hönnicke,  Neue  kirchl.  Zeitschr.  1906,  S.  63 f.  (in  der  Abh.  über  das 
Vater- Unser).  —  Bousset,  Die  Religion  des  Judentums  2.  Aufl.  1906, 
S.  203—205,  420—422.  —  Fiebig,  Berachoth,  der  Mischnatraktat  „Segens- 
sprüche" 1906,  S.  26 — 29  (deutsche  Übersetzung  des  von  Schechter  entdeckten 
Textes).  —  Ein  Targum  zum  Schmone  Esre  hat  Gaster  herausgegeben  (Mo- 
natsschr.  f.  Gesch.  u.  Wissensch.  des  Judenth.  39.  Jahrg.  1895,  S.  79—90;  vgl. 
dazu  Epstein  ebendas.  S.  175—178,  Mendelssohn  ebendas.  S.  303 — 305). 
Eine  englische  Übersetzung  dieses  Targums  lieferte  Gollancz  in:  Semitic 
Studies  in  Memory  of  Alex.  Kohut,  Berlin  1897,  p.  186—197. 

152)  Berachoth  in,  3  (Frauen,  Kinder,  Sklaven).  IV,  1  (dreimal  täglich). 


540  §  27.   Schule  und  Synagoge.  [461.  462] 

geholfen ;  denn  unser  Lob  bist  du.  Und  bringe  vollkommene  Genesung  allen 
unsern  Wunden ;  denn  ein  Gott  und  König,  der  da  heilet,  treu  und  barmherzig, 
bist  du.  Gelobet  seist  du  Herr,  der  du  heilest  die  Kranken  deines 
Volkes  Israel.  9.  Segne  für  uns,  Herr  unser  Gott,  dieses  Jahr  und  lasse 
alles  Gewächs  wohl  gedeihen;  und  gib  Segen  auf  das  Land;  und  sättige  uns 
mit  deiner  Güte;  und  segne  unser  Jahr  wie  die  guten  Jahre.  Gelobet  seist 
du  Herr,  der  du  segnest  die  Jahre.  10.  Verkündige  mit  großer  Posaune 
unsere  Befreiung  und  erhebe  ein  Panier,  um  zu  sammeln  unsere  Zerstreuten, 
und  versammele  uns  von  den  vier  Enden  der  Erde.  Gelobet  seist  du 
Herr,    der   du    sammelst  die  Verstoßenen  deines  Volkes  Israel. 

11.  Setze  wieder  ein  unsere  Richter  wie  vormals  und  unsere  Räte  wie  am  An- 
fang; und  nimm  von  uns  Kummer  und  Seufzen;  und  herrsche  über  uns,  du 
Herr  allein,  in  Gnade  und  Erbarmen;  und  rechtfertige  uns  im  Gericht.  Ge- 
lobet seist  du  Herr,  König,  der  du  liebest  Gerechtigkeit  und  Gericht 

12.  Und  den  Verleumdern  sei  keine  Hoffnung;  und  alle  die  Böses  tun,  mögen 
Bchnell  zugrunde  gehen,  und  sie  alle  baldigst  ausgerottet  werden;  und  lähme 
und  zerschmettere  und  stürze  und  beuge  die  Übermütigen  bald  in  Eile,  in 
unsern  Tagen.  Gelobet  seist  du  Herr,  der  du  zerschmetterst  Feinde  [und 
beugest  Übermütige.  13.  Über  die  Gerechten  und  |  über  die  Frommen 
und  über  die  Altesten  deines  Volkes,  des  Hauses  Israel,  und  über  den  Rest 
der  Schriftgelehrten  und  über  die  Proselyten  und  über  uns  möge  sich  regen 
dein  Erbarmen,  Herr  unser  Gott.  Und  gib  reichen  Lohn  allen,  die  wahrhaftig 
vertrauen  auf  deinen  Namen;  und  laß  unser  Teil  bei  ihnen  sein  in  Ewigkeit, 
auf  daß  wir  nicht  zuschanden  werden;  denn  auf  dich  haben  wir  vertraut. 
Gelobet  seist  du  Herr,  Stütze  und  Zuversicht  für  die  Gerechten. 
14.  Und  nach  Jerusalem,  deiner  Stadt,  kehre  zurück  in  Erbarmen ;  und  wohne 
in  ihrer  Mitte,  wie  du  gesagt  hast;  und  baue  sie  bald  in  unsern  Tagen  zu 
einem  ewigen  Bau;  und  den  Thron  Davids  richte  bald  auf  in  ihrer  Mitte. 
Gelobet  seist  du  Herr,  der  du  bauest  Jerusalem.  15.  Den  Sproß  Da- 
vids, deines  Knechtes,  lasse  bald  aufsprossen,  und  sein  Hörn  erhebe  durch 
deine  Hilfe.  Denn  auf  deine  Hilfe  harren  wir  alle  Tage.  Gelobet  seist  du 
Herr,  der  du  aufsprossen  lassest  ein  Hörn  des  Heils.  16.  Höre  unsere  Stimme, 
Herr  unser  Gott,  schone  und  erbarme  dich  unser;  und  nimm  an  in  Erbarmen 
und  Wohlgefallen  unser  Gebet;  denn  ein  Gott,  der  Gebete  und  Flehen  er- 
höret, bist  du.  Und  von  deinem  Angesichte,  unser  König,  laß  uns  nicht  leer 
zurückkehren;  denn  du  erhörest  das  Gebet  deines  Volkes  Israel  in  Erbarmen. 
Gelobet  'seist  du  Herr,  der  du  Gebet  erhörest.  17.  Habe  Wohlge- 
fallen, Herr  unser  Gott,  an  deinem  Volke  Israel  und  an  ihrem  Gebet  Und 
führe  zurück  den  Opferdient  in  das  Allerheiligste  deines  Hauses.  Und  die 
Opfer  Israels  und  ihr  Gebet  nimm  an  in  Liebe  mit  Wohlgefallen.  Und  wohl- 
gefällig sei  das  tägliche  Opfer  Israels,  deines  Volkes.  O  daß  sehen  möchten 
unsere  Augen  deine  Rückkehr  nach  Zion  in  Erbarmen.  Gelobet  seist  du 
Herr,  der  du  zurückkehren  lassest  deine  Herrlichkeit  (njtDiri)  nach  Zion. 
18.  Wir  preisen  dich,  denn  du  bist  der  Herr  unser  Gott  und  der  Gott  unserer 
Väter  in  alle  Ewigkeit,  der  Fels  unseres  Lebens,  der  Schild  unseres  Heils. 
Du  bist  es  für  und  für.  Wir  preisen  dich  und  erzählen  dein  Lob,  für  unser 
Leben,  das  in  deine  Hand  gegeben,  und  für  unsere  Seelen,  die  dir  anbefohlen 
sind,  und  für  deine  Wunder  an  jeglichem  Tage  bei  uns,  und  für  deine  Macht- 
erweisungen  und  für  deine  Wohltaten  zu  jeder  Zeit,  abends  und  morgens  und 
mittags.    Allgütiger,   dessen  Barmherzigkeit  kein  Ende  hat;   Barmherziger, 


[462.  403]  IL  Die  Synagoge.  541 

dessen  Gnade  nicht  aufhöret;  immerdar  harren  wir  auf  dich.  Und  für  alles 
dies  sei  gepriesen  und  erhoben  dein  Name,  unser  König,  immerdar  in  alle 
Ewigkeit  Und  alles,  was  lebet,  preiset  dich,  Sela;  und  lobet  deinen  Namen  in 
Wahrheit;  du  Gott,  unser  Heil  und  unsre  Hilfe,  Sela.  Gelobet  seist  du 
Herr;  Allgütiger  ist  dein  Name,  und  dir  geziemet  Preis.  19.  Großes 
Heil  bringe  über  Israel,  dein  Volk,  in  Ewigkeit;  denn  du  bist  König,  Herr 
alles  Heils.  Gelobet  seist  du  Herr,  der  du  segnest  dein  Volk  Israel 
mit  Heil". 


Von  diesen  19  Berachas  sind  die  ersten  drei  (Nr.  1—3)  Lob- 
preisungen der  Allmacht  und  Gnade  Gottes,  die  letzten  zwei 
(Nr.  18—19)  enthalten  Dank  für  Gottes  Güte  und  Bitte  um  Gottes 
Segen  im  allgemeinen.  In  der  Mitte  stehen  die  eigentlichen  Bitt- 
gebete, und  zwar  Nr.  4—9  Bitten  um  Erkenntnis,  Buße,  Vergebung, 
Erlösung  vom  Übel,  Gesundheit  und  Fruchtbarkeit  des  Landes, 
Nr.  10—17  Bitten  um  Sammlung  der  Zerstreuten,  Wiedereinsetzung 
der  einheimischen  Obrigkeit,  Vernichtung  der  Gottlosen,  Belohnung 
der  Gerechten,  Erbauung  Jerusalems,  Sendung  des  Messias,  Er- 
hörung der  Gebete,  Wiederherstellung  des  Opferdienstes.  —  Aus 
diesem  Inhalte  ergibt  sich,  daß  das  Gebet  erst  nach  der  Zerstörung 
Jerusalems,  also  nach  dem  Jahre  70  nach  Chr.  redigiert  ist.  Denn 
es  setzt  in  seiner  14.  und  17.  Beracha  die  Zerstörung  der  Stadt 
und  das  Aufhören  des  Opferdienstes  voraus.  Andererseits  wird 
es  schon  in  derMischna  unter  dem  Namen  tvrtiy  rwittirJ  zitiert153, 
und  es  wird  erwähnt,  daß  bereits  R.  Gamaliel  II.,  K.  Josua,  R.  Akiba 
und  K.  Elieser,  also  lauter  Autoritäten  aus  dem  Anfang  des  zweiten 
Jahrhunderts,  darüber  verhandelten,  ob  man  die  sämtlichen  18  Be- 
rachas oder  nur  einen  Auszug  daraus  täglich  zu  beten  habe154, 
sowie  darüber,  in  welcher  Weise  die  Zusätze  während  der  Regen- 
zeit und  am  Sabbath  einzuschalten  und  in  welcher  Form  es  am 
Neujahrstage  zu  beten  sei155.  Demnach  muß  es  die  Form  von 
18  Berachas  um  das  Jahr  70-100  nach  Chr.  erhalten  haben,  und 


153)  Berachoth  IV,  3.    Taanitk  U,  2. 

154)  Berachoth  IV,  3. 

155)  Berachoth  V,  2.  Bosch  haschana  IV,  5.  Taanith  I,  1—2.  —  Beim 
Sabbath- Ausgang  wurde  die  sogenannte  ni-on  eingeschaltet,  d.  h.  die  „Schei- 
dung", mittelst  welcher  der  Sabbath  vom  Wochentag  geschieden  wurde. 
S.  Berachoth  V,  2.  Chullin  I  fin.  Die  Kommentare  zu  Berachoth  V,  2  (in 
Surenhusius'  Mischna  I,  18).  Levy,  Neuhebr.  Wörterb.  8.  v.  nVisn.  Später 
(in  nachmischnischer  Zeit)  wurde  es  üblich,  die  Habdala  vom  Schmone  Esre 
zu  trennen  und  als  besondere  Benediktion  zu  sprechen.  Maimonides,  Hilchoth 
Sckabbath  XXIX  (Petersburger  Übersetzung  II,  228 ff.).  Hamburger,  Real- 
Enz.  Suppl.  II,  1891,  S.  76  ff.  Art.  „Habdala".  The  Jeuish  Enajclopedia  VI, 
11S-121  (Art  Habdalah). 


542  §  27.    Schule  und  Synagoge.  [463] 

es  ist  mit  Sicherheit  anzunehmen,  daß  die  Grundlage  des  Gebetes 
noch  erheblich  älter  ist156. 

Im  einzelnen  läßt  sich  der  Wortlaut,  welchen  das  Gebet  um 
70—100  nach  Chr.  gehabt  hat,  nicht  mehr  rekonstruieren.  Unter 
den  uns  bekannten  Formen  kommt  ihm  vermutlich  am  nächsten 
ein  Text,  welcher  erst  in  neuerer  Zeit  (wie  der  hebräische  Sirach) 
unter  der  Fülle  handschriftlicher  Fragmente  in  der  alten  Genisa 
(Rumpelkammer)  der  Synagoge  zu  Kairo  entdeckt  und  von  Schechter 
im  Jahre  1898  herausgegeben  worden  ist  (s.  oben  Anm.  151).  Der 
Wortlaut  der  einzelnen  Berachas  ist  hier  häufig  kürzer  als  der 
spätere  vulgäre;  die  Struktur  des  Ganzen  aber  fast  genau  die 
gleiche.  Namentlich  stimmen  die  Doxologien,  mit  welchen  die  ein- 
zelnen Berachas  jedesmal  schließen,  fast  durchweg  mit  denjenigen 
des  Vulgärtextes  wörtlich  überein.  Sie  zeigen  uns  das  Gerippe, 
das  sicher  aus  der  Zeit  um  70—100  nach  Chr.  stammt  (im  obigen 
Text  sind  die  Doxologien,  soweit  sie  mit  denjenigen  des  Textes 
von  Kairo  übereinstimmen,  durch  gesperrten  Druck  hervorgehoben). 
Die  erheblichste  Abweichung  besteht  darin,  daß  im  Text  von  Kairo 
die  15.  Beracha,  d.  h.  die  ausdrückliche  Bitte  um  das  Kommen  des 
Messias,  fehlt,  indem  ihr  Inhalt  nur  im  Zusammenhang  der  14.  Be- 
racha in  kürzerer  Fassung  zum  Ausdruck  kommt.  Das  Fehlen  der 
15.  Beracha,  oder  vielmehr  die  Verbindung  der  14.  und  15.  Beracha 
zu  einer  läßt  sich  auch  sonst  als  palästinensisch  nachweisen157. 
Das  Gebet  hat  hiernach  wirklich  nur  18  Berachas,  wie  der  Name 


156)  Zu  den  Grundlagen  des  Gebetes  wurde  auch  Jesus  Sirach  zu 
rechnen  sein,  wenn  das  Stück,  welches  im  hebräischen  Text  auf  c.  51,  12 
folgt,  seinem  ganzen  Umfange  nach  ursprünglich  wäre  (Text  bei  Smend,  Die 
Weisheit  des  Jesus  Sirach,  hebräisch  und  deutsch,  1906,  für  die  Ursprünglieh- 
keit:  Smend  s  Kommentar  1906,  S.  502  f.,  gegen  dieselbe:  Peters,  Der  jüngst 
wieder  aufgefundene  hebr.  Text  des  Buches  Ecclesiasticus  1902,  S.  304  ff.).  In 
diesem  Stück  finden  sich  die  auffalligsten  Parallelen  mit  dem  Schmone  Esre. 
Gott  wird  gepriesen  als  „Schild  Abrahams"  (Sirach  51,  12,  10  «  Schmone 
Esre  1),  als  „Erlöser  Israels"  (Sirach  51,  12,  5  =»  Schm.  E.  7),  als  der  „der 
die  Zerstreuten  Israels  sammelt"  (Sir.  51,  12,  6  =  Schm.  E.  10),  „der  seine 
Stadt  und  sein  Heiligtum  baut"  (Sir.  51,  12,  7  =  Schm.  E.  14),  „der  dem 
Hause  Davids  ein  Hörn  sprossen  läßt"  (Sir.  51,  12,  8  =»  Schm.  E.  15).  Die 
Hauptmasse  des  Stückes  bei  Sirach  wird  nun  in  der  Tat  als  echtes  Gut  des* 
selben  zu  betrachten  sein  (außer  dem  Interesse  für  die  Sohne  Zadoks  51, 12,  9 
spricht  dafür  namentlich,  daß  nach  der  Ankündigung  51, 12  eine  längere  Lob- 
preisung Gottes  zu  erwarten  ist).  Aber  eine  derartige  Litanei  konnte  später 
leicht  durch  Einschöbe  erweitert  werden.  Ein  solcher  ist  mindestens  die 
Lobpreisung  Gottes  als  (Wieder-)Erbauer  Jerusalems  und  des  Tempels  (Sir. 
51,  12,  7)  und  vermutlich  auch  noch  einige  andere  Berachas. 

157)  El  bogen,  Geschichte  des  Achtzehngebets  S.  25—27  —  Monatsschr. 
f.  G.  u.  W.  d.  J.  1902,  S.  348-350. 


[463]  IL  Die  Synagoge.  543 

besagt.  Während  dieser  Umstand  für  die  Ursprünglichkeit  dieses 
Textes  zu  sprechen  scheint,  wird  dieselbe  durch  anderes  wieder 
zweifelhaft.  Die  ausdrückliche  Bitte  um  das  Kommen  des  Messias 
kann  in  einem  Gebete,  welches  sonst  alle  Seiten  der  Zukunfts- 
hoffnung umfaßt,  kaum  fehlen;  ihre  Verbindung  mit  der  Bitte  um 
den  Bau  Jerusalems  macht  einen  sekundären  Eindruck.  Sodann 
haben  wir  eine  bestimmte  Überlieferung,  daß  die  Zahl  von  19  Be- 
rachas  durch  Einfügung  der  „Beracha  gegen  die  Ketzer"  (rena 
c^tot),  d.  h.  der  12.,  also  nicht  durch  Zerlegung  der  14.  in  zwei, 
entstanden  sei.  „Simon  der  Baumwollhändler  ordnete  die  18  Be- 
rachoth  zur  Zeit  des  Rabban  Gamaliel  nach  ihrer  Reihenfolge  in 
Jabne.  Da  sprach  Rabban  Gamaliel  zu  den  Gelehrten:  Ist  denn 
jemand  da,  der  die  Beracha  gegen  die  Ketzer  festzustellen  ver- 
steht? Da  stand  Samuel  der  Kleine  auf  und  stellte  sie  fest"158. 
Es  bleibt  also  fraglich,  ob  der  Text  von  Kairo  (d.  h.  der  palästi- 
nensische) hinsichtlich  der  14.  Beracha  das  Ursprüngliche  bietet. 
Überhaupt  kann  dieser  Text  nur  als  der  relativ  älteste,  nicht  als 
der  des  zweiten  Jahrhunderts  nach  Chr.  angesehen  werden.  Wie 
schwankend  die  Überlieferung  ist,  zeigt  der  Umstand,  daß  an  dem- 
selben Ort,  von  welchem  der  vollständige  Text  Schechters  stammt, 
noch  zwei  Fragmente  gefunden  wurden,  die  wiederum  erhebliche 
Abweichungen  zeigen159. 

In  einem  Punkte  aber  bietet  die  Handschrift  von  Kairo  augen- 
scheinlich den  palästinensischen  Text  der  ersten  christlichen  Jahr- 
hunderte, wie  er  durch  mehrere  Kirchenväter  bezeugt  ist,  nämlich 
hinsichtlich  der  Erwähnung  der  Christen  in  der  „Beracha 
gegen  die  Ketzer44.  Der  Wortlaut  dieser  Beracha  schwankt  in 
der  Überlieferung  sehr 160.   Nach  den  patristischen  Zeugnissen  muß 


158)  Berachoth28*:  lartaa  'pri  ■»»£  nw^a  ms»  wra»  -i^öh  4ipBn  "praiö 
rr-a  iprft  mws  dix  »■»  onia,  öiosrft  heiaa  pn  urib  -isat  .  r«M  -non  bs 
napni  "ppn  i»n«io  nss  tD^Wi.  Unmittelbar  vorher  wird  die  Frage  aufge- 
worfen,  weshalb  es  19  statt  18  Berachas  seien.  —  Die  Lesart  D^sn  ro*n  ist 
ohne  Zweifel  die  richtige,  nicht  D^pVixfi  rois,  wie  viele  Ausgaben  haben, 
s.  Levy,  Neuhebr.  Wörterb.  8.  v.  *p£. 

159)  S.  Schechter  und  Dalman  a.  a.  O.  —  Über  die  mannigfachen 
Schwankungen  im  Wortlaut  der  einzelnen  Berachas  s.  besonders  die  oben  Anm. 
151  genannten  Arbeiten  von  Elbogen  und  Hirsch.  Merkwürdigerweise  neh- 
men beide  von  dem  durch  Schechter  1898  herausgegebenen  Text  von  Kairo 
keine  Notiz  (Elbogen  erst  in  Jewish  Quart  Rev.  XIX,  716  sqq.). 

160)  Die  Beracha  ist  gegen  verschiedene  Kategorien  von  Feinden  des- 
Judentums gerichtet,  deren  Bezeichnung  stark  variiert.  In  dem  oben  wieder- 
gegebenen Vulgärtext  werden  genannt:  „Verläumder"  (D^üio),  „alle  die 
Böses  tun",  „Feinde"  und  „Übermütige"  (ö^t).  Die  ö^o  kommen  hier  gar 
nicht  vor,  wohl  aber  werden  sie  in  andern  Rezensionen  erwähnt,  wie  nach 
der  in  Anm.  158  mitgeteilten  talmudischen  Notiz  zu  erwarten  ist.  —  Vgl. 


544  §  27.   Schule  und  Synagoge.  [463] 

angenommen  werden,  daß  in  derselben  auch  die  Christen  (Na$coQaioi, 
Nazareni)  erwähnt  waren 161.  Nach  dem  Text  von  Kairo  ist  dies 
in  der  Tat  der  Fall,  denn  hier  lautet  die  12.  Beracha:  „Den  Ab- 
trünnigen (O'HiaiDiab)  sei  keine  Hoffnung,  und  frevlerische  Herr- 
schaft CpTT  wob«)  rotte  eiligst  aus  in  unsern  Tagen;  und  die 
Nozrim  und  Minim  (tWHjj  D"nsin)  mögen  schnell  zugrunde  gehen; 
sie  mögen  getilgt  werden  aus  dem  Buche  des  Lebens  und  mit  den 
Gerechten  nicht  angeschrieben  werden.  Gelobet  seist  du  Herr,  der 
du  beugest  Übermütige  (o^TT)".  Die  Erwähnung  der  Nozrim  (Naza- 
räer,  Judenchristen)  in  unserer  Beracha  findet  sich  sonst  nirgends 
im  Bereiche  der  gesamten  Textüberlieferung  des  Schmone-Esre. 
Die  cnsb  sind  der  engere  Begriff,  die  o^tt  der  weitere  (=  Ketzer, 
Abtrünnige  überhaupt)162. 


über  die  birkaik  ha-minim  überhaupt  Buxtorf,  Lex.  Ohald.  col.  1201  sq.  — 
Vitringa,  De  synagoga  p.  1047—1051.  —  Herzfeld  III,  203 f.  —  Grätz, 
Gesch.  der  Juden  IV,  434 f.  —  Derenbourg  p.  345$?.  —  Hamburger  II, 
1095  f.  —  Krauss,  Jewish  Quarterly  Review  V,  1893,  p.  130—134.  IX,  1897, 
p.  515—517.  —  Schlatter,  Die  Kirche  Jerusalems  vom  J.  70—130  (Beiträge 
zur  Förderung  christl.  Theol.  II,  3)  1898,  S.  17—19.  —  M.  Friedender,  Der 
Antichrist,  1901,  8.  77 ff.  —  Elbogen,  Gesch.  des  Achtzehngebets,  1903, 
S.  30—36  und  57  f.  —  Monatsschr.  f.  G.  u.  W.  d.  J.  1902,  8.  353—357,  427  f. 
u.  523  f.  —  Herford,  Christianity  in  Talmud  and  Midrash,  1903,  p.  125-137. 
—  M.  Friedländer,  Die  religiösen  Bewegungen  innerhalb  des  Judentums  im 
Zeitalter  Jesu  1905,  S.  221  ff.  —  Hirsch  in  The  Jewish  Encyclopedia  XI,  281. 

161)  Vgl.  Epiphan.  kaer.  29,  9:  Ob  fiövov  yäo  ol  x(bv  'loväalcw  natSeg 
nobq  xovxovq  xixzm*xai  ftiooq,  &lXk  xal  &viozdfievoi  f-a&ev  xal  ftiaijq  fyfiioaq 
xal  negl  x^v  ionioav,  xolq  xfjq  tjfxioaq,  Sxs  ebxfc  inixekoVoiv  kavxolq  4v  zalg 
ovvayotyaTq,  inaoibvxai  avzotq,  xal  avafrefxazl^ovoi  xolq  xfjq  ^(x^Qaq  (pdoxovxeq 
Sri  'Enucazagaoai  6  9ebq  xovq  NatpQaiovq.  —  Eieronymus  ad  Jesaj.  5, 
18 — 19,  ed.  Vallarsi  IV,  81:  (Judaei)  usque  hodie  persererant  in  blasphemiis  et 
ter  per  singulos  dies  in  omnibus  synagogis  sub  nomine  Naxarenorum  anathe- 
matixanl  vocabulum  Christianum.  Idem  ad  Jesaj.  49,  7,  ed.  Vallarsi  IV,  565: 
(Judaei  Christo)  ter  per  singulos  dies  sub  nomine  Naxarenorum  maledieunt  in 
synagogis  suis.  Idem  ad  Jesaj.  52,  4  ff.  ed.  Vallarsi  IV,  604:  (Judaei)  diebus 
ac  noctibus  blasphemant  Salvatorem  et  sub  nomine,  ut  saepe  dixi,  Naxarenorum 
ter  in  die  in  Christianos  congerunt  maledicta.  —  Unbestimmter  Justinus 
Dialog,  c.  Tryph.  c.  16:  Kazao6>(ievoi  iv  xaiq  owayatyaTq  tyibv  xovq  morev- 
ovzaq  inl  xbv  Xqiozöv.  In  derselben  Weise  äußert  sich  Justin  noch  häufig 
(c.  47.  93.  95.  96.  108.  117.  133,  s.  Ottos  Kommentar  zu  c.  16).  Eigentümlich 
ist  c.  137:  SvfjKpdfjtevoi  ovv  (xi)  XoiöoQtjze  inl  xbv  vlbv  zov  &eov,  fiyäh  <Paoi* 
oaloiq  Ttei&öfievoi  öiöaaxdloig  xbv  ßaoO.la  xov  'looatjX  imoxwytjxi  noze%  önola 
öiöäoxovoiv  ol  aQxiGwaywyoi  vpöv,  fiezä  x^v  nooozvxi\v.  Da  hier  .nicht 
von  einem  Verfluchen  (Verwünschen)  der  Christen,  sondern  von  einem  Ver- 
spotten (imoxu>nxeiv)  Christi  die  Rede  ist,  so  ist  wohl  nicht  an  die  birkath 
ha-minim  zu  denken.  Dieselbe  ist  ja  auch  nicht  „nach  dem  Gebet"  (ftezä 
z?)v  noooevzJjv),  sondern  inmitten  desselben  gesprochen  worden. 

162)  Die  von  vielen,  auch  noch  von  Herford  vertretene  Meinung,  daß 


[464.  465]  §  28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  545 


§  28.  Das  Leben  unter  dem  Gesetz. 

I. 

Aller  Eifer  der  Erziehung  in  Familie,  Schule  und  Synagoge 
zielte  darauf  ab,  das  ganze  Volk  zu  einem  Volk  des  Gesetzes 
zu  machen.  Auch  der  geraeine  Mann  sollte  wissen,  was  das  Ge- 
setz gebietet;  und  nicht  nur  wissen,  sondern  auch  tun.  Sein  ganzes 
Leben  sollte  geregelt  werden  nash  der  Norm  des  Gesetzes;  der 
Gehorsam  gegen  dieses  ihm  zur  sichern  Gewohnheit,  und  ein  Ab- 
weichen von  seiner  Richtschnur  zur  inneren  Unmöglichkeit  werden. 
Im  großen  und  ganzen  ist  dieser  Zweck  in  hohem  Maße  erreicht 
worden.  Josephus  versichert:  „Auch  wenn  wir  des  Reichtums  und 
der  Städte  und  der  andern  Güter  beraubt  werden,  das  Gesetz  bleibt 
uns  auf  ewig.  Und  kein  Jude  kann  so  weit  von  seinem  Vaterlande 
weg  kommen,  noch  wird  er  einen  feindseligen  Gebieter  so  sehr 
fürchten,  daß  er  nicht  mehr  als  diesen  das  Gesetz  fürchtete"1. 
So  treu  hielt  die  Mehrzahl  der  Juden  an  ihrem  Gesetz,  daß  sie 
auch  die  Qualen  der  Folter  und  den  Tod  für  dasselbe  mit  Freuden 
auf  sich  nahmen.  „Schon  oft,"  sagt  Josephus,  „hat  man  viele  der 
Gefangenen  Folterqualen  und  alle  Arten  des  Todes  in  Theatern 
erdulden  sehen,  um  nur  kein  Wort  vorzubringen  wider  die  Gesetze 
und  die  andern  heiligen  Schriften" 2.  | 

Aber  welches  waren  die  Motive,  aus  denen  dieser  Enthusias- 
mus für  das  Gesetz  entsprang?  Welches  die  Mittel,  durch  die  es 
sich  diese  ungeheure  Herrschaft  über  die  Gemüter  errungen  hat? 
Um  es  kurz  zu  sagen:  es  war  der  Glaube  an  die  göttliche 
Vergeltung,  und  zwar  an  eine  Vergeltung  im  allerstrengsten 


unter  den  Minim  überaU  die  Judenchristen  zu  verstehen  seien,  ist,  wie  auch 
unser  Text  zeigt,  irrig.  Insofern  M.  Friedländer  hiergegen  polemisiert,  ist 
er  im  Rechte.  Seine  positiven  Aufstellungen  über  die  Minim  sind  freilich 
verfehlt. 

1)  Apion.  II,  38:  Kav  nXovxov  xal  nokewv  xal  x&v  a\\u>v  ayadvov 
axeQrjSvofiev ,  6  yovv  vöfioq  ^/uZV  ci&dvttxoq  äuxpivei*  xal  olöslq  y£ovöalu)v  oike 
HaxQtnv  ovxaq  &v  anik&oi  xfjq  naxoidoq  ovze  TtütQÖv  <poßtj&Jjoexai  öeanoxijv  a>q 
fi9j  tcqö  ixelvov  öeöihai  xdv  vofxov. 

2)  Apion.  I,  8:  "HStj  ovv  noXXol  noXXäxiq  kwoavxai  x(bv  alxfiaXwxwv 
oxoißXaq  xal  navxo'uöv  &avaxtov  xoonovq  iv  9eäxQ0iq  ^noixivovxeq  inl  x(p  fxij6hv 
fäfia  ngoio9ai  nagk  xovq  vofiovq  xal  xaq  ftexä  xovxwv  ävaygaipäq.  —  Vgl. 
auch  Apion.  I,  22  (aus  Hekataus)  und  II,  30:  noXXol  xal  noXXdxiq  tfSrj  xtbv 
fjfxex^Qotv  tcbqI  xov  (Jirjöh  §rj[xa  <p&iy£aofrai  naoä  xbv  vojhov  ndvxa  na&eTv 
yewalwq  nooeiXovxo. 

Schürer,  Geschichte  II.  4.  Aufl.  35 


546  §  28.   Das  Leben  anter  dem  Gesetz.  [465.  466] 

juristischen  Sinne.    Die  prophetische  Idee  des  Bundes,  den  Gott 
mit  dem  auserwählten  Volke  geschlossen  hatte,  wurde  im  rein 
juristischen  Sinne  aufgefaßt:  der  Bund  ist  ein  Rechtsvertrag,  durch 
welchen  beide  Kontrahenten  gegenseitig  gebunden  sind.   Das  Volk 
ist  verpflichtet,  das  von  Gott  ihm  gegebene  Gesetz  pünktlich  und 
gewissenhaft  zu  beobachten;  dafür  ist  aber  auch  Gott  verpflichtet, 
den  verheißenen  Lohn  nach  Maßgabe  der  Leistung  dem  Volke  zu 
entrichten.   Und  zwar  gilt  diese  Verpflichtung  gegenüber  dem  Volke 
als  ganzem,  wie  gegenüber  jedem  einzelnen:  Leistung  und  Lohn 
müssen  immer  in  entsprechendem  Verhältnis  zueinander  stehen. 
Wer  viel  leistet,  hat  von  der  Gerechtigkeit  Gottes  zu  erwarten, 
daß  ihm  auch  viel  Lohn  zuteil  werden  wird,  während  umgekehrt 
jede  Übertretung  auch  entsprechende  Strafe  nach  sich  zieht8.   Wie 
äußerlich   dieser  Vergeltungsglaube   einerseits   Übertretung   und 
Strafe,  andererseits  Gesetzeserfüllung  und  Belohnung  gegeneinander 
abwog,  wird  aus  folgendem  erhellen.    „Sieben  verschiedene  Plagen 
kommen  in  die  Welt  wegen  sieben  Hauptübertretungen.   1)  Wenn 
ein  Teil  des  Volkes  seine  Früchte  verzehntet  und  ein  Teil  nicht, 
so  entsteht  Hungersnot  aus  Dürre,  so  daß  ein  Teil  darbt,  und  ein 
Teil  zur  Genüge  hat.  2)  Verzehntet  aber  niemand,  so  folgt  Hungers- 
not durch  Kriegesstörungen  und  Dürre.    3)  Hat  man  allgemein 
keine  Teighebe  abgesondert,  so  entsteht  eine  alles  verderbende 
Hungersnot   4)  Die  Pest  wütet,  wenn  solche  Verbrechen  überhand 
nehmen,  die  in  der  Schrift  mit  Todesstrafe  belegt,  aber  dem  Ge- 
richte nicht  zur  Vollziehung  übergeben  sind;  wie  auch  wegen  Ver- 
gehens mit  Früchten  des  Erlaßjahres.   5)  Der  Krieg  verheert  das 
Land  wegen  Verzögerung  der  Rechtssprüche,  wegen  Beugung  des 
Rechts,  und  wegen  gesetzwidriger  Auslegung  der  heiligen  Schrift. 
6)  Reißende  Tiere  nehmen  überhand  wegen  Meineid  und  wegen 
Entheiligung  des  göttlichen  Namens.    7)  Vertreibung  in  fremde 
Länder  ist  Strafe  für  Götzendienst,  für  Blutschande,  für  |  Mordtaten 
und  für  Unterlassung  des  Feierjahres**4.   Mit  ähnlicher  Gewissen- 
haftigkeit berechnete  man  den  Lohn  für  die  Gesetzeserfüllung. 
„Wer  auch  nur  ein  Gebot  erfüllet,  dem  wird  Gutes  beschieden, 


3)  Vgl.  Weber,  System  der  altsynagogalen  palästinischen  Theologie (1880) 
S.  235 ff.  290 ff.  —  Hamburger,  Real-Enz.  für  Bibel  und  Talmud,  Abt  II 
Artikel  „Lohn  und  Strafe"  (S.  691—703)  und  „Vergeltung"  (S.  1252-1257). 
—  Hermann  Schultz,  Die  Beweggründe  zum  sittlichen  Handeln  in  dem  vor- 
christlichen Israel  (Theol.  Stud.  u.  Krit  1890,  S.  7—59,  bes.  ß.  39  ff.). 

4)  Aboth  V,  8—9.  Ahnliches  z.  B.  Schabbath  II,  6.  —  Die  alttestament- 
liche  Grundlage  hierfür  sind  die  Verheißungen  resp.  Androhungen  von  Segen 
und  Fluch  in  Lev.  26  und  Deid.  28.  Aber  die  kasuistische  Durchführung  der 
Parallele  ist  dem  A.  T.  noch  fremd. 


[466]  §  28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  547 

seine  Tage  werden  verlängert,  und  er  wird  das  Land  ererben"5. 
„Nach  Verhältnis  der  gegebenen  Mühe  wird  auch  der  Lohn  sein" 
(»naK  an»  D^b) 6.  „Wisse,  daß  alles  in  Rechnung  gebracht  wird" 
(TiatinnT  '^th  h'srvtö  Vi) 7.  Jede  Gesetzeserfttllung  bringt  also  den 
entsprechenden  Lohn  mit  sich.  Und  Gott  hat  nur  zu  dem  Zwecke 
dem  Volke  Israel  so  viele  Gebote  und  Satzungen  gegeben,  um  ihm 
viel  Verdienst  zu  verschaffen 8.  —  Beides,  Strafe  und  Lohn,  werden 
dem  Menschen  schon  in  diesem  gegenwärtigen  Leben  zuteil.  Die 
volle  Vergeltung  erfolgt  aber  erst  in  dem  künftigen  Leben,  im 
fctan  Dbi?.  Dann  werden  auch  alle  scheinbaren  Inkongruenzen  ihre 
Ausgleichung  finden.  Wer  in  diesem  Leben  trotz  seiner  Gerechtig- 
keit von  Leiden  heimgesucht  war,  wird  dort  um  so  volleren  Lohn 
empfangen.  Aber  auch  abgesehen  hiervon  erfolgt  die  volle  Be- 
lohnung jedenfalls  erst  in  der  künftigen  Welt.  Denn  die  gegen- 
wärtige Welt  ist  noch  eine  Welt  der  Unvoilkommenheit  und  des 
Übels.  In  der  künftigen  Welt  aber  hört  alle  Schwäche  auf.  Dann 
wird  Israel  für  seine  treue  Gesetzeserfttllung  sowohl  als  Volk  im 
ganzen  wie  in  seinen  einzelnen  Gliedern  durch  ein  Leben  in  un- 
getrübter Seligkeit  belohnt  Die  guten  Werke  —  wie  Ehrfurcht 
vor  Vater  und  Mutter,  Wohltätigkeit,  Friedestiften  unter  Neben- 
menschen und  vor  allem  Studium  des  Gesetzes  —  sind  daher  zu 
vergleichen  mit  einem  Kapital,  dessen  Zinsen  man  schon  in  diesem 
Leben  genießt,  während  das  Kapital  selbst  stehen  bleibt  für  das 
künftige  Leben9.  Diese  Hoffnung  auf  eine  künftige  Ver- 
geltung war  also  die  Haupttriebfeder  alles  gesetzlichen 


5)  Kidduschin  I,  10. 

6)  Äbotk  V,  23. 

7)  Äboth  IV,  22. 

8)  Makkoth  HI,  16.  —  Neuere  jüdische  Gelehrte  beanstanden  die  Über- 
setzung von  nte]  durch  „Verdienst  verschaffen".  Aber  im  Vorhergehenden 
(IQ,  15)  steht  rot  als  Synonymum  von  *ou  inp  „Lohn  empfangen",  heißt 
also  „Verdienst  haben";  demnach  ist  das  Fiel  MST  in  unserem  eng  mit  dem 
Vorhergehenden  zusammenhangenden  Satz  =  „Verdienst  verschaffen".  —  Zur 
Bestätigung  sei  noch  die  Äußerung  eines  mittelalterlichen  Philosophen,  des 
Saadja  Gaon,  angeführt,  welcher  die  Offenbarungsgebote  im  Unterschiede 
von  den  Vernunftgeboten  bezeichnet  als  solche,  die  gegeben  sind  ohne 
einen  ersichtliche^  Zweck,  die  aber  trotzdem  berechtigt  sind,  weil  Gott 
für  deren  Befolgung  einen  Lohn  gewährt  Sie  sind  „Dinge,  über  welche  die 
Vernunft  kein  Urteil  abgibt,  daß  sie  an  sich  gut  oder  verwerflich  sind,  die 
aber  Gott  durch  Gebot  oder  Verbot  hinzugefügt  hat,  um  unseren  Lohn 
und  unsere  Glückseligkeit  um  ihretwillen  zu  mehren"  (Referat 
Guttmanns  in  der  Theol.  Litztg.  1904,  col.  56,  in  der  Anzeige  von  Engel« 
kemper,  Die  religionsgeschichtliche  Lehre  Saadja  Gaons  über  die  heil« 
Schrift,  1903). 

9)  Pea  I,  1.   Vgl.  Kidduschin  IV,  14. 

35* 


548  §  28*   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  [466.  467] 

Eifers.  Ja  das  ganze  religiöse  Leben  des  jüdischen  Volkes 
in  unserem  Zeitalter  bewegte  sich  geradezu  um  |  diese 
beiden  Pole:  Erfüllung  des  Gesetzes  und  Hoffnung  einer 
künftigen  Herrlichkeit  Der  Eifer  für  jenes  hat  seine  Lebens- 
kraft vornehmlich  aus  dieser  geschöpft.  Das  Wort  des  Antigonus 
von  Socho:  „Gleichet  nicht  den  Knechten,  die  ihrem  Herrn  um  des 
Lohnes  willen  dienen,  sondern  seid  denen  gleich,  die  ohne  Bück- 
sicht auf  Lohn  Dienste  leisten" 10,  ist  keineswegs  ein  korrekter 
Ausdruck  der  Grundstimmung  des  pharisäischen  Judentums.  Dieses 
gleicht  in  der  Tat  den  Knechten,  die  um  des  Lohnes  willen  dienen. 
Zu  welchen  Resultaten  hat  nun  dieser  gesetzliche  Eifer  ge- 
führt? Sie  entsprechen  den  Motiven.  Wie  die  Motive  im  wesent- 
lichen doch  äußerlicher  Art  sind,  so  ist  auch  das  Resultat  eine 
unglaubliche  Veräußerlichung  des  religiösen  und  sitt- 
lichen Lebens.  Freilich  ist  dieses  Resultat  unvermeidlich,  sobald 
einmal  die  Religion  zum  Gesetz  gemacht  wird,  und  zwar  in  dem 
Sinne,  daß  das  gesamte  religiöse  Verhalten  in  nichts  anderem  be- 
stehen soll,  als  in  der  strikten  Befolgung  eines  das  bürgerliche 
und  soziale  ebensogut  wie  das  individuelle  Leben  in  allen  seinen 
Beziehungen  regelnden  Gesetzes.  Mit  dieser  Auffassung  der  reli- 
giösen Pflicht,  welche  das  charakteristische  Merkmal  des  nach- 
exilischen  Judentums  bildet,  wird  das  gesamte  religiöse  und 
sittliche  Leben  in  die  Sphäre  des  Rechts  herabgezogen, 
und  damit  ist  notwendig  Folgendes  gegeben.  1)  Vor  allem 
wird  hiermit  das  individuelle  Leben  durch  eine  Norm  geregelt, 
deren  Anwendung  auf  diesem  Gebiete  überhaupt  vom  Übel  ist* 
Das  Recht  hat  lediglich  die  Aufgabe,  die  Beziehungen  der  Menschen 
zueinander  nach  gewissen  Maßstäben  zu  ordnen.  Sein  Objekt  ist 
nicht  das  Individuum  als  solches,  sondern  nur  die  bürgerliche  Ge- 
sellschaft als  ganze.  Die  Funktionen  dieser  letzteren  sollen  durch 
das  Gesetz  so  geregelt  werden,  daß  innerhalb  dieses  Rahmens  jedem 
einzelnen  die  Erfüllung  seiner  individuellen  Aufgabe  ermöglicht 
werde.  Die  Anwendung  der  Rechtsnorm  auf  das  individuelle  Leben 
bringt  also  an  sich  schon  das  letztere  unter  falsche  Maßstäbe. 
Denn  zum  Wesen  des  Rechts  gehört  der  äußere  Zwang;  zum  Wesen 
des  sittlichen  Handelns  aber  gehört  die  Freiheit.  Nur  dann  ist 
das  sittliche  Leben  des  Individuums  ein  gesundes,  wenn  es  durch 
innere  Motive  geleitet  wird.  Die  Regelung  durch  äußere  Maßstäbe 
ist  eine  Verfälschung  desselben  im  Prinzip.  —  2)  Mit  der  recht- 
lichen Normierung  des  religiösen  und  sittlichen  Lebens  ist  aber 
ferner  gegeben,  daß  die  verschiedenartigsten  Tätigkeiten  als  gleich- 


10)  Aboth  I,  3. 


[467.  468]  §  28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  54g 

wertig  nebeneinander  gestellt  werden.  Denn  es  werden  nun  schlecht- 
hin alle  Lebensbetätigungen  durch  das  Gesetz  normiert:  nicht  nur 
das  |  Verhalten  der  Menschen  zueinander  in  Staat  und  Gesell- 
schaft, sondern  in  derselben  Weise  auch  die  individuellsten  Lebens- 
äußerungen des  einzelnen:  wie  er  seine  Dankbarkeit  gegen  Gott 
bezeugt  oder  die  Reue  über  begangene  Sünden  an  den  Tag  legt, 
wie  er  dem  Nächsten  seine  Liebe  erweist,  wie  er  sein  tägliches 
Leben  in  den  äußerlichsten  Beziehungen,  in  Sitten  und  Gewohn- 
heiten gestaltet  Alles  fällt  nun  unter  denselben  Gesichtspunkt: 
unter  die  Norm  des  Gesetzes,  und  zwar  eines  Gesetzes,  welches  mit 
göttlicher  Autorität  auftritt  Der  Inhalt  des  Tuns  wird  damit 
relativ  gleichgültig.  Es  hat  alles  denselben  Wert:  das  bloß  kon- 
ventionelle Verhalten  in  den  äußeren  Dingen  und  Zeremonien  wie 
die  Erfüllung  der  höchsten  religiösen  und  sittlichen  Aufgaben.  Das 
erstere  wird  auf  die  Stufe  der  letzteren  erhoben,  und  die  letztere 
auf  die  Stufe  des  ersteren  herabgedrückt.  Es  gibt  immer  und 
überall  nur  eine  Aufgabe:  Erfüllung  des  Gesetzes,  d.  h.  Erfüllung 
alles  dessen,  was  nun  einmal  von  Gott  geboten  ist,  gleichviel, 
welches  Inhaltes  es  auch  sei.  —  3)  Hiernach  versteht  es  sich  auch 
von  selbst,  daß  es  im  Grunde  nur  darauf  ankommt,  dem  Gesetz 
zu  genügen.  Eine  höhere  Aufgabe  gibt  es  auf  dem  Gebiete  des 
Rechtes  nicht  Ist  die  Forderung  des  Gesetzes  pünktlich  erfüllt, 
so  ist  auch  der  Pflicht  genügt.  Die  Fragestellung  kann  also  immer 
nur  die  sein:  Was  ist  geboten?  und  was  ist  zu  tun,  damit  dem 
Gebot  Genüge  geschehe?  Die  Konsequenz  ist  unvermeidlich,  daß 
alles  Dichten  und  Trachten  nur  darauf  gerichtet  ist,  sich  mit  dem 
Buchstaben  des  Gesetzes  abzufinden.  Man  wird  diese  Aufgabe 
vielleicht  schwer  nehmen;  man  wird  lieber  mehr  tun  als  weniger, 
um  nur  ja  den  ganzen  Umfang  des  Gebotes  bei  der  Ausführung 
zu  treffen.  Aber  man  wird  immer  nur  die  eine  Absicht  haben: 
dem  Wortlaut  zu  genügen.  Und  das  kann  nicht  geschehen  ohne 
schwere  Schädigung  des  Inhaltes.  Der  eigene  Wert  des  Guten 
bleibt  dabei  außer  Betracht  Nicht  das  Tun  des  Guten  als  solchen 
ist  das  Ziel,  sondern  die  rein  formale  Korrektheit  in  der  Erfüllung 
des  Gesetzesbuchstabens.  Trotz  alles  Eifers,  ja  gerade  wegen  des- 
selben muß  dabei  die  wahre  Sittlichkeit  notwendig  Schaden  leiden. 
—  4)  Endlich  aber  hat  der  rein  formale  Gesichtspunkt  auch  noch 
die  weitere  Folge,  daß  die  sittliche  Aufgabe  sich  zerspaltet  in  eine 
endlose  atomistische  Menge  einzelner  Aufgaben  und  Pflichten.  Jedes 
Recht  ist  notwendig  kasuistisch;  denn  es  stellt  eine  Vielheit  ein- 
zelner statutarischer  Forderungen  auf.  Jede  Kasuistik  ist  aber 
ihrem  Wesen  nach  endlos.  Man  mag  den  einen  Fall  in  noch  so 
viele  Unterarten  zerteilt  haben:  jede  Unterart  läßt  sich  doch  wieder 


550  §  28-   D&s  Leben  unter  dem  Gesetz.  [46a  469] 

in  Unterabteilungen  zerspalten;  und  des  Teilens  ist  hier  kein  Ende. 
Den  glänzendsten  Beweis  dafür  liefert  eben  die  staunenswerte 
Arbeit  der  pharisäischen  Schriftgelehrten.  Mit  allem  Fleiß  und 
Scharfsinn  ihres  Distinguierens  sind  sie  doch  nie  ans  Ende  ge- 
kommen. Aber  das  Zeugnis  muß  man  ihnen  geben,  daß  sie  es  sich 
redlich  haben  sauer  werden  lassen.  Das  jüdische  Recht  ist  unter 
ihren  Händen  zu  einer  weitverzweigten  Wissenschaft  geworden. 
In  tausend  und  abertausend  einzelne  Gebote  haben  sie  das  Gesetz 
zerlegt,  und  damit,  so  viel  an  ihnen  lag,  für  jeden  denkbaren  Fall 
des  praktischen  Lebens  eine  leitende  Formel  aufgestellt  So  staunens- 
wert aber  diese  Leistung  auch  ist,  so  liegt  doch  gerade  hier  der 
schwerste  Fehler.  Alles  freie  sittliche  Handeln  wird  nun  voll- 
ständig erdrückt  durch  die  Last  der  zahllosen  einzelnen  statutari- 
schen Forderungen.  Je  größer  deren  Zahl,  desto  verhängnisvoller 
wird  die  Wirkung  des  Grundirrtums,  der  in  der  Übertragung  der 
juristischen  Behandlungsweise  auf  das  Gebiet  des  religiösen  und 
sittlichen  Lebens  liegt.  In  jedem  Momente  des  Lebens  wird  nun 
nicht  aus  inneren  Motiven,  nicht  in  freier  Betätigung  einer  sitt- 
lichen Gesinnung  gehandelt,  sondern  unter  dem  äußeren  Zwang 
einer  statutarischen  Forderung.  Und  diese  Forderung  erstreckt 
sich  über  alles  in  gleicher  Weise:  über  das  Größte  und  über  das 
Kleinste,  über  das  Wertvollste  und  über  das  Gleichgültigste;  alles 
Tun,  es  mag  nach  sittlichem  Maßstab  gemessen  hoch  oder  gering 
sein,  hat  nun  denselben  Wert;  für  alles  gibt  es  nur  einen  Gesichts- 
punkt: daß  man  tue,  was  geboten  ist,  weil  es  geboten  ist  Und 
dabei  gibt  es  natürlich  auch  keine  höhere  Aufgabe,  als  daß  man 
dem  Buchstaben  gerecht  werde  um  des  Buchstabens  willen.  Nicht 
auf  die  Gesinnung,  sondern  auf  die  äußere  Korrektheit  des  Tuns 
kommt  es  an.  —  Und  all  dieser  kleinliche  und  verkehrte  Eifer 
will  schließlich  der  wahre  und  rechte  Gottesdienst  sein.  Je  mehr 
man  sich  darin  abmüht,  desto  mehr  glaubt  man  sich  Gottes  Wohl- 
gefallen zu  erwerben.  Es  ist,  wie  der  Apostel  Paulus  sagt:  Cfilov 
&tov  Bxovöiv,  d/Ll*  ov  xar*  ijtlyvcoötv  {Rom,  10,  2)  n.    Wie  weit  sich 


11)  Neben  der  endlosen  kasuistischen  Zerspaltung  des  Gesetzes  in  ein- 
zelne Gebote  finden  sich  hier  und  da  (aber  sehr  selten!)  Sprüche  mit  ent- 
gegengesetzter Tendenz.  Am  berühmtesten  ist  Hill  eis  goldene  Regel:  „Was 
dir  unlieb  ist,  das  tue  auch  deinem  Nächsten  nicht"  mit  dem  Zusätze:  „Dies 
ist  die  ganze  Lehre,  das  übrige  ist  nur  Erläuterung"  {Schabbaih  31»,  Bacher, 
Die  Agada  der  Tan  nahen  I,  2.  Aufl.  S.  4  f.).  In  derselben  Richtung  bewegt 
sich  auch  ein  Ausspruch  des  R.  Simlai  (3.  Jahrh.  n.  Chr.):  „613  Gebote  sind 
Moses  offenbart  worden,  365  Verbote,  gleich  der  Anzahl  der  Tage  des  Sonnen- 
jahres, und  248  Gebote,  gleich  der  Anzahl  der  Glieder  des  menschlichen  Kör- 
pers  [diese  Zahl  auch  in  der  Mischna  Ohaloih  I,  8].    Es   kam  David  und 


[469.  470]  §.  28.   Das  Leben  anter  dem  Gesetz.  551 

dieser  unverständige  Eifer  um  Gott  verirrte,  und  welche  schwere 
Last  er  damit  dem  Leben  des  Israeliten  auflud,  mag  durch  eine 
Reihe  konkreter  Beispiele  deutlich  gemacht  werden12.  | 


n. 

Eine  der  wichtigsten  Materien,  sowohl  hinsichtlich  ihres  Um- 
fangs  wie  hinsichtlich  des  Wertes,  den  man  auf  sie  legte,  war 
das  Kapitel  von  der  Sabbathfeier13.   Das  kurze  pentateuchische 


brachte  sie  auf  elf  (Ps.  15);  dann  kam  Jesaja  and  brachte  sie  auf  sechs  (Jes. 
33,  15);  Micha,  and  brachte  sie  auf  drei  (Micha  6,  8);  Jesaja  kam  noch  ein- 
mal und  brachte  sie  auf  zwei  (Jes.  56,  1);  Arnos  kam  and  brachte  sie  auf 
eins  (Arnos  5,  4:  Suchet  mich,  so  werdet  ihr  leben)"  s.  b.  Makkoth  23b, 
Bacher,  Die  Agada  der  palästinensischen  Amoräer  Bd.  I,  1892,  S.  558  f.  Die 
Absicht  dieses  Spruches  ist  zweifellos,  zu  zeigen,  daß  alle  Einzelgebote  auf 
ein  Grundgebot  zurückgehen  und  in  demselben  ihre  Einheit  haben.  Wie 
fern  aber  dieser  Gesichtspunkt  im  allgemeinen  dem  rabbinischen  Judentum 
liegt,  zeigt  am  schlagendsten  der  Umstand,  daß  die  Folgezeit  ihren  Scharf- 
sinn darin  geübt  hat,  die  365  +  248  =-  613  Gebote  im  einzelnen  nachzu- 
weisen, so  daß  die  herrschende  Ansicht  in  Wahrheit  dahin  geht,  daß  das 
Gesetz  nicht  etwa  ein,  sondern  613  Grundgebote  umfaßt  (Merkwort:  Tarjag 
mm  avin  —  613),  s.  Bloch,  Les  613  lois  (Revue  des  kudes  juives  t  I,  1880, 
p.  197—211  u.  t  V,  1882,  p.  27—40).  BroydS,  Art.  „Oommandments,  the  613" 
in:  The  Jexoish  Encyclopedia  IV,  1903,  p.  181—186. 

12)  Es  sind  hierbei  hauptsächlich  diejenigen  Punkte  hervorgehoben,  welche 
in  'den  Evangelien  berührt  werden.  —  In  betreff  der  Zeit,  aus  welcher  das 
hier  vorgeführte  Material  stammt,  sei  nur  daran  erinnert,  daß  die  in  der 
Mischna  zitierten  Autoritäten  fast  sämtlich  dem  Jahrhundert  zwischen  70—170 
nach  Chr.  angehören.  Es  liegt  uns  also  hier  das  jüdische  Recht  in  derjenigen 
Ausgestaltung  vor,  welche  es  etwa  in  der  ersten  Hälfte  des  zweiten  Jahrhun- 
derts nach  Chr.  erhalten  hat.  Im  wesentlichen  wird  aber  diese  Ausgestaltung 
bereits  aus  dem  Anfang  der  christlichen  Zeitrechnung,  aus  der  Zeit  Hilleis  und 
Schammais  herrühren.  Denn  die  Differenzen  ihrer  beiden  Schulen  beziehen 
sich  bereits  auf  das  subtilste  Detail. 

13)  Vgl.  in  der  Mischna  die  Traktate  Schabbath,  Erubin,  Bexa  oder  Jörn 
tob,  Buoh  der  Jubiläen  cap.  2,  25 — 33  und  cap.  50.  Maimanides,  Hilchoih 
Schabbath,  Erubin  und  Jörn  tob  (Petersburger  Übersetzung  H,  1—310,  322—386). 
—  Ferner:  Boden  seh  atz,  Kirchliche  Verfassung  der  heutigen  Juden  H, 
112—158.  J.  F.  Schröder,  Satzungen  und  Gebräuche  des  talmudisch-rabbi- 
nischen  Judenthums,  1851,  S.  18—66.  Winer,  Realwörterb.  H,  343—349. 
Oe hl  er  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  XIII,  193—204  (in  der  2.  Aufl.  revidiert 
von  Orelli  XIII,  156—166).  Saalschütz,  Das  mosaische  Recht  I,  388 ff. 
Mangold  in  Schenkels  Bibellex.  V,  123—126.  Riehms  Wörterb.  s.  v. 
Rönsch,  Das  Buch  der  Jubiläen,  1874,  S.  510—513.  Driver  in  Hostings' 
Diäionary  of  the  Bible  IV,  317—323.  Bohn,  Der  Sabbat  im  Alten  Testa- 
ment und  im  altjüdiseben  religiösen  Aberglauben,  1903.    The  Jexoish  Bncyclo- 


1 


552  §  28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  [470.  471] 

Verbot  der  Arbeit  am  Sabbatb,  das  auf  Näheres  sich  fast  gar  nicht 
einläßt  (Exod.  16,  23—30.  20,  8—11.  23,  12.  31,  12-17.  34,  21. 
35,  1—3.  Lev.  23,  3.  Num.  15,  32—36.  Deut  5,  12-15.  Vgl.  Jes. 
58,  13.  Jerem.  17,  21—24.  Ezech.  22,  8.  Arnos  8,  5.  Nehem.  10,  32. 
13,  15  ff.),  war  im  Laufe  der  Zeit  so  vielseitig  ausgebaut  worden, 
daß  es  für  sich  allein  schon  einen  umfangreichen  Wissenszweig 
bildete.  Denn  mit  diesem  schlichten  Verbot  konnten  sich  die  Rab- 
binen  natürlich  nicht  begnügen.  Sie  mußten  auch  genau  bestimmen, 
welche  Arbeit  verboten  sei.  Und  so  brachten  sie  denn  mit  vielem 
Scharfsinn  endlich  heraus,  daß  im  ganzen  39  Hauptarbeiten  ver- 
boten sind,  von  welchen  natürlich  nur  die  wenigsten  im  Pentateuch 
irgendwie  sich  angedeutet  finden.  Diese  39  verbotenen  Haupt- 
arbeiten sind:  1)  säen,  2)  ackern,  3)  ernten,  4)  Garben  binden, 
5)  dreschen,  6)  worfeln,  7)  Früchte  säubern,  8)  mahlen,  9)  sieben, 
10)  kneten,  11)  backen,  12)  Wolle  scheren,  13)  sie  waschen, 
14)  klopfen,  15)  färben,  16)  spinnen,  17)  anzetteln,  18)  zwei  Binde- 
litzen machen,  19)  zwei  Fäden  weben,  20)  zwei  Fäden  trennen, 
21)  einen  Knoten  machen,  22)  einen  Knoten  auflösen,  23)  zwei 
Stiche  nähen,  24)  zerreißen,  um  zwei  Stiche  zu  nähen,  25)  ein  Reh 
fangen,  26)  es  schlachten,  27)  dessen  Haut  abziehen,  28)  sie  salzen, 
29)  das  Fell  bereiten,  30)  die  Haare  abschaben,  31)  es  zerschneiden, 
32)  zwei  Buchstaben  schreiben,  33)  auslöschen,  um  zwei  Buchstaben 
zu  schreiben,  34)  bauen,  35)  einreißen,  36)  Feuer  löschen,  37)  an- 
zünden, 38)  mit  dem  Hammer  glatt  schlagen,  39)  aus  einem  Bereiche 
in  einen  andern  tragen14. 

Jede  dieser  Hauptbestimmungen  forderte  nun  aber  wieder 
nähere  |  Erörterungen  über  ihren  Sinn  und  ihre  Tragweite.  Und 
damit  beginnt  erst  eigentlich  die  Arbeit  der  Kasuistik.  Wir  wollen 
nur  einige  ihrer  Resultate  hier  herausheben.  Nach  Exod.  34,  21 
gehörte  zu  den  verbotenen  Arbeiten  das  Pflügen  und  Ernten.  Als 
Erntearbeit  wurde  es  aber  schon  angesehen,  wenn  jemand  auch 
nur  ein  paar  Ähren  ausraufte15.   Als  daher  die  Jünger  Jesu  dies 


mdm  X,  587—602  (Art.  Shabbath).    Lotz  in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl. 
XVH,  283—291. 

14)  Schabbaih  VII,  2.  —  Die  Übersetzung  ist  hier  und  im  Folgenden 
überall  die  von  Josts  Mischna- Ausgabe.  —  Vgl.  auch  die  Aufzählung  im 
Buch  der  Jubiläen  e.  50. 

15)  Vgl.  Maimonides,  Hilcholh  Schabbath  VIII,  3  (Petersburger  Über- 
setzung II,  50,  latein.  bei  Light foot,  Horae  hebr.  zu  Matth.  12,  2):  „Aus- 
reißen ist  eine  Unterarbeit  des  Erntens;  deshalb  macht  sich,  wer  etwas  von 
der  Stelle,  wo  es  gewachsen,  ausreißt,  des  Erntens  schuldig".  —  Philo,  Vita 
Mosis  II  §4  (Mang.  II,  137  fin.):  Ol  yäg  $Qvoq  oi>  xXaöov  &XX9  oi>dh  niraXov 
ifpelxai  refteiv  ij  xaqnbv  dvviva  ovv  ÖQ&yao&cu.  —   Wünsche,  Jesu 


[471.  472)  §  28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  553 

einst  am  Sabbath  taten,  wurden  sie  von  den  Pharisäern  getadelt, 
nicht  wegen  des  Ausraufens  an  sich  (das  nach  Deut  23,  26  gestattet 
war),  sondern  weil  sie  damit  sich  der  Erntearbeit  am  Sabbath 
schuldig  machten  (Matth.  12,  1—2.  Mc.  2,  23—24.  Luc,  6,  1—2).  — 
Das  Verbot,  einen  Knoten  zu  machen  und  aufzulösen  (Nr.  21—22), 
war  viel  zu  allgemein,  als  daß  man  sich  dabei  hätte  beruhigen 
können.  Es  mußte  auch  gesagt  werden,  von  welchen  Knoten  dies 
gelte  und  von  welchen  nicht  „Folgendes  sind  die  Knoten,  über 
deren  Anfertigung  man  schuldig  wird:  Der  Knoten  der  Kameltreiber 
und  der  der  Schiffer;  und  so  wie  man  schuldig  ist  wegen  deren 
Schürzung,  so  ist  man  auch  schuldig  wegen  deren  Lösung.  R.  Meir 
sagt:  Wegen  eines  Knotens,  den  man  mit  einer  Hand  lösen  kann, 
ist  man  nicht  schuldig.  Es  gibt  Knoten,  wegen  welcher  man  nicht 
wie  bei  dem  Kameltreiber-  und  Schifferknoten  schuldig  wird.  Ein 
Frauenzimmer  darf  den  Schlitz  ihres  Hemdes  zuknüpfen,  so  auch 
die  Bänder  der  Haube,  die  einer  Leibbinde,  die  Riemen  der  Schuhe 
und  Sandalen,  Schläuche  mit  Wein  und  Öl,  einen  Topf  mit  Fleisch** 16. 
Und  da  nun  der  Knoten  an  der  Leibbinde  doch  einmal  gestattet 
war,  so  wurde  festgesetzt,  daß  man  auch  einen  Eimer  über  den 
Brunnen  mit  der  Leibbinde  festknüpfen  dürfe,  nur  nicht  mit  einem 
Stricke17.  —  Das  Verbot  des  Schreibens  am  Sabbath  (Nr.  32)  wird 
folgendermaßen  präzisiert:  „Wer  zwei  Buchstaben  schreibt,  mit 
der  Rechten  oder  mit  der  Linken,  sie  seien  einerlei  oder  zweierlei 
oder  auch  mit  verschiedenen  Tinten  geschrieben,  oder  aus  ver- 
schiedenen Sprachen,  ist  schuldig.  Wer  einmal  sich  vergessend 
zwei  Buchstaben  schrieb,  ist  schuldig;  er  möge  nun  mit  Tinte  ge- 
schrieben haben  oder  mit  Farbe,  mit  Rötel,  mit  Gummi,  mit  Vitriol, 
oder  was  irgend  bleibende  Zeichen  macht  Wer  ferner  auf  zwei 
einen  Winkel  bildende  Wände  oder  auf  zwei  Tafeln  des  Rechen- 
buches schrieb,  so  daß  man  |  sie  zusammen  lesen  kann,  ist  schuldig. 
Wer  auf  seinen  Körper  schreibt,  ist  schuldig.  Schreibt  einer  in 
dunkle  Flüssigkeiten,  in  Fruchtsaft,  oder  in  Wegestaub,  in  Streu- 
sand oder  überhaupt  in  etwas,  worin  die  Schrift  nicht  bleibt,  so 
ist  er  frei.  Schreibt  einer  mit  verkehrter  Hand,  mit  dem  Fuße, 
mit  dem  Munde,  mit  dem  Ellenbogen;  ferner  wenn  einer  einen 
Buchstaben  zu  anderer  Schrift  zuschreibt  oder  andere  Schrift  über- 
zieht; ferner  wenn  einer  ein  n  zu  schreiben  beabsichtigt  und  nur 
zwei  t  T  schrieb,  oder  wenn  jemand  einen  Buchstaben  an  die  Erde 


Conflikt  mit  den  Pharisäern  wegen  des  Ährenausraufens  seiner  Schüler  (Vier« 
teljahrsschr.  für  Bibelkunde  I,  1904,  S.  281—306). 

16)  Schabbath  XV,  1—2. 

17)  Schabbath  XV,  2. 


554  §  28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  [472.  473] 

und  einen  an  die  Wand  schrieb,  oder  auf  zwei  Wände  des  Hauses, 
oder  auf  zwei  Blätter  des  Buches,  so  daß  sie  nicht  miteinander 
gelesen  werden  können,  so  ist  er  frei.  Wenn  er  in  zweienmalen 
vergessend  zwei  Buchstaben  schrieb,  etwa  einen  des  Morgens  und 
den  andern  gegen  Abend,  so  erklärt  ihn  R.  Gamaliel  für  schuldig; 
die  Gelehrten  sprechen  ihn  frei" 18.  —  Nach  Exod.  16,  23  war  es 
verboten,  am  Sabbath  zu  backen  und  zu  kochen.  Die  Speisen,  die 
man  am  Sabbath  warm  genießen  wollte,  mußten  daher  vor  Anbruch 
desselben  bereitet  und  künstlich  warm  erhalten  werden.  Dabei 
mußte  aber  sorgfältig  darauf  geachtet  werden,  daß  nicht  etwa  die 
vorhandene  Wärme  gesteigert  würde,  was  ja  ein  „kochen"  gewesen 
wäre.  Es  durften  also  die  Speisen  nur  in  solche  Stoffe  eingesetzt 
werden,  welche  die  Wärme  erhielten,  nicht  in  solche,  welche  sie 
möglicherweise  steigern  konnten.  „Man  darf  Speisen  (um  sie  am 
Sabbath  warm  zu  erhalten)  nicht  einsetzen  in  Öldrüsen,  in  Dünger, 
in  Salz,  in  Kalk  oder  in  Sand,  sie  seien  feucht  oder  trocken;  nicht 
in  Stroh,  in  Weinhülsen,  in  Wollflocken,  in  Kräuter,  wenn  diese 
feucht  sind;  wohl  aber  wenn  sie  trocken  sind.  Man  darf  aber  ein- 
setzen in  Kleider,  unter  Früchte,  unter  Taubenfedern,  unter  Hobel- 
späne und  unter  Flachswerg.  R.  Jehuda  erklärt  feines  (Flachs- 
werg) für  unerlaubt  und  gestattet  nur  grobes" 19.  |  —  Nach  ExocL 


18)  Schabbath  Xu,  3—6. 

19)  Schabbath  IV,  1 ;  und  dazu  die  Kommentare  in  Surenhusius'  Mischna 
II,  18.  —  Einige  Schotten  zu  Juvenal  über  die  Bpeisenaufbewahrung  für  den 
Sabbath  teilt  Rönech  mit  (Jahrbb.  f.  class.  Philol.  1881,  S.  692—696);  z.  B. 
zu  Juv.  VT,  542:  ideo  dixit  foenoque  supellectilef  quod  his  pulmentaria  sua  et 
calidam  aquam  die  sabbati  servare  consuerunt.  —  Ron  seh,  Ein  weiteres 
Scholion  etc.  (ebendas.  1885,  S.  552),  zu  Juv.  ETI,  13,  von  den  Juden:  uno  die 
ante  sabbatum  in  cofinis  edulia  sua  calida  ponebani  insolventes  in  feno  post  in- 
vohUionem  linteaminum  et  mapparum,  ut  sabbato  calida  haberent.  —  Beide 
Aufsätze  von  Ron  seh  wieder  abgedr.  in  dessen  CoUectanea  philologa,  nach 
dem  Tode  des  Verf.  herausg.  1891,  S.  249—254.  —  Die  Speisenaufbewahrung 
für  den  Sabbath  war  deshalb  wichtig,  weil  eine  gute  Mahlzeit  auch  nach 
jüdischen  Begriffen,  wie  nach  denen  des  Altertums  überhaupt,  zur  würdigen 
Feier  eines  Festtages  gehörte  (Nehem.  8,  10.  Tabu  2, 1).  Daher  war  auch  am 
Sabbath  Wohlleben  Pflicht  (Maimonides,  Hüchoth  Schabbath  c.  XXX, 
Petersburger  Übersetzung  II,  238  ff.),  das  Fasten  verboten  (Judith  8,  6.  Buch 
der  Jubiläen,  c.  50,  10  u.  12).  Auch  die  bei  Persius  Sat.  V,  179—184  be- 
schriebene Mahlzeit  ist  nicht  etwa  eine  Fasten-Mahlzeit,  sondern  das  Fest- 
mahl des  Proletariers.  Vgl.  auch  die  Ausleger  zu  Luc.  14, 1  (Lightfoot,  Koros 
kebr.j  Wetstein  Nov.  Test.  I,  750).  Bodenschatz,  Kirchl.  Verfassung  der  heu- 
tigen Juden  II,  124  f.  Schröder,  Satzungen  und  Gebräuche  S.  21.  Ein  grober 
Irrtum  ist  es,  wenn  griechische  und  römische  Schriftsteller  den  Sabbath  als 
Fasttag  betrachten  (Strabo  XVI,  2,  40.  Sueton.  Äug.  76.  Justin.  XXXVI,  2, 14* 
Petron.  fragm.  37  ed.  Bücheier). 


[473.  474]  §  28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  555 

35,  3  war  es  verboten,  am  Sabbath  Feuer  anzuzünden.  Dieses  Ver- 
bot wurde  durch  das  des  Feuerlöschens  ergänzt  Hinsichtlich  des 
letzteren  entstand  nun  die  Frage,  wie  es  zu  halten  sei,  wenn  ein 
Nichtisraelite  zu  einem  Brande  kommt.  „Wenn  ein  Nichtisraelite 
zum  Löschen  herbeikommt,  so  sagt  man  weder  zu  ihm:  Lösche! 
noch:  Lösche  nicht!  Und  zwar,  weil  man  nicht  verbunden  ist,  ihn 
zum  Ruhen  anzuhalten** 20.  Selbstverständlich  wurde  das  Lösch- 
verbot auch  auf  Lichter  und  Lampen  ausgedehnt  und  darüber  fol- 
gendes verordnet:  „Wer  ein  Licht  auslöscht,  weil  er  sich_fürchtet 
vor  Heiden,  vor  Räubern,  vor  bösem  Geist,  oder  um  eines  Kranken 
willen,  damit  er  einschlafe,  ist  frei.  Geschieht  es  aber,  um  die 
Lampe,  das  Ol,  oder  den  Docht  zu  schonen,  so  ist  er  schuldig. 
R.  Jose  spricht  ihn  in  jedem  Falle  frei,  außer  in  betreff  des  Dochtes, 
weil  er  dadurch  gleichsam  eine 'Kohle  bereitet**21.  „Man  darf  ein 
Gefäß  zum  Auffangen  der  Funken  unter  die  Lampe  setzen;  aber 
nicht  Wasser  hineintun,  weil  man  dadurch  löscht" 22.  —  Ganz  be- 
sonders reichen  Stoff  zur  Diskussion  gab  die  letzte  der  39  Haupt- 
arbeiten: das  Tragen  aus  einem  Bereiche  in  einen  anderen  (^sran 
mfcpib  rnttnti),  was  nach  Jerem.  17,  21—24  verboten  war;  vgl.  auch 
Buch  der  Jubiläen  c.  2,  29—30.  c.  50,  8.  Wir  werden  später  noch 
sehen,  welche  raffinierte  Sophistik  darauf  verwandt  wurde,  um  den 
Begriff  des  nw -j  zu  erweitern.  Hier  sei  nur  mit  ein  paar  Worten 
erwähnt,  daß  man  auch  das  Maß  dessen,  was  am  Sabbath  aus  einem 
Bereiche  in  einen  andern  zu  tragen  verboten  ist,  genau  feststellte. 
So  machte  sich  z.  B.  einer  Sabbathverletzung  schuldig,  wer  so  viel 
Speise  hinaustrug,  als  eine  dürre  Feige  ausmacht28,  oder  so  viel 
Wein,  als  .zur  Mischung  des  Bechers  genügt,  Milch,  so  viel  zu 
einem  Schluck  genügt,  Honig,  so  viel  als  man  auf  eine  Wunde 
legt,  Öl,  so  viel  man  ein  kleines  Glied  zu  salben  braucht,  Wasser, 
so  viel  nötig  ist,  um  Augensalbe  anzufeuchten24,  Papier,  so  viel,  | 
daß  man  darauf  einen  Zollzettel  schreiben  kann 25,  Pergament,  um 
den  kleinsten  Abschnitt  der  Tephillin  darauf  zu  schreiben,  d.  i.  2£E 
b&nü\  Tinte,  so  viel  genügt,  um  zwei  Buchstaben  zu  schreiben26, 
Rohr,  so  viel  genügt,  eine  Schreibfeder  zu  machen27,  usw.  Auch 
solche  Bekleidungsstücke,  die  nicht  zur  eigentlichen  Kleidung  ge- 


20)  Schabbath  XVI,  6. 

21)  Schabbath  II,  5. 

22)  Schabbath  III,  6  fin. 

23)  Schabbath  VII,  4. 

24)  Schabbath  VIII,  1. 

25)  Schabbath  VIII,  2. 

26)  Schabbath  VUlt  3. 

27)  Schabbath  VIII,  5. 


556  §  2&   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  [474.  475] 

hören,  sind  zu  tragen  verboten.  Ein  Krieger  darf  nicht  mit  Panzer, 
Helm,  Beinschienen,  Schwert,  Bogen,  Schild  and  Spieß  aasgehen 28. 
„Ein  Verstümmelter  darf  nach  R.  Meir  mit  seinem  Stelzfuße  aus- 
gehen. R.  Jose  dagegen  erlaubt  es  nicht" 29.  Nur  bei  Ausbruch 
von  Feuersbrtinsten  werden  einige  Konzessionen  in  betreff  des 
Tragens  gemacht  „Alle  heiligen  Schriften  darf  man  aus  einer 
Feuersbrunst  retten.  Man  darf  das  Futteral  des  Buches  mit  dem 
Buche,  das  der  Tephillin  mit  den  Tephillin  retten,  sogar  wenn 
Geld  darin  liegt.  Man  darf  Speise  für  die  drei  Sabbathmahlzeiten 
retten.  Kommt  am  Abend  des  Sabbath  eine  Feuersbrunst  aus,  so 
rettet  man  Speise  für  drei  Mahlzeiten;  findet  sie  vormittags  statt, 
so  rettet  man  für  zwei  Mahlzeiten;  findet  sie  nachmittags  statt, 
nur  für  eine  Mahlzeit.  Man  darf  ferner  retten  einen  Korb  voll 
Brote,  wäre  es  auch  für  hundert  Mahlzeiten,  einen  Feigenkuchen, 
ein  Faß  Wein" 30. 

Die  Vorsicht  der  Gesetzeshüter  beschränkte  sich  aber  nicht 
darauf,  zu  eruieren,  was  am  Sabbath  selbst  verboten  sei.  Sie  dehnte 
ihre  Verbote  auch  auf  solche  Handlungen  aus,  welche  nur  mög- 
licherweise eine  Sabbathverletzung  herbeiführen  konnten.  Aus  diesem 
prophylaktischen  Interesse  sind  z.  B.  folgende  Bestimmungen  her- 
vorgegangen: „Der  Schneider  gehe  bei  einbrechender  Dunkelheit 
nicht  mit  seiner  Nadel  aus;  denn  er  könnte  vergessen  und  (nach 
Eintritt  des  Sabbath)  damit  ausgehen.  Auch  nicht  der  Schreiber 
mit  seinem  Rohre"31.  „Man  darf  nicht  Fleisch,  Zwiebeln,  Eier 
braten,  wenn  nicht  |  Zeit  ist,  daß  sie  noch  bei  Tage  gebraten 
werden.  Man  darf  nicht  Brot  in  der  Dämmerung  in  den  Ofen  tun, 
nicht  Kuchen  über  Kohlen  setzen,  wenn  nicht  die  Oberfläche  der- 
selben noch  bei  Tage  sich  härten  kann.  R  Elieser  sagt:  Wenn 
nur  Zeit  da  ist,  daß  die  untere  Fläche  sich  härtet" 32.  Noch  weiter 
geht  die  Vorsicht,  wenn  z.  B.  verboten  wird,  am  Sabbath  bei  Lampen- 
licht zu  lesen  oder  Kleider  von  Ungeziefer  zu  reinigen.    Beides 


28)  Schabbat h  VI,  2.  4.  —  Die  Bestimmung  Schabbath  VI,  2,  daß  man 
nicht  in  Sandalen,  die  mit  Nägeln  beschlagen  sind,  ausgehen  dürfe,  kennt 
auch  Origenes,  De  principiis  IV,  17 /in.:  Sed  et  quod  ait:  „non  levare  onus 
in  die  sabbati?1  impossibile  mihi  pidetur.  Ex  his  enim  ad  fabulas  infinüas, 
sictä  sanctus  apostolus  dicit,  Judaeorum  doetores  devoluti  sunt,  dieentes  non 
reputari  onus,  si  calceamenta  quis  habeat  sine  clavis,  onus  rero  esse,  sicali- 
ffiilas  quis  cum  clavis  habuerit  (griech.  nach  der  Philocalia:  <pdcxovreq 
ßaaxayfia  f*lv  elvai  xb  xoiovde  bnoöriiia  ob  /nfjv  xal  xb  toiovSb,  xal  xb  tfXovc 
%%ov  oavöaXiov  ob  ftfjv  xal  xb  dvfywxov). 

29)  Schabbath  VI,  8. 

30)  Schabbath  XVI,  1—3. 

31)  Schabbath  I,  3. 

32)  Schabbath  I,  10. 


[475.  476]  §  28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  557 

sind  nämlich  Handlungen,  bei  welchen  helles  Licht  besonders  nötig 
ist  Da  liegt  also  die  Versuchung  nahe,  die  Lampe  zu  neigen,  um 
ihr  mehr  Öl  zuzuführen,  was  gegen  das  Verbot  des  Feueranzündens 
verstoßen  würde.  Daher  werden  jene  Handlungen  überhaupt  ver- 
boten. Dem  Schullehrer  ist  zwar  gestattet,  zuzusehen,  wie  Kinder 
bei  Licht  lesen.    Er  selbst  aber  darf  bei  Licht  nicht  lesen83. 

Außer  den  39  Hauptarbeiten  sind  auch  noch  manche  andere 
Verrichtungen  und  Tätigkeiten,  die  sich  nicht  unter  jene  subsumieren 
lassen,  verboten.  Einige  davon  lernen  wir  z.  B.  aus  folgender  Ver- 
ordnung in  betreff  der  Feiertage  (an  welchen  die  Ruhe  weniger 
streng  war)  kennen.  „Alles,  worüber  man  am  Sabbath  strafbar 
wird  wegen  Verletzung  der  Ruhe  oder  wegen  an  sich  willkürlicher 
oder  wegen  sonst  gesetzlicher  Handlungen,  ist  auch  am  Feiertage 
nicht  gestattet.  Folgendes  wegen  der  Ruhe:  Man  darf  nicht  auf 
einen  Baum  steigen,  nicht  auf  einem  Tiere  reiten,  nicht  auf  dem 
Wasser  schwimmen,  nicht  mit  den  Händen  klatschen,  nicht  auf  die 
Hüfte  schlagen,  nicht  tanzen.  Folgendes  wegen  willkürlicher 
Handlungen:  Man  darf  nicht  Gericht  halten,  nicht  eine  Frau  durch 
Angeld  erwerben,  nicht  das  Schuhausziehen  (die  Chaliza,  wegen 
Verweigerung  der  Schwagerehe)  verrichten,  nicht  die  Schwagerehe 
vollziehen.  Folgendes  wegen  gesetzlicher  Handlungen:  Man  darf 
nichts  heiligen,  keine  Schätzung  auflegen,  nichts  als  Banngut  be- 
stimmen, auch  nicht  Hebe  und  Zehnt  absondern.  Dies  alles  ist 
am  Feiertage  nicht  für  statthaft  erklärt  worden;  geschweige  am 
Sabbath"34.  —  Hierher  gehört  namentlich  auch  die  Bestimmung, 
daß  man  am  Sabbath  nicht  mehr  als  2000  Ellen  weit  sich  von  seinem 
Aufenthaltsorte  (wo  man  bei  Anbruch  des  Sabbaths  sich  befindet) 
entfernen  dürfe.  Man  nannte  dies  die  „Sabbathgrenze"  natön  D^nn 3Ö, 
und  eine  Wegstrecke  von  2000  Ellen  einen  „Sabbath) weg"  (Äp.- 
Gesch.  1,  12:  öaßßdvov  060g).  Wie  scharfsinnig  man  auch  diese 
auf  Exod.  16,  29  gegründete  Vorschrift,  ähnlich  der  über  das  Tragen 


33)  Schabbath  I,  3. 

34)  Beza  V,  2. 

35)  Erubin  V,  5.  Die  Entfernung  von  2000  Ellen  (nach  Num.  35,  1—8) : 
Erubin  IV,  3.  7.  V,  7.  Origenesy  De  prineipiis  IV,  17  (griech.  nach  der 
Philocalia):  Sxmeg  xal  nsQl  xo$  aaßßärov,  (pdaxovreg  xonov  hcaaiy  elvai 
öioxiMovq  nii%si$.  Hieronymus,  Epist.  121  ad  Algasiam  quaest.  X  (opp. 
ed.  Vallarsi  I,  884):  solent  respondere  et  dicere:  Baraehibas  et  Simeon  et  Heüel 
magistri  nostri  tradiderunt  nobis  vi  bis  mille  pedes  ambulemus  in  sabbato. 
Vgl.  überhaupt:  Buxtorf,  Lexicon  Chaldaicum  col.  2582—2586  (s.  v.  Drin). 
Lightfoot,  Horae  Eebr.  zu  Act.  1,  12.  Winer,  RWB.  II,  350 f.  Oehler  in 
Herzogs  Real-Enz.  X1H,  203  f.  Leyrer  Ebendaa.  XIII,  213  f.  Arnold  Eben- 
das.  IX,  148  (sämtl.  nach  der  1.  Aufl.).  Mangold  in  Schenkels  Bibellex. 
V,  127  f. 


558  §  28-   D&s  Leben  unter  dem  Gesetz.  [476.  477] 

aus  einem  Bereich  in  den  andern,  zu  umgehen  wußte,  wird  später 
gezeigt  werden. 

Trotz  aller  Strenge,  mit  welcher  das  Gebot  der  Sabbathfeier 
gehandhabt  wurde,  mußte  man  doch  gewisse  Fälle  anerkennen,  in 
welchen  es  eine  Ausnahme  erleide.  Solche  Ausnahmen*  wurden 
statuiert  teils  aus  Bücksichten  der  Humanität,  teils  aus  Bücksicht 
auf  ein  noch  höheres  und  heiligeres  Gebot.  In  letzterer  Beziehung 
kamen  namentlich  die  Bedürfnisse  des  Tempelkultus  in  Betracht 
Das  tägliche  Brandopfer  mußte  auch  am  Sabbath  dargebracht  werden; 
ja  es  war  [sogar  noch  ein  besonderes  Opfer^fur  den  Sabbath  vor- 
geschrieben (Num.  28,19—10).  Selbstverständlich  waren  also  alle 
für  die  Darbringung  des  Opfers  notwendigen  Hantierungen  auch 
am  Sabbath  gestattet  (Ev.  Matth.  12,  5:  xolq  aaßßaotv  ol  IsQetg  kv 
xq>  ieQcp  xb  caßßaxov  ßeßrjXovcip  xal  avalxiol  ddv)*\  Auch  die 
beim  Darbringen  des  Passaopfers  notwendigen  Verrichtungen  waren 
am  Sabbath  erlaubt;  doch  wird  hier  sehr  sorgfältig  festgestellt, 
welche  Handlungen  erlaubt  und  welche  nicht  erlaubt  sind87.  In 
dieselbe  Kategorie  gehört  auch  das  Gebot  der  Beschneidung.  Alles, 
was  zur  Beschneidung  nötig  ist,  darf  man  am  Sabbath  verrichten, 
soweit  es  nämlich  nicht  schon  am  Tage  vorher  geschehen  konnte. 
Denn  alles,  was  am  Tage  vorher  vorbereitet  werden  konnte,  ist 
verboten 88.  Aus  Humanitätsrücksichten  wurde  gestattet,  daß  |  man 
einer  Frau  bei  ihrer  Entbindung  am  Sabbath  allen  Beistand  leiste 39, 
und  als  allgemeiner  Grundsatz  aufgestellt,  daß  alle  Lebensgefahr 
den  Sabbath  verdränge  (natfn  n»  nrm  rritiw  pßo-ba)40.  „Wenn 
auf  jemand  ein  Bau  einstürzt,  und  es  ist  zweifelhaft,  ob  er  darunter 


36)  Vgl.  Buch  der  Jubiläen  e.  50,  10—11.  Lightfoot,  Schöttgen, 
Wetstein  zu  Matth.  12,  5.  Wolf,  Ourae  pkilol.  zu  ders.  Stelle.  Wünsche, 
Der  lebensfreudige  Jesus  (1876)  S.  424. 

37)  Fesachim  VT,  1—2.  —  Über  andere  Ausnahmen  vom  Sabbathgebot  zu- 
gunsten des  Tempeldienstes  s.  auch  Ervhin  X,  11 — 15.  —  Daß  die  Ausnahme 
zugunsten  des  Passa-Opfers  schon  im  Zeitalter  Christi  gegolten  hat,  wird 
von  Ohwolson  ohne  zureichende  Gründe  bestritten  (Das  letzte  Passamahl 
Christi  und  der  Tag  seines  Todes,  in:  M6moires  de  l'Academie  imperiale  des 
sciences  de  St.-P&tersbourg,  VII  o  Serie,  tome  XLI,  No.  1,  1892,  S.  20—31. 
Ders.,  Monatsschr.  £  Gesch.  u.  Wissensch.  d.  Judenth.  37.  Jahrg.  1893,  S.  546 ff.). 
Gegen  Chwolson  s.  Eosenthai,  Monatsschr.  38.  Jahrg.  1894,  8.  97  fE  Grün- 
hut,  Zeitschr.  f.  wissensch.  Theol.  1894,  S.  551  fi.  1898,  S.  285  ff. 

38)  Schabbath  XIX,  1—5.  Vgl.  Ev.  Joh.  7,  22—23  (einer  jener  Zuge, 
welche  beweisen,  daß  der  vierte  Evangelist  die  jüdischen  Verhaltnisse  sehr 
wohl  kennt). 

39)  Schabbath  XVIH,  3. 

40)  Joma  VIII,  6.  Vgl  auch  die  Stelle  aus  Synesius  bei  Win  er  BWB. 
H,  345. 


[477.  478J  §  28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  559 

ist  oder  nicht,  ob  er  lebt  oder  tot  ist,  ob  er  ein  Nichtisraelite  oder 
ein  Israelite  ist,  so  darf  man  den  Schutthaufen  am  Sabbath  über 
ihm  wegräumen.  Findet  man  ihn  lebend,  so  räumt  man  weiter 
auf;  ist  er  tot,  so  läßt  man  ihn  liegen" 4 '.  Ein  Arzt  darf  einem 
Kranken  am  Sabbath  Beistand  leisten,  wenn  Lebensgefahr  vorhanden 
ist  R.  Matthija  ben  Charasch  erlaubte  sogar,  daß  man  einem,  der 
im  Halse  Schmerzen  empfindet,  am  Sabbath  Heilmittel  in  den  Mund 
tue,  weil  es  vielleicht  lebensgefährlich  sein  könnte42.  Dies  wird 
jedoch  nur  als  Ansicht  dieses  einen  Gelehrten,  keineswegs  als  all- 
gemein gültig  angeführt  Jedenfalls  wird  ärztlicher  Beistand  immer 
nur  unter  Voraussetzung  der  Lebensgefahr  gestattet.  „Man  darf 
nicht  einen  Bruch  (eines  Gliedes)  wieder  einrichten.  Wer  sich  die 
Hand  oder  den  Fuß  verrenkt  hat,  darf  sie  nicht  mit  kaltem  Wasser 
begießen" 43.  „Der  im  Tempel  diensttuende  Priester  darf  am  Sabbath 
ein  während  des  Dienstes  abgelegtes  Wundpflaster  wieder  auf- 
legen; anderswo  darf  man  es  nicht;  von  vornherein  darf  man  sich 
nirgends  eines  am  Sabbath  auflegen  ....  Wenn  ein  Priester  sich 
den  Finger  beschädigt,  darf  er  im  Heiligtum  am  Sabbath  zum  Dienst 
ihn  mit  Binsen  verbinden;  anderswo  ist  das  nicht  erlaubt;  zum 
Herausdrängen  des  Blutes  ist  es  überall  verboten"44.  Hiermit 
steht  es  also  völlig  in  Einklang,  wenn  Jesus  wegen  seiner  Kranken- 
heilungen am  Sabbath  von  den  Pharisäern  durchweg  angefeindet 
wird  (M.  12,  9—13.  Mc.  3,  1—5.  Lue.  6,  6-10.  13,  10—17.  14,  1—6. 
Joh.  5, 1—16.  9, 14— 16)45.  —  |  Selbst  jener  Grundsatz,  daß  Lebens- 
gefahr den  Sabbath  verdränge,  ist  keineswegs  zu  allen  Zeiten  als 
maßgebend  betrachtet  worden.  Im  Anfang  der  makkabäischen 
Erhebung  ließ  eine  Schar  von  Gesetzestreuen  sich  lieber  bis  auf 
den  letzten  Mann  niedermachen,  als  daß  sie  am  Sabbath  zum 


41)  Joma  Vm,  7. 

42)  Joma  Vm,  6. 

43)  Schabbaih  XXII,  6. 

44)  Ervbin  X,  1S-14.  —  Vgl.  auch  Edujoth  H,  5. 

45)  Unter  ei  Dem  einseitigen  und  schiefen  Gesichtspunkt  ist  das  rabbinische 
Material  behandelt  bei:  Danx,  Christi  euratio  sabbathica  vindicata  ex  legibus 
Judaids  (Menschen,  Nov.  Test  ex  Talmude  illustratum  1736,  p.  569—614). 
Zipser  in  Fürsts  Literaturblatt  des  Orients  1847,  S.  814 ff.  Jahrg.  1848, 
S.  61  ff.  197  ff.  Wünsche,  Neue  Beiträge  zur  Erläuterung  der  Evangelien 
aus  Talmud  und  Mi  drasch  (1878)  S.  150—152.  Ebstein,  Die  Medizin  im 
N.  T.  und  im  Talmud,  1903,  S.  185—188.  —  Vgl.  sonst:  Maimonides,  Ril- 
choth  Schabbath  c.  U  (Petersburger  Übersetzung  II  S.  9  ff).  Winer  RWB. 
II,  346.  Oehler  in  Herzogs  Keal-Enz.  XIII,  202  (1.  Aufl.).  Hamburger, 
Real-Enz.  Suppl.  H,  1891,  S.  36  ff.  Art  „Dispensation  vom  Gesetz".  —  über 
ein  Vieh,  das  am  Feiertag  in  eine  Grube  fallt,  s.  Bexa  HI,  4. 


560  §  28-    Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  [478] 

Schwerte  gegriffen  hätten46.  Von  da  an  beschloß  man  allerdings, 
zur  Verteidigung,  nur  nicht  zum  Angriff,  auch  am  Sabbath  das 
Schwert  zu  nehmen47.  Und  dieser  Grundsatz  wurde  seitdem  im 
ganzen  festgehalten48.  Aber  nur  in  den  äußersten  Notfällen  wurde 
von  ihm  Gebrauch  gemacht  Und  nicht  selten  kam  es  auch  später 
noch  vor,  daß  feindliche  Feldherren  die  Sabbathruhe  der  Juden  zu 
deren  Nachteile  ausnützen  konnten49.  —  Wie  streng  im  allgemeinen 
von  jüdischen  Soldaten  auf  Beobachtung  der  Sabbathruhe  gehalten 
wurde,  sieht  man  daraus,  daß  auch  ein  Mann  wie  Josephus  sie  als 
etwas  Selbstverständliches  betrachtet 50,  und  die  Römer  sich  sogar 
genötigt  sahen,  die  Judeu  ganz  vom  Kriegsdienste  zu  befreien,  da 
jüdische  Sabbathruhe  und  römische  Disziplin  unvereinbare  Gegen- 
sätze waren51. 

III. 

Noch  tiefer  als  das  Sabbathgesetz  griffen  in  das  tägliche  Leben 
ein  die  mannigfachen  und  weitschichtigen  Verordnungen  über  Rein- 
heit und  Unreinheit  und  die  Beseitigung  der  letzteren52.   Schon 


46)  I  Makk.  2,  34—38.   Joseph.  Äntt.  XII,  6,  2. 

47)  I  Makk.  2,  39—42.   Joseph.  Antt.  XII,  6,  2. 

48)  Joseph.  Antt.  XIII,  1,  3.  XIV,  4,  2.  XVIII,  9,  2.  —  Daß  man  den 
Kampf  am  Sabbath  „auch  noch  in  späteren  Zeiten  für  verboten"  hielt  (Lu- 
cius, Der  Essenismus  S.  96  Anm.),  ist  in  dieser  Allgemeinheit  nicht  richtig. 
Josephus  sagt  ausdrücklich,  daß  das  Gesetz  die  Abwehr  eines  persönlichen 
Angriffs  gestatte  (Antt.  XIV,  4,  2). 

49)  Antt.  XIII,  12,  4.  XIV,  4,  2.  Dio  Cass.  37,  16.  49,  22.  66,  7.  —  Vgl. 
auch  Jos.  Antt.  XII,  1;  contra  Apion.  I,  22  s.  fin.  (Ptolemäus  I.  Lagi  nimmt 
Jerusalem  an  einem  Sabbath  ein).    Buch  der  Jubiläen  c.  50,  12. 

50)  Bell.  Jud.  II,  21,  8  =  Vita  32. 

51)  Antt.  XIV,  10,  11.  12.  13.  14.  16.  18.  19.  —  Unter  den  Ptolemäern 
haben  die  Juden  noch  Kriegsdienste  getan  (Antt.  XII,  1  und  2,  4,  nach  Pseudo- 
Aristeas  ed.  Wendland  §  36—37);  ebenso  unter  den  Seleuciden  (I  Makk.  10, 
36—37.  11,  44.  13,  40.  Jos.  Antt.  xm,  8,  4).  Vgl.  auch  Antt.  XI,  8,  5  fin. 
XIV,  8,  1.  B.  J.  I,  9,  3.  Antt.  XVII,  2,  1—3.  Benzinger,  Art.  „Kriegs- 
wesen bei  den  Hebräern"  in  Herzog-Haucks  Beal-Enz.  3.  Aufl.  XI,  111 — 119, 
und  die  Artikel  Über  „Krieg"  und  „Kriegsheer"  in  den  biblischen  Real  Wörter- 
büchern von  Winer,  Schenkel,  Riehm. 

52)  Vgl.  überhaupt:  Winer  RWB.  II,  313—319  (Art.  Reinigkeit).  Leyrer, 
Art.  „Reinigungen"  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  Bd.  XII,  S.  620—640.  Keil, 
Bibl.  Archäologie  (2.  Aufl.  1875)  S.  295—323.  Haneberg,  Relig.  Alterthümer 
S.  459—476.  Schenkels  Bibellex.  V,  65—73.  Kamphausen  in 
Wörterb.  S.  1274  ff.  Nowack,  Lehrb.  der  hebr.  Archäologie  n,  287—299. 
Katzenelson,  Die  rituellen  Reinheitsgesetze  in  der  Bibel  und  im  Talmud 
(Monatsschr.  £  Gesch.  u.  Wissensch.  des  Judenth.  1899,  S.  1—17,  97—112, 
193-210,  und   1900,   S.  385—400,  433-451).    Simcox,  Art.  „Clean  and  Un- 


L 


[479]  §  28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  561 

das  Alte  Testament  (Lev.  11—15.  Num.  5,  1—4  und  bes.  c  19)  hat 
über  diese  Punkte  ziemlich  zahlreiche  und  eingehende  Vorschriften 
gegeben,  indem  es  (ans  welchen  Gründen,  kann  hier  anerörtert 
bleiben)  namentlich  gewisse  Vorgänge  des  geschlechtlichen  Lebens, 
sodann  gewisse  Erscheinungen  an  Personen  und  Gegenständen,  die 
es  unter  dem  Gesamtbegriffe  des  Aussatzes  zusammenfaßt,  und 
endlich  die  Leichen  sowohl  yon  Menschen  als  von  Tieren  für  unrein 
und  verunreinigend  erklärt.    Auch  über  die  Beseitigung  der  Un- 
reinigkeit  durch  Opfer  oder  Waschungen  gibt  es  bereits  eingehende 
Vorschriften,  die  je  nach  der  Art  und  dem  Grade  der  Verunreinigung 
sehr  verschiedenartig  sind.    Aber  so  ausführlich  auch  diese  Be- 
stimmungen sind,  so  sind  sie  doch  immer  noch  arm  und  dürftig 
im  Vergleich  mit  dem  Reichtum,  der  in  der  Mischna  sich  auf- 
gespeichert findet.   Nicht  weniger  als  zwölf  Traktate  (den  ganzen 
letzten  Teil  der  Mischna  ausfüllend)  handeln  über  die  hierher- 
gehörigen Materien.   Die  Grundlage  aller  Erörterungen  bildet  die 
im  Eingange  des  Traktates  Kelim  (I,  1—4)  gegebene  Aufzählung 
der  „Hauptarten  der  Unreinheit"  (ni»t3ton  rrina),  die,  wie  man  zu- 
gestehen muß,  in  den  Bestimmungen  des  Pentateuches  {Lev.  11—15. 
Num.  19)  zum  größten  Teile  begründet  sind.   Auf  dieser  Grundlage 
aber  erhebt  sich  dann  ein  ungeheurer,  weiter  und  vielverschlungener 
Bau.    Denn  es  handelt  sich  nun  bei  jeder  der  Hauptarten  wieder 
um  die  Frage:  unter  welchen  Umständen  man  sich  eine  solche 
Unreinheit  zuzieht,  auf  welchem  Wege  und  inwieweit  sich  dieselbe 
auf  andere  überträgt,  welche  Geräte  und  Gegenstände  der  Annahme 
der  Unreinheit  fähig  sind  und  welche  nicht,  und  endlich  welche 
Mittel  und  Anstalten  zur  Aufhebung  der  Unreinheit  erforderlich 
sind.    Um  wenigstens  eine  Ahnung  davon  zu  geben,  zu  welcher 
mannigfaltigen  Weisheit  diese  Lehre  von  den  Verunreinigungen 
ausgebildet  worden  war,  möge  hier  einiges  mitgeteilt  werden  aus 
den  Bestimmungen  über  die  Geräte,  welche  Unreinheit  annehmen 
(und  bei  Berührung  Weiter  verpflanzen)  und  welche  nicht    Die 
alttestamentlichen  Grundlagen  sind  Num.. 19, 14—15  und  31,  20—24. 
Eine  Hauptfrage  ist  vor  allem  die  nach  dem  Material,  aus 


clean"  in:  Encyclopaedia  Bibliea  I,  836—848.  Pedke,  Art.  „Unclean,  Unclean- 
ne88"  in  Hostings'  Dictionary  of  the  Bible  IV,  825 — 834.  König,  Art.  „Reini- 
gungen" in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  XVI,  564— S80.  Stade, 
Biblische  Theologie  des  A.  T.  I,  1005,  §  67  ff.  Büchler.,  Der  galiläische 
*Am-ha-'Ares  des  zweiten  Jahrhunderts  1906  [das  wegwerfende  Urteil,  welches 
B.  sich  hier  S.  126 — 130  über  die  von  mir  gegebene  Darstellung  erlaubt,  be- 
ruht auf  der  zweifellos  verkehrten  Behauptung,  daß  die  hier  geschilderten 
Reinheitsgesetze  nicht  für  die  Laien,  sondern  nur  für  die  Priester  bestimmt 
gewesen  seien;  s.  dagegen  Theol.  Litztg.  1906,  619 f.}. 

Sohiirer,  Geschichte  II.  4.  Aufl.  36 


L 


562  §  28.   D&s  Leben  unter  dem  Gesetz.  [479.  480] 

welchem  die  Geräte"  bestehen;  und  sodann  die  nach  der  Form  der 
Geräte:  ob  sie  hohl  sind  oder  flach.  —  In  betreff  der  hohlen 
irdenen  Gefäße  wird  bestimmt,  daß  ihr  Luftraum  (das  Innere) 
Unreinheit  annimmt  und  fortpflanzt,  und  ebenso  die  Fußhöhlung, 
nicht  aber  die  Außenseite.  Ihre  Reinigung  erfolgt  nur  durch  ihre 
Zerbrechung53.  Aber  wie  weit  muß  die  Zerbrechung  erfolgt  sein,  | 
um  die  Reinigung  zu  bewirken?  Auch  darauf  erhalten  wir  genaue 
Antwort  Ein  Bruchstück  gilt  nämlich  noch  als  Gefäß  (ist  also 
verunreinigungsfähig)  „wenn  von  einem  ein  Log  haltenden  Gefäße 
so  viel  geblieben,  daß  es  genug  enthalten  kann,  um  den  kleinen 
Zeh  damit  zu  salben;  und  wenn  von  einem  Gefäße,  das  über  ein 
Log  bis  ein  Sea  enthielt,  Raum  für  ein  Viertel  Log;  von  einem 
Sea  bis  zwei  Sea,  Raum  für  ein  halb  Log;  und  von  zwei  oder  drei 
Sea  bis  fünf,  Raum  für  ein  Log  geblieben  ist*454.  Während  also 
die  irdenen  Hohlgefäße  zwar  nicht  von  außen,  wohl  aber  von  innen 
verunreinigungsfähig  sind,  nehmen  folgende  irdene  Gefäße  über- 
haupt keine  Unreinheit  an:  eine  flache  Platte  ohne  Rand,  eine  offene 
Kohlenschippe,  ein  gelöcherter  Rost  zu  Getreidekörnern,  Ziegel- 
rinnen, obgleich  sie  gebogen  sind  und  eine  Höhlung  haben,  und 
anderes  mehr56.  Verunreinigungsfähig  dagegen  sind:  eine  Platte 
mit  einem  Rande,  eine  ganze  Kohlenschippe,  eine  Platte  voll  schüssel- 
artiger Behälter,  ein  irdenes  Gewttrzbtichschen  oder  ein  Schreib- 
zeug mit  mehreren  Behältern56.  —  Von  hölzernen,  ledernen, 
knöchernen,  gläsernen  Geräten  sind  die  flachen  ebenfalls 
nicht  verunreinigungsfähig;  die  vertieften  dagegen  nicht  nur  (wie 
bei  irdenen)  im  Luftraum,  sondern  auch  an  der  Außenseite  ver- 
unreinigungsfähig. Wenn  sie  zerbrechen,  sind  sie  rein.  Macht 
man  wieder  Geräte  daraus,  so  nehmen  sie  von  da  an  wieder  Un- 
reinheit an57.  Auch  hier  entsteht  wieder  die  schwierige  Frage: 
Wann  gelten  sie  als  zerbrochen?  „An  allen  Geräten  zum  Haus- 
halte ist  das  Maß  (eines  die  Reinheit  bewirkenden  Loches)  die 
Granate.  R.  Elieser  sagt:  Das  Maß  richtet  sich  nach  der  Be^ 
Stimmung  des  Gerätes** 58.  „Unter  Granaten  ist  zu  verstehen:  von 
solcher  Art,  daß  drei  aneinander  sitzen.  Die  als  Maß  bestimmte 
Granate  ist  eine  nicht  zu  große,  sondern  mittlere"59.  „Wenn  an 
dem  Kasten,  der  Lade,  dem  Schranke  ein  Fuß  fehlt,  so  sind  sie, 


53)  Kelim  II,  1. 

54)  Kelim  U,  2. 

55)  Kelim  II,  3. 

56)  Kelim  II,  7. 

57)  Kelim  II,  1.  XV,  1. 
53)  Kelim  XVH,  1. 

59)  Kelim  XVII,  4-5. 


[480.  481]  §  28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  563 

wenngleich  sie  etwas  aufnehmen  können,  rein.  R.  Jose  hält  alle, 
die,  wenn  auch  nicht  in  ordentlicher  Stellung,  das  Maß  aufnehmen 
können,  für  verunreinigungsfahig" 60.  „Ein  (dreifüßiger)  Tisch,  dem 
ein  Fuß  fehlt,  ist  rein;  ebenso  wenn  der  zweite  fehlt;  fehlt  auch 
der  dritte,  so  ist  er  verunreinigangsfähig,  wenn  man  beabsichtigt,  | 
ihn  (als  Platte)  zu  gebrauchen" 61.  „Eine  Bank,  daran  ein  Seiten- 
brett fehlt,  ist  rein;  ebenso  wenn  auch  das  zweite  fehlt  Bleibt 
daran  eine  Handbreit  Höhe,  so  ist  sie  verunreinigungsfähigu  62. 
Übrigens  ist  an  den  vertieften  Geräten  nicht  nur  die  Außen-  und 
Innenseite,  sondern  auch  „die  Stelle  zum  Anfassen"  zu  untersfcheiden. 
„Wenn  z.  B.  die  Hände  rein  sind,  und  die  Außenseite  des  Bechers 
unrein,  und  man  nun  an  der  zum  Anfassen  dienenden  Steile  den 
Becher  hält,  hat  man  nicht  zu  besorgen,  daß  die  Hände  durch  die 
Außenseite  des  Bechers  verunreinigt  werden" 63.  —  „Von  Metall- 
gefäßen sind  die  glatten  und  die  vertieften  verunreinigungsfähig. 
Wenn  sie  zerbrechen,  werden  sie  rein;  wenn  man  wieder  Gefäße 
daraus  macht,  sind  sie  wieder  in  ihrer  vorigen  Unreinheit"64. 
„Jedes  Metallgefäß,  das  einen  Namen  für  sich  allein  hat,  ist  ver- 
unreinigungsfähig; ausgenommen  eine  Türe,  der  Riegel,  das  Schloß, 
die  Angelmutter,  die  Angel,  der  Klöppel  und  eine  Rinne;  weil  sie 
an  die  Erde  befestigt  werden" 65.  „Am  Zaum  ist  das  Gebiß  ver- 
unreinigungsfähig, die  Bleche  an  den  Kinnbacken  sind  rein;  nach 
R.  Akiba  unrein.  Die  Gelehrten  sagen:  nur  das  Gebiß  ist  unrein; 
aber  die  Bleche  nur  wenn  sie  daran  befestigt  sind"66.  —  „Runde 
Blashörner  sind  verunreinigangsfähig;  gerade  sind  rein.  Ist  das 
Mundstück  von  Metall,  so  ist  es  verunreinigungsfähig" 67.  —  „Holz, 
welches  zum  Metallgeräte  dient,  ist  verunreinigungsfähig;  Metall, 
das  zum  Holzgeräte  dient,  rein.  Z.  B.  ein  hölzerner  Schlüssel  mit 
metallenen  Zähnen  ist  verunreinigungsfähig,  auch  wenn  der  Zahn 
nur  ein  Stück  ausmacht  Ist  aber  der  Schlüssel  von  Metall  und 
der  Zahn  von  Holz,  so  ist  er  nicht  verunreinigungsfähig" 68. 

Ein  würdiges  Seitenstück  zu  den  Bestimmungen  über  die  Ver- 
unreinigung sind  die  über  die  Hebung  der  Unreinheit  durch  Opfer 
und  Waschungen.  Wir  wollen  hier  nur  einiges  über  letztere  heraus- 


60)  Kelim  XVIII,  3. 

61)  Kelim  XXII,  2. 

62)  Kelim  XXII,  3. 

63)  Kelim  XXV,  7-a 

64)  Kelim  XI,  1. 

65)  Kelim  XI,  2. 

66)  Kelim  XI,  5. 

67)  Kelim  XI,  7. 

68)  Kelim  XIII,  6. 

36* 


564  §  28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  [481.  482] 

heben.  Es  handelt  sich  dabei  hauptsächlich  um  die  Frage,  welches 
Wasser  zu  den  verschiedenen  Arten  der  Reinigung:  zum  Besprengen 
der  Hände,  zum  Untertauchen  der  Geräte,  zum  Reinigungsbade 
für  Personen,  geeignet  ist  Die  Mischna  unterscheidet  sechserlei 
Abstufungen  von  Wassersammlungen,  deren  eine  immer  | 
wichtigere  Eigenschaften  hat,  als  die  andere.  1)  Ein  Teich  und  das 
Wasser  in  Gruben,  Zisternen  oder  Höhlen,  sowie  Bergwasser,  das 
nicht  mehr  zufließt,  und  gesammeltes  Wasser  im  Betrag  von  weniger 
als  40  Sea.  Alles  dieses  ist,  sofern  es  nicht  verunreinigt  worden, 
geeignet  zur  (Bereitung  der)  Challa69,  und  zum  gesetzlichen  Waschen 
der  Hände.  2)  Noch  zufließendes  Bergwasser.  Solches  darf  man 
gebrauchen  zu  Hebe  (Teruma)  und  zum  Händewaschen.  3)  Ge- 
sammeltes Wasser,  welches  40  Sea  enthält  In  diesem  kann  man 
selbst  untertauchen  (ein  Reinigungsbad  nehmen)  und  Geräte  unter- 
tauchen* 4)  Ein  Quell  mit  wenigem  Wasser,  worein  man  mehr 
geschöpftes  Wasser  zugegossen  hat  Es  ist  darin  dem  vorigen 
gleich,  daß  es  in  Sammelstelle  (d.  h.  ohne  zu  fließen)  als  Tauchbad 
reinigt,  und  dem  reinen  Quellwasser  darin  gleich,  daß  man  darin 
Gefäße  reinigt,  wenn  auch  nur  wenig  Wasser  da  ist  5)  Fließendes 
Wasser,  womit  eine  Veränderung  vorgegangen  (d.  h.  aus  minera- 
lischen oder  warmen  Quellen  stammendes).  Dieses  reinigt  im  Fließen. 
6)  Reines  Quellwasser.  Dieses  dient  als  Tauchbad  für  den  Eiter- 
flüssigen, zum  Besprengen  der  Aussätzigen,  und  ist  geeignet,  es 
mit  der  Entsündigungsasche  zu  heiligen70.  —  Diese  allgemeinen 
Sätze  bilden  nun  die  Grundlage  einer  auch  hier  wieder  ins  unend- 
liche Detail  sich  verlierenden  Kasuistik.  Namentlich  ergeht  sich 
die  Mischna  in  ermüdender  Breite  darüber:  unter  welchen  Be- 
dingungen und  Voraussetzungen  das  unter  Nr.  3  erwähnte  „ge- 
sammelte Wasser"  (d.  h.  solches  Regen-,  Quell-  oder  Flußwasser, 
das  nicht  geschöpft,  sondern  unmittelbar  durch  Rinnen  oder  Röhren 
in  ein  Behältnis  geleitet  ist)  zum  Baden  und  zum  Untertauchen 
ton  Geräten  tauglich  sei,  wobei  es  sich  hauptsächlich  darum  handelt, 
daß  kein  „geschöpftes  Wasser"  darunter  komme.  Zur  Veranschau- 
lichung geben  wir  wenigstens  einige  Beispiele.  „R.  Elieser  sagt: 
Ein  Viertel  Log  geschöpftes  Wasser  zu  Anfang  macht  das  nachher 
hineinfallende  Wasser  zum  Tauchbade  ungeeignet;  3  Log  geschöpftes 
Wasser  aber,  wenn  schon  anderes  Wasser  da  war.  Die  Gelehrten 
sagen:  sowohl  zu  Anfang  als  zur  Ergänzung  3  Log" 71.  „Wenn 
jemand  Gefäße  unter  die  (ins  Tauchbad  sich  ergießende)  Rinne 


G9)  Der  Teighebe,  welche  beim  Backen  abgesondert  werden  muß. 

70)  Mikwaoth  I,  1-8. 

71)  Mikwaoth  II,  4. 


[482.483]  §28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  £6*> 

setzt,  so  machen  sie  das  Tauchbad  angeeignet  (weil  es  dann  als 
geschöpftes  Wasser  gilt).  Es  ist  nach  der  Schule  Schammais  einer- 
lei, ob  man  sie  hinsetze  oder  da  vergessen  hat;  nach  der  Schule 
Hilleis  machen  sie,  wenn  sie  bloß  vergessen  sind,  es  nicht  un- 
geeignet" 72.  „Wenn  sich  geschöpftes  und  Regenwasser  im  Hofe  | 
oder  in  einer  Vertiefung  oder  auf  den  Stufen  der  Badeböhle  ver- 
mengt hat,  so  ist  das  Tauchbad,  wenn  das  meiste  von  geeignetem 
ist,  geeignet;  wenn  das  meiste  von  ungeeignetem  oder  beidem  gleich- 
viel ist,  ungeeignet.  Dies  jedoch  hur,  wenn  sie  vermengt  sind, 
bevor  sie  in  die  Wassersammlung  gelangten.  Strömen  sie  jedes 
ins  Tauchbad  hinein,  so  ist  es,  wenn  man  gewiß  weiß,  daß  40  Sea 
geeignetes  Wasser  hineingekommen,  bevor  3  Log  geschöpftes  hinein- 
fiel, geeignet;  sonst  nicht*473,  Auch  darüber  disputierte  man,  ob 
Schnee,  Hagel,  Reif,  Eis  und  dergleichen  mit  zur  Füllung  eines 
Tauchbades  tauglich  seien  oder  nicht74.  —  Überaus  umständlich 
sind  auch  die  Bestimmungen  über  das  Waschen  oder  richtiger 
Begießen  der  Hände.  Vor  dem  Essen  müssen  nämlich  die  Händß 
stets  mit  Wasser  begossen  werden  (Untertauchen  ist  nur  beim  Ge- 
nuß heiliger  Speise  nötig,  d.  h.  solcher,  die  von  Opfern  herrührt). 
Und  es  wird  nun  eingehend  erörtert,  aus  welchen  Gefaüen  das 
Begießen  geschehen  darf,  welches  Wasser  dazu  geeignet  ist,  wer 
es  aufgießen  darf,  und  wie  weit  die  Hände  begossen  werden  müssen75. 
—  Mit  welchem  Eifer  man  schon  im  Zeitalter  Christi  auf  die  Be- 
obachtung aller' dieser  Satzungen  über  das  Waschen  der  Hände 
und  die  Reinigung  der  Becher  und  Krüge  und  Schüsseln  und  Bänke 
hiel^  sehen  wir  aus  den  wiederholten  Andeutungen  der  Evangelien, 
die  hinwiederum  ihr  volles  Licht  und  ihre  treffendste  Erläuterung 
eben  durch  die  Ausführungen  der  Mischna  erhalten  (Jß.  15,  2.  Jfe.  7, 
2—5.   ML  23,  25—26.   Luc.  11,  38—39). 


72)  Mikwaoth  IV,  1. 

73)  Mikwaoth  VI,  4. 

74)  Mikwaoth  VII,  1. 

75)  Berachoth  VIII,  2-4.  Ohagiga  II,  5—6.  Edujoth  HI,  2.^  Jadajim  I, 
1—5.  II,  3.  —  Maimonides,  Hilohoth  Berachoth  VI  (Petersburger  Übersetzung 
I,  483  ff.).  Lightfoot  und  andere  Ausleger  zu  Matth.  15,  2.  Wünsche, 
Neue  Beiträge  zur  Erläuterung  der  Evangelien  (1878)  S.  180 f.  Hamburger, 
Real-Enz.  Art.  „Händewaschen".  Edersheim,  The  life  and  tvmes  of  Jesus 
the  Messiah  (1884)  II  p.  9  sqq.  Wünsche,  Jesu  Conflict  mit  den  Pharisäern 
und  Schriftgelehrten  wegen  Unterlassung  des  fländewaschens  seiner  Schüler 
(Vierteljahrsschr.  für  Bibelkunde  IL  Jahrg.  2.  Heft,  Dez.  1904,  S.  113—163 
[viel  Material]).  Büchler,  Der  galiläische  'Am-ha-'Ares,  des  zweiten  Jahr- 
hunderts, 1906,  S.  96—138  [gibt  sich  vergebliche  Mühe,  die  Behauptung  durch- 
zuführen, daß  diese  Vorschriften  nur  für  die  Priester  gelten]. 


566  §  28-   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  [483.  484] 


IV. 

Schon  aus  dem  Bisherigen  geht  zur  Gentige  hervor,  welch  ein 
ungeheures  Gewicht  überall  auf  die  äußere  Korrektheit  des  Handelns 
gelegt  wird;  freilich  eine  selbstverständliche  Eonsequenz,  sobald 
einmal  die  sittliche  Aufgabe  gesetzlich  aufgefaßt  wird.  Höchst 
charakteristisch  für  diesen  mächtigen  Zug  zur  Veräußerlichung 
sind  auch  die  drei  Denkzeichen,  durch  welche  jeder  gesetzes- 
treue Israelite  fortwährend  an  seine  Pflichten  gegen  Gott  erinnert  | 
werden  sollte.  Diese  drei  Denkzeichen  sind:  1)  Die  Zizith  (r^aps, 
Flur,  rrraps,  bei  den  LXX  und  im  Neuen  Testamente  xQaaxeöa, 
im  Targum  Onkelos  'p-iwnD,  bei  Justinus  Martyr  to  xoxxlvov 
gafifia)1*.  Es  waren  Quasten  oder  Fransen  aus  hyazinthblauer 
oder  weißer  Wolle,  welche  auf  Grund  der  Verordnung  Num.  15, 
37  ff.  Deut.  22,  12  jeder  Israelite  an  den  vier  Zipfeln  seines  Ober- 
gewandes zu  tragen  hatte.  Sie  sollten,  wie  es  an  der  zuerst  an- 
geführten Stelle  heißt,  dazu  dienen,  „daß  ihr  sie  ansehet  und  ge- 
denket aller  Gebote  Jahves  und  darnach  tuet" 77.    2)  Die  Alesusa 


76)  Justin.  Dial.  c.  Tryph.  e.  46  8.  fin.  (ed.  Otto  II,  154).  Die  Ausgaben 
haben  freilich  xö  xöxxivov  ßauua  (Farbe),  was  aber  keinen  Sinn  gibt  Daß 
$auua  (Faden)  zu  lesen  ist,  erhellt  ans  Hesychius,  Lex.  8.  v.  xoaoneöa'  xa  iv 
xüj>  axQtp  xov  Ifiazlov  xexhjiopha  frauuaxa  xal  xb  axgov  abvov. 

77)  Vgl.  Pseudo-Aristeas  ed.  Wendland  §  158.  Matth.  9,  20.  14,  36.  23,  5. 
Marc.  6,  56.  Luc.  8,  44.  Die  LXX  und  Targum  Onkelos  zu  Num.  15,  38  u. 
Deut.  22,  12.  Mischna  Moed  katan  III,  4.  Edujoth  IV,  10.  Menachoth  m,  7. 
IV,  1«  Die  rabbinischen  Vorschriften  sind  zusammengestellt  in  dem  von  Ra- 
phael  Kirchheim  herausgegebenen  Traktat  Zixith  (Septem  libri  Talmudici 
parvi  Hierosolymitani,  ed.  Raph.  Kirchheim,  1851),  und  bei  Maimonides, 
Hüehoth  Zixith  (Petersburger  Übersetzung  I,  442  ff.).  —  Hiller,  De  vestibus 
fimbriatis  Eebraeorum  (Ugolini,  Thesaurus  t.  XXI).  Buxtorf,  Synagoga  Ju- 
daica  p.  160—170.  Lexic.  ehald.  eol.  1908  sq.  Oarpxov,  Apparatur  historico- 
critieus  p.  197 sqq.  Bodenschatz,  Kirchl.  Verfassung  der  heutigen  Juden 
IV,  9 — 14.  Schröder,  Satzungen  und  Gebräuche  des  talmudisch-rab binischen 
Judenthums,  1851,  S.  238—240,  261—265,  269—273.  Levy,  Chald.  Wörterb. 
II,  322.  Winer  RWß.  Art.  „Saum".  Haneberg,  Eelig.  Alterthümer, 
S.  592—594.  Wünsche,  Neue  Beiträge  zur  Erläuterung  der  Evangelien 
S.  274 f.  378.  Weber,  System  der  altsynagogalen  paläst.  Theologie  S.26— 28. 
Eiehms  Wörterb.  Art.  „Läpplein".  Hamburger,  Real-Enz.  Suppi.  II,  1891, 
S.  155—159  Art.  „Schaufäden".  —  Die  Farbe  der  Zizith  ist  jetzt  weiß,  während 
sie  ursprünglich  hyazinthblau  sein  sollten  (Näheres  s.  bei  Hamburger  a.  a.  O. 
S.  158  f.).  Schon  die  Mischna  Menachoth  IV,  1  setzt  voraus,  daß  beides  ge- 
stattet ist.  Auch  werden  sie  jetzt  nicht,  wie  es  der  Pentateuch  vorschreibt 
und  zar  Zeit  Christi  auch  noch  üblich  war,  am  Obergewande  (rv&ü,  lud- 
xiov)  getragen,  sondern  an  den  beiden  viereckigen  wollenen  Tüchern,  deren 
eines  stets  auf  dem  Leibe  getragen  wird,  während  das  andere  nur  beim  Gebet 


[484.  4S5]  §  28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  567 

(pitwö),  ein  an  den  Haus-  und  Zimmertüren  oben  am  rechten  Tür- 
pfosten angebrachtes  längliches  Kästchen,  mit  einer  kleinen  Per- 
gamentrolle, auf  welcher  (nach  der  Verordnung  Deutü,  9.  11,  20) 
in  22  Zeilen  die  beiden  Abschnitte  Deut  6,  4—9  und  11,  13—21 
geschrieben  waren78.  Man  hat  mit  dieser  Vorrichtung  nicht  nur 
die  Gedanken  auf  Gott  lenken  wollen,  sondern  auch  bösen  Geistern 
den  Eintritt  in  die  Wohnung  verwehren  wollen79.  3)  Die  Tephillin 
oder  Gebetsriemen,  welche  |  jeder  männliche  Israelite  beim  Morgen- 
gebet (mit  Ausnahme  des  Sabbaths  und  der  Festtage)  anzulegen 
hatte,  im  Alten  Testamente  rriöoiü  (Arm-  und  Stirnbänder),  im 
Rabbinischen  "pte?  (von  fii&n  das  Gebet),  im  Neuen  Testamente 
tpvlaxTfJQia  (Schutzmittel,  Amulette,  von  Luther  unrichtig  „Denk- 
zettel" übersetzt).  Ihr  Gebrauch  gründet  sich  auf  die  Stellen 
Exod.  13,  9.  16.  Deut.  6,  8.  11, 18.  Es  gab  deren  zwei:  a)  Die  nicri 
■p  biß  (Tephilla  für  die  Hand)  oder  yhr  bfc  nisn  (Tephilla  für  den 
Arm)80,  eine  kleine  würfelförmige  hohle  Kapsel  aus  Pergament, 
in  welcher  ein  Pergamentröllchen  lag,  auf  dem  die  Stellen  Exod.  13, 
1 — 10.  13, 11 — 16  Deut.  6,  4— 9.  11, 13— 21  geschrieben  waren.  Sie 
wurde  mittelst  eines  durchgezogenen  Riemens  an  den  linken  Ober- 


um  den  Kopf  geschlungen  wird.  Freilich  werden  diese  beiden  Tücher  auch 
Taüith  genannt,  und  zwar  das  auf  dem  Leibe  getragene  y&p  rrto  oder  WiK 
niB33,  das  beim  Gebet  um  den  Kopf  geschlungene  bvtt  n^bo.  Vgl.  The  Je- 
wish  Encyclopedia  II,  75  f.  (Art  Arba  Kanfot)  und  XI,  676—678  (Art.  Tallit, 
mit  Abbildungen). 

78)  Vgl.  Pseudo-Aristeas  ed.  Wendland  §  153.  Josephus  Antt.  IV,  8,  13. 
Mischna  Berachoth  HI,  3.  Sckabbath  VEIT,  3.  Megilla  I,  8.  Moed  katan  III,  4. 
Qittin  IV,  6.  Menachoth  HI,  7.  Kelim  XVI,  7.  XVII,  16.  Die  rabbinischen 
Vorschriften  zusammengestellt  im  Traktat  Mesusa  (herausgegeben  von  Kirch  - 
heim  in  der  oben  genannten  Sammlung)  und  bei  Maimonides,  Hilchoth  Me- 
susa (Petersburger  Übersetzung  I,  382 ff.).  —  Dassovius,  De  ritibus  Mexuxae 
(Ugolini,  Thesaurus  t.  XXI).  Buxtorf,  Synagoga  Judaicä  p.  581—587.  Lex. 
chald.  eol.  654.  Bodenschatz,  Kirchl.  Verfassung  der  heutigen  Juden  IV, 
19—24.  Schröder,  Satzungen  und  Gebräuche  8.  245—249.  Levy,  Chald. 
Wörterb.  II,  19 f.  Leyrer  in  Herzogs  Real-Enz.  XI,  642  (2.  Aufl.  XI,  668). 
Haneberg,  Eelig.  Alterthümer  S.  595—598.  Hamburger,  Real-Enz.  Art. 
„Mesusa".  Casanowiex,  Art.  Mexuxah  in:  The  Jewish  Encyclopedia  VIII, 
531  f.  (mit  Abbildungen).  Nestle,  Zeitschr.  f.  d.  alttest.  Wissensch.  1904, 
S.  315  f. 

79)  Ähnliches  kommt  auch  im  christlichen  Altertum  vor.  In  Ephesus 
ist  in  neuerer  Zeit  ein  steinerner  Türstufz  gefunden  worden,  auf  welchem  der 
Briefwechsel  swischen  Abgar  und  Christus  eingegraben  ist,  offenbar  zum  Zweck 
der  Abwehr  böser  Geister  (Heberdey,  Jahreshefte  des  österreichischen  ar- 
chäolog.  Institutes  Bd.  IH,  1900,  Beiblatt  col.  83—96).  Auch  in  Edessa  ist 
dieser  Briefwechsel  in  ähnlicher  Weise  gebraucht  worden,  s.  v.  D  ob  schütz, 
Zeitschr  f.  wissensch.  Theologie  1900,  S.  423  ff.  480  ff. 

80)  Ersteres  z.  ß.  Menachoth  IV,  1;  letzteres  Mikwaoih  X,  3. 


568  §  23.    Du  Leben  unter  dem  Gesetz.  [485] 

arm  befestigt,  b)  Die  tän  515  rticpi  (TepMlla  far  das  Haupt),  eine 
Kapsel  von  derselben  Art,  aber  dadurch  von  jener  verschieden, 
daß  sie  in  vier  Fächer  geteilt  war  und  die  genannten  Tier  Bibel- 
stellen auf  Tier  Pergamentröllchen  enthielt.  Sie  wurde  mittelst 
eines  Riemens  auf  die  Mitte  der  Stirne  dicht  unter  dem  Haarwuchs 
befestigt81.  Die  griechische  Bezeichnung  der  Tephillin  als  ipvXa- 
xrfiQia  (=  Amulette)  beweist,  daß  man  ihre  Bedeutung  in  erster 
Linie  darin  sab,  die  bösen  Geister  beim  Gebet  fernzuhalten.  Auch 
im  christlichen  Altertum  sind  biblische  Texte  nicht  nur  zu  dem 


81)  Vgl.  Pseudo-Aristeas  ed.  Wendland  §  159.    Matth.  23,  5.    Jtmphm, 
Antt.  IV,  8,  13.    Justimm  Martyr,  Bial.  c.  Tryph.  t.  46  s.  ßn.  (ed.  Otto  II,  154). 
Origenes  zu  Matth.  23,  6  (ed.  Lommatxach  IV,  201);  überhaupt  die  patriotischen 
Exegeten    zu    Matth.  23,  5.     Mischna   Berachoth   III,   1.  3.     Schabbaih  VI,  2. 
VHI,  3.  XVI,  1.   Erubin  X,  1—2,    Schekaiim  III,  2.   MegiUa  I,  8,  IV,  8.  Moed 
katan  in,  4.     Neaarim  II,  2.    Gütin  IV,  6.     Sanhedrin  XI,  3.     Sckebuotk  Jll, 
8.  11.    Menaehoth  III,  7.   IV,  1.    Arachm  VI,  3.  4.   Kelim  XVI,  7.   XVIH,  8. 
XXIII,  1.    Mikwaoth  X,  2.  3.  4    Jadajim  111,  3.    Targiim  Onkelos  zu  Bmd. 
13,  16.    Deut,  6,  8.     Paeudo-Jonathan  zu  Exod.  39,  31.    Deut.  11,  18.     Targtim 
zum  Hohenlied  8,  3i  zu  Esther  8,  16.     Babylon,  Talmud  Schabbaih  28b.  62». 
Erubin  95b  bis  97».     Megüla  24b.    Menaehoth  34b  bis  37»,  42b  bis  44b  (die 
Stellen  ans  Targum  und  Talmud  nach  Pinner).    Eine  Zusammenstellung  der 
rabbinischen  Vorschriften   gibt  der  Traktat  Tephillin  (herausgegeben  von 
Kirchheim    in   der  genannten  Sammlung),   Maimonides,  Hilehoth  Tephillin 
(Petersburger  Übersetzung  I,  356  3".).  —  Vgolini,  De  Phylaeteriie  Hebraeorum 
(Thesaurus  tom.  XXI).     Buxtorf,  Synagoga  Judaica  p.  170—185.    Lex.  chald. 
eol.  1743sg.    Spencer,  De  natura  et  origine  Phylaoteriorum    (in:  De  legibus 
Bebraeorum  ritualibus  ed.  Tubing.  1732,  p.  1201—1232).    Oarpxov,  Apparatur 
historieo-criticus  p.  190—197.    Bodenschatz,  Kirchl.  Verfassung  der  heutigen 
Juden  IV,  14— 19.  Schröder,  Satzungen  nnd  Gebräuche  S.  265-273.  Light- 
foot  zu  Matth.  23,  5.     Wolf,  Curat  phil  und  andere  Ausleger  zu  Matth.  23,  5. 
Hartmann,  Die  enge  Verbindung  des  Alten  Test  mit  dem  Neuen  8.  360—362. 
Winer  RWB.  II,  260f.  (Art.  Phylakterien).    Pinner,  Übersetzung  des  Trak- 
tates ßerachoth  fol.  6»,  Erläuterung  33.   Herzfeld,  Oesch.  des  Volkes  Jisrael 
HI,  223—225.    Leyrer  Art.  „Phylakterien"  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  XI, 
639—043  (2.  Aufl.  XI,  666—669).    Haneberg,  Relig.  Alterthümer  S.  587-592. 
Levy,  Chald.  Wörterb.  H,  549f.    Delitzech,  Art,  „Denkzettel"  in  Riehms 
rb.  (mit  Abbildungen).   Klein,  Die  Totaphoth  nach  Bibel  und  Tradition 
b.   f.  prot.  Theol.  1881,  8.  666-689).     Hamburger,  ReaUEnz.  Art. 
illin".    Rodkinssohn,  Twxb  ribfin,  Ursprung  nnd  Entwicklung  des 
sterien-Ritus  bei  den  Juden,  Presburg  1883  (in  hebr.  Sprache;  bes.  auch 
len  schwankenden  Gebrauch  im  Mittelalter;  s.  die  Anz.  in  ßrütls  Jahrbb. 
83,  Revue  des  ttudes  jutves  VI,  288).    Kennedy,  Art.  Phylaeteriee  in 
js'  Dictionary  of  the  Bible  HI,  869—874.    M.  Friedländer,  Der  Anti- 
1901,  S.  155 ff.  [Gebrauch  der  Tephillin  als  Amulette].   Blau,  Ajt.Pky- 
!«   in;    The  Jewish  Eneyelopedia  X,  21—28   [sehr  eingehend,  mit  Abbil- 
i].    Wünsche,  Art.  „Tephillin"  in  Herzog-Haucks  Real-Euz.  3.  Aufl. 
ilO-513. 


[485.  486.  487]  §  28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  569 

in  Anm.  79  genannten  speziellen  Zweck,  sondern  überhaupt  auf 
Amuletten  als  wirksam  zur  Abwehr  böser  Geister  gebraucht 
worden82.  | 

Von  den  drei  Denkzeichen  ist  jedenfalls  das  erste  in  den  Vor- 
schriften des  Pent&teuches  begründet,  wahrscheinlich  auch  die  beiden 
anderen,  insofern  wenigstens  an  den  Stelleu  des  Deuteronomiums 
die  wörtliche  Fassung  wohl  die  richtige  ist  (s.  Dillmann  zu  Exod. 
13,  16).  Aber  ganz  bezeichnend  für  das  spätere  Judentum  ist  es, 
welchen  Wert  man  gerade  auf  diese  Äußerlichkeiten  legte,  und 
wie  sorgfältig  auch  hier  alles  bis  ins  einzelnste  geregelt  war.  Aus 
wieviel  Fäden  die  Zizith  zu  bestehen  haben,  wie  lang  sie  sein 
sollten,  wieviel  Knoten  an  ihnen  zu  schlingen  seien  und  in  welcher 
Weise  dies  geschehen  müsse;  wie  die  Abschnitte  der  Mesusa  und 
der  Tephillin  zu. schreiben  seien,  wie  groß  die  Eitstehen  der  letz- 
teren und  wie  lang  ihre  Riemen  sein  müssen,  wie  sie  an  Kopf  und 
Arm  anzulegen  und  wie  oftmal  der  Riemen  um  letzteren  zu  schlingen 
sei:  dies  alles  wurde  mit  peinlicher  Sorgfalt  festgestellt.  Die  Ehr- 
furcht vor  den  Tephillin  war  fast  so  groß  wie  die  vor  den  heiligen 
Schriften83.  Wie  diese,  so  durfte  man  auch  jene  am  Sabbath  aus 
einer  Feuersbrunst  retten84. 

Von  wahrer  Frömmigkeit  ist,  wie  man  sieht,  dieser  äußerliche 
Formalismus  weit  entfernt  Immerhin  konnte  jene  auch  unter  solcher 
Last  noch  notdürftig  ihr  Leben  fristen.  Wenn  aber  vollends  auch 
das  Zentrum  des  religiösen  Lebens,  das  Gebet  selbst,  in  die  Fesseln 
eines  starre»  Mechanismus  geschlagen  wurde,  dann  konnte  von 
lebendiger  Frömmigkeit  kaum  mehr  die  Rede  sein.  Auch  diesen 
verhängnisvollen  Schritt  hatte  das  Judentum  zur  Zeit  Christi  be- 
reits |  getan.  Die  beiden  Hauptgebete,  welche  damals  für  den 
Privatgebrauch  allgemein  üblich  waren,  sind:  1)  das  Schma, 
welches  täglich  zweimal  zu  rezitieren  war,  eigentlich  kein  Gebet, 
sondern  ein  Bekenntnis  zu  dem  Gott  Israels,  und  2)  das  Schmone 
Esre,  das  gewöhnliche  tägliche  Gebet,  welches  morgens,  mittags 
und  abends  zu  beten  war  (Näheres  s.  oben  §  27^  Anhang).    Auch 


82)  Unter  diesem  Gesichtspunkt  ist  zu  beurteilen  eine  in  Rhodus  ge- 
fundene Bleirolle  mit  dem  Texte  von  Psalm  80  (herausg.  von  Hiller  von 
Gärtringen,  Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie  1898  S.  582—588)  und 
eine  in  Megara  gefundene  Tonscherbe  mit  dem  Texte  des  Vaterunsers  (Knopf, 
Mitteilungen  des  deutschen  archäolog.  Instituts,  Athenische  Abt.  1900,  S.  313  ff. 
und  Zeitschr.  f.  d.  neutest  Wissensch.  1901,  S.  228  ff.).  Vgl.  auch  Nestle, 
Evangelien  als  Amulet  am  Halse  und  am  Sofa  (Zeitschr.  f.  d.  NT1.  Wissensch. 
1900,  8.  96). 

83)  Jadßjim  HI,  3. 

84)  Sckabbath  XVI,  1. 


570  §  28;   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  [487.  488] 

diese  Gebete  wurden  nun  zum  Gegenstande  kasuistischer  Diskus- 
sionen gemacht,  und  ihr  Gebrauch  damit  notwendig  zu  einem 
äußerlichen  Werkdienst  herabgewürdigt85.  Namentlich  gilt  dies 
vom  Schma,  auf  das  wir  uns  hier  umsomehr  beschränken  können, 
als  es  fraglich  ist,  ob  das  Schmone  Esre  zur  Zeit  Christi  schon 
feste  Formen  angenommen  hatte.  Vor  allem  wurden  die  Zeitgrenzen 
genau  festgestellt,  innerhalb  deren  das  Abend-  und  das  Morgen- 
Schma  zu  beten  sei.  Der  Anfangspunkt  für  ersteres  ist  die  Zeit 
„da  die  Priester  wieder  eintreten,  um  von  ihrer  Teruma  (Hebe) 
zu  essen";  der  Endpunkt  nach  R  Elieser  das  Ende  der  ersten 
Nachtwache,  nach  gewöhnlicher  Ansicht  Mitternacht,  nach  R.  Gama- 
liel  das  Aufsteigen  der  Morgenröte86.  Das  Morgen-Schma  kann 
gebetet  werden  „sobald  man  zwischen  blau  und  weiß  unterscheidet. 
R  Elieser  sagt:  zwischen  blau  und  lauchgrtin".  Der  Endtermin 
ist  „bis  die  Sonne  hervorstrahlt  R  Josua  sagt:  bis  drei  Uhr  (nach 
unserer  Rechnung  9  Uhr);  denn  so  ist  die  Sitte  der  Fttrstenkinder, 
erst  um  drei  Uhr  aufzustehen"87.  Da  den  Hauptbestandteil  des 
Schma  biblische  Abschnitte  bildeten,  so  entstand  die  Frage:  ob 
derjenige,  der  zur  Zeit  des  Schma-Betens  in  der  Bibel  liest  und 
die  betreffenden  Abschnitte  (innerhalb  eines  größeren  Zusammen- 
hanges) mitliest,  der  Schma-Pflicht  gentigt  habe  oder  nicht?  Hier- 
auf wird  geantwortet:  Wenn  er  daran  gedacht  hat  (iab  ^5  Dtf), 
so  hat  er  der  Pflicht  genügt;  sonst  nicht88.  Höchst  bezeichnend 
(und  eine  Bestätigung  des  Wortes  Matth.  6,  5  vom  Beten  auf  den 
Straßen)  ist  es,  daß  auch  die  Frage  verhandelt  wird:  ob  und  unter 
welchen  Umständen  man  während  des  Schma-Betens  grüßen  dürfe? 
Es  kamen  dabei  drei  Fälle  in  Betracht:  1)  das  Grüßen  aus  Furcht 
(rttrm  ijw),  2)  das  Grüßen  aus  Ehrerbietung  (Tinsn  ^ött)  und 
3)  das  Grüßen  gegen  jedermann  (DlK  bsb);  ferner  war  zu  unter- 
scheiden zwischen  Grüßen  und  Erwidern  des  Grußes;  und  endlich 
war  zu  beachten,  daß  im  Schma  selbst  sich  natürliche  Absätze 
finden,  nämlich  zwischen  der  ersten  und  zweiten  Beracha,  zwischen  | 
dieser  und  dem  Abschnitt  Deut.  6,  4—9,  zwischen  diesem  und  dem 
Abschnitt  Deut  11,  13—21,  zwischen  diesem  und  dem  Abschnitt 
Xum.  15,  37—41,  endlich  zwischen  diesem  und  der  Schluß-Böracha. 
R  Meir  erlaubte  nun,  daß  man  bei  den  Absätzen  aus  Ehrerbietung 
grüße  und  den  Gruß  erwidere,  in  der  Mitte  aber  nur  aus  Furcht 
grüße  und  erwidere.    R  Jehuda  aber  ging  einen  Schritt  weiter 

85)  Vgl.  auch  Weber,  System  der  altsynagogalen  palästinischen  Theo- 
logie 8.  40—42. 

86)  Berachoth  I,  1. 

87)  Berachoth  I,  2. 

88)  Berachoth  II,  1. 


[488.  489]  §  28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  571 

und  erlaubte  in  der  Mitte  auch  noch  das  Erwidern  aus  Ehrerbietung, 
und  bei  den  Absätzen  auch  noch  das  Erwidern  des  Grußes  von 
jedermann89.  — Im  allgemeinen  werden  noch  folgende  Bestimmungen 
getroffen:  „Wer  das  Schma  betet,  ohne  es  seinem  Ohre  hörbar  zu 
machen,  ist  entledigt.  R.  Jose  sagt:  Er  ist  nicht  entledigt.  Wer 
gebetet  und  nicht  genau  auf  die  Buchstaben  geachtet  hat,  hat  nach 
R.  Jose  seiner  Pflicht  genügt,  nach  R.  Jehuda  aber  nicht  genügt. 
Wer  in  unrichtiger  Ordnung  betet,  ist  nicht  entledigt  Wer  sich 
geirrt  hatte,  fängt  wieder  da  an,  wo  er  sich  geirrt  hatte.  Arbeiter 
können  auf  dem  Baume  oder  auf  der  Mauer  beten4* 90. 

Eine  schöne  Sitte  war  es,  daß  Speise  und  Trank  nie  ohne 
Dank  gegen  Gott  genossen  wurden  (nach  der  Vorschrift  Deut. 
8, 10).  Man  sprach  sowohl  vor  als  nach  der  Mahlzeit  Danksagungen 
(Berachas),  wozu  auch  Frauen,  Sklaven  und  Kinder  verpflichtet 
waren91.  Aber  auch  hier  war  alles  bis  ins  kleinste  geregelt: 
welche  Formel  man  bei  Baumfrüchten,  welche  beim  Wein,  welche 
bei  Erdfrüchten,  beim  Brot,  bei  Gemüse;  welche  beim  Essig,  bei 
unreif  abgefallenen  Früchten,  bei  Heuschrecken,  Milch,  Käse,  Eiern 
anzuwenden  habe;  und  die  Gelehrten  stritten  sich  noch  darüber, 
wo  diese  und  wo  jene  Formel  zulässig  sei92.  „Hat  man  über  den 
Wein  vor  der  Mahlzeit  den  Segen  gesprochen,  so  befreit  man  den 
Wein  nach  der  Mahlzeit.  Hat  man  über  Nebengerichte  vor  der 
Mahlzeit  den  Segen  gesprochen,  so  befreit  man  die  Nebengerichte 
nach  der  Mahlzeit  Spricht  man  den  Segen  über  das  Brot,  |  so 
befreit  man  die  Nebengerichte" 93.  „Bringt  man  einem  Gesalzenes 
erst  und  Brot  dazu,  so  spricht  man  den  Segen  über  das  Gesalzene 
und  befreit  das  Brot"94.    „Hat  einer  Feigen,  Weintrauben  und 

89)  Berachoth  II,  1—2. 

90)  Berachoth  H,  3—4. 

91)  Berachoth  HI,  3—4.  Vgl.  auch  Orac.  Sibyü.  IV,  25—26  (wahrschein- 
lich jüdisch).  —  Bekanntlich  war  das  Tischgebet  auch  bei  den  Christen  von 
Anfang  an  Sitte  (Rom.  14,  6.  I  Cor.  10,  30.  I  Tim.  4,  4),  wie  ja  auch  Jesus 
selbst  diese  Sitte  stets  geübt  hat  (Matth.  14, 19.  15,  36.  26,  26  und  Parallelen). 
—  S.  überh.  Maimonides ,  Hilchoth  Berachoth  (Petersburger  Übersetzung  I, 
457  ff.).  Bodenschatz,  Kirchliche  Verfassung  der  heutigen  Juden  II,  79—84. 
Schröder,  Satzungen  und  Gebräuche  S.  309 f.  315—317.  323—330.  Winer 
EWB.  I,  398.  Arnold,  Art.  „Mahlzeiten  der  Hebräer"  in  Herzogs  Real-Enz. 
VIH,  688 f.  (2.  Aufl.  IX,  202).  Benzinger  ebendas.  3.  Aufl.  Xn,  78.  Dem- 
bitx,  Art.  „Grace  at  meals"  in:  The  Jeicish  Encyclopedia  VI,  61  f.  von  der 
Goltz,  Tischgebete  und  Abendmahlsgebete  in  der  altchristlichen  und  in  der 
griechischen  Kirche  (Texte  und  Untersuchungen  von  Gebhardt  und  Harnack 
N.  F.  XIV,  2b)  1905,  S.  5—13  [hier  über  das  jüdische  Tischgebet]. 

92)  Berachoth  VT,  1—3. 

93)  Berachoth  VI,  5. 

94)  Berachoth  VI,  7. 


572  §  28.  Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  [489.  490] 

Granatäpfel  gegessen,  so  spricht  er  danach  drei  Segen.  Dies  ist 
die  Meinung  des  ß.  Gamaliel.  Die  Gelehrten  sagen:  Einen  Segen 
dreierlei  Inhaltes" 95.  „Bei  wieviel  Speise  ist  förmliche  Vorberei- 
tung zum  Dankgebet  erforderlich?  Bei  der  Größe  einer  Olive. 
E.  Jehuda  sagt:  eines  Eies"  96>  „Hat  einer  gespeiset  und  vergessen, 
den  Tischsegen  zu  sprechen,  so  muß  er  nach  der  Schule  Schammais 
zurückkehren  an  seinen  Ort  und  den  Segen  sprechen;  die  Schule 
Hillels  erlaubt,  daß  er  den  Segen  da  spreche,  wo  er  sich  dessen 
erinnert.  Bis  wie  lange  ist  man  zum  Segen  verpflichtet?  Bis  die 
Speise  im  Magen  verdaut  ist" 97. 

Wo  das  Gebet  in  solcher  Weise  unter  die  gesetzliche  Formel 
gebannt  war,  mußte  es  notwendig  zu  einem  äußern  Werkdienst 
erstarren.  Was  half  es,  daß  die  Gebete  selbst  schön  und  gehalt- 
reich waren  (wie  man  dies  namentlich  vom  Schmone-Esre  wird  zu- 
geben müssen),  wenn  sie  doch  nur  darum  gebetet  wurden,  damit 
man  ^der  Pflicht  genüge"?  Was  half  es,  daß  R.  Elieser  erklärte: 
„Wer  sein  Gebet  zur  festgestellten  Pflicht  (*3p>)  macht,  dessen 
Gebet  ist  kein  andächtiges  Flehen"98,  wenn  doch  er  selbst  daran 

mitarbeitete,  es  zu  ersterer  zu  machen?   Ist  schon  die  gesetzliche 

»»         - 

Behandlung  des  sittlichen  Lebens  überhaupt  vom  Übel,  so  ist  sie 
es  beim  Gebete,  dieser  zartesten  Blüte  des  innersten  Gemütslebens, 
doppelt  und  dreifach.  Nur  die  notwendige  Konsequenz  einer  solchen 
Behandlungsweise  war  es,  daß  man  schließlich  dahin  kam,  das 
Gebet  zum  Dienst  der  Eitelkeit  herabzuwürdigen  (Matth,  6,  5)  und 
es  als  Deckmantel  innerer  Unlauterkeit  zu  mißbrauchen  (Jft  15,  7  f. 
Mc.  7,  6.  12,  40.  Luc.  20,  47). 

Ein  weiterer  Punkt,  in  welchem  die  ganze  Veräußerlichung  des 
religiösen  Lebens  sehr  scharf  zutage  tritt,  ist  endlich  auch  das 
Fasten.  Daß  die  Pharisäer  viel  fasteten  und  großen  Wert  darauf 
legten,  wissen  wir  im  allgemeinen  aus  den  Evangelien  (Aß.  9,  14. 
Mc.  2, 18.  Luc.  5,  33).  Es  gab  zwar  nur  wenige  durch  den  Kalender 
fixierte  öffentliche  Fasttage".  Aber  nicht  selten  wurden  außer- 
ordentliche öffentliche  Fasttage  angesetzt  wegen  allgemeiner  Kala- 
mitäten, namentlich  wegen  Ausbleibens  des  Eegens  im  Herbste. 
Diese  Fasttage  |  wurden  stets  auf  den  zweiten  und  fünften  Wochen- 
tag (Montag  und  Donnerstag)  verlegt  und  zwar  so,  daß  stets  mit 
dem  zweiten  Wochentag  begonnen  wurde;  so  daß  also  ein  dreir 


95)  Berachoth  VI,  8. 

96)  Berachoth  VII,  2. 

97)  Berachoth  VIII,  7. 

98)  Berachoth  IV,  4.    Vgl.  Äboth  II,  13. 

99)  Vgl.  hierüber  Dal  man  in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  VII, 
S.  16  f.  (im  Artikel  „Gottesdienst,  synagogaler"). 


[490.  491]  §  28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  573 

tägiges  Fasten  auf  den  2.,  5.,  2.  Wochentag  (Montag,  Donnerstag, 
Montag)  fiel,  bei  sechstägigem  dann  mit  dem  5.,  2.,  5.  fortgefahren 
wurde  usw.100.  Neben  diesen  allgemein  verordneten  Fasten,  welchen 
jeder  sich  unterziehen  mußte,  wurde  aber  auch  aus  freien  Stücken 
viel  gefastet;  und  die  Strengsten  gingen  sogar  so  weit,  daß  sie  das 
ganze  Jahr  hindurch  an  den  beiden  genannten  Wochentagen  faste- 
ten 10J.  —  Je  nach  der  Strenge  des  Fastens  war  die  äußere  Haltung 
dabei  eine  verschiedene.  Beim  geringsten  Grade  pflegte  man  sich 
noch  zu  waschen  und  zu  salben;  beim  strengeren  wurde  beides 
unterlassen;  und  beim  strengsten  enthielt  man  sich  aller  irgendwie 
erfreulichen  Handlungen,  selbst  des  gegenseitigen  Grüßens 102.  Über- 
haupt war  es  beliebt,  das  Fasten  in  möglichst  augenfälliger  Weise 
zu  üben,  um  damit  seinen  frommen  Eifer  zur  Schau  zu  tragen 
(Mt.  6,  16).  Aber  das  Schlimmste  war  die  Grundanschauung,  von 
der  man  bei  alledem  ausging.  Man  meinte  durch  solche  Selbst- 
qual eine  Pression  auf  Gott  auszuüben,  um  ihm  seine  Gnaden- 
erweisungen, wenn  er  damit  zurückhielt,  gleichsam  abzuzwingen. 
Je  länger  im  Herbste  der  Regen  ausblieb,  desto  verschärfter  wurde 
das  Fasten.  Wenn  der  17.  Marcheschwan  eintrat,  ohne  daß  Regen 
gefallen  war,  so  begannen  einzelne  drei  Fasttage  zu  halten.  Trat 
der  Neumond  des  Kislev  ein,  ohne  daß  Regen  gefallen  war,  so  ver- 
fügte man  drei  allgemeine  Fasttage.  War  nach  Ablauf  dieser 
noch  kein  Regen  gefallen,  so  wurden  drei  weitere  Fasttage  verfügt, 


100)  Taanüh  II,  9.  —  Vgl.  diöoxh  x(bv  ö&Sexa  anoaxöXwv  (ed.  Bryennios 
1883)  e.  8:  AI  Sh  vrjoveTai  üfjtwv  (i%  %oxa>oav  fjtexä  xibv  vnoxQixtbv  vijaxevovoi 
yag  SevziQa  oaßßdzwv  xal  TtifiTCxy  vfjteZg  6h  vijcxevaaxe  xexgdöa  xal 
naQaoxevj)v.  —  Dasselbe  fast  wörtlich  auch  Const.  apost.  VII,  23.  —  Epiphan. 
haer.  16,  1  (ed.  Peiav.  p.  34):  ivrfaxevov  ölq  xov  oaßßdzov,  öevx^Qav  xal 
n  £  fjt  n  xtjv.  —  Josephi  Hypomnesticum  0.  145  (bei  Fabricius,  Cod.  pseudepigr, 
Vet.  Test.  t.  II,  Anhang).  —  Verboten  war  das  Fasten  nicht  nur  am  Sabbatb, 
sondern  auch  am  Tage  vor  Sabbath  (Judith  Ü,  6).  Über  die  Pflicht  des  Wohl- 
lebens am  Sabbath  s.  oben  S.  554  Anm.  19.  —  Über  die  Gebete  an  den  Fast- 
tagen s.  -for.  Liviy  Reinte  des  etudes  juives  t.  XLVII,  1903,  p.  161—167. 

101)  Ev.  Lue.  18, 12;  vgl.  Taanüh  fol.  12a  (bei  Lightfoot  und  Wetstein 
zu  Jmc.  18, 12):  TVW  ia  itt  *wi  ^lam  *W  y4*  hy^pw  iw.  nEin  einzelner, 
der  eß  auf  sich  nimmt  am  zweiten  und  fünften  und  zweiten  Tage  während 
des  ganzen  Jahres  etc".  —  Die  weitverbreitete  Meinung,  daß  alle  Pharisäer 
die  beiden  Fasttage  während  des  ganzen  Jahres  beobachtet  hätten ,  ist  hier- 
nach nicht  richtig. 

102)  Taanüh  I,  4—7;  iu  allen  Punkten  bestätigt  durch  Matth.  6,  16—18 
(wo  die  bildliche  Fassung  der  von  Jesu  gegebenen  Weisung  nicht,  wie  Meyer 
meint,  selbstverständlich,  sondern  grundverkehrt  ist.  Jesus  will  sagen,  man 
solle  das  Fasten  nicht  äußerlich  kund  geben,  also  auch  das  gewöhnliche 
Waschen  und  Salben  nicht  unterlassen).  Vgl.  auch  Daniel  10,  3.  Joma  VIII,  1. 


574  §  28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  [491.  492] 

und  zwar  mit  einigen  Verschärfungen.  Waren  auch  diese  x>hne 
Regen  vorübergegangen,  so  wurden  noch  sieben  allgemeine  Fast- 
tage veranstaltet,  abermals  mit  neuen  Verschärfungen103. 


V. 

Die  bisherigen  Beispiele  werden  es  hinreichend  zur  Anschauung 
gebracht  haben,  in  welcher  Weise  das  sittliche  und  religiöse  Leben 
vom  juristischen  Gesichtspunkte  aus  aufgefaßt  und  geregelt  wurde. 
In  allen  Fragen  kam  es  überall  nur  darauf  an,  festzustellen,  was 
Rechtens  ist,  und  zwar  mit  möglichster  Sorgfalt,  damit  das  handelnde 
Subjekt  für  jeden  einzelnen  Fall  eine  sichere  Direktive  habe.  Mit 
einem  Worte:  Ethik  und  Theologie  löst  sich  auf  in  Jurisprudenz. 
Welche  Übeln  Folgen  diese  äußerliche  Auffassung  für  die  Praxis 
des  Lebens  hatte,  liegt  deutlich  zutage.  Und  sie  mußte  notwendig 
solche  Folgen  haben.  Selbst  in  dem  günstigsten  Falle,  daß  die 
juristische  Kasuistik  im  ganzen  sich  in  sittlich  korrekten  Bahnen 
bewegte,  war  sie  eben  selbst  schon  eine  Vergiftung  des  sittlichen 
Prinzipes  und  mußte  lähmend  und  erstarrend  auf  den  frischen  Puls- 
schlag des  sittlichen  Lebens  wirken.  Aber  dieser  günstige  Fall 
trat  keineswegs  ein.  Sobald  einmal  die  Frage  so  gestellt  war: 
„Was  habe  ich  zu  tun,  um  dem  Gesetz  zu  genügen",  lag  die  Ver- 
suchung zu  nahe,  daß  man  vor  allem  eben  darauf  ausging,  mit 
dem  Gesetzesbuchstaben  sich  abzufinden,  auch  auf  Kosten  der 
wahren  Anforderungen  der  Sittlichkeit,  ja  der  eigenen  Intentionen 
des  Gesetzes. 

Ein  ziemlich  harmloses  und  in  seiner  Harmlosigkeit  komisches 
Beispiel  dafür,  wie  man  mit  ausgesuchtem  Scharfsinn  Mittel  und 
Wege  fand,  das  Gesetz  gleichzeitig  zu  umgehen  und  doch  zu  er- 
füllen, sind  die  Bestimmungen  über  den  sogenannten  Erub.  Es  war, 
wie  wir  wissen,  unter  anderm  verboten,  am  Sabbath  einen  Gegen- 
stand aus  einem  Bereiche  (nwi)  in  einen  andern  zu  tragen.  Dies 
hätte  nun  die  unbequeme  Folge  gehabt,  daß  man  am  Sabbath  fast 
alle  Freiheit  der  Bewegung  verloren  hätte,  denn  der  Begriff  des 
roth  (oder  genauer  des  Tn*n  rviton,  des  Privatbereiches)  war  ein  | 
sehr  enger.  Wenn  es  nun  aber  gelang,  diesen  Begriff  zu  erweitern 
und  möglichst  große  „Bereiche"  herzustellen,  so  war  ja  dem  Übel 
aufs  glücklichste  abgeholfen.  Das  nächste  Mittel,  das  man  zur 
Erreichung  dieses  Zieles  ergriff,  war  die  sogenannte  Vermischung 


103)  Taanüh  I,  4—6.  —  Jüdische  Urteile  über  den  Wert  des  Fastens  8. 
bei  Leop.  Low,  Gesammelte  Schriften  I,  1889,  S.  107  ff. 


[492.  493]  §  28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  575 

der  Höfe  (rri-ttn  nvv?),  d.  h.  die  Verbindung  mehrerer  in  einem 
Hofe  stehender  Häuser  (deren  jedes  ein  Tn*n  nth  bildet)  zu 
einem  TW«  muri.  Eine  solche  Verbindung  ward  dadurch  be- 
werkstelligt, daß  „sämtliche  Bewohner  vor  Sabbath  oder  einem  Fest- 
tage etwas  Speise  zusammenlegten  und  solche  an  einen  bestimmten 
Ort  hinsetzten,  um  damit  zu  bezeichnen,  daß  sie  den  ganzen  Hof 
mit  allen  Wohnungen  darin  als  ein  gemeinschaftliches  Ganzes  be- 
trachteten. Dadurch  ward  es  sämtlichen  Bewohnern  gestattet, 
innerhalb  dieses  Bereiches  am  Feiertage  ein-  und  auszutragen" l04. 
Natürlich  wurde  nun  auch  mit  großer  Gewissenhaftigkeit  fest- 
gestellt, welche  Speisen  zu  diesem  Erüb  verwendet  werden  dürfen 
und  wieviel  Speise  nötig  und  was  überhaupt  dabei  zu  beobachten 
ist,  wie  in  derMischna  des  langen  und  breiten  zu  lesen  ist105. — 
Sehr  viel  war  aber  mit  dieser  Verbindung  der  Höfe  noch  nicht 
gewonnen.  Man  verfiel  daher  noch  auf  ein  anderes,  jenes  erste 
ergänzendes  Mittel,  das  weit  ergiebiger  war,  nämlich  „die  Ver- 
bindung des  Eingangs"  (^iStt  an?),  d.  h.  die  Sperrung  einer  engen 
Gasse  oder  eines  von  drei  Seiten  umgebenen  Raumes  mittelst  eines 
Querbaikens,  eines  Drahtes  oder  eines  Strickes,  wodurch  beide 
"Pn*n  man  werden  (also  Räume,  innerhalb  deren  das  Hin-  und 
Hertragen  von  Gegenständen  gestattet  ist).  Auch  hier  wird  sorg- 
fältig erörtert,  wie  hoch  und  wie  breit  die  Öffnungen  sein  dürfen, 
um  deren  Verschließung  es  sich  handelt;  und  wie  die  Verschluß- 
mittel, die  Balken  und  Stricke,  beschaffen  sein  müssen:  wie  stark 
und  wie  breit  usw.106. 

Außer  dem  Tragen  von  einem  Bereich  in  den  andern  war  auch 
das  Gehen  auf  eine  Entfernung  von  mehr  als  2000  Ellen  am  Sab- 
bath verboten.  Auch  hierfür  wurde  durch  ein  ähnliches  Mittel  Er- 
leichterung geschaffen:  durch  die  „Vermischung  der  Grenzen"  (n*n? 
■pttwn).  Wer  nämlich  am  Sabbath  weiter  als  2000  Ellen  zu  gehen 
wünschte,  brauchte  nur  vor  Eintritt  des  Sabbath  innerhalb  dieser 
Grenze  irgendwo  (also  etwa  an  deren  Endpunkt)  Speise  für  zwei 
Mahlzeiten  niederzulegen.  Er  erklärte  damit  gleichsam,  daß  hier 
sein  Aufenthaltsort  sein  werde,  und  durfte  nun  am  Sabbath  nicht 
nur  von  seinem  faktischen  Aufenthaltsorte  bis  zu  diesem  recht- 
lichen |  Aufenthaltsorte  2000  Ellen  weit  gehen,  sondern  auch  von 
da  an  noch  2000  Ellen  weiter107.   Ja  es  war  nicht  einmal  in  allen 


104)  Josts  Einleitung  zum  Traktat  Ervhin.   Vgl.  Bodenschatz,  Kirch- 
liche Verfassung  II,  134 ff.    Schröder,  Satzungen  und  Gebrauche  S.  64 f. 

105)  Erubin  VI— VII.  „ 

106)  Erubin  I,  1  ff.  VII,  6ff. 

107)  Josts  Einleitung  zum  Traktat  Erubin.    Die  näheren  Bestimmungen 
Erubin  HL.  IV.  VIII. 


576  §  28*   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  [493.  494] 

Fällen  diese  umständliche  Vorbereitung-  nötig.  Wenn  z.  B.  jemand 
bei  Sabbathanbruch  unterwegs  war,  und  er  sah  auf  eine  Entfernung 
yon  2000  Ellen  einen  Baum  oder  eine  Steinmauer,  so  konnte  er 
dies  für  seinen  Sabbathsitz  erklären  und  durfte  dann  nicht  nur  bis 
zu  dem  Baume  oder  der  Mauer  2000  Ellen  gehen,  sondern  von  da 
hoch  2000  Ellen  weiter.  Nur  mußte  er  freilich  gründlich  zu  Werke 
gehen  und  sagen:  „Mein  Sabbathsitz  sei  an  dessen  Stamme"  (^nn^nü 
•hjMEi).  Denn  wenn  er  nur  sagte:  „Mein  Sabbathsitz  sei  darunter" 
(vnnp  ^nn^nti),  so  galt  dies  nicht,  weil  es  zu  allgemein  und  un- 
bestimmt war108. 

So  unschuldig  diese  Spielereien  an  sich  auch  sein  mögen:  sie 
zeigen  jedenfalls  in  erschreckender  Weise,  daß  der  sittliche  Ge- 
sichtspunkt vollständig  durch  den  formal-gesetzlichen  verdrängt  ist; 
daß  man  nur  dem  Gesetzesbuchstaben  gerecht  zu  werden  suchte, 
selbst  mit  Umgehung  von  dessen  eigenem  Sinne. 

Diese  Verschiebung  des  richtigen  Gesichtspunktes  führte  not- 
wendig auch  in  wichtigeren  Fragen,  als  die  eben  berührten  waren, 
zu  Resultaten,  welche  mit  einer  sittlichen  Auffassung  der  Dinge 
direkt  im  Widerspruche  stehen.  Bekannt  ist  der  Weheruf  Jesu 
über  die  Schriftgelehrten,  die  mit  dem  Eide  ihr  leichtfertiges  Spiel 
treiben,  indem  sie  sagen:  „Wer  da  schwöret  bei  dem  Tempel,  das 
bedeutet  nichts;  wer  aber  schwöret  bei  dem  Golde  des  Tempels, 
der  ist  gebunden.  Und  wer  da  schwöret  bei  dem  Altar,  das  be- 
deutet nichts;  wer  aber  schwöret  bei  dem  Opfer,  das  auf  dem  Altar 
ist,  der  ist  gebunden"  (Matth.  23,  16.  18) 109.  Bekannt  ist  ferner 
die  laxe  Auslegung  der  Bestimmung  über  die  Ehescheidung 
Deut.  24, 1:  daß  der  Mann  die  Frau  entlassen  dürfe,  wenn  er  etwas 
Schändliches  (nyj  ny#)  an  ihr  bemerkt  habe.  Nur  die  Schule 
Schammais  ließ  den  Worten  ihren  eigentlichen  Sinn.  Die  Schule 
Hillels  deutete  sie  dahin  um:  Wenn  sie  ihm  auch  nur  die  |  Speise 
verderbt  hat.  Und  nach  R.  Akiba  vollends  war  dem  Manne  die 
Entlassung  der  Frau  gestattet,  wenn  er  auch  nur.  eine  andere 


108)  Erubin  IV,  7. 

109)  Vgl.  Schebuoth  IV,  13:  Wer  schwört  „bei  Himmel  und  Erde",  der  ist, 
wenn  er  falsch  geschworen,  nicht  des  Meineides  schuldig.  —  S.  überh.  Sche- 
buoth IV,  3  ff.  Bodenschatz,  Kirchliche  Verfassung  der  heutigen  Juden  II, 
854—386.  Schröder,  Satzungen  und  Gebräuche  des  talmudisch-rabbinischen 
Judenthums  S.  011—631.  Winer  RWE.  Art.  „Eid".  —  Auch  Maimonides 
sagt,  ein  Schwur  bei  Himmel  und  Erde  sei  kein  Schwur.  8.  die  Stelle  bei 
Lightfoöt,  Horae  hebr.  zu  Matth.  5,  33  (Opp.  H,  293),  Schotttgen,  Borae 
hebr.  I,  40.  —  Über  Philos  Lehre  vom  Eid  s.  Low,  Ges.  Schriften  I,  1889, 
S.  213-221.  ... 


[494]  §  28.   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  577 

schöner  fand  als  sie110.  —  Die  Reinigungsgesetze  gaben  Veran- 
lassung, das  Gebiet  des  geschlechtlichen  Lebens  in  einer  Weise 
zu  behandeln,  welche  viel  Ähnlichkeit  hat  mit  der  schlüpfrigen 
Kasuistik  der  Jesuiten:  ein  schlagender  Beweis,  wie  die  kasuistische 
Methode  als  solche  mit  innerer  Notwendigkeit  auf  diese  Irrwege 
führt111.  Auch  noch  in  einem  andern  Punkte  zeigt  sich  eine  auf- 
fallende Parallele  mit  dem  Jesuitismus,  nämlich  in  der  Hintan- 
setzung der  Pietätspflichten,  z.  B.  gegen  Vater  und  Mutter,  hinter 
vermeintliche  religiöse  Verpflichtungen.  „Wenn  ein  Mensch  zu 
Vater  oder  Mutter  gesagt  hat:  Geopfert  sei,  was  immer  du  von 
mir  als  Nutzen  haben  könntest,  so  gestattet  ihr  ihm  nicht  mehr, 
etwas  für  Vater  oder  Mutter  zu  tun"  {Marc.  7,  11—12,  vgl.  Matth. 
15,  5)  —  so  wirft  Jesus  den  Pharisäern  vor;  und  in  der  Mischna 
heißt  es  wenigstens  im  allgemeinen,  daß  ein  übernommenes  Gelübde 
nicht  „wegen  der  den  Eltern  schuldigen  Ehrfurcht"  (yok  TODS 
TOKi)  rückgängig  gemacht  werden  könne112.  Die  ganz  äußerlich 
und  formal  aufgefaßte  religiöse  Verpflichtung  steht  also  höher  als 
die  höchste  Pietätspflicht 

Es  ist  nach  alledem  nur  zu  sehr  begründet,  wenn  Jesus  seinen 
Zeitgenossen  ein  Mückenseigen  und  Kameleverschlucken  vorwirft 
(ML  23,  24),  und  ihnen  die  schwere  Anklage  ins  Gesicht  schleudert, 
daß  sie  die  Becher  und  Schüsseln  auswendig  rein  halten,  aber  in- 
wendig voll  Kaub  und  Unmäßigkeit  seien  (ML  23,  25.  Luc.  11,  39). 

110)  Qittin  IX,  10.  Vgl.  Matth.  19,  3.  Überhaupt  über  diese  Abschwä- 
chungen:  Keim,  Geschichte  Jesu  II,  243  ff'. 

111)  Vgl.  die  Traktate  Nidda  und  Sabim.  —  Hierony?nus,  Epist.  121  ad 
Algasiam,  quaesL  X  {opp.  ed.  Vallarsi  I,  884):  dicam  tarnen  unum  in  ignomi- 
niam  gentis  inimicae.  Praeposiios  habent  synagogis  sapientisstmos  quosque 
foedo  operi  delegatos,  ut  sanguinem  virginis  sive  menstruatae  mundum  vel  im- 
mundum,  si  oculis  discernere  non  potuerint,  gustu  prpbent. 

112)  Nedarim  IX,  1.  Nur  R.  Elieser  will  ganz  aligemein  gestatten,  daß 
ein  Gelübde  „wegen  der  den  Eltern  schuldigen  Ehrfurcht"  rückgängig  gemacht 
werde ;  die  Majorität  der  Gelehrten  gestattet  dies  nur  „in  einer  Sache  zwischen 
ihm  und  seinen  Eltern"  (raan  vaa.ynb  is^SE  nma),  d.  h.  nur  wenn  das  Ge- 
lübde ausdrücklich  zum  Nachteil  der  Eltern  gemacht  worden  ist.  Insofern 
geht  also  die  von  Jesus  getadelte  Praxis  über  das  in  der  Mischna  kodifizierte 
Hecht  hinaus.  Vgl.  bes.  die  korrekte  Darstellung  bei.  Wünsche,  Neue  Bei- 
träge zur  Erläuterung  der  Evangelien  S.  184—186.  Noch  eingehender  handelt 
über  die  Sache  Wünsche,  Vierteljahrsschr.  für  Bibelkunde  II,  2,  1904, 
S.  133 — 151  (in  der  oben  Anm.  75  genannten  Abhandlung).  Im  allgemeinen 
auch:  Oehler-Delitzsch,  Art.  „Gelübde  bei  den  Hebräern"  in  Herzogs 
Real-Enz.  2.  Aufl.  V,  40 — 43.  Edersheim,  The  life  and  times  of  Jesus  the 
Messiah  (1884)  II,  17 sqq.  Buhl,  Art.  „Gelübde  im  Alten  Testament"  in 
Herzog- Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  VI,  485 — 487.  Oort,  De  verbintenissen  met 
„Korban"  (Theol.  Tijdsehrift  1903,  S.  289—314).  Hart,  Corban  (Jewish  Quar- 
terly  Review  XIX,  1907,  p.  615-650). 

Schüror,  Geschichte  II.  4.  Aufl.  37 


578  §  28-   Das  Leben  unter  dem  Gesetz.  [494.  495] 

Gleich  übertünchten  Gräbern,  welche  auswendig  zwar  an|mntig 
erscheinen,  aber  inwendig  voller  Totenbeine  und  alles  Unflates 
sind,  scheinen  auch  sie  von  außen  vor  den  Menschen  gerecht,  aber 
inwendig  sind  sie  voller  Heuchelei  und  Untugend  (ML  23,  27—28. 
Luc.  11,  44).  Indessen  wäre  es  unbillig,  in  solchen,  wie  immer 
auch  begründeten,  Strafworten  eine  allseitige  Charakteristik  der 
ganzen  Zeit  zu  finden.  Die  Gerechtigkeit  erfordert  es,  hier  nicht 
unerwähnt  zu  lassen,  daß  uns  von  den  Gelehrten  jener  Zeit  doch 
auch  manch  schönes  Wort  aufbewahrt  ist,  weiches  den  Beweis 
liefert,  daß  unter  dem  Wüste  der  halachischen  Diskussionen  nicht 
alles  sittliche  Urteil  erstickt  war.  Wir  erinnern  etwa  an  die 
schon  erwähnte  Mahnung  des  Antigonus  von  Socho,  daß  man  den 
Knechten  gleichen  solle,  welche  ohne  Rücksicht  auf  Lohn  Dienste 
leisten113,  oder  an  die  des  R  Elieser:  das  Gebet  nicht  zur  fest- 
gestellten Pflicht  zu  machen114.  Ein  Wahlspruch  Hillels  war  es: 
Richte  deinen  Nächsten  nicht,  bis  du  an  seine  Stelle  gekommen115. 
R.  Elieser  ben  Hyrkanos  sagte:  Deines  Nächsten  Ehre  sei  dir  so 
wert  als  die  deinige116.  R.  Jose  ha-Kohen  sagte:  Deines  Nächsten 
Vermögen  sei  dir  teuer  wie  dein  eigenes.  Derselbe  sagte:  Tue  alle 
deine  Handlungen  im  Namen  Gottes117.  R.  Juda  ben  Tema  sagte: 
Sei  mutig  wie  ein  Leopard,  leicht  wie  ein  Adler,  schnell  wie  ein 
Hirsch  und  stark  wie  ein  Löwe,  den  Willen  deines  Vaters  im 
Himmel  zu  tun118. 


113)  Aboth  I,  3. 

114)  Berachoth  IV,  4.   Vgl.  Aboth  II,  13. 

115)  Aboth  II,  4. 

116)  Aboth  n,  10. 

117)  Aboth  n,  12. 

118)  Aboth  V,  20.  —  Vgl.  Saalschütz,  Archäologie  der  Hebräer  I,  247  ff. 
—  Eine  Anzahl  von  talmudischen  Parallelen  zu  Aussprüchen  Christi  hat  Weiß 
(Zur  Geschichte  der  jüdischen  Tradition  Bd.  1, 1871)  zusammengestellt;  hieraus 
in  deutscher  Übersetzung  mitgeteilt  von  Weber  in  Delitzsch' s  „Saat  auf 
Hoffnung*'  Jahrg.  1872,  S.  89  ff.  Ähnlich:  Duschak,  Die  Moral  der  Evan- 
gelien und  des  Talmud,  Brunn  1877.  —  Durch  einseitige  Zusammenstellung 
und  einseitige  Beleuchtung  dieses  Materiales  gelingt  es  modernen  jüdischen 
Gelehrten  immer  wieder,  Lichtbilder  herzustellen,  die  der  wirklichen  Ge- 
schichte nicht  entsprechen,  vgl.  z.  B.  Gü  de  mann,  Nächstenliebe,  ein  Beitrag 
zur  Erklärung  des  Matthäus -Evangeliums,  1890.  Eschelbacher,  Die  Vor- 
lesungen A.  Harnacks  über  das  Wesen  des  Christenthums  (Monatsschr.  f.  Gesch. 
u.  Wissensch.  d.  Judenth.  1902—1903).  Perles,  Boussets  Religion  des  Juden- 
tums im  neutestamentlichen  Zeitalter,  1903.  Güdemann,  Das  Juden thum 
im  neutestamentlichen  Zeitalter  in  christlicher  Darstellung  (Monatsschr.  f. 
Gesch.  u.  Wissensch.  d.  Judenth.  1903,  S.  38—53,  120—136,  231—249).  El- 
bogen,  Die  Religionsanschauungen  der  Pharisäer,  1904.  Eschelbacher,  Das 
Judentum  und  das  Wesen  des  Christentums,  1905. 


[495.  496]  §  29.   Die  messianische  Hoffnung.  579 

Wenn  wir  aber  von  solchen  einzelnen  Lichtblicken  und  ebenso 
von  den  tieferen  Schatten,  welche  den  Gegensatz  hierzu  bilden, 
absehen,  so  können  wir  die  Gesamtrichtung  des  Judenturas  jener 
Zeit  nicht  besser  charakterisieren,  als  mit  den  Worten  des  Apostels: 
Sie  haben  einen  Eifer  um  Gott,  aber  in  Unverstand  (Rom.  10,  2). 
Es  war  eine  furchtbare  Last,  welche  die  falsche  Gesetzlichkeit  auf 
die  Schultern  des  Volkes  geladen  hatte.  „Schwere  und  unerträgliche 
Bürden  legen  sie  den  Menschen  auf  den  Hals"  (M.23,  4.  Luc.  11,  46). 
Nichts  war  der  freien  Persönlichkeit  anheimgegeben;  alles  unter 
den  Zwang  des  Buchstabens  gestellt.  Bei  jeder  Regung  und  Be- 
wegung |  mußte  der  gesetzeseifrige  Israelite  sich  fragen:  Was  ist 
geboten?  Auf  Schritt  und  Tritt,  bei  der  Arbeit  des  Berufes,  beim 
Gebet,  bei  der  Mahlzeit,  zu  Hause  und  unterwegs,  vom  frühen 
Morgen  bis  zum  späten  Abend,  von  der  Jugend  bis  zum  Alter 
folgte  ihm  die  zwingende,  tote  und  ertötende  Formel.  Ein  gesundes 
sittliches  Leben  konnte  unter  solcher  Last  nicht  gedeihen.  Überall 
wurde,  statt  aus  innern  Impulsen  gehandelt,  vielmehr  äußerlich 
gemessen  und  abgewogen.  Für  den,  der  es  ernst  nahm,  war  das 
Leben  eine  stete  Qual.  Denn  jeden  Augenblick  war  er  in  Gefahr, 
das  Gesetz  zu  übertreten;  und  da  so  viel  an  der  äußern  Form  hing, 
war  er  oft  im  ungewissen,  ob  er  dem  Gesetze  wirklich  genügt 
habe.  Andererseits  war  für  den,  der  es  in  der  Kenntnis  und  Hand- 
habung des  Gesetzes  zur  Meisterschaft  gebracht  hatte,  Hochmut 
und  Dünkel  fast  unvermeidlich.  Er  konnte  sich  ja  sagen,  daß  er 
der  Pflicht  genügt,  daß  er  nichts  versäumt,  daß  er  alle  Gerechtig- 
keit erfüllt  habe.  Aber  um  so  gewisser  ist,  daß  diese  Gerechtig- 
keit der  Schriftgelehrten  und  Pharisäer  (ML  5,  20),  die  mit  hoch- 
mütigem Danke  gegen  Gott  auf  die  Sünder  herabsah  (Luc.  18,  9—14) 
und  pomphaft  mit  ihren  Werken  vor  den  Augen  der  Welt  prahlte 
(ML  6,  2.  23,  5),  nicht  die  wahre  und  Gott  wohlgefällige  ist 


§  29.   Die  messianische  Hoffnung. 

Literatur1: 

SchÖttgen,  Horae  Hebraicae  et  Talmudtcae.  Tom.  II.  De  Messia  1742.  (Ein 
Werk  von  eminenter  Gelehrsamkeit,  aber  ganz  von  dem  Streben  beherrscht, 
die  Babbinen  zu  christlichen  Theologen  zu  machen.  Selbst  die  Lehre  von 
der  cammunicatio  idiomatum  wird  aus  rabbinischen  Schriften  erwiesen). 


1)  Die  ältere  Literatur  s.  bei  Hase,  Leben  Jesu  §  34.  De  Wette,  Bib- 
lische Dogmatik  (3.  Aufl.)  S.  163.  Bretschneider,  Systematische  Entwicke- 
lung  aller  in  der  Dogmatik  vorkommenden  Begriffe  (4.  Aufl.  184r)  S.  553  ff. 

37* 


580  §  29.   Die  messianische  Hoffnung.  [496.  497J 

Bodenschatz,  Kirchliche  Verfassung  der  heutigen  Juden  (4  Tle.  1748—1749) 

HI,  181—216. 
Bertholdtf  Christologia  Judaeorum  Jesu  apostolorumque  aetate  in  compendium 

redacta  observationibusque  illustrata.    Erlangae  1811. 
Moraht,  De  iis,  quae  ad  cognoscendam  Judaeorum  Palaestinensium,  qui  Jesu 

tempore  vivebant%  Christologiam  evangelia  nobis  exhibeant,  deque  locis  mes- 

sianis  in  Ulis  aüegatis.    Ootting.  1828. 

De  Wette,  Biblische  Dogmatik  Alten  und  Neuen  Testaments  (3.  Aufl.  1831) 

S.  159 — 179.  —  Der 8.,  Oommentatio  de  morte  Jesu  Christi  expiatoria  (Opus- 

cula  theologica,  1830,  p.  1—148). 
Von  Colin,  Biblische  Theologie  Bd.  I  (1836)  S.  479-511.  | 
Mack,  Die  messianischen  Erwartungen  und  Ansichten  der  Zeitgenossen  Jesu 

(Tüb.  Theol.  Quartalschr.  1836,  S.  3—56.  193—226). 
G frörer,  Das  Jahrhundert  des  Heils  (auch  unter  dem  Titel:  Gesch.  des  Ur- 

christenthums  Bd.  1—2,  1838)  II,  195—444. 
Bauer  (Bruno),   Kritik  der  evangelischen  Geschichte  der  Synoptiker  Bd.  I, 

1841,  ö.  391-416. 

Zell  er,  Über  die  Behauptung,  daß  das  vorchristliche  Judenthum  noch  keine 
messianische  Dogmatik  gehabt  habe  (Theol.  Jahrbücher  1843,  S.  35—52). 

Hell  wag,  Theol.  Jahrbb.  von  Baur  und  Zeller  1848,  8. 151—160  (in  der  Ab- 
handlung über:  Die  Vorstellung  von  der  Präexistenz  Christi  in  der  ältesten 
Kirche). 

Hilgenfeld,  Die  jüdische  Apokalvptik  in  ihrer  geschichtlichen  Entwickelung. 
Jena  1857. 

0 eh ler,  Art.  „Messias"  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  Bd.  IX  (1858),  S.  408  ff., 
bes.  422 — 441.   In  der  zweiten  Aufl.  revidiert  von  Orelli  IX,  641  ff. 

Colani,  Jesus- Christ  et  les  croyances  messianiques  de  son  temps,  2.  Sd.  Stras- 
bourg 1864,  p.  1—68. 

Langen,  Das  Judenthum  in  Palästina  zur  Zeit  Christi,  Freiburg  1866, 
S.  391—461. 

Ewald,  Geschichte  des  Volkes  Israel  Bd.  V  (3.  Aufl.  1867)  S.  135—160. 

Keim,  Geschichte  Jesu  Bd.  I,  1867,  S.  239—250. 

Holtzmann,  Die  Messiasidee  zur  Zeit  Jesu  (Jahrbb.  für  deutsche  Theol.  1867, 
S.  389 — 411).  —  Ders.,  in  Weber  und  Holtzmanns  Gesch.  des  Volkes 
Israel  (1867)  II,  191—211.  —  Ders.,  Lehrbuch  der  Neutestamen tlichen 
Theologie  I,  1897,  S.  68—85. 

Hausrath,  Neutestamentliche  Zeitgeschichte  Bd.  I  (2.  Aufl.  1873)  S.  165—176. 
Weiffenbach,  Quae  Jesu  in  regno  coelesti  dignitas  sit  synopticorum  senteniia 
exponitur  (Oissae  1868)  p.  47—62. 

Ebrard,  Wissen scbaftl.  Kritik  der  evangelischen  Geschichte  (3.  Aufl.  1868) 

S.  835—849. 
Wittichen,  Die  Idee   des   Reiches  Gottes,   dritter  Beitrag  zur  biblischen 

Theologie   insbesondere  der   synoptischen  Reden  Jesu  (Göttingen  1872) 

S.  105-165. 

Anger,  Vorlesungen  über  die  Geschichte  der  messianischen  Idee,  herausgeg. 

von  Krenkel  (Berlin  1873)  S.  78—91. 
Castellif  II  Messia  secondo  gli  Ebrei,  Firenxe  1874  (358  8.).  —  Ders.,  The 

future    live   in   rabbinieal    literature  (Jeteish   Quarterly  Review  I,   1889, 

p.  314—352). 


[497.  498]  §  29.   Die  messianische  Hoffnung.  581 

Vernes,  Histoire  des  idSes  tnessianiques  depuis  Alexandre  jusqu'ä  Vempereur 
Hadrien.   Paris  1874  (294  S.). 

Stähelin,  Jahrbb.  für  deutsche  Theologie  1874,  S.  199—218  (in  der  Abhand- 
lung: Zur  paulinischen  Eschatologie). 

Schöne feld,  Über  die  messianische  Hoffnung  von  200  vor  Christo  bis  gegen 
50  nach  Christo.    Jena  1874. 

Drummond,  The  Jewish  Messiah,  a  critical  history  of  the  messianic  idea 
among  the  Jews  from  the  rise  of  the  Maccabees  to  the  closing  of  the  Tal- 
mud.   London  1877  (395  8.). 

Stapf  er,  Les  idies  religieuses  en  Palestine  ä  Pipoque  de  JSsus-Christ  (2.  id. 
1878)  p.  111—132.  | 

Weber,  System  der  altsynagogalen  palästinischen  Theologie  aus  Targum, 
Midrasch  und  Talmud  dargestellt  (Leipzig  1880)  S.  322—386.  2.  Aufl.  unter 
dem  Titel:  Jüdische  Theologie  auf  Grund  des  Talmud  und  verwandter 
Schriften  1897,  S.  336—405. 

ßeuß,  Geschichte  der  heiligen  Schriften  Alten  Testaments  (1881)  §  555 — 556. 

Hamburger,  Real-Enzyklopädie  für  Bibel  und  Talmud,  IL  Abt.  (1883)  Ar- 
tikel: Messianische  Leidenszeit,  Messias,  Messiasleiden,  Messias  Sohn  Jo- 
seph, Messiaszeit  (S.  735 — 779).  Vgl.  auch:  Armilus,  Belebung  der  Toten, 
Ewiges  Leben,  Lohn  und  Strafe,  Paradies,  Vergeltung,  Zukunftsmahl.  — 
Der s.,  Suppl.  n,  1891,  S.  107—136.  Art.  „Messiauische  Bibelstellen". 

Edersheim,  The  Hfe  and  times  of  Jesus  the  Messiah  (2.  ed.  1884)  I,  160—179. 

II,  434  sqq.  710—741. 
Stanton,  The  Jewish  and  the  Christian  Messiah,  1886  (Theol.  Litztg.  1887, 99). 
Baldensperger,  Das  Selbstbewußtsein  Jesu  im  Lichte  der  messianischen 

Hoffnungen  seiner  Zeit,  2.  Aufl.  1892.   3.  Aufl.  1.  Hälfte  unter  dem  Titel: 

Die  messianisch-apokalyptischen  Hoffnungen  des  Judenthums,  1903. 
Stade,   Die  messianische  Hoffnung  im  Psalter  (Zeitschr.  für  Theologie  und 

Kirche  H,  1892,  S.  369—413). 
Weilhausen,  Israelitische  und  jüdische  Geschichte,  1894,  S.  163—168.  2.  Aufl. 

1895,  S.  198-204.   4.  Ausg.  1901,  S.  206—212  (Kap.  XV,  1). 
Schultz,  Alttestamentliche  Theologie  5.  Aufl.  1896,  S.  574—643. 
Brigg 8,  The  Messiah  of  the  Oospels,  New  York  1894.    Ders.,  The  Messiah  of 

the  Apostles,  New  York  1895  (Theol.  Litztg.  1896,  570). 
Charles,  Artikel  Eschatology  of  the  apocryphal  and  apoealyptic  Liierature  in 

Hostings'  Dictionary  of  the  Bible  I,  1898,  p.  741 — 749.    Ders.,  Artikel 

Eschatology  in:  Encyclopaedia  Biblica  n,  1901,  col.  1335—1390. 
Charles,  A  critical  history  of  the  doctrine  of  a  future  life  in  Israel,  in  Judaism 

and  in  Christianüy,  London  1899  (428  p.).  Vgl.  Theol.  Litztg.  1900, 167—171. 
Huhn,  Die  messianischen  Weissagungen  des  israelitisch -jüdischen  Volkes  bis 

zu  den  Targumim,  1.  Teil,  1899  (165  S.)  [nützlich  als  erste  Einführung  in 

den  Stoff]. 

Qeisendorf,  Uavenement  du  rot  messianique  tfaprhs  V apocalyptique  juive  et 

les  ivangiles  synoptiques.     Th&se,  Cahors  1900  (256  p.)  [über  die  jüdische 

Erwartung:  p.  63—100]. 
Bousset,  Die  Religion  des  Judentums  im  neutestamentlichen  Zeitalter  1903, 

S.  195-290.   2.  Aufl.  1906,  S.  233—346. 
Volz,  Jüdische  Eschatologie  von  Daniel  bis  Akiba,  1903  (412  S.). 
Orelli,  Art.  „Messias"  in  Herzog- Haucks  Beal-Enz.  3.  Aufl.  Bd.  XH,  1903, 

S.  723—739. 


582  §  29.   Die  messianische  Hoffnung.  [496. 499] 

Schiefer,  Der  Christus  in  der  jüdischen  Dichtung  (Neue  kirchliche  Zeitechr. 
1903,  S.  843—884). 

Brückner,  Die  Entstehung  der  paulinischen  Christologie  1903,  S.  97 — 173. 

Klausner,  Die  messianischen  Vorstellungen  des  jüdischen  Volkes;  im  Zeit- 
alter der  Tannaiten  kritisch  untersucht  und  im  Rahmen  der  Zeitgeschichte 
dargestellt  1904;  vorher  als  Heidelberger  Dissert.  1903  (119  S.). 

Lagrange,  Notes  sur  le  Messianisme  au  temps  de  Jesus  (Revue  biblique  1905, 
p.  481—514). 

Rabinsohn,  Le  Messianisme  dans  le  Talmud  ei  les  Midraschitn,  Paris  1907 
(108  p). 

Oouard,  Die  religiösen  und  sittlichen  Anschauungen  der  alttestamentlichen 
Apokryphen  und  Pseudepigraphen  (1907)  S.  189 — 244. 

In  dem  religiösen  Ideenkreis  des  jüdischen  Volkes  in  unserer 
Zeit  kann  man  zwei  Gruppen  unterscheiden:  1)  die  allgemeinen 
religiösen  Ideen,  weiche  sich  auf  das  Verhältnis  des  Menschen 
und  der  Welt  zu  Gott  überhaupt  beziehen,  und  2)  die  spezifisch 
israelitischen  Ideen,  welche  das  Verhältnis  des  jüdischen  Volkes 
zu  Jahre  als  dem  Gott  Israels  zum  Gegenstande  haben.  Die  letz- 
teren sind  die  eigentlich  durchschlagenden;  sie  bilden  das  Zentrum, 
um  welches  jene  anderen  gruppiert,  und  auf  welches  dieselben  be- 
zogen werden.  Diese  spezifisch  israelitischen  Ideen  haben  aber  in 
der  späteren  Zeit  wieder  ihre  besondere  Färbung  erhalten  durch 
die  gesetzliche  Auffassung  des  Verhältnisses  zwischen  Jahve 
und  Israel.  Der  Gedanke,  daß  Gott  dieses  eine  Volk  zu  seinem 
Eigentum  erkoren  hat  und  ihm  darum  ausschließlich  seine  Wohl- 
taten spendet,  wird  nun  ergänzt  durch  den  anderen,  daß  er  ihm 
auch  ein  Gesetz  gegeben  hat,  und  sich  dabei  verpflichtet  hat,  ihm 
seine  Wohltaten  unter  der  Voraussetzung  zu  spenden,  daß  es  dieses 
Gesetz  beobachtet.  Den  Kern  des  religiösen  Bewußtseins 
bildet  also  jetzt  der  Satz,  daß  Gott  dem  Volke  Israel  viele 
Gebote  und  Satzungen  gegeben  hat,  um  ihm  viel  Verdienst 
zu  verschaffen2.  Eine  sehr  einfache  Beobachtung  zeigte  jedoch, 
daß  dieser  Lohn  in  der  empirischen  Gegen|wart  weder  dem  Volke 
als  ganzem  noch  dem  Einzelnen  in  dem  zu  erwartenden  Maße  zu- 
teil werde.  Je  intensiver  demnach  jener  Gedanke  das  Bewußtsein 
des  Volkes  wie  des  Einzelnen  durchdrang,  um  so  mehr  mußte  sich 
der  Blipk  auf  die  Zukunft  richten,  und  zwar  dies  wieder  um  so 
lebhafter,  je  schlimmer  die  Gegenwart  beschaffen  war.  Man  darf 
daher  sagen,  daß  in  der  späteren  Zeit  das  religiöse  Bewußt- 
sein sich  konzentriert  um  die  Zukunftshoffnung.  Die  zu 
erwartende  bessere  Zukunft  ist  der  eigentliche  Zielpunkt,  auf 
welchen  alle  anderen  religiösen  Ideen  teleologisch  bezogen  werden. 
Wie  das  Tun  des  Israeliten  wesentlich  Gesetzesbeobachtung  ist, 

2)  Makkoth  in,  16;  vgl.  oben  S.  547. 


[499.  500]        I.  Verhältnis  zur  älteren  messianischen  Hoffnung.  583 

so  ist  sein  Glaube  wesentlich  Glaube  an  eine  bessere  Zukunft 
Um  beide  Pole  bewegt  sich,  wie  schon  oben  (S.  547  f.)  bemerkt, 
das  religiöse  Leben  des  jüdischen  Volkes  in  unserer  Zeit  Man 
eifert  für  das  Gesetz,  um  dereinst  des  Lohnes  teilhaftig  zu  werden. 
—  Diese  zentrale  Stellung  der  Zukunftshoffnung  in  dem  religiösen 
Bewußtsein  Israels  rechtfertigt  es,  daß  wir  auf  sie  speziell  hier 
noch  unsere  Aufmerksamkeit  richten. 


I.  Verhältnis  zur  älteren  messianischen  Hoffnung. 

Die  Hoffnung  auf  eine  bessere  Zukunft  ist  schon  bei  den  alt- 
testamentlichen  Propheten  ein  wesentliches  Moment  ihres  religiösen 
Bewußtseins.  Sie  ist  dem  Volke  auch  später  nie  ganz  verloren 
gegangen,  wenn  sie  auch  nicht  immer  so  lebendig  war,  wie  es  dann 
etwa  seit  der  makkabäischen  Erhebung  in  steigendem  Maße  wieder 
der  Fall  war.  Im  Laufe  der  Zeit  hat  aber  diese  Zukunftshoffnung 
doch  sehr  mannnigfache  Wandlungen  erfahren.  Auf  dem  Ge- 
biete des  Glaubens  war  ja  die  Freiheit  der  Bewegung  eine  viel 
größere  als  auf  dem  Gebiete  des  Tuns.  Während  die  gesetzlichen 
Vorschriften  bis  in  ihr  kleinstes  Detail  hinein  verbindlich  waren 
und  darum  unverändert  von  einer  Generation  der  anderen  über- 
liefert werden  mußten,  war  dem  Glauben  wenigstens  ein  relativ 
freierer  Spielraum  gestattet:  sofern  nur  gewisse  Grundlagen  fest- 
gehalten wurden,  konnte  das  individuelle  Bedürfnis  sich  hier  viel 
freier  ergehen  (s.  oben  §  25  III:  Halacha  und  Haggada).  So  ist 
denn  auch  die  Zukunftshofihung  in  sehr  mannigfaltiger  Weise  aus- 
gestaltet worden.  Dabei  lassen  sich  aber  doch  gewisse  gemein- 
same Grundlinien  beobachten,  durch  welche  imDurchschnitt 
die  spätere  messianische  Hoffnung  sich  von  der  älteren 
charakteristisch  unterscheidet  Die  ältere  messianische  Hoff- 
nung bewegt  sich  im  wesentlichen  in  dem  Rahmen  der  gegen- 
wärtigen Weltverhältnisse  und  ist  nichts  anderes  als  die  Hoffnung 
auf  eine  |  bessere  Zukunft  des  Volkes.  Daß  das  Volk  sittlich 
geläutert,  von  allen  schlechten  Elementen  gereinigt  werde,  daß  es 
unbehelligt  und  geachtet  inmitten  der  Heidenwelt  dastehen  werde, 
indem  seine  Feinde  entweder  vernichtet  oder  zur  Anerkennung  des 
Volkes  und  seines  Gottes  gezwungen  worden  sind,  daß  es  von  einem 
gerechten,  weisen  und  mächtigen  Könige  aus  Davids  Hause  regiert 
werde,  darum  auch  im  Innern  Gerechtigkeit,  Friede  und  Freude 
herrschen  werden,  ja  daß  alle  natürlichen  Übel  aufgehoben  und 
ein  Zustand  ungetrübter  Seligkeit  eintreten  werde:  dieses  etwa  sind 
die  Grundzüge  der  Zukunftshoffnung  der  älteren  Propheten.  Dieses 


584  §  29*   Die  meseianische  Hoffnung.  [500.  501] 

Bild  hat  aber  in  dem  Bewußtsein  der  späteren  Zeit,  zum  Teil 
schon  bei  den  späteren  Propheten,  besonders  aber  in  der  nach- 
kanonischen Zeit  sehr  wesentliche  Umgestaltungen  erfahren. 

1)  Vor  allem  hat  sich  der  Bück  je  länger  desto  mehr 
erweitert  vom  Volk  auf  die  Welt:  nicht  nur  die  Zukunft  des 
Volkes,  sondern  die  Zukunft  der  Welt  wird  ins  Auge  gefaßt. 
Während  für  die  ältere  Anschauung  die  Heidenvölker  nur  insofern 
in  Betracht  kamen,  als  sie  zum  Volke  Israel  in  irgendwelcher  Be- 
ziehung standen,  faßt  die  Erwartung  der  späteren  Zeit  immer  be- 
stimmter das  Geschick  aller  Menschen,  ja  der  ganzen  Weit  ins 
Auge.  Das  Gericht  ist  ursprünglich  entweder  ein  Gericht,  durch 
welches  Israel  geläutert  wird,  oder  ein  Gericht,  durch  welches  die 
Feinde  Israels  vernichtet  werden;  später  wird  es  zum  Weltgericht, 
in  welchem  über  das  Schicksal  aller  Menschen  und  Völker  ent- 
schieden wird,  und  zwar  entweder  durch  Gott  selbst  oder  durch 
seinen  Gesalbten,  den  messianischen  König  Israels.  Das  ideale 
Reich  der  Zukunft  geht  nach  der  älteren  Erwartung  nicht  wesent- 
lieh  über  die  empirischen  Grenzen  des  heiligen  Landes  hinaus; 
nach  der  späteren  Auffassung  umfaßt  das  Gottesreich  der  Zukunft 
die  ganze  Menschheit,  die  willig  oder  gezwungen  unter  dem  Zepter 
Israels  zu  einem  Weltreiche  vereinigt  ist  Der  Messias  ist  also 
Weltrichter  und  Weltbeherrscher.  Ja  auch  die  vernunftlose  Kreatur, 
Himmel  und  Erde,  also  die  ganze  Welt  im  strengen  Sinne  werden 
umgestaltet:  die  alte  vernichtet  und  eine  neue  herrliche  an  ihrer 
Stelle  geschaffen.  —  Diese  Erweiterung  der  Zukunftsidee  ist  teil- 
weise schon  durch  die  Erweiterung  des  politischen  Gesichtskreises 
herbeigeführt.  Je  mehr  die  kleinen  Einzelstaaten  von  den  großen 
Weltreichen  verschlungen  wurden,  desto  näher  lag  es,  auch  das 
ideale  Beich  der  Zukunft  als  ein  Weltreich  sich  vorzustellen.  Nach 
dem  Untergang  des  letzten  heidnischen  Weltreiches  nimmt  Gott 
selbst  das  Zepter  in  die  Hand  und  begründet  ein  Weltreich,  in 
welchem  er,  der  himmlische  König,  regiert  durch  sein  Volk.  Aber 
noch  wichtiger  als  die  Erweiterung  des  politischen  Horizontes  war 
für  die  Entwickeiung  |  der  messianischen  Idee  die  Erweiterung 
des  Gottesbegriffes  und  der  Weltanschauung  überhaupt.  Für  die 
ursprüngliche  Anschauung  ist  Jahve  nur  der  Gott  und  König  Is- 
raels. Später  wird  er  immer  bestimmter  und  deutlicher  als  der 
Gott  und  König  der  Welt  aufgefaßt;  womit  auch  wieder  zusammen- 
hängt, daß  nun  auch  der  Begriff  der  „Welt"  als  eines  einheitlichen, 
alles  Seiende  umfassenden  Ganzen  immer  deutlicher  ins  Bewußt- 
sein tritt  Wesentlich  durch  diese  Erweiterung  des  religiösen  Be- 
wußtseins überhaupt  ist  es  bedingt,  daß  auch  die  Zukunftserwartung 
sich  immer  universeller  gestaltet. 


[501.  502]        I.  Verhältnis  zur  älteren  messianischen  Hoffnung.  585 

2)  Mit  dieser  Erweiterung  der  Zukunftserwartung  geht  aber 
auf  der  andern  Seite  Hand  in  Hand  eine  viel  bestimmtere  Be- 
ziehung derselben  auf  das  Einzelindividuum.  Auch  dies 
hängt  wieder  zusammen  mit  der  Entwicklung  des  religiösen  Be- 
wußtseins überhaupt.  Ursprünglich  ist  Jahve  der  Gott  des  Volkes, 
der  das  Wohl  und  Wehe  des  Volkes  mit  seiner  mächtigen  Hand 
leitet.  Auf  das  Geschick  des  Einzelnen  wird  dabei  kaum  reflektiert 
Mit  der  Vertiefung  des  religiösen  Bewußtseins  mußte  aber  mehr 
und  mehr  auch  der  Einzelne  sich  als  Gegenstand  der  Fürsorge 
Gottes  fühlen.  Jeder  Einzelne  weiß  sein  Geschick  in  Gottes  Hand 
und  ist  dessen  gewiß,  daß  Gott  ihn  nicht  verläßt.  Die  Erstarkung 
dieses  individuellen  Vorsehungsglaubens  hat  allmählich  auch  eine 
individuelle  Gestaltung  der  Zukunftshoffhung  zur  Folge  gehabt; 
freilich  verhältnismäßig  sehr  spät:  erst  bei  Daniel  ist  sie  mit  Be- 
stimmtheit nachweisbar.  Die  Form,  in  der  sie  sich  zunächst  äußert, 
ist  die  des  Auferstehungsgiaubens.  Indem  der  fromme  Israelite 
dessen  gewiß  ist,  daß  auch  sein  persönliches  und  zwar  dauerndes 
und  ewiges  Heil  von  Gott  gewollt  ist,  erwartet  er,  daß  er  und 
jeder  einzelne  Fromme  teil  haben  werde  an  der  zukünftigen  Herr- 
lichkeit des  Volkes.  Wer  also  vor  Verwirklichung  derselben  vom 
Tode  ergriffen  wird,  der  darf  hoffen,  daß  er  dereinst  von  Gott 
wieder  auferweckt  und  in  das  Eeich  der  Herrlichkeit  versetzt 
werden  wird.  Der  Zweck  der  Auferweckung  ist  demnach  die  Teil- 
nahme an  der  herrlichen  Zukunft  des  Volkes;  und  der  Grund  des 
Auferstehungsgiaubens  ist  das  immer  kräftiger  sich  entwickelnde 
persönliche  Heilsinteresse.  —  Aber  nicht  nur  das  Heilsinter- 
esse gestaltet  sich  individuell,  sondern  die  Reflexion  richtet  sich 
überhaupt  bestimmter  auf  das  künftige  Geschick  jedes  einzelnen, 
auch  in  malam  pariem.  Gott  fuhrt  im  Himmel  Buch  über  die  Taten 
jedes  Einzelnen,  wenigstens  jedes  Israeliten.  Und  auf  Grund  dieser 
himmlischen  Bücher  wird  dann  beim  Gericht  entschieden:  Lohn 
und  Strafe  jedem  Einzelnen  genau  nach  Verdienst  zugemessen.  Dies 
hat  dann  wieder  zur  Folge,  daß  die  Erwartung  |  der  Auferstehung 
sich  verallgemeinert:  nicht  nur  die  Gerechten,  sondern  auch  die 
Ungerechten  werden  auferstehen,  um  im  Gericht  ihr  Urteil  zu 
empfangen.  Doch  ist  diese  Erwartung  nie  zu  allgemeiner  Gültig- 
keit gelangt:  vielfach  wird  doch  nur  eine  Auferstehung  der  Frommen 
erwartet  —  Endlich  aber  hat  das  individuelle  Heilsinteresse  sich 
auch  nicht  mehr  begnügt  mit  der  Auferstehung  zum  Zweck  der 
Teilnahme  am  messianischen  Reiche.  Diese  wird  nicht  mehr  als 
die  letzte  und  höchste  Seligkeit  betrachtet,  sondern  nach  dieser 
noch  eine  höhere,  ewige,  himmlische  Seligkeit  erwartet:  ein  ab- 
soluter Verklärungszustand  im  Himmel,  wie  andererseits  auch  für 


586  §  29.   Die  messianische  Hoffnung.  [502.  503] 

die  Gottlosen  nicht  mehr  bloß  Ausschloß  vom  messianischen  Reiche, 
sondern  ewige  Qual  und  Pein  in  der  Hölle. 

3)  Die  letzteren  Momente  hängen  nun  schon  mit  einer  weiteren 
Eigentümlichkeit  zusammen,  durch  welche  die  Zukunftserwartung 
der  späteren  Zeit  sich  von  der  älteren  unterscheidet:  sie  wird  näm- 
lich immer  mehr  transzendent,  immer  mehr  ins  Übernatürliche, 
Überweltliche  umgesetzt  Die  ältere  Zukunftshoffnung  bleibt  im 
Rahmen  der  gegenwärtigen  Weltverhältnisse.  Man  erwartet  eine 
Vernichtung  der  Feinde  Israels,  eine  Läuterung  des  Volkes  und  eine 
herrliche  Zukunft  desselben.  So  ideal  auch  diese  künftige  Selig- 
keit vorgestellt  wird,  sie  bleibt  doch  im  Rahmen  der  gegenwärtigen 
Verhältnisse,  die  eben  nur  idealisiert  werden.  Für  die  spätere  An- 
schauung werden  Gegenwart  und  Zukunft  immer  mehr  zu  reinen 
Gegensätzen,  die  Kluft  zwischen  beiden  immer  schroffer,  die  Auf- 
fassung immer  dualistischer.  Mit  dem  Eintritt  der  messianischen 
Zeit  beginnt  ein  neuer  Weltlauf,  ein  neuer  öbi*.  Dieser  künftige 
Weitlauf  («an  öbi*)  ist  aber  in  allen  Stücken  der  reine  Gegensatz 
zu  dem  gegenwärtigen  Weltlauf  (ran  öbi*).  Der  gegenwärtige 
steht  unter  der  Herrschaft  der  widergöttlichen  Mächte,  des  Satans 
und  seiner  Engel:  er  ist  darum  in  Sünde  und  Übel  versunken.  Der 
künftige  steht  unter  der  Herrschaft  Gottes  und  seines  Gesalbten: 
in  ihm  herrscht  darum  lauter  Gerechtigkeit  und  Seligkeit  Einen 
Zusammenhang  zwischen  beiden  gibt  es  kaum.  Durch  einen  wunder- 
baren Akt  Gottes  wird  der  eine  vernichtet  und  der  andere  ins 
Dasein  gerufen.  —  So  sehr  sich  diese  Anschauung  auch  an  die 
ältere  Vorstellung  anlehnt,  so  ist  dabei  doch  der  Gegensatz  zwischen 
Jetzt  und  Einst  viel  schärfer  gespannt  als  in  der  früheren  An- 
schauung. Die  letztere  sieht  weit  mehr  auch  in  der  Gegenwart 
schon  das  gnädige  Walten  Gottes.  Nach  der  späteren  Vorstellung 
könnte  es  fast  scheinen,  als  ob  Gott  für  die  Gegenwart  den  sata- 
nischen Mächten  das  Regiment  ganz  überlassen  habe,  und  erst  für 
die  künftige  Welt  die  volle  Ausübung  seiner  Herrschaft  sich  vor- 
behalten habe.  Dem|gemäß  wird  auch  das  künftige  Heil  immer 
mehr  als  rein  transzendentes  aufgefaßt  Alle  Güter  der  künftigen 
Welt  kommen  von  oben  herab,  vom  Himmel,  wo  sie  von  Ewigkeit 
her  präexistiert  haben.  Sie  sind  für  die  Heiligen  dort  aufbewahrt 
als  ein  „Erbe",  das  ihnen  dereinst  wird  zugeteilt  werden.  In- 
sonderheit existiert  dort  bereits  das  vollkommene  neue  Jerusalem, 
das  in  der  Vollendungszeit  an  Stelle  des  alten  auf  die  Erde  herab- 
kommen wird.  Ebenso  befindet  sich  aber  dort  in  der  Gemeinschaft 
Gottes  bereits  der  von  Gott  seit  Ewigkeit  erwählte  vollkommene 
König  Israels,  der  Messias.  Alles  Gute  und  Vollkommene  kann 
eben  nur  von  oben  herabkommen,  weil  alles  Irdische  in  seinem 


[503]  L  Verhältnis  zur  älteren  messianischen  Hoffnung.  587 

gegenwärtigen  Zustande  das  reine  Widerspiel  des  Göttlichen  ist. 
Zuletzt  greift  darum  die  Zukunftshoffnung  überhaupt  über  das 
irdische  Dasein  hinaus.  Auch  nicht  in  dem  Reich  der  Herrlichkeit 
auf  der  erneuerten  Erde  wird  das  letzte  Heil  gefunden,  sondern 
in  einem  absoluten  Verklärungszustande  im  Himmel  —  Wie  das 
Heil  selbst,  so  wird  auch  die  Art  seiner  Verwirklichung  immer 
mehr  transzendent  gedacht.  Das  Gericht  ist  ein  forensischer  Akt, 
in  welchem  ohne  Vermittelung  irdischer  Kräfte  lediglich  durch  einen 
Urteilsspruch  Gottes  oder  seines  Gesalbten  über  das  Schicksal  der 
Menschen  entschieden  wird;  und  die  Vollziehung  dieses  Urteils 
erfolgt  nur  durch  übernatürliche  Kräfte,  durch  einen  wunderbaren 
Machtakt  Gottes,  welcher  das  Alte  vernichtet  und  die  neue  Ord- 
nung der  Dinge  ins  Dasein  ruft. 

Vielleicht  sind  bei  dieser  Entwicklung  der  jüdischen  Zukunfts- 
hoffnung persische  Einflüsse  mit  im  Spiel  Da  das  jüdische 
Volk  zweihundert  Jahre  lang  unter  persischer  Herrschaft  gestanden 
hat,  liegt  die  Möglichkeit  solcher  Einflüsse  sehr  nahe.  In  der 
Angelologie  sind  sie  unverkennbar;  in  der  Eschatologie  nicht  so 
deutlich,  aber  in  irgendwelchem  Maße  doch  wahrscheinlich  (s.  die 
Literatur  hierüber  oben  S.  4 13  f.).  Die  Lehre  von  einer  individuellen 
Vergeltung  nach  dem  Tode  und  die  starke  Transzendenz  sind  für 
die  persische  Eschatologie  charakteristisch.  Eben  dieses  sind  aber 
Punkte,  durch  welche  die  spätere  jüdisdie  von  der  älteren  israe- 
litischen Eschatologie  sich  unterscheidet.  So  darf  man  in  dieser 
Allgemeinheit  wohl  von  der  Wahrscheinlichkeit  persischer  Ein- 
wirkungen sprechen.  Aber  sie  sind  nur  allgemeiner  Art  Sobald 
man  auf  die  Einzelheiten  achtet,  verflüchtigen  sich  die  Parallelen, 
oder  es  ist  doch,  wo  sie  stärker  sind,  das  höhere  Alter  der  per- 
sischen Anschauungen  sehr  fraglich.  Die  jüdischen  Anschauungen 
bleiben  überall  eigenartige  und  erklären  sich  von  der  Basis  der 
aittestamentlichen  Anschauungen  aus  als  Umbildungen  oder  Er- 
gänzungen dieser.  Der  Parsismus  kommt  also  nur  als  nebensäch- 
licher, die  Entwickelung  irgendwie  fördernder,  nicht  als  sie  be- 
herrschender Faktor  in  Betracht. 

4)  Eine  wesentlich  neue  Färbung  hat  endlich  die  messianische 
Hoffnung  in  der  späteren  Zeit  auch  dadurch  erhalten,  daß  sie,  wie 
überhaupt  der  gesamte  religiöse  Vorstellungskreis,  durch  die  emsige 
Arbeit  der  Schriftgelehrten  immer  mehr  dogmatisiert  wurde. 
An  Stelle  der  frischen  religiösen  Produktion  trat  die  gelehrte 
Forschung  in  den  Schriften  der  Propheten,  durch  welche  das  Detail 
des  messianischen  Zukunftsbildes  dogmatisch  festgestellt  wurde. 
Die  Aufgabe  der  Schriftgelehrten  war  ja  freilich  zunächst  die 
Feststellung  und  Bearbeitung  des  Gesetzes.   Aber  nach  derselben 


588  §  29.   I>ie  messianische  Hoffnung.  [503.  504] 

Methode  haben  sie  dann  auch  den  religiösen  Vorstellungskreis, 
speziell  auch  die  messianischen  Erwartungen  bearbeitet  und  im 
Detail  festgestellt.  So  wurde  das  poetische  Bild  zum  gelehrten 
Dogma.  Während  in  den  idealen  Zukunftsbildern  der  Propheten 
die  Grenze  des  eigentlich  und  bildlich  Gemeinten  offenbar  eine 
fließende  ist,  wird  von  den  Schriftgelehrten  der  späteren  Zeit  der 
heilige  Text  der  Propheten  beim  Wort  genommen,  das  poetische 
Bild  dogmatisch  versteift  und  eben  dadurch  auch  der  Charakter 
des  ganzen  Zukunftsbildes  immer  mehr  ein  äußerlich  transzendenter. 
Es  ist  aber  nicht  nur  das  vorliegende  Detail  gesammelt  |  und  dog- 
matisch fixiert  worden,  sondern  durch  gelehrte  Kombination  des- 
selben auch  neues  Detail  gewonnen  worden,  wie  das  eben  die  Art 
des  haggadischen  Midrasch  ist  (s.  oben  §  25,  III).  Man  brachte, 
um  neue  Aufschlüsse  zu  gewinnen,  in  scharfsinniger  Weise  die 
heterogensten  Stellen  in  Beziehung  zueinander  und  stellte  dadurch 
immer  genauer  und  umfassender  das  Detail  der  messianischen  Dog- 
matik  fest  Immerhin  war  dieser  gelehrte  Stoff  ein  fließender.  Denn 
wirklich  verbindlich,  wie  das  Detail  des  Gesetzes,  ist  er  nie  ge- 
worden. Es  stand  also  dem  Einzelnen  doch  frei,  bald  mehr  bald 
weniger  sich  davon  anzueignen  und  ihn  nach  eigener  Einsicht  zu 
formen,  so  daß  die  messianische  Hoffnung  stets  im  Flusse  blieb 
und  uns  bei  den  Einzelnen  in  sehr  verschiedener  Ausgestaltung 
entgegentritt.  ^ 

Überhaupt  ist  noch  zu  bemerken,  daß  die  hier  charakterisierten 
Eigentümlichkeiten  der  späteren  messianischen  Erwartung  keines- 
wegs überall  in  gleicherweise  sich  finden.  Die  Herrschaft  hat 
doch  auch  in  der  späteren  Zeit  die  alte  Hoffnung  auf  eine 
herrliche  Zukunft  des  Volkes  behalten.  Diese  bildet  auch 
in  dem  Zukunftsbilde  der  späteren  Anschauung  die  maßgebende 
Grundlage.  Je  nachdem  aber  auf  diese  Grundlage  die  charakte- 
ristischen Eigentümlichkeiten  der  späteren  Anschauung  stärker 
oder  schwächer,  so  oder  so  umgestaltend  einwirken,  wird  das  alte 
Bild  bald  mehr  bald  weniger,  bald  in  der  einen  bald  in  der  andern 
Weise  eigentümlich  modifiziert  und  ergänzt  Diese  Ergänzungen 
verhalten  sich  zu  der  alten  Grundlage  nicht  selten  disparat,  so 
daß  durch  die  mannigfachen  Kombinationen  Gesamtbilder  entstehen, 
deren  einzelne  Teile  sich  im  Grunde  gegenseitig  ausschließen  oder 
doch  durch  die  künstliche  Art,  wie  sie  aneinandergefügt  werden, 
ihren  verschiedenen  Ursprung  verraten.  Insbesondere  gilt  dies  von 
der  Erwartung  eines  irdischen  Reiches  der  Herrlichkeit  und  einer 
transzendenten  ewigen  Seligkeit  im  Himmel,  aber  auch  von  den 
verschiedenen  Vorstellungen  über  das  Gericht  und  über  die  Person 
und  die  Aufgaben  des  messianischen  Königs. 


[504.  505]        I.  Verhältnis  zur  älteren  messianischen  Hoffnung.  589 

Aber  ist  überhaupt  diese  Hoffnung  stets  im  Volke  lebendig 
geblieben?  Ist  sie  nicht  mit  dem  Absterben  der  alten  Prophetie 
auch  selbst  abgestorben  und  erst  etwa  durch  die  christliche  Be- 
wegung zu  neuem  Leben  erweckt  worden?  Letzteres  ist  mehrfach 
behauptet  worden,  namentlich  sofern  es  sich  um  die  messianische 
Idee  im  engeren  Sinne,  um  die  Erwartung  eines  messianischen 
Königs  handelt.  Man  meint,  diese  sei  erst  durch  das  Auftreten 
Jesu  Christi  wieder  angeregt  und  dadurch  auch  in  den  Kreisen 
des  Judentums  erst  wieder  lebendig  geworden. .  In  summarischer 
Weise  ist  diese  Behauptung  aufgestellt  worden  von  Bruno  Bauer 
und  Volkmar;  besonnener  und  mit  besserer  Begründung  von 
Holtzmann  in  seiner  Abhandlung  vom  Jahre  1867  (anders  in 
seiner  Neutestamentl.  Theologie  1897).  Des  letzteren  Aufstellungen 
sind  etwa  diese.  Nachdem  in  den  letzten  Jahrhunderten  vor  Christo 
die  messianische  Idee  fast  völlig  erloschen  war,  sei  sie  auf  dem 
Wege  gelehrter  Tätigkeit  „vermittelst  rein  literarischer  Forschung" 
rekonstruiert  worden.  Dieser  Prozeß  der  Neubildung  sei  zwar  zur 
Zeit  Jesu  schon  im  Gange  gewesen,  habe  seinen  Abschluß  aber 
erst  in  der  christlichen  Zeit  und  unter  teilweisem  Einflüsse  christ- 
licher Ideen  |  erhalten.  Im  Volksbewußtsein  sei  die  messianische 
Idee  zur  Zeit  Christi  noch  keineswegs  lebendig  gewesen.  Ein 
wesentlicher  Unterschied  der  späteren  schulmäßigen  von  der  frühe- 
ren prophetischen  Messiasidee  sei  der,  daß  von  den  Propheten  das 
Auftreten  des  Messias  erst  erwartet  werde,  nachdem  zuvor  Gott 
selbst  in  einer  Entscheidungsschlacht  die  feindlichen  Mächte  ver- 
nichtet habe,  während  nach  der  späteren  Dogmatik  der  Messias 
erscheine,  um  Gericht  zu  halten,  und  zwar  ein  Gericht  in  foren- 
sischer Form.  Indem  wir  den  letzteren  Punkt  vorläufig  dahin- 
gestellt lassen,  können  wir  das  Urteil  über  diese  Ansicht  dahin 
zusammenfassen,  daß  sie  zwar  entschieden  im  Rechte  ist,  wenn  sie 
den  schulmäßigen  Charakter  der  späteren  Messiasidee  betont,  im 
Unrechte  aber,  wenn  sie  den  letzten  Jahrhunderten  vor  Christo  die 
Messiasidee  so  gut  wie  gänzlich  abspricht  und  auch  zur  Zeit  Jesu 
sie  noch  nicht  ins  Volksbewußtsein  übergegangen  sein  läßt.  In 
Wahrheit  ist  die  messianische  Idee  wohl  nie  ganz  erstorben  ge- 
wesen, wenigstens  nicht  in  ihrer  allgemeineren  Form,  als  Hoffnung 
auf  eine  bessere  Zukunft  des  Volkes.  Jedenfalls  ist  sie  in  den 
letzten  Jahrhunderten  vor  Christo  und  namentlich  zur  Zeit  Christi 
wieder  sehr  lebendig  gewesen,  wie  gerade  der  Verlauf  der  evan- 
gelischen Geschichte  zeigt:  ohne  daß  Jesus  etwas  zur  Belebung 
derselben  tut,  erscheint  sie  durchweg  als  im  Volke  lebendig.  Und 
zwar  tritt  sie  in  der  Kegel  auch  schon  in  den  letzten  Jahrhunderten 
vor  Chr.  nicht  nur  in  ihrer  allgemeinen  Form  als  Hoffnung  auf 


590  §  29.   Die  messianische  Hoffnung.  [505.  506] 

eine  bessere  Zukunft  des  Volkes  auf,  sondern  auch  speziell  als 
Hoffnung  auf  einen  messianischen  König.  Dies  wird  erheilen,  wenn 
wir  im  folgenden  1)  die  Entwickelung  der  messianischen 
Idee  in  ihrem  geschichtlichen  Verlaufe  darstellen  und  so- 
dann 2)  eine  systematische  Übersicht  der  messianischen 
Dogmatik  geben. 


IL  Geschichtlicher  Überblick, 

Von  tiefgehendem  Einfluß  auf  die  Gestaltung  der  messianischen 
Idee  waren  die  (zwischen  167—165  vor  Chr.  entstandenen)  Weis- 
sagungen des  Buches  Daniel.  In  der  Zeit  der  Drangsal  (rn&  rs 
12,  1),  welche  durch  die  wahnsinnigen  Maßregeln  des  Antiochus 
Epiphanes  über  Israel  hereingebrochen  war,  weissagt  der  Prophet 
die  nahe  Errettung.  Gott  selbst  wird  Gericht  halten  über  die  Reiche 
dieser  Welt  und  wird  ihnen  die  Macht  und  die  Herrschaft  nehmen 
und  sie  vertilgen  und  vernichten  für  immer.  Aber  „die  Heiligen 
des  Höchsten"  werden  das  Reich  empfangen  und  werden  es  be- 
sitzen immer  und  immerdar.  Alle  Völker  und  Nationen  und  Zungen 
werden  |  ihnen  dienen;  und  ihr  Reich  wird  nie  zerstöret  (7,  9—27; 
2,  44).  Auch  die  entschlafenen  Gerechten  werden  daran  teil  haben; 
denn  sie  werden  erwachen  aus  dem  Erdenstaube  zu  ewigem  Leben; 
die  Abtrünnigen  aber  zu  ewiger  Schmach  (12,  2).  Ob  der  Verfasser 
jenes  Reich  der  Heiligen  des  Höchsten  mit  einem  messianischen 
König  an  der  Spitze  gedacht  hat,  ist  nicht  zu  ersehen.  Jedenfalls 
wird  ein  solcher  nicht  erwähnt.  Denn  der  in  Gestalt  eines  Menschen 
(VtaK  "D?  7, 13)  Erscheinende  ist  keineswegs  der  persönliche  Messias, 
sondern,  wie  der  Verfasser  in  der  Auslegung  deutlich  und  aus- 
drücklich sagt,  das  Volk  der  Heiligen  des  Höchsten  (7, 18.  22.  27). 
Wie  die  Weltreiche  durch  Tiere  dargestellt  werden,  welche  aus 
dem  Meere  aufsteigen,  so  wird  das  Reich  der  Heiligen  durch  eine 
menschliche  Gestalt  dargestellt,  welche  aus  den  Wolken  des  Himmels 
herabkommt.  Das  Aufsteigen  aus  dem  Meere,  d.  h.  aus  dem  Ab- 
grunde, deutet  auf  den  widergöttlichen  Ursprung  jener;  das  Kommen 
vom  Himmel  auf  den  göttlichen  Ursprung  dieses.  Der  Kern  der 
messianischen  Hoffnung  Daniels  ist  also  die  Weltherrschaft  der 
Frommen  (s.  bes.  2,  44.  7, 14.  27).  Und  zwar  denkt  der  Verfasser 
diese  nicht,  wie  es  nach  Kap.  7  scheinen  könnte,  durch  einen  bloßen 
Richterspruch  Gottes  herbeigeführt  Vielmehr  sagt  er  2,  44  aus- 
drücklich, daß  das  Reich  der  Heiligen  die  widergöttlichen  Weit- 
reiche „zermalmen  und  vernichten",  d.  h.  also  doch  mit  Waffen- 
gewalt überwinden  werde,  freilich  unter  Gottes  Beistand  und  nach 


[500.  507]  II.  Geschichtlicher  Überblick.  591 

seinem  Willen.  Beachtung  verdient  noch,  daß  in  unserem  Buche 
deutlich  und  bestimmt  die  Hoffnung  einer  leiblichen  Auferstehung 
ausgesprochen  ist  (12,  2).  —  Die  messianische  Hoffnung  ist  demnach 
hier  ebenso  wie  früher  die  Hoffnung  auf  eine  herrliche  Zukunft 
des  Volkes,  aber  mit  der  doppelten  Modifikation,  daß  das  künftige 
Reich  Israels  als  ein  Weltreich  gedacht  ist  und  daß  auch  alle  ver- 
storbenen Frommen  daran  teil  haben  werden. 

In  den  Apokryphen  des  Alten  Testamentes3  tritt  die  messia- 
nische Hoffnung  wenig  hervor,  was  doch  nur  teilweise  in  dem  vor- 
wiegend geschichtlichen  oder  didaktischen  Inhalte  dieser  Schriften 
begründet  ist.  Die  meisten  derselben  sind  vielmehr  Zeugnisse  da- 
für, daß  die  messianische  Hoffnung  eben  damals,  als  sie  durch 
Daniel  neu  belebt  wurde,  im  allgemeinen  stark  verblaßt  war.  | 

Wie  es  in  dieser  Hinsicht  bei  Jesus  Sirach  steht,  läßt  sich 
in  betreff  einiger  Einzelheiten  nicht  ganz  sicher  sagen.  Deutlich 
ist,  daß  er  eine  Vernichtung  der  Feinde  Israels  und  eine  herrliche 
Zukunft  des  Volkes,  entsprechend  den  Verheißungen  Gottes,  nicht 
nur  erbittet,  sondern  auch  wirklich  hofft  (Vernichtung  der  Feinde 
als  Hoffnung  32,  22—26,  nach  anderer  Verszählung  32, 18—20;  als 
Gebet  33, 1—12).  Wichtig  ist  besonders  das  zuversichtliche  Gebet 
33, 13a  +  36, 16b— 22,  nach  Smends  Übersetzung: 

33, 13a.  Sammle  alle  Stämme  Jakobs, 

36, 16b.      damit  sie  ihr  Erbe  einnehmen  wie  vorlängst. 

17.  Erbarme  dich  des  Volkes,  das  nach  dir  genannt  ist, 

Israels,  dem  du  den  Beinamen  des  Erstgeborenen  gabst. 

18.  Erbarme  dich  über  deine  heilige  Stadt, 

Jerusalem,  die  Stätte  deiner  Wohnung. 

19.  Erfülle  Zion  mit  deiner  Majestät, 

und  mit  deiner  Herrlichkeit  deinen  Tempel. 

20.  Bekenne  dich  zu  deinem  uranfanglichen  Werke, 

und  mache  wahr  die  Weissagung,  die  in  deinem  Namen 

geredet  ward. 

21.  Gib  Lohn  denen,  die  auf  dich  harren, 

daß  deine  Propheten  als  zuverlässig  befunden  werden. 


3)  Vgl.  hierzu:  Bergquist,  An  idea  Messiae  in  apocryphis  V.  T.  sit  obvia. 
Lund  1826.  De  Wette,  Biblische  Dogmatik  S.  160 f.  Oehler  in  Herzogs 
Real-Enz.  Bd.  IX,  8.  422-425  (2.  Aufl.  IX,  653—655).  Anger,  Vorlesungen 
über  die  Geschiente  der  messianischen  Idee  S.  78 f.  84  f.  Drummond,  The 
Jewish  Messiah  p.  196  sqq.  Couard,  Die  messianische  Erwartung  in  den  alt- 
testamentlichen  Apokryphen  (Neue  kirchliche  Zeitschrift  1901  j  S.  958 — 973). 
Baldensperger,  Die  messianisch  -  apokalyptischen  Hoffnungen  des  Juden-  ( 
thums  1903,  S.  92-97. 


$92  §  29.    Die  messianische  Hoffnung.  [507] 

22.   Du  wollest  hören  das  Gebet  deiner  Knechte, 
nach  deiner  Huld  gegen  dein  Volk, 
Damit  die  Enden  der  Erde  erkennen, 
daß  du  bist  der  ewige  Gott 

Die  hier  erbetene  Herrlichkeit  des  Volkes  ist  als  eine  zeitlich 
unbegrenzte  gedacht4.  Aber  charakteristisch  ist,  daß  der  Ausdruck 
der  Bitte  und  Hoffnung  sich  doch  in  sehr  allgemeinen  Formen  be- 
wegt; namentlich  ist  trotz  der  Berufung  auf  die  Verheißungen  der 
Propheten  von  einem  messiauischen  Könige  nicht  die  Rede.  An 
zwei  anderen  Stellen  ist  vielleicht  auf  denselben  hingewiesen;  aber 
die  Erklärung  ist  in  beiden  Fällen  unsicher 5.  Wenn  der  Verfasser 
auf  Grund  der  prophetischen  Weissagung  einen  messiauischen 
König  erwartet  hat,  so  ist  diese  Erwartung  mehr  dem  Schrift- 
studium als  dem  lebendigen  religiösen  Bedürfnis  entsprungen.  Weit 
mehr  als  die  Erneuerung  der  davidischen  Dynastie  liegt  ihm  die 
ewige  Dauer  des  Priestertums  des  Hauses  Pinehas  am  Herzen 
(45,  23  f.  50,  24  nach  dem  Hebr.).  Daß  die  Ansätze  zu  einer  ge- 
lehrten messianischen  Dogmatik  bereits  vorhanden  waren,  zeigt 
die  Erwartung  der  Wiederkehr  des  Elias  (48,  10—11).  —  Ein 
lebendigeres  Bild  würde  sich  freilich  ergeben,  wenn  das  im  he- 
bräischen Text  auf  Kap.  51, 12  folgende  Stück  (das  im  griechischen 
und  syrischen  fehlt)  in  seinem  vollen  Umfange  echt  wäre.    Hier 


4)  Hiefür  darf  man  sich  zwar  nicht  auf  44,  13  berufen,  wo  es  im  Grie- 
chischen heißt,  daß  „die  Nachkommenschaft"  der  Väter  (ontyfxa  abzibv)  in 
Ewigkeit  bleibt,  denn  nach  dem  Hebräischen  und  Syrischen  ist  vielmehr  „ihr 
Gedächtnis"  zu  lesen,  wie  durch  den  Parallelismus  bestätigt  wird.  Wohl  aber 
ist  37,  25  gesagt,  daß  „das  Leben  Israels  (Jesuruns)  unzählbare  Tage  währt". 
Das  von  Isr.  Livi,  Revue  des  Müdes  juives  t  XXXIV,  1897,  p.  44  sq.  gegen 
die  Echtheit  dieses  Verses  erhobene  Bedenken,  daß  er  den  Zusammenhang 
störe,  ist  insofern  begründet,  als  er,  wie  der  hebräische  Text  zeigt)  nicht 
zwischen  V.  24  und  26,  sondern  vor  V.  24  gehört,  womit  jenes  Bedenken  hin- 
wegfallt. Der  Vers  ist  in  zwei  hebräischen  Fragmenten  erhalten :  einem  Blatt 
des  britischen  Museums  {Jewish  Quarterly  Review  XII,  p.  11)  und  einem 
Pariser  Blatt  (Revue  des  etudes  juives  XL,  p.  4).  Die  Lesart  Jeschurun,  welche 
das  Pariser  Fragment  statt  Am  Jisrael  bietet,  steht  in  dem  Londoner  Frag- 
ment am  ßande.  Das  Fehlen  des  Verses  in  der  syrischen  Übersetzung  ist 
keine  entscheidende  Instanz  gegen  die  Echtheit. 

5)  c.  47 ',  11  heißt  es  von  David,  daß  Gott  sein  Hörn  erhöht  habe  „für 
immer"  (öinsb);  dieser  dehnbare  Ausdruck  geht  aber  nicht  notwendig  auf 
eine  ewige  Dauer  der  Dynastie.  —  c.  47,  22  übersetzt  Smend:  „und  er  wird 
Jakob  einen  Best  geben  und  dem  Hause  Davids  einen  Sprößling  von  ihm". 
Aber  die  futurische  Fassung  von  *]n^l  ist  nach  dem  Zusammenhang  nicht  not- 
wendig. Die  griech.  Übersetzung  hat  töwxev,  ebenso  übersetzen  auch  noch 
nach  Auffindung  des  hebr.  Textes  z.  B.  Byssel  und  Peters. 


[507.  508]  IL  Geschichtlicher  Überblick.  593 

wird  Gott  gepriesen  nicht  nur  als  Erlöser  Israels  und  als  der,  der 
die  Zerstreuten  sammelt  (Vers  5—6),  sondern  auch  als  der,  „der 
seine  Stadt  und  sein  Heiligtum  baut"  (7)  und  „dem  Hause  Davids 
ein  Hörn  sprossen  läßt'4  (8).  Diese  Sätze  finden  sich  aber  fast 
wörtlich  auch  im  Schmone  Esre  (s.  oben  S.  542)  und  sind  vermut- 
lich erst  aus  diesem  in  den  Sirachtext  eingedrungen,  denn  die 
Lobpreisung  Gottes  als  dessen,  „der  seine  Stadt  und  sein  Heiligtum 
baut",  ist  während  des  Bestandes  der  Stadt  und  des  Tempels  kaum 
verständlich.  Sie  ist  der  Ausdruck  der  Hoffnung  nach  der  Kata- 
strophe vom  Jahre  70  nach  Chr. 

Die  Erwartung  eines  messianischen  Königs  liegt  jedenfalls 
dem  Verfasser  des  ersten  Makkabäerbuches  ferne,  der  seinerseits 
in  der  Dynastie  der  Hasmonäer  die  Bürgschaft  für  Israels  Größe 
sieht6.  Sonst  finden  wir  in  den  Apokryphen  etwa  die  Erwartung, 
daß  Gott  über  die  Heiden  Gericht  halten  (Judith  16,  17)  und  die 
Zerstreuten  Israels  wieder  zu  einem  Volke  sammeln  werde  (II  Makk 
2, 18.  Baruch  2,  27—35.  4,  36—37.  5,  5—9);  daß  das  Volk  auf  ewig 
gegründet  sein  werde  (II  Makk.  14, 15).  Der  Verfasser  des  Buches 
Tobit  hofft  nicht  nur,  daß  die  Gerechten  gesammelt  und  das  Volk 
Israel  erhöhet  und  Jerusalem  aufs  prächtigste  mit  Gold  und  Edel- 
steinen neu  gebaut  werde  (Tobit  13,  12—18.  14,  7),  sondern  auch, 
im  Anschluß  an  einige  Propheten  des  Alten  Testamentes,  daß  alle 
Heiden  sich  zum  Gott  Israels  bekehren  werden  (Tobit  13,  11.  14, 
6—7).  —  In  der  hellenistischen  Weisheit  Salomonis  tritt  be- 
greiflicherweise das  nationale  Moment  völlig  zurück;  ja  der  Ver- 
fasser kann  vermöge  seiner  platonisierenden  Anthropologie  das 
wahre  Heil  für  die  Seele  erst  nach  dem  Tode  erwarten.  Für  ihn 
ist  daher  das  Wesentliche,  daß  die  verstorbenen  Gerechten  einst 
Gericht  halten  werden  über  die  Heiden  (Sap.  Sal.  3,  8.  5,  1;  vgl. 
I  Kor.  6,  2  f.).  Ganz  unbegründet  ist  die  in  der  älteren  Exegese 
herrschende  Deutung  des  Gerechten  in  Sap.  Salom.  2,  12 — 20  auf 
den  Messias7. 

Ein  Hauptpunkt,  durch  welchen  die  religiöse  Hoffnung  der 
älteren  Apokryphen  (Sirach,  Judith,  Tobit,  I  Makkabäer)  von 
der  messianischen  Hoffnung  der  späteren  Zeit  sich  unterscheidet, 


6)  Wenn  I  Makk.  2,  57  dem  sterbenden  Matt&thias  die  Worte  in  den 
Mund  gelegt  werden  JavlS  ....  ixXrjQovöfiTjoe  Sqovov  ßaatXelaq  elq  aitbva 
alCbvo$  oder  nach  besserer  Lesart  elq  al&vaq,  so  ist  nur  an  eine  lange, 
nicht  an  eine  ewige  Dauer  von  Davids  Dynastie  zu  denken.  S.  Grimm 
zu  d.  8t. 

7)  Vgl.  Reusch,  Gehört  Weisheit  2, 12—20  zu  den  messianischen  Weis- 
sagungen? (Tfib.  Theol.  Quartalschr.  1864,  8.  330—346). 

Schürer,  Geschichte  II.  4.  Aufl.  38 


594  §  29.   Die  mesnaniache  Hoffnung.  [506] 

ist  das  Fehlen  der  Auferstehungshoffnung8.  Die  genannten 
Schriften  stehen  in  dieser  Hinsicht  noch  ganz  auf  dem  Boden  der 
altisraelitischen  Anschauung:  die  Verstorbenen  führen  in  der  Scheol 
nur  ein  schattenhaftes  Dasein;  ein  seliges  Leben  nach  dem  gegen- 
wärtigen gibt  es  nicht9.  Die  durch  das  Buch  Daniel  bezeugte 
Auferstehungshofihung  ist  also  im  zweiten  Jahrhundert  vor  Chr. 
noch  nicht  Allgemeingut  geworden,  wie  sie  ja  in  gewissen  Kreisen 
(bei  den  Sadduzäern)  niemals  durchgedrungen  ist  Nur  im  IL  Mak- 
kabäerbuche  tritt  sie  deutlich  hervor  (II  Makk.  7,  9.  14.  23.  29.  36. 
12,  43 — 44).  Die  hellenistische  Weisheit  Salomonis  hat  statt 
dessen  die  Erwartung  eines  seligen  Fortlebens  nach  dem  Tode 
(3,  1—9.  4,  7.  5,  16.  6,  20). 

In  reicher  Fülle  ergießt  sich  der  Strom  messianischer  Weis- 
sagung in  den  um  140  vor  Chr.  entstandenen  ältesten  jüdischen 
Sibyllinen.  Freilich  darf  hierher  nicht  Sibyll.  III,  286*?.  bezogen 
werden  {Kai  tote  ötj  fcoq  ovQavo&ev  xifjrpsi  ßaoilrja,  KqipsI  ö* 
arÖQa  Ixaoxop  iv  afyari  xdi  jtvQog  ctvyjj),  wo  vielmehr  von  Cyrus 
die  Bede  ist10.  Auch  auf  den  vlbq  &eoio  III,  775  kann  man  sich 
nicht  berufen.  Denn  statt  vlbv  ist  nach  Alexandres  richtiger  Ver- 
mutung zu  lesen  vtjop11.  Und  vollends  verkehrt  ist  es,  unter  der 
xoqti,  in  welcher  nach  Sibyll.  III,  784—786  Gott  wohnen  wird,  die 
Mutter  des  Messias  zu  verstehen  (eine  Deutung,  zu  welcher  nach 
Langens  Vorgang 12  selbst  Weiffenbach 13  sich  hat  verleiten  lassen). 


8)  Vgl.  bes.  Grob ler,  Die  Ansichten  über  Unsterblichkeit  und  Aufer- 
stehung in  »der  jüdischen  Literatur  der  beiden  letzten  Jahrhunderte  v.  Chr. 
(Theol.  Stud.  und  Krit.  1879,  S.  651—700).  —  Anders  vom  katholischen  Stand- 
punkte aus:  Atzberger,  Die  christliche  Eschatologie  in  den  Stadien  ihrer 
Offenbarung  im  A  und  N.  Testamente,  1890,  S.  96—109. 

9)  Vgl  bes.  Sirach  7,  17.  10,  9—11.  14,  17—19.  17,  2a  22,  11.  38,  21. 
41,  1—4.  Hier  überall  ist  vom  Tode  als  vom  Ende  des  Lebens  schlechthin 
die  Rede,  ohne  daß  irgendwo  auf  ein  anderes  und  neues  Leben  hingewiesen 
würde.  Ein  Fortleben  gibt  es  nur  im  Gedächtnis  der  Nachwelt  (44,  8—15). 
Im  Totenreich  ist  Ruhe  (28,21.  30, 17).  Man  kann  dort  keinem  Genuß  (awn, 
zgv<pq)  mehr  nachgehen  (14, 16)  und  Gott  nicht  mehr  preisen  (17,  27£).  Wenn 
11,  26  von  einer  Vergeltung  iv  fjfiiga  xtlevxfjq  die  Rede  ist,  so  ist  letzteres 
wohl  ungenaue  Übersetzung  für  „am  Ende  seiner  Tage"  d.  h.  in  seiner  letzten 
Lebenszeit  (s.  Smend). 

10)  Wie  später  auch  Hilgenfeld  zugegeben  hat  (Zeitschr.  £  w.  Th.  1871, 
8.  36),  nachdem  er  es  früher  bestritten  hatte  (Apokalyptik  8.  64.  Zeitschr.  1860, 
8.  315).    Geffckens  Änderung  von  obgavo&ey  in  oitQavioq  ist  unnötig. 

1 1)  Diese  Emendation  liegt  nach  dem  Zusammenhang  viel  näher  als  die 
Annahme  einer  christlichen  Interpolation  des  ganzen  Verses  (Gfrörer,  Hilgen- 
feld, Geffcken). 

12)  Das  Juden thum  in  Palästina  8.  401  ff. 

13)  Quae  Jesu  in  regno  coelesti  dignitas  sii  p.  bOsq. 


[508.  509]  II.  Geschichtlicher  Überblick.  "  595 

Denn  die  xoqtj,  hebr.  nbina,  ist  nichts  anderes  als  Jerusalem.  Aber 
nach  Abzug  aller  dieser  Stellen  bleibt  doch  noch  stehen,  daß  der 
ganze  Abschnitt  Sibyll.  III,  652—795  fast  ausschließlich  messiani|- 
schen  Inhalts  ist,  wenn  auch  des  messianischen  Königs  nur  im  Ein- 
gang desselben  kurz  Erwähnung  geschieht  Vom  Aufgang  her 
(an  rjeltoLo),  so  heißt  es  hier,  wird  Gott  senden  einen  König, 
welcher  allem  Krieg  auf  Erden  ein  Ende  machen  wird,  die  einen 
tötend,  den  andern  die  gegebenen  Verheißungen  erfüllend.  Und 
er  wird  dies  nicht  nach  eigenem  Rate  tun,  sondern  den  Befehlen 
Gottes  gehorchend14.  Bei  seinem  Auftreten  (denn  dies  ist  wohl 
die  Meinung  des  Verfassers)  sammeln  sich  die  Könige  der  Heiden 
noch  einmal  zu  einem  Angriff  gegen  den  Tempel  Gottes  und  das 
heilige  Land,  Rings  um  Jerusalem  herum  bringen  sie  ihre  Götzen- 
opfer dar.  Aber  mit  gewaltiger  Stimme  wird  Gott  zu  ihnen  reden; 
und  alle  kommen  um  durch  die  Hand  des  Unsterblichen.  Die  Erde 
wird  erbeben,  und  die  Berge  und  die  Hügel  werden  einstürzen, 
und  der  Erebus  wird  erscheinen.  Und  die  Heidenvölker  werden 
umkommen  durch  Krieg  und  Schwert  und  Feuer,  weil  sie  gegen 
den  Tempel  ihre  Speere  geschwungen  haben  (663—697).  Dann 
werden  die  Kinder  Gottes  in  Ruhe  und  Frieden  leben,  da  die  Hand 
des  Heiligen  sie  beschützt  (698—709).  Und  die  Heidenvölker,  die 
dies  sehen,  werden  gegenseitig  sich  selbst  ermuntern,  Gott  zu  loben 
und  zu  preisen  und  seinem  Tempel  Gaben  zu  senden  und  sein  Ge- 
setz anzunehmen,  da  es  das  gerechteste  ist  auf  der  ganzen  Erde 
(710—726).  Unter  allen  Königen  der  Erde  wird  dann  Friede 
herrschen  (744—761).  Und  Gott  wird  ein  ewiges  Reich  auf- 
richten über  alle  Menschen.  Von  der  ganzen  Erde  wird  man 
Geschenke  zum  Tempel  Gottes  bringen.  Und  die  Propheten  Gottes 
werden  das  Schwert  niederlegen;  denn  sie  sind  Richter  der  Men- 
schen und  gerechte  Könige.  Und  Gott  wird  wohnen  auf  Zion,  und 
allgemeiner  Friede  wird  herrschen  auf  Erden  (767—795).  —  Das 
Hauptgewicht  fällt  dem  Verfasser,  wie  man  sieht,  darauf,  daß  bei 
allen  Völkern  der  Erde  Gottes  Gesetz  zur  Geltung  und  Anerken- 
nung gelangt.  Doch  erwartet  er  nicht  allein  dies,  sondern  auch 
die  Aufrichtung  eines  ewigen  Reiches  über  alle  Menschen  (767—768: 
ßaötXrjtov  elg  alcovaq  jraprag  ix*  avß-Qmxovc)  mit  Jerusalem 


14)  SibyU.  in,  652—656: 

Kai  xdt*  oLit  rfeXtoto  &ed<;  nt/uipei  ßaaiXfjay 
°Og  näaav  yalav  izavoei  noXifioio  xaxoto, 
0$q  f/tv  apa  xxeivaq,  olq  6*  dpxia  ntoxä  zeXtooaq. 
Ov5i  ye  xalq  IStaig  ßovXatq  xdde  ndvxa  norfoei, 
'AXXa  &eov  /xeydXoio  nt^aag  doynaoiv  iaBXotq. 

38* 


596  §  29-    Die  messianißche  Hoffhang.  [509.  510] 

als  theokratischem  Mittelpunkte.  Des  gottgesandten  Königs  gedenkt 
er  zwar  nur  im  Eingang  (652—656)  als  des  Werkzeuges  Gottes 
zur  Herstellung  des  allgemeinen  Weltfriedens.  Aber  ohne  Zweifel 
ist  er  |  auch  als  Mittelursache  zu  denken,  wenn  es  Vers  689  heißt, 
daß  Gott  durch  Krieg  und  Schwert  (ptoMtup  rjöh  fiaxaiQTj)  die  an- 
stürmenden Heiden  vertilgt.  Und  wenn  in  dem  Reiche  des  Friedens 
nur  im  allgemeinen  die  Propheten  Gottes  (&sov  fieyakoio  xQoyfJTai, 
d.  h.  wohl  die  Israeliten  „die  Heiligen  des  Höchsten",  wie  sie  bei 
Daniel  heißen)  als  Richter  und  Könige  genannt  werden  (781—782), 
so  ist  doch  ein  theokratischer  König  an  ihrer  Spitze  durch  die 
Worte  des  Verfassers  wenigstens  nicht  ausgeschlossen.  In  jedem 
Falle  verdient  es  bemerkt  zu  werden,  daß  selbst  ein  Alexandriner 
bei  seinem  Gemälde  der  Zukunft  des  gottgesandten  Königs  nicht 
entraten  kann. 

Verhältnismäßig  wenig  Messianisches  enthalten  die  ältesten 
Stücke  des  Buches  Henoch  (im  letzten  Dritteil  des  zweiten  Jahr- 
hunderts vor  Chr.)15.  Es  kommt  hier  namentlich  der  Schluß  der 
Geschichts Vision,  nämlich  c.  90, 16—38,  in  Betracht.  Der  Verfasser 
erwartet  zunächst  einen  letzten  gewaltigen  Angriff  der  heidnischen 
(d  h.  hier  vorwiegend  der  syrischen)  Macht,  der  aber  durch  Gottes 
wunderbares  Eingreifen  vereitelt  wird  (90,  16—19).  Dann  wird 
ein  Thron  errichtet  in  dem  lieblichen  Lande,  und  Gott  setzt  sich 
zum  Gerichte.  Es  werden  zunächst  die  gefallenen  Engel  und  die 
abgefallenen  Israeliten  verstoßen  in  die  feurige  Tiefe  (90,  20—27). 
Dann  wird  das  alte  Jerusalem  (denn  das  „Haus"  ist  Jerusalem) 
weggeschafft,  und  Gott  bringt  ein  neues  Jerusalem  und  stellt  es 
an  dem  Orte  auf,  wo  das  alte  gestanden  (90,  28—29).  In  diesem 
neuen  Jerusalem  wohnen  die  frommen  Israeliten;  und  die  Heiden 
huldigen  ihnen  (90,  30).  Hierauf  erscheint  (unter  dem  Bilde  eines 
weißen  Farren)  der  Messias,  und  alle  Heiden  flehen  ihn  an  und 
bekehren  sich  zu  Gott  dem  Herrn  (90,  37—38).  —  In  sehr  charak- 
teristischer Weise  tritt  hier  der  transzendente  Charakter  der 
späteren  messianischen  Idee  hervor:  das  neue  Jerusalem  hat  mit 
dem  alten  nichts  gemein;  es  wird  auf  wunderbare  Weise  vom 
Himmel  herabgebracht.  Der  Messias  erscheint  aber  erst, 
nachdem  Gott  das  Gericht  gehalten  hat;  er  nimmt  also  nicht 
selbst  teil  am  Gericht.  —  Bemerkenswert  ist  ferner,  daß  ebenfalls 
in  den  ältesten  Stücken  des  Buches  Henoch  (ob  von  demselben 
Verfasser  oder  einem  anderen,  mag  hier  dahingestellt  bleiben)  für 
die  einzelnen  Individuen  nicht  ein  ewiges,  sondern  nur  ein 


15)  Vgl.  van  Loon,  Eschaiologieen  van  den  Hasmoneentijd  volgms  het 
boek  Henoch  (Theol  Tydschr.  1902,  p.  421—463). 


[510.  511]  H.  Geschichtlicher  Überblick.  597 

langes  und  glückliches  Leben  in  dieser  Welt  erwartet  wird 
(1,  8.  5,  7—9.  10,  9—11,  2.  c.  24—25).  Die  religiösen  Hoffnungen 
für  den  Einzelnen  bewegen  sich  also  hier  noch  auf  derselben 
Linie  wie  bei  Jesus  Sirach. 

In  volleren  Farben  und  schärferen  Umrissen  tritt  uns  die 
Gestalt  des  messianischen  Königs  in  dem  zur  Zeit  des  Pompeius 
(63—48  vor  Chr.)  entstandenen  Psalterium  Salomonis  entgegen. 
Diese  Psalmen  sind  schon  darum  lehrreich,  weil  der  Verfasser  | 
beides  betont:  sowohl  daß  Gott  selbst  Israels  König  ist  (XVII,  1), 
als  auch  daß  das  Königtum  des  Hauses  Davids  nicht  ausgehen 
wird  yor  Gott  (XVII,  5).  Es  darf  also,  wo  ersteres  geschieht,  nicht 
ohne  weiteres  angenommen  werden,  daß  letzteres  ausgeschlossen 
sei.  Die  Sehnsucht  nach  dem  davidischen  König  ist  bei  dem  Ver- 
fasser besonders  lebendig,  da  Jerusalem  zu  seiner  Zeit  unter  die 
heidnische  Obmacht  der  Römer  geraten  war,  und  auf  das  saddu- 
zäisch  gesinnte  Fürstenhaus  der  Hasmonäer  keine  Hoffnungen  für 
die  Zukunft  gebaut  werden  konnten.  So  hofft  er  denn,  daß  Gott 
erwecke  einen  König  aus  Davids  Haus,  daß  er  herrsche  über  Israel 
und  zerschmettere  seine  Feinde  und  reinige  Jerusalem  von  den 
Heiden  (XVII,  23—27).  Derselbe  wird  versammeln  ein  heiliges 
Volk  und  wird  die  Stämme  des  Volkes  richten  und  nicht  lassen 
Ungerechtigkeit  in  ihrer  Mitte  weilen  und  wird  sie  verteilen  nach 
ihren  Stämmen  im  Lande,  und  kein  Fremdling  wird  unter  ihnen 
wohnen  (XVII,  28—31).  Und  heidnische  Nationen  werden  ihm 
dienen  und  werden  nach  Jerusalem  kommen,  um  als  Gaben  zu 
bringen  die  ermatteten  Kinder  Israels  und  zu  sehen  die  Herrlich- 
keit des  Herrn.  Und  er  ist  ein  gerechter,  von  Gott  gelehrter 
König  (XVII,  32—35).  Und  nicht  ist  Ungerechtigkeit  in  jenen 
Tagen.  Denn  alle  sind  Heilige.  Und  ihr  König  ist  der  Gesalbte 
des  Herrn 16.  Nicht  wird  er  auf  Roß  und  Reiter  sein  Vertrauen 
setzen.  Denn  der  Herr  selbst  ist  sein  König.  Und  er  wird  schlagen 
die  Erde  durch  das  Wort  seines  Mundes  in  Ewigkeit  (XVII,  36—39). 
Segnen  wird  er  das  Volk  des  Herrn  mit  Weisheit  Und  er  ist  reim 
von  Sünde.  Und  er  wird  herrschen  über  ein  großes  Volk  und 
nicht  schwach  sein.  Denn  Gott  macht  ihn  stark  durch  seinen 
heiligen  Geist.    In  Heiligkeit  wird  er  sie  alle  führen,  und  nicht 


16)  XQLOtbq  xvqlo<;  XVII,  36  ist  wahrscheinlich  falsche  Übersetzung  für 
njrrj  niste,  wie  Thren.  4,  20.  In  Gap.  XVIII,  8  ist  Xqiqxoü  xvqIov  zu  er- 
klären nach  dem  vorhergehenden  Xqkjtov  avxov  (XVIII,  6),  also  xvqIov  ab- 
hängig von  Xqiotov  (Wellhausen,  Die  Pharisäer  und  die  Sadducäer  S.  132). 
Im  Ev.  Luc.  kommt  beides  vor  (2, 11  XQiaxbq  xvQioq,  2,  26  tdv  Xqloxöv  xvqIov). 
Noch  anderes  Material  s.  bei  Byle  and  James,  Psalms  of  the  Pharisees,  1891, 
p.  141  sq. 


598  §  '<$•   Die  messianische  Hoffnung.  [511.  512] 

ist  Hochmut  unter  ihnen  (XVII,  40—46).  Dies  ist  die  Schönheit 
des  Königs  von  Israel.  Selig  sind,  die  geboren  werden  in  jenen 
Tagen  (XVII,  47—51).  —  Wie  es  scheint,  erwartet  der  Verfasser 
nicht  überhaupt  gottesf&rchtige  Könige  aus  dem  Hause  Davids, 
sondern  einen  einzigen,  von  Gott  mit  wunderbaren  Kräften  ausge- 
rüsteten Messias,  der  von  Sünde  rein  und  heilig  ist  (XVII,  41.  46), 
den  Gott  durch  den  heiligen  Geist  mächtig  und  weise  gemacht  hat  | 
(XVII,  42),  und  der  darum  seine  Feinde  nicht  mit  äußeren  Waffen, 
sondern  durch  das  Wort  seines  Mundes  schlägt  (XVII,  39,  nach 
Jesaja  11,  4).  Irotz  dieser  Idealisierung  ist  er  aber  doch  ganz  als 
weltlicher  Herrscher,  als  wirklicher  König  Israels  vorgestellt.  — 
Vgl.  überhaupt  auch  Ps.  XVIII,  6—10,  und  speziell  Ps.  XI  (Samm- 
lung der  Zerstreuten)  und  III,  16;  XIV,  2  ff.  (Auferstehung  der 
Frommen). 

Wie  die  salomonischen  Psalmen  veranlaßt  sind  durch  den 
Druck  der  pompejanischen  Zeit,  so  ein  jüngeres  sibyllinisches 
Stück  (Orac.  Sibyll.  III,  36— 92)  durch  die  Gewaltherrschaft  des 
Antonius  und  der  Kleopatra  in  Ägypten.  Damals,  als  Rom  auch 
über  Ägypten  die  Herrschaft  erlangt  hatte,  erwartet  der  Sibyllist 
den  Anbruch  des  Gottesreiches  auf  Erden  und  das  Kommen  eines 
heiligen  Königs,  der  auf  ewig  jegliches  Land  beherrschen  wird. 
Die  betreffende  Stelle  (III,  46-50)  lautet  wörtlich: 

AvraQ  ixel  'Pc&fit]  xal  Alyvjtrov  ßaotXevöst, 

Elq  fcV  Ifrvvovöa11,  rore  öt]  ßaötXela  psyloxri 

'Ad-avatov  ßaöcXrjog  kx*  dvfrQcojtoiöi  (pavelzai. 

Hgei  6    aypbq  ava§y  jtdorjq  yijq  öxtjxtqcz  xgccrrjocov 

Elq  almvaq  jravraq,  tjteiyofievoio  xQovoto. 

Der  unsterbliche  König,  dessen  Reich  bei  den  Menschen  er- 
scheinen wird,  ist  natürlich  Gott  selbst  Dagegen  kann  unter  dem 
ayvoq  ava^  der  auf  ewig  jeglichen  Landes  Zepter  innehaben  wird, 
kein  anderer  verstanden  werden,  als  der  Messias.  Auch  hier  finden 
wir,  wie  bei  den  salomonischen  Psalmen,  den  persönlichen  Messias 
und  die  Idee  des  Königtums  Gottes  unmittelbar  beisammen. 

Wenn  schon  in  den  salomonischen  Psalmen  die  Gestalt  des 
messianischen  Königs  das  Maß  des  Gemein-menschlichen  überragt, 
so  tritt  diese  Seite  noch  weit  stärker  hervor  in  den  Bilderreden 
des  Buches  Henoch  (c.  37—71).  Das  Bild  des  Messias  wird  hier 
vorwiegend  im  Anschluß  an  das  Buch  Daniel  gezeichnet,  indem 
unter  dem  „Menschensohn"  die  Person  des  Messias  verstanden  und 


17)  Eine  Handschrift  hat  elg  h  öfj&vvovoa.   Hiernach  konjiziert  Geffcken: 
'laszi  Srj&vvovoa,  „noch  zögert  Rom  (die  Sibylle  fingiert  ja  früher  zu  leben)". 


[512.  513]  II.  Geschichtlicher  Überblick.  599 

das  Kommen  vom  Himmel  im  eigentlichen  Sinne  genommen,  daher 
dem  Messias  Präexistenz  zugeschrieben  wird.  Aber  leider  ist  die 
Abfassungszeit  dieser  Bilderreden  so  unsicher,  daß  wir  darauf  ver- 
zichten müssen,  sie  hier  in  die  geschichtliche  Entwickelung  ein- 
zureihen. Nur  bei  der  systematischen  Übersicht  kann  von  ihnen 
Gebrauch  gemacht  werden. 

Ein  Zeugnis  für  die  Existenz  der  messianischen  Hoffnung  zur 
Zeit  desHerodes  ist  die  Erzählung  des  Josephus  Antt.  XVII,  2,  4. 
Die  Pharisäer  sollen  dem  Pheroras,  dem  Bruder  des  Herodes,  ver- 
heißen haben,  daß  die  Herrschaft  des  Herodes  und  seines  Gel- 
schlechtes aufhören  und  an  ihn  und  seine  Kinder  übergehen  werda 
Zugleich  sollen  aber  die  Pharisäer  einem  Eunuchen  Bagoas  ver- 
heißen haben,  daß  er  Vater  und  Wohltäter  heißen  werde  durch 
Ausspruch  des  künftigen  Königs,  der  ihm,  da  alles  in  seine  Hand 
gelegt  sei,  die  Kraft  der  Ehe  und  Kindererzeugung  gewähren 
werde ,8.  Dieser  künftige  König,  der  dem  Eunuchen  die  Zeugungs- 
kraft wiedergibt,  ist  natürlich  nicht  Pheroras,  sondern  der  Messias 
(nach  Jesaja  56,  3:  Der  Verschnittene  wird  nicht  sagen:  ich  bin 
ein  dürrer  Baum).  Entweder  hat  also  Pheroras  die  Reden  der 
Pharisäer  von  dem  bevorstehenden  Sturze  der  herodianischen  Herr- 
schaft und  dem  kommenden  Könige  verkehrterweise  auf  sich  be- 
zogen, oder  es  hat  nur  Herodes,  dem  diese  Reden  zu  Ohren  ge- 
kommen sind,  eine  solche  Beziehung  angenommen19. 

In  schönen,  schwungvollen  Worten  weissagt  die  etwa  um  den 
Beginn  der  christlichen  Zeitrechnung  entstandene  Assumptio  Mosis 
den  Anbruch  des  Reiches  Gottes.  Nachdem  der  Verfasser  eine 
Zeit  der  Drangsal  wie  unter  Antiochus  Epiphanes  in  Aussicht  ge- 
stellt hat,  fährt  er  c  10  fort:  „Dann  wird  erscheinen  sein  Reich 
unter  aller  Kreatur;  und  der  Teufel  wird  ein  Ende  haben;  und  die 
Traurigkeit  wird  mit  ihm  dahingehen.  Denn  erheben  wird  sich 
der  Himmlische  von  dem  Sitze  seines  Reiches;  und  er  wird  aus- 
gehen von  seiner  heiligen  Wohnung  mit  Grimm  und  Zorn  um  seiner 
Kinder  willen.    Und  erzittern  wird  die  Erde  bis  an  ihre  Enden, 


18)  Jos.  Antt  XVII,  2,  4/5n.:  fyxo  Sh  6  Baywa<;  vn  abz&v  ü>c  naxr\Q  xe 
xal  ebtQyhriQ  dvofiaa^rjadßevoq  xod  imxaxaoxa&tjaofjiivov  TtQOQQ^aei  ßaoi- 
Xicoq,  xaxa  t&Qa  y&Q  ixelvtp  xä  ndvx*  elvcu,  naQ^ovxot;  abxfy  ydßov  xe  icyyv 
xal  7iaiöw<JEa>Q  xixvwv  yvrjaiwv.  —  Die  herkömmlichen  Übersetzungen  des 
Josephus  geben  tiqoqq^osl  falsch  wieder  und  finden  in  der  Stelle  den  Unsinn, 
daß  Bagoas  der  Vater  eben  des  Königs  heißen  werde,  der  ihm  die  Zeugungs- 
kraft wiedergibt!! 

19)  Vgl.  Wellhausen,  Die  Pharisäer  und  die  Sadducfier  S.  25.  Anders: 
Holwerda,  Verslagen  en  Mededeelingen  der  Koninkl.  Akademie  ran  Weten- 
schappen,  Afdeeling  Letterkande,  Tweede  Reeks,  deel  II,  1872,  p.  106 — 117. 


600  §  29.   Die  messianische  Hoffnung.  [513.  514] 

und  die  hohen  Berge  werden  geniedrigt  werden,  und  die  Hügel 
werden  fallen.  Die  Sonne  wird  kein  Licht  geben,  und  der  Mond 
^  sich  in  Blut  verwandeln  (vgl  Joel  3,  4),  und  der  Sternkreis  in 
Verwirrung  geraten.  Und  das  Meer  wird  zum  Abgrund  zurück- 
weichen, und  die  Wasserquellen  werden  ausbleiben,  und  die  Flüsse 
vertrocknen.  Denn  erheben  wird  sich  Gott  der  Höchste,  der  allein 
Ewige,  und  wird  hervortreten  und  die  Heiden  züchtigen  und  alle 
ihre  Götzen  vernichten.  Dann  wirst  du  glücklich  sein  Israel  und 
wirst  auf  den  Nacken  und  die  Flügel  des  Adlers  hinaufsteigen 
(vgl.  hierzu  unten  III,  8).  Und  erhöhen  wird  dich  Gott  und  wird 
machen,  daß  |  du  am  Sternenhimmel  schwebest;  und  du  wirst  er- 
blicken von  oben  herab  deine  Feinde  auf  Erden,  und  wirst  sie 
erkennen  und  dich  freuen  und  Dank  sagen  und  bekennen  deinem 
Schöpfer".  —  Mit  dieser  Erwartung  einer  Erhebung  Israels  in 
den  Himmel  schließt  hier  das  Zukunftsgemälde.  Von  einem  mes- 
sianischen  Beiche  im  gewöhnlichen  Sinne  ist  gar  nicht  die  Bede. 
Man  wird  daher  auch  das  Fehlen  des  messianischen  Königs  nicht 
auf  den  demokratischen  Standpunkt  des  der  Zelotenpartei  ange- 
hörigen  Verfassers  zurückführen  dürfen20. 

In  allgemeinen  Umrissen  schildert  das  Buch  der  Jubiläen 
die  Zeit  der  Freude  und  Wonne,  welche  für  Israel  eintreten  wird, 
wenn  es  sich  bekehrt  (Jubil.  23,  27— 31) 21.  „Die  Tage  werden  an- 
fangen viel  zu  werden  und  zu  wachsen  unter  jenen  Menschen- 
kindern von  Geschlecht  zu  Geschlecht  und  von  Tag  zu  Tag,  bis 
daß  ihre  Lebenszeit  sich  1000  Jahren  nähert.  Und  keinen  Alten 
und  Lebenssatten  wird  es  geben,  sondern  sie  alle  werden  wie  Kinder 
und  Knaben  sein,  und  werden  alle  ihre  Tage  in  Frieden  und  Freude 
vollenden  und  leben,  indem  es  keinen  Satan  und  keinen  Bösen  gibt, 
der  sie  verdirbt,  sondern  alle  ihre  Tage  werden  Tage  des  Segens 
und  Heils  sein.  In  jener  Zeit  wird  der  Herr  seine  Diener  heilen; 
und  sie  werden  sich  erheben  und  werden  tiefen  Frieden  schauen 
und  ihre  Feinde  vertreiben,  und  die  Gerechten  werden  zuschauen 
und  danken  und  sich  freuen  mit  Freuden  bis  in  Ewigkeit  Und 
sie  werden  sehen  an  ihren  Feinden  alle  ihre  Strafgerichte  und  all 
ihren  Fluch.  Und  ihre  Gebeine  zwar  werden  in  der  Erde  ruhen, 
ihr  Geist  aber  wird  viele  Freude  haben;  und  sie  werden  erkennen, 
daß  Gott  es  ist,  der  das  Gericht  hält  und  der  Gnade  übt  an  Hun- 
derten und  an  Tausenden  und  an  allen,  die  ihn  lieben".  —  Während 


20)  So  Wieseler,  Jahrbücher  für  deutsche  Theologie  1868,  S.  645,  und 
ich  selbst  früher. 

21)  Übers,  von  Dillmann  in  Ewalds  Jahrbb.  der  bibl.  Wissensch. 
Jahrg.  III,  8.  24;  von  Littmann  in  Kautzschs  Apokryphen  und  Pseudepi- 
graphen  II,  80. 


[514.  515]  IL  Geschichtlicher  Überblick.  601 

hier  nur  im  allgemeinen  gesagt  ist,  daß  die  Diener  des  Herrn  „ihre 
Feinde  vertreiben  werden",  wird  an  einer  andern  Stelle  dem  Samen 
Jakobs  bestimmt  die  Weltherrschaft  verheißen  (32,  18— 19)22. 
Gott  sprach  zu  Jakob:  „Ich  bin  der  Gott,  der  Himmel  und  Erde 
geschaffen  hat.  Ich  will  dich  wachsen  lassen  und  dich  gar  sehr 
mehren;  und  Könige  sollen  aus  dir  hervorgehen  und  überall  herrschen, 
wohin  der  Fuß  der  Menschenkinder  getreten  ist.  Und  ich  will 
deinem  Samen  die  ganze  Erde  geben,  welche  unter  dem  Himmel 
ist,  und  sie  sollen  nach  Willkür  herrschen  über  alle  Völker;  und  | 
darnach  sollen  sie  die  ganze  Erde  an  sich  ziehen  und  sie  ererben 
auf  Ewigkeit".  —  Diese  Weltherrschaft  der  Nachkommen  Jakobs 
wird  aber  herbeigeführt  durch  den  Stamm  Juda.  Isaak  sprach 
zu  Juda  (31,  18— 20)23:  „Gott  gebe  dir  Kraft  und  Stärke,  daß  du 
alle  niedertretest,  die  dich  hassen!  Sei  ein  Fürst,  du  und  einer 
von  deinen  Söhnen  über  die  Söhne  Jakobs.  Dein  Name  und 
der  Name  deiner  Söhne  gehe  aus  und  verbreite  sich  über  die  ganze 
Erde  und  in  [allen]  Ländern.  Dann  werden  sich  die  Völker  vor 
deinem  Antlitz  fürchten  und  alle  Völker  werden  bestürzt  werden. 
In  dir  sei  [die  Hilfe  Jakobs,  und  in  dir  werde  das  Heil  Israels 
gefunden.  Und  wann  du  auf  dem  Throne  des  Ruhmes  deiner  Ge- 
rechtigkeit sitzest,  wird  tiefer  Friede  über  allem  Samen  der  Kinder 
des  Geliebten  (d.  h.  Abrahams)  herrschen".  Die  Worte  „du  und 
einer  von  deinen  Söhnen"  scheinen  auf  den  künftigen  Messias 
hinzuweisen. 

Ein  sehr  charakteristisches  Zeugnis  für  die  Intensität  der 
messianischen  Hoffnung  im  Zeitalter  Jesu  Christi  ist  es,  daß  selbst 
ein  Moralist  wie  Philo  das  zu  erwartende  Glück  der  Frommen 
und  Tugendhaften  in  dem  Rahmen  und  mit  den  Farben  der  jüdisch- 
nationalen Erwartungen  schildert24.  Zwei  Stellen  seiner  Schrift 
„Über  die  Belohnung  der  Guten  und  die  Bestrafung  der  Bösen" 
kommen  hier  namentlich  in  Betracht  (De  exsecratiombus  §  8—9, 
ed.  Mang.  II,  435  sq.,  und  De  praemiis  et  poenis  §  15—20,  ed.  Mang.  II, 
421—428).  An  der  ersteren  Stelle  spricht  er  die  Hoffnung  aus, 
daß  alle  Israeliten,  oder  vielmehr  alle,  die  sich  zu  Gottes  Gesetz 
bekehren  (denn  darauf,  nicht  auf  die  leibliche  Abstammung  von 
Abraham  kommt  es  ihm  an),  sich  im  heiligen  Lande  versammeln 
werden.    „Wenn  sie  auch  am  Ende  der  Erde  sich  befinden  als 


22)  Ewalds  Jahrbb.  III,  42.   Kautzschs  Apokr.  und  Pseudepigr.  II,  95. 

23)  Ewalds  Jahrbb.  HI,  40.    Kautzschs  Apokr.  und  Pseudepigr.  II,  93. 

24)  Vgl.  über  das  Messianische  bei  Philo:  Gfrörer,  Philo  und  die  alexan- 
drinische  Theosophie  I,  495 — 534.  Dähne,  Geschichtl.  Darstellung  der  jüdisch- 
alexandrinischen  Religionsphilosophie  I,  432—438.  J.  G.Müller,  Die  messia- 
nischen Erwartungen  des  Juden  Philo.   Basel  1870  (25  S.  4.). 


602  §  29.    Die  meesianiache  Hoffnung.  [515.  516] 

Sklaven  bei  ihren  Feinden,  die  sie  gefangen  weggeführt  haben,  so 
werden  sie  doch  wie  auf  ein  gegebenes  Zeichen  an  einem  Tage 
alle  befreit  werden,  weil  ihre  plötzliche  Wendung  zur  Tugend  ihre 
Gebieter  in  Erstaunen  setzt  Diese  werden  sie  nämlich  entlassen, 
da  sie  sich  schämen,  über  Bessere  zu  herrschen.  Wenn  dann  diese 
unerwartete  Freiheit  denen  zuteil  wird,  die  zuvor  zerstreut  waren 
in  Hellas  und  im  Barbarenlande,  auf  den  Inseln  und  auf  dem  Fest- 
lande, so  werden  sie  auf  einen  Antrieb  von  überallher  nach  dem 
ihnen  angewiesenen  Orte  hineilen,  geführt  von  einer  göttlichen 
übermenschlichen  Erscheinung,  weiche,  allen  anderen  unsichtbar, 

nur  den  Geretteten  sichtbar  ist25 Wenn  sie  nun  angekommen 

sind,  so  werden  die  zerfallenen  Städte  wieder  aufgebaut  und  die 
Wüste  wieder  bewohnt  werden,  und  das  unfruchtbare  Land  wird 
sich  verwandeln  in  Fruchtbarkeit".  —  An  der  andern  Stelle  (De 
praemiis  et  poenis  §  15  sqq.  Mang.  II,  421  sqq.)  beschreibt  Philo  die 
Zeit  des  Glückes  und  Friedens,  welche  anbrechen  wird,  wenn  die 
Menschen  sich  zu  Gott  bekehren.  Vor  allem  werden  sie  sicher 
sein  vor  wilden  Tieren.  „Bären  und  Löwen  und  Panther  und 
indische  Elefanten  und  Tiger  und  überhaupt  alle  Tiere  von  un|- 
bezwinglicher  Stärke  und  Kraft  werden  von  der  einsamen  Lebens- 
weise zum  Zusammenleben  sich  wenden;  und  von  dem  Verkehre 
mit  wenigen  nach  Art  der  Herdentiere  an  den  Anblick  des  Menschen 
sich  gewöhnen,  der  von  ihnen  nicht  mehr,  wie  früher,  angegriffen, 
sondern  als  Gebieter  gefürchtet  wird;  und  sie  werden  ihn  als  ihren 
natürlichen  Herrn  verehren.  Einige  werden  sogar,  mit  den  zahmen 
Tieren  wetteifernd,  wie  die  Schoßhündchen  durch  Schweifwedeln 
ihre  Huldigung  ihm  darbringen.  Auch  das  Geschlecht  der  Skor- 
pionen und  Schlangen  und  andern  Gewürmes  wird  dann  kein  schäd- 
liches Gift  mehr  haben"  (§  15).  Ein  weiteres  Gut  dieser  Zeit  ist 
der  Friede  unter  den  Menschen.  Denn  diese  werden  sich  schämen, 
wilder  zu  sein  als  die  unvernünftigen  Tiere.  Und  wer  etwa  den 
Frieden  zu  stören  versucht,  der  wird  vertilgt  werden.  „Denn  aus- 
gehen wird  ein  Mann,  sagt  die  Weissagung  (LXXNnm. 24, 7), 
welcher  zu  Felde  zieht  und  Krieg  führt  und  große  und 
volkreiche  Nationen  bezwingen  wird,  indem  Gott  selbst  den 


25)  ^Bvayovfitvoi  nQÖq  xivoq  üeiotigag  ij  xaxk  gwoiv  av&QWJiivqv  Öxpeax;, 
aSrjkov  fihv  ktiQoiq,  fxövoig  Sh  xolq  ävaato^ofxivoiq  S/x<pavovq.  —  Daß  diese 
göttliche  Erscheinung  nicht  der  Messias  ist,  sondern  eine  der  Feuersäule 
beim  Zug  durch  die  Wüste  analoge  Erscheinung,  sollte  kaum  der  Erwähnung 
bedürfen.  —  Nach  der  sog.  Apokalypse  des  Elias  (achmim.  39,  7  ff.  —  sahid. 
11,  24  ff.)  bilden  Gabriel  und  Uriel  eine  Lichtsäule  und  führen  mittelst  der- 
selben die  Gerechten  in  das  heilige  Land.  S.  Steindorff,  Die  Apokalypse 
des  Elias  1899,  S.  101,  137,  166. 


[616.  517]  IL  Geschichtlicher  Überblick.  603 

Heiligen  seine  Hülfe  sendet.    Diese  besteht  in  unerschütterlicher 
Kühnheit  der  Seele  und  unbezwingbarer  Kraft  des  Leibes,  von 
welchen  Eigenschaften  jede  für  sich  den  Feinden  furchtbar  ist, 
denen  aber,  wenn  sie  vereinigt  sind,  nichts  Widerstand  zu  leisten 
vermag.    Einige  der  Feinde  aber  werden,  wie  die  Weissagung 
sagt,  nicht  einmal  gewürdigt,  durch  Menschenhand  umzukommen. 
Ihnen  wird  er  [Gott]  Schwärme  von  Wespen  entgegenstellen,  welche 
zu  schmachvollem  Untergang  kämpfen  für  die  Heiligen.    Diese 
aber  [statt  tovxop  ist  wohl  zu  lesen  tovtovq™,  nämlich  die  Hei- 
ligen] werden  nicht  nur  den  Sieg  im  Kampf  ohne  Blutvergießen 
sicher  haben,  sondern  auch  unbezwingbare  Gewalt  der  Herrschaft 
zum  Heile  der  Untertanen,  welche  aus  Liebe  oder  Schrecken  oder 
Ehrfurcht  sich  unterwerfen.   Denn  drei  Eigenschaften,  welche  die 
größten  sind  und  eine  unzerstörbare  Herrschaft  begründen,  besitzen 
sie  [die  Heiligen]:  Heiligkeit  und  gewaltige  Kraft  und  Wohltätig- 
keit (oefivorrjTa  xal   öeaorTjta  xal  tveQyeoiav)]  wovon  die  erste 
Ehrfurcht  erzeugt,  die  zweite  Schrecken,  die  dritte  Liebe.    Sind 
sie  aber  harmonisch  in  der  Seele  vereinigt,  so  erzeugen  sie  Unter- 
tanen, welche  den  Herrschern  gehorsam  sind44  (§  16).   Als  weitere 
Güter  der  messianischen  Zeit  erwähnt  Philo  dann  auch  noch  Reich- 
tum und  Wohlstand  (§  17—18),  Gesundheit  und  Kraft  des  Körpers 
(§  20).  —  Man  sieht,  daß  er  trotz  seines  Bestrebens,  überall  auf 
das  Ethische  den  Hauptnachdruck  zu  legen,  sich  doch  den  volks- 
tümlichen Vorstellungen  nicht  zu  entziehen  vermochte.    Auch  er 
erwartet  nach  Verwirklichung  des  ethischen  Ideals  eine  Zeit  äußeren 
Glückes  und  Wohlstandes  für  die  Frommen  und  Tugendhaften, 
wozu  auch  |  dies  gehört,  daß  sie  die  Herrschaft  haben  auf  Erden. 
Und  in  diesem  Bilde  fehlt  auch  der  messianische  König  nicht. 
Denn  wer  anders  als  dieser  sollte  gemeint  sein  mit  jenem  Manne, 
welcher  zu  Felde  zieht  und  Krieg  führt  und  große  und  volkreiche 
Nationen  bezwingt?    Je  weniger  aber  ein  solcher  gottgesandter 
HeiTScher  durch  die  Grundanschauung  Philos  gefordert  ist,  um  so 
bemerkenswerter  ist  es,  daß  er  doch  von  Philo  in  seine  Beschrei- 
bung der  messianischen  Zeit  mit  aufgenommen  wird. 

Aber  auch  ohne  solche  Zeugnisse  würde  schon  aus  dem  Neuen 
Testamente  selbst  erhellen,  daß  die  messianische  Idee  in  der  Zeit 
vor  Christo  keineswegs  im  Volksbewußtsein  erloschen  war.  Aus 
der  Johannesfrage:  „Bist  du,  der  da  kommen  soll,  oder  sollen  wir 
eines  andern  warten?44  (M.  11,  3.  Luc.  7,  19—20)  ist  ja  zu  sehen, 
daß  man  dem  Kommenden  entgegenharrte.  Und  der  ganze  Verlauf 
der  evangelischen  Geschichte  —  man  denke  nur  an  das  Petrus- 


26)  So  jetzt  auch  Oohn  in  seiner  Ausgabe  (Pkilonis  opp.  V,  1906). 


604  §  29*   Die  messianische  Hoffnung.  [517] 

bekenntnis  (ML  16, 13  ff.  Mg.  8,  27  ff.  Luc.  9, 18  ff.)  —  zeigt  deutlich, 
daß  Jesus,  indem  er  sich  als  den  Messias  bekannte,  nur  an  vor- 
handene Vorstellungen  anknüpfte.  Keineswegs  ging  er  in  erster 
Linie  auf  Weckung  und  Belebung  der  messianischen  Hoffnung  aus. 
Und  doch  finden  wir,  daß  beim  Einzug  in  Jerusalem  das  ganze 
Volk  ihm  als  dem  Messias  zujauchzt  (ML  21,  Mc.  11,  Luc.  19,  Joh.  12). 
Solche  Szenen  sind  nur  zu  erklären  unter  der  Voraussetzung,  daß 
schon  yor  seinem  Auftreten  die  messianische  Hoffnung  im  Volke 
lebendig  war. 

Für  die  nachchristliche  Zeit  bedarf  dies  ohnehin  keines  Be- 
weises. Die  zahlreichen  politisch-religiösen  Volksbewe- 
gungen zur  Zeit  der  Prokuratoren  (44—66  nach  Chr.)  zeigen 
zur  Genfige,  mit  welcher  fieberhaften  Spannung  man  einem  wunder- 
baren Eingreifen  Gottes  in  die  Geschichte  und  dem  Anbruche  seines 
Reiches  auf  Erden  entgegenharrte.  Wie  hätten  sonst  Leute  wie 
Theudas  und  der  Ägypter  für  ihre  Verheißungen  Hunderte  und 
Tausende  yon  Gläubigen  finden  können?  Zu  allem  Überflusse  ge- 
steht selbst  Josephus  zu,  daß  die  messianische  Hoffnung  einer 
der  mächtigsten  Hebel  war  in  dem  großen  Aufstande  gegen 
Rom.  Er  selbst  entblödet  sich  freilich  nicht,  die  messianischen 
Weissagungen  auf  Vespasian  zu  deuten,  worin  er  bei  Tacitus  und 
Suetonius  gläubigen  Beifall  gefunden  hat27. 


27)  Über  die  Messiasidee  des  Josephus  s.  Gerlach,  Die  Weissagungen 
des  Alten  Testaments  in  den  Schriften  des  Flavius  Josephus  (1863)  S.  41—89. 
Langen  in  der  Tüb.  Theol.  Quartalschrift  1865,  S.  39—51.  Holwerda,  Ver- 
siegen en  Mededeelingen  der  koninkl.  Akademie  van  Wetenschappen,  Afd.  Letter- 
kunde, tweede  reeks,  deel  II,  1872,  p.  127 — 139.  —  Die  betreffende  Stelle  lautet 
Bell.  Jud.  VI,  5,  4:  Tb  6h  inaoav  aivovq  fidXiaxa  nobq  xbv  tiöXe/ülov  fyv  XQI0' 
ubq  äftylßoXoq  buolaq  iv  xotq  Ugotq  evQTj/jtevoq  ygdfjifxaaiv ,  wq  xaxä  xbv 
xatobv  ixetvov  dnb  x%q  x^Qaq  T'C  ahx(bv  aoget  xfjq  olxoifxivTjq.  Tovxo  dt 
fxhv  wq  olxetov  igiXaßov,  xal  noXXol  xwv  oo<p(bv  inXavJjdyaav  neol  xtjv  xoloiv 
iö^Xov  <f5  aoa  x^v  Oveanaaiavov  xb  Xöyiov  f}yeftoviav}  änodeix&ivToq  inl 
*Iovöalaq  avzoxQaxoQoq.  —  Vgl.  Tacit.  Hist.  V,  13:  Pluribus  persuasio  inerat, 
antiquis  sacerdotum  literis  conlineri,  eo  ipso  tempore  fore  ut  valesceret  oriens 
profectique  Judaea  rerum  potirentur.  Quae  ambages  Vespasianum  ac  Titum 
praedixerant;  sed  volgus  more  humanae  cupidinis  sibi  tantam  fatorum  magni- 
tudinem  interpretati  ne  adversis  quidem  ad  vera  mutabantur.  —  Sueton.  Vesp. 
c.  4:  Percrebuerat  Oriente  toto  tetus  et  constans  opinio,  esse  in  fatis,  ut  eo  tem- 
pore Judaea  profecti  rerum  potirentur.  Id  de  imperatore  Romano,  quantum 
postea  eventu  paruit,  praedictum  Judaei  ad  se  trahentes  rebellarunt.  —  Es  ist 
kaum  zu  bezweifeln,  daß  Tacitus  und  Suetonius  lediglich  (sei  es  direkt  oder 
indirekt)  aus  Josephus  geschöpft  haben.  Vgl.  Gieseler,  Kirchengesch.  I,  1, 
S.  51.  Bestritten  wird  es  von  Keim,  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  XVII, 
164  (Art.  Vespasianus);  auch  von  Friedländer,  Revue  des  Studesjuives  t.  XXX, 
1895,  p.  122—124,  welcher  meint,  daß  Tacitus  und  Suetonius  sich  hier  auf  die 
sibyllinischen  Orakel  beziehen. 


[518.  519]  IL  Geschichtlicher  Überblick.  605 

Über  den  Stand  der  messianischen  Hoffnung  nach  Zerstörung 
des  Tempels,  in  den  letzten  Dezennien  des  ersten  Jahrhunderts  nach 
Chr.,  geben  uns  die  Apokalypsen  Baruchs  und  Esras  reichhaltigen 
Aufschluß.  Die  Apokalypse  Baruchs  beschreibt  den  Verlauf 
des  Endes  der  Dinge  folgendermaßen.  Vor  allem  wird  eintreten 
eine  Zeit  allgemeiner  und  furchtbarer  Verwirrung.  Die  Menschen 
werden  sich  gegenseitig  hassen  und  bekämpfen.  Ehrlose  werden 
über  Angesehene  herrschen,  Niedrige  über  Hochberühmte,  Gottlose 
über  Helden  sich  erheben.  Und  Völker,  welche  Gott  zuvor  dazu 
bereitet  hat  (es  ist  wohl  an  Gog  und  Magog  zu  denken),  werden 
kommen  und  kämpfen  mit  den  Fürsten,  welche  übrig  sind.  Und 
es  wird  geschehen:  Wer  dem  Kriege  entronnen  ist,  wird  durch  das 
Erdbeben  umkommen;  und  wer  diesem  entgangen  ist,  durch  das 
Feuer;  und  wer  diesem  entronnen  ist,  durch  den  Hunger.  Und 
wer  von  allen  diesen  Übeln  errettet  ist,  wird  in  die  Hände  des 
Messias  überliefert  werden  (70,  2—10).  Dieser  nämlich  wird  ge- 
offenbaret werden,  und  wird  die  Scharen  des  letzten  Weltreiches 
vernichten.  Und  der  letzte  Fürst,  der  noch  übrig  ist,  wird  gefesselt 
und  nach  dem  Zion  gebracht  werden;  und  der  Messias  wird  ihn 
seiner  Gottlosigkeit  überführen  und  ihn  töten  (39,  7—40,  2).  Über- 
haupt wird  der  Messias  die  Völker  versammeln  und  den  einen 
das  Leben  verleihen,  die  andern  aber  mit  dem  Schwerte  vertilgen. 
Das  Leben  verleiht  er  denen,  welche  sich  dem  Samen  Jakobs  unter- 
werfen. Vertilgt  aber  werden  diejenigen,  welche  Israel  bedrückt 
haben  (72,  2—6).  Dann  wird  er  sich  setzen  auf  den  Thron  seines  | 
Reiches  in  Ewigkeit 28;  und  der  Friede  wird  erscheinen,  und  Kümmer- 
nis und  Trübsal  wird  weichen  von  den  Menschen,  und  Freude  wird 
herrschen  auf  der  ganzen  Erde.  Und  die  wilden  Tiere  werden 
kommen  und  den  Menschen  dienen;  und  Nattern  und  Drachen 
werden  sich  unmündigen  Kindern  unterwerfen.  Und  die  Schnitter 
werden  nicht  matt  und  die  Bauleute  nicht  müde  werden  (73—74; 
vgl.  40,  2—3).  Und  die  Erde  wird  ihre  Früchte  zehntausendfältig 
geben.  Und  an  einem  Weinstock  werden  1000  Reben,  und  an  einer 
Rebe  1000  Trauben,  und  an  einer  Traube  1000  Beeren  sein,  und 
eine  Beere  wird  ein  Kor  Wein  geben29.    Und  das  Manna  wird 


28)  Gap.  73,  1:  „Und  nachdem  er  ...  .  sich»  in  Frieden  für  immer  auf 
den  Thron  seines  Königreichs  gesetzt  haben  wird".  Gap.  40,  3:  „Und  seine 
Herrschaft  wird  bestandig  sein  für  immer,  bis  die  dem  Verderben  ge- 
weihte Welt  zu  Ende  kommt"  (Übersetzung  nach  Ryssel  in  Kautzschs 
Apokr.  und  Pseudepigr.).  Aus  letzterer  Stelle  sieht  man,  daß  die  Herrschaft 
des  Messias  nicht  „auf  ewig"  im  strengen  Sinne  währt,  sondern  nur  bis  zum 
Ende  der  gegenwärtigen  Welt. 

29)  Vgl.  Papias  bei  Irenaeus  V,  33,  3. 


606  §  29-   Die  messianische  Hoffnung.  [519.  520] 

wieder  herabkommen  vom  Himmel,  and  man  wird  wieder  essen 
von  ihm  in  jenen  Jahren  (29,  5—8).  Und  nach  Ablauf  jener  Zeit 
werden  alle  Toten  auferstehen,  Gerechte  und  Ungerechte,  in  der- 
selben Gestalt  und  Leiblichkeit,  welche  sie  ehedem  gehabt  haben. 
Darauf  wird  das  Gericht  gehalten  werden.  Und  nach  dem  Gericht 
werden  die  Auferstandenen  verwandelt  werden.  Die  Leiber  der 
Gerechten  werden  verwandelt  in  Lichtglanz;  die  der  Gottlosen 
aber  schwinden  dahin  und  werden  häßlicher  denn  zuvor.  Und  sie 
werden  der  Qual  überliefert  Die  Gerechten  aber  werden  schauen 
die  unsichtbare  Welt  und  werden  wohnen  in  den  Höhen  jener  Welt 
Und  das  Paradies  breitet  sich  vor  ihnen  aus,  und  sie  sehen  die 
Scharen  der  Engel,  welche  vor  dem  Throne  Gottes  stehen.  Und 
ihre  Herrlichkeit  ist  größer  denn  die  der  Engel  (<?.  30  and  50—51. 
Vgl.  44, 15). 

In  allen  wesentlichen  Punkten  mit  Baruch  übereinstimmend 
sind  die  eschatologischen  Erwartungen  des  vierten  Buches  Esra, 
Auch  er  weissagt  zunächst  eine  Zeit  furchtbarer  Not  und  Be- 
drängnis (5,  1-13.  6,  18—28.  9,  1—12.  13,  29—31).  Nach  dieser 
wird  der  Messias,  der  Sohn  Gottes,  geoffenbart  werden.  Und  es 
wird  geschehen:  Wenn  die  Völker  seine  Stimme  hören,  werden  sie 
den  Krieg  unter  sich  vergessen,  und  werden  sich  sammeln  zu  einer 
unzähligen  Menge  zum  Angriff  gegen  den  Gesalbten.  Er  aber  wird 
auf  dem  Berge  Zion  stehen  und  wird  sie  ihrer  Gottlosigkeit  über- 
führen und  sie  verderben  durch  das  Gesetz  ohne  Kampf  und  ohne 
Kriegswerkzeug  (13,  25—28.  32—38;  vgl.  12,  31—33).  Dann  wird 
die  verborgene  Stadt  (nämlich  das  himmlische  Jerusalem)  er- 
scheinen (7,  26);  und  die  zehn  Stämme  werden  nach  dem  heiligen 
Lamde  zurückkehren  (13,  39—47).  Und  der  Gesalbte  wird  das  Volk 
Gottes  im  heiligen  Lande  beschützen  und  erfreuen  und  ihnen  viele 
Wunder  zeigen,  vierhundert  Jahre  lang  (7,  27—28.  12,  34.  13, 
48—50.  Vgl.  9,  8).  Und  nach  dieser  Zeit  wird  sterben  der  Ge- 
salbte und  alle  Menschen,  die  einen  Odem  haben.  Und  die  Welt 
wird  wieder  zur  Todesstille  zurückkehren  sieben  Tage  lang,  wie 
am  Anfang.  Und  nach  sieben  Tagen  wird  erweckt  werden  eine 
Welt,  die  jetzt  schläft,  und  wird  vergehen  die  verderbte.  Und  die 
Erde  wird  wiedergeben,  die  in  ihr  schlafen;  und  die  Behältnisse 
werden  zurückgeben  die  Seelen,  die  ihnen  anvertraut  sind  (7,  29 
bis  32).  Und  der  Höchste  wird  auf  dem  Richterstuhle  erscheinen; 
und  die  Langmut  wird  ein  Ende  haben;  nur  das  Gericht  wird 
bleiben;  und  der  Lohn  wird  an  den  Tag  kommen  (7,  33 — 35).  Und 
es  wird  geoffenbart  werden  der  Ort  der  Qual  und  ihm  gegenüber 
der  Ort  der  Ruhe;  der  Abgrund  der  Hölle  und  ihm  gegenüber  das 
Paradies.    Und  der  Höchste  wird  zu  den  Auferstandenen  sagen: 


[520.  521]  IL  Geschichtlicher  Überblick.  607 

Sehet  hier  den,  den  ihr  verleugnet  und  nicht  geehrt  und  dessen 
Befehle  ihr  nicht  befolgt  habt  Hier  ist  Freude  und  Wonne;  und 
dort  ist  Feuer  und  Qual.  Und  die  Länge  des  Gerichtstages  wird 
sein  eine  Jahrwoche  (6, 1—17  nach  Zählung  der  äthiopischen  Über- 
setzung =  7,  36—43  nach  der  Zählung  in  Benslys  Ausg.  1895;  vgl. 
auch  6,  59  und  68—72  nach  dem  aeth.  =  7,  84  und  95—98  nach 
Bensly). 

So  die  beiden  Apokalypsen.  Daß  ihre  Hoffnungen  nicht  ver- 
einzelt dastehen,  sondern  einen  wesentlichen  Bestandteil  des  jüdi- 
schen Bewußtseins  bilden,  beweist  auch  noch  das  SchmoneEsre, 
das  tägliche  Gebet  der  Israeliten,  das  etwa  um  das  Jahr  100  nach 
Chr.  redigiert  worden  ist  Da  wir  es  oben  (S.  539  ff.)  vollständig 
mitgeteilt  haben,  braucht  hier  nur  daran  erinnert  zu  werden,  daß 
in  der  10.  Bitte  um  Sammlung  der  Zerstreuten,  in  der  11.  um 
Wiedereinsetzung  der  einheimischen  Obrigkeit,  in  der  14.  um 
Wiedererbauung  Jerusalems,  in  der  15.  um  Sendung  des  Sohnes 
Davids  und  Aufrichtung  seines  Reiches,  endlich  in  der  17.  um 
Wiederherstellung  des  Opferkultus  in  Jerusalem  gebetet  wird.  In 
dem  von  Schechter  herausgegebenen  kürzeren  Text  fehlt  die  15.  Be- 
racha.  Die  Bitte  um  Sendung  des  Sohnes  Davids  ist  hier  im  Zu- 
sammenhang der  14.  Beracha  nur  angedeutet.  Ob  diese  Fassung 
die  ursprünglichere  ist,  dürfte  fraglich  sein  (su  oben  S.  542  f.) 80. 

Wir  haben  in  diesem  Überblick  absichtlich  die  Targume  ) 
übergangen,  in  welchen  „der  König  Messias"  nicht  selten  vor- 
kommt81. Denn  die  Meinung,  daß  die  älteren  Targume  im  Zeit- 
alter Jesu  Christi  entstanden  seien,  darf  jetzt  wohl  als  aufgegeben 
betrachtet  werden.  Sie  gehören  wahrscheinlich  erst  dem  dritten 
oder  vierten  Jahrhundert  nach  Chr.  an;  jedenfalls  gibt  es  keinen 
Beweis  dafür,  daß  sie  älter  sind,  wenn  sie  auch  vielfach  auf  ältere 
exegetische  Traditionen  zurückgehen.  Es  steht  also  mit  ihnen 
nicht  anders,  als  mit  den*  anderen  rabbinischen  Schriftwerken 
(Mischna,  Talmud,  Midrasch):  daß  sie  zwar  auf  älteren  Mate- 
rialien fußen,  aber  in  der  uns  vorliegenden  Gestalt  nicht  mehr 


30)  Das  Gebet  um  Wieder-Erbauung  Jerusalems  und  Wiederherstellung 
der  Aboda  (des  Opferkultus)  kommt  auch  in  der  Passa-Liturgie  vor.  S.  Fesa- 
chim X,  6. 

31)  Ein  Verzeichnis  der  Stellen,  welche  in  den  Targumen  auf  den  Messias 
gedeutet  werden,  s.  bei  Buztorf,  Lextcon  Chaldaicum  coL  1268—1273.  Vgl. 
ferner:  Im.  Schwarz,  Jesus  Targumicus,  2  partt.  4.  Torgau  1758—1759.  Ay- 
erst,  ba'W*  nipn,  Die  Hoffnung  Israels  oder  die  Lehre  der  alten  Juden  von 
dem  Messias,  wie  sie  in  den  Targumen  dargelegt  ist.  Aus  dem  Engl,  übers. 
(52  S.  12),  Frankf.  a/M.  1851.  Young,  The  Christology  of  the  Targums,  1853. 
Langen,  Das  Judenthum  in  Palästina  S.  418—429. 


608  §  29-   Die  messianische  Hoffnung.  [521.  522] 

dem  hier  behandelten  Zeitraum  angehören.  —  Die  wesentlichen 
Grundzüge  der  messianischen  Hoffnung  des  Judentums  in  dieser 
späteren  Zeit  (um  den  Anfang  des  dritten  Jahrhunderts  nach  Chr.) 
sind  sehr  gut  zusammengefaßt  von  dem  Verfasser  der  Phüosophu- 
mena,  der  sie  folgendermaßen  schildert32:  „Seinen  Ursprung,  sagen 
sie,  werde  der  Messias  haben  aus  Davids  Geschlecht,  aber  nicht 
aus  einer  Jungfrau  und  dem  heiligen  Geiste,  sondern  von  Mann 
und  Weib,  wie  es  allen  bestimmt  ist  aus  Samen  geboren  zu  werden. 
Dieser,  glauben  sie,  werde  König  sein  über  sie,  ein  kriegerischer 
und  mächtiger  Mann,  der  das  ganze  Volk  der  Juden  versammeln 
und  mit  allen  Völkern  Krieg  fahren  und  den  Juden  Jerusalem  als 
königliche  Stadt  aufrichten  werde,  in  welche  er  das  ganze  Volk 
sammeln  und  wieder  in  den  alten  Zustand  versetzen  werde  als  ein  | 
herrschendes  und  den  Opferdienst  verwaltendes  und  lange  Zeit  in 
Sicherheit  wohnendes.  Darnach  werde  sich  gegen  sie  insgesamt 
Krieg  erheben;  und  in  jenem  Kriege  werde  der  Messias  durchs 
Schwert  fallen.  Nicht  lange  darnach  werde  das  Ende  und  die  Ver- 
brennung der  Welt  erfolgen,  und  so  werde  sich  das  erfüllen,  was 
man  in  betreff  der  Auferstehung  glaube,  und  werde  einem  jeden 
die  Vergeltung  nach  seinen  Werken  zuteil  werden**. 

Über  die  messianische  Hoffnung  der  Samaritaner  im  Zeit- 
alter Jesu  Christi  sind  wir  nicht  näher  orientiert,  da  unsere  Quellen 
über  die  Theologie  der  Samaritaner  einer  späteren  Zeit  angehören. 
In  diesen  späteren  Quellen  heißt  der  Messias  Taheb  (der  Wieder- 
kehrende oder  der  Bekehrer?)  und  wird  in  erster  Linie  als  Prophet^ 
der  überall  die  wahre  Lehre  herstellt  (vgl.  Ev.  Jok.  4,  25),  zugleich 
aber  als  Priester  und  König  geschildert33. 


32)  Phüosophum.  IX,  30:  riveoiv  fxhv  yäo  avxov  [seil  xov  Xqioxov]  ioo- 
lihrjv  Xiyovoiv  ix  yhovq  daßlS,  &XX*  ovx  ix  nao&hov  xal  aylov  itvBV(iaxoq> 
aXX'  ix  ywaixbg  xal  ävÖQÖq,  ioq  näaiv  Üqoq  yevväo&ai  ix  aniQfiaxoq^  <pd- 
oxovxeq  xovxov  iadfisvov  ßaotXia  in  avxovq,  avÖQa  noXefiiaxfjv  xal  äwaxöv* 
dq  iniawa^aq  xb  näv  l&voq  'lovöaiow,  nävxa  xä  H&vrj  noXsfitfoaq ,  avaox^ati 
avvoZq  xfjv  'IeoovaaXijfi  nbXiv  ßaoiXlöa,  slq  #v  imovvä&i,  anav  xb  £&voq  xal 
näXiv  fall  xä  aQxata  &ty  änoxaxaoxJjOei  ßaoiXsvov  xal  Isgaxevov  xal  xatoi- 
xovv  iv  Ttenov&JjOEi  iv  %9^VOi^  heavotq'  sneixa  inavaoxfjvai.  xax*  avzwv  nb- 
Xefiov  imavvax&£vx<ov  iv  ixeiv<p  xij>  noXt^icp  neaetv  xbv  Xgioxbv  iv  iiaxaiQy, 
ÜnBixa  fxer  oh  noXv  x^v  cwxiXuav  xal  ixjtvfnooiv  xov  navxbq  ijiiorrjvai,  xal 
ovrwq  xä  tcbqI  x)\v  ävdoxaoiv  6o£a£6fxeva  imxeXeo&rivai,  xdq  te  dftoißäq 
kxdaxij)  xaxä  xä  nenoayfiiva  ajtoöo&ijvau  —  Viel  Material  über  die  messia- 
nische Hoffnung  der  Jaden  zu  seiner  Zeit  findet  sich  bei  Hieron ymns. 
S.  die  Zusammenstellung  von  Krau 8 8,  Jewish  Quarterly  Review  VI,  1894, 
p.  240—245. 

33)  Vgl.  Bertholdt,  Chrietologia  Jtidaeorum  1811  p.  19—24.  —  Joh.  Chr. 
™-*edrichj  Discussionum  de  ehristologia  SamarUanorum  liber,  Lips.  1821.  — 


[522.  523]  IU.  Systematische  Darstellung.  609 


III.  Systematische  Darstellung. 

Zur  Ergänzung  dieses  geschichtlichen  Überblickes  geben  wir 
im  folgenden  noch  eine  systematische  Darstellung  der  messia- 
nischen  Dogmatik,  mit  Zugrundelegung  des  Schemas,  das  sich  aus 
der  Apokalypse  Baruchs  und  dem  vierten  Buch  Esra  von  selbst 
ergibt.  Denn  in  diesen  beiden  Apokalypsen  ist  die  eschatologische 
Erwartung  am  vollständigsten  entwickelt.  | 

1.  Letzte  Drangsal  und  Verwirrung1.  Fast  tiberall,  wo 
auf  die  letzten  Dinge  Bezug  genommen  wird,  kehrt  in  verschie- 
denen Variationen  der  Gedanke  wieder,  daß  dem  Anbruch  des 
Heiles  eine  Zeit  besonderer  Not  und  Trübsal  vorangehen  müsse. 
Es  war  ja  an  sich  ein  naheliegender  Gedanke,  daß  der  Weg  zum 
Glück  durch  Trübsal  hindurchführe.  Und  im  Alten  Testamente 
war  Ähnliches  ausdrücklich  geweissagt  (Hosea  13, 13;  Daniel  12, 1 
und  sonst).  So  bildete  sich  in  der  rabbinischen  Dogmatik  die  Lehre 
von  den  mittel  ^bnn,  den  Wehen  des  Messias,  welche  seiner  Ge- 

Gesenius ,  De  Samaräanorum  theologia  ex  fontibus  ineditis  commentatio, 
Halae  1822,  p.  41—46.  Ders.,  Garmina  Samaritana,  Lips.  1824,  p.  75  sq.  — 
Petermann  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  XIII,  373 f.  —  Vilmar,  Abul- 
fathi  annales  Samaritani,  1865,  p.  XLI — XL VIII.  —  Heidenheim,  Die  Chri- 
stologie  der  Samaritaner  (Vierteljahrsschrift  für  deutsch-  und  engl.-theol.  For- 
schung und  Kritik  V.  Bd.  Heft  1  u.  2,  1873,  S.  169—182).  Der  hier  aus  einer 
Handschr.  des  brit.  Museums  mitgeteilte  Text  ist  auch  abgedruckt  in:  Hei- 
denheim, Die  samaritanische  Liturgie,  3  Hefte  1885—1887  [=  Bibliotkeca 
Samariiana  II— IV]  S.  88  ff.  —  Kautzsch  in  Herzogs  Real-Enz.  2.  Aufl.  XIII, 
348.  3.  Aufl.  XVII,  436.  444 f.  —  Merx,  Ein  samaritanisches  Fragment  über 
den  Ta'eb  oder  Messias  (Actes  du  huüibne  congres  international  des  orienta- 
listes,  tenu  en  1889  ä  Stockholm  et  ä  Christiania,  deuxi&me  partie,  Section  S&- 
mitique,  Leide  1893,  fasc.  2  p.  117—139).  —  Hilgenfeld,  Der  Taheb  der 
Samaritaner  nach  einer  neu  aufgefundenen  Urkunde  (Zeitschr.  f.  wiss.  Theol. 
1894,  S.  233—244).  Hierzu  die  Berichtigung  Jahrg.  1895,  S.  156  [das  von 
Merx  nach  einer  Gothaer  Handschrift  herausgegebene  Stück  ist  identisch  mit 
dem  von  Heidenheim  1873  publizierten],  —  Cowley,  The  Samariian  doctrine 
of  the  Messiah  (Expositor  1895,  März  S.  161 — 174).  —  Montgotnery,  The  Sa- 
marüans,  1907,  p.  243—250. 

1)  Vgl.  Schoettgen,  Horae  Hebraicae  II,  509 sqq.  550 sqq.  Bertholdt, 
Ghristologia  Judaeorum  p.  45 — 54.  Gfrörer,  Das  Jahrhundert  des  Heils  II, 
225  f.  300—304.  O eh ler  in  Herzogs  Real-Enz.  IX,  436  f.  (2.  Aufl.  IX,  606). 
Ben  an,  Der  Antichrist  (deutsche  Ausg.  1873)  S.  260  Anm.  1.  Hamburger, 
Real-Enz.  Art.  „Messianische  Leidenszeit"  (S.  735—738).  Volz,  Jüdische 
Eschatologie  von  Daniel  bis  Akiba  1903,  S.  173-188  (hier  S.  173  auch  die 
Belege  für  neuron  ^bah).  Klausner,  Die  messianischen  VorsteUungen  des 
jüdischen  Volkes  im  Zeitalter  der  Tannaiten  1904,  S.  47—57.  Bousset, 
Die  Religion  des  Judentums  im  neutestamentlichen  Zeitalter  2.  Aufl.  1906, 
S.  286  f. 

Schürer,  Geschichte  II.   4*  -Aufl-  39 


610  §  29.    Die  messUnische  Hoffnung.  [523.  524] 

bort,  d.  h.  seiner  Ankunft,  vorangehen  müssen  (der  Ausdruck  nach 
Hosea  13,  13;  VgL  Matth.  24,  8:  xavxa  6k  ravra  oqjti  noöipmv.  Marc. 
13,  9:  aQxai  mSivmv  ravra).  Durch  allerlei  Vorzeichen  wird  sich 
das  drohende  Unheil  ankündigen.  Sonne  und  Mond  werden  sich 
verfinstern.  Schwerter  erscheinen  am  Himmel;  Züge  von  Fußvolk 
und  Reitern  ziehen  durch  die  Wolken  (Orac*  Stbyll  in,  795—807; 
VgL  II  Makk.  5,  2—3.  Joseph.  B.  J.  VI,  5,  3.  Tadt.  Hut.  V,  13).  In 
der  Natur  gerät  alles  in  Aufruhr  und  Verwirrung.  Die  Sonne 
scheint  in  der  Nacht,  und  der  Mond  am  Tage.  Vom  Holze  tropft 
Blut,  und  der  Stein  läßt  seine  Stimme  erschallen,  und  im  süßen 
Wasser  wird  sich  Salz  finden  (IV  Esra  5,  1—13).  Besäete  Orte 
werden  wie  unbesäet  erscheinen,  und  volle  Scheuern  werden  leer 
gefunden  werden,  und  die  Quellen  der  Brunnen  werden  stehen 
bleiben  (IV  Esra  6,  18—28).  Auch  unter  den  Menschen  werden 
alle  Bande  der  Ordnung  sich  lösen.  Sünde  und  Gottlosigkeit 
herrschet  auf  Erden.  Und  wie  vom  Wahnsinn  ergriffen  werden 
die  Menschen  sich  gegenseitig  bekämpfen.  Freund  ist  gegen  Freund, 
der  Sohn  gegen  den  Vater,  die  Tochter  gegen  die  Mutter.  Völker 
erheben  sich  gegen  Völker.  Und  zu  dem  Kriege  kommen  noch 
Erdbeben,  Feuer  und  Hungersnot,  wodurch  die  Menschen  dahin- 
gerafft werden  (Apocal.  Baruch.  70,  2—8.  IV  Esra  6,  24.  9,  1—12. 
13,  29-31.  Mischna  Sota .'IX,  15) 2.  |  —  Vgl.  auch  Mt.  24,  7—12.  21. 
Marc.  13,  19.   Luc.  21,  23.   I  Kor.  7,  26.   II  Tim.  3,  1. 

2.  Elias  als  Vorgänger3.    Auf  Grund  von  Makachi  3,  23—24 


2)  Mischna  Sota  IX,  15  lautet  nach  Josts  Übersetzung:  „Als  Spuren 
des  nahen  Messias  ist  zu  betrachten,  daß  der  Übermut  zunimmt;  Ehrgeiz 
schießt  empor;  der  Weinstock  gibt  Früchte  und  der  Wein  ist  doch  teuer. 
Die  Regierung  wendet  sich  zu  Ketzerei.  Es  gibt  keine  Zurechtweisung.  Das 
Versammlungshaus  [die  Synagoge]  wird  der  Unzucht  gewidmet,  Galiläa  wird 
zerstört,  Gablan  wird  verwüstet.  Die  Bewohner  eines  Gebietes  ziehen  von 
Stadt  zu  Stadt,  ohne  Mitleid  zu  finden.  Die  Wissenschaft  der  Gelehrten  wird 
verhaßt;  die  Gottesfurchtigen  verachtet;  die  Wahrheit  vermißt  Knaben  be- 
schämen Greise;  Greise  stehen  vor  Kindern.  Der  Sohn  würdigt  den  Vater 
herab;  die  Tochter  lehnt  sich  gegen  die  Mutter  auf;  die  Schwiegertochter 
gegen  die  Schwiegermutter;  die  Feinde  eines  Menschen  sind  seine  Hausgenossen 
[vgl.  Micha  7,  6.  Matth.  10,  35-36.  Luc.  12,  53].  Das  Ansehen  des  ganzen 
Zeitalters  ist  hündisch,  so  daß  der  Sohn  sich  vor  dem  Vater  nicht  schämt".  — 
Das  ganze  Stück  gehört  Übrigens  gar  nicht  zum  echten  Text  der 
Mischna.  Es  fehlt  z.  B.  in  einem  cod.  Hamburg.  (».  156  des  Steinschneider- 
schen  Kataloge»)  und  in  der  Ediiio  princeps  der  Mischna,  Neapel  1492.  Da 
es  im  jerusalemischen  Talmud  steht,  ist  es  wohl  aus  diesem  in  die 
Mischna  hereingekommen. 

3)  Vgl.  Schoetigeny  Horae  Hebraicae  II,  533  sqq.  —  Lightfoot9  Horae 
^ebr.  zu  Matth.  17,  10.  —  Bertholdt,    Christologia  Judaeorum  p.  58—68-  — 

•örer,  Das  Jahrhundert  des  Heils  II,  227—229.   —   Alexandre,  Oracula 


[524.  525]  III.  Systematische  Darstellung.  ß\i 

erwartete  man,  daß  der  Prophet  Elias  wiederkommen  werde,  um 
dem  Messias  den  Weg  zu  bereiten.  Schon  im  Bache  Jesus  Sirach 
(48,  10—11)  wird  diese  Anschauung  vorausgesetzt.  Bekannt  ist, 
daß  im  Neuen  Testamente  häufig  darauf  Bezug  genommen  wird 
(s.  bes.  MaMh.  17,  10.  Marc.  9,  11;  auch  ML  11,  14.  16,  14.  Mc.  6,  15. 
8,  28.  Luc.  9,  8.  19.  Joh.  1,  21).  Und  selbst  in  den  christlichen 
Vorstellungskreis  ist  sie  übergegangen 4.  Als  Zweck  seiner  Sendung 
wird  nach  Maleachi  3,  24  hauptsächlich  der  betrachtet:  Friede  zu 
stiften  auf  Erden  und  überhaupt  alles  Ungeordnete  in  Ordnung  zu 
bringen  (ML  17,  11:  äxoxaxaox7JC6i  navxa,  Mc.  9,  12:  cbtoxafrioxavsi 
navxd).  Die  Hauptstelle  in  der  Mischna  lautet  folgendermaßen5: 
„R  Josua  sagte,  ich  habe  von  R.  Jochanan  ben  Sakkai  die  Über- 
lieferung empfangen,  welcher  es  von  seinem  Lehrer  in  gerader 
Linie  als  eine  Überlieferung  des  Mose  vom  Sinai  ver|nommen  hat, 
daß  Elias  nicht  kommen  werde,  überhaupt  Familien  unrein  oder 
rein  zu  sprechen,  zu  entfernen  oder  aufzunehmen,  sondern  nur  die 
mit  Gewalt  Eingedrungenen  zu  entfernen,  und  die  mit  Gewalt  Ent- 
fernten aufzunehmen.  Eine  Familie  namens  Beth  Zerepha  war 
jenseits  des  Jordans,  die  ein  gewisser  Ben  Zion  mit  Gewalt  aus- 
geschlossen hatte.  Noch  eine  andere  Familie  (unreinen  Geblütes) 
war  daselbst,  die  dieser  Ben  Zion  mit  Gewalt  aufgenommen  hat 
Also  dergleichen  kommt  er,  unrein  oder  rein  zu  sprechen,  zu  ent- 
fernen oder  aufzunehmen.  R.  Jehuda  sagt:  nur  aufzunehmen,  aber 
nicht  zu  entfernen.  R  Simon  sagt:  seine  Sendung  ist  bloß  Streitig- 
keiten auszugleichen.  Die  Gelehrten  sagen:  weder  zu  entfernen, 
noch  aufzunehmen,  sondern  seine  Ankunft  wird  bloß  zum  Zweck 


Sibyllina  (1.  ed.)  II,  513—516.  —  S.  K,  Der  Prophet  Elia  in  der  Legende  (Mo- 
natsschr.  f.  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1863,  S.  241—255,  281—296). 
—  „Elias  who  was  to  come"  (Journal  of  sacred  Literaiure  and  Biblical  Record, 
New  Serie*  Vol.  X,  1867,  p.  371-376).  —  Renan,  Der  Antichrist  8.  321  Anm. 
5.  —  Ca  st  elli,  11  Messia  secondo  gli  Ebrei  p.  196 — 201.  —  Weber,  System 
der  altsynagogalen  paläst.  Theologie  S.  337—339.  —  Derenbourg,  Le  pro- 
phete  jßlie  dans  le  rituel  (Revue  oes  itudes  juives  t.  II,  1881,  p.  290—293).  — 
Ederskeim,  The  life  and  times  of  Jesus  the  Messiah  II,  706—709.  —  Bacher, 
Die  Agada  der  Tannaiten  2  Bde.,  Sachregister  s.  v.  Elija.  —  Volz,  Jüdische 
Eschatologie  S.  192 f.  —  Klausner,  Die  messianischen  Vorstellungen  des  jü- 
dischen Volkes  S.  58 — 63.  —  Bousset,  Die  Religion  des  Judentums  2.  Aufl. 
S.  266  f. 

4)  Commodian.  Carmen  apo löget,  v.  S2ß  sq.  —   Orac.  JSibyll.  II,  187 — 190 
(christlichen  Ursprungs): 

Kai  xo&  6  ßeaßhrjq  ye,  an   obgavoi)  Sofia  xixalvmv 
Oboaviov,  yaig  <J'  iiußäq,  xoxe  otfuava  xoioaä 
KoofKp  SX(p  öel&L  *£  oi7ioXXvu£vov  ßiovoio. 

5)  Edujoth  VIII,  7' 

39* 


612  §  29.   Die  mesrimnische  Hoffnung.  [525.  526] 

haben,  Frieden  in  der  Welt  zu  stiften.  Denn  es  heißt:  Ich  sende 
euch  den  Propheten  Elia,  der  das  Herz  der  Väter  den  Kindern, 
und  das  Herz  der  Kinder  den  Vätern  zuwenden  wird  {MaUacki  3, 24)tt. 
Zu  der  Aufgabe  des  Ordners  und  Friedestifters  gehört  auch  die 
Entscheidung  streitiger  Prozesse.  Daher  heißt  es  in  der  Ifischna, 
daß  Geld  und  Gut,  dessen  Besitzer  streitig,  oder  Gefundenes,  dessen 
Besitzer  unbekannt  ist,  liegen  bleiben  müsse  „bis  daß  Elias  kommt11 6. 
—  Vereinzelt  findet  sich  auch  die  Ansicht,  daß  er  den  Messias 
salben7,  und  daß  er  die  Toten  auferwecken  werde8.  —  Neben 
Elias  wurde  von  manchen  auch  noch  der  Prophet  wie  Moses 
erwartet,  welcher  Deut  18,  15  verheißen  wird  (Ev.  Joh.  1,  21.  6,  14. 
7,  40.  Act.  3,  22.  7,  37),  während  von  andern  diese  Stelle  auf  den 
Messias  selbst  gedeutet  wurde.  Auch  noch  von  andern  Propheten 
als  Vorläufern  des  Messias,  wie  z.  B.  Jeremias  (Matth.  16, 14),  finden 
sich  Andeutungen  im  Neuen  Testamente.  In  christlichen  Quellen 
ist  auch  von  einer  Wiederkehr  des  Henoch  die  Bede  (Ev. Ntcodemi 
c  25,  und  die  patristischen  Exegeten  zu  Apoc.  Joh.  11,  3)9. 

3.  Erscheinung  des  Messias.  Nach  diesen  Vorbereitungen 
erscheint  der  Messias.  Es  ist  nämlich  keineswegs  richtig,  daß  das  | 
vorchristliche  Judentum  den  Messias  erst  nach  dem  Gericht  er- 
wartet, und  daß  erst  durch  Einfluß  des  Christentums  die  Vor- 
stellung sich  gebildet  habe,  der  Messias  selbst  werde  Gericht  halten 
über  seine  Feinde.  Denn  nicht  nur  bei  Baruch  und  Esra,  nicht 
nur  in  den  Bilderreden  des  Buches  Henoch  und  in  den  Targumen 
(wo  man  überall  etwa  christlichen  Einfluß  annehmen  könnte),  son- 
dern auch  in  der  ältesten  Sibylle  (III,  652—656),  in  den  salomo- 
nischen Psalmen  (XVII,  24.  26.  27.  31.  38.  39.  41)  und  bei  Philo 
(De  praemiis  et  poenis  §  16),  also  in  sicher  vorchristlichen  Doku- 
menten, erscheint  der  Messias  zur  Besiegung  der  gottfeindlichen 
Mächte.  Und  die  entgegenstehende  Anschauung,  daß  er  erst  nach 
dem  Gericht  auftreten  werde,  findet  sich  nur  ganz  vereinzelt, 
nämlich  nur  in  der  Grundschrift  des  Buches  Henoch  (90,  16—38). 

6)  Baba  mexia  III,  4-5.  I,  &  II,  8.    Vgl.  auch  Schekalim  II,  5  fin. 

7)  Justin.  Dial.  c.  Tryph.  c.  8:  XQi<nd<;  6h  sl  xal  yeyivfjxai  xal  fori 
nov,  &yvwax6g  iaxi  xal  oböh  avxdq  nu)  kavxdv  inLcxaxai  oitih  fysi  Svvafuv 
xiva,  n£xQL$  av  H&wv  HXlaq  %qLo%  avxdv  xal  (pavepdv  näoi  noi- 
i}ay.  —  Ibid.  c.  49:  Kai  yaQ  navxeq  y)^eZq  xöv  Xqioxöv  av&Qamov  i£  av&Qa*- 
tuüv  TiQOoSoxtbfiev  yevrfoeo&ai  xal  xöv  *HXlav  XQioai  ahxbv  kXbovxa. 
—  Vgl.  auch  Ev.  Joh.  1,  31. 

8)  Sota  IX,  15  (ganz  am  Schluß):  „Die  Auferstehung  der  Toten  kommt 
durch  den  Propheten  Elia".  Vgl.  Klausner  S.  62.  —  Die  Erwartung  gründet 
sich  darauf,  daß  Elias  im  A.  T.  als  Totenerwecker  erscheint 

9)  Vgl.  Thilo,  Cod.  apocr.  Nov.  Test.  p.  756—768,  und  die  Kommentare 
*.u  Apoc.  Joh.  11,  3. 


(  526.  527]  III.  Systematische  Darstellung.  613 

Es  ist  also  von  seinem  Erscheinen  ohne  Zweifel  an  dieser  Stelle 
zu  reden. 

Was  zunächst  seine  Namen  betrifft,  so  heißt  er  als  der  von 
Gott  eingesetzte  und  gesalbte  König  Israels  am  häufigsten:  der 
Gesalbte,  der  Messias  (Henoch  48,  10.  52,  4.  Apocai.  Baruch. 
29,  3.  30,  1.  39,  7.  40,  1.  70,  9.  72,  2.  Esra  7,  28—29,  wo  die 
lateinische  Übersetzung  interpoliert  ist,  Esra  12,  32:  Unctus\ 
griech.  Xqiötos  xvqIov  (Psalt.  Salom.  XVII,  36.  XVIII,  6.  8), 
hebr.  niflhon  (Müchna  Berachoth  I,  5),  aram.  «rplDE  {Müchna  Sota 
IX,  15)  oder  «rntitt  asbig  (beides  häufig  in  den  Targumim) 10;  im 
Neuen  Testamente  Meoolag  (Joh.  1,  42.  4,  25) n.  Die  griechisch- 
redenden Juden  der  christlichen  Zeit  haben,  da  Xqiötos  zu  einem 
christlichen  Terminus  geworden  war,  den  durch  Aquilas  Bibel- 
übersetzung  eingeführten  Ausdruck  'HXsififiipog  vorgezogen12. 


10)  Vgl.  überhaupt  über  den  Titel  „Messias":  Weine  1,  Der  Gesalbte 
Jahwes  im  Bilde  und  seine  Bolle  in  der  Zukunftshoffnung  (Zeitschr.  f.  d. 
alttest.  Wissensch.  XVHI,  1898,  S.  68—82).  —  Dalman,  Die  Worte  Jesu 
1898,  S.  237—245  (viel  Material  ans  den  Targumim).  —  Volz,  Jüdische  Escha- 
tologie  8.  213.  —  Klausner,  Die  messianischen  Vorstellungen  S.  66. 

11)  Meoolaq  ist  die  hesser  bezeugte  Form,  nicht  Medac,  wie  manche 
Handschriften  hahen.  Da  nach  allen  analogen  Fällen  nicht  die  hebräische, 
sondern  die  aramäische  Form  vorauszusetzen  ist,  so  ist  Meoolaq  nicht  — > 
rr^o,  sondern  «=  K^iöa  (vgl.  oben  S.  25.  Delitzsch,  Zeitschr.  f.  luth. 
TheoL  1876,  S.  603.  Kautzsch,  Grammatik  des  biblisch-Aramäischen  8. 10). 
Die  Möglichkeit  dieser  Gleichung  wird  von  La  gar  de  bestritten,  welcher  für 
Msoalaq  ein  nicht  nachweisbares  «rprco  «=  „welcher  wiederholentlich  salbt" 
annimmt  (Deutsche  Schriften  8.  68,  122,  dritter  Abdruck  8.  53,  95,  Psalterii 
venia  Memphitiea  p.  VII,  Semitica  I,  50  f.,  Symmicta  II,  92,  Übersicht  über 
die  im  Aramäischen,  Arabischen  und  Hebräischen  übliche  Bildung  der  No- 
mina 1888,  8.  93  ff.  [Abhandlungen  der  Göttinger  Gese lisch,  der  Wissensch. 
ßd.  35]).  Da  aber  ü  auch  sonst  zuweilen  durch  oo  wiedergegeben  wird,  so 
liegt  kein  Grund  zu  irgend  welchen  Bedenken  vor.  Vgl.  gegen  Lagarde: 
Delitzsch  a.a.O.  und  Nöldeke,  Zeitschr.  der  DMG.  1878,  S.  403. 

12)  Origenes  in  Joann.  tom.  XIII  c.  26  fin.  (ad  Joh.  4,  25,  opp.  ed.  Lom- 
matxsch  n,  48):  Meoolag  fihxoi  ye  'Eßgaiorl  xaXetxai,  Zneg  ol  phv  'Eßdofirf- 
xovxa  XQLOxdq  fjQ/itfvevoav,  6  6h  'AxvXaq  ^HXetfifiivoq.  —  Die  Bemerkung  des 
Origenes  wird  bestätigt  durch  die  Überreste  von  Aquilas  Übersetzung  zu 
Daniel  9,  26  (-=  Euseb.  Demonstr.  evang.  VIII,  2,  90,  p.  397),  Psalm  2,  2  (Syr. 
Hexapl.  und  Philastr.  haer.  142:  Aquila:  adversum  Uhctum  ejus),  Ps.  84,  10. 
89,  39.  I  Sam.  2,  35  (—  Euseb.  Demonstr.  evang.  IV,  16,  45  p.  191).  II  Sam. 
1,  21  (hier  vom  Schild  Sauls).  8.  Origenis  Hexapl.  ed.  Field.  —  Hieronymus, 
comment.  in  Jes.  27,  13  (opp.  ed.  Vallarsi  IV,  369):  Judaei  cassa  sibi  vota 
promütunt,  quod  in  consummatione  mundi,  quando  [Antiehristus,  ut  dicitur] 
^Xeifx/iivoQ  suus  venerit  (die  eingeklammerten  Worte  fehlen  in  einigen  Hand- 
schriften und  sind  sicher  zu  tilgen).  —  Id.  in  Sachar.  14, 15  (Vallarsi  VT,  928): 
haee  Judaei  sub  rfXeififihx»  suo  carnaliter  explenda  contendunt.  —  Id.  in  Ma- 
leach. 3,  1   (Vallarsi  VI,  970):  Judaei  hoc  K  .  referunt  ad  tfXeipifjtivov  hoe  est 


614  §  29.   Die  messianische  Hoffnung.  [527] 

Den  Bilderreden  des  Baches  Henoch  eigentümlich  ist  die  Bezeich- 
nung: der  Menschensohn  (46, 1—6.  48,  2—7.  62,  5—9.  14.  63, 11. 
69,  26—29.  70, 1.  71, 17),  welche  daraus  entsprungen  ist,  daß  man 
das  danielische  Bild  von  der  in  den  Wolken  des  Himmels  kom- 
menden Menschengestalt  (welche  nach  dem  Zusammenhange  bei 
Daniel  die  Gemeinde  und  das  Reich  Gottes  bedeutet)  direkt  auf 
den  Messias  bezog13.   Insofern  der  Messias  das  erwählte  Werkzeug 


Christum  stium.  —  Id.  in  Maleacli.  4  fin.  {Vaüarsi  VT,  986):  Judaei  et  Judai- 
xantes  haeretici  ante  ^XeifAfiivov  suum  Miam  piäant  esse  venturum.  (Diese 
Stellen  nach  Krauß,  Jewish  Quarterly  Review  VI,  244).  —  Dialogue  between  a 
Christian  and  a  Jew  ed.  by  McQiffert,  New  York  1889,  p.  55  lin.  22  (wo 
eine  Handschrift  richtig  ^Xsififiivov  hat,  McGiffert  druckt  eÜLtififi&vov).  —  In 
der  JidaaxaXla  laxu>ßov  veoßantlorov,  über  welche  Bonwetsch,  Nachrichten 
der  Göttinger  Gesellsch.  der  Wissensch.,  phil.-hist.  Kl.  1899,  8.  411—440,  um- 
fangreiche Mitteilungen  macht,  heißt  der  Messias  durchweg  d  f}Xeinfi£vo$ 
(S.  418,  427,  432,  435);  ebenso  in  der  von  Gumont  wieder  herausgegebenen 
Abschwörung  aller  jüdischen  Irrtümer  (Wiener  Studien  1902,  S.  468,  469).  — 
SophoeleSf  QreeJc  Lexicon  s.  v.  ^Xeififiivoq  verweist  auf  Cyrill.  Hieros.  (Cateches. 
XV,  11  —  Migne  Patrol.  gr.  t.  33,  eol.  885  A)  und  Cosmas  Indicopl.  (Migne 
t.  88,  eol  333  A).  —  Vgl.  auch  Onomastica  sacra  ed.  Lagarde  1870,  p.  177,  59. 
195,  80.  —  Wesseling,  Observationes  I,  19. 

13)  Wie  auf  Grund  der  Danielstelle  der  Ausdruck  „Menschensohnu  bei 
Henoch  tatsächlich  zu  einer  Bezeichnung  des  Messias  geworden  ist,  mag  der 
Wortlaut  der  Stellen  veranschaulichen.  Henoch  46,  1—4:  „Und  daselbst  sah 
ich  einen,  der  hatte  ein  betagtes  Haupt  ....  und  bei  ihm  war  ein  anderer, 
dessen  Gestalt  hatte  das  Aussehen  eines  Menschen  .  .  .  Und  ich 
fragte  einen  der  Engel  .  .  nach  jenem  Menschensohne  .  .  .  Und  er  ant- 
wortete und  sprach  zu  mir:  Dies  ist  der  Menschensohn,  der  die  Gerech- 
tigkeit hat  und  bei  dem  die  Gerechtigkeit  wohnt  .  .  .  Und  dieser  Men- 
schensohn, den  du  gesehen  hast,  wird  die  Könige  und  die  Mächlägen  auf- 
scheuchen von  ihren  Lagern  u.  s.  w."  —  48,  2:  „Und  in  jener  Stunde  wurde 
jener  Menschensohn  in  Gegenwart  des  Herrn  der  Geister  genannt,  und 
sein  Name  vor  dem  betagten  Haupte".  —  62,  5 — 9:  „Schmerz  wird  sie  er- 
grei fen ,  wen n  sie  jenen  Mannessohn  auf  dem  Throne  seiner  Herrlichkeit 
sitzen  sehen  ....  Denn  von  Anfang  an  ist  der  Menschensohn  verborgen 
gewesen,  und  der  Höchste  hat  ihn  bewahrt  .  .  .  Und  alle  Könige  und  Mäch- 
tigen werden  .  .  auf  jenen  Menschensohn  ihre  Hoffnung  setzen".  — 
62,  14:  „Und  mit  jenem  Menschensohne  werden  sie  essen".  —  63,  11: 
„Und  darnach  wird  ihr  Antlitz  voll  Finsternis  und  Scham  werden  vor  je- 
nem Menschensohne".  —  69,26 — 29:  „Und  es  herrschte  unter  ihnen  große 
Freude  .  .  .  darum,  daß  ihnen  der  Name  jenes  Menschensohnes  offen- 
bart worden  war  .  .  .  Und  die  Summe  des  Gerichts  ward  ihm,  dem  Men- 
schensohne,  übergeben  .  .  .   Und   von   nun  an  wird  es  nichts  Verderbtes 

mehr  geben;  denn  jener  Mannessohn  ist  erschienen aber  das  Wort 

jenes  Mannessohnes  wird  fest  stehen  vor  dem  Herrn  der  Geister".  — 
70,  1:  „Und  danach  geschah  es,  daß  sein  Name  (d.  h.  Henoch)  bei  seinen 
Lebzeiten  zu  jenem  Menschensohne  und  zu  dem  Herrn  der  Geister  er- 
höht wurde".  —  71,  17:  „Und  so  wird  langes  Leben  sein  bei  jenem  Men- 


[527]  III.  Systematische  Darstellung.  615 

Gottes  ist  und  Gottes  Liebe  auf  ihm  ruht,  heißt  er  der  Aus- 
er wählte  (Henoch  39,  6  f.  40,  5.  45,  3—5.  49,  2—4.  51,  3.  5.  52,6—9. 
53,  6.  55,  4.  61,  5.  8—10.  62, 1  ff.)  oder,  wie  der  theokratische  König 
im  Alten  Testamente,  der  Sohn  Gottes  {Henoch  105,  2.  IV  Esra  7, 
28—29.  13,  32.  37.  52.  14,  9).  Bei  Henoch  kommt  einmal  in  einem 
Teil  der  Handschriften  die  Bezeichnung  Sohn  des  Weibes  vor 
{Henoch  62,  5);  die  Mehrzahl  der  besseren  Handschriften  hat  dafür 
„Mannessohntt.  Daß  der  Messias  aus  Davids  Geschlecht  hervor- 
gehen werde,  war  auf  Grund  der  alttestamentlichen  Weissagung14 
allgemein  anerkannt  {Psalt.  ScUom.  XVII,  5.  23.  Matth.  22,  42.  Marc. 
12,  35.  Luc.  20,  41.  Joh.  7,  42.  IV  Esra  12,  32 15.  Targum  Jonathan 
zu  Jes.  11,  1.  Jer.  23,  5.  33,  15).  Daher  ist  „Sohn  Davids"  eine 
gewöhnliche  Bezeichnung  des  Messias  (im  Neuen  Testamente  häufig 
vlog  Aavid,  im  Targum  Jonathan  zu  Hosea  3,  5:  f?^  na,  im  Schmone 
Esre  15.  Beracha:  -rn  Titel) 16.  Als  Davidide  muß  er  auch  in  Beth- 
1  ehern,  der  Stadt  Davids,  geboren  werden  {Micha  5,  1  nebst  Tar- 
gum.   Matth.  2,  5.    Joh.  7,  41—42). 

Ob    das   vorchristliche  Judentum  den  Messias  lediglich  als 
Menschen  oder  als  ein  Wesen  höherer  Art  gedacht,  namentlich 


schensohne". Wenn  Lietzmann  (Der  Menschensohn  1896,  S.  42 — 48) 

und  Wellhausen  (Skizzen  und  Vorarbeiten  VI,  1899,  S.  199)  betonen,  daß 
der  Ausdruck  „Menschensohn"  bei  Henoch  nirgends  Titel  oder  Name  des 
Messias  sei,  so  ist  das  richtig,  wenn  man  „Titel"  oder  „Name"  im  strengen 
Sinne  nimmt,  denn  es  wird  fast  durchgängig  mit  dem  Pronomen  ,jener"  auf 
die  grundlegende  Beschreibung  c.  46  zurückverwiesen.  Aber  durch  den  be- 
harrlichen Gebrauch  dieser  Verweisung  auch  an  Stellen,  die  schon  weit  von 
c.  46  abliegen,  ist  der  Ausdruck  eben  doch  zu  einer  festen  „Bezeichnung" 
geworden;  ja  er  ist  schon  nahe  daran,  ein  Titel  oder  Name  zu  werden,  wie 
das  zweimal  (62,  7  und  69,  27)  vorkommende  „der  Menschensohn"  statt 
„jener  Menschensohn"  zeigt.  Es  ist  sehr  mißlich,  daß  Lietzmann  (S.  46)  sich 
bemüht,  gerade  diese  beiden  Stellen  als  Interpolationen  nachzuweisen,  so 
zweifelhaft  auch  die  Integrität  des  ganzen  Abschnittes  c.  37 — 71  sein  mag. 
Vgl.  gegen  Lietzmann  und  Wellhausen:  Dal  man,  Die  Worte  Jesu  1898, 
S.  199  f.  Seh mi edel,  Protestant  Monatshefte  2.  Jahrg.  1898,  S.  252 ff.  (bes. 
255 ff.),  5.  Jahrg.  1901,  S.  333 ff.  (bes.  339f.).  Gunkel,  Zeitschr.  für  wissen- 
schaftl.  Theol.  1899,  S.  582—590.  Baldensperger,  Theol.  Rundschau  1900, 
S.  243  ff.  Der s.,  Die  messianisch-apokalyptischen  Hoffnungen  des  Judentums 
1903,  S.  127  ff.  Voiz,  Jüdische  Eschatologie  S.  214  f.  Bousset,  Die  Re- 
ligion des  Judentums  2.  Aufl.  S.  301—303. 

14)  Jesaja  11,  1.  10.  Jeremia  23,  5.  30,  9.  33,  15.  17.  22.  Ezechiel  34, 
23  f.  37,  24  f.   Hosea  3,  5.   Arnos  9,  11.   Micha  5,  1.   Sacharja  12,  8. 

15)  Hier  fehlen  zwar  die  Worte  qui  orietur  ex  semine  David  in  der  latei- 
nischen Übersetzung;  aber  nach  dem  einstimmigen  Zeugnis  der  orientalischen 
Versionen  sind  sie  für  ursprünglich  zu  halten. 

16)  Rabbinisches  Material  über  „Sohn  Davids"  s,  bei  Dalman,  Die 
Worte  Jesu  S.  260—262. 


616  §  29.   Die  messianische  Hoffnung.  [527.  528] 

ob  |  es  ihm  Präexistenz  zugeschrieben  habe,  ist  bei  der  schwan- 
kenden Chronologie  der  Quellen  nicht  mit  voller  Sicherheit  zu  ent- 
scheiden17. Die  ursprüngliche  messianische  Hoffnung  er- 
wartet überhaupt  nicht  einen  Messias  als  Einzelpersön- 
lichkeit, sondern  theokratische  Könige  aus  Davids  Hause18. 
Später  konsolidiert  und  steigert  sich  die  Hoffnung  mehr  und  mehr 
dahin,  daß  ein  einzelner  Messias  als  ein  mit  besonderen  Gaben 
und  Kräften  von  Gott  ausgerüsteter  Herrscher  erwartet  wird.  Im 
Zeitalter  Jesu  Christi  ist  diese  Form  längst  die  vorherrschende. 
Damit  ist  aber  auch  von  selbst  gegeben,  daß  das  Bild  mehr  und 
mehr  übermenschliche  Züge  annimmt:  je  eximierter  die  Stellung 
ist,  die  dem  Messias  angewiesen  wird,  desto  mehr  tritt  auch  er 
selbst  aus  dem  gemein- menschlichen  Rahmen  heraus.  Dies  ge- 
schieht nun  —  bei  der  Freiheit,  mit  welcher  der  religiöse  Vor- 
stellungskreis sich  bewegte  —  in  sehr  verschiedener  Weise.  Im 
allgemeinen  wird  der  Messias  doch  als  menschlicher  König 
und  Herrscher  gedacht,  nur  als  ein  mit  besonderen  Gaben 
und  Kräften  von  Gott  ausgerüsteter.  Besonders  klar  ist  dies 
in  den  salomonischen  Psalmen.  Er  erscheint  hier  ganz  und  gar 
als  menschlicher  König  (XVII,  23.  47),  aber  als  ein  gerechter 
(XVII,  35),  von  Sünde  reiner  und  heiliger  (XVII,  41.  46),  und  durch 
den  heiligen  Geist  mit  Macht  und  Weisheit  und  Gerechtigkeit  aus- 
gerüstet (XVII,  42).  Dieselbe  Anschauung  ist  nur  auf  einen  kurzen 
Ausdruck  gebracht,  wenn  er  Orac.  SibylL  III,  49  als  äyvog  ava£  be- 
zeichnet wird.  Anderwärts  dagegen  wird  ihm  auch  Präexistenz 
zugeschrieben  und  seine  Erscheinung  überhaupt  mehr  ins  Über- 
menschliche erhoben.  So  namentlich  in  den  Bilderreden  des 
Buches  Henoch  und  im  vierten  Buche  Esra19.    Zwar  darf 


17)  Vgl.  über  die  jüdischen  Anschauungen  von  der  Person  des  Messias 
überhaupt:  Bertholdt ,  Ohristologia  Judaeorum  p.  86 — 147.  De  Wette, 
ßibliche  Dogmatik  S.  169—171.  Gfrörer,  Das  Jahrhundert  des  Heils  II, 
292—300.  O eh ler  in  Herzogs  Real-Enz.  IX,  437  f.  (2.  Aufl.  IX,  666  f.).  Ca- 
stellt,  11  Messia  secondo  gli  Ebraei  p.  202—215.  Weber,  System  der  alt- 
synagogalen  paläst.  Theologie  S.  339  ff.  Hamburger,  Beal-Enz.  Art.  „Messias" 
(8.  738—765).  Volz,  Jüdische  Eschatologie  8.  197—237.  Klausner,  Die 
mes8iani8chen  Vorstellungen  des  jüdischen  Volkes  im  Zeitalter  derTannaiten 
8.  64—74.  Bousset,  Die  Religion  des  Judentums  2.  Aufl.  S.  255—266. 
297—308. 

18)  Die  Verheißung  eines  Königs  aus  Davids  Hause  „auf  ewig"  hat  zu- 
nächst nur  den  Sinn,  daß  die  Dynastie  nicht  aussterben  werde.  So  wird 
z.  B.  auch  der  Makkabäer  Simon  vom  Volk  zum  Fürsten  und  Hohenpriester 
„auf  ewig"  (elq  xbv  aUbva)  gewählt  (I  Makk.  14,  41),  d.  h.  es  wird  das  Fürsten- 
tum und  tlohepriestertum  in  seiner  Familie  für  erblich  erklärt. 

19)  Vgl.  über  die  Vorstellung  von  der  Präexistenz  des  Messias:  Hell- 


[528.  529]  III.  Systematische  Darstellung.  617 

hierher  nicht  gerechnet  werden,  daß  er,  wie  oben  erwähnt,  Sohn 
Gottes  genannt  wird.  Denn  dieses  amtliche  Prädikat  sagt  über 
sein  Wesen  überhaupt  nichts  ans.  Auch  die  Bezeichnung  als 
Menschensohn  bei  Henoch  entscheidet  |  an  und  für  sich  noch  nichts. 
Wohl  aber  ist  die  ganze  Auffassung  seiner  Person  in  den  beiden 
genannten  Schriften  eine  wesentlich  übernatürliche.  In  den  Bilder- 
reden des  Buches  Henoch  heißt  es  von  ihm:  Sein  Name  ward  ge- 
nannt vor  dem  Herrn  der  Geister,  ehe  die  Sonne  und  die  Zeichen 
geschaffen,  ehe  die  Sterne  des  Himmels  gemacht  waren  (48,  3)20. 
Er  ward  auserwählt  und  verborgen  vor  Gott,  ehe  denn  die  Welt 
geschaffen  wurde  (48,  6).  Von  Anfang  an  ist  er  verborgen 
gewesen  und  der  Höchste  hat  ihn  bewahrt  (62,  7).  Als  daher  Henoch 
vom  Engel  durch  die  himmlischen  Regionen  geführt  wurde,  sah 
er  „den  Auserwählten"  und  „seine  Wohnung  unter  den  Fittichen 
des  Herrn  der  Geister,  und  alle  Gerechten  und  Auserwählten 
strahlten  vor  ihm  wie  der  Glanz  des  Feuers"  (39,  6— 7)21.  Noch 
ein  andermal,  c  46, 1—4,  beschreibt  Henoch,  wie  ihm  „jener  Menschen- 
sohn" gezeigt  wurde.  Sein  Antlitz  war  voll  Anmut  gleich  einem 
der  heiligen  Engel  (46, 1).  Er  ist  es,  der  die  Gerechtigkeit  hat, 
bei  dem  die  Gerechtigkeit  wohnt,  und  der  alle  Schätze  dessen, 
was  verborgen  ist,  offenbart,  weil  der  Herr  der  Geister  ihn  erwählt 
hat,  und  dessen  Los  vor  dem  Herrn  der  Geister  alles  übertroffen 
hat  durch  Rechtschaffenheit  in  Ewigkeit  (46,  3).  Seine  Herrlich- 
keit ist  von  Ewigkeit  zu  Ewigkeit,  und  seine  Macht  von  Geschlecht 
zu  Geschlecht.  In  ihm  wohnt  der  Geist  der  Weisheit,  und  der 
Geist  dessen,  der  Einsicht  gibt,  und  der  Geist  der  Lehre  und  der 
Kraft,  und  der  Geist  derer,  die  in  Gerechtigkeit  entschlafen  sind. 

wag,  Theol.  Jahrbb.  1848,  S.  151—160.  —  Dalman,  Die  Worte  Jesu  S.  245— 
248.  —  Bar  ton,  On  the  jetcish-ckristian  docirine  of  the  prSextstence  of  the 
Messiah  (Journ.  of  Bibl.  Lit.  XXI,  1902,  p.  78-91  [berührt  die  jüdische  Vor- 
stellung nur  ganz  kurz]).  —  Volz,  Jüdische  Eschatologie  S.  216 — 219.  — 
Baldensperger,  Die  messianisch-apokalyptischen  Hoffnungen  S.  119 — 149. 

—  Brückner,  Die  Entstehung  der  paulinischen  Christologie  1903,  S.  97—173. 

—  Boußset  S.  297 — 308.  —  Greßmann,  Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdi- 
schen Eschatologie  1905,  S.  334 — 365.  —  Couard,  Die  relig.  und  sittl.  An- 
schauungen der  ATI.  Apokr.  und  Pseudepigr.  1907,  8.  204—213. 

20)  Vgl.  Targum  Jonathan,  zu  Sacharja  4,  7 :  Der  Messias,  dessen  Käme 
genannt  ist  von  Ewigkeit.  —  Dalman  S.  247.    Klausner  S.  66. 

21)  Henoch  hegt  bei  dieser  Gelegenheit  den  Wunsch,  ebenfalls  dort  zu 
wohnen,  wo  ihm  in  der  Tat  „ein  Anteil  zuvor  ausgemacht  ist"  (39,  8).  Die 
Erfüllung  dieses  Wunsches,  also  die  Erhebung  Henochs  in  den  Himmel  zu 
dauernder  Gemeinschaft  mit  dem  „Menschensohn"  —  Messias,  wird  e.  70 — 71 
berichtet.  Es  ist  aber  ein  Mißverständnis,  wenn  man  gemeint  hat,  Henoch 
selbst  werde  mit  dem  Menschensohn  ■=-  Messias  identifiziert,  weil  er  71,  14 
auch  „Mannessohn"  angeredet  wird. 


618  §  29.   Die  messianische  Hoffnung.  [529.  530] 

Und  er  wird  richten  die  verborgenen  Dinge,  und  niemand  wird 
eine  eitle  Rede  vor  ihm  führen  können,  denn  er  ist  aaserwählt 
vor  dem  Herrn  der  Geister,  nach  seinem  Wohlgefallen  (49,  2—4). 
Im  wesentlichen  übereinstimmend  hiermit  sind  die  Aussagen  des 
vierten  Buches  Esra.  Man  vergleiche  namentlich  12,  32:  Hie 
est  Unctu8j  quem  reservavit  AlHssimus  in  finem,  und  13,  26:  Ipse  est, 
quem  conservat  AlHssimus  mulHs  temporibus.  Wie  hier  die  Prä- 
existenz ausdrücklich  gelehrt  ist,  so  ist  sie  vorausgesetzt,  wenn 
14,  9  dem  Esra  verheißen  wird,  daß  er  nach  seiner  Aufnahme  in 
den  Himmel  verkehren  werde  mit  dem  Messias  (tu  enim  reeipieris 
ab  Iwminibus,  et  converteris  residuum  cum  filio  meo  et  cum  simihbus 
tuis,  usquequo  finiantur  tempora).  Und  ganz  übereinstimmend  mit 
Henoch  wird  die  Präexistenz  als  ein  Zustand  der  Verborgenheit 
bei  Gott  bezeichnet,  13,  52:  Sicut  non  potest  hoc  vel  scrutinare  vel  scire 
quisy  quid  sit  in  profundo  maris,  sie  non  poterit  quisquam  super  terram 
videre  filium  meum,  vel  eos  qui  cum  eo  sunt,  nisi  in  tempore  ddei.  — 

Manche  wollen  nun  freilich  diese  ganze  Gedanken  reihe  auf  christ- 
liche Einflüsse  zurückführen;  aber  schwerlich  mit  Recht  Sie  ist 
ja  von  alttestamentlichen  Prämissen  aus  vollständig  zu  begreifen. 
Schon  solche  Aussagen,  wie  Micha  5,  1,  daß  die  Ursprünge  des 
Messias  von  Alters  her  sind,  I  von  den  Tagen  der  Urzeit  (oigTQ 
Dbi*  h*ptt),  konnten  leicht  im  Sinne  einer  Präexistenz  von  Ewig- 
keit her  verstanden  werden.  Und  vollends  die  Steile  Daniel  7, 
13—14  brauchte  nur  eben  von  der  Person  des  Messias  verstanden 
und  wörtlich  genommen  zu  werden,  so  war  die  Lehre  von  der 
Präexistenz  von  selbst  gegeben.  Denn  wer  vom  Himmel  herab- 
kommt, von  dem  ist  selbstverständlich,  daß  er  vordem  im  Himmel 
gewesen  ist.  Befördert  wurde  diese  Auffassung  dadurch,  daß  über- 
haupt der  Zug  der  ganzen  Entwickelung  dahin  ging,  alles  wahr- 
haft Wertvolle  als  im  Himmel  präexistierend  zu  denken 22.  Andere 
orientalische  Parallelen,  wie  sie  namentlich  von  Bousset  und  Greß- 
mann  herangezogen  worden  sind,  liegen  so  weit  ab,  daß  sie  nicht 
zur  Aufhellung  des  Problemes  dienen.  —  Wenn  im  nachchristlichen 
Judentum  die  Idee  von  einem  präexistenten  Messias  wieder  zurück- 
getreten und  darauf  beschränkt  worden  ist,  daß  der  Name  des 
Messias  präexistiert  habe  (s.  Anm.  20),  so  steht  dies  in  Einklang 
mit  der  Tatsache,  daß  überhaupt  das  nachchristliche  Judentum  im 


22)  S.  oben  S.  586,  Harnack  zu  Hermas  Vis.  II,  4,  1  (nach  Hermas 
ist  die  christliche  Kirche  präexistent),  und  bes.  Harnack,  Dogmengeschichte 
I,  2.  Aufl.  S.  710-719  (3.  Aufl.  8.  755—764).  —  Schon  im  Alten  Testamente 
wird  ein  himmlisches  Vorbild  für  das  Zelt  der  Offenbarung  und  dessen  Ge- 
räte vorausgesetzt,  Exod.  25,  9  u.  40.  26,  30.  27,  8.    Num.  8,  4. 


[530.  531]  III.  Systematische  Darstellung.  619 

Gegensatz  gegen  das  Christentum  die  menschliche  Seite  des  Messias 
wieder  stärker  betont  hat.  Man  erinnere  sich  nur  an  die  Worte 
in  Justins  Dialogus  cum  Tryphone  c.  49:  Jtavxsq  tjfielq  top  Xqioxov 
av&Q&xov  ig  dvd-Qcbjccov  jcQOödoxcöfiev  yspfiasöd-ai.  Und  ver- 
wandt hiermit  ist  eine  talmudische  Stelle,  jer.  Taanith  II,  1  (mit- 
geteilt von  Oehler  IX,  437;  2.  Aufl.  IX,  667):  „Es  sprach  R.  Abbahu: 
sagt  ein  Mensch  zu  dir,  Gott  bin  ich,  so  lügt  er;  des  Menschen 
Sohn  bin  ich,  so  wird  er  es  zuletzt  bereuen;  ich  fahre  gen  Himmel 
—  hat  er  es  gesagt,  so  wird  er  es  nicht  bestätigen".  Das  nach- 
christliche Judentum  hat  also  gerade  die  Menschheit  stark  betont 
Umsoweniger  haben  wir  Ursache,  die  Anschauung  von  der  Prä- 
existenz auf  christlichen  Einfluß  zurückzuführen. 

Über  die  Zeit  der  Erscheinung  des  Messias  haben  die  späteren 
Rabbinen  allerlei  spitzfindige  Berechnungen  angestellt23.  Ziemlich 
verbreitet  scheint  die  Ansicht  gewesen  zu  sein,  daß  die  gegen-  Vj 
wärtige  Welt  sechstausend  Jahre  dauern  werde,  ent- 
sprechend den  sechs  Schöpfungstagen,  denn  ein  Tag  ist  für  Gott 
wie  tausend  Jahre 24.  Doch  wird  auch  unter  dieser  Voraussetzung  | 
die  Zeit  für  die  Ankunft  des  Messias  wieder  verschieden  berechnet, 
je  nachdem  man  die  Tage  des  Messias  mit  dem  künftigen  obi? 
identifiziert  oder  noch  zum  gegenwärtigen  Dbi*  rechnet  (vgl.  unten 
Nr.  9).  Nach  der  ersteren,  jedenfalls  älteren  Auffassung  würde 
die  messianische  Zeit  nach  Ablauf  des  sechsten  Jahrtausends  an- 
brechen (so  Barnabas,  Irenäus,  Hippolytus  u.  a.).  Unter  der  anderen 
Voraussetzung  (daß  die  Tage  des  Messias  noch  zum  gegenwärtigen 
Dbi*  gehören)  wird  im  Talmud  der  gegenwärtige  Weltlauf  in  drei 
Perioden  eingeteilt:  2000  Jahre  ohne  Gesetz,  2000  Jahre  unter  dem 
Gesetz,  und  2000  Jahre  messianische  Zeit.  Die  für  den  Messias 
bestimmte  Zeit  wäre  hiernach  bereits  angebrochen;  aber  der  Messias 


23)  Sanhedrin  96t> — 97a,  vollständig  mitgeteilt  in  Delitzschs  Kommentar 
zum  Briefe  an  die  Hebräer  S.  762—764,  bei  Cas teilt,  II  Messia  p.  297  sqq. 
und  Wünsche,  Der  babylonische  Talmud  IL  Halbbd.,  3.  Abt  1889,  8. 190 f. 
Vgl.  Weber,  System  S.  334  f. 

24)  Barnabas  c.  15;  Irenaeus  V,  28,  3;  Hippolytus,  comment.  in  Daniel 
IV,  23  ed.  Bonwetsch  p.  242 — 245.  Das  slavische  Henochbuch,  deutsch  von 
Bonwetsch  (Abhandlungen  der  Göttinger  Ges.  der  Wissensch.  N.  F.  Bd.  I  Nr.  3, 
1896)  S.  31,  dazu  Bonwetsch  8.  6.  —  Thilo,  Codex  apocr.  N.  T.  p.  692  sq. 
Hilgenfelds  und  Harnacks  Anmerkungen  zu  Barnabas  c.  15.  Kuenen, 
Der  Stammbaum  des  maso  retischen  Textes  des  A.  T.,  in:  Gesammelte  Ab- 
bandlungen, deutsch  von  Budde,  1894,  8.  82 ff.  Hamburger,  Real-Enz.  für 
Bibel  und  Talmud,  Suppl.  II,  1891,  Art.  „Chiliasmus".  —  Überhaupt  über  die 
Frage:  Wann  kommt  das  Ende?  s.  Volz  S.  162—172.  Bousset  S.  282  f.  — 
Über  die  komplizierten  Berechnungen  der  byzantinischen  Chronographen  s. 
v.  Dobschütz,  Byzantinische  Zeitschr.  Xu,  553  ff. 


620  §  29.   Die  messianische  Hoffnung.  [531.  532] 

konnte  noch  nicht  kommen  wegen  der  Verschuldungen  des  Volkes25. 
—  Dies  letztere  ist  nun  überhaupt,  wenigstens  in  den  streng  ge- 
setzlichen Kreisen,  allgemeine  Anschauung:  der  Messias  kann 
erst  kommen,  wenn  das  Volk  Buße  tut  und  das  Gesetz 
vollkommen  erfüllt  „Wenn  ganz  Israel  zusammen  einen  Tag 
lang  gemeinsam  Buße  täte,  so  würde  die  Erlösung  durch  den 
Messias  erfolgen*4.  „Wenn  Israel  nur  zwei  Sabbathe  hielte,  wie 
es  sich  gebührt,  so  würden  sie  sofort  erlöst"26. 

Die  Art  der  Ankunft  des  Messias  wird  als  eine  plötzliche  vor- 
gestellt: mit  einem  Maie  ist  er  da  und  tritt  als  siegreicher  Herrscher 
auf.  Da  andererseits  vorausgesetzt  wird,  daß  er  als  Sind  in 
Bethlehem  geboren  werde,  so  wird  beides  miteinander  vereinigt 
durch  die  Annahme,  daß  er  zunächst  in  Verborgenheit  leben  und 
dann  plötzlich  aus  der  Verborgenheit  hervortreten  werde27. 
Darum  sagen  die  Juden  im  Evang.  Joh.  7,  27:  6  Xquotos  oxav  bq- 
XVTait  ovöelq  yipcioxei  jco&sv  köriv.  Und  in  Justins  Dialogus 
cum  Tryphone  wird  eben  deshalb  von  dem  Vertreter  der  jüdischen 
Ansicht  die  Möglichkeit  offen  gelassen,  daß  der  Messias  |  bereits 
geboren  und  nur  noch  nicht  geoffenbart  worden  sei28.  Im  jerusa- 
lemischen Talmud  wird  erzählt,  daß  der  Messias  an  dem  Tage, 
da  der  Tempel  zerstört  wurde,  in  Bethlehem  geboren  worden,  aber 
einige  Zeit  darauf  seiner  Mutter  durch  einen  Sturmwind  entführt 
worden  sei29.  Auch  im  Targum  Jonathan  zu  Micha  4,  8  wird  vor- 
ausgesetzt, daß  er  bereits  vorhanden,  aber  noch  verborgen  sei, 
und  zwar  wegen  der  Sünden  des  Volkes.  Bei  Späteren  findet 
sich  die  Ansicht,  daß  er  von  Rom  ausgehen  werde30.    Allgemein 


25)  S.  Delitzsch  und  Weber  a.  a.  O.  (Sanhedrin  97»;  Aboda  sara  9»). 

26)  S.  Weber,  System  S.  333  f.  Doch  vgl.  auch  Livi,  La  diseussion  de 
R.  JosuS  ei  de  R.  ßliexer  sur  les  conditions  de  Vavenement  du  Messie  (Revue 
des  etudes  juives  XXXV'1897,  p.  282 — 285).  Klausner,  Die  messianischen 
Vorstellungen  S.  34-46. 

27)  Vgl.  Lightfoot,  Horae  Hebraieae  zu  Joh.  7,  27.  Qfrörer,  Das  Jahr- 
hundert des  Heils  II,  223—225.  Oehler  in  Herzogs  Real-Enz.  IX,  433  (2.  Aufl. 
IX,  668).  Drummond,  The  Jewish  Messiah  p.  293  sq.  Weber,  System 
S.  342  ff. 

28)  Dial.  c.  Tryph.  c.  8:  Xoiazdq  6h  et  xal  yeyivTjrai  xal  hnt  nov,  äy- 
vwatoq  ioti  xal  oüdh  abzöq  tcw  kavvdv  bclaxaxai  obtih  }%£i  6vvaulv  tiva.  — 
Ibid.  c.  110:  el  6h  xal  iXrjXv&ivai  Xtyovoiv,  oi  yiv&axBtai  üq  iaxiv,  &AX*  dxav 
i/ucpavt/t;  xal  fvctofoc  ytvrjxat,  xoxe  yvwo&^jaexat  dq  toxi,  <paol. 

29)  S.  die  ganze  Stelle  bei  Lightfoot,  Horae  zu  Matth.  2,  1.  Drum- 
mond, The  Jeicish  Messiah  p.  279  sq. 

30)  Targum  Jeruschalmi  zu  Exod.  12,  42,  und  bab.  Sanhedrin  98*.  Letztere 
Stelle  mitgeteilt  in  Delitzschs  Kommentar  zum  Hebraerbrief  S.  117;  bei 
Wünsche,  Die  Leiden  des  Messias  (1870)  S.  57  f.  und  Wünsche,  Der  baby- 
lonische Talmud  II,  3  S.  200. 


[532.  533]  III.  Systematische  Darstellung.  621 

aber  war  der  Glaube,  daß  er  bei  seinem  Auftreten  sich  durch 
Wunder  legitimieren  werde  (Matth.  11,  4  ff.  Luc.  7,  22  ff.  Joh. 
7,  31). 

4.  Letzter  Angriff  der  feindlichen  Mächte31.  Nach  dem 
Erscheinen  des  Messias  werden  sich  die  heidnischen  Mächte  zu 
einem  letzten  Angriff  gegen  ihn  versammeln.  Auch  diese  Erwartung 
war  durch  alttestamentliche  Stellen,  namentlich  durch  Daniel  11, 
nahegelegt.  Am  deutlichsten  findet  sie  sich  ausgesprochen  Orae. 
SibylL  III,  663  sqq.  und  IV  Esra  13,  33  ff.,  auch  Henoch  90,  16,  nur  daß 
es  sich  hier  um  einen  Angriff  nicht  gegen  den  Messias,  sondern 
gegen  die  Gemeinde  Gottes  handelt.  —  Mehrfach  wird  angenommen, 
daß  dieser  letzte  Angriff  erfolgt  unter  Führung  eines  Haupt- 
widersachers des  Messias,  eines  „Antichristus"  (der  Name 
im  Neuen  Testamente  in  den  johanneischen  Briefen  I  Joh.  2, 18.  22; 
4,  3;  II  Joh.  7;  die  Sache:  Apoc.  Baruch.  c.  40.  II  Thess.  2.  Apoc. 
Joh.  13) 32.  In  |  spätrabbinischen  Quellen  kommt  für  diesen  Haupt- 
widersacher  des  Volkes   Israel    der   Name  Armilus   (o^eik), 


31)  S.  Drummond,  The  Jewish  Messiah  p.  296—308.  —  För  das  A.  T.: 
I     Herrn.  Schultz,  Alttestamentliche  Theologie,  2.  Aufl.  1878,   S.  696;  kürzer 
5.  Aufl.  S.  579  f. 

1  32)  Vgl.    Bertholdt,    Ohristoloyia  Judaeorum  p.  69—74.  —  Gesenius, 

Art.  „Antichrist"  in  Ersch  und  Grubers  Enzykl.  Sektion  I,  Bd.  4  (1820) 
8.  292 ff.  —  Böhmer,  Zur  Lehre  vom  Antichrist,  nach  Schueckenburger 
(Jahrbb.  für  deutsche  Theologie  1859,  S.  40.3 — 467). —  Hausrath  in  Schenkels 
Bibeliex.  I,  137  ff.  —  Kahler  in  Herzogs  Real-Enz.  2.  Aufl.  1, 446  ff.  —  Hang, 
Die  biblische  Lehre  vom  Antichrist  (Theol.  Studien  aus  Württemberg  V,  1884, 
8.  188—245,  283-328).  —  Fehr,  Studio,  in  oracula  Sibyttina,  UpsaL  1893, 
p.  53 — 69.  —  Bousset,  Der  Antichrist  in  der  Überlieferung  des  Judentums, 
des  neuen  Testaments  und  der  alten  Kirche,  1895.  —  Sieffert,  Art.  „Anti- 
christ" in  Herzog-Hauck,  Real-Enz.  I,  1896,  S.  577— 584.  — Erbes,  Der  Anti- 
christ in  den  Schriften  des  N.  T.  (Theol.  Arbeiten  aus  dem  rhein.  wissensch. 
Prediger- Verein,  Neue  Folge  1.  Heft  1897,  S.  1—  59).  —  Friedländer,  L'Anti- 
Messie  (Revue  des  Studes  juives  t.  XXXVIII,  1899,  p.  14—37).  Ders.,  Der  Anti- 
christ in  den  vorchristlichen  jüdischen  Quellen,  1901.  —  Charles,  The  Ascen- 
sion  of  Isajah  1900,  p.  LI— LXXIII.  —  L.  Ginxberg,  Art.  Antichrist  in:  The 
Jewish  Eneyelopedia  I,  625—627.  —  Geffcken,  Die  Sage  vom  Antichrist 
(Preuß.  Jahrbb.  Bd.  102,  1900,  S.  385—399).  —  Bousset,  Die  Religion  des 
Judentums  2.  Aufl.  S.  291—294.  —  Die  Ausleger  zu  II.  Thcss.  c.  2,  bes.  Bor- 
nemann in  Meyers  Kommentar  über  das  N.  T.  X,  5.-6.  Aufl.  1894,  S.  348— 
382  u.  400—459.  —  Neumann,  Hippolytus  von  Rom  1902,  S.  1-61.  —  Für 
die  Geschichte  der  christlichen  Lehre  ist  das  Hauptwerk:  Malvenda,  De 
Antichrist o,  Romae  1604.  Vgl.  auch:  Wadstein,  Die  eschatologische  Ideen- 
grappe: Antichrist  Weltsabbat  Weltende  und  Weltgericht  in  den  Haupt- 
momenten ihrer  christlich -mittelalterlichen  Gesamtentwicklung  (Zeitschr. 
für  wissensch.  Theol.  1895,  S.  538-616.  1896,  S.  79-157,  251—293,  auch 
separat). 


622  §  2a   Die  messianische  Hoffirang.  [533.  534] 

cL  h.  Roma  las.  vor";  griechisch  korrumpiert  'EQpoXaog**.  Aach 
das  Wiederauftreten  von  Gog  und  Magog  wird  a&f  Grund  voa 
Ezceh.  c.  38—39  erwartet,  doch  in  der  Regel  erst  nach  Ablauf  des 
messianischen  Beiches  als  letzte  Manifestation  der  widergöttlichen 
Mächte  (Apoc.  Joh.  20,  8—9) 35. 

5.  Vernichtung  der  feindlichen  Mächte35.  Die  Vernich- 
tung der  feindlichen  Mächte  «-folgt  nach  der  alttestamentlichen 
Weissagung  durch  ein  gewaltiges  Strafgericht,  welches  Gott  selbst 
über  seine  Widersacher  hereinbrechen  läßt37.  Am  treuesten  ist 
diese  Anschauung  festgehalten  in  der  Assumptio  Mosis,  deren  10.  Ka- 
pitel mehrfach  an  Jod  «.3—4  erinnert  Hiermit  am  nächsten  ver- 
wandt ist  die  Darstellung  in  der  Grundschrift  des  Buches  Henoch.  j 
insofern  auch  hier  Gott  selbst  die  Macht  der  heidnischen  Völker 


33)  Buztorf,  Lex.  Chaid.  coL  221—224  s.v.  onV'r-'.x —  Eisenmenge  r, 
Entdecktes  Judenümm  (1700)  11,  704—715.  —  Zunz,  Die  gottesdienstlichen 
Vortrage  der  Jaden  8.  282,  auch  S.  130,  140.  —  Jellinek,  Bet  ha-Midrasch, 
Vorbemerkungen  zu  B<L  I,  ET,  m  (daselbst  I,  35—57,  n,  54-63,  UI,  65—68, 
7S— 82  verschiedene  Texte  über  Armilus).  —  Levy,  Chald.  Wörtern.  I,  66 
(zu  den  Targum-Stellen  s.  auch :  Zeitachr.  für  wissensch.  TheoL  1888,  8. 48).  — 
Hamburger,  Real-Enz.  n,  72t:  (Art  „Armilus").  —  Castelli,  II  Messia 
p.  239 sqq.  —  Nöldeke,  Zeitschr.  der  DMG.  Bd.  39,  1885,  S.  343,  in  der  Be- 
sprechung von  Mommsens  römischer  Geschichte  („Das  ist  einfach  <PmuvXo<;1 
der  auch  syrisch  in  der  Schreibung  Dixbr-ü<  vorkommt  [Lagarde  Ana/.  203,  3J; 
Romains  ist  hier  der  Vertreter  Borns";  ebenso  Zunz,  Die  gottesdiensü.  Vor- 
trage 8.  282,  der  auch  rabbinische  Stellen  über  Bomulus  und  Remus  nach- 
weist). —  Dal  man,  Der  leidende  und  der  sterbende  Messias  der  Synagoge 
1888,  S.  13 £  —  Bousset,  Der  Antichrist  8.  66 ff.  —  Kaufmann,  Bez.  von 
Boussets  Antichrist,  in  der  Monatsschr.  f.  Gesch.  und  Wissensch.  des  Judent 
Bd.  40,  1896,  S.  134  ff.  (lehnt  die  Gleichung  Ärmüus  =  Bomuhts  ab).  —  S. 
Krauß,  Griech.  und  lat  Lehnwörter  I,  241—243,  U,  132.  —  L.  Oinxberg, 
Art.  Armilus  in :  The  Jetcish  Eneyelopedia  II,  19G2,  p.  118—120. 

34)  So  z.B.  in  der  JiSaaxakia  'laxwßov  veoßa7txiaxovf  heransg.  von  Bon  - 
wetsch,  Nachrichten  der  Göttinger  Gesellsch.  der  Wissensch.,  phil.-hißt.  Kl. 
1899,  S.  418.  431.  439. 

35)  Vgl.  Orac.  Sibyll.  III,  319  sqq.  512  sqq.  Mischna  Edujoth  II,  10.  —  Die 
Kommentare  zu  Apoc.  Joh.  20,  8—9.  —  Die  Artikel  über  Gog  und  Magog 
in  den  biblischen  Wörterbüchern  (Winer,  Schenkel,  Riehm);  und  in  Her- 
zog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  VI,  761—763  (von  Orelli).  —  Uhlemann, 
Über  Gog  und  Magog  (Zeitschr.  f.  wissenschaftl.  Theol.  1862,  S.  265-286).  — 
Böhmer,  Wer  ist  Gog  von  Magog?  (Zeitschr.  f.  wiss.  Theol.  1897,  8.  321— 
äoö).  —  Benan,  Der  Antichrist  S.  356.  —  Weber,  System  S.  369ff.  — 
Bousset,  Zeitschr.  f.  Kirchengesch.  XX,  1900,  S.  113—131.  Der*.,  Die  Re- 
ligion des  Judentums  S.  251 — 253.  —  Klausner,  Die  messianischen  Vorstel- 
lungen S.  99  ff 

36)  Vgl.  Gfrörer,  Das  Jahrhundert  des  Heils  II,  232— 234.— Bousset, 
™-  Religion  des  Judentums  8.  253—255. 

M)  8.  überhaupt:  Knobel,  Der  Prophetismus  der  Hebräer  I,  325  t 


[534]  III.  Systematische  Darstellung.  623 

vernichtet  (90,  18—19),  und  dann  das  Gericht  hält,  bei  welchem 
jedoch  nur  die  abgefallenen  und  ungehorsamen  Engel  und  die  ab- 
trünnigen Israeliten  (die  verblendeten  Schafe)  gerichtet  werden 
(90,  20—27),  während  die  übriggebliebenen  Heidenvölker  der  Ge- 
meinde Glottes  sich  unterwerfen  (90,  30).  Der  Messias,  der  in  der 
AssumpHo  Mosis  überhaupt  fehlt,  erscheint  hier  erst  nach  dem  Ge- 
richte (90,  37).  Beiden  ist  also  gemeinsam,  daß  Gott  selbst  das 
Gericht  hält.  Dief  gewöhnliche  Anschauung  aber  war,  daß  der 
Messias  die  feindlichen  Mächte  vernichten  werde.  Schon  in  der 
ältesten  Sibylle  (III,  652  ff.)  tritt  er  auf,  um  „allem  Krieg  auf  Erden 
ein  Ende  zu  machen,  die  einen  tötend,  den  andern  die  gegebenen 
Verheißungen  erfüllend".  Bei  Philo  (De  praem.  et  poen.  §  16)  heißt 
es  von  ihm,  daß  er  „zu  Felde  zieht  und  Krieg  führt  und  große 
und  volkreiche  Nationen  bezwingen  wird".  Noch  deutlicher  er- 
scheint er  im  PscUterium  Salomonis  als  Besieger  der  heidnischen 
Widersacher  des  Volkes  Gottes,  und  es  verdient  hier  besonders 
beachtet  zu  werden,  daß  er  durch  das  bloße  Wort  seines  Mundes 
(h  Xoycp  ötofiarog  avrov,  nach  Jes.  11,  4)  seine  Feinde  darnieder- 
wirft (XVII,  27.  39).  Im  Einklang  mit  diesen  älteren  Vorbildern 
wird  dann  namentlich  in  der  Apokalypse  Baruchs  und  im  vierten 
Buche  Esra  die  Vernichtung  der  heidnischen  Weltmächte  als  das 
erste  Geschäft  des  erschienenen  Messias  dargestellt  (Apocal.  Baruck. 
39,  7—40,  2.  70,  9.  72,  2-6.  IV  Esra  12,  32—33.  13,  27—28. 
35—38).  .Hierbei  waltet  jedoch  der  Unterschied  ob,  daß  nach  dem 
vierten  Buche  Esra  diese  Vernichtung  ausschließlich  durch  einen 
Richterspruch  des  Gesalbten  Gottes  erfolgt  (13,  28:  non  tenebat 
frameam  neque  vas  betticosum,  13,  38:  perdet  eos  sine  labore  per  legem), 

während  in  der  Apokalypse  Baruchs  zwar  auch  von  forensischen 
Formen,  zugleich  aber  auch  von  Kriegswerkzeug  die  Rede  ist 
(ersteres  40,  1—2,  letzteres  72,  6). 

Noch  bestimmter  als  im  vierten  Buche  Esra  wird  in  den  Bilder- 
reden des  Buches  Henoch  das  Gericht  des  Messias  über  die 
widergöttliche  Welt  als  ein  rein  forensisches  geschildert 
Es  hängt  das  zusammen  mit  der  Auffassung  vom  Wesen  des  Messias, 
welche  in  diesen  Apokalypsen  herrscht.  Er  ist  nicht  ein  mächtiger 
Krieger,  sondern  ein  vom  Himmel  herabkommendes  übermensch- 
liches Wesen.  So  vollzieht  er  die  Strafe  an  den  Feinden  der  Ge- 
meinde Gottes  nicht  als  Kriegsheld,  sondern  als  von  Gott 
eingesetzter  Richter.  Zwar  klingen  auch  hier  noch  die  kriege- 
rischen Töne  an.  Es  wird  Kap.  46,  4—6  von  dem  Menschensohn 
gesagt,  daß  er  die  Könige  und  Mächtigen  aufscheucht  von  ihren 
Lagern  und  die  Zäume  der  Gewaltigen  löst  und  die  Zähne  der 
Sünder  zermalmt;  daß  er  die  Könige  von  ihren  Thronen  und  aus 


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624  §  29.   Die  messiamsche  Hoffnung.  [534.  535] 

ihren  Reichen  verstößt;  und  Kap.  52,  4—9:  daß  nichts  auf  Erden 
vor  seiner  Macht  standzuhalten  vermag.  „Es  wird  kein  Eisen 
geben  für  den  Krieg,  noch  Zeug  zum  Brustpanzer;  Erz  wird  nichts 
nützen,  und  Zinn  wird  nichts  nützen,  und  nichts  gelten,  und  |  Blei 
wird  nicht  begehrt  werden".  Aber  eben  hieraus  sieht  man,  daß 
es  sich  nicht  um  Kampf,  sondern  um  Vernichtung  der  Feinde  durch 
höhere  Gewalt  handelt  Und  so  wird  denn  durchweg  die  Funktion 
des  Messias  als  die  eines  souveränen  Richters  geschildert  Er  ist 
dazu  befähigt  als  der,  der  den  Geist  der  Weisheit  und  der  Ein- 
sicht hat;  er  wird  das  Verborgene  richten,  und  niemand  wird 
vor  ihm  unnütze  Reden  führen  können  (49,  3—4).  Er,  der  Aus- 
erwählte, der  Menschensohn,  wird  sitzen  auf  dem  Throne  seiner 
Herrlichkeit,  auf  welchen  Gott  ihn  setzt,  um  Gericht  zu  halten 
über  die  Menschen  und  über  die  Engel  (45,  3.  51,  3.  55,  4.  61, 
8—10).  Am  eingehendsten  sind  die  Schilderungen  c  62  und  69. 
Der  Herr  der  Geister  setzt  ihn  [so  ist  statt  „saß"  wohl  zu  lesen] 
auf  den  Thron  seiner  Herrlichkeit.  Und  die  Rede  seines  Mundes 
tötet  alle  Sünder,  und  alle  Ungerechten  werden  vor  seinem  Antlitz 
vernichtet  (62,  2).  Und  die  Könige  und  Mächtigen  der  Erde,  wenn 
sie  ihn  sehen,  werden  in  Furcht  und  Schrecken  geraten  und  ihn 
rühmen  und  preisen  und  anflehen  und  Barmherzigkeit  von  ihm 
erbitten  (62,  4—9).  Aber  der  Herr  der  Geister  wird  sie  drängen, 
daß  sie  eilends  hinweggehen  vor  seinem  Angesicht;  und  ihre  An- 
gesichter werden  mit  Schande  erfüllt  werden,  und  Finsternis  wird 
man  darauf  häufen.  Und  die  Strafengel  werden  sie  in  Empfang 
nehmen,  um  Vergeltung  an  ihnen  zu  üben  dafür,  daß  sie  seine 
Kinder  und  Auserwählten  mißhandelt  haben  (62,  10—11).  In  der 
anderen  Schilderung  (&  69)  heißt  es:  Er  setzte  sich  auf  den  Thron 
seiner  Herrlichkeit  und  die  Summe  des  Gerichts  ward  ihm,  dem 
Menschensohne,  übergeben,  und  er  läßt  verschwinden  und  vertilgt 
die  Sünde  vom  Antlitz  der  Erde  und  die,  welche  die  Welt  verfahrt 
haben.  Mit  Ketten  werden  sie  gebunden  und  an  ihrem  dem  Ver- 
derben geweihten  Versammlungsorte  eingeschlossen  werden,  und 
all  ihr  Werk  wird  verschwinden  vom  Antlitz  der  Erda  Und  von 
nun  an  wird  es  nichts  Verderbtes  mehr  geben  (69,  27—29). 

In  den  Targumen  finden  wir  wieder  die  Vorstellung,  daß  der 
Messias  als  ein  mächtiger  Kriegsheld  seine  Feinde  im  Kampfe  be- 
siegt So  bei  Jonathan  zu  Jesaja  10,  27:  „Zermalmt  werden  die 
Völker  durch  den  Messias";  und  besonders  Pseudo-Jonathan  und 
Jeruschalmi  zu  Genesis  49,  1 1 :  „Wie  schön  ist  der  König  Messias, 
der  aufstehen  wird  aus  dem  Hause  Juda.  Er  gürtet  seine  Lenden 
und  tritt  auf  den  Plan  und  ordnet  die  Schlacht  gegen  seine  Feinde 
und  tötet  Könige".   Man  sieht  eben,  daß  die  allen  gemeinsame  Idee 


I 


[535.  536]  III.  Systematische  Darstellung.  625 

einer  Vernichtung  der  widergöttlichen  Mächte  durch  den  Messias 
im  einzelnen  sich  sehr  verschiedenartig  gestaltet38.  —  Erst  nach 
Vernichtung  der  Gottlosen  kann  nun  die  |  messianische  Zeit  ein- 
treten. Denn  „so  lange  die  Frevler  in  der  Welt  sind,  so  lange 
dauert  Gottes  Zorn;  sowie  sie  aber  von  der  Welt  schwinden,  weicht 
auch  der  göttliche  Zorn  von  der  Welt**39. 

6.  Erneuerung  Jerusalems40.  Da  das  messianische  Reich 
im  heiligen  Lande  aufgerichtet  wird  (vgl  z.  B.  IV  Esra  9,  8),  muß 
vor  allem  Jerusalem  selbst  erneuert  werden.  Es  wurde  dies  aber 
in  verschiedener  Weise  erwartet   Am  einfachsten  in  der  Art,  daß 

38)  In  einer  Barajtha  {bab.  Sukka  52a)  ist  von  einem  „Messias  Sohn 
Josephs"  die  Rede,  von  welchem  nur  gesagt  wird,  daß  er  getödtet  wird, 
während  dem  Messias  Sohn  Davids  das  Leben  verheißen  wird.  Eben  dort 
(Sukka  52a)  wird  auch  Saeharja  12, 10  auf  ihn  bezogen,  ohne  daß  über  Grund 
und  Art  seines  Todes  Näheres  gesagt  würde.  In  jüngeren  Quellen  wird 
diesem  untergeordneten  Messias,  der  auch  „Messias  Sohn  Ephraims" 
heißt,  die  Aufgabe  zugeschrieben,  die  Hauptfeinde  des  Volkes  Gottes  zu  be- 
siegen. Die  Entstehung  dieser  ganzen  Vorstellung  liegt  im  Dunkel.  Viel- 
leicht ist  sie  aus  der  Doppelnatur  und  Doppelaufgabe  des  Messias  (kriege- 
rischer Held  und  Bringer  des  Heils)  entsprungen,  die  man  auf  zwei  Personen 
verteilte:  der  eine  kämpft  und  fallt  im  Kampf,  der  andere,  der  als  der  Heilige 
dafür  zu  hoch  steht,  bringt  nur  das  Heil.  Während  letzterer  aus  Davids 
Geschlecht  stammt,  ließ  man  jenen  aus  dem  Stamme  Joseph  oder  Ephraim 
hervorgehen  (so  Klausner).  Dalman  hält  Deut.  33, 17  für  die  Quelle  der  Vor- 
stellung, Rabinsohn  leitet  sie  aus  Saeharja  12,  10  ab.  Als  Messias  der  zehn 
Stämme  wird  er  nirgends  beschrieben;  ebensowenig  ist  sein  Tod  als  sühnender 
gedacht.  Vgl.  überhaupt:  Bertholdt,  Ghristologia  Judaeorum  p.  75—81.  De 
Wette,  Opu8cida  p.  108  sqq.  (in  der  Abhandlung  De  morte  Jesu  Ghristi  expia- 
toria).  Gfrörer,  Das  Jahrhundert  des  Heils  H,  258 ff.  Beer,  Zeitschr.  der 
DMG.  IX,  1855,  S.  791  ff.  (in  den  Beiträgen  zu  der  Alexandersage).  Oehler 
in  Herzogs  Real-Enz.  IX,  440  (2.  Aufl.  IX,  669 f.).  Wünsche,  Die  Leiden 
des  Messias  S.  109—121.  Gastelli,  II  Messia  p.  224-236,  U2sqq.  Drum- 
mond,  The  Jewish  Messiah  p.  356  sqq.  Weber,  System  S.  346  f.  Hamburger, 
Real-Enz.  H,  767—770  (Art.  „Messias  Sohn  Joseph").  E.  G.  King,  The  Yalkuth 
on  Zechariah,  translaied  wüh  Notes  and  Appendices,  1882,  Appendix  A,  p.  85 — 108 : 
on  Messiah  ben  Joseph  (zitiert  von  Stanton  p.  XH).  Dalman,  Der  leidende  und 
der  sterbende  Messias  der  Synagoge,  1888,  S.  1— 26.  Hamburger,  Real-Enz. 
Suppl.  II,  1891,  S.  112  f.  (in  dem  Art.:  Messianische  Bibelstellen).  Klausner, 
Die  messianischen  Vorstellungen  des  jüdischen  Volkes  S.  86 — 99.  Bonsset, 
Die  Religion  des  Judentums  2.  Aufl.  S.  264 — 266.  Rabinsohn,  Le  Messia- 
nisme  p.  66 — 78. 

39)  Misehna  Sanhedrin  X,  6  fin. 

40)  Vgl.  Schoettgen,  De  Hierosolyma  coelesti  (Horae  Hebraicael,  1205 — 
1248).  —  Meuschen,  Nov.  Test  ex  Talmude  iUustratum  p.  199 sq.  —  Wetstein, 
Nov.  Test.,  zu  Oal.  4,  26.  —  Eisenmenger,  Entdecktes  Juden thum  H,  839  ff. 
—  Bertholdt,  Ghristologia  Judaeorum  p.  217 — 221.  —  Gfrörer,  Das  Jahr- 
hundert des  Heus  II,  245  ff.  308.  —  Weber,  System  S.  356  ff.  —  Volz  S.  334 
—339.  — BoussetS.  273—275. 

Schür  er,  Geschichte  II.   4.  Aufl*  40 


V     • 


626  §  29.    Die  messianische  Hoffnung.  [536.  537] 

man  nur  eine  Reinigung  der  heiligen  Stadt,  namentlich  „von  den 
Heiden,  die  sie  jetzt  zertreten",  erwartete  (Psalt  Salom.  XVII,  25.  33), 
was  sich  nach  der  Zerstörung  Jerusalems  zu  einer  Hoffnung  der 
Wiedererbauung  gestaltete,  und  zwar  der  Wiedererbauung  „zu 
einem  ewigen  Bau"  (Schmone  Esre,  14.  ßeracha).  Daneben  aber 
findet  sich  auch  die  Anschauung,  daß  schon  in  der  vormessianischen 
Zeit  ein  viel  herrlicheres  Jerusalem,  als  das  irdische  ist,  bei  Gott 
im  Himmel  vorhanden  sei,  und  daß  dieses  beim  Anbruch  der  mes- 
sianischen  Zeit  auf  die  Erde  herabkommen  werde.  Die  alttestament- 
liche  Grundlage  dieser  Anschauung  ist  besonders  Ezechiel  40 — 48, 
auch  Jes.  54,  11  ff.  c.  60.  Haggai  2,  7—9.  Sacharja  2,  6—17,  indem 
man  das  an  diesen  Stellen  beschriebene  neue  Jerusalem  als  jetzt 
schon  im  Himmel  vorhanden  dachte.  Bekanntlich  ist  auch  im 
Neuen  Testamente  öfters  von  diesem  avm  €IeQovaakrjfi  (Gal  4,  26), 
^IsQovöaXfjfi  kxovQavioq  (Hebr.  12,  22),  xaivrj  'isQovoaXrjfi  (ApocaL 
3,  12.  21,  2.  10)  die  Rede;  vgl.  auch  Test.  Dan.  c.  5:  r\  via  Vepov- 
oaXrjti.  Nach  der  Apokalypse  Baruchs  stand  dieses  himmlische 
Jerusalem  ursprünglich,  ehe  Adam  sündigte,  im  Paradiese.  Als  er 
aber  Gottes  Gebot  übertrat,  wurde  es  von  ihm  genommen  und  im 
Himmel  aufbewahrt,  wie  auch  das  Paradies.  Später  wurde  es  dem 
Abraham  im  nächtlichen  Gesichte  gezeigt,  und  ebenso  dem  Moses 
auf  dem  Berge  Sinai  (Apoc.  Baruch.  4,  2—6).  Auch  Esra  sah  es 
im  Gesichte  (IV  Esra  10,  44—59).  Dieses  neue  und  herrliche  Je- 
rusalem wird  also  auf  Erden  erscheinen  an  der  Stelle  des  alten, 
und  seine  Pracht  und  Schönheit  wird  die  des  alten  um  vieles  über- 
treffen (Ilenoch  53,  6.  90,  28—29.  IV  Esra  7,  26.  Vgl.  auch  Apoca!. 
Baruch.  32,  4).  Die  Fortdauer  dieser  Hoffnung  in  ihrer  sinnlichen 
Realität  ist  auch  durch  Hieronymus  bezeugt,  der  sie  seinerseits 
als  eine  jüdische  und  judenchristliche  heftig  bekämpft41. 

7.  Sammlung  der  Zerstreuten42.  Daß  an  dem  messiani- 
schen  Beiche  auch  die  Zerstreuten  Israels  teil  haben  und  zu  diesem 
Zwecke  nach  Palästina  zurückkehren  würden,  war  so  selbstver- 


41)  Hieronymus,  Comment.  in  Jes.  49,  14  (opp.  ed.  Vallarsi  IV,  570):  Je- 
rusalem, quam  Judaei  et  nostri  Judaixantcs  juxta  apocalypsim  Joarmis,  quam 
non  intelligunt,  putant  auream  atque  gemmatam  de  coeiestibus  ponendam,  cujus 
terminos  et  infinitam  latitudinem  etiam  in  Exechielis  ultima  parte  describi. 
Ähnlich  comment  in  Exech.  36  ( Vallarsi  V,  422),  comment.  in  Jod  3,  16  ( Val- 
larsi VI,  214). 

42)  Vgl.  Gfrörer,  Das  Jahrhundert  des  Heils  II,  235—238.  —  Volz, 
Jüdische  Eschatologie  S.  309— 312.  341.  —  Klausner,  Die  messianischen  Vor- 
stellungen des  jüdischen  Volkes  S.  75 — 85.  —  Bousset,  Die  Religion  des 
Judentums  S.  271  f. —  Die  Reihenfolge:  1)  Erneuerung  Jerusalems,  2)  Samm- 
lung der  Zerstreuten,  nach  dem  Sohar  bei  Gfrörer  II,  217  oben. 


[537.  538]  IIL  Systematische  Darstellung.  627 

ständlich,  daß  man  auch  ohne  die  bestimmten  Weissagungen  des 
Alten  Testamentes  diese  Hoffnung  gehegt  haben  würde.  Selbst 
Jesus  Sirach  betet:  „Sammle  alle  Stämme  Jakobs,  damit  sie  ihr 
Erbe  einnehmen  wie  vorlängst"  (33,  13a  +  36,  16b;  über  den  nur 
im  Hebr.  stehenden  Preis  Gottes  als  dessen,  „der  die  Zerstreuten 
Israels  sammelt"  51,  12,  6,  s.  oben  S.  591  f.).  In  poetischer  Weise 
schildert  das  Psalterium  ScUomonis  (Ps.  XI),  wie  vom  Abend  und 
Morgen,  vom  Norden  und  von  den  Inseln  her  die  Zerstreuten  Israels 
sich  sammeln  und  nach  Jerusalem  ziehen.  Zum  Teil  wörtlich  da- 
mit übereinstimmend  äußert  sich  das  griechische  Buch  Baruch 
(4,  36—37.  5,  5—9).  Philo  sieht  die  Zerstreuten  unter  Führung 
einer  göttlichen  Erscheinung  von  überall  her  nach  Jerusalem  ziehen 
(De  exsecrationibus  §  8—9).  Auch  die  Weissagung  des  Jesaja,  daß 
die  Heidenvölker  selbst  die  Zerstreuten  als  Opfergaben  zum  Tempel 
zurückbringen  werden  (Jes.  49,  22.  60,  4.  9.  66,  20),  kehrt  im 
Psalterium  Sabmonis  wieder  (XVII,  34),  während  gleichzeitig  die 
Sammlung  auch  als  Werk  des  Messias  dargestellt  wird  (Psalt.  Salom. 
XVII,  28.  Targum  Jonathan  zu  Jerem.  33,  13).  Nach  dem  vierten 
Buche  Esra  sind  die  zehn  Stämme  in  ein  bis  dahin  unbewohntes 
Land  namens  Arzareth  (so  die  lateinische  Version)  oder  Arxaph 
(finis  mundi,  so  die  syrische  Version)  gezogen,  um  dort  ihre  Gesetze 
zu  beobachten43.  Von  da  werden  sie  beim  Anbruch  der  messia- 
nischen  Zeit  wieder  zurückkehren;  |  und  der  Höchste  wird  die 
Quellen  des  Euphrat  verstopfen,  damit  sie  herüber  können  (IV  Esra 
13,  39—47).  Bei  der  Allgemeinheit  der  Hoffnung  auf  Sammlung 
der  Zerstreuten  ist  es  auffallend,  daß  überhaupt  von  Einzelnen  die 
Kückkehr  der  zehn  Stämme  bezweifelt  wurde44.    Aber  aus  der 


43)  Arxareth  ist  =  mn&t  "pa,  terra  alia  (IV  Esra  13,  40);  der  hebräische 
Ausdruck  Deut.  29,  27,  welche  Stelle  in  der  Mischna  Sanhedrin  X,  3  auf  die 
zehn  Stamme  bezogen  wird  (».  die  folgende  Anmerkung).  Diese  zweifellos 
richtige  Erklärung  hat  zuerst  Schiller-Szinessy  gegeben  (Journal  of  Phi- 
lology,  vol.  III,  1870);  hiernach  Bensly,  The  missing  fragment  of  the  latin 
translation  of  the  fourth  book  of  Exra  (1875)  p.  23  Anm. 

44)  Sanhedrin  X,  3  fin.:  „Die  zehn  Stämme  kommen  niemals  mehr  zu- 
rück, denn  es  heißt  von  ihnen  (Deut.  29,  27):  Er  wird  sie  in  ein  anderes  Land 
schleudern  wie  diesen  Tag.  Also  wie  dieser  Tag  dahin  geht  und  nicht  wieder- 
kehrt, so  sollen  sie  auch  dahingehen  und  nicht  wiederkehren.  So  R.  Akiba. 
R.  Elieser  aber  sagt:  Wie  der  Tag  finster  und  wieder  hell  wird,  so  wird  den 
zehn  Stämmen,  denen  es  finster  ward,  auch  einst  wieder  Licht  werden".  — 
Die  Tradition  schwankt  übrigens  hinsichtlich  der  Autoritäten,  welche  diese 
Sätze  vertreten.  In  den  Aboth  de-Rabbi  Nathan  wird  die  letztere  (gunstige) 
Ansicht  dem  R.  Akiba,  die  ungünstige  dem  R.  Simon  ben  Jochai  zugeschrieben. 
Andere  haben  wieder  anders.  S.  das  Genauere  bei  Bacher,  Monatsschr.  für 
Gesch.  und  Wissensch.  des  Judenth.  1882,  S.  354  f.  =  Die  Agada  der  Tan- 
naiten  I,  143  f.  2.  Aufl.  I  137  f.;  vgl.  ebendas.  II,  145.  472. 

40* 


628  §  29«   Die  messianische  Hoffnung.  [538.  539J 

täglichen  Bitte  des  Schmone  Esre  (10.  Beracha):  „Erhebe  ein 
Panier,  um  zn  sammeln  unsere  Zerstreuten,  und  versammele  uns 
von  den  vier  Enden  der  Erdett  ersieht  man,  daß  solche  Zweifel 
doch  nur  vereinzelt  waren45. 

8.  Das  Reich  der  Herrlichkeit  in  Palästina.  Das  nun- 
mehr anbrechende  messianische  Reich  hat  zwar  den  messianischen 
König  an  seiner  Spitze.  Aber  sein  oberster  Beherrscher  ist  doch 
Gott  selbst  (vgl.  z.  B.  Orac.  Sibyü.  III,  704—706.  717.  756-759.  PsalL 
Salom.  XVII,  1.  38.  51.  Schmone  Esre,  11.  Beracha.  Joseph.  Bell 
Jud.  II,  8,  1).  Mit  der  Aufrichtung  dieses  Reiches  wird  also 
die  Idee  des  Königtums  Gottes  über  Israel  zur  vollen 
Wirklichkeit  und  Wahrheit  Gott  ist  freilich  auch  jetzt  schon 
Israels  König.  Aber  er  übt  sein  Königtum  nicht  in  vollem  Um- 
fange aus,  hat  vielmehr  zeitweilig  sein  Volk  den  heidnischen  Welt- 
mächten preisgegeben,  um  es  zu  züchtigen  wegen  seiner  Sünden. 
In  dem  herrlichen  Zukunftsreiche  aber  nimmt  er  selbst  wieder 
das  Regiment  in  die  Hand.  Daher  heißt  es  im  Gegensatz  zu  den 
heidnischen  Weltreichen  das  Reich  Gottes  (ßaotZela  rov  teov, 
im  Neuen  Testamente  namentlich  bei  Marcus  und  Lucas.  Sibyü. 
III,  47 — 48:  ßaoiXela  (leyloxi]  afrapaxov  ßaöilrjog.  Vgl.  Psali.  Salom. 
XVII,  4.  Assumptio  Mosis  10, 1.  3)46.  Gleichj bedeutend  hiermit  ist 
der  bei  Matthäus  vorkommende  Ausdruck  ßaoiXela  x&v  ovqclvoov 
„Reich  des  Himmels**  4l    Denn  „der  Himmel**  ist  hier  nach  einem 


45)  Für  die  spätere  Zeit  vgl.  Hieronymus,  comm.  in  Joel  3,  7  {ppp.  ed. 
Vaüarsi  VI,  210) :  Promittunt  ergo  sibi  Judaei  immo  somniant,  quod  in  ultimo 
tempore  congregentur  a  Domino  et  reducantur  in  Jerusalem.  Nee  hac  felieitate 
contentiy  ipsum  Deum  suis  manibus  Romanorum  filios  et  filias  asserunt  tradi- 
turum,  ut  vendant  eos  Judaei  non  Persis  et  Aethiopibus  et  caeteris  nationibus 
quae  vicinae  sunt,  sed  Sabaeis,  genti  longissimae.  —  Auf  christlichem  Gebiete 
vgl.  bes.  Oommodian.  Carmen  apologet.  952 — 985. 

46)  Vgl.  über  die  Idee  des  „Königtums  Gottes":  Dal  man,  Die  Worte 
Jesu  S.  75—119.  Volz,  Jüdische  Eschatologie  S.  298—305.  Bousset,  Die 
Religion  des  Judentums  S.  245  ff. 

47)  Vgl.  über  diesen  Ausdruck  überhaupt:  Sekoettgenf  De  regno  coe- 
lorum  (Horae  Hebraicae  1, 1147 — 1152).  —  Lightfoot,  Horae  zu  Matth.  3,  2. — 
Wetstein,  Nov.  Test.,  zu  Matth.  3,  2.  —  Bertholdt,  Christologia  Judaeorum 
p.  187—192.  —  De  Wette,  Biblische  Dogmatik  S.  175—177.  —  Tholuck, 
Bergpredigt  8.  6b'  f. —  Fritxsehe}  Evangelium  Matthaei  p.  109  sqq.  (woselbst 
noch  mehr  Literatur).  —  Kuinoel  zu  Matth.  3,  2.  Überhaupt  die  Kommen- 
tare zu  Matth.  3,  2.  —  Wichelhaus,  Commentar  zu  der  Leidensgeschichte 
(1855)  8.  284 ff.  —  Keim,  Gesch.  Jesu  II,  33  ff.  —  Schürer,  Der  Begriff  des 
Himmelreiches  aus  jüdischen  Quellen  erläutert  (Jahrbb.  für  prot  Theol.  1876, 
8.  166—187).  —  Crem  er,  Bibl.-theol.  Wörterb.  s.  v.  ßaaiXela.  Hierzu  Theol. 
Litztg.  1883,  581.  —  Edersheim}  The  life  and  times  of  Jesus  (he  Messiah  I, 
266—268.  —  Dalman,  Die  Worte  Jesu  8.  75 f.  178 f. 


[539.  540]  III.  Systematische  Darstellung.  629 

sehr  gangbaren  jüdischen  Sprachgebrauch  metonymische  Bezeich- 
nung Gottes,  Es  ist  das  Reich,  welches  nicht  von  irdischen  Mächten, 
sondern  vom  Himmel  regiert  wird48. 

Den  Mittelpunkt  dieses  Eeiches  bildet  das  heilige  Land 
„Das  Land  ererben"  ist  daher  so  viel  wie  am  messianischen  Reiche 
teil  haben49.  Es  zeigt  sich  hier,  wie  entscheidend  die  alte  pro- 
phetische Hoffnung  auch  die  spätere  Zukunftshoffnung  bestimmt 
hat:  das  vollendete  Grottesreich  ist  auch  jetzt  noch  ein  nationales 
Reich  des  Volkes  Israel50.  Aber  es  ist  nicht  auf  die  Grenzen 
Palästinas  beschränkt;  vielmehr  wird  es  in  der  Regel  in  irgend- 
einer Weise  als  |  die  ganze  Welt  umfassend  gedacht61.  Schon 
im  Alten  Testamente  ist  ja  geweissagt,  daß  auch  die  Heidenvölker 
den  Gott  Israels  als  obersten  Richter  anerkennen  (Jesaja  2,  2  ff. 
Micha  4,  1  ff.  7,  16  f.)  und  sich  zu  ihm  bekehren  werden  (Jesaja  42, 
1—6.  49,  6.  51,  4—5.  Jerem.3,  17.  16,  19 f.  Zeph.2,  11.  3,  9.  Sacharja 
8,  20  ff.),  und  darum  auch  in  die  Theokratie  werden  aufgenommen 


48)  Wie  geläufig  diese  Metonymie  dem  Judentum  zur  Zeit  Christi  war, 
habe  ich  in  der  angeführten  Abhandlung  (Jahrbb.  für  prot.  Theol.  1876, 166  ff.) 
nachgewiesen;  vgl.  auch  Landau,  Die  dem  Räume  entnommenen  Synonyma 
für  Gott  in  der  neu-hebräischen  Litteratur.  1888,  S.  14 — 28.  Sehr  oft  kommt 
namentlich  auch  die  Formel  D^attj  ntoio  vor,  allerdings  in  der  Hegel  nicht  in 
der  Bedeutung  „Reich  des  Himmels",  sondern  als  abstractum  „das  Königtum, 
das  Regiment  des  Himmels",  d.  h.  die  Herrschaft  Gottes  (z.  B.  Mischna  Bera- 
choth  n,  2.  5).  Gerade  hier  kann  aber  kein  Zweifel  sein,  daß  D^aiö  metony- 
misch für  „Gott"  steht.  Um  so  seltsamer  ist  es,  die  Richtigkeit  dieser  Fassung 
für  diejenigen  Fälle  zu  bestreiten,  wo  ßaoiXela  als  conoretum  steht  (in  der  Be- 
deutung „Reich");  denn  der  Genetiv  xwv  oboavibv  bleibt  ja  derselbe,  ob  nun 
ßaatXela  „das  Königtum"  oder  „das  Reich"  bedeutet.  Wenn  zufällig  in  der 
rabbinischen  Literatur  der  Ausdruck  D**iat23  nisb*  nicht  in  der  Bedeutung 
„Reich  des  Himmels"  vorkommen  würde,  so  würde  sich  dies  vollkommen  ge- 
nügend daraus  erklären,  daß  die  Rabbinen  überhaupt  selten  vom  „Reiche 
Gottes"  sprechen.  Sie  sagen  dafür  „die  Tage  des  Messias"  oder  „der  künftige 
Dil*"  oder  dergl.  Es  scheint  aber,  daß  der  Ausdruck  doch  auch  in  jener  Be- 
deutung vorkommt;   so  namentlich  Pesikta  (ed.  Buber)  p.  51a:   irc   h3ST   s^an 

r&anrc  d^nw  rvoba  irc  nasT  sinn,  niisn  yo  -ipsnrc  nsimn  msis,  „Es  ist  ge- 
kommen die  Zeit  der  gottlosen  Maüchidh,  daß  sie  ausgerottet  werde  aus  der 
Welt;  es  ist  gekommen  die  Zeit  der  Malkhuth  des  Himmels,  daß  sie  geoffen- 
bart werde".  Dieselbe  Stelle  auch  im  Midrasch  rabba  zum  Uohenliede  (bei 
Levy,  Neuhebr.  Wörterb.  s.  v.  msba).  Vgl.  auch  Weber,  System  S.  349. 
Cremer,  Biblisch-theol.  Wörterb.  s.  v.  ßaoiXela  (3.  Aufl.  S.  162). 

49)  Kidduschin  I,  10.   Vgl.  Ev.  Matth.  5,  5  (ecL  Tischendorf  5,  4). 

50)  Vgl.  über  den  nationalen  Charakter:  Volz,  S.  106 ff.  305  ff.  315 ff. 
332  ff.  371  ff.    Bousset  S.  268—271. 

51)  8.  Gfrörer,  Das  Jahrhundert  des  Heils  H,  219  f.  238—242.  Weber, 
System  S.  364 ff.  Volz,  g.  322-325.  Klausner  S.  80 ff.  105—108.  Bous- 
set S.  248£  269 f. 


630  §  29»   Die  messianische  Hoffnung.  [540.  541] 

werden  {Jesaja  55,  5.  56,  lff.  Jerem.  12,  14  ff.  Sacharja  2,  15),  so 
daß  Jahve  König  ist  über  die  ganze  Erde  {Sacharja  14,  9)  und 
der  Messias  ein  Panier  für  alle  Völker  {Jesaja  11,  10) 52.  Am  be- 
stimmtesten ist  im  Buche  Daniel  den  Heiligen  des  Höchsten  die 
Herrschaft  über  alle  Beiche  der  Welt  verheißen  {Daniel  2,  44. 
7, 14.  27).  Diese  Hoffnung  ist  denn  auch  von  dem  späteren  Juden- 
turne  entschieden  festgehalten;  doch  in  verschiedener  Weise.  Nach 
den  Sibyllinen  werden  die  Heiden,  wenn  sie  die  Buhe  und  den 
Frieden  des  Volkes  Gottes  sehen,  von  selbst  zur  Einsicht  kommen, 
und  den  allein- wahren  Gott  rühmen  und  preisen  und  seinem  Tem- 
pel Gaben  senden  und  nach  seinem  Gesetze  wandeln  {Orac.  Sibyli. 
III,  698—726).  Dann  wird  Gott  ein  Reich  über  alle  Menschen 
aufrichten,  in  welchem  die  Propheten  Gottes  Richter  sind  und  ge- 
rechte Könige  (III,  766—783).  Nach  Philo  werden  die  Frommen 
und  Tugendhaften  die  Herrschaft  über  die  Welt  erlangen,  weil  sie 
diejenigen  drei  Eigenschaften  besitzen,  welche  vornehmlich  zum 
Herrschen  befähigen,  nämlich  aefiporrjQ,  deivoTijg  und  evsQysola. 
Und  die  übrigen  Menschen  unterwerfen  sich  ihnen  aus  aldcbg  oder 
g)6ßog  oder  evvoia  {De  praem.  et  poen.  §  16).  Anderwärts  erscheint 
die  Weltherrschaft  der  Frommen  mehr  als  eine  auf  Macht  ge- 
gründete. Die  Heiden  huldigen  dem  Messias,  weil  sie  erkennen, 
daß  ihm  Gott  die  Macht  verliehen  hat  {Henoch  90,  30.  37.  Bilder- 
reden: 48,  5.  53,  1.  Psalt.  Salom.  XVII,  32—35.  Sibyli  III,  49: 
ayvog   avag   JtaOTjg  yrjg  öxrjjtTQa  xQarrjöwv.    Apocal.  Baruch.  72,  5. 

Targum  zu  Sacharja  4,  7:  Der  Messias  wird  herrschen  über  alle 
Reiche)53.  Nach  dem  Buche  der  Jubiläen  |  (32, 18—19)  wurde  schon 
dem  Jakob  verheißen,  daß  aus  ihm  Könige  hervorgehen  sollen, 
welche  überall  herrschen,  wo  nur  ein  Tritt  von  Menschenkindern 
hintritt.  „Und  ich  will  deinem  Samen  die  ganze  Erde  geben,  welche 


52)  Vgl.  über  den  Universalismus  im  A.  T.:  Well  hausen,  Israelitische 
und  jüdische  Geschichte  (1894)  S.  180—182.  4.  Aufl.  1901,  S.  224—226  (Kap.  XV 
Schluß).  Bertholet,  Die  Stellung  der  Israeliten  und  der  Juden  zu  den 
Fremden  (1896)  S.  91—122, 191—195.  Löhr,  Der  Missionsgedanke  im  A.  T.  1896. 

53)  Auf  eine  Unterwerfung  der  Römer  durch  die  Juden  haben  manche 
(und  ich  selbst  früher)  Assumptio  Mosis  10,  8  gedeutet:  tune  felix  eris  tu 
Istrahel  et  ascendes  supra  cervices  et  alas  aquilae.  Das  Folgende  zeigt 
aber,  daß  der  Gedanke  vielmehr  der  ist,  daß  Israel  auf  Adlers  Flügeln  zum 
Himmel  erhoben  werden  wird  (et  altabü  te  deus  et  faciet  te  haerere  caelo  stel- 
larum  .  . .  et  conspicies  a  summo  et  videbis  inimicos  tuos  in  terra).  Schmie- 
del,  Protestant.  Monatshefte  2.  Jahrg.  1898,  S.  253  f.,  sieht  in  der  SteUe  mit 
Hecht  eine  Reminiszenz  an  Deut.  32,  11  (LXX:  u>?  aerdg  .  .  .  .  diele,  xäc. 
nxigvyag  avxoti  iöigaxo  afaove,  xal  äviXaßev  abxoitc.  inl  tthv  fisxatpge- 
vu)v  avrov.  alae  ist  =  nxiqvyeqf  und  cervices  «=»  uezdfpQeva).  Ebenso  Huhn, 
Die  messianischen  Weissagungen  1899,  S.  98. 


[541]  III.  Systematische  Darstellung.  631 

unter  dem  Himmel  ist,  und  sie  sollen  nach  Willkür  herrschen  über 
alle  Völker;  und  darnach  sollen  sie  die  ganze  Erde  an  sich  ziehen, 
und  sie  ererben  auf  Ewigkeit"  (vgl.  auch  Rom.  4, 13,  und  dazu  die 
Ausleger,  besonders  Wetstein)54. 

Im  übrigen  wird  die  messianische  Zeit,  meist  auf  Grund  alt- 
testamentlicher  Stellen,  als  eine  Zeit  ungetrübter  Freude  und 
Wonne  geschildert55.  Im  Buch  Henoch  wird  als  ein  Hauptgut 
hervorgehoben,  daß  nun  der  Messias  unter  den  Menschen 
wohnt.  „An  jenem  Tage  werde  ich  meinen  Auserwählten  unter 
ihnen  wohnen  lassen  . . .  Und  ich  werde  die  Erde  umwandeln  und 
werde  sie  zum  Segen  machen"  (Henoch  45,  4—5).  „Und  der  Herr 
der  Geister  wird  über  ihnen  wohnen,  und  mit  jenem  Menschen- 
sohne werden  sie  essen  und  sich  niederlegen  und  aufstehen  in  alle 
Ewigkeit"  (Henoch  62,  14).  Aller  Krieg  und  Streit  und  Zwietracht 
und  Hader  wird  ein  Ende  haben,  und  Friede,  Gerechtigkeit,  Liebe 
und  Treue  wird  herrschen  auf  Erden  (Orac.  SibylL  III,  371—380. 
751 — 760.    Philo,  De  praem.  et  poen.  §  16.    Apocal.  Baruch.  73,  4 — 5). 

Auch  die  wilden  Tiere  verlieren  ihre  Feindschaft  und  dienen  dem 
Menschen  (Sibyll.  III,  787 — 794.  Philo,  De  praem.  et  poen.  §  15. 
Apocal.  Baruch.  73,  6.  Targum  zu  Jesaja  11,  6).  Die  Natur  ist 
von  ungewöhnlicher  Fruchtbarkeit  (Sibyll  III,  620—623.  743—750. 
Henoch  10,  18—19.  Apocal.  Baruch.  29,  5—8).  Reichtum  und  Wohl- 
stand herrscht  unter  den  Menschen  (Philo,  De  praem.  et  poen. 
§  17—18).  Das  Lebensalter  nimmt  wieder  zu  bis  nahe  an  tausend 
Jahren,  und  doch  werden  die  Menschen  nicht  alt  und  lebenssatt, 
sondern  wie  Kinder  und  Knaben  sein  (Jubiläen  23,  27—30).  Alle 
erfreuen  sich  körperlicher  Kraft  und  Gesundheit  Die  Weiber 
werden  ohne  Schmerzen  gebären,  und  die  Schnitter  nicht  ermüden 
bei  der  Arbeit  (Philo,  De  praem.  et  poen.  §  20.  Apocal.  Baruch.  73, 
2—3.  7.  74,  l)56. 


54)  Aus  späterer  Zeit  sei  noch  erwähnt  Cosmas  Indicopl.  Top.  Chr.  lib.  VI 
p.  271  (=  Migne,  Patrol.  gr.  88  cot.  333  Ä):  avzol  Srj&ev  töv  iQxöfAßvov  tiqoo- 
öoxCbaiv,  8v  xal  *HXsifi[i£vov  xaXovoiv,  ßaoiXeveiv  inl  yfjq  aivibv  iXnitfivaiv 
xal  vnoraoosiv  aitotg  navxa  xa  l^viy. 

55)  Vgl.  Knobel,  Prophetismus  der  Hebräer  I,  321  ff.  GfrÖrer,  Das 
Jahrhundert  des  Heils  II,  242—252.  Hamburger,  Real-Enz.  S.  770 ff.  (Art. 
„Messiaszeit").    Volz  S.  341—368.    Klausner  S.  108—115. 

56)  Zuweilen  wird  diese  künftige  Herrlichkeit  auch  dargestellt  unter  dem 
Bilde  eines  Freuden-Mahles  (rnwo),  das  Gott  den  Gerechten  bereitet 
Schon  in  der  syrischen  Baruch-Apokalypse  heißt  es  (wie  dann  später  häufig), 
daß  dabei  der  Behemoth  und  Leviathan  verspeist  werden  (Apoc.  Baruch. 
c.  2fl,  4).  Vielleicht  ist  auch  der  defekte  Text  bei  Henoch  60,  7—10  und  24b 
in  diesem  Sinne  zu  ergänze*1-  Rabbinische  Schilderungen  dieser  HWO  s.  bei 
Jellinek,  Bei  ha-M%iwch  III,  75—76;  V,  45-46;  VI,  150-151.  *  Vgl.  hob. 


i 


532  §  29.   Die  messianische  Hoffnung.  [542] 

Diese  äußeren  Güter  sind  aber  nicht  die  einzigen.  Vielmehr 
sind  sie  nur  die  Folge  davon,  daß  die  messianische  Gemeinde  ein 
heiliges  Volk  ist,  das  Gott  geheiligt  hat,  weiches  der  Messias  an- 
führt in  Gerechtigkeit  Nicht  läßt  er  Ungerechtigkeit  in  ihrer 
Mitte  weilen,  and  nicht  wohnt  ein  Mensch  bei  ihnen,  der  Bosheit 
weiß.  Nicht  ist  Ungerechtigkeit  in  ihrer  Mitte,  denn  alle  sind  sie 
heilig  (Psaü.  Salom.  XVII,  28.  29.  36.  48.  49.  XVIII,  9.  10).  Das 
Leben  im  messianischen  Reiche  ist  ein  stetiges  XarQsveip  &ew  iv 
oöiottjti  xcä  öixaioövvq  kvcQjtiov  avroo  {Ev.  Luc  1,  74 — 75).  Und 
die  Herrschaft  des  Messias  über  die  Heidenwelt  ist  keineswegs  nur 
als  auf  äußerer  Macht  beruhend  gedacht,  sondern  häufig  auch  in 
der  Art,  daß  er  ein  Licht  ist  für  die  Völker  (Jesaja  42,  6.  49,  6. 
51,  4.  Henoch  48,  4.  Ev.  Luc.  2,  32.  Vgl.  bes.  auch  die  bereits  er- 
wähnte Stelle  der  SibylUnen  III,  710—726).  —  Da  der  Israelite 
sich  ein  XdrQsvsiv  &e<p  nicht  anders  vorstellen  kann  als  in  den 
Formen  des  Tempelkultus  und  der  Gesetzesbeobachtung, 
so  ist  es  im  Grunde  selbstverständlich,  daß  auch  diese  im  messia- 
nischen Reiche  nicht  aufhören  werden.   In  der  Tat  ist  dies  wenig- 


Pesachim  119b.  Baba  baihra  75a  (Wünsche,  Der  babylon.  Talmud  I,  250.  II, 
2,  S.  178).  Vajjikra  rabba  par.  XIII  (deutsche  Übers,  von  Wünsche  S.  86), 
Bamidbar  rabba  par.  XIII  (deutsche  Übers,  von  Wünsche  S.  305).  Ruft- 
nu8,  ApoL  in  Hieron.  I,  7  (Hieron.  opp.  ed.  Vallarsi  II,  579):  Est  enim  Ju- 
daeorum  vere  de  resurrectione  talis  opinio,  quod  resurgent  qtadem,  sed  tä  car- 
nalibus  delictis  et  luxuriis  caeterisque  voluptatibus  corporis  perfruantur.  Hie- 
ronymus  in  Jes.  59,  5  {opp.  ed.  Vallarsi  IV,  705):  Qui  igitur  audiens  tradi- 
tiones  Judaicas  ad  eseas  se  mille  annorum  voluerit  praeparare.  Abschwörung 
aller  jüdischen  Irrtümer,  neu  herausg.  von  Cumont  (Wiener  Studien  1902, 
S.  468):  "Bn  äva&enarl^a)  ndvxaq  xovq  xfjv  xov  >Hl£i[z/ub>ov  fzäXXov  öh  x%v  xov 
dvxixoloxov  noooöoxtbvxaq  lAevatv,  8v  xal  xgdne^av  abxolq  kzot/ndasiv  iXni- 
t,ovoi  fieylaxtiv  xal  nooftfioeiv  elq  koxiaoiv  xdv  xe  Z/£,  7txijv6v  xi  £($>ov,  xbv  6h 
Bex£fA<*>9'  xexodnovv,  xdv  Sh  Aeßia&äv  ivdXiov,  ovxut  yiiyioxa  xal  lüJßwxa 
xalq  occq&v  öyq  SlqxbXv  elq  XQ0<p^v  Sxaoxov  fxvQidoiv  dnelgoiq.  —  Buxtorf, 
Lex.  Gkald.  col.  1128  (s.  v.  )r\^h).  Eisenmenger,  Entdecktes  Judenthum  II, 
872—889.  Corrodi,  Kritische  Geschichte  des  Chiliasmus,  I,  329  ff.  Ber- 
thol dt,  De  Ghristologia  Judaeorum  p.  196 — 199.  Hamburger,  Ueal-Enz. 
S.  1312 ff.  (Art.  „Zukunftsmahl").  Wünsche,  Neue  Beiträge  zur  Erläuterung 
der  Ew.  1878,  S.  113.  Spitta,  Zur  Gesch.  und  Litteratur  des  Urchristen- 
tums I,  1893,  S.  269  ff.  Dal  man,  Die  Worte  Jesu  S.  90— 92.  Wellhausen, 
Skizzen  und  Vorarbeiten  VI,  1899,  S.  232  (Genuß  des  Behemoth  und  Levia- 
than  aus  Ps.  74,  14  eutsponnen).  Volz  S.  331  f.  —  Das  Alter  dieser  Vor- 
stellung ist  bezeugt  durch  die  neutestamentlichen  Stellen:  Mt.  8,  11  =  Lc. 
13,  29.  Lc.  14,  15.  Mt.  26,  29  —  Mc.  14,  25  —  Lc.  22,  18.  Lc.  22,  30.  Dazu  die 
Parallelen  bei  Besch,  Paralleltexte  zu  Lucas  (Texte  und  Untersuchungen 
von  Gebhardt  und  Harnack  X,  3,  1895)  8.  382  ff.  400.  627  ff.  671  ff.  Vgl.  auch 
Hippolytus'  Werke  I,  2  herausg.  v.  Achelis  1897,  S.  247. 


[542.  543]  III.  Systematische  Darstellung.  633 

stens  die  vorherrschende  Anschauung57.  Besonders  nachdrücklich 
wird  im  Buch  der  Jubiläen  die  ewige  Gültigkeit  der  Gesetze  ein- 
geschärft58. Nach  der  Zerstörung  des  Tempels  geht  daher  das 
tägliche  Gebet  des  Israeliten  dahin,  daß  auch  der  Opferkultus 
(die  rniny)  wiederhergestellt  werde59. 

An  diesem  herrlichen  Reiche  der  Zukunft  werden  nicht  nur 
die  in  der  Welt  zerstreuten  Glieder  des  Volkes,  sondern  auch  alle 
verstorbenen  Israeliten  teilnehmen.  Sie  werden  aus  ihren 
I  Gräbern  hervorgehen,  um  mit  ihren  beim  Anbruch  des  Reiches 
lebenden  Volksgenossen  die  Seligkeit  des  Reiches  zu  genießen 
(Näheres  s.  unten  Abschnitt  10) 60. 


57)  Näheres  s.  bei  Weber,  System  S.  359 ff.  Castelli,  11  Messia 
p.  277  sqq.  Edersheim,  The  life  and  tvmes  of  Jesus  tke  Messiah  II,  764 — 766. 
Hamburger,  Real-Enz.  Suppl.  II,  1891,  S.  43 ff.  (Art  „Fortdauer  des  Ge- 
setzes") und  S.  51  ff.  (Art.  „Gesetzesauf hebung").  Volz  S.  339— 341.  Klaus- 
ner S.  115—118. 

58)  S.  die  Zusammenstellung  bei  W.  Singer,  Das  Buch  der  Jubiläen, 
1898,  S.  24—26.  —  Der  Wortlaut  der  Hauptstellen  ist:  Jubil.  2,  33:  „Dies 
Gesetz  und  Zeugnis  (vom  Sabbath)  wurde  den  Kindern  Israel  gegeben  als 
ewiges  Gesetz  für  ihre  Nachkommen".  —  6,  14:  „Und  für  dieses  Gesetz 
(kein  Blut  zu  essen)  giebt  es  kein  Ende  der  Tage,  sondern  es  gilt  für 
e  wig"  (überh.  6, 11—14).  — 13, 25—26:  „Und  Gott  bestimmte  ihn  (den  Zehnten) 
zu  einer  Satzung  für  ewig,  daß  sie  ihn  den  Priestern,  die  vor  ihm  dienten, 
geben  sollten,  damit  sie  ihn  in  Ewigkeit  erhielten.  Und  dieses  Gesetz  hat 
keine  Beschränkung  der  Tage,  sondern  für  ewige  Geschlechter  hat 
er  es  angeordnet".  —  15,  25:  „Dies  Gesetz  (der  Beschneidung)  gilt  für  alle 
Geschlechter  der  Ewigkeit,  und  es  gibt  keine  Beschneidung  der  Tage  . . . 
sondern  eine  ewige  Ordnung  ist  es".  —  15,  28 — 29:  „Du  aber  gebiete 
den  Kindern  Israel,  daß  sie  das  Zeichen  dieses  Bundes  bewahren  sollen  für 
ihre  Geschlechter  als  eine  ewige  Ordnung  ....  denn  das  Gebot  ist  an- 
geordnet für  den  Bund,  daß  sie  ihn  in  Ewigkeit  bewahren  über  allen  Kin- 
dern Israel".  —  16,  29—30:  (das  Gesetz  vom  Laubhüttenfest)  „ein  Gesetz 
für  ewig  nach  ihren  Geschlechtern  .  .  .  Und  dieses  hat  keine  Beschrän- 
kung der  Tage,  sondern  für  ewig  ist  es  über  Israel  angeordnet".  —  30,  10: 
„Und  für  dieses  Gesetz  (Verbot  der  Ehe  mit  Heiden)  gibt  es  keine  Be- 
schränkung der  Tage  und  keine  Vergebung  und  keine  Verzeihung".  — 
32,  10:  „Und  für  dieses  Gesetz  (vom  zweiten  Zehnt)  gibt  es  keine  Be- 
schränkung der  Tage  immerdar".  —  33,  16—17:  „Erst  in  deinen  Tagen  ist 
es  (das  Gesetz  gegen  Blutschande)  wie  ein  Gesetz  der  Zeit  und  der  Tage  und 
ein  ewiges  Gesetz  für  die  ewigen  Geschlechter.  Und  es  gibt  für 
dieses  Gesetz  keine  Vollendung  der  Tage".  —  49,  8:  „(das  Passa- 
gesetz) ist  eine  ewige  Ordnung  ....  Und  es  gibt  da  keine  Grenze 
der  Zeiten,  sondern  für  ewig  ist  es  festgesetzt". 

59)  Schmone  Esre,  17.  Beracha  (s.  oben  S.  540).  Vgl.  auch  die  Passa- 
Liturgie  Pesachim  X,  6. 

60)  Es  scheint  mir  nicht  richtig,  wenn  Stähelin  (Jahrbb.  f.  deutsche 
Theologie  1874,  S.  1 99 ff.)  die  Auferstehungshoffnung  und  die  messia- 


634  §  29.   Die  messianische  Hoffnung.  [543] 

Mit  dieser  Hoffnung  auf  ein  Reich  der  Herrlichkeit  in  Palästina 
schließt  bei  vielen  die  eschatologische  Erwartung  ab,  indem  seine 
Dauer  als  eine  unendliche  gedacht  ist  Wie  die  alttestamentliche 
Weissagung  dem  Volke  Israel  verheißt,  daß  es  ewiglich  sein  Land 
bewohnen  werde  (Jer.  24,  6.  Ezech.  37,  25.  Jod  4,  20),  daß  Davids 
Thron  nie  leer  stehen  (Jerem.  33,  17.  22),  und  David  auf  ewig 
Israels  Fürst  sein  werde  (Exech.  37,  25),  wie  dann  namentlich  im 
Buche  Daniel  das  Reich  der  Heiligen  des  Höchsten  als  ein  ewiges 
(ob*  rfiDbig)  bezeichnet  ist  (Daniel  7,  27),  so  wird  auch  bei  Späteren 
häufig  dem  messianischen  Reiche  ewige  Dauer  zugeschrieben  (Sibyll. 
III,  766.  Psalt.  Salom.  XVII,  4.  Sibyll.  III,  49—50.  Henoch  62,  14). 
Und  so  sagen  auch  die  Juden  im  Evang.  Joh,  12,  34:  'Hfutg  ijxou- 
oafiep  kx  xov  vopov  ort  6  Xqiotoq  fievei  elg  top  ai&va,  wie 
denn  auch  in  der  späteren  jüdischen  Theologie  diese  Anschauung 
sich  findet61.  Das  Leben  im  messianischen  Reiche  wird 
eben  als  der  Zustand  höchster  Glückseligkeit  vorgestellt, 
der  überhaupt  gehofft  werden  kann.  Ein  Höheres  gibt  es  nicht 
mehr.  Die  Güter  des  Himmels  sind  auf  die  Erde  herabgekommen. 
Die  Erde  ist  selbst  ein  Stück  Himmel  geworden62. 


nische  Hoffnung  möglichst  auseinanderzuhalten  sucht,  ja  annimmt,  daß 
ursprünglich  gar  kein  Zusammenhang  zwischen  beiden  bestanden  habe.  Bei 
Daniel  12,  2  und  Psalt.  Salom.  3,  16  ist  dieser  Zusammenhang  doch  unver- 
kennbar. Denn  wenn  es  an  beiden  Stellen  heißt,  daß  die  Gerechten  aufer- 
stehen werden  „zu  ewigem  Leben",  so  kann  unter  diesem  ewigen  Leben  nach 
dem  Gedankenkreise  beider  Bücher  nichts  anderes  als  das  Leben  im  messia- 
nischen Reiche  verstanden  werden.  Eine  andere  £a>i}  kennen  beide  Bücher 
überhaupt  nicht.  Vgl.  auch  Henoch  51,  1 — 5.  Der  Gang  der  Ideen-Entwicke- 
lung  scheint  mir  also  gerade  der  umgekehrte  zu  sein  wie  der  von  Stähelin 
statuierte.  Es  sind  nicht  die  Auferstehungshofrhung  und  die  messianische 
Hoffnung  ursprünglich  unabhängig  von  einander  und  erst  später  mit  einander 
verbunden  worden.  Sondern  umgekehrt:  aus  dem  Interesse,  am  messianischen 
Reiche  teilzuhaben,  ist  die  Hoffnung  einer  leiblichen  Auferstehung  ent- 
sprungen. Etwas  anderes  als  der  Auferstehungs-Glaube  ist  der  Glaube  an 
ein  seliges  Fortleben  im  Jenseits.  Dieser  ist  zunächst  unabhängig  von  der 
messianischen  Hoffnung  entstanden  und  erst  nachträglich  mit  ihr  kombiniert 
worden.  Insofern  Stähelin  hieran  denkt,  wird  seine  These  allerdings  richtig 
sein. 

61)  Vgl.  Bertholdt,  Ghristologia  Judaeortim  p.  155  sq. 

62)  Dieser  an  sich  richtige  Gedanke  wird  von  Baldensperger,  Die 
messianisch-apokalyptischen  Hoffnungen  des  Judentums  1903,  S.  150 — 158,  in 
zu  starker  und  einseitiger  Weise  betont.  Ja  er  sucht  zu  zeigen,  daß  we- 
nigstens in  manchen  Kreisen  das  messianische  Reich  als  ein  Reich  im 
Himmel  gedacht  worden  sei,  wobei  er  sich  namentlich  auf  die  oben  Anm.  53 
zitierte  Stelle  der  Assumptio  Mosis  c.  10  stützt  Diese  Stelle  ist  aber  sin- 
gulär.  Es  findet  sich  sonst  freilich  neben  der  Erwartung  eines  messianischen 
Reiches  auch  die  Erwartung  einer  Seligkeit  der  einzelnen  Individuen 


[543.  544]  III.  Systematische  Darstellung.  635 

Häufig  wird  aber  die  Herrlichkeit  des  messianischen  Reiches 
noch  nicht  als  das  Letzte  und  Höchste  betrachtet,  sondern  nach 
ihr  noch  eine  höhere  himmlische  Seligkeit  erwartet,  und  daher 
dem  messianischen  Reiche  nur  eine  zeitlich  begrenzte  Dauer 
zugeschrieben63,  über  deren  Maß  im  Talmud  ausführlich  |  debat- 
tiert wird64.  Unter  den  älteren  Denkmälern  haben  diese  An- 
schauung am  bestimmtesten  die  Apokalypse  Baruchs  und  das  vierte 
Buch  Esra.  Zwar  heißt  es  in  der  ersteren  von  dem  Messias 
c.  73,  1,  daß  er  sich  setze  „für  immer  auf  den  Thron  seines 
Königreichs".  Aber  wie  dies  gemeint  ist,  sieht  man  aus  einer 
anderen  Stelle  c.  40,  3:  „Und  seine  Herrschaft  wird  beständig 
sein  für  immer,  bis  die  dem  Verderben  geweihte  Welt  zu 
Ende  kommt".  Also  nur  so  lange  diese  vergängliche  Welt  dauert, 
währt  die  Herrschaft  des  Messias.  Ähnlich  heißt  es  im  vierten 
Buch  Esra  c.  12,  34,  daß  er  das  Volk  Gottes  erlösen  und  es  er- 
quicken werde  quoadusque  veniat  finisy  dies  judicii.  Noch 
näheren  Aufschluß  gibt  die  Hauptstelle  c.  7,  28—29:  Jocundabuntur 
(al.  jocundabit),  qui  relicti  sunt,  annis  quadringenlis.  Et  erit  post 
annos  hos,  et  morietur  filius  mens  Christus  et  omnes  qui  spiramentum 
habent  hominis  (al.  homines)*b.  Die  Berechnung  der  Dauer  des  mes- 
sianischen Reiches  zu  400  Jahren  findet  sich  neben  anderen  auch 
in  der  oben  genannten  talmudischen  Stelle  (Sanhedrin  99  a).  Aus 
ihr  erfahren  wir  zugleich,  daß  diese  Rechnung  sich  stützt  auf 
Gen.  15,  13  (die  Knechtschaft  in  Ägypten  dauerte  400  Jahre)  vgl. 
mit  Psalm  90,  15:  „Erfreue  uns  wieder  gemäß  den  Tagen,  da  du 
uns  gedemütigt,  gemäß  den  Jahren,  da  wir  das  Böse  sahen".   Die 


im  Himmel  (s.  darüber  unten  Abschnitt  X).  Beide  Erwartungen  dürfen  aber 
nicht  in  der  Weise  kombiniert  werden,  daß  man  sagt:  das  messianische  Reich 
ist  im  Himmel.  Letzteres  ist,  wie  das  Herabkommen  Jerusalems  und  die 
Sammlung  der  Zerstreuten  im  heiligen  Lande  zeigt,  trotz  alles  himmlischen 
Charakters  doch  ein  Reich  auf  Erden.  Dabei  ist  immerhin  zuzugeben,  daß 
für  die  fromme  Empfindung  hier  der  Gegensatz  von  Himmel  und  Erde  ver- 
schwindet, wenigstens  da,  wo  das  messianische  Reich  das  Letzte  und  Höchste 
ist,  was  gehofft  wird. 

63)  Vgl.  Corrodi,  Krit.  Gesch.  des  Chiliasmus  1, 324—329.  Gfrörer,  Das 
Jahrhundert  des  Heils  II,  252—256.  Renan,  Der  Antichrist  S.  373.  Weber, 
System  S.  355  f.  Drummond  p.  312 — 318.  Klausner,  Die  messianischen 
Vorstellungen  S.  27—33. 

64)  Sanhedrin  99a  bei  Gfrörer  II,  252  ff.  Vollständiger  (Sanhedrin  96b— 
99»)  bei  Castelli  p.  297  sqq.  und  bei  Wünsche,  Der  babylonische  Talmud 
II,  3,  1889,  S.  204 f.    Die  ältesten  Stücke  daraus  bei  Klausner  8.  27  ff. 

65)  Die  Zahl  400  haben  die  lateinische  und  arabische  Übersetzung, 
die  syrische  hat  30;  in  der  äthiopischen  und  armenischen  fehlt  die 
Zahl  überhaupt. 


636  §  -9-   I>ie  messianische  Hoffnung.  [544.  545] 

Zeit  der  Freude  soll  also  ebenso  lange  dauern,  wie  die  der  Plage. 
Eine  andere  Berechnung  ist  bekanntlich  in  der  Apokalypse  Jo- 
hannis  vorausgesetzt,  indem  nach  dem  Psalmwort,  daß  für  Gott 
1000  Jahre  wie  ein  Tag  seien,  die  Dauer  auf  1000  Jahre  ange- 
geben wird  (Apoc.  Joh.  20,  4—6).  Auch  diese  Berechnung  wird  im 
Talmud  erwähnt66.  —  Überall  da  nun,  wo  dem  messianischen 
Reiche  nur  eine  zeitliche  Dauer  zugeschrieben  wird,  wird  am 
Ende  dieser  Zeit  noch  eine  Welterneuerung  und  das  letzte  Gericht 
erwartet. 

9.  Erneuerung  der  Welt67.  Die  Hoffnung  einer  Erneuerung 
:  Himmels  und  der  Erde  gründet  sich  namentlich  auf  Jesaja 
65,  17.  66,  22  (ygl.  auch  Maüh.  19,  28.  Apoc.  21,  1.  II  Petr.  3,  13). 
Man  unterschied  darnach  eine  gegenwärtige  und  eine  zu- 
künftige Welt  ron  Dbi*n  und  »an  übten68,  im  Neuen  Testa- 

%J  ?    ~  TT  T~TT* 

mente  häufig:  6  aiobv  ovtog  und  6  ala>v  6  piXltov  oder  6  kQ%6- 
fieroq  (z.  B.  Matth.  12,  32.  Marc.  10,  30.  Luc.  18,  30.  Eph.  1,  21). 
Aber  eine  Verschiedenheit  der  Auffassung  bestand  insofern,  als 
man  die  neue  Welt  entweder  mit  Beginn  der  messianischen  Zeit 


66)  Sanhedrin  97a  unten.  Vgl.  Gfrörerll,  254.  Gastelli  p.  300.  Drum- 
mond  p.  317.  Delitzsch,  Kommentar  zum  Hebräerbrief  S.  763.  Wünsche 
S.  193. 

67)  Vgl.  Bertholdt,  Ghristologia  Judaeorum  p.  213  sq.  Gfrörer,  Das 
Jahrhundert  des  Heils  H,  272—275.  Volz,  Jüdische  Eschatologie  S.  296— 29a 
Bousset,  Die  Religion  des  Judentums  S.  321—324.  —  Vgl.  Matth.  19,  28: 
naXtyysveala.  Der  rabbinische  Ausdruck  Dbterj  tö*Tnri  (Buxtorf,  Lex.  col.  711), 
welchen  viele  Ausleger  zu  ML  19,  28  vergleichen,  gehört  nicht  hierher,  denn 
er  bedeutet  nicht  „Welt-Erneuerung",  sondern  ist  so  viel  wie  creatio  ex  nihilo. 
Das  griech.  naXiyyeveoia  im  Sinne  von  „Welterneuerung"  ist  namentlich  bei 
den  Stoikern  häufig. 

68)  Misckna  Berachoth  I,  5.  Pea  1,1.  Kidduschin  IV,  14.  Baba  unexia 
II,  11.  Sanhedrin  X,  1-4.  Aboth  II,  7.  IV,  1.  16.  17.  V,  19.  Apocal.  Barueh. 
44,  15.  48,  50.  73,  5.  IV  Esra  6,  9.  7,  12—13.  42—43.  8,  1.  —  Vgl.  Rhen- 
f  er  diu  8,  De  saecvXo  futuro  (Meuschen,  Nov.  Test,  ex  Talmude  iUustratum  1736, 
p.  1116—1171).  —  WitsiuSy  De  saeculo  hoc  et  futuro  (Meuschen,  Nov.  TesL 
p.  1171 — 1183).  —  Schoettgen,  De  saeculo  hoc  et  futuro  (Horae  Hebraicae  ir 
1153—1158).  —  Light foott  Horae  Hebraicae,  zu  Matth.  12,  32.  —  Wetstein, 
Nov.  Test,  zu  Mt.  12,  32.  —  Koppe,  Nov.  Test.  Vol.  VI,  episL  ad  Ephes.  Exe.  I. 
—  Bertholdt,  Ghristologia  Judaeorum  p.  38 — 43.  —  G frörer,  Das  Jahrhun- 
dert des  Heils  H,  212-217.  —  Bleek,  Hebräerbrief  II,  1,  20  ff.  —  Riehm, 
Lehrbegriff  des  Hebräerbriefes  I,  204  ff.  —  O eh ler,  in  Herzogs  Real-Enz. 
IX,  434 f.  (2.  Aufl.  IX,  664  f.).  —  Geigers  Jüdische  Zeitschrift  1866,  S.  124.  — 
W  eber,  System  S.  354  f.  —  Löwy ,  Messiaszeit  und  zukünftige  Welt  (Monats- 
sehr.  f.  Gesch.  u.  Wissensch.  d.  Judenth.  41.  Jahrg.  1897,  S.  392—409).  — 
Dal  man,  Die  Worte  Jesu  S.  120—127.  —  Volz,  Jüdische  Eschatologie 
S.  62 — 68.  —  Klausner,  Die  messianischen  Vorstellungen  S.  17 — 26.  — 
Bousset,  Die  Religion  des  Judentums  S.  278 — 286. 


[54ö.  546]  III.  Systematische  Darstellung.  637 

oder  erst  nach  Ablauf  derselben  anbrechen  ließ.  Ersteres  z.  B. 
in  den  Bilderreden  des  Buches  Henoch  c.  45,  4—5:  „Und  an  jenem 
Tage  werde  ich  meinen  Auserwählten  unter  ihnen  wohnen  lassen, 
und  werde  den  Himmel  umgestalten,  und  ihn  zum  Segen  und  Licht 
auf  ewig  machen.  Und  ich  werde  die  Erde  umwandeln  und  sie 
zum  Segen  machen,  und  meine  Auserwählten  auf  ihr  wohnen 
lassen"  (vgl.  auch  91,  16).  Letzteres  im  vierten  Buch  Esra,  dem- 
zufolge nach  Ablauf  der  messianischen  Zeit  eine  siebentägige  Todes- 
stille auf  Erden  eintritt,  worauf  dann  der  Anbruch  der  neuen  und 
der  Untergang  der  alten  Welt  erfolgt  (7,  30—31).  Gemäß  dieser 
verschiedenen  Auffassung  wird  die  messianische  Zeit  entweder  mit 
der  zukünftigen  Welt  identifiziert  oder  noch  zu  der  gegenwärtigen 
Welt  gerechnet.  Ersteres  z.  B.  im  Targum  Jonathan  zu  I  Reg. 
4,  33:  „Die  zukünftige  Welt  des  Messias"  (»rptitoi  ->r\tn  #$>$), 
und  Mischna  Berachoth  I,  5,  wo  die  gegenwärtige  Welt  (njfi  übi*n) 
und  die  Tage  des  Messias  (tytf  tan  nw;)  einander  entgegengestellt, 
also  letztere  mit  «an  Dbi*n  identifiziert  werden.  Im  vierten  Buche 

T     -  T  T 

Esra  dagegen  werden  die  Tage  des  Messias  noch  zur  gegenwärtigen 
Welt  gerechnet,  und  die  zukünftige  beginnt  erst  mit  dem,  am  | 
Schlüsse  der  messianischen  Zeit  erfolgenden,  letzten  Gerichte  (s. 
bes.  7,  42—43,  womit  freilich  6,  9  nicht  leicht  zu  vereinbaren  ist). 
Auch  das  Buch  Siphre  scheidet  zwischen  den  „Messiastagen44  und 
der  „zukünftigen  Welt" 69.  Die  ältere  und  ursprüngliche  Anschau- 
ung ist  jedenfalls  die,  welche  die  Messiastage  mit  dem  künftigen 
Dbi?  identifiziert.  Denn  der  „künftige  Weltlauf"  ist  eben  zunächst 
nichts  anderes  als  die  künftige  selige  messianische  Zeit  (so  auch 
noch  im  Neuen  Testamente).  Erst  infolge  der  Erwartung  einer 
höheren  himmlischen  Seligkeit  nach  Ablauf  des  messianischen 
Reiches  ist  man  dann  dazu  gekommen,  die  messianische  Zeit  noch 
zum  gegenwärtigen  Olam  zu  rechnen  und  die  Welterneuerung  erst 
nach  Ablauf  der  messianischen  Zeit  eintretend  zu  denken.  In  der 
späteren  jüdischen  Theologie  ist  diese  Auffassung  die  vorherr- 
schende geworden  (Näheres  s.  in  der  oben  Anm.  68  genannten  Lite- 
ratur). Zuweilen  wird  der  messianischen  Zeit  eine  Mittelstellung 
zwischen  dieser  und  der  zukünftigen  Welt  angewiesen.  So  schon 
in  der  Äpocal.  Baruch.  74,  2—3:  „Jene  Zeit  (die  messianische)  ist 
das  Ende  dessen,  was  vergänglich  ist,  und  der  Anfang  dessen,  was 

unvergänglich  ist Darum  ist  sie  ferne  von  den  Bösen  und 

nahe  denen,  die  nicht  sterben".  —  Auf  welche  Weise  die  Zerstö- 
rung der  alten  Welt  erfolgt,  wird  in  der  Eegel  nicht  näher  aus- 
geführt  Im  Bereich  des  hellenistischen  Judentums  findet  sich  die 


69)  S.  Geigers  Jüdische  Zeitschrift  1866,  S.  124. 


638  §  29.   Die  messianische  Hoffnung.  [546.  547] 

Erwartung  einer  Zerstörung  durch  Feuer,  die  teils  biblische 
Anknüpfungspunkte  hat,  teils  an  die  stoische  Lehre  von  der  ix- 
jivqcooiq  sich  anschließt70.  | 

10.  Allgemeine  Auferstehung71.  Ehe  nun  das  letzte  Ge- 
richt gehalten  wird,  erfolgt  eine  allgemeine  Auferstehung  der 
Toten.  Doch  herrscht  gerade  in  betreff  dieses  Punktes  in  der 
jüdischen  Theologie  eine  so  große  Mannigfaltigkeit  der  Anschau- 
ungen, daß  es  zu  weit  führen  würde,  auf  alle  Einzelheiten  näher 
einzugehen72.   Nur  die  Hauptpunkte  können  hier  angedeutet  wer- 


70)  Biblische  Anknüpfungspunkte  sind:  1)  die  Vorstellung,  daß  Gott  von 
Feuer  umgeben  ist,  wenn  er  zum  Gericht  kommt,  Daniel  7,  9—10;  vgl.  I  Kor. 
3,  13.  II  Thess.  1,8;  2)  das  prophetische  Bild  vom  Zerschmelzen  der  Him- 
melskräfte und  der  irdischen  Kreaturen  vor  Gottes  Zorn  (Jes.  34,4:  tarfoov- 
xai  näoai  al  Öwafieu;  xCov  ovoavtbv,  64,  1—2  nach  LXX).  Über  beides  geht 
es  aber  hinaus,  wenn  von  einer  wirklichen  Vernichtung  der  Welt  durch 
Feuer  die  Rede  ist  (Pseudo-Sophocles  bei  Justin,  de  monarehia  c.  3  und 
Giern.  Alex.  Strom.  V,  14,  121—122  «=-  Euseb.  Praep.  evang.  XIII,  13,  48  ed. 
Gaisford;  Orac.  Sibytt.  IV,  172—177;  Hystaspes  bei  Justin,  apol.  I  c.  20;  Hip- 
polytus  Philosoph.  IX,  30,  letzterer  gebraucht  den  Ausdruck  ixTtvpwoiq.  Auf 
christlichem  Gebiete:  II  Petri  3,  10—12,  die  Stellen  der  christlichen  Sibyl- 
linen  bei  Fehr,  Studio,  in  oraeula  Sibyllina,  Upsal.  1893  p.  72—73.  Celsus 
behandelt  die  Lehre  von  der  ix7iiQ<ooi<;  als  eine  bei  den  Christen  herrschende, 
Origenes  c.  Gels.  IV,  11.  Vgl.  auch  Bousset,  Der  Antichrist  S.  159  ff.  An- 
rieh in:  Theologische  Abbandlungen  zu  Holtzmanns  70.  Geburtstag  19  >2, 
S.  106 ff.  (in  der  Abhandlung  über  das  Fegfeuer).  Volz  S.  294  f.  Bousset, 
Die  Religion  des  Judentums  8.  323  f.  —  Die  jüdisch-christliche  Lehre  von  der 
ixnvQ(DOi<;  hat  freilich  einen  anderen  Sinn,  als  die  stoische.  Zur  Geschichte 
der  letzteren  vgl.  u.  a.  auch  die  pseudo-philonische  Schrift  De  incorruptibili- 
tote  mundi,  wo  die  stoische  Lehre  vom  peripate tischen  Standpunkte  aus  be- 
kämpft wird). 

71)  Die  Reihenfolge:  1)  Welterneuerung,  2)  Allgemeine  Auferstehung, 
3)  Letztes  Gericht,  nach  IV  Esra  7,  31—34.    So  auch  Gfrörer  II,  272.  275.  286. 

72)  Vgl.  Bertholdt,  Cltristologia  Judaeorum  p.  176—181.  203—206.  — 
Gfrörer,  Das  Jahrhundert  des  Heils  II,  275—285.  308 ff.  —  Fr.  Boettcher, 
De  inferis  rebusque  post  mortem  futuri8)  vol.  I,  1846.  —  Herzfeld,  Gesch.  de*s 
Volkes  Jisrael  III,  307—310.  328—333  349-351.  504—506.  —  Langen,  Das 
Judenthum  in  Palästina  S.  338  ff.  —  Rothe,  Dogmatik  H,  2,  S.  68—71. 
298-308.  —  Oehler,  Theologie  des  A.  T.  II,  241  ff.  —  Herrn.  Schultz,  Ait- 
testamentl.  Theologie  2.  Aufl.  S.  713  ff.  807  ff.  5.  Aufl.  S.  595—606.  —  Ham- 
burger, Real-Enz.  II,  98 ff.  (Art.  „Belebung  der  Todten").  —  Stähelin, 
Jahrbb.  f.  deutsche  Theoi.  1874,  S.  199  ff.  —  Drummond,  The  Jewish  Messiah 
p.  SQOsqq.  —  Weber,  System  S.  371ff.  —  Gröbler,  Die  Ansichten  über  Un- 
sterblichkeit und  Auferstehung  in  der  jüdischen  Literatur  der  beiden  letzten 
Jahrh.  v.  Chr.  (Stud.  und  Krit.  1879,  S.  651—700).  —  Wünsche,  Die  Vor- 
stellungen vom  Zustande  nach  dem  Tode  nach  Apokryphen,  Talmud  und 
Kirchenvätern  (Jahrbb.  f.  prot  Theoi.  1880,  S.  355—383,  495—523).  —  Castelli, 
The  future  life  in  rabbinical  lileraiure  (Jewish  Qarterly  Review  vol.  I,  1889, 


[547.  548]  III.  Systematische  Darstellung.  639 

den.  Im  allgemeinen  stand  der  Glaube  an  eine  Auferstehung  oder 
Wiederbelebung  der  Toten  (o^nian  n*nn)73,  der  im  Buche  Daniel 
nach  manchen  älteren  Ansätzen  zum  ersten  male  bestimmt  und  deut- 
lich ausgesprochen  wird  {Daniel  12,  2),  in  unserer  Periode  bereits 
unumstößlich  fest  (vgl.  z.  B.  II  MakJc.  7,  9.  14.  23.  29.  36.  12, 
43—44.  Henoch  51,  1.  PsalU  Salomon.  3,  16.  14,  2  ff.  Joseph.  Antt. 
XVIII,  1,  3.  Bell.  Jud.  II,  8,  14.  Apocal.  Baruch.  30,  1—5.  50, 
1 — 51,  6.  IV  Esra  7,  32.  Testam.  XII  Patriarch.  Judae  25,  Benja- 
min 10.  Schmorte  Esre,  2.  Beracha.  Mischna  Sanhedrin  X,  1.  Aboth 
IV,  22;  vgl.  auch  Berachoth  V,  2.  Sota  IX,  15  fin).  Wenigstens 
gilt  dies  in  betreff  aller  vom  Pharisäismus  beeinflußten  Kreise; 
und  diese  bildeten  ja  bei  weitem  die  Majorität.  Nur  die  Saddu- 
zäer  leugneten  die  Auferstehung 74,  und  das  hellenistische  |  Juden- 
tum setzte  an  deren  Stelle  die  Unsterblichkeit  der  Seele75. 

Für  die  Zwischenzeit  zwischen  Tod  und  Auf  erstehung76 


p.  314—352).  —  Atzberger,  Die  christliche  Eschatologie  in  den  Stadien  ihrer 
Offenbarung  im  A.  u.  N.  T.,  1890,  S.  96 ff.  136—189.  —  Schwally,  Das  Leben 
nach  dem  Tode  nach  den  Vorstellungen  des  alten  Israel  und  des  Judentums 
einschließlich  des  Volksglaubens  im  Zeitalter  Christi,  1892.  —  Tausch,  Die 
geschichtliche  Entwicklung  des  Begriffs  des  Lebens  im  A.  T.  und  die  Ansätze 
der  tieferen  neutestamentl.  Fassung  (Jahrbb.  f.  prot.  Theol.  1892,  S.  1 — 33).  — 
Bacher,  Die  Agada  der  Tannaiten  (2  Bde.  1884—1890,  1.  Bd.  2.  Aufl.  1903) 
und:  Die  Agada  der  paläst.  Amoräer  (3  Bde.  1892 — 1899),  Sachregister  s.  v. 
„Auferstehung  derTodten".  —  Smend,  Lehrbuch  der  alttestara entlichen  Re- 
ligionsgeschichte 2.  Aufl.  1899,  S.  476 — 483.  —  Charles,  A  eritical  History 
of  the  Doctrine  of  a  Future  Life  in  Israel  in  Judaism  and  in  Christianity, 
London  1899  (428  S.),  vgl.  Theol.  Litztg.  1900,  col.  167—171.  —  Wünsche, 
Der  Auferstehungsglaube  und  seine  Beweiserbringung  im  Neuen  Testamente, 
im  Talmud  und  bei  den  vor-  und  nachnicäischen  Kirchenlehrern  (Viertel- 
jahrsschr.  für  Bibelkunde  1.  Jahrg.  1903,  S.  195—234).  —  Voiz,  Jüdische 
Eschatologie  S.  126 — 133,  237 — 256.  —  Bousset,  Die  Religion  des  Judentums 
2.  Aufl.  S.  308—315. 

73)  Dieser  Ausdruck  z.  B.  Berachoth  V,  2.  Sota  IX,  15  fin.  Sanhedrin  X,  1. 

74)  Joseph.  Antt.  XVIII,  1,  4.   Beü.  Jud.  II,  8,  14.    Act.  23,  8. 

75)  Sapientia  Salom.  3,  1—9.  4,  7.  5,  15  f.  %  19  f.  (mit  Unrecht  bestreitet 
Weber,  Zeitschr.  für  wisseusch.  Theol.  1905,  S.  409—444,  daß  in  der  Sap. 
Salom.  die  Anschauung  von  der  Unsterblichkeit  der  Seele  ohne  Auferstehung 
vertreten  sei).  —  In  betreff  Philos  vgl.  Gfrörer,  Philo  und  die  alexan- 
driniscbe  Theosophie  I,  403  ff.  —  IV  Makk.  9,  8.  13, 16.  15,  2.  17,  5.  18.  18,  23. 
—  Auch  die  Essener  lehrten  nach  Josephus  keine  Auferstehung,  sondern  eine 
Unsterblichkeit  der  Seele,  s.  Antt.  XVIII,  1,  5.  Bell.  Jud.  II,  8,  11.  —  Vgl. 
auch  das  Buch  der  Jubiläen  23,  31  („ihre  Gebeine  werden  in  der  Erde  ruhen, 
und  ihr  Geist  wird  viel  Freude  haben");  auch  hier  liegt  nicht  die  Auf- 
erstehungshoffnung vor,  wie  Singer  will  (Das  Buch  der  Jubiläen  1898, 
S.  256  ff). 

76)  Vgl.  hierüber;  Volz*  Jfidfsohe  Eschatologie  S.  133—146.    Bousset, 


640  §  29.   Die  messianische  Hoffnung.  [548] 

nahm  man  in  der  Regel  eine  Scheidung  zwischen  Gerechten  und 
Ungerechten  an,  indem  man  für  erster e,  d.  h.  für  deren  abge- 
schiedene Seelen,  eine  vorläufige  Seligkeit,  für  letztere  einen  vor- 
läufigen Zustand  der  Qual  statuierte  (s.  bes.  Henoch  c.  22,  und  im 
IV.  B.  Esra  den  im  cod.  Sangermanensis  ausgemerzten  und  darum 
im  lateinischen  Vulgärtext  fehlenden  Abschnitt  c  7,  75—101  ed. 
Bemly  [bei  Fritzscfie  p.  609—611,  nach  Zählung  der  äthiopischen 
Übersetzung  c.  6,  49—76]).  Nach  Henoch  22,  2  ist  der  Ort  für  die 
abgeschiedenen  Seelen  in  vier  Abteilungen  geteilt,  drei  dunkle  und 
eine  helle  (rosig  avtcop  öxotsipoI  xal  elg  yxüvsipog),  jene  für  die 
Sünder,  diese  für  die  Gerechten.  An  diesen  Orten  bleiben  sie 
aber  nur  bis  zum  großen  Tage  des  Gerichtes  (22,  11:  fiixQ1  T*H 
fisyaXTjg  $ psoas  xr\g  xolöscog)11.  Während  also  nach  der  älteren 
Anschauung  das  Loos  aller  Abgeschiedenen  in  der  Scheol  das 
gleiche  ist,  wird  jetzt  eine  vorläufige  Vergeltung  unmittelbar 
nach  dem  Tode  angenommen.  Diese  Erwartung  liegt  ja  auch  dem 
Gleichnis  vom  reichen  Mann  und  armen  Lazarus  zugrunde  (Luc. 
16,  22  ff.);  denn  der  Ort,  an  welchem  Lazarus  sich  befindet,  ist 
nicht  ein  Ort  im  Himmel,  sondern  eine  Abteilung  der  Unterwelt; 
und  es  ist  nicht  gesagt,  daß  Lazarus  und  der  reiche  Mann  in 
Ewigkeit  an  den  Orten  bleiben,  an  welchen  das  Gleichnis  sie  uns 
zeigt.  Ihr  Geschick  ist  zwar  für  immer  entschieden;  es  hindert 
aber  nichts,  das  Stadium,  in  welchem  das  Gleichnis  sie  uns  zeigt, 
nur  als  vorläufiges  anzusehen,  wofür  namentlich  die  verwandte 
Schilderung  Henoch  c.  22  spricht78.    Auch  Josephus  bezeichnet  es 


Die  Religion  des  Judentums  S.  339  ff.  —  Über  die  patristischen  und  die  neu- 
testamentlichen  Anschauungen  vom  Zwischenzustand  s.  die  Literatur  in 
Anm.  78  und  82. 

77)  In  betreff  der  Gerechten  wird  Henoch  22,  13  augenscheinlich  voraus- 
gesetzt, daß  sie  auferstehen.  Hierin,  wie  überhaupt  in  der  Eschatologie  steht 
das  Stück  c.  22  nicht  in  Einklang  mit  der  Hauptmasse  von  c.  1 — 36.  Vgl. 
über  die  sonst  in  c.  1—36  herrschende  Eschatologie  oben  S.  596  f. 

78)  Sehr  entschieden  wird  diese  Auffassung  des  Gleichnisses  Luc.  16 
vertreten  von  den  älteren  Kirchenvätern,  welche  überhaupt  betonen,  daß  die 
verstorbenen  Frommen  nicht  sogleich  in  den  Himmel  versetzt  werden.  Sie 
nennen  wohl  zuweilen  den  Ort,  an  welchen  die  Frommen  nach  dem  Tode 
gelangen,  „Paradies",  betrachten  dieses  aber  nicht  als  einen  Ort  im  Himmel. 
S.  das  Material  bei  Münscher,  Dogmengeschichte  II,  1818,  S.  392 — 407 
Kattenbusch,  Das  apostolische  Symbol  H,  1900,  S.  901  ff.  Clemen, 
„Niedergefahren  zu  den  Toten"  1900,  S.  142—151.  Die  Hauptstellen  sind: 
Justin.  Dial.  c.  Tryph.  c.  5  ed.  Otto  p.  24  (ed.  3);  dazu  c.  80  ed.  Otto  p.  290. 
Irenaeus  II,  34,  1.  V,  5,  1.  V,  31,  1—2.  Tertuüian.  De  anima  c.  55.  58.  De 
resurr.  c.  43.  Besonders  ausfuhrlich  Hippolytus  in  dem  Fragmente  negl  toC 
~~^r(fc,   welches  von  manchen  dem  Josephus  zugeschrieben  wird  (am  besten 


[548.  549]  III.  Systematische  Darstellung.  641 

als  Lehre  der  Pharisäer,  daß  die  abgeschiedenen  Seelen  vor  der 
Auferstehung  ein  verschiedenes  Los  in  der  Unterwelt 
haben  {Antt.  XVIII,  1,  3:  a&avaxov  xe  löxvv  xalg  ipvxatg  jclöxig 
avvolg  üvai,  xal  vjco  x&ovbq  ötxaicoöecg  xe  xal  xifiag  alg 
aQstfjg  7)  xaxlag  kniTTjöevoig  iv  xq>  ßlcp  yiyova,  xal  xalg  fihv 
elQYfio»  aiöiov  jiQoxl&sofrai,  xalg  fih  Qaöxwvrjv  xov  avaßiovv).  In 
j  der  Apokalypse  Baruchs  und  im  vierten  Buch  Esra  ist  häufig  von 

Behältnissen  (jyromptuaria)  die  Rede,  in  welche  die  Seelen  der  ver- 
1  storbenen  Gerechten  nach  dem  Tode  aufgenommen  werden  (Apocal. 

Baruch.  30,  2.    IV  Esra  4,  35.  41.   7,  32.  80.  95.  101  ed.  Bensly).    Im 
II  Makkabäerbuche  wird  vorausgesetzt,  daß  |  die  Verstorbenen  An- 
teil nehmen  am  Geschick  der  Lebenden:  Jeremias  und  Onias  tun 
(  Fürbitte  für  ihr  Volk  (II  Makk.  15,  12—16).    Die  Tendenz  geht 

i  im  allgemeinen  dahin,  die  Vorstellung  von  der  vorläufigen  Se- 

!  ligkeit  der  verstorbenen  Frommen  zu  steigern,  so  daß  der  Unter- 

j  schied  zwischen  der  vorläufigen  und  der  definitiven  Seligkeit  all- 

•  mählich  geringer  wird.    Im  späteren  rabbinischen  Judentum  ist 

•  die  Anschauung  vorherrschend,  daß  die  Seelen  der  verstorbenen 
;  Gerechten   (nicht  ihre  Leiber)    alsbald   nach   dem  Tode  in  das 

„Paradies"  (den  yv?  "ja)  versetzt  werden79;  und  dieses  Paradies 
wird  mehr  und  mehr  als  ein  himmlisches  gedacht.  In  ähnlicher 
Richtung  bewegen  sich  schon  die  Bilderreden  des  Buches  Henoch, 
deren  Aussagen  aber  nicht  einheitlich  zu  sein  scheinen:  die  Selig- 
keit der  verstorbenen  Gerechten  ist  teils  eine  solche  im  Himmel, 
teils  eine  solche  in  einem  fernen  „Garten"  irgendwo  auf  der  Erde; 
dabei  ist  es  auch  nicht  überall  klar,  ob  an  eine  vorläufige  oder 
eine  definitive  Seligkeit  zu  denken  ist  (Henoch  39,  3—12.  60,  8.  23. 
61,  12.  70,  3-4.  71,  16—17).  Für-die  Zeit  Christi  wird  man  als 
Anschauung  des  vulgären  Judentums  betrachten  dürfen,  daß  nur 
einzelne  bevorzugte  Gottesmänner,  wie  Henoch  und  Elias, 
aber  auch  Esra  und  seinesgleichen,  unmittelbar  nach  dem  Tode 
in  den  Stand  der  himmlischen  Herrlichkeit  aufgenommen  werden 

(IV  Esra  14,  9:  tu  enim  recipieris  ab  hominibus  et  converteris  resi~ 
duum  cum  filio  meo  et  cum  similibus  tuis,  usquequo  ßniantur  tempora\ 

vielleicht  ist  auch  II  Makk  15,  12—16  in  diesem  Sinne  zu  ver- 
stehen). Die  Erwartung  dagegen,  daß  alle  verstorbenen 
Gerechten  schon  unmittelbar  nach  dem  Tode  in  die  himm- 


herausgegeben von  Ho  11,  Fragmente  vornicänischer  Kirchenväter  aus  den 
Sacra  parallela,  1899,  8.  137—143;  über  andere  Ausgaben  s.  oben  Bd.  I, 
8.  90  f.). 

79)  Vgl.  Lightfoot,  fforae  hebr.  zu  Luc.  16,  22.  Wetstein,  Nov.  Test,  zu 
Luc.  23,  43.  Weber,  System  S.  322  ff.  Castelli,  Jeurish  Quarterly  Review 
I,  337$??. 

Schür  er,  Geechic^  #,   «*.  Aufl,  41 


642  §  29.    Die  messianische  HoffmiDg.  [549.  550} 

lische  Seligkeit  versetzt  werden,  ist  zunächst  ein  Cha- 
rakteristikum des  hellenistischen  Judentums.  Sie  vertritt 
hier  die  Stelle  des  Auferstehungsglaubens  und  ist  mit  diesem  nur 
künstlich  vereinbar80.  Eben  weil  sie  den  Auferstehungsglauben, 
|  wie  er  ursprünglich  gemeint  war,  im  Grunde  ausschließt,  wird  sie 
auch  von  den  älteren  Kirchenlehrern  als  häretisch  verworfen81. 
Es  ist  darum  keineswegs  allgemein  giltig,  wenn  nach  der  christ- 
lichen Äscensio  Jesaja  9,  7—8  alle  Gerechten,  die  seit  Adam  ver- 
storben sind,  sich  im  siebenten  Himmel  befinden.  —  Im  Neuen 
Testamente  zeigt  sich  eine  ähnliche  Mannigfaltigkeit,  wie  in  den 
jüdischen  Quellen.  Die  Erwartung  einer  sofortigen  Versetzung  der 
Gerechten  in  den  Himmel  scheint  vorzuliegen:  Luc.  23,  43.  II  Kor. 
5,  8.  Phil.  1,  23.  Act  7,  59.  Apoc.  6,  9  ff.  7,  9  ff.  Aber  es  fragt 
sich,  ob  das  „Paradies"  Luc.  23,  43  als  ein  Ort  im  Himmel  zu 
denken  ist;  und  an  den  andern  Stellen  ist  zu  erwägen,  ob  es  sich 
nicht  um  eine  Bevorzugung  der  im  Dienste  Christi  als  Märtyrer 
Gestorbenen  handelt;  nur  Apoc.  7,  9  ff.  würde  in  diese  Auffassung 
sich  nicht  fügen82.    Jedenfalls  ist  es  nicht  richtig,  zu  sagen,  daß 


80)  Vgl.  die  in  Anm.  75  genannten  Schriften.  Besonders  bemerkenswert 
sind  die  Äußerungen  des  IV.  Makkabäerbuches ,  da  dieses  sonst  den 
pharisäischen  Anschauungen  sehr  nahe  steht.  Um  so  auffallender  ist  es,  daß 
es  die  in  seiner  Vorlage,  dem  II.  Makkabäerbuche,  so  stark  hervortretende 
Auferstehungshoffnung  überall  getilgt  und  an  deren  Stelle  die  Hoffnung  ge- 
setzt hat,  daß  die  Frommen  zu  Gott  in  den  Himmel  versetzt  werden.  9,  8: 
sie  werden  sein  naoä  &e<p.  13,  16:  Abraham,  Isaak  und  Jakob  nehmen  sie 
auf.  15,  2:  sie  kommen  elq  alowiov  £a>^v  xaxä  &e6v.  17,  5:  sie  stehen  bei 
Gott  iv  ovQavcp.  17,  18:  x<j>  &el(p  vvv  naQeoxtfxaoi  &oöv(p  xal  xbv  fiaxäoiov 
ßiovaiv  alwva.  18,  23:  sie  sind  zum  Chor  der  Väter  versammelt  Vgl.  Grimms 
Commentar  zum  IV.  Makkabäerbuche  S.  289.  Freudenthal,  Das  IV.  Makka- 
bäerbuch  S.  67—71. 

81)  Justin.  Dial  c.  Tryph.  c.  80  ed.  Otto  p.  290  (ed.  3):  di  xal  Xiyova* 
u-il  elvai  vsxqwv  avdaxaoiv,  &XX&  a/ua  xco  ano&v/jaxeiv  xä$  tpvxäs  avxCbv 
avaXafißaveo&ai  elg  xöv  ovoavöv,  ufi  vnoXaßrixs  avxovq  Xoiaxiavovs.  Dazu  c.  5 
ed.  Otto  p.  24.  —  Sehr  bestimmt  verwirft  Irenaeus  V,  31,  1—2  die  Lehre  der- 
jenigen als  häretisch,  welche  sagen,  daß  „der  innere  Mensch"  beim  Verlassen 
des  Körpers  in  super coe festem  ascendere  locum  (V,  31,  2).  —  Ähnlich  Bippo- 
lytus  in  der  eingehenden  Erörterung  in  dem  Fragmente  aus  nsol  xov  navx6$ 
(Ho  11,  Fragmente  vornicänischer  Kirchenväter  8.  137 — 143). 

82)  Vgl.  über  die  Lehre  des  N.  T.  bes.  Zell  er,  Die  Lehre  des  N.  T. 
vom  Zustand  nach  dem  Tode  (Theol.  Jahrbb.  1847,  S.  390—409).  Titius, 
Die  vulgäre  Anschauung  von  der  Seligkeit  im  Urchristenthum  (*—  Die  neu- 
testamentl.  Lehre  von  der  Seligkeit  IV)  1900,  S.  40—50.  Clemen,  „Nieder- 
gefahren zu  den  Toten"  1900,  S.  142—151.  M.  Stier,  Neue  kirchl.  Zeitschr. 
1907,  S.  227—250  (erörtert  den  Gegenstand  ganz  in  der  Weise  der  katholischen 
Scholastik).  —  Daß  nur  die  Märtyrer  gleich  nach  dem  Tode  zu  Christo- 
kommen,   sagt   ausdrücklich  Tertullian  De  resurr.  c.  43:   Nemo  enim  pere~ 


[550.  551]  III.  Systematische  Darstellung.  643 

nach  dem  Neuen  Testamente  alle  Gläubigen  unmittelbar  nach  dem 
Tode  in  das  himmlische  Paradies  versetzt  werden 83.  Fest  fixierte 
und  allgemein  giltige  Anschauungen  haben  sich  auf  diesem  Punkte 
überhaupt  nicht  gebildet.  —  Über  die  neue  Leiblichkeit  der 
Auferstandenen  gibt  die  Apokalypse  Baruchs  ausführlichen  Auf- 
schluß (50,  1—51,  6.    Vgl.  auch  IV  Esra  7,  97  ed.  Bensly). 

Eine  Hauptdifferenz  in  der  Auferstehungslehre  besteht  nun 
aber  darin,  daß  man  entweder  nur  eine  Auferstehung  der  Ge- 
rechten zum  Zweck  der  Teilnahme  am  messianischen  Reiche  er- 
wartete, oder  eine  allgemeine  Auferstehung  (der  Gerechten  und 
Gottlosen)  zum  Gericht,  und  zwar  bald  yor  Anbruch  des  messia- 
nischen Reiches,  bald  nach  Ablauf  desselben.  Die  älteste  Form 
ist  wohl  die  zuerst  genannte  (vgl.  Anm.  60).  Sie  findet  sich  z.  B. 
im  Psalt.  Salom.  3, 16;  14,  2  ff.,  wird  aber  auch  noch  von  Josephus 
als  pharisäische  Durchschnittsmeinung  erwähnt  (Antt.  XVIII,  1,  3. 
B.  J.  II,  8,  14).  Eine  Erweiterung  dieser  ältesten  Auferstehungs- 
hoffnung ist  die  Erwartung  einer  allgemeinen  Auferstehung 

zum  Gericht.  So  Daniel,  Henoch,  Apocal.  Baruch,  IV  Esra,  Testam. 
XII  Patriarch,  und  die  Mischna,  an  den  oben  angeführten  Orten84. 
Hierbei  besteht  wieder  |  der  Unterschied,  daß  man  Auferstehung 
und  Gericht  entweder  vor  Anbruch  der  messianischen  Zeit  er- 
wartete oder  nach  Ablauf  derselben.  Die  erstere,  von  Daniel  12,  2 
und  Henoeh  51  vertretene  Anschauung  ist  sicher  die  ältere;  denn 
das  Gericht  hat  ursprünglich  den  ZVeck,  die  messianische  Zeit  zu 
inaugurieren.  Erst  als  die  messianische  Seligkeit  nicht  mehr  als 
die  letzte  und  höchste  betrachtet  wurde,  hat  man  auch  das  Gericht, 
als  die  Entscheidung  über  das  Endgeschick  der  Menschen,  an  den 
Schluß  der  messianischen  Zeit  verlegt  So  namentlich  Apocal.  Ba~ 
ruch  und  IV  Esra.  In  der  neutestamentlichen  Apokalypse  ist 
die  Erwartung  einer  Auferstehung  der  Frommen  vor  Anbruch  des 
messianischen  Reiches  kombiniert  mit  der  Erwartung  einer  allge- 

cjrinatus  a  corpore  statim  immoratur  penes  dominum  nisi  ex  martyrii  prae- 
rogativa. 

83)  So  Korff,  Unmittelbar  in  das  himmlische  Paradies,  Neutestainent- 
liche  Untersuchung  über  den  Aufenthaltsort  der  Gerechten  alsbald  nach  dem 
Tode  (auch  unter  dem  Titel:  Die  Auferstehung  und  Himmelfahrt  unseres 
Herrn  Jesu  Christi,  Vorverhandlung),  1897. 

84)  In  der  Mischna  vgl.  bes.  Aboth  IV,  22:  „Die  geboren  werden,  sind 
bestimmt  zu  sterben;  die  Gestorbenen,  auferweckt  zu  werden;  die  Aufer- 
weckten vor  Gericht  zu  stehen,  damit  man  lerne,  lehre  und  überzeugt 
-werde,  daß  er  der  Allmächtige  ist  etc."  —  Auch  Sanhedrm  X,  3  wird  die 
•Auferstehung  als  eine  allgemeine  vorausgesetzt,  insofern  nur  ausnahmsweise 
von  einzelnen  hervorragenden  Sündern,  die  schon  bei  Lebzeiten  ihr  Gericht 
empfangen  haben,  gesagt  wird*  daß  sie  nicht  zum  Gericht  auferstehen  werden. 

«  41* 


644  §  29.   Die  messianische  Hoffnung.  [551.  552] 

meinen  Auferstehung  nach  Ablauf  desselben.  —  Die  Auferweckang 
selbst  erfolgt  durch  den  Schall  der  göttlichen  Posaune  (I  Kor. 
15,  52.   I  Thess.  4,  16.    Vgl.  Matth.  24,  31.    IV  Esra  6,  23) 85. 

11.  Letztes  Gericht  Ewige  Seligkeit  und  Verdamm- 
nis86. Von  einem  letzten  Gerichte  nach  Ablauf  der  messianischen 
Zeit  kann  nur  da  die  Rede  sein,  wo  dem  messianischen  Reiche 
eine  begrenzte  Dauer  zugeschrieben  wird.  Es  kommen  hier  also 
von  älteren  Dokumenten  nur  die  Apokalypse  Baruchs  und  das 
vierte  Buch  Esra  in  Betracht  Bei  den  übrigen  fällt  das  Ge- 
richt zusammen  mit  der  Vernichtung  der  feindlichen  Mächte,  welche 
vor  Anbruch  des  messianischen  Reiches  erfolgt  (s.  oben.  Nr.  5). 
In  der  Apokalypse  Baruchs  wird  das  letzte  Gericht  nur  kurz  an- 
gedeutet (50,  4).  Etwas  ausfuhrlicher  ist  das  vierte  Buch  Esra 
(7,  33—44  ed.  Bensly,  bei  Fritzsche  c.  7,  33—35  und  6,  1—17  nach 
dem  äthiop.).  Wir  erfahren  aus  ihm  namentlich,  daß  Gott  selbst 
es  ist,  der  das  Gericht  hält  Auch  kann  darüber  kein  Zweifel 
sein,  daß  nach  diesen  beiden  Apokalypsen  am  Tage  des  Gerichts 
nicht  nur  über  das  Volk  Israel,  sondern  über  die  ganze  Mensch- 
heit das  Urteil  gesprochen  wird  {Baruck  51,  4  —  5.  Esra  7,  37  ed. 
Bensly).  Als  allgemeiner  Grundsatz  gilt,  daß  alle  Israeliten  An- 
teil haben  an  der  zukünftigen  Welt  (Sanhedrin  X,  1:  bfcnto*!  b3 
«an  Dbteb  pbn  Dnb  tfi).  Selbstverständlich  aber  sind  alle  Sünder 
in  Israel  (die  in  der  Mischna  Sanhedrin  X,  1—4  sorgfältig  ver- 
zeichnet werden)  davon  ausgeschlossen.  Da  das  Urteil  über  jeden 
einzelnen  genau  nach  Maßgabe  der  Werke  gefällt  werden  soll,  so 
werden  schon  bei  Lebzeiten  der  Menschen  ihre  Taten  in  himm- 
lischen Büchern  aufgeschrieben  (Henoch  98,  7—8;  104,  7;  auch 
c.  89—90.  Jubiläen  c.  30,  19—23.  36,  10  und  sonst  Test.  XII  Patr. 
Äser  7.  Mischna  Aboth  II,  1.  Ev.  Luc.  10,  20.  Phü.  4,  3.  Äpoc.  3,  5. 
13,  8.    20,  15.    Hermas  Vis.  I,  3,  2)87,   und   nach  Ausweis  [dieser 


85)  8.  auch  Weber,  System  S.  352 f.  Stähelin,  Jahrbb.  f.  deutsche 
Theol.  1874,  S.  198;  220.  BousBet,  Der  Antichrist  S.  166  f.  und  die  Kommen- 
tare zu  I  Kor.  15,  52  und  I  Thess.  4,  16. 

86)  Vgl.  überhaupt:  Bertholdt,  Christologia  Judaeorum  p.  206 — 211. 
221—226.  Gfrörer,  Das  Jahrhundert  des  Heils  II,  285  ff.  311  ff.  Weber, 
System  S.  371  ff.  —  Über  das  Gericht:  Volz,  Jüdische  Eschatologie  S.  83—105, 
257—270.  Bousset,  Die  Religion  des  Judentums  S.  237—245,  294—297.  — 
Über  ewige  Seligkeit  und  Verdammnis:  Volz  S.  270—292,  325—368, 
Bousset  S.  315—321,  324—329,  333—346. 

87)  Vgl  über  diese  himmlischen  Bücher  bes.  Harn acks  Anmerkung  zu 
Hermas  Vis.  I,  3,  2;  auch  Fabririusy  Cod.  pseudepigr.  I,  551 — 562.  Dill« 
mann,  Das  Buch  Henoch  S.  245;  Ewalds  Jahrbb.  HI,  83.  Langen,  Das  Ju- 
den thum  in  Palästina  S.  385.  499.  Besch,  Paralleltexte  zu  Lucas  S.  1951 
Bousset,  Die  Religion  des  Judentums  S»  296. 


[552.  553]  III.  Systematische  Darstellung.  645 

Bücher  erfolgt  dann  der  Urteilsspruch  im  Gericht.  Die  Gottlosen 
werden  in  das  Feuer  der  Gehenna  verstoßen  (Baruch  44,  15.  51, 
1—2.  4—6.  Esra  7,  36—38  u.  84  ed.  Bensly,  bei  Fritzsche  p.  607  sqq. 
c  6, 1—3  u.  59) 88.  Diese  Ver|dammnis  wird  in  der  Regel  als  ewige 
gedacht89.  Doch  findet  sich  auch  die  Anschauung  von  einer  zeit- 
lich begrenzten  Dauer  der  Höllenstrafen,  wodurch  sie  also  nur 
die  Bedeutung  eines  Purgatoriums  erhalten90.   Die  Gerechten  und 


88)  Das  hebr.  Disrpa  Kidduschin  IV,  14.  Edujoth  n,  10.  Abotk  I,  5.  V, 
19.  20.  Häufig  in  den  Targumen  und  im  Talmud.  Im  Neuen  Testamente 
yhwa  ML  5,  22.  29  f.  10,  28.  18,  9.  23,  15.  33.  Mc.  9t  43.  45.  47.  Luc.  12,  5. 
Jaeob.  3,  6.  —  Eigentlich  ist  das  Qe-htnnom  (Tal  des  Hinnom)  ein  Tal  bei 
Jerusalem,  in  welchem  die  Israeliten  dem  Moloch  opferten  (Jerem.  32,  34 — 35, 
vgl.  II  Reg.  21,  4 — 5).  Jeremia  weissagt  darum,  daß  gerade  hier  auch  das 
Verderben  hereinbrechen  werde:  ein  furchtbares  Blutbad,  in  welchem  die 
Israeliten  hingemordet  werden  (Jerem.  7,  31  ff.  19,  5  ff).  Im  Buch  Henoch 
e.  26 — 27  finden  wir  dann  die  Erwartung,  daß  in  diesem  Tale  aUe  Gottlosen 
versammelt  werden,  damit  an  ihnen  das  Gericht  vollzogen  werde.  Der  Name 
Gehinnom  ist  nicht  genannt;  aber  es  ist  deutlich  beschrieben  als  das  Tal 
zwischen  Zion  und  Ölberg.  Es  ist  also  noch  ein  eigentliches  Tal  bei 
Jerusalem.  Fndlich  aber  ist  dann  das  Gehinnom  gedacht  als  ein  Strafort 
in  der  Unterwelt,  an  welchen  die  Gottlosen  verstoßen  werden.  —  Rabbinische 
Beschreibungen  des  Gehinnom  s.  bei  Jellinek,  Bei  ha-Midrasch  I,  147 — 149. 
II,  48—51.  V,  48  f.  Löwy,  Proceedings  of  the  Society  of  Bibl.  Archaeology 
X,  1888,  p.  333—342.  Gaster,  Journal  of  the  Royal  Asiatic  Society  1893, 
p.  571—611.  —  Vgl.  überhaupt:  Eisenmenge r,  Entdecktes  Juden thum  II, 
322—369.  Light foot,  Horae  zu  Matth.  5,  22.  Wetstein,  Nov.  Test.,  zu 
Mt.  5,  22.  Buxtorfj  Lex.  Ohald.  col.  395 sq.  Bodenschatz,  Kirchliche  Ver- 
fassung der  heutigen  Juden  III,  64—86.  Boetteher,  De  inferis  p.  80 — 85. 
Levy,  Chald.  Wörterb.  I,  135 f.  Ders.,  Neuhebr.  Wörterb.  I,  323.  Tho- 
luck  und  Achelis  in  ihren  Auslegungen  der  Bergpredigt,  zu  Matth.  5,  22. 
Die  Lexika  zum  N.  T.  s.  v.  yiewa.  Dillmann,  Das  Buch  Henoch  S.  131  f. 
Weber,  System  S.  326 ff.  Wünsche,  Jahrbb.  f.  prot.  Theol.  1880,  S.  382f. 
495 ff.  Bacher,  Die  Agada  der  Tannaiten  2  Bde.  Register  s.  v.  „Hölle". 
Daiman,  Art.  „Gehenna"  in  Herzog-Haucks  Real-Enz.  3.  Aufl.  VT,  418—421, 
und  Art.  „Hades"  ebendas.  VH,  295—299.  Charles ,  Art.  Gehenna  in:  Ha- 
stings*  Dictionary  of  the  Bible  H,  119  sg.  Beer,  Der  biblische  Hades,  in: 
Theologische  Abhandlungen  für  Holtzmann  1902,  S.  1-29.  Volz,  Jüdische 
Eschatologie  8.288  ff.  —  Sonst  wird  auch  der  Hades  und  dessen  Finster- 
nis als  künftiges  Los  der  Gottlosen  bezeichnet,  z.  B.  Psalt.  Salom.  XIV,  6. 
XV,  11.  XVI,  2. 

89)  Jes.  66,  24.  Daniel  12,  2.  Matth.  3,  12.  25,  46.  Luc.  3,  17.  Testam. 
XII  Patr.  Sebulon  10.  Äser  7.  Joseph.  B.  J.  H,  8,  14:  &Xd*l<p  u/totola.  Antt. 
XVni,  1,  3:  elgypöv  ätöiov  (beide  Stellen  im  Zusammenhang  oben  8.  449  ff.). 
Vgl.  Gfrörer,  Das  Jahrhundert  des  Heils  H,  289. 

90)  Edujoth  n,  10:  ;,R-  Akiba  sagte:  Die  Gerichtsvollziehung  über  Gog 
und  Magog  in  der  Zukauft  dauert  zwölf  Monate  und  die  Verdammungszeit  der 
Gottlosen  im  Gehinnojw  faüert  zwölf  Monate".  —  Es  ist  dabei  aber  wohl  nur 


646  §  29*    Die  messianische  Hoffnung.  [553] 

Frommen  werden  aufgenommen  ia  das  Paradies  und  werden 
wohnen  in  -den  Höhen  jener  Welt  und  schauen  die  Majestät  Gottes 
und  seiner  heiligen  Engel.  Ihr  Angesicht  wird  leuchten  wie  die 
Sonne,  und  sie  werden  ewiglich  leben  {Daniel  12,  3.  Baruch  51,  3. 
7—14.  Esw  7,  36—38;  95—98  ed.  Bensly,  bei  Fritzsche  p.  607  sqq. 
c.  6,  1—3;  68—72.    Vgl.  auch  Assumptio  Mosis  10,  9— 10) 91. 

Bei  diesen  letzten  Akten  des  eschatologischen  Dramas  tritt 
besonders  stark  der  Unterschied  zwischen  der  älteren  prophetischen 
und  der  späteren  jüdischen  Hoffnung  hervor.  Im  allgemeinen  ist 
dieser  Unterschied  oben  in  den  einleitenden  Bemerkungen  S.  583  ff. 
charakterisiert  worden.  Es  ist  dort  —  abgesehen  von  der  Steige- 
rung ins  Transzendente  (Nr.  3)  und  der  Ausgestaltung  durch 
schriftgelehrte  Forschung  (Nr.  4)  —  als  Hauptunterschied  hervor- 
gehoben worden:  einerseits  die  Erweiterung  des  Blickes  auf  das 
Geschick  der  ganzen  Welt  (Nr.  1)  und  andererseits  die  Konzen- 


an  die  Sünder  ans  Israel  zu  denken.   Jedenfalls  gelten  die  Höllenstrafen  in 
der  Regel  als  ewige.    S.  Cas teilt,  Jewish  Quarter ly  Review  I,  345. 

91)  Im  Rabbinischen  heißt  das  Paradies  gewöhnlich  yrs  *|*  (so  z.  B. 
Aboth  V,  20),  oder  auch  ö*nß,  letzteres  aber  seltener  (in  der  Mischna  nur  von 
einem  Park  im  natürlichen  Sinne,  Sanhedrin  X,  6.  Chuliin  XII,  1.  Ärachin 
III,  2).  In  den  Testam.  Xu  Patr.  kommt  beides  vor  ('EStfi  Test.  Dan.  5, 
naoaöeiooq  Test  Levi  18).  Im  N.  T.  naoadeioog  Lue.  23,  43.  II  Kor.  12,  4. 
Apoc.  2,  7.  Die  syrischen  Übersetzungen  des  N.  T.  geben  das  nentestament- 
liche  naoaäeiooq  teils  durch  „Garten  Eden",  teils  durch  das  griechische  Wort 
wieder  (b.  Resch,  Paralleltexte  zu  Lucas  1895,  S.  735  ff.).  —  Sofern  das  Para- 
dies als  Ort  der  definitiven  Seligkeit  in  Betracht  kommt,  ist  es  als  ein  Ort 
im  Himmel  zu  denken;  nach  der  älteren  Anschauung  liegt  es  in  einer  fernen 
Gegend  der  Erde  (s.  z.  B.  Henock  32).  —  Rabbinische  Beschreibungen  s.  bei 
Jellinek,  Bet  ha-Midrasch  II,  48—51.  52  sq.  in,  131—140;  194—198.  V, 
42—48.  VI,  151—152.  Gaster,  Journal  of  the  Royal  Asiatic  Society  1893, 
p.  571—611  (engl.  Übersetzung  rabbinischer  Texte).  —  Viel  Material  bei  Eisen- 
menger,  Entdecktes  Juden thum  II,  295 — 322.  Bodenschatz,  Kirchliche 
Verfassung  der  heutigen  Juden  III,  41—63.  Wetstein,  Nov.  Test.  I,  818—820 
(zu  Luc.  23,43).  Vgl.  auch  Lightfoot,  Horae  hebr.  zu  Luc.  23,  43.  Schött- 
gen,  Horae  hebr.  zu  II  Kor.  12,  4  und  Apoc.  2,  7.  Überhaupt  die  Ausleger 
zu  den  Stellen  des  N.  T.s.  Joh.  Schultheß,  Das  Paradies,  das  irdische 
und  überirdische,  historische,  mythische  und  mystische  (Zürich  1816)  S.  345  ff. 
Arnold,  Art.  „Paradies"  in  Ersch  und  Grubers  Enzykl.  Sektion  111,  Bd.  11 
(1838)  S.  304 ff.  bes.  310 ff.  Thilo,  Cod.  apocr.  Nov.  Test.  p.  74Ssqq.  Dill- 
mann in  Schenkels  Bibellex.  IV,  377 — 379.  Klöpper,  Commentar  zum 
zweiten  Korintherbrief  S.  506 ff.  Weber,  System  S.  330 ff.  Hamburger, 
Real-Enz.  II,  892—897  (Art.  „Paradies").  Wünsche,  Jahrbb.  f.  prot  Theol. 
1880,  S.  382 f.  495  ff.  Salmond,  Art.  Paradise  in:  Hastings'  Dictionary  of 
the  Bible  III,  1900,  p.  668-672.  Eisenstein  und  Barton,  Art.  Paradise  in: 
The  Jewish  Encyclopedia  IX,  1905,  p.  515—519.  Voiz  S.  374—378.  Bousset 
8.  324  ff. 


[553]  III.  Systematische  Darstellung.  (547 

trierung  des  Interesses  auf  das  einzelne  Individuum  (Nr.  2).  Am 
stärksten  ins  Gewicht  fällt  der  letztere  Punkt:  das  Hervortreten 
des  religiösen  Individualismus.  Über  sein  Verhältnis  zur 
älteren  prophetischen  Hoffnung  sei  hier  noch  einiges  bemerkt 

Der  religiöse  Individualismus  steht  mit  der  älteren  prophe- 
tischen Hoffnung,  welche  immer  das  Volk  als  solches  im  Auge 
hat,  in  keinem  näheren  Zusammenhang.  Das  Endgeschick  des 
Einzelnen  ist  nicht  notwendig  bedingt  durch  das  des  Volkes  und 
umgekehrt  Ein  gewisser  Zusammenhang  besteht  nur  so  lange, 
als  die  individuelle  Hoffnung  noch  in  der  einfachsten  Form  des 
Auferstehungsglaubens  auftritt:  die  Frommen  werden  auferweckt, 
um  am  messianischen  Reiche  teilzuhaben.  Sobald  aber  die  indi- 
viduelle Hofinung  eine  mehr  transzendente  Form  annimmt  und 
irgendwie  auf  ein  seliges  Leben  in  einer  übersinnlichen  Weit  geht, 
tritt  eine  Spannung  zwischen  beiden  Anschauungskreisen  ein:  beide 
sind  nur  noch  künstlich  zu  vereinigen.  Durch  die  verschiedene 
Art  der  Kombination  ist  die  Jgroße  Mannigfaltigkeit,  ja  Inkon- 
zinnität  der  Zukunftsbilder  bedingt,  wie  sie  eben  gezeichnet  wur- 
den. Am  deutlichsten  ist  dies  bei  der  hellenistischen  Form  der 
Zukunftshoflhung:  die  Seele  geht  nach  dem  Tode  in  ein  übersinn- 
liches himmlisches  Dasein  über.  Für  ein  Leben  im  messianischen 
Reiche  bleibt  hier  kein  Raum.  Aber  auch  die  palästinensische 
Hoffnung  bewegt  sich  irgendwie  in  derselben  Richtung.  Was 
früher  nur  als  ein  Vorzug  einzelner  Gottesmänner  erschien:  die 
Erhebung  in  ein  himmlisches  Dasein,  wird  jetzt  mehr  und  mehr 
die  Hofinung  der  Frommen  überhaupt.  In  dem  Maße  als  dies  der 
Fall  war,  mußte  die  alte  nationale  Hoffnung  entweder  aufgelöst 
oder  mit  jener  nur  äußerlich  kombiniert  werden.  In  den  Apoka- 
lypsen des  Baruch  und  Esra  ist  letzteres  geschehen.  Aber  die 
äußerliche  Art  der  Addition  zeigt  deutlich,  daß  hier  zwei  eigentlich 
disparate  Elemente  zusammengeschweißt  sind.  Tatsächlich  geht 
die  Tendenz  dahin,  das  nationale  Reich  des  Messias  durch  ein 
„Himmelreich",  ein  Reich,  in  welchem  der  Unterschied  von  Himmel 
und  Erde  aufgehoben  ist,  zu  ersetzen. 

Während  also  der  religiöse  Individualismus  zur  nationalen 
Hoffnung  sich  disparat  verhält,  steht  er  in  voller  Harmonie  mit 
dem  religiösen  Universaiismus.  Auch  hier  gibt  es  zwar  eine 
Form,  welche  sich  noch  an  die  alte  nationale  Hoffnung  anschließt 
Das  Gericht  ist  ein  Gericht  über  alle  Feinde  des  jüdischen  Volkes, 
und  das  messianische  Reich  umfaßt  insofern  die  ganze  Welt,  als 
die  Heiden  dem  jüdischen  Volke  unterworfen  sind  oder  sich  willig 
ihm  anschließen.  Indem  aber  die  das  Universum  umspannenden 
Erwartungen  den  Boden  dieser  irdischen  Welt  verlassen  und  sich 


\\±#  §  29.    Die  meäsianische  Hoffnung.  [553.  554] 

tun  (übersinnliche  erheben,  treten  sie  auch  in  Disharmonie  ziTden 
nationalen.  Wenn  das  letzte  große  Gericht  ein  Weltgericht  ist, 
bei  welchem  alle  Menschen  vor  Gottes  Richterstuhl  zu  erscheinen 
haben,  und  über  das  Geschick  aller  entschieden  wird  nach  Maß- 
gabe (ihres  Verhaltens  auf  Erden,  dann  müssen  die  nationalen 
Unterschiede  zurücktreten.  Es  [handelt  sich  jetzt  nicht  mehr  in 
erster  Linie  um  die  Frage:  ob  Jude  oder  Heide,  sondern  um  die: 
ob  gut  oder  böse.  Der  ethische  Faktor  tritt  in  den  Vorder- 
grund und  der  nationale  zurück. 

Durch  das  Hervortreten  der  individuellen  und  universellen 
Richtung  und  ihre  Erhebung  ins  Transzendente  strebt  demnach 
die  Entwickelung  auf  eine  Auflösung  der  |Volkshoffnung  und)  ihre 
Ersetzung  durch  eine  rein  religiöse  hin.  Aber  weiter  als  zu 
starken  Ansätzen  in  dieser  Richtung  kommt  es  nicht.  Die  Volks- 
hoffnung behält  doch  [das  Übergewicht  Sie  wird  mannigfaltig 
modifiziert;  sie  wird  mit  Elementen  bereichert,  die  sich  eigentlich 
disparat  zu  ihr  verhalten;  aber  sie  bleibt  der  feste  Punkt  im 
Wechsel  der  Zeiten.  Erst  im  Christentum  ist  sie  durch  die  rein 
religiösen  Gesichtspunkte  verdrängt.  Aber  auch  hier  hat  das  Erb- 
stück der  jüdisch-nationalen  Hoffnung,  der  Chiliasmus,  noch  zwei 
Jahrhunderte  lang  die  Gemüter  beherrscht 

12.  Anhang.  Der  leidende  Messias92.  Wir  hatten  im  | 
bisherigen  nirgends  Veranlassung,  von  Leiden  oder  vollends  von 
einem  Versöhnungstode  des  Messias  zu  reden.  Denn  die  Weis- 
sagung des  vierten  Buches  Esra,  daß  der  Messias  nach  400jähriger 
Herrschaft  sterben  werde  (IV  Esra  7,  28—29),  hat  selbstverständ- 
lich mit  der  Idee  eines  Versöhnungstodes  nichts  gemein.  Aber  es 
darf  nun  doch  die  Frage  nicht  unerörtert  bleiben:  ob  das  Juden- 
tum im  Zeitalter  Christi  einen  leidenden  und  zwar  zur  Sühnung 
der  menschlichen  Sünde  leidenden  und  sterbenden  Messias  erwartet 
habe.  Nach  dem  bisherigen  scheint  sich  die  Frage  von  selbst  zu 
verneinen,  wie  sie  denn  auch  von  den  meisten  (unter  eingehendster 


92)  Vgl.  De  Wette,  De  morte  Jesu  Christi  expiatoria  (Optiscc.  p.  1 — 148). 
—  G frörer,  Das  Jahrhundert  des  Heils  II,  265—272.  —  Oehler,  in  Herzogs 
Real-Enz.  IX,  440  f.  (2.  Aufl.  IX,  670 f.).  —  Wünsche,  rr*tt*n  «nw  oder  Die 
Leiden  des  Messias.  Leipzig  1870.  —  Delitzsch,  Sehet  welch'  ein  Mensch! 
(Leipzig  1872),  S.  13.  30 f.  —  Castelli,  11  Messia  p.  216—224,  329 ff.  335  ff.  — 
Weber,  System  S.  343—347.  —  Hamburger,  Real-Enz.  II,  765—767  (Art. 
„Messiasleiden").  —  Dal  man,  Der  leidende  und  der  sterbende  Messias  der 
Synagoge  im  ersten  nachchristl.  Jahrtausend,  1888  (bes.  beachtenswert).  — 
Baldensperger,  Das  Selbstbewußtsein  Jesu  (2.  Aufl.  1892),  S.  144 ff  —  Vgl. 
auch  das  unten  Anm.  100  genannte  Werk  Ton  Driver  und  Neubauer.  — 
Die  ältere  Literatur  verzeichnet  De  Wette  a.  a.  0.  8.  6—9. 


[554.  555]  III.  Systematische  Darstellung.  649 

Begründung  namentlich  von  de  Wette)  verneint  worden  ist.  An- 
dere dagegen,  wie  z.  R  Wünsche,  glauben  sie  ebenso  entschieden 
bejahen  zu  können.   Allerdings  ist  nun  im  Talmud  wiederholt  von 
Leiden  des  Messias  die  Rede.   Aus  dem  Worte  iirnrn  Jesaja  11,  3 
wird  geschlossen,  daß  Gott  den  Messias  beladen  habe  mit  Geboten 
und  Schmerzen  gleich  Mühlsteinen  (D^ms  "p-fio-n  mroa)93.    An 
einer  andern  Stelle  wird  geschildert,   wie  der  Messias  an  den 
Toren  Roms  sitzt  und  seine  Wunden  auf-  und  zubindet94.    Wich- 
tiger ist,  daß  schon  in  Justins  Bialogus  cum  Tryphone  von  dem 
Vertreter  des  jüdischen  Standpunktes  wiederholt  zugegeben,  ja  als 
selbstverständlich  versichert  wird,  daß  der  Messias  leiden  müsse. 
„Wenn  wir  (so  berichtet  Justin  c.  68)   ihnen  die  Schriftstellen 
nennen,  welche  deutlich  beweisen,  daß  der  Messias  leiden  muß 
und  anzubeten  ist  und  Gott  ist,  so  geben  sie  zwar  gezwungen  zu, 
daß  dort  vom  Messias  die  Rede  ist,  aber  trotzdem  wagen  sie  zu 
behaupten,  daß  dieser  (Jesus)  nicht  der  Messias  sei.    Vielmehr 
glauben  sie,  er  werde  erst  kommen  und  leiden  und  herrschen  und 
ein  anbetungswürdiger  Gott  werden".    Noch  bestimmter  äußert 
sich  Trypho  selbst  an  einer  anderen  Stelle  c.  89:  Ua^rjxbv  /ihv 
xov  Xqiöxov   oxi   al   ygcupal  xrjQvööovOi,  (paveoov  köxiv 
|    el  öe  öia  xov  kv  xq3  vopcp  xexaxrjQafiivov  xad-ovg,   ßovXofis^a 
[la&elv,  sl  %x6l$  x<d  BSQ1  tovxov  äxodelgcu.    Hier  überall  ist  nun 
freilich  nur  von  Leiden  im  allgemeinen,  nicht  von  einem  sühnen- 
den Leiden  die  Rede,  und  die  Idee  eines  Kreuzestodes  wird  be- 
stimmt abgewiesen.    Aber  es  finden  sich  auch  Stellen,  in  welchen 
im  Anschluß  an  Jesaja  53,  4  ff.  deutlich  von  einem  Leiden  um  der 
Sünde  der  Menschen  willen  die  Rede  ist    So  wird  einmal 
dem  Messias  unter  anderen  Namen  auch  der  Name  Ckulja  («"'bin 
der  Kranke,  nach  anderer  Lesart  fcng^n  der  Aussätzige)  beigelegt, 
und    dies   begründet   durch  Berufung   auf  Jes.  53,  4:    „Fürwahr 
unsere  Krankheiten  hat  er  getragen  und  unsere  Schmerzen  hat 
er  auf  sich  genommen;   wir  aber  hielten  ihn  für  einen,  der  ge- 
plaget und  von  Gott  geschlagen  und  gedemütigt  wäre**95.    Nach 
einer  von  Raymundus  Martini  aus  dem  Siphre  entnommenen  Stelle 
sagte  R.  Jose  der  Galiläer:  „Der  König  Messias  ist  erniedrigt  und 
klein  gemacht  worden  wegen  der  Abtrünnigen,  wie  es  heißt:   Er 
ist  durchbohrt  wegen  unserer  Frevel  u.  s.  w.  (Jes.  53,  5).   Um  wie 

93)  Sanhedrin  93 *>,   mitgeteilt  bei  Wünsche,   Die  Leiden  des  Messias 
S.  56  f.    Dal  man  S.  38  f. 

94)  Sanhedrin  98a,  bei  Delitzsch,  Hebräerbrief  S.  117.  Wünsche  8. 57 f. 
Dalman  S.  39 f. 

95)  Sanhedrin  98b,   bei   Gfrörer  II,   266.     Wünsche   S.  62 f.    Dal- 
man S.  36  f. 


650  §  <&•    Die  messianische  Hoffnung.  [555.  556] 

viel  mehr  wird  er  deshalb  für  alle  Geschlechter  Genugtuung 
schaffen,  wie  geschrieben  steht:  Und  Jahve  ließ  ihn  treffen  die 
Schuld  von  uns  allen  (Jes.  53,  6)a96.  Da  die  Stelle  in  unseren 
Texten  des  Sipkre  sich  nicht  findet,  so  fragt  es  sich,  ob  unsere 
Texte  verkürzt  sind  oder  ob  Raymundus  Martini  ein  interpoliertes 
Exemplar  hatte97.  Es  wird  damit  auch  zweifelhaft,  ob  der  Aus- 
spruch wirklich  von  E.  Jose  dem  Galiläer,  einem  Zeitgenossen 
Akibas  (erste  Hälfte  des  zweiten  Jahrh.  n.  Chr.,  s.  oben  S.  446), 
herrührt  An  sich  ist  es  aber  nicht  unwahrscheinlich,  daß  um 
jene  Zeit  einzelne  Gelehrte  Jes.  53,  4  ff.  auf  den  Messias  gedeutet 
haben.  Dafür  sprechen  namentlich  die  Worte  Tryphos  bei  Justin. 
Dial.  c.  Tryph.  c.  90:  Uafrelv  (ihv  yaQ  xal  coq  XQoßarov  a#- 
d-TJoeod-ai  oldctftev  el  6h  xal  oravQco&fjvcu  x.  r.  X.  Der  jüdische 
Gegner  Justins  gab  also  zu,  daß  Jes.  53,  7  auf  den  Messias  zu 
beziehen  sei.  Es  wird  sich  hiernach  nicht  bestreiten  lassen,  daß 
man  im  zweiten  Jahrhundert  nach  Chr.  wenigstens  in  ge- 
wissen Kreisen  des  Judentums  sich  mit  der  Idee  eines  leidenden, 
und  zwar  zur  Sühne  der  menschlichen  Sünde  leidenden  Messias 
vertraut  gemacht  hat98.  Die  Darstellung  Justins  macht  es  wahr- 
scheinlich, daß  die  jüdischen  Gelehrten  durch  ihre  Disputationen 
mit  den  Christen  sich  zu  dieser  Konzession  gedrängt  sahen.  Es 
ist  damit  ein  Gedanke  auf  den  |  Messias  angewandt,  der 
dem  rabbinischen  Judentum  ganz  geläufig  ist:  daß  nämlich 
der  vollkommene  Gerechte  nicht  nur  alle  Gebote  erfüllt,  sondern 
auch  durch  Leiden  die  etwa  begangenen  Sünden  büßt,  und  daß 
das  überschüssige  Leiden  der  Gerechten  den  anderen 
zugute  kommt99.  Aber  so  sehr  sich  von  diesen  Prämissen  aus 
die  Idee  eines  leidenden  Messias  auf  dem  Boden  des  Judentums 
begreifen  läßt,  so  wenig  ist  sie  doch  die  herrschende  Anschauung 
des  Judentums  geworden.  Das,  sozusagen  offizielle,  Targum  Jona- 
than läßt  zwar  die  Beziehung  von  Jes.  53  auf  den  Messias  im 
ganzen  stehen,  deutet  aber  gerade  diejenigen  Verse,  welche  vom 


96)  S.  Wünsche  S.  65  f.  Delitzsch,  Paulus1  Brief  an  die  Römer  (1870) 
S.  82  f. 

97)8.  Dalman  S.  43  f.  Wünsche  gibt  freilich  die  Seitenzahl  des 
Siphre  an,  wo  die  Stelle  angeblich  steht!! 

98)  Da  Justins  Trypho  höchst  wahrscheinlich  mit  R.  Tarphon  iden- 
tisch ist  (s.  oben  S.  444),  und  da  R.  Tarphon  mit  R.  Jose  dem  Galiläer  ver- 
kehrt hat  (oben  S.  446),  so  gewinnt  die  obige  Tradition  über  R.  Jose  den 
Galiläer  durch  Justins  Angabe  an  Glaubwürdigkeit.  Trypho  würde  hiernach 
einen  Standpunkt  vertreten  haben,  welcher  auch  seinen  nächsten  palästinen- 
sischen Kollegen  nicht  fremd  war. 

99)  S.  Weber,  System  S.  313—316. 


[ 


556.  557]  §  30.    Die  Essener.  651 

Leiden  des  Knechtes  Gottes  handeln,  nicht  auf  den  Messias100. 
In  keiner  der  zahlreichen  von  uns  besprochenen  Schriften  fanden 
wir  auch  nur  die  leiseste  Andeutung  von  einem  sühnenden  Leiden 
des  Messias.  Wie  fern  diese  Idee  dem  Judentum  lag,  beweist 
auch  das  Verhalten  der  Jünger  wie  der  Gegner  Jesu  zur  Genüge 
(ML  16,  22.  Luc.  18,  34.  24,  21.  Joh,  12,  34).  Man  wird  nach 
alledem  wohl  sagen  dürfen,  daß  sie  dem  Judentum  im  großen 
und  ganzen  fremd  gewesen  und  immer  nur  Schulmeinung  ge- 
blieben ist101. 


§  30.   Die  Essener. 

Literatur: 

Triglandius,    Trium  seriptorum  illustrium  de  tribus  Judaeorum  sectis  syn- 

tagma.  2  Bde.   Delphis  1703. 
Joh.  0 ottlob  Carpxov,  Apparatus  historico-critieus  antiquüatum  sacri  codicis 

(1748)  p.  215-240.  | 
Ugolini,    Trihaeresium  etc.,   in    seinem    Thesaurus    antiquitatum   sacrarum 

t.  XXII. 
Bellermann,  Geschichtliche  Nachrichten  aus  dem  Alterthume  über  Essäer 

und  Therapeuten,  Berlin  1821. 
Credner,   Über  Essäer  und  Ebioniten  und  einen  teil  weisen  Zusammenhang 

derselben,   in:    Winers  Zeitschr.  für  wissenschaftl.  Theol.   Bd.  I,   Heft  2. 

(1827)  S.  211—264,  und  Heft  3  (1829)  S.  277—328. 
Gfrörer,  Philo  und  die  alexandrinische  Theosophie  Bd.  II  (1831)  S.  299— 356. 
Dähne,    Geschichtliche  Darstellung  der  jüdisch -alexandrinischen  Religions- 
Philosophie  Bd.  I  (1834)  S.  439—497.  —  Ders.,  Art.  „Essäer"  in  Ersch  und 

Grubers  Allg.  Enzyklop.  Sektion  I,  Bd.  38  (1843)  S.  173—192. 
Frank el,  Die  Essäer.   Eine  Skizze  (Zeitschr.  för  die  religiösen  Interessen  des 

Judenthums  1846,  S.  441—461). 
Frankel,  Die  Essäer  nach  thalmudischen  Quellen  (Monatsschr.  für  Gesch.  und 

Wissensch.  des  Judenth.  1853,  S.  30-40.  61—73). 
Lutterbeck,  Die  neutestamentlichen  Lehrbegriffe  Bd.  I  (1852),  S.  270—322. 
ühlhorn,  Art.  „Essener"  in  Herzogs  Real-Enz.  Bd.  IV  (1855),  S.  174—177. 

3.  Aufl.  Bd.  V  (1898)  S.  524—527. 


100)  Näheres  s.  bei  O eh ler  in  Herzogs  Real-Enz.  IX,  441  (2.  Aufl.  IX, 
670  f.).  Weber,  System  S.  344  f.  —  Zur  Geschichte  der  Auslegung  von  Jes.  53 
bei  den  Juden  vgl.  auch  Origenes  c.  Gels.  I,  55;  und  besonders:  Driver  and 
Neubauer,  The  fifty-third  chapter  of  Isajah  according  to  the  Jewish  Inter- 
preters. 2  Bde.  I:  Texts.  II:  Translations.  Oxford  and  London  1876—1877 
(Theol.  Litztg.  1877,  567  f.). 

101)  Stellen  aus  späteren  Midraschim  und  anderen  Werken  jüdischer 
Theologen  s.  bei  Wünsche  8.  66—108. 


652  §•  30.   Die  Essener.  1557.  558] 

Zeller,  Die  Philosophie  der  Griechen  Tl.  m,  Abt.  2  (1.  Aufl.  1852),  2.  Aufl. 
1868,  S.  234-292.  3.  Aufl.  1881,  S.  277—338.  4.  Aufl.  1903,  S.  307—377. 
—  Ders.,  Über  den  Zusammenhang  des  Essai  smus  mit  dem  Griechen- 
thum  (Theol.  Jahrbb.  1856,  8.  401—433). 

Ritschi,  Über  die  Essener  (Theol.  Jahrbb.  1855,  S.  315—356).  —  Ders.,  Die 
Entstehung  der  altkathoL  Kirche  (2.  Aufl.  1857)  8.  179—203. 

Mangold,  Die  Irrlehrer  der  Pastoralbriefe  (1856)  8.  32—60. 

Hilgenfeld,  Die  jüdische  Apokalyptik  (1857),  8.  243—286.  —  Ders.,  Zeitschr. 
für  wissensch.  Theol.  Bd.  I,  1858,  8.  116  ff.  III,  1860,  8.  358  ff.  X,  1867, 
8.  97  ff.  XI,  1868,  8.  343  ff.  XIV,  1871,  8.  50  ff.  XXV,  1882,  S.  257  ff. 

Herz  fei  d,  Gesch.  des  Volkes  Jisrael  Bd.  III,  8.  368  ff.  388  ff.  509  ff. 
Jost,  Geschichte  des  Juden thums  und  seiner  Secten  Bd.  I,  8.  207 — 214. 
Grätz,  Geschichte  der  Juden  Bd.  III,  (3.  Aufl.),  8.  99  ff.  657—663  (Note  10). 
4.  Aufl.  8.  91  ff.  697—703  (Note  12). 

Ewald,  Geschichte  des  Volkes  Israel  Bd.  IV,  8.  483  ff. 

Barnischmacher  y  De  Essenorum  apud  Judaeos  societaie.  Bonn  1866  (Gym- 
nasialprogramm). —  Ders.,  Essenorum  apud  Judaeos  societatis  origines 
exponuntur  et  historia.   Bonn  1886  (Gymnasialprogr.). 

eim,  Geschichte  Jesu  Bd.  I,  8.  282—306. 

Holtzmann,  in  Weber  und  Holtzmanns  Gesch.  des  Volkes  Israel  Bd.  IE, 
8.  74—89.  —  Ders.,  Lehrbuch  der  neutestamentl.  Theologie  I,  1897, 
8.  99—110. 

Derenbourg,  Histoire  de  la  Palestine  (1867)  p.  166—175.460—462. 

Hausrath,  Neutestam entliche  Zeitgeschichte  Bd.  I,  2.  Aufl.,  8.  132 — 146. 

Tideman,  Bei  Essenisme.  Leiden  1868.  —  Ders.,  Esseners  en  Therapeuten 
(Theologisch  Tijdschrift  1871,  p.  177—188).  —  Ders.,  De  apocalypse  van 
Benoch  en  het  Essenisme  (Theol  Tijdschrift  1875,  p.  261—296).  —  Ders., 
De  Esseners  bij  Josefus  (Theol  Tijdschr.  1892,  p.  596—606). 

Weste ott,  Art.  Essenes  in  Smith 's  Dictionary  ofthe  Bitte  (in  der  amerikani- 
schen Ausgabe  gibt  Abbot  hierzu  Literaturnachträge). 

O  ins  bürg  Art.  Essenes  in  Kittos  Oyclopaedia  of  Biblical  Literature.  —  Ders., 
The  Essenes ,  their  history  and  doctrines,  London  1864.  —  Ders.,  Art.  | 
Essenes  in  Smith  and  Wace,  Dictionary  of  Christian  Biograpky  vol.  IL, 
1880,  p.  198—208. 

Benamoxegh,  Storia  degli  Essenz,  Firenxe  1865. 

Lauer,  Die  Essäer  und  ihr  Verhältnis  zur  Synagoge  und  Kirche.  Wien, 
Braumüller  1869  (Separatabdruck  aus  der  Österreich.  Viertel)  ahrsschr.  für 
kathol.  Theol.  Jahrg.  VTI,  Heft  4). 

Lipsius,  Art.  „Essäer"  in  Schenkels  Bibellex.  Bd.  II,  181 — 192. 
Clemens,  Die  Quellen  für  die  Geschichte  der  Essener  (Zeitschr.  für  wissen- 
schaftl.  Theol.  1869,  S.  328—352). 

Geiger,  Jüdische  Zeitschr.  für  Wissensch.  und  Leben  Bd.  IX,  1871,  S.  30—56. 
Clemens,  Die  essenischen  Gemeinden  (Zeitschr.  für  wissen schaftl.  Theol.  I871r 
8.  418—431). 

Sieffert,  Christus  und  die  Essäer  (Beweis  des  Glaubens  1873,  8.  481—508). 
Hamburger,  Real-Enz.  für  Bibel  und  Talmud  H,  172—178  (Art.  „Essäer«). 
Delaunay9  Maines  et  Sibylles  dans  l' antiquiti  judSo-grecque,  Paris  1874. 
Light  foot,  St.  PauTs  epistles  to  the  Colossians  and  to  Philemon  (2.  ed.  London 
1876)  p.  82—98,  349—419. 


[558.  559]  §  30.   Die  Essener.  653 

Pick,  Die  englische  Literatur  über  die  Essäer  (Zeitschr.  für  die  lutherische 
Theologie  1878,  8.  397—399). 

Dem  ml  er,  Christus  und  der  Essenismus  (Theologische  Studien  aus  Württem- 
berg 1.  Jahrg.  1880,  8.  29  ff.  122  ff.). 

Bestmann,  Geschichte  der  christlichen  Sitte  Bd.  I  (1880)  8.  308 ff. 

Lucius,  Der  Essenismus  in  seinem  Verhältniß  zum  Juden thum,  Straß- 
burg 1881. 

Reuß,  Gesch.  der  heiligen  Schriften  Alten  Testaments  §  547. 

Klöpper,  Der  Brief  an  die  Colosser  (1882)  S.  76-95. 

Kuenen,  Volksreligion  und  Weltreligion  (deutsche  Ausg.  1883)  S.  197—206. 

Hilgenfeld,  Ketzergeschichte  des Urchristenthums  (1884)  8.87— 149.  —  Ders., 
Judenthum  und  Christenthum  1886,  8.  20  ff.  —  Ders.,  Zeitschr.  für  wis- 
sensch.  Theol.  XXXI,  1888,  S.  49—71.  XXXII,  1889,  S.  481-485.  XLIH, 
1900,  8.  180-211.  XLVI,  1903,  S.  294—315. 

Henle,  Kolossä  und  der  Brief  des  hl.  Apostels  Paulus  an  die  Kolosser  1887, 

8.  59—80. 
Ohle,  Die  Essäer  des  Philo  (Jahrbb.  f.  prot.  Theol.  1887,  8.298—344,  376—394; 

dazu  Nachtrag  1888,  S.  314—320).  —  Ders.,  Die  Essener,  eine  kritische 

Untersuchung    der  Angaben    des  Josephus   (Jahrbb.   für  prot.  Theol. 

1888,  8.  221—274,  366—387).  —  Ders.,  Beiträge  zur  Kirchengeschichte  I. 

Die  pseudophilonischen  Essäer  und  die  Therapeuten,  1888. 

Friedlaender,  Les  EssSniens  (Revue  des  etudes  Juives  t.  XIV,  1887,  p.  184 — 216). 
Derselbe  Aufsatz  deutsch,  nur  wenig  überarbeitet  in:  M.  Friedländer, 
Zur  Entstehungsgeschichte  des  Christenthums  1894,  S.  98 — 142.  —  Ders., 
Die  religiösen  Bewegungen  innerhalb  des  Judentums  im  Zeitalter  Jesu, 
1905,  8.  114—168. 

Wendland,  Die  Essäer  bei  Philo  (Jahrbb.  für  prot.  Theol.  1888,  S.  100—105). 
—  Ders.,  Philos  Schrift  liegt  xov  navxa  onoväaTov  elvcu  ikevS-egov  (Archiv 
f.  Gesch.  der  Philos.  I,  1888,  S.  509—517).  —  Ders.,  Bericht  über  die 
neuere  Philo-Literatur,  im  Archiv  f.  Gesch.  der  Philos.  V,  1892,  8.  225  ff. 

Wuku,  Die  Essener  nach  Jos.  Flavius  und  das  Mönchthum  nach  der  Regel 
des  hl.  Benedict  (Stud.  und  Mittheilungen  aus  dem  Benedictiner-  und  dem 
Cistercienser-Orden  XI,  1890,  S.  223—230). 

Weinstein,  Beiträge  zur  Geschichte  der  Essäer,  1892. 

Renan,  Histoire  du  peuple  d' Israel  t.  V,  1893,  p,  55—77.  Vgl.  auch  Benans 
Besprechung  von  Lucius  im  Journal  des  Savants  1892,  p.  83  sqq.  \ 

Wellhausen,  Israelitische  und  jüdische  Geschichte  (2.  Ausg.  1895)  S.  292 — 296. 

4.  Ausg.  1901,  S.  309—312. 
Lehmann,  Les  sectes  juives  mentiormies  dam  la  Mischna,  II  (Revue  des  Hildes 

juives  t.  XXX,  1895,  p.  187—203). 
Conybeare,    Art.    Essenes    in    Hostings'   Dictionary   of  the   Bible   I,    1898, 

p.  767—772. 

Regeffe,   La   secte  des  EssSniens.    Essai  crüique  sur  son  Organisation,  sa 

doctrine,  son  origme.    Lyon  1898,  These  (104  p.). 
Zell  er,  Zur  Vorgeschichte  des  Christenthums.  Essener  und  Orphiker  (Zeitschr. 

für  wissen  seh.  Theol.  1899,  S.  195—269). 
Treplin,  Die  Essenerquellen  gewürdigt  in  einer  Untersuchung  der  in  neuerer 

Zeit  an  ihnen  geübten  Kritik  (Theol.  Studien  und  Kritiken  1900,  S.  28—92). 
Plooijy  De  bronnen  voor  onxe  Kennis  van  de  Essenen,  1902  (vgl.  Theol.  Litztg. 


654  §  30.   Die  Essener.  [559] 

1904,   223  f.).   —    Ders.,   De  Essenen  (Theol.  Studien  1905,  p.  205-251, 

313—337,  1907,  p.  1—40). 
Bousset,  Die  Religion  des  Judentums  im  neutestamentlichen  Zeitalter,  2.  Aufl. 

1906,  S.  524—536. 
Ermoni,   UEssinisme  {Revue  des   questions  historiques,  40 me  annie,   t.  79, 

1906,  p.  5-27). 

Von  der  großen  Heerstraße  des  jüdischen  Volkslebens  abge- 
schieden lebte  im  Zeitalter  Christi  in  Palätina  eine  religiöse  Ge- 
meinschaft, die,  obwohl  auf  jüdischem  Boden  erwachsen,  doch  in 
vielen  Punkten  von  dem  traditionellen  Judentume  wesentlich  ab- 
wich, und  die,  wenn  sie  auch  auf  die  Entwickelung  des  Volkes 
keinen  maßgebenden  Einfluß  geübt  hat,  doch  schon  als  eigentüm- 
liches Problem  der  Religionsgeschichte  unsere  Aufmerksamkeit  ver- 
dient Man  pflegt  diese  Gemeinschaft,  die  Essener  oder  Essäer, 
nach  dem  Vorgange  des  Josephus  als  die  dritte  jüdische  Sekte  neben 
die  Pharisäer  und  Sadduzäer  zu  stellen.  Aber  es  bedarf  kaum 
der  Bemerkung,  daß  wir  es  hier  mit  einer  Erscheinung  ganz  anderer 
Art  zu  *tun  haben.  Während  die  Pharisäer  und  Sadduzäer  große 
politisch-religiöse  Parteien  sind,  lassen  sich  die  Essener  am  ehe- 
sten vergleichen  mit  einem  Mönchsorden.  Im  einzelnen  ist  frei- 
lich vieles  rätselhaft  an  ihnen.  Schon  ihr  Name  ist  dunkel.  Jo- 
sephus nennt  sie  gewöhnlich  'EoötjpoI1,  daneben  aber  auch  yEo- 
oatoc2.  Bei  Plinius  heißen  sie  Esseni,  bei  Philo  stets  'Eooaioi. 
Wenn  Philo  behauptet,  ihr  Name  sei  identisch  mit  oaioi,  so  ist  dies 
eben  nur  etymologische  Spielerei 3.  In  Wahrheit  ist  er  jedenfalls 
semitischen  Ursprungs,  so  wenig  Einverständnis  auch  bisher  da- 
rüber erreicht  worden  ist4.  Die  früher  von  vielen  angenommene 
Erklärung  «*o«  „Ärzte"  trifft  zu  wenig  die  Eigentümlichkeit  des 
Ordens,  hat  auch  keine  Stütze  an  dem  griechischen  d-egcvtevral,  da 


1)  So  im  ganzen  14  mal:  Antt.  XIII,  5,  9  (2  mal).  XIU,  10,  6.  XIII,  11,  2. 
XV,  10,  4.  XV,  10,  5  (2  mal).  XVIII,  1,  2.  XVIII,  1,  5.    Vita  c.  2.   Bell.  Jud. 

II,  8,  2.  II,  8,  11.  II,  8,  13.  V,  4,  2  (vgl.  Harnischmacher  1866,  p.  5). 

2)  So  Ana.  XV,  10,  4.   XVII,  13,  3.    Bell.  Jud.  I,  3,  5.   II,  7,  3.    II,  20,  4. 

III,  2,  1. 

3)  Quod  omnis  probus  liber  §  12  (Mang.  II,  457):  öiaXtxvov  'EXXqvucrjq 
7i aQiovvß öl  baibxnxoq.  Ibid.  §  13  (Mang.  II,  459):  xbv  \z%&kvxa  ZpuXov 
xihv  'Eooatwv  ?j  balmv.  Mang.  II,  632  (=  Euseb.  Praep.  evang.  VIII,  11,  1 
ed.  Qaisford):  xalovvxai  'EooaZoi  nagä  x^v  baibxrjxa,  ßol  <fo*u>,  xfjq  tiqoo- 
riyogiaq  &%uo&hxeq.  —  Es  scheint  mir  unwahrscheinlich,  daß  Philo  bei  diesen 
Erklärungen  an  das  semitische  chase  gedacht  hat  (so  Lucius  S.  89  und  Nestle, 
Zeitschr.  f.  d.  neutest.  Wissensch.  1903,  S.  348).  Vielmehr  leitet  er,  wie 
namentlich  die  zuerst  angeführte  Stelle  zeigt,  den  Namen  wirklich  von  dem 
griechischen  boibxrjq  ab. 

4)  S.  das  Verzeichnis  der  verschiedenen  Ansichten  bei  Keim,  Geschichte 


[560]  §  30.    Die  Essener.  655 

|  die  Essener  nirgends  „Ärzte",  sondern  nur  d-eQaxsvxai  d-eov 
(Diener  Gottes)  genannt  werden5.  Am  ansprechendsten  ist  die 
z.  B.  von  Ewald,  Hitzig,  Lucius  und  anderen  vertretene  Ableitung 
von  dem  syrischen  Kon  fromm  (dem  aramäischen  Äquivalent  für 
das  hebräische  "Ppn),  im  Plural  etat  absoL  "pon  stat.  emphat.  fcTüH. 
An  ersteres  schließt  sich  die  Form  'EcötjvoI,  an  letzteres  y£ccaioi 
an6.  Mehr  noch  als  der  Name  der  Essener  liegt  ihr  Ursprung 
im  Dunkeln.  Josephus  gedenkt  ihrer  zuerst  zur  Zeit  des  Mak- 
kabäers  Jonathan  um  150  vor  Chr.7  Bestimmt  erwähnt  er 
einen  Essener  Judas  zur  Zeit  Aristobuls  I  (105—104  vor  Chr.)8. 
Darnach  wird  die  Entstehung  des  Ordens  wohl  ins  zweite 
Jahrhundert  vor  Chr.  zu  setzen  sein.  Aber  es  fragt  sich,  ob 
sie  lediglich  aus  dem  Juden  turne  hervorgegangen  sind,  oder  ob 
auch  fremde,  speziell  hellenistische  Einflüsse  auf  ihre  Bildung 
eingewirkt  haben.  Um  darauf  zu  antworten,  haben  wir  vor 
allem   die   Berichte  der  Quellen,  nämlich    des    Philo9,    Jose|- 


Jesu  I,  285.  Zeller,  Philosophie  der  Griechen  III,  2,  278  (3.  Aufl.).  Light- 
foott  St.  PauFs  epistles  to  the  Golossians  and  to  Philemon  (2.  ed.)  p.  349—354. 
Lucius,  Der  Essenismus  S.  89 f.    Hilgenfeld,  Ketzergeschichte  S.  93— 101. 

5)  Philo,  Quod  omnis  probus  über  §  12  (Mang.  II,  457). 

6)  Daß  anlautendes  h  mit  folgendem  Zischlaut  im  Griechischen  durch 
iaa—  oder  äaa —  wiedergegeben  werden  kann,  sieht  man  z.  B.  aus  iaa^vijq 
=  'jttjn  (Jos.  Antt.  III,  7,  5.  8,  9),  aooiöaloi  =  ti^on,  'Eoaeßwv  =  *p3iion.  — 
Die  Wortbildungen  auf  rjvöq  und  aloq  werden  im  hellenistischen  Griechisch 
promiscue  gebraucht;  es  bedarf  also  zu  ihrer  Erklärung  nicht  notwendig  der 
Berufung  auf  den  semitischen  Status  absol.  und  emphat.;  doch  wird  man  eine 
gewisse  Einwirkung  dieser  auf  die  Bildung  der  griechischen  Formen  für  wahr- 
scheinlich halten  dürfen. 

7)  Antt.  XIII,  5,  9. 

8)  Antt.  XIII,  11,  2.   B.  J.  I,  3,  5. 

9)  Quod  omnis  probus  über  §  12 — 13  (Opp.  ed.  Mang.  II,  457—459),  und 
das  Fragment  bei  Eusebius,  Praeparatio  evangelica  VIII,  11,  aufgenommen  von 
Mangey  II,  632—634.  Die  Echtheit  beider  Berichte  ist  neuerdings  von  Ohle 
bestritten  worden,  die  des  zweiten  (bei  Euseb.  Praep.  ev.  VIII,  11)  auch  von 
Hilgenfeld.  Ohle  hält  zwar  die  Schrift  Quod  omnis  probus  liber  für  philo- 
nisch,  den  Abschnitt  über  die  Essäer  aber  für  eine  spätere  Einschaltung.  Der- 
selbe Fälscher  soll  auch  das  Stück  bei  Euseb.  VIII,  11  und  die  Schrift  De 
rita  contemplativa  verfaßt  haben,  frühestens  Ende  des  dritten  Jahrh.  n.  Chr. 
(Beiträge  zur  Kirchengescb.  I,  18  ff.  43).  Hilgenfeld  urteilt  über  die  Schrift 
Quod  omnis  probus  liber  umgekehrt:  sie  rühre  von  einem  Stoiker  her,  in  dessen 
Schrift  Philo  den  Abschnitt  über  die  Essäer  eingeschoben  habe;  dagegen  sei 
das  Stück  Euseb.  VIII,  11  nicht-philonisch.  Die  Gründe  gegen  die  Echtheit 
des  letzteren  scheinen  mir  sehr  unerheblich.  Eher  kann  man  an  dem  philo- 
nischen  Ursprung  der  Schrift  Quod  omnis  probus  liber  zweifeln.  Aber  auch 
hier  dürften  die  Grunde  gegen  die  Echtheit  nicht  durchschlagend  sein  (s. 
Lucius  S.  13 — 23,  und  überhaupt  die  unten  §  34  genannte  Literatur).    Sollte 


656  §  30.   Die  Essener.  [561] 

phus10  und  Plinius11  uns  zu  vergegenwärtigen,  um  auf  dieser 
Grundlage  dem  Ursprung  und  Wesen  des  Essenismus  näher  nach- 
zugehen. 

I.  Die  Tatsachen. 

1.  Organisation  des  Gemeinschaftslebens.  Philo  und 
Josephus  schätzen  übereinstimmend  die  Zahl  der  Essener  zu  ihrer 
Zeit  auf  mehr  als  4000  *.  Soviel  wir  wissen,  lebten  sie  nur  in 
Palästina;  wenigstens  gibt  es  keine  sicheren  Spuren  für  ihr 
Vorkommen  außerhalb  Palästinas2.    Nach  Philo  wohnten  sie  vor- 


die  Schrift  nicht  von  Philo  herrühren,  so  würde  sie  dadurch  ihren  Quellen- 
wert  doch  nicht  verlieren;  denn  der  Bericht  über  die  Essäer  gibt  an  sich  zu 
keinen  Bedenken  Anlaß.  Gegen  Ohle  s.  Wendland,  Archiv  f.  Gesch.  der 
Philos.  V,  225  ff.  Treplin,  Theol.  Stud.  u.  Krit.  1900,  S.  32 ff.  Plooij,  De 
bronnen  voor  onxe  Kennis  van  de  Essenen  1902,  p.  30—90. 

10)  Bell.  Jud.  II,  8,  2—13.  Antt.  XIII,  5,  9.  XV,  10,  4-5.  XVIII,  1,  5. 
Auch  die  Berichte  des  Josephus  hält  Ohle  für  stark  überarbeitet.  Nur  eine 
ganz  schmale  Grundlage  erkennt  er  als  echt  an.  Es  muß  auch  hier  genügen, 
gegenüber  seinen  scharfsinnigen,  aber  wenig  überzeugenden  Ausführungen  auf 
Wendland,  Treplin  und  Plooij  zu  verweisen. 

11)  Hut.  Not.  V,  17.  —  Die  übrigen  Quellen  (Hippolytus,  Porphy- 
rius,  Eusebius,  Solinus,  Epiphanius)  sind  entweder  ganz  von  den  drei 
Genannten  abhängig,  oder  doch  so  dürftig  oder  unzuverlässig,  daß  sie  kaum 
von  Wert  sind.  S.  überhaupt  über  die  Quellen  für  die  Geschichte  der  Essener: 
Bellermann,  Geschichtliche  Nachrichten  S.  36—145.  Clemens,  Zeitschr. 
für  wiss.  Theol.  1869,  S.  328  ff.  Lightfoot,  St.  PauPs  epistles  to  the  Ookssians 
etc.  2.  ed.  p.  83  sq.  Lucius,  Der  Essenismus  S.  12—34.  Hilgenfeld,  Zeitschr. 
1882,  S.  266-289.  Ketzergeschichte  8.87—149.  Treplin,  Stud.  u.  Krit.  1900. 
Plooij,  De  bronnen  etc.  1902.  —  In  der  rabbinischen  Literatur  (Mischna, 
Tosephta,  Talmud,  Midraschim)  werden  die  Essener,  wie  es  scheint,  nirgends 
erwähnt;  jedenfalls  nicht  unter  diesem  Namen.  Wenn  die  jüdischen  Gelehrten 
(Frankel,  Herzfeld,  Jost,  Grätz,  Derenbourg,  Geiger,  Hamburger, 
Weinstein,  Lehmann)  sie  unter  verschiedenen  anderen  Namen  haben  wie- 
derfinden wollen,  so  sind  diese  Identifizierungen  teils  entschieden  unrichtig, 
teils  wenigstens  sehr  fraglich,  wie  dies  für  die  meisten  Fälle  auch  von  Geiger 
anerkannt  worden  ist.  S.  bes.  Jüdische  Zeitschrift  für  Wissensch.  und  Leben 
1871,  S.  49—56. 

1)  Philo  ed.  Mangey  II,  457.  Joseph.  Antt.  XVIII,  1.  5.  —  Es  scheint  mir 
kaum  zweifelhaft,  daß  Josephus  hier  den  Philo  benützt  hat  In  der  ausführ- 
lichen Schilderung,  welche  Josephus  selbst  Bell.  Jud.  H,  8  gibt,  fehlen  fol- 
gende Punkte:  1)  Die  Zahl  4000,  2)  Verwerfung  der  Tieropfer,  3)  Ackerbau 
als  vorwiegende  Beschäftigung,  4)  Verwerfung  der  Sklaverei.  Alle  diese  Punkte 
werden  von  Philo  erwähnt  und  von  Josephus  in  dem  späteren  Berichte  Antt. 
XVIII,  1,  5  nachgeholt;  doch  wohl  aus  Anlaß  des  philonischen  Berichtes. 

2)  Ob  die  christlichen  Asketen  in  Rom  (Rom.  14 — 15)  und  Kolossä 
{Col.  2)  christianisierte  Essener  sind,  ist  sehr  fraglich.    Nur  in  Syrien  würde 


[561.  5621  I.  Die  Tatsachen.  657 

wiegend  in  Dörfern,  da  sie  die  Städte  mieden  wegen  der  Unsitt- 
lichkeit  |  der  Stadtbewohner3.  Doch  sagt  er  selbst  an  einer  an- 
dern Stelle,  daß  sie  auch  viele  Städte  Judäas  bewohnten4.  Und 
nach  Josephus  waren  sie  sogar  in  jeder  Stadt  (Palästinas)  zu 
finden 5.  Man  würde  sonach  sehr  irren,  wenn  man  durch  die  Schil- 


ein Vorkommen  der  Essener  bezeugt  sein,  wenn   in  der  Stelle  Philos  Quod 
omnis  probus  liber  §  12,  Mang.  II,  457  (s.  nächste  Anm.)   die   vulgäre  Lesart 
^  üaXaioxlvij  xal  Zvola  die  richtige  wäre.    Es  ist  aber  sicher  zu  lesen  fj  IIa- 
XaiGxlvrj  Zvola.    Denn   1)  Die  besten  Philohandschriften  haben  so,  s.  Wend- 
land, Archiv  f.  Gesch.  d.  Philos.  V,  230.  2)  Eusebius,  der  die  Stelle  ebenfalls 
zitiert  (Praep.  evang.  VIII,  12,  1  ed.  Oaisford)  liest  ^   iv  IlaXaioxivg  2vqIcl. 
3)  Der  Ausdruck  ^  UaXaiaxlvTj  SvqIcc   wird   von  Philo  auch   sonst  gebraucht 
(De  nobilitate  §  6,  Mang.  11,443:  ßduao  9p  xwv  knb  xfjq  üaXaiaxlvvq  Zvolccq), 
und  derselbe  ist  überhaupt  seit  Herodot  ganz  gewöhnlich  (seit  Antoninus  Pius 
auch  im   amtlichen   römischen  Sprachgebrauch   rezipiert).    S.  Herodot  I,  105: 
iv  xy  IlaXaioTlvg  SvQlg,  II,  106  ebenso,  III,  5:    Svqcdv  xibv  üaXaioxivwv  xa- 
XeofiivüjVf  III,  91 :   4*oivixrj  xe  näaa  xal  EvqIti  fj  üaXaiaxlvij  xaXeofjttvrj  (Näheres 
über  den  Sprachgebrauch   des  Herodot  s.  Herzog-Haucks  Beal-Enz.   3.  Aufl. 
XIV,  558,  im  Artikel  „Palästina").    Joseph.  Äntt.  VIII,  10,  3:  x^v  üaXaiaxlvrjv 
2vqIov.    Polemon  bei  Euseb.  Praep.  evang.  X,  10, 15  (ed.  Oaisford):  iv  xy  ILa- 
Xaiaxlvy  xaXovßivy  Zvglq.    Für  den  amtlichen  röm.  Gebrauch  ist  der  älteste 
Beleg  ein  Militärdiplom  vom  J.  139  n.  Chr.  (Reime  bibliqve  VI,  1897,  p.  598  sqq. 
=»  Corp.  Insor.  hat.  III  Suppl.  p.  2328,  70,  Dipl.  CIX).    Häufig  findet  sich  auf 
den  Münzen  von  Flavia  Neapolis  die  Beischrift  üvoiaq  TlaXaiaxlvrjq  (De  Saulcy, 
Numismatique  de  la  Terre  Sainte  p.  248  sqq.).    Noch  mehr  Material  bei  Pape- 
Benseler,   Wörterb.   der  griech.  Eigennamen   s.  v.  IlaXaiorlvv.    Forbiger, 
Geogr.  II,  673 f.     Paulys   Real-Enz.   V,  1070.     Kuhn,   Die   städtische   und 
bürgert.  Verfassung  des  röm.  Reichs  II,  183 f.    Marquardt,  Romische  Staats- 
verwaltung Bd.  I  (1881)  S.  420  ff.    Rohden,  De  Palaestina  et  Arabia  etc.  1885, 
p.  1—3.  —  naXaiatlvT]  ist  hier  überall  Adjeetivum  („das  philistäische  Syrien")* 
Aus  den  angeführten  Stellen  erhellt  auch,  daß  bei  Philo  a.  a.  O.  nicht  JlaXai- 
axlvrj  Svglaq  zu  lesen  ist,  wie  Manche  wollen,  sondern  2V(>/a.    Das  Richtige 
z.  B.  bei  Wieseler  in  Herzogs  Real-Enz.  1.  Aufl.  XXI,  291  (Art.  Timotheus- 
b  riefe). 

3)  Philo  ed.  Man?/.  II,  457:  *Eaxi  6h  xal  ^  IJaXaioxlvTj  [xal]  Svgla  xa- 
Xoxaya&iaq  obx  ayovoq,  JJr  noXvavS^Qwnoxdxov  S&vovq  x(bv  *Iov6alo>v  obx  ÖXlyrj 
(xoZqo,  vtftexai.  Aiyovxai  xtvsq  nag'  abxotq  övofxa  'EooaZoi  x.  x.  X.  .  .  .  Oircoi 
xb  fxhv  ngibxov  Xiüfxridbv  olxovai,  xaq  nöXuq  ixxgenbfxevoi,  6ia  xaq  x(bv  noXi- 
xevofiivoiv  yEiQOTJ&eiq  dvo/ilaq,  elödxeq  ix  xibv  cwövxwv  ioq  &n*  Stigoq  <p&ooo- 
noioS  vöaov  iyyivo/xivrjv  ngooßoX^v  %pv%atq  dvlaxov. 

4)  Philo  ed.  Mang.  II,  632  (=  Euseb.  Praep.  Evang.  VIII,  11, 1  ed.  Oais- 
ford): Olxovoi  6k  noXXaq  fikv  noXeiq  xfjq  'lovöalaq,  noXXäq  6k  x&paq,  xal 
pteyäXovq  xal  noXvav&gvonovq  SfxlXovq. 

5)  Joseph.  Bell.  Jud.  H,  8,  4:  Mla  rf'  obx  ?<mv  abxwv  ndXiq,  äXX*  iv 
hxaoxg  ftexoixovoi  noXXol.  „Jede  Stadt"  kann  nur  heißen:  jede  Stadt 
Palästinas,  nicht:  jede  Stadt  des  Ordens,  wie  Hilgenfeld  will  (Judenthum  und 
Judenchristen thum  S.  25;  Zeitschr.  f.  wiss.  Theol.  1900,  S.  206).  —  Sicher  gab 
es  Essener  auch  in  Jerusalem,   wo   sie   mehrfach   in   der  Geschichte   auf- 

Sohürer,  Geschiebte  II.   4.  Aofi.  42 


658  §  30-   Die  Ebener.  [56&  563] 

derimg  des  Plinius  sich  verleiten  ließe,  sie  nur  in  der  Wüste  En- 
gedi am  Toten  Meere  zu  suchen6.  Vielmehr  kann  die  dortige 
Niederlassang  nur  als  eine  der  |  zahlreichsten  vor  andern  sich 
ausgezeichnet  haben.  Dm  des  gemeinsamen  Lebens  willen  hatten 
sie  eigene  Ordenshäuser,  in  welchen  sie  zusammen  wohnten 7.  Ihre 
ganze  Gemeinschaft  war  aufs  strengste  einheitlich  organisiert 
An  der  Spitze  standen  Vorsteher  {ixifieJLTjTcd, .  welchen  die  Mit- 
glieder zu  unbedingtem  Gehorsam  verpflichtet  waren8.  Wer  in 
den  Orden  eintreten  wollte,  bekam  drei  Abzeichen  (deren  Be- 
deutung später  klar  werden  wird):  eine  Axt  (dzipaQiov^,  eine 
Schürze  (xeQiZcDfia  und  ein  weißes  Gewand  (Xsvxt)v  iofrfjrc?.  Er 
wurde  aber  nicht  sofort  in  die  Ordensgemeinschaft  aufgenommen, 
sondern  hatte  zunächst  eine  einjährige  Probezeit  zu  bestehen,  nach 
welcher  er  zu  den  Waschungen  zugelassen  wurde.  Darauf  folgte 
eine  weitere  Probezeit  von  zwei  Jahren.  Und  erst  nach  Ablauf 
dieser  durfte  er  an  den  gemeinsamen  Mahlen  teilnehmen  und  trat 
ganz  in  den  Orden  ein,  nachdem  er  zuvor  noch  einen  furchtbaren 
Eid  abgelegt  hatte.  In  diesem  Eide  hatte  er  sich  ebenso  zu  un- 
bedingter Offenheit  gegen  die  Brüder,  wie  zur  Geheimhaltung  der 
Lehren  des  Ordens  gegen  Nichtmitglieder  zu  verpflichten9.    Auf- 


treten U»i«.  XIII,  11,  2.  XV,  10,  5.  XVII,  13,  3.  B.  J.  II,  20,  4),  und  ein  Tor 
nach  ihnen  genannt  wurde  (B.  J.  V,  4,  2:  &it  x^v  ''Eoorjvibv  nvlrjv),  vermutlich 
deshalb,  weil  in  seiner  Nähe  sich  das  Ordenshaus  der  Essener  befand. 

0)  Eist.  Nat.  V,  17:  Ab  occidente  litora  Esseni  fuqiunt  usque  qua  nocent, 
gens  sola,  et  in  toto  orbe  praeter  ceteras  mira,  sine  ulla  femina,  omni  trnere 
abdicata,  sine  pecunia,  socio  palmarum.  In  dient  ex  aequo  convenarum  turba 
renasciiur  large  frcqueniantibus  quos  vita  fessos  ad  mores  eorum  forttmae  fluc- 
tibus  agit.  Iia  per  seculorum  milia  (incredibiie  dicht)  gens  aeterna  est,  in  qua 
nemo  nascitur.  Tarn  fecunda  Ulis  aliorum  titae  paenitetitia  est.  Infra  hos  En- 
gada oppidum  fuit  etc.  —  Auch  Dio  Chrysostomus  (erstes  Jahrb.  nach  Chr.) 
hat  nach  dem  Zeugnis  seine«  Biographen  Synesius  die  Essener  als  eine  Ge- 
meinde am  Toten  Meere  erwähnt,  Synesii  Opp.  ed.  Peiav.  p.  39:  oxi  xal  tovq 
'Eooqvovq  Inawzl  nov,  ndXiv  SXqv  evdalftova  x^v  naoa  xd  vexodv  vo\oo  iv  xj 
/xeooyelq  xfjq  Ilakaioxivjjq  xfifievtjv  nag'  avxd  nov  xä  266o(ia.  —  Vermutlich 
gehen  Plinius  und  Dio  Chrysostomus  auf  eine  gemeinsame  Quelle  zu- 
rück; vgl.  Lucius,  Der  Essenismus  S,  30 — 33. 

7)  Philo  ed.  Mangey  II,  632  (=»  Enseb.  Praep.  evang.  Vm,  11,  5  ed.  Qais- 
fordy.  Olxovoi  6*  iv  xavxib,  xaxä  9idoovq  hxaiglaq  xal  ovooixia  noiovfie- 
voiy  xal  nav&*  imho  xov  xoivwq>6Xovq  noayfiaxevdfievoi  dtaxeXovciv.  —  Jo- 
sephus  Bell.  Jud.  II,  8,  5  sagt  wenigstens,  daß  sie  zu  den  Mahlzeiten  elq  lötov 
oixqua  ovviaoiv,  lv$a  fxrjöevl  x(bv  kxeoodögwv  huxixoanxai  naoeX&eir.  —  Vgl. 
auch  Philo  ed.  Manq.  II,  458:  Ovösvbq  olxia  xiq  ioxiv  l&a,  JJv  oi%l  ndvxwr 
elvat  ovfxßtßqxe.  ÜQÖq  yäo  xd  xaxä  &ukoovq  owoixeiv,  dvanhcraxcu  xal  votq 
kxioay&ev  Safixvovfihoiq  ttbv  üfxotfiXwv. 

8)  Joseph.  Bell.  Jud.  II,  8,  6. 

9)  Joseph.  Bell.  Jud.  II,  8,  7. 


[563.  564]  I.  Die  Tatsachen.  659 

genommen  wurden  nur  erwachsene  Männer10.  Doch  nahmen  sie 
auch  schon  Kinder  an,  um  sie  für  ihre  Grundsätze  heranzubil- 
den11. Wenn  Josephus  sagt,  daß  die  Essener  nach  der  Zeit  ihres 
Eintrittes  in  vier  Klassen  zerfallen12,  so  sind  unter  der  ersten 
Klasse  wohl  jene  |  Kinder,  unter  der  zweiten  und  dritten  die 
beiden  Stufen  des  Noviziates,  und  unter  der  vierten  die  eigent- 
liehen  Mitglieder  zu  verstehen.  Über  Vergehungen  von  Ordens- 
mitgliedern entschied  ein  Gericht  von  mindestens  100  Mitglie- 
dern13. Wer  sich  schwer  vergangen  hatte,  wurde  ganz  aus  der 
Gemeinschaft  ausgestoßen  u. 

Das  festeste  Band,  welches  die  Glieder  unter  einander  verband, 
war  die  unbedingte  Gütergemeinschaft  „Bewundernswert  ist 
bei  ihnen  die  Gemeinschaft;  und  man  findet  nicht,  daß  einer  mehr 
besitze  als  der  andere.  Denn  es  ist  Gesetz,  daß  die  Eintretenden 
ihr  Vermögen  dem  Orden  übergeben,  so  daß  nirgends  weder  Nie- 
drigkeit der  Armut  noch  Übermaß  des  Reichtums  zu  sehen  ist, 
vielmehr  nach  Zusammenlegung  des  Besitzes  der  einzelnen  nur 
ein  Vermögen  für  alle  als  Brüder  vorhanden  ist"  15.  „Unter  sich 
kaufen  sie  weder,  noch  verkaufen  sie  etwas;  sondern  indem  jeder 
dem  anderen  gibt,  was  er  braucht,  empfängt  er  hinwiederum  von 
jenem,  was  ihm  nützlich  ist.  Und  ohne  Gegenleistung  erhalten  sie 
ungehindert,  was  sie  nur  wollen" 16.  „Die  Verwalter  (ijttfisXrjrai) 
des  gemeinsamen  Vermögens  werden  gewählt,  und  jeder  ist  ohne 
Unterschied  für  alle  zur  Dienstleistung  verpflichtet"  17.  „Zu  Em- 
pfängern der  Einkünfte  (djeoötxrag  rcov  jiqoöoöcov)  und  dessen, 
was  die  Erde  hervorbringt,  wählen  sie  treffliche  Männer  und  Prie- 
ster für  die  Bereitung  von  Brot  und  Speise" 18.  So  Josephus.  Über- 
einstimmend hiermit  äußert  sich  Philo.  „Keiner  will  auch  nur 
irgendwie  eigenen  Besitz  haben,  weder  ein  Haus,  noch  einen  Skla- 


10)  Philo  ed.  Mangey  II,  632  (=  Euseb.  Praep.  Evang.  VIII,  11,  3  ed. 
Gaisford). 

11)  Joseph.  Bell.  Jud.  II,  8,  2. 

12)  B.  J.  II,  8,  10:  Ji^QTjvxai  6h  xaxä  XQ<>V0V  TW  dax^aeioq  slq  poloag 
xioaaoaq. 

13)  B.  J.  II,  8,  9. 

14)  B.  J.  II,  8,  8. 

15)  B.  J.  II,  8,  3. 

16)  B.  J.  II,  8,  4. 

17)  B.  J.  II,  8,  3:  XeiQOTOvjjzol  6*  ol  x(bv  xoivCov  imfxeXTjxat,  xal  döial- 
qbxol  ngbq  andvxwv  elq  xäq  XQe^a<S  sxa<noi.  Einen  etwas  anderen  Sinn  wurde 
die  Bekkersche  Lesart  aloexoi  ergeben. 

18)  Antt.  XVIII,  1,  5:   yAno6ixxaq  dh  xibv  tiqoo66<j)v  x^Qoxovovvxeq  xal 

önöoa  %  yrj  (piooi  aväoaq  aya&ovq,   Uouq  xe  Siä  nolrjaiv   altov  te  xal  ßom- 

fidxatv. 

42* 


660  §  30.   Die  Essener.  [564.  565] 

ven,  noch  ein  Grundstück,  noch  Heer  den,  noch  was  sonst  über- 
haupt Reichtum  verschafft.  Sondern  indem  sie  alles  ohne  Unter- 
schied zusammenlegen,  genießen  sie  den  gemeinsamen  Nutzen 
aller"19.  „Den  Lohn,  welchen  sie  durch  verschiedenartige  Arbeit 
sich  erwerben,  geben  sie  einem  erwählten  Verwalter  (ra/ilag). 
Dieser  empfängt  ihn  und  kauft  davon,  was  nötig  ist,  und  spendet 
reichliche  Nahrung  und  was  sonst  das  menschliche  Leben  er- 
heischt"20. „Nicht  nur  die  Speise,  sondern  |  auch  die  Kleidung 
ist  ihnen  gemeinsam.  Für  den  Winter  nämlich  sind  dichte  Mäntel 
vorhanden,  und  für  den  Sommer  leichte  Überwürfe,  so  daß  jeder 
nach  Belieben  davon  Gebrauch  machen  kann.  Denn  was  einer 
hat,  gilt  als  Besitztum  aller;  und  was  alle  haben,  als  das  jedes 
einzelnen" 21.  „Nur  eine  Kasse  gibt  es  für  alle  und  gemeinsame 
Ausgaben  und  gemeinsame  Kleider  und  gemeinsame  Speisen  in  ge- 
meinsamen Mahlen.  Denn  die  Gemeinschaft  der  Wohnung  und  des 
Lebens  und  der  Mahlzeit  findet  man  nirgends  so  fest  und  ausge- 
bildet wie  bei  jenen.  Und  das  begreiflicherweise.  Denn  was  sie 
täglich  für  ihre  Arbeit  als  Lohn  empfangen,  das  verwahren  sie 
nicht  für  sich,  sondern  legen  es  zusammen  und  machen  so  den  Ge- 
winn ihrer  Arbeit  zu  einem  gemeinsamen  für  die,  welche  davon 
Gebrauch  machen  wollen.  Und  die  Kranken  sind  unbesorgt  wegen 
ihrer  Erwerbslosigkeit,  da  zu  ihrer  Pflege  die  gemeinsame  Kasse 
in  Bereitschaft  steht,  so  daß  sie  mit  aller  Sicherheit  aus  reich- 
lichen Vorräten  ihren  Aufwand  bestreiten  können" 22. 

Wie  schon  in  der  eben  zitierten  Stelle  angedeutet  ist,  verstand 
es  sich  bei  ihrem  engen  Gemeinschaftsleben  von  selbst,  daß  für  alle 
Hilfsbedürftigen  von  Ordenswegen  gesorgt  wurde.  Wenn  einer  er- 
krankte, wurde  er  auf  Gemeindekosten  verpflegt.  Die  Alten  genossen 
unter  der  Fürsorge  der  Jüngeren  ein  fröhliches  Alter,  gleich  als  ob 

19)  Phüo  ed.  Manqey  II,  G32  (=  Euseb.  Praep.  evatig.  VIII,  11,  4). 

20)  Philo  ed.  Mangey  II,  633  (—  Euseb.  Praep.  evawj.  VIII,  11,  10):  'Ex 
ty  rtöv  ovtioq  Öta<peo6vxa>v  f-xavxoi  xbv  ftio&dv  Xaßbvxeq  kvl  öidSaai  x(j>  ^et- 
QOTovr}&hti  xafjUa.  Aaßibv  ö*  ixetvoq  avxlxa  xdmxföeia  wvtXxai^  xal  naQsxu 
zpo<päq  d<p&6vovq,  xal  xaXXa  uiv  6  dv&Qwmvoq  ßloq  XQBi&Öriq. 

21)  Philo  ed.  Mangey  II,  033  (=  Euseb.  Praep.  erang.  VIII,  11,  12). 

22)  Philo  ed.  Mangey  II,  458  sq.:  Eix*  iazl  xafteiov  £v  ndvxatv  xal  <fa- 
ndvai,  xal  xoival  fxhv  io9i}zEqt  xoival  6h  xgo<pal  ovooixia  nEnoiTjfjievwv.  Td 
ydo  oßcogöcpiov  rj  o/uoöiaivov  ij  ofioxßdne^ov  oix  av  xiq  evooi  nag*  hiooig 
ftäXXov  J-oy<p  ßeßaiorfievov.  Kai  pfaox*  eix6xa>q;aOaa  yao  av  fxs&' tjßipav  i(>- 
yaadfxsvoi  Xdßcomv  inl  ftio&q>,  xavx'  ohx  LÖia  (pvXdxxovoiv,  &XX*  elq  pticov 
7i Qoxi&ivxeq  xotv^v  xolq  £&£Xovoi  ZQijo&ai  xtyv  dn*  abxtbv  naQacxevd%ovctv 
uxpiXeiav.  Cflxe  voatjXsvovxeq  ob%  dxi  noofl^eiv  dÖwaxovoiv  d/u€Xovvxai^  nobq 
xäq  voaijXeiaq  ix  x(av  xoivCov  exovxsq  £v  hxolfiio  ioq  fiexä  ndcfjq  ASelaq  i£  ct- 
<p&ov<ox4(Mav  dvaXlaxetv. 


[566.  566]  I.  Die  Tatsachen.  661 

sie  viele  und  treffliche  Kinder  um  sich  hätten23.  Jeder  hatte  das 
Recht,  nach  eigenem  Ermessen  aus  der  Gemeindekasse  Hilfsbe- 
dürftige zu  unterstützen.  Nur  wenn  es  sich  um  Verwandte  han- 
delte, mußte  er  hierzu  die  Genehmigung  der  Verwalter  (knlxQOJtoi) 
einholen24.  Reisende  Ordensgenossen  fanden  überall  gastfreie 
Auf  |nahme.  Ja  es  war  in  jeder  Stadt  ein  eigener  Beamter  (xTjöeficip) 
aufgestellt,  der  für  die  Bedürfnisse  der  reisenden  Brüder  zu  sorgen 
hatte25. 

Das  Tagewerk  des  Esseners  war  streng  geregelt.  Es  begann 
mit  Gebet,  nach  weichem  die  Mitglieder  von  den  Vorstehern  zur 
Arbeit  entlassen  wurden.  Zu  den  reinigenden  Waschungen  ver- 
sammelten sie  sich  wieder,  worauf  das  gemeinsame  Mahl  folgte. 
Nach  dem  Mahle  ging  man  wieder  an  die  Arbeit,  um  sich  abends 
zum  Mahle  wiederum  zu  versammeln26.  Die  Hauptbeschäfti- 
gung der  Ordensmitglieder  war  der  Ackerbau27.  Doch  trieben 
sie  auch  allerlei  Gewerbe.  Verpönt  war  dagegen  aller  Handel, 
weil  er  zur  Habsucht  reize;  und  ebenso  die  Anfertigung  von  Kriegs- 
werkzeug und  überhaupt  von  Geräten,  durch  welche  den  Menschen 
Schaden  zugefügt  wird28. 

2.  Ethik.  Sitten  und  Gebräuche.  Sowohl  von  Philo  al& 
von  Josephus  werden  die  Essener  als  wahre  Virtuosen  der  Sitt- 
lichkeit geschildert.  BiXxioxoi  avÖQsg  xbv  xqojiov  nennt  sie  Jo- 
sephus29. Und  Philo  wetteifert  mit  ihm  in  der  Verkündigung  ihres 
Lobes30.  Enthaltsam,  einfach  und  bedürfnislos  war  ihr 
Leben.  „Die  sinnliche  Lust  verwerfen  sie  als  Sünde,  die  Mäßigkeit 
aber  und  die  Freiheit  von  Leidenschaften  halten  sie  für  das  Wesen 
der  Tugend*4  31.    Speise  und  Trank  genießen  sie  nur  bis  zur  Sätti- 


23)  Philo  ed.  Jüan?/.  II,  633  (=  Euseb.  Praep.  er.  VIII,  11,  13). 

24)  Joseph.  Bell,  Jud.  II,  8,  6.  ^—  Die  Verwalter  (imftelrjTai  B.  J.  II, 
8,  3,  knobixxai  xwv  noooböatv  Anit.  XVIII,  1,  5,  xa/ulai  Philo  II,  633  =  Eus, 
VIII,  11,  10,  inltQonoi  B.  J.  II,  8,  6)  scheinen  zugleich  die  Vorsteher  des 
Ordens  gewesen  zu  sein.  Denn  auch  letztere  werden  im/jteXtjxal  genannt  (B. 
J.  II,  8,  5.  6). 

25)  B.  J.  II,  8,  4. 

26)  Joseph.  Bell.  Jud.  II,  8,  5. 

27)  Antt.  XVIII,  1,  5:  xb  näv  noveiv  inl  yewoyicc  xexoctfifjiivoi. 

28)  Philo  ed.  Mangey  H,  457.  633  (=  Euseb.  VIII,  11,  8—9). 

29)  Antt.  XVni,  1,  5. 

30)  Vgl.  namentlich,  was  Philo  II,  458  über  ihren  Unterricht  sagt,  mit 
dem  Inhalte  des  Eides,  welchen  nach  Joseph.  B.  J.  II,  8,  7  jeder  beim  Ein- 
tritt zu  schwören  hatte. 

31)  Bell.  Jud.  IIf  ßf  2:  Tag  u£y  fjdovaq  o)g  xaxlav  a7iooxo£<povxai,  x^v  öh 
iyxodzeiav  xal  xb  /u?)  x0?g  accfy       firzonlnxeiv  «fyer^v  vnoXafißävovoi. 


32)  Bell.  Jud.  II,  8,  5  fin.:  Ursache  der  Ruhe  und  Stille  bei  den  Mahl- 
zeiten ist  fj  ötrjvexfjq  vrjtpiq  xal  xd  /ustqeiö&cu  nag'  avxotq  XQOtp^v   xal   noxdv 

11&XQ1  xöqov. 

33)  Bell.  Jud.  II,  8,  6:  ÖQyrjq  xafilcu  dlxaioi,  Qvfiov  xa&exxixol. 

34)  Philo  ed.  Mangey  II,  633  (=  Euscb.  VIII,  11,  11). 

35)  Joseph.  B.  J.  II,  8,  4. 

36)  Philo  ed.  Mang.  II,  457. 

37)  Philo  ed.  Mangey  II,  457:  dovXöq  xs  naQ*  avxoXq  ovöl  elq  toxiv,  äXX* 
itev&EQOi  ndvxeq,  av&vnovoyovvxeq  aXXrfXoiq.  —  Vgl.  Joseph.  Antt.  XVIII,  1,  5: 
oike  öovXwv  imxr\6zvovoi  xtrjaiv. 

38)  Bell.  Jud.  II,  8,  6:  näv  fxhv  xd  fa&hv  vn*  aix&v  IoxvqSxeqov  doxov, 
xd  Sh  dfxvieiv  avxolq  nepuoiaxai,  x&lqov  xi  xrjq  iniogxlaq  vnoXafißdvovxeq' 
tfÖT]  yag  xaxeyvä>o&al  <paoiv  xbv  dmaxovfievov  ölya  &eov.  —  Vgl.  Antt.  XV, 
10,  4  (Herodes  erläßt  den  Essenern  den  Eid).  —  Philo  II,  458:  sie  lehren  xd 
avwfioxov,  xd  axpEitäq. 

39)  Bell.  Jud.  II,  8,  3:  xrjXTÖa  £'  vnoXafxßavovai  xd  tXaiov,  x&v  &Xei<p9jj 
xiq  axu)v,  ofiJjxexat-  x&  olb[jLa%  xd  yag  ai>xfi€iv  iv  xaXCo  xl9evzai. 

40)  B.  J.  II,  8,  5:  anoXovovxat  xd  owfia  xpvxQotq  vdccaiv. 

41)  B.  J  II,  8,  9  fin. 

42)  B.  J.  n,  8,  10  inü. 


662  §  30.    Die  Essener.  [566.  567] 

gung32.  Indem  sie  leidenschaftlicher  Erregung  sich  enthalten,  sind 
sie  „des  Zornes  gerechte  Verwalter"33.  Bei  ihren  Mahlzeiten  sind 
sie  „Tag  für  Tag  mit  demselben  zufrieden,  die  Genügsamkeit 
liebend,  großen  Aufwand  als  der  Seele  und  dem  Leibe  schädlich 
verwerfend"34.  Kleider  und  Schuhe  legen  sie  erst  ab,  wenn  sie 
völlig  unbrauchbar  geworden  sind35.  Schätze  von  Gold  und  Silber 
sammeln  sie  nicht,  |  noch  erwerben  sie  aus  Begierde  nach  Gewinn  [ 

große  Ländereien,  sondern  nur  was  für  die  Bedürfnisse  des  Lebens 
nötig  ist36. 

Neben  diesem  allgemeinen  Zuge  der  Einfachheit  und  Mäßig- 
keit findet  sich  aber  in  ihren  sittlichen  Grundsätzen,  in  ihren 
Gebräuchen  und  Lebensgewohnheiten  eine  Reihe  eigentümlicher 
Punkte,  die  wir  zunächst  hier  einfach  aufzählen,  die  Erklärung 
für  später  vorbehaltend.  1)  „Keiner  ist  bei  ihnen  Sklave,  sondern 
alle  sind  frei,  indem  sie  gegenseitig  für  einander  arbeiten"87. 
2)  „Alles,  was  sie  sagen,  ist  gewisser  als  ein  Eid.  Das  Schwören 
aber  wird  von  ihnen  verworfen,  da  es  schlimmer  sei  als  Meineid. 
Denn  wer  ohne  Anrufung  Gottes  nicht  Glauben  verdient,  der  sei 
schon  gerichtet"38.  3)  Das  Salben  mit  Öl  verwerfen  sie.  Und 
wenn  einer  wider  Willen  gesalbt  worden  ist,  so  wischt  er  sich  ab. 
„Denn  ein  rauhes  Äußere  halten  sie  für  löblich" 39.  4)  Vor  jeder 
Mahlzeit  baden  sie  sich  in  kaltem  Wasser40.  Dasselbe  tun 
sie,  so  oft  sie  eine  Notdurft  verrichtet  haben41.  Ja  selbst  die 
bloße  Berührung  durch  ein  Ordensmitglied  der  niedrigeren  Klasse 
erfordert  ein  reinigendes  Bad42.    5)  Allezeit  weiße  Kleidung 


[567.  568]  I.  Die  Tatsachen.  663 

zu  tragen,  halten  sie  für  schön43,  weshalb  jedem  eintretenden  Mit- 
gliede  ein  weißes  Gewand  überreicht  wird44.  6)  Mit  besonderer 
Schamhaftigkeit  verfahren  sie  bei  Verrichtung  der  Notdurft. 
Sie  graben  nämlich  mit  der  Hacke  (oxaXlg,  a^ivagcov),  welche  jedes 
Mitglied  erhält,  eine  Grube  von  einem  Fuß  Tiefe,  umhüllen  sich 
mit  dem  Mantel,  um  nicht  den  Lichtgianz  Gottes  zu  beleidigen 
(mg  fifj  rag  avyag  vßgl^oiev  zov  &eov),  entleeren  sich  in  die  Grube 
und  schütten  die  aufgegrabene  Erde  wieder  darauf.  Und  dabei 
suchen  sie  die  einsamsten  Orte  auf  und  baden  sich  darnach,  wie 
|  es  Verunreinigte  zu  tun  pflegen.  An  Sabbathen  aber  enthalten 
sie  sich  gänzlich  der  Verrichtung  der  Notdurft45.  Auch  sonst 
noch  zeigt  sich  ihr  schamhaftes  Wesen.  Beim  Baden  binden  sie 
eine  Schürze  um  die  Lenden46.  Und  das  Ausspeien  in  die  Mitte 
oder  nach  rechts  hin  vermeiden  sie47.  7)  Die  Ehe  verwarfen 
sie  ganz  und  gar48.  Zwar  kennt  Josephus  einen  Zweig  der 
Essener,  welcher  die  Ehe  zuließ49.  Aber  diese  können  nur  eine 
kleine  Minderheit  gebildet  haben.  Denn  Philo  sagt  'geradezu: 
'Eoocdcov  ovo  elg  äyezai  yvvalxa.  8)  An  den  Tempel  schickten  sie 
zwar  Weih  gesehen  ke,  aber  Tieropfer  brachten  sie  nicht  dar, 
da  sie  ihre  eigenen  Opfer  für  wertvoller  hielten.  Sie  waren  des- 
halb ausgeschlossen  von  dem  Tempel  zu  Jerusalem50.  9)  Eine 
Haupteigentümlichkeit  der  Essener  waren  endlich  ihre  gemein- 
samen Mahlzeiten,  die  den  Charakter  von  Opfermahlen  hatten. 
Die  Speisen  wurden  von  Priestern  zubereitet51,  wobei  wahrschein- 
lich gewisse  Reinheitsvorschriften  beobachtet  wurden;  denn  es  war 


43)  B.  J.  II,  8,  3:  xd  yao  aiyjteTv  iv  xa\ij>  zi&svxaii  X^vx^ifiovelv  xe 
6iä  nuvxög. 

44)  B.  J.  II,  8,  7. 

45)  Bell.  Jud.  II,  8,  9. 

46)  B.  J.  II,  8,  5. 

47)  B.  J.  II,  8,  9:  xd  nxvocu  6h  elg  ixt-oovq  %  xd  6e&6v  fttyoq  (pvkda- 
oovxca. 

48)  Philo  II,  633—634  (=  Euseb.  VIII,  11,  14—17).  Joseph.  B.  J.  II,  8,  2. 
Antt.  XVm,  1,  5.   Plin.  Hut.  Not.  V,  17. 

49)  Bell.  Jud.  H  8,  13. 

50)  Philo  II,  457:  ov  t^ma  xaza&vovxegt  ctXX*  leQonoeneiq  tag  havxtbv  6ia- 
volag  xaxaaxevd^eiv  a&ovvxeg.  —  Joseph.  Antt.  XVIII,  1,  5:  elg  6h  xd  Xeoöv 
avaQJjfiuxa  oxiXXovxeg  &volag  ovx  imzeXovoiv  6ia<poo6xrjxi  ayveiCbv  a$  vofil- 
Z>oiev,  xal  6i*  avxö  eloydfjtevoi  xov  xoivov  xepevlouaxog  i<p*  a\>x(bv  zag  &volag 
imxeXovoiv.  —  Das  ovx  vor  tmxeXovoiv  im  ersten  Satz  ist  von  Niese  getilgt, 
von  Naber  mit  Recht  beibehalten  worden.  Es  fehlt  zwar  in  den  griechischen 
Handschriften,  ist  aber  durch  die  Epitorne  und  den  Vet.  Lot.  ausreichend  be- 
zeugt und  dem  Sinne  nach  unentbehrlich. 

51)  AM.  XVIII,  1,  5. 


b 


664  §  30.  Die  Essener.  [568.  569] 

einem  Essener  nicht  gestattet,  eine  andere  als  eben  diese  Speise 
zu  genießen52.  Die  Mahlzeiten  beschreibt  Josephus  folgendermaßen: 
„Nach  dem  reinigenden  Bade  begeben  sie  sich  in  eine  eigene  Woh- 
nung, wohin  keinem  Andersgläubigen  der  Zutritt  gestattet  ist 
Und  sie  selbst  gehen  als  Reine  in  den  Speisesaal  wie  in  ein  Hei- 
ligtum. Und  nachdem  sie  sich  in  Kühe  gesetzt  haben,  legt  der 
Bäcker  der  Reihe  nach  Brote  vor,  und  der  Koch  setzt  einem  jeden 
ein  Gefäß  mit  einem  einzigen  Gerichte  vor.  Der  Priester  aber 
betet  vor  der  Mahlzeit,  und  keiner  darf  vor  dem  Gebete  etwas  ge- 
nießen. Nach  der  Mahlzeit  betet  er  wieder.  Am  Anfang  und  am 
Ende  ehren  sie  Gott  als  Geber  der  Nahrung.  Darauf  legen  sie 
ihre  Kleider  als  |  Heilige  ab  und  wenden  sich  wieder  zur  Arbeit 
bis  'abends.  Zurückkehrend  speisen  sie  dann  in  derselben  Weise 
wieder" 53.  10)  Die  weit  verbreitete  Meinung,  daß  die  Essener  sich 
des  Genusses  von  Fleisch  und  Wein  enthalten  hätten,  hat  keine 
Stütze  in  den  älteren  Quellen  und  ist  neuerdings  von  Lucius 
wohl  mit  Recht  bekämpft  worden64.  Als  indirekte  Argumente 
pflegt  man  dafür  anzuführen:  a)  die  Verwerfung  der  Tieropfer, 
welche  ihren  Grund  darin  habe,  daß  die  Essener  das  Schlachten 
der  Tiere  überhaupt  für  verwerflich  hielten,  und  b)  die  Verwerfung 
des  Fleisch-  und  Weingenusses  bei  den  verwandten  Richtungen 
der  Therapeuten,  Pythagoreer  und  Ebjoniten.  Allein  daß  die  Ver- 
werfung der  Tieropfer  aus  dem  angegebenen  Motive  hervorge- 
gangen ist,  läßt  sich  nicht  beweisen;  und  die  Verwandtschaft  der 
genannten  Richtungen  mit  dem  Essenismus,  resp.  der  Grad  dieser 
Verwandtschaft,  ist  eben  erst  auf  Grund  der  feststehenden  Tat- 
sachen zu  ermitteln.  Hieronymus  schreibt  allerdings  den  Essenern 
die  Enthaltung  von  Fleisch  und  Wein  zu.  Seine  Behauptung  be- 
ruht aber  nachweisbar  nur  auf  grober  Nachlässigkeit  in  der  Wie- 
dergabe des  Berichtes  des  Josephus55. 


52)  B.  J.  II,  8,  8. 

53)  Bell.  Jud.  II,  8,  5.  Ohne  Zweifel  haben  wir  in  diesen  Mahlen  die 
Opfer  {9-voiai)  zu  erblicken,  welche  die  Essener  nach  Joseph.  Ant.  XVIII, 
1,  5  für  wertvoller  hielten,  als  die  zu  Jerusalem.  Die  UqclI  £o&ijxeq  waren 
wohl  leinene  Gewänder.  Denn  weiße  Kleidung  trugen  die  Essener  stets. 
Das  Auszeichnende  der  heiligen  Gewänder  kann  also  nur  in  dem  Stoffe  ge- 
legen haben.  Bestimmt  sagt  Josephus  (B.  J.  II,  8,  5)  von  den  Bade- Schürzen, 
daß  sie  aus  Leinwand  bestanden.    Vgl.  Zeller  III,  2,  290  (3.  Aufl.). 

54)  Lucius,  Die  Therapeuten  S.  38 f.  Ders.,  Der  Essenismus  S.  56 f. 

55)  Hieronymus  adv.  Jovinian.  II,  14  (Opp.  ed.  Vallarsi  II,  343:  Josephus 
in  seeunda  Judaicae  captivitatis  historia  et  in  octavo  decimo  antiquiiatum  libro 
et  contra  Appionem  duobus  voluminibus  tria  describit  dogmala  Judaeorum:  Pha- 
risaeos,  Sadducaeos,  Essaenos.  Quorum  novissimos  miris  effert  laudibus,  quod 
et  ab  uxoribus  et  vino  et  carnibus  semper  abstinuerint  et  quotidianum 


[570]  I.  Die  Tatsachen.  665 

3.  Theologie  und  Philosophie.  Die  Weltanschauung  der 
Essener  war  ihrer  Grundlage  nach  jedenfalls  die  jüdische.  Wenn 
Josephus  ihnen  den  Glauben  an  ein  unabänderliches  ^Geschick  zu- 
schreibt, durch  welches  die  menschliche  Willensfreiheit  schlechthin 
aufgehoben  werde56,  so  ist  dies  ohne  Zweifel  nur  im  Sinne  eines 
unbedingten  Vorsehungsglaubens  zu  verstehen57.  Und  wenn  er 
sagt,  daß  die  Essener  alles,  die  Sadduzäer  nichts  vom  Geschick  ab- 
hängig machen,  während  die  Pharisäer  eine  Mittelsteilung  zwischen 
beiden  einnehmen,  so  mag  daran  so  viel  wahr  sein,  daß  die  Essener 
an  dem  Vorsehungsglauben,  den  sie  mit  den  Pharisäern  gemein 
hatten,  mit  besonderer  Entschiedenheit  festhielten.  Wie  die  Essener 
in  [diesem  ^Punkte  nur  entschiedene  Pharisäer  sind,  so  auch  in 
Hochhaltung  des  Gesetzes  und  des  Gesetzgebers.  „Nächst 
Gott  ist  bei  ihnen  der  Name  des  Gesetzgebers  Gegenstand  großer 
Ehrfurcht;  und  wer  ihn  lästert,  wird  mit  dem  Tode  bestraft"58. 
„Die  Ethik  betreiben  sie  besonders  gründlich,  indem  sie  zu  Lehr- 
meistern die  väterlichen  Gesetze  nehmen,  die  eine  menschliche  Seele 
ohne  göttliche  Eingebung  unmöglich  habe  ausdenken  können"59. 


jejunium  verterint  in  naturam.  Der  Eingang  dieser  Worte  beweist,  daß  Hie- 
ronymu8  dabei  überhaupt  nicht  den  Josephus,  sondern  den  Porp hyrius  be- 
nützt hat,  welcher  in  seiner  Schrift  de  abstinentia  IV,  11 — 13  den  Bericht  des 
Josephus  wiedergibt  (vgl.  de  abstinentia  IV,  11:  'iuMJTjnoq  .  .  .  iv  x(j>  öevrioq) 
xfjq  'lovSaiXTJQ  loxooiaq  .  .  .  xal  iv  x<p  dxx&xaiöexdxy  xrjq  doxcnoXoylaq  .  .  . 
xal  iv  zip  devxigip  xiy  nobq  xovqvEXXi}vaq,  die  letztere  Angabe  ist  falsch,  da 
in  den  Büchern  contra  Apionem  die  Sekten  nicht  erwähnt  werden).  Aber  weder 
Josephus  noch  Porphyrius  sagen  etwas  davon,  daß  die  Essener  sich  des 
Fleisch-  und  Weingenusses  enthalten  hätten.  Porphyrius  selbst  fordert  aller- 
dings in  seiner  ganzen  Schrift  die  Enthaltung  von  Fleischgenuß.  Er  ist  aber 
exakt  genug,  in  den  Bericht  des  Josephus  nichts  Fremdes  hineinzutragen  (die 
Angabe  bei  Lucius  S.  56  ist  also  unrichtig,  vgl.  auch  Zeller  S.  287).  Erst 
Hieronymus  hat  diese  Ergänzung  vorgenommen.  Da  er  aber  seine  Behauptung 
lediglich  auf  Josephus  stützt,  so  verliert  sie  damit  allen  Wert.  —  Für  den 
Fleisch-  und  Weingenuß  bei  den  Essenern  lassen  sich  wenigstens 
zwei  Wahrscheinlichkeitsgründe  geltend  machen:  1)  Nach  Philo  II,  633 
=  Euseb.  Praep.  evanq.  VIII,  11,8  trieben  sie  auch  Viehzucht.  2)  Josephus 
B.  J.  II,  8,  5  erklärt  die  Buhe  und  Stille  bei  den  Mahlzeiten  daraus,  daß  sie 
Speise  und  Trank  (xgocpijv  xal  noxöv)  nur  bis  zur  Sättigung  genossen,  was 
doch  nur  einen  Sinn  hat,  wenn  sie  auch  Wein  tranken. 

56)  Joseph.  AntL  XIII,  5,  9.  Vgl.  XVIII,  1,  5:  'EoorjvoTq  6  inl  ph>  &ey 
xaxaXdnetv  <piXel  xa  ndvva  6  Xdyoq. 

57)  Vgl.  das  oben  S.  460  ff.  über  die  Pharisäer  Bemerkte. 

58)  Joseph.  Bell.  Jud.  II,  8,  9:  2£ßaq  öh  fxiya  nao*  aircolq  pexa  xdv 
&edv  xovvofxa  xov  vofio&erov  xav  ßka<5(pmi^oy  xiq  elq  xovxov,  xoXä"C,ezai 
&avaxio. 

59)  Philo  II,  458:  Tb  rf&ucfo  ev  (xvXa  SianovovoiVj  äXelnxaiq  XQ^^01 
xoZq   naxoloiq  v6ß0lgf    ovg  faAYcevov  av&Q<omvriv   imvofjoai  rpvx^v  avev 


666  §  30.   Die  Essener.  [570.  571] 

Bei  ihren  Gottesdiensten  wurden  ganz  ebenso  wie  bei  den  übrigen 
Jaden  die  heiligen  Schriften  gelesen  und  erklärt;  und  Philo  be- 
bemerkt, daß  sie  mit  besonderer  Vorliebe  sich  der  allegorischen 
Auslegung  bedienten60.  Außerordentlich  streng  waren  sie  in  der 
Feier  des  Sabbaths.  Sie  wagten  an  diesem  Tage  kein  Gefäß  | 
von  der  Stelle  zu  rücken,  ja  nicht  einmal  ihre  Notdurft  zu  ver- 
richten61. Auch  sonst  zeigen  sie  sich  als  Juden.  Obwohl  sie  vom 
Tempel  ausgeschlossen  waren,  schickten  sie  doch  ihre  Weihge- 
schenke {avad-rjuaxa)  dorthin62.  Und  selbst  das  Priestertum  des 
Hauses  Aaron  scheinen  sie  beibehalten  zu  haben63. 

Bei  dieser  entschieden  jüdischen  Grundlage  ihres  Bewußtseins 
kann  selbstverständlich  von  eigentlicher  Sonnenanbetung  bei  ihnen 
keine  Rede  sein.  Wenn  daher  Josephus  erzählt,  daß  sie  täglich 
vor  Aufgang  der  Sonne  „altherkömmliche  Gebete  an  sie  richten, 
gleichsam  bittend,  daß  sie  aufgehe" 64,  so  kann  dies  nicht  im  Sinne 
einer  adoratio,  sondern  nur  in  dem  einer  invocaiio  gemeint  sein. 
Immerhin  ist  schon  diese  invocatio  (man  beachte  das  slq  avtov) 
bei  jüdischen  Monotheisten  auffällig,  da  hierbei  die  (dem  jüdi- 
schen Bewußtsein  fremde)  Vorstellung  zugrunde  zu  liegen  scheint, 
daß  die  Sonne  Repräsentant  des  göttlichen  Lichtes  ist  Daß  sie 
nämlich  von  letzterer  Vorstellung  ausgingen,  ist  darum  anzuneh- 
men, weil  sie  auch  ihre  Vorsicht  bei  Verrichtung  der  Notdurft 


xaxaxwx^q  &9iov.  —  Vgl.  Joseph.  B.  J.  II,  8,  12:  ßißXoiq  legalq  xal  öia- 
<pögoiq  äyveiaiq  xal  7iQO<p7jxü)v  ano<p&£y[iaOLV  iimatdoxQißovfiBvoi,  Üb 
dagegen  unter  den  ovvxdyfiaxa  [al.  avyyQa/n/iaxa]  r(bv  naXaiGw  B.  J.  II,  8,  6 
die  heiligen  Schriften  zu  verstehen  sind,  ist  fraglich,  da  es  nach  B.  J.  II,  8,  7 
auch  eigene  Bücher  der  Sekte  gab. 

60)  Philo  II,  458.  Zur  Erklärung  der  Stelle  vgl.  Zeller,  Theol.  Jahrbb. 
1856,  S.  426.    Philosophie  der  Griechen  III,  2,  293  f.  (3.  Aufl.) 

61)  Beil.  Jud.  II,  8,  9. 

62)  Antt.  XVin,  1,  5. 

63)  Es  handelt  sich  hier  um  die  Auslegung  der  Stelle  Antt.  XVIII,  1,  5: 
Anoöixxaq  Sh  xG>v  tiqooööwv  xeL90T0V0^VT£Q  xa^  önooa  ^  yrj  (pe*QOi  ävdoaq 
äya&ovg,  Ugelq  xe  6ta  noirjotv  oirov  xe  xal  ßQOJ/xdzwv.  Gewöhnlich  übersetzt 
man  dies:  „Zu  Empfangern  der  Einkünfte  und  dessen,  was  die  Erde  hervor- 
bringt, wählen  sie  treffliche  Männer,  und  (ebensolche  Männer  wählen  sie)  zu 
Priestern  wegen  der  Bereitung  von  Brot  und  Speise".  Es  wird  aber  vielmehr 
zu  übersetzen  sein:  „und  Priester  (wählen  sie)  zur  Bereitung  von  Brot  und 
Speise".  Im  ersteren  Falle  würde  der  Sinn  sein,  daß  sie  kein  Priestertum 
der  Geburt  kannten,  sondern  nur  ein  solches  durch  Wahl;  im  letzteren  Falle 
würde  gesagt  sein,  daß  sie  ihre  Bäcker  und  Köche  aus  der  Zahl  der  Priester 
(des  Hauses  Aaron)  nahmen. 

64)  Bell.  Jud.  II,  8,  5:  ITqIv  yag  dvaoxeZv  xbv  fjliov  oiShv  <f&4yyovxai 
x(bv  ßeßtfXa>v}  naXQlovq  ö£  xivaq  slq  avxöv  svxdq,  &aneg  Ixcxevovxeq 
avaxeZXai. 


[571.  572]  I.  Die  Tatsachen.  667 

damit  motivierten,  daß  sie  den  Lichtglanz  Gottes  nicht  beleidigen 
wollten 65. 

Wie  sich  schon  hierin  die  Einmischung  fremdartiger  Elemente 
zeigt,  so  hatten  überhaupt  die  Essener  in  ihrer  Lehre  manches 
Eigentümliche,  dem  traditionellen  Judentum  Fremdartige.  Zwar 
wenn  Josephus  sagt,  daß  der  Eintretende  schwören  mußte,  keinem 
die  Satzungen  {öoyiiara)  anders  mitzuteilen,  als  wie  er  sie  |  selbst 
empfangen66,  so  kann  es  bei  der  Weitschichtigkeit  des  Begriffes 
von  doyfia  zweifelhaft  sein,  ob  hierbei  an  besondere  Lehren  zu 
denken  ist.  Jedenfalls  aber  war  der  Orden  im  Besitze  ihm  eigen- 
tümlicher Bücher,  deren  sorgfältige  Verwahrung  den  Mitgliedern 
zur  Pflicht  gemacht  wurde67.  Und  hinsichtlich  ihrer  Lehre  sind 
uns  wenigstens  einzelne  Eigentümlichkeiten  bekannt  Aus  den 
„Schriften  der  Alten44  (es  ist  nicht  klar,  ob  die  Sektenbücher 
oder  die  kanonischen  Schriften  gemeint  sind)  erforschten  sie,  was 
zum  Nutzen  der  Seele  und  des  Leibes  dient:  die  Heilkraft  der 
Wurzeln  und  die  Eigenschaften  der  Steine 68.  Großen  Wert  müssen 
sie  auf  ihre  Engellehre  gelegt  haben.  Der  Eintretende  mußte 
schwören,  die  Namen  der  Engel  sorgfältig  zu  bewahren69.  Auf 
Grund  ihres  Schriftstudiums  und  ihrer  Reinigungen  versicherten 
sie.  die  Zukunft  vorher  zu  wissen;  und  Josephus  behauptet,  daß 
sie  in  ihren  Weissagungen  selten  sich  geirrt  hätten 70,  wie  er  denn 
mehrere  Beispiele  eingetroffener  Weissagungen  von  Essenern  er- 
zählt; so  von  einem  Judas  zur  Zeit  Aristobuls  I.71,  von  einem 
Menachem  zur  Zeit  des  Herodes72,  von  einem  Simon  zur  Zeit 
des  Archelaus 73.  Am  eingehendsten  äußert  sich  Josephus  über  ihre 
Lehre  von  der  Seele  und  deren  Unsterblichkeit.  Wenn 
wir  seinem  Berichte  trauen  dürfen,  so  lehrten  sie,  daß  die  Leiber 


65)  B.  J.  II,  8,  9:  wg  /*/)  xdg  avydg  vßgi^oiev  xov  9eov.  —  Die  entgegen- 
gesetzte Voraussetzung  findet  sich  gelegentlich  in  den  Testam.  XII  Patriareh, 
Benjamin  c,  8:  6  fjfoog  oi  fiiatvexai  71qoo£%ci)v  inl  xöngov  xal  ßÖQßogov, 
d).?.d  [xäXkov  dfi<pöxeQa  xpv/ei  xal  dnekavvet  x^v  övawölav. 

66)  B.  J.  II,  8,  7:  fiTjösvl  fxkv  ftexaöovvai  xmv  öoy[xdx<ov  kz^Qojg  j}  «>s  ah- 
zog  juexiXaßev. 

67)  B.  J.  II,  8,  7:    <wvzti(>Jjaeiv  d/ioiwg  xd  xs  xfjg  algiaewg  abzmv  ßißlla. 

68)  B.  J.  II,  8,  6:  Snovöd^ovoi  6*  ixxönwg  tcbqI  xd  xöv  naXaiöv  awxdy- 
fxaxa  [ah  ovyygdfiaxa],  fidlioxa  xd  ngög  uxp&eiav  tpvz*is  %al  ow/ucxog  ixXi- 
yovxeg.  "Ev&ev  avxotg  ngög  Seganelav  na&ibv  pi'Qai  xe  dXegrjxJjQioi  xal  Xl&wv 
iSwxrjxeg  dveQEivibvzai. 

69)  B.  J.  II,  8,  7:  Gwxrjgfjoeiv  .  .  .  .  xd  xiov  dyyeXiov  övöfiaxa. 

70)  B.  J.  II,  8,  ]2. 

71)  Antt.  XIUf  xl,  2.    B.  J.  I,  3,  5. 


72)  Antt  XV,  j0   />. 

73)  Antt  XVn   11.  3. 


J(t  13,  3.    £.  J.  II,  7,  3. 


668  §  30.    Die  Essener.  [572.  573] 

vergänglich  seien,  die  Seelen  aber  unsterblich,  und  daß  sie,  ur- 
sprünglich im  feinsten  Äther  wohnend,  durch  sinnlichen  Liebesreiz 
herabgezogen  mit  den  Leibern  wie  mit  Gefängnissen  sich  ver- 
banden; wenn  sie  aber  aus  den  Fesseln  der  Sinnlichkeit  befreit 
werden,  wie  aus  langer  Knechtschaft  erlöst  sich  freudig  in  die 
Höhe  schwingen.  Den  guten  (Seelen)  sei  ein  Leben  jenseits  des 
Ozeans  beschieden,  wo  sie  weder  von  Regen  noch  Schnee,  noch 
Hitze  belästigt  werden,  sondern  stets  ein  sanfter  Zephyr  weht 
Den  bösen  (Seelen)  aber  sei  ein  finsterer  und  kalter  Winkel  be- 
stimmt voll  unaufhörlicher  Qualen74. 


IL  Wesen  und  Ursprung  des  Essenismus. 

So  eingehend  [die  Schilderungen  unserer  Quellen,  namentlich 
des  Josephus,  sind,  so  wenig  ist  bis  auf  den  heutigen  Tag  die 
Frage  entschieden,  von  welchem  Gesichtspunkte  aus  diese  Mannig- 
faltigkeit der  Erscheinungen  zu  erklären,  aus  welchen  allgemeinen 
Anschauungen  und  Motiven  sie  hervorgegangen  ist  Die  einen 
(und  sie  bilden  die  Mehrzahl)  wollen  den  Essenismus  rein  aus 
dem  Judentum  erklären,  indem  sie  ihn  entweder  für  wesentlich 
identisch  mit  dem  Pharisäismus  halten  oder  ihn  doch  (bei  allen 
Abweichungen)  aus  dem  chasidäischen  und  pharisäischen  Juden- 
tum glauben  ableiten  zu  können«  So  namentlich  die  jüdischen 
Gelehrten  Frankel,  Jost,  Grätz,  Derenbourg,  Geiger,  und 
von  christlichen  Gelehrten:  Ewald,  Hausrath,  Tideman,  Lauer, 
Clemens,  Reuß,  Kuenen,  Renan.  In  eigentümlicher  Weise 
vertritt  diesen  Standpunkt  Ritschi.  Er  betrachtet  den  Essenis- 
mus nur  als  eine  konsequente  Durchführung  der  Idee  des  allge- 
meinen Priestertums  (Exod.  19,  6).  Alle  einzelnen  Tatsachen  glaubt 
er  daraus  erklären  zu  können,  daß  die  Essener  ein  Volk  von 
Priestern  sein  wollten.  Ähnlich  Bestmann,  nur  daß  dieser  im 
Essenismus  nicht  eine  Durchführung  der  Idee  des  allgemeinen, 
sondern  des  aaronidischen  Priestertums  sieht.  Lucius  hält  eben- 
falls den  Essenismus  für  ein  rein  jüdisches  Gebilde  und  leitet  seine 
Entstehung  daraus  ab,  daß  die  exklusiv  „Frommen44  in  der  Makka- 


74)  &  J.  II,  8, 11 :  Kai  yaQ  sqqwxcu  naq  avxolq  tföe  rj  66£a}  <p&aQxä  (thv 
üvai  xä  ooifxaza  xal  xtyv  vX-qv  ov  tuövi/uov  aii(bvf  xäq  6h  ipv%aq  d&avätovq 
del  öiafitveiv,  xal  ovjunXixeo&ai  /asv,  ix  xov  Xenxoxdxov  <poixto<jaq  al&tyog, 
SxrneQ  elQxtatq  xoTq  owfiaoiv  ivyyl  xivi  tpvoixy  xaxao7ta>(tevaq ,  inetöäv  öh 
&ve9umji  xäv  xaxh.  oägxa  öeofxwv,  olov  <ty  ßaxgäq  öovXetaq  cinrjXXayfiivaqt 
xöxe  %aiQUv  xal  pexeuyQOvq  (p&Qeolhu  x,  x.  X. 


[573.  574)  II.  Wesen  und  Ursprung  des  Essenismus.  669 

bäerzeit  sich  vom  jernsalemischen  Tempelkultus  lossagten,  weil  sie 
ihn  für  illegitim  hielten.  Aus  dieser  Lossagung  vom  Tempelkultus 
sollen  sich  alle  Eigentümlichkeiten  des  Essenismus  erklären  lassen. 
Wieder  in  anderer  Weise  hat  früher  Hiigenfeld  den  Essenis- 
mus rein  aus  dem  Judentume  abgeleitet  Er  glaubte  (in  seinem 
Werke  über  die  jüdische  Apokalyptik  1857,  S.  243  ff.)  in  den 
Essenern  nichts  anderes  als  eine  Schule  von  Apokalyptikern  er- 
blicken zu  müssen.  Ihre  Askese  hatte,  wie  bei  Daniel  10,  2—3. 
Henoch  83,  2.  85,  3.  IV  Fsra  9,  24.  26.  12,  51,  lediglich  den  Zweck, 
sich  zum  Empfange  von  Offenbarungen  würdig  und  fähig  zu  machen. 
„Es  war  die  höhere  Erleuchtung,  der  Empfang  von  Offenbarungen, 
namentlich  durch  Traumgesichte,  was  man  auf  diesem  Wege  zu 
erreichen  suchte"  (S.  253).  Nachdem  Hiigenfeld  diese  Ansicht  noch 
|  in  seiner  Zeitschrift  1858,  S.  116 ff.  verteidigt  hatte,  deutete  er 
schon  im  Jahrgang  1860,  S.  358  ff.  die  Möglichkeit  persischen  Ein- 
flusses an.  Später  (Jahrgang  1867,  S.  97  ff.)  suchte  er  bestimmt 
nachzuweisen,  daß  auf  die  Bildung  des  Essenismus  nicht  nur  der 
Parsismus,  sondern  auch  der  Buddhismus  von  wesentlichem  Ein- 
fluß gewesen  seien;  welche  Anschauung  er  längere  Zeit  (1868, 
S.  343  ff.  1871,  S.  50  ff.)  festgehalten  hat1.  In  seinen  neueren  Kund- 
gebungen betont  Hiigenfeld  wieder  mehr  die  jüdische  Grundlage 
und  nimmt  daneben  nur  pärsistische  Einwirkungen  an  (Zeitschr. 
1882,  S.  290;  Ketzergeschichte  des  ürchristenthums  S.  141—149); 
er  meint,  die  Essener  seien  ursprünglich  Rechabiten,  die  sich  in 
einem  Orte  namens  Essa  westlich  vom  Toten  Meere  niedergelassen 
hätten  (Zeitschr.  1882,  S.  268  ff.  286  ff.  Ketzergeschichte  des  ür- 
christenthums S.  100 ff.  139 ff.)2.  Eine  wesentlich  jüdische  Grund- 
lage mit  sekundärem  Einfluß  des  Parsismus  nimmt  auch  Light- 

1)  In  gewissem  Sinne  hat  er  einen  Vorgänger  schon  in  Philo,  der  als 
Beispiele  asketischen  Lebens  zuerst  die  persischen  Magier,  dann  die  indischen 
Gymnosophisten,  und  unmittelbar  darauf  die  Essener  anführt  (Quod  omnis 
probus  Über  §  11 — 12,  ed.  Mang.  II,  456—457:  !EV  ITigaaig  fxhv  xb  Mdywv, 
....  *Ev  'IvSolq  6h  xb  rvfivooo(ptoxwv9  ....  "Eoxi  öh  xal  %  UaXaioxivri  2v* 
Qta  xakoxaya&lag  ovx  ayovoq  x.  r.  X.). 

2)  Dieser  Ort  Essa  westlich  vom  Toten  Meere  ist  von  Hiigenfeld  ledig- 
lich ad  hoc  erfunden.  Hiigenfeld  selbst  kann  nur  ein  "Eooa  in  Peräa  nach- 
weisen, das  mit  Gerasa  identisch  sei  (Jos.  ArUt.  XIII,  15,  3  vgl.  mit  Bell.  Jud. 
I,  4,  8).  Er  meint  aber,  der  Name  bedeute  „Gründung"  und  könne  daher  als 
Name  mehrerer  Orte  vorkommen.  Leider  hat  aber  auch  jenes  "Eooa  in  Peräa 
gar  nicht  existiert,  da  auf  Grund  von  B.  J.  I,  4,  8  auch  in  der  Parallelstelle 
Antt.  XHI,  15,  3  rioaoa  zu  lesen  ist.  Dies  wird  jeder,  der  die  Oberliefe- 
rungsgeschichte des  Joseph ustextes  zu  würdigen  weiß,  trotz  der  energischen 
Proteste  Hiigenfeld«  (Judenthnm  und  Judenchristenthum  S.  2üf.  Zeitschr.  1889, 
S.  483;  1900,  S.  204  f.)  als  T*^cJje  anerkennen.    Vgl.  oben  S.  179. 


670  §  30.   Die  Essener.  [574.  575] 

foot  an  (St.  Paul's  epistles  to  the  Colossians  and  to  Philemon,  2.  ed. 
p.  355—396).  Vorwiegend  aus  dem  Judentum  erklärt  auch  Lipsius 
die  Entstehung  des  Essenismus;  doch  gibt  er  die  Einwirkung 
fremder  Einflüsse  zu,  nur  nicht  von  Seite  der  griechischen  Philo- 
sophie oder  des  Parsismus,  und  am  wenigsten  des  Buddhismus, 
sondern  von  Seite  des  syrisch -palästinensischen  Heidentums.  Die 
Entwickelung  des  Essenismus  habe  sich  „durchaus  auf  palästi- 
nensischem Boden"  vollzogen  (Bibellexikon  II,  189—190).  Wäh- 
rend alle  bisher  Genannten  den  Essenismus  ausschließlich  oder 
doch  vorwiegend  als  jüdisches  Gebilde  betrachten,  haben  nach 
Baurs  und  Gfrörers  Vorgang  Lutterbeck,  Zeller,  Mangold 
und  Holtzmann,  bald  mehr  bald  weniger,  die  Eigentümlichkeiten, 
welche  den  Essenismus  von  dem  traditionellen  Judentume  |  unter- 
scheiden, aus  dem  Einfluß  des  Pythagoreismus  erklärt,  mit  welchem 
schon  Josephus  (Antt.  XV,  10,  4)  den  Essenismus  zusammengestellt 
hat.  Namentlich  war  es  Zell  er,  der  in  seinen  Verhandlungen  mit 
Ritschi  auf  Grund  seiner  umfassenden  Kenntnis  der  griechischen 
Philosophie  für  beinahe  alle  Punkte  Parallelen  mit  dem  Pytha- 
goreismus nachzuweisen  gesucht  hat*  Er  hat  seine  Position  auch 
noch  in  seinen  letzten  Kundgebungen  festgehalten,  unter  Ablehnung 
der  Annahme  persischer  oder  buddhistischer  Einflüsse  (Zeitschr. 
f.  wiss.  Theol.  1899,  Philosophie  der  Griechen  III,  2,  4.  Aufl.  1903). 
Eine  vermittelnde  Stellung  nahm  Herzfeld  ein,  indem  er  glaubte, 
daß  im  Essenismus  „ein  Judentum  von  ganz  eigentümlich  ver* 
schmolzenen  ultra- pharisäischen  und  alexandrinischen  Anschau- 
ungen mit  dem  Pythagoreismus  und  manchen  Riten  der  ägypti- 
schen Priester  verschwistert  erscheint"  (III,  369).  Auch  Keim  ist 
der  Ansicht,  daß  zwar  alle  Eigentümlichkeiten  des  Essenismus  aus 
dem  Judentume  abgeleitet  werden  könnten,  daß  aber  doch  die 
Parallelen  zwischen  Pythagoreismus  und  Essenismus  zu  auffallend 
und  zahlreich  seien,  um  den  Einfluß  des  ersteren  auf  letzteren  in 
Abrede  stellen  zu  können  (Gesch.  Jesu  I,  300  ff.).  Griechisch-ale- 
xandrinische  Einflüsse  im  allgemeinen  nehmen  Friedländer  und 
Conybeare  an.  An  parsistische  und  platonische  Einwirkungen 
denkt  Wellhausen. 

Aus  diesem  Labyrinthe  von  Anschauungen  ist  es  nicht  leicht, 
einen  Ausweg  zu  finden.  Die  Fragestellung  wird  sich  vereinfachen, 
wenn  wir  zunächst  die  eigentümlichen  Hypothesen  von  Ritschi, 
Lucius  und  Hil genfei d  einer  Prüfung  unterziehen.  1)  Die  Hypo- 
these Ritschis  ist  insofern  bestechend,  als  allerdings  die  Essener 
wie  die  israelitischen  Priester  einen  Stand  von  besonderer  Rein- 
heit und  Heiligkeit  darstellen  wollen.  Die  Parallelen  zwischen 
beiden  sind  daher  sehr  zahlreich.   Andererseits  aber  bleiben  dabei 


[575.  576]  II.  Wesen  und  Ursprung  des  Essenismus.  671 

doch  wesentliche  Punkte  unerklärt;  so  namentlich  die  Verwerfung 
der  Tieropfer,  der  Ehe,  des  Eides,  des  Salböles3.  Es  wird  nicht 
gelingen,  alle  diese  Erscheinungen  aus  jenem  einen  Gesichtspunkte 
befriedigend  abzuleiten.  2)  Noch  weniger  freilich  ist  dies  der  Fall 
bei  dem  von  Lucius  gewählten  Ausgangspunkte.  Sein  Versuch, 
alle  Singularitäten  der  Essener  aus  ihrem  Bruch  mit  dem  illegi- 
timen jerusalemischen  Kultus  zu  erklären,  darf  als  mißlungen  be- 
zeichnet werden.  Wie  sollen  sie  von  hier  aus  zur  Verwerfung  der 
Ehe,  des  Eides,  der  Sklaverei,  des  Handeltreibens,  überhaupt  zu 
ihrer  eigentümlichen  puritanischen  Richtung  kommen?4.  Über- 
dies ist  schon  der  Ausgangspunkt  unglücklich  gewählt.  Denn  | 
wenn  die  Essener,  wie  Lucius  annimmt,  in  ihrer  gesetzlichen  Rich- 
tung mit  den  Pharisäern  eins  waren,  so  hatten  sie  mindestens  seit 
den  Zeiten  der  Alexandra  keinen  Grund  mehr,  sich  vom  Tempel- 
kultus fern  zu  halten,  da  seitdem  alle  Sacra  in  durchaus  korrekter 
Weise  vollzogen  wurden.  3)  Im  wesentlichen  dieselben  Instanzen 
wie  gegen  Ritschi  kund  Lucius  gelten  auch  gegen  Hilgenfelds 
frühere  Auffassung  der  Essener  als  einer  Gemeinde  von  Apokalyp- 
tikern.  Auch  hier  bleiben  viele  Einzelheiten  durchaus  unerklärt5. 
Wenn  überhaupt  der  Essenismus  als  ein  rein  jüdisches 
Gebilde  begriffen  werden  kann,  ist  es  immer  noch  am 
einfachsten,  ihn  lediglich  als  eine  Steigerung  der  phari- 
säischen Richtung  zu  betrachten,  denn  mit  dieser  hat  er  den 
Ausgangspunkt  und  viele  Einzelheiten  gemeinsam.  Man  kann  da- 
her die  Frage  dahin  vereinfachen:  ob  der  Essenismus  nichts 
anderes  ist  als  ein  eigentümlicher  Seitentrieb  des  Pha- 
risäismus,  oder  ob  auf  seine  Entstehung  und  Entwicke- 
lung  auch  fremde  Einflüsse  eingewirkt  haben?  und  wenn 
letztere  Frage  bejaht  wird,  welche  Einflüsse  dies  gewesen  sind,  ob 
der  Buddhismus  (Hilgenfeld  früher)  oder  der  Parsismus  (Hilgen- 
feld,  Lightfoot,  z.  T.  auch  Wellhausen),  oder  das  syrisch-palästi- 
nensische Heidentum  (Lipsius),  oder  die  orphisch- pythagoreische 
Richtung  der  Griechen  (Zeller  und  andere),  oder  griechische  Ein- 
flüsse anderer  Art  (Friedländer,  Conybeare,  Wellhausen). 

Es  ist  nun  nicht  zu  leugnen,  daß  sich  sehr  vieles,  ja  das 
meiste  aus  der  pharisäisch -jüdischen  Grundlage  erklären  läßt 
Echt  pharisäisch  sind  vor  allem  zwei  Hauptpunkte:  die  strenge 


3)  Vgl.  Zeller,  Theol.  Jahrbb.  1856,  8.  413  ff.  Philosophie  der  Griechen 
in,  2,  311  ff.  (3.  Aufl.) 

4)  S.  gegen  Lucius   auch   meine  Anzeige  in   der  Theol.  Literaturzeitung 
1881,  492-496. 

5)  Vgl.  Zelier,  Philosoph    der  Griechen  in,  2,  315  ff.  (3.  Aufl.) 


672  §  30.    Die  Essener.         •  [570.  577] 

Gesetzlichkeit  and  das  ängstliche  Reinheitsstreben.  Mit 
ihrer  Hochschätzung  des  großen  Gesetzgebers  Moses  und  der 
heiligen  Schriften,  mit  ihrer  strengen,  ja  rigoristischen  Sabbath- 
feier  stehen  sie  ganz  auf  dem  Boden  des  Judentums.  Wenn  sie 
dabei  einzelne  Vorschriften  des  Gesetzes,  wie  namentlich  die  über 
die  Tieropfer,  nicht  beobachteten,  so  kann  dies  seinen  Grund 
haben  entweder  in  einer  Notlage,  in  der  sie  sich  befanden,  oder 
in  allegorischer  Deutung  der  betreffenden  Gesetze.  Jedenfalls  steht 
es  nicht  im  Widerspruch  mit  ihrer  unbedingten  Anerkennung  der 
formalen  Autorität  des  Gesetzes.  Pharisäisch  ist  aber  im  wesent- 
lichen auch  ihr  ängstliches  Eeinheits streben.  Das  Wertlegen 
auf  die  levitische  Reinheit  und  auf  die  Bäder  und  Waschungen, 
durch  welche  dieselbe  nach  geschehener  Verunreinigung  wieder- 
hergestellt wurde,  ist  ja  gerade  ein  charakteristisches  Merkmal  | 
des  Pharisäismus 6.  Namentlich  das  essenische  Baden  vor  der 
Mahlzeit  hat  seine  Analoga  im  pharisäischen  Judentum  und  ist 
nur  eine  Steigerung  der  pharisäischen  Sitte7.  Das  Baden  nach 
Verrichtung  der  Notdurft  wird  wenigstens  von  den  diensttuenden 
Priestern  gefordert8.  Wenn  also  die  Essener  dasselbe  von  allen 
ihren  Mitgliedern  fordern,  so  zeigen  sie  damit  nur,  daß  sie  eben 
den  höchsten  Grad  der  Reinheit  nach  jüdischen  Begriffen  bei  sich 
verwirklichen  wollen.  Sehr  lebhaft  wird  man  an  pharisäische  An- 
schauungen auch  erinnert  durch  die  essenische  Sitte,  sich  sogar 
nach  Berührung  mit  einem  Ordensmitgliede  niedrigeren  Grades 
(d.  h.  einem  Novizen)  zu  baden,  Jos.  B.  J.  II,  8,  10  iniL:  ro- 
covxov  ol  fisrayevioxBQoi  xmv  jtQoyevsöx^QOjp  ilaxxovvxai,  cjöt' 
bI  rpavöecap  avxaiv,  exelvovg   ajtokovaöd-at   xad-aneQ   aXXo- 


6)  Tertullian.  De  baptismo  c.  15:  Ceterum  Israel  Judaeus  quotidie  lavaty 
quia  quotidie  inquinatur.  —  Wenn  bei  Epiphanius  haer.  17  die  Hemerobap- 
tisten  (=  xa&'  fjftigav  ßanuty/Lisvoi)  als  jüdische  Sekte  erwähnt  werden,  so 
ist  damit  nur  aus  einer  charakteristischen  Eigentümlichkeit  aller  Juden  ein 
besonderer  Sektenname  fabriziert. 

7)  Ev.  Marci  7,  3 — 4:  ol  yao  <PaoioaToi  xal  Ttdvreg  ol  iIov6aloi  Säv  pi} 
nvyny  viyjwvrai  tag  xe^Qa?  °^x  io&lovoiv  .  .  .  xal  an*  ayooäg  iav  fity  $av- 
tlocovtai  (al.  ßamlacovrai)  ohx  ioSlovoiv.  Vgl.  auch  Matth.  15,  2.  Luc.  11,38. 
—  Chagiqa  II,  5:  „Zum  Genuß  von  Chullin  (profaner  Speise),  Zehnt  und  Hebe 
muß  man  die  Hände  waschen  (eigentlich:  begießen);  um  Heiliges  zu  essen, 
sie  erst  untertauchen"  (letztere  Vorschrift  gilt  nur  denjenigen,  welche  „heilige" 
d.  h.  von  Opfern  herrührende  Speise  genießen).  Vgl.  auch  oben  S.  565.  — 
Das  Baden  (des  ganzen  Körpers)  vor  dem  Essen  ist  als  generelle  Vorschrift  in 
der  rabbinischen  Literatur  nicht  nachweisbar.  Die  Auslegung  der  neutesta« 
mentlichen  Stellen  ist  streitig. 

8)  Joma  111,2.  Vgl.  überhaupt  über  die  von  den  Priestern  gefor- 
derte Reinheit  oben  S.  340. 


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[577.  578]  IL  Wesen  und  Ursprung  des  Essenismus.  673 

cpvXco  ovfig>vQ€Pzag ,  vgl.  dazu  oben  S.  465—472,  bes.  die  Stellen 
Ghagiga  II,  7  (S.  453,  472)  und  Origenes,  Comment  in  Matth.  23,  23  sq. 
(S.  467).  Was  für  den  Pharisäer  der  unreine  Amhaarez  ist,  [das 
ist  für  den  Essener  der  noch  nicht  in  die  eigentliche  Gemein- 
schaft aufgenommene  Novize.  Der  Essenismus  ist  also  zu- 
nächst nur  der  Pharisäismus  im  Superlativ.  —  Aus  dem 
Bestreben,  die  hier  geforderte  Reinheit  des  Lebens  vollkommen 
durchführen  zu  können,  erklärt  sich  auch  die  essenische  Sepa- 
ration, ihre  Organisation  zu  engen  geschlossenen  [Ge- 
meinschaften. Wenn  schon  der  Pharisäer  den  Verkehr  mit  dem 
unreinen  Am-haarez  nach  Möglichkeit  vermeidet,  so  sondert  sich 
der  Essener  nun  vollends  ab  von  dem  großen  Haufen  und  bildet 
enggeschlossene  Vereine,  in  welchen  durch  die  Gleichheit  der  [Ge- 
sinnung und  des  Strebens  die  Möglichkeit  geboten  wird,  das  Ideal 
eines  vollkommen  reinen  Lebens  zu  verwirklichen.  Die  gemein- 
samen Mahlzeiten  in  diesen  Vereinen,  für  welche  die  Speisen 
von  den  Priestern  zubereitet  werden,  geben  dem  Essener  eine 
Bürgschaft  dafür,  daß  er  nur  koschere  Eost  zu  genießen  be- 
kommt Der  enge  brüderliche  Verband  führt  dann  zur  Güter- 
gemeinschaft Die  strengen  Forderungen  aber,  welche  an  ein 
Ordensmitglied  gestellt  werden,  machen  es  notwendig,  daß  man 
neue  Mitglieder  nur  nach  mehrjährigem  strengem  Noviziate  in 
die  Gemeinschaft  aufnimmt  —  Die  Reinheit  und  Heiligkeit,  welche 
die  Essener  zu  verwirklichen  streben,  ist  nun  freilich  doch  eine 
andere,  höhere  und  absonderlichere  als  die  der  Pharisäer.  Aber 
fast  alle  Besonderheiten  haben  wenigstens  ihre  Anknüpfungspunkte 
im  Pharisäismus.  Die  weiße  Kleidung  entspricht  der  Dienst- 
kleidung der  israelitischen  Priester;  beweist  also  wieder  nur,  daß 
die  Essener  den  höchsten  Grad  jüdischer  Reinheit  und  Heiligkeit 
darstellen  wollen.  Die  Vorsicht  bei  Verrichtung  der  Notdurft 
findet  durch  Deut.  23,  13—15  und  durch  talmudische  Parallelen 
ihre  Erklärung9.  Auch  die  Schamhaftigkeit  beim  Baden10 
und  selbst  die  Sitte,  nicht  nach  vorn  oder  nach  rechts  hin  auszu- 


9)  Nach  Beraehoth  61*>  durfte  man  in  Judäa  die  Notdurft  nicht  gegen 
Osten  oder  Westen  (sondern  nur  gegen  Süden  oder  Norden)  verrichten,  um 
sich  nicht  gegen  den  Tempel  hin  zu  entblößen. 

10)  Nach  Mischna  Beraehoth  HI,  5  muß  ein  Badender,  wenn  die  Zeit  de» 
Schma-Betens  kommt  und  er  nicht  mehr  Zeit  hat,  heraufzusteigen  und  sich 

in  zu  bedecken,  sich  wenigstens  mit  Wasser  bedecken.  Bob.  Beraehoth  24 *>  wird 

gefordert,  daß  ein  Nackter  vor  dem  Schma- Beten  den  Tallith  um  den  Hals 
oder  um  das  Herz  winde,  daß  die  oberen  Körperteile  die  Scham  nicht  sahen, 
s.  Herzfeld  IH,  389.    Vgl.  auch  Lucius  S.  68. 

8chürer,  Getchiohte  H.  4.  Aafl«  43 


674  §  30.   Die  Essener.  [578.  579] 

speien,  hat  ihre  Analogien  im  Talmud11.  Die  Verwerfung  der 
Ehe  ist  freilich  etwas  dem  genuinen  Judentume  Heterogenes12. 
Aber  auch  sie  läßt  sich  von  jüdischen  Prämissen  aus  erklären. 
Da  nämlich  der  eheliche  Akt  als  solcher  den  Menschen  verun- 
reinigt und  ein  levitisches  Reinigungsbad  notwendig  macht13, 
so  konnte  das  Bestreben,  den  höchstmöglichen  Grad  von  Reinheit 
und  Heiligkeit  darzustellen,  wohl  zur  völligen  Verwerfung  der 
Ehe  |  führen.  Wie  jedoch  in  allen  diesen  Punkten  sich  ein  Hin- 
ausgehen über  das  gewöhnliche  Judentum  zeigt,  so  auch  in  dem 
starken  puritanischen  Zug,  welcher  die  essenische  Lebensweise 
charakterisiert  In  manchen  sozialen  Sitten  und  Einrichtungen, 
welche  die  Kulturentwickelung  mit  sich  gebracht  hatte,  sahen  sie 
eine  Verkehrung  der  ursprünglichen  und  einfachen,  von  der  Natur 
selbst  vorgeschriebenen  Sitten-Ordnung.  Sie  glaubten  darum  die 
wahre  Sittlichkeit  darzustellen,  indem  sie  zu  der  Einfachheit 
der  Natur  und  der  natürlichen  Ordnungen  zurückkehrten. 
Von  hier  aus  wird  ihre  Verwerfung  der  Sklaverei,  des  Eides, 
des  Salböles  und  überhaupt  jedes  Luxus  zu  erklären  sein;  ein- 
fach und  bedürfnislos  soll  der  Mensch  leben,  und  dem  Leibe  immer 
nur  so  viel  an  Speise  und  Trank  zuführen,  als  die  Natur  erfor- 
dert Daß  sie  eigentliche  Askese  getrieben  hätten  durch  Fasten 
und  Kasteiungen,  durch  Entsagung  des  Fleisch-  und  Weingenusses, 
ist  nicht  nachweisbar.  Nur  ein  Hinausgehen  über  das  natürliche 
Bedürfnis  verwarfen  sie14.  Mit  diesem  ethischen  Radikalismus 
hängt  wohl  auch  ihre  Verwerfung  des  Handels  zusammen:  sie 
wollen  einen  kommunistischen  Staat,  in  welchem  jeder  für  die 
Gesamtheit  arbeitet,  aber  keiner  auf  Kosten  des  andern  sich  be- 
reichert. 


11)  Nach  jer.  Berachoth  III,  5  war  es  verboten,  beim  Gebet  nach  vorn 
oder  zur  Hechten  auszuspeien,  b.  Herzfeld  III,  389.  Noch  heutzutage  wird 
diese  Sitte  beobachtet. 

12)  Vgl.  über  das  debitum  tori:  Jebamoth  VI,  6:  „Niemand  soU  sich  der 
Fortpflanzung  entziehen,  es  sei  denn,  daß  er  bereits  Kinder  habe,  und  zwar 
nach  der  Schule  Schammais  bereits  zwei  Söhne,  nach  der  Schule  Hillels 
mindestens  einen  Sohn  und  eine  Tochter".  —  Ferner:  Kethuboth  V,  6 — 7.  Qiäin 
IV,  5.    Edujoth  I,  13.  IV,  10. 

13)  Joseph.  Apion.  II,  24:  xal  ixtxa  x9jv  vbyunov  ovvovatav  dvÖQÖQ 
xal  ywatxÖQ  änoXovoac&ai  xekevei  6  vSpog.  —  Vgl.  Exod.  19,  15.  Lev.  15, 
16—18.   Deut.  23,  11—12. 

14)  Es  fallt  daher  nicht  ganz  unter  denselben  Gesichtepunkt,  wenn  das 
pharisäische  Judentum  bei  den  strengeren  Graden  des  Fastens  den  Gebrauch 
des  Salböles  verbietet  (Taanith  I,  6.  Joma  VIII,  1.  Vgl.  Daniel  10,  3.  Ev. 
McUth.  6,  17).    Dies  soll  eine  wirkliche  Entsagung  sein. 


/ 

l 

I 


[579.  580]  II.  Wesen  und  Ursprang  des  Essenismus.  §75 

Wenn  schon  mit  den  bisher  geschilderten  Zügen  der  Boden 
des  vulgären  Judentums  verlassen  ist,  so  geschieht  dies  noch  mehr 
durch  die  höchst  auffällige  Tatsache  der  Verwerfung  der  Tier- 
opfer. Daß  der  Gesichtspunkt,  den  Lucius  zur  Erklärung  dieser 
Tatsache  aufgestellt  hat,  nicht  zum  Ziele  führt,  ist  schon  oben 
bemerkt  worden15.  Der  einzige  Anknüpfungspunkt,  der  sich  auf 
jüdischem  Boden  dafür  finden  läßt,  scheint  mir  vielmehr  die  Po- 
lemik mancher  Propheten  gegen  die  Überschätzung  der  Opfer  zu 
sein.  iWie  die  Propheten  betonen,  daß  Gott  nicht  an  Opfern  Ge- 
fallen habe,  sondern  an  Reinheit  der  Gesinnung,  so  ist  nach  esse- 
nischer (Anschauung  nicht  die  Schlachtung  von  Tieren,  sondern 
die  Heiligung  des  eigenen  Leibes  der  wahre  Gottesdienst  Es  liegt 
also  auch  hier  wieder  ein  gewisser  ethischer  Radikalismus  zugrunde. 
Aber  freilich  ist  nun  mit  Verwerfung  der  Tieropfer  ein  völliger 
Bruch  mit  dem  eigentlichen  Judentum  vollzogen,  der  dadurch 
nicht  aufgehoben  wird,  daß  die  Essener  an  den  Tempel  zu  Jeru- 
salem doch  Weihgeschenke  sandten.  —  Noch  viel  fremdartiger 
nimmt  sich  aber  auf  jüdischem  Boden  ihr  eigentümliches  Ver- 
halten gegenüber  der  Sonne  aus.  Ihre  evxri  dq  top  r\Xiov 
kann  unmöglich  nur  das  jüdische  Schma  sein,  das  vor  Aufgang 
der  Sonne  gebetet  wurde16,  sondern  sie  haben  sich  beim  Gebet 
deshalb  nach  der  Sonne  hin  gewendet,  weil  sie  in  ihr  die  Reprä- 
sentation des  göttlichen  Lichtes  sahen.  Das  beweist  namentlich 
der  Umstand,  daß  sie  bei  Verrichtung  der  Notdurft  es  sorgfältig 
vermieden,  sich  gegen  die  Sonne  hin  zu  entblößen.  Auch  aus  der 
Notiz  des  Epiphanius,  daß  die  Überreste  der  Ossäer  (die  sicher- 
lich mit  den  Essenern  identisch  sind)  sich  mit  den  Sampsäern, 
also  den  Sonnenverehrern,  verschmolzen  hätten,  darf  wohl  ge- 
schlossen werden,  daß  es  ihnen  mit  ihrer  religiösen  Wertschätzung 
der  Sonne  voller  Ernst  war17.  Jedenfalls  widerspricht  schon  die 
bloße  Gebetsrichtung  nach  der  Sonne  hin  der  jüdischen  Sitte  und 


15)  Vgl.  auch  Theol.  Literaturzeitnng  1881,  494. 

16)  So  die  meisten  jüdischen  Gelehrten,  auch  Derenbourg  p.  169  not.  3. 
—  Vgl.  über  das  Beten  des  Schma  vor  Aufgang  der  Sonne:  Berachoth  I,  2, 
und  über  das  Schma  überhaupt  oben  S.  537  f. 

17)  S.  Epiphan.  haer.  20,  3:  xal  ^Oooalmv  xb  XeZ/x/ua  olxixi  lovÖattyv, 
&XXk  cwa<p&hv  ZafxxplxaiQ  xolq  xaxa  StaSox^v  iv  xfy  nigav  xfjq  vexoäg  #cr- 
Xaaoriq  vneoxei/uboiq.  Vgl.  auch  Epiphan.  haer,  19,  2.  53,  1—2.  Light f 00t, 
St.  Paul's  epistles  to  the  Oolossians  ete.  2.  ed.  p.  88.  374  sq.  —  Die  Identität  der 
Essener  und  Ossäer  ist  kaum  zu  bezweifeln,  obwohl  Epiphanius  sie  als  zwei 
verschiedene  Sekten  behandelt,  haer.  10  und  19  (Light f 00t  p.  83).  —  Den  Sekten- 
namen der  ZafixpcrfQi  erklärt  Epiphanius  haer.  53,  2  richtig  durch  'HXiaxol 
(von  »an?  Sonoe). 

43* 


676  §  30.   Die  Essener.  [580.  581] 

Anschauung.  Diese  fordert  vielmehr  die  Wendung  nach  dem  Tempel 
hin  und  verwirft  die  Richtung  nach  der  Sonne  ausdrücklich  als 
etwas  Heidnisches18.  —  Man  wird  sonach  mehr  und  mehr  zu  der 
|  Annahme  gedrängt,  daß  auf  die  Bildung  des  Essenismus  auch 
fremde  Einflüsse  eingewirkt  haben.  Vollends  zweifellos  wird  dies, 
wenn  der  Bericht  des  Josephus  über  ihre  Anthropologie  auch 
nur  der  Hauptsache  nach  glaubwürdig  ist.  Denn  wenn  sie  wirklich 
die  Präexistenz  der  Seele  gelehrt  und  den  Leib  nur  als  Gefängnis 
der  Seele  betrachtet  haben,  dann  ist  eben  damit  auch  schon  ent- 
schieden, daß  sie  von  fremden  Philosopheinen  beeinflußt  sind.  Die 
Frage  nach  dem  Ursprung  des  Essenismus  verwandelt  sich  sonach 
in  die  nach  der  Glaubwürdigkeit  des  Josephus.  Diese  ist  nun 
freilich  durchaus  nicht  unverdächtig;  und  wir  sahen  schon  oben 
(S.  460  f.),  daß  er  auch  die  Lehre  der  Pharisäer  griechisch  gefärbt, 
ihre  jüdische  Doktrin  in  griechisches  Gewand  gekleidet  hat  Aber 
eben  dort  fanden  wir  auch,  daß  doch  alles,  was  er  über  sie  sagt, 
im^Wesen"  der  Sache  richtig  ist,  und  nur  die  Form  von  außen  ent- 
lehnt  ist.  Wenn  nun"  von  alledem,  was  er  über  die"Anthropologie 
der  Essener  sagt,"  auch  nur  ein  Wort  wahr  istTsb"  steht  fest,  daß 
ihre  Lehre  vom  Menschen  dualistisch,  d.  h.  nicht-jüdisch  war.  Und 
es  ist  um  so  weniger  Grund,  dies  zu  bezweifeln,  als  sich  von  diesem 
Gesichtspunkte  aus  auch  manche  Einzelheiten,  namentlich  ihr  den 
Pharisäismus  noch  überbietendes  Reinheitsstreben,  am  einfachsten 
und  natürlichsten  erklären. 

Aber  an  welche  fremden  Einflüsse  haben  wir  nun  zu 


18)  S.  bes.  Exechiel  8,  16  ff.  Dazu  Hieronymus  (opp.  ed.  Vallarsi  V,  90): 
praecipiente  ipso  Domino  per  Moysenf  quod  nequaquam  in  morem  gentilium 
contra  orientem  Deum  adorare  deberent,  sed  in  quacumque  fuissent  orbis  parte 
....  adorarent  contra  templum.  —  .Nach  Sukka  V,  4  pflegten  am  Laub- 
hüttenfest morgens,  wenn  der  Hahn  krähte,  zwei  Priester  mit  Trompeten  zu 
blasen,  und  zwar  zunächst  an  dem  Tore,  welches  vom  Männervorhof  in  den 
Weibervorhof  führte,  denn  an  dem  östlichen  Ausgangstore  des  Weibervorhofes; 
hierauf  wendeten  sie  sich  um  nach  Westen  (also  nach  dem  Tempel  zu)  und 
sagten  (mit  Bezug  auf  Exech.  8,  16  ff.):  „Unsere  Väter,  die  an  diesem  Orte 
waren,  wendeten  ihren  Bücken  dem  Tempel  Gottes  zu  und  ihr  Gesicht  dem 
Osten,  und  beteten  nach  Osten  die  Sonne  an.  Wir  aber  richten  unsere  Augen 
auf  Gott".  —  Wenn  es  in  der  Sapientia  Salom.  16,  28  heißt,  man  solle  der 
Sonne  zuvorkommen  mit  der  Danksagung  gegen  Gott,  und  zu  Gott  beten  nobq 
ävaroX^v  (pwtdg,  so  ist  nodq  nicht  örtlich,  sondern  zeitlich  gemeint:  „gegen 
Sonnenaufgang",  wie  Luc.  24,  29  noög  kanigav,  vgl.  Grimm,  Exeget  Hand- 
buch, zu  Sap,  Sal.  16,  28.  —  Auch  das  Material,  welches  Lucius  (S.  61,  69  f., 
125  Anm.)  zur  Erklärung  der  essenischen  Sitte  vom  jüdischen  Standpunkte  aus 
beibringt,  ist  nicht  beweisend.  Sehr  gut  ist  das  Fremdartige  derselben  nach- 
gewiesen bei  Lightfoot  S.  374 — 376,  welcher  vermutet,  daß  die  Sampsäer 
selbst  nichts  anderes  seien,  als  ein  Ausläufer  des  Essenismus. 


[581.  582]  II.  Wesen  und  Ursprung  des  Essenisinus.  677 

denken?  Es  sind  nicht  weniger  als  vier  oder  fünf  verschiedene 
Faktoren  in  Vorschlag  gebracht  worden,  der  Buddhismus,  der  Par- 
sismus,  das  syrische  Heidentum,  der  Pythagoreismus  und  die  grie- 
chische Philosophie  überhaupt.  Jeder  dieser  Faktoren  kann  in  der 
Tat  auf  das  geistige  Leben  in  Palästina  in  den  letzten  Jahrhun- 
derten vor  Chr.  eingewirkt  haben;  eben  darum  wird  die  Beant- 
wortung der  obigen  Frage  immer  eine  unsichere  bleiben.  [Arn 
fernsten  scheint  der  Buddhismus  zu  liegen.  Wenn  man  aber  be- 
denkt, daß  schon  durch  den  Eroberungszug  Alexanders  des  Großen 
die  Kenntnis  Indiens  den  westlichen  Völkern  erschlossen  wurde,  daß 
dann  Megasthenes  zur  Zeit  des  Seleukus  I.  Nikator,  also  um  300 
vor  Chr.,  auf  Grund  seiner  eigenen  Beobachtungen  während  eines 
längeren  Aufenthaltes  in  Indien  eine  eingehende  Beschreibung  des 
Landes  und  seiner  Bewohner  geliefert  hat l  9,  und  daß  in  der  grie- 
chisch-römischen Zeit  vom  Roten  Meere  aus  wahrscheinlich  eine 
regelmäßige  Handelsverbindung  mit  Indien  bestand20,  wenn  man 
ferner  die  zum  Teil  frappierenden  Parallelen  zwischen  Buddhismus 
und  Essenismus  erwägt,  so  wird  man  wenigstens  die  Möglichkeit 


19)  Die  umfangreichen  Fragmente  des  Megasthenes  s.  bei  Müller, 
Fragm.  hist.  grate.  II,  397—439.  Vgl.  über  ihn  auch  Paulys  Real-Enz.  IV, 
1721.  Nicolai,  Griech.  Literaturgesch.  II,  170 f.  Susemihl,  Gesch.  der  griech. 
Litteratur  in  der  Alexandrinerzeit  I,  547  ff.  —  Das  Werk  des  Megasthenes 
scheint  für  lange  Zeit  die  Hauptquelle  über  Indien  geblieben  zu  sein.  Doch 
hat  Strabo  in  seiner  ausführlichen  Beschreibung  Indiens  (XV,  1,  p.  685—720) 
auch  mehrere  Schriftsteller  aus  dem  Gefolge  Alexanders  des  Großen  als  Quelle 
benützt  (Aristobulus,  Nearchus,  Onesikritus).  Noch  andere  'ivöixd  s. 
bei  Müller,  Fragm.  hüt.  graee.  IV,  688  *>  unten;  Nicolai,  Griech.  Literaturgesch. 
II,  170  f.  —  Daß  gewisse  Hauptpunkte  in  das  allgemeine  Bewußtsein  über- 
gingen, sieht  man  z.  B.  aus  Philo,  Quod  omnis  probus  Über  §  11,  Josephus, 
Bell.  Jud.  VII,  8,  7  {ed.  Niese  VH,  351  sqq.).  —  Eine  „Geschichte  des 
griechischen  Wissens  von  Indien"  überhaupt  gibt  Lassen,  Indische 
Alterthumskunde,  Bd.  H  (2.  Aufl.  1874)  S.  626—751.  Vgl.  auch  die  sorgfältige 
Untersuchung  bei  Light  footy  St.  Paul's  epistles  to  the  Colossians  etc.  p.390 — 396, 
und  die  von  ihm  zitierten  beiden  Werke:  Reinaud,  Relations  politiques  et 
covimerciales  de  Vempire  romain  avec  l'Asie  centrale,  Paris  1863  und  Priaulx, 
The  Indian  Travels  of  Apollonitis  of  Tyana  and  the  Indian  Embassies  to  Borne, 
1873.  —  Über  die  Griechen  in  Indien  (z.  T.  auch  über  indische  Einflösse 
auf  die  Griechen):  Weber,  Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie  1890, 
8.  901—933.  Sylvain  L&vi,  Le  Buddhisme  et  les  Orecs  (Revue  de  thistoire  des 
religions  XXHI,  1891,  p.  36—49). 

20)  Vgl.  namentlich  den  oben  S.  68  uad  80  erwähnten  Periplus  maris 
Erythraei  und  die  in  der  vorigen  Anmerkung  zitierte  Literatur.  —  Zur  Zeit 
des  Augustus  kamen  auch  politische  Gesandtschaften  aus  Indien  nach  Rom 
{Monumenium  Ancyranum  V,  50 — 51  und  dazu  Mommsen,  Res  gestae  divi 
Augusli  1883,  p.  132  sq.  Strabo  XV,  1,  4  p.  686  und  XV,  1,  73  p.  719.  Dio 
Cass.  UV,  9.    Sueton.  Aug.  21.    Orosius  VI,  21,  19). 


678  §  30.   Die  Essener.  [582.  583] 

eines  geschichtlichen  Zusammenhanges  nicht  bestreiten  können* 
Immerhin  ist  dieser  Zusammenhang  bei  der  in  vorchristlicher  Zeit 
doch  noch  spärlichen  Verbindung  Indiens  mit  dem  Westen  nicht 
wahrscheinlich21.  Näher  liegt  es,  an  Parsismus  oder  Pythagoreis- 
mus  zu  denken;  denn  die  Berührungen  mit  dem  syrischen  Heiden- 
tum sind  doch  nur  sehr  allgemeine  und  betreffen  höchstens  einzelne 
Punkte.  Im  Parsismus  dagegen  finden  wir  eine  Reihe  charakte- 
ristischer Eigentümlichkeiten  der  Essener:  die  Waschungen  und 
die  weiße  Kleidung  (für  die  Magier),  die  Verehrung  der  Sonne 
und  die  Verwerfung  des  eigentlichen  Opferns  der  Tiere  (d.  h.  der 
Darbringung  des  Fleisches  an  die  Gottheit),  namentlich  auch  die 
Engel|lehre  und  die  Magie.  Da  nun  ohnehin  auch  das  vulgäre 
Judentum  Einwirkungen  des  Parsismus  zeigt  (s.  oben  S.  413 f.),  so 
scheint  die  Annahme  parsistischen  Einflusses  sehr  naheliegend. 
Derselbe  wäre  im  Essenismus  nur  etwas  stärker,  als  im  vulgären 
Judentum22.  Allein  andere  Punkte  sind  doch  wieder  nicht  par- 
sis tisch;  so  namentlich  die  Ehelosigkeit  und  die  ganze  Anthropo- 
logie 28.  Es  dürfte  daher  nach  wie  vor  die  namentlich  von  Zeller 
eingehend  begründete  Hypothese,  daß  die  Eigentümlichkeiten  des 
Essenismus  aus  pythagoreischen  Einwirkungen  zu  erklären  sind, 
die  meiste  Wahrscheinlichkeit  für  sich  haben.  Der  Pythagoreis- 
mus  nämlich  weist  von  allen  bisher  genannten  Richtungen  die 
meisten  Parallelen  mit  dem  Essenismus  auf.  Er  teilt  mit  ihm  das 
Streben  nach  körperlicher  Reinheit  und  Heiligkeit:  die  Waschungen, 
die  einfache,  von  allem  Sinnengenuß  sich  frei  haltende  Lebensweise, 
die  Hochschätzung  (wenn  auch  nicht  gerade  Forderung)  der  Ehe- 
losigkeit, die  weiße  Kleidung,  die  Verwerfung  des  Eides,  nament- 


21)  S.  dagegen:  Zell  er,  Philosophie  der  Griechen  III,  2, 323  ff.  (3.  Aufl.). 
Ders.,  Zeitechr.  für  wissensch.  Theol.  1899,  S.  209  ff.  Light foot,  St.  Patd's 
epistles  to  the  Oolossians  etc.  p.  390—396.  —  Auch  auf  anderen  Gebieten  sind 
die  indischen  Einwirkungen,  die  man  in  neuerer  Zeit  nachzuweisen  versucht 
hat,  fraglich,  ja  mehr  als  fraglich.  Letzteres  gilt  namentlich  von:  Seydel, 
Das  Evangelium  von  Jesu  in  seinen  Verhältnissen  zu  Buddha-Sage  und  Buddha- 
Lehre,  Leipzig  1882  (dagegen:  Theol.  Literaturzeitung  1882,  415 ff.);  ders., 
Die  Buddha-Legende  und  das  Leben  Jesu  nach  den  Evangelien,  Leipzig  1884 
(dagegen:  Theol.  Litztg.  1884,  185  ff.);  auch  von:  van  den  Bergh  van  Ey- 
singa,  Indische  Einflüsse  auf  evangelische  Erzählungen,  1904  (dagegen:  Theol. 
Litztg.  1905,  col.  65  ff).  —  Über  Pythagoras:  Schroeder,  Pythagoras  und  die 
Inder,  Leipzig  1884  (dagegen:  A.  W.  im  Lit.  CentralbL  1884,  Nr.  45).  — 
Überhaupt:  Hardy,  Der  Buddhismus,  nach  älteren  Pali -Werken  darge- 
stellt, 1890. 

22)  S.  Hilgenfeld,  Zeitschr.  f.  wissenschaftl.  Theol.  1867,  S.  99  ff.  Ders., 
Ketzergeschichte  des  Urchristenthums  S.  141  ff.   Lightfoot  S.  387  ff. 

23)  S.  Zell  er,  Philosophie  der  Griechen  ITT,  2,  320  ff.  (3.  Aufl.). 


[583.  584]  II.  Wesen  und  Ursprung  des  Essenismus.  679 

lieh  aber  auch  die  Verwerfung  der  blutigen  Opfer,  die  Anrufung 
der  Sonne  und  die  Ängstlichkeit,  mit  der  man  alles  Unreine  (wie 
die  menschlichen  Entleerungen)  ihrem  Anblicke  entzog24,  endlich 
die  dualistische  Anschauung  über  das  Verhältnis  von  Seele  und 
Leib.  Dies  alles  gehört  zum  Lebensideal  und  zur  Lehre  wie  der 
Essener,  so  auch  der  Pythagoreer 25.  Wenn  auf  Grund  dieser  weit- 
gehenden Übereinstimmung  ein  geschichtlicher  Zusammenhang 
zwischen  beiden  mindestens  sehr  wahrscheinlich  ist,  so  erhalten 
dadurch  auch  jene  Eigentümlichkeiten  des  Essenismus,  die  sich  von 
der  jüdischen  Grundlage  aus  begreifen  lassen,  ein  neues  Licht  Sie 
sind  doch  nicht  das  Resultat  einer  spontanen  Entwicklung,  son- 
dern einer  Befruchtung  des  Judentums  durch  fremde  Faktoren. 
Diese  letzteren  haben  auf  das  Judentum  eben  deshalb  eine  An- 
ziehungskraft ausgeübt,  weil  sich  im  Judentum  eine  Reihe  wahl- 
verwandter Anknüpfungspunkte  für  sie  fand. 

Historien  ist  eine  solche  Einwirkung  des  Pythagoreismus  auf 
jüdische  Kreise,  die  zur  Bildung  dieser  Sonder-Richtung  auf  jüdi- 
schem Boden  geführt  hat,  wohl  erklärlich.  Der  Essenismus  ist  | 
frühestens  um  die  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts  vor  Chr.  nach- 
weisbar. Der  Pythagoreismus  aber  ist,  wenn  auch  nicht  als  ge- 
schlossene Philosophenschule,  so  doch  als  Lebensanschauung  und 
Lebenspraxis  weit  älter.  Da  nun  seit  der  Zeit  Alexanders  des 
Großen  die  griechische  Bildung  auch  auf  Palästina  mächtig  [ein- 
wirken mußte  —  erst  durch  die  makkabäische  Bewegung  ist  sie 
zurückgedrängt  worden  — ,  so  ist  es  nur  natürlich,  wenn  wir  in 
dem  Kreise  der  Essener  den  tatsächlichen  Beweis  für  diese  Ein- 
wirkung des  Griechentums  finden.  Der  Essenismus  wäre 
demnach  eine  Separation  von  dem  Boden  des  eigent- 
lichen Judentums,  welche  etwa  im  zweiten  Jahrhun- 
dert vor  Chr.  unter  griechischen  Einflüssen  sich  voll- 
zogen  hat   zum  Zweck   der  Verwirklichung   eines   dem 


24)  Daß  die  Anbetung  der  Sonne  zum  Lebensideal  der  Pythagoreer 
gehörte,  sehen  wir  namentlich  aus  des  Philostratus  Biographie  des  Apollonius 
von  Tyana  (vgl.  Zeller,  Philosophie  der  Griechen  ITT,  2,  S.  155,  Anm.  1).  Auch 
das  Streben,  alles  Unreine  ihrem  Anblick  zu  entziehen,  ist  echt  pythagoreisch. 
Vgl.  Zeller,  Theol.  Jahrbb.  185G,  S.  425.  Mangold,  Irrlehrer  der  Pastoral- 
briefe S.  52. 

25)  S.  die  Nachweise  bei  Zell  er,  Theol.  Jahrbb.  1856,  S.  401  ff.  Philosophie 
der  Griechen  HI,  2  S.  325  ff.  (3.  Aufl.).  —  Über  die  ältere  pythagoreische 
Lehre  überhaupt  s.  W.  Bauer,  Der  ältere  Pythagoreismus  (Berner  Studien 
zur  Philosophie  VÜI)  1897.  Roh  de,  Psyche  2.  Aufl.  II,  1898,  S.  158-170. 
Zeller,  Zeitschr.  für  wissensch.  Theologie  1899,  S.  213  ff.